Sie sind auf Seite 1von 2

GK Psychologie Datum:

2. Semester
Humanistische Psychologie
Fr. Schäfer Name:

Das humanistische Modell


Die Humanistische Psychologie untersucht Verhalten nicht, indem sie es auf
Komponenten, Elemente und Subprozesse 1 reduziert, sondern indem sie versucht,
Muster in den Lebensgeschichten von Menschen zu sehen, die in sinnhaften
Alltagsumwelten handeln. [...] Im scharfen Gegensatz zu den Behavioristen
5 konzentriert sich die Humanistische Psychologie auf die phänomenale (vom Subjekt
erlebte) Welt, nicht auf die objektive Welt, wie sie von externen Beobachtern und
Forschern gesehen wird. Darin gleicht sie dem kognitiven Modell; sie unterscheidet
sich von ihm jedoch dadurch, dass es ihr nicht um die detaillierte Zerlegung innerer
Prozesse in Schritte der Informationsverarbeitung und deren Anbindung an
10 beobachtbare Verhaltensaspekte geht, sondern um die Art und Weise, wie innere
Prozesse zu neuen Einsichten und Wertorientierungen führen.
Das humanistische Modell beruht weniger auf systematischer, an einem
Objektivitätsideal ausgerichteter Forschung und wurde nicht vorrangig als
allgemeine Theorie zur Erklärung menschlichen Verhaltens entwickelt. Es ist eher
15 ein Ansatz, der normalen Menschen dazu verhelfen soll, ein reicheres und
befriedigenderes Leben zu führen. Genau dieses Ziel stand hinter der Gründung
von Selbsterfahrungsgruppen (encounter groups) und anderen Formen der
Selbsterfahrung, die seit den 60er Jahren weite Verbreitung gefunden haben.
Drei Persönlichkeiten, die das humanistische Modell mitgeprägt haben, waren Carl
20 Rogers, Charlotte Bühler und Abraham Maslow.
▪ Carl Rogers stellte das natürliche Streben des Individuums nach seelischem
Wachstum und nach psychischer Gesundheit und die Bedeutung eines
positiven Selbstkonzepts für den Prozess des Wachsens in den Vordergrund.
▪ Charlotte Bühler betrachtete das menschliche Leben als lebenslangen Prozess
25 zur Erlangung persönlicher Zufriedenheit, nach Anpassung zwecks Erlangung
von Sicherheit, nach Kreativität oder Selbstentfaltung und nach Ordnung.
▪ Abraham Maslow postuliert 2 das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung
als grundlegendes Motiv des Menschen.
Der humanistische Ansatz erweitert die Psychologie über die eng gezogenen
30 Fachgrenzen hinaus um wertvolle Ideen und Konzepte aus der Literatur, der
Geschichte und der Kunst. Auf diese Weise entsteht eine Psychologie, die den
Menschen umfassender sieht und in der sich empirische (messbare) und
nichtempirische (imaginative 3 ) Ansätze die Waage halten. Vielleicht ist diese
Verbindung tatsächlich eine gelungene Kombination der divergierenden 4
35 Bereiche der Naturwissenschaften, der Sozialwissenschaften und der
Kulturgeschichte.

Im humanistischen Modell wird angenommen, dass Menschen weder durch starke


biologisch determinierte 5 Trieb- oder Instinktkräfte getrieben noch durch
allgegenwärtige Umweltdeterminanten manipuliert werden. Sie sind aktive Wesen,
von Natur aus gut und fähig, ihren eigenen Weg zu wählen. Sie streben nach dem
Guten und nach der Verwirklichung ihrer Möglichkeiten, suchen nach Veränderungen,
planen ihr Leben und geben ihm eine Struktur, um eine optimale Selbstverwirklichung
zu erreichen.

1
Subprozess = untergeordneter Prozess
2
postulieren = fordern
3
imaginativ = vorgestellt
4
divergieren = sich voneinander unterscheiden
5
determinieren = festlegen, begrenzen
GK Psychologie Datum:
2. Semester
Humanistische Psychologie
Fr. Schäfer Name:

Vier Thesen des humanistisch geprägten Menschenbildes (nach Bühler):

(1) Der Mensch steht im Mittelpunkt. Das Erleben hat dabei Priorität 6 über
40 theoretische Erklärungen und sichtbares Verhalten.
(2) Der Mensch wird aufgrund seiner spezifischen menschlichen Eigenschaften
gesehen, wie z. B. Kreativität, Selbstverwirklichung, das Setzen von Werten und
das Treffen von Auswahlen. Dieses Menschenbild steht im Gegensatz zu einer
mechanistischen und reduktionistischen7 Auffassung.
45 (3) Fragestellungen und Forschungsmethoden werden nicht nach dem Kriterium
der Objektivität, sondern nach dem der Sinnhaftigkeit ausgewählt.
(4) Wert und Würde des Menschen gilt es aufrechtzuerhalten. Die Fähigkeiten und
Kräfte des Menschen, sich selbst zu entdecken und die Beziehung zu anderen
Menschen und sozialen Gruppen zu entwickeln, haben zentralen Stellenwert.

Quelle: gekürzt aus Zimbardo: Psychologie. Springer. Heidelberg 1995

AUFGABEN:

(1) Erklären Sie das humanistische Modell, indem Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den
Ihnen bekannten Paradigmen herausarbeiten.
(2) Geben Sie mit eigenen Worten wieder, wie sich das humanistische Menschenbild definiert.

6
Priorität = Vorrang
7
reduktionistisch = isolierte Betrachtung von Einzelelementen, ohne sie in ihrer Gesamtheit zu
sehen

Das könnte Ihnen auch gefallen