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Niklas Luhmann und die Differenz von Medium und Form

Luhmanns Hintergrund:

Niklas Luhmann (1927-1998), ein Soziologe, entwickelte eine einflussreiche Systemtheorie,


die sich von traditionellen Medientheorien unterscheidet. Sein Fokus liegt nicht nur auf
Medien als Werkzeuge, sondern auf ihrer Rolle in der Strukturierung sozialer Systeme.

2. Im Gegensatz zu anderen Medientheoretikern, besonders Kittler, nimmt Niklas Luhmann


eine Sonderrolle ein, indem er den Medienbegriff nicht primär im Technikdiskurs verortet.
Luhmann entwickelt seine Theorie als Kalkül und System von Unterscheidungen, wobei er
George Spencer Browns "Laws of Form" als logisches Fundament verwendet.

Dieser Ansatz weist Ähnlichkeiten mit Strukturalismus und Poststrukturalismus auf,


interpretiert jedoch das, was in diesen Theorien als Sprache oder "symbolische Ordnung"
betrachtet wird, als konstruktiv entwickelte "Systeme". Jeder Begriff in Luhmanns Theorie
fungiert als Relationsbegriff, als Scharnier zwischen Unterscheidungen.

Die Systemtheorie Luhmanns ist differenztheoretisch, wobei "System" von vornherein als
"System und Umwelt" verstanden wird. Systeme existieren in Umwelten, und Umwelten
existieren für Systeme. Er unterscheidet zwischen allopoietischen (maschinengenerierten)
und autopoietischen (selbstgenerierten) Systemen, darunter Maschinen, biologische
Systeme, psychische Systeme und soziale Systeme.

Luhmanns Theorie der sozialen Systeme zeichnet sich durch ihren strikt konstruktiven
Charakter aus, wobei der Fokus auf der Fragilität der Kommunikation und der
Unwahrscheinlichkeit des Sinns liegt. Der Medienbegriff erscheint am Ende seiner
Ausführungen als Systemkategorie, eine Unterscheidung in anderen Unterscheidungen.
Obwohl Luhmanns Medienbegriff zunächst hinter dem Kommunikationsbegriff zurücktritt,
gewinnt er zunehmend an Bedeutung und rekonzeptualisiert schließlich die
Grundunterscheidung von "System" und "Umwelt" als Differenz von "Medium" und "Form".
3. In diesem Teil wird die konstruktivistische Schlüsseloperation des Grundschemas der
Differenz behandelt, das als Spiel von "Unterscheidung" und "Bezeichnung" mit dem Begriff
der "Beobachtung" zusammenfällt. Beobachten bedeutet dabei immer schon Unterscheiden,
was als Prozess gedacht wird und auf dem elementaren Widerspruch zwischen "etwas" und
"nicht etwas" basiert. Die Prozessualität dieser Differenzen impliziert, dass sie nicht statisch
vorliegen, sondern operativ funktionieren, was die Dynamik sozialer und anderer Systeme
erklärt.

Das konstruktive System von Differenzen folgt dem "Formkalkül" von Spencer-Brown, der als
Alternative zur klassischen formalen Logik und insbesondere zur Principia Mathematica von
Alfred North Whitehead und Bertrand Russell verstanden wird. Dieser Ansatz verwendet die
Grundoperationen "Crossing" und "Reentry", die den elementaren Handlungen der Referenz
und der Selbstreferenzialität entsprechen.

Das Formkalkül beansprucht, alle möglichen Systemmodelle zu beinhalten, und stellt einen
kühnen Versuch dar, ein "Denken des Denkens" durch die abstrakte Form des
Unterscheidens selbst zu begreifen. Formen haben demnach keinen unabhängigen
ontologischen Status, sondern einen operativen, der durch Differenzoperationen entsteht.

Spencer-Brown begründet ein Meta-Modell oder eine Meta-Struktur, die "der Formbildung
jedes beliebigen formalen Systems" vorausgeht. Der Text betont, dass die Generierung der
Formen durch Unterscheidungen geschieht, aber unbestimmt bleibt, wie diese Generierung
selbst möglich wird. Dies führt zur Einführung des Medienbegriffs, der dort bedeutsam wird,
wo die Entfaltung der Formen in einem "Horizont" konkretisiert werden muss.

Der Medienbegriff nimmt in der Systemtheorie eine überraschende Schlüsselstellung ein, da


er eine zentrale Rolle bei der Konstitution von Unterscheidungen, Bezeichnungen und
Kommunikation spielt. Kommunikationssysteme konstituieren sich selbst mit Hilfe der
Unterscheidung von Medium und Form, und Systeme, die Sinn generieren, lassen sich ohne
die Medien-Form-Unterscheidung weder hinreichend aufbauen noch beschreiben.
4. Niklas Luhmann entwickelt die Differenz zwischen Form und Medium entlang
verschiedener Differenzen, die traditionelle metaphysische Unterscheidungen destabilisieren
und gleichzeitig mit ihnen verknüpft sind. Luhmanns Konzept bezieht sich ursprünglich auf
Fritz Heiders Unterscheidung zwischen "Ding" und "Medium", wobei er den Sinn des
Medialen verlagert und traditionelle Bedeutungen wiederherstellt.

Die Konzeption von Luhmann modelliert das Verhältnis von Medium und Form mithilfe der
Begriffspaare "lose Kopplung" und "strikte Kopplung". Das Medium wird als das
Vorauszusetzende und Bedingende betrachtet, das eine Vielzahl möglicher Formen erzeugt.
Luhmann übernimmt das Konzept der "lose Kopplung" von Heider, das an ein quasi-
atomistisches Gefüge erinnert, das andere Strukturen generieren kann. Das Medium ähnelt
einem Dispositiv, einer "Bedingung der Möglichkeit", die Möglichkeiten eröffnet und
begrenzt.

Als Modelle für diesen Medienbegriff dienen der Sand, der Baukasten, die Sprache in ihrer
Lautstruktur und das Theater. Der Sand symbolisiert die losen Körnungen, die verschiedene
Formen zulassen, aber auch schnell vergehen. Der Baukasten repräsentiert verschiedene
Elemente, die zu unterschiedlichen Gebilden kombiniert werden können. Die Sprache zeigt
eine differentielle Struktur von Lautketten, aus der sich Sätze und Aussagen bilden. Das
Theater liefert ein Modell, in dem Elemente wie Text, Bühne, Schauspieler und Licht zu
verschiedenen Theaterproduktionen kombiniert werden können.

In der Kunst, insbesondere im Theater, zeigt sich Kreativität als Emergenz neuer
Kombinationen oder die Hinzufügung weiterer Elemente, ohne dass dies das Ganze tangiert.
Luhmanns Konzept betont die Dynamik von Kopplung und Entkopplung, die einen ständigen
Prozess der Komposition und Dekomposition in der Welt der Formen und Medien darstellt.

5.Die Medientheorie, die sich anhand verschiedener Paradigmen entwickelt hat, offenbart
einen Mangel in der Konzeption. Sie denkt in Kombinationen, Ordnungen und Strukturen,
vernachlässigt jedoch die Betrachtung von Materialitäten, die das ästhetische Manifest
dieser Theorien darstellen. Luhmanns Medienbegriff subsumiert Heterogenes wie Zeit,
Schrift, Liebe, Geld und Macht unter sich, betrachtet sie als generelle symbolische Medien,
die für die Sinnkonstitution verantwortlich sind. Dies führt zu einer Heterogenität, da
zwischen diesen Elementen kein einheitliches Band existiert.

Der Medienbegriff von Luhmann zeigt sich unscharf, verzichtet auf Vorentscheidungen für
Codes oder Apparate und verweigert sich positiver Bestimmtheit. Dennoch ergeben sich
Verwandtschaften und Überlappungen, die die Konturen eines philosophischen
Medienbegriffs skizzieren lassen.

Erstens sind Medium und Form miteinander verbunden, bestehen aus denselben Elementen
und unterscheiden sich nur durch relative Unordnung und relative Ordnung. Diese
Gradualität der Differenz ermöglicht ihren Übergang und ihre Variabilität, und Medialität
wird als strukturelle "Inter-Medialität" verstanden.

Zweitens entstehen und vergehen Medien und Formen in einem ständigen Prozess des
Koppelns und Entkoppelns, und sie sind nur in Bezug auf diesen Prozess beschreibbar.
Medium und Form fungieren als Differentiale, die übersetzen, transformieren oder
verschieben, dabei aber selbst als solche nicht direkt in Erscheinung treten.

Drittens wiederholt Luhmann den Grundsatz, dass das Medium das Konstituierende ist, ihm
aber gleichzeitig eine Determination verweigert wird. Das Medium ist das Generierende, das
sich jedoch allein indirekt als "Spur" oder Residuum durch seine Wirkungen beobachten
lässt. Dies führt zu einer konstitutionellen "Blindheit" oder Negativität, die der Dialektik von
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit entspricht.

Insgesamt stellt dies die Grundlage für eine "negative" Medientheorie dar, die sich auf die
Unauffälligkeit der Medien und ihre konstitutive Blindheit konzentriert.

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