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Universität Leipzig

Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie


Institut für Philosophie

„[T]o see the moon of exile, although guilty of no crime“


Die Interesselosigkeit des Geschmacksurteils und ästhetischen
Wohlgefallens in den §§ 1 – 5 der Kritik der ästhetischen Urteilskraft

Jon Goiri-Dittrich
Studiengang: Philosophie (Master)
Matrikelnummer: 3772949
E-Mail: pf58rifo@studserv.uni-leipzig.de; jongoirid@gmail.com

Essay
Name des Seminars: Ästhetische Urteilskraft
Dozent: Dr. Lucian Ionel
Modul: Geschichte der Philosophie
Wintersemester 2023/24
9. Fachsemester

Zeichenumfang: 17607
Inhaltsverzeichnis
Essay............................................................................................................................................... 1

Literaturverzeichnis ...................................................................................................................... 8

Eigenständigkeitserklärung ......................................................................................................... 9
Essay

„Long ago someone expressed the desire‚ ‘to see the moon of exile, although guilty of no
crime’1“.2 Anscheinend soll dieser Wunsch von Minamoto Akimoto, einem Berater zweiten
Ranges im Kaiserhof des alten Japan (einem sogenannten Chunagon), ausgedrückt worden
sein.3 Nishida Kitaro zitiert ihn in seinem kurzen Aufsatz über Ästhetik An Explanation of
beauty.4 Der Wunsch hat etwas Merkwürdiges an sich. Um den Anblick vom „Mond des
Exils“ zu genießen, muss Akimoto aus irgend einem Grund aus seinem Land verbannt
worden oder unter politisch unglücklichen Umständen ins Exil gezwungen worden sein.
Wäre die Realisierung dieses Wunsches somit nicht notwendig an einer schmerzhaften
Erfahrung gekoppelt? Spricht dieser Wunsch nicht gegen Akimotos eigenes Interesse?
Ferner: Warum sollte Akimoto exiliert sein, wenn er keines Verbrechens schuldig ist? Blendet
man andere mögliche Gründe dafür aus, so erscheint die Bedingung, damit die Erfahrung
des Exils gemacht wird, gar nicht gegeben zu sein. Der Wunsch ist auf den ersten Blick in
sich widersprüchlich oder inkohärent. Die seltsame Einschränkung „although guilty of no
crime“ deutet jedoch auf etwas anderes hin. Die Betrachtung vom „Mond des Exils“ soll
keine selbstauferlegte Bestrafung, keine Buße sein, auch keinen Trost bei schmerzhaften
Umständen spenden. Wenn all dies ausgeschlossen ist, welche Art von Erfahrung hat
Akimoto dann im Sinn? Wäre es denkbar, dass Akimoto einen Zustand bestrebt, der von
keinem Interesse motiviert ist?
Kant befasst sich in der Kritik der Urteilskraft mit der ästhetischen Erfahrung von
Schönheit und behauptet, dass „unter allen […] Arten des Wohlgefallens das des
Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressiertes und freies Wohlgefallen sei“.5
Interesselosigkeit ist Kant zufolge genau die Qualität, welche das Geschmacksurteil und die
Lust am Schönen charakterisiert.6 Die Frage, welcher hier nachgegangen werden soll, ist die,
was die Interesselosigkeit des Geschmacksurteils sowie des ihm zugrunde liegenden
ästhetischen Wohlgefallens ausmacht und begründet. Zu diesem Zweck werden im
folgenden die Paragraphen 1 bis 5 der Kritik der ästhetischen Urteilskraft7 untersucht.

1 Donald Keene (Übers.): Essays in Idleness: The Tsurezuregusa of Kenko, Columbia U. P., 1967, S. 6, zitiert nach:
Kitaro Nishida: An explanation of beauty. Bi no setsumei, in: Monumenta Nipponica, Vol. 42, No. 2 (Summer,
1987), S. 215–217, S. 216.
2 Nishida: An explanation of beauty, S. 216.
3 Vgl. Keene (Übers.): Essays in Idleness: The Tsurezuregusa of Kenko, S. 6.
4 Nishida: An explanation of beauty, S. 216.
5 Kant: Kritik der Urteilskraft, AA 5, S. 210.
6 Vgl. ebd., S. 210–211.
7 Kant: Kritik der Urteilskraft. Erster Teil. Kritik der ästhetischen Urteilskraft, AA 5, S. 201–356.

1
Als Erstes ist zu klären, was Kant mit „Interesse“ überhaupt meint. Er gibt uns zunächst
folgende Definition: „Interesse wird das Wohlgefallen genannt, das wir mit der Vorstellung
der Existenz eines Gegenstandes verbinden.“8 D. h. Interesse ist eine Art Wohlgefallen, dem
das wirkliche, materielle Vorhandensein (das Gegebensein) eines Gegenstandes angeht. Dem
genießenden Subjekt ist der Gegenstand von Wichtigkeit, insofern er bzw. sein
Begehrungsvermögen auf diesen angewiesen ist und von ihm abhängt.9 Zum Beispiel habe
ich Interesse für Essen, weil ich als Lebewesen, das sich am Leben erhalten will, von diesem
abhängig bin. Dabei ist mir nicht an der Idee oder am Begriff eines Nahrungsmittels, sondern
an der Materie desselben gelegen.
Kant behandelt zwei Arten von Interesse: das sinnliche und das moralische Interesse. Sie
sind jeweils am Wohlgefallen am Angenehmen und am Wohlgefallen am Guten gekoppelt.
Gegenstand des sinnlichen Interesses ist das Angenehme. „Angenehm ist das, was den Sinnen
in der Empfindung gefällt.“10 Wenn ich urteile, dass etwas angenehm ist, dann beziehe ich mich
damit auf meine „subjektive[] Empfindung“11, auf das Gefühl der Lust, das der Gegenstand in
mir verursacht, nicht auf die „objektive Vorstellung der Sinne“.12 Dabei habe ich keinen
Begriff davon, wie der Gegenstand sein soll, der mir sinnliche Lust bereitet. Mein Urteil ist
hier nicht begrifflich bedingt oder eingeschränkt. Das Wohlgefallen am Angenehmen ist
insofern interessiert, als „durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenstand
rege [ge]macht“13 wird. Wenn ich einen Gegenstand als angenehm beurteile, dann tue ich das
in Anbetracht des Interesses, weil die sinnliche Empfindung eine Begierde oder eine Neigung
nach dem Gegenstand in mir erweckt. Die subjektive Empfindung ist einerseits Genuss,
Befriedigung einer Begierde, aber wiederum auch das Gefühl eines Mangels, also wieder
Begierde nach etwas Äußerem.14 Mein lustvolles Gefühl ist von außen bedingt, nicht
autonom, und das Urteil über die Annehmlichkeit desselben ebenfalls. Mein Urteil über das
Angenehme ist infolgedessen unfrei. Das Wohlgefallen am Angenehmen ist mit einem
sinnlichen Interesse, welches unfrei und begrifflich unbestimmt ist, verbunden.
Das Wohlgefallen, wonach Akimoto strebt, ist nicht das Vergnügen, das das Angenehme
bewirkt, denn berücksichtigt man nur sein subjektives Empfinden, so fällt auf, dass seinen
Sinnen der aus dem Exil betrachtete Mond eher Schmerz und Unlust bereiten würde.

8 Kant: KU, AA 5, S. 204.


9 Vgl. ebd.
10 Ebd., S. 205.
11 Ebd., S. 206.
12 Ebd.
13 Ebd., S. 207.
14 Vgl. ebd.

2
Die zweite Art des Interesses ist moralischer Natur. Sein Gegenstand ist das Gute. „Gut
ist das, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff, gefällt.“15 Das Gute unterteilt
sich in dem Nützlichen, das nur Mittel zum Guten ist, und dem Guten an sich, welches
Selbstzweck ist.16 Im Unterschied zum Angenehmen ist das Urteil über das Gute normativ
und begrifflich bestimmt. Urteile ich, dass etwas gut ist, dann verfüge ich über einen Begriff
davon, wie die Sache sein soll bzw. auf welchen Zweck sie ausgerichtet ist. Das Gute gefällt
nicht unmittelbar, sondern wird stets einer begrifflichen Kontrolle unterzogen. Wie ist nun
das moralische Interesse bestimmt? Es ist zunächst ebenfalls ein Interesse oder ein
„Wohlgefallen am Dasein eines Objekts oder einer Handlung“.17 Das Gute ist aber nicht
Objekt des bloßen Begehrungsvermögens, sondern des vernünftig bestimmten
Begehrungsvermögens, des Willens.18 Der vernünftig bestimmte, autonome Wille gibt sich
selbst das Gesetz und unterwirft sich demselben freiwillig. Das Sittengesetz zwingt den
Willen dazu, „alle Neigungen [für das Angenehme] von der Unmittelbarkeit ihres Einflusses
auf den Willen aus[zuschließen]“.19 Das moralische Interesse impliziert also die völlige
Ausschaltung des Interesses aus Neigung, des sinnlichen Interesses. Das einzige, was übrig
bleibt, ist das Interesse für das Sittengesetz. Dieses nennt Kant „Achtung“.20 Die Achtung
vor dem Sittengesetz ist ein moralisches Gefühl, welches vom Sittengesetz selbst subjektiv
hervorgebracht wird und als Triebfeder zur Befolgung desselben dient.21 Das „moralische
Interesse [ist demzufolge] ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen praktischen Vernunft“.22
Obwohl Kant in der KpV das moralische Interesse als „rein praktisch und frei“23 bezeichnet,
gesteht er in der KU, dass das Urteil und das Interesse für das Gute ebenfalls nicht frei sind,
weil das Gute uns „durch ein Vernunftgesetz zum Begehren auferlegt wird“.24 Das
Sittengesetz bringt ein „Bedürfnis“25 hervor (die moralische Nötigung ist hier gemeint),
welches das Erfolgen einer Handlung notwendig macht. Zusammenfassend lässt sich sagen,
dass das moralische Interesse ein sinnlich uninteressiertes, begrifflich bestimmtes, vernünftiges und
unfreies Interesse ist.

15 Ebd., S. 207.
16 Vgl. ebd.
17 Ebd.
18 Vgl. ebd., S. 209.
19 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA 5, S. 80.
20 Vgl. Kant: KU, AA 5, S. 210 & vgl. KpV, AA 5, S. 79–81.
21 Vgl. Kant: KpV, AA 5, S. 79, 81.
22 Ebd., S. 79.
23 Ebd., S. 81.
24 Kant: KU, AA 5, S. 210.
25 Ebd.

3
Nach der Darlegung des moralischen Interesses stellt sich die Frage, ob sich Akimotos
Wunsch auf eine subjektive Erfahrung beziehen kann, der ein solches Interesse zugrunde
liegt. Die Einschränkung „although guilty of no crime“ weist darauf hin, dass die Betrachtung
des Mondes im Exil nicht die Bestrafung für eine Untat bedeuten kann. Es soll hier nicht
Unrecht wieder gut gemacht werden dadurch, dass der Schuldige seine Strafe verbüßt im
klaren Bewusstsein davon, dass der ihm zugefügte Schmerz völlig gerecht und angemessen
ist. Der Genuss beim Anblick des Mondes rührt nicht etwa von der Befriedigung, welche
man beim Buße tun empfinden mag. Man könnte sagen: Das empfundene Vergnügen ist
nicht die Glückseligkeit des Glückswürdigen. Was also dann? Wenn sinnliches und
moralisches Interesse von dieser Erfahrung ausgeschlossen sind, dann kann es sich nur noch
um das Verlangen nach einem interesselosen Wohlgefallen, nach einer rein ästhetischen
Erfahrung handeln.
Kant definiert den Geschmack als „das Vermögen der Beurteilung des Schönen“.26
Urteile, welche über die Schönheit oder Hässlichkeit eines Gegenstands entscheiden, heißen
demzufolge Geschmacksurteile. Im Unterschied zu moralischen Urteilen sind
Geschmacksurteile keine objektiven, logischen Erkenntnisurteile, sondern subjektive,
ästhetische Urteile und zwar insofern sie die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das
Objekt beziehen, sondern auf das Subjekt und das Gefühl der Lust und Unlust, welches die
Vorstellung des Gegenstands in ihm verursacht.27
Im Unterschied zu Urteilen über das Angenehme oder über das Gute (moralische Urteile),
sind Geschmacksurteile „ohne alles Interesse“.28 Die Ausschaltung allen Interesses impliziert,
dass man beim Fällen eines Geschmacksurteils ganz von der Existenz des Gegenstandes im
Bezug auf das Subjekt und dessen Begehrungsvermögen absieht. Demjenigen, der ein
Geschmacksurteil fällt, ist nicht mehr an der Materie des Gegenstandes gelegen, sondern nur
an seiner „Beschaffenheit“29 bzw. an seiner „Form“30. Das Geschmacksurteil ist deswegen
„bloß kontemplativ“.31 Die Schönheit bzw. die Hässlichkeit eines Gegenstandes wird „in der
bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurteil[t]“.32 Und diese Betrachtung ist
„nicht auf Begriffe gerichtet“, d.h. weder „auf Begriffe gegründet“ noch „auf solche
abgezweckt“.33 Das Geschmacksurteil ist nicht begrifflich bestimmt, insofern es nicht auf die

26 Ebd., Fußnote 1, S. 203.


27 Vgl. ebd., S. 203–204.
28 Ebd. S. 211.
29 Ebd., S. 209.
30 Ebd., S. 223–224.
31 Ebd., S. 209.
32 Ebd., S. 204.
33 Ebd., S. 209.

4
Erkenntnis des Objekts, sei es die theoretische oder die praktische Erkenntnis desselben,
ausgerichtet ist.34
„Ohne alles Interesse“ bedeutet jedoch nicht nur, dass das Geschmacksurteil von keiner
Anteilnahme oder Neigung voreingenommen ist, sondern ferner, dass das Geschmacksurteil
selbst, anders als das moralische Urteil, kein Interesse begründet.35 Das Schöne ist kein
Bestimmungsgrund des Willens, es löst sich vielmehr aus der Beziehung auf den Willen.
Dem interesselosen Geschmacksurteil liegt aber ein bereits „uninteressiertes und freies
Wohlgefallen“36 zugrunde. Das Geschmackurteil folgt nur aus diesem Wohlgefallen am
Schönen. Das Wohlgefallen oder die Lust am Schönen folgt ihrerseits aus dem freien und
harmonischen Zusammenspiel der Erkenntnisvermögen (der Einbildungskraft und des
Verstandes), welches sich bei der Betrachtung des Schönen ereignet.37 Dies soll an dieser
Stelle nicht weiter erläutert werden.38
Werner Strube39 hat sehr genau die Aspekte der Interesselosigkeit des ästhetischen
Zustands herausgearbeitet: Die Interesselosigkeit, die ihm eigen ist, rührt erstens daher, dass
dieser Zustand kein „Bedürfnis voraus[setzt]“.40 Das Wohlgefallen am Schönen resultiert als
subjektiver Zustand nicht aus dem Bedürfnis nach der Befriedigung eines Triebes (nach dem
Schönen).41 Dies bedeutet ferner, dass es auch nicht durch irgend eine Neigung zum
Gegenstand der Betrachtung bedingt ist.42 Der ästhetische Zustand ist für Kant ein Zustand
der „Gunst“, d. i. des „freie[n] Wohlgefallen[s]“.43 Die Freiheit, die mit der „Gunst“
notwendig einhergeht, kommt darin zum Ausdruck, dass sich „Gunst“ für den schönen
Gegenstand unter Ausschließung jeglicher von außen kommender Bestimmung unseres
Gemüts, worunter auch die Nötigung des Willens durch das Vernunftgesetz fällt, nur
spontan in uns konstituieren kann.44 Zweitens impliziert die Interesselosigkeit, dass der
ästhetische Zustand auch kein Bedürfnis hervorbringt.45 Dies umfasst erstens das Bedürfnis
an der Fortdauer des ästhetischen Zustands. Der ästhetische Zustand dauert solange er

34 Vgl. ebd.
35 Vgl. ebd., S. 206.
36 Ebd., S. 210.
37 Vgl. ebd., S. 216–219.
38 Es sollen an dieser Stelle zwei Fragen offen bleiben: Erstens, auf welche Weise sich die Interesselosigkeit des

Wohlgefallens zum freien Spiel der Erkenntnisvermögen verhält. Zweitens, wie es verständlich sein soll, dass
das Geschmacksurteil aus dem Wohlgefallen oder aus der Lust am Schönen folgt, wenn Kant gleichzeitig sagt,
dass diesem Wohlgefallen noch die Beurteilung des Gegenstandes vorausgeht.
39 Werner Strube: „Interesselosigkeit”: Zur Geschichte eines Grundbegriffs der Ästhetik, in: Archiv für

Begriffsgeschichte, Vol. 23, No. 2 (1979), S. 148–174.


40 Kant: KU, AA 5, S. 210.
41 Vgl. Strube: „Interesselosigkeit“, S. 164.
42 Vgl. ebd.
43 Kant: KU, AA 5, S. 210.
44 Strube: „Interesselosigkeit“, S. 164.
45 Vgl. Kant: KU, AA 5, S. 211.

5
dauert, produziert aber kein Bedürfnis nach der Erhaltung dieses Zustands. Das Verweilen
an der Betrachtung des Schönen erklärt Kant so: „Wir weilen bei der Betrachtung des
Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproduziert“46, nicht etwa, weil das
menschliche oder tierische Begehrungsvermögen diesen Zustand verlängern will. Zweitens
motiviert das ästhetische Wohlgefallen nicht zur Besitznahme des schönen Gegenstandes
und zwar deshalb nicht, weil diese Lust etwas im Subjekt ist, nicht an der Vorstellung oder
am Gegenstand. Dies rührt, wie bereits mehrmals erklärt, daher, dass dem Wohlgefallen am
Schönen nicht an der Existenz des Gegenstandes gelegen ist. Die Lust am Schönen hängt
nicht am einzelnen, empirisch auffindbaren Gegenstand, sondern an einer vom materiellen
im gewissen Sinne losgelösten Form, die jedoch nicht unabhängig vom materiellen Ding
gegeben ist oder wahrgenommen werden kann.47
Der Zustand, der im letzten Absatz beschrieben wurde, entspricht meiner Ansicht nach
(und der Nishidas auch48) genau dem Zustand, den Akimoto im Sinn hatte. „Gunst“ hat die
Qualität eines freundlichen Entgegenkommens, einer spontanen Geselligkeit zum Objekt
der Betrachtung, sodass man sagen könnte, dass die Kontemplation vom „Mond des Exils“49
keine Objektivierung des Mondes impliziert, sondern in gewissem Sinne dialogisch ist. Die
empfundene Gunst ist wie eine spontane Antwort des Menschen auf den Ruf der Natur, die
möglich wird, sobald der Mensch bereit ist, eine Begegnung mit der Natur auf gleicher Ebene
zu wagen.
Am Anfang wurde die Frage aufgestellt, was die Interesselosigkeit des Geschmacksurteils
sowie des ihm zugrundeliegenden ästhetischen Wohlgefallens ausmacht und begründet. Wir
sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Interesselosigkeit des Geschmacksurteils
besteht in der Ausschaltung alles sinnlichen und moralischen Interesses an der Existenz des
Gegenstands der Betrachtung vonseiten des begehrenden Subjekts. Das Geschmacksurteil
gründet weder auf einem Interesse (sinnliches Urteil), noch bringt es ein solches hervor
(moralisches Urteil). Es ist somit ein freies, nicht begrifflich bestimmtes und auf das Gefühl
des Subjekts bezogenes, ästhetisches Urteil. Die Interesselosigkeit, welche den ästhetischen
Zustand bzw. das Wohlgefallen am Schönen charakterisiert, rührt daher, dass dieser Zustand

46 Ebd., S. 222.
47 Vgl. Strube: „Interesselosigkeit“, S. 163–167.
48 Vgl. Nishida: An explanation of beauty.
49 Interessant an der Äußerung Akimotos ist, dass die Schönheit des Mondes dadurch an Intensität gewinnt –

wenn nicht überhaupt nur dadurch als schön empfunden wird – , dass er aus dem Exil betrachtet wird – oder
der Mond selbst als exiliert vorgestellt wird. Es ist keine reine Naturschönheit, die hier betrachtet wird. Die
politische Situation des Betrachters, welche kulturell herbeigeführt und bedingt ist, verstärkt die Schönheit des
bereits schönen Mondes, welcher uns aus der Natur entgegenscheint. Woran liegt das? Der „Mond des Exils“
erscheint ferner als der ferne Mond der Heimat, sein Licht, noch kälter. Diese Problematik wollte ich hier
jedoch nur ansprechen und nicht weiter untersuchen, da dies den Umfang des Essays sprengen würde.

6
weder ein Bedürfnis voraussetzt noch eines hervorbringt. Zusammenfassend impliziert dies
die Freiheit vom Begehren des schönen Gegenstandes, die Freiheit vom Begehren des
ästhetischen Zustands selbst und die Freiheit von der Anteilnahme an der Materie des
Gegenstandes.50 Positiv ausgedrückt: dieser Zustand ist „bloß kontemplativ“51 und ihm ist
ausschließlich an der Form der Vorstellung des Gegenstandes gelegen. Dieses
„uninteressierte[] und freie[] Wohlgefallen“52 heißt „Gunst“53.
Folgende Fragen sind offen geblieben: Wie sich die Interesselosigkeit des Wohlgefallens
zum freien Spiel der Erkenntnisvermögen verhält und ob sich auf der Ebene der Beurteilung
des Schönen, die dem Wohlgefallen vorausgeht, auch Interesselosigkeit denken lässt.
Ebenfalls ist die Frage nicht angegangen worden, wie es überhaupt möglich ist, dass die
uns durch den ganzen Aufsatz begleitende Äußerung Akimotos einen Wunsch nach dem
ästhetischen Zustand ausspricht. Wie konnte der kaiserliche Berater ein Verlangen nach dem
schönen „Mond des Exils“ haben, wenn das Wohlgefallen am Schönen und das
Geschmacksurteil durch seine Interesselosigkeit in doppeltem Sinne definiert worden ist? Ist
etwa hierdurch nicht ein Interesse am Schönen unmöglich gemacht?

50 Vgl. Strube: „Interesselosigkeit“, S. 163.


51 Kant: KU, AA 5, S. 209
52 Ebd., S. 210.
53 Ebd.

7
Literaturverzeichnis

Primärliteratur:
I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. von Horst D. Brandt und Heiner F. Klemme,
Hamburg 2003.

I. Kant: Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Heiner F. Klemme, Hamburg 2009.

Nishida, Kitaro: An explanation of beauty. Bi no setsumei, in: Monumenta Nipponica, Vol. 42,
No. 2 (Summer, 1987), S. 215–217.

Sekundärliteratur:
Strube, Werner: „Interesselosigkeit”: Zur Geschichte eines Grundbegriffs der Ästhetik, in:
Archiv für Begriffsgeschichte, Vol. 23, No. 2 (1979), S. 148–174.

8
Eigenständigkeitserklärung

Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen
als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder
dem Sinn nach anderen Werken (dazu zählen auch Internetquellen) entnommen sind,
wurden unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht.

Unterschrift:

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