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5. Archäologie des Wissens um konstititive Begriffe wie ›Diskurs‹, ›Aussage‹


und ›Archiv‹ kreist (s. Kap. IV.1, IV.8, IV.4 u.
IV.2), zum anderen geht es um die kritische Ab-
grenzung gegenüber der ›Ideengeschichte‹, deren
Entstehung
traditionelle geisteswissenschaftliche Verfahrens-
Nach Abschluss der bald international rezipier- weise Foucault überwinden will.
ten Ordnung der Dinge (vgl. Eribon 1993, 241– Welche Fragestellung verbirgt sich hinter dem
265) hat Foucault den Versuch unternommen, zu Titel Archäologie des Wissens? ›Wissen‹ (savoir)
einer Präzisierung des eigenen theoretischen grenzt Foucault gegen ›Erkenntnis‹ (connais-
Standortes zu gelangen. In den Aufsätzen »Ant- sance) ab. Anders als diese ist es nicht auf die Be-
wort auf eine Frage« (DE I, 859–886) und »Über ziehung zwischen Erkenntnissubjekt und Er-
die Archäologie der Wissenschaften. Antwort auf kenntnisobjekt reduzierbar, sondern es besteht
den Cercle d’épistemologie« (DE I, 887–931), die aus der Gesamtheit der Elemente, die eine ›dis-
1968 erschienen sind, kommt er dem Wunsch kursive Praxis‹ ausmachen. Diese kann auf keine
seiner Leserschaft nach, »über seine Theorie und äußere Ursache, sei es ›theoretischer‹ oder ›prak-
die Implikationen seiner Methode kritische An- tischer‹ Art zurückgeführt werden, sondern
merkungen zu machen, die deren Möglichkeit nimmt, indem sie selbst die Existenzbedingung
begründen« (DE I, 887). Über die sich über einen für Kenntnisse, Praktiken und Ideologien ist,
längeren Zeitraum erstreckende Genese der Ar- beide Pole in sich auf (vgl. AW 258–265).
chäologie des Wissens berichtet Daniel Defert. Die Metapher ›Archäologie‹ steht nicht, wie
Deren mehr als 600 Seiten lange Urfassung, die die Bedeutung des altgriechischen archéé nahezu-
sich heute in der Bibliothèque Nationale-Riche- legen scheint, für die Suche nach einem »Ur-
lieu in Paris befindet, habe Foucault durchgängig sprung« (vgl. DE I, 902), sondern für das Freile-
in der ersten Person verfasst und zwar bereits zu gen eines »immense[n] Gebiet[s]«, das Foucault
einem Zeitpunkt, als die im April 1966 bei Galli- als »Gesamtheit aller effektiven Aussagen (énon-
mard erschienene »Ordnung der Dinge in Druck cés)« (AW, 41) definiert. In einem 1967 mit Paolo
ging« (Defert 2003, 357). Die 1969 im gleichen Caruso geführten Gespräch, das 1969 in erwei-
Verlag publizierte endgültige Fassung der Ar- terter Form wieder veröffentlicht wurde, benutzt
chäologie des Wissens ist in der französischen Ori- er verschiedene andere Metaphern zur Veran-
ginalausgabe auf weniger als die Hälfte des ur- schaulichung der archäologischen Tätigkeit. Die
sprünglichen Umfangs (275 Seiten) geschrumpft. Rede ist von einer »Ethnologie der Kultur, der wir
Passagen der Einleitung und der Schluss des Bu- selbst angehören«, einer »Diagnose der Gegen-
ches haben die Form eines fiktiven Interviews, in wart«, einer »Ausgrabungsarbeit unter unseren
dem Foucault einem imaginären Kritiker antwor- eigenen Füßen« (DE I, 776). Es gehe um die Frei-
tet. Sie erinnern somit an den »autobiographi- legung kultureller Tatsachen, die als »Bedingun-
schen Stil« (Schneider 2004, 82) der Erstfassung. gen unserer Rationalität« (DE I, 776) unser heuti-
ges Denken und unsere heutige Sprache prägen.
Somit gehe es auch um die Infragestellung unse-
Fragestellung
res Denkens und unserer Sprache.
Innerhalb des Foucault’schen Œuvres nimmt die Sein methodisches Vorgehen in der Archäolo-
1969 erschienene Archäologie des Wissens eine gie des Wissens beschreibt Foucault als Bewegung
Sonderstellung ein. Sie ist als einziges seiner grö- »in konzentrischen Kreisen« (AW, 166). Im Zen-
ßeren Bücher keine historische Abhandlung, son- trum stehe das Problem der »Singularität der
dern der Versuch einer umfassenden methodolo- Aussage«, an der Peripherie handele es sich da-
gischen Standortbestimmung in Hinblick auf rum, »diskursive Formationen« zu individuali-
seine früheren Arbeiten. In ihrem Zentrum steht sieren und das System ihrer Formation zu be-
zum einen die systematische Entwicklung der als stimmen (vgl. AW, 166). Das von ihm entwickelte
›Archäologie‹ bezeichneten eigenen Methode, die Verfahren bezeichnet er als »Diagnostik« (AW,

C. Kammler et. al. (Hrsg.), Foucault-Handbuch


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52 II. Werke und Werkgruppen

293) und hebt indirekt deren heuristischen Cha- im Nachhinein als »nicht sehr glücklich« (AW,
rakter hervor, wenn er im Anschluss an das Kapi- 82), da sie die Vorstellung einer Synthese der In-
tel über die Aussagenanalyse schreibt, es gehe stanzen des ärztlichen Wissens suggeriert habe.
jetzt darum, die »deskriptive Wirksamkeit der An der Ordnung der Dinge moniert er das »Feh-
Begriffe zu messen«, in Erfahrung zu bringen, len einer methodologischen Abgrenzung« (AW,
»ob die Maschine läuft und was sie produzieren 29), das den Eindruck habe erwecken können, es
kann« (AW, 194). handle sich bei einigen hier verwandten Begrif-
fen um »Termini kultureller Totalität« (AW, 29).
Dies gilt vor allem für die ›Episteme‹, von der er
Verhältnis zu den früheren Büchern
nun betont, dass es sich bei ihr nicht um ein ge-
Foucaults
schlossenes System handelt, »dem alle Erkennt-
In der Forschung ist der Stellenwert der Archäo- nisse einer Epoche gehorchen«, sondern um ein
logie des Wissens umstritten. Gilt sie den einen als »unbegrenztes Feld von Beziehungen« zwischen
»Discours de la méthode« Foucaults (Sarasin ›diskursiven Praktiken‹ (vgl. AW, 272 f.; s. Kap.
2005, 103) und auch nach der Entwicklung der IV.11). Wiederholt wird in der Forschung aller-
Machttheorie der 1970er Jahre nicht überholt dings darauf hingewiesen, dass Foucaults
(vgl. Davidson 2003, 192; Gehring 2004, 10 f.), so Selbstinterpretationen meist strategischer Natur
meinen andere, ihr »Scheitern« (Dreyfus/Rabi- und dem Interesse geschuldet sind, seine frühe-
now 1987, 105) konstatieren zu müssen oder ig- ren Arbeiten im Licht eines gegenwärtigen Pro-
norieren sie beim Versuch einer Gesamtdarstel- jekts erscheinen zu lassen (vgl. Kammler 1986,
lung des Foucault’schen Denkens sogar weitge- 73 f.; Davidson 2003, 192; Schneider 2004, 23).
hend (vgl. Visker 1991). Festgehalten werden Was das Verhältnis der Archäologie des Wissens
kann, dass dieses Buch nicht einfach als Bestands- zu Foucaults späteren Arbeiten anbetrifft, so
aufnahme der in den früheren größeren Arbeiten kann festgehalten werden, dass er dort sein be-
Foucaults (Wahnsinn und Gesellschaft, Die Ge- grifflich-methodisches Instrumentarium bereits
burt der Klinik und Die Ordnung der Dinge) prak- verändert hat (vgl. Kammler 1986, 122 f.; Brieler
tizierten Methoden oder als »Systematisierung 1998, 194 f.). Allerdings wäre es verfehlt, deshalb
seiner bisherigen Arbeiten aus der methodischen anzunehmen, er habe dabei sein gesamtes ar-
Perspektive« (Ruoff 2007, 35) angesehen werden chäologisches Projekt aufgrund der methodolo-
kann (vgl. Kammler 1986, 84 ff.; Fink-Eitel 1989, gischen Schwierigkeiten, in die er sich dort ver-
55; Unterthurner 2007, 106). Foucault selbst be- strickt hat, vollständig aufgegeben (vgl. Davidson
zeichnet es als Resultat einer »theoretische[n] 2003, 192).
Anstrengung« (AW, 33), bei der es um die selbst-
kritische Aufarbeitung der Verfahrensweisen
Theoretische Kontexte
gehe, die in seinen bisherigen historischen Unter-
suchungen zur Anwendung gekommen seien. An Fragt man nach ›Einflüssen‹, denen Foucault zu-
diesen nehme die Archäologie des Wissens aller- mindest einen Teil des in der Archäologie des Wis-
dings »etliche Korrekturen und innere Kritiken« sens entwickelten analytischen Instrumentariums
vor (vgl. AW, 29), da sie »zu einem Teil blinde verdankt, so ist auch hier daran zu erinnern, dass
Versuche gewesen« seien (AW, 28). Revidiert er selbst »notorisch seine Spuren und Referenzen
werden der Begriff einer globalen »Erfahrung« verwischt« hat (Sarasin 2005, 100). Gleichzeitig
des Wahnsinns, der in Wahnsinn und Gesellschaft grenzt er sich allerdings immer wieder gegen be-
der Vorstellung eines »anonymen und allgemei- stimmte theoretische Positionen ab. Auffällig ist
nen Subjekts der Geschichte« Vorschub geleistet vor allem der massive Versuch, sich gegen das
habe sowie gelegentliche Anleihen bei der struk- Etikett des ›Strukturalismus‹ abzusetzen. Gehe es
turalistischen Terminologie in der Geburt der Kli- diesem »um die Entdeckung der Konstruktions-
nik (vgl. AW, 29). Auch die dort verwendete Kate- gesetze oder der Formen, die von allen Sprechern
gorie des »ärztlichen Blicks« empfindet Foucault auf die gleiche Weise angewandt würden«, so
5. Archäologie des Wissens 53

frage die Archäologie, welche unterschiedlichen gestellung. Dennoch grenzt sich die Archäologie
Positionen und Funktionen »das Subjekt in der auch entscheidend von ihr ab, wenn sie an die
Verschiedenheit der Diskurse einnehmen Stelle der Anordnung »Bewusstsein/Erkenntnis/
konnte« (AW, 285). Wissenschaft« die Reihe »diskursive Praxis/Wis-
Über derartige Abgrenzungsmanöver hinaus sen/Wissenschaft« setzt (vgl. AW, 260). Wissen-
lassen sich eine Reihe von Referenzen zu anderen schaftlichkeit soll im Rahmen der archäologi-
Autoren und theoretischen Richtungen benen- schen Wissensanalyse als Effekt analysierbar sein,
nen. Überzeugend erscheint der Hinweis auf eine ohne dort jedoch »als Norm« zu fungieren (vgl.
Nähe Foucaults zum Diskursbegriff des französi- AW, 271). Auch wenn Foucault sich mit der fran-
schen Linguisten Emile Benveniste, der als zösischen Historikerschule der »Annales« weder
Diskurs »›die in Handlung umgesetzte Sprache‹« in der Archäologie des Wissens noch in anderen
bezeichnet (vgl. Waldenfels 1991, 283 f.). Nicht Schriften grundlegend auseinandergesetzt hat, so
abwegig ist auch der Vergleich zwischen der Aus- teilt er mit dieser offenkundig die Kritik an einem
sagenanalyse und dem in der Geburt der Klinik geschichtsphilosophischen Hegelianismus, »der
beschriebenen anatomischen Verfahren Xavier in der historischen Analyse auf Kontinuität, Not-
Bichats, das »die Gewebe nach funktionalen Ähn- wendigkeit, Totalität und Teleologie setzt« (Brie-
lichkeiten isoliert und ihre Ordnung untersucht« ler 1998, 229). Interessant ist auch der Hinweis
(Sarasin 2005, 68). Daraus allerdings den Schluss auf den deutschen Philosophen Ernst Cassirer
zu ziehen, Bichat sei »der wirkliche Pate – um (vgl. Sarasin 2005, 101 f.), den Foucault in einem
nicht zu sagen der Vater – von Foucaults Diskurs- 1966 veröffentlichten kurzen Aufsatz (DE I, 703–
analyse« (ebd.), erscheint übertrieben. Zu vielfäl- 708) als eine Art idealistischen Vorläufer seiner
tig ist die Zahl derartiger ›Patenschaften‹: Von eigenen Diskursanalyse darstellt, wenn er
Kant übernimmt Foucault vermutlich die Meta- schreibt, dieser bemühe sich, im »autonomen
pher ›Archäologie‹ (vgl. Schneider 2004, 84 f.), Universum des Diskurses und des Denkens die
vor allem aber die Frage nach den Voraussetzun- inneren Notwendigkeiten aufzuspüren«, räume
gen der Möglichkeit unseres Denkens bzw. Wis- dabei aber immer noch der Philosophie Priorität
sens (vgl. Hemminger 2004), die er mit der Rede ein, was »fatal an die herkömmliche Ideenge-
vom ›historischen Apriori‹ anders als Kant kon- schichte« erinnere (vgl. DE I, 706 f.). Angesichts
sequent historisch wendet. Zwar stammt dieser der Tatsache, dass Foucault auf eine systemati-
Ausdruck von Husserl und auch von ›Archäolo- sche Aufarbeitung seiner eigenen theoretischen
gie‹ ist bei diesem an prominenter Stelle die Rede, Vorgeschichte verzichtet (vgl. Schneider 2004,
doch zielt beides auf »transzendentale Subjektivi- 92) und den Diskursbegriff in den Jahren zwi-
tät und ihre reine Selbstgegenwart« ab (Unter- schen 1966 bis zum Erscheinen der Archäologie
thurner 2007, 31; vgl. DE II, 200–202; zu Fou- des Wissens erst theoretisch profiliert, sind solche
caults Verhältnis zur Phänomenologie vgl. auch punktuellen Bezugnahmen allerdings nicht über-
Waldenfels 1983). Gerade »jeden Bezug auf das zubewerten.
Transzendentale« und somit die für Kant wie
Husserl entscheidende Frage nach der »Bedin-
Der Ausgangspunkt:
gung der Möglichkeit jedweder Erkenntnis« will
Kritik an der Ideengeschichte
Foucault jedoch vermeiden (DE II, 466). Von ihm
selbst hervorgehoben wird die Bedeutung der mit Den entscheidenden Unterschied zwischen her-
den Namen Gaston Bachelard und Georges Can- kömmlicher ›Ideengeschichte‹ und Archäologie
guilhem verbundenen französischen Epistemolo- bringt Foucault auf die Formel ›Dokument‹ ver-
gie (vgl. AW, 11 f.; vgl. auch Gutting 1989, 9–54; sus ›Monument‹. Während die Ideengeschichte
Davidson 2003). Mit ihr teilt Foucault die Auffas- ihr Material »als Zeichen für etwas anderes« (AW,
sung von der Diskontinuität und Produktivität 198) behandelt, es auf seine verborgene Bedeu-
historischer Wissensformation und die Kritik an tung, seinen Wahrheits- und Ausdruckswert hin
der traditionellen erkenntnistheoretischen Fra- interpretiert, um es schließlich der Kontinuität
54 II. Werke und Werkgruppen

eines »tausendjährigen und kollektiven Gedächt- bringen soll. Foucaults Invektiven sind dezidiert
nisses« (AW, 15) einzuverleiben, wendet sich die antihermeneutisch: »Der manifeste Diskurs wäre
Archäologie gegen ein derartiges »›allegori- [gemäß dieser Auffassung] nur die repressive
sch[es]‹« (AW, 198) Verfahren. Sie betreibt keine Präsenz dessen, was er nicht sagt; und dieses
Interpretation, sucht unter der Oberfläche des Nichtgesagte wäre eine Höhlung, die von innen
manifesten keinen latenten Diskurs, sondern be- alles Gesprochene unterminiert« (AW, 39). Durch
schränkt sich auf dessen »immanent[e] Beschrei- die Kritik an diesen ›Einheiten des Diskurses‹ soll
bung« (AW, 15). Das bedeutet, dass sie »Doku- ein »immenses Gebiet« befreit werden, das Fou-
mente in Monumente transformiert« (AW, 15), cault als »die Gesamtheit aller effektiven Aussa-
indem sie die Gesamtheit der diskursiven und gen« bezeichnet (vgl. AW, 41). ›Diskurs‹ und
materiellen Bedingungen rekonstruiert, die ihr ›Aussage‹ stehen als »Komplementärbegriff[e]«
historisches Umfeld ausmachen. Mit dieser Kri- (Kögler 2004, 39) für Foucaults methodisches
tik am Interpretationsbegriff grenzt sich Foucault Gegenkonzept.
gegen alle »hegelianisierenden Kontinuitätsun-
terstellungen einer veritablen Geschichte des
Der Diskurs und die diskursiven Formationen
›Geistes‹« (Schneider 2004, 96) ab. So ist Fou-
caults Ansatz beispielsweise unvereinbar mit Der Diskursbegriff, dessen »wilde« Verwendung
Hans-Georg Gadamers Theorie der ›Horizont- (AW, 48) und »schwimmende Bedeutung« (AW,
verschmelzung‹, deren Grundlage die Vorstel- 116) in seinen früheren Schriften Foucault selbst
lung von einem alles umfassenden und vermit- einräumt, wird erst in der Archäologie des Wis-
telnden Traditionszusammenhang ist, in den das sens zu einem Schlüsselbegriff seiner Arbeit. Er
verstehende Subjekt ebenso eingebunden ist wie gebraucht ihn hier in einem dreifachen Sinn: zu-
der Gegenstand des Verstehens (vgl. Sarasin 2005, nächst als »allgemeines Gebiet« aller Aussagen,
104 f.; zu einem ausführlichen Vergleich der Ver- zweitens als »individualisierbare Gruppe von
stehenskonzepte Foucaults und Gadamers vgl. Aussagen« und drittens als »regulierte Praxis«,
Vasilache 2003). die für eine bestimmte Zahl von Aussagen ver-
Über die allgemeine Kritik an den Prämissen antwortlich ist (vgl. AW, 116). Foucault betont,
der Ideengeschichte hinaus leistet Foucault in der dass Diskurse (im Allgemeinen) zwar aus Zei-
Archäologie des Wissens eine weitere »negative chen bestehen, aber dennoch »irreduzibel auf die
Arbeit« (AW, 33): die Kritik an einem Komplex Sprache und das Sprechen« sind (AW, 74), da sie
von Kategorien, deren sie sich bei der Definition die Zeichen »für mehr als nur zur Bezeichnung
ihrer Gegenstände bedient. So haben Begriffe wie der Sachen« benutzen, da sie – als Praktiken –
›Tradition‹, ›Einfluss‹, ›Entwicklung‹ oder ›Geist‹ »systematisch die Gegenstände bilden, von denen
die Funktion, die »Menge verstreuter Ereignisse« sie sprechen« (ebd.). Mit dem Begriff der ›diskur-
(AW, 34) auf problematische Weise zu syntheti- siven Praxis‹ grenzt er seinen Ansatz von allen
sieren, sie auf die organisatorische Souveränität theoretischen Konzepten ab, die den Diskurs »als
eines Ursprungs, einer kontinuierlichen Abfolge, eine Übersetzung« g von Prozessen modellieren,
eines kollektiven Bewusstseins zu beziehen. Ter- die sich »anderswo« abspielen (vgl. AW, 177): sei
mini wie ›Wissenschaft‹, ›Literatur‹ oder ›Politik‹ es in einem sinnstiftenden Bewusstsein, sei es in
müssen als diskursive Ordnungsprinzipien ver- den soziökonomischen Verhältnissen einer Ge-
standen werden, deren Funktion und Bedeutung sellschaft. Definiert wird die diskursive Praxis als
historisch begrenzt ist, und selbst Einheiten wie »eine Gesamtheit von anonymen historischen
›Buch‹ (livre) oder ›Werk‹ (œuvre) und ›Autor‹ Regeln« (AW, 171), die innerhalb eines gegebe-
erweisen sich bei einer genauen Überprüfung als nen Zeitraums der Produktion von Wissen zu-
fragwürdig. Ihrem Gebrauch liegt nach Foucault grunde liegen.
meist ein Verfahren zugrunde, das den manifes- Zentral für die Bestimmung der diskursiven
ten Text auf die Latenz eines geheimen Ursprungs Praxis ist die Unterscheidung zwischen drei Ebe-
im ›Denken‹, im ›Unbewussten‹ usw. ans Licht nen: »[1. dem] System der primären oder wirkli-
5. Archäologie des Wissens 55

chen Beziehungen [d. h. der Ebene der ›Dinge‹ stand benannt und beurteilt (AW, 63). Auf
bzw. des ›Referenten‹], [2. dem] System der se- Grundlage von »Spezifikationsraster[n]« (AW,
kundären oder reflexiven Beziehungen [d. h. be- 64) wird schließlich die Differenzierung der
wussten] Beziehungen und [3. dem] System der Wahnsinnsarten vorgenommen. Diese Funktion
Beziehungen, die man eigentlich diskursiv nennen kam im Falle der Psychopathologie des 19. Jh.s
kann« (AW, 69). Das Geschäft der Archäologie ist Kategorien wie ›Seele‹, ›Körper‹, ›Leben‹ und
es, auf dieser dritten Ebene einzelne Aussage- ›Geschichte der Individuen‹ zu.
gruppierungen (›diskursive Formationen‹) zu be- 2. Unter der »Formation der Äußerungsmoda-
schreiben, die den Bereich des Sagbaren in kon- litäten« versteht Foucault die Bedingungen dafür,
kreten Feldern des Wissens begrenzen. Ihren Zu- dass Aussagen überhaupt formuliert und mitein-
sammenhang beziehen sie wie diese aus vier ander in Beziehung gesetzt werden können. Am
Teilbereichen: Den Formationen der Gegen- Beispiel der Geburt der Klinik, in der es um die
stände, der Äußerungsmodalitäten, der Begriffe Entstehung der modernen klinischen Medizin im
und der Strategien. Welcher Bereich dabei kon- 19. Jh. geht, erläutert er die Vorgehensweise bei
stitutiv ist, hängt vom jeweiligen Diskurs ab. Bei der Analyse dieser Formationsebene. Zunächst
der Untersuchung des Wahnsinns ist es z. B. das ist die Frage nach der Subjektposition zu stellen,
»Spiel der Regeln«, das in einer bestimmten Epo- die für die jeweilige diskursive Formation konsti-
che das »Erscheinen der Objekte« möglich macht tutiv ist: »Wer spricht?« (AW, 75). Im genannten
(AW, 50), bei der Medizin ist es das System der Beispiel ist es die Frage nach der Position des
Äußerungsmodalitäten, das die Position des Arz- ärztlichen Subjekts, seinem sozialen, ökonomi-
tes als eines »betrachtenden Subjekts« bestimmt schen, juristischen, akademischen, pädagogi-
(vgl. AW, 52). Was die möglichen Gegenstands- schen, politischen Status. Als zweite Frage kommt
bereiche betrifft, die mit ihrer Hilfe untersucht diejenige nach der Stellung dieses Subjekts in Be-
werden können, so ist die Heuristik ebenfalls fle- zug auf die »institutionellen Plätze« hinzu, von
xibel. Die Kritik der zu Beginn der Archäologie denen aus es seine Rede hält: Krankenhaus, Pri-
des Wissens analysierten ›Einheiten des Diskur- vatpraxis, Laboratorium, Bibliothek (vgl. AW,
ses‹ (wie Autor, Werk usw.) führt zur Rekon- 76 f.). Drittens ist nach dem Verhältnis der Sub-
struktion von »Systemen von Streuungen« in ei- jektpositionen zu den Gegenständen zu fragen:
nem »weißen, indifferenten Raum« (AW, 61). Ist es fragendes, horchendes, betrachtendes, no-
1. Im Abschnitt über die »Formation der Ge- tierendes Subjekt? Welche Positionen nimmt es
genstände« zeigt Foucault, wie die Objekte eines im klinischen Informationsnetz ein (z. B. als be-
Diskurses systematisch formiert werden (vgl. obachtendes, berichtendes, unterrichtendes)?
AW, 81). Allgemein definiert er diese Formation Welche medizinischen Techniken oder Metho-
als »Spiel der Regeln, die während einer gegebe- den, welche Beschreibungs- und Klassifikations-
nen Periode das Erscheinen von Objekten mög- systeme konstituieren sein »Wahrnehmungsfeld«
lich machen« (AW, 50). Foucault unterscheidet (AW, 79)?
am Beispiel der in Wahnsinn und Gesellschaftt un- 3. Auf einer dritten Ebene behandelt Foucault
tersuchten Gegenstandsformation drei Instan- die Begrifflichkeit, die zur Formation eines Dis-
zen, die bei der Analyse zu berücksichtigen sind. kurses beiträgt. Dabei geht es nicht darum, sie
Bei den »ersten Oberflächen ihres Auftauchens« deduktiv anzuordnen, sondern »ein System des
(AW, 62) handelt es sich um Bereiche, in denen Vorkommens zwischen ihnen zu finden, das
der Wahnsinn aufgrund spezifischer Normen keine logische Systematizität ist« (AW, 83). Eine
diskriminiert wird: soziale Gruppe, Familie, Ar- solche Untersuchung soll auf drei Ebenen anset-
beitsmilieu, Glaubensgemeinschaft und seit dem zen: Zunächst geht es darum »Formen der Ab-
19. Jh. Strafsystem und Kunst (vgl. AW, 62 f.). folge« (AW, 83), also Abhängigkeitstypen der
Durch »Instanzen der Abgrenzung« – in diesem Aussagen zu entdecken, die innerhalb einer dis-
Fall Medizin, Strafjustiz, kirchliche Autorität, kursiven Formation ihre serielle Anordnung re-
Kunst- und Literaturkritik – wird er als Gegen- geln und damit auch für jene »rekurrenten Ele-
56 II. Werke und Werkgruppen

mente« (AW, 83), die Foucault ›Begriffe‹ nennt, gien schlägt er drei Analyseebenen vor. Zunächst
Ordnungsschemata festschreiben. Auf einer zwei- gilt es, die »Bruchpunkte« (AW, 96) des Diskurses
ten Ebene der Analyse geht es um »Formen der zu ermitteln, äquivalente, aber gleichzeitig in-
Koexistenz« (AW, 85) zwischen den Aussagen kompatible Elemente, die sich als Alternativen
oder den in ihnen auftauchenden rekurrenten gegenüberstehen. Diese Bruchpunkte charakteri-
Begriffen mit denen anderer Diskurse und drit- siert Foucault auch als »Aufhängungspunkte ei-
tens interessiert sich die Diskursanalyse für »Pro- ner Systematisierung«, weil sich von ihnen ausge-
zeduren der Intervention« (AW, 86), die die Sys- hend kohärente Serien von Gegenständen Begrif-
tematisierung, Abgrenzung und Umgruppierung fen und Äußerungsmodalitäten, also »diskursive
der Aussagen in einem Diskurs gestatten. Als Bei- Teilmengen« bilden können (AW, 96). Auf der
spiele hierfür nennt Foucault unter anderem zweiten Ebene geht es um die »Ökonomie der
Transkriptions- oder Systematisierungsmetho- diskursiven Konstellation« (AW, 97), also um die
den (vgl. AW, 87). Da eine »erschöpfende Be- Frage, in welchem interdiskursivem Verhältnis
standsaufnahme« aller in einem Diskurs vorkom- (z. B. Analogie, Opposition, Komplementarität)
menden Begriffe nicht möglich wäre und es ein Diskurs zu benachbarten Diskursen steht, auf
ebenso wenig um die Rekonstruktion des begriff- der dritten Ebene wird seine Funktion in einem
lichen Aufbaus von Einzeltexten oder -werken »Feld nicht-diskursiver Praktiken« (AW, 99) ana-
gehen kann, muss die Analyse auf einer Ebene lysiert. So kann beispielsweise eine grammatische
ansetzen, die Foucault als »vorbegrifflich« (vgl. Theorie Eingang in die pädagogische Praxis fin-
AW, 89 f.) bezeichnet. Am Beispiel der »vier theo- den, eine ökonomische Theorie eine Rolle in po-
retischen Schemata« (Attribution, Gliederung, litischen Entscheidungen oder sozialen Kämpfen
Bezeichnung und Ableitung), die gemäß den spielen. Ebenso wird auf der dritten Ebene nach
Analysen der Ordnung der Dinge in der Klassik der Aneignung des Diskurses (z. B. durch eine be-
das begriffliche Feld von ›Allgemeiner Gramma- stimmte gesellschaftliche Gruppe) und nach den
tik‹, ›Naturgeschichte‹ und ›Analyse der Reichtü- möglichen Varianten des ›Begehrens‹ gefragt, das
mer‹ beherrschten, zeigt er, dass es dabei nicht sich auf den Diskurs richtet, das er auslöst oder
darum geht, einen »Horizont der Idealität« frei- auch befriedigt.
zulegen, der »aus der Tiefe der Geschichte käme«
(AW, 91 f.), sondern um den »systematischen
Die Aussage
Vergleich von Gebiet zu Gebiet« (AW, 93).
4. Bei der Analyse der »Strategien« geht es um Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die
die Wahl der Themen und Theorien, die in einem Etikettierung der Foucault’schen Methode als Dis-
Diskurs getroffen werden. Strategisch nennt Fou- kursanalyse in der deutschsprachigen Foucault-
cault diese Wahl, weil es sich hier darum handelt Rezeption häufig den Blick darauf verstelle, dass
»Diskursmöglichkeiten anzuwenden« (AW, 102) Foucault selbst von ›Aussagenanalyse‹ gesprochen
oder auszuschließen und damit den betreffenden habe und dass die Aussage die eigentliche »Basis-
Diskurs im Feld gesellschaftlicher Interessen und einheit« seiner Untersuchung sei (vgl. Gehring
Konflikte, aber auch gegenüber anderen Diskur- 2004, 55). Denn eine diskursive Formation lässt
sen zu positionieren. Foucault betont, dass diese sich als konkrete Aussagenmenge bestimmen, die
Ebene der Analyse in seinen früheren Untersu- in einem bestimmten Feld des Wissens in einem
chungen »noch die Gestalt einer Baustelle« (AW, gegebenen Zeitraum aufzufinden ist. Foucault
96) hatte. In Wahnsinn und Gesellschaftt habe die grenzt die Aussage (énoncé) in mehrfacher Hin-
Untersuchung einer komplexen Gegenstandsfor- sicht ab: Erstens unterscheide sie sich von der lo-
mation im Vordergrund gestanden, in Die Geburt gischen Proposition, da ein und dieselbe Proposi-
der Klinik sei es vorrangig um die Äußerungsmo- tion in verschiedenen diskursiven Formationen
dalitäten des ärztlichen Diskurses, in der Ord- auftauchen könne und es »Aussagen ohne legi-
nung der Dinge um begriffliche Formationsregeln time propositionelle Struktur« (AW, 122) gebe.
gegangen. Auch für die Untersuchung der Strate- Ebenso wenig entspreche die Aussage dem Satz,
5. Archäologie des Wissens 57

der nach den grammatischen Regeln einer Spre- mit dem Marcel Prousts berühmter Romanzy-
cherkompetenz generiert wird, da nicht jede Aus- klus Auf der Suche nach der verlorenen Zeitt be-
sage eine syntaktische Struktur aufweise. Drittens ginnt, ebenso als Aussage (vgl. AW, 134) wie die
bestehe sie zwar aus Zeichen, sei aber kein forma- Buchstabenfolge »A,Z,E,R,T«, sofern sie in einem
les Element einer ›langue‹ (vgl. AW, 125). Lehrbuch für die alphabetische Anordnung auf
Die in der Archäologie des Wissens noch vorge- französischen Schreibmaschinentastaturen steht
nommene Abgrenzung vom ›Sprechakt‹ (vgl. AW, (vgl. AW, 125).
120–122) hat Foucault nach einem Briefwechsel Über die Abgrenzung gegen andere sprachli-
mit dem Sprechakttheoretiker John Searle zu- che Einheiten hinaus lassen sich eine Reihe von
rückgenommen (vgl. Dreyfus/Rabinow 1987, positiven Bestimmungen der Aussage festhalten:
71). Bei den Sprechakten handelt es sich um Per- Obwohl sie mit einer bestimmten Materialität
formanzen, d. h. um Sprechhandlungen, die nach ausgestattet ist, die sie in Raum und Zeit identifi-
bestimmten Regeln funktionieren und innerhalb zierbar macht, lässt sie sich nicht auf bloße Mate-
eines bestimmten Kontextes verstanden werden rialität reduzieren. Denn jede Aussage hat einen
können, ohne dass man nach einer tieferen Be- Sinn, allerdings ist dieser nicht das Resultat sub-
deutung suchen muss. Auch die Aussagenanalyse jektiver Sinnstiftung, sondern der bloße Effekt
Foucaults ist durch die konsequente »Abkehr von ihres materiellen und diskursiven Umfeldes, das
der Frage nach Polysemien« gekennzeichnet (Sa- ihr Auftreten als Aussage überhaupt erst ermög-
rasin 2005, 107; vgl. auch AW, 160), da sie sich al- licht. Foucault bestimmt die Aussage als eine
lein auf die Oberflächenebene der Monumente Funktion, und zwar als eine ›Existenzfunktion‹,
konzentriert, die eine diskursive Formation aus- da sie auf die Existenzbedingungen hinweist, un-
machen. Dennoch zielt Foucaults Interesse auf ter denen einer Zeichenfolge in einer gegebenen
etwas anderes ab als das der Sprechakttheorie. diskursiven Formation Sinn überhaupt erst zu-
Nach Dreyfus/Rabinow (dies., 1987, 72 f.; vgl. kommen kann. Von ihr ausgehend kann man
auch Mills 2007, 65 f.) geht es ihm weder um be- »unterscheiden […], ob sie einen ›Sinn ergeben‹
liebige Sprechakte noch darum, wie diese von oder nicht, gemäß welcher Regeln sie aufeinan-
konkreten Hörern in Alltagssituationen verstan- der folgen und nebeneinander stehen, wovon sie
den werden, sondern nur um solche Sprechakte, ein Zeichen sind und welche Art von Akt sich
die innerhalb einer bestimmten diskursiven For- durch ihre (mündliche oder schriftliche) Formu-
mation als ›seriös‹ gelten, also gemäß den Regeln, lierung bewirkt findet« (AW, 126). Aus dieser Be-
nach denen diese Formation funktioniert, »im stimmung ergibt sich die Frage, wovon Aussagen
Wahren« (ODis, 25) sind. Dabei begrenzt Fou- abhängen, welches also die Bedingungen sind,
cault das Gebiet der Aussagen aber keineswegs die ihr Erscheinen in Raum und Zeit möglich
auf – und sei es im Verständnis ihrer Zeit – ›wis- machen. Foucault gibt vier derartige Bedingun-
senschaftliche‹ Sprechakte. Dies hebt Gilles De- gen an, wobei deutlich wird, dass die Theorie der
leuze hervor, wenn er in Bezug auf Foucaults Aussage in gewisser Hinsicht mit derjenigen der
Aussagenanalyse von der Entdeckung eines un- ›diskursiven Formationen‹ korrespondiert (vgl.
bekannten Landes spricht, wo »eine wissenschaft- Kammler 1986, 98):
liche Proposition, ein alltäglicher Satz, ein schi- 1. Die Aussage ist mit einem »Referential«
zophrener Unsinn etc. gleichermaßen als Aussa- (AW, 133) verbunden, das nicht aus »Dingen,
gen nebeneinander stehen« (Deleuze 1977, 80). Fakten, Realitäten oder Wesen« (AW, 133) be-
Dass diese Beobachtung, wenn auch nicht für steht, sondern das Feld definiert, in dem die Ob-
jede einzelne diskursive Formation so doch für jekte einer Aussage auftauchen können. Foucault
die diskursive Praxis im Allgemeinen, zutreffen nennt dieses Referential auch einen »Korrelati-
kann, wird an den Beispielen deutlich, die Fou- onsraum« (AW, 131). Dieser umfasst die »Menge
cault wählt, um den Begriff der Aussage zu ver- von Gebieten« (AW, 132) materieller oder fikti-
anschaulichen. So bezeichnet er etwa den Satz ver, geographisch lokalisierbarer oder symbolisch
»Lange bin ich abends früh schlafen gegangen«, strukturierter Art. So lässt sich dem von Foucault
58 II. Werke und Werkgruppen

als Beispiel angeführten Satz, »Das goldene Ge- phonetischen, graphischen oder sonstigen Form
birge liegt in Kalifornien« (AW, 130), zwar kein formuliert werden kann. Die Aussage hat demge-
Referent zuordnen, doch kann er in einem Fanta- genüber die »paradoxe« (vgl. AW, 153) Eigen-
sy-Roman durchaus ›Sinn machen‹. schaft, »einzigartig wie jedes Ereignis« zu sein,
2. Ebenso wie die Aussage einer bestimmten gleichzeitig aber »der Wiederholung, der Trans-
Menge von Gegenständen Raum gibt, kann die formation und der Reaktivierung« offen zu ste-
Position ihres Subjekts von verschiedenen Indivi- hen (AW, 44; vgl. auch AW, 148). Für diese Wie-
duen eingenommen werden. Das Subjekt der derholbarkeit gelten allerdings Bedingungen.
Aussage ist im Normalfall nicht ihr Autor, son- Diese werden durch ihre Verbindung mit dem in-
dern ein variabler, in unterschiedlichen Aussage- stitutionellen Feld und dem ihm koexistierenden
feldern verschieden »determinierter und leerer Aussagenfeld bestimmt. So kann etwa die institu-
Platz«, den bestimmte Individuen – allerdings tionelle und ökonomische Einheit »Buch« unter
nur unter klar definierten kontextuellen Bedin- bestimmten Voraussetzungen Garant für die
gungen – einnehmen können (vgl. AW, 139). Dies Wiederholung identischer Aussagen sein. Auch
gilt etwa für eine Aussage, die mit den Worten hier bedient sich Foucault eines literarischen Bei-
›Man hat bewiesen, dass, …‹ beginnt und sich in spiels: »[…] in allen Ausgaben der Fleurs du mal
einer mathematischen Abhandlung findet. Han- (wenn man von den Varianten und verbotenen
delt es sich um den Satz des Pythagoras, so sind Texten absieht) findet sich dasselbe Bündel von
die Voraussetzungen für die Einnahme der Sub- Aussagen wieder« (AW, 149). Der Gebrauch an-
jektposition andere, als wenn der Beweis von derer Schrifttypen in einer Neuauflage, das ver-
Gauss oder von einem zeitgenössischen Mathe- änderte Erscheinungsdatum ändert nichts an de-
matiker stammt. Berichtet der Autor dieser Ab- ren Identität. Umgekehrt handelt es sich bei ei-
handlung im Vorwort von den persönlichen Mo- nem Satz wie ›Die Träume erfüllen Wünsche‹ bei
tiven, die ihn zu dieser Arbeit veranlasst haben, Platon und Freud um zwei verschiedene Aussa-
so kann die Subjektposition allerdings nur von gen, weil er dort in jeweils unterschiedlichen
ihm selbst eingenommen werden (vgl. AW, 136). Theoriekontexten steht (vgl. AW, 151).
3. Jede Aussage setzt die Existenz eines Feldes Versucht man ein Resümee aus Foucaults Aus-
voraus, das sie mit Mengen anderer Aussagen ver- führungen zum Begriff der Aussage zu ziehen, so
bindet. Dieses Feld befindet sich auf der gleichen stellt sich zunächst die Frage, ob er tatsächlich in
Ebene wie die Aussage. Als deren »Nebenraum« seinen früheren Arbeiten »unablässig Beispiele«
(AW, 142) bestimmt es sowohl den situativen oder für die Aussagenanalyse geliefert hat, »selbst
sprachlichen »Kontext« wie die »psychologische wenn er im jeweiligen Moment selber nicht
Umgebung« (vgl. AW, 142) einer Formulierung, in wußte, daß es Beispiele waren« (Deleuze 1977,
denen ihr ›Sinn‹ erscheint. Die Diskursanalyse 60; vgl. kritisch: Kammler 1986, 84–87). Auch
zeigt, dass das Aussagefeld diesen Sinn in unter- wenn man sagen kann, dass er in Die Ordnung
schiedlichen Aussagegruppierungen unterschied- der Dinge »sein archäologisches Projekt am reins-
lich determiniert: »[…] je nachdem, ob sie sich in ten verwirklicht« hat (Davidson 2003, 208), so
das Feld der Literatur einschreibt oder ob sie sich hat er selbst dort das Verfahren der Aussagenana-
in einer gleichgültigen Bemerkung auflösen muss, lyse nicht als solches expliziert. Dieses Verfahren
je nachdem, ob sie zu einer Erzählung gehört oder ist einerseits »den traditionellen Geisteswissen-
ob sie einen Beweis bestimmt, wird die Weise der schaften fremd« und ähnelt eher »statistischen,
Präsenz der anderen Aussagen im Bewusstsein des klassifikatorischen oder vergleichenden Metho-
Subjekts nicht dieselbe sein« (AW, 143). den in den Sozial- oder Naturwissenschaften«
4. Die »materielle Existenz« (AW, 154) der (Sarasin 2005, 111), andererseits zieht Foucault
Aussage unterscheidet sich von der räumlich- aber wiederholt literarische Beispiele zur Erläute-
zeitlichen und stofflichen Individualität der »Äu- rung der Aussagefunktion heran. Gleichzeitig
ßerung« (enonciation), die nur von einem Sub- klammert er die Frage nach einer dezidiert lite-
jekt, an einem Ort, zu einem Zeitpunkt, in einer raturwissenschaftlichen Beschreibung, die der
5. Archäologie des Wissens 59

»Eigengesetzlichkeit des literarischen Textes, sei- als der Geordnetheit einer bestimmten Zeit« (Un-
ner internen narrativen oder semantischen Struk- terthurner 2007, 100 f.).
tur« (Wunderlich 2000, 355) Rechnung trägt, Sieht man vom Diskursbegriff ab, so ist das
aber aus. Die Frage der Anwendbarkeit der Fou- ›Archiv‹ die in aktuellen kulturwissenschaftli-
cault’schen Aussagenanalyse auf die Literatur, die chen Debatten vielleicht prominenteste Kategorie
als ›Gegendiskurs‹ zu den modernen Humanwis- der Archäologie des Wissens. Foucault definiert es
senschaften in der Ordnung der Dinge noch eine als »das allgemeine System der Formation und
zentrale Rolle spielte, bleibt somit in der Archäo- Transformation der Aussagen« (AW, 188). An-
logie des Wissens offen (vgl. Kammler 2006). Dies ders als im umgangssprachlichen Gebrauch steht
gilt in ähnlicher Weise für andere Gegenstände es weder für die Institutionen, in denen eine Kul-
der Kulturwissenschaften wie z. B. die modernen tur ihre eigene Geschichte dokumentiert noch
Medien. Immerhin deutet Foucault am Beispiel für die Summe dieser Dokumente. Auch ist es
der bildenden Kunst, die für ihn ebenso ein mög- nicht zu verwechseln mit einem ›Korpus‹ im
liches Objekt der Aussagenanalyse ist wie die »Se- sprachwissenschaftlichen Sinn, d. h. einer ge-
xualität« oder »das politische Wissen« einer Ge- schlossenen Textmenge, die zu bestimmten For-
sellschaft (vgl. AW, 275–278), die Möglichkeit ei- schungszwecken zusammengestellt wird. Im Ge-
ner solchen Analyse an, die sich jeglicher gensatz dazu bezeichnet es auf allgemeine Weise
Interpretation zu enthalten und allein auf die eine Praxis, die »die Diskurse in ihrer vielfachen
Frage nach der diskursiven Praxis zu beschrän- Existenz differenziert und sie in ihrer genauen
ken hätte, welche die Malerei einer Epoche »in Dauer spezifiziert« (AW, 188). Als solche ist es
Theorien und vielleicht Spekulationen, in Unter- durch Offenheit und begrenzte Zugänglichkeit
richtsformen […], aber auch in Verfahren, in charakterisiert: »Das Archiv ist in seiner Totalität
Techniken und fast in der Gebärde des Malers« nicht beschreibbar; und es ist in seiner Aktualität
(AW, 276) greifbar macht. nicht zu umreißen« (AW, 189). Weder ist es mög-
lich, das Archiv einer Kultur oder auch nur einer
Epoche erschöpfend zu analysieren, noch kön-
Das historisches Apriori und das Archiv
nen wir »unser eigenes Archiv […] beschreiben,
Mit dem auf den ersten Blick paradox anmuten- da wir innerhalb seiner Regeln sprechen« (AW,
den Begriff des ›historischen Apriori‹ bezeichnet 188 f.). Dennoch bezeichnet Foucault die Unter-
Foucault »die Gesamtheit der Regeln, die eine suchung des Archivs als »Diagnose« unserer ei-
diskursive Praxis charakterisieren«, wobei diese genen Gegenwart, da sie die »zeitliche Identität
Regeln den Elementen, die sie verbinden, nicht auf[löst], worin wir uns gerne selbst betrachten,
äußerlich sind (AW, 185). Er grenzt das histori- um die Brüche der Geschichte zu bannen«, und
sche Apriori gegen ein formales Apriori Kant’- uns so ermöglicht, festzustellen, »dass wir Unter-
scher Prägung ab, das unabhängig von jeglicher schiede sind« (AW, 190). Deutet man das Archiv
Erfahrung besteht und diese erst ermöglicht. Ge- als »transzendentale Größe«, als »Chiffre für die
rade um solche transzendentalen Möglichkeits- [unendliche] Suche, das Finden und Lesen der
bedingungen geht es in der Archäologie des Wis- Aussagen« (Gehring 2004, 64), so entfernt man
sens nicht, sondern das historische Apriori steht sich wohl vom Selbstverständnis des Autors der
für eine »rein empirische Figur« (ebd.), eine »Po- Archäologie des Wissens. Bezeichnet sich dieser
sitivität«, die »nicht Gültigkeitsbedingung für Ur- doch als »glückliche[n] Positivist[en]«, und
teile, sondern Realitätsbedingung für Aussagen grenzt die archäologische Beschreibung strikt
ist« (AW, 184). Auch wenn der Begriff des histo- von jeglicher »transzendentalen Begründung« ab
rischen Apriori, der auf Husserl zurückgeht, dort (vgl. AW, 182). Demnach steht der Begriff eher
eine andere Bedeutung hat als bei Foucault, be- für das »Prinzip einer positiven Forschung«
findet sich dieser doch »im Gleichklang mit phä- (Gehring 2004, 64). Dennoch dürfte unbestritten
nomenologischen Autoren« wie Merleau-Ponty, sein, dass das Archiv in stärkerem Maße als die
wenn er von einem »historischen Apriori ausgeht ›Aussage‹ oder der ›Diskurs‹ philosophische Fra-
60 II. Werke und Werkgruppen

gen aufwirft, zumal die Raummetaphorik »den was ihn von außen begrenzt (vgl. Kammler 1986,
praktischen Herausforderungscharakter des Ar- 108–110; Dreyfus/Rabinow, 101–104; Waldenfels
chivs« verfehlt: »Unsere eigene diskursive Praxis 1991, 291–294; Lemke 1997, 48–50; Bogdal 2006,
müsste dem ›historischen Apriori‹ unserer eige- 16 f.). Foucault hat immer wieder betont, dass die
nen Zeit in den Rücken fallen können – und dies ›Regeln‹, denen eine diskursive Praxis gehorche,
gleichsam vom Archiv her« (Gehring 2004, 66). dieser selbst immanent seien, dass sie den Dis-
kurs also nicht von außen determinieren (vgl.
AW, 71; ebd., 108). Die Existenz eines solchen
Rezeption
Außen stellt er dabei nicht in Frage: Eine »Ge-
Foucaults diskursanalytischer Ansatz ist innerhalb schichte des Referenten« sei zwar möglich (vgl.
der Kultur- und Sozialwissenschaften ausgiebig AW, 72), aber strikt von der Analyse historischer
rezipiert worden und hat auch im Rahmen empi- Diskursformationen zu unterscheiden, bei der es
rischer Untersuchungen erhebliche Verbreitung darum gehe, »in der Dimension des Diskurses«
gefunden (vgl. Kammler/Parr 2007; Angermüller zu bleiben (vgl. AW, 112). Gleichzeitig ist davon
u. a. 2001; Keller u. a. 2001 und 2003). Zuneh- die Rede, dass die diskursiven Beziehungen, die
mend geschah dies allerdings in Verbindung mit dem Diskurs seine Ordnung geben, diesem we-
seiner Machtanalytik, deren Entwicklung seit Be- der »innerlich« sind (beispielsweise als deduktive
ginn der 1970er Jahre im Vordergrund seiner Verbindungen zwischen Begriffen oder Präposi-
theoretischen Bemühungen stand. Neben Versu- tionen) noch von außen auf ihn einwirken, son-
chen, die in der Archäologie des Wissens entwor- dern sich »irgendwie an der Grenze des Diskur-
fene diskursanalytische Heuristik auf konkrete ses« befinden (vgl. AW, 69 f.).
historische Wissensbereiche anzuwenden oder Hubert L. Dreyfus und Paul Rabinow haben
gar für eine »historische und politische Phänome- dies als widersprüchlich kritisiert, da Foucault ei-
nologie der eigenen Gegenwart« zu nutzen (vgl. nerseits die reine Beschreibung des Singulären
Gehring 2006, 153), treten, wie etwa in den Medi- immer wieder gegen transzendentale Theorie-
enwissenschaften, Ansätze, die die Foucault’sche konstrukte ausspiele, andererseits aber selbst
Wissensarchäologie beerben, indem sie sie »radi- »von post hoc – Positivitäten zu a priori-Funda-
kal umbau[en]« (Parr/Thiele 2007, 91). mentalen [sic!]« übergehe, wenn er behaupte, ein
In der philologisch bzw. werkanalytisch orien- historisches Apriori entdeckt zu haben (vgl.
tierten Foucault-Rezeption wurde an der Archäo- Dreyfus/Rabinow 1987, 119 f.). Dieses »Schwan-
logie des Wissens deren nicht immer klare Be- ken zwischen Deskription und Präskription«
grifflichkeit kritisiert. So vertritt Paul Veyne die (ebd., 117; vgl. auch Kammler 1986, 155 f.), das
Auffassung, dass Foucault an keiner Stelle »zu- aus beschreibbaren Regelmäßigkeiten einer Dis-
friedenstellende Definitionen« der beiden zen- kursformation deren Existenzbedingungen
tralen Begriffe ›Aussage‹ und ›Diskurs‹ gegeben macht, führt auch nach Auffassung anderer Kriti-
habe (vgl. Veyne 2003, 29). Wiederholt wurde ker die Archäologie in eine »Sackgasse« (vgl. Wal-
auch der unklare Status des Archäologen mo- denfels 1991, 291; Lemke 1997, 50). Foucault falle
niert, d. h. die Tatsache, dass der Ort, von dem damit der »›formalistischen Illusion‹ anheim, die
aus »er selbst als Analytiker spricht, reichlich im er am Strukturalismus kritisiert hatte« (Lemke
Dunkeln bleibt« (Waldenfels 1991, 291; vgl. auch 1997, 50), denn er lasse offen, wie die Grenze zwi-
Dreyfus/Rabinow 1987, 114). Denn einerseits ist schen diskursiven und nichtdiskursiven Prakti-
er selbst dem Archiv seiner Zeit verhaftet, ande- ken gezogen werden müsse, wie und ob über-
rerseits soll er gegenüber den historischen Wis- haupt dieses Außen auf die diskursive Praxis ein-
sensformationen, die er untersucht, eine neutrale wirke. Weitgehend unbeantwortet bleibe in der
Position einnehmen. Die vielleicht entscheidende Archäologie des Wissens in Folge dessen auch das
theoretische Schwäche der Archäologie des Wis- Problem des Verhältnisses von Formation und
sens sehen Kritiker im ungeklärten Status des Transformation: Die Frage, wie diskursive Ord-
Verhältnisses zwischen dem Diskurs und dem, nungen »als Formvorgaben und also als feste
5. Archäologie des Wissens 61

Ordnungen und doch zugleich als Prozesse denk- retiker im Blick hat: »Man frage mich nicht, wer
bar sein sollen« (Gehring 2004, 73). Mit dem Be- ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der glei-
griff des Nichtdiskursiven, der ihm in den folgen- che bleiben: das ist eine Moral des Personenstan-
den Jahren nicht nur zur methodischen Reflexion des; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei
seines Forschungsprogramms, sondern auch zur lassen, wenn es sich darum handelt zu schreiben«
Erkundung der Möglichkeiten politischer Praxis (AW, 30). Dass gerade Foucaults einzige größere
dienen wird, hat Foucault vor dem Hintergrund theoretische Arbeit eine Baustelle geblieben ist,
der Marxismusdebatten der 1960er Jahre und erscheint nur konsequent für ein Denken, das
insbesondere der von Louis Althusser vorgenom- »eher auf der Suche ist, als dass es Thesen ver-
menen Revision eines monokausal aufgefassten tritt« (Waldenfels 2003, 2).
Basis-Überbau-Axioms zwar sein Bemühen »um
Kategorien einer nicht-marxistischen Gesell- Literatur
schaftsanalyse« dokumentiert, theoretisch ausge-
Angermüller, Johannes/Bunzmann, Katharina/Non-
arbeitet hat er diesen Begriff in der Archäologie hoff, Martin (Hg.): Diskursanalyse: Theorien, Metho-
des Wissens jedoch nicht (vgl. Bogdal 2006, 16 f.). den, Anwendungen. Hamburg 2001.
Ein Ausweg aus dieser Situation bestünde nach Bogdal, Klaus-Michael: Das Geheimnis des Nichtdis-
Bernhard Waldenfels darin, statt ausschließlich kursiven. In: Ders./Achim Geisenhanslüke (Hg.): Die
von Wissens- bzw. Redeordnungen (Diskursen) Abwesenheit des Werkes. Nach Foucault. Heidelberg
auszugehen und »Ordnung« damit »einseitig von 2006, 13–24.
Brieler, Ulrich: Die Unerbittlichkeit der Historizität. Fou-
der Aussage her« zu konzipieren, den Ordnungs- cault als Historiker. Köln/Weimar/Wien 1998.
begriff auszuweiten »auf die verschiedenen Ver- Davidson, Arnold I.: Über Epistemologie und Archäo-
haltensregister des Menschen […], sein Reden logie. Von Canguilhem zu Foucault. In: Axel Hon-
und Tun, aber auch […] seinen Blick, […] seine neth/Martin Saar (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbi-
Leibessitten, seine erotischen Beziehungen, seine lanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konfer
K renz
technischen Hantierungen, seine ökonomischen 2001. Frankfurt a.M. 2003, 192–211.
Defert, Daniel: Es gibt keine Geschichte des Wahnsinns
und politischen Entscheidungen, seine künstleri-
oder der Sexualität, wie es eine Geschichte des Brotes
schen und religiösen Ausdrucksformen und eini- gibt. In: Axel Honneth/Martin Saar (Hg.): Michel
ges mehr« (Waldenfels 1991, 291). Immerhin Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfur-
deutet Foucault am Ende der Archäologie des Wis- ter Foucault-Konferenz 2001. Frankfurt a.M. 2003,
sens mit dem Ausblick auf eine »Allgemeine 355–368.
Theorie der Produktionen« (AW, 295) die Mög- Deleuze, Gilles: Ein neuer Archivar. In: Michel Fou-
cault/Ders.: Der Faden ist gerissen 1977. Übers. v.
lichkeit einer solchen »umfassende[n] Theorie«
Walter Seitter und Ulrich Raulff. Berlin 1977, 59–85
(ebd., 295) an. Allerdings wird er in den 1970er (frz.1970).
Jahren mit der Untersuchung komplexer ›Macht- Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Michel Foucault. Jen-
dispositive‹ einen anderen Weg einschlagen. seits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frank-
Insgesamt scheint die Archäologie des Wissens furt a.M. 1987 (amerik. 1982).
innerhalb des Foucault’schen Theoriebildungs- Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie. Frank-
prozesses einen »paradoxen Status« (Brieler 1998, furt a.M. 1993 (frz. 1989).
Fink-Eitel, Hinrich: Foucault zur Einführung. Hamburg
194) zu besitzen. Weder bildet sie die Methodik 1989.
seiner früheren Untersuchungen exakt ab, noch Gehring, Petra: Foucault – Die Philosophie im Archiv.
wird ihre eigene Methode in den späteren histori- Frankfurt a.M./NewYork 2004.
schen Arbeiten systematisch angewendet, weder – : Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des
gesteht ihr Foucault den Stellenwert einer in sich Lebens. Frankfurt a.M./New York 2006.
abgeschlossenen, deduktiven »Theorie« zu (vgl. Gutting, Gary: Michel Foucault’s archeologie of scientific
reason. Cambridge 1989.
AW, 169), noch ist sie völlig frei von inneren Wi-
Hemminger, Andrea: Kritik und Geschichte. Foucault –
dersprüchen und Lücken. Doch löst sich diese ein Erbe Kants?. Wien/Berlin 2004.
vermeintliche Paradoxie wenigstens teilweise auf, Kammler, Clemens: Michel Foucault. Eine kritische Ana-
wenn man Foucaults Selbstverständnis als Theo- lyse seines Werks. Bonn 1986.
62 II. Werke und Werkgruppen

– : Die Abwesenheit der Theorie. Zur Frage der An- 6. Die Ordnung des Diskurses
wendbarkeit des Foucaultschen Diskursbegriffs auf
die Literatur. In: Klaus-Michael Bogdal/Achim Gei-
senhanslüke (Hg.): Die Abwesenheit des Werkes. Nach
Nach dem Erfolg von Die Ordnung der Dinge
Foucault. Heidelberg 2006, 231–242.
– /Parr, Rolf (Hg.): Foucault in den Kulturwissenschaf- hatte Jean Hyppolite, Philosophiehistoriker und
ten. Eine Bestandsaufnahme. Heidelberg 2007. Lehrer Foucaults, begonnen, sich für eine Beru-
Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/ fung Michel Foucaults an das Collège de France
Viehöver, Willy (Hg.): Handbuch sozialwissenschaft- einzusetzen. Nach Hyppolites Tod im Jahre 1968
liche Diskursanalyse. Bd. 1. Theorien und Methoden. setzten der Religionswissenschaftler Georges Du-
Opladen 2001.
mézil und der Philosoph Jules Vuillemin diese
Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/
Viehöver, Willy (Hg.): Handbuch sozialwissenschaft- Unterstützung fort. Dem traditionellen Ablauf
liche Diskursanalyse. Bd. 2: Forschungspraxis. Opla- gehorchend, schlug Vuillemin zunächst die
den 2003. Schaffung eines Lehrstuhls für die »Geschichte
Kögler, Hans-Herbert: Michel Foucault. Stuttgart/Wei- der Systeme des Denkens« vor. Als dieser sich in
mar 22004. einem zweiten Wahlgang durchgesetzt hatte, war
Mills, Sara: Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis. Tübin- die Entscheidung gefallen: Nicht Paul Ricœur –
gen/Basel 2007 (engl. 1997).
Parr, Rolf/Thiele, Matthias: Foucault in den Medienwis-
für den ein Lehrstuhl für »Philosophie des Han-
senschaften. In: Kammler/Parr 2007, 83–112. delns« vorgeschlagen worden war – oder Yvon
Ruoff, Michael: Foucault-Lexikon. Entwicklung-Kernbe- Belaval (»Geschichte des rationalen Denkens«),
griffe-Zusammenhänge. Paderborn 2007. sondern Michel Foucault würde seinem Lehrer
Sarasin, Philipp: Michel Foucault zur Einführung. Ham- Hyppolite als zweiter Lehrstuhlinhaber für Philo-
burg 2005. sophie am Collège de France folgen. Die Tatsache
Schneider, Ulrich Johannes: Michel Foucault. Darm-
der erfolgreichen Berufung konnte jedoch kaum
stadt 2004.
Unterthurner, Gerhard: Foucaults Archäologie und Kri- verbergen, wie umstritten diese Wahl quer durch
tik der Erfahrung. Wahnsinn-Literatur-Phänomenolo- alle beteiligten Gremien war: Sowohl in der Voll-
gie. Wien 2007. versammlung des Collège als auch in der konsul-
Vasilache, Andreas: Interkulturelles Verstehen nach Ga- tativen Abstimmung der Académie des sciences
damer und Foucault. Frankfurt a.M./New York 2003. morales et politiques dokumentierten weite
Veyne, Paul: Michel Foucaults Denken. In: Axel Hon-
Kreise ihre Ablehnung des Kandidaten mit der
neth/Martin Saar (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbi-
lanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konfer
K renz »schwefligen Reputation« (Eribon 1991, 303).
2001. Frankfurt a.M. 2003, 27–51. Es schienen tatsächlich kaum größere Gegen-
Visker, Rudi: Michel Foucault. Genealogie als Kritik. sätze aufeinander treffen zu können – das »Aller-
München 1991. heiligste des französischen Universitätswesens«
Waldenfels, Bernhard: Phänomenologie in Frankreich. (ebd., 302) und der Denker, der im Februar 1969
Frankfurt a.M.1983. den »Tod des Autors« ausgerufen hatte: Nach
– : Michel Foucault: Ordnung in Diskursen. In: Fran-
çois Ewald/Ders. (Hg.): Spiele der Wahrheit. Michel
zwei bewegten Jahren an der ›Reform-Universi-
Foucaults Denken. Frankfurt a.M. 1991, 277- 297. tät‹ Paris VIII im Vorort Vincennes hält Foucault
– : Kraftproben des Foucaultschen Denkens. In: Philo- am 2. Dezember 1970 seine später unter dem Ti-
sophische Rundschau 50 (2003), 1–26. tel L’ ordre du discours veröffentlichte Antrittsvor-
Wunderlich, Stefan: Michel Foucault und die Frage der lesung in dem altehrwürdigen großen Hörsaal
Literatur. Beitrag zu einer Archäologie des poststruk- des Collège de France, der nicht allein mit den
turalistischen Denkens. Frankfurt a.M. 2000.
Honoratioren, sondern auch mit einer Vielzahl
Clemens Kammler
junger Hörer/innen gefüllt ist.
Auf den institutionellen Charakter der Zere-
monie reagiert Foucault mit einer Verweigerung:
Er weist die alleinige Urheberschaft seiner Rede
zurück und beginnt seine Inauguralvorlesung mit
der stark literarisierten Formulierung des »Ver-

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