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Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen
im digitalen Wandel
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GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK

Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz,


Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler
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Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho

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Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer /
Lars Schmelter (Hrsg.)

Das Lehren und Lernen von


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Fremd- und Zweitsprachen


im digitalen Wandel
Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur
Erforschung des Fremdsprachenunterrichts

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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MIX
Papier aus verantwor-
ISBN 978-3-8233-8325-3 (Print) tungsvollen Quellen

ISBN 978-3-8233-9325-2 (ePDF) www.fsc.org FSC® C083411

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(1955-2019)
Frank G. Königs

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort 10
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Marcus Bär: Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des


digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus
fremdsprachendidaktischer Sicht 12

Mark Bechtel: Zum digitalen Wandel im Fremdsprachen-


unterricht 24

Eva Burwitz-Melzer: The global village strikes back: Digitaler


Wandel und interkulturelles Lernen im Fremdsprachen-
unterricht 34

Daniela Elsner: Digital Change im Fremdsprachenunterricht –


Eine SWOT Analyse 46

Christian Fandrych: Die Transformation sprachlich-kultureller


Praktiken: Sprachdidaktische Herausforderungen des di-
gitalen Wandels 58

Hermann Funk: Feindliche Übernahme oder erweiterte didak-


tisch-methodische Szenarien? Fremdsprachenunterricht
in Zeiten des digitalen Wandels 68

Andreas Grünewald: Digitaler Wandel – Warum überhaupt


noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 80

Andreas Guder: Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen


Schreibkompetenz für den Chinesischunterricht? 90

Friederike Klippel: Nicht-technische Überlegungen zum digita-


len Wandel im Fremdsprachenunterricht 102

Jürgen Kurtz: Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im


digitalen Wandel 114

Lutz Küster: Der gesellschaftliche und digitale Wandel in sozio-


logischer, medienpädagogischer und sprachdidaktischer
Perspektive 126

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8 Inhaltsverzeichnis

Christiane Lütge: Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen


zwischen Innovation und Irritation 138

Hélène Martinez: Ein Framework for Learning Opportunities? –


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Zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunter-


richt 150

Nicole Marx: Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehr-


werken 162

Grit Mehlhorn: Digitaler Wandel und Medienkompetenz. Im-


plikationen für die Russischlehrerausbildung 173

Claudia Riemer: Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenge-


brauch im digitalen Wandel. Von der Realität über die
Dystopie zur Utopie (nicht nur) im Bereich Deutsch als
Fremdsprache 185

Henning Rossa: Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe


für den Fremdsprachenunterricht. Augmenting the reality
of language teaching 195

Birgit Schädlich: Und was wird dann aus den Texten? Interakti-
onen im Wiki als hochschuldidaktischer Ansatz und For-
schungsgegenstand in der Lehrer*innenbildung 205

Lars Schmelter: Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und


Co.? Potenziale und Gefahren aus der Perspektive des
lernenden Subjekts 216

Torben Schmidt: Digitally empowered teaching and learning –


Kompetente Fremdsprachenlehrkräfte + intelligente
Technologie 228

Karen Schramm: DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 237

Julia Settinieri: Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovations-


motor der Fremdsprachendidaktik? 248

Carola Surkamp: Digitalisierung des Literaturunterrichts:


Ebenen, Potentiale, Herausforderungen 257

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Inhaltsverzeichnis 9

Britta Viebrock: Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisie-


rung auf Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachen-
unterricht 269
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Karin Vogt: Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 281

Nicola Würffel: Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space?


Über den (bedenklichen) Umgang der Fremdsprachen-
didaktik mit dem Thema Digitalisierung 292

Adressen der Beiträger und Herausgeber 304

Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 309

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Vorwort

Kaum ein Thema durchdringt derzeit sämtliche gesellschaftlichen Bereiche


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und Prozesse des miteinander Lebens, Lernens, Arbeitens und Kommunizie-


rens so umfassend wie der digitale Wandel, so auch das Lernen und Lehren
von Fremd- und Zweitsprachen. Das zum Teil hohe Innovationspotenzial
sowie die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen und Anwen-
dungen gehen einher mit fachlichen und didaktischen Herausforderungen,
die unsere wissenschaftlichen Disziplinen, Forschungsgegenstände, Lehr-/
Lerngegenstände, Ziele und Studiengänge umfassend betreffen, neue Frage-
stellungen und Möglichkeiten mit sich bringen, dabei aber auch Errungen-
schaften und Gewissheiten in Frage stellen. Herausforderungen für For-
schung, Lehre, Studium und Unterrichtspraxis betreffen gleichermaßen die
fachlich und fachdidaktisch motivierte Prüfung und Nutzung digitaler Medi-
en und Infrastruktur innerhalb und außerhalb unterrichtlicher Lehr-/Lern-
szenarien wie auch den Wandel im Bereich der (fremd-/zweit-)sprachlich-
kulturellen Praktiken durch die Digitalisierung.
Die 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunter-
richts, die vom 14. bis zum 16. Februar 2019 in der Tagungsstätte der Justus-
Liebig-Universität Gießen, Schloss Rauischholzhausen, stattfand, befasste sich
mit diesem Themenfeld. Dem üblichen Vorgehen gemäß wurden allen Teil-
nehmer*innen vorab vier Leitfragen vorgelegt, zu denen sie schriftlich auf 8
bis 10 Seiten Stellung beziehen sollten.
Die Leitfragen waren:
1. Der digitale Wandel stellt die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien
und Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen
auf den Prüfstand. Mit welchen dieser Bereiche verbinden Sie die größ-
ten fachlichen und didaktischen Herausforderungen? Wo sehen Sie die
besten Innovationspotenziale?
2. Benötigen wir ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen und was
wären hierfür wichtige fachliche, didaktische und ethische Parameter?
3. Welche konzeptionellen Änderungen müssen die Fremd- und Zweit-
sprachendidaktik im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung vor-
nehmen und welche Forschungszugänge bieten sich damit in Zukunft
an?
4. Vermutlich werden in absehbarer Zukunft die technischen Potenziale,
die didaktisch, curricular und gesellschaftlich-bildungspolitisch gefor-
derten Ansprüche sowie die real in den fremd-/zweitsprachlichen
Lehr-Lern-Kontexten und in der Lehrer*innenbildung vorhandenen
Möglichkeiten der Digitalisierung weiterhin auseinanderklaffen. Wel-
che Prioritäten sollten Lehrpersonen in den Schulen und sollte die uni-
versitäre Lehrer*innenbildung in ihren jeweiligen Aufgabenfeldern set-
zen?

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11

Die schriftlichen Statements dienten als Grundlage für die Vorbereitung der
offenen Diskussion während der Konferenz, bei der die einzelnen Au-
tor*innen auch ein kollegiales Peer-Feedback zu ihren Beiträgen erhielten. Im
Anschluss wurden die Statements überarbeitet und sie werden mit diesem
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Band vorgestellt. Sie stellen die Vielfalt und die Überschneidungen der Mei-
nungen und Herangehensweisen zum Thema vor und beleuchten die Per-
spektiven aus den unterschiedlichen Fachrichtungen. Die Beiträge bearbeiten
dabei ein breites Spektrum, das das Potenzial spezifischer Technologie für das
Sprachenlernen behandelt sowie mediendidaktische Ansätze und For-
schungsansätze skizziert von optimischen bis hin zu pessimistischen Gegen-
wartsbeschreibungen und auch Zukunftsszenarien, die das Fremd-/Zweit-
sprachenlernen, seine institutionelle Förderung und die Lehrer*innenbildung
betreffen. Insgesamt wird deutlich, dass wir es hier mit einem Thema zu tun
haben, das die Welt der Sprachlehrforschung, Fremd-/Zweitsprachen-
didaktik, Lehrer*innenbildung und Praxis bereits stark verändert hat und
weiter maßgeblich verändern wird.
Die Veranstalter*innen sowie die Teilnehmer*innen der Frühjahrskonfe-
renz danken der Justus-Liebig-Universität und den Verantwortlichen vor Ort
für die erneut gewährte Gastfreundschaft. Diese war für den ertragreichen
Verlauf der Konferenz von unschätzbarem Wert.

Gießen, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2019

Eva Burwitz-Melzer Claudia Riemer Lars Schmelter

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen
Wandels
Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachen-
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didaktischer Sicht

Marcus Bär

1 Digitaler Wandel als Realität in Gesellschaft (und Schule)


In nahezu allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft führt eine zunehmende
Digitalisierung zu Veränderungen; so bestimmt der digitale Wandel zurzeit
u.a. auch den aktuellen (bildungs-)politischen Diskurs. Im Fokus der öffentli-
chen Debatten stehen dabei meist keine fachspezifischen oder konzeptuellen
Fragen, sondern in erster Linie die materielle Ausstattung von Schulen mit
digitalen Medien (vgl. u.a. die Diskussionen zum sog. „DigitalPakt Schule“).
Die Logik der vorgetragenen Argumentationslinie ist stets dieselbe: Digitale
Medien und Werkzeuge sind inzwischen aus unserem Alltag nicht mehr weg-
zudenken und müssen demzufolge auch stärker in den Unterricht an Schulen
und anderen Bildungseinrichtungen Einzug erhalten, sodass das Klassen-
zimmer keine analoge Gegenwelt zur Wirklichkeit darstellt (vgl. u.a. Lütge et
al. 2018, 5). Die Allgegenwärtigkeit mobiler Anwendungssoftware verändert –
in Teilen unbemerkt und schleichend – vor allem unsere Kommunikations-
und Arbeitsabläufe und somit die traditionellen Sozialformen (vgl. u.a. Knaus
2013, 33). Wie jede Veränderung bzw. Neuerung, so löst auch der „Me-
gatrend Digitalisierung“ (Herzig 2014, 6) bei den betroffenen Akteur/inn/en
Emotionen aus, die sich auf einem Kontinuum zwischen Euphorie und Apo-
kalypse verorten lassen. Während Euphoriker/innen im digitalen Wandel
eine (längst überfällige) Einbindung digitaler Medien in den Schulalltag se-
hen, aus der sich – quasi automatisch – eine Verbesserung der Unterrichts-
qualität bzw. Optimierung des Lehrens und Lernens ergibt, halten Skepti-
ker/innen – oftmals aus Unwissenheit, Unsicherheit, fehlender Motivation
und/oder aufgrund einer technisch bedingten erhöhten Störanfälligkeit – mit
Fragen nach dem Mehrwert oder der Wirksamkeit digitaler Medien dagegen.
Im Rahmen dieser neuralgischen Diskussion scheinen letztere ein ultimatives
Kriterium für den (vermehrten) Einsatz digitaler Medien im Unterricht dar-
zustellen, entpuppen sich aber häufig als Schutzhaltung vor der Umsetzung
einer Neuerung oder Veränderung, da diese einen zusätzlichen Aufwand
implizieren, der wiederum negativ konnotiert ist. In Anlehnung an Krommer
(2018a) führt die Frage nach dem Mehrwert aber in eine falsche Richtung, da

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 13

zum einen nicht nachvollziehbar ist, warum „bestimmte mediale Formen


einen höheren Wert haben müssen, bevor sie legitimerweise im Unterricht
eingesetzt werden“ (ebd., 3), und es zum anderen nicht darum geht, „alte
Ziele schneller, einfacher, besser, nachhaltiger etc. zu erreichen“ (ebd., 4), da
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eine solche Sichtweise digitale Medien „in naiver Weise auf bloße Werkzeuge
[reduziere]“ (ebd., 5). Auch Fragen nach der Lernwirksamkeit digitaler Medi-
en sind „offenbar wenig sinnvoll“ (Grünewald 2017, 243), da nicht das Medi-
um selbst zu mehr Motivation bei den Lernenden und einem effektiveren
Lernen führt (vgl. Grünewald 2016, 464) bzw. digitale Medien per se keinen
besseren Unterricht hervorbringen, zumal die ermittelte Effektstärke – unab-
hängig vom untersuchten Konzept oder der einzelnen Maßnahme – nahezu
ausnahmslos eher gering ist (vgl. Schaumburg 2018, 28 ff. mit Verweis auf die
Befunde der Hattie-Studie). Dennoch halten sich in der gesellschaftlichen
Diskussion die Fragen nach dem Mehrwert und der Wirksamkeit hartnäckig,
da sie je nach Perspektive des Betroffenen bzw. Agierenden (aus Politik, Wirt-
schaft, Wissenschaft, …) ein einfaches und einprägsames Argument liefern,
wenngleich in der Regel nicht ersichtlich ist, womit ein Wert verglichen wird
oder wie Wirksamkeit definiert und mit welchen Instrumenten sie (angeb-
lich) gemessen wurde.1
Unabhängig von solchen Debatten handelt es sich bei der Digitalisierung
um eine Realität, der sich – wie bereits angeklungen – die Bildungsinstitutio-
nen nicht entziehen können und sollen. Trotz der erforderlichen enormen
Initialkosten für den Aufbau der flächendeckenden Infrastruktur (Breitband-
ausbau, Hardwareausstattung) sowie den zu erwartenden Folgekosten (Nach-
besserungsbedarf in kurzen Zyklen aufgrund der technischen Weiterentwick-
lung, Einstellung von hauptamtlichen IT-Beauftragten) dürfen Schulen nicht
„in der Kreidezeit“ (Klein/Munzinger 2018, 13) verharren. Vielmehr sollten
die sich verändernden medialen Gewohnheiten der Lernenden aufgegriffen
werden, um sich auf diese Weise einer zeitgemäßen Sprachverwendung (Ju-
gendkultur) anzunähern(vgl. Wampfler/Krommer 2018).2 Informelle Berichte
aus Schulen oder in entsprechenden Internetforen und Blogs machen aller-
1
Insbesondere Beteiligte, die eine wirtschaftliche Verwertung verfolgen, sind an
Wirksamkeitsbekundungen interessiert, da diese als Verkaufsargument dienen
(vgl. z.B. das „Wirksamkeitsverspechen“ auf der Homepage von Duolingo: „Lerne
Spanisch in nur 5 Minuten am Tag mit unseren spielerischen Übungen. Duolingo
erweist sich als wirksam für Anfänger und Fortgeschrittene, die ihr Lesen, Schrei-
ben und Sprechen verbessern möchten.“). Für eine grundlegende Kritik an einer
vorrangig technologie- und ökonomiegetriebenen Digitalisierung der Bildung sie-
he bspw. Lembke/Leipner (2015).
2
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass es nicht um ein Aufgreifen der
medialen Gewohnheiten im Sinne eines Nacheiferns oder Anbiederns geht, zumal
sich Lernende (insbesondere in der Sek. I) durch ihre Sprache und Mediennut-
zung bewusst und explizit von den Lehrenden (und Erwachsenen im Allgemei-
nen) abgrenzen wollen (vgl. hierzu die sog. Zweit-Profile auf Finstagram).

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14 Marcus Bär

dings deutlich, dass die digitale Realität an Schulen vielerorts (noch) als trivial
zu bezeichnen ist, zumal die finanziellen Mittel für Technologien ausgegeben
werden, die häufig persönlich motiviert sind (Leistungsfähigkeit der Laptops,
Menge an Tablets, …) und sich der Medieneinsatz auf Internetrecherchen,
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die Anwendung von (frei verfügbarer) Lernsoftware sowie PowerPoint-Folien


begrenzt und somit bestenfalls den Stufen S(ubstitution) und A(ugmentation)
des SAMR-Modells von Puentedura (2006) entsprechen (siehe hierzu weiter-
führend Kap. 2.2).3
Ein solcher (auf Reproduktion reduzierter) Umgang mit digitalen Medien
mag im Sinne einer sog. Nike-Pädagogik (siehe hierzu weiterführend Kap.
2.2) ein erster Schritt sein, entspricht aber in keinster Weise einem Umgang,
der als vierte Kulturtechnik neben Lesen, Schreiben und Rechnen bezeichnet
werden kann, wie es bspw. das Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“
der KMK (2017, 7 f.) propagiert. Um eine Kompetenz im Sinne einer vierten
Kulturtechnik zu erreichen, sind aus Lehrenden- und aus Lernendensicht
einige (didaktische) Herausforderungen zu ‚meistern‘, die auf die Lerngegen-
stände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Lehrens und Lernens von
Fremdsprachen bezogen sind. Ein großes Innovationspotenzial ist in diesem
Zusammenhang im Bereich der Schaffung authentischer(er) Lernumgebun-
gen zu sehen, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.

2 Schaffung digitaler Lernumgebungen

2.1 Digitales Lehren und Lernen in aufgabenorientierten Settings


Das Strategiepapier der KMK (2017, 6), welches vorrangig auf dem im Rah-
men von DIGCOMP entwickelten Digital Competence Framework (Ferrari
2013) basiert, verfolgt das Ziel, dass alle Lernenden bis zum Jahr 2021 eine
digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können. Dies
impliziert neben einer funktionierenden Infrastruktur und der Klärung recht-
licher Fragen eine Fortentwicklung des Unterrichts im Sinne einer Entwick-
lung bzw. Bereitstellung digitaler Lernumgebungen, die die Stärken der Digi-
talisierung, nämlich Kommunikation und Kooperation, in den Mittelpunkt
stellen. Das Ziel eines jeden Fremdsprachenunterrichts sollte es sein, die Ler-
nenden zu einer kommunikativen Handlungskompetenz in der Zielsprache
bzw. mit der/den Zielkultur(en) zu befähigen. Zur Förderung dieses überge-
ordneten Ziels muss die Herausforderung gemeistert werden, eine digitale
Lernumgebung aufgabenorientiert zu gestalten. Neben den für (Lern-)Auf-

3
(Kosten-)Frei verfügbare Lern-Apps (https://learningapps.org) oder Lern-Snacks
(https://www.learningsnacks.de) entsprechen zumeist einem behavioristischen
Reiz-Reaktions-Schema und lassen aufgrund einer (sehr) eingeschränkten Anzahl
vorhersehbarer Antworten nur simple Feedbackroutinen zu und fallen somit hin-
ter Offline-Produkte zurück (vgl. auch Biebighäuser et al. 2012, 33 f.).

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 15

gaben ohnehin gültigen Merkmalen wie bspw. Lebensweltbezug, Relevanz


u.v.a.m. ist bei der Entwicklung digitaler Lernumgebungen zusätzlich darauf
zu achten, dass ein Fokus auf die Neuartigkeit der Organisations- und Kom-
munikationskultur gelegt wird. Bei der Erarbeitung eines Produktes oder bei
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der Lösung eines Problems erlauben Aufgaben 2.0 nicht nur eine „Entkünstli-
chung des Fremdsprachenlernens“ (Biebighäuser et al. 2012, 46), sondern die
optimale Nutzung der Stärken der digitalen Welt, die v.a. darin begründet
sind, dass „niemals zuvor (…) Fremdsprachenlernende im und außerhalb des
Unterrichts so leicht einen direkten kommunikativen Kontakt zu den Spre-
chern anderer Sprachen aufbauen“ können (De Florio-Hansen 2018, 291). In
digitalen Lernumgebungen bzw. virtuellen Räumen sind sowohl kommunika-
tive als auch kooperative Elemente gefragt, die u.a. einen beschleunigten In-
formationsfluss erlauben und eine breitere Teilhabe und Mitbestimmung
ermöglichen (z.B. mithilfe unmittelbarer Rückmeldefunktionen), sodass die
Entwicklung gemeinsamer Lösungen erleichtert wird (vgl. auch KMK 2017,
9).4 Ein weiterer Vorteil digitaler Lernumgebungen im Rahmen eines aufga-
benorientierten Settings ist die Berücksichtigung diverser fachlicher, aber
eben auch digitaler Teilkompetenzen, die im Zuge einer Problemlösung oder
Produkterstellung gefördert werden können. Hier bietet u.a. der Medien-
kompetenzrahmen NRW (MSB NRW 2017) Anhaltspunkte, welche digitalen
Teilkompetenzen im Rahmen eines aufgabenorientierten Fremdsprachenun-
terrichts Berücksichtigung finden könn(t)en.5
Nicht zu vernachlässigen sind in einem solchen Diskurs auch Fragen über
Verhaltensregeln und Kommunikationsmodi (Netiquette) sowie Absprachen
zu Arbeitsphasen, da digitale Lernumgebungen rund um die Uhr und an
jedem Ort zur Verfügung stehen und sich durch Synchronität auszeichnen
und somit Änderungen, Bearbeitungen und Rückmeldungen in Echtzeit
sichtbar werden. Diese Orts- und Zeitunabhängigkeit wird meist als Vorteil
bezeichnet, wenngleich eine jederzeitige Verfügbarkeit sowie Echtzeit-
Verfolgungen auch Stressfaktoren sein können, da an den kooperierenden

4
Als Denkanstoß seien folgende (kritische) Fragen erlaubt: Bedeutet die Nutzung
von Netzwerkstrukturen, die den Informationsfluss beschleunigen und auch eine
breitere Teilhabe und Mitbestimmung ermöglichen, tatsächlich einen Vorteil?
Verleitet die Nutzung digitaler Medien nicht auch dazu, eine Vielzahl an (irrele-
vanten) Informationen zu produzieren, die dann wiederum mühsam im Sinne der
Zielsetzung kanalisiert werden müssen? Erschwert ein ‚basisdemokratisches‘ Ele-
ment wie die Mitbestimmung nicht auch die Kompromissfindung durch eine (zu)
hohe Anzahl an Perspektiven und (Einzel-)Meinungen?
5
Der Medienkompetenzrahmen NRW (MSB NRW 2017) greift die im KMK-
Strategiepapier genannten Handlungsfelder auf und gibt Teilkompetenzen vor, die
wiederum in die zu überarbeitenden Lehrpläne der einzelnen Fächer zu integrie-
ren sind, wenngleich nicht in jedem Fach jede Teilkompetenz zu fördern ist.

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16 Marcus Bär

Kommunikationspartner entsprechende Erwartungen gestellt werden, die bei


Nicht-Erfüllung zu Frustration führen können.
Zu den Herausforderungen bei der Entwicklung oder Bereitstellung digi-
taler Lernumgebungen gehört zweifelsohne auch die Klärung rechtlicher
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Fragen, die die Nutzung von Lernplattformen und/oder Apps im Hinblick auf
bspw. Datenschutz und Urheberrecht betreffen. Bei Anbietern digitaler Soft-
warelösungen handelt es sich i.d.R. um Unternehmen, die insgesamt eine
Profitmaximierung anstreben und die nicht selbstlos bzw. ohne Gegenleis-
tung handeln (z.B. in Form von Datengewinnung zu Zwecken der Weiterver-
arbeitung). Auch der Einsatz schülereigener mobiler Endgeräte nach dem
BYOD-Prinzip (Bring Your Own Device) ist in dieser Hinsicht nicht unprob-
lematisch, zumal ggf. Zugriffe auf Dienste des Schulnetzwerks erfolgen sowie
schulinterne Daten unkontrolliert gespeichert und verarbeitet werden kön-
nen, was wiederum nicht oder nur zum Teil im Einklang mit datenschutz-
rechtlichen Vorgaben steht. BYOD birgt zudem die Herausforderung, dass
die digitale Infrastruktur auf alle denkbaren Betriebssysteme in den ver-
schiedensten (Update-)Versionen vorbereitet sein muss. Und schließlich darf
in diesem Zusammenhang auch die soziale Komponente nicht übersehen
werden, zumal ein Zwang zum (privaten) Besitz eines ‚passenden‘ Endgeräts
nicht gefordert werden kann bzw. nicht durchsetzbar ist und allein die Not-
wendigkeit einer Geräteausleihe vor Ort zu ‚sozialen Unverträglichkeiten‘
innerhalb einzelner Lerngruppen führen kann.

2.2 Die dienende Funktion digitaler Lernumgebungen oder: Pädagogik


vor Technik vs. Nike-Pädagogik
Es ist unbestritten, dass digitales Lehren und Lernen keinen Selbstzweck er-
füllen darf und der Einsatz ausschließlich aus Gründen der Substitution eines
nicht digitalen Mediums durch ein digitales Medium erfolgt, ohne hierbei
fachlichen, didaktischen und/oder ethischen Anforderungen gerecht zu wer-
den. Es verwundert daher auch nicht, wenn vielfach vom sog. Primat des
Pädagogischen die Rede ist, welches auch im Strategiepapier der KMK (2017,
4) als Muss-Vorgabe aufgegriffen wird und der Nutzung digitaler Lernumge-
bungen somit eine dienende Funktion im Sinne des schulischen Bildungs-
und Erziehungsauftrags zuspricht. Eine solche dienende Rolle sollte die Nut-
zung digitaler Medien auch im Rahmen des Lehrens und Lernens von Fremd-
sprachen einnehmen, da der Einsatz stets im Lichte des übergeordneten Ziels
des Unterrichts insgesamt, einer Unterrichtsreihe oder einer einzelnen Unter-
richtsphase bedacht werden muss. Das Leitbild „Pädagogik vor Technik“
(Zierer 2018a) impliziert somit, dass die Nutzung digitaler Lernumgebungen
oder der Einsatz digitaler Medien stets einem pädagogisch bzw. didaktisch
formulierten Lernziel dienen müsse, das bestenfalls im Vorfeld transparent zu
machen ist. Es ist daher immer zu prüfen, ob die Technik (oder in einem

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 17

weiteren Sinne das technisch Machbare) auch pädagogisch oder didaktisch


sinnvoll ist bzw. mit lerntheoretischen Annahmen in Einklang zu bringen ist.
Eine so definierte dienende Funktion des Digitalen ist auf den ersten Blick
sehr gut nachvollziehbar, da sie auch eine kritisch-reflexive Auseinanderset-
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zung mit den Potenzialen und Herausforderungen des digitalen Wandels


vorsieht. Sie reiht sich zudem nahtlos in den Grundsatz des Primats der Di-
daktik (vgl. Klafki 1961) ein, nach dem zunächst das Lernziel festgelegt wird
und in einem zweiten Schritt die Auswahl von Methoden, Medien und Sozial-
formen zur Erreichung dieses Ziels den Planungsprozess fortsetzen. Krom-
mer (2018b), der den Grundsatz Pädagogik vor Technik als „bestenfalls trivi-
al“ sowie als „semantische Seifenblase“ bezeichnet, gibt allerdings mit Recht
zu bedenken, dass die realistisch erreichbaren Ziele stets auch von den zur
Verfügung stehenden Mitteln und Verfahren abhängig sind:
Die These, dass pädagogische Entscheidungen prinzipiell vor technischen
Entscheidungen zu treffen sind, blendet ebenfalls aus, wie sehr der pädagogi-
sche Handlungs- und Entscheidungsspielraum durch die vorhandene Technik
mitbestimmt wird (Krommer 2018b, 4).
Die vorhandenen technischen Möglichkeiten haben zweifellos einen Einfluss
auf die Lernzielbestimmungen, allerdings darf dies im Umkehrschluss nicht
die Selbstverständlichkeit untergraben, dass Lehrpersonen nicht im Sinne der
sog. Nike-Pädagogik (just do it) ziel- und planlos digitale Lernumgebungen
und Medien einsetzen. Vielmehr kann sich im Rahmen einer Problem- oder
Aufgabenlösung ein zunächst definiertes Ziel aufgrund des Einsatzes digitaler
Medien erweitern und auch zu neuen (zunächst unvorstellbaren) Zielen füh-
ren. Ein solches Vorgehen steht aber dennoch im Widerspruch zu dem „Ma-
cher-Image“ der selbst ernannten „just do it-Philosophen“, die sich gegen die
Theoretiker oder Kritiker und Zweifler stellen, dabei aber nicht bemerken,
dass ein solches „Einfach mal machen-Prinzip“ eher im Sinne eines Reputati-
onsmanagements erfolgt, sprich zur Beeinflussung oder Aufrechterhaltung
eines bestimmten Rufs der eigenen Person oder der eigenen Institution (vgl.
u.a. Krommer 2018c). Im Ergebnis müssen in solchen Fällen einzelne Appli-
kationen oder Programme für Unterrichtsszenarien herhalten, die modern
bzw. digital wirken, ohne dass dabei die Komplexität (z.B. im Hinblick auf
Kommunikationskulturen) berücksichtigt wird.6 Aus didaktischer Perspektive

6
Ein typisches Beispiel ist der (simple) Schreibauftrag, bei Twitter einen tweet von
max. 140 bzw. neuerdings 280 Zeichen als Kommentar zu einem bestimmten
Sachverhalt zu verfassen, ohne hierbei im Rahmen der Aufgabenstellung auf die
Spezifika dieses Mediums einzugehen und die Bedeutung bzw. Funktion von
hashtags, Verweisen zu anderen Nutzerprofilen, die Verwendung von Sprache
(Register, Stil, …) usw. zu reflektieren (vgl. hierzu auch die Teilkompetenzen 2.3
(„Informationsbewertung“) und 5.2 („Meinungsbildung“) im Medienkompetenz-
rahmen NRW; vgl. MSB NRW 2017).

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18 Marcus Bär

kann ein solches lehrerseitiges Vorgehen maximal als Vorstufe einer notwen-
digen Reflexion gutgeheißen werden, d.h. im Anschluss an die Durchführung
muss eine kritisch-reflexive Einheit folgen, die verhindert, dass der Einsatz
eines digitalen Mediums und das lehrerseitige Handeln nicht konzeptionell
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wertlos bleiben, da die Lehrenden die Gelingensbedingungen einer Unter-


richtseinheit nicht benennen können. Erst wenn die (Miss-)Erfolgsprinzipien
in der Retrospektive erkannt und benannt werden, können in der Folge Un-
terrichtsszenarien didaktisch sinnvoll entwickelt und die Nutzung digitaler
Medien gewinnbringend eingebettet werden.
Der Grundsatz Pädagogik vor Technik ist in Zeiten eines digitalen Hypes
trotz seiner vermeintlichen Trivialität ein bedeutendes Prinzip, das immer
wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Zierer (2018b, 1) bezeichnet den
Grundsatz als „alternativlos“ und betont, dass die Technik „dem Menschen
zu dienen [habe] – nicht umgekehrt und auch nicht gleichgestellt“, zumal das
technisch Mögliche nicht immer auch pädagogisch sinnvoll sei. In diesem
Zusammenhang sei kurz auf das SAMR-Modell von Puentedura (2006) ver-
wiesen, welches oftmals als Bezugspunkt bzw. Referenzmodell zur Integration
von Lerntechnologie herangezogen wird. Das insgesamt vierstufige Modell
zeigt auf, welche Funktion(en) Technik in einem Lernsetting einnehmen
kann/können. Es ist linear bzw. hierarchisch angeordnet (Substitution à
Augmentation à Modification à Redefinition) und impliziert somit, dass die
höchste Stufe das anzuvisierende Ziel darstellt und dass ein Unterricht, in
dem digitale Medien analoge Medien ohne Funktionsänderung ersetzen (Stu-
fe 1), bereits einem ‚Qualitätssprung‘ entspreche bzw. eine Verbesserung (en-
hancement) darstelle:
It implies that redefinition is the ultimate goal. (…) Any model that places
things in a hierarchy or an order is going to imply that the goal is to get to the
top (Shaw 2015, 2).
Das Modell sagt zudem nichts über das Verhältnis von Technologieeinsatz
und Lernzielen aus, d.h. der Technologieeinsatz, der seinerseits zu einer
Um-/Neugestaltung von Aufgaben im Sinne der Stufen 3 und 4 (transforma-
tion) führt, wird unabhängig von einer kontextuellen bzw. situationellen Ein-
bettung und einer entsprechenden Zielformulierung als besseres bzw. höher-
wertiges Ziel dargestellt: „I think is critically important to identify specific
learning outcomes to give some context and rationale for any change in learn-
ing activities“ (ebd., 3).
Es gilt daher, ein Konzept zu erarbeiten, das prinzipiell dem Grundsatz
folgt, dem Einsatz digitaler Medien eine dienende Funktion zur Lösung einer
inhaltlich bedeutsamen (Lern-)Aufgabe zuzuschreiben. Ein solches Konzept
ist im Rahmen des Fremdsprachenlehrens und -lernens erforderlich, da am
digitalen Wandel eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist, die unterschiedliche
Interessen verfolgen (siehe hierzu auch die Ausführungen in Kap. 1 sowie

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 19

Herzig 2014, 8). Basal ist, dass durch die Bearbeitung entsprechender Aufga-
ben unter Einsatz digitaler Medien bei den Lernenden eine „kollaborative
Wissenskonstruktion“ einsetzt, die „den soziokulturellen und konstruktivisti-
schen Prinzipien des Fremdsprachenlernens [entspricht]“ (Biebighäuser et al.
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2012, 37).

2.3 Die ethische Dimension bei der Arbeit mit digitalen Medien
Neben den genannten Dimensionen sollte ein solches Konzept auch Stellung
zu ethischen Fragen der Nutzung digitaler Medien beziehen. Aus Platzgrün-
den seien an dieser Stelle vor allem folgende Aspekte erwähnt: „Datenschutz
und Informationssicherheit“ (MSB NRW 2017, 1.4), „Informationskritik“
(ebd., 2.4), „Kommunikations- und Kooperationsregeln“ (ebd., 3.2), „Kom-
munikation und Kooperation in der Gesellschaft“ (ebd., 3.3) sowie „Rechtli-
che Grundlagen“ (ebd., 4.4). Im Zuge der Förderung einer kritisch-reflexiven
Medienkompetenz ist es unabdingbar, die Lernenden zum Nachdenken über
das eigene Nutzungsverhalten zu animieren und dabei ethische und rechtliche
Aspekte in die Selbstreflexion einfließen zu lassen (vgl. u.a. Lütge et al. 2018,
8). Dies umfasst vor allem den Umgang mit personenbezogenen Daten
(Stichworte: Datensicherheit und -schutz) sowie die Regeln für soziales
Kommunikationsverhalten im Internet (Stichwort: Netiquette). Auf der einen
Seite muss somit aus ethischer Perspektive verhandelt werden, bis zu wel-
chem Punkt es vertretbar ist, dass Firmen bzw. Softwareanbieter mit einem
vorrangig ökonomischen Verwertungsinteresse in die (mediale) Privatsphäre
der Lernenden (in einem institutionellen Umfeld!) eindringen und eine Nut-
zung der Angebote bspw. nur nach Anmeldung oder Registrierung über
Google- oder Facebook-Konten möglich ist: „Mit den Daten von Schülern
lässt sich viel Geld verdienen, das wissen die Verlage und das wissen die glo-
balen Player, die längst an Schul-Clouds arbeiten“ (Klein/Munzinger 2018,
14).

3 Die Förderung von Digitalkompetenzen als Erweiterung der


Dimensionen der Fremdsprachendidaktik
Im öffentlichen Diskurs wird bei der Digitalisierung von einer gesamtgesell-
schaftlichen Querschnittsaufgabe gesprochen, was sich – wie bereits beim
Thema der Inklusion – darin zeigt, dass bezogen auf den Bildungsbereich alle
Fächer und Disziplinen ‚betroffen‘ sind. Das KMK-Strategiepapier legt fest,
dass „jedes einzelne Fach mit seinen spezifischen Zugängen zur digitalen Welt
seinen Beitrag (…) leistet“ (KMK 2017, 10). Aufgabe der einzelnen Fächer
bzw. Disziplinen (insbesondere der Fachdidaktiken) ist es somit, die fachspe-
zifischen Anknüpfungspunkte an die fachübergreifend formulierten Kompe-
tenzziele zu definieren. Dies entspricht einer Erweiterung des Bildungsauf-

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20 Marcus Bär

trags, da bisherige Kompetenzziele nicht im Wert gemindert oder aufgegeben


werden. Die Digitalisierung bedeutet somit auch für die Fremdsprachendi-
daktik eine Erweiterung ihrer Dimensionen, die sich – wie bereits bspw. bei
der (lebensweltlichen) Mehrsprachigkeit oder der Inklusion – durch gesell-
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schaftliche Wirklichkeiten ergibt und der sie sich aus diesem Grunde nicht
entziehen kann und sollte. Die Erweiterung der Dimensionen führt aber i.d.R.
zu immer weiteren Spezialisierungen innerhalb einer Disziplin, zumal die
Vertretung der Gesamtheit der (fachdidaktisch relevanten) Themen bzw.
Teilbereiche realistischerweise nicht mehr gegeben sein kann. Studierende
bzw. zukünftige Lehrpersonen sollten aber nach ihrem Studium nicht nur in
einem oder in wenigen (begrenzten) Lehrbereichen ausgewiesen sein, son-
dern breit aufgestellt sein bzw. den Überblick über die Gesamtheit nicht ver-
lieren (vgl. Christ 2002, 38). Da zudem digitale Zugänge zum Lehren und
Lernen komplex und mehrdimensional sind, ist eine Steigerung der ‚Ver-
bundtätigkeiten‘ in Forschung und Lehre notwendig, damit die Fremdspra-
chendidaktik auch in Zukunft ihrer Berufung, nämlich (sprachen-/bil-
dungs-)politisch beratend tätig zu sein, nachgehen kann (vgl. ebd.).
Hinsichtlich des digitalen Wandels ist es für die Fremdsprachendidaktik als
Disziplin somit erforderlich, Kooperationen mit Vertreter/inne/n anderer
Disziplinen wie z.B. der Sozial- und Medienpädagogik aufzubauen und in
einen kontinuierlichen Dialog einzutreten. Nur auf diese Weise lassen sich
sowohl inhaltliche als auch organisatorische und konzeptionelle Aspekte im
Hinblick auf eine umfassende Lehrerbildung erörtern (wenngleich nicht um-
gehend umsetzen). Denn unabhängig hiervon ist zu erwarten, dass nach der
(aufoktroyierten) Integration von fünf Leistungspunkten „inklusionsorien-
tierter Studien“ in die Studiengänge aller Fächer in NRW demnächst weitere
(fünf?) Leistungspunkte im Sinne der Berücksichtigung digitaler Aspekte
einzubinden sein werden – wohlgemerkt bei gleichbleibendem Gesamt-
workload, der jedem Fach(teil) zur Verfügung steht, was im Umkehrschluss
bedeutet, dass für das ‚Kerngeschäft‘ der Fremdsprachendidaktik weniger Zeit
und Arbeitstiefe bleibt (trotz Nutzung aller denkbaren Kooperationsmöglich-
keiten).

4 Prioritäre Aufgabenfelder von Lehrkräften an Schulen sowie


Dozenten an Universitäten
Da in absehbarer Zukunft trotz der im KMK-Strategiepapier genannten Ziel-
setzungen und trotz eines enormen Geldflusses aus den (zu erwartenden)
DigitalPakten I, II, III, … aller Voraussicht nach zwischen der zur Verfügung
stehenden digitalen Infrastruktur, den technischen Potenzialen sowie der
lehrseitig vorhandenen Digitalkompetenzen (große) Diskrepanzen zu erwar-
ten sind, die einen (dienenden) Einsatz digitaler Medien flächendeckend er-

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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 21

lauben werden, sind sowohl Lehrkräfte an den Schulen als auch Dozenten an
den Universitäten angehalten, prioritäre Aufgabenfelder zu definieren.
Vom Grundsatz her soll der Fremdsprachenunterricht die Lernenden da-
zu befähigen, digitale Medien zur Information, Kommunikation und Koope-
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ration adäquat und zielführend einzusetzen (vgl. u.a. De Florio-Hansen 2018,


292). Lehrkräften obliegt es somit, die Lernenden im Sinne einer Mediener-
ziehung auf die digitale Welt vorzubereiten, sodass sie in allen Lebensberei-
chen aktiv und verantwortlich teilhaben können (vgl. u.a. KMK 2017, 5). Mit
anderen Worten: Schule und Lehrkräfte haben die Aufgabe, die Generation
der digital natives nicht zu digital naives werden zu lassen (vgl.
Klein/Munzinger 2018, 14), d.h. insbesondere müssen Wirkungsmechanis-
men durchschaut und Aufgaben bearbeitet werden, die eine kritisch-reflexive
Auseinandersetzung mit den und über die digitale(n) Medien erlauben und
die Vor- und Nachteile des Einsatzes bzw. die fachspezifischen Vorzüge und
Gefahren der Digitalisierung insgesamt thematisieren. Denn neben Wissen
und Können muss auch vorrangig der Aspekt der Einstellungen und Haltun-
gen im Sinne eines umfassenden Kompetenzbegriffs bedacht werden. Der
unreflektierte Einsatz von Medien, die einem Fremdsprachenunterricht ledig-
lich einen digitalen Anstrich nach dem trial and error-Prinzip geben, gehört
mit Sicherheit nicht dazu! Stattdessen sind Lehrkräfte dazu aufgerufen, pro-
zess- und ergebnisorientiert digitale Lernumgebungen bzw. tasks zu entwi-
ckeln, die individuelles Lernen mit digitalen Medien zulassen und einen kriti-
schen Umgang fördern. Im Sinne einer Stärkung der schülerseitigen
Kooperation könnten Bestandteile oder Module einer task bspw. in Form
eines flipped classroom durchgeführt werden (siehe hierzu weiterführend z.B.
Gödecke/Roviró 2018) – ein Verfahren, bei dem digitale Medien die Lehrkräf-
te unterstützen, aber nicht ersetzen, zumal auch in Zukunft die Beziehung
zwischen Lehrenden und Lernenden das zentrale Element für (Miss-)Erfolg
sein wird.
Die obigen Ausführungen hinsichtlich der Befähigung zu einer kritisch-
reflexiven Nutzung digitaler Medien gelten selbstverständlich auch für die
universitäre Lehrerbildung, der u.a. die Aufgabe zukommt, im Sinne eines
forschenden Lernens pädagogisch-didaktisch sinnvolle „(Lern-)Aufgaben 4.0“
zu entwickeln, die bestenfalls im Rahmen von Aktionsforschungsprojekten
durchgeführt und evaluiert werden. Darüber hinaus sollten sich die Fremd-
sprachendidaktiken an der Entwicklung valider Prüfungsformate beteiligen,
die digitale (Teil-)Kompetenzen im umfassenden Sinn von Wissen, Können
und Einstellungen prüfen bzw. beschreiben können, zumal im jetzigen Schul-
system Prüfungen und Abschlüssen auch weiterhin eine zentrale Bedeutung
im Sinne der Selektionsfunktion zukommen wird. Anders als im Strategiepa-
pier der KMK (2017, 9) formuliert, werden sich Veränderungen bei den Prü-
fungsformaten nicht durch einen sich im digitalen Sinne wandelnden Unter-
richt ergeben, sondern umgekehrt erst neue Prüfungsformate zu einem

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22 Marcus Bär

‚anderen‘ (digitalisierteren) Unterricht führen. Solche Prüfungsformate müss-


ten u.a. sowohl Möglichkeiten der Kollaboration und/oder Kooperation bie-
ten als auch den Einsatz digitaler Werkzeuge erlauben – beides Aspekte, die
in traditionellen (analogen) Prüfungssituationen als Betrug oder Täuschung
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gewertet werden.

Literatur
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https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Grau
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Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des digitalen Wandels 23

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falls trivial ist. https://axelkrommer.com/2018/04/16/warum-der-grundsatz-
paedagogik-vor-technik-bestenfalls-trivial-ist (10/04/19).
Krommer, Axel (2018c): Die Nike-Didaktik. Oder: Warum man auf den pädagogi-
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Zierer, Klaus (2018b): Digitalisierung der Schule. Technik hat dem Menschen zu
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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht

Mark Bechtel
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1 Einleitung
Die Nutzung digitaler Medien ist fester Bestandteil der Lebenswelt von Er-
wachsenen und Jugendlichen geworden, der digitale Wandel bestimmt derzeit
den bildungspolitischen Diskurs. Laut der JIM-Studie leben Jugendliche zwi-
schen 12 und 19 Jahren in Deutschland in Familien, die zu fast 100 Prozent
über ein Smartphone, Computer, Fernsehgerät und Internetzugang verfügen,
wobei 97 Prozent der Jugendlichen ein eigenes Smartphone besitzen und 69
Prozent einen Computer oder Laptop (vgl. Medienpädagogischer For-
schungsverbund Südwest 2017, 6). Angesichts einer zunehmend digital ge-
prägten Welt muss auch die Schule, ob sie es will oder nicht, auf die Verände-
rungen reagieren und ihre gesellschaftliche Funktion, die heranwachsende
Generation auf das Leben vorzubereiten, dergestalt wahrnehmen, „Schülerin-
nen und Schülern einen kompetenten und verantwortlichen Umgang mit
Medien zu vermitteln“ (Schaumburg/Prasse 2019, 12). Das scheint auch des-
halb unerlässlich, „weil die alltägliche Nutzung nicht notwendig in einen
reflektierten und kritischen Umgang mit Medien mündet und sich die Parti-
zipationschancen nicht automatisch mit dem Zugang zu Medien erhöhen“
(ebd., 12). Neben der lebensweltlichen Nutzung werden digitale Medien ver-
stärkt auch in der Schule in Ergänzung zu den traditionellen Medien (Tafel,
CD-Player, OHP, usw.) als Mittel zur Unterrichtsgestaltung verwendet. Was
die Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien angeht, besteht seitens der
Bildungspolitik allerdings ein erheblicher Nachholbedarf (vgl. KMK 2016,
11). Zwar haben laut JIM-Studie fast 80 Prozent der Jugendlichen den Einsatz
von stationären Computern im Unterricht erlebt, etwa die Hälfte hat im Un-
terricht bereits mit dem Whiteboard (52 %) und dem Smartphone (47%)
gearbeitet, 37 Prozent haben Erfahrungen mit dem Notebook und 20 Prozent
mit einem Tablet-PC gesammelt. Betrachtet man allerdings die Häufigkeit der
Nutzung, so ist diese bislang gering. Mehrmals pro Woche wurde lediglich
das Whiteboard (31 %) und der Computer (22 %) nennenswert im Schulalltag
eingesetzt, während Smartphones (13 %), Laptops (9 %) oder Tablet-PCs (4
%) bislang keine große Rolle spielen (vgl. Medienpädagogischer Forschungs-
verbund Südwest 2017, 54).
Die aktuelle Digitalisierungseuphorie der Bildungspolitik wird in den
kommenden Jahren vermutlich zu einer besseren Ausstattung der Schulen

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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 25

mit digitalen Medien führen. Reine Ausstattungsinitiativen sind jedoch keine


Garantie für eine Verbesserung des fachlichen Lehrens und Lernens. Hierzu
sind gut ausgebildete Lehrkräfte nötig, die in der Lage sind, zu entscheiden,
ob und wenn ja welche Medien eingesetzt werden und wie sie so in das Unter-
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richtsgeschehen eingebettet werden, dass sie zur Förderung des Lernens im


jeweiligen Fach beitragen (vgl. Schaumburg/Prasse 2019, 11).
Ziel des Beitrags ist, für den Bereich des Fremdsprachenunterrichts aufzu-
zeigen, welches Innovationspotential in der Nutzung digitaler Medien für das
Fremdsprachenlernen liegt und welche Herausforderungen damit verbunden
sind (Kap. 2). Des weiteren wird diskutiert, ob es eines Leitbildes für den
Umgang mit digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht bedarf (Kap. 3).
Abschließend skizziere ich Forschungszugänge (Kap. 4) und schlage ein Aus-
bildungskonzept für den Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunter-
richt vor (Kap. 5).

2 Innovationspotenziale digitaler Medien


Der digitale Wandel stellt die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und
Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den
Prüfstand. Das größte Innovationspotential des Einsatzes digitaler Medien im
Fremdsprachenunterricht sehe ich bei den Gegenständen und den Lernum-
gebungen.

2.1 Gegenstände
Versteht man unter Lerngegenstand in diesem Zusammenhang das Unter-
richtsthema (z.B. Frankophonie), ist über das Internet „ein über die Möglich-
keiten des gedruckten Lehrwerks hinausgehender zeit- und ortsunabhängiger,
zumeist kostenloser Zugriff auf ein weltweit vernetztes Angebot an authenti-
schen, multimedialen zielsprachlichen Inhalten“ (Schmidt 2010, 282) mög-
lich. Das Internet als Träger von Online-Artikeln, Youtube-Videos, Postcasts,
Blogs kann somit dazu beitragen, das eingesetzte Lehrwerk zu aktualisieren
(z.B. mit Texten neueren Datums zu Ereignissen in einem ausgewählten fran-
kophonen Land), thematisch zu vertiefen (z.B. durch das Aufgreifen weiterer
Aspekte wie z.B. Alltagsleben, Status und Gebrauch des Französischen aus
unterschiedlichen Perspektiven) oder ein Unterrichtsthema neu einzuführen,
das im Lehrbuch nicht vorkommt (z.B. die aktuelle Protestbewegung der
gilets jaunes in Frankreich). Die Herausforderung besteht darin, aus der Viel-
falt des Angebots für die jeweilige Lerngruppe von der Thematik und dem
Leistungsstand her angemessene Lese- und Hör-/Hörsehverstehensdoku-
mente auszuwählen, die Qualität der Information kritisch zu prüfen und sie
dergestalt in den Unterricht einzubetten, dass die Schüler durch geeignete

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26 Mark Bechtel

vorbereitende, begleitende und nachbereitende Übungen und Aufgaben mit


der Authentizität der Sprache (Dichte der Information bei Lesetexten bzw.
Merkmalen gesprochener Sprache) zurecht kommen und sich Strategien an-
eignen, selbstständig mit diesen Dokumenten umzugehen (vgl. Rösler 2010,
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286). Darüber hinaus findet sich über einschlägige Internet-Portale zu aktuel-


len Themen auch eine Vielzahl an didaktisiertem Material.1 Hier liegt die
Herausforderung vor allem darin, die Qualität des Materials und der Aufga-
ben zu prüfen und ggf. für die eigene Lerngruppe anzupassen.
Geht es um Grammatik als Unterrichtsgegenstand, haben digitale Medien
bei der Erklärung grammatischer Phänomene und beim Üben Innovations-
potential. Der Vorteil eines digitalen Erklärvideos liegt in der Visualisierung
und der Animation, die Form und Gebrauch des Grammatikphänomens
veranschaulichen können, worauf Rösler (2007, 133) bereits vor mehr als
zehn Jahren hinwies. Dies gilt allerdings nur so lange, wie sie nicht zu einer
Reizüberflutung und Ablenkung führen (vgl. Roche/Scheller 2004, 14). Ein
weiterer Vorteil gegenüber einem gedruckten Lehrbuch sieht Rösler (2007,
133) in der engen Verbindung zwischen Grammatikdarstellung und Übung,
da „in Übungen an den verschiedensten Stellen Grammatikdarstellungen auf
Abruf eingebaut werden können“. Zur Sicherung des Formenbestandes bieten
beispielsweise lehrbuchbegleitende Lernsoftware eine Reihe von Übungen an,
die auf dem Anklicken einer Lösung, einer drag-and-drop-Aktivität oder einer
schriftlichen Eingabe beruhen und zu deren Ergebnis der Lerner ein Feedback
und eine Fehlerstatistik erhält. Die Herausforderung besteht hier m.E. darin,
die Qualität der Lernsoftware kriteriengeleitet (nach Schmidt 2010, 282 sind
dies Interaktivität, Bedienbarkeit, Vielfalt der Inhalte, Vielfalt der Übungs-
formate, Art der Rückmeldung) zu prüfen und zu entscheiden, wie die
Lernsoftware im Unterricht eingesetzt werden soll bzw. geeignete Empfeh-
lungen zu geben, wie die Lerner sie zum Selbstlernen nutzen können.
Geht es um Schreiben als Unterrichtsgegenstand, liegt das Innovationspo-
tential digitaler Medien vor allem darin, das mitteilungsbezogene Schreiben
zu fördern, und zwar, indem die Schülerinnen und Schüler beispielsweise in
einem Blogbeitrag, einer E-Mail oder einer WhatsApp-Nachricht an eine/n
Austauschpartner/in selbstbestimmt Inhalte mitteilen, die für sie relevant
sind, und für deren Übermittlung die Zielsprache auch tatsächlich gebraucht
wird. Die Herausforderung besteht hier darin, thematisch und altersgerechte
Blogs zu finden bzw. über eine Internetplattform2 einen digitalen Kontakt mit
einer Partnerklasse herzustellen und für die Lerner relevante Schreibanlässe
anzubieten. Auch das mitteilungsbezogene Sprechen kann in diesem Kontext
1
Beispielsweise in der Mediathek des frankophonen Senders TV5:
https://enseigner.tv5monde.com/fiches-pedagogiques-fle, Zugriff 21/1/2019.
2
Beispielsweise die europäische Plattform etwinning (https://www.etwinning.net)
oder die Plattform des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) tele-tandem
(https://plattforme.tele-tandem.net).

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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 27

durch den Einsatz von Voice-Chats und Skype gefördert werden (vgl. Toka-
ryk 2017). Konzipiert man solche Austauschprojekte nach der Tandem-
Methode, bei der zwei Lerner von- und miteinander lernen, wobei die Ziel-
sprache des einen die Muttersprache des anderen ist, können beide Lerner bei
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geeigneter Sprachenwahl nicht nur selbst ihre Fertigkeiten im mitteilungsbe-


zogenen Sprechen bzw. Schreiben und Hör-/Hörseh-Verstehen bzw. Lesever-
stehen schulen, sondern in einem „didaktischen Vertrag“ auch vereinbaren,
wie sie dem Partner helfen können, sich sprachlich zu verbessern (vgl. Bechtel
2016). Gleichzeitig handelt es sich um eine reale interkulturelle Begegnungssi-
tuation, die die Lernpartner praktisch bewältigen lernen müssen, wodurch sie
einen Beitrag zur Förderung interkultureller Kompetenzen leisten kann, ohne
dass damit ein hoher finanzieller, organisatorischer und zeitlicher Aufwand
verbunden wäre, der mit einem face-to-face Schüleraustausch verbunden ist.

2.2 Lernumgebungen
Unter Lernumgebungen versteht Rösler (2007, 79) „Orte, an denen Lernende
Zugang zu der Sprache, die sie lernen, erhalten“. Beim natürlichen Spracher-
werb ist das der Alltag, in dem die Sprache kommunikativ erfahren wird,
beim institutionell gesteuerten Sprachenlernen verläuft der Zugang zur Ziel-
sprache über die Lehrperson, Lernmaterialien und Medien. Der Einsatz digi-
taler Medien ändert diese Lernumgebung in mehrfacher Hinsicht: a) durch
den Rückgriff auf das Internet erhöht sich die Aktualität und Authentizität
des zielsprachlichen Lernmaterials, b) durch die Integration von Lernsoftware
erweitern sich die Möglichkeiten einer selbstgesteuerten Wissensaneignung
und eines selbstgesteuerten gezielten Übens sprachlicher Mittel (z.B. bei
Wortschatz, Grammatik, Aussprache), c) durch die Nutzung digitaler Kom-
munikationskanäle öffnet sich die Lernumgebung und bietet vielfältige Mög-
lichkeiten zur Kommunikation und Kooperation mit Muttersprachlern, ohne
dass dabei Reise- und Unterbringungskosten entstehen. Die größte Heraus-
forderung in diesem Bereich besteht darin, ein stimmiges Gesamtkonzept der
Lernumgebung zu entwickeln, bei dem digitale und analoge Medien lerner-
gruppengerecht dergestalt mit motivierenden Inhalten, geeigneten Materia-
lien, Aufgaben und Übungen sowie Sozialformen verknüpft werden, dass sie
einen Beitrag zur Entwicklung funktional-kommunikativer, methodischer
und interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht leisten.

3 Ein Leitbild für den Umgang mit digitalen Medien beim Lehren
und Lernen fremder Sprachen?
Angesichts der aktuellen Digitalisierungseuphorie besteht die Gefahr, den
Einsatz digitaler Medien für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu
verabsolutieren. Ein Leitbild, das eine klare Zielvorstellung beinhaltet, wäre

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28 Mark Bechtel

hier von Vorteil. Als Ausgangspunkt für ein solches Leitbild könnten die
fächerübergreifenden Kompetenzanforderungen dienen, die die Schülerinnen
und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit im Umgang mit digitalen Medien entwi-
ckeln sollen, so wie sie die KMK in ihrem Strategiepapier zur digitalen Bil-
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dung vorgelegt hat. Unter dem Stichwort „Kompetenzen in der digitalen


Welt“ werden die Anforderungen in sechs Kompetenzbereiche unterteilt und
in konkreten Kompetenzbeschreibungen ausformuliert (KMK 2016, 15-18).
Aus Platzgründen sind sie hier verkürzt dargestellt (vgl. KMK 2016, 15-18):
1. Suchen, Verarbeiten, Aufbewahren (Suchen und Filtern; Auswerten und
Bewerten; Speichern und Abrufen)
2. Kommunizieren und Kooperieren (Interagieren; Teilen; Zusammenarbei-
ten; Umgangsregeln kennen und einhalten; An der Gesellschaft aktiv teil-
haben)
3. Produzieren und Präsentieren (Entwickeln und Produzieren; Weiterver-
arbeiten und Integrieren; Rechtliche Vorgaben beachten)
4. Schützen und sicher Agieren (Sicher in digitalen Umgebungen agieren;
Persönliche Daten und Privatsphäre schützen; Gesundheit schützen, Na-
tur und Umwelt schützen)
5. Problemlösen und Handeln (Technische Probleme lösen; Werkzeuge be-
darfsgerecht einsetzen; Eigene Defizite ermitteln und nach Lösungen su-
chen; Algorithmen erkennen und formulieren; Digitale Werkzeuge und
Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen)
6. Analysieren und Reflektieren (Medien analysieren und bewerten; Medien
in der digitalen Welt verstehen und reflektieren)
Für die Bestimmung eines Leitbildes müsste zunächst diskutiert werden, ob
dieses Modell die nötigen Kompetenzen angemessen beschreibt, und ggf.
Änderungen vorgenommen werden. Die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD
2018, 3) kritisiert in ihrem Positionspapier beispielsweise, dass „eine fachspe-
zifische Reflexions- und Kritikfähigkeit über digitale Medien“ fehle. In einem
zweiten Schritt wäre das Kompetenzmodell daraufhin zu prüfen, zur Entwick-
lung welcher digitalen Kompetenzen das fremdsprachliche Schulfach einen
sinnvollen Beitrag leisten kann. Während die Schülerinnen und Schüler im
Fremdsprachenunterricht sicherlich Kompetenzen in den Bereichen „Suchen
und Verarbeiten“ und „Kommunizieren und Kooperieren“ entwickeln kön-
nen, beispielsweise durch eine gelenkte Internetrecherche mittels ausgewähl-
ter zielsprachlicher Websites (Webquest) bzw. durch die Teilnahme an einem
Telekooperationsprojekt mit einer Partnerklasse, ist der Fremdsprachenun-
terricht für die technischen Aspekte des Bereichs „Probleme lösen und Han-
deln“ offensichtlich ungeeignet. In einem dritten Schritt wäre näher zu be-
stimmen, welches digitale Medium einen Beitrag zur Förderung welcher für
das fremdsprachliche Schulfach formulierten Kompetenzen leisten kann. So

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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 29

bietet ein Youtube-Video beispielsweise die Möglichkeit, die rezeptive Kom-


petenz des globalen und selektiven Hörsehverstehens mit einem authenti-
schen Text zu schulen. Es bietet auch die Möglichkeit zur Bewusstmachung
der Merkmale gesprochener Sprache und kann damit zur Förderung der
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Sprachbewusstheit dienen, wie Tschirner (2000) anschaulich verdeutlicht:


Das digitale Video erlaubt es, kommunikative Situationen zu ‚lesen‘, wie beim
echten Lesen hin- und herzuspringen, zu wiederholen und fokussiert auf die
Sprache und andere Merkmale der kommunikativen Situation zu achten,
denn dem Lerner bleibt Zeit zum Innehalten, zum Überlegen, zu all dem, was
einer tiefen Verarbeitung sprachlicher und anderer semiotischer Daten dien-
lich ist und den Spracherwerbsprozess voranschreiten lässt. (Tschirner 2000,
67, zit. nach Rösler 2007).
Entscheidend für ein Leitbild des Umgangs mit digitalen Medien beim Lehren
und Lernen fremder Sprachen scheint mir, dass deutlich wird, dass die digita-
len (wie die analogen) Medien für den Unterricht eine „dienende Funktion“
haben, das heißt sie haben keinen Wert an sich, sondern ihr Nutzen für die
Fremdsprachenaneignung ergibt sich erst durch das komplexe Zusammen-
wirken mit anderen Strukturmomenten des Unterrichts, wie Lernziel, Inhalt,
Lernaktivität, Sozialform und Phasierung.
Wichtige fachliche Parameter eines Leitbildes sind m.E. die sachgerechte
Nutzung der ausgewählten digitalen Medien sowie die kritische Überprüfung
der mit den ausgewählten Medien transportierten Inhalte. Ein wichtiger di-
daktischer Parameter ist die Bestimmung, welche digitalen Medien sich für
die Förderung welcher Kompetenzen eignen, welche Lernaktivitäten es im
Unterricht gibt, bei denen die Arbeit mit digitalen Medien tatsächlich der
Fremdsprachenaneignung dient. Weitere didaktische Parameter sind die
Verlässlichkeit und Qualität der Anwendungsprogramme, das Verhältnis von
individuellem Lernen, kooperativem Lernen und lehrerzentrierten Phasen,
das Maß an lehrerseitiger Unterstützung sowie der Grad an Fremd- bzw.
Selbststeuerung. Wichtige ethische Parameter sind die Etablierung und
Durchsetzung von Regeln für einen sozial verträglichen Umgang bei inter-
netbasierter Kommunikation (Netiquette) und die Wahrung von Persönlich-
keitsrechten.

4 Welche Forschungszugänge bieten sich an?


Betrachtet man die Faktorenkomplexion beim Lehren und Lernen fremder
Sprachen, müsste sich der digitale Wandel konzeptionell in der Neubestim-
mung des Faktors „Medien“ niederschlagen. Die digitalen Tools, die beim
Lehren und Lernen einer Fremdsprache zum Einsatz kommen, müssten sys-
tematisch untersucht werden. Für jedes digitale Tool wären die unterschiedli-
chen Nutzungsmöglichkeiten zu beschreiben und zu analysieren, wie sich ihre
Nutzung auf die anderen Faktoren auswirkt. So könnte eine Übersicht erstellt

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30 Mark Bechtel

werden, die verdeutlicht, welche digitalen Tools zur Förderung welcher Kom-
petenzen (Hör-/Hörsehverstehen, Sprechen, Schreiben, Leseverstehen, usw.)
eingesetzt werden können, welche Funktionen (Motivieren, Präsentieren und
Veranschaulichen, Aktivieren und Vertiefen, Differenzieren und Individuali-
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sieren, Kommunizieren und Kooperieren, vgl. Schaumburg/Prasse 2019, 174-


208) sie erfüllen, welche Art des Lernens (imitativ, bewusstmachend, entde-
ckend, usw.; selbstgesteuert, fremdgesteuert) sie mit dem Einsatz welcher
Sozialform (Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Unterrichtsgespräch,
usw.) begünstigen und wie dies die Lehrerrolle beeinflusst (instruktiv, bera-
tend, usw.).
Ein interessanter Forschungszugang scheint mir in diesem Zusammen-
hang die Aktionsforschung als Teamforschung (Lehrkraft + Lehramtsstudie-
rende/r + Wissenschaftler/in) zu sein (vgl. Altrichter/Posch/Spann 2018; vgl.
Bechtel 2015). Auf der Grundlage einer Lehrerfortbildung bzw. eines fachdi-
daktischen Seminars zum Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunter-
richt würden interessierte (erfahrende bzw. angehende) Lehrkräfte für eine
konkrete Klassen a) einen Entwurf für eine Unterrichtseinheit erarbeiten, in
dem der Einsatz eines ausgewählten digitalen Tools (oder mehrerer) in einem
theoretisch fundierten und methodisch durchdachten Lernarrangement zur
Förderung bestimmter Kompetenzen vorgesehen ist, b) den Entwurf in der
Praxis erproben und c) die Erprobung unter einer zu Projektbeginn formu-
lierten Forschungsfrage empirisch untersuchen. Für die Lehrkraft könnte
hierbei interessant sein zu erfahren, wie ihre Schülerinnen und Schüler mit
dem digitalen Tool umgegangen sind, worin sie sich in ihrem Nutzerverhal-
ten unterscheiden, welche Auswirkung die Arbeit mit dem Tool auf ihre Mo-
tivation und ihre Leistung hat, welche methodischen Elemente sie als nützlich
für das Arbeiten mit dem digitalen Tool einschätzen. Darüber hinaus könnten
die Lehrkräfte zu ihren Schwierigkeiten beim Erstellen der Unterrichtseinheit
und der Umsetzung im Unterricht befragt werden. Wenn das Nutzungsver-
halten digitaler Tools der Schülerinnen und Schüler das Erkenntnisinteresse
ist, sind die von Schmidt (2007, 81) verwendeten Datenerhebungsmethoden
zielführend. Bei der Datenerhebung einer in den Unterricht integrierten Ar-
beit mit einer Lernsoftware wurden beispielsweise Videoaufnahmen, bei de-
nen Schülerinnen und Schüler während der in Partnerarbeit erfolgenden
Bearbeitung der Aufgaben gefilmt werden, kombiniert mit Aufzeichnungen
des Bildschirmgeschehens, die sämtliche Tastatureingaben und Mouse-
Bewegungen mittels einer Tracking-Software erfassen, sowie mit Befragun-
gen, Lerntagebüchern und dem Einsammeln von Schülerprodukten.

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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 31

5 Wie ändern sich Anforderungen an die universitäre


Lehrer*innenbildung durch digitalen Wandel?
Über welche Kompetenzen sollen Lehramtsstudierende hinsichtlich des Um-
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gangs mit neuen Medien in einem fremdsprachlichen Fach verfügen? Bei der
Beantwortung dieser Frage greife ich auf das Modell von Blömeke (2003, 234)
zurück. Sie fächert die medienpädagogische Kompetenz in fünf Teilkompe-
tenzen auf (vgl. auch Schaumburg/Prasse 2019, 241): 1. Die Fähigkeit zum
reflektierten Einsatz von Medien in geeigneten Lehr- und Lernformen (medi-
endidaktische Kompetenz), 2. die Fähigkeit, Medienthemen im Sinn ange-
messener pädagogischer Leitideen im Unterricht behandeln zu können (me-
dienerzieherische Kompetenz), 3. die Fähigkeit, die medienspezifischen
Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angemessen beim medi-
enpädagogischen Handeln zu berücksichtigen (sozialisationsbezogene Kom-
petenz)3, 4. die Fähigkeit, die personalen und institutionellen Rahmenbedin-
gungen für medienpädagogisches Arbeiten in der Schule zu gestalten
(Schulentwicklungskompetenz), 5. die Fähigkeit, Medien sachgerecht, selbst-
bestimmt, kreativ und sozialverträglich zu nutzen und zu gestalten (eigene
Medienkompetenz). Für Blömeke gehört der Erwerb einer eigenen Medien-
kompetenz in einer Informationsgesellschaft zur Allgemeinbildung und sei
somit eine Aufgabe, der sich die Schule stellen müsse. Wenn Studierende
diesbezügliche Defizite hätten, müssten sie sich diese parallel zum Studium
aneignen und die Universität müsste dementsprechende Angebote machen,
es dürfe aber nicht Bestandteil des Studiums sein – anders als die anderen vier
Kompetenzbereiche.
Blömeke (2003) sieht für den Aufbau der medienpädagogischen Kompe-
tenzen die drei Phasen der Lehrer*innenbildung in der Pflicht:
Die Universität hat die Aufgabe, generalisiertes – wissenschaftliches Wissen
zu vermitteln. Bezogen auf den Erwerb medienpädagogischer Kompetenz
steht also die wissenschaftliche Grundlegung im Vordergrund. Dieses wissen-
schaftliche Wissen wird in der zweiten Ausbildungsphase am Studienseminar
um den Erwerb praktischen medienbezogenen Handlungswissens ergänzt. In
der Lehrerfortbildung geht es dann um die Aktualisierung von Theorie- und
Praxiswissen, um die Aufnahme von Neuentwicklungen sowie um den Aus-
gleich von Defiziten (Blömeke 2003, 234).
Der Konzeption einer phasenübergreifenden medienpädagogischen Kompe-
tenzaneignung ist zuzustimmen. Die Aneignung eines praktischen medienbe-
zogenen Handlungswissens allein der zweiten Phase zuzuordnen, scheint
dagegen angesichts der verstärkten Integration von Praxisphasen in die erste
Ausbildungsphase als überholt. Des weiteren plädiert Blömeke für eine nicht

3
Dazu gehört das Wissen, die Lebenswelt und das Mediennutzungsverhalten der
Schülerinnen und Schüler zu kennen.

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32 Mark Bechtel

nur überfachliche, sondern auch fachliche und fachdidaktische Verankerung


(vgl. Blömeke 2003, 235).
Bei der Frage nach der Priorisierung in der universitären fachdidaktischen
Ausbildung würde ich den Fokus auf den Bereich der mediendidaktischen
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Kompetenzaneignung legen. Dabei halte ich Seminarkonzepte für zielfüh-


rend, bei denen sich die Studierenden a) wissenschaftliche Grundlagen des
Lehrens und Lernens mit digitalen Medien durch entsprechende Fachliteratur
aneignen (Definitionen, lerntheoretische Bezüge, Überblick über digitale
Tools und ihre Funktionen, Lernszenarien, Studien zu Einstellungen und
Lernwirksamkeit digitaler Medien), b) digitale Medien integrierende Unter-
richtsszenarien und Sprachlernsoftware kriteriengeleitet analysieren und c)
einen lerngruppenspezifischen Unterrichtsentwurf erarbeiten, in dem digitale
Medien zur Förderung ausgewählter Kompetenzen zum Einsatz kommen
(sozialisationsbezogene Kompetenz, mediendidaktische Kompetenz). Wei-
terhin sollte das Seminar so konzipiert sein, dass die Studierenden selbst Er-
fahrungen mit unterschiedlichen digitalen Medien sammeln, indem sie sie
während des Seminars nutzen und deren Nutzung reflektieren (eigene Medi-
enkompetenz). Ein gutes Beispiel ist aus meiner Sicht das 2008 durchgeführte
Blended-Learning-Seminar „Digitale Medien im Fremdsprachenunterricht:
Theorien, Methoden, Anwendung“, das an den Universitäten Hamburg,
Bremen und Kiel erprobt wurde (vgl. Grünewald 2009). Das Seminar, an dem
Studierende der Fächer Französisch, Spanisch, Englisch, DaF/DaZ aus den
drei Universitäten teilnahmen, folgte einem hybriden Lernarrangement, das
(1) Selbstlernen mit und ohne digitale Medien kombinierte mit (2) face-to-
face-Partnerarbeitsphasen zur Analyse und Erstellung digitaler Übung und
(3) kooperativem Arbeiten in virtuellen Lerngruppen, die aus je einem Stu-
dierenden der kooperierenden Hochschulen bestand.

Literatur
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erforschen ihren Unterricht: Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation
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Zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 33

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GFD = Gesellschaft für Fachdidaktik (2018): Fachliche Bildung in der digitalen
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The global village strikes back: Digitaler Wandel und
interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht
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Eva Burwitz-Melzer

People sometimes refer to the world as a global village when they want to em-
phasize that all the different parts of the world form one community linked
together by electronic communications, especially the internet. (Collins
Cobuild, Advanced English Dictionary)

1 Einleitung
Trotz der erheblichen Startschwierigkeiten, die der DigitalPakt Schule in den
letzten Monaten gezeigt hat, ist der digitale Wandel im Fremdsprachenunter-
richt nicht aufzuhalten, und das ist gut so, denn er kann das Lehren und Ler-
nen an vielen Stellen sinnvoll und maßgeblich unterstützen, neue Lernwege
aufzeigen und mit dem Einbezug der vielfältigen Medienlandschaft für eine
bessere Berufsvorbereitung sorgen. Dieses Papier möchte in einem ersten
Schritt einige der fachdidaktischen Bereiche und Kompetenzen ausdeuten, die
besonders vom Einsatz digitaler Medien profitieren. Ein zweiter Fokus wird
auf der interkulturellen kommunikativen Kompetenz liegen, die als transver-
sale Kompetenz zwar stets bei der Digitalisierung als vermeintlich selbstver-
ständlich mit ins Blickfeld genommen wird, doch längst nicht immer so sorg-
fältig eingebunden ist, wie es ratsam erscheint.

2 Auf dem Prüfstand: Das Leitbild des Fremdsprachenunterrichts


und das Potenzial eines digital ausgerichteten
Fremdsprachenunterrichts
Die durch den digitalen Wandel bereitgestellten Informations- und Kommu-
nikationstechnologien haben, wenn Schulen endlich ausreichend ausgestattet
werden und ihr Anschluss an das digitale Netz auch in weniger stark besiedel-
ten Gegenden der Bundesrepublik gesichert ist, ein großes Potenzial für den
Fremdsprachenunterricht. Dies zeichnet sich seit fast vierzig Jahren in zu-
nehmendem Maße ab und wird in der Fremdsprachenforschung durch viele
Forschungsbeiträge, auch empirische Forschung, belegt (Müller-Hartmann
1999; Schmidt 2005). Schmidt warnt allerdings davor, von einem garantierten
Nutzen der digitalen Medien auszugehen, gerade wenn es darum geht, Medi-
enkompetenz und fremdsprachliches selbstgesteuertes Lernen zu evozieren

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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 35

und verweist auf Schlüsselqualifikationen, die neben dem Nutzungswissen


auch die Reflexionsfähigkeiten der Lernenden erfordere (Schmidt 2005, 16).
Auch Grünewald gibt zu bedenken, „dass durch die Verwendung von Multi-
media nicht automatisch die Motivation der Lernenden gesteigert“ werde,
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dass durch den Medieneinsatz in Kombination „mit geeigneten didaktischen


Modellen und bei vorhandenen positiven Einstellungen allerdings das Inte-
resse verstärkt, Neugier geweckt oder emotionale Beteiligung der Lernenden
hervorgerufen werden kann“ (Grünewald 2016, 465). Es scheint also ange-
bracht, keine übertriebenen Erwartungen beim Einsatz von digitalen Medien
im FU zu hegen, gleichzeitig aber auf die Wichtigkeit und möglichen positi-
ven Effekte der vielfältigen digitalen Tools hinzuweisen.
Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht kann erfolgreich sein, aller-
dings nur dann, wenn die Basis-Konzepte und das heute überwiegend genutz-
te und vom Common European Framework (Council of Europe 2001) gepräg-
te europäische Leitbild des Fremdsprachenunterrichts als Grundlage
verwendet werden: ein Lernparadigma des sozialen Kognitivismus, in einem
interkulturell, kommunikativ und inklusiv ausgerichteten Fremdsprachenun-
terricht. Dieses Leitbild ist nicht neu, sondern erprobt und seit Jahren auch
empirisch erforscht – einzig der Faktor der Inklusivität muss viel stärker als
bisher durch verstärkt kooperative Lehr-/Lernsituationen gefördert werden
(vgl. Burwitz-Melzer et al. 2017). Ein solcher Unterricht basiert auf einer
kompetenzorientierten und inzwischen differenziert ausgestalteten Task-
Orientierung, die sich für den Einsatz unterschiedlichster digitaler Tools eig-
net. Erweitert werden muss dieses Leitbild dahingehend, dass Lernende und
Lehrende innerhalb der digitalen Lernumgebungen in Zukunft ethisch be-
sonders geschützt sind: gerade weil der Zugang der Lernenden zu den digita-
len Tools unmittelbar ist, weil Kooperation Kulturen umspannt und Lerner-
produkte teils direkt in Clouds gespeichert werden, muss in Zukunft
gewährleistet werden, dass digitale Arbeitsschritte unter Sicherung des Daten-
schutzes durchgeführt werden. Dazu gehört, dass Lernende darüber aufge-
klärt werden, wie sie sicher mit den bereitgestellten Tools umgehen können,
wie sie sich ihrer mit Rücksicht auch auf andere Teilnehmende bedienen und
welche Kenntnisse nötig sind, um Datensicherheit und -schutz herzustellen.
Diese Aspekte werden im Begriff der Medienkompetenz zusammengeführt.
Der Fremdsprachenunterricht wird sein Leitbild mit dem digitalen Wandel
also um diesen Begriff erweitern müssen, indem er genau klärt, was er um-
fasst und in welchen Schritten Medienkompetenz im FU zu erreichen sein
wird.
Möchte man das Potenzial des digitalen Wandels genauer definieren, so
zeichnet es sich bis heute besonders in drei großen Bereichen des fremd-
sprachlichen Lernens ab: in der Lehrwerkentwicklung (Funk 2016; Rösler
2016), beim Üben von Grammatik und Wortschatz mit adaptiven und bin-
nendifferenzierenden Aufgabenstellungen, die auch eine Feedbackfunktion

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36 Eva Burwitz-Melzer

anbieten (Funk 2016; Schmidt/Strasser 2018) und bei der synchronen oder
asynchronen Kommunikation mit Partnern in der ganzen Welt, sei es per
Chats oder Mails sowie beim mobile assisted language learning via Apps oder
kooperativen Spielen (vgl. Schmidt/Strasser 2018).
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Es gilt jedoch auch, sich bei der Einschätzung des Potenzials der Digitali-
sierung einen kritischen Blick zu bewahren: Viele der heute in der Fachlitera-
tur aufgezählten vermeintlichen Neuerungen durch die digitalen Medien, z.B.
die Multimodalität oder die Mehrfachkodierung von Texten, werden nämlich
nicht erst seit dem Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht
genutzt, sondern sie existieren bereits seit vielen Jahrzehnten. Besonders die
Medienvielfalt und die Multimodalität von genutzten Texten im FU stellen
bereits seit den 60er Jahren wichtige Phänomene dar (vgl. de Cillia/Klippel
2016 sowie Schmidt/Strasser 2018), finden aber erst seit gut zwanzig Jahren
mit der zunehmenden Digitalisierung und den Postulaten der New London
Group (1996) eine erheblich gesteigerte und angemessene Beachtung.
Betrachtet man die Kompetenzbereiche, die durch den Einsatz digitaler
Medien signifikant gefördert werden können im Fremdsprachenunterricht, so
wird deutlich, dass sowohl produktive wie rezeptive kommunikative Kompe-
tenzbereiche profitieren können. Die rezeptiven Kompetenzen wie Hörver-
stehen, Hör-Sehverstehen und Lesen sind maßgeblich durch die Vielfalt des
digitalen Textangebots betroffen. Produktive Kompetenzbereiche wie das
monologische und das interaktive Sprechen sowie die mündliche Mediation
erhalten durch Videokonferenzen oder digitales Telefonieren eine bisher
nicht gekannte, wahrscheinlich auch motivierende Authentizität und Plausi-
bilität. Das Verfügen über sprachliche Mittel ist – wie oben bereits erwähnt –
ohnehin einer der Schwerpunkte digitaler Lernprogramme. Die mündliche
und schriftliche Sprachmittlung erlangt durch digitale Lernszenarien mehr
Nähe mit den jeweiligen Kommunikationspartnern, denen eine fremde Kul-
tur nähergebracht werden soll; auch bei Sprachmittlungsaufgaben können
digitale Tools für lebensnahe Lernszenarien sorgen. Konferenzschaltungen
ermöglichen einen Austausch mit gleich mehreren Kommunikationspart-
nern, die weit auf der Welt verstreut sein können und bringen so buchstäblich
Kulturen einander näher.
Die Text- und Medien-Kompetenz ist mit Bedacht so modelliert, dass di-
gitale Medien in den Standards immer schon mitbedacht worden sind, hier ist
die Integration von Print- und digitalen Medien gut gelungen. Eine große
Unterstützung bei der Entwicklung von Sprachbewusstheit können digitale
Datenbanken zur Lernersprache darstellen oder eine individuelle Übersicht
über die eigene Lernentwicklung, die im Unterricht mit Partnern reflektiert
werden kann. Die Sprachlernkompetenz schließlich erfährt eine Bereicherung
durch e-Portfolios, die den Lernenden helfen, ihre individuellen Lernwege
und Lernpläne in der Fremdsprache und zur Plurilingualität zu finden,
Lernerträge abzuschließen und diese selbstständig zu überprüfen.

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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 37

Einen Problemfall stellt in diesem Zusammenhang aber oft die interkultu-


relle Kompetenz dar, obwohl sie scheinbar ganz natürlich und vermeintlich
automatisch durch das globalisierte Netz, die Unabhängigkeit des Lernorts,
die Interaktivität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ihre interperso-
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nalen Beziehungen zueinander gefördert wird (vgl. dazu auch Jo-


nes/Stuhlmann/Zeyer 2016, 25-30). Der Aufbau der interkulturellen Kompe-
tenz wird seit dem Anfang des neuen Millenniums systematisch im
Fremdsprachenunterricht betrieben; er wird von europäischen und deutschen
bildungspolitischen Publikationen gefordert, allerdings nur durch wenige
Beispiele empirischer Forschung flankiert. Neben dem Common European
Framework (Council of Europe 2001), der nur wenig zum Aufbau der inter-
kulturellen Kompetenz zu sagen hatte (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 66-72), sind
es auf europäischer Ebene vor allem der Referenzrahmen für plurale Ansätze
zu Sprachen und Kulturen CARAP/REPA (ECML 2009), der Guide for the
Development and Implementation of Curricula for Plurilingual and Pluricultu-
ral Education (Beacco et al. 2016) und zuletzt der CEFR Companion Volume
With New Descriptors (Council of Europe 2018), die versuchen, das interkul-
turelle Lernen in Schulcurricula und Curricula für erwachsene Lernende ver-
bindlich zu verankern. Die bisher verbindlichste und pragmatischste Lösung
einer Modellierung der interkulturellen Kompetenz findet sich aber in den
deutschen Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/
Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2014; vgl. hierzu auch
Vogt 2016), die dem Aufbau dieses Kompetenzbereichs zehn Deskriptoren,
die auf einer Leistungsebene angesiedelt sind, widmen. Nur selten jedoch
wird dieser zentrale Kompetenzbereich direkt und mit einer methodischen
Fragestellung versehen auf die Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts
bezogen1.
Eine digitale Lernkultur im Fremdsprachenunterricht, insbesondere das
mobile language learning lässt die Welt auf den ersten Blick zu einem global
village zusammenschnurren, dessen vermeintliche Nähe aber tatsächlich eine
große kulturelle Hybridität und Diversität birgt. Mit den potenziellen Ge-
sprächspartnern und Spielkolleginnen in aller Welt, die Englisch als Mutter-
sprache, Amtssprache oder lingua franca nutzen, muss der Umgang sorgfältig
erlernt werden, wenn er zielführend und erfolgreich sein soll, d.h. wenn ne-
ben dem Spracherwerb und/oder dem handlungsorientierten Produkt der
Aufgabe auch ein reflektiertes interkulturelles Ziel erworben werden soll.
Aber ein solch dreifaches Ziel zu erreichen, ist nicht einfach, wie die wenigen
empirischen Studien zum interkulturellen Lernen immer wieder zeigen. Be-
reits 2003 konnte nachgewiesen werden, dass junge Schülerinnen und Schüler
(Klasse 5 bis 10, alle Schulformen) in der Lage sind, ihr interkulturelles Po-

1
Die empirische Studie von A. Müller-Hartmann (1999) stellt in diesem Zusam-
menhang eine frühe Ausnahme dar.

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38 Eva Burwitz-Melzer

tenzial auf der Grundlage des Byram-Konzepts der ICC (1997) zu erweitern,
wenn sie mit authentischen Texten und bestimmten strategisch ausgeführten
Aufgabenstellungen wie z.B. Perspektivenwechseln konfrontiert und geför-
dert werden. Besonders die abschließend durchgeführten Reflexionsstrategien
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erwiesen sich als fruchtbar und bewusstseinssteigernd (vgl. Burwitz-Melzer


2003).
Sehr häufig wird sie aber bei der Konzeptbildung und später bei der Mo-
dellierung von Medienkompetenz, bei Aufgabenstellungen und Beispielen in
einschlägigen Publikationen wenig beachtet, fast nie wird sie systematisch
eingeübt oder gefördert. Dabei sind die Standards zur interkulturellen Kom-
petenz zumindest für die Oberstufe recht ausgefeilt und ließen sich gut mit
Aufgabenstellungen, die digitale Tools einsetzen, verbinden (vgl. KMK 2014,
19-20). Als Erinnerung mag hier der Allgemeine Deskriptor dienen:
Die SuS können in direkten und in medial vermittelten interkulturellen Situa-
tionen kommunikativ handeln. Dies bezieht sich auf personale Begegnungen
sowie auf das Verstehen, Deuten und Produzieren fremdsprachiger Texte. Die
SuS greifen dazu auf ihr interkulturelles kommunikatives Wissen zurück und
beachten kulturell geprägte Konventionen. Dabei sind sie in der Lage, eigene
Vorstellungen und Erwartungen im Wechselspiel mit den an sie herangetra-
genen zu reflektieren und die eigene Position zum Ausdruck zu bringen
(KMK 2014, 19).
Die Modellierung der interkulturellen Kompetenz ebnet den Weg für eine
vielfache und vielseitige Nutzung mit digitalen Tools, denn sie sind bereits bei
der Formulierung mitbedacht worden. Dabei ist es klar, dass die IKK stets im
Verbund mit anderen kommunikativen Kompetenzen auftritt und so auch in
einem Kompetenzverbund eingesetzt werden muss. Dass ein solcher Einsatz
nicht einfach ist, zeigt sich im Schulalltag; dort wird die IKK noch nicht
ernsthaft eingesetzt und beurteilt und in den mündlichen und schriftlichen
Prüfungen ist sie bisher noch aus der Bewertung ausgeklammert.
Trotz dieser Anlaufschwierigkeiten beim Einsatz der interkulturellen
Kompetenz sollte sie gerade durch einen verstärkten Medieneinsatz gut ge-
fördert werden können, denn wo sonst, wenn nicht im global village, kann
man so unproblematisch Kontakt bekommen zu so vielen Menschen unter-
schiedlicher Kulturen? Das nächste Kapitel wird zunächst zwei empirische
Beispiele zur Förderung der interkulturellen Kompetenz mit digitalen Tools
vorstellen und dann versuchen, Schlussfolgerungen für eine sinnvolle und
systematische Verbindung zwischen digitalem Medieneinsatz und der Förde-
rung der interkulturellen Kompetenz zu liefern.

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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 39

3 Interkulturalität als zentrales und ausbaufähiges Paradigma für


einen digitalen Fremdsprachenunterricht: Zwei Beispiele
Das erste Beispiel stammt aus der Pionierzeit des Einsatzes digitaler Medien
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im Englischunterricht, es handelt sich um ein sehr bekanntes Projekt, das


Andreas Müller-Hartmann im Rahmen einer größeren Studie Ende der
Neunziger Jahre durchgeführt hat. Diesem E-Mail Projekt wurde ein literari-
scher Text, die dystopische Ganzschrift The War between the Classes (2009)
von Gloria D. Miklowitz in einem dreimonatigen „virtuellen Lerndreieck“
(Müller-Hartmann 1999, 170) zwischen zwei Englisch-Grundkursen in der
12. Jahrgangsstufe in Ulm und Lollar und einer Englischklasse in Lachute,
Quebec, Kanada diskutiert. Dabei wurde in allen drei Klassen ein Lesetage-
buch als Grundlage für den literarischen und interkulturellen Austausch an-
gelegt.
Organisatorisch verlief das Projekt so, daß nach einer Kennenlernphase –
Austausch von Briefen zur Person – mehr oder weniger stabile bilaterale Part-
nerbeziehungen entstanden [...] dass sich jede Lerngruppe mit jeder anderen
Lerngruppe austauschen konnte. Dabei bildeten sich auch kleinere Lerngrup-
pen, die sich zu zweit oder zu dritt mit den Partnern austauschten. Die jewei-
ligen Partner verfolgten im Laufe der mehrwöchigen Lesephase ihre ganz spe-
zifischen Diskussionsstränge. Die Arbeit in Paaren oder Kleingruppen wurde
immer wieder durch Plenumsphasen unterbrochen, in denen bestimmte in-
haltliche Aspekte aus verschiedenen Briefen bzw. einzelne besonders interes-
sante Schülerbriefe diskutiert wurden, um so den Austausch innerhalb der
Klasse zu gewährleisten und um Möglichkeiten zu schaffen, anregend und
stützend in den interkulturellen Lernprozeß einzugreifen (ibid., 171).
Es sind vier Aspekte, die bei diesem Projekt als besonders positiv herauszu-
stellen sind: Müller-Hartmann plant das Projekt als einen monatelangen Aus-
tausch, also als einen interkulturellen Entwicklungsprozess, der den Lernen-
den Zeit gibt, sich gut kennenzulernen, um persönliche Einstellungen zur
Sprache zu bringen. Dieser Aspekt war in der fachdidaktischen Diskussion
bereits angedacht, aber nie in einer solch konsequenten Länge vorgeschlagen
worden (vgl. Donath 1996, 21f. zitiert von Müller-Hartmann 1999, 169). Da-
bei wird, und dies ist der zweite als positiv zu bewertende Aspekt, das techni-
sche Medium speziell in den Blick genommen und seine Eigenheiten werden
im Gebrauch der Lernenden besonders berücksichtigt.
Die mehrere Wochen andauernde Beschäftigung mit einem Ganztext ent-
spricht dem Zeitraum, den ein projektorientiertes E-Mail-Projekt benötigt,
um einen wirklichen Austausch zu ermöglichen. Die Untersuchung von E-
Mail-Projekten hat gezeigt, daß der Austausch oft erst nach einigen Wochen
richtig in Schwung kommt. [...] Die Partnerinnen müssen sich erst finden und
eine Beziehung aufbauen, die Lerngruppe muß sich in das Thema eindenken

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40 Eva Burwitz-Melzer

und einarbeiten und methodische Verfahren müssen zum Zug kommen, die
eine intensive Zusammenarbeit ermöglichen (ibid., 169).
Drittens erscheint es als besonders positiv, dass alle Kompetenzen, die hier
berücksichtigt sind, miteinander verzahnt und in einem Tableau gegeneinan-
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der abgewogen werden (Lesekompetenz und literarische sowie interkulturelle


Kompetenzen sowie Schreibkompetenzen und mündliche Diskussionen im
jeweiligen Klassenzimmer). Erst in dieser Zusammenschau ergibt sich der
Anspruch an einen verlangsamten, individuellen Leseprozess, der sich entwi-
ckeln darf, um interkulturelle Förderung zu ermöglichen. Der vierte positive
Aspekt besteht in einer gründlichen Reflexion der beteiligten Kompetenzen,
der Entwicklung der Arbeitsprozesse im Klassenraum unter Einbezug der
technischen Möglichkeiten und der sich verändernden Lehrkraft- und Schü-
lerrollen (vgl. ibid., 170-180).
In einer erst kürzlich publizierten qualitativen Studie zu Lernaufgaben für die
Entwicklung interkultureller Kompetenzen im bilingualen Geographieunter-
richt (Müller 2018) wurde mit Hilfe eines sehr ausgefeilten Unterrichtsplans
in zwei Klassen ebenfalls nachgewiesen, dass eine sorgfältige Aufgabenstel-
lung, die Ausbildung sprachlicher Strategien und vor allem eine Bewusstma-
chungsphase am Ende der Unterrichtseinheiten zu einem Lernerfolg in punc-
to interkulturelles Lernen führen kann. Bedauerlicherweise misslang gerade
die einzige Teilaufgabe dieses Dissertationsprojekts, die mit neuen Medien
durchgeführt wurde: Dies war ein Skype-Gespräch mit geplantem Interview
zwischen Lernenden einer 9. Realschulklasse und drei IT-Angestellten in
Indien. Es scheiterte daran, dass die Verbindung schlecht war und sich sehr
negativ auf die Verstehensleistung auf der Schülerseite auswirkte, sodass we-
der ein sprachlicher noch ein interkultureller Erfolg bei dem Synchronge-
spräch verzeichnet werden konnte. Nachdem der Versuch abgebrochen, das
Gespräch in einem neuen Anlauf von der Lehrkraft selbst separat durchge-
führt wurde und die Schülerinnen und Schüler einen kurzen Zusammen-
schnitt von ein bis zwei Minuten gesehen hatten, waren sie in der Lage, mit
dem Material der Videomitschnitte zu arbeiten und Arbeitsblätter auch mit
interkulturellen Fragen dazu auszufüllen – zu einem weiteren Skype-
Gesprächsversuch kam es nicht (Müller 2018, 310-2). Neben den störenden
technischen Mängeln, die bei diesem Projekt nicht mit eingeplant gewesen
waren, zeigt dieses Beispiel auch, wie schwierig es für junge Lernende im Ni-
veaubereich um B1 sein muss, spontan sprachlich und interkulturell ange-
messen in der Fremdsprache zu kommunizieren. Der seinen eigenen Unter-
richt beforschende Müller, der aus den beiden kurzen interkulturellen
Lerneinheiten insgesamt 108 „Schlussfolgerungen“ über das interkulturelle
Lernen zieht, verpasst leider die Chance, auch aus diesem gescheiterten Bei-
spiel, einen angemessenen Schluss zu ziehen: Dieser müsste m.E. lauten, dass
es ungleich schwieriger ist für junge Lernende, in einem synchron stattfin-
denden Gespräch in der Fremdsprache mit Teilnehmern, die wahrscheinlich

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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 41

eine dialektale Färbung des Sprachgebrauchs aufweisen, auch mit adäquater


Vorbereitung Fragen zu stellen und Antworten zu verstehen sowie insgesamt
interkulturell angemessen zu agieren und zu reagieren. Auch die Reflexions-
phase, die sich an die Arbeitsphase anschließt, behandelt leider nicht das
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Scheitern des Gesprächsversuchs und eine Eruierung der diversen Gründe


dafür, sondern bezieht sich ausschließlich auf das interkulturelle Verstehen
des aufgezeichneten Interviews und die spätere Verwendung des Video-
mitschnitts für Schülertexte (ibid., 316ff.). Die positiven Aspekte aus dem
Beispiel von Müller-Hartmann wurden hier nicht oder nicht ausreichend
beachtet: Müller plant nur wenig Zeit für das Interview ein, von Probeversu-
chen oder einer sprachlichen Vorbereitung erfahren wir in der Studie nichts.
Die spezielle technische Herausforderung eines Skype-Interviews mit viel-
leicht schlechter Verbindung und die spezielle sprachliche Herausforderung,
die darin besteht dialektal eingefärbtes Englisch spontan zu verstehen und
eine spontane Sprachproduktion in der Fremdsprache abzuliefern, wird nicht
vorab reflektiert. Die einzelnen Kompetenzen werden insgesamt nicht aufein-
ander bezogen und in einem Tableau miteinander in Verbindung gebracht.
Müller schlussfolgert aus diesem Beispiel etwas gewagt und ohne direkt auf
die Schwierigkeiten in dem Aufgabenbeispiel einzugehen:
Folgerung 92: Wenn Lernende in authentischen interkulturellen Kommunika-
tionsaufgaben mit echten Partnern kommunizieren, dann fördert dies die An-
gemessenheit von Formulierungen in der interkulturellen Kommunikation.
Die Lernenden prüfen ihre Kommunikationsbeiträge deutlich kritischer auf
Angemessenheit als in einer gleichartigen Aufgabe ohne echten Kommunika-
tionspartner.
Folgerung 93: Je authentischer eine interkulturelle Kommunikationsaufgabe
ist, desto interkulturell angemessener agieren die Lernenden. Lernende erle-
ben Authentizität in unterschiedlichen Abstufungen. Die subjektiv erlebte
Verbundenheit mit dem Kommunikationspartner beeinflusst, wie stark die
Lernenden ihre Texte auf interkulturelle Angemessenheit prüfen. Je direkter
der Kontakt, desto stärker achten die Lernenden auf Angemessenheit ihrer
Texte. In dem vorliegenden Forschungsprojekt konnten drei Abstufungen be-
legt werden: Texte für den klasseninternen Gebrauch, Texte für die medial
vermittelte interkulturelle Kommunikation und Texte für die direkte face-to-
face-Kommunikation [...] (Müller 2018, 345).
Obwohl es kaum zulässig erscheint, solch verallgemeinernde Aussagen nach
einem empirischen Fallbeispiel zu formulieren, und gleich eine Abstufung der
‚interkulturellen Aufmerksamkeit‘ in drei Stufen vorzunehmen, spricht doch
einiges dafür, dass direkte Kommunikation und medial vermittelte Kommu-
nikation eine andere Qualität des interkulturellen Lernens darstellen könnten
als die Kommunikation, die ausschließlich auf der Ebene zwischen Lehrenden
und Lernenden im Klassenzimmer abläuft. Sollte dies zutreffen, würden ne-
ben face-to face encounters auch solche Szenarios, die mit digitalisierter Un-

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42 Eva Burwitz-Melzer

terstützung stattfinden, vielleicht für bessere interkulturelle Lerneffekte sor-


gen.

4 Schlussfolgerungen für interkulturelles Lernen mit digitalen


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Medien
Aber wie müsste so ein interkulturelles Szenario mit digitalem Einsatz aufge-
baut sein, um erfolgreich zu fördern, wie soll es von den Lehrkräften begleitet
werden und wie könnte es evaluiert werden? Der Guide for the Development
and Implementation of Curricula for Plurilingual and Pluricultural Education
(kurz: Guide; Beacco et al. 2016), der sich mit der Umsetzung plurikulturellen
und interkulturellen Lernens in europäische Curricula befasst, verortet das
interkulturelle Lernen mit unterschiedlichen digitalen Tools in allen schuli-
schen Lernabschnitten, vom frühkindlichen Lernen bis zum Lernen von jun-
gen Erwachsenen (vgl. Beacco et al. 2016, 77-88). Dies wird begründet mit der
gesellschaftlichen Partizipation und der sozial-verantwortlichen Rolle schuli-
scher Erziehung:
School also has a socialisation function. School has the responsibility of train-
ing future citizens and helping learners to become concerned members of so-
ciety. For that purpose it must not only develop their own specific potential
but also give them access to the knowledge and tools they need in order to
participate in the democratic management of life in society. Thus each subject
taught at school, in addition to the knowledge and skills it transmits, must also
contribute to creating a culture of participation in democratic life, especially
with the digitised forms of communication that now make such participation
easier (ibid., 64).
Digitale Tools und Medien erleichtern den Kontakt mit Anderen und Schule
muss in einer strukturell sinnvollen Form auf solche Kontakte vorbereiten.
Den Autorinnen und Autoren kommt es dabei auf vertikale und horizontale
Kohärenz beim interkulturellen Lernen an, die Längsverbindungen im Curri-
culum im Sinne eines lebenslangen Lernens anbieten und auf einer Altersstu-
fe auch Konvergenzen zwischen verschiedenen Lernfächern aufweisen, die
das interkulturelle Lernen mit verschiedenen Fächertraditionen verbinden
(vgl. ibid., 99-102). Da sie sich mit allen Ebenen des Lernens befassen, von der
Makro- (internationalen Ebene) bis zur Nano-Ebene (individuelle Lernebe-
ne), geht es um zentrale Konvergenzen und durch Strategien geleitetes inter-
kulturelles Lernen, die über einzelne Szenarios hinausweisen. Der Reflexion
von Interkulturalität kommt dabei als Einheit stiftendem Element des Ler-
nens eine besondere Rolle zu:
By reflecting on their progress, each learning experience undergone, their lin-
guistic cognitive and cultural acquisitions and the strategies they have used,
learners can themselves assess the value of the experience in question, how

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The global village strikes back: Digitaler Wandel und interkulturelles Lernen 43

much weight to place on the acquisitions and how they can be extended to
other experiences and learning situations (Beacco et al. 2016, 40-1).
Fassen wir also die verschiedenen hier kurz vorgestellten Aspekte des Guide
(Beacco et al. 2016) zusammen, so ergibt sich ein Paradigma, das interkultu-
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relles Lernen mit digitalen Medien als besonders geeignet und besonders
geboten in die heutige europäische Schullandschaft integrieren möchte. Sol-
che strukturellen Ansätze, die dies auf horizontal und vertikal vernetzte Art
und Weise tun, werden bevorzugt, da sie einen stetigen und nachhaltigen
Lernprozess begünstigen. Darüber hinaus gilt es, die Erfahrungen der Ler-
nenden regelmäßig reflektieren zu lassen, um ein optimales Lernergebnis und
-bewusstsein zu erzielen.
Es scheint also, dass sich die beiden empirischen Beispiele und die Vor-
schläge des Europarats in sinnvoller Weise zusammenfassen und ergänzen
lassen: Der schulische Unterricht sollte in den Fremdsprachenfächern – aber
nicht nur dort – regelmäßig und über das Gesamtcurriculum verteilt digitale
Tools und Medien einsetzen, um das interkulturelle Lernen zu fördern. In
Deutschland existieren bereits für die gymnasiale Oberstufe sehr gut durch-
dachte Bildungsstandards für diesen Kompetenzbereich, die einen solchen
Einsatz gut modellieren. Somit wird auch eine Evaluation der mündlichen
und schriftlichen, analogen und digitalen Schülerleistungen erleichtert. Be-
sondere Vorsicht ist allerdings – so haben es die beiden empirischen Beispiele
gezeigt – bei der Phrasierung und Ausführung der Lernaufgaben angesagt.
Hier profitieren Lernende und Lehrende von einer sorgfältigen Planung, die
alle beteiligten Kompetenzbereiche umfasst und interkulturelles Lernen in
seinen vielfältigen Ausprägungen durch alle Lernphasen berücksichtigt.
Die große Chance, die das globale Lernen für die Lernenden im Fremd-
sprachenunterricht darstellt, kann nur eingelöst werden, wenn Lehrende sich
der vielfältigen Schwierigkeiten gerade bei der Integration der interkulturellen
Kompetenz bewusstwerden. Die aktuelle Ausbildung von Lehrkräften muss
also eine Antwort darauf finden, wie diese Bewusstwerdung im Studium aus-
gebildet werden soll.

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Digital Change im Fremdsprachenunterricht – Eine SWOT
Analyse
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Daniela Elsner

1 Digital Change im Fremd- und Zweitsprachenunterricht


Der DigitalPakt#D steht vor dem Abschluss und damit unmittelbar vor jeder
Klassenzimmertüre. Bund und Länder wollen mit ihm für eine (bessere) Aus-
stattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen. Ziel ist, die digitalen Kom-
petenzen von Schülern flächendeckend zu fördern. Der DigitalPakt ist zu-
nächst „lediglich“ eine Finanzhilfe des Bundes an die Länder. Rund 40.000
Grundschulen, weiterführende allgemeinbildende Schulen und Berufsschulen
sollen mit Breitbandanbindung, WLAN und stationären Endgeräten ausge-
stattet werden.
Eine zentrale Strategie zum konkreten Einsatz dieser Medien an den Schu-
len liegt dazu allerdings nicht vor. Die konzeptionelle Umsetzung des Pakts,
d.h. die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts mit digitalen Medien, die
Koordination des technischen Supports an Schulen, sowie die Qualifikation
von Lehrkräften durch passgenaue Aus- und Weiterbildungsangebote, obliegt
allein den Ländern. Der DigitalPakt setzt damit zwar eine digitale Bildungsre-
form in Gang, die an deutschen Schulen längst überfällig war, als revolutionä-
res Ereignis, das das schulische Bildungswesen von heute auf morgen auf den
Kopf stellt, ist diese Reform jedoch nicht zu verkennen. Sie ist vielmehr als
Auftakt eines Wandlungsprozesses zu verstehen, der Chancen und Gefahren
mit sich bringen, ebenso wie er an bereits Erreichtes anknüpfen und Lücken
aufdecken wird. Welche Chancen und Risiken der digitale Wandel für den
Fremd- und Zweitsprachenunterricht, z.B. in Bezug auf die Weiterentwick-
lung von Curricula und Unterrichtsmaterialien, die methodische Gestaltung
von Fremd-/ Zweitsprachenunterricht, die Einrichtung der Lernumgebung
und die Aus- und Weiterbildung von Sprachenlehrkräften mit sich bringt,
soll im Folgenden ebenso überlegt werden, wie die Frage, welche Stärken und
Schwächen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht in diesem Verände-
rungsprozess mitberücksichtigt werden müssen.

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Digital Change im Fremdsprachenunterricht – Eine SWOT Analyse 47

2 Stärken, Schwächen, Gelegenheiten und Risiken des Digitalen


Wandels im Fremd- und Zweitsprachenunterricht
Changeprozesse gehören im Wirtschaftskontext zum Alltagsgeschäft. Doch
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auch hier lösen diese bei den vom Wandel Betroffenen üblicherweise zu-
nächst einmal Unsicherheiten aus (vgl. Vahs/Weiand 2013). Eine wichtige
Quelle der Orientierung und der Motivation aller Beteiligten ist deshalb eine
gute und nachvollziehbar aufbereitete Strategie. Die Entwicklung einer sol-
chen beginnt meist mit einer Analyse der Ausgangssituation mittels einer
SWOT-Analyse. Konkret geht es darum, die Stärken und Schwächen im be-
stehenden System zu bestimmen und die Gelegenheiten/Chancen und Gefah-
ren bzw. Risiken der Neuerung einzuschätzen, um auf dieser Basis entspre-
chende Lösungsstrategien zu erarbeiten.
Im Folgenden soll eine solche SWOT-Analyse mit Blick auf den Einsatz
und die Nutzung digitaler Technologien im Zusammenhang mit dem Fremd-
und Zweitsprachenunterricht sowie der Ausbildung von Lehrkräften für die-
sen durchgeführt werden.

2.1 Stärken
Der Einsatz von technischen Medien im Fremd- und Zweitsprachenunter-
richt ist nichts Neues. Schon zu Beginn der sechziger Jahre erfuhr der Fremd-
sprachenunterricht eine technische Wende (vgl. Freudenstein 2003, 395).
Tonträger, das Sprachlabor, Filme und der Overheadprojektor avancierten zu
wichtigen Lernmitteln, die den Unterrichtsprozess in den sprachlichen Fä-
chern optimieren sollten. Einerseits trugen (und tragen) diese Medien dazu
bei, die Unterrichtsführung zu erleichtern (vgl. Gutschow 1973, 139), ande-
rerseits erhöhten und erhöhen sie die Anschaulichkeit der kommunikativen
und kulturellen Darbietungen und damit auch die Motivation der Lernenden,
sich mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen (vgl. Puchta/Schratz
1984). Darüber hinaus ermöglicht(e) erst der Einsatz technischer Medien
(Tonträger, Radio und Film), unterschiedliche Sprachvorbilder im Unterricht
zu integrieren.
Anfang der 1990er Jahre brachte der Einzug des Computers an Schulen
neue Lernoptionen in Form des computergestützten Lernens (CALL, Compu-
ter Assisted Language Learning) mit sich. Die Nutzung von Lernsoftware er-
weiterte das Spektrum der Selbststeuerung der Lerner sowie den multimoda-
len Zugang zur Sprache. Mit Einzug des Internets, Anfang des Milleniums,
erhöhten sich die Recherche- und Interaktionsmöglichkeiten von Lernenden
und Lehrenden, sie eröffneten völlig neue Wege der Kommunikation, der
Informationseinholung und -verbreitung sowie der Vernetzung von Schülern
und Lehrkräften weltweit.

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48 Daniela Elsner

Die stetige Weiterentwicklung im Bereich neuer Technologien in den letz-


ten 20 Jahren führte dazu, dass der Einsatz neuer Medien ein nicht mehr weg-
zudenkender Bestandteil im (Sprachen-)Unterricht geworden ist, insbesonde-
re was den Einsatz von CDs und Filmen anbetrifft.
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Eine Statista-Umfrage unter knapp 1500 Lehrkräften aus dem Jahr 2016
zeigt, dass bereits 81% der Lehrkräfte an ihren Schulen fest installierte PCs
vorfinden und immerhin 61% der Schulen über interaktive Tafeln verfügen
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/180288/umfrage/ausstattung-
von-schulen-mit-elektronischen-lehrmitteln/ (16/12/2018)). Darüber hinaus
haben es auch einige mobile Endgeräte in die Klassenzimmer geschafft: 18%
der Lehrkräfte können an ihrer Schule ein Tablet nutzen (ebd.), 98% der
Schüler verfügen über ein Smartphone (https://www.mpfs.de/fileadmin/files/
Studien/JIM/2018/Studie/JIM_2018_Gesamt.pdf (16/12/2018)), das sie theo-
retisch für das Sprachenlernen nutzen können.
Blättert man die jüngsten Kataloge der großen Schulbuchverlage durch, so
wird deutlich, dass sich die Angebotspalette der Sprachlehr- und -lern-
materialien, die sich mit digitalen Endgeräten aufrufen lassen, in den letzten
Jahren stark erhöht hat. Lehrenden und Lernenden stehen somit eine Vielzahl
an Hard- und Software zum Sprachenlernen, -lehren und Üben im Unterricht
und außerhalb dessen zur Verfügung.
Dass von diesem Angebot zumindest vereinzelt bereits Gebrauch gemacht
wird, lässt sich anhand verschiedener Forschungsstudien erkennen, die den
Einsatz digitaler Medien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht untersu-
chen. Einige dieser Studien zeigen dabei, dass der Einsatz digitaler Medien für
die fremdsprachliche Kompetenzentwicklung von Sprachenlernenden auf
verschiedenen Ebenen gewinnbringend sein kann. So kommen Derakshan et
al. (2015) in ihrem zusammenfassenden Überblick zu verschiedenen Studien
mit dem Schwerpunkt auf CALL zu dem Schluss, dass Schüler sich häufig
rege(r) beteiligen, wenn die fremd-/ zweitsprachliche Kommunikation über
bzw. mithilfe von digitale(n) Endgeräte(n) verläuft. Bezogen auf den Fremd-
sprachenunterricht in Deutschland weist u.a. Cutrim-Schmidt (2018) solche
Effekte beim Einsatz von Smartboards im Englischunterricht der Grundschu-
le nach. Andere Studien zeigen, dass Schüler unter Verwendung digitaler
Geräte intensiver miteinander kooperieren (vgl. Koile/Singer 2008; Dausend
2018), ein Effekt, der sich für die Entwicklung in einer Zweit- und Fremd-
sprache als äußerst nützlich erweist, da hierdurch die sprachliche Interaktion
der Schüler erhöht werden kann. Darüber hinaus verweisen Bernert-Rehaber
und Schlemminger (2013, 46) auf das besonders für den Sprachenunterricht
lernförderliche Potenzial virtueller Lernwelten und Serious Games, da mit
diesen handlungsorientierte, selbstgesteuerte und entdeckend konstruktivisti-
sche Lernprozesse in der Fremdsprache initiiert werden.
Eine einschränkende Erkenntnis, die aus all diesen Studien zum Einsatz
digitaler Technologien im Fremd- und Zweitsprachenunterricht abgeleitet

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Digital Change im Fremdsprachenunterricht – Eine SWOT Analyse 49

werden kann, ist, dass „der bloße Einsatz digitaler Medien nicht zu einer ge-
steigerten Motivation oder zu einem effektiven Lernen führt. Entscheidend
dafür ist die Auswahl des Lerngegenstands und dessen didaktisch-
methodische Aufbereitung“ (Grünewald 2016, 464).
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2.2 Schwächen
Wenngleich bereits zahlreiche Medienangebote an Schulen vorzufinden sind,
ist der systematische Einsatz jüngerer Technologien in den Klassenzimmern
bislang nicht an der Tagesordnung (vgl. Drossel et al. 2018), dies gilt auch für
den Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Obwohl Lehrkräfte ihren eigenen
Angaben zufolge in der Lage sind, brauchbare Unterrichtsmittel im Internet
zu finden (vgl. Eickelmann et al. 2014, 19), sich grundsätzlich als technikaffin
einschätzen und am Einsatz digitaler Medien im Unterricht und entspre-
chenden Fortbildungen interessiert zeigen (Bitcom-Studie 2015), setzt derzeit
nur knapp ein Drittel der Lehrkräfte in Deutschland regelmäßig neuere digi-
tale Technologien im Unterricht ein (European Commission 2014; Drossel et
al. 2018). Begründet liegt dies einerseits darin, dass die Lehrkräfte selbst dem
Einsatz digitaler Technologien im Unterricht eher noch skeptisch gegenüber-
stehen, da sie den unmittelbaren Mehrwert in Bezug auf die Kompetenzent-
wicklung der Lernenden nicht erkennen (Schwanenberg et al. 2018). Ande-
rerseits mangelt es den Lehrkräften an (fachbezogenen) digitalen
Kompetenzen sowie entsprechenden Planungskompetenzen zur digitalisier-
ten Gestaltung des Fachunterrichts. So sprechen die im nordrhein-
westfälischen Schulleitungsmonitor befragten Schulleiter (ebd.) ihren Lehr-
kräften eine nur geringe Kompetenz in Bezug auf den Einsatz digitaler Medi-
en im Fachunterricht zu, dabei scheinen die Fremd- und Zweitsprachenlehr-
kräfte keine Ausnahme zu bilden. Ebenso zeigen z. B. die Ergebnisse der
ICILS Studie (Eickelmann et al. 2014), dass nur 67% der Lehrkräfte sich selbst
für kompetent genug halten, Unterricht, in dem digitale Medien eingesetzt
werden, vorbereiten zu können. Ein positives Selbstvertrauen und die subjek-
tive Gewissheit digitale Medien kompetent im Unterricht einzusetzen ist je-
doch entscheidend für die tatsächliche Realisation (Petko 2012), ebenso wie
eine aufgeschlossene Haltung gegenüber der unterrichtlichen Nutzung digita-
ler Medien eine wichtige Voraussetzung für die effektive Unterrichtsgestal-
tung unter Einbezug digitaler Medien ist (Bos et al. 2014).
Der unregelmäßige und aus didaktischer Perspektive offenbar wenig spe-
zifische oder reflektierte Einsatz digitaler Medien ist insbesondere deshalb
alarmierend, weil digitale Medien vor allem in heterogenen Lerngruppen
Möglichkeiten zur individuellen Förderung, z.B. durch Kompetenzerfassung,
individuelle Anpassung von fachlichen Lernangeboten sowie Feedback bieten
(Heinen/Kerres 2015) und einen kognitiv aktivierenden, lernergesteuerten
Fachunterricht in der Primar- und Sekundarstufe unterstützen (Irion 2018).

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50 Daniela Elsner

Gerade im Fremdsprachenunterricht, der auf Lernerorientierung als bedeut-


sames Prinzip setzt, bietet der Einsatz digitaler Medien und die durch diese
mögliche Individualisierung der Lernprozesse, besonders im Hinblick auf die
Förderung heterogener Gruppen, einen deutlichen Mehrwert (vgl.
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Schmidt/Würffel 2018).
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die bislang für den Ein-
satz im Fremd- und Zweitsprachenunterricht vorhandenen digitalen Lernan-
gebote, bislang häufig wortschatz- und rezeptionsorientiert sind und einen
behavioristischen Lernzugang bieten. Insbesondere im Spielebereich sind die
Inhalte häufig simplistisch und die Spielmechanismen geradlinig (vgl. Blu-
me/Schmidt 2017). Die Skepsis der Lehrkräfte im Hinblick auf den Mehrwert
solcher Angebote ist deshalb nicht unberechtigt.
Um Lehrkräfte darin zu unterstützen, Sicherheit im Umgang mit und Ver-
trauen zum fachspezifischen Einsatz von digitalen Medien im Fremd- und
Zweitsprachenunterricht zu gewinnen, bedarf es zunächst einer konkreten
Systematisierung der vorhandenen digitalen Lernwerkzeuge hinsichtlich ihres
Einsatzes und des gewünschten Effekts für das fachliche Lernen seitens der
wissenschaftlichen Fachvertreter, hier Fachdidaktiken. Diese Systematik sollte
zwischen einer Nutzung von digitalen Medien als (niederschwellige) Anrei-
cherung des Unterrichts und der Nutzung von digitalen Medien als Trans-
formation von Lernprozessen unterscheiden. Schließlich müssen medienge-
stützte bzw. -basierte Lernaufgaben als zentrales didaktisches Gestaltungs-
mittel (weiter-)entwickelt und im Hinblick auf ihre fachübergreifenden und
fachspezifischen Merkmale systematisiert und für den konkreten Einsatz im
Unterricht detailliert beschrieben und den Lehrkräften zur Verfügung gestellt
werden (Herzig/Grafe 2011).
Neben gut ausgearbeiteten Fort- und Weiterbildungskonzepten für Lehr-
kräfte an Schulen, werden langfristige Schulentwicklungsprozesse, die Aspek-
te von kollegialer Unterrichtsentwicklung einbeziehen, benötigt (u.a. Drossel
et al. 2018). Solche komplexen Formen der Kooperation sind bei deutschen
Lehrkräften jedoch selten zu finden (DAS-Studie 2018), obwohl diese genutzt
werden könnten, um fachspezifische Digitalisierungskompetenzen im kolle-
gialen Austausch aufzubauen. Hieraus ergibt sich neben dem Bedarf an An-
geboten für die zweite und dritte Phase der Lehrerbildung auch ein Bedarf an
universitären Angeboten in der Lehramtsausbildung, mittels derer sich (an-
gehende) Lehrkräfte entsprechende fachspezifische digitale Kompetenzen
kooperativ aneignen können, um längerfristige Schulentwicklungsprozesse
anzustoßen. Aus lerntheoretischer und hochschuldidaktischer Perspektive
sollten entsprechende Lehrformate so gestaltet werden, dass sich die (ange-
henden) Lehrkräfte aktiv, konstruktiv und problemorientiert in Teams mit
dem Lern- und Unterrichtsgegenstand auseinandersetzen (Elsner 2015).

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Digital Change im Fremdsprachenunterricht – Eine SWOT Analyse 51

2.3 Gelegenheiten
Die flächendeckende Ausstattung von Schulen mit digitalen Medien wird das
Unterrichtserleben von Schülern langfristig verändern. Sie werden im Bestfall
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von einem stärker differenzierten und auf ihre individuellen Bedürfnisse zu-
geschnittenen Sprachenunterricht profitieren können. Insbesondere mit Blick
auf den Umgang mit und die Berücksichtigung von Lernern unterschiedlicher
sprachlicher Herkunft, können technologiebasierte mehrsprachige Textange-
bote zahlreiche Probleme lösen, die einer mehrsprachigen Förderung lange
im Weg standen (Buendgens-Kosten/Elsner 2018). Darüber hinaus können
insbesondere Sprachanfänger oder leseschwache Lerner von digitalen Texten
profitieren, die neben der visuellen auch eine auditive Komponente bieten
und dadurch das Leseverstehen der Lernenden unterstützen, die Lesemotiva-
tion erhöhen und zum Vokabelzuwachs beitragen können (Kolb 2018, 31).
Ebenso ist zu erwarten, dass die breitere Einführung und stärkere Nutzung
digitaler Medien im Zweit- und Fremdsprachenunterricht das kollaborative
Arbeiten befördert und damit, z.B. bei der Erstellung von Wikis, Blogeinträ-
gen etc., auch das Maß der sprachlichen Interaktion weiter erhöht wird (Kess-
ler 2018).
Die Liste möglicher (positiver) Veränderungen ließe sich unendlich fort-
führen und würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Was jedoch bereits
anhand dieser Beispiele deutlich wird, ist, dass die Digitalisierung im Bil-
dungskontext Chancen auf vielen unterschiedlichen Ebenen mit sich bringt:
Schüler können über digitale Technologien stärker individualisierte und orts-
unabhängige Lerngelegenheiten nutzen; auch ermöglichen schulisch ange-
schaffte Lernprogramme unter Umständen eine Reduktion sozialer Unge-
rechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf häusliche Unterstützungssysteme.
Lehrkräfte können von digitalen Unterrichtsplanern und Lehrwerken in zeit-
licher und organisatorischer Hinsicht profitieren. Zudem kann die regelmä-
ßige Integration von Sprachlernprogrammen sie in ihrer Rolle als zentraler
Inputprovider und Feedbackgeber entlasten. Für Zweit- und Fremdsprachen-
lehr-/-lernforscher eröffnet sich mit der stärkeren Integration digitaler Tech-
nologien ein immens großes Forschungsfeld und damit verbunden die impli-
zite Aufforderung zahlreiche Untersuchungen durchzuführen, um den
Antworten auf zentrale Fragen näher zu kommen, wie u.a.: Wie lassen sich
unterrichtliche Sprachlehr- und -lernprozesse nach dem Digitalpakt bestmög-
lich gestalten? Welche fachbezogenen digitalen Kompetenzen benötigen Ler-
ner und Lehrkräfte, um Zweit- und Fremdsprachen effektiv zu erlernen bzw.
um Zweit- und Fremdsprachen in einer globalen Welt effektiv zu nutzen?
Auch Lehrende an Hochschulen stellt der Digitialpakt vor neue Herausforde-
rungen und vor die Frage, welchen Beitrag universitäre Lehrveranstaltungen
leisten können, um die fachbezogene und fachübergreifende Entwicklung
digitaler Kompetenzen von Lernern und Lehrkräften optimal auszugestalten?

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52 Daniela Elsner

Im Kontext all dieser Fragestellungen bietet sich schließlich die Möglich-


keit einer längerfristigen Verknüpfung von theoretisch begründeten For-
schungsanlässen und Schul- und Unterrichtsentwicklung zur Nutzung von
digitalen Technologien für fachbezogenes Lernen unterschiedlicher an der
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Lehrerbildung beteiligter Gruppen.

2.4 Risiken
Im deutschen Kontext zeichnet der (umstrittene) Neurowissenschaftler Man-
fred Spitzer ein bedrohliches Bild im Hinblick auf die verstärkte Nutzung
digitaler Medien im Kindes- und Jugendalter. Spitzer (2012) warnt vor Ge-
dächtnis-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, emotionaler
Verflachung und allgemeiner Abstumpfung, die aus seiner Sicht durch die
intensive Nutzung digitaler Technologien bei Kindern und Jugendlichen
befördert werden. Wenngleich Spitzers Forschungsergebnisse und die von
ihm hieraus abzuleitenden Konsequenzen für den Unterricht durch zahlrei-
che andere Studien widerlegt werden (zusammenfassend Bounin 2012), war-
nen auch andere Forscher, die sich mit den Chancen und Risiken des Einsat-
zes digitaler Technologien im Bildungskontext auseinandersetzen, vor
unerwünschten Folgen der Mediennutzung. So befürchten u.a. Liebowitz und
Frank (2011) die Entwicklung einer Generation von „noncritical thinkers“,
die Informationen (aus dem Internet) nicht grundlegend auf ihren Wahr-
heitsgehalt hin überprüfen oder grundsätzlich kritisch hinterfragen. Ozu-
ocrun und Tabak (2012) geben zu bedenken, dass sich die Lehrer-Schüler-
Beziehung durch den verstärkten Einsatz digitaler Medien im Unterricht
verändern wird und damit möglicherweise auch eine reduzierte Kommunika-
tion zwischen diesen Akteuren einhergeht. Im Fremdsprachenunterricht
könnte dies dazu führen, dass die Schüler seltener spontansprachliche münd-
liche Äußerungen tätigen und entsprechend weniger situatives Feedback von
der Lehrkraft erhalten, Vorgänge, die jedoch zur Weiterentwicklung der
sprachlichen Kompetenzen relevant sind.
Die im Rahmen der ICILS Studie (Fraillan et al. 2013) befragten Lehrkräf-
te sehen dies ebenfalls als Gefahr und sie befürchten darüber hinaus, dass der
häufigere Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu einer reduzierten Kom-
munikation zwischen den Schülern führt. Weiterhin geben die Lehrkräfte zu
bedenken, dass die Nutzung des Internets zur unterrichtsbezogenen Recher-
che, zur Beantwortung von Fragen oder zum Verfassen von Texten schnell zu
„Copy & Paste“ verleitet. Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts ist dies
deshalb ein Risiko, da das selbstständige Verfassen von Texten eine zentrale
und notwendige Komponente des Spracherwerbs darstellt, während reines
Abschreiben nur wenig zur Sprachentwicklung beiträgt. Die Lehrkräfte glau-
ben zudem, dass der verstärkte Einsatz digitaler Medien dazu führt, dass die
Schüler seltener mit der Hand schreiben, was sich langfristig negativ auf ihre

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Digital Change im Fremdsprachenunterricht – Eine SWOT Analyse 53

Schreibkompetenzen und die Informationsverarbeitungstiefe auswirken


kann. Inwiefern eine häufigere Nutzung digitaler Medien zum (eigenständi-
gen) Verfassen schriftlicher Texte im bzw. außerhalb des Unterrichts, sich, im
Gegensatz zur handschriftlichen Produktion von Texten, nachteilig auf den
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Spracherwerbsprozess auswirkt, bleibt allerdings abzuwarten. Als besonders


kritisch stufen die Lehrkräfte schließlich die Tatsache ein, dass der Medien-
einsatz im Unterricht (insbesondere Tablets und Smartphones) die Schüler
aus ihrer Sicht vom Lernen ablenkt. Eine Annahme, die in verschiedenen
Studien bestätigt wurde (u.a. Aufenanger 2015), bislang jedoch nicht explizit
für den Einsatz von Tablets im Zweit- oder Fremdsprachenunterricht bestä-
tigt wurde.
Neben diesen, auf die sprachliche, kognitive und emotionale Entwicklung
von Schülern bezogenen Risiken, die der Einsatz digitaler Medien mit sich
bringt, sehe ich persönlich ein großes Risiko darin, dass das Thema Digitale
Bildung derzeit eine zu große Rolle im Wissenschaftskontext einnimmt. Aus
meiner Sicht befassen sich derzeit zu viele Personen mit dem Themenbereich
„Umgang mit digitalen Technologien im Fachunterricht“, obwohl sie weder
vertiefte Vorkenntnisse darin oder intrinsisches Interesse daran haben. Dies
rührt vermutlich daher, dass sich derzeit kaum eine nationale oder regionale
Ausschreibung für Forschungsfördergelder nicht auf das Thema Digitalisie-
rung konzentriert. Wissenschaftler, die im internen und externen Wettbe-
werb an Hochschulen bestehen wollen, werden so stark extrinsisch motiviert,
sich mit dem Thema Digitalisierung in Unterricht und Lehrerbildung kon-
zeptionell und forschend auseinanderzusetzen. Der digitale Wandel verändert
und steuert damit Forschungsaktivitäten und -schwerpunkte in noch massi-
verer Form als es das Thema Inklusion bereits getan hat und beschneidet,
zumindest mittelbar, den Grundsatz von Freiheit der Wissenschaft in For-
schung und Lehre.
Das größte Risiko des digitalen Wandels im Kontext des Zweit- und
Fremdsprachenunterrichts sehe ich letztlich darin, dass Schulen in Kürze mit
digitalen Medien ausgestattet werden und in altbewährter Praxis, eigenstän-
dig und ohne professionelle Hilfe versuchen werden ihren Unterricht digital
zu stützen. Parallel dazu entwickeln viele Personen Konzepte, die unter Um-
ständen zu spät kommen werden. Fachdidaktiker und Bildungswissenschaft-
ler beginnen, zu den Wirkweisen und Effekten des Einsatzes digitaler Techno-
logien im Fachunterricht zu forschen, und stellen nach vielen Jahren fest, was
nicht gut funktioniert, anstatt vor der Einführung der Medien dafür zu sor-
gen, dass Unterrichtsprozesse optimal gestaltet werden.

3 Abschließende Überlegungen
Lehrkräfte benötigen zügig ein überschaubares und im Unterricht konkret
umsetzbares Konzept für den Einsatz digitaler Technologien im Zweit- und

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54 Daniela Elsner

Fremdsprachenunterricht. Sie haben Bedarf an guten Beispielaufgaben für


unterschiedliche Kompetenzbereiche, Inhalte und Jahrgangsstufen unter
Einbindung digitaler Technologien. Die Entwicklung solcher Aufgaben sollte
nicht den Schulbuchverlagen überlassen werden und sie sollte stets mit der
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Beforschung dieser verbunden sein.


Universitäten benötigen darüber hinaus ein tragfähiges und systemati-
sches Konzept für die fremd- und zweitsprachliche Lehreraus-, fort-
und -weiterbildung in Bezug auf den digitalisierten Fachunterricht. Dazu
müssen auch die an der Lehramtsausbildung beteiligten Akteure im Bereich
der digital gestützten Fremd- und Zweitsprachenbildung weitergebildet wer-
den, denn hier gibt es bislang zu wenig Experten.
In den Geisteswissenschaften hat sich seit den 1970er Jahren der Bereich
der Digital Humanities etabliert. Dieses Forschungsgebiet, das interdisziplinär
mit Forschern aus den geisteswissenschaftlichen Fächern besetzt ist, die eben-
falls mit Verfahren, Konzepten und Standards der Informatik vertraut sind,
befasst sich mit der Anwendung von computergestützten Verfahren und der
systematischen Verwendung von digitalen Ressourcen in den Geistes- und
Kulturwissenschaften sowie der Reflexion über deren Anwendung. Für die
Begleitung und Erforschung des Digitalen Wandels im Zweit- und Fremd-
sprachenunterricht wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, eine Gruppe von Fach-
wissenschaftlern, Fachdidaktikern, Informatikern und Personen aus den
Sprachlernzentren verschiedener Universitäten zu etablieren, die sich auf das
Thema digitalisierter Fremd- und Zweitsprachenunterricht spezialisiert und
Konzepte für den fachspezifischen Einsatz digitaler Technologien im Unter-
richt und an Hochschulen entwickelt. Derzeit entstehen deutschlandweit
interdisziplinäre Forschergruppen an einzelnen Universitätsstandorten, selten
jedoch standortübergreifend und, da häufig im Zentrum dominiert von den
fachübergreifend forschenden Bildungswissenschaften, selten mit explizitem
Fachbezug. Vielleicht brauchen wir gar einen ganz neuen Wissenschaftszweig:
Digitale Fachdidaktiken.
Fest steht allerdings, dass nicht viel Zeit dafür bleibt, solche Maßnahmen
konkret umzusetzen, denn der Leitsatz guter Changeprozesse lautet „Drive
change or it will drive you.“

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Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken
Sprachdidaktische Herausforderungen des digitalen Wandels
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Christian Fandrych

1 Der Wandel von Sprache und sprachlich-kultureller Praktiken als


blinde Flecken der Debatte
Der digitale Wandel wird vielfach zum einen als äußeres und technologisches
Phänomen wahrgenommen, welches neue und sich ständig weiterentwi-
ckelnde Kommunikationsräume und -möglichkeiten schafft. Damit verbun-
den ist ein weitreichender Zugriff auf individuelle Lernerdaten und Lerner-
profile und eine schnell wachsende Anzahl an unterschiedlichsten elektroni-
schen Hilfsmitteln. Zum anderen stehen die dadurch möglichen neuen lehr-
und lernbezogenen Verfahrensweisen und die sich verändernden Rollen und
Aufgaben der Lehrenden und Lernenden im Mittelpunkt der Aufmerksam-
keit. Dabei ist die Entwicklung von einer solchen Dynamik, dass sich sichere
Aussagen über ein stabiles neues medial-technologisches Bedingungsgefüge
schwer tätigen lassen.
Welche der neuen digitalen und vernetzten Lehr- Lernmöglichkeiten1 sich
wie im institutionellen Unterricht umsetzen lassen, ist von verschiedenen
Faktoren abhängig. Zentral für eine didaktisch und pädagogisch sinnvolle
Entwicklung scheinen mir dabei die folgenden drei Aspekte zu sein. Zunächst
sind eine selbstbestimmte Mitwirkung aller Akteure und eine institutionen-
übergreifende Vernetzung unabdingbar. Einerseits müssen mediendidaktische
Konzepte und Infrastrukturen in der jeweiligen Institution gemeinsam entwi-
ckelt und kontrolliert – und nicht etwa von oben durchgesetzt – werden; dies
betrifft insbesondere die Datensicherheit und die Rechte an den Daten.
Gleichzeitig müssen institutionenübergreifend praktikable didaktische Mo-
delle, Einsatzszenarien und Kooperationsnetzwerke konzipiert werden, die
sich lokal adaptieren lassen, damit interessierte Institutionen und Akteure
Orientierung erhalten und anpassbare Ressourcen nutzen können.2 Zum
zweiten ist der Aufbau einer robusten technischen Ausstattung zentral, die an
den Bedürfnissen der Akteure orientiert ist. Einfache und möglichst langfris-

1
Vgl. ausführlicher zu diesen Möglichkeiten etwa Würffel 2018 und Schmidt in
diesem Band.
2
So bietet etwa das Framework for entry-level web literacy & 21st Century skills der
Mozilla Foundation Kriterien zur Entwicklung einer selbstbestimmten digital lite-
racy, https://learning.mozilla.org/en-US/web-literacy (20/01/2019).

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Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 59

tige Lösungen (z.B. „Bring your own device“, ergänzt durch zentral zur Ver-
fügung gestellte Endgeräte) sind komplexen und aufwendigen Szenarien vor-
zuziehen. In jedem Fall wird dauerhaft ausreichende und individuell abrufba-
re technischer Unterstützung benötigt. Stabile und erprobte Lösungen sollten
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im Regelfall Vorrang vor Orientierungslosigkeit und zu viel Innovationslust


haben. Damit verbunden werden muss aber, drittens, auch die Förderung
einer kritischen Medien- und Sprachkompetenz: Die neuen Kommunikations-
formen und -formate bringen eine neue semiotische Qualität mit sich (vgl.
Ohm 2012, 249). Die ihnen inhärenten Affordanzen und Begrenzungen sowie
die veränderte Art, in welcher sie Wahrnehmung, Wirklichkeitskonstruktion
und Handlungsmöglichkeiten (mit) beeinflussen, müssen thematisiert und
reflektiert werden. Dazu gehören etwa: Welche Formen der sprachlich-semio-
tischen Selbststilisierung und Gruppenbildung werden in welchen kom-
munikativen Kontexten zu welchen Zwecken genutzt? Welche Konventionen
und kommunikativen Muster gelten dabei bzw. bilden sich heraus? Wie wird
Mehrsprachigkeit genutzt und interaktiv gestaltet, wie werden kulturelle Deu-
tungen dynamisch verhandelt? Wie gestaltet sich das semiotische Zusammen-
spiel von Bild (z.B. Emojis), Text, Symbolen, hypertextueller Verknüpfung?
Welche sozialen Normen und Spielregeln gilt es einzuhalten?
Aus meiner Sicht bietet der dritte Punkt, also die Herausbildung neuer
kommunikativer Praktiken samt ihrer fluiden und dynamischen Charakteris-
tika (vgl. dazu z.B. Androutsopoulos 2016) auch die Chance, genauer zu re-
flektieren, wie Situativität, Medium und Kommunikationskonstellation die
kulturell-sozialen und sprachlichen Muster beeinflussen (vgl. dazu etwa
Fandrych/Thurmair 2010; Storrer 2018). Letztlich verändern Vernetzung und
Medialisierung von Sprache unser Bild von der Natur der Sprache selbst –
und damit auch unsere Vorstellungen von Angemessenheit und Veränder-
barkeit von Sprache (vgl. dazu ausführlich Lobin 2018). Statt als rigides Regel-
system und Kulturobjekt wird Sprache stärker als fluides und dynamisches
Medium wahrgenommen, das tief in soziale und semiotische Praktiken ein-
bettet ist. Gleichzeitig verfügen wir anders über Sprache und Sprachdaten, als
dies vor Beginn des digitalen Wandels der Fall war. Daher dürfen auch die
einzelnen sprachlichen Mittel (Grammatik, Wortschatz, Aussprache) nicht als
abgeschlossene Systeme, sondern müssen als tendenziell dynamische, Varia-
tion unterliegende Ressourcen gesehen werden, die es hinsichtlich ihrer
Funktionen und ihre Funktionalisierung in verschiedenen kommunikativen
Praktiken zu thematisieren gilt.3
Dies bedeutet auch, dass wir die Diskussion über Standard, Variation und
Norm doch noch einmal viel grundlegender und unter veränderten Vorzei-
chen führen müssen, als das in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Wenn
man sich vor Augen führt, wie lange der de facto dem Sprachunterricht zu-

3
Entsprechende Versuche finden sich etwa bei Fandrych/Thurmair 2016.

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60 Christian Fandrych

grunde liegende Standardbegriff sich als resistent gegenüber Erkenntnissen


der Gesprochene-Sprache-Forschung gezeigt hat (vgl. Durrell 1999; Imo/
Moraldo 2015), wie vielfältig sich andererseits aber die sprachlichen Praktiken
und kommunikativen Muster in verschiedenen Sprachgemeinschaften und
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sozialen Gruppen gestalten (vgl. Schramm 2017), wird deutlich, vor welcher
Aufgabe wir hier stehen.
Im Kontext des digitalen Wandels müssen zum einen diejenigen kommu-
nikativen Praktiken in den Blick rücken, die für die lehr- und lernbezogene
Kommunikation selbst relevant sind (sozusagen die Mittel für die Unter-
richtskommunikation 2.0, wie sie auf Lernplattformen, in Chats, Foren,
Kommentaren, Wikis und ähnlichem stattfindet). Zum anderen müssen die
Lernenden auf kommunikative Aufgaben im digitalen Raum vorbereitet wer-
den, die für sie in Alltag, Beruf oder Ausbildung außerhalb des Sprachlern-
kontextes relevant sein könnten. Hierbei gelten natürlich ähnliche Einschrän-
kungen, wie sie Rösler (2016) für die Einbeziehung mündlicher Phänomene
beschreibt: es muss aus der Perspektive von Lernenden, Lernzielen, instituti-
oneller und zeitlicher Einschränkung sowie sprachlicher und inhaltlicher
Progression gefragt werden, was in welchem Ausmaß zu welchem Zeitpunkt
vermittelt werden kann, welche Schwerpunkte gesetzt werden und auch, wel-
che medialen und kommunikativen Formen und sprachlichen Varianten
berücksichtigt werden.
Bei der Auswahl der medial basierten kommunikativen Praktiken ist, wie
oben bereits erwähnt, dann auch nach der Rolle von sprachlichen (Ge-
brauchs-)Normen zu fragen.4 Wenn man Schneider (2013) zustimmt, dass
sprachliche Fehler nicht per se existieren, sondern wesentlich eine Frage der
Angemessenheit im situativen Kontext darstellen, befreit einen das noch nicht
von der Frage, welche Gewichtung und welchen didaktischen Ort man den
verschiedenen Varianten und Spielarten der Variation im Unterricht zuweist.
Eine sprachdidaktische Diskussion und Reflexion darüber steht allerdings
noch weitgehend aus. Aus meiner Sicht sollte dabei auf keinen Fall vernach-
lässigt werden, dass standardnahe Register im Mündlichen (vgl. hierzu But-
terworth/Schneider/Hahn 2018), im Schriftlichen und eben auch in medial
vermittelter Form für viele Bildungs- und Berufskontexte nach wie vor von
zentraler Bedeutung sind. Das heißt, dass die größere Variationsvielfalt nicht
dazu führen darf, dass standardnahe Register vernachlässigt oder verdrängt
werden. Wir benötigen daher mehr Reflexion und Arbeit zur sprach- und
medienbezogenen Differenzierung im Unterricht als bisher. Diese Dimension
der Digitalisierung scheint mir bisher in der Diskussion fast vollständig aus-
geblendet zu sein – im Vordergrund stehen meist technische, mediale, inter-
aktionale und daran geknüpfte methodisch-didaktische Überlegungen, kaum

4
Vgl. dazu etwa Eichinger 2018.

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Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 61

die Sicht auf den sich stark transformierenden Gegenstand der Sprachdidak-
tik selbst. Dies halte ich für äußerst problematisch.

2 Entwicklung guter Vorbilder für digitales Lehren und Lernen


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Digitales Lehren und Lernen bedarf dringend guter Vorbilder und ethischer
Grundsätze. Der Hoffnung von Vertretern lernanalytischer Verfahren, mit-
hilfe umfassender Daten Lernwege und Lernprozesse begleitend beobachten,
auswerten und so erforschen zu können,5 steht das Grundrecht auf informati-
onelle Selbstbestimmung gegenüber. Daher ist es im institutionellen Kontext
von zentraler Bedeutung, Leitlinien nicht nur abstrakt zu formulieren, son-
dern es ist für die informationelle Selbstbestimmung der Lernenden eine Art
Selbst-Einwahl (ein opt in) erforderlich, die es ihnen ermöglicht, Aktivitäten
und Aufgaben auszuwählen, für die lernanalytische Verfahren gewünscht
werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass kommerzielle Anwender nicht
ungewünscht Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten. Lernanalytische
Verfahren dürfen in keinem Fall für die Lernkontrolle durch die Institution
oder die Anbieter missbraucht werden. Ein deutlich unproblematischeres
Einsatzszenario für lernanalytische Verfahren stellt der Fall dar, dass Lernen-
de lernanalytische Software und adaptive Verfahren als Selbstreflexions-
werkzeug nutzen, um den eigenen Lernprozess zu evaluieren und geeignete
Strategien für das weitere Vorgehen zu erkunden. Dabei muss man sich na-
türlich vergegenwärtigen, dass auch adaptive Systeme immer von bestimmten
– impliziten oder expliziten – Sprachauffassungen, Lernkonzepten und didak-
tischen Normen geprägt sind. Diese müssen möglichst transparent sein, da-
mit informierte Entscheidungen über ihren Einsatz möglich sind.
Wie dies oben bereits angedeutet wurde, ist es dringend erforderlich, dass
– neben weiterer Forschung und einem verstärkten Austausch zwischen For-
schung und Praxis – eine Kooperation auf institutioneller Ebene stattfindet,
die es erlaubt, Beispiele guter Praxis und guter Standards kennenzulernen und
zu adaptieren.
Es ist wichtig, dass an der Erarbeitung von Leitbildern und Konzepten
zum Einsatz digitaler Instrumente alle Akteure beteiligt sind – nicht nur die
technikaffinen und digital versiertesten. Gleiches gilt für die Verabschiedung
von Richtlinien zur Datensicherheit und zur Kontrolle der eigenen digitalen
Persona. Dringend benötigen wir daneben mehr kritische Transparenz und
fachwissenschaftlich fundierte Orientierung zu vorhandenen digitalen In-
strumenten und Anwendungen (vgl. Schmidt in diesem Band).

5
Vgl. etwa das vom BMBF geförderte Projekt LISA, https://www.technik-zum-
menschen-bringen.de/projekte/lisa (20/01/2019).

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62 Christian Fandrych

3 Fremd- und Zweitsprachendidaktik im Zuge der zunehmenden


Digitalisierung
Der digitale Wandel steht erst am Anfang und wird unsere gesamte Lebens-
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welt fundamental verändern: „Digitale Technologien bringen im Laufe der


Zeit zwangsläufig eine Digitalkultur hervor“ (Lobin 2018, 166). Dies gilt
selbstverständlich in ganz besonderer Weise für die sprachliche Kommu-
nikation, egal ob in der L1 oder in einer L2. Zur neuen sprachbezogenen Digi-
talkultur gehören insbesondere die neuen Sprachressourcen, die auch der
Fremdsprachendidaktik zur Verfügung stehen: Wer digital kommuniziert,
kann eine Vielzahl von Hilfsmitteln nutzen, die die Kommunikation unter-
stützen sollen. Dazu gehören etwa das computerunterstützte Schreiben, das
auf der Basis von individuellen und allgemeinen Schreibmustern (basierend
auf einer enormen Datenbank) Schreibvorschläge macht und so unsere
Schreibprozesse mit beeinflusst; digital verfügbare Wörterbücher und The-
sauri, die teils direkt in die Apps und Programme integriert sind und das
schnelle Suchen nach Formulierungsalternativen erlauben; Grammatik- und
Rechtschreibhilfen, welche uns während des Formulierungsprozesses unter-
stützen. Die Übersetzungssoftware hat sich in den letzten Jahren sprunghaft
verbessert, so dass v.a. schriftliche, aber auch mündliche Kommunikation
sehr schnell in gängige andere Sprachen übertragen werden kann. All diese
Entwicklungen werden aus meiner Sicht das Fremdsprachlernen nicht über-
flüssig machen; gerade die nicht stark institutionell und musterhaft geprägte,
spontane soziale, emotionale, anspielungsreiche, kulturell aufgeladene Kom-
munikation wird auch in absehbarer Zeit noch nicht mithilfe von Überset-
zungs- oder Dolmetschprogrammen abbildbar sein. Dennoch spielen diese
Ressourcen in der täglichen Sprachnutzung der Lernenden, auch in der jewei-
ligen L2, eine wichtige Rolle. Sie zu thematisieren, ihr Potenzial kritisch zu
erkunden, um sie produktiv nutzen zu können und ihre Grenzen zu erken-
nen, halte ich für ein dringendes Desiderat der Fremdsprachendidaktik.
Wenn man aber weiß, wie schwer es schon war, Arbeitstechniken für die
kritische und angemessene Nutzung traditioneller Wörterbücher in den
Sprachunterricht zu integrieren, kann man sich vorstellen, was hier für Auf-
gaben vor uns liegen. Umso wichtiger ist es, den sinnvollen und kritischen
Umgang mit sprachbezogenen digitalen Hilfsmitteln in den Unterricht zu
integrieren. Sie sind ja meist auch auf integrale Weise mit den kommunikati-
ven Formaten verbunden (so das computerunterstützte Schreiben in Chats
und Kurztexten).
Die Zahl und Vielfalt der verfügbaren digital basierten Kommunikations-
formate hat sich in den letzten Jahren exponentiell vermehrt und wird sich
mit Sicherheit weiter vermehren, wobei insgesamt die Funktionalitäten wach-
sen werden. Auch in recht stark institutionalisierten Diskursdomänen wie der
Wissenschaft etabliert sich mehr und mehr die Nutzung digitaler Formate

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Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 63

und darauf aufbauender kommunikativer Praktiken.6 Dabei gilt hier, wie in


vielen anderen Kontexten, dass sich damit auch das kommunikative Spekt-
rum des Schreibens immer weiter ausdifferenziert, so dass es fast schon wie-
der zu schematisch klingt, zwischen „produktorientiertem“ und „interak-
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tionsorientiertem Schreiben“ (Storrer 2018) zu unterscheiden. Heute finden


sich eine Vielzahl von Zwischenstufen zwischen stark handlungseingebunde-
nen Kurznachrichten und zeitlich zerdehnten, elaborierteren Statements in
thematisch orientierten Foren oder Blog-Kommentaren. Für die Thematisie-
rung und Nutzung digital basierter Kommunikationsformate im Fremdspra-
chenunterricht sollten einige der zentralen Erkenntnisse der Medien- und
Textlinguistik berücksichtigt werden. Hierzu gehört die Unterscheidung zwi-
schen Kommunikationsform und Textsorte (E-Mails oder Kurznachrichten
sind keine Textsorten mit relativ fester kommunikativer Funktion und etab-
lierten Textmustern, sondern zunächst Kommunikationsformen, deren Nut-
zung sehr vielfältig ist und deren sprachliche Umsetzung äußerst heterogen
ist); die Erkenntnis, dass mediengestütztes Schreiben häufig durch eigene
semiotische und graphostilistische Mittel sowie durch Multimodalität und
digitale Vernetzung gekennzeichnet ist, so dass es nicht einfach als Erweite-
rung traditionellen Schreibens angesehen und praktiziert werden kann; sowie
die starke Handlungs- und Interaktionseinbettung gerade der stärker sponta-
nen Interaktionsformate (wie Kurznachrichten). Nimmt man diese digital-
virtuellen Kommunikations- und Veröffentlichungsformate ernst, so muss
man sie – ähnlich wie die Mündlichkeit – auch in einer realitätsnahen Weise
im Unterricht verwenden. Das bedeutet, dass E-Mails an Computern, Tablets
oder Smartphones verfasst werden sollten, Kurznachrichten auf Smartphones
mithilfe der entsprechenden Programme. Es bedeutet weiterhin, dass ins-
besondere stark interaktive und vernetzte Kommunikationsformate auch in
interaktiv eingebundener Weise geübt und genutzt werden sollten.
Es verwundert daher, wenn etwa das neue Goethe-Zertifikat A2 als Test-
aufgabe für das Schreiben das Verfassen einer Kurznachricht vorsieht, die
eben nicht auf einem entsprechenden Endgerät (Smartphone) und mit den
dort zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln (siehe oben) verfasst wird.7 Auch
ist die Aufgabe nur minimal kommunikativ, situativ und sozial einbettet, eine
interaktive Vorgeschichte (etwa ein vorgängiger SMS-Verlauf) fehlt. Die Auf-
gabe lautet:
Sie sind unterwegs in der Stadt und schreiben eine SMS an Ihre Freundin Eka-
terini. Entschuldigen Sie sich, dass Sie zu spät kommen. Schreiben Sie, warum.

6
Vgl. dazu Meiler (2018) zu Blogs, Kimmons/Veletsianos (2016) zu Twitter.
7
Vgl. Goethe-Institut: Modellsatz Schreiben des Goethe-Zertifikats A2,
http://bfu.goethe.de/a2_mod_2MX5/schreiben.php (20/01/2019) sowie Henne-
mann/Perlmann-Balme/Stelter 2019.

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64 Christian Fandrych

Nennen Sie einen neuen Ort und eine neue Uhrzeit für das Treffen. (Goethe-
Institut, Modellsatz A2 Schreiben).
Bewertet werden soll dabei die Erfüllung der „Sprachfunktionen“, was hier
bedeuten soll, ob die in der Aufgabenstellung genannten sprachlichen Hand-
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lungen auftreten und „situations- und partneradäquat“ umgesetzt wurden


(vgl. Goethe-Institut, Modellsatz), sowie die sprachlich „angemessene“ Um-
setzung (nämlich Spektrum und Beherrschung der notwendigen sprachlichen
Mittel nach „Kohärenz, Wortschatz, Strukturen“, vgl. ebd.). Aus meiner Sicht
sind die angelegten Bewertungskriterien einerseits sehr stark an traditionellen
Schreibaufgaben orientiert, in denen man es mit Briefen oder E-Mails zu tun
hatte; ohne Einbettung in einen konkreten interaktiven Kontext ist aber die
Frage, ob die SMS stilistisch angemessen verfasst ist bzw. wie diese Angemes-
senheit bewertet werden kann, nicht sinnvoll zu beantworten. In der folgen-
den Beispiellösung, die die Bewertungsprinzipien und -grundlagen des Tests
demonstrieren soll, werden z.B. die „fehlende Logik“ und auch die unange-
messene Abschiedsformel negativ gewertet:
Hallo Ekaterini Ich komme nach deiner Hause mit Bus. Aber kein Bus fahren
nach deiner Hause. So im muss mit viele Büssen fahren. Halbe Stunde später
bin ich da. Auf wiedersehen (vgl. Hennemann/Perlmann-Balme/Stelter 2019,
28).
Der Satz „Aber kein Bus fahren nach deiner Hause“ sei nicht kohärent zum
vorherigen Text, die Verabschiedung mit „Auf wiedersehen“ sei einer SMS
nicht angemessen, insgesamt stelle dies eine Leistung „unter dem Niveau A2“
dar (vgl. ebenda). Hierzu könnte viel gesagt werden, ich begnüge mich mit
der Anmerkung, dass eine solche Bewertung (trotz aller Erprobung und Vali-
dierung) notwendigerweise äußerst subjektiv und inadäquat ausfallen muss.
Linguistische Forschung zum Thema Kurznachrichtenkommunikation wurde
bei der Erarbeitung der Bewertungskriterien offenbar nicht zu Rate gezogen,
sonst hätte man erkannt, dass Kohärenz eben gerade kein rein textimmanen-
tes (und ausschließlich sprachliches) Phänomen ist, sondern auch die Vorge-
schichte, die Situation und die Wissensbestände der Kommunikationsteil-
nehmer einbeziehen muss (vgl. Adamzik 2016, 111f.). Dem Kommunika-
tionsformat entsprechend lassen sich zumindest einige der geforderten
sprachlichen Handlungen (etwa die Entschuldigung) auch nonverbal durch
Emoticons ausdrücken – dies wäre sogar eine äußerst typische und wohl übli-
chere kommunikative Vorgehensweise. Wie soll das in einer Sprachprüfung
dann bewertet werden, wie mit der sehr großen stilistisch-sprachlichen Varia-
tionsbreite von informellen Kurznachrichtentexten umgegangen werden?
Es stellt sich hier grundsätzlicher die Frage, ob es sinnvoll ist, derart hand-
lungseingebundene, informelle und flüchtige kommunikative Praktiken zum
Gegenstand von dekontextualisierten Präsenztests zu machen. Auch die Ge-
sprächsfähigkeit wird heutzutage ja nicht durch das schriftliche Verfassen von

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Die Transformation sprachlich-kultureller Praktiken 65

Dialogbeiträgen überprüft, sondern in realen mündlichen Kommunikations-


situationen (oder deren Simulation) – müssten wir dann nicht in ähnlicher
Weise reale Kurznachrichten-Kommunikationssituationen nachstellen, die
auch die dabei typischerweise verwendbaren Hilfsmittel zur Verfügung stel-
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len? Oder sollten wir die Verwendung von Chats, Kurznachrichten und
Kommunikation in sozialen Medien nicht stärker für prozesshafte, flüchtige
Interaktion vorsehen, die dann eben nicht nach einer vermeintlichen Ange-
messenheit der Strukturen und des Wortschatzes bewertet wird, sondern
beispielsweise hinsichtlich ihrer Funktion in projektbezogenen Kommunika-
tionsprozessen betrachtet wird? So könnte sie Teil der Dokumentation von
Kommunikations- und Kooperationsprozessen (etwa in Portfolios) sein, die
letztlich stärker auf die Erarbeitung von konventionalisierten Textformaten
und die damit verbundenen Sprachformen hin orientiert sind (etwa Blogein-
träge und -kommentare, Webtagebücher, Ratgebertexte oder Erklärvideos
etc.). Damit soll gesagt sein: Sprachliche Variation und neue kommunikative
Formate sollten ihren Platz im Fremdsprachenunterricht haben, aber sie müs-
sen in situativ und medial angemessener Weise vorkommen, und es ist nicht
sinnvoll, stark variable und situativ heterogene Formate anhand scheinbar
objektiv verwendbarer Angemessenheitskriterien zu bewerten. Für formalere
Tests sollten aus meiner Sicht kommunikative Formate gewählt werden, die
stärker am jeweiligen (Gebrauchs-)Standard orientiert sind, um überhaupt
eine einigermaßen vergleichbare Bewertung zu erlauben.
Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld, in dem Fremdsprachendidaktik
und didaktisch orientierte Sprachwissenschaft in Zukunft dringend enger
zusammenarbeiten müssten, ist die Nutzung bestehender Sprachkorpora für
die Erarbeitung von angemessenen Materialen und Aufgaben. Sprachkorpora
bergen ein enormes Potenzial für die Sprachdidaktik, allerdings müssen die
Nutzungsmöglichkeiten aus sprachdidaktischer Sicht deutlich erweitert und
angepasst werden (vgl. Fandrych/Meißner/Wallner 2018) und Sprachdidakti-
ker im Umgang mit ihnen vertraut gemacht werden. Wichtig ist, dass Sprach-
korpora leichter und intuitiver nach Parametern durchsuchbar werden, die
aus der Sicht der Sprachdidaktik relevant sind, etwa nach Schwierigkeitsgrad,
Standardnähe, Grad der Informalität und Interaktivität; nach bestimmten
Text- und Diskursmustern (wie Erzählen, Erklären, Berichten) – möglichst
auch anhand geeigneter Visualisierungen. Hier stehen Forschung und Ent-
wicklung erst am Anfang.8

8
Für das Deutsche hat sich das Projekt „ZuMult“ („Zugänge zu multimodalen
Korpora gesprochener Sprache – Vernetzung und zielgruppenspezifische Ausdif-
ferenzierung“) der Universität Leipzig, des IDS Mannheim und der Universität
Hamburg den Ausbau nutzerbezogener Zugänge – auch für die Fremdsprachen-
didaktik – zum Ziel gesetzt, vgl. https://zumult.org/ (20/01/2019).

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66 Christian Fandrych

Aus dem Gesagten ergibt sich aus meiner Sicht, dass Lehrende und Studie-
rende die Dimension des digitalen Wandels nicht als rein technischen oder
äußerlichen Kommunikationswandel oder medientechnisch-didaktischen
Umbruch betrachten lernen sollten, sondern als tiefgreifenden gesell-
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schaftlich-kulturellen Wandel, der eine große Anzahl an Kulturtechniken,


wissenschaftlichen Arbeits- und Denkweisen und auch unsere Vorstellung
von Sprachlichkeit fundamental transformieren wird. Dies zu reflektieren
und die Spuren davon in den verschiedenen digital-kommunikativen Prakti-
ken sichtbar und erlebbar zu machen, halte ich für ein wichtiges Ziel der Aus-
und Fortbildung. Zentral ist die Kompetenz, die neuen digitalen Ressourcen
und Formate hinsichtlich wichtiger didaktischer Prinzipien, sprachwissen-
schaftlicher und pädagogischer Gütekriterien beurteilen zu können. Ange-
hende Lehrerinnen und Lehrer müssen in die Lage versetzt werden, die ver-
schiedenen Kommunikationsformate und -praktiken und die mit ihnen
verbundenen sprachlich-funktionalen Register und Stile bezogen auf die
Lernziele und Lernendenbedürfnisse angemessen einzuschätzen und entspre-
chend im Unterricht damit zu arbeiten – hierzu gehört auch die kritische
Auseinandersetzung mit bestehenden Lehr- und Lernmaterialien sowie Test-
formaten. Dabei halte ich es für ein übergeordnetes Ziel, Lehrenden und Stu-
dierenden genügend Orientierung zu vermitteln und Grundstrategien an die
Hand zu geben, so dass sie einerseits vor den neuen Anforderungen und
Möglichkeiten nicht zurückschrecken, sie aber andererseits auch mit einer
guten Portion (auf didaktischen Prinzipien basierender) Skepsis auszustatten,
die verhindert, dass sie über all den digitalen Möglichkeiten den Blick für die
Zielgruppenadäquatheit und die übergeordneten Lernziele und Bedürfnisse
der Lernenden verlieren.

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Schmidt, Torben (in diesem Band): „Digitally empowered teaching and learning –
Kompetente Fremdsprachenlehrkräfte + intelligente Technologie“, 228-236.
Schneider, Jan Georg (2013): „Sprachliche ‚Fehler‘ aus sprachwissenschaftlicher
Sicht“. In: Sprachreport 1-2/2013, 30-37.
Schramm, Karen (2017): „Pragmalinguistische Aspekte einer Mündlichkeits-
didaktik“. In: Deutsch als Fremdsprache 54/1, 3-9.
Storrer, Angelika (2018): „Interaktionsorientiertes Schreiben im Internet“. In:
Deppermann, Arnulf/Reineke, Silke (Hrsg.): Sprache im kommunikativen, in-
teraktiven und kulturellen Kontext. Berlin: de Gruyter, 219-244.
Würffel, Nicola (2018): „Differenzierung fördern mit digitalen Medien. Neue und
weniger neue Ansätze für den Einsatz digitaler Medien im DaF/DaZ-
Unterricht“. In: Peyer, Elisabeth/Studer, Thomas/Thonhauser, Ingo (Hrsg.):
IDT 2017. Band 1: Hauptvorträge, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 123-139.

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-
methodische Szenarien?
Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digitalen Wandels
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Hermann Funk

Lohnt überhaupt der Blick zurück, der Versuch einer Verortung der gegen-
wärtigen umfassenden Debatte über den digitalen Wandel der Gesellschaft
und der Produktionsverhältnisse der Industrie, der Mobilität, eines großen
Teils des Servicebereichs und des Einzelhandels, der Finanzmärkte und des
Militärischen, der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie sowie der Publizistik?
Oder ist der allumfassende und sich offensichtlich beschleunigende digitale
Wandel, der inzwischen alle Teile der Gesellschaft und damit auch den Bil-
dungssektor umfasst, von einer derartigen revolutionären Grundsätzlichkeit,
dass jeder Vergleich mit anderen historischen Umbruchsituationen unmög-
lich ist? Die fremdsprachentechnologischen Innovationen der Vergangenheit
wirken jedenfalls wie ferne Episoden: Vor fast genau 100 Jahren wurden mit
den Schellack-Platten zum Lehrwerk Études Françaises des Leipziger Teubner
Verlags zum ersten Mal technische Medien zu den Lehrwerken angeboten.
Vor mehr als 50 Jahren stellte Reinhold Freudenstein die verwegene Frage, ob
das deutsche Gymnasium ohne Sprachlabor noch eine Zukunft habe. Die
ersten digitalen Übungskompendien auf MS-DOS wurden vor ca. 40 Jahren
eingeführt. Damals wie heute gilt und galt: Menschen nutzten zur Erreichung
ihrer Ziele zu allen Zeiten jene (technischen) Medien, die ihnen gerade zur
Verfügung standen. Das gilt auch für die Schule und damit auch für den
Sprachunterricht. Sie tun dies ganz selbstverständlich, oft in Eigeninitiative,
selbstständig und ohne didaktische Konzepte. Die Erinnerung an die Norma-
lität und Kontinuität dieses Prozesses darf aber nicht den Blick auf die tief-
greifende Dimension des gegenwärtigen Wandels und die Akzeleration der
digitalen Potenziale verstellen. Die ersten iPhones wurden in Deutschland vor
gut 10 Jahren verkauft. Kaum jemand hat damals vorausgesehen, dass dieses
Gerät den Alltag umfassend verändern würde: von den menschlichen Bewe-
gungsabläufen, über die Kommunikationswege und -formen bis hin zu Mobi-
lität, Leseprozessen, Gesundheitsvorsorge und Lernverhalten, um nur einige
zentralen Bereiche zu nennen. Mehrwert hin, Mehrwert her – die Debatte um
den Mehrwert der „neuen“ Medien – auch in Arbeiten von Fachkollegen
aktuell immer noch thematisiert – hat sich in dem Maße erledigt, in dem
Medien selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags sind. Es geht nicht
mehr um das „Ob“ der Mediennutzung, sondern um das „Wie“. Kein Zweifel

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 69

also: (Fast) Alles wird anders. Dass es damit auch besser wird, ist nicht
zwangsläufig und hängt wie immer beim Sprachenlernen von mehr als einem
Faktor ab.
Die grundsätzlichste der Leitfragen ist, ob wir ein Leitbild für digitales
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Lehren und Lernen benötigen und was hierfür wichtige fachliche, didaktische
und ethische Parameter wären.
Diese Grundsatzfrage ist gleichzeitig am einfachsten zu beantworten:
Auch angesichts des digitalen Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft
benötigen der Fremdsprachenunterricht kein neues Leitbild. Die fachlichen
und ethischen Ziele, die pädagogischen Handlungsprinzipien und didakti-
schen Standards sind nach wie vor vom Leitbild einer kommunikativen
Fremdsprachendidaktik geprägt, wie sie in den 70 Jahren des vergangenen
Jahrhunderts in der westlichen Welt entwickelt wurden – im angelsächsi-
schen Raum eher funktional-notional und zunächst noch stark audiolingual
geprägt, im deutschen Sprachraum eher unter allgemein-pädagogischen Prä-
missen und Zielstellungen. Diese Prinzipien und Standards sind im Sinne
eines didaktisch-methodischen Leitbilds aufbauend auf diesen Grundlegun-
gen vielfach beschrieben worden (u.a. Brown 2007; Funk 2010; Long 2011).
Dazu gehören im Sinne eines Leitbilds, etwa die Handlungsorientierung, die
Menschen zu rezeptiv und produktiv angemessenen Sprachhandlungen in
fremdkulturellen Kontexten befähigen soll, ein Unterricht, der interaktions-
und partizipationsorientiert vorgeht und dabei individuelle Lernpotenziale
und -ziele berücksichtigt und in der Lage ist, Lerninhalte dementsprechend
zu differenzieren und zu personalisieren. Zu diesem Zweck – und auch das ist
unverändert Teil des Leitbildes – gehört es zum Ethos von Lehrkräften, Men-
schen dabei zu beraten und unterstützen auch durch die Anleitung zum Ge-
brauch von technischen und anderen Hilfsmitteln. Das jedenfalls ist nicht
neu. Neu und vor allem für kompetente Lehrkräfte kein Problem ist dabei
höchstens, dass sich die Lernenden in Bezug auf digitale Lernhilfen
und -techniken oft besser auskennen als die Lehrenden.
Ausgehend von der so beschriebenen Grundlage fremdsprachendidakti-
scher und -methodischer Theorie und Praxis fand um die Jahrtausendwende,
also weit vor der Erfindung von Smartboards, Apps und iPhones eine erste
grundsätzliche Debatte in der Fremdsprachendidaktik über den Einsatz digi-
taler Medien statt, deren Grundpositionen auch unter veränderten medialen
Konstellationen nichts von ihrer Aktualität verloren haben1, wenn auch die
eine oder andere euphorische Prognose, etwa vom Ende der Lehrwerke und
der unmittelbar bevorstehenden digitalen Revolution, voreilig war. An diese
Debatte und ihre Positionen kann an dieser Stelle angeknüpft werden, da sie
uns an eine Reihe von Erkenntnissen erinnert, die forschungsbasiert, praxis-

1
Mitschian 1999; Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001; Rüschoff/Wolff 1999; Tschir-
ner/Funk/Koenig 2000, Rösler 2004.

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70 Hermann Funk

erprobt und unabhängig vom jeweiligen Stand der digitalen Technikentwick-


lung Gültigkeit beanspruchen können.
Die erste DaF-Konferenz unter dem Titel „Schnittstellen“ zur Positionsbe-
stimmung der Fachdidaktik fand 1999 statt und wurde von der Fachgruppe
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DaF im Fachverband Moderne Fremdsprachen durchgeführt (Tschir-


ner/Funk/Koenig 2000). Das erste Heft der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch
zu „Neue Medien im Deutschunterricht“ (Heft 2/1999) enthielt u.a. die Prog-
nose, dass das Buch noch lange Zeit als „Ankermedium“ des Unterrichts fun-
gieren würde, was man derzeit nicht für weitere 20 Jahre prognostizieren
kann. Aktuell geblieben ist aus der Debatte auch die Kritik an digitalen Pro-
grammschablonen, die eine flache Verarbeitung fördern: „Klicken statt den-
ken“ – trial and error statt Erarbeitung von Lernstoff (Wolff /Rüschoff 1999),
die Bernd Rüschoff aktuell nochmals in Bezug auf die derzeitigen digitalen
Medien wiederholt und präzisiert hat (Rüschoff 2018). Aus fremdsprachen-
methodischer Sicht galt die Kritik den geschlossenen Programmschablonen,
der Reduktion der Komplexität der Übungsformen auf match, fill-in-the-gap,
right/wrong, drag and drop, der Vernachlässigung mündlicher Kompetenzen,
sowie der Tatsache, dass in vielen Programmen keinerlei Entscheidungsspiel-
räume für Lernende vorgesehen waren. Erkannt wurden aber auch die Chan-
cen, die sich durch die Möglichkeiten der Förderung kognitiver Prozesse
durch digitale Medien eröffneten, sowie die entscheidende Funktion der
Lehrpersonen in der Organisation und Steuerung komplexer Lernumwelten.
Die Formulierung von Kerres (2001) brachte es auf den Punkt:
Die im Fremdsprachenunterricht eingesetzten Medien haben von vorne her-
ein keine eigene didaktische Qualität, diese wird ihnen erst durch methodisch-
didaktisch überlegtes Handeln der Lehrkraft und dem daraus resultierenden
Unterrichtseinsatz verliehen (Kerres 2001, 45).
Die Kritik von Wolff und Rüschoff (1999) aus jener Zeit gilt nach wie vor
leider auch für aktuelle Programmentwicklungen, etwa die DaF-Programme
der Deutschen Welle und die meisten aktuellen Apps: Aus Sicht der Sprach-
erwerbsforschung monierten sie, dass geschlossene Übungsformate wie z.B.
multiple choice und drag & drop, fill-in-the-blank, right/wrong, match keine
Möglichkeiten der Förderung kognitiver Sprachverarbeitung anbieten (vgl.
Wolff/Rüschoff 1999, 68ff.). Als Fazit jener „frühen Jahre“ kann festgehalten
werden: Hardware, Lernoberflächen und digitale Tools haben sich grundle-
gend verändert, die wissenschaftlichen Modelle erscheinen aber nach wie vor
aktuell. Die Lernprozesse haben sich weniger verändert als die Hardware.
Auch der Zeithorizont des Wandels wurde damals als viel kürzer einge-
schätzt: Murphy 1 und 2: Alles dauert länger, als man denkt. Nichts ist so
leicht, wie es aussieht. Die Warnungen vor digitalen „Irrwegen“ waren nicht
umsonst, aber weitgehend folgenlos. Die Voraussagen von vor 15 Jahren, dass
Lehrwerke bald verschwunden sein würden (Tim Cook in einer Apple-

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 71

Keynote: „dead-tree-books are a thing of the past“) haben sich nicht bewahr-
heitet. Apples iAuthor hat den Lehrwerkmarkt trotzt strategischer Allianzen
in den USA nicht verändert. Die Grundidee: „Ihr liefert den Content und wir
die Technik“ hat sich angesichts der Gewinn-Vorstellungen von Apple für die
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Verlage als durchsichtig und wenig attraktiv erwiesen, das Lehrbuch aus toten
Bäumen als robuster und anpassungsfähiger als erwartet: Whiteboard-
Versionen und E-books als hybride Weiterentwicklungen basieren noch auf
Büchern, werden aber in den nächsten Jahren vorhersehbar nach und nach
abgelöst durch digitale Lernangebote, in denen das Begleitbuch nicht mehr
das Ankermedium ist. Derzeit sind zwar die Augmented Reality-Angebote zu
den weit verbreiteten DaF-Lehrwerken kaum mehr als Video- und Audioan-
gebote, die aus der Lehrwerkoberfläche mit Hilfe von QR-Codes gestartet
werden, ihr Potenzial ist aber umfassender und entwicklungsfähig im Sinne
von personalisierten Lernhilfen. Ihre Programmierung ist eine technische und
didaktisch-methodische Herausforderung. Zu den verfrühten Prognosen
gehört auch Prenskys viel zitiertes Wort von den „digital natives“, über eine
Generation, die sozusagen in die Medienwelt hineingeboren wird, im Gegen-
satz zu den Lehrkräften, die bestenfalls in diese Welt migriert sind. Ingle und
Moorhead (2016) weisen demgegenüber auf die Ungleichzeitigkeit der Ent-
wicklung hin:
Research says that kids are digital natives (Prensky 2006). Just like we made
mistakes with assuming that millennial teachers would automatically know
how to use technology we also made the mistake of assuming the kids would
immediately know how to use the technology in an appropriate way. It be-
came clear early on that the teachers weren’t the only ones who needed train-
ing. Our elementary students needed to learn how to care for and respect the
iPads and the apps but they also needed to learn how to navigate Google, Safa-
ri, and Chrome. These search engines and web browsers may be well within
our adult comfort zone but children need to understand the mechanics of how
and when to use them (Ingle/Moorhead 2016).
Sie verweisen damit auf die Notwendigkeit der Entwicklung einer digital lite-
racy in allen Fächern und können sich bestätigt fühlen durch eine Studie von
Hanover Research, die 2017 zwar Veränderungen, aber in Teilbereichen noch
ein fast traditionelles Bild der Mediengewohnheiten amerikanischer College-
Studierender aufzeigt: Die Nutzung von Tablets und Smartphones (Jung
2014) im Unterricht ist für die Mehrheit keineswegs selbstverständlich, die
studienbezogene Kommunikation erfolgt weitgehend per E-Mail. Wenn es
um Prüfungsvorbereitung geht, spielen gedruckte Materialien nach wie vor
eine entscheidende Rolle (vgl. Hanover Research 2017, 8).
Die Nutzung von Lernoberflächen wie Moodle ist zwar inzwischen selbst-
verständlicher Bestandteil pädagogischer Settings, die damit verbundenen
Kommunikations-Werkzeuge werden aber durchgängig so gut wie nie ge-
nutzt. Es überwiegt die Funktion des Postfaches: Arbeitsergebnisse, Präsenta-

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72 Hermann Funk

tionen, Aufsätze u.a. werden eingestellt und abgeholt. Den Qualitätsanforde-


rungen an mobiles Lernen, die flexible Unterstützung von fremdsprachlicher
Kommunikation können die Lernplattformen in dieser Form nicht genügen.
Die Leitfrage 1 soll hier erst an zweiter Stelle angesprochen werden: Sie
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geht davon aus, dass der digitale Wandel potenziell alle Bereiche und Kom-
ponenten und des Lehrens und Lernens fremder Sprachen umfasst und fragt
nach Herausforderungen und Innovationspotenzialen. Die Grundfrage, die
wir uns als verantwortliche Fachdidaktiker und Wissenschaftler stellen, bleibt
in jedem Fall: In welcher Weise können uns digitale Werkzeuge unterstützen
beim Erreichen des Ziels eines kompetenten eigenständigen Gebrauchs frem-
der Sprachen und interkulturellen Lernens. Aktuell kann man die Herausfor-
derungen generell und in Bezug auf das Fach Deutsch als Fremdsprache – in
der DaZ-Didaktik hat diese Diskussion kaum begonnen – so beschreiben:

• Die Heterogenität der Mediennutzungs-Szenarien vergrößert sich: Pri-


vate Mediennutzung korrespondiert nicht mit beruflicher Medien-
kompetenz und -nutzung: Lernende nutzen privat extensiv Apps, ler-
nen aber dort, wo ihnen das Ergebnis wichtig erscheint, analog.
• Die Verfügbarkeit von Medien (Netz und Hardware) in Schulen
wächst, ist aber weltweit regional und international sehr unterschied-
lich – und dementsprechend auch der Handlungsdruck für Schulen,
Ausbildung und Verlage.
• Die Entwicklung von digitalen Lehr-/Lernmitteln außerhalb des päda-
gogischen Planungsbereichs (Apps) erscheint weitgehend abgekoppelt
von der didaktisch-methodischen Entwicklung und den Ergebnissen
der Spracherwerbsforschung (vgl. Feick 2015)
• Die gerade vielerorts erst eingeführten Lernplattformen sind den An-
forderungen mobilen Lernens und barrierefreier Interaktion nicht ge-
wachsen. Sie werden sich verändern oder sie sind Auslaufmodelle.
• Die Lerner und ihre Gewohnheiten verändern sich weniger schnell als
erwartet (siehe oben). Die „digital natives“ sind nach wie vor eher sel-
tene Wesen.
• Die Entkoppelung von Unterrichtsmaterialentwicklung und Didak-
tik/Methodik führt zu traditionellen Lernarrangements (z.B. Lücken-
übungen) mit modernem Mediendesign, zu besichtigen in vielen aktu-
ellen Lern-Apps sowohl von den Verlagshäusern, als auch von außer-
schulischen Anbietern. App-Entwickler haben kein Unterrichts-
konzept. Die FS-Didaktik ihrerseits hat kein Modell zur Einbindung
von Apps ins Unterrichtsgeschehen.
• Während in der fremdsprachendidaktischen Diskussion Übungs- und
Aufgabenformen vielfältiger, offener, differenzierter und adaptiver
werden, sind die digitalen Übungsformate oft nach wie vor weitgehend
auf klassische standardisierte geschlossene Formate (v.a. Lücken und
Zuordnungen) beschränkt.

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 73

• Die DaF-Verlage reagieren in korrekter Einschätzung der Heterogeni-


tät und fehlenden didaktischen Medienkompetenz in der Praxis und
der notwendig riesigen Investitionsvolumina verhalten. Dass ihre Ge-
schäftsmodelle, Medien über Buchverkäufe zu refinanzieren, mittelfris-
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tig nicht haltbar sind, ist den Verlagen im Prinzip klar.

In Bezug auf die Leitfrage ergibt sich aus all dem, dass die größte Herausfor-
derung in der Bereitstellung einer adäquaten Unterstützung der Lehrkräfte
durch eine für Lernende und Lehrkräfte handhabbare digitale Lernumwelt
durch Verlage und Schulen einerseits und durch Aus- und Weiterbildungs-
angebote für Lehrkräfte zum Umgang mit digitalen Werkzeugen andererseits
besteht.
Das Ausmaß des bevorstehenden Wandels verdeutlichen Äußerungen von
Schulleiterinnen und Schulleitern deutscher Auslandsschulen in einem
Workshop Anfang Januar 2019 anlässlich der jährlichen Schulleiterkonferenz
im Auswärtigen Amt in Berlin. Auf die Frage, welche Rolle sie für digitale
Medien in ihren Schulen in 10 Jahren sehen, gaben die über 30 anwesenden
Leitungspersonen unter anderem folgenden Antworten:2

• „Learning analytics-Daten helfen mir bei der Differenzierung und


Lerngruppeneinteilung.“
• „adaptive Lernsysteme“
• „Teilnahme am Unterricht von zu Hause aus ist möglich“
• „Personalisiertes Lernen mit einem System (künstliche Intelligenz),
welches die Lerninhalte flexibel auf das Kind und seinen Wissensstand
(wobei auch „außerschulisches“ Lernen einfließt) zugeschnittene Lern-
aufgaben erstellt.
• „Vernetzte Schulgemeinschaft: Lehrer-Schüler-Eltern“
• „Handschrift wird eine Teilaspekt des Kunstunterrichts sein.“
• „Digitale Unterrichtsmaterialien als Regelfall, Lehrbücher als Ausnah-
me.“
• „Moodle, Nerdl, usw. sind Vergangenheit. An ihrer Stelle: Apps für
mobiles Lernen.“
• „Wandel der Rolle des Lehrers. Didaktisierung der Digitalisierung.“
• „Es gibt keine Klassenräume mehr, sondern flexibel etablierte Lernin-
seln, an denen nach Kompetenzen differenzierte, themenfokussierte
Angebote bearbeitet werden.“
Mag sein, dass der Veränderungsdruck in Bezug auf digital gestütztes Lernen
auf deutsche Schulleitungen in Yokohama, Hongkong oder Boston größer ist
als in Castrop-Rauxel, Gera oder Oberammergau – die Schulleiter

2
Wiedergabe der Workshopzitate mit Erlaubnis des Workshopleiters Martin Fug-
mann, (ehem.) Leiter der Deutschen Schule Silicon Valley

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74 Hermann Funk

und -leiterinnen beschreiben aber keine Visionen, sondern Entwicklungen,


die unterwegs, bzw. in den Auslandsschulen in Planung sind, wie die im
Workshop thematisierten Stufenpläne ihrer Schulen zeigen. Manches mag
langsamer, manches schneller gehen als vorausgesehen. Zwei Erkenntnisse
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drängen sich angesichts der Aussagen aber auf: Die Entwicklung digital ba-
sierter Lernumgebungen ist eine schulische Leitungsaufgabe und wird im
deutschen Auslandsschulwesen auch als solche verstanden und unterstützt.
Fremdsprachenmethodische Konzepte werden sich diesen Herausforderun-
gen der Schulentwicklung (Eickelmann et al. 2014; Eickelmann/Gerrick 2018)
stellen und aktiv eigene Vorstellungen einbringen müssen. Ermutigend an
diesen Zielprojektionen digitaler Szenarien ist der Vorrang pädagogischer
Werte und Ziele: Individualisierung und Personalisierung, Adaptivität des
Lernmaterials, Hilfen bei selbstgesteuertem ortsunabhängigem Lernen, ver-
netzte Schulgemeinschaften, Auflösung starrer Klassenverbände und Zeit-
rhythmen. In all diesen Abläufen spielt Interaktion eine Schlüsselrolle. Für
Fremdsprachendidaktiker ist das eigentlich eine gute Nachricht.
Die dritte Leitfrage gilt ggf. nötigen Änderungen didaktisch-methodischer
Konzepte und Forschungszugänge im Zuge der Digitalisierung. Konzeptio-
nelle Änderungen der Didaktik erscheinen dabei weniger erforderlich als
konzeptionelle Änderungen der Methodik, der Arbeit in Kursen selbst und
dem Zusammenwirken von kursbasierten und außerunterrichtlichen Lern-
szenarien (siehe Konzepte und Szenarien digital gestützten Lernens im Band
der 35. Frühjahrskonferenz zu Lernorten; Burwitz-Melzer/Königs/Riemer
2015). Was Forschungszugänge, -methoden und Erkenntnisinteressen be-
trifft, so ist die Situation ebenso komplex und im Wandel wie die Unterrichts-
Methoden selbst. Zunächst zu Erkenntnisinteressen und Forschungsleitfra-
gen: Es kann als gesichert gelten, dass Art, Umfang und Qualität der Interak-
tion zwischen allen Prozessbeteiligten untereinander der wesentlichste Er-
folgs- (oder Misserfolgs-) -faktor im Fremdsprachenunterricht ist. Alle
Modellierungen seit Bandura (1968) gehen von dieser Grundlage aus. Inter-
aktion ist die Voraussetzung der Entwicklung pragmatischer kommunikativer
Kompetenzen:
Within L2 acquisition theory interaction per se is seen, from both cognitive
and social theoretical perspective, as a prime context for language acquisition
and development. By interaction we refer to either dyadic or multiparty talk
that has a primary focus on communication meaning, rather than on language
form in isolation (Philp/Adams/Iwashita 2014, 7).
From a social perspective interaction is generally seen as essential in providing
learners with the quantity and quality of external linguistic input which is re-
quired for internal processing, in focusing learner attention on aspects of their
L2 that differ from target language norms or goals and in providing collabora-
tive means for learners to build discourse structures and express meanings

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 75

which are beyond the current level of their linguistic competence (Saville-
Troike/Barto 2017, 112).
Das Aushandeln von Bedeutung ist Teil des Interaktionsprozesses (vgl. Funk
et a. 2014). Fragen formulieren, Beispiele zitieren, um Erklärungen bitten, die
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Probleme eines Lernpartners verstehen, eine Regelerklärung der Lehrkraft


weitergeben, nachschlagen und berichten, eine eigene (Interims-)Regel for-
mulieren – all diese unterrichtlichen Interaktionsformen können digital mo-
delliert und gestützt werden. Vielfältige sprachliche Handlungen erleichtern
variable Zugänge zum Regel-Verstehen. Interaktion wirkt als „Kognitionsver-
stärker“. Sabo (2017, 21) bezeichnet Interaktion daher zu Recht als Universal-
konzept des Fremdsprachenlernens. Aus Sicht der Fremdsprachenmethodik
ist daher der Grad der Förderung interpersonaler Interaktion zentrales Krite-
rium der Entwicklung digitaler Anwendungen. Dabei ist mediale Interaktivi-
tät nicht mit Interaktion zu verwechseln. Interaktivität bezeichnet das Zu-
sammenspiel zwischen Mensch und Computer. Es folgt standardisierten
Vorgaben programmierter Formate. Interaktivität in digital gestützten
Sprachlernprogrammen ist stufbar nach dem Grad der Qualität und Quanti-
tät der Steuerung und Interventionsmöglichkeiten in der Interaktion
Mensch/Programm. Unter Interaktivität ist das Potenzial eines Einzelmedi-
ums zu verstehen. Interaktivitätsdesign bedeutet die Entwicklung von Inter-
aktionsformen durch ein digital basiertes Übungsdesign (vgl. Pérez-Torneo
2017). Übungstypen und -formen bisheriger Übungstypologien erscheinen
nur noch bedingt als Ordnungskategorien brauchbar, wenn ein digitales
Format Ausgangspunkt der Interaktion im Kurs ist. Eine Reihe von Übungs-
typen und -formen der bisherigen Typologien sind nicht mehr praktikabel,
andere Formate und Potenziale kommen hinzu und müssen (vgl. Funk 2017)
auf ihre interaktionale Leistung sortiert werden. Eine übungstypologische
Orientierung ist als auch Einführung der Lehrkräfte in die Arbeitsweise und
mit digitalen Lehrmaterialien nötig. Damit wird der Schritt von einer planlo-
sen und eher zufälligen Verwendung von Apps und digitalen Zusatzangebo-
ten zu einer integrativen didaktisch-methodischen Konzeption digital basier-
ten Fremdsprachenlernens unter Integration wesentlicher neuer Formate und
ihrer interaktionssteuernden Potenziale möglich. Die folgende Tabelle zeigt,
dass Apps in diesem Sinne stufbar sind.

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76 Hermann Funk

5 Stufen der Interaktivität von Apps aus Nutzerperspektive:


Vom Konsumenten zum Produzenten
1. Konsumtiv: youtube, pdf, ... (als Konsument)
2. Reaktiv: richtig/falsch-Übungen, Zuordnungen
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3. Reproduktiv/rekonstruktiv: Lücken, Textrekonstruktion, ...


4. Reproduktiv-produktiv: cobocards, phase 6 (Lernkartenarbeit),
(lerner- u. programmgesteuert): thinglink
5. Kollaborativ: a) Wortebene:
Unterstützung bei der Texterstel- mentimeter, survey monkey
lung b) Textebene:
Jing, Voicethread, Powtoon Video,
Padlet, Grammarly

Aus der Nutzerperspektive lässt sich dieser Weg vom „Konsumenten“ zum
„Produzenten“ als eine Progression im Sinne der Abnahme der Programm-
Steuerung und der Zunahme produktiver Element lernerseits beschreiben, als
zunehmende Einbindung sozialer Interaktion durch kollaborative Verfahren
und Gruppenkommunikation bis hin zu einer digitalen Ergebnissicherung
sozialer Kognition und dem Teilen und Publizieren von Lernprodukten.
Der Vollständigkeit halber müssen an dieser Stelle auch Gamification, die
Integration spielerischer Elemente und Designs in inhaltsorientieren Lern-
szenarien der Arbeit an inhaltlichen Zielen genannt werden3 und Gaming, die
digitalen Lernspiele (Sharples et al. 2013; Xu 2014). Die Beispiele zeigen, dass
hier komplexe Interaktionsszenarien durch einen spielerischen flow gesteuert
und intensiviert werden können.
Die didaktisch-methodische Zielperspektive bleibt: Vermischte, aufgaben-
orientierte (task-supported) Lernszenarien mit medienbewussten
und -kompetenten Lernenden, deren digital-gestützte Interaktion initiiert
und begleitet wird von ebenso kompetenten Lehrpersonen und didaktisierten
Materialien mit bewältigbaren Progressionsvorgaben. Damit sind auch inhalt-
lich die fremdsprachenmethodischen Forschungsschwerpunkte gesetzt. In
welcher Weise die Nutzung digital-implizit erhobener Lernerdaten zu For-
schungszwecken dabei möglich sein wird, ist eine offene, forschungsethisch
brisante, aber für die fachdidaktische Forschung und die Entwicklung indivi-
dualierten Feedbacks in digitalen Settings relevante Frage, die in diesem Kon-
text nicht im Detail erörtert werden kann. Studien zu rate & route von Lern-
vorgängen würden auf diese Weise eine neue Qualität erhalten (Herzig 2014).
Im Sinne der Leitfrage zu den Konsequenzen für die Ausbildung von
Lehrkräften ergeben sich zahlreiche neue Herausforderungen, wie sie Torben

3
Beispiele zu serious games und fun theory in der Ausbildung in der Autoindustrie:
https://www.youtube.com/watch?v=CFeeSANGGlA (16/05/2019).

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Feindliche Übernahme oder erweiterte didaktisch-methodische Szenarien? 77

Schmidt (in diesem Band) skizziert. Tellas (1996, 13) enthusiastischer und oft
zitierter Aufruf zu Beginn der ersten Digitalisierungsdebatte „[...] the teacher
should be courageous enough to step aside, from the ‘sage on the stage’ to the
‘guide on the side’“ beschreibt nur die eine Hälfte des notwendigen neuen
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Rollenverständnisses aller Lernprozessbeteiligten: Um die Berater- und


Coach-Rolle an der Seitenlinie einnehmen zu können, reicht es nicht, sich
dorthin zu begeben. Lehrkräfte müssen durch Aus- und Weiterbildung in die
Lage versetzt werden, Lernende zu einem im Lernersinne effizienten und
verantwortungsvollen Mediengebrauch zu erziehen – worauf sie die Ausbil-
dungssysteme weltweit – auch nicht in digital fortschrittlicheren Ländern als
Deutschland - kaum vorbereiten. Ein Rollenwechsel des einen Partners im
Rahmen eines Interaktionsszenarios erfordert auch den Rollenwechsel des
anderen: Autonomie ist anstrengend. Sie verlangt eigenständige Urteile, Pla-
nungen und die Übernahme von Verantwortung, und Führung auch und
gerade dort, wo neue digitale Werkzeuge wie „Fahrassistenzsysteme“ im Un-
terricht oder learning analytics versprechen, das Lehrer- und Lernerleben
leichter zu machen. Die aktuelle Beschleunigung des digitalen Wandels kam
keineswegs plötzlich. Nichts spricht dafür, dass unsere Bildungssysteme und
Ausbildungskonzepte darauf besser vorbereitet sind, als die Gesellschaft ins-
gesamt. Die Fremdsprachendidaktik muss sich nicht neu erfinden, die Me-
thodik und damit auch die Ausbildung von Lehrkräften steht damit allerdings
vor ihrer bisher umfassendsten Herausforderung.

Literatur
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cognitive theory. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
Brown, H. Douglas (2007): Teaching by Principles. An Interactive Approach to
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„Schulische Nutzung von neuen Technologien in Deutschland im internatio-
nalen Vergleich“. In: Bos, Wilfried/Eickelmann, Birgit/Gerick, Ju-
lia/Goldhammer, Frank/Schaumburg, Heike/Schwippert, Knut/Senkbeil, Mar-
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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen
in der Schule lernen?
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Andreas Grünewald

Ende der 1930er Jahre stellte Konrad Zuse den ersten Computer in Berlin vor,
damals noch so groß wie eine Zimmerwand und mit einer Speicherkapazität
von 64 Wörtern. 1993 wurde der erste Internetbrowser angeboten und Ende
der 1990er Jahre wurde die erste Digitalisierungsdebatte im Bildungsbereich
geführt. Die Argumente für oder gegen den Einsatz digitaler Medien im
Fremdsprachenunterricht sind bis heute sehr ähnlich. Warum bestimmt also
erneut gerade dieses Thema die aktuelle bildungspolitische Debatte? Sicher ist
dafür die „Digitale Revolution“ mitverantwortlich. Diese Entwicklung soll in
Anlehnung an die „Industrielle Revolution“, die uns vor 200 Jahren in die
Industriegesellschaft führte, nun in die digitale Gesellschaft führen, in der
nahezu alle Lebensbereiche durch die Digitalisierung geprägt sein werden.
Außerdem sind zwei weitere Gründe zu nennen, die für den Bildungssektor
sehr relevant sind: Erstens erhoffen sich viele Akteure einen Innovations-
schub durch den fünf Milliarden schweren „Digitalpakt Schule“, der nach
schier endlosen Verhandlungen nun doch kommen soll. Zumindest möchte
jeder gerüstet sein für die Zeit, in der das Geld verteilt wird. Zweitens kam es
in den vergangenen fünf Jahren zu einem Entwicklungssprung im Bereich der
künstlichen Intelligenz (KI), einhergehend mit einer außergewöhnlich um-
fangreichen Erweiterung von Speichermedien, die insbesondere auch Cloud-
systeme attraktiv gemacht haben. Dieser enorme Entwicklungssprung der KI
gefährdet den institutionellen Fremdsprachenunterricht nachhaltig, weil er
dazu führt, dass Sprachbarrieren abgebaut und basale Kommunikationsfähig-
keit – häufig das in der Realität des schulischen Unterrichts der 2. und 3.
Fremdsprache realistischste Ziel am Ende eines Kurses – in einer oder mehre-
ren Fremdsprachen durch Echtzeitübersetzungsprogramme oder Überset-
zungsplattformen möglich sind.
Im Folgenden stelle ich zunächst Ergebnisse einer Befragung zur Rolle von
digitalen Medien für den Fremdsprachenunterricht vor und umreiße in aller
Kürze das innovative Potential von Computer & Internet für das Fremdspra-
chenlernen (sehr viel ausführlicher in Grünewald 2016; 2018; Hallet o.A.;
Schmidt/Würffel 2018; Schmidt/Strasser 2018). Anschließend skizziere ich
die sprunghafte Entwicklung der KI und diskutiere mögliche Auswirkungen
für den Fremdsprachenunterricht, bis hin zu der These, dass diese Entwick-
lung den institutionellen Fremdsprachenunterricht obsolet machen könnte.

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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 81

1 Digitalisierung und Fremdsprachenunterricht


Es besteht ein großes Forschungsinteresse an Erkenntnissen zur Wirkung
digitaler Medien auf den fremdsprachlichen Lernprozess, aber es gibt dazu
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kaum verlässliche empirische Befunde. Ein Grund dafür ist in der Komplexi-
tät der Einflussfaktoren auf Lernprozesse allgemein zu sehen. Bei der Frage
nach der Wirkung digitaler Medien auf den Lernerfolg lassen sich zumindest
folgende Faktoren unterscheiden: erstens die digitalen Medien selbst, zwei-
tens die Unterrichtsprozesse, in denen die Medien eingebunden sind, darüber
hinaus die am Unterricht unmittelbar beteiligten Akteure, also drittens die
Lehrpersonen, und viertens die Lernenden selbst (vgl. Harzig 2014). Jeder
dieser Faktoren ist in sich wieder sehr komplex aufzuschlüsseln, und daher ist
es kaum möglich, einzelnen Faktoren eine spezifische Wirkung für den
fremdsprachlichen Lernprozess zuzuschreiben (Faktorenkomplexion). Die
Frage nach den Wirkungen digitaler Medien im Unterricht ist generell nicht
isoliert mit Blick auf das digitale Medium, sondern nur in der unterrichtli-
chen Gesamtsituation sinnvoll zu diskutieren. Das gilt für nicht nur für die
digitalen Medien, sondern für alle oben aufgeführten Faktoren. Metastudien
(Harzig 2014) zeigen hinreichend empirische Evidenz für spezifische lernför-
derliche Wirkungen digitaler Medien in Lehr- und Lernprozessen, allerdings
lassen sich solche Aussagen weder auf einzelne Medienangebote „noch im
Hinblick auf spezifische Lerngruppen noch im Hinblick auf spezifische Fä-
cher oder Fachkulturen pauschalisieren“ (ebda., 22).
Häufig werden daher die Akteure befragt, um daraus Aussagen über den
Medieneinsatz ableiten zu können (z.B. die JIM-Studien oder der Monitor
digitale Bildung). Aus diesen Befragungen wissen wir, dass
• sowohl Lehrkräfte als auch Schulleiterinnen und Schulleiter digitalen
Medien für den Fremdsprachenunterricht eine beutende Rolle zu-
schreiben. Sie sind zu 56% (L) und zu 71% (SL) der Auffassung, dass
digitale Medien die Arbeit von Lehrpersonen im Fremdsprachenunter-
richt erleichtern (MDB 2017, 2ff.).
• etwa 2/3 der Lehrkräfte der Meinung sind, dass sich mit digitalen Me-
dien die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler gut rea-
lisieren lässt. Wesentlich weniger sehen darin eine Chance, leistungs-
schwächere Schülerinnen und Schüler besser zu fördern (40%); einen
Mehrwert für Inklusion sprechen den digitalen Medien nur 30% der
Lehrpersonen zu (ebda.).
• nur 23% der Lehrkräfte glauben, dass der Einsatz digitaler Medien zu
besseren Lernergebnissen führt. 81% aber sind sich sicher, dass ihnen
eine bessere IT-Struktur in der Schulverwaltung Entlastung bringt. Nur
15% sind versierte Nutzer (ebda.).
• der Einsatz digitaler Medien in der Schule von 80% der Lehrkräfte als
motivierend beschrieben wird. Mehr als die Hälfte der Lehrpersonen

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82 Andreas Grünewald

schätzen den Medieneinsatz als teuer ein, und nur wenige messen den
digitalen Medien einen Mehrwert gegenüber klassischen Medien hin-
sichtlich der Lehr- und Lernqualität bei (ebda.).
Das bedeutet, dass digitalen Medien gerade für den Fremdsprachenunterricht
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eine hohe Relevanz zugesprochen wird, dass ihnen das Potential zugeschrie-
ben wird, eher leistungsstarke als leistungsschwache Schülerinnen und Schü-
ler zu fördern, dass Lehrpersonen den Mehrwert eher für die eigene Unter-
richtsvorbereitung sehen und den digitalen Medien wenig Potential
zusprechen, den fremdsprachlichen Lernprozess positiv zu beeinflussen; ein
Mehrwert gegenüber dem Einsatz klassischer Medien wird nur von wenigen
gesehen. Ein Großteil misst dem Einsatz digitaler Medien jedoch eine motiva-
tionssteigernde Funktion zu.
Schon dieser knappe Einblick in Forschungsergebnisse zur Wirkung digi-
taler Medien macht deutlich, wie heterogen die Befundlage ist. Einerseits wird
dem Medieneinsatz ein deutlicher Effekt zur Steigerung der Lernmotivation
bescheinigt, einhergehend mit einem hohen Potential für den differenzieren-
den Unterricht. Andererseits messen nur wenige den digitalen Medien einen
Mehrwert gegenüber den klassischen Medien bei. Nur ein Drittel sieht Vor-
teile des Einsatzes digitaler Medien für die Inklusion. Sie seien eher dazu ge-
eignet leistungsstarke Schülerinnen und Schüler zu fordern. Wir brauchen
unbedingt größer angelegte Studien mit repräsentativen Stichproben, um
endlich aussagekräftigere Ergebnisse zur Wirkung des Medieneinsatzes im
Fremdsprachenlernprozess zu erhalten.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass gerade die beliebteste Nutzungsart
digitaler Medien durch Schülerinnen und Schüler in ihrer Freizeit, im Schul-
alltag kaum eingesetzt wird: Soziale Medien wie WhatsApp, Instagram,
SnapChat usw., bei den Lernenden äußert beliebt, werden kaum in Lehr- und
Lernprozesse integriert und ihr Einsatz wird nicht reflektiert (MDB 2017,
25f.). Das gilt für Software wie auch für Hardware: So prägen Whiteboards
und Beamer das mediale Geschehen im Klassenraum, während Tablets und
vor allem Smartphones den Freizeitbereich dominieren. 50% der Schülerin-
nen und Schüler verfügen heute über Tablets oder Laptops mit Touchscreen,
nahezu jede/r über ein Smartphone oder Handy. Rund 60% der Schülerinnen
und Schüler nutzen diese Geräte auch für die Hausaufgaben. In der Schule
kommen Smartphones hingegen nur bei 22% der befragten Schülerinnen und
Schüler im Unterricht zum Einsatz (MDB 2017, 46). Vielfach ist die Nutzung
des Smartphones durch Schulregeln im Unterricht verboten.
Unbestritten führt die Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen
des gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit auch zur Veränderung des
schulischen Unterrichts. Doch inwieweit sind diese Veränderungen fremd-
sprachenspezifisch bzw. überhaupt relevant für den Fremdsprachenunter-
richt?

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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 83

Die Digitalisierung schafft zwar neue Formen und Genres der Kommuni-
kation, diese betreffen aber alle Schulfächer und sollten in allen Fächern an-
gewendet und reflektiert werden. Das gilt für viele digitale Kompetenzen wie
etwa die Reflexion der eigenen digitalen Kommunikation (die ja außerhalb
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von Schule meist ohnehin nicht in der Fremdsprache stattfindet) und die
Reflexion über die Formen der Selbstpräsentation im sozialen Netz. Ebenso
sind digitale Präsentations- und Kommunikationstechnologien (Whiteboard,
Beamer, Lernplattformen) nicht an den Fremdsprachenunterricht gebunden.
Das Potential der Digitalisierung wird häufig auf die Verfügbarkeit so ge-
nannter authentischer Materialien reduziert. Im Internet findet man tatsäch-
lich eine Vielfalt von authentischen Materialien (Texte, Bilder, Töne, Filme)
zu Landeskunde, Literatur, Grammatik usw., die neue Arbeitsmöglichkeiten
im Fremdsprachenunterricht eröffnen. Das Internet bietet Unterrichtenden
schnellen und ortsunabhängigen Zugang zu authentischen fremdsprachigen
Webseiten, zu Podcasts, Videopods, zielsprachigen Radiosendern, Kurzfil-
men, Tageszeitungen etc. und erleichtert damit die Unterrichtsvorbereitung
enorm und leistet einen Beitrag zu einem lernerorientierten und kommunika-
tiven Fremdsprachenunterricht. Rechercheaufgaben sowie Web-Quests (er-
kundungsorientierte Web-Aktivität) können den Unterricht zum jeweiligen
Sprachraum öffnen.
Die Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts eröffnet also den Zu-
gang zu zielsprachigen Materialen und hilft dabei, den Unterricht zeitgemäß
und nach Einschätzung des Großteils der Lehrkräfte motivierend zu gestalten.
Gleichzeitig stellt die Digitalisierung auch eine Bedrohung des Fremdspra-
chenunterrichts, so wie wir ihn kennen, dar. Das werde ich im Folgenden
durch die Skizzierung einer Dystopie verdeutlichen, die zeigt, dass Digitalisie-
rung auch dazu beitragen kann, dass das Fremdsprachenlernen an Schulen
keine Zukunft mehr hat.

2 Künstliche Intelligenz ermöglicht die Kommunikation in der


Fremdsprache
Den oben angedeuteten Entwicklungssprung der KI werde ich im Folgenden
an zwei Beispielen explizieren:
Mit dem von IBM entwickelten Schachcomputer Deep Blue konnte erst-
mals 1996 eine Maschine einen Schachweltmeister besiegen. Während der
Riesenrechner pro Sekunde 200 Millionen Züge durchsuchen konnte, ver-
mochte sein unterlegener Kontrahent Garri Kasparow in diesem Zeitraum
höchstens fünf oder sechs Varianten zu überprüfen (vgl. Meusers 2015). Deep
Blue war allerdings kein eigenständig lernendes System; das IBM-Team än-
derte während des Wettkampfes die Codes und eliminierte Fehler. Überspitzt
gesagt waren hier Menschen in der Maschine verborgen (vgl. Maruschat
2016). Der Computerforscher und Schach-Enthusiast Matthew Lai vom Im-

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84 Andreas Grünewald

perial College in London entwickelte wiederum eine künstliche Intelligenz


(KI) namens Giraffe, die schon nach drei Tagen Training besser spielte als
viele Profis. Bei Giraffe handelt es sich um ein sogenanntes neuronales Netz-
werk, dem Lai die Regeln des Schachspiels anhand vieler Beispielpartien bei-
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gebracht hat. Giraffe analysierte mehr als fünf Millionen Spielzüge, diese wur-
den dann im Netzwerk auf mehreren neuronalen Ebenen verarbeitet.
Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass sich die KI die Perfektionierung des
Schachspiels selbst angeeignet hat.
Auch für unseren Gegenstand, das Fremdsprachenlernen, sind die Aus-
wirkungen dieses Entwicklungssprungs der KI deutlich bemerkbar. Wer vor
wenigen Jahren mit Übersetzungsprogrammen wie Google Translator gear-
beitet hat, dem empfehle ich heute, die App auf dem Smartphone erneut zu
installieren und einen Vergleich zu wagen. Das Programm erkennt Straßen-
schilder und übersetzt diese in jede beliebige Sprache. Man kann Sätze ein-
sprechen und diese übersetzen lassen, Texte in das Eingabefeld hineinkopie-
ren und erhält dabei erstaunlich gute Übersetzungsergebnisse. Ein weiteres
Beispiel ist der Online-Dienst DeepL, ein Übersetzungsprogramm, das kos-
tenfrei im Internet zugänglich ist. Die Kölner Programmierer von DeepL stel-
len eine Plattform zur Verfügung, die in Millisekunden überraschend gute
Übersetzungen von z.B. aktueller Tagespresse auf Knopfdruck ausgibt. Das ist
mit Sicherheit nicht das Ende der Entwicklung. Die Sprachsteuerung in Form
von Alexa und Siri steht erst am Anfang, wird aber sicher dazu führen, dass
wir in Zukunft Texte nicht mehr in den Computer eintippen, sondern sie
einsprechen. Auch im Alltag setzt sich Sprachsteuerung mehr und mehr
durch, z.B. in der Autoindustrie, in der Unterhaltungselektronik oder weniger
beliebt, in Callcentern. Da Sprachsteuerungssysteme unterschiedliche Spra-
chen beherrschen, besteht immer die Möglichkeit, seine Fremdsprachen-
kenntnisse anzuwenden. Haben Sie mit Alexa oder Siri schon mal Franzö-
sisch gesprochen? Funktioniert gut!
Es ist kein großer Schritt mehr zu dem Szenario, das sich Douglas Adams
in seinem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ ausgedacht hat: Er be-
schreibt etwas, das er Babelfisch nennt; jeder, der es im Ohr trägt, versteht alle
Sprachen der Welt. Was im Erscheinungsjahr 1979 noch reine Science-
Fiction war, ist heute im Bereich des Möglichen: Die Entwickler der Überset-
zungsplattform iTranslate oder Mymanu Translator haben die Übersetzungs-
software in einen drahtlosen Kopfhörer integriert und damit tatsächlich im
menschlichen Ohr untergebracht. Dieser „Echtzeit-Übersetzer“ für unterwegs
überträgt fremdsprachliche Äußerungen des Gesprächspartners in eine belie-
bige Sprache und kann durch Kopplung mit dem Smartphone auch die eige-
nen Äußerungen selbst dann als Audiotext übersetzen, wenn der Gesprächs-
partner kein entsprechendes Übersetzungsprogramm „am Ohr trägt“.
Microsoft bietet mit einer vergleichbaren Softwarelösung die Simultanüber-
setzung von Telefonmeetings an; es wird live übersetzt, was die anderen Teil-

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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 85

nehmerinnen und Teilnehmer sagen. Die Technik ist bereits beim Internet-
Telefonie-Anbieter Skype im Einsatz.
Auch wenn diese Übersetzungsprogramme noch nicht perfekt sind – bei-
spielsweise verstehen sie keine Metaphern, beziehen zu wenig den Kontext
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der sprachlichen Äußerung mit ein oder sind nicht in der Lage, kulturelle
Einflüsse auf Sprache zu berücksichtigen –, deutet diese Entwicklung an, was
in wenigen Jahren möglich sein könnte: Sprachbarrieren technisch durch
automatisierte Simultanübersetzung zu überwinden. Fremdsprachenlernen,
insbesondere mit einem so großen Aufwand verbunden wie im institutionel-
len Kontext, wird dann nicht mehr notwendig sein, um eine basale Kommu-
nikationsfähigkeit herzustellen.
Fremdsprachen (auch im institutionellen Kontext) werden bisher aber ge-
rade deshalb gelernt, um mit Sprecherinnen und Sprechern dieser Sprachen
kommunizieren zu können, um Wirtschaftsbeziehungen eingehen zu können
(ohne dass Sprachbarrieren eine einschränkende Rolle spielen), um internati-
onale Karrieremöglichkeiten zu schaffen, aber auch einfach wegen der Freu-
de, andere Sprachen und Kulturräume kennen zu lernen und eventuell in
anderen Sprachräumen leben zu können.
Berücksichtigt man zudem die schwierigen Umstände, unter denen der
Fremdsprachenunterricht (zumindest in der 2. und 3. Fremdsprache) in der
Schule stattfindet – darunter die wenigen, dafür häufig ungünstig platzierten
Unterrichtsstunden, der zunehmende Wegfall von Hausaufgaben und die
damit verbundene stark begrenzte Auseinandersetzung mit der Fremdsprache
außerhalb des Schulunterrichts, die eingeschränkten Anwendungsmöglich-
keiten und die damit einhergehende fehlende Relevanz –, dann muss die Fra-
ge gestellt werden, wie der Fremdsprachenunterricht auch in Zukunft ein
attraktives Fach im schulischen Fächerkanon sein kann. Anders formuliert:
Lohnt sich aus Sicht der Schülerinnen und Schüler der hohe Aufwand, der
mit dem Fremdsprachenunterricht in der Schule verbunden ist, für den mit-
unter geringen Nutzen (bzw. Erfolg), wenn gleichzeitig durch die rasante
Entwicklung der KI digitale Hilfsmittel eine basale Kommunikationsfähigkeit
in Fremdsprachen sicherstellen? Konkret: Wenn Schülerinnen und Schüler
nach 3 Jahren Fremdsprachenunterricht, in dem sie Woche für Woche min-
destens 135 Minuten zusammengekommen sind, nicht einmal auf dem Ni-
veau eines automatisierten Übersetzungsprogrammes kommunizieren kön-
nen, dann stellt sich die Frage, ob sie die Zeit nicht anderweitig sinnvoller
hätten nutzen können.
Fremdsprachenunterricht muss mehr leisten als die Herstellung von
Kommunikationsfähigkeit oder die Ermöglichung der Teilhabe an fremd-
sprachlichen Diskursen. Auf dieses reduzierte Ziel scheint der aktuelle
Fremdsprachenunterricht allerdings vielerorts ausgerichtet zu sein. Die Frage
nach der Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts darf sich nicht nur
um die Aufbereitung und Zugänglichkeit bisher längst etablierter Inhalte

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86 Andreas Grünewald

drehen, sie muss zur Diskussion über Ziele, Inhalte und methodische Aus-
richtung sowie deren Weiterentwicklung führen.
Die beiden folgenden Beispiele demonstrieren anschaulich, wie die Digita-
lisierung zur Diskussion über Inhalte im Fremdsprachenunterricht führt:
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Kein fremdsprachliches Lehrwerk kommt ohne Übungen und Wortschatz


zum Thema „Nach dem Weg fragen“ oder „Wegbeschreibung“ aus. Dabei
werden chunks gelernt, Ordnungszahlen eingeführt und spezifische Lexik
vermittelt. Doch wie wahrscheinlich ist es noch, dass Schülerinnen und Schü-
ler eine Wegbeschreibung einholen? Wir nutzen wahrscheinlich alle Apps wie
Google-Maps oder Karten, die zu jedem beliebigen Ort auch mit Hilfe von
Sprachsteuerung führen, egal ob im Auto, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit
dem ÖPNV. Diese Nutzung hat sich durchgesetzt, weil sie unkompliziert und
kostenlos ist. Sie stellt damit die als Teil der außerschulischen Lebensrealität
vermutete Kommunikationssituation „Nach dem Weg fragen“ in Frage.
Ebenso verhält es sich mit der Teilkompetenz „Sprachmittlung“. Diese Teil-
kompetenz, noch gar nicht so lange im Fokus der Fremdsprachenvermittler,
wird meist ebenfalls als nah an der Lebensrealität der Schülerinnen und Schü-
ler beschrieben und in entsprechende Kommunikationssituationen eingebet-
tet: Da muss entweder für die nicht Französisch sprechenden Eltern auf dem
Campingplatz gemittelt werden oder der Freund braucht dringend eine
schnelle Übersicht zu einer spezifischen Textart (Mietvertrag, E-Mail usw.).
Wie oben bereits angedeutet erledigen das Übersetzungsplattformen wie z.B.
DeepL für schriftliche Texte und Apps wie z.B. Google-Translator für mündli-
che Texte schnell und erstaunlich erfolgreich. Die als realistisch angenomme-
ne Kommunikationssituation ist also durch die Digitalisierung in Frage ge-
stellt. In letzter Konsequenz folgt daraus, dass den Schülerinnen und Schülern
die effektive und sinnvolle Nutzung dieser Apps und Plattformen vermittelt
werden muss, dass über deren Möglichkeiten aber vor allem auch über deren
Grenzen reflektiert werden muss, um so die durch den Einsatz gewonnen
Ergebnisse kritische bewerten zu können, bevor diese zum Einsatz kommen.

3 Fazit: Digitalisierung fordert eine Neuakzentuierung von Inhalten


und Zielen des Fremdsprachenunterrichts
Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich, die Ziele, Inhalte und me-
thodische Konzeption des modernen Fremdsprachenunterrichts ausführlich
darzulegen und zu diskutieren. Unbestritten ist, dass mit der kommunikati-
ven Wende in den 1970er Jahren die kommunikative Kompetenz, verstanden
als die Fähigkeit, sich selbst, eigene Absichten, Interessen oder Bedarfe in
sozialer Interaktion einem Kommunikationspartner zu vermitteln, als Leitziel
des Fremdsprachenunterrichts anzusehen ist. Weitere übergeordnete Ziele
des Fremdsprachenunterrichts liegen meiner Auffassung nach in den sprach-
lichen Gegenständen selbst (Phonetik, Lexiko-Semantik, Morpho-Syntax,

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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 87

alltagsbezogene Pragmatik, mündlicher Diskurs sowie Literalität und Text-


kompetenz (vgl. Fandrych 2016, 34) und in der Vermittlung Interkultureller
Kompetenz mit einer kognitiven Dimension (Wissen), einer kognitiv-
affektiven bzw. kognitiv-attitudinalen Dimension (Einstellungen) und einer
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pragmatischen Dimension (Verhalten) (vgl. Grünewald/Küster/Lüning 2011,


50). Das Erlernen einer Fremdsprache wird immer auch als kulturelles Lernen
und als Begegnung mit anderen Kulturen aufgefasst (vgl. Hallet 2016, 39). In
einem weit verstandenen Kulturbegriff werden Texte und andere mediale
Erzeugnisse als Repräsentation von Kulturen im Fremdsprachenunterricht
verstanden und als solche auch rezipiert. Als weitere Ziele sind Sprachbe-
wusstheit sowie Sprachlernkompetenz zu nennen.
Diese Aufzählung ist aus den oben genannten Gründen sehr verkürzt und
unvollständig, zeigt aber bereits ein Problem auf: Wenn das Leitziel des mo-
dernen Fremdsprachenunterrichts die kommunikative Kompetenz ist, die KI
aber Werkzeuge bereitstellt, die eine basale Kommunikationsfähigkeit ermög-
lichen, dann müssen die Ziele im Fremdsprachenunterricht neu akzentuiert
werden. Spracherkennung und automatisierte Übersetzungen sind im digita-
len Raum fest etabliert. Das wird ganz sicher auch den schulischen Fremd-
sprachenunterricht verändern. Folgt man der oben skizzierten Dystopie, muss
der schulische Fremdsprachenunterricht anderes leisten als die Vermittlung
basaler Kommunikationsfähigkeit in der Zielsprache. Für die 2. und insbe-
sondere die 3. Fremdsprache ist allerdings selbst die Vermittlung basaler
Kommunikationsfähigkeit in vielen Schulformen ein ambitioniertes Ziel.
Geht man also davon aus, dass die KI in Zukunft wirkungsvolle Instrumente
zur Überwindung von Sprachbarrieren bereitstellt, ist es eine Aufgabe des
Fremdsprachenunterrichts (zumindest der 2. und 3. Fremdsprachen), die
Verwendung der Technologien zu üben, welche die Kommunikation in der
Fremdsprache, wenn nicht ganz übernehmen, dann zumindest stark vereinfa-
chen können. Dazu gehören dann beispielsweise die reflektierte Nutzung von
Übersetzungsprogrammen wie DeepL, iTranslate usw. Außerdem muss der
Fremdsprachenunterricht die Inhalte und Ziele fokussieren, die durch die
technologischen Hilfsmittel nur unzureichend abgedeckt sind. Sprache ist
weit mehr als ein Verständigungsmittel.
Spracherkennung und Übersetzungssoftware werden vieles übernehmen,
sie werden fremdsprachliche Kommunikation aber immer nur als Zeichen-
übertragung umsetzen können. Sie werden nicht ersetzen können, was
menschliche Kommunikation ausmacht: zwischenmenschliche Nähe, Einbe-
zug nonverbaler Zeichen in den Verstehensprozess der mündlichen Kommu-
nikation, Einfluss von Emotionen oder kulturellen Hintergründen usw.
Damit rückt z.B. die Vermittlung interkultureller Kompetenzen noch
mehr in den Mittelpunkt, darunter die Anbahnung von Perspektivenwechsel
und der Nachvollzug der kulturellen Einbettung des Kommunikationspart-
ners; affektive und emotionale Aspekte der Kommunikation ebenso wie lan-

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88 Andreas Grünewald

deskundliches Wissen gewinnen damit an Bedeutung. Im Fremdsprachenun-


terricht müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, die es den Schülerinnen
und Schülern erlauben, den kulturellen Hintergrund des Gesprächspartners
einzuschätzen und diesen sowie kontextuelles Wissen um die Gesprächssitua-
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tion in den Verstehensprozess mit einzubeziehen. Die Reflexion über gelun-


gene oder nicht gelungene Sprachmittlung oder automatisierte Übersetzung
gewinnt ebenso an Bedeutung wie die Rezeption von Texten als Träger kultu-
reller Informationen. Dabei werden allerdings die digitalen Werkzeuge selbst-
verständlich genutzt, also kann beispielsweise die Übersetzung unterschiedli-
cher Software zur Sprachreflexion genutzt werden oder Übersetzungsplatt-
formen zur Rezeption von fremdsprachlichen Texten.
Im Mittelpunkt des fremdsprachlichen Klassenzimmers muss darüber
hinaus soziale Interaktion stehen, weil es genau das ist, was die digitale Tech-
nik (bisher) nicht leisten kann. Das bedeutet, dass sich die Lehrperson gerade
nicht aus dem Unterrichtsgeschehen zurückziehen und die Interaktion über-
wiegend digitalen Medien überlassen kann.
Einen Mehrwert wird der Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenun-
terricht erst dann bringen, wenn diese nicht dafür eingesetzt werden, her-
kömmliche Unterrichtskonzeptionen zu ergänzen, sondern neue Realisierun-
gen mit neuen Schwerpunkten und Zielsetzungen zu ermöglichen. Hierin
sehe ich die eigentliche Herausforderung der Digitalisierung des Fremd-
sprachunterrichts.

Literatur
Burwitz-Melzer, Eva/Mehlhorn, Grit/Riemer, Claudia/Bausch, Karl-
Richard/Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2016): Handbuch Fremdsprachenun-
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Digitaler Wandel – Warum überhaupt noch Fremdsprachen in der Schule lernen? 89

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen
Schreibkompetenz für den Chinesischunterricht?
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Andreas Guder

Chinas zunehmende globale wirtschaftliche und politische Bedeutung, aber


auch seine kulturelle Fremdheit und die damit einhergehende Faszination
haben dazu geführt, dass sich in den letzten 20 Jahren die Fremdsprache Chi-
nesisch als Schulfach etablieren konnte. Heute ist Chinesisch an etwa 80
Schulen in 13 Bundesländern als Wahlpflicht-Fremdsprache etabliert und
kann als mündliches Abiturfach, in einigen Bundesländern auch schon als
schriftliches Abiturfach belegt werden (aktuelle Daten auf www.fachverband-
chinesisch.de). Damit ist Chinesisch die größte außereuropäische Fremdspra-
che in unserem Bildungssystem, während man feststellen muss, dass zu Fra-
gen sprachlich-kommunikativer Lernziele, soziokultureller bzw. inter-
kultureller Inhalte oder auch der gesellschaftlichen Implikationen eines
solchen Schulfachs in Europa noch kaum wissenschaftlich gearbeitet wird:
Chinesisch ist ein Schulfach, das in unserem Bildungssystem angekommen
ist, bevor es überhaupt eine konsensuale Fachdidaktik gibt.
Derzeit besteht die Aufgabe des Schulfachs Chinesisch – neben der zentra-
len Fähigkeit zum kulturellen Perspektivenwechsel – vor allem darin, die
Lerner/SuS in der zur Verfügung stehenden Zeit dazu zu befähigen, sich in
einem chinesischsprachigen Umfeld bewegen zu können (das sich inzwischen
durchaus auch innerhalb Europas finden lässt) und entsprechende mündliche
und schriftliche Handlungsaufgaben zu bewältigen. Für diese Lernziele stehen
uns in den Schulen meist deutlich weniger als 400 Unterrichtseinheiten zur
Verfügung, auch in einem chinawissenschaftlichen BA-Studium meist weni-
ger als 800 Stunden (vgl. Klöter 2016; zu China- und Chinesischkompetenz in
Deutschland im weiteren Sinne die MERICS-Studie 2018).
Ich möchte mich in diesem Papier auf die im engeren Sinne sprachkompe-
tenzbezogenen Lernprozesse konzentrieren, bei denen die „distante“ (Guder
2006; 2008) Fremdsprache Chinesisch mit grundlegenden Fragestellungen
konfrontiert ist, in deren Zusammenhang das Thema „Digitalisierung“ mehr
als bei europäischen, „affinen“ Fremdsprachen einen Paradigmenwechsel
hinsichtlich der Unterrichtsplanung bedeuten könnte.

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 91

1 Zwei Schriftsysteme für den Chinesischunterricht


Die Tatsache, dass Chinesisch nicht – wie nahezu alle anderen Sprachen der
Welt – mit einem phonographischen, meist aus weniger als 50 Graphemen
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bestehenden Schriftsystem geschrieben wird, sondern mit einem morphosyl-


labischen Schriftsystem, bei dem erst mit etwa 2400 Schriftzeichen 99% eines
Textes abgedeckt werden (vgl. Taylor/Taylor 1995, 54), hat nicht nur enorme
Auswirkungen auf die Definition und Realisation schriftlicher, sondern auch
der meisten mündlichen Lernziele, da (im Unterricht mit Jugendlichen und
Erwachsenen) auch für das Erreichen mündlicher Lernziele nicht auf eine
Form von Schriftlichkeit (in Form von Vokabellisten, Notizen beim Hörver-
stehen, Erläuterung syntaktischer Strukturen etc.) verzichtet werden kann.
Während aber in den meisten Fremdsprachen die schriftliche Repräsentation
von Wörtern einen vergleichsweise engen Bezug zur gesprochenen Sprache
besitzt, verfügt im Chinesischen zwar ein großer Teil (ca. 85-90%) der Schrift-
zeichen (Sinographeme) über sogenannte Phonetika, d.h. Subgrapheme mit
phonetischer Funktion, jedoch existieren von diesen weit über 1000, und sie
verfügen aufgrund ihrer jahrtausendealten Entwicklungsgeschichte heute
auch nur noch selten über eine eindeutige Phonetizität (vgl. Schindelin 2007).
Für eine phonographische Verschriftlichung der chinesischen Hochspra-
che (Mandarin, Putonghua) steht uns das von der Volksrepublik China 1956
etablierte, auf dem lateinischen Alphabet basierende, die Töne mit diakriti-
schen Zeichen markierende Transkriptionssystem Hanyu Pinyin zur Verfü-
gung, das sich seit den 1980er Jahren weltweit gegenüber den ursprünglich
zahlreichen Transkriptionen für das Hochchinesische durchgesetzt hat. Mit
ihm lässt sich die chinesische Sprache verschriftlichen, was (in korrekter Or-
thographie 1) folgendermaßen aussehen kann:
Wǒmen zhīdao, Déguó Hànyǔ xuésheng de rénshù zhúnián zēngjiā. Jù gūjì,
mùqián quán Déguó zǒnggòng yuē yǒu bāshí duō suǒ xuéxiào shèyǒu Hànyǔ
kèchéng, ér miànduìzhe zhème duō xuéxí Hànyǔ de xuésheng bùjīn shǐ wǒ

1
Die meisten chinesischen Muttersprachler beherrschen allerdings nicht die Regeln
der Groß- und Kleinschreibung sowie der Getrennt- und Zusammenschreibung
des Pinyin (diese werden weder im Primarschulunterricht noch für die digitale
Eingabe benötigt; gleiches gilt für die diakritischen Tonzeichen), was in vielen
Lehrwerken für Muttersprachler zu einer der Struktur der chinesischen Schrift
stärker entsprechenden, jedoch westlichen Lernern deutlich weniger Orientie-
rungshilfe bietenden Schreibung führt (hier mit Tonzeichen):
Wǒ men zhī dao, dé guó hàn yǔ xué sheng de rén shù zhú nián zēng jiā. Jù gū jì, mù
qián quán dé guó zǒng gòng yuē yǒu bā shí duō suǒ xué xiào shè yǒu hàn yǔ kè
chéng, ér miàn duì zhe zhè me duō xué xí hàn yǔ de xué sheng bù jīn shǐ wǒ chù jǐng
shēng qíng, yě ràng rén gǎn shòu dào “bǎi wén bù rú yī jiàn” de shēn kè hán yì.

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92 Andreas Guder

chùjǐngshēngqíng, yě ràng rén gǎnshòudào “bǎi wén bù rú yī jiàn” de shēnkè


hányì.2
Dieses Hanyu Pinyin ist nicht nur Lehrstoff in allen Grundschulen Chinas,
sondern auch eines der verbreitetsten Eingabeverfahren, um Chinesisch mit
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digitalen Geräten zu schreiben (es existieren daneben auch grafisch basierte


und hybride Eingabesysteme). Obwohl dieses alphabetbasierte Transkripti-
onssystem daher jedem chinesischen Muttersprachler bekannt ist, wird kaum
einer von ihnen den obigen Text als „Chinesisch“ akzeptieren. Auch in Lehr-
werken für Chinesisch als Fremdsprache (ChaF) ist Hanyu Pinyin zwar zum
Standard geworden, beschränkt sich jedoch fast überall auf eine unterstützen-
de Funktion für den Erwerb von Phonetik und Wortschatz. In der Einfüh-
rungsphase von Lehrwerken findet sich häufig auch eine Visualisierung
sprachlicher Inputs in Pinyin, jedoch wird fast überall angestrebt, möglichst
rasch auf das chinesische Schriftzeichensystem zu wechseln und Hanyu Pi-
nyin jenseits der phonetischen Annotation von Vokabellisten nicht mehr zu
verwenden.
Lerner des Chinesischen müssen in der Elementarstufe also unabhängig
von der chinesischen Schrift zunächst Kenntnisse über die Phonem-
Graphem-Beziehungen dieses Pinyin-Alphabets erwerben, das verglichen mit
der französischen oder englischen Orthographie bis auf einzelne Phoneme
und die Tonalität vergleichsweise flach und damit transparent und erlernbar
ist. Um mündlich-kommunikative Lernziele zu realisieren, wäre ein Chine-
sischunterricht, dessen schriftliche Materialien ausschließlich in Pinyin vor-
liegen, theoretisch durchführbar. Dieser führt zu vergleichsweise raschen
Erfolgen in der mündlichen Kommunikationsfähigkeit, bedeutet aber, dass
keine Schreib- und Lesefähigkeit im Chinesischen entwickelt wird, mithin
also nur zwei der vier grundlegenden Sprachkompetenzen ausgebildet werden
können.
Im Allgemeinen hat Chinesischunterricht jedoch – unseren eng mit
Schriftlichkeit verflochtenen Bildungskonzepten entsprechend – auch Lese-
und Schreibkompetenz zum Ziel. Dies stärkt wiederum die traditionelle, vor-
wiegend von Muttersprachlern durchgeführte Form des Chinesischunter-
richts, in dem bei jeder neuen Vokabel der Erwerb des entsprechenden
Schriftzeichens als selbstverständlich betrachtet wird. Insbesondere in China
sozialisierte Lehrkräfte sind durch ihren eigenen Schrifterwerb geprägt, bei
2
Originaltext aus einem eigenen Redemanuskript: 我们知道, 德国汉语学生的人数逐年增加
。据估计, 目前全德国总共约有八十多所学校设有汉语课程,而面对着这么多学习汉语的学生不仅使
我触景生情, 也让人感受到“百闻不如一见” 的深刻含义。 („Wir wissen, dass die Anzahl der
Chinesischlernenden in Deutschland unaufhörlich zunimmt. Nach Schätzungen
haben zurzeit bundesweit etwa 80 Schulen das Fach Chinesisch eingerichtet, und
diese vielen Chinesischlerner erfüllen uns nicht nur mit Freude, sondern lassen
uns auch die tiefere Bedeutung der Redewendung ‚einmal selbst erfahren ist besser
als hundertmal hören‘ empfinden.“)

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 93

dem sie sich innerhalb von 6 Schuljahren 3000 Schriftzeichen und deren ma-
nuelle Schreibung von Hand eingeprägt haben – für sie liegt eine Vermittlung
von „Chinesisch“ ohne das handschriftliche repetitive Üben der einzelnen
Schriftzeichen außerhalb ihrer Vorstellungen von „Bildung“, die auch in Chi-
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na mit Schriftlichkeit verbunden wird: Jedes Schriftzeichen muss nicht nur


erkannt, sondern von Hand und in der richtigen Strichfolge geschrieben wer-
den können, um im chinesischen Sinne als literat gelten zu können.

Abb.1: Strichfolge des Zeichens 感 găn „fühlen, empfinden“

Das „Lernen“ bzw. der Erwerb jedes einzelnen Schriftzeichens besteht dabei
aus fünf sinnvollerweise in folgender Abfolge zu bewältigenden kognitiven
Leistungen:

• Ich kann dem Schriftzeichen eine phonetische Realisation / Ausspra-


che zuordnen (hier: găn)
• Ich kenne das lexikalische Bedeutungskonzept des Schriftzeichens in
seiner Funktion als selbständiges Wort oder als Wortkompositum
(Morphem). (hier: „fühlen, empfinden“ in 感冒 gǎnmào „Erkältung,
sich erkälten“, 感觉 gǎnjué „Empfindung, verspüren“, 感动 gǎndòng
„emotional bewegend“, 预感 yùgǎn Vorahnung u.a.)
• Ich kann das Schriftzeichen beim Lesen erkennen und im entspre-
chenden Kontext inhaltlich verstehen.

Für die Schritte a) – c) kann die Zerlegung des Schriftzeichens in funktions-


tragende Subgrapheme (phonetische vs. semantische Subgrapheme) häufig
gedächtnisunterstützend wirken (im Beispiel 咸 xián phonetisch, 心 „Herz →
Emotion“ semantisch).

• Ich kann das Schriftzeichen von Hand in für andere lesbarer Form re-
produzieren.
• Ich kann das Schriftzeichen in der konventionalisierten richtigen
Strichfolge reproduzieren (vgl. Abb. 1; diese Strichfolge ist zwar kein
entscheidendes Kriterium für Lesbarkeit, jedoch als kulturelle Praxis
konventionalisiert, weshalb nicht zuletzt für das Lesen von individuel-
ler Handschrift und Kalligraphie die Kenntnis der Strichfolge konsti-
tutiv ist.)

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94 Andreas Guder

Die Verwendung eines solchen Schriftsystems, das vom Lerner tausendfach


das Einprägen von graphisch zunächst arbiträr anmutenden, aus bis zu 30
Strichen zusammengesetzten Graphemen einfordert, verlangsamt den
Spracherwerbsprozess in einem Maße, das uns aus Alphabetsprachen unbe-
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kannt ist. „Schreiben“ im Chinesischunterricht der Grundstufe besteht daher


vor allem in der Vermittlung von Graphemkompetenz: Die „Schreib-
aufgaben“ des Sprachunterrichts der Grundstufe bestehen – analog zu Lern-
zielen des Primarschulunterrichts in China – im Schreiben von einzelnen
Zeichen und Fragen der Strichfolge (wofür bereits ebenfalls digitale Lerntools
bereit stehen, vgl. z.B. McLaren/Bettinson 2015). Diese, für das Verfassen von
chinesischen Sätzen und Texten als notwendig vorausgesetzte Didaktisierung
und manuelle Einübung jedes einzelnen Schriftzeichens führt dazu, dass pro-
duktive Schreibkompetenz im Sinne kommunikativer Fremdsprachendidak-
tik in der Grundstufe wenig gefördert und geleistet werden kann und kaum
über kurze Sätze hinausgeht, da sie gewissermaßen durch das benötigte
Schriftsystem selbst ausgebremst wird.
Galal Walker, einer der wenigen Sinologen, die sich früh im Feld ChaF /
CFL (Chinese as a Foreign Language) engagierten, stellte bereits 1989 im
Rahmen der Entwicklung eines Chinesischcurriculums in den USA fest:
Chinese orthography is a major factor in the difficulty of learning to function
in Chinese. Moreover, writing is the most time-consuming activity for the
learner, but the return to the learner for the hundreds of hours spent writing
characters has a smaller payoff in terms of functioning as a participant in a
Chinese society than the work he puts into any other of the skill areas (Walker
1989, 43).
Joseph Allen, Professor für chinesische Literatur in Minnesota, schrieb 2008
unter dem provozierenden Titel „Why learning to write Chinese is a waste of
time“: Chinesisch von Hand schreiben zu lernen sei
inefficient for a very straightforward reason: The time necessary to learn to
write the characters is inversely proportionally to the usefulness of that skill.
The inefficiency is twofold. First, learning to write Chinese characters con-
sumes an extraordinary amount of time, particularly at the early stages of lan-
guage learning when the student has no linguistic frame onto which to attach
the rote memory; at the same time, opportunities that students will have to
practice this skill in any natural fashion are extremely limited in the early (and
maybe most) stages of language learning (Allen 2008, 237).
Die dahinter stehende Frage nach einer möglichst anwendungsorientierten
Ausdifferenzierung des Lernziels „Schreiben“ im Chinesischunterricht er-
fordert also zunächst, bei der Kompetenz „Schreiben“ (chin. 写 xiě oder 书写
shūxiě) zwischen der manuellen „Schriftzeichen-Schreibkompetenz“ (写字能

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 95

力 xiězì nénglì) einerseits und Schreibkompetenz im europäischen Sinne von


„Texte verfassen“ (写作能力xiězuò nénglì) andererseits zu unterscheiden.3
Tatsächlich besteht die große Mehrheit der Wörter des modernen Chine-
sisch aus zwei Morphemen/Schriftzeichen, so dass sich die Rekurrenz ver-
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trauter Morpheme/Schriftzeichen im Wortschatz mit zunehmender Lese-


und Schreibkompetenz allmählich erhöht. Für die Grundstufe muss jedoch
festgestellt werden, dass – sofern eben nicht nur mündliche, sondern auch
schriftliche Kompetenzen entwickelt werden sollen – für jedes neue chinesi-
sche Wort auch der Erwerb eines oder sogar zweier neuer Schriftzeichen er-
forderlich ist: Quantitative Untersuchungen zeigen, dass für die ersten 500
Lexeme die Anzahl der dafür zu erwerbenden Schriftzeichen ebenfalls etwa
500 beträgt und im fortlaufenden Lernprozess etwas abflacht, so dass bei 1000
Lexemen etwa 700-800, für die 2000 Lexeme eines Grund- und Aufbauwort-
schatzes (ca. Niveau B1) ca. 1500 Schriftzeichen erforderlich sind (vgl. Liu
Yinglin 1992; Xiandai Hanyu Pinlü Cidian 1988; Schindelin 2005).
Diese fundamentale Problematik des chinesischen Schriftsystems wird in
den Kerncurricula für Chinesisch der meisten Bundesländer (noch) ignoriert.
Sie betonen zwar zumeist den Schwerpunkt der Mündlichkeit, dennoch gehö-
ren Lese- und Schreibkompetenz überall ebenfalls zu den curricularen Lehr-
zielen, ohne dass das Verhältnis zwischen Pinyin-Schriftlichkeit und Schrift-
zeichen-Schriftlichkeit ausreichend thematisiert würde. Die Frage, in
welchem Umfang die Lese- und Schreibkompetenz tatsächlich mit Schriftzei-
chen erworben werden kann und soll, wird nicht beantwortet oder ihr wird
ausgewichen – es können im Rahmen von Lese- und Schreibaufgaben auch
Pinyin-Texte verfasst werden bzw. zur Überprüfung des Leseverstehens her-
angezogen werden – was angesichts der von europäischen Fremdsprachen
hergeleiteten Anforderungen verständlich und nachvollziehbar ist, aber deut-
lich macht, in welchem Dilemma sich nicht nur die Autoren von Chinesisch-
Rahmenlehrplänen befinden.

2 Digitales Chinesisch: Die Lösung des Problems?


Lehrkräfte des Chinesischen sehen sich also zerrissen zwischen dem Primat
der (mittels Hanyu Pinyin verschriftbaren) Mündlichkeit und der Frage, wel-
che schriftlichen (d.h. schriftzeichenbasierten) Lernziele überhaupt im Rah-
men der knappen Unterrichtszeit realisierbar sein können. Zwischen der

3
Eine solche Differenzierung wird im Rahmen des Projekts EBCL „European
Benchmarks for the Chinese Language“ (2012; deutsch 2015) vorgenommen, des-
sen Can-Do-Deskriptoren zwischen „Kompetenzen bezüglich des Transkriptions-
systems Hanyu Pinyin“ und „Graphemischer und orthographischer Kontrolle“ (=
Sinographemkompetenz, manuell und digital) klar differenzieren. Für alle Lern-
ziele der Kompetenz „Schreiben“ in EBCL gilt, dass sie auch mittels digitalem
Schreiben erreicht werden können (EBCL 2015, 18).

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96 Andreas Guder

beschriebenen Tradition der ausführlichen manuellen Schriftzeichenvermitt-


lung in der chinesischen Primarschule und dem zeitlich ungleich begrenzte-
ren Lernzeitraum europäischer Schülerinnen und Schüler (zumeist ca. 100
Unterrichtsstunden/Schuljahr) besteht ein Konflikt, der außerdem durch die
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Tatsache geprägt ist, dass heute die meisten Textsorten im realen Alltag per
Tastatur und nur selten von Hand verfertigt werden. Und alle Chinesischler-
ner und auch viele Muttersprachler geben gerne zu, dass ihnen das digitale
Schreiben des Chinesischen deutlich leichter als das manuelle Schreiben fällt:
Moderne chinesische Textverarbeitung der ersten Generation bietet bei Ein-
gabe des alphabetischen Pinyin-Wortes (ohne Angabe des Tones) eine Aus-
wahl der dieser Transkription zugewiesenen Wörter, unter denen das ge-
wünschte mittels Cursor oder Nummerneingabe anzuwählen ist:

Eingabe via Alpha-


erzeugt Auswahl:
bet-Tastatur:
beijing (1) 北京 (2) 背景 (3) 背静
běijīng bèijĭng bèijing
Peking Hintergrund still und abgeschieden

Neuere Textverarbeitungssoftware antizipiert allerdings bereits auf Basis des


jeweiligen Kontextes, welche Schriftzeichen/Morpheme zu erwarten sind, und
schreibt mit hoher Verlässlichkeit automatisch das korrekte Schriftzeichen
bzw. Wort auf Basis der Eingabe von Pinyin-Texten.
Reduzierte man also Schreib-Lernziele im Chinesischunterricht auf das
ausschließlich digitale Verfassen von Texten, würden die Anforderungen
einer korrekten manuellen Schreibung entfallen (d.h. die kognitiven Leistun-
gen d) + e) in Abschnitt 1), und als Lernziele blieben die rezeptive Kenntnis
der grafischen Struktur (das Zeichen muss gelesen bzw. erkannt werden)
sowie die Kenntnis von Aussprache und Bedeutung der jeweiligen Schriftzei-
chen übrig. Dies führt zu der Annahme, dass eine verstärkte Wendung zu
digitalen Schreibaufgaben den aktiven Umgang mit der chinesischen Sprache
deutlich beflügeln würde. Auch wenn die manuelle Einübung von Zeichen-
strukturen ohne Frage von zentraler Bedeutung für die Aneignung des
Schriftzeichensystems (für das ja erst einmal eine kognitiv-visuelle Grundlage
geschaffen werden muss) im mentalen (visuellen) Lexikon ist, dürfte die Tat-
sache, dass beim digitalen Schreiben die jeweiligen Zeichen nur wiederer-
kannt, aber nicht manuell geschrieben werden, ein schnelleres und damit
stärker auf Textualität bzw. Syntax, Wortschatz und Textkohärenz orientier-
tes Arbeiten mit der chinesischen Sprache ermöglichen. Beispielsweise könnte
die Verwendung von Messengerdiensten bereits in der Grundstufe zu (digita-
len) Aufgabenstellungen führen, die zwar schriftlich sind, aber dennoch ein
hohes Maß an umgangssprachlicher Authentizität besitzen und damit die
Handlungsorientierung des Sprachunterrichts stärken könnten.

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 97

Insbesondere im US-amerikanischen Umfeld beschreiben einige Studien


die Effizienz eines solchen auf Digitalität beschränkten Ansatzes der Vermitt-
lung schriftlicher Kompetenzen (Xu/Jen 2005; He/Jiao 2010), insgesamt lässt
sich jedoch in der Fachliteratur überraschend wenig zu diesem Thema finden,
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was wohl wiederum auf die oben beschriebene „kulturelle Praxis“ chinesi-
scher Muttersprachler zurückzuführen ist. Gleichwohl fordert der US-
amerikanische Advanced Placement Chinese Test für Chinesisch das Verfassen
eines chinesischen Textes (etwa B1-Niveau) nur in digitaler Form, und auch
die offizielle Prüfung der VR China zum Nachweis von Chinesischkenntnis-
sen HSK kann (noch nicht an allen Standorten) in digitaler Form abgelegt
werden.
Allmählich zeigen sich auch in Europa erste Fürsprecher einer (zumindest
teilweisen) Digitalisierung des Chinesischunterrichts: Im Juni 2012 fand in
Amsterdam eine Fachkonferenz zum kontroversen Thema „manuelles vs.
digitales Schreiben Chinesisch“ statt. Dort trat die sinologische Fachvertrete-
rin für das Schulfach Chinesisch in den Niederlanden für eine hybride Didak-
tik ein, die mit digitalem Schreiben beginnt, bevor einige Wochen oder Mo-
nate später auch handschriftliche Schreibaufgaben formuliert werden
(Smulders 2012, 17). Meine eigenen Gespräche und Mailaustausch mit Kolle-
gen zu diesem Thema zeigen ebenfalls, dass das digitale Schreiben sich bereits
vielerorts zu einem zentralen Aufgaben- und Übungsformat entwickelt hat.
Es optimiert die Schreibprozesse und fördert die rezeptiven Schriftzeichen-
kenntnisse, wenngleich die Kollegen die Gewichtung der beiden Schriftsyste-
me nach wie vor sehr unterschiedlich vornehmen, insbesondere wenn es um
Prüfungsformate geht: Denn nur wenn auch Abiturprüfungen oder Klausu-
ren ebenfalls digital geschrieben werden, kann eine in diesem Sinne umfas-
sende Digitalisierung des Chinesischunterrichts stattfinden. Solange in Prü-
fungen handschriftlich gearbeitet werden muss, werden auch die meisten
unterrichtlichen Schreibaufgaben aus Trainingsgründen manuell verfasst
werden, um im Prüfungsfalle den entsprechenden Anforderungen schriftsys-
temisch und zeitlich gewachsen zu sein.4

4
Auch ist in Prüfungen nach wie vor nur das Nachschlagen in Printwörterbüchern
gestattet. Der Erwerb von Grundkompetenzen in chinesischer Lexikographie im
Zusammenhang mit Printwörterbüchern stellt jedoch ebenfalls einen enormen
Lernaufwand dar (wie finde ich in einem nicht-alphabetischen Schriftsystem ein
mir unbekanntes Schriftzeichen im Wörterbuch?). Im Internet oder entsprechen-
den lexikographischen Apps kann das Nachschlagen unbekannter Schriftzeichen
über copy+paste oder Touchpads hingegen vergleichsweise mühelos realisiert
werden.

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98 Andreas Guder

3 Fazit und Forschungsdesiderata


Lese- und Schreibkompetenz im Chinesischen erfordern die Kenntnis einer
großen Menge chinesischer Schriftzeichen. Bei einem Spracherwerb, der sich
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auf Mündlichkeit fokussiert und nicht jede neue Vokabel mit ihrer Schriftzei-
chen-Repräsentation verknüpft, ist davon auszugehen, dass sich in den Köp-
fen von Lernern (wie auch von L1-Sprechern) eine vergleichsweise hohe An-
zahl von Vokabular befindet, deren graphemische Realisation nicht in
Schriftzeichen abrufbar ist. So wie der aktive Wortschatz immer eine Teil-
menge des passiven Wortschatzes darstellt, dürfte im Chinesischen auch der
mündliche (pinyin-basierte) Wortschatz umfangreicher sein als der schriftzei-
chenbasierte Wort- bzw. Zeichenschatz, und wiederum der passive (=digitale)
Zeichenschatz deutlich größer als der aktive (=manuelle) Zeichenschatz, so
dass sich der Gesamtwortschatz eines fiktiven Lerners in etwa folgenderma-
ßen darstellen ließe:

1. passiver
4. mündlicher und schriftlicher mündlicher
Wort- und Zeichenschatz: kann Wortschatz: verstehe
ich lesen und auch manuell ich korrekt, kann ich
schreiben, Beispiel aber nicht anwenden,
中国 Zhōngguó ("China") Beispiel chéng xiăozú
("Gruppen bilden")

MEIN CHINESISCH-
3. mündlicher und WORTSCHATZ
schriftlicher Wort- und 2. aktiver mündlicher
Zeichenschatz: kann ich Wortschatz: kann ich nur
auch lesen und digital mündlich anwenden;
schreiben, Beispiel 谢谢 Schriftzeichen sind mir
xièxie ("danke") unbekannt,
Beispiel chuānghu ("Fenster")

Abb.2: Lexikalisches Kompetenzmodell für Chinesisch

Die traditionelle Erwartung, dass alle Vokabeln in diesem individuellen


Lernerwortschatz zum hier dunkel markierten, in Wort und Schrift aktivier-
baren Wortschatz (4) zählen, entspricht nicht der Realität eines Lerners (und
auch nicht des Muttersprachlers). Bei einem digital orientierten Chinesisch-
unterricht könnte der mittlere Teil (3) überwiegen: Wortschatz, den der Ler-
ner auch in Schriftzeichen dekodieren und in digitalen Schreibaufgaben an-
wenden, aber nicht manuell reproduzieren kann.
Für die am Ende von Abschnitt 1 vorgenommene Differenzierung zwi-
schen Schriftzeichen-Schreibkompetenz und Text-Schreibkompetenz ist also
noch eine Schreibmedium-bezogene Differenzierung von Kompetenzen vor-

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 99

zunehmen: Neben der Fertigkeit des manuellen Schreibens (手写能力 shǒu-


xiě nénglì) existiert die Fertigkeit, Schriftzeichen und Texte mittels digitaler
Hilfsmittel zu schreiben (键写能力 jiànxiě nénglì) – und über beide Wege
lässt sich zum eigentlichen Lernziel des Verfassens von Sätzen und Texten
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gelangen.
Auf der anderen Seite ist zu vermuten, dass die Einprägung der Gestalt
von Schriftzeichen mittels manuellem Schreiben eine wichtige Rolle bei der
kognitiven Entwicklung eines Schriftzeichen-Gedächtnisses spielt, weshalb es
sinnvoll erscheint, vor allem in der Grundstufe auch das Schreiben von Hand
zu fordern und zu fördern (was mit modernen Touchpads ebenfalls möglich
wäre). Auch ob und in welchem Ausmaß das manuelle Schreiben von Schrift-
zeichen den Lernerfolg (und die Motivation) erhöht, ist unbekannt.
Ob Chinesischunterricht also vollkommen auf den zeitraubenden Erwerb
des manuellen Schreibens verzichten sollte, will daher gut überlegt sein. Wir
benötigen empirische Forschung, die zunächst die Entwicklung von Kompe-
tenzmodellen kommunikativer Lehr- und Lernziele im Chinesischen entwi-
ckelt, deren Definition sich wiederum, wie gezeigt, aufgrund der zwei Schrift-
systeme komplexer als im Unterricht alphabetverschrifteter Fremdsprachen
gestaltet. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn sich die etablierte Bildungs- und
Fremdsprachenforschung auf Chinesisch einließe und mit der entsprechen-
den Fachdidaktik gemeinsam Forschungsprojekte ins Visier nähme, die sich
mit der Digitalisierung von Chinesischunterricht befassten und dabei auch
die hier formulierte Hypothese überprüften, dass eine Fokussierung auf digi-
tales Arbeiten zu einer früheren aktiven Textproduktion im Chinesischunter-
richt führen kann. Entsprechende zentrale Forschungsfragen lauten daher:

- Erhöht der Einsatz digitaler Schreibformate den Text-Output und den


aktiven Lernerwortschatz im Chinesischunterricht?
- Inwieweit stützt manuelles Schreiben von Schriftzeichen die Entwick-
lung eines Schriftzeichen-Gedächtnisses gegenüber digitalem Schrei-
ben? bzw. Führt ein frühzeitiger Verzicht auf manuelles Schreiben des
Chinesischen zu einem Verlust an Lese- und (Text-)Schreib-
kompetenz?
- Welche Auswirkungen hat der Einsatz der beschriebenen digitalen
Tools und Aufgabenstellungen auf die Motivation der Lerner?
- Lesen: Kann ein von digitalen Hilfsmitteln (lexikographischen Tools)
assistiertes Lesen von authentischen Texten mit einer vergleichsweise
hohen Zahl unbekannter Lexeme/Schriftzeichen zu einer intensiveren
Auseinandersetzung mit China und der chinesischen Sprache bzw. zu
einer Erhöhung der Lesekompetenz führen?

In jedem Fall sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung für den Chine-
sischunterricht in Europa als Chance begriffen werden – eine Chance, Chine-
sisch mehr als bisher als lebende Kommunikationssprache zu verwenden. Die

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100 Andreas Guder

Möglichkeit, eigene Gedanken und Äußerungen zu einem früheren Zeitpunkt


in der Lernbiographie schriftlich formulieren zu können, dürfte Motivation
und Selbstvertrauen erhöhen – umso mehr, wenn es konkrete Adressaten für
geschriebene Mitteilungen gibt (Mitschüler, chinesische Muttersprachler).
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Die Hemmschwelle, auf Chinesisch zu kommunizieren (die vor allem im


mündlichen Bereich erfahrungsgemäß sehr hoch ist), dürfte durch die zeitlich
flexibleren Möglichkeiten, die eine schriftliche Kommunikation (z.B. per
Messenger) bietet, deutlich sinken. Online verfügbare Wörterbücher und
Tools können dabei helfen, benötigte Vokabeln selbst zu finden, und daher
Motivation und autonomes Lernen zusätzlich unterstützen.
Während für die Didaktik alphabetverschrifteteter Fremdsprachen der
Nutzen einer Digitalisierung oft und zu Recht eher kritisch betrachtet wird
(vgl. andere Beiträge in diesem Band), bin ich davon überzeugt, dass eine
Hinwendung des Chinesischunterrichts zu einer digitalen Realisation von
Lernzielen nicht nur die Lerner enorm motivieren würde, sondern auch den
Chinesischunterricht in Deutschland und Europa als „modernes“ Sprachfach,
das selbstverständlich mit digitalen Geräten arbeitet, deutlich stärken könnte.
Ob es sich dabei um Pads mit aufgespieltem Wörterbuch oder um frei das
Internet nutzende Geräte handelt, ist dabei zunächst sekundär – entscheidend
scheint mir die damit einhergehende Eigenverantwortung und Binnendiffe-
renzierung für den Lernprozess zu sein, die Lernern mit der Zulassung digita-
ler Geräte in die Hand gegeben werden könnte.
Für eine solche Reform ist jedoch nicht nur bei Lehrkräften, sondern auch
seitens der Kultusministerien und Schulleitungen eine entsprechende Bereit-
schaft zu Innovation erforderlich. Beim angekündigten „Digitalpakt“ für die
Schulen sollten sich Chinesischlehrerinnen und -lehrer in die erste Reihe
stellen – die Digitalisierung unserer Schulen böte uns enorme Chancen für
einen kreativeren Chinesischunterricht.

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Chinesisch digital: Wege zu einer funktionalen Schreibkompetenz 101

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im
Fremdsprachenunterricht
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Friederike Klippel

Der Blick zurück


Die digitale Entwicklung schreitet so rasch fort, dass das gründliche Nach-
denken über eine sinnvolle pädagogische Nutzung der elektronischen Medien
den technischen Möglichkeiten notgedrungen hinterherhinkt. Wie bei jeder
lautstark beworbenen und mit öffentlichen Geldern finanzierten Innovation
in den Schulen versprechen deren Befürworter und Produzenten einen gan-
zen Strauß an zu erwartenden Verbesserungen und Vorteilen. Wer zögert
oder kritisch nachfragt, gilt als Fortschrittsverweigerer und rückständig. Das
ist im Übrigen kein neues Phänomen: Als man in den 1970er Jahren die Schu-
len mit Sprachlabors ausstattete, um das vermeintlich viel erfolgreichere pro-
grammierte Lernen zu fördern, wurden Lehrerinnen und Lehrer mit Nach-
druck dazu verpflichtet, die teuren Geräte zu nutzen, die die Ergebnisse des
Sprachunterrichts zweifelsohne dramatisch steigern würden. Den überragen-
den Fortschritt, der mit den akustischen Drillprogrammen im Fremdspra-
chenunterricht selbstverständlich zu erwarten war, durfte man nicht in Frage
stellen.
Seit dem ersten Einsatz von technischen Medien und Computern im
Fremdsprachenunterricht in den 1960er Jahren hat die internationale fremd-
sprachendidaktische Forschung untersucht, in welcher Art und Weise elek-
tronische Medien den Fremdsprachenerwerb unterstützen können. Yim et al.
(2018) unterscheiden drei große Phasen dieser Entwicklung, die nicht nur
durch die technischen, sondern in erster Linie durch die konzeptuellen und
kontextuellen Veränderungen gekennzeichnet sind: In den 1960er und 1970er
Jahren wurden technische Medien vor allem genutzt, um Übungsmöglichkei-
ten und Feedback zu Vokabel- und Grammatikarbeit unter dem Aspekt der
sprachlichen Korrektheit (accuracy) zu schaffen. Im Rahmen des kommuni-
kativen Ansatzes dienten sie in den 1980er und 1990er Jahren dazu, kommu-
nikative Aktivitäten unter dem Aspekt von fluency sowie sprachanalytische
Aufgaben (z.B. Arbeit an Konkordanzen) zu realisieren. Mit Beginn des 21.
Jahrhunderts etabliert sich Yim et al. (2018) zufolge ein sozio-kognitiver An-
satz, innerhalb dessen die digitalen Medien vor allem authentische Kontexte
für den direkten Austausch liefern, Möglichkeiten schaffen, dass auch Fremd-
sprachenlernende Teil einer Diskursgemeinschaft werden und ihnen dadurch

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 103

ein Gefühl der Selbstwirksamkeit (agency) vermittelt wird. Die Autoren ver-
stehen diese Phasen als kumulativ, indem jede spätere Phase die Möglichkei-
ten der vorhergehenden einschließt. Eine etwas andere Einteilung der Ent-
wicklung findet sich bei Hockly (2016, 14-18), die für diesen Zeitraum die
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Reihenfolge „structural CALL“, „communicative CALL“ und „integrative


CALL“ unterscheidet. Beide Darstellungen gehen also von einer positiven
Entwicklung aus, die von dem Werkzeugcharakter der Medien früher heute
zu Medien als interaktiven Partnern geführt habe.
Denkt man in dieser Linie weiter, dann blüht uns in diesem Jahrhundert
eventuell doch, dass Lehrkräfte durch Roboter ersetzt werden, wie es Isaac
Asimov schon 1954 in seiner bekannten Kurzgeschichte „The fun they had“
geschildert hat. Die Geschichte spielt im Jahr 2157, wenn jedes Kind einen
individuell eingestellten mechanischen Lehrer hat:
Margie went into the schoolroom. It was right next to her bedroom, and the
mechanical teacher was on and waiting for her. It was always on at the same
time every day except Saturday and Sunday, because her mother said little
girls learned better if they learned at regular hours.
The screen was lit up, and it said: “Today's arithmetic lesson is on the addition
of proper fractions. Please insert yesterday's homework in the proper slot.”
Margie did so with a sigh. She was thinking about the old schools they had
when her grandfather's grandfather was a little boy. All the kids from the
whole neighborhood came, laughing, and shouting in the schoolyard, sitting
together in the schoolroom, going home together at the end of the day. They
learned the same things, so they could help one another on the homework and
talk about it.
And the teachers were people...
The mechanical teacher was flashing on the screen: “When we add the frac-
tions 1/2 and 1/4...”
Margie was thinking about how the kids must have loved it in the old days.
She was thinking about the fun they had (Asimov [1954] 1973, 182).
Wir müssen die Entwicklung der digitalen Möglichkeiten konstruktiv, kri-
tisch und mit Blick auf Zweck und Sinn von schulischer und
(fremd)sprachlicher Bildung begleiten.

Herausforderungen für Gegenstände, Kontexte und Lehr-/Lernprozesse


Die Nutzung digitaler Medien ist eine heute unerlässliche Kulturtechnik, die
alle Bereiche des Lebens und unserer Gesellschaft erfasst, auch die Schule. Die
Frage, inwieweit die Schule aktuelle Verhaltensweisen und Interessen in den
Unterricht einbeziehen kann und muss, um Kinder und Jugendliche in die
Gesellschaft zu sozialisieren und ihnen angemessene persönliche Entfal-

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104 Friederike Klippel

tungsmöglichkeiten zu gewähren, ist nicht neu. Schule zielt zum ersten „auf
die Internalisierung von kulturellen Grundüberzeugungen und auf die Wei-
tergabe von Wissen und Fertigkeiten“ (Fend 2009, 29). Zum zweiten hat sie
neben „der gesellschaftlich-kulturellen Reproduktion […] die individuelle
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Funktion der Herstellung von Handlungsfähigkeit, die sich in Qualifikations-


erwerb, Lebensplanung, sozialer Orientierung und Identitätsbildung entfaltet“
(Fend 2009, 53). Schulische Inhalte repräsentieren daher den jeweils aktuellen
Konsens zu den Weltanschauungen in der betreffenden Kultur. Diese sind im
Wandel begriffen und müssen im politischen, gesellschaftlichen und wissen-
schaftlichen Diskurs neu bestimmt werden. Dies geschieht momentan im
Hinblick auf die digitalen Medien. Für den Englischunterricht bringt die Di-
gitalisierung eine ganze Reihe von neuen Herausforderungen und Chancen.
Allgemeine Lehr- und Erziehungsziele, wie etwa die Entwicklung der Persön-
lichkeit, die Erziehung zur Demokratie und zum respektvollen Miteinander
sowie eine allgemeine Medienkompetenz werde ich im Folgenden nicht be-
rücksichtigen.
Zuerst zu den Gegenständen des Englischunterrichts im engeren Sinne, al-
so der englischen Sprache sowie den Kulturen und Literaturen englischspra-
chiger Länder: Hier liegen die Herausforderungen vor allem in einer massiven
Ausweitung des potentiellen sprachlichen Inputs für das Lernen, Üben und
Anwenden der englischen Sprache innerhalb und außerhalb der Schule. Schü-
ler und Schülerinnen kommen anders als vor fünfzig Jahren, als ihnen Eng-
lisch fast ausschließlich in der Schule begegnete und dort durch die Lehrper-
son und das Lehrbuch vermittelt wurde, durch die digitalen Medien in viel
größerem Umfang und in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen mit
der englischen Sprache in Kontakt. Dabei treffen sie auf muttersprachliche
mündliche und schriftliche Texte aller Genres, Register und Varietäten eben-
so wie auf unzählige Variationen von Lingua-Franca-Englisch. Diese sprach-
liche und textliche Vielfalt ist für Fremdsprachenlehrkräfte und -lernende
sowohl eine wahre Fundgrube als auch eine Überforderung. Lehrkräfte haben
Probleme, das reiche Angebot und seine Potentiale auch nur annähernd zu
überblicken und didaktisch zu analysieren; Lernende können weder die
sprachliche noch die inhaltliche Qualität oder den Lernnutzen wirklich ein-
schätzen.
Die digitalen Medien erweitern also das Spektrum dessen, was im Eng-
lischunterricht gelernt werden muss, wenn der Unterricht die Heranwach-
senden auf den souveränen Umgang mit englischsprachigen Texten und die
Kommunikation in der digitalen Welt vorbereiten soll. Gleichzeitig werden
die traditionellen Inhalte nicht unwichtig, denn Ziel des Fremdsprachenun-
terrichts ist es ja auch, die überlieferten analogen Texte verstehen zu können.
Da zudem das Medium selbst die sprachliche Gestaltung und die Darbie-
tungsformen beeinflusst, ohne dass uns das immer bewusst ist, und neue
Textsorten und Kommunikationsformen schafft, erweitert sich auch in dieser

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 105

Hinsicht der Gegenstandsbereich des Unterrichts. In zahlreichen Sprachver-


wendungskontexten, insbesondere in den sozialen Netzwerken, stehen Kürze
und Verständlichkeit im Zentrum und nicht grammatisch-lexikalische Kor-
rektheit oder soziopragmatische Angemessenheit. Der digitale Wandel erfor-
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dert daher eine stärker differenzierte, rezeptive und produktive Textkompe-


tenz.
Wenn man einen Vergleich ziehen möchte, so ähnelt das digitale Angebot
für die Inhalte des Englischunterrichts heute dem eines großen Einkaufszent-
rums, während der Englischunterricht der sechziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts eher mit einem Tante Emma-Laden verglichen werden kann, in
dem die Auswahl begrenzt und vertraut war. Je größer und differenzierter
allerdings das Angebot ist, desto schwerer ist es, geeignete Dinge zu finden
und diese informiert einzuschätzen, desto spannender ist aber auch das Ent-
decken von Neuem. Dennoch bleiben die Basisprodukte aus dem Tante Em-
ma-Laden, nämlich die sprachlichen Fertigkeiten sowie Aussprache, Wort-
schatz, Grammatik und Pragmatik weiterhin wichtig.
Zum zweiten erweitern sich durch die digitalen Medien die Lernkontexte:
schulisches und außerschulisches Lernen ist nicht mehr auf das individuelle
Arbeiten mit Lehrbuch, Lesetexten, Grammatik und Wörterbuch kon-
zentriert, denn sowohl die Zahl als auch die Arten der Interaktions-, Übungs-,
Nachschlage-, Anwendungsgelegenheiten für die Fremdsprache haben sich
vervielfältigt. Auch hier bietet die digitale Welt ein extensives Menü an Apps,
Lernplattformen, Spielen, Portalen, Fan-Seiten, Blogs etc. (vgl. z.B. Levy 2009;
Hockly 2016). Wer aus eigenem Antrieb lernen möchte, findet reichlich An-
gebote. Besonders stark ausgeweitet haben sich die Möglichkeiten zur welt-
weiten Kommunikation unterschiedlichster Art. Während man in den sech-
ziger Jahren einen Luftpostbrief an einen penpal schickte, um vielleicht einige
Wochen später eine briefliche Antwort zu erhalten, ist heute spontane und
synchrone Kommunikation mit anderen Menschen (fast) überall möglich.
Dietmar Rösler (2019) plädiert deshalb dafür, im Unterricht weniger Zeit auf
die Inszenierung von Kommunikationsaufgaben zu verwenden, da die Ler-
nenden diese aus eigenem Antrieb mit unterschiedlichen Partnern außerhalb
des Unterrichts motivierter und gezielter angehen können, als dafür, ihnen im
Unterricht das benötigte fremdsprachliche Rüstzeug in Bezug auf Grammatik
und Wortschatz für die Kommunikation zu verschaffen. Damit wird das
Prinzip des „Focus on Form“ (Long 1991) neu interpretiert. Auch Kessler
(2017) weist darauf hin, dass Fremdsprachenlernende beim Arbeiten mit
digitalen Medien erkennen, dass bestimmte Anforderungen an sprachliche
Korrektheit oder Adressatenbezug (z.B. bei Wikis) erfüllt werden müssen,
was zu dementsprechenden Lernmotivationen führen kann.
Drittens sind auch die Lehrprozesse vom digitalen Wandel betroffen, denn
das methodische Repertoire wird erweitert, wenngleich die etablierten For-
men der Präsentation, Übung und Anwendung weiterhin Bestand haben. Das

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106 Friederike Klippel

Unterrichten sollte sich so verändern, dass die besonderen Potentiale der


digitalen Medien zielgerecht genutzt werden können. Das betrifft insbesonde-
re die Möglichkeiten zur Differenzierung und Individualisierung, auch unter
der Maßgabe immer stärker heterogener Schülerpopulationen. Allerdings
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sollte man sich angesichts der ständig wachsenden Anforderungen an die


Lehrkräfte bei gleichbleibenden Ausgangsbedingungen von Klassenstärken
und Arbeitszeit bewusst sein, dass solche Erweiterungen von Lehrerkompe-
tenzen nicht noch zusätzlich verlangt werden können, sondern Entlastungen
für individuelle Weiterbildung mit sich bringen müssen. Was die Lernprozes-
se betrifft, so führt der Einsatz digitaler Medien nicht immer und vor allem
sicherlich nicht automatisch zu positiven Veränderungen, zumal gerade in
diesem Bereich noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht. Vermutlich
macht es für das Lernergebnis keinen großen Unterschied, ob ich meinen
fremdsprachigen Wortschatz mithilfe einer App, eines web-basierten Spiels
oder eines Korpus erweitere oder aber in traditioneller Weise mit Wörterbuch
und mind map auf Papier arbeite, vielleicht abgesehen von der Aussprache,
die mir die Medien liefern können, wenn ich die phonetische Umschrift nicht
beherrsche. Die Speicherungsvorgänge im Langzeitgedächtnis dürften weit-
gehend unabhängig vom Medium und Material des Lernens sein.
Die größte Herausforderung des digitalen Wandels für den Englischunter-
richt liegt zunächst in der technischen Kompetenz der Lehrkräfte. Wer digita-
le Medien im Unterricht verwenden will, muss sie kennen und “können”.
Dazu existieren Leitlinien und Standards, etwa das European Framework for
the Digital Competence of Educators: DigCompEdu (Redecker/Punie 2017).
Eine zweite Herausforderung liegt in der unübersehbaren Fülle digitaler Mög-
lichkeiten und medialer Inhalte und der daraus für einzelne Lehrkräfte resul-
tierenden Schwierigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, die Spreu vom
Weizen zu trennen, die Implikationen realistisch einzuschätzen und gezielt
für die jeweilige Klasse oder Gruppe auszuwählen. Anders als bei den her-
kömmlichen Schulbuchverlagen gibt es im Netz keine Qualitätskontrolle, und
man benötigt viel Zeit zur Sichtung. Eine solche Auswahl kann nur treffen,
wer eine klare Vorstellung von den Zielen des Unterrichts, breite Kenntnis
von effektiven methodischen Vorgehensweisen und genauen Einblick in die
Voraussetzungen der Lernenden besitzt. Bislang verkörpert das Lehrwerk im
Englischunterricht die Ziele und Methoden, die zu der jeweiligen Zeit als
Konsens gelten, so dass auch Lehrkräfte, die sich weniger intensiv mit der
aktuellen Konzeption des Faches auseinandersetzen, akzeptablen Unterricht
halten können.
Wer aus eigenem Antrieb eine weitere Sprache lernen möchte, der findet
heute ein riesiges digitales Angebot. Individuelle Lernpräferenzen können
bedient, inhaltliche und prozedurale Interessen befriedigt werden. Und hier
besteht wohl das größte Innovationspotential, nämlich in einer Individualisie-
rung und Personalisierung des Sprachenlernens für souveräne, autonome

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 107

Individuen, die sich im Datendschungel der Angebote und Apps zurechtfin-


den. Man kann sich darin aber auch verirren und letztlich weniger effektiv
lernen als in einer traditionellen Lerngruppe. Inwieweit das staatliche Schul-
wesen diesen Trend zur Personalisierung und Individualisierung aufgreifen
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mag und kann, ist jedoch eine andere Frage. Anders als bei Erwachsenen, die
eine neue Sprache oftmals gezielt für bestimmte Zwecke lernen und ihren
Lernweg und die Lerninhalte daran ausrichten können, gilt für die Schule die
Vorgabe, dass sie die Basis für alle möglichen beruflichen und privaten Ent-
wicklungen bereiten sowie generell eine Vergleichbarkeit der Anforderungen
beachten muss und daher nur in begrenztem Umfang individualisieren kann.
Schulischer Englischunterricht muss daher einen Weg zwischen Standardisie-
rung – in Zielen, Verfahren, Materialien, Lehrerbildung – und individueller
Förderung finden. Und es dürfte weiterhin die Aufgabe der Lehrkräfte sein,
geeignete Optionen für Kommunikation, Kollaboration und das Arbeiten mit
Medienformaten denjenigen Schülerinnen und Schülern zu eröffnen, die dies
aus eigenem Antrieb nicht tun können oder wollen.

Ziel: verantwortungsbewusster Umgang


Wie sieht die Person aus, die souverän mit den digitalen Medien umgeht, die
sie beherrscht, aber nicht von ihnen beherrscht wird? Werden wir nicht durch
die ständig neuen Skandale daran erinnert, dass die digitale Welt – genauso
wie die analoge – zu Straftaten missbraucht, zum Schaden Einzelner ausge-
nutzt und zu betrügerischen Aktivitäten verwendet werden kann? Und wissen
wir nicht auch, dass digitale Medien entmündigen, unselbstständig und ab-
hängig machen können? Wie jedes Werkzeug muss auch das digitale sachge-
recht und ohne andere zu schädigen eingesetzt werden. Menschen benötigen
daher neben der technischen Kompetenz, die eine kritische Aufmerksamkeit
für die Schwachstellen der eigenen Umgehensweise mit den digitalen Medien
ebenso einschließen muss wie eine gesunde Einschätzung dessen, was diese
Medien leisten oder auch nicht leisten können, auch genügend sicheres Wis-
sen, um Informationen einschätzen und sich auch angesichts der Datenfülle
stets ein eigenes Urteil bilden zu können (so etwa Nida-Rümelin/Weidenfeld
2018, 156f.).
Für den Fremdsprachenunterricht und das Sprachenlernen bedeutet dies
auf der fachlichen Ebene etwa, dass man die Verantwortung für die Korrekt-
heit der eigenen Sprachproduktion nicht einfach an automatisierte Program-
me abtritt, auch wenn die Übersetzungsprogramme immer besser werden. Es
heißt, dass man Informationen und Texte im Hinblick auf die Zuverlässigkeit
der Quellen in faktischer und sprachlicher Hinsicht und auf deren Wahr-
heitsgehalt überprüft und dass man in der Kommunikation mit anderen
Menschen Regeln von Respekt und Höflichkeit einhält. Automatisierte Pro-
gramme können jedoch helfen, bestimmte Routinehandlungen zu verbessern.

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108 Friederike Klippel

So ermöglicht es das mehrstufige Verfahren von Edword (https://www.easy


correct.com/), dass sich Lernende mit dem Feedback zur ihren Textprodukti-
onen auch tatsächlich auseinandersetzen und demonstrieren, dass sie daraus
gelernt haben. Ob sich dadurch die Arbeit für die Lehrkraft allerdings redu-
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ziert, zumal sich Lehrkraft und Lernende erst in das Programm einarbeiten
müssen, und ob das Feedback auch psychologisch individuell passend ist, ist
eine andere Frage. Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Übungszeit be-
steht im Einsatz von social robots, mit denen Menschen kommunizieren und
interagieren können. Erste Forschungsergebnisse (vgl. den Überblick über 33
empirische Studien in van den Berghe et al. 2019) vermitteln ein uneinheit-
liches Bild: einige Lernresultate, die durch die Interaktion mit Robotern ent-
standen, übertrafen diejenigen der Kontrollgruppen, andere Experimente
zeigten keine Unterschiede oder gegenteilige Resultate. Insgesamt scheinen
die Roboter noch weit davon entfernt zu sein, menschliche Lehrpersonen
ersetzen zu können.
Unter didaktischen Gesichtspunkten sollte der Einsatz digitaler Medien
vor allem dann erfolgen, wenn man nur durch sie bestimmte Ziele (besser)
erreichen kann, und sei es die Abwechslung beim Vokabellernen. Die Merk-
male guten Unterrichts (z.B. Helmke 2009) gelten für den digital gestützten
Unterricht ebenfalls. Sprachenlernen ist ein individueller und ein sozialer
Akt, der in einem menschlichen Umfeld stattfindet. Digitale Medien sind
sowohl Hilfsmittel, um diese zu bewältigen, als auch Realisierungen von Spra-
che, auf die es im Fremdsprachenunterricht vorzubereiten gilt.
Die Befürwortung eines Einsatzes digitaler Medien im Sprachunterricht
sollte nicht dadurch motiviert sein, dass es bestimmte technische Möglichkei-
ten eben gibt – it's there, let's use it –; vielmehr muss dieser Einsatz didak-
tisch-methodisch begründet sein. Im Fokus steht immer das Lernen, das im
Unterricht (und sicherlich auch im Selbstunterricht) möglichst effektiv, also
gründlich und nachhaltig, und möglichst effizient, also mit dem geringstmög-
lichen Aufwand an Zeit und Energie erfolgen soll. Alle Hilfsmittel müssen
diesem Ziel dienen. Wenn man also Fremdsprachenunterricht konzeptuell
entwickelt, dann ist zunächst von linguistischen sowie spracherwerbstheoreti-
schen Grundlagen und gesellschaftlichen bzw. individuellen Zielvorstellungen
auszugehen, zu deren Erreichen dann die unterschiedlichen technischen
Hilfsmittel und methodischen Verfahren zielgerecht eingesetzt werden.
Es ist allerdings zu fragen, ob die Digitalisierung die Sprache und die in-
terpersonale Kommunikation so verändert (hat), dass wir ganz grundsätzlich
über einige Konzepte unserer Wissenschaft neu nachdenken müssen. Müssen
die bekannten Spracherwerbstheorien ggf. angepasst werden? Spielen inter-
kulturelle Aspekte in der digitalen Kommunikation eventuell eine andere
Rolle als in der direkten Begegnung? Inwieweit verführt die Tatsache, dass
man persönliche Informationen und Meinungen jederzeit online veröffentli-
chen und von anderen bewerten lassen kann, zu einer verstärkten Monologi-

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 109

sierung und nicht zum Dialog, für den man die Äußerungen genau lesen
müsste? Man kann weiterhin fragen, ob auch der gängige Katalog der sprach-
lichen Fertigkeiten (rezeptiv-produktiv) erweitert werden muss, weil digital
gestützte Kommunikationsformen weitere, bisher nicht berücksichtigte Fä-
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higkeiten erfordern? Auch Konzepte wie Sprachflüssigkeit oder Kohärenz


bedürfen angesichts von Twitter & Co eventuell der Modifizierung. Schließ-
lich ist auch zu bedenken, dass Algorithmen dafür sorgen, dass wir bestimmte
Dinge sehen, andere nicht und dass vieles, was uns digital erreicht, gefiltert
ist.
Globalization and networked technologies have created the conditions for ev-
er more explicit confrontation of discourse worlds. The problem with the In-
ternet is not only that it filters and transforms information, but also that it
makes it difficult to fully contextualize meanings - and this is particularly rele-
vant in the case of foreign language learning. Engaged in the moment-to-
moment decisions involved in communication and interpretation, and having
only a very partial (or sometimes distorted) sense of context, students can
easily lose sight of the foreignness in the words, gestures, notions, and practic-
es of their interlocutors, and also fail to see themselves as foreign in relation to
them. However, the poison just might also be the remedy in this case. By mak-
ing it possible to textualize and re-contextualize language use, technology
holds the potential to defamiliarize the familiar, to itself induce a certain for-
eignness that can cause language learners to de-automatize their perceptions,
leading them to new insights and understanding (Kern 2014, 354).
Nun hat der Fremdsprachenunterricht nicht nur die Aufgabe, die Lernenden
möglichst umfassend auf deren zukünftige produktive Sprachverwendung
vorzubereiten, auch die sprachlichen Erscheinungsformen der Vergangenheit
in Form von Texten aller Art müssen weiterhin – zumindest von einigen –
rezipiert und verstanden werden. Das heißt, dass traditionelle Inhalte des
Fremdsprachenunterrichts auch weiterhin sinnvoll und erforderlich sind.

Forschung und Fremdsprachendidaktik


Für die fremdsprachendidaktische Forschung liefern die digitalen Medien
eine Fülle an neuen Zugriffsmöglichkeiten, die in den ständig zunehmenden
Publikationen, die kein Mensch mehr überblicken kann, vorgeführt werden.
Die immer kleinteiliger werdenden Forschungsfragen, deren Beantwortung
letztlich für immer weniger WissenschaftlerInnen relevant ist, kennzeichnen
meiner Meinung nach eine Zersplitterung der Forschungslandschaft. Mich
interessiert daher eher die Frage, inwieweit die digitalen Medien dabei helfen
können, unser Fachgebiet insgesamt und in seinen Grundfragen besser zu
erforschen und zu verstehen. Große Metastudien sind hierzu hilfreich. Wenn
man beispielsweise herausfindet, dass man dann mehr behält, wenn man
informative Texte in Papierform liest und nicht digital (Delgado et al 2018),

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110 Friederike Klippel

dann spricht das gegen die vollständige Digitalisierung des Fremdsprachen-


klassenzimmers.
Als Historikerin des Faches begrüße ich die Digitalisierung vieler Quellen,
zu deren Einsicht man sonst aufwendige Archiv- und Bibliotheksreisen un-
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ternehmen müsste. Ich gewinne dadurch einen raschen Zugriff auf einige alte
Veröffentlichungen; ich verliere allerdings das haptische Vergnügen, ein altes
Buch in der Hand zu halten und eventuell eingelegte Notizen zu entdecken.
Eine weitere Aufgabe für Forschung und Entwicklung sehe ich in der Ent-
lastung der Lehrkräfte bei bestimmten Lehrtätigkeiten und in der Förderung
individuellen Lernens durch digitale Angebote. Selbst erfahrene Lehrkräfte
sind nicht in allen Lehreraufgaben und nicht für alle Schüler-Lerntypen gleich
gut. Zudem gibt es vielfach Quereinsteiger im Lehramt oder fachfremd unter-
richtende Lehrkräfte, die Hilfen benötigen. Ihnen und ihren SchülerInnen
könnten beispielsweise Erklärvideos zu sprachlichen und kulturellen Phäno-
menen und unterschiedliche Übungsprogramme helfen. Gerade analytische
Lerner werden in einem aufgabenbasierten Fremdsprachenunterricht ver-
nachlässigt; sie können so die für sie wichtigen Einsichten in die Sprachstruk-
tur erhalten, ohne dass man wertvolle Kontaktzeit im Unterricht mit gram-
matischen Erläuterungen verbringen muss, die für andere SchülerInnen
eventuell wenig hilfreich sind, weil sie eher durch Übung und Anwendung
lernen. Das Angebot an Apps und Programmen zum selbstständigen Spra-
chenlernen ist riesig und wächst ständig.
Wenn ich ein groß angelegtes Forschungsprogramm planen dürfte, dann
würde ich Gelder für einen Forschungsverbund von fünf bis zehn fremdspra-
chendidaktischen Professuren an unterschiedlichen Universitäten und Hoch-
schulen bereitstellen, die für die einzelnen Sprachen daran zusammenarbei-
ten,
• die existierenden Forschungsergebnisse zu sichten und auf ihre Über-
tragbarkeit zu prüfen,
• das bestehende digitale Angebot für die einzelnen Sprachen zu analy-
sieren und darüber aktuell zu berichten,
• Praxiserfahrungen aus anderen Ländern auszuwerten,
• Module für die Lehrerbildung zu entwickeln und zu erproben,
• empirische und theoretische Forschungsarbeiten zum Themenfeld zu
koordinieren und zu betreuen (Doktoranden, Habilitanden, Einzel und
Teamforschungsprojekte).
Dieser Forschungsverbund müsste seine Arbeitsergebnisse regelmäßig im
open-access bekanntgeben, so dass alle Interessierten im Bildungswesen da-
rauf zugreifen können. Zusätzlich sollte es kleinere und größere Arbeitskonfe-
renzen geben unter Einbeziehung von
• interessierten Lehrkräften und AusbilderInnen der zweiten Phase
• Fremdsprachenlernenden unterschiedlicher Bildungsinstitutionen
• Eltern

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 111

• SoftwareentwicklerInnen, InformatikerInnen, PädagogInnen, Psycho-


logInnen, KünstlerInnen
• VerlagsvertreterInnen
• LandespolitikerInnen
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In diesen Arbeitstagungen könnten denen je nach Zusammensetzung sowohl


grundsätzliche Fragen der Mediennutzung als auch Detailfragen der Medien-
gestaltung für den Fremdsprachenunterricht bearbeitet werden. Auch die
Ergebnisse dieser Treffen sind zu veröffentlichen und damit dem pädagogi-
schen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen.
Nach etwa fünf bis acht Jahren intensiver Arbeit lägen sicherlich eine Rei-
he von aufschlussreichen Untersuchungen und praktikablen Modellen vor;
der Kreis der Informierten und Informierenden wäre stark gewachsen, und es
gäbe interessante inhaltliche und technische Entwicklungen.

Prioritäten
Innovationen sind nur dann erfolgreich, wenn sie von der Basis getragen und
dort aus eigener Entscheidung umgesetzt werden, weil man daran glaubt,
durch diese Innovation die anstehenden Aufgaben besser, schneller oder ziel-
gerechter erledigen zu können. Wenn es also bildungspolitisch erwünscht ist,
digitale Medien im Fremdsprachenunterricht einzusetzen, dann müssen Leh-
rerinnen und Lehrer ebenso wie SchülerInnen und deren Eltern davon über-
zeugt sein und werden, dass dies sinnvoll und zielführend ist. Schulen und
Universitäten benötigen dafür als erstes eine zuverlässige technische Infra-
struktur inklusive technischem Support. Wenn wir aus der Vergangenheit
(Beispiel: Sprachlabor) lernen, dann ist es wichtig, dass Lehramtsstudierende,
die in ihrer eigenen Schulzeit noch kaum oder gar nicht mit digitalen Medien
gearbeitet haben, sich in Studium und zweiter Ausbildungsphase intensiv
damit befassen. Das wiederum bedeutet, dass die Ausbilder an Hochschulen
und Schulen über breite Kompetenzen verfügen müssen, um unterschiedliche
digitale Medien sinnvoll in die Lehre zu integrieren, so dass es nicht nur um
Informationen zu digitalen Medien, sondern auch um Lehre und Ausbildung
mit digitalen Medien geht, dem altbekannten Spruch folgend: Teachers teach
as they were taught, and not as they are taught to teach. Für die bereits im
Schuldienst befindlichen Lehrkräfte muss ein breites, verpflichtendes Weiter-
bildungsprogramm entworfen werden, dass auch Skeptiker überzeugt.
Für alle diese Maßnahmen ist einerseits die nötige technische Ausstattung
bereitzustellen, andererseits muss man allgemein zugängliche Informationen
über Medien, Programme, Apps und Daten finden, die im jeweiligen Kontext
eingesetzt werden können. Das bedeutet, dass es auch so etwas wie ein Quali-
tätsmanagement geben muss, denn nicht alles ist für Fremdsprachenunter-
richt oder Fremdsprachenlehrerbildung zielführend, und man sollte die Ent-

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112 Friederike Klippel

wicklung vielleicht nicht ausschließlich den Lehrbuchverlagen oder Software-


unternehmen überlassen.
Und dennoch wird es und sollte es auch weiterhin möglich sein, dass
Fremdsprachenlehrkräfte den Unterricht auf ihren eigenen Stärken aufbauen
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können. So wie es jetzt Lehrkräfte gibt, die mehr als andere mit Musik oder
Film arbeiten, die viele spielerische Elemente einsetzen oder immer wieder
neue interessante Texte finden, die grammatische Phänomene hervorragend
erklären können und einen intensiven kommunikativen Austausch in ihren
Klassen pflegen, so wird es auch in Zukunft Lehrkräfte geben, die digitale
Medien sporadisch einsetzen, während andere ihren gesamten Unterricht
damit bestreiten und Schülerinnen und Schüler intensiv zu eigenem medial
gestützten Üben und Anwenden anleiten.
Wichtig wäre es daher, fachspezifische Minimalanforderungen für Lehr-
kräfte und deren AusbilderInnen an Universitäten, Hochschulen und in der
Praxis zu definieren. Diese müssten technische ebenso wie ethische, didakti-
sche ebenso wie ästhetische Aspekte umfassen. Aufbauen ließe sich auf bereits
bestehenden Katalogen aus den USA für Englischlehrkräfte (TESOL, Healy
2011) oder Lehrerbildner (http://site.aace.org/tetc) sowie auf dem europäi-
schen Kompetenzrahmen (Redecker/Punie 2017). Wir brauchen eine Ent-
wicklung mit Augenmaß.

Literatur
Asimov, Isaac [1954]: „The fun they had“. In: Asimov, Isaac (1973): The Best of
Isaac Asimov. London: Sphere, 180-182.
Delgado, Pablo/Vargas, Cristina/Ackerman, Rakefet/Salmerón, Ladislao (2018):
„Don't throw away your printed books: A meta-analysis on the effects of read-
ing media on reading comprehension“. In: Educational Research Review 25,
23-38.
Fend, Helmut (2009): Neue Theorie der Schule. 2. durchgesehene Aufl., Wiesba-
den: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Healy, Deborah (2011): TESOL Technology Standards.
http://www.deborahhealey.com/tesol2011/tech_standards_tesol2011.html
(07/03/2019).
Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität (2. aktua-
lisierte Aufl.). Stuttgart: Klett Kallmeyer.
Hockly, Nicky (2016) Focus on Learning Technologies. Oxford: Oxford University
Press.
Kern, Richard (2014): „Technology as ‘Pharmakon’. The Promise and Perils of
the Internet for Foreign Language Education“. In: The Modern Language
Journal 98, 340-357.
Kessler, Greg (2018): „Technology and the future of language teaching“. In: For-
eign Language Annals 51, 205-218.
Levy, Mike (2009): „Technologies in Use for Second Language Learning“. In: The
Modern Language Journal 93, 769-783.

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Nicht-technische Überlegungen zum digitalen Wandel im Fremdsprachenunterricht 113

Long, Michael (1991): „Focus on form: A design feature in language teaching


methodology“. In: De Bot, Kees/Ginsberg, Ralph/Kramsch, Claire (Hrsg.):
Foreign language research in cross-cultural perspective. Amsterdam: John Ben-
jamins, 39-52.
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Nida-Rümelin, Julian/Weidenfeld, Nathalie (2018): Digitaler Humanismus. Eine


Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München: Piper.
Redecker, Christine/Punie, Yves (2017): European Framework for the Digital
Competence of Educators: DigCompEdu. DOI: 10.2760/159770 (online)
(08/03/2019).
Rösler, Dietmar (2019): „Grammatik, Kommunikation, Inhalt – Freunde, nicht
Gegner“. In: Peyer, Elisabeth/Studer, Thomas/Thonhauser, Ingo (Hrsg.): IDT
2017. Band 1: Hauptvorträge. Berlin: Schmidt, 112-122.
van den Berghe, Rianne/Verhagen, Josje/Oudgenoeg-Paz, Ora/van der Ven, San-
ne/Leseman, Paul (2019): „Social robots for language learning: A review“. In:
Review of Educational Research 89, 259-295.
Yim, Sorbin/Saito-Stehberger, Dana/Warschauer, Mark (2018): „The long view“.
In: Liontas, John I. (Hrsg.) The TESOL Encyclopedia of English Language
Teaching. Wiley. (online).

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen
Wandel
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Jürgen Kurtz

πάντα ῥεῖ (Heraklit zugeschr.)

1 Einleitung und Problemaufriss


Vor ungefähr einem Vierteljahrhundert befasste ich mich als Englischlehrer
an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule (GHG) in Dortmund, einer inte-
grierten Gesamtschule mit Ganztagsbetrieb, mit der für mich nach wie vor
noch aktuellen Frage, wie sich das großenteils lehrwerkorientierte, vom Lehr-
buch als Printmedium ausgehende Lehren und Lernen der englischen Spra-
che in der Sekundarstufe I mit und über elektronische Informations- und
Kommunikationstechnologien aufwerten ließe (hier und im Folgenden als
IKT bezeichnet). Die GHG hatte zu Beginn der 1990er Jahre schon ein Klas-
senzimmer mit 30 fest installierten Computerarbeitsplätzen für die Lernen-
den sowie mit einem ebenso gut gesicherten Master-PC für die Lehrperson
ausstatten können. Alle Computer in diesem Klassenzimmer waren internet-
fähig und miteinander vernetzt. In seiner räumlichen Gestaltung erinnerte
dieser, als Informatik- oder Internetraum bezeichnete, technologisch hoch
gerüstete Lernort, der durch einbruchsichere Fenster und eine schwere Ein-
gangstür geschützt war, an ein Sprachlabor der audiolingualen Hochphase des
Englischunterrichts (vgl. Kurtz 2001, 92).
Ausschlaggebend für meine Entscheidung, einen Versuch in Richtung ei-
ner systematischen Einbindung digitaler Technologien und Medien in den
Englischunterricht zu wagen und den sog. Informatik- bzw. Internetraum für
eine Unterrichtsstunde pro Woche zu nutzen (mehr war unter den damaligen
Rahmenbedingungen nicht möglich), war meine Unzufriedenheit insbeson-
dere mit der zweiten Lektion des Lehrwerks Learning English – Orange Line 4
für Erweiterungskurse der Jahrgangsstufe 8 an Gesamtschulen und anderen
differenzierenden Schulformen (vgl. Arendt et al., 1990, 23-31). Meine Kritik
daran fasste ich später folgendermaßen zusammen (Kurtz 2001, 83):
[D]ie rigide, einseitig auf die Grammatikvermittlung abhebende Funktions-
bindung des Lektionseinstiegs, die einhergeht mit einem erheblichen Mangel
an authentischer Situativität, an sprachlicher Varianz sowie an fremdkulturel-
ler Relevanz (für die Lernenden) wirkt sich in Verbindung mit einer sprung-
haften Sequenzierung des Lehr- und Lernprozesses und einer Ballung von ge-

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 115

schlossenen Übungsformen in der Regel ungünstig auf den Lernwillen und


das unterrichtliche Engagement der Schülerinnen und Schüler aus. Hinzu
kommt, dass die im Leitmedium vorzufindende grammatikzentrierte Instru-
mentalisierung des Lektionsthemas nur mit erheblichem Arbeits- und Zeit-
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aufwand von den Lehrenden aufgehoben werden kann, da das Lehrbuch die
hierzu benötigten Ressourcen in Form von weiterführenden Sprachmitteln,
von variablen Äußerungsmustern, von authentischem landeskundlichen An-
schauungsmaterial, von zielsprachlich breiter gefächerten, nicht nur auf
Grammatik ausgerichteten Übungsmaterialien, von spielerisch-ganzheitlichen
Aktivitäten, u.v.m. nicht bereitstellt und sich zudem im Lehrerhandbuch kei-
ne Hinweise finden, wo gegebenenfalls entsprechende Ressourcen rasch auf-
gefunden und wie sie im Englischunterricht verwertet werden könnten.
Es ging mir seinerzeit vor allem darum, eine stärker schüler- und handlungs-
orientierte, mit dem explorativen landeskundlichen Lernen verknüpfte Ler-
numgebung unter Verwendung von Print- und Digitalmedien zu schaffen,
die sich nicht vollends vom Lehrwerk und der dort vorgezeichneten Progres-
sion trennt. Im Wesentlichen interessierte ich mich dafür,
[…] wie das Internet (insbesondere die im World Wide Web verborgenen Res-
sourcen) im Verbund mit dem Lehrbuch und den daran gekoppelten traditio-
nellen audiovisuellen Medien und Materialien genutzt werden könnte, um
funktional geschlossene und zu einseitig ausgerichtete, in ihrer Darbietung,
Anordnung und Stufung fragwürdige und in ihrer fremdkulturellen Ein-
drucksbreite und Eindruckstiefe problematische Lehrbuchinhalte didaktisch-
methodisch aufzuwerten, so dass eine vielseitigere, besser auf die Fähigkeiten,
Kenntnisse, Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen Lerngruppe und die
persönlichen Voraussetzungen und Erfahrungen der jeweiligen Lehrperson
abgestimmte Unterrichtsgestaltung möglich wird (Kurtz 2001, 81).
Im Großen und Ganzen versuchte ich – dem Stand der damaligen fremdspra-
chendidaktischen Diskussion entsprechend – die Leitideen der Instruktion
(Transmission), der Konstruktion, der Progression, der Variation sowie auch
der Differenzierung und Individualisierung miteinander in Beziehung zu
bringen, um einen Mehrwert in Richtung Lernerlebnis und Lernertrag zu
generieren.
Ich entwickelte und erprobte schließlich eine mehrstündige Unterrichts-
sequenz, die das Englischlernen mit Print- und Digitalmedien, verbunden mit
einem Wechsel des Lernorts (physisch vom Klassenzimmer in den Compu-
terraum und zurück; medial vom gedruckten Lehrbuch in die digitale Sphäre
des World Wide Web und zurück) voranzubringen versuchte. Im Mittelpunkt
standen dabei einige (vorrangig thematisch) differenzierte Lehr- und Lern-
pfade, die darauf abhoben, das lehrwerkgebundene mit dem lehrwerkunge-
bundenen Lernen zu verknüpfen. Heutzutage würden diese Lehr- und Lern-
pfade als aufgabenorientierte, vom Lehrwerk ausgehende und dorthin wieder

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116 Jürgen Kurtz

zurückkehrende Webquests bezeichnet werden können (vgl. Kurtz 2001, 84-


88).1
Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass es mir seinerzeit keinesfalls
darum ging, ein ‚radikal digital‘ angelegtes Leuchtturmprojekt zu entwickeln,
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das letztlich kaum mehr an die großenteils lehrwerkorientierte Alltagspraxis


des Englischunterrichts anschlussfähig gewesen wäre. Vielmehr versuchte ich,
Kontinuität (Bewährtes) und Innovation (Neuartiges) unter den gegebenen
schulischen Rahmenbedingungen so zusammenbringen, dass es zu möglichst
wenig Disruption in Bezug auf das Englischlernen kommt, das damals schon
an ein schulinternes, vorrangig lernziel- und lerninhaltsorientiertes Curricu-
lum gebunden war. Die Erfahrungen, die ich seinerzeit habe sammeln kön-
nen, haben mich sicherlich nachhaltig geprägt. So verstehe ich den digitalen
Wandel bis heute nicht als einen radikalen Umbruch (radical, discontinuous
change), sondern als eine sukzessive, kontinuierliche Entwicklung (gradual,
continuous change). Diese zieht sich immerhin schon über ein Vierteljahr-
hundert hin. Die Fremdsprachendidaktik ist gut beraten, wenn sie in Anbe-
tracht dessen von unausgewogenen, überzogenen, unrealistischen und praxis-
fernen Vorstellungen, Ansprüchen und Erwartungen an das fremdsprachliche
Lehren und Lernen im digitalen Wandel Abstand nimmt.
An radikaleren, zumindest deutlich optimistischeren Vorstellungen zum
digitalen Wandel und zur Wandlungsfähigkeit des schulischen Englisch- bzw.
Fremdsprachenunterrichts hat es indes nicht gemangelt. Ich möchte im Fol-
genden kurz darauf eingehen. Dabei beziehe ich die vier Leitfragen der dies-
jährigen Frühjahrskonferenz mit ein.

2 Der digitale Wandel – optimistisch gesehen


Nahezu zeitgleich zu meinen bescheidenen Bemühungen, das Englischlehren
und -lernen mit neuartigen, digitalen Technologien und Medien aufzuwerten,

1
Es sei hier in einer ersten, etwas längeren Fußnote (Fn) darauf verwiesen, dass
Byrams (1997) Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz in jenen
Jahren erst entstand, so dass ich mich daran nicht orientieren konnte. Bennetts
(1993) Modell der Entwicklung interkultureller Sensitivität war mir gänzlich un-
bekannt. Das Englischlehren und -lernen fand zudem unter deutlich anderen bil-
dungspolitischen Vorzeichen statt. So musste ich mich seinerzeit noch nicht mit
den neoliberalen Paradoxien einer deregulierten Regulierung von Schule und Un-
terricht über Leitbilder, Bildungsstandards und Kerncurricula, mit einer dahinge-
hend instrumentalisierten, vorrangig Outcome-orientierten Fremdsprachendidak-
tik sowie mit einer auf die Messbarkeit von Lernleistungen ausgerichteten
Kompetenzschule befassen, in der die Aufgabenorientierung den Königsweg des
fremdsprachlichen Lernens repräsentieren soll. Ein Leitbild zum fremdsprachli-
chen Lernen im digitalen Wandel gab es nicht; es wurde von mir auch nicht ver-
misst.

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 117

formulierten Rüschoff/Wolff (vgl. 1999, 50-51) die folgenden Hypothesen,


Hoffnungen oder Erwartungen:
Digitale Medien und Technologien, so nahmen sie an, seien
• dazu prädestiniert, Veränderungen im schulischen Fremdsprachenun-
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terricht einzuleiten;
• durch sie könnten etablierte Positionen der Fremdsprachendidaktik
künftig infrage gestellt werden;
• sie könnten vielleicht sogar zu einer völligen Neubewertung herkömm-
licher Ansätze bzw. zu einer Abkehr von ihnen beitragen;
• ihr Einsatz könnte letztlich lerneffektiver sein, zumal sie zeit- und orts-
ungebunden Verwendung finden können und eine stärkere Diversifi-
zierung im Hinblick auf individuelle Lernende ermöglichen.
Mir war damals allerdings schon einigermaßen klar, dass der digitale Wandel
nicht vorrangig (oder gar einzig und allein) von den digitalen Technologien
und Medien ausgedacht werden kann. Auch erschien es mir wenig sinnvoll zu
sein, lediglich die innovativen Potenziale der Digitalisierung in den Blick zu
nehmen und die disruptiven bzw. risikobehafteten weitgehend außer Acht zu
lassen. Dass die Lehrenden als wesentliche unterrichtliche Akteure hier weit-
gehend ausgeklammert wurden, konnte ich als Englischlehrer kaum nachvoll-
ziehen.
Heute scheint in der fremdsprachendidaktischen Diskussion ein Konsens
zumindest darin zu bestehen, dass die Digitalisierung des Fremdsprachenler-
nens nur dann lernförderlich greifen kann, wenn sie unter Berücksichtigung
des komplexen Beziehungsgefüges von Theorie (Wissenschaft/Forschung)
und Praxis (Unterricht) unter Einbeziehung aller beteiligten Akteure, Institu-
tionen und Instanzen modelliert, erprobt und umgesetzt wird. Mit dem Leit-
bild der Landesregierung Nordrhein-Westfalens (2016) zum Lernen im digi-
talen Wandel sollte (eigentlich) ein erster Schritt in diese Richtung
unternommen werden.

3 Der digitale Wandel – naiv gesehen


„Die Perspektive des Schulbuchs ist digital“, ist dem Leitbild 2020 der nord-
rhein-westfälischen Landesregierung zum Lernen im digitalen Wandel bzw.
zur schulischen Bildung in Zeiten der Digitalisierung zu entnehmen (Landes-
regierung NRW 2016, 8 u. 25). Doch was mag damit gemeint sein? Kann eine
derart vage Feststellung dem schulischen Englisch- bzw. Fremdsprachenun-
terricht in seiner Weiterentwicklung Orientierung bzw. Substanz geben? Die
Perspektive des Automobils ist immerhin wohl auch digital, ebenso wie zum
Beispiel die des Finanz- bzw. Bankwesens. Lässt sich daraus bereits irgendein
Mehrwert (für die Lernenden, die Autofahrer, die Bankkunden, u.a.) ableiten?
Dies bleibt abzuwarten.

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118 Jürgen Kurtz

Ergänzend zu der Feststellung, dass die ‚Perspektive‘ des Schulbuchs digi-


tal sei, finden sich in dem NRW-Leitbild die folgenden Behauptungen (dort
als Thesen bezeichnet):
Mit zunehmendem Angebot an vielfältigen digitalen Lernmitteln wird Lernen
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aktiver und individueller (ebda.).


Gedacht ist in diesem Zusammenhang auch an frei zugängliche, open access-
Materialien aus dem World Wide Web, u.a. an solche, wie sie auf dem Server
learn:line NRW (http://www.learnline.schulministerium.nrw.de) seit vielen
Jahren schon bereitgestellt werden. Progressionsbezogene Überlegungen und
Erwägungen, die für den schulisch organisierten Englisch- bzw. Fremdspra-
chenunterricht unabdingbar sind, auch und gerade im Zeitalter der Kompe-
tenz-, Standard- und Testorientierung, finden hier keinerlei Berücksichti-
gung.
Digitale Lernmittel tragen zu einer Flexibilisierung von Lernangeboten bei
(ebda.).
Das mag sein, jedoch darf hierbei nicht aus dem Blick geraten, dass heutige
Lehrwerke für den Englischunterricht der Sekundarstufe I bereits zahlreiche
digitale Komponenten enthalten. Ob diese überhaupt genutzt werden, und
inwieweit sie zu einer Flexibilisierung des Lehrens und Lernens beitragen
(können), lässt sich in Ermangelung entsprechender wissenschaftlicher Un-
tersuchungen und Erkenntnisse kaum seriös beantworten. Zur Verdeutli-
chung, wie weit die Digitalisierung im englischunterrichtlichen Lehrwerkbe-
reich bereits fortgeschritten ist, sei exemplarisch auf das Lehrwerk Notting
Hill Gate 1 (Edelhoff/Schmidt 2015) verwiesen:

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 119

Für Schüler Für Lehrkräfte Software für


Unterricht und
Vorbereitung
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Notting - Textbook - Teachers‘ Manual - Interaktive


Hill - Workbook mit - Lehrerfassung zum Whiteboard-
Gate Audio-CD Textbook Software
Band 1 - Workbook mit Lern- - Workbook mit - Differenzierung
software und Audio- Lösungen und Au- und Inklusion
CD dio-CD digital
- Vocab-App - Audio-CD für - BiBox – Digitale
- Zoom-App Lehrkräfte Unterrichtsma-
- Trainingsheft ‚besser - DVD für Lehrkräf- terialien
lesen‘ te
- Inklusions- und - Kopiervorlagen
Fördermaterialen mit - Wordbildkarten
Audio-CD - Lehrpaket
- Lernsoftware
Abb. 1: Komponenten des Englischlehrwerks Notting Hill Gate 1

Auffällig ist hier, ebenso wie bei vergleichbaren Lehrwerken anderer Verlage,
dass sich die Digitalisierung englischunterrichtlicher Lehr-/Lernmedien
und -materialien bis heute vor allem auf den Bereich des computer-assisted
language learning (CALL) mit in der Regel strikter Programmführung und
relativ simplem Feedback sowie auf die Entwicklung von classroom manage-
ment tools für die Lehrenden beschränkt hat. Die Potenziale von computer-
mediated communication (CMC) in synchronen und asynchronen Lehr-/
Lernumgebungen sind für die Lehrwerkentwicklung bis heute ebenso wenig
fruchtbar gemacht worden wie die des mobile-assisted language learning
(MALL). Hierfür gibt es viele Gründe, u.a. auch wirtschaftliche, auf die ich im
Rahmen meines Statements nicht näher eingehen kann.
Die Qualität und die Vielfalt der Lernmittel wirken sich auf die Qualität von
Unterricht aus (Landesregierung NRW 2016, 25).
Auch diese Feststellung lässt sich empirisch nicht untermauern, zumindest
nicht für den schulischen Englischunterricht. Die dahinterstehende Vermu-
tung, Lehrwerke bzw. digitale Lernmittel könnten als agents of change (vgl.
Hutchinson/Torres 1994) fungieren, ist wissenschaftlich längst nicht hinrei-
chend belegt. Ob sich die Qualität des Englischlehrens und -lernens durch die
Hinzunahme von open access-Materialien aus dem Word Wide Web verbes-
sern lässt, ist in Anbetracht der aktuellen Lehrmittelverwendungsforschung
reine Spekulation.

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120 Jürgen Kurtz

Digitale Schulbücher bieten multimediale Vielfalt und eine Fülle von Themen
und Themenzugängen, Bearbeitungs- sowie Aufgabenmöglichkeiten; sie kön-
nen das gemeinsame Arbeiten, die Kreativität und die Individualisierung der
Lernprozesse unterstützen (Landesregierung NRW 2016, 25).
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Was aber ist ein digitales Schulbuch, was unterscheidet es von einem ge-
druckten? Wie sollte es sich davon unterscheiden? In den vergangenen Jahren
ist immer wieder von fremdsprachenunterrichtlichen Lehrwerken im Sinne
von medialen Verbundsystemen (digital, print) die Rede gewesen (vgl. bei-
spielsweise Nieweler 2017, 206). Treffender wäre es, von medialen Mehrkom-
ponentensystemen zu sprechen, die von den unterrichtlichen Akteuren unter
Berücksichtigung der jeweils vorgefundenen Rahmenbedingungen und der
konkret anvisierten Lernziele erst sinnvoll miteinander in Verbindung ge-
bracht werden müssen. Dass Lehrende keinen Sinn darin sehen, digitalisierte
Schulbücher zu verwenden, die sich kaum von ihren gedruckten Vorbildern
unterscheiden, deutet sich in der gerade erst aufkeimenden internationalen
Lehrwerkverwendungsforschung an:
A complaint that was often heard from the teachers is that there is too little
digital material available that is good enough to replace the books: ‘Digital
material is often just a scanned book, so why should I use that, instead of a
book? I can always use a book, because it does not have any technical compli-
cations. Digital material does not really add something now.’ (Westdijk 2016,
55).
Die Lizenzformen digitaler Lernmittel sollen konsequent auf die Anforderun-
gen des Unterrichts- und Lernprozesses ausgerichtet sein. Die Vielfalt frei zu-
gänglicher digitaler Medien und Lernangebote bietet allen Kindern und Ju-
gendlichen auch jenseits der Schule Lernmöglichkeiten (Landesregierung
NRW 2016, 25).
Dies mag hinsichtlich der sog. Lizensierung digitaler Medien plausibel er-
scheinen. Es lässt in Bezug auf die bildungspolitisch favorisierte und forcierte
Schulentwicklung in Deutschland, die stark auf die Etablierung der Ganztags-
schule zugeschnitten ist, aber völlig unberücksichtigt, dass Kinder und Ju-
gendliche außerschulische Freiräume benötigen, um sich zu lebensbejahen-
den (unter anderem auch arbeitsmotivierten) Persönlichkeiten zu entwickeln.
Der folgenden, im NRW-Leitbild zu findenden These vermag ich hinge-
gen zuzustimmen, auch wenn ich das Lehren der englischen Sprache nicht als
einen Ausbildungsberuf verstehe (vgl. hierzu Kurtz 2018a):
Die Digitalisierung verändert den Beruf von Lehrerinnen und Lehrern. Aus-
bildung und unterstützende Fortbildung werden gezielt und systematisch auf
die Anforderungen in der digitalen Welt ausgerichtet und ausgeweitet (Lan-
desregierung NRW 2016, 26).

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 121

Hierzu bedarf es allerdings einer hinlänglichen Grundfinanzierung


und -ausstattung der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. 2

4 Der digitale Wandel – realistisch gesehen


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Der technologische Wandel der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte hat sich in der
Wahrnehmung vieler Menschen rasant vollzogen. Von daher ist es wichtig,
nicht lediglich den tatsächlichen Wandel im Bereich der digitalen Technolo-
gien und Medien, sondern auch und insbesondere dessen individuelle Wahr-
nehmung und Deutung durch die Lehrenden und die Lernenden – im Span-
nungsfeld unterrichtlicher und außerunterrichtlicher Notwendigkeiten und
Möglichkeiten – zu berücksichtigen. Den vier Leitfragen vermag ich diese
Perspektivierung nur indirekt zu entnehmen.
Eine einigermaßen realistische Einschätzung der Möglichkeiten, Notwen-
digkeiten und Grenzen des digitalen Wandels kann wohl nur dann gelingen,
wenn dieser im Gesamtzusammenhang aller anderen Wandlungsprozesse
(gesellschaftlich, schulisch, unterrichtlich, u.a.m.) betrachtet wird. Wie in der
vierten Leitfrage zum Ausdruck gebracht, bedarf es eines vertieften Verständ-
2
Ich möchte an dieser Stelle eine weitere, etwas längere Fn einfügen, die sich mit dem
Sinn und Nutzen von Leitbildern befasst. Wer hat ein Interesse daran, Leitbilder zu
formulieren? Für wen sind sie erstrebenswert? Wie viele Leitbilder für Schule und Un-
terricht gibt es schon (ich denke hier an die Friedens-, Verkehrs- oder Gesundheitser-
ziehung)? Wie viele weitere werden noch benötigt? Wer nimmt sie wahr und orientiert
sich daran? Im NRW-Leitbild steht der ökonomische Wert von Bildung („Wozu wir
lernen – gestern, heute, morgen“) im Vordergrund, hier vor allem zur Sicherung der
Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen bzw. zur Steigerung der wirtschaftlichen
Wettbewerbsfähigkeit des Landes (vgl. Landesregierung NRW 2016, 3-4). Dieser
Grundgedanke ist – auch und gerade in einem Bundesland, das sich nach wie vor im
post-industriellen Strukturwandel befindet – sehr wichtig. Allerdings sollten Leitbilder
keine bildungspolitischen PR-Aktionen sein, die, ganz im Sinne des heutigen Leitbilds
aller Leitbilder, nämlich dem der deregulierten Regulierung, in vornehmlich neolibe-
ral-unternehmerisch-marktwirtschaftlicher Konturierung, in eine für die Lehrenden
und Lernenden nicht wünschenswerte Bevormundungsdidaktik münden (können).
Die Gefahr der De-Professionalisierung der Lehrenden (zum Beispiel über zentral be-
reitgestellte Pools von kompetenzorientierten Lern- und Testaufgaben) darf nicht un-
terschätzt werden. Hat die Bildungspolitik etwa kein Vertrauen mehr in die Lehrerbil-
dung, die sie als eine möglichst wenig kostenintensive, an die schwankenden Bedarfe
des Lehrerarbeitsmarkts gekoppelte Ausbildung verstanden wissen will? Werden Leit-
bilder, Bildungsstandards, Kerncurricula, Lernaufgabenpools und Vergleichsarbeiten
womöglich benötigt, um die sich andeutenden Schäden zu reparieren, die durch eine
(ebenfalls) unternehmerisch-marktwirtschaftlich ausgerichtete universitäre Forschung
bzw. Forschungsförderung und eine modularisierte, kompetenzorientierte Lehre be-
reits entstanden sind? Im englischen Sprachraum wird in diesem Zusammenhang, al-
lerdings vor dem Hintergrund eines in vielerlei Hinsicht anderen Bildungs- bzw.
Schulsystems, vor einer gesellschaftlichen Abwertung bzw. vor der ‚Proletarisierung‘
der Sprachlehrberufe gewarnt (vgl. beispielsweise Block 2017, 35).

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122 Jürgen Kurtz

nisses der vielschichtigen Inkongruenzen, die sich aus dem rasant wahrge-
nommenen Wandel im Bereich der digitalen Technologien und Medien ei-
nerseits, und dem vergleichsweise bedächtigen, unter Praxisgesichtspunkten
womöglich sinnvoll zurückhaltenden Wandel des schulischen Lehrens und
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Lernen fremder Sprachen andererseits ergeben. Erst davon ausgehend lassen


sich tragfähige fremdsprachendidaktische Theorien und Modelle entwickeln.
Ich halte es für wenig sinnvoll, das schulische Fremdsprachenlehren
und -lernen im digitalen Wandel vorrangig top-down über kompetenz- und
aufgabenorientierte Ansätze modellieren zu wollen.3
Gedruckte Lehrwerke sind für die Alltagspraxis des schulischen Englisch-
unterrichts nach wie vor von großer Bedeutung, vor allem in der Sekundar-
stufe I. Es mag vor diesem Hintergrund besonders innovativ erscheinen, die
sog. Perspektive des Schulbuchs, was auch immer damit gemeint sein soll,
‚digital‘ zu denken. Dass in Bezug auf die diesbezüglich erwünschte For-
schung im NRW-Leitbild hervorgehoben wird, es sollen vor allem solche
Projekte konsequent gefördert werden, die auf die Entwicklung digitaler
Schulbücher und deren Einsatz im (Fremdsprachen-)Unterricht zugeschnit-
ten sind (vgl. Landesregierung NRW 2016, 8), ist frag- bzw. unglaubwürdig,
vor allem dann, wenn man den Zustand mancher Schulgebäude und Unter-
richtsräume sowie deren vielerorts unzureichende IKT-Ausstattung mit ein-
bezieht.
Es wird diesbezüglich zwar angemerkt, dass es einer ‚digitalen Basis-IT-
Infrastruktur für die Schulen‘ in Nordrhein-Westfalen bedarf, um das Lehren
und Lernen im digitalen Wandel zu befördern (vgl. Landesregierung NRW

3
In einer letzten längeren Fn möchte ich hervorheben, dass der Kompetenzbegriff kein
Lernbegriff und eine Kompetenztheorie keine Lerntheorie ist. Die Aufgabenorientie-
rung ist auch keine Lerntheorie, sondern allenfalls eine im Wesentlichen am problem-
lösenden Lernen orientierte Unterrichtstheorie, die in Anbetracht der zahlreichen Fak-
toren, die Einfluss auf das fremdsprachenunterrichtliche Lehren und Lernen nehmen,
keinen Anspruch auf Überlegenheit gegenüber anderen, zum Teil über Jahrhunderte
erprobten und kontrovers diskutierten Unterrichtsansätzen und Verfahrensweisen be-
anspruchen kann. Die angedachte lebensweltliche Nähe, der die Aufgabenorientierung
über sog. real world-tasks nahekommen will, kann bzw. sollte nicht auf einen fortwäh-
renden Prozess der lebensweltlichen Aufgabenbewältigung und Problemlösung redu-
ziert werden, schon gar nicht in einer Zeit, in der viele Menschen von der ihrerseits so
wahrgenommenen, zunehmenden Vereinnahmung ihres Lebens durch (vor allem be-
rufliche) Aufgaben Abstand gewinnen wollen und ihr Dasein anders zu gestalten su-
chen. Es wäre letztlich unrealistisch anzunehmen, eine kompetenz- und aufgabenori-
entierte, auf ausschließlich digitale Lehr-/Lernmedien und -materialien bezogene
Fremdsprachendidaktik könne dem fremdsprachlichen Lehren und Lernen besonders
zuträglich sein. Womöglich verhält es sich genau umgekehrt. Um dies zu klären, be-
darf es einer vorrangig qualitativ ausgerichteten, entideologisierten empirischen For-
schung, in der die Kompetenz-, Standard- bzw. Aufgabenorientierung nicht verabsolu-
tiert wird.

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 123

2016, 27). Kaum Berücksichtigung findet jedoch, dass die flächendeckende


Ausstattung aller Schulen mit moderner IKT weitere, nicht zu unterschätzen-
de, dauerhafte Kosten nach sich ziehen wird, hier zum einen in Bezug auf die
Wartung und Instandhaltung der Hardware sowie der Aktualisierung der
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Software. Hierzu bedarf es entsprechend ausgebildeter IKT-Fachkräfte, die


eben nicht nur den einen oder anderen Computer reparieren können. Es geht
vielmehr um Fachkräfte, die die IKT-Infrastruktur den unterrichtsfachlichen
Ansprüchen und Notwendigkeiten anpassen können. Diese gleichermaßen
anspruchs- wie verantwortungsvolle Aufgabe lässt sich nicht weitgehend kos-
tenneutral über entsprechend motivierte und engagierte Lehrerinnen und
Lehrer lösen. Auch bedarf es kostenintensiver, kontinuierlicher, in immer
rascherer Taktung gestalteter Aus- bzw. Fortbildungsmaßnahmen, um die
Lehrenden auf den jeweiligen Stand von Forschung und Technik zu bringen.
Es ist irritierend zu sehen, dass in Nordrhein-Westfalen und in den anderen
Bundesländern bislang noch kaum darüber nachgedacht wird, welche Brü-
ckentechnologien ggf. geeignet sein könnten, um das englisch- bzw. fremd-
sprachliche Lehren und Lernen an Schulen mittels adaptiver Lehrwerke be-
hutsam und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Augmented Reality könnte
eine solche (hybride, Print- und Digitalmedien verknüpfende) Technologie
sein (vgl. hierzu im Detail Kurtz 2018b).

5 Schlussbemerkung und Ausblick


In Anbetracht einer fremdsprachendidaktischen Diskussion in Deutschland,
die sich meiner Wahrnehmung nach zu wenig mit der Gefahr der Indoktrina-
tion oder, weniger dramatisch gefasst, mit ihrer subtilen Instrumentalisierung
durch Politik und Wirtschaft befasst, und die den internationalen bildungsso-
ziologischen Diskurs diesbezüglich noch kaum zur Kenntnis genommen hat
(vgl. beispielsweise Furlong 2013; Ushioda/Dörnyei 2017; Flubacher/Del Per-
cio 2018; Gray/O’Regan 2018), habe ich mich sehr schwer damit getan, ein
Statement für die diesjährige Frühjahrskonferenz zu verfassen. Ich habe den
Versuch unternommen, meine Überlegungen zum lehrwerkgestützten fremd-
sprachlichen Lehren und Lernen im digitalen Wandel von den bildungspoliti-
schen bzw. -soziologischen Erwägungen zu trennen, indem ich einige längere,
der Lesbarkeit meines Beitrags womöglich nicht zuträgliche Fußnoten hinzu-
gefügt habe. Ausschlaggebend hierfür war insbesondere die dritte Leitfrage, in
der es um die Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und inhaltliche Ausgestaltung
eines Leitbilds für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen im digitalen
Wandel geht.
Ich spreche mich nun keineswegs gegen eine an demokratischen Leitbil-
dern ausgerichtete Schul- und Unterrichtsentwicklung aus. Gleichwohl aber
habe ich Sorge, dass vornehmlich neoliberal-marktwirtschaftlich-unterneh-
merisch ausgerichtete Leitgedanken, in Verbindung mit weiteren zentralen

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124 Jürgen Kurtz

Steuerungs- und Regulierungsmaßnahmen (Referenzrahmen, Bildungsstan-


dards, Kerncurricula, Vergleichsarbeiten, etc.) in eine kritikimmune ‚Leitkul-
tur‘ des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens im digitalen Wandel bzw. in
eine rigide (nicht zuletzt auch über digitale Lehrwerke und Materialiensamm-
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lungen) gesteuerte Bevormundungsdidaktik übergehen könnten (vgl. hierzu


bereits Gray 2010). Vor etwa einem halben Jahrhundert waren zahlreiche
Fremdsprachendidaktiker/-innen davon überzeugt, dass die Einrichtung von
Sprachlaboren – die Leitideen des Behaviorismus und des Audiolingualismus
verabsolutierend – eine gute Idee sei, und es wurden in der Folge erhebliche
Finanzmittel bereitgestellt, um die Schulen in Deutschland technologisch
entsprechend auszurüsten. Heute stellt sich dies als ein kostspieliger Irrweg
dar. Was ist daraus zu lernen?

Literatur
Arendt, Ruth/Beile, Werner/Beile-Bowes, Alice et al. (1990): Learning English –
Orange Line 4. Erweiterungskurs. Unterrichtswerk für Gesamtschulen und an-
dere differenzierende Schulformen. Stuttgart: Klett.
Bennett, Milton (1993): „Towards ethnorelativism: A developmental model of
intercultural sensitivity“. In: Paige, Michael R. (Hrsg.): Education for the inter-
cultural experience. Yarmouth, ME: Intercultural Press, 21-71.
Block, David (2017): „Journey to the center of language teacher identity“. In:
Barkhuizen, Gary (Hrsg.) (2017): Reflections on language teacher identity re-
search. Oxon: Routledge, 31-36.
Byram, Michael (1997): Teaching and assessing intercultural communicative com-
petence. Clevendon: Multilingual Matters.
Edelhoff, Christoph / Schmidt, Torben (Hrsg.) (2015): Notting Hill Gate 1. Für
Klasse 5 an Gesamtschulen und anderen integrierenden Schulformen. Bil-
dungshaus Schulbuchverlage.
Flubacher, Mi-Cha/Del Percio, Alfonso (2018): Language, education and neolib-
eralism. Clevendon: Multilingual Matters.
Furlong, John (2013): „Globalisation, neoliberalism, and the reform of teacher
education in England“. In: The Educational Forum 77/1, 28-50.
Gray, John (2010): The construction of English: culture, consumerism and promo-
tion in the ELT global coursebook. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmil-
lan.
Gray, John/O’Regan, John (2018): „Education and the discourse of global neolib-
eralism“. In: Language and Intercultural Education 18/5, 471-477.
Hutchinson, Tim/Torres, Eunice (1994): „Textbooks as agents of change“. In:
English Language Teaching Journal 48/4, 315-327.
Kurtz, Jürgen (2001): „Zur Verknüpfung von Lehrwerk und Internet im Eng-
lischunterricht. Praxisskizze und Überlegungen zum Lehrwerk der Zukunft“.
Englisch 36/3, 81-93.
Kurtz, Jürgen (2018a): „Ganzheitliche Englischlehrerbildung: Englischunterricht-
liche Lehrwerke als vernachlässigte Bildungsinstrumente“. In: Burwitz-Melzer,
Eva/Riemer, Claudia/Schmelter, Lars (Hrsg.) (2018): Rolle und Professionalität

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Lehrwerkgestütztes Fremdsprachenlernen im digitalen Wandel 125

von Fremdsprachenlehrpersonen. Arbeitspapiere der 38. Frühjahrskonferenz


zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 88-97.
Kurtz, Jürgen (2018b): „Adopting augmented reality for task-oriented EFL devel-
opment, instruction, and learning“. In: Schmidt, Torben/Würffel, Nicola (Ko-
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ord.) (2018): Digitalisierung und Differenzierung. Fremdsprachen Lehren und


Lernen 47/2, 45-63.
Landesregierung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2016): Lernen im digitalen Wan-
del. Unser Leitbild 2020 für Bildung in Zeiten der Digitalisierung.
https://www.land.nrw/sites/default/ files/asset/document/leitbild lernen im
digitalen wandel.pdf (15/01/2019).
Nieweler, Andreas (2017): „Lehrwerk“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.) (2017): Metz-
ler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze – Methoden – Grundbegriffe.
Stuttgart: Metzler, 206-208.
Rüschoff, Bernd/Wolff, Dieter (1999): Fremdsprachenlernen in der Wissensgesell-
schaft: zum Einsatz der neuen Technologien in Schule und Unterricht. Isman-
ing: Hueber.
Ushioda, Ema/Dörnyei, Zoltan (2017): „Beyond global English: motivation to
learn languages in a multicultural world (introduction to the special issue).“
In: Modern Language Journal 101/3, 451–454.
Westdijk, Jessica (2016): A mismatch that slows down the evolution of education.
Comparing the perceptions of primary schools teachers on digital education ma-
terials with the perceptions of publishers. Rotterdam: Erasmus University.
https://thesis.eur.nl/pub/34751/ Westdijk.pdf (15.01.2019).

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel in soziologischer,
medienpädagogischer und sprachdidaktischer Perspektive
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Lutz Küster

1 Vorbemerkung
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, nach den Herausforderungen zu fragen,
die sich für Schule und Unterricht generell und somit auch für den Fremd-
sprachenunterricht vor dem Hintergrund jener tiefgreifenden gesellschaftli-
chen Veränderungen ergeben, die mit der Verbreitung digitaler Technologie
verbunden sind. Zu den äußerst vielfältigen Möglichkeiten, digitale Medien
für Sprachlern- und -erwerbsprozesse zu nutzen, ist bereits viel geforscht
worden,1 und nicht zuletzt liefert der vorliegende Band hierzu anregende
Beiträge. Der Fokus im Folgenden wird jedoch ein anderer sein. Im Rekurs
auf soziologische Studien und medienpädagogische Positionierungen soll
erörtert werden, welche Werteorientierungen den schulischen Fremdspra-
chenunterricht leiten können und wie diese sich mit fachdidaktischen Zielen,
Inhalten und Verfahren verbinden lassen.

2 Annäherungen an Kernelemente des digitalen und sozialen


Wandels
Der Leitbegriff des digitalen Wandels, um den sich die hier versammelten
Beiträge ranken, ist zwar einerseits „catchy“, andererseits aber auch viel-
schichtig und schillernd. Daher möchte ich mich ihm zunächst heuristisch
annähern: Was ist im Einzelnen mit diesem Terminus gemeint, welche Kern-
elemente lassen sich herausstellen und wie betreffen diese uns schon jetzt und
vermutlich in absehbarer Zukunft?
Hier sind zum einen die weitreichenden, rapiden Veränderungen auf der
Ebene der Kommunikationstechnologien in nahezu allen Bereichen des
privaten, beruflichen und öffentlichen Lebens zu nennen. Sie lassen sich so-
wohl in unidirektionalen (Fernsehen, Radio, Pressewesen etc.) als auch und

1
Für einen geschichtlichen Rückblick auf die frühen Jahre vgl. Volkmann (2005).
Zu aktuellen Forschungen sei auf den von Torben Schmidt und Nicola Würffel
(2018) betreuten Themenschwerpunt des Heftes 2, 47. Jahrgang, der Zeitschrift
Fremdsprachen Lehren und Lernen verwiesen. Einen wertvollen Überblick über
den Stand der Unterrichtsentwicklungen im Bereich der digitalen Medien liefert
zudem Grünewald (2017, 227-245).

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel 127

vor allem in bi- und multidirektionalen medialen Kommunikationen (Stich-


wort: „soziale Medien“) beobachten. Wesentliche Charakteristika des Wan-
dels sind die Beschleunigung der Abläufe (eine wesentliche Voraussetzung
aktueller Globalisierungsprozesse) und die exponentiell wachsende Menge an
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verfügbaren Informationen, die ihrerseits deutlich weniger als zuvor hinsicht-


lich ihrer Richtigkeit und Relevanz überprüft werden (Stichwörter: fake news,
Banalität der Gegenstände etc.). Nach anfänglicher Euphorie über die immen-
se Erweiterung interpersonaler Kontaktmöglichkeiten und individueller Par-
tizipation an kollektiven Entscheidungsfindungen (weswegen dem Netz 2.0
schon ein demokratischer Wesenszug zugesprochen wurde), hat sich ange-
sichts mancher problematischer Entwicklungen (Cyber-mobbing, Verbrei-
tung rassistischer Propaganda, Weltpolitik per Twitter etc.) heute mehr Skep-
sis breit gemacht. Ambivalenzen zeigen sich auch im Hinblick auf ein anderes
Merkmal digitaler Kommunikation. Lässt sich die gewachsene Bedeutung des
Visuellen und des Akustischen in digitalen Medientexten einerseits aufgrund
der breiteren Einbeziehung unterschiedlicher Sinneskanäle begrüßen, so las-
sen sich andererseits auch gegenläufige Auswirkungen beobachten, insofern
als die bildschirmfixierte Kommunikation bei intensiver Nutzung zugleich
eine verstärkte Entsinnlichung und Entkörperung des Wirklichkeitsbezugs
zur Folge hat.
Des Weiteren sind v.a. die Entwicklungen auf der Ebene der Verfahrens-
technologien hervorzuheben. Sie führen zu einer Verschlankung und Akzele-
ration von Produktions- und Distributionsabläufen im Wirtschaftsleben so-
wie zu einer wachsenden Verlagerung von körperlicher hin zu mentaler
Arbeit. In ihrer Folge tritt der Faktor Mensch tendenziell zurück. So führt die
computergesteuerte Automatisierung von Produktion insbesondere dort, wo
Manpower lediglich in der Kontrolle von Maschinen erforderlich ist, zu ei-
nem Sinken der Beschäftigungszahlen; andere Arbeitsmarktsektoren wiede-
rum entstehen neu. Auf jeden Fall bedeutet der technologische Wandel, dass
sich ihm viele Menschen im Erwerbsleben in immer schnelleren Adaptations-
zyklen anpassen müssen (Stichwörter: lebenslanges Lernen, berufliche Mobi-
lität).
Auf beiden genannten Ebenen wird deutlich, dass der technologische
Wandel mit einem massiven sozialen Wandel einhergeht, ihn z.T. bedingt.
Dies haben im Anschluss an die Arbeiten Richard Sennetts (1998) die sozio-
logischen Analysen von Hartmut Rosa (2005; 2016) und Andreas Reckwitz
(2017) in vielen Facetten herausgearbeitet.2

2
In vielerlei Hinsicht polemisch überspitzt, aber dennoch bedenkenswert sind in
meinen Augen die Ausführungen Frank Schirrmachers (2009) in seinem Buch
Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir
nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen.
Darin schildert er auf wissenschaftliche Quellen gestützt, wie die Computernut-
zung droht, unsere Gehirn- und Denkstrukturen nachhaltig zu verändern.

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128 Lutz Küster

3 Soziologische Studien zum gesellschaftlichen Strukturwandel


Noch vor der massiven Verbreitung des Internet machte Richard Sennett in
Der flexible Mensch (1998) eindrucksvoll deutlich, welche Konsequenzen die
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ökonomische Globalisierung auf die Arbeitsorganisation und damit auf die


Lebenswelt vor allem der abhängig Beschäftigten hat. Die zunehmende Not-
wendigkeit beruflicher Mobilität sowohl hinsichtlich der Art als auch des Orts
der Beschäftigung führt, so Sennett, zu einer Destabilisierung individueller
Identitäten und zu Empfindungen einer Sinnentleerung. Insofern ist der Ori-
ginaltitel Corrosion of Character noch aufschlussreicher als seine deutsche
Entsprechung.3
Während Sennett die Triebkräfte des globalisierten Kapitalismus als vor-
rangig ursächlich für Phänomene des sozialen Wandels ansieht, kommen in
der von Hartmut Rosa (2005) publizierten Habilitationsschrift Beschleuni-
gung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne weitere „Motoren“
in den Blick: Neben dem ökonomischen Motor mit seiner Implikation einer
technischen Beschleunigung führt er in einem Strukturmodell (ebd., 309) den
kulturellen Motor mit seiner Folge einer Akzeleration des Lebenstempos und
den sozialstrukturellen Motor mit seiner Konsequenz einer wachsenden funk-
tionalen Differenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche und daraus resultie-
rend einer Beschleunigung des sozialen Wandels auf. Letztere, so eine seiner
zentralen Thesen, sei „zu einem sich selbst antreibenden Prozess geworden
[…], der in gleichsam zirkulärer Form die drei Beschleunigungsbereiche in
ein wechselseitiges Steigerungsverhältnis setzt“ (ebd., 243; Hervorh. im Origi-
nal).
Ohne sich einer vordergründigen Entschleunigungs-Ideologie zu ver-
schreiben, illustriert der Jenaer Soziologe, in welch komplexen und oft auch
dialektischen Spannungsverhältnissen die Verknappung der Zeitressourcen
den Menschen in der Ära der Spätmoderne beeinflussen (vgl. v.a. ebd., 471f.).
Zentral im Zeiterleben handelnder Subjekte sei das Gefühl einer schneller
vergehenden Zeit, kombiniert mit Empfindungen von Zeitnot und Stress (vgl.
ebd., 214). Hierbei spielen, wie Rosa im Anschluss an Castells, Giddens und
Urry darlegt, die Einflüsse der „Informations- und Kommunikationsrevoluti-
on“ (ebd., 168) eine wichtige Rolle. Für die „eigentlich“ wertvollen Tätigkei-
ten bliebe im Zuge dieser Entwicklung keine Zeit (vgl. ebd., 221), was wiede-
rum zu konstanter Unzufriedenheit der Akteure führe, zumal in den wenigen
frei verfügbaren Zeitfenstern kaum mehr Energie für befriedigende Freizeit-
gestaltung vorhanden sei (vgl. ebd., 222f.).

3
Ähnliche Zeitdiagnosen entwickelte zuvor bereits Ulrich Beck (1986) in Risikoge-
sellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel 129

Mit seiner 2016 veröffentlichten, groß angelegten Arbeit Resonanz. Eine


Soziologie der Weltbeziehungen4 unternimmt Rosa den Versuch, ein soziolo-
gisch fundiertes Gegenmodell gelingenden Lebens zu entwerfen, das eine
Antwort auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen und digitalen
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Wandels darstellen könnte. Anknüpfend an Beschleunigung geht er darin


ausführlich auf die Veränderung der individuellen Selbst- und Weltverhält-
nisse ein, die infolge des gesellschaftlichen Wandels in breitem Umfang zu
beobachten seien. Dominant sind in seiner Sicht Tendenzen einer Entfrem-
dung bzw. – in seiner der Akustik entlehnten Metaphorik – eines „Verstum-
mens“ der Welt, die auf verschiedenen Ebenen zu subjektiven Erfahrungen
eines Selbst- und Weltverlustes führten (vgl. Rosa 2016, 401). Doch auch
gegenläufige Tendenzen ließen sich beobachten. Am Beispiel einer Stimmga-
bel, bei der beide Enden in Schwingung geraten und so erst zu klingen begin-
nen, versinnbildlicht er sein Verständnis von „resonanten“, d.h. wechselseiti-
gen Antwortbeziehungen zwischen dem Einzelnen und seiner sozio-
kulturellen und dinglichen Umwelt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass
sich die Subjekte „nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich be-
rühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen“ (ebd., 270; Hervorh.
im Original). Unter Verweis auf Bandura betrachtet Rosa intakte Selbstwirk-
samkeitserwartungen als Voraussetzung dafür, dass Individuen derartige
Resonanzbeziehungen aufbauen können (vgl. ebd., 270-278). Die soziologi-
sche Ausrichtung seiner Analysen macht sich daran fest, dass sich seiner
Überzeugung nach eine andere Art des In-der-Welt-Seins „nur als das Ergeb-
nis einer simultanen und konzertierten politischen, ökonomischen und kultu-
rellen Revolution realisieren“ (ebd., 56) lasse. Eine schlüssige Antwort darauf,
wie eine solche Umwälzung zu bewerkstelligen sei, bleibt er indes weitgehend
schuldig. Stimmig erscheinen demgegenüber seine Entwürfe, wie unter den
gegebenen sozialen Bedingungen es schon jetzt möglich sei, „Resonanzoasen“
zu schaffen. Für unsere Kontexte sind diesbezüglich insbesondere die Ausfüh-
rungen zur Schule als Resonanzraum von Interesse (vgl. ebd., 402-420), dazu
Näheres weiter unten.
Die Angreifbarkeit normativer Setzungen vermeidend, konzentriert sich
Andreas Reckwitz (2017) in Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Struk-
turwandel der Moderne konsequent auf eine Analyse des Bestehenden (vgl.
ebd., 23). Wie der Titel seines Werks bereits erkennen lässt, sind für ihn vor
allem Erscheinungsformen der Singularisierung und eines Kults des Besonde-
ren kennzeichnend für die Gesellschaftsformationen der Spätmoderne. In ihr
entwickelten sich „Ökonomie und Technologie historisch erstmals zu großflä-

4
Eine kompakte Einführung in die Grundgedanken des Werks liefern Christian
Helge Peters und Peter Schulz (2017) in der Einleitung eines von ihnen herausge-
gebenen Bandes, in dem soziologische Fachkolleg/inn/en kritisch Stellung zu Re-
sonanz beziehen, ergänzt um eine Antwort Rosas auf die vorgebrachten Kritiken.

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130 Lutz Küster

chig wirkenden Singularisierungsgeneratoren, zu paradoxen Agenten des mas-


senhaft Besonderen“ (ebd., 15; Hervorh. im Original). Die Ökonomie betref-
fend beobachtet Reckwitz einen strukturellen Bruch im Übergang von der
industriellen Moderne zum Kulturkapitalismus der post-industriellen Ära,
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insofern als Produktion und Zirkulation nunmehr auf kulturelle (Singulari-


täts)Güter ausgerichtet seien. Darunter versteht er „Dinge, Dienste, Ereignisse
oder Medienformate, deren Erfolg beim Konsumenten davon abhängt, als
einzigartig anerkannt zu werden“ (ebd., 16). Ein weiterer struktureller Bruch
werde durch die digitale Revolution verursacht, deren Erscheinungsformen
(data tracking der Profile, Personalisierung des digitalen Netzes etc.) eben-
falls zur Singularisierung beitrügen (vgl. ebd.). Als Kernelemente kultureller
Praktiken, die sich auf diese Weise etablierten, hebt er Valorisierung und
Entvalorisierung hervor. In ihnen spielten Affektqualitäten der Wertungen
eine große Rolle:
Die Valorisierungen von Objekten, Subjekten, Ereignissen und Kollektiven als
einzigartig und die Affizierbarkeit durch sie sind untrennbar miteinander ver-
bunden. […] Was wertvoll und besonders erscheint, wirkt affizierend, weil es
wertvoll und besonders ist. Und was erheblich affiziert, scheint wertvoll und
besonders, weil es so stark affiziert (ebd., 83, Hervorh. im Original, vgl. auch
ebd., 227).
In einem gesonderten Kapitel geht Reckwitz auf die spezifische Bedeutung
der Digitalisierung ein (vgl. ebd., 225-271). In Abgrenzung von Apologeten
einer Wissensgesellschaft betrachtet er das Internet im Wesentlichen als eine
Affektmaschine, deren Inhalte primär auf emotionale Reaktionen (Entspan-
nung und Unterhaltung ebenso wie Entrüstung und Hass) ausgerichtet seien
(vgl. ebd., 234 f.). Dies gelte besonders für die omnipräsent gewordene Bil-
derwelt, doch auch Schrifttexte wiesen vermehrt eine Tendenz zu „Entinfor-
mationalisierung“ und Emotionalisierung auf (vgl. ebd., 235 f.).
Die notwendigerweise extrem verkürzenden Bemerkungen zu den ange-
führten soziologischen Studien müssen an dieser Stelle genügen, um zu illus-
trieren, dass die technologische Innovation in einem sehr viel umfassenderen
Kontext zu verorten und zu verstehen ist, als dies zunächst unter einer rein
fachdidaktischen Perspektive erscheinen mag. Alle vier angerissenen Deu-
tungsansätze (die Unterwerfung des Einzelnen unter die Anpassungsdiktate
des spätkapitalistischen Arbeitsmarkts bei Sennett, die Akzeleration aller
Vollzüge des beruflichen und privaten Lebens und die Entfremdungsprozesse
als Folge „stummer“ Selbst- und Weltbeziehungen bei Rosa sowie der Kult
des Besonderen im Zuge einer dominanten Tendenz der Singularisierung bei
Reckwitz) geben Aufschluss über Triebkräfte und Erscheinungsformen eines
sozialen Wandels, auf den die digitale Revolution einen tiefgreifenden Ein-
fluss ausübt.

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel 131

Kinder und Jugendliche auf die veränderten und sich stets neu verändern-
den gesellschaftlichen Wirklichkeiten bestmöglich vorzubereiten, muss Auf-
gabe von Schule und Unterricht sein. In einer humanistischen und kritisch-
emanzipatorischen Perspektive kann diese Aufgabe freilich nicht zentral da-
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rin bestehen, die nachwachsenden Generationen einseitig an die Imperative


des Marktes anzupassen und sie zu „flexiblen Menschen“ zu formen. Doch
welche Ziele könnte und müsste das Bildungswesen verfolgen, wenn es den
Einzelnen im Gegenteil zu größtmöglicher Selbstbestimmung verhelfen will?
Hierzu sind in Vergangenheit und Gegenwart in der Medienpädagogik Ant-
worten gesucht und entwickelt worden.

4 Ausgewählte medienpädagogische Positionierungen


Auf dem 16. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft
(DGfE) zum Thema „Medien-Generation“ im Jahre 1998 hielt Hartmut von
Hentig eine viel beachtete Rede, deren Thesen mir heute, über zwanzig Jahre
danach, noch immer Gültigkeit zu haben scheinen. Ein Satz daraus, der mir
nachhaltig in Erinnerung blieb, betrifft die von ihm eingeforderte kompensa-
torische Funktion der Schule. Er lautet: „Sie [die Schule, LK] muss vor allem
lehren, was das Leben nicht lehrt, was aber für seine Erhaltung und Würde
notwendig ist.“ (Hentig 1999, 39).5 Was das Leben im Umgang mit digitalen
Medien lehrt, ist gewiss die unmittelbare technische Handhabung. Hier sind
Jugendliche Erwachsenen ohnehin schon jetzt meistens weit voraus.6 Was es
hingegen in der Regel nicht oder nur unzureichend lehrt, ist eine kritische
Distanz und eine differenzierte Bewertung der Computernutzung. Auf den
letztgenannten Aspekt machte am Ende seiner Eröffnungsrede zu dem besag-
ten DGfE-Kongress Dieter Lenzen (1999, 16) aufmerksam, wenn er sagte:
„Zur Medienkompetenz gehört […] etwas zu tun, was leider auch viele unse-

5
Die Schule müsse, so führt von Hentig (ebd.) aus, „die Schwächen der Medienwelt
[…] aufwiegen“. Diese Schwächen sieht er zum einen in der Tendenz, dass die vir-
tuelle Welt in den Köpfen der Menschen eine eigene Wirklichkeit gewinne, die
sich von der empirisch überprüfbaren Welt deutlich unterscheide, aber wirkmäch-
tiger als diese werde (Symptom „Schein“). Zum anderen kritisiert er die Banalität
und das niedrige Anspruchsniveau massenmedial vermittelter Inhalte (Symptom
„Schrott“) (vgl. ebd.).
6
Stefan Aufenanger (2008) sieht in dieser Disparität die Chance einer intergenera-
tionellen Kooperation, in der die Erwachsenen von den Jungen und diese von den
Erwachsenen lernen. Die Stärken der letzteren verortet er in den „[…] Domänen
des Moralischen, des Sozialen und des Ästhetischen. Wir können“ – so schreibt er
weiter – „der jüngeren Generation zeigen, wie man komplexe Aufgaben struktu-
riert und methodisch geleitet angehen kann, wie man Beurteilungskriterien entwi-
ckelt oder wie man die Kraft des Schönen für Erkenntnisprozesse nutzt“ (ebd.,16
f.).

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132 Lutz Küster

rer Studenten bereits verlernt hatten, bevor es Computer gab: zu interpretie-


ren.“
Die Aktualität des vor 20 Jahren Gedachten und Geäußerten verweist da-
rauf, dass im Kontext der sog. digitalen Revolution technologische Neuerun-
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gen nicht automatisch nach neuen pädagogisch-didaktischen Antworten


verlangen. In einem unterrichtlichen Rahmen gilt es vielmehr den Blick zu
schärfen für jene Werte, die Orientierung über den Moment hinaus vermit-
teln können, wie Hentigs „Erhalt und Würde des Lebens“. Ich würde die
Formulierung allerdings etwas abwandeln und lieber vom Erhalt des Lebens
und der Würde des Menschen sprechen. Wie viele andere auch erfüllt mich
der Anstieg populistischer Strömungen in Europa, Nord- und Südamerika
mit ihren Tendenzen der Abschottung, der Diskriminierung von Minderhei-
ten, der Verbreitung von Hass bis hin zu Gewalt und ihrem Angebot einfa-
cher Antworten auf komplexe Herausforderungen mit großer Sorge. Mit
Reckwitz (2017) gehe ich davon aus, dass die sozialen Netzwerke an deren
Propagierung großen Anteil haben, fördern sie doch die Entstehung sog.
Filterblasen, in denen Menschen ihre Informationen (oder das, was sie dafür
halten) nur noch sehr einseitigen Medienangeboten entnehmen und sich von
diesen affektiv stark beeinflussen lassen. Der Kampf um Eindämmung dieser
Tendenzen muss auf vielen Ebenen stattfinden, will unser demokratisches
Gemeinwesen nicht massiv Schaden nehmen. Dies zu erkennen und zu beur-
teilen, ist ein wichtiger Bestandteil kritischer Medienkompetenz bzw. einer
critical literacy oder einer critical media awareness.
Während kritische Ansätze gemeinhin eher kognitiv-analytische Fähigkei-
ten und Praktiken in den Blick nehmen, gehen Grundgedanken einer Werte-
erziehung insofern weiter, als sie auf ethische Haltungen abzielen, die auch
die emotional-affektive Ebene mit einbeziehen. In dieser Hinsicht können aus
meiner Sicht Prinzipien der Anerkennung im Sinne Axel Honneths (1992)7
richtungsweisend sein, denen zufolge die Achtung des Menschen in seinem
Anders-Sein Grundlage eines jeden sozialen Handelns sein sollte. Dies gilt
insbesondere in den von Verwahrlosung bedrohten und oft bereits gekenn-
zeichneten sozialen Kontakträumen des Internet. Dass hier die Würde des
Einzelnen heutzutage oft massiv und vor großem Publikum verletzt wird,
wissen die Nachrichten in Fernsehen, Rundfunk, Presse etc. immer wieder zu
berichten, Phänomene des Cyber-mobbing gerade unter Jugendlichen sind
vielfach belegt.

7
Ich folge darin Honneth (2013), der es gegen neuere Demokratietheorien und mit
Kant, Dewey und Durkheim sowie gestützt auf nicht namentlich genannte empiri-
sche Befunde im Gefolge von PISA (vgl. ebd., 43) als Aufgabe der Institution
Schule erachtet, zu demokratischer Erziehung beizutragen. In diesem Rahmen
führt Honneth zwei vorrangige Herausforderungen an, vor die die demokratische
Öffentlichkeit heute gestellt sei: die digitale Revolution und die wachsende Hete-
rogenität der Bevölkerung (vgl. ebd., 55).

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel 133

Dem Zwang zu Flexibilität und den gesellschaftlich wirksamen Beschleu-


nigungs- und Singularisierungslogiken werden sich die nachwachsenden
Generationen nicht entziehen können. Sich der Auswirkungen solcher exter-
ner Beeinflussungen bewusst zu werden, kann in meinen Augen jedoch dazu
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beitragen, die eigene Würde zu wahren und eine größtmögliche Unabhängig-


keit des Denkens und Handelns zu gewinnen. Reflexivität wäre demzufolge
eine zentrale Antwort auf den Flexibilitätszwang. Da soziale Gegebenheiten
immer von Menschen gemacht sind, kann der Einzelne zugleich aber auch
aktiv auf sie einwirken und somit soziale Verantwortung wahrnehmen.
Im Sinne einer von Hentig propagierten kompensatorischen Funktion
können insbesondere Schule und Unterricht Foren des Innehaltens bereitstel-
len, in denen sowohl kritische Bewusstwerdung als auch ästhetische Erfah-
rungen Raum finden. Den von Rosa beschriebenen Tendenzen eines Ver-
stummens von Selbst- und Weltverhältnissen vermag Schule auf vielerlei
Weisen entgegenzuwirken: Auch wenn manche diesbezüglichen Vorstellun-
gen Rosas idealistisch klingen, unbestreitbar gewinnt Unterricht, wenn es ihm
gelingt, seine Gegenstände „zum Klingen zu bringen“, indem er an die Neu-
gier der Lernenden anschließt. Gleiches trifft zu, wenn sowohl im Verhältnis
der Schüler/innen untereinander als auch in ihrer Kommunikation mit den
Lehrkräften Resonanz entsteht, d.h. wenn die Akteure sich wechselseitig be-
rühren und befragen.8 Hierzu bedarf es allerdings Strukturen des Unterrichts,
welche Kooperation und Interaktion Vorrang gewähren vor monodirektiona-
ler Stoffvermittlung. Im Sinne einer critical media awareness bietet jeglicher
Fachunterricht ferner einen Rahmen dafür, Chancen und Gefahren digitaler
Kommunikationspraktiken gleichermaßen zu thematisieren und Schü-
ler/innen so zur Entwicklung einer reflektierten eigenen Haltung zu verhel-
fen, die auch nach Konsequenzen auf der Verhaltensebene verlangt.

5 Anschlussmöglichkeiten für den fremdsprachlichen Unterricht und


die Fremdsprachendidaktik
Die obigen Überlegungen sind genuin allgemein- bzw. medienpädagogischer
Natur, und man könnte einwenden, dass Fremdsprachendidaktik andere
Prioritäten zu setzen habe als rein pädagogische. Ich meine jedoch, dass
sprachdidaktische Positionierungen zumindest in einem schulischen Kontext

8
Im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Wolfgang Endres erläutert Rosa
in einem Buch mit dem Titel Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer
knistert (Rosa/Endres 2016) praxisbezogener als zuvor in Resonanz (Rosa 2016,
402-420) seine pädagogischen Vorstellungen, die in vielerlei Hinsicht an Hum-
boldt anschließen, so v.a. wenn Bildung verstanden wird als Klärung von Selbst-
und Weltverhältnissen. Anschaulich stellt er ein „Entfremdungsdreieck“ misslun-
genen Unterrichts einem „Resonanzdreieck“ gegenüber (vgl. Rosa/Endres 2016,
45f.)

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134 Lutz Küster

den Rückhalt in einer pädagogischen Fundierung benötigen, zumal beide


Felder einander überlappen und ergänzen. So gelten in fremdsprachendidak-
tischer Perspektive im Anschluss an Prinzipien soziokultureller Lerntheorie
Verfahren interaktiven und kooperativen Lernens als besonders förderlich
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zur Optimierung fremdsprachlicher Erwerbs- und Lernprozesse, gleichzeitig


eignen sie sich aber auch bestens zur Einübung sozial-integrativer Verhal-
tensweisen. An dieser Stelle verbinden sich folglich die medienpädagogischen
mit fachlichen und fachdidaktischen Aspekten.
Digitale Lernumgebungen bieten z.B. viele im Vergleich zur vordigitalen
Ära erweiterte Möglichkeiten, den Prinzipien der Interaktions-, Produkt-,
Handlungs- und Aufgabenorientierung zur Anwendung zu verhelfen. Sie
erleichtern z.B. die Bildung von Sprachentandems sowie die Einrichtung und
Realisierung von Schüleraustausch (z.B. über eTwinning; vgl. Schlegel 2013).
Ein weiteres Beispiel: Der Kanon fremdsprachendidaktisch relevanter
Zielkompetenzen in den deutschen Bildungsstandards umfasst auf der Se-
kundarstufe I (KMK 2004) bekanntlich die interkulturelle und die Medien-
kompetenz bzw. auf der Sekundarstufe II (KMK 2014) die Text- und Medien-
kompetenz; die sog. Abiturstandes weisen zudem der Sprachbewusstheit und
der Sprachlernkompetenz eine transversale Stellung zu. Es fällt auf, dass in all
diesen Teilbereichen die Fähigkeiten des Urteilens und Bewertens von hoher
Bedeutung sind. Sie gemeinsam mit den funktional-kommunikativen Kom-
petenzen integrativ auszubilden, zu festigen und zu vertiefen, scheint mir im
Hinblick auf die eingangs von Dieter Lenzen (1999) zitierten Defizite der
Schüler/innen im Umgang mit den digitalen Medien ein zentrales Desiderat
zu sein.
Sprachgebrauch und Sprachenlernen finden bekanntlich stets in einem
kulturellen und medialen Kontext statt. Dies gilt es im Blick zu behalten,
wenn Texte jedweder Art behandelt werden, denn erst die Einbettung in situ-
ative, soziale Kontexte stellen die Voraussetzung dafür dar, dass im Spracher-
werbsprozess sachgerechte Bedeutungszuweisungen (meaning making) vor-
genommen werden. Das erfordert ein Vorgehen, das sich den scheinbar
objektiven Zwängen der Beschleunigung widersetzt und Zeit für Vertiefungen
lässt. Die Themenfreiheit des Fremdsprachenunterrichts bietet hierbei den
Raum für den sprachlichen Austausch über Fragen, die die Jugendlichen be-
wegen. Diesen Freiraum sinnvoll, d.h. nicht zuletzt adressatengerecht zu ge-
stalten, stellt gewiss eine hohe Herausforderung an die Alltagsarbeit aller
Lehrenden dar. Fragen des Umgangs mit den (sozialen) Medien dürften bei
den Schüler/innen insbesondere des fortgeschrittenen Fremdsprachenunter-
richts jedoch auf viel Interesse stoßen, da diese sie in ihrer Lebenswelt unmit-
telbar betreffen. Insofern schließen einander auch hier sprachdidaktische und
medienpädagogische Zielsetzung keineswegs aus.
Was die Theorieentwicklung der Fachdidaktik betrifft, hat sich v.a. in Be-
zug auf den Umgang mit digitalen Medien der bereits vor über 20 Jahren

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Der gesellschaftliche und digitale Wandel 135

entwickelte Ansatz einer Multiliteralitätsdidaktik bzw. einer pedagogy of mul-


tiliteracies (vgl. NLG 1996; Cope/Kalantzis 2000) als fruchtbar erwiesen (vgl.
u.a. Hallet 2011 und Collier/Rowsell 2014). Er geht von der Feststellung aus,
dass der digitale Wandel zu einem tiefgreifenden und umfassenden Struktur-
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wandel von Öffentlichkeit geführt hat, der ein erweitertes Textverständnis


erfordert.9 In ihm spielen nicht nur die digital vermittelte Multimodalität und
die Multilingualität von Kommunikation in einer globalisierten Welt eine
Rolle, sondern auch Zielsetzungen einer visual literacy und einer critical lite-
racy. Erstere zu entwickeln bzw. unterrichtlich anzubahnen, ist angesichts der
Tatsache, dass ein in dieser Hinsicht nicht-geschulter Blick in hohem Maße
anfällig ist für Fehldeutungen, von einer kaum zu überschätzenden Bedeu-
tung. Für die Entwicklung von critical (media) literacy lässt sich Gleiches
sagen, wie u.a. Britta Viebrock (2010) und Breidbach/Medina/Mihan (2014)
in einem fremdsprachendidaktischen Kontext herausgearbeitet haben. Da die
pedagogy of multiliteracies einen kombiniert sprach- und mediendidaktischen
sowie medienpädagogischen Ansatz verfolgt, entspricht sie der oben befür-
worteten integrativen Verfolgung erzieherischer und pragmatischer Zielset-
zungen (vgl. hierzu auch Volkmann 2012, 31).
Dass die technische Entwicklung schnell voranschreitet, kann nicht be-
deuten, dass die Didaktik ihr hinterherjagen sollte. Zwar ist es zweifellos
wichtig, dass sich alle Akteure des Fremdsprachenunterrichts den technologi-
schen Neuerungen als Gegenstände und Mittel fremdsprachlichen Lernens
und Lehrens öffnen. Dies sollte allerdings einhergehen mit einem kritischen
Blick, der stets nach dem fragt, was für das lernende Individuum und die
Lerngruppe förderlich ist. Der Arbeit mit den digitalen Werkzeugen (unab-
hängig ob mit Smartphone, Tablet, PC oder interaktivem Whiteboard) ge-
bührt der Interaktion zwischen Menschen Vorrang vor der Interaktivität
zwischen Mensch und Maschine – und dies sowohl aus (medien)pädago-
gischen als auch aus spracherwerbs- bzw. lerntheoretischen Gründen.

9
Die Verbreitung und Ausdifferenzierung sog. diskontinuierlicher Texte stellt
zweifelsohne ein wesentliches Merkmal von Texten im digitalen Zeitalter dar.
Gemeint sind damit im wesentlichen Bild-Schrift-, Ton-Schrift- und Bild-Ton-
Schrift-Kombinationen. Rezeption und Produktion derartig hybrider Texte erfor-
dern andere, weiter gefächerte Literalitäten als jene, die im Rahmen rein schriftba-
sierter Kommunikationsformen geeignet waren und sind. Reckwitz (2017, 235)
unterstreicht dies, wenn er auf die immens gewachsene Bedeutung des Visuellen
in digitaler Kommunikation hinweist.

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136 Lutz Küster

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen
Innovation und Irritation
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Christiane Lütge

1 Fremdsprachenunterricht und Digitalität: Herausforderungen und


Potenziale
Unter dem Einfluss der Digitalisierung entstehen zunehmend multimodale
und interaktive literarisch-mediale Formen (vgl. Hammond 2016; Kalantzis/
Cope/Chan/Dalley-Trim 2016), die neue Herausforderungen, Chancen und
Potenziale für den Fremdsprachenunterricht stellen. Fragen nach dem
„Mehrwert“ digitaler Medien tauchen immer wieder auf in einer Diskussion,
die über weite Strecken vom Schlachtruf „Pädagogik vor Technik“ geprägt
wird und nicht selten dabei ein Beleg für Ängste vor der „Digitalisierungs-
apokalypse“ ist (Zierer 2018, 16). Die Pendelausschläge finden sich dabei in
alle Richtungen: euphorisch überhöhte Heilserwartungen an das digitale Ler-
nen scheinen allerdings genauso wenig hilfreich zu sein wie reflexhafte Medi-
enskepsis (vgl. Lütge/Merse/Owczarek 2018).
Dabei sollte es ausdrücklich nicht um die Frage gehen, ob digitales Lernen
oder nicht-digitales Lernen besser für den (Fremdsprachen-)Unterricht ist,
weil Digitalisierung keinen Selbstzweck erfüllt. Sie vermag wohl aber Bekann-
tes neu zu perspektivieren und Neues in bekannten Kontexten zu hinterfra-
gen.
Der Diskurs über Bildung und Digitalisierung wirft aber in der Tat viele
Fragen auf. Er ist vor allem geprägt durch einen Dreiklang aus Einsprüchen,
Widersprüchen und Ansprüchen, die sich auf mediale, inhaltliche oder me-
thodische Aspekte beziehen können, auf das Lehren und Lernen im Allge-
meinen und auf das Fremdsprachenlernen im Besonderen.
Mehrwertdiskussionen im Kontext des digitalen Wandels werden dabei
häufig flankiert von einem neuen Diskurs der Verlustängste, weil Tempo und
Dynamik des Prozesses nicht nur ein hohes Innovations-, sondern auch Irri-
tationspotenzial bergen. Neue und unnötig dichotome Frontstellungen zwi-
schen digitalen und analogen Lernkontexten verstellen dabei gelegentlich den
Blick darauf, dass sich der digitale Wandel sowohl auf Gegenstände, Lernum-
gebungen, Medien und Prozesse beziehen kann. Digitale Lernkontexte wer-
den dabei häufig stark verkürzt vor dem Hintergrund ihrer technologischen
Realisierung betrachtet, bei der Medien und Lernumgebungen im Fokus ste-
hen.

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 139

Die vielleicht größten Herausforderungen, gleichzeitig aber auch Poten-


ziale scheinen mir mit veränderten Lerngegenständen als auch Lernprozes-
sen verbunden zu sein.
In der Loslösung vom Papierdenken der analogen Bücher besteht ein
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enormes Potenzial für die Erweiterung der Spielräume visueller Inszenierung


in Bildern und Texten. Die mehrdimensionale Vernetzung und Dynamisie-
rung narrativer Elemente eröffnet neue Spielräume für die literarästhetische
Gestaltung, aber sie eröffnet natürlich auch Herausforderungen für die (Lite-
ratur-)Didaktik.
Die fast schon unüberschaubare Menge digitaler Formate, anderer neuer
Lerngegenstände und ihrer Implikationen für das Lehren und Lernen ist Her-
ausforderung und Chance gleichzeitig, führt aber auch zu Fragmentierung
und Diversifizierung, gelegentlich womöglich auch zu subjektiver Überfor-
derung und nostalgischer Rückzugssehnsucht nach vermeintlich über-
schaubaren analogen Lernwelten.
Das Digitale bildet allerdings nicht zwangsläufig eine virtuelle Parallelwelt
– zumindest solange wir sie nicht als eine solche konstruieren. Vielmehr er-
öffnet sie vielfältige Potenziale, z.B. konstituiert sie neue Formen der Ver-
flechtung zwischen Individuum, Gesellschaft und Welt (vgl. Allert/Asmus-
sen/Richter 2017, 13). In Ergänzung der vielzitierten Analyse Clay Shirkys,
dass Kommunikationsmittel erst dann sozial interessant werden, wenn sie
technisch langweilig werden (vgl. Stalder 2016, 5), ließe sich anmerken, dass
sie vermutlich erst dann für Bildungsprozesse interessant werden, wenn der
Blick für ihre Potenziale frei wird. In einer künstlich konstruierten Frontstel-
lung von Pädagogik und Technik, von Digitalem und Analogem, die unter
anderem ausblendet, wie sehr auch pädagogische Entscheidungsfelder durch
die vorhandene Technik mitbestimmt werden, können weder Lerngegenstän-
de noch Lernprozesse angemessen reflektiert werden. Zweierlei sollte deshalb
berücksichtigt werden:

- Der digitale Wandel sollte nicht aus einer (rein) technizistischen Per-
spektive gedacht werden, bei der Bildungsprozesse zunehmend quanti-
fizierbar und positivistisch verkürzt werden und eine dualistische Op-
position aus Digitalem und Analogem konstruiert wird.
- Digitalität sollte auch als Thema, nicht nur als technologische Praxis,
eine wichtige Rolle spielen. In der Lehrerbildung allgemein, in der
Fremdsprachenforschung und in den Geisteswissenschaften kann die
Thematisierung des Digitalen als Topos – etwa in der Literatur – Aus-
gangspunkt für medienkritische Reflexionen sein.

Die Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen wird zwar nicht qua Au-


tomatismus durch den digitalen Wandel beschleunigt. Das Potenzial, das
durch innovative Formate, neue Möglichkeiten der Kollaboration, der Indivi-

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140 Christiane Lütge

dualisierung auch von Fehlerkorrektur und Feedbackschleifen entsteht, ist


aber ebenso relevant wie die Verfügbarkeit von Audiodateien, Filmen und
anderen Daten und Vokabellernprogrammen, die z.T. längst fest etablierte
Bestandteile des Fremdsprachenunterrichts sind. Medienverbünde, die digita-
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le und analoge Lernkontexte verbinden, werden in den nächsten Jahren ver-


mutlich auf mehr Akzeptanz stoßen als einseitige Fokussierungen auf den
Einsatz von Tablets. Langfristig werden Konzepte rund um die Entwicklung
von digital literacy besonders die Fähigkeit zur Entwicklung einer Filterfunk-
tion von Datenfluten fördern. Kollaboratives Schreiben, neue Formen exten-
siven Lesens von kombinierten Bild-Text-Formaten und kreative Zugänge zu
mehrsprachigen Textverbünden können dabei innovative Möglichkeiten
bieten.

2 Digitales Lehren und Lernen: Kompetenzen, Modelle, Leitbilder


(Fach-)inhaltliche, pädagogische und technologische Kenntnisse und ihre
diversen Schnittmengen machen die Komplexität digitalen Lernens deutlich.
Die Sensibilisierung für das Potenzial digitaler Technologien zur Optimie-
rung sowohl inhaltlicher wie auch pädagogischer Inhalte ist dabei zentral.
Im deutschen Kontext wird das Lernen in der digitalen Welt zunehmend
als wichtige Bildungsaufgabe gesehen (vgl. KMK 2016). Dabei geht es auch
um die systematische Entwicklung von Zielkompetenzen der Lernenden so-
wie um die Ausbildung von medienbezogenen Kernkompetenzen der Lehr-
kräfte. Diese lassen sich in Anlehnung an das KMK-Konzept in folgender
Weise strukturieren (vgl. Schultz-Pernice et. al. 2017 und für den Fremdspra-
chenunterricht folgendermaßen modellieren:

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 141
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Abb. 1: Digitales Lernen im Fremdsprachenunterricht (Lütge/Merse/Owczarek


2018)

Sprachliche, kulturelle, literarische und kritisch-reflektierende Aspekte bilden


dabei wichtige fachliche Säulen für digitales Lehren und Lernen im Fremd-
sprachenunterricht. Die Arbeit mit digitalen Medien, die mit dem teilweise
etwas schillernden Begriff „Digitale Bildung“ beschrieben wird, muss ganz
unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Ein bekanntes Modell zur
Integration neuer Technologien ist das TPACK framework (Mishra/Koehler
2006), das für Technological Pedagogical Content Knowledge steht und sowohl
die einzelnen Bereiche als auch ihre Schnittmengen im Zusammenspiel be-
rücksichtigt.
Die Ausdifferenzierung von fachspezifischen und fächerübergreifenden
lehrbezogenen Medienkompetenzen (Schultz-Pernice et al. 2017) wird zu-
künftig noch eine wichtige Rolle in allen Fächern spielen. Ob in der Tat ein
Leitbild für digitales Lernen entwickelt werden sollte, mag man zwiespältig
sehen und bereits begrifflich hinterfragen. Andererseits können aber auch die
normativen Verengungen, möglichen Doppelungen in mehreren (Unter-
richts-)Fächern und vor allem der statische Charakter eines Leitbildes der

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142 Christiane Lütge

Dynamik des digitalen Wandels möglicherweise nicht wirklich gerecht wer-


den.
Ein „Orientierungsrahmen für digitale Bildung“ könnte sich auf globaler
Ebene dem Unterrichten mit Medien im jeweiligen Fach als auch dem Unter-
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richten über Medien widmen und sowohl die technologische Perspektive


(„Wie funktioniert das?“), die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive („Wie
wirkt das?“) und die anwendungsbezogene Perspektive („Wie nutze ich das?“)
in den Blick nehmen(vgl. Honegger 2017).
Dass dabei fachliche, didaktische und auch ethisch relevante Parameter
eine Rolle spielen, darf nicht übersehen werden. Kritisch-reflexive Kompetenz
schließt auch das Nachdenken über die eigene Nutzung digitaler Medien ein.
Dieser Aspekt ist unter dem Begriff digital citizenship education zusammenge-
fasst, welcher das Vermitteln von „norms of appropriate, responsible behav-
iour with regard to technology use“ (Ribble 2015, 15) beschreibt. Dazu zählt
der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Daten und Bildern ebenso
wie die Netiquette in sozialen Netzwerken. Als Querschnittaufgabe für alle
Fächer, aber besonders auch als Auftrag an die geisteswissenschaftlichen Fä-
cher werden damit Fragestellungen berührt, die dazu angetan sind, das ambi-
valente Verhältnis von Bildung und Digitalität zu reflektieren.

3 Kulturen der Digitalität: konzeptionelle Änderungen und neue


Forschungszugänge
Englischdidaktische und fremdsprachendidaktische Forschung zu digitalen
Lernumgebungen im internationalen Kontext bezieht sich zum großen Teil
auf Wortschatzerwerb, teilweise auch auf Lesekompetenz sowie Hörverste-
hen. Im deutschsprachigen Bereich sind dabei besonders die Arbeiten von
Diehr/Gießler/Kassel (2016) und Heinz (2018) zu bayerischen iPad-Klassen
im Englischunterricht zu nennen.
Zudem finden sich fächerübergreifende Studien zu allgemeinen Themen
der Pädagogik und der empirischen Psychologie, Implementationsstudien
zum Tablet-Einsatz und Wirkungsforschung zum Bereich Mobile Assisted
Learning (MALL) sowie Untersuchungen zu Einstellungen und Motivation
von Schülerinnen und Schülern bzw. Lehrkräften.
Ernüchterung macht sich allerdings breit, wenn man Metaanalysen stu-
diert, die die Ergebnisse einer Vielzahl von empirischen Studien zum Spra-
chenlernen mit digitalen Medien bündeln. Einerseits gibt es hier höchst wi-
dersprüchliche Befunde und forschungsmethodologische Probleme, die die
Validität beeinflussen. Wie Burston in seinem aktuellen Forschungsüberblick
ausführt:
Almost without exception, MALL implementation studies have fallen into the
trap of attempting to attribute learning gains to the technology itself rather

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 143

than to the way the technology was manipulated to affect achievement (Burs-
ton 2017, 271).
Auch Kukulska-Hulme/Shield (2008, 250) weisen darauf hin, dass „for the
most part uses of mobile devices were pedestrian, uncreative, and repetitive
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and did not take advantage of the mobility, peer connectivity, or advanced
communication features of mobile devices“.
Forschungsmethodologisch ergibt sich so eine gewisse Zirkularität, die
sich folgendermaßen beschreiben lässt: Der Einsatz von digitalen Medien
wird häufig skeptisch gesehen, sein tatsächlicher Nutzen müsse in empiri-
schen Studien erst noch nachgewiesen werden, die wiederum dann oft nicht
vergleichbar sind. Um vergleichbar zu werden, wird der Untersuchungsfokus
auf unterkomplexe und technisch abbildbare Prozesse gelegt, die das innova-
tive Potenzial aber nicht angemessen berücksichtigen, digitale Lerngegen-
stände und Prozesse nicht in ihrer ganzen Bandbreite erfassen. Damit mag –
ungewollt – ein Dualismus aus Digitalem und Analogem weiter verschärft
werden, wenn sich die Forschungszugänge nicht an der jeweiligen Fachspezi-
fik orientieren und die technologische Komponente einseitig überbetonen.
Neue Forschungszugänge – insbesondere in den Fremdsprachendidakti-
ken – sollten z.B. den Blick in die Literaturdidaktik richten, z.B. auf narrative
Texte, etwa hinsichtlich der grundsätzlichen Vergleichbarkeit von Rezepti-
onsmodi von analogen und digitalen Leseangeboten. Interaktives Erzählen
mit digital inszenierter Literatur bewegt sich zwischen zwei Polen (vgl. Da-
widowski 2013):

- einer tendenziellen Trivialisierung von Literatur in neuen Medien auf


der einen Seite: interaktives Erzählen wird dabei häufig als Etiketten-
schwindel bezeichnet. Die Hypertextualisierung würde demnach die
Erzählung sehr viel mehr beschneiden, als dass sie dieser neue Dimen-
sionen eröffnen könne,
- einer veränderten Anforderungssituation an das Lesen in solchen Me-
dien auf der anderen Seite: die Lesesozialisationsforschung erkennt
hier das Potenzial der digitalen Inszenierung von Literatur gerade als
Einstieg in die Buchkultur.

Zunehmend finden sich auch digitale Literaturformate, die zukünftig im


Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen werden. Hier sollte zunächst aber
genau in den Blick genommen werden, welche Funktion die technologisch-
digitalen Parameter dabei einnehmen. Dazu erscheint insbesondere Ruben
Puenteduras SAMR Modell (Puentedura 2015) als besonders geeignet. Es
basiert als Akronym auf vier elementaren Stufen (Substitution, Augmentation,
Modification, Redefinition), mit denen eine für didaktische Zwecke sehr hilf-
reiche Kategorisierung vorgenommen wird, die es erlaubt, die narrative
Struktur einer App genauer zu charakterisieren. Das SAMR-Modell zeigt

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144 Christiane Lütge

dabei insbesondere auf, dass „some uses of new technologies lead at most to
an enhancement of education, while other uses lead to real transformation“
(Dudeney/Hockly/Pegrum 2013, 46). Damit kann es auch besser gelingen,
zwischen einer Erweiterung bzw. einer Transformation der Unterrichtsver-
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fahren durch digitale Medien zu differenzieren (vgl. Lütge 2018).


Auf der Ebene der Erweiterung (enhancement) kann man zwischen zwei
Ebenen unterscheiden:

- Substitution: technologische Komponente fungiert als Ersatz analoger


Funktionalitäten, aber es gibt keine funktionale Erweiterung bisheriger
Anwendungsoptionen (z.B. e-books, die auf entsprechenden Reader-
Geräten gelesen werden können, aber keine funktionalen Erweiterun-
gen ermöglichen),
- Augmentation: technologische Komponente fungiert als Ersatz analo-
ger Funktionalitäten, erweitert diese aber in den Anwendungsoptio-
nen.

Auf der Ebene der Transformation finden sich innerhalb des SAMR Modells
wiederum zwei Ebenen:

- Modification: technologische Komponente ermöglicht substantielle


Veränderungen auf der Ebene des task design (z.B. sind in der Kinder-
literatur-App Wuwu & Co (Step In Books 2016, französisch, deutsch
und englisch) Rätselaufgaben eingebettet, die während des Lesens ge-
löst werden müssen);
- Redefinition: technologische Komponente ermöglicht völlig neue und
bisher unerreichte Möglichkeiten auf der Ebene des task design (z.B.
erlaubt 80 Days (inkle 2016), eine digitale Adaption des Klassikers von
Jules Verne, die Generierung individueller Lesepfade in einer hoch-
komplexen Storyworld).

Die Evolution digitaler Literatur stellt im Kontext aktueller literarisch-


digitaler Entwicklungen den Fremdsprachenunterricht und die fremdspra-
chendidaktische Forschung vor die Herausforderung, diesen neuen Gegen-
standsbereich mit seinen didaktischen Potenzialen systematisch zu erfassen
und zu modellieren. Die Dimensionen der Funktionalität, Interaktivität, Nar-
rativität und der Leser-Lerner-Rolle können hier Ausgangspunkt für eine
systematische Erfassung und Typologisierung, z.B. von Literatur-Apps sein
(vgl. Abb. 2).
Darauf aufbauend lassen sich folgende Forschungsperspektiven skizzieren

- die Konzeptualisierung und Formulierung digital-literarischer Kompe-


tenzen, die der sich verändernden Natur von digitaler Literatur gerecht

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 145

werden und sich zur Modellierung kompetenzorientierter Lernaufga-


ben eignen;
- empirischer Erkenntnisgewinn zum Nutzerverhalten und zu Einstel-
lungen Studierender und Lernender zu digitaler Literatur, gekoppelt
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mit der Erprobung digitaler Literatur


- konsequente Etablierung digital-literarischer Komponenten in der
Lehrerbildung und Arbeit mit einem Korpus digitaler Literatur.

Abb. 2: Dimensionen literarischer Kompetenz (Lütge/Merse/Stannard 2018)

Insbesondere der Einsatz von digital narratives (vgl. Lütge/Merse/Stannard


2018), die häufig auch den Bereich des digital games based learning berühren,
bietet ganz neue Möglichkeiten für alle Altersstufen.

4 Zwischen Innovation und Irritation: Ansprüche an die


Lehrerbildung
Erfahrungen in Lehrerfortbildungskontexten verweisen immer wieder auf
eine grundlegende Problematik, die die gefühlte Schere zwischen dem gewal-
tigen Innovationsschub digitaler Möglichkeiten und dem zunehmenden Irri-
tationspegel hinsichtlich praktischer Anwendungen offenbart: Klagen über
Zeitmangel, Informationsüberflutung, technische Unzulänglichkeit der Aus-
stattung und mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten stehen dabei regelmäßig
im Vordergrund. Digitalisierungsoffensiven, die insbesondere die technische

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146 Christiane Lütge

Ausstattung in den Blick nehmen, sind dabei keineswegs immer dazu ange-
tan, die Ansprüche an fremdsprachliches Lehren und Lernen in der digitalen
Welt angemessen umsetzen zu können, denn dies geht oft einher mit der
„Reduktion einer Idee von Bildung auf die medientechnische Verfügbarkeit
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von Inhalten – auf das, was produzierbar und distribuierbar, planbar und
verwaltbar ist“ (Allert/Asmussen/Richter 2017).
Irritationen hinsichtlich des digitalen Wandels manifestieren sich in viel-
fältigen Abwehrreflexen, die wiederum kritisch hinterfragt werden können
und Herausforderungen für die Lehrerbildung beinhalten:
Für Bildung wird Digitalisierung zuweilen als eine neutrale Plattform zur Ver-
teilung von Lernmaterialien verstanden, während gleichzeitig für andere ge-
sellschaftliche Bereiche erhebliche Transformationen erwartet werden (Al-
lert/Asmussen/Richter 2017).
Daraus ergibt sich eine Reihe von Ansprüchen an die universitäre Lehrerbil-
dung und hier insbesondere an die Fachdidaktiken der Philologien:

- Veränderungen des Fachlichen durch digitalen Wandel sollten stärker


rezipiert werden (z.B. digitale Literatur). Die enge Verbindung der
Fachlichkeit und Medialität über neue digitale Formate sollte konzep-
tionell begleitet werden, z.B. mit Blick auf die Entwicklung neuer Lite-
ratur-Apps.
- Positivistischen Trends der Quantifizierbarkeit durch digitale Metho-
den sollte kritisch begegnet werden. Insbesondere der Rückfall in be-
havioristische Lernkontexte durch den Einsatz simplifizierender digita-
ler Formate sollte vermieden werden.
- Als Heuristik für die Weiterentwicklung literatur- und mediendidakti-
scher und auch allgemein fachdidaktischer Modelle der Kompetenz-
entwicklung kann der digitale Wandel mit seinen weitreichenden Fol-
gen wichtige Anstöße für die Lehrerbildung geben. Hier sind z.B.
Ansprüche an das literarische Lernen in der digitalen Welt zu formu-
lieren, und zwar auch explizit mit Blick auf analoge Lernkontexte sowie
Medienverbünde.

Im Kontext der Lehrerbildung gehe ich von einem breiten Digitalitätsbegriff


aus, der die Kompetenzentwicklung auf den verschiedenen Stufen umfassend
in den Blick nimmt. Wichtige Prinzipien für alle Phasen der Lehrerbildung
umfassen m.E.:

- Interaktivität (im Umgang mit den Funktionen digitaler Formate),


- Kreativität (in individuell ausgestaltbaren Aufgabenformaten),
- Kollaboration (mit anderen Lernern, Lesern oder Spielern in interakti-
ven Formaten).

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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 147

Die Entwicklung, Verfeinerung und Konkretisierung solcher Kompetenz-


rahmen – etwa mit Blick auf das Fremdsprachenlernen sollte in der ersten
Phase der Lehrerbildung einen breiten Raum einnehmen – auch um die Dy-
namik des Prozesses rund um den digitalen Wandel angemessen zu reflektie-
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ren. Prioritäten für den schulischen Anwendungsbezug sind dann besonders


in diesen Aspekten zu sehen:

- Exemplarizität: digitale fremd-/zweitsprachliche Lehr-/Lernkontexte


sollten exemplarisch entwickelt werden für verschiedene Klassenstufen
und Kompetenzniveaus. Beispiele für die Unterstützung sprachlichen
Lernens, kulturellen und literarischen Lernens sowie für den kritisch-
reflektierenden Umgang mit digitalen Medien können dabei ohne An-
spruch auf Vollständigkeit sowohl exemplarisch Lerngegenstände (di-
gitale Formate) als auch methodische Anregungen bei der Ausgestal-
tung digitaler Lehr-Lern-Arrangements umfassen (vgl. Lütge/Merse/
Owczarek 2018).
- Fallvignetten: Die Individualität der Lehrenden wird häufig nicht an-
gemessen berücksichtigt. Vorerfahrungen, spezifische Affinitäten, aber
auch Aversionen bei dieser Thematik können am besten berücksichtigt
werden, wenn unterschiedlichen Lehrendentypen stärker Rechnung
getragen wird. So können Fallvignetten helfen, über Typenbildung
konkrete Vorschläge für einen Zugang zum digitalen Lehren zu ermög-
lichen, der nicht für alle der gleiche Weg sein muss (z.B. wird für eine
erfahrene Lehrkraft, die eine geringe Affinität zu digitalen Medien bei
aber grundsätzlichem Interesse ein anderes Fortbildungsszenario zu
nutzen sein als für eine medienaffine Lehrkraft, die selbst Programmie-
rerfahrung hat). Hier lohnt es sich, eine Vielzahl von Wegen und Mög-
lichkeiten der digitalen Kontexte, Zugänge und Materialien in den
Blick zu nehmen.
- Best practice: Wenn es um die Qualität von Bildungsmedien geht, ist
in erster Linie die Passung der Inhalte und der medialen Umsetzung
von Relevanz. Wie häufig deutlich wird, geht technische Überkomple-
xität gelegentlich durchaus mit fachlicher Belanglosigkeit einher, etwa
dann, wenn extrem überladene Literatur-Apps mit aufwändigen Vi-
sualisierungen überfrachtet werden, aber wenig didaktisch sinnvolle
Funktionalität zu bieten haben. Diesbezüglich Diskrepanzen zu entde-
cken und best-practice-Beispiele konkret anzuwenden, schärft das kri-
tische Bewusstsein für den Sinn und Unsinn eines digitalen – oder ana-
logen - Lehr-Lernkontextes.

Zu lange ist die Diskussion um Bildung und Digitalität entweder aus einem
Abwehrreflex heraus geführt worden oder aus einem indifferenten Bemühen,
eine möglichst große Menge von Daten, Formaten und Texten digital zu er-
fassen und zu sortieren, sich der kleinteiligen, aber auch kleingeistigen Auf-

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148 Christiane Lütge

gabe der Verwaltbarkeit zu widmen statt wirklich Akzente für die Bildung zu
setzen. Die Rolle der Digital Humanities in diesem Prozess mag noch umstrit-
ten sein; wünschenswert erscheint aber in jedem Fall, dass die Fachdidaktiken
der Geisteswissenschaften sich der Diskussion nicht verschließen, Bildungs-
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prozesse neu denken und in allen Phasen der Lehrerbildung kompetenzorien-


tiert verankern – ob digital, analog oder in Medienverbünden.

Literatur
Allert, Heidrun/Asmussen, Michael/Richter, Christoph (2017): Digitalität und
Selbst. Interdisziplinäre Perspektiven auf Subjektivierungs- und Bildungsprozes-
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Burston, Jack (2017): „MALL: Global prospects and local implementation“. In:
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Dawidowski, Christian (2013): „Lesen Digital Natives anders? Über die Wirkung
der aktuellen Medienrevolution“. In: Julit 2, 7-15.
Diehr, Bärbel/ Gießler, Ralf/Kassel, Jan (2016): Englisch lernen mit portablen
elektronischen Wörterbüchern: Ergebnisse der Studie Mobile Dictionaries.
Frankfurt a.M.: Peter Lang.
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Cambridge: Cambridge University Press.
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sche Verortung, Forschungsüberblick und Studie zu Englischlernen in Tablet-
Klassen an Sekundarschulen in Bayern. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Honegger, Beat Döbeli (2017): Mehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten
Welt. Bern: hep-Verlag.
Kalantzis, Mary/Cope, Bill/Chan, Eveline/Dalley-Trim, Leanne (2016): Literacies.
Cambridge: Cambridge University Press.
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der Bundesrepublik Deutschland) (2016): Bildung in der Digitalen Welt. Stra-
tegie der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/
pdf/PresseUndAktuelles/2016/Bildung_digitale_Welt_Webversion.pdf
(06/03/2019).
Kukulska-Hulme, Agnes/Traxler, John (2013): „Design principles for mobile
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a Digital Age: Designing for 21st Century Learning (2nd ed.). Abingdon: Rout-
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Lütge, Christiane (2018): „Digital, transcultural and global? Reconsidering the
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burg. Proceedings. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 299-309.
Lütge, Christiane/Merse, Thorsten/Owczarek, Claudia (2018): „Digitales Lernen
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Lütge, Christiane/Merse, Thorsten/Stannard, Michelle (2018): „Digital narratives.
Exploring new practices of ‘reading’ and ‘play’”. In: Praxis Fremdsprachenun-
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Digitalität und Bildung: Fremdsprachenlernen zwischen Innovation und Irritation 149

Mishra, Punya/ Koehler, Matthew J. (2006): „Technological pedagogical content


knowledge: a framework for teacher knowledge“. In: Teachers College Record
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Puentedura, Ruben R. (2006): Transformation, technology and education. (Presen-
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tation Slides) delivered at the Strengthening Your District Through Technology


workshops, August 18, 2006. http://hippasus.com/resources/tte/puentedura_
tte.pdf (06/03/2019).
Ribble, Mike (2015): Digital citizenship in schools: Nine elements all students
should know. Eugene, OR/Arlington, VA: International Society for Technolo-
gy in Education.
Schultz-Pernice et al. (2017): „Kernkompetenzen von Lehrkräften für das Unter-
richten in einer digitalisierten Welt“. In: merz – medien + erziehung, Zeit-
schrift für Medienpädagogik 4, 65.
Stalder, Felix (2016). Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp.
Zierer, Klaus (2018): Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Gren-
zen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Baltmannsweiler: Schneider Ver-
lag Hohengehren.

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Ein Framework for Learning Opportunities1?
Zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunterricht
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Hélène Martinez

1 Der digitale Wandel: Lerngelegenheiten als Innovations-


potenziale
Digitalisierung
steht [...] für eine komplette Veränderung der Art und Weise, wie wir in Zu-
kunft leben werden: Wie wir unseren Alltag gestalten, wie wir miteinander
kommunizieren, wie wir arbeiten, lernen, unterwegs sind [und damit auch wie
Fremdsprachen gelehrt und gelernt werden; HM] (Schmitt 2016, o.S. zitiert
nach Wampfler 2017, 16).
Alle Ebenen des Fremdsprachenunterrichts sind von dieser Transformation
betroffen: Gegenstand, Lernumgebungen, Medien, Lehr- und Lernprozesse:
Sprache und Kultur als Lerngegenstände des Fremdsprachenunterrichts
werden durch den Einsatz digitaler Medien für Schülerinnen und Schüler
‚erfahrbar‘. Sprachkontakt und Kommunikation mit ‚echter‘ Sprache und
‚echten‘ Vertretern der jeweiligen Sprache erhalten durch Digitalisierung
neue Dimensionen. Im Idealfall entfaltet sich Authentizität in drei Dimensio-
nen:
Kommunikation ist linguistisch und kulturell authentisch, [weil] sie sich nicht
an den Idealen und Stereotypen des Lehrbuchs, sondern an der sprachlichen
und kulturellen Realität orientiert. Sie ist funktional authentisch, weil es einen
echten Anlass gibt, mit anderen Personen in Kontakt zu treten und [weil] der
Austausch nicht nur einem curricularen Ziel dient, sondern für die Beteiligten
auch persönlich bedeutsam ist (Krommer 2018, 2; für eine differenzierte Ana-
lyse von Authentizität siehe Bündgens-Kosten 2013).
Die Grenzen zwischen dem Lernen innerhalb und außerhalb des Klassen-
zimmers verschwinden und führen zu „einer weitgehenden Überwindung
räumlicher und/oder zeitlicher Distanzen“ (Volkmann 2012, 28). Das mobile
Lernen sowie die Arbeit an Lernplattformen ergänzen die Arbeit im traditio-
nellen Klassenzimmer. Informelles, in der Regel außerschulisches und selbst-
gesteuertes Lernen, ergänzt formales schulisches Fremdsprachenlernen.

1
In Anlehnung an Crabbe (2003).

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Ein Framework for Learning Opportunities? 151

Das Lehrbuch entwickelt sich zu einem digitalen Medium mit Vorteilen


für die Lehrervorbereitung, den Prozess des Lehrens sowie das individuelle
Fremdsprachenlernen. Das Whiteboard ersetzt die Tafel, Tablets werden zu
Lehr- und Lerninstrumenten. Digitale Klassenbücher mit augmented reality
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(vgl. Kurtz 2018), Softwares zur Abwicklung von Verwaltungsabläufen erfah-


ren Verbreitung (vgl. Würffel 2018).
Lehr- und Lernprozesse werden digital unterstützt: Wortschatz wird mit
Hilfe von Lernapps auf dem Smartphone oder dem I-Pad gelernt, schriftliche
Texte werden mit Hilfe von Wikis kollaborativ verfasst und redigiert, Schüler-
austausch findet via Videokonferenz statt und alternative Vermittlungsfor-
men entstehen (Stichwort: flipped classroom).
Diese schematische Auflistung verweist darauf, dass die Digitalisierung
Möglichkeiten für einen „flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen [aktiven,
kollaborativen und ebenso selbstständigen; HM] Fremdsprachenerwerb“
eröffnet (vgl. BMBF 2016).
Für den Unterricht der romanischen Sprachen liegt das größte Innova-
tionspotenzial in der Ausweitung des Klassenzimmers zu einem authenti-
schen und erweiterten Sprach- und Lernraum. Der digitale Wandel ermög-
licht neue Formen der direkten und medial vermittelten (inter)kulturellen
Begegnungen und Informationsaustausche (vgl. Legutke 2015). Mit dem Ein-
satz digitaler Medien setzt sich der Lerner verstärkt einer authentischen le-
bendigen Sprache aus mit der Möglichkeit, die Zielsprache in echten Kontex-
ten zu lesen, zu hören, zu schreiben und zu sprechen und Kontakt mit ihren
Sprechern zu erhalten.
Mit Bezug auf die Diskussion über außerschulische Lernorte haben Legut-
ke (u.a. 2015) sowie Grau und Legutke (2013) den Begriff der Lernorte kon-
zeptuell differenziert. Sie plädieren dafür, „den Lernraum selbst neu zu den-
ken, nämlich als einen Raum vernetzter Lernorte, unter denen dem
traditionellen Klassenzimmer als Kernzone eine besondere Funktion zu-
kommt“ (ebd., 4). Der Mehrwert dieses Raumes vernetzter Lernorte wird
potenziert, wenn man Funktionen, die dem Lernort zugeschrieben werden,
und Digitalisierung zusammendenkt: von der Individualisierung des Lernorts
als Trainingsplatz bis zu seiner Immersionsfunktion als Begegnungsraum
oder Kommunikationszentrum (Legutke 2015).
Mit Rückgriff auf die pädagogische Literatur wird in diesem Rahmen zwi-
schen primären und sekundären Lernorten unterschieden. Während Erstere
„mit pädagogischen Lernzielen eingerichtet wurden und deshalb didaktische
Elemente [aufweisen], wie das bei Museen, Gedenkstätten oder Zoos der Fall
ist“, sind sekundäre Lernorte Orte „ohne didaktische Intentionen ihrer Anla-
ge“ (Grau/Legutke 2013, 4). In Bezug auf Digitalisierung lässt sich eine weite-
re Dimension von Lernorten identifizieren, die man als tertiäre Lernorte be-
zeichnen könnte. Es sind diejenigen (virtuellen) Lernorte ohne didaktische
Intentionen, die keine direkte und explizite Rückbindung an den Fremdspra-

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152 Hélène Martinez

chenunterricht implizieren. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Lerner durch
Online-Spiele oder Tutorials außerhalb des Klassenzimmers informell und
inzidentell lernen und so ihre fremdsprachlichen Kompetenzen erweitern,
dieser Prozess und das Lernergebnis aber nicht als Gegenstand des Fremd-
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sprachenunterrichts wiederaufgegriffen bzw. vor- oder nachbereitet werden.


Dieses Lernen in virtuellen Lernorten hat dennoch indirekt einen Bezug zum
Fremdsprachenunterricht, indem die Lerner möglicherweise über erweiterte
Kompetenzen verfügen und dementsprechend motivierter sind, die jeweilige
Fremdsprache zu lernen (Sundqvist 2011; Hannibal Jensen 2019). Die Analy-
se von Lernorten nach den Dimensionen location, formality, pedagogy und
locus of control (vgl. Benson 2017; Martinez 2015a) und die damit gemeinte
graduelle didaktische Steuerung von Lernorten legt also nahe, diese weitere
Dimension nicht zu vernachlässigen.
Die Ausdehnung des Klassenzimmers zu einem erweiterten Sprach- und
Lernraum erscheint mir um so relevanter als gerade der mangelnde oder
gänzlich fehlende Kontakt zu den Fremdsprachen Französisch und Spanisch
und die fehlende Anwendbarkeit der Zielsprache von vielen Schülerinnen
und Schülern als Hindernis beim Erlernen gesehen wird (vgl. Fritz 2018, 20).
Lässt man die Schüler zu Wort kommen, so wird deutlich, dass der Unterricht
der 2. Fremdsprache nach Englisch darunter leidet, dass die Sprachen Franzö-
sisch und Spanisch im Vergleich zu Englisch in den Medien – und auch im
Unterricht – ungenügend präsent sind. Digitale Angebote könnten dem ent-
gegenwirken und zu der von den Schülerinnen und Schülern erwünschten
und zurzeit defizitär empfundenen Kommunikationsfähigkeit beitragen.
Digitalisierung ermöglicht eine Erweiterung des Sprach- und Lernraums,
die sich gewöhnlich in 3 Kategorien differenzieren lässt: a) eine Erweiterung
des Raums der Informationen und des Wissens (fremdkulturelle und fremd-
sprachliche Informationen sind direkt über Internet zugänglich und), b) eine
Erweiterung des Raums der Waren und Dienstleistungen (E-Books, Podcasts
etc. können heruntergeladen werden) und c) eine Erweiterung des Raums der
Begegnung und Beziehungen (Videokonferenzen, Chats, Skype-Gespräche
etc.). Sie stellen vielfältige Lernmöglichkeiten bzw. -gelegenheiten dar, die es
wahrzunehmen gilt und effizient zu nutzen. Zugleich gehen diese digitalen
Erweiterungen mit großen Herausforderungen einher, denn sie implizieren
die Fähigkeit, lehrer- und lernerseitig das Potenzial des digitalen Lernens
innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers wirksam aufgreifen zu können
(Chik 2018; Pierozak 2007). „Only the most independent of learners finds it
easy to take up und make effective use of language learning opportunities
without some guidance.” (Crabbe 2003, 18). Die Wahrnehmung von language
learning opportunities innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers ist von
affektiven Faktoren, individuellen Faktoren (z.B. Lernstilen) und Lernerfah-
rungen sowie von den Motiven des jeweiligen Lerners abhängig. Auch die
Wahrnehmung der eigenen Fortschritte bestimmt, inwiefern ein Lerner nach

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Ein Framework for Learning Opportunities? 153

neuen Lerngelegenheiten suchen wird. (vgl. Crabbe 2003, 20). Die Wahrneh-
mung und effektive Nutzung von (digitalen) Lerngelegenheiten bedarf der
Unterstützung seitens der Lehrkraft im Sinne von Scaffolding und eröffnet
neue Aufgabenfelder.
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2 Digitale Lerngelegenheiten: Notwendigkeit ‚neuer‘


Forschungsansätze und Chance für ‚neue‘ Forschungswege
Digitale Medien (Web 2.0) eröffnen neue Räume für individuelles und kolla-
boratives (Fremdsprachen-)Lernen (vgl. Wampfler 2017, 136). Digitale
Werkzeuge werden zu Hilfsmitteln bei dem Erwerb von Kompetenzen (Ein-
satz von Übersetzungsprogrammen, Wörterbüchern etc.), neue Formen der
Kommunikation finden Eingang in den Fremdsprachenunterricht und infor-
melles Fremdsprachenlernen (bei serious games, bei der Nutzung von Tutori-
als etc.) ergänzt das formale (schulische) Lernen. Damit entsteht eine Lehr-
und Lernkultur, die von der passiven Belehrung zur aktiven Aneignung der
Fremdsprache gekennzeichnet ist. Der Aneignungsprozess durch die Lernen-
den – und nicht der Lehrprozess/Vermittlungsprozess – steht im Vorder-
grund, was Lernfähigkeit und selbstständiges Lernen erfordert. Mit der Sinn-
verschiebung der traditionellen Lehrer- und Lernerrollen und des jeweiligen
Rollenverständnisses wird der Schüler zu einem „apprenant-usager“
[qui: HM] peut participer, en situation formelle d’enseignement-
apprentissage, à des interactions sociales qui dépassent celles du cadre institu-
tionnel. L’apprenant peut contribuer à des forums sur lesquels discutent des
internautes dont la préoccupation n’est pas l’apprentissage ou l’enseignement
de la langue. Il peut participer à l’élaboration de sites collaboratifs, etc. L’usage
de la langue n’est plus repoussé à un moment ultérieur, il est possible pendant
la période même de celui-ci (Ollivier 2018, 42).
Dementsprechend sollte die Lehrkraft über erweiterte Kompetenzen verfü-
gen, über „nouveaux savoir-faire : il doit ainsi savoir corriger des travaux en
ligne, répondre à des courriers électroniques ciblés sur des points précis de
langue, savoir manipuler les Environnements Numériques de Travail“ (Baus-
san 2012, 16). Digitalisierung geht mit einer Orientierung am Lerner bzw. an
einer Stärkung der Lernerrolle (als language user) und seiner Sprachlern-
kompetenz sowie einer Infrage-Stellung der traditionellen Rolle der Lehrkraft
einher. „C’est en cela que l’intégration des TIC possède un caractère disruptif
qui oblige les enseignants à adopter – ou pas dans le cas d’un abandon – un
nouveau positionnement“ (Guichon 2012, 90).
Baumgartner und Herber (2013) schlussfolgern, dass
[d]er Einsatz neuer Technologien generell das Unterrichtsgeschehen komple-
xer und damit fehleranfälliger und weniger transparent [macht]. Es treten zu-

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154 Hélène Martinez

sätzliche Komponenten in den [Lehr- und: HM] Lernprozess, die gelernt, be-
herrscht und orchestriert bzw. integriert werden müssen (Baum-
gartner/Herber 2013, 331).
Die Fremdsprachenforschung hat z.B. vereinzelt Vorteile der informellen
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Teilnahme an Webseiten (sites de fanfiction oder écriture de texte en ligne)


empirisch erhoben (vgl. Ollivier 2018). Es fehlt allerdings an Grundlagen-
forschung, die den Umgang mit dem komplex gewordenen Lehr- und Lern-
geschehen erfasst und exploriert. Dieses Defizit ist für den Unterricht roma-
nischer Sprachen besonders deutlich – im Gegensatz zu zahlreichen
Forschungsaktivitäten im Fach Englisch und in englischsprachigen Publikati-
onen.
Im Einzelnen sollten z.B. die digital unterstützten Übungs- und Aufgaben-
formate systematisch erforscht und weiterentwickelt werden. Digitalisierung
besitzt großes Potenzial zu einer sinnvollen Erweiterung des Repertoires an
Übungen und Aufgaben, allerdings scheinen immer noch einfachste drag and
drop-Formate oder Multiple-Choice-Aufgaben mit einer simplen rich-
tig/falsch-Lösung zu dominieren.
Vielmehr soll gerade die gesteigerte Möglichkeit, Feedback zu geben und kol-
laborieren zu können, die Idee also, dass Lernende die Lernprozesse ihrer
Peers verbessern, Ausgangspunkt von Übungssequenzen sein.“ (Wampfler
2017, 45).2
Empirische Untersuchungen und Ansätze zum mediengestützten aufgaben-
orientierten Lernen und Lehren scheinen in dieser Hinsicht vielversprechend
(Becker et al. 2016; Ollivier 2018). Darüber hinaus wäre eine kontinuierliche
Erforschung der Wirkung der Digitalisierung auf die Lehr- und Lernprozesse
und eine Erforschung der Vorstellungen und des Selbstverständnisses von
Lehrkräften (vgl. u.a. Guichon 2012) und Lernern von Nöten.
Damit ist auch die Frage der Entwicklung von Forschungsmethoden
und -wegen angesprochen, mit denen sich die genannte Komplexität erfassen
lässt. Digitale Medien eröffnen z.B. neue Möglichkeiten, Daten über Lernende
und ihr Lernen zu sammeln (Stichwort: Learning Analytics), so dass mit die-
sen Datensätzen wiederum eine Optimierung von digitalen Lehr- und Lern-
prozessen erreicht werden kann (z.B. in der Herstellung adaptiver Lernmate-
rialien) (vgl. Hussherr/Hussherr 2017; Würffel 2018). Zugleich erlaubt
Digitalisierung einen neuen Zugang zur Forschung selbst: Appel à projets
werden über digitale Plattformen verbreitet, Projekte über Videokonferenzen
diskutiert, Softwares erleichtern die Analyse und die Auswertung digitaler
Daten etc. All dies könnte durch das Bilden von Interessengruppen kollabora-
tive Forschungsaktivitäten fördern. Will man digitales Lehren und Lernen

2
Das SAMR-Modell nach Puentedura (2006) kann im Hinblick auf die Gestaltung
von Aufgaben eine gute Hilfestellung sein.

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Ein Framework for Learning Opportunities? 155

fördern, so müssen verstärkt kollaborative Forschungsaktivitäten zwischen


Schule und Universität geplant werden – mit der Erprobung ausgewählter
Projekte und der wissenschaftlichen Begleitung und Reflexion unter Einbezug
aller beteiligten Akteure (Lehrkräfte, Lerner, Forscher).
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3 Herausforderungen in der Lehrerbildung: Lerngelegenheiten für


angehende und praktizierende Lehrkräfte schaffen
In Anlehnung an den GeR ist ein europäischer Referenzrahmen für digitale
Kompetenzen (DigComp) erarbeitet worden, der 2013 in seiner ersten Fas-
sung erschien und 2017 in der Version 2.1 aktualisiert wurde. Er beschreibt
die Kompetenzen eines digital kompetenten Nutzers und soll als Orientie-
rungshilfe für die europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten sowie
ihre Bürger dienen mit dem Ziel, digitale Technologien in der Ausbildung zu
verankern. Für Lehrkräfte wurde eine adaptierte Version des digitalen Kom-
petenzrahmens „DigCompEdu“ bzw. „DigCompLehr“ erstellt. DigCompLehr
zielt darauf ab, Lehrkräften bewusst zu machen, „welche Kompetenzen sie
benötigen, um die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler in eine mög-
lichst erfolgreiche Zukunft als Mitgestalter der Welt von Morgen zu begleiten
und sich selbst beruflich auf der Höhe der Zeit zu bewegen“ (Voessner 2018).
DigCompEdu (Redecker 2017, 16) unterscheidet sechs Kompetenzfelder,
die mit Hilfe von Deskriptoren beschrieben sind:
1) Professional Engagement (Using digital technologies for communica-
tion, collaboration and professional development);
2) Digitale Resources (Sourcing, creating, sharing digital resources);
3) Teaching and Learning (Managing and orchestrating the use of digital
technologies in Teaching and Learning);
4) Assessment (Using digital technologies and strategies to enhance as-
sessment);
5) Empowering Learners (Using digital technologies to enhance inclu-
sion, personalisation and learners’ active engagement);
6) Facilitating Learners’ Digital Competence (Enabling learners to crea-
tively and responsibly use digital technologies for information, com-
munication, content creation, wellbeing and problem-solving).
Zugleich stehen Schulleitungen und Lehrkräfte unter enormen Druck, Digita-
lisierung umzusetzen. Falck (2019) hat die Ansprüche, die an die Lehrkraft
von morgen gestellt sind, pointiert formuliert:
Überspitzt ausgedrückt behält [die Lehrkraft von morgen] den Überblick und
vermag, Hype und Trends von sinnvollen didaktischen Erweiterungen zu un-
terscheiden. Sie erkennt den Mehrwert für Ihre Schüler*innen und weiß, die
Kultur der Digitalität mitsamt einem weit über die Schule hinausreichenden
Leitmedienwechsel im Unterricht abzubilden. Ihr gelingt das, weil sie keine
Einzelkämpfer*in, sondern lokal, regional, national und vielleicht sogar inter-

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156 Hélène Martinez

national vernetzt ist. Zunehmende Innovationsdynamik ängstigt sie nicht. [...]


Die Lehrkraft von morgen absorbiert und produziert eine Menge an Daten
und kann Software zur eigenen Effizienzsteigerung mühelos einsetzen [...]. Sie
ist davon überzeugt, ihren Schüler*innen Zugang zur Bildung des 21. Jahr-
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hunderts ermöglichen zu müssen. Und sie weiß, dass es dabei hauptsächlich


auf sie ankommt und die Technik allein noch keinen besseren Unterricht
macht (Falck 2019, 8).
Aufgabe der Lehrerbildung ist es dementsprechend, die digitale Kompetenz
der angehenden (und praktizierenden) Lehrer/innen zu fördern. Fasst man
digitale Kompetenzen als die Fähigkeit, savoirs, savoir-faire, savoir-être und
nicht zuletzt savoir-apprendre zu mobilisieren, um eine bestimmte Aufgabe
zu lösen, so geht es darum, den Studierenden Lerngelegenheiten anzubieten,
Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen3 in Bezug auf Digitalisierung zu er-
werben (vgl. Martinez 2015b). Dementsprechend sind Lerngelegenheiten zu
entwickeln, in denen Digitalisierung bzw. digitales Fremdsprachenlernen
sowohl theoretisch durchdrungen als auch handelnd erfahrbar gemacht und
jeweils kritisch reflektiert werden (vgl. Königs 2008, 13). Dafür sind alternati-
ve Formen in der Lehre zu implementieren, die auf einer engen Zusammen-
arbeit zwischen ‚universitärer‘ Theorie und schulischer Praxis beruhen und zu
einem aktiven Austausch aller Beteiligten führen. Anzustreben ist m.E. eine
erfahrungsbasierte und reflexive Auseinandersetzung mit mediengestützten
Aufgabenformaten zum Auf- und Ausbau professioneller Medienkompetenz
– sowohl bei den Studierenden als auch bei den beteiligten Lehrkräften.
In Bezug auf Digitalisierung könnten Lehrangebote beispielsweise folgen-
de drei Bestandteile integrieren:
a) Theorie zur Digitalisierung im Französisch- und Spanischunterricht:
Überblick über Potenziale und Grenzen des digitalen Wandels für
den Unterricht romanischer Sprachen, speziell für die Entwicklung
der kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen unter Be-
rücksichtigung der einschlägigen Literatur;
b) Praxisbezogene Phase: Kennenlernen und Testen verschiedener, be-
reits vorhandener digitaler Werkzeuge, digitaler Kommunikations-
formen etc.; Sichtung und kritische Analyse mediendidaktischer
Aufgabenformate im Französisch-/Spanischunterricht;
Konstruktion von ‚eigenen‘ digitalen kompetenzorientierten Lern-
aufgaben (task as workplan);
c) Reflexiv-forschende Phase: Einsatz und Erprobung der von den Stu-
dierenden konstruierten digitalen Lernaufgaben (task in process) so-

3
Ferrari (2012, 3f.) spricht von „[a] set of knowledge, skills, attitudes (thus includ-
ing abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT
and digital media to perform tasks; solve problems; communicate; manage infor-
mation; collaborate; create and share content; and build knowledge […] for work,
leisure, participation, learning, socialising, consuming, and empowerment“.

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Ein Framework for Learning Opportunities? 157

wie Erforschung der Umsetzung der digitalen Aufgaben in den jewei-


ligen Französisch- und Spanischgruppen an Schulen.

Solche didaktischen Projektseminare orientieren sich am Prinzip des for-


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schenden Lernens und Lehrens und beruhen auf der Annahme, dass die Ent-
wicklung der (Selbst-)Reflexion im Sinne von reflective teaching bzw. learning
von grundlegender Bedeutung für die Professionalisierung von (angehenden)
Lehrkräften ist. Sie binden gezielt Elemente der empirischen Forschung sowie
der Handlungsforschung ein.
Am Institut für Romanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen besteht
seit mehreren Jahren die Möglichkeit, eine Veranstaltung dieser Art anzubie-
ten. Insgesamt zeigt die Evaluation der projektorientierten bzw. aufgabenori-
entierten Seminare, dass die Studierenden das mediendidaktische Lehrange-
bot grundsätzlich begrüßen, zum Teil aufgrund einer gewissen Unsicherheit
in Bezug auf die Arbeit mit digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht
und weil ihnen natürlich bewusst ist, dass der routinierte Umgang damit in
der heutigen Zeit unabdingbar ist und somit auch Bestandteil der Lehreraus-
bildung sein sollte. Die Evaluation der Projektseminare macht deutlich, dass
die Verbindung zwischen Theorie und Praxis fruchtbare Ergebnisse fördert
und zu einer differenzierten und reflektierten Einstellung im Umgang mit
digitalen Medien führt. Bei der Umsetzung der jeweiligen Projekte wurde
deutlich, dass die Beschäftigung mit Digitalisierung und der Implementierung
im Französisch- und Spanischunterricht zwar ein komplexes Unterfangen ist,
dass sich der Aufwand aber lohnt.
Die Lehrkräfte – und die Schüler – stehen diesen Experimenten bisher
sehr offen gegenüber und die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Stu-
dierenden hat sich als positiv erwiesen. Eine Vorstellung aller in den Franzö-
sisch- und Spanischklassen durchgeführten Projekte, zu der auch die am Pro-
jekt beteiligten Lehrkräfte eingeladen werden, findet am Ende des jeweiligen
Seminars statt. In diesem Rahmen entstand die Idee, gemeinsam mit den
Studierenden ein Weiterbildungsangebot zu organisieren. So fand in diesem
Jahr ein von den Studierenden durchgeführter Workshop für die am Projekt
beteiligten Lehrkräfte statt. Dieses Veranstaltungsformat wurde gleicherma-
ßen als informativ und praxisorientiert und damit als ausgesprochen nützlich
für alle Beteiligten empfunden. Im Sinne einer systematischen Sozialisierung
neuerer Entwicklungen in Form einer digitalen Plattform und unter Berück-
sichtigung des Potenzials neuer Kommunikationsformen und -wege ist mo-
mentan eine Homepage für eine Archivierung der mediengestützten Aufga-
ben in Arbeit, so dass die erstellten Aufgaben in die Konzeption von
Folgeseminaren integriert und eventuell auch Lehrkräften zur Verfügung
gestellt werden können. Darüber hinaus sind aus dem Workshop didaktische
Tutorials für die Lehrkräfte entstanden.

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158 Hélène Martinez

Szenarien dieser Art können einen kollaborativen Lernraum für angehen-


de und praktizierende Lehrerinnen und Lehrer eröffnen und auch auf einer
solchen Ebene Prozesse gegenseitigen Coachens ermöglichen, vielleicht sogar
gemeinsame Veröffentlichungen als Rekonstruktion und Dokumentation von
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Unterrichtsprojekten. Dies erscheint um so wichtiger als die „communautés


de pratiques“ scheinbar eine entscheidende Rolle in der Implementierung
digitaler Medien spielen:
C’est aussi grace aux collègues, les pionniers qui ont fait le chemin avant moi
et qui ont eu la bonne idée de publier leurs travaux sur internet... Ceux sont
des gens qui dès le départ, dès qu’ils s’y sont mis, ont publié, on fait des
choses, ont partagé. C’est ce qui a fait aussi que j’ai voulu faire pareil. Il ne suf-
fit pas de prendre, il faut rendre aussi (Guichon 2012, 95).

4 Leitbild für digitales Lehren und Lernen: Chance, das Lernen und
Lehren von Fremdsprachen in neuen Dimensionen zu erfassen
Untersuchungen zum Einsatz digitaler Medien legen den Schluss nahe, dass
entscheidende Kriterien die Art und Weise, die didaktische Funktionalität
und die Passung zu der jeweiligen Lernsituation sind.
Ein Leitbild ist zunächst als Korrektiv bzw. Maßnahme zu sehen gegen ei-
ne blinde Euphorie der „Verdigitalisierung“4 des Klassenzimmers und not-
wendig als Plädoyer für einen reflektierten und undogmatischen Umgang mit
digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht. Zum Beispiel, wenn digitale
Medien als Selbstweck definiert werden oder als Ersatz für Lehrkräfte im Sin-
ne einer (digitalen) Lehrmaschine. „Ein vollständiger digitaler Unterricht, in
dem ich im schlimmsten Fall keinen Lehrer mehr brauche, sondern eine
Software – das ist weder realistisch noch wünschenswert“ (Tobien/Wegener
2019).
Ein reflektierter und undogmatischer Umgang mit digitalen Medien geht
mit dem „Primat der Pädagogik“ einher: Der Mehrwert der Digitalisierung im
Fremdsprachenunterricht muss sich an den didaktischen Zielen messen und
nicht an der technischen Umsetzung.
Nicht zuletzt erscheint ein Leitbild notwendig, um nicht nur auf gesell-
schaftliche und bildungspolitische Impulse und Forderungen (KMK 2016;
BMBF 2016) zu reagieren, sondern als didaktische Disziplin bewusst agieren
zu können. Zurzeit entstehen im Zug der aktuellen Medienkonzept-Initiative,
bei der alle Schulen aufgefordert sind, Medienkompetenz-Curricula zu erstel-
len und einzuhalten, erste Curricula. Der Medienkompetenz-Rahmen von
NRW findet z.B. über die Verlage Verbreitung. Bis nationale Standards ent-

4
In Anlehnung an den Begriff „Vercomputerisierung“ (Focus Online, Nr. 36, 2002).
https://www.focus.de/digital/internet/internet-blinde-euphorie_
aid_204369.html (15/04/2019).

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Ein Framework for Learning Opportunities? 159

stehen, ist es eine Frage der Zeit (vgl. KMK 2016). Es ist daher wichtig, dass
sich die Fremdsprachendidaktik als Disziplin über eigene Grundprinzipien
und Handlungsziele (eigentlich über das eigene Selbstverständnis) verständigt
und dass sie Ziele und Wege der Förderung von Digitalisierung im Hinblick
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auf den Erwerb fremder Sprachen differenziert definiert sowie wissenschaft-


lich und empirisch fundiert konzeptualisiert.
Finally, as Erstad (2013, 3) argues, rather than thinking of digital practices as
merely updates and advancements to traditional practices, we can reconceptu-
alize these digital practices as ‘door openers’ (Bruner 1996) to understanding
language learning in new lights (Chik 2018, 89).
Digitalisierung steht für eine komplette Veränderung der Art und Weise, wie
wir in Zukunft Fremdsprachen lernen und lehren werden – und es gilt diesen
Paradigmenwechsel als Chance für eine Rekonzeptualisierung des Lernens
und Lehrens des Französischen und des Spanischen zu sehen – über struktu-
relle und ethische Probleme des digitalen Wandels hinaus.

Zurück in die analoge Welt – Fazit und Ausblick: Annabelle lernt Englisch
als 1. Fremdsprache und Französisch als 2. Fremdsprache in einer deutschen
Schule in Hessen. Sie plant ihre 10. Klasse im Ausland zu verbringen, höchst-
wahrscheinlich in Australien. Auf die Frage, warum denn Australien und
nicht ein französischsprachiges Land, antwortet sie, dass sie im Englischen
flüssiger und sicherer sei, weil sie neben dem Unterricht Filme, Tutorials etc.
im Internet schaue und das Englische so viel präsenter sei. Ihr Fall ist selbst-
verständlich nicht repräsentativ, aber er veranschaulicht, dass digitale Oppor-
tunities außerhalb des Französischunterrichts offensichtlich nicht ausrei-
chend wahrgenommen, vielleicht auch im Unterricht ungenügend
thematisiert werden. Der Beitrag diskutiert daher bewusst digitale Potenziale
und Lerngelegenheiten und skizziert Eckpunkte eines Frameworks for learn-
ing opportunities.

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken

Nicole Marx
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1 Der umgangene digitale Wandel?


Schon seit den 1990er Jahren sind Rufe nach einer vermehrten Einbindung
digitaler Medien, insbesondere der „Neuen Medien“ in den Unterricht von
Fremdsprachen (anhaltend) laut. Der Eindruck, dass sich neue
(Lern-)Möglichkeiten durch neue Technologien eröffnen, bleibt bestehen,
genauso wie der Eindruck, dass Curriculumsentwickler, Didaktiker und
Lehrmaterialiengestalter diese nicht gebührend zeitgemäß wahrnehmen – was
u.a. an der Themenwahl der Frühjahrskonferenz 2019 abgelesen werden
kann. Ein Blick in aktuelle Lehrmaterialien zeigt ein zu differenzierendes Bild.
Zwar scheint es zunächst so, dass digitale Medien die Lehrmittelgestaltung
nachhaltig geprägt haben und einen nicht wegzudenkenden Teil des Fremd-
sprachenunterrichts darstellen. Eine nähere Analyse der betroffenen Übungen
und Aktivitäten deutet allerdings viel eher auf eine Umbenennung alter For-
mate als auf einen Einbezug neuer Möglichkeiten hin.
Im Folgenden soll es v.a. um den Einsatz von Gegenständen im Rahmen
des digitalen Wandels gehen, bevor auf dieser Basis weitere Potenziale für die
Fremdsprachendidaktik aufgegriffen werden. Dabei werden einige exemplari-
sche Bereiche anhand der Fertigkeit Schreiben in aktuellen Lehrwerken für
Deutsch als Fremdsprache diskutiert.

2 Erste Überlegungen zum Einsatz digitaler Medien im FSU


Ein zentrales Versprechen der „neuen Medien“ war es stets, dass sich nicht
nur ein Medium im (Fremdsprachen-)Unterricht ändert, sondern auch, dass
neue Lernumgebungen geschaffen werden. Schon Ende der 1990er Jahre –
also bereits vor zwei Jahrzehnten – haben namentliche Forschende wie
Richard Kern (1995), Steven Thorne (2000) oder Mark Warschauer (u.a.
1996) die Potenziale von Offline- sowie Online-Medien im Fremdsprachen-
unterricht erforscht und erläutert; auch in Deutschland wurden relevante
Fragen aufgegriffen (exemplarisch Rüschhoff/Wolff 1999). Dazu gehörten u.a.
sogenannte microworlds wie A la rencontre de Philippe (ein Projekt, das be-
reits 1985 an der MIT implementiert wurde, also schon vor fast 35 Jahren!),
und weitere Serious Games (vgl. auch EU-DO-IT, das nach ähnlichen Prinzi-
pien wie A la recontre de Philippe fungiert) multimediale hypertext books,
(Lern-)Spiele, berühmt-berüchtigte Übungsmaterialien (am besten unter

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 163

ihrem Spitznamen „drill-and-kill“ bekannt) und auch synchrone wie asyn-


chrone digitale Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mails, Chats und
threaded discourse, die nicht nur das Sprachenlernen unterstützen sollten,
sondern insbesondere Möglichkeiten zum interkulturellen Austausch darbie-
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ten (s.a. Burwitz-Melzer in diesem Band).


Die anfängliche Begeisterung über die Potenziale der digitalen Medien (re-
sümierend u.a. Warschauer/Healey 1998) ist im Laufe der Zeit zwar nicht
abgeflacht – dennoch ist in vielerlei Hinsicht und trotz deutlicher For-
schungs- sowie Praxisinteressen eine stagnierende Kreativität zu verzeichnen
(problematisierend u.a. Grünewald 2016; Rösler 2010; Schmidt 2010). Dies
betrifft nicht zuletzt Produkte von Verlagen, die bislang nur wenige (und
wenig innovative) Möglichkeiten ausgeschöpft haben. So werden digitale
Technologien außerhalb des Klassenzimmers v.a. zum Üben bereits gelernten
Stoffes verwendet. Dies betrifft i.d.R. Online- oder App-Übungen, die zwar
dank verbesserter Animationen etwas schicker aussehen, jedoch in der Kon-
zeption und Ausführung geschlossene Varianten von vor gut 20 Jahren wie
Lückentexte, Matching-Übungen, Mehrfachantwortfragen, Drag-and-Drop-
Übungen etc. fortführen. Trotz ihrer Vorteile (zu denen ohne Zweifel die
zügige und fehlerfreie Korrektur gehört) stoßen sie schnell an Grenzen. So
sind sie nicht nur oft eintönig (wie jeder weiß, der schon selber eine Fremd-
sprache damit geübt hat), sondern sie zeigen methodisch kaum einen Vor-
sprung gegenüber dem, was jede Lehrperson schon in den 1990er Jahren mit
Hilfe des Programms HotPotatoes selber hätte entwickeln können (s.a. Blu-
me/Schmidt 2017; Grünewald 2016, 466) – oder sogar gegenüber traditionel-
len Materialien und Lernumgebungen. Es scheinen sich die Lernprozesse
wirklich weniger verändert zu haben als die Hardware (vgl. Funk in diesem
Band). Und das, obwohl es durchaus empirische Belege für die förderliche
Unterstützung digitaler Medien beim Sprachenlernen gibt (in Deutschland
z.B. Scheller 2009; Schmidt 2007; Wilden 2008).
Etwas interessanter sind die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von
Online- oder elektronischen Lehrwerken ergeben. Aber auch hier zeigt sich in
nicht-systematischen Gesprächen mit in der Praxis tätigen Lehrkräften an
Schulen und Universitäten bzw. Weiterbildungseinrichtungen häufiger Ent-
täuschung. Abgesehen von technischen Pannen (von den Verlagen eingerich-
tete, virtuelle Klassenzimmer sind zeitweilig nicht aufzurufen; ausgeführte
Übungen werden nicht kontrolliert; die Lernprogression der Lernenden wird
nicht an die Lehrkräfte vermittelt etc.) werden solche Lehrwerke i.d.R. so
eingesetzt wie traditionelle Lehrwerke; weiteren, v.a. interaktiven Möglichkei-
ten wird kaum Beachtung geschenkt (s.a. Bär in diesem Band) und Lehrkräfte
im Umfang mit den neuen Formen nicht ausgebildet bzw. begleitet. Auch das
mit dem Lehrwerk verknüpfte Smartboard wird eher wie eine Kombination
aus Folie und Tafelbild benutzt, anstatt die vielen Potenziale auszuschöpfen.

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164 Nicole Marx

Der Eindruck wird nun bestätigt, wenn solche unterrichtlichen Möglich-


keiten im Rahmen von Modellen wie z.B. dem SAMR-Modell (zuletzt Pu-
entedura 2015) analysiert werden. Das Modell ermöglicht eine Kategorisie-
rung des Einsatzes von Technologie in Lernumgebungen und sortiert diese
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auf vier Ebenen nach Verarbeitungs- und Erweiterungspotenzial ein. Diese


reichen von Schritten des „Enhancement“ bis zur „Transformation“. Zu Ers-
terem gehören in der einfachsten Stufe die bloße (S)ubstitution bestehender
Materialien durch digitale Medien ohne erkennbare funktionale Erweiterung
sowie die darüber hinausgreifende (A)ugmentation, bei der die Substitution
eine erkennbare Funktion hat. Eine „Transformation“ wird erst in der dritten
und vierten Stufe ermöglicht, bei der durch die (M)odification der Einsatz
digitaler Medien eine sinnvolle Änderung im Task ermöglicht, oder durch die
(R)edefinition sogar neue, bislang unvorstellbare Tasks entwickelt werden.
Das Modell ist v.a. deswegen von Interesse, weil die steigernde Effektivität
von Materialien von der Substitution bis zur Redefinition nachgewiesen wer-
den konnte: Werden Lernumgebungen mit Begleitstudien nach dem SAMR-
Modell rekategorisiert und -analysiert, zeigt sich, dass substitutiv kategorisier-
te Materialien keinen didaktischen Mehrwert aufwiesen (Effektstärken um d
= 0,03). Dagegen vergrößert sich der Lernerfolg mit jeder neuen Stufe bis hin
zur Redefinition (d = 1,56) (Ibid., 11-12).
Ebenso von Interesse ist, dass schon ein kursorischer Blick auf (vermeint-
lich) digitale Anteile und Verweise in Sprachlehrwerken die Hypothese unter-
stützt, dass in vielen Fällen die gegenüber früheren Ausgaben durchgeführten
Änderungen nicht über eine Substitution hinausgehen.
Schlussfolgernd: Die Möglichkeit, durch den digitalen Wandel neue Lehr-
und Lernpotenziale zu erschaffen, ist zwar seit einigen Jahrzehnten technisch
gegeben – es ist aber noch viel Luft nach oben. So werden digitale Medien auf
eine Art und Weise eingesetzt, die an die alten Tafelbilder und Audios auf
Tonband erinnern. Es scheint sich m.E. in vielen Fällen um eine horizontale
statt vertikale Progression zu handeln – das Medium hat sich ggf. geändert,
der Umgang damit jedoch nicht. Dies soll im Folgenden insbesondere mit
Bezug auf Lerngegenstände im Unterricht Deutsch als Fremdsprache geprüft
werden.

3 Gegenstände im Rahmen des digitalen Wandels: A rose by any


other name
Im Rahmen des digitalen Wandels in der Fremdsprachendidaktik sind (zu-
mindest potenziell) neue (Lern-)Gegenstände entstanden, die u.a. auf Grund
des Wunsches nach Authentizität in der kommunikativen Fremdsprachendi-
daktik einbezogen werden. Diese spielen auch in der digitalen Lebenswirk-
lichkeit der Lernenden eine nicht unwesentliche Rolle. Dabei ist die Frage zu
stellen, ob diese vermeintlich neuen Lerngegenstände erstens überhaupt neue

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 165

Formen repräsentieren (also überhaupt die Stufe der Substitution erreichen),


und zweitens ob sie ein besonderes Lernpotenzial bergen (also mindestens die
Stufe der Augmentation und somit einer erweiterten Funktion erreichen).
Dies soll am Beispiel des Textschreibens und dem Verfassen digitaler Textsor-
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ten näher erläutert werden. Das Schreiben eignet sich in diesem Zusammen-
hang besonders gut, weil es „die selbstständige Produktion von kommunika-
tiv angemessenen und inhaltlich bedeutungsvollen Texten“ (Bachmann/
Becker-Mrotzek 2017, 25-26) erfordert und somit eine echte, geplante,
sprachlich-kommunikative Tätigkeit darstellt, die über den Einsatz vorgefer-
tigter Formulierungen hinausgeht. Dabei werden einzelne, exemplarische
Schreibaufgaben als besonderer Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts
beispielhaft diskutiert.
Der digitale Wandel hat neue schriftliche Textsorten ins Leben gerufen,
die beim Aufkommen des kommunikativen Ansatzes kaum vorhergesehen
werden konnten. Besonders in Bezug auf Social Media sorgen diese Formen
für Aufsehen. Hierzu zählen Formate, die auch im (privaten) Alltag stark
präsent sind, u.a. SMS und weitere Kurznachrichtendienste (WhatsApp,
Twitter etc.) sowie E-Mails, aber auch Blogbeiträge, themenbezogene Text-
sammlungen wie in Wikipedia oder persönliche Vorstellungstexte in Partner-
schaftsbörsen. (Instagram, Pinterest und Co. zähle ich hier nicht zu den neu-
en Textsorten, da sie fast ausschließlich bildbasiert sind und außer der
Verwendung von Hashtags kaum einer sprachlichen Form bedürfen.) Eine
Sichtung von fünf derzeit eingesetzten DaF-Lehrwerken1 für Jugendliche und
Erwachsene zeigt, dass solche Textformen einen nicht unwesentlichen Einzug
in Schreibaufgaben eingenommen haben. Hierbei sind am häufigsten
E-Mails, Foren- und Blogbeiträge und Kurznachrichten zu verzeichnen.
Zunächst zu den E-Mails. Schon in Lehrwerken, die das Niveau A1 zum
Ziel haben, werden E-Mails als Textsorte in Aufgaben präsentiert. Diese Form
steht eindeutig hoch im Kurs. Unter den vielen echten Schreibaufträgen
kommt das „Vorgängermodell“ Brief (bzw. Postkarte) zwar noch vor – nur
seltener. So liegt das Verhältnis der Textsorten Brief bzw. Postkarte zu
E-Mails (bzw. „Chatnachrichten“, sofern diese in der Aufgabenstellung als
diachrone Kommunikationsform präsentiert werden) in den Lehr- und Ar-
beitsbüchern auf den GeRS-A-Niveaus in den Lehrwerken Prima und Schritte
international bei 1:4. Damit ist immer noch keine authentische Verteilung
erreicht, dennoch beachten Lehrwerke ohne Zweifel diese häufigen Kommu-
nikationsformen.
Was sie jedoch offensichtlich wenig beachten, sind die wesentlichen Cha-
rakteristika von E-Mails. Der dialogisch-kommunikative Anlass, die Erwar-

1
Um das Literaturverzeichnis nicht zu überfrachten seien hier nur die Lehrwerkti-
tel kurz genannt: Prima A1, A2; Schritte international, A1, A2; Menschen, A1, A2,
B1; Aspekte neu B1, B2, C1; Sicher!, B1, B2, C1, jeweils Kurs- und Arbeitsbücher.

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166 Nicole Marx

tung einer zeitnahen und angemessenen Rückmeldung, der enge intertextuel-


le Bezug zur Vorläuferkorrespondenz (die oft sogar interlinear geschieht) u.a.
entfallen. In vielen Fällen wird nicht einmal die Medialität dieses Mediums
thematisiert, und E-Mails sollen „ins Heft“ geschrieben werden. Noch weiter
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wird die angestrebte Authentizität geschwächt, wenn Lehrwerke es versäu-


men, Aufgaben zu kontextualisieren. Es fehlt eine erkennbare kommunikative
Funktion; in manchen Fällen wird nicht einmal ein Adressat vorgeschlagen.
So werden mitunter Aufgaben gestellt mit der Aufforderung, nach dem Lesen
kleiner Vorstellungstexte der Kategorie „asynchroner Internet-Chat“, „deinen
Chat-Text“ ohne (auch hypothetischen) Adressaten zu verfassen (vgl. Prima
A1, Band 1, Kursbuch, S. 10). Oder es soll in einer E-Mail ohne benannten
Adressaten ein Fest beschrieben werden (vgl. Schritte international A2.1, Ar-
beitsbuch, S. 82). Die zwei Beispiele deuten an, dass in vielen Fällen die Text-
sorte E-Mail im Fremdsprachenunterricht nicht nur die Textsorte Brief erset-
zen soll, sondern auch die Textsorte Bericht bzw. Aufsatz. Dies wird noch
deutlicher in diversen Beispielen wie: „Schreiben Sie eine E-Mail an eine deut-
sche Bekannte / einen deutschen Bekannten zum Thema: ‚Arbeit und Freizeit
in meinem Land‘“ (Schritte international A2.1, Arbeitsbuch, S. 50). In solchen
Fällen verschwindet der besondere Charakter einer E-Mail vollends, die Ziel-
textsorte ist ein Aufsatz mit der Funktion des Beschreibens.
Ohne (vermeintliche) dialogische Situierung, dennoch ähnlich problema-
tisch, verhält es sich mit monologischen Textsorten wie Blogs oder Forums-
beiträgen. Diese Textsorten erscheinen in Lehrwerken erst ab einem Niveau,
bei dem längere, zusammenhängende Texte zu alltäglichen, dennoch nicht
personenbezogenen Themen verfasst werden, i.d.R. also mit dem Zielniveau
B1. Auch hier handelt es sich um Formate, die erst durch die Verbreitung des
Internets entstanden sind. Und auch hier zeigt sich, dass die eigentlichen
Vorteile solcher Textsorten kaum genutzt werden.
Hierfür soll die Textsorte Blog im Fremdsprachenunterricht beispielhaft
näher erläutert werden. Obwohl diese Textsorte vielen rezeptiv bekannt ist,
macht der Großteil der Internetnutzer kaum selber Gebrauch davon; nach
Statista betreiben zwischen 1,5% und 4% aller Internetnutzer in Deutschland
einen eigenen Blog (Statista o.J.). Ein Blog (Weblog) ist eine „tagebuchartig
geführte, öffentlich zugängliche Webseite, die ständig um Kommentare oder
Notizen zu einem bestimmten Thema ergänzt wird“ (Duden 2015, 1990).
Diese Definition deutet schon auf einige besondere Charakteristika von Blogs
hin. Erstens behandeln sie ein bestimmtes (für den Schreibenden und ver-
meintlich auch den Lesenden interessantes) Thema, und zwar nicht nur sach-
lich, sondern auch oft wertend; zweitens greifen sie unterschiedliche, dennoch
verwandte Themen auf; drittens sind sie flüchtig und dynamisch, werden
darin veröffentlichte Texte von den Schreibenden revidiert, ergänzt, modifi-
ziert oder auch in Teilen oder im Ganzen gestrichen; und viertens ist eine
Interaktion mit Lesenden durch Kommentar- oder Antwortfunktionen gege-

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 167

ben. Damit unterscheiden sich Blogbeiträge wesentlich von bildungsinstituti-


onellen Textsorten wie Aufsätzen.
Als tagebuchartige Textsammlung wären hier erwartungsgemäß Beiträge
zu finden, die mit spezifischem, thematischem Schwerpunkt über mehrere
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Texte hinweg Erfahrungen berichten oder Meinungen zu unterschiedlichen,


für die Lernenden zentralen Themen äußern. Angesichts der schwachen Pas-
sung zwischen E-Mail und Brief überrascht es nicht, dass auch hierfür v.a. das
Vorgängermodell Aufsatz Pate zu stehen scheint. Anstatt tagebuchartiger
oder dynamischer Texte sollen Lernende einmalig Texte zu Themen schrei-
ben, zu denen sie u.U. keinen persönlichen (Interessens-)Bezug haben. Diese
werden nicht weiterverfolgt oder ergänzt, sie werden von anderen nicht
kommentiert, und sie werden nicht veröffentlicht – vermutlich nicht einmal
im eigenen Sprachkurs.
Im Einzelfall nimmt dies kuriose Gestalt an. So soll z.B. in Sicher! C1.2
(Kursbuch, S. 102) im Rahmen eines einseitigen Schreibtrainings ein Blogbei-
trag entstehen. Dabei sollen Informationen aus einem Balkendiagramm rezi-
piert und dann in „mindestens 180 Wörter“ zusammengefasst werden; es
werden auch Schreibmittel wie „Im vorliegenden Schaubild geht es um das
Thema…“ zur Verfügung gestellt. Es geht offenbar ausschließlich um die
Beschreibung und Zusammenfassung eines diskontinuierlichen Textes (grafi-
sche Abbildung einer statistischen Verteilung), die in C1-Prüfungen (und
außerhalb des Fremdsprachenunterrichts auch z.B. in akademischen Hausar-
beiten) gefordert wird. Es ist dennoch keine besonders gute Gelegenheit, Ler-
nende über die Gepflogenheiten von Blogbeiträgen und deren Unterschiede
zu anderen Textsorten aufzuklären.
Neben Blogbeiträgen werden auch Forenbeiträge gerne als Textsorte her-
angezogen. Bei diesen stehen zwei charakteristische Eigenschaften (Intertex-
tualität und Darstellung persönlicher Meinungen zu individuell relevanten
Themen) stark im Vordergrund. In Lehrwerken entfallen aber gerade diese
Funktionen. Ein Beispiel: Es werden Forenbeiträge zu Fernsehsendungen
gefordert, die die Lernenden nie gesehen haben, zu denen sie trotzdem einen
Beitrag leisten sollen in Aufgaben wie: „Sie haben im Fernsehen eine Diskus-
sionssendung zum Thema […] gesehen.“ (z.B. Menschen B1.2, Kursbuch S.
70). Hier werden gerade Potenziale der Dialogizität der authentischen Texts-
orte Forumsbeitrag annulliert, ebenso wird die erwünschte emotionale Teil-
nahme der Schreibenden missachtet.
Somit ist vorerst daraus zu schließen, dass in vielen Fällen die Funktionen
und besonderen Charakteristika von digitalen Textsorten wie E-Mails, Foren-
beiträgen und Blogbeiträgen verkannt werden. Stattdessen werden sie auf
nichtdigitale oder bestenfalls pseudodigitale Formen reduziert, womit ihr
besonderes Potenzial (Dialogizität, Intertextualität, Veränderlichkeit der In-
formationen, emotionale Teilhabe u.a.) entfällt. Im Übrigen: In keinem der

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168 Nicole Marx

untersuchten Lehrwerke sollte ein authentischer Blog gelesen werden oder


wird der Besuch eines Online-Forums angeregt.
Eine letzte und besondere Position nimmt die Textsorte SMS bzw. Kurz-
nachricht ein, die auch in Lehrwerke auf höheren Niveaus langsam Einzug
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hält (u.a. Schritte international A1.2, Arbeitsbuch, S. 137; Aspekte neu B2,
Lehr- und Arbeitsbuch 2, Teil 1, S. 34). Diese Textsorte hat aus unterschiedli-
chen Gründen in den letzten Jahren im Alltag besonders an Bedeutung ge-
wonnen und ist zumindest in Deutschland v.a. bei der Nutzung von Diensten
wie WhatsApp, Telegramm oder Facebook Messenger sehr beliebt (so nutzen
95% aller Jugendlichen zwischen 12-19 Jahren in Deutschland 2018
WhatsApp mehrmals pro Woche, s. Medienpädagogischer Forschungsver-
bund Südwest, o.J.). Hier ist nicht nur eine multimodale Vermittlung von
Inhalten möglich (neben Text und diversen Emojis auch Bild-, Ton- und
Videoaufnahmen), sondern auch eine gleichzeitige Vermittlung von für eine
spezifische Zielgruppe intendierten Mitteilungen als Gruppennachricht. Cha-
rakteristisch hierfür sind eine (tendenzielle, auch dies löst sich derzeit auf)
extreme Kürze sowie ein enger intertextueller Bezug. Auch hier zeigt sich,
dass die Aufgaben und Musterbeispiele wenig an authentische Kommunikati-
onsformen erinnern. So sollen u.U. Anrede und Schlussformel formuliert,
syntaktisch vollständige Sätze verfasst und z.T. ausführliche Argumente ein-
geführt werden. Noch problematischer erscheint im Kontext des Fremdspra-
chenunterrichts das recht diffuse Lernziel. Handelt es sich um das Üben von
spezifischen sprachlichen Handlungen wie Absprachen/Verabredungen und
entsprechendem Wortschatz auf noch sehr niedrigen Sprachniveaus, ist der
wenig authentische Einsatz ggf. noch zu verzeihen. Als Schreibanlass mit dem
Ziel des Kennenlernens neuer Formate bzw. des Ausbaus neuer oder von der
Erstsprache divergierender Textsorten und Textmuster ist sie aber ungeeig-
net. Sie bietet erstens zu wenig sprachliches Material, um eine vertiefte Ausei-
nandersetzung mit sprachlichen Mitteln zu ermöglichen. Zweitens täuscht sie
Lernenden eine Textform vor, die es weder im Deutschen noch (vermutlich)
in der Erstsprache gibt. Das liegt darin begründet, dass Kurznachrichten fak-
tisch nur mit Personen getauscht werden, zu denen wenig (physische sowie
i.d.R. emotionale) Distanz besteht. Schreiben Lernende also Nachrichten
dieser Art, dann handelt es sich um eine Situation, bei der sie im Zielspra-
chenland mit Bekannten (meist Freunden) kommunizieren – und just die
damit verbundenen Spezifika sind am besten in der eigentlichen Situation
von echten Akteuren zu erlernen.
Resümierend werden bei den genannten Textsorten im Fremdsprachen-
unterricht v.a. drei Kritikpunkte evident. Erstens scheinen diese höchstens
traditionellen Formaten zu entsprechen und die vielfältigen Möglichkeiten
genauso wie die spezifischen Charakteristika echter digitaler Medien außer
Acht zu lassen. Damit wird eine Digitalisierung vorgetäuscht, die bestenfalls
an der Sache vorbei unterrichtet, schlimmstenfalls ein falsches Verständnis

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 169

der Charakteristika dieser Formate zur Folge hat. Sie kommen somit nicht
über die erste Ebene der Substitution hinaus. Weiter: Auch diese erste Ebene
wird zweitens in den oben besprochenen Tendenzen und Beispielen nicht
erreicht, denn Lernende werden nicht nur mit keinen neuen Funktionen und
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Formen konfrontiert – sie üben sich auch nicht in den Neuen Medien. Die
digitale Technologie kommt im Großteil der Beispiele nicht einmal zum Ein-
satz, sondern es wird nur so getan, als ob man am Rechner sitzen würde, als
ob man eine Kurznachricht schreiben würde, als ob man sich im Forum in-
formieren und austauschen würde. Und drittens ist die Funktion bestimmter
Textsorten im Fremdsprachenunterricht überhaupt fraglich. Ein Blog, ein
Forumsbeitrag, eine Kurznachricht oder eine E-Mail erfordern eine für Ler-
nende ersichtliche, zumindest potenzielle und zudem öffentliche Interaktivi-
tät, gar Dialogizität, in einer digitalen Umgebung. Und gerade das wird bei
den untersuchten Lehrmaterialien nicht evident.

4 Potenziale des digitalen Wandels


Dass der digitale Wandel Potenziale für den Fremdsprachenunterricht birgt
und Möglichkeiten eröffnet, die im nicht-digitalisierten Fremdsprachenunter-
richt entfallen, steht außer Frage und ist Thema vieler Beiträge im vorliegen-
den Band. Wie dies ermöglicht wird, ohne auf pseudodigitalisierte Optionen
als Substitution für traditionelle Medien zu verharren, ist eine schwierigere
Frage. Hier sehe ich v.a. einen sinnvollen Einsatz und eine Weiterentwicklung
bei solchen sprachlichen Handlungen und Kontexten, die im regulären
Fremdsprachenunterricht nicht behandelt werden können bzw. müssten.
Dies bedürfte gleichzeitig konzeptioneller Änderungen des Fremdspra-
chenunterrichts, indem bestimmte Lernbereiche ausgelagert werden, um
andere im Unterricht intensiver behandeln zu können. Insbesondere Gele-
genheiten zur Festigung neuer struktureller oder lexikalischer Informationen
im Selbststudium sowie Möglichkeiten zum Üben synchroner Kommunikati-
on sind hier denkbar, die aber an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden –
sie sind Thema mehrerer Beiträge in diesem Band.
Digitalisierungspotenziale in Lehrwerken ergeben sich – mit Bezug auf
den Schwerpunkt dieses Beitrags – im Bereich der Textarbeit und insbesonde-
re dem Schreiben. Da der digitale Wandel eine größere thematische Breite
leicht zugänglich macht, müsste nicht nur ein Thema gleichzeitig von allen
Lernenden behandelt werden. Vielmehr können Lernende z.B. über mehrere
Wochen oder Monate hinweg für sie persönlich interessante Themen verfol-
gen und sich an unterschiedlichen Chaträumen oder themenspezifischen
Onlineforen beteiligen, in denen sie sich in authentischen Umgebungen über
Sportmannschaften, Fernsehserien oder Bastelprojekte u.v.a. – je nach per-
sönlichem Interesse – austauschen können. Solche Projekte verleihen dem
Verfassen von Blog- und Forenbeiträgen eine Authentizität und persönliche

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170 Nicole Marx

Bedeutung, die in konstruierten Lehrwerksaufgaben kaum möglich wäre –


und reagieren auf die Hauptkritikpunkte, die pseudodigitale Schreibaufgaben
betreffen.
Es bleibt zu konstatieren, dass der digitale Wandel sinnvolle Möglichkei-
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ten für das Fremdsprachenlernen eröffnen könnte, indem authentische Ver-


wendungsmöglichkeiten von Sprache angeboten werden. Hierfür bedarf es
allerdings i.S. Klafkis einer sorgfältigen Prüfung des „Primats der Didaktik“
(Klafki 1963, 23), d.h. der Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Themen, Medien
und Aufgabenformate, um einen angemessenen, d.h. lern- und motivations-
förderlichen Einsatz digitaler und nichtdigitaler Formen zu ermöglichen.

5 Fazit
Der digitale Wandel birgt nach wie vor viel Potenzial für den Fremdspra-
chenunterricht. Neue Lernumgebungen, neue Gegenstände und neue Medien
führen dazu, dass diverse, auch noch vor wenigen Jahren kaum denkbare
Aktivitäten in den Unterricht gelangen (können). Bei aller Begeisterung gilt
jedoch, dass Lernende genau dies bleiben: Lernende. Sie sollen sich also mit
Inhalten, Formen, Funktionen, Registern usw. auseinandersetzen, die sie
noch nicht (oder noch nicht ausreichend) kennen (Fandrych sowie Funk in
diesem Band). Und sie sollen dies in solchen Situationen erfahren, die mög-
lichst funktional angemessen sind, so dass ein passender Sprachgebrauch
gefördert wird. Dazu gehört, dass digitale Textsorten möglichst auch digital
erstellt und ausgetauscht werden sollen und dass die Nutzung Digitaler Medi-
en i.S. z.B. des SAMR-Modells reflektiert wird. Wie Warschauer und Healey
bereits vor über 20 Jahren formulierten: „the question might become less
‘what is the role of information technology in the language classroom’ and
more ‘what is the role of the language classroom in the infornation [sic] tech-
nology society’” (1998, 11) – und wie sich beide Aspekte gerecht werden.

Literatur
Bachmann, Thomas/Becker-Mrotzek, Michael (2017): „Schreibkompetenz und
Textproduktion modellieren“. In: Becker-Mrotzek, Michael/Grabowski,
Joachim/Steinhoff, Torsten (Hrsg.): Forschungshandbuch empirische Schreib-
didaktik. Münster: Waxmann, 25-53.
Bär, Marcus (in diesem Band): „Fremdsprachenlehren und -lernen in Zeiten des
digitalen Wandels. Chancen und Herausforderungen aus fremdsprachendi-
daktischer Sicht“, 12-23.
Blume, Carolyn/Schmidt, Torben (2017): „One size fits none: Adaptivity in digital
games for language learning“. In: Appel, Joachim/Jeuk, Stefan/Mertens, Jür-
gen (Hrsg.): Sprachen Lehren: 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Fremdsprachenforschung in Ludwigsburg, 30. September 2015 – 3. Oktober
2015: Kongressband. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 53-68.

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Zur Pseudodigitalisierung in Fremdsprachenlehrwerken 171

Burwitz-Melzer, Eva (in diesem Band): „The global village strikes back: Digitaler
Wandel und interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht“, 34-45.
Duden (2015): Duden Deutsches Universalwörterbuch. Berlin: Dudenverlag.
Fandrych, Christian (in diesem Band): „Die Transformation sprachlich-
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kultureller Praktiken: Sprachdidaktische Herausforderungen des digitalen


Wandels“, 58-67.
Funk, Hermann (in diesem Band): „Feindliche Übernahme oder erweiterte didak-
tisch-methodische Szenarien? Fremdsprachenunterricht in Zeiten des digita-
len Wandels“, 68-79.
Grünewald, Andreas (2016): „Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext
des Lernens und Lehrens von Sprachen“. In: Burwitz-Melzer, Eva/Mehlhorn,
Grit/Riemer, Claudia/Bausch, Karl-Richard/Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.):
Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte
Aufl. Tübingen: Francke, 463-466.
Kern, Richard (1995): „Restructuring classroom interaction with networked
computers: Effects on quantity and characteristics of language Production“.
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Klafki, Wolfgang (1963): „Das Problem der Didaktik“. In: Präsidium des Pädago-
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Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (o.J.): JIM-Studie 2018. Ju-
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Puentedura, Ruben (2015): SAMR: A brief introduction. Online: http://hippasus.
com/rrpweblog/archives/2015/10/SAMR_ABriefIntro.pdf (18/04/2019).
Rösler, Dietmar (2010): E-Learning Fremdsprachen – eine kritische Einführung.
Tübingen: Stauffenburg.
Rüschoff, Bernd/Wolff, Dieter (1999): Fremdsprachenlernen in der Wissensgesell-
schaft. Zum Einsatz der neuen Technologien in Schule und Unterricht. Isma-
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Scheller, Julija (2009): Animationen in der Grammatikvermittlung: Multimedialer
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Schmidt, Torben (2007): Gemeinsames Lernen mit Selbstlernsoftware im Englisch-
unterricht: Eine empirische Analyse lernprogrammgestützter Partnerarbeits-
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Third Annual Hawaii International Conference on System Sciences (CD-ROM).
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Warschauer, Mark (Hrsg.) (1996): Proceedings of the National Foreign Language


Center Symposium on Local and Global Electronic Networking in Foreign Lan-
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Warschauer, Mark/Healey, Deborah (1998): „Computers and language learning:
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Digitaler Wandel und Medienkompetenz
Implikationen für die Russischlehrerausbildung
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Grit Mehlhorn

1 Einleitung
Medienkompetenz gilt in der heutigen Welt zunehmender Digitalisierung als
Schlüsselqualifikation der Informationsgesellschaft. Sie ist für einen erfolgrei-
chen Bildungs- und Berufsweg unabdingbar und betrifft auch das Fremdspra-
chenlernen. In Deutschland verständigten sich die Bundesländer im Jahre
2016 auf einen verbindlichen Rahmen „Bildung in der digitalen Welt“ und
verpflichteten sich, dafür Sorge zu tragen, dass alle Schülerinnen und Schüler
(SuS), die zum Schuljahr 2018/2019 in die Grundschule eingeschult werden
oder in die Sek I eintreten, bis zum Ende der Pflichtschulzeit die in diesem
Rahmen formulierten Kompetenzen erreichen können (KMK 2016, 18). Der
Erwerb der postulierten Kompetenzen durch die Lernenden setzt voraus, dass
die Lehrkräfte selbst über die nötigen digitalen Kompetenzen verfügen (Eu-
ropäische Union 2017), was jedoch auch bei der jungen Generation der Leh-
renden nicht ohne Weiteres automatisch vorausgesetzt werden kann. So for-
muliert die „Strategie zur Digitalisierung in der Hochschulbildung“ (SMWK
2018) als Lernziel für Studierende u.a. den „Erwerb von notwendigen Kompe-
tenzen für eine digital geprägte Arbeitswelt“ (ebd., 6).
Neben den fächerübergreifenden Medienkompetenzen, die Lehrpersonen
aller Fächer besitzen sollen, ist es wichtig, insbesondere aus der Fachperspek-
tive zu wissen, wie Medien eingesetzt werden können, damit das Lernen eines
konkreten Unterrichtsfaches unterstützt und gefördert wird (vgl. GFD 2018).
Kenntnisse in Bezug auf die Nutzung moderner Medien im Fremdsprachen-
unterricht gehören zu den fachspezifischen Kompetenzen von Fremdspra-
chenlehrenden (vgl. KMK 2017, 44-46) und sollten daher auch im Fokus der
Russischlehrerausbildung stehen (vgl. Wapenhans 2014, 257).
Medienkompetenz wird in der Regel als ein mehrdimensionales Konstrukt
aufgefasst. Die aktuellen Definitionen (u.v.a. Grünewald 2017) gehen auf
Baacke (1997) zurück, der vier verschiedene Dimensionen von Medienbil-
dung herausstellte: Medienkunde, -nutzung, -gestaltung und -kritik. Für die
Russischlehrerausbildung stellen die Bereiche technische Medienkompetenz,
kritische Medienkompetenz sowie die Mediennutzung für den Russischunter-
richt und die eigene Fortbildung wichtige Schwerpunkte dar. Diese lassen sich

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174 Grit Mehlhorn

in die folgenden Unterkategorien aufschlüsseln (vgl. Drackert/Mehlhorn/


Wapenhans erscheint):

1. Umgang mit Hard- und Software sowie webbasierten Diensten zum Spra-
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chenlernen und -lehren


- Hardware / PC / Handy
- Software (zum Präsentieren, zur Textverarbeitung, zum Lernen)
- Webbasierte Dienste / Anwendungen
2. Kritischer Umgang mit Quellen und Informationen
- Rechtliche Grundlagen
- Prüfen und Bewerten von Quellen und Informationen
- Vergleich von Informationen aus verschiedenen Quellen
3. Nutzung von Medien für die eigene Fortbildung, die Unterrichtsvorberei-
tung und -durchführung
- Finden und Adaptieren geeigneter Lernmaterialien und Ressourcen
- Kennen und Nutzen von Tools für die Unterrichtsvorbereitung / Er-
stellung von Lernmaterialien

2 Fachliche und didaktische Herausforderungen des digitalen


Wandels
Neue Technologien bieten großes Potenzial für den Fremdsprachenunterricht
und das individualisierte Lernen, aber auch technische Herausforderungen
und Motivationsprobleme (vgl. Buchberger/Chardaloupa/Perperidis/Heck-
mann 2013, 6). Insbesondere Lehrkräfte laufen Gefahr, zu sog. digital Immi-
grants zu werden, wenn sie mit dem zunehmenden Tempo der technischen
Veränderungen nicht Schritt halten und nicht mehr in der Lage sind, Lern-
prozesse für die Generation der digital Natives1 zu gestalten.
Im Zusammenhang mit den fachlichen Herausforderungen stehen die Di-
agnosekompetenzen von Lehrenden: Während deutsche SuS in der ICILS-
Studie, in der die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von
Jugendlichen der Jahrgangsstufe 8 gemessen wurden, im internationalen Ver-
gleich eher mittelmäßig abgeschnitten haben (vgl. Bos et al. 2014), zeigt die
Studie „Schule digital“ (Vodafone Stiftung Deutschland 2017), dass Lehrende
die Medienkompetenzen ihrer SuS in signifikanter Weise überschätzen (vgl.
auch Gailberger 2018a, 33), vermutlich auch, weil Medienbildung häufig auf
technische Kompetenzen bzw. den häufigen Umgang mit dem Smartphone

1
Die Metapher der digital Natives bezieht sich auf den technischen Aspekt der
Medienkompetenz, da die junge Generation mit digitalen Medien aufgewachsen
ist und diesbezüglich keine Berührungsängste hat. Im Bereich der kritischen Me-
dienkompetenz haben jedoch sowohl SuS als auch Studierende Lernbedarf.

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Digitaler Wandel und Medienkompetenz 175

verkürzt wird. Hier wäre ein differenzierterer Blick auf verschiedene Qualitä-
ten des Lernens mit digitalen Medien (vgl. das „Lernen 4.0“ bei Zierer 2018)
nötig.
Im Gegensatz zum Englischen spielen die zweiten und dritten Fremdspra-
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chen, darunter auch Russisch, eine geringere Rolle im außerunterrichtlichen


Medienkonsum von Jugendlichen. Riemer (in diesem Band) verweist zu
Recht darauf, dass selbstbestimmtere Formen der Motivation erst dann ent-
stehen, wenn den Lernenden Sprachkenntnisse auch außerhalb des Unter-
richts als wertvoll und für das weitere Leben relevant erscheinen. Russisch-
lehrkräfte sollten digitale Formate für den Unterricht daher vor allem als
Chance begreifen. Eine didaktische Herausforderung besteht darin, Medien
für den Fremdsprachenunterricht sinnvoll auszuwählen und zu verwenden
sowie eine gewisse Ausgewogenheit des Medieneinsatzes zu erreichen. Zierer
(2018) zufolge gilt es, Szenarien entgegenzuwirken, in denen Digitalisierung
Lernen verhindert, und sich auf Potenziale des digitalen Wandels für das
Fremdsprachenlernen zu konzentrieren.

3 Potenziale des digitalen Lehrens und Lernens für den


Russischunterricht
Auch wenn die Digitalisierung unsere Lebenswelt verändert und Kinder und
Jugendliche heute teilweise anders und Anderes lernen als noch ihre Eltern
und Großeltern, ist fraglich, ob damit eine Revolutionierung des Fremdspra-
chenlernens einhergeht. Zwar ist es heute leichter als jemals zuvor, aktuelle,
authentische und interessante Lernmaterialien für den Unterricht einzuset-
zen, aber die SuS sind aufgrund ihres regelmäßigen Medienkonsums auch
anspruchsvoll: Die Verwendung einer Filmsequenz oder des Handys im Un-
terricht ist keine Garantie dafür, dass die Lernenden die gestellten Aufgaben
aufmerksam und motiviert bearbeiten. Das Vorhandensein von Vokabel-
Apps entbindet nicht vom Lernen, und Online-Übungen sind nicht per se
besser als solche aus dem gedruckten Lehrwerk. Grundlegende Lehr- und
Lernprinzipien bleiben bestehen. Vielmehr geht es darum, die bereits existie-
renden Grundsätze auf die Realität des digitalen Wandels anzuwenden. Dabei
kann sich eine Art Leitbild für das digitale Lehren und Lernen als durchaus
nützlich erweisen. Zierer (2018) macht mit seinem Motto „Pädagogik vor
Technik“ deutlich, dass der erste Schritt bei der Unterrichtsplanung nach wie
vor die Frage nach dem Lernziel sein sollte, dem alle weiteren Planungsschrit-
te nachgeordnet werden müssen. Auch Medieneinsatz muss gut begründet
erfolgen. Was im Bereich der Digitalisierung entwickelt wird, sollte an beste-
hende fremdsprachendidaktische Konzepte anschlussfähig sein, denn nur so
lassen sich zielorientierte didaktische Unterrichtsvorschläge unterbreiten.
Potenziale für digitale Medien im Russischunterricht und die Unterrichtsvor-
bereitung sehe ich z.B. in

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176 Grit Mehlhorn

- Lernvideos zur Veranschaulichung grammatischer Phänomene (vgl.


Hirschfelder 2018) oder für die Vorbereitungsphase des sog. Flipped
Classroom (vgl. Buchner 2019),
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- der Nutzung von Online-Nachschlagewerken bei grammatischen


Zweifelsfällen, der Wortakzentposition im Russischen oder der Aus-
sprache von Vokabeln,
- der Erkundung des Fügungspotenzials oder des Gebrauchs eines
Suchworts in Online-Korpora für die Verbesserung der eigenen
Sprachproduktion (vgl. Guhl 2018),
- visible speech zur Bewusstmachung der zielsprachigen Artikulation und
Interaktion (vgl. Hardison 2004; Mehlhorn/Trouvain 2007),
- Lernsoftwares als Unterstützung binnendifferenzierten Rechtschreib-
unterrichts für Herkunftssprecher (vgl. Fay 2018),
- authentischen Lernmaterialien wie Webvideos zum Training des Hör-
sehverstehens und als Sprechanlass (vgl. Gnädig/Pohlmann 2018),
- russischen semi-narrativen Musikvideos, Sitcoms und Serien für die
Vermittlung interkultureller Kompetenz (vgl. Caspers 2018),
- der Nutzung von Online-Formaten für Sprachenportfolios und Leseta-
gebücher (vgl. Haferlandt 2018),
- digitalen Unterrichtsmanagern zu aktuellen Lehrwerken,
- authentischer Landeskunde, wenn mit Street View, Webcam und 360
Grad-Bildern das weit entfernte Russland ins Klassenzimmer geholt
werden kann (vgl. Kolodzy 2018),
- Podcasts zum Üben des Hörverstehens mit Originaltexten,
- erweiterten Möglichkeiten des literarischen Lesens und literarischen
Hörens (vgl. Gailberger 2018b),
- der Aufnahme eigener russischsprachiger Textproduktionen der SuS
über die Diktierfunktion des Handys,
- der Recherche, Informationsbeschaffung und -verarbeitung mithilfe
russischer Internetseiten im Rahmen von Projektarbeit,
- der Nutzung von Software (z.B. Publisher, Audacity, Moviemaker) für
die Erstellung und Bearbeitung von Produkten in der Zielsprache,
- der medienvermittelten Kommunikation und virtuellen Begegnungen
mit Muttersprachlern, z.B. Teletandem (vgl. Akiyama/Cunningham
2018).

Digitale Formate eignen sich insbesondere dann, wenn die SuS unter hoher
kognitiver und sozialer Vernetzung arbeiten, wenn die Bearbeitung einer
Aufgabe mehrere Personen involviert und deren Ideen und Gedanken aufge-
griffen werden (vgl. Zierer 2018, 37).

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Digitaler Wandel und Medienkompetenz 177

4 Konzeptionelle Änderungen in der Fremdsprachendidaktik


Das Modell des Inverted Classroom stellt ein vergleichsweise neues Konzept
dar, bei dem die SuS sich auf den Unterricht mithilfe von – zumeist online –
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zur Verfügung gestellten Lernmaterialien vorbereiten, woraufhin in der Prä-


senzphase das Gelernte mit Unterstützung der Lehrperson geübt und vertieft
wird (vgl. Buchner 2019). Von diesem „umgedrehten Unterricht“ verspricht
man sich eine Aufwertung der Präsenzzeit, mehr Zeit für Interaktion in Part-
ner- und Gruppenarbeit und eine Erhöhung der Sprechanteile der SuS im
Fremdsprachenunterricht. Die Innovation wird v.a. in der Digitalisierung der
Vorbereitungsphase, bspw. durch die Bereitstellung selbst gedrehter Erklärvi-
deos und LearningApps, sowie der Verzahnung beider Phasen gesehen. Die
Lernenden können sich so in ihrem eigenen Tempo die Inhalte erschließen.
Von den Lehrkräften verlangt das Modell umfassende Medienkompetenzen
(z.B. für die Videoproduktion und die Erstellung von Online-Übungen) und
eine langfristige Unterrichtsplanung, von den SuS eine gewisse Lernerauto-
nomie und die Bereitschaft, sich gewissenhaft auf den Unterricht vorzuberei-
ten.
Der digitale Wandel bringt Änderungen von Textsorten mit sich, die für
die Lebenswelt der SuS und somit auch für den FSU relevant sind. So stellt
das Verfassen von Blogeinträgen oder das Zusammenfassen eines deutschen
Textes in Form eines Blogeintrags in der Zielsprache (Sprachmittlung) bereits
seit geraumer Zeit ein beliebtes Format in schriftlichen Abiturprüfungsaufga-
ben dar. Dabei gilt es, an die Erfahrungen der Lernenden anzuknüpfen, in-
dem bspw. literarische Blogs analysiert, individuelle Bewertungen von Audio-
büchern oder Lektüreempfehlungen vorgenommen werden. Koebe und von
Brand (2018) zeigen exemplarisch auf, wie das Verfassen von Blogtexten
durch individuelles, kommunikatives, kooperatives oder subsidiäres Arbeiten
auf motivierende und differenzierte Weise gestaltet werden kann. Aus Sicht
der zweiten und dritten Fremdsprachen scheint mir v.a. die Nutzung von
Blogs zur Leseförderung, die regelmäßige Überprüfung der Formulierungssi-
cherheit und die Stärkung der Schreibkompetenz relevant. So kann gemein-
sam ein Lesetagebuch als Mittel zur Dokumentation gelesener Bücher und
zur Reflexion des Gelesenen erstellt werden; dabei sollte auf vorherige Posts
eingegangen werden, es können Fragen an den Autor oder generell Fragen
mit der Bitte um Reaktion gestellt werden.
Die Kommunikation im Internet verlangt nach Einhaltung einer gewissen
Netiquette, die insbesondere in der Fremdsprache explizit vermittelt werden
muss. Dazu gehört aus meiner Sicht auch die Bewusstmachung konzeptionel-
ler Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit von digitalen Texten. Im schulischen Rus-
sischunterricht ist das insbesondere für russischsprachige SuS (Herkunfts-
sprecher/innen) relevant, für die WhatsApp-Nachrichten meist die einzige
genutzte Textsorte sowie Lese- und Schreiberfahrung im Russischen darstel-

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178 Grit Mehlhorn

len, was häufig dazu führt, dass das dort verwendete Register auch auf Text-
sorten übertragen wird, in denen eher Bildungssprache erwartet wird. Der
massive Wandel in der Sprachverwendung und die Veränderungen von
Sprachnormen durch den Einfluss der digitalen Medien betreffen jedoch den
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Input von Fremdsprachenlernenden generell und müssten auch bei der Be-
wertung von Lernertexten berücksichtigt werden. Fachdidaktische Überle-
gungen hierzu stehen noch ganz am Anfang und sollten viel stärker diskutiert
werden (vgl. dazu auch Fandrych in diesem Band).
Medienkompetenz muss auch in fachdidaktischen Veranstaltungen ver-
mittelt werden, denn für eine Erziehung der SuS zu kundigen und mündigen
Bürgern ist ein sicherer und reflektierter Umgang mit digitalen Medien durch
die Lehrkräfte Voraussetzung. Angehende Lehrende sollten in der Lage sein,
sowohl das Potenzial als auch die Grenzen von fertigen Online-Materialien,
Lernspielen und Webtools wie LearningApps, Kahoot® und Flashcard Maker®
(vgl. Busch 2018; Strasser 2018) für den Fremdsprachenunterricht einschät-
zen zu können.
Die Ergebnisse maschineller Übersetzung durch Online-Dienste wie
Google-Übersetzer und DeepL wurden in jüngster Zeit stark verbessert, sind
jedoch für die morphologisch komplexen slawischen Sprachen längst noch
nicht so weit ausgereift wie bspw. das Englische. Die bisher stark begrenzten
Möglichkeiten, mithilfe künstlicher Intelligenz Informationen z.B. zum Ge-
nus aus Ausgangstexten zu entnehmen, führen bei der Online-Übersetzung
regelmäßig zu gravierenden Fehlern etwa bei der pronominalen Aufnahme
zuvor eingeführter Referenten. Die Fehlerkorrektur automatisch ins Russi-
sche übersetzter Texte wird auch auf absehbare Zeit von Menschen vorge-
nommen werden müssen. Eine kritische Auseinandersetzung mit maschinel-
len Übersetzungsprodukten in der Lehrerausbildung kann Sprachbewusstheit
anbahnen und dazu beitragen, Grenzen von Online-Diensten zu erkennen
und ihre Potenziale reflektierter zu nutzen. Das erfordert jedoch ein Umden-
ken auch in Bezug auf die zu erreichenden Lernziele für den schulischen
Fremdsprachenunterricht: SuS sollten in die Lage versetzt werden, Online-
Wörterbücher, Korpora und auch Übersetzungsdienste strategisch sinnvoll
für ihre Sprachproduktion zu nutzen, in Zweifelsfällen alternative Nachschla-
gewerke zu Rate ziehen, verschiedene Übersetzungsvorschläge kritisch ver-
gleichen und einschätzen lernen, welchen Quellen sie eher vertrauen können.
Das müsste auch dringend mit einer Veränderung der bisherigen standardi-
sierten, analogen Prüfungskultur einhergehen, insbesondere bei den Forma-
ten der schriftlichen Sprachmittlung, die weit von der außerschulischen Pa-
rallelwelt der Lernenden entfernt ist (vgl. auch das kritische Hinterfragen der
Authentizität digitaler Aufgabenformate in Lehrwerken bei Marx in diesem
Band).

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Digitaler Wandel und Medienkompetenz 179

5 Forschungszugänge
Konzeptionelle Änderungen in der Fremdsprachendidaktik erfordern pas-
sende Forschungszugänge. Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten
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von Jugendlichen wie die JIM-Studie geben Hinweise darauf, wie man durch
die Digitalisierung des Unterrichts an die Lebenswelt von SuS anknüpfen
kann. Experimente wie die von Mueller und Oppenheimer (2014) „The pen is
mightier than the keyboard“ verdeutlichen, in welchen Bereichen des Lern-
prozesses eine unreflektierte Mediennutzung sich als kontraproduktiv er-
weist. Im Bereich der adaptiven Technologien lohnt sich Forschung zu Mög-
lichkeiten der Binnendifferenzierung und Individualisierung beim
Fremdsprachenlernen (vgl. Würffel 2017, 134-136).2 Entwicklungsforschung
ist dringend geboten, auch um digitale Angebote in Lehrwerken zu verbessern
(vgl. Schmidt in diesem Band). Hilfreich wäre eine Art Typologie der digita-
len Ressourcen mit begründeten Einschätzungen, was welche Arten von Me-
dien und digitalen Werkzeugen für den Fremdsprachenunterricht leisten
können und wie sinnvolle Lernszenarien mit digitalen Medien gestaltet wer-
den sollten. Aber auch Bestandsaufnahmen zu den Medienkompetenzen und
Einstellungen (angehender) Lehrender zur Digitalisierung im Unterricht sind
erforderlich. Die Studie „Schule digital“ (Vodafone Stiftung 2017) zeigt eine
distanzierte Haltung von Lehrenden zu digitalen Medien im Unterricht, die
offensichtlich auch mit Unsicherheiten bzgl. der Medienkompetenzen der
Lehrpersonen zu tun hat (vgl. Gailberger 2018a, 26).
Drackert et al. (erscheint) haben im Sommersemester 2018 (jeweils zu Se-
mesterbeginn und Semesterende) in einer Online-Fragebogenstudie Studie-
rende des Lehramts Russisch an drei Ausbildungsstandorten (Berlin, Bo-
chum, Leipzig) zu ihren Medienkompetenzen befragt. Ziel der Studie war eine
Bestandsaufnahme der Medienkompetenzen angehender Russischlehrender,
um eine evidenzbasierte Entscheidung darüber zu ermöglichen, welche Kom-
petenzen in den Vordergrund der Ausbildung gerückt werden sollen. Außer-
dem sollte untersucht werden, was in unterschiedlichen Ausbildungskontex-
ten im Laufe eines Semesters an Zuwachs im Bereich der
Medienkompetenzen erreicht werden kann. Insgesamt waren v.a. bei der
kritischen Medienkompetenz Zuwächse zu verzeichnen. Ihre Fähigkeit zur
Einschätzung von Texten und Materialien sowie der Authentizität von Quel-
len konnten die Studierenden während des Semesters ausbauen. Lernbedarf

2
Abgesehen von forschungsethischen Fragen halte ich es jedoch in Bezug auf die
Lernerautonomie für bedenklich, wenn selbstlernende Systeme die Selbststeue-
rung von Lernenden einschränken, indem sie die Lernziele oder die nächste zu er-
reichende Stufe vorgeben und gleichzeitig alternative Lernwege und -ziele aus-
schließen. Inwieweit und unter welchen Bedingungen man mit adaptiven
Technologien tatsächlich selbstgesteuert lernen kann, wäre ein weiteres interes-
santes Forschungsfeld.

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180 Grit Mehlhorn

sehen die angehenden Russischlehrenden bei sich insbesondere bzgl. der


rechtlichen Grundlagen und des Prüfens von Quellen und Informationen. Im
Großen und Ganzen zeigen die Ergebnisse eine aufgeschlossene Grundhal-
tung der Lehramtsstudierenden gegenüber Neuem im Bereich Medienkompe-
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tenz. Einige Studierende sind jedoch davon überzeugt, dass bestimmte Berei-
che der Medienkompetenz für den schulischen Russischunterricht irrelevant
sind.
Im Sinne der kritischen Medienkompetenz ist es notwendig, dass Fremd-
sprachenlehrende Kommentare anderer Internetnutzer auf diversen Platt-
formen und in sozialen Medien bezüglich ihrer Relevanz, Aussagekraft und
ihres Wahrheitsgehalts einschätzen können. Wenn die SuS sich im russischen
Internet bewegen, sollten sie wissen, welche Quellen als vertrauenswürdig
gelten, wie sie Werbung umgehen können, welche Online-Wörterbücher
besser als andere geeignet sind, und die Russischlehrkraft sollte ihnen dieses
Wissen vermitteln können.
Die erwähnte Befragung zu den Medienkompetenzen (Drackert et al. er-
scheint) könnte longitudinal über einen längeren Studienabschnitt sowie auf
weitere Fremdsprachen bzw. Lehramtsfächer ausgeweitet werden. Gerade in
Bezug auf Digitalisierung bieten sich gemeinsame hochschulübergreifende
Projekte in der Lehrerausbildung an. So konnten die Befragten der drei Aus-
bildungsstandorte der o.g. Studie im Folgesemester gemeinsam an einem
Webinar zu „interaktiven Helfern“ im Russischunterricht teilnehmen. Die
Liste der Studierenden in Bezug auf wünschenswerte Medienkompetenzen
kann ein Ausgangspunkt für die systematische Medienkompetenzvermittlung
in der Russischlehrerausbildung sein. Beispielsweise haben die Leipziger Stu-
dierenden des Moduls „Didaktik der slawischen Sprachen 3“ im Sinne der
alternativen Methode Lernen durch Lehren (LdL) im Laufe des Wintersemes-
ters 2018/19 jeweils eine kleine Mini-Präsentation von 3-5 min übernommen,
in der sie ihren Kommilitonen eine Medienteilkompetenz vorgestellt und
vermittelt haben, die sie sich selbst vor kurzem angeeignet haben, bspw. die
Ergänzung eines Wikipedia-Eintrags mit Bezug zur russischen Sprache, die
Erstellung eines Lexikoneintrags einer bisher noch fehlenden Vokabel in ei-
nem Online-Wörterbuch, das Hinzufügen von Untertiteln zu einem russi-
schen Trickfilm, die Erstellung eines Lernvideos für den Russischunterricht
u.v.m. Im Rahmen des Seminars wurden Online-Übungen auf der Plattform
https://learningapps.org analysiert und die Studierenden erstellten selbst eine
solche Übung mit einem konkreten Lernziel für den Russischunterricht.
Schließlich wurden die Dozentinnen durch die Ergebnisse der Erhebung stär-
ker für die Lernbedürfnisse ihrer Studierenden im Bereich Medienkompetenz
sensibilisiert. Ein einziges Seminar allein kann diese Querschnittsaufgabe für
die Lehrerausbildung jedoch nicht bewältigen; Medienkompetenzen sollten in
allen Veranstaltungen der Russischdidaktik und der Fachwissenschaften mit-
gedacht und weiterentwickelt werden.

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Digitaler Wandel und Medienkompetenz 181

Für die begleitende Erforschung des lernförderlichen Einsatzes digitaler


Medien im FSU und die Erprobung neuer Konzepte in konkreten Unter-
richtskontexten ist Aktionsforschung von praktizierenden oder auch ange-
henden Lehrenden ein guter Ansatz (vgl. Altrichter et al. 2018). Neuere Akti-
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onsforschungsprojekte mit Bezug zum Russischunterricht beschäftigen sich


z.B. mit Blended Learning-Szenarios im Rahmen der binnendifferenzierenden
Sprachpraxisausbildung von Lehramtsstudierenden (Mehlhorn/Waschik
2015) und der Anwendung des Inverted Classroom-Modells im schulischen
Russischunterricht (Hirschfelder 2018).

6 Prioritäten in den Aufgabenfeldern der Digitalisierung


Die mangelnde Medienintegration, die deutschen Schulen momentan be-
scheinigt wird, deutet darauf hin, dass die technischen Potenziale, die didakti-
schen, curricularen und gesellschaftlich-bildungspolitischen Ansprüche sowie
die tatsächlich in den fremdsprachlichen Lehr-/Lernkontexten und der Lehr-
erbildung vorhandenen Möglichkeiten der Digitalisierung auch in absehbarer
Zukunft auseinanderklaffen werden. Schulen und Hochschulen sollten jedoch
auf moderner technischer Ausstattung bestehen, diese bei Verfügbarkeit auch
nutzen sowie die Vor- und Nachteile von BYOD (Bring your own device)
berücksichtigen (vgl. Gailberger 2018a, 54f.).
Neben der Bereitstellung lernförderlicher Infrastrukturen für die Informa-
tionstechnik besteht meines Erachtens derzeit die wichtigste Aufgabe darin,
(angehende) Lehrende in medientechnischer und mediendidaktischer Hin-
sicht zu professionalisieren. Professionalisierung in der Lehrerbildung ist ein
nie abgeschlossener Prozess und in der digitalisierten, sich ständig verän-
dernden Welt wichtiger denn je. Voraussetzung dafür ist die volitionale Be-
reitschaft, sich auch wirklich mit digitalen Medien auseinandersetzen zu wol-
len. Eine offene, aber gleichzeitig medienkritische Haltung gegenüber
Digitalisierung im Unterricht muss bereits bei Lehramtsstudierenden ange-
bahnt werden. In einem zweiten Schritt und darauf aufbauend sollten die SuS
– fächerübergreifend und fächerspezifisch – digital kompetent gemacht wer-
den.

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Digitaler Wandel und Medienkompetenz 183

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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im
digitalen Wandel
Von der Realität über die Dystopie zur Utopie (nicht nur) im
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Bereich Deutsch als Fremdsprache

Claudia Riemer

Vorbemerkung
Mein Beitrag reflektiert und antizipiert die Bedeutung des digitalen Wandels
für unsere wissenschaftliche Disziplin – auf der Basis vorwissenschaftlicher
Behauptung, Spekulation sowie erfahrungsbasierter Episoden und Beobach-
tungen in einer Arbeits- und Kommunikationswelt, in der durch Digitalisie-
rung sämtliche Lebensbereiche einem grundsätzlichen Wandel zu unterliegen
scheinen. Dies hat mich zur Frage verleitet, wer in 20 (?) Jahren noch Fremd-
sprachen lernen wird. Ist (schulisches) Fremdsprachenlernen dann noch so
verbreitet wie heute oder durch Technologie breit ersetzt und/oder nur mehr
auf spezifische Privatinteressen, hochspezialisierte Berufe oder vereinzelte
Domänen (z.B. in Kultur und Wissenschaft) beschränkt? Das, was ich für die
Zukunft des Fremdsprachenlernens und des Fremdsprachengebrauchs anti-
zipiere, lässt sich derzeit (noch?) nicht bzw. erst in frühen Ansätzen beobach-
ten (und daher nicht erforschen), weder in der durch rasanten technologi-
schen Fortschritt gekennzeichneten Welt der Kommunikation und
Datenanalyse noch im real existierenden Fremdsprachenunterricht.
Als wir uns in der mit kostbaren analogen Artefakten ausgestatteten ehr-
würdigen Bibliothek des Schlosses Rauischholzhausen im Februar 2018 auf
das Thema der Frühjahrskonferenz 2019 einigten, skizzierte ich in Gedanken
bereits diesen Beitrag, der von der schönen neuen Welt der Möglichkeiten
eines durch digitale Hilfsmittel angereicherten lernerorientierten und diversi-
tätssensiblen Fremdsprachenunterrichts und von einer Welt des Fremdspra-
chenlernens handeln sollte, in der die Kinderkrankheiten und unbeabsichtig-
ten Nebenwirkungen von frühem CALL und Nachfolgetechnologien
zunehmend überwunden werden. Ein Beitrag sollte es werden, der von einem
Fremdsprachenlernen handelt, das die engen Grenzen von durch Klassen-
zimmer und Lehrwerke zur Verfügung gestellten Lernräumen sowie Lern-
und Kommunikationsangeboten endgültig verlässt und die Lebenswirklich-
keit, Interessen sowie Ambitionen von L2-Lerner*innen angemessener be-
rücksichtigt, als dies heute in der Regel geschieht und/oder möglich ist. Das
ganze Jahr hinweg sammelte ich immer wieder Beiträge von Kolleg*innen, die

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186 Claudia Riemer

sich in diesem Feld viel besser auskennen und z.T. äußerst kreative und inno-
vative Vorschläge zur Nutzung digitaler Werkzeuge, Plattformen, sozialer
Netzwerke und multimodaler Texte zum Fremdsprachenlernen und zur Ver-
besserung der Fremdsprachenvermittlung machen und die auch digitale Gen-
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res und Kommunikationspraktiken in sozialen Netzwerken zu neuen Lernge-


genständen erklären. Und ich hielt auch Ausschau nach entsprechenden
Untersuchungen, die das Lernpotenzial entsprechend angereicherter Lernar-
rangements auf den Prüfstand stellen (vgl. exemplarisch die Beiträge in Cha-
pelle/Sauro 2017; Farr/Murray 2016; Reinhardt 2019 und Schmidt/Würffel
2018).
Dann aber hatte ich ein Schlüsselerlebnis mit Nachwirkungen, das es mir
nicht mehr möglich machte, diesen Beitrag wie geplant zu schreiben: Ich las
im Mai 2018 im Magazin Spiegel einen Beitrag über DeepL, ein deutsches
Start-up, das angeblich die Sprachübersetzung (für inzwischen neun Spra-
chen; Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch,
Niederländisch, Polnisch, Russisch) revolutioniert. Ich konnte nicht glauben,
was ich las, und voller Neugier, die mit einer guten Dosis menschlicher Arro-
ganz einer in geisteswissenschaftlicher Argumentation geschulten Fremd-
sprachenwissenschaftlerin gegenüber künstlicher Intelligenz gepaart war,
erprobte ich auf https://www.deepl.com/translator [letzter Zugriff
09/04/2019] die kostenlose Möglichkeit, ein paar Seiten eines Fachartikels,
den ich gerade geschrieben hatte, maschinell ins Englische übersetzen zu
lassen – und war vom Ergebnis schockiert. Meine durch Lektüre der interna-
tionalen Zweitsprachenerwerbsforschung einigermaßen geschulte rezeptive
Englischkompetenz fand das Ergebnis erstaunlich gut (Erstsprachler*innen
und near-native speaker des Englischen mögen hier zu anderen Einschätzun-
gen gelangen). Und als ich von einem anderen PC aus die Rückübersetzung
ins Deutsche vornehmen ließ, fand ich im Ergebnis meinen Ausgangstext
relativ unentstellt wieder, und zum Teil sogar klarer. Ein mir nahestehender
Kollege wiederholte den Test mit einem eigenen Artikel und bestätigte das
Ergebnis, wenngleich er z.B. für den Wissenschaftsbereich der Landeskunde
insbesondere terminologischen Optimierungsbedarf erkannte, dies aber als
langfristig überwindbares Problem der Datenbasis des Systems einschätzte.
Mittlerweile scheue ich mich nicht mehr, DeepL zu nutzen, wenn es z.B. da-
rum geht, schnell eine englischsprachige Mail zu versenden und ich mal wie-
der unsicher z.B. bzgl. der Präpositionen oder der Wortwahl bin. Noch wirkt
vorhandene Fremdsprachenkompetenz bei mir als Filter; ich würde es nicht
wagen, DeepL für Übersetzungen in Fremdsprachen zu nutzen, die in meinem
Sprachenrepertoire nicht vorkommen. Eines ist sicher: Die Entwicklung der
maschinellen Übersetzung wird weitergehen, vorangetrieben auch durch die
Konkurrenz der Anbieter (vgl. etwa den Google-Übersetzer mit seinem sehr
umfangreichen, auch kleinere Sprachen umfassenden Sprachenangebot).

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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 187

Parallel kam mir die (wie ich ursprünglich fand) etwas unverschämte Aus-
sage eines mir gut bekannten Kollegen aus der Professorenschaft der Infor-
matik in den Sinn, der schon vor einigen Jahren die lapidare Bemerkung hatte
fallen lassen, die Spracherkennung sei erst dann richtig in Schwung gekom-
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men, als sie (die Informatiker) aufgehört hätten, auf die Sprachwissenschaftler
zu hören. Ohne zu wissen, wie es die Informatik genau geschafft hat und wie
die Algorithmen funktionieren: Heutzutage sind wir schon recht gut daran
gewöhnt, dass Spracherkennung gesprochene Sprache verarbeiten und z.B.
verschriftlichen kann. Ich kenne User, die E-Mails nicht mehr schreiben,
sondern ihre Texte einsprechen und den Rest durch die Spracherkennung
ihrer Smartphones oder Tablets erledigen lassen. Und Smartphone-Apps, wie
etwa der Google-Übersetzer, die Spracherkennung mit Live-Übersetzung ver-
binden und in interkulturellen Face-to-Face-Begegnungen eingesetzt werden
können (WLAN-Zugriff vorausgesetzt), sind in unterschiedlicher Qualität
bereits verfügbar.
Ich gehöre einer Generation an, die, noch komplett analog sozialisiert,
nach und nach die technologischen Errungenschaften zur Erleichterung und
Beschleunigung schriftlicher Arbeit und Kommunikation begrüßte (und heu-
te über manche Nebenwirkung jammert). Mit dem Netz verbundene Note-
books, Tablets, digitale Stifte, in Clouds abgelegte Daten und Textmassen sind
aus unserem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Die digitale Medien-
kompetenz ist dabei eine fortwährend weiterzuentwickelnde Schlüsselkompe-
tenz geworden. So kann ich mittlerweile meine Arbeitsprozesse nahezu per-
fekt digital abbilden (wenngleich die Existenz von schnellem Internet,
ausgebauten WLAN-Netzen und Elektrizität unverzichtbar ist – woran DaF-
ler*innen während ihrer Dienstreisen manchmal unliebsam erinnert werden).
Wer sich wie ich noch daran erinnern kann, wie mühselig das Schreiben und
Korrigieren auf mechanischen Schreibmaschinen war, wie aufwendig das
Anfertigen von Matrizen für Unterrichtsmaterial war, wie viele Stunden wir
mit dem Recherchieren, Lesen und Kopieren von Fachartikeln in der Biblio-
thek verbracht haben und wie wir uns Systeme ausgedacht haben, die vielen
Texte geordnet und wiederauffindbar abzulegen, wie lange wir auf Antworten
auf Briefe gerade im internationalen Kontext warteten – und wenn man dann
das alles mit der heutigen Situation vergleicht, in der wir von Jüngeren zwei-
felnd gefragt werden, wie wir eigentlich ohne Internet leben konnten, unauf-
wändig kommunizieren konnten und wie wir an Informationen kamen, dann
stellen wir fest, dass wir Zeitzeugen und Versuchskaninchen einer unglaubli-
chen technologischen Revolution waren – und sind.
Und ich vermute wie viele andere auch: Was in den letzten vielleicht 30
Jahren passiert ist, das war erst der Anfang. Diese Entwicklung geht weiter
und verläuft exponentiell. Die Künstliche Intelligenz wird Barrieren in der
menschlichen Kommunikation weiter abbauen, wird immer mehr Informati-
onen zeit-, raum- und personenunabhängig zur Verfügung stellen, immer

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188 Claudia Riemer

intuitiver verwendbare, zunehmend unauffällige und alltagstaugliche Assis-


tenzsysteme entwickeln und schließlich die Mensch-Maschine-Barriere ir-
gendwann überwinden. Dabei wird sie auch einige (vielleicht nicht alle) Bar-
rieren abschaffen, die durch Fremdsprachen bestehen. Ich frage mich daher
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heute, ob (über-)morgen überhaupt noch Sprachen, so wie wir es kennen,


gelernt werden (müssen), um die Ziele zu erreichen, die gewöhnlich mit dem
Lernen von Sprachen verbunden werden, nämlich auf der Basis einer erarbei-
teten und sich weiter entwickelnden individuellen fremdsprachlichen Kom-
petenz in der Zielsprache angemessen kommunizieren zu können. Meine
Antwort lautet: Nein, und das ist auch gut so.
Im Folgenden möchte ich ausführen, was mich zu diesen Gedankengän-
gen und Provokationen veranlasst und anhand von drei Gegenwarts- und
Zukunftsszenarien die Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz bear-
beiten.

Von der Realität (nicht nur) des DaF-Unterrichts und von digitalen
Hoffnungen …
Fremdsprachenlernen ist – salopp ausgedrückt – ein immer auch mühevolles
und langwieriges Geschäft. Wer nicht mit einer hohen Sprachlerneignung
und einer unerschütterlichen intrinsischen Motivation gesegnet ist, auch
ansonsten nicht den Idealen des good language learners entspricht, empfindet
es nicht als Freude per se, über Jahre und Jahre den Ambiguitäten und Über-
raschungen fremder Sprachsysteme (nicht ausschließlich, aber insbesondere
in den Bereichen Bereich Lexik und Grammatik) ausgeliefert zu sein und sich
diese Stückchen für Stückchen über Übungen, Aufgaben, Regeln und gerahmt
von normierten Leistungskontrollen aneignen zu müssen. Diesen Prozess der
Aneignung der Fremdsprache möglichst gut zu unterstützen und zum Ziel
der kommunikativen Kompetenz zu führen, ist das Ziel des Fremdsprachen-
unterrichts. Wir arbeiten u.a. im Rahmen der Frühjahrskonferenzen am Bild
des guten Fremdsprachenunterrichts, seinen notwendigen Rahmenbedingun-
gen inkl. professioneller Lehrer*innen, die wir möglichst gut aus- und fortbil-
den, seinen Kompetenzzielen und Lerngegenständen. Wir erforschen Lehr-
und Lernprozesse u.a. im Unterricht, konstatieren Entwicklungen und Limi-
tationen und befassen uns mit Bildungspolitik und gesellschaftlichen Ent-
wicklungen. Daher steht es uns gut zu Gesicht, dass wir uns darüber verstän-
digen, welchen potenziellen Mehrwert Instrumente der technologischen
Entwicklung für das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen be-
sitzen und inwiefern die technologischen Potenziale und die tatsächlich in
den Lehr-Lern-Kontexten vorhandenen technischen Möglichkeiten (zu weit)
auseinanderklaffen.
Für solche Diskussionen benötigen wir m.E. einen breiten Digitalisie-
rungsbegriff, der nicht nur die digitale Infrastruktur, sondern sämtliche Be-

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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 189

reiche von Lehren und Lernen umfasst, einschließlich der Digitalisierung von
Material, Information, Arbeitsprozessen, Kommunikation, Feedback, Diag-
nose und auch von Zusammenarbeit. Meine Haltung dazu ist (ähnlich ist es
auch für den Bereich der Hochschuldidaktik), dass wir uns viel stärker an der
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Lern- und Lebenswelt von Lernenden und Studierenden orientieren müssen,


z.B. mobile internetfähige Geräte nicht als Störquelle, sondern als selbstver-
ständliche bring your own devices (BYOD) zur Förderung von mehr (interak-
tiver) Lernendenbeteiligung in Lehr-Lern-Konstellationen betrachten sollten.
Dabei gilt es, Barrieren abzubauen, die z.B. durch unterschiedliche Software
auf den BYODs oder fehlende Nutzungsregelungen bestehen, und die rasante
Entwicklung von Hard- und Software im Blick zu behalten. Es wird nicht
möglich sein, alle Neuentwicklungen selbst zu prüfen und zu adaptieren (hier
gilt es, in Fachgruppen an Digitalisierungsstrategien zu arbeiten). Wenn ich
aber eine Priorität setzen würde, dann wären es die Schaffung von obligatori-
schen curricularen Elementen zur Medienkompetenz (auch im Rahmen des
Fremdsprachenunterrichts) in unseren Studiengängen sowie entsprechende
hochschuldidaktische Angebote für Lehrende, die auch aktuelles Wissen über
empfehlenswerte digitale Lernangebote und Datenschutz/Datensicherheit
einschließen.
Insbesondere für das distante Fremdsprachenlernen mit wenig bis gar kei-
ner authentischen Kommunikation in der Fremdsprache – und dazu gehört
in weiten Regionen der Welt das Deutschlernen – bieten digitale Technolo-
gien riesige Innovationsmöglichkeiten (vgl. Guder in diesem Band), von der
lehrwerkunabhängigen Informationsbeschaffung über zielsprachliche Struk-
turen und zielsprachliche Regionen mit allen denkbaren kulturellen Entitäten
bis hin zu Chancen der aktiven Teilhabe an fremdsprachigen Communities.
Aber: Die Verfügbarkeit digitaler Werkzeuge und digitaler Infrastruktur
ist an soziale Variablen und Variablen der bildungs- und gesellschaftspoliti-
schen und technologischen Entwicklung vor Ort gebunden. In vielen Regio-
nen der Welt ist der Besuch von Schulen, die digitale Lehr-Lern-Konzepte
umsetzen und die hierfür notwendige Personal- und technische Infrastruktur
vorhalten und den Schüler*innen zur Verfügung stellen können, wenn über-
haupt vorhanden, nur ausgewählten Schüler*innen möglich, z.B. wenn ihre
Eltern es sich leisten können, sie auf entsprechend ausgestattete Privatschulen
zu schicken. Auch die Anschaffung internetfähiger Mobilgeräte und die Be-
gleichung der regelmäßig anfallenden Kosten für den Internetzugang sind
nicht allen möglich. Teilhabe an der digitalisierten Welt setzt in vielen Regio-
nen der Welt gleichzeitig die Teilhabe an gesellschaftlichen Privilegien voraus.
Ein Beispiel: Neulich besuchte mich eine kamerunische Doktorandin, die
an einer süddeutschen Universität promoviert und mit mir diskutieren wollte,
auf welche Weise sie am besten die Wirksamkeit einer Deutschlern-App für
kamerunische Schüler*innen erforschen könne. Auf meine die Realität des
kamerunischen Deutschlernens betreffenden Rückfragen verwies sie auf die

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190 Claudia Riemer

Chance, dass mit Hilfe der App die Schüler*innen außerhalb des Unterrichts
Deutsch sprechen könnten (wofür sie ansonsten, selbst innerhalb des Klas-
senraums, so gut wie keine Gelegenheit hätten). Solche außerunterrichtlichen
Lernmöglichkeiten würden den Schüler*innen endlich vermitteln, dass es
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einen Sinn habe, Deutsch zu lernen, weil es dann nicht nur Grammatiküben
in einer angstbesetzten Lernumgebung sei und man die Sprache endlich auch
mal anwenden könne. Sie plane außerdem, die Untersuchung an einer Privat-
schule durchzuführen, da sie davon ausginge, dass dort (und nicht zwingend
an anderen Schulen) die meisten Schüler*innen ein Smartphone besäßen.
Diese Episode passt zu vielen Gesprächen mit jungen Deutschlehrer*innen
und internationalen Doktorand*innen, die den Deutschunterricht in ihren
Ländern verbessern möchten und dafür auch die technologischen Entwick-
lungen in den Blick nehmen. Die zunehmende Verbreitung von Smartphones
kommt dieser Entwicklung entgegen, führt allerdings auch zu Entwicklungen,
die weniger zu Innovationen innerhalb des fremdsprachlichen Klassenzim-
mers anregen, sondern eher (oft nette) außerunterrichtliche Add-ons darstel-
len. Als Ergebnis vieler Reisen, Hospitationen und Gespräche mit Kol-
leg*innen weltweit bin ich relativ ernüchtert, was die Rahmenbedingungen
und Ausgestaltung des DaF-Unterrichts in vielen Regionen der Welt betrifft.
Ohne Negierung des engagierten und professionellen Wirkens an vielen
Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung bleibt im Kern die Be-
obachtung eines stark grammatikorientierten, lehrwerkgebundenen und die
Lerner*innen disziplinierenden Unterrichts mit größeren oder kleineren
kommunikativen Anteilen. Nicht zu vergessen: 87 % der insgesamt 15,4 Mio.
Deutschlerner*innen weltweit sind Schüler*innen v.a. an Sekundarschulen in
Ländern, die aus unterschiedlichen Gründen (u.a. Förderung europäischer
Mehrsprachigkeit, traditionelles Sprachfach, postkoloniale Traditionen)
Deutsch einen Platz in ihren Bildungsplänen zuweisen (s. die Ergebnisse der
Datenerhebung des Netzwerks Deutsch aus dem Jahr 2015; vgl. Auswärtiges
Amt o.J.). In meinen Studien (vgl. Riemer 2016) habe ich ermittelt, dass aus
dem Pflicht- bzw. Wahlpflichtcharakter des Schulfachs Deutsch vorrangig
extrinsische und instrumentelle Motivationen resultieren und selbstbestimm-
tere Formen der Motivation erst dann entstehen, wenn Sprachkenntnisse
auch außerhalb des Unterrichts als wertvoll und für das weitere Leben von
Relevanz erscheinen. Ammon (2015, 2) konstatierte: „Wären Deutschkennt-
nisse nicht auch ein Vorteil für Fremdsprachler, so würde sich über kurz oder
lang fast niemand mehr die Mühe machen, Deutsch als Fremdsprache zu
lernen“.
Was bedeuten diese Fakten für die Zukunft (nicht nur) des Deutschler-
nens? Kann man die Argumentationskette, zukünftige Entwicklungen antizi-
pierend, auch umdrehen? Wenn das Deutschlernen, allgemein das Fremd-
sprachenlernen bzw. der Gebrauch von Fremdsprachen, nun weniger Mühe
machen würden, würden dann mehr Menschen den Vorteil der Teilhabe an

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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 191

fremdsprachigen Kommunikationswelten erkennen und nutznießen wollen?


Was wäre also, wenn das Deutschlernen weniger Mühe in dem Sinn machen
würde, sich die sprachlichen Strukturen der Zielsprache kleinteilig aneignen
zu müssen bzw. wenn durch Zugriff auf Technologie eine Kommunikation in
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der Fremdsprache möglich würde, die nicht auf individuelle formale Sprach-
kompetenz angewiesen ist? Was wäre, überspitzt ausgedrückt, wenn es mittel-
bis langfristig gelingt, Fremdsprachengebrauch und fremdsprachliche Kom-
petenz voneinander zu entkoppeln? Wenn Teilhabe an (auch wissenschaftli-
chen) Communities bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe und Wirkmäch-
tigkeit nicht mehr die individuell-kognitive Bemächtigung der Kommuni-
kationssprache voraussetzt, wenn individuelle Sprachkompetenz (auch in
integrationspolitischen Kontexten) endgültig als Schimäre enttarnt würde?

… zur Dystopie überflüssig werdender Klassenzimmer …


Zunächst würde m.E. ein Zwischenstadium erreicht, in dem – dystopische
Szenarien antizipierend – das Fremdsprachenlernen und der Fremdspra-
chenunterricht in der Form, wie wir ihn kennen oder anstreben, zunehmend
obsolet würden.
Vielleicht wird es ein Zwischenstadium geben, in dem besondere, die
sprachlichen Strukturen beherrschende Expert*innen benötigt werden, was
vielleicht eine gewisse Motivation aufrechterhält, sich die Sprachstrukturen
individuell anzueignen. Oder Sprachenlernen wird mehr und mehr zum pri-
vaten Hobby des Analyse- und Gedächtnistrainings („sudokisches“ Fremd-
sprachenlernen) bzw. zur persönlichen Ambition, wofür zeitlich und räum-
lich ungebunden immer intelligentere, auf individuelle Bedarfe und Lernfort-
schritte zugeschnittene digitale Lerntools genutzt werden, die u.a. mittels auf
big data analytics beruhender Lernfortschrittskontrollen individuelle Lernver-
läufe optimieren.
Dystopische Sorgen würden aber eher andere Szenarien antizipieren: So
zum Beispiel, dass insbesondere die großen Kommunikationssprachen wirt-
schaftlich starker Länder der Welt sukzessive und immer besser von Sprach-
erkennungs- und Übersetzungsmaschinen erfasst werden und diese Entwick-
lung zunehmend in Frage stellt, sich überhaupt noch mit Fremdsprachen-
lernen zu belasten. Regionale Sprachen, Minderheitensprachen und indivi-
duelle Mehrsprachigkeit könnten zunehmend in den rein privaten Bereich
verortet werden. In Ländern, in denen es der Deutschbereich sowieso schwer
hat, seine Existenz zu legitimieren, könnte das Schulfach Deutsch (analog der
Fremdsprachenunterricht anderer Sprachen in anderen Ländern; vgl. Grüne-
wald in diesem Band) unter erheblichen Druck geraten, wenn immer offen-
sichtlicher wird, dass jahrelanger Unterricht doch nur Kompetenzen erzeugt,
die ein maschinelles Spracherkennungs- und Übersetzungsprogramm besser,

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192 Claudia Riemer

blitzschnell und von Personalressourcen unabhängig zu produzieren imstan-


de ist.
Dieses Zwischenstadium könnte mit sich bringen, dass Maschinen und
andere hochentwickelte Erzeugnisse der Robotik professionelle menschliche
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Lehrkräfte ergänzen bis ersetzen sowie (auch selektive) Aufgaben der Sprach-
diagnostik vermeintlich objektiver übernehmen. (Ein Horrorszenario wäre:
Maschinen werten Deutschtests für Zugewanderte aus und liefern Entschei-
dungsgrundlagen für die Einbürgerung.)
Weitere dystopische Spekulationen: Technologie könnte auch weidlich da-
für ausgenutzt werden, nicht nur fremdsprachliche Inkompetenz zu ver-
schleiern, sondern auch Urheberschaft. Wann werden unsere Student*innen
zum Beispiel erkennen (haben sie wahrscheinlich längst), dass DeepL und
Google Translator auch dafür genutzt werden können, fremdsprachige wis-
senschaftliche Fachtexte mal eben ins Deutsche (oder andersherum) überset-
zen zu lassen und damit ihre akademischen Arbeiten anzureichern? Und wir
alle würden uns in Folge der schnelllebigen und letztlich undurchschaubaren
Entwicklungen mehr und mehr mit Ängsten der Entfremdung auseinander-
setzen müssen, insbesondere dann, wenn – wie ich oben antizipiert habe –
Assistenzsysteme immer besser und alltäglicher werden und schließlich die
Mensch-Maschine-Barriere überwunden wird.

… zur Utopie der interkulturellen Handlungsfähigkeit


Dieser Dystopie möchte ich bewusst eine Utopie entgegensetzen. Mit einer
solchen Utopie verbinde ich – trotz aller Ambiguität, die dem Utopiebegriff
immer innewohnt – eine grundlegend optimistische Haltung. Ich erhoffe vom
digitalen Wandel langfristig die echte Realisierung der kommunikativ-
pragmatischen Wende für das Fremdsprachenlernen und den Fremdspra-
chengebrauch.
Stellen wir uns kurz einmal vor, sprachliche Formen und Muster stünden
Fremdsprachenanwender*innen barrierefrei bereit. Aufgrund intuitiv vor-
handener Sprachtechnologie in Form intelligenter Brillen, Kopfhörer oder
anderer Geräte, die ich mir noch gar nicht vorzustellen vermag, müssten
Fremdsprachenanwender*innen nicht auf die grammatische Korrektheit von
Äußerungen achten und sie könnten im Groben auch darauf vertrauen, lexi-
kalisch angemessene Sprachformen geliefert zu bekommen – was besser ak-
zeptiert werden wird, wenn individuelles grammatisch-lexikalisches Struk-
turwissen im Sinne von language awareness vorhanden ist. Im Rahmen
schriftlicher Kommunikation dürfte dieses Szenario deutlich schneller als für
mündliche Kommunikation möglich werden.
Solche maschinell gelieferten Services werden allerdings an Grenzen sto-
ßen. Ein durch Technologie bereitgestellter, grammatisch und lexikalisch
formal korrekter Text wird bei seinen Adressaten nicht die intendierte kom-

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Fremdsprachenlernen und Fremdsprachengebrauch im digitalen Wandel 193

munikative Wirkung entfalten, wenn er kulturellen Diskurserwartungen und


persönlichen Sprachhandlungsintentionen nicht entspricht, wenn er Missver-
ständnisse auslöst und/oder wenn er nicht durch para- und nonverbale
Kommunikation angemessen gerahmt ist. Dieses zu erlernen, würde keines-
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wegs obsolet.
Der Fremdsprachenunterricht könnte sich, diese Entwicklungen aufgrei-
fend, grundsätzlich wandeln. Keine mehr oder weniger geheime formalisti-
sche Grammatikprogression sowie in Referenzrahmen festgelegte Wort-
schatzspektren würden das Fremdsprachenlernen konfundieren. Sprachen-
lernen könnte sich im Kern darauf konzentrieren, Fremdsprache als
sprachlich-pragmatischen und v.a. kulturellen Lerngegenstand zu begreifen,
sprich: interkulturelle pragmatische Kompetenz, soziolinguistische und Dis-
kurskompetenz zu entwickeln. Fremdsprachenunterricht könnte der Ort
werden, an dem nicht länger – wie es heute noch vielfach im Zentrum steht –
Formen und Muster der L2 in bestenfalls quasi-authentischer, aufgabenorien-
tierter Kommunikation eingeübt werden (müssen). Sondern Fremdsprachen-
unterricht würde zum fachlichen Resonanzraum, in dem der Zusammenhang
aller linguistischen Aspekte von Sprache einschließlich Pragmatik sowie die
außerunterrichtliche Kommunikationspraxis reflektiert würden. Mehr und
mehr würde das fremdsprachliche Klassenzimmer ein Ort werden, an dem
außerunterrichtliches Lernen begleitet und gerahmt sowie Lernendenauto-
nomie gefördert würde. Language awareness und interkulturelles Lernen im
Rahmen handlungsorientierter Unterrichtsansätze würden den Stellenwert
erhalten, den sich die Fremdsprachendidaktik schon lange wünscht.
Nebenbemerkung: Der oben erwähnte, mir bekannte Informatiker meinte,
„Kultur“ könnte der Bereich sein, den Technologie noch lange Zeit nicht
angemessen verarbeiten kann. Die Unmöglichkeit, interkulturelle Handlungs-
fähigkeit derzeit in Kompetenzrastern angemessen und auf feiner Granulari-
tätsebene ausdifferenziert abzubilden und damit auf lange Sicht technologisch
modellierbar zu machen, könnte sich noch als Vorteil erweisen.
Und ein anderer Diskussionsstrang, der immer wieder in der Fremdspra-
chenlehrer*innenbildung mit Bezug auf den non-native teacher geführt wird,
würde seine Basis verlieren: Fremdsprachenlehrer*innen müssten im Kern
ihres professionellen Profils nicht mehr ihre individuelle Kompetenz mit
hohem Perfektionsanspruch ausbilden und beweisen, Fremdsprache(n)
grammatisch, lexikalisch und phonetisch korrekt zu produzieren und zu ver-
mitteln. Es wäre dann vielleicht langfristig auch weniger der Typus eine*r
Fremdsprachenlehrer*in gesellschaftlich akzeptabel, der dazu neigt, seine
eigene, hohe fremdsprachliche Kompetenz in Form von die Schüler*innen
demotivierender Fehlerkorrektur auszuleben. Sondern Fremdsprachenleh-
rer*innen wären vorrangig als echte Kulturvermittler*innen gefragt, als Ex-
pert*innen interkultureller Pragmatik und interkultureller Kommunikation,
die landeskundliche, kultur- und diversitätssensible Wissensvermittlung und

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194 Claudia Riemer

Bewusstheitsbildung mit dem Ziel der Entwicklung von Handlungsbefähi-


gung und Wirksamkeit in der fremdsprachigen und fremdkulturellen Kom-
munikationswelt ins Zentrum ihrer Lehr-Lern-Szenarien stellen.
Ob als Konsequenz der oben ausgeführten Spekulationen ganz neue schu-
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lische Unterrichtsfächer, Lernangebote in der analogen und digitalen Bil-


dungswelt sowie entsprechend inhaltlich völlig anders geartete Aus-, Fort-
und Weiterbildungen für die Lehrexpert*innen notwendig werden, hier stößt
meine Vorstellungskraft an ihre Grenzen. Dass dann Veränderungen zwin-
gend anstünden, kann m.E. nicht von der Hand gewiesen werden. Für den
Moment am wichtigsten finde ich, dass wir uns mit unseren wissenschaftli-
chen Disziplinen auf die kommenden Veränderungen langfristig einstellen,
nicht den technologischen Entwicklungen, die wir vermutlich kaum beein-
flussen können, hinterherhinken oder sie lediglich kritisch begleiten, ge-
schweige denn offenen Auges zusehen, wie unsere Fächer mehr und mehr
gesellschaftlich entwertet werden und andere Bereiche sich unserer Gegen-
stände bemächtigen.
Und dazu gehört m.E., dass wir uns mitten in Zeiten des digitalen Wan-
dels mit unseren Grundannahmen zum Lehren und Lernen von Fremdspra-
chen befassen und diese regelmäßig mit den technologischen Fortschritten
abgleichen.

Literatur
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u.a.: De Gruyter.
Auswärtiges Amt (o.J.): Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015.
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Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den
Fremdsprachenunterricht
Augmenting the reality of language teaching
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Henning Rossa

Rapidly, we approach the final phase of the extensions of man – the techno-
logical simulation of consciousness, when the creative process of knowing will
be collectively and corporately extended to the whole of human society, much
as we have already extended our senses and our nerves by the various media.
(Mc Luhan 1964, 19)

1 Einleitung in Thesenform
1. Das Ausmaß der Integration digitaler Technologien in fremdsprachli-
che Lernarrangements ist sowohl auf konzeptioneller Ebene als auch
in der Alltagspraxis nicht annähernd so weit fortgeschritten wie in
den gesellschaftlichen Realitäten außerhalb des Klassenzimmers.
2. Das zentrale Prinzip der Orientierung an lebensweltlich relevanten
Inhalten und realen Situationen der Sprachverwendung bedingt, dass
die ökologisch verstandene Konzeption eines kommunikativen
Fremdsprachenunterrichts die veränderten, zunehmend digital ge-
prägten Bedingungen gesellschaftlicher Bereiche (z.B. außerschuli-
sches Lernen, Gesundheit, Mobilität, politische Partizipation, Kom-
munikation, Arbeit) berücksichtigen muss.
3. Der mediendidaktisch informierte Diskurs zum Mehrwert digitaler
Medien im Unterricht (postulierte Wirksamkeit digital gestützter
Lehr-Lernarrangements abzgl. organisatorischer, finanzieller, zeitli-
cher Aufwendungen) ist angesichts der umfassenden Relevanz der Di-
gitalisierung für gesellschaftliche Veränderungen nicht zielführend im
Sinne von These 1.
4. Medien stellen konstituierende Formen des Unterrichts dar. Daraus
folgt, dass die Integration digitaler Technologien und digital vermit-
telter Lehr-Lernprozesse eine Veränderung und Erweiterung der Ge-
genstände, Aushandlungsprozesse und Ziele des Fremdsprachenun-
terrichts herausfordert.
5. Die Potenziale digital gestützter Lehr-Lernkonzeptionen können –
unter Annahme einer größeren konzeptionellen Flexibilität und curri-
cularer Freiräume zum Experimentieren – als Impulse für Unter-

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196 Henning Rossa

richts- und Schulentwicklung genutzt werden. So könnte eine stärkere


Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für bedeutsame Inhalte, pro-
jektbezogenes Arbeiten und lebensnahe Aushandlungsprozesse und
gleichsam eine Überwindung der Einzelkämpferrolle von Lehrkräften
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hin zu mehr Austausch und Zusammenarbeit erreicht werden.

2 Zur Notwendigkeit fremdsprachliche Lehr-Lernarrangements


unter den Bedingungen der Digitalisierung weiterzuentwickeln
In den öffentlichen Diskursen zur Digitalisierung werden Begriffe wie Trans-
formation, Revolution, Zeitenwende und Paradigma benutzt, die das Ausmaß
des digitalen Wandels betonen und implizit mit dem logischen Schluss ver-
knüpfen, dass es angesichts der allumfassenden und unaufhaltsamen Auswir-
kungen dieses Wandels notwendig sei, sich anzupassen. Der Begriff der Digi-
talisierung verweist dabei im Kern auf die Umwandlung und Abspeicherung
von Informationen in digitaler Form, im weiteren Sinne geht es aber um die
Dimension datenbasierter, vernetzter technologischer Innovationen (Internet:
Zugang zu und Weitergabe von Informationen; Web 2.0: peer-to-peer Platt-
formen, social media; Blockchain: peer-to-peer Interaktion ohne Plattform),
die den räumlich und zeitlich entgrenzten Zugang zu Daten und Informatio-
nen und gleichsam die Generierung neuen Wissens möglich machen. Die
gegenwärtigen Erkenntnisse zur Frage, inwiefern der digitale Wandel die
Praxis schulischer Bildung bereits verändert hat, zeichnen das Bild eines Sys-
tems, das sich für die Digitalisierung zwar prinzipiell öffnet
(Schmid/Goertz/Behrens 2017), während die Integration von digitalen Medi-
en in den Unterricht aber im internationalen Vergleich – insbesondere im
Fachunterricht – nur sehr gering ausgeprägt ist (Bos et al. 2014).
Und wie sieht die Alltagspraxis des Fremdsprachenunterrichts an deut-
schen Schulen heute aus? Ich sehe im Englischunterricht interactive white-
boards statt Kreidetafeln, Tablets statt gedruckter Lehrwerksmaterialien,
Powerpoint statt Overheadfolien, PDF-Dokumente statt Arbeitsblätter, beha-
vioristisch entworfene Wortschatz-Apps statt Vokabeltests. Diese episoden-
hafte und oberflächliche Betrachtung lässt die Hypothese zu, dass hier mit
digitalen Mitteln ein im doppelten Wortsinn analoger Unterricht inszeniert
wird, der in seiner grundsätzlichen, seit Jahrzehnten fest etablierten Ausrich-
tung unverändert bleibt. Diese bekannte Beharrlichkeit gegenüber Entwick-
lungsimpulsen von außen wird angesichts des atemberaubenden Tempos der
technologischen Entwicklung in der Welt außerhalb der Klassenzimmer nun
noch deutlicher offenbar. Goethe: Schule als pädagogische Provinz?
Schon die vorangegangenen, nach der Jahrtausendwende initiierten Re-
formbestrebungen der Output- bzw. Kompetenzorientierung (ab 2001) und
der Verwandlung eines an Auslese und Separierung ausgerichteten Schulsys-
tems in einen inklusiven Bildungsraum für Alle (ab 2009) wurden in der Pra-

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Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 197

xis und in den fremdsprachendidaktischen Diskursen eher kritisch bis ableh-


nend rezipiert. Doch der gesellschaftliche und politische Druck auf die Akteu-
re im Bildungssystem nimmt zu. Die Notwendigkeit auf den digitalen Wandel
der Gesellschaft durch eine Anpassung der Lehr- und Lernkonzeptionen und
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-praktiken zu reagieren wird von einer einflussreichen und einschlägige Inte-


ressen verfolgenden Allianz (KMK 2017); Hochschulforum Digitalisierung:
BMBF, CHE, HRK; Forum Bildung Digitalisierung: Telekom, Bertelsmann,
Bosch, Siemens, Mercator u.a.) vertreten und stellt mittelbar auch den Fremd-
sprachenunterricht als pädagogische Praxis und didaktische Konzeption auf
den Prüfstand.
Während in mediendidaktisch informierten Diskursen im Kontext des
deutschen Bildungssystems immer noch nach dem „Mehrwert“
(Schmidt/Würffel 2018, 3) des unterrichtlichen Einsatzes digitaler Medien
gefragt wird, durchdringt und prägt die Digitalisierung schon selbstverständ-
lich weite Teile öffentlicher und privater Lebensbereiche. Digitale Medien
verändern die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, die täglich mobi-
le Geräte nutzen, um mit ihren Peers zu kommunizieren, zur Unterhaltung,
zur Selbstdarstellung und auf der Suche nach Informationen. Aus einer öko-
logischen Perspektive auf den Fremdsprachenunterricht lassen sich diese
Veränderungen durchaus als etwas bezeichnen, das Havighurst als Auslöser
für einen Prozess identifiziert, der zur Bewältigung einer Entwicklungsaufga-
be führt: „cultural pressure“ (Havighurst 1956, 215).
Eine konzeptionelle Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts
müsste demnach vornehmlich einen engeren Bezug zu den digital geprägten
Kommunikationsgewohnheiten der Lernenden ermöglichen und die verän-
derten Wege berücksichtigen, auf denen die Lernenden sich digital gestützt
neue Themen und Lerngelegenheiten erschließen. Diese Veränderung be-
rührt also den Kern fremdsprachendidaktischer Überlegungen: die Ziele und
Methoden des Unterrichts. Was bedeutet kommunikatives Handeln in der
Fremdsprache heute? Welche Zugänge öffnen wir im Unterricht zu den be-
deutsamen Gegenständen, über die es sich überhaupt zu kommunizieren
lohnte?

3 Potenziale der Integration digitaler Medien für die Weiter-


entwicklung des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts
Die Frage nach dem Mehrwert digitaler Medien im Unterricht ist charakteris-
tisch für den Mainstream des gegenwärtigen Diskurses zur Digitalisierung im
Kontext des Lehrens und Lernens (Baumgartner/Herber 2013; Blume 2018;
Krommer 2018b; 2018c; Schaumburg 2015). Dieser Ansatz spiegelt eine ten-
denziell eher skeptische Haltung bzgl. der Frage wider, inwiefern digitale
Medien in der schulischen Unterrichtspraxis zum Einsatz kommen sollten.
Diese Perspektive impliziert außerdem die Idee, dass digital gestützte Lern-

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198 Henning Rossa

formen bereits etablierte Formen ersetzen sollen. So wird eine Rechnung


aufgemacht, wonach sich dieser Tausch und die damit für die Beteiligten
verbundenen Anstrengungen nur lohne, wenn ein didaktischer Mehrwert
erkennbar sei. So wird etwa in einer Metastudie zur Wirksamkeit digitaler
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Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundar-


stufe eine Lehrperson folgendermaßen zitiert: „Digitale Medien nur aus dem
Grund einzusetzen, weil man sie hat, finde ich ungünstig. Man sollte sich
vorher wirklich überlegen, welchen Mehrwert sie haben“ (Hillma-
yr/Reinhold/Ziernwald/Reiss 2017, 10).
Aus dieser Perspektive wird meines Erachtens der Werkzeugcharakter di-
gitaler Medien einseitig betont und gleichzeitig unterschätzt, inwiefern Medi-
en selbst im Sinne McLuhans (1964) Gegenstände und Lernwege bestimmen
und somit als „konstituierende Formen des Unterrichts“ (Krommer 2018b)
verstanden werden müssen. Als fächerübergreifende Zielgröße für einen zu-
sätzlichen Lerneffekt, der dem Einsatz digitaler Medien zugeschrieben werden
kann, bietet sich vermutlich das Konstrukt der informatischen Kompetenz an:
„Wenn es im Unterricht darum geht, Schülern die Möglichkeit zu geben zu
lernen, ist der Mehrwert, dass sie ganz nebenbei lernen, wie die Welt, in der
sie leben, funktioniert“ (Blume 2018).
Hinzu kommt, dass die Potenziale digitaler Medien längst über die Mög-
lichkeiten traditioneller Medien hinausweisen; mit ihnen lässt sich etwa mit
Blick auf mobiles Lernen, Augmented Reality und game-based learning (Du-
deney/Hockly 2012; Kurtz 2018) bislang Unmögliches im Unterricht umset-
zen. Eine Integration digitaler Medien als selbstverständliche Merkmale von
Unterricht erfordert somit auch eine Erweiterung und Weiterentwicklung der
(Fach-)Didaktik:
A technology has reached its fullest possible effectiveness in language educa-
tion when it has arrived at the stage of ‘normalisation’, namely when it is used
without our being consciously aware of its role as a technology, as a valuable
element in the language learning process (Bax 2011).
Der Prozess der Integration und Normalisierung nutzt offensichtliche Po-
tenziale digitaler Lernformen, nach Bax (2011, 12) „access to knowledge, par-
ticipation and interaction“, und verbindet sie mit übergreifenden didakti-
schen Konzepten wie „elements of mediation such as expert intervention,
scaffolding, modelling and critique“ (ibid.).
Eine Fremdsprachendidaktik, die digitales Lehren und Lernen als selbst-
verständlich begreift, würde z.B. „digitale Kommunikation als eine Chance
sehen, dem Fremdsprachenunterricht einen möglichst hohen Grad an lingu-
istischer, kultureller und funktionaler Authentizität zu verleihen“ (Krommer
2018a). Dieses naheliegende Beispiel verweist auf ein offenkundiges Risiko,
das mit dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht verbunden ist: Wenn das
Ziel darin besteht, einen möglichst lebensnahen, problemorientierten und

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Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 199

ergebnisoffenen Umgang mit digitalen Medien im Unterricht zu ermöglichen,


verliert die Lehrperson die Kontrolle über die Inhalte und Materialien, die die
Lernenden mithilfe ihrer digitalen Werkzeuge entfalten und verarbeiten.
Tatsächlich würde eine stärker am traditionellen, im industriellen Para-
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digma entwickelten Lehr-Lernmodell orientierte Praxis (Lernende bearbeiten


anhand vorgegebener Materialien eine vorgegebene Reihe von Instruktionen
ab) dieses Risiko vermutlich minimieren. Die genuinen Merkmale digitaler
Medien (Zugang zu Allem für Alle) könnten dann aber absurderweise nicht
wirksam werden. Offenbar benötigt die digital erweiterte Realität des Fremd-
sprachenunterrichts eine neue Qualität des Zutrauens in die Beziehung zwi-
schen der Lehrperson und den Lernenden und in die Tragfähigkeit ihrer Ver-
einbarungen zur Lernarbeit im Unterricht:
Kontrollverlust-Erlebnisse und die Angst davor sind verständlich und typisch
für die Schule. Es braucht eine Menge an Erfahrung mit dem neuen Medium
und Mut, um daraus eine Erkenntnis zu bilden: Kontrolle darüber, was in den
Köpfen wirklich vorgeht, hatten wir doch nie (Scholl 2016).
Die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts unter den Bedingun-
gen der Digitalisierung mag neben den heute noch schwer zu erkennenden
Erweiterungen und Veränderungen schließlich dazu führen, dass auch die im
fremdsprachendidaktischen und – in großen Teilen – auch im allgemeindi-
daktischen Diskurs bereits etablierten Perspektiven auf das Konstrukt Unter-
richtsqualität (stärkere Handlungsorientierung, Öffnung des Unterrichts,
Schüleraktivierung durch adaptives und individualisiertes Lernen, Zusam-
menarbeit und Kooperation, Problemlösungen in tasks entwickeln und aus-
werten) wirkungsvoller als bisher in die Alltagspraxis integriert werden kön-
nen (Rosa 2016; van Ackeren et al. 2019, 4).
Die zweite Ebene notwendiger Anpassungen betrifft die veränderten Rol-
len der Lehrpersonen: Digitales Lehren und Lernen zum Gegenstand von
Unterrichts- bzw. Schulentwicklung zu machen, erfordert einen intensiven
kollegialen Austausch und unterstützt damit die Überwindung des Einzel-
kämpfertums der Lehrpersonen. So sind etwa offene Bildungsressourcen
(OER, open educational resources) nicht nur als kollaborativ aufbereitete Ma-
terialsammlung zu begreifen, sie implizieren auch die „Entwicklung einer
kooperativen Haltung, indem insbesondere eine Kultur des Teilens im Sinne
sog. offener Bildungspraktiken mitgedacht wird“ (van Ackeren et al. 2019,
10).
Diesen Potenzialen und Entwicklungszielen, die auf methodischer und in-
haltlicher Ebene stark durch das Prinzip der Offenheit bestimmt werden,
steht eine ganze Reihe pragmatischer Probleme gegenüber, „die bislang eine
überzeugende Form digitalen Wandels in der Schule verhindert“ haben
(Scholl 2016). Von zentraler Bedeutung sind aus meiner Sicht verfügbare
Ressourcen und Spielräume zur Gestaltung digitaler Lernkontexte:

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200 Henning Rossa

Welche Schule verfügt unter den Bedingungen neoliberal betriebswirt-


schaftlich organisierter Bildung über die nötigen Ressourcen an Zeit und
Personal sowie den curricularen Freiraum, um mit dem neuen Medium aus-
giebig zu experimentieren und mit offenem Ausgang dessen Möglichkeiten zu
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erkunden? (ibid.)

4 Referenzpunkte eines Leitbildes für digitales Lehren und Lernen


Ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht
sollte meines Erachtens die folgenden Aspekte berücksichtigen:

1. die Entwicklung der Unterrichtskonzeption unter den Bedingungen


der Digitalisierung
2. die Qualität der intendierten Lernprozesse
3. die neu zu fassenden Rollen der Lehrenden und der Lernenden
4. die ethischen Risiken

Als hilfreiches Arbeitsmodell für die Integration digitaler Medien in den Un-
terricht hat sich das SAMR-Modell von Puentedura (2006) erwiesen (vgl.
Zierer 2017, 73–75). Das Modell (siehe Abb. 1) unterscheidet vier Ebenen der
Digitalisierung, die verschiedene Ausprägungen eines Veränderungsprozesses
darstellen. Demnach liegt die Herausforderung für die Weiterentwicklung des
Unterrichts darin, die Integration digital gestützter Lernformen von einem
bloßen Austausch traditioneller Medien durch digitale Medien in eine Neuin-
terpretation bestehender Konzepte zu verwandeln.

Enhancement Transformation
Substitution > Augmentation > Modification > Redefinition
Ersatz > Erweiterung > Veränderung > Neuinterpretation
Verbesserung Wandlung
Abb. 1: Das SAMR-Modell von Puentedura (2006; meine Darstellung und Über-
setzung)

Fremdsprachendidaktische Überlegungen zu den unterrichtlich intendierten


Lernprozessen und zu den Veränderungen, die durch den Einsatz digitaler
Techniken angestoßen werden könnten, werfen auch die grundlegende Frage
auf, wie wir die Zieldimensionen des kommunikativen Fremdsprachenunter-
richts heute interpretieren und weiterentwickeln. Als fachübergreifende Per-
spektive bieten sich die sogenannten 21st-century skills als Referenzpunkte an,
wie sie etwa von der OECD formuliert werden: Creativity, Critical thinking,
Communication, Collaboration (Schleicher 2012, 35).
Im Kontext der Diskussion um Mehrsprachigkeit, Mehrkulturalität und
das Konzept der pluriliteracies verweisen Meyer, Coyle und Schuck (2018) auf

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Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 201

Rollen, in die Lernende in digital gestützten Lernumgebungen wachsen kön-


nen:
„Empowered Learner […] Digital Citizen […] Knowledge Constructor […]
Innovative Designer […] Computational Thinker […] Creative Communica-
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tor […] Global Collaborator“ (International Society for Technology in Educa-


tion 2016; zitiert in Meyer et al. 2018, 27).
Die hier beschriebenen Ziele beziehen sich auf die Annahme, der digitale
Wandel im Unterricht könne Möglichkeiten für ein tiefergehendes, persön-
lich bedeutsames, selbstreguliertes Lernen schaffen:
While it is possible to teach for deeper learning without technology, it is hard
to imagine how our schools will scale up such instruction without support
from digital tools and media (Dede 2014, 4).
Von besonderer Wichtigkeit für ein Leitbild ist ein bewusster und ethisch
verantwortungsvoller Umgang mit den Risiken und Bedrohungen, die sich
aus der notwendigen Öffnung des Unterrichts für die digitale Welt ergeben.
Die Sammlung und Verarbeitung von Daten auf digitalen Plattformen be-
droht die fundamentalen Werte der Selbstbestimmung und Autonomie. Dies
gilt auch für Technologien, die das Ziel verfolgen auf der Grundlage einer
algorithmischen Analyse von Lernerdaten individuelle, adaptive Lernumge-
bungen zu gestalten. So wurden etwa mobile EEG-Messgeräte der Firma
BrainCo (Harvard Innovation Lab, Massachusetts, USA), die über eine LED-
Anzeige Lehrenden Hinweise zum gegenwärtigen Grad der Aufmerksamkeit
der Lernenden geben sollen, in China an 10.000 Schülerinnen und Schülern
im Alter von 10 bis 17 Jahren getestet (Ye 2019). Auf der Webseite von
BrainCo werden die Vorzüge dieser Technologie (real-time brainwave feed-
back and visualisation) auf eine Weise beschrieben, die – abgesehen von den
neurowissenschaftlich fragwürdigen Analysen von Hirnströmen zur Erfas-
sung von Aufmerksamkeitszuständen – an die dystopischen Visionen von
Orwell und Huxley erinnert:
With BrainCo’s brainwave-detecting headbands and software platform, edu-
cators can track student engagement and class attention levels as they’re hap-
pening. The FocusEDU platform provides insight into individual student and
full classroom engagement (BrainCo 2019).
Lernende müssen vor derartigen Übergriffen und Verletzungen ihrer Grund-
rechte geschützt und gleichsam in der Entwicklung einer kritisch-reflektierten
Medienkompetenz unterstützt werden. Diese Kompetenz ist von fundamen-
taler Bedeutung und betrifft auch die private Mediennutzung. Die Lernenden
treffen in den von multinationalen Firmen zur Profitgenerierung unterhalte-
nen sozialen Netzwerken auf Hass, Belästigungen, extreme Gewaltdarstellun-
gen und Propaganda und müssen passende Abwehr- und Umgangsstrategien
entwickeln (vgl. Hochschulforum Digitalisierung 2018).

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202 Henning Rossa

5 Bridging the gap: Zwischen Ansprüchen, Potenzialen und dem


status quo
Der digitale Wandel verändert schulische Bildungsprozesse, und die techno-
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logischen Entwicklungen bieten in immer kürzeren Zyklen eine unüber-


schaubare Zahl von Möglichkeiten, die Gestaltung von Lehr-Lernformen im
Unterricht neu zu denken und auf erweiterte Zieldimensionen (Kreativität,
Kommunikation, kritisches Denken, Kollaboration) hin auszurichten. Dabei
müssen Lernende in die Lage versetzt werden, mit den digitalen Medien
kompetent, kritisch und reflektiert umzugehen.
Diesen Ansprüchen gegenüber stehen eine mangelhafte technische Infra-
struktur (notwendig: stabiler, schneller Internetzugang per Wireless Local
Area Network, Schulnetz mit Server und Lern- bzw. Managementplattfor-
men) und eher skeptische Haltungen der Lehrpersonen. Lehrerinnen und
Lehrer erkennen durchaus Potenziale digitaler Medien für das Lehren und
Lernen, im internationalen Vergleich werden allerdings „in allen anderen
ICILS-2013-Teilnehmerländern die Potenziale digitaler Medien höher einge-
schätzt“ (Eickelmann/Gerick/Bos 2014, 19).
Ein zweiter Befund der ICILS-Studie, der für eine Einschätzung der ge-
genwärtigen Lage des digitalen Lehrens und Lernens an deutschen Schulen
relevant ist, bezieht sich auf die Bereitschaft der Lehrenden miteinander zu
kooperieren:
Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Lehrkräfte an Schulen in
Deutschland hinsichtlich aller in ICILS 2013 abgefragten Kooperationsformen
(u.a. gegenseitige Unterrichtsbeobachtungen, gemeinsame Entwicklung von
Unterrichtskonzepten zur Nutzung digitaler Medien) die niedrigsten Zu-
stimmungsraten aufweisen (Eickelmann/Gerick/Bos 2014, 19).
Vor diesem Hintergrund ist zu erkennen, dass die Professionalisierung der
Studierenden in der Lehramtsausbildung und die Weiterbildung der Lehrper-
sonen mit Blick auf einen kritisch-reflexiven, didaktisch und pädagogisch
informierten Umgang mit digitalen Techniken, Medien und Werkzeugen von
herausragender Wichtigkeit sind, wenn die Lücke zwischen den formulierten
Ansprüchen und den Realitäten in der Schule verkleinert werden soll. Ein
wichtiger Ansatzpunkt für diesen Impuls liegt darin, die Bedeutung der Lehr-
personen für das Gelingen digital gestützter Lernarrangements zu betonen.
Der digitale Wandel fordert eine Weiterentwicklung didaktischer Unter-
richtskonzepte heraus, aber die Probleme, denen sich Lehrende im Unterricht
stellen müssen, lassen sich nicht durch Algorithmen lösen. Lehr-Lernprozesse
können durch eine stärkere Integration digital gestützter Lernformen verän-
dert und erweitert werden, sie bleiben aber fundamental abhängig von der
Qualität menschlicher Beziehungen sowie sozialer Interaktion und Koopera-
tion.

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Der digitale Wandel als Entwicklungsaufgabe für den Fremdsprachenunterricht 203

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Und was wird dann aus den Texten?
Interaktionen im Wiki als hochschuldidaktischer Ansatz und
Forschungsgegenstand in der Lehrer*innenbildung
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Birgit Schädlich

Leitfrage 1: Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des


Lernens auf dem Prüfstand: fachliche Herausforderungen und
Potenziale des digitalen Wandels
Die Möglichkeiten der Digitalisierung haben in Gesellschaft und Bildungs-
landschaft nicht selten Euphorie ausgelöst und Heilsversprechen auf den Plan
gerufen, die jedoch häufig uneingelöst geblieben sind. Begeisterten Lobgesän-
gen auf die Generation der „kleinen Däumlinge“ – Petite Poucette, la généra-
tion mutante (Serres 2012) –, die demokratisch und partizipativ Wissen teilen
und hervorbringen, stehen skeptische Sichtweisen gegenüber, die beispiels-
weise wirtschaftliche Interessen als Kehrseite eben nur vermeintlicher Demo-
kratisierung digitaler Bildungsangebote erkennen und kritisieren (z.B. Schul-
meister 2013).
Der digitale Wandel – und vor allem die Geschwindigkeit, mit der er der-
zeit voranzuschreiten scheint – stellt Fremdsprachenforscher*innen vor die
Herausforderung, sich in einem Feld zu positionieren und eine reflektierende
Metaperspektive einzunehmen, in dem sie gleichzeitig immer auch Lernende
sind.
Computergestützten Anwendungen für das Fremdsprachenlernen seit den
1990er Jahren unterlagen häufig hinter ansprechenden Oberflächen letztlich
weiterhin behavioristische Prinzipien, die allenfalls automatisierende Anteile
sprachlichen Lernens unterstützen konnten, jedoch keine komplexeren
kommunikativen Prozesse. Spätestens seit dem Web 2.0 haben sich jedoch die
Anwendungsmöglichkeiten, Programme und Lernräume dahingehend ver-
ändert, dass sie für die Unterstüzung mehrdirektionaler, dynamischer und
partizipatorischer Kommunikation geeignet erscheinen (vgl. Chun/Kern/
Smith 2016, 72). Obgleich der digitale Wandel dieses Stadium längst hinter
sich gelassen hat hat und weitere Aspekte wie mobiles Fremdsprachenlernen,
neue Textgenres und mit ihnen verbundene Literalitäten (vgl. Chun/Kern/
Smith 2016, 65 und Lütge in diesem Band) sowie selbst lernende Systeme (vgl.
Grünewald und Riemer in diesem Band) den Fremdsprachenunterricht be-
einflussen und verändern, erscheint es nach wie vor sinnvoll, nach dem di-

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206 Birgit Schädlich

daktischen Potenzial von Lernumgebungen und Kommunikationsformen zu


fragen, die „typisch“ für das Web 2.0 sind. So schreiben Miras und Narcy-
Combes (2018) ‚entmaterialisierten‘ Lehr-/Lernformaten vor allem im Kon-
text emergentistischer und sozialkonstruktivistischer Theorien das Potenzial
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zu, der Komplexität sprachlicher Lernprozesse entgegenzukommen. Kollabo-


rative Bedeutungsaushandlung im Umgang mit Aufgaben kann ihrer Ansicht
nach in virtuellen Umgebungen in besonderer Weise gefördert werden:
L’utilisation des outils dématérialisés en didactique des langues peut se justi-
fier dans un cadre théorique et pratique qui intègre les théories émergentiste
et sociocontructiviste et se traduit par une approche par tâches (Miras/Narcy-
Combes 2018, 199).
Mit diesem Fokus wird weiter unten (Leitfrage 4) ein hochschuldidaktisches
Szenario im Kontext der Lehrer*innenbildung vorgestellt.

Leitfrage 2: Leitbild – fachliche, didaktische und ethische Parameter


In fachlicher und didaktischer Hinsicht erscheint mir für ein Leitbild die Dis-
kussion darüber wichtig, welche spracherwerblichen und fremdsprachendi-
daktischen Prinzipien in welchen digitalen Kontexten auf welche Art und
Weise gestaltbar sind (vgl. Chun/Kern/Smith 2016, 70). Dabei geht es sowohl
um die Frage eines möglichen Mehrwerts für das Fremdsprachenlernen, als
auch um die Frage, wie Digitalisierung das Sprachenlernen selbst verändert,
welche neuen Gegenstände sie hervorbringt und wie Fremdsprachendidaktik
und -forschung darauf reagieren.
In ethischer Hinsicht sind die kritische Begleitung von Entwicklungspro-
zessen hinsichtlich der Frage möglicher Interessen, die Akteure mit Digitali-
sierungsprozessen verbinden (z.B. wirtschaftlicher Profit, politische Einfluss-
nahme) relevant, sowie rechtliche Fragen des Datenschutzes, wird doch
zunehmend unüberschaubar, was mit Daten vor allem aus Anwendungen
sozialer Netzwerke geschieht, wer sie für welche Kontexte nutzt und ob über-
haupt potenzielle Nutzungen immer vollständig antizipierend berücksichtigt
werden können. Dies stellt auch für das vorgestellte Projekt (Leitfrage 4) ein
zu reflektierendes Problem dar.

Leitfrage 3: Konzeptionelle Änderungen und Forschungszugänge


In erster Linie erscheinen Forschungsarbeiten notwendig, die Distanz zu
(vielleicht nur vermeintlichen) Anpassungszwängen „der“ Fremdsprachen-
forschung an „die“ Digitalisierung herstellen und Aspekte des digitalen Wan-
dels erkennbar zu machen versuchen, die nicht primär mit Bildungsprozessen
zu tun haben, diese aber sekundär beeinflussen können. Welche Gegenstände
der digitale Wandel auf welche Weise verändert oder auch neu hervorbringt,
sollte Gegenstand systematisierender, theoretischer Forschungsarbeiten sein.

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Und was wird dann aus den Texten? 207

Daneben erscheinen Arbeiten notwendig, die Entwicklungen der Digitalisie-


rung systematisch hinsichtlich ihres Veränderungspotenzials für fremdspra-
chendidaktische Kontexte diskutieren. Drittens sind konzeptionelle Arbeiten
ein Desiderat, die Anwendungskontexte entwickeln und in weiteren Schritten
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ihre Realisierung empirisch begleiten und evaluieren.


Für das im nächsten Abschnitt vorgestellte Projekt sollen diesem Sinne in
hochschuldidaktischer Hinsicht konzeptionelle Ansätze für die Gestaltung
von Lehr-/Lernszenarien der Lehrer*innenbildung beschrieben werden und
in forschungsorientierter Hinsicht methodologische Ansätze zur Auswertung
von interaktionalen Wissenskonstruktionen in digitalen Umgebungen.

Leitfrage 4: Anspruch und Möglichkeiten – Prioritäten für Lehrpersonen


und universitäre Lehrer*innenbildung
Angehende Lehrkräfte sollten sich während der verschiedenen Phasen ihrer
Professionalisierungsbiographie Wissen über digitale Werkzeuge und Digita-
lität als Thema (vgl. Lütge in diesem Band) aneignen können. Für Lehrperso-
nen erscheint die Beschäftigung mit und die Nutzung von digitalen Gegen-
ständen prioritär, die es ermöglichen, lerntheoretische und fachdidaktische
Prinzipien in lernförderlichen Praktiken zu realisieren und gleichzeitig die
angenommene Förderlichkeit empirisch zu evaluieren und didaktisch zu
reflektieren. In Szenarien forschungsorientierter Lehre, beispielsweise im
Rahmen von Forschungspraktika oder Lehrforschungsprojekten sollten Stu-
dierende Möglichkeiten zum Probehandeln und seiner Reflexion erhalten um
das, was Helsper (2011) eine „doppelte Professionalisierung“ nennt, anbah-
nen zu können.
Im Kontext eines Moduls des Master of Education Französisch der Uni-
versität Göttingen werde ich im Folgenden diskutieren, inwieweit (einzelne)
Elemente von Digitalisierung für hochschuldidaktische Entscheidungen in
der Lehre sowie auch für die Erforschung professionalisierender Prozesse
funktional sind. Konkret stehen Konzeption und Analyse interaktionaler
Wissenskonstruktion in Wikis1 im Zentrum. Ich interessiere mich – entspre-
chend dem Titel dieses Beitrags – dafür, was aus gemeinsam erarbeiteten
Seminarlektüren wird, wenn sie vor Fragen der Unterrichtspraxis transfor-
miert werden.
Das beschriebene Modul ist ein fachdidaktischer Kurs, bei dem nicht – wie
in sprachpraktischen Lehrveranstaltungen – der Ausbau fremdsprachlicher
Kompetenzen der Studierenden im Mittelpunkt steht, sondern die Aneignung
und Reflexion fachdidaktischer Inhalte, für die jedoch – so die Annahme –
ähnliche lerntheoretische Prinzipien relevant sind. Dabei gehe ich davon aus,

1
Im Projekt wird die Wiki-Funktion des Campusmanagementsystems StudIP ge-
nutzt.

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208 Birgit Schädlich

dass fachdidaktische Gegenstände nicht nur instruktiv „zu vermittelnde“


Inhalte darstellen, sondern dass diese in den Kursen der Lehrer*innenbildung
in der Auseinandersetzung mit Aufgaben situativ konstruiert werden, wie
oben mit Miras/Narcy-Combes (2018) ausgeführt. Im Rahmen des Ebenen-
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modells von Hallet (2018) verorte ich den Ansatz auf der Ebene, die er „The
digitilization of classroom communication and discourse“ nennt (vgl. Hallet
2018, 5).
Kontext ist ein Praktikumsmodul, in dem ein vierwöchiges Forschungs-
praktikum durch vor- und nachbereitende Seminarveranstaltungen begleitet
wird. Diese werden als Präsenzsitzungen gestaltet und punktuell durch durch
asynchrone Diskussionen im Wiki flankiert. Die Struktur ähnelt dem vom
Handtke (2018, 11) als „Kamm-Modell“ bezeichneten blended-learning-
Szenario. In den Präsenzsitzungen werden drei Schwerpunkte verfolgt: ers-
tens die Diskussion der Seminarliteratur, zweitens die Entwicklung, Durch-
führung und Reflexion von Microteachings und drittens die Auseinanderset-
zung mit Ansätzen empirischer Unterrichtsforschung. Thematisch steht die
Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit im Zentrum (vgl. Schädlich erscheint),
forschungsmethodisch eine Einübung in die systematische Beobachtung von
Fremdsprachenunterricht (vgl. Schramm/Schwab 2016; De Boer/Reh 2012).
Ziel des Moduls ist eine Sensibilisierung der Studierenden für unterschiedli-
che Aspekte von Mehrsprachigkeit und die Rekonstruktion von für den Ge-
genstand relevanten Praktiken im Französischunterricht. Gefördert werden
soll die Entwicklung fachdidaktischer Reflexionsfähigkeit im Sinne eines
„doppelten Habitus“ (vgl. Helsper 2011, 10-11), wobei einerseits unterrichts-
praktisches Handlungswissen eingeübt, gleichzeitig aber auch distanzierende
und umperspektivierende Reflexion initiiert und begleitet wird.
In den Präsenzphasen werden thematische und forschungsmethodische
Texte diskutiert und hinsichtlich der Planung und Beobachtung von Unter-
richt transformiert, was mit konkreten Aufgaben verbunden wird. Die Texte
decken verschiedene Mehrsprachigkeitsbegriffe sowie fachdidaktisch relevan-
te Forschungsarbeiten und Unterrichtsmaterialien ab. Die Aufgaben finden
sowohl in Präsenzphasen wie auch – dem Kamm-Modell entsprechend – in
asynchronen Diskussionen im Wiki statt. Sie haben das Ziel, die textbezogene
Seminardiskussion vor Fragen der Praxis (Unterrichtsplanung und -beobach-
tung im Praktikum) zu transformieren und dabei Handlungsmöglichkeiten
gleichermaßen auszuloten wie aus einer distanzierten Perspektive zu analysie-
ren.
Exemplarisch sollen im Folgenden eine der Wiki-Diskussionen genauer
beschrieben und in Form eines Erfahrungsberichts erste – noch sehr vorläufi-
ge – Beobachtungen zu den Interaktionen referiert werden. Die Aufgabe, die
im Wiki bearbeitet wurde, bestand in einer fokussierten Zusammenschau der
Inhalte der ersten Seminarsitzungen vor der Frage ihrer Relevanz für das
Praktikum. Der Impuls für die Wiki-Diskussion lautete: „Fassen Sie knapp

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Und was wird dann aus den Texten? 209

zusammen, was Sie aus den ersten Sitzungen des Seminars für das Praktikum
‚mitnehmen‘. Kommentieren Sie auch gerne die Ausführungen Ihrer Kommi-
litoninnen oder stellen Rückfragen.“
Die Arbeit im Wiki erlaubt es auf der hochschuldidaktischen Ebene, kol-
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laborative Wissenskonstruktionen zu initiieren und zu begleiten, auf der Ebe-


ne der Professionsforschung ermöglicht die Analyse der Einträge Einblicke in
die Konstruktionsprozesse und Merkmale ihrer gegebenenfalls typischen
Verläufe. Hierbei liegt das zentrale Erkenntnisinteresse bei der Frage, wie die
Studentinnen2 Textwissen über Mehrsprachigkeit bei der Bearbeitung praxis-
bezogener Aufgaben transformieren und wie sie welche Aspekte des Gegen-
stands ‚Mehrsprachigkeit‘ miteinander in Zusammenhang bringen.
Bei der hochschuldidaktischen Entwicklung des Settings war die Frage
zentral, wie Aushandlungsprozesse über digitale Anwendungen gestaltet wer-
den können und wie dabei Differenzierung und Diagnostik als Prinzipien
(vgl. Schmidt/Würffel 2018, 2) verfolgt werden können. Vor dem Ziel der
Binnendifferenzierung sollte im Wiki ein virtueller Raum geöffnet werden, in
dem auch in der Präsenzlehre zurückhaltendere Teilnehmerinnen sich äußern
können und alle mehr Zeit haben, sich mit den Beiträgen der Kommilitonin-
nen zu beschäftigen und den eigenen Beitrag im Diskurs zu kontextualisieren
(vgl. Würffel 2008, 16-17).
Foren und Wikis erscheinen gerade vor dem Anspruch interaktionaler
und adaptiver Bedeutungsaushandlung geeignete Kommunikationsformate.
Würffel (2008, 3) charakterisiert Wikis als prozeptive Umgebung, in der
Schreibende gleichzeitig auch Lesende sind. Dadurch können gegebenenfalls
neue, unerwartete Perspektiven emergieren, die auch neue Fragen der Hand-
lungspraxis gegenüber hervorbringen können.
Auch die Rolle der Lehrkraft verändert sich bei der kollaborativen Wis-
senskonstruktion, sie erhält eher die Funktion einer Moderation (vgl. Linke
2013, 48) als die der Wissenspräsentation. Ihre ebenfalls prozeptiv zu verste-
henden Diskussionsbeiträge im Wiki verfolgen entsprechend nicht das Ziel,
die Beiträge der Studentinnen zu evaluieren oder das neue Wissen zu ‚über-
prüfen‘. Vielmehr geht es um adaptives Interagieren, das Prozesse der Wis-
senskonstruktion iterativ – im Sinne eines unabgeschlossenen Prozesses der
Maximierung immer wieder neu fokussierter Beiträge – unterstützt. Die
„Progression“ folgt dabei weniger einer durch die Lehrkraft antizipierten
Linearität, als vielmehr der reflektierten Reaktion auf die im Prozess beobach-
teten Wissenskonstruktionen.
Die Interaktionsanalyse zielt darauf ab, das differenzierende Setting zu di-
agnostischen Zwecken zu nutzen, um Antworten auf die Frage zu erhalten,

2
An der Veranstaltung, in der die Daten erhoben wurden, haben ausschließlich
Studentinnen teilgenommen; für die folgende Darstellung wird daher die weibli-
che Form verwendet.

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210 Birgit Schädlich

wie Mehrsprachigkeit als fachdidaktisch relevanter Gegenstand von den Stu-


dentinnen im Hinblick auf Situationen der Praxis konstruiert wird. Die Inter-
aktionsanalyse (vgl. Börner 2000; Cicurel 2011) kann dabei auch als Ansatz
verstanden werden, auf das Problem der Überprüfung von Wirksamkeiten
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(vgl. Grünewald 2012, 211-212) zu reagieren: Aufgrund der Faktorenkomple-


xion ist es im Vergleich kontrastiver Settings (z.B. analoge vs. digitale Bear-
beitung einer Aufgabe) nahezu unmöglich nachzuweisen, „ob eine Verände-
rung tatsächlich auf das eingesetzte Medium zurückzuführen ist“ (Grünewald
2012, 211). So geht es auch bei der Interaktionsanalyse weniger um den
Nachweis der Wirksamkeit des Aufgabensettings im Wiki als vielmehr um
den verstehenden Nachvollzug der Konstruktionsprozesse aus einer distan-
zierten Perspektive (vgl. Cicurel 2011, 41). Problematisch bleibt dabei die
Verschränkung der Rollen als (involvierte) Dozentin und (distanzierte) For-
scherin. Die asynchrone Arbeit im Wiki ermöglicht jedoch auch einen verän-
derten Blick auf die problematische Positionalität (vgl. Herr/Anderson 2015,
40f.), vermag sie doch die Schönschen Konzepte von reflection in action und
reflection on action (Schön 1983) einander anzunähern: Während in der Prä-
senzlehre Reflexion in der Handlungssituation immer von Komplexität und
Zeitdruck geprägt ist, die nachgängige Reflexion hingegen ihre Ergebnisse
allenfalls mittelbar in den Unterricht zurückspielen kann, ermöglicht die
asynchrone Arbeit eine Handlungsveränderung in action, die gleichzeitig auf
der distanzierten reflection on action basiert. Insofern stellen asynchrone
Kommunikationsformate einen Raum bereit, in dem die Rückbezüglichkeit
handlungspraktischen Erprobens und distanznehmender Reflexionen auch
der Lehrperson gestaltet werden kann.
Eine Antwort auf die Frage, „was dann aus den Texten wird“, möchte ich
vorläufig so skizzieren: In den Wiki-Aufgaben zeigen sich deutliche Reflexe
der in den Präsenzsitzungen diskutierten Texte und Fragestellungen. Vor der
Frage, was die Studentinnen aus den ersten Sitzungen für das Praktikum
‚mitnehmen‘, seien hier erste Beobachtungen referiert:
Die Texte zu Mehrsprachigkeit werden so transformiert, dass die Beiträge
im Wiki auf die Fragen „was sollen Lehrkräfte tun?“ und „wie kann das Spra-
chenlernen vereinfacht werden?“ reagieren. Dies ist insofern bemerkenswert,
als nicht alle Seminarlektüren Aussagen dazu beinhalten. Vielmehr scheinen
die Texte „passend gemacht“ zu werden für Fragen, die von den Studentinnen
als impliziter Fluchtpunkt für die Wissenskonstruktion eingebracht werden:
Hier ordnen sie neues Wissen in vorgängige Repräsentationen zu sprachli-
chen Lehr-/Lernprozessen ein und verändern es dadurch. Was Börner (2000)
in Interaktionen beim Bearbeiten von Lernaufgaben beobachten konnte, wird
auch hier sichtbar. Zu interaktionalen Aushandlungsprozessen stellt er fest,
dass diese konstruktive Prozesse sind, bei denen „der Lerner einerseits Verar-
beitungshinweise aus der Aufgabe interpretiert, andererseits eigenes Sprach-

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Und was wird dann aus den Texten? 211

wissen über formale und inhaltliche Lösungsstrategien aktiviert und beides in


einem Lösungsergebnis zusammenführt“ (Börner 2000, 49).
An einem Beispiel mag deutlich werden, welche Interpretationen hier in
der Auseinandersetzung mit der Aufgabe im Wiki erkennbar werden. Im
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Kurs wurde beispielsweise die Arbeit mit sprachenbiographischen Daten


thematisiert und die Studentinnen haben mit Sprachenportraits gearbeitet,
die mit den Begriffen von Mehrsprachigkeit, Repertoire und Spracherleben
(vgl. Busch 2013) linguistisch und forschungsmethodologisch kontextualisiert
wurden. Es handelt sich um eine Perspektive auf Mehrsprachigkeit, der hohe
Relevanz für Sprachlernprozesse zugeschrieben werden kann, die aber nicht
unmittelbar in Unterrichtshandlungen überführbar ist.
In der Wiki-Aufgabe werden die Sprachenportraits nun als Instrument re-
flektiert, das den „Wert“ von Mehrsprachigkeit akzentuiert und identitätsbe-
zogene und emotionale Aspekte von Sprachlichkeit sichtbar machen kann.
Dabei werden diese Aspekte an vielen Stellen so transformiert, dass sie weni-
ger als (Forschungs-)instrument verstehender Deskriptivität gezeichnet, son-
dern normativ gewendet mit lernökonomischen und motivationalen Zielset-
zungen assoziiert werden. Dies zeigt sich beispielsweise in Beiträgen wie „[...]
da Sprachvergleiche [...] nicht nur interessant sind, sondern auch das Lernen
vereinfachen können“ oder „Die Lehrkraft sollte die Mehrsprachigkeit der SuS
effektiv in den Unterricht integrieren“ oder „[...] Sprachen der SuS können
genutzt werden, um Eselsbrücken zu bauen oder beim Lernen zu motivieren“
(Auszüge Wiki, Kursivsetzung B.S). Was hier auffällt, ist die Überschneidung
zweier – um erneut an die Terminologie Börners (2000) anzuknüpfen – Dis-
kurswelten, deren eine als subjektive Theorie vom Fremdsprachenunterricht
als Interpretationshorizont für die andere verstanden werden kann: Die Texte
zu Sprachenportraits werden innerhalb einer bestimmten Erwartung repro-
duziert und dabei werden ihnen auch Inhalte beigeordnet, die in den linguis-
tischen Texten anders oder gar nicht thematisiert werden. Bei der Auseinan-
dersetzung mit den Sprachenportraits war dies für mich besonders
augenfällig, denn die mehrsprachigkeitstheoretischen Überlegungen bei
Busch (2013) werden in erster Linie deskriptiv sowie sprachideologisch kri-
tisch entwickelt, wobei sie allenfalls mittelbar Relevantes für die Planung von
Fremdsprachenunterricht implizieren. Die Transformation im Wiki jedoch
„überspringt“ sozusagen die entsprechende Relevanzdiskussion und nimmt
stattdessen unmittelbare Festlegungen vor, die stark normativ formuliert sind,
gleichzeitig aber auf der Handlungsebene vage bleiben. Sie entsprechen also
weder dem reflexiven noch dem praxisbezogenen Anspruch von Professiona-
lisierung (vgl. Helsper 2011). Dominant sind stattdessen Beiträge mit Modal-
verben oder imperativischen Formulierungen wie beispielsweise: „[...] darauf
gilt es als Lehrkraft angemessen zu reagieren“; „Mehrsprachigkeit sollte für
den Fremdsprachenunterricht als Bereicherung [...] angesehen werden“ (Aus-
züge Wiki, Kursivsetzung B.S.). Als Weiterführung der und implizite Rück-

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212 Birgit Schädlich

meldung zu den Seminardiskussionen war dies für mich als Dozentin inso-
fern interessant, als sowohl die Texte wie auch die Seminardiskussionen stark
fragenden und problematisierenden Charakter hatten, deren Ziel darin be-
stand, für Handlungsalternativen und Entscheidungsdilemmata zu sensibili-
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sieren, wobei konkrete Fallbeispiele ausgestaltet wurden. Als Dozentin hatte


ich erwartet, dass sowohl die konkreten wie auch die fragenden Elemente im
Wiki „weitergesponnen“ würden. Tatsächlich aber besteht eine dominante
Praktik der Wissenstransformation in einer beobachtbaren Engführung der
im Seminar reflexiv offen gehaltenen Fragen.
Wenn Interaktion als „wechselseitige Beeinflussung von Individuen oder
Gruppen in aufeinander bezogenen Handlungen“ (Börner 2000, 45) verstan-
den wird, reagieren die Studentinnen auf den Impuls „[...] was Sie aus den
ersten Sitzungen des Seminars für das Praktikum ‚mitnehmen‘ (Auszug Wiki,
Kursivsetzung B.S.) mit einer Interpretation, die ‚mitnehmen‘ in einer be-
stimmten Art und Weise ausgestaltet und damit auf bestimmte Bezugspunkte
– hier nämlich Verfahren der Vereindeutigung – verweist. Ein möglicher
Deutungsansatz für diese Interaktion wäre, dass durch die Formulierung
‚mitnehmen‘ eine Praxissituation evoziert wurde, welche die Verengung der
Reflexion gegebenenfalls selbst hervorgebracht hat. Unabhängig von der In-
tention einzelner Beiträge wird an der Reaktion auf sie sichtbar, wie einzelne
Begriffe interpretiert und weitergeführt werden. Die Analyse ermöglicht eine
distanznehmende Reflexion dieser Fortführungen und damit auch die Kon-
struktion alternativer Formulierungen, die andere Rahmungen für andere
Reaktionen ermöglichen können.
Zusammenfassend sei festgehalten, dass Wiki-Diskussionen einerseits kol-
laborative und komplexe Aushandlungsprozesse in der Auseinandersetzung
mit Aufgaben initiieren können. Die mehrdirektionale Interaktion (vgl.
Chun/Kern/Smith 2016, 72) zwischen Lehrperson und Gruppe sowie zwi-
schen einzelnen Teilnehmerinnen sowie zwischen Lehrperson und einzelnen
Teilnehmerinnen scheint die vielfältige Vernetzung der Beiträge und gegen-
seitige Bezugnahmen aufeinander zu begünstigen, so dass Mehrsprachigkeit
als fachdidaktisch relevanter Gegenstand facettenreich konstruiert wird. Ob-
wohl dies im beschriebenen Setting nicht systematisch kontrastiert wurde, so
scheinen diese Beobachtungen maximierter Interaktion insofern auf das
Format „Wiki“ rückführbar, als ähnliche Ansätze und Aufgaben, die in ver-
gangenen Semestern in Foren bearbeitet wurden, weitaus weniger Interaktio-
nen hervorgebracht haben. Möglicherweise ist dies mit der umfassenden und
gleichzeitigen Sichtbarkeit aller Beiträge und der geringeren Anzahl notwen-
diger „Klicks“ erklärbar. Die leichte Editierbarkeit hält beispielsweise Linke
(2013, 48) für ein typisches Merkmal von Wikis.
Gleichzeitig jedoch können die Beiträge von dem Dilemma geprägt sein,
auch problematische Überzeugungen aufzurufen und gegebenenfalls durch
die maximierte Interaktion sogar zu verfestigen, ähnlich dem Phänomen von

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Und was wird dann aus den Texten? 213

Echoräumen in sozialen Netzwerken, in denen nur die Pfade angenommen


und weitergeführt werden, die den individuellen Erwartungen und Meinun-
gen entsprechen. Vor dem Anspruch der „doppelten Professionalisierung“
(vgl. Helsper 2011) bedeutet dies eine tendenzielle Ausblendung reflektieren-
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der Anteile und eine Verstärkung verallgemeinert formulierter Ansprüche an


„die“ Praxis. In der hier analysierten Interaktion werden Deskriptivität in
normative Formulierungen transformiert und offene Fragen stark geglättet.
Beiträge zu potenziellen Widersprüchen, die Lehrerhandeln grundsätzlich
rahmen und Impulse zu deren Reflexion wurden meist nicht weitergeführt.
Insofern wäre es naiv zu glauben, die mehrdirektionale und partizipa-
tionsfördernde Offenheit von Wiki-Diskussionen wäre „an sich“ ein Gewinn
für Professionalisierungsprozesse. Vielmehr birgt sie gerade in dieser Anlage
auch das Problem der möglichen Verfestigung von Praktiken der Didaktisie-
rung, die vor den Ansprüchen reflexiver, strukturtheoretisch ausgerichteter
Lehrerbildung (z.B. Helsper 2011) problematisch erscheinen müssen. Der
Mehrwert des Wikis besteht hier jedoch darin, dass diese Praktiken sichtbar
und ihrerseits durch Neukontextualisierung oder Reframing (im Sinne
Schöns) der Reflexion zugänglich gemacht werden können.
Als Ausblick seien für die formative Weiterentwicklung der Arbeit mit
Wikis zwei Linien skizziert: In hochschuldidaktischer Hinsicht sind Analysen
hinsichtlich folgender Aspekte vorgesehen: Erstens die Veränderung des Auf-
gabenimpulses dahingehend, diesen so zu formulieren, dass er weniger veren-
gende Reaktionen begünstigt und daraufhin die interaktionalen Anschlüsse
auf verschiedene Formulierungsalternativen zu beobachten. Darüber hinaus
sollen Interaktionen in anderen Kommunikationsformaten untersucht und
mit den Wiki-Interaktionen verglichen werden. So wurden bereits Audioauf-
nahmen von Diskussionen in Präsenzphasen angefertigt, die bei der Rekon-
struktion der Interaktionsprozesse als Vergleichsdaten genutzt werden sollen.
Als kontrastierendes Szenario im virtuellen Raum sollen in weiteren Durch-
gängen kollaborative Annotationsprogramme wie e-comma (vgl.
Chun/Kern/Smith 2016, 73) zum Einsatz kommen. In Prozessen des social
reading kann gegebenenfalls nachvollzogen werden, in Reaktion auf welche
Inhalte oder Formulierungen die oben beschriebenen Überlagerungen von
Diskurswelten und Verengungen didaktischer Reflexion typischerweise auf-
treten und welche Mechanismen sie bedingen.

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.?
Potenziale und Gefahren aus der Perspektive des lernenden
Subjekts
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Lars Schmelter

1 Digitaler Wandel: mehr Informationen – schneller, orts- und


personenunabhängiger!
Der digitale Wandel beruht auf dem im Mooreschen Gesetz (Moore 1965)
beschriebenen Phänomen, nach dem „sich die Verarbeitungskapazität von
elektronischen Komponenten seit der Erfindung der Computertechnik in den
1940er Jahren regelmäßig [...] bei unveränderten Komponentenkosten“ ver-
doppelt (Schaar 2018, 74). Als ein Resultat dieser Leistungssteigerung bei
gleichzeitig gleichbleibenden Kosten haben digitale Techniken in vielen Be-
reichen analoge Verfahren ergänzt, wenn nicht gar völlig verdrängt. Bisweilen
lässt sich eine mehr oder weniger systematische Verknüpfung analoger und
digitaler Verfahren beobachten, die je nach Person auch individuelle Züge
aufweist.
Insbesondere den Umgang mit Informationen haben die digitalen Tech-
niken in quantitativer und qualitativer Weise erheblich verändert, indem sie
das Protokollieren, Dokumentieren, Transportieren und damit Kommunizie-
ren, das Suchen und Finden, das Verknüpfen, Analysieren und damit das
Erkennen von Zusammenhängen zwischen Informationen, das Gestalten,
Regulieren und schließlich auch das Kontrollieren und Manipulieren von
Informationen schneller, orts- und personenunabhängiger und bei all dem
auch umfangreicher und damit z.T. überhaupt erst für die Allgemeinheit
möglich gemacht haben. Bei der Übermittlung und beim Abruf digital gespei-
cherter und genutzter Informationen werden darüber hinaus als Nebenpro-
dukt neue Informationen produziert, die wiederum den gerade aufgezählten
Prozeduren zugeführt werden können. Digitale Informationsspeiche-
rung, -bereitsstellung und -abfrage usw. können mittlerweile – und zum Teil,
ohne dass dies von der einzelnen Person noch kontrolliert werden kann – in
nahezu allen Lebensbereichen erfolgen (Stichwort: mithörende (Ra-
dio-)Lautsprecher, Fitness-Armbänder und Kamera-Überwachung des öf-
fentlichen Raums) und haben – auch aufgrund der kontrollierenden oder
manipulativen Nutzung von Informationen – das Potenzial, nicht nur die
informationale Selbstbestimmung der Person anzugreifen oder gar aufzuhe-

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 217

ben (vgl. u.a. Nida-Rümelin/Weidenfeld 2018; Schaar 2018)1. Zugleich verfü-


gen die gleichen Charakteristika des Umgangs mit Daten über Potenziale, die
bei entsprechend reflektierter Nutzung in vielen Bereichen des Lebens zu
einer Bereicherung führen können. Diese Dialektik gilt es auch mit Blick auf
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das Lehren und Lernen von Sprachen unter digitalen Bedingungen didaktisch
zu betrachten.

2 Lehren und Lernen von Sprachen digital weiterentwickelt


Zunächst einmal setzt der sog. digitale Wandel mit anderen Mitteln im Be-
reich Lehren und Lernen von Sprachen eine längerfristige Entwicklung fort.
War das Lernen von fremden Sprachen und Kulturen anfänglich auf die Ge-
genwart von kundigen Sprechern bzw. Lehrern zwingend angewiesen, so
haben nach und nach verschiedene Schrift-, Ton- und Bild-Ton-Träger diese
enge Anbindung des Sprachenlernens an eine konkrete, räumlich anwesende
Person zunehmend gelockert. Was eingeschränkt mit dem analogen Buch
über Jahrhunderte hinweg möglich war, entwickelte sich seit der Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert weiter. Die Sprache konnte hörbar, kulturelle Prakti-
ken konnten sichtbar gemacht werden. Zunehmend konnten auch interaktiv-
kommunikative Kontakte zu räumlich nicht präsenten Sprachen und Kultu-
ren medial und damit ohne Ortsveränderung der Lerner hergestellt und für
das Lernen und Lehren dieser Sprachkulturen genutzt werden. Stand am
Anfang der allein schriftliche Austausch, konnte durch medientechnologische
Weiterentwicklungen der interaktiv-kommunikative Kontakt mit Sprachen
und Kulturen außerhalb des eigenen Lebensbereichs erweitert werden (z.B.
Telefon, postalischer Versand von auditiven bzw. audio-visuellen Aufzeich-
nungen) (vgl. Germain 1993). Diese Entwicklung erfährt mit den digitalen
Datenträgern und Kommunikationsmöglichkeiten einen weiteren quantitati-
ven Schub und in Teilen auch qualitative Veränderungen.
Denn durch digitale Verfahren haben sich die Möglichkeiten des rezepti-
ven, des übenden, insbesondere aber des interaktiv-kommunikativen Um-
gangs mit fremden Sprachen und Kulturen vervielfältigt. Digitale Medien
bieten dabei die Möglichkeit, verschiedene Wahrnehmungs- und Kommuni-
kationsmodalitäten miteinander zu verknüpfen. Kommunikation und Inter-
aktion können Schrift-, Bild- und Mündlichkeit synchron und asynchron
nutzen bzw. verschiedene Mischformen dieser Modalitäten haben (z.B. Be-
gleitung durch statische oder bewegte Bilder, Symbole, Einbezug verschiede-
ner Schriften, Musik und Ton). Die von den interagierenden Personen er-
reichte Kompetenz in der bzw. den gemeinsam genutzten Sprache(n) kann in
diesen Kommunikationen differieren. So können Fremdsprachenlerner mit
Erst- oder Zweitsprachensprechern im Land der Zielsprache oder mit ande-

1
Siehe zu Folgen und Gefahren der Digitalisierung auch Küster (in diesem Band).

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218 Lars Schmelter

ren Lernern der Fremdsprache im Zielsprachenland, im eigenen Land oder


anderenorts in Kontakt treten. Ihre Kommunikation kann bei Bedarf durch
die Nutzung digitaler oder analoger Hilfen (z.B. Wörterbücher, Grammati-
ken, Konkordanzen, Paralleltexte in der eigenen Sprache) begleitet werden.
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Mehr noch: Stand zuvor bei Kommunikations- bzw. Verstehensschwierigkei-


ten in letzter Not ggf. eine lehrende bzw. sprachmittelnde Person zur Verfü-
gung, so kann die Kommunikation zwischen Sprechern unterschiedlicher
Erst-, Zweit- und Fremdsprachen heute zumindest in einigen Sprachkombi-
nationen durch Übersetzungsprogramme (beispielsweise DeepL) auf einem
durchaus ansehnlichen Sprachniveau ge- bzw. vermittelt werden (siehe aus-
führlicher u.a. Grünewald in diesem Band).
Folglich ist die auf das Lernen einer Fremdsprache abzielende Kommuni-
kation und Interaktion nicht mehr zwingend in Unterrichtskontexte einge-
bettet. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass auch die durch digitale
Medien ge- und vermittelte Kommunikation diese im Vergleich zum real-
physischen Kontakt noch immer auf einige wenige kognitive Aspekte redu-
ziert. Für die Qualität des Lernens (und Lehrens) von Sprachen wichtige Fak-
toren – wie beispielsweise die zeitlichen, räumlichen und leiblichen Erfahrun-
gen sowie die sozio-kulturelle Einbettung der Kommunikation und der mit
ihr verbundenen Lehr-Lernprozesse – erhalten eine andere Ausprägung und
führen daher aus einer subjektwissenschaftlichen Perspektive betrachtet
wahrscheinlich zu anderen Lernanstrengungen und -erfolgen, und zwar in
beide Richtungen: Das Lernen von Sprachen aufgrund dieser digital-medial
gestützten Kommunikationen wird sowohl anders verlaufen als ein Lernen,
das weitgehend im zielsprachlichen Kontext erfolgt, als auch ein Lernen, das
nahezu ausschließlich in unterrichtliche Kontexte eingebettet ist und dessen
sprachlicher Input sich auf Lehrpersonen und -materialien beschränkt.
Für das Lehren und Lernen von Sprachen können – so kann an dieser
Stelle zusammengefasst werden – mittlerweile zu allen relevanten Bereichen
Informationen (u.a. beispielhafter Sprachgebrauch, strukturierte und ggf.
adaptierte Sprachbeschreibung; nicht-sprachliche Informationen aus allen
Lebensbereichen der Zielkultur (in unterschiedlichen Sprachen)) in
„Rohform“ bzw. in didaktisch und methodisch für unterschiedliche Kontexte,
Zielperspektiven und -gruppen sowie in auf unterschiedlichem Niveau aufbe-
reiteter Form recherchiert und genutzt werden. Zudem können dank digitaler
Kommunikationstechniken fremdsprachliche Kommunikations- und Aus-
tauschmöglichkeiten, die zuvor nur durch Reisen bzw. langwierige Versand-
verfahren geschaffen und aufrechterhalten werden konnten, jetzt ohne diese
(z.T. sicherlich auch motivationalen) Hindernisse im Klassenzimmer herge-
stellt werden und reale Kontakte vor- und nachbereiten.

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 219

2 Herausforderungen des digitalen Lehrens und Lernens von


Fremdsprachen
Diese immens gewachsene Vielfalt an Möglichkeiten der Gestaltung, Beglei-
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tung, aber auch des Protokollierens und Evaluierens von sprachlichen Lern-
prozessen verlangt Lehrpersonen und Lernern – gerade auch weil die Mög-
lichkeiten zumeist schnell und unkompliziert zugänglich, vor allem aber
zahlreich sind – einiges ab. Wo es früher keine Alternativen gab, muss jetzt
aus den unzähligen Angeboten das jeweils passende ausgewählt werden. Die
Frage, welche der vielen Möglichkeiten mit Blick auf welche Lehr-
Lernkontexte, welche Bedarfe, Bedürfnisse und Zielsetzungen in welcher
Form und aus welchen Gründen angemessen sind, lässt sich in den seltensten
Fällen zweifelsfrei oder aufgrund reflektierter praktischer Erfahrung unmit-
telbar einschätzen und beantworten. Nur teilweise kann hier an Wissen ange-
knüpft werden, das noch in analogen Zeiten gewonnen wurde. Denn schon
die Nutzung portabler Wörterbücher weist gegenüber den analogen Vorgän-
gern Besonderheiten auf (Diehr/Gießler/Kassel 2016). Die Digitalisierung
ersetzt also nicht nur alte Medien der Informationsbeschaffung, der Vermitt-
lung und des Lernens, sondern sie kann auch neue Vermittlungsstrategien
ermöglichen.
Vermutlich muss aber bei der Bewertung dieser Vermittlungsstrategien
auch von Veränderungen der kognitiven Rezeptions- und Verarbeitungspro-
zesse und folglich auch der Kompetenzaneignung ausgegangen werden. So
verändert sich offensichtlich das informationsentnehmende, kritische Lesen,
wenn es am Bildschirm und nicht vor bedrucktem Papier stattfindet, in Ver-
lauf und Ergebnis (vgl. die Stavanger-Erklärung des Forschernetzwerks E-
Read 20192). Auch das Schreiben mit Stift und Papier zeitigt offensichtlich
zumindest in bestimmten Kontexten und Aufgaben andere Effekte als das
Schreiben am Bildschirm; insbesondere dann, wenn ein Programm zur Wort-
bzw. Zeichenvervollständigung das aufwändige produktive eigenständige
Erinnern durch ein zumindest annäherungsweises Wiedererkennen zuneh-
mend ersetzt (vgl. u.a. Guder in diesem Band).
Die digital ermöglichten Gestaltungsvarianten von institutionellen und in-
formellen sprachlichen Lehr- und Lernkontexten ergeben folglich im Wech-
selspiel mit den institutionellen und personalen Rahmungen komplexe Effek-
te (vgl. Arnold u.a. 2015, 50-54). Diese im Einzelnen zu überschauen und zu
bewerten, um daraus adäquate Lehr-Lern-Kontexte zu gestalten, müsste ei-
nerseits jeweils neu und vor Ort von den Lehrpersonen und Lernern über-
nommen werden. Diese dezentrale, lokalisierte und individualisierte Gestal-
tung der Lehr- und Lernmaterialien und -kontexte wäre zwar pädagogisch
und didaktisch, möglicherweise auch bildungspolitisch wünschenswert. An-

2
Reaktionen auf diese Experten-Erklärung referiert Küchemann (2019).

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220 Lars Schmelter

dererseits besteht dabei immer die Gefahr, zu unprofessionellen Ergebnissen


zu kommen. Denn ein Großteil der grundsätzlich und für den spezifischen
Lehr-Lernkontext zu beantwortenden methodisch-didaktischen Fragen kann
vermutlich nicht einmal die professionelle Fremdsprachenforschung ange-
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messen beantworten, so dass die individuellen Lehrpersonen bzw. die Ler-


nenden mit diesen Fragen überfordert sein könnten.
Didaktisch-methodische Herausforderungen für die Gestaltung des Leh-
rens und Lernens (von Sprachen) ergeben sich letztlich erst in Abhängigkeit
der Zielsetzungen, die mit dem Unterrichten bzw. dem Aneignen verfolgt
werden (sollen). Insofern werden die durch die Digitalisierung provozierten
Herausforderungen noch größer, wenn man berücksichtigt, dass sich mit ihr
nicht mehr nur neue Lehr- und Lernverfahren bei der Aneignung weitgehend
bekannter fremdsprachlicher Kompetenzen und damit beim Erreichen mehr
oder weniger althergebrachter Lehrziele zur Verfügung stehen. Mit der Digi-
talisierung sind Kommunikations- und Interaktionsformen möglich gewor-
denen, die die Relevanz der bisherigen Lehrziele des Fremdsprachenunter-
richts erheblich infrage stellen (vgl. auch die Dystopien bei Grünewald und
Riemer in diesem Band). Dirk Siepmann (2018) stellt die Kernfrage in aller
Schärfe:
Wozu sollte man sich intensiv mit dem mühevollen Lernen einer Fremdspra-
che auseinandersetzen, wenn DeepL einem die Arbeit abnehmen kann?
(Siepmann 2018).
Wozu sollten erhebliche Ressourcen in schulische Vermittlungsbemühungen
investiert werden, wenn die damit zu erreichende kommunikative Basiskom-
petenz in einer Fremdsprache auch kostengünstiger erreicht werden kann?
Vor dem Hintergrund der in seinen Augen dürftigen Ergebnisse des kompe-
tenzorientierten Fremdsprachenunterrichts sieht Siepmann denn auch die
Fremdsprachendidaktik in Schule und Hochschule der Politik gegenüber
unter Rechtfertigungsdruck. Seiner Ansicht nach wird die
reine Kompetenzschulung [...] um eine stärkere bewusste Durchdringung
sprachlicher Regelmäßigkeiten und um eine Besinnung auf den Bildungsauf-
trag des Fremdsprachenunterrichts ergänzt werden müssen, also um die ver-
stärkte Lektüre literarischer, philosophischer und journalistischer Originaltex-
te, um Landeskunde und Kulturstudien (Siepmann 2018).
Angesichts dieser komplexen Veränderungen, die sich aufgrund digitaler
Möglichkeiten für fremdsprachige Kommunikation und Interaktion ergeben
können, reicht es aus fremdsprachdidaktischer Perspektive nicht mehr aus,
die digitalen Medien und Medienverbünde hinsichtlich ihrer Effizienz für das
traditionelle Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu prüfen. Vielmehr
geht es darum, didaktisch und bildungstheoretisch begründete Vorschläge für
die Berücksichtigung dieser Veränderungen in den Curricula zu machen.
Aktuelle bildungspolitische Papiere zur Digitalisierung (BMBF 2016; KMK

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 221

2016) gehen an den hier nur skizzierten zentralen Herausforderungen vorbei


(vgl. zur kritischen Auseinandersetzung u.a. GFD 2018). Hier werden zumeist
nur die vergleichsweise einfachen Effekte des digitalen Wandels sowie die
Aspekte der sog. ‚employability‘ thematisiert. Die Überlegungen der EU (vgl.
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Vuorikari u.a. 2016) bzw. der UNESCO (2018) zu einem digitalen Kompe-
tenzprofil reichen ebenfalls kaum darüber hinaus. Der Companion zum Ge-
meinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Council of Europe
2017) bleibt m.E. in dieser Frage sogar hinter den genannten Papieren zurück.

3 Emanzipatorisches Potenzial der Digitalisierung vs. Funktion von


Schule?
Vor dem Hintergrund der skizzierten Informations-, Kontakt- und Kommu-
nikationsmöglichkeiten mit den diversen Sprachen dieser Welt erwächst –
wie bereits angeklungen – für die didaktische Gestaltung von fremdsprachli-
chen Lehr- und Lernprozessen ein großes Potenzial, das es zu reflektieren und
ggf. funktional adäquat zu nutzen gilt. Dies gilt auch für die einzelne Person,
die unabhängig von institutionellen oder beruflichen Vorgaben oder gerade
parallel dazu sich einer fremden Sprache und Kultur lernend nähert; oder sie
lediglich für kommunikative oder konsumierende Zwecke nutzt. Die Ausei-
nandersetzung mit bzw. die Nutzung von fremden Sprachen und Kulturen
kann sich aufgrund der Vielfalt sowie der Dynamik und Flexibilität der digi-
talen Zugänge enger an den Bedürfnissen, Bedarfen und vorhandenen Hand-
lungsmöglichkeiten der lernenden Person orientieren, als dies z.B. mit dem
klassischen Lehrwerk oder in traditionellen Lehr-Lernkontexten möglich war
und ist.
Lehrpersonen können ihre lehrenden Vermittlungsbemühungen anrei-
chern, Phasen des Präsenzunterrichts für die Tätigkeiten nutzen, die bei me-
dialer Vermittlung weniger gut gelingen, und entsprechend durch eigenstän-
dige Vor- und Nachbereitung der Lerner rahmen lassen. Lerner können
ihrerseits den Fremdsprachenunterricht unabhängig von vorgegebenen, im
Unterricht eingesetzten Lehr-Lern-Materialen mit selbstgewählten Themen,
Übungen, Kommunikationen und Interaktionen ergänzen. Sie können leich-
ter als bislang Sprachen lernen, für die es lokal keine Lehrangebote gibt.
Fremdsprachenlernen wird damit in Teilen unabhängiger von den Lehrange-
boten, die zwangsweise besucht werden müssen bzw. die lokal (nicht) vor-
handen sind. Die digitale Welt des Fremdsprachenlernens bietet so betrachtet
Möglichkeiten der Emanzipation und Selbstbestimmung der Person, die in
diesem Ausmaß bislang nicht oder nur sehr wenigen, zumeist finanziell und
sozial Privilegierten zur Verfügung standen.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die tatsächliche Nutzung digitaler
Medien im (schulischen) Fremdsprachenunterricht, so drängt sich der Ein-
druck auf, dass die inneren Widersprüche der verschiedenen Funktionen des

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222 Lars Schmelter

Bildungssystems3 deutlicher als bislang hervortreten. Einerseits soll der schu-


lische Fremdsprachenunterricht u.a. durch die Vermittlung von Sprachlern-
strategien das selbstständige (Weiter-)Lernen von Sprachen befördern. Die
Nutzung von Hilfsmitteln für die fremdsprachliche Rezeption und Produkti-
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on wäre folglich systematisch zu thematisieren und ihr Nutzen für die Aneig-
nung fremdsprachlicher Kompetenz zu reflektieren. Andererseits kann weder
die systematische Einführung in die Nutzung von Wörterbüchern und
Grammatiken noch das Schreiben unter zur Hilfenahme von Rechtschreibe-
und Korrekturprogrammen als Standard realer schulischer Vermittlungspra-
xis beobachtet werden. Dieser wenn nicht systematische, so zumindest doch
symptomatische Ausschluss von Hilfsmitteln, die zur außerschulischen Praxis
gehören, ist weder handlungs- noch kompetenzorientiert, lässt sich jedoch
vor dem Hintergrund von Prüfungen und Bewertungen, d.h. mit Blick auf die
Bewertungs- und Allokationsfunktion von Schule erklären. Prüfungen – und
mit ihnen der Unterricht selbst – zielen auf ein stark individualisiertes Ver-
ständnis von Leistung ab. Schulische Leistungen müssen nur bedingt den
realen sozialen Praktiken und Handlungszusammenhängen entsprechen.4
Folglich werden vermutlich auch in absehbarer Zukunft digitale Wörterbü-
cher, Übersetzungsprogramme usw. nicht zum Gegenstand schulischen
Fremdsprachenunterrichts gemacht.
Schule ist so betrachtet gerade kein Schonraum, in dem aus einer reflek-
tierten und didaktisch methodisch gestalteten Distanz heraus individuelle
Bildungsprozesse mit Blick auf Alltagsfragen und -gegenstände angebahnt
und vermittelt werden, sondern Schule verhindert durch den Ausschluss
dieser Gegenstände und Verfahren geradezu die kritisch-reflektierte und vor
allem konstruktive Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten.
Damit ist im Umkehrschluss nicht gefordert, dass der Fremdsprachenunter-
richt sich allein auf die effiziente Nutzung von DeepL & Co. festlegen sollte.
Wenn aber das Lernen von 2. und 3. Fremdsprachen offensichtlich schon
jetzt bei vielen Schülern nur widerwillig erfolgt und beendet wird, sobald die
schulische Auflage dazu aufgehoben ist, dann wird deutlich, welche Lernwi-
derstände schulischer Fremdsprachenunterricht in naher Zukunft erwarten
muss; und zwar gerade auch aufgrund der offensichtlichen inklusiven, indivi-
dualisierenden und emanzipatorischen Potenziale, die in einer tatsächlich an
der Bildung der Person orientierten Nutzung digitaler Möglichkeiten liegen.
Die digital vermittelten Zugriffe auf fremde Sprachen und Kulturen, die
Vielfalt der durch sie zu Lehr- und Lernzwecken nutzbaren Inhalte und
Kommunikationsmöglichkeiten, bieten ja gerade das Potenzial, u.a. den
„Gleichlauf von Lernzeiten und Lerngeschwindigkeiten“ (Faulstich 2013,

3
Vermittlung und Anleitung individueller Bildungsprozesse, Wertevermittlung,
Inklusion, aber auch Allokationsfunktion, Standardisierung usw.
4
Siehe zum Leistungsbegriff u.a. Schäfer/Thompson (2015) und Verheyen (2018).

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 223

137), der Schulen als „Disziplinanlagen des Lernens“ (ebd.) im Sinne von
Foucault (1975) erscheinen lässt, aufzubrechen.
Wenn zwischen dem Aufwand, den ich zu betreiben habe, und dem, was für
mich herauskommt, eine Diskrepanz besteht, wenn die Sinnhaftigkeit von
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Lernanstrengungen und Lernbemühungen nicht gegeben ist, dann sind Lern-


widerstände berechtigt. Wie wir als Lernende entscheiden, welche Maßstäbe
wird anlegen, um festzustellen, ob das Verhältnis von Lerneinsatz und Lerner-
folgen akzeptabel ist, hängt von unseren biographischen Erfahrungen, von
den Einstellungen und Interessen ab. Es handelt sich dabei um Werthaltun-
gen, die sich als geronnene Erfahrungen in Lebenszusammenhängen gebildet
haben (Faulstich 2013, 139).
Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die biographischen Rahmen-
bedingungen „an milieuspezifische Horizonte rückgebunden sind“ (ebd.)5.
Wenn der Nutzen des Fremdsprachenlernens z.B. durch reale oder medial
vermittelte Kontakte zu Sprechern der fremden Sprache nicht unmittelbar
erfahrbar wird, wenn zudem offensichtlich im außerschulischen Bereich gän-
gige Hilfsmittel in der schulischen Klausur6 systematisch ausgeschlossen wer-
den bzw. ihre Nutzung unterbunden wird, dann verspricht der Aufwand des
Fremdsprachenlernens wenn überhaupt erst in ferner Zukunft ein evtl. besse-
res Leben. Insofern sind meine Lernanstrengungen in Teilen auch abhängig
von den herkunftsbedingten Einsichten in den Nutzen fremdsprachlicher
Kompetenz. Familienurlaub im fremdsprachigen Ausland, Sprachschulferien
usw. werden folglich weiterhin die milieubedingten Horizontbeschränkungen
verstärken.
Insofern verfestigt ein weitgehend analog gestalteter schulischer Fremd-
sprachenunterricht im digitalen Zeitalter die allokative und damit ‚wahre‘
Funktion von Schule. Die sieht Didier Eribon (2009/2018) unter Bezug auf die
Arbeiten von Bourdieu (1993) und Foucault (1975) nach wie vor in der Re-
produktion sozialer und wirtschaftlicher Machtverhältnisse:
[...] rejeter les enfants des classes populaires, perpétuer et légitimer la domina-
tion de classe, l’accès différentiel aux métiers et aux positions sociales. Une
guerre se mène contre les dominés, et l’École en est donc l’un des champs de
bataille. Les enseignants font de leur mieux ! Mais ils ne peuvent rien, ou si
peu, contre les forces irrésistibles de l’ordre social, qui agissent à la fois souter-
rainement et au vu de tous, et qui s’imposent envers et contre tout (Eribon
2009, 124).

5
Siehe hierzu auch die Darstellung und Analyse der eigenen Schul- und Sprach-
lernbiographie bei Eribon (2009/2018, 143-184)
6
Der Begriff ergibt hier in seiner doppelten Bedeutung einen Sinn.

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224 Lars Schmelter

4 Leitlinien eines emanzipatorischen Fremdsprachenunterrichts in


Zeiten von DeepL
Leitlinie für Schule sollte m.E. daher weiterhin ein recht traditionelles und
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eingestandenermaßen idealistisches Bildungsverständnis sein, das auf eine


gerechte, vor allem aber auch mündige und damit kritisch-reflektierte Beteili-
gung an gesellschaftlichen Wertschöpfungs- und Entscheidungsprozessen
abzielt. Die unmittelbare ökonomische Verwertbarkeit, die bei vielen aktuel-
len bildungspolitischen Initiativen zur Digitalisierung durchscheint, hat vo-
raussichtlich eine geringere Haltbarkeit als die kritisch reflektierte Mündig-
keit im Umgang mit allem Neuen. Im Mittelpunkt eines solchen
Bildungsbegriffes stünde das lernende Subjekt (u.a. die Beiträge in Al-
lespach/Held 2015, hier insbesondere Zimmer 2015). Lehrkontexte hätten
entsprechend Angebote zu machen, die es dem Subjekt ermöglichen, die in
den Gegenständen und Aufgaben manifesten Handlungsanforderungen und
Entwicklungspotenziale z.B. durch Diskrepanzerfahrungen zu erkennen und
zugleich expansiv zum Ausbau je eigener Möglichkeiten zu nutzen und sich
nicht bloß das aufgrund situativ-institutioneller Zwänge Notwendige defensiv
lernend anzueignen.
Fremdsprachenunterricht wäre in diesem Bildungsverständnis ein solches
Angebot, das es u.a. auch ermöglicht, mit den Potenzialen, aber gerade auch
mit den Limitationen maschineller Übersetzungen kritisch-reflektiert und
damit mündig umzugehen. Dies kann wiederum nur gelingen, wenn zumin-
dest in einer, besser aber in mehr als einer Sprache so umfangreiche Kompe-
tenzen erworben wurden, die eine kritische Einschätzung von maschinellen
Übersetzungen überhaupt erst ermöglichen. Insofern gilt es, bei der Berück-
sichtigung der digitalen Angebote immer zu prüfen, wo sie die individuellen
Lernanstrengungen sinnvoll entlasten, erleichtern oder eben auch ggf. unnö-
tig machen können. Wer gelernt hat, auf der Basis eigener, gut ausgebauter
Fremdsprachenkenntnisse komplexere Sachverhalte mit Hilfe von Online-
Lexika und Korpora oder Übersetzungsprogrammen kommunikativ auszu-
handeln, und dabei gelernt hat, mit evtl. Missverständnissen – die sich im
Übrigen auch bei analog gedolmetschten oder übersetzten Interaktionen er-
geben können – umzugehen, der wird die Übersetzungshilfen auch kritisch
und mündig in anderen Sprachen, die er nur ansatzweise oder gar nicht be-
herrscht, nutzen können und wollen.

5 Gefahren im lehrenden, lernenden und forschenden Umgang mit


digitalen Medien
Die Protokollier- und Datenanalyse-Kapazitäten der digitalen Informations-
technologien werden immer wieder auch mit Blick auf eine individualisierte
Diagnostik und der darauf aufbauenden differenzierten und diversifizierten

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 225

Gestaltung von Lehr- und Lernprogrammen hervorgehoben. Sicherlich ber-


gen diese Kapazitäten das Potenzial in sich, z.B. die individuelle Lernerspra-
chen-Entwicklung genauer und präziser zu protokollieren und anschließend
durch komplexe Algorithmen zu analysieren. Auf diese Weise könnten ggf.
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auch komplexere Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen des In-


puts, seiner Bewusstmachung und ggf. metasprachlichen Aufbereitung, Lern-
aufgaben und Rückmeldungen durch andere Lerner und Lehrpersonen „er-
rechnet“ werden. Die Faktorenkomplexion verlöre so evtl. an Größe und die
Fremdsprachenforschung käme vielen bislang nicht zu lösenden Fragen ein
Stück weit näher. Der so gläsern gewordene Lerner aber verlöre auf diese
Weise seine informationale Selbstbestimmung. Unter ethischen Gesichts-
punkten des Datenschutzes und des Schutzes von Persönlichkeitsrechten von
Schülern und Studenten bin ich fast wieder froh, dass Schule und Universität
so anachronistisch veranlagt sind.
Denn während die differenzierte, personenzentrierte, möglicherweise
passgenauere und damit idealerweise auch erfolgsversprechendere und effizi-
entere Gestaltung von fremdsprachlichen Lehr-Lernprozessen wünschens-
wert und pädagogisch wie ethisch vertretbar erscheint, stellt sich zugleich die
Frage, wer außer den Lernern und ihren Lehrpersonen soll noch Zugriff auf
die gespeicherten Lernverläufe, Sprachstandsanalysen, Log-Daten in Lehr-
programmen usw. haben. Wie lang? Und für welche Zwecke? Wie sicher
geschützt vor unbefugtem Zugriff sind diese Daten? Auch mit Blick auf diese
Fragen gilt es immer die Nutzung von digitalen Medien insbesondere im
schulischen Fremdsprachenunterricht, aber auch in der empirischem Fremd-
sprachenforschung zu bewerten; insbesondere dann, wenn Wirtschaftsunter-
nehmen die Technologie freundlicherweise kostengünstig oder -frei zur Ver-
fügung stellen. Vor dem Hintergrund einiger im Rahmen der 14. DGFF-
Arbeitstagung des wissenschaftlichen Nachwuchs in der Fremdsprachenfor-
schung präsentierter Projekte würde ich mir hier mehr kritisches Bewusstsein
gerade auch, aber nicht nur bei den Betreuern entsprechender Qualifikations-
arbeiten wünschen.

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Fremdsprachenlernen in Zeiten von DeepL und Co.? 227

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Digitally empowered teaching and learning –
Kompetente Fremdsprachenlehrkräfte + intelligente
Technologie
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Torben Schmidt

1 Einleitende Bemerkungen
Wie in nahezu allen Bereichen unseres Lebens bietet die Digitalisierung auch
im Bereich der (schulischen) Bildung allgemein und des Fremdsprachenleh-
rens und -lernens im Speziellen die Grundlage für weitreichende, herausfor-
dernde Veränderungsprozesse. Begriffe wie bring your own device, mobile
based language learning, Tablet-Klassen, gamification, educational apps, blen-
ded learning, künstliche Intelligenz und learning analytics sind dabei in aller
Munde und stehen – jeder für sich genommen – für weitreichende, bezüglich
Wirkungen und Ausgestaltung teilweise noch recht unbeforschte, Verände-
rungen im didaktischen Dreieck zwischen Lehrenden, Lernenden und Lern-
inhalten. Von technologischen Werkzeugen wie digitalen Klassenbüchern,
Software zur Prüfungsorganisation und -durchführung oder Softwaresyste-
men zur Abwicklung aller Verwaltungsabläufe für Schulen und Lehrkräfte,
bis hin zu Lernplattformen, adaptiven Lernprogrammen und multimedialen,
interaktiven Schulbüchern für Schüler_innen werden zukünftig zunehmend
Lösungen, Assistenzsysteme, Werkzeuge und intelligente tutorielle Systeme
entwickelt, die Prozesse vereinfachen und fachliches Lernen datengeleitet
optimieren können. Speziell mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht kön-
nen sich zudem durch die Nutzung digitaler Medien verbesserte Möglichkei-
ten ergeben, Lernende an reale fremdsprachliche Kommunikation (rezeptiv
und produktiv) heranzuführen und sie an medialen Diskursen partizipieren
zu lassen. Zusätzlich bieten Technologien wie virtual reality neuartige Mög-
lichkeiten des virtuellen Eintauchens in die Zielkultur und Sprache. Kurzum:
Das Fremdsprachenlehren und -lernen befindet sich derzeit in einem rasan-
ten, von neuen Technologien und Anwendungen getriebenen Veränderungs-
prozess, der außerhalb der Institution Schule bereits seine volle Dynamik
entfaltet hat; Digitalisierung kann dabei ein Mehr an Individualisierung,
Adaptitvität, Authentizität, kommunikativer Realität und Immersion schaf-
fen. Allerdings stellen sich diese Mehrwerte keineswegs automatisch ein und
die Diskussion sollte weder zu optimistisch und ausschließlich von neuen
Anwendungen und ihren vermuteten Möglichkeiten geprägt sein, noch zu
pessimistisch und defizitorientiert, z.B. bezüglich der immer noch mangelhaf-

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Digitally empowered teaching and learning 229

ten Ausstattung der Schulen (was sich durch den 5 Milliarden schweren Digi-
talpakt Schule des Bundes hoffentlich ändert) oder generellen Gefahren der
Mediennutzung (vgl. Spitzer 2012), geführt werden. Vielmehr bedarf es einer
stark aus den Fächern heraus geführten kompetenzorientierten Digitalisie-
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rungsdebatte. Um den digitalen Wandel in Schule und Unterricht erfolgreich


zu gestalten, braucht es neben der digitalen Infrastruktur als Grundvorausset-
zung 1. gut ausgebildete und in ihrer Mediennutzung kompetente, kritische
und reflektierte Fachlehrkräfte, 2. bezüglich ihrer Wirkung empirisch erprob-
te, an den Bedarfen des Unterrichts und der zu vermittelnden Kompetenzen
ausgerichtete, sehr gut konstruierte Lernmedien und 3. intelligente mediale
Nutzungsszenarien, die das digital unterstützte Lernen und Arbeiten mit
bewährten anderen Methoden und Inhalten des Unterrichts verknüpfen (vgl.
Schmidt/Strasser 2016). Die derzeit ausgeschriebenen Förderprogramme
„Forschung zur Gestaltung von Bildungsprozessen unter den Bedingungen
des digitalen Wandels“ sowie das Zusatzprogramm „Digitalisierung“ der
Qualitätsoffensive Lehrerbildung stellen wichtige Schritte dar, um die Digita-
lisierung als zentrale Aufgabe anzugehen und die Grundlagen für einen er-
folgreichen digitalen Wandel in Schule und Lehrerbildung zu schaffen.
Dieser Beitrag geht von der Grundannahme aus, dass auch im Zentrum
eines jeden guten digital angereicherten Fremdsprachenunterrichts zukünftig
eine kompetente Lehrkraft steht, die in den Bereichen Unterrichten, Erziehen,
Beurteilen, Innovieren (vgl. KMK 2004) sehr gut ausgebildet ist und „in ih-
rem jeweiligen Fachunterricht professionell und didaktisch sinnvoll“ digitale
Medien einsetzt „sowie gemäß dem Bildungs- und Erziehungsauftrag inhalt-
lich reflektieren“ kann (KMK 2016, 25). Nachfolgend soll herausgearbeitet
werden, wie kompetente Fremdsprachenlehrkräfte durch intelligente techno-
logische Unterstützung in typischen Lehr-/Lerntechniken und -prozessen
unterstützt und somit im Sinne eines digitally empowered teaching and learn-
ing Mehrwerte erzeugt werden können. Hierzu soll der Fokus auf den Bereich
des digital unterstützten Übens gelegt werden, der besondere Innovationspo-
tenziale aber auch besondere Herausforderungen durch den Einsatz digitaler
Technologien bietet und die Potenziale zur Verbesserung von Lehrkräften in
den zentralen Bereichen Diagnose, Förderung und Feedback verdeutlicht. Im
letzten Teil des Beitrags soll dann ein Modell für eine kompetenzorientierte
Lehrerbildung vorgestellt werden, die Lehrkräfte gezielt auf die Herausforde-
rungen des Lehrens und Lernens mit und über Medien vorbereitet.

2 Differenziertes Üben unterstützt durch Computerlinguistik und


künstliche Intelligenz
Ein Bereich, der besondere Chancen und Innovationspotenziale durch die
Möglichkeiten der Digitalisierung bietet und von den Anforderungen des
Schulalltags her begründet ist, stellt das Üben im Fremdsprachenunterricht

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230 Torben Schmidt

dar. Anhand von zwei Beispielen (und Problemstellungen) soll hier verdeut-
licht werden, wie durch digitale Unterstützung ein Mehrwert gegenüber heute
noch üblichen Verfahren erzeugt werden kann, um Anforderungen schuli-
scher Heterogenität und Inklusion besser zu bewältigen und individualisierte
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und personalisierte Lernangebote bereitzustellen:

1. Im Lehrwerk findet sich in einer Unit ein Text zu einer bestimmten


Thematik, der in der Regel von einem/r Lehrwerkautor_in entweder
basierend auf einem authentischen Text (der z.B. durch eine Internet-
suche gefunden wurde) für eine/n angenommene/n Durchschnitts-
schüler_in einer bestimmten Klassenstufe und Schulform basierend
auf subjektiven Erfahrungswerten vereinfacht und umgeschrieben oder
komplett frei erfunden wurde. Die Rückmeldung eines/r Redaktions-
kollegen_in, es müsse aber noch etwas mehr indirekte Rede in den
Text, weil das in der Unit ja auch vorkommt, wird natürlich noch beim
Umbau berücksichtigt. Für das zusätzlich erhältliche Schülerbuch für
Lerner_innen mit besonderen Förderbedarfen hat dann ein/e andere/r
Autor_in noch eine vermeintlich einfachere Variante des Textes ge-
schrieben, indem einige Sätze verkürzt, als kompliziert empfundene
Vokabeln und grammatische Strukturen ersetzt und insgesamt mehr
Absätze eingefügt wurden. Dieses sicherlich keineswegs untypische
Vorgehen beim Finden und Aufbereiten von fremdsprachlichen Tex-
ten, das auch unabhängig von den Lehrwerktexten zum Alltagsgeschäft
von Lehrkräften zählt, kann mit computerlinguistischen Verfahren
deutlich optimiert werden. So können etwa mithilfe der Suchmaschine
FLAIR (Chinkina/Meurers 2016, http://sifnos.sfs.uni-tuebingen.de/
FLAIR/) authentische Texte auf einem bestimmten Sprachniveau ge-
funden werden, die ausgewählte Zielkonstruktionen möglichst reich
repräsentieren. Durch die Möglichkeit des input enhancement (vgl.
Sharwood Smith 1993) können diese dann auf Wunsch als Lerngele-
genheit für noticing-Prozesse visualisiert und in weiteren Programmen
dann etwa gezielt zu Übungsgelegenheiten aufbereitet werden. Auch
eigene Texte und Korpora können mit diesem System analysiert wer-
den. Insgesamt können mithilfe dieser sprachsensiblen Such- und Vi-
sualisierungstechnologie deutlich passgenauere authentische Texte für
den Unterricht und den individuellen Lernenden gefunden werden,
was eine große Unterstützung für Lehrkräfte und Lehrwerkau-
tor_innen darstellt, sie für Herausforderungen und Schwierigkeiten
von Texten sensibilisiert und schließlich auch dazu führen kann, dass
Lehrkräfte demzufolge individuellere Unterstützungsangebote für die
Arbeit mit dem Text bereitstellen können.

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Digitally empowered teaching and learning 231

2. In Klasse 10 will die Lehrkraft mit ihrer Klasse noch einmal verstärkt
die Verbzeiten des Englischen üben. Sie hat durch die letzte Klassenar-
beit und die Kommunikation im Unterricht den Eindruck gewonnen,
dass die Schüler_innen häufig falsche Zeitformen wählen oder bei der
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Bildung einzelner Zeitformen schriftlich wie mündlich Probleme ha-


ben. Die etwa 20 Übungen aus dem Schülerbuch und Workbook
(überwiegend Lückentextübungen zu vermischten Zeitformen) ergänzt
sie durch Arbeitsblätter mit Übungen, die sie aus anderen Schulbü-
chern zusammenstellt. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wie dieses
Vorgehen technologiegestützt verbessert werden kann, um anstelle ei-
nes ‚Viel-hilft-viel‘-Prinzips mit wenig Differenzierung ein passgenau-
eres, adaptives Üben im Sinne einer dynamic difficulty adaptation
(Wauters et al. 2010) zu ermöglichen. An der Leuphana Universität
wird derzeit ein solches, auf künstlicher Intelligenz basierendes
Übungssystem entwickelt (Pandarova et al. 2019), das

• ein kontinuierliches Assessment und Monitoring der grammati-


schen Kompetenz der/des Lernenden im Bereich der englischen
Verbzeiten durchführt,
• vielfältige Gelegenheiten für das strukturierte Üben mit authenti-
schen Übungssätzen anbietet,
• dabei Sequenzierung und Schwierigkeitsgrad der Übungssätze kon-
tinuierlich für die/den einzelne/n Lernende/n anpasst (basierend
auf einer detaillierten Analyse der gemachten Fehler und mit dem
eingebauten, empirisch validierten Wissen über schwierigkeitsbe-
stimmende Faktoren jedes Übungselements),
• dynamisches und personalisiertes Feedback anbietet,
• über eine Sensitivität bzgl. (sich ändernder) Lernziele
und -präferenzen verfügt,
• einer betreuenden Lehrkraft Einblicke in den Lernfortschritt, die
Stärken und Schwächen des einzelnen Lernenden und der gesamten
Klasse bietet und
• Empfehlungen für die Unterstützung und Förderung im Unterricht
gibt.

Insgesamt stellt die Entwicklung solcher Systeme (wie im beschriebe-


nen Fall zudem nur für eine recht kleine Inhaltsdomäne) ein sehr kos-
ten- und zeitintensives interdisziplinäres Forschungs- und Entwick-
lungsprojekt dar. Jedoch sind bei der Arbeit mit solchen Lernsyste-
men besondere Mehrwerte für den Unterricht in den Bereichen
Diagnose, Übungsauswahl und Feedback zu erwarten. Die Lernenden
profitieren, da sie entsprechend ihrem Leistungsniveau besser heraus-
gefordert werden. Durch das automatische, direkte Feedback während
des Lösungsversuchs werden die Schüler_innen im Übungsprozess

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232 Torben Schmidt

ideal unterstützt und über den Lernerfolg informiert, was insbesonde-


re auch die Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Eltern-
häusern reduziert, die weniger Unterstützung etwa bei der Bearbei-
tung der Hausaufgaben erfahren. Die Lehrkräfte profitieren insbeson-
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dere, da sie bei der Übungsauswahl und Korrektur entlastet werden,


durch die Systemdiagnose zu Fähigkeiten und typischen Problemen
informiert werden und so die Arbeit in der Klasse am gemeinsamen
Lerngegenstand besser beispielsweise hinsichtlich der Verknüpfung
der Übungsphasen mit kommunikativen Aufgabenzyklen und An-
wendungskontexten vorbereiten können. Insgesamt wird durch diese
technologische Unterstützung ein binnendifferenziertes Üben mit
deutlich reduziertem Aufwand für Lehrkraft und mehr Effizienz des
Lernens ermöglicht.

Die beiden Beispielszenarien und -anwendungskontexte verdeutlichen, wie in


ausgewählten Bereichen des Fremdsprachenlehrens und -lernens durch
hochgradig kompetente digitale Anwendungen, Werkzeuge, Hilfs- und Assis-
tenzsysteme (Diagnose, Fehlerkorrektur, Feedback, Übungsauswahl) etabliert
werden können, die die Kompetenzen von Lehrkräften erweitern und
Übungsprozesse deutlich effizienter werden lassen. Überflüssig wird die
Lehrkraft hier keineswegs. Ganz im Gegenteil braucht es hochkompetente
Lehrkräfte, die diese Möglichkeiten der Digitalisierung gekonnt in einen auf-
gabenorientierten, kommunikativen Fremdsprachenunterricht mit interes-
santen Themen und Inhalten einbinden und die Technologie nutzen um bes-
ser diagnostizieren und fördern zu können. Im abschließenden Teil dieses
Beitrags soll nun der Frage nachgegangen werden, wie die Lehrerbildung
entsprechende Kompetenzen für das Unterrichten in digital angereicherten
Lehr-/Lernumgebungen vermitteln kann.

3 Forderungen für die Lehrerbildung – Erprobungsräume, Theorie-


Praxis-Verzahnung und kompetenzoriente Technologienutzung
Damit die Lehrerbildung angehende Lehrkräfte angemessen und ganzheitlich
auf das Unterrichten mit digitalen Medien vorbereitet, ist eine kompetenzori-
entierte, phasenübergreifende Herangehensweise nötig. Basierend auf einer
klaren Vorstellung davon, wann welche Medien mit welcher Zielsetzung fach-
liche und überfachliche Lehr- und Lernprozesse verbessern können und wel-
che Kompetenzen Lehrkräfte brauchen, um entsprechende Prozesse zu initi-
ieren, zu koordinieren und zu evaluieren, sollte die universitäre
Lehrerbildung (vgl. DigiCompEdu-Rahmen, Redecker/Punie 2017, sowie die
KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, 2016) – in Formaten, die eine
enge Verbindung von Theorie und Praxis gewährleisten – Wissen, Fähigkei-

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Digitally empowered teaching and learning 233

ten und Fertigkeiten zur Bewältigung des späteren Berufsalltags in einer zu-
nehmend digitalen Welt sukzessive entwickeln und Wege zur Professionali-
sierung und zur Ausbildung von TPACK (Mishra/Koehler 2006; Koeh-
ler/Mishra 2008) ebnen. Hierzu reicht eine Beschränkung auf die
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Fachdidaktik nicht aus. Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften, Psycho-


logie und Schulpraxisphasen müssen hier in Form von kohärenten Gesamt-
konzepten diese zentrale Entwicklungsaufgabe der Lehrkräftebildung adres-
sieren und geeignete Erprobungsorte bereitstellen (vgl. Benitt/Schmidt/
Legutke 2019).
Am Beispiel des Lüneburger Modells der Lehrerbildung und speziell der
Umsetzung in der Englischdidaktik lässt sich verdeutlichen, wie solche Maß-
nahmen konkret aussehen können. Hierbei ist es an der Leuphana nicht die
Zielsetzung, eine komplett neue Veranstaltung mit einem ausschließlichen
Fokus auf Digitalisierung als Add-On im Curriculum zu etablieren, sondern
vielmehr soll die Nutzung digitaler Technologien flächendeckend in der Leh-
re ankommen und auf ein kompetenzorientiertes Fundament im Zusammen-
spiel mit anderen zu vermittelnden Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte
gestellt werden. So wird an der derzeit vom Zukunftszentrum Lehrerbildung
und dem Dekanat koordiniert ein Qualifizierungsprogramm „Digitale Bil-
dung“ installiert, bei dem angelehnt an die oben genannten Strategien und
Kompetenzmodelle unter Beteiligung aller Fächer Angebote zur systemati-
schen Entwicklung relevanter Kompetenzbereiche von der medienpädagogi-
schen Einführungsvorlesung bis hin zum fachspezifischen Forschungssemi-
nar im Masterstudium etabliert werden, die aufeinander aufbauen und
ineinander greifen sollen. Ein intensiver Austausch zwischen den Lehrenden
bezüglich der Inhalte, Methoden, Produkte und Ziele der Angebote ist hierfür
essenziell. Zusätzlich wird als infrastrukturelle Maßnahme eine digitale Di-
daktik-Werkstatt eingerichtet, die als Lern- und Erprobungsort für Seminare
und Schulklassen (auch in Kombination) dient und von der Medienerstellung
(z.B. Greenscreen-Videoproduktion), einem interaktivem Whiteboard, einem
Mobile Solution Theatre für komplexe Simulationsprojekte, Tablets mit fach-
spezifischer Lernsoftware, einem Videokonferenzsystem für Live-Schaltungen
in Partnerklassen und VR-Brillen) sowie als Diskursraum für Lehrende breite
Nutzungsmöglichkeiten bietet. Ziel dieses Ortes ist es, Studierende nach dem
Modell eines Future Learning Labs, wie es etwa auch an der PH Wien reali-
siert wurde, an ausgewählte Technologien heranzuführen und sie auf Heraus-
forderungen und Risiken des Medieneinsatzes in praxisnahen Anwendungs-
kontexten vorzubereiten.
Hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien auf Fachebene werden
an der Leuphana unterstützt vom Lehrservice verschiedene übergeordnete
Maßnahmen für die Lehrerbildung umgesetzt: (1) Entwicklung und Einsatz
digitaler, fachspezifischer Lernbausteine zu Kernthemen wie „Umgang mit
Heterogenität und Inklusion“, „kompetenzorientierter Unterricht“ und

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234 Torben Schmidt

„computergestütztes Lernen“ basierend auf multiperspektivischen Unter-


richtsvideos (multiview.leuphana.de). (2) Phasenübergreifende Nutzung eines
E-Portfolios als digitales Dokumentations-, Reflexions- und Präsentations-
instrument (Nutzung von Selbstvideos, entwickelten Unterrichtsentwürfen,
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Selbsteinschätzungen etc.) sowie Integration in Coaching- und Mentoring-


prozesse zur Begleitung der Kompetenzentwicklung. (3) Umsetzung von
Lehrkonzepten, in denen Studierende digitale Medien in Fachkontexten theo-
riegeleitet, forschungsorientiert und reflektiert einsetzen und evaluieren ler-
nen, oder selbst entwickeln, um kompetenzorientierte Lehr-/Lernprozesse zu
initiieren. (4) verstärkte Umsetzung digital angereichter Lernsettings in den
Schulpraktika. (5) Möglichkeit der Teilhabe der Studierenden an laufenden
Forschungs- und Entwicklungsprojekten im Bereich digitales Lernen.
Einen exemplarischen Umsetzungskontext stellt das Englischdidaktikse-
minar „Unterstanding and Teaching Texts“ im 6. Bachelorsemester dar.
Hierbei werden neben der Auseinandersetzung mit Forschungsliteratur zur
Erklärkompetenz sowie der gemeinsamen Entwicklung von Qualitätskriterien
des Erklärens zunächst verschiedene Online-Erklärvideos aus fachdidakti-
scher, pädagogischer und medienpsychologischer Sicht analysiert und die
Videos als Werkzeug für Differenzierung und Individualisierung einge-
schätzt. Nach einem anschließenden Schulbesuch und einer auf Gesprächen
mit Lehrkräften und Schüler_innen der Campusschule basierenden Bedarfsa-
nalyse für die Erstellung von Videos zur Einbindung in die schulischen Eng-
lisch-Lernbüros sowie als Selbstlernmaterialien für die Endgeräte der Lernen-
den, folgt die Phase der Erstellung eigener Erklärvideos (z.B. zum Thema
„Shopping Dialogues“1). In dieser Phase setzen sich die Studierenden mit
verschiedenen fachdidaktischen Konzepten – vor allem mit Möglichkeiten
der Differenzierung innerhalb der Videos – auseinander, tauchen in Sachana-
lysen tief in den zu erklärenden Inhalt ein und lernen unterschiedliche media-
le Realisierungsformen und Techniken (von Animationen bis Videoschnitt)
in Kooperation mit dem universitären Medienzentrum kennen. Die gemein-
same Entwicklung eines Bewertungskatalogs für die Videos, die Präsentation
und Übergabe der fertigen Videos an die Lernenden und Lehrkräfte in der
Schule sowie die Entwicklung von großen Unterrichtsentwürfen (als Prü-
fungsleistung), in die der eigene Erklärvideo-Ansatz sinnvoll eingebettet sein
muss, schließen das Seminar ab. In dreisemestrigen Forschungsprojekten im
anschließenden Masterstudium setzen sich einige Studierende dann z.B. ver-
tiefend mit der Nutzung der Videos im Schul- und Unterrichtskontext ausei-
nander und arbeiten an einer Weiterentwicklung des Einsatz-Settings mit.
Resümierend sollte es ein zentrales Ziel der Lehrerbildung sein, von den
jeweils zu erwerbenden Kompetenzen der Schüler_innen aus denkend, hoch-

1
https://www.lzplay.de/index.php/2018/06/15/leuphana-lernvideo-lets-go-
shopping/(20.12.2018)

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Digitally empowered teaching and learning 235

schuldidaktische Formate zu entwickeln, die den Studierenden in authenti-


schen Theorie-Praxis-Settings (vgl. Vilinger/Trautwein 2015) eine kritische
und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Medieneinsatz ermöglichen, sie
sukzessive an eine fachdidaktisch begründete Mediennutzung heranführen
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und bei jedem Einsatz im Blick behalten, dass die Digitalisierung nur da er-
folgreich sein kann, wo sie auf Mechanismen des Fremdsprachenlernens
sinnvoll aufbaut und gezielt dort eingesetzt wird, wo ein Lernprozess sinnvoll
unterstützt werden kann.

Literatur
Benitt, Nora/Schmidt, Torben/Legutke, Michael K. (2019): „Teacher Learning
and Technology-Enhanced Teacher Education“. In: Gao, Xuesong (Hrsg.): Se-
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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels

Karen Schramm
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1 Medienkompetenz und digitale Souveränität im DaF-Unterricht


Die tiefgreifenden Veränderungen des menschlichen Lebens durch den digi-
talen Wandel, wie sie in Begriffen wie ‚Industrie 4.0‘ oder ‚Gesellschaft 5.0‘
pointiert werden, machen den Erwerb neuer Kompetenzen erforderlich, um
in Zukunft individuelle Selbstbestimmtheit und gesellschaftliche Partizipation
zu gewährleisten. Dass diesbezüglich Handlungsbedarf zur Veränderung der
Bildungsangebote und deshalb insbesondere auch der Lehrer(innen)bildung
besteht, gilt inzwischen auf nationaler und europäischer Ebene als Konsens.
Nur schlaglichtartig sei auf den D21 Digital Index 2017/2018 (Initiative D21
e.V. 2018, 8f.) verwiesen, demzufolge in Deutschland derzeit 12 Millionen
Bundesbürger(innen) „digital abseitsstehend“ sind und „[i]n der Begriffswelt
der Digitalisierung [...] maximal die Hälfte der Bevölkerung mitreden
[kann]“.
Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Konzepte der Medi-
enkompetenz und der digitalen Souveränität.
Der Begriff ‚digitale Souveränität‘ wird vor allem mit Bezugnahme auf die in
einer Gesellschaft lebenden Personen und die gesellschaftlichen Rahmenbe-
dingungen, die einen souveränen Umgang mit digitalen Medien gewährleis-
ten, verwendet. Der Begriff ‚Medienkompetenz‘ ist hingegen auf Wissen,
Handlungskompetenz und Lernprozesse des Individuums bezogen und gilt
für dessen Umgang mit konventionellen und digitalen Medien gleichermaßen.
(Blossfeld et al. 2018, 12)
Während der Begriff ‚Medienkompetenz‘ das Individuum fokussiert, nimmt
der Begriff der ‚digitalen Souveränität‘ die gesellschaftlichen Rahmenbedin-
gungen in den Blick. Digitale Souveränität im Fremdsprachenunterricht und
speziell im DaF-Unterricht anzustreben bedeutet also nicht nur, entsprechen-
de Kompetenzen der Lernenden und auch Lehrenden auf hohem Niveau zu
entwickeln, sondern auch Unterrichtsbedingungen zu schaffen, die einen
gelingenden Umgang mit digitalen Medien sicherstellen.
In Bezug auf die Medienkompetenz der Individuen sind laut dem europäi-
schen Kompetenzraster DigComp 2.0 (Carretero/Vuorikari/Punie 2017) die
Kompetenzfelder (1) information and data literacy, (2) communication and
collaboration, (3) digital content creation, (4) safety und (5) problem solving
zentral zu beachten.

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238 Karen Schramm

Die Deskriptoren zum Kompetenzfeld 1 (Informations- und Datenliterali-


tät) werden in den Bereichen (a) browsing, searching, filtering data, infor-
mation, and digital content, (b) evaluating data, information, and digital con-
tent und (c) managing data information, and digital content entfaltet. Hier ist
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kontinuierlich curricular zu prüfen, inwieweit sich Lerngegenstände durch


den digitalen Wandel verändern und inwieweit sich diese Veränderungen auf
den Bedarf an digitalen Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden auswir-
ken. Als Ausgangspunkte für entsprechende Überlegungen können digitale
Arbeitsmittel (z.B. digitale Wörterbücher, korpuslinguistische Tools, maschi-
nelle Übersetzungsangebote), assistive Technologien1 und digitale Quellen
(z.B. Hypertexte, vgl. Suñer Muñoz 2011) dienen. Gleichzeitig muss ein auto-
nomiefördernder DaF-Unterricht zukünftig Lernende auch in die Lage ver-
setzen, die zahlreichen digital bereitgestellten Lernangebote in ihrer Qualität
und individuellen Passung zu beurteilen.
Das Kompetenzfeld 2 ‚Kommunikation und Kollaboration‘ mit seinen Be-
reichen (a) interacting through digital technologies, (b) sharing through digital
technologies, (c) engaging in citizenship through digital technologies, (d) collab-
orating through digital technologies, (e) netiquette, (f) managing digital identi-
ty weist für das Fach Deutsch als Fremdsprache ein besonders großes Innova-
tionspotenzial auf. Zu nennen sind hier bspw. Online-Tutorien (Rösler 2014)
und Chats (Marques-Schäfer 2013; Biebighäuser/Marques-Schäfer 2017), das
kollaborative Schreiben in digitalen Umgebungen, der Lerngruppen-
Austausch mittels Videokonferenzen (Schlickau 2009; Hoshii/Schumacher
2017), das individuelle Lernen in e-Tandems (Renner/Fink/Volgger 2016;
Funk/Gerlach/Spaniel-Weise 2017), die Begegnung in virtuellen Welten wie
Second Life (Biebighäuser 2014) und Videospiele sowie auch das immersive
Lernen.
Seltener ausgeleuchtet wurde im Fach Deutsch als Fremdsprache bisher
das Kompetenzfeld 3, die ‚Erstellung digitaler Inhalte‘ mit den Bereichen (a)
developing content, (b) integrating and re-elaborating digital content, (c) copy-
right and licenses und (d) programming. Das Projekt AaMol2 bietet mit schü-
lerseitig produzierten Lernvideos zum vorwissenschaftlichen Schreiben rich-
tungsweisende DaF-Beispiele; sie werden im AaMol-Projekt mit
lehrpersonenseitigen Modellvideos zum Schreibprozess kombiniert (Da-
widowicz/Reitbrecht 2018). Auch die Untersuchung von Peuschel (2012) zur
Erstellung von Podcasts im DaF-Unterricht oder die Studie von Feick (2016)

1 Würffel (2019, 134) nennt als Beispiele „Spracherkennungssoftware, Schreibhilfe-


Software (z.B. „Penfriend“), audio-digitale Vorlesestifte, Rechtschreibhilfe einer
Textverarbeitungssoftware, SMS-Funktion oder Aufnahmefunktion des Handys,
Untertitel für Hörgeschädigte“.
2
„AaMol“ steht für den Projekttitel „Am Modell lernen, als Modell lernen. Ein
schreibdidaktisches Konzept für den wissenschaftspropädeutischen Unterricht“,
vgl. die Projekthomepage https://www.univie.ac.at/aamol/ (14/04/2019).

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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 239

zu Handy-Videoprojekten deuten auf das Kreativitätspotential hin, das in


diesem Bereich, insbesondere in Verbindung mit Projektarbeit, für den DaF-
Unterricht nutzbar gemacht werden kann.
Das Innovationspotential für den DaF-Unterricht, das sich in den Kompe-
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tenzfeldern 4 „Sicherheit“ (protecting devices, protecting personal data and


privacy, protecting health and well-being, protecting the environment) und 5
„Problemlösungen“ (solving technical problems, identifying needs and techno-
logical responses, creatively using digital technology, identifying digital compe-
tence gaps) ergibt, gilt es noch auszuloten. Hier sind in der DaF-Forschung in
den kommenden Jahren entsprechende Grundlagen zu schaffen.
In Bezug auf die Unterrichtsbedingungen im Sinne digitaler Souveränität
ist u.a. an Formen des Blended Learning (Bärenfänger 2014), an Selbstevalua-
tion auf Basis digitaler Rückkopplung und die Adaptivität von Übungsange-
boten (z.B. Software, Bots) zu denken. Es existieren bereits zahlreiche digitale
Lernangebote, die gezielt und differenzierend in den DaF-Unterricht einge-
bunden werden können, wie beispielsweise
• Apps (Mitschian 2010),
• Sprachlernsoftware (Todorova 2009),
• Webquests,
• Lernspiele (wie Die Stadt der Wörter),
• Serious Games (wie Die Himmelsscheibe von Nebra),
• Kursangebote zum tutorierten Selbstlernen (wie Ich will Deutsch ler-
nen),
• Youtube-Kanäle (wie 24h Deutsch – Deutschlernen mit Ida),
• Online-Communities (wie Deutsch für Dich vom Goethe-Institut oder
Community D von der Deutschen Welle),
• augmented reality in Lehrwerken und
• Computeranimationen bei grammatikalischen Erklärungen (Scheller
2009; Kanaplianik 2016).
Selbstverständlich gilt es diese Entwicklungen mit Blick auf digitale Souverä-
nität kritisch zu bewerten und kontinuierlich zu verbessern. Würffel (2019)
konstatiert diesbezüglich:
Um Digitalisierung und Differenzierung stärker zusammenzudenken, muss
man deshalb nicht auf die Weiterentwicklung der adaptiven Technologien,
der Künstlichen Intelligenz und den Learning Analytics (und der Lösung von
deren Datenschutzproblemen) warten, man darf aber selbstverständlich sehr
gespannt sein, wie und wann sich deren Versprechungen in konkrete Anwen-
dungen umsetzen und wie diese den Fremdsprachenunterricht bereichern
werden (Würffel 2019, 137).

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240 Karen Schramm

2 Europäische Referenzrahmen
Wegweisend für die europäische Fremdsprachendidaktik sind drei Referenz-
rahmen zum digitalen Wandel, die im Auftrag der Europäischen Kommission
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entwickelt wurden: das oben bereits erwähnte DigComp 2.0 (Carrete-


ro/Vuorikari/Punie 2017) sowie auch DigCompEdu (Redecker 2017) und
DigCompOrg (Kampylis/Punie/Devine 2015), die im Folgenden kurz vorge-
stellt werden.
Der Referenzrahmen DigComp 2.0 modelliert auf acht Niveaustufen (wün-
schenswerte) digitale Kompetenzen europäischer Bürger(innen) in den fünf
genannten Bereichen (vgl. auch darauf aufbauend UNESCO-UIS 2018). Da-
mit liegt ein Deskriptoren-Raster vor, das es kritisch zu diskutieren, vor allem
aber auch fremdsprachendidaktisch zu konkretisieren gilt. Dabei ist für den
DaF-Unterricht zielgruppenspezifisch zu fragen, welche konkreten Kompe-
tenzen sinnvollerweise in das jeweilige Curriculum zu integrieren sind und
wie die sprachliche (GER-) und die digitale (DigComp-)Progressionslinie
dabei in einem handlungsorientierten Ansatz miteinander verflochten werden
können.
DigCompEdu modelliert in Anlehnung an den GER sechs Stufen (A1-C2)
für digitale Kompetenzen von Lehrpersonen:
As professionals dedicated to teaching, they need, in addition to the general
digital competences for life and work, educator-specific digital competences to
be able to effectively use digital technologies for teaching. The aim of the
DigCompEdu framework is to capture and describe these educator-specific
digital competences (Redecker 2017, 15).
Für die fremdsprachendidaktische Lehrer(innen)bildung wäre es hilfreich, die
vorliegenden fächerübergreifenden Deskriptoren zu den sechs Kompetenzfel-
dern professional engagement, digital resources, teaching and learning, assess-
ment, empowering learners und facilitating learners‘ digital competence fach-
spezifisch an Beispielen zu konkretisieren und modellhaft verschiedenen
Phasen der Lehrer(innen)bildung zuzuordnen. Eine solche Konkretisierung
ginge deutlich über das bisher einschlägige Europäische Profilraster für
Sprachlehrende (European Profiling Grid 2013; vgl. dort den Bereich „Medi-
enkompetenz“) hinaus.
Der dritte europäische Referenzrahmen, DigCompOrg, bezieht sich auf
Bildungseinrichtungen und definiert die Ziele folgendermaßen:
The primary purposes of DigCompOrg are (i) to encourage self-reflection and
self-assessment within educational organisations as they progressively deepen
their engagement with digital learning and pedagogies (ii) to enable policy
makers (at local, regional, national and international level) to design, imple-
ment and appraise programmes, projects and policy interventions for the in-

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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 241

tegration of digital learning technologies in E&T systems (Kampy-


lis/Punie/Devine 2015, 6).
Auch dieser Rahmen kann als mögliches Leitbild für die Entwicklung von
Bildungsinstitutionen, die Fremdsprachen anbieten oder Fremdsprachenleh-
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rende ausbilden, auf wertvolle Impulse geprüft werden.


Insgesamt steht angesichts solcher Referenzrahmen, die im besten Fall
Orientierung für die selbstbestimmte, kontextspezifische Weiterentwicklung
von Personen, Lehrer(innen)bildungsangeboten und Institutionen bieten, die
Gefahr im Raum, dass sie – ähnlich wie wir es beim GER erlebt haben – trotz
entsprechender Warnungen seitens der Verfasser(innen) in präskriptiver und
normativer Weise genutzt werden. Unreflektierte Übernahme statt ermächti-
gender Aneignung zu eigenverantwortlichem sprachlichem Handeln, Lernen
und Lehren und Ausschluss aufgrund fehlender digitaler Kompetenzen in
Zuwanderungs-, Zulassungs- oder Arbeitskontexten statt entsprechender
Bildungsangebote sind die Schattenseiten solcher supranationalen curricula-
ren Dokumente, die es in die Debatte einzubringen gilt.

3 Konzeptionelle Veränderungen der DaF-Didaktik im Zuge einer


zunehmenden Digitalisierung
Es steht zu erwarten, dass sich im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung
grundlegende konzeptionelle Änderungen der Fremd- und Zweitsprachendi-
daktik ergeben werden. Prioritäten bei der Entwicklung von DaF-Kursange-
boten sollten meines Erachtens in den Bereichen „Kommunikation und Kol-
laboration“ und „Erstellung digitaler Inhalte“ sowie der Sprachlernberatung
in Bezug auf die Auswahl qualitativ hochwertiger Angebote für das autonome
DaF-Lernen liegen. Richtungserweisend erscheinen u.a. folgende Aktivitäten:
kollaboratives Schreiben in digitalen Umgebungen; telekollaborative Projekte,
in denen die Kommunikation zwischen den Lernenden dokumentiert und für
das explizite Lernen genutzt wird; E-Tandems und Videokonferenzen sowie
auch Projekte zur Erstellung von online-Publikationen (Blogs, Videos, Pod-
casts etc.). Insgesamt geht es dabei um eine explizite Anwendung authenti-
scher, zeitgemäßer und zielgruppenrelevanter digitaler Medien.
Rösler (2019) entwirft das folgende Bild eines veränderten Fremdspra-
chenunterrichts der Zukunft:
Wenn Menschen unabhängig davon, wie viele Flugstunden sie von einem Ort,
an dem die Zielsprache gesprochen wird, entfernt sind, nun viel mehr als frü-
her medial in dieser Sprache kommunizieren können, dann könnten sie auch
viel früher und viel intensiver nicht nur Sprachlernende, sondern auch inhalt-
lich selbstbestimmte Sprachnutzer/innen sein. Und dann ließe sich viel früher
und viel intensiver als bisher das Sprachenlernen mit Inhalten, die die konkre-
ten Lernenden tatsächlich interessieren, und mit sprachlichen Handlungen,
die sie tatsächlich ausführen möchten, verbinden. Es ist also eine Entwicklung

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242 Karen Schramm

des Fremdsprachenlernens vorstellbar, die konsequent von Kommunikations-


absichten und tatsächlichen inhaltlichen Lernerinteressen ausgeht. Beiläufiges
Lernen und der natürliche Erwerb von Weltwissen und Wortschatz würden
dabei eine größere Rolle spielen (Rösler 2019, 118f.).
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Seine Überlegungen zu den veränderten Kommunikationsmöglichkeiten für


DaF-Lernende münden in einer Neubestimmung der Funktion von Unter-
richtsphasen:
Wenn es gelingen sollte, durch die sozialen Medien schon sehr früh mittei-
lungsbezogene Kommunikation zum Ausgangspunkt des Lernens einer
Fremdsprache zu machen und in das gesteuerte Lernen zu integrieren, dann
muss der Unterricht verstärkt Unterstützungsarbeit beim Formerwerb leisten,
nicht mehr wie früher als Vorratslernen, sondern als Voraussetzung dafür,
dass die Lernenden eine Chance haben, in der Zielsprache differenziert zu
kommunizieren. Das ist für mich dann eindeutig wieder eine dienende Funk-
tion der Grammatikvermittlung, aber diesmal wäre dies keine Grammatik-
vermittlung, die sich kommunikativ tarnen muss, sondern eine, die selbstbe-
wusst Formarbeit leistet, weil sie weiß, dass sie mitten drin im kommuni-
kativen Handeln steht. Dies ist mein sehr schönes Paradox: Je mehr wir es
schaffen, im Rahmen des institutionellen Fremdsprachenlernens echte Kom-
munikation zu befördern oder auf außerhalb des Klassenzimmers produzierte
echte Kommunikation einzugehen, desto stärker kann der Unterricht sich von
der Simulation und Initiation von Kommunikation, die wir zurzeit als seine
Hauptaufgabe betrachten, wegbewegen, hin zu den formbezogenen Unter-
stützungsarbeiten, die für das Gelingen von Kommunikation wichtig sind
(Rösler 2019, 121).
Diese Überlegungen deuten auch darauf hin, dass in Zeiten digitalen Wandels
konzeptionelle DaF-Forschung, also das Erdenken innovativer Unterrichts-
formen, von besonderer Bedeutung sein wird – ein möglicherweise wichtiger
Hinweis auf die Bedeutung nicht nur von Empirie, sondern auch von konzep-
tioneller Kreativität in aktuellen Ausbildungsprogrammen im Fach Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache.
Doch insbesondere auch für eine empirische DaF-Didaktik ergeben sich in
vielen Themenfeldern neue Forschungszugänge, von denen hier einige bei-
spielhaft angeführt seien. In der Lernersprachenforschung und der kontrasti-
ven Kommunikationsforschung eröffnen sich durch digitale Korpora neue
Möglichkeiten, wie sie beispielsweise das schriftliche Falko-Korpus3 oder das

3
„Falko“ steht für den Projekttitel „Fehlerannotiertes Lernerkorpus des Deutschen
als Fremdsprache“, vgl. die Projekthomepage https://www.linguistik.hu-berlin.de/
de/institut/professuren/korpuslinguistik/forschung/falko/standardseite
(14/04/2019).

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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 243

mündliche GeWiss-Korpus4 illustrieren. Im Bereich der Lernforschung rü-


cken Fragen der Differenzierung, des mobilen Lernens und der Inklusion in
den Vordergrund (z.B. Blume/Würffel 2018). Von der kriteriengeleiteten
Lehrwerkanalyse führt der Weg zu einer Rezeptionsforschung digitaler Lehr-
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und Lernmaterialien; augmented reality, Adaptivität und learning analytics


sind hier Schlagworte, die künftige Forschungsdesiderata anreißen.

4 Neue Anforderungen an die DaF-Lehrer(innen)bildung


Für die DaF-Lehrer(innen)bildung ist an den jeweiligen Standorten weltweit
kontextabhängig zu prüfen, welche Kompetenzen in den verschiedenen Pha-
sen verankert werden sollen. In Deutschland fordert die KMK (2017, 19) „in
der fachspezifischen Lehrerbildung für alle Lehrämter die Entwicklung ent-
sprechender Kompetenzen verbindlich festzulegen“ und zu verankern:
Bei der curricularen Ausgestaltung für die jeweilige Phase der Lehrerbildung
ist darauf zu achten, dass die fachdidaktische Kompetenz zur Nutzung digita-
ler Medien verstärkt verankert wird. Das bedeutet nicht nur die inhaltliche
und methodische Adaption der Ausbildung, sondern daraus folgend auch eine
mögliche Implementierung neuer Arbeits- und Prüfungsformate (KMK 2017,
23).
Als ein Beispiel solcher neuen Arbeits- und Prüfungsformate für internatio-
nale DaF-Studiengänge sei hier die videobasierte Lehrer(innen)bildung ange-
führt. Inspiriert von anderen Fachdidaktiken, insbesondere der Mathematik-
und Physikdidaktik, exploriert die Fremdsprachendidaktik derzeit Formen
der videobasierten Lehre, die sich zumeist auf das Konstrukt der professionel-
len Unterrichtswahrnehmung beziehen und vielversprechende Formen der
Theorie-Praxis-Verschränkung erproben. Schramm und Bechtel (2019) geben
einen kurzen Überblick über die vielfältigen fremdsprachendidaktischen Ver-
suche, Videos als Referenzobjekte, als Grundlage der professionellen Reflexi-
on des Lehrerhandelns und als Fälle für die fremdsprachendidaktische Leh-
rer(innen)bildung zu nutzen. Das LEELU-Projekt (https://leelu.eu) vernetzt
beispielsweise achtzehn angehende und erfahrene DaF-Lehrpersonen in Ita-
lien, den Niederlanden und Ungarn, die sich per social video über ihren vide-
ografierten Unterricht mittels Annotationen und Videokonferenzen austau-
schen (Dawidowicz et al. 2017). Großes Potential bieten auch entsprechende
innovative Prüfungsformate; eine Vorreiterrolle für die Fremd- und Zweit-
sprachendidaktik nimmt dabei das Projekt DazKom Video ein, in dem auf der

4 „GeWiss“ steht für den Projekttitel „Gesprochene Wissenschaftssprache“, vgl. die


Projekthomepage https://gewiss.uni-leipzig.de/ (14.04.2019).

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244 Karen Schramm

Grundlage eines entsprechenden Kompetenzmodells digitale videobasierte


Prüfungsformate für angehende DaZ-Lehrpersonen entwickelt werden.5
Als zweites Beispiel sei der Bereich der Online-Weiterbildungsangebote
angeschnitten. Videotutorials zu methodisch-didaktischen Fragen, Doku-
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mentationen von Fachvorträgen und Konferenzen (z.B. die DaFWebCon),


Angebote im E- oder Blended Learning-Format (z.B. das Programm „Deutsch
Lehren Lernen“, vgl. Legutke/Rotberg 2018) verändern und flexibilisieren die
Weiterbildungsmöglichkeiten von DaF-Lehrpersonen (vgl. auch Würffel/Pa-
drós 2012). Hier wird in Zukunft sowohl eine Qualitätsprüfung digitaler Wei-
terbildungsangebote als auch eine entsprechende wissenschaftliche Begleitfor-
schung wichtig sein.

5 Fazit
Kerres (2014) warnt davor, einfache Wirkungszusammenhänge zwischen
digitalem Wandel und anderen Variablen zu postulieren, und betont vielmehr
die Gestaltungsoptionen, die sich für jede(n) einzelne(n) ergeben – sowie
auch die damit einhergehende Verantwortung der Akteure. Folgt man seiner
Argumentation, dass es darum geht, die Wege in die digitale Epoche in einer
Weise zu ebnen, dass sie nicht in eine postdemokratische Gesellschaft, son-
dern zu demokratischer Teilhabe führen, ergibt sich für die Fremdsprachen-
didaktik ein dringender Nachholbedarf, den Beitrag der Sprachenfächer zu
diesen übergreifenden Erziehungszielen zu benennen, konzeptionell zu ge-
stalten, in Praxisverbünden zu entwickeln und in der Lehrer(innen)bildung
zu verankern.

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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 245

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DaF-Unterricht in Zeiten digitalen Wandels 247

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Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der
Fremdsprachendidaktik?
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Julia Settinieri

1 Einleitung
„Roboter sollen eingewanderten Kindern helfen, Deutsch zu lernen“, titelt
eine Pressemitteilung der Universität Bielefeld. – Müssen wir also im Zuge
des digitalen Wandels um unsere Zunft fürchten? Ist die Mensch-Maschine-
Interaktion bereits so ausgereift, dass menschliche Lehrerinnen und Lehrer
verzichtbar werden? – Ganz so weit ist es wohl doch noch (eine Weile lang)
nicht, können uns die zugehörigen Publikationen zum Projekt L2TOR
(sprich: El Tutor) beruhigen:1 „We conclude that, although social robots are
useful for teaching language to children, evidence suggests that robots are not
as effective as human teachers“ (Kanero et al. 2018, 146). Positive Effekte
werden vor allem in Bezug auf Motivation und Engagiertheit referiert. Ähnli-
ches gilt auch für (andere) digitale Lehrlernszenarien, wobei schnell die Frage
im Raum steht, inwiefern diese über einen offensichtlichen Novitätseffekt
hinaus tatsächlich eigene, neue Potenziale mit sich bringen bzw. welche dies
genau sein könnten. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
Der Fokus liegt dabei auf didaktischen bzw. erwerbstheoretischen Vor- und
Nachteilen und klammert rein pragmatische, offen auf der Hand liegende
(wie bspw. Materialienvielfalt in maximaler Aktualität, Distanzüberbrückung,
schnelle Distribution, Portabilität, Lesbarkeit o.Ä.) explizit aus.
Dabei werden unter dem Oberbegriff Digitale Medien i.w.S. zunächst „alle
elektronischen Medien, die auf der Basis digitaler Informations- und Kom-
munikationstechnologien arbeiten“ (Grünewald 2016, 463), gefasst. Diese
können auf technischer Ebene weiter ausdifferenziert werden in Online- vs.
Offline-Medien, auf inhaltlicher Ebene in ein Medium i.e.S. (mit Inhalt) vs.
ein Werkzeug (ohne Inhalt) und schließlich auf didaktischer Ebene in authen-
tisches, nicht-didaktisiertes vs. didaktisiertes (hier noch einmal unterschieden
in adaptiertes vs. methodisiertes) Medium (Grünewald 2016, 463; Rösler/
Würffel 2013, 253ff.; vgl. auch die tabellarische Übersicht mit Anwendungs-

1
Vgl. allerdings Grünewald, Riemer und Schmelter in diesem Band, die grundsätz-
lich die Frage aufwerfen, ob in der Regel sehr aufwändig erworbene humane
Sprachmittelkompetenzen in Zeiten von Übersetzungstools wie DeepL nicht bald
obsolet erscheinen könnten.

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Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 249

beispielen bei Würffel 2010, 1229 sowie die Übersicht bei Bade et al. 2017,
227ff. am Beispiel des Spanischunterrichts).

2 Potenziale und Herausforderungen


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2.1 Digitaler Wandel als Wechsel der Darstellungsform


Wie jede „Revolution“, die etwas auf sich hält, stellt auch der digitale Wandel
Althergebrachtes grundlegend in Frage, worin immer auch eine große Chance
zur Weiterentwicklung besteht. So diskutiert z.B. Würffel (2018) am Beispiel
von Hausaufgaben, welches didaktische Potenzial im Einbezug digitaler For-
men wie Flipped Classroom oder Blended Learning liegen könnte. Roche und
El-Bouz unter Mitarbeit von Leuchte (2018) zeigen auf Grundlage kogniti-
onsdidaktischer Überlegungen auf, inwiefern Grammatikanimationen (digital
oder auch „live“ im sprachbildenden Sportunterricht) erwerbsfördernd wir-
ken können. Sowohl im Falle von Hausaufgaben als auch in Bezug auf
Grammatikerklärungen kann man wohl sagen, dass sie zu den „klassischsten“
Gegenständen der Fremdsprachendidaktik gehören. Gleichwohl erscheinen
sie bei genauerer Betrachtung – vielleicht gerade aufgrund der Tatsache, dass
sie quasi als gesetzt gelten und daher nie grundlegend in Zweifel gezogen
wurden – überraschend unerforscht. Im Zuge der Digitalisierung erscheinen
sie jedoch in neuem Licht und rücken so auch stärker in den Forschungsfo-
kus. In entsprechender Weise könnte man fragen, wie sich Erwerbsprozess
und -ergebnisse unterscheiden, wenn Vokabeln bspw. mittels Vokabelheft
oder mittels Handy-Vokabeltrainier gelernt werden, wenn anstelle einer tra-
ditionellen Projektarbeit ein WebQuest durchgeführt wird usw.
Leisen (2013, 33-40) spricht in Bezug auf den sprachsensiblen Fachunter-
richt vom Wandel der Darstellungsform, den er als eine hilfreiche Scaffolding-
Maßnahme betrachtet. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen
gegenständlichen, bildlichen, sprachlichen, symbolischen und mathemati-
schen Darstellungsformen, wobei jede dieser Darstellungsformen einen etwas
anderen Zugang zu den Lerninhalten bietet. Übertragen auf fremdsprachliche
Lehrlernmaterialien würde das bspw. bedeuten: Während (Lehrwerk-)Texte
bspw. durch Explikation, Zusammenhang und sprachliche Elaboriertheit zum
Gegenstandsverstehen beitragen können, können dies Online-Darstellungen
bspw. durch Animationen, Gegliedertheit und Nicht-Linearität. Jede Darstel-
lungsform birgt dabei ihre spezifischen didaktischen bzw. erwerbstheoreti-
schen Potenziale und Herausforderungen, die es auszuloten gilt. Insgesamt
geht es also nicht um die Frage nach einem absoluten Mehrwert digitaler
Medien für die Fremdsprachendidaktik, sondern vielmehr um die spezifi-
schen Vor- und Nachteile unterschiedlicher Lehrlernszenarien.

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250 Julia Settinieri

2.2 Beispiel Sprachdiagnostik


Angesichts der großen Formenvielfalt digitaler Medien soll im Folgenden nur
ein Bereich exemplarisch herausgegriffen werden, und zwar die Sprachdiag-
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nostik bzw. das Testen und Prüfen. Im Bereich der Sprachdiagnostik ist zu-
nächst festzustellen, dass der digitale Wandel die diagnostischen Möglichkei-
ten insgesamt stark erweitert hat. Dies beginnt mit den selbstdiagnostischen
Möglichkeiten, wie bspw. Korrekturprogramm oder Thesaurus. Auch sind
von zahlreichen Tests, wie z.B. dem C-Test, Online-Versionen entstanden, die
nicht nur eine reliablere (und auf rein pragmatischer Ebene auch schnellere)
Auswertung garantieren sowie unterschiedliche statistische Vergleichswerte
(wie bspw. den Klassendurchschnitt) automatisch generieren, sondern in
diesem Fall auch eine adaptive Testversion (vgl. Grotjahn 2019 für einen
Überblick über C-Test-Formate), die den Schwierigkeitsgrad des Tests im
Verlauf der Testung immer genauer an das Sprachkompetenzlevel der Test-
personen angleicht. Auf diese Weise werden Floor- und Ceiling-Effekte ver-
mieden und Testabnehmer*innen wird erspart, ggf. mehrere Tests durchlau-
fen zu müssen, bis endlich einer das passende Niveau aufweist. Mit Hilfe von
Autorenprogrammen, wie bspw. LingoFox (http://www.lingofox.de/index.
php), lassen sich gerade C-Tests auf Basis von Lehrenden ausgewählter, zum
aktuellen Unterricht passender Texte außerdem schnell automatisch auch zu
Übungszwecken generieren.
Einen Beitrag zur stärkeren Standardisierung und damit zur Reliabilität
der Testung mündlicher Kompetenzen leistet das SOPI (simulated oral profi-
ciency interview), wie es bspw. der TestDaF einsetzt (Eckes 2010). Im Bereich
der Aussprachediagnostik, um ein drittes Beispiel zu nennen, ermöglichen
Sprachanalyse-Tools wie bspw. PRAAT, zusätzlich zur auditiven Analyse eine
akustische durchzuführen. Insbesondere im Bereich des Melodieverlaufs kann
es sehr hilfreich sein, solche Formen von visual speech zur Bewusstmachung
zu nutzen (vgl. genauer bspw. Mehlhorn/Trouvain 2007).
Andere Diagnose-Verfahren, wie bspw. die Online-Diagnose Deutsch 52,
gehen noch einen Schritt weiter und leiten aus der Diagnose einen „individu-
ellen Förderplan“ ab, zu dem auch gleich passende Fördermaterialien bereit-
gestellt werden. Nach Bearbeitung der Fördermaterialien steht zudem ein
Nachtest zur Verfügung, der den Lernfortschritt prüfen soll. Das klingt zu-
nächst nach einer großen Arbeitserleichterung für Lehrerinnen und Lehrer.
Diese berichten jedoch, dass die Schülerinnen und Schüler teilweise große
Probleme mit der Bearbeitung des Tests am PC haben, da in der Bedienung
einer Tastatur nicht alle gleichermaßen geübt sind. Auch sei der Test nicht
LRS-sensitiv. Daher werde er lediglich ergänzend in die Schuleingangsdiag-

2
Die folgenden Informationen sind der Verlagshomepage entnommen:
https://www.westermann.de/grundschule/reihe/ONLINEDIA5/Online-Diagnose-
Deutsch (21/04/2019).

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Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 251

nostik am Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I einbezogen.


Und hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem der digitalisierten
Sprachdiagnostik: Sie erschöpft sich in der Regel in geschlossenen Testitems,
gefolgt von Richtig-Falsch-Rückmeldungen.3 Diese können zwar quantitativ
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teilweise sogar bestimmten Fehlertypen (i.S.v. Kompetenzfehlern) zugeordnet


werden, die jedoch (bislang) qualitativ nicht weitergehend analysiert werden
können. Somit sind zwar in einigen Bereichen grobe Förderschwerpunkte
ableitbar, zu denen Lerner*innen dann auch gezielt weitere Übungen zur
Verfügung gestellt werden können; die Durchführung einer fundierten
Lernersprachenanalyse erfordert jedoch (noch) Hand- bzw. Kopfarbeit.
With open exercises and tasks, by which the learners have to type their own
texts, the programmed analysis fails; all that can be given here as automatically
generated feedback are sample solutions, or the texts are sent on to a human
corrector who is available online. A new level of quality of feedback can only
be achieved if artificial intelligence is introduced into the game and CALL be-
comes ICALL (Lobin/Rösler 2012, 577).
Anwendungen künstlicher Intelligenz entwickeln sich jedoch rapide weiter,
so dass in absehbarer Zeit vermutlich auch im Bereich der Lernerspra-
chenanalyse immer bessere Anwendungen zur Verfügung stehen werden (vgl.
Lobin/Rösler 2012, 580ff. für erste Ansätze sowie Würffel 2010, 1232 für ei-
nen Überblick zu digitalen Feedbackformen).
Zusammenfassend könnte für den Bereich der Sprachdiagnostik bzw. des
Testens und Prüfens tentativ festgehalten werden, dass Potenziale der Digita-
lisierung in der Selbststeuerung durch erweiterte Möglichkeiten der Selbst-
evaluation, einer erhöhten Reliabilität durch Automatisierung und Standardi-
sierung, der Individualisierung durch Adaptivität sowie im Sinne eines
Wandels der Darstellungsform in Formen von visual speech liegen. Die größte
Herausforderung stellen aktuell die qualitative Fehlerdiagnose sowie damit
verbunden erwerbsförderliche Rückmeldeformen dar.
Für andere Bereiche des Fremdsprachenunterrichts können jedoch ganz
andere Potenziale und Herausforderungen entstehen. Während Individuali-
sierung, Adaptivität und Selbststeuerung in der Diskussion einzelner Anwen-
dungen häufig eine Rolle spielen, werden in anderen Zusammenhängen bspw.
auch die Überwindung der Klassenraumgrenzen, Kooperation, authentische
Kommunikation oder auch Projektorientierung als positive Effekte des digita-
len Wandels angeführt. Hier ist ein differenzierter Blick auf die jeweils kon-
kreten digitalen Lehrlernszenarien erforderlich.

3
Im Bereich der Zuweisungsdiagnostik ist das häufig absolut zielführend, wie am
Beispiel des C-Tests bereits angesprochen. In förderdiagnostischen Zusammen-
hängen reicht eine quantitative Diagnostik hingegen nicht aus.

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252 Julia Settinieri

3 Gute Praxis

3.1 Didaktische Kriterien


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Auch wenn die Vielfalt an Lehrlernmaterialien im Zuge des digitalen Wandels


noch einmal sprunghaft angestiegen ist, gelten grundsätzlich die gleichen
Qualitätskriterien, da diese auf allgemeinen Erkenntnissen zum Spracherwerb
beruhen und damit nicht medienabhängig sind. So wird eine Pattern-Drill-
Aufgabe in Form eines Arbeitsblattes dadurch, dass sie in einen Online-
Selbsttest umgewandelt wird, grundsätzlich weder besser noch schlechter (vgl.
auch die Beiträge von Fandrych und insbesondere Marx in diesem Band, die
den Aspekt der „Pseudodigitalisierung“ genauer in den Blick nehmen).
Exemplarisch kann hier auf Funk (2016, 439) verwiesen werden, der Hand-
lungsorientierung, integrative Fertigkeitsvermittlung, Inhaltsorientierung,
Aufgabenorientierung, Individualisierung, themenzentrierte Interaktionsori-
entierung, Autonomieförderung durch Offenheit und Projektorientierung,
Förderung von Sprachbewusstheit, Einbezug von Mehrsprachigkeit sowie
Automatisierung als zentrale Prinzipien zeitgemäßen Fremdsprachenunter-
richts benennt. Im Zuge des digitalen Wandels weiter an Bedeutung verloren
hat lediglich das Prinzip der Authentizität. In Zeiten, in denen auch Hunde
Facebook-Profile haben können und Fake News in aller Munde sind, wird das
Kriterium ohnehin noch weniger operationalisierbar (vgl. auch Funk 2016,
437). An seine Stelle rückt vielmehr die Verortbarkeit von Unterrichtsaktivi-
täten in der „realen Welt“: Nicht das Material selbst muss authentisch sein,
sondern die damit verbundene Sprachhandlung muss realistisch erscheinen.
Waren digitale Anwendungen in ihren Anfängen stark durch geschlossene
und nahezu behavioristisch anmutende Übungsformate wie Richtig-Falsch-
Aufgaben, Zuordnungsaufgaben, Lückentexte u.Ä. charakterisiert, so hat
aktuell, auch durch die verstärkte Nutzung sozialer Medien, erfreulicherweise
ein Wandel von „reaktiv-reproduktiven“ zu eher „kollaborativ-problem-
lösende[n]“ (Funk 2016, 436) Lehrlernangeboten stattgefunden.
Schwieriger gestaltet sich allerdings im digitalen Zeitalter die Qualitäts-
kontrolle. Während traditionellerweise Materialien, die von Verlagen produ-
ziert wurden, sprachliche, inhaltliche und formale Qualitätskontrollen durch-
laufen, gilt für die Flut der Online-Medien, dass „die Qualitätskontrolle und
Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit der Texte von den Lehrenden und
Lernenden vor Ort vorgenommen werden“ (Rösler/Würffel 2013, 257) muss.
Im Unterrichtskontext wird es dadurch zunehmend wichtig, mit den Ler-
ner*innen gemeinsam zu erarbeiten, woran qualitativ hochwertige Quellen
erkennbar sind und welche Anzeichen andererseits für eine weniger zuverläs-
sige Quelle sprechen. In diesem Zuge sollten auch Suchstrategien mit den
Lerner*innen trainiert werden, um der geringen Strukturiertheit des Netzes
und einer daraus resultierenden Überforderung der Lerner*innen entgegen-

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Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 253

zuwirken (vgl. Roche 2014, 359).4 Des Weiteren können Lehrer*innen eine
zielgruppenspezifische Auswahl digitaler Selbstlernmöglichkeiten (z.B. Apps,
Podcasts, digitale Wörterbücher und Online-Grammatiken) zur Verfügung
stellen, um so besondere Empfehlungen auszusprechen, die ebenfalls eine
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erste Orientierung bieten können.

3.2 Rechtliche und ethische Kriterien


Weitere sensible Bereiche, die das Erstellen von Leitlinien bzw. das Erforder-
nis gesetzlicher Grundlagen mit sich bringen, sind Copyright und Daten-
schutz. Während Copyright-Fragen i.d.R. relativ klar gesetzlich geregelt sind
(vgl. auch die Hinweise bei Bade et al. 2017, 233), gehen Datenschutz- bzw.
Persönlichkeitsschutz der Lerner*innen häufig über das rein Rechtliche hin-
aus. So warnt Rösler (2010, 1211) bspw., dass von Lerner*innen erstellte
Blogeinträge zwar einen Lernerfolg dokumentieren, einer späteren Arbeitssu-
che jedoch möglicherweise weniger zuträglich sein können.

4 Individualisierung von Lernwegen als forschungsmethodologische


Herausforderung
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Vielfalt der Lehrlernformen stark
zugenommen hat und die Lehrlernwege damit immer heterogener werden.
Was die Forschungszugänge betrifft, so wird es durch die Individualisierung
der Sprachaneignung mit Blick auf Lernorte und Lernwege (vgl. Funk 2016,
439) und die damit verbundene Multimedialität immer schwieriger, Sprach-
erwerbsprozesse in ihrer Komplexität zu erfassen und zu analysieren, auch
wenn Tracking-Verfahren genutzt werden können. Gleichzeitig wird auch die
Rückführung von Lernergebnissen auf Lehrlernformate immer fragwürdiger,
da die Lernenden zunehmend selbstgesteuert ihren individuellen Erwerbs-
prozess gestalten. Möglicherweise wird dies zu einer Fokussierung der For-
schung auf eng abgrenzbare, ausgewählte Phänomene führen, wie z.B. die
Nutzung einer bestimmten App oder Chat-Funktion. Inwiefern dadurch die
Gefahr entsteht, den Gesamtzusammenhang aus dem Blick zu verlieren, wird
die Zukunft zeigen. In jedem Fall gilt für digitale wie für alle anderen Formen
der Fremdsprachendidaktik, dass evidenzbasiertes Qualitätsmonitoring auch
weiterhin eine zentrale Forderung darstellt (vgl. auch Rösler 2010, 1211f.).

4
Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) (2017: 10-13) führt entsprechend „Su-
chen, Verarbeiten und Aufbewahren“ als erste von sechs zentralen „‚Kompetenzen
in der digitalen Welt‘“ (gefolgt von „Kommunizieren und Kooperieren“, „Produ-
zieren und Präsentieren“, „Schützen und sicher Agieren“, „Problemlösen und
Handeln“ sowie „Analysieren und Reflektieren“) auf.

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254 Julia Settinieri

5 Lehrerausbildung und Schulen im digitalen Wandel


Der universitären Lehrerausbildung kommt in Bezug auf den digitalen Wan-
del dabei dieselbe Aufgabe zu, die sie in Bezug auf alle Ausbildungsinhalte
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innehat. Sie sollte einen Überblick über die Möglichkeiten des digital class-
rooms bieten, Potenziale und Herausforderungen auf Basis wissenschaftlicher
Erkenntnisse mit den Studierenden diskutieren und exemplarisch einige An-
wendungen im Seminar erproben. Gleichzeitig sollte die Lehre grundsätzlich
in ähnlicher Weise digital gestaltet sein, wie es der spätere Unterricht sein
sollte. D.h., wenn die Studierenden später in einem Flipped-Classroom-
Szenario unterrichten können sollen, ist es hilfreich, wenn auch das universi-
täre Seminar zum Thema diesem Prinzip folgt usw.
Was davon die Studierenden später als Lehrerinnen und Lehrer in der
Schule tatsächlich umsetzen können, wird tatsächlich (auch) von der jeweili-
gen Ausstattung der Schulen abhängen. Eine Lehrkraft, die vom Mehrwert
eines digitalen Mediums oder Werkzeugs überzeugt ist und sich zutraut, es in
ihrem Unterricht gewinnbringend einzusetzen, wird sich jedoch sicherlich
mit höherer Wahrscheinlichkeit auch dafür einsetzen, entsprechende Rah-
menbedingungen zu schaffen. Einige Schulen haben hier mit BYOD (bring
your own device) in Verbindung mit Maßnahmen zur sozialen Abfederung
bereits gute Erfahrungen gemacht. Anstelle des früher obligatorisch anzu-
schaffenden grafikfähigen Taschenrechners werden so bspw. Tablets ange-
schafft, die zwar etwas teurer sind, dafür aber vielfältiger in allen Fächern
nutzbar. Durch die Nutzung eigener Geräte wird gleichzeitig auch der Forde-
rung nach alltagsnahem, „authentischem“ Gebrauch digitaler Medien und
Werkzeuge (s. weiter oben) automatisch Rechnung getragen. Weitere konkre-
te Maßnahmen zur Ausstattung der Schulen werden auch von der Kultusmi-
nisterkonferenz (KMK) (2017, 29ff.) benannt, die als ehrgeizig erscheinende
Zielsetzung formuliert, dass „möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder
Schüler, wenn es aus pädagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist,
eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutze können
sollte“ (KMK 2017, 51).

6 Schlussfolgerungen
Während humanoide Roboter noch nicht selbstverständlich zu unserem All-
tag gehören, ist dies für digitale Medien zweifelsfrei der Fall. Damit ist klar,
dass die Digitalisierung auch in der Fremdsprachendidaktik ihren Platz haben
sollte. Funk (2016, 435) verweist in diesem Zusammenhang auf Comenius‘
„Prinzip der Untrennbarkeit von Lebenswelt und Lernumwelt“, das auch
einschließt, das Fremdsprachenlehren- und -lernen im Medienalltag der Ler-
ner*innen zu verorten (vgl. auch Bär in diesem Band). Ähnlich fordert auch
Roche (2014):

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Digitaler Wandel als Prüfstein und Innovationsmotor der Fremdsprachendidaktik? 255

Es sollte nicht so sehr darum gehen, traditionelle Kommunikations- und Un-


terrichtsformen elektronisch zu ersetzen oder weitere kontextlose Übungen zu
generieren, sondern die zunehmend die Alltagskommunikation bestimmen-
den e-Medien und e-Werkzeuge auch authentisch im Unterricht abzubilden
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und einzusetzen. Das schließt die modernen e-Kommunikationsformen ein


(Roche 2014, 366).
Darüber hinaus ist zu klären, welche Medien und Werkzeuge spezifisch den
fremdsprachendidaktischen Unterricht bereichern können, worin genau also
die Potenziale und Grenzen der unterschiedlichen digitalen Darstellungsfor-
men liegen und „welchen Beitrag die Medien zur Lösung von Fragen leisten,
die sich der Fremdsprachendidaktik generell stellen“ (Rösler 2010, 1205).
Deren (Weiter-)Entwicklung, Erprobung und systematische Evaluation stellt
auch weiterhin ein zentrales Desiderat dar. Gleichwohl gilt für digitale, wie
für alle anderen Medien auch:
Wunder werden immer wieder vom Fremd- und Zweitsprachenunterricht
erwartet. Und da er sie nur schwer erbringen kann, projizieren Lehrerin-
nen/Lehrer, Lerner, Eltern und Verlage ihre Hoffnungen gerne auf externe
Götter, nämlich die Medien (Roche 2014, 357).

Literatur
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Digitalisierung des Literaturunterrichts:
Ebenen, Potentiale, Herausforderungen
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Carola Surkamp

1 Ebenen der Digitalisierung im Unterricht


Um die Herausforderungen zu diskutieren, die mit dem digitalen Wandel für
das Lehren und Lernen von Fremdsprachen einhergehen, bedarf es zunächst
der Erörterung der Frage, was genau wir eigentlich meinen, wenn wir von der
Digitalisierung des Fremdsprachenlehrens und -lernens sprechen. ‚Digitali-
sierung‘ ist nicht nur in der alltags-, sondern auch in der fachsprachlichen
und bildungspolitischen Verwendung des Begriffs in den letzten Jahren zu
einem prominenten Schlagwort avanciert und als solches aktuell Bestandteil
verschiedener Diskurse. Die Diskussion um Potentiale und Herausforderun-
gen der Digitalisierung in Bildungsprozessen verläuft dabei allerdings auf
unterschiedlichen Ebenen, die zudem häufig miteinander vermischt werden,
ohne dass dies immer hinreichend geklärt bzw. markiert ist. Eine Sensibilisie-
rung für unterschiedliche Ebenen der Digitalisierung sollte daher unsere erste
Aufgabe sein.
Wolfang Hallet (2018a; 2018b) hat eine solche Unterscheidung jüngst ver-
sucht und eine Differenzierung in sechs Ebenen vorgenommen, die alle einen
Einfluss auch auf den Fremdsprachenunterricht haben. Die erste Ebene um-
schließt die ‚Digitalisierung der Lebenswelt und der Alltagskommunikation‘
und soll dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Großteil unserer lebens-
weltlichen Interaktionen, kommunikativen Akte und (Selbst-)Repräsentatio-
nen digitalisiert abläuft. Fremdsprachen und insbesondere Englisch als globa-
le Internetsprache spielen dabei eine wichtige Rolle. Damit Lernenden eine
umfassende Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen möglich wird, ist daher
eine Konsequenz aus der Digitalisierung die Förderung einer digitalen Äuße-
rungs- und Diskursfähigkeit auch in der Fremdsprache. Es geht also mit die-
ser Ebene um eine Zieldimension des Fremdsprachenunterrichts. Eng damit
verknüpft ist die zweite Ebene, die Hallet (ebd.) als ‚Digitale Bildung‘ be-
schreibt und die die Vervielfältigung der Äußerungsformen im Zeitalter der
Digitalisierung bei der Formulierung von Zieldimensionen berücksichtigt: Da
Kommunikation heute multimodal abläuft, gilt es, über die bisherigen kom-
munikativen Fertigkeiten für fremdsprachliche Bildung hinaus auch die För-
derung neuer, multipler und digitaler literacies zum festen Bestandteil des
Unterrichts zu machen. Die dritte Ebene betrifft die ‚Digitalisierung von Un-

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258 Carola Surkamp

terrichtstechnologien‘, d.h. den Einsatz von digitalen Präsentations- und


Kommunikationstechnologien, von mobilen Endgeräten und elektronischen
Plattformen zur Unterstützung von Lernprozessen. Die ‚Digitalisierung des
Sprachenlernens‘ selbst kommt mit einer vierten Ebene in den Blick, auf der
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es um spezifische Sprachlernsoftware, digitale Lehrwerke, Datenbanken zum


‚data-driven language learning‘ sowie die Gamifizierung des Sprachenlernens
geht. Dass sich mit dem Einsatz digitaler Unterrichtstechnologien (Stichwort
‚elektronisches Klassenzimmer‘ oder ‚flipped classroom‘) das Lernen, die In-
teraktionen im Klassenzimmer sowie die Rolle der Lehrkraft verändern, wird
mit einer fünften Ebene ‚Digitalisierung der Unterrichtskommunikation‘
abgebildet. Sechstens schließlich gehört mit der Ebene ‚Reflexion digitaler
kommunikativer und sozialer Praktiken‘ auch das Nachdenken über und die
Artikulation von Positionen zu Digitalisierungsprozessen – also die Digitali-
sierung als Gegenstand – mit zum Thema ‚Digitalisierung des Fremdspra-
chenunterrichts‘.
Eine weitere Ebene, die Hallet nicht anführt, die aber für die Frage nach
den Implikationen des digitalen Wandels für die Fremdsprachendidaktik
ebenfalls zentral ist, ist die nach der ‚Digitalisierung der Fremdsprachenleh-
rer*innenbildung‘. Zum einen besteht dringender Aushandlungsbedarf in
Bezug auf die Frage, welche fachspezifischen Kompetenzen Fremdsprachen-
lehrende im Bereich der Digitalisierung benötigen, die über allgemeine, fä-
cherübergreifend relevante digitale Basiskompetenzen hinausgehen. Zum
anderen muss aus hochschuldidaktischer Perspektive geklärt werden, wie
diese fachspezifischen digitalen Kompetenzen an der Universität gefördert
werden können, inwiefern also auch die Inhalte und Gegenstände sowie die
Methoden und Unterrichtsszenarien der fremdsprachlichen Leh-
rer*innenbildung digitalisiert sein sollten.
Das Denken in verschiedenen Ebenen der Digitalisierung legt neben der
Notwendigkeit der Präzisierung unseres Diskussionsgegenstandes eine weite-
re Herausforderung offen, der wir in der Auseinandersetzung um Digitalisie-
rungsprozesse im Fremdsprachenunterricht begegnen: nämlich die nicht ganz
triviale Aufgabe, die Potentiale der Digitalisierung auf jeder dieser Ebenen aus
einer fachspezifischen Perspektive zu bestimmen (vgl. auch das Positionspa-
pier der GFD von 2018). In den letzten Jahren sind vor allem zwei Entwick-
lungen zu beobachten, die dies nahelegen. Zum einen sind eine Reihe von
allgemeinen pädagogischen bzw. didaktischen Rahmentexten entstanden, die
grundlegende digitale Kompetenzen formulieren – in der Regel in den Berei-
chen ‚Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren‘, ‚Kommunizieren und Koope-
rieren‘, ‚Produzieren und Präsentieren‘, ‚Schützen und sicher Agieren‘, ‚Prob-
lemlösen und Handeln‘ sowie ‚Analysieren und Reflektieren‘ (vgl. z.B. KMK
2016, 15ff.). Nicht zuletzt in Ermangelung eines eigenen Schulfachs zur Aus-
bildung von Medienkompetenzen muss die Förderung dieser Kompetenzen
bei Schüler*innen fächerübergreifend erfolgen, d.h., alle Fächer müssen dazu

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Digitalisierung des Literaturunterrichts 259

beitragen. Dies ist schon allein deshalb erforderlich, weil es konkreter Inhalte
und Gegenstände bedarf, an denen digitale Kompetenzen zur Anwendung
kommen können (vgl. GFD 2018, 2). Wie die Förderung digitaler Kompeten-
zen also, wie auch von der KMK (2016, 12f., 15f., 19) gefordert, durch den
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Einsatz digitaler Formate im Fachunterricht im Einzelnen realisiert werden


kann, muss mit einem Fokus auf fachspezifischen, in unserem Fall also
fremdsprachendidaktischen, Zielen und im Abgleich mit vorliegenden fremd-
sprachendidaktischen Konzepten geklärt werden.
Zum anderen hat im Zuge verschiedener Bildungsoffensiven auf infra-
struktureller Ebene eine Digitalisierung vieler Schulen stattgefunden – u.a.
durch die Etablierung von sog. Tablet-Klassen –, ohne dass jedoch bislang
hinreichend fachspezifische Ansätze für den Einsatz dieser digitalen Medien
im jeweiligen Fachunterricht vorliegen. Innerhalb der Fremdsprachendidak-
tiken hat der Einsatz unterschiedlicher Medien zur Unterstützung fremd-
sprachlicher Lehr-/Lernprozesse eine lange Tradition. Vieles ist schon disku-
tiert und entwickelt worden, auch im Bereich des Digitalen. Allen voran sind
hier das E-Learning und das computerunterstützte Fremdsprachenlernen zu
nennen (CALL), „in dessen Mittelpunkt das interaktive und individualisierte
Fremdsprachenlernen steht“ (Grünewald 2017, 37). Allerdings ist trotz dieser
verschiedenen Entwicklungen auch festzustellen, dass die Potentiale digitaler
Medien für den Fremdsprachenunterricht vielfach vorschnell auf die techni-
schen Innovationen reduziert werden, die z.B. Computer oder das Internet
für den Unterricht eröffnen. Weitere Ebenen der Digitalisierung werden da-
bei nicht immer in den Blick genommen. Dies hat zur Folge, dass die digita-
len Formate vornehmlich als Hilfsmittel des Sprachenlernens und damit als
getrennt von den Inhalten, Bedeutungen und Kommunikationsakten, die
durch sie vermittelt oder ermöglicht werden, betrachtet werden (vgl. Hallet
2018b, 1). Ob und wie die Gegenstände, Zieldimensionen und Lernprozesse
des Fremdsprachenunterrichts durch die Digitalisierung verändert werden,
sind daher innerhalb der Fremdsprachendidaktik noch weitgehend ungeklär-
te Fragen.

2 Fachbezogene Handlungsfelder als Ausgangspunkt für


unterrichtliche Digitalisierungsprozesse
Das beste Innovationspotential des digitalen Wandels für den Fremdspra-
chenunterricht mag sich folglich insbesondere dann erschließen, wenn bei der
Frage nach den Implikationen dieses Wandels die Blickrichtung geändert
wird. Es sollte nicht ausgehend von digitalen Formaten – also mobilen Endge-
räten, Software oder sozialen Kommunikationsdiensten – diskutiert werden,
wie diese auch in den Fremdsprachenunterricht integriert werden können,
sondern ausgehend von verschiedenen Handlungsfeldern des Fremdspra-
chenunterrichts – also z.B. der Förderung von Mündlichkeit oder des Schrei-

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260 Carola Surkamp

bens, der Wortschatzarbeit, des interkulturellen Lernens oder des Literatur-


unterrichts – sollte analysiert werden, was die Digitalisierung für die Gegen-
stände, Ziele und Prozesse des Lernens in den Handlungsfeldern jeweils leis-
ten kann (vgl. Surkamp/Khuen 2018). Ein solcher Perspektivwechsel
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ermöglicht nicht zuletzt, dass die Arbeit mit digitalen Medien nicht in erster
Linie als methodische Abwechslung angesehen, sondern funktional eingebet-
tet wird (vgl. Diehr et al. 2018).
Des Weiteren ist ein solcher Perspektivwechsel notwendig, weil er ermög-
licht, dass auch andere fremdsprachendidaktische Handlungsfelder jenseits
des Grammatik- oder Wortschatzlernens beim Thema Digitalisierung in den
Blick kommen. Bislang wird die Digitalisierung des fremdsprachlichen Ler-
nens etwas verengend auf das rein sprachliche Lernen fokussiert. Diskutiert
werden die Potentiale von sprachlicher Lernsoftware, von adaptiven Syste-
men und Programmen zur Fehlerkorrektur. Dabei hat die Digitalisierung
auch Auswirkungen auf andere Bereiche des Fremdsprachenunterrichts, z.B.
auf den Literaturunterricht.
Aus der Perspektive der fremdsprachlichen Literaturdidaktik stellen sich
mit Blick auf das Innovationspotential der Digitalisierung für den Unterricht
insbesondere die folgenden Fragen:
• Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für die Förderung mo-
tivational-attitudinaler, ästhetisch-kognitiver sowie sprachlich-
diskursiver Kompetenzen im Literaturunterricht und welche digitalen
Formate bieten sich für welche dieser Teilziele an?
• (Wie) verändert der digitale Wandel die Gegenstände und Konzepte
des Literaturunterrichts?
• (Wie) verändert sich die literarische Kommunikation im institutionali-
sierten Rezeptionskontext Unterricht durch digitale Medien?
Zur Einordnung der verschiedenen Potentiale der Digitalisierung im Literatu-
runterricht ist es hilfreich, zwischen der Arbeit mit digitalen Texten einerseits
und der Nutzung von digitalen Kommunikationsformen andererseits zu un-
terscheiden (vgl. Leubner 2014; Surkamp erscheint). Zu digitalen Texten ge-
hören Modifizierungen etablierter Genres wie der Handyroman, Webcomics
oder Twitter-Lyrik sowie neu geschaffene Formate wie Hyperfiktion und
interaktive Texte (vgl. Deubel 2007; Hodson 2014). Mit digitalen Kommuni-
kationsformen sind Internetplattformen, Online-Diskussionsgruppen, Blogs
und Vlogs gemeint, über die Reaktionen auf Texte kommuniziert sowie eige-
ne Texte produziert und publiziert werden können. Sowohl digitale Texte als
auch digitale Kommunikationsformen erweitern die Möglichkeiten literari-
scher Vermittlung. Durch ihren Einsatz können daher neben grundlegenden
digitalen Kompetenzen auch rezeptive und produktive literaturbezogene
Kompetenzen gefördert werden.
Rezeptive Kompetenzen werden gefördert, weil durch audio-visuelle Texte
wie Online-Lesungen, aufgezeichnete Theateraufführungen oder spezielle

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Digitalisierung des Literaturunterrichts 261

Apps mit Vorlesefunktion (z.B. zu Shakespeares Sonetten; vgl. Bajor/Heinz


2014) Literatur über verschiedene Sinne aufgenommen werden kann. Auch
erweiterte E-Books fordern Leser*innen durch Illustrationen, Vertonungen
und Animationen zur multimodalen Rezeption auf. Texte mit interaktiven
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Elementen (z.B. „Inanimate Alice“) laden zudem zur aktiven Rezeption ein,
indem sie Wahlmöglichkeiten zum Fortgang der Geschichte anbieten oder
Rezipient*innen in eine Rolle schlüpfen lassen. Wenn Lernende auf diese
Weise aktiv Vermutungen darüber anstellen, wie eine Geschichte weitergeht,
werden ihre Fähigkeit zur Hypothesenbildung und ihre Imaginationskraft
gefördert (vgl. Thomas/White/Lippis 2014).
Im Internet lassen sich zu vielen gedruckten Texten außerdem verschie-
dene digitale Paratexte finden, die zum Weiterlesen, -hören oder -sehen in
der Fremdsprache und zur Kontextualisierung auffordern. Solche Paratexte
beinhalten z.B. zusätzliche Informationen zu einem literarischen Werk und
seiner Autorin bzw. seinem Autor, alternative Kapitel auf Fan Fiction-Seiten,
Visualisierungen oder auch den öffentlichen Austausch von Autor*innen und
Kritiker*innen über Twitter oder Instagram. Lernende können so zusätzliches
Wissen erwerben, Einblicke in literaturbezogene Orte erhalten (z.B. durch
einen virtuellen Blick hinter die Kulissen von Shakespeares Globe) oder Au-
tor*innen in Interviews oder virtuellen Lesungen auch als Personen kennen-
lernen. Solche Kontextualisierungen können zum einen motivierend wirken;
zum anderen sind sie gerade bei fremdsprachigen Texten wichtig, weil ohne
das dadurch erworbene Wissen Anspielungen in einem Text sowie kulturell
geprägte Verhaltensweisen oder Werte von Figuren oftmals gar nicht zu ver-
stehen sind. Darüber hinaus werden durch solche Kontextualisierungen, die
in Form von WebQuests stattfinden können (vgl. Genetsch 2018), digitale
Basiskompetenzen im Bereich ‚Suchen und Verarbeiten‘ trainiert.
Lernende können mittels digitaler Formate aber auch sprachlich-
produktiv tätig werden. Spezielle Anwendungen wie „Little Bird Tales“ oder
der „Book Creator“ zur Erstellung eines eigenen enhanced E-Books ermögli-
chen die Produktion von digitalen Geschichten und das Experimentieren mit
multimodalen Darstellungsformen. Dies fördert Vorstellungskraft und Krea-
tivität. Über digitale Kommunikationsformen erhalten Lernende wiederum
über das Klassenzimmer hinausgehende Gelegenheiten, ihre Reaktionen auf
einen literarischen Text mit anderen zu teilen (z.B. in Form von Internet-
Rezensionen, Diskussionsbeiträgen in Foren oder Kurzfilmen auf YouTube),
Interpretationsansätze von anderen zu kommentieren oder eigene kreative
Produkte einzustellen. Lazar (2008, 159) zufolge lässt die hohe Beteiligungs-
quote auf Fan Fiction-Seiten vermuten, dass diese Form des sprachlich-
literarischen Outputs die Lesemotivation steigert, die Distanz zwischen einem
Werk und seinen Rezipient*innen verringert und Interpretationshandlungen
anstößt. Neue sprachliche Anwendungsmöglichkeiten entstehen aber auch
durch Anschlusshandlungen, die über traditionelle Anschlusskommunikatio-

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262 Carola Surkamp

nen zu literarischen Texten hinausgehen. In digitalen Schreibspielen z.B. wird


das in einem Text dargestellte Geschehen nachgespielt oder Variationen der
Originalhandlung werden gemeinsam konstruiert (vgl. Schlachter 2013).
In einem Literaturunterricht, der sowohl digitale Texte als auch Kommu-
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nikationsformen einbindet, findet Lernen daher auf unterschiedlichen Digita-


lisierungsebenen statt. So eignen sich Schüler*innen prozedurales technisches
Wissen an, wenn sie im Literaturunterricht mit digitalen Technologien arbei-
ten und die Unterrichtskommunikation über literarische Texte auch digital
abläuft (Ebenen 3 und 5 nach Hallet). Durch die Beschäftigung mit digitalen
Texten bilden sie multiple literacies aus (Ebene 2). Dies ermöglicht es ihnen,
im Handlungsfeld Literatur mitzuwirken und an vielfältigen literarischen und
kulturellen Diskursen – gerade auch in digitalen Medien – teilzunehmen
(Ebene 1). Außerdem erlangen sie deklaratives Wissen darüber, was die Digi-
talisierung für die Literaturproduktion und -rezeption heute bedeutet, d.h. sie
erfahren digitale Bildung auch jenseits von sprachlichen und technischen
Fähigkeiten. Dies schließt die Entwicklung kritischer Reflexionskompetenz
ein (Ebene 6), wenn z.B. thematisiert wird, wie die Digitalisierung den Buch-
markt verändert. Mittels einer ethnografischen Aufgabe (vgl. König erscheint)
können die Lernenden dabei selbst zu Forschenden werden, z.B. durch die
Bearbeitung der Fragen, wie ein Buch digital vermarktet wird und welche
Wirkungen dies auf Rezipient*innen hat. Über Letzteres geben Nutzeraktivi-
täten im Netz Aufschluss. Durch ein solches Vorgehen wird nicht zuletzt
einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturdidaktik Rechnung getra-
gen, die auch Rezeptionskontexte als Unterrichtsgegenstände einbezieht.
Kritische Reflexionskompetenz in Bezug auf digitale Praktiken wird aber auch
dann gefördert, wenn das Digitale über die Textarbeit als Thema Eingang in
den Literaturunterricht findet (vgl. Lütge in diesem Band).

3 Einflüsse der Digitalisierung auf literaturdidaktische Konzepte und


Implikationen für die Forschung
Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, beeinflussen und formen digitale
Technologien und das Internet nicht nur unsere Alltagskommunikation,
sondern auch literarische Praktiken. So verändern sich durch digitale Formate
und Partizipationsmöglichkeiten die Rollen von Autor*innen und Rezipi-
ent*innen ebenso wie das Konzept der individuellen Autorschaft. Auf Litera-
turplattformen z.B. kann jeder Nutzer zugleich Autor, Leser und Kritiker sein
und diese Rollen auch wechselseitig einnehmen (vgl. Boesken 2010, 16). An-
schlusskommunikationen finden im Internet zudem nicht nur zwischen Re-
zipient*innen, sondern auch zwischen Autor*innen und Leser*innen statt,
was wiederum Einfluss auf die Literaturproduktion haben kann (vgl. ebd.,
22). Diese erfolgt zudem oftmals kollaborativ, wenn mehrere Personen zur
Entstehung eines Textes beitragen. Des Weiteren verändert die Digitalisie-

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Digitalisierung des Literaturunterrichts 263

rung Konzepte von ‚Lesen‘. Das ‚individuelle Lesen‘ geht in ein ‚soziales Le-
sen‘ (social reading) über (vgl. Pleimling 2012). Darunter wird der online-
Austausch über Texte verstanden, wie er in sozialen Medien, Blogs, Fan-
Foren und Buch-Communities sowie auf Literaturplattformen und Webseiten
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von Verlagen zu finden ist. Insgesamt verändert sich also die Kommunikation
über Literatur: Sie ist durch die Digitalisierung öffentlicher und für viele zu-
gänglicher geworden, so dass Rezipient*innen leichter an literarischen Dis-
kursen teilhaben können.
Dies sollte insofern auch Konzepte der Literaturdidaktik verändern, als
durch digitale Formate die Partizipationsmöglichkeiten im fremdsprachlichen
Literaturunterricht erweitert werden. Die Digitalisierung ermöglicht vielfälti-
ge sprachliche und kulturelle Begegnungen der Lernenden mit unterschiedli-
chen Texten, Inszenierungen und Personen, die über einen auf Textverstehen
ausgerichteten Unterricht und die typischerweise im Klassenzimmer vorzu-
findende Kommunikationssituation hinausgehen. Daher müsste erstens der
im fachdidaktischen Kontext schon erweiterte, unterschiedliche Vermitt-
lungsmodi einschließende Textbegriff weiter ausgeschärft werden. Zweitens
gilt es, Implikationen des digitalen Lesens und Schreibens für Rezeptionsstra-
tegien, Interpretationsmethoden und die eigene Textproduktion bei der Be-
schäftigung mit zunehmend multimodalen Texten sowie Texten mit nicht-
linearer Ästhetik, in denen Bedeutung durch das Verfolgen von Links kreiert
wird, herauszuarbeiten (vgl. Unsworth 2006, Kap. 2). Bestehende Kompe-
tenzbeschreibungen, auch im Bereich des Digitalen, sollten daher in Richtung
der Ausbildung von multiliteracies (vgl. Cope/Kalantzis 2009) aus fachlicher
Perspektive erweitert werden.1 Drittens schließlich müsste von einem umfas-
senderen Konzept von Lesen ausgegangen werden, das verschiedene Formen
der Anschlusskommunikation einschließt – von Internet-Rezensionen über
das Schreiben von Fan Fiction bis zur Teilnahme an Role Play Games.
Für die Beurteilung der Notwendigkeit konzeptioneller Änderungen in-
nerhalb der Literaturdidaktik bedarf es einer näheren Beschäftigung mit digi-
talen Formen der Literaturrezeption und -produktion. Dafür sollte auf Er-
kenntnisse der Literaturwissenschaft bei der Erforschung des aktuellen
Literaturbetriebs zurückgegriffen werden. In diesem Feld untersucht die Lite-
raturwissenschaft Prozesse des Umwandelns von analogen Medienformaten
in digitale sowie deren Verbreitung. Es steht die Frage im Fokus, welche Ein-
flüsse die Digitalisierung auf die Produktion, Vermittlung und Rezeption von
Literatur hat, also auf Texte, Akteur*innen sowie die Institutionen des Litera-
turbetriebs. Eine wichtige Erkenntnis ist z.B., dass das Internet bei all diesen
1
In ihrem Positionspapier betont die GFD (2018, 2), dass mit dem digitalen Wan-
del „neue digitale fachliche Kompetenzanforderungen entstehen“ und dass eine
Aufgabe der Fachdidaktiken in der „theoretischen Modellierung, empirischen Er-
forschung und praxisnahen Vermittlung des sich im Prozess der Digitalisierung
verändernden fachlichen Lehrens und Lernens“ besteht.

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264 Carola Surkamp

Prozessen eine immer wichtigere Rolle spielt (vgl. Hodson 2014; Winko 2016)
und dass Literatur heute als „Teil der aktuellen Partizipationskultur“ (ebd., 2)
angesehen werden kann. Literaturwissenschaftliche Studien zu den verschie-
denen Nutzungsvarianten digitaler Angebote legen verschiedene Formen der
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Anschlusskommunikation zudem überhaupt erst offen, die dann im Sinne


eines lebensweltnahen Literaturunterrichts, der Lernende zur Teilhabe befä-
higt, Eingang in Klassenzimmer finden können. Außerdem wird durch sie
erst deutlich, dass sich literarische Rezeption im Zeitalter der Digitalisierung
angemessener als „literarisches Handeln“ (Boesken 2010) beschreiben lässt,
womit „jegliches Handeln ‚an, mit und für Literatur‘“ (ebd., 22) gemeint ist.
Ein gemeinsamer Blick von Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik kann
daher dazu beitragen, Literatur als kulturelles Handlungsfeld (sensu Abra-
ham/Kepser 2016, 19ff.) weiter auszudifferenzieren, in dem sich dank neuer
Texte, computervermittelter Kommunikationswege und vielfältiger Wahl-
möglichkeiten von Handlungsrollen auch die Lernenden bewegen können.
Im Hinblick auf Forschungszugänge ist daher in Zukunft ein intensiver Dia-
log zwischen der Literaturdidaktik und ihrer wichtigsten Bezugsdisziplin, der
Literaturwissenschaft, notwendig.
Darüber hinaus werden in Zukunft verstärkt empirische Forschungsarbei-
ten benötigt, da viele Beschreibungen von Potentialen der Digitalisierung für
den Fachunterricht bislang auf Annahmen beruhen. Im Prinzip besteht zur-
zeit das generelle Problem, dass erst noch genauer untersucht werden müsste,
was digitale Formate z.B. für die Rezeption von Texten leisten können, bevor
darüber nachgedacht werden kann, wie sie im Unterricht zum Einsatz kom-
men sollten.
Erste empirische Erkenntnisse zu E-Books deuten darauf hin, dass digitale
Trägermedien durchaus Leseanreize bieten können (vgl. Ehmig/Heymann
2012, 259). Zusätzliche Elemente im E-Book können zu einem erweiterten
Erleben der Geschichte führen, wenn die Rezipient*innen über diese Elemen-
te auch auditiv und bildlich an der dargestellten Welt teilhaben (vgl. Lange
2019, 105f.). Auch die Entwicklung eines mentalen Modells von der erzählten
Welt wird erleichtert, wenn Leser*innen z.B. über Infoboxen oder Kartenma-
terial zusätzliche Informationen zu den Figuren, den Figurenkonstellationen
oder den Schauplätzen einer Geschichte erhalten (vgl. ebd.). Durch ihre Er-
lebnisorientierung bei der Rezeption können E-Books in Phasen des Sprach-
erwerbs zudem sprachkompetenzfördernd wirken (vgl. Korat/Segal-Drori
2016). In Bezug auf Online-Diskussionen führen Locke und Andrews (2004,
137) Studien auf, die nachweisen, dass digitale Kommunikationsformen Le-
sende dazu ermutigen, mit anderen in einen Austausch über literarische Texte
zu treten und dafür neue Formate auszuprobieren.
Es gibt aber auch Forschungsergebnisse, die einen kritischen Umgang mit
digitalen Formaten im Literaturunterricht nahelegen. Wie Krommer (2016,
56) z.B. für den Deutschunterricht aufzeigt, können E-Books „durch die Mög-

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Digitalisierung des Literaturunterrichts 265

lichkeiten dynamischer Textanordnung und symmedialer Modularisierung


die Tendenz zum nicht-linearen, oberflächlich-überfliegenden Lesen“ fördern
und damit einem Lesemodus Vorschub leisten, den der Literaturunterricht
gerade nicht anstrebt. Außerdem bieten nicht alle digitalen Erweiterungen,
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die in E-Books zu finden sind, zusätzliches erzählerisches Potential, so dass


Immersions- und Imaginationsprozesse durch modale Wechsel während der
Rezeption auch gestört oder gar verhindert werden können (vgl. ebd., 63). Für
den fremdsprachlichen Literaturunterricht liegen Studien zu den Wirkungen
und Potentialen des digitalen Lesens und Handelns bislang allerdings noch
nicht vor.

4 Anforderungen an die Lehrer*innenbildung


Bildungspolitisch wird zu Recht gefordert, die Potentiale der Digitalisierung
für Lehr-/Lernprozesse auch in der Lehrer*innenbildung zu berücksichtigen.
Dies sollte nicht nur aus allgemein-pädagogischer und -didaktischer Perspek-
tive erfolgen. Wie in diesem Beitrag dargelegt wurde, verspricht die Digitali-
sierung Potentiale gerade auch für fachspezifische Lehr- und Lernziele. Dem-
entsprechend muss sie in der Ausbildung von Fachlehrkräften Eingang in
Curricula und Lehrveranstaltungen an der Universität finden – und zwar mit
einem Fokus auf verschiedene fachspezifische Handlungsfelder.
Bevor jedoch über konkrete Einsatzmöglichkeiten von digitalen Techno-
logien und Formaten in universitären Kursen der Lehrer*innenbildung nach-
gedacht wird, muss die Frage beantwortet werden, welche Kompetenzen Leh-
rende für das Unterrichten ihrer Fächer im digitalen Zeitalter eigentlich aus
fachspezifischer Sicht erwerben sollten. Anknüpfend an allgemeine, fächer-
übergreifend relevante digitale Basiskompetenzen, wie sie z.B. im European
Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu (Redecker
2017) formuliert werden, sind also fachspezifische (d.h. hier literaturwissen-
schaftliche und -didaktische) Vertiefungskompetenzen zur Digitalisierung zu
formulieren (vgl. Schultz-Pernice et al. 2017). Im Hinblick auf die Arbeit im
fremdsprachlichen Literaturunterricht sollten Lehrende z.B. die folgenden
Kompetenzen entwickeln, um digitale Medien gemäß den Zielen des fremd-
sprachlichen literarischen Lernens didaktisch sinnvoll einsetzen zu können:
• Wissen über neue literarische Genres und Kommunikationsformen,
die durch die Digitalisierung eröffnet werden
• Fähigkeiten zum Einsatz digitaler Texte und Kommunikationsformen
zur Förderung rezeptiver und produktiver Kompetenzen von Lernen-
den
• Fähigkeiten zur Reflexion über und Evaluation von digitalen Formaten
aus literaturwissenschaftlicher, literaturdidaktischer und fremdspra-
chendidaktischer Sicht (Befähigung zu fachdidaktischen ‚Qualitäts-
checks‘)

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266 Carola Surkamp

In einem weiteren Schritt müssen – auch unter Einbeziehung fachwissen-


schaftlichen Wissens – universitäre Lehr-/Lernkonzepte erarbeitet werden,
die zur Förderung dieser Kompetenzen beitragen und in bestehende fachdi-
daktische und fachwissenschaftliche Module des Lehramtsstudiums integriert
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werden. Es sollte also nicht primär um die Neukonzeptualisierung ganzer


Kurse gehen, sondern um Anschlusspotentiale der Digitalisierung an beste-
hende hochschuldidaktische Konzepte, z.B. in Form von flexibel einsetzbaren
Bausteinen (ansonsten droht eine Überfrachtung der fachdidaktischen Antei-
le des Lehramtsstudiums; vgl. Bär in diesem Band). Umfassen sollten diese
Bausteine sowohl inhaltliche als auch methodische digitale Elemente, so dass
im Fall einer literaturdidaktischen Veranstaltung neben der Beschäftigung
mit und der Reflexion über digitale Texte auch der Einsatz von digitalen
Werkzeugen und Kommunikationsformen bei der Arbeit mit analogen litera-
rischen Texten eingeübt wird. Gemäß dem Prinzip des forschenden Lernens
könnten Studierende des Weiteren Lernaufgaben für einen digitalisierten
fremdsprachigen Literaturunterricht entwickeln und in der Praxis mit Schü-
ler*innen erproben und evaluieren (z.B. im Praktikum, in Kooperationspro-
jekten mit Schulen oder im Lehr-/Lernlabor). Auf diese Weise erlangen Stu-
dierende nicht nur kompetenzfördernde Einsichten in die Potentiale und
Herausforderungen digitaler Formate in der Unterrichtspraxis, sondern sie
werden auch an der Beantwortung der oben skizzierten Fragen zum digitalen
Lernen im Literaturunterricht und damit am fremdsprachendidaktischen
Forschungsprozess beteiligt.

Literatur
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Digitalisierung des Literaturunterrichts 267

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268 Carola Surkamp

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung auf
Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachenunterricht
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Britta Viebrock

1 Einleitung
Im September 2018 lief im Kinderkanal der öffentlich-rechtlichen Fernseh-
sender eine achtteilige Reihe namens „Digiclash: der Generationen-Contest“
(vgl. https://www.kika.de/digiclash-der-generationen-contest/index.html).
Grundidee der Sendung war der Vergleich zweier Personengruppen: Vier
Jugendliche, die in der dichotomen und durchaus umstrittenen, hier aber
passenden Kategorisierung Prenskys (2001) der Spezies der ‚digital natives‘
zuzuordnen waren, traten gegen vier internetskeptische Senioren an, die im
Laufe ihres Lebens nur wenig mit den Entwicklungen der digitalen Lebens-
welt in Berührung gekommen waren und über wenig ausgeprägte Technik-
kenntnisse verfügten. Die Herausforderung, die beide Gruppen zu bewältigen
hatten, war eine Verfremdung ihres gewohnten Alltags. Die digital natives
mussten ohne moderne Medien und digitale Technik auskommen und bei-
spielsweise ihre Mahlzeiten mithilfe eines Kochbuchs und einer analogen
Waage zubereiten, ihre Wäsche ohne Waschmaschine reinigen oder sich
ohne Navi in einer fremden Umgebung orientieren. Die Senioren hingegen
wohnten in einem Smart-Home mit zahlreichen technischen Finessen, die es
ihnen erlaubten, die Einkäufe per Internetorder ihres Kühlschranks zu erledi-
gen, ihre Mahlzeiten mithilfe eines digitalen Bestecks zu verzehren, das die
Essgeschwindigkeit kontrollierte, oder per virtual reality-Brille „in den Ur-
laub zu reisen“.
Der Kulturschock, den beide Gruppen erlebten, ist leicht nachvollziehbar.
Jeder dürfte in seiner sozialen Umgebung Personen kennen, die in manchen
Bereichen (noch) eher analog arbeiten, und anders herum solche, die digital
an vorderster Entwicklungslinie stehen. Warum ist dieses Beispiel für den
schulischen Fremdsprachenunterricht interessant? Aus meiner Sicht verdeut-
licht die überzeichnete und polarisierte Darstellung einige der Grundbedin-
gungen, die auch für den schulischen Unterricht gelten:
1. Die digitalen Vorkenntnisse dürften bei den beteiligten Akteuren (Lehr-
kräfte und Schüler/innen) generationsbedingt unterschiedlich sein, auch
wenn die jüngeren Lehrkräfte eher zu den digital Versierten zu zählen
sind.

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270 Britta Viebrock

2. Die umfassende Digitalisierung der jüngeren Generation ist eine Realität,


der sich das schulische Lernen in allen Fächern stellen muss, wenn es für
die Lerner bedeutsam bleiben will. Die technische Ausstattung vieler
Schulen dürfte sich allerdings stark von der privaten Ausstattung der Ler-
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ner unterscheiden.
3. In erster Linie ist die Digitalisierung ein Kommunikations- und Informa-
tionsmodus, der sich beobachten und beschreiben lässt und aus dem sich
auch für den Fremdsprachenunterricht didaktische und methodische
Schlussfolgerungen ableiten lassen.
4. Während in prädigitalen Zeiten nur ein analoger Modus zur Verfügung
stand, sind jetzt Abwägungen und ggf. Entscheidungen gegen oder für ei-
nen digitalen Modus zu treffen und begründen. Zukünftig wird in man-
chen Bereichen vielleicht kein analoger Modus mehr zur Verfügung ste-
hen bzw. die Binarität zwischen analogem und digitalem Modus
überwunden sein.
Digitalisierung ist mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht also mindes-
tens in vier Dimensionen zu betrachten, die in den folgenden Abschnitten
anhand von Beispielen verdeutlicht werden sollen. Erstens geht es um die
Entwicklung von Medienkompetenz im Sinne des Multiliteracies-Ansatzes
(vgl. New London Group 2000; Elsner/Viebrock 2013). Zweitens bedeutet die
Anerkennung des Prinzips der Schülerorientierung und des erfahrungsbasier-
ten Lernens, dass sich auch der Fremdsprachenunterricht ernsthaft mit den
privaten digitalen Informationsbeschaffungs- und Kommunikationsformen
der Lernenden auseinandersetzen und diese für unterrichtliche Prozesse auf-
greifen muss. Dieses kann drittens beispielsweise in Form entsprechender
Lerntechniken und -strategien geschehen (vgl. Schmidt/Strasser 2018).
Wenngleich digitale und analoge Realisation somit auf denselben lerntheore-
tischen Grundlagen beruhen und möglicherweise eine ähnlich hohe kognitive
Anstrengung verlangen, liegt die digitale Ausführung näher an dem alltägli-
chen Kommunikationsmodus der Lerner. Zu verstehen, an welcher Stelle
digitale tools tatsächlich eine Hilfe sind und an welcher Stelle sie das Lernen
eher behindern, wäre viertens Teil einer critical (digital) literacy, also der
Fähigkeit, die unterliegenden Strukturen, Ziele und Zwecke von Texten aller
Art oder auch digitalen Anwendungen zu durchschauen ebenso wie deren
Potenziale und Grenzen.
Zur Erörterung der genannten vier Dimensionen werden im folgenden
Abschnitt zunächst ausführlich die grundsätzlichen fachlichen und didakti-
schen Herausforderungen des digitalen Wandels für den Fremdsprachenun-
terricht unter Einschluss der notwendigen Fähigkeiten (v.a. die schon be-
nannte critical literacy) diskutiert, bevor die Frage eines spezifischen Leitbilds
für digitales Lehren und Lernen in den Blick genommen wird. Es folgen eini-

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung 271

ge kurze Überlegungen zu den Forschungsperspektiven und eine Zusammen-


fassung.

2 Fachliche und didaktische Herausforderungen des digitalen


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Wandels für den Fremdsprachenunterricht


Die erste Leitfrage zur Diskussion des digitalen Wandels geht davon aus, dass
dieser „die Gegenstände, Lernumgebungen, Medien und Prozesse des Leh-
rens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen auf den Prüfstand [stellt]“.
Diese Annahme ist zweifelsohne zu bestätigen. Welche fachlichen und didak-
tischen Herausforderungen sich im Einzelnen ergeben, hängt allerdings auch
von einigen grundlegenden strukturell-institutionellen Überlegungen ab:
Stellen wir uns den Fremdsprachenunterricht der Zukunft nach wie vor als
Unterricht im Klassenzimmer vor, der auch auf zwischenmenschliche Inter-
aktion setzt? Dann begrenzt diese institutionelle Setzung die Einflussmöglich-
keiten der Digitalisierung. Ihr kommt eine dienende Funktion in einem Set-
ting zu, das neben individueller Kompetenzentwicklung auch stark auf
persönlichkeitsbildende Aspekte und soziales Lernen setzt. Stellen wir uns
den zukünftigen Fremdsprachenunterricht allerdings mehr oder minder frei
von institutionellen Anforderungen vor, kann die Digitalisierung deutlich
größere und revolutionärere Einflüsse ausüben. Dass solche Überlegungen
nicht mehr utopisch sind, zeigt eindrücklich das Beispiel des ersten Massive
Open Online Course (MOOC), der 2011 mit 190.000 internationalen Teil-
nehmer/inne/n an der amerikanischen Stanford University angeboten wurde.
23.000 Kursabsolvent/inn/en bestanden die Abschlussprüfung, von den 400
erfolgreichsten gehörte keine/r zur eingeschriebenen Studierendenschaft der
prestigeträchtigen Universität (vgl. Dräger/Müller-Eiselt 2017, 16). Vormals
exklusive Bildungsinhalte können also mithilfe der Digitalisierung einer sehr
viel größeren Lernergruppe zugänglich gemacht und damit demokratisiert
werden.
Mit Blick auf die Gliederung des deutschen Schulsystems und den oft be-
klagten Zusammenhang zwischen dem elterlichen Bildungshintergrund und
der schulischen Laufbahn der Kinder, lassen sich analog zum genannten
MOOC Szenarien denken, die es Lernern ermöglichen, ihre Leistungen in
unterschiedlichen Disziplinen begabungsgerecht und unabhängig von gesell-
schaftlichen und institutionellen Strukturen zu entwickeln. Der Gedanke an
individuelle Lehrpläne auf der Basis von digital erhobenen und ausgewerteten
Erkenntnissen zur vorhandenen Kompetenz, zum Lernfortschritt und zu
potenziellen Problembereichen (Stichwort: learning analytics, Ebner/Ebner
2018) liegt nicht fern. Die Diskussion um den Bildungsbegriff in Zeiten von
Standardisierung, Kompetenzorientierung und der Testung leicht abprüfba-
ren diskreten Wissens soll an dieser Stelle nicht aufgemacht werden. Das
Beispiel beschreibt vor allem den potenziellen Spielraum, der sich für die

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272 Britta Viebrock

Konzeptionalisierung von Lernen, auch Fremdsprachenlernen, zwischen den


Polen der Institutionalisierung (mit gesellschaftlichem Bildungsauftrag auch
zum sozialen Lernen) und der Digitalisierung (zum individuellen Kompe-
tenzerwerb) ergibt.
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Inwieweit sich – wie in der Leitfrage angenommen – die Lernumgebungen


und Prozesse ändern, hängt also von einigen Grundsatzentscheidungen ab. Es
ließe sich auch ein vollständig individualisiertes und digitalisiertes Lernen
vorstellen, das beispielsweise nur noch aus geprüften und akkreditierten in-
ternetbasierten Lernpaketen besteht. Da ich diese Vorstellung zwar als Ge-
dankenspiel reizvoll, insgesamt aber wenig sympathisch finde, werde ich für
die weitere Diskussion von den bestehenden institutionellen Strukturen aus-
gehen und die Herausforderungen und Innovationspotenziale in dem gege-
benen Rahmen betrachten. Zentrale Lernumgebung bleibt nach wie vor das
Klassenzimmer. Im Gegensatz zu prä-digitalen Zeiten kann es aber sehr leicht
durch außerschulische, auch internetbasierte Lernorte oder Ansätze mobilen
Lernens geöffnet werden (vgl. Wilden 2018). Was die Gegenstände des
Fremdsprachenunterrichts betrifft, erwarte ich zwar gewisse Anpassungen,
die sich durch die Digitalisierung ergeben, nicht aber grundsätzliche Ände-
rungen. Traditionell bestehen die fachlichen Inhalte des Fremdsprachenun-
terrichts aus der Sprache selbst (im Sinne einer linguistischen Betrachtung
oder sprachpraktischer Übungen), aus landeskundlichen Themen und Cultu-
ral Studies sowie aus literarischen Texten (in unterschiedlichen medialen
Realisierungsformen, z.B. auch als Hypertext, Internetserie oder Film). Wenn
der Fremdsprachenunterricht weiterhin einen allgemeinen Bildungsauftrag
verfolgt, wird sich an diesen Grundbestandteilen nichts ändern, die Verschie-
bungen sind eher gradueller Natur.
Selbstverständlich wird der Gebrauch der Sprache durch ihre mediale Rea-
lisierung beeinflusst. Merkmale von ‚konzeptioneller Mündlichkeit und
Schriftlichkeit‘ (Koch/Oesterreicher 1997) vermischen sich in manchen digi-
talen Kommunikationsformen und fordern zu einer differenzierteren Sprach-
betrachtung auf (z.B. in allen möglichen Chat-Varianten, vgl. Mishan 2007).
Ausgehend vom Prinzip der Schülerorientierung finden somit von der Digita-
lisierung beeinflusste oder hervorgebrachte Textsorten Eingang in den Unter-
richt (nämlich z.B. ein reales Chat-Protokoll anstelle eines vormals analogen
Briefes o.ä.), aber es bleibt trotzdem die Sprache, die in ihren Strukturen und
ihrer Verwendungsweise untersucht wird, ggf. sogar in diachroner Perspekti-
ve, um Unterschiede und Entwicklungen zu verdeutlichen. Darüber hinaus ist
zu bedenken, dass gewisse Textsorten (z.B. Bewerbungsschreiben) hoch kon-
ventionalisierten formalen Anforderungen unterliegen, die sich trotz des
digitalen Wandels kaum geändert haben. Auch auf diese hat schulischer Un-
terricht vorzubereiten. Und nicht zuletzt gehört zu seinen Aufgaben die Hin-
führung zur Bildungssprache, welche spezifische sprachliche und diskursbe-
zogene Merkmale aufweist (Fachbegriffe und fachspezifische Abkürzungen,

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung 273

unpersönliche Ausdrucksweise, Nominalisierungen und Komposita, erweiter-


te Nominalphrasen, verkürzte Nebensatzkonstruktionen, fachspezifische
Darstellungsformen, Bezugnahme auf Autoritäten oder empirische Evidenz
und dergleichen). Bildungssprache kann natürlich in digitaler Form abgebil-
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det sein (z.B. in Form eines digitalen Schulbuchs), aber sie setzt grundsätzlich
die gleichen Anforderungen und konzeptionellen Kenntnisse voraus wie es
gedruckte akademische Texte schon immer getan haben. Zusammenfassend
lässt sich also sagen, dass eine gewisse Akzentverschiebung und auch Erweite-
rung der Textsorten und ihrer sprachlichen Realisierung stattfinden, die im
Unterricht zu betrachten sind, aber keine grundsätzliche Änderung dieses
Fachinhalts.
Ähnliches gilt für die landeskundlichen und literarischen Unterrichtsin-
halte. Auch hier übt die Digitalisierung einen Einfluss aus, der aufzugreifen
ist, aber er stellt die Unterrichtsinhalte nicht grundsätzlich in Frage. Wenn in
der Oberstufe beispielsweise tagespolitische Themen der USA behandelt wer-
den, ist es sicher wichtig, Präsident Trumps Medienverhalten in den einschlä-
gigen Kurznachrichtendiensten zu analysieren und die Wirkungsweise dieser
Textsorte zu diskutieren, denn das ist – wie das eingangs geschilderte Beispiel
eindrücklich gezeigt hat – die Lebenswelt, in der sich die Jugendlichen heut-
zutage aufhalten und deren Mechanismen sie im Sinne einer critical digital
literacy kennen und verstehen sollten. Ebenso wichtig dürfte es aber sein, die
ausführlichere Darstellung von Sachverhalten in anerkannten Printmedien
oder Nachrichtenmagazinen zu untersuchen, um sowohl zu einem vertieften
inhaltlichen Verständnis als auch zu elaborierteren Sprachkompetenzen zu
gelangen. Genauso verhält es sich mit literarischen Texten, die heutzutage
sehr viel variantenreicher sind und deshalb eine genauere Auswahlbegrün-
dung verlangen. Je nach medialer Realisationsform setzen sie beispielsweise
Lesekompetenzen und literarästhetische Textverstehenskompetenzen oder
Kompetenzen im Hör-Sehverstehen und visual oder film literacy voraus bzw.
fördern diese. Multimodale Literaturformen, welche die Strukturen des Inter-
nets und die Möglichkeiten der Digitalisierung für ihre Erzählung nutzen
verlangen dem Leser/der Leserin neue Rezeptionskompetenzen ab (vgl. auch
Lütge in diesem Band). Aber wenn man es genau nimmt, hat es innovative
(beispielsweise hypertextartige) Erzählansätze auch schon zu prädigitalen
Zeiten gegeben (man denke an Margaret Atwooods Kurzgeschichte Happy
Endings aus dem Jahre 1983, eine metafiktionale, zwar chronologisch aufge-
schriebene, aber in sechs Alternativen A-F zu lesende Erzählung mit entspre-
chenden Querverweisen: „If you want a happy ending, try A.“ oder „… and
everything continues as in A.“). Wiederum gilt es also, den Einfluss der Digi-
talisierung auf literarische Repräsentationsformen aufzugreifen und zu mo-
dellieren. Neue Textformen sind im Fremdsprachenunterricht zu thematisie-
ren. Dieses schließt Reflexionen sich ändernder Lese- und Sehgewohnheiten

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274 Britta Viebrock

mit ein. Aber literarische Texte als Unterrichtsinhalt werden damit nicht
grundsätzlich in Frage gestellt.
Der Bereich, in dem der Einfluss der Digitalisierung am deutlichsten
sichtbar geworden ist, ist der der Unterrichtsmedien. Sie haben sich im
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Fremdsprachenunterricht über die Jahrzehnte vom klassischen Textbuch über


das Sprachlabor hin zum interactive whiteboard oder zur Nutzung virtueller
Welten (z.B. Raith 2008) entwickelt. Ebenso gibt es zahlreiche, für das Fremd-
sprachenlernen entwickelte internet-basierte Serious Games, z.B. The Langu-
age Magician (https://www.thelanguagemagician.net/de/), ein Spiel zur Lern-
standserhebung im Primarbereich, bei dem die Lerner mit ihren
Sprachkenntnissen helfen müssen, verzauberte Türen wieder zu öffnen, oder
EU·DO·IT (http://eudoit.eu/melang-e), einer virtuellen Reise durch Europa,
auf der die Lerner verschiedene kommunikative Aufgaben lösen müssen.
Solche Serious Games sind eng mit den lebensweltlichen (Spiel-) Erfahrungen
der Lerner verknüpft und nutzen den Modus der digitalisierten Kommunika-
tion für Sprachproduktion. Sie können angesichts ihrer Fokussierung auf
Sprachlernen (und eben nicht nur zweckfreies Spielen) und der zu bewälti-
genden Aufgaben in gewisser Weise als digitale Variante des klassischen Dia-
logschreibens/-sprechens angesehen werden. Dieses ist allerdings in eine
deutlich anspruchsvollere und für die heutige Lernergeneration ansprechen-
dere virtuelle Welt eingebettet.
Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass ich die fachlichen Heraus-
forderungen der Digitalisierung vor allem an der Stelle für recht groß halte,
wo es darum geht, bisher nur in analoger Form vorliegende Inhalte in inter-
aktive und vor allem adaptive Lehrbücher oder Serious Games-Formate zu
überführen. Dort, wo digitales Material in der fremdsprachlichen Welt bereits
vorhanden und vor allem durch (digitale) Annotationen, Erläuterungen und
Aufgaben aufzubereiten ist, ergeben sich didaktische Herausforderungen aus
der beschriebenen digitalen Dynamik. Im Gewand neuer medialer Realisie-
rungen erscheinen Inhalte in einem neuen Licht und verlangen auch neue
Überlegungen, wie mit ihnen im Unterricht umzugehen ist. Genau genom-
men hat es diese Art von Herausforderungen aber schon immer gegeben, wie
sich an der Entwicklung der Unterrichtsmedien über die Jahrzehnte ablesen
lässt. Zum einen können die notwendigen Überlegungen eher methodischer
Natur sein, z.B. hinsichtlich der Frage, wie sich bestimmte Lernprozesse mit-
hilfe digitaler Medien vereinfachen oder zumindest realitätsnäher für die
heutige Lernergeneration gestalten lassen. Zum anderen ergeben sich auch
originär neue Themen aus der Digitalisierung (z.B. fake realities oder fake
publics, vgl. auch Leonhardt/Viebrock erscheint), die auch im Fremdspra-
chenunterricht mit jeweils fachlicher Anbindung aufzugreifen sind. Insge-
samt zeigen sich also sowohl methodische als auch didaktische Innovations-
potenziale, die ich allerdings nicht grundlegend anders einschätze als solche
Innovationspotenziale, die sich aus neueren thematischen Entwicklungen z.B.

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung 275

in der Politik oder im kulturellen Leben ergeben. Auch hier ist immer wieder
die Frage zu stellen, ob und in welcher Weise (auch in welcher medialen Rea-
lisierung) ein neuer Inhalt aufzunehmen ist. Für mich gehören die Heraus-
forderungen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, somit zur grundlegen-
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den Vitalität der Lehrprofession.

3 Ein Leitbild für digitales Lehren und Lernen?


Die Frage, ob die Digitalisierung ein eigenes Leitbild für das Lehren und Ler-
nen verlangt, wäre angesichts dieser Positionierung eher zu verneinen. Digita-
lisierung könnte – wie andere Entwicklungen und Themen auch – in einem
allgemeinen Leitbild Lehre ihren Platz finden. Andererseits ist die besondere
Herausstellung des digitalen Wandels für die gesellschaftlichen Strukturen auf
allen Ebenen (Berufswelt, soziale Beziehungen, Kommunikation und Infor-
mationsverbreitung etc.) eher ein Argument für die Erstellung eines Leitbilds
für digitales Lehren und Lernen. Dieses dürfte angesichts erster Untersu-
chungen (vgl. Stiftung Kind und Jugend 2017) zu den gesundheitlichen und
sozialen Risiken der permanenten Nutzung digitaler Medien (z.B. Bewe-
gungsmangel, Haltungsschäden, Suchterscheinungen, Vereinsamung, Kon-
zentrationsstörungen, psychischer Stress durch Dauererreichbarkeit) aller-
dings nicht nur affirmativ ausfallen, sondern sollte auch grundsätzliche
medienkritische Aspekte enthalten, die reale Handlungsfolgen im Sinne einer
selektiven Mediennutzung oder gar eines Medienverzichts nach sich ziehen.
Im bundesweit ersten politischen Leitbild für Lernen im Digitalen Wan-
del des Landes NRW (2016) wird diese Forderung aufgegriffen. Neben der
Betonung des Werts der Allgemeinbildung werden ‚digitale Schlüsselkompe-
tenzen‘ beschrieben, die auf einem erweiterten Verständnis einer critical digi-
tal literacy basieren:
• Medienkompetenz, die eine kritische Urteilsfähigkeit sowie Analyse und
Einordnung von vermittelten Inhalten in soziale Zusammenhänge er-
möglicht und damit dazu beiträgt, alle Chancen einer digitalisierten Welt
nutzen und gleichzeitig mögliche Risiken erkennen und abwenden zu
können.
• Anwendungs-Know-how, das für einen selbstständigen und sicheren
Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen notwendig ist. Hierzu
gehört auch die Kenntnis über technische Gefahren und Risiken, über
wirksame Schutzmaßnahmen sowie über Grundlagen der Verschlüsse-
lung. […] (Landesregierung NRW 2016, 5)
Zu einem der zentralen Risiken der Digitalisierung gehört zweifelsohne die
Frage der Datensicherheit. Wie kann diese bei digitalisierten Arbeitsbüchern
sichergestellt werden? Auf wessen Server liegen Nutzerdaten und Lernergeb-
nisse? Sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines internetbasierten

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276 Britta Viebrock

Lernspiels bewusst, welche Daten von ihnen gespeichert und für welche Zwe-
cke diese verwendet werden? Wissen die Lehrkräfte, welchen (Daten-) Preis
sie und ihre Lerner für gewisse Anwendungen bezahlen?
Die Attraktivität der digitalen Angebote für die Lerner sowie deren kom-
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fortable Nutzung für die Lehrkräfte, mit der explizit geworben wird, scheint
bisweilen den Blick auf nutzungsethische oder auch forschungsethische As-
pekte zu verstellen. The Language Magician, beispielsweise erhebt recht um-
fangreiche Daten und nennt diese im privacy statement (vgl. https://www.the
languagemagician.net/privacy/). Der Hinweis, dass sie auch zu Forschungs-
zwecken genutzt werden, findet sich allerdings nicht dort, sondern an anderer
Stelle auf der Projektwebseite. Das Zur-Verfügung-Stellen von Forschungsda-
ten ist also untrennbar mit der Nutzung des Spiels verbunden. Setzt eine
Lehrkraft dieses Spiel also zur Sprachstandsdiagnose ein, werden die Lerner
damit gleichsam zu Teilnehmer/inne/n eines Forschungsprojekts gemacht.
De facto können mit den vorhandenen technischen Mitteln aufwändige for-
male Genehmigungen und die gesonderte Zustimmung der Erziehungsbe-
rechtigten minderjähriger Teilnehmer/inne/n umgangen werden, die bei der
Nutzung digitaler Anwendungen nicht eingeholt werden, die für andere, ex-
plizit als solche gekennzeichnete Forschungsprojekte in Schulen hingegen
unerlässlich sind. Kritisch zu fragen ist also, ob digitale Spiele, die zugleich
Daten erheben/speichern, wichtige Prüf- und Genehmigungsprozeduren
aushebeln?
Anhand dieses Beispiels ist grundsätzlich zu fragen, ob die Entscheidung
für digitale Lerninhalte, tools oder Prüfungsmethoden individuell zu treffen
und zu verantworten ist, ob also datenbezogene Aspekte von der einzelnen
Lehrkraft umfassend beurteilt werden können. Oder muss für internet-
basierte tools – ähnlich wie für klassische Schulbücher – eine Begutachtung
und Freigabe auf bildungspolitischer Ebene erfolgen? Bock und Probst (2018)
plädieren diesbezüglich für ein integriertes Konzept auf allen Ebenen:
Während der Schulträger vornehmlich rahmt, welche Infrastruktur in den
Klassenräumen zur Verfügung steht, wird die Bildungspolitik sich eher Ge-
danken darum machen müssen, welche Impulse sie für die zukünftige Ausge-
staltung der Inhalte setzen möchte (Stichworte freie bzw. proprietäre Bil-
dungsmedien, KMK-Empfehlungen zu digitalen Kompetenzen etc.). Zudem
sind auf Länderebene Fragen der Lehrkräfteausbildung und Schulung im Um-
gang mit digitalen Medien verortet. Handlungsimplikationen für die konkrete
Gestaltung der Verwendung und den Umgang mit den mobilen Endgeräten
im Fachunterricht richten sich hingegen vor allem an die Personen, die mit
den Bildungsmedieninhalten lehren und lernen (Bock und Probst 2018, 18f.).
Eine solche Sichtweise sollte meiner Ansicht nach auch für ein Leitbild digita-
len Lernens in den fremdsprachlichen Fächern gelten, denn für die einzelne
Lehrkraft ist die Vielfalt der freien Angebote mit ihren Implikationen hin-
sichtlich der Datensicherheit sonst kaum zu überblicken. Natürlich sind diag-

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung 277

nostische tools wie The Language Magician hilfreich und bisweilen genauer als
der Blick der Lehrkraft. Zugleich darf aber nicht vergessen werden, dass hier
überwiegend diskrete Elemente in den Blick genommen werden, fremd-
sprachliche Bildung aber ein sehr viel umfassender Prozess ist. Deshalb müs-
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sen die lebensweltlich verfügbaren technischen Potenziale der Digitalisierung


nicht vollumfänglich im Klassenzimmer abgebildet sein. Priorisiert werden
sollte in einem Leitbild des digitalen Lernens für Fremdsprachenunterricht
vielmehr eine grundsätzliche Berücksichtigung des Modus der Digitalisierung
sowie eine umfassende Reflexionskompetenz der Lerner im Sinne einer criti-
cal digital literacy.

4 Forschungsperspektiven
Im Zuge der Digitalisierung ergeben sich unzählige Forschungsperspektiven
für die Fremdsprachendidaktik. Mit der oben bereits betonten kritischen
Sicht u.a. auf Fragen der Datensicherheit z.B. bei frei zugänglichen internet-
basierten Sprachlernressourcen verbieten sich allerdings einige Forschungsvi-
sionen, wenngleich sie sich technisch sehr leicht realisieren lassen. Insgesamt
scheint es mir angezeigt, hier eine grundlegende forschungsethische Position
einzunehmen (vgl. Viebrock 2015) und sehr genau abzuwägen, welche For-
schungsfragen vertretbar und sinnvoll sind und eine Untersuchung lohnen.
Auch der latent unterliegende Gedanke einer Effizienzsteigerung (schneller,
mit weniger Aufwand) sowohl beim Fremdsprachenlernen als auch bei dessen
Erforschung, der sich mit den zahlreichen technischen Möglichkeiten auf-
drängt, ist aus meiner Sicht kritisch zu prüfen. Grünewald (2017) weist in
diesem Zusammenhang zudem auf die forschungsmethodologischen Proble-
me hin, die komparative Studien (analog vs. digital) mit sich bringen:
In vergleichenden empirischen Studien, in denen Unterricht mit und ohne di-
gitale Medien untersucht wird, bleibt meist unklar, ob eine Veränderung tat-
sächlich auf das eingesetzte Medium zurückzuführen ist oder nicht (Fakto-
renkomplexion). Das liegt daran, dass in der Forschung zur Wirkung digitaler
Medien im Schulunterricht mediale und unterrichtsmethodische Einflüsse
nicht auseinander gehalten werden können (Grünewald 2017, 212).
Mir scheint allerdings, dass viele der gegenwärtigen Forschungsarbeiten bei-
spielsweise auch im Zuge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung den Ansatz
verfolgen, die Überlegenheit des Digitalen herauszustellen. Mit Bezug auf das
eingangs geschilderte Beispiel halte ich es hingegen für sinnvoller, den Modus
des Digitalen als eine grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklung anzuer-
kennen und auf seine Potenziale oder auch Herausforderungen hin zu be-
trachten, ohne jedoch von Vorherein von einer Überlegenheit in lerntheoreti-
scher Hinsicht auszugehen. Vielfältige digitale Bildungsangebote
(Lernplattformen und Content Management Systeme, die Aufzeichnung von

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278 Britta Viebrock

Vorlesungen oder Unterrichtsvideographien, Webinare und digitale Lernmo-


dule) gehören ohnehin bereits zum Standardprogramm zahlreicher Bildungs-
einrichtungen. Forschungsbemühungen sollten sich allerdings nicht nur da-
rauf beziehen, weitere digitale tools für den Fremdsprachenunterricht zu
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entwickeln und zu evaluieren bzw. die vorhandenen weiterzuentwickeln,


sondern auch auf die Konzipierung von Fortbildungen und Schulungen für
Lehrkräfte. Besondere Potenziale der digitalen Transformation für Unter-
richts- und Lehrerbildungszwecke liegen sicher in einer noch stärkeren Be-
darfsorientierung, Flexibilisierung und Individualisierung von Bildungsange-
boten, die in den genannten Dimensionen jeweils hinsichtlich ihrer
Akzeptanz, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit zu untersuchen sind. Auch hier
allerdings ist die systemische Komponente zu berücksichtigen:
Ohne eine Veränderung und neue Impulse in der Bildungspolitik in Bezug auf
digitales Lernen stagniert auch das Innovationspotential vonseiten der Leh-
rer*innen und Forscher*innen, da der Einsatz digitaler Medien von zahlrei-
chen Lehrkräften nach wie vor als Zusatzbelastung und Mehraufwand be-
schrieben wird (Bock/Probst 2018, 19).
Für eine Forschungsperspektive auf Fragen digitaler Bildungsprozesse auch
im Bereich der Fremdsprachenlehrerbildung und des Fremdsprachenlernens
eignet sich daher ein Modell, welches ein sinnvolles Zusammenspiel von Di-
daktik, Organisation, Individuum und Technik in den Blick nimmt (Ulich
2005). Die Organisationsdimension schließt dabei die bildungspolitische
Rahmung mit ein. Ein solches Modell erlaubt zum einem die Fokussierung
einzelner Elemente (z.B. die Einstellungen oder Kompetenzen von Lehrkräf-
ten) oder Faktorenbereiche, ohne jedoch den Gesamtkontext aus den Augen
zu verlieren. Zugleich macht es jedoch deutlich, dass die „großen“ Digitalisie-
rungsfragen (und hier meine ich vor allem artificial intelligence, selbstlernen-
de Systeme und dergleichen) nicht oder nur dann in der Fremdsprachendi-
daktik diskutiert werden, wenn diese auf Partner mit entsprechender
technischer Expertise zurückgreifen kann. Inwieweit dann allerdings noch
didaktische Fragen und nicht technisch-wirtschaftliche eine zentrale Rolle
spielen, bleibt anzuzweifeln.

5 Zusammenfassung
Ziel meines Beitrags war es, einige grundsätzliche Überlegungen zur Digitali-
sierung von Bildungsprozessen im Fremdsprachenunterricht, in der Fremd-
sprachendidaktik und in der Fremdsprachenforschung anzustellen. Die An-
nahme, dass die Digitalisierung unausweichlich zu einer „Bildungsrevolution“
(Dräger/Müller-Eiselt 2017) führt, teile ich nicht vollumfänglich. Vielmehr
bestimme ich die beiden Dimensionen ‚Digitalisierung‘ und ‚Institutionalisie-
rung‘ als Gegenpole eines Kontinuums. Je nachdem, aus welcher Perspektive

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Alles digital?! Auswirkungen der Digitalisierung 279

man sich der Thematik nähert, ergeben sich unterschiedliche Potenziale und
Herausforderungen. Grundsätzlich ist der Modus der Digitalisierung als ge-
sellschaftliche Entwicklung anzuerkennen und in den Bildungsinstitutionen
aufzugreifen. Wenn diese allerdings auch als Orte des gemeinsamen und sozi-
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alen Lernens sowie der Persönlichkeitsbildung bestehen bleiben sollen, wird


der Einfluss der Digitalisierung sich eher auf technische und methodische
Aspekte konzentrieren. Mögliche Orientierungen in Form eines Leitbilds
müssen daher aus meiner Sicht auch eine deutliche medienkritische Kompo-
nente umfassen. Die Digitalisierung führt zu einer Erweiterung der Lehr- und
Lerninhalte auch im Fremdsprachenunterricht, da sie beispielsweise neue
Textformen hervorbringt, deren Funktions- und Wirkungsweisen zu analy-
sieren und zu verstehen sind. Allerdings ließe sich argumentieren, dass es
vergleichbare Entwicklungen und Innovationspotenziale bereits in früheren
Jahrzehnten gegeben hat und Bildungsprozesse immer auch eine erwartbare
Reaktion auf und Antizipation von gesellschaftliche(n) Entwicklungen sind.
Diese sind in ihrer Spezifität zu beforschen, aber nicht in komparativer Form.
Das eingangs geschilderte Beispiel hat gezeigt, dass es sich bei analogen vs.
digitalen Zugangsweisen oft schlicht um unterschiedliche Modi handelt, die
auf den jeweiligen technischen Möglichkeiten beruhen und deren Kennt-
nis/Beherrschung bisweilen generations- bzw. erfahrungsabhängig ist. In
diesem Sinne lautet das abschließende Fazit meines Beitrags mit Blick auf
Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachendidaktik, trotz der vermeint-
lich großen Anforderungen der Digitalisierung, Besonnenheit walten zu las-
sen und der Komplexität des Gegenstandes angemessene, fundierte Entschei-
dungen zu treffen, manchmal auch ganz analog!

Literatur
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schaftliche Begleitforschung zur Einführung mobiler Endgeräte in Niedersächsi-
schen Schulklassen der Sek I. Online: http://repository.gei.de/bitstream/handle
/11428/285/ED19_Bock_Probst_Digitales.pdf?sequence=1&isAllowed=y
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280 Britta Viebrock

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Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht

Karin Vogt
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1 Digitaler Wandel: Herausforderungen und Innovationspotenziale


für den inklusiven Englischunterricht
Der digitale Wandel erfasst in seinem Einfluss alle Lebensbereiche und prägt
als fortlaufender Veränderungsprozess nachhaltig auch Lehr- und Lernpro-
zesse etwa mit der ubiquitär verfügbaren Nutzung von digitalen Anwendun-
gen und Services und damit zusammenhängend der Entstehung neuer Ge-
wohnheiten. Er impliziert grundsätzlichen Wandel in der Verbreitung von
Daten und in der sofortigen Verfügbarkeit von Informationen und Wissen.
Dies betrifft ebenfalls die Rollen von Lernenden und Lehrenden und hat be-
zogen auf schulische Kontexte Einfluss u.a. auf die Gestaltung von Lernum-
gebungen und die Lehrer/innenbildung.
Digitale Medien spielen im Fremdsprachenunterricht seit den 1980er Jah-
ren eine Rolle (historischer Überblick in Davies/Otto/Rüschoff 2013) und
werden in unterschiedlichen Bildungskontexten beforscht (exemplarisch zum
Selbstlernen Nandorf 2004; Würffel 2005; zur Integration von Lernsoftware
Schmidt 2007; zu portablen elektronischen Wörterbüchern Diehr et al. 2016;
zum kollaborativen Fremdsprachenlernen und -lehren in virtuellen Welten
Biebighäuser 2014; Ludewig/Vogt 2010; Zibelius 2014; zu Gamifizierung von
Fremdsprachenlernen Dale Jones 2018). Obwohl digitale Medien auch in der
Fremdsprachendidaktik verwendet (exemplarisch Martin 2015; Stanley 2013;
Strasser 2012) und beforscht werden und sich etwa mit der Telekollaboration
ein ganzer Forschungszweig etablierte (exemplarisch Guth/Helm 2010;
O’Dowd/Lewis 2016), konnten sich digitale Medien vor allem in der Praxis
des schulischen Fremdsprachenlernens nicht flächendeckend und nachhaltig
durchsetzen. So konstatieren Torben Schmidt und Nicola Würffel (2018, 3),
dass „von einer breiten und nachhaltigen Digitalisierung des Fremdsprachen-
unterrichts noch nicht die Rede sein [kann]“ (vgl. Würffel in diesem Band).
Die Kultusministerkonferenz betont die Wichtigkeit von Digitalisierung
im Zusammenhang mit der Entwicklung von Medienkompetenz, die als wei-
tere Kulturtechnik beschrieben wird (KMK 2016). Dabei wird das Potenzial
von digitalen Lernumgebungen betont für kollaboratives Lernen, individuali-
sierte Lernszenarien, die von der Lehrkraft geschaffen werden, und die Ver-
antwortung, die Lernende für ihr eigenes Lernen übernehmen können im
Sinne von Lernerautonomie. Dieses Potenzial kann im Sinne von individuali-

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282 Karin Vogt

sierenden Lernumgebungen in einem inklusiven Fremdsprachenunterricht


sehr gut genutzt werden.
Trotz teils herausfordernder Hürden im Bereich der Infrastruktur und
rechtlich-organisatorischer Rahmenbedingungen scheint der digitale Wandel
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gerade für das inklusive Fremdsprachenlernen und -lehren Vorteile zu bieten


(z.B. Schmidt/Strasser 2016; Strasser 2012). Die Ubiquität und sofortige Ver-
fügbarkeit von Informationen ermöglicht differenzierende und individualisie-
rende Lernarrangements innerhalb und außerhalb der Unterrichtszeit und
des Klassenverbandes, etwa für notwendige hochfrequente Übungen für eine
Kleingruppe oder individuelle Lernende. Die örtliche und zeitliche Unabhän-
gigkeit der Nutzung bringt die Möglichkeit der Auslagerung von Arbeits-
schritten z.B. zur Vorbereitung einer Rechercheaufgabe im Internet, zur visu-
ellen Aufbereitung von Arbeitsergebnissen, zum Sammeln von individuellen
Arbeitsergebnissen auf der digitalen Pinnwand Padlet oder zur Vorbereitung
von begleitenden Übungen, die die Lernenden erstellen. Damit geht eine (po-
tenziell) veränderte Qualität des Lernens einher, die diversitätssensibel die
Potenziale der Lernenden aufgreift und (wo möglich und sinnvoll) in medial
unterstützte fremdsprachliche Lernumgebungen überführt. Wenn Lernende
mittels digitaler Tools die Gestaltung von Übungen, Aktivitäten zum Focus on
form etc. für andere Lernende oder Gruppen übernehmen, übernehmen sie
Verantwortung für Lernprozesse innerhalb der Gruppe, und es eröffnet sich
die Möglichkeit der Verfolgung individualisierter Lernziele. Die Verbindung
von virtuellen außerschulischen Lernorten mit dem fremdsprachlichen Klas-
senzimmer bedeutet für Lernende mit schwierigem sozioökonomischem Hin-
tergrund oder körperlichen Beeinträchtigungen die Ermöglichung medial
vermittelter Primärerfahrungen, die sie sonst ggf. nicht sammeln könnten.
Insbesondere medial vermittelte Kommunikationsmöglichkeiten in der
Fremdsprache durch das Erlebnis des direkten Austausches mit Spre-
cher/innen der Zielsprache fördern die Neugier auf die Fremdsprache. Sie
fungieren ggf. als Motivationshilfe für Lernende in heterogenen Lerngruppen,
wenn sie in Unterstützungssysteme im Fremdsprachenunterricht eingebettet
sind, z.B. Hilfe für Antworten in einem Telekollaborationsprojekt oder in der
Gruppe verfasste Texte für die Kommunikation. Nicht nur, aber insbesondere
für den inklusiven Fremdsprachenunterricht greift das Argument der Teilha-
be an der digitalen Gesellschaft, die im Unterricht befördert werden soll
(Windmüller-Jesse/Talarico 2018; allgemein Filk 2019).
Es besteht Konsens in der Literatur in der fremdsprachlichen Fachdidaktik
(Grünewald 2006; Schmidt/Strasser 2016) und Mediendidaktik (Kerres 2018)
einerseits sowie bildungspolitischen Dokumenten (KMK 2016) andererseits
darüber, dass bei digital unterstütztem Lernen der Primat der Didaktik bzw.
Pädagogik gilt (KMK 2016, 4): „Lehren und Lernen in der digitalen Welt
[muss] dem Primat des Pädagogischen folgen (…)“. Kerres (2008) benennt
die Gefahr der beliebigen und unreflektierten Anwendung von digitalen Me-

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Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 283

dien ohne ein (fach-)didaktisches Konzept, auf der die Anwendung basiert. In
der fremdsprachendidaktischen Forschung ist das Leitziel von Diskursfähig-
keit in der Fremdsprache konsensuell, dem wir verpflichtet sind. Didaktische
Konzepte zum Fremdsprachenlernen müssen digitale Medien mit einbezie-
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hen, d.h. einbetten in vorhandene sinnvolle fremdsprachendidaktische Ansät-


ze und Lernkontexte. Handlungsleitend sollten nach wie vor die Güte- bzw.
Qualitätskriterien für guten (Fremdsprachen)Unterricht sein. Für den inklu-
siven Fremdsprachenunterricht etwa spielen Ansätze der Aufgabenorientie-
rung eine Rolle (exemplarisch Reckermann 2017), die bereits auf ihr Potenzial
hin für digital gestütztes Fremdsprachenlernen untersucht wurde (Biebighäu-
ser et al. 2012). Auch deren Potenzial für Differenzierung und Individualisie-
rung des Unterrichts in inklusiven Lernsettings ist insbesondere in Verbin-
dung mit Feusers (2011) inklusiver Didaktik „Lernen am Gemeinsamen
Gegenstand“ bereits analysiert worden (Bartosch/Köpfer 2015; Blume et al.
2018; Chilla/Vogt 2017; Vogt 2017).
Das Potenzial für Individualisierung und Differenzierung kann verstärkt
werden durch den Einsatz digitaler Medien, um die Effizienz des Fremdspra-
chenunterrichts zu steigern und Lernenden in ihrer Diversität zunehmend
gerecht zu werden (Blume/Würffel 2018; für Beispiele aus der Grundschule
Dausend/Nickel 2017; Windmüller-Jesse/Talarico 2018). Ein wichtiger Fak-
tor, den man ggf. als ethischen Parameter charakterisieren kann, besteht in
der Notwendigkeit der systematischen Implementierung von digitalen Medi-
en im Rahmen von Teilhabe an einer Gesellschaft, die von digital geprägten
Arbeits- und Lebensgewohnheiten geprägt ist. Das Argument der Teilhabe ist
für alle zutreffend, insbesondere gilt es für Lernende mit Beeinträchtigungen
und umfasst selbstverständlich auch den Bereich der assistive technology, der
hier allerdings nicht im Vordergrund stehen soll. Auch der (schulische)
Fremdsprachenunterricht sollte von diesem Bestreben geprägt sein, unter
Berücksichtigung von sinnvollen fremdsprachendidaktischen Lernarrange-
ments.
Mit Aufgabenorientierung und Lernen am Gemeinsamen Gegenstand als
didaktisch-methodischem Rahmen lässt sich die sukzessive und schwellenin-
duzierte „digitale Anreicherung“ des fremdsprachlichen Klassenzimmers
(Schmidt/Strasser 2016, 5) auf einer sinnvollen fremdsprachendidaktischen
Basis realisieren, wobei empirische Forschung besonders im Bereich der Af-
fordanzen von digitalen Medien im inklusiven Fremdsprachenunterricht
noch weitgehend aussteht.

2 Einbettung digitaler Medien in den inklusiven


Fremdsprachenunterricht
Gesellschaftliches Leben und digitale Mediennutzung greifen so ineinander,
dass sie untrennbar voneinander sind. In unterrichtlichen Kontexten und

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284 Karin Vogt

auch im Fremdsprachenunterricht kommen sie schon länger zum Einsatz


(Grünewald 2016), wenn auch nicht systematisch. Daher stellt sich nicht die
Frage, ob Medien zum Einsatz kommen sollten im (Fremdspra-
chen)Unterricht, sondern die Frage muss sein, wie Medien fremdsprachliche
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Lernprozesse unterstützen können und hier eine Rolle spielen können, die
analoge Medien nicht einnehmen können. Interessant ist in diesem Zusam-
menhang der SAMR-Ansatz (Puentedura 2018), den Schmidt und Strasser
(2018) auf den Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenunterricht über-
tragen und den ich bezogen auf einen inklusiven Englischunterricht weiter-
entwickeln und illustrieren möchte.
Auf einer relativ basalen Ebene (Substitution) startend, tauscht die Lehr-
kraft lediglich analoge durch digitale Medien aus. Auf den Englischunterricht
bezogen wäre das beispielsweise ein Youtube-Video zum Notting Hill Carni-
val, das die Lehrwerksunit komplettiert und ein analoges Video ersetzt, oder
die Lehrkraft gibt den Lernenden eine (statische) Website zum Thema zu
lesen statt eines gedruckten Textes. Die Funktion des eingesetzten Mediums
ändert sich hier nicht. Es besteht die Möglichkeit, Zusatzfunktionen des digi-
talen Mediums lernfördernd und individualisierend zu nutzen. Für den inklu-
siven Englischunterricht könnte die (in Größe und Farbe anpassbare) Unter-
titelfunktion von YouTube-Videos verwendet werden, um den Lernenden,
die dies benötigen, eine zusätzliche Verständnishilfe bereitzustellen, wobei
damit die Grenzen zur nächsten Stufe fließend werden.
Auf der folgenden Ebene des Modells wird Notting Hill auf Google Maps
gesucht, um den Lernenden einen konkreten Eindruck zu Notting Hill als
Stadtteil, zur Lage und Umgebung etc. zu geben. Hier ersetzt die Anwendung
ebenfalls das analoge Medium Karte, jedoch gibt es eine funktionale Verbes-
serung (Augmentation), indem gewechselt werden kann zwischen der Satelli-
tenansicht und der kartografischen Ansicht, man mit Street View auch eine
360°-Sicht der Örtlichkeiten erhält etc. Auch hier ergeben sich die Möglich-
keiten von zusätzlichen individualisierenden Funktionen, wenn z.B. die
Gruppen von Lernenden mittels Google Maps eine ansatzweise Sozialtopogra-
fie des Stadtteils erstellen, der dessen Gentrifizierung darstellt. Mittels (ein-
fach zu differenzierenden) Fragen nach den Gegebenheiten im Stadtteil (Was
gibt es für Restaurants, Geschäfte, Hotels? Wie heißen sie? Wie teuer sind sie?
Wie sehen die Wohnhäuser aus? Wie hoch ist dort wohl die Miete? Welche
anderen Dinge gibt es zu tun (leisure centre, youth club)?) tragen die Lernen-
den arbeitsteilig und nach ihren Möglichkeiten und Interessen die Informati-
onen zusammen, auf deren Basis man gemeinsam nachzeichnet, welche Ent-
wicklung der Stadtteil seit den Anfängen des Notting Hill Carnival genommen
hat.
Auf der nächsten Ebene ermöglicht der Einsatz der Technologie eine Er-
weiterung der Aktivität oder Aufgabe. Um beim Beispiel zu bleiben, würden
die Lernenden das Video zum Notting Hill Carnival mittels der Kommentar-

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Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 285

funktion bewerten oder kommentieren und so die Fremdsprache verwenden,


um einen Text für ein potenziell großes (und zielsprachiges) Publikum zu
verfassen. Auf der Ebene der Lernziele würde dies weit über die rezeptiven
Kompetenzen des fremdsprachlichen Hör-/Sehverstehens hinausgehen. Diese
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Aktivität kann wiederum für den inklusiven Fremdsprachenunterricht unter-


stützt werden mit Tools wie dem Übersetzungsprogramm DeepL (das Über-
setzungsergebnis wird gemeinsam vor dem Abschicken auf Angemessenheit
kontrolliert) und je nach geplantem Beitrag unterschiedliche Komplexitäts-
grade aufweisen. Alternativ können Gruppen Beiträge (ohne Hochladen)
verfassen, wobei der beste als „Gruppenkommentar“ von der Lehrkraft hoch-
geladen wird.
Die letzte Stufe des Modells (Redefinition) impliziert die Möglichkeit des
Einsatzes neuer (und andersartiger) Aufgaben, die ohne den Technologieein-
satz nicht darstellbar wären. Auf der Stufe der Redefinition würden die Ler-
nenden z.B. mittels einer Animationssoftware (Powtoon, Explainity o.ä.) aus-
gehend von den Informationen in Film und Lehrwerk einen Erklärfilm über
den Notting Hill Carnival machen und wählen, ob sie etwa Videosnippets
einbinden. In einer inklusiven Lerngruppe wären die möglichen Erklärvideos
alle über Notting Hill als Gemeinsamem Gegenstand mit unterschiedlichen
Ausprägungen hinsichtlich Länge, sprachlicher und inhaltlicher Komplexität
sowie thematischem Schwerpunkt.
In diesem Modell sind die beiden letzten Stufen als Ziel von digitalisiertem
Fremdsprachenunterricht zu bezeichnen, wobei sich der Übergang insbeson-
dere in technikkritischen Umgebungen fließend gestalten sollte. Das Vorhan-
densein der notwendigen didaktischen Konzepte für einen inklusiven Fremd-
sprachenunterricht stellt eine notwendige Voraussetzung dar.

3 A future that arrived early – Forschungsdesiderata für den


„digitalen“ inklusiven Fremdsprachenunterricht und
Konsequenzen für die hochschulische Lehrer/innenbildung
Insgesamt stellt digital unterstütztes Fremdsprachenlehren und -lernen ein
sehr umfassendes Forschungsfeld dar, das sowohl national als auch internati-
onal bereits seit mehreren Dekaden bearbeitet wird. Bei einem Blick in die
einschlägigen Fachzeitschriften wird deutlich, dass sich das Feld enorm diffe-
renziert hat. Zu betonen ist das kommunikative Element des Fremdsprachen-
unterrichts, das sich in der Einbeziehung telekollaborativer Elemente nieder-
schlägt und recht gut beforscht ist (Überblick in O’Dowd 2018). Dennoch
entsteht der Eindruck, dass die fremdsprachendidaktische Forschung kaum
Schritt zu halten vermag angesichts der dynamischen Entwicklungen im
technischen Bereich.

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286 Karin Vogt

Schmidt/Strasser (2018) identifizieren vier große technologische und pädago-


gische Trends, nämlich mobile learning (Mitschian 2010; Stockwell 2013), big
data, learning analytics und game-based digital language learning
(Sykes/Reinhardt 2013). Meines Wissens gibt es noch gar keine empirisch
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basierten Erkenntnisse zu big data und learning analytics in der Fremdspra-


chenforschung, so dass Forschungsvorhaben hier nur in Kooperation mit in
diesen Bereichen weiter fortgeschrittenen Disziplinen wie Informatik oder
Psychologie durchgeführt werden können. Mobile learning und game-based
digital language learning stellen Bereiche dar, in denen es bereits fremdspra-
chendidaktische Forschung im deutschsprachigen Kontext gibt, die jedoch für
den Bereich von digital game-based learning noch ausgeweitet werden kann,
z.B. in Hinblick auf das individualisierende Potenzial von digital game-based
learning (Blume et al. 2017). Exemplarisch möchte ich mobiles Lernen, be-
sonders Bring Your Own Device (BYOD), herausgreifen und Forschungsdesi-
derata insbesondere für den inklusiven Fremdsprachenunterricht zuspitzen.
Laut Feick (2014; 2018) hat mobiles Lernen (auch Mobile-Assisted Langu-
age Learning, MALL) aufgrund seiner Multifunktionalität die Möglichkeit zur
Verbindung institutioneller Lernorte wie der Schule und der Lebenswelt der
Lernenden, da die Anwendungen, die sie aus dem Alltag kennen, eine Funk-
tion für das Fremdsprachenlernen erhalten. Das Alltagsgerät Smartphone
bzw. Tablet verändert sich hin zu einem Wissensinstrument, mit dem u.a.
Fremdsprachen gelernt werden, und zwar mit der gesamten Bandbreite der
verfügbaren multimedialen Anwendungen und Services. Angelehnt an Feick
(2014, 20f.) kann das Handy charakterisiert werden als Textmedium (z.B.
Whatsapp/Instant Messaging), als Bildmedium (z.B. Fotos für Bildergeschich-
ten, Fotosafari, Bilder als Sprech-/Schreibanlass für eine Aufgabe in einem
digitalen Portfolio), als Audiomedium (z.B. Podcasts, Musik in der Zielspra-
che, Interviewprojekte), als Videomedium (z.B. Aufzeichnung von Dialogen,
Erklärvideos, digital storytelling), als Universalmedium mit Alltagsanwen-
dungen, die zum Fremdsprachenlernen genutzt werden können (z.B. Skype,
Twitter, Microblogs, Apps). Hier können die Anwendungen mobilen Lernens
inhaltliche Differenzierung interessengeleitet ermöglichen, Tools zur Hilfe-
stellung bei der Bewältigung kommunikativer Aufgaben (Wörterbuch, Er-
klärvideos) bereitstellen und so unterschiedliche Lernausgangslagen einbezie-
hen. Auch neuere Arten von mobilem Lernen wie Augmented Reality können
realisiert werden und befördern potenziell die Kompetenzentwicklung in der
Fremdsprache im inklusiven Fremdsprachenunterricht, wo etwa die Multi-
modalität i.S.v. multisensorischem Fremdsprachenlernen eine lernförderliche
Rolle spielen kann.
Heinz (2018) stellt eine Diskrepanz fest zwischen angenommenem Lern-
effekt und tatsächlicher Evidenzbasierung in diesem Bereich. Ähnlich identi-
fizieren Duman et al. (2015) in ihrem Forschungsüberblick zu MALL von
2000 bis 2012 einen Schwerpunkt auf Wortschatzlernen, während sie Aspekte

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Digitaler Wandel im inklusiven Englischunterricht 287

wie Schreibprozessunterstützung und Grammatikerwerb nur selten ausma-


chen können und zahlreiche Bereiche nahezu nicht präsent sind, z.B. pädago-
gisch-didaktische Konzepte, Lernerstrategien und -präferenzen in digitalen
Lernumgebungen. Fragen der Professionalisierung von Lehrkräften in den
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unterschiedlichen Phasen der Lehrer/innenbildung sind noch nicht beforscht


und stellen gerade für den inklusiven Fremdsprachenunterricht, der zusätz-
lich noch die Gegebenheiten der inter- bzw. multiprofessionellen Teams be-
rücksichtigen muss, ein Forschungsdesideratum dar. Bezogen auf das mobil
assistierte Fremdsprachenlernen von Lernenden mit speziellen Förderbedar-
fen bzw. unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gibt es laut Duman et al.
(2015) kaum evidenzbasierte Erkenntnisse. Hier interessiert insbesondere die
Frage, wie Synergien zwischen MALL und inklusivem Fremdsprachenunter-
richt geschaffen werden können. Wie können Smartphones lernförderlich
und eingebettet in differenzierende Lernaufgaben am Gemeinsamen Gegen-
stand eingesetzt werden? Welche Strategien verfolgen unterschiedliche Ler-
nende mit verschiedenen Lernvoraussetzungen beim MALL und wie können
sie in ihrem individuellen fremdsprachlichen Kompetenzerwerb unterstützt
werden? Welche Rolle spielen dabei die Lehrkräfte in multiprofessionellen
Teams? Die Formulierung dieser Auswahl von Forschungsfragen zeigt, dass
MALL eingebettet in einem größeren Lernkontext betrachtet und beforscht
werden muss.
In einer neueren Studie zu MALL in Deutschland von Heinz (2018), in der
sie 17 Schulklassen (Tablet-Klassen) an bayerischen Sekundarschulen und
deren Englischlehrkräfte zu deren Bewertung des Tablet-Einsatzes im Eng-
lischunterricht befragte, zur Unterrichtswirklichkeit des Englischunterrichts
mit mobilem Lernen und zu Kompetenzbereichen, die tabletgestützt unter-
richtet werden. Zwar ist das Forschungsprojekt nicht auf inklusive Kontexte
bezogen, es lassen sich aber aus den Ergebnissen einige Aussagen zum Poten-
zial von MALL für individualisiertes Fremdsprachenlernen ableiten. Lernen-
de können etwa im Bereich des Hör-/Hör-Seh-Verstehens mittels MALL im
eigenen Tempo Hörtexte oder Filme in ihrem eigenen Tempo rezipieren,
Hilfsmittel wie elektronische Wörterbücher sofort zu Hilfe ziehen und ganz
allgemein die Affordanzen der multimodalen Anwendungen positiv für ihre
Lernpräferenzen nutzen. Insofern identifiziert sie Potenzial von MALL für
individualisiertes Fremdsprachenlernen, was eine Voraussetzung für inklusi-
ve Kontexte ist. Heinz (2018) betont jedoch auch die Rolle der Lehrkraft als
Impulsgeber/in und Gestalter/in von digitalen Lernszenarien. Sie unter-
streicht ebenso die Wichtigkeit der Unterrichtsqualität im Sinne einer sinn-
vollen didaktischen Einbettung des Tools.
Die Rolle der Lehrkraft in inklusiven Kontexten ist noch zu explorieren
(nicht nur in Verbindung mit MALL). Daran schließen sich weitere For-
schungsfragen im größeren Kontext von inklusivem Fremdsprachenunter-
richt an. Wie können (zukünftige) Fremdsprachenlehrkräfte auf digitales

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288 Karin Vogt

Fremdsprachenlernen in inklusiven Kontexten gut vorbereitet werden? Wel-


che Perzeptionen seitens der Lehrenden und Lernenden sind vorhanden beim
Einsatz von digitalen Medien im inklusiven Fremdsprachenunterricht? Ha-
ben BYOD-Konzepte im inklusiven Fremdsprachenunterricht motivationale
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Vorteile (wie die Ergebnisse von Heinz (2018) andeuten), und für welche
Arten von Lernenden (z.B. Förderbedarf Lernen) trifft dies unter welchen
Umständen mit welchen Inhalten und Aufgabenformaten zu? Sind durch den
Einsatz von z.B. MALL vermehrte Kompetenzzuwächse zu verzeichnen und
bei wem in welchen Bereichen? Welche Möglichkeiten der Individualisierung
lassen sich sinnvoll BYOD-gestützt durchführen und mit welchem Ergebnis?
Lassen sich eher simplistisch strukturierte Anwendungen mit komplexen
Lernaufgaben am Gemeinsamen Gegenstand verbinden und wenn ja, wie? Es
wird an dieser Stelle sehr deutlich, dass es noch erheblichen Forschungsbedarf
gibt.
Welche Konsequenzen hat die Diskrepanz von Anspruch und Wirklich-
keit für die universitäre Lehrerbildung? Für Lehrkräfte in der ersten Phase
sind digitale Anwendungen m.E. am geeignetsten für den Einsatz, die an den
jeweiligen mediendidaktischen Kompetenzständen anknüpfen und die ihre
lebensweltlichen Erfahrungen mit aufnehmen, um ggf. Ängste abzubauen
und Selbstwirksamkeit in medialer Hinsicht erfahrbar zu machen. Hier kann
bei der Erschaffung von digital unterstützten fremdsprachendidaktischen
Lernumgebungen auf das zuvor beschriebene SAMR-Modell rekurriert wer-
den, um den Einsatz digitaler Medien flexibel an die technisch-
organisatorischen Gegebenheiten, hochschuldidaktischen Lernvoraussetzun-
gen und –ziele etc. anzupassen. Vorstellbar und wünschenswert in hochschu-
lischen Kontexten, die über eine vergleichbar bessere Infrastruktur verfügen,
ist eine kooperative Herangehensweise, zwischen den Peers untereinander
oder unterschiedlichen Phasen der Lehrer/innenbildung (erste und dritte
Phase). Bezogen auf inklusive Lernkontexte beträfe die Kooperation auch die
digital gestützte interprofessionelle Zusammenarbeit, um kooperative Lern-
formen zu gestalten, die durch mediale Lernumgebungen (Lernplattformen,
Videokonferenzen, Onlinemeetings, etc.) erst möglich werden. Damit würde
die Gegenwart vielleicht nicht ganz so schnell von der Zukunft eingeholt.

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Würffel, Nicola (2005): Strategiegebrauch bei Aufgabenbearbeitungen in internet-
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Zibelius, Maja (2014): Cooperative learning in virtual space. A critical look at new
ways of foreign language teacher education. Tübingen: Narr.

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space?
Über den (bedenklichen) Umgang der
Fremdsprachendidaktik mit dem Thema Digitalisierung
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Nicola Würffel

1 Ein Blick zurück: Hohe Erwartungen am Ende der 1990er Jahre


In einer der ersten umfassenderen Publikationen zum Einsatz digitaler Medi-
en im Fremdsprachenunterricht (FU) gehen Rüschoff und Wolff (1999) von
der Ausgangsthese aus, dass für das Lernen in der modernen Wissensgesell-
schaft ein paradigmatischer Wandel benötigt würde,
von einer Schule, in der Wissen durch Instruktion vermittelt wird, zu einer
Schule, in welcher der Lernende bei seinen eigenen selbständigen Wissens-
konstruktionsprozessen gefördert wird, also einer konstruktivistisch ausge-
richteten Schule (Rüschoff/Wolff 1999, 14).
Ausgangspunkt ist hier also nicht primär die Betrachtung der ‚neuen Medien‘
und die Frage, wie sie das Fremdsprachenlernen unterstützen können, son-
dern Ausgangspunkt ist die Forderung einer tiefgehenden Veränderung des
FUs, die Realisierung neuer Formen des fremdsprachlichen Lernens, die auf-
grund gesellschaftlicher Veränderungen nötig erscheinen. Für die Autoren
gehen diese nötigen neuen Formen einher mit einer stärkeren Betrachtung
der Prozesshaftigkeit von Unterricht, einer Stärkung der Selbststeuerung der
Lernenden (im Sinne eines eigenverantwortlichen Lernens) sowie einem me-
thodischen Wechsel hin zu einer konsequenteren Integration von authenti-
schen Aufgaben, authentischen Interaktionen und des sozialen Lernens (vgl.
ibid., 247-250).
Den damals noch recht neuen Technologien schrieben Rüschoff und
Wolff für die Umsetzung der von ihnen geforderten neuen Formen des
fremdsprachlichen Lernens eine entscheidende Rolle zu (vgl. ibid., 51-54):
• Neue Technologien hätten einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft
und böten so die nötige Antriebskraft für weitgehende Veränderungen.
• Sie sprächen durch ihre Multimedialität mehrere Sinne gleichzeitig an
und seien deshalb lerneffizienter.
• Sie machten eine praktisch unbegrenzte Informationsmenge
und -vielfalt in den unterschiedlichsten perzeptuellen Modalitäten zu-
gänglich und böten deshalb ein hohes Potential als Lernressource.

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 293

• Sie zeichneten sich durch ihre Interaktivität und ihre Hypertextstruk-


tur aus.
• Die Arbeit mit ihnen wäre zeit- und ortsunabhängig.
• Sie passten sich der individuellen Lerngeschwindigkeit der Nutzenden
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an.
Ähnliche Erwartungen finden sich in einem Artikel von Michael Legutke aus
demselben Jahr (in der Veröffentlichung der Frühjahrskonferenz, die sich
1999 mit der Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien beschäftigte). Sein
Artikel setzt sich mit dem Thema der digitalen Medien und der Produktion
von komplexen Lernwelten auseinander und beginnt mit der Darstellung von
sechs Tendenzen, die er in Bezug auf die Weiterentwicklung von Lehrwerken
wahrzunehmen meinte und in engen Zusammenhang mit der Verbreitung
der digitalen Medien brachte. In den sechs Tendenzen beschreibt er in ähnli-
cher Weise, wie es Rüschoff und Wolff tun, die für den FU wichtigen Charak-
teristika der neuen digitalen Medien.
Er prognostiziert, dass mithilfe der vielen zugänglichen Texte im Internet
sowie den Bearbeitungsmöglichkeiten digitaler Werkzeuge Lehrende und vor
allem Lernenden zukünftig viel aktiver und kreativer an der Schaffung der
gemeinsamen Lernwelten beteiligt werden würden. Damit sei die Zeit des
Monopols der Lehrenden und vor allem des Lernwerks als oft primärer und
einziger Textquelle zu Ende. Er unterstreicht zudem, dass die neuen Möglich-
keiten zur direkten Kontaktaufnahme mit Zielsprachensprechenden dem FU
die Schaffung neuer Interaktionsräume eröffneten, die direkt in den Unter-
richt integriert werden und diesen damit nach außen öffnen könnten (vgl.
ibid., 129-131).
Im Grunde war damit schon 1999 (fast) alles Wichtige gesagt.

2 Aktuelle Einschätzungen zu den Potenzialen digitaler Medien für


den Fremdsprachenunterricht
Die Einschätzung der Potenziale der digitalen Medien für den FU haben sich
seitdem stark auseinanderentwickelt: Liest man praxisnahe Publikationen
(wie z.B. in Fremdsprache Deutsch 53 von 2015; Praxis Fremdsprachenunter-
richt Russisch 14/4; Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 51/149; Englisch
5 bis 10 2/38 oder Französisch heute 48/2, alle von 2017), so wird im Kern auf
ähnliche Potenziale hingewiesen, wie sie am Ende der 1990er Jahre schon
festgestellt wurden. Besonders beliebt sind Vorschläge zu folgenden Einsatz-
szenarien:
• Internetrecherchen, zum Teil auch stärker gesteuert durch die Nut-
zung des Aufgabenformats der Webquests,
• Einsatz von digitalen Medien in Projekten – dort vor allem die produk-
tive Nutzung von digitalen Werkzeugen zur Erstellung von Text-,
Bild-, Audio- oder Videobeiträgen,

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294 Nicola Würffel

• Einsatz und Didaktisierung von Kurzfilmbeiträgen (meist YouTube-


Videos) im Unterricht,
• Nutzung von Wikis und Blogs, um das (kooperative oder selbstreflexi-
ve) Schreiben der Lernenden zu fördern,
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• Gebrauch von digitalen Spielen,


• Anwendung von Blended-Learning-Szenarien.
Die Darstellung der Potenziale erfolgt, anders als am Ende des 20. Jahrhun-
derts, häufig ohne eine gleichzeitige Forderung nach einer tiefergehenden
Veränderung des FUs bzw. -lernens. Es finden sich vielmehr sehr pragmati-
sche Vorschläge, wie digitale Medien in den bestehenden Unterricht einge-
passt werden, wie sie die Arbeit mit Lehrwerken ergänzen können etc. – ganz
im Sinne eines Anreicherungskonzepts, in dem der offensichtlich immer noch
als Normalfall angesehene Präsenzunterricht ohne digitale Medien durch
einen Einsatz dieser erweitert wird. Ein Mehrwert wird dabei nicht immer
deutlich, im Gegenteil: Man fragt sich bei vielen Vorschlägen, wieso hier
überhaupt digitale Medien eingesetzt werden und nicht auf nicht-digitale
zurückgegriffen wird, die vorher für dieselben Lernziele eingesetzt worden
sind. Mir scheint, dass aktuell in praxisnahen Zeitschriften und auch in Fort-
bildungen das Ziel verfolgt wird, auf diese Weise möglichst niederschwellige
Angebote zu machen, um auch nicht medienaffine Lehrende zum Einsatz
digitaler Medien anzuregen. Das erscheint durchaus sinnvoll – es kann aber
auch das Gegenteil bewirken, weil die Lehrenden dann zu Recht fragen, wieso
überhaupt ein Medienwandel stattfinden muss, wenn die angestrebten Lern-
ziele genauso gut (oder sogar besser) ohne digitale Medien erreicht werden
können oder sich nur geringfügige Vorteile ergeben (bei häufig erhöhten
zeitlichen Aufwand).
Differenziertere Einschätzungen zu den Potenzialen digitaler Medien für
das Fremdsprachenlernen finden sich in forschungsorientiert(er)en Über-
blickswerken, vor allem aus dem englischsprachigen Raum (vgl. Chapel-
le/Sauro 2017; Farr/Murray 2016; Hockly 2016). In diesen Zusammenfassun-
gen finden sich erstens Beiträge, die den Nutzen digitaler Medien für die
Unterstützung der klassischen Bereiche des FUs darstellen; zweitens gibt es
Beiträge, die methodische Ansätze diskutieren, die durch digitale Medien erst
ermöglicht oder zumindest stark ausgeweitet worden sind (Blended Learning,
korpusbasiertes Lernen und data driven learning, Telekollaboration, Lernen
in virtuellen Welten, mobiles Lernen, spielerisches Lernen bzw. Gaming,
fachsprachenbezogenes Lernen); und drittens werden Forschungsfragen
und -zugänge thematisiert (vgl. hierzu vor allem den Überblicksartikel von
Levy 2016).
Von besonderem Interesse sind aus meiner Sicht in diesen Bänden insbe-
sondere zwei Formen von Beiträgen: Die, die sich grundlegend mit den For-
schungsfragen und -zugängen beschäftigen (vgl. hierzu Kapitel 5), und die, in
denen die eingesetzten Medien bzw. die dargestellten Szenarien einen echten

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 295

Mehrwert erkennen lassen. Unter einem echten Mehrwert verstehe ich, dass
sich mithilfe des Mediums im Unterricht bzw. beim Lernen fundamental
etwas ändert – ein neues Lernziel gesetzt und erreicht werden kann, neue
Lernmöglichkeiten geschaffen und/oder Lernprozesse deutlich erleichtert,
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beschleunigt oder effizienter gestaltet werden können, neue Arbeits- und


Interaktionsformen eröffnet werden etc. – immer im Vergleich zu einem
Unterricht/einem Lernen, die ohne digitale Medien realisiert werden. Ich
möchte nur auf zwei Anwendungen beispielhaft eingehen, auf die Bedeutung
bzw. den Mehrwert des Einsatzes elektronischer Korpora und den des Einsat-
zes von Audio- und Videokonferenzsystemen.
Die Nutzung von elektronischen Korpora (häufig in Kombination mit
Konkordanzprogrammen) eröffnet für verschiedene Bereiche des Fremdspra-
chenlernens neue Möglichkeiten; hingewiesen wird auf die Potenziale für den
selbstgesteuerteren Umgang mit der Sprache, indem Lernende sich in einem
Prozess des data driven learning z.B. Grammatikstrukturen oder Wortbedeu-
tungen selbstentdeckend aneignen, ihre language awareness steigern, ihr
Schreiben verbessern etc. (vgl. Cotos 2017).
Inzwischen sind zu elektronischen Korpora viele zusätzliche Anwendun-
gen entwickelt worden, einige davon arbeiten mit natural language processing
(NLP). Die Kombination aus beiden ermöglicht nicht nur eine noch zielge-
richtetere Nutzung diverser Korpora (besonders zur Unterstützung des text-
sortenangemessenen Schreibens, vgl. Cotos 2017, 256-259), sondern sie er-
laubt auch das Generieren von (besserem) interaktivem Feedback und die
Entwicklung intelligenterer adaptiver Systeme. So werden u.a. auf dieser
Grundlage für wohldefinierte Bereiche inzwischen gut funktionierende Chat-
bots entwickelt (wie sie einem in vielen Hotlines begegnen).
Für das Erlernen von Sprachen stellt sich die Lage allerdings nicht so ein-
fach dar, da es sich bei Sprache als zu erlernendem Gegenstand um keine
wohldefinierte Domäne handelt. In dem oben genannten Beispiel dürfen und
sollen Chatbots sprachliche Fehler und Charakteristika der sprachlichen Ent-
wicklung robust ignorieren. Entwickelt man Chatbots für Sprachenlernende,
stellt sich die Situation aber ganz anders dar: Die Chatbots müssen so pro-
grammiert sein, dass sie als adaptive Systeme gerade auf die Fehler und Cha-
rakteristika der sprachlichen Entwicklung der Lernenden mit einem geeigne-
ten Feedback reagieren (vgl. Meurers et al. 2018, 67). Damit sie das können,
müssten sie die fehlerhaften Äußerungen analysieren können. Dafür wurden
aber die computerlinguistischen Analysemethoden, die bislang von Chatbots
genutzt werden, nicht entwickelt und optimiert Es bedarf also sowohl der
Schaffung großer (fremdsprachiger) Lernerkorpora als auch der spezifischen
Anpassung der Analysemethoden (oder einer Unterlegung fehlerhafter
fremdsprachiger Äußerungen mit einer normgerechten ‚Übersetzung‘, die
dann für die Analyseprogramme automatisiert erkennbar und untersuchbar

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296 Nicola Würffel

ist; vgl. für ein erstes solches Projekt das MERLIN Korpus und die Ausfüh-
rungen dazu in Abel et al. 2014).
Besonders schwierig ist es zudem, intelligentes Feedback für Aufgaben zu
erzeugen. Meurers et al. (2018) weisen darauf hin, dass die langsame Entwick-
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lung hier u.a. darin begründet sei, dass die in der ICALL-Forschung entwi-
ckelten Anwendungen Ergebnisse aus der Fremdsprachenforschung zu sinn-
vollen Aufgaben- und Feedbacktypen und zu Lernenden nur unzureichend
berücksichtigt hätten und zudem nie in realen Kontexten getestet worden
seien – ein Desiderat, dem Meurers und Kollegen sowie Kolleginnen durch
ihre Arbeiten begegnen wollen (vgl. ebd.).
Die Möglichkeiten, die sich durch die Entwicklung adaptiver Technolo-
gien wiederum für das Fremdsprachenlehren und -lernen ergeben können,
werden aus meiner Sicht aktuell nicht ausreichend wahr- oder ernstgenom-
men. Sie gehen weit über eine auf das Grammatiklernen oder das selbstge-
steuerte Lernen beschränkte Anwendung hinaus und betreffen sowohl das
Thema Differenzierung und individuelle Förderung von Lernenden (vgl.
hierzu Schmidt/Würffel 2018) als auch die Unterstützung der diagnostischen
Fähigkeiten von Lehrenden. Die unzureichende Wahrnehmung bzw. das
fehlende Engagement, hier maßgeblich voranzukommen, mag damit zusam-
menhängen, dass es bislang erst wenige Anwendungsbeispiele gibt, von denen
man berechtigterweise in absehbarer Zeit eine Marktreife erwarten kann. Das
liegt aber – anders als noch Anfang der 2000 Jahre – nicht daran, dass es die
nötige Technik nicht gibt. Es liegt eher daran, dass die Erstellung zeit- und
ressourcenintensiv ist und in kleineren Projekten eben auch nur überschau-
bare Ergebnisse erzielt werden können. Ich stimme deshalb Meurers et al.
(2018) zu, die darauf hinweisen, dass „ein nachhaltiger Fortschritt in der For-
schung und Entwicklung solcher Systeme […] spezifische Förderprogramme
und gesetzliche Vorgaben“ benötigt (ebd., 80).
Spricht man in der Fremdsprachendidaktik über Telekollaborationspro-
jekte, so erscheint das fast schon als alter Hut – gibt es diese doch seit Mitte
der 1980er Jahre. Wurden sie zu Beginn vor allem als E-Mail-Projekte zur
Unterstützung des Schreibens und des interkulturellen Lernens durchgeführt,
haben sich die Zielsetzungen und die Nutzung der eingesetzten Kommunika-
tions- und Kooperationswerkzeuge deutlich erweitert. Forschung zu den
inzwischen häufig als virtual exchange benannten virtuellen Austauschprojek-
ten zwischen L2-Lernenden und L1-Sprechenden oder zwischen lokal ent-
fernten Gruppen von L2-Lernenden zeigt, dass diese Projekte zwar häufig
organisatorisch für Lehrende (und zum Teil auch für Lernende) eine Heraus-
forderung darstellen, von L2-Lernenden aber fast immer als lernwirksam
wahrgenommen werden – und als klarer Zugewinn zum ‚normalen‘ Unter-
richt (für vielfältige Beispiele vgl. die eTwinning-Plattform oder für einen
Überblick zu virtual exchanges in der Ausbildung von Lehrenden vgl. Würffel
2016).

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 297

3 Einschätzung der aktuellen Nutzung digitaler Medien für den FU


Seit knapp zwei Jahrzehnten liegen also Erwartungen und Hoffnungen bezüg-
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lich nützlicher Charakteristika digitaler Technologien für den FU auf dem


Tisch der Fremdsprachendidaktik, die vor allem in den Anfangsjahren stark
mit Visionen eines veränderten FUs verbunden waren. Wie stellt sich die
Unterrichtswirklichkeit 2019 dar?
Um es vorweg zu sagen: Die in Kapitel 1 genannten Autoren waren mit ih-
ren Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel bzw. auf eine sich grundlegend
verändernde Unterrichtswirklichkeit der Zeit weit voraus; und Projekte von
Detmar Meurers (und Kolleginnen und Kollegen) in Tübingen oder auch von
Torben Schmidt (und Kolleginnen und Kollegen) in Lüneburg gehören zu
den wenigen, die im Bereich der Entwicklung adaptiver Systeme für das
Fremdsprachenlernen in Deutschland arbeiten und forschen. In der Fläche
sehen der fremdsprachliche Unterrichtsraum und das Fremdsprachenlernen
vieler Lernender noch sehr ähnlich aus wie vor der starken Verbreitung der
digitalen Medien in der Gesellschaft. Von einer tiefergreifenden Veränderung
kann nicht die Rede sein – wenn, dann sind die Veränderungen nur graduel-
ler Natur. Wieso kommen die wirklich innovativen, d.h. verändernden Ein-
satzszenarien nicht flächendeckender in der Praxis an?
Zunächst muss man betonen, dass die unbefriedigende Entwicklung zu-
mindest in Deutschland natürlich auch mit einer weiterhin schlechten finan-
ziellen Förderung von staatlicher Seite (in allen Bereichen: der Ausstattung,
dem Support, der Förderung von Entwicklungen und Forschungsprojekten)
zu tun hat, die vieles hemmt. Es gibt aber auch noch andere Gründe. Um den
aktuellen Status quo des Einsatzes digitaler Medien in Lehr- und Lernzusam-
menhängen in Deutschland zu beschreiben, wählt der Deutschdidaktiker Axel
Krommer (2017) den provokativen Begriff der „palliativen Technik“. Unter
diesem von ihm geschaffenen Neologismus möchte Krommer Folgendes
verstanden wissen:
Zusammenfassende Bezeichnung für technische Maßnahmen (Tools, Apps,
Whiteboards etc.), die nicht das Ziel verfolgen, das Schulsystem im Zeichen
der Digitalisierung grundlegend zu verändern (bzw. zu „heilen“), sondern le-
diglich dazu beitragen, dass die Schüler(innen) im traditionellen (bzw. als
„krank“ empfundenen) System bestmöglich angepasst sind.
In einer schwächeren Lesart stützt sich der Begriff auf die Bedeutung des la-
teinischen Verbs „palliare“, das „ummanteln“ meint. Palliative Technik ist
dann digitale Technik, mit der Analoges nur ummantelt, nicht aber grundle-
gend verändert wird (vgl. Krommer 2017 o.S.).
Ein Hauptproblem des aktuellen (mehr geforderten, statt umgesetzten) digi-
talen Wandels in der Pädagogik und den Fachdidaktiken sei, dass es so lange
gar keinen Wandel geben könne, wie der Rahmen, in dem die Pädagogik und

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298 Nicola Würffel

Didaktik denken, noch immer der ‚Gutenbergsche‘ sei, also einer, der die
Buchkultur als Normalität setze und deshalb diese für alle didaktischen Über-
legungen als Maßstab nutze. Ein digitaler Wandel könne erst stattfinden,
wenn der Bezugsrahmen neu bestimmt werde und dieser Bezugsrahmen die
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Veränderungen, die digitale Medien in Bezug auf das Lernen schon angesto-
ßen haben oder dabei sind anzustoßen, realisiere. Krommer (2017) versteht
dies als notwendigen Paradigmenwechsel – womit sich eine spannende Nähe
zu den Äußerungen von Rüschoff und Wolff (1999) auftut.
Damit ein Paradigmenwechsel stattfinden könne, müsse die Rolle der
Technik anders gewertet werden – auch dies eine interessante Überschnei-
dung zwischen Rüschoff, Wolff und Krommer: Wie oben ausgeführt, sahen
Rüschoff und Wolff die digitalen Medien als Motor für Veränderungen. Da-
mit war aber eben nicht gemeint, dass die Veränderung in der neuen Technik
bestehe und dass es reiche, analoge durch digitale Medien zu ersetzen, um
guten Unterricht in einer digitalen Welt zu machen.
So weist Krommer (2018) darauf hin, dass eine Äußerung wie der (gerade
auch in der Tagespresse mehrfach zitierte) Grundsatz „Pädagogik vor Tech-
nik“ von Zierer (2017) im besten Fall trivial sei (da ihm kein/e Bildungswis-
senschaftler/in oder Didaktiker/in widersprechen würde) oder im schlimms-
ten Fall verschleiernd und hemmend wirke, weil er verkenne, wie stark
didaktische Entscheidungen und Handlungen durch die genutzte Technik
(und das kann auch Buch und Schrift sein) bestimmt würden.
Es ist also an der Zeit, stärker über die Veränderungen der Kontexte – vor
allem der Kontexte der fremdsprachlichen Anwendungs- und Handlungskon-
texte, die sich durch die Digitalisierung weiter Teile unseres Alltags- wie auch
Berufslebens schon verändert haben – und damit auch über die Veränderun-
gen von Lernzielen nachzudenken: Denn die veränderten bzw. sich verän-
dernden Kontexte erfordern eine Anpassung der Kompetenzbeschreibungen
für das Fremdsprachenlernen (und damit meine ich jetzt nicht einmal eine
allgemeine digital literacy, sondern auch sprachspezifische Kompetenzen wie
z.B. eine sprachliche und interkulturelle Nutzungskompetenz für Überset-
zungsapps, die es ermöglicht, die aktuellen Schwächen solcher Übersetzungs-
systeme einzuschätzen, im Vollzug zu bemerken und durch geeignete Strate-
gien auszugleichen), für Inhalte, Methoden und damit eben auch von
Lernzielen eines modernen, postmodernen oder zukünftigen FUs.
In den letzten 20 Jahren konnte man stattdessen beobachten, dass häufig
die Technik mit der Hoffnung (oder auch der Angst) überfrachtet wurde, dass
sie die Unterrichtswirklichkeit grundlegend ändern würde. Das aber konnte
nur kontraproduktiv sein: Wenn man nur die genutzten Medien bzw. die
Technik austauscht, sonst aber nichts ändert, findet keine wirkliche Entwick-
lung statt. Zudem kann man mit den völlig unterschiedlichen digitalen Medi-
en alle Prinzipien und Methoden des FUs unterstützen – eine Digitalisierung
kann also genauso gut für den Ausbau bestimmter Prinzipien genutzt werden

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 299

wie zur Fortführung eines Methodeneklektizismus. Letzteres wiederum ist


genau das, was aus meiner Sicht in den letzten 20 Jahren häufig passiert ist
(vgl. Würffel 2018b).
Eine Transformation des FUs kann und wird nur stattfinden, wenn Lehr-
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und Lerngewohnheiten umfassend geändert, eingeübte Verhaltensmuster


abgeändert oder aufgegeben, neue Routinen und neue methodische Ansätze
entwickelt oder auch schon entwickelte konsequent(er) umgesetzt werden. In
einem grundsätzlichen Sinne geht es also darum, die sogenannten Prinzipien
eines modernen FUs (wie die Lernerorientierung, die Förderung der Selbst-
steuerung von Lernenden, die Handlungsorientierung) und die anerkannten
Makromethoden (wie die kommunikativen Methode) ‚im Sinne der Erfinder‘
umzusetzen. In einem weniger grundsätzlichen Sinne geht es z.B. darum, dass
Lehrende ihre Korrekturroutinen verändern, die sie automatisch und quasi
unbewusst auch in Phasen korrigieren lassen, in denen sie eigentlich gar kei-
nen Fokus auf die Form setzen, sondern einen inhaltlichen Austausch fördern
wollen. Dieses verinnerlichte Festhalten an der (einen) sprachlichen Norm
(bzw. dem, was man dafür hält) und dem damit einhergehenden Kontrollwil-
len über alle Lerneräußerungen, vor allem über die, die schriftlich festgehal-
ten werden, behindern u.a. viele kooperative Schreibprojekte im Internet –
um nur ein Beispiel zu geben.
Über die nötigen Transformationen bzw. über die dafür nötigen Schritte
sollten man sich bald verständigen, statt sich – im Zusammenhang mit den
digitalen Medien – in immer wieder gleichen Diskussionen über den Mehr-
wert bestimmter digitaler Medien zu verkämpfen, die sich noch dazu häufig
nur auf die Ersetzung eines analogen durch ein digitales Medium zur Errei-
chung des immer gleichen Lernziels beziehen.
Man muss z.B. auch darüber nachdenken, wie man – am besten auch ge-
meinsam mit den Verlagen – von der sich seit Jahrzehnten wenig verändern-
den Gestaltung von Lehrwerken wegkommen kann, die den Fremdsprachen-
unterricht ins immer gleiche Korsett zwingt. Ich glaube, dass es genau dieses
Korsett ist, das u.a. eigentlich gar nicht so neue Visionen eines Unterrichts, in
dem von Beginn an die echte (authentische) Kommunikation mit Zielspra-
chensprechenden (die durch die heutigen digitalen Medien zumindest virtuell
so einfach herzustellen ist) von Beginn an der Dreh- und Angelpunkt des
Unterrichts ist, so schwierig zu realisieren erscheinen lässt, obwohl es inzwi-
schen genügend Beispiele gibt, die zeigen, wie und dass es funktionieren kann
(vgl. Würffel 2018b). Dann könnten Legutkes Visionen von 1999 endlich
Wirklichkeit werden – wobei mir auch bewusst ist, dass die geforderten Ver-
änderungen von so grundlegender Art sind, so sehr verbunden mit den gesell-
schaftlichen Systemen, in denen wir und in denen unsere Lernenden leben,
dass sie nicht allein und nicht unabhängig von der Fremdsprachendidaktik
geleistet oder auch nur angestoßen werden können. Das sollte aber kein

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300 Nicola Würffel

Grund sein, sich nicht zu bewegen und nicht aktiv an den Veränderungen
mitzuarbeiten.

4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf


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Die Situation der Forschung zum Bereich des computergestützten Lernens in


Deutschland ist alarmierend – alarmierend schlecht. Wie schon oben ange-
sprochen, wird durchaus geforscht, aber zu häufig nur oder zu anwendungs-
orientiert und oftmals nur in Bezug auf einzelne technische Werkzeuge. Es
gibt keine ausreichende Grundlagenforschung und dementsprechend auch
keine systematische Theoriebildung (inklusive der Entwicklung von For-
schungsstandards). Es fehlt im deutschsprachigen Raum an substantiellen
forschungsorientierten Überblickswerken zum Thema oder -artikeln zu
Teilthemen (wie z.B. Schmidt/Würffel 2018; Würffel 2008; 2014; 2018a;
2018b), was dazu führt, dass viele grundlegende Ergebnisse, die in den letzten
30 Jahren erarbeitet worden sind, nicht ausreichend wahrgenommen werden.
Dadurch können Forschungsergebnisse nicht aufeinander aufbauen oder
nicht aufeinander bezogen werden, eine Weiterentwicklung wird massiv ge-
hemmt (ein Problem, was aber nicht nur im deutschsprachigen Raum besteht,
vgl. Levy 2016). Zudem mangelt es an Metastudien und an größeren und
längerfristigen Forschungsprojekten (was natürlich alles miteinander zusam-
menhängt und sich auch gegenseitig negativ beeinflusst).
Die Folge davon ist, dass in Deutschland keine Forschungszentren für das
computergestützte Fremdsprachenlehren und -lernen existieren. Es gibt in
ganz Deutschland z.B. im Bereich DaF/DaZ aktuell keinen einzigen Lehrstuhl,
der explizit und als deutlichen Schwerpunkt das computergestützte Lernen in
der Denomination stehen hat – dabei gab es solche Professuren in den ver-
gangenen Jahren durchaus (wenn auch wenige), sie sind nur inzwischen alle
anders ausgerichtet worden (in anderen Fremdsprachendidaktiken mag die
Lage ein klein wenig besser aussehen, der bundesweite hochschulpolitische
und fachpolitische Wille zu einer deutlichen Schwerpunktbildung fehlt aber
auch hier). Die Tatsache, dass die Nachbesetzung von Stellen, die (auch)
computergestütztes Lernen mitabdecken oder schwerpunktmäßig behandeln
sollen, sich schon seit Jahren als äußerst schwierig erweist, mag dabei auch
eine Rolle gespielt haben; es liegt aber vor allem daran, dass diesem Bereich
weiterhin zu wenig Bedeutung beigemessen wird.
Die konkreten Auswirkungen dieser Missstände zeigen sich auf verschie-
denen Ebenen; ich möchte nur ein kleines Beispiel nennen: Ein Blick in die
Überarbeitungen des GERs (Council of Europe 2018) zeigt, dass bei denen,
die am GER mitgearbeitet haben, offensichtlich nicht genügend systemati-
sches Expertenwissen zum Bereich CALL vorhanden war. In der Überarbei-
tung sind zwar neue Kompetenzen bzw. Teilkompetenzen mit aufgenommen
worden, die mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden können

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Fremdsprachenlernen für den Hang-Out-Space? 301

oder müssen; sie finden sich vor allem beim Kompetenzbereich der Online-
Interaktion. Leider wirken sie wenig systematisch und zum Teil eher unpro-
fessionell. Auf Beschreibungsstandards, die sich in Publikationen wie dem
jährlichen Horizon-Report, dem DigComp 2.1 des Europarats (European
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Commission 2017) o.ä. finden, scheint bei der Erstellung nicht zurückgegrif-
fen worden zu sein; eher scheinen eigene Erfahrungen mit spezifischen An-
wendungen eine Rolle gespielt zu haben. Da diese aber häufig schnell durch
neue abgelöst werden (und schon heutige Studierende kaum noch wissen, was
Second Life war), erscheinen Deskriptoren wie der folgende eher unglücklich:
„can express him/herself […] in a hang-out-space for coresearchers at a uni-
versity“, (vgl. Council of Europe 2018, 155). Dagegen fehlen wichtige Kompe-
tenzbereiche, die in Kompetenzrastern zu Medienkompetenzen oder zur digi-
tal literacy zum Standard gehören – wie z.B. „Managing digital identity“
(European Commission 2017, 31): Diese sind so grundlegend mit sprachli-
chem Handeln verbunden, dass man sie nicht mit dem Hinweis abtun kann,
sie könnten nicht zu den fremdsprachlichen Kompetenzen gezählt werden,
gehörten deshalb nicht in den GER und müssten auch nicht durch den FU
gefördert werden.
Wir müssen in den Bereichen Forschung und Lehre in Deutschland end-
lich damit beginnen, nicht nur auf den digitalen Wandel zu reagieren, son-
dern zu agieren und ihn aktiv mitzugestalten; d.h. auch, dass wir uns mit
Themen wie Big Data, Deep Learning, Smart Assistants, Internet of Things,
Speech Recognition oder Machine Translation (vgl. Massion 2017) und ihren
Folgen (aber auch Möglichkeiten) für unsere Profession auseinandersetzen
müssen – wir sind schon jetzt in vielen Feldern (fast) abgehängt.
Was wir nicht weiter tun sollten, ist, den FU als einen Ort zu inszenieren,
der ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, der sich nicht darum
kümmert, dass die Welt längst anders aussieht, als er es in seinen Lehrbü-
chern darstellt, und der meint, dass er sich das leisten kann, weil sich sein
Gegenstand – die Sprache – nur in unwichtigeren Randbereichen ändere, im
Kern aber immer dieselbe bleibe und deshalb mit einem Lehrwerk und den
Methoden aus den 70er, 80er, 90er Jahren noch genauso gut erworben wer-
den könne wie in einer mit Hilfe digitaler (und nicht-digitaler Medien) von
Lehrenden und Lernenden gemeinsam produzierten Lernumwelt. Um das
wiederum alles anzustoßen, müssen wir vor allem an der Haltung der For-
schenden und Lehrenden (und das sind auch wir) ansetzen, da sie den Einsatz
digitaler Medien entscheidend beeinflusst (vgl. u.a. Hockly 2016, 91).

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Adressen der Beiträger und Herausgeber

Prof. Dr. Marcus Bär


Lizenziert durch Bergische Universität Wuppertal, abgerufen von anonymous am 05.02.2024 um 03:15 Uhr von IP 132.195.2.248

Bergische Universität Wuppertal


Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften
Romanistik
Gaußstr. 20
42119 Wuppertal

Prof. Dr. Mark Bechtel


Universität Osnabrück
Fachbereich 7: Sprach- und Literaturwissenschaft
Institut für Romanistik und Latinistik
Neuer Graben 40
40974 Osnabrück

Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer


Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Anglistik/Didaktik des Englischen
Otto-Behaghel-Straße 10 B
35394 Gießen

Prof. Dr. Daniela Elsner


Goethe-Universität Frankfurt
Institut für England- und Amerikastudien
Sprachlehrforschung und Didaktik
Campus Westend/Hauptgebäude
Norbert-Wollheim-Platz 1
60323 Frankfurt am Main

Prof. Dr. Christian Fandrych


Universität Leipzig
Philologische Fakultät
Herder-Institut
Beethovenstr. 15
04107 Leipzig

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Adressen der Beiträger und Herausgeber 305

Prof. Dr. Hermann Funk


Friedrich-Schiller-Universität
Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache & Interkulturelle Studien
Ernst-Abbe-Platz 8
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07743 Jena

Prof. Dr. Andreas Grünewald


Universität Bremen
Fachbereich 10
Didaktik der romanischen Sprachen
Postfach 33 04 40
28334 Bremen

Prof. Dr. Andreas Guder


Georg-August-Universität Göttingen
Ostasiatisches Seminar
Fachdidaktik Chinesisch als Fremdsprache
Heinrich-Düker-Weg 14
37073 Göttingen

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Friederike Klippel


Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur
Department für Anglistik und Amerikanistik
Ludwig-Maximilians-Universität Münschen
Schellingstr. 3
80799 München

Prof. Dr. Jürgen Kurtz


Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Anglistik/Didaktik des Englischen
Otto-Behaghel-Straße 10 B
35394 Gießen

Prof. Dr. Lutz Küster


Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät II
Institut für Romanistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

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306 Adressen der Beiträger und Herausgeber

Prof. Dr. Christiane Lütge


Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur
Department für Anglistik und Amerikanistik
Ludwig-Maximilians-Universität München
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Schellingstr. 3 VG
80799 München

Prof. Dr. Hélène Martinez


Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Romanistik
Karl-Glöckner-Straße 21 G
35394 Gießen

Prof. Dr. Nicole Marx


Universität zu Köln
Philosophische Fakultät
Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
Albertus-Magnus-Platz 1
50923 Köln

Prof. Dr. Grit Mehlhorn


Universität Leipzig
Institut für Slavistik
Beethovenstr. 15
04107 Leipzig

Prof. Dr. Claudia Riemer


Universität Bielefeld
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Postfach 10 01 31
33501 Bielefeld

Prof. Dr. Henning Rossa


Universität Trier
Fachbereich II: Anglistik
Universitätsring 15
54296 Trier

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Adressen der Beiträger und Herausgeber 307

Prof. Dr. Birgit Schädlich


Georg-August-Universität Göttingen
Seminar für Romanische Philologie
Didaktik der Romanischen Sprachen
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Humboldtallee 19
37073 Göttingen

Prof. Dr. Lars Schmelter


Bergische Universität Wuppertal
Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften
Romanistik
Gaußstr. 20
42119 Wuppertal

Prof. Dr. Torben Schmidt


Leuphana Universität Lüneburg
Fakultät Bildung: Institute of English Studies
Universitätsallee 1, C5.135
21335 Lüneburg

Prof. Dr. Karen Schramm


Institut für Germanistik der Universität Wien
Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Porzellangasse 4/4
1090 Wien, Österreich

Prof. Dr. Julia Settinieri


Universität Paderborn
Fakultät für Kulturwissenschaften
Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft
Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache
Warburgerstr. 100
33100 Paderborn

Prof. Dr. Carola Surkamp


Universität Göttingen
Seminar für Englische Philologie
Fachdidaktik Englisch
Käte-Hamburger-Weg 3
37073 Göttingen

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308 Adressen der Beiträger und Herausgeber

Prof. Dr. Britta Viebrock


Goethe-Universität Frankfurt
Fachbereich 10
Institut für England- und Amerikastudien
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Norbert-Wollheim-Platz 1
60629 Frankfurt am Main

Prof. Dr. Karin Vogt


Pädagogische Hochschule Heidelberg
Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktik
Im Neuenheimer Feld 561
69120 Heidelberg

Prof. Dr. Nicola Würffel


Universität Leipzig
Philologische Fakultät
Herder-Institut
Beethovenstr. 15
04107 Leipzig

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Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz
K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Arbeitspapiere der
1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidel-
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berg: J. Groos 1981.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Das Postulat der


Lernerzentriertheit: Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunter-
richts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-
sprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1982.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Inhalte im Fremd-


sprachenunterricht oder Fremdsprachenunterricht als Inhalt? Arbeitspapiere
der 3. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts.
Heidelberg: J. Groos 1983.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Empirie und Fremd-


sprachenunterricht. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonferenz zur Erforschung
des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1984.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Forschungsgegen-


stand Richtlinien. Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz zur Erforschung
des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Lehrperspektive,


Methodik und Methoden. Arbeitspapiere der 6. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
schung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1986.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachbegriffe im


Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
schung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1987.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fortschritt und Fort-


schritte im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 8. Frühjahrskonferenz
zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag
1988.

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Fremdspra-


chenunterricht und seine institutionellen Bedingungen. Arbeitspapiere der 9.
Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen:
Gunter Narr Verlag 1989.

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310 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz

K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Ausbildung von


Fremdsprachenlehrern: Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 10.
Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum:
Brockmeyer 1990.
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K.-R. Bausch/H. Christ/W. Hüllen/H.-J. Krumm (Hrsg.): Texte im Fremd-


sprachenunterricht als Forschungsgegenstand. Arbeitspapiere der 11. Früh-
jahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum:
Brockmeyer 1991.

K.-R. Bausch/H. Christ/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht und


Sprachenpolitik als Gegenstand der Forschung. Arbeitspapiere der 12. Früh-
jahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum:
Brockmeyer 1992.

K.-R. Bausch/H. Christ/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehr-


und -lernprozesse im Spannungsfeld von Steuerung und Offenheit. Arbeitspa-
piere der 13. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunter-
richts. Bochum: Brockmeyer 1993.

K.-R. Bausch/H. Christ/H.-J. Krumm (Hrsg.): Interkulturelles Lernen im


Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Er-
forschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1994.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Erwerb und Ver-


mittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 15.
Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen:
Gunter Narr Verlag 1995.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des


Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven.
Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdspra-
chenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1996.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachendi-


daktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen.
Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdspra-
chenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Kognition als


Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen.
Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdspra-
chenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1998.

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Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 311

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Erforschung


von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder
Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des
Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1999.
Lizenziert durch Bergische Universität Wuppertal, abgerufen von anonymous am 05.02.2024 um 03:15 Uhr von IP 132.195.2.248

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Interaktion im


Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20.
Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen:
Gunter Narr Verlag 2000.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Neue curriculare


und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen
fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung
des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002.

K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Gemeinsame


europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere
der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts.
Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003.

K.-R. Bausch/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbil-


dung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonfe-
renz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr
Verlag 2003.

K.-R. Bausch/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus.


Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdspra-
chenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2004.

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungs-


standards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere
der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts.
Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005.

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Aufga-


benorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur
Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag
2006.

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Text-


kompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des
Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007.

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312 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremd-


sprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? Ar-
beitspapiere der 28. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachen-
unterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2008.
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K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremd-


sprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenz-
bestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des
Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2009.

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremd-


sprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Früh-
jahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen:
Gunter Narr Verlag 2011.

K.-R. Bausch/E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Erfor-


schung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, For-
schungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur
Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag
2011.

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachenbewusstheit


im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur
Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag
2012.

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer (Hrsg.): Identität und Fremdspra-


chenlernen. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des
Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2013.

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer (Hrsg.): Perspektiven der Münd-


lichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-
sprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2014.

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer (Hrsg.): Lernen an allen Orten? Die


Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Arbeitspapiere
der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts.
Tübingen: Gunter Narr Verlag 2015.

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer/L. Schmelter (Hrsg.): Üben und


Übungen beim Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonfe-
renz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr
Verlag 2016.

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Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 313

E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer/L. Schmelter (Hrsg.): Inklusion,


Diversität und das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der
37. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübin-
gen: Gunter Narr Verlag 2017.
Lizenziert durch Bergische Universität Wuppertal, abgerufen von anonymous am 05.02.2024 um 03:15 Uhr von IP 132.195.2.248

E. Burwitz-Melzer/C. Riemer/L. Schmelter (Hrsg.): Rolle und Professionalität


von Fremdsprachenlehrpersonen. Arbeitspapiere der 38. Frühjahrskonferenz
zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag
2018.

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