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4.

1 Exkurs: Strukturalismus

Der als Begründer des Strukturalismus geltende Linguist (Sprachwissenschaftler) Ferdinand de Saussure untersuchte
in seinen "Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft" (Saussure 1916) die Bedingungen, die ein
wechselseitiges Verstehen ermöglichen. Insbesondere beschäftigte er sich dabei mit der Sprache als einer
systematischen Struktur. Bedeutung, sagte Saussure, entstammt nicht der Außenwelt, die beschrieben wird, sondern
dem System der Sprache [langue] selbst. Bedeutung ist nur möglich, weil sie aus einem System abgeleitet wird, das
bereits vor ihr besteht, und das unabhängig von den jeweiligen Sprechakten [parole], den jeweiligen (individuellen)
Äußerungen besteht.

"Struktur" bezieht sich dabei auf die Totalität (Gesamtheit) der linguistischen Beziehungen, innerhalb derer ein
sprachlicher Akt möglich ist. Sie begrenzt uns, aber sie ermöglicht auch. [Wir sind also nicht so "frei", unabhängig
und autonom, wie wir üblicherweise glauben!] Man kann also in Kommunikationen nur Bestimmtes sagen, da man
von Anderen, die demselben Sprachsystem angehören, verstanden werden will. Struktur wird bei
Saussure synchron (bzw. statisch) verstanden. Davon unterschieden wird die zeitliche oder diachrone Dimension, in
der sich die Dinge (scheinbar) verändern. Für Saussure zählte der synchrone, systematische Charakter der
Sprache: Nur diese verallgemeinerbaren Regeln des (Sprach-)Systems könnten Gegenstand einer Sprachwissenschaft
sein.

Bedeutungen von bestimmten Zeichen, Wörtern, Bildern oder Texten entstehen und bestehen nur in Verhältnissen zu
anderen Zeichen, Wörtern, Bildern oder Texten (Beispiele: Tag–Nacht; unten–oben; heilig–säkular etc.). Diese
Symbole "haben keine "eigentliche" Bedeutung, sondern eine "relationale"." (Eagleton 1992, 72). Bedeutungen sind
nicht fix mit dem "Gegenstand" verbunden, den sie bezeichnen wollen (etwa: Baum / tree / arbre / etc. – Viel
komplizierter und für Sozialwissenschaften relevant: Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie, Glück, Menschenrechte,
Staat, Produktionsverhältnisse etc.).

Claude Lévi-Strauss (1908-2009) in seinem Büro 2004. Mit seiner Analyse von Verwandtschaftssystemen (1949)
begründete er den Strukturalismus in der Ethnologie, Copyright: Collège de France, Patrick Imbert, Jean-Pierre Martin
(aus: La Lettre du Collège de France 11/2008, 42)

Relationalität: In der strukturalistischen Theorie ist damit die These verbunden, dass alles miteinander
zusammenhängt und dabei auch seinen bestimmten Platz hat. Strukturen werden als geschlossen und als in sich
geordnet charakterisiert. "Strukturalismus in einem weiteren Sinne stellt den Versuch dar, diese linguistische Theorie
auf Objekte und Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Sprache zu übertragen." (Eagleton 1992, 75) (Beispiel: Claude
Lévi-Strauss für den Bereich der Ethnologie).

4.2 Diskurs und Diskurstheorien

Diskurs ist ein seit den 1970er Jahren häufig gebrauchter Terminus, mit dem Sprachmuster benannt werden. Mit dem
Begriff wird Verschiedenes ausgedrückt: So etwa auch die Vereinheitlichung der Auseinandersetzungen um ein
Themen- und Problemfeld, wie z.B. im "Privatisierungsdiskurs", dem "Umweltdiskurs", dem "Flüchtlingsdiskurs",
u.v.m.

Thema der Diskurstheorien im Allgemeinen ist es, die Zusammenhänge von Sprache und Politik, von Wissen und
Geltung, von Realität und Deutung, von Diskurs, Macht und Subjektformierung genauer zu erkunden.

Übergang vom Paradigma des Bewusstseins (individualistisch) zum Paradigma der Sprache:Während das
Paradigma des Bewusstseins bzw. die Bewusstseinsphilosophie Sprache nur als neutrales, theoretisch unbedeutendes
Instrument für den Transport von Gedanken betrachtete, sieht das Paradigma der Sprache diese als ein notwendig
überindividuelles, gesellschaftliches Phänomen. (Post-)strukturalistische Ansätze betonen die (relative) Autonomie,
Eigengesetzlichkeit und Materialität von Sprache.

Palette der Diskursbegriffe

 Linguistischer Diskursbegriff (sprachwissenschaftliche Methode)


 Diskurstheorie (Michel Foucault, Michel Pêcheux, Ernesto Laclau / Chantal Mouffe)
 Diskursethik / "herrschaftsfreier Diskurs" (Jürgen Habermas)

4.3 Diskurstheorie und Diskursanalyse


Diskurstheorie und Diskursanalyse können folgendermaßen unterschieden werden:

Chantal Mouffes vieldiskutierte politische Theorie basiert wesentlich auf diskurstheoretischen Thesen, Bild:University
of Westminster

Diskurstheorie bezieht sich auf die wissenschaftstheoretischen und gesellschaftstheoretischen Grundlagen. –


Beispiele für diskurstheoretische Fragen: Wie wird "Diskurs" definiert? Welches Verhältnis besteht zwischen
Diskursen und gesellschaftlichen AkteurInnen? Welches Verhältnis zwischen dem Diskursiven und dem Nicht-
Diskursiven einer Gesellschaft wird vorausgesetzt? Oder wird die These vertreten, dass die gesamte Gesellschaft
ausschließlich aus Diskursen besteht (z.B. von Laclau und Mouffe 1991)? In welcher Weise können Diskurse
wissenschaftlich erkannt und analysiert werden? Was wird durch Diskurse "konstituiert"? Welchen Stellenwert haben
Diskurse im Prozess der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstitution? Sind Diskurse gesellschaftlich wirkmächtig
(wenn ja: in welcher Weise?) oder sind sie bloße Oberflächenphänomene und Widerspiegelungen der ökonomischen
und politischen Verhältnisse?

Diskursanalyse bezieht sich auf die Formen, Methoden, Instrumentarien der konkreten Untersuchung von
spezifischen Diskursen, also auf die "forschungspraktische Umsetzung" (Keller 2001).

Die Diskursethik von Habermas nimmt eine Sonderstellung ein: Sie ist explizit normativ ausgerichtet; sie ist als
unhintergehbare Form der Vernunft und Basis jeder Ethik konzipiert (Sarasin 2005, 105). Diskurs meint dabei eine
öffentliche Debatte unter bestimmten Bedingungen (Handlungsentlastung), in der bestimmte ethische Regeln (es zählt
ausschließlich das bessere Argument) gelten sollen.

Moderne sprachwissenschaftliche diskursanalytische Ansätze bestimmen Diskursanalyse als Strukturanalyse von


Texten:

- Diskursanalyse als Gesprächsanalyse: Untersucht werden systematische Strukturen tatsächlicher Gespräche oder
Kommunikationssituationen. Mit dem Begriff Diskurs wird der Gesamtzusammenhang einer stattfindenden
Kommunikation bezeichnet, der in einzelne Sprechhandlungs-Sequenzen zerlegt wird. Diskurse laufen regelhaft ab
und bestehen aus einer Anordnung von Sprechhandlungs-Sequenzen.

- Kritische Diskursanalyse (Norman Fairclough, Utz Maas, Ruth Wodak, Teun van Dijk, Siegfried Jäger, Margaret
Jäger): Eine Gesprächsanalyse, die gesellschaftstheoretisch fundiert ist. Untersucht wird / werden, wie spezifische
Inhalte sprachlich realisiert werden; welche Mechanismen dabei benutzt werden; welche Inhalte implizit oder explizit
geäußert werden; der Zusammenhang mit (anderen) gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen;
"Diskurs/e" als eine Form sozialer Praxis, wobei "diskursive Handlungen" mit Situationen, Institutionen und sozialen
Strukturen in dialektischer Beziehung stehen. (Fairclough 1992; 2000).

4.4 Michel Foucaults Diskurstheorie und Diskursanalyse

Viele aktuelle sozialwissenschaftliche Theorien und Debatten knüpfen an den Diskursbegriff des französischen
Historikers und Philosophen Michel Foucault (1926–1984) an. Dieses "Anknüpfen" kann von der Entlehnung
einzelner Begriffe (die dabei oft stark verändert werden) bis zu einer direkten Übernahme des theoretischen Ansatzes
von Foucault reichen. Foucaults Texte wurden und werden dabei äußerst unterschiedlich eingeschätzt: Er sei
Strukturalist, Poststrukturalist, Neokonservativer, Anarchist, bedeutender Historiker, Geschichts- und
Subjektverleugner etc.

Das Normative und Kritische an Foucaults Theorien zu Diskurs, Macht und Gouvernementalität besteht in
der Hinterfragung von Naturalisierungen: Indem aufgezeigt wird, dass Macht, Herrschaft und Wissen(schaft) in ihrer
Verknüpfung stets etwas raum-zeitlich Produziertes sind, können sie nicht als selbstverständlich oder natürlich
gegeben angenommen werden. Da das jeweils Aktuelle produziert worden ist (durch bestimmte Kräfte, Strategien,
Taktiken), müssen die sozialen Verhältnisse (Ausbeutungsverhältnisse, Herrschaftsverhältnisse,
Subjektivierungsweisen etc.) nicht so bleiben, sondern können verändert werden.

Foucault argumentierte gegen verschiedene Reduktionismen, da sie alle (auf unterschiedliche Weise) die relative
Autonomie, Eigenlogik und Eigengesetzlichkeit von Diskursen und Institutionenausblenden oder verleugnen:
 Reduktionismus a: Der Intentionalismus geht davon aus, dass bestimmte Diskurse, Theorien, Analysen,
Wissenschaften und Institutionen von autonomen Subjekten alleine aufgrund ihrer Intentionen und ihres
Willens produziert werden und der Logik dieser Intentionen folgen.
 Reduktionismus b: Der Ökonomismus behauptet, dass bestimmte Diskurse alleine von ökonomischen
(Kräfte-)Verhältnissen produziert und determiniert werden. Politische und ideologische Verhältnisse seien
dabei bloßer Ausdruck des Ökonomischen.
 Reduktionismus c: Der Strukturalismus geht davon aus, dass bestimmte Diskurse, Theorien etc. von
anonymen Strukturen produziert werden. Die geschichtliche Gewordenheit, die Machtverhältnisse und
Auseinandersetzungen, die zu bestimmten Strukturen führen, bleiben dabei ausgeblendet.

Biographisches: Foucault engagierte sich persönlich in politischen Gruppen und sozialen Bewegungen
(Antirassismus, Situation in Gefängnissen etc.); überdies leistete er auch einen wichtigen Beitrag zur Selbstreflexion
intellektueller Arbeit, indem er die politische Bedeutung von Produktion, Organisation und Verteilung des Wissens
thematisierte (Lemke 1997, 11f.; Veyne 2009).

4.4.1 Foucaults Diskursbegriff

Diskurs bei Foucault meint (in einer ersten Annäherung) eine Gruppe von Aussagen (wie Texte, Begriffe, Konzepte).
Diskurse legen Sprachen und Denkweisen fest, die zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehen. Diskurse
bestimmen, wie man über etwas redet und wie nicht über etwas geredet wird bzw. werden darf/kann. Diskurse sind
Filter des Sagbaren und damit auch der Denk- und Handlungsweisen. Methodisch wird dies mittels De- und
Rekonstruktion offen gelegt. Die Bedeutung der Diskurse ist eng mit
dem Machtbegriff verknüpft: Diskursanalysen setzen immer auch Machtanalysen voraus, weil Macht Diskurse
strukturiert und Macht sich über Diskurse legitimiert.

Diskurse stehen nach Foucaults Konzeption den Subjekten, wie auch den Gegenständen, nicht äußerlich gegenüber,
sondern konstituieren die Subjekte und Objekte zumindest teilweise. – Foucault zeigt dies am Beispiel der Diskurse
über Geisteskrankheit, Delinquenz und Sexualität:

"Die Diskurse der Geisteskrankheit, der Delinquenz oder der Sexualität sagen uns nicht, was das Subjekt ist, sondern
nur, was es innerhalb eines bestimmten, ganz und gar besonderen Wahrheitsspiels ist. Aber diese Spiele drängen sich
nicht, einer notwendigen Kausalität oder strukturellen Determinationen folgend, von außen dem Subjekt auf. Vielmehr
eröffnen sie ein Erfahrungsfeld, in dem Subjekt wie Objekt nur unter bestimmten gleichzeitigen Bedingungen
konstituiert werden, unablässig ihr Verhältnis zueinander modifizieren und damit das Erfahrungsfeld selbst verändern.
Daraus folgt als drittes Methodenprinzip: sich bei der Analyse an die "Praktiken" zu halten und die Untersuchung
darüber anzugehen, was "man macht"." (Foucault 2005 [Schriften 4], 502).

4.4.2 "Archäologie des Wissens" und "Genealogie der Macht"

Foucaults Werk kann sehr grob in zwei zentrale Perioden eingeteilt werden, die im Kern unterschiedliche
theoretische Problematiken umfassen:

 Archäologie des Wissens


 Genealogie der Macht

"Archäologie" und "Genealogie" sind wissenschaftshistorische und wissenschaftssoziologische Verfahren, mit denen
sich Gesellschaften in Bezug auf ihre favorisierten, sowie ihre diskriminierten Wissensformen beschreiben lassen.
Den Ansätzen der "Archäologie" und der "Genealogie" ist gemeinsam, dass beide bestimmte Reduktionismen
(Intentionalismus, Ökonomismus, Strukturalismus) zu überwinden versuchen. Sie unterscheiden sich vor allem darin,
dass die "Genealogie" Fragen der Macht explizit thematisiert und ausarbeitet.

Foucaults meistbekannte Bücher "Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses" (1976) und "Sexualität und
Wahrheit. Der Wille zum Wissen" (1977) stammen aus der Phase der Genealogie.

4.4.2.1 "Archäologie des Wissens"

Michel Foucault hat seine umfassenden diskurshistorischen Studien der 1960er Jahre unter das gemeinsame Label der
"Archäologie" gestellt. Thema der "Archäologie" ist die theoretische wie methodische Reflexion historischer Arbeiten.
In der "Archäologie des Wissens" (1969) wurde sie zu einem methodologischen Programm erweitert.
In der "Archäologie" geht es nicht die allgemeinen, überhistorischen Konstruktionsgesetze von Diskursen, sondern
um die konkreten historischen Bedingungen des tatsächlichen Auftauchens und der Existenz von
Diskursen. Foucault distanziert sich dabei deutlich von einer hermeneutisch ausgerichteten Ideengeschichte (die nach
einem verborgenen Sinn fragt): Seine Aufmerksamkeit richtet sich weniger auf Ideen als vielmehr auf
Wissenssegmente, Denkmuster, Diskurstypen sowie unausgesprochene Wissensfelder, die Ideen zugrunde liegen.
(Brieler 1998; Lemke 1997). Ein Ziel der Diskursanalyse ist es, die Möglichkeitsbedingungen und
die Machtwirkungen des Gesagten zu erschließen.

Foucault versteht Diskurse in erster Linie als Ansammlung von Aussagen, Wörtern und Zeichen. Diskurse sind dabei
aber nicht nur als Bezeichnungen von Sachen zu analysieren, sondern auch in ihrer Funktion der Ordnungs-
Stiftung, Errichtung von Grenzen des Sagbaren und zur Produktion von Wissensobjekten zu sehen.

au Foucault befasste sich u.a. mit den historischen und aktuellen Diskursen über Wahnsinn und ihrer Bedeutung für
die Konstruktion einer "europäischen Vernunft", im Bild: Wiener Narrenturm, Foto: Wikipedia

Diskurse "[bilden] systematisch die Gegenstände, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen;
aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf
das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muss man ans Licht bringen und beschreiben" (Foucault 1969, 74). –
Beispiel: Die Produktion des Objekts "Geisteskrankheit" durch den medizinisch-psychiatrischen Diskurs im 19.
Jahrhundert (Foucault 1968/1954; 1961).

In der "Archäologie" werden Diskurse nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit Praktiken,
Institutionen und Theorien analysiert, d.h. es geht auch um die "Verhältnisse zwischen den diskursiven Formationen
und den nicht- diskursiven Bereichen (Institutionen, politische Ereignisse, ökonomische Praktiken und Prozesse)"
(Foucault 1969, 231). Foucault richtet sich damit u.a. gegen die Vorstellung, dass eine Aussage zu einem bestimmten
Thema isoliert interpretiert werden könnte: Interpretationen müssen immer auch diskursive Regeln, die Aussagen in
dieser Form ermöglichen, aufdecken.

4.4.2.2 "Genealogie der Macht"

Ende der 1960er Jahre erkannte Michel Foucault – angeregt vor allem durch die Proteste der Studierenden 1968 –,
dass er in seinen Schriften, die der "Archäologie des Wissens" folgen, die Frage nach der Macht zwar angedeutet,
aber nicht ausgearbeitet hatte. Er erweitert und verändert sein Forschungsprogramm: "Man muss die Archäologie der
Humanwissenschaften auf die Erforschung der Machtmechanismen gründen, die Körper, Gesten und
Verhaltensweisen besetzt haben." (Foucault, zit. n. Lemke 1997, 50). Er wendet sich nun verstärkt
der Entstehungsgeschichte der gesellschaftlichen Praktiken zu.

Die Herausbildung eines Überwachungs- und Prüfungssystems mit dem Gefängnis im Zentrum analysierte Foucault
als Disziplinierung von Körpern und Arbeitskraft im industriellen Zeitalter, Bild: Zellentrakt in Alcatraz, Wikipedia

Die Genealogie "radikalisiert" die in der "Archäologie" aufgeworfene Machtfrage (Sarasin 2005, 118f.) und
beschäftigt sich genauer mit den Verbindungen von Gesellschaft und Diskurs, sowie von Herrschaft und Diskurs. Die
Genealogie analysiert Macht-Wissens-Verhältnisse in ihrer historischen Gewordenheit. Es geht um die "Verknüpfung
der Diskurstatsachen mit den Machtverhältnissen" (Foucault). Im Zentrum stehen die Beziehungen zwischen Macht,
Wissen und Körper in der modernen Gesellschaft. Dazu analysiert sie die strategischen Kämpfe um Macht-
Wissenspositionen auf dem Feld des Wissens wie des Sozialen. Die Genealogie sollte die diskontinuierliche Abfolge
diskursiver Praktiken erklären.

Die Genealogie ist auch eine Erweiterung der archäologischen Analyse von Diskursen, indem explizit nach den
äußeren Bedingungen, Beschränkungen und Institutionalisierungen von Diskursen gefragt wird. Der Bezugspunkt der
Genealogie ist "nicht mehr das große Modell der Sprache und der Zeichen, sondern das des Krieges und der Schlacht.
Die Geschichtlichkeit, die uns mitreißt und uns determiniert, ist eine kriegerische; sie gehört nicht in die Ordnung der
Sprache" (Foucault 1977). – Diese Konzeption wird Foucault ab Mitte der 1970er Jahre in seinen Vorlesungen zur
"Gouvernementalität" dann noch einmal differenzieren und verändern (vgl. Foucault 2004a und 2004b; als
Einführung: Sennelart 2004).

Die Genealogie ist die zur Archäologie komplementäre (und parallele) Suche nach dem Machtpotential. Ihre Fragen
sind etwa: "Wer kann sprechen?", "Wer darf sprechen?", "Wie entstehen neue Machtverhältnisse im Diskursraum?".
Diskursanalyse in der Genealogie: Foucault analysiert Diskurse als Machteffekte. Diskursive Regelmäßigkeiten
entstehen aus historisch sich verändernden Machtkonstellationen und Machtspielen. Foucault möchte die bestehende
Ordnung analysieren und die Mechanismen ihres Funktionierens sichtbar machen, ihr die "Maske der Evidenz"
(Eribon 1991, 314) abreißen, hinter der sie sich verbirgt. Diskursanalyse beschreibt und problematisiert die Ordnung
der Dinge in ihrer Historizität. Sie beraubt sie damit ihrer naturalisierenden Wirkungen und universellen
Wahrheitseffekte (Veyne 2003).

http://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/denkenpowi/denkenpowi-36.html

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