Nr. 35/13 26. August 2013 www.focus.

de

BESSER
WISSEN
Günther Jauch und 10 Experten
verraten die 100 Fakten, die heute
zur Allgemeinbildung gehören

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MEMO DES CHEFREDAKTEURS
VON JÖRG QUOOS
WELCH EIN GELDSEGEN für die öffent-
lichen Kassen: Weil die Deutschen so flei-
ßig und ihre Produkte so gut sind, haben
Bund, Länder, Kommunen und Sozial-
versicherungen im ersten Halbjahr 2013
rund 8,5 Milliarden Euro mehr einge-
nommen als ausgegeben. Die Milliar-
denspritze zeigt, wie sich Deutschland
von der schwachen Konjunktur Euro-
pas abgekoppelt hat und wirtschaftlich
immer potenter wird. Wäre es da nicht
höchste Zeit, mal den Steuerzahler zu
entlasten? Über Steuern, Strompreis und
öffentliche Kassen sprach der FOCUS
ausführlich mit Kanzlerin Angela Mer-
kel im Interview ab Seite 30.
Konzentriert Bundeskanzlerin Angela Merkel
beim FOCUS-Interview im Kanzleramt
Fotos: Dirk Bruniecki, Marko Priske/beide für FOCUS-Magazin
ES SIND BILDER, die einem das Herz zer-
reißen. Tote Kleinkinder liegen aufgereiht
nebeneinander, als schliefen sie. Ande-
re kämpfen, von Krämpfen geschüttelt,
gegen den Erstickungstod. Das jüngste
Massaker in Syrien mit angeblich 1300
Toten wirft den schrecklichen Verdacht
auf, dass Assads Unrechtsregime jetzt mit
Giftgas den Aufstand des eigenen Vol-
kes brutal beenden will. FOCUS sprach
mit Experten, hohen Geheimdienst-Offi-
zieren und israelischen Militärs, um zu
ergründen, wer wirklich hinter den fei-
gen Angriffen steckt (ab Seite 36).
FOCUS 35/2013
FOCUS MAGAZIN DIGITAL
Es gibt viele Wege,
FOCUS zu lesen.
Schon Sonntags auf Tablet und PC.
sgabe
Digitalau
A b o n n enten
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„ALLE RÄDER STEHEN STILL, wenn dein
starker Arm es will“, sang man schon vor
150 Jahren im Allgemeinen Deutschen
amazon.de
Arbeiterverein. Dass im Mainzer Haupt-
bahnhof alle Räder stillstanden, wurde
den fassungslosen Bahnreisenden mit
verfehlter Urlaubsplanung und erhöhten
Krankenständen der Stellwerker erklärt. Immer und überall
Jetzt fand FOCUS heraus: Die Eisen- bestens informiert.
bahngewerkschaft hat den Stillstand am
Mainzer Hauptbahnhof als Druckmittel Exklusive Inhalte, spektakuläre Bilder,
eingesetzt und brüstet sich sogar öffent- hoher Nutzwert: Genießen Sie die
lich damit. Wenn es ein illegaler Streik Digitalausgabe von Deutschlands
war, wurden also Reisende zu Geiseln
im Arbeitskampf – der Gewerkschaft sei
großem Nachrichtenmagazin –
Dank (Seite 22). überall und jederzeit. Lesen Sie
FOCUS Magazin App und E-Paper
„EINE INVESTITION IN WISSEN bringt schon sonntags ab acht Uhr auf
immer noch die besten Zinsen“, wuss- Tablet oder PC.
te schon Benjamin Franklin, der den
USA nicht nur die Unabhängigkeitser-
klärung, sondern auch die erste Leih- Mehr Informationen unter
bibliothek bescherte. Aber wie wich- www.focus.de/magazin/digital
tig ist Wissen heute? Wo jede Antwort
und Milliarden Fakten dank Google
nur einen Mausklick entfernt liegen.
In unserer Titelgeschichte geht FOCUS
mit klugen Köpfen aus allen Wissens-
bereichen der Frage nach, was heute
zwingend zur Allgemeinbildung zählt.
Wir sprachen darüber auch mit Gün-
ther Jauch, der mit seiner neuen Staffel
„Wer wird Millionär?“ das Wissen zum
Vergnügen macht.
Herzlich
chefredakteur@focus-magazin.de
 INHALT Nr. 35 / 26. August 2013
Taktieren
Die SPD-Spitze um
Sigmar Gabriel plant
bereits für die Zeit
nach einer Wahl-
niederlage SEITE 24
TITEL
ä 44 Gebildet statt gegoogelt
Braucht man in Zeiten des Internets
noch Allgemeinbildung? Mehr denn je,
sagen Experten
49 »Der Fachidiot hat es schwer«
Millionärsmacher Günther Jauch verrät,
wie man seine Show gewinnen kann
50 100 × wichtiges Wissen
Von Politik bis Pop, von Wirtschaft bis
Fußball: Zehn Vordenker erklären, was jeder
heute im Kopf haben sollte
POLITIK
24 Jeder Genosse kämpft für sich
In der SPD-Spitze hat man die Bundestags-
wahl verloren gegeben. Jetzt geht es darum,
wer künftig die Macht in der Partei hat
4 FOCUS 35/2013
Paktieren
Angela Merkel setzt
weiter auf Schwarz-
Gelb und begrüßt
das Ende des Lager-
denkens SEITE 30
ä 30 »Menschen weh zu tun,
ist keine gute Politik«
Die Kanzlerin im Interview: Angela Merkel
über unpopuläre Maßnahmen,
die Energiewende und Steuererhöhungen
36 Syrische Tragödie
Hunderte sterben durch Giftgas – und der
Westen weiß nicht, wie er reagieren soll
40 Zeugen des Bürgerkriegs
Ägypter erzählen vom Mord an Angehörigen,
von ihren Feinden und der Idee einer Zukunft
REPORT
60 Retter der Dichter und Denker
Sie sind extrem reich – und extrem
verschlossen: Die Wella-Erben,
die bei Suhrkamp einsteigen wollen
64 Verschwiegener Missbrauch
Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck
spricht erstmals darüber, wie sie selbst als
Jugendliche Opfer sexueller Gewalt wurde
66 Brennpunkt: Goldschatz
68 Der Tod reist mit
Immer mehr Drogenschmuggler verstecken
das Rauschgift im Körper
69 App-Solution
Sünder beichten jetzt per Smartphone
70 Profile
ä Titelthemen sind mit rotem Pfeil gekennzeichnet
SanierenDauermisere:
Commerzbank-Chef
Martin Blessing muss
sein Institut drastisch
umbauen SEITE 76
Fotos: dpa (3), Getty Images, mauritius images, A1Pix, IMAGO, United Archives,
WIRTSCHAFT
76 Baustelle Commerzbank
SZ Photo, Inter foto, Zoonar, Coverpicture/Composing: FOCUS-Magazin
Experten-Analysen: Wo sich das
Traditionshaus radikal ändern muss,
um wieder richtig Geld zu verdienen
80 Deutsche Sparer schützen
Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon
will einen EU-weiten Sicherungsfonds
auf jeden Fall verhindern
82 Montag ist Zeugnistag
84 Götterdämmerung
Rücktritt des Microsoft-Chefs: Warum
Steve Ballmer wirklich gehen muss
86 Geldmarkt
88 E-Auto-Offensive
Die Post stellt ihre Flotte um. Künftig sollen
Zehntausende Elektrotransporter fahren
90 Frau am Ruder
25-jähriges Jubiläum: Lufthansas erste
Pilotin erzählt vom gesellschaftlichen
Gegenwind in den Anfängen
Titel: Foto: Marco Grob/ARD
92 Marktplatz
FORSCHUNG & TECHNIK, MEDIZIN
94 Das Private ist politisch
Konservative und Linke trennt mehr als
das Parteiprogramm. Forscher fanden
verblüffende Unterschiede im Gefühlsleben
 
 



Schockieren
Hollywood-Immigrant
Aktivieren
Bei den US Open





Roland Emmerich hält muss die Deutsche Das kostenlose Girokonto –
mit seinem neuen Sabine Lisicki jetzt jetzt mit Zufriedenheits-
Action-Thriller den USA ihre Star-Qualitäten garantie.*
den Spiegel vor SEITE 110 beweisen SEITE 128

98 Prachtvolle Computerspiele 122 »Ausdruck von Überforderung«

Die neuen Spielekonsolen von Microsoft und Matthias Brandt trifft im Doku-Drama zur
Sony eröffnen opulente Bilderwelten Kundus-Affäre in der Rolle des Oberst Klein
„Eine mörderische Entscheidung“
100 Wundermittel aus Japan
Ein Mikroben-Mix soll Mensch, Tier und 125 Bestseller
Umwelt heilen und unseren Planeten retten.
e:
itsgaranti
Inhalt: Fotos: Marko Priske für FOCUS-Magazin, Stefan Boness/Ipon, Ber t Bostelmann/bildfolio,

Der Stoff ist jedoch höchst fragwürdig 126 Boulevard he

ieden
104 Perspektiven SPORT Mit Zufr
AUTO
106 Reich, schön und schnell
128 »Ich bin kein Roboter«
Deutschlands neuer Tennisstar muss sich
*
+ bei Nichtg
efallen*

jetzt bei den US Open beweisen. Sabine zum Start

Wer zwei Millionen Euro übrig hat, den
Lisicki über Fehler, Frust und Freude nach
lädt Bugatti – vielleicht – zur Probefahrt. dem verlorenen Finale von Wimbledon
Die etwas andere Verkaufsveranstaltung
131 Pinkeln ab zehn Euro
KULTUR & LEBEN, MEDIEN Absurde Strafkataloge: Zwei Bundesligisten Jetzt in Ihrer Filiale oder unter
110 »Amerika die Augen öffnen« führen Urinier-Verbot unter der Dusche ein.
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Sony Pictures Releasing GmbH, action press

Popcorn-Kino mit politischem Anliegen: Haben Profis kein Benehmen mehr?

Katastrophen-Regisseur Roland Emmerich 131 Finale * Kostenlos nur bei privater Nutzung und ab mind.
über seinen Thriller „White House Down“ 1.200 € monatl. Geldeingang, sonst 9,90 € je Monat.
Gutschrift 50 € zum Start 3 Monate nach Kontoeröff-
114 Elektro mit Anna Netrebko nung und nur, wenn noch kein Zahlungsverkehrs-
konto bei der Commerzbank besteht. Zahlung 50 €
Die Operndiva wagt sich auf neues Terrain bei Nichtgefallen erst nach aktiver Kontonutzung
116 Mein Vater über mind. 1 Jahr (mind. 5 monatl. Buchungen über je
RUBRIKEN 25 € oder mehr) und nachfolgender Kontokündigung
Hans Clarin litt darunter, auf den Pumuckl unter Angabe von Gründen binnen 15 Monaten nach
reduziert zu werden, sagt Tochter Irene 3 Memo des 73 Leserdebatte Kontoeröffnung. Angebot gültig für alle Kontoeröff-
Chefredakteurs 74 Impressum nungen ab 9.11.2012
118 Daniel Kehlmann ist zurück
Acht Jahre nach „Die Vermessung der Welt“ 6 Wer, wo, was 132 13 Fragen: Tenor
10 Fotos der Woche Luca Pisaroni
folgt „F“ – ein hochrealistischer Roman über
17 Focussiert 134 Tagebuch
Gespenster, Dämonen und Teufel 72 Leserbriefe des Herausgebers

FOCUS 35/2013
 DIESE WOCHE: WER
Wussten Sie . . .
. . . dass die Hüte von Udo
Lindenberg aus Bayern stammen?
Sie werden in dem
Dorf Lindenberg hergestellt.
MONTAG, 26.8.
In New York beginnt das Tennis-
turnier US Open. Top-Favorit
auf dem Hartplatz ist der Mallorquiner
Rafael Nadal (bis 9.9.).
In Brooklyn werden zum 30. Mal bei
den MTV Video Music Awards
die erfolgreichsten Musiker geehrt.
DIENSTAG, 27.8.
Knapp einen Monat vor dem
O’zapfen wird in München
der offizielle Wiesn-Krug für
das Oktoberfest 2013 enthüllt.
MITTWOCH, 28.8.
Die 70. Internationalen
Filmfestspiele starten in Venedig.
Zum Abschluss erhält der beste Film
den Goldenen Löwen (bis 7.9.).
6 FOCUS 35/2013
Q  WO Q  WAS
DONNERSTAG, 29.8.
In Hamburg eröffnet das Alster-
vergnügen: Bis zum 1.9. wird
den Besuchern rund um die Binnen-
alster ein Kultur- und Musikprogramm
geboten.
Es war der Höhepunkt der Bürger-
rechtsbewegung: Mit seiner Rede
„I Have A Dream“ vor 50 Jahren
setzte sich Martin Luther King für die
Bürgerrechte von Minderheiten ein.
Barack Obama gedenkt des
Friedensnobelpreisträgers mit einer
Ansprache am Lincoln Memorial.
FREITAG, 30.8.
Bundespräsident Joachim Gauck
lädt Bürger ins Schloss Bellevue
ein. Im Mittelpunkt stehen ehrenamt-
liche Initiativen und engagierte Helfer
(bis 31.8.).
Im Uefa Supercup kämpfen Champions-
League-Gewinner FC Bayern München
und Europa-League-Gewinner Chelsea
um den Titel (20.45 Uhr).
SAMSTAG, 31.8.
In Monaco lassen sich der Fürst-
Anwärter Andrea Casiraghi und
seine kolumbianische Verlobte
Tatiana Santo Domingo trauen.
Vor 16 Jahren starb Prinzessin
Diana mit ihrem damaligen
Lebensgefährten Dodi Al-Fayed bei
einem Autounfall in Paris.
SONNTAG, 1.9.
Angela Merkel und Herausforderer
Peer Steinbrück treffen beim
Fernsehduell aufeinander (20.15 Uhr
auf ARD, ZDF, RTL und ProSieben).
Eröffnungsfilm
in Venedig
In „Gravity“ spielen
Sandra Bullock und
George Clooney
zwei Astronauten,
die nach einem
Unfall durchs Welt-
all treiben
DIESE WOCHE AUF
Wahl-Duell Im Vorfeld der
TV-Debatte von Angela Merkel
und Peer Steinbrück bewertet
FOCUS Online die Chancen der
Kandidaten und analysiert mit
Experten, welche Themen
entscheidend werden. Kanzlerin
und Herausforderer treffen sich
am 1. September zum TV-Duell.
www.focus.de/bundestagswahl
Karikatur: Nel
Fotos: Hans-Christian Plambeck/laif, Cour tesy of Warner Bros. Enter tainment Inc.
Freizeit Wandern mit Kindern?
Das klingt nach Jammern und
keine Lust. Auf speziellen
Themenwegen für Familien
gibt es jedoch für kleine und
auch große Wanderer viel zu ent-
decken. FOCUS Online stellt neun
tolle Touren in den Alpen vor.
www.focus.de/wandern
Motorsport Mit vollem Risiko
durchs Gelände: Bei der
Rallye-Weltmeisterschaft gehen
Fahrer und Autos an ihre
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10 FOCUS 34/2013
 FOTOS DER WOCHE

Kuss-Demo Ausgerechnet zwei russische

Sportlerinnen sorgten bei der Leichtathletik-WM
in Moskau für den eindrucksvollsten Protest
gegen das umstrittene neue Anti-Homosexuellen- GUIDO WESTERWELLE
Gesetz. Bei der Siegerehrung für die 4 x 400- Außenminister Deutschlands
Meter-Staffel küssten sich Tatjana Firowa und
Xenija Ryschowa provokativ auf den Mund

Zeichen
gegen
Intoleranz
setzen
„DEN UMGANG MIT HOMOSEXUEL-
LEN IN RUSSLAND können wir
nicht akzeptieren. Große Sport-
ereignisse lenken die Aufmerksam-
keit der Welt auch auf Missstände.
Das wird auch bei den Olympi-
schen Spielen in Sotschi so sein.
Eine Diskussion über Boykotte
halte ich für kontraproduktiv.
Es wäre falsch, denen das Feld zu
überlassen, die gegen Toleranz
und Minderheitenschutz sind. Wir
müssen noch mehr hinschauen
und auch Zeichen setzen.
Wir beobachten die Entwicklung
in Russland sehr genau und halten
mit unserer Meinung nicht hinter
dem Berg. Ein Klima der Intoleranz
und Einschüchterung hat in einer
modernen Gesellschaft keinen Platz. Fotos: Grigor y Dukor/REUTERS, Michael Kappeler/dpa
Wir werden der Diskriminierung
von Minderheiten immer entschie-
den entgegentreten, in Russland
und überall sonst auf der Welt.
Dafür stehe ich auch persönlich ein.
Deutschland setzt sich weltweit
für die Achtung der Menschen-
rechte und für starke Zivilgesell-
schaften ein. Die Sprache des
Sports ist global. Sie öffnet auch
dort Türen, wo andere Wege ver-
schlossen bleiben, und transportiert
Werte wie Offenheit und Fairness.“

11
12
 FOTOS DER WOCHE

Groß frisst klein

Einem Forscherteam der Uni-
versität von Delaware gelang
diese ungewöhnliche Aufnahme: ALEXANDER GODKNECHT
Die Wissenschaftler fischten nach
Haiforscher und Präsident der
Sandtigerhaien und benutzten
Schweizer Shark Foundation
dazu einen Heringsköder. Dieser
wurde jedoch von einem Katzen-
hai gefressen, der wiederum von
einem Sandtigerhai verschlungen
wurde, als man die Beute
an Bord bringen wollte

Was macht
der Hai
im Hai?
„DAS FOTO IST NATÜRLICH SPEK-
TAKULÄR, aber es zeigt einen letzt-
lich gewöhnlichen Vorgang: Großer
Raubfisch frisst kleinen Raubfisch.
Mit Kannibalismus hat das im Übri-
gen nichts zu tun, denn hier handelt
es sich um unterschiedliche Arten.
Und dieselbe Art anzugreifen und zu
fressen tun Haie – wie andere Tiere
– eigentlich eher selten.
Die eigene Art gehört genauso we-
nig ins Beuteschema wie der Mensch.
Man mag zwar momentan den Ein-
druck haben, dass Menschen immer
häufiger zum Ziel von Haiattacken
werden, aber die langjährige Statis-
tik spricht dagegen. Die verzeichnet
ziemlich kontinuierlich im Schnitt
sechs tödliche Unfälle bei insgesamt
60 bis 80 Haiunfällen pro Jahr. Fotos: ORB/UNIVERSITY OF DELAWARE/dpa, Privat
Dabei spielt allerdings schon eine
Rolle, dass die natürliche Nahrung
der Haie durch Überfischung immer
weniger wird und Haie dadurch hung-
riger werden. Oder dass die Tiere
durch Fisch- und Fleischfabriken in
Küstennähe gelockt werden, wie das
im brasilianischen Recife passiert ist.
Die Wahrscheinlichkeit eines
Unfalls ist jedoch verschwindend
gering. Ich tauche häufiger mit
Haien und bin noch nie in eine
kritische Situation geraten.“

FOCUS 35/2013 13
 Ausgesetzt im
FOTOS DER WOCHE Flaschenmeer
Ein Kind sortiert in Bangla-
deschs Hauptstadt Dhaka
Plastikmüll, der später als
recycelter Rohstoff wieder
exportiert wird

NINA RUGE
TV-Moderatorin und Unicef-
Botschafterin

Recycling
der miesen
Sorte
„VON DER LIMONADE, die einmal
in diesen Plastikflaschen war, kann er
nur träumen. Dieser Junge trennt auf
der Recycling-Halde Müll. Für einen
Lohn, der den Namen nicht verdient.
Denn er arbeitet – wie sieben Millio-
nen andere Kinder und Jugendliche in
Bangladesch – im ‚informellen Sektor‘.
Das heißt: Der Junge taucht in keiner
Arbeitsstatistik auf. Er ist Tagelöhner
auf unterstem Niveau. Schließlich
sind Kinder die billigsten Arbeitskräfte
weltweit. Er wird engagiert und weg-
geschickt, wie es gerade passt.
Die PET-Flaschen, die er aussortiert,
sind Rohmaterial für ein wichtiges
Exportgut. Daraus wird Polyestergarn
Fotos: Munir uz ZAMAN/AFP, Elmar Kremser/SVEN SIMON/dpa

oder Füllmaterial. Recycling der

miesen Sorte. Denn es hindert diesen
Jungen am Schulbesuch.
Was tun? Ohne seinen Verdienst hat
die Familie noch größere Probleme zu
überleben. Also bietet Unicef Lernzent-
ren für arbeitende Kinder an. Dort kön-
nen sie Lesen, Schreiben, Rechnen ler-
nen. Und noch wichtiger: Hygiene und
Gesundheit. Zweieinhalb Stunden täg-
lich nach dem anstrengenden Arbeits-
tag, das ist alles andere als einfach.
Doch die Kinder sind glücklich, dem
stumpfen Arbeitstrott zu entkommen.
Und sie wissen: Schule ist ihre einzige
Chance auf ein besseres Leben.“

14
FOCUS 35/2013 15
 DER SEAT
Perfekt abgestimmt.
IBIZA.
NULL Anzahlung
NULL Zinsen
ab 99 € pro Monat 1

Beispielrechnung (berechnet für eine jährliche Fahrleistung von 10.000 km) für SEAT Ibiza SC 1.2 12V, 44 kW (60 PS) 1
Barzahlungspreis2: 10.990,00 € Nettodarlehensbetrag: 10.219,51 € Effektiver Jahreszins: 0,00 % Laufzeit: 60 Monate
SEAT Aktionsprämie3: 770,49 € Anzahlung: 0,00 € Sollzinssatz p. a. Schlussrate: 4.279,51 €
Gesamtbetrag: 10.219,51 € Monatliche Rate: 99,00 € (gebunden): 0,00 %
SEAT Ibiza Kraftstoffverbrauch (l/100 km): kombiniert 6,0–3,4; CO2-Emissionen (g/km): kombiniert 139–89.
SEAT Ibiza SC 1.2 12V, 44 kW (60 PS) Kraftstoffverbrauch (l/100 km): innerorts 7,1, außerorts 4,4, kombiniert 5,4; CO2-Emissionen (g/km): kombiniert 125.

AUCH ÜBER: SE AT.DE

1
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Gültig für SEAT Ibiza Neuwagen. Bonität vorausgesetzt. Weitere Informationen erhalten Sie bei Ihrem teilnehmenden SEAT Partner. Nicht kombinierbar mit anderen Sonderaktionen. Eine gemeinsame Aktion der
SEAT Deutschland GmbH und allen teilnehmenden SEAT Partnern. 2 Unverbindliche Preisempfehlung der SEAT Deutschland GmbH zzgl. Überführungs- und Zulassungskosten. 3 Aktionsprämie wird einmalig als
Nachlass bei Abschluss eines Finanzierungsvertrages gewährt. Abbildung zeigt Sonderausstattung.

Jetzt 75 000 Mängel beim Flughafen BER
ie Liste der Fehler und Fehlplanun-
D gen beim Bau des Berliner Großflug-
hafens ist noch länger geworden. Rund
75 000 Mängel hat Airport-Technikchef
Horst Amann in seiner „Bestandsauf-
nahme BER“ festgestellt. Mehr als 10 000
seien bereits abgearbeitet, berichten
Aufsichtsratskreise. Bis zum 31. Juli ließ
der Ingenieur akribisch jeden Murks auf
der Baustelle notieren und archivieren –
vom Riss in einer Bodenfliese über falsch
verlegte Kabelstränge bis hin zu defek-
ten Sprinkleranlagen und der bis heute
nicht funktionierenden Entrauchung der
Flughafengebäude im Brandfall.
Anfang März berichtete FOCUS noch
über einen Stand von 40 000 Mängeln
in Amanns Fehlerliste. Damals firmierte
das Werk unter Fortschrittsbericht. Zu
Beginn des Jahres war noch von 20 000
Fehlern die Rede.
Dennoch erntete Amanns intensive
Foto: Marc-Stef fen Unger
Kontrolltätigkeit bei der Bestandsauf-
nahme während der Aufsichtsratssit-
zung am 16. August den Beifall der
Mitglieder. Das Engagement des Tech-
nikchefs findet breite Unterstützung im
Gremium. Sein Mängelreport wird die
FOCUS 35/2013
FOCUSSIERT
Der Unvollendete
Flughafen Berlin Branden-
burg muss weiter auf seinen
Starttermin warten
Grundlage für alle weiteren Arbeiten Amanns Mängelauswertung läuft
auf der Großbaustelle.
Die Hoffnung von Geschäftsführung
jetzt bis 30. September. Frühestens zur
nächsten Sitzung des Aufsichtsrats am
und Aufsichtsrat ist jetzt, den Großteil 25. Oktober kann das höchste Airport-
des Baupfuschs systematisch zu besei- Gremium einen neuen Starttermin für den
tigen. Immerhin habe es beim Umbau Großflughafen am Rande Berlins nennen.
des Berliner Reichstags in den 90er-Jah- Das größte Risiko sieht ein Aufsichtsrat
ren gut 10 000 Mängel gegeben, bei nur weiter im Brandschutz: „Die nicht funk-
einem Zehntel der Baufläche vom BER, tionierende Entrauchungsanlage bleibt
relativieren Aufsichtsratskreise das Aus- für die Inbetriebnahme vom BER ein
maß der Pannen in Schönefeld. K.-o.-Kriterium.“ oo
Friedrich verteidigt Bundespolizei
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat die Bundespolizei gegen den Vorwurf
des Rassismus im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen verteidigt. Der Vorwurf der
SPD, die Bundespolizei handele rassistisch, ist „bösartig und falsch“, sagte Friedrich dem
FOCUS. Die SPD-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, Eva Högl, hatte mit ihren Äuße-
rungen über „rassistisch geprägte Verdachtsstrukturen“ einen Großteil der 40 000 Beamten
gegen sich aufgebracht. Ein Frontalangriff auf Bundespolizeipräsident Dieter Romann, der an-
geblich Rassismusstrukturen in seinen Reihen nicht zur Kenntnis nehme, verschärfte diese
Woche den Konflikt. Romann ist erst seit einem Jahr im Amt. „Es ist absurd, ihn und die
Bundespolizei überhaupt in Verbindung mit den NSU-Morden zu bringen“, erklärte Fried-
rich. Polizeigewerkschafter warfen Högl eine „ungeheuerliche Diffamierung“ vor. huf/kvr
17

Unterschriftenaktion
Die SPD will in der Endphase des
Wahlkampfs mit einer Kampagne gegen
Steuerhinterzieher und -trickser punk-
ten. Die Partei wird die Bürger in den
Straßen mit Unterschriftenlisten und im
Internet über soziale Netzwerke auf-
rufen, den Druck auf Steueroasen,
Banken und Konzerne zu verstärken.
Der ehrliche Steuerzahler dürfe nicht
der Dumme sein, lautet das Motto. Spit-
zenkandidat Peer Steinbrück, Parteichef
Sigmar Gabriel und Thorsten Schäfer-
Gümbel, der SPD-Frontmann für die hes-
sische Landtagswahl, werden die Aktion
am Montag in Offenbach bundesweit
vorstellen. Die großen Unternehmen
sollen angeben, in welchen Ländern sie
ihre Gewinne versteuern. Außerdem will
die SPD erreichen, dass mehr Steuer-
und Betriebsprüfer bei den Finanzäm-
tern eingestellt werden. Die SPD erhofft
sich eine Belebung des bislang müden
Wahlkampfs. Die Berliner SPD-Spitze
hat sich nach kurzer Bedenkzeit der
Initiative der hessischen Genossen an-
geschlossen, die schon mit der Mobi-
lisierung begonnen haben. zor
18
Ex-Finanzminister vor Pleite
em früheren bayerischen Finanzmi-
D nister Gerold Tandler (CSU) droht
die Insolvenz. Der 77-Jährige hat sich
offensichtlich finanziell überhoben. Zu
seinem Altöttinger 4-Sterne-Hotel „Zur
Post“ erwarb Tandler den mehr als 300
Jahre alten „Gasthof Scharnagl“. Die
jüngste Bilanz der „Post“, in der schon
ein Papst gastierte, wies bereits eine
Überschuldung und Darlehen in Höhe
von 2,7 Millionen Euro aus. Inventar und
Warenlager sind bereits sicherungsüber-
eignet. Inkasso-Unternehmen trieben mehr-
fach Forderungen ein. Die Wirtschafts-
Karikatur: Greser & Lenz
Foto: Astrid Schmidhuber/IMAGO
auskunft Creditreform warnt vor einer
Geschäftsverbindung.
Zwei Millionen Euro sucht Tandler der-
zeit bei privaten Finanziers. Der Augs-
burger Unternehmer Ignaz Walter, sein
größter Darlehensgeber, wollte ihm kei-
ne weitere Summe nachschießen. Tand-
ler selbst spricht lediglich von „einer
Durststrecke“. Das neue Haus liefe eben
noch nicht so gut. 1976 kaufte der frühe-
re Vertraute der CSU-Ikone Franz Josef
Strauß seinen ersten Gasthof mit Ehefrau
Gabriele, um sich von der Politik unab-
hängig zu machen. tt
Durststrecke
Bayerns Ex-Finanz-
minister Gerold
Tandler am Empfang
seines Altöttinger
4-Sterne-Hotels
„Zur Post“
FOCUS 35/2013
 FOCUSSIERT
Ehrung für Wulff
Ex-Bundespräsident Christian Wulff
soll am Mittwoch für seine Verdienste um
die deutsch-türkischen Beziehungen
ausgezeichnet werden. In Istanbul
wird ihm die Deutsch-Türkische Stiftung
für Bildung und wissenschaftliche
Forschung (Tavak) den Bosporus Award
verleihen.
Weitere Preise gehen an Deutsche
mit türkischen Wurzeln, darunter Fuß-
baller Nuri Sahin und Geschäftsmann
Mehmet Daimagüler. Tavak-Vorsitzender
ist Faruk Sen, bis 2008 Leiter des
Zentrums für Türkeistudien in Essen.
Ob es zum Prozess gegen Wulff
kommt, wird voraussichtlich in dieser
Woche das Landgericht Hannover
entscheiden. Die Staatsanwaltschaft
wirft dem ehemaligen Bundesprä-
sidenten vor, er habe sich vom
Filmunternehmer David Groenewold
bestechen lassen. elf/sms
Olympia-Protest 2014
Der Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland (LSVD) will die bevorstehen-
den Olympischen Winterspiele als „Platt-
form für Proteste“ gegen die Diskrimi-
nierung von Homosexuellen in Russland
nutzen. So soll in Sotschi 2014 die kom-
plette Mannschaft des Deutschen Olym-
pischen Sportbunds (DOSB) Ansteck-
nadeln in Regenbogenfarben tragen.
„Zwar hat das Internationale Olympi-
sche Komitee jede politische Äußerung
untersagt, aber die Funktionäre werden
gewiss keine komplette Nation wegen
zivilen Ungehorsams nach Hause schi-
cken“, sagt der LSVD-Sport-Beauftragte
Torsten Siebert. Nach der Athleten-Nomi-
nierung im Dezember wird der Verband
alle Sotschi-Fahrer anschreiben und sie
zum Tragen der Protest-Pins auffordern.
Einen Boykott, wie ihn zuletzt Justizmi-
nisterin Sabine Leutheusser-Schnarren-
berger in Erwägung zog, lehnt der LSVD
ab. „Die russische Gesellschaft würde
die Homosexuellen für den Boykott ver-
antwortlich machen“, so Siebert. „Das
würde die Lesben und Schwulen im Land
eher weiter ins Abseits stellen.“ awo
20
Meistermusiker
Vier Liverpooler
Jungs, die eine
der erfolgreichs-
ten Bands der
Musikgeschichte
bildeten: John,
Paul, George
und Ringo
Beatles verdienen mehr
2013 verdienten die Beatles, laut Fachmagazin „Musicweek“, über ihre Firma Apple
Corps bislang 43,5 Millionen Pfund (50,8 Millionen Euro). Das sind gut 2,3 Millionen
Euro mehr als 2012. Die Einnahmen teilen sich Paul McCartney, Ringo Starr und die
Witwen von John Lennon und George Harrison, Yoko Ono und Olivia Harrison.
An Dividenden erhält jeder der vier knapp 2,4 Millionen, dazu etwa 2,25 Millionen
für Werbeeinnahmen und rund 1,37 Millionen für die Verwertung von Namensrechten.
Allein die Merchandising-Einnahmen belaufen sich auf 10 bis 20 Millionen Dollar. nw
»Kosten sind nicht das Wichtigste«
Der ehemalige Ministerpräsident Sachsens, Georg Milbradt, ist überraschend
von der katholischen Kirche für die Atommüll-Endlagerkommission nominiert
Sie sind Finanzwissenschaftler, hier! Es soll der Standort gefun-
Ex-Ministerpräsident – wie den werden, der am besten ge-
kommt es zu einer Berufung eignet ist. Dazu gehören nicht
in Sachen Atommüll? nur technische oder geologi-
Das müssen Sie die katholi- sche Kriterien, sondern auch
sche Kirche fragen. Was ich die Akzeptanz.
sagen kann: Ich bin beim Welche Rolle spielen für Sie
Thema Atommüll-Endlage- finanzielle Kriterien? Schließlich
rung unbelastet und neutral. wurde in Gorleben bereits mehr als
Ich habe Zeit, die Kommis- Nominiert eine Milliarde Euro ausgegeben.
sion ist ja kein Nebenjob. Und Milbradt sucht mit Natürlich sind die finanziel-
die Sache ist mir ein echtes der Kommission len Kosten auch abzuschätzen,
Anliegen: Wir können den den Standort für aber dies ist nicht das wich-
Atommüll nicht weiter jahr- ein Atommüll-Lager tigste Kriterium.
zehntelang in provisorische Wie unabhängig können
oberirdische Zwischenlager
Fotos: Leemage/dpa, Metodi Popow/360-Berlin
Sie entscheiden?
stecken. Ich will mich für einen Konsens Ich bin weder weisungsgebundener
einsetzen, auch wenn ich die Lösung Vertreter im Auftrag Sachsens, der CDU
vielleicht nicht mehr erleben werde – noch der Kirche in diesem Gremium.
eine Realisierung vor 2030 ist ja nicht Ich habe kein politisches Amt mehr, ich
zu erwarten. bin unabhängig und bin frei in meiner
Als CDU-Mann stehen Sie automatisch Meinungsbildung.
im Verdacht, für Gorleben zu sein . . . Der parteilose Ex-Wirtschaftsminister
Nein, die Suche soll bei null anfangen. Werner Müller soll das Endlager-
Für mich ist kein Standort ausgeschlos- Gremium leiten – gute Wahl?
sen oder vorgegeben, es muss Schluss In jedem Fall eine respektable Persön-
sein mit dem Spiel: überall, nur nicht lichkeit. ab
FOCUS 35/2013
Die Bundestagswahl kommt.
Wir bringen sie bis
an Ihre Haustür.

Die Briefwahl 2013.

Anfordern. Ankreuzen. Abschicken. Danke.

Die Briefwahl macht die Wahl zum Deutschen Bundestag ganz einfach.
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Deutschen Post liefern Ihnen Ihre Stimmzettel frei Haus und sorgen dafür,
dass diese sicher und pünktlich beim Wahlleiter eingehen. Und Sie
können den Wahltag entspannt genießen.

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 FOCUSSIERT
Illegaler Bahn-Streik
Die Bahn-Gewerkschaft EVG räumt
selbst ein, dass sie das Bahnchaos in
Mainz gezielt als Druckmittel eingesetzt
hat, um ihre Personalforderungen durch-
zusetzen. Auf ihrer Web-Seite schrieb
die EVG in der vergangenen Woche:
„Stimmt! Genau das haben wir getan –
und wir werden es wieder tun.“
Der Parlamentarische Staatssekretär
im Bundesverkehrsministerium, Jan
Mücke, will durch die Bundesnetzagen-
tur prüfen lassen, ob die Bahn-Gewerk-
schaft EVG illegal in den Bahnverkehr
eingegriffen hat, um den bundeseigenen
Konzern zum Nachgeben zu zwingen.
„Dass die Gewerkschaft den Zugver-
kehr lahmlegt, um ihre Forderungen
durchzusetzen, ist ein unerhörter Vor-
gang“, so der FDP-Politiker Mücke.
„Ein absichtlicher Eingriff der Gewerk-
schaft in den Verkehr wäre illegal.“ Die
EVG war für eine Stellungnahme nicht
erreichbar. awe
Hilfe für Christen
Deutschland soll nach Ansicht des
Vize-Unionsfraktionschefs Arnold Vaatz
mehr christliche Syrien-Flüchtlinge auf-
nehmen. Der CDU-Politiker sieht eine
„besondere Verantwortung von
Deutschland und Europa“. Durch
seine christliche Prägung sei der Konti-
nent für syrische Christen einer der
wenigen sicheren Zufluchtsorte.
Muslimische Flüchtlinge aus Syrien,
so Vaatz, könnten in den angrenzenden
Staaten halbwegs sicher leben.
„Aber christliche Bürgerkriegsopfer
fliehen im Nahen Osten meist nur
von einer Hölle in die nächste.“ Vaatz,
der in der Fraktion auch für Menschen-
rechtspolitik verantwortlich ist, sieht
Deutschland grundsätzlich in der
Pflicht, auch gegenüber den bedrängten
Kopten in Ägypten: „Wir können die
Konflikte in islamischen Ländern nicht
durch die Aufnahme von Flüchtlingen
lösen. Aber wir haben die Chance,
den alten christlichen Gemeinden
aus arabischen Ländern das Überleben
zu sichern.“ awe
22
»Mir war nichts bekannt«
Der Rektor der Wirtschaftshochschule WHU, Michael Frenkel, über den
Studenten Moritz E., der in London womöglich an Erschöpfung starb
Herr Frenkel, einer Ihrer
Studenten ist während
seines Praktikums bei einer
Großbank in London gestor-
ben. Nach mehreren durch-
wachten Nächten fand man
ihn tot in seiner Dusche.
Wissen Sie inzwischen mehr
über die genaue Ursache?
Nein.
Kannten Sie Moritz E.? Kaderschmiede
Ja. Er war zeitweise Michael Frenkel ist Rektor müssen, um ihre Karriere-
auch Studentenvertre- der Hochschule WHU in
ter. Ich habe ihn als Vallendar
sehr engagierten Stu-
denten erlebt, dem das Studium an
der WHU große Freude bereitet hat.
Praktikanten berichteten, dass
100 Wochenarbeitsstunden fast
normal seien. Waren Ihnen die
Bedingungen dort bekannt?
Unsere Studierenden müssen jeweils
nach Beendigung des Praktikums
einen Bericht verfassen,
in dem auch Arbeitsinhalt
und Arbeitsbedingungen
beschrieben werden.
Vom Ausmaß der in den
Medien beschriebenen
Arbeitsintensität ist mir
hieraus nichts bekannt
geworden.
Ist es üblich, dass Studen-
ten tagelang durcharbeiten
chancen zu verbessern?
Nein.
Wie bereitet die WHU Ihre
Studenten auf das Praktikum vor?
Bereits im ersten Semester enthält
das Bachelor-Studium einen Kurs
zum Thema Life-Management. Den
Studierenden steht außerdem seit
einiger Zeit ein Beratungsangebot
zur Verfügung, das wir gemeinsam
mit der Caritas entwickelt haben.
Wie beurteilen Sie die
harte Ausbildung des Ma-
nagement-Nachwuchses?
Das Studium erfordert
zwar ein hohes Maß an
Engagement der Stu-
dierenden, gleichzeitig
beachten wir die Arbeits-
belastung sehr genau.
Die Vielzahl der studen-
tischen Aktivitäten außer-
halb des Curriculums
zeigt aus meiner Sicht,
dass auch noch genü-
gend Zeit- und Freiraum
außerhalb des eigentli-
chen Studiums besteht.
Werden Sie Konsequen-
zen aus dem Tod Ihres
Studenten ziehen?
Da vieles noch unklar
und spekulativ ist, wäre
es dafür zu früh. wis
Foto: Bernd Roselieb/VISUM
Plötzlicher Tod
Der erst 21-jährige
Wirtschaftsstudent
Moritz E. verstarb
während seines
Praktikums in London
FOCUS 35/2013
 
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2013
Jeder kämpft
für sich allein
Peer Steinbrück stemmt sich verzweifelt gegen den Trend. In der SPD-Spitze
glaubt man nicht mehr an seinen Wahlsieg. Parteichef Gabriel und Fraktionschef
Steinmeier bringen sich für den Tag nach einer Niederlage in Stellung
D
er Fussel ist jetzt wichtiger. Ger-
hard Schröder sitzt an einem
roten Biertisch in Hannover und
blickt auf den textilen Makel auf sei-
ner Schulter. Vor ihm auf der Bühne
beschwört Peer Steinbrück den Wahl-
sieg der SPD. „Noch 32 Tage, dann ist
Regierungswechsel“, ruft der Kanzler-
kandidat, „dann sind wir diese Bundes-
regierung endlich los.“
Schröder muss vorher den Fussel los-
werden. Der Altkanzler schnippt ihn
energisch von seinem Jackett.
„Wir haben die schlechteste Regierung
seit der Wiedervereinigung“, sagt Peer
Steinbrück.
Schröder massiert sich die Schläfen.
„Ich will Kanzler der Bundesrepublik
Deutschland werden“, sagt Steinbrück.
Schröder blickt auf die Uhr.
Wenig später winkt Peer Steinbrück
den Altkanzler zum Schlussapplaus auf
die Bühne. Aber der Gerd winkt ab.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident
Stephan Weil bleibt lieber im Publikum
stehen. Peer allein unter Freunden.
Peer Steinbrück ist bemerkenswert
tapfer. Andere hätten in seiner Lage ver-
mutlich längst die Lust verloren. Nach-
dem er sich monatelang mit Pannen, mit
24
echten und vermeintlichen Fettnäpfchen Vor der Entscheidung
herumschlagen musste, hat der Kanz- Das Verhältnis
lerkandidat der SPD in den letzten zwischen Fraktions-
Wochen endlich Tritt gefasst. Er rackert, chef Frank-Walter
er kämpft, er verbreitet Optimismus. Steinmeier und
Auf die Direktkandidaten der SPD kann Parteichef Sigmar
er zählen: Sie kleben Plakate, eilen von Gabriel ist zerrüttet.
Haus zu Haus, stehen stundenlang in Nach der Wahl wird
Fußgängerzonen und diskutieren mit sich entscheiden,
Passanten. Worauf Steinbrück nicht wer den seit
mehr zählen kann, ist die Unterstützung Jahren schwelen-
der führenden Genossen. den Machtkampf
Natürlich treten Parteichef Sigmar gewinnt
Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter
Steinmeier bei seinen Veranstaltungen
im Wahlkampf auf, natürlich verbreiten
sie öffentlich Durchhalteparolen. Doch
daran, dass Peer Steinbrück wirklich die
Wahl gewinnt, dass er gar Kanzler einer
rot-grünen Koalition wird, daran glauben
sie nicht mehr, heißt es in Parteikreisen.
Foto: Thomas Trutschel/photothek.net
Foto: xxxxxx/FOCUS-Magazin Bxxxxx xxxxx
Während Steinbrück um den Wahlsieg
kämpft, sichern sich die Strippenzieher
in der Partei eine möglichst gute Start-
position für den Tag danach.
Für Partei- und Fraktionschef geht es
schon jetzt um die Deutungshoheit nach
der Wahl. Wer ist schuld an der Nieder-
lage? Und wer bestimmt nach der Nie-
derlage, wo es langgeht? Die Frage
FOCUS 35/2013


2013

„Wer wird Kanzler?“ beschäftigt keinen Kein Omaknutscher

mehr. Im Jahr 2013 geht es nur noch Früher hat Peer
darum, in welcher Konstellation Angela Steinbrück gern über
Merkel Kanzlerin bleibt. Das kleinere Politikerkollegen
Übel wäre aus Sicht der SPD eine Wie- gewitzelt, die sich
derauflage der großen Koalition. im Wahlkampf an
In Berlin kursiert in diesen Tagen eine Kinder und Senioren
Geschichte. Die Geschichte geht so: Sig- „ranschmeißen“,
mar Gabriel hat Besuch von einer PR- um schöne Bilder
Agentur. Mit Verve werden neue Themen für die Zeitung und
für die SPD präsentiert. Themen, mit denen das Fernsehen zu
man womöglich den Wähler mobilisieren produzieren.
kann. „Toll“, ruft Sigmar Gabriel begeis- Inzwischen hat der
tert, „das machen wir alles 2017.“ Selbst Kanzlerkandidat der
wenn diese Geschichte nicht stimmen soll- SPD seine Taktik
te, so glaubt sie doch jeder. Und das sagt in diesem Punkt
viel über die SPD und ihre Wahlkämpfer. geändert. Nicht
Über die Ambitionen des Parteichefs wird jeder ist davon
in diesen Tagen viel spekuliert. Zwei begeistert, wie diese
Wochen ist es her, da überrumpelte Sig- Aufnahme vom
mar Gabriel den Parteivorstand mit der Deutschland-Fest der
Idee, unmittelbar nach der Wahl einen Partei beweist
kleinen Parteitag einzuberufen. Ganz
offiziell diskutieren die Genossen da-
rüber, dass die Versammlung der Partei
die Möglichkeit geben soll, nach einem
schlechten Ergebnis Dampf abzulassen.
Außerdem sollen Kritiker einer großen
Koalition eingebunden werden. Die Ent-
scheidung solle nicht im Hinterzimmer
gefällt werden. Seitdem wird in den Hin-
terzimmern noch lebhafter über die Zeit
nach der Wahl debattiert.
Berlin-Wedding, Kurt-Schumacher-
Haus am vorvergangenen Sonntag. In
der Parteizentrale des Berliner Landes-
verbands treffen sich um 14 Uhr die unterschriftsreifen Koalitionsvertrag zur
wichtigsten Vertreter des linken Flügels. Abstimmung, müssten wohl auch die
Mit dabei Schleswig-Holsteins SPD-Vor- unwilligsten Mitglieder zustimmen. Schwarz-Rot vorn
sitzender Ralf Stegner, Juso-Chef Sascha Auch die Kritiker der großen Koalition
»Gesetzt den Fall, es gibt nach
Vogt, die Sprecherin der Parteilinken, halten diese Lösung am Ende für die
Hilde Mattheis, und der Sprecher der beste, weil man so die Verhandlungsfüh- der Bundestagswahl weder eine
Fraktionslinken, Ernst Dieter Rossmann. rer disziplinieren könne. Das Signal an Mehrheit für Schwarz-Gelb noch
Keine 24 Stunden ist es her, dass Peer diesem Sonntag: Selbst die Parteilinke für Rot-Grün, was wird die SPD
Steinbrück auf dem Deutschland-Fest stellt sich auf eine erneute große Koa- dann anstreben?«
der SPD vor dem Brandenburger Tor ver- lition an der Seite Angela Merkels ein. Opposition eine Koalition mit
kündet hat, dass er Kanzler werden will. Für die Spitzenleute in der SPD ist der CDU, CSU
eine Koalition 8%
Doch der Wahlsieg für Rot-Grün ist kein ein Ministeramt in der großen Koalition mit den
Thema in diesem Hinterzimmer. Disku- attraktiver als vier weitere Jahre in der Grünen und 13% 33%
tiert wird: ein Bündnis mit der Union. Opposition. Gabriel traut sich durchaus der FDP
Für ein solches Bündnis müssen die zu, als Vizekanzler neben Merkel die
Mitglieder befragt werden. Da ist sich SPD-Politik erfolgreicher und öffentlich- 26%
Quelle: TNS Emnid für Focus

die Runde einig. Aber wann ist der rich-
tige Zeitpunkt dafür?
Ließe man die Basis vor den Koaliti-
onsverhandlungen über das Bündnis
abstimmen, würde Schwarz-Rot sicher
verhindert. Stelle man dagegen einen
keitswirksamer zu verkaufen, als dies 20%
Franz Müntefering und Frank-Walter eine Koalition
mit den Grünen nichts davon/
Steinmeier in der letzten schwarz-roten und Der Linken weiß nicht/k. A.
Regierung gelungen ist. Der Parteivorsit-
zende könnte sich aber auch vorstellen, Volkes Stimme Bei unklaren Mehrheiten
als Fraktionschef nicht in die Kabinetts- glauben die Wähler an eine große Koalition

26 FOCUS 35/2013
 disziplin eingebunden zu sein und die
Regierungschefin von der Seitenlinie zu
attackieren, weiß man in der Parteizent-
rale. Steinmeier wiederum könnte ins
Auswärtige Amt zurückkehren.
Bei den Wählern ist ein solches Bündnis
beliebt. Die Mehrheit geht inzwischen
auch davon aus, dass die SPD bei unkla-
ren Mehrheitsverhältnissen eine Koali-
tion mit der Union eingehen wird. Laut
einer repräsentativen Emnid-Umfrage
für FOCUS halten 33 Prozent dieses
Bündnis für das wahrscheinlichste.
Auch für das Horrorszenario der
Genossen, eine schwarz-gelbe Mehr-
heit, treffen Steinmeier und Gabriel eif-
rig Vorkehrungen. Seit Jahren schwelt
ihr Machtkampf, und beide wissen,
dass bei einem Ergebnis unterhalb von
ist, wenn dein Traumauto
25 Prozent die Schuldfrage gestellt wür-
de. Steinbrücks Rückzug wäre eine Fra-
Wirklichkeit wird.
ge von Stunden, danach müssten auch
Gabriel und Steinmeier um ihr Amt zit-
tern. Dem versuchen beide vorzubeugen.
„Das Interesse am Gespräch mit uns
ist plötzlich auffallend groß“, sagt der
4,75 %
Effektivzins
SPD-Funktionär eines Landesverbands.
„Erst sitzt völlig überraschend Frank- Der Autokredit
Walter Steinmeier bei uns im Büro.“
Ganz verdutzt sei man gewesen über
den hohen Besuch auf dem Lederso-
fa. Sechs Tage später habe sich Sigmar Jetzt einsteigen:
Gabriel am Rande einer Veranstaltung
zuckersüß gezeigt. Das Ziel der Charme- ■ Niedrige Zinsen, keine Zusatzkosten
offensive: „Beide wollten sich Zustim-  Fester Sollzins 4,65 % p. a.
mung und Rückhalt für den Konvent  Effektivzins 4,75 % p. a.
sichern.“
Steinmeier kann seinen Groll über den ■ Kreditbetrag 5.000 bis 50.000 Euro
Parteikonvent bei diesen Begegnungen ■ Laufzeit 24 bis 84 Monate
kaum verbergen. Der Fraktionschef
interpretiert Gabriels Überraschungs- ■ Kostenlose Sondertilgung jederzeit möglich
coup als Angriff auf seine Person. Ganz
falsch liegt er damit wohl nicht. „Gabriel Die Zinsen sind bei uns für alle Kunden gleich.
hat den Hammer rausgeholt und sich
den Hut aufgesetzt“, ätzt eine Genos-
sin. Der Parteichef wolle den ersten Zug
machen und nicht abwarten müssen,
was Steinmeier und die neue Bundes- Direkt beantragen!
tagsfraktion bei ihrer konstituierenden
Sitzung beschließen. Diesbezüglich ist 069 / 50 50 20 53
Foto: Henning Schacht/ddp images

Gabriel ein gebranntes Kind: Vor vier

Jahren hatte Steinmeier noch am Abend
der Wahlniederlage den Fraktionsvorsitz www.ing-diba.de
für sich reklamiert – wohl wissend, dass
auch Gabriel Ambitionen auf diesen Pos-
ten hegte. Einen erneuten handstreich-
artigen Beschluss will Gabriel dieses Mal
unbedingt verhindern.

FOCUS 35/2013


2013
Das Gabriel-Lager geht
davon aus, dass der Parteichef
wegen seiner Verdienste um
den Wiederaufbau der demo-
ralisierten SPD nach 2009 auf
den Rückhalt der Basis hoffen
darf. Manch einer spekuliert
auch darauf, dass Vertreter
des linken Flügels den Kon-
vent für eine Abrechnung mit
Steinmeier nutzen könnten.
Der linke Parteiflügel kreidet
dem Fraktionschef die Strate-
gie in der Euro-Politik an. Unter Steinmei-
ers Führung kritisierte die SPD-Fraktion
die Rettungspolitik der Regierung oft laut,
den Rettungspaketen stimmte sie aber
aus Staatsräson stets zu. „Eine Opposition
wird vor allem über das Nein wahrge-
nommen“, sagt ein führender SPD-Lin-
ker. „Steinmeier hat die Oppositionsar-
beit in diesem Punkt komplett verweigert,
und darüber wird zu reden sein.“
Auch die Getreuen von Frank-Walter
Steinmeier rüsten auf. Das Lager des
Fraktionschefs verbreitet den Ärger über
Gabriels neueste Pannenkommunikation
in der Steuerpolitik. Nachdem die SPD
mit der Ankündigung von Steuererhö-
hungen in den Wahlkampf gezogen war,
hatte der Parteichef in der vergangenen
Woche plötzlich Steuersenkungen ins
Spiel gebracht und damit Freund und
Feind verwirrt. „Das nützt doch nur der
CDU“, schimpft ein Parlamentarier. Auch
die Kritik des ehemaligen SPD-Vorsit-
zenden Franz Müntefering am misslun-
genen Wahlkampfauftakt wird gern als
Warnschuss für Gabriel gedeutet.
Für Wahlkampf bleibt bei so viel Kar-
riereplanung natürlich nicht viel Zeit. In
der vergangenen Woche versuchte das
„ZDF-Morgenmagazin“ vergeblich, einen
der beiden SPD-Spitzengenossen dafür
zu gewinnen, die Griechenland-Politik
der Regierung zu kritisieren. An sich
im Wahlkampf eine dankbare Aufgabe.
Aber weder Gabriel noch Steinmeier
konnten die fünf Minuten für ein kurzes
Interview am Morgen erübrigen. Leiden-
schaftlicher Wahlkampf sieht anders aus.
An der Basis wächst der Unmut über
das Postengeschacher. „Das kotzt mich
total an“, sagt eine Bundestagsabgeord-
nete. Sie steht im SPD-T-Shirt in der pral-
len Sonne und verteilt rote Kugelschrei-
ber an Passanten. „Eigentlich könnte
ich hier auch einpacken.“ Das sei kein
28
Die SPD
und das
Foto-Model
Pannen ohne Ende:
Die Partei hat ein Problem
mit ihrer Wahlwerbung
F ür ihre Wahlplakate
habe die SPD ganz nor-
male Menschen in ihrer „le-
bensweltlichen Umgebung“
verwendet und auf profes-
sionelle Models verzichtet,
behauptete Generalsekre-
tärin Andrea Nahles Ende
Juli. Zumindest in einem
Fall stimmt das nicht. Die
als „Gebäudereinigerin“ ab-
gebildete Berlinerin Corinna
Bernhardt ist nicht nur in
Wahrheit Verkäuferin in Teil-
zeit, sondern auch als Model
(Körpergröße 1,72 Meter,
Textilgröße 42/44, blond,
blaue Augen) bei der Agentur
indeed gelistet. Sie hat für
verschiedene Werbekampag-
nen gearbeitet. Nahles sieht
trotzdem keinen Grund, von
ihrer Aussage abzurücken.
Bernhardt und ihre Agentur
wollen sich nicht äußern –
sie haben eine Verschwie-
genheitserklärung gegenüber
der SPD abgegeben. Über
das Plakat hatte sich bereits
der Bundesverband der Ge-
bäudereiniger beschwert,
weil es den dort geforderten
Mindestlohn schon gibt. fu
Wahl-, sondern der Macht-
kampf zwischen drei Typen,
denen es nur um ihr persön-
liches Schicksal gehe.
„Einfach nur noch ekel-
haft“, findet eine Mitarbei-
terin der Bundestagsfraktion
das Geschacher.
Der Chef der baden-würt-
tembergischen SPD, Nils
Schmid, spricht es offen aus:
„Die Bundestagskandidaten,
die Basis, die Mitglieder und
Helfer wollen nichts, ausdrücklich nichts
hören von dem, was nach der Wahl pas-
siert.“ Ähnlich sieht das der frühere Par-
teichef Kurt Beck: „Das Dümmste, was
wir jetzt tun könnten, ist über etwas
anderes als einen rot-grünen Wahlsieg
zu reden“, mahnt er seine Parteifreun-
de. Auch die Wahlkämpfer in Hessen,
wo zeitgleich zur Bundestags- auch
eine Landtagswahl stattfindet, blicken
genervt in die Hauptstadt. „Wir haben
keine Zeit für Therapiestunden“, sagt
Hessens SPD-Generalsekretär Michael
Roth. „Wer mit wem nicht kann, damit
halten wir uns nicht mehr auf.“
In Hessen hat die SPD immerhin die
Chance zu gewinnen, in Bayern geht
die Angst vor dem Super-GAU um. Soll-
te SPD-Spitzenkandidat Christian Ude
hinter die katastrophalen 18,6 Prozent
der vergangenen Landtagswahl zurück-
fallen, wäre das für die SPD eine Woche
vor dem bundesweiten Urnengang ein
Tiefschlag. Ausschließen kann man das
nicht mehr. In Schwaben würde sie gera-
de einmal 15 Prozent erreichen. Und in
Niederbayern liegen die Sozialdemo-
kraten nach bisher unveröffentlichten
Umfragen in der Wählergunst inzwi-
schen hinter CSU, Freien Wählern und
Grünen auf dem vierten Platz.
Von diesen Horrorzahlen ist die SPD
im Bund noch ein gutes Stück entfernt.
Allerdings denken auch in Berlin eini-
ge schon über das Undenkbare nach.
„Wenn wir unter 20 Prozent kommen,
gibt es wenigstens keine Machtkämp-
fe mehr“, sagt ein altgedienter Genosse
mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.
„Dann sind die alle weg.“ ■
ULRIKE DEMMER / ANDREAS NIESMANN /
BEATE SCHINDLER /
KATRIN VAN RANDENBORGH /
THOMAS ZORN
FOCUS 35/2013
 FOCUS-Wählerspektrum:
eng für Schwarz-Gelb – AfD und Piraten mit Potenzial
E s kann noch mal span-
nend werden bis zum
22. September. Die Chan-
43 % FOCUS-Wählerspektrum
sicher wahrscheinlich möglich
cen von AfD und Piraten, 37 % Es bewegt sich etwas
doch noch in den Bundestag Die INSA-Demoskopen haben
einzuziehen, sind gestiegen. vorvergangene Woche 2122
32 %
Die FDP hat inzwischen 30 % Bürgerinnen und Bürger nach ihren
mehr sichere Stimmen, je- Wahlvorhaben am 22. September
doch ein geringeres Poten- befragt. Das Wählerspektrum zeigt,
25 %
zial auf weiteren Zugewinn. welche Stimmenanteile sicher,
INSA-Chef Hermann Binkert wahrscheinlich und möglich sind.
20 %
sieht keine Chance mehr für 19 %
Rot-Grün. Jedoch ist auch
eine Fortsetzung der bisheri- 15 %
gen Regierung nicht sicher.
11 %
„Für eine schwarz-gelbe 10 %
Koalition müssten Union 8% 8% 5% 5%
und FDP ihr Potenzial voll 6% 3% 3%
5% 2% 2%
ausschöpfen“, so Mei- 4%
nungsforscher Binkert.

Sie hat auf

alles eine
Frage.
illner intensiv
ab 27. August
P O LI T I K
»Menschen
wehzutun
ist keine
gute Politik«
Frau Bundeskanzlerin, raten Sie mal, was
der Taxifahrer, der uns eben zum Kanzleramt
gefahren hat, von Ihnen wissen möchte!
Was denn?
Er möchte wissen, ob Sie so beliebt sind,
weil Sie nur wenigen Leuten wehtun.
Menschen wehzutun ist noch kein Aus-
weis guter Politik. Einige politische Ent-
scheidungen, die ich getroffen habe,
waren alles andere als leicht. Nicht jeder
unserer Schritte zur Stabilisierung der
Euro-Zone wurde mit Jubel aufgenom-
men. Auch die Rente mit 67 ist sicher
keine populäre Maßnahme – aber sie ist
richtig und notwendig. Meine Aufgabe
ist es, das Richtige und Notwendige zu
tun, um unseren Wohlstand von morgen
zu sichern und für Generationengerech-
tigkeit zu sorgen. Bei alledem versuche
ich immer, die Sorgen und Einwände der
Bürger zu verstehen.
Lassen Sie uns darüber reden, was Sie
nach der Wahl anpacken wollen. Es sind ja
nur noch vier Wochen. Wenn Sie es wieder
schaffen, wird es Ihre letzte Amtszeit . . .
. . . es wird meine nächste Amtszeit, wenn
die Bürger uns das Vertrauen geben.
Heißt das, Sie treten auch
für eine vierte Amtszeit an?
Ich trete für die volle nächste Amtszeit
an. Die übernächste Wahl steht heute
wirklich nicht zur Debatte, wo erst ein-
mal die nächste Wahl in vier Wochen
stattfindet. Wir sollten im Übrigen über
Deutschland sprechen, nicht über mich.
Was haben Sie sich vorgenommen
für Deutschland?
Sehr vielen Menschen geht es heute bes-
ser als vor acht Jahren, als ich Bundes-
30
Angela Merkel über ihren
Regierungsstil, Steuer-
und Strompreispläne sowie
den richtigen Partner
für eine dritte Amtsperiode
als Bundeskanzlerin
kanzlerin wurde, und besser als vor vier
Jahren, als die christlich-liberale Bun-
desregierung gewählt wurde. Darauf
will ich aufbauen. Auch in vier Jahren
sollen viele für sich feststellen können,
dass sich wieder etwas für sie, ihre Fami-
lien, ihre Arbeit im Vergleich zu heu-
te verbessert hat. Bleiben wir bei den
Familien: Mir geht es um ein besseres
Miteinander der Generationen, um bes-
sere Rahmenbedingungen, damit Eltern
mit Kindern nach ihren eigenen Vor-
stellungen ihr Leben gestalten können.
Wer Familie und Beruf vereinbaren will,
soll es künftig leichter haben, deshalb
investieren wir Milliarden in mehr Kin-
derbetreuungsplätze und haben einen
Rechtsanspruch auf Betreuung für unter
Dreijährige eingerichtet. Und obwohl die
Arbeitslosenzahl von fünf Millionen jetzt
auf weniger als drei Millionen gesunken
und das eine sehr gute Entwicklung ist,
wollen wir noch mehr Menschen wieder
in Beschäftigung bringen, faire Beschäf-
tigung . . .
Was ist faire Beschäftigung?
Bei der Leiharbeit sind wir ein gutes
Stück vorangekommen. Für diesen
Bereich bedeutet der tarifliche Mindest-
lohn einen echten Fortschritt. Nun müs-
sen wir aufpassen, dass vernünftige
FOCUS 35/2013
 Foto: Marko Priske für FOCUS-Magazin

Kanzleramt Der Konferenztisch in

ihrem Büro ist Angela Merkels bevorzugter
Arbeitsplatz – nicht nur für Interviews.
Im Hintergrund hängt ein Porträt Konrad
Adenauers, gemalt von Oskar Kokoschka

31
P O LI T I K
tarifliche Abmachungen nicht umgan-
gen werden. Bei dem im Grunde sinn-
vollen Instrument der Werkverträge gibt
es Auswüchse. Wo sie zum Schlupfloch
werden, um den Beschäftigten vernünfti-
ge Bedingungen zu verweigern, werden
wir das nicht hinnehmen.
Gibt es auch „Auswüchse“ ganz oben –
zum Beispiel bei Managergehältern?
Die gibt es. Auch das Thema Vorstands-
vergütung gehört für mich zu einer fai-
ren Arbeitswelt. Wir haben in dieser
Sache schon gehandelt, indem wir bei
der Festlegung der Vorstandsvergütun-
gen den Aktionärshauptversammlungen
mehr Verantwortung geben wollen. Das
ist nicht mehr nur den Aufsichtsräten
überlassen. Dafür muss jetzt noch der
Bundesrat den Weg frei machen.
In Ihrer zweiten Amtszeit haben Sie einen
Personal-Exodus erlebt. Sie haben nicht
nur mehrere Minister verloren, sondern
auch zwei Bundespräsidenten, die Ihre
persönliche Wahl waren. War der Rücktritt
Christian Wulffs aus heutiger Sicht nötig?
Der Rücktritt war seine Entscheidung,
die ich respektiere. Wir haben heute
einen neuen Bundespräsidenten.
Am Ende reicht es bei Wulff womöglich
nicht einmal für eine Anklage.
Das ist allein Sache der Justiz, warten
wir es ab.
Wulff ist ja eng mit der CDU verwachsen.
Sollte er in die Politik zurückkehren?
Christian Wulff ist als Altbundespräsi-
dent durchaus schon aktiv. Dabei hat er
meine volle Unterstützung.
Vor zehn Jahren haben Sie in einer viel
beachteten Rede gewarnt, Deutschland
lebe von der Substanz. Sie haben damals
offen Einschnitte und Zumutungen ein-
gefordert. Wo bleiben weitere Reformen?
Deutschland ist in diesen zehn Jahren
ein gutes Stück vorangekommen. Ger-
hard Schröder brachte die Agenda 2010
ein, die viele Ideen der Union aufnahm
und deshalb auch mit unserer Unterstüt-
zung umgesetzt wurde. In der großen
Koalition haben wir die Rente mit 67
beschlossen, die wir brauchen, um auf
die höhere Lebenserwartung zu reagie-
ren, die ja an sich eine sehr positive
Entwicklung ist. Zudem haben wir im
Gesundheitsbereich eine wichtige Ver-
änderung vorgenommen, indem wir die
Gesundheitskosten von den Arbeitskos-
ten entkoppelt haben. Das hilft unserer
Wirtschaft und sichert unzählige Arbeits-
plätze.
32
Stationen
einer Kanzlerschaft
Wir brauchen also keine weiteren Reformen?
Die sozialen Sicherungssysteme Rente, 2005 Adieu, Schröder
Pflege und Gesundheit stehen wegen Gerhard Schröder kann es am Wahlabend
der erfreulichen Beschäftigungslage zur- in der Fernsehrunde noch nicht fassen:
zeit recht gut da. Trotzdem müssen wir Er wird das Kanzleramt für die CDU-Chefin
uns auf vielen Gebieten anstrengen, Angela Merkel räumen müssen.
denn schon allein auf Grund der Alte-
rung unserer Gesellschaft und der gerin-
geren Zahl junger Menschen könnte es
sein, dass es in unserem Land bis 2025
rund sechs Millionen Arbeitskräfte weni-
ger gibt als heute. Deshalb müssen wir
alles tun, damit jeder junge Mensch, der
dazu in der Lage ist, seine Ausbildung
abschließt. Auch jungen Menschen
bis 35, die aus welchen Gründen auch
immer ohne Abschluss geblieben sind,
wollen wir neue Chancen geben, damit
sie im Arbeitsmarkt Fuß fassen können. 2008 Treueschwur zu Israel
Was kommt konkret? In ihrer Rede vor der Knesset in Jerusalem
Ich denke zum Beispiel an die nicht verspricht Merkel: „Die Sicherheit
geringe Zahl von Studienabbrechern, Israels ist für mich als deutsche
denen künftig eine Ausbildung offen- Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“
stehen soll, bei der ihre Uni-Vorkenntnis-
se angemessen berücksichtigt werden.
So wollen wir mehr jungen Menschen
eine Perspektive eröffnen.
Bei sechs Millionen fehlenden Arbeits-
kräften reicht das nicht annähernd.
Brauchen wir mehr Zuwanderer?
Die Bundesregierung hat die Anerken-
nung ausländischer Berufsabschlüsse
vorangetrieben, das ist eine konkrete
Hilfe für Zehntausende von qualifizierten
Migranten, die seit Jahren bei uns leben.
Nun müssen allerdings einige Bundes-
länder noch ihre Hausaufgaben bei der 2009 Präsidenten-Pech
Umsetzung machen. Auf europäischer Mit Unterstützung der CDU-Chefin
Ebene brauchen wir nicht nur einen wird Horst Köhler für eine zweite
Binnenmarkt für Waren und Dienstleis- Amtszeit gewählt. Ein Jahr später
tungen, sondern in Zukunft auch einen wirft er entnervt hin.
gemeinsamen Arbeitsmarkt. So selbst-
verständlich, wie junge Leute wegen der
Arbeitschancen von einem Bundesland
in ein anderes ziehen, sollen sie auch in
ganz Europa eine Ausbildung oder eine
Arbeitsstelle finden können. Ich setze
mich in der EU dafür ein, dass wir Schritt
für Schritt einen solchen Beschäftigungs-
Binnenmarkt entwickeln.
Sie haben die FDP gerade wissen lassen,
dass auch eine weitere große Koalition mit 2010 Kurze Freude
der SPD eine Machtoption ist. So etwas Mit größter Mühe kann Angela Merkel
muss man nicht sagen. Warum machen Christian Wulff als Bundespräsidenten
Sie es Ihrem kleinen Partner so schwer? durchsetzen. Doch nach nur anderthalb
Wenn ich gefragt werde, ob ich eine Jahren im höchsten Amt tritt er zurück.
Koalition mit der SPD ausschließe, ant-
worte ich, dass ich das nicht kann, son- 2011 Stars & Stripes
dern schlicht unglaubwürdig wäre, weil US-Präsident Barack Obama verleiht
der Kanzlerin die Freiheitsmedaille.
Joachim Sauer und Michelle Obama freut’s.

2007 Gastgeberin für die Welt
Die Bundeskanzlerin empfängt die
(anderen) Großen der Welt zum G-8-Gipfel
in Heiligendamm: Nicolas Sarkozy,
Wladimir Putin, George W. Bush und
Tony Blair kommen nach Deutschland.
2008 Schutzmacht für Sparer
Angela Merkel gibt gemeinsam mit
Finanzminister Peer Steinbrück eine
Garantie für die Spareinlagen ab.
2009 Wieder da
Die schwarz-rote Kanzlerin macht weiter
als schwarz-gelbe Kanzlerin.
Regierungschefin in zwei Koalitionen –
das gab es nie zuvor in Deutschland.
FOCUS 35/2013
ich schon einmal eine große Koalition
geführt habe. Aber das Entscheidende
ist, dass ich eine solche Koalition nicht
anstrebe, sondern – im Gegenteil – aus
voller Überzeugung die Koalition mit
den Liberalen fortsetzen will, weil sie
das Beste für unser Land ist.
Und wenn wir Sie jetzt fragen, ob auch
Schwarz-Grün eine Option ist?
Dazu habe ich das Entscheidende vor
Jahr und Tag gesagt.
Sie meinen die Feststellung „Schwarz-Grün
ist ein Hirngespinst“?
Genau. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Realität ist die sehr erfolgreiche
christlich-liberale Koalition.
Ein Harmoniebündnis ist das aber nicht . . .
Wir hatten einen schwierigen Start, das
stimmt, aber wir haben uns zusammen-
gerauft, und seit geraumer Zeit arbeiten
wir hervorragend zusammen. Wenn ich
allein auf die wichtigen Themen schaue,
wie Arbeitsplätze, gute Rahmenbedin-
gungen für die Wirtschaft, Bildung, For-
schung, Energiewende, dann sehe ich
die mit Abstand größten Übereinstim-
mungen der Union mit den Liberalen.
Aber auch Ihnen kann nicht entgangen
sein, dass die Grünen im bürgerlichen
Lager beachtlich Fuß fassen. Hat das keine
Konsequenzen für die Machtoptionen?
Schwarz-Grün steht nicht auf der Tages-
ordnung. In einem jedoch haben Sie
Recht: Es gibt nicht mehr die starren
Trennlinien zwischen den verschiede-
nen Parteien und politischen Lagern,
wie es sie vor vielen Jahren gab. Darü-
ber können wir alle aber auch froh sein.
Atomkraft, Frauenquote, Mindestlöhne,
Ende der Wehrpflicht – die großen
Hürden sind weg. Ist Ihre Distanz zu
den Grünen da noch glaubwürdig?
Durch die Überwindung der Kontro-
verse um die Kernenergie ist ein gro-
ßes Streitthema unserer Gesellschaft
ausgeräumt, und jetzt geht es um eine
erfolgreiche Umsetzung der Energie-
wende. Wenn wir ansonsten die poli-
tischen Konzepte der CDU mit denen
von SPD und Grünen vergleichen,
so werden wichtige Unterschiede
deutlich. Die Grünen wollen zum Bei-
spiel einen Schuldentilgungsfonds für
alle Euro-Staaten. Das lehnen wir ab,
er würde völlig falsche Anreize set-
zen und die notwendigen Reformen
in einigen Ländern erlahmen lassen.
SPD und Grüne wollen die Steuern
erhöhen oder neue einführen, denken
Sie an die Vermögensteuer, eine höhe-
re Belastung der Einkommen oder die
Streichung des Ehegattensplittings,
all das halten wir für falsch. Auch das
Verhältnis zwischen Politik und Bür-
gern sehen wir grundlegend anders.
Wie sehen Sie das Verhältnis von
Politik und Bürgern?
Wir schätzen die Verschiedenartigkeit
der Menschen, ihre Vielfalt ist für uns
eine Stärke. Das heißt, dass wir die
Menschen selbst entscheiden lassen,
wie sie leben wollen, statt uns stän-
dig einzumischen und Verbote aus-
sprechen. Auch viele CDU-Wähler
interessieren sich sehr für gesunde
Ernährung, alternative Medizin oder
Umweltthemen, aber wir schreiben
niemandem vor, was richtig und falsch
ist und was er oder sie zu tun hat.
Ein Beispiel?
Es ist ja eine urchristliche Tradition, am
Freitag kein Fleisch zu essen. So wur-
de auch ich als Kind erzogen. Aber die
Fotos: Peer Grimm (2), Tim Brakemeier (2), Annegret Hilse/SVEN SIMON, Dmitr y Astakhov/epa, Rainer Jensen, Olivier Doulier y/Abaca/alle dpa
Entscheidung, wann und wie Fleisch
auf den Tisch kommt, sollte dennoch
jeder selbst treffen. Ich bin auch sehr
dafür, dass in jeder Kantine vegetari-
sches Essen angeboten wird, aber es
liegt mir fern, anderen Menschen alles
vorzuschreiben.
Eine der gravierendsten Entscheidungen
Ihrer zweiten Amtsperiode war
die Energiewende. War es leichtfertig,
am Vorabend einer Landtagswahl die
Energieversorgung der wichtigsten
europäischen Industrienation zu opfern?
Nein, das tun wir nicht. Vielmehr stel-
len wir als erste große Industrienation
auf erneuerbare Energien um, worin für
unser Land viele Herausforderungen,
aber auf lange Sicht noch größere Chan-
cen liegen.
Würden Sie wieder so entscheiden?
Ja. Nach der Reaktorkatastrophe von
Fukushima war der schnellere Ausstieg
aus der Kernkraft zwingend.
Warum kommen wir bei
der Energiewende nicht voran?
Haben Sie das schon analysiert?
Wir kommen voran, und die Punkte, die
verbessert werden müssen, analysiere
ich nahezu täglich.
Und wie ist das Ergebnis?
Wenn es ein Land gibt, das eine solch
große Herausforderung bewältigen
kann, dann ist das eine Ingenieursna-
tion wie Deutschland. Weltweit blicken
viele Länder in der Energiepolitik auf
33
Trauer um die Opfer
Mehr als 50 deutsche
Soldaten mussten in
Afghanistan ihr Leben lassen
Wie können wir das Töten stoppen,
Frau Merkel?
Brennpunkt Afghanistan
Die Bundeswehr zieht bald aus Afgha-
nistan ab. War dieser Einsatz das Leben
von über 50 gefallenen Soldaten und
Milliarden Euro Steuergeld wert?
Mit dem 11. September 2001 wurde
besonders deutlich, dass der internati-
onale Terrorismus eine Gefahr für die
westlichen Demokratien und den Frie-
den in der Welt ist. Afghanistan war
Rückzugsort und Trainingsgelände für
al-Qaida. Das ist Afghanistan heute so
nicht mehr. Unser Einsatz dort war des-
halb richtig. Insgesamt ist es gelungen,
das Land zu stabilisieren. Vielen Men-
schen dort geht es heute besser als vor
zehn Jahren. Jetzt ist es an der Zeit, die
Verantwortung wieder an das afghani-
sche Volk zu übergeben.
Sollte man die afghanischen Helfer der
Deutschen, die mit dem Tode bedroht
sind, großzügig bei uns aufnehmen?
Ich habe mich persönlich bei meinem
letzten Besuch in Afghanistan auch zu
dieser konkreten Frage erkundigt. Es ist
klar, dass wir jeden Einzelfall für sich
betrachten müssen. Dabei gilt, dass
diejenigen unserer afghanischen Hel-
fer, deren Sicherheit dort tatsächlich in
Gefahr ist, die Chance erhalten sollten,
nach Deutschland zu kommen.
34
Brennpunkt Ägypten
Ägypten versinkt in Chaos und Gewalt.
Die EU will die Waffenlieferungen
in das Land stoppen. Ist das alles,
was Europa jetzt tun kann?
Es geht ein tiefer Riss durch die ägyp-
tische Gesellschaft. Diesen zu über-
winden ist in erster Linie Aufgabe der
Ägypter selbst. Wir sind aber natürlich
bereit, dabei zu helfen, und bieten auch
weiterhin unsere Vermittlung zwischen
den Muslimbrüdern und der neuen Füh-
rung des Landes an. Dabei drängen wir
auf die Einbeziehung aller politischen
Kräfte in die ägyptische Politik, auf einen
Transformationsprozess hin zu Rechts-
staatlichkeit und Demokratie. Niemand
gewinnt, wenn die öffentliche Ordnung
zusammenbricht, Kirchen, Schulen und
Polizeistationen brennen, Menschen
ermordet werden, willkürliche Verhaf-
tungen stattfinden und der gesellschaft-
liche Zusammenhalt immer schwächer
wird.
Wie soll Europa reagieren?
Angesichts der dramatischen Entwick-
lungen haben wir unsere bilateralen
Beziehungen und die der EU zu Ägypten
auf den Prüfstand gestellt, dazu haben
sich die Außenminister am Mittwoch
in Brüssel beraten. Der ägyptischen
Zivilgesellschaft soll die Unterstüt-
zung dagegen nicht entzogen werden.
Laufende Projekte, die den Menschen
unmittelbar zugutekommen, wie zum
Beispiel in den Bereichen Demokrati-
sierung oder Wasserversorgung, wollen
wir daher fortführen. Ägypten ist ein
Schlüsselland in der arabischen Welt.
Die Entwicklungen dort sind auch für
uns in Europa wichtig.
Brennpunkt Syrien
Die Welt ist entsetzt über einen möglichen
Giftgasangriff auf Zivilisten in Syrien.
Wie muss die internationale Gemeinschaft
reagieren, sollte sich dieser Verdacht
bestätigen?
Die Berichte und Videos über die-
sen mutmaßlichen Giftgaseinsatz sind
erschütternd. Jetzt geht es darum, den
Uno-Inspekteuren, die bereits in Syrien
sind, schnellstmöglich Zugang zum Ort
des Geschehens zu verschaffen. Leider
hat der Widerstand Russlands und Chi-
nas eine eindeutige Aufforderung des
Uno-Sicherheitsrats an das syrische
Regime verhindert, den freien Zugang
der Kontrolleure zu gewährleisten. Wir
werden aber weiterhin auf Aufklärung
drängen.
FOCUS 35/2013
 uns. Und wenn ich umgekehrt auf deren
Probleme schaue, so sehe ich, dass zum
Beispiel mein indischer Kollege Manmo-
han Singh binnen zehn Jahren 200 Milli-
onen Ausbildungsplätze schaffen muss.
Da werden wir in Deutschland in dersel-
ben Zeit doch wohl mit zehn Gigawatt
Zubau bei den Offshore-Windenergie-
Anlagen zurechtkommen. Wir sehen ja
bei der Energiewende im Übrigen auch
durchaus schon Erfolge.
Welche?
Die Netzplanung für die großen Über-
landleitungen steht, viele Planungsver-
fahren sind beschleunigt. Und vielleicht
das Wichtigste: Bund und Länder, ohne
deren Zusammenwirken gar nichts gin-
ge, haben ein gutes Miteinander gefun-
den. Dass wir bei der Energiewende
zusammenhalten, ist aber auch entschei-
dend wichtig.
Aber nicht einmal der FDP-Wirt-
schaftsminister und der
CDU-Umweltminister sind sich einig.
Sie sind sich darin einig, dass wir unmit-
telbar nach der Bundestagswahl eine
Reform des Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes (EEG) brauchen.
Wie soll diese Reform aussehen?
Angesichts von jetzt schon rund 25
Prozent erneuerbaren Energien in der
Stromversorgung müssen der weite-
re Ausbau der erneuerbaren Energien,
der Ausbau der Leitungen und die Ver-
fügbarkeit grundlastfähiger Kraftwerke
besser miteinander koordiniert werden.
Was heißt das konkret?
Statt dass der eine für sein Windrad, der
Zweite für die Leitungen und der Dritte
für die Ersatzkraftwerke kämpft, brau-
chen wir eine aufeinander abgestimmte
nationale Kraftanstrengung. Es muss für
die Energieversorger klar berechenbar
sein, wie wirtschaftlich ihre Investitionen
in Kraftwerke sind. Sie müssen wissen,
Fotos: Marko Priske für FOCUS-Magazin, Nigel Treblin/dpa
woran sie sind. Dafür brauchen wir unter
anderem ein gemeinsames europäisches
Ziel für die CO2-Emissionsreduzierung.
Der Verbraucher sieht nicht ein, dass
er mit seiner Stromrechnung für
politische Experimente zahlen muss!
Keine Frage: Die Kosten müssen
beherrschbar sein. Die EEG-Umlage
– die Umlage für den Öko-Strom – ist
stärker gestiegen, als das vorausgesagt
wurde, insbesondere weil mittlerweile
so viele von der Solarstrom-Förderung
profitieren wollen und der Ausbau an
Photovoltaik alle Rekorde bricht.
FOCUS 35/2013
Die Umlage ist auch deshalb so
stark gestiegen, weil viele Unter-
nehmen Rabatte bekommen.
Es ist wichtig, dass Energie auch in
Zukunft bezahlbar bleibt – und das gilt
für Bürger wie für die Wirtschaft. Darum
werden wir gleich nach der Wahl darü-
ber sprechen, wie man das Erneuerbare-
Energien-Gesetz grundlegend reformie-
ren kann. Ich sehe dabei nur ein einziges
Tabu: Wir werden nicht in den Bestand
an Erneuerbare-Energie-Anlagen von
Altinvestoren eingreifen und rückwir-
kend Änderungen vornehmen.
Die Euro-Krise war das wichtigste Thema der
letzten Jahre. Ist sie nun ausgestanden?
Ausgestanden ist sie natürlich noch
nicht, aber wir sind ein gutes Stück vo-
rangekommen. Den Investoren in aller
Welt ist klar geworden, dass die Euro-
Zone zum Euro steht. Es war richtig,
dass die Bundesregierung seit Beginn
der Staatsschuldenkrise konsequent auf
eine Stabilitätsunion und nicht auf eine
Schuldenunion gesetzt hat.
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Auch wenn es in einigen Ländern ein
sehr beschwerlicher Weg mit vielen
schmerzhaften Veränderungen ist, auch
wenn die Arbeitslosenquote in den von
der Krise besonders betroffenen Ländern
erst einmal noch gestiegen ist, gibt es
doch überall Signale, die uns hoffnungs-
voll stimmen können. In der Euro-Zone
gab es im letzten Quartal zum ersten Mal
seit längerer Zeit wieder etwas Wachs-
tum. Auch in Griechenland gibt es posi-
tive Entwicklungen.
Jetzt ist von einem dritten Hilfspaket für
Griechenland die Rede. Kommt am Ende
doch ein Schuldenschnitt, wie es sogar
Abgeordnete Ihrer Partei befürchten?
Ich sehe keinen Schuldenschnitt in
Griechenland.
Gastgeberin und Gäste Angela Merkel
empfing die FOCUS-Redakteure
Daniel Goffart, Margarete van Ackeren
und Jörg Quoos (v. l.) im Kanzleramt
Sehen Sie vielleicht nach der Wahl klarer?
Die Bundestagswahl hat damit nichts zu
tun. Ich warne ausdrücklich vor einem
Schuldenschnitt. Er könnte einen Domi-
no-Effekt der Verunsicherung auslösen,
an dessen Ende die Investitionsbereit-
schaft privater Anleger in der Euro-
Zone wieder gen null geht. Das wol-
len wir auf gar keinen Fall. Wir werden
uns 2014, wie es festgelegt ist, erneut
mit der Frage befassen, wie die Ent-
wicklung des Schuldenstandes und der
Strukturreformen in Griechenland ist.
Bis dahin hat das Land noch viel zu
tun und muss weiter konsequent seine
Reformen umsetzen.
Können Sie verstehen, wenn sich
viele Deutsche als Zahlmeister fühlen
für Nachbarn, die weniger arbeiten
und früher in Rente gehen?
Die allermeisten Deutschen wissen,
dass es auch Deutschland auf Dauer
nur gutgeht, wenn es Europa gutgeht.
Deshalb haben wir Europäer von den
von der Krise betroffenen Ländern ja
einschneidende Reformen verlangt.
Ihre Wettbewerbsfähigkeit muss sich
verbessern. Unsere Solidarität war stets
an Eigenanstrengung und Eigenverant-
wortung gebunden. Und noch einmal:
Die Bürger der Länder, die wir unter-
stützen, haben viel zu ertragen, ich sehe
das mit viel Respekt.
Ist Europa eine Opfergemeinschaft?
Zunächst einmal ist Europa eine Frie-
densgemeinschaft, wie sie dieser Konti-
nent zuvor nie erlebt hat. Eine Gemein-
schaft, in der man über gemeinsame
Werte wie Meinungsfreiheit, Religions-
freiheit, Menschenrechte nicht zu strei-
ten braucht – das ist ein großer Schatz.
Ich weise auch im Wahlkampf immer
wieder darauf hin. Europa ist für uns
nicht nur als Wirtschaftsraum wichtig,
sondern als Wertegemeinschaft.
Sie wirken so gelassen. Halten Sie
die Sache schon für gelaufen?
Nein. Wer denkt, dass ich schon ein-
fach so Kanzlerin bleiben kann und
man dafür nicht zur Wahl gehen müsse,
könnte am Montag nach der Wahl mit
Rot-Rot-Grün aufwachen. Deshalb bitte
ich alle, mit beiden Stimmen CDU zu
wählen und dabei auch mich ganz per-
sönlich zu unterstützen, damit Deutsch-
land weiter gut regiert wird. ■
INTERVIEW: MARGARETE VAN ACKEREN /
DANIEL GOFFART / JÖRG QUOOS
35
P O LI T I K

36 FOCUS 35/2013
 Der
unheimliche
Tod
Hunderte starben bei
einem Giftgasanschlag
bei Damaskus. Ermordete
Syriens Herrscher
Baschar al-Assad die
eigene Bevölkerung?
ährend Ake Sellstrom und 19 wei-
W tere UN-Inspektoren im Luxus-
hotel „Four Seasons“ in Damas-
kus unter dem Schutz der Assad-Regie-
rung die Nacht verbrachten, kämpften
wenige Kilometer entfernt offenbar Hun-
derte Menschen mit dem Tod.
Es war gegen zwei Uhr nachts, als Ashraf
Hassan in Zamalka, östlich von Damaskus,
die ersten Raketen fallen hörte. Gerade
noch hatte der 18-Jährige mit vier Freun-
den fröhlich Karten gespielt. Als sie aus
dem Haus rannten, sahen sie Menschen in
Panik auf der Straße. „Wir liefen in Häuser,
um nach Bewohnern zu suchen“, erzählt
Hassan. „In einem fanden wir vier Brüder,
alle nebeneinander in ihrem Bett schla-
fend. Sie waren tot, so wie ihre Eltern. Alle
hatten Schaum vor Mund und Nase.“
Eine neue Eskalationsstufe im Syrienkrieg,
der schon 100 000 Menschen das Leben
kostete. Glaubt man der syrischen Oppo-
Ein letztes Lebewohl
Eine Mutter will noch einmal ihr Kind
berühren (großes Foto). Es starb
wie alle in weiße Decken Gehüllten
bei einem Giftangriff in Ghouta, einem
Vorort von Damaskus. Besonders
viele Kinder kamen bei der Giftattacke
um, andere litten unter schweren
Erstickungsanfällen (kleines Foto)
FOCUS 35/2013
sition, war es das Regime von Baschar
al-Assad, das vorige Woche mit einem
Chemiewaffeneinsatz bis zu 1300 Syrer
tötete – ausgerechnet, als sich eine Truppe
von Chemiewaffen-Inspekteuren im Land
befand. 29 Raketen seien von drei Orten
in Damaskus abgefeuert worden, einige
mit Sarin und flüssigem Ammoniak in den
Raketenköpfen.
Auf Facebook und via Twitter verbrei-
teten Rebellen Fotos und Videos, auf
denen vor allem Kinder zu sehen waren:
sterbend, an Atmungsgeräten, viel zu
groß für ihre kleinen Gesichter, mit auf-
gerissenen Augen. Hektisch übergießen
Helfer in verwackelten Filmsequenzen
die Opfer, fast alle ausgezogen bis auf
die Unterhosen, mit Wasser, massieren
bei einigen das Herz.
Frankreichs Außenminister Laurent Fa-
bius drohte umgehend mit „einer Reaktion
der Stärke“, sollten sich die Vorwürfe eines
Chemiewaffeneinsatzes bestätigen. Für
seinen britischen Kollegen William Hague
stand bereits fest: „Meine Regierung geht
davon aus, dass es sich um einen Angriff
Assads handelte.“
Doch wie glaubwürdig sind die Doku-
mente, auf denen solche Schlussfolgerun-
gen beruhen? „Eine Aussage über einen
Chemiewaffeneinsatz anhand von Bildern
zu treffen ist reine Kaffeesatzleserei“, sagt
der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur
Jan van Aken. Erst Bodenproben und Blut- Fotos: Erbin News/NurPhoto/SIPA PRESS, SNN/Polaris/laif
proben der Opfer könnten darüber Auf-
schluss geben.
„Es war ein toxisches Gas, aber ich bin
sicher, dass es kein Sarin war“, sagt Ale-
xander Kekulé, Direktor des Zentrums
für biologische Sicherheitsforschung in
Halle. Der Mikrobiologe wertete rund
150 Videoclips von dem Anschlag aus.
Nur auf einem einzigen zeigte ein Kind
eines der für Sarin typischen Symptome:
verengte Pupillen. „Aber das Video hatte
offenbar keinen Zusammenhang zu den
anderen Aufnahmen.“ Kekulé hat seit
37
P O LI T I K

Dezember vorigen Jahres immer wieder

Aufnahmen aus Syrien gesichtet, die zum
Teil aus Kreisen der syrischen Opposition
stammten. Viele legen den Verdacht nahe,
dass sie gestellt waren.
„In diesem wie in jedem modernen Krieg
spielen Bilder eine entscheidende Rolle“,
sagt SPD-Vize-Fraktionschef Gernot Erler.
Ausschließen lässt sich tatsächlich nicht,
dass die syrische Opposition, in der al-
Qaida-nahe Gruppen die Oberhand ge-
winnen, Giftgas einsetzte, um den Wes-
ten in den Konflikt hineinzuziehen. Im
Kampf gegen das Assad-Regime verloren
sie zunehmend an Grund. Im Mai fanden Skrupelloser Mörder? Baschar al-Assad im Kreise seiner Militärs in Daraya, süd-
türkische Spezialkräfte zwei Kilogramm westlich von Damaskus. Bombardierte er die eigene Bevölkerung mit Chemiewaffen?
Sarin in Häusern syrischer Islamisten im
syrisch-türkischen Grenzgebiet. Eine Che-
miefabrik im Norden befindet sich angeb-
lich bereits unter Kontrolle der radikalen
al-Nusra-Rebellen. Die Sicherheit von
Assads Chemiewaffenarsenal sei eine der
ABRÜSTUNG
größten Sorgen der US-Regierung, heißt es
in einem neuen Kongressbericht.
Nach israelischen Geheimdiensterkennt-
nissen besteht dagegen kein Zweifel an der »Feilschen wie eine Fischfrau«
Täterschaft Assads. Eine Einheit des Mi-
litärnachrichtendienstes Aman, die Unit
Die Deutsche Angela Kane, 64, verhandelt für die UN mit dem
8200, spezialisiert auf Funkspionage, Assad-Regime über die Untersuchung des Giftgasanschlags
kontrollierte zurzeit des Gasangriffs die
Kommunikation der syrischen Armee.
Die Auswertung habe eindeutig erge-
ben, so ein früherer Mossad-Offizier, dass
D ie Mission ist heikel, aber ver-
mutlich eine der wichtigsten in
der internationalen Politik zurzeit: Die
Die Deutsche gilt als neugierig und
optimistisch: „Es macht mir nichts
aus, wenn ich bei null anfangen muss“,
der Beschuss mit Giftgasraketen von Deutsche Angela Kane soll die Unter- erklärte sie. Sie leitete Friedens-
Assads Militär erfolgt sei. Assad fühle suchung über die Giftgastragödie in missionen in Afrika und feilschte mit
sich von Russland gestützt und habe Syrien leiten. Generalsekretär Ban Ki Rebellen in Thailand nach eigener
die Weltgemeinschaft provozieren wollen, Moon entsandte seine Abrüstungs- Aussage „wie eine Fischfrau auf dem
heißt es. expertin vorige Woche, um mit dem Markt“. ■
Die weiß sich in dieser verworrenen Situ- Assad-Regime zu verhandeln. Die
ation kaum zu helfen. „Das ist ein großes, Karriere der Angela Uther aus dem
sehr Besorgnis erregendes Ereignis, das niedersächsischen Hameln begann
Amerikas Aufmerksamkeit erfordert und mit einem Job als Babysitterin in New
hoffentlich auch die der gesamten inter- York. Die Tochter eines Bankdirektors
nationalen Gemeinschaft”, kommentier- lernte sechs Sprachen, studierte Poli-
te US-Präsident Barack Obama lahm den tologie, heiratete US-Unternehmer Bill
womöglich größten Giftgasangriff auf Zivi- Kane und wurde Weltbürgerin. Nach
listen seit Saddams Chemieattacke 1988 Stationen bei Shell, der niederländi-
Fotos: SANA/REUTERS, Youssef Badawi/dpa

auf Kurden. Zugleich warnte Obama vor schen Botschaft in Bangkok und der
übereilten Schritten. Dabei war es der US- Weltbank in Washington landete sie
Präsident, der im vorigen Jahr eine „rote 1977 bei den UN. Und fing klein an.
Linie“ gezogen hatte: Den Einsatz von Sie führte Touristen durch die New Yor-
Massenvernichtungswaffen wollte er mit ker Zentrale, organisierte Konferenzen
„schwerwiegenden Konsequenzen“ ahn- und initiierte den UN-Internet-Auftritt.
den. Bei einem Krisentreffen im Weißen Später, als Beigeordnete Generalsekre- Harter Job Die Hohe Vertreterin
Haus diskutierte der Sicherheitsstab zwar tärin, verantwortete sie ein Fünftel des der UN für Abrüstung, Angela Kane,
über gezielte Marschkörperanschläge und UN-Etats und führte 2200 Mitarbeiter. bei ihrer Ankunft in Damaskus
längere Bombardements. Aber heraus
kam dabei nichts.

38 FOCUS 35/2013
 Giftgas und Raketen
Das Assad-Regime verfügt über ein riesiges Chemiewaffenarsenal.
Teile sind möglicherweise schon in die Hände von Rebellen gelangt
Die Deutschen kündigten an, für 1,4
TÜRKEI Malikiyah Millionen Euro Diagnosegeräte und Me-
al-Qamishli dikamente an Chemiewaffenopfer zu schi-
cken. Auch dies eher ein Notpflaster als
Afrin Azaz Qarah eine Lösung.
al-Hasakah
Qawzak „Der Westen steckt in einem Dilemma“,
Aleppo sagt der ehemalige Generalinspekteur
Safira Assad-
Jisr Al-Choghour Idlib See der Bundeswehr, Harald Kujat. „Moralisch
ar-Raqqah müsste er jetzt handeln, aber wenn er han-
Saraqeb
Latakia Salma
Maarrat an Numan delt, bekommt er ein Ergebnis, das er nicht
Qardaha will.“ Das wäre die weitere Stärkung der
Dair az-Zaur radikalen Islamisten. Von Flugverbotszo-
Baniyas Hama nen und Bombardement syrischer Luft-
Tartus
S Y R I E N Mayadin waffenbasen hält Kujat nicht viel. „Ohne
Homs ein politisches Ziel bringt das wenig.“ Eine
Furklus Lösung funktioniere ohne Assads Verbün-
al-Qusair Palmyra Abu Kamel deten Russland ohnehin nicht, meint Wolf-
LIBANON gang Ischinger, Chef der Münchner Sicher-
heitskonferenz. „Das geht aber nicht ohne
BEIRUT Khan Abu Shamat Chemiewaffenproduktion einen hässlichen Kompromiss. Der könnte
Douma z. B. darin bestehen, das wir die Präsenz
Chemiewaffenlagerung
DAMASKUS von Assad akzeptieren, wenn es zum Ende
IRAK
mutmaßliche Giftgasattacken
der Kampfhandlungen und Aufklärung
umkämpftes der Kriegsverbrechen kommt, die Rebel-
Golan Gebiet
len an der Regierung beteiligt werden und
Quelle: Syria needs Analysis Project, al-Jazeera

ISRAEL vom Regime kontrolliert es autonome oder befreite Gebiete gibt.“

Daraa Souweida
JORDANIEN Kurdengebiet Russland empfahl immerhin vorigen
West- von der Freien Syrischen Freitag dem Assad-Regime, die UN-Ins-
100 km
bank Armee erobert pektoren bei der Klärung des Chemie-
vom Regime erobert waffeneinsatzes zu unterstützen. UN-
Generalsekretär Ban Ki Moon schickte
kurdisch kontrollierte Städte
eine seiner erfahrensten Diplomatinnen,
Gebiete der zwischen Rebellen u. die deutsche UN-Abrüstungsbeauftragte
angeblichen Regime umkämpft
Gasangriffe Douma Angela Kane, um mit dem Potentaten zu
Stellungen der Islamisten verhandeln. Die Hamelnerin ist bekannt
und al-Qaida-Gruppen
für besondere Hartnäckigkeit. ■

Jobar P. GRUBER / G. DOMETEIT / J. HUFELSCHULTE /

Zamalka Gefahrenpotenzial S. STALLMANN / T. TRESER
In der Nähe mehrerer
Ain Tarma Kafr Batna Chemiewaffenfabriken oder
DAMASKUS
Quelle: Reuters

-lager finden auch die

Die Leserdebatte
Kämpfe zwischen Aufstän- von FOCUS Online
5 km dischen und den syrischen
Regierungstruppen statt
Soll der Westen in Syrien
militärisch eingreifen?

N ach einem Gutachten der „Fede-

ration of American Scientists“
unterhält das Assad-Regime „eines der
größten und am meisten ausgefeilten
Chemiewaffenprogramme der Welt“. Vor
allem drei Kampfstoffe stellen Syriens
Fabriken her: Senfgas, VX und Sarin.
Genaue Größenangaben vermeiden die
Wissenschaftler allerdings. Bei der Her-
stellung seiner Kampfstoffe ist das Re-
gime laut US-Geheimdienst auf „auslän-
dische Quellen“ angewiesen. Es könne
In unserem Meinungsforum debattieren
unsere Leser das Thema der Woche. Die
besten Texte drucken wir nächste Woche
seine Chemiewaffen sowohl in Bomben auf der Leserdebatten-Seite. Bedingung:
als auch in Artilleriegeschützen und Sie schreiben unter Ihrem echten Namen
ballistischen Raketen einsetzen. Syrien und verwenden kein Pseudonym.
besitzt mehrere hundert Scud-B-, -C- und
-D-Raketen, die mit chemischen Spreng- Beiträge unter:
körpern bestückt werden könnten. ■ www.focus.de/magazin/debatte
Mails an: debatte@focus-magazin.de

FOCUS 35/2013 39
P O LI T I K

»Am Tiefpunkt«
Das ägyptische Volk ist nach dem Blutbad vom 14. August tiefer denn je gespalten.
FOCUS sprach mit Menschen, die sich als Feinde betrachten: mit verfolgten Muslimbrüdern,
geschundenen Christen, Freunden Mubaraks, Gewaltopfern und enttäuschten Revolutionären

Gigi Ibrahim, 26
Bloggerin und Anti-Mubarak-
Aktivistin der ersten Stunde.
Sie rief zum Sturz Mursis auf

F
ür mich beginnt die Geschichte,
die Ägypten ins Chaos führte, im
November 2012. Damals verab-
schiedete Mursi im Parlament ein Dekret,
das ihm sämtliche konstitutionelle
Macht zusprach. Die Revolutionäre vom
Tahrir-Platz und die Muslimbrüder
protestierten gemeinsam dagegen.
Aber Mursi ignorierte uns einfach. Dabei
wollte doch jeder, dass er geht. Sogar die
Salafisten.
Das war der Grund dafür, dass die
Tamarod-Bewegung entstand. Dann waren
so viele Leute auf der Straße, wie ich es
noch nie in meinem Leben gesehen
hatte. Und ich war natürlich dabei. Als
das Militär am 3. Juli dieses Jahres
verkündete, es habe die Macht übernom-
men, kam ich überhaupt nicht auf die
Idee, das einen Putsch zu nennen.
Schließlich waren wir doch zu Millionen
auf den Straßen; ich dachte nie und
nimmer an ein abgekartetes Spiel.
Erst als sich das Militär am 26. Juli ein
„Mandat“ von den Demonstranten geben
ließ, kippte das Bild. Von da an begann
auch ich, von einem „Putsch“ zu reden.
Als am 14. August schließlich Hunderte
von Menschen getötet wurden, wusste
ich: Wir sind in einem Albtraum angelangt.
Die Eskalation war gewollt. Und zwar
von beiden Seiten. Die Muslimbrüder
hatten die Chance ihres Lebens – und
haben versagt. Sie haben in den 80
Jahren, in denen sie in der Opposition
waren, so viel vom Dschihad und vom
Märtyrertum geredet, dass sie davon
nicht mehr lassen konnten. Sie haben

40 FOCUS 35/2013

ihre Mitglieder gebrainwasht.
Sie mussten den ganzen Weg gehen.
Das Militär braucht diese Legende, dass
es gegen den Terrorismus kämpft.
In Wirklichkeit ist es eine Konterrevolu-
tion. Es will die alte Macht wiederherstel-
len und ein für allemal zementieren. Aber
wir leben heute nicht mehr in den 90ern,
als der Terrorismus in Ägypten tatsächlich
ein ernsthaftes Problem war. Viele
Menschen in Ägypten sind jetzt verängs-
tigt. Sie sind sogar bereit, ihre persönli-
chen Freiheiten aufzugeben und unter den
Notstandsgesetzen zu leben. Der Staat
verunsichert sie absichtlich noch mehr.
Wir befinden uns jetzt am Tiefpunkt einer
traurigen Entwicklung. Aber noch ist nicht
Fotos: David Degner für FOCUS-Magazin
alles vorbei. Wir werden weiterkämpfen;
wir werden mehr Menschen auf unsere
Seite ziehen. Ich habe in den vergangenen
Tagen mit vielen Anhängern der Armeefüh-
rung diskutiert und versucht, sie zu
überzeugen, dass die aktuelle Entwicklung
falsch ist. Auf meinem Handy habe ich per
SMS Entschuldigungen von den Muslim-
brüdern erhalten. Ich glaube, wir Revolutio-
näre sind heute stärker denn je.
FOCUS 35/2013
Elqus Bokkor Saad
Ghattas, 54
Christlicher Priester in der Ort-
schaft Kafr Hakem nahe Kairo
A
m Nachmittag des 14. August
begannen Pro-Mursi-Demonstran-
ten, die Christen in Kafr Hakem
einzuschüchtern. Sie waren voller Wut,
weil an diesem Tag ihre Protestlager
geräumt worden waren.
Als es dunkel wurde, schmissen sie
Steine auf die Häuser von Christen, dann
auf unsere Kirche. Sie brachen ein
Fenster auf und kletterten hinein. Sie
führten sich auf wie Wilde! Zuerst stahlen
sie alles, was wertvoll war. Dann legten
sie Feuer. Bis um 1 Uhr morgens
loderten die Flammen. Es waren unsere
muslimischen Nachbarn, die das Feuer
schließlich löschten. Sie hatten wohl
Angst, dass sich ihre Häuser ebenfalls
entzünden würden, wenn sie dem Treiben
weiter zusahen. Der Schaden beläuft sich
■ auf 625 000 Pfund.
Geschändetes Gotteshaus
Der koptische Priester
Elqus Bokkor Saad Ghattas
betrachtet das Ausmaß der
Zerstörung in seiner Kirche.
Islamisten zündeten sie an
Unter Mubarak hat die Polizei in
Ägypten für Recht und Ordnung gesorgt.
Sie war dafür zuständig, den politischen
und religiösen Frieden zu wahren. Mursi
hat sie von dieser Pflicht entbunden.
Seit seiner Absetzung eskaliert der
Konflikt zwischen Christen und Muslimen.
Aber ich hätte mir nicht träumen lassen,
dass es je so schlimm werden könnte.
Sogar die Polizei wird von diesen
Terroristen attackiert: In der Polizeistation
in Kerdasa wurden viele Beamte
ermordet. Sie haben wohl noch nicht
genügend Muslimbrüder hinter Gitter
gebracht. Leider gibt es Millionen, die sie
unterstützen.
Die Armee hat angekündigt, dass in
neun Monaten gewählt wird. Aber ich
finde, es sollten frühestens in zwei
Jahren Wahlen stattfinden. Wir müssen
erst die Sicherheit wiederherstellen,
damit die Leute sich frei entscheiden
können. Ich hoffe sehr, dass die
internationale Gemeinschaft Ägypten hilft
– insbesondere in Bezug auf Bildung. Die
Ignoranz der Bevölkerung ist unser
größtes Problem. ■
41
P O LI T I K
Abdelbaset Abdullah
El-Imam, 51, Arzt und
Mitglied der Muslimbrüder.
Sein Sohn wurde getötet
I
ch habe die gesamte Besetzung über
im Rabaa-Feldlazarett gearbeitet. Am
14. August war ich um 6.30 Uhr im
Lazarett, als der Angriff mit Tränengas
und Scharfschützen begann. Aus
Hubschraubern schossen sie auf alles,
was sich bewegte. Bis 8 Uhr wurden 800
Leichen in die Klinik gebracht.
Um 10.30 Uhr ging ich nach draußen
und sah, dass alle Zelte verbrannt
worden waren. Die Menschen waren in
vollkommener Panik, weil es keinen
Ausgang gab. Die Armee hatte gesagt,
dass sie einen sicheren Korridor öffnen
würde, aber als die Leute ihn benutzten,
wurde auf sie geschossen. Später ging
ich zum normalen Krankenhaus in Rabaa,
um den Ärzten dort zu helfen.
Mein 18-jähriger Sohn Mohammed kam
um 10 Uhr ins Lager, als er hörte, dass
sein bester Freund Ahmed sich dort
aufhielt. Als ich ihn nachmittags anrief,
sagte er: „Ich bin vor dem Krankenhaus,
in dem du arbeitest.“ Um 17 Uhr nahm
die Polizei das Krankenhaus ein. Eine
Stunde später erfuhr ich, dass Moham-
med nicht mehr lebte: Er war durch einen
Kopfschuss getötet worden. Auch sein
Freund war erschossen worden; wir
haben beide gemeinsam beerdigt. Wir
hatten ein Jahr Freiheit in den letzten
60 Jahren. Nach allem, was passiert ist,
glaube ich, dass es in Ägypten nie
Demokratie geben wird.
42
Nada Mohamed, 21
Mubarak-Anhängerin,
Mitgründerin der Facebook-
Seite »I’m sorry, Mr President«
I
ch habe die Facebook-Gruppe im
Januar 2011 eingerichtet, als ich sah,
wie viele Menschen auf dem
Tahrir-Platz gegen Mubarak demonstrier-
ten und ihn beleidigten. Auch wenn man
ihn nicht mag – er hat uns 30 Jahre lang
regiert. Man muss ihn zumindest
respektieren. Unter ihm war Ägypten
sicher.
In den vergangenen Jahren haben die
Muslimbrüder alles zerstört, was er
aufgebaut hatte: Sie haben Gebäude
angezündet, sie haben Beamte getötet,
sie haben Terroristen aus dem Gefängnis
entlassen – so viele, dass ich die Namen
nicht erinnern kann.
Was am 3. Juli passiert ist, war kein
Militärputsch, es war der Wille des
Volkes. Zum ersten Mal seit 2011 sind
alle Ägypter vereint. Dafür hat Mursi
gesorgt: Er hat alle gegen sich aufge-
bracht. Die Armee will das Land nicht
regieren. Aber das ägyptische Volk ist
noch nicht reif für eine Demokratie. Es
muss noch lernen, um sich stärker an der
Herrschaft beteiligen zu können. Wenn
die Muslimbrüder randalieren, ist das
keine Demokratie, sondern Terrorismus.
Wahlen abhalten kann jeder, aber wahre
Demokratie besteht darin, die Meinung
von anderen Menschen zu akzeptieren.
Die Revolution von 2011 war ein
Desaster für dieses Land. Ich bin so froh,
■ dass Mubarak freigelassen wird. ■ Richtung Demokratie gemacht.
Walid, 40
Cousin des getöteten
Polizisten Ammer Mohammed
Abdelmaqsoud
A
mmers Polizeistation in Kerdasa
wurde in den vergangenen
Wochen mehrfach von Islamisten
bedroht. Sie riefen Ammer an und sagten:
„Wir werden dich finden, dich foltern und
deine Frau und Kinder töten.“
Am 14. August griffen sie an. Sie
steckten Reifen in Brand und schossen
Granaten in die Station. Ammer ver-
suchte, mit ihnen zu reden. Er argumen-
tierte, dass die Polizisten doch selbst
Muslime seien. Trotzdem schossen die
Islamisten mit scharfer Munition. Ammer
bekam einen Streifschuss am Kopf ab.
Seine Frau rief ihn an. Er sagte ihr, sie
solle auf sich selbst und die Kinder
aufpassen. Dann stürmten die Islamisten
die Wache und töteten alle bis auf einen
Beamten. Sie brachten die Toten zu einer
Metallwerkstatt, wo sie mit Eisenstangen
auf sie einschlugen. Dann zogen sie
ihnen die Kleidung aus und schleiften sie
durch die Straßen.
Was haben Ammers Kinder getan, um
Fotos: David Degner für FOCUS-Magazin
das erleben zu müssen? Das ist nicht
der wahre Islam. Man bringt keine
Menschen um. Man foltert sie nicht. Die
Muslimbrüder stehen nicht für echte
Demokratie. In einer echten Demokratie
entscheidet das Volk. 33 Millionen
Menschen haben auf den Straßen
gegen Mursi protestiert. Ägypten hat
erst jetzt einen echten Schritt in
■
FOCUS 35/2013
 www.volkswagen.de

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T I TEL

Gebildet
statt gegoogelt
Braucht man heute überhaupt noch ALLGEMEINWISSEN? Mehr denn je,
sagen Experten. Wer Entscheidungen treffen oder Informationen einordnen
will, muss über breite Kenntnisse verfügen. Da hilft kein Smartphone

W
issen Sie es noch, mal
ehrlich: Wann wurde die
Berliner Mauer gebaut?
Worum ging es genau in
gewusst, manches fehlt dann doch wie-
der – was, glaubt man, nicht mehr so
schlimm ist: Es gibt ja Google.
Überwältigende 99 Prozent der Deut-
gelmäßig ihren Tablet-Computer. Sie
ertappe sich dabei, so Angela Merkel,
„eigentlich während jedes zweiten
Gesprächs und bei jedem dritten Stich-
Foto: Arnulf Hettrich/IMAGO

Goethes „Faust“? Wie lautet der Satz des
Pythagoras? Nein, jetzt nicht googeln.
Das Smartphone bleibt in der Tasche,
der Computer aus. Wikipedia kennt die
Antworten, klar – aber unser Hirn?
Bildung heute. Irgendwie ist sie vor-
handen. Vieles schon einmal gehört oder
schen halten eine gute Allgemeinbildung
für wichtig, so das Ergebnis einer aktu-
ellen Umfrage im Auftrag von FOCUS.
Nur: Lohnt es in Zeiten, in denen beina-
he jede Information online abrufbar ist,
überhaupt noch, sich Dinge zu merken?
Sogar die Bundeskanzlerin befragt re-
wort nachzuschauen, wann denn nun
der Schriftsteller geboren und gestorben
ist oder wie das Werk nun genau heißt“.
Aber was muss man heute noch im Kopf
haben – und vor allem: wie viel? Alle 2,5
Jahre verdoppelt sich die Menge der ver-
fügbaren Informationen in Westeuropa.

44 FOCUS 35/2013

Die deutsche Ausgabe des Online-Lexi-
kons Wikipedia enthält bereits 1,6 Mil-
lionen Einträge. Wer angesichts dieser
Datenflut die Übersicht behalten möch-
te, braucht einen verlässlichen Kompass.
„Wenn man Bildung lediglich als
Ansammlung von Fakten begreift, dann
genügt das Internet“, sagt der Münch-
ner Historiker Martin Zimmermann,
der selbst einige erfolgreiche Bücher
zum Thema „Allgemeinbildung“ veröf-
FOCUS 35/2013
fentlicht hat. „Wenn Bildung aber die
Fähigkeit meint, Zusammenhänge zu
erkennen und eigene Schlüsse zu zie-
hen, dann geht es nicht ohne Basiswis-
sen – allein schon, um die Zuverlässig-
keit der Informationen einschätzen zu
können.“ Wer nichts weiß, der muss
eben alles glauben.
Wissen bleibt Macht, auch in Zeiten
von Google. Und Allgemeinbildung
macht oft sogar den Karriere-Unter-
Wissenskathedrale
Die Stadtbibliothek
Stuttgart ist Deutschlands
modernste Bücherei.
Sie wurde zur „Bibliothek
des Jahres 2013“ gewählt.
Der 80-Millionen-Euro-Bau
eröffnete 2011
schied aus. „Bis in die zweite Führungs-
ebene können Sie es allein mit Fach-
wissen schaffen, weiter kommen Sie nur
damit meistens nicht“, sagt die Frank-
furter Personalberaterin Mechthild Löhr.
Mitreden können, darum geht es. Viel-
leicht kommt daher die spielerische Lust
der Deutschen am – manchmal unnützen
– Wissen. Bei der neuen Staffel der TV-
Sendung „Wer wird Millionär?“, die in
dieser Woche anläuft, fiebern wieder
45
T I TEL

UNIVERSAL-GENIE WISSENS-VERMITTLER
Leonardo da Vinci (1452–1519) Der berühmte Forscher Alexander von
konnte das Wissen seiner Zeit noch Humboldt (1769–1859) gab seine
überblicken. Er war Maler, Bildhauer, Erkenntnisse in kostenlosen Vorlesungen
Anatom, Mechaniker, Ingenieur, weiter. In seinem Werk „Kosmos“
Architekt und Naturphilosoph beschrieb er das damalige Naturwissen

Millionen mit den Kandidaten mit und
fragen sich: Hätte ich es denn gewusst?
Seit 14 Jahren ist die Wissens-Show
einer der sichersten Quotenbringer
für den Sender RTL. Sieger wie der
Geschichtsprofessor Eckhard Frei-
se aus Münster wurden zu nationalen
Berühmtheiten. Dem Moderator Gün-
ther Jauch verhilft die Sendung zu
enormem Ansehen. Den Mann, der die
kniffligen Fragen stellt und die richtigen
Antworten kennt, möchte laut Umfra-
gen regelmäßig ein großer Teil der
Deutschen zum Bundeskanzler wählen.
Gebildet statt gegoogelt. Für Bundes-
bildungsministerin Johanna Wanka ist
„Bildung das Wissen über die Mensch-
heitsgeschichte“, die Fähigkeit, Ereig-
nisse der Weltgeschichte einordnen und
bewerten zu können. Dazu noch die
Kenntnis klassischer und aktueller Lite-
ratur. Zudem, so die Mathematikerin,
müsse man logisch denken, strukturie-
ren und bewerten können. Der Berliner
Bildungshistoriker Heinz-Elmar Ten-
orth sieht es ähnlich: „Niemand darf
die Schule verlassen, der nicht zwischen
Honecker und Adenauer unterscheiden
kann. Und auch wer Goethes ‚Faust‘
nicht gelesen hat, sollte wissen, dass es
sich um eines der wichtigsten Bücher
der deutschen Sprache handelt.“
Werden die Eltern von Schulkindern
gefragt, ist deren Meinung eindeutig. In
einer Studie des Instituts für Demoskopie
Allensbach erklären 81 Prozent, ihnen
sei die Vermittlung von „guter Allge-
meinbildung“ im Unterricht besonders
wichtig. Aber nur 43 Prozent urteilen, die
Schule erfülle diese Aufgabe.
Es gibt kein Buch, das jeder
Abiturient garantiert gelesen hat
Wird die Schule ihrem Bildungsauf-
trag nicht gerecht? Tatsächlich ist Fak-
tenwissen im Lehrplan schon lange aus
der Mode gekommen. Ein verpflich-
tender Kanon etwa in Literatur und
Geschichte gilt vielen Pädagogen als
Überbleibsel der altmodischen Pauk-
schulen. Die langjährige schleswig-
holsteinische Bildungsministerin Ute
Erdsiek-Rave verlangt gar nicht mehr,
dass Schule historische Kenntnisse ver-
mittelt – sondern „kritische Distanz zur
eigenen Geschichte“. Ziel, so die SPD-
Politikerin, sei ein allgemeines „Recht
auf Frieden“.
Bereits im Zuge der Reformdebatten
der 60er- und 70er-Jahre wurden kon-
krete Bildungsinhalte durch abstrakte
„Lernziele“ ersetzt. Später formulierten
Bildungspolitiker dann „Schlüsselqua-
lifikationen“ und „Kompetenzen“, die
Schüler erwerben sollten. Heute orien-
tieren sich unsere Schulen vor allem an
„Bildungsstandards“: Anforderungen,
die zu bestimmten Zeitpunkten erfüllt
werden müssen und die sich in internati-
onalen Tests wie Pisa vergleichen lassen.
Die von den Pisa-Prüfern formulierten
Kompetenzen zielen auf eine „befriedi-
gende Lebensführung“ – von umfassen-
der Bildung ist nirgendwo die Rede.
Das Papier, das die bundesweit gülti-
gen Abiturstandards im Fach Deutsch
festlegt, umfasst 265 Seiten. Bücher, die
Gymnasiasten gelesen haben sollten,
werden darin nicht erwähnt. Tatsächlich
gibt es in Deutschland kein einziges lite-
rarisches Werk mehr, das jeder Abituri-
ent im Laufe des Unterrichts garantiert Fotos: Bianchetti/Leemage/dpa, akg-images, ullstein bild
gelesen hat.
In anderen Ländern wäre dies undenk-
bar. In Frankreich und Italien gehören
die Klassiker der Nationalliteratur zum
Pflichtprogramm an den Schulen. Die
Präsidentin der Humboldt-Viadrina-
Hochschule und ehemalige Bundesprä-
sidentenkandidatin Gesine Schwan, die
das Französische Gymnasium in Berlin
besucht hat, schildert den Vorteil der
gemeinsamen Lektüre: „Wenn ich Fran-
zosen meines Alters treffe, freuen wir
uns darüber, dass wir dieselben Gedich-

46 FOCUS 35/2013

BILDUNGS-BÜRGER
Der Geschichtsprofessor Eckhard Freise
aus Münster konnte im Jahr 2000 als
erster Kandidat die Millionenfrage bei
Günther Jauch lösen. Freise ist seither
regelmäßiger Gast in Quiz-Sendungen
te auswendig gelernt haben. Das löst
wunderbare Wiedererkennungsgefühle
aus. Man gehört zusammen.“
Auch über den Wissenskanon von
morgen machen sich andere Nationen
bereits Gedanken. In Großbritannien ist
Informatik Kernfach für Abiturienten. In
Estland steht Programmieren bereits für
Erstklässler auf dem Lehrplan.
In Deutschland sollten ebenfalls alle
Schüler Informatik-Unterricht erhal-
ten, fordern Experten wie der Leiter
des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts
für Software-Systemtechnik, Christoph
Meinel. Die Realität sieht anders aus: In
manchen Bundesländern belegen gera-
de mal fünf Prozent der Oberstufen-
schüler das Fach.
Ob Computerkenntnisse oder Literatur
– Wissen verbindet. Je unterschiedlicher
die Herkunft, Erfahrungen und Interes-
sen jedes Einzelnen sind, je schneller
sich die Gesellschaft verändert, desto
wichtiger wird ein einheitlicher Fun-
dus an Kenntnissen und Fähigkeiten.
„Gemeinsames Wissen ermöglicht es,
dass bei Gesprächen jeder etwas bei-
steuern kann und sich niemand ausge-
schlossen fühlen muss“, sagt der Autor
des Bestsellers „Manieren“, der äthio-
pischstämmige Unternehmensberater
Asfa-Wossen Asserate.
FOCUS 35/2013
Bildung hilft nicht nur beim gepfleg-
ten Small Talk. „Wenn man von einer
Gesellschaft mehr erwartet, als darin nur
den Alltag zu bewältigen und Geld zu
verdienen, dann muss man weiterhin ein
möglichst breites kulturelles und histori-
sches Wissen vermitteln“, meint der Bay-
reuther Germanist Gerhard Wolf.
WISSEN ZÄHLT
»Für wie wichtig
halten Sie es, eine gute
Allgemeinbildung
zu haben?«
sehr wichtig
75 % 24 %
Abweichungen zu 100: rundungsbedingt
Eindeutige Meinung Nahezu alle
Deutschen sagen, Bildung sei wichtig
Quelle: TNS Emnid für FOCUS
Doch gerade den Eliten von morgen
mangelt es häufig an soliden Kenntnis-
sen. Germanistikprofessor Wolf hat im
vergangenen Jahr 60 Hochschulfakul-
täten nach dem Leistungsniveau ihrer
Studenten befragt. Die Ergebnisse sind
ernüchternd: Vielen Studenten mange-
le es an der „Fähigkeit, kompetent und
souverän mit der Sprache umzugehen“.
Der Wortschatz schrumpfe auf „wenige
hundert Ausdrücke, die penetrant wie-
derholt“ würden. So mancher der ange-
henden Akademiker wisse nicht mehr,
dass es „in der Bibel ein Altes und ein
Neues Testament“ gebe.
In technischen Fächern zeigt sich ein
ähnliches Bild. 53 Prozent derer, die ein
Studium in Maschinenbau oder Elektro-
technik beginnen, brechen vorzeitig ab.
Einen wesentlichen Grund dafür nennt
Horst Hippler, Präsident der Hochschul-
rektorenkonferenz: „Gerade in Mathe-
matik und den Naturwissenschaften
fehlen den Studienanfängern oft die
notwendigen Grundkenntnisse.“
Nicht nur im akademischen Betrieb
offenbaren sich gravierende Probleme,
auch im alltäglichen Miteinander wirkt
sich mangelnde Bildung negativ aus.
„Wir erleben, dass der Konsens darüber,
was richtig und falsch ist, was erlaubt
und nicht erlaubt ist, nicht so ausgeprägt
ist, wie wir uns das von gebildeten Men-
schen erwarten“, sagt Forscher Tenorth.
„Wir sehen, dass Menschen es für nor-
mal halten zu betrügen, wir sehen, dass
sie Konflikte mit Gewalt lösen.“ Ein all-
gemeiner Bildungskanon, so die Hoff-
nung, würde auch die entsprechenden
Regeln und Normen vermitteln.
„Untersuchungen belegen, dass der
Grad der Bildung großen Einfluss auf
staatsbürgerliche Beteiligung hat“,
erklärt Ludger Wößmann, Bildungs-
ökonom am Münchner Ifo-Institut. „Je
höher das Bildungsniveau ist, desto
wichtig mehr engagieren sich Menschen bei-
spielsweise ehrenamtlich und umso
politisch interessierter sind sie.“ Einfach
ausgedrückt: Wer weiß, wie der Bundes-
kanzler gewählt wird, geht auch eher
zur Wahl.
Umfassendes Wissen hat aber auch
für jeden Einzelnen handfeste Vortei-
le. „Die Arbeitslosenquote von Akade-
mikern beträgt zwei Prozent, die von
Ungelernten 20 Prozent“, weiß Öko-
nom Wößmann. Je höher das allge-
47
T I TEL
meine Bildungsniveau, desto höher sei
die Wahrscheinlichkeit, wirtschaftlich
erfolgreich zu sein.
Für Manager, so Jochen Kienbaum,
Chef der gleichnamigen Unternehmens-
beratung, sei eine solide Allgemeinbil-
dung unabdingbar. „Sie ist das Funda-
ment jeder guten Entscheidung.“ Egal,
ob ein Geschäftsführer eine wichtige
strategische Weichenstellung vorneh-
men müsse, ein Entwicklungsingenieur
das Design eines neuen Produkts konzi-
piere oder ein Werber den Claim für die
neue weltweite Kampagne suche. „Eine
solche Aufgabe allein auf Basis von spe-
zifischem Fachwissen zu lösen würde in
die Irre führen“, sagt Kienbaum. „Die
Kenntnis langfristiger Trends, der his-
torischen Ursachen für interkulturelle
Besonderheiten oder etwa der sich wan-
delnden Konsum- und Kommunikati-
onsgewohnheiten vieler Menschen ist
eine wichtige Voraussetzung für lang-
fristigen geschäftlichen Erfolg.“
Unternehmensberater Kienbaum hat
eine klare Vorstellung davon, was heu-
te zum intellektuellen Rüstzeug gehört:
Die Kenntnis der zentralen politischen
und wirtschaftlichen Entwicklungen
seit der Antike zählt für ihn ebenso dazu
wie das Wissen um aktuelle Trends in
Politik, Unternehmen, aber auch Medi-
en, Kultur und Sport.
Doch wo sollen all diese Kenntnisse
erworben werden? Zuallererst in der
Schule. Sie müsse sich wieder auf Inhal-
te konzentrieren, fordert der Präsident
des Deutschen Lehrerverbands, Josef
Kraus. „Wir brauchen eine Renaissance
des konkreten Wissens.“ Wichtig sei es,
einen Kanon dessen zu definieren, was
Schüler lernen sollen. Für Kraus zählen
dazu historische Jahreszahlen, ein gro-
ßer Wortschatz und sogar das Auswen-
diglernen von Gedichten.
In manchen Ländern übernehmen die
Universitäten diesen Bildungsauftrag.
In den USA etwa steht in den ersten bei-
den Studienjahren ein Studium gene-
rale auf dem Lehrplan. Amerikanische
Literatur zählt ebenso zum Pflichtstoff
wie Kurse in Naturwissenschaften.
Auch an so mancher deutschen Hoch-
schule reift die Einsicht, dass Fach-
kenntnisse allein nicht ausreichen. An
der Universität Erfurt, der Bucerius
Law School in Hamburg, der Zeppe-
lin Universität am Bodensee oder der
48
Leuphana Universität in Lüneburg
gehört der Blick über den akade-
mischen Tellerrand inzwischen zum
Pflichtprogramm der Studenten aller
Fachrichtungen.
Im menschlichen Gehirn ist Platz
für eine ganze Bibliothek
Und wer seine Ausbildung bereits
hinter sich hat? Dem empfehlen Exper-
ten vor allem eines: lesen. Am besten
Bücher zu unterschiedlichsten Themen.
„Wer sich mit vielen Dingen beschäftigt,
hat einen größeren Fundus, aus dem er
schöpfen kann“, sagt Personalberate-
rin Löhr. Dann, so der bekannte Wis-
senschaftsjournalist Ranga Yogeshwar,
nimmt man Bildung auch als „inner-
liche Bereicherung“ wahr: „Wenn
ich zum Beispiel erkenne, dass sogar
Mathematik hilft, Politik besser zu ver-
stehen, oder ein Gedicht mich persön-
lich berührt“, sagt Yogeshwar, sei das
der Moment, in dem eine Tür aufgesto-
ßen werde: „Dann will man sich immer
mehr Bildung holen.“
Eine Ausrede gilt übrigens nicht: dass
der Kopf schon mit zu vielen anderen
Dingen beschäftigt ist. Das menschli-
che Gehirn kann enorme Mengen an
Informationen verarbeiten. 2,5 Millio-
nen Gigabyte beträgt sein Speicherver-
mögen, haben Wissenschaftler ausge-
rechnet. Das würde genügen, um den
gesamten Bestand der amerikanischen
Library of Congress, der größten Biblio-
thek der Welt, aufzunehmen.
Geistige Kapazität ist also mehr als
genug vorhanden, auch für die Antwor-
ten der eingangs gestellten Fragen:
• Der Bau der Berliner Mauer begann
am 13. August 1961.
• Die Formel „a + b = c“ des Pythago-
ras besagt, dass in einem rechtwinkli-
gen Dreieck die Summe der Flächen
der Quadrate über den beiden Seiten,
die den rechten Winkel bilden, genau DER MODERATOR . . .
so groß ist wie die Fläche des Quadrats Günther Jauch, 57, begann seine
über der gegenüberliegenden Seite. Karriere beim Sportfunk des RIAS
• Und in Goethes Drama verkauft der in Berlin. In den 80er-Jahren
Gelehrte Faust seine Seele an den Teu- machte er gemeinsam mit Thomas
fel, um mehr Wissen zu erlangen. Gottschalk die „B3-Radio“-Show.
So weit müssen Sie nicht gehen. Lesen
Sie einfach die folgenden Seiten. ■ In der ARD ist der Journalist seit 2011
Gastgeber der politischen Talk-Runde
T. RÖLL / G. CZÖPPAN / M. HASENBECK/ „Günther Jauch“ am Sonntagabend.
M. FRANKE / H. PAULI / N. WALDENMAIER
FOCUS 35/2013

. . . UND SEIN QUIZ
„Wer wird Millionär?“ ist die erfolgreichste
Show auf RTL. Jauch moderiert sie seit
Sendestart 1999. Bislang wurden 1094
Folgen ausgestrahlt. 2280 Kandidaten ver-
suchten, die Fragen zu beantworten.
Acht Teilnehmer konnten bisher den
Hauptgewinn feiern. Mehr als 80 Millionen
Euro Preisgeld wurden ausgezahlt.
FOCUS 35/2013
»Der Fachidiot
hat es schwer«
TV-Moderator Günther Jauch erklärt, worauf es in seinem
Wissens-Quiz ankommt, und lobt die klassische Bildung
Herr Jauch, fast jeder hat schon
Google in der Hosentasche. Was
muss man eigentlich noch wissen?
Das Smartphone kann das, was man im
Kopf haben sollte, leider nur zum Teil er-
setzen. Ich kann mich auch nicht pausen-
los durchs Leben googeln. Das Netz ist
für sich genommen erst mal nur eine in-
formationelle Müllhalde. Es geht darum,
die Informationen sinnvoll zu filtern und
zusammenzuführen. Genau das muss
noch immer weitgehend im eigenen Kopf
stattfinden.
Was macht für Sie den Wert
von Bildung aus?
Ich glaube, dass eine gute Allgemeinbil-
dung zusammen mit dem, was man heute
oft als soziale oder emotionale Intelligenz
bezeichnet, der Schlüssel zu einem nicht
nur erfolgreichen, sondern auch einem
glücklichen Leben ist.
Muss man gebildet sein, um bei „Wer
wird Millionär“ zu gewinnen?
Für meine Sendung kann es mit etwas
Glück genügen, über ein möglichst brei-
tes, aber zusammenhangloses Faktenwis-
sen zu verfügen. Genau deshalb war mein
erster Millionär ein Universitätsprofessor
und meine zweite Gewinnerin eine arbeits-
lose Hausfrau. Die bisherigen Millionäre in
unserer Sendung stammen also aus allen
Bildungsschichten. Allerdings zeichneten
sie sich alle durch große Neugierde und
ein weit gefächertes Interesse an vielen
Themen aus. Der sogenannte Fachidiot
hat es also bei mir schwer. Er kommt nur
selten über 32 000.
Halten Sie sich selbst für gebildet?
Der Begriff „gebildet“ wird ja von vielen
missverstanden. Ein formal hoher Bil-
dungsabschluss hat für mich noch nicht
zwangsläufig viel mit Bildung zu tun. Zu
einem gebildeten Menschen gehört für
mich neben einem breit gefächerten Wis-
sen insbesondere die Verkörperung einer
Persönlichkeit. Das hat ja auch z. B. viel
mit der Erziehung durch das Elternhaus,
aber auch viel mit dem zu tun, was man
gemeinhin als Herzensbildung bezeichnet.
Insofern sollen andere entscheiden, ob
sie mich für mehr oder weniger gebildet
halten. Im Übrigen kenne ich aber auch
viele Menschen, die ich trotz dürftigen
Schulabschlusses für sehr gebildet halte.
Haben Sie den Eindruck, die
Schule vermittelt heutzutage noch
das notwendige Wissen?
Wir werden nicht zwangsläufig dümmer.
Aber sicher werden einige bequemer. Viel-
leicht ist es ein bisschen so wie bei der
Einführung des Taschenrechners. Da dach-
ten auch viele Schüler, dass sie ab jetzt
nie mehr etwas im Kopf rechnen müssten.
Das war ein Irrtum, und insofern ist die
sogenannte klassische Bildung nicht nur
in dem Zusammenhang noch immer ein
ziemlich gutes Rüstzeug fürs Leben.
Welches Wissen ist Ihnen aus Schule
und Studium noch präsent?
Die Erinnerung an spezielle Inhalte aus
Schulstunden, die Jahrzehnte zurücklie-
gen, hat sicher stark nachgelassen. Ich
profitiere aber immer noch von Techni-
ken, die mir damals vermittelt wurden.
Wie erfasse ich auch etwas komplizier-
tere Texte? Mit welcher Ausdauer begegne
ich Problemen, die mir nicht sofort lösbar
erscheinen? Welcher Hilfsmittel bediene
ich mich, wenn ich selbst nicht mehr wei-
terkomme? Und wie schaffe ich es, bei
Informationen Wichtiges von Unwichtigem
zu trennen.
Gibt es Dinge, die Sie unbedingt
noch lernen möchten?
Die gibt es sicher. Auf der anderen Seite
merke ich, dass bei mir zum Beispiel die
Fähigkeit zum Auswendiglernen im Ver-
Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
gleich zu früher stark nachgelassen hat.
Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass
ich bestimmte Wissenslücken mit der grö-
ßeren Lebenserfahrung zumindest teil-
weise ausgleichen kann. Aber verlassen
oder gar ausruhen sollte man sich darauf
nicht. ■
49
T I TEL
100 × wichtiges
Wissen
POLITIK
1 | Was steht in Artikel 1
Absatz 1 des Grundgesetzes?
Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Sie zu achten und
zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt.
2 | Welche drei Gewalten gibt es
im deutschen Staat?
Legislative, Exekutive und Judika-
tive. Konkret: die gesetzgebenden
Parlamente (Bundestag, Land-
tage, Kommunalparlamente) und
den Bundesrat. Die ausführenden
Verwaltungen (Bundesregierung,
Landesregierungen, Kommunal-
verwaltungen) und die Gerichte.
3 | Wer wählt den
Bundeskanzler?
Gemäß Artikel 63 des Grundge-
setzes wird der Bundeskanzler
vom Bundestag ohne Aussprache
gewählt. Der Kandidat muss 18
Jahre alt sein und nicht notwendig
dem Bundestag angehören.
4 | Wie heißen die bisherigen
Bundeskanzler?
• Konrad Adenauer
(CDU, 1949–1963)
• Ludwig Erhard
(CDU, 1963–1966)
• Kurt Georg Kiesinger
(CDU, 1966–1969)
• Willy Brandt
(SPD, 1969–1974)
• Helmut Schmidt
(SPD, 1974–1982)
• Helmut Kohl
(CDU, 1982–1998)
• Gerhard Schröder
(SPD, 1998–2005)
• Angela Merkel
(CDU, seit 2005)
50
5 | Was ist der Bundesrat
und welche Aufgaben hat er?
Der Bundesrat ist eines der fünf
ständigen Verfassungsorgane der
Bundesrepublik. Über ihn wirken
die 16 Bundesländer unter
anderem an der Gesetzgebung
des Bundes mit.
6 | Warum kämpft die Bundes-
wehr in Afghanistan?
Die Terroranschläge in den USA
vom 11. September 2001 führten
dazu, dass der Bundestag im
November und im Dezember
2001 auf Antrag der damaligen
rot-grünen Bundesregierung Aus-
landseinsätze der Bundeswehr zur
Terrorismusbekämpfung unter an-
derem in Afghanistan beschloss.
Amtsantritt Helmut Kohl wird 1982 zum ersten Mal als Bundes-
kanzler vereidigt. Gewählt hatte ihn zuvor der Bundestag
Von Politik bis Fußball, von Wirtschaft bis Pop –
zehn kluge Köpfe erklären,
was heute zur Allgemeinbildung zählt
MARIETTA SLOMKA, 44
DIE JOURNALISTIN MODERIERT SEIT ZWÖLF
JAHREN DAS »HEUTE JOURNAL«. SIE SAGT,
WAS ZUR POLITISCHEN GRUNDBILDUNG GEHÖRT
7 | Was ist die 5-Prozent
Hürde? Und warum gibt es sie?
Sie ist eine Sperrklausel. Damit
einer Partei bei der Wahl zum
Bundestag Sitze zugeteilt werden,
muss sie mindestens fünf Prozent
der Zweitstimmen auf sich vereini-
gen. So soll verhindert werden,
dass zu viele Splitterparteien ins
Parlament einziehen und die
Bildung einer stabilen Regierung
erschwert wird.
8 | Wofür stehen die folgenden
Abkürzungen?
• CDU: Christlich Demokratische
Union Deutschlands
• CSU: Christlich Soziale Union
• SPD: Sozialdemokratische
Partei Deutschlands
• FDP: Freie Demokratische Partei
• NATO: North Atlantic Treaty
Organization (Nordatlantikpakt-
Organisation)
• EU: Europäische Union
• UN: United Nations (Vereinte
Nationen)
• G 8: Die Gruppe G 8 ist ein
informelles Forum der Staats-
und Regierungschefs aus den
acht Industrieländern USA,
Japan, Großbritannien, Italien,
Frankreich, Kanada, Russland
und Deutschland.
9 | Was war die Stasi?
Die Staatssicherheit war das
Ministerium für Staatssicherheit
der DDR. Die Stasi war Inlands-
und Auslandsgeheimdienst
und zugleich Ermittlungsbehörde
für „politische Straftaten“.
Das MfS war innenpolitisch
vor allem ein Unterdrückungs-
und Überwachungsinstrument
des SED-Regimes gegenüber
der DDR-Bevölkerung und diente
dem Machterhalt.
10 | Was waren die
Ostverträge?
Sie wurden in den 1970er Jahren
von der Bundesregierung Brandt
mit der DDR, der UdSSR, Polen
und der CSSR abgeschlossen
und markierten eine neue Ostpolitik
der Bundesrepublik. Sie sollten
Entspannung und einen „Wandel
durch Annäherung“ bringen.
Willy Brandt wollte durch sie auch
Erleichterungen für die Menschen
im geteilten Deutschland erreichen.
In den Ostverträgen wurde
unter anderem der Verzicht auf
Gewalt vereinbart.
FOCUS 35/2013

GESCHICHTE
11| Der Mauerfall
Der 9. November 1989 ist die
glücklichste Nacht der Deutschen.
Die Bilder entfalten eine Macht,
der sich bei der Frage nach der
Wiedervereinigung auch die vier
Siegermächte nicht entgegenstel-
len können.
12 | Der Mauerbau
Der 13. August 1961 markiert die
deutsche Teilung und damit die
Spaltung Europas und der Welt.
13 | Das Stauffenberg-Attentat
Der 20. Juli 1944 ist das Symbol
für den Widerstand in der NS-Zeit.
Das Attentat auf Hitler zeigte der
Welt, dass nicht alle Deutschen
Anhänger des NS-Regimes waren.
14 | Der Zweite Weltkrieg
1. September 1939 bis 8. Mai
1945. Mehr als 50 Millionen Men-
schen sterben. Es ist der Krieg,
WIRTSCHAFT
21 | Wann wurde der Euro in
Fotos: Carmen Sauerbrei/ZDF, Mar tin Athenstädt, Horst Galuschka, Jacques Louis David/IMAGNO/
Deutschland eingeführt?
Das erste Mal bekamen die Deut-
schen am 1. Januar 2002 Euro-
scheine aus dem Geldautomaten.
Bereits einige Wochen vorher gab
es das sogenannte Starterkit.
Dort waren die ersten Euro-
Münzen in einer Tüte enthalten.
22 | Wer gilt als Vater der
Sozialen Marktwirtschaft – und
was bedeutet sie?
Als Vater der Sozialen Marktwirt-
alle dpa, Hans-Chrisitan Plambeck/laif
schaft gilt Ludwig Erhard (CDU),
von 1949 bis 1963 Bundeswirt-
schaftsminister der Bundesrepub-
lik Deutschland und von 1963
bis 1966 Bundeskanzler. Das
Konzept der Sozialen Marktwirt-
schaft wird von zwei Grundsätzen
bestimmt: Schutz der Freiheit
derer, die als Anbieter oder Nach-
frager am Markt teilnehmen,
und zugleich Sorge für sozialen
FOCUS 35/2013
der deutlich macht, wozu
Menschen fähig sind und was sie
ihresgleichen antun können.
15 | Hitlers Machtergreifung
Am 30. Januar 1933 wird Hitler
zum Reichskanzler ernannt. Die
„Machterschleichung“ belegt das
Versagen der gesellschaftlichen
und politischen Kräfte der Weimarer
Zeit. Gemeinsam hätten sie die NS-
Herrschaft noch verhindern können.
16 | Der Erste Weltkrieg
Am 1. August 1914 beginnt der
„30-jährige Krieg des 20. Jahr-
hunderts“: Erster und Zweiter
Weltkrieg stehen in engem histori-
schen Zusammenhang und wer-
den nur von einer konfliktreichen
Zwischenkriegszeit getrennt.
17 | Die Reichsgründung
Am 18. Januar 1871 wird
Preußens König Wilhelm I. zum
Ausgleich. Die Soziale Marktwirt-
schaft prägt bis heute wesentlich
die deutsche Wirtschaft.
23 | Wann spricht man von
Umsatz und wann von Gewinn –
und worin unterscheiden sich
die Begriffe?
Der Umsatz ist die wertmäßige
Erfassung aller abgesetzten
Produkte und Dienstleistungen
in einem bestimmten Zeitraum.
Es geht um die Einnahmen eines
Unternehmens. Dagegen ist der
Gewinn der verbleibende Betrag,
wenn man alle Kosten und Ausga-
ben abzieht.
24 | In welcher Form kann man
sich an Unternehmen als Bürger
beteiligen?
Bürger können sich direkt
über Aktien an Unternehmen
beteiligen, wenn diese an
der Börse gehandelt werden.
GUIDO KNOPP, 65
DER BEKANNTE HISTORIKER
ERKLÄRT EINSCHNEIDENDE
EREIGNISSE DER DEUTSCHEN GESCHICHTE.
Napoleon Der Kampf gegen
ihn eint die Deutschen
RENÉ OBERMANN, 50
SEIT 2006 VORSTANDSVORSITZENDER
DER TELEKOM. DER MANAGER BEANTWORTET
WICHTIGE FRAGEN ZUR ÖKONOMIE
25 | Was bedeutet der Begriff
„Dax 30“ und wofür steht er?
Hier geht es um die Börsenent-
wicklung. Dax ist die Abkürzung
für „Deutscher Aktienindex“. Für
den „Dax 30“ werden die Aktien
der 30 größten und umsatzstärks-
ten börsennotierten Unternehmen
in Deutschland herangezogen.
26 | Wie hoch ist das BIP und
was misst es?
Rund 2,6 Billionen Euro betrug
das Bruttoinlandsprodukt
Deutschlands im Jahr 2012. Es
ist das Maß für die wirtschaftliche
Leistung einer Volkswirtschaft
innerhalb eines Jahres.
27 | Welche Investmentbank er-
schütterte vor einigen Jahren mit
ihrer Insolvenz die Finanzwelt?
Die US-Investmentbank Lehman
Brothers; sie musste am 15. Sep-
tember 2008 Insolvenz anmelden.
Deutschen Kaiser ausgerufen.
Zum ersten Mal existiert ein
deutscher Nationalstaat.
18 | Napoleons Eroberungen
1806 besetzt Napoleon
Berlin, die Hauptstadt Preußens.
Durch seine Eroberungen
finden die Deutschen mehr
denn je zueinander. In den
Befreiungskriegen entsteht der
Wunsch nach einer geeinten
Nation.
19 | Die Reformation
Martin Luther löst 1517 mit dem
Thesenanschlag in Wittenberg die
Spaltung des Christentums aus.
20 | Die Varus-Schlacht
Im Teutoburger Wald unterliegen
9 n. Chr. Roms Legionen den
Germanen. Der Sieg des Arminius
befreit Germanien vorerst von
der Herrschaft der Römer.
28 | Wer erfand die Glühbirne?
Die uns noch heute bekannte
Glühfadenlampe stammt aus dem
19. Jahrhundert und wurde maß-
geblich von dem US-Erfinder und
Unternehmer Thomas Alva Edison
entwickelt.
29 | Wer gilt als Schöpfer des
World Wide Web „www“?
Der britische Physiker und
Informatiker Tim Berners-Lee,
heute 58 Jahre, umriss 1989 in
einem grundlegenden Aufsatz
die Vision des Internets, wie wir
es heute kennen.
30 | Mit welcher Erfindung ver-
einfachte Douglas C. Engelbart
die Bedienung des Computers
wesentlich?
Es ist die „Maus“, neben der
Tastatur eines der wichtigsten
Eingabegeräte für die Nutzer von
Computern.
51

NATURWISSENSCHAFT
31 | Wie bewegt sich ein
Mensch, der im Sessel sitzt und
diese Zeilen liest?
Er befindet sich nicht in Ruhe,
sondern auf der Erde, die eine
Bahn um die Sonne zieht und sich
um ihre eigene Achse dreht, die
zudem ihre Ausrichtung im Laufe
der Zeit ändert. Weiter bewegt
sich das ganze Planetensystem
durch die Milchstraße, die in
einem expandierenden Universum
eine schneller werdende Flucht-
bewegung ausführt.
32 | Woher wissen Menschen,
dass es Atome gibt,
die man doch nicht sieht?
Das Wort „Atom“ ist uralt.
Es stammt aus der Antike,
wurde aber von den Philosophen
dieser Zeit nicht wirklich ernst
genommen. Sie wollten gar nicht
wissen, wie viele Atome es gibt,
wie groß sie sind und wie sie
aussehen. Diese Fragen stellten
erst die Chemiker und Physiker
im 19. Jahrhundert, die im
20. Jahrhundert zu ihrer
Überraschung merkten, dass
Atome gar nicht unteilbar sind
und auch kein Aussehen haben.
Atome sind keine Dinge und
stecken voller Rätsel, gerade
weil wir sie nicht sehen und
in die Hand nehmen können,
wie es mit Äpfeln und Birnen
gelingt. Viel Platz zum Staunen.
33 | Lassen sich Gene zählen,
etwa beim Menschen?
In der Öffentlichkeit ist viel von
Genen die Rede – von Sieger-
Genen, von Genen für die Untreue
oder das Böse, von Bayern-Genen
– und die Wissenschaft legt von
immer mehr Lebewesen und ihren
Zellen das Erbmaterial frei, das
sie Genom nennt. Man kennt seit
gut zehn Jahren das Genom des
Menschen und fragt seitdem, wie
viele Gene ein Mensch besitzt.
Die Antwort bleibt trotz vieler Zah-
len offen, weil Gene nicht etwas
sind, das Zellen hat, sondern
etwas, das Zellen macht – in
jeder Situation anders. Gene
müssen so gebildet werden wie
die Menschen selbst.
52
34 | Was ist Energie – und gibt
es genug davon?
Die Wissenschaft kennt für die
Energie den fast heiligen Grund-
satz, dass sie weder erzeugt noch
vernichtet werden kann. Energie
bleibt erhalten und ist somit
unzerstörbar. Daher kann kein
Mensch Energie verbrauchen,
auch wenn er dafür zahlen muss,
und kein Politiker kann Energie
erneuern, auch wenn er es glaubt.
Es wird Zeit, dass wir lernen,
sachlich richtig über Energie zu
sprechen, damit die Entscheidun-
gen der Energiepolitik vermieden
werden, in deren Folge die Lichter
ausgehen.
ERNST PETER FISCHER, 66
DER WISSENSCHAFTSHISTORIKER
STELLT SPANNENDE FRAGEN,
ÜBER DIE DAS NACHDENKEN LOHNT
35 | Warum fallen Gegenstände
nach unten?
Kinder kann man bei dieser Frage
mit der Antwort begeistern, dass
Gegenstände nach unten fallen,
weil die, die nach oben fallen,
längst weg sind. Erwachsene
kann man mit dem Hinweis
„Durch die Schwerkraft“ erst be-
ruhigen und dann aufregen, wenn
weiter gefragt wird, wie diese
Kraft denn zu Stande kommt. Da
ist doch nur die Erde mit ihrer
Masse. Wie erzeugt so etwas
eine anziehende Kraft? Durch das
Gravitationsfeld, heißt die korrek-
te Antwort der Wissenschaft, die
es noch schwerer macht. Was ist
Insektenvolk
Bienen können kommunizieren
und sich so den Weg zur
Nahrung weisen. Eine eigene
Sprache haben sie aber nicht
denn solch ein Feld, und wie er-
reicht das die Gegenstände, die
dann fallen? Weiterdenken, bitte.
36 | In welche Richtung weht
der Wind?
Was macht der Wind, wenn er
nicht weht? Eine Frage, über die
sich nachsinnen lässt, wenn ver-
standen ist, warum man dauernd
Gegenwind beim Radeln hat und
warum der Wind am Meer landein-
wärts bläst. Gut verstehen kann
man das Wehen am Wasser, das
vor allem im Sommer länger warm
bleibt als die Landmasse, was
sich auf die Luft überträgt, die mit
der Hitze Druck entwickelt und als
Wind vom Meer zur Küste strebt
und dort die Haare der Spazier-
gänger am Strand zerzaust. Wind
macht es wie wir. Er geht dahin,
wo er Platz findet, also dahin, wo
wenig Druck herrscht.
37 | Warum darf man nicht durch
null teilen?
Die Null hat lange gebraucht, um
in den Kulturen aufzutauchen,
und wir haben bis heute Proble-
me, den Tag der Geburt eines
Menschen als nullten Geburtstag
und nicht als seinen ersten zu be-
zeichnen. Mit null malnehmen gibt
null, was einleuchtet, aber was
ergibt sich, wenn man durch null
teilt? Unendlich, denkt man!
Oder? Das Problem besteht darin,
dass man sich der null von den
Fotos: Klaus Nowottnick, BREUEL-BILD, United Archives/alle dpa (4), ullstein bild
positiven und den negativen Zah-
len her nähern kann und dann
entweder unendlich mit Plus- oder
mit Minuszeichen erhält, und das
verwirrt nur. Wer durch null teilt,
verliert die Kontrolle, und deshalb
ist es unzulässig.
38 | Haben Bienen eine Sprache?
In Schulbüchern ist davon die
Rede, dass Bienen über eine
Sprache verfügen, mit der sie an-
FOCUS 35/2013

deren Bienen im Stock mitteilen,
wo es Blüten und damit Nahrung
gibt. Bienen führen dazu einen
Tanz auf – den Schwänzeltanz –,
doch so schön der anzusehen
ist, eine Sprache möchte man
diese Kommunikation nicht nen-
nen. Die informierten Bienen
antworten nämlich nicht, sie
reagieren nur, wenn auch nicht
unbedingt auf den Tanz, und um
ihr Ziel zu erreichen, müssen sie
auf andere Bienen achten und
Düften folgen. Viel Arbeit für ein
kleines Hirn – und die Forscher.
39 | Woher haben E-Mails
das @-Zeichen?
Elektronische Post ist uralt. Es
gibt sie seit den frühen 1970er-
Jahren, als das erste Programm
dafür geschrieben wurde. Um die
elektronischen Briefe an die rich-
tige Adresse schicken zu kön-
nen, dachte man sich eine zwei-
geteilte Anschrift aus, die aus
dem Namen der Person und aus
der Bezeichnung des benutzten
Computers bestand. Um beide
Teile zu trennen, suchte man ein
Zeichen, das nicht zum norma-
len Alphabet gehört, und man
wurde bei dem alten Zeichen
der Kaufleute fündig, mit der sie
„drei Hosen zu je 100 Mark“
ausdrückten. Sie schrieben es
als „drei Hosen @ 100 Mark“.
Da sind E-Mails billiger.
40 | Warum ist Zucker süß?
An dieser Frage lassen sich un-
mittelbare und weit zurückliegen-
de (evolutionäre) Gründe unter-
scheiden. Die direkte Antwort
lautet, dass Zucker süß ist, weil
seine Moleküle auf den Nerven-
zellen landen, die im Gehirn die
angenehmen Empfindungen aus-
lösen, welche „süß“ heißen. Die
evolutionäre Antwort lautet,
dass es in der Frühzeit der Men-
schen Mühe machte, Früchte mit
dem Zucker zu finden, den ein
Körper für den Stoffwechsel
brauchte. Der Aufwand musste
von der Evolution belohnt wer-
den, und so schmecken die sel-
tenen Beeren süß. Man soll sie
ruhig genießen.
FOCUS 35/2013
FILM
41 | „8 ½“
(Federico Fellini, Italien 1963)
Ein italienischer Schwarzweiß-
Traum (und Albtraum) vom Kino,
den Tücken der Fiktion und den
Unzulänglichkeiten der Moderne.
Fellini verknüpft virtuos Subjekti-
vität und Gesellschaftspanorama:
Wer die ersten fünf Minuten die-
ses Films sieht und danach ab-
schaltet, dem ist nicht zu helfen.
42 | „Außer Atem“
(Jean-Luc Godard, Frankreich
1960)
Ein ebenso impulsiver wie
überlegter Befreiungsschlag.
Gilt als Geburtsfilm der Nouvelle
Vague, die das französische Kino
mit einer Reihe von Regisseuren
reetablierte, welche zuvor
als Filmkritiker gearbeitet hatten
(Truffaut, Rohmer, Rivette,
Chabrol und andere).
43 | „Breaking The Waves“
(Lars von Trier, Dänemark 1996)
Einer der ästhetisch einfluss-
reichsten Filme der 90er-Jahre.
Wegbereiter der „befreiten“
Kamera im darauf folgenden
Jahrzehnt. Beginn einer Epoche,
in der dänische Filmemacher
in Europa die maßgeblichen
Akzente setzten.
44 | „Kinder des Olymp“
(Marcel Carné, Frankreich 1945)
Epische Erzählform, poetische
Bildsprache und beeindruckendes
Schauspiel finden in diesem
französischen Klassiker zu einer
einzigartigen Symbiose.
45 | „Manche mögen’s heiß“
(Billy Wilder, USA 1959)
Wahrscheinlich die unverschäm-
teste und zugleich klügste
Komödie aller Zeiten. Beginnt
als knallharter Gangsterfilm,
wandelt sich zur Fummel-Klamotte
und kulminiert als revolutionäres
Queer-Feuerwerk.
46 | „Nosferatu – Eine Symphonie
des Grauens“
(F. W. Murnau, Deutschland 1922)
Der erste Dracula-Film: aus einer
Zeit, in der Deutschland auf dem
TOM TYKWER, 48
DER ERFOLGSREGISSEUR („LOLA RENNT“, „DAS PARFÜM“,
„CLOUD ATLAS“) NENNT STILBILDENDE MEISTERWERKE
DES FILMS. VON KRIMI BIS KOMÖDIE
„Pulp Fiction“
Die beiden Killer
Vincent und
Jules erledigen
einen Auftrag
für ihren Boss
„Nosferatu“ Max Schreck in
Murnaus Vampir-Meisterwerk
besten Weg war, das Zentrum
der internationalen Filmkunst zu
werden. Von einem Regisseur, dem
Klima, Atmosphäre, Stimmung
alles waren und dessen visueller
Erfindungsreichtum bis heute
wirkt. Wie viele andere musste
Murnau die Heimat verlassen. In
den USA gründete er das neue
Mekka des Kinos mit: Hollywood.
47 | „Der Pate“
(Francis Ford Coppola, USA 1972)
Der definitive Gangsterfilm. Die
Geburt einer für Jahrzehnte das
Kino prägenden Regie- und Schau-
spielergeneration. Auf der neuen
lichtbestimmten Blu-ray übrigens
so faszinierend wie nie zuvor.
48 | „Pulp Fiction“
(Quentin Tarantino, USA 1994)
Neben „Breaking The Waves“
der zweite der beiden Überfilme
aus den 90ern. Filmgeschichte im
Remix, Popkultur als lustvolles
Schlachtfeld der Zeichen und
Zitate. Tarantinos Startschuss in
die Post-Postmoderne des Kinos
hallt bis heute lautstark nach.
49 | „Rashomon“
(Akira Kurosawa, Japan 1950)
Packende Parabel über Schuld
und Verantwortung im Spiegel un-
terschiedlicher Perspektiven und
Haltungen. Vor unseren Augen zer-
pflückt Kurosawa den Wahrheits-
begriff, um ihn dann als morali-
sches und erzählerisches Paradox
wieder zusammenzufügen. Dem
Sog dieses Films kann sich auch
nach 60 Jahren keiner entziehen
– die Wucht und Intensität der In-
szenierung reißt uns mit in ein Ge-
dankenspiel voller Fragezeichen.
50 | „Wilde Erdbeeren“
(Ingmar Bergman, Schweden
1957)
Ein Generationenporträt
voller Ambivalenz und ebenso
geheimnisvoll wie präzise
komponierter Bilder. Bergmans
einzigartige Fähigkeit, die
Wünsche und Sehnsüchte, die
Stärken und Schwächen der
Menschen zu untersuchen,
kommt in diesem Film besonders
eindrucksvoll zur Geltung.
53
 JULIA FISCHER, 30
KLASSISCHE MUSIK DIE GEIGERIN UND PROFESSORIN AN DER MUSIK-
HOCHSCHULE MÜNCHEN ERKLÄRT DIE
WICHTIGSTEN WERKE DER KLASSISCHEN MUSIK

51 | Sinfonie Nr. 9 in d-Moll
Ludwig van Beethoven
(1770–1827)
Beethovens letzte Sinfonie ist
ein Wendepunkt des sinfonischen
Schaffens: was er mit dem
Orchester macht, wie er Motive
verwendet, wie er die klassische
Form sprengt.
52 | „Die vier Jahreszeiten“
Antonio Vivaldi (1678–1741)
Das kennt jeder. Vier Violinkonzer-
te beschreiben je eine Jahreszeit.
Beethoven Die neunte
Sinfonie ist sein Meisterwerk
Es ist Programmmusik: Man hört
die Turteltaube, das Gewitter, die
Jagdhörner, das Eislaufen.
53 | „Matthäus-Passion“
Johann Sebastian Bach
(1685–1750)
Mit Bach fängt für mich alles an.
Die „Matthäus-Passion“ ist ein
Stück vertonte Bibel. Bachs Werk
zeigt, welch große Rolle die
Kirche in der Musik gespielt hat.
54 | „Don Giovanni“
Wolfgang Amadeus Mozart
(1756–1791)
Mozart vertont das ewige Thema
„Don Juan“. Er hebt in diesem
Werk die Oper auf ein völlig neues
Level – in der Dramatik, in der
melodischen Linienführung und
darin, was sängerisch möglich ist.
55 | „Tristan und Isolde“
Richard Wagner (1813–1883)
Wagner schuf Gesamtkunstwerke,
bei denen er alles selbst machte.
Er schrieb, er komponierte,
er wollte sein eigenes Theater.
Richard Strauss nannte den
„Tristan“ „die höchste Erfüllung
der 2000-jährigen Entwicklung
des Theaters“.
56 | „West Side Story“
Leonard Bernstein (1918–1990)
Eine moderne Version der „Ro-
meo und Julia“-Geschichte. Mir
gefällt, dass sich das Stück nicht
in eine der Kategorien „Klassik“
oder „Unterhaltungsmusik“ ein-
ordnen lässt.
57 | „Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll“
Peter Iljitsch Tschaikowsky
(1840–1893)
Das Unglaubliche an Tschai-
kowskys Musik ist, dass sie jeden
Menschen berührt. Ich habe
noch niemanden getroffen, der
gesagt hat, Tschaikowsky gefällt
mir nicht.
58 | Sinfonie in h-Moll,
„Die Unvollendete“
Franz Schubert (1797–1828)
Man muss Schubert in seiner
emotionalen Reinheit erlebt
haben. Wenn man an Gott glaubt,
dann ist Schubert der Komponist,
der Gott am nächsten war. Seine
Musik ist nicht von dieser Erde.
59 | „Le Sacre du Printemps“
Igor Strawinsky (1882–1971)
Die Uraufführung 1913 löste
einen Skandal aus. An dem Werk
ist alles revolutionär: die Lautstär-
ke, die Rhythmik, die Harmonien.
60 | „Bolero“
Maurice Ravel (1875–1937)
Es ist unglaublich, dass jemand
ein 13-minütiges Stück schreibt
und darin nur zwei Themen
verwendet. Der „Bolero“ zeigt,
was man in einem Orchester
allein mit verschiedenen
Klangfarben machen kann.

PAUL VAN DYK, 41

POPMUSIK MUSIKPRODUZENT UND EINER DER ERFOLGREICHSTEN
DJS DER WELT. ER ZÄHLT DIE ALBEN AUF, DIE
FÜR DIE ENTWICKLUNG DER POPMUSIK PRÄGEND SIND

61 | „Abbey Road“ 64 | „Organisation“ People“ auf diesem Album brach- Pop maßgeblich beeinflusst. Die-

(The Beatles, 1969)
Die Beatles haben ein Lebens-
gefühl transportiert und eine
Verbindung zu ihren Zuhörern
geschaffen. Ihre letzte gemeinsa-
me Produktion ist benannt nach
ihrem Musikstudio in London.
62 | „Die Mensch-Maschine“
(Kraftwerk, 1978)
Kraftwerk sind die Pioniere der
elektronischen Musik. Das Album
ist immer noch aktuell: Im Lied
„Neonlicht“ hört man regelrecht
das Leuchten einer Großstadt.
63 | „The Wall“
(Pink Floyd, 1979)
Die psychedelische Rockmusik von
Pink Floyd war für ihre Zeit bombas-
tisch. Ihre Alben und Live-Auftritte
waren moderne Opern. Als Ostkind
ist „The Wall“ mein klarer Favorit.
(Orchestral Manoeuvres
In The Dark, 1980)
Das Konzeptalbum der großen
Synthie-Pop-Band klingt
unglaublich tief, gar nicht wie
der typische 80er-Jahre-Sound.
65 | „Thriller“
(Michael Jackson, 1982)
Michael Jackson schuf die Verbin-
dung zwischen Funk und Soul, der
Musik der farbigen US-Musiker,
und der Popmusik der „weißen“
Interpreten. Mit 140 Millionen ver-
kauften Exemplaren ist „Thriller“
auch heute noch das erfolgreichs-
te Musikalbum aller Zeiten.
66 | „Some Great Reward“
(Depeche Mode, 1984)
Die britische Band war an jedem
Richtungswechsel der Popmusik
beteiligt. Der Titel „ People Are
te Depeche Mode den internatio-
nalen Durchbruch.
67 | „Meat is Murder“
(The Smiths, 1985)
Als erste Indie-Rock-Band waren
sie der Gegenpol zur Allerwelts-
musik in den 80er-Jahren. The
Smiths haben vor allem den Brit-
Michael Jackson startete
den Hype um das Musikvideo
Fotos: Geisler-Fotopress, Cour tesy Everett Collection, Michael Grecco/MGP Inc./alle dpa
ses Album war ihr erfolgreichstes.
68 | „The Joshua Tree“ (U2, 1987)
Eine Band der Superlative:
22 Grammys, umsatzstärkste
Musiktournee und 150 Millionen
verkaufte Alben. „The Joshua
Tree“ ist voller Klassiker. Damit
wurden U2 zu Superstars.
69 | „Nevermind“ (Nirvana, 1991)
Die US-Band um den tragischen
Sänger Kurt Cobain machte Indie-
Rock mit seinem harten Gitarren-
sound salonfähig. „Nevermind“
war ein Überraschungserfolg.
70 | „Ima“ (Brian Transeau, BT),
1996)
BT gelingt es, ganz neue Sounds
ohne Synthesizer zu kreieren.
Dieses Album beeinflusste die
elektronische Tanzmusik enorm.

54 FOCUS 35/2013
 Schwimmbadüberdachungen

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BILDENDE KUNST
71 | Pergamon-Altar
(2. Jh. v. Chr.; Pergamonmuseum,
Berlin)
Die Stadt Pergamon und der
gleichnamige Altar stehen für die
hellenistische Antike, für die An-
fänge archäologischer Forschung
und für den herausragenden Stel-
lenwert der Berliner Museumsinsel
schlechthin. Der Altar unterstreicht
dabei die allgegenwärtige Macht
des Religiösen in der Antike.
72 | Nofretete (14. Jh. v. Chr.;
Neues Museum, Berlin)
Die Lebendigkeit dieser berühm-
ten Büste zeugt nicht nur von
der Schönheit der Porträtierten,
sondern bricht durch eben
diese Natürlichkeit radikal aus
dem Kanon der altägyptischen
Kunst aus. Nofretete macht die
Amarna-Periode zu einer besonde-
ren Etappe Altägyptens.
73 | „Mönch am Meer“
(Caspar David Friedrich, 1808–
10; Alte Nationalgalerie, Berlin)
Die „Leere“ des Bildes wirkte für
viele Betrachter der damaligen Zeit
zunächst verstörend. Doch die
nach Skizzen im Freien komponier-
te Landschaft mit der dabei erzeug-
ten Stimmung gilt als kennzeichend
für die Malerei der Romantik.
74 | „Goethe in der Campagna“
(Johann Heinrich Wilhelm
Tischbein, 1787; Städelmuseum,
Frankfurt/Main)
Dieses Bild steht für die Italien-
Sehnsucht der Goethe-Zeit.
Die beigefügte ägyptisierende,
griechische und römische
Architektur im Hintergrund prägte
das Bild des großen Dichters
als Universalgelehrter.
75 | Martin Luthers Hochzeits-
bild (Lucas Cranach d. Ä., 1526;
Wartburg, Eisenach)
In der Person Martin Luthers ma-
nifestiert sich die Zeitenwende
der Reformation auch als grundle-
gender kultureller und politischer
Wandel. Cranach d. Ä. illustrierte
auch Luthers Bibelübersetzung,
der Künstler war mit dem
Reformator eng befreundet.
56
HERMANN PARZINGER, 54
DER PRÄSIDENT DER BERLINER STIFTUNG
PREUSSISCHER KULTURBESITZ NENNT ZEHN
KULTURGÜTER IN DEUTSCHLAND, DIE JEDER SEHEN SOLLTE
76 | „Sixtinische Madonna“
(Raffael, 1512/13; Gemälde-
galerie Alter Meister, Dresden)
Das Gemälde steht gleichsam
für die Dresdner Galerie Alter
Meister. Es ist eines der
bedeutendsten Werke der
italienischen Renaissance –
und ein Glanzstück jeder
musealen Präsentation.
71 77 | „Bildnis der Saskia
van Uylenburgh im Profil“
(Rembrandt van Rijn, 1634–42;
Museum Schloss Wilhelmshöhe,
Kassel)
Die Rollen, in denen Rembrandt
seine Frau Saskia inszenierte, zeu-
gen von dem für ihn so typischen
Spiel der Kunst mit der dargestell-
ten Welt. Rembrandt band die
Porträtierten stets in kleine Hand-
lungen ein, er schuf eine gleich-
72 73 sam inszenierende Porträtkunst.
78 | „Blaues Pferd I“
(Franz Marc, 1911; Lenbachhaus,
Museumslandschaft Hessen Kassel, Felix Hörhager/alle dpa, akg-images (2), United Archives/ddp images, ullstein bild
Fotos: Stiftung Preußischer Kulturbesitz/ Bildschön, Heiko Meyer/beide laif, Jens Wolf, Eventpress Herrmann, Andreas Frank,
München)
Franz Marc war einer der Begrün-
der der Künstlergruppe „Der
Blaue Reiter“, die den Weg in die
Moderne entscheidend prägte.
74 75 76 Das ins Pathetische und Expressi-
ve übersteigerte Pferd und die
Kraft der hier kombinierten
Farben zeugen von einer neuen
Zeit und Ausdrucksform.
79 | „Frau mit Artischocke“
(Pablo Picasso, 1941;
Museum Ludwig, Köln)
Pablo Picasso gilt mit Recht als In-
begriff der vielseitigen und immer
77 78 79 wieder wandlungsfähigen Kunst
des 20. Jahrhunderts, die sich
stets neue Orientierungspunkte
sucht und radikal Neues schöpft.
80 | „7000 Eichen“
(Joseph Beuys: „Stadtverwaldung
statt Stadtverwaltung“, 1982–87,
Kassel)
In der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts geht Kunst im Stadtbild
auf. Dieses Projekt ist dabei nicht
nur ein politisches Statement in
Kunstform, sondern Beuys macht
80 dadurch Kunst im öffentlichen
Raum tagtäglich erlebbar.
FOCUS 35/2013
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LITERATUR
81 | Die Bibel
Auch wenn man nicht religiös ist,
ist das ein hochinteressantes Ge-
schichtenbuch, und letztlich sollte
man Menschen wie Adam, Eva,
Kain, Abel, Jesus, David, Goliath,
Hiob oder Salomo kennen.
Die Bibel
Auch für nicht religiöse
Menschen Pflichtlektüre
voller schöner Geschichten
FUSSBALL
91 | Wer war der
1. Deutsche Fußballmeister?
Der VfB Leipzig. Der Verein siegte
am 31. Mai 1903 in Hamburg
mit 7 : 2 gegen den Deutschen
FC Prag.
92 | Wer war Bundestrainer,
als Deutschland 1954 erstmals
Weltmeister wurde?
Sepp Herberger. Der „Chef“
führte die Nationalelf
zum „Wunder von Bern“.
93 | Welcher Verein stellte
in der Weltmeister-Elf die
meisten Spieler?
Vom 1. FC Kaiserslautern kam
mit fünf Spielern das Gros im
Team, u. a. Kapitän Fritz Walter.
94 | Wer produzierte im
WM-Finale 1974 die
„Mutter“ aller Schwalben?
58
82 | Grimms Märchen
Zu einer guten Allgemeinbildung
gehört auch das Wissen um
Frauen, die man wachküssen
muss, kleine Mädchen, die von
Wölfen belästigt werden, oder
Wesen, die sich aus Wut selbst
in der Mitte durchreißen.
83 | „Faust“ (Johann Wolfgang
von Goethe, 1808)
Goethe hin, Goethe her, auch
wenn mir Schiller lieber ist,
kommt man am „Faust“ nicht vor-
bei. Nicht nur er wollte wissen,
was die Welt im Innersten zusam-
menhält: dieser eine kleine
Glücksmoment, den man verwei-
len lassen möchte. Der Teufel in
uns sollte jedem geläufig sein.
84 | Das Nibelungenlied
So viel Deutsch war nie: der blon-
de Held, der schwache König, die
eifersüchtigen Weiber, Mord,
Betrug, Frevel, in Wagners „Ring“
Bernd Hölzenbein von Eintracht
Frankfurt. Im Endspiel gegen die
Niederlande wurde Hölzenbein im
Strafraum von Wim Jansen zu Fall
gebracht. Anschließend verwan-
delte Paul Breitner den Elfmeter
zum zwischenzeitlichen 1 : 1.
95 | Wer war 1990
bei der WM in Italien an der
„Lama-Affäre“ beteiligt?
Im WM-Achtelfinale bespuckte
der Niederländische Mittelfeld-
spieler Frank Rijkaard den
deutschen Stürmer Rudi Völler.
Wegen dieser Aktion sah
Rijkaard die rote Karte und
bespuckte Völler ein zweites
Mal, als er den Platz verlassen
musste.
96 | Wer war der 1. deutsche
Finalist im Finale des Europa-
cups der Landesmeister?
ELKE HEIDENREICH, 70
DIE SCHRIFTSTELLERIN UND KRITIKERIN
LISTET DIE BÜCHER AUF, DIE
JEDER GELESEN HABEN SOLLTE
noch schöner mit Musik, aber
man sollte die Grundgeschichte
kennen. Merke: Wer zu viel Gold
will, verliert die Liebe.
85 | Der ewige Brunnen
Eine Lyrik-Anthologie aus den
50ern. Diese war meine erste,
ist meine liebste, trotz einiger
Mängel, und diesen Schatz
an deutscher Lyrik muss jeder
hierzulande kennen. Aus.
86 | „Woyzeck“
(Georg Büchner, 1879)
Das Drama zeigt, wie durch Tyran-
nei ein lieber, einfacher Mensch
zum Mörder wird. Und dass es
unter Soldaten nicht gut zugeht.
87 | „Macbeth“
(William Shakespeare, um 1606)
Ähnlich: Was Krieg aus Menschen
macht, kann man hier lernen.
Ein anfangs kluger Feldherr watet
abgestumpft durch immer mehr
MARCEL REIF, 63
DER SPORTJOURNALIST UND TV-KOMMENTATOR
NENNT DIE FRAGEN, DIE JEDER FUSSBALL-
FAN BEANTWORTEN KÖNNEN SOLLTE
Eintracht Frankfurt gegen Real
Madrid 1960 (3 : 7 in Glasgow).
97 | Warum hatte Jens Lehmann
bei der WM 2006 im Spiel
gegen Argentinien einen Zettel
im Stutzen?
Torwarttrainer Andreas Köpke hat-
te auf dem Zettel alle Eigenheiten
Unappetitliche Attacke
Im WM-Achtelfinale 1990
spuckt Hollands Frank
Rijkaard auf Rudi Völler
Blut. Wer das kennt, braucht
keine Krimis mehr.
88 | „Buddenbrooks“
(Thomas Mann, 1901)
Der große deutsche Familien-
roman, Niedergang einer Kauf-
mannsfamilie mit einem ehrgeizi-
gen und einem schludrigen Sohn
und einer richtungslosen Tochter.
Wird immer besser, je älter er ist.
89 | „Oblomow“
(Iwan Gontscharow, 1859)
Ein ganzes Leben zögernd im
Bett. Gute Warnung, wohin
zu viel Lethargie führt: Wer faul
ist, verfault.
90 | „Madame Bovary“
(Gustave Flaubert, 1856)
Damit auch ein Liebesroman
dabei ist und damit Sie sehen,
wohin das Lesen schlechter
Bücher führt: bei Emma zu
Verzweiflung und in den Tod!
Fotos: Bettina Flitner/laif, Marcel Mettelsiefen, Gladys Chai von der Laage, Mar tina Hellmann/alle dpa
der argentinischen Elfmeter-
schützen notiert.
98 | Welcher Bayern-Spieler
schoss Schalke 04 zum „Meister
der Herzen“ 2001?
Der Bayern-Spieler Patrik Anders-
son erzielte in der Nachspielzeit
gegen den Hamburger SV ein
Tor, das zum Unentschieden und
zur Meisterschaft für den FCB
führte. Zu diesem Zeitpunkt
feierte Schalke 04 bereits seit
vier Minuten die Meisterschaft.
99 | Wer ist der jüngste Bundes-
liga-Meister-Trainer aller Zeiten?
Matthias Sammer war beim Ge-
winn der Meisterschaft des BVB
im Jahr 2002 erst 34 Jahre alt.
100 | Was ist Abseits?
Wenn der Linienrichter die Fahne
hebt, und der Schiedsrichter pfeift.
FOCUS 35/2013
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R E POR T
mann
Scheuer Kauf n Wella-Clan
he r heiratete in de
Ulrich Strö fo rd er nd . Au
lt al s m ac ht bewusst und
Er gi
ie rt er an ge blich schon m
spruch reag
Retter der Dichter
Die Wella-Erben Sylvia und Ulrich Ströher sind extrem reich und ziemlich verschwiegen.
Jetzt wollen sie beim renommierten, aber insolventen Suhrkamp Verlag einsteigen
anz klein und unscheinbar habe es
G angefangen. Der Liebe zur Kunst,
erzählten Sylvia und Ulrich Strö-
her vor einigen Jahren, seien sie 1988
verfallen. Damals hatten sie zwei Bil-
der, Gouachen, „nach Hause gebracht“.
Nichts habe darauf hingedeutet, so erin-
nert sich Sylvia Ströher, dass aus diesen
zwei Bildern „eines Tages viele hundert“
würden.
Inzwischen besitzen die Ströhers
mit etwa 1500 Werken eine der größ-
ten privaten Sammlungen deutscher
Kunst. Ihnen gehören etliche Arbeiten
von Georg Baselitz, Jörg Immendorff
und Anselm Kiefer – aber auch Hun-
derte Bilder der „informellen“, weniger
60
ein.
f Wider-
Gruppenbild mit Gegnern Suhrkamp-Fest im Jahr 2010. In der Mitte Ulla Berkéwicz,
al la ut stark
ganz rechts Mitgesellschafter Hans Barlach
berühmten Künstler der 50er- und 60er-
Jahre. Mit Bildern könne man eben „gut
leben“, begründete Sylvia Ströher ihre
Passion.
In Zukunft lebt das Darmstädter Ehe-
paar wohl nicht nur mit den monumen-
talen, wilden oder filigranen Arbeiten
von Malern und Bildhauern, sondern
auch mit den schrillen, provozierenden
oder tiefsinnigen Produkten von Schrei-
bern und Grüblern. Mit den Texten von
Hermann Hesse, Marcel Proust, Peter
Handke, Bertolt Brecht, Peter Sloterdijk
und vielen hundert anderen Geistes-
heroen.
Wenn alles nach Plan läuft, steigen die
Ströhers beim Suhrkamp Verlag ein. Der
deutsche Tempel der Literatur steht vor
dem Ruin, das Geld der Ströhers soll
ihn stützen. Die Gläubiger müssen mit-
spielen, die Banken, der Beirat und die
mit dem Insolvenzverfahren befassten
Juristen. Schon jetzt haben die Ströhers
Honorare der Suhrkamp-Autoren bis auf
Weiteres ausgelegt.
Warum die bisherige Geschäftsführerin
von Suhrkamp, Ulla Berkéwicz, die Strö-
hers haben will (und offenbar kein Inte-
resse an einem Angebot des dtv-Verlags
hat), scheint klar: Nach einem überstan-
denen Insolvenzverfahren soll in dem
runderneuerten Verlag nach Gläubiger-
verzicht, Umwandlung in eine Aktien-
gesellschaft und Kapitalerhöhung der
FOCUS 35/2013

Stille Samm
lerin
Sylvia Ströhe
r, Urenkelin de
besitzt mit ih
rem Mann Ul
Sammlungen
deutscher Ku
verhasste Mitgesellschafter Hans Bar-
lach nach Möglichkeit jeglichen Einfluss
verlieren – oder am besten gleich ganz
verschwinden.
Warum jedoch die Ströhers das edle,
aber recht wacklige Haus Suhrkamp ret-
ten wollen, warum sie die weißen Rit-
ter spielen in einer Schlacht, die viel-
leicht Ruhm bringt, aber kaum Gewinn,
ist nicht so leicht zu erklären. Doch das
schwer Erklärbare gehört zum Charakter
der beiden.
Das Darmstädter Paar zählt zu den
wirklich Reichen, Verschwiegenen und
Rätselhaften der Republik. Sie reden
nicht, zeigen sich nur sehr selten, und
wenn sie sich doch mal zu Wort mel-
den, dann eigentlich nur, um auf ihrem
Schweigen zu beharren.
Er, aufgewachsen in einfachen Verhält-
nissen, arbeitete einst als Krankenpfle-
Foto: Matthias Luedecke
ger, heiratete Sylvia Ströher – legte sei-
nen Familiennamen Fette ab und gehört
seither zu einer der großen Unterneh-
mer-Dynastien.
Weiland 1880 hatte sich ein Urahn
Sylvias, der Friseur Franz Ströher aus
FOCUS 35/2013
s Wella-Firmen
gründers,
rich eine der
größten
nst
dem Erzgebirge, einen wasserdichten
„Haartüll“ einfallen und patentieren
lassen. Das Kunstgewebe für den Kopf
begeisterte die Damen, verhalf Ströher
zu einem fabelhaften und wetterfesten
Reichtum. Seine Firma Wella, längst ein
Kosmetikriese, übersiedelte nach dem
Zweiten Weltkrieg nach Darmstadt, ver-
half der Region zu Wohlstand.
Die Geschäfte liefen prächtig, und viel-
leicht sahen die Nachfahren des fin-
digen Friseurs gerade deshalb irgend-
wann die Zeit gekommen, richtig Kasse
zu machen. Im Jahr 2003 verkauften die
Ströhers – inzwischen ein weit verzweig-
ter Familienclan – ihren Firmenanteil von
78 Prozent für 6,5 Milliarden Euro an den
US-Konzern Procter & Gamble.
Im Firmenbeirat, der den Deal voran-
trieb und verantwortete, saßen fast aus-
schließlich die Ehemänner der Ströher-
Urenkelinnen. Zu diesen gehörte auch
Ulrich Ströher, der sich zum Kaufmann
hatte umschulen lassen. Angeblich
hatte er ein Praktikum bei der Dresd-
ner Bank belegt und – kurioserweise –
einen Crash-Kurs bei Procter & Gamble.
Gedrittelter Verlag
- Millionen für Suhrkamp?
Sylvia und Ulrich Suhrkamp-
Ströher Familienstiftung
(Ulla Berkéwicz)
33,3 % 40,6 %
Quelle: eigene Recherchen
26,1 %
Hans Barlach
Die Machtverhältnisse beim Suhrkamp
Verlag könnten nach dem Insolvenz-
verfahren, einer Umwandlung in eine
Aktiengesellschaft und Kapitalerhöhung
so aussehen. Der Anteil des Mitgesell-
schafters Barlach, derzeit noch 39
Prozent, würde deutlich schrumpfen
Der Verkauf hinterließ Narben. Wer
ehemalige Wella-Manager fragt, der
wird sie noch heute klagen hören, es
habe für die Fusion keinen wirklichen
„unternehmerischen Grund“ gegeben.
Etwa 3000 Mitarbeiter verloren im Zuge
der Übernahme ihre Jobs.
Und weil der Ströher-Clan dann auch
noch eine bedeutende Kunstsammlung
verkaufte, die der Großonkel von Sylvia
aufgebaut hatte und die über Jahrzehnte
die Stadt schmückte, gelten die Wella-
Erben nicht wenigen Darmstädtern als
„Verräter“.
Vielleicht auch deshalb meiden Syl-
via und Ulrich Ströher die große Bühne.
Sie wohnen – mit Unterbrechungen – in
Darmstadt und arbeiten in einem drei-
stöckigen, unscheinbaren Bürogebäu-
de. Mit den angeklebten Firmennamen
versprüht das Klingelschild den Charme
einer Briefkastenfirma. Wer es in den
dritten Stock des Gebäudes schafft, dem
versperren zwei massive schwarze Türen
den Weg ins Büro.
Eine Videokamera beäugt den Besu-
cher, und eine weibliche Lautspre-
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R E POR T
cherstimme verkündet: „Wenn Sie kei-
nen Termin haben, kann ich die Tür
leider nicht öffnen.“
Mehrere Wochen im Jahr verbringen
die Ströhers, die zwei inzwischen erwach-
sene Töchter haben, auf Mallorca. Ihre
mit exquisiten Kunstwerken bestück-
te Finca steht in der Nachbarschaft der
Villa von Hans-Peter Schwarzkopf, einem
anderen Megareichen aus der Kosmetik-
branche. Die Mallorquiner nennen die
Gegend deshalb nur das
„Shampoo-Valley“.
Still, ja beinahe un-
sichtbar, leben die meis-
ten Mitglieder des Strö-
»Die Familie
her-Clans. darf Geld
Ziemlich aktiv sind sie
dennoch. Sie sammeln haben,
Kunst, Hotels und Firmen.
Einige können richtig gut
aber keinen
mit Geld umgehen. Immo Einfluss«


Ströher etwa, das Ober-
haupt der Familie, inves- Wella-Gründer Franz Ströher
tiert höchst erfolgreich in
Technologiefirmen.

Er gehörte zu den Gründern des deut-
schen Solarzellenherstellers Q-Cells, der
erst zum Börsenliebling avancierte, dann
zum Weltmarktführer – und 2012 pleite-
ging. Immo Ströher hatte da schon längst
sein Geld aus der Firma gezogen – und für
seine Aktien mehrere hundert Millionen
Euro erlöst. Er lässt jetzt solarbetriebene
Schiffe und Flugzeuge basteln.
An Unternehmen beteiligen sich auch
Ulrich und Sylvia Ströher. Erst vor Kur-
zem investierten sie in eine der größten
deutschen Baumschulen. Während Syl-
via eher für die Sammlung und Biblio-
thek zuständig ist, hat Ulrich in geschäft-
lichen Dingen das Sagen.
Er tausche sich zwar täglich mit seiner
Frau aus, so erklärte Ulrich Ströher ein-
mal nüchtern die Arbeitsteilung mit der
Gattin. Freizeit aber habe für ihn einen
geringeren Stellenwert als bei seiner
Frau. Schließlich sei er als Geschäfts-
führer der SFO tätig, der Ströher Family
Office GmbH.
Ulrich war es, der am 24. Juli den
Suhrkamp Verlag schriftlich wissen ließ,
man sei nach „Erfüllung“ bestimmter
Voraussetzungen „bereit“, sich finanziell
zu engagieren.
Wer den kurzen Brief genau liest, dem
wird der belehrende Tonfall kaum ent-
gehen. Der Wechsel von der Rechtsform
.RVWHQORVH45&RGH6FDQQHUHUKDOWHQ6LHXQWHU
FOCUS 35/2013
-HW]W&RGHVFDQQHQ
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der Kommanditgesellschaft zu einer
Aktiengesellschaft, so dozierte Ströher,
werde bei Suhrkamp dazu beitragen, „in
Zukunft ohne nachteilige Auswirkungen
von Streitigkeiten unter den Gesellschaf-
tern“ auszukommen.
Auch wenn die Ströhers nur 33,3 Pro-
zent des Verlags übernehmen wollen – für
die Rolle der höflichen und zurückhal-
tenden Nebengesellschafter taugt das
Paar offenbar nicht.
Die Ströhers sind zwar
scheu, treten aber im
kleinen Kreis und gegen-
über Geschäftspartnern
als durchaus machtbe-
wusst und fordernd auf.
Spontanität, so beken-
nen die beiden, sei ihre
Sache nicht. In Kunst-
dingen entscheiden sie
grundsätzlich gemein-

sam, und auch nur nach
einer selbst auferlegten
Bedenkzeit von mindes-
tens 48 Stunden. Ulrich Ströher knapp:

„Wir sind stockkonservativ.“
Ulrich Ströher, so berichten Mitglieder
der Familie, könne ziemlich laut werden
und reagiere auf Widerspruch „leicht

cholerisch“. Ein Vertrauter des Paares
glaubt, sich die Duelle zwischen Ulrich
Ströher und der Suhrkamp-Chefin Ulla
Berkéwicz bereits lebhaft vorstellen
zu können. „Das wird sehr spaßig und
ziemlich heftig.“
In der Kunstszene unvergessen ist der 0LWHLQHP$ERQQHPHQW
große Krach zwischen den Darmstädter
Sammlern und dem Bonner Kunstmuse- GDV6FKOHUPLWLKUHQ
um. Nachdem sich der dortige Direktor
geweigert hatte, den Leihgaben der Strö-
+DXVDXIJDEHQYHUELQGHW²
hers mehr Raum zu gewähren, entfernten LPPHUJULIIEHUHLWDXIGHP
diese im Jahr 2007 ihre sämtlichen Kunst-
werke kurzerhand aus dem Museum. 0LFURVRIW2QOLQHVSHLFKHU
Ulrich Ströher, der zwei Jahre zuvor
noch erklärt hatte, man habe mit Bonn
durchwegs „sehr positive“ Erfahrungen
gemacht, beendete die Beziehung zu
dem Museum mit dem schlichten Votum,
die Chemie stimme eben nicht mehr.
Seine Familie, so hatte einst Franz Strö-
her, der Begründer der Wella-Dynastie,
gewarnt, dürfe durchaus Geld haben,
„aber keinen Einfluss“.
Bei Suhrkamp wird man hoffen, dass
sich der Patriarch irrte. ■ ,KU2IÀFHLQGHU&ORXG
M. KRISCHER / M. WISNIEWSKI ‹0LFURVRIW&RUSRUDWLRQ$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ
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»Man blieb
mit seiner
Scham allein«
Die Grüne Marieluise Beck
spricht erstmals darüber, dass
sie als Jugendliche missbraucht
wurde. Deshalb geht ihr die
Pädophilen-Debatte besonders nahe

Frau Beck, den Grünen fiel lange

nichts zur pädophilen Vergangenheit
der Partei ein. Sie äußern sich in der
Debatte – auch mit kritischen Worten
über Ihre Partei. Sind Sie eine Art
Missbrauchsbeauftragte der Grünen?
Fürs Aufräumen und den Blick unters
Sofa sind Frauen eben ganz gern ge-
sehen.
Unter dem Sofa der Grünen wird gerade
viel Unappetitliches hervorgezerrt: Übernahme von Verantwortung, und lerin im Ausland war. Mein Gastvater
Führende Grüne unterstützten in den dazu gehört auch, erschrocken zu sein hatte offenbar Gefallen an „diesem jun-
Achtzigern die Forderung nach freiem Sex über diesen Teil unserer Geschichte. gen Ding“ in seinem Haus gefunden.
mit Minderjährigen. Ihre Parteiführung Und Sie selbst – sind Sie auch erschrocken? Nach einer alkoholträchtigen Nacht hat
meinte anfangs, bei den Enthüllungen Natürlich bin ich erschrocken. Mit der er sich mir auf eine Weise genähert, die
handele es sich um 68er-Bashing. Von jetzigen Debatte um pädosexuelle Ver- ein unsittlicher Übergriff war.
Erschütterung war wenig zu spüren. irrungen ist allerdings der Eindruck ent- Und Sie haben Ihren Eltern
Inzwischen haben sich sowohl Claudia standen, dass erst die Achtundsechziger nie davon erzählt?
Roth als auch Cem Özdemir öffentlich und die Kinderladenbewegung die Tür Solche Erfahrungen gehörten damals
entschuldigt und die Verantwortung für den Missbrauch von Kindern und fast zum Alltag junger Frauen. Und man

Fotos: Jörg Oberheide für FOCUS-Magazin, SVEN SIMON/dpa

übernommen für das, was da gerade
ausgebuddelt wird. Aber es ist richtig:
Als diese Vergangenheit durch den
Ärger über Daniel Cohn-Bendit zum
Thema wurde, haben wir nicht sofort
begriffen, wie tief damals die Irrtümer
und Fehler bei uns gingen.
Die Bitte um Entschuldigung ist
eine Sache. Gibt es im Rückblick
auch so etwas wie Scham?
Unsere Führungsleute – obwohl sie
damals nicht an der Spitze der Partei
standen – mussten sich entschuldigen
für ein politisches Erbe, das niemand
von uns ausschlagen kann. Das ist
Jugendlichen geöffnet hätten. Diese
Perspektive halte ich für falsch. Den
Missbrauch von Mädchen und Jun-
gen hat es immer gegeben, auch in der
scheinbar so wohlgeordneten Nach-
kriegszeit. Nur mit dem Unterschied,
dass die Opfer allein blieben mit ihrer
Scham und den Schuldgefühlen.
Ich komme aus einem wohlbehüteten
Elternhaus mit sechs Töchtern. Fast
alle von uns haben Übergriffserfahrun-
gen gemacht: sowohl von Seiten eines
Schulleiters als auch im kirchlichen
Umfeld. Bei mir war es der Vater meiner
Gastfamilie, als ich als 15-jährige Schü-
hatte sie sittsam zu ertragen. Ich wäre
daher nie auf den Gedanken gekom-
men, irgendjemandem auch nur ein
Sterbenswörtchen darüber zu sagen.
Man blieb allein mit der Scham und
hatte eher selber Schuldgefühle als
Zorn über das, was einem angetan wor-
den war.
In diesen Zeiten, in der Sexualität
grundsätzlich tabuisiert wurde, war
es durchaus üblich, die Opfer selbst
für den Missbrauch verantwortlich zu
machen. Da wurde kurzerhand der
Spieß rumgedreht. Das Opfer war dann
„die aufreizende Täterin“.

64 FOCUS 35/2013

Grünes Urgestein
Marieluise Beck, 61
Schon 1980 trat die Lehrerin den Alter-
nativen bei. Zusammen mit Petra Kelly
und Otto Schily war sie 1983 Sprecherin
der ersten Grünen-Bundestagsfraktion.
Die Bundestagsabgeordnete engagiert
sich besonders für verfolgte Bügerrechtler
in Russland und Weißrussland.
Vor einigen Tagen durfte ein Artikel
über die Grünen nicht in der taz er-
scheinen. Tenor: Die Toleranz der frühen
Grünen gegenüber Pädosexuellen war


schon im Selbstverständnis der Partei
angelegt. Glauben Sie das auch?

Distanzlos Mitglieder der Indianer-
kommune beim Grünen-Parteitag 1980
Warum ist es Ihnen so wichtig, diese
Erfahrung jetzt öffentlich zu machen?
Sexueller Missbrauch ist auch heute
noch ein Thema, das absolut virulent
ist. Wir wissen inzwischen auch, dass
es nicht nur Mädchen, sondern auch
Jungen betrifft. Missbrauch ist immer
die niederträchtige Ausnutzung von
Macht über Schwächere. Die antiauto-
ritäre Bewegung hatte die Tabuisierung
von kindlicher Sexualität als unstatthaf-
te Einschränkung empfunden. Als sie
gegen dieses Tabu angegangen sind,
hatten die Aktivisten dieser Bewegung
nicht darauf geschaut, dass es auch
Machtmissbrauch ist, wenn die sexuelle
Grenzziehung zwischen Erwachsenen
und Kindern aufgehoben wird.
Von der sexuellen Befreiung in den
60er- und 70er-Jahren erhofften sich
viele, dass nicht nur die Prüderie
verschwinden würde, sondern auch
der Missbrauch. War das naiv?
Die Liberalisierung war dringend nötig.
Die Enttabuisierung ist allerdings
FOCUS 35/2013
auch benutzt worden, um Missbrauch
zu tarnen. Tatsächlich gab es damals
von Pädophilen organisierte Vorstöße
mit dem Ziel, politische Verbände von
innen aufzurollen und für ihre Zielset-
zungen einzuspannen. Dafür hatten sie
sich Bewegungen ausgesucht, die sich
besonders für die Liberalisierung einge-
setzt haben – die Grünen und die Jung-
demokraten, eine damalige Jugend-
organisation der FDP.
Ich glaube, trotz aller Irrungen und Feh-
ler sind wir heute wirklich einen Schritt
weiter. Die Trennlinie zwischen Tätern
und Opfern ist inzwischen ganz klar.
Genauso die Ächtung von sexuellem
Missbrauch.

So absolut halte ich das für Unsinn. Die
Grünen waren ein bunter, manchmal
chaotischer Haufen. Gerade bei den

Stadtindianern spielte die Distanz vieler
Grüner zum Staat eine Rolle. Viele hiel-
ten die Kinder und Jugendlichen dieser
Kommune für Opfer einer repressiven

Obrigkeit. Zweitens galt damals noch:
Wir Grünen holen nicht die Polizei.
Und drittens, das ist das Wichtigste: Es
gab eine berechtigte Debatte über die
Entkriminalisierung der Homosexuali-
tät. In dieser Gemengelage haben etli-
che bei uns nicht gesehen, dass sich ,QVHLQHP=LPPHU
hinter der scheinbar freien Sexualität
zwischen Erwachsenen und Kindern DXIGHU7HUUDVVH
Pädophilie und damit Missbrauch ver-
barg. Schon der Name der damali-
LQGHU%LEOLRWKHN«
gen grünen Bundesarbeitsgemeinschaft
„Schwule und Päderasten“ hätte doch
aus der Sicht der Homosexuellen ein 3UDNWLVFKEHUDOO
Skandal sein müssen. Leider haben die DXIELV]X3&V
nicht früh genug geschrien: „Was haben
wir mit den Pädophilen zu tun?’“Da RGHU0DFV
waren einfach die Maßstäbe völlig ver- 0LFURVRIW2IÀFH
rutscht.
Heute ist der Gedanke der sexuellen +RPH3UHPLXP
Selbstbestimmung bei den Grünen so
dominant, dass sich viele bei uns am
Anfang der Debatte gar nicht vorstel-
len konnten, wie weit die Befürworter
der Pädosexualität in den 80er-Jahren
bei uns gekommen waren. ■ ,KU2IÀFHLQGHU&ORXG
INTERVIEW: ALEXANDER WENDT
‹0LFURVRIW&RUSRUDWLRQ$OOH5HFKWHYRUEHKDOWHQ
 BRENNPUNKT
Goldschatz
Eine Austellung in Hannover zeigt erstmals den vor
zwei Jahren gefundenen »Hort« von Gessel,
einen der GRÖSSTEN BRONZEZEITLICHEN GOLDSCHÄTZE
E r besteht aus 117 Teilen –
und ist einmalig: der Gold-
schatz von Gessel. Archäolo-
gen entdeckten ihn im April
2011 bei Grabungen für den
Bau einer Gas-Pipeline, nord-
westlich der niedersächsi-
schen Stadt Syke.
Über 3000 Jahre lagen die
Artefakte – Spiralen, Ketten,
eine Gewandspange, ein Arm-
band – unter der Erde. Genau
so, wie sie in der Bronzezeit
versteckt worden waren. Was
die Forscher begeistert: Der
Schatz („Hort“) blieb offen-
bar vollständig erhalten, und
modernste Technik ermöglich-
te eine exakte Dokumentation
des Schatzes im Erdreich.
Die Objekte waren wohl
von einem Leinenstoff umge-
ben, den sechs Bronzenadeln
zusammenhielten. Die Nadeln
66
1 Armreif
Ein massiver Reif in der
Form eines Bandes mit
deutlich verbreiterten
Enden. Womöglich han-
delt es sich bei diesem
Objekt um ein halb fertiges
Schmuckstück. Es fehlen
jegliche Verzierungen.
blieben erhalten. Erstaunlich
ist der hohe Goldgehalt der
Objekte. Er deutet darauf hin,
Bei vergleichbaren
Artefakten der Bronzezeit
sind die breiten Enden zu
dass das Gold aus dem asia- Doppelspiralen geformt.
tischen Raum stammt. Die
Schmuckstücke sind teils ver-
bogen und aufgebrochen. Der
Schatz bestand demnach, als
er zusammengestellt wurde,
aus „Altmetall“.
Es ging um den Rohstoff,
nicht um den Gebrauchswert.
Wer den Hort vergrub, wollte 1
ihn vielleicht vor Feinden ver-
stecken oder als Weihegabe
der Erde anvertrauen. Der Sen-
sationsfund, einer der größten
Goldschätze der Bronzezeit,
ist jetzt erstmals ausgestellt.
Das Landesmuseum Hannover
präsentiert den Goldschatz von
Gessel. ■
MARKUS KRISCHER
Hort im Profil
Alter 14. Jahrhundert v. Chr.
Umfang 117 Objekte
Gewicht 1,7 Kilogramm
Goldanteil ca. 90 Prozent
gefunden 7. April 2011
Schnitt durchs Land 4 Kleine Rollen
Eine neue Pipeline soll
Die 18 kleinen Spiral-
quer durch Niedersachsen
rollen waren wohl einst
führen. Vor den eigent-
Teile einer Halskette.
lichen Bauarbeiten graben
die Archäologen. So wurde
der Goldschatz entdeckt
FOCUS 35/2013
 Kiel

Lübeck Rostock
Greifswald
2 Große Spirale NEL
Schwerin
Zu dem Hort zählen zwei große Spiralen. Hamburg
Sie bestehen aus einem massiven fünfeckigen
Golddraht. Bei einer der beiden Spiralen ist NEL
das obere Ende aufgebogen. Fünf kleine Brillen- Bremen
spiralen sind dort eingesteckt. Gessel
Barrien
Syke
NEL BERLIN
Syke

Der Fundort des Goldschatzes liegt nordwestlich der Stadt

2 Syke in Niedersachsen, in der Gemarkung Gessel. Dort liefen
2011 archäologische Grabungen im Zuge eines Pipeline-Baus
(orangefarbene Linie)

3 Fibel
Die 16 Zentimeter lange Gewandspange aus
massivem Gold ist verbogen und damit unbrauchbar
gemacht. Die Bügelplatte ist mit Sonnenmotiven
und konzentrischen Kreisen, möglichen Symbolen
für die Unendlichkeit, verziert.

Operation: Goldschatz
3 Aufgetaucht
Am 7. April 2011
wird der Goldschatz
entdeckt. Zusammen
mit der ihn umgeben-
den Erde wird der
komplette Hort
geborgen – und in
der Fundsituation
untersucht
4
Durchschaut
Den Schatz im Erd-
klumpen untersuchen
die Forscher per
Röntgenstrahl und
Computertomograf.
Es entsteht ein 3-D-
Bild des Hortes, so
5 wie er einst versteckt
worden war

Enthüllt
Eine Restauratorin
befreit den Schatz
vorsichtig von der
Fotos: Landesmuseum Hannover

5 Spiralketten Erde. Zuvor wurde

mit Hilfe der Compu-
Zu dem Schatz gehören acht Ketten, gebildet
terdaten ein maß-
aus jeweils zehn ineinandergedrehten Goldspiralen.
stabsgetreues 3-D-
Forscher vermuten, dass es sich bei diesen
Modell des Schatzes
Ketten um eine Art Zahlungsmittel, eine frühere
gedruckt
Form des Geldes, handelt.

FOCUS 35/2013 67
R E POR T

Körperversteck tor für Körperschmuggler der mittel- und

Ein Röntgenbild südamerikanischen Drogenkartelle.“
entlarvt den Drogen- 2012 erreichte die Festnahmequote der
kurier. Er hat Dut- Zöllner an deutschen Flughäfen mit 130
zende kleine Beutel, Drogenkurieren ein Rekordniveau. 85
gefüllt mit Kokain, gingen allein am Düsseldorfer Airport ins
geschluckt. Platzt Netz, 24 fielen in Frankfurt am Main auf
einer, stirbt der und neun in München, der Rest verteilt
Transporteur sich auf andere Flughäfen. Nach Brandls
Angaben stieg die sichergestellte Koks-
menge allein am Rhein von 24,5 Kilo-
Koks-Kondom
gramm (2011) auf 68,3 Kilogramm 2012.
Ein Zollfahnder in
Die Drogenwelle gen Düsseldorf erklärt
Hamburg hat einen
der Cheffahnder mit den verstärkten
sichergestellten
Kontrollen am Amsterdamer Flughafen
Bodypack mit Stoff
Schiphol, der einstigen Einfallspforte in
aufgebrochen.
die EU. „Seither weichen die Kuriere oft
Körperschmuggler
nach Düsseldorf aus“, sagt Brandl.
schlucken mehr als
Die Kartelle heuern die Rauschgift-
100 dieser Beutel
boten meist über ihre Statthalter in den
Niederlanden, im Baltikum oder in der
Karibik für eine „längere Ferienreise“
an. Das Spektrum reicht von Studenten
bis hin zu Hausfrauen Ende 50. Meist
stecken „die Auserwählten“ in finanziel-
len Schwierigkeiten. 2000 bis 5000 Euro
Kurierlohn bedeuten da ein Vermögen.
Die Syndikate verfrachten ihre Kandi-
daten auf sogenannte „Schlucker-Far-
men“ in Mittel- und Südamerika. Dort
muss der Kurier täglich üben, die sechs
bis acht Zentimeter großen Drogenbeu-
tel hinunterzuwürgen. Anfangs trainiert
der Schmuggler in spe mit ganzen Wein-
trauben, dann folgen große Möhren- und

Der Tod fliegt mit Holzstücke, bis er gelernt hat, den hin-
derlichen Würgereflex zu beherrschen.
Nur so schaffen es Cracks wie Daniel B.,
Neueste Zahlen belegen: Düsseldorfs Flughafen ist Top-Adresse für 100 oder mehr der Päckchen mit bis zu
1,5 Kilogramm Stoff aufzunehmen. Eine
Körperschmuggler. Sie schleusen mit extremem Risiko Kokain ein tödliche Fracht. Platzt nur einer der Kon-
dombehälter, stirbt der Transporteur.
ie Reisenden aus dem karibischen Büro zu folgen. Kurz darauf ging es mit Der Trend geht seit geraumer Zeit hin
D Curaçao drängten am Düsseldor-
fer Flughafen zum Ausgang. Bei der
richterlichem Beschluss in eine Klinik.
Daniel B. wurde durchleuchtet: Auf dem
zu Beuteln mit Flüssigkokain. „Die kann
man leichter herunterschlucken“, so Zoll-
Passkontrolle lief für Daniel B., 45, noch Röntgenbild zeichneten sich 100 helle sprecherin Sylke Zabel, „außerdem sind
alles rund. Als er aber auf den Pulk Zoll- Punkte ab. Beutel, jeweils so groß wie die sie auf dem Röntgenschirm nicht zu ent-
Fotos: Zollfahndung Hamburg/ddp images, Zoll

fahnder zusteuerte, die ihn misstrauisch
beäugten, begannen seine Hände zu
zittern. Ein Beamter winkte den Letten
heran, bat ihn, den Koffer zu öffnen. Ob
er etwas zu verzollen habe, wollte der
Uniformierte wissen. Daniel B. schüttelte
den Kopf. Schweiß trat auf seine Stirn.
Warum er denn so nervös sei, erkundigte
sich der Kontrolleur. Der Mittvierziger
lächelte gequält und tat so, als verstehe
er nichts. Der Zöllner wies ihn an, ihm ins
gelbe Kapsel im Überraschungsei. Nur,
dass B.s Päckchen kein Spielzeug, son-
dern insgesamt 1,2 Kilogramm Kokain
enthielten. Dieser 24. Juli war ein gol-
dener Tag für die rheinischen Einfuhr-
wächter: Neben B. entlarvten sie sechs
weitere Rauschgiftboten.
„Der Düsseldorfer Flughafen“, bestä-
tigt der Essener Zollfahndungsamtsleiter
Hans-Joachim Brandl gegenüber FOCUS,
„gilt inzwischen leider als Haupteinfalls-
decken.“ Solche „Kunden“ müssen dann
zur Computertomografie und werden
dort durchleuchtet. Bei positivem Befund
kommt der Kurier in eine Zelle und wird
tagelang überwacht, bis er die „Beweis-
mittel“ wieder ausscheidet.
In solchen Fällen muss er auf ein spezi-
elles „Schlucker-Klo“ im Flughafen – run-
tergespült wird dort erst mal nichts. ■
AXEL SPILCKER

68 FOCUS 35/2013
 R E POR T
Die App-Solution
ein Gott, macht das Internet uns das
M Leben leicht. Jetzt sind es nur noch
zwei Klicks bis zur Vergebung. Häkchen
setzen, die Schaltfläche anklicken, auf der
steht: „Ich habe gesündigt und bereue“.
Und dann gehe das – sozusagen – „direkt
in den Himmel“, sagt Hartmut Landwehr.
Der 56-jährige Program-
mierer betreibt mit der Seite
www.beichte.de ein Portal für
virtuelle Vergebung. Er nennt
das, was er tut, die „Digita-
lisierung eines Sakraments“.
Natürlich könne er selbst
nicht in die Wege leiten, dass
all die Sünden vergeben wür-
den, räumt Landwehr ein.
„Aber die Leute sitzen dann
vor dem Apparat und denken
darüber nach, was sie alles
getan haben. Und so wird der
Herr ihnen wohl vergeben.“
Etwa dem anonymen User,
der auf www.onlinebeich-
te.net gesteht: „Lieber Gott,
bitte verzeih mir, ich habe
meine verhassten Nachbarn
heimlich bei der GEZ ange-
meldet.“ Oder dem Sün-
der, der einräumt: „Ich bin
Busfahrer und spreche die
Namen der Bushaltestellen
absichtlich falsch und undeutlich aus.“
Dabei ist klar: ohne Beichtvater keine
Beichte. Und ohne Priester kein Sakra-
ment. Im Vatikanbericht „Kirche und
Internet“ von 2002 heißt es zwar, Katholi-
ken sollten sich „nicht scheuen, die Türen
der sozialen Kommunikationsmittel für
Christus aufzustoßen“, gleichzeitig stehe
aber fest, dass „die virtuelle Realität kein
Ersatz für die wirkliche Gegenwart Chris-
ti“ sei. Eine offizielle Online-Beichtseite
bietet die Kirche nicht an.
Dabei wird die Beichte to go immer be-
liebter. Etwa 140 000 Smartphone-Nutzer
haben sich die App von Beichthaus.com,
Foto: Daniel Karmann/dpa
dem nach eigenen Angaben größten deut-
schen Sündenerlass-Portal, heruntergela-
den. Wer mindestens 17 Jahre alt ist und
in seinem Bericht keine Personendaten
verrät, dem genügt etwas Fingerwischen
statt des Kreuzschlagens.
FOCUS 35/2013
Ein Fingerwisch, und alle
Vergehen sind vergeben?
Sünder bereuen jetzt per
Smartphone, das Internet
wird zum Beichtstuhl
Flatrate zu Gott Die Netzgemeinde
beichtet online. Dabei sind Sakra-
mente offiziell nicht digitalisierbar
Beichten im Web
Virtuelle Vergebung: Diese Apps ver-
sprechen einen kurzen Draht zu Gott
Beliebtes Portal: »Beichthaus«
Rund 20 000 Geständnisse über Seiten-
sprünge und Fehltritte wurden hier schon
von Usern bewertet. Die kostenlose App
bietet pikante Sünden, gegliedert in Rubri-
ken wie Diebstahl, Drogen, Dummheit.
Beglaubigte App: »Confession«
Für 1,79 Euro fragt die App den Benutzer
auf die Verletzung der Zehn Gebote ab und
gibt Anregungen für die Beichte vor dem
Priester. Sie wurde von der amerikanischen
Bischofskonferenz mitentwickelt und bekam
den Segen der katholischen Kirche.
Angeblich bis zu 100 Beichten bekommt
der Gründer der Seite, Robert Neuendorf,
täglich von Fremdgehern, Verkehrsrow-
dys und Bürofieslingen zugeschickt. „Vie-
le Beichten sind so weit unter der Gürtel-
linie, dass wir bloß zehn Prozent veröf-
fentlichen können“, sagt der 34-Jährige.
Die User, die die Verfehlun-
gen kommentieren, bleiben
anonym. So wie „Honigbien-
chen“, die über einen Sün-
der urteilte, der einer über-
gewichtigen Frau im Bus ein
Cent-Stück in die frei liegen-
de Po-Ritze gesteckt haben
will: „Sorry, in meinen Augen
bist du einfach nur ein un-
reifer Vollidiot.“
Absolution per App? Für
den Münchner Jesuitenpater
Karl Kern ist das unmöglich.
„Die Beichte ist ein intimes
und persönliches Sichaus-
sprechen vor Gott“, das funk-
tioniere nur von Mensch zu
Mensch, zwischen Priester
und Beichtwilligem. Dabei
steht der 64-jährige Pater
dem Internet durchaus auf-
geschlossen gegenüber. Er
stellt seine Predigten ins Netz
und bekommt aus aller Welt
E-Mail-Rückfragen. Seelsorgeangebote
könne er sich auch im Chat oder per Tele-
fon vorstellen, wenn sie einen geschützten
Ort böten. „Das Christentum ist letztlich
Kommunikation zwischen Gott und den
Menschen“, sagt Kern.
Und da selbst Papst Franziskus kürzlich
twitterte: „Maria, Mutter Gottes, bitte für
uns Sünder“, könnte das Netz womöglich
doch den Weg zum Beichtstuhl ebnen. Das
glaubt Programmierer Landwehr, der auf
seiner Seite schon einen Algorithmus ein-
gebaut hatte, der die Schwere der Schuld
mitkalkulierte. Tauchte beispielsweise das
Wort „Mord“ in der Beichte auf, schnellte
die Zahl der zu betenden Rosenkränze
in die Höhe. Die Funktion hat Landwehr
wieder gelöscht. „Das war ja fast ein biss-
chen zu einfach.“ ■
JESSICA SCHOBER
69
 Athina Onassis
PROFILE Die begeisterte Reiterin
und mehrfache Milliardärin
streitet um Gelder für ihre
Horse-Show

Aufs falsche
Pferd gesetzt?
Reedererbin ATHINA ONASSIS, 28, hat
Ärger mit dem brasilianischen Fiskus.
Sie soll 3,3 Millionen Euro an die Stadt
und den Bundesstaat Rio de Janeiro
zurückzahlen. Die Pferdenärrin, liiert
mit dem brasilianischen Reiter Álvaro
de Miranda Neto, organisiert in Rio
seit Jahren die „Athina Onassis Horse
Show“. Die Veranstaltung schüttet
Preisgelder von einer Million Dollar aus.
Bislang gingen die Behörden davon aus,
dass der Springpokal aus dem Milliar-
denvermögen der Organisatorin gefüllt
wurde. Nun stellte sich heraus, dass
der Wettkampf, dessen Eintrittskar-
ten mehr als 5000 Euro kosten, Gelder
aus öffentlichen Kassen bekam. 2009,
2010 und 2011 flossen Millionenbeträ-
ge aus einer Institution, die die Integ-
ration von gefährdeten Jugendlichen
und den Behindertensport fördern soll.
Die Staatsanwaltschaft zeigt kein Ver-
ständnis dafür, dass „mit öffentlichen
Geldern eine geschlossene Veranstal-
tung gefördert wurde, die noch dazu in
einem der exklusivsten Clubs der High
Society von Rio stattfand“. afi

Breiviks Schatten
Nach den Terroranschlä-
gen in Norwegen 2011 wur-
de Regierungschef JENS STOL-
TENBERG,54, zum Tröster der
Nation. Der farblose Politiker
wurde über Nacht populär.
Jetzt trägt das Attentat des
Rechtsradikalen Anders Brei-
vik zu Stoltenbergs Abstieg
bei. Die Norweger machen
den Ministerpräsidenten für
die damaligen Sicherheits-
mängel verantwortlich. Laut
Umfragen wollen sie ihn vor
allem deshalb am 9. Septem-
ber abwählen. Seine Sozial-
demokraten könnten erstmals
in 86 Jahren ihre Position als
stärkste Partei an die konser-
vative „Hoyre“ verlieren. hau

70 FOCUS 35/2013
 Bloß keine SPRÜCHE

rote
Schürze! »Ich lache für mein Leben
gern und bringe auch
viele zum Lachen.«
Auf Rot steht Bundes-
wirtschaftsminister PHILIPP PEER STEINBRÜCK
SPD-Kanzlerkandidat
RÖSLER, 40, ganz und gar
nicht. Beim gemeinsamen
Kochen mit Industriemana-
gern und jungen Firmen- »Ich hab gut mit ihm als
gründern in einer kultigen Finanzminister gearbeitet
Eventküche im Berliner und hab da die allerbesten
Wedding sollte der Gast- Erinnerungen dran.«
geber sich vorher noch eine Herd in Flammen Philipp Rösler kocht mit Start-Up-Unternehmern ANGELA MERKEL
Schürze umbinden. Doch Bundeskanzlerin, CDU, über ihren
Rösler leistet sofort Widerstand: „Rote trage Loft“ beim Brutzeln mit Hinterhofcharme Herausforderer Peer Steinbrück
ich ungern, ich nehme lieber eine schwarze.“ die Wirtschaftsprofis und Jungmanager aus
Mit den Schwarzen kennt sich der Liberale der IT-Szene zum Netzwerken zusammen.
in der Politik leidvoll aus, mit den Roten will Röslers Botschaft an seine 75 Gäste: „Der »Wenn ich den richtigen
er gar nicht erst anbandeln. Lieber brach- Gründergeist soll uns beim Kochen und Mann gefunden habe,
te der FDP-Minister im „Kochende Welten Essen verbinden.“ oo gucke ich ja auch
nicht mehr nach rechts
oder links.«
MANUELA SCHWESIG
SPD-Vize, über eine mögliche
Neuauflage der großen Koalition
nach der Bundestagswahl


2013 Der Mensch im Mittelpunkt »Die Leute meinen
Sie wissen noch nicht, was Sie am 22. Sep- setzten CDU und CSU im Wahlprogramm immer, sie müssten einen
tember wählen? Das ist erstaunlich. Denn eins drauf: „Auch bei Großprojekten wie privat kennen lernen,
eigentlich passt jede Partei zu Ihnen. Einfach Flughäfen steht für uns als Union der dann wissen sie auch,
jede. Die Ziele sind exakt auf Sie zugeschnit- Mensch im Mittelpunkt.“ Volkspartei bleibt warum man welche Kunst
ten – jedenfalls dann, wenn Sie eben Volkspartei – die Union macht. Das Private hat
ein Mensch sind. Die SPD etwa weiß, welchen Wesen sie sich mit der Kunst aber nur
hat schon auf ihrem Parteitag verpflichtet fühlt. bedingt etwas zu tun.«
im vergangenen Dezember Dabei ist die Konzentration auf
verkündet: „Bei uns steht der den Menschen keineswegs ein HELGE SCHNEIDER
Unterhaltungskünstler
Mensch im Mittelpunkt.“ Na, Monopol der größeren Parteien.
da fühlen sich doch alle, die die- „Wir müssen die Menschen und
ser Gattung angehören, gleich Unternehmen mitnehmen“,
angesprochen! NRW-Matadorin mahnt auch FDP-Chef Philipp »Meier kriegt in
Hannelore Kraft hat auf diese Rösler gern. Und die Freien 400 Jahren keinen
„jahrhundertealte Tradition der Wähler können getrost als eta- Elfmeter. Der lässt sich
Sozialdemokratie“ verwiesen. bliert betrachtet werden. „Bei nie fallen.
Fotos: action press, Hans-Christian Plambeck/BILD-Zeitung, dpa

Die Wissenschaft wartet nun
auf Belege, die zeigen, dass es
Sozialdemokraten waren, die
schon dem Homo sapiens den
Weg gewiesen haben („Immer
schön links halten, Junge“).
Merke also: Bei der SPD steht
nicht etwa die Schwarzkopf-
meise, die Chinesische Woll-
handkrabbe oder der Gemeine
Ringelwurm im Zentrum, son-
dern – tatsächlich – der Mensch.
Ganz schön clever von den
Sozialdemokraten, werden die
Strategen bei der Union nei-
disch gedacht haben. Flugs
uns steht der Mensch im Mittel-
punkt“, melden sie brav.
Nur eins verstört bei alledem:
Wenn Politiker beharrlich for-
dern „Wir müssen die Men-
schen in den Mittelpunkt
rücken“ oder „Wir müssen die
Menschen mitnehmen“ – dann
geht es offenbar um zwei ver-
schiedene Spezies: hier die Poli-
tiker, da die Menschen.
Ahnte man es nicht immer
schon? Politiker sind Wesen
Kampf um die Mitte
Die Parteien nehmen eigener Art. Für uns Men-
dasselbe in den Blick schen aber ist ihnen nichts zu
viel. Margarete van Ackeren
Das ist der Preis.«
HERIBERT BRUCHHAGEN
Frankfurts Vorstand, nach dem
0 : 1 gegen Bayern München
über den Strafraum-Schubser
gegen Alexander Meier in der
Nachspielzeit
»Die Spieler dürfen
mitreden. Am Ende wird
gemacht, was ich sage.«
HORST HRUBESCH
U21-Nationaltrainer des
Deutschen Fußball-Bunds

FOCUS 35/2013 71
LE SE RB RI E F E
Maut statt Kfz-Steuer
(34/13) Gerechteres System
gefordert
Natürlich können die
Autofahrer eine Maut nicht
befürworten, solange sie
zusätzlich neben anderen
Abgaben erhoben wird. Die
Kfz-Steuer ist eine der größ-
ten Ungerechtigkeiten der
deutschen Politik. Der bloße
Besitz eines Autos bedeutet
nicht, dass man die Straßen
nutzt wie ein Pendler, der
jeden Tag Hunderte Kilo-
meter zurücklegt. Wer die
Straßen abnutzt, der soll
auch für ihre Instandhaltung
zahlen, egal, ob Ausländer
oder Deutscher. Und je mehr
INFORMATIONEN ZUR VERANSTALTUNG:
MICHAEL GASSMANN · TEL: 069 794095-65 · INFO@CONVENT.DE
WWW.CONVENT.DE/PHARMA
REFERENTEN (AUSZUG)
PETER ALBIEZ
PFIZER PHARMA
GMBH
MITVERANSTALTER
die Autobahnen und Bun-
desstraßen abgenutzt wer-
den, desto mehr Geld steht
für ihre Instandhaltung zur
Verfügung. Niemand könnte
sich über zu wenig Geld für
die Infrastruktur beklagen.
Jan Risting
37120 Bovenden-Lenglern
»Blanker Zynismus«
(34/13) Doppelinterview mit den
grünen Spitzenkandidaten
Welche Mengen Kreide
müssen Jürgen Trittin und
Katrin Göring-Eckardt wohl
gefressen haben, um im
Interview zu vertuschen,
dass sie als Grüne in ihrem
ideologischen Regulierungs-
und Erziehungswahn wieder
mal vergessen, die Men-
schen mitzunehmen – wenn
diese das Lebensmodell der
grünen Gutmenschen als
falsch, gefährdend oder als
Drangsalierung und Zwang
empfinden?
Wir werden bevormundet
in allen Lebenslagen. Es
ist blanker Zynismus, wie
Trittin, Künast oder Göring-
Eckardt ihr selbstgerech-
tes Geschäft mit unserer
Lebens- und auch Esskul-
Pharmastandort Deutschland im internationalen Wettbewerb
2. und 3. September 2013·Goethe-Universität Frankfurt am Main
BIRGIT FISCHER PROF. DR. JEREMY MORGAN
vfa JOCHEN MAAS LILLY
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GMBH
tur manipulierend betrei-
ben. Wer anders denkt und
spricht, ist Feind.
Roland Bruch
58332 Schwelm
Für den Fall, dass den
Gleichmachern der Nation
mal die Tagesordnungs-
punkte ausgehen sollten,
hätte ich ein paar ergänzen-
de Vorschläge zum „Veggie-
Day“: Montags bleibt die
Republik rauchfrei. Diens-
tags gilt Alkoholverbot.
Mittwochs bleiben Arztpra-
xen geschlossen . . . Es sollte
einfach sein, jeden Wochen-
tag zumindest mit einem
Doppelverbot zu belegen.
Einheitsschule, Einheitsauto
und Flugverbotstag bieten
sich als weitere Themen an.
Gerhard Pszolla
46282 Dorsten
Psychiater hat sich geirrt
(34/13) Interview zum Fall
Mollath
Mich wundert, wie Dr.
Leipziger immer noch so
felsenfest von seinem Gut-
achten überzeugt sein
kann. Denn alles, worauf
sich der von ihm attestierte
2. Jahrestagung House of Pharma
PROF. DR. PROF. DR. WALTER
MICHAEL A. POPP SCHWERDTFEGER
BIONORICA SE BUNDESINSTITUT
FÜR ARZNEIMITTEL
UND MEDIZINPRODUKTE
„Schwarzgeldwahn“ stütz-
te, ist weggebrochen. Den
Schwarzgeldskandal gab
es tatsächlich. Das Gut-
achten, demzufolge Gustl
Mollath seine Frau misshan-
delt haben soll, hat sich als
unechte Urkunde herausge-
stellt. Und für die angebli-
chen Reifenstechereien gab
es nie einen belastbaren
Beweis. Warum hat Herr
Leipziger nicht wenigstens
die Größe zuzugeben, dass
er sich geirrt hat?
Edgar Hintze
16727 Velten
Frau Roche freut sich
(34/13) Das Geschäft mit dem
Tabubruch
Das uralte Rezept funk-
tioniert also immer wieder
und immer noch – bege-
he möglichst viele extre-
me Tabubrüche, weltweit
erprobt und wirksam, mit
Körperöffnungen und -flüs-
sigkeiten, finde willfährige
Multiplikatoren – und fertig
ist der Erfolg! Die Spießer
und Voyeure werden mas-
senhaft in die Kinos strömen
und sich so richtig schön
ekeln. Frau Roche reibt sich
DR. CHRISTOPH ALEXANDER WÜRFEL
STRAUB ABBVIE
BARMER GEK DEUTSCHLAND
GMBH & CO. KG
KOOPERATIONSPARTNER MEDIENPARTNER

kichernd die – sicherlich
makellos sauberen – Hände.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann
10825 Berlin
Zu hohe Gehälter
(34/13) ARD und ZDF
Mit Recht verweisen Sie
auf das immer schlechter
werdende Programm von
ARD und ZDF. Leider spa-
ren Sie die Begründung
aus: Es fehlt den Sendern
an Geld, weil Intendanten,
Moderatoren und einige
Nachrichtensprecher nicht
nur immer mehr überbezahlt
werden, sondern auch noch
teils überflüssige Berichte
senden.
Johannes Wennrich
53894 Mechernich
KORREKTUR
Im Artikel „Neue Klage gegen
die TV-Gebühr“ (FOCUS 34, S.
120) berichteten wir, das Bundes-
verfassungsgericht hätte von den
gut 50 Beschwerden gegen den
Rundfunkbeitrag etwa die Hälfte zur
Entscheidung angenommen. Richtig
ist, dass das Gericht bisher knapp
25 Verfassungsbeschwerden nicht
zur Entscheidung angenommen hat.
Die übrigen Verfahren wurden noch
nicht beschieden, das heißt, es ist
noch offen, ob sie zur Entscheidung
angenommen werden.
Liebe Leserin, lieber Leser,
schreiben Sie Ihre Meinung
zu den Themen in diesem Heft –
bitte unbedingt mit Angabe
Ihrer vollständigen Adresse und
Foto: Thomas Lohnes/ddp images
Telefonnummer:
Redaktion FOCUS
Arabellastraße 23
81925 München oder
Leserbrief-Fax: 0 89/92 50-31 96
E-Mail: leserbriefe@focus-magazin.de
Die Redaktion behält sich
das Recht auf Kürzungen vor.
FOCUS 35/2013
Die Leserdebatte von FOCUS
und FOCUS Online
Verärgert Wie hier in Mannheim lesen Bahn-Kunden täglich unzählige Infos über verspätete Züge
FOCUS-Leser diskutieren über die Hindernisse für Zugreisende:
»Ist auf die Bahn noch Verlass?«
»Ein Armutszeugnis«
Schlechte Kommunikation
Dass Züge sich verspäten, ist an der
Tagesordnung. Schuld daran sind sicherlich
auch der zunehmende Güterverkehr und die
Konsequenzen für die Bahn, wenn die Güter
nicht just in time geliefert werden. Da muss
sich der Personenverkehr hinten anstellen.
Ich erlebe es immer wieder, dass ich zu spät
oder überhaupt nicht über Verspätungen
bzw. Zugausfälle informiert werde. Das
ist in einem Zeitalter, in dem man ständig
online ist, ein Armutszeugnis für die Bahn
und deren verantwortliche Dienstleister.
Gerd von Lübke, Bremen
Viele machen einen
guten Job
Ich merke, dass man schon unterscheiden
sollte. Sehr viele Angestellte der Bahn
machen einen richtig guten Job: Wie in
Mainz zählt die Erholung nicht. Sie sollen
ihren Urlaub verschieben. Viele tun die Arbeit
von mehreren gleichzeitig. Man sollte jene
Verantwortlichen der Bahn, angefangen beim
Bahn-Chef Herrn Grube bis hin zum Auf-
sichtsrat, und auch die Politik hinterfragen,
die verantwortlich sind für die Personalent-
scheidungen.
Thomas Hempel, Lederhose
Online-Debatten-Thema in dieser Woche:
»Soll die westliche Allianz in Syrien
eingreifen?«
Beiträge unter: www.focus.de/magazin/debatte
Mails an: debatte@focus-magazin.de
Bezahlte Leistung nicht erbracht
Welches andere Dienstleistungsunterneh-
men ist so zuverlässig darin, im Voraus
bezahlte Leistungen nicht zu erbringen?
Haarsträubende Unfälle durch ungenügende
Wartung des Materials? Versagen der
Klimaanlagen im Hochsommer? Bei der Bahn
kann man das Leben noch in vollen Zügen
genießen! Wie die Mutter (D), so die Tochter
(DB). Deutschland schafft sich ab – die Bahn
schafft es gar nicht!
Christian Krippenstapel, Heiligenhafen
Schwarzmalerei hilft nicht weiter
Die Deutsche Bahn AG beförderte im letzten
Jahr fast zwei Milliarden Menschen. Man
kann sich vorstellen, dass bei solchen
Größenordnungen nicht alles perfekt laufen
kann. Die deutschen Bahn-Kunden sind
vom Angebot, der Taktung und Qualität
der Züge sehr verwöhnt. Da wird natürlich
jede kleine Abweichung genau unter die
Lupe genommen. Insgesamt muss man
sagen: Was die Bahn, gerade zur Ferienzeit
und an Feiertagen, leistet, um Millionen
Reisende an ihr Ziel zu bringen, ist schon
enorm. Kinder fahren gratis und bekom-
men Eis und Spielsachen geschenkt.
Franz Bose, Berlin
Die interessantesten
Kommentare drucken wir
im nächsten Heft ab.
Die Redaktion behält sich das
Recht auf Kürzungen vor.
73
 ISSN 0943-7576 FOCUS Magazin Verlag GmbH, Arabellastraße 23, 81925 München,
Postfach 81 03 07, 81903 München, Telefon: 0 89/92 50-0, Fax: 0 89/92 50 -20 26
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Autor: Michael Klonovsky
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74 FOCUS 35/2013
5 TAGE
AUSWÄRTSSPIEL
FANTAUSCH
DAS NEUE TV EXPERIMENT
MONTAG – FREITAG, 17:45 UHR

#FANTAUSCH
W I R T S C HAF T

Herkules-Aufgabe
Commerzbank-Chef
Martin Blessing, 50,
hat mit harter Konkur-
renz sowie den Folgen
der Finanzkrise und der
Übernahme der Dresdner
Bank zu kämpfen

76
Die Bank, die (so)
keiner will
Die Commerzbank schreibt wieder Verluste, ihr Marktwert dümpelt auf Krisenniveau.
Experten analysieren für FOCUS, wie es mit dem Frankfurter Traditionshaus weitergeht

M
artin Blessing lässt sich
nichts anmerken. Der Chef
der Commerzbank gibt sich
auf dem bankeigenen Som-
merfest am vergangenen Mittwoch gut
gelaunt – trotz der äußerst schwierigen
Lage des Finanzkonzerns.
Allzu gern scheint der 50-Jährige in
den Räumen der noblen „Rudergesell-
schaft Germania“ für kurze Zeit das
triste Alltagsgeschäft zu vergessen.
Vielleicht stimmt Blessing aber auch die
jüngste Aktien-Entwicklung der Bank
zuversichtlich – der Kurs sprang seit Juni
um gut 50 Prozent. Oder er freut sich
über die gut 3300 Neukunden pro
Woche? Genauso wie über den Mini-
Gewinn von 43 Millionen Euro im
zweiten Quartal?
Wohl kaum. Denn all diese Zah-
len stellen nur eine scheinbar positive
Momentaufnahme dar. Der Bank geht
es schlecht. „Die Commerzbank befindet
sich aktuell wohl in ihrer schlimmsten
Verfassung“, fürchtet Philipp Häßler vom
Analysehaus Equinet.
In den vergangenen zehn Jahren
haben die Aktionäre fast ihren kom-
pletten Einsatz verloren (s. Chart S. 78).
Trotz steigender Kundenzahlen stagniert
der Ertrag der wichtigen Privatkunden-
sparte. Im gesamten ersten Halbjahr ent-
stand sogar ein Verlust von 51 Millionen
Euro (s. Grafik unten).
Konzernchef Blessing muss sich daher
von seinen Anteilseignern bohrende
Fragen gefallen lassen: „Warum verliert
die Commerzbank Geld, während inter-
nationale Konkurrenten Milliardenge-
winne scheffeln?“ oder „Wann will das
Institut richtig Geld verdienen, wenn
nicht jetzt?“ Immerhin erhält die Bank
– genauso wie ihre Wettbewerber – von
der Europäischen Zentralbank Kredite
fast für lau. Zudem läuft die Konjunktur
im Hauptmarkt Deutschland gut. In der
Finanzkrise hat außerdem der Staat Mil-
liarden zugebuttert.
FOCUS hat die Ausgangslage der Tra-
ditonsbank analysiert sowie mit Bankin-
sidern, Regierungspolitikern und Finanz-
experten gesprochen. Das Fazit: Die
Commerzbank steht wirklich schlecht
da, es bestehen aber Chancen auf Bes-
serung. Doch dafür muss Martin Blessing
die Bank radikal verändern.
Eingeklemmt zwischen den
Sparkassen und der Deutschen Bank

• Das Privatkundengeschäft (PKG)

Großes Potenzial – kleines Ergebnis könnte ein starker Ertragsbringer der
Commerzbank sein. Ist es aber nicht.
Das Privatkundengeschäft der Commerzbank gleicht Verluste in anderen Sparten nicht aus
Ein Grund ist die harte Konkurrenz. Die
Zahl der Privatkunden in Millionen Ergebnis und Gewinn in Millionen Euro Commerzbank zählt zwar elf Millionen
operatives Ergebnis Reingewinn Kunden. Die Deutsche Bank bringt es
Millionen aber auf 24 Millionen (einschließlich
Sparkassen 2513
Postbank). Und dann noch die 50 Milli-
50 1917
1386 1430
onen Kunden der übermächtigen Spar-
2513 kassen. Ein weiterer Grund für die Er-
Volks- und Raiffeisenbanken
507 638 547 tragsschwäche der Commerzbank sind
30
3 6 die hohen Kosten. Sie lockt neue Konto-
2007 2008 2009 2010 2011 2012 –51 Kunden mit 50 Euro Startguthaben. Die
–378 1. Hj. 2013
Foto: Ber t Bostelmann/bildfolio

Bank verdient aber pro Bestandskunde

14
Übermacht
Zwar gehört die gelbe Bank
11
inzwischen zu den führenden
Privatkundenhäusern.
Sparkassen und Volksbanken
10
bleiben aber weit vorn
Quelle: Geschäftsberichte
Klotz am Bein
–2270 Was die Commerzbank in
ihrem Kerngeschäft operativ
verdiente, machten Wert-
berichtigungen auf Altlasten
–4532 zuletzt oft zunichte
im Gesamtjahr im Schnitt nur 300 Euro.
Trotz steigender Kundenzahlen fiel der
Gewinn in der Privatkundensparte im
ersten Halbjahr auf magere 123 Milli-
onen Euro (minus 26 Prozent).
• Selbst der einstige Erfolgsgarant, das
Geschäft mit mittelständischen Fir-

FOCUS 35/2013 77
W I R T S C HAF T
Im Griff der Politik
Banker Blessing (r.) muss sich
mit dem Aktionär Bund und
Finanzminster Schäuble einigen
An der Börse ein
Trauerspiel
Kein großer deutscher Konzern ließ
seine Anleger in den vergangenen Jahren
so stark leiden wie die Commerzbank
Aktienkurs Commerzbank 250
in Euro
200
150
100
50
0
8/03 2005 2007 2009 2011 8/2013
Quelle: Bloomberg
Schmerzbank Bis zur Finanzkrise 2008 menkunden schwächelt. Hier brach das
war die Börsenwelt bei der Commerzbank Ergebnis im ersten Halbjahr sogar um
noch in Ordnung. Seither verlor die Aktie 38 Prozent auf 542 Millionen Euro ein.
rund 95 Prozent ihres Wertes 2012 verdiente Blessing damit noch 1,65
Milliarden Euro. Hauptgrund: Trotz gu-
ter Konjunktur musste die Bank mehr
Kursentwicklung in Prozent (29.8.2003 = 0 %) Kredite abschreiben als erwartet.
+200 %
Commerzbank • Die Sparte Investmentbanking ist nur
+150 % noch klein. Sie konnte zwar dank Son-
Dax +100 % dereffekten (höhere Bewertung von An-
lagen) auf 524 Millionen Euro zulegen
Deutsche +50 %
Bank (plus 77 Millionen). Auf Dauer kann sich
0% die Commerzbank aber nicht mit den
–50 % internationalen Wettbewerbern mes-
–100 % sen. Finanzprofessor Hans-Peter Burg-
8/03 2005 2007 2009 2011 8/2013 hof von der Universität Hohenheim,
Quelle: Bloomberg der als Kenner der Bank gilt: „Bei der
Anlegers Albtraum Im vergangenen Commerzbank steht nicht die Frage im
Jahrzehnt hängte die Commerzbank-Aktie Vordergrund, wie man im Investment-
Deutsche Bank und Dax-Index zunächst banking möglichst hohe Profite erzielt,
ab. Heute hinkt der Kurs weit hinterher sondern wie man von der überlegenen
Konkurrenz möglichst wenig über den
1140 Tisch gezogen wird.“
• Bleiben noch die Altlasten: Als Milliar-
dengrab erweisen sich die Nicht-mehr-
Kern-Bereiche („Non Core Assets“) des
583 Konzerns. In dieser „Bad Bank“ parkt
511
Zahl der Aktien Blessing alle Aktivitäten, an die er
in Millionen selbst nicht mehr glaubt: insbesondere
118 118 die frühere Eurohypo mit ihrer Immobi-
66 72
lien-, Staats- und Schiffsfinanzierung.
2007 2008 2009 2010 2011 2012 7/2013 Auf Geheiß der EU-Kommission muss
Quelle: Commerzbank die Commerzbank ihre frühere Tochter
Papierinflation Die Commerzbank musste abwickeln. Abschreibungen und Wert-
mehrmals neue Aktien ausgeben, um Geld berichtigungen brachten hier 2012 ei-
einzusammeln. Folge: Die Aktienanzahl nen Verlust von 1,5 Milliarden Euro.
explodierte auf inzwischen 1,14 Milliarden Allein im zweiten Quartal 2013 ver-
lor die Bank dort 387 Millionen Euro.
„Die Schiffsfinanzierung ist ein sehr
78
prozyklisches und riskantes Geschäft.
Dieser Markt ist zudem überbesetzt“,
analysiert Burghof die Probleme.
Niemand traut sich, die Commerz-
bank komplett zu übernehmen
Trotzdem steigt im Unternehmen die
Sorge, dass ein ausländischer Bieter
zugreifen könnte, um die Bank anschlie-
ßend zu zerlegen und auszuschlachten.
Als Favorit gilt in der Commerzbank-
Führungsebene derzeit die spanische
Banco Santander – vor allem wegen der
verlockend hohen Kundeneinlagen der
Commerzbank. „Sie wären als günstige
Refinanzierungsquelle überall willkom-
men“, glaubt Ex-Dresdner-Bank-Chef
Herbert Walter. Dagegen gilt ein Ein-
stieg der Schweizer Großbank UBS, die
sich vor allem auf die Verwaltung gro-
ßer Vermögen konzentriert, als weniger
wahrscheinlich. Und das, obwohl Bun-
desfinanzminster Wolfgang Schäuble
(CDU) beim UBS-Verwaltungsratschef
Axel Weber diesbezüglich bereits vor-
gefühlt hatte (FOCUS 29/2013).
Frankfurter Bankeninsider halten
jedoch eine Komplettübernahme der
Commerzbank derzeit für unwahrschein-
lich. Denn fast alle Banken müssen gera-
de ihr Geschäftsvolumen (Bilanzsumme)
reduzieren und gleichzeitig ihr Eigenka-
pital erhöhen. Die knapp zehn Milliarden
Euro für die Übernahme der Commerz-
bank könne da kaum jemand stemmen.
Hinzu kämen die noch viel höheren Kos-
ten der Altlasten und Restrukturierung
des Instituts.
FOCUS 35/2013

In rauer See Nicht nur bei der Commerzbank sind viele Schiffsfinanzierungen wacklig
Viele ausländische Investoren lassen
sich auch vom Staatseinfluss abschre-
cken: Der Bund hält seit der Finanzkrise
17 Prozent der Commerzbank-Aktien.
Zwar wollen sowohl Finanzminister
Schäuble als auch Bankchef Blessing
das Institut aus dem Griff des Staates
lösen. Das aber ist nicht so einfach, da
sich selbst für dieses Paket nur schwer
ein einzelner Käufer finden lässt.
Bleibt nur Plan B: die schrittweise Plat-
zierung staatlicher Aktienanteile über
die Börse. Dort aber ist die faktische
Staatsgarantie für die Bank schon „ein-
gepreist“ – sprich: positiv in den Kursen
enthalten. Ohne diese Staatsgarantie
dürfte die Aktie noch weiter abstürzen.
„In welche Richtung es mit der Com-
merzbank geht, zeigt sich erst nach der
Wahl“, weiß ein ranghoher Berliner Polit-
insider. Schäuble oder sein Nachfolger
müssen entscheiden: Zieht der Bund sich
schnell, aber mit erkennbaren Verlusten
aus der Commerzbank zurück, oder hält
die Politik eine lange Durststrecke aus?
Fotos: Hannelore Foerster/Getty Images , Svitzer/REUTERS
Nötige Radikalkur: Hier muss sich
die Bank deutlich verändern
Alle Bankkenner halten es derzeit für
die wahrscheinlichste Variante, dass
Blessing und sein Team die Aufräumar-
beiten erst noch selbst erledigen müssen,
bevor ein Verkauf möglich wäre:
• Die Bank kann mit weiteren Teilver-
käufen ihr Risiko deutlich senken. So
hat die Commerzbank gerade erst ihr
Hypothekengeschäft in Großbritan-
nien abgestoßen. Experten sehen ein
FOCUS 35/2013
Potenzial von weiteren fünf Milliarden
Euro. Allerdings lassen sich diese Be-
reiche kurzfristig nicht ohne Verluste
verkaufen.
• Parallel muss die Bank massiv Personal
abbauen, um die Kosten zu senken.
Insgesamt sollen 5200 Stellen weg-
fallen. Selbst der Vorstand wird von
sieben auf fünf Köpfe verkleinert: Ul-
rich Sieber und Jochen Klösges sollen
gehen. Noch wird um ihre Abfindung
gefeilscht. Laut Vertrag stehen jedem
von ihnen bis zu 2,5 Millionen Euro
zu – der Großaktionär Bund will aber
nicht, dass sie mehr als eine Million pro
Kopf bekommen.
• Die Commerzbank muss die Ertrags-
delle im wichtigen Mittelstandsge-
schäft ausbügeln. Laut Banken-Profes-
sor Burghof dürfte das auch gelingen:
„Die Commerzbank kann auf einer
guten Position beim deutschen Mittel-
stand aufbauen. Mit einer Hausbank-
Strategie kann sie kurzfristig zwar
keine Bäume ausreißen, langfristig
aber ihre Existenz und Profitabilität
sichern.“
• In der Privatkundensparte will die Com-
merzbank mit vier neuen Kontenmodel-
len und neuen Konditionen im Wertpa-
piergeschäft deutlich mehr verdienen.
Bleibt Martin Blessing Chef der
Bank? Seine Chancen stehen gut
Die Analyse zeigt: Eine schnelle
Lösung für die (Ertrags-)Probleme der
Commerzbank wird es wohl nicht geben.
Besserung ist aber möglich. Von deut-
90 %
liegen die Frachtraten
(Baltic-Dry-Index)
unter dem Höchstwert
vor der Finanzkrise.
Das belastet die
Schiffsfinanzierungen
der Commerzbank
(17 Milliarden Euro)
schen Spitzenpolitikern hört man denn
auch so gut wie nie böse Worte über
Commerzbank-Chef Blessing – nicht
einmal hinter vorgehaltener Hand. Sie
alle scheint vielmehr parteiübergreifend
ein schlechtes Gewissen zu plagen.
Schließlich sind sie mitverantwort-
lich für die schwierige Lage der Bank:
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
unterstützte als Bundesfinanzminister
die im Mai 2009 vollzogene Übernahme
der Dresdner Bank, die der Commerz-
bank in erster Linie Milliarden-Probleme
einbrachte.
Und auf dem Höhepunkt der Grie-
chenland-Krise 2010 verpflichtete CDU-
Finanzminister Wolfgang Schäuble die
Commerzbank, ihre maroden grie-
chischen Staatsanleihen zu behalten,
obwohl andere Banken die Papiere
längst verramschten. Als Folge des grie-
chischen Schuldenschnitts musste die
Commerzbank deshalb fast drei Milli-
arden Euro abschreiben. Das ist genau
jene Summe, die sich die Bank im Mai
2013 über eine Kapitalerhöhung neu
beschaffen musste.
Nicht zuletzt deshalb darf Bankchef
Blessing wohl weiter aufräumen und
umbauen. Er selbst ist auf jeden Fall
bereit, an der Trendwende seiner Bank
mitzuwirken. Erst kürzlich erklärte er
in einem Interview: „Es wäre absurd,
vorzeitig aufzugeben. Auch beim Mara-
thonlauf gibt es Phasen, die wehtun. Da
muss man durch. Umso schöner ist es
dann, durchs Ziel zu laufen.“ ■
B. JOHANN / A. KÖRNER / F. THEWES
79
W I R T S C HAF T
Ein EU-weiter Einlagensicherungsfonds bedroht die deutschen Sicherungs-
gelder sowie die Schutzsysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken
Sparer dürfen nicht für Fehler
ausländischer Banken haften
S
eit mehr als drei
Jahren wird an
einheitlichen Stan-
dards zum Schutz
von Spareinlagen
in ganz Europa gearbeitet.
Das ist zunächst eine richti-
ge und wichtige Konsequenz
aus der Finanzmarktkrise.
Nachdem die EU-Kommis-
sion bereits 2010 eine Neu-
fassung der Einlagensiche-
rungsrichtlinie vorgelegt
hatte, gerieten die Abstim-
mungsgespräche auf euro-
päischer Ebene aber leider
ins Stocken. Im vergangenen
Jahr wurden sie komplett
eingestellt. Es ist gut und
macht Hoffnung, dass die
Verhandlungen zur EU-Ein-
lagensicherung jetzt wieder
spürbar an Fahrt aufgenom-
men haben. Die Einlagen-
sicherungsrichtlinie ist ein
erforderlicher Bestandteil der
Krisenbewältigung. Sie wür-
de EU-weite Regeln, insbe-
sondere für die Finanzierung
der Einlagensicherung, fest-
legen. Derzeit aber gibt es
in Europa noch viele unein-
heitliche Sicherungssysteme.
Diese sammeln, anders als
in Deutschland, keine finan-
80
VON GEORG FAHRENSCHON
PRÄSIDENT DER
SPARKASSEN
Georg Fahrenschon, 45,
führt seit 2012 den
Deutschen Sparkassen-
und Giroverband (DSGV).
Er vertritt somit die größte
deutsche Bankengruppe
(50 Mio. Kunden).
Zuvor war der Diplom-
ökonom und CSU-Politiker
bayerischer Finanzminister
und Unternehmensberater.
ziellen Mittel an. Sie fordern
die nötigen Beiträge erst
dann von den Instituten ein,
wenn der Entschädigungsfall
eingetreten ist.
Unstrittig ist, dass Euro-
pa viel Vertrauen schaffen
könnte, wenn für alle Siche-
rungssysteme einheitliche
Vorgaben bei der Finanz-
ausstattung gelten würden.
Und vor allem, wenn vor Ort
ein Polster geschaffen wür-
de, auf das man im Ernstfall
zugreifen kann.
Das EU-Parlament und der
Rat verfolgen hier aber völlig
andere Ziele als die Kommis-
sion. Sie will – statt einheitli-
cher, aber dennoch nationaler
Lösungen – einen EU-weiten
Einlagensicherungsfonds ein-
richten. Das bedeutet eine
Vergemeinschaftung der
Sicherungsgelder, die zum
Schutz deutscher Spargut-
haben angesammelt wur-
den und werden. Das wird
es mit den Sparkassen und
Genossenschaftsbanken
nicht geben. Die fatale Folge
wäre, dass das Schutzniveau
für unsere Kunden sinkt,
die jetzt eine Insolvenz ihres
Bank-Partners nicht zu fürch-
ten brauchen. Denn Sparkas-
sen und Genossenschafts-
banken stellen jeweils über
ihre Haftungsgemeinschaft
sicher, dass alle Ansprüche
Illustration: Harm Bengen
der Kunden fristgerecht und
in voller Höhe erfüllt wer-
den können. Ein EU-weiter
Einlagensicherungsfonds
würde es den beiden Grup-
pen unmöglich machen,
ihren Kunden die Stärke,
Foto: Bernd Roselieb/VISUM
die sie seit über 200 Jahren
selbst erwirtschaftet haben,
zu bewahren. Zudem würden
Mittel aus den Sicherungs-
systemen, die bisher zur
Absicherung von Sparkassen
FOCUS 35/2013

oder Genossenschaftsban-
ken dienen, zur Absicherung
von Einlagen ausländischer
Banken abfließen. Hier gilt
es, falschen und gefährlichen
Brüsseler Begehrlichkeiten
entschlossen einen Riegel
vorzuschieben. Deutsche
Sparer dürfen nicht für die
Fehler ausländischer Invest-
mentbanken zahlen.
N
ahezu alle Mit-
gliedsstaaten
haben der Kom-
mission und deren
Plänen für einen gemein-
schaftlichen europäischen
Einlagensicherungsfonds
inzwischen eine klare Absa-
ge erteilt. Deshalb versucht
sie nun, auf einem ande-
ren Weg – nämlich über die
Regelungen zur Bankenab-
wicklung – an die nationa-
len Mittel zu gelangen.
Die Kommission argumen-
tiert, dass durch die Abwick-
lungsmaßnahmen eine
Insolvenz des betroffenen
Kreditinstituts vermieden
wird, wodurch es erst gar
nicht zu einer Entschädi-
gung der Einleger kommen
muss. Dadurch werde das
FOCUS 35/2013
»gemeinschaftung
Eine Ver-
deutscher
Sicherungsmittel
gibt es mit den
Sparkassen und
Genossenschafts-
banken nicht « Zu Recht lehnen daher
nationale Einlagensiche-
rungssystem geschont. Mit-
tel, die zur Entschädigung
der Einleger hätten einge-
setzt werden müssen, könne
man deshalb zur Abwick-
lungsmaßnahme beisteuern.
Die Kommission irrt hier
aber: Abwicklung und Ein-
lagensicherung haben zwei
völlig unterschiedliche Zie-
le. Die Einlagensicherung
soll direkt die Kunden der
Kreditinstitute schützen. Die
Abwicklungsmechanismen
hingegen sollen in erster
Linie das jeweilige Kreditin-
stitut und seine Eigentümer
in die Verantwortung neh-
men. Es ist daher wichtig,
die Aufgaben und Zustän-
digkeiten sowohl bei der
Abwicklung als auch bei der
Einlagensicherung klar zu
definieren und zu trennen.
Den nationalen Systemen
müssen die erforderlichen
Mittel unabhängig vonein-
ander bereitgestellt werden.
EU-Rat und -Parlament die
Verpflichtung für die einzel-
nen Sicherungssysteme ab,
sich gegenseitig Kredite zu
gewähren. Dies aber sieht
die EU-Kommission vor. Die
Aussicht auf Kredite könnte
bei manch nationalem Siche-
rungssystem dazu führen,
dass man sich zu wenig
anstrengt, eine Krisensituati-
on zu bereinigen. Außerdem
bergen Kredite die Gefahr,
dass es zu einer Ausbreitung
der Krise in andere Mitglieds-
staaten kommt.
Deshalb darf die Kredit-
finanzierung nicht kommen.
Für alle anderen noch offenen
Punkte lassen sich dagegen
Kompromisse finden. So gilt
für die Frage der finanziellen
Ausstattung der Sicherungs-
fonds, dass sie die Kreditinsti-
tute nicht überfordern dürfen.
Dabei muss man alle Kosten
berücksichtigen, die durch
weitere Regulierungsvorha-
ben zur Bankenunion und
die daraus folgenden finan-
ziellen Pflichten entstehen.
Die vom Europäischen Parla-
ment geforderte Ausstattung
der Fonds in Höhe von 1,5
Prozent der Kundeneinlagen
dürfte zu hoch sein. Der Rat
fasst 0,5 Prozent der Einlagen
ins Auge. Ein Kompromiss
wird wahrscheinlich zwischen
diesen Werten liegen.
E
in weiterer Versuch
der Kommission,
durch die Hintertür
an die Mittel zur
Einlagensicherung zu kom-
men, muss ebenfalls abge-
lehnt werden. Danach soll
der europäische Bankenab-
wicklungsfonds einem nati-
onalen Einlagensicherungs-
system die nötigen Mittel zur
Entschädigung der Einleger
zur Verfügung stellen. Gren-
zen oder klare Voraussetzun-
gen dafür soll es nicht geben.
Dies ist nur ein weiterer Ver-
such der Kommission, doch
eine Vergemeinschaftung der
Einlagensicherung auf EU-
Ebene einzuführen.
Wer Sparer wirksam schüt-
zen will, darf jede einzelne
Bank aber niemals aus der
Verantwortung für ihr Han-
deln entlassen. Genau dies
wäre aber bei einer europa-
weiten Vergemeinschaftung
der Sicherungsmittel der
Fall und wird deshalb zu
Recht von Rat und Parlament
konsequent abgelehnt. Die
Kommission sollte sich die-
ser Meinung anschließen.
Die Bürgerinnen und Bür-
ger können jedenfalls sicher
sein, dass die Sparkassen in
ihrem Bemühen, den hohen
deutschen Einlagenschutz zu
bewahren, auch in Zukunft
nicht nachlassen werden. ■
81
W I R T S C HAF T
PETER BRABECK-LETMATHE
Vorbildlich
offen zu den
Kunden
VEVEY In der Tabakindus-
trie galt lange eine Regel:
Interne Analysen zur
Gesundheitsverträglich-
keit von Zigaretten blie-
ben geheim. Geholfen
hat das Marlboro, Camel
& Co. wenig, der Image-
schaden war hingegen
beträchtlich.
In diese Falle will Nestlé-
Verwaltungsratsboss Peter
Brabeck-Letmathe nicht
tappen. Der 68-Jährige
weiß, dass die Öffentlich-
keit immer heftiger über
die Frage diskutiert, ob
bestimmte Nahrungsmit-
tel süchtig machen und
ob Hersteller das ausnut-
zen. Um nicht angreifbar
zu sein, verspricht
Brabeck-Letmathe abso-
lute Transparenz: „Wir
veröffentlichen alle unter-
nehmenseigenen For-
schungsergebnisse zum
Thema Ernährung.“ Das
ist gut für die Verbrau-
cher – und am Ende auch
gut für Nestlé.
82
MONTAG IST ZEUGNISTAG
CARLOS SLIM
Bluff im
Poker um
E-Plus
MEXIKO-STADT Der
geplante Verkauf von
E-Plus an Telefónica
(in Deutschland O2)
schmeckt Carlos Slim, 73,
gar nicht. Der mexikani-
sche Mobilfunk-Milliar-
där hat erst vergangenes
Jahr kräftig in Europa
investiert. Er erwarb u. a.
Beteiligungen an der nie-
derländischen KPN, dem
E-Plus-Besitzer. Diese
Marktstellung will er
nicht aufgeben.
Um den Deal mit O2 zu
verhindern, ist Slim sogar
bereit, KPN komplett zu
übernehmen – schon jetzt
gehören ihm knapp 30
Prozent des Konzerns.
Eine gute Nachricht
für Handy-Nutzer, die
von mehr Wettbewerb
und Preiskämpfen profi-
tieren könnten? Wohl
kaum. Experten vermu-
ten: Der geschäftstüch-
tige Slim will nur den
Verkaufspreis für E-Plus
in die Höhe treiben.
WENDELIN WIEDEKING
Im Porsche-
Tempo Pizza
backen
STUTTGART Wendelin
Wiedeking, 60, startet
durch. Der Ex-Porsche-
Chef hat gerade in Stutt-
gart das zweite Restau-
rant seiner Pizza- und
Pasta-Kette „Tialini“
eröffnet. Im Herbst soll in
Karlsruhe schon Nummer
drei folgen.
Allerdings: Die neue
Karriere als Pizzabäcker
begann etwas holprig.
Gäste und Mitarbeiter
des ersten „Tialini“-Res-
taurants in Ludwigshafen
klagten über chaotischen
Service, ein Geschäfts-
führer musste gehen.
Wiedeking lässt sich
nicht schrecken und
gelobt Besserung: „Es
gibt in Details wie etwa
im Service oder einzel-
nen Abläufen noch Ver-
besserungsmöglichkei-
ten, daran arbeiten wir.“
Ein kleiner Produkt-
tipp: Wie wäre es mit
einer Wagenrad-Pizza
samt Mozzarella-Felgen?
PHILIP FALCONE
Hedge-Fonds-
Manager hat
ausgezockt
NEW YORK Fünf Jahre
Berufsverbot für einen
Geldmanager erregen
selbst an der skandal-
erprobten Wall Street
Aufsehen. Diese Strafe
trifft Philip Falcone, 51,
Gründer des Hedge-
Fonds Harbinger Capital.
Er hatte mit Wetten
Fotos: Marcel Grubenmann, Chris Goodney/Bloomberg, Andrea Moelzner/People Picture, Steve Marcus/REUTERS
gegen US-Immobilien-
papiere Milliarden ver-
dient. Als in der Finanz-
krise viele seiner Anleger
aussteigen wollten, ließ
er sie nicht: Er zahlte nur
einigen ihr Geld zurück,
andere gingen leer aus.
Diese Ungleichbehand-
lung sanktionierte jetzt
die Börsenaufsicht SEC.
Neben dem Berufsverbot
müssen Falcone und sein
Fonds 17 Millionen Dol-
lar Strafe zahlen.
Härter als die Strafe
trifft ihn aber die Flucht
der Anleger: Sein Fonds
schrumpfte von einst 26
auf nur noch drei Milliar-
den Dollar zusammen.
FOCUS 35/2013
 3 SEP
AB
DIENSTAGS
20:15

P EZ IAL
I-SZENKOCH
PROMIM
T SPI
T
UARD
N MARQ
A
STEF

FRUST ODER KEULE?

67(//81*6:(&+6(/
Job bekannt, fremdes Land.

Ganze Folgen auf kabeleins.de

W I R T S C HAF T

Sein größter Fehler

Nach 33 Jahren bei
Microsoft geht Steve DESASTRÖSE
BILANZ
Ballmer. Weil er das Bing, Zune, Surface – die Liste der
iPhone von Apple falsch Flops, die Steve Ballmer, 57,
produziert hat, ist lang. Nur ein
einschätzte – und bis stabiles PC-Geschäft hielt
heute keine Strategie für das Unternehmen in der Spur
das mobile Internet hat

ls Steve Ballmer auf das iPhone

A angesprochen wird, lacht er

schallend: „Ich gebe dem iPhone
keine Chance, einen signifikanten Markt-
anteil zu erreichen.“ Ohne Tastatur eig-
ne es sich nicht für Geschäftsleute. Mit
500 Dollar sei es zu teuer für Privatkun-
den. „Zwei bis drei Prozent des Marktes
kann Apple damit holen“, legt sich Ball-
mer fest. Das war 2007, ein Jahr nach-
dem Gründer Bill Gates den Konzern
vollständig verlassen hatte. Und es war
wohl Ballmers größter Fehler: Apple pro-
duzierte bis heute 387 Millionen iPhones
und hat gut 20 Prozent Marktanteil.
Trotzdem konnte sich Ballmer noch
weitere sechs Jahre an der Spitze von
Microsoft halten. Sechs Jahre, in denen
der Konzern nicht nur den Anschluss an
das mobile Internet verpasste. Sondern
auch etliche Geräte-Flops produzierte.
Am Freitag kündigte Ballmer seinen
Rücktritt an. Dass er dies freiwillig tat,
glaubt in der Branche niemand. „Das ist
ein totaler Schocker. Etwas Großes muss
passiert sein“, sagt ein Konzern-Insider.
Dass Microsoft keinen Nachfolger prä-
sentiert, sondern jetzt erst suchen muss,
spricht ebenfalls für die These eines
großen Krachs hinter den Kulissen. Der
Aufsichtsrat schweigt. Und sucht nun
einen neuen starken Mann für einen
der schwierigsten Jobs in der IT-Branche.
Denn exakt 2007 – mit Apples iPhone
– begann der rasante Wandel der Com-
puterwelt: weg von den grauen, sperri-
gen Personalcomputern hin zu den klei-

84 FOCUS 35/2013
 Freunde Steve Ballmer
und Microsoft-Gründer
Ballmers Bilanz
13 Jahre führte Steve Ballmer den
Bill Gates sind Freunde.
Software-Konzern. Nur das alte
2000 übergab Gates
PC-Geschäft florierte in dieser Zeit.
die Unternehmensführung
an Ballmer. Auf dem
Foto räumt Gates sein DER AKTIEN-SPRUNG
Büro – eine ironische in US-Dollar
Übertreibung 36
35

nen, schicken Smartphones und Tablets.
Noch 2009 trieben Microsofts Betriebs-
systeme etwa 90 Prozent aller verkauften
Geräte an, die mit dem Internet verbun-
den waren. Jetzt sind es nur noch 25 Pro-
zent. Weil Ballmer den Wandel damals so
falsch einschätzte, läuft das Unterneh-
men bis heute den neuen Taktgebern
Apple, Google und Samsung hinterher.
Die Liste der Ballmer Produkt-Flops ist
lang. Sie reicht vom Musikspieler Zune,
der ein iPod-Rivale werden sollte, bis
zum Tablet Surface, das als Konkurrenz
zum iPad gedacht war.
Im Jahr 2007 träumte Ballmer von 60
Prozent Marktanteil und mehr für die
Microsoft-Produkte. Inzwischen ist er
dort angelangt, wo er Apple einst ein-
sortierte: bei zwei bis drei Prozent.
Ballmer (Spitzname „Monkeyboy“) hat
alles gegeben: Bei öffentlichen Auftritten
springt er wie ein Irrwisch über die Büh-
ne, verschwitzt und schreiend.
Ballmer hat alles versucht: Microsoft
steckte Milliarden in die Entwicklung
neuer Betriebssysteme, die Suchma-
schine Bing, kaufte den Kommunikati-
onsdienst Skype, entwickelte das über-
komplizierte Windows 8 und entwarf die
Spielkonsole Xbox.
Und Ballmer gibt nicht so schnell auf –
was manchmal ein Fehler ist: Seit 2005
versenkte er 11,5 Milliarden Dollar im
Internet-Geschäft (s. Chart). Das brachte
ihm den Titel des „schlechtesten Chefs
Amerikas“ ein („Forbes“).
Sein Durchhalten hat sich nur bei
der Xbox gelohnt. Alle anderen neuen
Geschäftsfelder wurden zum Desaster.
Diese Serie an Fehlschlägen konnte
Fotos: Lee Jin-man/AP/ddp images, action press
Aber irgendwann auch Microsoft. Und 34
auf diesen Tag, wenn die PC-Software 33
die Verluste der neuen Geschäftsfel- Ergebnis- 32
Enttäuschung
der nicht mehr ausgleichen kann, ist 31
Microsoft nicht vorbereitet. Rücktritt 30
Ballmer hat daher erst vor einem Steve Ballmer
Monat eine komplette Neuausrichtung 29
des Konzerns verkündet. „Hardware und 28
3/2013 8/2013
Dienstleistungen“ statt Software lautete
die neue Marschrichtung, die allerdings Erleichterung Dem Kurseinbruch
nichts wirklich Revolutionäres versprach. wegen schlechter Zahlen im Juli folgt
Dass Ballmer nur wenige Woche danach nun der Freudensprung an der Börse
schon die Kommandobrücke verlässt, auf die Nachricht des Rücktritts
wird ebenfalls als Zeichen für seinen
unfreiwilligen Abgang gesehen. Finanzi- DIE ONLINE-VERLUSTE
elle Sorgen muss er sich immerhin nicht
machen. Am Freitag sprang der Aktien- Online-Erträge von Microsoft
in Millionen US-Dollar
kurs derart in die Höhe, dass sein Anteil Mio. US-Dollar +100
an Microsoft statt zehn Milliarden Dollar 0
plötzlich elf Milliarden wert war.
Wie geht es weiter mit Microsoft? „Wen –200
Microsoft auch immer als neuen Vor-
standsvorsitzenden wählt: Ich hoffe, dass –400
er oder sie nicht aus dem Firmenkun-
dengeschäft kommt. Das ist das Letzte, –600
das Microsoft braucht“, twittert Gartner-
Analystin Carolina Milanesi. –800
Ein möglicher Ballmer-Nachfolger 2006 07 08 09 2010 11 12 1.Q.2013
könnte Vic Gundotra sein: Er arbeitete Pleiten im Netz Die Online-Sparte er-
15 Jahre für Microsoft, bevor er 2007 zu wirtschaftet seit 2005 stetig Verluste.
Google wechselte. Insider nennen auch Sie summieren sich bisher auf insge-
den Namen Paul Maritz, der ebenfalls samt 11,5 Milliarden Dollar
lange bei Microsoft war, ehe er zum
Software-Hersteller VMWare ging. Ein DIE GERÄTE-FLOPS
weiterer externer Kandidat ist Reed Has-
tings, der Chef des erfolgreichen Video- Microsofts Anteil an verkauften Geräten
dienstes Netflix. in Prozent (PCs, Notebooks, Tablets, Smartphones)
Ein interner Ballmer-Nachfolger könn- 80 %
te hingegen Kevin Turner sein, der das
Microsoft-Tagesgeschäft leitet. Hinzu 60 %

er nur so lange überleben, weil er mit
Microsoft-Gründer Bill Gates befreundet
ist. Und weil das Uraltgeschäft mit dem
Betriebssystem Windows und den Büro-
programmen Word, Excel oder Power-
Point bis heute satte Gewinne abwirft.
kommen Steven Sinovsky, der einst die
Windows-Sparte anführte, oder der frü- 40 %
here Skype-Chef Tony Bates, heute einer
der Top-Manager des Unternehmens. 20 %
Sogar Stephen Elop, der von Microsoft 0%
an die Spitze von Nokia wechselte, und 5/2009 2010 2011 2012 3/13
Quellen: Gar tner, Enders

Doch das Ende dieser Sparten, die
Microsoft einst zum wertvollsten Unter-
nehmen der Welt machten, rückt näher.
Seit 2012 schrumpft der PC-Markt. Das
trifft schon heute die Microsoft-Verbün-
deten wie Intel oder Hewlett-Packard.
Sheryl Sandberg, die Vizechefin von
Facebook, werden genannt.
Das Rennen ist eröffnet. Nur eines scheint
klar: Bill Gates wird es nicht machen. ■
HOLGER SCHMIDT
Wandel verschlafen Weil die Menschen
lieber Smartphones und Tablets
kaufen, verliert Microsoft in der High-
Tech-Welt rasant an Bedeutung

FOCUS 35/2013 85
 GELDMARKT

NOTIZEN AUS DER

WIRTSCHAFT

Einige Währungen . . .
asiatischer Länder kolla-
bieren derzeit. So sackte
die indische Rupie gegen-
über dem Dollar auf ein
historisches Tief. Allein
seit Jahresanfang beträgt
das Minus etwa 20 Pro-
zent. Auch die Währungen
Indonesiens, Thailands
und Malaysias fielen stark:
Deren Wachstumsraten
fallen schwächer aus als
erwartet, internationale
Investoren ziehen massiv
Geld ab. Zur Erinnerung:
Bereits 1998 gab es eine
Währungskrise in Asien,
die beim Dax binnen Wo-
chen zu einem Einbruch
von 37 Prozent (!) führte.
Deutsche Sparer . . .
müssten im Schnitt 287
Euro monatlich zurück-
legen, um ihre Vorsorge-
ziele fürs Alter zu errei-
chen. Tatsächlich sparen
sie aber nur 185 Euro.
1,9 2,4
Rendite Bundes- 1,7 Rendite 2,2
anleihen Pfandbriefe
zehn Jahre 1,5 zehn Jahre 2,0
Laufzeit Laufzeit
Quelle: Bloomberg 1,3 Quelle: Bloomberg 1,8
in % in %
1,1 1,6
April Mai Juni Juli Aug. 2013 April Mai Juni Juli Aug. 2013
Grundsolide Pfandbriefe sind durch Hypotheken gedeckt und daher sicher – trotz höherer Zinsen als beim Bund
Pfandbriefe bringen mehr
Seit Anfang Mai sind die zent – also 0,4 Prozentpunkte besten Pfandbriefe meist erst
Renditen von Bundesanlei- mehr als beim Bund. Dabei ab 50 000 Euro erhältlich sind.
hen von weniger als 1,2 Pro- sind Pfandbriefe ähnlich Der DWS Covered Bond
zent auf 1,9 Prozent gestiegen sicher wie Bundespapiere. Es etwa warf binnen drei Jah-
(bei zehn Jahren Laufzeit). gibt sie seit 1769 – und noch ren elf Prozent ab (ISIN:
Diese Papiere geben den nie sind Pfandbriefe ausge- DE0008476532). Der Alli-
Trend für die meisten Zinsan- fallen: Sie sind durch Bau- anz-Pimco-Pfandbrief-Fonds
lagen in Europa vor. Deshalb kredite oder Darlehen an die brachte es seither sogar auf
hat sich auch die Verzinsung öffentliche Hand abgesichert. 17 Prozent (LU0039499404).
von Pfandbriefen verbessert. Für Renditesucher ist es Beide mischen auch Pfand-
Sie beträgt (bei gleicher sinnvoll, einen spezialisier- briefe aus anderen europäi-
Laufzeit) im Schnitt 2,3 Pro- ten Fonds zu wählen, da die schen Ländern bei.

Fotos: Rupert Oberhaeuser/Caro, Françoise Pétrovitch courtesy artsation GmbH

Silber-Aktien mit Nachholbedarf
KUNST-TIPP:
Der Silberpreis ist seit seinem Juni-Tief von 18,50 Dollar FRANÇOISE PÉTROVITCH
je Feinunze (31,1 Gramm) um rund ein Viertel gestiegen.
Aktien von Silberproduzenten haben noch kaum mitgezo- Die 1964 geborene Französin zeigt
gen – obwohl Minenpapiere im Normalfall auf Änderun- in ihren Bildern gern scheinbar
gen der Metallnotierungen überproportional reagieren. idyllisch spielende Kinder oder
Unternehmen wie Pan Haustiere. Doch den zarten Wesen
Pan American Silver in US-Dollar American Silver (Chart) besit- sind oft die Köpfe abgeschlagen,
40 zen daher Nachholbedarf. oder sie weinen blutige Tränen.
Die Kanadier gehören zu den Die Web-Galerie Artisation bietet
30
Größten der Branche und die Lithografie „La fille à l’arrosoir“
zahlen eine Dividende von (Mädchen mit Gießkanne, 2010,
20
3,7 Prozent. JP Morgan ca. 90 x 63 cm, Aufl.: 36) für 600
10
hält Kurse von 17 Dollar für Euro an. Info: www.artsation.com,
Quelle: Bloomberg
gerechtfertigt (aktuell 13 Dol- Tel. 0 89/55 05 44 50).
8/2003 2006 2008 2010 8/2013 lar, ISIN CA6979001089).

86 FOCUS 35/2013
 Jürgen Klopp,
Genossenschaftsmitglied
seit 2005

r er
v o n u nse
Jetzt
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W I R T S C HAF T

Antreten Die ersten zwei Frauen bei der Lufthansa, April 1986. Evi Hetz-
mannseder (r.) und Nicola Lisy in der Verkehrsfliegerschule Bremen

Abheben Eine Boeing 737 ist der erste Vogel von Hetzmannseder (r.) und Lisy Anschnallen 1988 nimmt Evi Hetzmannseder im Cockpit Platz

»Are you a Madam, A

m Anfang war das Licht: „Da ging
so ein Lamperl in meinem Kopf
an“, sagt Evi Hetzmannseder.
Damals, als sie am Münchner Flugha-

Sir?«
fen eine Maschine im Landeanflug beob-
achtete. Noch nie hatte der Teenager bis
dahin im Flugzeug gesessen, doch in
diesem Moment wusste sie, was sie woll-
te: Pilotin werden, den Himmel erobern.
Was ihre Eltern dazu gesagt haben? Evi
Hetzmannseder legt den Kopf schief,
guckt ein bisschen gequält und tippt sich
mit dem Zeigefinger an die Stirn: „Ich
Sie wurden als Sicherheitsrisiko, als Über-Emanzen, hab’s halt gemacht.“
23. August 1988: Genau vor 25 Jahren
als fliegender Witz verspottet: traten Hetzmannseder und ihre Jahr-
gangskollegin Nicola Lisy als erste Pilo-
25 Jahre nach ihrem Dienstantritt erinnert sich tinnen bei der Lufthansa ihren Dienst an.
Frau am Ruder: eine Selbstverständlich-
die erste Pilotin der Lufthansa an ihre Anfänge keit heute. Eine Sensation damals.
1980 setzte die Europäische Gemein-
schaft Vorschriften zur Gleichstellung
von Männern und Frauen in Kraft.

88 FOCUS 35/2013

Anpassen Weißes Hemd ist Pflicht für Piloten. Weiße Bluse geht aber auch
Angekommen Heute trägt Hetzmannseder die vier Goldstreifen einer Kapitänin
Trotzdem weigerte sich die Lufthansa
zunächst, weibliche Bewerber für die
Pilotenausbildung anzunehmen. Frauen
im Cockpit seien ein „Sicherheitsrisiko“,
sagte Sprecher Herbert Kaulich noch
1985: „Es fällt doch jedem auf, dass
Fotos: Kay Blaschke für FOCUS-Magazin, Roland Fischer/Lufthansa (4)
Frauen sich schon bei Autopannen viel
weniger zu helfen wissen als Männer.“
Ein Ausbildungsprüfer ergänzt: „Diese
überemanzipierten Frauen fallen bei uns
gleich raus – die mögen wir hier nicht.“
Ein Jahr später muss sich auch der Kra-
nich dem Druck beugen: Die ersten Kan-
didatinnen, Hetzmannseder und Lisy,
beginnen ihre Ausbildung – nachdem
Hetzmannseder im Flugsimulator den
Ausbildern bewiesen hatte, dass sie trotz
einer Körpergröße von 165 Zentimetern
alle Knöpfe erreicht. Zwei Jahre später
treten die Damen unter großem Medien-
rummel den Dienst bei der Lufthansa an.
Die häufigste Pressefrage ist, ob sie in
Hose oder Rock fliegen werden.
FOCUS 35/2013
Immer wieder reißen Passagiere in der
Anfangszeit die Tür zum Cockpit auf. Sie
wollen wissen, „wie so eine Frau aus-
sieht“, die von sich glaubt, diesen Flieger
beherrschen zu können. 1990 dreht ein
Filmteam eine Dokumentation über Evi
Hetzmannseder und befragt Fluggäste:
Wie sie es fänden, dass vorn am Ruder
eine Frau sitze. Ein Geschäftsmann sagt:
„Bei kleinen Flugzeugen stelle ich mir
das ein bisschen problematisch vor. Aber
im Jet habe ich keine Angst.“ Weil den
ja eigentlich der Autopilot fährt.
„Ich hatte gehofft, der Kelch würde an
mir vorübergehen“, sagt ein Kapitän, der
kurz vor der Rente stand, als er zum ers-
ten Mal mit Hetzmannseder fliegen soll.
Ein anderer witzelt: „Hätte Gott gewollt,
dass Frauen fliegen, dann hätte er den
Himmel rosarot gemacht.“
Hetzmannseder, inzwischen 48 Jahre
alt, kann darüber lachen. Das traditio-
nelle Frauenbild sei eben so lange in den
Köpfen gewesen, „da kann man ned bös
sein“. Einmal habe sie bei einem Flug
über Schwarzafrika einen Funkspruch
abgesetzt. Nach langer Pause habe der
Mann im Tower staunend gefragt: „Are
you a Madam, Sir?“
Bei der Geburt ihres zweiten Sohnes
freundet sie sich im Krankenhaus mit
anderen Müttern an. Sie treffen sich
oft. Ihren Beruf verschweigt Evi Hetz-
mannseder den Muttis ein halbes Jahr
lang. Sie fürchtet, dass die Damen auf
Abstand zu ihr gehen.
„Keine Farbe hier, keine hier“, sagt Hetz-
mannseder und deutet auf Lippen und
Wangen. Sie sei froh, dass sie sich im Job
nicht schminken müsse. Elly Beinhorn,
Melli Beese, Amy Johnson: Die ersten
Frauen, die sich Anfang des 20. Jahrhun-
derts ans Ruder eines Flugzeugs wag-
ten, betonten dagegen stets ihre weib-
liche Seite. Röcke, Rouge und koketter
Augenaufschlag sollten den Männern
den Schrecken nehmen.
Auch Evi Hetzmannseder verkleidet
sich manchmal. Aber nur, um zu ver-
schwinden. Wenn sie im Flugzeug durch
die Kabine geht, trägt sie eine neutrale
Strickjacke über der Uniform mit den vier
goldenen Streifen, die ihren Kapitäns-
grad kennzeichnen: „Damit die Leute
nicht so schauen.“
Inzwischen ist Hetzmannseder eine
von etwa 300 Lufthansa-Pilotinnen –
das entspricht einer Frauenquote von
knapp acht Prozent. Immerhin: Für sie
und Kollegin Lisy ließ die Lufthansa die
Wort-Neuschöpfung „Kapitänin“ von der
Gesellschaft für deutsche Sprache abseg-
nen und rang sich zu den ersten Teilzeit-
modellen für fliegende Mütter durch.
Am Check-in-Desk für Piloten berei-
tet Hetzmannseder sich nun auf ihren
Flug nach Delhi vor. Sie begrüßt einen
Kollegen. Ein Piloten-Prototyp, wie aus
dem Lufthansa-Katalog, der es sichtbar
genießt aufzufallen. Die 165 Zentimeter
kleine Kapitänin blickt zu ihm auf und
zieht beim Sprechen immer wieder fra-
gend die Brauen hoch. Diese Kollegen
trennt mehr als der Größenunterschied
von 30 Zentimetern. Der eine ist haupt-
beruflich Held. Die andere will nur ihren
Job machen. Beide tragen sie die vier
goldenen Kapitänsstreifen am Ärmel der
Uniform. ■
SABRINA HOFFMANN
89
W I R T S C HAF T
Viel Post, wenig
Fenster, kein Radio
Der Logistikkonzern rüstet seine Autoflotte um: Elektromobile
sollen Briefe und Pakete transportieren – wenn der Testlauf klappt
inst trappelten Hufe über Pflaster-
E straßen, der Bote stieß ins Horn, die
Post kam mit der Kutsche. Es folgten
Lieferautos mit Verbrennungsmotoren,
auch sie machten Krach. Bald dage-
gen wird man vom Postauto so gut wie
nichts mehr hören – die Deutsche Post
will künftig Briefe und Pakete per Elek-
trofahrzeug ausliefern. In diesen Tagen
testet der Logistikkonzern diese neuen
Transportwagen. Die Verbrennungsmo-
toren haben ausgedient – und nicht nur
sie: Die Post kehrt gleichzeitig den gro-
ßen Automobilherstellern den Rücken
und ließ stattdessen ein eigenes Zustell-
fahrzeug entwickeln – vom Aachener
Automobil-Start-up Streetscooter.
Ab dem 26. August sind die ersten bei-
den Fahrzeuge auf Bonner Straßen zu
sehen. Sie werden in Stadt und Umland
auf wechselnden Strecken eingesetzt. Im
September nimmt die Post fünf weitere
Ökotransporter in Dienst, bis Jahresende
soll die Elektroflotte auf 50 anwachsen,
90
die dann im ganzen Bundesgebiet unter-
wegs sein werden. Besteht das E-Auto
den Praxistest, geht es in Serie. Und
könnte Zehntausende Zustellfahrzeuge
ersetzen. FOCUS hat die neue Genera-
tion der Briefkutschen getestet.
Post-Mitarbeiter werden schnell fest-
stellen: Die Autobauer haben auf vie-
les verzichtet. Um Kosten zu sparen
und um die Batterie zu schonen. So
hat das gelbe Gefährt kein Radio. Das
spart Platz, vor allem aber Rundfunk-
gebühren. Auch eine Innenraumhei-
zung gibt es nicht. „Die Fahrer steigen
auf einer Tour 200-mal ein und aus,
jedes Mal geht die Tür auf, Wärme ent-
weicht. Da macht eine Heizung einfach
keinen Sinn“, erläutert Achim Kamp-
ker, Geschäftsführer von Streetscooter.
Müssen die Fahrer frieren? „Nein“, sagt
Kampker. „Bei so vielen Stopps ziehen
die ihre Jacke sowieso nicht aus.“
Eingespart wurde auch das Fenster
am Fahrzeugheck. „Wenn das Auto voll
beladen ist, sieht der Fahrer durch die-
ses Fenster nichts. Wir haben stattdessen
zwei Rückfahrkameras eingebaut“, so
Kampker. Die sind wegen der häufigen
Rempeleien beim Rangieren nötig.
Auch hier haben die Ingenieure für die
Post eine Besonderheit entwickelt: Die
Stoßstange der Autos ist dreigeteilt. So
muss bei Schäden nur ein Teilstück aus-
getauscht werden. Überhaupt verspre-
chen sich die Postler von ihren neuen
Autos geringere Betriebskosten. Der
Elektromotor braucht keinen Ölwech-
sel, hat kein Getriebe, das verschleißt,
der Energieverbrauch liegt niedrig. „Wir
rechnen mit einer Energiebilanz, die in
etwa dem Verbrauch eines 2-Liter-Autos
entspricht“, sagt Kampker.
Dass seine Spartransporter nur 80 Kilo-
meter Reichweite haben und es mit ihren
61 PS gerade mal auf eine Höchstge-
schwindigkeit von 85 Kilometern in der
Stunde bringen, ist für die Post kein Prob-
lem. Das reicht für die Touren aus. Auch
teure Schnellladetechnik brauchen die
robusten Dienstwagen nicht. Die moder-
Foto: Dominik Asbach für FOCUS-Magazin
nen Post-Kutschen stehen nach getaner
Arbeit an ihren elektrischen Zapfsäulen
und tanken günstigen Nachtstrom. Tags-
über fahren sie CO2-neutral.
Die Ökobilanz stimmt. Damit der
Streetscooter ein Erfolg wird, muss er
nun beweisen, dass er sich auch wirt-
schaftlich rechnet. ■
ANDRÉ WEIKARD
STREETSCOOTER
Antrieb: Elektromotor
Leistung: 61 PS
Reichweite: 80 Kilometer
Geschwindigkeit: max. 85 km/h
Volumen: 4 m³
Nutzlast: 650 kg
Der Prototyp
FOCUS-Redakteur André
Weikard testet das gelbe
E-Auto. Der neue Liefer-
wagen der Post soll umwelt-
freundlich, wirtschaftlich
und leise sein
FOCUS 35/2013
 KEINE FRAGE: DAS PASST!

DIE

GEGEN ALLE

09.09. | MO | 20:15
DIE 2 – GOTTSCHALK
JAUCH GEGEN ALLE
RTL.de DAS NEUE SHOW-HIGHLIGHT
 MARKTPLATZ Ausgebremst
EADS-Chef Enders vor einem
A350 XWB, für den er weiter auf
Millionenhilfe warten muss

Deutschland sperrt Staatsgeld für Airbus

Flugzeugbauer Airbus und
der Chef des Mutterkon-
zerns EADS, TOM ENDERS,
54, streiten weiter mit dem
Bundeswirtschaftsministerium
(BMWi) über rund 600 Millio-
nen Euro Anschubfinanzierung
für den Großraumjet A350
XWB. „Das BMWi befin-
det sich nach wie vor in
laufenden Gesprächen mit
Airbus“, bestätigt die Be-
hörde auf FOCUS-Anfrage.
Bereits im Juni aber hatte Air-
bus-Produktionschef GÜNTER
BUTSCHEK, 52, beteuert, dass
das Geld jetzt fließen müsse,
weil der Flugzeugbauer seine
„Verpflichtungen übererfüllt“
habe (FOCUS 25/2013).
Airbus argumentiert, dass
allein 2011 und 2012 für den
A350 XWB in Deutschland
etwa 4000 Jobs entstanden
seien. Das Werk Hamburg
fertigt Rumpfteile, in Stade
entstehen Flügelschalen aus
Kohlefaser-Verbundstoffen,
Buxtehude liefert Kabinen-
elektronik, und Bremen baut
Start- und Landeklappen.
Das alles reicht dem Mi-
nisterium bisher nicht, um
die gesperrten Teile des 1,1-
Milliarden-Euro-Kredits frei-
zugeben. Es sei noch keine
Einigung über „konkrete
Schritte“ erzielt worden, mit
denen „für die Zukunft eine
Stärkung der deutschen Air-
bus-Standorte erreicht wer-
den kann – vor allem im Be-
reich Forschung und Ent-
wicklung“, so das BMWi. tgl

Shopping-Stadt Düsseldorf
Düsseldorf ist die deutsche Großstadt, die von den meisten
Menschen mit dem Ziel bereist wird, dort shoppen zu gehen:
84 Prozent der Besucher der Rhein-Metropole geben als
wichtigstes Motiv für ihren Trip das Einkaufen an. Das zeigt
eine neue Untersuchung der Industrie- und Handelskammer
Köln. Es folgen München (72 Prozent), Hamburg (64 Prozent)
und Köln (47 Prozent) mit zum Teil deutlichem Abstand.
Ganz anders ist die Situation in der Hauptstadt: Nur
28 Prozent der Berlin-Besucher wollen dort shoppen. Ihnen Konsum-Meile
sind andere Gründe wie der Besuch von Freunden oder Die Düsseldorfer Königsallee
kultureller Einrichtungen mindestens ebenso wichtig. jos

92 FOCUS 35/2013
 Pkw-Produktion in Deutschland
in Millionen Einheiten WhatsApp
4,1 4,8 5,4
6,3 überholt
Mio. Facebook
Im mobilen Internet hat
der Kommunikationsdienst

Quelle: PricewaterhouseCoopers
WhatsApp das soziale Netz-
werk Facebook erstmals
1990
überholt. Eine Hochrech-
200
0 nung aus dem FOCUS-App-
2010
Prognose

Inlandsboom Monitor zeigt, dass fast

2019 20 Millionen Menschen in
Der Mercedes GLA
läuft in Rastatt vom Band Deutschland WhatsApp auf
ihren Smartphones nutzen.
Der zu Facebook gehörende
Noch mehr Autos rollen vom Band Fotodienst Instagram bringt
es hierzulande inzwischen
Die Autoproduktion in Deutschland steu- „Durch ihr hohes technologisches Know- auf zwei Millionen Anwen-
ert auf einen neuen Rekordwert zu. 2019 how sind die deutschen Hersteller besonders der. In Amerika populäre
könnten 6,3 Millionen Neuwagen vom Band qualifiziert, Nischenprodukte zu produzie- Apps wie Snapchat oder
laufen, erwartet die Unternehmensberatung ren und die Produktion schnell hochlaufen Vine spielen in Deutschland
PricewaterhouseCoopers (PwC). Die bishe- zu lassen“, lobt PwC-Automarktexperte noch keine große Rolle. hs
rige Höchstmarkte mit 5,6 Millionen Pkws FELIX KUHNERT, 43. Mobile Social-Media-Apps
wurde 2007 erreicht. Neue Fabriken dürften dafür freilich nicht Nutzer in Deutschland in Millionen (Juli/Aug.)
Die Inlandsfabriken profitieren laut PwC gebaut werden. „Nach unseren Markter-
WhatsApp 19,7
vom Bestreben der Autobauer, klassische wartungen sind die bestehenden Kapazi-
Modellreihen immer häufiger mit Karosse- täten in Westeuropa für das zusätzliche Pro- Facebook 18,5
rievarianten und Nischenprodukten – wie duktionsvolumen mehr als ausreichend“, YouTube 10,7
Geländewagen und Cabrios – zu ergänzen. so Kuhnert. tgl
2,3
Twitter
Instagram 2,1 SMS-Ersatz
Tumblr 0,5 WhatsApp ist
0,3
billiger als die
Pinterest
PKV-Urteil Snapchat 0,1
SMS – und bei
den Nutzern
Ein Gerichtsentscheid stärkt
Beliebte Fertigcocktails Vine 0,03 sehr beliebt
die Rechte von privat Kran- Umsatz mit alkoholischen Der Trend zu bereits Quelle: FOCUS-App-Monitor, Statista
kenversicherten beim Tarif- Fertig-Mixgetränken vollständig zubereite-
wechsel. Versicherer verlang- in Mio. Euro 40,3 ten Waren (Conveni-
ten dabei immer wieder, dass ence-Produkte) hat nun Mehr Angst vor
die Wechsler nicht nur den auch die alkoholischen Online-Banking
Selbstbehalt des neuen Tarifs Getränke erreicht. So
Die Deutschen vertrauen
leisten müssen, sondern auch 30,0 stieg der Umsatz mit
dem Online-Banking weniger
noch den des alten. Statt bei- Fertigcocktails 2012 im
als in vergangenen Jahren.
spielsweise 300 Euro im Jahr Vergleich zum Vorjahr

Fotos: Tom Stockill/Picture Press, Michael Zegers/look-foto, Daimler AG

Nach einer Umfrage des
selbst zu zahlen, müsste ein um rund ein Drittel auf
High-Tech-Verbands Bitkom
Versicherter zusätzlich eine mehr als 40 Millionen
verzichten 30 Prozent aller
anteilige Beteiligung an jeder Euro.
Deutschen aus Angst vor
Behandlung aufbringen, weil Die alkoholischen
Betrügereien auf Bankge-
dies der neue Tarif vorsieht. Mixgetränke sind da-
schäfte im Internet. 2012
Der Bundesgerichtshof (Az.: mit eines der am
waren es erst 25 Prozent.
IV ZR 28/12) urteilte bereits, schnellsten wachsen-
Bitkom-Präsident DIETER
dass eine Kombination von den Segmente im Spi-
KEMPF, 60, sieht in die-
Selbstbehalten verschiede- rituosenmarkt.
sem Anstieg eine Folge der
ner Tarife unzulässig sei. Das Ganz vorn liegen
aktuellen Abhörskandale:
Amtsgericht München (Az.: hier die klassischen
„Wer das Gefühl hat, dass
154 C 5568/13) untermauert Cola-Cocktails mit
seine Daten jederzeit mit-
dies: Auch die Aneinander- Whiskey oder Rum.
2011 2012 gelesen werden, verzichtet
reihung – und damit sogar Erst dahinter folgen
auf sensible Transaktionen
mögliche Dopplung unter- Prickelndes Plus bliebte Longdrinks wie
im Netz.“ hs
schiedlicher Selbstbehalte – Umsätze legen kräftig zu etwa Gin & Tonic. jos
ist unzulässig. kus
Quelle: Nielsen

FOCUS 35/2013 93
FORSC H U N G & T E C H N I K

Warum

Illustration: Wolfgang Horsch für FOCUS-Magazin

die Rechten
den Linken
stinken
Politische Gegner trennt
mehr als nur Parteiprogramme.
Psychologen entdeckten
verblüffende Differenzen
im Sozialverhalten
und im Gefühlsleben

Rot oder Schwarz

ist mehr als eine
politische Frage.
Es geht auch ums
Lebensgefühl

94
 Glück ist konservativ . . .
Anteil der Amerikaner, die sich als
„sehr glücklich“ bezeichnen:

40 %

A
ls Joschka Fischer seinen ers- 33 % Angleichung im Äußeren sind es auch

Quelle: Pew Research Center

ten Minister-Eid leistete, trug
er Jeans und Turnschuhe und
war dadurch damals weithin
als Linker zu erkennen. Katrin Göring-
Eckardt, die heutige Spitzenkandidatin
der Grünen, ist in ihrer Kleiderwahl von
CDU-Ministerin Ursula von der Leyen konservativ Mitte
kaum zu unterscheiden. Lassen sich lin-
ke und konservative Eigenarten über- *„Liberal“ ist hier im amerikanischen
haupt noch auseinanderhalten? Die Wis- Sinn gemeint. In Deutschland würde
senschaft sagt ja. Trotz einer gewissen man eher von „links“ sprechen.
. . . Ekel auch
Ekel-Empfindlichkeit nach
politischer Einordnung
Konservative empfinden
unliebsame Dinge als „schmut-
zig“. Die Skala rechts zeigt,
wie sensibel die Testpersonen
für Ekelgefühle sind.
Quelle: Social Psychological and
Personality Science
iv
tiv
l
l
27 % heute noch zwei grundverschiedene
Menschentypen.
Der australische Psychologe Peter
Hatemi hat mit Hilfe eines Schweiß-
tests sogar herausgefunden, dass sich
die beiden Lager tatsächlich nicht rie-
liberal*
chen können. Die Linken rümpften die
Nase, wenn sie an Wattebäuschchen
schnupperten, die Rechte unter der
Achsel getragen hatten. Und umgekehrt
geschah das Gleiche. Bei den Testper-
sonen handelte es sich allerdings um
extreme Parteigänger.
Der Riechtest ist nur einer unter vielen,
mit denen Wissenschaftler in aller Welt
versuchen, Seelenleben und Verhaltens-
weisen der politischen Antagonisten zu
2,2 ergründen. So zählten die US-Psycho-
logen Scott Eidelman und Chris Cran-
2,1
dall in den Wohnungen konservativer
Amerikaner mehr alkoholische Geträn-
2,0
ke als bei der politischen Konkurrenz.
1,9
Es stellte sich heraus, dass Konservative
regelmäßiger harte Drinks konsumieren.
1,8 Daraus entwickelten die beiden Forscher
die These, Konservative würden sich
1,7 eher mal einen Schwips genehmigen,
weil sie weniger nachdenken möchten.
1,6 Nachdenklichkeit (und damit Nüchtern-
heit) sei bei den Linken, die in Amerika
1,5 Liberale genannt werden, ausgeprägter.

at

tiv
ral

Der Hang zum Alkohol zeigt sich nicht

era
era

vat
der

rva

rva
libe

r lib
r lib

nur zu Hause. Eidelman und Crandall

ser
nse
mo

nse
kon
ehe
seh

berufen sich auch auf einen Test mit

r ko

r ko

70 Kneipengängern. Ergebnis: je be-

ehe

seh

trunkener der Mensch, desto konser-

vativer die Meinungsäußerungen. Ihre
Erklärung klingt, nüchtern betrachtet,
jedoch ziemlich schlicht: Konservative
mögen den Status quo, darum müssen
sie auch weniger nachdenken und kön-
nen sich unbeschwerter dem Alkohol-
genuss hingeben.
Die Übertragung auf deutsche Verhält-
nisse fällt nicht ganz leicht. Als dem Wein
zugeneigt gelten sowohl Rainer Brüderle
als auch Oskar Lafontaine, was eher für
rechts-linke Ausgewogenheit in Sachen
Alkohol spricht.
Der New Yorker Psychologe Jonathan
Haidt hat in seinem Bestseller „The
Righteous Mind“ die Einteilung in lin-
ke und rechte Seelenlagen ausführlich
beschrieben. Er stützt sich auf zahlreiche
Untersuchungen und fördert eine Liste
linker und konservativer Eigenschaf-
ten zu Tage. Unter anderem zitiert er

FOCUS 35/2013 95
FORSC H U N G & T E C H N I K
Politisch korrekte Limonade
Alkoholfrei feierte Jürgen Trittin mit Parteifreundin Claudia Roth.
Nüchternheit sei typisch links, behaupten US-Psychologen
seinen Psychologen-Kollegen John Jost.
Der hat die Wohnungen und Häuser sei-
ner Probanden inspiziert und folgende
Rückschlüsse gezogen: Den Konserva-
tiven bestätigt er Gewissenhaftigkeit,
Ordnungsliebe und Pflichtbewusst-
sein. Wie kommt Jost zu diesem Ergeb-
nis? Ganz einfach: In den Häusern der
Konservativen, die er untersuchen ließ,
war alles sauber und aufgeräumt. Sei-
ne Mitarbeiter fanden Terminkalender,
Wäschekörbe, Bügeleisen, jede Menge
Seife und Waschpulver.
Anders die Linken: Sie sind, so das Ergeb-
nis der Hausbesichtigungen, kreativ und
allem Neuen gegenüber aufgeschlossen.
Bei ihnen entdeckten die Forscher lauter
Zeugnisse eines weltoffenen, erlebnisrei-
chen Lebensstils: Reisebücher, Kinokar-
ten, Musiksammlungen und Kunstobjek-
te. Ergo: Konservative waschen sich öfter,
Linke gehen häufiger ins Kino. Die Über-
tragung solcher Alltagsgewohnheiten auf
moralische und politische Grundwerte ist
jedoch kein harter Beweis für Josts psy-
chologische Typologie.
Doch Jonathan Haidt versucht, in sei-
nem Buch durchaus tiefere Erkenntnisse
zu liefern, und hat dafür Tausende Tests
ausgewertet. Dabei kam heraus: Linke
und Konservative haben sowohl gemein-
same als auch ganz unterschiedliche
moralische Grundpfeiler. Beide Lager
wollen gerecht sein. Das Streben nach
einer gerechten Gesellschaft gilt gerade-
zu als das Markenzeichen linker Politik.
Doch auch Konservative sorgen sich um
Gerechtigkeit, schreibt Haidt. Die Wer-
te „Fürsorge“ und „Fairness“ werden in
beiden Lagern hochgehalten. Bei den
Konservativen kommen jedoch die Säu-
96
Bier als Botschaft
Volkstümlich möchte Markus Söder wirken, wenn er mit Maßkrug
posiert. Konservative trinken mehr Alkohol, sagen Forscher
len „Reinheit“, „Autorität“ und „Grup-
pe“ hinzu. Unter „Reinheit“ versteht der
Psychologe, dass „schmutzige“ Verhal-
tensweisen abgelehnt werden. „Auto-
rität“ meint die Bereitschaft, sich Eltern
oder Vorgesetzten zu beugen, während
„Gruppe“ besagt: Füge dich in die Tra-
dition deiner Gemeinschaft ein.
Die Rechten verlangen Sauberkeit,
besonders im sittlichen Sinne und spe-
ziell in der Öffentlichkeit und in den
Medien. In Amerika kann bereits die
Abbildung eines nackten Popos in kon-
servativen Kreisen zu Empörungsstür-
men führen. In Deutschland protestierte
die CSU-Politikerin Angelika Niebler
gegen eine „Wetten, dass . . ?“-Wette, bei
der zwei Kandidaten an auf Tellern dar-
gebotenem Mist schnupperten und am
Geruch die jeweilige Tierart erkannten.
Allerdings haben auch Linke ihre
„Reinheitsgebote“, sagt Haidt, sie sind
nur nicht so offenkundig. Die Vorlie-
be für „saubere“ Bioprodukte oder die
Jonathan Haidt hat die unterschied-
lichen Eigenschaften von Rechten
und Linken in dem Bestseller
„The Righteous Mind“ beschrieben
Abneigung gegen die „schmutzige
Macht“ des Geldes könnten durchaus
auf unbewussten Ekelgefühlen basie-
ren. John Hibbing von der Universität
Nebraska schreibt: „Viele glauben, poli-
tische Überzeugungen seien rational.“
In Wirklichkeit würden tief verwurzelte
Instinkte erst „hinterher rationalisiert“.
So scheint es unausweichlich, dass Lin-
ke weniger glücklich und nicht so unbe-
schwert fröhlich sind wie Konservative,
weil sie an der Ungerechtigkeit der Welt
mehr leiden. Wer schon mal bei einer
linken Studentenparty mitgefeiert hat,
wird da zwar Zweifel anmelden. Aber die
Diagnose, dass Linke sich häufiger als
andere mit Leid und Elend auf der Welt
beschäftigen, wird durch ganze Biblio-
theken linker Theorie bestätigt.
Rückschlüsse auf die Lebenspraxis sind
daraus aber offenbar nicht abzuleiten.
Der Soziologe Arthur C. Brooks von der
Syracuse University im Staat New York
hat festgestellt, dass konservative Bür-
ger deutlich mehr spenden als linke.
Fotos: Joerg Sarbach/ddp images, Frank Leonhardt/dpa, Tom Cogill
Die Forderung nach mehr Gerechtigkeit
korreliert also nicht unbedingt mit prak-
tizierter Hilfsbereitschaft. Konservative
Haushalte geben 30 Prozent mehr für
wohltätige Zwecke als linke, obwohl sie
im Schnitt sechs Prozent weniger ver-
dienen.
Jüngere linke Amerikaner spenden
nicht nur weniger Geld, sondern auch
30 Prozent weniger Blut. Warum nur sind
Konservative so spendierfreudig? Ist es
Nächstenliebe? Pflichtbewusstsein? Wie
auch immer: Blut ist Blut, und es sagt
mehr als jedes theoretische Mitleid. ■
ROLF DEGEN
FOCUS 35/2013
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FORSC H U N G & T E C H N I K
Treffer für Sony
„Killzone – Shadow
Fall“ gehört zu
den Games, die
zum PlayStation-
4-Start exklusiv
erhältlich sind
Wir sind Helden
Hunderttausende sehen auf der Gamescom die neuen Spiele von Microsoft und Sony:
monumentale Action-Abenteuer mit grandioser Grafik
Jahre in der Zukunft steht die
700 Menschheit am Abgrund. Eine
einzige Stadt ist ihr auf der Erde verblie-
ben. Feindliche Außerirdische beherr-
schen die einst blühenden Kolonien im
Sonnensystem – und rücken langsam auch
gegen die letzte Heimstatt der Menschen
vor. Ein Milliardengeschäft verspricht sich
die Spielefirma Activision Blizzard von
diesem düsteren Szenario, das den Kern
des Shooters „Destiny“ bildet.
Hunderttausende Fans wollten bis zum
Sonntag auf der Spielemesse Gamescom
in Köln einen ersten Blick auf die Zukunft
werfen, die für die Menschheit so düs-
ter, für die Spielehersteller aber glänzend
aussieht. Denn erstmals seit 2005 bezie-
hungsweise 2006 erneuern Microsoft und
Sony ihre Spielkonsolen. Damit treffen
sie, das zeigten auch die überfüllten
Messehallen, auf reges Interesse: Jeder
dritte Bundesbürger bezeichnet sich nach
einer aktuellen Umfrage des Branchen-
verbands Bitkom als Gamer. 42 Prozent
der Männer spielen – aber auch fast jede
dritte Frau.
Ende November entscheiden die gut
zehn Millionen deutschen Konsolen-
98
spieler mit darüber, welcher Hersteller
in Zukunft die Nase vorn hat. Denn dann
haben sie die Wahl zwischen PlayStation 4
(399 Euro, ab 29.11.) und Xbox One
(499 Euro, genauer Termin noch nicht
bekannt).
Die Firmen kennen ihre Klientel und wis-
sen, dass die Erstkäufer meist Hardcore-
Gamer sind. In der Liste der zum Erst-
verkaufstag erhältlichen Spiele dominiert
deshalb, was der wahre Fan mag: harte
Action, gemischt mit ein paar Rennspie-
len und Sport. Neu ist allerdings, dass
die wohl besten Games diesmal nicht
von den Konsolenherstellern kommen.
Der Neuaufguss des Klassikers „Halo“
etwa, der maßgeblich zum Erfolg der ers-
ten Xbox beitrug, lässt bis 2014 auf sich
warten.
Die Programmierer, die damals „Halo“
schufen, stecken diesmal hinter dem
monumentalen „Destiny“, das eine rie-
sige, detailreiche Welt bieten soll, die sich
auch dann weiterentwickelt, wenn der
Spieler nicht online ist. „Destiny“ wird
sowohl für Xbox One als auch für Play-
Station 4 erscheinen. Das gilt auch für
„Assassins Creed 4 – Black Flag“ von
Xbox schlägt zu
„Ryse – Son of
Rome“ vom deut-
schen Entwickler
Crytek hat Micro-
soft für Xbox One
reserviert
Ubisoft, das die bereits sehr erfolgrei-
che Reihe nun auf dem Meer zu neuen
Höhen führen soll. Electronic Arts liefert
den Fußballfans unter den Gamern „Fifa
14“. Hier konnte Microsoft punkten: Das
Spiel wird vorbestellten Xbox-One-Kon-
solen bei der Auslieferung als Download-
Code beiliegen.
Zwei weitere Action-Hits hat sich der
Windows-Erfinder gesichert: In „Ryse –
Son of Rome“ (Crytek) geht der Spieler
mit Schwert und Schild gegen Feinde
vor. Im futuristischen Grafik-Leckerbis-
sen „Titanfall“ (Electronic Arts) schlüpft
er in einen riesigen Kampfroboter.
Sony hingegen hat fast alle exklusi-
ven PS4-Titel selbst programmiert. Am
spannendsten sehen dabei der Shooter
„Killzone: Shadow Fall“ und das Action-
Abenteuer „Knack“ aus. Letzteres zeigt,
dass die Zukunft auch für Einzelgamer
im gemeinsamen Erlebnis liegt: Dank
Fotos: ullstein bild, Corbis
„Connected Play“ kann der Spieler
seinen Freunden, die unabhängig von
ihm „Knack“ zocken, wichtige Objekte
zukommen lassen. ■
MATTHIAS MATTING
FOCUS 35/2013
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FORSC H U N G & T E C H N I K

Überzeugt von EM
Der Landwirt Paul Klöck
besprüht seit acht Jahren
Futter, Stall und Rinder mit
dem Mikroben-Mix. Seriöse
Studien zeigen, dass das
Verfahren keine Wirkung hat
 Ein Mikroben-Mix
soll die Welt retten
Das aus Japan stammende Allheilmittel kuriert angeblich Mensch, Tier und Umwelt.
Doch der Stoff ist höchst umstritten
ie ist braun, flüssig, duftet süßlich nach
S Melasse und Malz und soll die Grund-
substanz zur Rettung des Planeten sein:
eine trübe Brühe, genannt „Effektive Mikro-
organismen“ (EM). So lautet der Markenname
der japanischen EM Research Organisation Inc.
für das geheimnisvolle Flüssigpräparat, in dem
sich laut Firmenlegende rund 80 verschiedene
Bakterien- und Pilzarten tummeln. Diese sollen
dürre Böden fruchtbar machen, Pflanzen stär-
ken, Gülle dopen, Gerüche killen, Darm- und
Hautflora stärken sowie die Umwelt retten. Und
nicht zuletzt versetzen die kleinen Helferlein
Wasser und Mensch in harmonische Schwingun-
gen und schützen vor Elektrosmog.
Erfunden hat das Gebräu vor rund 30 Jahren
der japanische Agrarwissenschaftler Teruo Higa
von der Universität von Ryukyu auf der Insel
Okinawa. Der Forscher teilte alle Mikroben in
drei Kategorien ein: Die eine, so seine These,
sorgt für Aufbau und Wachstum, die zweite für
Abbau und Fäulnis, und die dritte besteht aus
Opportunisten, die mit der stärksten Gruppe
kooperieren. Je nachdem, welche der Kleinst-
Fotos: Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin (2), Dennis Kunkel Microscopy,
lebewesen überwiegen, soll es zu gesundem
Wachstum und Regeneration oder zu Fäulnis,
Zerstörung und Krankheit kommen. Dominie-
ren die „guten“ Mikroben, genesen, laut Higa,
Mensch, Tier und Umwelt.
Higas gewagte Thesen werden von der Wis-
Inc./Visuals Unlimited/Corbis, mauritius images
senschaft nicht gestützt. Mehrjährige Studien
zeigen, dass die Anwendungen des teuren
Mikroben-Mix aus Japan zum Beispiel in der
Landwirtschaft nicht die versprochenen posi-
tiven Wirkungen erzielt. Und als potenziell
gefährlich schätzen Mediziner den neuesten
Trend unter EM-Anhängern ein – die Mikroben
als Tinktur auf die Haut aufzutragen oder als
Wellnessdrink zu konsumieren. Felix Blanken-
stein, Oberarzt an der Zahnklinik der Berliner
Universitätsklinik Charité, kritisiert die bislang
unregulierte Verbreitung der EM-Mixturen:
„Wo bleibt bloß der Aufschrei der Hygiene-
FOCUS 35/2013
beauftragten oder das Sondereinsatzkommando
für B-Waffen?“
Trotz fehlender wissenschaftlicher Beweislage
gelang es Higa, seinen biologischen Welthei-
Bewohner
der EM-
lungsansatz über den Globus zu verbreiten. Er Mischungen
gründete die Stiftung EM Research Organisation
(EMRO), die weltweit Lizenzen vergibt und das
exklusive Higa-Gebräu exportiert.
Seither ist die Mikroben-Ursuppe in 120 Län-
der von der Mongolei bis Mexiko geschwappt.
Das Marketing der ambitionierten Weltretter wirkt
generalstabsmäßig organisiert: Es gibt EM-Regi-
onalverbände, Online-Stammtische, Facebook-
Streptokokken
Gruppen, Foren, geleitet von EM-Moderatoren,
Das Bakterium
die oft zugleich auch Autoren von EM-Büchern
bewohnt den Magen-
oder Leiter von EM-Vereinen sind, sowie ein „EM-
Darm-Trakt
Journal“ von der Gesellschaft zur Förderung rege-
nerativer Mikroorganismen EM e.V.
So erfolgreich ist die Botschaft des Weltver-
besserers, dass die Sortimentsvielfalt der EM-
Produkte in den letzten Jahren stark angestiegen
ist. Neben Bodenhilfsmitteln, Pflanzendüngern,
Silo-Hilfen, Stall-, Aquarien- und Teichreinigern
sowie Tierfutter werden mit Segen und Lizenz
von Professor Higa hierzulande auch Mixturen für Streptomyces
Haushalt und Gesundheit vertrieben. Dazu Reini- Die Mikrobe tritt im
ger, Nahrungsergänzungsmittel, Wellnessdrinks, Boden auf und produ-
Kosmetik, Zahnpasten, Wandfarben-Zusätze oder ziert Antibiotika
Keramiken für den Zahnarzt.
Der Landwirt Paul Klöck, 59, aus dem bayeri-
schen Marktoberdorf bei Kempten schwört auf
die mikrobiellen Helferlein. Seit acht Jahren
besprüht der Halter von 30 Milchkühen mit der
Fermentlösung die Gülle, das Tierfutter, seinen
Stall und kleine Wunden bei den Tieren. Das
Resultat: „Die Kühe sind agiler und gesünder.
Klauen- oder Euterentzündungen haben sie
kaum noch.“ Auch die Qualität der Gülle habe Geheimnis im Eimer
sich verbessert, ist der Bauer überzeugt. Was im Gebräu der
Klöcks Euphorie stehen jedoch Ergebnisse soli- EM-Apostel steckt,
der, langjähriger Studien mit dem Mikrobenge- ist ungewiss
bräu entgegen. Einige Versuche im Gemüse- und
Getreideanbau attestieren dem Bodenhilfs-
101
FORSC H U N G & T E C H N I K
stoff zwar eine leichte Ertragssteigerung, ande-
re aber fanden keine Wirkung auf Wachstum
oder Bodenfruchtbarkeit. „Die EM-Mischungen
beeinflussten weder die Menge der Bodenmikro-
organismen noch deren Zusammensetzung und
Aktivität“, urteilte etwa Agrarforscher Jochen
Mayer vom Schweizer Bundesamt für Land-
wirtschaft nach einem vierjährigen Feldversuch.
Vernichtender noch: „Es spielte keine Rolle, ob
die Mikroorganismen leben oder nicht.“
Doch solche fundierten Untersu-
chungen scheinen die Begeisterung
für die Mixtur keineswegs zu däm-
men. Schon beschränkt sie sich nicht
mehr auf Acker, Stall und Garten. Wo bleibt bloß myces-Stämme, die von Natur aus
Weil in dem Saft auch Kleinstlebe- der Aufschrei
wesen wie Milchsäurebakterien der Hygiene-
oder Hefepilze schwimmen, die sich beauftragten
vielen Studien zufolge positiv auf die oder das
menschliche Gesundheit auswirken
können, nehmen zahlreiche Anhän-
Sondereinsatz- ursachen
ger der EM-Philosophie den flüssi- kommando
gen Gartenverbesserer als Trinkkur für B-Waffen?« tung Behörden und Mediziner auf-
gegen Darmprobleme ein oder tra- Felix Blankenstein,
gen ihn als Lotion gegen Herpes, Zahnklinik/Charité
Hautpilz und Pickel auf.
Weltverbesserer Die fraglichen Selbsttherapien werden von Higa
Der japanische Agrarwis- und seiner Gefolgschaft aktiv unterstützt. Auf
senschaftler Teruo Higa der EMRO-Web-Seite schildert der emeritierte
pflegt sein Guru-Image. Agrarprofessor Patienten-Geschichten, in denen
Anhänger verbreiten seine das zum fermentierten EM-Drink verwandelte
Heilungsbotschaft mit Pam- Bodenhilfsmittel für wundersame Genesungs-
phleten und im Internet. verläufe etwa bei Patienten mit Rheumatoider
Lizenzierte EM-Shops Arthritis, Parkinson, Netzhautdegeneration
verkaufen seine Produkte oder erblichen Nierenzysten sorgte. Als Beleg
in 59 Ländern für die Wunderwirkungen führt er Zellkultur-
und Tierversuche an. Die allerdings sind meist
unter Beteiligung von Teruo Higa durchgeführt
worden. Unabhängige, verlässliche klinische
Studien sind nicht bekannt.
Dennoch gehen auch erfahrene Ärzte dem
Mikroben-Guru immer wieder auf den Leim. Die
Zahnmedizinerin Charlotte Jurenz aus Bosau
(Ostholstein) ist von der segensreichen Wirkung
der japanischen Mikroorganismen überzeugt –
etwa als Mittel gegen Karies oder Parodonti-
tis. Sich selbst gönnt die Dentistin regelmäßig
einen Schluck des Ferments und putzt damit
Globale Mission ihre Zähne. „Seither hatte ich nie mehr Karies“,
Das Buch mit Higas beteuert sie.
Auch im Mund ihrer Patienten – „aber nur auf
Thesen zur unbe-
grenzten Heilkraft ausdrücklichen Wunsch“ – kommt die Lösung
der Mikroben wurde zum Einsatz. Eine Behandlungsweise, die in
zum Bestseller keiner zahnmedizinischen Leitlinie enthalten
ist. Aber Jurenz ist vom Erfolg der unkonventi-
onellen Therapie überzeugt. Karies-Rückfälle, so
berichtet sie, seien nach Bestreichen der ausge-
bohrten Löcher mit der Mikroben-Lösung sel-
102
tener, Parodontitis bei einigen Patienten sogar
binnen wenigen Tagen ausgeheilt.
Welche Kleinstlebewesen dabei eine Wirkung
erzielen und ob in dem EM-Gebräu überhaupt
etwas lebt, ist unklar. Über die Mikroben-Rezep-
turen gibt die Firma nicht viel Preis. Laut Higas
Patentschrift von 1997 sollte die Urlösung fünf
Gruppen an Mikroorganismen enthalten: Milch-
säure-, Actinomyces -und Photosynthese-Bakte-
rien, Hefen, Schimmelpilze und weitere Mikro-
ben. Zum Patentmix zählen harmlose
Hefen und Joghurt-Bakterien, aber
auch ein typischer Darmkeim (Strep-
tococcus faecalis), spezielle Strepto-
hochwirksame Antibiotika produzie-
ren, sowie Schimmelpilze wie Mucor
hiemalis (Köpfchenschimmel), der
beim Menschen Pilzinfektionen ver-
kann.
Auf die möglichen Gefahren des
Gebräus sind jetzt mit etwas Verspä-
merksam geworden. Dem Zahnarzt
Felix Blankenstein von der Charité
graust vor der jüngsten Erfindung
der kreativen EM-Fraktion – einer mit Bakterien
und Pilzen aufbereiteten und bereits von einigen
Labors angebotenen „EM-Dentalkeramik“, die
– so lautet die Werbung – „Mundströme und
Elektrosmog verringern und schon erfolgte Oxi-
dationen rückgängig machen“ soll. Die Folgen
für Kronen, Inlays und Brücken wären fatal, so
Blankenstein. Durch die chemischen Verände-
rungen würde das Haftmaterial aufweichen, das
den Zahnersatz befestigt. „Sie würden sich ganz
schnell lockern, nicht auszudenken, wenn diese
Technologie in falsche Hände geriete.“
Der Zahnmediziner steht nicht allein mit seiner
Besorgnis. Bereits im Vorjahr war die Arbeits-
kommission für Biologische Gefahren des Bun-
desinstituts für Risikobewertung (BfR) zu dem
Schluss gekommen, dass EM-haltige Produk-
te potenziell Gefahren bergen. Zur aktuellen
Risikobewertung der Mixturen befragt, erklärt
Juliane Bräunig, Wissenschaftlerin beim Bun-
desinstitut: „Je nach Zusammensetzung der
Flora, dem Anwendungszweck und dem Immun-
status des Anwenders ist nicht auszuschließen,
dass von EM eine gesundheitliche Gefahr für
Verbraucher ausgeht. Eine Anwendung als
Foto: Rainer Binder/Helga Lade
Haushaltsreiniger in Küchen oder der Verzehr
dieser Produkte als Nahrungsergänzungsmittel
ist kritisch zu sehen.“ Sie kündigt an: „Die BfR-
Kommission für Biologische Gefahren wird sich
weiter mit dem Thema befassen.” ■
MARION MEINERS
FOCUS 35/2013
 so reist man heute.

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 PERSPEKTIVEN

Hoffnung für Millionen

Gewächshaus im philippinischen
Reisforschungsinstitut (oben).
Goldener Reis ist an
seiner Farbe gut erkennbar

experten die wirksamste Waffe

Internationaler gegen diesen fatalen Mangel.
Zumal die Erfinder durchge-
Beistand für setzt haben, dass Kleinbauern

Goldenen Reis
Führende Pflanzenforscher
protestieren mit einer Inter-
net-Petition gegen Gewaltak-
tionen von Gentechnik-Geg-
nern. Anlass der weltweiten
Unterschriftensammlung ist
die Zerstörung von Testfel-
dern mit Goldenem Reis auf
den Philippinen. Diese gen-
technisch verbesserte Reis-
sorte wurde vor zwei Jahr-
zehnten von den deutschen
Biologen Ingo Potrykus und
Peter Beyer entwickelt. Seit
1999 kämpfen Greenpeace
und andere Aktivisten erfolg-
reich gegen eine Zulassung.
Die Körner des Genreises
enthalten Betacarotin, das im
Körper zu Vitamin A umge-
wandelt wird. Nach Angaben
der Weltgesundheitsorgani-
sation erblinden jedes Jahr
bis zu 500 000 Kinder auf
Grund von Vitamin-A-Man-
gel. Die Hälfte stirbt inner-
halb eines Jahres nach der
Erblindung. Millionen ande-
rer Menschen werden krank,
weil ihnen dieser essenzielle
Nährstoff fehlt.
Goldener Reis wäre nach
Ansicht von Gesundheits-
Fotos: Julian Abram Wainwright/Bloomberg via Getty Images, Erik De Castro/REUTERS, Keith Myers/Kansas City Star/MCT/ddp images
den Reis kostenlos vermehren
dürfen. Alle Saatgutfirmen,
deren Patente in die Pflan-
ze eingingen, verzichten auf
Ansprüche.
Die Petition der Wissen-
schaftler wurde auf der Web-
site Change.org veröffent-
licht. Parallel dazu forderte
das Landwirtschaftsministeri-
um der Philippinen die Feld-
zerstörer auf, ihr Anliegen mit
Argumenten zu vertreten, statt
Pflanzen zu zertrampeln. mic

Kompaktes Multitalent Illustration: D. Matzenbacher für FOCUS-Magazin

Eine hosentaschentaugliche Alternative zur

Spiegelreflex soll die Sony RX100 II darstellen.
Im Test zeigt sich, dass der japanische Hersteller
diesem Anspruch sehr nah kommt. Der 13,3 mal
8,8 Millimeter große Sensor liefert deutlich bes-
sere Qualität als die meisten anderen Kompakt- So finden Sie das
kameras. Der hochauflösende, klappbare Bild- Video zu Mattings
schirm lässt den Sucher kaum vermissen. Warentest:
Trotz typischer Schnappschuss-Automatiken Scannen Sie den QR-Code
kann der fortgeschrittene Fotograf alle Parame- mit einem Smartphone.
ter selbst bestimmen. Der Preis ist allerdings Sie brauchen eine
mit 750 Euro ebenfalls auf Profi-Niveau. mm spezielle App wie „Scan“.

104 FOCUS 35/2013


Fleischverarbeitung bei Tyson Fresh Meats, Nebraska. Landesweit beschäftigt die Firma 41 000 Arbeiter
US-Fleischfabrikant verbietet Masthilfe
Der amerikanische Pharmakonzern
Merck & Co. hat das Präparat Zilmax vom
Markt genommen, das in der Rindermast
eingesetzt wird. Der Grund war, dass der
Fleischproduzent Tyson Mitte des Monats
die Schlachtung von Rindern stoppte, die
mit der Substanz behandelt worden waren.
Der größte Fleischfabrikant der USA reagier-
te auf Hinweise, dass manche mit dem Prä-
parat behandelten Tiere besonders schwach
wirken. Ihr Gang ist steif und unbeholfen,
oder sie nehmen ungewöhnliche Sitzhaltun-
gen ein. Der hormonähnliche Stoff erhöht die
Muskelmasse in den Wochen vor der Schlach-
APP DER WOCHE
Besser organisiert
„Any.do“ (kostenlos,
Android und iOS) ist
eine der elegantesten
digitalen To-do-Listen. Die
App nimmt neue Einträge
auch per Sprache entge-
gen, gleicht sich online
mit anderen Mobilgeräten
ab und lässt sich neben-
bei im Chrome-Browser
auf dem PC integrieren. ff
FOCUS 35/2013
Die Wahrheit über
»Laser«
Hells-Angels-Aussteiger
aufgepasst: Die Klinik für
Dermatologie der Ruhr-
Universität Bochum besitzt
seit Kurzem einen High-Tech-
Laser, mit dem man Tattoos
fast spurlos entfernen kann.
Doch warum ist Laserlicht
so stark? Überlässt man
Lichtteilchen, sogenannte
Photonen, sich selbst,
machen sie, was sie wollen.
Sie schwingen unkoordiniert
im Raum, ohne sich groß
um die anderen Kollegen zu
kümmern. Ein Tohuwabohu.
So ähnlich wie die
tung um etwa zwei Prozent, behandelte Tiere Zuschauer bei einem lang-
wiegen bis zu 15 Kilo mehr. Zilmax und ein weiligen Bundesliga-Spiel:
weiteres Präparat mit gleichem Wirkmecha- Die einen holen sich Bier,
nismus kommt in 70 Prozent aller Tiere, die die anderen diskutieren über
an US-Schlachthöfe geliefert werden, zur den ukrainischen Neuzugang,
Anwendung. Ihr Einsatz ist in den vergan-
genen Jahren wegen der hohen Futtermais-
preise stark angestiegen.
In der Europäischen Union sind die hormon-
ähnlichen Substanzen als Masthilfen verbo-
ten. Der mögliche Import von Hormonfleisch
erschwert derzeit die Verhandlungen um ein
Freihandelsabkommen zwischen der EU
und den USA. san
Ist der BMI veraltet?
Eine aktuelle Studie der University of Penn- andere motzen über den
sylvania kommt zu dem Schluss, dass der BMI Schiri. Plötzlich aber bricht der
(Body-Mass-Index) als Faktor zur Beurteilung neue Ukrainer durch, dribbelt
der Gesundheit nur schlecht geeignet ist. sich frei und zieht genau in
Die Forscher der Perelman School of Medicine den Winkel ab. „Toooooor!“,
untersuchten die Sterberate und das Auf- grölen auf einmal 60 000
treten von Stoffwechselerkrankungen bei fett- Fans wie aus einer Kehle.
leibigen Menschen. Sie testeten über drei Genau das ist das Prinzip
Millionen Probanden mit einem normalen des Lasers. Im Gegensatz
(19 bis 25) und einem erhöhten (über 30) BMI. zum Licht einer Glühbirne
Das Ergebnis: Bei den adipösen Probanden schwingen bei ihm die
war die Mortalität nicht höher, und Erkrankun- Photonen im absoluten
gen kamen nicht häufiger vor als bei den Gleichklang. Das macht den
anderen Teilnehmern. Strahl so energiereich. Wenige
Ein Grund dafür ist, dass der BMI das Verhält- kurze Sitzungen reichen
nis von Muskelmasse und Fettmasse nicht aus – danach kann der voll-
beachtet und somit, vor allem was medizini- tätowierte Rocker problemlos
sche Risikoeinschätzungen angeht, oft keine auf Versicherungsfachwirt
korrekte Einordnung ermöglicht. kab umschulen. Vince Ebert
105
AU TO
Welche Typen
zahlen 2 Millionen
für ein Auto ?
BUGATTI bittet Superreiche zur Probefahrt mit dem 1200-PS-Geschoss
er hat den Zündschlüssel!“,
W fragt der junge Mann. Der
Franzose ist Anfang 30 und
offensichtlich nicht gewohnt zu warten.
Er will endlich hinters Lenkrad – doch
ein Bugatti-Mitarbeiter entscheidet: „Ich
fahre!“ Der ehemalige Formel-1-Pilot
und heutige VW-Werksfahrer Pierre-
Henri Raphanel öffnet dem ungeduldi-
gen Gast die Beifahrertür. Startet den
16-Zylinder-Mittelmotor und gibt Gas.
Bugatti hält Hof – auf einem Villen-
parkplatz auf der kalifornischen Halb-
insel Monterey. VWs Supermarke hat
zur Verkaufsveranstaltung ihrer 1200-PS-
Renner geladen: für die Spritztouren
sind ein Coupé Veyron Super Sport
sowie ein Roadster Veyron Grand Sport
Vitesse betankt.
Wer ernsthaftes Interesse zeigt, gut
zwei Millionen Euro automobil anzu-
legen, wird zunächst zum Gespräch in
den Garten der Villa gebeten. Dort klopft
Bugatti-Mann John die Interessenten
Da ist Musik drin! Rock-Musiker Eliot Michael liebt den Sound des
Bugatti – und wollte nach der Probefahrt gar nicht mehr aussteigen
106
nach persönlicher Reife und Liquidität
ab. Das kann dauern, denn John ver-
kauft keine Autos, sondern 400 km/h
schnelle Juwelen. In den falschen Hän-
den könnten sie zu fahrdynamischen
Waffen mutieren – und das mühsam
aufgebaute Marken-Image Bugattis als
Innovationsschmiede des VW-Konzerns
ruinieren. John muss wählerisch sein.
Beim Franzosen bestehen kaum Zwei-
fel: Er hat schon einen Veyron. Nach 30
Minuten auf einer schmalen, kurvenrei-
chen Straße endet seine Testfahrt. „Keine
Fotos“, bittet er: „nennen Sie nur meinen
Vornamen: Ich heiße Arthur.“ Ihm gefällt
das Blau dieses Bugatti in Kombination
mit dem sichtbaren Carbon der Karos-
serie. Passt gut zu seinem Sakko. Er will
genau diesen Wagen kaufen. „Nein, nicht
als Statussymbol zum Defilieren über die
Prachtstraßen von Paris. Ich fahre damit
raus aufs Land und belohne mich für mei-
ne harte Arbeit. Ich genieße die überwäl-
tigenden Fahrleistungen.“ Arthur trägt
Generationengespräch Enkel und Opa Lombrozo (von links) nach der
gemeinsamen Probefahrt. Auch der Junge will jetzt fleißig sparen
feuerorangefarbene Sneekers und urteilt
über den Augenblick jener 2,5 Sekun-
den, in denen dieser Bugatti auf 100
km/h beschleunigt, als erlebe er einen
Raketenstart. Im Alltag kauft er seltene
Autos und veräußert sie mit Gewinn, aber
„einen Bugatti erwerbe ich nur für mich“.
Ein leicht untersetzter Zigarrenfreund mit
Dreitagebart fährt mit zwei Damen im
Rolls-Royce vor – und schüttelt den Kopf,
als könne er es nicht fassen: „Der hat
leider nur zwei Sitzplätze, ich brauche
aber mindestens drei, besser vier!“, klagt
er. „1200 PS sollten auch einer Limousi-
ne zu würdevoller Fahrdynamik reichen.
Warum baut Bugatti nicht ein Auto für
mich?“ Geradezu liebevoll streift sein
Blick über die ausladenden Formen des
Veyron. Er pafft blauen Dunst ins Interi-
Fotos: Dieter Rebmann
eur und verharrt minutenlang in Andacht,
während seine Begleiterinnen an ihren
iPhones fingern. Ganz Gentleman, ver-
kneift er sich die Probefahrt. Undenkbar,
eine der Damen stehen lassen zu müssen!
FOCUS 35/2013

Mittlerweile hat Yousef al-Sulaiman
aus Saudi-Arabien seine Eignungsprü-
fung bestanden, schwingt demonstra-
tiv den Zündschlüssel und sich hinters
Lenkrad des Coupé. Beifahrer Rapha-
nel beobachtet jeden Handgriff. „Es darf
keinen Kratzer geben“, flüstert er dem
FOCUS-Reporter zu, „dieser Wagen ist
bereits verkauft!“ Yousef verkauft Bugat-
tis in Dschidda, kennt sich mit dem Vey-
ron aus. „Nur in der 1001-PS-Version“,
beeilt er sich, diese Ausfahrt zu rechtfer-
tigen. Seine Kunden schätzen individu-
elle Ausstattung, nicht selten „gebran-
det“ mit traditionellen Familienwappen.
„Einen Bugatti Veyron zum Listenpreis
habe ich noch nie verkauft“, erklärt er;
die Sonderausstattungen trieben dessen
Wert locker bis aufs Doppelte. Drei, vier
Millionen Euro sind schnell beisammen.
Besonders herzlich begrüßt die Bugat-
ti-Familie um Marketingchef Stefan
Brungs einen Mittsechziger. Isidoro Lom-
brozo ist Stammkunde mit drei Sonder-
Wer kennt diesen Mann? Der Zigarren rauchende Bugatti-Interessent Der Scheich, der nicht schleicht Bugatti-Händler und -Fahrer
wollte es nicht verraten – gegen ein Foto hatte er nichts einzuwenden Yousef al-Sulaiman kurz vor dem Gasgeben mit 1200 PS
FOCUS 35/2013
High Tech pur Die Kommando-
zentrale für Touren mit Tempo 400
modellen. Einen vierten, gewöhnlichen
Veyron hat er wieder abgestoßen, ein
weiteres Einzelstück soll her. Vielleicht
einen der besonders hochwertig ausge-
statteten „Wimille“, einer in sechs Exem-
plaren aufgelegten Sonder-Edition.
Lombrozo, der in Mexiko geborene
kalifornische Industrielle, ist heute im
pädagogischen Auftrag unterwegs: Er
wolle seinen Enkel Manuel motivie-
ren, es ihm an Fleiß und geschäftlichem
Erfolg gleichzutun – um sich auch einmal
Lass brennen! Der Bugatti Roadster Veyron
Grand Sport Vitesse mit 1200 PS
mit einem Bugatti belohnen zu können.
Er kenne und fahre viele Luxusautos,
erklärt er, doch keins käme in Qualität,
Leistungsfähigkeit und Schönheit dem
Veyron gleich. Ob er sich auch einen
Hybrid-Bugatti vorstellen könne? Durch-
aus, wenn dieser denn 1600 oder 2000
PS böte. „Und wenn er ebenso leicht
zu handeln ist wie ein Veyron heute,
ist es mir gleichgültig, welche Moto-
ren verbaut sind!“ Nach der Probefahrt
jedenfalls hat der Enkel seine Sprache
verloren. Er lächelt entrückt, Opa wirkt
zufrieden: Lernziel errreicht!
Kristallklar auch Eliot Michaels Urteils-
kraft nach der Kostprobe: „Das ist Rock ’n’
Roll on wheels!“ Der in New York erfolg-
reiche Musiker handelt heute mit erlese-
nen Gitarren, beliefert Mick Jagger und
Pete Townshend und muss sich zwischen
Coupé und Roadster entscheiden. Oder
auch nicht: „Ich nehme beide!“ ■
JÜRGEN ZÖLLTER
107
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K U LT UR & LE B E N

»Amerika die Au
Popcorn-Kino mit Message: Hollywoods Desaster-Master ROLAND EMMERICH über seine

Kindliche Flaggenretterin Emmerich geht zwar in „White House Down“ hart mit Amerika ins Gericht, weiß aber auch die patriotischen Gefühle zu bedienen
gen öffnen«
Ambitionen mit dem Thriller »White House Down«

Spaß darf sein Emmerich, 57, ist es schon

auch wichtig, in all seinen Leinwand-Material-
schlachten den Humor nicht zu vergessen

Herr Emmerich, in Ihrem Kassenschlager

„2012“ hatten Sie den Weltuntergang für
den 21.12. vorigen Jahres ankündigen las-
sen. Was haben Sie an dem Tag gemacht?
Na, in meinem Haus in Los Angeles
eine „End of the World Party“ ver-
anstaltet. Mit allem Drum und Dran,
Trockeneisnebel und Polizeiblaulicht.
Volle Bude, so etwas wie eine vorweg-
genommene Weihnachtsparty.
Sie wollen ja nicht, dass man Ihre Filme
allzu ernst nimmt. Mit Ihrem neuen
Thriller „White House Down“ verbinden
Sie allerdings schon eine Art Anliegen.
Es sind nämlich keine ausländischen
Terroristen, die den Sitz des Präsidenten
attackieren. Warum war Ihnen das wichtig?
Du willst zwar unterhalten, aber du
willst auch irgendetwas geben, irgend-
Fotos: Sony Pictures Releasing GmbH, action press

wie die Augen öffnen. „White House

Down“ beschreibt einfach die ameri-
kanische Situation. Ein Land, das total
geteilt und voller Spannungen ist.
In dem die Parteien keinen Konsens finden?
Ja. Da sagen sich die Leute, wir haben
50 Prozent hinter uns, jetzt machen wir
das einfach mal. Und dabei denken sie
auch noch, dass sie die wahren Patrio-
ten sind. Unser Filmszenario finde ich
sehr viel realistischer als irgendwelche
ausländischen Terroristen. Das wür-
de nie passieren, weil die erst gar

FOCUS 35/2013 111

K U LT UR & LE B E N
nicht nach Washington
kommen würden.
Wegen der rigiden Sicher-
heitsmaßnahmen?
Ja, die sind doch nach
9/11 unerträglich. Und
nach dem Bomben-
anschlag in Boston
wird das eher noch
schlimmer. Ich den-
ke, so schrecklich die-
se Sachen sind, wird
man sie nie ganz ver-
hindern können. Was
jetzt in Amerika pas-
siert, erinnert mich an die Baader-Mein-
hof-Zeit in Deutschland, in der ich auf-
gewachsen bin. Ich musste meinen Pass
zeigen, um nach Hause zu kommen. Es
waren halt zwei oder drei unserer Nach-
barn unter den gefährdeten Personen.
Das Weiße Haus kennen Sie persönlich?
Ja. Ich war einmal eingeladen von
Clinton. Da haben wir damals „Inde-
pendence Day“ vorgeführt. Die hat-
ten ein ganz altes Tonsystem, es hat so
richtig gescheppert. In „White House
Down“ ist nun der Insider-Joke, dass
sich die Terroristen als Toningenieure
tarnen, die das Kino dort mit neuen
Lautsprechern ausrüsten sollen.
Es ist ja nun das dritte Mal, dass Sie
das Weiße Haus in Ihren Filmen
zerstören. Haben Sie da eine Phobie?
Nein. Es ist einfach ein Symbol, das
bekannteste Gebäude der Welt.
So ein Umgang mit nationalen Symbolen,
mit Reichstag oder Kanzleramt, wäre in
Deutschland schwer vorstellbar, oder?
Ja, das ist etwas anders in Deutschland.
Man braucht dafür so ein bisschen Fein-
gefühl. Es geht ja auch nicht darum,
alles in die Luft zu jagen. Es muss sich
schon aus der Story entwickeln, es muss
einfach stimmen.
War es irritierend für Sie, wenn Ihre Kino-
szenarien von der Wirklichkeit eingeholt
wurden – etwa bei 9/11 oder zuletzt bei
der Tsunami-Katastrophe in Japan?
Die Leute gehen doch deshalb ins Kino,
um zu erleben, wie Menschen zu Helden
werden können. Ein echtes Desaster ist
eigentlich nur grauenvoll. In einem Film
wird das von Figuren relativiert, die sich
durch ihre Tapferkeit bewähren. Das
ist, glaube ich, die Funktion von Kunst
oder Geschichten: dass sie uns erzäh-
len, wie wir diese schlimmen Dinge
112
Feinripp und Anzug Channing
Tatum gibt den einfachen Sicher-
heitsbeamten, der allein den US-
Präsidenten (Jamie Foxx) rettet
THRILL MIT SPASS
Mittlerweile ist der deutsche
Hollywood-Emigrant Roland
Emmerich ein Spezialist da-
rin, seinen Actionkino-Events
durchaus subversive Ideen und
Selbstironie einzuhauchen. In
„White House Down“ mutet
der Visual-Effects-Meister dem
US-Publikum neben viel Gebal-
ler und Geknalle die bittere
Lektion zu, dass sich das Land
am ehesten selbst zerstören
könnte – indem es an der
eigenen politischen Spaltung
zerbricht. Ein Thrillerspaß, der
nicht allen Amerikanern gefiel.
Deutsch-Amerikaner Emmerich
mit FOCUS-Redakteur Harald Pauli
Trailer zu »White House
Down« (Filmstart: 5.9.)
Scannen Sie den
QR-Code mit einem
my Smartphone.
Dum Sie brauchen
eine spezielle App
wie „Scan“.
überstehen und überle-
ben können.
Vor „White House Down“
drehten Sie „Anonymus“,
einen Thriller um die Iden-
tität Shakespeares. Ihr
Ausflug ins „ernste Fach“?
Da gab es schon auch
lustige Szenen. Aber es
stimmt schon, „Anony-
mus“ war für mich ein
wirkliches Anliegen.
Das war mal was völ-
lig anderes. Allerdings
nehme ich eigentlich
jeden Film ernst. Dazu ist das Filmema-
chen einfach ein zu risikoreiches Spiel.
„Anonymus“ war jetzt nicht so teuer,
hat aber trotzdem 30 Millionen Dollar
gekostet, was immer noch viel Geld ist.
Vor allem, wenn der Film dann total floppt.
War das traumatisch für Sie – jemand,
der es gewohnt ist, mehrere 100 Millionen
Dollar an den Kinokassen umzusetzen?
Ich war überrascht. Aber ich habe nach
wie vor ein gutes Verhältnis zu Sony,
dem Studio, das den Film finanziert hat.
Und zur Chefin Amy Pascal – die hat
„Anonymus“ wirklich geliebt. Der Film
hat mir auch sehr viel Prestige einge-
bracht in der Branche, weil nicht jeder
so einen Historienstoff inzenieren kann.
Der Filmstart wurde fast um ein Jahr ver-
schoben, wohl weil Amy Pascal sich hohe
Oscar-Chancen ausrechnete. Es gab dann
nur eine Nominierung für die Kostüme. Dass
sich Studiochefs so verschätzen können?
Das ist halt so. Im Filmgeschäft kann al-
Fotos: Sony Pictures Releasing GmbH, ddp images, dpa, Industrial Light & Magic/
les passieren. Keiner weiß wirklich was.
Aber man sollte als Regisseur versu-
chen, immer so verschiedene Stoffe wie
möglich zu machen. Das hilft, besser zu
werden. Also ich bedauere keine Sekun-
de, „Anonymus“ gedreht zu haben.
Nach langem Zögern machen Sie nun
doch eine Fortsetzung zu „Independence
Day“, die 2014 ins Kino kommen soll
– aber ohne Superstar Will Smith?
Paramount Pictures, Universum Film
Da gab es über die Jahre alle möglichen
Signale. Mal wollte er, dann wieder
nicht. „Independence Day” war immer
ein Ensemblefilm. Nun hätte sich alles
auf Will konzentriert. Es wird eine Art
Reboot werden, einige der alten Cha-
raktere werden wir zurückbringen, aber
auch eine neue Generation einführen. ■
INTERVIEW: HARALD PAULI
FOCUS 35/2013
 „Gib dir
Das Weiße Haus einen Ruck und
unter Attacke tu was für dein
DAS WOHL BEKANNTESTE GEBÄUDE DER WELT
WURDE IM KINO SCHON ÖFTER ZERSTÖRT. EMMERICH
Gedächtnis,
LIEGT DABEI MIT DREI ANSCHLÄGEN AN DER SPITZE
hab ich mir
„Independence
Day“
gesagt.“
Zwar wurde das
Weiße Haus bereits in
„Superman 2“ (1980)
angegriffen, das iko-
nische Bild lieferte
aber erst Emmerichs
Film 1996.

„Mars Attacks!“
Tim Burtons Film, in
dem sich Aliens auch
den Präsidenten
(Jack Nicholson) vor-
knöpfen, verwendete
das von Emmerich
gebaute Oval Office.

„2012“
Für seine zweite
sichtbare Zerstörung
des Präsidenten-
palasts wählte Em- Stärkt Gedächtnisleistung
merich 2009 einen
Riesen-Tsunami und Konzentration.*
samt Flugzeugträger
• Pflanzlicher Spezialextrakt
„G.I. JOE 2“ • Aktiviert den Energiestoffwechsel
In dem wild-konfusen der Gehirnzellen und macht sie
Popcorn-Movie er- leistungsfähiger
obern Terroristen das
Weiße Haus, hissen • Gut verträglich
ihre Flaggen und tau-
schen den Präsiden- Tebonin®
ten aus (2013).
konzent 240 mg
Bestes
Präparat
„Olympus
Gut im Test
Ausgabe 04/2013 Bei Aktivitäten des
Has Fallen“
täglichen Lebens
In einer „White
House Down“ sehr Bestehen Sie auf Tebonin®!
ähnlichen Handlung
rettet Gerard Butler *Bei nachlassender mentaler Leistungsfähigkeit infolge zunehmender
2013 den Präsiden- Funktionseinbußen der Nervenzellen im Gehirn.
ten. Die Terroristen Tebonin® konzent  mg.  mg / Filmtablette. Für Erwachsene. Wirkstoff: Ginkgo-biloba-Blätter-
Trockenextrakt. Anwendungsgebiete: Zur Behandlung von Beschwerden bei leichten bis mittel-
sind Nordkoreaner. schweren hirnorganisch bedingten mentalen Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen
Gesamtkonzeptes bei Abnahme erworbener mentaler Fähigkeit (dementielles Syndrom) mit den Haupt-
beschwerden: Rückgang der Gedächtnisleistung, Merkfähigkeit, Konzentration und
emotionalen Ausgeglichenheit, Schwindelgefühle, Ohrensausen. Bevor die Behandlung
mit Ginkgo-Extrakt begonnen wird, sollte geklärt werden, ob die Krankheitsbeschwer-
den nicht auf einer spezifisch zu behandelnden Grunderkrankung beruhen. Zu Risiken
und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder
Apotheker. Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG – Karlsruhe. T1/1//1/
 Elektronik-Künstler
Christopher von
Deylen alias Schiller
hat sich zu seinem
neuen Album von
klassischen Kompo-
nisten inspirieren
lassen. Anna
Netrebko singt für
ihn Edvard Grieg
Die Elektro-Netrebko
hre Stimme ist mit den Jahren tie-
I fer geworden, dafür steht sie in den
Charts so weit oben wie noch nie als
Solokünstlerin. Mit ungewohnt dunkler
Stimmlage interpretiert die Opernsän-
gerin Anna Netrebko auf ihrem neuen
Album „Verdi“ dramatische Sopranpar-
tien unter anderem aus den Opern „Mac-
beth“ und „Don Carlo“. Ihre Hommage
an Giuseppe Verdi, ihr erstes Studio-
album seit fünf Jahren, stieg diese Woche
auf Platz sechs in den deutschen Album-
Charts ein. Der russisch-österreichische
Opernstar hat eine weitere Überraschung
parat: Zum ersten Mal in ihrer Laufbahn
trifft Anna Netrebko auf elektronische
Musik. Sie singt auf „Opus“, dem neuen
Werk des deutschen Elektronikkünstlers
Christopher von Deylen, der sich Schiller
nennt. „Es ist interessant zu sehen, was
moderne Künstler mit klassischer Musik
machen können“, sagt Netrebko.
Schiller ist einer der erfolgreichsten
Musiker des Landes. Seine Elektroalben
landen meistens auf Platz eins in den
Charts. Sieben Millionen von ihnen hat
der 42-Jährige bereits verkauft. Die Kon-
zerte des Echo-Preisträgers, ein Rausch
aus Laserlicht und Soundlandschaf-
114
Die Opernsängerin
Anna Netrebko wagt sich
mit Akustikkünstler Schiller
erstmals auf das Feld
der elektronischen Musik
ten, sind stets ausverkauft. Er trat mit
Depeche Mode auf und holte sich promi-
nente Gastsänger ins Studio wie Xavier
Naidoo, Sarah Brightman, Thomas D
oder Unheilig. Auch mit dem Klaviervir-
tuosen Lang Lang hat er ein Lied auf-
genommen. „Opus“, das diesen Freitag
erscheint, ist sein erstes Album, auf dem
er durchgehend klassische Melodien mit
elektronischen Klängen verbindet. Aber
er sagt: „Crossover finde ich langweilig.“
Ein kurzes Musikvideo zum
Album »Opus« von Schiller
Scannen Sie den
QR-Code mit
einem Smartphone.
Sie brauchen
eine spezielle App
wie „Scan“.
Als eine solche Verschmelzung unter-
schiedlicher Genres wie Rock-Interpre-
tationen von Klassikwerken will Schiller
seine Arbeit nicht verstehen. Klassische
und elektronische Musik seien gar nicht
so unähnlich, begründet von Deylen:
„Ohne Texte, ohne laute Protagonisten
erzeugen beide tiefe Emotionen.“
Mit der berühmten Pianistin Hélène
Grimaud nahm er in New York Rach-
maninows „Rhapsodie über ein Thema
von Paganini“ auf und begleitete sie auf
seinem Computer-Instrument. Grimaud
begeistert: „Wenn ich das Stück mit einem
Orchester spielen sollte, wird mir etwas
Wichtiges fehlen.“ Anna Netrebko sang
für Schiller „Solveigs Lied“ aus „Peer
Gynt“ von Edvard Grieg. Die Operndiva
sei sehr uneitel und unkompliziert, sagt
von Deylen: „Es ging nur um Musik, nicht
ums Image wie so oft bei Pop-Musikern.“
Eigentlich sollte „Opus“ ein Album
ohne Gesang werden, bis Schiller zufäl-
lig Netrebko hörte. „Ihre Stimme ging
direkt in mein Herz.“ Das Lied passe
Foto: Philip Glaser
dennoch auf sein Instrumentalwerk.
„Für mich ist es eher Lautmalerei.“ ■
NOELANI WALDENMAIER
FOCUS 35/2013
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 MEIN VATER

»Seine Fantasie machte ihn ängstlich«

Als Tochter IRENE erstmals den Pumuckl im Radio hörte, wusste sie nicht, dass dahinter Vater HANS CLARIN steckt

Vater: Bekannt wurde Schauspieler Hans Clarin (1929–2005) als Synchronstimme des beliebten Kobolds Pumuckl. Daneben
war er in zahlreichen Film- und Theaterproduktionen zu sehen. Tochter: Ihre ersten Rollen bekam sie als junge Erwachsene
am Theater der Jugend in München. Seither spielt Irene Clarin, 58, in verschiedenen Fernsehserien, u. a. in »Der Alte«.

P
apa und ich waren uns sehr ähn- auch sehr ängstlich. Während Papa und hinzu. Ein bisschen traurig machte ihn,

Fotos: Rober t Brembeck für FOCUS-Magazin, Er win Schneider/Schneider-Press

lich. Nicht nur, dass wir beide
durch die Aufnahmeprüfung
der Münchner Falckenberg-
schule gerasselt und dann trotzdem
Schauspieler geworden sind. Auch unse-
re Körperform, unsere Gesten und unser
Humor glichen sich, ja sogar unsere klei-
nen Finger sahen aus wie geklont.
Er liebte die Menschen, besonders aber
liebte er Kinder. Er hat uns die schöns-
ten, lebhaftesten, selbst erfundenen
Geschichten erzählt, die ich noch in lie-
bevollster Erinnerung habe. Die Nähma-
schine hat er in eine brummende, gur-
gelnde, trötende Orgel verwandelt.
Überhaupt konnte er mich mit seinem
komödiantischen und musikalischen
Talent stets zum Lachen bringen. Ande-
rerseits machte ihn seine große Fantasie
ich mal in einem Fesselballon über einen
Baggersee schwebten, bekam er Panik.
Seltsam: Er, dessen Vorfahren Seefahrer
waren, scheute zeitlebens das Wasser –
ich übrigens auch.
Restaurants besuchten wir ausschließ-
lich im Gänsemarsch: Vorneweg meine
Mutter, dahinter Papa, gefolgt von mei-
nen beiden Schwestern. Zum Schluss
kam ich, das Nesthäkchen. Mit unseren
Lederhosen und Trachtenhüten sahen wir
scheinbar so putzig aus, dass uns im Eng-
lischen Garten amerikanische Touristen
fotografierten.
Als ich als kleines Kind das erste Mal
den Pumuckl im Radio hörte, wusste ich
gar nicht, dass mein Vater dahintersteck-
te. Anfangs klang seine Stimme sehr hell,
erst später kam der sogenannte Krächzer
dass ihn die Leute oft auf die Pumuckl-
Rolle reduzierten. Er war ja vor allem ein
toller Bühnendarsteller. Besonders lagen
ihm Ätherwesen wie der Puck im „Som-
mernachtstraum“ oder Ariel im „Sturm“.
Im Sternzeichen war mein Vater dop-
pelte Jungfrau. Das erklärt seine Ord-
nungsliebe, seine Sammelleidenschaft,
seine Warmherzigkeit. Nach meiner
Schauspielausbildung schrieb er mir
einen Brief, den ich noch heute wie einen
Schatz hüte. „Bleibe so natürlich, aufrich-
tig und ehrlich wie du bist, dann haut das
schon hin.“ All diese Eigenschaften tref-
fen auch auf ihn zu. Einmal fragte ich ihn,
ob er an Wiedergeburt glaubt. Er sagte:
Das Einzige, was ich weiß, ist, dass man
in seinen Kindern weiterlebt.
Aufgezeichnet von Sven Siedenberg

116 FOCUS 35/2013

 erste wahl!

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K U LT UR & LE B E N

Kehlmanns
Tagtraum
Seit seiner »Vermessung der Welt« ist Daniel Kehlmann ein
internationaler Star der Literatur. Jetzt hat er einen hochrealistischen
Roman geschrieben: über Teufel, Trug und Trance

Der neue Kehlmann liegt vor

Nicht zwischen, sondern auf
den Stühlen im Weltsaal des
Auswärtigen Amtes in Berlin

118
 ein, er hat sich nie hypnotisie-
N ren lassen. Daniel Kehlmann
redet federnd schnell, zitiert
Forschungsergebnisse, spricht
von Neurobiologie. Er weiß viel über
Hypnose, aber am eigenen Leib erlebt
hat er sie nicht. Kein Bedarf.
Wir sitzen im „Brechts“, einem Restau-
rant am Spreeufer. Es liegt nur ein paar
Schritte entfernt vom Berliner Ensemble,
dem Theater, das Bertolt Brecht zu Welt-
ruhm führte. Der Sommertag ist herrlich
klar und glänzend, das Licht tanzt gut
gelaunt übers Spreewasser. Selbst Kehl-
manns Sätze sind klar und glänzend klug.
Diese ganze Hypnose-Welt mit ihrer trü-
ben Neigung zu Trance und Täuschung
scheint weit weg zu sein.
Sogar zum Thema Weltruhm hätte Kehl-
mann mancherlei zu sagen. Er war gerade
erst 30 Jahre alt, als sein Roman „Die
Vermessung der Welt“ 2005 zum inter-
nationalen Millionenerfolg wurde. Heute,
acht Jahre später, zählt er zum exklusi-
ven Kreis jener literarischen Stars, von
wie Fiktion
Daniel Kehlmann, 38,
lebt in Berlin und Wien.
Mit 2,5 Millionen
Exemplaren zählt sein
Buch „Die Vermessung
der Welt“ zu den erfolg-
reichsten deutschen
Romanen seit 1945.
Kehlmanns neuer
Roman hat den Titel
„F“. Der Buchstabe
steht für vieles: Fiktion,
Fehler, Fälschung.
All das spielt eine
zentrale Rolle in dem
Buch über drei Brüder,
die ihren Vater an
die Literatur verlieren.
FOCUS 35/2013
denen nicht nur wie selbstverständlich
hohe Verkaufszahlen erwartet werden,
sondern denen man wirklich wichtige,
wirklich große Bücher zutraut.
Sein neuer Roman erscheint diesen
Freitag und trägt den ebenso knappen
wie kryptischen Titel „F“. Er beginnt
mit dem Auftritt eines Varieté-Hypnoti-
seurs. Als Familienvergnügen besucht ein
erfolgloser Schriftsteller namens Arthur
mit seinen drei halbwüchsigen Söhnen
die Nachmittagsvorstellung. Zunächst
werden die Söhne, schließlich wird aber
auch der Vater auf die Bühne gebeten,
und was dort mit ihnen geschieht, hat für
sie lebensverändernde Folgen.
„In gewisser Weise“, sagt Kehlmann,
„macht Hypnose etwas, um das sich
Schriftsteller, Künstler, Musiker immer
bemühen: Sie wollen das Bewusstsein
ihres Publikums in eine andere Welt ver-
setzen. Sie wollen es, zumindest vorüber-
gehend, lenken, und ein wenig wollen sie
es auch beherrschen.“
Kehlmanns Hypnotiseur heißt Linde-
mann und ist ein ausgemachter Wider-
ling: Ein Manipulator, der auf nichts und
niemanden Rücksicht nimmt, dick, mit
Glatze, ein paar letzte überlange Haare
quer über die Stirn gelegt. Obwohl sich
Arthur nach Kräften sperrt, holt Linde-
mann ihn auf die Bühne, und sobald er
ihn psychisch in seiner Gewalt hat, hält er
ihm gnadenlos seine Trägheit und Erfolg-
losigkeit als Schriftsteller vor: „Vielleicht
sollten Sie sich anstrengen, vielleicht
sollten sie arbeiten, vielleicht Ihr Leben
ändern. Alles ändern.“
Der Befehl wirkt. Arthur räumt alle Bank-
konten ab, verlässt die Familie, verschwin-
det spurlos, um sein Leben ausschließlich
dem Schreiben zu widmen. Zurück blei-
ben drei Söhne – jeder auf seine Art von
Zweifel und Selbstzweifel geplagt: Der
eine wird Pfarrer, obwohl er an Gott nicht
glaubt, der zweite Maler, obwohl er sei-
nem Kunst-Talent nicht vertraut, der drit-
te Anlageberater, obwohl er weiß, dass er
das Geld seiner Klienten angesichts der
globalen Marktlage nicht im versproche-
Foto: Maurice Weiss/OSTKREUZ
nen Maße vermehren kann.
„So wie Religion und Kunst ist auch die
Welt der Finanzwirtschaft voller Sugges-
tionen“, sagt Kehlmann. „Der Betrüger
Bernard Madoff zum Beispiel war abso-
lut überzeugend, in jeder Situation. Wer
mit ihm sprach, hatte die Gewissheit,
sein Geld sei in den denkbar besten
119
 K U LT UR & LE B E N
Hypnose
macht
etwas, um
das sich
Schrift-
steller
bemühen
Daniel Kehlmann
Händen. Madoff muss ein fast schon hyp-
notisches Talent gehabt haben. Das war
sein großes Kapital.“
Darum geht es im Kern von Kehlmanns
neuem Roman: Sosehr wir uns auch dar-
um bemühen, die Welt nüchtern und
rational zu betrachten, bleiben wir doch
immer Fantasien, Träumen, Suggestionen
ausgeliefert. Der spanische Maler Goya
(1746–1828) schrieb einmal auf eines
seiner finstersten Bilder: „Der Schlaf
der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Kehl-
manns Buch geht darüber hinaus: Selbst
die hellwache Vernunft befreit uns nicht
von ungeheuren Illusionen und Selbst-
täuschungen.
Der Roman ist eine Gratwanderung. Alles,
was den drei Brüdern passiert, lässt sich
mit streng rationalen Mitteln erklären.
Aber zugleich glaubt man beim Lesen
jederzeit zu spüren, wie von allen Seiten
Geister und Dämonen, ja der Teufel selbst
in die Geschichte hineindrängen. Schon
der Hypnotiseur zu Anfang: Ist er nur ein
schmieriger kleiner Trickser, der mit ein
paar geschickten Fragen den schlum-
mernden Schriftsteller-Ehrgeiz des Vaters
weckt? Oder ist er die Verkörperung des
schlichtweg Bösen, der aus purem Über-
mut eine Familie zerstört?
120
Scherz und Schrecken
Als medizinische Therapie
entwickelt, wird Hypnose seit gut
100 Jahren auch zu zweifelhaften
Varieté-Vergnügen genutzt
Kehlmann lächelt, wenn man über das
Doppelgesicht seiner Figuren spricht:
„Diese Art von Widersprüchen kann sich,
nein, muss sich der Romanautor leisten.
Ich denke, sie machen einen Roman rei-
cher und besser. Wir empfinden die Rea-
lität ja auch oft als widersprüchlich – also
wäre eine Geschichte ohne alle Wider-
sprüche genau betrachtet unrealistisch.“
„F“ ist, wie schon Kehlmanns „Vermes-
sung der Welt“, letztlich ein philosophischer
Roman. Er stellt einschüchternd gro-
ße Fragen: Was bietet uns die Religion
selbst dann noch an Schutz und Schön-
heit, wenn wir nicht an Gott glauben?
Was macht die Bedeutung von Kunst aus
und was die Bedeutungslosigkeit einer
Fälschung? Warum wird gerade eine Welt
der Zahlen und Finanzen, die zu Recht
stolz ist auf kühle Kalkulationen, dennoch
so leicht zum Opfer von Selbsttäuschun-
gen oder Betrug?
Fragen wie diese sind im Grunde viel
zu groß für einen Roman. Sie drohen
ihn unter sich zu begraben und zu er-
drücken. Doch zu Daniel
Kehlmanns besonde-
rem Talent gehört diese
scheinbar so leichthändi-
ge Verspieltheit, mit der
er Fragen in Geschichten
zu verwandeln versteht,
oder genauer gesagt:
mit der er seine Fragen
aus den Geschichten wie
von allein herauswach-
Fotos: Christian Kielmann/IMAGO, IMAGE ASSET MANAGEMEN/agefotostock/Avenue Images
sen lässt.
Die Komik ist einer sei-
ner großen Helfer dabei.
Kehlmann lacht gern und
viel, und das nicht nur
beim Plaudern an einem
sonnenverwöhnten Tag
im Restaurant „Brechts“.
Schon die Geschichte
der beiden Genies Hum-
boldt und Gauss in „Die
Vermessung der Welt“
war nüchtern betrach-
tet hoffnungslos bis zur
Verzweiflung – und doch
zugleich sehr komisch.
Auch „F“ erzählt letzt-
lich von einer Tragödie,
aber von einer, bei der es eine Menge zu
lachen gibt. ■
UWE WITTSTOCK
FOCUS 35/2013
 Für Salma Hayek und für mehr als
6 Mio. Menschen in Deutschland ein Thema.

Und auch für mich.

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M E DI E N
Frisch befördert
Georg Klein, hier in
Afghanistan 2009, ist
seit März Brigade-
general. Sein Bomben-
befehl hatte für ihn
weder strafrechtliche
noch disziplinarische
Konsequenzen

Zielgebiet im Visier
Die Aufnahme aus
einem der F-15-Kampf-
jets zeigt Fahrzeuge
(weiß) und viele
Menschen (schwarz)
auf der Sandbank am
Kundus-Fluss

Blutiger Einsatz
der Bundeswehr

E in Minister, ein Staatssekre-

tär und ein Generalinspekteur
mussten im Zuge der Kundus-
Affäre ihre Posten räumen. Oberst
Georg Klein wurde im März 2013
»Wenn der Schrecken
zum Vorgang wird«
zum Brigadegeneral befördert.
Der 52-jährige Offizier gab am
4. September 2009 den bislang
folgenschwersten Befehl in der
Geschichte der Bundeswehr: Ver-
mutlich 142 Menschen starben, Im Doku-Drama »Eine mörderische Entscheidung«
als US-Kampfjets zwei von Taliban
gekaperte Tanklaster in der nordaf-
spielt Matthias Brandt den Bundeswehr-Oberst
ghanischen Provinz bombardierten. Georg Klein, dessen umstrittener Befehl 142 Afghanen
90-mal je 5000 US-Dollar
(3800 Euro) wurden nach An- in der Provinz Kabul das Leben kostete
gaben des Verteidigungsminis-
teriums bereits an betroffene
afghanische Familien gezahlt – Herr Brandt, konnten Sie für Ihre Rolle „Bürger in Uniform“ ist ein gutes Stich-
insgesamt etwa 350 000 Euro. als Oberst Klein auf Erfahrungen wort. Das war einer der Ansatzpunk-
Die Bundeswehr unterstützte als Soldat zurückgreifen? te, die mich an der Rolle interessiert
das Projekt in keiner Weise. Laut Nein, ich hatte den Wehrdienst ver- haben. Ich hatte instinktiv das Gefühl,
Regisseur Raymond Ley verbot weigert und war dann ausgemustert ein Teil der Tragödie rührt daher, dass
sie sogar Kontakte zu gesprächs- worden. Der Jahrgang 1961 lieferte jene „Bürger“ in Afghanistan in Ent-
bereiten Soldaten und afghani- bekanntlich ein Überangebot an Wehr- scheidungssituationen gebracht wer-
schen Kontaktleuten. Angeblich fähigen. Aber das ist in meinem Beruf den, die mit bürgerlichen Maßstäben
misstraute man dem Genre Doku- nichts Ungewöhnliches; ich muss mir ja gar nicht zu lösen sind.
Drama, der Verknüpfung von ständig Dinge vorstellen, die ich nicht Sie sprechen von einer Tragödie,
Fiktion und Dokumentation. kenne. der Film bezeichnet Kleins Befehl deutlich
Sie spielen den „Bürger in Uniform“. härter als „mörderische Entscheidung“.
Wie fühlte sich das an? Der Bundeswehroffizier ließ im September

122 FOCUS 35/2013


2009 zwei von Taliban entführte Tanklaster
bombardieren, 142 Menschen, darunter
viele Zivilisten und Kinder, starben.
Die wesentliche Frage, die ich mir zu
Klein gestellt habe, lautet: Wie ist es
möglich, mit solch einer Entscheidung
– gerechtfertigt oder ungerechtfertigt –
zu leben? Und es gibt nur wenige, die
bezweifeln, dass dort wohl ein schwe-
rer Fehler passiert ist.
Wie, glauben Sie, schafft Klein das?
Wenn man sich seine Äußerungen nach
dem Bombardement anschaut, hat
Klein eine besondere Art der Verarbei-
tung oder besser Verdrängung gewählt.
Nämlich die, die schrecklichen Ereig-
nisse zu bürokratisieren, zu einem Vor-
gang zu machen. Damit kann man ver-
Fotos: Anja Niedringhaus/AP, Cinecentrum/NDR
suchen, sich nach außen zu behaupten.
Aber irgendwann erreichen die vielen
Toten seelische Schichten, denen mit
Bürokratisierung nicht beizukommen
ist. Wie Klein damit umgeht, vermag
ich natürlich nicht zu sagen.
Klein beruft sich auf Vorschriften . . .
Ja, interessanterweise ist er als Soldat
jemand, dessen Leben stark von Regeln
bestimmt ist. Aber im wahrscheinlich
folgenreichsten Moment seines Lebens
FOCUS 35/2013
hält er sich nicht an diese Regeln,
zumindest nicht hundertprozentig.
Bundeswehr, Bundesregierung und die
Mehrheit im Untersuchungsausschuss
zur Kundus-Affäre sahen das anders.
Ich finde es dennoch legitim, all die-
se Fragen noch mal zu stellen. Von
offizieller Seite wollte man das The-
ma schnell vom Tisch haben. Dazu hat
man es in einer Art und Weise versach-
licht, die dieser Tragödie nicht ange-
messen ist. Eine Armee aus der Mitte
der Gesellschaft muss sich heute ande-
re Fragen stellen lassen, als das früher
der Fall war – als dort so eine Haude-
gen-Mentalität vorherrschte. Es ist ei-
nes unserer vornehmsten Rechte zu
fragen, und zwar so lange zu fragen,
bis wir zufriedenstellende Antworten
bekommen.
War diese Rolle für Sie deshalb eine
besondere Herausforderung – wegen der
gesellschaftspolitischen Relevanz?
Das spielt bei meiner Arbeit nicht so
die Rolle . . .
Aber sicher doch bei der Entschei-
dung, den Oberst Klein zu spielen?
Bevor ich mich für eine Rolle entschei-
de, suche ich nach dem Punkt, an dem
ERSTER EINSATZ
ALS SOLDAT
MATTHIAS BRANDT, 51
Der Sohn von Rut und Willy
Brandt hat sich als Schau-
spieler auf der Bühne, bei
Film und Fernsehen bewie-
sen. „Bürger in Uniform“ war
er nie. Die Überforderung der
Bundeswehrsoldaten ist für
ihn Teil der Kundus-Tragödie.
Sendetermine: Freitag, 30.8,
20.15 Uhr, Arte; Mittwoch,
4.9., 20.15 Uhr, Das Erste
ich an die Figur andocken kann, an
dem ich einen Zugang erhalte. Hier
war es ein relativ einfacher Gedanke.
Ich habe so staunend davorgestanden
und letztlich gedacht, jenseits aller
Wertung, wie geht das? Wie ist man
dazu überhaupt in der Lage, einen sol-
chen Befehl zu geben?
Haben Sie für sich, für Ihren Oberst
Klein, eine Antwort gefunden?
Nach meinem Empfinden hat das
ganz viel mit Distanzierung zu tun,
die natürlich durch all die technischen
Hilfsmittel erleichtert wird. In dem
simulierten Lageraum am Set sah ich
auf den Monitoren diese schwarz-wei-
ßen Aufnahmen, wie sie die Bomber
vom Zielort lieferten. Ich dachte, das ist
nichts Besonderes, so etwas bekomme
ich auch bei CNN zu sehen. Es lässt
sich beim Blick auf Lichtpunkte na-
türlich leichter agieren, als wenn man
reale Menschen sieht. Aber dennoch:
Wie bringt man sich in die Verfassung,
so einen Befehl überhaupt geben zu
können? Und wie lebt man danach?
Diese Frage ist nicht in dem Film zu
beantworten. Es die einzige Frage, die
ich Klein überhaupt stellen würde.
123
M E DI E N
Haben Sie mal versucht, persönlich
mit ihm in Verbindung zu treten?
Nein. Ich wusste ja, dass alles versucht
worden war . . .
Sie hätten ihn mit der Frage erreichen
können: Ich werde Sie spielen,
welche Botschaft haben Sie für mich?
Es ist aber Kleins gutes Recht, mit Film-
leuten oder Journalisten nichts zu tun
haben zu wollen. Wenn ich eine Figur
mit realem Vorbild spiele, liegt der Reiz
für mich nicht darin, sie zu imitieren. Ich
fand das Prototypische an Klein interes-
santer, als eine Kopie der realen Figur
zu liefern. Nach meiner Einschätzung
wäre es falsch, diese Fehlentscheidung
zu stark zu individualisieren. Es war
halt Pech für Klein, dass gerade er dort
war. Drei Monate später wäre ein ande-
rer in die Situation geraten, und der hät-
te vielleicht genauso gehandelt.
Ihr Oberst Klein kommt nicht unsympa-
thisch rüber. Er wirkt unnahbar, etwas
ängstlich. Nehmen Sie ihn in Schutz?
Ich wollte ihn weder in Schutz neh-
men noch anklagen. Mich persönlich
nervt es, wenn mir ein Schauspieler
allzu deutlich suggeriert, wie ich die
von ihm dargestellte Figur zu beurtei-
len habe. Ich leiste das als Zuschau-
er gern selbst. Ich habe versucht, mir
124
Schlachtfeld am Kundus-Fluss
Polizisten bei einem der ausgebrannten
Tanklaster. Dort starben 142 Menschen
»Ich trauere um
diese Menschen«
Was Oberst Georg Klein
im Untersuchungsausschuss
des Bundestags sagte
Militärische Lage
„Meine Infanteristen haben
die zum Teil stundenlangen
Gefechte als Krieg empfun-
den. Der Gegner ist brutal
und rücksichtslos.“
Ziel-Aufklärung
„Ich war der Überzeugung,
dass es sich um ein legitimes
militärisches Ziel handelte.“
Rest-Zweifel
„Die Hoffnung auf ein kom-
plettes Lagebild in allen
Facetten ist eine Illusion, die
mit der Realität leider nichts
zu tun hat.“
Verantwortung
„Als Christ und verantwor-
tungsbewusster Offizier bin
ich mir über die Tragweite
meines Entschlusses im Kla-
ren gewesen. Ich habe diesen
schweren Herzens getroffen,
war aber der festen Überzeu-
gung, damit Schaden von den
mir anvertrauten Soldaten
abzuwenden.“
vorzustellen, wie sich jemand mit so
einer Struktur verhält, der, mehr oder
weniger vom Schreibtisch kommend,
in diese Kriegssituation gesteckt wird.
Warum entscheidet Oberst Klein so,
obwohl die Bomberpiloten ihn mehrfach
mahnen? Will er Rache, will er zeigen, dass
er ein harter Kerl ist, was glauben Sie?
Ich bin in einer bizarren Situation. Ich
spiele eine Rolle, die ein reales Vorbild
hat, das sich allen Fragen verweigert.
Nun soll ich, in Ermangelung des tat-
sächlichen Adressaten, stellvertretend
für diesen antworten. Es wäre aber
besser, er würde das selber tun.
Oberst Klein gibt den Befehl in einer Situ-
ation, in der es leicht gewesen wäre abzu-
brechen. Was hat den von Ihnen gespielten
Offizier zu dieser Entscheidung bewegt?
Es sind verschiedene Faktoren, die im
Film aufgezeigt werden. Wichtig ist nicht
zuletzt das wirklich vorhandene, subjek-
tive Bedrohungsgefühl. Wohl auch das
Gefühl, sich endlich mal zur Wehr setzen
zu müssen. Seine Soldaten sind ange-
griffen worden, er hatte Leute verloren,
und es gab auch Druck der Afghanen,
die provozierend fragten, wozu die Deut-
schen eigentlich dort seien. Letztlich
hat die Entscheidung starke Züge einer
Überreaktion, die ja meistens Ausdruck
einer Überforderung ist.
Aber Überforderung schützt nicht davor,
zur Verantwortung gezogen zu werden.
Das nimmt kein Fitzelchen von der
moralischen Verantwortung weg. Bei
einer Tragödie dieser Dimension kann
man sich nicht auf so eine Betriebsun-
fall-Nuschelei zurückziehen. Wir stel-
len legitime Fragen, die bis heute nicht
beantwortet sind. Und ich möchte – als
Bürger – andere Antworten hören.
Glauben Sie, dass der Film zur
Aufklärung beitragen wird?
Ich mache mir keine Illusionen über
die Möglichkeiten eines Film. Aber es
gehört durchaus zu unseren Aufgaben,
uns als Künstler mit solchen Themen
Foto: Jawed Kargar
zu befassen. Wenn das eine Diskussi-
on erneut anstößt, finde ich das wün-
schenswert und prima. ■
INTERVIEW: ROBERT VERNIER
FOCUS 35/2013
 BESTSELLER

KINO-HITLISTE ALBUM-CHARTS
*Besucher: Zahlen vom vergangenen Start-Donnerstag *(Rang Vorwoche/Anzahl der Wochen)

⯠ Regie:
Pain & Gain
Michael Bay, Schlichtes Knallbumm-Gemüt Mark Wahl- ⯠ Helge Schneider:
NE U Sommer, Sonne, Kaktus!
Besucher*/Gesamt: 39 052 berg als Bodybuilder, der zum Mörder wird NEU Universal
⯡ Feuchtgebiete
David Wnendt, B.*/G.: 37 807 ⯡ Santiano: Mit den Gezeiten (5/14)
NE U Universal
⯢ Elysium (1) 2. W.
Neill Blomkamp, B.: 31 958/G.: 460 605
ACTION
⯢ Mono Inc.: Nimmermehr
NEUNocut
⯣ Die Scherz mit Schmerz
Schlümpfe 2 (3) 4. W.
Raja Gosnell, B.: 25 001/G.: 1 498 804 ⯣ Tonpool
Xavier Naidoo: Bei meiner Seele (7/11)
Michael Bay, der es stets gern krachen
⯤ Lone Ranger (4) 3. W.
Gore Verbinski, B.: 16 741/G.: 721 806
lässt („Bad Boys“, „Transformers“), haut ⯤ Alligatoah: Triebwerke (1/2)
hier richtig auf die Pauke. In der Action- Groove Attack
⯥ Percy Jackson: (2)
Im Bann des Zyklopen
2. W. Comedy „Pain & Gain“ geben Mark Wahl-
⯥ Netrebko: Verdi
Thor Freudenthal, B.: 15 337/G.: 259 932 berg und Dwayne Johnson zwei ziemlich NEU Universal
unterbelichtete Bodybuilder, die groß
⯦ Ich – Einfach unverbesserlich 2 (5) 8. W. abkassieren wollen. Sie entführen einen ⯦ Santiano: Bis ans Ende der Welt
Universal
(–/80)
C. Renaud u. a., B.: 10 498/G.: 3 053 476
Fitness-Studio-Klienten, dem sie ans Ver-
⯧ Kindsköpfe 2 (6) 6. W.
Dennis Dugan, B.: 6972/G.: 1 270 419
mögen wollen. In ihrer Schlichtheit schre- ⯧ Helene Fischer: Best of
Universal
(–/167)
cken sie auch vor mörderischen Fehlern
⯨ Dampfnudelblues (10)
Ed Herzog, B.: 4961/G.: 220 939
4. W. nicht zurück. Das alles ist völlig über- ⯨ Cro: Raop Groove Attack (9/58)
dreht inszeniert, wobei einem das Lachen
⯩ Sportfreunde Stiller: (–/12)
⯩ Conjuring – Die Heimsuchung (9)
James Wan, B.: 4803/G.: 313 034
4. W. vergeht, wenn der Film betont, auf einem
wahren Fall zu basieren. Und die Helden
New York, Rio, Rosenheim
Universal
und Haupttäter im Todestrakt sitzen. hap

E-BOOKS – BELLETRISTIK DARKROCK E-BOOKS – SACHBUCH

⯠ Brown: Inferno
Kuschel-Combo ⯠ Bowen: Bob, der Streuner
Lübbe Lübbe
Ihr finsteres Erscheinungsbild korres-
⯡ Moyes: Ein ganzes halbes Jahr
Rowohlt
pondiert nicht mit ihrer Musik. Auf ihrem ⯡ Winnemuth: Das große Los
Knaus
siebten Album „Nimmermehr“ bläst
⯢ Day:
Heyne
Crossfire. Erfüllung die Hamburger Darkrock-Band Mono
Inc. dem Hörer eher Kuschelrock mit
⯢ Möller: Isch geh Schulhof
Lübbe
⯣ Riley: Der Lavendelgarten
Goldmann
elektronischen Nuancen um die Ohren.
Trotzdem animieren einige Lieder wie ⯣ Pelzer: Sie nannten mich „Es“
Goldmann
der Kinderreim „Heile, heile Segen“ zum
⯤ Hjorth/Rosenfeldt:
⯤
Copyright by media control GfK International GmbH, Baden-Baden

Headbangen. Frontmann Martin Engler Kampusch: 3096 Tage

Die Toten, die niemand vermisst Ullstein
Rowohlt trällert bei „Kein Weg zu weit“ ein Duett

⯥ Glines: Rush of Love – Erlöst

mit Neue-Deutsche-Welle-Ikone Joachim
Witt. Vorsicht: echte Ohrwurmgefahr! mh
⯥ Bielendorfer: Lehrerkind
Piper
Piper

⯦ Young: London Road. ⯦ Illies: 1913

S. Fischer
Geheime Leidenschaft
Ullstein
⯧ Geiss/Geiss: Von nix kommt nix
⯧ James: Shades of Grey –
Geheimes Verlangen Goldmann
Heyne

⯨ Jaenicke: Die große Volksverarsche

⯨ Fitzek: Der Nachtwandler Gütersloher Verlagshaus

⯩
Knaur
Niazi-Shahabi:
⯩ Elsberg:
Blackout – Morgen ist es zu spät
Ich bleib so scheiße wie ich bin
Piper
Blanvalet Gruseliges Aussehen sollte bei Mono Inc.s
Album „Nimmermehr“ nicht abschrecken

FOCUS 35/2013 125

 BOULEVARD

Hut ab!
Natürlich fragen ihn alle
nach seiner Kopfbedeckung:
Schiebermütze und darunter
eine Art Strumpfhaube, als
hätte er sich selber banda-
giert. Kann er sich so besser
konzentrieren auf seine
Stimme, diesen herrlichen
Bariton?
GREGORY PORTER, 41, will
das Geheimnis nicht lüften.
Aber er hat verraten, dass
er als Kind einer allein
erziehenden Mutter den
Sänger Nat King Cole ver-
ehrte: „Ich hörte seine
Songs und stellte mir vor,
er sei mein Vater.“
Er beerbte die Jazzlegen-
de tatsächlich, aber hinzu-

Riese mit sanfter Stimme Der

1,90-Meter-Mann Gregory Porter

gekommen sind die Ener-

gie des Soul und ein sehr
modernes Gespür für The- Trailer zu »Chroni-
men. Jobverlust, Gentrifizie- ken der Unterwelt«
rung, der Stress, dem Lie- (Filmstart: 29.8.)
bende ausgesetzt sind, Scannen Sie den QR-Code
wenn sich der Alltag in die mit einem Smartphone.
Sie brauchen eine

Romantik mogelt: Auf dem
Album „Liquid Spirit“
schaut er kritisch nach drau-
ßen auf die Gesellschaft.
Und erkundet melancho-
lisch das eigene Innere.
Das Ganze in klassischer
Besetzung, drei Bläser, Pia-
no, Drums. Federnd, schwin-
gend, jedes Stück ein kleines
Jazzjuwel aus Amerika.
Auch für jene, die mit Jazz
gar nichts am Hut haben. dan
Schattenengel
spezielle App wie „Scan“.
Es ist schon mal nicht schlecht, wenn man Phil Collins zum Vater hat und auch noch
ziemlich sexy aussieht. LILY COLLINS, 24, hat aber nicht nur Model-Qualitäten, sondern
machte sich auch als Kolumnistin einen Namen, bevor sie ihr Schauspieltalent entdeckte.
Im Kino debütierte sie gleich als Filmtochter von Sandra Bullock, zuletzt glänzte sie als
von Julia Roberts mit Todeswünschen verfluchtes Schneewittchen. Mit der Bestseller-Ver-
filmung „Chroniken der Unterwelt“, als eine Art Variante der „Twilight“-Hitserie angelegt,
steht sie nun vor dem großen Durchbruch. Die zierliche Lily verkörpert die Hauptfigur
Clary, die sich ihrer Fähigkeiten als „Schattenjägerin“ bewusst wird. Ein Halbengel im
Fantasy-Kampf gegen Dämonen, Vampire und Werwölfe. Auch hier ist sie eine Schau! hap

126

»Romane, die reicher machen«
Nach dem Riesenwerk »Krieg und Frieden« hat Schauspieler Ulrich Noethen jetzt
»Anna Karenina« vom Leo Tolstoi als Hörbuch mit 40 Stunden Spieldauer eingelesen
Wie fühlt man sich nach 40 Stunden
„Anna Karenina“?
Für mich waren es vier Wochen mit je vier
Aufnahmetagen. Wie es mir danach ging?
Ich war erleichtert. Ein derart großes und
gewichtiges Buch verlangt einem natür-
lich große Konzentration ab.
Für „Krieg und Frieden“ haben Sie im Studio 67
Stunden gebraucht. Welches Verhältnis haben
Sie inzwischen zu Tolstoi?
Ein extrem intensives. Seine beiden Meis-
terwerke machen einen beim Lesen rei-
cher. Man kann sie, nein, man sollte sie
zwei-, dreimal in verschiedenen Lebens-
Fotos: Shawn Peters, action press, Katrin Ribbe, akg-images, Alpenrepublik Filmverleih
Pleite, aber sexy
Der Streit um die Kunstschätze der
AMERIKANISCHEN PLEITE-METROPOLE
DETROIT droht zu eskalieren. „Falls die
Stadt auch nur ein Werk verkauft, zie-
hen wir vor Gericht”, kündigt Pamela
Marcil, die Sprecherin des Detroit Insti-
tute Of Arts (DIA), gegenüber FOCUS
an. Auch die angrenzenden Landkreise,
die drei Viertel des DIA-Budgets finan-
zieren, drohen, ihre Unterstützung für
das Museum einzustellen, sollte die
Stadt Werke verkaufen wollen.
Die Sammlung des DIA umfasst welt-
bekannte Werke, unter anderem von
van Gogh und Rembrandt im Wert von
FOCUS 35/2013
Ulrich Noethen, 52,
liest Tolstoi
altern zur Hand nehmen, weil es immer
wieder Neues in ihnen zu entdecken gibt.
Was zum Beispiel haben Sie jetzt in
„Anna Karenina“ entdeckt?
Das alte Vorurteil sagt: Anna Karenina ist
eine unterdrückte Frau, die an einer in
engherzigen Wertvorstellungen befange-
nen Gesellschaft zerbricht. Aber so ein-
fach hat es sich Tolstoi nicht gemacht.
Seine Anna ist ein tief gespaltener, nar-
zisstischer Charakter. Sie ist Opfer und
Täter zugleich. Sie stürzt sich in den Tod,
weil sie nicht exakt so geliebt wird, wie sie
geliebt werden will. Interview: Uwe Wittstock
Juwel in Detroit
Vincent van Goghs
„Selbstporträt“,
1887, gehört
seit 1922 dem
Detroit Institute
Of Arts – und so
soll es bleiben
mehreren Milliarden Dollar. Die Stadt,
die im Juli Insolvenz anmelden musste,
hatte das Auktionshaus Christie’s
damit beauftragt, die Sammlung zu
bewerten und zu prüfen, wie Teile
daraus zum Schuldenabbau eingesetzt
werden könnten. jub
TIPPS DER REDAKTION
MUSIK JOHN LEGEND
„LOVE IN THE FUTURE“
Er wird der König von
Rhythm und Blues genannt.
John Legend, 34, neun-
facher Grammy-Gewinner,
schlägt den Bogen zwischen
hippem Soul-Sound und tra-
ditionellem Blues. Starpro-
duzent Kanye West gab die-
sem Easy-Listening-Album
seinen letzten Schliff.
KINO „THE LOOK OF LOVE“
Eine Zeitreise in die Swin-
ging Sixties, in eine Ära
ohne Aids, in der Sex noch
als gesellschaftliche Befrei-
ung gesehen wurde. Gerade
bei den Briten, die ja als be-
sonders verklemmt galten.
Michael Winterbottoms Film-
biografie zeichnet wehmütig-
skurril die schillernde Karrie-
re von Paul Raymond (Steve
Coogan) nach, dem „King of
Soho“, eine Art Hugh Hefner
Englands. Mit Clubs und Ma-
gazinen wurde er berühmt,
berüchtigt – und einsam.
FESTIVAL RUHRTRIENNALE
Es rumpelt und rockt im Re-
vier: Mit zeitgenössischer
Musik, Theater- und Kunst-
events lockt das Festival bis
6. Oktober ins Ruhrgebiet.
Der Kartenverkauf lief so
gut, dass es Zusatztermine
etwa für die Band Massive
Attack gibt. Die Kunst, darun-
ter ein gigantischer Regen-
turm auf Zollverein Essen, ist
ohnehin gratis anzusehen.
127
S POR T
»Ich bin kein
Roboter,
ich weine auch«
Frau Lisicki, Sie haben sich fünf Wochen
Zeit genommen, um nach dem
verlorenen Wimbledon-Finale auf die
Tennis-Tour zurückzukehren. Warum?
Ich brauchte Zeit, um nach dieser Stra-
paze durchzuatmen. Aber ich wollte
auch diese ganzen Wehwehchen, die
man so mitnimmt nach einem Grand
Slam, richtig auskurieren. Früher habe
ich diese Blessuren verschleppt, bis sie
irgendwann ernster wurden. Das hat
unnötige Verletzungszeit gekostet. Da
bin ich aus Schaden klüger geworden.
Im Zweitrunden-Match in New Haven/
Connecticut sind Sie soeben mit
einer 2-Satz-Pleite ausgeschieden.
Was erwarten Sie nach dieser verpatzten
Generalprobe von den US Open?
Ich bin nicht so vermessen und sage:
Jetzt gibt es nur noch Siege. Ich habe in
New York noch nie die zweite Turnier-
woche erreicht, hatte viel Pech dort mit
Verletzungen. Ich wäre froh und glück-
lich, wenn ich das Achtel- oder Viertel-
finale erreichen würde.
Was ist Ihnen von den rauschenden
Tagen in Wimbledon geblieben?
Tausend schöne Erinnerungen – und ein
Traum, der unerfüllt geblieben ist. Es
sind Tage, die unvergesslich bleiben.
Tage, die mich als Mensch und Sportler
verändert haben. Ich habe mir gezeigt,
was ich im Tennis wirklich erreichen
kann. Das gibt einem Selbstbewusst-
sein weit über dieses Turnier hinaus.
Gibt es noch Momente, wo Sie für sich
denken: Was wäre gewesen, wenn . . .
Nein, ich trauere dieser verpassten
Chance nicht mehr hinterher, da gibt es
keine schlaflosen Nächte. Einfach weil
128
Sie ist Deutschlands
neuer Tennisstar –
und will das nun bei den
US Open bestätigen:
Sabine Lisicki über
Fehler, Frust und Freude
nach dem Finale
von Wimbledon
ich weiß, dass ich alles, absolut alles
gegeben habe. Und deswegen blicke
ich auch mit Stolz zurück, kann Wimble-
don ohne Einschränkung genießen.
In London haben Sie recht wenig von
dem Hype in Deutschland mitbekom-
men. Das änderte sich rasch nach der
Rückkehr in die Berliner Heimat.
Oh ja. Ich wusste gar nicht, dass es so
viele Fernseh- und Radiostationen in
Berlin gibt. Das war vollkommen ver-
rückt, etwas, das ich mir so nie hätte
vorstellen können. Da habe ich wirk-
lich gestaunt und gemerkt, wie sehr
Tennis wieder im Fokus gestanden hat,
wie sehr die Leute mitgelitten und mit-
gefiebert haben. Und ich finde, Tennis
gehört absolut in die erste Reihe.
Sie sind jemand, der gern im Rampen-
licht steht, auf den großen Bühnen
spielt. Oder hat Ihnen dieser Rummel
nicht auch ein wenig Angst gemacht,
diese plötzliche Dauerbeobachtung?
Es ist eine andere Welt jetzt, das stimmt.
Und ich bin erst dabei, mich daran zu
gewöhnen. Plötzlich werde ich überall
erkannt, angesprochen, gebe Auto-
gramme. Nicht nur in Deutschland,
auch hier in Amerika vor den US Open.
Aber ich nehme diese Aufmerksamkeit
gern mit, genieße es – noch jedenfalls.
Wie hat sich Ihr Alltag konkret verändert?
Viele Menschen wollen etwas von mir.
Das ist schön, aber auch eine Heraus-
forderung. Mit diesen ganzen Terminen
muss ich schon wie ein Artist herumjon-
glieren. Ich habe jetzt viele Einladun-
gen. Ich muss lernen, nein zu sagen, und
brauche noch Zeit für Training und Ten-
nis. Das ist mein Kerngeschäft. Das darf
ich nicht vernachlässigen. Der Centre
Court ist wichtiger als der rote Teppich.
In Deutschland gelten Sie nun als
neues Aushängeschild des Tennis,
als Frontfrau der ganzen Branche?
Stimmt. Das ist aber keine Last für
mich, sondern Motivation. Wenn du
spürst, dass eine ganze Nation hinter
dir steht, ist das nur großartig. Das gibt
wirklich Kraft und Energie.
Für viele Gegnerinnen sind Siege gegen
Sabine Lisicki seit dem Endspieleinzug
in Wimbledon noch süßer geworden.
Spüren Sie den Atem der Jägerinnen?
Das Tennisgeschäft ist heute so inten-
siv, dass du sowieso in jedem Match
unheimlich aufpassen musst. Jeder
kann jeden an einem guten Tag schla-
gen, deshalb gehst du immer mit tota-
ler Wachsamkeit auf den Centre Court,
weil du weißt: Geschenkt kriegst du
sowieso nichts. Auch in Wimbledon hat-
Foto: Laci Perenyi/dpa
te ich vom ersten Tag an harte Brocken
aus dem Weg zu räumen.
Wenn Sie heute fachlich-sachlich auf das
Endspiel und die unmittelbare Vorbereitung
zurückblicken – was lief da falsch?
FOCUS 35/2013
 AG-
SCHL TIG
KRÄF KI, 23
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129
S POR T
Wenn du merkst, dass der Akku leer
ist, bist du enttäuscht. Wenn du ent-
täuscht bist, wirst du traurig. Und wenn
du traurig und enttäuscht bist, fehlt dir
die innere Ruhe, um so ein Finale zu
gewinnen. So einfach ist das leider.
Haben Sie sich das bislang
wichtigste Spiel Ihrer Karriere noch
mal auf Video angeschaut?
Nein, das habe ich noch nicht übers
Herz gebracht. Diese Nie-
derlage tut mir noch zu weh.
Ich will das nicht noch mal
sehen – jedenfalls bislang.
Da wundert es umso mehr,
dass Sie auch noch lächeln
konnten, als Ihnen dieses
Match aus den Händen glitt.
Das war ein ironisches
Lächeln, weil ich so man-
chen Fehler gemacht habe,
der mir sonst nie passiert.
Ich bin halt ein sehr emo-
tionaler Mensch, eine Ten-
nisspielerin mit großer Lei-
denschaft. Ich lache viel,
ich weine mal. Das kann ich
nicht steuern. Aber ich glau-
be, dafür mögen mich die Leute. Ich
bin kein Roboter auf dem Court. Im
Sport geht es immer um Emotionen.
Roger Federer hat kürzlich behauptet,
Sie müssten noch zu Ihrer richtigen
Balance finden, seien vielleicht in einigen
Matches zu emotional. Hat er Recht?
Ich habe Niederlagen oft zu sehr an
mich rangelassen und sie schwer ver-
arbeiten können. Das ist aber schon
sehr viel besser geworden. Wimble-
don ist für mich ja auch kein Schei-
tern, sondern am Ende des Tages ein
großer Gewinn. Wichtig ist, da hat
Federer Recht, die richtige Balance
zu finden: Wenn du dich nicht mehr
ärgerst über Niederlagen, bist du tot
als Profi. Nur wenn du das ewig mit dir
rumschleppst, kommst du auch nicht
weiter. Ein Stück Gelassenheit mehr,
das brauche ich sicher noch.
Ihre französische Bezwingerin Marion
Bartoli hat vor zwei Wochen Knall auf Fall
ihren Rücktritt erklärt – mit den Worten:
„Mein Körper kann nicht mehr.“
Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?
Ich verstehe das gut. Sie hatte diesen
großen Traum, den sie sich erfüllt hat –
und dann kommt die Frage: Was mache
ich jetzt? Vor allem wenn du all diese
130
Voll vor der Linse
Beim Finalsieg in Texas macht Lisickis
Mutter Elisabeth 2011 ein Erinnerungsfoto
(oben). Nach Wimbledon ist der Hype um
Tochter Sabine im Juli bei der Ankunft am
Berliner Flughafen Tegel deutlich größer
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über
Verletzungen an den Knöcheln, den
Knien und sonstwo hattest, wenn du
dich, wie Marion, durch so viel durch-
boxen musstest.
Ist Wimbledon noch immer das Grand-
Slam-Turnier, das Sie mit heißestem
Herzen gewinnen wollen?
Ich will unbedingt einen Grand-Slam-
Titel gewinnen, wo auch immer. Aber
Wimbledon hat einen besonderen Platz
in meinem Herzen. Es ist das schönste
Turnier der Welt, und es wäre der
schönste Titel, den ich gewinnen kann.
Eine Diskussion nach Wimbledon drehte
sich auch um den Turnierstandort
Deutschland. Zurzeit gibt es nur zwei
WTA-Wettbewerbe in Stuttgart und
Nürnberg, eigentlich zu wenige für die
vielen guten deutschen Spielerinnen,
die weltweit für Furore sorgen.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als
dass in Berlin wieder großes Tennis zu
sehen ist. Die Hauptstadt verdient das.
Es ist zu schade, dass das schöne Steffi-
Graf-Stadion im Grunewald leer steht.
Müsste der Deutsche Tennis Bund sich
nicht energischer um weitere Wettbe-
werbe bemühen, die Chance nutzen, die
es jetzt mit dem Fräuleinwunder gibt?
Wer das Berliner Turnier ausrichtet, ist
mir egal. Hauptsache, Berlin wird bald
wieder ein Standort im Damentennis.
Trotz aller Erfolge der deutschen Tennis-
Fräuleins kam die Fed-Cup-Mannschaft
noch nicht in Schwung, kämpfte
sich erst in diesem Jahr in die Cham-
pions League zurück. Erleben wir im
nächsten Jahr nach langer Durststrecke
den großen Angriff auf den Pott?
Wir spielen auf Attacke. Wir haben alle
in den letzten Jahren wichtige, manch-
mal bittere Erfahrungen gesammelt,
haben erlebt, welcher Druck als Num-
mer-1-Spielerin da ist – das werden wir
jetzt gemeinsam nutzen.
In den letzten Jahren gab es eigentlich
nur einmal einen richtigen Boss im
Damen-Team – und diese Anführerrolle
hatte Andrea Petkovic. Müssen und
wollen Sie da jetzt vorangehen?
Wir sind so ausgeglichen stark, jede
von uns kann die nötigen Punkte holen.
Fotos: Max Faulkner/For t Wor th Star-Telegram/MCT via Getty Images, Maurizio Gambarini,
Eine Hackordnung gibt es da nicht.
Und eine Rangordnung? Jüngst wurden Sie
beim „Sport Bild Award“ zum „Star des
Jahres“ gewählt. Rechnen Sie sich Chancen
aus, als erste Tennisspielerin seit Steffi
Graf „Sportlerin des Jahres“ zu werden?
Uiihh, die erste seit Steffi? Das wäre
supercool und unglaublich für mich.
Frederic Scheidemann/beide dpa, Schüler/IMAGO
Und eine Bestätigung für dieses Come-
back, das ich geschafft habe nach die-
sem andauernden Verletzungspech
und dem Absturz in der Weltrangliste.
Es ist nicht lange her, dass ich jenseits
der Top 200 war, nun aber stand ich
im Wimbledon-Finale, bin wieder unter
den besten 20. Vielleicht muss ich noch
ein bisschen was drauflegen bei den
US Open, die Konkurrenz ist ja riesen-
groß. Die Trophäe bekäme jedenfalls
einen Ehrenplatz bei mir. ■
INTERVIEW: JÖRG ALLMEROTH
FOCUS 35/2013

Miese Kinderstube Nando Rafael (l.) und Adam Bodzek vergessen während eines Trainings der
Fortuna Düsseldorf sämtliche Anstandsregeln. Kollege Tobias Levels (r.) versucht zu schlichten
Pinkeln ab zehn Euro
Zwei Bundesliga-Clubs führen Urinier-Verbot unter der Dusche ein:
Die Strafenkataloge werden immer absurder. Haben Profis kein Benehmen?
F ußballprofis fehlen die Manieren.
Anders ist kaum zu erklären, dass
Borussia Mönchengladbach im Stra-
fenkatalog ein Urinier-Verbot anführt.
Entleert der Borusse die Blase unter der
Dusche, zahlt er 20 Euro. Sogar 50 Euro
kostet diese Untat die Kollegen beim FC
Augsburg. Dort muss das Pipi-Thema ein
echtes Problem sein: Beim Wasserlassen
am Rande des Trainingsplatzes werden
weitere zehn Euro fällig. Mehr Disziplin
durch geldwerte Pinkel-Verbote?
Zum Saisonstart basteln die Trainer der
Bundesliga fleißig an ihren Strafkatalo-
gen. Teuer wird es bei Handy-Klingeln
in der Kabine, Verspätungen und unnö-
tigen roten Karten. 5000 Euro kostet die
Dortmunder unentschuldigtes Fehlen im
Training. Die Erzrivalen auf Schalke sol-
len sogar blechen, wenn der Ball nach
Freistößen des Gegners im eigenen Tor
landet. Das zwinge die Akteure, „sich
bei ruhenden Bällen zu konzentrieren“,
erklärt Schalke-Manager Horst Heldt.
Rechtsgültig sind die Strafen nicht.
„Eine Vertragsstrafenklausel ist in jedem
Spielervertrag vorhanden. Allerdings ist
die viel zu allgemein und daher unwirk-
sam“, sagt Frank Rybak, Jurist der Spieler-
gewerkschaft. Falls ein Spieler nicht zah-
len will, verstehen die Vereine dennoch
selten Spaß. „Die Spieler müssen Repres-
salien befürchten“, meint Rybak, „und
scheuen zudem die öffentliche Ausein-
andersetzung.“ Ihnen drohen weniger
Einsatzzeiten oder sogar der Rauswurf.
Um gerichtlichen Streit zwischen Club
und Spielern zu vermeiden, empfiehlt
FOCUS 35/2013
Frank Wormuth, Leiter der Traineraus-
bildung beim Deutschen Fußball-Bund
(DFB), einen „Spendenkatalog“ für die
Teamkasse. Das Bußgeld für Fehlverhal-
ten solle dann dem ganzen Team zugute-
kommen – etwa bei gemeinsamen Essen.
Im deutschen Fußball existiert kaum
noch ein Bereich, der nicht reglementiert
wird. Die Spieler müssen ihren Müll aus
der Kabine wegräumen, Vereinsmitarbei-
ter mit Respekt behandeln und sämtli-
che Privatausflüge beim Club anmelden.
Eigentlich Selbstverständlichkeiten. Doch
selbst die Führungsspieler der DFB-Elf
haben solche Gängeleien mitunter nötig.
50 000 Euro musste Philipp Lahm hin-
blättern, weil er im Interview gegen
seine Vereinsbosse stänkerte. Bastian
Schweinsteiger wurde für ein nächtliches
Abenteuer im vereinseigenen Whirlpool
mit einer angeblichen Cousine zur Kas-
se gebeten (15 000 Euro). Mario Götze,
als er auf seiner ersten Pressekonferenz
beim Adidas-Club Bayern München ein
Nike-Shirt trug (angeblich 10 000 Euro).
„Moderne Athleten wollen als mündi-
ge Menschen behandelt werden“, kriti-
siert der Münchner Sportpsychologe Jür-
gen Beckmann solche Strafaktionen der
Clubführung. „Fremdkontrolle ist unpas-
send, reduziert Motivation und Eigenini-
tiative.“ Denn Strafen unterdrückten die
Handlungstendenzen nur, weshalb das
Lernen durch Einsicht zweckmäßiger sei.
„Wer dazu nicht bereit ist, passt ohnehin
in keine Mannschaft.“ ■ ein paar schlechte.“
RAPHAEL WEISS / AXEL WOLFSGRUBER
FINALE
Handball-Revolution
Die deutsche Handball-Liga steht
vor einer kleinen Revolution. Ab
kommender Saison soll der Meis-
ter in einer attraktiven Finalrunde,
ähnlich den Play-offs im Basketball
und Eishockey, ausgespielt wer-
den. Die Entscheidung soll im
September gemeinsam mit den
Vereinen fallen. Klare Position
bezieht Liga-Geschäftsführer
Frank Bohmann gegenüber FOCUS:
„Wir sollten das auf jeden Fall
machen.“ Durch die Maßnahme
verspricht sich die Liga neue
Impulse und größeren Anreiz für
Sponsoren. Hintergrund für den
angestrebten neuen Spielmodus
ist das schwindende Zuschauer-
interesse und die damit verbunde-
nen rückläufigen Sendezeiten im
deutschen TV. In nur drei Jahren
büßte der Handball jede dritte
Minute an Sendezeit ein. raw
Gelungene Profi-Premiere in der
US-Football-Liga: Björn Werner
Deutscher NFL-Traum
Der Berliner Björn Werner ist
erfolgreich in seine Profikarriere in
der National Football League (NFL)
gestartet. „Er war an 30 Spielzü-
gen beteiligt“, lobte Trainer Chuck
Pagano das Debüt des 22-Jährigen
für die Indianapolis Colts. „Er hat
einen guten Job gemacht.“ Der
„Indianapolis Star“ schrieb: „Wer-
ner beeindruckt in seinem ersten
Spiel.“ Verteidiger Werner, der
aktuell der dritte Deutsche in der
NFL ist, erklärte: „Davon habe ich
mein Leben lang geträumt“ – fügte
jedoch uneitel an: „Ich habe viele
gute Sachen gemacht, aber auch
sur/awo
131
 DREIZEHN FRAGEN

Kein Gejaule Seinen Hund benannte er nach

dem Dirigenten Leonard Bernstein. 26 Jahre jung
war Luca Pisaroni, 38, als er sein Debüt bei den
Salzburger Festspielen gab. Seitdem wird der in
Venezuela geborene Sänger von Kritikern gefeiert.
Seit seiner musikalischen Ausbildung in Mailand,
Buenos Aires und New York ist der Schwiegersohn
des Baritons Thomas Hampson an führenden
Opernhäusern zu sehen. Derzeit singt er in „Così
fan tutte“ in Salzburg.

1 Was gefällt Ihnen an sich besonders?

Ich finde die billigsten und besten Flüge –
besser als jedes Reisebüro.

2 Schenken Sie uns eine Lebensweisheit.

Home is where the heart is.

3 Welchen Satz hassen Sie am meisten?

„Ich dachte, alle Opernsänger sind dick.“

4 Worüber können Sie lachen?

Über die wortlosen Dialoge meiner Hunde.

5 Als Kind wollten Sie sein wie . . . ?

Luciano Pavarotti.

6 Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz?

Dass ich als Italiener Bach-Kantaten mit Nikolaus
Harnoncourt im Musikverein Wien gesungen habe.

7 Was ist für Sie eine Versuchung?

Foto: Vukovits Mar tin/dpa

Ein riesiger Topf Pasta. Dem kann ich nie widerstehen.

8 Welches politische Projekt würden Sie

beschleunigt wissen wollen?
Die Demokratisierung in der Türkei.

9 Hier können Sie drei Bücher loben.

„Der Sing-Ratgeber“ (James Anderson); „Weit
vom Stamm: Wenn Kinder ganz anders als ihre
LUCA PISARONI Eltern sind“ (Andrew Solomon); „Feeling Good:
Tenor Depressionen überwinden“ (David D. Burns).

10 Mit wem würden Sie gern tauschen?

Mit jemandem, der keine Flugangst hat.

»Übergroßes 11 Was sagt man Ihnen nach?

Dass ich viele Listen mache.

Ego? Sicher ein 12 Wer sollte Sie spielen, wenn Ihr Leben verfilmt wird?
Gabriel Macht aus der US-Anwaltsserie „Suits“ –
der ist cool.

Tenor!« 13 Warum heißen Ihre Hunde, die Sie immer

und überall dabeihaben, eigentlich ausgerechnet
Lenny und Tristan?
Lenny ist nach Leonard Bernstein benannt,
und Tristan ist ein Zwergdackel mit einem über-
großen Ego – also sicher ein Tenor.

132 FOCUS 35/2013

Nie war Wirtschaft
so mitreisend.
r
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