Sie sind auf Seite 1von 148

Deutsche Dialektologie

von

Jan Goossens

M i t 13 Karten und 4 Abbildungen

wDE

G
1977

Walter de Gruyter · Berlin · New York


SAMMLUNG GÖSCHEN 2205

Or. Jan Goossens,


o. P r o f e s s o r f ü r n i e d e r d e u t s c h e u n d n i e d e r l ä n d i s c h e P h i l o l o g i e
an der Universität M ü n s t e r

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Goossens, J a n
Deutsche Dialektologie. - 1. Aufl. - Berlin, N e w
Y o r k : de Gruyter, 1 9 7 7 .
(Sammlung Göschen; Bd. 2 2 0 5 )
ISBN 3 - 1 1 - 0 0 7 2 0 3 - 3

© Copyright 1 9 7 7 by Walter de Gruyter Sc C o . , vormals G . J .


Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung,
Georg Reimer, Karl J . T r ü b n e r , Veit Sc C o m p . , 1 Berlin 3 0 - Alle
Rechte, insbesondere das R e c h t der Vervielfältigung und Verbreitung
sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in
irgendeiner Form (durch Fotokopie, M i k r o f i l m oder ein anderes Ver-
fahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, verviel-
fältigt oder verbreitet werden - Printed in Germany - Satz und
Druck: Saladruck, 1 Berlin 36 - Bindearbeiten: Lüderitz Sc
Bauer, B u c h g e w e r b e - G m b H , 1 Berlin 6 1
Vorbemerkung

Dieses kleine Buch ist als Einführung in das räumlich-vergleichende


Studium der deutschen Mundarten gedacht. Es setzt beimLeser ein
gewisses linguistisches und sprachhistorisches Grundwissen, jedoch
keine dialektologischen Vorkenntnisse voraus. Dies beinhaltet, daß
es sich als Einführung in ein wichtiges Variationsgebiet des Deut-
schen für Studenten eignet, die die linguistischen Grundkurse mit
Erfolg besucht haben. Es unterscheidet sich von seinen Vorgängern
durch eine ausführlichere und explizitere Definition des For-
schungsgegenstandes im ersten Abschnitt. Diese ist, im Gegensatz zu
bestimmten älteren Darstellungen, nur linguistisch; sind doch die
Überlegungen „volkskundlicher" Art in früheren Arbeiten zu die-
sem Thema bei expliziter Formulierung als soziolinguistisch und als
semantisch zu kennzeichnen. Für in seinem Aufbau ebenfalls neu
halte ich den Versuch, im dritten Abschnitt mittels einer kommen-
tierten Bibliographie dem Leser in forschungsgeschichtlichen Zu-
sammenhängen einen groben Uberblick über die Leistungen der
deutschen Dialektologie sowie einen Einstieg in die Benutzung ihres
Apparats zu ermöglichen. Den geringsten Originalitätsgrad bean-
spruchen die Ausführungen zur Methodik im zweiten Abschnitt:
Sämtliche Beispiele verdanke ich dem Sammeleifer und der Interpre-
tationskunst meiner Fachgenossen; die theoretischen Darlegungen
können als das Ergebnis einer gründlichen Überarbeitung der ent-
sprechenden Teile in meiner „Inleiding tot de Nederlandse Dialecto-
logie" betrachtet werden.

Münster, Im März 1 9 7 7
Jan Goossens
Inhalt

Vorbemerkung 4

1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie" 7


1 . 1 . W a s ist Dialektologie? 7
1 . 1 . 1 . Gliederungen des Sprachgebrauchs in einer Sprach-
gemeinschaft 7
1 . 1 . 2 . Linguistische Charakterisierung sprachlicher Differenzen
innerhalb einer Sprachgemeinschaft 13
1 . 1 . 3 . Definition des Begriffs „ D i a l e k t " 16
1 . 1 . 4 . Der Gegenstand der Dialektologie 23
1.2. W a s sind deutsche Dialekte? 36

2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie 53


2 . 1 . Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 53
2 . 1 . 1 . Typ 1 53
2 . 1 . 2 . Typ 2 54
2.1.3. T y p 3 55
2 . 1 . 4 . Typ 4 57
2.1.5. Typ 5 59
2 . 2 . Spracherhebung 62
2 . 2 . 1 . Allgemeine Anforderungen an das Sprachmaterial 62
2 . 2 . 2 . Methoden der Materialsammlung 67
2 . 3 . Kartiermethoden 71
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 74
2 . 4 . 1 . Die extra-linguistische M e t h o d e 74
2 . 4 . 2 . Die intern-linguistische M e t h o d e 89

3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie 102


3 . 1 . Allgemeine bibliographische Hilfsmittel 102
3 . 1 . 1 . Bibliographien 102
3 . 1 . 2 . Handbücher 105
3 . 1 . 3 . Zeitschriften 107
3 . 1 . 4 . Reihen 108
6 Inhalt

3.2. Ubersicht über die deutschen dialektologischen Unternehmen . 109


3.2.1. Untersuchungen des gesamten Sprachraums 109
Grammatik 109
Wortschatz 117
3.2.2. Regionale Untersuchungen 122
Grammatik 126
Wortschatz 129
3.3. Z u r Methodengeschichte 134

Kartenverzeichnis 144
Abkürzungen 145
Personenregister zur Bibliographie im dritten Abschnitt ; . . . 146
1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

1.1. Was ist Dialektologie?

1.1.1. Gliederungen des Sprachgebrauchs in einer Sprach-


gemeinschaft

Die Einwohner der Bundesrepublik Deutschland gehören einer


Sprachgemeinschaft an, d. h. einer Gruppe von Menschen, deren
Mitglieder sich mit Hilfe einer Reihe von Variationen einer Sprache
untereinander verständigen können. Nicht jeder Einwohner dieses
Staates gehört jedoch als Sprecher in jeder Hinsicht zur deutschen
Sprachgemeinschaft. Viele haben auf der Schule Englisch sprechen
gelernt. In ihrer Eigenschaft als — gut oder mangelhaft — Englisch
Sprechende gehören diese Sprecher der englischen Sprachgemein-
schaft an. Umgekehrt sind in der Bundesrepublik die Gastarbeiter in
dem Augenblick, w o sie sich auf Deutsch verständigen oder in dieser
Sprache sich zu verständigen versuchen, Mitglieder der deutschen
Sprachgemeinschaft, obwohl ihre Muttersprache nicht das Deut-
sche ist. Eine Person kann also Mitglied mehrerer Sprachgemein-
schaften sein.

Innerhalb einer Sprachgemeinschaft können bedeutende Differen-


zierungen vorkommen. Es gibt Deutsche, die einen Handwerker
Tischler nennen, der von anderen Schreiner genannt wird, einen
Wochentag Samstag, den andere mit Sonnabend bezeichnen, eine
Uhrzeit Viertel vor sechs, die bei anderen drei Viertel sechs heißt
usw. Hier handelt es sich um Differenzierungen in der deutschen
Hochsprache. Nehmen wir an, daß auch die Mundarten der Bun-
desrepublik Ausdrucksformen der deutschen Sprachgemeinschaft
sind — die Annahme ist später zu begründen —, so stellen wir fest, daß
bei einer Konfrontation bestimmter Ausdrucksformen paradoxer-
weise die Kommunikation innerhalb einer Sprachgemeinschaft
nicht mehr funktioniert. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Holstei-
δ 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

ner und ein Bayer versuchten, in einem Dialog ihre jeweilige Orts-
mundart als Ausdrucksmittel zu verwenden.

Bei der Wahl einer gemeinsam der Sprachgemeinschaft zur Verfügung


stehenden Ausdrucksform, nämlich der deutschen Hochsprache,
können beide Sprecher sich jedoch gegenseitig verständigen. Inner-
halb einer Sprachgemeinschaft können also mehrere Ausdrucks-
formen vorkommen; außerdem können einzelne Sprecher der
Gruppe über mehr als eine Ausdrucksform verfügen. Die Unter-
schiede zwischen diesen Formen sind meistens nicht so extrem wie
etwa zwischen Holsteiner Platt und reinem Hochdeutsch. Sie kön-
nen lediglich die Aussprache des Vokals in einer kleinen Gruppe von
Wörtern und zusätzlich den Ersatz einiger Elemente aus dem Wort-
vorrat durch andere Vokabeln betreffen, ζ. B. wenn es sich um die
Ortsmundarten zweier aneinander grenzender Dörfer in Hessen
handelt. Noch viel geringer sind sie bei einem kleinen Geschäfts-
mann aus Bonn, der sich ein erstes Mal mit seinem Freund, ein zwei-
tes mit seinem Anwalt unterhält, in beiden Fällen ein rheinisch ge-
färbtes Hochdeutsch spricht, aber im Gespräch mit dem Anwalt ver-
sucht, die Pronomina dat und wat, die er in der Unterhaltung mit
dem Freund ausnahmslos verwendet, durch das und was zu erset-
zen, was ihm nur in der Hälfte der Fälle gelingt.

Zwischen dem minimalen Unterschied zweier Ausdrucksformen ei-


ner Person (ζ. B. des Bonner Geschäftsmanns) und der maximalen
Differenz in der Ausdrucksform mehrerer Personen (ζ. B. des hol-
steinischen und des bayrischen Mundartsprechers) gibt es innerhalb
einer Sprachgemeinschaft eine unübersehbare Menge von Variatio-
nen des Sprachgebrauchs. Die Prinzipien, nach denen diese Menge
sich gliedern läßt, sind jedoch ziemlich deutlich. Man hat festge-
stellt, daß sprachliche Unterschiede in einer Sprachgemeinschaft mit
außersprachlichen Merkmalen der Sprachbenutzer korrelieren, und
daß auf Grund dieser Korrelationen Schichtungen der Ausdrucks-
formen durchgeführt werden können. Es handelt sich im wesentli-
chen um vier Typen von Differenzierungen (1).

1. Der Sprachgebrauch weist sozialschichtgebundene Differenzie-


rungen auf, er ist diastratisch gegliedert. Die Erforschung dieser Er-
scheinung ist der Aufgabenbereich der Soziolinguistik. Die Sozial-
1 . 1 . W a s ist Dialektologie? 9

schichten lassen sich eindimensional auf einer Achse mit den Polen
„ O b e r s c h i c h t " und „Unterschicht" einordnen. Z w a r gibt es inner-
halb der Sozialwissenschaften — und auch in der Soziolinguistik —
keine Einigkeit über die Adäquatheit der verwendeten Schichten-
modelle (2), doch wird allgemein mit solchen eindimensionalen
Gliederungen gearbeitet. Die amerikanische Soziolinguistik hat
ganz klare schichtgebundene Differenzierungen im Sprachgebrauch
bestimmter Großstädte herausarbeiten können (3); die Ergebnisse
entsprechender deutscher Untersuchungen sind bisher weniger deut-
lich oder überzeugend (4), was mit der andersartigen Gesellschafts-
strukturderBundesrepublik zusammenhängen mag. Jedoch braucht
an der Existenz schichtgebundener Sprachdifferenzierungen in der
deutschen Sprachgemeinschaft nicht gezweifelt zu werden: So wird
man vielfach die Beobachtung machen können, daß der Anteil der
im Alltagsgespräch Hochdeutsch Redenden in den höheren Schich-
ten und umgekehrt der Anteil der Mundartsprecher in den niedrige-
ren Schichten größer ist. Noch deutlicher — obwohl wir hier die
Grenzen einer Sprachgemeinschaft überschreiten — ist innerhalb der
Bundesrepublik die Zunahme der Verwendung südeuropäischer
Sprachen mit sinkender Sozialschicht: gehören doch die meisten
Gastarbeiter den unteren Schichten an.

2. Innerhalb jeder Sozialschicht weist der Sprachgebrauch genera-


tionsgebundene Differenzierungen auf, er ist diaphasisch gegliedert.
Die Erforschung dieser Erscheinung gehört zum Aufgabenbereich
der Historiolinguistik. Die Altersschichten lassen sich problemlos
auf einer Zeitachse mit den Polen „ a l t " und „ j u n g " einordnen. Die
Generationen verfließen ineinander und sterben mit dem Fortschrei-
ten der Zeit eine nach der anderen aus. Wir verfügen über kontinu-
ierliche Zeugnisse des schriftlichen Sprachgebrauchs jüngst und vor
langer Zeit verstorbener Generationen. Zwischen ihnen und der
heutigen schreibsprachlichen Produktion gibt es nur allmähliche
Übergänge, die es erlauben, den schriftlichen Sprachgebrauch frühe-
rer Generationen als Äußerungen der deutschen Sprachgemein-
schaft aufzufassen. Die Erfindung der Schallplatte und vor allem des
Tonbands erlauben jetzt auch die kontinuierliche Überlieferung ge-
sprochener Sprache über die Generationen hinweg. Das wird - ge-
nau so wie es bei den schriftlichen Sprachäußerungen der Fall gewe-
sen ist (5) — die Beobachtung großer Differenzen ermöglichen. Doch
10 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

lassen sich auch im mündlichen Sprachgebrauch heute lebender Ge-


nerationen manchmal wichtige Unterschiede feststellen. So spricht
beispielsweise in weiten Strecken Norddeutschlands ein bedeuten-
der Teil der Generation über fünfzig im Alltagsgespräch noch Dia-
lekt, während die Jüngeren in viel größerem Ausmaß das Hochdeut-
sche als tägliche Umgangssprache verwenden.

3. Innerhalb jeder Sozial- und Altersschicht weist der Sprachge-


brauch situationsgebundene Differenzierungen auf, er ist diasituativ
gegliedert. Die Erforschung dieser Erscheinung ist der Aufgabenbe-
reich der Textsorten- oder Stillinguistik (6). Die Situationen, denen
die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft sich bei der Kommuni-
kation anpassen, können auf einer Achse mit den Polen „formlos"
und „förmlich" eingestuft werden. An verschiedenen Stellen der Stil-
achse liegen im hochdeutschen Sprachgebrauch etwa nur und ledig-
lich, schon und bereits, kaputt und entzwei, brauchen und benöti-
gen. Es gibt jedoch innerhalb einer Sprachgemeinschaft noch viel
bedeutendere situationsgebundene Unterschiede. So versucht man-
cher, der bei der Arbeit und in der Stammkneipe Dialekt spricht,
beim Arzt oder am Schalter der Kreisverwaltung Hochdeutsch zu
reden.

Die Menge der Ausdrucksweisen einer Sprachgemeinschaft läßt sich


somit vorläufig mit Hilfe einer diastratischen, einer diaphasischen
und einer diasituativen Achse folgendermaßen dreidimensional dar-
stellen (7):

IOberschicht — ^

! s
1.1. Was ist Dialektologie? 11

In dieser Darstellung ist auch Platz für geschlechtsspezifische


sprachliche Unterschiede, deren Bedeutung jedoch nicht übertrieben
werden soll (8). Diese sind nicht auf einer Achse mit Gradationen
einzustufen, handelt es sich doch um einen Plus-Minus-Gegensatz.
Man kann annehmen, daß jeder Punkt im Würfel je nach den Be-
dürfnissen mit einem Plus- oder einem Minuszeichen versehen wird.

4. Schließlich enthält der Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft


raumgebundene Differenzierungen, er ist diatopisch gegliedert. Die
Erforschung dieser Erscheinung ist der Aufgabenbereich der Areal-
linguistik. Im Gegensatz zu den vorigen lassen sich die diatopischen
Unterschiede nicht eindimensional einordnen: es handelt sich wört-
lich um flächenmäßige Gliederungen. Die obengenannten hoch-
deutschen Wortpaare Tischler/Schreiner, Samstag/Sonnabend,
Viertel vor sechs/drei Viertel sechs sind auf einer Karte des deut-
schen Sprachgebiets räumlich differenziert: Tischler ist ostdeutsch,
Schreiner westdeutsch, Samstag süddeutsch, Sonnabend nord-
deutsch, Viertel vor sechs nordwest- und westdeutsch, drei Viertel
sechs ost- und süddeutsch (9). Die räumlichen Differenzierungen
können jedoch viel einschneidender sein: Die mundartliche Aus-
drucksweise ist weit stärker differenziert als die hochsprachliche,
und zwar so, daß bei einer Entfernung über mehrere hundert Kilo-
meter die Verständigung aufgehoben wird.

Das Areal einer Sprachgemeinschaft besteht aus einer Menge von


kleineren Gemeinschaften (Wohnkernen), die bei den besprochenen
Differenzierungen des Sprachgebrauchs jeweils spezifische Verhält-
nisse aufweisen. Das ist am deutlichsten bei den Mundarten, die in
manchen Gegenden des deutschen Sprachraums von Ort zu Ort
deutlich differieren, aber auch bei vielen anderen Aspekten des
Sprachgebrauchs, beispielsweise beim Prozentsatz der Hochdeutsch
Sprechenden, beim Ausmaß der regionalen Färbung dieses Hoch-
deutsch im Munde der einzelnen Sprecher usw. Die Ausdrucksfor-
men einer Sprachgemeinschaft lassen sich also auch kartographisch
erfassen, und zwar am genauesten, wenn die Karten so viele Punkte
enthalten wie es kleinere Sprechgemeinschaften gibt. Als Modell der
Gliederung des Sprachgebrauchs einer Sprachgemeinschaft kann
dann eine Karte fungieren, die an einer Reihe von Punkten Würfel
enthält, die nach den besprochenen Prinzipien zu gliedern und als
12 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Formalisierungen der sprachlichen Differenzierung an den von den


Punkten repräsentierten Orten zu verstehen sind.

Anmerkungen

(1) Das skizzierte Modell ist als vereinfachte Darstellung zu verstehen, die
bestimmte Korrelationen sprachlicher und nichtsprachlicher Gegeben-
heiten nicht berücksichtigt. Eine Sprecherpersönlichkeit ist durch die
Verbindung sozialer, chronologischer, situativer, geschlechtlicher und
geographischer Faktoren gewiß nicht erschöpfend charakterisiert. Das
Modell berücksichtigt weiterhin die Dichothomie Sprechsprache -
Schreibsprache nicht. Es ist auch wohl zu wenig flexibel, indem es für den
Einfluß der immer größer werdenden Mobilität der westlichen Industrie-
gesellschaft auf den Sprachgebrauch keinen Platz hat.
(2) R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München
2 1972, 97, skizziert ein zweidimensionales Modell, dessen Operationali-

sierbarkeit für empirische Untersuchungen (auch nichtsprachlicher Na-


tur) jedoch nicht gezeigt wird. Interessante linguistische Betrachtungen
zur Problematik des Schichtenmodells finden sich bei W. Labov, The so-
cial stratification of English in New York City. Washington 1966, Chap-
ter VII, insb. S. 220 ff.
(3) Labov (wie Anm. 2); W. A. Wolfram, A sociolinguistic description of
Detroit negro speech. Washington 1969.
(4) Etwa U. Oevermann, Sprache und soziale Herkunft. Frankfurt
1972. S. Jäger, Sprachnorm und Schülersprache. Sprache der Gegenwart
13 (1971), 166-233.
(5) Mehrere Linguisten haben vergleichende Aufstellungen von Textproben
aus verschiedenen Epochen einer Sprache veröffentlicht. Leicht greifbar
sind etwa die Auszüge aus Übersetzungen des Lukasevangeliums bei P.
von Polenz, Geschichte der deutschen Sprache. Berlin 7 1970, 186-188.
(6) Im Gegensatz zu mehreren anderen Forschern möchte ich inhaltlich nicht
zwischen Textsorten- und Stillinguistik differenzieren.
(7) Aus dieser Darstellung darf nicht der Schluß gezogen werden, daß der
Umfang der Menge sprachlicher Unterschiede zwischen zwei Punkten im
Würfel mit der Entfernung dieser Punkte direkt proportional wäre: Das
von W. Labov entwickelte hyperkorrekte Schema der unteren Mittel-
klasse (vgl. außer The social stratification u. a. noch Das Studium der
Sprache im sozialen Kontext, in W. Klein - D. Wunderlich (Hrsg.),
Aspekte der Soziolinguistik. Frankfurt 1 9 7 1 , 1 1 1 - 1 9 1 , vor allem 169 ff.)
zeigt, daß man hier nicht zu schnell verallgemeinern darf. Unsere Darstel-
lung besagt, daß für jeden Punkt im Würfel eine charakteristische Aus-
drucksweise vorhanden ist, sie besagt nicht, daß es zwischen ihnen nur
gleitende Übergänge gäbe.
1.1. Was ist Dialektologie? 13

(8) Vgl. G. Kegel, Sprache und Sprechen des Kindes. Reinbek 1974, 72:
„Über geschlechtsspezifische Entwicklungsunterschiede ist eine be-
trächtliche Zahl von Stereotypen im Umlauf, die sich bei strikt empiri-
scher Nachprüfung nicht halten lassen."
(9) Vgl. P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen Umgangsspra-
che. Göttingen 2 1 9 6 9 , 180 f., 460 ff., 526 ff.

1.1.2. Linguistische Charakterisierung sprachlicher Diffe-


renzen innerhalb einer Sprachgemeinschaft

Alle Ausdrucksweisen innerhalb einer Sprachgemeinschaft k ö n n e n


miteinander verglichen werden, m. a. W . jeder Punkt in jedem W ü r -
fel des M o d e l l s kann mit jedem anderen Punkt im gleichen oder in
einem beliebigen anderen Würfel in Beziehung gesetzt werden. Weil
wir es definitionsgemäß mit einer Sprachgemeinschaft zu tun h a b e n ,
wird bei gleich welcher K o m b i n a t i o n eine Übereinstimmung in den
Sprachgebrauchstypen festzustellen sein. D a s bedeutet, daß zwei be-
liebige Punkte immer identische Elemente (ζ. B . eine L a u t k o m b i n a -
tion h + V o k a l + s für „ H a u s " ) oder Strukturen (ζ. B . identische
Präteritumkonjugation der schwachen V e r b e n mit den Endungen
-te, -test, -te, -ten,-tet, -ten) enthalten werden. Es wird aber anderer-
seits a n g e n o m m e n , daß der Sprachgebrauch einer Sprachgemein-
schaft differenziert ist. D a s heißt, daß diese beiden Punkte auch op-
ponierende Elemente (ζ. B . Tischler und Schreiner für den Hand-
werker, der die M ö b e l anfertigt) oder Strukturen (ζ. B . verschiedene
Anordnung von V e r b u m finitum und 2 . Partizip im abhängigen
Satz: Er sagt, daß er es getan hat / hat getan) aufweisen werden.

Die Differenzen können mit Hilfe von Regeln erfaßt werden, die sich
auf zweierlei Weise gestalten lassen:

1. M a n n i m m t eine der beiden Ausdrucksweisen als Ausgangspunkt


und überführt ein Element bzw. eine Struktur dieser Ausdrucks-
weise in das entsprechende Element oder die entsprechende Struktur
der anderen Ausdrucksweise, also:

(A) a —> (B) b

d. h. Element (Struktur) a der Ausdrucksweise A wird zu Element


(Struktur) b in Ausdrucksweise B .
14 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

2. Man wählt eine Bezugsgröße 0, die nicht mit einer der miteinan-
der zu vergleichenden Ausdrucksweisen identisch ist und stellt die
Beziehung Α—Β her, indem man ihr beiderseitiges Verhältnis zu 0
angibt, also:

mi * J( A ) al

d. h. Element (Struktur) χ der Bezugsgröße 0 ist in der Ausdrucks-


weise A als a und in der Ausdrucksweise Β als b repräsentiert.

Als 0 fungiert in vergleichenden Untersuchungen der Sprechweisen


von Sprachgemeinschaften meistens ein sog. Protosystem, d. h. eine
ältere (historisch belegte oder rekonstruierte) Sprachstufe, von der
angenommen wird, daß sie der gemeinsame Ursprung der Sprech-
weisen A . . .N ist, doch ist die sprachhistorische Annahme eines
Protosystems für die Erstellung eines Bezugssystems keine Notwen-
digkeit. Es kommt auch vor, daß ein synchron außerhalb der zu er-
forschenden Menge von Sprechweisen existierendes System als Be-
zugsgröße gewählt wird, ζ. B. bei vergleichenden Untersuchungen
deutscher Mundarten das System der deutschen Hochsprache (1).

Vor allem wenn mehr als zwei Sprechweisen miteinander verglichen


werden müssen, erweist sich die Arbeitsweise mit Hilfe einer Größe
0 als die weitaus bequemere; sind doch die sprachlichen Verhält-
nisse innerhalb einer Sprachgemeinschaft manchmal so verwickelt,
daß sie ohne Bezugssystem nicht adäquat dargestellt werden kön-
nen.

Nach dem Ausmaß ihrer Geltung sind zwei Typen von Regeln zu un-
terscheiden: kategorische und variable Regeln. Eine kategorische
Regel gilt in einer Sprechweise uneingeschränkt. Wenn beispiels-
weise ein Angehöriger einer bestimmten Sozial- und Altersschicht in
Hamburg in einer bestimmten Redekonstellation in hundert Prozent
der Fälle, in denen er den letzten Wochentag nennen will, den Aus-
druck Sonnabend verwendet, so läßt sich diese Feststellung in einer
kategorischen Regel formulieren. Diese geht von den folgenden
Konventionen aus: 0 = Bezugssystem; A = die zu beschreibende
1.1. Was ist Dialektologie? 15

Sprechweise; das Bezugssystem enthält als Bezeichnung für den letz-


ten Wochentag den Ausdruck Samstag. Die Regel lautet:
(0) Samstag —» (A) Sonnabend
Eine variable Regel hat, im Gegensatz zu einer kategorischen, nur
beschränkte Geltung. Es wird angenommen, daß es Faktoren gibt,
die das Ausmaß ihrer Anwendung bestimmen, zu denen die Umge-
bung der von ihr betroffenen Teile der Äußerung in der linearen
sprachlichen Verkettung gehört (2). Wenn etwa ein oberhessischer
Angehöriger einer bestimmten Sozial- und Altersschicht in einer be-
stimmten Redekonstellation den letzten Wochentag nennen will, so
wird er nicht immer Sonnabend, sondern auch wiederholt Samstag
sagen. Die Anwendung der Regel
(0) Samstag —> (B) Sonnabend
gilt also für ihn nur beschränkt. Sie wird u. a. von dem sprachkon-
textuellen Faktor der Frequenz der Wortfolge, bestehend aus der
Bezeichnung des letzten Wochentags und der Vokabel Abend beein-
flußt. Denkbar wäre hier etwa ein Verhältnis: 90 % Samstag Abend
— 10 % Sonnabend Abend. Ist die Frequenz dieser Wortfolge hoch,
so verringert sich die Anwendung der Regel, ist sie niedrig, so wird
diese begünstigt.

Den Unterschied zwischen einer kategorischen und einer variablen


Regel können wir nach der — wohl noch als vorläufig zu betrachten-
den — Darstellung Labovs (3) formalisieren, „indem wir jeder Regel
eine Größe φ zuweisen, die den Anteil der Fälle, wo die Regel ange-
wandt wird, an der Gesamtheit all derer, wo sie angewandt werden
könnte, repräsentiert. Für eine kategorische Regel ist φ = 1; für eine
variable Regel ist φ = 1 — ko, wobei ko irgendeine Beschränkung
der Regel repräsentiert". Folgt im besprochenen Beispiel der Be-
zeichnungen des letzten Wochentages nicht das Wort Abend, „so
begünstigt das die Anwendung der Regel und ko wird um einen Fak-
tor k l , d e r kleiner ist als ko, vermindert,so daß φ = 1 - (ko - a k l ) ,
wobei a negativ oder positiv ist", je nachdem die Bezeichnung eine
Verbindung mit dem Wort Abend eingeht oder nicht.

Das Verhältnis der behandelten hamburgischen und oberhessischen


Sprechweisen läßt sich dann folgendermaßen darstellen (a = Sams-
16 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

tag; b = Sonnabend; / / steht vor der Beschreibung des Anteils der


Fälle, für die die Regel gilt):

(0)a .|<A)b//l I
W I ( B ) b / / 1 - (ko - α k l ) j

Anmerkungen

(1) Vgl. zu dieser Problematik W. O. Droescher, Proto-Mundarten. Z D L 3 6


(1969), 3 0 4 - 3 0 9 . /. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Heidel-
berg 1969, 1 8 - 2 2 . W. H. Veith, Intersystemare Phonologie. Berlin -
New York 1972, 1 0 3 - 1 0 6 .
(2) D. Bickerton nennt es ein „indisputable evidence . . . that, in a variable
phrase, production or non-production of a given feature does vary in ac-
cordance with features, both phonological and grammatical, occuring in
its immediate environment" (Inherent variability and variable rules.
Foundations of Language 7 (1971), 457^192. Zitat S. 489). Trotz seiner
Kritik an Labovs Behandlung der Variablen-Problematik schließt Bicker-
ton seinen Aufsatz mit folgender Überlegung: „Whatever reservations
one may have about Labov's variable-rule principle, it is hard to see how
anyone could counter his general assertion that the study of variation is
central to linguistic theory, and must henceforth be accepted as such".
(3) Darstellung nach Labov in W. Klein - D. Wunderlich (Hrsg.), Aspekte
der Soziolinguistik. Frankfurt 1971, 1 4 6 - 1 4 7 .

1.1.3. Definition des Begriffs „Dialekt"

In 1 . 1 . 1 . haben wir die Gliederungen des Sprachgebrauchs in einer


Sprachgemeinschaft pragmatisch definiert. Eine diatopisch-lingu-
istische Untersuchung, die von einem pragmatischen Standpunkt
methodisch einwandfrei ist, setzt voraus, daß beim Konstanthalten
der Variablen Sozialschicht, Alter und Situation das Element
Wohnkern (Punkt im Areal) variiert wird. Eine rigorose Anwen-
dung dieses Verfahrens nimmt in Kauf, daß die Stratifikation des
Sprachgebrauchs an einzelnen Orten unter dem Aspekt der linguisti-
schen Struktur gründliche Unterschiede aufweisen kann.

In einem geplanten W o r t a t l a s des gesprochenen Deutsch will


J. Eichhoff „diejenige Ausdrucksweise, die unter den Bewohnern
eines Ortes im täglichen Verkehr üblicherweise Verwendung fin-
d e t " , diatopisch untersuchen. Nehmen wir an, daß mit dieser Defi-
1 . 1 . W a s ist Dialektologie? 17

nition die zu erforschende Sprachform pragmatisch ausreichend be-


stimmt ist, so müssen wir mit Eichhoff feststellen, daß sie „eine
breite Palette landschaftlich gebundener Ausdrucksweisen" umfaßt,
„die im Norden gesprochener Standardsprache nahekommen und
im Süden bis zu den Mundarten reichen" (1). Dies ist in der deut-
schen Areallinguistik ein neuer Gesichtspunkt. Bisher waren areal-
linguistische Studien wohl immer implizit von der Annahme ausge-
gangen, die sprachgeographische Vermischung von Elementen so
verschiedenartiger Sprechweisen wie Hochsprache und Mundart sei
methodisch unzulässig. M a n hat zwar die Variablen Sozialschicht,
Alter und Situation nicht ganz vernachlässigt, aber doch geglaubt,
die Vergleichsbasis der zu untersuchenden Sprechweisen müsse an-
derer Natur sein, und zwar rein sprachlicher.

Die linguistische Variable, die man konstant zu halten versuchte,


war das Feld der sprachlichen Strukturvariationen zwischen ausge-
prägt „mundartlicher" Sprechweise und „hochdeutscher Umgangs-
sprache". Dabei war unter Mundart die Ausdrucksweise mit der
stärksten regionalen Färbung, unter „hochdeutscher Umgangsspra-
c h e " die mit der geringsten regionalen Färbung zu verstehen. Mund-
art wurde zwar meistens mit dem außersprachlichen Element
„Grundschicht", hochdeutsche Umgangssprache mit „Bildungs-
schicht" assoziiert (2); der Gegensatz wurde jedoch primär als Un-
terschied in der Sprachstruktur selbst verstanden: beide Sprachty-
pen unterschieden sich überall durch eine Reihe lautlicher, morpho-
logischer, syntaktischer und lexikalischer Merkmale. In dem Span-
nungsfeld zwischen grobmundartlicher Ausdrucksweise und geho-
bener Umgangssprache galt das Interesse jahrzehntelang fast aus-
schließlich dem Bereich der beiden Pole, und zwar vorwiegend der
Mundart. Diese war ja der differenziertere und deshalb gewisser-
maßen der ergiebigere Forschungsgegenstand; immerhin wurde
auch den geographischen Differenzierungen des Wortschatzes der
deutschen Umgangssprache eine große Arbeit gewidmet (3).

Die anfängliche Vernachlässigung des Zwischenfeldes in der deut-


schen Sprachwissenschaft ist vermutlich als Fortwirkung der Be-
handlung der Sprachschichten nach der Zweiteilung Schriftsprache
— Mundarten durch die Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts zu
verstehen (4). Wenn die Lage in diesem Jahrhundert sich allmählich
18 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

änderte, so mag das zum Teil die Folge der Einsicht gewesen sein,
daß infolge dieser Polarisierung bestimmte Teilgebiete des Sprach-
gebrauchs vernachlässigt worden waren. Vermutlich spielt jedoch
auch eine immer weitergehende Verwischung der Grenzen zwischen
den zwei Typen des Sprachgebrauchs selbst eine Rolle. W. Henzens
Meinung, die Mundart sei „nach oben hin" nicht leicht abzugrenzen
(5), trifft wahrscheinlich die Verhältnisse der heutigen Zeit besser
als die des vorigen Jahrhunderts.

Wir haben bisher angenommen, daß der Begriff Mundart oder Dia-
lekt (6) vom Standpunkt der Sprachstrukturvariationen sich als eine
polare Größe bestimmen läßt. Dies ist alles andere als revolutionär:
„Allen (bisherigen) Definitionsversuchen gemeinsam ist die relative
Unselbständigkeit des Begriffs Dialekt/Mundart. Eine Bestimmung
wird immer nur auf den Hintergrund des Gegenstückes, der Hoch-
sprache, Schriftsprache etc. versucht" (7). Von dieser Feststellung
ausgehend wollen wir jetzt den Begriff Dialekt explizit definieren.

In jedem Ort einer Sprachgemeinschaft kann das Verhältnis aller


Sprechweisen zueinander mit Hilfe von Regeln beschrieben werden.
Herrschen in dem Ort „normale" Sprachverhältnisse, d. h. gehört
die offizielle Sprache (die Sprache der Verwaltung und Schule) dem
gleichen Typ an wie die Mehrheit der örtlichen Sprechweisen, so
kann man ihr Verhältnis zueinander mit Hilfe von Regeln so gestal-
ten, daß eine Verkettung entsteht. Dabei weicht eine Sprechweise
von der idealen Gestalt der offiziellen Sprache (Hochsprache), die in
Grammatiken und Wörterbüchern wenigstens teilweise explizit be-
schrieben ist, nur minimal ab. Das bedeutet: Eine Uberführung des
Systems der Hochsprache in diese Sprechweise ist mit einer minima-
len Zahl von Regeln mögli'ch. Man kann auch umgekehrt sagen: Mit
Hilfe einer minimalen Regelzahl kann aus dieser örtlichen Sprech-
weise das idealisierte System der Hochsprache erzeugt werden. Die
von dieser nur minimal abweichende Sprechweise kann als ihre op-
timale Vertretung am betreffenden Ort betrachtet werden. Mit die-
ser Sprechweise sind andere verkettet, die stärker vom System der
Hochsprache abweichen. Der Typ, der am stärksten abweicht, kann
als die ausgeprägteste Vertretung der Mundart betrachtet werden.
Das heißt: Für die Überführung des Systems der Hochsprache in
diese mundartliche Sprechweise bzw. dieser Sprechweise in das idea-
1.1. Was ist Dialektologie? 19

lisierte System der Hochsprache ist eine maximale Zahl von Regeln
notwendig. Die zusätzlichen Regeln, die zu der „reinen" Reprä-
sentation der Mundart führen, werden wohl fast immer den Regeln
addiert, die zur Erzeugung weniger stark vom hochsprachlichen Sy-
stem abweichender Sprechweisen notwendig sind (8), m. a. W. es
findet beim gestuften Übergang von einer der Hochsprache verhält-
nismäßig nahe stehenden Form der Umgangssprache zu einer aus-
geprägt mundartlichen Sprechweise in der Regel eine Akkumulation
von Regeln statt.

Die Annahme, daß die Sprechweise, die von dem idealisierten hoch-
sprachlichen System am weitesten entfernt ist, als „Repräsentation"
der Mundart zu interpretieren ist, postuliert ein ideales mundartli-
ches System, von dem diese Repräsentation nur minimal, und der
optimale Vertreter der Hochsprache maximal abweicht. Man kann
sich leicht vorstellen, daß der optimale Vertreter der Mundart durch
eine sehr beschränkte Wirkung bestimmter variabler Regeln noch
Verbindungen mit dem hochsprachlichen System aufweist; die Aus-
schaltung dieser Regeln kann dann zum idealisierten mundartlichen
System führen, dessen Annahme nicht weniger berechtigt ist als die
des hochsprachlichen, obwohl es meistens nicht in Grammatiken
und Wörterbüchern beschrieben ist.

Das sprachstrukturelle Verhältnis der Sprechweisen eines Ortes χ


läßt sich dann folgendermaßen linear darstellen.

»
Fig. 2

Die Frage, welche Pfeilrichtung der sprachlichen Wirklichkeit am


besten gerecht wird, kann folgendermaßen beantwortet werden:
Von einem genetischen Standpunkt aus betrachtet gibt die Richtung
von rechts nach links wohl besser wieder, was sich in einer Sprach-
gemeinschaft abspielt. Will man jedoch den Begriff Dialekt definie-
ren, so scheint die Richtung links-rechts vorgezogen werden zu
20 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

müssen, weil man ihn dann bestimmen kann, ohne ihn selbst als
Ausgangspunkt der Definition nehmen und sich in einem Kreis be-
wegen zu müssen.

Aus drei Gründen muß das obige Modell um einen Faktor ergänzt
werden:

1. Es scheint zwar in den Fällen zu genügen, wo innerhalb der


Sprechweisen eines Ortes ein Bruch in der Zufügung von Regeln
festzustellen ist, d. h. wenn um von einer Sprechweise zur nächsten —
eben der mundartlichen — hinüberzugehen, schlagartig ein ganzer
Komplex von Regeln eingeführt werden muß. Es scheint nicht aus-
zureichen, wenn es einen solchen Bruch nicht gibt, wenn also die
Akkumulation bzw. der Ersatz von Regeln nur als gleitender Uber-
gang vorhanden ist. In diesem Fall ist nämlich auf Grund der ange-
nommenen Bedingungen allein keine Abgrenzung der Mundart ge-
gen andere Sprechweisen des gleichen Ortes möglich.

2. Es werden zwar überall innerhalb einer Sprachgemeinschaft Ab-


stufungen von Regeln festzustellen sein, doch gibt es gewiß heute
schon viele Orte (auch in der deutschen Sprachgemeinschaft), in de-
nen kein einziger Sprecher sich noch zutraut, die Ortsmundart zu
sprechen, m. a. W. in denen der Dialekt „ausgestorben" ist.

3. In einem Ort können Sprecher wohnen, die als Verwender be-


stimmter Sprechweisen Angehörige der Sprachgemeinschaft sind,
jedoch diese Sprechweisen als Zugezogene, bzw. als deren Nach-
kommen in den betreffenden Ort importiert haben bzw. fortsetzen.
In vielen Fällen wird eine solche Sprechweise — die sich sogar kumu-
lativ wird erzeugen lassen—stärker von der Hochsprache abweichen
als alle „einheimischen" Sprechweisen. Sie müßte also unter Berück-
sichtigung der angenommenen Bedingungen allein als die Mundart
des betreffenden Ortes betrachtet werden.
Diese drei Schwierigkeiten werden gelöst, wenn man den bisherigen
Voraussetzungen das Kriterium des Sprach willens hinzufügt: Damit
eine Sprechweise als Repräsentant der Mundart eines Ortes betrach-
tet werden kann, ist es notwendig, daß sie vom Sprecher - bewußt
oder unbewußt — als solche intendiert ist.
1.1. Was ist Dialektologie? 21

1. Unter Hinzuziehung des Kriteriums des Sprachwillens ist eine ge-


naue Abgrenzung der mundartlichen Ausdrucksweisen „an der lin-
ken Seite" immer möglich. Wir nehmen als Postulat an, daß im Falle
einer Bruchstelle in der Häufung von Regeln die durch den Sprach-
willen entstandene Begrenzung mit dieser Stelle zusammenfällt.

2. Mit Hilfe dieses Zusatzkriteriums ist es immer möglich, festzu-


stellen, ob eine Mundart noch existiert oder schon ausgestorben ist.

3. Dieses Kriterium erlaubt eine einwandfreie Grenzziehung zwi-


schen einheimischer Mundart und ortsfremden Sprechweisen.

Das Kriterium des Sprachwillens ist bei einem Versuch, den Begriff
Mundart zu definieren, zwar unentbehrlich, doch darf es nicht als
ausschließliche Bedingung betrachtet werden, hat doch eine Defini-
tion dieses Begriffs primär sprachstruktureller Natur zu sein.

Dialekt ist also der als Ausdrucksweise der Sprachgemeinschaft ei-


nes Ortes zu betrachtende, auf lokale Verwendung zielende Kom-
plex von Sprechweisen, bei dem zur Aufhebung der Differenzen zum
hochsprachlichen System, im Vergleich zu den anderen am gleichen
Ort vorkommenden Sprechweisen dieser Sprachgemeinschaft, eine
maximale Anzahl von Regeln notwendig ist. Umgekehrt ist zur Er-
zeugung des hochsprachlichen Systems aus dem Komplex der dia-
lektalen Sprechweisen ebenfalls eine maximale Zahl von Regeln
notwendig. Der Dialekt als Sprachsystem kann aus den dialektalen
Sprechweisen idealisierend abgeleitet werden wie das hochsprachli-
che System aus den vom dialektalen System maximal abweichenden
Sprechweisen.

Die Dialekte befinden sich definitionsgemäß in den jeweiligen örtli-


chen linearen Anordnungen der sprachlichen Strukturen an der glei-
chen Stelle. Ihre diatopische Untersuchung scheint also durch das
Konstanthalten dieser Stelle methodisch einwandfrei durchführbar
zu sein. Das Beispiel des Wortatlas des gesprochenen Deutsch zeigt
jedoch, daß eine diatopische Untersuchung von Sprechweisen bei
invarianter Behandlung pragmatischer Merkmale und eine entspre-
chende Untersuchung bei invarianter Behandlung des sprachlichen
Strukturvariationspunkts sich nicht zu decken brauchen, wenig-
22 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

stens nicht, wenn man nur die variablen Faktoren berücksichtigt, die
man bisher in der Mundartforschung geglaubt hat, beachten zu
müssen. Es stellt sich deshalb die Frage nach dem pragmatischen
Korrelat der sprachstrukturellen Definition des Begriffs Dialekt,
d. h. ob es ein solches Korrelat gibt, und wenn ja, wie es sich definie-
ren läßt.

Wir können mühelos feststellen, daß im Hinblick auf den Begriff


Dialekt eine Korrelation zwischen Teilbereichen unserer beiden
Modelle vorhanden ist.

Auf der sprachstrukturellen Achse ist der Bereich der Mundart zwar
von Fall zu Fall verschieden breit, er ist jedoch definitionsgemäß
immer am rechten Ende anzusiedeln. Im Pragmatik-Würfel ist zwar
der soziale, altersgebundene und situative Spielraum, in dem die dia-
lektale Sprechweise vorwiegend angetroffen wird, von Ort zu Ort
verschieden, konstant aber ist die Stelle im Würfel, wo eine Verdich-
tung dieses Spielraums stattfindet: unten vorne rechts (vgl. die Er-
läuterungen zum Modell in 1.1.1.). Dialekt wird mehr von den unte-
ren als von den oberen Schichten gesprochen, mehr von der älteren
als von der jüngeren Generation, mehr in zwanglosen als in formel-
len Situationen.

Anmerkungen
(1) /. Eichhoff, Der Wortatlas des gesprochenen Deutsch. ZDL 41 (1974),
48-55.
1.1. Was ist Dialektologie? 23

(2) Vgl. A. Bach, Deutsche Mundartforschung. Heidelberg 3 1969, 230.


(3) P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Göttingen '1918, 2 1969.
(4) Aber gerade die Behandlung der differenzierten Umgangssprache statt
des „reinen" Hochdeutsch durch Kretschmer war als Reaktion gegen die
Polarisierung Schriftsprache - Volksmundart in der Sprachwissenschaft
des 19. Jhs. gemeint. Vgl. H. Rossipal, Kretschmers „Wortgeographie
der hochdeutschen Umgangssprache" aus heutiger Sicht. Moderna Sprâk
66 (1972), 243-258, insb. 249.
(5) W. Henzen, Schriftsprache und Mundart. Bern 2 1954, 24.
(6) Die Ausdrücke Dialekt und Mundart werden in dieser Arbeit als Syno-
nyme betrachtet.
(7) H. Löffler, Probleme der Dialektologie. Darmstadt 1974, 3.
(8) Ich wage es nicht, die Addierung von Regeln als reine Akkumulation auf-
zufassen, weil mir aus Flämisch-Belgien Fälle bekannt sind, in denen eine
Regel, die für die Erzeugung einer „niedrigeren" umgangssprachlichen
Sprechweise notwendig ist, beim Erzeugen der mundartlichen Sprech-
weise durch eine andere Regel ersetzt wird. Vielleicht erfordert die be-
sondere Sprachsituation hier jedoch einen weiteren Ausbau des Modells,
der eine Erhaltung des Akkumulationsbegriffs erlaubt.

1.1.4. Der Gegenstand der Dialektologie

Unter Dialektologie verstehen wir die Abteilung der Areallinguistik,


die die diatopische Erforschung von Dialekten zur Aufgabe hat. Ihr
Arbeitsinstrument ist die Sprachkarte. Diese liefert dem Dialektolo-
gen eine visuelle Darstellung der dialektalen Übereinstimmungen
und Unterschiede und setzt ihn so in den Stand, diese zu interpretie-
ren.

Der Aufgabenbereich der Dialektologie ist dreifacher Natur:

1. Die diatopische Untersuchung dialektaler Sprachstrukturen

Die moderne Linguistik nimmt an, daß Sprachen als systemartige


Gebilde beschrieben werden können. Diese bestehen aus einer An-
zahl von Elementen verschiedener Art, die sich jeweils zu Teilstruk-
turen zusammenfügen. Ein Sprecher, der diese Sprache vollkommen
beherrscht, ist ein kompetenter Sprecher; seine Beherrschung des
Regelsystems ist eine Kompetenz. Dies soll nicht heißen, daß jede
sprachliche Äußerung eines kompetenten Sprechers vollkommen in
24 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Übereinstimmung mit dem Regelsystem wäre: M ü d i g k e i t , Unauf-


m e r k s a m k e i t und andere F a k t o r e n k ö n n e n bestimmte Abweichun-
gen ( „ F e h l e r " ) verursachen, die als Elemente der Realisierung der
Sprache, der Performanz, zu interpretieren sind. In Figur 2 auf S. 1 9
stellt der mittlere Teil die Gesamtheit der Performanzen eines O r t e s ,
das linke und das rechte Kästchen die hochsprachliche und die mund-
artliche K o m p e t e n z dar. Die mundartliche ist für den O r t spezifisch,
die hochsprachliche für alle O r t e der Sprachgemeinschaft identisch.
In der Strukturlinguistik k o m m t es nicht auf die Untersuchung der
Performanz an, sondern vielmehr auf das Studium der hinter ihr lie-
genden, abstrakteren Kompetenz.

Für jede M u n d a r t ist die Existenz einer solchen K o m p e t e n z anzu-


nehmen. Die erste Aufgabe der Dialektologie ist, die einzelnen orts-
gebundenen Kompetenzen miteinander in Beziehung zu setzen. D a s
kann geschehen, indem m a n isolierte Elemente der Mundartsyste-
me, wie etwa P h o n e m e , M o r p h e m e und W ö r t e r , geographisch-ver-
gleichend untersucht. In diesem Fall spricht m a n von atomistischer
Dialektologie. M a n kann aber auch Gruppierungen solcher Einhei-
ten zu Strukturen, wie beispielsweise Phoneminventaren, Flexionen
und Wortfeldern zum Gegenstand diatopischer Vergleiche m a c h e n .
D a s ist vor allem in den beiden letzten J a h r z e h n t e n in àetstrukturel-
len Dialektologie (1) geschehen.

Alle Elemente und Strukturen einer Sprache gehören einer bestimm-


ten Abteilung der Wissenschaft von dieser Sprache an. Eine be-
kannte Einteilung der Linguistik von Einzelsprachen ist:

a. G r a m m a t i k : a.a. Lautlehre
a.b. Formenlehre
a.c. Syntax
b. W o r t l e h r e : b.a. Studium der N i c h t - E i g e n n a m e n (Lexikologie)
b.b. Studium der Eigennamen (Namenkunde)

Auf all diese Teilgebiete ist die dialektologische M e t h o d e anwend-


bar. Beispiele:
1.1. Was ist Dialektologie? 25

a.a. Lautlehre: Lautgeographie.

Karte 1
26 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Auf Karte 1 ist eine Linie eingezeichnet, die südlich von Mannheim
den Rhein überquert. Nördlich dieser Linie ist altes anlautendesp in
Pfund (vgl. engl, pound, ndl. pond) erhalten, südlich davon hat es
sich zu einer Affrikata pf entwickelt. Synchronisch zeigt die Karte
das Vorkommen bestimmter Laute bzw. Lautverbindungen in be-
stimmten Gebieten:/? nördlich, p/südlich der Linie. Ob diese Vertei-
lung phonologische Relevanz hat, kann mit Hife dieser Karte allein
nicht entschieden werden. Doch kann man vermuten, daß das Wort
Pfund für eine Reihe von Wörtern mit altem anlautendem p (Pfahl,
Pfad, Pfand usw.) repräsentativ ist. Das bedeutet diachronisch, daß
die Karte die Verbreitung und den Gegensatz von Lautverschiebung
und Nicht-Lautverschiebung in einem Wort mit ursprünglich anlau-
tendem p angibt. Nehmen wir an, daß pf südlich der Linie als Pho-
nemfolge ρ + f zu interpretieren ist, so zeigt die Karte vermutlich
über die gemachten Feststellungen hinaus einen synchronischen Ge-
gensatz in der Phonemdistribution: Südlich der Linie kommt f nach
anlautendem p vor, eine Folge, die nördlich der Linie fehlt. Das be-
deutet in diachronischer Hinsicht, daß sich im Süden eine Änderung
in der Phonemdistribution vollzogen hat, von der das Gebiet nörd-
lich der Linie unberührt geblieben ist.

a.b. Formenlehre: Formengeographie.

Karte 2 zeigt die Objektformen des Personalpronomens der 1. Per-


son Sg. im Norden des deutschen Sprachgebiets. Südlich der unun-
terbrochenen dicken Linie gibt es zwei Formen: eine mit Dativfunk-
tion (Typen mir, mi) und eine mit Akkusativfunktion (Typen mich,
mick). Nördlich dieser Linie kommt überall nur eine Form vor, die
sowohl Akkusativ- als auch Dativfunktion hat. Diese Form ist ent-
weder die gleiche wie die südliche Dativform (die Typen mir, mi
kommen im größten Teil des niederdeutschen Raumes vor) oder wie
die südliche Akkusativform (die Typen mich, mick finden sich am
Niederrhein und in Ostfalen). Dieser synchronische Befund ist dia-
chronisch folgendermaßen zu interpretieren: Im Süden hat sich der
alte Kasusgegensatz Dativ — Akkusativ beim betreffenden Prono-
men behaupten können; im Norden hat ein Ausgleich stattgefun-
den, meistens zugunsten der Dativform, teilweise jedoch auch zu-
gunsten der Akkusativform.
28 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

a.c. Syntax: Syntaxgeographie.

Karte 3

Karte 3 zeigt die geographische Verteilung der Realisierungen des


passiven Nebensatzes in: „Als ich rasiert wurde, schlug gerade der
Blitz in Emils Scheune ein" im östlichen Thüringer Wald, nach
H. Sperschneider (2). Im Osten, wo die Imperfektform sich behaup-
tet hat, kommt man mit einem Hilfsverb aus: wurde, das mit dem
2. Partizip von rasieren verbunden wird, wie im Beispielsatz. Im
Westen wird die Perfektform verwendet: hier braucht man also die
Personalform von sein, die mit den Partizipien von werden und ra-
sieren verbunden wird. Hier ist noch zu unterscheiden zwischen ei-
nem nördlichen Teilgebiet, wo die Personalform bin dem Partizip
worden vorangestellt, und einem südlichen, wo sie ihm nachgestellt
ist.

b.a. Lexikologie: Wortgeographie.

Karte 4 (3) enthält die Bezeichnungen für den Wagenmacher in der


Oberlausitz: Wagner im Südwesten, Stellmacher im Norden und
Osten. Wir finden hier also die geographische Verteilung zweier Be-
zeichnungen für eine Bedeutung. Zugleich zeigt die Karte die Vertei-
lung zweier Bedeutungen einer Bezeichnung: Im Südwesten bedeu-
tet Wagner „Wagenmacher", im Nordosten „Wagenknecht".
1.1. W a s ist D i a l e k t o l o g i e ? 29

Λ RathenbSrg\
/ ο"'"*'
# W a g n e r = wagen
\ kntchi"

S t e l l / m a c h e r
W a g · riVfa a υ t r

Rtichenbach
Bìschofswtrda |c Görlitz]
O
Löbau
W a g n e r w H Ü ? O
hiuer' o
^ Schirgiswalà«

V ./Ν

Sebnitz I
o V ^ (.

rZittau

Karte 4

b.b. N a m e n k u n d e : Namengeographie.

Auch die Verbreitung und die geographische Opposition von Orts-


und Personennamentypen kann dialektologisch untersucht werden.
Karte 5 (4) zeigt, daß im R a u m zwischen H a n n o v e r , M a g d e b u r g
und Eisenach die Ortsnamentypen auf -leben, -büttel, -ingen und
-beim meistens gruppenweise zusammenliegen und zum Teil (-büt-
tel) gar nicht vereinzelt auftreten.
30 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

In der Dialektologie werden nur Spracherscheinungen und -struktu-


ren untersucht, die geographische K o n t r a s t e aufweisen. W e n n sol-
che Gegensätze fehlen, ist keine Basis für einen dialektologischen
Vergleich vorhanden (5).

2. Die diatopische Untersuchung vertikaler Differenzierungen in


den Dialekten
Eine M u n d a r t ist kein v o l l k o m m e n einheitliches Gebilde, sondern
vielmehr eine Gesamtheit von Sprechweisen, die m e h r o d e r weniger
1.1. W a s ist Dialektologie? 31

voneinander differieren. Um sie in ihrer Systemhaftigkeit beschrei-


ben zu können, muß eine von diesen Sprechweisen, oder besser ein
ideales Gebilde, aus der sie hergeleitet wird, als Kompetenz darge-
stellt werden.

Von diesem idealen System gibt es innerhalb der mundartlichen


Sprechweisen desselben Ortes Abweichungen, und zwar nicht nur in
dem Sinne, daß in der Performanz systemwidrige Äußerungen zu-
stande kommen, sondern auch so, daß abstraktere, pragmatisch be-
stimmte Realisationstypen des Systems in Einzelheiten von der
postulierten Kompetenz differieren. Sie können eben durch Bezug-
nahme auf die Kompetenz als Abweichung davon charakterisiert
werden.

Die zweite Aufgabe der Dialektologie ist die diatopische Untersu-


chung der nach diesem Prinzip feststellbaren vertikalen Differenzie-
rungen in den einzelnen Dialekten. Diese enthält wichtige quantita-
tive Aspekte, nämlich die Beantwortung der Fragen, bei wievielen
Mundartsprechern und in welchem Umfang die Abweichungen auf-
treten. Ebenfalls zu untersuchen ist das Verhältnis der Abweichun-
gen zur Gruppenzugehörigkeit und zur Gesprächssituation.

Wenn man solche Untersuchungen durchführen will, muß man zu-


nächst für die einzelnen Mundarten den gemeinsamen invariablen
Bezugspunkt „Kompetenz" bestimmen. Die traditionelle Mundart-
forschung identifiziert ihn gerne mit dem Sprachgebrauch älterer
Bevölkerungsschichten. Für die vertikalen Abweichungen davon hat
sie kaum Interesse gehabt. Beides ist gewiß zum Teil durch romanti-
sche Auffassungen über „Reinheit" von Mundarten zu erklären:
Dialektformen mit Abweichungen von der als „reine" Mundart be-
trachteten Redeweise wurden für „verderbt" und der Mühe wissen-
schaftlicher Untersuchungen nicht wert gehalten (6). Wir brauchen
wohl kaum zu betonen, daß bei Anwendung des Kriteriums „frei
von fremden Einflüssen" keine Mundart „rein" ist. Auch der
Sprachgebrauch der ältesten Generationen ist das nicht.

Wir haben in 1.1.3. die mundartliche Kompetenz jenseits des form-


losen Sprachgebrauchs der älteren Generationen in der Unterschicht
angesiedelt, so daß sich unsere Auffassung bis auf die Unterschei-
32 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

dung von Performanz und Kompetenz mit einer Tradition der Mund-
artforschung deckt. W i r gewinnen auf diese Weise einen sehr be-
quemen Ausgangspunkt, denn er liegt jedesmal an einem Ende der
Achsen, auf denen die Abweichungen einzustufen sind. M a n kann
dann, um die innere Schichtung der Mundarten zu studieren, die
drei Achsen in einer Richtung, von Null bis zur maximalen Abwei-
chung, abtasten.

Die Schichtung muß nicht nur beschrieben und mit außersprachli-


chen Fakten korreliert, sondern auch unter genetischem Gesichts-
punkt interpretiert werden. Dabei kann man von der Annahme aus-
gehen, daß die Abweichungen in der Mehrzahl eingemischte Ele-
mente aus anderen Sprachsystemen sind, vor allem aus der Hoch-
sprache, aber auch aus benachbarten Dialekten oder räumlich mit
der Mundart koexistierenden Gruppensprachen. O b alle Abwei-
chungen genetisch durch Interferenz aus anderen Systemen zu erklä-
ren sind, muß vorläufig offen bleiben, doch ist anzunehmen, daß
heute der wichtigste Lieferant dieser Elemente die Hochsprache ist.

M i t der Problematik der Schichtung von Mundarten hat sich nicht


nur die deutsche, sondern die gesamte europäische Dialektologie
bisher kaum beschäftigt. Die Soziolinguistik hat zwar den Soziolekt
entdeckt, aber bis heute das Studium der Dialekte hauptsächlich un-
ter dem Aspekt der Sprachbarrieren-Theorie betrieben. Die ameri-
kanischen praktischen Arbeiten, die sich von der sog. Defizit-Hypo-
these distanzieren, gehen von einer Sprachsituation aus, in der sich
die Differenzierungen in der Sprachgemeinschaft auf der Grundlage
einer einzigen Kompetenz beschreiben lassen, während man in Eu-
ropa zur Erfassung der sprachlichen Wirklichkeit heute in der Regel
noch zwei Systeme braucht: Hochsprache und Mundart. Das Stu-
dium der Schichtungen, die in der Performanz der Sprecher auftre-
ten, deren Sprachwille es ist, im Augenblick der Äußerung Dialekt
zu sprechen, gehört zum Aufgabenbereich der Dialektologie, um die
anderen hat sich die Erforschung der Hochsprache zu kümmern.

Nicht nur auf die deutsche, sondern auf die gesamte europäische
Dialektologie wartet in der Erforschung der vertikalen Mundart-
schichtung eine Aufgabe, deren Bewältigung man nicht mehr lange
hinausschieben kann. Eines Tages — hier früher, dort später —
1.1. W a s ist D i a l e k t o l o g i e ? 33

kommt ja der Augenblick, an dem diese Art Dialektforschung nicht


mehr möglich sein wird.

3. Die diatopische Untersuchung des Verhältnisses Dialekt-Hoch-


sprache

Der dritte Aufgabenbereich der Dialektologie ist die diatopische Un-


tersuchung des Verhältnisses der Mundarten zu den Sprachsyste-
men, die mit ihnen koexistieren, vor allem zur Hochsprache mit den
sich ihr anschließenden umgangssprachlichen Zwischengebilden,
ggf. jedoch auch zu ganz anderen Sprachsystemen, wie etwa Spra-
chen von Gastarbeitern. Im folgenden beschränken wir uns auf das
Verhältnis zur Hochsprache. Es handelt sich um eine Aufgabe
sprachstatistischer Art. Man kann sie in folgender Frage zusammen-
fassen: Welche Menschen in einem bestimmten Raum sprechen in
welchen Gesprächssituationen Dialekt und welche Menschen im
gleichen Raum sprechen in welchen Gesprächssitua-
tionen Hochsprache? Wie aus 1.1.3. hervorgeht, ist mit Dialekt
intendierte Mundart und mit Hochsprache intendierte Hochsprache
gemeint. Die Frage kann nicht ein für allemal beantwortet werden,
weil die Verhältnisse, um die es geht, dauernden Verschiebungen un-
terliegen. Um diese kennenzulernen, sind in regelmäßigen Abstän-
den neue Befragungen notwendig.

Über das Verhältnis Mundart-Hochsprache liegen-im Gegensatz


zum vorigen Aufgabenbereich der Dialektologie — im deutschen
Sprachraum einige konkrete Untersuchungen vor (7), und zwar vor
allem aus dem niederdeutschen Bereich (8). Die bedeutendste Arbeit
auf diesem Gebiet ist das Buch von H. Janßen, Leben und Macht der
Mundart in Niedersachsen, das auf eine Fragebogenerhebung des
„Niedersächsischen Wörterbuchs" aus den Jahren 1938—1939 zu-
rückgeht. In 1325 Schulorten wurden die sprachlichen Verhältnisse
von jeweils 35 nach einem Zufallskriterium ausgewählten Familien
mit Hilfe eines Fragebogens erfaßt. Janßen korreliert die sprach-
statistischen Daten mit sozioökonomischen Fakten und kommt da-
bei zu interessanten Ergebnissen. Karte 6 ist eine vereinfachte Wie-
dergabe seiner ersten Karte.
34 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Sie zeigt, daß am Vorabend des zweiten Weltkriegs im Umkreis von


Hannover, Braunschweig und Hildesheim nur noch weniger als die
Hälfte der Eltern mit ihren Kindern Mundart sprachen. Auch in den
Großstädten außerhalb dieses ostfälischen Bereichs war der Anteil
der Mundart in der genannten Gesprächssituation unter 50 % ge-
sunken. Von einer flächenmäßigen Verbreitung der Hochsprache im
gleichen Umfang wie im Siidosten war jedoch hier noch nicht die
Rede, sogar nicht um Bremen. Fast alle Kreisstädte und viele Klein-
städte unterschieden sich von ihrer ländlichen Umgebung durch ei-
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 35

nen geringeren Prozentsatz der M u n d a r t s p r e c h e r : weniger als drei


Viertel oder sogar weniger als die Hälfte.

Zweifellos h a b e n sich seitdem die Verhältnisse weiter zugunsten der


H o c h s p r a c h e verschoben. Vermutlich sind mehrere Inselchen mit
einem hohen Prozentsatz in der genannten Gesprächssituation jetzt
zusammengewachsen, und ist der weiße R a u m beträchtlich verklei-
nert worden. Um das bestätigen oder verneinen zu k ö n n e n , ist eine
neue Befragung notwendig.

Z u s a m m e n f a s s e n d ist festzustellen, d a ß die Dialektologie sich bis


jetzt vor allem ihrem ersten Aufgabenbereich gewidmet h a t . Auf die-
sem Gebiet hat sie bedeutende Ergebnisse vorzuweisen; auch hat sie
hier eine eigene M e t h o d i k entwickelt. Diese wird im zweiten Ab-
schnitt dieser Arbeit behandelt. D e r zweite Aufgabenbereich ist bis-
her fast v o l l k o m m e n vernachlässigt worden, und auch um den drit-
ten hat m a n sich zu wenig bemüht. In beiden Gebieten wird es dar-
auf a n k o m m e n , das richtige Gespür für linguistisch relevante Er-
scheinungen zu entwickeln und methodisch von der Soziologie und
Verhaltensforschung zu lernen. Auf diese Bereiche geht diese Ein-
führung nicht weiter ein.

Anmerkungen

(1) W. Putschke, Dialektologie (Grundzüge der Literatur- und Sprachwis-


senschaft, Band 2: Sprachwissenschaft. München 1 9 7 4 , 3 2 8 - 3 6 9 ) unter-
scheidet zwischen einer „traditionellen" und einer strukturellen Dialek-
tologie. Eine Einführung in die Methodik und Ergebnisse der strukturel-
len Dialektologie bietet ]. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie.
Heidelberg 1969.
(2) H. Sp er schneidet, Studien zur Syntax im östlichen Thüringer Wald.
Marburg 1959, S. 111 und Karte 56.
(3) Kombiniert aus der Karte auf S. 135 in G. Bellmann, Mundart und
Umgangssprache in der Oberlausitz, Marburg 1961 und Karte 9 im
Band 9 des DWA.
(4) Übernommen aus A. Bach, Deutsche Namenkunde, II, 2. Heidelberg
1954, 311.
(5) Der Atlas der Celler Mundart von R. Mehlem, Marburg 1967, enthält
zehn Karten, die ganz mit einer Wortform ohne lautgeographische Diffe-
renzierung gefüllt sind. Die Anfertigung solcher Karten ist widersinnig.
36 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

(6) Exemplarisch für diese romantische Auffassung ist der sechste Abschnitt,
Die Zukunft der deutschen Mundarten in H. Reis, Die deutschen Mund-
arten. Berlin-Leipzig 2 1 9 2 0 .
(7) Die älteste mir bekannte Studie ist ein Aufsatz von P. Bode, Vom Hoch-
deutschsprechen der Schulanfänger vom Lande. Zeitschrift für pädago-
gische Psychologie 1928, 5 4 5 - 5 5 9 .
(8) In den dreißiger Jahren fanden in Westfalen und Niedersachsen Erhe-
bungen statt, deren Ergebnisse veröffentlicht wurden von K. Schulte-
Kemminghausen, Mundart und Hochsprache in Norddeutschland,
Neumünster 1939 und H. Janßen, Leben und Macht der Mundart in
Niedersachsen, Oldenburg 1943. In Hamburg und Schleswig-Holstein
wurden 1963 bzw. 1965 Mikrozensus-Befragungen über den Gebrauch
der Mundart durchgeführt. Vgl. zur ersten W. Heinsohn im Korrespon-
denzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 70 (1963),
2 2 - 2 5 ; zur zweiten K. Kamp und W. Lindow, Das Plattdeutsche in
Schleswig-Holstein, Neumünster 1967. Vor allem in Schleswig-Holstein
wurden seit Anfang der fünfziger Jahre zahlreiche Examensarbeiten über
die Verbreitung der Mundart, zum guten Teil bei Schulanfängern, ge-
schrieben. Vgl. die Listen bei L. Knoll, Die Berücksichtigung der nieder-
deutschen Sprache und Literatur und ihre didaktischen Möglichkeiten im
Rahmen des Deutschunterrichts, Kiel 1972, 1 1 - 1 4 und H.A. Wiech-
mann, Plattdeutsch an den Schulen Schleswig-Holsteins, Lütjensee 1972,
35. Uber eine Erhebung im Bezirk Rostock vgl. H. ]. Gernentz, Nieder-
deutsch — gestern und heute. Berlin 1964, 145 ff.

1.2. Was sind deutsche Dialekte?

In 1 . 1 . 1 . haben wir angenommen, daß es eine deutsche Sprachge-


meinschaft gibt, d. h. eine Gruppe von Menschen, deren Angehörige
sich mit Hilfe einer Reihe von Variationen der deutschen Sprache
verständigen können. Diese Definition beinhaltet nicht, daß jede be-
liebige Variation des Deutschen in jeder beliebigen Kommunika-
tionslage, an der Angehörige der deutschen Sprachgemeinschaft be-
teiligt sind, eingesetzt werden könnte. W i r nannten schon den Fall
des holsteinischen und des bayerischen Dialektsprechers. Doch ist
zwischen einem Holsteiner und einem Bayern Verständigung mög-
lich, wenn nämlich beide Sprecher Variationen des Deutschen ver-
wenden, die man als holsteinisch bzw. bairisch gefärbtes Hoch-
deutsch umschreiben kann. Die Situation, in der Gespräche zwi-
schen zwei Angehörigen der deutschen Sprachgemeinschaft als
1 . 2 . W a s sind deutsche Dialekte? 37

Folge von Sprachdifferenzen unmöglich waren - wodurch diese


Gemeinschaft sich eigentlich aufhob — ist gewiß in den letzten Jahr-
zehnten immer seltener geworden. Auf jeden Fall lernt heute jeder in
der Ausbildungszeit sein Register der Variationsmöglichkeiten so zu
erweitern, daß seine Versuche, sich mit beliebigen anderen Mitglie-
dern der Sprachgemeinschaft zu verständigen, auf Grund der
sprachlichen Fähigkeiten allein nicht scheitern können. M a n kann
weiter annehmen, daß das jeweilige vollständige Register auch in
der unmittelbaren Umgebung verwendet wird (also in Gesprächen
mit Ortsansässigen und Bewohnern von Nachbarorten), so daß eine
vollkommene Verflechtung aller dieser Sprechweisen vorhanden ist,
die es rechtfertigt, sie in ihrer Gesamtheit als die Ausdrucksvariatio-
nen einer Sprachgemeinschaft zu betrachten.

Dies kann jedoch nicht beinhalten, daß alle diese Variationen der
deutschen Sprache als Varianten eines deutschen Sprachsystems
aufgefaßt werden können. Die Unterschiede zwischen ihnen sind
teilweise zu groß, um eine solche Auffassung zu rechtfertigen. Rich-
tiger ist die Annahme, daß es sich um eine Menge von untereinander
ähnlichen Systemen handelt, die jeweils ihre eigenen Varianten ha-
ben. Eine solche Menge nennen wir ein Diasystem (1). Die Annahme
eines Diasystems setzt erstens eine grundsätzliche Übereinstimmung
der zu ihm gehörenden Systeme mit allen anderen Systemen der
Menge voraus, zweitens auch eine Anzahl Unterschiede. Das erste
ist unabdingbar, weil sonst nichts die Vereinigung von Sprach-
systemen zu einem Diasystem rechtfertigt und ermöglicht. Die
Übereinstimmung ist die sprachhistorische Folge der Verwandt-
schaft (d. h. des gemeinsamen Ursprungs) dieser Systeme und se-
kundär auch der Entlehnungen, die zwischen ihnen stattgefunden
haben. Auch Unterschiede zwischen den Systemen sind notwendig,
weil es sonst nur ein einziges System gäbe, d. h. das Diasystem sich
selbst aufhöbe.

Das Verhältnis der Systeme eines Diasystems zueinander und zur


Gesamtmenge kann mit Hilfe von Regeln dargestellt werden. Je ge-
ringer die erforderliche Regelzahl, um so einfacher das Verhältnis
zwischen ihnen, o d e r - s p r a c h h i s t o r i s c h ausgedrückt — um so enger
ihre Verwandtschaft.
38 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

Es gibt linguistische Untersuchungen über das Deutsche als Sprach-


system. In diesem Fall ist das System der Hochsprache mit Einschluß
ihrer Varianten gemeint. Es gibt daneben andere, die das deutsche
Diasystem - zu dem selbstverständlich auch das System der Hoch-
sprache gehört — zum Gegenstand haben. Bestimmte Teile der deut-
schen Sprachwissenschaft haben zur Aufgabe, die räumlichen und
zeitlichen Grenzen des deutschen Diasystems zu bestimmen. Die Be-
stimmung der zeitlichen Grenzen ist die Aufgabe der deutschen Hi-
storiolinguistik, die der räumlichen die der deutschen Areal-
linguistik. Innerhalb der Areallinguistik hat genauer genommen die
deutsche Dialektologie zu definieren, welche Mundarten als
„deutsch" zu betrachten sind. Nehmen wir an, daß es der deutschen
Historio- und Areallinguistik möglich ist, ihren jeweiligen Gegen-
stand durch die Begrenzung ihres jeweiligen Diasystems zu bestim-
men, dann können wir, indem wir beide Definitionen zusammenfü-
gen, auch den Gegenstand der deutschen Sprachwissenschaft
schlechthin definieren. Diesen können wir vorläufig umschreiben
als den Aufbau und die sprachhistorische Erklärung des Zustande-
kommens und der Entwicklung des deutschen Diasystems. Diese
Definition umfaßt selbstverständlich auch die synchronische und
die diachronische Erforschung der deutschen Hochsprache.

Um bestimmen zu können, welche Dialekte zu einem Diasystem ge-


hören und welche nicht, hat man das Kriterium der Verständlichkeit
verwendet. Man nahm an, daß die Ähnlichkeit zwischen Sprachsy-
stemen, die ihre Vereinigung in einem Diasystem rechtfertigt, sich
unter kommunikativem Gesichtspunkt niederschlagen muß in der
Verständlichkeit eines beliebigen Systems aus dieser Menge für ei-
nen Sprecher eines beliebigen anderen Systems aus der gleichen
Menge.

Die geographische Begrenzung eines Diasystems ist von dieser Per-


spektive aus in bestimmten Fällen einfach, wenn nämlich eine über-
sichtliche Menge untereinander ähnlicher Dialekte durch Systeme
umringt wird, die zu anderen Sprachfamilien gehören (vgl. den er-
sten Typ eines Problemgebiets in 2.1.1.). In dieser Lage befinden sich
in Europa das Baskische und das Ungarische. In anderen Fällen ist
die Begrenzung schwieriger, wenn wir es nämlich mit allmählichen
Übergängen in einem größeren Raum zu tun haben. Zwischen dem
1.2. W a s sind deutsche Dialekte? 39

Dialekt unseres Holsteiners und unseres Bayern gibt es nur solche


Übergänge, und zwar in einem Ausmaß, das die Verständlichkeit
aufgehoben wird. Auf einer Achse Holstein—Bayern werden sich die
Grenzen der Verständlichkeit mit dem Ort, den man als Ausgangs-
punkt wählt, verschieben: Jeder Ort ist der Mittelpunkt eines Krei-
ses, dessen Umrisse Grenzen der Verständlichkeit darstellen. Eigent-
lich ist die Lage noch komplizierter: Die Fähigkeit, Sprecher eines
mehr oder weniger abweichenden Systems zu verstehen, hängt zum
guten Teil von der individuellen Begabung und von der Übung im
code-switching ab (2), so daß sogar beim gleichen Ausgangspunkt
die individuellen Kreise eine unterschiedliche Ausdehnung haben
werden. Das Kriterium der Verständlichkeit scheint also nicht aus-
zureichen, um die Grenzen des Diasystems der deutschen Dialekte
zu bestimmen.

Eine in den sprachlichen Gegebenheiten selbst liegende geographi-


sche Bestimmung einer Menge Dialekte, die zusammen ein Dia-
system bilden, ist die Begrenzung des Verbreitungsgebiets einer
Sprachfamilie, ζ. B. der Gesamtheit der germanischen, der romani-
schen, der slawischen Mundarten: Jenseits der Grenze gelten ja ganz
andere Regelsysteme. Rein linguistisch ist auch die Begrenzung des
Areals eines kontinuierlichen Teils einer Sprachfamilie, der sich
durch Brüche in der Sprachlandschaft von den anderen Teilen unter-
scheidet. Das ist beispielsweise der Fall bei den kontinentalwestger-
manischen Dialekten, die durch wirkliche Sprachgrenzen von den
dänischen und friesischen Mundarten getrennt sind. Wer nun be-
stimmte Teile des Areals einer Sprachfamilie oder eines innerhalb
einer Sprachfamilie durch Bruchstellen sich als Einheit hervorhe-
benden Teilareals als Diasystem behandeln will, obwohl diese Teile
selbst nicht durch Brüche markiert sind, muß naturgemäß die Be-
gründung seiner Begrenzung in anderen Faktoren als solchen Bruch-
stellen suchen. Diese Feststellung ist für die deutsche Dialektologie
wichtig; w i r werden daraus Konsequenzen ziehen müssen, nachdem
w i r die Frage beantwortet haben, zu welchen Ergebnissen das Krite-
rium der Bruchstelle führt.

Mit Hilfe dieses Kriteriums ist an den meisten Stellen eine genaue
Begrenzung möglich. Im Osten und Südosten grenzen die Dialekte
germanischer Struktur, die wir deutsch nennen, an Sprachformen
40 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

slawischer — teilweise auch ugrischer— Struktur, im Süden und Süd-


westen an Sprachformen romanischer Struktur, deren Gliederung
Aufgabe der slawistischen, ungarischen und romanistischen Lingu-
istik ist. V o r dem zweiten Weltkrieg waren die Grenzen zwischen
den deutschen und nichtdeutschen Dialekten im Osten und Süd-
osten viel weniger s c h a r f als heute: Z a h l r e i c h e Mischgebiete und
Sprachinseln (3) sind durch Umsiedlungen seitdem verschwunden
(4); außerdem ist infolge dergleichen Ereignisse die Sprachgrenze in
westlicher R i c h t u n g verschoben, so d a ß sie — bis auf Reste des frühe-
ren Zustandes — heute mit der Ostgrenze der folgenden drei Staaten
zusammenfällt: (von Ν nach S) D D R , Bundesrepublik Deutschland,
Österreich. A b e r auch in den früheren und heutigen Mischgebieten
und Sprachinseln kann m a n auf G r u n d der Sprachstruktur selbst
mühelos jede M u n d a r t entweder dem deutschen oder einem anderen
Diasystem zuweisen. D o c h gilt gerade für solche Bereiche in ost-
europäischen Ländern, d a ß die deutsche H o c h s p r a c h e , mit der die
germanischen M u n d a r t e n in einem Diasystem vereint werden kön-
nen, weitgehend ihre Aufgaben als Kulturmedium den jeweiligen
Landessprachen abgetreten hat (5). Unter diesem Gesichtspunkt
muß diesen Dialekten eine ähnliche Beurteilung zufallen wie den
M u n d a r t e n aus einigen Randstreifen zur R o m a n i a , von denen nun
die Rede sein wird.

Im Süden und Südwesten fällt die Grenze zum R o m a n i s c h e n mei-


stens nicht mit Staatsgrenzen zusammen. Ein kleines norditalieni-
sches Gebiet mit deutschen M u n d a r t e n (Südtirol) schließt sich an
das geschlossene Areal deutscher Dialekte nördlich des Brenner an.
In der Schweiz läuft die Sprachgrenze quer durch das L a n d . In den
französischen Gebieten Elsaß und Lothringen werden germanische
M u n d a r t e n gesprochen, die sich an das geschlossene Areal deut-
scher Dialekte östlich des Rheines anschließen. Auch in L u x e m b u r g
und in zwei schmalen Randstreifen Ostbelgiens bis südwestlich von
Aachen werden M u n d a r t e n gesprochen, die die deutschen Dialekto-
logen geneigt sind, „ d e u t s c h " zu nennen. Die nicht ausgesprochene
Begründung ist dann w o h l , daß diese Dialekte sich mühelos mit den
„ b i n n e n d e u t s c h e n " in einem Diasystem vereinigen lassen, während
eine solche Konstruktion mit den angrenzenden italienischen oder
französischen Dialekten an der Verschiedenartigkeit der Sprach-
strukturen scheitern m u ß . D o c h stellen wir fest, daß die M u n d a r t -
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 41

Sprecher selbst, vor allem der westlichen Randstreifen in F r a n k r e i c h ,


L u x e m b u r g und Belgien (6), ihre Sprechweise im allgemeinen nicht
gerne als „ d e u t s c h " charakterisieren, sondern sie lieber als „ D i a -
l e k t " schlechthin bezeichnen, ohne sie einer „ S p r a c h e " zuzuweisen.
D a b e i spielen gewiß durch zwei Weltkriege hervorgerufene Ressen-
timents eine R o l l e , aber auch ein anderer F a k t o r . Die Funktionen ei-
ner Kultursprache werden hier nämlich — im Gegensatz zum „bin-
n e n d e u t s c h e n " Gebiet der Bundesrepublik, der D D R , Österreichs
und der deutschsprachigen Schweiz — nicht an erster Stelle von der
deutschen H o c h s p r a c h e , sondern von einer romanischen Sprache
erfüllt. D a s bedeutet für die Sprecher, d a ß die Beziehung von H o c h -
sprache und M u n d a r t als zwei V a r i a t i o n e n einer „ S p r a c h e " nicht
selbstverständlich ist. Linguistisch bedeutet es, d a ß das M o d e l l , mit
dem wir den Begriff „ D i a l e k t " definiert haben ( 1 . 1 . 3 . ) , nicht ohne
weiteres auf diese M u n d a r t e n angewendet werden k a n n : Als Ein-
gabe für die Regelableitung m u ß , wenn m a n diese Dialekte
„ d e u t s c h " nennen will, eine Sprache eingesetzt werden, der hier die
meisten Aufgaben einer H o c h s p r a c h e abgehen. Außerdem kann
man die hier geltenden S p r a c h f o r m e n , die mit Hilfe der geringsten
Regelzahl aus der deutschen H o c h s p r a c h e abgeleitet werden kön-
nen, k a u m im üblichen Sinne als „ u m g a n g s s p r a c h l i c h " charakteri-
sieren. Die Funktionen einer solchen Umgangssprache werden hier
eben auf dem L a n d e gutteils von der M u n d a r t selbst, in den Städten
dagegen häufig von romanischen Sprechweisen erfüllt.

Will man die germanischen Dialekte dieser Randgebiete „ d e u t s c h "


nennen, so kann man das auch nicht ausschließlich auf Grund der
Feststellung, daß sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen
H o c h s p r a c h e aufweisen, die es ermöglicht, sie mit Hilfe einer An-
zahl von Regeln daraus abzuleiten. D a s würde voraussetzen, daß
eine Übereinstimmung zwischen zwei Sprachsystemen a und b ge-
nügte, das eine (a) als zum anderen (b) gehörig zu betrachten, ohne
d a ß dieses Verhältnis umgekehrt werden könnte. D a Dialekte
Sprachsysteme sind („Dialects do not belong to a language, they
,are' a language' ' (7)), liefert diese Auffassung nicht mehr G r u n d ,
eine elsässische M u n d a r t deutsch zu nennen als die deutsche H o c h -
sprache elsässisch.

Dialekte können o f f e n b a r nur Teile einer Sprache sein, wenn dieser


Begriff als Diasystem - und nicht als System - aufgefaßt wird. Will
42 1 . Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

man ein Diasystem so abgrenzen, daß es erlaubt scheint, es mit ei-


nem Namen zu bezeichnen, der auch für eine Hochsprache verwen-
det wird (in unserem Fall Deutsch), so setzt dies zwar voraus, daß
letztere ein Teil des Diasystems ist, aber diese Annahme allein ge-
nügt aus dem genannten Grund nicht. Ein zweites Kriterium muß
hier mit dem der Verwandtschaft bzw. Ähnlichkeit verbunden wer-
den. Wir nennen es Überdachung.

Wir stellen fest, daß dem Deutschen in den südlichen und westlichen
Randbereichen nicht alle kultursprachlichen Funktionen abgehen.
Das Deutsche spielt meistens noch eine gewisse Rolle in der Kirche,
und auch aus der Schule ist es nicht ganz verschwunden. Deutsche
Zeitungen und vor allem Magazine werden in wesentlich größerem
Umfang gelesen als in den rein romanischen Gebieten; auch Radio-
und Fernsehsendungen in deutscher Sprache erfreuen sich einer ge-
wissen Beliebtheit. Auf diese Funktionen des Deutschen und vor al-
lem auf die großen regionalen Unterschiede, die dabei vorkommen,
kann hier nicht weiter eingegangen werden (8). Es genügt die Fest-
stellung, daß es möglich ist, für diese Randstreifen eine Beziehung
herzustellen, die man als eine gewisse Überdachung der Mundarten
durch die deutsche Hochsprache umschreiben kann. Wir nehmen
an, daß die Verbindung der Kriteria „Ähnlichkeit" und „Überda-
chung" - auch wenn das zweite viel großzügiger zu interpretieren ist
als im „binnendeutschen" Bereich, wo es eine Selbstverständlichkeit
darstellt — genügt, um diese Randmundarten als Teile des deutschen
Diasystems aufzufassen.

Soweit wir bisher die Grenzen der deutschen Dialekte untersucht


haben, fallen sie überall mit Bruchstellen in der Sprachlandschaft
zusammen. Doch haben wir bei der Besprechung einiger Randstrei-
fen festgestellt, daß das Vorkommen solcher Stellen allein nicht ge-
nügt, um alle Mundarten an einer Seite der Brüche zum Diasystem
der gleichen Sprache zu rechnen. Das gilt erst recht, wenn zwei oder
mehr verwandte Hochsprachen sich ein Gebiet mit Dialekten teilen,
zwischen denen es nur kontinuierliche Übergänge gibt: In diesem
Fall muß das Kriterium der Bruchstelle in den Mundarten entfallen.
Beispiele einer solchen Sprachsituation finden sich in Europa etwa
auf der Grenze von Frankreich und Italien, Spanien und Portugal,
Jugoslawien und Bulgarien, und auch auf der Grenze der Bundesre-
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 43

publik Deutschland und der Niederlande (vgl. den zweiten T y p eines


Problemgebiets in 2 . 1 . 2 . ) .

In solchen Fällen ist m a n , wenigstens wenn m a n Begriffe wie franzö-


sische, italienische, deutsche und niederländische Dialektologie
nicht schlechthin aufgeben will — und das will m a n , nach den Titeln
einer ganzen Reihe von dialektologischen H a n d b ü c h e r n zu urteilen,
o f f e n b a r n i c h t - , verpflichtet, die Beziehung zur jeweiligen verwand-
ten H o c h s p r a c h e als Kriterium zu nehmen. Die einzige p r a k t i k a b l e
F o r m der Beziehung ist dabei die Ü b e r d a c h u n g der M u n d a r t durch
die H o c h s p r a c h e . N a c h diesem Kriterium fällt also die Scheidung
zwischen den deutschen und den niederländischen M u n d a r t e n mit
der Grenze zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden zu-
s a m m e n . Südwestlich von Aachen läuft sie über eine ganz kurze
Strecke (etwa 1 0 km) auf belgischem Gebiet, bis sie die Grenze zwi-
schen den germanischen und den romanischen Dialekten erreicht.
A u f die eigene Sprachproblematik des kleinen belgischen Bereichs
südlich der niederländischen Grenze zwischen Lüttich und Aachen
kann hier nicht eingegangen werden, und auch nicht auf die Feststel-
lung, daß nach dieser Auffassung die Grenzen zwischen den deut-
schen und den niederländischen M u n d a r t e n sich in den letzten J a h r -
hunderten an verschiedenen Stellen verschoben haben (9).
Die Behauptung, daß zwischen den deutschen und den niederländi-
schen M u n d a r t e n keine Bruchstelle bestehe, ist nicht ganz richtig.
Kontinuierlichkeit gibt es gewiß überall im lautlichen und m o r p h o -
logischen Bereich, aber im W o r t s c h a t z sind in den letzten J a h r h u n -
derten zahlreiche Gegensätze entstanden, die dadurch zu erklären
sind, daß die M u n d a r t e n beiderseits der Grenze Bezeichnungen für
neue Gegenstände oder Begriffe der jeweiligen überdachenden
H o c h s p r a c h e entnehmen. Beispiele: Rechts von der Grenze gelten
lautlich mehr oder weniger angepaßte F o r m e n von Düsenjäger,
Fahrrad, Fernsehen, Feuerzeug, Mofa, Reißverschluß, Zeitung
usw., links findet man F o r m e n von straaljager, fiets, televisie, aan-
steker, bromfiets, ritssluiting, krant usw. Vermutlich ist auch die
S y n t a x der M u n d a r t schon stark durch die jeweilige überdachende
H o c h s p r a c h e beeinflußt. O b w o h l die Dialekte beiderseits der
Grenze zwischen beiden H o c h s p r a c h e n also offenbar auseinander-
wachsen, ist es gut d e n k b a r und sogar wahrscheinlich, daß be-
stimmte M u n d a r t e n links von dieser Scheide dem Deutschen ähnli-
44 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

eher sind als dem Niederländischen (d. h. mit weniger Regeln aus
der deutschen als aus der niederländischen Hochsprache abgeleitet
werden können), und umgekehrt, daß bestimmte Mundarten rechts
von der Grenze dem Niederländischen ähnlicher sind als dem Deut-
schen (also mit weniger Regeln aus der niederländischen als aus der
deutschen Hochsprache abgeleitet werden können). Kann dann das
Ausmaß der Ähnlichkeit nicht besser als die Überdachung darüber
bestimmen, ob eine Mundart als deutsch oder als niederländisch be-
trachtet werden muß?
Diese auf den ersten Blick reinere linguistische Lösung ist jedoch
nicht durchführbar. Die Dialekte des ganzen kontinental westger-
manischen Bereichs sind sowohl mit dem Niederländischen als auch
mit dem Deutschen verwandt, d. h. sie können mit Hilfe von Regeln
aus beiden Sprachen abgeleitet werden. Die doppelte Verwandt-
schaft schlägt sich in Elementen nieder, die sie mit beiden Hochspra-
chen gemeinsam haben (Elemente des Typs A). Dialekte aus diesem
Gebiet können auch bestimmte Elemente mit dem Deutschen, aber
nicht mit dem Niederländischen gemeinsam haben (Typ B). Umge-
kehrt können sie Elemente mit dem Niederländischen, aber nicht
mit dem Deutschen gemeinsam haben (Typ C). Schließlich können
sie Elemente enthalten, die weder deutsch, noch niederländisch sind
(Typ D). Ein Beispiel: Die Stadtkölner Mundart kennt das Wort
Huus, das im Deutschen in der Form Haus, im Niederländischen in
der Form huis vorkommt. Das W o r t Huus (aber nicht die Ausspra-
che KM!) gehört zum Typ A. Der gleiche Dialekt spricht das Verb
schlafen aus ahschlofe (o wie in frz. or), mit sch und f wie im Deut-
schen, im Gegensatz zum Niederländischen, das hier s und p hat
(slapen). Das sch und f in schlafe gehören zum Typ B. In der Kölner
Mundart spricht man weitet suchen aus ah söke, mit einem k wie im
Niederländischen (zoeken), im Gegensatz zum Deutschen, das hier
ch hat. Das k in söke gehört also zum Typ C. Schließlich lautet der
Imperativ Sg. von gehen in dieser Mundart jank, im Gegensatz zum
Deutschen, so es geh, und zum Niederländischen, wo es ga heißt. Die
Form jank gehört zum Typ D. Die Summe der theoretisch denkba-
ren Möglichkeiten in einem beliebigen kontinentalwestgermani-
schen Dialekt kann wie auf S. 4 5 oben formalisiert werden.

In den Fällen mit dem Pluszeichen ist wegen der Identität keine Regel
notwendig, die von einer hochsprachlichen Sprachform zum Dialekt
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 45

Deutsch Niederländisch

A + +
Β + -

C - +
D - -

führt. In den Fällen mit dem Minuszeichen ist jedoch wegen der Dif-
ferenz eine Regel erforderlich. Es leuchtet dann ein, daß die Typen A
und D für unsere Fragestellung irrelevant sind: Bei A ist weder eine
Regel für Herleitung aus dem Deutschen noch eine Regel für Herlei-
tung aus dem Niederländischen, bei D sowohl eine Regel für Herlei-
tung aus der einen wie aus der anderen Sprache notwendig. Es
scheint dann darauf anzukommen, das Verhältnis der B- und C-Re-
geln zu ermitteln. Dabei lassen wir die Frage beiseite, ob und wie die
relative Bedeutung von phonologischen, morphologischen, syntak-
tischen und lexikalischen Regeln gemessen werden kann.

Im Süden des deutschen Sprachgebiets wird das Verhältnis der B-


und C-Regeln fast 1 0 0 / 0 betragen, im Westen des niederländischen
Sprachraums fast 0 / 1 0 0 . Zwischen beiden Gegenden liegt ein Über-
gangsgebiet, in dem sich das Verhältnis von 1 0 0 / 0 und von 0 / 1 0 0
allmählich zu 5 0 / 5 0 verschiebt. In der Nahtzone, in der das Ver-
hältnis etwa zwischen 4 9 / 5 1 und 5 1 / 4 9 liegt, sind nach dieser Auf-
fassung selbstverständlich ganz genaue Zählungen notwendig, um
entscheiden zu können, ob eine bestimmte Mundart zum deutschen
oder zum niederländischen Diasystem gehört, und zwar Zählungen,
in denen die Gebrauchsfrequenz aller Elemente der Typen Β und C
berücksichtigt wird. Nehmen wir an, das Element mit der niedrig-
sten Frequenz beider Gruppen entspreche einer Frequenzeinheit FE.
Kommt ein Sprachelement 16mal häufiger vor, so werden ihm 16 FE
zuerkannt. Schließlich zieht man die FE-Summe der B- und C-Re-
geln. Ist Summe Β höher als Summe C, so ist der betreffende Dialekt
deutsch, ist sie niedriger, so ist er niederländisch. Auf diese Weise
scheint es theoretisch möglich zu sein, von jeder Mundart aus dem
Übergangsbereich zwischen dem „rein" deutschen und dem „rein"
46 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

niederländischen Gebiet die Zugehörigkeit zu bestimmen und eine


Grenze zwischen den deutschen und den niederländischen Dialekten
zu ziehen.

Es gibt jedoch unüberwindliche Schwierigkeiten. Erstens ist das


Übergangsgebiet b e s t i m m t kein relativ schmaler Streifen, in dem
man die gesuchte Grenze leicht ausfindig m a c h e n k ö n n t e . Im Gegen-
teil, in m e h r als der H ä l f t e des niederländischen Sprachraums h a b e n
die Dialekte bestimmte M e r k m a l e mit dem Deutschen gemeinsam,
im Gegensatz zum Niederländischen; umgekehrt h a b e n in mehr als
der Hälfte des deutschen Sprachgebiets die M u n d a r t e n bestimmte
M e r k m a l e mit dem Niederländischen gemeinsam, abweichend v o m
Deutschen. K a r t e 7 vermittelt einen Eindruck von der Ausdehnung
der Übergangszone. Sie zeigt die germanisch-romanische Sprach-
grenze von der Scheide im Nordwesten bis zum E l s a ß im Südosten
mit dreißig Punkten. Diese geben an, w o dreißig Dialektgrenzen im
germanischen Gebiet die Sprachgrenze erreichen. Die Dialektschei-
den sind nach dem Prinzip ausgewählt, d a ß sie nordwestliche
M e r k m a l e , die auch der niederländischen H o c h s p r a c h e eignen, von
südöstlichen Erscheinungen trennen, die auch in der deutschen
H o c h s p r a c h e v o r k o m m e n . Um den Kern der Übergangszone zu situ-
ieren, in dem die gesuchte Grenze sich befinden m u ß , sind Stichpro-
ben im ganzen Übergangsgebiet notwendig, von der germanisch-
romanischen Sprachscheide an der einen bis zur Grenze des kontin-
entalwestgermanischen Gebiets an einer noch zu bestimmenden an-
deren Seite.

N e h m e n wir an, daß es möglich ist, durch Stichproben die K e r n z o n e


des Ubergangsgebiets zu situieren. H i e r müssen definitionsgemäß
die F E - S u m m e n der Gruppen Β und C sich ungefähr die W a a g e hal-
ten. Ist in einer M u n d a r t das Verhältnis Β 5 0 , 0 1 - C 4 9 , 9 9 , so ist sie
deutsch; ist das Verhältnis umgekehrt, so ist sie niederländisch. Ein
D i a l e k t ist nach 1 . 1 . 3 . eine S u m m e von Sprech weisen, und zwar in
der Regel bei einer ganzen Reihe von Sprechern. U m sicher zu sein,
o b in einem O r t in der K e r n z o n e ein deutscher oder ein niederländi-
scher D i a l e k t gesprochen wird, ist m a n in bestimmten Fällen genö-
tigt, alle mundartlichen Sprechweisen aller Dialektsprecher zu in-
ventarisieren, und von jedem Element aus jedem Inventar die Fre-
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 47

w
'iss,UDORF

KCL Ν ι
BRÜSSEL
TiCNÎN
{AACHEN

BONN

NW/SO-GEGENSÄTZE
an der germ. - rom.Sprachgrenze
von Flandern bis zum Elsaß
NOKOWtSTUCH
VHO SÜDÖSTLICH
N'iOtHLAMOUQI DÎUTSC1
3) BUCH - PRÜFEN U-U U-0
<¡) BACKENA-A BACKER A-Ä_'
'Í SPESSE Jfrß Λ »0
© BAUM-TRAUMEN 00-00 AU-XU
® JSit-*USi1 i κ CH
W BLUME BLJJMCHEN U-U
? KALT - GOLD ου-ου
JE£Z
AU-QU
'Ϊ HAUS - KREUZ EU-EU AU - EU_
(f) FUSS — FUSSE U-U U-U TRIER
<j> BEI Ν — KLEIN ee-ii El - El
® SCHÖN, SCHRE IBEN S Luxemburg ι
œ BEIN - SEE EE-EE El - EE
^ SAUM - TOT 00-00 AU - 00
~W~ DU — JHR OHR) ou-ei'R
SCHLÜSSEN out'ai iE ! < / « ; _
HOLEN A o
SPIEL EN, STARK, ¡£HLAKN
SP. ST, SL, SCHP.SCHT.m
« SCHMAL, samum,sommiN
SM. SN, ZW samscHHjm
-. _
SAARBRÜCKE
® SAGEN , HAIEN
® ORESCHEN f »TT R ·E Men
W KOÇHEN ^ ... CH
® MAÇHEN CH
AL-OL
¡ S O W * ! —_ODLO AU - OU

» Jfg&f ' k~< s~


φ ~ KIEWER a
F
® ygÎV O
®_ 0C S£
f! Κ * s
St AUF
» tW{
{» KORB

Karte 7
48 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

quenz zu berechnen. Dies ist sogar für den Dialekt eines einzigen
kleinen D o r f e s utopisch. N e h m e n wir an, es sei trotzdem möglich, so
k a n n ein Sterbefall im D o r f einen Wechsel der Zugehörigkeit der
M u n d a r t zum Deutschen oder Niederländischen zur Folge h a b e n .
Sogar das F a k t u m , dai? ein Kind ein neues W o r t lernt, kann zum
gleichen Wechsel führen.

W i r schließen, daß der Versuch, auf G r u n d einer mathematischen


Anwendung des Ähnlichkeitskriteriums eine Grenze zwischen deut-
schen und niederländischen M u n d a r t e n zu ziehen, nicht durchführ-
b a r ist. Die einzige M ö g l i c h k e i t , hier zu einer Begrenzung des dialek-
talen deutschen Diasystems zu k o m m e n , ist eine K o m b i n a t i o n des
Verwandtschaftskriteriums mit dem Überdachungskriterium, w a s
angesichts unserer Definition des Begriffs „ D i a l e k t " und des immer
stärker werdenden Einflusses der H o c h s p r a c h e auf die von ihr über-
dachten M u n d a r t e n sinnvoll erscheint. Diese Begrenzung enthält
mit dem Kriterium der Überdachung ein pragmalinguistisches M o -
ment. Ein rein strukturlinguistisches Verfahren, das ausschließlich
das Verwandtschaftskriterium verwendet, ist nur in der Lage, eine
breite Übergangszone zwischen beiden M u n d a r t t y p e n anzugeben,
deren Systeme dann sowohl „ d e u t s c h " als „ n i e d e r l ä n d i s c h " ge-
nannt werden müßten, und zwar „ d e u t s c h e r " je n a c h d e m man sich
dem Südostrand dieses Streifens nähert, „niederländischer" je
nachdem man seinem N o r d w e s t r a n d n ä h e r k o m m t .

Im N o r d e n werden die Dialekte des deutschen S p r a c h r a u m s größ-


tenteils durch die N o r d - und Ostsee von Gebieten getrennt, deren
Sprachstruktur so gründlich von ihnen abweicht, d a ß man das M e e r
hier als Bruchstelle zwischen M u n d a r t e n kontinentalwestgermani-
scher und nordgermanischer Struktur betrachten k a n n . Auf dem
Festland gibt es in der N ä h e der Grenze zwischen der Bundesrepu-
blik und D ä n e m a r k eine kleine K o m p l i k a t i o n . In einer Reihe von
Gemeinden südlich dieser Grenze werden Dialekte gesprochen, die
sich der nordgermanischen Gruppe, genauer der Dänischen an-
schließen. M a n kann sie z w a r — mit erheblicher M ü h e — auch aus
dem Deutschen ableiten, doch ist es wesentlich leichter, sie mit dem
Dänischen zu verbinden, weil die V e r w a n d t s c h a f t mit dem Däni-
schen eindeutig enger ist ( 1 0 ) . Das kann m a n in unserer Konstruk-
tion um so unbeschwerter, als der Unterschied zwischen diesen Dia-
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 49

lekten und den angrenzenden niederdeutschen als Bruch zu interpre-


tieren ist, und in ihrem Verbreitungsgebiet die dänische Hochspra-
che gewisse kultursprachliche Funktionen erfüllt, die es erlauben, sie
als überdachendes Moment zu interpretieren. Daß die Bruchstelle
durch die Entwicklung einer Zweisprachigkeit eigentlich zu einem
Übergangsstreifen zwischen Deutsch und Dänisch geworden ist, ge-
fährdet unsere definitorischen Prinzipien genau so wenig wie in den
Randstreifen zur Romania, weil jede verwendete Sprachform in die-
sen Mischgebieten immer eindeutig dem Deutschen oder einer ande-
ren Sprache zugewiesen werden kann. Der Zustand der Zweispra-
chigkeit führt zwar zu Interferenzen, aber nicht zum Entstehen von
Mischsprachen.

Nach alledem können wir folgende Definition aufstellen: Deutsche


Mundarten sind mit der deutschen Hochsprache verwandte (syn-
chronisch: aus der deutschen Hochsprache herleitbare) Dialekte,
die in einem Gebiet gesprochen werden, in dem das Deutsche, und
keine enger verwandte Sprache, die Rolle einer Kultursprache er-
füllt. Diese Definition verbindet zwei Kriterien: die Verwandtschaft
(nicht mit einer Sprache verwandte Dialekte können nicht Teil des
Diasystems sein, dem diese Sprache angehört (11)) und die Überda-
chung (ohne Überdachung durch eine Sprache ist keine Zuweisung
zum Diasystem möglich, dem diese Sprache als verbindendes Mo-
ment angehört). Durch den Zusatz „und keine enger verwandte
Sprache" können Verhältnisse in Gebieten mit zwei verwandten
Kultursprachen geklärt werden (hier der Fall Nordschleswig).

Diese Definition klärt auch das Verhältnis zu den slawischen Dialek-


ten, die in der Lausitz gesprochen werden und hier eine Art Sprach-
insel im Verbreitungsgebiet der deutschen Mundarten bilden: Das
Sorbische ist nicht als mit dem Deutschen verwandt zu betrachten
und ist deshalb kein Deutsch. Zwar gilt in seinem Gebiet das Deut-
sche als Kultursprache, doch reicht dies Kriterium allein nicht aus
um die sorbischen Dialekte für deutsch zu halten.

Eine Schwierigkeit kann mit Hilfe unserer Definition nicht ganz be-
friedigend gelöst werden. In einem schmalen Streifen an der schles-
wigschen Westküste zwischen Husum und der deutsch-dänischen
Staatsgrenze, auf den Halligen, Sylt, Föhr, Amrum und Helgoland
50 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

sowie in den Kirchspielen Ramsloh, Strücklingen und Scharrel im


oldenburgischen Saterland leben insgesamt noch gut 10 000 Perso-
nen, die Mundarten sprechen bzw. sprechen können (12), die man
als friesisch bezeichnet. Der Unterschied zwischen diesen und den
angrenzenden bzw. mit ihnen am gleichen Ort gesprochenen Dialek-
ten ist so groß, daß man ohne Bedenken von einem Bruch reden
kann. Man hat diese Feststellung meistens für ausreichend gehalten,
um dem Friesischen den Status einer selbständigen Sprache zuzuer-
kennen. In dieser Meinung fand man sich durch die Existenz einer
friesischen Kultursprache mit bestimmten Überdachungsfunktio-
nen in der niederländischen Provinz Friesland gestützt. Diese Auf-
fassung ist m. E. nicht befriedigend, weil erstens die Unterschiede
zwischen den drei geographischen Gruppen Westfriesisch (in den
Niederlanden), Ostfriesisch (im Saterland) und Nordfriesisch (an
der schleswigschen Westküste, auf den vorgelagerten Inseln und auf
Helgoland) so groß sind, daß man sie als Brüche interpretieren kann
(13), wodurch die Bündelung dieser Gruppen zu einer „Sprache"
den Eindruck eines beliebigen Konstrukts erweckt. Zweitens wer-
den die ost- und nordfriesischen Mundarten nicht von der friesi-
schen, sondern ausschließlich von der deutschen Hochsprache
überdacht. Für die Annahme einer friesischen Sprache mit ihr zuge-
hörigen Dialekten in Norddeutschland kann also das Verwandt-
schaftskriterium nur unter schweren Bedenken, das Überdachungs-
kriterium überhaupt nicht herangezogen werden. Da diese Mundar-
ten von unserer Definition der deutschen Dialekte ohne weiteres er-
faßt werden, betrachten wir sie als deutsch, selbstverständlich ohne
sie der Frisistik als Forschungsgegenstand entnehmen zu wollen.
Eine sprachhistorische Grundlage für ein vergleichendes Studium
der drei friesischen Dialektgruppen ist zweifellos vorhanden (14).

Anmerkungen

(1) Bibliographie zum Begriff „Diasystem" bei Verf., Strukturelle Sprach-


geographie. Heidelberg 1969,22. Wesentlich anders wird der Terminus
definiert von K. Heger, „Sprache" und „Dialekt" als linguistisches und
soziolinguistisches Problem. Folia linguistica 3 ( 1969), 4 6 - 6 7 (Auch in:
Zur Theorie des Dialekts. Ausgewählt und herausgegeben von /. Gö-
schel, N. Nail, G. vanderElst. Wiesbaden 1976,215-235.). In der von
Heger S. 59 vorgeschlagenen Bestimmung des Verhältnisses Hoch-
deutsch-Niederdeutsch-Niederländisch bleibt trotz vorheriger Defini-
1.2. Was sind deutsche Dialekte? 51

tion der Termini Norm, Diasystem und System (ist letzterer wohl im ei-
gentlichen Sinne definiert?) unklar, was unter „System mit Norm" und
„Diasystem mit Norm" zu verstehen ist, ob der Begriff „Hochdeutsch"
auch die Sprache mit fixierter Norm in Norddeutschland deckt und ob
er in einer gewissen Beziehung zu einem Begriff „Deutsch" steht (der
Terminus Deutsch wird von Heger nicht verwendet). Wenn Heger das
Hochdeutsche und das Niederländische als „Sprache", das Niederdeut-
sche dagegen als „Sprachgruppe" bezeichnet, so scheint er mir doch das
vorher für „wertlos" erklärte Kriterium der „Nationalsprache" oder
„Schriftsprache" zu verwenden, das wir übrigens bei der Zuweisung
von Dialekten zu Sprachen als Diasystemen nicht entbehren können.
(2) Vgl. E. Stankiewicz, On discreteness and continuity in structural dialec-
tology. Word 13 (1957), 4 4 - 5 9 .
(3) Vgl. P. Wiesinger, Die deutschen Sprachinseln in Mitteleuropa. LGL,
367-377.
(4) Eine Übersicht über eine Sammlung von Dialektproben aus östlichen
Gebieten, die heute nicht mehr deutschsprachig sind, bietet das Buch
Tonbandaufnahme ostdeutscher Mundarten 1 9 6 2 - 1 9 6 5 . Gesamtkata-
log mit 10 Karten von G. Bellmann und ]. Göschel. Marburg 1970.
(5) Vgl. Kleine Enzyklopädie-Die deutsche Sprache. Leipzig 1969,1, 291.
(6) In dem „neubelgischen" Streifen Eupen - St. Vith ist im Vergleich zu
den anderen genannten Randgebieten das deutsche Sprachgefühl noch
sehr lebendig.
(7) G. Francescato, Structural comparison, diasystems and dialectology.
Zeitschrift für romanische Philologie 81 (1965), 484-^»91. ZitatS. 486.
(8) Zu der Sprachproblematik in den Randstreifen zur Romania existiert
ein ausführliches Schrifttum, aus dem wir hervorheben: A. Verdoodt,
Zweisprachige Nachbarn. Die deutschen Hochsprach- und Mundart-
gruppen in Ost-Belgien, dem Elsaß, Ost-Lothringen und Luxemburg.
(Wien-Stuttgart 1968) und die Hefte 5, 7 und 15 der Duden-Beiträge
(Sonderreihe: Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache im Aus-
land, hrsg. von H. Moser). Die Verfasser sind H. Rizzo-Baur (Heft 5:
Südtirol) und D. Magenau (Heft 7: Elsaß-Lothringen und Heft 15: Lu-
xemburg und Belgien).
(9) Beide Punkte werden besprochen und bibliographisch erfaßt in: Verf.,
Wat zijn Nederlandse dialecten? Groningen 1968.
(10) Vgl. die Auffassung von P. Andersen, Dänische Mundartforschung. In:
Germanische Dialektologie. Wiesbaden 1968, 319—347, insb.
319-320.
(11) Daraus geht hervor, daß das Kriterium der Verwandtschaft das der
Bruchstelle impliziert.
(12) N. Arhammar (Friesische Dialektologie. In: Germanische Dialektolo-
gie, 264—317) schätzt die Zahl der Personen, die um 1967 noch Nord-
52 1. Der Begriff „Deutsche Dialektologie"

friesisch sprechen konnten, auf etwa 10 000 (S. 297); Saterländisch


wurde nach ihm noch von „ein paar tausend Personen" (S. 290) gespro-
chen.
(13) Vgl. N. Arhammar (wie Anm. 12), 297.
(14) Eine Ubersicht über die dialektologischen Bearbeitungen gesamtfriesi-
scher Probleme bietet Ärhammar (wie Anm. 12), 2 6 7 - 2 6 8 .
2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete (1)

Jede dialektologische Untersuchung hat als Anwendung einer areal-


linguistischen Disziplin ihr geographisches Gebiet zu begrenzen.
Prinzipiell muß die Frage, wie das geschehen soll, von der jeweiligen
linguistischen Problemstellung aus beantwortet werden. W i r müs-
sen also versuchen zu klären, welche Typen von dialektologischen
Problemstellungen es geben kann. Die Antwort auf diese Frage be-
stimmt die Weise, in der die Gebiete grundsätzlich zu begrenzen
sind.

2.1.1. Typ 1

Das zu klärende Problem ist eine dialektgeographische Struktur als


Ganzes. Die Grenzen des Problemareals fallen mit denen des dia-
systemischen Komplexes zusammen, d. h. sie sind mit Bruchstellen
identisch. Es gibt zwei Typen von Bruchstellen, die wir Sprachgren-
zen ersten und zweiten Grades nennen. Eine Sprachgrenze ersten
Grades ist eine Scheide zwischen Dialektgruppen, die genetisch
nicht zusammengehören (Beispiel: die Grenzen zwischen dem Unga-
rischen und den benachbarten germanischen, slawischen und roma-
nischen Dialektgruppen), oder deren gemeinsamer Ursprung zeit-
lich so weit zurückliegt, daß ihre Verwandtschaft nur mit Hilfe wis-
senschaftlicher Darstellungen deutlich gemacht werden kann (Bei-
spiel: die Grenzen zwischen den germanischen und romanischen,
oder zwischen den germanischen und slawischen Dialekten in Euro-
pa). Problemgebiete, bei denen nur Sprachgrenzen ersten Grades als
Bruchstellen fungieren, sind das Ungarische, das Baskische, aber
auch die gesamte europäische Germania, die gesamte europäische
Romania, das gesamte Verbreitungsgebiet der slawischen Dialekte.

Eine Sprachgrenze zweiten Grades ist eine bruchartige Scheide zwi-


schen genetisch zusammengehörenden Dialektgruppen, die nur
54 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

durch die Anwendung eines umfangreichen Regelkomplexes von-


einander abgeleitet werden können, so daß sie von den Bewohnern
der Grenzgegend tatsächlich als zwei verschiedene Sprachen be-
trachtet werden. Beispiele: Die Grenze zwischen den kontinental-
westgermanischen und den nordgermanischen Dialekten, die Nord-
see als Scheide zwischen den englischen und den kontinentalwest-
germanischen Dialekten. Problemareale, die sich innerhalb von
Sprachgrenzen ersten Grades durch Sprachgrenzen zweiten Grades
abzeichnen lassen, sind das englische Dialektgebiet, das nordger-
manische (der Bereich der schwedischen, norwegischen, dänischen,
isländischen und färöischen Mundarten), das kontinentalwestger-
manische Dialektgebiet (der Bereich der deutschen und niederländi-
schen Mundarten).

2.1.2. Typ 2
Das zu klärende Problem ist das Verhältnis einer dialektgeographi-
schen Struktur zu einer aus ihr erwachsenen Kultursprache. Fallen
die Grenzen des Verbreitungsgebiets dieser Standardsprache mit
Sprachgrenzen zusammen oder gehen sie über diese hinaus, so sind
die Grenzen des Problemgebiets mit diesen Sprachgrenzen identisch.
Ein Beispiel ist wieder (aber jetzt unter anderem Gesichtspunkt als in
2 . 1 . 1 . ) das Verbreitungsgebiet der englischen Mundarten.

Kommen dagegen in einem Gebiet, das durch solche Sprachgrenzen


ersten und zweiten Grades von der Umgebung getrennt ist, zwei
oder mehr mit den Dialekten verwandte Kultursprachen vor, deren
Verbreitungsareale sich scharf voneinander abheben, ohne daß die
Grenze zwischen ihnen einen Bruch in der Kontinuität der Mundar-
ten darstellt, so sind die Teilbereiche Problemgebiete im Hinblick
auf das Verhältnis ihrer einzelnen Dialekte zur jeweiligen Standard-
sprache. Als Grenzen dieser Problemareale kann man die Scheiden
zwischen den Geltungsbereichen der Schriftsprachen betrachten.
Beispiel: das Kontinentalwestgermanische, das hinsichtlich der
Hochsprache in einen deutschen und einen niederländischen Teil
auseinanderfällt, während die Mundarten beider Teilgebiete all-
mählich ineinander übergehen.

Die hier gegebene Art der Begrenzung steht im Einklang mit unserer
Definition des Begriffs „deutsche Dialekte" (1.2.). Diese Definition
2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 55

ist nicht rein linguistisch, s o n d e r n e n t h ä l t , indem sie d a s Über-


d a c h u n g s k r i t e r i u m v e r w e n d e t , ein sprachsoziologisches M o m e n t .
Will m a n bei d e r B e g r e n z u n g d e r b e t r e f f e n d e n Problemgebiete rein
linguistisch v e r f a h r e n , so m u ß m a n ein anderes Kriterium z u g r u n d e -
legen. N e h m e n w i r den a b s t r a k t e n Fall eines K o n t i n u u m s X, dessen
Areal sich zwei v e r w a n d t e K u l t u r s p r a c h e n A u n d Β teilen. Be-
s t i m m t e M e r k m a l e v o n A f i n d e n sich n o c h im Gebiet v o n B, ihre
Z a h l w i r d jedoch mit w a c h s e n d e r E n t f e r n u n g v o n d e r Grenze zwi-
schen A u n d Β i m m e r geringer; u m g e k e h r t gibt es M e r k m a l e von Β
im Gebiet v o n A, aber a u c h ihre A n z a h l w i r d kleiner, je tiefer m a n in
d a s Gebiet v o n A v o r s t ö ß t . D a n a c h g e h ö r t der Geltungsbereich aller
Erscheinungen, die einzelne M u n d a r t e n des Gebiets v o n Β mit A,
nicht a b e r m i t Β g e m e i n s a m h a b e n , z u m P r o b l e m g e b i e t A; u n d z w a r
erstreckt es sich bis z u r Isoglosse derjenigen Erscheinung, die a m
weitesten in d a s Gebiet v o n Β hineinreicht. E n t s p r e c h e n d ist d a n n
d a s Problemgebiet Β zu u m r e i ß e n . D e r a r t i g e Problemgebiete beste-
hen also a u s einem Kern u n d einer R a n d z o n e , die allmählich inein-
a n d e r ü b e r g e h e n . Statt einer Bruchstelle enthält die Sprachland-
s c h a f t des K o n t i n u u m s X m a r g i n a l e Z o n e n der Gebiete A u n d B.

Ein Beispiel: Karte 7 auf S. 4 7 . Im K o n t i n u u m der k o n t i n e n t a l w e s t -


germanischen M u n d a r t e n finden sich südöstlich der Scheide zwi-
schen der niederländischen u n d der deutschen H o c h s p r a c h e Er-
scheinungen, die m a n niederländisch n e n n e n k a n n , ζ. B. die Aus-
s p r a c h e d e r u r s p r ü n g l i c h e n K o n s o n a n t e n v e r b i n d u n g cb + s als s
(etwa zes „ s e c h s " , nördlich der Linie 2 2 , os „ O c h s e " nördlich d e r
Linie 26). Andererseits k o m m e n Erscheinungen, die m a n als deutsch
b e t r a c h t e n k a n n , westlich dieser Grenze vor, ζ. B. der U m l a u t in der
D i m i n u t i v b i l d u n g (Blume — Blümchen, östlich v o n Linie 6) oder in
der Pluralbildung (Fuß — Füße, östlich von Linie 9) v o n Substanti-
ven. Die m a r g i n a l e Z o n e des N i e d e r l ä n d i s c h e n d e h n t sich nach der
Karte m i n d e s t e n s bis z u m Elsaß aus, w ä h r e n d die des D e u t s c h e n
mindestens bis zur Scheide reicht. In solchen Fällen ü b e r l a p p e n sich
also Problemgebiete teilweise.

2.1.3. Typ 3

D a s P r o b l e m ist die G e w i n n u n g von Kenntnissen ü b e r b e s t i m m t e


Erscheinungen in einem Bereich i n n e r h a l b eines diasystemischen
56 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

K o n t i n u u m s , die in i h r e r G e s a m t h e i t g e r a d e dieses Gebiet als Pro-


blemareal e r k e n n e n lassen. D a b e i ist es d e n k b a r , d a ß eine Sprach-
k a r t e ein V e r b r e i t u n g s m u s t e r ergibt, d a s sich auf keiner a n d e r e n
Karte w i e d e r h o l t . In diesem Fall k a n n die E r s c h e i n u n g n u r Gegen-
s t a n d einer m o n o g r a p h i s c h e n Untersuchung-, nicht eines S p r a c h a t -
lasses sein. Beispiel: N e h m e n w i r an, das Verbreitungsgebiet d e r
O r t s n a m e n a u f - b ü t t e l von K a r t e 5 auf S. 3 0 w i e d e r h o l e sich auf kei-
ner einzigen anderen S p r a c h k a r t e , so ist eine Studie, die die Verbrei-
t u n g dieses N a m e n t y p s klärt, in sich vollständig.

Ist dagegen das V e r b r e i t u n g s m u s t e r einer b e s t i m m t e n dialektalen


Erscheinung auch auf K a r t e n mit a n d e r e n E r s c h e i n u n g e n zu erken-
nen — dies ist w o h l d e r Regelfall— so lassen sich alle diese K a r t e n zu
regionalen S p r a c h a t l a n t e n vereinigen. Es ist d a n n a n z u n e h m e n , d a ß
das sich w i e d e r h o l e n d e d i a l e k t g e o g r a p h i s c h e M u s t e r d u r c h eine
g e m e i n s a m e Ursache z u s t a n d e g e k o m m e n ist, die die eigentliche
P r o b l e m a t i k der K a r t e n s a m m l u n g darstellt. G i b t es in Einzelfällen
a n d e r e U r s a c h e n , so müssen diese als A u s n a h m e n geklärt w e r d e n .

Ein Beispiel eines regionalen Sprachatlasses, in d e m ein solches Pro-


blemgebiet b e h a n d e l t w i r d , ist K. Heeromas W o r t a t l a s d e r n o r d ö s t -
lichen N i e d e r l a n d e u n d des N o r d w e s t e n s d e r B u n d e s r e p u b l i k
D e u t s c h l a n d ( T O N ) . Die postulierte g e m e i n s a m e U r s a c h e d e r Ver-
breitung einer Reihe v o n S p r a c h e r s c h e i n u n g e n in diesem z u s a m -
m e n h ä n g e n d e n Gebiet ist eine spätmittelalterliche westfälische
sprachliche A u s s t r a h l u n g („westfälische E x p a n s i o n " ) ü b e r den
N o r d o s t e n des heutigen niederländischen S p r a c h r a u m s . D a s Vier-
eck der G r u n d k a r t e dieses Atlasses u m r e i ß t ein Problemgebiet un-
ter der Bedingung, d a ß es eine westfälische E x p a n s i o n gegeben h a t .
Stimmt diese These — u n d sie ist d u r c h die Arbeiten H e e r o m a s we-
nigstens plausibel g e m a c h t —, so u m f a ß t d a s Problemareal in seiner
g r ö ß t e n A u s d e h n u n g die Isoglosse d e r Spracherscheinung, in der die
westfälische E x p a n s i o n ihre weiteste g e o g r a p h i s c h e W i r k u n g ge-
h a b t h a t , in seiner kleinsten A u s d e h n u n g den westfälischen Kern mit
d e n geringsten P r o t u b e r a n z e n . Allgemeiner f o r m u l i e r t : Die Pro-
blemgebiete v o n legitimen R e g i o n a l a t l a n t e n u m f a s s e n einen Kern
u n d m a r g i n a l e Z o n e n . V o n einer scharfen Bruchstelle in d e r Sprach-
l a n d s c h a f t k a n n nicht die R e d e sein; vielmehr gibt es eine Reihe v o n
Ü b e r g ä n g e n zwischen d e m Kern u n d d e m ä u ß e r s t e n R a n d .
2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 57

Die in Regionalatlanten behandelten Sprachlandschaften k ö n n e n


nur im Hinblick auf einen Teil der in ihnen auftretenden Spracher-
scheinungen Problemgebiete darstellen. D e r Bereich von H e e r o m a s
Atlas etwa ist ein Problemareal nur insofern, als hier Beispiele für
westfälische E x p a n s i o n untersucht werden. T a t s ä c h l i c h sind die
wortgeographischen Beispiele von diesem Gesichtspunkt aus aus-
gewählt worden. Diese Arbeitsweise birgt indes eine G e f a h r in sich:
Die Betonung des Problemgebiet-Charakters einer regionalen
Sprachlandschaft kann d a r ü b e r hinwegtäuschen, d a ß die Grenzen
anderer Erscheinungen — die vielleicht ein Vielfaches der behandel-
ten ausmachen — einen völlig anderen V e r l a u f haben k ö n n e n , d a ß
also das betreffende Gebiet für die große M e h r h e i t seiner Spracher-
scheinungen gar kein spezifisches Problemareal ist. Gerade ein Re-
gionalatlas, dessen Arbeitsgebiet im Hinblick auf eine bestimmte
dialektgeographische Problematik abgegrenzt wurde, kann die Per-
spektiven verzerren.

2.1.4. Typ 4

Bei der Behandlung der drei vorigen Typen wurde versucht, die Fra-
gen der Begrenzung dialektologischer Problemgebiete von dem Ge-
sichtspunkt der Verbreitung von Spracherscheinungen aus zu be-
antworten. Verbreitung und Begrenzung setzen geographischen
Kontrast voraus: Jenseits der Grenze findet sich etwas anderes.
Nicht nur die Verbreitung von Spracherscheinungen ist dabei ein
dialektologisches Problem, sondern auch der Gegensatz zwischen
geographisch opponierenden P h ä n o m e n e n . Studien, die sich mit
solchen Fragen beschäftigen, sind also d e n k b a r und es gibt sie tat-
sächlich. Es handelt sich um Einzelstudien; Sprachatlanten, in denen
diese Problematik im M i t t e l p u n k t steht, fehlen bisher. Bei solchem
Blickwinkel müssen die Karten ein Gebiet umfassen, das die Grenz-
streifen zwischen den geographisch kontrastierenden Erscheinun-
gen überdeckt.

An Sprachgrenzen ersten und zweiten Grades ist der K o n t r a s t V o r -


aussetzung und Ausgangspunkt. Ein Problem kann hier die Klärung
von parallelen Erscheinungen in den Dialekten beiderseits der
Sprachscheide sein. Die Karte muß dann die Grenzen der Parallelis-
men umschließen.
58 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Palatisierung des û beiderseits der Sprachgrenze.


Senkrechte Schraffierung: Palatisierung.
Waagerechte Schraffierung: Ausbleiben der Palatisierung (südöstliche Nie-
derlande, Lütticher Wallonei, Frankoprovenzalisch).

Karte 8
2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 59

Beispiel: Lateinisches « ist im Französischen palatalisiert worden;


germanisches ü ohne Umlautfaktor wurde im Niederländischen,
aber nicht im Deutschen palatalisiert; nachher trat in beiden letz-
teren Sprachen Diphthongierung auf. Das Verhältnis ist also: frz. ü -
ndl. öü — dt. au (vgl. frz. mur / m ü r / aus lat. mürus, ndl. huis /höüs/
und dt. Haus aus germ. *hûs). R. Bruch hat versucht, die Verhält-
nisse beiderseits der germanisch-romanischen Sprachgrenze zu kar-
tieren (Karte 8) (2). Es zeigt sich, daß im romanischen Gebiet in der
Liitticher Wallonie keine Palatalisierung stattgefunden hat. Auch
das Frankoprovenzalische kennt keine Palatalisierung. Das Liitti-
cher Gebiet lehnt sich an germanische Bereiche an, die nach Bruch
gegen die Palatalisierung besonders widerstandsfähig gewesen sind
bzw. sogar Depalatalisierungstendenzen aufweisen: das Westlim-
burgische und Ostnordbrabantische, die mous für Maus haben, im
Gegensatz zu den angrenzenden niederländischen Mundarten, die in
diesem Wort palatalen Vokalismus haben, weiter das Moselfränki-
sche, das sogar den palatalen Vokalismus von heute (altes ü) depala-
talisiert. Dies ist das eine Parallelismus-Problem, das — bis auf das
Frankoprovenzalische — offenbar kartographisch vollständig erfaßt
ist. Das andere, die Verbreitung der Palatalisierungsneigung nörd-
lich und östlich des französischen Kerns, ist bis auf Zipfel des nieder-
ländischen Gebiets ebenfalls vollständig eingezeichnet: Es umfaßt
über den größten Teil des niederländischen Bereichs hinaus das El-
saß sowie südwestfälische und nordhessische Inseln. Ein Palatalisie-
rungsgebiet im Süden der deutschen Schweiz scheint mit norditalie-
nischen Mundarten zusammenzuhängen; es wäre, zusammen mit
diesen und dem frankoprovenzalischen Zipfel, besser nicht in die
Karte aufgenommen worden.

2.1.5. Typ 5

Anders als beim Typ 4 ist die Problematik in Übergangsgebieten


zwischen Kernlandschaften eines dialektgeographischen Kontinu-
ums. Unter „Kernlandschaften" verstehen wir Gebiete mit Mundar-
ten, die unter sich nur geringe Unterschiede aufweisen. Sie sind
„durch Gebiete voneinander getrennt, die stufenweise von einer
Kernlandschaft zur andern überleiten" (3). In solchen Fällen bilden
die Staffelung des Ubergangsgebiets, die Bündelung der Isoglossen
60 2. Kurzgefaßte M e t h o d i k der Dialektologie

und die relative Wichtigkeit der einzelnen Bündel die zentralen Fra-
gen der Untersuchungen. Regionalatlanten, in denen der sprach-
geographische Kontrast im Mittelpunkt steht, müssen das ganze
Übergangsgebiet einschließen. Selbstverständlich müssen sie auch
Randstreifen der benachbarten Kernlandschaften erfassen, so d a ß
die äußeren Isoglossen den Kartenrand nicht überschreiten. Bei-
spiel: Als relativ einheitlich kann man die schwäbischen und mittel-
bayrischen Dialekträume betrachten. Zwischen beiden liegt eine
Ubergangslandschaft mit zahlreichen in süd-nördlicher Richtung
laufenden Isoglossen, die das ganze Gebiet zwischen Iiier und Isar
umfassen, mit einer konzentrierten Bündelung am Lech („Lech-
schranke") (4).

Von theoretischen Überlegungen ausgehend haben wir fünf Typen


dialektologischer Problemareale bestimmen können. Die Praxis der
deutschen Dialektologie — übrigens auch die der anderen Dialekto-
logien — weicht indessen stark von den Konsequenzen dieses M o -
dells ab. Vor allem die regionalen Sprachatlanten beruhen in der Re-
gel nicht auf einer dialektologischen Fragestellung (5). Statt dessen
werden in ihnen Gebiete dargestellt, die kulturhistorisch mehr o d e r
weniger eine Einheit bilden oder gebildet haben, d. h. es wird keine
Rücksicht auf die Frage genommen, o b aus der Gesamtheit der kar-
tierten Erscheinungen hervorgeht, d a ß der betreffende Bereich tat-
sächlich ein Problemgebiet ist. Wird dann der Versuch unternom-
men, an H a n d der Verbreitungstypen der einzelnen Karten eine
O r d n u n g durchzuführen (6), dann zeigt sich gerade, d a ß der behan-
delte Bereich bald nur Teil eines ersten Problemgebiets ist, bald Teil
eines zweiten, dritten, vierten usw., und d a ß er nur in wenigen Fällen
als eigenes Problemareal betrachtet werden kann. Eine solche Ar-
beitsweise ist von einem dialektologischen S t a n d p u n k t aus un-
systematisch und erlaubt nur fragmentarische Einblicke in eine Reihe
von dialektologischen Fragen. M a n m u ß sie tunlichst vermeiden;
und zwar erstens, indem m a n künftige Atlanten nach Möglichkeit a
priori als Werke mit einer geschlossenen Problematik plant und
zweitens, indem die Bearbeiter von Regionalatlanten, deren Gebiete
aneinander grenzen, die Arbeiten weitgehend koordinieren. Die f ü r
das deutsche Sprachgebiet vorhandenen Ortsgrammatiken und
W ö r t e r b ü c h e r müßten eigentlich erlauben, Fragebogen so zu gestal-
ten, d a ß sowohl die eigene Problematik einzelner Untersuchungsge-
2.1. Die Begrenzung dialektologischer Problemgebiete 61

biete als auch die dialektgeographische Kontinuität angrenzender


Bereiche berücksichtigt werden.

Die Stellung und die Aufgaben der deutschen Dialektologie unter


dem ersten Aspekt der in 1.1.4. behandelten Problematik können
jetzt genauer spezifiziert werden:

1. Die deutsche Dialektologie ist ein Teil der germanischen Dialek-


tologie, die zur Aufgabe hat, die dialektgeographische Struktur
des germanischen Sprachkomplexes zu klären (vgl. 2.1.1.).
2. Die deutsche Dialektologie hat das Verhältnis einer kontinental-
westgermanischen dialektgeographischen Struktur zur deutschen
Hochsprache zu untersuchen. Es stellt sich dabei als vorteilhaft
heraus, d a ß der deutsche Dialektologe auch über dialektgeogra-
phische Verhältnisse im niederländischen Sprachraum informiert
ist (vgl. 2.1.2.).
3. Die deutsche Dialektologie u m f a ß t eine Anzahl von regionalen
Dialektologien, die ihre Ergebnisse in nach dem oben beschriebe-
nen Prinzip zusammengesetzten Sprachatlanten anbieten kön-
nen. Außerdem bieten die deutschen Dialekte Stoff f ü r zahlreiche
monographische Untersuchungen dialektgeographischer Einzel-
erscheinungen (vgl. 2.1.3.).
4. Die deutsche Dialektologie hat sich mit Parallelerscheinungen
beiderseits der Grenzen der deutschen zu den benachbarten
M u n d a r t e n zu beschäftigen, d. h. also mit der Germania r o m a n a
und der R o m a n i a germanica, mit der Germania slavica und der
Slavia germanica usw., und darüber hinaus mit Parallelerschei-
nungen beiderseits der Sprachgrenzen, die nicht ohne weiteres als
Phänomene germanischen, romanischen, slawischen usw. Ur-
sprungs charakterisiert werden können. D a s alles ist bisher
hauptsächlich unter lexikalischem Aspekt (7) geschehen, doch
darf—wie das Beispiel unter 2.1.4. zeigt—die Untersuchung nicht
auf den Wortschatz beschränkt bleiben.
5. Komplementär zu 3 h a t die regionale deutsche Dialektologie die
geographischen Übergänge zwischen den zusammengehörenden
kleineren Räumen im deutschen Sprachgebiet zu untersuchen
(vgl. 2.1.5.).
62 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Anmerkungen

(1) Diese Frage ist ausführlicher behandelt worden in Verf., Die Begrenzung
dialektologischer Problemgebiete. Z D L 38 (1971), 1 2 9 - 1 4 4 .
(2) R. Bruch, Das Luxemburgische im westfränkischen Kreis. Luxemburg
1954. Die Karte steht auf S. VII, die Erläuterung ihres Aufbaus auf
S. 107. Hier soll nicht diskutiert werden, ob und inwiefern Bruch die
Problematik richtig erfaßt hat.
(3) A. Bach, Deutsche Mundartforschung. Heidelberg 3 1 9 6 9 , 6 0 - 6 2 .
(4) Vgl. etwa die Karten auf S. 3 5 6 , 3 5 9 und 3 6 4 im LGL. Zuletzt zu dieser
Thematik (mit Schrifttum): R. Freudenberg, Der alemannisch-bairische
Grenzbereich in Diachronie und Synchronie. Marburg 1974.
(5) Eine Ausnahme ist Heeromas T O N .
(6) Das ist der Fall in W. Foerstes Arbeit Der wortgeographische Aufbau des
Westfälischen. In: Der Raum Westfalen IV, 1. Münster 1958, 1 - 1 1 7 .
(7) Vgl. vor allem Th. Frings — G. Müller, Germania Romana I (Halle/Saale
2
1966) und II (Halle/Saale 1968). - £ . Gamillscheg, Romania Germa-
nica I (Berlin 2 1 9 7 0 ) . - G. Bellmann, Slavoteutonica (Berlin 1971).

2.2. Spracherhebung

Die dialektologische Arbeit umfaßt drei Stufen: Zunächst muß das


Material gesammelt werden, zweitens muß es auf Karten gebracht
werden, drittens müssen diese Sprachkarten interpretiert werden. In
2.2. werden die Anforderungen an das Material und die Methoden
seiner Sammlung behandelt (1).

2.2.1. Allgemeine Anforderungen an das Sprachmaterial

Wie in 1.1.4. dargelegt wurde, ist eine Basis für einen dialektologi-
schen Vergleich mit der geographischen Kontrastierung von Sprach-
erscheinungen und -strukturen gegeben. Daraus folgt die Anfor-
derung einer geographischen Differenzierung des Materials. Der
Dialektologe soll also keine Angaben sammeln, die vermutlich im
ganzen Untersuchungsgebiet identisch sein werden. Er soll sich im
Gegenteil vorher vergewissern, ob dieses Areal unter dem Aspekt
der Dialekte, den er untersuchen will, räumliche Unterschiede auf-
weist. Das kann durch Stichproben bzw. durch das Studium der Ar-
beiten von Vorgängern geschehen. So hat sich W. Mitzka bei der
Herstellung der Frageliste des DWA auf frühere wortgeographische
2 . 2 . Spracherhebung 63

Untersuchungen (u. a. von P. Kretschmer, B. Martin, des ADV) ge-


stützt und einen Entwurf den Redaktionen der regionalen Wörter-
bücher zur Kritik vorgelegt (2).

Eine zweite Anforderung ist, daß man in dem zu untersuchenden


Aspekt der Dialekte eine gewisse Abrundung anstreben muß. M a n
muß die Sprachelemente, die man geographisch-vergleichend erfor-
schen will, so viel wie möglich als Teile eines Systems betrachten und
deshalb darauf achten, daß nicht durch eine zu beschränkte Mate-
rialsammlung eine solche Betrachtungsweise unmöglich gemacht
wird. Wer etwa die Entwicklung eines Phonems in einem Gebiet un-
tersuchen will, muß, um eine richtige Einsicht in die Verbreitung der
Laute, die sich aus diesem Phonem entwickelt haben, zu gewinnen,
auch die Entwicklung der angrenzenden Phoneme des Protosystems
kennenlernen. Wer die geographisch differenzierten Bezeichnungen
für einen bestimmten Begriff kennenlernen will, muß die Überle-
gung berücksichtigen, daß Wörter sehr häufig Teile eines Wortfel-
des sind, die sich gegenseitig inhaltlich begrenzen. Ähnliche Betrach-
tungen gelten für alle Teile der Sprache, die areallinguistisch unter-
sucht werden können.

Äußerst wichtig ist die Anforderung der Zuverlässigkeit des Mate-


rials. Dies bedeutet nicht nur, daß die Sprachformen, die in den ein-
zelnen Orten eines Gebietes gesammelt werden, tatsächlich in diesen
Orten gesprochen, sondern darüber hinaus auch, daß sie in identi-
schen Situationen aktualisiert werden. Es kommt also darauf an, die
pragmatischen Parameter in der dialektologischen Befragung kon-
stant zu halten und nicht etwa Bürgerdialekt und Mundart der
Grundschicht, Dialekt der älteren und der jüngeren Generation,
neutrale und affektive Sprechweise in buntem Durcheinander zu
sammeln. Echt fehlerhafte Belege, d. h. Angaben, die auf einem Irr-
tum beruhen, weil sie an einem Ort in der gefragten Funktion eigent-
lich nicht vorkommen, sind in der Regel daran erkennbar, daß sie
auf einer Karte mit den Einzelbelegen isoliert auftreten; doch muß
man immer darauf bedacht sein, daß eine Mundart hinsichtlich ei-
nerbestimmten Erscheinung eine Insel in der Sprachlandschaft bilden
kann (3). Ungenaue Angaben, die sich aus dem Nichtkonstanthalten
der pragmatischen Parameter erklären, kann man daran erkennen,
daß sie mit den Belegen aus der erzielten Sprachschicht Mischgebiete
64 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

bilden oder zwischen ihnen in mehr oder weniger dichter Streuung


vorkommen. Weil es bei mündlichen Befragungen leichter gelingt,
die Parameter konstant zu halten als bei schriftlichen Enqueten —
vgl. hierzu 2 . 2 . 2 . - kommen auf Karten, die nach mündlichem M a -
terial gezeichnet sind, in der Regel weniger Mischgebiete vor als auf
Karten, die auf schriftlichen Angaben beruhen (4). Es unterliegt
dann keinem Zweifel, daß die Sammlung, die das einfachere dia-
lektgeographische Bild ergibt, adäquater ist als die andere. Doch ist
die größere Komplexität schiftlicher Sammlungen nicht in jeder
Hinsicht ein Nachteil. Das Material enthält dann bei Doppelan-
gaben ab und zu Erläuterungen wie „veraltet", „vulgär" usw.,
die gleichsam als Einladungen zu verstehen sind, Alters-, Stil- und
Sozialschichtungen zu untersuchen. Gerade in der deutschen Dia-
lektologie hat man in den beiden letzten Jahrzehnten wiederholt
versucht, Schichtungen, die beim ersten Anblick das sprachgeogra-
phische Bild trüben, als solche zu erkennen, die Schichten voneinan-
der zu trennen und ihren Anteil am Zustandekommen der Komple-
xität sichtbar zu machen.

P. von Polenz behandelte 1 9 6 0 die Schichtung der Bezeichnungen


für „voriges J a h r " im Material des DWA (5). Seine Besprechung und
seine Karten verdeutlichen, daß Wortgebiete manchmal zwei und
sogar drei Bezeichnungen nebeneinander haben, die er als „mund-
artlich", „umgangssprachlich" und „hochsprachlich" charakteri-
siert. Diese Termini sind, wie G. Stötzel bemerkt (6), herkunftsmä-
ßig zu interpretieren: Es handelt sich nicht um die verschiedenen
Sprachsysteme Dialekt, Umgangssprache und Hochsprache, die am
gleichen Ort nebeneinander vorkommen können, sondern aus-
schließlich um Dialekt. „Mundartlich" steht dabei für den alten ein-
heimischen Ausdruck, „umgangssprachlich" und „hochsprachlich"
für jüngeren Import von oben her. Die Schichten, denen diese drei
Typen entsprechen, nennt von Polenz „Unterschicht", „Mittel-
schicht" und „Oberschicht". Das suggeriert eine Sozialschichtung,
doch ist deutlich, daß auch Stil- und Altersstratifikationen etwas
damit zu tun haben. Die Wortformen der „Mittel- und Ober-
schicht", hat von Polenz auf einer ersten, die der „Unterschicht" auf
einer zweiten Karte eingezeichnet.

H. Cox stellte in seiner Studie über die Bezeichnungen für den Sarg
(7) fest, daß es neben stilistisch neutralen Termini auch einen Se-
2.2. Spracherhebung 65

kundarwortschatz für diesen Gegenstand gibt, den er auf einer sepa-


raten Karte dargestellt hat. Neben Ausdrücken des dichterischen
Sprachgebrauchs enthält diese auch euphemistische Umschreibun-
gen, vulgäre Wörter, die häufig nur im Scherz verwendet werden
sowie Termini, die in Redensarten vorkommen. Die Hauptkarte
enthält die Angaben aus der stilistisch neutralen Schicht, die andere
(Karte 5 in Cox' Buch) ein Amalgam aus unvollständig registrierten
Stilschichten. Letztere hat der Autor mit Recht von der ersten
Gruppe getrennt; andererseits hat er wegen der Zufälligkeit und
Unvollständigkeit der stilistisch „gefärbten" Angaben nicht ver-
sucht, ihre Stratifikation in Einzelheiten durchzuführen, doch hat er
gesehen, was bei einer vollständigen Sammlung hätte geschehen
müssen: dann hätte „eine Reihe von Karten mit sekundären Be-
zeichnungen" (8) gezeichnet werden müssen.

Aus diesen Betrachtungen geht hervor, daß eine ausreichende Be-


rücksichtigung von Schichtungen in einer dialektologischen Unter-
suchung manchmal die Durchführung ergänzender Befragungen
voraussetzt. In der Praxis ist das bisher nur wenig geschehen, ob-
wohl zusätzliche Materialsammlungen sich in vielen Fällen auf ver-
hältnismäßig schmale Kontaktzonen zwischen landschaftlich ver-
schiedenen Sprachformen beschränken können. Schichtungen bei
Realisationstypen von dialektalen Variablen treten nämlich vor al-
lem auf, wenn durch geographischen Kontakt mehrere sprachliche
Möglichkeiten vorgegeben sind (vgl. die Betrachtungen zu den
Mischgebieten in 2.4.1,2). Einfluß der Hochsprache von oben h e r -
und nicht durch das Vorkommen einer räumlichen Berührungszone
— macht es in letzter Zeit jedoch immer problematischer, ergänzende
Befragungen nur in geographischen Kontaktzonen durchzuführen.

Die Dichte des Ortsnetzes ist in den einzelnen bisherigen Untersu-


chungen recht unterschiedlich. Extreme sind der französische ALF
und der deutsche Sprachatlas (DSA): im ersten sind nur 2 % der
französischen Gemeinden untersucht worden, im zweiten nahezu
100 % der deutschen Schulorte (9). Letzteres ist natürlich das Ideal,
was noch nicht ohne weiteres bedeutet, der deutsche Atlas sei besser
als der französische, ist doch der Wert eines Sprachatlasses von viel
mehr Faktoren als der Dichte des Belegnetzes abhängig. Trotzdem
ist dieser Punkt wichtig, denn nur ein geschlossenes Netz setzt den
66 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Dialektologen in den Stand, den genauen Verlauf der Isoglossen


kennenzulernen. Für eine richtige Interpretation der Karten ist diese
Kenntnis häufig unentbehrlich (vgl. 2 . 4 . 1 , 1 und 2 . 4 . 2 , 2 ) .

M a n muß deshalb versuchen, für eine möglichst große Zahl von Or-
ten im Untersuchungsgebiet Material zu sammeln. Bei schriftlichen
Befragungen kann dieses Ziel manchmal nicht erreicht werden, weil
man in der Regel von der Bereitwilligkeit und dem Fleiß freiwilliger
Mitarbeiter abhängig ist. Mündliche Enqueten machen es dem Dia-
lektologen meistens möglich, diese Schwierigkeiten zu umgehen,
doch erreicht man hier schneller die Grenzen der materiellen Mög-
lichkeiten. In der Regel ist die Dichte des Belegnetzes bei mündlichen
Befragungen mit der Größe des Untersuchungsgebietes umgekehrt
proportional. Im französischen Sprachatlas wurden, wie bemerkt,
nur 2 % der Gemeinden untersucht, in mancher Studie, die in der
Reihe D D G erschien, dagegen 1 0 0 % , aber meistens handelt es sich
hier um kleine Bereiche mit höchstens einigen Dutzend Orten.

Wenn bei einer mündlichen Befragung nur ein Teil der Orte unter-
sucht werden kann, ist es möglich, diese so zu wählen, daß sie in un-
gefähr gleicher Entfernung voneinander liegen. Nach diesem Prinzip
ist bei den Aufnahmen des Deutschen Spracharchivs verfahren wor-
den (10). Exploratoren, denen die dialektgeographischen Verhält-
nisse einer Gegend bereits mehr oder weniger gut bekannt sind,
wählen meistens möglichst viele Orte in den Grenzstreifen zwischen
homogenen Gebieten und weniger aus der Mitte dieser Bereiche.

Die Zahl der zu befragenden Gewährspersonen pro Ort hängt von


der Zielsetzung der Untersuchung ab. Wenn nur der geographische
Parameter variiert wird und alle anderen bei nur geringem Spiel-
raum konstant gehalten werden, genügen in der Regel die Angaben
einer einzigen Person pro Ort; weichen die Auskünfte eines Infor-
manten auf der Sprachkarte dann auffällig von der Umgebung ab, so
ist dies ein Indiz, daß sie überprüft werden müssen; gliedern sie sich
dagegen geographisch ein, so geht daraus ihre Zuverlässigkeit her-
vor. Will man schichtgebundene Differenzierungen in die diatopi-
sche Untersuchung mit einbeziehen, so ist die Zahl der Gewährsper-
sonen bzw. die der Gesprächssituationen in Einklang mit der zu er-
forschenden Schichtenzahl zu bringen. So wurden für die Aufnah-
2.2. Spracherhebung 67

men des Deutschen Spracharchivs „ p r o O r t sechs Personen aufge-


nommen aus drei Altersschichten: aus dem vorberuflichen Alter bis
2 0 Jahre, aus dem Berufsleben bis ca. 4 0 Jahre und aus dem nachbe-
ruflichen Alter über 6 0 J a h r e " (11).

Anmerkungen

(1) Vgl. zu dieser Problematik H. Löffler, Probleme der Dialektologie.


Darmstadt 1974, Abschnitt 3 und die dort angeführte Literatur.
(2) W. Mitzka, Der Deutsche Wortatlas. ZMF 14 (1938), 40-45.Id., Der
Fragebogen zum Deutschen Wortatlas. Z M F 15 (1939), 1 0 5 - 1 1 1 .
(3) Vgl. 2.4.1,3.
(4) Vgl. ]. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Heidelberg 1969,
8 8 - 8 9 und Karte 24.
(5) P. von Polenz, Mundart, Umgangssprache und Hochsprache am Bei-
spiel der mehrschichtigen Wortkarte „voriges Jahr". Hessische Blätter
für Volkskunde 51/52 (1960), 2 2 4 - 2 3 4 .
(6) G. Stötzel, Die Bezeichnungen zeitlicher Nähe in der deutschen Wort-
geographie von „dies Jahr" und „voriges Jahr". Marburg 1963, 33.
(7) H. L. Cox, Die Bezeichnungen des Sarges im Kontinental-Westgerma-
nischen. Assen (zugleich Marburg) 1967. Die Bibliographie in der An-
merkung auf S. 102 dieses Buches ist für die besprochene Problematik
von Bedeutung.
(8) Cox (wie Anm. 7) 119.
(9) Vgl. die Karten bei B. Martin, Die deutschen Mundarten, Marburg
2 1959, 89 und A. Bach, Deutsche Mundartforschung, Heidelberg
3 1 9 6 9 , 48.

(10) „Die Aufnahmeorte verteilen sich über das Bundesgebiet dergestalt, dai?
in jedem Planquadrat eines Netzes von '/4 Breitengrad mal '/6 Längen-
grad je ein Ort ausgewählt wurde. Mehrfach sind allerdings in einem
Planquadrat zwei Orte erfaßt" (W. Bethge, Vom Werken und Wirken
des Deutschen Spracharchivs. ZDL 43 (1976), 2 2 - 5 3 . Zitat S. 27).
(11) Löffler (wie Anm. 1), 48.

2.2.2. Methoden der Materialsammlung

Es gibt drei M e t h o d e n der M a t e r i a l s a m m l u n g , die miteinander ver-


knüpft werden k ö n n e n : B e o b a c h t u n g , mündliche (direkte) Enquête,
schriftliche (indirekte) Enquête (1).

1. Die Beobachtung frei gesprochener T e x t e (Gespräche, M o n o l o -


ge) wird herkömmlich prinzipiell für die beste M e t h o d e der Samm-
68 2. Kurzgefaßte M e t h o d i k der Dialektologie

lung gehalten, weil so verhindert wird, d a ß eine künstliche Inter-


view-Situation sich nachteilig auf die Zuverlässigkeit des Materials
auswirkt. H e u t e ist festzustellen, daß mit dieser M e t h o d e Material
einer bestimmten Textsorte, eben des freien Gesprächs oder M o n o -
logs, gesammelt wird. Bis zur Erfindung des T o n b a n d s w a r dieses
Verhalten jedoch k a u m praktizierbar, weil es keine systematischen
Sammlungen von Sprachmaterial unter bestimmten, kartographisch
zu bearbeitenden Aspekten erlaubte. Die geschaffene Möglichkeit
der Speicherung hat zur G r ü n d u n g von Tonbandarchiven Anlaß ge-
geben (im deutschen Sprachgebiet vor allem das Deutsche Sprachar-
chiv, jetzt Bonn). Z u größeren dialektgeographischen Auswertun-
gen solcher Sammlungen ist es jedoch noch nicht gekommen. Ver-
mutlich liegt das d a r a n , daß sie f ü r die traditionellen Fragestellun-
gen der Dialektologie nicht geeignet sind: Für die Wortgeographie
braucht m a n gezielte Fragen nach Bezeichnungen f ü r bestimmte Be-
griffe im Rahmen einer Enquête, f ü r die Lautgeographie insofern
diese sich mit der geographischen W i r k u n g von Lautgesetzen be-
s c h ä f t i g t - w a s auch jetzt noch meistens der Fall i s t - W o r t l i s t e n , die,
ebenfalls im R a h m e n einer Enquête, in den einzelnen Dialekten re-
produziert werden müssen (2).

Für andere lautliche Aspekte der Sprache sind jedoch T o n b a n d a u f -


nahmen frei gesprochener Texte mit Sicherheit besser geeignet als
mündliche Erhebungen mittels Fragebogen. Das gilt f ü r die Sprech-
geschwindigkeit, Akzentuierung, Assimilationserscheinungen und
alle lautlichen M e r k m a l e , die dem freien Text als solchem eignen.
Die meisten geographischen Gegensätze in der Syntax wird man
vermutlich erst durch die Analyse solcher Texte richtig in den Griff
b e k o m m e n , zumal diese häufig fließende Übergänge aufzuweisen
scheinen, so daß die Variabilität in den einzelnen M u n d a r t e n be-
rücksichtigt werden m u ß . Im allgemeinen ist festzustellen, d a ß für
die Untersuchung sämtlicher Spracherscheinungen, die mit Hilfe
von variablen Regeln beschrieben werden müssen, Sammlungen von
T o n b a n d a u f n a h m e n , aus denen die Frequenz der Realisationstypen
einer Variable hergeleitet werden kann, unentbehrlich sind. Doch
sind solche Studien in der Dialektgeographie noch nicht durchge-
f ü h r t w o r d e n : Hier h a t sich wohl die Angst vor dem A u f w a n d , der
um ein vielfaches größer sein muß als bei punktuellen Untersuchun-
gen, nachteilig ausgewirkt.
2 . 2 . Spracherhebung 69

2. Bei den mündlichen Erhebungen mittels Fragebogen (direkter


Enquête) transkribierte früher der Explorator sofort die Angaben
der Gewährspersonen in Lautschrift. Heute wird vielfach ein Ton-
bandgerät verwendet und findet die Transkription in einem zweiten
Arbeitsgang statt, was durch die Möglichkeit der beliebigen Wie-
derholung eine größere Zuverlässigkeit unter phonetischem Aspekt
gewährleistet. Doch machen auch erfahrene Exploratoren unter sol-
chen günstigen Bedingungen noch Transkriptionsfehler, vor allem
wenn sie Mundarten aufnehmen, deren Lautstruktur stark von ih-
rem eigenen „phonischen Hintergrund" abweicht: M a n transkri-
biert unvermeidlich „vor dem Hintergrund des eigenen phonischen
Musters, das namentlich gekennzeichnet wird durch den Vorrat von
Lauttypen, über die der Explorator verfügt. Dieser wiederum ist von
der phonologischen Struktur und den phonischen Merkmalen seiner
Muttersprache bzw. seiner eigenen Mundart abhängig, eventuell
auch von weiteren Sprachen oder Dialekten, die er in ausreichendem
Ausmaß beherrscht" (3).

Mündliche Erhebungen mittels Fragebogen eignen sich für alle Ty-


pen dialektgeographischer Untersuchungen, außer denen, für die die
Beobachtung die angewiesene Methode ist. Für lautgeographische
Untersuchungen ist diesem Verfahren unbedingt der Vorzug zu ge-
ben vor dem indirekten. Wie die Beobachtung empfiehlt die direkte
Enquete sich für Untersuchungen mit relativ wenig Belegorten
(kleinräumige, bzw. mit grobmaschigem Netz).

3. Schriftliche Erhebungen mittels vervielfältigter Fragebogen (indi-


rekte Enquête) sind als Ersatz für die mündliche Enquête anzusehen,
weil der Untersucher nicht über die Möglichkeit verfügt, sofort die
Zuverlässigkeit der Angaben zu kontrollieren und zusätzliche Fragen
zu stellen, wenn die erste Antwort nicht genügt. Hinzu kommt, daß
die Informanten in der Regel keine ausgebildeten Linguisten sein
können und phonetisch ungeschult sind. Wenn sie über ihre eigene
Sprachkompetenz informieren sollen, gelingt es meistens nicht, den
Spielraum der pragmatischen Konstanten in der Alters-, Sozial- und
Stilschicht bei allen klein genug zu halten; man darf im Gegenteil
schon froh sein, wenn man für jeden erzielten Ort einen freiwilligen
Mitarbeiter finden kann. Wenn die Informanten Angaben von
Drittpersonen vermitteln sollen, was etwa bei der Untersuchung von
70 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Fachsprachen meistens der Fall ist, besteht die Gefahr, daß sie sich
nicht an die sachkundigen Dialektsprecher richten, was die Zuver-
lässigkeit des Materials beeinträchtigt.

M a n soll deshalb nur schriftliche Erhebungen durchführen, wenn


die anderen Verfahren nicht angewandt werden können. Allerdings
sind diese Fälle zahlreich genug, denn mündliche Befragungen sind
in der Regel viel kostspieliger und erfordern, wenn das Areal nicht
sehr klein ist, auch einen viel größeren Aufwand als schriftliche En-
queten. Bei großräumigen Untersuchungen mit dichtem Belegnetz
ist m a n deshalb auf die indirekte M e t h o d e angewiesen. In bestimm-
ten Teilbereichen der Sprache kann man übrigens mit gut formulier-
ten schriftlichen Fragen befriedigende Ergebnisse erreichen. Das gilt
vor allem für wortgeographische Untersuchungen allgemein be-
kannter Begriffe. Viel größer ist die Gefahr unzuverlässiger und
falsch interpretierbarer Angaben beim Fachwortschatz und in der
Lautgeographie.

Anmerkungen

(1) Vgl. zu dieser Problematik jetzt auch W. König, Überlegungen zur Be-
schreibung von Aufnahmesituation und Informant bei sprachgeographi-
schen Erhebungen. Mit einem Vorschlag zur Operationalisierung indivi-
dueller Eigenschaften der Informanten. Deutsche Sprache 1975,
346-364.
(2) Für die ganze Problematik des segmentalen Teils der Phonologie ist
Wortlisten derVorzug zu geben vor Sätzen, weil der spezifische Vokalis-
mus der Wörter häufig im Nebenton des Satzzusammenhangs verloren-
geht. Vgl. noch B. Panzer-W. Thütnmel, Die Einteilung der niederdeut-
schen Mundarten auf Grund der strukturellen Entwicklung des Voka-
lismus. München 1 9 7 1 , 3 5 - 3 6 : „Die inzwischen entwickelte Phonologie
hat begreifen gelernt, daß in Pausa oft die Invariante, also gerade der
Phonemcharakter eines Lautes, am deutlichsten erkennbar wird, weil alle
sekundären, Variationen hervorrufenden Faktoren weitgehend ausge-
schaltet sind".
(3) F. van Coetsem, Enkele beschouwingen over transcriptie-methodes bij
vergelijking van dialectoptekeningen in het Zuid-Oostvlaamse gebied.
Taal en Tongval 17 (1965), 6 3 - 8 7 . Das (übersetzte) Zitat S. 69.
2.3. Kartiermethoden 71

2.3. Kartiermethoden

Die dialektologischen Kartiermethoden können auf zwei Grund-


typen reduziert werden: die Punktmethode und die Flächenmethode.
Bei der Punktmethode werden die Daten für alle Belegorte einzeln
auf die Karten eingetragen. Bei der Flächenmethode werden die Be-
lege nicht einzeln eingezeichnet; vielmehr werden die für identisch
gehaltenen Angaben mehrerer aneinander grenzender Orte nur
einmal wiedergegeben; die Areale mit identischen Belegen werden
durch Linien umrissen; auf diese Weise entstehen auf den Karten
Flächen, die durch Verwendung von Schraffur und Farben beson-
ders hervorgehoben werden können.

Die erste Methode ist im Prinzip anzuwenden in Darstellungen, die


den Leser in den Stand setzen müssen, die Angaben zu verifizieren,
was in der Regel in wissenschaftlichen Neuveröffentlichungen wie
Sprachatlanten der Fall ist. Die zweite ist vor allem geeignet für ver-
einfachende Darstellungen sprachgeographischer Verhältnisse, in
denen die Betonung von Details überflüssig ist. Doch soll man er-
streben, auch bei Punktkarten eine maximale Anschaulichkeit und
bei Flächenkarten eine maximale Kontrollierbarkeit zu erreichen.

Restlos überprüfbar sind Punkttextkarten: Hier werden die Sprach-


formen auf der Karte an den Belegorten voll ausgeschrieben. So ist
bei einigen bekannten Atlaswerken verfahren worden wie etwa im
französischen ALF und im italienischen Sprachatlas (Sprach- und
Sachatlas Italiens und der Südschweiz). Diese Karten sind objektive
Darstellungen, weil sie — von der Transkription abgesehen — noch
keine interpretativen Elemente enthalten; andererseits vermitteln sie
kaum eine räumliche Vorstellung der sprachgeographischen Ver-
hältnisse.

Bei Punktsymbolkarten werden die Belegorte mit Siglen (Strichen,


Kreisen, Dreiecken, Vierecken usw.) versehen, und zwar so, daß
man für jedes sprachliche Element, das man zu unterscheiden
wünscht, ein eigenes Zeichen verwendet. Verwandte Sprachformen
können durch verwandte Zeichen (etwa aufrechte und gestürzte
Dreiecke) wiedergegeben werden. Die Übersichtlichkeit kann durch
die Verwendung verschiedener Farben bei den Symbolen noch ge-
72 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

steigert werden. Sprachatlanten, die diese Methode verwenden, sind


der ADV und der T O N . In der Praxis ist es meistens nicht möglich,
für jede sprachliche Nuance ein besonderes Zeichen zu verwenden;
man vereinfacht im Gegenteil, indem man kleine Unterschiede, die
man für irrelevant hält, vernachlässigt und die auf diese Weise
gleichgeschalteten Formen durch dasselbe Zeichen andeutet. Das
impliziert bereits die Einführung eines interpretativen Elements in
einen Arbeitsgang, der der eigentlichen Interpretation vorangeht.

In herkömmlichen Punktsymbolkarten ist die Verbindung zwischen


den kartierten sprachlichen Elementen und den Symbolen beliebig,
d. h. es gibt keinen inneren Grund etwa für die Wahl eines Striches
oder eines Kreises als Vertreter eines bestimmten Phonems oder ei-
ner bestimmten Wortform. Die Anwendung struktureller Methoden
in der Areallinguistik hat eine kartographische Experimentierphase
eingeleitet. Man versucht jetzt, geographische Übereinstimmungen
und Unterschiede in sprachlichen Teilstrukturen wie Phonemsyste-
men, phonologischen Merkmalkomplexen, morphologischen
Strukturen synchron-typologisch oder in ihrem Verhältnis zu einem
entsprechenden Teil eines Bezugssystems auf Karten zu bringen, und
zwar mit Hilfe von komplexen Symbolen, deren Aufbau die zu un-
tersuchende linguistische Struktur mehr oder weniger graphisch wi-
derspiegelt. So kann beispielsweise die geographisch wechselnde
Zahl der Öffnungsgrade in einem Vokalsystem durch eine entspre-
chend wechselnde Zahl der sie vertretenden Fächer in einem kom-
plexen Symbol dargestellt werden. Insofern solche Symbole eine
Abbildung einer Sprachstruktur sind, sind sie - im Gegensatz zu den
herkömmlichen Siglen — nicht beliebig. Aus praktischen Gründen
können komplexe Symbole nur bei Punktkarten mit relativ wenig
Belegorten verwendet werden. Beispiele finden sich in zwei Veröf-
fentlichungen von W. H. Veitb (1).

Flächenkarten sind meistens Textkarten, d. h. daß in den durch Li-


nien umrissenen Arealen die für sie geltenden Sprachformen jeweils
einmal voll ausgeschrieben sind. Sie werden vor allem in der Wort-
geographie verwendet, unter Vernachlässigung der Unterschiede in
der Aussprache der flächenbildenden Wortformen. Bei der Verwen-
dung von Schraffur oder Farben kann der Text der Flächenkarte
auch in der Legende geboten werden.
2 . 3 . Kartiermethoden 73

Flächenkarten enthalten nicht nur in phonetischer Hinsicht starke


Vereinfachungen der registrierten sprachlichen Wirklichkeit. Weil
die Einzelbelege entfallen, geht aus ihnen auch nicht hervor, inwie-
weit gegebenenfalls unter anderen Aspekten (auf Wortkarten etwa
unter dem der Wortbildung) vereinfacht wurde. Außerdem kann
man nicht kontrollieren, für welche Orte Material vorhanden ist,
was u. a. bedeutet, daß die Dichte des Belegnetzes nicht überprüfbar
ist. Praktische Kartierschwierigkeiten ergeben sich in Mischgebieten
oder bei geographisch isolierten Belegen. Eine bekannte Sammlung
von Textflächenkarten ist der Kartenanhang der Grundlegung einer
Geschichte der deutschen Sprache von Th. Frings (2).

Einfache Flächensymbolkarten scheinen in der Dialektologie nicht


vorzukommen. Der Grund ist leicht einzusehen: Die arbiträr ge-
wählten Symbole verursachen auf Punktkarten durch ihre Häufung
oder Streuung eine optische Wirkung, die bei einmaliger Setzung des
Zeichens in ein Gebiet nicht vorhanden sein kann, denn in diesem
Fall muß die Aufmerksamkeit auf die Gestaltung des Zeichens fal-
len, die — wie bemerkt— in keinem ursächlichen Zusammenhang mit
der kartierten Spracherscheinung steht.

Flächenkarten mit komplexen Symbolen sind in der strukturellen


Dialektologie beliebt und am besten geeignet, die Geographie von
Sprachstrukturen zu veranschaulichen. Für die Zuverlässigkeit
eventueller Vereinfachungen bei der Verwendung dieser Methode
gilt dasselbe wie bei den Textflächenkarten. Eine Sammlung von
Flächenkarten mit komplexen Symbolen findet sich in meiner Struk-
turellen Sprachgeographie (3).

In den zwei wichtigsten deutschen dialektologischen Kartenwerken,


dem DSA und dem DWA, hat man versucht, die Vorteile der Flä-
chen- und der Punktmethode zu kombinieren. Man hat die Gebiete
abgegrenzt und mit „Leitformen" versehen; außerdem ist jeder Ort
mit einem ausgefüllten Fragebogen durch einen Punkt vertreten. Die
Orte mit einer von der Leitform ihres Gebiets abweichenden Form
sind mit Sonderzeichen versehen, die eine Überprüfung der Zuver-
lässigkeit der gezogenen Linien erlauben. Jedoch sind viele Wort-
atlas-Fragebogen unvollständig ausgefüllt, so daß man ohne Kon-
trolle der Fragebogen selbst nicht überprüfen kann, für welche Orte
74 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

in einem konkreten Fall kein M a t e r i a l vorhanden ist. Dieser M a n g e l


hätte n u r vermieden werden k ö n n e n , wenn man nicht die Belegorte
generell, sondern auf jeder K a r t e b l o ß die mit Antworten auf die be-
treffende Frage angegeben hätte.

Anmerkungen

(1) W. H. Veith, Dialektkartographie. GL 4 / 7 0 , 4 0 1 - 4 0 3 und 4 1 9 - 4 2 5 so-


wie Karten 5—7. Id., Intersystemare Phonologie. Berlin — New York
1972, 1 1 3 - 1 1 9 und 2 3 5 - 2 4 2 sowie Kartenanhang.
(2) Th. Frings, Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache. Halle
(Saale) 3 1 9 5 7 .
(3)}. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Heidelberg 1969, 38—44
und Karten 2, 3, 6, 7.

2.4. Interpretation von Sprachkarten

Die Deutungsmethoden des Entstehens dialektgeographischer K o n -


stellationen sind als extra- oder intern-linguistisch zu betrachten.
Die extra-linguistische M e t h o d e erklärt die Verbreitung der Sprach-
erscheinungen und die geographischen Gegensätze zwischen ihnen
mit Hilfe außersprachlicher F a k t o r e n , die intern-linguistische sucht
die Ursachen der Verbreitungen und Gegensätze in den Sprachsy-
stemen selbst.

2.4.1. Die extra-linguistische Methode


Weitaus die meisten bisherigen dialektgographischen Deutungsver-
suche im deutschen Sprachgebiet sind extra-linguistischer N a t u r .
D e r Ausgangspunkt dieser M e t h o d e ist der G e d a n k e , d a ß die dia-
lektgeographische Struktur eines Areals größtenteils die Folge seiner
Geschichte ist (1), vor allem seiner politischen und Wirtschaftsge-
schichte. Diese ist als eine sich in einem bestimmten R a u m abspie-
lende Verbindung von Ereignissen zu verstehen. Sie schafft mensch-
liche Verbindungen durch den V e r k e h r zu W a s s e r und zu Lande; sie
schafft auch Grenzen und ist dadurch Ursache des Fehlens menschli-
cher K o n t a k t e beiderseits dieser Scheiden. Auch die N a t u r selbst
kann — oder k o n n t e — einen verbindenden und einen trennenden Ein-
fluß ausüben: Verbindend durch befahrbare Wasserläufe (das klas-
2.4. Interpretation von Sprachkarten 75

sische Beispiel im deutschen Sprachgebiet ist der Rhein), trennend


durch Wälder, Sümpfe, Gebirge. Mundarten sind keine statischen
Größen, sondern übernehmen dauernd Neuerungen voneinander.
Die genannten historischen und geographischen Faktoren fördern
die Verbreitung solcher Entlehnungen oder wirken ihnen entgegen.
Es gibt aktive, „gebende" und passive, „empfangende" Sprachland-
schaften. Aktiv sind in der Regel die Städte und die politisch, wirt-
schaftlich und kulturell überlegenen Gebiete; passiv sind meistens
die ländlichen und dünner besiedelten Bereiche. Gute Straßen för-
dern den Verkehr und somit den sprachlichen Kontakt; natürliche
und vom Menschen geschaffene Verkehrshindernisse wirken der
Übernahme sprachlicher Neuerungen entgegen. Auf diese Weise
häufen sich die Gegensätze in den Grenzbereichen zwischen Gegen-
den mit intensivem Verkehr und relativer sprachlicher Einheit. Ein
reger Verkehr vereinheitlicht die Sprache, das Fehlen menschlicher
Kontakte fördert die Verschiedenheit.

Diese Feststellungen wurden von der extra-linguistischen Dialekt-


geographie der Deutung von Sprachkarten zugrunde gelegt. Man
suchte historische Verkehrsgrenzen, die mit den Dialektgrenzen zu-
sammenfielen und stellte fest, daß letztere häufig mit Grenzen spät-
mittelalterlicher Territorien koinzidieren. Dabei ist immer die Ge-
fahr eines Zirkelschlusses vorhanden. Es ist denn auch häufig ge-
schehen, daß Karten mit historischen Gegensätzen zwischen Are-
alen mit intensivem und anderen mit geringem Verkehr an Hand der
Sprachkarten aufgebaut wurden. War doch die politische Zersplit-
terung in der Feudalzeit so groß, daß es in der Mehrheit der Fälle ge-
lang, für eine Isoglosse mehr oder weniger übereinstimmende alte
politische Grenzen zu finden. Wurde dann diese Karte mit Ver-
kehrsgrenzen zur Erklärung der sprachgeographischen Verhältnisse
verwendet, so war der Kreis geschlossen. Doch ist festzustellen, daß
bei vernünftiger Anwendung diese Methode zu befriedigenden Er-
gebnissen geführt hat, vor allem bei großräumigen Untersuchungen,
weniger bei regional beschränkten, deren Areal manchmal nicht
umfangreicher ist als das eines Verwaltungskreises (2): Hier haben
sich häufig Untersucher der Überinterpretation schuldig gemacht.

Die extra-linguistischen Beweisführungen lassen sich in sechs Punk-


ten zusammenfassen:
76 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

1. Dialekt- und Verkehrsgrenze: Aus einer Koinzidenz einer Dia-


lekt- und einer Verkehrsscheide wird der Schluß gezogen, daß er-
stere dem Vorkommen der zweiten zufolge entstanden ist. Je länger

Karte 9
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 77

die Strecke ist, über die die beiden Grenzen sich decken, um so grö-
ßer ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese Interpretation zutrifft. Ist
die betreffende Strecke nur kurz, so wird die Wahrscheinlichkeit
kleiner. Die Glaubwürdigkeit dieser Art von Interpretation hängt
außerdem von dem Standpunkt ab, den man beim Bestimmen der
Verkehrsgrenze einnimmt. Ist dieser einheitlich, so ist der Beweis
viel schlagender, als wenn man aus verschiedenen Grenzen (ζ. B. aus
politischen Scheiden verschiedener Epochen und von unterschiedli-
cher historischer Bedeutung, oder aus politischen und natürlichen
Grenzen) eine Linie konstruiert, mit der die Isoglosse zusammen-
fällt. In letzterem Fall wird immer der Verdacht einer Konstruktion
ad hoc vorliegen. Das ist bei zahlreichen kleinräumigen Untersu-
chungen zu beobachten, die angefertigt wurden, als im deutschen
Sprachgebiet die dialektgeographische Untersuchung eines Verwal-
tungskreises oder eines vergleichbaren Areals noch ein beliebtes Dis-
sertationsthema war. Ein Beispiel kann hier stellvertretend für viele
stehen. Edeltraut Schnellbacher untersuchte die Mundarten des öst-
lichen Taunus. Im Schlußabschnitt („Die Dialektgrenzen und ihre
Begründung") ihrer Arbeit heißt es: „Die Hauptmundartscheide
fällt jedoch nicht nur mit geographischen und politischen, sondern
auch mit kirchlichen Grenzen zusammen. Sie folgt neben den alten
Kirchspielrändern auch der Grenze zwischen den beiden Mainzer
Archidiakonaten St. Mariengreden und St. Peter" (3). Für die ein-
zelnen Teilstrecken dieser Hauptscheide gibt sie dann an, mit wel-
chen historischen Grenzen ein Zusammenfall festzustellen ist.

Für in ihrem allgemeinen Aussagewert besser gesichert können die


Ergebnisse einiger großräumiger Untersuchungen gelten, in denen
ein Zusammenfall von Dialektscheide und Verkehrsgrenze über
weitere Strecken beobachtet wird. Kleinere Abweichungen können
dann sogar mit in Kauf genommen werden. Bekannte Beispiele aus
dem Rheinland sind in der Studie „Sprache" von Theodor Frings
ausgearbeitet worden (4). Zu ihnen gehört das Linienbündel der Ei-
felschranke, das auf Karte 9 (5) durch die vani von-Linie (mit einer
deutlichen Abweichung bei Mayen) repräsentiert ist. Der Historiker
„H. Aubin hat uns die Eifel als Verkehrsbarriere und demnach Re-
liktgebiet aller Abschattungen verstehen gelehrt; seine Beobachtun-
gen treffen allerorts mit dem Dialektgeographen zusammen, den er
selber ausdrücklich als Bundesgenossen anführt" (6). Die meisten
78 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Linien des Bündels haben einen etwas nördlicheren Verlauf, am


Nordrand der Eifel, mit einer „Abfolge der Grenzlinien im Laufe der
Jahrhunderte und Jahrtausende, Germania inferior gegen Germania
superior, Diözesangrenze Köln gegen Trier auf Grund der Bistums-
sprengel römischer Zeit, Herzogtum Ripuarien gegen Moselherzog-
tum, Herzogtum Niederlothringen gegen Oberlothringen, Jülich,
Köln, Berg gegen Trier" (7).

A A B
+
Β

1
Mischgebiet

Trichterform Schlauchform

Fig. 4 :

Sprachgeographische

Modelle
2.4. Interpretation von Sprachkarten 79

2. Mischgebiete: Z w e i Areale mit den S p r a c h f o r m e n A u n d Β in


identischer F u n k t i o n b r a u c h e n sich nicht n o t w e n d i g e r w e i s e gegen-
seitig auszuschließen. H ä u f i g gibt es K o n t a k t z o n e n mit einer Über-
l a g e r u n g v o n A u n d Β s t a t t s c h a r f e r G r e n z e n (Fig. 4,1). Die Untersu-
c h u n g solcher Mischgebiete mit zwei S p r a c h f o r m e n zwischen Are-
alen mit jeweils n u r einer S p r a c h f o r m f ü h r t f a s t i m m e r zu d e r Fest-
stellung, d a ß eine d e r k o n k u r r i e r e n d e n F o r m e n im M i s c h b e r e i c h
veraltet o d e r im Veralten begriffen ist, w ä h r e n d die andere jünger
u n d lebenskräftiger ist. Aus diesem V e r h ä l t n i s k a n n die R i c h t u n g
d e r s p r a c h g e o g r a p h i s c h e n V e r s c h i e b u n g abgeleitet w e r d e n . Ist A die
alte u n d Β die junge F o r m im Mischgebiet, so v e r g r ö ß e r t Β ihr Areal.
Ein solcher Schluß darf jedoch n u r f ü r die Z e i t gezogen w e r d e n , in
d e r m a n Mischgebiete a n g e t r o f f e n h a t ; in d e r Vergangenheit kön-
nen die Verhältnisse anders gewesen sein.

Der zackenartige Verlauf der van/von-Grenze in d e r Osteifel bei


M a y e n auf K a r t e 9 ist d a s Ergebnis eines V e r s u c h e s von Frings, in
diesem Gebiet die beiden P r ä p o s i t i o n a l f o r m e n mit Hilfe d e r Isoglos-
s e n - K a r t i e r m e t h o d e geographisch v o n e i n a n d e r zu t r e n n e n . Eine
P u n k t s y m b o l k a r t e h ä t t e hier den E i n d r u c k eines Mischgebietes er-
geben. Eine genauere, auf örtliche D i f f e r e n z i e r u n g e n zielende Un-
t e r s u c h u n g h ä t t e hier a m E n d e des vorigen J a h r h u n d e r t s (8) vermut-
lich eine altersgebundene Schichtung zutage g e f ö r d e r t : van m u ß hier
vorwiegend die F o r m d e r älteren, von die d e r jüngeren G e n e r a t i o n
gewesen sein.

Die deutschen dialektologischen H a n d b ü c h e r schenken der Er-


scheinung d e r Mischgebiete k a u m A u f m e r k s a m k e i t , w a s mit einer
Vorliebe f ü r die Isoglossen-Kartiermethode z u s a m m e n h ä n g e n d a r f .
Doch sind auf fast allen K a r t e n des D W A in K o n t a k t z o n e n kleinere
o d e r g r ö ß e r e Mischgebiete zu f i n d e n , die die Erscheinung der (al-
tersgebundenen) Sprach Variabilität illustrieren u n d bei der Interpre-
tation des Kartenbildes wichtige Hilfe leisten k ö n n e n .

3. Enklaven: Abseits der Grenze zwischen einem Areal mit Sprach-


f o r m A u n d einem mit S p r a c h f o r m Β k a n n im Gebiet Β eine Insel mit
F o r m A v o r k o m m e n (Fig. 4,2). Diese k a n n als Reliktenklave Z e u g e
einer f r ü h e r e n g r ö ß e r e n V e r b r e i t u n g d e r F o r m A sein u n d deutlich
80 2. Kurzgefaßte M e t h o d i k der Dialektologie

machen, in welcher Richtung die Grenze seitdem verschoben wor-


den ist. Jedoch ist Vorsicht geboten, weil Neuerungen sich nicht nur
über eine geschlossene Front oder frontale Mischgebiete, sondern
auch durch „punktuelle Strahlung" verbreiten können. Eine En-
klave kann deshalb nicht nur Relikt eines früheren Zustandes, son-
dern auch Vorbote einer neuen Situation sein. Welche Interpretation
richtig ist, kann nur durch zusätzliche Informationen entschieden
werden. Dazu gehören die Kenntnis von Generationsunterschieden
in der Insel und auch die der Topographie der Enklave. Verkehrsent-
legene Inseln sind in der Regel Reliktgebiete, großstädtische Enkla-
ven das Ergebnis einer Neuerung. Kleinstädtische Inseln können -
wie großstädtische — Neuerungsareale sein, indem die Stadt sich aus
einem weiter entfernten Gebiet eine Prestigeform herangeholt hat.
In anderen Fällen sind sie Reliktenklaven, wenn sie nämlich eine
frontal vorstoßende Neuerung der Umgebung abgelehnt haben; bei
solchen Beispielen ist ein kleinstädtisches Prestigebedürfnis mit ei-
nem ländlichen, das sich großräumiger orientiert hat, in Konflikt ge-
raten.

Karte 9 enthält mehrere Enklaven. Eine Neuerungsinsel finden wir


um Köln: „In der Fortsetzung der Stoßrichtung liegend, hat das Kul-
turzentrum Köln mitten in altem van-Gebiet ebenfalls kulturdeut-
sches von übernommen und zu vun vermundartlicht, das es, in all-
mählicher ring- und wellenförmiger Ausformung, an die umgebende
Landschaft weitergibt" (9).

Auf den verkehrsentlegenen Westerwaldhöhen befinden sich Relikt-


enklaven: ein kleines twi-Gebiet südlich der van/von-Grenze, In-
selchen mit altem /-Ausfall in als, der linksrheinisch bis Krefeld und
rechtsrheinisch bis zur Sieg rückgängig gemacht worden ist, schließ-
lich eine größere, sich südöstlich der Lahn fortsetzende Insel mit
der Konjunktion en (aus altem inde) für „und". Dieses inde hält sich
auch noch, in der lautgesetzlichen Gestalte«, in einer westlichen Re-
liktinsel, die Luxemburg und kleine Teile der Schnee-Eifel und
Nordlothringens umfaßt. Sonst ist es von der hochdeutschen Form
und (un, on) überflutet worden, die — von kleinen e«-Zipfeln bei
Aachen und Gangelt an der niederländischen Grenze abgesehen -
jetzt bis Kleve reicht.
2.4. Interpretation von Sprachkarten 81

Im L u x e m b u r g i s c h e n u n d der sich weiter anschließenden „ S a u m -


z o n e der französischen K u l t u r s p h ä r e " abseits der R h e i n s t r a ß e ist
d a s t/MH-Areal (10) ebenfalls als Reliktgebiet zu b e t r a c h t e n , d e n n das
u setzt hier im Gegensatz zu d e m u im H u n s r ü c k u n d in d e r Pfalz, al-
tes α f o r t (11). Schließlich bildet L u x e m b u r g einen Reliktbereich mit
einer M i s c h u n g v o n d s undals f ü r „ a l s " südlich d e r Grenze zwischen
diesen beiden F o r m e n (12).

Ein b e k a n n t e s Beispiel einer kleinstädtischen Reliktinsel ist E u p e n ,


d a s zahlreiche N e u e r u n g e n , die von A a c h e n aus ü b e r die u m g e b e n -
d e n D ö r f e r ausgestrahlt w u r d e n , nicht ü b e r n o m m e n h a t (13).

4. Die Form der Areale: Dialektareale h a b e n o f t auffällige F o r m e n ,


die an geometrische Figuren erinnern. Es gibt Gebiete in F o r m eines
Kreises, eines Schlauchs, eines Trichters, eines Rings. Diese F o r m e n
sind nicht das Ergebnis des Z u f a l l s ; sie sind im Gegenteil d u r c h spe-
zifische S p r a c h b e w e g u n g e n z u s t a n d e g e k o m m e n . M a n k a n n des-
h a l b versuchen, aus der F o r m d e r Areale die R i c h t u n g der sprachge-
o g r a p h i s c h e n Verschiebungen abzuleiten (14).

Als T r i c h t e r bezeichnet m a n einen keilförmig in ein anderes Gebiet


v o r s t o ß e n d e n Teil eines Dialektareals. Beispiele auf Karte 9 sind d e r
n o r d w ä r t s gerichtete Keil des fOtt-Bereichs beiderseits des Rheines
zwischen Koblenz u n d B o n n u n d des als-Gebiets a m linken Rhein-
ufer bei Krefeld. Sehr h ä u f i g befindet sich in d e r Spitze des Trichters
eine Stadt (Fig. 4,3). M a n ist d a n n dazu geneigt, die T r i c h t e r f o r m als
d a s Ergebnis einer N e u e r u n g a u f z u f a s s e n , w o b e i „ d a s keilförmige
V o r d r i n g e n einer S p r a c h e r s c h e i n u n g mit bedingt w o r d e n ist d u r c h
einen v o r d e r Spitze des Keils liegenden städtischen Anziehungs-
p u n k t , in d e m die von d e m Keil vorgetriebenen F o r m e n d u r c h p u n k -
tuelles V o r r ü c k e n bereits üblich g e w o r d e n s i n d " (15). Dieses Ver-
hältnis findet m a n auf Karte 9 bei d e m südlichen f ow-Gebiet u n d der
van-Insel u m Köln. D u r c h Z u s a m m e n w i r k u n g von S t o ß k r a f t an der
Frontlinie u n d A n z i e h u n g s k r a f t der Insel k a n n d e r T r i c h t e r sich
d a n n erweitern bzw. verschieben. Ein b e k a n n t e s Beispiel ist die
trichterartige V e r b r e i t u n g d e r zweiten L a u t v e r s c h i e b u n g in einem
ostniederdeutschen Bereich, in d e m Berlin als anziehendes Z e n t r u m
fungiert h a t (16).
82 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Es gibt jedoch auch trichterförmige Areale, die ihre Entstehung der


Übernahme einer Neuerung durch eine ländliche Gegend verdan-
ken, während eine Stadt (meistens eine Kleinstadt) in diesem Gebiet
an der alten Sprachform festhielt, so daß die neue sich beiderseits an
ihr vorbeischob. Es gibt m. a. W. nicht nur Expansionstrichter, son-
dern auch Relikttrichter. Als Beispiel kann auf Karte 9 der Keil mit
en für „und" um Aachen und Eupen gelten, der sich als Rest eines
früher größeren ««-Gebiets östlich der deutsch-niederländischen
Grenze hat behaupten können (17).

Kreisförmige Areale können als Enklaven sekundär von einem


Hauptgebiet mit derselben Sprachform getrennt oder von dort aus
durch Strahlung entstanden sein (vgl. oben unter 3 und Fig. 4,2); sie
können jedoch auch ohne eine Beziehung zu einem solchen Haupt-
gebiet diese spezifische Gestalt angenommen haben. In der Regel
liegt in ihrer Mitte eine Stadt. Diese kann sowohl durch Ausstrah-
lung eigener Neuerungen als durch eine Abwehrhaltung gegen In-
novationen, die aus verschiedenen Richtungen auf ihre Umgebung
einwirken, das Entstehen kreisförmiger Areale verursachen. P. von
Polenz hat gezeigt, daß die dialektgeographische Struktur der Um-
gebung von Altenburg in Thüringen als Ganzes eine kreisförmige Ge-
stalt hat. Karte 10 ist die Kombinationskarte der von ihm gefunde-
nen Isoglossen. Polenz erklärtdiese spezifische Struktur „durch ein
aktives Verhalten des Kerngebietes gegenüber sprachgeographi-
schen Vorgängen in der Vergangenheit, das sich meist in der Abwehr
von Sprachformen der Nachbargebiete oder der höheren sprachso-
ziologischen Schichten, bisweilen auch in einer Neigung zum
„Sprachanschluß" offenbart, aber stets in einerTendenz zur Sprach-
vereinheitlichung im Innern des Kerngebietes" (18).

Auch schlauchartige (Fig. 4,4) und ringförmige (Fig. 4,5) Dialekt-


areale können sowohl durch Rückzugs- als durch Vorschubslinien
abgegrenzt werden. Erstere können ein Barrierenrelikt mit einer
Restform A zwischen zwei von entgegengesetzten Seiten vordrin-
genden Sprachformen Β und C enthalten oder aber ein Grenzrelikt A
zwischen einer expansiven Form Β und einem leeren Raum C (die
Grenze zwischen A und C ist dann eine Sprachscheide ersten oder
zweiten Grades bzw. eine Küstenlinie oder eine andere Grenze eines
unbesiedelten Raumes) (19). Neuerungsareale mit Schlauchform
2.4. Interpretation von Sprachkarten 83

KombinaHonskarle
Errechnet nach der Häufigkeit der Teilstrecken

0 bl$ 5 m a l
— — 21 bis 30mal • • • 61 bis 80 mal
6 " 10 ·

^ _ 31 . +0 .. B · 81 " 100
41 6
" °- · 1 101 "126

K a r t e 10

können das Ergebnis eines Vorstoßes entlang einer Verkehrsstraße


sein (20) oder durch sprachinterne Ursachen zustande k o m m e n
84 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

(vgl. 2.4.2). Ringförmige Reliktgebiete entstehen dadurch, daß eine


Sprachform A, deren Verbreitung unter dem Einfluß einer Stadt eine
kreisförmige Gestalt angenommen hat, vom gleichen Zentrum aus
durch eine Neuerung Β verdrängt wird, die noch nicht zu den Rän-
dern von A vorgestoßen ist. Neuerungsringe entstehen wieder durch
sprachinternen Druck oder als Reaktionserscheinung (21).

Die Feststellung, daß jede spezifische Form eines Dialektareals so-


wohl die Folge von Vorschubs- als auch von Rückzugsbewegungen
sein kann, führt zu dem Schluß, daß sie allein noch keine Beweis-
kraft für die Richtung der sprachgeographischen Verschiebungen
besitzt; dieses Argument kann nur als Stütze in einer Beweisführung
fungieren.

5. Staffellandschaften: Ein Verfahren, das nur in der Lautgeogra-


phie verwendet werden kann, ist das Ziehen von Schlüssen über die
Richtung einer Sprachbewegung aus der staffelartigen Begrenzung
eines Lautgesetzes. Zwischen dem Areal einer Neuerung und dem
einer älteren Lautstufe kann es einen Ubergangsbereich geben, in
dem die Grenzen bei den einzelnen Wörtern mit einem ursprünglich
gemeinsamen Phonem nicht zusammenfallen. Daraus wird abgelei-
tet, daß die Dialekte im Übergangsgebiet die Wörter in der neuen
Lautgestalt einzeln übernommen haben.

Das bekannteste Beispiel im deutschen Sprachraum ist der sog. rhei-


nische Fächer (Karte 1), das westliche Übergangsgebiet zwischen
dem oberdeutschen Bereich, in dem die zweite Lautverschiebung
konsequent durchgeführt wurde, und dem niederdeutsch-nieder-
ländischen, in dem sie fehlt. In dieser Übergangszone wird die Zahl
der Fälle mit Lautverschiebung von Süden nach Norden immer ge-
ringer. Die Karte enthält die Hauptlinien der Staffellandschaft: 1.
die Speyerer Linie, die bei Speyer den Rhein überquert; südlich da-
von findet man Verschiebung von ρ zu pf in Pfund und in den mei-
sten Wörtern mit altem p in starker Position; 2. die Hunsrücklinie:
südlich davon tritt zweite Lautverschiebung auf bei t in Kleinwör-
tern wie das und was und in flektierten neutralen Adjektivformen
(kleines); 3. die Eifellinie: südlich davon tritt Verschiebung von ρ
nach Liquid auf (helfen, Dorf); 4. die Benrather Linie, die beim Düs-
seldorfer Ortsteil Benrath den Rhein überquert: hier finden sich die
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 85

meisten Nordsüdgegensätze, bei p und k in schwacher Stellung


(schlafen, machen) und bei t in schwacher (essen) und starker Posi-
tion (Katze); 5 . die Uerdinger Linie, die bei Uerdingen nahe Duis-
burg den Rhein schneidet: die letzten Ausläufer der zweiten Laut-
verschiebung, ich und auch, reichen bis hier, ebenso wie die Prono-
minalformen mich, dich, euch, denen an der Nordseite keine For-
men mit k, sondern mit vokalischem Auslaut entgegenstehen. Th.
Frings betrachtet die staffelartige Verbreitung der zweiten Lautver-
schiebung als einen Beweis für seine These, daß diese im Rheinland
aus dem Süden importiert wurde, und zwar mit geringer werdender
Wirkung je nach weiterer Entfernung vom Ursprungsgebiet (22).

Auch dieses Kriterium muß mit Vorsicht benutzt werden, weil es


denkbar ist, daß durch einen jüngeren Gegendruck aus dem Areal
mit der „ursprünglicheren" Lautform ein Zustand der Lautgesetz-
mäßigkeit in einem Teil des Neuerungsgebietes nachträglich durch-
brochen worden ist. R. Schützeichel versucht auf diese Weise die
Tatsache zu erklären, daß im Ripuarischen die Lautverschiebungs-
linien bei einer Reihe von einzelnen Wörtern nicht zusammenfallen.
Dies sei einem jüngeren Gegendruck aus den Niederlanden zuzu-
schreiben (23). Auch in der Annahme, daß diese Interpretation der
Verhältnisse für einen Teilbereich des rheinischen Fächers zutrifft,
vermag sie jedoch nichtFrmgs' Erklärung des Gesamtbildes als eines
der wichtigsten Ergebnisse der deutschen Dialektologie und Sprach-
geschichte zu verunsichern (24).

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß in mehreren Veröffent-


lichungen zur deutschen Dialektologie der Ausdruck Staffel-, Trep-
pen· oder Stufenlandschaft in einer von unserer Definition abwei-
chenden Bedeutung verwendet wird (25), nämlich als Dialektgebiet,
in dem mehrere Isoglossen stufenartig mehr oder weniger parallel
laufen, ohne daß die Bedingung gestellt wird, daß sie Teile eines
Lautgesetz-Komplexes begrenzen. Auf solche Bereiche sind die ge-
gebenen Deutungsprinzipien nicht ohne weiteres anwendbar, weil
hier der innere Zusammenhang der Linien zunächst noch bewiesen
werden muß. Bei vorkommendem Linienparallelismus in einer an-
deren Richtung im selben Gebiet muß in solchen Fällen sogar vorher
bewiesen werden, daß die eine Staffelung bildenden Linien der er-
sten Gruppe nicht willkürlich ausgewählt worden sind.
86 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

6. Historisches Sprachmaterial: Die Untersuchung lokalisierter


Texte aus der Zeit vor der Entstehung der modernen Nationalspra-
chen kann uns darüber informieren, ob eine Spracherscheinung, die
in einer modernen Mundart vorkommt, an dem betreffenden Ort
zur Zeit der Niederschrift schon existierte. Wenn man über histori-
sches Material aus verschiedenen Orten eines Areals verfügt, kann
man historische Sprachkarten zeichnen (26) und durch einen Ver-
gleich der heutigen mit der früheren Lage die Richtung der Ver-
schiebungen feststellen. So sind in den Urkunden eines Gebietes um
Koblenz, das nach Karte 9 von sagt, im Spätmittelalter überall noch
¡^«-Schreibungen belegt. Jedoch hat „bis zur Mitte des 15. Jahr-
hunderts . . . die südliche Form von alle Kanzleiorte des Gebietes er-
faßt und ist seitdem überall in der Urkundensprache gebräuchlich"
(27).

Auch hier ist Vorsicht geboten, weil die Auffassung, die alten ge-
schriebenen Sprachformen spiegelten die damaligen Mundarten wi-
der, gewiß zu einfach ist: Kommt es doch wiederholt vor, daß die
heutigen Dialekte an einer Sprachform festhalten, die nach der
schriftlichen Uberlieferung schon in der Zeit vor der Übernahme ei-
ner Einheitssprache von einer anderen verdrängt wurde (28). Neue-
ste Untersuchungen, die das historische Material nach Textsorten
gliedern, zeigen außerdem eine diasituative Gliederung, die sich in
unterschiedlichen Verbreitungen historischer Sprachdaten sichtbar
macht (29). Das Bild, das alte Texte uns von der früheren Mundart
geben, ist also unvollständig und manchmal fehlerhaft (30): Ihre
Untersuchung setzt uns primär in den Stand, geographische Ver-
schiebungen in der Schreibsprache selbst in früheren Jahrhunderten
zu studieren; bei der Interpretation heutiger dialektgeographischer
Verhältnisse kann sie, wie die Beobachtung der Form der Areale, nur
Stütze in einer Beweisführung sein.

Auf die Bedeutung der extra-linguistischen Arbeitsweise im deut-


schen Sprachgebiet wird im dritten Abschnitt eingegangen. Es ge-
nügt hier, in diesem Zusammenhang zwei Feststellungen zu machen.
Die erste ist, daß in der deutschen Dialektologie bis in die zweite
Hälfte dieses Jahrhunderts Sprachkarten fast ausschließlich nach
dieser Methode interpretiert wurden, was wohl hauptsächlich durch
den Einfluß führender Forscherpersönlichkeiten wie Ferdinand
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 87

Wrede und Theodor Frings zu erklären ist. Auch heute ist sie übri-
gens nicht veraltet. Sie hat im Gegenteil feste Ergebnisse gezeitigt
und wird zweifellos auch in Zukunft solche erreichen. Das ist der
Unanfechtbarkeit ihrer Grundvoraussetzung zuzuschreiben, daß es
expansive und rezeptive Sprachlandschaften gibt, deren „gebender"
oder „empfangender" Charakter offenbar von außersprachlichen,
gutteils soziologischen Faktoren bestimmt wird.

Die zweite Feststellung ist, daß nicht alle Verbreitungen von Sprach-
erscheinungen extra-linguistischen Ursachen zugeschrieben wer-
den können. Es gibt viele Isoglossen, deren Verlauf man auf diese
Weise nicht befriedigend erklären kann, für die also eine andere
Deutung versucht werden muß. Weiter leuchtet es ein, daß die ex-
tra-linguistische Methode zwar Erklärungen für die Verbreitung
von Sprachelementen gibt, aber nicht erklärt, wie es überhaupt zur
sprachgeographischen Kontrastbildung kommen konnte. Sie stellt
mit anderen Worten nicht die Frage nach dem Entstehen der Sprach-
erscheinungen, deren Verbreitung auf Sprachkarten fixiert wird.
Schließlich ist zu bemerken, daß die meisten Vertreter der extra-lin-
guistischen Schule die Verbreitung isolierter sprachlicher Elemente
studiert haben, ohne auf den strukturellen Zusammenhang zu ach-
ten, wodurch in ihren Studien die Gefahr einer falschen Interpreta-
tion immer vorhanden ist (31).

Diese Überlegungen liegen der immer deutlicher werdenden Zu-


wendung zur strukturellen Sprachgeographie seit den fünfziger Jah-
ren zugrunde. Diese hat versucht, Lösungen für die aus einer kriti-
schen Betrachtung der extra-linguistischen Methode sich ergeben-
den Desiderate zu finden. Neue Möglichkeiten der Darstellung
sprachgeographischer Probleme und der Erklärung für die Verbrei-
tung von Spracherscheinungen wurden gesucht und entwickelt.
Schließlich versucht die strukturelle Methode durch die Anwendung
intern-linguistischer Prinzipien einen Beitrag zur Lösung der Frage
nach den Ursachen des Sprachwandels zu liefern.

Anmerkungen

(1) Vgl. d a s d r e i b ä n d i g e W e r k von Tb. Frings, S p r a c h e und Geschichte.


H a l l e (Saale) 1 9 5 6 . Die Arbeit von A. Bach, D e u t s c h e M u n d a r t f o r -
88 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

schung, Heidelberg 3 1 9 6 9 kann als Handbuch der extra-linguistischen


Methode betrachtet werden.
(2) Zahlreiche Untersuchungen dieser Art — meistens Dissertationen — sind
in der Reihe DDG erschienen.
(3) E. Schnellbacher, Mundart und Landschaft des östlichen Taunus.
Marburger Universitätsbund, Jahrbuch 1963, 3 7 5 - 4 9 9 . Zitat S. 4 4 5 .
(4) Th. Frings, Sprache. In: H. Aubin, Th. Frings, ]. Müller, Kulturströ-
mungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Bonn ' 1 9 2 6 ,
9 0 - 1 8 5 . Darmstadt 2 1 9 6 6 , 9 0 - 1 8 9 . Auch in Th. Frings (wie Anm. 1 ) II,
40-147.
(5) Übernommen aus Aubin - Frings - Müller 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 101.
(6) Frings, Sprache 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 154.
(7) Frings, Sprache 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 155.
(8) Die Karte basiert auf Material des DSA, das Ende des 19. Jhs. gesam-
melt wurde.
(9) Frings, Sprache 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 1 0 2 - 1 0 3 .
(10) Für das Luxemburgische enthält Karte 9 keine Belege. Vgl. jedoch
R. Bruch, Luxemburgischer Sprachatlas, für den Druck vorbereitet von
]. Goossens. Marburg 1963, Karte 76.
(11) Frings, Sprache 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 102.
(12) Bruch (wie Anm. 10), Karte 151.
(13) W. Welter, Die niederfränkischen Mundarten im Nordosten der Pro-
vinz Lüttich. Den Haag 1933, vor allem S. 1 8 9 - 1 9 3 .
(14) Vgl. H. Becker, Uber Trichterwirkung, eine besondere Art von Sprach-
strömung. Z M F 18 (1942), 5 9 - 6 7 . ]. Goossens, Kroonvormige dia-
lectgebieden. Handelingen v. d. Kon. Zuidnederlandse Maatschappij
voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis 17 (1963), 2 5 3 - 2 6 8 .
(15) A. Bach, Deutsche Mundartforschung. Heidelberg 3 1 9 6 9 , 140.
(16) Abbildungen bei Becker (wie Anm. 14), 67, Bach (wie Anm. 15), 142
und V. Schirmunski, Deutsche Mundartkunde. Berlin 1962, 125.
(17) Vgl. Frings, Sprache 2 1 9 6 6 (wie Anm. 4), 100.
(18) P. von Polenz, Die altenburgische Sprachlandschaft. Tübingen 1954,
8 4 - 9 8 . Zitat S. 2 0 6 - 2 0 7 . Karte 10 ist bei von Polenz ebenfalls Karte 10.
(19) Beispiele von Barrieren- und Grenzrelikten bei Bach (wie Anm. 15),
152-156.
(20) Ein Beispiel ist die Karte auf S. 137 bei Bach (wie Anm. 15). Auf diese
Schläuche ist das Modell 4,4 nicht anwendbar, weil sie ohne ein spezifi-
sches Verhältnis zu einem Gebiet Β und C zustande kommen.
(21) Beispiele ringförmiger Dialektgebiete bei Goossens (wie Anm. 14) und
id., Inleiding tot de Nederlandse Dialectologie. Tongeren 1972, 8 2 - 8 4 .
Ein deutsches Beispiel ist die Bedeutungskarte „Korn" des ADV (Karte
1,14), die in der vorliegenden Arbeit auf S. 97 besprochen wird.
2.4. Interpretation von Sprachkarten 89

(22) Vgl. Th. Frings, Rheinische Sprachgeschichte. In: Geschichte des Rhein-
landes von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, 1922 und separat, Essen
1924. Auch in Th. Frings (wie Anm. 1), I, 1 - 5 4 . Andere bekannte Bei-
spiele aus dem Rheinland hat Frings auf ähnliche Weise gedeutet in Au-
bin - Frings — Müller (wie Anm. 4). Vgl. da vor allem die Karten auf
S. 120 und 127 in der Auflage von 1966.
(23) R. Schützeichel, Köln und das Niederland. Groningen 1963.
(24) Kritik an Schützeichels Interpretation des rheinischen Fächers bei
]. Goossens, Pseudo-Lautverschiebung im niederländischen Sprach-
raum. Niederdeutsches Jahrbuch 91 (1968), 7 - 4 1 .
(25) Vgl. etwa W. Henzen, Schriftsprache und Mundarten. Bonn 2 1 9 5 4 ,
2 2 8 - 2 3 1 . A.Bach (wie Anm. 1), 1 4 4 - 1 4 6 . W.Kleiber, Westober-
deutsch. LGL 3 5 5 - 3 6 3 .
(26) Als (heute schon leicht veraltete) Einführung in die historische Areal-
linguistik ist geeignet: F. Maurer (Hrsg.), Vorarbeiten und Studien zur
Vertiefung der südwestdeutschen Sprachgeschichte. Stuttgart 1965.
(27) Vgl. R. Schützeichel. Mundart, Urkundensprache und Schriftsprache.
Bonn 2 1 9 7 4 , 8 6 - 9 3 . Karte S. 88. Zitat S. 89.
(28) Ein Beispiel ist die Karte mit dem vokalischen Gegensatze// in lieb auf
S. 70 bei Schützeichel (wie Anm. 27).
(29) K. Kunze, Textsorte und historische Wortgeographie. Am Beispiel
Pfarrer/Leutpriester. In: P. Kesting (Hrsg.), Würzburger Prosastudien
II. Kurt Ruh zum 60. Geburtstag. München 1975, 3 5 - 7 6 .
(30) V. Schirmunski, Probleme der vergleichenden Grammatik der deut-
schen Mundarten (PBB Halle 79 (1957), Sonderband, 352), sagt sogar,
dal? „die mundartlichen Verhältnisse des Mittelalters . . . durch die
handschriftliche Uberlieferung eher verdeckt als in unzweideutiger
Weise bezeichnet werden".
(31) Es sei jedoch zugegeben, daß der Atomismus kein inhärenter Fehler der
extra-lingu istisch en Methode ist. Wir stellen bloß fest, daß dies die übli-
che Verfahrensweise extra-linguistischer Veröffentlichungen ist.

2.4.2. Die intern-linguistische Methode

Intern-linguistisch ist eine Interpretation, die das Kartenbild durch


Faktoren innerhalb der Sprachsysteme erklärt. Ihr Ausgangspunkt
ist, daß in einem mangelhaften, schlecht funktionierenden System
die Elemente umstrukturiert und gegebenenfalls ergänzt werden:
dadurch wird das verlorene innere Gleichgewicht wiederhergestellt.
Die Hypothese, die diesem Gedanken zugrunde liegt, lautet, daß in
der Sprachentwicklung eine Teleologie wirksam ist, d. h. eine Ge-
90 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

richtetheit der Systeme, optimal zu funktionieren. Es wird ange-


nommen, daß diese Teleologie von einer Reihe von Tendenzen ge-
steuert wird, deren kausale Erklärung eine Aufgabe der Psycholin-
guistik ist (1). Auf jeden Fall impliziert die Annahme solcher Ten-
denzen eine innere Kausalität in der Sprachentwicklung. Beispiele
aus der Theorie der historischen Phonologie sind etwa die Tendenz
zur Symmetrie in Phonemsystemen, das Bestreben, Lücken in Pho-
nemsystemen zu vermeiden, das Prinzip der maximalen phoneti-
schen Differenzierung zwischen angrenzenden Phonemen. Im dia-
chronischen Studium des Wortschatzes rechnet man zu den betref-
fenden Tendenzen die Bestrebungen, in gewissem Ausmaß Homo-
nymie, Polysemie und Synonymie zu vermeiden.

Es ist nicht die Aufgabe der Dialektologie, theoretisch zu untersu-


chen, inwiefern die genannten Tendenzen einer linguistischen Reali-
tät entsprechen. Doch kann, wenn gezeigt wird, daß eine intern-lin-
guistische Deutung bestimmter Kartenbilder sinnvoll ist, a poste-
riori daraus sich die Rechtfertigung ihrer Formulierung ergeben.
Auf diese Weise ist dann zwar nicht die Einsicht in das Warum dieser
Tendenzen vertieft worden, wohl aber ist ihre faktische Existenz
bewiesen.

Auf Sprachkarten muß die Teleologie sich so bemerkbar machen,


daß gerade in den Arealen, in denen für einen Zeitraum in der Ver-
gangenheit eine Defektivität der Systeme postuliert werden kann,
Spracherscheinungen auftreten, die sich als Folge interner Tenden-
zen interpretieren lassen. Die Beweisführungen können in zwei
Punkten zusammengefaßt werden:

1. Koinzidenz von Isoglossen: Das erste Argument in der intern-lin-


guistischen Beweisführung ist dem ersten der externen Methode
ähnlich. Im Gegensatz zu letzterer, die der Frage nachgeht, ob be-
stimmte Isoglossen mit Verkehrsgrenzen zusammenfallen, unter-
sucht man beim Aufbau einer internen Argumentation, ob be-
stimmte Isoglossen mit anderen Isoglossen koinzidieren. Wenn man
zwischen zwei verschiedenen Spracherscheinungen einen Zusam-
menhang vermutet, der darin besteht, daß die eine Erscheinung in-
folge des Auftretens der anderen, die ohne das Vorkommen der er-
sten eine Defektivität zur Folge haben müßte, entstanden ist, dann
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 91

vergleicht man Karten miteinander, auf denen beide abgegrenzt


sind. Wenn aus dem Vergleich hervorgeht, daß die Areale, in denen
beide Erscheinungen auftreten, bei vollkommenem Zusammenfall
der Isoglossen sich gegenseitig überdecken, so hält man den postu-
lierten kausalen Zusammenhang für bewiesen. Ebenso wie bei der
extra-linguistischen Methode ist die Beweisführung um so zwingen-
der, über je größere Entfernung die Grenzen zusammenfallen. Auf
diese Weise hat man bisher versucht, die innere Kausalität lexikali-
scher und phonologischer Neuerungen zu demonstrieren.

Das klassisch gewordene lexikalische Beispiel ist die Verbreitung der


Bezeichnungen für den Hahn in der Gaskogne, die v o n ] . Gilliéron
und M. Roques folgendermaßen interpretiert wurde (2). In Süd-
westfrankreich wurden gallus „ H a h n " und cattus „ K a t z e " durch
die Wirkung zweier Lautgesetze zu Homonymen: lat. -//- wurde hier
im Auslaut zu -f; außerdem wurde anlautendes c- zu g- lenisiert.
„Les descendants de gallus devaient, au mépris de la zoologie la plus
élémentaire, aboutir, ce qu'on ne pouvait raisonnablement tolérer, à
se transformer . . . en chats". In dem Gebiet, wo lautgesetzlich Ho-
monymie hätte entstehen müssen (in der Form gat), fehlt der Nach-
folger von gallus; der Hahn heißt hier bigey(= viguier) „Dorfrich-
t e r " , azä ( = faisan) oder put ( = lat. pullus). Die Tatsache, daß die
Grenze des Gebietes, wo statt der lautgesetzlichen Fortsetzungen
von gallus andere Ausdrücke zur Bezeichnung des Hahnes auftreten,
mit der Linie zusammenfällt, die das Gebiet begrenzt, wo lautgesetz-
lich Homonymie von gallus und cattus hätte entstehen müssen, wird
von Gilliéron und Roques als Beweis für den Schwund von gallus
durch Homonymenfurcht angesehen. Es gibt allerdings eine Schwie-
rigkeit: Das Wort pullus, das den südöstlichen Teil des Gebiets ein-
nimmt, wo gallus und cattus haben kollidieren müssen, setzt sich
jenseits der Grenze der Entwicklung von -II- zu-t fort. Gilliéron und
Roques nehmen an, daß pullus, ursprünglich die Bezeichnung für
den jungen Hahn, in dem Bereich beiderseits dieser Grenze bereits
die Bedeutung „ H a h n " schlechthin angenommen hatte, bevor die
Kollision von gallus und cattus entstand. Doch ist denkbar, daß gal-
lus westlich der Lautgrenze infolge der Homonymenfurcht durch
pullus ersetzt wurde und dieser Ausdruck sich später in seiner neuen
Bedeutung auch östlich der Grenze durchsetzte, wo er nicht zur Be-
seitigung der Folgen einer lautlichen Kollision einem sprachlichen
92 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

Bedürfnis entsprach. Auf jeden Fall ist die Beweisführung für das
Verschwinden von gallus durch Homonymenfurcht gerade wegen
der Verbreitung der pullus-ΐormen nicht vollkommen befriedigend
(3).

In der diatopischen Phonologie ist das Prinzip der Koinzidenz von


Isoglossen erst in jüngerer Zeit angewendet worden. Bekannt ist hier
vor allem W. Moultons Untersuchung der ostschweizerischen Vo-
kalsysteme (4). Ausgangspunkt ist das mhd. Vokalsystem (ohne die
Diphthonge) :
i ü u î iu û

e Ö 0 ê œ ô

ë () Se â

ä a

Dieses System war in zweifacher Hinsicht asymmetrisch: innerhalb


des Teilsystems der Kurzvokale gab es eine Asymmetrie zwischen
2.4. Interpretation von Sprachkarten 93

Vorderreihe (4 Stufen) und Hinterreihe (3 Stufen, mit einer Lücke


zwischen o und a), im Gesamtsystem eine zwischen den Kurzvoka-
len (4 Stufen) und den Langvokalen (3 Stufen). M o u l t o n zeigt, daß
in den ostschweizerischen M u n d a r t e n das Gleichgewicht überall
nachträglich wiederhergestellt w u r d e (Karte 11).

Bei den Kurzvokalen geschah dies durch Entwicklungen der Vorder-


reihe und durch eine „ V o k a l s p a l t u n g " . In der Vorderreihe dieser
G r u p p e sind die vier folgenden, geographisch unterschiedlichen
Entwicklungen zu beobachten:

Β C D
í —- /i/ i —· /i/ i — /i/ i —• /i/

e —'Id •Id e —-Id e—'Id


/
ë ë c —ΊεΙ ë—τ/ε/
\

ä —1'Isel ä—•/<*/ à
/
Das Kurzvokalsystem b e k o m m t demnach in diesen vier Gebieten
folgende Gestalt

Α und Β i ü u C i Ü u D i ü u

e o o e Ö 0 e o o

se a ε () ε ( )

se a a

Die Entwicklungen A und B, die im zentralen Teil des Untersu-


chungsgebiets anzutreffen sind (im Areal mit dem Zeichen Igel im
unteren rechten Teil der Figur) führen also zu einem Vierecksystem
mit drei Ö f f n u n g s g r a d e n , das auch mit dem Langvokalsystem voll-
k o m m e n harmoniert. Bei Entwicklung C (im Osten: / e / + / » / ) dage-
gen h a t sich bei den Kurzvokalen der Vorderreihe nichts geändert;
deshalb blieb hier das m h d . asymmetrische System bewahrt. Bei D
(im N o r d e n : lei) w a r das Ergebnis ein asymmetrisches Dreieck-
system. In den Fällen C und D blieb also eine doppelte Unregelmäßig-
94 2 . Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

keit bestehen. Aber gerade in den Gebieten mit diesen beiden Ent-
wicklungen setzte sich die „ostschweizerische Vokalspaltung"
durch, das heißt eine Entwicklung bei den Kurzvokalen, die folgen-
dermaßen dargestellt werden kann:

Die Vokalspaltung findet sich überall, wo die Entwicklung der Vor-


derreihe keine Symmetrie im System herbeigeführt hatte (m. a. W .
in den Gebieten C und D , die beide das Zeichen loi + /d/ im linken
Teil der Figur haben). Andererseits kommt sie fast nirgends in den
Bereichen vor, wo durch die Entwicklung der Vorderreihe eine
Symmetrie entstanden war (m. a. W . in den Gebieten A und B, das
heißt in dem zentralen Areal mit l o i ) . In der Tatsache, daß die Ab-
grenzung der Vokalspaltung nahezu vollkommen mit jener der
Entwicklungen C und D zusammenfällt, erblickt Moulton einen
Beweis für seine These, daß die Spaltung sich durch innere Kausali-
tät, das heißt durch Systemzwang vollzogen hat.

Auch in den Langvokalsystemen der Ostschweiz haben Entwick-


lungen stattgefunden, die durch Dehnung alter Kürzen in bestimm-
ten Stellungen verursächt wurden. In dem zentralen Gebiet mit den
Entwicklungen A und Β bei den vorderen und Fehlen der Vokalspal-
tung bei den hinteren Kürzen entstanden dadurch jedoch keine
neuen hinteren Längen, so daß sich hier zwischen den beiden extre-
men Vokalen dieser Reihe, / ä / und /ü/, nur ein Langvokal befindet:
das l o i im oberen rechten Teil der Figur. In den Arealen C und D, die
durch die oben beschriebenen Entwicklungen vierstufige Kurzvo-
kalsysteme haben, entwickelte sich gedehntes a zu / ä / und altes â zu
offenem langem / 5 / . Dadurch entstand hier eine vierstufige hintere
Reihe (lü/, / δ / , /:?/, / ä / ) , in der sich zwischen den beiden extremen
Vokalen zwei Längen befinden: loi und 151 des oberen rechten Teils
der Figur.

Durch die beschriebenen Entwicklungen wurde also eine doppelte


Symmetrie im Vokalsystem wiederhergestellt: 1. die zwischen Hin-
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 95

ter- und Vorderreihe bei den Kürzen; 2. die zwischen dem System
der Kürzen und jenem der Längen. Für die innere Kausalität der Vo-
kalspaltung wird eine doppelte Koinzidenz von Isoglossen als Ar-
gument verwendet: 1. Die Grenzen des Spaltungsareals fallen mit
denen des Gebietes zusammen, in dem bei der Entwicklung der Vor-
derreihe der Kurzvokale keine Symmetrie zustande gekommen war;
2. Sie fallen ebenfalls zusammen mit denen des Bereichs, in dem ein
vierstufiges Langvokalsystem entstanden war.

Die Vokalspaltung hat nicht nur eine Symmetrie wiederhergestellt,


sondern auch überall, wo eine Lücke im System vorkam, diese auf-
gefüllt; dort, wo keine Lücke bestand, hat auch die Spaltung nicht
gewirkt. Schließlich hat die Vokalspaltung nur dort stattgefunden,
wo das Kurzvokalsystem nicht die Gestalt eines regelmäßigen Drei-
oder Vierecks hatte; im zentralen Bereich mit seinem regelmäßigen
Vierecksystem findet sich auch keine Spaltung (5).

2. „Narben": Die Grenze zwischen zwei geographisch kontrastie-


renden Spracherscheinungen kann, wenn sie eine Defektivität im Sy-
stem verursacht, bildhaft gesprochen als eine Wunde in der Sprach-
landschaft betrachtet werden. Nach der Heilung dieser Wunde kann
eine Narbe zurückbleiben: anstelle einer Linie erscheint dann ein
schmaler Streifen, ein schlauchartiges Areal zwischen den beiden Er-
scheinungen, die sich vorher direkt berührten.

In den bisher bekannten Fällen handelt es sich um Reaktionser-


scheinungen im lexikalischen Bereich. In Kontaktstreifen zwischen
zwei Arealen A und Β kommen zwei verschiedene Wortformen a
und b mit gleichem Inhalt oder umgekehrt eine Wortform mit zwei
verschiedenen Inhalten a und β nebeneinander vor. Im ersten Fall
kann durch die dialektgeographische Situation in diesem Streifen
Synonymie entstehen, im zweiten Polysemie. Von diesen beiden Er-
scheinungen wird angenommen, daß die Sprache unter Umständen
gegen sie reagiert (6).

Gegen Synonymie auf der Grenze zwischen zwei Arealen mit ver-
schiedenen Wortformen identischen Inhalts sind mehrere Typen
von Reaktionserscheinungen entdeckt worden (7). Die bekannteste
besteht darin, daß der gemeinsame Inhalt in zwei Teilinhalte zerlegt
96 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

wird, die sich gegenseitig ergänzen. D e r erste Teilinhalt wird durch


W o r t f o r m a, der zweite durch W o r t f o r m b bezeichnet. A u f der K a r t e
erscheinen dann schlauchartige Areale mit „ B e d e u t u n g s s p a l t u n g "
zwischen den Gebieten A und Β (8). Ein bereits gutteils historisch
gewordenes Beispiel bietet K a r t e 1 2 (9). A u f der Grenze zwischen
dem niederdeutschen Bereich mit Borke und dem mittel- und ober-
deutschen mit Rinde „ R i n d e eines B a u m e s " beiderseits der O d e r
findet sich eine Kette von kleinen Gebieten mit Borke „ R i n d e des
L a u b b a u m e s " und Rinde „ R i n d e des N a d e l b a u m e s " oder umge-
kehrt.

Karte 12

V o n den Reaktionserscheinungen gegen Polysemie auf der geogra-


phischen Scheide zwischen zwei verschiedenen Inhalten a und β ei-
ner W o r t f o r m , die in getrennten Gebieten v o r k o m m e n , sind fol-
gende T y p e n b e k a n n t :
2 . 4 . Interpretation von Sprachkarten 97

a) Man verwendet den polysem gewordenen Ausdruck in einer


übergreifenden Bedeutung γ, die die diatopisch getrennten Bedeu-
tungen a und β zusammenfaßt. Beispiel: Nach einer Karte des
ADV (10) bedeutet in Württemberg der Ausdruck Korn „Din-
kel", aber sonst kommt in Süddeutschland von einigen Streubele-
gen mit den Bedeutungen „Weizen" und „Gerste" abgesehen, nur
die Bedeutung „Roggen" vor. Zwischen den „Dinkel"- und
„Roggen"-Gebieten findet man aber einen schmalen Streifen mit
der allgemeineren Bedeutung „Getreide", der einen weiten hal-
ben Kreis um Stuttgart bildet. Dieser Streifen muß sekundär zu-
stande gekommen sein, indem man auf der Scheide zwischen bei-
den Arealen mit einem spezifischen Inhalt des Wortes Korn diesen
Ausdruck pauschal auf alle bekannte Getreidearten anzuwenden
begann.

b) Die Wortform, deren Verwendung in Bedeutung a im Verkehr


mit Einwohnern des angrenzenden Areals Β und in Bedeutung β
im Verkehr mit Einwohnern des angrenzenden Bereichs A dau-
ernd zu Mißverständnissen führt, wird vermieden. An die Stelle
treten unmißverständliche Ersatzbezeichnungen. Auf Bedeu-
tungskarten der Wortformen, die in semantischen Kontaktzonen
MißVerständnisse verursachen können, äußert sich dann die Po-
lysemiefurcht in dem Vorkommen schlauchartiger „leerer"
Areale zwischen den Gebieten A und B. Beispiel: Karte 4. In der
Oberlausitz erscheint zwischen einem südwestlichen Areal mit
"Wagner „Wagenbauer" und einem nordöstlichen mit "Wagner
„Wagenknecht" ein Streifen Niemandsland. Die Annahme, der
Ausdruck Wagner sei hier durch Polysemiefurcht verschwunden,
ist insofern nicht ganz überzeugend, als der Streifen Niemands-
land wesentlich breiter ist als zur Beseitigung der semantischen
Konfliktsituation für notwendig gehalten werden muß. Aus an-
deren Sprachgebieten sind jedoch unzweifelhafte Fälle bekannt
(11).

Die intern-linguistische Methode vergleicht per definitionem meh-


rere Sprachkarten eines Gebietes miteinander und trägt deshalb der
linguistischen Struktur der behandelten Dialekte Rechnung. Ihre
Arbeitsweise ist deshalb als strukturalistisch zu bezeichnen. In be-
stimmten Fällen können die Strukturelemente, auf die man sich bei
98 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

der Deutung des Kartenbildes beruft, verhältnismäßig isoliert be-


handelt werden. D a s ist in den besprochenen wortgeographischen
Beispielen der Fall. In anderen wird die Erklärung mit Hilfe eines
verhältnismäßig großen Ausschnitts aus den Sprachsystemen aufge-
baut. Solche Beweisführungen beruhen also auf Systemvergleich; sie
arbeiten im Prinzip mit dem Konzept Diasystem.

Wie oben ausgeführt wurde, gibt es im Nordosten der Schweiz drei


Dialektgruppen mit verschiedenen Systemen der kurzen ungerunde-
ten Vordervokale, also der Vokale mit den Merkmalen [—lang],
[—rund], [—hinten]: A/B: i, e,ae; C: i,e, ε , « ; D : i,e, ε. Gruppe C h a t ein
Element mehr als die beiden anderen; diese sind ihrerseits unter sich
nicht identisch, weil D ein lei hat statt /W. Außerdem hat in A das
Element /<*/ eine größere lexikalische Besetzung als in Β und umge-
kehrt in Β das Element/e/ eine größere als in A, fallen doch die Wör-
ter mit ursprünglichem ë in A zusammen mit denen, die ä hatten,
und zwar in /<*/, während sie umgekehrt in Β mit denen, die altes e
hatten, in /e/ kollidiere ...

Aus diesen Feststellungen geht hervor, daß man mit Hilfe einer ein-
fachen Einführung der vier vorkommenden vokalischen Elemente
durch vier Regeln ( 1 —» i, 2—>e, 3 —> ε, 4 —>ae) mit ihrer Verteilung
über die drei Gruppen A/B, C und D das Verhältnis der Systeme im
Nordosten der Schweiz nicht befriedigend darzustellen vermag. Ein
Diasystem
A/B C D / / 1, 2, 3 (CD), 4 (A/B C) / /

ist keine adäquate Darstellung der dialektgeographischen Wirklich-


keit, weil es keine Angaben über die Konsequenzen der Einführung
der vier Regeln für das Lexikon in den besprochenen Dialektgrup-
pen enthält.

Verwandte Dialekte stammen in der Regel nicht voneinander ab,


sondern haben eine gemeinsame Vorstufe. Sie sind m. a. W. in der
Seitenlinie verwandt. Diese Art von Verwandtschaft hat zur Folge,
daß die obige Darstellung des Diasystems meistens das verwickei-
tere Verhältnis der Dialekte nicht umfassen kann. M a n ist dann ge-
zwungen, diese Relation mit Hilfe eines Bezugssystems darzustellen.
Als Bezugssystem im besprochenen Fall kann das von Moulton an-
2.4. Interpretation von Sprachkarten 99

genommene m h d . System der ungerundeten vorderen Kürzen fun-


gieren. Wir nehmen — wie vorher schon geschehen — an, daß die vier
Elemente dieses Systems definiert werden können wie die vier oder
drei der Dialektgruppen ABCD. Das Verhältnis zwischen ihnen
kann dann mit Hilfe der folgenden fünf Regeln erzeugt werden:

Regel I 1 » tit
Regel II 2 »- / e /
Regel III a) 3 κ Ut
b) ht >- /e/, Β
Regel IV a) 4 •• M
b) /<*/ >- let, D
Regel V Λ/ • /*/, A

Wir bekommen also folgendes Diasystem:


ABCD / / I, II, Illa, Illb (B), IVa, IVb (D), V (A) //.

Der Gegenstand der strukturellen Dialektologie und deshalb auch


der intern-linguistischen Methode ist die Untersuchung von Dia-
systemen, deren Bestandteile verwandte Dialekte sind, die nebenein-
ander in einem bestimmten Areal vorkommen. Solche Untersu-
chungen werden in der Regel mit Hilfe eines Bezugssystems durch-
geführt, das als Ordnungsprinzip verwendet werden kann, aber bei
der Erklärung des Kartenbildes auch als gemeinsame Vorstufe der
zum Diasystem gehörenden Systeme fungiert. Die geringste Zahl
von Dialekten, die in einem Diasystem vorkommen können, ist
zwei, die maximale ist die Summe aller Dialekte einer Sprachfamilie
(vgl. den ersten Typ eines Problemgebiets in 2.1.1). Zwischen diesen
beiden Extremen wird die Anzahl durch die Zielsetzung jeder kon-
kreten dialektologischen Untersuchung bestimmt. In der Praxis
wird nicht mit vollständigen Diasystemen gearbeitet; vielmehr
kombiniert man übereinstimmende Teile der einzelnen Dialekt-
systeme zu Teildiasystemen. Teildiasysteme sind beispielsweise eine
Vokalreihe (wie im besprochenen Beispiel), ein Wortfeld, die Plu-
ralbildung der Substantive in einer Gruppe von Dialekten.

Die Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, daß auch die in-
tern-linguistische Methode nicht zur Deutung aller dialektgeogra-
phischen Konstellationen geeignet ist. Beide Methoden, die externe
100 2. Kurzgefaßte Methodik der Dialektologie

und die interne, ergänzen sich gegenseitig. In einer nicht dogmati-


schen Dialektologie hat man sich bei jedem Kartenbild zu fragen,
welche Interpretationsmethode zu den am meisten befriedigenden
Ergebnissen führt.

Die Frage nach der Bedeutung beider Methoden als Hilfsmittel lin-
guistischer Disziplinen kann folgendermaßen beantwortet werden:
Die extra-linguistische M e t h o d e liefert Beiträge zur Kenntnis der
Sprachgeschichte der einzelnen Sprachgebiete und ihrer Beziehun-
gen, die intern-linguistische zur allgemeinen Sprachwissenschaft,
weil sie in der Lage ist, bestimmte Postulate der linguistischen Theo-
rie zu untermauern.

Anmerkungen

(1) Formulierungen solcher Tendenzen in der Phonologie findet man bei


M. Martinet, Économie des changements phonétiques (Bern 1955), im
Wortschatz beiS. Ulimann, The principles of semantics (Glasgow—Ox-
ford 2 1957).
(2) ]. Gilliéron - M. Roques, Études de géographie linguistique. Paris
1912, 1 2 1 - 1 2 8 . Der Aufsatz Le coq et le chat wurde neu veröffentlicht
von L.Spitzer in:Meisterwerkeder romanischen Sprachwissenschaft 1.
München 1929, 1 8 3 - 1 9 0 . Eine Karte der besprochenen Erscheinung
findet sich bei A. Dauzat, La géographie linguistique. Paris 2 1 9 4 4 , 73
und ]. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Heidelberg 1969,
148.
(3) Beispiele von Homonymenfurcht aus dem deutschen Sprachgebiet, die
jedoch wegen des Fehlens einer Sprachkarte oder aus anderen Gründen
weniger befriedigen können, finden sich bei Goossens (wie Anm. 2),
111-114.
(4) W. G. Moulton, Lautwandel durch innere Kausalität. Die ostschweize-
rische Vokalspaltung. Z M F 28 (1961), 2 2 7 - 2 5 1 .
(5) Eine ausführliche kritische Betrachtung von Moultons Aufsatz würde
hier zu weit führen. Es sei dafür verwiesen auf Goossens (wie Anm. 2),
62-68.
(6) Vgl. etwa Ulimann (wie Anm. 1), 1 0 8 - 1 1 4 und 122.
(7) Systematisierend und zusammenfassend Goossens (wie Anm. 2),
7 9 - 8 1 und 8 6 - 9 8 .
(8) Vgl. zu dieser Erscheinung noch L. Berthold, Die Wortkarte im Dienste
der Bedeutungslehre. Z M F 14 (1938), 1 0 1 - 1 0 6 .
(9) Vereinfachter Auszug aus dem DWA, Band 11, Karte 8.
2.4. Interpretation von Sprachkonten 101

(10) ADV 1, 14. Vereinfachte Darstellungen dieser Karte findet man bei
H. Höing, Deutsche Getreidebezeichnungen in europäischen Bezügen.
DWEB 1 (1958), 117-190 und separat, Gießen 1958, Karte 2 sowie bei
Goossens (wie Anm. 2), Karte 27.
(11) Eine Sammlung, mit Literaturangaben, findet sich bei Goossens (wie
Anm. 2), 102-105. Vgl. auch noch E. Eylenbosch, Middeleeuwse
woordgeografie. Handelingen v. d. Kon. Zuidnederlandse Maatschap-
pij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis 20 (1966), 157-172.
3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialekto-
logie
M i t diesem Abschnitt wird ein dreifacher Z w e c k verfolgt: D e m Le-
ser 1. eine Orientierungshilfe in der Fachliteratur, 2. einen Uberblick
über Stand und Ergebnisse der Forschung, 3. einen Uberblick über
die wissenschaftlichen Fragestellungen und die damit verbundenen
Methoden in der Geschichte der deutschen Dialektologie zu bieten.
Die Darstellung gliedert sich in drei Paragraphen, die inhaltlich nur
zum Teil mit diesen drei Punkten deckungsgleich sind. Die Biblio-
graphie verteilt sich über die drei Paragraphen. Im ersten werden nur
die allgemeinen Hilfsmittel genannt; die beiden anderen enthalten
eine Auswahl der Titel, die wissenschaftshistorisch bzw. durch ihre
Ergebnisse oder ihre methodischen Ansätze wichtig sind (1).

Anmerkung

(1) Die Auswahl wird zum Teil auch durch den Aufbau des zweiten Paragra-
phen bestimmt, in dem die Fülle der regionalen Monographien nur ganz
allgemein besprochen werden kann. Mehrere wichtige Studien - aus dem
niederdeutschen Bereich etwa von Bischoff, Foerste, Mitzka, Teuchert -
fehlen deshalb in der Darstellung.

3.1. Allgemeine bibliographische Hilfsmittel

Diese Übersicht beansprucht keinerlei Vollständigkeit. Die genann-


ten Titel wurden ausschließlich mit dem Z w e c k ausgewählt, dem
nicht dialektologisch spezialisierten Leser eine schnelle Orientie-
rung im Fachgebiet zu ermöglichen.

3.1.1. Bibliographien

Es gibt zwei laufende linguistische bzw. germanistische Bibliogra-


phien, die regelmäßig neue Veröffentlichungen auf dem Gebiet der
deutschen Dialektologie inventarisieren.
3.1. Allgemeine bibliographische Hilfsmittel 103

[ 1 ] Bibliographie linguistique de l'année 1948 ... - Linguistic bibliography


for the year 1948 ... Utrecht-Brüssel (ab 1 9 4 9 Antwerpen) 1951 - .

Mit einer Verspätung von etwa drei Jahren erscheint jedes Jahr ein
Band. 1950 war eine zweibändige Bibliographie linguistique des
années 1939-1947 - Linguistic bibliography for the years
1 9 3 9 - 1 9 4 7 erschienen. In der Rubrik für germanische Sprachen
gibt es eine Abteilung Deutsch, die seit 1962 aufgegliedert erscheint,
und zwar in a. Hochdeutsch, b. Niederdeutsch und c. Namenkunde
(!) (seit 1968 b. Jiddisch, c. Niederdeutsch, d. Namenkunde). Unter
Hochdeutsch ist eine weitere Aufgliederung 1, 2 usw. durchgeführt;
4 ist Dialektologie. Das Niederdeutsche ist nicht weiter unterteilt.
Namengeographie ist unter c (ab 1968 d) zu finden.

[2] Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen


Hinweisen. Tübingen 1960 - .

Erscheint vierteljährlich. Bei Büchern werden über die bibliographi-


schen Hinweise hinaus in der Regel Kurzrezensionen mitgegeben.
Enthält die Rubriken XV. Hochdeutsche und niederdeutsche Mund-
arten und XVI. Wort- und Namenforschung (im ersten Jahrgang
bilden beide noch eine Rubrik: Dialektologie — Wort- und Namen-
forschung).

Für die Zeit bis einschließlich 1926 besteht eine abgeschlossene,


ausschließlich dialektologische Bibliographie, die ab 1904 auch die
Mundartdichtung erfaßt: die Bibliographie Deutsche Mundarten-
forschung. Ihr großer Nachteil ist, daß sie über zwei Bücher und
zwölf Lieferungen zweier Zeitschriften streut. Begonnen wurde sie
von F. Mentz, fortgeführt von Mitarbeitern des Sprachatlas-Insti-
tuts in Marburg unter der Leitung von F. Wrede; für die Zeit
1 9 2 1 - 1 9 2 6 zeichnete der Marburger Dialektologe B. Martin ver-
antwortlich:

[3 a] F. Mentz, Bibliographie der deutschen Mundartenforschung für die


Zeit vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Jahres 1889.
Leipzig 1892 (KGDM 2).
[3 b] F. Mentz, Bibliographie der deutschen Mundartenforschung für die
Jahre 1890 ... 1903, nebst Nachträgen aus früherer Zeit. DM 1
( 1 8 9 5 - 1 9 0 1 ) , 8 5 - 1 2 6 (für 1 8 9 0 - 1 8 9 5 ) , 1 8 4 - 2 0 2 (für 1896 und 1897),
104 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

3 0 3 - 3 2 6 (für 1898 und 1899) und 375 (Register für 1 8 9 0 - 1 8 9 9 ) ; 2


(1906), 1 - 5 2 (für 1 9 0 0 - 1 9 0 3 ) .
[3 c] F. Mentz, Deutsche Mundartenforschung und -dichtung in den Jah-
ren 1904 . . . 1906. Z D M 3 (1908), 9 7 - 1 2 9 und 3 8 1 - 3 8 4 (für 1904);
5 (1910), 4 8 - 1 1 0 (für 1905 und 1906).
[3 d] Deutsche Mundartenforschung und -dichtung in den Jahren
1907 ... 1920 (mit Nachträgen zu früheren Jahren). Mit Vorbemer-
kungen von F. Wrede. Z D M 10 (1915), I-IV und 1 - 1 3 9 (für
1 9 0 7 - 1 9 1 1 ) ; 11 (1916), 1-IV und 1 - 1 8 7 (für 1 9 1 2 - 1 9 1 4 ) ; 13 (1918),
I-IV und 1 - 8 1 (für 1915 und 1916); 15 (1920), I-IV und 1 - 6 3 (für
1 9 1 7 und 1918); 17 (1922), I-IV und 1 - 6 5 (für 1919 und 1920).
[3 e] B. Martin, Bibliographie zur deutschen Mundartenforschung und
-dichtung in den Jahren 1921-1926 (mit Nachträgen zu früheren Jah-
ren). Bonn 1929 (Teuthonista, Beiheft 2).

Diese Bibliographie erfaßt das deutsche dialektologische Schrifttum


bis 1926 wesentlich vollständiger als die beiden laufenden Biblio-
graphien seit 1939. D e r g r o ß e Nachteil sämtlicher genannter Werke
ist, d a ß sie nie kumuliert w u r d e n .

Für die nicht systematisch erfaßte Zeit 1 9 2 7 - 1 9 3 8 sowie f ü r die


Überwindung der Nachteile, die durch das Fehlen kumulativer Bi-
bliographien f ü r die Zeit vor- und nachher bestehen, gibt es einige
gute Hilfsmittel:

[4] H. P. Althaus, Ergebnisse der Dialektologie. Bibliographie der Aufsätze


in den deutschen Zeitschriften für Mundartforschung 1854—1968.
Wiesbaden 1970 (ZDL, Beiheft 7)

u m f a ß t f ü r den angegebenen Zeitraum die Aufsätze, erschienen in


Zeitschriften, die ausschließlich die Erforschung von M u n d a r t e n
zum Gegenstand haben. N i c h t berücksichtigt sind die zahlreichen
anderen Periodika, die manchmal oder nur gelegentlich dialektolo-
gische Beiträge enthalten.

[5] V. M . Schirmunski, Deutsche Mundartkunde. Vergleichende Laut- und


Formenlehre der deutschen Mundarten. Aus dem Russischen (Original-
ausgabe Moskau 1956) übersetzt und wissenschaftlich bearbeitet von
W. Fleischer. Berlin 1962.
3.1. Allgemeine bibliographische Hilfsmittel 105

D a s Literaturverzeichnis S. 6 2 9 - 6 4 7 n e n n t neben den wichtigsten


selbständigen Veröffentlichungen zur regionalen Dialektologie
auch eine Reihe von Aufsätzen. Die geographische Gliederung der
deutschen M u n d a r t e n bestimmt die Einteilung.

[6 a] E. Siegel, Deutsche Wortkarte 1890-1962. Eine Bibliographie. Gießen


1964 (BdPh 33). Auch in DWEB 4, 6 2 9 - 6 9 1 .
[6 b] E. Siegel, Deutsche Wortkarte 1963-1970. Eine Bibliographie (Fort-
setzung). Redaktionelle Betreuung: R. Hildebrandt. Gießen 1974
(BdPh 40).

Dies ist der Versuch einer Inventarisierung aller W o r t k a r t e n mit


Schrifttum. Die Bibliographie 1 8 9 0 - 1 9 6 2 kumuliert zwei frühere,
die in Z M F 1 8 ( 1 9 4 2 ) , 1 - 3 0 und 2 5 ( 1 9 5 7 ) , 1 9 3 - 2 0 8 erschienen
waren.

Für die schweizerdeutsche Dialektologie besteht ein eigenes „biblio-


graphisches H a n d b u c h mit I n h a l t s a n g a b e n " :

[7] S. Sonderegger, Die schweizerdeutsche Mundartforschung 1800—1959.


Frauenfeld 1962 (BSM 12).

Selbstverständlich enthalten auch die H a n d b ü c h e r der deutschen


M u n d a r t f o r s c h u n g , von denen jetzt die R e d e sein wird, bibliogra-
phische Angaben.

3.1.2. Handbücher

Die deutsche Dialektologie verfügt über zwei größere H a n d b ü c h e r :

[8] A. Bach, Deutsche Mundartforschung. Ihre Wege, Ergebnisse und Auf-


gaben. Heidelberg ' 1 9 3 4 , 2 1 9 5 0 , 3 1 9 6 9 .
[5] Schirmunski

Die Anlage beider W e r k e ist grundverschieden. O b w o h l beide die


Geschichte der deutschen M u n d a r t f o r s c h u n g und methodische Fra-
gen behandeln sowie auf M e r k m a l e der einzelnen Dialektlandschaf-
ten eingehen, ist Bach an erster Stelle ein methodisches H a n d b u c h ,
und zwar der extra-linguistischen Betrachtungsweise, während
Schirmunski den ersten g r o ß angelegten Versuch enthält, die lautli-
chen und morphologischen M e r k m a l e der deutschen M u n d a r t e n
nach Landschaften zu inventarisieren.
106 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Die folgende Liste enthält die Titel der kleineren Arbeiten mit
Handbuchcharakter oder v o n allgemeinerem methodischem Inter-
esse für die deutsche Dialektologie, insofern sie nicht völlig veraltet
sind.

[9] K. Wagner, Deutsche Sprachlandschaften. Marburg 1927 (DDG 23).


Neudruck Walluf 1974.
[10] F. Maurer, Volkssprache. Abhandlungen über Mundarten und Volks-
kunde. Erlangen '1933, Düsseldorf 2 1964.
[11] A. Bretschneider, Deutsche Mundartenkunde. Marburg 1934.
[12] W. Henzen, Schriftsprache und Mundarten. Zürich-Leipzig '1938,
Bern 2 1954.
[13] B. Martin, Die deutschen Mundarten. Leipzig '1939, Marburg 2 1959.
[14] W. Mitzka, Deutsche Mundarten. Heidelberg 1943.
[15] E. Schwarz, Die deutschen Mundarten. Göttingen 1950.
[16] R. E. Keller, German dialects. Phonology and morphology with selec-
ted texts. Manchester 1961.
[17] G. Bergmann, Mundarten und Mundartforschung. Leipzig 1964.
[18] G. Hard, Zur Mundartgeographie. Ergebnisse, Methoden, Perspekti-
ven. Düsseldorf 1966.
[19] H. Protze, Die deutschen Mundarten. In: Kleine Enzyklopädie - Die
deutsche Sprache. Leipzig 1969, I, 312-422.
[20] J. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Eine Einführung in Me-
thodik und Ergebnisse. Heidelberg 1969.
[21] F. Maurer, Sprachgeographie. Gesammelte Abhandlungen. Düsseldorf
1972.
[22] H. Löffler, Probleme der Dialektologie. Eine Einführung. Darmstadt
1974.

Es gibt weiter eine ganze Reihe von dialektologischen Handbü-


chern, die methodisch v o n Bedeutung sind, aber sich nicht oder nur
beiläufig mit deutschen dialektalen Verhältnissen beschäftigen. Eine
kleine Auswahl:

[23] A. Dauzat, La géographie linguistique. Paris '1926, 2 1944.


[24] S. Pop, La dialectologie. 2 Bde. Louvain-Gembloux 1950.
[25] A. Weijnen, Nederlandse dialectkunde. Assen Ί 9 5 8 , 2 1966.
[26] M. Alvar, Estructuralismo, geografía lingüistica y dialectología actual.
Madrid 1969.
[27] E. Coseriu, Die Sprachgeographie. Tübingen 1975.

Die Arbeit v o n Pop enthält auf S. 7 3 7 - 7 9 1 (Band 2) eine Übersicht


über die dialektologischen Tätigkeiten im deutschen Sprachraum.
3 . 1 . Allgemeine bibliographische Hilfsmittel 107

3.1.3. Zeitschriften

Seit 1 9 0 0 gibt es kontinuierlich eine Zeitschrift, die dem Studium


der deutschen Mundarten gewidmet ist. Sie hat wiederholt den Titel
gewechselt:

[28 ] Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten (ZHdM). 6 Jahrgänge,


1900-1905.
[ 2 9 ] Zeitschrift für deutsche Mundarten ( Z D M ) . 1 9 Jahrgänge,
1906-1924.
[ 3 0 a] Teuthonista. Zeitschrift für deutsche Dialektforschung und Sprach-
geschichte. 10 Jahrgänge, 1 9 2 4 - 1 9 3 5 .
[ 3 0 b] Zeitschrift für Mundartforschung ( Z M F ) . Jahrgänge 11-35,
1935-1969.
[ 3 0 c] Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik (ZDL). Jahrgänge 3 6 - ,
1969 - .

Über Titel und Programm informiert jeweils die Einleitung im ersten


Heft einer Titelserie. Am Anfang ( 1 9 0 0 - 1 9 0 5 ) enthielt die Zeit-
schrift nur Beiträge über hochdeutsche Mundarten. Die niederdeut-
sche Philologie hat immer über eigene Periodika verfügt, in denen
jedoch nicht nur Dialektologisches, sondern der ganze Fächer der
niederdeutschen Forschung in Erscheinung tritt. Die beiden nieder-
deutschen Zeitschriften mit überwiegend dialektologischem Inhalt
sind:

[31 ] Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 1875

[ 3 2 ] Niederdeutsches Wort. 1960 - .

Im 19. J h . hat es zwei Vorläufer der Z H d M usw. gegeben:

[ 3 3 ] Die deutschen Mundarten. 7 Bde., 1 8 5 4 - 1 8 7 7 .


[ 3 4 ] Deutsche Mundarten ( D M ) 2 Bde., 1 8 9 5 - 1 9 0 6 .

In zahlreichen linguistischen, germanistischen, historischen, volks-,


landes- und heimatkundlichen Zeitschriften erscheinen mehr oder
weniger regelmäßig auch Beiträge zur Mundartforschung. Diese Pe-
riodika können hier nicht genannt werden.

Eine internationale dialektologische Zeitschrift, die auch Beiträge


zur deutschen Mundartforschung enthält, ist:

[ 3 5 ] Orbis. Bulletin international de documentation linguistique. 1 9 5 2 - .


108 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

3.1.4. Reihen

Sehr viele dialektologische Arbeiten sind in Bücherreihen erschie-


nen, die eigens zur Förderung der Mundartforschung gegründet
wurden. Diese sind:

[36] Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten (KGDM). Leip-


zig 1 8 9 2 - 1 9 2 6 , 10 Bde.
[37] Deutsche Dialektgeographie (DDG). Marburg 1908 - . Bis jetzt etwa 80
Bde. Mehrere vergriffene ältere Bände sind in letzter Zeit nachgedruckt
worden (Walluf-Nendeln 1974 - ) .
[38] Teuthonista, Zeitschrift für deutsche Dialektforschung und Sprachge-
schichte. Beihefte 1 - 1 3 ( 1 - 2 Bonn 1928, 1929; 3 - 1 1 Halle (Saale)
1 9 3 2 - 1 9 3 6 ) , fortgesetzt als Zeitschrift für Mundartforschung (ZMF),
Beihefte 1 4 - 1 8 (Halle (Saale) 1 9 3 7 - 1 9 4 2 ) , wieder aufgenommen als
ZMF, Beihefte Neue Folge 1 - 6 (Wiesbaden 1 9 6 4 - 1 9 6 8 ) , fortgesetzt als
Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik (ZDL ),Beihefte 7 - (Wies-
baden 1969 - ) . Zuletzt erschien Band 17.
[39] Mitteldeutsche Studien. Halle (Saale) 1932 - . Bis jetzt 30 Bde. Die er-
sten 13 Bände sind zugleich als Beiheft zum Teuthonista bzw. zur Z M F
erschienen.
[40] Lautbibliothek der deutschen Mundarten. Göttingen 1 9 5 8 - 1 9 6 4 , 35
Hefte. Fortgesetzt als Phonai. Lautbibliothek der europäischen Spra-
chen und Mundarten, Deutsche Reihe. Tübingen 1969 - . Bis jetzt 17
Hefte. Enthält hauptsächlich Transkriptionen von Dialekttexten.
[41] Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen (DWEB). Gießen
1 9 5 8 - 1 9 7 2 , 6 Bde. Die meisten Nummern enthalten mehrere Abhand-
lungen.
[42] Germanistische Linguistik (GL). Hildesheim 1 9 6 9 - . Bis jetzt 8 Bde. Ei-
gentlich eine Zeitschrift mit ausführlichen Abhandlungen, die häufig
den Umfang eines Buches (das heißt eines Heftes oder Bandes) haben.

Es gibt auch regionale dialektologische Reihen:

[43] Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik. Frauenfeld 1 9 1 0 - 1 9 4 1 ,


2 0 Bde. Die Tradition dieser Reihe wurde wieder aufgenommen mit:
[44] Beiträge zur schweizerdeutschen Mundartforschung (BSM). Frauenfeld
1949 - . Bis jetzt 20 Bde.
[45] Beiträge zur Luxemburgischen Sprach- und Volkskunde. Luxemburg
1925 - . Bis jetzt 10 Bde.
[46] Fränkische Forschungen. Arbeiten zur Sprachgeographie und zur
Volkskunde, besonders der rhein- und ostfränkischen Gebiete. Erlan-
gen 1 9 3 3 - 1 9 3 8 , 12 Bde.
3.2. Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 109

In mehreren Hochschulreihen und linguistischen, philologischen,


historischen, volks- und landeskundlichen Serien sind dialektologi-
sche Arbeiten mehr oder weniger gut vertreten. Sie können hier nicht
erwähnt werden. Eine Ausnahme machen wir mit drei Reihen, in
denen sie besonders häufig sind:

[47] Gießener Beiträge zur deutschen Philologie. Gießen 1 9 2 2 - 1 9 5 2 , 100


Hefte.
[48] Beiträge zur deutschen Philologie (BdPh) (neue Folge der Gießener Bei-
träge). Gießen 1954 - , bis jetzt 42 Bde.
[49] Marburger Beiträge zur Germanistik. M a r b u r g 1 9 6 2 - , bis j e t z t 5 2 Bde.

3.2. Übersicht über die deutschen dialektologischen Unter-


nehmen

Die Sammlungen, Veröffentlichungen und Besprechungen des Dia-


lektmaterials lassen sich unter räumlichem Aspekt aufgliedern in: 1.
Gesamtdeutsche, die den ganzen oder nahezu den ganzen Sprach-
raum umfassen, 2. regional beschränkte, in denen kleinere oder
größere Ausschnitte dieses Areals behandelt werden. Inhaltlich
kann man zwischen lexikalischen und grammatischen Untersu-
chungen unterscheiden. Bei letzteren hat in der bisherigen For-
schung der lautliche Aspekt eine überwiegende und methodisch zen-
trale Rolle gespielt. Die Erforschung morphologischer Erscheinun-
gen fungierte meistens als eine Art Anhang, während die Syntax
stark vernachlässigt wurde. Bei dieser Sachlage empfiehlt es sich, die
grammatischen Erscheinungen in der Behandlung nicht weiter auf-
zugliedern.

3.2.1. Untersuchungen des gesamten Sprachraums

Grammatik

Die Erforschung des lautlichen und zum Teil des morphologischen


Aspekts der Mundarten des ganzen deutschen Sprachraums wurde
ermöglicht durch den Deutschen Sprachatlas. Die einzelnen regio-
nalen dialektologischen Unternehmen steuern daneben Materialien
bei, die sich unter geographischem Aspekt gegenseitig ergänzen.
110 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Eine Synthese der bisherigen Kenntnisse über die laut- und formen-
geographische Differenzierung des deutschen Sprachraums auf
sprachhistorischer Basis bieten der zweite („Vergleichende Lautleh-
re") und dritte Teil („Vergleichende Formenlehre") \onScbirmuns-
kis Handbuch [5].

Der Deutsche Sprachatlas ist eine Gründung Georg Wenkers


(1852-1911). Dieser unternahm 1875 den Versuch einer Gliede-
rung der Dialekte der Rheinprovinz auf der Grundlage gedruckter
Mundartproben. Er hielt ihn wegen des lückenhaften Materials für
unbefriedigend, aber stellte doch fest, „daß es mit dem stillschwei-
gend angenommenen Zusammengehen mehrerer für dort geltender
Hauptunterschiede in der That sehr schwach bestellt ist" (1),
m. a. W., daß in früheren Äußerungen zur Dialektdifferenzierung
unerlaubte Generalisierungen gemacht worden waren. Daraufhin
arbeitete Wenker einen ersten Fragebogen aus, den er 1876 an die
Lehrer der nördlichen Rheinprovinz schickte. Er bestand aus 42
hochdeutschen Sätzen, die mit Hilfe des landläufigen Alphabets in
die Mundart übertragen werden sollten (2). Die Aktion war ein Er-
folg: Schon 1877 konnte Wenker eine kleine Schrift mit einer Glie-
derung der rheinischen Mundarten nördlich der Mosel drucken las-
sen, die im selben Jahr eine unveränderte zweite Auflage erlebte. Sie
bildet den Anfang der Dialektologie als areallinguistische Disziplin:

[50] G. Wenker, Das rheinische Platt. Den Lehrern des Rheinlandes gewid-
met. Düsseldorf 1877. Neudruck in DDG 8, Marburg 1915.

1877 versandte Wenker eine überarbeitete Fassung seines Fragebo-


gens, mit 38 Sätzen, an die westfälischen Schulorte (3). Im selben
Jahr wurde er „Hilfsarbeiter" an der Marburger Universitätsbiblio-
thek. Inzwischen hatte er angefangen, einen „Sprachatlas der
Rheinprovinz nördlich der Mosel sowie des Kreises Siegen" zu
zeichnen. Dieser wurde Ende 1878 handschriftlich fertig. Wenker
versuchte jetzt mit Hilfe eines Gutachtens der Marburger Fakultät
über diesen Atlas staatliche Unterstützung für sein Vorhaben zu ge-
winnen, das Unternehmen auf die ganze preußische Monarchie aus-
zudehnen. Die vom Minister als neuer Gutachter herangezogene
Berliner Akademie der Wissenschaften übte „Kritik an der Ausdeh-
nung der Sammlung nur über Preußen und lenkt(e) die Aufmerk-
3.2. Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 111

samkeit auf die mitteldeutschen M u n d a r t e n " (4). W e n k e r erklärte


sich bereit, den Atlas auf ganz Nord- und Mitteldeutschland auszu-
dehnen. 1879 bewilligte das Ministerium ihm eine bescheidene fi-
nanzielle Unterstützung und eine Sachbeihilfe. Das ist der Beginn
der Institutionalisierung des Sprachatlas-Unternehmens.

W e n k e r arbeitete nun seinen Fragebogen noch einmal u m . Die end-


gültige Fassung — die ersten Formulare gingen noch 1879 hinaus —
enthält 4 0 Sätze (5). Sein Plan w a r jetzt, einen Sprachatlas in Liefe-
rungen herauszubringen. Das nord- und mitteldeutsche Gebiet
w u r d e in 13 Stücke eingeteilt; in jeder dieser Abteilungen sollten auf
36 Blättern (also insgesamt 468 Karten) die wesentlichen Erschei-
nungen dargestellt werden. N u r eine Lieferung ist erschienen:

[51] G. W e n k e r , Sprachatlas von Nord- und Mitteldeutschland. Auf Grund


von systematisch mit Hülfe der Volksschullehrer gesammeltem Mate-
rial aus circa 30 000 Orten. A b t h . I, Lief. 1 (6 Karten und Textheft).
Straßburg—London 1881.

Die sechs Karten dieser Lieferung enthalten eine Reihe von dialekta-
len Gegensätzen aus einem mittelrheinischen Gebiet. Die riesige Ma-
terialmenge, die Wenker neben seinem sechsstündigen Bibliotheks-
dienst zu bewältigen hatte, zwang ihn jedoch, andere Wege einzu-
schlagen und neue Hilfe zu suchen. O b w o h l er 1884 eine Hilfskraft
bewilligt bekam, erschien die Lage zunächst aussichtslos. Nach ei-
nem Vortrag Wenkers auf der Philologenversammlung in Gießen
1885 (vgl. [129]) beschloß diese, ein Gesuch an das Reichskanzler-
amt zu richten. Dieses sollte das Unternehmen in der erweiterten
Form eines Sprachatlasses des deutschen Reiches unterstützen. Die
Rettung des Atlasses bedeutete zugleich seine Verstaatlichung. 1887
kam eine endgültige Regelung zustande. W e n k e r w u r d e bei der Bi-
bliothek beurlaubt, er b e k a m zwei Mitarbeiter und die erforderliche
finanzielle Unterstützung f ü r die W e i t e r f ü h r u n g der Arbeit. Mate-
rial und Karten wurden Staatseigentum, die Arbeit sollte unverkürzt
durchgeführt und auf Süddeutschland ausgedehnt werden, eine
Veröffentlichung sollte vorläufig unterbleiben. Auch sollte Wenker
eigene Forschungen zum Atlas abbrechen und sich mit seinen Mit-
arbeitern ganz der Anfertigung der Karten widmen. Bis zu seinem
Tode 1911 hat er in entsagungsvoller Arbeit Karten gezeichnet (6).
112 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Weil Wenker bei der Verstaatlichung seines Werkes auf eine baldige
Drucklegung verzichten mußte, „erhob sich die Frage, wie der war-
tenden Gelehrtenwelt, die nur selten den Weg nach Marburg fand,
wenigstens die Hauptergebnisse der Mundarten zugänglich ge-
macht werden konnten" (7). Die Aufgabe, im AfdA fortlaufende
„Berichte" über den Sprachatlas zu erstatten, übertrug er F. Wrede
( 1 8 6 3 - 1 9 3 4 ) , der 1 8 8 7 Hilfsarbeiter am Sprachatlas geworden war
(8) und sich 1 8 9 0 in Marburg habilitiert hatte. Daraus entstanden:

[52] F. Wrede, Berichte über Georg Wenkers Sprachatlas des deutschen Rei-
ches. AfdA 18-28 ( 1 8 9 2 - 1 9 0 2 ) . Neudruck in: F. Wrede, Kleine Schrif-
ten. Marburg 1963 (DDG 60), 9 - 2 2 4 .

In diesen Berichten ist die Geographie von 84 Wörtern aus den


Wenkersätzen behandelt.

Wrede wurde auch Wenkers Nachfolger. Unter seiner Leitung


wurde die Zeichenarbeit weitergeführt und im wesentlichen been-
det. Die Sammlung besteht aus 1 6 4 6 Einzelkarten im Maßstab
1 : 1 0 0 0 0 0 0 . Das Sprachgebiet ist dreigeteilt: Für jede Erschei-
nung ist ein Nordwest-, ein Nordost- und ein Südwestblatt verwen-
det worden. Insgesamt sind 3 3 9 Wörter eingezeichnet; manchmal
mußten Stamm, Endung und Vorsilbe je für sich auf Karten gebracht
werden (9).

In den Jahren 1926 bis 1933 veranlaßte Wrede noch die Abfragung
der Wenker-Sätze in der Schweiz, Liechtenstein, Österreich, im Bur-
genland und den deutschsprachigen Teilen der Tschechoslowakei.
1 9 2 4 hatte J. Meier ihm die Antwortbogen einer 1 8 8 8 vorgenom-
menen Befragung mit diesen Sätzen in Luxemburg überlassen. Ab
1908 gab Wrede die D D G [ 3 7 ] heraus als eine Reihe „Berichte und
Studien über G. Wenkers Sprachatlas des Deutschen Reichs".
Hierin erschienen Arbeiten seiner Schüler (viele Jahre nach seiner
Habilitation wurde er 1 9 1 1 in Marburg Ordentlicher Honorarpro-
fessor und 1 9 2 0 persönlicher Ordinarius): Ortsgrammatiken mit
kleinräumigen dialektgeographischen Untersuchungen auf der
Grundlage mündlicher Enqueten.

Wrede hat auch die Veröffentlichungen eines Teils des Kartenwerks


durchsetzen können. Diese wurde von seinem Nachfolger
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 113

W . M i t z k a und seinem langjährigen M i t a r b e i t e r B . M a r t i n zu Ende


geführt:

[53] Deutscher Sprachatlas (DSA). Auf Grund des von Georg Wenker be-
gründeten Sprachatlas des Deutschen Reichs in vereinfachter Form be-
gonnen von Ferdinand Wrede, fortgesetzt von Walther Mitzka und
Bernhard Martin. Marburg 1 9 2 7 - 1 9 5 6 (23 Lieferungen).

D e r D S A besteht aus 1 2 8 Karten. Viele davon sind Ergänzungskar-


ten mit M a t e r i a l aus Gebieten, das gesammelt wurde, n a c h d e m die
H a u p t k a r t e schon veröffentlicht worden war. Auch sind in der zwei-
ten Hälfte des W e r k s die D a t e n häufig über vier Teilkarten verteilt.
Z i e h t m a n die Ergänzungs- sowie die Grundkarten a b und betrach-
tet man jede Gruppe von vier Teilkarten als eine Karte, so enthält der
D S A 7 9 Sprachkarten des deutschen Sprachraums ( 1 0 ) . Die M e h r -
heit von ihnen sind L a u t k a r t e n , doch sind auch morphologische Er-
scheinungen gut vertreten. Es k o m m e n auch vier W o r t k a r t e n vor.
D e r D S A bildet die wichtigste allgemein zugängliche Quelle für das
Studium des lautlichen Aspekts der deutschen M u n d a r t e n . Er kann
jedoch die viel umfassendere und detailliertere handschriftliche Kar-
tensammlung im M a r b u r g e r Institut nicht ersetzen.

W. Mitzka ( 1 8 8 8 - 1 9 7 6 ) wurde 1 9 3 3 W r e d e s N a c h f o l g e r im Insti-


tut, das inzwischen internationale B e k a n n t h e i t erworben hatte, seit
1 9 2 1 den N a m e n „Zentralstelle für den Sprachatlas des Deutschen
Reiches und deutsche M u n d a r t f o r s c h u n g " trug und 1 9 3 4 den
Kurznamen „ D e u t s c h e r S p r a c h a t l a s " b e k a m . E r sorgte bis 1 9 3 9 für
eine letzte Ergänzung der W e n k e r - B e f r a g u n g in O r t e n mit deutscher
M u n d a r t jenseits der Altreichsgrenze in Polen und in Südtirol. Im
Archiv des Instituts sind somit 5 1 4 8 0 Antworten vorhanden, davon
2 0 5 0 fremdsprachliche (und 6 7 friesische). Kurz vor dem Abschluß
des DSA veröffentlichte M i t z k a ein Buch mit Erläuterungen:

[54] W. Mitzka, Handbuch zum Deutschen Sprachatlas. Marburg 1952.

M i t z k a w a r auch der Begründer des D W A (s. in diesem Abschnitt


unter W o r t s c h a t z ) . Unter seiner Leitung wurde das Institut zu einer
Ausbildungsstelle für junge in- und ausländische Dialektologen.
114 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

M i t z k a s N a c h f o l g e r wurde 1 9 5 6 L. E. Schmitt ( 1 9 0 8 - ) . E r führte


den D W A fort, gründete eine Reihe regionaler Sprachatlanten des
deutschen Sprachgebiets und ergriff verschiedene andere Initiativen.
Unter seiner Leitung wurde das Institut, das 1 9 5 6 in „Forschungsin-
stitut für deutsche Sprache «Deutscher S p r a c h a t l a s » " umgetauft
wurde, noch mehr zu einem internationalen Begegnungszentrum.
Als Konsequenz der hessischen Hochschulgesetzgebung wird das
Unternehmen in den letzten J a h r e n von einem D i r e k t o r i u m geleitet.

Ü b e r die Geschichte des Wenkerschen Atlas und des daraus erwach-


senen M a r b u r g e r Forschungsinstituts informieren:

[55] B. Martin, Georg Wenkers Kampf um seinen Sprachatlas ( 1 8 7 5 - 1 8 8 9 ) .


In: Von Wénkerzu Wrede (FestschriftF. Wrede). Marburg 1934 (DDG
21), 1 - 3 7 .
[56] L. E. Schmitt, Das Forschungsinstitut für deutsche Sprache-Deutscher
Sprachatlas - an der Universität Marburg mit Wissenschaftlichem Jah-
resbericht 1964.
[57] B. Kratz, Die Marburger dialektologische Schule. ZDL 37 (1970),
1-25.
[69] H. E. Wiegand - G. Harras, 1 0 - 2 8 .

Ferner: B a c h [ 8 ] (Aufl. 2 , 3 ) , 3 9 - 4 4 (mit älterem Schrifttum


S. 4 0 - 4 1 ) , Schirmunski [5], K a p . II, vor allem 7 0 - 8 5 ( 1 0 a ) .

V o m M e t h o d i s c h e n abgesehen liegt die Bedeutung des Sprachatlas-


ses vor allem darin, d a ß er Grundzüge der Gliederung des deutschen
Sprachraums unter lautlichem und m o r p h o l o g i s c h e m Aspekt be-
kannt g e m a c h t hat. Dies beinhaltet zugleich, d a ß er einen wesentli-
chen Beitrag zur Kenntnis der historischen Schichtung der deutschen
M u n d a r t e n geliefert hat. Die geographisch kontrastierenden Er-
scheinungen haben ein unterschiedliches Alter: so ist beispielsweise
der durch die zweite Lautverschiebung entstandene K o n s o n a n t e n -
stand, der im Süden des Sprachraums angetroffen wird, jünger als
der K o n s o n a n t i s m u s der nichtverschiebenden M u n d a r t e n im N o r -
den (Karte 3 des DSA) ; ebenfalls ist der südliche D i p h t h o n g für altes
û in Haus jünger als das im N o r d e n und Südwesten beibehaltene û
(Karte 2 4 des D S A ) . D u r c h diese M ö g l i c h k e i t der Schichtung (im
großen und ganzen ist ein Südnordgefälle festzustellen) k o n n t e der
Sprachatlas als eines der wichtigsten Hilfsmittel der deutschen
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 115

Sprachgeschichte fungieren. In zahlreichen H a n d b ü c h e r n zur exter-


nen o d e r internen Geschichte der deutschen Sprache ist dieser Ein-
fluß denn auch festzustellen. Ein Buch erhebt die V e r w e n d u n g der
dialektgeographischen M e t h o d e dabei zum Prinzip und benutzt
ausgiebig S p r a c h a t l a s - M a t e r i a l :

[58] Th. Frings, Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache. Halle
(Saale) " 1 9 4 8 , 2 1 9 5 0 , 3 1 9 5 7 .

D a ß die inzwischen historisch gewordenen, vom Sprachatlas festge-


haltenen F a k t e n im allgemeinen zuverlässig sind, wird heute nicht
m e h r bezweifelt, o b w o h l m a n weiß, d a ß die Laienschreibungen auf
den A n t w o r t b o g e n m a n c h m a l interpretiert werden müssen und d a ß
die I n f o r m a n t e n häufig nicht in der Lage gewesen sind, phonetische
Feinheiten zu erfassen. Heute ist m a n über Schichtungen in der
M u n d a r t besser informiert als in der Pionierzeit, w a s beinhaltet, daß
m a n einsieht, d a ß nicht alle Angaben beim gleichen Konstanthalten
der pragmatischen P a r a m e t e r g e m a c h t worden sind. Auch weiß
m a n , d a ß die im Atlas verwendete Kartierungstechnik (vgl. dazu
2 . 3 ) ihre eigene Interpretation verlangt ( 1 1 ) . Außerdem m u ß man
mit in K a u f nehmen, daß in der überwältigenden Fülle der D a t e n auf
den handschriftlichen und veröffentlichten Karten durch Fehlan-
gabe des I n f o r m a n t e n oder Fehlinterpretation des Zeichners eine ver-
hältnismäßig kleine M i n d e r h e i t von falschen Informationen er-
scheint. M e h r e r e Fachgelehrte haben in der Anfangszeit Schwierig-
keiten g e h a b t , diese Schwächen zu relativieren. Die bekannteste Kri-
tik, die in der Beschreibung der Fakten m a n c h m a l recht hat, aber in
ihrer Interpretation öfters übers Ziel hinausschießt, ist:

[59] O. Bremer, Beiträge zur Geographie der deutschen Mundarten, in Form


einer Kritik von Wenkers Sprachatlas des Deutschen Reichs. Leipzig
1895 (KGDM 3).

Die Repliken in dieser Diskussion stammen vor allem aus der Feder
Wredes ( 1 2 ) . M a n würde heute aus der Distanz vermutlich weniger
exemplarisch und theoretisch besser fundiert im oben angedeuteten
Sinn zugunsten des Atlasses argumentieren k ö n n e n .

Ein zweites sich auf den ganzen deutschen S p r a c h r a u m beziehendes


Unternehmen, das hauptsächlich für die Untersuchung des laudi-
116 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

chen Aspekts der Mundarten benutzt wird, ist das von E. Zwirner
1932 in Berlin begründete Deutsche Spracharchiv, das 1940 nach
Braunschweig und 1957 nach Münster verlegt wurde. Heute befin-
det sich das Archiv im Institut für deutsche Sprache, Abteilung
Bonn. Den Hauptbestandteil bilden Tonbandaufnahmen freier Ge-
spräche „Einheimischer und Vertriebener in Mundart, die in ca. 850
Orten der Bundesrepublik — und darüber hinaus in Vorarlberg,
Liechtenstein und im Elsaß — von 1955 an mit Hilfe der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) gemacht worden sind" (13). Von
1958 an erschienen die Hefte der Lautbibliothek der deutschen
Mundarten, von 1965 an deren Fortsetzung in der Deutschen Reihe
von Phonai [40], mit Transkriptionen von Aufnahmen. Das Archiv
stellt Interessenten Kopien von Tonbandaufnahmen für For-
schungs- und Lehrzwecke zur Verfügung. Von diesem Angebot wird
rege Gebrauch gemacht. Doch ist festzuhalten, daß vom Deutschen
Spracharchiv kein mit dem Deutschen Sprachatlas vergleichbarer
Einfluß auf die Dialektologie ausgegangen ist. Dies ist wohl zwei
Gründen zuzuschreiben: 1. Das Transkribieren der auf Tonband ge-
speicherten Texte ist ein langwieriges (und in Bonn nicht abge-
schlossenes) Unterfangen; 2. vor allem: Aufnahmen freier Gesprä-
che eignen sich im Gegensatz zu den stereotypen Übertragungen der
Wenker-Sätze nicht zur Untersuchung der traditionellen Fragen der
Dialektologie, weil sie nicht sofort vergleichbare Daten zum Kartie-
ren vorher festlegbarer Erscheinungen bieten. Andererseits ist anzu-
nehmen, daß das Spracharchiv-Material für die diatopische Unter-
suchung der Variabilität in den Dialekten gut geeignet ist, doch
können solche Untersuchungen nur mit sehr großem Zeitaufwand
durchgeführt werden (14).

Aus der Bibliographie zum Deutschen Spracharchiv seien neben den


Lautbibliothek- und Phonai-Heften erwähnt:

[60] E. Zwirner, Deutsches Spracharchiv 1932-1962. Münster 1962.


[61] W. Bethge, Vom Werden und Wirken des Deutschen Spracharchivs.
ZDL 43 (1976), 2 2 - 5 3 .

Über Pläne weiterer großräumiger Unternehmen — zum Teil mit


Hilfe des Sprachatlas-Materials, berichtet

[62] W. H. Veith, Dialektkartographie. GL 4 / 7 0 , 4. Abschnitt.


3.2. Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 117

Wortschatz

Bei der Arbeit am Sprachatlas in Marburg wurde bald deutlich, daß


mehrere Wörter in den Wenker-Sätzen für eine laut- und formengeo-
graphische Untersuchung im ganzen deutschen Sprachraum nicht
geeignet sind, weil bestimmte Teilareale andere Ausdrücke in der
gleichen Bedeutung verwenden. Wenker erhoffte wohl, mit seinem
vierten Satz „Der gute alte Mann ist mit dem Pferde durch's Eis ge-
brochen und in das kalte Wasser gefallen" u. a. die Verbreitung der
Lautverschiebung im anlautenden Labial und die der Dativ-Endung
in der Wortform Pferde festlegen zu können. Es stellte sich jedoch
heraus, daß im ganzen Süden des deutschen Sprachraums die Mund-
arten das Wort Pferd nicht kennen: Aan seine Stelle treten Gaul und
Roß (Karte 8 des DSA). Laut- und Formengeographie werden also
von der Wortgeographie durchkreuzt; es könnte eine lohnende Auf-
gabe sein, diese für sich zu untersuchen (15). Das wurde bestätigt
durch die Erscheinung von:

[63] P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.


Göttingen 1918. 2. durchgesehene und ergänzte Auflage Göttingen
1969.

Kretschmer hatte in den Jahren 1909 bis 1915 mit Hilfe eines Frage-
bogens schriftlich und mündlich für,, 150—170 Orte (je nachdem, ob
man auch die Orte mitrechnet, für die nur ein Teil der Fälle abge-
fragt worden ist)" (16) Angaben über den in der hochdeutschen
Umgangssprache der Gebildeten verwendeten Wortschatz zur Be-
nennung von 350 Begriffen gesammelt. Sein Buch zeigte, obwohl es
keine Karten enthält, eine überraschend große geographische Diffe-
renzierung. Naturgemäß mußte diese dann auf mundartlicher Ebene
noch viel größer sein.

Die ersten den ganzen deutschen Sprachraum umfassenden Wort-


karten, Töpfer, Böttcher und Tischler, mit einigen hundert Orts-
punkten, waren inzwischen in einer von A. Götze angeregten Dis-
sertation erschienen. Das Material war über Lehrerseminare ge-
sammelt worden:

[64] L. Ricker, Zur landschaftlichen Synonymik der deutschen Handwer-


kernamen. Diss. Freiburg 1917.
118 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Um diese Zeit waren schon in verschiedenen Teilen des deutschen


Sprachgebiets regionale Wörterbücher in Angriff genommen, deren
Bearbeiter sich der wortgeographischen Verschiedenheit ihrer
Areale wohl bewußt waren. 1921 fand in Jena eine Konferenz der
Wörterbuchleiter statt, auf der beschlossen wurde, einen Fragebo-
gen mit 24 Wortfragen über die Wörterbuch-Arbeitsstellen zu ver-
breiten. Auch für die fehlenden Gebiete und für den niederländi-
schen Sprachraum konnten Informanten gewonnen werden. Die
Erhebung erbrachte zunächst 1345 ausgefüllte Formulare (1121
deutsche, 2 2 4 niederländische) mit brauchbaren Angaben für 1256
Belegorte; später kamen noch viele hinzu. Für 13 der 24 Begriffe
(17) wurden Wortkarten gezeichnet und mit Kurzkommentaren
veröffentlicht von

[65] B. Martin, Deutsche Wortgeographie. Teuthonista 1 ( 1 9 2 4 - 2 5 ) ,


65-70, 186-187, 227-228; 2 (1925-26), 64-67, 134-136; 3
(1926-27), 63-64, 310-314; 4 (1927-28), 282-284; 5 (1928-29),
2 1 2 - 2 1 4 ; 6 ( 1 9 2 9 - 3 0 ) , 5 5 - 5 7 ; 8 ( 1 9 3 1 - 3 2 ) , 1 0 8 - 1 1 0 ; 9 (1933),
4 7 - 5 0 ; 10 (1934), 1 0 3 - 1 0 6 .

Wichtig waren auch die Anregungen von Seiten der Volkskunde. Es


entstand ein Grenzgebiet zwischen Volks- und Mundartkunde, in
dem man sich, zunächst in kleineren Arealen, mit den Verbindungen
zwischen Gegenständen, Geräten, Bräuchen usw. einerseits und ih-
ren Bezeichnungen andererseits beschäftigte: die Wörter- und Sa-
chen-Methode. In den von 1929 bis 1935 durchgeführten Samm-
lungen des ADV, dessen erste Lieferung 1937 erschien, wurde denn
auch der lexikologische Aspekt besonders berücksichtigt. Der
Volkskundler W. Peßler, der in Norddeutschland mit Erfolg die
Verbindung von Wort- und Sachgeographie betrieb, schrieb mehr-
mals programmatisch über die Notwendigkeit einer den ganzen
deutschsprachigen oder gar den europäischen Raum umfassenden
Wortgeographie. Hervorzuheben ist sein „über Schrifttum, Pläne
und Wünsche der deutschen Wortgeographie" unterrichtender (18)
großer Aufsatz

[66] W. Peßler, Deutsche Wortgeographie, Wesen und Werden, Wollen und


Weg. Wörter und Sachen 15 (1933) 1 - 8 0 .

Am Marburger Sprachatlas-Institut hat W. Mitzka den Plan eines


Wortatlasses des deutschen Sprachraums verwirklicht. 1938
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 119

machte er sein Vorhaben bekannt (19), 1939 veröffentlichte er be-


reits den Fragebogen (20), der 188 Einzelfragen und 12 Sätze ent-
hielt, und fing mit der Sammlung des Materials an. Diese wurde
1942 abgeschlossen. 48 381 Orte aus dem ganzen deutschen Sprach-
raum außer der Schweiz wurden erfaßt. Wie beim Wenkerschen
Sprachatlas fand die Sammlung des Materials über die Volksschul-
lehrer statt; die in den Antworten verwendete Schrift ist wie dort als
Laienschrift zu bezeichnen.

Dank Mitzkas organisatorischen Fähigkeiten ging die Zeichenarbeit


am Wortatlas und die Auswertung der Karten sehr schnell voran. Er
hatte dabei den Vorteil, über ein ausgestattetes Institut zu verfügen.
Trotz widriger Zeitumstände konnte er schon 1951 mit der Veröf-
fentlichung des Kartenwerks beginnen. Sein Nachfolger
L. E. Schmitt wurde ab 1957 Mitherausgeber.

[67] W. Mitzka (ab Bd. 5, 1957 W. Mitzka und L. E. Schmitt, ab Bd. 18,
1971 redigiert von R. Hildebrandt), Deutscher Wortatlas (DWA). 20
Bde. Gießen 1 9 5 1 - 1 9 7 3 .

Ab Band 5 erfuhr der DWA eine technische Verbesserung: Die kom-


plizierteren Wortkarten erschienen jetzt nicht mehr in der Form von
vier Teilkarten für den Nordwesten, Nordosten, Südwesten und
Südosten, sondern als große Faltkarten. Die verwickeiteren Ver-
hältnisse im Südwesten sind häufig auf Zusatzkarten dargestellt. Die
deutschsprachige Schweiz, die von der Fragebogenaktion nicht er-
faßt worden war, ist im DWA durch einschlägige Wortlisten vertre-
ten, die von R. Trüb, zunächst in Zusammenarbeit mit R. Hotzert-
köcherle, zusammengestellt worden sind (21). „Anders als beim äl-
teren ,Deutschen Sprachatlas', dessen Karten nur zu einem kleinen
Teil auch gedruckt werden konnten", haben die Leiter des DWA-
Unternehmens „in den 20 Bänden des,Deutschen Wortatlas' mit ge-
ringen Ausnahmen alle aus dem Material zu erarbeitenden Karten
auch zum Abdruck gebracht" (22). Mit diesen 20 Bänden ist die
Veröffentlichung eigentlich nicht ganz abgerundet. Hildebrandt
und Schmitt (22) nennen als noch fehlende Elemente einen Arbeits-
bericht, „Erläuterungen" und Register.

Die wissenschaftliche Auswertung der DWA-Karten fand haupt-


sächlich über Dissertationen statt, die zunächst von Mitzka, nach-
120 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

her von Schmitt angeregt wurden. Sie sind zum guten Teil in der al-
ten und neuen Folge der Gießener sowie in den Marburger Beiträgen
([47], [4-8], [49]) erschienen. „Die grundsätzlich und methodisch
wichtigen Arbeiten" (23) wurden seit 1 9 5 8 in einer besonderen Rei-
he, der D W E B [41], veröffentlicht. Eine Bibliographie des DWA,
seiner Auswertung und der Kritik bietet:

[68] E.Barth, Deutscher Wortatlas 1939-1971. Eine Bibliographie. GL


1/72, 125-156 (24).

Die Qualität der einzelnen veröffentlichten Kartenkommentare zum


D W A ist sehr unterschiedlich. Außerdem bieten sie natürlich keine
Synthese des Gesamtwerks. Es ist das Verdienst von H. E. Wiegand
und G. Harras, noch vor dem Abschluß desselben den Versuch einer
umfassenden Kritik des Konzepts und seiner Ausarbeitung geliefert
zu haben:

[69] H. E. Wiegand unter Mitarbeit von G. Hutías, Zur wissenschaftshisto-


rischen Einordnung und linguistischen Beurteilung des Deutschen
Wortatlas. GL 1-2/71.

Eine Sammlung von vier Beiträgen bietet ebenfalls Material und Be-
trachtungen zur Einschätzung des D W A :

[70] N. Nail, G. van der Eist, F. Rawlison, E. Barth, Wortgeographie. GL


1/72.

Erwünscht bleibt eine Sammlung von einheitlich konzipierten


Kurzkommentaren zu den 2 0 Bänden des DWA mit dem Versuch
einer wortgeographischen Gliederung des deutschen Sprachraums.

In 1.1.3 wurde auf ein neues wortgeographisches Unternehmen ein-


gegangen, das kurz vor der Veröffentlichung steht. Es sei hier noch
einmal erinnert an die Erläuterungen von

[71] J. Eichhoff, Der Wortatlas des gesprochenen Deutsch. ZDL 41 (1974),


48-55.

Die Namenkunde ist als dialektologisch im definierten Sinne zu be-


trachten, wenn sie unter diatopischem Aspekt die Verwendung der
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 121

Namen in den Mundarten zum Gegenstand ihrer Untersuchungen


macht. Ein den gesamten deutschen Sprachraum umfassendes dia-
lektologisches Studium von Ruf-, Familien- und Ortsnamen gibt es
bis heute nicht, doch sind areallinguistische Verfahren in der Na-
menkunde, vor allem in der Toponymie oder Ortsnamenkunde,
wohl bekannt. Zwei Handbücher informieren darüber:

[72] E. Schwarz, Deutsche Namenforschung. 1: Ruf- und Familiennamen.


Göttingen 1949. II: Orts- und Flurnamen. Göttingen 1950.
[73] A. Bach, Deutsche Namenkunde. 1,1 und 1,2: Die deutschen Personen-
namen. Heidelberg 1952 und 1953.11,1 und 11,2: Die deutschen Orts-
namen. Heidelberg 1953 und 1954.

Vor allem das Buch von Bach enthält systematische Übersichten


über die deutschen Personen- bzw. Ortsnamen „in ihrer landschaft-
lichen Staffelung", und zwar im Band 1,2, 127-190 und 11,2,
263—488. Schwarz bietet im ersten Band kurze Paragraphen über
die Geographie der deutschen Ruf- (S. 32-33) und Familiennamen
(179-184), doch kommen auch sonst in diesem Werk sprachgeo-
graphische Betrachtungen vor.

Eine Zeitschrift, in der Beiträge zur Erforschung der deutschen Na-


men auch unter diatopischem Aspekt erscheinen, ist:

[74] Beiträge zur Namenforschung. 1 ( 1 9 4 9 - 5 0 ) - 1 6 (1965). Neue Folge 1 -


(1966—).

Anmerkungen

(1) Wenker [51], Textheft VI.


(2) Die Sätze sind abgedruckt bei Martin [55], 5—6.
(3) Die neue Liste bei Martin [55], 7 - 8 .
(4) Martin [55], 12.
(5) Sie sind u.a. abgedruckt in der Einführung des DSA [53], 1 - 2 und in
Mitzka [54], 13-14. Unwesentliche Änderungen, die nachher noch
durchgeführt wurden, sind vermerkt bei Mitzka [54], 14.
(6) Eine Anerkennung seiner Verdienste wurde ihm durch die Ernennung
zum Oberbibliothekar der Marburger Universitätsbibliothek und die
Verleihung des Professorentitels zuteil.
(7) B. Martin, Ferdinand Wrede. In: F. Wrede, Kleine Schriften [52], 1 - 7 .
122 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

(8) Die beiden Hilfsarbeiterstellen wurden 1902 in etatmäßige Bibliothe-


karstellen umgewandelt.
(9) Vgl. Mitzka [54], 12. Eine Wortliste mit Übersichten zur Laut- und
Formenlehre gibt Mitzka [54], 1 6 - 2 7 .
(10) Karte 26 besteht aus zwei Teilkarten (eine für den Norden und eine für
den Süden) verschiedener Erscheinungen.
(10 a) Vgl. jetzt auch I. Radtke, Deutscher Sprachatlas/Deutscher Wortat-
las. Rezeption - Wissenschaftsgeschichte - Applikation. Muttersprache
84 (1974), 3 7 2 - 3 8 7 .
(11) Ein Beispiel einer solchen Interpretation ist die Besprechung eines
Mischgebiets mit van/von in der Eifel in 2.4.1 der vorliegenden Arbeit.
(12) Bredes Bibliographie erschien in seinen Kleinen Schriften [52],
405-411.
(U)Bethge [61], 2 4 - 2 5 .
(14) Ein Hauptseminar über syntaktische Variabilität in Münster im Win-
tersemester 1974—75 hat diese Annahmen bestätigt.
(15) 1913 promovierte bei Wrede E. Heckner mit einer Arbeit Roß, Pferd,
Gaul im Sprachgebiet des Deutschen Reichs. Ein Teildruck dieser Dis-
sertation erschien Marburg 1914.
(16) Kretschmer [63], 28.
(17) Der Fragebogen ist abgedruckt in Teuthonista 1 (1924—25), 6 6 - 6 7 .
(18) W. Mitzka, Der Deutsche Wortatlas. Z M F 14 (1938), 4 0 - 5 5 .
(19) Wie Anm. 18. Mitzkas Aufsätze zum DWA sind verzeichnet bei Wie-
gand-Harras [69], 1 6 0 - 1 6 1 .
(20) W. Mitzka, Der Fragebogen zum Deutschen Wortatlas. Z M F 15
(1939), 1 0 5 - 1 1 1 . Vgl. auch Wiegand-Harras [69], 1 7 0 - 1 7 6 undDWA
[67], Bd. 20, Einleitung.
(21) Vgl. dazu die Ausführungen von R. Trüb im Vorwort zum 20. Band.
(22) R. Hildebrandt und L. E. Schmitt im Vorwort zum 20. Band.
(23) L. E. Schmitt im Vorwort zum 8. Band (1958). Vgl. auch noch das
Vorwort zum 11. Band.
(24) Eine ältere Bibliographie ist: Arbeiten zum Deutschen Wortatlas. Bi-
bliographie zusammengestellt von P. von Polenz. DWEB 2 (1963),
525-548.

3.2.2. Regionale Untersuchungen

Regional beschränkte dialektologische Untersuchungen können in-


dividuelle Unternehmen sein (das ist der Fall bei zahlreichen Disser-
tationen); wichtiger ist eine Reihe von institutionalisierten klein-
räumigen Projekten, die an Universitäten oder landeskundlichen
Einrichtungen ausgearbeitet worden sind oder werden. Über sie ist
3 . 2 . Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 123

DAS GESCHLOSSENE AREAL DEUTSCHER DIALEKTE UM 1900

N0HD-
rniESiscH ; ·

Offosioc*
TELDEUTSCH

; Q OBrtmen °STNIE pj
* SATE R — J Warschau
LANDISCH [Hannover +

fES^T r\
iiseldorf

Mannhei
Numbarg

0Stuttgai
r

München WienÒ

o s t í o b e r d e u t s c h ( j Budapests
°Zurlch
ffinsbruck

Bozen.

GRENZEN DES KONTINENTALWESTGERM ANISCHEN UND FRIESISCHEN


.····· GRENZE ZUM NIEDERLANDISCHEN
Γ J GEBIETE AUS DENEN I94S DIE DEUTSCHSPRACHIGE BEVÖLKERUNG
F AUSGESIEDELT WURDE

Karte 13

im Laufe der Geschichte der Forschung einige M a l e zusammenfas-


send berichtet worden. Z w e i Übersichten über laufende Unterneh-
m e n w u r d e n 1 9 6 5 a n l ä ß l i c h des Z w e i t e n I n t e r n a t i o n a l e n Dialekto-
124 3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

logenkongresses veröffentlicht. Die erste enthält Berichte aus dem


deutschsprachigen Raum außerhalb der D D R , die zweite aus der
DDR.

[ 7 5 ] Regionale Dialektologie der deutschen Sprache. Arbeiten der For-


schungsunternehmen. Z D L 32 (1965), 9 7 - 1 6 9 .
[ 7 6 ] Berichte über dialektologische Forschungen in der Deutschen Demo-
kratischen Republik. Berlin 1 9 6 5 .

Eine ganz neue Übersicht ist:

[ 7 6 a] Dialektlexikographie, hrsg. von H . Friebertshäuser. Wiesbaden 1 9 7 6


( Z D L , Beihefte, 17).

Der deutsche Sprach räum wird herkömmlich in ein nördliches, nie-


derdeutsches und ein südliches, hochdeutsches Teilgebiet zerlegt
(Karte 13). Kriterium der Begrenzung ist dabei die Verbreitung der
zweiten Lautverschiebung. Die Lautverschiebungsgrenze ist zum
Teil scharf; zum Teil (im Rheinland: der „rheinische F ä c h e r " , Karte
1; in der Umgebung von Berlin) fasert sie in mehrere Linien ausein-
ander, so daß einer Zerlegung des Sprachraums in zwei deutlich
voneinander getrennte Gebiete etwas Beliebiges anhaftet (1). Doch
ist festzustellen, daß die Übersichten über die deutschen Mundarten
auf der Basis regionaler Merkmale diese Einteilung voraussetzen.
Das gilt an erster Stelle für die beiden großen Übersichten im „Auf-
riß":

[ 7 7 ] W . M i t z k a , Hochdeutsche Mundarten. In: Deutsche Philologie im Auf-


riß, hrsg. von W . Stammler. Bd. I, Berlin 2 1 9 5 7 , 1 5 9 9 - 1 7 2 8 .
[ 7 8 ] W . Foerste, Geschichte der niederdeutschen Mundarten. Id.,
1729-1898.

Beide Arbeiten beschreiben die einzelnen Teilgebiete ihres Areals


mit ihren Merkmalen und Gliederungen, vor allem an Hand lautli-
cher und lexikalischer Charakteristika. Foerste geht darüber hinaus
ausführlich auf die niederdeutsche Sprachgeschichte ein.

Das Niederdeutsche wird eingeteilt in Westniederdeutsch (Nieder-


deutsch der Stamriilande) und Ostniederdeutsch (Kolonialnieder-
deutsch). Der Gegensatz zwischen beiden schlägt sich etwa nieder in
3.2. Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 125

der niederdeutschen einheitlichen Pluralendung des Präsens der


V e r b e n , die im Westen -(e)t (wi, gi, se mak(e)t) und im O s t e n -en
(maken) lautet. D a s H o c h d e u t s c h e wird eingeteilt in Mittel- und
Oberdeutsch. Ein Kennzeichen des Mitteldeutschen ist die unvoll-
ständige Durchführung der zweiten Lautverschiebung beim alten p,
das im Westmitteldeutschen im Anlaut (Pund) und bei früherer Ge-
m i n a t i o n (Appel) erhalten ist, im Ostmitteldeutschen dagegen nur in
der G e m i n a t i o n (Appel, aber Fund für „ P f u n d " ) . D a s gesamte M i t -
teldeutsche hat aber den T y p schlafen statt s(ch)lapen. Auch das
Oberdeutsche, das südlich der pp-pf-Linie liegt, wird m a n c h m a l
zweigeteilt, und z w a r in Westoberdeutsch o d e r Alemannisch und
Ostoberdeutsch oder Bairisch. Z u den Gegensätzen zwischen beiden
gehört der K o n t r a s t westlich -seht, östlich -st (fescht, fest). M a n c h -
mal wird das N o r d o b e r d e u t s c h e a m oberen M a i n als eine Einheit für
sich gesehen. Es kann nur durch K o m b i n a t i o n mehrerer M e r k m a l e
definiert werden und ist als Ubergangsbereich zwischen O b e r - und
Mitteldeutsch zu betrachten.

Z w e i S a m m e l w e r k e enthalten Ubersichten über die Eigentümlich-


keiten und die Erforschung der besprochenen kleineren Teilgebiete:

[79] Germanische Dialektologie. Festschrift für W. Mitzka zum 80. Ge-


burtstag, hrsg. von L. E. Schmitt. 2 Bde. Wiesbaden 1968 (ZMF, Bei-
hefte, Neue Folge 5).

Im ersten B a n d behandelt S. Sonderegger das Alemannische,


R. Freudenberg das Bairische, H. Friebertsbäuser das Westmittel-
deutsche, W. Putscbke das O s t m i t t e l d e u t s c h e , / . Hartig und G . Ke-
seling das Westniederdeutsche, N. Ärhammar das Friesische, im
zweiten W. Mitzka das Ostniederdeutsche. Dieses W e r k betont for-
schungsgeschichtliche und bibliographische Aspekte.

[80] Lexikon der Germanistischen Linguistik, hrsg. von H. P. Althaus,


H. Henne, H. E. Wiegand. Tübingen 1973.

Abschnitt V behandelt „Areale Aspekte der S p r a c h e " . Er ist aufge-


teilt in: 3 1 . / . Goossens, Areallinguistik, 3 2 . H. Niebaum, Westnie-
derdeutsch, 3 3 . D. Stellmacher, Ostniederdeutsch, 3 4 . H. Beckers,
Westmitteldeutsch, 35. W. Putscbke, Ostmitteldeutsch, 36.
126 3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

E. Straßner, Nordoberdeutsch, 37. W. Kleiber, Westoberdeutsch,


38. R. Freudenberg, Ostoberdeutsch, 39. P. Wiesinger, Die deut-
schen Sprachinseln in Mitteleuropa, 40. H. Kloss, Deutsche Sprache
im Ausland. Hier liegt der Akzent auf den sprachlichen Merkmalen,
auf Abgrenzung und Gliederung, so daß die Werke [79] und [80]
sich gegenseitig ergänzen.

Eine eigene Übersicht über das Niederdeutsche bietet:

[ 8 1 ] Niederdeutsch — Sprache und Literatur. Eine Einführung, hrsg. von


J . Goossens. Bd. 1: Sprache. Neumünster 1 9 7 3 .

P. Tecpe behandelt hier die Lautgeographie, H. Niebaum die For-


mengeographie, R. Schopbaus Wortgeographie und Wörterbücher,
G. Müller die Namenkunde.

Grammatik

Das Interesse an laut- und formengeographischen Problemen auf


kleinerem Raum ist älter als Wenkers Arbeiten. Als Begründer der
diatopischen Grammatik ist J. A. Schmeller (1785-1852) zu be-
trachten, der nach langjähriger Sammelarbeit veröffentlichte:

[ 8 2 ] J . A. Schmeller, Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt.


München 1 8 2 1 .

Gemeint ist das damalige Königreich Bayern, zu dem auch Teile des
Westoberdeutschen gehören. Schmeller untersucht vergleichend
eine Reihe von Erscheinungen aus der Laut- und Formenlehre und
gibt am Ende in einer Art Register eine Aufschlüsselung ihrer räum-
lichen Verbreitung. Im Anhang erscheint eine Karte, auf der die im
Register charakterisierten Areale angegeben sind. Nach Schmeller
hat es im 19. Jh. noch weitere Ansätze gegeben, auf die hier nicht
eingegangen werden kann (2). Nur die wichtigen methodischen Stu-
fen der weiteren Entwicklung seien festgehalten.

Durch das Erscheinen von

[ 8 3 ] J . Winteler, Die Kerenzer Mundart des Kantons Glarus in ihren Grund-


zügen dargestellt. Leipzig - Heidelberg 1 8 7 6
3 . 2 . Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 127

war für Darstellungen der Laut- und Flexionslehre von Ortsmund-


arten auf historischer Basis, mit gründlicher Betrachtung phoneti-
scher Einzelheiten, ein Modell vorhanden, das vielfach benutzt
wurde. In den Dissertationen, die ab 1 9 0 8 unter der Herausgeber-
schaft F. Wredes in der D D G erschienen, wurden kurzgefaßte Laut-
und Flexionslehren von Ortsmundarten mit kleinräumigen Unter-
suchungen der Umgebung kombiniert. Das neue Modell erhielt
seine charakteristische Gestalt zuerst bei

[ 8 4 ] T h . Frings, Studien zur Dialektgeographie des Niederrheins zwischen


Düsseldorf und Aachen. M a r b u r g 1 9 1 3 ( D D G 5 ) .

Der Ausgangspunkt ist hier die Mundart von Dülken (3).

Die im Jahrhundert seit Wintelers Studie erschienenen Mundart-


grammatiken überdecken heute große Teile des deutschen Sprach-
raums. Vor allem in Gebieten, in denen in den letzten 6 0 Jahren
durch systematische Anregung zahlreiche kleinräumige Untersu-
chungen durchgeführt wurden, ist es jetzt möglich, durch Zusam-
menlegung ihrer Angaben lückenlos verhältnismäßig weite Strecken
zu erforschen. Für einzelne Dialekträume sind diese Ortspunkte und
Flächen auf Karten mit zugehörigen Bibliographien festgelegt (4).

Auf Grund sämtlicher gedruckter und handschriftlicher Behandlun-


gen der Lautlehren einzelner Ortsmundarten und kleinräumiger
Gebiete des Hochdeutschen und der Kartensammlung des Wenker-
schen Unternehmens im Sprachatlas-Institut hat P. Wiesinger eine
phonetisch-phonologische Gesamtdarstellung der Langvokale und
Diphthonge des hochdeutschen Raumes veröffentlicht:

[ 8 5 ] P. Wiesinger, Phonetisch-phonologische Untersuchungen zur Vokal-


entwicklung in den deutschen Dialekten. Bd. 1, Die Langvokale im
Hochdeutschen, Bd. 2 , Die Diphthonge im Hochdeutschen, Karten-
mappe. Berlin 1 9 7 0 .

Der zweite Teil des Anhangs dieser Arbeit, „Die hochdeutschen Dia-
lekte" (Bd. 2, 2 8 8 - 3 5 2 ) , bietet eine Bibliographie von 5 6 6 Num-
mern.
128 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Für den niederdeutschen Raum ist unter bibliographischem Aspekt


beschränkt vergleichbar

[86] B. Panzer-W. Thümmel, Die Einteilung der niederdeutschen Mundar-


ten auf Grund der strukturellen Entwicklung des Vokalismus. Mün-
chen 1971.

Hier werden auf S. 169—188 116 niederdeutsche Arbeiten genannt,


aus denen die Autoren ihr Material exzerpiert haben.

Eine neue Phase im landschaftlich begrenzten Studium der Laut-


und Formenlehre begann mit dem Erscheinen regionaler Sprachat-
lanten. Ein Vorläufer war hier L. Liebich, dessen auf einer Enquete
aus dem Jahre 1 8 7 3 basierende Kartensammlung über Elsaß-Loth-
ringen jedoch nicht veröffentlicht wurde; heute scheint sie ver-
schollen zu sein (5). Als ersten veröffentlichten Regionalatlas neben
Wenkers Publikation über mittelrheinische Dialekte ([51]) kann
man betrachten

[87] H. Fischer, Geographie der schwäbischen Mundart. Tübingen 1895.

Dies ist noch ein Buch mit bescheidenem Kartenanhang (der Atlas
umfaßt 28 Karten). Bei späteren Regionalatlanten bilden die Karten
den Schwerpunkt; Text wird in der Regel nur so viel gegeben wie für
die Vermeidung von Irrtümern bei der Betrachtung der Karten not-
wendig ist, m. a. W. Interpretationen der Kartenbilder fehlen. Die
Grenzen zwischen einem Regionalatlas und einer kleinräumigen
Untersuchung, wie sie in zahlreichen Bänden der D D G vertreten ist,
sind nicht immer deutlich. Vom spärlicheren Kommentar abgesehen
haben die Atlanten in der Regel ein größeres Untersuchungsgebiet
und buchtechnisch ein größeres Format. Die hier genannten Regio-
nalatlanten sind zum großen Teil in einer Reihe „Deutscher Sprach-
atlas, Regionale Sprachatlanten" (RSA) erschienen, die von
L. E. Schmitt begründet wurde.

[88] Siebenbürgisch-Deutscher Sprachatlas. 1. Band, Teil I und II: Laut- und


Formenatlas. Auf Grund der Vorarbeiten von R. Huss und R. Csallner
bearbeitet von K. Rein. Marburg 1961 und 1964 (RSA 1).
[89] Thüringischer Dialektatlas, begründet von H. Hucke. Berlin 1961 - .
Die beiden bisher erschienenen Lieferungen bringen Laut-, Formen-
und Wortgeographisches nebeneinander.
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische U n t e r n e h m e n 129

[90] Sprachatlas der deutschen Schweiz. Band I, Lautgeographie: Vokalqua-


lität. Band II, Lautgeographie: Vokalquantität. Konsonantismus. Band
Iii, Formengeographie. Bearbeitet von R. H o t z e n k ö c h e r l e und R. T r ü b
(Bd. I, II, III), D. H a n d s c h u h (Bd. II, III) sowie J. Bleiker, R. Meyer,
A. Suter (Bd. III). Bern 1962, 1965, 1975.
[91] Luxemburgischer Sprachatlas. Laut- und Formenatlas von R. Bruch t ,
für den D r u c k vorbereitet von J. Goossens. M a r b u r g 1963 (RSA 2).
[92] Tirolischer Sprachatlas. Unter Berücksichtigung der Vorarbeiten
B. Schweizers t bearbeitet von E. K ü h e b a c h e r . 1. Band: Vokalismus,
2. B a n d : Konsonantismus, Vokalquantität, Formenlehre. Inns-
b r u c k - M a r b u r g 1965, 1969 (RSA 3).
[93] Schlesischer Sprachatlas. 1. B a n d : Laut- und Formenatlas von G. Bell-
m a n n unter M i t a r b e i t von W . Putschke u n d W . Veith. M a r b u r g 1967
(RSA 4).
[94] E. Beyer - R. M a t z e n , Atlas linguistique et ethnographique de-l'Alsace.
Band 1: L'homme-Der Mensch. Paris 1969. Dieser Band e n t h ä l t L a u t -
und Wortgeographisches nebeneinander.
[95] A. G ü t t e r , Nordbairischer Sprachatlas. M ü n c h e n 1971.
[96] Glen G. Gilbert, Linguistic Atlas of Texas German. M a r b u r g 1972
(RSA 5).

D e r r e i c h h a l t i g s t e u n d m e t h o d i s c h b e d e u t s a m s t e d i e s e r A t l a n t e n ist
d e r s c h w e i z e r d e u t s c h e [90]. Ü b e r ihn erschien ein zweibändiges
B u c h , in d e m a u c h a u s f ü h r l i c h a u f d i e M e t h o d i k d e r K l e i n r a u m a t -
lanten eingegangen wird:

[97] R. Hotzenköcherle, Einführung in den Sprachatlas der deutschen


Schweiz. Bern 1962.

Wortschatz

Die r e g i o n a l e W o r t g e o g r a p h i e h a t sich gutteils ü b e r die r e g i o n a l e n


Dialektwörterbücher entwickelt. Die ersten M u n d a r t w ö r t e r b ü c h e r
w a r e n Idiotika, das heißt W e r k e , die den Z w e c k verfolgten, h a u p t -
sächlich den von der Schriftsprache abweichenden dialektalen
W o r t s c h a t z f e s t z u h a l t e n . D a s ä l t e s t e b e k a n n t e I d i o t i k o n ist d a s
1689 erschienene Glossarium Bavaricum des Regensburger Bür-
g e r m e i s t e r s Jobann Ludwig Prasch. I m 1 8 . J h . ist v o r a l l e m d e r nie-
d e r d e u t s c h e R a u m g u t v e r t r e t e n ; h i e r s e t z t d i e R e i h e ein m i t d e m
I d i o t i c o n H a m b u r g e n s e d e s Michael Richey (6). I m 1 9 . J h . m e h r e n
sie sich i m g a n z e n d e u t s c h e n S p r a c h r a u m ; es ist d a n n e i n e E n t w i c k -
130 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

lung zum eigentlichen D i a l e k t w ö r t e r b u c h festzustellen, das auch


den mundartlichen W o r t s c h a t z enthält, der — meistens mit anderer
Aussprache—auch in der Schriftsprache v o r k o m m t . W e i t e r wird seit
dem 1 9 . J h . in den größeren, den W o r t s c h a t z eines Areals beschrei-
benden W e r k e n versucht, wortgeographische Verschiedenheiten
festzustellen. Orts- und R a u m l e x i k a deutscher Dialekte erscheinen
bis heute. Ein guter Teil davon ist, mit einer Aufgliederung nach Re-
gionen, inventarisiert in:

[98] W. Zaunmüller, Bibliographisches Handbuch der Sprach Wörterbü-


cher. Stuttgart 1958, 7 0 - 8 2 .

Bei den R a u m w ö r t e r b ü c h e r n , die seit dem vorigen J h . erschienen


sind, sind deutlich zwei Entwicklungen zu b e o b a c h t e n : 1. M a n be-
m ü h t sich, die zu behandelnden Areale so zu gestalten und die ein-
zelnen W ö r t e r b ü c h e r so über den R a u m zu verteilen, d a ß als Ender-
gebnis eine lückenlose Überdeckung des deutschen Sprachgebiets
durch R e g i o n a l w ö r t e r b ü c h e r Zustandekommen m u ß . 2. In den ein-
zelnen Arealen wird der wortgeographischen Verschiedenheit im-
mer m e h r A u f m e r k s a m k e i t gewidmet, w a s seit den 1 9 3 0 e r J a h r e n
zu einer i m m e r g r ö ß e r werdenden Z a h l von W o r t k a r t e n in den W ö r -
terbüchern führt.

Die folgende Liste enthält die einen R a u m umfassenden Dialektwör-


terbücher, insofern sie wenigstens bereits teilweise erschienen sind.
W ö r t e r b ü c h e r aus einem G e b i e t , das n a c h h e r in das großräumigere
eines jüngeren W ö r t e r b u c h s aufgegangen ist, werden nicht e r w ä h n t .
Z u n ä c h s t werden die vollständig erschienenen W e r k e genannt. Wie
bei den G r a m m a t i k e n wird die Liste mit einer Arbeit J . A. Schmel-
lers eröffnet.

[99] J. A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch mit urkundlichen Belegen. 4


Bde. Stuttgart-Tübingen 1 8 2 7 - 1 8 3 7 . Zweite Ausgabe bearbeitet von
G. K. Frommann. 2 Bde. München 1 8 7 2 - 1 8 7 7 . Unveränderter
Nachdruck mit Vorwort und Einleitung von G. Maußer. Leipzig
1939.
[100] Wörterbuch der elsässischen Mundarten, bearbeitet von E. Martin
und H. Lienhart. 2 Bde. Straßburg 1 8 9 9 - 1 9 0 7 . Neudruck Berlin -
New York 1974.
[101 ] Schwäbisches Wörterbuch, auf Grund der von A. von Keller begönne-
3.2. Übersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 131

nen Sammlungen bearbeitet von H. Fischer, zu Ende geführt von


W. Pleiderer. 6 Bde. Tübingen 1 9 0 4 - 1 9 3 6 .
[102] M. F. Follmann, Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten.
Leipzig 1909. Neudruck 1971.
[103] Schleswig-Holsteinisches "Wörterbuch, hrsg. von G. Mensing. 5 Bde.
Neumünster 1927-1935.Neudruck Neumünster 1973.
[104] Rheinisches Wörterbuch, bearbeitet von J.Müller und (Bd. 9)
H. Dittmaier. 9 Bde. Bonn und Berlin 1 9 2 8 - 1 9 7 1 .
[105] Luxemburgisches Wörterbuch. 4 Bde. Luxemburg 1 9 5 0 - 1 9 7 5 . Ein
Band mit Nachträgen ist in Aussicht gestellt worden.
[106] J. Schatz, Wörterbuch der Tiroler Mundarten. Für den Druck vorbe-
reitet von K. Finsterwalder. 2 Bde. Innsbruck 1 9 5 5 - 1 9 5 6 .
[107] Vorarlbergisches Wörterbuch mit Einschluß des Fürstentums Liech-
tenstein, bearbeitet von L. Jutz, die letzten zwei Lieferungen redigiert
von E.Gabriel und E. Kranzmayer. 2 Bde. Wien 1 9 5 5 - 1 9 6 0 . Ein
Nachtrag ist in Aussicht gestellt worden.
[108] W. Mitzka, Schlesisches Wörterbuch. 3 Bde. Berlin 1 9 6 3 - 1 9 6 5 .

D i e f o l g e n d e n in L i e f e r u n g e n e r s c h e i n e n d e n W ö r t e r b ü c h e r sind
n o c h nicht a b g e s c h l o s s e n :

[109] Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizer deutschen Spra-


che, begonnen von F. Staub und L. Tobler, fortgesetzt unter der Lei-
tung von A. Bachmann, O. Gröger und H. Wanner. Bis 1976 13 Bde.
und 384 Spalten. Frauenfeld 1881 - .
[110] Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch, bearbeitet von A. Schülle-
r s , G. Keintzel, F. Hofstädter, J. Roth. Bd. 1, 2, 5 (A-F, R). Ber-
lin-Leipzig 1 9 0 8 - 1 9 3 1 . Weitergeführt von einem Wörterbuchkollek-
tiv. Bd. 3, 4 CG-]). Berlin-Bukarest 1971, 1972.
[111] Badisches Wörterbuch, bearbeitet von E.Ochs, fortgesetzt von
K. F. Müller, nachher von G. W. Baur. Bis 1976 2 Bde. und 2 Liefe-
rungen (Α-Kanone). Lahr (Schwarzwald) 1925 —.
[112] R. Wossidlo - H. Teuchert, Mecklenburgisches Wörterbuch. Ab
Bd. VI, 4 bearbeitet unter der Leitung von J. Gundlach. Bis 1976
6 Bde. (A-System), Berlin-Neumünster 1937 - .
[113] Preußisches Wörterbuch, bearbeitet von W. Ziesemer. 1 Band und 8
Lieferungen (A - Fingernagel). Königsberg 1 9 3 9 - 1 9 4 4 . Nach Ver-
nichtung des Archivs Neubeginn mit bisher 4 Lieferungen: Preußi-
sches Wörterbuch, hrsg. von E. Riemann. Bd. 1, Lief. 1 (Einführung)
und Bd. 2, Lief. 1 - 3 (fi - Gezeter). Neumünster 1974 - .
[114] Hessen-Nassauisches Volkswörterbuch von L.Berthold und (ab
Bd. 4) H. Friebertshäuser. Bis 1976 2 Bde. (Bd. 2 und 3) und 20 Bogen
(L - verjuxen). Marburg 1943 - .
132 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

[115] Niedersächsisches Wörterbuch, hrsg. . . . durch W. Jungandreas


(Bd. 1), nachher . . . durch H. Wesche, Bearbeiter G. Keseling,
W. Kramer. Bis 1976 11 Lieferungen (A- Blaser). Neumünster 1953

[116] Bayerisch-Österreichisches Wörterbuch. I. Österreich. Wörterbuch


der bairischen Mundarten in Österreich, bearbeitet von V. Dollmayr
und E. Kranzmayer. Bis 1976 1 Bd. und 5 Lieferungen (A — Pelle).
Wien 1963
[117] Pfälzisches Wörterbuch, begründet von E. Christmann, bearbeitet
von J . Krämer. Bis 1976 1 Bd. und 9 Lieferungen (A—D, Τ bis teig).
Wiesbaden 1965
[118] Südhessisches Wörterbuch, begründet von F. Maurer, bearbeitet von
Rudolf Mulch und Roland Mulch. Bis 1976 11 Lieferungen (A -
Klotz). Marburg 1965 - .
[119] Thüringisches Wörterbuch, bearbeitet unter der Leitung von K. Span-
genberg. Bis 1976 1 Bd. (Bd. 4) und 1 Lieferung (L - Reisig). Berlin
1966 - .
[120] Brandenburgisch-Berlinisches Wörterbuch, begründet und angelegt
von A. Bretschneider unter Einschluß der Sammlungen von H. Teu-
chert, bearbeitet unter der Leitung von G. Ising. Bis 1976 9 Lieferun-
gen (A - Dusel). Berlin-Neumünster 1968 - .
[121] Westfälisches Wörterbuch, bearbeitet von F. Wortmann. Bis 1976 er-
schienen der Beiband und 2 Lieferungen (A — Ärdman). Neumünster
1969

Andere Wörterbücher sind geplant; zum Teil sind die Vorarbeiten


schon weit gediehen. Z u nennen sind hier das deutsch-bairische
Pendant zum österreichischen Wörterbuch (vgl. [ 1 1 6 ] ) , das zu-
sammen mit diesem das veraltete W e r k Schmellers ersetzen soll (7),
ein ostfränkisches (8), ein obersächsisches (9), ein pommersches
( 1 0 ) , ein baltendeutsches ( 1 1 ) , ein sudetendeutsches (12), ein un-
garndeutsches Wörterbuch ( 1 3 ) .

Parallel zu den kleinräumigen laut- und formengeographischen Stu-


dien, die meistens als Dissertationen entstanden sind, gibt es auch
einige kleinräumige wortgeographische Untersuchungen mit Kar-
tensammlungen ( 1 4 ) . Daneben gibt es seit den fünfziger Jahren grö-
ßere Areale umfassende regionale Wortatlanten. Sie hatten einen be-
scheidenen Vorläufer in

[122] W. Peßler, Plattdeutscher Wort-Atlas von Nordwestdeutschland.


Hannover 1928.
3.2. Ubersicht über deutsche dialektologische Unternehmen 133

Die wichtigsten regionalen Wortatlanten sind:

[123] E. Schwarz, Sudetendeutscher Wortatlas. 3 Bde. München


1954-1957.
[124] K. Heeroma, Taalatlas van Oost-Nederland en aangrenzende gebie-
den (TON). Bis 1976 3 Lieferungen mit Textteil. Assen 1957 - . Um·
faßt Nordwestdeutschland bis zur Weser.
[125] Schlesischer Sprachatlas. 2. Band: Wortatlas, von G. Bellmann. Mar-
burg 1965 (RSA 4).
[126] Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bd. IV: Wortgeographie /: Der
Mensch, Kleinwörter. Bearbeitet von D. Handschuh, R. Hotzenkö-
cherle, R. Schläpfer, S. Sonderegger, R. Trüb. Bern 1969.
[127] Tirolischer Sprachatlas. Unter Berücksichtigung der Vorarbeiten
B. Schweizers t bearbeitet von E. Kühebacher. 3. Bd.: Wortatlas.
Innsbruck-Marburg 1971 (RSA 3).

Auch [ 8 9 ] und [ 9 4 ] sind für die Wortgeographie wichtig. W . Mitzka


hat 1 9 6 8 ein Buch herausgebracht, in dem der Versuch unternom-
men wird, für die einzelnen deutschen Teilräume eine wortsoziolo-
gische und -geographische Synthese zu erbringen:

[128] Wortgeographie und Gesellschaft, hrsg. von W. Mitzka (Festschrift


L. E. Schmitt). Berlin 1968. Zweites Kapitel: Worträume und Wort-
schichten. Darin: R. Hildebrandt, Der Deutsche Wortatlas als For-
schungsmittel der Sprachsoziologie; R. Freudenberg, Alemannisch;
W. Mitzka, Bairisch; H. Friebertshäuser, Westmitteldeutsch;
W. Mitzka, Ostmitteldeutsch; W. Mitzka, Niederdeutsch.

Regionale namengeographische Studien sind im deutschen Sprach-


raum ziemlich gut vertreten. Mundartliches N a m e n g u t ist vor allem
bei den Flurnamen untersucht bzw. bei der Untersuchung histori-
scher Namenbelege zum Vergleich herangezogen worden. Es sei hier
auf die Handbücher [ 7 2 ] und [ 7 3 ] , die Zeitschrift [ 7 4 ] sowie auf die
Bibliographien [1] und [2J verwiesen (15).

Anmerkungen

(1) Vgl./. Goossens, Niederdeutsche Sprache - Versuch einer Definition.


In: [81], 9 - 2 7 .
(2) Vgl. dazu Kapitel II bei Schirmunski [5], verstreute Angaben bei Bach
[8] und R. Freudenberg, Zur Entwicklungsgeschichte der dialektgeo-
graphischen Methode. Z M F 32 (1965), 1 7 0 - 1 8 2 .
134 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

(3) Auch Band 4 der DDG, mit Arbeiten von E. Hammer und W. Kroh zur
Dialektgeographie des Westerwaldes bzw. des Nassauischen, ist nach
diesem Modell aufgebaut. Er erschien jedoch erst zwei Jahre nach Band
5.
(4) Für das Westniederdeutsche Hartig-Keseling in [79], Bd. 1, 163, für
Hessen H. Friebertshäuser in id., 77, für das Ostmitteldeutsche
L. E. Schmitt, Untersuchungen zur Entstehung und Struktur der „neu-
hochdeutschen Schriftsprache". Köln-Graz 1966, Karten 29 und 30
sowie W. Putschke in [79], Bd. 1, 149 und [80], 3 4 7 , für das Thüringi-
sche K. Spangenberg in [76], 19, für das Sächsische H. Becker —
G. Bergmann, Sächsische Mundartenkunde. Halle (Saale) 1969, Karte
1.
(5) Vgl. Freudenberg (wie Anm. 2).
(6) Ein Nachdruck der Ausgabe von 1754 erschien Hamburg 1975.
(7) Vgl. dazu I. Reiffenstein und E. Kranzmayer in [75], 1 2 5 - 1 2 7 bzw.
1 2 9 - 1 3 0 sowie R. Freudenberg in [79], 3 7 - ^ 1 .
(8) Vgl. E. Straßner in [75], 1 4 9 - 1 5 3 .
(9) Vgl. R. Grosse und G. Bergmann in [76], 1 9 - 2 3 .
(10) Vgl. H. Schönfeld in [76], 5 - 1 0 .
(11) Vgl. A. Schönfeldt in [75], 169.
(12) Vgl. F. J. Beranek in [75], 1 5 3 - 1 5 6 sowie R. Freudenberg in [79],
41—42.
(13) Vgl. C. ]. Hutterer — K. Mollay in [75], 131 sowie R. Freudenberg in
[79], 42.
(14) Ein Teil davon wird genannt bei Barth [68], 1 4 2 - 1 4 3 .
(15) Eine internationale bibliographische namenkundliche Zeitschrift ist
Onoma, 1 - , 1950 - .

3.3. Zur Methodengeschichte

In 2 . 4 wurden die beiden Methoden der Interpretation sprachgeo-


graphischer Konstellationen besprochen und mit Beispielen erläu-
tert. Es gilt jetzt, ihre Entwicklung in einen historischen Zusammen-
hang zu stellen und dabei auf einige Varianten einzugehen.

In der Zeit vor Wenker kann man eigentlich kaum von Deutungsme-
thoden beim Studium von Sprachkarten sprechen. Bedeutende
Germanisten, die sich auch für die Mundarten interessierten, wie
K. Weinhold und K. Müllenhoff, betrachteten sie „als unmittelbare
Fortsetzung der entsprechenden altgermanischen Schriftdialekte.
Dabei stellte Müllenhoff die These auf, daß die Siedlungsgrenzen der
3 . 3 . Z u r Methodengeschichte 135

germanischen Stämme mit den Grenzen der modernen deutschen


Mundarten zusammenfallen und mit deren Hilfe rekonstruiert wer-
den können" (1). Bei dieser Auffassung war an einer Sprachkarte
nichts zu interpretieren: sie lieferte nur Material zur Präzisierung ei-
ner schon vorher für wahr gehaltenen These über die von Stämmen
eingenommenen Territorien. Diese kann als extra-linguistisch cha-
rakterisiert werden: Sie legt eine Verbindung zwischen Dialekt-
grenze und Besiedlung. Sie kann aber durch die Entdeckung von
Dialektgrenzen nicht für bewiesen gehalten werden, weil Argu-
mente für die genannte Verbindung fehlen. Sie ist sogar nicht kon-
trollierbar, weil die historischen Quellen keine genauen Angaben
über die Grenzen der Siedlungsräume der germanischen Stämme
enthalten. Dies soll natürlich nicht heißen, daß nicht doch in Einzel-
fällen eine Stammesgrenze in einer Isoglosse die Jahrhunderte über-
lebt haben kann.

Von dieser Theorie ist die Gewohnheit Übriggeblieben, bei Eintei-


lungsversuchen der deutschen Mundarten für die größeren Teil-
areale Ableitungen von Stammesnamen wie Alemannisch, Bairisch,
Fränkisch, Sächsisch zu verwenden. Diese Namen fungieren zum
Teil heute noch als Bezeichnungen für Gegenden oder Verwaltungs-
einheiten, so daß die Gewohnheit eine Stütze im alltäglichen
Sprachgebrauch findet. Bei bestimmten Bezeichnungen wie Säch-
sisch für das ganze niederdeutsche Dialektgebiet mit Ausschluß des
Niederrheins führt das aber zu Schwierigkeiten. Eine rein auf geo-
graphischen Andeutungen basierende Terminologie, wie auf S. 123
in dieser Arbeit, geht dem Aphorismus aus dem Wege, der in der
Stammesterminologie steckt.

Gerade in den Jahren, in denen Wenker die ersten Sprachatlas-


Sammlungen durchführte, machte in der historischen Sprachwis-
senschaft die junggrammatische Schule ihre größten Entdeckungen.
Die Gesetzmäßigkeiten, die sie als das Ergebnis des gemeinsamen
Wirkens der Lautgesetze und der grammatischen Analogie in der
Entwicklung älterer Sprachstufen fand, mußten in den modernen
Dialekten viel deutlicher als in den Kultursprachen zutage treten,
weil die Dialekte sich „spontaner" und „natürlicher" entwickelt
hatten. Im Verhältnis der Laut- und Formensysteme der Mundarten
waren denn auch regelmäßige Korrespondenzen zu erwarten, die
136 3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

mit Hilfe von Sprachkarten untersucht und mit Hilfe des im verglei-
chenden Sprachenstudium entwickelten Stammbaumprinzips ge-
deutet werden konnten: Dialektunterschiede waren durch divergie-
rendes Wachstum zu erklären. Diese Anschauung liefert jedoch
keine Antwort auf die Frage nach dem spezifischen Verlauf der
Mundartgrenzen auf den einzelnen Sprachkarten. Als Vertreter der
junggrammatischen Betrachtung in der deutschen Dialektologie
kann O. Bremer (vgl. [59]) gelten.

Bei der Beurteilung der ursprünglichen Absichten Wenkers, die


dann zur Gründung des Sprachatlas-Unternehmens geführt haben,
ist in den dialektologischen Handbüchern eine Mythosbildung fest-
zustellen: „Wenker habe mit Hilfe seines Sprachatlasses die jung-
grammatische These von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze be-
stätigen wollen" (2). Um solche sprachhistorischen Theorien scheint
er sich jedoch zunächst nicht gekümnmert zu haben: „Wenker
suchte Dialektgrenzen" (3). Doch machte er dabei bald die Entdek-
kung, daß es keine ganz klar gegeneinander abzutrennenden Gebiete
gibt, und die Grenzen einzelner Erscheinungen ihre eigenen Wege
gehen. Diese Einsicht wird deutlich angesprochen in

[ 1 2 9 ] G. W e n k e r (Vortrag über das Sprachatlasunternehmen). Verhandlun-


gen der 3 8 . Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in
Gießen vom 3 0 . September bis 3 . O k t o b e r 1 8 8 5 . Leipzig 1 8 8 6 ,
187-194.

Das war grundsätzlich neu und ließ die Unzulänglichkeit der jung-
grammatischen Theorie bei genauer Kenntnis sprachgeographischer
Verhältnisse vermuten.

Von einer Entwicklung zu einer extra-linguistischen Theorie kann


man bei F. Wrede sprechen, der in mehreren Aufsätzen Interpreta-
tionsbeiträge von Sprachatlas-Karten geliefert hat, die von Verkehrs-
faktoren ausgehen, das erste Mal wohl 1 8 9 2 in seinem Kommentar
zur Karte „sechs" in [52] (4). Wrede stand mit diesen Einsichten
nicht allein. In Schwaben machte H. Fischer (vgl. [87]) ebenfalls die
Feststellung, „daß die Grenzen für einzelne Wörter, die zur gleichen
Lautreihe gehören, nicht zusammenfielen; es ergaben sich also so-
genannte Verletzungen der Lautgesetze" (5). Die Annahme, daß es
3.3. Zur Methodengeschichte 137

Lautgesetze gibt, wird dabei jedoch nicht aufgegeben. Auch der


schwäbische Kleinraumforscher K. Haag behält sie bei und erklärt
die Ausnahmen als W a n d e r u n g einzelner W ö r t e r , die zu einer Laut-
reihe gehören, d. h. Wortverdrängung. 1 9 2 9 stellte Haag „das W e -
sentliche aus den Früchten seiner Arbeit von mehr als einem
M e n s c h e n a l t e r in der D i a l e k t f o r s c h u n g " zusammen:

[130] K. Haag,Sprachwandel im Lichte der Mundartgrenzen. Teuthonista6


(1929/30), 1 - 3 5 .

H i e r wird die Auffassung, die sich in den vierzig vorangegangenen


J a h r e n als Grundlage der extra-linguistischen Interpretation ent-
wickelt hatte, zurückblickend zusammengefaßt: „Aus tonangeben-
den Kreisen m u ß der Lautwandel stammen. D o r t entsteht er; von
dort aus erobert er die O r t s m u n d a r t . Ist der O r t selber tonangebend,
als V o r o r t einer Landschaft, so teilt sich der Lautwandel der ganzen
Landschaft mit; ist die Landschaft tonangebend, so überschreitet er
ihre Grenzen. D a ß diese Grenzen fast in ihrem ganzen Verlauf poli-
tisch sind, zeigen die Karten . . . Die Art der Ausbreitung kann gese-
hen werden in dem Bild eines Steins, der ins W a s s e r geworfen wird.
Er zieht immer weitere Ringe. Nun mögen diesen Ringen leichtere
und schwerere Schranken entgegenstehen. Blätter, die auf dem Was-
ser liegen, stauen sich daran. Die Blätterschicht wird von ihnen be-
grenzt, wird a b e r auch einen geschlossenen R a n d zeigen in kleinen
Lücken zwischen den Schranken. Das ist das Raumgesetz des Laut-
w a n d e l s " (6).

Die bildhafte Darstellung H a a g s m a c h t deutlich, daß die extra-lin-


guistische Interpretation der Wellentheorie J. Schmidts (7) tribut-
pflichtig ist. Diese beruht auf der Einsicht, daß das S t a m m b a u m m o -
dell allein zahlreiche Korrespondenzen zwischen Sprachen nicht er-
klären kann und beinhaltet, d a ß sprachliche Neuerungen sich wie
Wellen über ein Gebiet verbreiten k ö n n e n , und zwar so, daß sie,
nachdem sie zum Stillstand g e k o m m e n sind, ein Areal bedecken, das
nicht mit dem einer früheren Neuerung zusammenfällt. In ihrer er-
sten Phase, als Hilfsmittel der vergleichenden G r a m m a t i k älterer
Sprachstufen, griff die Wellentheorie eigentlich das Konzept „Laut-
gesetz" nicht an; vielmehr ist sie hier als Ergänzung der S t a m m -
baumtheorie aufzufassen. In ihrer zweiten Phase, als Hilfsmittel der
138 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

Dialektologie, wurde das anders, vor allem in der M a r b u r g e r Schu-


le, w o die verschiedene Verbreitung der einzelnen W ö r t e r , die zu ei-
ner Lautreihe gehören, stark b e t o n t wurde. Dadurch wurde die
Richtigkeit der A n n a h m e von Lautgesetzen selbst angegriffen oder
zumindest stark relativiert: „ J e d e s W o r t habe seine eigene Ge-
schichte und sein eigenes Verbreitungsgebiet, gehe seinen eigenen
W e g ; die W ö r t e r veränderten sich, nicht die L a u t e " (8). In dieser E x -
t r e m f o r m w a r die Ablehnung der junggrammatischen Auffassung
natürlich nicht haltbar. In jüngeren Arbeiten wird die Existenz von
Lautgesetzen denn auch stillschweigend wieder a n e r k a n n t . Für die
strukturelle Lautgeographie wird sie später sogar ein A x i o m sein.

Z u den kühnsten Erzeugnissen der extra-linguistischen Betrach-


tungsweise gehört ein Aufsatz Wredes, in dem versucht wird, be-
stimmte Grundzüge des gesamtdeutschen Sprachraums zu deuten:

[131] F. Wrede, Ingwäonisch und Westgermanisch. Z D M (1924),


2 7 0 - 2 8 3 . Auch in: F. Wrede, Kleine Schriften. Marburg 1963 (DDG
60), 3 7 0 - 3 8 2 .

Hier wird die Hypothese gewagt, „ d a ß das Gotische . . . das Bairi-


sche und von hier aus das übrige Deutsche beeinflußt h a t " . Restge-
biete, die ursprüngliche westgermanische Eigenheiten (hier „Ing-
w ä o n i s m e n " genannt) a m besten erhalten hätten, seien das Nieder-
deutsche und der alemannische Südwesten.

Einen H ö h e p u n k t erreichte die extra-linguistische Interpretations-


methode in den Arbeiten von Wredes Schüler Th. Frings, der nach
mehreren wichtigen Vorarbeiten eine glänzende Synthese über die
Gestaltung der rheinischen Dialektlandschaft schrieb, in der das
zentrale M o m e n t ein Südnordstrom am Rhein entlang ist. Dieser
Beitrag, „ S p r a c h e " , erschien in einem B u c h , das auch eine geschicht-
liche und eine volkskundliche Synthese enthielt:

[132] H. Aubin, Th. Frings, J . Müller, Kulturströmungen und Kulturpro-


vinzen in den Rheinlanden. Geschichte, Sprache, Volkskunde. Bonn
1926. Neuausgabe Darmstadt 1966.

N a c h seiner Berufung nach Leipzig 1 9 2 7 hat Frings das Studium der


Dialekte des mitteldeutschen Ostens betrieben und gefördert. Ent-
3.3. Zur Methodengeschichte 139

scheidender Faktor bei der dialektalen Raumgestaltung sind hier


nicht die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Territorien. Viel-
mehr sind hier die Siedlungsströme wichtig, die die Ursprungsge-
biete der mittelalterlichen Kolonisten mit dem von ihnen besiedelten
Raum verbinden. Die kolonialen Mischdialekte liefern die Grund-
lage für die neuhochdeutsche Literatursprache. N a c h mehreren
Vorstudien entstand eine Gemeinschaftsarbeit über dieses Gebiet,
das Gegenstück von [ 1 3 2 ] , mit zwei Beiträgen von Frings („Sprache
und Volkstum. Der sprachgeographische A u f b a u " ; „Kulturräume
und Kulturströmungen im mitteldeutschen O s t e n " ) :

[133] W. Ebert, Th. Frings, K. Gleissner, R. Kötzschke, G. Streitberg, Kul-


turräume und Kulturströmungen im mitteldeutschen Osten. 2 Bde.
Halle (Saale) 1936.

Die unter theoretischem und historischem Aspekt wichtigsten Ar-


beiten von Frings wurden neu gedruckt in:

[134] Th. Frings, Sprache und Geschichte. 3 Bde. Halle (Saale) 1956.

Eine Ergänzung erfuhr die extra-linguistische Betrachtungsweise


von der Wortgeographie her insofern, als durch die Wörter-und-Sa-
chen-Methode ein neues nichtsprachliches Element in die Interpre-
tation der Verbreitungen der Wörter eingeführt wurde: die Kenntnis
der Gegenstände und Arbeitsweisen (der „ S a c h e n " ) . Es gibt nämlich
„Fälle, wo sich bei näherem Zusehen herausstellt, daß gar nicht das-
selbe Ding, derselbe Vorgang mit den zahlreichen Bezeichnungen
belegt wird. Vielmehr entsprechen den Unterschieden in den Be-
zeichnungen auch Verschiedenheiten in der Sache, wenn es sich auch
nur um leichte Schattierungen handelt" (9). Das kann sich in Be-
zeichnungsdifferenzierung bei ähnlichen „ S a c h e n " in einer Mund-
art manifestieren, aber auch in der Koinzidenz einer Wort- und einer
Sachgrenze, wobei letztere den Verlauf der ersteren zu bedingen
scheint. Damit ist natürlich nicht gesagt, die Verbreitung der Wörter
sei von ihrer Etymologie abhängig. Diese Betrachtungsweise setzt
eine enge Verbindung von Dialektologie und Volkskunde voraus,
wie sie etwa von W. Peßler (vgl. [ 6 6 ] und [122]) betrieben wurde.
Eine eigene „kulturhistorische Zeitschrift für Sprach- und Sachfor-
140 3 . Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

schung", Wörter und Sachen (1909-1937, Neue Folge


1938—1942), war diesem Grenzgebiet gewidmet.

Durch die Betonung der spezifischen Verbreitung der Lautung von


Einzelwörtern einer Lautreihe in der Dialektologie der ersten Jahr-
zehnte dieses Jahrhunderts wurde der Atomismus in der deutschen
Sprachwissenschaft sehr gefördert, zumal die Ergebnisse der jungen
Methode dazu führten, daß ein großer Teil der verfügbaren Bega-
bung und Energie seit den zwanziger Jahren gerade für die Dialekto-
logie mobilisiert wurde. Dies ist eine bemerkenswerte Erscheinung.
Setzten sich doch in vielen anderen Ländern seit dieser Zeit struktu-
ralistische Auffassungen durch. Indem die deutsche Sprachwissen-
schaft in ihrer (extra-linguistischen) Dialektologie Erfolge feierte,
wurde sie zunehmend isoliert. Dazu haben natürlich auch die politi-
schen Ereignisse der dreißiger und vierziger Jahre beigetragen.

Der Strukturalismus hat sich im deutschen Sprachgebiet bekannt-


lich erst geraume Zeit nach dem zweiten Weltkrieg durchsetzen
können. In der Dialektologie ist das seit etwa 1 9 6 0 der Fall. Es be-
steht eine Neigung, strukturelle Dialektologie und intern-linguisti-
sche Interpretation von Sprachkarten zu identifizieren. Das ist nur
teilweise richtig. Obwohl eine intern-linguistische Erklärung natur-
gemäß mehr oder weniger strukturell ist, weil nur die Berücksichti-
gung mehrerer sprachlicher Elemente zusammen Deutungen aus
dem Diasystem heraus ermöglicht, kann eine strukturelle Dialekto-
logie in ihren Erklärungsversuchen sehr wohl extra-linguistische
Faktoren heranziehen.

In der vorstrukturellen Zeit hat man auch schon früh wiederholt das
Prinzip der Verbindung zweier sprachlicher Elemente zur Erklärung
einer sich auf der Karte manifestierenden Neuerung angewandt. Der
erste ist wohl Wrede selbst gewesen, der 1 9 1 9 eine Anzahl von Kon-
taminationen besprach, die als „ N a r b e n " in der Sprachlandschaft
( vgl. 2 . 4 . 2 , 2 ) auf der Grenze zweier gleichbedeutender Wortformen
vorkommen, wie önk „euch" zwischen einem och- und einem ink-
Gebiet bei Wuppertal (10). Elf Jahre später gab W. Wenzel ein Bei-
spiel einer „ N a r b e " anderer Natur: Im Grenzgebiet zwischen zwei
Wörtern gleicher Bedeutung (hier Lendsel und Wiede „Strohseil" im
Kreis Wetzlar) wird eine Bedeutungsdifferenzierung durchgeführt,
3.3. Zur Methodengeschichte 141

die darin besteht, d a ß der semantische Bereich, der vorher von jedem
der beiden Ausdrücke voll ausgefüllt wurde, in zwei Teilbereiche
aufgegliedert wird, die jeweils von einem der beiden T e r m i n i be-
zeichnet werden (in L ö h n b e r g / L a h n ist Lertdsel das o b e r e , Wiede
das untere Strohseil) ( 1 1 ) . Z u m ersten M a l wurde die Erscheinung
für sich besprochen in einem Aufsatz von

[135] L. Berthold, Die Wortkarte im Dienste der Bedeutungslehre. Z M F 14


(1938), 1 0 1 - 1 0 6 .

Als die strukturellen Betrachtungen sich in der deutschen Dialekto-


logie durchzusetzen begannen, w a r die „ N a r b e " als Ergebnis von
K o n t a m i n a t i o n e n und Bedeutungsspaltungen schon gut bekannt
(12).

Eine engere Verbindung zwischen struktureller und intern-linguisti-


scher Dialektologie k a m in der internationalen M u n d a r t f o r s c h u n g
seit den fünfziger J a h r e n im R a h m e n der diatopischen Phonologie
zustande. Voraussetzungen dafür waren: 1. Die Entwicklung einer
T h e o r i e der diachronischen Phonologie, deren erste Phase noch in
der Anfangszeit der internationalen Phonologie liegt ( 1 3 ) ; 2 . Die
Entwicklung von Hypothesen über eine innere Kausalität innerhalb
dieser T h e o r i e , w a s vor allem in den fünfziger J a h r e n geschah ( 1 4 ) ;
3 . Die Entwicklung einer diatopischen Phonologie, ebenfalls in den
fünfziger J a h r e n ( 1 5 ) . Einen H ö h e p u n k t erreicht die intern-lingui-
stisch erklärende strukturelle Lautgeographie in einer Reihe von
Studien des amerikanischen Germanisten W. Moulton über schwei-
zerdeutsche Dialekte, von denen hier zwei genannt werden, die erste
als M o d e l l einer diasystemischen Beschreibung einer Teilstruktur
eines M u n d a r t r a u m s , die zweite als Probe einer internen Erklärung.

[136] W. G. Moulton, The short vowel systems of Northern Switzerland. A


study in structural dialectology. Word 16 (I960), 1 5 5 - 1 8 2 .
[137] W. G. Moulton, Lautwandel durch innere Kausalität: Die ostschwei-
zerische Vokalspaltung. Z M F 28 (1961), 2 2 7 - 2 5 1 .

D u r c h den B o o m einer neuen linguistischen T h e o r i e , der generati-


ven T r a n s f o r m a t i o n s g r a m m a t i k , und die Hinwendung zu neuen
Untersuchungsgegenständen wie Sozialschichtung der Sprache ist
142 3. Wege und Ergebnisse der deutschen Dialektologie

die Dialektologie in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund ge-


treten. Andererseits ist der Einfluß der Transformationsgrammatik
und der Soziolinguistik auf die neuesten dialektologischen For-
schungen unverkennbar. W. Veith hat versucht, ihn zu beschreiben:

[138] W. H. Veith, Moderne Linguistik in deutscher Dialektologie. Michi-


gan Germanie Studies 1 (1975), 68-79.

Nach Veith haben sich aus der Rezeption der Transformations-


grammatik folgende Hauptfragestellungen f ü r die Dialektologie er-
geben: 1. Wie läßt sich das Regelsystem eines oder mehrerer Dia-
lekte ökonomisch, einfach und natürlich darstellen? 2. Wie lassen
sich Regelhaftigkeiten gegenwärtiger Dialekte sprachhistorisch
transparent machen?

Die neuen Sprachkarten, die bei einer transformationellen Arbeits-


weise entstehen, sind „Regelkarten". Sie sind „wie die Strukturkar-
ten Symbolkarten auf der Basis von Datenverbänden; sie gestatten
die Verkartung von Oberflächenstrukturregeln ebenso wie die von
Tiefenstrukturregeln; sie können monosystemar organisiert wer-
den, d. h. die vergleichbaren Regeln jeweils eines zu einem Orts-
punkt gehörenden Systems enthalten, oder intersystemar, d. h. die
von einem Bezugssystem abweichenden dialektalen Regeln wieder-
geben" (16), wie es etwa im Beispiel am Ende von 2.4.2 in der vorlie-
genden Arbeit geschehen ist. Mit Veith ist festzustellen: „Die Lei-
stung der generativen Grammatik für die deutsche Dialektologie
bleibt somit vorläufig auf die neuen Beschreibungsmethoden be-
schränkt" (17).

Veith nennt vier Fragen, mit denen sich soziolinguistische und dia-
lektologische Problemstellungen verbindende deutsche Linguisten
bisher beschäftigt haben: 1. Wie sprechen die zwischen Stadt und
Land pendelnden Arbeiter? 2. Haben Dialektsprecher eine defizitä re
oder nur eine anders strukturierte kommunikative Kompetenz? 3.
Wie wirkt sich der Dialekt auf den Schulerfolg aus? 4. Wie ist das
Verhältnis zwischen Dialekt und Hochsprache je nach sozialer Va-
riabilität? Die Untersuchung der ersten Frage hat „ergeben, daß
durch die Pendler zwischen Stadt und Land eine Rückkoppelung be-
steht, m. a. W. daß die in der Stadt auftretende Systemmischung mit
3.3. Zur Methodengeschichte 143

der Tendenz zur Hochsprache hin in zunehmendem U m f a n g auf die


ländlichen Gebiete ausstrahlt, wenn es sich nicht gerade um ausge-
sprochenen Fachwortschatz handelt, der ausschließlich für die
Kommunikation am Arbeitsplatz eingesetzt wird" (18). Wie aus 1.1
dieser Arbeit deutlich geworden sein dürfte, kann der dialektale
Sprachgebrauch und sein Verhältnis zu anderen Sprechweisen noch
unter zahlreichen sozio- und pragmalinguistische Fragen berühren-
den Aspekten areallinguistisch untersucht werden. Das ist eine Auf-
gabe für die Zukunft.

Anmerkungen

(1) Schirmunski [5], 62.


(2) Wiegand-Harras [69], 11. Dort auch ausführliche Kritik an dieser Auf-
fassung.
(3) Wiegand-Harras [69], 12.
(4) AfdA 18 (1892), 411-413. Neudruck in F. Wrede, Kleine Schriften.
Marburg 1963 (DDG 60), 21-23.
(5) Schirmunski [5], 86.
(6) Haag [130], 21-22.
(7) ]. Schmitt, Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen
Sprachen. Weimar 1872.
(8) Bach [8], 76-77.
(9) Maurer [10], 2. Aufl., 10.
(10) F. Wrede, Zur Entwicklung der deutschen Mundartenforschung 14
(1919), 3 - 1 8 . Auch in Wrede (wie Anm. 4), 331-344.
(11) W. Wenzel, Wortatläs des Kreises Wetzlar und der umliegenden Gebie-
te. Marburg 1930 (DDG 28), 25-26.
(12) Eine Auswahl aus dem Material ist besprochen im zweiten Abschnitt
von Goossens [20]. Dort werden auch andere intem-linguistische An-
sätze in der Wortgeographie behandelt.
(13) R. Jakobson, Prinzipien der historischen Phonologie. Travaux du
Cercle Linguistique de Prague 4, Prag 1931, 247—267.
(14) A. Martinet, Économie des changements phonétiques, Bern 1955.
(15) Programmatisch U. Weinreich, Is a structural dialectology possible?
Word 10 (1954), 388-400. Auch in: Linguistics Today, 268-280.
(16) Veith [138], 73.
(17) Veith [138], 75.
(18) Veith [138], 76.
Kartenverzeichnis

1. Der rheinische Fächer (nach Th. Frings) 25


2. Objektformen des Personalpronomens der 1. P. Sg.
im Norden des deutschen Sprachgebiets
(H. Niebaum) 27
3. Konstruktion der Entsprechungen von
„Als ich rasiert wurde . . ."im östlichen Thüringer Wald
(nach H. Sperschneider) 28
4. Wagner und Stellmacher in der Oberlausitz
(nach G. Bellmann und dem DWA) 29
5. Verbreitung der Ortsnamentypen auf -leben,
•büttei, -ingen und -heim zwischen Hannover,
Magdeburg und Eisenach (A. Bach) 30
6. Verbreitung der Mundart in Niedersachsen 1939
(nachH. Janßen) 34
7. N W / S O - Gegensätze an der germanisch-romanischen
Sprachgrenze von Flandern bis zum Elsaß
(J. Goossens) 47
8. Palatalisierung des « beiderseits der
germanisch-romanischen Sprachgrenze (R. Bruch) 58
9. Und, als und von im Rheinland (Th. Frings) 76
10. Die altenburgische Sprachlandschaft, Kombinationskarte
(P. von Polenz) 83
11. Lautwandel durch innere Kausalität:
die ostschweizerische Vokalspaltung (nach W. Moulton) 92
12. Rinde des Nadelbaumes und des Laubbaumes
beiderseits der Oder (nach dem DWA) 96
13. Einteilungsskizze der deutschen Dialekte 123
Abkürzungen

ADV Atlas der deutschen Volkskunde


AfdA Anzeiger für deutsches Altertum
ALF Atlas linguistique de la France
BdPh Beiträge zur deutschen Philologie [48]
BSM Beiträge zur schweizerdeutschen Mundartforschung [44]
DDG Deutsche Dialektgeographie [37]
DM Deutsche Mundarten [34]
DSA Deutscher Sprachatlas [53]
DWA Deutscher Wortatlas [67]
DWEB Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen [41]
GL Germanistische Linguistik [42]
KGDM Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten [36]
LGL Lexikon der Germanistischen Linguistik [80]
PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur
(Pauls und Braunes Beiträge)
RSA Deutscher Sprachatlas, Regionale Sprachatlanten
TON Taalatlas van Oost-Nederland en aangrenzende gebieden [124]
ZDL Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik [30 c]
ZDM Zeitschrift für deutsche Mundarten [29]
ZHdM Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten [28]
ZMF Zeitschrift für Mundartforschung [30 b]
Personenregister zur Bibliographie
im dritten Abschnitt*

Althaus, H. P. 4, 80 Fleischer, W. 5
Alvar, M . 2 6 Foerste, W. 78
Ârhammar, Ν. 79 Follmann, M . F. 102
Aubin, Η. 1 3 2 Freudenberg, R. 7 9 , 80, 128
Friebertshäuser, H. 76 a, 79, 114, 128
Bach, Α. 8, 73
Frings, Th. 58, 84, 132, 133, 134
Bachmann, Α. 109
Frommann, G. K. 99
Barth, E. 68, 7 0
Baur, G. W. I l l Gabriel, E. 107
Beckers, H. 80 Gilbert, G. G. 96
Bellmann, G. 93, 125 Gleissrier, K. 133
Bergmann, G. 17 Goossens, J . 20, 80, 81, 91
Berthold, L. 114, 135 Gröger, O. 109
Bethge, W. 61 Gundlach, J . 112
Beyer, E. 94 Giitter, A. 9 5
Bleiker, J . 9 0 Haag, K. 130
Bremer, O. 5 9 Handschuh, D. 90, 126
Bretschneider, A. 11, 120 Hard, G. 18
Bruch, R. 91 Harras, G. 69
Christmann, E. 117 Hartig, J . 7 9
Coseriu, E. 2 7 Heeroma, K. 124
Csaller, R. 88 Henne, H. 80
Henzen, W. 12
Dauzat, A. 2 3 Hildebrandt, R. 6 b, 67, 128
Dittmaier, H. 104 Hofstädter, F. 110
Dollmayr, V. 116 Hotzenköcherle, R. 90, 97, 126
Ebert, W. 133 Hucke, H. 8 9
Eichhoff, J . 71 Huss, R. 88
Eist, Van der, G. 7 0 Ising, G. 120

Finsterwalder, Κ. 106 Jungandreas, W. 115


Fischer, Η. 87, 101 Jutz, L. 107

* Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die Nummern der Bibliogra-
phie, nicht auf die Seiten.
Personenregister zur Bibliographie 147

Keintzel, G. 110 Ricker, L. 64


Keller, R. E. 16 Riemann, E. 113
Keller, von, A. 101 Roth, J. 110
Keseling, G. 79, 115 Schatz, J. 106
Kleiber, W. 80 Schirmunski, V. M. 5
Kloss, H. 80 Schläpfer, R. 126
Kötzschke, R. 133 Schmeller, J. A. 82, 99
Kramer, W. 115 Schmitt, L. E. 56, 67, 79, 128
Krämer, J. 117 Schophaus, R. 81
Kranzmayer, E. 107, 116 Schullerus, A. 110
Kratz, B. 57 Schwarz, E. 15, 72, 123
Kretschmer, P. 63 Schweizer, E. 92, 127
Kühebacher, E. 92, 127 Siegel, E. 6 a, 6 b
Lienhart, H. 100 Sonderegger, S. 7, 79, 126
Löffler, H. 22 Spangenberg, K. 119
Stammler, W. 77
Martin, B. 3e, 13, 53, 55, 65
Staub, F. 109
Martin, E. 100
Stellmacher, D. 80
Matzen, R. 94
Straßner, E. 80
Maurer, F. 10, 21, 118
Streitberg, G. 133
Maußer, O. 99 Suter, A. 90
Mensing, O. 103 Teepe, P. 81
Mentz, F. 3 a, 3 b, 3 c Teuchert, H. 112, 120
Meyer, R. 90 Thümmel, W. 86
Mitzka, W. 14, 53, 54, 67, 77, 79, Tobler, L. 109
108, 128 Trüb, R. 90, 126
Moulton, W. G. 136, 137
Mulch, Roland 118 Veith, W. H. 62, 93, 138
Mulch, Rudolf 118
Wagner, K. 9
Müller, G. 81
Wanner, H. 109
Müller, J. 104, 132
Wenker, G. 50, 51, 52, 53, 55, 59,
Müller, K. F. 111
129
Nail, Ν. 70 Wesche, H. 115
Niebaum, Η. 80, 81 Weijnen, A. 25
Ochs, E. I l l Wiegand, H. E. 69, 80
Panzer, Β. 86 Wiesinger, P. 80, 85
Peßler, W. 66, 122 Winteler, J. 83
Pleiderer, W. 101 Wortmann, F. 121
Pop, S. 24 Wossidlo, R. 112
Protze, H. 19 Wrede, F. 3 d , 52, 53, 55, 131
Putschke, W. 79, 80, 93 Zaunmüller, W. 98
Rawlison, F. 70 Ziesemer, W. 113
Rein, K. 88 Zwirner, E. 60
w
DE
Walter de Gruyter
G Berlin · New "fork
Kluge Etymologisches Wörterbuch der
Deutschen Sprache
21., unveränderte Auflage
Lexikon-Oktav. XVI, 915 Seiten. 1975. Ganzleinen
D M 4 8 , - ISBN 311005709 3

Dornseiff Der deutsche Wortschatz nach


Sachgruppen
7., unveränderte Auflage
Lexikon-Oktav. IV, 922 Seiten. 1970. Ganzleinen
D M 5 8 , - ISBN 311000287 6

v. Polenz Geschichte der deutschen Sprache


Erweiterte Neubearbeitung der früheren
Darstellung von Hans Sperber
8., verbesserte Auflage
Klein-Oktav, 219 Seiten. 1972. Kartoniert DM 7,80
ISBN 3 11004203 7
(Sammlung G ö s c h e n , Band 4015)
Jesch Grundlagen der Sprecherziehung
2., u m ein Nachwort vermehrte Auflage
Klein-Oktav. 107 Seiten. Mit 8 Abbildungen. 1973.
Kartoniert D M 7,80 ISBN 3 11 004405 6
(Sammlung G ö s c h e n , Band 4122)

Schubiger Einführung in die Phonetik


2., überarbeitete Auflage
Klein-Oktav. 142 Seiten. Mit Abbildungen. 1977.
Kartoniert D M 14,80 ISBN 3 11002779 8
(Sammlung G ö s c h e n , Band 2203)

Preisänderungen vorbehalten

Das könnte Ihnen auch gefallen