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13/12/2014 Venezuela, Russland: Billiges Öl wird für Produzenten zur Gefahr ­ DIE WELT

13. Dez. 2014, 8:18


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12.12.14 Staatspleiten­Gefahr

Ölpreis­Schock trifft die Welt völlig unvorbereitet


Venezuela: bald Pleite. Russland und Nigeria: akut gefährdet. Das reiche
Norwegen: unter Druck. Der niedrige Ölpreis ist für viele Länder
gefährlich. Der Absturz kann für die Welt zum Albtraum werden. Von Holger
Zschäpitz

Foto: Infografik Die Welt

Beispiel: Venezuela braucht für einen ausgeglichenen Haushalt einen Ölpreis von 118 Dollar. Derzeit liegt
er jedoch nur bei 63 – eine Differenz von 55 Dollar

Noch 94 Tage, dann muss Caracas die weiße Flagge hissen. Denn am 16. März 2015 wollen
die Märkte eine Milliarde Euro plus 70 Millionen Zinsen von der Regierung in Venezuela. Vier
Tage später wird eine weitere milliardenschwere Staatsanleihe fällig und Caracas muss Geld
zahlen. Geld, dass das südamerikanische Land nicht hat.

Kaum ein anderes Land hängt so sehr am Öl wie Venezuela, kaum ein anderes Land ist so
schlecht auf fallende Preise vorbereitet. Öl steht für 95 Prozent des Exports, die Einnahmen
aus dem Verkauf des Energieträgers speisen zwei Drittel des gesamten Staatshaushalts. Das
Land braucht einen Preis von 118 Dollar pro Fass, um sein Budget zu finanzieren. Doch die
Notierungen für das Barrel (159 Liter) stehen nur noch halb so hoch.

Zuletzt war Rohöl der Sorte WTI unter die Marke von 60 Dollar je Fass gefallen. Auch die
Nordseesorte Brent war zuletzt so billig wie seit dem Juli 2009 nicht mehr.
(Link: http://www.welt.de/134945223) Saudi­Arabien, das größte Opec­Land, hatte zuvor die

Notwendigkeit, die Förderung zurückzufahren, infrage gestellt. Das heizte Spekulationen an,
dass das Land seinen Marktanteil verteidigen will.

Dax mit größtem Wochenverlust seit drei Jahren

Seit dem Sommer hat das schwarze Gold damit gut 45 Prozent an Wert verloren. Der
Ölpreisrutsch schreckt weltweit die Anleger auf: Die Aktienbörsen gingen am Freitag in die
Knie, auch die Währungen Öl produzierender Länder wie Kanada, Norwegen oder Russland
mussten deutliche Kurseinbußen hinnehmen. Selbst der Dax
(Link: http://www.welt.de/boerse/aktienindizes/DAX­DE0008469008.html) krachte um 2,7 Prozent ein, obwohl

Deutschland eher zu den Profiteuren eines niedrigeren Ölpreises gehört. Auf Wochensicht hat
der Leitindex fast fünf Prozent verloren, so viel wie seit drei Jahren nicht mehr.

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13/12/2014 Venezuela, Russland: Billiges Öl wird für Produzenten zur Gefahr ­ DIE WELT
"Der Öl­Crash hat einen Realitätsschock an den Märkten ausgelöst", sagt Chris Tinker,
Gründer beim Analysehaus Libra Investment Services. "Vor wenigen Monaten lebten die
Märkte noch gedanklich in einer 100­Dollar­Öl­Welt. Nun findet eine brutale Anpassung an die
neuen Gegebenheiten statt."

Tatsächlich hatte kaum ein Experte den Verfall der Energiepreise auf seiner Rechnung. Das
erklärt auch, warum die Märkte mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Verwerfungen am
Energiemarkt reagieren. Die Situation erinnert ein wenig an die Pleite der US­Investmentbank
Lehman Brothers. Da dauerte es auch einige Zeit, bis die Akteure das volle Ausmaß des
Schocks realisiert hatten.

Vor allem für die großen Öl exportierenden Länder ist der Preisverfall des Energieträgers
durchaus vergleichbar mit dem Lehman­Schock für die Finanzwelt vor sechs Jahren.

Die Märkte in Saudi­Arabien, Dubai, Katar oder Nigeria kamen zuletzt regelrecht unter den
Hammer. In Katar rutsche der Aktienindex DSM in den vergangenen drei Monaten um 18
Prozent ab, an der Börse in Saudi­Arabien und Nigeria fielen die Notierungen um ein Viertel.
Saudi­Arabien ist der größte Ölproduzent der Opec, Nigeria fördert das meiste Öl in Afrika.

"Ich bin sehr pessimistisch für die Schwellenländer", sagt Tim Ash, Stratege bei der Standard
Bank, mit Blick auf die Turbulenzen an den Energiemärkten. "Die derzeitige Lage erinnert mich
extrem die Jahre 1997 und 1998."

Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Venezuelas: 94 Prozent

Ash spielt auf die Asien­ und Russlandkrise der späten 90er­Jahre an, die damals die Welt
durchschüttelte. Vor 16 Jahren schlitterte Russland in den Staatsbankrott, einige Länder
mussten vom Internationalen Währungsfonds gerettet werden. Zuvor war der Ölpreis um 50
Prozent eingebrochen. Allerdings hatten sich die Verluste über zwei Jahre angesammelt. Der
jetzige Preisrutsch hat sich dagegen in wenigen Monaten ereignet.

Und genau diese Brutalität macht die Situation so gefährlich. Weder Staaten noch Investoren
konnten sich an die neue Situation anpassen. Nun wird dies blitzschnell nachgeholt. Und da die
Märkte in der Regel zum Überschießen neigen, ist so manche negative Überraschung
programmiert.

Zu den wenigen Gewissheiten scheint die Staatspleite von Venezuela zu gehören. Zumindest
spielen die Märkte einen Bankrott bereits durch. Gemessen an den Kosten für die
Kreditausfallversicherungen beziffern die Akteure die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite auf über
94 Prozent. Nach Daten des Finanznachrichtendienstes Bloomberg ist Venezuela damit
weltweiter Spitzenreiter. Ablesen lässt sich die prekäre Situation auch an den Anleiherenditen.
Die sind zu Wochenschluss auf 24 Prozent in die Höhe geschossen.

"Die Öleinnahmen reichen nicht mehr aus, um die Ausgaben der Regierung zu decken. Jetzt
wird die Notenbankpresse angeworfen", sagt Reva Bhalla vom Informationsdienst Stratfor. Mit
dramatischen Folgen. Die Inflation ist auf rund 200 Prozent in die Höhe geschossen. Kein
Wunder, schließlich hat sich der Schwarzmarktwert der Landeswährung Bolivar zum Dollar seit
dem Sommer mehr als halbiert. "Die Venezolaner versuchen ihr Erspartes in Dollar zu retten",
sagt Bhalla. "Caracas befindet sich in einer gefährlichen Abwärtsspirale."

Auch für Russland sieht es dramatisch aus

Eine Pleite scheint unabwendbar. In den kommenden Jahren muss Venezuela Dollar­ und
Euro­Anleihen im Volumen von 37 Milliarden Dollar ablösen, 3,4 Milliarden Dollar werden für
Zinszahlungen fällig. Das Geld fällt in harten Devisen an, sprich: es lässt sich nicht über die
eigene Notenpresse finanzieren. Die Devisenreserven reichen nicht aus, um die
Verbindlichkeiten zu decken. Mit 21,5 Milliarden Dollar ist der Staatsschatz auf den niedrigsten
Stand seit zehn Jahren zusammengeschmolzen.

"In 2015 könnte Venezuela eine Staatspleite hinlegen", meint auch Hongtao Jiang, Stratege bei
der Deutschen Bank. Der niedrige Ölpreis in Kombination mit einer untätigen Politik führe das
Land immer tiefer in die Krise.

Auch für Russland sieht es dramatisch aus. (Link: http://www.welt.de/135276324) Hier beziffern die
Märkte die Pleitewahrscheinlichkeit auf 26 Prozent. Das ist der höchste Wert seit der
Finanzkrise von 2008/2009. Die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen sind bereits bei 13
Prozent angekommen. Allerdings sind die Devisenreserven Moskaus noch wesentlich höher
als die von Venezuela, so dass Russland nicht derart akut gefährdet ist.

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S&P stuft Ausblick von Bahrain zurück

Inzwischen haben die Investmentbanken zahlreiche Negativlisten erstellt, auf der die großen
Ölverlierer stehen.

Ganz oben findet sich Nigeria wieder. Der größte Ölproduzent Afrikas braucht für seinen
Staatshaushalt einen Preis von 110 Dollar. Zuletzt ist die heimische Währung Naira bereits
unter Druck gekommen. Experten wollen nicht ausschließen, dass das Land bald einen
Hilfskredit beim IWF beantragen muss. Das Risiko einer Staatspleite wird mittlerweile auf 19
Prozent taxiert.

Aber auch die im Öl schwimmenden Golfstaaten bekommen den Preisverfall zu spüren. Die
Ratingagentur S&P reduzierte zu Wochenschluss den Ausblick von Bahrain auf negativ.

Und selbst in den Industriestaaten führt der Ölpreis zu Turbulenzen. Europas größter
Ölexporteur Norwegen steht unter Druck. Die Norwegen­Krone ist am Freitag zum Dollar auf
den tiefsten Stand seit elf Jahren gefallen. Allein seit Jahresanfang hat die Krone gut 17 Prozent
eingebüßt.

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