Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Der Leichnam des französischen Königs Ludwig XII. wurde im Jahr 1515 in
St. Denis unter einem Grabmal bestattet, dessen Fresko ihn gemeinsam mit
der Königin in doppelter Gestalt veranschaulichte: stehend als Lebenden
(gisant), im Schmuck des Machthabers, in der zugleich demütigen und wür-
devollen Geste des Beters, und, weiter unten, liegend im Stadium des Todes
(transi), als nackter Mensch, in seiner kreatürlichen Armut und Dürftigkeit.2
Solche Doppelbilder gehörten im Zeitalter der Renaissance zu den vertrau-
ten Requisiten des Herrschergrabs, das auf diese Weise zu einem Ort auf-
steigt, an dem „die Zeit des Todes neu erfunden wird.“3 Zumeist stellten sie
den Monarchen mit Ornat und Insignien in der höheren Deckenregion
eines tempelähnlichen Portikus dar, während man den nackten Leib auf
Fresken in Bodennähe zeigte.4 Der Effekt der Verdoppelung bezog sich nicht
nur auf den Körper des Herrschers, der sich bekleidet und zugleich nackt
1 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra. Text der Erstfassung von 1661, besorgt v.
Ilse-Marie Barth, mit einem Nachwort v. Willi Flemming, Stuttgart 1985, S. 41 (I, v.625). –
Ähnlich wie manche Aussage Scipios in der Sophonisbe (1680) ist auch diese Bemerkung,
die von Marc Antons Feldhauptmann Sosius stammt, nicht als Ausdruck der Misogynie
des Autors mißzuverstehen. Gerade die literarische Konstruktion selbständig-tatkräftiger
Frauenfiguren in den Trauerspielen bezeugt, daß Lohenstein sehr genau zwischen sozio-
kulturellen Normzuschreibungen und objektiven Beobachtungen unterschied.
2 Dazu konzis Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsentation, S. 49 f.
3 Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001,
Copyright @ 2004. De Gruyter.
S. 156; zur seit dem 13. Jahrhundert eingeführten, erst im 16. Jahrhundert jedoch weiter
verbreiteten Konstruktion eines doppelten Grabbildes (‚Doppeldeckergrab‘) in der eng-
lischen Funeraltradition Nigel Llewellyn, The Art of Death, S. 60 ff.; zum französischen
Brauch Philippe Ariès, Geschichte des Todes, S. 321 ff.; zu den herrschaftstechnischen
Hintergründen Horst Bredekamp, Politische Zeit. Die zwei Körper von Thomas Hobbes’
Leviathan, in: Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz, S. 105–118,
hier S. 105 ff.
4 Vgl. als typisches Beispiel das 1509 erbaute Grabmal des hessischen Landgrafen Wilhem II.
in der Marburger Elisabethkirche; Abb. bei Horst Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 98.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Der Sold der Sünde 95
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
präsentierte, sondern auch auf die Figuration des Todes. Die Gestalt des to-
ten Königs, die durch die Visualisierung des kreatürlichen Leibes bezeichnet
wurde, erzeugte ein Double des tatsächlich bestatteten Körpers: „la double
mort“, wie Gaston Bachelard in anderem Zusammenhang formuliert hat.5
Die neue Zeit des Todes, die sich in der Epoche der Renaissance an den
Grabmälern der Könige ablesen läßt, ist eine Zeit der kulturellen Brechung
und Spiegelung. Sie zerstreut das Absolutum des Sterbens, das in der imagi-
nären Verdoppelung des Königskörpers gemildert und abgeschwächt zutage
tritt.6 Der Endzeit des natürlichen Leibes, die sich in der Auflösung seiner
physischen Form manifestiert, steht die Dauer der institutionellen Herr-
scherexistenz gegenüber, so daß der Tod als Intermezzo erscheint, das durch
seine zerstörerischen Züge erschrecken, nicht aber die dynastische Ordnung
gefährden kann.
Freilich stieß die Darstellung des verfallenen Herrscherleibes auf feste
Grenzen, die durch den Selbstinszenierungswillen der Könige gezogen
wurde. Besaßen die Körperansichten des entkleideten Monarchen eine
eigene Drastik, die vom Zerfall der Schönheit und der Endlichkeit aller irdi-
schen Macht zeugte, so kam es zu Konflikten mit symptomatischem Cha-
rakter. Girolamo della Robbia legte Katharina von Medici im Jahr 1562
einen Entwurf für ihr späteres Grabmal in der Chapelle des Valois der zum
Familienmausoleum erkorenen Basilika von St. Denis vor, der dieses Prin-
zip des Zerfalls mit äußerster Unbarmherzigkeit veranschaulichte, indem er
den nackten Körper mit durchschimmernden Knochen unter entblößtem
Fleisch im Stadium der Verwesung zeigte. Die Königin wies diese Konzep-
tion, die sie als Verletzung der ihrem Leib einbeschriebenen Amtswürde be-
trachtete7, empört zurück und gab statt dessen bei Germain Pilon die Figur
einer Venus pudica in Auftrag8; Erasmus von Rotterdam kommentierte solche
exakte Planung des Begräbnisprunks zu Lebzeiten der Herrscher in seinem
Encomium Moriae (1511), dem Muster der Kritik Senecas folgend, mit schar-
sichern, ehe der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) gekrönt wird; vgl. Georg Braungart,
Hofberedsamkeit, S. 206 ff.
7 Zu solchen in der Bildkunst der Renaissance anzutreffenden Formen der Widerlegung der
Dignität durch den natürlichen Körper Hans Belting, Repräsentation und Anti-Repräsen-
tation, S. 31.
8 Erwin Panofsky, Grabplastik. Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von Alt-
Ägypten bis Bernini, hg. v. Horst W. Janson, mit einer Vorbemerkung v. Martin Warnke,
Köln 1993 (zuerst 1964), S. 88; vgl. Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs,
S. 426.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
96 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
fem Spott.9 Die von Pilon nach den Plänen der Königin gestaltete Liebes-
göttin, die eine delikate Mischung aus Keuschheit und Genußfreude be-
zeichnet, hat die Augen geschlossen und berührt mit einer Hand ihre
unbekleidete Brust – ein Bildmotiv, das, wie Erwin Panofsky in leicht ironi-
scher Dezenz formuliert, „eher heroischen als frommen Geist“ veranschau-
licht.10 Nicht der im Tod zerfallende, sondern der durch den Schlaf regene-
rierte, den Menschen zur ebenso lustvollen wie stolzen Selbstwahrnehmung
befähigende Leib scheint bei Pilon als Grabfigur dargestellt.11 An die Stelle
der Dynamik der Vergänglichkeit tritt die Ökonomie des Genusses als Spiel-
art jener Beschwörung des Moments, die in den Huldigungsbildern der Hof-
kunst die physische Anwesenheit des „zeitlosen Königs“ und damit die un-
umschränkte Präsenz der Herrschaft zur Anschauung bringt.12 Im Entwurf
Pilons manifestiert sich eine „Revolte des Lebens gegen den Tod“, die im Na-
men des Diesseits die Logik des Verfalls und im Namen der Macht die Ge-
fahr einer Erosion politischer Souveränität zu bannen sucht.13
Die französische Herrscherin wählte für die ikonische Repräsentation
ihres Körpers ein erotisch besetztes, die christlichen Konventionen der zeit-
genössischen Grabplastik mißachtendes Rollenmodell. Sie entzog sich der
aufdringlichen Zeichensprache des von della Robbia unterbreiteten Vor-
schlags, indem sie die Liebesgöttin an den Platz der didaktischen ars moriendi
treten ließ.14 Die Literatur kennt freilich Beispiele, die andeuten, daß derar-
tige Substitutionen unter dem Vorzeichen genußvollerer Selbstinszenierung
nicht risikolos bleiben. Die Königin, die den Leib zum Erprobungsfeld des
Eros werden läßt, droht das ihr zugeordnete Identitätsmuster der die Dyna-
stie sichernden Mutterschaft, welche die Kräfte der Natur in den Dienst der
9 Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit. Encomium Moriae, übers. u. hg. v. Anton J.
Gail, Stuttgart 1999, S. 53 f.: „Zu der Gesellschaft der Verrückten gehören auch alle, die
schon zu Lebzeiten ihren Begräbnisprunk so peinlich genau anordnen, daß sie die Zahl der
Fackeln, Trauergäste, Sänger und Klageweiber vorschreiben, als ob sie noch im Tode das
Schauspiel verspürten und sich schämen könnten, wenn ihr Leichnam nicht prunkvoll be-
stattet würde.“ Vgl. L. Annaeus Seneca, De brevitate vitae/Von der Kürze des Lebens. La-
teinisch-Deutsch, übers. u. hg. v. Josef Feix, Stuttgart 1994, 20,5 (S. 62 f.).
10 Erwin Panofsky, Grabplastik, S. 88. Kurz vor ihrem Tod (1589) veranlaßte die knapp sieb-
Copyright @ 2004. De Gruyter.
zigjährige Königin jedoch, daß auch Pilons Entwurf nicht für die Basilika verwendet
wurde, da er ihr jetzt allzu frivol erschien.
11 Thomas Lersch, Die Grabkapelle der Valois in Saint Denis, München 1995, S. 169 ff.
12 Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch, S. 99.
13 Georg Braungart, Hofberedsamkeit, S. 203.
14 Über den Komplex der ars moriendi in der Renaissance informiert Johann Huizinga, Herbst
des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in
Frankreich und in den Niederlanden, hg. v. Kurt Köster, Stuttgart 1961 (zuerst 1919, dt.
1924), S. 190 ff.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Der Sold der Sünde 97
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
15 Wie wirksam die normative Zuschreibung der Mutterschaft in diesem Punkt ist, erweist das
berühmte Beispiel der pornographischen Kampagne gegen Marie Antoinette am Beginn
der 1790er Jahre, die vor allem das Ziel verfolgt, die abgesetzte Herrscherin als schlechte,
nämlich promiskuös (bzw. im Inzest) lebende Mutter zu entlarven. Vgl. Lynn Hunt, The
Many Bodies of Marie Antoinette: Political Pornography and the Problem of the Feminine
in the French Revolution, in: Eroticism and the Body Politic, ed. by Lynn Hunt, Balti-
more, London 1991, S. 108–131.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
98 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Couch for Luxury and damned Incest.“).16 Anders als die Königin Isabella in
Marlowes Edward II. (1594), die ihren Gemahl absetzen und töten läßt, nach-
dem er in seinem Herrscheramt versagte17, beseitigt Gertrud einen klug re-
gierenden Souverän, der seine Rolle angemessen ausfüllte. Mit dem von ihr
verübten Gattenmord hat sie, wie es Hamlet formuliert, die „innre Seele“ aus
„dem Körper des Vertrages“ gerissen, welcher sie im Sinne des Eherechts an
den Regenten band: „Oh such a deed, | As from the body of Contraction
pluckes | The very soule (…)“18 Ihr Verbrechen bildet nicht das Zeichen einer
privaten Verfehlung, sondern besitzt juristische und politische Dimensio-
nen. Es bedroht die Institution des Königtums, weil es die Wollust an den
Platz der vernünftigen Herrschaft rückt und auf diese Weise das Reich einer
ungewissen Zukunft preisgibt. Das unterscheidet Gertruds Tat nicht zuletzt
von der ihrer mythischen Vorläuferin Klytämnestra, die ihren Gatten Aga-
memnon im Namen eines matriarchalischen Rechtsanspruchs ermordete, da
sie ihm nicht verzeihen konnte, daß er bereit war, seine Tochter Iphigenie zu
schlachten, um Artemis’ Unterstützung für die Fahrt der Kriegsflotte nach
Troja zu gewinnen (ein Opfer, das mithin, wie Euripides Klytämnestra sagen
läßt, keinem höheren Ziel, sondern allein der Rettung der moralisch zweifel-
haften Helena dienen und der „schlimmen Gattin Preis bezahlen“ soll19).
Während Klytämnestra die Verletzung des Mutterrechts durch ihren Mann
rächt, besteht im Hamlet kein moralisch vertretbarer, juristisch valider Grund
für die Tötung des Königs. Daß am Schluß das dänische Imperium in die
Hände des Usurpators Fortinbras fällt, der den archaischen Gewaltherrscher
schlechthin verkörpert, besiegelt auf folgerichtige Weise die politische Ver-
fallsgeschichte, die Gertruds Verbrechen ausgelöst hat.20
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Der Sold der Sünde 99
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
21 Zum Typus der schlechten Königin und der Rolle des Spiegels, der im Märchen an die
Stelle der hier skizzierten verklärenden Bildästhetik treten kann, vgl. mit Blick auf spätere
Epochen Elisabeth Bronfen, Nur über ihre Leiche, S. 155 ff.; zu Tamora vgl. Martin Win-
disch, Metapher, Allegorie und Materialität des Körpers als Medien des nationalen Ge-
dächtnisses in der Frühen Neuzeit, S. 94 f.
22 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 1–199, S. 11 (I,3). Der fragmentarisch, im Manuskript eines Schrei-
bers überlieferte Text bricht kurz vor dem Schluß (in Szene V,14) ab.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
100 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
schem Terrain liegen. Die normwidrig handelnde Regentin wird zur Bedro-
23 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3).
24 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 12 (I,3).
25 Christian Weise, Der geplagte und wiederum erloeste Regnerus in Schweden (1684), Sämt-
liche Werke, Bd. II, S. 182 (V,7), S. 188 (V,10).
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Die inszenierte Cleopatra 101
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
26 Francis Bacon, Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 421.
27 Angesichts dieser Wertvorstellungen sind die Einschätzungen der älteren Forschung, die in
Lohensteins Frauenfiguren abschreckende Beispiele einseitiger Affektsteuerung sieht,
gänzlich verfehlt. Die Arbeit von Cornelia Plume, Heroinen in der Geschlechterordnung.
Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle des Femmes,
Stuttgart, Weimar 1996, bes. S. 210 ff. (zu den Trauerspielen) korrigiert solche Fehlurteile
mit wünschenswerter Deutlichkeit, bietet aber keine überzeugenden Werkanalysen, weil
Copyright @ 2004. De Gruyter.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
102 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
28 Bernhard Asmuth, Daniel Casper von Lohenstein, Stuttgart 1971, S. 28. Die folgende Ana-
lyse stützt sich auf die erste Fassung von 1661, die bis zum Erscheinen der Zweitausgabe
von 1680 auf den zeitgenössischen schlesischen Bühnen von Schule und Hof gespielt
wurde, folglich die für das 17. Jahrhundert einflußreichere Textversion darstellt. Die zweite
Copyright @ 2004. De Gruyter.
Fassung (in: Daniel Casper von Lohenstein, Afrikanische Trauerspiele, S. 13–207) erweitert
die Zahl der Verse von 3090 auf 4236, bietet insbesondere in den Expositionsszenen eine
breitere Ausgestaltung des historischen Horizionts und beleuchtet auch kultisch-rituelle
Aspekte des Stoffs (insbesondere im ausgedehnteren Anmerkungsapparat) genauer. Ein
Vergleich findet sich bei Bernhard Asmuth, Lohenstein und Tacitus. Eine quellenkritische
Interpretation der Nero-Tragödien und des Arminius-Romans, Stuttgart 1971, S. 151 ff.
29 Zur Cleopatra-Darstellung in der elisabethanischen und nachelisabethanischen Tragödie
Uwe Baumann, Vorausdeutung und Tod im englischen Römerdrama der Renaissance
(1564–1642), Tübingen, Basel 1996, S. 173 ff.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Die inszenierte Cleopatra 103
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
rauch an / | Es mögen Grich’ und Pont / gantz Asien ihn ehren; | Es wolle
nur Anton auch in der That itzt lehren: | Daß sein Gemütte nicht zu sehr
Egyptisch sei.“30 Der von blinder Liebe zu Cleopatra gefesselte Antonius
scheint, trotz anderslautender Empfehlungen seiner Berater, vorerst ent-
schlossen, das Angebot Octavians auszuschlagen. Jedoch möchte die Köni-
gin, die ihn im Gespräch mit seinen Getreuen belauscht hat, auf seine allein
durch erotische Leidenschaft gegründete Loyalität nicht vertrauen: „Anton
ist zwar nunmehr durch unser Hold besig’t / | Und durch der Schön-
heit-Reitz als schlaffend eingewigt.| Kan aber nicht ein West auch bald ein
Sturmwind werden? | Ein flatternd Hertze gleicht mit Wanckel-muth den
Pferden / | Di ein geschwancker Zaum bald recht- bald linckwerts lenckt.“31
Dieser Befund, dessen bildhafte Illustration aus Platons Phaidros
stammt32, verweist auf die Modellkonstruktion des Trauerspiels, die den
männlichen Akteuren genau umrissene Positionen auf dem Schachbrett der
politischen Verhaltensmuster zuweist. Auffallend ist dabei, daß der Au-
tor seinen historischen Stoff mit aktuellen Sinnpotenzen auflädt, um das
Drama der römischen Eroberung Ägyptens als Lehrstück der Staatsklugheit
inszenieren zu können. Während der strategisch denkende Octavian jenen
affektkontrollierten Prudentismus vertritt, den Balthasar Graciáns Oraculo
manual (1647) eindringlich als Schule der politischen Vernunft und exakt
durchgeplantes Situationsmanagement für höfische Karrieristen beschrieben
hatte, repräsentiert Marc Anton eine changierende Leidenschaft, die auf ge-
fährliche Weise die Motive seines Tuns regiert.33 Die römischen Geschichts-
helden demonstrieren damit die unterschiedlichen Optionen im Geflecht
des militärischen Machtspiels: Octavian die prudentistische ‚Verhaltenslehre
der Kälte‘ (Helmut Lethen), deren Ziel die Verbergung der Emotionen zum
Zweck der Interessensicherung bleibt, Marc Anton die Launen der ‚passio‘,
die, wie Hobbes Leviathan vermerkt, in ihrer Extremform den Wahnsinn
zum Prinzip des Handelns zu verwandeln drohen.34
Während Cleopatra schon in der spätantiken Geschichtsschreibung be-
vorzugt als von Sexualgier getriebene Heroine dargestellt wird – „Dann sie
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
104 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
von Natur sehr vnkeusch / vnd zu solchen luesten sehr begirig gewesen“,
heißt es in Lautenbachs Übersetzung von Flavius Josephus’ Antiquitates Iu-
daicae35 –, zeichnet sie Lohensteins Trauerspiel als kühl kalkulierende, ihre
physische Attraktivität zu strategischen Zwecken einsetzende Herrscherin.
Weil sie Verrat und Auslieferung befürchtet, beschließt Cleopatra, den un-
zuverlässigen Antonius auf elegante Weise zu beseitigen. Sie täuscht einen
Selbstmord vor, um den Geliebten seinerseits dazu zu bewegen, sich das Le-
ben zu nehmen – ein Manöver, das sich ähnlich auch schon in den von Lo-
henstein konsultierten historischen Quellen (so in Plutarchs Vita Antonii)
beschrieben findet. Ihren Plan, in den sie einzig ihre Vertraute Charmium
einweiht, verwirklicht die Königin mit der Lust an der ästhetischen Inszenie-
rung. Raffiniert drapiert sie ihren Körper als Artefakt mit morbidem Reiz,
um sich der eigenen Dienerschaft und Antonius’ Vasall Eteocles als in
Schönheit Sterbende zu präsentieren: „Last meinen nackten Hals di Mu-
schel-Töchter küssen / | Den Armen legt Smaragd den Achseln Purpur an / |
Beblümt den hohen Sarch mit Klee und Tulipan / | Hüll’t auf das Leichen-
tuch von Karmesinen Sammet (…)“36 Das perfekte Arrangement, das sich
dem erschütterten Eteocles darbietet, unterstützt die Überzeugungskraft des
Illusionsprinzips. Cleopatras Kalkül geht auf, denn der wankelmütige Ver-
bündete Antonius ersticht sich seinerseits aus Trauer, nachdem er durch den
Diener vom vermeintlichen Tod der Geliebten erfahren hat: „Stoß ein! wer
rühmlich stirbt der hat genung gelebt.“37
Lohensteins Königin verfügt über einen zweiten Körper der theatra-
lischen Täuschung, an dem sich erkennen läßt, daß die Simulation zu den
Geschäftsgrundlagen ihres politischen Handelns gehört. In der Suggestion
des Suizids vollzieht sich eine scheinhafte Ersetzung, die den vermeintlich
toten Leib an die Stelle des lebenden rückt, dabei aber ihrerseits dem Diktat
des Betrugs untersteht. Ehe Cleopatra am Ende des Trauerspiels tatsächlich
Selbstmord begeht, um sich der Siegerwillkür Octavians zu entziehen, der
sie im Triumph nach Rom entführen möchte, stirbt sie im Rahmen einer äs-
thetischen Darbietung, die ein Spiegel jener Theaterwelt ist, welche Lohen-
steins Drama repräsentiert.38 Die sich selbst inszenierende Königin wird zur
Copyright @ 2004. De Gruyter.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Die inszenierte Cleopatra 105
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
39 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 244 ff.; Niklas
Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. II, S. 949.
40 Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 53 ff.
41 Vgl. zur ‚persona‘ auch Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines
bürgerlichen und kirchlichen Staates, S. 123 [Teil I, Kap. 16]). Aus Sicht der Beobachtungs-
lehre der Systemtheorie dazu Niklas Luhmann, Die Form „Person“, in: Soziologische Auf-
klärung 6 (Die Soziologie und der Mensch), S. 142–154.
42 Francis Bacon, Of Counsel, in: Essays or Counsels civil and moral, Works, Vol. VI, S. 432.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
106 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
43 Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), mit einem Nachwort
hg. v. Arthur Hübscher, Stuttgart 1990.
44 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997 (zuerst 1995), S. 158. Zur
Differenz zwischen den höfischen Klugheitslehren des 17. Jahrhunderts und jenen einer
bürgerlichen Aufklärung, welche das Programm der Täuschung in die Strategie der tugend-
haften Umsicht übersetzt, vgl. Georg Stanitzek, Blödigkeit. Beschreibungen des Individu-
ums im 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, S. 21 f. (bürgerliche Klugheit entspringt dem
Zwang zur Selbsterhaltung, während Karrierismus ein Antrieb für den Höfling im 17. Jahr-
hundert ist). Grundlegend hier Ursula Geitner, Die Sprache der Verstellung. Studien zum
Copyright @ 2004. De Gruyter.
rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992.
45 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Bd. III, S. 116.
Die sehr freie Paraphrase ‚Sein für Andere‘ bei Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesell-
schaft, S. 416 (bei Hegel ist diese Formel auf den Begriff des Dings bezogen, Werke, Bd. III,
S. 318).
46 Niklas Luhmann, Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für
ein Evolutionsproblem der Gesellschaft, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik.
Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd.I, Frankfurt/M. 1980,
S. 162–234, hier S. 188 ff.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Erinnerung und Imagination 107
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Lohensteins Cleopatra zeigt die Selbstdarstellung der Königin als Spiel mit
den Verdoppelungseffekten des Imaginären. Zu ihnen gehört neben der In-
szenierung des Suizids auch die vorgetäuschte Leidenschaft, mit der sie sich
im vierten Akt Octavian gegenüber als Verliebte präsentiert. „Ich brenn’! ich
Copyright @ 2004. De Gruyter.
brenn’! August! denn durch des Keisers Glider / | Zeugt sich mein Julius
mein Julius sich wider. | Di Flamme / di mit ihm schon in der Asche lag / |
47 Samuel Daniel, The Tragedie of Cleopatra (1593). Nach dem Drucke von 1611 hg. v. Max
Lederer, Neudruck Nendeln 1969 (zuerst 1911); Thomas May, The Tragoedy of Cleopatra,
Queene of Aegypt (1626), ed. by Denzel S. Smith, New York, London 1979.
48 Michael Neill, Issues of Death – Mortality and Identity in English Renaissance Tragedy,
Oxford 1997, S. 325 (spricht von Cleopatras „self-monumentalization“).
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
108 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Erinnerung und Imagination 109
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
gin.54 Von der Monarchin bleibt ein ‚fake‘, in dessen illusionärer Logik sich
spiegeln darf, was Cleopatras Strategiespiele bestimmte: die Kunst der Ver-
doppelung und das Gesetz der Täuschung. Der Tod der Königin bezeichnet
bei Lohenstein die „Dekonstruktion der Unterscheidung von Sein und
Schein“, die Niklas Luhmann unter Anlehnung an Hobbes als besonderes
Merkmal der Selbstdarstellung des höfischen Menschen im 17. Jahrhundert
beschrieben hat.55 Als Bühnentod, der die Grenze zwischen Wahrheit und
Betrug verschwimmen läßt, verweist er auf die Anatomie einer sozialen Ord-
nung, deren Akteure mit der Technik des Fingierens operieren, um ihre wah-
ren Absichten zu verbergen. Cleopatras doppeltes Sterben spiegelt die ver-
wirrenden Strategiespiele der höfischen Politik, zugleich aber, wie zu zeigen
bleibt, die inneren Widersprüche einer weiblichen Herrschaft, die im 17. Jahr-
hundert durch symbolische Ersatzinszenierungen suggestiv zur Schau ge-
stellt wird.
Das Denkmal, das Octavian zu errichten plant, soll die Form der ästhe-
tischen Repräsentation der Herrscherin in Elfenbein festhalten: „Di todten
Bilder sind kein überwunden Feind / | Di nur der Rache Lust umbsonst zu-
schimpffen meint. | Jedoch / was sinnen wir auf Schimpf der edlen Frauen / |
Di wir auch itzt schon todt verwundernd müssen schauen? | Es zeuget ihr
Magnet der Schönheit itzt noch an (…)“56 Octavians Hinweis auf die Verklä-
rung der Königin im Raum der kulturellen Gedächtnisbildung, mit dem die
Haupt- und Staatsaktion ausklingt (Hallmann wird das Motiv in der Liberata
[1700] wiederholen57), besitzt für Lohensteins Zeit eine eigene Evidenz. Ins-
besondere in den Niederlanden und Frankreich, wo im 17. Jahrhundert ein
förmlicher Kult um Cleopatra getrieben wurde, waren, wie erinnerlich, Dar-
stellungen europäischer Monarchinnen auf der Basis mythologischer Glori-
fizierung verbreitet. Rubens malte Maria von Medici parallel zu seinem gro-
ßen Auftragszyklus als Kriegsgöttin Bellona (1622), Simon Vouet zeigte
Anna von Österreich als Minerva (nach 1643), Grégoire Huret präsentierte
54 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V,v.313 ff.). Auch in Shakespeares
Antony and Cleopatra taucht das Motiv der Erinnerung an die besiegte Königin auf, wenn
Octavian am Ende ankündigt, er werde ihr ein prächtiges Grabmal stiften (V,2).
Copyright @ 2004. De Gruyter.
55 Niklas Luhmann, Kultur als historischer Begriff, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Se-
mantik. Bd. IV, Frankfurt/M. 1995, S. 31–54, hier S. 40.
56 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 131 (V, v.300). – Zu den Materialien des ge-
planten Denkmals (Erz, Stein, Elfenbein) vgl. S. 131 (V, v.313).
57 Johann Christian Hallmann, Die unüberwindliche Keuschheit oder Die groszmuethige
Prinzeszin Liberata (1700), Sämtliche Werke, Bd. II, S. 364 (V,10). Der portugiesische Kö-
nig Alphonsus stiftet seiner Tochter Liberata, nachdem er sie wegen ihres christlichen
Glaubens hat hinrichten lassen, ein goldenes Erinnerungsgrabmal und konvertiert in einem
Akt überraschender Wandlung selbst zum Christentum.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
110 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
58 Vgl. dazu Bettina Baumgärtel, Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert, S. 153 ff.
59 Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 409.
60 Daniel Casper von Lohenstein, Cleopatra, S. 133 (V, v.373 ff.). Elida Maria Szarota, Ge-
schichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, erkennt in solchen Stra-
tegien die Haltung „eines kalten Politikers, der seinem Herrschwillen alles opfert.“ (S. 164).
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Afrikas Penthesilea 111
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Kaisers, der sich Augustus nennt, hat sich den verzweifelten Manövern Cleo-
patras überlegen gezeigt. Gerade deshalb darf er ihr im Tausch gegen das Im-
perium ein Denkmal stiften: eine Substitution, deren Ökonomie dem pru-
dentistischen Doppelprogramm der permanenten Vorteilssicherung und
effizienten Selbstdarstellung sehr genau entspricht. Die Arbeit am kulturellen
Gedächtnis ist Sache des männlichen Siegers, dessen großzügige Geste frei-
lich nicht verbergen kann, daß er eine Blutspur durch die Geschichte zieht.
4. Afrikas Penthesilea
Psychogramm mit den Zügen der Übersteuerung und Auflösung eines kohä-
61 Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.12–16. Vgl. zur Stoffgeschichte Bernhard Asmuth,
Daniel Casper von Lohenstein, S. 36 f., neuerdings auch Helmut Loos, Daniel Casper von
Lohenstein: Sophonisbe, Dramen vom Barock bis zur Aufklärung, S. 134–153, hier S. 135 f.
62 Livius, Ab urbe condita, lib.XXX, cap.15.
63 Georg Neumark, Poetische Leichrede von der Sterblichkeit (1653), in: Trauerreden des Ba-
rock, S. 85–115, S. 96.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
112 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
64 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.365 f.).
65 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 289 (II, v.406).
66 Pierre Corneille, Rodogune. Princesse des Parthes (1644/1647), in: Œuvres complètes.
Tome II. Textes établies, présentés et annotés par Georges Couton, Paris 1984, S. 193–266.
Vgl. insbsondere den Monolog der Cléopâtre in II,1 (v.395 ff.), der rücksichtslose Ent-
schlußkraft, aber keine politische Vision verrät: „Digne vertu des Roi, noble de Cour, |
Copyright @ 2004. De Gruyter.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Afrikas Penthesilea 113
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Heldin durchgehend steuert.68 Ihren formalen Ausdruck findet sie nicht nur
in den großangelegten Reyen, die Rotth schon 1688 als spezifisches Stil-
merkmal von Lohensteins Texten bezeichnet69, sondern auch in den perma-
nenten Umschwüngen, Glückswechseln und Machtverschiebungen, die das
Bühnengeschehen als tragende Strukturmomente durchziehen. Lohensteins
Drama präsentiert eine Welt der Leidenschaften, die, unter dem äußeren
Druck der Politik, aus den Fugen geraten ist.
Signifikant für die Verwirrung der Emotionen bleibt das Leitmotiv der
strategisch begründeten Verkleidung, die feste Rollenmuster verwischt und
die vertrauten Markierungen zwischen den Geschlechtern aufhebt.70 Män-
ner und Frauen agieren bei Lohenstein, ähnlich wie in den Komödien
Shakespeares, unter dem Gesetz einer Verwechslungsökonomie, welche die
Androgynie als gleichsam natürliches Geschlecht des Menschen auszuwei-
sen scheint. Anders als Shakespeare verknüpft Lohenstein mit diesem Effekt
jedoch keine spielerische Poetik der Grenzüberschreitung, vielmehr das dü-
stere Szenario der entfesselten Affekte, in dem die Entdifferenzierung der
Rollen den Indikator des Betrugs und der Verwirrung darstellt. Nicht die
Rückkehr zum erotischen Mythos des platonischen Symposion, der von der
ursprünglichen Einheit der Geschlechter kündet, sondern die Deformation
der politischen Verhaltensmuster bildet die Quintessenz der Verkleidungs-
szenen. Wo Schein und Täuschung die wahre Identität der Person verdek-
ken, läßt sich, so ahnt Sophonisbe, nicht mehr nach klaren Vorgaben han-
deln: „Mein Kopf ist gantz verwirrt! die Augen gantz umbnebelt!“71
Wie Cleopatra ist Sophonisbe eine Herrscherin, die den unumschränk-
ten Stolz zur Maxime ihres politischen Agierens erhebt: „Der sterbe nur /
der nicht unschimpflich leben kan!“72 Die Protagonistin steigert sich am
Ende, unter dem Eindruck dramatisch verengter Entscheidungsspielräume,
in rauschhaft vorgetragene Selbsttötungsphantasien, deren rhetorischer Fu-
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
114 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
ror auf bezeichnende Weise den politischen Kontext, in dem sie stehen, zu-
deckt. Symptomatisch wirkt hier das gurgelnde Pathos der Rede, mit der So-
phonisbe nach der Untergangsprophezeiung der Dido ihren Selbstmord
ankündigt: „Steckt Burg und Tempel an. Mehr als beglückte Baare! | Wo
Reich und Königin den Staub zusammen mischt / | Und ihr verspritztes
Blutt auf frischen Brände zischt!“73 An den Platz des politischen Behaup-
tungswillens tritt die destruktive Feier der Selbstauslöschung, die auf be-
denkliche Weise gegen das – für Lohenstein verbindliche – neostoizistische
Gebot der Affektbeherrschung verstößt. Geradezu blasphemisch muß es zu-
dem aus christlicher Perspektive anmuten, wenn die Königin ankündigt, sie
werde ihren Körper verbrennen: „Die Flammen, die uns fassen / | Muß jeder
Mensch verehrn / der Gott ein Opfer bringt. | Sie sind die Flügel auch /
durch die die Seele schwingt | Sich zum Gestirn empor.“74
Augustinus hatte in De civitate Dei den Selbstmord entschieden ver-
worfen und als schweren Verstoß gegen die göttliche Vorsehungsautorität
bezeichnet, der unter keinen Umständen gerechtfertigt werden könne.75 Am
Fall der Römerin Lucretia (6. Jh. v. Chr.), die von Sextus Tarquin, dem jün-
geren Sohn des Königs Tarquinius Superbus, vergewaltigt worden war und
sich darauf das Leben genommen hatte, führt Augustinus aus, daß auch ex-
treme äußere Notlagen – wie das hier gegebene Delikt der Notzucht – einer
Frau nicht die Lizenz gäben, sich selbst zu töten.76 Noch dort, wo das augu-
stinische Verdikt im Rahmen der frühneuzeitlichen Staatsrechtslehre gelok-
kert wurde, blieb die argumentative Generallinie gewahrt. Der Jurist Hugo
Grotius akzeptiert zwar in seiner großen Abhandlung De iure belli ac pacis
(1625) unter Rekurs auf Positionen der spätantiken Stoa (etwa Senecas) den
Selbstmord als letztes Mittel der Sicherung religiös-geistiger Freiheit, verbin-
det dieses jedoch mit einem anthropologischen Programm strengster Askese
und Gefühlsbeschränkung. Vertretbar ist für Grotius der Suizid nur dort, wo
ein Christ unter den Bedingungen der Tyrannei zum Widerruf seines Glau-
bensbekenntnisses gezwungen wird, so daß er auf keine andere Weise als
durch Selbstauslöschung der ihm abverlangten Gottesleugnung zuvorkom-
men kann.77 Die zum Suizid entschlossene Sophonisbe begeht hingegen ein
Copyright @ 2004. De Gruyter.
73 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339f. (V, v.238ff.).
74 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 339 (V, v.226ff.).
75 Augustinus, De civitate Dei I, 19–23 (PL 41, Sp.32 ff.).
76 Augustinus, De civitate Dei I, 19 (PL 41, Sp.32 f.).
77 „Sed et in Christiana historia exempla legimus similia eorum qui mortem sibi intulerunt,
ne tormentis adacti Christi religionem eiurarent, et virginium quae ne pudicitiam amitte-
rent in flumen se iecerunt, quas et in martyrum censum Ecclesia retulit.“ (Hugo Grotius,
De iure belli ac pacis libri tres [1625]. Editionis anni 1939. Photomechanischer Neudruck,
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Afrikas Penthesilea 115
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Aalen 1993, lib.2, cap.19,5). – Zur Selbstmorddiskussion weiteres Material bei Adalbert
Wichert, Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lo-
henstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie, Tübingen 1991, S. 436 ff.
78 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 343 (V, v.362). –
Zwar hat der Tod der Heldin in der Tat „etwas Erhabenes, etwas Strahlendes“ (Elida Maria
Szarota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, S. 172), doch
läßt sich nicht übersehen, daß Lohenstein die Szene ins Licht der Ambivalenz taucht, in-
dem er Sophonisbe als selbstvergessene, von Zerstörungslust berauschte Königin vorführt.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
116 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Nicole Loraux hervorgehoben hat, für die Ehe und deren Ethos geopfert.79
Erst im Tod steigen sie zu wirklichen Gattinnen im Sinne des griechischen
Rechts auf.80 In exemplarischer Weise repräsentiert eine solche Rolle Alke-
stis, die Tochter des Königs Pelias von Iolkos, die für ihren Mann Admetos
stirbt, damit diesem das ihm ursprünglich von den Schicksalsgöttinnen zu-
gedachte Los eines frühen Todes erspart bleibt (wobei die Intervention des
Herakles sie am Ende zum Lohn für ihren Großmut aus dem Totenreich ret-
tet und in die Arme ihres Gatten zurückführt). In Euripides’ Alkestis-Tragö-
die (438 v. Chr.) erklärt die sterbende Titelheldin im Kreis ihrer Verwandten:
„Lebt wohl! Freut euch des Lebens! Rühme dich, | Admet, daß du ein gutes
Weib besessen! | Ihr Kinder, seid auf eure Mutter stolz.“81 Solche Formen der
Opferung tragen bekanntlich im Mythos, abweichend vom Fall der Alkestis,
bisweilen gewaltsamen Charakter. Nicht freiwillig, sondern unter Zwang
sterben die Frauen für die Ordnung des Staates: Kreon verurteilt Antigone
zum Tode, weil sie seine herrscherliche Autorität und mit ihr die von den
Göttern erlassenen Gesetze in Frage stellt82, Hekabes Tochter Polyxena wird
von den Griechen am Grab des ‚göttlichen Helden‘83 Achill geschlachtet,
Iphigenie von Agamemnon in Aulis auf Rat des Sehers Kalchas zum Ge-
schenk für die ihm zürnende Göttin Artemis auserkoren, die seine Flotte im
Hafen festhält.84 Unabhängig von der Frage des persönlichen Willens fällt
hier der Frau – in der Rolle der Ehegattin oder Tochter – die Funktion zu,
durch die Preisgabe des Lebens die Versöhnung der Götter herbeizuführen,
deren Autorität über das Geschick der Männer in Politik und Krieg entschei-
det. Der höhere Zweck dieser Selbstopferung ist damit die Stabilisierung des
Staates über den Umweg der Beeinflussung der ihn lenkenden himmlischen
Mächte, die vom Menschen verlangen, daß er ihnen Lebendiges schenkt, da-
mit sie seine politischen und militärischen Vorhaben beschirmen.85
79 Daß bereits das Ritual der Defloration in der griechischen Gesellschaft dem Mechanismus
des Opfers gehorcht, betont Walter Burkert, Homo Necans, S. 74 f.
80 Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, S. 47 ff.
81 Euripides, Alkestis. Tragödien, S. 34 (v. 323 ff.).
82 Sophokles, Antigone. Tragödien, übers. v. Wilhelm Willige, überarbeitet v. Karl Bayer.
Copyright @ 2004. De Gruyter.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Afrikas Penthesilea 117
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
sondern durch die Legitimation des Souveräns, allein das Naturrecht auszu-
üben (was wiederum die Unabhängigkeit von externen Gesetzen bedeutete:
86 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 345 (V, v.447ff.).
87 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 347 (V, v.505).
88 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirch-
lichen Staates, S. 152 [Teil II, Kap. 19]).
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
118 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
den Status ‚legibus solutus‘).89 Mit dem Moment des Erlöschens der Dyna-
stie fällt diese Freiheit an das Volk zurück, das, solange es ohne Souverän ist,
den zuvor im Staat eingefrorenen Naturzustand in der Entfaltung bürger-
kriegsähnlicher Gewaltverhältnisse reaktiviert; an den Platz der durch die
Krone kontrollierten Staatsordnung, welche die kollektiven Kräfte gebun-
den und geformt hatte, tritt jetzt das Chaos sich wechelseitig überrollender
Einzelmächte.
Die mythisch-afrikanische Welt, die das Trauerpiel zeigt, hat Lohenstein
mit politischen Elementen mitteleuropäischer Provenienz ausgestattet. Daß
Sophonisbes Opfer keine „kathartische Funktion“ (Girard)90 erfüllt, indem
es die im Ritus verschworene Gemeinschaft mit einem symbolischen Todes-
bann stärkt, beweist die Reaktion, welche die Dienerschaft nach der Ermor-
dung der Söhne an den Tag legt. Die Opferung der Thronfolger lähmt die
Kräfte der Überlebenden, statt ihren Widerstandsgeist zu befeuern. Der Zer-
fall des numidischen Königtums kündigt sich an, wenn Agathe die übri-
gen Dienerinnen zum kollektiven Selbstmord aufruft: „Laßt Schwestern uns
nun auch zu der Erlösung eilen / | Der Brüste reine Milch bepurpern durch
dis Schwerdt.“91 Der Suizid, der hier beschlossen wird, ist ein Vorzeichen der
Erosion, die das numidische Reich nach dem Tod von Königin und Thron-
folgern erfassen wird. In ihrem unbedingten Stolz, der die Selbstvalidierung
als höchstes Ziel politischen Handelns vorgibt, erweist sich Sophonisbe folg-
lich als unkluge Regentin, die, indem sie das Band der Erbfolge durchtrennt,
die künftige Ordnung des Imperiums gefährdet. Die Behauptung der inter-
nen Persona-Struktur führt zur Destruktion der Einheit von Selbstreferenz
und Nutzen, die im Programm klugen strategischen Verhaltens funktional
aufeinander einwirken müssen. Der Suizid vollendet einen Vorgang der In-
klusion, bei dem die Würde der Königin als innerer Wert geschützt wird,
ohne daß jedoch die externe Funktion politischen Handelns – Gewinnung
und Sicherung von Macht durch situationsangepaßte Entscheidungen – zur
Geltung kommt.
Die Entkoppelung von Selbstreferenz und Nutzen offenbart die ver-
haltenstechnische Ursache, die den Untergang der Herrscherin veranlaßt. Lo-
henstein leitet sie systematisch aus der Konzeption des – insbesondere durch
Copyright @ 2004. De Gruyter.
Justus Lipsius in den Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589) vertrete-
nen – neostoizistisch-funktionalistischen Politikverständnisses ab, dem er mit
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Mythische Denkformen 119
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
großer Konsequenz folgt.92 Sophonisbe scheitert, weil sie ihren Willen zum
Widerstand gegen die Usurpatoren in monumentalem Stolz aufzehrt, ohne
ihre Affekte in einem zielorientierten Verhaltensprogramm kontrollieren zu
können. Die neostoizistische Lehre des Lipsius, dessen Anthropologie auf die
intensive Auseinandersetzung mit Seneca zurückgeht, und der aus den Quel-
len der romanischen Hofschulen der Renaissance gespeiste Prudentismus
Graciáns heben übereinstimmend die Bedeutung hervor, die der durchgrei-
fenden Beherrschung der Leidenschaften im Bereich politischen Agierens zu-
fällt; virtus und prudentia sind bei Lipsius die Wegweiser des Herrschers, der
sich stets bewußt bleiben muß, daß er unter dem Auge des Himmels handelt:
„Persona enim Principis non solum animis, sed etiam occulis servire debet or-
bium.“93 Vor diesem Hintergrund wird sichtbar, daß Lohenstein seine Prota-
gonistin nicht als Opfer der römischen Machtgier, sondern als Gescheiterte
ausweist, die gerade dort, wo sie die Würde der Person verteidigt, politisch
unklug operiert. Da Sophonisbe die Behauptung der inneren Persona-Struk-
tur über das leitende Ziel der Schadensbegrenzung durch situationskonforme
Anpassung stellt, destruiert sie die dynastische Ordnung des Reichs.
6. Mythische Denkformen
Das zweite Begründungsfeld für die Agonie der Königin ist das geschichts-
metaphysisch-finalistische. Wo immer Sophonisbe bei Lohenstein agiert, er-
weist sie sich als Repräsentantin eines – aus der Geschichtsperspektive des
Dramas – überlebten kulturellen Denkkreises. Dieser Befund führt zurück
zur mythischen Dimension, die ihr Sprechen und Handeln kennzeich-
net. Geisterbeschwörungen, Totengespräche, Kulthandlungen und magische
Praktiken bilden zentrale Elemente in der vom Ritus bestimmten Welt der
Numider. Die Dominanz mythischer Denkformen zeigt sich daran, daß so-
92 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, Leiden 1604 (zuerst 1589; deut-
sche Ausgabe von Melchior Haganaeus, Amberg 1599: „Von Unterweisung zum Welt-
lichen Regiment“), bes. lib.I, cap.VII (S. 66 f.). Vgl. Ders., Von der Bestendigkeit (De con-
Copyright @ 2004. De Gruyter.
stantia). Faksimile-Neudruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der
zweiten Auflage von c. 1601 mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599, hg.
v. Leonard Forster, Stuttgart 1965, bes. S. 51 ff.
93 Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, lib.I, cap.VII, S. 66 ff., lib.II,
cap.XV, S. 127. Vgl. Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647),
S. 18 (Nr.29). Grundlegend dazu Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei
Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hg. u. eingel. v.
Nicolette Mout, Göttingen 1989; ferner die Überlegungen bei Wolfgang Weber, Prudentia
gubernatoria, S. 104 ff.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
120 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
wohl die erotische Aura, die Sophonisbe ausstrahlt, als auch die Souveräni-
tät ihrer herrscherlichen Tatkraft von den Untertanen auf übersinnliche
Mächte zurückgeführt wird. Symptomatisch scheint, daß selbst ihr Ehe-
mann Syphax sie als Hexe apostrophiert, die ihn mit den Mitteln der Zau-
berei gefesselt habe.94
Die Heldin entstammt einer paganen Welt, in der nicht das planende
prudentistische Kalkül, sondern die Tauschlogik der Opferrituale regiert.
Charakteristisch bleibt hier Sophonisbes Bereitschaft, einen ihrer Söhne zu
töten, um die Götter zur Verteidigung des numidischen Reichs zu bewegen:
„Errette Kabar uns / du Schutzstern dieser Stadt! | Baaltis höre mich / weil
man dir allzeit hat | Hochedles Menschen-Blutt und Kinder-Fleisch geweh-
ret: | Daß es dein glüend Bild verbrennt hat und verzehret.“95 Baaltis, die
Adressatin des hier angekündigten Opfers, ist nach syrisch-phönizischem
Brauch die Ehefrau des Saturn und damit die ranghöchste Göttin. Wenn So-
phonisbe Baaltis durch ‚Kinder-Fleisch‘ milde zu stimmen sucht, so ent-
spricht das einer rituellen Tradition, die bis in die Zeit der Punischen Kriege
fortdauerte. Im karthagischen Reich waren an Kindern vollzogene Men-
schenopfer insbesondere in Kriegszeiten zum Zweck der Bannung äußerer
Gefahren mit Hilfe der Götter üblich. Lohenstein verweist im Anmerkungs-
apparat zum besseren Verständnis der Gebetsszene auf den Geschichtsschrei-
ber Diodorus Siculus, dessen Bibliothecae historicae libri XV (1. Jh. v. Chr.) er
in der Buchausgabe von 1559 benutzte, und auf Athanasius Kirchers Oedipus
Aegyptiacus (1652–54), der ausführlich über die Kindstötungen im Rahmen
des Baaltis-Kultes berichtet. „Von diesen grausamen Menschen-Opfern“,
heißt es, „sind alle Bücher voll.“96
Während Sophonisbe das mythische Denken der archaischen Kultur
Nordafrikas repräsentiert, steht der Feldherr Scipio – Seneca nennt ihn eine
‚gefeierte Gestalt‘97 – für das Vernunftkalkül neuzeitlicher Zivilisation. Rom
bildet bei Lohenstein das Modell einer weitgehend säkularisierten Welt, die
sich von den Ritualen und Opferbräuchen des Altertums gelöst hat, indem
sie an den Platz religiöser Praktiken einen nüchternen Funktionalismus tre-
ten ließ, der den Glauben zum subordinierten Element des sozialen Systems
degradierte. Aus historischer Sicht ist freilich anzumerken, daß sich solche
Copyright @ 2004. De Gruyter.
94 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 317 (IV, v.140).
95 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 271 (I, v.381 ff.).
96 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 359. Zum histo-
rischen Hintergrund Walter Burkert, Kulte des Altertums, S. 71.
97 L. Annaeus Seneca, De tranquillitate animi/Über die Ausgeglichenheit der Seele, 17,4
(S. 74): „Scipio triumphale illud ac militare“.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Mythische Denkformen 121
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
122 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
104 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Drei Teile, Darmstadt 1964 (Nach-
druck der zweiten Auflage von 1953–54, zuerst 1923–1929), Bd.I, S. 18 ff.
105 Daniel Casper von Lohenstein, Sophonisbe, Afrikanische Trauerspiele, S. 340 (V, v.247ff.).
Copyright @ 2004. De Gruyter.
Die Verse beziehen sich auf einen wenig verbreiteten kleinasischen Mythos, nach dem an
heiligen Ölbäumen in Gades (Südspanien) Smaragde wuchsen. Im Tempel Pygmaleons
sollen sich die Gebeine des tyrischen (phönizischen) Herkules befunden haben (vgl. auch
Lohensteins Anmerkung, S. 406). In beiden Fällen handelt es sich um Überlieferungen, de-
ren religiösen Gehalt die römischen Eroberer nicht achteten, weil sie in ihrem kulturellen
Denkkreis keine Rolle spielten.
106 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. II, S. 89. Den pragmatischen
Grundzug des mythischen Denkens betont Cassirer auch später mit großem Nachdruck
(E.C., Vom Mythus des Staates, S. 34 ff.).
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Mythische Denkformen 123
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
124 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
110 Zum komplexen Verhältnis von Ritual und Fiktion, die einander wechselseitig ergänzen,
kontrollieren und einschränken können, vgl. am Beispiel der Passionsspiele des Spätmit-
telalters Jan-Dirk Müller, Kulturwissenschaft historisch. Zum Verhältnis von Ritual und
Theater im späten Mittelalter, in: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen
Kulturtechnik und Ethnographie, hg. v. Gerhard Neumann u. Sigrid Weigel, München
2000, S. 53–77.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Mythische Denkformen 125
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
111 In diesem Sinne formuliert der Geist der Dido: „Kurtz: Africa / Carthago sind verstorben.
| Auf / Sophonisb’! am besten ists gestorben.“ (Daniel Casper von Lohenstein, Afrikani-
sche Trauerspiele, S. 338 [V, v.187 f.]).
112 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesammelte Schriften, Bd.I,
S. 285. Zum Einfluß der Opferlehre Rangs: W.B., Gesammelte Schriften, Bd.I, S. 891.
113 Walter Burkert, Wilder Ursprung, S. 30, vgl. S. 26.
114 Vgl. zum Geschichtsbild Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Gesam-
melte Schriften, Bd.I, S. 245 ff.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
126 Die Königin im Krieg (Lohenstein)
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
Haupt- und Staatsaktionen, das Trauerspiel handele idealiter „von der Koe-
nige / Fuersten und Herren Verzweifflung / Mordthaten / Verfolgung /
Meineid / Betrug (…)“115 Johann Rist bemerkt 1666: „Wer Tragoedien schrei-
ben will / muß in Historien oder Geschicht=Buechern so wol der Alten /
als Neuen / treflich beschlagen / er muß die Welt- und Staats-Händel / als
worin die eigentliche Politica bestehet / gründlich wissen / nicht aber allein
wissen / sondern auch verstehen (…)“116 Daß sich im Trauerspiel Idee und
Konstruktion der Geschichte modellhaft abbilden können, wie es bereits
Scaliger bemerkt hatte, bestätigt Lohensteins Text durch den Zusammen-
hang von Opfer und Teleologie. Der Freitod Sophonisbes ist aus der Per-
spektive des Dramas keine religiöse Handlung, die auf die Endlichkeit der
menschlichen Existenz verweist, sondern eine Station auf der Bahn der dy-
namisch ablaufenden historischen Ereignisfolge. Das Sterben der Königin
stellt ein dramaturgisches Element der translatio imperii dar, nämlich das Zu-
rücktreten des Alten, das der Dynamik des Neuen weicht. Hinter „brande,
blutschanden, kriege und auffruhr“ als den – im Sinn von Opitz – zentralen
Gegenständen des Trauerspiels offenbart sich so eine vernunftkonforme
Vorsicht, die den Schritt der Geschichte lenkt.117 Der Preis freilich, den
Lohensteins Providenz für ihre teleologische Begradigung der Weltverhält-
nisse einfordert, ist die Vernichtung dessen, was sich gegen das innere Gesetz
der historischen Dynamik stellt: die Subordination des Mythos unter die
prudentia.
In Sophonisbes Selbstopfer bekundet sich am Ende aber auch die emo-
tionale Dimension der mythischen Denkform, wie sie Cassirer beschrieben
hat. Die Königin stirbt in der Haltung des Stolzes, erhitzt durch das Feuer
ihrer Überzeugungen, getragen vom düsteren Pathos der Todesfeier. An den
Platz des tragischen Sinns des Opfers tritt folgerichtig die Sprache der Af-
fekte, die Lohensteins Drama von Beginn an wie ein unaufhörlicher Wasser-
strom durchrauscht. Über einen poetischen Umweg dringt so die mythische
Denkform in Gestalt der zyklischen Repetition wieder in den Theatertext
115 Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter. Zweyter Theil, S. 80. Vgl. dazu die Defini-
tion bei Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, lib.III, cap.xcvii, S. 144 f., ferner Mar-
Copyright @ 2004. De Gruyter.
tin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm
Braune neu hg. v. Richard Alewyn, Tübingen 1963, S. 20.
116 Johann Rist, Die AllerEdelste Belustigung Kunst= vnd Tugendliebender Gemüther / Ver-
mittelst eines anmuethigen vnd erbaulichen Gespräches (…), Sämtliche Werke, Bd.V,
S. 378.
117 Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624), S. 20. Nahezu wörtliche Über-
nahme des bei Scaliger (Poetices, lib.III, cap.xcvii, S. 144) anzutreffenden Passus über die
zentralen Themen des Trauerspiels, den Harsdörffer (Poetischer Trichter. Zweyter Theil,
S. 80) 1648 nochmals adaptiert.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost
Mythische Denkformen 127
All rights reserved. May not be reproduced in any form without permission from the publisher, except fair uses permitted under U.S. or applicable copyright law.
ein. Ihr zentrales Medium sind die Allegorien der Zwischenspiele, an denen
das Spektrum der Emotionen zwischen Zwietracht, Neid, Haß, Narrheit,
Einbildung und Verzweiflung ausgeleuchtet wird.118 Die Personifizierungen
der Reyen stiften das literarische Gedächtnis für eine Königin der Leiden-
schaften, die durch die Kräfte der Politik zerrieben wird.119 Sie bilden das
Relais der rituellen Wiederholung und markieren damit den Gegenpol zur
historischen Teleologie: die Ordnung einer melancholischen memoria, die
durch die Magie der allegorischen Choreographie das, was die Geschichte
längst ausgeschieden hat, bewahren hilft.
Copyright @ 2004. De Gruyter.
118 Insbesondere die Reyen nach der ersten und dritten Abhandlung bieten eine dichte Phä-
nomenologie der Leidenschaften, die in kunstvoller Spiegelung auf den Affekthaushalt der
Protagonistin verweisen.
119 Vgl. Wilfried Barner, Disponible Festlichkeit. Zu Lohensteins Sophonisbe, in: Das Fest,
hg. v. Walter Haug u. Rainer Warning, München 1989 (= Poetik und Hermeneutik XIV),
S. 247–275, S. 263 f.
EBSCO : eBook Collection (EBSCOhost) - printed on 7/12/2019 5:29 PM via UNIVERSITAET TUEBINGEN
AN: 209804 ; Alt, Peter-Andre.; Der Tod der Königin : Frauenopfer und politische Souveränität im
Trauerspiel des 17. Jahrhunderts
Account: s9512272.main.ehost