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94 Die Königin im Krieg (Lohenstein)

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III Die Königin im Krieg (Lohenstein)


Das schönste Weib der Welt ist keines Zepters wehrt.1

1. Der Sold der Sünde

Der Leichnam des französischen Königs Ludwig XII. wurde im Jahr 1515 in
St. Denis unter einem Grabmal bestattet, dessen Fresko ihn gemeinsam mit
der Königin in doppelter Gestalt veranschaulichte: stehend als Lebenden
(gisant), im Schmuck des Machthabers, in der zugleich demütigen und wür-
devollen Geste des Beters, und, weiter unten, liegend im Stadium des Todes
(transi), als nackter Mensch, in seiner kreatürlichen Armut und Dürftigkeit.2
Solche Doppelbilder gehörten im Zeitalter der Renaissance zu den vertrau-
ten Requisiten des Herrschergrabs, das auf diese Weise zu einem Ort auf-
steigt, an dem „die Zeit des Todes neu erfunden wird.“3 Zumeist stellten sie
den Monarchen mit Ornat und Insignien in der höheren Deckenregion
eines tempelähnlichen Portikus dar, während man den nackten Leib auf
Fresken in Bodennähe zeigte.4 Der Effekt der Verdoppelung bezog sich nicht
nur auf den Körper des Herrschers, der sich bekleidet und zugleich nackt

1 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra. Text der Erstfassung von 1661, besorgt v.
Ilse-Marie Barth, mit einem Nachwort v. Willi Flemming, Stuttgart 1985, S. 41 (I, v.625). –
Ähnlich wie manche Aussage Scipios in der Sophonisbe (1680) ist auch diese Bemerkung,
die von Marc Antons Feldhauptmann Sosius stammt, nicht als Ausdruck der Misogynie
des Autors mißzuverstehen. Gerade die literarische Konstruktion selbständig-tatkräftiger
Frauenfiguren in den Trauerspielen bezeugt, daß Lohenstein sehr genau zwischen sozio-
kulturellen Normzuschreibungen und objektiven Beobachtungen unterschied.
2 Dazu konzis Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsentation, S. 49 f.
3 Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001,
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S. 156; zur seit dem 13. Jahrhundert eingeführten, erst im 16. Jahrhundert jedoch weiter
verbreiteten Konstruktion eines doppelten Grabbildes (‚Doppeldeckergrab‘) in der eng-
lischen Funeraltradition Nigel Llewellyn, The Art of Death, S. 60 ff.; zum französischen
Brauch Philippe Ariès, Geschichte des Todes, S. 321 ff.; zu den herrschaftstechnischen
Hintergründen Horst Bredekamp, Politische Zeit. Die zwei Körper von Thomas Hobbes’
Leviathan, in: Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz, S. 105–118,
hier S. 105 ff.
4 Vgl. als typisches Beispiel das 1509 erbaute Grabmal des hessischen Landgrafen Wilhem II.
in der Marburger Elisabethkirche; Abb. bei Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 98.

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präsentierte, sondern auch auf die Figuration des Todes. Die Gestalt des to-
ten Königs, die durch die Visualisierung des kreatürlichen Leibes bezeichnet
wurde, erzeugte ein Double des tatsächlich bestatteten Körpers: „la double
mort“, wie Gaston Bachelard in anderem Zusammenhang formuliert hat.5
Die neue Zeit des Todes, die sich in der Epoche der Renaissance an den
Grabmälern der Könige ablesen läßt, ist eine Zeit der kulturellen Brechung
und Spiegelung. Sie zerstreut das Absolutum des Sterbens, das in der imagi-
nären Verdoppelung des Königskörpers gemildert und abgeschwächt zutage
tritt.6 Der Endzeit des natürlichen Leibes, die sich in der Auflösung seiner
physischen Form manifestiert, steht die Dauer der institutionellen Herr-
scherexistenz gegenüber, so daß der Tod als Intermezzo erscheint, das durch
seine zerstörerischen Züge erschrecken, nicht aber die dynastische Ordnung
gefährden kann.
Freilich stieß die Darstellung des verfallenen Herrscherleibes auf feste
Grenzen, die durch den Selbstinszenierungswillen der Könige gezogen
wurde. Besaßen die Körperansichten des entkleideten Monarchen eine
eigene Drastik, die vom Zerfall der Schönheit und der Endlichkeit aller irdi-
schen Macht zeugte, so kam es zu Konflikten mit symptomatischem Cha-
rakter. Girolamo della Robbia legte Katharina von Medici im Jahr 1562
einen Entwurf für ihr späteres Grabmal in der Chapelle des Valois der zum
Familienmausoleum erkorenen Basilika von St. Denis vor, der dieses Prin-
zip des Zerfalls mit äußerster Unbarmherzigkeit veranschaulichte, indem er
den nackten Körper mit durchschimmernden Knochen unter entblößtem
Fleisch im Stadium der Verwesung zeigte. Die Königin wies diese Konzep-
tion, die sie als Verletzung der ihrem Leib einbeschriebenen Amtswürde be-
trachtete7, empört zurück und gab statt dessen bei Germain Pilon die Figur
einer Venus pudica in Auftrag8; Erasmus von Rotterdam kommentierte solche
exakte Planung des Begräbnisprunks zu Lebzeiten der Herrscher in seinem
Encomium Moriae (1511), dem Muster der Kritik Senecas folgend, mit schar-

5 Gaston Bachelard, L’espace littéraire, Paris 1955, S. 126.


6 Eine andere Form dieser ‚Zerstreuung‘ bilden in der Frühen Neuzeit die schon genann-
ten Rituale vor der Beerdigung, die auf symbolische Weise die Fortdauer des Königtums-
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sichern, ehe der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) gekrönt wird; vgl. Georg Braungart,
Hofberedsamkeit, S. 206 ff.
7 Zu solchen in der Bildkunst der Renaissance anzutreffenden Formen der Widerlegung der
Dignität durch den natürlichen Körper Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsen-
tation, S. 31.
8 Erwin Panofsky, Grabplastik. Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von Alt-
Ägypten bis Bernini, hg. v. Horst W. Janson, mit einer Vorbemerkung v. Martin Warnke,
Köln 1993 (zuerst 1964), S. 88; vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs,
S. 426.

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fem Spott.9 Die von Pilon nach den Plänen der Königin gestaltete Liebes-
göttin, die eine delikate Mischung aus Keuschheit und Genußfreude be-
zeichnet, hat die Augen geschlossen und berührt mit einer Hand ihre
unbekleidete Brust – ein Bildmotiv, das, wie Erwin Panofsky in leicht ironi-
scher Dezenz formuliert, „eher heroischen als frommen Geist“ veranschau-
licht.10 Nicht der im Tod zerfallende, sondern der durch den Schlaf regene-
rierte, den Menschen zur ebenso lustvollen wie stolzen Selbstwahrnehmung
befähigende Leib scheint bei Pilon als Grabfigur dargestellt.11 An die Stelle
der Dynamik der Vergänglichkeit tritt die Ökonomie des Genusses als Spiel-
art jener Beschwörung des Moments, die in den Huldigungsbildern der Hof-
kunst die physische Anwesenheit des „zeitlosen Königs“ und damit die un-
umschränkte Präsenz der Herrschaft zur Anschauung bringt.12 Im Entwurf
Pilons manifestiert sich eine „Revolte des Lebens gegen den Tod“, die im Na-
men des Diesseits die Logik des Verfalls und im Namen der Macht die Ge-
fahr einer Erosion politischer Souveränität zu bannen sucht.13
Die französische Herrscherin wählte für die ikonische Repräsentation
ihres Körpers ein erotisch besetztes, die christlichen Konventionen der zeit-
genössischen Grabplastik mißachtendes Rollenmodell. Sie entzog sich der
aufdringlichen Zeichensprache des von della Robbia unterbreiteten Vor-
schlags, indem sie die Liebesgöttin an den Platz der didaktischen ars moriendi
treten ließ.14 Die Literatur kennt freilich Beispiele, die andeuten, daß derar-
tige Substitutionen unter dem Vorzeichen genußvollerer Selbstinszenierung
nicht risikolos bleiben. Die Königin, die den Leib zum Erprobungsfeld des
Eros werden läßt, droht das ihr zugeordnete Identitätsmuster der die Dyna-
stie sichernden Mutterschaft, welche die Kräfte der Natur in den Dienst der

9 Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Encomium Moriae, übers. u. hg. v. Anton J.
Gail, Stuttgart 1999, S. 53 f.: „Zu der Gesellschaft der Verrückten gehören auch alle, die
schon zu Lebzeiten ihren Begräbnisprunk so peinlich genau anordnen, daß sie die Zahl der
Fackeln, Trauergäste, Sänger und Klageweiber vorschreiben, als ob sie noch im Tode das
Schauspiel verspürten und sich schämen könnten, wenn ihr Leichnam nicht prunkvoll be-
stattet würde.“ Vgl. L. Annaeus Seneca, De brevitate vitae/Von der Kürze des Lebens. La-
teinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Josef Feix, Stuttgart 1994, 20,5 (S. 62 f.).
10 Erwin Panofsky, Grabplastik, S. 88. Kurz vor ihrem Tod (1589) veranlaßte die knapp sieb-
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zigjährige Königin jedoch, daß auch Pilons Entwurf nicht für die Basilika verwendet
wurde, da er ihr jetzt allzu frivol erschien.
11 Thomas Lersch, Die Grabkapelle der Valois in Saint Denis, München 1995, S. 169 ff.
12 Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 99.
13 Georg Braungart, Hofberedsamkeit, S. 203.
14 Über den Komplex der ars moriendi in der Renaissance informiert Johann Huizinga, Herbst
des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in
Frankreich und in den Niederlanden, hg. v. Kurt Köster, Stuttgart 1961 (zuerst 1919, dt.
1924), S. 190 ff.

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8. Germain Pilon: Heinrich II. und Katharina von Medici


en transi (1563–1570), Abteikirche, St. Denis.

Institution stellt, zu beschädigen.15 Solche Sexualisierung gilt dem normbe-


wußten 17. Jahrhundert als gefährliche Form der Regelverletzung: im Wap-
pen der Venus, die Katharina von Medici zur Symbolfigur für ihren irdi-
schen Leib erkor, lauert daher, wie zumal das Trauerspiel zeigt, der frühe Tod
als Sold der Sünde.
Das prototypische Exempel für die Gestalt der rollenwidrig handelnden
Königin ist Gertrud aus Shakespeares Hamlet (1603). Gertrud verrät die
Würde der Königin an Betrug, Täuschung und Verbrechen, die ihrerseits
durch das Regiment des Triebs gesteuert werden. Statt sich nach der Erfül-
lung ihrer Mutterpflicht auf die ihr verordnete Rolle der Gemahlin zu be-
schränken, unterwirft sie sich den Impulsen der sexuellen Lust, die sie ins
Bett ihres Schwagers führen. Gertrud trägt nicht nur die persönliche Schuld
an der Tötung ihres Ehemanns, sondern gefährdet auch das Königtum durch
die nach zeitgenössischen Vorstellungen inzestuöse Verbindung mit dessen
politisch skrupellosem Bruder („Let not the Royall Bed of Denmarke be | A
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15 Wie wirksam die normative Zuschreibung der Mutterschaft in diesem Punkt ist, erweist das
berühmte Beispiel der pornographischen Kampagne gegen Marie Antoinette am Beginn
der 1790er Jahre, die vor allem das Ziel verfolgt, die abgesetzte Herrscherin als schlechte,
nämlich promiskuös (bzw. im Inzest) lebende Mutter zu entlarven. Vgl. Lynn Hunt, The
Many Bodies of Marie Antoinette: Political Pornography and the Problem of the Feminine
in the French Revolution, in: Eroticism and the Body Politic, ed. by Lynn Hunt, Balti-
more, London 1991, S. 108–131.

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Couch for Luxury and damned Incest.“).16 Anders als die Königin Isabella in
Marlowes Edward II. (1594), die ihren Gemahl absetzen und töten läßt, nach-
dem er in seinem Herrscheramt versagte17, beseitigt Gertrud einen klug re-
gierenden Souverän, der seine Rolle angemessen ausfüllte. Mit dem von ihr
verübten Gattenmord hat sie, wie es Hamlet formuliert, die „innre Seele“ aus
„dem Körper des Vertrages“ gerissen, welcher sie im Sinne des Eherechts an
den Regenten band: „Oh such a deed, | As from the body of Contraction
pluckes | The very soule (…)“18 Ihr Verbrechen bildet nicht das Zeichen einer
privaten Verfehlung, sondern besitzt juristische und politische Dimensio-
nen. Es bedroht die Institution des Königtums, weil es die Wollust an den
Platz der vernünftigen Herrschaft rückt und auf diese Weise das Reich einer
ungewissen Zukunft preisgibt. Das unterscheidet Gertruds Tat nicht zuletzt
von der ihrer mythischen Vorläuferin Klytämnestra, die ihren Gatten Aga-
memnon im Namen eines matriarchalischen Rechtsanspruchs ermordete, da
sie ihm nicht verzeihen konnte, daß er bereit war, seine Tochter Iphigenie zu
schlachten, um Artemis’ Unterstützung für die Fahrt der Kriegsflotte nach
Troja zu gewinnen (ein Opfer, das mithin, wie Euripides Klytämnestra sagen
läßt, keinem höheren Ziel, sondern allein der Rettung der moralisch zweifel-
haften Helena dienen und der „schlimmen Gattin Preis bezahlen“ soll19).
Während Klytämnestra die Verletzung des Mutterrechts durch ihren Mann
rächt, besteht im Hamlet kein moralisch vertretbarer, juristisch valider Grund
für die Tötung des Königs. Daß am Schluß das dänische Imperium in die
Hände des Usurpators Fortinbras fällt, der den archaischen Gewaltherrscher
schlechthin verkörpert, besiegelt auf folgerichtige Weise die politische Ver-
fallsgeschichte, die Gertruds Verbrechen ausgelöst hat.20

16 William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works,


Vol. XI, I, 4, v.767 f.
17 Marlowe läßt seine Königin jedoch aus vorwiegend privaten Motiven handeln; der wesent-
liche Grund für ihr Vorgehen ist die Kränkung durch Edward und ihre Liebe zu Mortimer.
Vgl. Christopher Marlowe, The Troublesome Raign and Lamentable Death of Edward the
Second, King of England/Die unruhige Regierungszeit und der jammervolle Tod König
Eduards II. von England (1594), hg. v. Dieter Hamblock, S. 43 (I,4), S. 133 f. (IV,4).
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18 William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, Complete Works,


Vol. XI, III,4, v.88 ff.
19 Euripides, Iphigenie in Aulis. Tragödien, übers. v. Hans v. Arnim. Mit einer Einführung
und Erläuterungen v. Bernhard Zimmermann, München 1990, S. 586 (v. 1169). – Nach
René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 86 ff. manifestiert sich in der attischen Tragö-
die eine Krise des Opfers, die die im Ritus offenbarte Gewalt als Ausdruck eines Bösen auf-
faßt, das die Kategorie der Heiligkeit in Frage stellt.
20 Über das Finale des Dramas unter diesem Gesichtspunkt auch Klaus Reichert, Der fremde
Shakespeare, München 1998, S. 52 f.

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Wenn die Königin am Ende als Stellvertreterin ihres Sohnes an dem


Gift, das ihm durch Claudius zugedacht war, sterben muß, so ist das, anders
als im Fall von Gryphius’ Catharina, kein Märtyrertod, sondern ein unglück-
liches Versehen: eine hochironische Travestie des tragischen Opfers unter
den Gesetzen der Kontingenz als Prinzip der theatralischen Inszenierung.
Im Hamlet erscheint ein Frauentypus, der das Drama des 17. Jahrhunderts
verstärkt bestimmt: die skrupellos agierende Königin, die ihren natürlichen
Körper zum Zweck der Lust benutzt, ihren durch das Eherecht gebundenen
juristischen Leib (‚the body of Contraction‘) vorsätzlich verletzt, ihre Nach-
kommen verrät, die Interessen der Dynastie schädigt und schließlich ihre In-
trigen mit dem Tod bezahlen muß. Eine archaisch anmutende Vorläuferin
dieses Rollencharakters stellt bereits die lasterhafte Gotenkönigin Tamora
aus dem Titus Andronicus (ca. 1590) dar, die den römischen Kaiser Saturninus
heiratet, um ihre maßlose Machtlust befriedigen zu können, und am Ende
die Mitverantwortung für ein entsetzliches Blutbad trägt, wie es in vergleich-
barer Brutalität niemals auf einer europäischen Bühne inszeniert wurde.21
Christian Weises Regnerus (1684) demonstriert, daß das Sujet der rollen-
widrig handelnden Königin auch in die Komödie einwandern konnte.
Weise, der seine Texte für die Bühne des von ihm seit 1678 geleiteten Gym-
nasiums in Zittau schrieb, führt hier die Geschichte der verwitweten schwe-
dischen Königin Torilda vor, die ihre noch unmündigen Stiefsöhne Regne-
rus und Toraldus in die Verbannung schickt, weil sie Geschmack an der
Macht gefunden hat und die Krone nicht an den juristisch vorbestimmten
Nachfolger ihres verstorbenen Gemahls weitergeben möchte. Weise transpo-
niert den mythischen Stoff – Torilda war die Gemahlin des sagenumwobe-
nen Königs Hunding – in die Hofwelt des 17. Jahrhunderts, wo detailliert
ausgestaltete Rechtsverhältnisse die Herrschaftsstrukturen genau fixieren.
In ihrem Sinn fällt Torilda allein der Anspruch auf ein Interregnum zu, mit
dem sie sich jedoch nicht begnügen möchte. Die Klage über den provisori-
schen Charakter der eigenen Rolle („Ach eine schlechte Monarchin, welche
in Betrachtung ihrer StiffKinder auf Rechnung sitzen mus“22) mündet rasch
in den verbrecherischen Plan, die Söhne auszuschalten und in eine Einöde
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21 Zum Typus der schlechten Königin und der Rolle des Spiegels, der im Märchen an die
Stelle der hier skizzierten verklärenden Bildästhetik treten kann, vgl. mit Blick auf spätere
Epochen Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche, S. 155 ff.; zu Tamora vgl. Martin Win-
disch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Ge-
dächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 94 f.
22 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 1–199, S. 11 (I,3). Der fragmentarisch, im Manuskript eines Schrei-
bers überlieferte Text bricht kurz vor dem Schluß (in Szene V,14) ab.

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zu entführen, wo sie, wie der Hofminister Fengo zynisch bemerkt, „sich


selbst unbekandt werden“.23 Torilda verkehrt damit den ihr de iure zugewie-
senen Part der Stellvertreterin, welche die Throngewalt nur für die Dauer der
Unmündigkeit des männlichen Erben ausüben darf. „Die Kinder müßen
freylich unserer Hoheit aufgeopffert werden“24 – dieses Diktum verrät eine
förmliche Perversion der Rolle der Königinwitwe, wie sie Gryphius’ Catha-
rina nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts mustergültig ausübte.
Die veränderte Zuschreibung der Begriffe offenbart ein signifikantes
Selbstbild, das die geltenden Rechtsnormen verkehrt: nicht der Königin,
sondern den Erben fällt hier die Aufgabe der ‚Aufopferung‘ zu; nicht der
Thronfolger, sondern die Herrscherin beansprucht ‚Hoheit‘. Hinter Torildas
Einschätzung lauert eine Hybris, die auch die Komödie – darin dem Auto-
matismus des Trauerspiels folgend – zu sühnen hat. Weises Königin findet
am Ende, nachdem Regnerus, der ältere der Stiefsöhne, durch die tatkräftige
Dänenprinzessin Svanhvita aus der einsamen Wildnis befreit worden ist, die
verdiente Strafe: Regnerus landet mit einer Flotte in Schweden, das Volk
läuft zu ihm über, man verhaftet die von ihren Beratern verlassene Torilda,
setzt sie ab und wirft sie ins Gefängnis. Die Logik der Komödie sorgt dafür,
daß zum Schluß geregelte Verhältnisse eintreten dürfen; während die hy-
bride Herrscherin als „Feindin des Königreichs“ eingekerkert wird, unter-
wirft Svanhvita, die an der Seite des Regnerus den Thron besteigt, ihre künf-
tige Amtsauffassung dem „Gesetze der Liebe“.25 Der Sieg des Rechts, der
dem legitimen Thronerben das Zepter verschafft, impliziert damit auch eine
juristisch akzeptable Ausfüllung der Rolle der Königin. Sie liegt – in der Ko-
mödie wie im Trauerspiel – auf einer Ebene jenseits der politischen Souverä-
nität, wo Selbstbeschränkung und Opferbereitschaft die einzig verbindlichen
Insignien weiblicher Hoheit sind. Der Schulactus vermittelt hier eine miso-
gyne Perspektive, die sich durch das Erbrecht und die Idee der Dynastie ge-
sichert weiß.
Das Drama Weises dokumentiert – darin dem Hamlet folgend – ein auf-
fallendes Interesse an der Figur der strafbaren Königin. Es läßt jedoch keinen
Zweifel, daß die Gründe für dieses Interesse jenseits psychologischer Mo-
tive – die für das 17. Jahrhundert kaum in Rechung kommen – auf juristi-
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schem Terrain liegen. Die normwidrig handelnde Regentin wird zur Bedro-

23 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3).
24 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3).
25 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 182 (V,7), S. 188 (V,10).

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Die inszenierte Cleopatra 101
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hung des dynastischen Ordnungsmodells, das die politische Souveränität


in der Frühen Neuzeit fundiert, weil sie nicht die Kontinuität der Krone
sichert, sondern die Lust an der Macht praktiziert. Bereits Francis Bacon be-
zeichnet daher den Typus der selbstvergessenen Herrscherin in seinen Essays
als größte Gefährdung der Monarchie, wobei ihm nicht die Literatur, son-
dern die Geschichte mit ihren zahlreichen Exempeln von der römischen
Kaiserin Agrippina bis zu Katharina von Medici als Bezugsfeld vor Augen
steht.26

2. Die inszenierte Cleopatra

In Lohensteins afrikanischen Trauerspielen begegnet man der Figur der aus


zweifelhaften Motiven handelnden Königin wieder. Im Gegensatz zu Shake-
speares Gertrud und Weises Torilda verfügen Lohensteins Herrscherinnen
Cleopatra und Sophonisbe jedoch über eigene politische Wertvorstellungen,
die ihnen eine spezifische Würde auch in den Momenten der Rollenverfeh-
lung zueignen.27 Das Ausweichen in die Distrikte der spätantiken Ge-
schichte kann zudem nicht verdecken, daß bei Lohenstein aktuelle Fragen
der Herrschaftsorganisation auf der Tagesordnung stehen. Insbesondere für
Cleopatra und ihren letzthin erfolglosen Kampf gegen das römische Impe-
rium hatte sich bereits die französische Dramatik des 16. und frühen 17. Jahr-
hunderts verstärkt interessiert. Es handelte sich um einen historischen
Musterfall, an dem die Logik strategischen Verhaltens, die Idee der Staats-
klugheit, aber auch die Gesetze politischen Scheiterns ablesbar schienen. Als
Lohenstein 1661 seine erste Version eines Cleopatra-Trauerspiels verfaßte,

26 Francis Bacon, Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 421.
27 Angesichts dieser Wertvorstellungen sind die Einschätzungen der älteren Forschung, die in
Lohensteins Frauenfiguren abschreckende Beispiele einseitiger Affektsteuerung sieht,
gänzlich verfehlt. Die Arbeit von Cornelia Plume, Heroinen in der Geschlechterordnung.
Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle des Femmes,
Stuttgart, Weimar 1996, bes. S. 210 ff. (zu den Trauerspielen) korrigiert solche Fehlurteile
mit wünschenswerter Deutlichkeit, bietet aber keine überzeugenden Werkanalysen, weil
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sie die Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlich breiter angelegten Verfahrensweise


ignoriert, wie sie der New Historicism am Gegenstand des Frauenbildes in Texten des eli-
sabethanischen Zeitalters vor Augen geführt hat (vgl. hier Margaret W. Ferguson, Maureen
Qulligan, Nancy J. Vickers [Hg.], Rewriting the Renaissance. The Discourses of Sexual
Difference in Early Modern Europe, Chicago, London 1986; Lynn Hunt [Hg.], The New
Cultural History, Berkeley, Los Angeles, London 1989). So vermißt man bei Plume jenseits
reiner Deskription Hinweise auf die Ikonographie weiblicher Rollenbilder, auf die Bezie-
hung zwischen Herrschaft und Imaginärem, auf den Rechtsdiskurs und auf die Funktion
der Körpersprache im dramatischen Kontext.

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lagen in Europa schon 28 dramatische Bearbeitungen des Stoffs vor. Neben


Isaac de Benserades Tragödie La Cléopâtre (1636) lieferte La Calprenèdes
schon genannter Cléopâtre-Roman (1647–58) Anregungen, die sich primär
auf die – hier in der Rückblende – erzählten Liebesaffairen der Ägypterköni-
gin bezogen. Genauere Kenntnisse der spätantiken Quellenautoren, die über
Cleopatras Schicksal berichten (zumal Plutarchs Antonius-Biographie und
Cassius Dios fragmentarisch überlieferte, ursprünglich aus 80 Büchern be-
stehende römische Geschichte), eignete er sich erst für die Bearbeitung der
Zweitfassung von 1680 an.28 Die englischen Adaptionen des Stoffs – neben
Shakespeares Antony and Cleopatra (1606/1623) zumal Samuel Daniels The
Tragedy of Cleopatra (1593) und Thomas Mays Cleopatra, Queene of Aegypt
(1626) – kannte Lohenstein lediglich durch die freien Adaptionen der Wan-
dertruppen, die jedoch von ihren Vorlagen kaum mehr als das äußere Hand-
lungsgerüst übernahmen. Eine intensive Beschäftigung mit dem elisabetha-
nischen Drama, die sich nicht nur auf dem Niveau der bricolage bewegt,
beginnt in Deutschland erst ein halbes Jahrhundert später.29
Lohensteins Cleopatra ist schon am Beginn des Trauerspiels eine Ge-
schlagene und Gescheiterte. Die entscheidenden Weichen sind gestellt: die
Schlacht bei Actium (31 v. Chr.), die für Marc Anton mit einem Desaster en-
dete, ist vorüber, Octavian belagert Alexandrien, die Kapitulation scheint
unmittelbar bevorzustehen. Antonius und Cleopatra ahnen angesichts der
aussichtslosen strategischen Konstellation, daß ihnen nur noch wenig Zeit
zum Handeln bleibt. In dieser Situation sucht Octavian mit Antonius in di-
plomatische Verhandlungen einzutreten; er bietet ihm für den Fall, daß er
Cleopatra ausliefere, die ihm aus dem erloschenen Triumvirat ursprünglich
zustehende Herrschaft über ein Drittel des römischen Reichs an: „Es mag
Anton behalten / | Wieviel das Bündniß ihm verlihe zuverwalten / | Es bleib’
ihm Sirien und Colchos unterthan / | Es steck’ Arabien ihm süssen Wey-

28 Bernhard Asmuth, Daniel Casper von Lohenstein, Stuttgart 1971, S. 28. Die folgende Ana-
lyse stützt sich auf die erste Fassung von 1661, die bis zum Erscheinen der Zweitausgabe
von 1680 auf den zeitgenössischen schlesischen Bühnen von Schule und Hof gespielt
wurde, folglich die für das 17. Jahrhundert einflußreichere Textversion darstellt. Die zweite
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Fassung (in: Daniel Casper von Lohenstein, Afrikanische Trauerspiele, S. 13–207) erweitert
die Zahl der Verse von 3090 auf 4236, bietet insbesondere in den Expositionsszenen eine
breitere Ausgestaltung des historischen Horizionts und beleuchtet auch kultisch-rituelle
Aspekte des Stoffs (insbesondere im ausgedehnteren Anmerkungsapparat) genauer. Ein
Vergleich findet sich bei Bernhard Asmuth, Lohenstein und Tacitus. Eine quellenkritische
Interpretation der Nero-Tragödien und des Arminius-Romans, Stuttgart 1971, S. 151 ff.
29 Zur Cleopatra-Darstellung in der elisabethanischen und nachelisabethanischen Tragödie
Uwe Baumann, Vorausdeutung und Tod im englischen Römerdrama der Renaissance
(1564–1642), Tübingen, Basel 1996, S. 173 ff.

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Die inszenierte Cleopatra 103
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rauch an / | Es mögen Grich’ und Pont / gantz Asien ihn ehren; | Es wolle
nur Anton auch in der That itzt lehren: | Daß sein Gemütte nicht zu sehr
Egyptisch sei.“30 Der von blinder Liebe zu Cleopatra gefesselte Antonius
scheint, trotz anderslautender Empfehlungen seiner Berater, vorerst ent-
schlossen, das Angebot Octavians auszuschlagen. Jedoch möchte die Köni-
gin, die ihn im Gespräch mit seinen Getreuen belauscht hat, auf seine allein
durch erotische Leidenschaft gegründete Loyalität nicht vertrauen: „Anton
ist zwar nunmehr durch unser Hold besig’t / | Und durch der Schön-
heit-Reitz als schlaffend eingewigt.| Kan aber nicht ein West auch bald ein
Sturmwind werden? | Ein flatternd Hertze gleicht mit Wanckel-muth den
Pferden / | Di ein geschwancker Zaum bald recht- bald linckwerts lenckt.“31
Dieser Befund, dessen bildhafte Illustration aus Platons Phaidros
stammt32, verweist auf die Modellkonstruktion des Trauerspiels, die den
männlichen Akteuren genau umrissene Positionen auf dem Schachbrett der
politischen Verhaltensmuster zuweist. Auffallend ist dabei, daß der Au-
tor seinen historischen Stoff mit aktuellen Sinnpotenzen auflädt, um das
Drama der römischen Eroberung Ägyptens als Lehrstück der Staatsklugheit
inszenieren zu können. Während der strategisch denkende Octavian jenen
affektkontrollierten Prudentismus vertritt, den Balthasar Graciáns Oraculo
manual (1647) eindringlich als Schule der politischen Vernunft und exakt
durchgeplantes Situationsmanagement für höfische Karrieristen beschrieben
hatte, repräsentiert Marc Anton eine changierende Leidenschaft, die auf ge-
fährliche Weise die Motive seines Tuns regiert.33 Die römischen Geschichts-
helden demonstrieren damit die unterschiedlichen Optionen im Geflecht
des militärischen Machtspiels: Octavian die prudentistische ‚Verhaltenslehre
der Kälte‘ (Helmut Lethen), deren Ziel die Verbergung der Emotionen zum
Zweck der Interessensicherung bleibt, Marc Anton die Launen der ‚passio‘,
die, wie Hobbes Leviathan vermerkt, in ihrer Extremform den Wahnsinn
zum Prinzip des Handelns zu verwandeln drohen.34
Während Cleopatra schon in der spätantiken Geschichtsschreibung be-
vorzugt als von Sexualgier getriebene Heroine dargestellt wird – „Dann sie

30 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 36 (I, v.531 ff.).


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31 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 61 (II, v.287 ff.).


32 Platon, Phaidros 253d-254e, in: Sämtliche Werke, Bd. IV, S. 34 f.
33 Daß Octavian gegen Cleopatra einen Eroberungskrieg führt, wie Cornelia Plume, Heroi-
nen der Geschlechterordnung, S. 224, vermerkt, ist zwar zutreffend, fällt aber bei seiner
Bewertung als Feldherr und Politiker in Lohensteins Trauerspiel nicht ins Gewicht, da hier
weder moralische noch juristische Kriterien Bedeutung besitzen.
34 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirch-
lichen Staates, S. 56 f. (Teil I, Kap. 8). – Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Le-
bensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt/M. 1994, S. 52 f.

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104 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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von Natur sehr vnkeusch / vnd zu solchen luesten sehr begirig gewesen“,
heißt es in Lautenbachs Übersetzung von Flavius Josephus’ Antiquitates Iu-
daicae35 –, zeichnet sie Lohensteins Trauerspiel als kühl kalkulierende, ihre
physische Attraktivität zu strategischen Zwecken einsetzende Herrscherin.
Weil sie Verrat und Auslieferung befürchtet, beschließt Cleopatra, den un-
zuverlässigen Antonius auf elegante Weise zu beseitigen. Sie täuscht einen
Selbstmord vor, um den Geliebten seinerseits dazu zu bewegen, sich das Le-
ben zu nehmen – ein Manöver, das sich ähnlich auch schon in den von Lo-
henstein konsultierten historischen Quellen (so in Plutarchs Vita Antonii)
beschrieben findet. Ihren Plan, in den sie einzig ihre Vertraute Charmium
einweiht, verwirklicht die Königin mit der Lust an der ästhetischen Inszenie-
rung. Raffiniert drapiert sie ihren Körper als Artefakt mit morbidem Reiz,
um sich der eigenen Dienerschaft und Antonius’ Vasall Eteocles als in
Schönheit Sterbende zu präsentieren: „Last meinen nackten Hals di Mu-
schel-Töchter küssen / | Den Armen legt Smaragd den Achseln Purpur an / |
Beblümt den hohen Sarch mit Klee und Tulipan / | Hüll’t auf das Leichen-
tuch von Karmesinen Sammet (…)“36 Das perfekte Arrangement, das sich
dem erschütterten Eteocles darbietet, unterstützt die Überzeugungskraft des
Illusionsprinzips. Cleopatras Kalkül geht auf, denn der wankelmütige Ver-
bündete Antonius ersticht sich seinerseits aus Trauer, nachdem er durch den
Diener vom vermeintlichen Tod der Geliebten erfahren hat: „Stoß ein! wer
rühmlich stirbt der hat genung gelebt.“37
Lohensteins Königin verfügt über einen zweiten Körper der theatra-
lischen Täuschung, an dem sich erkennen läßt, daß die Simulation zu den
Geschäftsgrundlagen ihres politischen Handelns gehört. In der Suggestion
des Suizids vollzieht sich eine scheinhafte Ersetzung, die den vermeintlich
toten Leib an die Stelle des lebenden rückt, dabei aber ihrerseits dem Diktat
des Betrugs untersteht. Ehe Cleopatra am Ende des Trauerspiels tatsächlich
Selbstmord begeht, um sich der Siegerwillkür Octavians zu entziehen, der
sie im Triumph nach Rom entführen möchte, stirbt sie im Rahmen einer äs-
thetischen Darbietung, die ein Spiegel jener Theaterwelt ist, welche Lohen-
steins Drama repräsentiert.38 Die sich selbst inszenierende Königin wird zur
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35 Flavij Josephi / des Hochberuehmten Juedischen Geschichtsschreibers / Historien vnd


Buecher (…), S. 446. – Vgl. Joannes Franciscus Buddeus, Allgemeines Historisches Lexi-
con (…), Leipzig 1709. Erster Theil, S. 676: Cleopatra sei „ueber alle maßen wollüstig und
verschwenderisch“ gewesen.
36 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 77 (III, v.142 ff.).
37 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 88 (II, v.436 ff.).
38 Für die antike Tragödie ist der Selbstmord die spezifisch weibliche Todesform; vgl. Nicole
Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, S. 26 ff.

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Die inszenierte Cleopatra 105
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Kunstfigur, deren proteische Gestalt in dem irisierenden Licht erstrahlt, das


ihren Bühnenkörper überzieht.
Auf diese Weise kommt es zu einer eigentümlichen Form der Verdoppe-
lung, die das Theater im Theater wiederholt. Die Kategorien der Täuschung
und des Spiels geraten so in den Sog einer ästhetischen Dekonstruktion, die
durch die im 17. Jahrhundert verbreitete Denkfigur des Rollenhandelns auf
einem Theatrum mundi vorgezeichnet ist. Lohenstein hat das an den Frei-
herrn Franz von Nesselrode adressierte Widmungsgedicht zur 1680 veröf-
fentlichten Sophonisbe dazu genutzt, den Begriff des Spiels als Kategorie mit
weitreichenden sozialen und anthropologischen Bedeutungsimplikationen
zu profilieren, wobei der Hof gleichsam den gesellschaftlichen Brennpunkt
bildet, der die Bühnendimensionen des Handelns als „Repräsentation der
Welt in der Welt“ markant sichtbar macht.39 Thomas Hobbes spricht 1642 in
De Cive vom „fingierten Menschen“40, der im Einflußbereich des öffent-
lichen Lebens seine ursprünglichen Anlagen unter der Maske der ‚persona‘
verstecke. Diese ‚persona‘ ist das Resultat einer präzisen Feinabstimmung
zwischen Selbstbehauptung und Fremdsteuerung im Raum der sozialen
Ordnung, wie sie auch bei Hobbes für die Hofwelt charakteristisch bleibt.41
„Divide with reason between self-love and society“, rät Bacon mit Blick auf
die Trennung zwischen Innen und Außen, welche die gedoppelte Struktur
des politischen Handelns konditioniert.42 Die Täuschungsleistung des ge-
sellschaftlichen Rollenakteurs besteht darin, daß er seine natürlichen Be-
dürfnisse und Absichten verbirgt, indem er die Grenze zwischen Sein und
Schein zum Verschwinden bringt; was immer er tut, kann gleichermaßen
Sein oder Schein bezeichnen. Auch Cleopatra operiert auf einer Ebene, die
keine klare Trennung von Einbildung und Realität, Imaginärem und Fak-
tischem, Betrug und Wahrheit mehr zuläßt. Lohensteins Drama zeigt die
Selbstdarstellung der Königin als gezieltes Spiel mit den Verdoppelungsef-
fekten des Scheins, das seine eigene ästhetische Dynamik entfaltet.
Die Instrumentalisierung der Täuschung bedeutet im Kodex der po-
litischen Verhaltenslehre, wie sie Graciáns Oraculo manual pointiert und
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39 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 244 ff.; Niklas
Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 949.
40 Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 53 ff.
41 Vgl. zur ‚persona‘ auch Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines
bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 123 [Teil I, Kap. 16]). Aus Sicht der Beobachtungs-
lehre der Systemtheorie dazu Niklas Luhmann, Die Form „Person“, in: Soziologische Auf-
klärung 6 (Die Soziologie und der Mensch), S. 142–154.
42 Francis Bacon, Of Counsel, in: Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 432.

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scharfsinnig beschreibt, die Funktionsbasis effektorientierten Handelns.43


Im Vordergrund steht die Frage, auf welche Weise „man in einer undurch-
schaubaren, Schein erzeugenden und vom Schein lebenden Welt zu Wir-
kungen kommt“.44 Das Programm, das Gracián dabei offeriert, zielt auf die
Aufteilung des Menschen in zwei getrennte Referenzfelder. Leitend bleibt
die Intention, Absichten und Zwecke des eigenen Handelns zu verbergen,
um sicherer zum Erfolg zu gelangen. Was in der sozialen Verständigung
durch Blicke, Gebärden und Sprache zutage tritt, korrespondiert nicht den
in der Seele fest verschlossenen Wünschen und Zielen des Homo politicus.
Die Person verdoppelt sich auf diese Weise, indem sie ihre Innenseite
(Selbstbezug) von der Außenseite (Kommunikation) spaltet. Das Verhaltens-
repertoire der Täuschung erzeugt, so könnte man mit Hegel vermerken, je-
nen Schein, der „unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist“, also: „Sein für
Andere“45.
Von den großen Spielern auf der Bühne des Welttheaters, die die Dop-
pelung der Person habitualisiert haben, grenzt sich Lohensteins Cleopatra
nun durch ihre Fähigkeit ab, das Spiel nochmals zum Objekt der Täuschung
zu verwandeln. Das Verhältnis von Selbstreferenz und Umweltbezug, das
die Intentionen des höfischen Rollenträgers – des ‚fingierten Menschen‘ –
bestimmt, ist hier nicht mehr balanciert, weil die externe Seite der Persona-
Struktur aufgebrochen und vervielfältigt wird.46 Wo der politische Akteur ge-
mäß den Verhaltenslehren des 17. Jahrhunderts eine funktionale Harmonie
zwischen Selbstreferenz (Durchsetzung eigener Ansprüche zum Zweck der
Befriedigung des Glücksstrebens) und Außenkontakt (Programmierung von

43 Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), mit einem Nachwort
hg. v. Arthur Hübscher, Stuttgart 1990.
44 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997 (zuerst 1995), S. 158. Zur
Differenz zwischen den höfischen Klugheitslehren des 17. Jahrhunderts und jenen einer
bürgerlichen Aufklärung, welche das Programm der Täuschung in die Strategie der tugend-
haften Umsicht übersetzt, vgl. Georg Stanitzek, Blödigkeit. Beschreibungen des Individu-
ums im 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, S. 21 f. (bürgerliche Klugheit entspringt dem
Zwang zur Selbsterhaltung, während Karrierismus ein Antrieb für den Höfling im 17. Jahr-
hundert ist). Grundlegend hier Ursula Geitner, Die Sprache der Verstellung. Studien zum
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rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992.
45 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Bd. III, S. 116.
Die sehr freie Paraphrase ‚Sein für Andere‘ bei Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesell-
schaft, S. 416 (bei Hegel ist diese Formel auf den Begriff des Dings bezogen, Werke, Bd. III,
S. 318).
46 Niklas Luhmann, Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für
ein Evolutionsproblem der Gesellschaft, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik.
Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd.I, Frankfurt/M. 1980,
S. 162–234, hier S. 188 ff.

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Erinnerung und Imagination 107
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Wirkung im sozialen Kommunikationsprozeß) herzustellen sucht, findet bei


Cleopatra eine Öffnung des Handlungssystems statt: dem Selbstbezug steht
eine polyvalente, wie in einem Kaleidoskop vielfarbig gespiegelte, durch ver-
schiedene Körper hervortretende Persona-Struktur entgegen. Als ‚fingierter
Mensch‘ ist Lohensteins Heldin ein Proteus, dessen Theaterleib keine Ein-
heit besitzt: mehrfach gebrochener Schein.
Damit hebt sich Lohensteins Protagonistin auch von der Täuschungs-
künstlerin ab, die Shakespeares Adaption des Stoffs präsentiert. In Antony
and Cleopatra tritt die ägyptische Königin in der Rolle der stolzen Herrsche-
rin auf, die ihre Würde angesichts der politischen Niederlage im Freitod ret-
tet. Anders als Lohenstein beschränkt Shakespeare die ihm durch Thomas
North’ Plutarch-Übersetzung (1579) vertraute Intrige darauf, daß Cleopatra
Antonius über eine Dienerin die falsche Nachricht von ihrem Tod zukom-
men läßt (was auch hier zum Suizid des Römers führt). Im Drama des Elisa-
bethaners fehlt so das szenische Arrangement eines Bühnenselbstmordes,
das die Unterscheidung von Wahrheit und Betrug auf der Ebene der Fiktion
vollends kollabieren läßt. Ähnlich verhält es sich mit den Bearbeitungen Da-
niels (1593) und Mays (1626), die Cleopatras Täuschungsmanöver nicht als
Theaterereignis, sondern nur im Medium des Botenberichts darstellen.47 In-
dem Lohenstein dagegen die Intrige der ägyptischen Herrscherin zu einer öf-
fentlichen Inszenierung ausbaut, demonstriert er, daß die Macht, über die
sie verfügt, primär durch die ästhetische Wirkung ihres Körpers begründet
wird. Hier läßt sich der Betrug nicht nur abstrakt als Form des taktischen Ver-
haltens, vielmehr sinnlich-konkret als Monumentalisierung des Scheins er-
fassen.48

3. Erinnerung und Imagination

Lohensteins Cleopatra zeigt die Selbstdarstellung der Königin als Spiel mit
den Verdoppelungseffekten des Imaginären. Zu ihnen gehört neben der In-
szenierung des Suizids auch die vorgetäuschte Leidenschaft, mit der sie sich
im vierten Akt Octavian gegenüber als Verliebte präsentiert. „Ich brenn’! ich
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brenn’! August! denn durch des Keisers Glider / | Zeugt sich mein Julius
mein Julius sich wider. | Di Flamme / di mit ihm schon in der Asche lag / |

47 Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra (1593). Nach dem Drucke von 1611 hg. v. Max
Lederer, Neudruck Nendeln 1969 (zuerst 1911); Thomas May, The Tragoedy of Cleopatra,
Queene of Aegypt (1626), ed. by Denzel S. Smith, New York, London 1979.
48 Michael Neill, Issues of Death – Mortality and Identity in English Renaissance Tragedy,
Oxford 1997, S. 325 (spricht von Cleopatras „self-monumentalization“).

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108 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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Bekommet frisches Oel. Dreimal-beglückter Tag!“49 Cleopatras Aufforde-


rung, Octavian solle „der käftgen Jahre Lust“ gebrauchen, bezeichnet das
Programm der „Selbstausarbeitung“ im Zeichen der Leidenschaft, wie es
Foucault unter der Formel „l’usage des plaisirs“ als Ökonomie der sexuellen
Praxis beschrieben hat: jene Nutzung des eigenen Körpers zum Zweck der
Passion, die Pilons Venus pudica für Katharina von Medici so sinnfällig zum
Ausdruck brachte.50
Auch als lockende Verführerin ist Cleopatra freilich eine Täuschungs-
künstlerin, die Leidenschaft vorschützt, ohne sie zu empfinden. Erst nach-
dem die im Fall Cäsars und Marc Antons erfolgreich erprobte Strategie an
der kalten prudentia des römischen Staatsmanns gescheitert ist, wagt die Kö-
nigin den Schritt zu einer Tat, die sich jenseits des Scheins ansiedelt: sie
nimmt sich das Leben, um nicht von Octavian als Symbol seines Triumphes
nach Rom verschleppt zu werden. Die pathetische Dimension dieses aus
Stolz vollzogenen Freitods hatte bereits das elisabethanische Drama wir-
kungssicher zur Geltung gebracht. Bei Samuel Daniel stirbt Cleopatra im
Namen der Selbstbehauptung als Königin, deren Unabhängigkeit unveräu-
ßerlich bleibt: „So shall / act the last of life vvith glory, / | Die like a Queen,
& rest vvithout controule.“51 Während Daniels Text mit Cleopatras Ab-
schiedsmonolog schließt („And Egypt now the Theater wher / | Haue acted
this, witness / die vnforc’d“52), blickt Lohenstein über den Tod seiner Köni-
gin hinweg auf den künftigen Verlauf der Geschichte. Der Ausgang seines
Trauerspiels demonstriert, daß auch der faktische Selbstmord der Herrsche-
rin ein Ereignis mit jenem ästhetischen Bedeutungshorizont bleibt, der
Cleopatras Rolle durchgehend konditioniert.
Gemäß der Überlieferung Plutarchs beschließt Octavian bei Lohenstein
unter dem Eindruck des Todes seiner Widersacherin, ihr ein Denkmal zu er-
richten, das nach Rom transportiert werden und dort die Erinnerung an eine
große Herrscherin wachhalten soll: „Lasst uns gleich aus Metall ihr güldnes-
Bild auf-führen (…)“53 In der generösen, zugleich aber politisch folgenlosen
Geste Octavians, die letzthin die Überlegenheit des Siegers bekundet, wie-
derholt sich das Gesetz der ästhetischen Duplikation des Körpers der Köni-
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49 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 114 (IV, v.409 ff.).


50 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 115 (IV, v.452 ff.); Michel Foucault, Der Ge-
brauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter,
Frankfurt/M. 1989 (= Histoire de la sexualité, 2: L’usage des plaisirs, 1984), S. 44 f.
51 Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra, hg. v. Max Lederer, S. 52 (IV,2, v.1384 f.).
52 Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra, hg. v. Max Lederer, S. 63 (V,2, v.1737 ff.).
53 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V, v.300). – Zum Bezug auf Plutarchs
Antonius-Biographie (Kap. 76–86) Lohensteins eigene Anmerkung, S. 168 (zu V, v.320).

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gin.54 Von der Monarchin bleibt ein ‚fake‘, in dessen illusionärer Logik sich
spiegeln darf, was Cleopatras Strategiespiele bestimmte: die Kunst der Ver-
doppelung und das Gesetz der Täuschung. Der Tod der Königin bezeichnet
bei Lohenstein die „Dekonstruktion der Unterscheidung von Sein und
Schein“, die Niklas Luhmann unter Anlehnung an Hobbes als besonderes
Merkmal der Selbstdarstellung des höfischen Menschen im 17. Jahrhundert
beschrieben hat.55 Als Bühnentod, der die Grenze zwischen Wahrheit und
Betrug verschwimmen läßt, verweist er auf die Anatomie einer sozialen Ord-
nung, deren Akteure mit der Technik des Fingierens operieren, um ihre wah-
ren Absichten zu verbergen. Cleopatras doppeltes Sterben spiegelt die ver-
wirrenden Strategiespiele der höfischen Politik, zugleich aber, wie zu zeigen
bleibt, die inneren Widersprüche einer weiblichen Herrschaft, die im 17. Jahr-
hundert durch symbolische Ersatzinszenierungen suggestiv zur Schau ge-
stellt wird.
Das Denkmal, das Octavian zu errichten plant, soll die Form der ästhe-
tischen Repräsentation der Herrscherin in Elfenbein festhalten: „Di todten
Bilder sind kein überwunden Feind / | Di nur der Rache Lust umbsonst zu-
schimpffen meint. | Jedoch / was sinnen wir auf Schimpf der edlen Frauen / |
Di wir auch itzt schon todt verwundernd müssen schauen? | Es zeuget ihr
Magnet der Schönheit itzt noch an (…)“56 Octavians Hinweis auf die Verklä-
rung der Königin im Raum der kulturellen Gedächtnisbildung, mit dem die
Haupt- und Staatsaktion ausklingt (Hallmann wird das Motiv in der Liberata
[1700] wiederholen57), besitzt für Lohensteins Zeit eine eigene Evidenz. Ins-
besondere in den Niederlanden und Frankreich, wo im 17. Jahrhundert ein
förmlicher Kult um Cleopatra getrieben wurde, waren, wie erinnerlich, Dar-
stellungen europäischer Monarchinnen auf der Basis mythologischer Glori-
fizierung verbreitet. Rubens malte Maria von Medici parallel zu seinem gro-
ßen Auftragszyklus als Kriegsgöttin Bellona (1622), Simon Vouet zeigte
Anna von Österreich als Minerva (nach 1643), Grégoire Huret präsentierte

54 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V,v.313 ff.). Auch in Shakespeares
Antony and Cleopatra taucht das Motiv der Erinnerung an die besiegte Königin auf, wenn
Octavian am Ende ankündigt, er werde ihr ein prächtiges Grabmal stiften (V,2).
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55 Niklas Luhmann, Kultur als historischer Begriff, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Se-
mantik. Bd. IV, Frankfurt/M. 1995, S. 31–54, hier S. 40.
56 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V, v.300). – Zu den Materialien des ge-
planten Denkmals (Erz, Stein, Elfenbein) vgl. S. 131 (V, v.313).
57 Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige
Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 364 (V,10). Der portugiesische Kö-
nig Alphonsus stiftet seiner Tochter Liberata, nachdem er sie wegen ihres christlichen
Glaubens hat hinrichten lassen, ein goldenes Erinnerungsgrabmal und konvertiert in einem
Akt überraschender Wandlung selbst zum Christentum.

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110 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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Blanca von Kastilien in derselben Rolle (1644). Gerade solche Arrangements


zeigten jedoch hinter der bildästhetischen Heroisierung Spuren der Relativie-
rung, die das suggestive Bildnis der Macht in Frage stellten. Auch im mythi-
schen Modell der wehrhaften Göttin blieb die Königin vornehmlich Ehefrau
und Mutter, letzthin beschränkt auf ihren familiären Wirkungskreis jenseits
des politisch-militärischen Schauplatzes. Bezeichnend ist hier Vouets Por-
trät, das Anna von Österreich zu einer Minerva im Zeichen der Friedfertig-
keit macht, die ihren Helm zur Seite gelegt hat und in entspannter Haltung
auf den Betrachter blickt.58 So treten die traditionellen Identitätszuschrei-
bungen hervor, die wie ein Palimpsest unter den malerischen Inszenierun-
gen der vermeintlich souveränen, mit männlicher Attitüde handelnden
Herrscherin ruhen. Lohensteins Trauerspiel treibt solche Ambivalenz auf die
Spitze: im Bild verklärt der aggressive Eroberer Octavian einzig die verstor-
bene Regentin, deren politische Ohnmacht durch die Mittel der Kunst hin-
ter der sinnlichen Macht ihrer Schönheit versteckt wird. Die ästhetische
Erhöhung der toten Widersacherin, die das Imaginäre an den Platz der fak-
tischen Herrschaft rückt, ist die Schauseite jener imperialen Kontrolle, wel-
che der römische Triumphator fortan ausübt.
Der berühmte Heroldsruf „Le roi est mort! Vive le roi!“, mit dem man in
England und Frankreich seit dem Spätmittelalter die Fortdauer der Monar-
chie im prekären Moment des Machtwechsels verkündete, besitzt, wie Kan-
torowicz vermerkt hat, den Charakter einer „dramatischen Szene“.59 In Lo-
hensteins Text muß diese Szene unterbleiben, weil der Tod der Herrscherin
jegliche Kontinuität unterbindet und dazu führt, daß der fremde Eroberer
das Institut des Königtums im Standbild der Erinnerung einfriert. Octavian
durchkreuzt die Aussicht auf eine Wiederherstellung der alten Machtverhält-
nisse mit der Konzessionslosigkeit des Usurpators: die minderjährigen Er-
ben Ptolemaeus und Alexander unterwirft er einer strengen Bewachung, da-
mit die Truppen keinen Kontakt zu ihnen herstellen können; Caesarion,
Cleopatras Sohn aus der Verbindung mit Julius Cäsar, läßt er als gefähr-
lichen Nebenbuhler und möglichen Thronfolger kaltblütig ermorden („Sein
Todt verleih’t uns Ruh / sein Leben Ungemach.“); die aufkeimenden Volks-
unruhen, die sich in Akten der Lynchjustiz äußern, unterdrückt er mit kon-
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sequenter Härte.60 Die ptolemäische Dynastie ist zerbrochen, denn fortan


wird Ägypten römische Provinz sein. Die politische Klugheit des künftigen

58 Vgl. dazu Bettina Baumgärtel, Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert, S. 153 ff.
59 Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 409.
60 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 133 (V, v.373 ff.). Elida Maria Szarota, Ge-
schichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, erkennt in solchen Stra-
tegien die Haltung „eines kalten Politikers, der seinem Herrschwillen alles opfert.“ (S. 164).

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Kaisers, der sich Augustus nennt, hat sich den verzweifelten Manövern Cleo-
patras überlegen gezeigt. Gerade deshalb darf er ihr im Tausch gegen das Im-
perium ein Denkmal stiften: eine Substitution, deren Ökonomie dem pru-
dentistischen Doppelprogramm der permanenten Vorteilssicherung und
effizienten Selbstdarstellung sehr genau entspricht. Die Arbeit am kulturellen
Gedächtnis ist Sache des männlichen Siegers, dessen großzügige Geste frei-
lich nicht verbergen kann, daß er eine Blutspur durch die Geschichte zieht.

4. Afrikas Penthesilea

Auch Lohensteins Numiderkönigin Sophonisbe sucht ihre Position als Herr-


scherin bis zur Selbstzerstörung zu sichern. Wie Cleopatra stirbt sie den
Gifttod, weil sie den Römern nicht lebend in die Hände fallen möchte. Dem
30. Buch von Livius’ Ab urbe condita und der Historia Romana des Velleius
Paterculus hatte Lohenstein den Stoff des Trauerspiels – eine Begebenheit
aus dem vorletzten Jahr des Zweiten Punischen Kriegs (218–201 v. Chr.) –
entnommen; die Bearbeitungen von Trissino (1515), Montchrestien (1596),
Mairet (1635) und Corneille (1663) bezeugten die Theaterwirksamkeit des
Sujets.61 Die Karthagerin Sophoniba, die auf Veranlassung ihres Vaters Has-
drubal mit dem Numiderkönig Syphax verheiratet worden war, suchte in der
letzten Kriegsphase das alte Reich gegen den römischen Feldherrn Scipio
und dessen Verbündeten, den Überläufer Masinissa, zu schützen, scheiterte
jedoch im Kampf gegen die Truppenübermacht der Gegner und starb
schließlich den Freitod durch Gift. Bei Livius ist Sophonisbe eine mit anti-
römischem Furor streitende Herrscherin, die aus Liebe zum Vaterland Ehen
schließt, Kinder zu opfern und sich selbst zu töten fähig ist.62 Wenn Neu-
mark der afrikanischen Königin in einer 1653 verfaßten Dissertatio funebris
„Anmuth“63 bescheinigt, so verdeckt diese euphemistische Wendung den
Charakterzug des Stolzes, den die meisten literarischen Porträts der Königin,
hier Livius folgend, ins Zentrum rücken.
In Lohensteins Trauerspiel, das zwischen 1663 und 1666 entstand, ent-
wickelt sich aus dem historischen Figurenporträt des Livius ein politisches
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Psychogramm mit den Zügen der Übersteuerung und Auflösung eines kohä-

61 Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.12–16. Vgl. zur Stoffgeschichte Bernhard Asmuth,
Daniel Casper von Lohenstein, S. 36 f., neuerdings auch Helmut Loos, Daniel Casper von
Lohenstein: Sophonisbe, Dramen vom Barock bis zur Aufklärung, S. 134–153, hier S. 135 f.
62 Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.15.
63 Georg Neumark, Poetische Leichrede von der Sterblichkeit (1653), in: Trauerreden des Ba-
rock, S. 85–115, S. 96.

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renten Persona-Entwurfs. Sophonisbe verteidigt nicht die Institution des


Königtums, das Gryphius’ Catharina als Märtyrerin um jeden Preis zu
sichern wußte. Im Zentrum ihres Denkens steht vielmehr die Idee der dyna-
stischen, sozialen und kulturellen Unabhängigkeit des numidischen Reichs,
das sie vor den Eroberungsplänen des römischen Feldherren Scipio bewah-
ren möchte. Als „Afrikens Penthasilea“ und „Schutz-Göttin“64 des Impe-
riums verfolgt sie das patriotische Programm der unbedingten Selbstvertei-
digung gegen Fremdherrschaft, das auch die Bereitschaft zur Preisgabe des
eigenen Lebens einschließt. Dem mit den Römern verbündeten Masinissa
erklärt sie daher apodiktisch: „Das Vaterland geht für / dem alles weichen
muß.“65 Durch solchen Patriotismus unterscheidet sich Sophonisbe von der
machtgierigen Syrerkönigin Cléopâtre, die Corneille 1644 in seiner Tragödie
Rodogune porträtiert hat. Mag ihr Handeln auch von Täuschungsmanövern,
offener Brutalität und ungebremster Leidenschaft konditioniert werden, so
bleibt doch zweifellos, daß es einer übergeordneten politischen Vision un-
tersteht, die Corneilles Heldin gänzlich fehlt.66
Lohenstein führt Sophonisbe, gemäß den Angaben seines Quellenau-
tors Livius, als scheiternde Herrscherin vor, ohne jedoch eine geschlossene
kausale Begründung für ihren Untergang zu liefern. Zu differenzieren sind
die psychologische und die geschichtsmetaphysische Bezugsebene, die das
Handeln der Protagonistin gleichermaßen bestimmen. Bereits die allegori-
sche Inszenierung des ersten Zwischenspiels führt den Zuschauer in den Ge-
fühlshaushalt der Heldin ein. Zwietracht, Haß, Rache, Begierde, Schrecken,
Neid, Furcht, Freude und Liebe erscheinen hier als Leidenschaften, die die
Seele der Sophonisbe beherrschen („Ja! alle die beherbergt meine Brust“).67
Die Magie der Affekte bleibt ein inkalkulabler Faktor, der die Aktionen der

64 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.365 f.).
65 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 289 (II, v.406).
66 Pierre Corneille, Rodogune. Princesse des Parthes (1644/1647), in: Œuvres complètes.
Tome II. Textes établies, présentés et annotés par Georges Couton, Paris 1984, S. 193–266.
Vgl. insbsondere den Monolog der Cléopâtre in II,1 (v.395 ff.), der rücksichtslose Ent-
schlußkraft, aber keine politische Vision verrät: „Digne vertu des Roi, noble de Cour, |
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Éclatez, il est temps, et voici notre jour.“ (S. 218).


67 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 277 (I, v.577).
Vgl. dazu Gerhard Spellerberg, Verhängnis und Geschichte. Untersuchungen zu den Trau-
erspielen und dem Arminius-Roman Daniel Caspers von Lohenstein, Bad Homburg
v.d.H., Berlin, Zürich 1970, S. 62 ff. Zu Recht verweist Spellerberg aber auch darauf, daß
der Begriff des ‚Psychologischen‘ einzig als Terminus zur Beschreibung der allegorisch vor-
genommenen Affektanalyse zu nutzen wäre; eine Kategorie der Kausalität bezeichnet er
nicht, da Sophonisbe als Bühnenfigur außerhalb von rationalen Wirkungszusammenhän-
gen agiert (S. 71 ff.).

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Heldin durchgehend steuert.68 Ihren formalen Ausdruck findet sie nicht nur
in den großangelegten Reyen, die Rotth schon 1688 als spezifisches Stil-
merkmal von Lohensteins Texten bezeichnet69, sondern auch in den perma-
nenten Umschwüngen, Glückswechseln und Machtverschiebungen, die das
Bühnengeschehen als tragende Strukturmomente durchziehen. Lohensteins
Drama präsentiert eine Welt der Leidenschaften, die, unter dem äußeren
Druck der Politik, aus den Fugen geraten ist.
Signifikant für die Verwirrung der Emotionen bleibt das Leitmotiv der
strategisch begründeten Verkleidung, die feste Rollenmuster verwischt und
die vertrauten Markierungen zwischen den Geschlechtern aufhebt.70 Män-
ner und Frauen agieren bei Lohenstein, ähnlich wie in den Komödien
Shakespeares, unter dem Gesetz einer Verwechslungsökonomie, welche die
Androgynie als gleichsam natürliches Geschlecht des Menschen auszuwei-
sen scheint. Anders als Shakespeare verknüpft Lohenstein mit diesem Effekt
jedoch keine spielerische Poetik der Grenzüberschreitung, vielmehr das dü-
stere Szenario der entfesselten Affekte, in dem die Entdifferenzierung der
Rollen den Indikator des Betrugs und der Verwirrung darstellt. Nicht die
Rückkehr zum erotischen Mythos des platonischen Symposion, der von der
ursprünglichen Einheit der Geschlechter kündet, sondern die Deformation
der politischen Verhaltensmuster bildet die Quintessenz der Verkleidungs-
szenen. Wo Schein und Täuschung die wahre Identität der Person verdek-
ken, läßt sich, so ahnt Sophonisbe, nicht mehr nach klaren Vorgaben han-
deln: „Mein Kopf ist gantz verwirrt! die Augen gantz umbnebelt!“71
Wie Cleopatra ist Sophonisbe eine Herrscherin, die den unumschränk-
ten Stolz zur Maxime ihres politischen Agierens erhebt: „Der sterbe nur /
der nicht unschimpflich leben kan!“72 Die Protagonistin steigert sich am
Ende, unter dem Eindruck dramatisch verengter Entscheidungsspielräume,
in rauschhaft vorgetragene Selbsttötungsphantasien, deren rhetorischer Fu-

68 Grundlegend zu Lohensteins Auffassung von den Leidenschaften im politischen und


rechtsphilosophischen Kontext Reinhart Meyer-Kalkus, Wollust und Grausamkeit. Affek-
tenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von Agrippina, Göt-
tingen 1986, S. 38 ff.
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69 Albrecht Christian Rotth, Vollstaendige Deutsche Poesie, III [I = unpaginiert], S. 217


70 Vgl. Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 279 (II, v.36),
S. 285 (II, v.26 f.), S. 305 III, v.340 ff.).
71 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 268 (I, v.291).
Der Kleidertausch gehorcht keiner modernen Bedeutung im Sinne einer spielerischen
Überschreitung sexueller Grenzmarkierungen (vgl. Judith Butler, Das Unbehagen der Ge-
schlechter, S. 202), sondern spiegelt die Zerstörung der personalen Identität der Akteure,
die ihrerseits aus dem Zusammentreten von Leidenschaft und Politik resultiert.
72 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 346 (V, v.464).

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114 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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ror auf bezeichnende Weise den politischen Kontext, in dem sie stehen, zu-
deckt. Symptomatisch wirkt hier das gurgelnde Pathos der Rede, mit der So-
phonisbe nach der Untergangsprophezeiung der Dido ihren Selbstmord
ankündigt: „Steckt Burg und Tempel an. Mehr als beglückte Baare! | Wo
Reich und Königin den Staub zusammen mischt / | Und ihr verspritztes
Blutt auf frischen Brände zischt!“73 An den Platz des politischen Behaup-
tungswillens tritt die destruktive Feier der Selbstauslöschung, die auf be-
denkliche Weise gegen das – für Lohenstein verbindliche – neostoizistische
Gebot der Affektbeherrschung verstößt. Geradezu blasphemisch muß es zu-
dem aus christlicher Perspektive anmuten, wenn die Königin ankündigt, sie
werde ihren Körper verbrennen: „Die Flammen, die uns fassen / | Muß jeder
Mensch verehrn / der Gott ein Opfer bringt. | Sie sind die Flügel auch /
durch die die Seele schwingt | Sich zum Gestirn empor.“74
Augustinus hatte in De civitate Dei den Selbstmord entschieden ver-
worfen und als schweren Verstoß gegen die göttliche Vorsehungsautorität
bezeichnet, der unter keinen Umständen gerechtfertigt werden könne.75 Am
Fall der Römerin Lucretia (6. Jh. v. Chr.), die von Sextus Tarquin, dem jün-
geren Sohn des Königs Tarquinius Superbus, vergewaltigt worden war und
sich darauf das Leben genommen hatte, führt Augustinus aus, daß auch ex-
treme äußere Notlagen – wie das hier gegebene Delikt der Notzucht – einer
Frau nicht die Lizenz gäben, sich selbst zu töten.76 Noch dort, wo das augu-
stinische Verdikt im Rahmen der frühneuzeitlichen Staatsrechtslehre gelok-
kert wurde, blieb die argumentative Generallinie gewahrt. Der Jurist Hugo
Grotius akzeptiert zwar in seiner großen Abhandlung De iure belli ac pacis
(1625) unter Rekurs auf Positionen der spätantiken Stoa (etwa Senecas) den
Selbstmord als letztes Mittel der Sicherung religiös-geistiger Freiheit, verbin-
det dieses jedoch mit einem anthropologischen Programm strengster Askese
und Gefühlsbeschränkung. Vertretbar ist für Grotius der Suizid nur dort, wo
ein Christ unter den Bedingungen der Tyrannei zum Widerruf seines Glau-
bensbekenntnisses gezwungen wird, so daß er auf keine andere Weise als
durch Selbstauslöschung der ihm abverlangten Gottesleugnung zuvorkom-
men kann.77 Die zum Suizid entschlossene Sophonisbe begeht hingegen ein
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73 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339f. (V, v.238ff.).
74 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339 (V, v.226ff.).
75 Augustinus, De civitate Dei I, 19–23 (PL 41, Sp.32 ff.).
76 Augustinus, De civitate Dei I, 19 (PL 41, Sp.32 f.).
77 „Sed et in Christiana historia exempla legimus similia eorum qui mortem sibi intulerunt,
ne tormentis adacti Christi religionem eiurarent, et virginium quae ne pudicitiam amitte-
rent in flumen se iecerunt, quas et in martyrum censum Ecclesia retulit.“ (Hugo Grotius,
De iure belli ac pacis libri tres [1625]. Editionis anni 1939. Photomechanischer Neudruck,

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9. Freitod der Königin Sophonisbe,


Anonym (1553), Archiv des Autors.

Fest der Zerstörungslust, das sich moralischen Bewertungsmaßstäben gänz-


lich entzieht. Der Tod bildet keinen Fluchtpunkt der letzten Freiheit, son-
dern einen erotisch aufgeladenen Bereich, der mit einschlägigen Kostbar-
keitsmetaphern als Zone der sinnlichen Erfüllung ausgewiesen wird. Durch
die dithyrambische Rhetorik der Sterbeszene ist der ethische Sinn der
stoischen Leidenschaftskontrolle außer Kraft gesetzt: „Wir finden in der
Gruft die schönsten Edelsteine.“78
Die blumige Sprache der Sterbeszene läßt keinen Zweifel daran, daß
Sophonisbe für sich selbst, nicht aber für das Königtum stirbt. Lohensteins
Heldin unterscheidet sich hier deutlich von den Opferfiguren des griechi-
schen Dramas der Antike. In der attischen Tragödie werden Frauen, wie
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Aalen 1993, lib.2, cap.19,5). – Zur Selbstmorddiskussion weiteres Material bei Adalbert
Wichert, Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lo-
henstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie, Tübingen 1991, S. 436 ff.
78 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 343 (V, v.362). –
Zwar hat der Tod der Heldin in der Tat „etwas Erhabenes, etwas Strahlendes“ (Elida Maria
Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, S. 172), doch
läßt sich nicht übersehen, daß Lohenstein die Szene ins Licht der Ambivalenz taucht, in-
dem er Sophonisbe als selbstvergessene, von Zerstörungslust berauschte Königin vorführt.

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116 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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Nicole Loraux hervorgehoben hat, für die Ehe und deren Ethos geopfert.79
Erst im Tod steigen sie zu wirklichen Gattinnen im Sinne des griechischen
Rechts auf.80 In exemplarischer Weise repräsentiert eine solche Rolle Alke-
stis, die Tochter des Königs Pelias von Iolkos, die für ihren Mann Admetos
stirbt, damit diesem das ihm ursprünglich von den Schicksalsgöttinnen zu-
gedachte Los eines frühen Todes erspart bleibt (wobei die Intervention des
Herakles sie am Ende zum Lohn für ihren Großmut aus dem Totenreich ret-
tet und in die Arme ihres Gatten zurückführt). In Euripides’ Alkestis-Tragö-
die (438 v. Chr.) erklärt die sterbende Titelheldin im Kreis ihrer Verwandten:
„Lebt wohl! Freut euch des Lebens! Rühme dich, | Admet, daß du ein gutes
Weib besessen! | Ihr Kinder, seid auf eure Mutter stolz.“81 Solche Formen der
Opferung tragen bekanntlich im Mythos, abweichend vom Fall der Alkestis,
bisweilen gewaltsamen Charakter. Nicht freiwillig, sondern unter Zwang
sterben die Frauen für die Ordnung des Staates: Kreon verurteilt Antigone
zum Tode, weil sie seine herrscherliche Autorität und mit ihr die von den
Göttern erlassenen Gesetze in Frage stellt82, Hekabes Tochter Polyxena wird
von den Griechen am Grab des ‚göttlichen Helden‘83 Achill geschlachtet,
Iphigenie von Agamemnon in Aulis auf Rat des Sehers Kalchas zum Ge-
schenk für die ihm zürnende Göttin Artemis auserkoren, die seine Flotte im
Hafen festhält.84 Unabhängig von der Frage des persönlichen Willens fällt
hier der Frau – in der Rolle der Ehegattin oder Tochter – die Funktion zu,
durch die Preisgabe des Lebens die Versöhnung der Götter herbeizuführen,
deren Autorität über das Geschick der Männer in Politik und Krieg entschei-
det. Der höhere Zweck dieser Selbstopferung ist damit die Stabilisierung des
Staates über den Umweg der Beeinflussung der ihn lenkenden himmlischen
Mächte, die vom Menschen verlangen, daß er ihnen Lebendiges schenkt, da-
mit sie seine politischen und militärischen Vorhaben beschirmen.85

79 Daß bereits das Ritual der Defloration in der griechischen Gesellschaft dem Mechanismus
des Opfers gehorcht, betont Walter Burkert, Homo Necans, S. 74 f.
80 Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, S. 47 ff.
81 Euripides, Alkestis. Tragödien, S. 34 (v. 323 ff.).
82 Sophokles, Antigone. Tragödien, übers. v. Wilhelm Willige, überarbeitet v. Karl Bayer.
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Mit einer Einführung und Erläuterungen v. Bernhard Zimmermann, München 1990,


S. 137 ff. (v.444 ff.).
83 So die Charakteristik in Schillers Nänie (1799). Friedrich Schiller, Werke. Nationalausgabe,
begr. v. Julius Petersen, fortgeführt v. Lieselotte Blumenthal u. Benno v.Wiese, hg. im Auf-
trag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach v. Norbert
Oellers, Weimar 1943 ff., Bd. 2/I, S. 326 (v.7).
84 Euripides, Hekabe, v.221 ff. (Tragödien, S. 163); Ders., Iphigenie in Aulis, v.90 ff. (Tragö-
dien, S. 553).
85 Vgl. Walter Burkert, Homo Necans, S. 70 ff. (zum Jungfrauen-Opfer).

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Anders als im griechischen Mythos und in der attischen Tragödie voll-


zieht dagegen Sophonisbe das Opfer des Lebens aus einer Haltung der Ver-
zweiflung, die den numidischen Staat letzthin an den Punkt seiner Auf-
lösung führt. Zwar inszeniert Lohenstein die todessüchtige Sophonisbe als
bewundernswerte Heldin, der es gelingt, im politischen Entscheidungsstreit
eine kohärente Persona-Struktur zu bewahren, doch demonstriert er zu-
gleich, daß ihr unbedingter Stolz heikle Folgen für das Reich zeitigt. Die fa-
talste Konsequenz dieses Stolzes liegt darin, daß die Herrscherin das numi-
dische Königtum opfert, indem sie, ehe sie Gift trinkt, ihre Söhne Adherbal
und Hierba wie eine zweite Medea ermordet. Sophonisbe begründet ihr
Handeln mit dem Hinweis auf das Verhängnis, das die Kinder „umbs Erb-
gutt“ gebracht habe: „Thron / Purper / Kron und Reich ist in des Feindes
Händen.“86 Der Ausruf der Dienerin Agathe signalisiert jedoch deutlich, daß
mit dem Tod der Söhne eine dynastische Ordnung beseitigt wird, die allein
göttlicher Wille, nicht aber der Mensch zerstören darf: „Sie falln; ach Him-
mel hilf! itzt falln des Reiches Seulen.“87 Nach den prudentistischen Vorstel-
lungen des 17. Jahrhunderts verstößt Sophonisbe durch die Tötung ihrer
Kinder nicht nur gegen ein moralisches Prinzip, sondern zumal gegen das
politische Gebot der Machtsicherung. Das Herrschaftsvakuum, das auf-
grund des Todes der Thronfolger entsteht, birgt notwendig das Risiko schwe-
rer Volksunruhen. Hobbes bemerkt im Leviathan mit Blick auf die bedroh-
liche Situation, die nach dem Zerreißen der dynastischen Kontinuität
eintritt: „Denn der Tod des Eigentümers der souveränen Gewalt läßt die
Menge ohne Souverän zurück, das heißt ohne Vertretung, durch die sie ver-
eint und überhaupt handlungsfähig wird, und deshalb ist sie unfähig, einen
neuen Monarchen zu wählen, da jedermann das gleiche Recht hat, sich dem
zu unterwerfen, von dem er annimmt, er könne ihn am besten schützen,
oder sich selbst mit dem eigenen Schwert zu schützen, wenn er dazu in der
Lage ist. Dies bedeutet einen Rückfall in die Wirren und den Zustand eines
Krieges eines jeden gegen jeden, entgegen dem Zweck, zu dem die Monar-
chie zuerst eingesetzt worden war.“88 Im Sinn Agambens wird der Aufbau
des souveränen Staates bei Hobbes nicht dadurch gestützt, daß das Volk sein
Naturrecht auf physische Selbstbehauptung und Interessenwahrung aufgibt,
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sondern durch die Legitimation des Souveräns, allein das Naturrecht auszu-
üben (was wiederum die Unabhängigkeit von externen Gesetzen bedeutete:

86 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 345 (V, v.447ff.).
87 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 347 (V, v.505).
88 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirch-
lichen Staates, S. 152 [Teil II, Kap. 19]).

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den Status ‚legibus solutus‘).89 Mit dem Moment des Erlöschens der Dyna-
stie fällt diese Freiheit an das Volk zurück, das, solange es ohne Souverän ist,
den zuvor im Staat eingefrorenen Naturzustand in der Entfaltung bürger-
kriegsähnlicher Gewaltverhältnisse reaktiviert; an den Platz der durch die
Krone kontrollierten Staatsordnung, welche die kollektiven Kräfte gebun-
den und geformt hatte, tritt jetzt das Chaos sich wechelseitig überrollender
Einzelmächte.
Die mythisch-afrikanische Welt, die das Trauerpiel zeigt, hat Lohenstein
mit politischen Elementen mitteleuropäischer Provenienz ausgestattet. Daß
Sophonisbes Opfer keine „kathartische Funktion“ (Girard)90 erfüllt, indem
es die im Ritus verschworene Gemeinschaft mit einem symbolischen Todes-
bann stärkt, beweist die Reaktion, welche die Dienerschaft nach der Ermor-
dung der Söhne an den Tag legt. Die Opferung der Thronfolger lähmt die
Kräfte der Überlebenden, statt ihren Widerstandsgeist zu befeuern. Der Zer-
fall des numidischen Königtums kündigt sich an, wenn Agathe die übri-
gen Dienerinnen zum kollektiven Selbstmord aufruft: „Laßt Schwestern uns
nun auch zu der Erlösung eilen / | Der Brüste reine Milch bepurpern durch
dis Schwerdt.“91 Der Suizid, der hier beschlossen wird, ist ein Vorzeichen der
Erosion, die das numidische Reich nach dem Tod von Königin und Thron-
folgern erfassen wird. In ihrem unbedingten Stolz, der die Selbstvalidierung
als höchstes Ziel politischen Handelns vorgibt, erweist sich Sophonisbe folg-
lich als unkluge Regentin, die, indem sie das Band der Erbfolge durchtrennt,
die künftige Ordnung des Imperiums gefährdet. Die Behauptung der inter-
nen Persona-Struktur führt zur Destruktion der Einheit von Selbstreferenz
und Nutzen, die im Programm klugen strategischen Verhaltens funktional
aufeinander einwirken müssen. Der Suizid vollendet einen Vorgang der In-
klusion, bei dem die Würde der Königin als innerer Wert geschützt wird,
ohne daß jedoch die externe Funktion politischen Handelns – Gewinnung
und Sicherung von Macht durch situationsangepaßte Entscheidungen – zur
Geltung kommt.
Die Entkoppelung von Selbstreferenz und Nutzen offenbart die ver-
haltenstechnische Ursache, die den Untergang der Herrscherin veranlaßt. Lo-
henstein leitet sie systematisch aus der Konzeption des – insbesondere durch
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Justus Lipsius in den Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589) vertrete-
nen – neostoizistisch-funktionalistischen Politikverständnisses ab, dem er mit

89 Giorgio Agamben, Homo sacer, S. 116 ff.


90 René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 139; vgl. Walter Burkert, Wilder Ursprung,
S. 13 ff., Erwin Rohde, Psyche, S. 325; dazu auch meine Ausführungen zur „Typologie des
Opfers“ in Kap. I,6.
91 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 347 (V, v.506 f.).

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großer Konsequenz folgt.92 Sophonisbe scheitert, weil sie ihren Willen zum
Widerstand gegen die Usurpatoren in monumentalem Stolz aufzehrt, ohne
ihre Affekte in einem zielorientierten Verhaltensprogramm kontrollieren zu
können. Die neostoizistische Lehre des Lipsius, dessen Anthropologie auf die
intensive Auseinandersetzung mit Seneca zurückgeht, und der aus den Quel-
len der romanischen Hofschulen der Renaissance gespeiste Prudentismus
Graciáns heben übereinstimmend die Bedeutung hervor, die der durchgrei-
fenden Beherrschung der Leidenschaften im Bereich politischen Agierens zu-
fällt; virtus und prudentia sind bei Lipsius die Wegweiser des Herrschers, der
sich stets bewußt bleiben muß, daß er unter dem Auge des Himmels handelt:
„Persona enim Principis non solum animis, sed etiam occulis servire debet or-
bium.“93 Vor diesem Hintergrund wird sichtbar, daß Lohenstein seine Prota-
gonistin nicht als Opfer der römischen Machtgier, sondern als Gescheiterte
ausweist, die gerade dort, wo sie die Würde der Person verteidigt, politisch
unklug operiert. Da Sophonisbe die Behauptung der inneren Persona-Struk-
tur über das leitende Ziel der Schadensbegrenzung durch situationskonforme
Anpassung stellt, destruiert sie die dynastische Ordnung des Reichs.

6. Mythische Denkformen

Das zweite Begründungsfeld für die Agonie der Königin ist das geschichts-
metaphysisch-finalistische. Wo immer Sophonisbe bei Lohenstein agiert, er-
weist sie sich als Repräsentantin eines – aus der Geschichtsperspektive des
Dramas – überlebten kulturellen Denkkreises. Dieser Befund führt zurück
zur mythischen Dimension, die ihr Sprechen und Handeln kennzeich-
net. Geisterbeschwörungen, Totengespräche, Kulthandlungen und magische
Praktiken bilden zentrale Elemente in der vom Ritus bestimmten Welt der
Numider. Die Dominanz mythischer Denkformen zeigt sich daran, daß so-

92 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, Leiden 1604 (zuerst 1589; deut-
sche Ausgabe von Melchior Haganaeus, Amberg 1599: „Von Unterweisung zum Welt-
lichen Regiment“), bes. lib.I, cap.VII (S. 66 f.). Vgl. Ders., Von der Bestendigkeit (De con-
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stantia). Faksimile-Neudruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der
zweiten Auflage von c. 1601 mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599, hg.
v. Leonard Forster, Stuttgart 1965, bes. S. 51 ff.
93 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, lib.I, cap.VII, S. 66 ff., lib.II,
cap.XV, S. 127. Vgl. Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647),
S. 18 (Nr.29). Grundlegend dazu Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei
Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hg. u. eingel. v.
Nicolette Mout, Göttingen 1989; ferner die Überlegungen bei Wolfgang Weber, Prudentia
gubernatoria, S. 104 ff.

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120 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
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wohl die erotische Aura, die Sophonisbe ausstrahlt, als auch die Souveräni-
tät ihrer herrscherlichen Tatkraft von den Untertanen auf übersinnliche
Mächte zurückgeführt wird. Symptomatisch scheint, daß selbst ihr Ehe-
mann Syphax sie als Hexe apostrophiert, die ihn mit den Mitteln der Zau-
berei gefesselt habe.94
Die Heldin entstammt einer paganen Welt, in der nicht das planende
prudentistische Kalkül, sondern die Tauschlogik der Opferrituale regiert.
Charakteristisch bleibt hier Sophonisbes Bereitschaft, einen ihrer Söhne zu
töten, um die Götter zur Verteidigung des numidischen Reichs zu bewegen:
„Errette Kabar uns / du Schutzstern dieser Stadt! | Baaltis höre mich / weil
man dir allzeit hat | Hochedles Menschen-Blutt und Kinder-Fleisch geweh-
ret: | Daß es dein glüend Bild verbrennt hat und verzehret.“95 Baaltis, die
Adressatin des hier angekündigten Opfers, ist nach syrisch-phönizischem
Brauch die Ehefrau des Saturn und damit die ranghöchste Göttin. Wenn So-
phonisbe Baaltis durch ‚Kinder-Fleisch‘ milde zu stimmen sucht, so ent-
spricht das einer rituellen Tradition, die bis in die Zeit der Punischen Kriege
fortdauerte. Im karthagischen Reich waren an Kindern vollzogene Men-
schenopfer insbesondere in Kriegszeiten zum Zweck der Bannung äußerer
Gefahren mit Hilfe der Götter üblich. Lohenstein verweist im Anmerkungs-
apparat zum besseren Verständnis der Gebetsszene auf den Geschichtsschrei-
ber Diodorus Siculus, dessen Bibliothecae historicae libri XV (1. Jh. v. Chr.) er
in der Buchausgabe von 1559 benutzte, und auf Athanasius Kirchers Oedipus
Aegyptiacus (1652–54), der ausführlich über die Kindstötungen im Rahmen
des Baaltis-Kultes berichtet. „Von diesen grausamen Menschen-Opfern“,
heißt es, „sind alle Bücher voll.“96
Während Sophonisbe das mythische Denken der archaischen Kultur
Nordafrikas repräsentiert, steht der Feldherr Scipio – Seneca nennt ihn eine
‚gefeierte Gestalt‘97 – für das Vernunftkalkül neuzeitlicher Zivilisation. Rom
bildet bei Lohenstein das Modell einer weitgehend säkularisierten Welt, die
sich von den Ritualen und Opferbräuchen des Altertums gelöst hat, indem
sie an den Platz religiöser Praktiken einen nüchternen Funktionalismus tre-
ten ließ, der den Glauben zum subordinierten Element des sozialen Systems
degradierte. Aus historischer Sicht ist freilich anzumerken, daß sich solche
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Tendenzen verstärkt erst unter dem Einfluß der sukzessive vordringenden

94 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 317 (IV, v.140).
95 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.381 ff.).
96 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 359. Zum histo-
rischen Hintergrund Walter Burkert, Kulte des Altertums, S. 71.
97 L. Annaeus Seneca, De tranquillitate animi/Über die Ausgeglichenheit der Seele, 17,4
(S. 74): „Scipio triumphale illud ac militare“.

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Mythische Denkformen 121
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hellenischen Kultur, insbesondere der Philosophie der Stoa, im zweiten vor-


christlichen Jahrhundert entfalteten. Symptomatisch scheint hier die Kritik
am Ritus des Tieropfers, wie sie, angeregt durch Theophrasts fragmentari-
sche Abhandlung Über die Frömmigkeit, Marcus Terentius Varro sowie Seneca
vorbrachten.98 Schon bei Theophrast findet sich ein Lob der Pflanzenopfer
des alten Ägypten, während die Syrer aufgrund ihres Brauches, Tiere zu tö-
ten, entschieden getadelt werden.99 „Das Leben aber“, so formuliert Theo-
phrast, „ist ein um vieles wertvolleres [Gut] als die [Gewächse], die aus der
Erde hervorsprießen; dieses [ihnen] zu rauben – indem man die Tiere op-
fert – wäre nicht erlaubt.“100 Der afrikanischen Tradition des Opfers, das in
der Schlachtung animalischen Lebens die Erfahrung des Todes symbolisch
bannt, steht der hellenische Geist, den auch Lohensteins Scipio – verbunden
mit einer stoischen Haltung – in sich aufgenommen hat, voller Befremden
und Widerwillen gegenüber. Daß die Kulte des Altertums – trotz punktuel-
ler Entsprechungen in der Heiligen Schrift – aus christlicher Sicht als Zei-
chen barbarischer Praxis gelten, belegt Ludwig Milichius’ Zauber Teuffel
(1563), der die seit dem Mittelalter kurrenten Argumente gegen die antike
Opfertradition zusammenfaßt. Im Tier- und Menschenopfer erblickt der
Verfasser einzig die Spuren einer höllischen Verblendung, durch die der
Mensch in den Wahn gerät, er könne aufgrund der Tötung des geschöpf-
lichen Lebens die Gnade seiner Götter erringen.101
Wenn Sebastian Münsters Cosmographia (1628) das alte Numidien der
Epoche Sophonisbes einen „Theil der Barbarey“102 nennt, so nimmt das jene
typologische Differenzierung vorweg, die in Lohensteins Trauerspiel die afri-
kanische Welt von der römischen Zivilisation trennt. Die bei Münster an-
klingende Abwertung des ‚barbarischen‘ Geschichtskreises (zu dem Ägypten
ausdrücklich nicht gehört103) wird freilich bei Lohenstein durch einen elegi-
schen Ton abgelöst. Der Untergang des alten Numidien bildet die Prämisse
für den Siegeszug der neuen römischen Weltmacht, ist aber zugleich der Ge-

98 Walter Burkert, Homo Necans, S. 15.


99 Theophrast, Über die Frömmigkeit. Griechisch und Deutsch, hg. v. Walter Pötscher, Lei-
den 1964, S. 146 ff. (Fragment 2), S. 151 ff. (Fragment 3).
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100 Theophrast, Über die Frömmigkeit, S. 157 (Fragment 7).


101 Ludwig Milichius, Der Zauber Teuffel. Das ist / Von Zauberei Warsagung / Beschwehren /
Gegen / Aberglauben / Hexerei / vnd mancherley Wercken des Teufels (1563), in: Teufel-
bücher in Auswahl, hg. v. Ria Stambaugh. Bd.I, Berlin 1970, S. 3–185, S. 104 ff.
102 Sebastian Münster, Cosmographia, Das ist: Beschreibung der gantzen Welt / Darinnen Al-
ler Monarchien Keyserthumben / Königreichen / Fuerstenthumben / Graf= vnd Herr-
schafften (…), Basel 1628. Bd. II, S. 1660.
103 Sebastian Münster, Cosmographia, Bd. II, S. 1658 f. Über die Ägypter heißt es: „Dann wie
wol sie Heyden sind gewesen habe sie doch sich geflissen erbarlich zu leben (…)“ (S. 1658).

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genstand einer melancholischen Bilanz historischen Scheiterns. Mit ihr ver-


knüpft Lohenstein eine archäologisch anmutende Erkundung des mythi-
schen Denkens, von dem sich Sophonisbe beherrscht zeigt. Sie erschließt
nicht nur die symbolischen Elemente einer fremden Kultur, sondern auch
die Formen, die diese bei der Erzeugung religiösen Sinns einsetzt.
Die Berufungsinstanz des Mythos, die das Drama immer wieder berührt,
kennt noch, im Sinne der Kategorien Ernst Cassirers, die Einheit von Ding
und Zeichen, die in der planvoll gegliederten Vernunftwelt des Römers Sci-
pio bereits verloren gegangen und durch die Reflexion ihrer Differenz sub-
stituiert worden ist.104 Der kulturelle Eroberungsanspruch der Römer drohe,
so erklärt Sophonisbe, die alten Rituale und Glaubensartikel der Numider
zu zerstören: „Rom / das an einen Stein / nicht unsre Götter glaubt / | Das
Gadens Heyligthum des Oel-Baums hat beraubt / | Der Früchte von Sma-
ragd auf güldnen Aesten brachte / Das den Pygmalion / Alcidens Bein’ aus-
lachte / | Wird dieses Tempels auch nicht schonen / und ihn weihn | Dem
Mörder Romulus und einer Wölfin ein.“105 Cassirer hat den pragmatischen –
nämlich intentionalen und zu Handlungsstrukturen führenden – Grundzug
des mythischen Denkens hervorgehoben, der nicht die „ruhige Betrachtung
der Dinge“ anstrebe, sondern „von einem Akt der Stellungnahme, von
einem Akt des Affekts und des Willens“ ausgehe.106 Lohensteins Königin re-
präsentiert eine Geisteswelt, die von solchen Impulsen der Tätigkeit und
produktiven Unruhe getragen wird. Glaube und Wissen, Ritus und Magie
verbindet hier die Gemeinsamkeit, daß sie unmittelbar auf die in Symbolen
geordnete Natur einzuwirken suchen. Sophonisbes Selbsttötung bedeutet
vor diesem Hintergrund nicht nur die Verweigerung der kulturellen Subor-
dination unter das imperiale Gesetz Roms, sondern auch die unbedingte
Konsequenz des mythischen Denkens, das – nach Cassirer – auf permanente
Tätigkeit zielt. In ihm steckt die Erwartung, daß die Zeichen der Natur den
Menschen zu einer unaufhörlichen Aktivität nötigen, durch die er erst zur

104 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Drei Teile, Darmstadt 1964 (Nach-
druck der zweiten Auflage von 1953–54, zuerst 1923–1929), Bd.I, S. 18 ff.
105 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 340 (V, v.247ff.).
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Die Verse beziehen sich auf einen wenig verbreiteten kleinasischen Mythos, nach dem an
heiligen Ölbäumen in Gades (Südspanien) Smaragde wuchsen. Im Tempel Pygmaleons
sollen sich die Gebeine des tyrischen (phönizischen) Herkules befunden haben (vgl. auch
Lohensteins Anmerkung, S. 406). In beiden Fällen handelt es sich um Überlieferungen, de-
ren religiösen Gehalt die römischen Eroberer nicht achteten, weil sie in ihrem kulturellen
Denkkreis keine Rolle spielten.
106 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. II, S. 89. Den pragmatischen
Grundzug des mythischen Denkens betont Cassirer auch später mit großem Nachdruck
(E.C., Vom Mythus des Staates, S. 34 ff.).

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Mythische Denkformen 123
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wahren Erkenntnis der Götter gelangt. Im rituellen Selbstopfer der Königin


ist dieser Glaube gleichsam symbolisch überboten und zu einer dramatur-
gisch kalkulierten Glorifizierung des Mythos verfestigt worden.
Stellt Cleopatras Tod ein ästhetisches Ereignis dar, das die Indifferenz
von Sein und Schein beglaubigt, so bezeichnet das Sterben Sophonisbes
eine Selbstverklärung des mythischen Denkens, die Lohensteins Trauerspiel
als Element einer versinkenden Geistessphäre präsentiert. Die Protagonistin
muß nach den providentiellen Regeln einer historischen Teleologie schei-
tern, weil auch das von ihr verkörperte Königtum nicht mehr lebensfähig
scheint. Die Idee der translatio imperii, die der allegorische Schlußreyen unter
der Regie des Verhängnisses zu einer Apotheose der Habsburger Monarchie
verwandelt, bezeichnet den Eindruck historischen Verfalls mit signifikanter
Konsequenz. Gemäß der aus der Spätantike stammenden Lehre von der Ab-
folge der Weltreiche, wie sie Velleius Paterculus in den 1520 gedruckten Hi-
storiae Romanae duo volumina (29/30 n. Chr.) entfaltet hat, treten hier die Per-
sonifizierungen Asyriens, Persiens, Griechenlands und Roms auf, um ihre
Vormachtposition argumentativ zu begründen. Die Quintessenz, zu der
diese allegorische Revue führt, verdeutlicht jedoch nicht die Dauer, sondern
den Verfall historischer Größe. Im dynamischen Verlauf der Geschichtszeit,
den das Prinzip des Wechsels prägt, sind die Reiche der Vergangenheit un-
tergegangen. Während Augustinus diesen grundsätzlichen Mechanismus in
De civitate Dei auf die inneren Zerfallskräfte des mundanen Staates zurück-
führte, leitet ihn Lohenstein aus dem Prinzip der Providenz ab.107 Die expo-
nierende Formel, die das Verhängnis spricht, bezeugt, daß die Imperien nur
noch Gegenstände kultureller Erinnerung darstellen: „Ihr grossen Reiche
dieser Welt / | Die ihr verblüht seyd / und solt blühen.“108 Mit vergleichbarer
Konsequenz hat Lohenstein die Geschichtskonstruktion seines Arminius-
Romans (1689/90) einer Translatio-Vorstellung unterworfen, in der sich der
bei Lipsius begegnende Finalismus als leitendes Strukturprinzip abbildet.
Das Widmungsgedicht zur postum edierten Erstausgabe, das Hans Aßmann
von Abschatz verfaßt hat, verweist darauf, daß von Arminius ein direkter
Weg zur vernünftigen Politik der Habsburger führe; die Logik des histori-
schen Verlaufs gehorcht dem Gesetz der Emergenz, unter dessen Einfluß die
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politische Macht aus den Restbeständen verfallender Herrschaft neu erschaf-


fen und aufgebaut wird.109

107 Augustinus, De civitate Dei, PL 41, Sp.117 ff. (IV,7).


108 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 351 (V, v.619 f.).
109 Daniel Casper von Lohenstein, Großmuethiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Faksi-
mile-Neudruck der Ausgabe Leipzig 1689, hg. v. Elida Maria Szarota. 2 Bde., Hildesheim
1973, Ehren=Getichte, Bl. e2.

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So steht das von Lohenstein aktualisierte Modell der translatio imperii im


Zeichen des Vergessens. Seiner intellektuellen Anlage gemäß lebt es aus der
Dynamik der Auslöschung von Vergangenheit zugunsten dessen, was ‚blü-
hen soll‘. Die Ordnung der Literatur dient zwar der Gedächtnisbildung, wel-
che die Erinnerung an die versunkenen Weltreiche gewährt. Jedoch gerät die
durch den allegorischen Schlußreyen des Trauerspiels gestiftete memoria in
letzter Instanz zum Element einer dynamischen Denkformation, die den hi-
storischen Prozeß unter das Diktat der linearen Teleologie von Zeit und Er-
eignissen zu stellen sucht. Einerseits hält die Allegorie das Monument der
vergangenen Weltreiche fest, andererseits nährt sie sich aus der Verwand-
lungslogik des Translatio-Gedankens, der Vergangenheit in Gegenwart umar-
beitet, indem er sie, einem Palimpsest gleich, überschreibt. Erinnerungslei-
stungen sind innerhalb dieses Modells einzig Paradoxien, die durch die
binäre Struktur von Tradition und Auslöschung erzeugt werden, wie sie der
Prozeß der historischen Emergenz konstituiert: Effekte einer Aufschich-
tungsbewegung, die das Vergangene mitführt, um seine Zeichen in Funk-
tionselemente der Jetzt-Zeit zu transferieren.
Die übergeordnete Logik einer dynamischen Abfolge von Imperien spie-
gelt sich auch in Sophonisbes Sturz wider, der unter dem Gesichtspunkt der
providentiellen Gesetzmäßigkeit nur das nachvollzieht, was durch das ge-
schichtliche Verhängnis selbst beschlossen worden ist. Während hinter den
strategisch konditionierten Zurüstungen des Römers Scipio die Konturen je-
ner prudentistischen Politik hervortreten, die für Lohenstein mustergültig
durch das Haus der Habsburger repräsentiert wurde, verkörpert die Numi-
derkönigin eine Welt des Mythos, die, weil sie historisch überlebt ist, einzig
noch zum Arsenal einer opulenten Theaterinszenierung taugt. Die rituelle
Ordnung des mythischen Denkens besitzt keine Bedeutung mehr für das
späte 17. Jahrhundert, das sich anschickt, politische Macht funktional zu or-
ganisieren.110 Das Trauerspiel dekonstruiert eine Form der weiblichen Herr-
schaft, deren symbolischer Fundus erschöpft scheint, da er nicht mehr zeit-
gemäß ist.
Sophonisbes Königtum erweist sich, ähnlich wie die Herrschaft Cleo-
patras, als Wirkungsfeld des Imaginären, das durch die Verdoppelungen,
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Spiegelungen und Verschiebungen seiner magischen Requisiten permanent

110 Zum komplexen Verhältnis von Ritual und Fiktion, die einander wechselseitig ergänzen,
kontrollieren und einschränken können, vgl. am Beispiel der Passionsspiele des Spätmit-
telalters Jan-Dirk Müller, Kulturwissenschaft historisch. Zum Verhältnis von Ritual und
Theater im späten Mittelalter, in: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen
Kulturtechnik und Ethnographie, hg. v. Gerhard Neumann u. Sigrid Weigel, München
2000, S. 53–77.

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transformiert und zum Objekt der ästhetischen Beobachtung verwandelt


wird. Das Sterben der Königin steht schließlich für eine durch den Mythos
nicht mehr verbindlich kontrollierbare Welt, welche sich die an prudentisti-
schen Machttechniken geschulten römischen Usurpatoren als Vertreter der
neuen Epoche mühelos einverleiben.111 Im griechischen Drama bezeichnete
das tragische Opfer nach einer (von Florens Christian Rang inspirierten) Be-
stimmung Benjamins „ein erstes und letztes zugleich“112: die Wiederholung
des alten Rechts, durch die Versöhnung der Götter in eine zyklisch gedachte
Geschichte einzutreten, und den Ursprung einer Tathandlung, die eine pa-
radoxe Form der Freiheit des Menschen sub specie mortis begründet. Sopho-
nisbes Selbstopfer beschreibt dagegen einen Akt der Annihilation, der die
Gesetze einer machtlos gewordenen Religion beschwört, deren eschatologi-
sche Botschaft durch die Inszenierungen des Theaters verdrängt wird. Ihr
Sterben ist nicht der Ausdruck der Dialektik einer tragischen Idee, in der sich
Ende und Anfang zusammenschließen, sondern das Zeichen für eine er-
starrte Endzeit des Mythos, welche im Wirbelsturm der neuen Welt zu-
grunde geht.
Während die antike Tragödie ihre Verwandtschaft mit dem Opferritus,
dessen religiösem Grund sie entsteigt, dadurch demonstriert, daß sie die
„menschliche Existenz im Angesicht des Todes“113 vorführt, erweist Lohen-
steins Trauerspiel in der Darstellung des Sterbens die Logik einer Geschichte,
die des Opfers bedarf, damit sie ihre teleologische Dynamik erhalten und
konzentrieren kann. Sophonisbes Selbstopfer deutet nicht mehr auf eine
göttliche Sphäre, deren Kräfte im Akt der Preisgabe des Lebens mit der
menschlichen Wirklichkeit versöhnt werden können. Anders als in der grie-
chischen Tragödie bezieht sich das Opfer auf eine innerweltliche Zone, in-
sofern es das Zeichen für den Untergang einer historisch überwundenen re-
ligiösen Kultur repräsentiert. Damit bildet die dem Drama eingeschriebene
Dynamik des Verfalls ihrerseits ein Signum der von Lohenstein teleologisch
interpretierten Geschichte aus.114 Georg Philipp Harsdörffer betont 1648 mit
Formulierungen, die sich ähnlich schon in Scaligers Poetices libri septem (1561)
und Opitz’ Poeterey (1624) finden, unter Bezug auf die politische evidentia der
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111 In diesem Sinne formuliert der Geist der Dido: „Kurtz: Africa / Carthago sind verstorben.
| Auf / Sophonisb’! am besten ists gestorben.“ (Daniel Casper von Lohenstein, Afrikani-
sche Trauerspiele, S. 338 [V, v.187 f.]).
112 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I,
S. 285. Zum Einfluß der Opferlehre Rangs: W.B., Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 891.
113 Walter Burkert, Wilder Ursprung, S. 30, vgl. S. 26.
114 Vgl. zum Geschichtsbild Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesam-
melte Schriften, Bd.I, S. 245 ff.

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Haupt- und Staatsaktionen, das Trauerspiel handele idealiter „von der Koe-
nige / Fuersten und Herren Verzweifflung / Mordthaten / Verfolgung /
Meineid / Betrug (…)“115 Johann Rist bemerkt 1666: „Wer Tragoedien schrei-
ben will / muß in Historien oder Geschicht=Buechern so wol der Alten /
als Neuen / treflich beschlagen / er muß die Welt- und Staats-Händel / als
worin die eigentliche Politica bestehet / gründlich wissen / nicht aber allein
wissen / sondern auch verstehen (…)“116 Daß sich im Trauerspiel Idee und
Konstruktion der Geschichte modellhaft abbilden können, wie es bereits
Scaliger bemerkt hatte, bestätigt Lohensteins Text durch den Zusammen-
hang von Opfer und Teleologie. Der Freitod Sophonisbes ist aus der Per-
spektive des Dramas keine religiöse Handlung, die auf die Endlichkeit der
menschlichen Existenz verweist, sondern eine Station auf der Bahn der dy-
namisch ablaufenden historischen Ereignisfolge. Das Sterben der Königin
stellt ein dramaturgisches Element der translatio imperii dar, nämlich das Zu-
rücktreten des Alten, das der Dynamik des Neuen weicht. Hinter „brande,
blutschanden, kriege und auffruhr“ als den – im Sinn von Opitz – zentralen
Gegenständen des Trauerspiels offenbart sich so eine vernunftkonforme
Vorsicht, die den Schritt der Geschichte lenkt.117 Der Preis freilich, den
Lohensteins Providenz für ihre teleologische Begradigung der Weltverhält-
nisse einfordert, ist die Vernichtung dessen, was sich gegen das innere Gesetz
der historischen Dynamik stellt: die Subordination des Mythos unter die
prudentia.
In Sophonisbes Selbstopfer bekundet sich am Ende aber auch die emo-
tionale Dimension der mythischen Denkform, wie sie Cassirer beschrieben
hat. Die Königin stirbt in der Haltung des Stolzes, erhitzt durch das Feuer
ihrer Überzeugungen, getragen vom düsteren Pathos der Todesfeier. An den
Platz des tragischen Sinns des Opfers tritt folgerichtig die Sprache der Af-
fekte, die Lohensteins Drama von Beginn an wie ein unaufhörlicher Wasser-
strom durchrauscht. Über einen poetischen Umweg dringt so die mythische
Denkform in Gestalt der zyklischen Repetition wieder in den Theatertext

115 Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter. Zweyter Theil, S. 80. Vgl. dazu die Defini-
tion bei Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, lib.III, cap.xcvii, S. 144 f., ferner Mar-
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tin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm
Braune neu hg. v. Richard Alewyn, Tübingen 1963, S. 20.
116 Johann Rist, Die AllerEdelste Belustigung Kunst= vnd Tugendliebender Gemüther / Ver-
mittelst eines anmuethigen vnd erbaulichen Gespräches (…), Sämtliche Werke, Bd.V,
S. 378.
117 Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), S. 20. Nahezu wörtliche Über-
nahme des bei Scaliger (Poetices, lib.III, cap.xcvii, S. 144) anzutreffenden Passus über die
zentralen Themen des Trauerspiels, den Harsdörffer (Poetischer Trichter. Zweyter Theil,
S. 80) 1648 nochmals adaptiert.

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ein. Ihr zentrales Medium sind die Allegorien der Zwischenspiele, an denen
das Spektrum der Emotionen zwischen Zwietracht, Neid, Haß, Narrheit,
Einbildung und Verzweiflung ausgeleuchtet wird.118 Die Personifizierungen
der Reyen stiften das literarische Gedächtnis für eine Königin der Leiden-
schaften, die durch die Kräfte der Politik zerrieben wird.119 Sie bilden das
Relais der rituellen Wiederholung und markieren damit den Gegenpol zur
historischen Teleologie: die Ordnung einer melancholischen memoria, die
durch die Magie der allegorischen Choreographie das, was die Geschichte
längst ausgeschieden hat, bewahren hilft.
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118 Insbesondere die Reyen nach der ersten und dritten Abhandlung bieten eine dichte Phä-
nomenologie der Leidenschaften, die in kunstvoller Spiegelung auf den Affekthaushalt der
Protagonistin verweisen.
119 Vgl. Wilfried Barner, Disponible Festlichkeit. Zu Lohensteins Sophonisbe, in: Das Fest,
hg. v. Walter Haug u. Rainer Warning, München 1989 (= Poetik und Hermeneutik XIV),
S. 247–275, S. 263 f.

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Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
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