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Mathematik für Ingenieure

Ziya Şanal

Mathematik für Ingenieure


Grundlagen – Anwendungen in Maple

3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage


Ziya ùanal
Türkisch-Deutsche Universität
Istanbul, Türkei
E-Mail: prof.sanal@hotmail.com

ISBN 978-3-658-10641-6 ISBN 978-3-658-10642-3 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-658-10642-3

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Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms

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Vorwort
Auch in der vorliegenden dritten Auflage ist der bisherige Leitgedanke dieses Lehrbuches bei-
behalten worden. Nach wie vor steht im Vordergrund die Zielsetzung, den Stoff auf möglichst
anschauliche und verständliche Weise zu vermitteln und -wo es nur geht- auf Beweisführung zu
verzichten – es sei denn, der Beweis besitzt einen hohen didaktischen Nutzen für die Studieren-
den. Es wird dabei in Kauf genommen, dass gelegentlich die mathematische Strenge etwas in den
Hintergrund tritt - zugunsten einer möglichst knappen und dennoch verständlichen Darstellung.
Die Reihenfolge der behandelten Themen ist so aufgebaut, dass jedes Kapitel -im Rahmen
des Möglichen- das nötige Rüstzeug für das nächste darauffolgende Kapitel bereit stellt. Insofern
kann von einem gut sichtbaren roten Faden gesprochen werden.
Die Zielgruppe der Leser sind nach wie vor Studierende in Bachelor- und Master-Programmen
der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge. Aber auch berufstätige Ingenieure und sonstige
an Mathematik aus dem Blickwinkel des Ingenieurs interessierten Leser sollten mit dem Buch
sehr gut zurecht kommen können.
Wie in früheren Auflagen wurde auch in der vorliegenden Ausgabe besonderer Wert darauf ge-
legt, den Einsatz mathematischer Gesetzmäßigkeiten in der Lösung von technischen Problemen
im Bauingenieur-, Maschinen- und Wirtschaftsingenieurwesen, sowie in der Mechatronik, der
Kraftfahrzeugtechnik und -in geringerem Umfang- der Elektrotechnik sichtbar zu machen. Daher
wurde angestrebt, für den Leser nachvollziehbar darzustellen, dass Mathematik keine abstrakte
Wissenschaft ist, die sich selbst zum Selbstzweck deklariert, sondern dass wir mit Mathematik
ein äußerst effektives und praktisches Werkzeug zur Hand haben, mit dem ingenieurtechnische
Aufgabenstellungen korrekt beantwortet werden können.
Diese Auflage zeichnet sich gegenüber der zweiten Auflage durch drei Aspekte aus: Erstens
wurde der Stoff vollständig überarbeitet mit dem Ziel, die didaktische und mathematische Güte
zu verbessern. Zweitens wurden neuer Stoff und zusätzliche Beispiele/Aufgaben aufgenommen.
Und schließlich wurden entdeckte Fehler berichtigt.
Mit seinen behandelten Themen sollte dieses Buch die Mathematik-Ausbildung in Ingenieur-
studiengängen der Hochschulen weitgehend abdecken – trotzdem wird sicherlich in einigen The-
menbereichen eine noch weitergehende Tiefe erwünscht sein. Für Anregungen seitens Studieren-
der und Kollegen fühlt sich der Autor zu Dank verpflichtet.

Istanbul, Ziya Şanal


Mai 2015
Inhaltsverzeichnis

1 Grundwissen 1
1.1 Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Summation, Produkt und Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Weiteres Grundwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.5 Winkelmaße: Grad und Radiant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.6 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Elementare Funktionen 23
2.1 Polynomfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.3 Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.4 Logarithmus-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.6 Stetigkeit und Glattheit von Funtionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.7 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
2.8 Arkusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.9 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.10 Explizite und implizite Darstellung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2.11 Funktionen in Parameterdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.12 Kegelschnitt-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.13 Weitere Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.14 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.15 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3 Differentialrechnung 57
3.1 Differenzenquotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3.2 Differentialquotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.3 Definition der Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
3.4 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.6 Ableitung von Parameterfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.7 Ableitung impliziter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.8 Linearisierung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.9 Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.10 Alternative Formeln für die zweite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3.12 Krümmungsradius einer Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
VIII Inhaltsverzeichnis

3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83


3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.16 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
3.17 Technische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3.18 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme 129


4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
4.2 Definitionen für Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.3 Transposition von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4.5 Multiplikation von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.6 Lineare Gleichungssyteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.7 Lineare Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
4.8 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
4.9 Invertierung von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
4.10 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
4.11 Technische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4.12 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

5 Vektorrechnung 197
5.1 Definitionen für Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
5.3 Linearkombination von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
5.4 Vektordarstellung mit Basisvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
5.5 Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
5.6 Kreuzprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
5.8 Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
5.11 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
5.12 Technische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
5.13 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

6 Analytische Geometrie 267


6.1 Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
6.3 Abstand zwischen zwei Punkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
6.4 Geraden in der xy-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
6.5 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
6.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

7 Integralrechnung 301
Inhaltsverzeichnis IX

7.1 Unbestimmtes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302


7.2 Bestimmtes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
7.3 Numerische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
7.5 Technische Anwendungen der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
7.6 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
7.7 Technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
7.8 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

8 Stochastik 373
8.1 Deskriptive Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
8.2 Elementare Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
8.3 Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
8.4 Verteilungsfunktion F(x) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
8.5 Dichtefunktion f (x) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
8.6 Maßzahlen einer stetig verteilten Zufallsvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
8.7 Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
8.8 Weitere Verteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
8.9 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.10 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

9 Gewöhnliche Differentialgleichungen 413


9.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.2 Definitionen für gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 417
9.3 Lösung einer Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
9.4 Allgemeine, spezielle und partikuläre Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.5 Lösungsstrategie für ein physikalisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
9.6 Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.7 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
9.8 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
9.9 Zusätzliche Beispiele für lineare DGLn 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
9.10 Anwendungsbeispiele aus der Strukturdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
9.11 Weitere technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
9.12 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

10 Fourier-Reihen 505
10.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
10.2 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507
10.3 Fourier-Reihen gerader und ungerader Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
10.4 Fourier-Reihe einer bereichsweise definierten Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 520
10.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

11 Differentialrechnung für multivariable Funktionen 527


11.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
11.2 Partielle Ableitung einer Funktion von zwei Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . 530
X Inhaltsverzeichnis

11.3 Partielle Ableitung einer Funktion von n unabhängigen Variablen . . . . . . . . . 536


11.4 Das totale Differential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
11.5 Implizite Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
11.6 Skalarfelder und Skalarfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
11.7 Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
11.8 Richtungsableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
11.9 Niveaulinien und Niveauflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
11.10Extremwerte von Funktionen mehrerer Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
11.11Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
11.12Technische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
11.13Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

12 Partielle Differentialgleichungen 603


12.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
12.2 Biegeschwingungen eines Balkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
12.3 Axialschwingungen eines Stabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
12.4 Schwingungen eines vorgespannten Seils oder einer Saite . . . . . . . . . . . . . . 618
12.5 Plattenbiegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
12.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624

13 Eigenwertaufgaben 627
13.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
13.2 Spezielle und allgemeine Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628
13.3 Lösung der speziellen Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
13.4 Lösung der allgemeinen Eigenwertaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
13.5 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
13.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
13.7 Kenngrößen einer Matrix und Eigenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
13.8 Numerische Methoden für Eigenwertaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
13.9 Mises-Iterationsverfahren (Power-Methode) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
13.10 Inverse Iteration (Modifiziertes Mises-Iterationsverfahren) . . . . . . . . . . . . . 654
13.11 Inverse Iteration bei Schwingungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
13.12 Inverse Iteration bei Stabilitätsaufgaben der Strukturmechanik . . . . . . . . . . . 665
13.13Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
13.14 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671

14 Lösung von nichtlinearen Gleichungen 675


14.1 Regula Falsi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
14.2 Fixpunkt-Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
14.3 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683
14.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

15 Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme 687


15.1 LU-Faktorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
15.2 Cholesky-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
Inhaltsverzeichnis XI

15.3 Gauss-Seidel-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695


15.4 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
15.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700

16 Numerische Lösung von Differentialgleichungen 701


16.1 Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
16.2 Zusätzliche Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
16.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709

17 Komplexe Zahlen 711


17.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711
17.2 Algebraische Operationen mit komplexen Zahlen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715
17.3 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717

18 Mathematik mit Maple 719


18.1 Einführung in Maple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
18.2 Elementar-Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727
18.3 Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
18.4 Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
18.5 Vektorrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737
18.6 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739
18.7 Gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
18.8 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743
18.9 Differentialrechnung für multivariable Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
18.10 Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
18.11 Eigenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
18.12 Nichtlineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
18.13 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757
18.14 Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759

19 Mathematik mit C++ 761


19.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
19.2 Der C++ Compiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
19.3 Ableitung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
19.4 Newton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
19.5 Lineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
19.6 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
19.7 Finite-Elemente-Methode - FEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766

Anhang 771
A Ausgewählte Formeln und Beziehungen 773
A.1 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
A.2 Arkusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
XII Inhaltsverzeichnis

A.3 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775


A.4 Ableitungen elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776
A.5 Unbestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
A.6 Einige bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
A.7 Verschiedene Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787
A.8 Verteilungsfunktion der Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
A.9 Verschiedene Konstanten und Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793

Literaturverzeichnis 795

Stichwortverzeichnis 797
1 Grundwissen

In diesem Kapitel werden einige elementare Beziehungen und Themen der Mathematik, die in
der Ingenieurpraxis häufig benötigt werden, vorgestellt. Es soll in erster Linie der Auffrischung
der schulischen Mathematikkenntnisse dienen.

1.1 Potenzen und Wurzeln

Potenzen
Die n-te Potenz einer reellen Zahl x ist für eine natürliche Zahl n wie folgt definiert (natürliche
Potenz).

xn = x · x ·
x · · · x für n = 1,2,3, · · · x : Basis n : Exponent (Potenz)
n-mal x

1,23 = 1,2 · 1,2 · 1,2 ·


Für zwei positive reelle Zahlen x und y sowie zwei beliebige reelle Zahlen a und b gelten die
Potenzregeln der Tabelle 1.1 auf Seite 2.
Wurzeln

Das Symbol a x wird als die a-te Wurzel der Zahl x bezeichnet (a eine beliebige reelle Zahl
und x eine beliebige positive reelle Zahl) und ist gleich der Zahl y, deren a-te Potenz gleich x
ist1 .

a
x=y ⇔ ya = x (1.1)
√ √
Für die Quadratwurzel 2 x wird in der Regel die vereinfachte Schreibweise x verwendet.
Potenz- und Wurzelausdrücke lassen sich jeweils in die andere umwandeln, z.B.:
√ √ √ √
−a
x = x−1/a xb = x−b/a
a −a
a
x = x1/a xb = xb/a

Spezialfall für Wurzeln √


Unter der Voraussetzung, dass |x|  1 ist, kann für den Ausdruck n 1 + x folgende Näherungs-
formel verwendet werden (s. auch Aufgabe 27 auf Seite 126).
√ x
n
1+x ≈ 1+ für |x|  1 (1.2)
n


1 Für eine ungerade natürliche Zahl a, z.B. 3, darf x auch negativ sein, z.B. 3
(−27) = −3.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_1,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
2 1 Grundwissen

Tabelle 1.1: Potenzregeln

Regel Beispiel

0x = 0 für x > 0 02,5 = 0

x0 = 1 2,80 = 1
00 = 1 (s. Fußnote 2 auf Seite 2)

1x = 1 12,5 = 1

x1 = x 2,81 = 2,8
1 1
x−1 = 2,8−1 =
x 2,8
1 1
x−y = 2,8−2,5 =
xy 2,82,5
1 1
xy = 2,82,5 =
x−y 2,8−2,5
xa xb = xa+b 2,82,5 · 2,81,2 = 2,83,7
xa 2,82,5
= xa−b = 2,8(2,5−1,2) = 2,81,3
xb 2,81,2
(xa )b = (xb )a = xab (2,82,5 )1,2 = (2,81,2 )2,5 = 2,83

(xy)a = xa ya (2,8 · 1,6)2,5 = 2,82,5 · 1,62,5


 a  
x xa 2,8 2,5 2,82,5
= =
y ya 1,6 1,62,5

Beispiel 1.1:
Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners folgende Ausdrücke.
√ ?
a) 2,5 16 = 161/2,5 √
Taschenrechner : 2,5 16 = 3,03143 161/2,5 = 160,4 = 3,03143 
√5 ?
b) 202 = 202/5 √ √
5
Taschenrechner : 202 = 5 400 = 3,31445 202/5 = 200,4 = 3,31445 

−8 2 ?
c) 6 = 6−2/8 √ √
−8 2
Taschenrechner : 6 = −8 36 = 0,63894 6−2/8 = 6−0,25 = 0,63894 

√ ? ? 1 ? 1 ? 3 1 ? √
d) −3 8 = 8−1/3 = 1/3 = √ = 8−1
3
3
=
8 8 8

2 Die Regel 00 = 1 der Tabelle 1.1 ist in der Literatur nicht einheitlich. Während viele Mathematiker 00 als undefi-
niert stehen lassen (womit man in der Ingenieurpraxis leider nicht viel anfangen kann), definieren wiederum andere
Spezialisten, wie z.B. die Verfasser des Computer-Algebra-Systems MAPLE, 00 = 1. Im diesem Buch wurde aus
pragmatischen Erwägungen die zweite Option gewählt.
1.2 Summation, Produkt und Fakultät 3

√ 1 1 1
−3
8 = 0,5 8−1/3 = 8−0,3333 = 0,5 1/3
= 0,3333 = = 0,5
8 8 2
1 1 3 1 √ √
√ 8−1 = 0,5 
3
3
= = 0,5 = 3 0,125 = 0,5
8 2 8

Aufgabe. Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Zahlenbeispiele in Tabelle 1.1.

Beispiel 1.2:
Die Formel (1.2) wird mittels verschiedener Zahlenwerte überprüft.
√ 0.1
a) x = 0,1 : 2
1 + 0.1 = 1.0488 1+ = 1,5 1.0488 ≈ 1,5
2
√ 0.1
b) x = 0,1 : 3
1 + 0.1 = 1.0323 1+ = 1,0333 1.0323 ≈ 1,0333
3
√ 0.01
c) x = 0,01 : 2 1 + 0.01 = 1.00499 1+ = 1,005 1.00499 ≈ 1,005
2
√ 0.1
d) x = −0,1 : 2 1 − 0.1 = 0.9487 1− = 0.95 0.9487 ≈ 0,95
2

1.2 Summation, Produkt und Fakultät


In vielen technischen Anwendungen und der Statistik werden eine beliebige Anzahl von Größen
bzw. Variablen addiert oder multipliziert. Als kompakte Schreibweise für solche Operationen
werden das Summensymbol und das Produktsymbol verwendet.

1.2.1 Summation
Für die aus den reellen Zahlen x1 , x2 , x3 , · · · gebildete Summe x1 + x2 + x3 + · · · kann man
beispielsweise auch schreiben:

∑ xi = x1 + x2 + x3 + · · ·
i=1

Das Summensymbol ∑ ist also eine Abkürzung für die Addition der Summenglieder. Falls die
Summation nur eine begrenzte Anzahl von Gliedern enthält, wird das durch die Angabe einer
Obergrenze zum Ausdruck gebracht:

n
∑ xi = x1 + x2 + x3 + · · · + xn−1 + xn (1.3)
i=1

Die Summationsuntergrenze kann natürlich auch bei einer beliebigen Zahl m beginnen:
n
∑ xi = xm + xm+1 + xm+2 + · · · + xn−1 + xn
i=m
4 1 Grundwissen

Die Summenglieder müssen nicht zwingend Zahlen sein, sie können z.B. auch Funktionen sein:
n
∑ cos iπ = cos π + cos 2π + cos 3π + · · · + cos nπ
i=1

Beispiel 1.3:
4
a) ∑ xi =? mit x1 = 7, x2 = −3, x3 = −2, x4 = 6
i=1
4
∑ xi = 7 + (−3) + (−2) + 6 = 8
i=1
3
b) ∑ sin iπ = sin 0 + sin π + sin 2π + sin 3π = 0 + 0 + 0 + 0 = 0
i=0
4 iπ π 3π
c) ∑ cos = cos 0 + cos + cos π + cos + cos 2π = 1 + 0 + (−1) + 0 + 1 = 1
i=0 2 2 2
6
d) ∑ xi = x3 + x4 + x5 + x6
i=3
5
e) ∑ i = 0 + 1 + 2 + 3 + 4 + 5 = 15
i=0
3
f) ∑ i2 = 12 + 22 + 32 = 1 + 4 + 9 = 14
i=1
3
g) ∑ (i2 − 1) = (12 − 1) + (22 − 1) + (32 − 1) = 0 + 3 + 8 = 11
i=1

Geometrische Summe
In der Finanzmathematik wird oft folgende Summe benötigt:
n
∑ xi = 1 + x + x2 + x3 + · · · + xn
i=0

Die Berechnung dieser Summe kann auch in geschlossener Form erfolgen:


⎧ n+1
⎨x −1
n
falls x = 1
∑ x i
= 1 + x + x 2
+ x 3
+ · · · + x n
=

x − 1 (1.4)
i=0 n+1 falls x = 1

Regeln für die Summation


1. Additionsregel.
n n n
∑ xi + ∑ yi = ∑ (xi + yi ) (1.5)
i=m i=m i=m
1.2 Summation, Produkt und Fakultät 5

2. Das Symbol für den Summationsindex darf beliebig gewählt werden.


n n n
∑ xi = ∑ x j = ∑ xk (1.6)
i=1 j=1 k=1

3. Der Summationsindex darf um einen beliebigen Betrag k verschoben werden.


n n+k n n+k
∑ xi = ∑ xi−k und ∑ xi = ∑ xi−k (1.7)
i=1 i=k+1 i=0 i=k

Beispiel 1.4:
Die Regel (1.7) soll für n = 3 und k = 4 überprüft werden.
3 3+4
∑ xi = ∑
?
xi−4
i=1 i=4+1
3 3+4 7
∑ xi = x1 + x2 + x3 ∑ xi−4 = ∑ xi−4 = x5−4 + x6−4 + x7−4 = x1 + x2 + x3 
i=1 i=4+1 i=5

1.2.2 Produkt und Fakultät

Mit dem Produktsymbol ∏ wird die Multiplikation einer beliebigen Anzahl von Termen in eine
mathematische Kurzform gebracht.

n n
∏ x = x · x· · · x = xn ∏ xi = x1 · x2 · · · xn (1.8)
i=1 n-mal i=1

Beispiel 1.5:
5 5
a) ∏ i = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120 b) ∏ i2 = 02 · 12 · 22 · 32 · 42 · 52 = 0
i=1 i=0

Fakultät
Die Fakultät n! (gesprochen als »n-Fakultät«) einer natürlichen Zahl n ist wie folgt definiert:

n
n! = ∏ i = 1 · 2 · 3 · · · n Spezialfall: 0! = 1 (1.9)
i=1

Beispiel 1.6:
1! = 1 2! = 1 · 2 = 2 3! = 1 · 2 · 3 = 6 5! = 120 12! = 479001600
6 1 Grundwissen

1.3 Logarithmus

In heutiger Ingenieurwissenschaft spielt der Logarithmus (und sein Gegenpart, die e-Funktion)
eine sehr bedeutende Rolle3 .
Als Ausgangspunkt für den Logarithmus betrachten wir zunächst die Beziehung

ax = b a und b : positive reelle Zahlen, x : beliebige reelle Zahl,

wobei a und b vorgegeben und x hingegen unbekannt sind. Die Lösung x dieser Gleichung
wird als Logarithmus von b zur Basis a bezeichnet:

x = loga b

Beispiel 1.7:
c) 10x = 100 ⇒ x = log10 100 d) 20x = 100 ⇒ x = log20 100

Arten des Logarithmus


Für die Basis a = 10 wird vom dekadischen Logarithmus und für die Basis a = 2,71828 . . .
(s. Seite 793) vom natürlichen Logarithmus gesprochen. In der Tabelle 1.2 sind die wichtigsten
Logarithmenregeln zusammengestellt (s. auch Beispiel 1.24 auf Seite 17).
Eine negative reelle Zahl hat keinen reellen Logarithmus, z.B. für log (−1) existiert kein
reelles Ergebnis (der Taschenrechner würde eine Fehlermeldung liefern).

Dekadischer Logarithmus lg

Beim dekadischen Logarithmus (auch Brigg-Logarithmus genannt) wird für die Basis a = 10
gewählt. Anstelle von log10 schreibt man meistens abkürzend auch »lg«.

10x = b ⇔ x = lg b (lg b ≡ log10 b) (1.10)

Beispiel 1.8:
10x = 1 x =? Lsg: x = lg 1 = 0
10x = 10 x =? Lsg: x = lg 10 = 1
10x = 100 x =? Lsg: x = lg 100 = 2
10x = 1000 x =? Lsg: x = lg 1000 = 3
10x = 24,5 x =? Lsg: x = lg 24,5 = 1,389
10x = 0,1 x =? Lsg: x = lg 0,1 = −1
10x = 0,01 x =? Lsg: x = lg 0,01 = −2
10x = 0,001 x =? Lsg: x = lg 0,001 = −3

3 In seiner geschichtlichen Entwicklung entstand das logarithmische Rechnen aus dem Bedürfnis, arithmetische
Rechenoperationen zu vereinfachen. Nach frühzeitlichen Vorleistungen indischer Mathematiker hatten insbesondere
die arabischen Mathematiker im Mittelalter ganze Tabellenwerke für Logarithmen entwickelt.
1.3 Logarithmus 7

Tabelle 1.2: Logarithmus-Regeln für beliebige Basis a

Regel Beispiel
1. loga 1 = 0 log10 1 = lg 1 = 0
2. loga a = 1 log10 10 = lg 10 = 1
3. loga ax = x lg 102,5 = 2,5
4. loga acx = cx lg 103x = 3x
5. loga a f (x) = f (x) lg 10sin 2x = sin 2x
6. loga xy = loga x + loga y lg(3 · 4) = lg 3 + lg 4
7. loga (x1 x2 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + · · · + loga xn lg(3 · 4 · 5) = lg 3 + lg 4 + lg 5
x 5
8. loga = loga x − loga y lg = lg 5 − lg 2
y 2
ln x ln 5
9. loga x = log10 5 = lg 5 =
ln a ln 10
10. aloga x = x 10lg x = x bzw. eln x = x
11. ac loga x = xc 103 lg x = x3 bzw. e3 ln x = x3
12. aloga f (x) = f (x) eln sin 3x = sin 3x
13. xy = ay loga x xy = ey ln x bzw. 23 = e3 ln 2

14. loga xy = y loga x lg x3 = 3 lg x


15. loga ( f (x)g(x) ) = g(x) loga f (x) lg (x2 + 1)x = x lg (x2 + 1)
16. loga xy = (loga x)y lg 23 = (lg 2)3
17. loga (x + y) = loga x + loga y lg(2 + 3) = lg 2 + lg 3
18. loga f (x) = logb f (x) loga b lg 8 = 
ln 8 lg e = 0,903

2,07944 0,43429

Natürlicher Logarithmus ln

Die Basis des natürlichen Logarithmus ist die natürliche Zahl e (e = 2,718281828459). Die
abgekürzte Schreibweise für den natürlichen Logarithmus ist »ln« anstelle von loge .

ex = b x = ln b (ln b ≡ loge b) (1.11)

Beispiel 1.9:
ex = 1 ⇒ x = ln 1 = 0 ex = 375 ⇒ x = ln 375 = 5,926926
1 1
ex =e ⇒ x = ln e = 1 ex = ⇒ x = ln = ln 0,367879 = −1
e e
8 1 Grundwissen

Einige wichtige Regeln für den natürlichen Logarithmus sind:

ln 1 = 0 ln e = 1 ln ex = x
x
ln xy = ln x + ln y ln = ln x − ln y eln x = x
y (1.12)
eln f (x) = f (x) xy = ey ln x ln xy = y ln x
ln( f (x)g(x) ) = g(x) ln f (x) ec ln x = xc ln ecx = cx

1.4 Weiteres Grundwissen


1.4.1 Mittelwert einer Zahlenreihe
Für die Definition des Mittelwertes einer Zahlenreihe x1 , x2 , x3 , · · · gibt es verschiedene Mög-
lichkeiten. Es existiert nicht die beste Mittelwertdefinition, je nach Einsatzzweck kann sich die
eine oder andere als die bessere Wahl heraus stellen. In der Ingenieurpraxis werden das arithme-
tische Mittel und das quadratische Mittel am häufigsten verwendet.
Arithmetisches Mittel xm :
n
1 1
xm =
n
(x1 + x2 + · · · + xn ) =
n ∑ xi (1.13)
i=1

Quadratisches Mittel xs :

1 2  1 n
xs =
n
x1 + x22 + · · · + xn2 =
n ∑ xi2 (1.14)
i=1

Geometrisches Mittel xg :

√ n
xg = n x1 · x2 · · · xn = n
∏ xi (1.15)
i=1

Harmonisches Mittel xh :
n n
xh = = n (1.16)
1 1 1 1
+ +···+ ∑
x1 x2 xn i=1 ix

Für eine Zahlenreihe mit positiven Elementen x1 , x2 , · · · , xn gilt folgende Beziehung:

xh ≤ x g ≤ x m ≤ xs (1.17)

Beispiel 1.10:
Für die Zahlenmenge x1 = 3, x2 = 5, x3 = 7, x4 = 9 sollen die verschiedenen Mittel-
werte berechnet und die unter ihnen bestehende Beziehung (1.17) überprüft werden.
1.4 Weiteres Grundwissen 9

a) Arithmetisches Mittel
4
1 1 1
xm =
4 ∑ xi = 4 (x1 + x2 + x3 + x4 ) = 4 (3 + 5 + 7 + 9) = 6
i=1

b) Quadratisches Mittel

1 4 2 1
xs = ∑ xi = 4 (32 + 52 + 72 + 92 ) = 6,403
4 i=1

c) Geometrisches Mittel

4 √
xg = 4 ∏ xi = 3 · 5 · 7 · 9 = 5,544
4

i=1

d) Harmonisches Mittel
4 4
xh = = = 5,081
4 1 1 1 1 1
∑ + + +
x
i=1 i 3 5 7 9

e) Kontrolle der Beziehung (1.17) :


x h ≤ xg ≤ xm ≤ xs ? 5,081 < 5,544 < 6 < 6,403 

1.4.2 Lösung einer quadratischen Gleichung


Für die Lösung einer quadratischen Gleichung lassen sich zwei Lösungsformeln angeben:

Normalform  
p p 2 (1.18)
x2 + px + q =0 x=− ± −q
2 2

Allgemeine Form √
−b ± b2 − 4ac (1.19)
ax2 + bx + c =0 x=
2a

1.4.3 Absolutwert
Der Absolutwert |x| einer reellen Zahl x ist ihr Betrag, d.h. ihr positiver Wert ohne Rücksicht
auf das Vorzeichen (der Betrag einer komplexen Zahl wird anders berechnet). Tabelle 1.3 zeigt
einige Regeln für Absolutwert.

x für x ≥ 0
|x| = (1.20)
−x für x < 0
10 1 Grundwissen

Beispiel 1.11:
|5| = 5 | − 5| = −(−5) = 5 | − 5 + 1| = | − 4| = 4 | − 5 − 1| = | − 6| = 6

Tabelle 1.3: Regeln für Absolutwert

|x| ≥ 0
|x| = | − x|
|x · y| = |x| · |y|
x  |x|
  =
y |y|
|x| + |y| ≥ |x ± y|
|x ± y| ≥ | |x| − |y| |

1.4.4 Binomische Formeln und Pascalsches Dreieck

Der Potenzausdruck (a + b)2 wird durch Ausmultiplikation von (a + b) (a + b) berechnet. Auf


die gleiche Art können höhere Potenzen von anderen Ausdrücken ermittelt werden. Die in der
Praxis am häufigsten benötigten Potenzausdrücke sind:

(a + b)2 = a2 + 2ab + b2 (1.21a)


(a − b) = a − 2ab + b
2 2 2
(1.21b)
(a + b) = a + 3a b + 3ab + b
3 3 2 2 3
(1.21c)
(a − b) = a − 3a b + 3ab − b
3 3 2 2 3
(1.21d)
(a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 (1.21e)
(a − b) = a − 4a b + 6a b − 4ab + b
4 4 3 2 2 3 4
(1.21f)
a − b = (a + b)(a − b)
2 2
(1.21g)

Eine sorgfältige Inspektion der konstanten Koeffizienten in den obigen Potenzausdrücken zeigt,
dass ihre Anordnung durch das sog. Pascalsche Dreieck beschrieben wird:

1 0. Potenz
1 1 1. Potenz
1 2 1 2. Potenz
(1.22)
1 3 3 1 3. Potenz
1 4 6 4 1 4. Potenz
1 5 10 10 5 1 5. Potenz
1.4 Weiteres Grundwissen 11

Das Pascalsche Dreieck hat auch in der Technik Anwendungsgebiete. Beispielsweise werden in
der Finite-Elemente-Methode (FEM) sog. vollständige Ansatzfunktionen für das Verschiebungs-
feld einer Biegeplatte mit Hilfe des Pascalschen Dreiecks aufgestellt.

1.4.5 Absoluter und Relativer Fehler


Jedes mathematische Näherungsverfahren bringt unvermeidlicherweise einen gewissen Fehler
mit sich. Dieser Fehler kann für ingeneurtechnische Anwendungen völlig unbedeutend sein, oder
aber auch so groß, dass die ganze Lösung in Frage gestellt werden muss. Deshalb wird in diesem
Buch bei vielen Aufgabenlösungen auch der relative Fehler angegeben, welcher infolge einer Nä-
herungsmethode ensteht. Natürlich kann der Fehler nur dann errechnet werden, wenn die exakte
Lösung bekannt ist (es gibt zwar auch fortgeschrittene Fehlerabschätzungsmethoden, die ohne
Kenntnis der exakten Lösung auskommen; sie werden hier jedoch nicht behandelt).
Der absolute Fehler Eabs (E für »error«) einer Näherungslösung entspricht dem Betrag der
Differenz zwischen der exakten und der Näherungs-Lösung.

Eabs = | f − fn | f : exakter Lösungswert fn : Näherungslösung

Der relative Fehler Erel der Näherungslösung ergibt sich aus folgender Beziehung:
 
 f − fn 
Erel =   (1.23)
f 

Beispiel 1.12:
Die Querschnittsfläche des Stahl-Walzprofils IPE 200 beträgt exakt A = 28,5 cm2 . Ei-
ne von Hand durchgeführte vereinfachte Flächenberechnung unter Vernachlässigung
der Ausrundungsradien liefert den Näherungswert An = 27,3 cm2 . Wie groß ist der
relative Fehler der Handrechnung?
   
 A − An   28,5 − 27,3  .
Erel =  =  = 0,042 = 4,2%
A   28,5 

1.4.6 Signum-Funktion
Die Signum-Funktion einer Zahl x (auch Vorzeichen-Funktion genannt) ist wie folgt definiert.

x
sign x = für x = 0 (1.24)
|x|

Die Vorzeichenfunktion kann also nur zwei Werte annehmen4 :



⎨ 1 wenn x ≥ 0
sign x = (1.25)
⎩ −1 wenn x < 0

4 In der Literatur ist mitunter auch die Festlegung anzutreffen, dass sign (0) nicht definiert sei. Diese Definition wird
hier nicht übernommen, weil man damit bei Ingenieuraufgaben wenig anfangen kann.
12 1 Grundwissen

Eine Zahl x und ihr Absolutwert |x| sind über die sign-Funktion miteinander wie folgt ver-
knüpft.

x = |x| · sign x (1.26)

Beispiel 1.13:
sign (−3) = −1 sign 4,6 = 1 sign π = 1 sign (−π) = −1

1.5 Winkelmaße: Grad und Radiant


In der Geometrie wird als Winkelmaß in der Regel das Gradmaß (Symbol ◦ ) verwendet; z.B. sagt
man »90 Grad ist ein rechter Winkel« usw. In physikalischen Anwendungen (Statik, Dynamik,
Elektrotechnik usw.) wird dagegen für Winkel das Bogenmaß verwendet. Die Maßeinheit für
Bogenmaß ist der Radiant (Symbol: rad).

r s=r r
a
a=1 rad

s= ar

a: Definition von 1 Radi- b: Beliebige Bogenlänge s


ant

Bild 1.1: Beziehung zwischen Bogenmaß und Bogenlänge

Wie in Bild 1.1 a dargestellt, entspricht 1 Radiant demjenigen Winkel α, der auf der Um-
fangslinie eines Kreises vom Radius r einen Bogen von der Länge s = r definiert (Bogenlänge
s gleich dem Radius r). Zwischen der Bogenlänge s, dem Radius r und dem eingeschlossenen
Winkel α des Kreisbogens in Bild 1.1 b besteht folgende Beziehung (s. auch Kapitel 7 über
Integralrechnung):

s=αr (α in Bogenmaß) (1.27)

Der Vollwinkel eines Kreises beträgt 360◦ in Gradmaß bzw. 2π rad in Bogenmaß, woraus folgt:

360◦ 180◦
1 rad = = = 57,295779513082309◦ ≈ 57,3◦
2π π
Für Ingenieuranwendungen ist die Wahl des Winkelmaßes von großer Bedeutung. Sorgloser Um-
gang kann sehr leicht, insbesondere in der Mechanik (Statik und Dynamik), zu falschen Ergebnis-
sen führen. Beispielsweise liefern Formelsammlungen der Statik den Drehwinkel eines beidsetig
1.6 Zusätzliche Beispiele 13

gelenkig gelagerten Balkens immer in Bogenmaß. Auf der anderen Seite will man sich meistens
in gewohnter Weise, d.h. in Gradmaß, vorstellen können, wie stark sich der Balken verdreht; in
solchen Fällen muss der Drehwinkel vom Bogenmaß in Gradmaß umgerechnet werden.
Faustregel: Falls eine technische Formel mit Zeit, Geschwindigkeit oder Beschleunigung zu
tun hat (s. Beispiel 2.14 auf Seite 40) oder ein mathematischer Ausdruck differenziert wird (s.
Abschnitt 3) muss in aller Regel mit Bogenmaß gearbeitet werden. In anderen Fällen ist die
Entscheidung über die Verwendung von Gradmaß oder Bogenmaß anhand der Aufgabenart zu
treffen. Es wird empfohlen, Grad nur dort zu verwenden, wo es um rein geometrische Größen
geht; in allen anderen Fällen sollte dem Bogenmaß der Vorzug gegeben werden.
Auf Taschenrechnern wird das Gradmaß i.a. mit der Kurzform deg (engl. degree) kenntlich
gemacht, das Bogenmaß mit rad (Radiant).
Die Umrechnung zwischen den beiden Winkelmaßen erfolgt mit folgenden Formeln:

180
Umrechnung vom Bogenmaß in Grad: θdeg = θrad ≈ 57,3 θrad
π
(1.28)
π 1
Umrechnung vom Grad in Bogenmaß: θrad = θdeg ≈ θdeg
180 57,3

Einige häufig verwendete Winkelwerte in Grad- und Bogenmaß sind:

Gradmaß: 0◦ 1◦ 30◦ 45◦ 60◦ 90◦ 120◦ 135◦ 180◦ 270◦ 360◦

π π π π π 2π 3π 3π
Bogenmaß: 0 π 2π
180 6 4 3 2 3 4 2

Ein weiteres Winkelmaß, das hauptsächlich im Vermessungswesen Anwendungs findet, ist das
Gon.5

2π rad = 400 gon 360◦ = 400 gon 1 gon = 0,9◦ 1 gon = 2π/400 rad

1.6 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 1.14:
Es soll der Ausdruck (1.4) auf Seite 4 für die geometrische Summe hergeleitet werden.
Wir schreiben für den Ausdruck 1 + x + x2 + x3 + · · · + xn abkürzend s (Summe):

1 + x + x2 + x 3 + · · · + x n = s (a)

Die Multiplikation des obigen Ausdrucks mit x auf beiden Seiten liefert:

x + x2 + x3 + x4 + · · · + xn+1 = xs (b)

5 Gon wird auf Taschenrechnern mit dem Symbol »g« gekennzeichnet.


14 1 Grundwissen

Die Subtraktion der Gl. (a) von der Gl. (b) liefert:

xn+1 − 1 n
xn+1 − 1
xn+1 − 1 = s(x − 1) ⇒ s=
x−1
d.h. ∑ xi = x−1

i=0

Die obige Formel liefert allerdings für x = 1 in (1.4) einen unbestimmten Ausdruck,
nämlich 0/0, was nicht besonders nützlich ist. Dieses Unbestimmtheitsproblem kann
mit Hilfe der Regel von L’Hospital (s. Seite 77 und die Aufgabe auf Seite 126), gelöst
werden.

Beispiel 1.15:
Die Regeln in Tabelle 1.3 auf Seite 10 sind für x = 4 und y = −6 zu überprüfen.
a) |x| = | − x| |4| = 4 | − 4| = 4 ⇒ |4| = | − 4| 
b) |x · y| = |x| · |y| |4 · (−6)| = | − 24| = 24 |4| · | − 6| = 4 · 6 = 24 
   
 x  |x|  −6  | − 6| 6
c)   =  
 3  = | − 2| = 2 = =2
y |y| |3| 3
d) |x| + |y| ≥ |x + y| |4| + | − 6| = 4 + 6 = 10 |4 + (−6)| = | − 2| = 2 
e) |x| + |y| ≥ |x − y| |4| + | − 6| = 4 + 6 = 10 |4 − (−6)| = |10| = 10 
 
f) |x| − |y| ≤  |x| − |y| 
 
|4| − | − 6| = 4 − 6 = −2  |4| − | − 6|  = |4 − 6| = | − 2| = 2 −2 < 2 
 
g) |x + y| ≥  |x| − |y| 
|4 + (−6)| = | − 2| = 2 | |4| − | − 6| | = |4 − 6| = | − 2| = 2 2=2
 
h) |x − y| ≥  |x| − |y| 
|4 − (−6)| = |10| = 10 | |4| − | − 6| | = |4 − 6| = | − 2| = 2 10 > 2 

Beispiel 1.16:
Einige Logarithmenregeln in Tab. 1.2 für den dekadischen Logarithmus, d.h. Basis
a = 10, werden zahlenmäßig verifiziert.
?
a) Regel: lg xy = lg x + lg y Beispiel: lg(5 · 8) = lg 5 + lg 8
lg(5 · 8) = lg 40 = 1,60206 lg 5 + lg 8 = 0,69897 + 0,90309 = 1,60206 
x 16 ?
b) Regel: lg = lg x − lg y Beispiel: lg = lg 16 − lg 5
y 5
16
lg = lg 3,2 = 0,50515 lg 16 − lg 5 = 1,20412 − 0,69897 = 0,50515 
5
?
c) Regel: lg xy = y lg x Beispiel: lg 53 = 3 lg 5
lg 53 = lg 125 = 2,09691 3 lg 5 = 3 · 0,69897 = 2,09691 
?
d) Regel: lg(x + y) = lg x + lg y Beispiel: lg(80 + 40) = lg 80 + lg 40
lg(80+40) = lg 120 = 2,079 aber: lg 80+lg 40 = 1,903+1,602 = 3,505 
1.6 Zusätzliche Beispiele 15

Beispiel 1.17:
Die angegebenen Ausdrücke sollen soweit wie möglich vereinfacht werden.
1 1
a) lg x1/y + lg x−1/y Lsg: lg x1/y + lg x−1/y = lg x − lg x = 0
y y
b) 10x lg 3 Lsg: Mit Hilfe der Regel ax loga c = cx auf Seite 7 erhält man:
10x lg 3 = 3x

Beispiel 1.18:
Lösen Sie folgende Gleichungen nach x.

a) lg x2 + 3 lg x + 2 lg 20 = lg x5 − lg x
1
2 lg x + 3 lg x + 2 · lg 20 = 5 lg x − lg x 5 lg x + lg 20 = 4 lg x
2
1
lg x = − lg 20 lg x = lg 20−1 x = 20−1 = = 0,05
20
√ 1
b) 8 lg 10 + lg x − lg x2 +
lg x3 = lg x4
3
1 3
8 · lg 10 + lg x − 2 lg x + lg x = 4 lg x ⇒ 4 lg 10 = 4 lg x
2 3
⇒ lg 10 = lg x ⇒ x = 10
c) 2 ln x2 − ln x6 + ln x = ln 10
4 ln x − 6 ln x + ln x = ln 10 − ln x = ln 10 ln x−1 = ln 10
1 1
x−1 = 10 = 10 x= = 0,1
x 10

Beispiel 1.19:
Vereinfachen Sie folgenden Ausdruck soviel wie möglich (und sinnvoll).
1 1 1
lg + lg + ln
x−1/y x1/y x−2
Unter Beachtung der Potenz- und Logarithmenregeln erhält man:
1 1 1  
lg + lg + ln = lg x1/y + lg x−1/y + ln x2 = lg x1/y · x−1/y + 2 ln x
x−1/y x1/y x−2
1 1
= lg (x y − y ) +2 ln x = lg 1 +2 ln x = 2 ln x
   
=1 =0

Beispiel 1.20:
Vereinfachen Sie folgenden Ausdruck soviel wie möglich (und sinnvoll).

2
ln 3 (x2 − y2 )2 − ln(x − y)
3
16 1 Grundwissen

Der erste Term läßt sich wie folgt umformen:


   2
ln 3 (x2 − y2 )2 = ln (x2 − y2 )2/3 = ln(x2 − y2 )
3
2 2
= ln [(x + y) (x − y)] = [ln(x + y) + ln(x − y)]
3 3
Der gesamte Ausdruck liefert:
2 2 2 2
ln(x + y) + ln(x − y) − ln(x − y) = ln(x + y)
3 3 3 3

Beispiel 1.21:
Lösen Sie folgende Gleichung nach x.
2 +x−1)
eln(x = x2 − x + ln e3 x =?

Gemäß Logarithmenregeln gelten folgende Beziehungen:


2 +x−1)
eln(x = x2 + x − 1 x2 − x + ln e3 = x2 − x + 3

⇒ x2 + x − 1 = x2 − x + 3 ⇒ 2x = 4 ⇒ x=2

Beispiel 1.22:
Lösen Sie folgende Gleichung nach x.
1 x 1
(e + e−x ) + eln c = c + x x =? (c : Konstante)
2 e
Die Ausdrücke links und rechts vom Gleichheitszeichen ergeben:
1 x 1 1
(e + e−x ) + eln c = (ex + e−x ) + c c+ = c + e−x
2 2 ex
1 x −x 1 x 1 −x
⇒ (e + e ) + c = c + e−x ⇒ e = e ⇒ e2x = 1 ⇒ x=0
2 2 2

Beispiel 1.23:
Bestimmen Sie den Wert der Variablen x und y.

ln x + 2 ln y = 1,5, wobei die Bedingung y = x gelten soll.

√ √
ln x + 2 ln x = 1,5 ln x + ln( x)2 = 1,5 ln x + ln x = 1,5
ln(x · x) = 1,5 ln x2 = 1,5 x2 = e1,5 = 4,481689
1.6 Zusätzliche Beispiele 17


⇒ x = 2,1170 y= 2,1170 = 1,4550
Kontrolle:

ln 2,1170 + 2 ln 1,4550 = 0,7500 + 0,750 = 1,5 

Beispiel 1.24:
Einige logarithmische Regeln der Tabelle 1.2 auf Seite 7 werden nachfolgend herge-
leitet.
?
a) loga xy = loga x + loga y
Die Multiplikation der Beziehungen x = aloga x , y = aloga y ergibt:

x y = aloga x · aloga y = aloga x+loga y (a)

Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt außerdem:

x y = aloga xy (b)

Die linken Seiten in (a) und (b) sind gleich, so daß daraus folgt:

aloga x+loga y = aloga xy (c)

Die Exponenten auf beiden Seiten in (c) müssen gleich sein, weil die Ausdrücke
auf der linken und rechten Seite die gleiche Basis a haben:

loga x + loga y = loga xy 

x ?
b) loga = loga x − loga y
y
Aus den Regeln x = aloga x und y = aloga y erhält man:

x aloga x
= = aloga x · a− loga y = aloga x−loga y (a)
y aloga y

Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt außerdem folgende Be-
ziehung:
x
x loga
=a y, (mit f (x) = x/y) (b)
y
Die linken Seiten in (a) und (b) sind gleich, so daß daraus folgt:
x
loga x
aloga x−loga y
=a y ⇒ loga x − loga y = loga 
y
18 1 Grundwissen

?
c) loga (x1 · x2 · x3 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + loga x3 + · · · + loga xn
Aufgrund der Regel aloga f (x) = f (x) in Tabelle 1.2 gilt folgende Beziehung:

aloga (x1 · x2 ···xn ) = x1 · x2 · x3 · · · xn (a)

Mit Hilfe der Regel aloga x = x in Tabelle 1.2 läßt sich ferner folgende Beziehung
aufschreiben:

aloga x1 +loga x2 +···+loga xn = aloga x1 · aloga x2 · · · aloga xn = x1 · x2 · x3 · · · xn (b)

Die rechten Seiten in (a) und (b) sind identisch, so daß auch die linken Seiten
gleich sein müssen:

aloga (x1 · x2 ···xn ) = aloga x1 +loga x2 +···+loga xn

⇒ loga (x1 · x2 · · · xn ) = loga x1 + loga x2 + · · · + loga xn 


?
d) loga xn = n loga x
Die Substitution des Ausdrucks xn = x · x ·
x · · · x in die Aufgabenstellung liefert:
n−mal

loga xn = loga (x · x · x · · · x) = loga x + loga x + · · · + loga x = n loga x 


     
xn n−mal, (s. Tabelle 1.2)

1.7 Aufgaben
1. Vereinfachen Sie folgende Zahlenausdrücke soweit wie möglich (ohne Taschenrechner).
√ √
a) 6−7 68 Lsg: 6 b) 9 3 27 Lsg: 9
√ √
c) 2 · 8−1/3 Lsg: 1 d) 3 27 Lsg: 9
√ √ √ √ √
e) 10 + 14 Lsg: 10 + 14 f) 6 64 Lsg: 2

h) (1/2)−3 Lsg: 8
4
g) 78 Lsg: 49

2. Vereinfachen Sie folgende Ausdrücke.


x3,6 √ √ √
b) (x3 )−2
5 −3,4
a) (x3 )2 c) d) x3 e) ( 5 x)3 f) x
x3,1
3. Geben Sie das Ergebnis folgende Ausdrücke an, ohne den Taschenrechner zu verwenden.

| sin 90◦ | | sin(−90◦ )| | − sin 90◦ | − | − sin 90◦ | | − π|

4. Die angegebenen Ausdrücke sind als Potenzen oder Produkte darzustellen.


1.7 Aufgaben 19

a) x2 − 8x + 16 Lsg: (x − 4)2
b) 9x2 − 30x + 25 Lsg: (3x − 5)2
c) 9x4 − 6x2 + 1 Lsg: (3x2 − 1)2
d) x3 + x2 − x − 1 Lsg: (x + 1)(x2 − 1)
5. Geben Sie das Ergebnis folgender Signum-Funktionen an (ohne Taschenrechner).
a) sign x2 Lsg: + 1 sign (sin 90◦ ) Lsg: + 1

b) sign (−2 sin(−90◦ )) Lsg: + 1 sign (5 cos 180◦ ) Lsg: − 1

c) sign (− sin 270◦ ) Lsg: + 1 sign (sin2 x) Lsg: +1

6. Verifizieren Sie die Absolutwert-Regeln der Tabelle 1.3 für x = 5, y = 7.


7. Überprüfen Sie Sie die Beziehung (1.17) für die Zahlenreihe 2, 4, 6, 8, 10.
8. Lösen Sie folgende Gleichungen nach x .
a) 10x = 0, b) 10x = 50, c) 10x = 7856, d) ex = 0, e) ex = 50, f ) ex = 7856.
a) keine Lösung, b) 1,699, c) 3,895, d) k.L., e) 3,912, f ) 8,969
9. Geben Sie das Ergebnis folgender Ausdrücke ohne Benutzung eines Taschenrechners an.

a) 2 3 64 Lsg: 8 b) 9 · 81−1/4 Lsg: 3
π
c) sin 4π Lsg: 0 d) cot Lsg: 0
2
5π 6 iπ
e) sin Lsg: 1 f) ∑ sin Lsg: 1
2 i=1 2
6 iπ 100
g) ∑ cos Lsg: −1 h) lg Lsg: −1
i=1 2 1000
i) lg 400 − lg 4 Lsg: 2 j) cos 6π Lsg: 1

π 1
k) tan Lsg: ∞ l) lg Lsg: −0,5
2 10

3 1 √
3
m) ln e3 Lsg: 1 n) ln e9 Lsg: 3/2
2
10. Berechnen Sie folgende Summen und Produkte.
4 5 √
a) ∑ i2 − i Lsg: 20 b) ∑ k Lsg: 8,3823
i=1 k=1
4 6 iπ
c) ∑ j( j + 1) Lsg: 40 d) ∑ sin Lsg: 1
j=1 i=1 2
4 iπ 6 iπ
e) ∑ sin2 Lsg: 2 f) ∑ cos Lsg: −1
i=1 2 i=1 2
5 4 i 
g) ∏ (i − 1) Lsg: 24 h) ∑ ∏ j Lsg: 33
i=2 i=1 j=1
2 3  5 5
i) ∏ ∑ j Lsg: 18 j) ∑ i + ∑ i2 Lsg: 70
j=1 i=1 i=1 i=1
20 1 Grundwissen

11. Verifizieren Sie den zweiten Ausdruck in 1.7 auf Seite 5 für n = 5 und k = 2.

12. Überzeugen Sie sich, dass folgende Beziehungen richtig sind.



√ 1 1 a 1
√a
−a

x = 1/a = a = = x−1
x x x

13. Vereinfachen Sie folgende Ausdrücke mit Hilfe von Wurzelregeln.



a) 1 + a2 − 2a + 1 Lsg: a

b) (x + y) 2 Lsg: x + y

c) (a − b)−1/2 (a − b)5/2 Lsg: a − b

2x − 1
d) 1− Lsg: (x − 1)/x
x2
14. Kontrollieren Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Potenz-Regeln der Tabelle 1.1 für
a = 1,2, b = 1,5, x = 2,3, y = 1,3.

15. Folgende Ausdrücke sind mit Hilfe von Potenzregeln zu vereinfachen.


a) x6n−3 x−3n+3 Lsg: x3n
2 · (52 )3 · 82
b) Lsg: 10
43 · 55
2−2 · (62 )0 · 42
c) Lsg: 16
4−4 · 43
an−1 (cd + ce)n+2
d) Lsg: c3 (d + e)3
(cad + eac)n−1
2x−2 y−3 a0 2a2 y2
e) Lsg:
x2 y−5 a−2 x0 x4
16. Zeigen Sie die Richtigkeit folgender Wurzelbeziehungen, indem Sie sie als Potenzausdrücke
formulieren und die Potenzregeln anwenden. Kontrollieren Sie die Beziehungen zusätzlich
mit einem Taschenrechner für die Zahlenwerte x = 2,8 , y = 1,6 , r = 2,5 und p = 1,2 .

√ √ √ r
x x √ √ p
a) x y = x y
r r r b) √r y
= r c) r x p = ( r x)
y
 √ √ √ √ √ √
d) r p x = r · p x e) q · r xq · p = r x p f) r xr · y = x r y

17. Bestimmen Sie dir Wurzel x folgender Gleichungen.

a) e2x − ex − ex+1 = 0 Lsg: x = ln(e + 1)

18. Überprüfen Sie mit einem Taschenrechner für a = e = 2,71828, x = 10, y = 15 die Loga-
rithmenregeln der Tabelle 1.2 .
1.7 Aufgaben 21

19. Berechnen bzw. vereinfachen Sie folgende Ausdrücke (ohne Taschenrechner).


a) lg 103 Lsg: 3 b) ln e2 Lsg: 2
c) ln x4 Lsg: 4 ln x d) lg xy Lsg: lg x + lg y
x3 x3 y4
e) lg 2 Lsg: lg x f) ln 2 Lsg: 3 ln x + 4 ln y − 2 ln z
x z
a
g) lg a10n Lsg: n + lg a h) lg n Lsg: −n + lg a
 10
x+y 1
i) ln Lsg: ln(x + y) − ln z
z2 2
20. Berechnen Sie x mit Hilfe von Logarithmusregeln (ohne Taschenrechner).
1 √
a) x = lg 25 + lg 4 Lsg: x = 1
2
b) x = 2(lg 50 − lg 5) Lsg: x = 2
√ 1
c) x = lg 80 − lg 8 Lsg: x = 0,5
2
d) lg(3x + 5) − lg(x − 3) = 1 Lsg: x = 5
e) 106x 10−3x − 1000 = 0 Lsg: x = 1
f) lg x = (n + 1) lg a − lg an
Lsg: x = a
√ 1
g) ln 1 − x − ln(1 + x) = ln 10 Lsg: x = −99/101
2
1 √ 1 √
h) ln x = ln(a − b) + ln a + b − ln(a2 − b2 ) Lsg: x = 4 a2 − b2
2 4
21. Bestimmen Sie die Wurzel x (Nullstelle) folgender Gleichungen.
a) lg(ln x) = 0,1 Lsg: x = 3,5216
b) ln(lg x) = 0,1 Lsg: x = 12,74

ln(2x + 2)
c) =4 Lsg: x = 2047
ln 8
ln(x + 3) + ln(x − 3)
d) =2 Lsg: x = 5
ln 4
2
e) ln + 2 ln x = 0 Lsg: x = 0,5
x
ln(x + 2) ln(x − 2)
f) + =2 Lsg: x = 4,472
ln 4 ln 4
22. Bestimmen Sie die Wurzeln (Nullstellen) folgender Gleichungen von Hand (bei den trigo-
nometrischen Gleichungen ist Bogenmaß zu verwenden).
a) x4 − 16x2 = 0 Lsg: x1 = x2 = 0 x3 = +4 x3 = −4
b) 102x · 10−5x = 1000 Lsg: x = −1
22 1 Grundwissen

c) 6x2 − x + 2 = 8x2 + x − 2 Lsg: x1 = 1 x2 = −2



d) x − 6 = 8 − x Lsg: x1 = 4 x2 = 7

e) x + 8 = (x + 20) 1/4 Lsg: x1 = −4 x2 = −11
√ √
f) 4x − 3 − x = x − 1 Lsg: x = 1
g) sin 3x − 1 = 0 Lsg: x = π/6
h) sin 2x − cos x = 0 Lsg: x1 = π/6 x2 = π/2
i) 1 − tan2 x =1 Lsg: x1 = 0 x2 =π
j) cos2 x − sin2 x = sin x
2
cos x + cos x
2 4 Lsg: x = nπ n = 0,1,2, . . .

23. Geben Sie folgende Winkel –ohne Benutzung eines Taschenrechners– im Bogenmaß an.
a) 180◦ Lsg: π b) 270◦ Lsg: 3π/2 c) 315◦ Lsg: 7π/4
d) 45◦ Lsg: π/4 e) 135◦ Lsg: 3π/4 f) 225◦ Lsg: 5π/4

24. Eine Kugel, ein Kreiszylinder und ein Kegel haben den gleichen Radius r. Bestimmen Sie
die Höhe hz von Zylinder und hk von Kegel so, dass die drei Körper das gleiche Volumen
V haben.
Lsg:
4 1 4
Vkug = πr3 Vzyl = πr2 hz Vkeg = πr2 hk ⇒ hz = r hk = 4r
3 3 3

25. Welche Masse besitzt eine Betonkonstruktion, die sich aus einem hohlen zylindrischen Teil
und einer darauf aufgesetzten, ebenfalls hohlen Halbkugel zusammensetzt.
Außenradius des Zylinders : ra = 3 m Innenradius des Zylinders : ri = 2,7 m
Außenradius der Kugel : rka = 3 m Innenradius der Kugel : rki = 2,85 m
Länge des Zylinders :L = 6 m Betondichte : ρ = 2500 kg/m3
Lsg:

mz = 80582 kg mk = 20163 kg mtot = mz + mk = 100745 kg


2 Elementare Funktionen
In diesem Abschnitt werden einige Typen von elementaren und für die Ingenieurpraxis dennoch
wichtigen mathematischen Funktionen vorgestellt sowie ihre besonderen Eigenschaften sowie
Darstellungsformen vorgestellt.

2.1 Polynomfunktionen
Ein Polynom n-ten Grades ist eine ganze rationale Funktion von der Gestalt

y = f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + · · · + an−1 xn−1 + an xn , (2.1)

wobei a0 , a1 , . . . , an konstante Koeffizienten sind. Der Koeffizient an muss zwangsläufig = 0


sein; wäre nämlich an = 0 (und gleichzeitig an−1 = 0 ), würde es sich nicht um ein Polynom
n-ten Grades, sondern um ein Polynom vom Grad n − 1 handeln. Hingegen dürfen einzelne oder
alle Koeffizenten a0 , a1 , . . . , an−1 verschwinden, d.h. gleich Null sein (es muss natürlich nach
wie vor an = 0 sein, damit wir von einem Polynom n-ten Grades reden können).
Die höchste in der Polynomfunktion vorkommende Potenz bestimmt den Polynomgrad. Bilder
2.1 bis 2.1 d zeigen beispielhaft Schaubilder verschiedener Polynome.
Konstante Funktion
Ein Polynom 0-ten Grades ist eine konstante Funktion (waagerechte Gerade):

y = a0

Abbildung 2.1 a zeigt beispielhaft das Schaubild der konstanten Funktion y = 1.


Lineare Funktion
Ein Polynom 1. Grades wird lineare Funktion (allgemeine Gerade) genannt:

y = a0 + a1 x (2.2)

Diese Gerade schneidet die y-Achse bei a0 , die x-Achse bei −a0 /a1 und besitzt die Steigung
a1 . Das Schaubild der linearen Funktion y = x + 1 ist in Bild 2.1 b dargestellt.
Quadratische Funktion (Parabel)
Eine quadratische Funktion (Parabel) ist ein Polynom 2. Grades:

y = a0 + a1 x + a2 x2 (2.3)

In Bild 2.1 c ist die Polynomfunktion y = x2 + 2x − 1 dargestellt.


Polynome höheren Grades
Bild 2.1 d zeigt exemplarisch das Schaubild einer Polynomfunktion 5. Grades.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_2,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
24 2 Elementare Funktionen

3
3

2
2

y
y
1
1

–3 –2 –1 0 1 2 3
–3 –2 –1 0 1 2 3 x
x –1

a: y = 1 b: y = x + 1

400
30

y
20 200
y

10

–4 –2 0 2 4
x
–6 –4 –2 0 2 4
x

c: y = x2 + 2x − 1 d: y = x5 − x4 − 27x3 + 41x2 + 106x − 120

Bild 2.1: Beispiele für Polynomfunktionen

Beispiel 2.1:
Temperaturverteilung in einem Metallstab. Der dargestellte Kupferstab ist über seine
Länge thermisch vollkommen isoliert, so dass durch die Mantelfläche radial kein Wär-
metransfer möglich ist; lediglich an den beiden Stirnflächen vorne und hinten ist ein
Wärmezu- und abfluß möglich. Die vordere Stirnfläche wird bei konstanter Tempe-
ratur T1 = 100 ◦ C gehalten (ins kochende Wasser eingetaucht), die hintere Stirnfläche
bei T2 = 5 ◦ C (fließendes Kaltwasser). Die Verteilung der Temperatur über die Stablän-
ge ist eine lineare Funktion der x-Koordinate (s. auch das Beispiel auf Seite 361):

T2 − T1
T (x) = T1 + x
L
5 − 100
= 100 + x T1
L T2 x
L
5 − 100
T (x = 0) = 100 + 0 = 100◦ C
L
5 − 100
T (x = L) = 100 + L = 5◦ C
L
2.1 Polynomfunktionen 25

Beispiel 2.2:
Freier Fall ohne Luftreibung. Eine Stahlkugel wird von 100 m Hö-
he -aus Ruhelage heraus- fallengelassen. Der Einfluß des Luftwider-
standes wird vernachlässigt (für eine Stahlkugel und Fallhöhe 100 m
m ist diese Vereinfachung physikalisch sicherlich zulässig). Die au-
genblickliche Höhe h der Kugel über dem Erdboden wird durch
folgende quadratische Gleichung (Polynom 2. Grades) beschrieben:
1 h(t)
h(t) = 100 − 9,81 t 2 t : Zeit in s
2
Die Höhenposition der Kugel beträgt z.B. nach t = 3 s Falldauer:
1
h(t = 3) = 100 − 9,81 · 32 = 55,855 m
2

Beispiel 2.3:
Durchbiegung eines Kragbalkens unter Einzellast. Der abgebildete Balken, der an sei-
nem linken Ende fest eingespannt ist, sei durch die Einzellast F an seinem freien Ende
belastet und biegt sich infolge der Belastung nach unten durch. Mit Hilfe der Statik
läßt sich zeigen, dass die Biegelinie y(x) des Balkens ein Polynom 3. Grades ist.
  y
FL3 x2 x3
y=− − (a) x
EI 2L2 6L3
x
EI y(x)
F
E : Elastizitätsmodul
L
I : Trägheitsmoment des Querschnitts
Das negative Vorzeichen in der obigen Formel resultiert daraus, dass der Balken
sich in negative y-Richtung durchbiegt. Als konkretes Zahlenbeispiel betrachten wir
einen Holzbalken mit Rechteckquerschnitt (Breite b, Höhe h) aus Nadelholz der Güte-
klasse II.

F = 3 kN L = 400 cm b × h = 10 × 20 cm E = 1100 kN/cm2

Das Trägheitsmoment I beträgt nach Regeln der Statik (s. Beispiel 7.32 auf Seite 340):

bh3 10 · 203
I= = = 6666,7 cm4
12 12
Die größte Durchbiegung δ an der Balkenspitze ergibt sich nach Auswertung der
Durchbiegungsformel (a) für x = L zu:
   
FL3 L2 L3 FL3 1 1 FL3
δ = y(L) = − 2
− 3
= − − =−
EI 2L 6L EI 2 6 3EI
3 · 4003
=− = −8,73 cm
3 · 1100 · 6666,7
26 2 Elementare Funktionen

Beispiel 2.4:
Durchbiegung eines Kragbalkens unter Streckenlast. Die Biegelinie y(x) des durch die
konstante Streckenlast q belasteten Kragbalkens ist ein Polynom 4. Grades.

 
qL4 x2 x3 x4
y = f (x) = − 2
− 3+
EI 4L 6L 24L4

E : Elastizitätsmodul
I : Trägheitsmoment des Querschnitts

x
EI q

y(x)
L

Beispiel 2.5:
Spannungs-Dehnungslinie von Beton. Unter Dehnung ε eines Gegenstands (z.B. Stahl-
stab, Betonwürfel etc.) wird das Verhältnis (Quotient) der Längenänderung Δ zur ur-
sprünglichen Länge L0 verstanden. Wenn es sich bei der Dehnung um eine negative
Dehnung handelt (die Länge des Stabs wird kleiner), wird sie als Stauchung bezeich-
net.
Δ
ε= Δ : Längenänderung L0 : ursprüngliche Länge
L0
In Betonwerken wird zwecks Qualitätssicherung die Betonfestigkeit permanent über-
wacht. Im Labor des Betonwerks werden erhärtete Betonwürfel in einer Prüfmaschi-
ne gestaucht, indem sie einer Druckspannung ausgesetzt werden. Unter dieser Druck-
last verkürzt sich der Betonwürfel. Die Beziehung zwischen der Stauchung ε und der
Druckspannung σ (in N/mm2 ) für die Betonsorte C25 z.B. wird durch folgende Funk-
tion beschrieben.
25

20

15
sigma

3,1 ε − 477 ε 2
σ = 25 10

0,0023 + ε 5

0 0.001 0.002 0.003


epsilon

Wie man im Schaubild erkennen kann, wird bei einer Stauchung von etwa 0,2%
die maximal ertragbare Druckspannung des Betons erreicht, d.h. der Betonwürfel zer-
bricht bei Überschreiten dieser Dehnungs- bzw. Spannungsgrenze.
2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen 27

2.2 Potenz- und Wurzelfunktionen


Eine Potenzfunktion ist eine Funktion der Form

y = xa (2.4)

wobei x die Basis und a der Exponent der Potenzfunktion sind. Anmerkung: Für x < 0, muss a
eine ganze Zahl sein.
Einen Sonderfall der Potenzfunktion stellt die Wurzelfunktion dar (s. auch Seite 1):

y = a x = x1/a (2.5)

Anmerkung: Wenn der Wurzelparameter a ungerade ist, darf x auch negativ sein.
Bild 2.2 zeigt beispielhaft einige Schaubilder von Potenz- und Wurzelfunktionen.
3
8

6 2
n=1
a=3
y

n=2
y

4
1 n=3
a=2
2
a=1

0 0.5 1 1.5 2 0 0.5 1 1.5 2


x x


a: Potenzfunktion y = xn b: Wurzelfunktion y = n
x

Bild 2.2: Beispiele für Potenz- und Wurzelfunktionen

Beispiel 2.6:
Optimale Wahl des Zuschlaggemisches bei Betonherstellung. Für die Herstellung von
qualitativ hochwertigem Beton wird vom Zuschlaggemisch, d.h. dem Sand-Kies-Gemisch,
gefordert, dass dessen Korndurchmesserabstufung einer bestimmten sog. Sieblinie ent-
sprechen muss. Eine in der Betonpraxis gebräuchliche Idealsieblinie ist z.B.:
100

80

60
 0,5
A

x x
A(x) = 100 = 100 40
D D
20

0 10 20 30
x
x : Beliebiger Korndurchmesser zwischen 0 und D
D : Größtkorndurchmesser des Zuschlaggemisches, z.B. D = 31,5 mm
A : Anteil der Korngruppe mit Durchmesser zwischen 0 und x (in Prozent)
28 2 Elementare Funktionen

2.3 Exponentialfunktion
Eine Funktion von der Art y = kax , wobei k und a konstante Skalare1 sind, heißt Exponential-
funktion.
In vielen Gebieten der Physik und in naturwissenschaftlichen Vorgängen spielt die in Bild 2.3
dargestellte spezielle Exponentialfunktion mit der Basis e (e-Funktion)

y = eax a∈R

eine sehr grundlegende Rolle. Die Zahl e (auch Eulersche Zahl genannt) ist definiert als
 
1 n
e = lim 1 + = 2,71828182845904523536 ≈ 2,7183
n→∞ n

8 8

6 6

4 4
y

y
2 2

–3 –2 –1 0 1 2 3 –3 –2 –1 0 1 2 3
x x

a: y = ex b: y = e−x

Bild 2.3: Beispiele für Exponentialfunktion eax

Beispiel 2.7:
Viele Phänomene und Vorgänge in der Natur finden in Form der e-Funktion statt, z.B.:
• Schwingung eines Fernsehturms unter Windeinwirkung bzw. Erdbeben:

u(t) = 15 e−0,05t sin ωt ω : Konstante

• Verbliebene Masse von 5 g radioaktivem Stoff während seines Zerfalls:


−11 t
m(t) = 5 e−1,4 · 10

1 Bezüglich der Vorzeichen von k und a existieren im reellen Definitionsbereich einige Einschränkungen, auf die hier
nicht näher eingegangen werden soll.
2.3 Exponentialfunktion 29

• Ungestörtes Wachstum von Tieren (ohne Selbstregulierung):

n(t) = k et n : Anzahl der Tiere

Beispiel 2.8:
Freier Fall mit Luftreibung. In Beispiel 2.2 auf Seite 25 wurde die Funktion h(t) für
die augenblickliche Höhe einer Stahlkugel mit der Masse m angegeben, die von ihrer
Ruhelage in der Höhe H runterfällt. Dort war die Luftreibung vernachlässigt worden.
Wenn es sich bei der Kugel jedoch nicht um Stahl, sondern um ein Material von ge-
ringer Dichte handeln sollte, z.B. um Balsaholz, dürfte die Luftreibung nicht mehr
vernachlässigt werden. Die Funktion der augenblicklichen Höhe h(t) über dem Boden
lautet dann nach Gesetzen der Dynamik (unter Annahme der sog. Stokes-Reibung mit
geschwindigkeitsproportionaler Reibungskraft):

gm gm2
h(t) = H − t + 2 (1 − e−ct/m )
 c  c  
lineare Funktion Exponentialfunktion

c : Luftwiderstandskoeffizient, g = 9,81 m/ sec2

Beispiel 2.9:
Silodruck. Ein Silo wird zur Lagerung von staubförmigem bzw. körnigem Schüttgut,
z.B. Zement, Betonkies, Mais etc. verwendet. Das Schüttgut übt auf die Silowand
einen radial gerichteten Druck (Belastung) aus. Nach DIN 1055 gilt folgende Bezie-
hung für den radialen Silodruck p auf die Wand eines Zementsilos aus Stahlbeton:

p [kN/m2]
15
10
5
0

p = f (z) = 17,8 r (1 − e−0,585z/r )


5

p : Silodruck in kN/m2
z [m]
10

r : Siloradius in m
z : Schüttguttiefe in m
15

(z = 0 : freie Schüttgutoberfläche)
20

Beispiel 2.10:
Abhängigkeit der Betonfestigkeit vom Wasserzementwert. Der Wasserzementwert w ist
in der Betontechnologie eine grundlegende Einflußgröße für die erzielbare Druckfes-
tigkeit des Betons; w ist definiert als das Verhältnis der Wassermenge W zur Zement-
menge Z (in Gewichtsanteilen, also z.B. jeweils in kg). Zuviel Wasser bei der Betonher-
30 2 Elementare Funktionen

stellung ist hinsichtlich der Druckfestigkeit nachteilig. Die mittlere Druckfestigkeit βb


einer bestimmten Betonsorte hängt von seinem Wasserzementwert w = W /Z gemäß
folgender Beziehung ab (idealisierte Beziehung):

βb = 385 w e−3,5w

Für w = 0,5 z.B. läßt sich eine Betondruckfestigkeit von

βb = 385 · 0,5 · e−3,5 · 0,5 = 33,45 N/mm2

erzielen. Würde man mehr Wasser zugeben, so daß w = 0,7 wäre, könnte die Beton-
druckfestigkeit nur noch folgenden deutlich niedrigeren Wert erreichen:

βb = 385 · 0,7 · e−3,5 · 0,7 = 23,25 N/mm2

2.4 Logarithmus-Funktionen
Der Begriff des Logarithmus und seine Rechenregeln sind auf Seite 6 behandelt. Hier werden
technische Beispiele vorgestellt. Die beiden in Technik und Wissenschaft am häufigsten verwen-
deten Logarithmusfunktionen

y = lg x dekadischer Logarithmus (2.6)


y = ln x natürlicher Logarithmus (2.7)

sind -im reellen Definitionsbereich- nur für x > 0 definiert. Bild 2.4 zeigt die Schaubilder von
lg x und ln x.
2 2

1 1
y

0 1 2 3 4 5 0 1 2 3 4 5
x x

–1 –1

–2 –2

a: Dekadischer Logarithmus y = lg x b: Natürlicher Logarithmus y = ln x

Bild 2.4: Logarithmus-Funktionen lg und ln

Die allgemeine Logarithmusfunktion f (x) = loga x mit der Basis a ist die inverse Funkti-
on (auch Umkehrfunktion genannt) zur Exponentialfunktion g(x) = ax . Zwei Funktionen f (x)
2.4 Logarithmus-Funktionen 31

10 10
10^x exp(x)

8 8
y=x y=x

6 6

y
4 4

ln(x)
2 lg(x) 2

–4 –2 2 4 6 8 10 –4 –2 2 4 6 8 10
x x
–2 –2

–4 –4

a: lg x und 10x b: ln x und ex

Bild 2.5: Exponential- und Logarithmusfunktion sind inverse Funktionen

und g(x) nennt man invers, wenn sie spiegelbildlich um die Winkelhalbierende des ersten Qua-
dranten im xy-Koordinatensystem verlaufen. Bild 2.5 zeigt beispielhaft die zueinander inversen
Funktionen 10x und lg x sowie ex und ln x.

Beispiel 2.11:
Schallpegel. Der Luftschall ensteht, wenn durch eine Schallquelle eine Störung des
normalen Luftdrucks (≈ 1 bar) hervorgerufen wird. Die dabei entstehende Luftdruck-
schwankung p ist sehr gering; sie liegt i.a. im Bereich von 10−10 ≤ p ≤ 10−3 bar. Der
Schall wird nicht durch die Druckschwankung p selbst, sondern durch den Schallpe-
gel quantifiziert, d.h. gemessen. Der Schallpegel L ist definiert durch folgende loga-
rithmische Gleichung:
p
L = 20 lg Einheit von L : Dezibel (dB)
p0

p0 = 2 · 10−10 bar (vom Menschen gerade noch hörbare Luftdruckschwankung)


Für die beiden Extremwerte von p erhält man:

10−10
p = 10−10 : L = 20 lg = −6,02 dB (absolute Stille)
2 · 10−10
10−3
p = 10−3 : L = 20 lg = 133,98 dB (Schmerzschwelle)
2 · 10−10

Beispiel 2.12:
Geschwindigkeit einer Rakete. Wir betrachten eine in der Leere des Weltalls ruhende
Rakete. Zum Zeitpunkt t = 0 hat die Rakete also die Geschwindigkeit Null (v0 =
0 m/s) und besitzt die Masse m0 . Nun soll die Rakete für Weiterflug im Weltall wie-
der in Bewegung versetzt werden. Die zur Beschleunigung der Rakete benötigte Kraft
32 2 Elementare Funktionen

stammt aus der Impulsänderung des gesamten Flugkörpers. Die Impulsänderung ent-
steht durch die (konstant vorausgesetzte) Austrittgeschwindigkeit vg der Verbrennungs-
gase aus der Rakete (vg wird relativ zur Rakete gemessen) und die stetige Abnahme
der Treibstoffmasse. Die momentane Geschwindigkeit v(t) der Rakete zu einem be-
liebigen Zeitpunkt t wird durch die sog. Ziolkowski-Formel ermittelt (die Herleitung
dieser Formel wird auf Seite 365 ausführlich gezeigt):

m0
v(t) = vg ln
m(t)

m0 : Anfangsmasse der Rakete zum Zeitpunkt t = 0


m(t) : Masse der Rakete zum Zeitpunkt t
Es soll nun die Geschwindigkeit dieser Rakete nach 20 Sekunden Flug berechnet wer-
den, wenn sich die Treibstoffmasse zu diesem Zeitpunkt um 10% verringert hat und
die Ausströmgeschwindigkeit vg = 4 km/s beträgt.

t = 20 s m(20) = m0 − 0,1 m0 = 0,9 m0 va = 4 km/s

Nach 20 Sekunden erreicht die Rakete die Geschwindigkeit


m0 1
v(20) = 4 ln = 4 ln = 0,42144 km/s = 1517,2 km/h.
0,9m0 0,9

Beispiel 2.13:
Magnitude und Energie von Erdbeben. Die Magnitude M eines Erdbebens ist ein Maß
für die vom Erdbeben freigesetzte Energie E. Eine gebräuchliche Beziehung für M ist
die in Bild 2.6 dargestellte, auch als Richter-Skala bekannte, logarithmische Skala:
2
M≈ (lg E − 11,8) (E in erg, 1 erg = 10−7 J)
3
Nach Umformung erhält man daraus:

lg E = 11,8 + 1,5M ⇒ E = 1011,8+1,5M = 1011,8 101,5M

Die Erhöhung der Magnitude um nur eine Stufe, z.B. von 6 auf 7, bewirkt einen enor-
men Zuwachs der freigesetzten Energie um den Faktor ≈ 31,62, wie man nachfolgend
sehen kann.

E6 = 1011,8 101,5 · 6 E7 = 1011,8 101,5 · 7

E7 1011,8 101,5 · 7
= 11,8 1,5 · 6 = 101,5 = 31,62
E6 10 10
Ein Erdbeben von der Magnitude M = 8 würde gegenüber einem Erdbeben mit M = 6
gar die 1000-fache Energie freisetzen (102 · 1,5 = 1000)!
2.4 Logarithmus-Funktionen 33

    
 
 

a: lineare Darstellung b: halb-logarithmische Darstellung

Bild 2.6: Beziehung zwischen Energie E und Magnitude M eines Erdbebens

Logarithmische Achsen für Funktionsgraphen


Die in Bild 2.6 a dargestellte Funktionskurve besitzt einen entscheidenden Nachteil: Schon für
mittelgroße Erdbebenenergien, z.B. für E = 1020 , ist es kaum möglich, die Erdbebenmagnitude
M aus dem Diagramm zuverlässig abzulesen — die Energie E = 1020 entspricht immerhin einer
nicht vernachlässigbaren Magnitude von M = 2/3 · (lg 1020 − 11,8) ≈ 5,5. Eine solche Funktion
mit einem sehr breiten Definitionsintervall E = [1012 ; 1024 ] kann in der linearen Eintragungswei-
se nicht mehr graphisch vernünftig dargestellt werden. Die Auftragung technischer Funktionen
in einem 2-dimensionalen Achsenkreuz in linearer Skalierung führt in der Praxis nicht selten zu
schwer ablesbaren, fehleranfälligen Graphen. Deutlich bessere Resultate für derartige Funktio-
nen liefern die nachfolgend beschriebenen Darstellungstechniken mit Hilfe von logarithmisch
unterteilten Achsen.2

a) Halb logarithmische Darstellung


In der halb-logarithmischen Darstellung (z.B. Bild 2.6 b) wird eine Achse (x- oder y-Achse) lo-
garithmisch skaliert und die andere Achse in linearer Skalierung belassen. Für das obige Beispiel
der Erdbebenmagnitude heißt dies, dass auf der x-Achse nicht direkt der Zahlenwert von E auf-
getragen wird, sondern der Zahlenwert von lg E. Der Abstand des E-Wertes, z.B. E = 1020 , vom
Koordinatenursprung ist also nicht mehr proportional zu dieser Zahl selbst, sondern proportional
zu ihrem Logarithmus, d.h. proportional zu lg 1020 = 20. So lassen sich auch zwei stark diffe-
rierende Werte, z.B. E1 = 1013 und E2 = 1024 über ihre Logarithmen problemlos eintragen: Der
Abstand von E1 = 1013 vom Koordinatenursprung ist dann proportional zum Wert lg 1013 = 13
und der Abstand für E2 = 1024 ist proportional zu lg 1024 = 24; also Zahlen, die auf der x-Achse
bequem eingetragen werden können. Das Resultat zeigt Bild 2.6 b; es handelt sich jetzt um eine
Gerade im xy-Koordinatensystem, auf der auch für eine kleine Erdbebenenergie die zugehörige
2 Für die Darstellung mit logarithmischen Achsen kann man im Handel erhältliche logarithmische Funktions-
papiere verwenden, oder auch spezielle Computersoftware, z.B. das public domain Plotprogramm GnuPlot
(http://sourceforge.net).
34 2 Elementare Funktionen

Magnitude M präzise abgelesen werden kann. Die Geradengleichung lautet einfach M = a (x+b),
wobei a = 2/3, x = lg E und b = −11,8 sind.

a: lineare Darstellung b: doppelt logarithmische Darstellung

Bild 2.7: Funktion y = x3 in linearer und logarithmischer Darstellung

Anmerkung: In der beschriebenen logarithmischen Darstellungsart kann die x-Achse natürlich


nicht bei 0 beginnen, weil Logarithmus von 0 nicht definiert ist. Stattdessen könnte x z.B. bei
1 beginnen (lg 1 = 0); diese Position dient als eine Art Referenzposition. Danach wird jeder in
Frage kommende x-Wert über seinen Logarithmus eingetragen, abhängig vom Vorzeichen des
logarithmischen Wertes, entweder rechts oder links von der Position x = 1 ein. Selbstverständ-
lich kann auch jede andere Zahl außer 1 ebenfalls als Referenzposition verwendet werden, die
zweckmäßige Wahl hängt von der Problemstellung ab.

b) Doppelt logarithmische Darstellung


Ein ähnliches Ableseproblem ist in Bild 2.7 zu sehen. Im linken Teilbild 2.7 a ist die Funktion
y = x3 in linearer Darstellung dargestellt. Für kleine x-Werte ist es unmöglich, die zugehörigen
y-Werte überhaupt -geschweige denn präzise- abzulesen. Zur Lösung des Problems wird die
Funktion logarithmiert:

y = x3 ⇒ lg y = lg x3 = 3 lg x d.h. y∗ = 3 x∗ mit y∗ = lg y x∗ = lg x

Durch Logarithmierung ist also eine Geradengleichung entstanden. Die Darstellung der Funkti-
on lg y = 3 lg x unter Verwendung von zwei logarithmischen Achsen (doppelt logarithmische
Darstellung) führt auf eine sehr leicht ablesbare Gerade in Bild 2.7 b.

c) Logarithmische Darstellung der natürlichen Exponentialfunktion eax


Wie bereits im Abschnitt 2.3 auf Seite 28 erörtert, dient die Exponentialfunktion eax der Beschrei-
bung vieler Vorgänge in Natur und Technik. Für die grafische Darstellung der natürlichen Expo-
2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen 35

 

a: lineare Darstellung b: halb logarithmische Darstellung


−11
Bild 2.8: Zerfallfunktion m(t) = e−1,4 · 10 t einer radioaktiven Substanz

nentialfunktion kann das oben beschriebene logarithmische Darstellungskonzept sinngemäß ver-


wendet werden, wobei diesmal anstelle des dekadischen Logarithmus lg der natürliche Logarith-
mus ln herangezogen wird. Beispielsweise kann die Zerfallfunktion m = f (t) einer radioaktiven
Substanz von der Masse 1g (s. Seite 28) durch Logarithmieren von der Exponentialform in die
lineare Form überführt werden:
−11 t
m = f (t) = e−1,4 · 10 ⇒ ln m = −1,4 · 10−11 t

Die Zerfallfunktion m(t) kann jedoch so transformiert werden, dass sie -anstelle der natürlichen
Logarithmenskala- auch in der gebräuchlicheren dekadischen Logarithmenskala aufgetragen wer-
den kann. Diese Transformation erfolgt mit Hilfe der Regel loga f (x) = logb f (x) loga b in
Tabelle 1.2 auf Seite 7:
−11 t
lg m = lg e−1,4 · 10 = −1,4 · 10−11 t lg e = −0,608 · 10−11 t

0,43429

Das Ergebnis ist die Gleichung einer Geraden, wobei zu beachten ist, dass auch auf der Verti-
kalachse die Substanzmenge m in logarithmischer Skala eingetragen werden muss (s. Bild 2.8).

2.5 Symmetrie und Antimetrie von Funktionen

Die Symmetrie einer Funktion y = f (x) wird mit Bezug auf die y-Achse definiert. Eine be-
züglich der y-Achse spiegelsymmetrische Funktion (s. Bild 2.9) wird symmetrisch (auch gerade
Funktion) genannt . Mathematisch wird die Symmetrie einer Funktion durch folgende Bedingung
36 2 Elementare Funktionen

ausgedrückt:

f (−x) = f (x) ⇔ f (x) symmetrisch (2.8)

Eine antimetrische Funktion (auch ungerade Funktion bzw. punktsymmetrisch genannt) ist bzgl.

4
1

y
0.5

y
2

–6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad]
1

–0.5

–2 –1 1 2
x –1

a: y = x2 (symmetrisch) b: y = cos x (symmetrisch)

y
0.5
y

–2 –1 1 2 –6 –4 –2 2 4 6
x x [rad]

–0.5
–5

–1

c: y = x3 (antimetrisch) d: y = sin x (antimetrisch)

Bild 2.9: Beispiele für symmetrische und antimetrische Funktionen

der y-Achse schiefsymmetrisch (Bild 2.9). Die Antimetrie wird mathematisch durch folgende
Bedingung ausgedrückt:

f (−x) = − f (x) ⇔ f (x) antimetrisch (2.9)

2.6 Stetigkeit und Glattheit von Funtionen

Um den Begriff der Stetigkeit ingenieurmäßig korrekt zu verstehen, braucht man keine mathema-
tisch strenge Formulierung. Unter Stetigkeit einer Funktion versteht man, dass eine extrem kleine
(d.h. infinitesimale) Positionsänderung auf der x-Achse eine endliche Änderung des Funktions-
wertes in y-Richtung zur Folge hat.
Man kann sich die Stetigkeit visuell auch so vorstellen, dass das Schaubild einer stetigen Funk-
tion an keiner x-Position absolut parallel zur y-Achse sein darf und auf Papier gezeichnet werden
kann, ohne den Stift abzusetzen. Eine andere dem Alltag entlehnte Vorstellungsmöglichkeit wäre
z.B., dass man bei einer unstetigen Funktion irgendwann »springen« muss, wenn man entlang
2.7 Trigonometrische Funktionen 37

der Funktionskurve von einem Ende zum anderen Ende wandert. Der Polygonzug entlang der
Stufen einer Treppe wäre z.B. eine unstetige Funktion.
Beim Verständnis der Glattheit einer Funktion wollen wir ebenfalls auf ihre mathematische
Definition verzichten und die Glattheit eher phänomenal verstehen: Wenn wir unsere Fingerspit-
ze auf der Kurve bewegen und an keiner Stelle eine scharfe Spitze fühlen können, ist die Kurve
glatt.
Die in Bild 2.9 abgebildeten Funktionen sind stetig und glatt. Eine unstetige Funktion ist
zwangsläufig nichtglatt. Umgekehrt gilt es nicht! Eine nichtglatte Funktion kann durchaus ste-
tig sein. Die Funktion in Bild 2.10 a beispielsweise ist unstetig (wegen des Sprungs bei x = 2)
und damit automatisch auch nichtglatt; hingegen ist die Funktion in Bild 2.10 b zwar nichtglatt
(scharfe Spitze bei x = 2) aber trotzdem stetig.
Eine an der Stelle x0 unstetige Funktion besitzt unterschiedliche Grenzwerte an der Stelle x0 ,
je nachdem ob man sich der Stelle x0 von links oder von rechts nähert.
Eine an der Stelle x0 nichtglatte Funktion besitzt unterschiedliche Steigungen an der Stelle x0 ,
je nachdem ob man sich der Stelle x0 von links oder von rechts nähert.
Tangens- und Kotangens-Funktionen (s. Bild 2.14 auf Seite 41) z.B. sind unstetige Funktionen.
Die Unstetigkeitsstelle der Tangens-Funktion liegt z.B. bei 90◦ und die der Kotangens-Funktion
bei 180◦ .
2

1.5
1.5

1
y

1
y

0.5
0.5

–2 –1 0 1 2 3 4 0 1 2 3 4 5
x x

a: Unstetige Funktion b: Nichtglatte Funktion


(Sprung bei x = 2) (scharfe Spitze bei x = 2)

Bild 2.10: Beispiele für unstetige und nichtglatte Funktionen

2.7 Trigonometrische Funktionen


Die trigonometrischen Funktionen sind ein besonders häufig benötigtes mathematisches Werk-
zeug in Ingenieurwissenschaften. Zusätzlich zu ihren wohl bekannten Einsatzmöglichkeiten in
der Geometrie, dienen sie in der Technik z.B. auch zur Lösung von Schwingungsaufgaben dy-
namisch erregter Systeme sowie zur Beschreibung von Knickfiguren druckbelasteter Stäbe (s.
Kapitel 9), zur Beschreibung von beliebigen Funktionsverläufen in Form von periodischen Funk-
tionen, (Fourier-Reihen, s. Kapitel 10), um nur einige wenige Gebiete zu nennen. Die wichtigsten
Beziehungen zwischen den trigonometrischen Funktionen sind auf Seite 773 zusammengestellt.
38 2 Elementare Funktionen

Gradmaß oder Bogenmaß?


Auf Seite 12 wurden die beiden gebräuchlichsten Winkelmaße Grad und Radiant erörtert. Es
drängt sich selbstverständlich die Frage auf, welches Maß verwendet werden soll und ob wir die
Wahl ganz beliebig treffen können. Das Argument x einer trigonometrischen Funktion, z.B. von
sin x, muss in physikalischen Anwendungen (z.B. Schwingung) in der Regel in Bogenmaß, d.h.
Radiant (rad), verwendet werden. Die Verwendung von Grad (◦ ) würde in der Physik leicht zu un-
gewollten Fehlern führen, z.B. bei der Bestimmung der Geschwindigkeit aus der Ableitung einer
Weggröße. Daher sollte bei technischen Anwendungen konsequent Radiant verwendet werden.
Bei rein geometrischen Anwendungen kann natürlich die klassische Winkeldefinition in Grad
Verwendung finden.

Sinus
Bild 2.11 zeigt einen Einheitskreis vom Radius r = 1. Ein Zeiger, der im Kreismittelpunkt befes-
tigt ist, soll mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω rotieren. Der vom Zeiger nach Ablauf
der Zeit t überstrichene Winkel sei α; es gilt also die Beziehung α = ω t, wobei α in Bo-
genmaß zu verstehen ist. Nach der klassischen Definition von Sinus (=Ankathete/Hypothenuse)
erhält man:3
a
sin α = sin ω t = Mit r = 1 folgt daraus: sin α = sin ω t = a
r
Für den Einheitskreis entspricht der Sinus offensichtlich der horizontal projezierten Länge a des

y=sin a

p/2 1

1 r
b a a
p g a g
b 2p p/2 b p 3p/2 2p
a
w

3p/2 Periode = 2p

Bild 2.11: Sinusfunktion

Radius r. Da es unendlich viele Werte für den Winkel α gibt, existieren auch unendlich viele
Sinuswerte, die in einem rechtwinkligen xy-Achsenkreuz eingetragen werden können. Die durch
diese Punkte gelegte Kurve entspricht dem Graph der Sinusfunktion (rechte Seite in Bild 2.11).
Wenn nun anstelle der Variable α für die Winkelangabe die übliche Variable x verwendet wird,
ergibt sich die einfachste Form der Sinusfunktion:

y = sin x

3 Das lateinische Wort Sinus bedeutet Bogen bzw. Krümmung; diese Bezugnahme auf einen Bogen geht auf die
arabischen Mathematiker des 8. bis 10. Jahrhunderts und über sie auf die indischen Mathematiker zurück.
2.7 Trigonometrische Funktionen 39

1 1

y
0.5 0.5

–200 200 –6 –4 –2 2 4 6
x [deg] x [rad]
–0.5 –0.5

–1 –1

a: sin x (x in ◦ ) b: sin x (x in rad)


1 1

y
y

0.5 0.5

–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 2 4 6
x [rad] x [rad]

–0.5 –0.5

–1 –1

c: sin 2x (ω = 2) d: sin 3x (ω = 3)
1 1
y

0.5 0.5

–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad] x [rad]

–0.5 –0.5

–1 –1

e: sin(x + π/3) f: sin(x − π/3)

Bild 2.12: Verschiedene Sinusfunktionen

In der Technik kommt die Sinusfunktion häufig in einer etwas erweiterten Form vor:

y = sin(ωx + ϕ) (ω : Winkelgeschwindigkeit, ϕ : Phasenwinkel) (2.10)

Die einfache Sinusfunktion y = sin x ergibt sich aus dieser allgemeinen Sinusfunktion als Son-
derfall, wenn ω = 1 und ϕ = 0 gesetzt werden. Bild 2.12 zeigt verschiedene Sinusfunktio-
nen. Je größer die Winkelgeschwindigkeit ω, umso schneller verläuft die Sinuskurve, s. Bilder
2.12 b,2.12 c und 2.12 d. Ein positiver Phasenwinkel ϕ wie in Bild 2.12 e bedeutet eine Verschie-
bung der Sinuskurve nach links, ein negativer Phasenwinkel wie in Bild 2.12 f verschiebt die
Kurve nach rechts.
40 2 Elementare Funktionen

Beispiel 2.14:
Ungedämpfte Schwingung. Der Schwingungsvorgang x eines frei schwingenden un-
gedämpften Feder-Masse-Systems ist eine periodische Funktion der Zeit t (vgl. Seite
483). Der Schwingweg x läßt sich als Funktion der Zeit angeben als:

x = f (t) = A sin ωt z.B.: x = 4,25 sin 1,57t


 
rad
A : Amplitude ω : Eigenkreisfrequenz t : Zeit [s]
s
Das Argument ωt der Sinus-Funktion ergibt sich, wie es in physikalischen Anwen-
rad
dungen stets der Fall ist, in Bogenmaß, weil ωt = s = rad.
s

Beispiel 2.15:
Gedämpfte Schwingung. Die Beschreibung von
Schwingungen realer Baukonstruktionen er- 1
folgt mittels einer multiplikativen Kombination
der Exponentialfunktion mit einer trigonometri-
y

schen Funktion. Wird z.B. eine Feder, an de- 0.5

ren Ende eine Masse befestigt ist (s. Bild 9.7 b


auf Seite 483), ausgelenkt und dann plötzlich
0
losgelassen, entsteht ein Schwingungsvorgang, 5 10 15 20
t [sec]
der allmählich abklingt. Die mathematische Be-
schreibung dieser Schwingungsfunktion besitzt –0.5
folgende Form:

y = f (t) = e−at cos ωt

Kosinus
Der Kosinus (vom lat. complementi sinus stammend) ist in Bild 2.11 definiert als cos α = b/r
und bildet das ergänzende Gegenstück zum Sinus. Der Funktionswert von Kosinus entspricht der
vertikal projezierten Länge b des Radius r im Einheitskreis des Bildes 2.11. Bilder 2.13 a und
2.13 b zeigen beispielhaft die einfache Kosinusfunktion y = cos x.

Tangens und Kotangens


Die Tangens- und Kotangensfunktion sind definiert als:

sin x cos x 1
tan x = cot x = cot x = (2.11)
cos x sin x tan x

Wie in Bild 2.14 gut zu sehen ist, besitzen beide Funktionen Unstetigkeitsstellen (für den Begriff
der Stetigkeit s. Seite 36): die Tangensfunktion hat eine Unstetigkeit an den Positionen π/2 +
i · π (i = 1,2, · · ·), während die Kotangensfunktion an den Stellen π + i · π unstetig ist (können
Sie begründen, warum an diesen Stellen eine Unstetigkeit und ein Vorzeichenwechsel auftritt?).
2.7 Trigonometrische Funktionen 41

1 1

y
0.5 0.5

–200 200 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [deg] x [rad]
–0.5 –0.5

–1 –1

a: cos x (x in ◦ ) b: cos x (x in rad)

Bild 2.13: Kosinus-Funktion

10 10

5 5
y

y
–6 –4 –2 0 2 4 6 –6 –4 –2 0 2 4 6
x [rad] x [rad]

–5 –5

–10 –10

a: tan x b: cot x

Bild 2.14: Tangens- und Kotangensfunktion

Sekans und Kosekans


Die Sekans- bzw. Kosekansfunktion erhält man als reziproke Ausdrücke von Kosinus bzw. Sinus:

1 1
Sekans: sec x = Kosekans: csc x = (2.12)
cos x sin x

Periodizität von trigonometrischen Funktionen


Trigonometrischen Funktionen sind periodisch, d.h. ihr Schaubild wiederholt sich in regelmäßi-
gen Abständen. Die Perioden diverser trigonometrischer Funktion sind in Tabelle 2.1 angegeben.
Die Periodizität wird mathematisch durch folgende Ausdrücke beschrieben.

sin x = sin(n · 2π + x) cos x = cos(n · 2π + x) n = 1,2,3, · · ·


(2.13)
tan x = tan(n · π + x) cot x = cot(n · π + x)
42 2 Elementare Funktionen

Tabelle 2.1: Periode trigonometrischer Funktionen

Funktion Symbol Periode


Sinus sin 2π
Kosinus cos 2π
Tangens tan π
Kotangens cot π
Sekans sec 2π
Kosekans csc 2π

Beispiel 2.16:
Periodizität. Die Periodizität trigonometrischer Funktionen soll anhand folgender Bei-
spiele mit dem Taschenrechner überprüft werden (Nicht vergessen: Taschenrechner in
rad-Modus umschalten!).

sin(1,3) = sin(2π + 1,3) = sin(4π + 1,3) = · · ·


cos(2,5) = cos(2π + 2,5) = cos(4π + 2,5) = · · ·
tan(3,7) = tan(π + 3,7) = tan(2π + 3,7) = · · ·

2.8 Arkusfunktionen
Bei einer normalen trigonometrischen Funktion, z.B. bei Sinus, wird ein Winkel vorgegeben und
der Funktionswert gesucht, z.B. sin 90◦ . Bei einer Arkusfunktion hingegen sucht man denjenigen
Winkel y, dessen trigonometrischer Funktionswert vorgegeben ist. Man sucht z.B. den Winkel y,
für den der Sinus-Wert gleich 1 ist. Eine Arkusfunktion ist insofern begrifflich die inverse Funk-
tion zu der korrespondierenden trigonometrischen Funktion. Die Definition der Arkusfunktionen
ist wie folgt:

y = sin x ⇔ x = arcsin y
y = cos x ⇔ x = arccos y
(2.14)
y = tan x ⇔ x = arctan y
y = cot x ⇔ x = arccot y

Bild 2.15 zeigt diverse Arkusfunktionen. Einige wichtige Beziehungen zwischen Arkus-Funktionen
sind auf Seite 775 zusammen gestellt.
Anmerkung: In der Literatur begegnet man auch folgenden Schreibweisen für Arkusfunktio-
nen: asin, acos, atan, sin−1 , cos−1 , tan−1 . Die letztere Schreibweise mit hochgestelltem −1, die
man vor allem auf Taschenrechnern findet, ist mit Umsicht zu handhaben, weil sie leicht zu Miß-
deutungen führen kann; z.B. wäre es vollkommen falsch, Arkussinus folgendermaßen berechnen
zu wollen:
1
sin−1 y = falsch!
sin y
2.9 Hyperbelfunktionen 43

Das Symbol sin−1 y auf einem Taschenrechner bedeutet Arkussinus und hat nichts mit dem Aus-
1
druck zu tun!
sin y
200

100 100

150
y [deg]

y [deg]
50 50

y [deg]
100

–1 –0.5 0 0.5 1 0
–20 –10 10 20
x x
50

–50 –50

–1 –0.5 0 0.5 1
–100 x –100

a: arcsin x b: arccos x c: arctan x

Bild 2.15: Arkusfunktionen

Beispiel 2.17:
Arkusfunktion. Von welchem Winkel α ist die Sinusfunktion gleich 1 (mit Taschen-
rechner)?

sin α = 1 α =? ⇒ α = arcsin 1
Grad-Modus (deg): α = arcsin 1 = 90◦
π
Rad-Modus (rad): α = arcsin 1 = 1,5707962327 = rad
2

2.9 Hyperbelfunktionen
Hyperbelfunktionen werden durch Kombination der Exponentialfunktionen ex und e−x definiert:
1 x
Sinus hyperbolicus sinh x = (e − e−x )
2
1 x
Kosinus hyperbolicus cosh x = (e + e−x )
2
(2.15)
sinh x ex − e−x
Tangens hyperbolicus tanh x = = x
cosh x e + e−x
cosh x ex + e−x
Kotangens hyperbolicus coth x = = x
sinh x e − e−x
Bild 2.16 zeigt verschiedene Hyperbelfunktionen. Auf Seite 775 sind einige wichtige Beziehun-
gen für Hyperbelfunktionen angegeben.
44 2 Elementare Funktionen

4 4

0.5

y
y

y
2 2

0 0 –3 –2 –1 0 1 2 3
–3 –2 –1 1 2 3 –3 –2 –1 1 2 3
x x x
–2 –2
–0.5

–4 –4
–1

a: y = sinh x b: y = cosh x c: y = tanh x

Bild 2.16: Hyperbel-Funktionen

Anmerkung:Trotz ihrer Namensähnlichkeit mit Sinus, Kosinus usw. sind Hyperbelfunktionen


keine trigonometrischen Funktionen und sie sind nicht periodisch. Das Argument x der Hyper-
belfunktionen ist immer in Bogenmaß zu verstehen. Deshalb macht es z.B. keinen Sinn, sinh 60◦
berechnen zu wollen, indem in der Definitionsformel (2.15) x = 60 eingesetzt wird (es kommt
eine extrem große Zahl heraus, probieren Sie aus!).

Beispiel 2.18:
Kettenlinie. Die Seildurchhangskurve eines biegsamen Seils unter seinem Eigenge-
wicht q wird Kettenlinie genannt und durch eine Kosinus hyperbolicus Funktion be-
schrieben (Ursprung des xy-Koordinatensystems befindet sich am tiefsten Seilpunkt
der halben Seillänge, H die durch das Seilgewicht verursachte waagerechte Auflager-
kraft):
H  qx  N
y= cosh − 1 y in m H in N q in x in m
q H m

2.10 Explizite und implizite Darstellung von Funktionen


Eine explizite Funktion besitzt die Form y = f (x), d.h. y ist eine Funktion der unabhängigen
Variable x. Die Funktionsvariable y ist die abhängige Variable, weil sie explizite von x abhängt
(»explizite« lat. ausdrücklich).

y = f (x) explizite Darstellung einer Funktion (2.16)

Aber nicht immer liegt eine Funktion in der expliziten Form y = f (x) vor. Bei der Lösung einer
mathematischen oder physikalischen Aufgabe kann es vorkommen, dass das Ergebnis als sog.
implizite Funktion F(x, y) = 0 vorliegt. Zwar hängt die Variable y prinzipiell auch hier von
der Variable x ab, aber diese Abhängigkeit ist nur implizite (»implizite« lat. inbegriffen) Eine
implizite Funktion kann je nach Fall in die explizite Form gebracht werden, oder auch nicht.

F(x, y) = 0 bzw. F(x, y) = c implizite Darstellung einer Funktion (2.17)


2.11 Funktionen in Parameterdarstellung 45

Beispiel 2.19:
Nachfolgend sind Beispiele für explizite und implizite Funktionen gegeben.
a) x2 + y2 = 25 implizite Funktion (Gleichung eines Kreises mit Radius 5)

b) y = 25 − x2 explizite Funktion (Gleichung eines Kreises mit Radius 5)
c) y4 − 3 x2 + 5 x + 9 =0 implizite Funktion √
Sie läßt sich in explizite Form transformieren: y = 4 3 x2 − 5 x − 9
d) y4 − y3 + x2 + x + 1 = 0 implizite Funktion
Sie läßt sich nicht in explizite Form transformieren.
e) x − sin y = 0 implizite Funktion
Sie läßt sich in explizite Form transformieren: y = arcsin x
f) y+sin y−x = 0 implizite Funktion (lässt sich nicht in explizite Form transformieren)

Beispiel 2.20:
Ellipse. Durch Umformung lässt sich die implizite Ellipsengleichung in die explizite
Form bringen:

x2 y2 b 2
+ =1 (implizit) Umformung y=± a − x2 (explizit)
a2 b2 −−−−−−−−−−−−→ a

2.11 Funktionen in Parameterdarstellung


In einer Parameterfunktion werden beide Variablen x und y als Funktion einer dritten Variable
t, des sogenannten Parameters, ausgedrückt:

x = p(t) y = q(t) t : Parameter (2.18)

Die Bedeutung des Parameters t hängt von der jeweiligen Aufgabe ab, z.B. Zeit, Winkel usw.
Als Parametersymbol können auch andere Symbole als t verwendet werden, z.B. θ , ϕ usw.

Beispiel 2.21:
Kreisgleichung. Der in Bild 2.17 dargestellte Kreis mit dem Radius r wird in der
impliziten Standardform durch die Gleichung

x2 + y2 = r2

beschrieben. In der Parameterform lautet die Kreisgleichung (Bild 2.17):

x = r cos t y = r sin t t : Parameter (Winkel)


46 2 Elementare Funktionen

y r

t
x x
x=r cos t
y=r sin t

Bild 2.17: Kreis als Parameterfunktion

Anmerkung: Die Äquivalenz der beiden Darstellungsformen wird sofort ersichtlich,


wenn die beiden Terme der Parameterform quadriert und dann addiert werden:

x2 = r2 cos2 t y2 = r2 sin2 t x2 + y2 = r2 (cos2 t + sin2 t) = r2


  
=1

Beispiel 2.22:
Ellipsengleichung. Für die Beschreibung einer Ellipse (Bild 2.20) sind folgende Dar-
stellungsarten möglich:

x2 y2
implizite Form: + =1
a2 b2
b√ 2
explizite Form: y=± a − x2
a
Parameterform: x = a cos t y = b sin t 0 ≤ t ≤ 2π

Der Parameter t entspricht dem von der x-Achse aus gemessenen Umfangswinkel
im Gegenuhrzeigersinn. Für jeden beliebigen Wert von t aus dem Definitionsbereich
ergibt sich ein xy-Wertepaar, das einem Punkt auf der Ellipse entspricht.
Aufgabe: Werten Sie die Parameterform der Ellipse für a = 5; b = 3 und für
π 2π 3π
t= , , , · · · , π aus und stellen Sie Ihre Ergebnisse grafisch dar.
20 20 20

Beispiel 2.23:
Waagerechter Wurf. Die Flugbahn beim waagerechten Wurf mit der Anfangsgeschwin-
digkeit v0 kann mit Hilfe einer Parameterfunktion für Positionskoordinaten x und y
beschrieben werden (s. auch Seite 70):
1 2
x = x(t) = v0 t y = y(t) = y0 − gt (g : Erdbeschleunigung, t : Zeit)
2
2.12 Kegelschnitt-Funktionen 47

Beispiel 2.24:
Die Ganglinie eines Schraubengewindes lässt sich auf elegante Art in Parameterform
angeben. Wenn x und y die zur Schraubenachse senkrechten Koordinatenachsen be-
deuten und z der Schraubenmittelachse entspricht, lässt sich die Funktion der äußeren
Gewindekurve in folgender Form ausdrücken:

12
h 8
x = r cos ϕ y = r sin ϕ z= ϕ t 4
2π 0
r : Gewinderadius h : Ganghöhe –4

ϕ : Parameter (=Umfangswinkel), ϕ ≥ 0
–1 –1
–0.5 –0.5
0 0
y x
0.5 0.5
1 1
Der Parameter ϕ hat hier die Bedeutung des momentanen Umfangswinkels, bezo-
gen auf eine festgelegte Ausgangsposition mit ϕ = 0.

2.12 Kegelschnitt-Funktionen
Das Bild 2.18 zeigt im 3-dimensionalen Raum die Verschneidung einer Ebene mit einem Körper,
der aus zwei sich an ihrer Spitze berührenden Kreiskegeln besteht. Je nach Orientierung der Ebe-
ne im Raum (waagerecht, schräg) entstehen verschiedene Schnittkurven. Jede Schnittkurve ist ei-
ne räumliche Kurve im 3D-Raum. Wenn man nun in der Schnittebene ein geeignetes kartesisches

a: Kreis b: Ellipse c: Parabel d: Hyperbel

Bild 2.18: Kegelschnitt-Funktionen

xy-Koordinatensystem definiert, lässt sich die Schnittkurve mathematisch durch eine Gleichung
F(x, y) = 0 beschreiben. Diese Kurvengleichung wird als Kegelschnittfunktion bezeichnet und
hat folgenden allgemeinen Aufbau:

F(x, y) = Ax2 + By2 +Cx + Dy + E = 0 (2.19)


48 2 Elementare Funktionen

Die Konstanten A, B, C, D, E entscheiden über die Art der Schnittkurve:




⎪ Kreis, wenn A = B


⎨Ellipse, wenn AB > 0
Schnittkurve =

⎪Hyperbel, wenn AB < 0



Parabel, wenn entweder A = 0, B = 0 oder A = 0, B = 0

Nachfolgend werden einfache Typen verschiedener Kegelschnittfunktionen kurz erörtert.

Kreis
Die Gleichung eines Kreises mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.19 a) lautet:

x2 + y2 = r2 r : Kreisradius

Falls, wie das Bild 2.19 b zeigt, der Kreismittelpunkt vom Koordinatenursprung versetzt ist (in
x-Richtung um x0 , in y-Richtung um y0 ), lautet die Kreisgleichung:

(x − x0 )2 + (y − y0 )2 = r2

2
3
y

1
2
y

–2 –1 1 2 1
x

–1
0 1 2 3 4
x

–2 –1

a: Kreis mit x0 = 0, y0 = 0 b: Kreis mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.19: Kreis

Ellipse
Die Gleichung einer Ellipse mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.20 a) lautet:

x2 y2
+ =1 a : große Halbachse b : kleine Halbachse
a2 b2
2.12 Kegelschnitt-Funktionen 49

Falls der Ellipsenmittelpunkt vom Koordinatenursprung um x0 bzw. y0 versetzt ist (Bild 2.20 b),
gilt:

(x − x0 )2 (y − y0 )2
+ =1
a2 b2

2 3
y

1 2

y
1
–2 2
x
–1
2 4
x
–2 –1

a: Ellipse mit x0 = 0, y0 = 0 b: Ellipse mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.20: Ellipse

Hyperbel
Die Gleichung einer Hyperbel mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung (Bild 2.21 a) lautet:

x2 y2
− =1 a, b : Achsenparameter
a2 b2

Falls der Hyperbelmittelpunkt vom Koordinatenursprung versetzt ist (Bild 2.21 b), gilt:

(x − x0 )2 (y − y0 )2
− =1
a2 b2

3 3

2
2
y

1
1

–4 –2 0 2 4
x
–4 –2 2 4 6 8
–1
x
–1
–2

–3 –2

a: Hyperbel mit x0 = 0, y0 = 0 b: Hyperbel mit x0 = 2, y0 = 1

Bild 2.21: Hyperbel


50 2 Elementare Funktionen

Parabel
Die Parabel lässt sich auf zwei verschiedene Arten ausdrücken.

1. Form y = f (x)
In Anlehnung an (2.19) auf Seite 47 lässt sich die allgemeine Gleichung dieser Parabelform
wie folgt angeben:

y = ax2 + bx + c

In Bild 2.22 a ist das Schaubild der einfachsten Parabelfunktion y = x2 dargestellt.

2. Form x = f (y)
Ebenfalls in Anlehnung an (2.19) auf Seite 47 lautet die allgemeine Gleichung dieser Para-
belform:

x = ay2 + by + c

Zwei häufig anzutreffende Sonderformen dieser Parabelgleichung werden Scheitelgleichun-


gen der Parabel genannt:
a) Scheitelgleichung der Parabel, wenn Scheitel im Koordinatenursprung liegt (Bild 2.22 b).
 p
y2 = 2px y=± 2px 2p : Parameter : x-Koordinate des Brennpunkts
2
b) Scheitelgleichung der Parabel mit versetzter Scheitel (Bild 2.22 c).

(y − y0 )2 = 2p(x − x0 )

3 3

25 2 2
y

20
1 1

15
0 1 2 3 4 0 1 2 3 4
y

10 x x
–1 –1

5
–2 –2

–4 –2 0 2 4
x –3 –3

a: Parabel y = x2 b: Parabel y2 = x c: Parabel (y − 1)2 = x − 2

Bild 2.22: Parabel


2.13 Weitere Funktionen 51

2.13 Weitere Funktionen


2.13.1 Gaußsche Glockenkurve

Die Funktion der Gaußschen Glockenkurve (Bild 2.23) ist definiert als:

y = a e−(bx)
2

√ √
Für die speziellen Werte a = 1/ 2π und b = 1/ 2 wird sie als Wahrscheinlichkeitsdichtefunk-
tion einer normal-verteilten statistischen Variable bezeichnet:

1
y = √ e−x /2
2
(2.20)

Die Glockenkurve spielt in der Stochastik eine sehr wichtige Rolle bei der Behandlung von
Zufallsprozessen in der Natur und Technik. Wir werden ihr später im Abschnitt 8.7 auf Seite 400
nochmals begegnen.

0.4

0.3
y

0.2

0.1

–4 –2 0 2 4
x

Bild 2.23: Glockenkurve

2.13.2 Klothoide

Der Krümmungsradius einer Klothoide (Bild 2.24) ändert sich auf stetige Weise, d.h. ohne Sprün-
ge. Aufgrund dieser günstigen Eigenschaft wird sie bei Trassierungaufgaben im Verkehrswesen
(Straßen- und Bahnbau) verwendet. Die Klothoide (auch Spinnkurve genannt) ist eine künstlich
definierte Parameterfunktion gemäß folgender Gleichung.

t t
√ πu2 √ πu2
x=λ π cos du y=λ π sin du −∞ < t < ∞ (2.21)
2 2
0 0

Der Krümmungsradius r der Klothoide ist in jedem beliebigen Kurvenpunkt P umgekehrt


52 2 Elementare Funktionen

0.8

0.6

0.4

0.2

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1

Bild 2.24: Klothoide

proportional zur Länge s des Kurvenbogens zwischen dem Koordinatenursprung und P :

λ2
r=
s
λ ist der Proportionalitätsfaktor und hat die Dimension einer Länge. Der Krümmungsradius r
wird also mit zunehmender Bogenlänge kleiner, deshalb verläuft die Klothoide wie eine zusam-
menlaufende Spirale. Die dimensionslose Integrationsgrenze t und die Bogenlänge s sind über
folgende Beziehung miteinander verknüpft:
s
t= √
λ π
Die xy-Koordinaten des Punktes P werden mit Hilfe der obigen Integrale (sog. Fresnel-Integrale)
numerisch berechnet. Eine geschlossene Integration ist nicht möglich. Mathematische Tabellen-
sammlungen enthalten zahlenmäßige Auswertungen der Fresnel-Integrale.

2.14 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 2.25:
Windprofil. Die Windwirkung auf hohe und schlanke Bauwerke ist ein wichtiger Last-
fall. Die Windgeschwindigkeit u ist in Bodennähe geringer, mit zunehmender Höhe
über dem Boden wird sie größer. Die Ursache dieser ungleichmäßigen Verteilung der
Strömungsgeschwindigkeit ist die makroskopische Bodenrauhigkeit (Wälder, Sträu-
cher, Bäume, Wohnhäuser, Hochhäuser, Industrieanlagen etc.). Das dabei enststehende
-mittlere- Windgeschwindigkeitsprofil läßt sich näherungsweise mit folgender Potenz-
funktion beschreiben:
 α  
z z 0,28
u = f (z) = ug z.B.: u = 90
Hg 400

z : Höhe über dem Boden ug : Gradientwindgeschwindigkeit


Hg : Gradienthöhe α : Profilexponent
2.15 Aufgaben 53

Beispiel 2.26:
Es soll die Richtigkeit der Beziehung sinh 2x = 2 sinh x cosh x gezeigt werden.
Wir setzen folgende Definitionen für Hyperbelfunktionen, s. Gl. (2.15) auf Seite 43,
in die rechte Seite der zu beweisenden Beziehung ein und erhalten:
1 1
sinh x = (ex − e−x ) cosh x = (ex + e−x )
2 2

1 1
2 sinh x cosh x = 2 (ex − e−x ) (ex + e−x )
2 2
1 x x
= (e e + e e − e−x ex − e−x e−x )
x −x
2
1 2x 1
= (e + e0 − e0 −e−2x ) = (e2x − e−2x ) = sinh 2x 
2   
=0 2  
=sinh 2x

2.15 Aufgaben

1. Berechnen Sie die Durchbiegung des in Beispiel 2.4 auf Seite 26 erörterten Kragbalkens
unter der konstanten Streckenlast q. Als Zahlenwerte sind qL = 3 kN sowie die sonstigen
Werte des Beispiels 2.3 zu verwenden. Vergleichen Sie die Durchbiegung δ der Balken-
spitze mit der des Beispiels 2.3. Welche Schlußfolgerung kann man daraus in statischer
Hinsicht ziehen?

2. Zeichnen Sie freihändig die Schaubilder folgender Funktionen (ohne Taschenrechner!).


a) y = sin (x + π/2) b) y = sin (x − π/2)
c) y = sin (2x + π/2) d) y = sin (2x − π/2)

3. Stellen Sie, ohne im Buch nachzuschauen, folgende Funktionen grafisch für x ≥ 0 quali-
tativ möglichst korrekt dar (ohne Taschenrechner!). Bestimmen Sie zusätzlich den Schnitt-
punkt der Funktionskurve mit der x-Achse - sofern vorhanden.
54 2 Elementare Funktionen

a) sin x b) cos x c) sinh x d) cosh x


1
e) ex f) e−x g) h) ln x
x
i) y = e−x cos x j) y = e−x sin x k) y = ex cos x l) y = ex sin x

4. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Beziehungen 1 bis 3 für Sinus- und
Kosinusfunktion in Abschnitt A.1 auf Seite 773 für den Winkel x = π/6 rad = 30◦ und für
n = 1,2,3.

5. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die übrigen Rechenregeln für die trigono-
metrische Funktionen im Abschnitt A.1 auf Seite 773 für x = π/3, y = π/6, A = 3, B = 2.

6. Überprüfen Sie die folgenden Arkus-Funktionen mit Hilfe eines Taschenrechners (verges-
sen Sie nicht, Ihren Taschenrechner in den jeweils richtigen Grad-/Radiant-Modus umzu-
schalten!).
a) sin 30◦ = 0,5 arcsin 0,5 = 30◦
b) cos 60◦ = 0,5 arccos 0,5 = 60◦
c) tan 45◦ = 1,0 arctan 1,0 = 45◦
d) sin π/6 = 0,5 arcsin 0,5 = π/6
e) cos π/3 = 0,5 arccos 0,5 = π/3
f) tan π/4 = 1,0 arctan 1,0 = π/4

7. Überprüfen Sie mit Hilfe eines Taschenrechners die Rechenregeln für folgende Funktionen
für den Wert x = π/4.
a) Rechenregeln für die Arkus-Funktionen auf Seite 775.
b) Rechenregeln für die Hyperbel-Funktionen auf Seite 775.

8. Transformieren Sie folgende Funktionen in eine einfachere Form.


a) y = cosh x + sinh x Lsg: y = ex
b) y = cosh x − sinh x Lsg: y = e−x
c) y = cosh2 x − sinh2 x Lsg: y = 1
d) cos x − y−1 (sin x + sin x cos2 x) = 0
3
Lsg: y = tan x
1
e) y = sec2 x + csc2 x Lsg: y =
sin2 x cos2 x
9. Zeigen Sie die Richtigkeit folgender Beziehungen.
a) sin2 x + cos2 x = 1
Tipp: Denken Sie an ein rechtwinkliges Dreieck und die Pytagoras-Beziehung.
b) sin 3x = 3 sin x − 4 sin3 x
c) sinh(x + y) = sinh x cosh y + cosh x sinh y
Tipp: Starten Sie mit der Verarbeitung des rechten Ausdrucks.
2.15 Aufgaben 55

x 1
d) sin2 = (1 − cos x)
2 2
Tipp: Beziehungen 18 und 19 auf Seite 773.

10. Können Sie eine mathematisch einleuchtende Erklärung dafür finden, warum das Schaubild
von tanh (s. Abschnitt 2.9, Seite 43) für ±∞ asymptotisch gegen ±1 strebt?

11. Bestimmen Sie die erste von Null verschiedene positive Wurzel folgender Gleichungen.
a) sin x − cos x = 0 Lsg: x = π/4
b) tan x − 2 sin x = 0 Lsg: x = π/3
c) 1 − sin2 x + cos3 x = 0 Lsg: x = π/2
12. Folgende Gleichungen sind zu lösen.
a) sinh x + cosh x = 7,389 Lsg: x=2
b) cosh x − sinh x = 0 Lsg: x = +∞
c) cosh x + sinh x − cos π = 1 Lsg: x = −∞
d) sinh x cosh x + cos(arcsin 1)) = 0 Lsg: x=0
ex − e−x
e) sinh x cosh x = x Lsg: x = 0
e + e−x
13. Eine Hyperbel mit dem hyperbelmittelpunkt im Koordinatenursprung hat ihren Scheitel-
punkt in (2; 0) und geht durch den Punkt P = (3; 5). Stellen Sie die Hypergleichung auf.
x 2 y2
Lsg: − =1
4 20
14. Berechnen Sie die größte Durchbiegung des Kragbalkens in Beispiel 2.4 auf Seite 26 für
die Streckenlast q = 0,75 kN/m, die übrigen Größen (L, E, I) sind identisch mit denen des
Beispiels 2.3 auf Seite 25. Lsg: ymax = 3,27 cm
15. Stellen Sie die ideale Sieblinie für das Betonzuschlaggemisch grafisch dar (s. Beispiel 2.6
auf Seite 27). Bestimmen Sie außerdem den maximal zulässigen Anteil A von Körnern mit
Durchmessern von 0 bis 8 mm am Gesamtgemisch mit Größtkorndurchmesser von 31,5 mm.
Lsg: A = 50,4%

16. Die Schwingung eines Machinenteils ist durch u(t) = 6 e−0,005t gegeben, wobei die Varia-
ble t die Zeit in Sekunden bedeutet. Nach welcher Zeit Δt nimmt der Schwingweg um 30%
gegenüber seinem Anfangswert ab? Lsg: Δt = 71,3 s
17. Ist die in Bild 2.3 auf Seite 28 dargestellte e-Funktion eine symmetrische Funktion?

18. Eine Kugel aus Balsaholz mit 30 cm Durchmesser fällt aus 1000 m Höhe herunter (vgl.
Beispiel 2.8 auf Seite 29). Stellen Sie die Zeit-Höhe-Funktion der Kugel grafisch dar. Re-
cherchieren Sie die benötigten Kenngrößen zur Lösung der Aufgabe (Dichte, Luftreibungs-
koeffizient) im Internet oder Fachliteratur.
3 Differentialrechnung
Die Differentialrechnung gehört einem Gebiet der Mathematik, das als Infinitesimalrechnung
bekannt ist.1 Wörtlich besitzt infinitesimal die Bedeutung »ins unendlich Kleine gehend«. Das
Gegenteil einer infinitesimalen Größe ist eine endliche Größe. In der Infinitesimalrechnung stellt
man die Gesetzmäßigkeiten zwischen den beteiligten Größen eines mathematischen Problems
also in einem unendlich kleinen Bereich her (sozusagen unter Mikroskop) und überträgt die
gewonnenen Erkenntnisse dann zum realen, endlichen Definitionsraum.
In diesem Kapitel wird die Differentialrechnung nur für Funktionen mit einer unabhängigen
Variable behandelt (für Funktionen mit mehreren unabhängigen Variablen siehe Kapitel 11).
Unsere Betrachtungen beschränken sich auf Funktionen y = f (x), die im betrachteten x-Intervall
stetig und glatt sind.2 Stetig-glatte Funktionen sind in ihrem Definitionsbereich differenzierbar.
Beispiele für stetig-glatte Funktionen sind:

y=x y = x2 y = ex y = e−x y = sin x y = cos x y = sinh x

Wenn im folgenden von einer Funktion gesprochen wird, ist immer eine im betrachteten Intervall
stetige und glatte Funktion gemeint, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird.

3.1 Differenzenquotient
Bild 3.1 zeigt einen Ausschnitt einer stetigen Funktion y = f (x), welche an der Stelle x0 den
Funktionswert y0 = f (x0 ) und an einer benachbarten Position x1 den Wert y1 = f (x1 ) haben
soll. Die zugehörigen Punkte auf der Funktionskurve sind P0 = (x0 , y0 ) und P1 = (x1 , y1 ) .
Aus Bild 3.1 lassen sich folgende Differenzen Δx, Δy definieren:

Δx = x1 − x0 Δy = y1 − y0

Anmerkung: Die Differenzen Δx und Δy sind endliche, d.h. nicht infinitesimale, Größen. In
technischen Aufgaben werden Differenzen oft auch als Inkremente bezeichnet.
Die Steigung der Sekante P0 P1 in Bezug auf die x-Achse ist gegeben durch die folgende, aus
der elementaren Trigonometrie bekannte, Beziehung:

Δy y1 − y0 f (x0 + Δx) − f (x0 )


tan ϕ = = = (3.1)
Δx x1 − x0 Δx
Die Position x0 kann beliebig gewählt werden. Um diese Beliebigkeit hervorzuheben, wird im
folgenden anstelle von x0 einfach x verwendet (es gilt dann x1 = x + Δx).
1 Die von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 − 1716) verwendete Bezeichnung Infinitesimalrechnung ist der Sammel-
begriff für Differential- und Integralrechnung. Allerdings beanspruchte auch Newton die Urheberschaft für sich, so
dass die beiden Gelehrten in einen verbitterten Streit gerieten und einander anfeindeten.
2 Die Differentialrechnung lässt sich mit entsprechender Umsicht auch auf unstetige und nichtglatte Funktionen
anwendbar; in diesem Buch werden diese Feinheiten jedoch nicht weiter vertieft.

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_3,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
58 3 Differentialrechnung

y y=f(x)
P1
y1

e
nt
ka
PL Dy

Se
yL
P0 j Tan
gente
DyL
y0 a
Dx

x0 x1 x

Bild 3.1: Tangente als Grenzfall der Sekante für Δx → 0

Der Quotient Δy/Δx für eine beliebige x-Position wird als Differenzenquotient bezeichnet:

Δy f (x + Δx) − f (x)
= Differenzenquotient (3.2)
Δx Δx

Beispiel 3.1:
Gesucht ist der Differenzenquotient Δy/Δx der jeweiligen Funktion.
a) y = f (x) = c (c : beliebige Konstante).

Δy c − c 0
f (x) = c f (x + Δx) = c = = =0
Δx Δx Δx

b) y = x

Δy (x + Δx) − x Δx
f (x) = x f (x + Δx) = x + Δx = = =1
Δx Δx Δx

c) y = x2

f (x) = x2 f (x + Δx) = (x + Δx)2 = x2 + 2x Δx + Δx2

Δy (x2 + 2x Δx + Δx2 ) − x2 2x Δx + Δx2


= = = 2x + Δx
Δx Δx Δx
d) y = sin x

f (x) = sin x f (x + Δx) = sin(x + Δx) = sin x cos Δx + cos x sin Δx

Δy sin x cos Δx + cos x sin Δx − sin x sin x(cos Δx − 1) + cos x sin Δx


= =
Δx Δx Δx
3.2 Differentialquotient 59

3.2 Differentialquotient

Der Abstand Δx (Differenz) in Bild 3.1 soll jetzt immer weiter so verkleinert werden, dass er im
Grenzfall gegen Null strebt, d.h. Δx → 0 wird. Die Position x1 rückt also unendlich dicht an x0
heran und die Punkte P0 und P1 kommen auf diese Weise in infinitesimale Nachbarschaft. Für
Δx → 0 geht die Sekante P0 P1 in die Tangente P0 PL über und aus dem Sekantenwinkel ϕ wird
der Tangentenwinkel α:

α = lim ϕ
Δx→0

Die unendlich kleine Differenz limΔx→0 Δx bezeichnet man als Differential dx :

dx = lim Δx Differential dx
Δx→0

Das zu dx korrespondierende Differential dy der abhängigen Variable y ist definiert als:

dy = lim Δy Differential dy
Δx→0

Mit vorangehenden Definitionen für dx und dy lässt sich der Differentialquotient dy/dx jetzt
definieren als:

dy limΔx→0 Δy Δy f (x + Δx) − f (x)


= = lim = lim Differentialquotient (3.3)
dx limΔx→0 Δx Δx→0 Δx Δx→0 Δx

Anmerkung: Differentiale dx und dy sind infinitesimale Größen, d.h. sie sind sehr klein. Deshalb
spricht man anstelle von infinitesimalen Größen oft auch von differentiellen Größen. Zwar sind
dx und dy sehr kleine Größen, allerdings kann ihr Quotient dy/dx dennoch sehr groß werden:
Beispielsweise sind die Differentiale dx = 10−15 und dy = 10−9 sicherlich sehr kleine Größen,
ihr Differentialquotient dy/dx = 10−9 /10−15 = 106 ist hingegen eine doch recht große Zahl!

Beispiel 3.2:
Gesucht ist der Differentialquotient dy/dx der Funktionen in Beispiel 3.1 (die benötig-
ten Differenzenquotienten Δy/Δx werden unmittelbar dem Beispiel 3.1 entnommen).

a) y = c (c : beliebige Konstante).
dy Δy
= lim = lim 0 = 0
dx Δx→0 Δx Δx→0

b) y = x
dy Δy
= lim = lim 1 = 1
dx Δx→0 Δx Δx→0
60 3 Differentialrechnung

c) y = x2
dy Δy
= lim = lim (2x + Δx) = 2x + 0 = 2x
dx Δx→0 Δx Δx→0

d) y = sin x

Für sehr kleine Werte von Δx gilt: sin Δx ≈ Δx

dy sin x (cos Δx − 1) + cos x sin Δx


= lim
dx Δx→0 Δx
sin x (cos Δx − 1) + cos x · Δx
≈ lim
Δx→0 Δx

sin x ( 1 − sin2 Δx − 1) Δx
= lim + lim cos x
Δx→0 Δx Δx→0 Δx

1 − (Δx)2 − 1
= sin x lim + lim cos x · 1
Δx→0 Δx Δx→0
  
≈0
= sin x · 0 + cos x = cos x

3.3 Definition der Ableitung

Den in (3.3) definierten Differentialquotienten dy/dx der Funktion y = f (x) bezeichnet man als
die erste Ableitung von y und schreibt sie als y :3

dy Δy
y = = lim Ableitung der Funktion y = f (x) (3.4)
dx Δx→0 Δx

Die Begriffe Ableitung und Differentialquotient sind also identisch. Unter Berücksichtigung
der Beziehung y = f (x) können für Ableitung y auch andere Bezeichnungen verwendet werden.
Folgende Ausdrücke sind alle gleichwertig.

d f (x) Δ f (x) d
y ≡ f  (x) = = lim = f (x)
dx Δx→0 Δx dx

Den Vorgang des Ableitens nennt man Differentiation. Zum Auffinden der Ableitung wird
also die Funktion abgeleitet oder differenziert. Die Ableitungen der wichtigsten elementaren
Funktionen sind im Anhang A.4 auf Seite 776 zusammengestellt.

3 Die Verwendung von y = f  (x) zur Kennzeichnung der Ableitung geht auf J.L. de Lagrange (1736-1813) zurück.
Lagrange hat neben Mathematik auch sehr wichtige Beiträge zur analytischen Mechanik geleistet. Von grundlegen-
der Bedeutung sind die nach ihm benannten Langrange-Gleichungen in der Dynamik.
3.3 Definition der Ableitung 61

Die Ableitung y ist selbst eine eine Funktion der unabhängigen Variable x :

y = g(x)

Differentialoperator
Die Ableitungsdefinition (3.4) kann unter Verwendung des Differentialoperators d/dx auch aus-
gedrückt werden als

dy d d f (x) d d
y = = y bzw. y = = f (x) : Differentialoperator (3.5)
dx dx dx dx dx
Der Differentialoperator d/dx ist keine neue mathematische Größe, sondern lediglich eine ande-
re -in manchen Fällen allerdings sehr zweckmäßige- Darstellungsart für den Ableitungsvorgang.
Geometrische Deutung der Ableitung
In geometrischer Hinsicht ist der Zahlenwert der Ableitung y an einer beliebigen x0 -Position
identisch mit der Steigung4 der Tangentengerade, welche genau an dieser Position an die Funkti-
onskurve gelegt wird (s. auch Bild 3.1):

y (x0 ) = g(x0 ) = f  (x0 ) = tan α x=x
0

Dieser Zusammenhang läßt sich sehr gut am Bild 3.1 demonstrieren. Unter Berücksichtigung
von Gl. (3.1) erhalten wir die Steigung der Tangentengerade an die Funktionskurve am Punkt P0
zu:
Δy f (x + Δx) − f (x) dy
tan α = lim tan ϕ = lim = lim = = y (3.6)
Δx→0 Δx→0 Δx Δx→0 Δx dx
Beispiel 3.3:

Gegeben sei die Funktion y = f (x) = 3 3 x . Gesucht ist der Steigungswinkel α der
Tangentengerade am Punkt P der Kurve an der x-Position xP = 0,4.
6
Tangente

4
y

2 P

–2 0 2 4 6
x

Zunächst ermitteln wir die Ableitung der Funktion:


√ 1 −2/3 1
y = (3 3
x) = (3 x1/3 ) = 3 x = 2/3
3 x
4 Steigung einer Gerade ist gleichbedeutend mit dem Tangens des Winkels zwischen der Gerade und der x-Achse.
62 3 Differentialrechnung

An der Stelle x = 0,4 beträgt die Steigung:


1
y (0,4) = = 1,842016
0,42/3
Der Steigungswinkel ergibt sich zu:

arctan α = y (0,4) = 1,842016 ⇒ α = 61,5◦

3.4 Ableitungsregeln
3.4.1 Faktorregel
Ein konstanter Multiplikationsfaktor c der Funktion bleibt bei der Ableitung unverändert und
beeinflusst den Ableitungsvorgang nicht.

y = c f (x) ⇒ y = c f  (x) Faktorregel (3.7)

Beispiel 3.4:
a) y = 5 x3 y = (5 x3 ) = 5 (x3 ) = 5 (3x2 ) = 15 x2
1 3
b) y = −3 ln x y = (−3 ln x) = −3 (ln x) = −3 · = −
x x
c) y = π sin x y = (π sin x) = π (sin x) = π cos x

3.4.2 Summenregel
Die Ableitung einer Funktion f (x), die als Linearkombination anderer Funktionen f1 (x), f2 (x)
usw. zusammengesetzt ist, entspricht der Summe der Ableitungen der einzelnen Funktionen:

y = f (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)


Summenregel (3.8)
y = f  (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)

Beispiel 3.5:
a) y = 5x3 − 8x2

y = (5x3 − 8x2 ) = (5x3 ) − (8x2 ) = 15x2 − 16x

b) y = 2 sin x − 5 cos x

y = (2 sin x − 5 cos x) = (2 sin x) − (5 cos x) = 2 cos x + 5 sin x

c) y = 3eax − 4 ln x + 6 tanh x
4
y = (3eax ) − (4 ln x) + (6 tanh x) = 3aeax − + 6(1 − tanh2 x)
x
3.4 Ableitungsregeln 63

3.4.3 Produktregel
Für eine Funktion f (x), die als Produkt von zwei Funktionen u(x) und v(x) definiert ist, gilt
folgende Ableitungsregel:

y = u(x) · v(x) ⇒ y = u (x) v(x) + u(x) v (x)

In Kurzschreibweise lautet die Produktregel:

y = uv y = u v + u v Produktregel (3.9)

Die Produktregel lässt sich mit Hilfe des Differentialoperators folgendermaßen auch schreiben:
d du dv
(uv) = v+ u (3.10)
dx dx dx
In Beispiel 3.36 auf Seite 94 ist die Herleitung der Produktregel ausführlich besprochen.

Beispiel 3.6:
a) y = (x − 1) (x2 − 2)
     
u v

y = (1) (x2 − 2) + (x − 1) (2x) = 3x2 − 2x − 2


       
u v u v

b) y =  sin x
x 
u v

y = 1 · sin x + x cos x = sin x + x cos x

c) y = 
e3x cos
x
u v

y = 3e3x cos x − e3x sin x = e3x (3 cos x − sin x)

Produktregel für Funktionen mit 3 Termen


Die Produktregel kann auch auf Produkte mit mehr als zwei Termen angewandt werden:

y = u(x) · v(x) · w(x) oder kürzer : y = u v w

y = (uvw) = u v w + u v w + u v w (3.11)

Beispiel 3.7:

y = 
x2 
sin x 
ln x
u v w
64 3 Differentialrechnung

1
u = 2x v = cos x w =
x
1
y = 2x x ln x + x cos
 sin
2
x ln x + x sin x x
2

u v w u v w   
u v w
= 2x sin x ln x + x cos x ln x + x sin x
2

3.4.4 Quotientenregel
Die Quotientenregel wird bei der Ableitung von Funktionen benötigt, die als Quotient zwei un-
terschiedlicher Funktionen definiert sind. Die Ableitung der Funktion

u(x) u
y = f (x) = oder in abgekürzter Schreibweise: y = f =
v(x) v

ist gegeben durch folgende Quotientenregel:

u v − u v
y = Quotientenregel (3.12)
v2

Wir können (3.12) auf relativ einfache Weise herleiten.5 Hierfür formen wir die gegebene Funk-
tion f = u/v einfach um und wenden dann darauf die Produktregel an:

fv = u ( f v) = u f  v + f v = u

 u 
u − f v u − v v u uv u v uv u v − uv
⇒ f = = − 2 = 2 − 2 =
v v v v v v v2

Beispiel 3.8:
x2
y= y =?
sin x
u = x2 v = sin x u = 2x v = cos x
u u 
   
v v
2x sin x − x 2
cos x
y = 2
sin
 x
v2

Beispiel 3.9:
sin x
y= y =?
cos x
5 Neben der hier vorgestellten einfachen Methode gibt es weitere mathematisch noch strengere Herleitungmöglichkei-
ten, die hier allerdings nicht weiter erläutert werden sollen.
3.4 Ableitungsregeln 65

u = sin x v = cos x u = cos x v = − sin x


cos x cos x − sin x (− sin x) cos2 x + sin2 x 1
y = = =
cos2 x cos2 x cos2 x

Beispiel 3.10:
In diesem Beispiel werden sowohl die Quotienten- als auch die Produktregel benötigt.

x ln x
y= y =?
ex sin x
Mit

u =  ln x
x  v = 
ex 
sin x
g h g h

liefert die Produktregel:


1
u = g h + g h = 1 · ln x + x = ln x + 1
x
v = g h + g h = ex sin x + ex cos x = ex (sin x + cos x)
Aus der Quotientenregel erhalten wir:

u v − uv (ln x + 1)(ex sin x) − (x ln x) ex (sin x + cos x)


y = =
v2 (ex sin x)2
(ln x + 1) sin x − x ln x (sin x + cos x)
=
ex sin2 x

3.4.5 Kettenregel

Leibniz-Kalkül
In der Infinitesimalrechnung gestattet das Leibniz-Kalkül6 mit Differentialen so umzugehen als
wären sie ganz gewöhnliche mathematische Größen. Aus Differentialen zusammengesetzte Ter-
me können in diesem Kalkül nach Bedarf (in mathematisch erlaubter Weise) beliebig umgeformt,
erweitert, miteinander multipliziert, dividiert werden usw. So kann man z.B. schreiben:

dy dy du dy dy du dv
= =
dx du dx dx du dv dx
Auf der Grundlage des Leibniz-Kalküls können wir jetzt die Herleitung der Kettenregel angehen.

6 Unter einem Kalkül wird ein logisches System von Regeln verstanden, mit deren Hilfe aus grundlegenden Bezie-
hungen durch Umformungen weitere Beziehungen gewonnen werden können.
66 3 Differentialrechnung

Kettenregel
Schon bei relativ einfachen Funktionen kann es vorkommen, dass die bisherigen Differentiations-
regeln nicht ausreichen um eine Funktion abzuleiten. Folgende Funktionen y = f (x) können wir
beispielsweise mit Hilfe unseres bisherigen Wissens nicht differenzieren:

y = sin(3x) y = sin(x − 3) y = ln(x2 − 2x) y = sin2 (3x − 3) (a)

Wenn f (x) so aufgebaut ist, dass f (x) = f (g(x)) gilt, kann durch Einführung einer neuen abhän-
gigen Variable u = g(x) die ursprüngliche Funktion auch ausgedrückt werden als

y = f (x) = f (g(x)) = f (u)

Variable y hängt jetzt also unmittelbar von u ab (und mittelbar natürlich nach wie vor von x ab).
Die Funktionen f (x) in (a) lassen sich nun in der Form y = f (u) schreiben:

y = sin(3x) = sin u mit u = g(x) = 3x


y = sin(x − 3) = sin u mit u = g(x) = x − 3
y = ln(x − 2x) = ln u
2
mit u = g(x) = x2 − 2x
y = sin2 (3x − 3) = sin2 u mit u = g(x) = 3x − 3

Die Kettenabbleitung lässt sich nun mit Hilfe des Leibniz-Kalküls wie folgt formulieren:

dy dy du dy dg(x) d f (u) dg(x)


y = = = =
dx du dx du dx  du
   dx
 
äußere Abl. innere Abl.

Für die Funktionen f (u) und g(x) haben sich folgende Bezeichnungen eingebürgert:

f (u) : äußere Funktion g(x) : innere Funktion

Die Ableitungen von f (u) und g(x) werden dementsprechend bezeichnet:

d f (u)
äußere Ableitung
du
dg(x)
innere Ableitung bzw. Nachdifferenzierung
dx
In kurzer Schreibweise können wir die Kettenregel schreiben als:

dy dy du
y = = Kettenregel (3.13)
dx du dx
3.4 Ableitungsregeln 67

Beispiel 3.11:
Gesucht ist die erste Ableitung der Funktion y = sin(x − 3) .

u = g(x) = x − 3 innere Funktion

y = f (u) = sin u äußere Funktion


dy d
= sin u = cos u äußere Ableitung
du du
du d
= (x − 3) = 1 innere Ableitung (Nachdifferenzierung)
dx dx
dy du
y = = (cos u) · (1) = cos u Verkettung der beiden Ableitungen
du dx

y = cos(x − 3) Rücksubstitution von u = x − 3

Beispiel 3.12:
y = 2 sin 3x y =?
dy d(2 sin u) du d(3x)
u = 3x ⇒ y = 2 sin u = = 2 cos u = =3
du du dx dx
dy du
y = = (2 cos u) · (3) = 6 cos u = 6 cos 3x
du dx

Beispiel 3.13:
y = 5 ln 1 + x3 y =?
u = 1 + x3 ⇒ y = 5 ln u
dy d(5 ln u) 5 du d(1 + x3 )
= = = = 3x2
du du u dx dx
dy du 5 2 15x2 15x2
y = = 3x = =
du dx u u 1 + x3

Beispiel 3.14:

y= (x2 + 2x − 3)3 y =?

u = x2 + 2x − 3 ⇒ y = u3

dy d( u3 ) 3 √ du d(x2 + 2x − 3)
= = u = = 2x + 2
du du 2 dx dx
dy du 3 √ 3 2 
y = = u (2x + 2) = x + 2x − 3 (2x + 2) = 3(x + 1) x2 + 2x − 3
du dx 2 2
68 3 Differentialrechnung

Kettenregel bei mehrfach verschachtelten Funktionen


Wie bereits oben erläutert, gelangt man bei der Anwendung der Kettenregel mit Hilfe der Sub-
stitution u = g(x) von der Funktion y = f (x) zur Funktion y = f (u). Falls die Ableitung von
u = g(x) irgendwo tabelliert ist (wie z.B. im Anhang A.4), kann die im vorigen Abschnitt be-
schriebene einfache Kettenregel angewandt werden.
Gelegentlich ist die Sache aber ein wenig komplizierter und dann muss man die Substitution
zweimal (ggf. sogar noch mehr) durchführen. Mit folgender zweifacher Substitution für y = f (x)

u = g(v) v = h(x) h(x) soll elementar differenzierbar sein!

lässt sich die Funktion y = f (x) ausdrücken als

y = f (u(v(x)))

Die Ableitung y lässt sich dann auf der Basis des Leibnis-Kalküls durch folgende zweifache
Kettenregel bestimmen:

dy dy du dv
y = = (3.14)
dx du dv dx

Beispiel 3.15:
y = sin(ln(x2 − 3x)) y =?
Für den innersten Ausdruck wird folgende Substitution eingeführt:

v = h(x) = x2 − 3x ⇒ y = sin(ln v)

Die Funktion y = sin(ln v) ist leider immer noch nicht elementar differenzierbar, so
dass eine erneute Substitution vorgenommen wird:

u = g(v) = ln v ⇒ y = sin u

Die Funktion y = sin u kann jetzt elementar differenziert werden.


Mit Hilfe der Kettenregel erhalten wir:

dy dy du dv
y = =
dx du dv dx
dy d(sin u) du d(ln v) 1 dv d(x2 − 3x)
= = cos u = = = = 2x − 3
du du dv dv v dx dx
1 1
y = cos u · · (2x − 3) = cos(ln v) (2x − 3)
v v
1 2x − 3
y = cos(ln(x2 − 3x)) 2 (2x − 3) = cos(ln(x2 − 3x)) 2
x − 3x x − 3x
3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen 69

3.5 Ableitung logarithmischer Funktionen


Für die Ableitung einer logarithmischen Funktion y = ln f (x) wird die Kettenregel angewandt.
Mit der Variablentransformation u = f (x) ergibt sich:

y = ln f (x) = ln u

dy dy du
y = =
dx du dx
Mit den Ableitungen

dy d 1 1 du d
= ln u = = (äußere Abl.) = f (x) = f  (x) (innere Abl.)
du du u f (x) dx dx

erhält man die Ableitung der logarithmischen Funktion y = ln f (x) :

f  (x)
y = ln f (x) y = logarithmische Ableitung (3.15)
f (x)

Beispiel 3.16:
y = ln(sin x) y =?
f  (x) (sin x) cos x
f (x) = sin x y = = = = cot x
f (x) sin x sin x

3.6 Ableitung von Parameterfunktionen


Funktionen in Parameterform sind in Abschnitt 2.11 behandelt. In einer Parameterfunktion wer-
den beide Variablen x und y als Funktion einer dritten Variable, des sog. Parameters, ausge-
drückt:

x = p(t) y = q(t) t : Parameter (z.B. Zeit, Winkel, Bogenlänge etc.)

Anmerkung: Der Parameter muss nicht unbedingt mit dem Symbol t ausgedrückt werden; es
kann jedes beliebige geeignete Symbol verwendet werden, z.B. α, ϕ etc.
Die Ableitung einer Parameterfunktion erfolgt nach der Kettenregel:

dy dy dx
= bzw. ẏ = y ẋ
dt dx dt
Daraus folgt durch Umformung die gesuchte Ableitung y :

Ableitung einer Parameterfunktion x = p(t), y = q(t) :


(3.16)
dy ẏ dx dy
y = = wobei ẋ = ẏ =
dx ẋ dt dt
70 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.17:
Die Flugbahn beim waagerechten Wurf mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 lässt sich
am besten mit Hilfe einer Parameterfunktion für Positionskoordinaten x und y be-
schreiben (g : Erdbeschleunigung, t : Zeit):
1 2
x = x(t) = v0 t y = y(t) = y0 − gt
2
Gesucht ist der Bahnwinkel α des Flugkörpers, wenn er den Boden berührt.

y
y v0
0

x a x

Steigung y der Flugbahn:


ẏ dx dy −gt
y = ẋ = = v0 ẏ = = −gt ⇒ y =
ẋ dt dt v0
Der Zeitpunkt t = T , zu dem der Körper den Boden berührt, ergibt sich aus:

1 2y0
y(T ) = 0 = y0 − g T 2 ⇒ T=
2 g

Bahnwinkel α bei Bodenberührung:



2y0
−g √ √
 g − 2gy0 − 2gy0
tan α = y (T ) = = ⇒ α = arctan
v0 v0 v0
Zahlenbeispiel:
Für v0 = 100 m/s, y0 = 40 m, g = 9,81 m/s2 ergibt sich der Bahnwinkel zu:

− 2 · 9,81 · 40
α = arctan = −15,6◦ (α zeigt im Uhrzeigersinn)
100
Die Flugdauer und Flugstrecke sind:

2 · 40
T= = 2,86 s x0 = v0 · T = 100 · 2,86 = 286 m
9,81
3.7 Ableitung impliziter Funktionen 71

3.7 Ableitung impliziter Funktionen

Wie auf Seite 44 bereits erörtert, kann es vorkommen, dass eine Funktion mit einer unabhängigen
Variablen nicht in der expliziten Form y = f (x) sondern in der impliziten Form F(x, y) = 0
vorliegt. Die Bestimmung der Ableitung y = dy/dx aus der impliziten Form F(x, y) = 0 bedarf
besonderer Überlegungen. Hierbei existieren folgende Möglichkeiten:

a) Entweder bringt man die Funktion von der impliziten Form F(x, y) = 0 in die explizite Form
y = f (x) und differenziert f (x) mit Hilfe allgemein bekannter Ableitungsregeln vorangegan-
gener Abschnitte, d.h. y = f  (x). Allerdings führt dieser naheliegende Weg nicht immer zum
Ziel, z.B. läßt sich die Funktion F(x, y) = x2 + 2x − y sin y = 0 nicht in die explizite Form
y = f (x) transformieren.

b) Man differenziert die implizite F(x, y) = 0 direkt nach x, wobei zu berücksichtigen ist, dass
y selbst eine Funktion von x ist. Daher ist bei der Ableitung von Termen, wo y vorkommt die
Kettenregel (äußere und innere Ableitung) anzuwenden.

c) Oder man differenziert die Funktion mit Hilfe des impliziten Ableitungskonzeptes, welches
in Abschnitt 11.5 auf Seite 546 vorgestellt wird.

Beispiel 3.18:
Für die implizite Funktion F(x, y) = x2 + y2 − 1 = 0 soll die erste Ableitung y be-
stimmt werden.

a) Wir bringen die implizite Funktion zunächst in explizite Form und differenzieren
nach x.
−x
y2 = 1 − x2 y = (1 − x2 )1/2 y =
(1 − x2 )1/2

b) Anwendung der Kettenregel

d(x2 + y2 − 1) d(0) d(x2 ) d(y2 ) d(−1) d(0)


= + + =
dx dx dx dx dx dx
d(x2 ) d(y2 ) d(y) d(−1) d(0)
+ + = ⇒ 2x + 2yy = 0
dx dy dx dx dx
−x −x
y = =
y (1 − x2 )1/2
c) Anwendung von 11.5 auf Seite 546:
F,x x −x
y = − F,x = 2x F,x = 2y y = − =
F,y y (1 − x2 )1/2
72 3 Differentialrechnung

3.8 Linearisierung einer Funktion


Aus der in Gl. (3.4) formulierten Ableitungsdefinition erhalten wir:

dy = y dx (a)

Aufgrund der Tatsache, dass y die Steigung der Tangentengerade an die Kurve darstellt, können
wir die obige Beziehung wie folgt interpretieren: dy entspricht der linearisierten Änderung der
Funktion y = f (x) bei einer infinitesimalen Änderung dx der unabhängigen Variable x.
Linearisierung bedeutet also, dass in der Nachbarschaft der jeweils betrachteten x-Position
nicht der tatsächliche Funktionsverlauf, sondern die genau an dieser x-Position an die Funktions-
kurve angelegte Tangente betrachtet wird.

y 6

y = f (x)

P1 !
y1 b !!Tangente
PL!!!
b
!!
yL
! !
P0 !α ΔyL
y0 `
!
Δx
-
x0 x1 x

Bild 3.2: Linearisierung einer Funktion

In der Auffassung der modernen Mathematik lässt sich somit die Differentiation auch beson-
ders einprägsam formulieren:
Differentiation bedeutet lokale Linearisierung.
Falls in der obigen Beziehung (a) anstelle der infinitesimalen Größe dx der endliche (d.h.
nicht-infinitesimale) Inkrement Δx verwendet wird (s. Bild 3.2), erhält man den linearen Zu-
wachs ΔyL des Funktionswertes entlang der Tangentengerade:

ΔyL = tan α · Δx = y (x0 ) · Δx mit Δx = x1 − x0 (3.17)

Für sehr kleine Werte von Δx , d.h. für Δx ≈ dx ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen tat-
sächlichen Funktionsinkrement Δy = y1 − y0 und dem linearisierten Funktionsinkrement ΔyL =
yL − y0 klein, es gilt also: y1 ≈ yL bzw. Δy ≈ ΔyL . Für den Grenzfall geht also der linearisierte
Funktionswert (Punkt PL ) in den exakten Wert (Punkt P1 ) über:

lim PL = P1
Δx→0

Mit wachsendem Δx hingegen wird die Abweichung zwischen P1 und PL größer. Je nach
betrachteter Funktion f (x) und dem Abstand Δx könnte diese Abweichung evtl. durchaus klein
3.8 Linearisierung einer Funktion 73

sein, unter Umständen aber auch riesig groß werden. In den Funktionsschaubildern der Beispiele
3.19 und 3.20 ist die Zunahme dieser Abweichung mit zunehmendem Abstand Δx gut erkennen.
Der beschriebene Vorgang wird Linearisierung der Funktion y = f (x) an der Stelle x0 ge-
nannt. Der Punkt P0 ist der Linearisierungspunkt.
Wie aus Bild 3.2 leicht zu ersehen, ergibt sich der linearisierte Funktionswert yL zu:

yL = y0 + ΔyL = y0 + y (x0 ) · Δx oder yL = y0 + y (x0 ) · (x1 − x0 )

Durch Einführung der allgemeinen Variable x anstelle von x1 in der obigen Gleichung erhält
man die an der Stelle x0 linearisierte Funktion yL :

yL = y0 + y (x0 ) · (x − x0 ) (3.18)

Anmerkung: Vor allem in technischen Anwendungen, z.B. der nichtlinearen Mechanik, ist die
Linearisierung von Funktionen die unverzichtbare mathematische Basis für Computerprogram-
me.

Beispiel 3.19:

In Beispiel 3.3 auf Seite 61 ist die Steigung der Funktion y = 3 3 x an der Stelle x0 =
0,4 berechnet worden. Jetzt sollen an den Stellen x1 = 0,41, x2 = 0,45 und x3 = 0,5
die tatsächlichen Werte Δy und die linearisierten Werte Δyt des Funktionszuwachses
berechnet und miteinander verglichen werden.
6
Tangente

4
y

2 P

–2 0 2 4 6
x

Der Funktionsinkrement Δyi an der Stelle xi wird aus der Differenz der exakten Funk-
tionswerte berechnet:

Δyi = yi − y0 wobei y0 = f (x0 ) = f (0,4)

Der linearisierte Wert Δyt,i an der Stelle xi ergibt sich aus

Δyt,i = y (x0 ) · Δxi mit y (x0 ) = y (0,4) = 1,842016 und Δxi = xi − x0

Der relative Fehler Erel zwischen dem exakten und dem linearisierten Funktionszu-
wachs wird berechnet aus:
 
 Δyi − Δyt,i 

Erel =  
Δyi 
74 3 Differentialrechnung

In tabellarischer Zusammenstellung erhalten wir folgende Ergebnisse:

i 0 1 2 3
xi 0,40 0,41 0,50 1,00
Δxi 0,0 0,01 0,10 0,60
yi 2,210419 2,228688 2,381102 3,000000
Δyi − 0,018269 0,170683 0,789581
Δyt,i − 0,018420 0,184202 1,105209
Erel 0% 0,8% 7,9% 40%

Wir sehen, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft von x0 der Fehler zwischen dem exakten
und dem linearisierten Ergebnis noch recht klein ist, mit zunehmendem Abstand aber rasch groß
wird.

Beispiel 3.20:
Es soll die Funktion y = e−x an der Stelle P = (x0 , y0 ) = (−1; 2,7183) linearisiert
werden. Anschließend ist der linearisierte Funktionswert an der Stelle x1 = −0,8 zu
berechnen und der relative Fehler gegenüber dem exakten Wert zu ermitteln.

Die Linearisierung erfolgt mit Hilfe der Gl. (3.18): 4

yL = y0 + y (x0 ) · (x − x0 )
P o

−(−1)
y0 = y(x0 ) = e = 2,7183
0
y = −e−x y (x0 ) = −e−(−1) = −2,7183
–2 2 4 6

yL = 2,7183 − 2,7183 (x − (−1)) = −2,7183 x –2


linearisiert
An der Stelle x1 = −0,8 ergibt sich der linearisierte Funktionswert zu:

yL (x1 ) = −2,7183 · (−0,8) = 2,1746


−(−0,8) = 2,2255.
Der exakte Funktionswert beträgt:
 y1 = y(x1 ) = e 
 yL − y   2,1746 − 2,2255 

Relativer Fehler: Erel =   =   = 0,023 ≡ 2,3%
y   2,2255 
Mit zunehmendem Abstand von der Linearisierungsposition vergrößert sich auch
der Fehler; z.B. ergeben sich für x1 = 0 völlig unterschiedliche Werte:
   
 yL − y   0 − 1 
yL (x1 ) = −2,7183 · 0 = 0 y1 = e = 1
0 
Erel =   =   = 1 ≡ 100%
y   1 
3.9 Höhere Ableitungen 75

3.9 Höhere Ableitungen


Die Ableitung der ersten Ableitung heißt die zweite Ableitung, die Ableitung der zweiten Ablei-
tung heißt die dritte Ableitung usw. Folgende Bezeichnungen können für die formale Angabe
verschiedener Ableitungen einer Funktion y = f (x) verwendet werden:

dy
1. Ableitung : y =
dx
 
d2 y d(y ) d  d dy
2. Ableitung : y = 2= = y =
dx dx dx dx dx
    
d3 y d(y ) d  d d(y ) d d dy
3. Ableitung : y = 3 = = y = =
dx dx dx dx dx dx dx dx
Beispiel 3.21:
Für die nachfolgenden Funktionen werden verschiedene Ableitungen berechnet.
a) y = x y = 1 y = (y ) = (1) = 0
b) y = x2 y = 2x y = 2 y = 0
c) y = 5x3 − 8x2 y = 15x2 − 16x y = 30x − 16 y = 30
3 3 6
d) y = −3 ln x y = − y = 2 y = − 3
x x x
e) y = 3eax y = 3aeax y = 3a2 eax y = 3a3 eax
f) y = sin(x − 3)
y = cos(x − 3) y = − sin(x − 3) y = − cos(x − 3)
g) y = 2 sin(3x)
y = 6 cos(3x) y = −18 sin(3x) y = −54 cos(3x)

3.10 Alternative Formeln für die zweite Ableitung


Mit Hilfe des Leibniz-Kalküls (Seite 65) lässt sich eine besondere Formel für die 2. Ableitung
einer Funktion y = f (x) nach x herleiten, die von der oben angegebenen Formeln abweicht. Wir
gehen zu diesem Zweck von der sofort einleuchtenden Identitätsbeziehung
1
y = 2y y
2y

aus. Den Term 2y y können wir durch einen anderen Term ersetzen. Zu diesem Zweck definieren
zunächst die Funktion g(y ) = (y )2 und leiten sie dann unter Beachtung der Kettenregel nach x:

d dg dy dg d(y )2 dy


g(y ) = (y )2 g(y ) =  = = 2y = y
dx dy dx dy dy dx
d  2
⇒ (y ) = 2y y
dx
76 3 Differentialrechnung

Wir erhalten somit aus der obigen Identitätsbeziehung:


1 d  2
y = (y )
2y dx

Nun setzen wir im Nenner dieser Beziehung anstelle von y den gleichwertigen Ausdruck dy/dx
ein und erhalten nach Streichen der dx-Terme im Zähler und Nenner:
1 d  2 1  dx d 1 d 2
y = (y ) = (y )2 = y
dy dx 2 dy  dx 2 dy
2
dx
Diese zunächst kurios aussehende Formel ist bei der Bearbeitung von physikalischen Aufgaben
mitunter sehr nützlich (s. auch Beispiel 3.23).
 
d2 y 1 d 2
y = 2= y (3.19)
dx 2 dy

Diese Formel besagt, dass die 2. Ableitung y einer Funktion y = f (x) auch ermittelt werden
kann, wenn man die 1. Ableitung y = dy/dx zunächst quadriert und dann das Ergebnis nach y
(nicht nach x !) differenziert und durch 2 dividiert.
Eine abgewandelte Form von (3.19) ergibt sich, wenn in (3.19) für dy im Nenner der gleich-
wertige Ausdruck f  (x) dx eingesetzt wird:
 
 1 d 1 d 2
y = y2 =  y (3.20)
2 f  (x) dx 2 f (x) dx

Falls es sich um ein zeitabhängiges Problem handelt, z.B. Bewegung von Körpern, kann die
Beziehung (3.19) sinngemäß angepasst werden. Bezeichnen wir mit s = f (t) die von der Zeit t
abhängige Wegstrecke, so lautet die zweite Ableitung von s nach t :
   
d2 s 1 d 2 1 d 2 ds
s̈ = = ṡ bzw. s̈ = ṡ mit ṡ = (3.21)
dt 2 2 ds 2ṡ dt dt

Beispiel 3.22:
Wir wollen die 2. Ableitung von y = 3eax mit Hilfe der Formel 3.19 bestimmen (s.
auch Beispiel 3.21).

y = 3eax y = 3aeax y2 = 9a2 (eax )2

Aus der Funktionsdefinition y = 3eax folgt unmittelbar eax = y/3 und daraus (eax )2 =
y2 /9. Wir erhalten also:

y2 1 d(y2 ) 1 d(a2 y2 ) 1 2
y2 = 9a2 = a2 y2 y = = = a 2y = a2 y = 3a2 eax 
9 2 dy 2 dy 2
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital 77

Beispiel 3.23:
Die von einem sich geradlinig bewegenden Körper zurückgelegte Strecke sei durch
die Beziehung s = 2 t 2 gegeben. Die Beschleunigung a des Körpers für t = 5 s soll
sowohl klassisch mittels zweiter Zeitableitung von s(t) nach t (s. Seite 75) als auch
nach Formel (3.21) berechnet werden.
a) Klassische Ermittlung der Beschleunigung über zweimalige Ableitung von s(t)
nach t :
ds d2 s
= ṡ = 4 t = s̈ = 4 a = 4 m/s2
dt dt 2
b) Berechnung nach Gl. (3.21):

ds 1 d(16t 2 )
ṡ = = 4t ṡ2 = 16t 2 s̈ =
dt 2 ds
Der Ausdruck 16t 2 kann nicht unmittelbar nach s abgeleitet werden. Dazu wird t 2
als Funktion von s aufgestellt. Die durch die Aufgabenstellung vorgegebene Bezie-
hung s = 2t 2 liefert t 2 = s/2 . Wir erhalten somit:

1 d(16 · s/2) ds
s̈ = =4 = 4·1 = 4 a = 4 m/s2
2 ds ds

3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital


Die Auswertung einer Funktion f (x) für beliebige x-Werte bereitet normalerweise keine Schwie-
rigkeiten. Bei bestimmten Funktionen kann es jedoch an einer bestimmten Stelle x0 zu Schwie-
rigkeiten kommen. Einige Beispiele zeigt die Tabelle 3.1. Solche Ausdrücke heißen unbestimmte
Ausdrücke, weil sie keinen eindeutigen Zahlenwert besitzen: Ist z.B. das Ergebnis der Division
0/0 gleich 0 oder 1 oder gar eine ganz andere Zahl?
0 ∞
Unbestimmte Ausdrücke der Form oder
0 ∞
Die Regel von l’Hospital dient zur eindeutigen Bestimmung eines unbestimmten Ausdrucks der
Form 0/0 oder ∞/∞ :

f (x) f  (x)
lim = lim  (3.22)
x→x0 g(x) x→x0 g (x)

Die Funktionen im Zähler und Nenner werden also voneinander getrennt nach x abgeleitet. An-
schließend wird der Grenzwert gebildet (s. Beispiel 3.24).
Wenn der neue Grenzwert wieder ein unbestimmter Ausdruck ist, ist die Regel von l’Hospital
f  (x)
erneut anzuwenden, d.h. diesmal wird der Grenzwert limx→x0  gebildet. Liefert auch dieser
g (x)
Schritt erneut einen unbestimmten Ausdruck, wird der Vorgang wiederholt.
78 3 Differentialrechnung

Tabelle 3.1: Beispiele für unbestimmte Ausdrücke.

f (x) x0 f (x0 )

sin x 0
0
x 0
1 − ex 0
0
x 0
ex ∞

x ∞

x(e1/x − 1) ∞ ∞·0

(ex − 1)x 0 00

Beispiel 3.24:
sin x sin 0 0
lim =? Normales Vorgehen: = =?
x→0 x 0 0
Mit f (x) = sin x und g(x) = x liefert (3.22):

sin x (sin x) cos x


lim = lim 
= lim = lim cos x = cos 0 = 1
x→0 x x→0 (x) x→0 1 x→0

Unbestimmter Ausdruck der Form 0 · ∞


0 ∞
Unbestimmte Ausdrücke dieser Art können in eine der Formen oder gebracht und dann
0 ∞
mit Hilfe der Regel von l’Hospital bestimmt werden. Der Ausdruck f (x)g(x) = (0 · ∞) läßt sich
durch einfache Umformung in eine der folgenden Formen überführe :

f (x) 0 0
f (x)g(x) = = = (3.23a)
1 1 0
g(x) ∞

g(x) ∞ ∞
f (x)g(x) = = = (3.23b)
1 1 ∞
f (x) 0
In beiden Fällen läßt sich anschließend die Regel von l’Hospital auf das Ergebnis anwenden. In
Beispiel (3.25) ist die Vorgehensweise demonstriert.

Beispiel 3.25:
lim x(e1/x − 1) =?
x→∞
3.11 Unbestimmte Ausdrücke und Regel von l’Hospital 79

Normales Auswerten des Ausdrucks liefert für x → ∞:

∞(e1/∞ − 1) = ∞(e0 − 1) = ∞(1 − 1) = ∞ · 0

Wir können den Ausdruck jedoch auch umformen und in eine Form bringen, die für
(3.23) geeignet ist: schreiben:

(e1/x − 1)
lim x(e1/x − 1) = lim
x→∞ x→∞ 1
x
Normales Auswerten des Ausdrucks auf der rechten Seite für x → ∞ liefert jetzt:

(e1/∞ − 1) (e0 − 1) 0
= =
1 1 0
∞ ∞
Durch Anwendung der Regel von l’Hospital erhalten wir:

f (x) f  (x) (e1/x − 1) (e1/x − 1)


lim = lim  d.h. lim = lim  
x→x0 g(x) x→x0 g (x) x→∞ 1 x→∞ 1
x x

1 1/x
− e
⇒ lim x2 = lim e1/x = e1/∞ = e0 = 1
x→∞ 1 x→∞
− 2
x
Die Lösung lautet also: limx→∞ x(e1/x − 1) = 1

Unbestimmte Ausdrücke der Form ∞0 oder 00


Wenn der Ausdruck f (x)g(x) als Ergebnis ∞0 oder 00 liefert, kann der Ausdruck zunächst mit
Hilfe von Logarithmusregeln wie folgt umgeformt werden:

f (x)g(x) = eg(x) ln f (x)

Für die Grenzwertbetrachtung erhalten wir:

lim f (x)g(x) = lim eg(x) ln f (x) = elim g(x) ln f (x) (3.24)

Der Grenzwert des Ausdrucks lim g(x) ln f (x) im Exponenten kann bestimmt werden, indem
dieser Exponent durch Umformung in eine Formen 0/0 oder ∞/∞ gebracht wird. Anschließend
wird der Grenzwert berechnet. In Beispiel 3.26 unten ist dieser Vorgang erläutert.
80 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.26:
Die Bestimmung des folgenden Grenzwertes erfordert sowohl die Anwendung von
(3.24) als auch die zweimalige Anwendung der Regel von l’Hospital.

lim (ex − 1)x =?


x→0

Normales Auswerten des Ausdrucks liefert für x → 0 einen unbestimmten Ausdruck


vom Typ 00 :

(e0 − 1)0 = (1 − 1)0 = 00

Mit Hilfe von (3.24) läßt sich aber schreiben:


x −1)
f (x) = (ex − 1) g(x) = x ⇒ lim (ex − 1)x = elimx→0 x ln(e
x→0

Der Exponent limx→0 x ln(ex − 1) ist als nächstes zu bestimmen. Die einfache Aus-
wertung liefert für x → 0 wieder einen unbestimmten Ausdruck:

lim x ln(ex − 1) = 0 · ln(e0 − 1) = 0 


ln 0 = −0 · ∞ 
x=0
−∞

Jetzt können wir nun analog zu Beispiel 3.25 vorgehen und erhalten:

ln(ex − 1) ∞
lim x ln(ex − 1) = lim = 
x→0 x→0 1 ∞
x

ex
ln(ex − 1) (ln(ex − 1)) −x2 ex
= lim e − 1 = lim x
x 0
lim = lim   = 
x→0 1 x→0 1 x→0 1 x→0 e − 1 0
− 2
x x x

Nochmalige Anwendung von l’Hospital liefert schließlich:

−x2 ex (−x2 ex ) ex (−2x − x2 )


lim = lim = lim = lim (−2x − x2 ) = 0
x→0 (ex − 1) x→0 (ex − 1) x→0 ex x→0

d.h. lim x ln(ex − 1) = 0


x→0
x −1)
lim x(e1/x − 1) = elimx→0 x ln(e = e0 = 1
x→∞

Unbestimmte Ausdrücke der Form ∞ − ∞


Ausdrücke der Form f (x) − g(x) = (∞ − ∞) sind zunächst so umzuformen, dass eine der oben
behandelten Fälle entsteht. Danach geht man wie oben beschrieben vor.
3.12 Krümmungsradius einer Kurve 81

3.12 Krümmungsradius einer Kurve

Der Krümmungsradius ρ der Kurve y = f (x) im Punkt P entspricht dem Radius eines sich an
die Kurve anschmiegenden Kreises mit dem Mittelpunkt M, der die gleiche Tangente und gleiche
Krümmung im Berührungspunkt P hat wie die Kurve selbst (Bild 3.3). Die Funktion y = f (x)
und die Kreisgleichung yK = g(x) haben also im Berührungspunkt die gleichen Ableitungen 1.
und 2. Ordnung, d.h. es gelten y = yK und y = yK . Ohne detaillierte Herleitung seien hier die

progressiv f’’ > 0


y degressiv f’’ < 0
y
y=f(x) P y=f(x)

M r
r Tangente
M
P
Normale

x x

a: Links gekrümmte Kurve b: Rechts gekrümmte Kurve

Bild 3.3: Krümmungsradius undLinks-/Rechtskrümmung von Kurven

relevanten Formeln für Krümmungsradius und Krümmung mitgeteilt:

Krümmungsradius ρ
 3/2
1 + (y )2
ρ= (ρ ist immer positiv, ρ : Rho) (3.25)
|y |

Krümmung κ

y
κ= (κ kann positiv oder negativ sein, κ : Kappa) (3.26)
[1 + (y )2 ]3/2
Zwischen der Krümmungsradius und Krümmung existiert also folgende Beziehung

1
ρ= (3.27)
|κ|
82 3 Differentialrechnung

Rechts- und Linkskrümmung einer Kurve


Das Vorzeichen von y in Gl. (3.26) bestimmt das Krümmungsverhalten einer Funktion, weil der
Ausdruck im Nenner stets positiv ist:

y > 0 ⇔ κ >0 ⇔ Linkskrümmung


(3.28)
y < 0 ⇔ κ <0 ⇔ Rechtskrümmung

Für y > 0 liegt eine Linkskrümmung vor, d.h. die Kurve krümmt sich im Gegenuhrzeigersinn
(Bild 3.3). Bei einer links gekrümmten Kurve wird die Steigung der Tangente mit zunehmendem
x -algebraisch- immer größer (bis zum Höchststeigungswinkel α = 90◦ ).
Wenn y < 0 ist, wird von einer Rechtskrümmung gesprochen, weil sich die Funktionskur-
ve im Uhrzeigersinn krümmt. Die Steigung der Tangente einer rechts gekrümmten Kurve wird
mit zunehmendem x -algebraisch- immer kleiner (z.B. ist die Steigung m2 = −1,0 algebraisch
kleiner als die Steigung m1 = −0,5).

Beispiel 3.27:
Berechnen Sie die Krümmung und der Krümmungsradius der Funktion y = x e−x
an der Stelle x = 0.

y = (1 − x)e−x y = (x − 2)e−x

y (0) = 1 y (0) = −2


−2
κ= = −0,707
[1 + 12 ]3/2
1 1
ρ= = = 1,414
|κ| | − 0,707|
1
y

–1 0 1 2
x

–1
3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion 83

3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion


Bild 3.4 zeigt mehrere Hochpunkte und Tiefpunkte einer Funktionskurve. Solche Hoch- und
Tiefpunkte werden lokale Extrema genannt. Ein lokales Extremum (auch relatives Extremum
genannt) ist entweder ein lokales Maximum (Hochpunkt) oder ein lokales Minimum (Tiefpunkt).
Eine Funktion y = f (x) kann (muss aber nicht zwangsläufig) einen oder mehrere lokale Ex-
trempunkte (Hoch- bzw. Tiefpunkte) in einem Intervall a ≤ x ≤ b aufweisen. Die Gesamtheit
dieser Extrempunkte wird unter dem Sammelbegriff lokale Extrema zusammen gefasst.
Anmerkung: Die hier behandelte lokale Extremwertberechnung erfasst nicht die Randpunkte
einer Kurve. Der Punkt H in Bild 3.4 z.B. kann mit den Mitteln der hier vorgestellten Extrem-
wertberechnung nicht identifiziert werden, obwohl er eindeutig einen Maximalwert darstellt – er
liegt sogar höher als alle anderen lokalen Maximalpunkte und ist somit ein globales Maximum.
Deshalb müssen die Randpunkte einer Funktion zusätzlich zur normalen Extremwertberechnung
daraufhin überprüft werden, ob dort evtl. ein globales Maximum bzw. Minimum vorliegt.

y
H
D B,D,F: lokales Maximum
C,E,G: lokales Minimum
B

C
A
x
F G

Bild 3.4: Lokale Extremwerte einer Funktion y = f (x)

Man spricht von einem lokalen Maximum an der Stelle x0 , wenn in der engeren Umgebung
von x0 der Funktionswert stets kleiner ist als derjenige bei x0 . Ist dagegen in der Umgebung von
x0 der Funktionswert stets größer als derjenige bei x0 , dann liegt ein lokales Minimum an der
Stelle x0 vor, d.h.

lokales Maximum, wenn f (x) < f (x0 ) für alle x = x0
Lokales Extremum =
lokales Minimum, wenn f (x) > f (x0 ) für alle x = x0

Die notwendige Bedingung für ein Extremum an der Stelle x0 ist eine waagerechte Tangente, d.h.
es muss gelten:

f  (x0 ) = 0 notwendige Bedingung für lokales Extremum (3.29)

Wenn eine Funktion die notwendige Bedingung (3.29) nicht erfüllt, besitzt sie kein lokales Ex-
tremum. Auf der anderen Seite ist die Erfüllung von (3.29) aber auch keine Garantie für die
Existenz eines lokalen Extremums. Damit eine Funktion tatsächlich ein Extremum hat, muss sie
auch noch die hinreichenden Bedingungen erfüllen.
84 3 Differentialrechnung

Notwendige und hinreichende Bedingungen für ein Extremum


Die Art des lokales Extremums an der Stelle x0 hängt vom Vorzeichen der Funktionkrümmung
ab. Ein Maximum liegt vor, wenn die Funktionskurve in der Umgebung von x0 rechts gekrümmt
ist. Für eine links gekrümmte Kurve liegt dort ein Minimum vor.

Notwendige und hinreichende Bedingungen für lokale Extrema:




⎪ wenn f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) < 0
⎨Maximum, (3.30)
Extremum = Minimum, wenn f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) > 0


⎩kein Extremum, wenn f  (x ) = 0
0

Wendepunkt und Sattelpunkt


Man spricht von einem Wendepunkt an der Stelle x0 , wenn die Krümmung links und rechts von x0
unterschiedliches Vorzeichen besitzt, d.h. wenn die Kurve z.B. von Rechts- auf Linkskrümmung
wechselt oder umgekehrt. Weil das Vorzeichen der Krümmung von f  abhängt, bedeutet der
Vorzeichenwechsel, dass f  (x0 ) = 0 sein muss.
An einem Wendepunkt liegt kein lokales Extremum vor. Von einem Sattelpunkt wird gespro-
chen, wenn die Tangente im Wendepunkt waagerecht verläuft.

Notwendige und hinreichende Bedingungen für Wende- und Sattelpunkte:



f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 : Wendepunkt, wenn f  (x0 ) = 0 (3.31)
Wenn
f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 : Sattelpunkt, wenn f  (x0 ) = 0

Spezialfall
Es kann gelegentlich vorkommen, dass sowohl die 2. wie auch 3. Ableitung gleich Null sind, d.h.
f  (x0 ) = 0 als auch f  (x0 ) = 0. Wie lässt sich dann bestimmen, ob ein Extremalpunkt oder ein
Wendepunkt vorliegt?
Wenn der Fall mit f  (x0 ) = 0 und f  (x0 ) = 0 eintritt, differenziert man die Funktion f (x)
so lange weiter, bis die momentane Ableitung an der Stelle x0 einen von Null verschiedenen Wert
annimmt (natürlich vorausgesetzt, dass die Funktion so oft differenzierbar ist). Wenn die erste
von Null verschiedene Ableitung allgemein mit f (n) bezeichnet wird, kann eine Aussage über
lokale Extrema wie folgt getroffen werden:

Fall n ist Art des Extremums


f  (x0 ) = 0 und f (n) (x0 ) < 0 gerade lokales Maximum
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) >0 gerade lokales Minimum
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) = 0 ungerade Wendepunkt
f  (x 0) = 0 und f (n) (x 0) = 0 ungerade Sattelpunkt
3.13 Lokale Extremwerte einer Funktion 85

Beispiel 3.28:

y = x3 − 3x
2
y = 3x2 − 3 y = 6x

y
y = 0 ⇒ x0 = ∓1
y (1) = 6 > 0 ⇒ Minimum bei x = 1 –2 –1 1
x
2

Funktionswert: y(1) = −2
–2
y (−1) = −6 < 0 ⇒ Maximum bei x = −1
Funktionswert: y(−1) = 2

Es existiert zusätzlich auch ein Wendepunkt:

y = 6x = 0 ⇒ x0 = 0

y (0) = −3 = 0 und y (0) = 6 = 0 : Bei x = 0 liegt ein Wendepunkt vor.

Beispiel 3.29:
y = x2 e−x
3

2
y

–2 0 2 4
x
–1

y = 2xe−x − x2 e−x = xe−x (2 − x) = 0 ⇒ x0 = 0, x1 = 2

y = e−x (x2 − 4x + 2)


y (x0 ) = y (0) = 2e−0 = 2 > 0 ⇒ Minimum
y (x1 ) = y (2) = e−2 (22 − 4 · 2 + 2) = −2e−2 < 0 ⇒ Maximum
Funktionswerte: y(0) = 0 y(2) = 0,541
Aufgabe:
Bestimmen Sie die Position des Wendepunkts im Bereich 0 < x < 2.

Lsg:

x = 0,586
86 3 Differentialrechnung

3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung

Einführung
In anspruchsvollen technischen Anwendungen treten meist nichtlineare Gleichungen auf, die in
geschlossener Form nicht lösbar sind. Unter der Lösung einer Funktion versteht man die Bestim-
mung ihrer Nullstellen. In diesem Abschnitt werden nur Funktionen mit nur einer unabhängigen
Variable betrachtet. Die Lösung der Funktion

f (x) = 0

liefert also den Wert (oder die Werte) der Variable x , für den/die diese Gleichung erfüllt ist.
Äußerst wichtige ingenieurtechnische Fragestellungen, z.B. Tragfähigkeit von Bauwerken
im elasto-plastischen Bereich oder Stabilitätssicherheit von Tragwerken, können nur mit Hilfe
von Computermethoden, z.B. Finite Elemente Methode, beantwortet werden. Das fundamentale
Merkmal aller Computermethoden ist, dass sie numerisch arbeiten – im Gegensatz zu analyti-
schen Lösungen. Eine numerische Lösung liefert stets die Lösung nur des konkreten Problems;
man operiert nur mit Zahlen, nicht mit Variablen. Am Ende erhält man also als Ergebnis eine
(oder mehrere) Zahlen, keine Formeln!

y
y=f(x)
f0
y
0
P

f1
y1 T0

f2 Startpos.
S f3
a
x3 x2 x1 x0 x

Bild 3.5: Newton-Verfahren

Basis des Newton-Verfahrens


Bild 3.5 zeigt eine nichtlineare Funktion f (x), welche die x-Achse bei xs schneidet. Die Funk-
tionswerte werden auf der y-Achse aufgetragen. Die Position xs ist also die Nullstelle von f (x).
Die Lösung der Gleichung f (x) bedeutet, die Variable x so zu bestimmen, dass f (x) gleich
Null wird:

f (x) = 0 −→ x =?
3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung 87

Das Newton-Verfahren7 ist ein iteratives Verfahren, d.h. die Lösung wird durch sich wiederho-
lende Schritte nach einem vorgeschriebenen Muster erreicht, wobei sich die Güte der Lösung bei
jedem Iterationsschritt verbessert.
Wie bei allen numerisch-iterativen Lösungsverfahren, muss auch beim Newton-Verfahren ein
Startwert x0 gewählt werden. Dieser Startwert entspricht besitzt die Bedeutung eines allerersten
Schätzwertes für die Nullstelle. Von der Geschicklichkeit bei der Wahl des Startwertes hängt die
Iterationsgeschwindigkeit und u.U. sogar der Erfolg oder Mißerfolg des Newton-Verfahrens ab.
Einsetzen des Schätzwertes x0 in die Funktion f (x) liefert den zugehörigen Funktionswert f0 .
Auf der Funktionskurve liegt also der Punkt P = (x0 , y0 ). Die Steigung der Tangente am Punkt
P ergibt sich aus der ersten Ableitung der Funktion, nämlich als f  (x0 ). Jetzt kann man die
Gleichung der Tangente T0 entsprechend der Punktsteigungsform einer Geraden aufstellen (vgl.
Seite 280):
f0
tan α = ≡ f  (x0 )
x0 − x1

T0 : y = f (x0 ) + f  (x0 ) · (x − x0 )
Der Schnittpunkt der Geraden T0 mit der x-Achse, d.h. die Koordinate x1 , wird aus der Bedingung
y = 0 bestimmt:

f (x0 )
0 = f (x0 ) + f  (x0 ) · (x1 − x0 ) ⇒ x 1 = x0 −
f  (x0 )

Mit einer abgekürzten Schreibweise für Funktionswerte ergibt sich folgende Form der obigen
Beziehung:
f0
x 1 = x0 − mit f0 ≡ f (x0 ) f0 ≡ f  (x0 )
f0

Jetzt kann man in analoger Weise die Koordinate x2 bestimmen, danach x3 usw. Für den i-ten
Iterationsschritt ergibt sich die verbesserte Nullstelle aus folgender Beziehung:

fi−1 
xi = xi−1 −  i = 1,2,3, . . . mit fi−1 ≡ f (xi−1 ) fi−1 ≡ f  (xi−1 ) (3.32)
fi−1

Abbruchkriterium für die Iteration


Die Newton-Iteration wird beim Unterschreiten einer vorher festgelegten Genauigkeitsschranke
abgebrochen. In diesem Fall spricht man von der Konvergenz der Iteration. Beim Vorliegen der
Konvergenz ist die Funktion f (x) an der zuletzt erreichten Position xn (nach der n-ten Iteration)
näherungsweise gleich Null:

f (xn ) ≈ 0

7 Isaac Newton (1642−1727) : Universal-Gelehrter, Zeitgenosse und Kontrahent von G.W. Leibniz. Newton entdeckte
die nach ihm benannten Gesetze der Mechanik.
88 3 Differentialrechnung

Die zum Abbruch der Iteration verwendete Genauigkeitsschranke (sog. Toleranz TOL) ist ei-
ne sehr kleine Zahl, z.B. TOL= 10−5 . Um über einen evtl. Abbruch der Iteration entscheiden
zu können, muss die aktuelle Genauigkeit mit der Toleranz verglichen werden. Es gibt mehrere
Möglichkeiten, den erreichten Genauigkeitsgrad zu definieren. Hier wird das einfachste Kriteri-
um vorgestellt:

| fi | < TOL

Dieses Kriterium besagt, dass der aktuelle Absolutwert der Funktion unterhalb der Toleranz-
schwelle liegt, d.h. praktisch Null ist (können Sie sagen, warum der Absolutwert genommen
wird?). In der Spezialliteratur gibt es noch schärfere (und fortgeschrittenere) Kriterien für die
Feststellung der Konvergenz, deren Erörterung über die Zielsetzung dieses Buches jedoch hin-
ausgehen würde.
Iterations-Algorithmus beim Newton-Verfahren
Für die Bestimmung der Nullstelle xs einer beliebigen Gleichung f (x) = 0 nach dem Newton-
Verfahren wird der in Tabelle 3.2 beschriebene Iterations-Algorithmus angewandt:

Tabelle 3.2: Newtonscher Iterations-Algorithmus

1. Toleranz TOL (Genauigkeitsschranke) festlegen, z.B. TOL=10−5


2. Startwert x0 grob schätzen.
3. Die erste Ableitung f  (x) der Funktion f (x) aufstellen.
4. Funktionswert f0 und Ableitungswert f0 berechnen.
5. Iterationsindex i = 1 setzen.
6. Verbesserung der Nullstellenabschätzung :
fi−1
xi = xi−1 − 
fi−1
7. fi und fi an der neuen Position xi berechnen.
8. Überprüfung der Konvergenz:
Wenn | fi | < TOL : Konvergenz erreich; zum Schritt 9 gehen
Wenn | fi | > TOL : i um 1 erhöhen und zum Schritt 6 gehen
9. Nullstelle ist näherungsweise : x s ≈ xi
Iteration beenden.

Weitere numerische Verfahren


Es gibt eine beträchtliche Anzahl von weitere numerischen Methoden zur Nullstellensbestim-
mung von beliebigen Funktionen. Beispielhaft seien erwähnt:
- Regula falsi
- Intervallhalbierung
- Sekantenverfahren
- Modifiziertes Newton-Raphson-Verfahren
3.14 Newton-Verfahren für Nullstellenbestimmung 89

Beispiel 3.30:
Ein Behälter besteht aus einem zylindrischen Teil und einer
√ Halbkugel. Die Zylinder-
höhe h ist mit dem Radius r über die Bedingung h = r verknüpft. Wie groß muss
r sein, damit der Behälter das Volumen V = 1000 m3 hat? Die Lösung ist mit dem
Newton-Verfahren und der Toleranz TOL= 10−3 durchzuführen.

Das Volumen des Behälters ergibt sich aus:


2 3 √ 2 3
V= πr + π r2 r = π r + π r2,5
3    3
   Volumen des Zylinderteils
Volumen des Kugelteils

Die Funktion f (r), deren Nullstelle gesucht wird, lautet mit V = 1000:

2 3 2 3
1000 = π r + π r2,5 ⇒ f (r) = π r + π r2,5 − 1000
3 3
Die Ableitung der Funktion f (r) ist: f  (r) = 2πr2 + 2,5 πr1,5
Den Startwert r0 für den Radius kann man auf vielfältige Weise abschätzen. Hier
basiert unsere Schätzung darauf, dass nur der Halbkugelteil des Behälters betrachtet
wird:
2 3
1000 = πr ⇒ r0 = 7,8159
3 0
Die Newton-Iteration in tabellarischer Form lautet:
i ri fi fi Bmrkg.
0 7,8159 536,5240 555,4453
1 6,8500 58,9759 435,6262
2 6,7146 1,0653 419,9341
3 6,7120 0,0004 - | fi | < TOL
Der gesuchte
√ Radius ist also r = 6,712 m. Daraus folgt die Höhe des Zylinderteils
mit h = 6,712 = 2,5908 m. Zur Kontrolle setzen wir diese Werte in die Volumenfor-
mel und erhalten V = 999,98 m3 ≈ 1000 m3 .
90 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.31:
Die Nullstelle der Funktion f (x) = x2 − ex soll mit Hilfe des Newton-Verfahrens mit
der Toleranz TOL= 10−4 bestimmt werden.
Die Ableitung der Funktion ist f  (x) = 2x − ex . Die Iteration wird zweckmäßiger-
weise tabellarisch aufbereitet. Als Startwert wird x0 = 0 gewählt.
?
i xi fi fi | fi | < TOL 2

y
0 0,0000 -1,0000 -1,0000 nein
1 -1,0000 0,6321 -2,3679 nein –2 2
x
2 -0,7330 0,0568 -1,9465 nein
3 -0,7038 0,0006 -1,9023 nein
–2
4 -0,7035 0,00006 -1,9018 ja

3.14.1 Vor- und Nachteile des Newton-Verfahrens


Wie jede numerische Methode hat auch das Newton-Verfahren Stärken und Schwächen.
Vorteile
1. Es konvergiert sehr schnell (quadratische Konvergenz).
2. Es ist in einfacher Weise auf simultane nichtlineare Gleichungssysteme anwendbar und
bietet somit in der FEM (Finite Elemente Methode) große Vorteile.
Nachteile
1. Neben dem Funktionswert f (x) wird auch die erste Ableitung f  (x) benötigt.
2. Bei nicht-monotonen Funktionen kann es divergieren bzw. auch total versagen! Beispiele
für solche Fälle sind:
a. Wenn in einem Iterationsschritt die Tangente waagerecht verläuft, d.h. die erste Ablei-
 = 0 wird, tritt Division durch Null auf:
tung fi−1

fi−1
xi = xi−1 − =∞ 
0
b. Bei einer antimetrischen und gleichzeitig rechts gekrümmten Funktion im positiven
x-Bereich tritt zyklisches Verhalten, d.h. unendliche Schleife, auf.
Beispiel 3.32:
Bei der Lösung der Gleichung f (x) = x − tan x = 0 nach dem Newton-Verfahren wird
als Startwert x0 = π gewählt. Schon im ersten Iterationsschritt tritt Divergenz auf!

f0 = f (π) = π − tan π = π − 0 = π

1 1 1
f = 1− f0 = f  (0) = 1 − = 1− =0
cos2 x cos2 π (−1)2
f0 π
x 1 = x0 −  = π − = −∞ (!) Weiterrechnen ist nicht mehr möglich!
f0 0
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen 91

3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen


Eine Potenzreihe ist ein Polynom von der Form

P(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn

Jede beliebige Funktion y = f (x) lässt sich als eine Potenzreihe ausdrücken, sofern sie genügend
oft differenzierbar ist. Es gibt zwei eng verwandte Arten der Potenzreihen von Funktionen: Mac
Laurin-Reihe und die Taylor-Reihe.

3.15.1 Mac Laurin-Reihe


Eine beliebige Funktion f (x) kann durch folgende Mac Laurin-Reihe exakt wiedergegeben wer-
den, wenn an der Stelle x = 0 der Funktionswert und die Werte aller nötigen Ableitungen be-
rechnet werden können:
f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3
f (x) = f (0) + x+ x + x +··· (3.33)
1! 2! 3!
Die Transformation der Funktion f (x) in eine Potenzreihe bezeichnet man auch als Entwicklung
der gegebenen Funktion f (x) . Die Position x0 ist der Entwicklungspunkt.
Natürlich ist die Mac Laurinsche Reihe nur dann ein korrekter Ersatz für die Funktion f (x),
wenn sie konvergiert. Eine Reihe ist konvergent, wenn die Reihenglieder immer kleiner werden,
so dass ein Grenzwert für die Potenzreihe existiert (diese Definition ist etwas unscharf formuliert
zugunsten der Anschaulichkeit).
Bezeichnet man die Summe aller Glieder, die nach dem Term mit der n-ten Ableitung vorkom-
men, mit R, lässt sich die Mac Laurin-Reihe auch schreiben als:

f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3 f (n) (0) n


f (x) = f (0) + x+ x + x +···+ x +R
1! 2! 3! n!
In der Ingenieurpraxis wird (oder muss) man die Potenzreihe natürlich nach dem n-ten Glied
abbrechen (man kann nicht mit unendlich vielen Gliedern arbeiten!). Durch den Reihenabbruch
entsteht ein Fehler von der Größe R gegenüber dem exakten Wert. Dieser Restfehler R ist je-
doch vernachlässigbar klein, wenn man genügend viele Terme mitnimmt. Wann es »genügend
viele Terme« sind, kann streng nur mit Hilfe von mathematischen Fehlerabschätzungsmethoden
berechnet werden. In der Praxis wird man jedoch pragmatisch vorgehen: Man nimmt halt so
viele Glieder mit, wie es sinnvoll erscheint. Dadurch ensteht folgende Mac Laurin-Reihe n-ter
Ordnung:

f  (0) f  (0) 2 f  (0) 3 f (n) (0) n


f (x) ≈ fn (x) = f (0) + x+ x + x +···+ x (3.34)
1! 2! 3! n!
92 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.33:
Die Funktion f (x) = sin x soll in eine Potenzreihe 8-ter ordnung entwickelt werden.
Mit den ersten 8 Ableitungen

f  = cos x f  = − sin x f  = − cos x f (4) = sin x

f (5) = cos x f (6) = − sin x f (7) = − cos x f (8) = sin x


erhält man an der Entwicklungsposition x = 0 :

f (0) = 0 f  (0) = 1 f  (0) = 0 f  (0) = −1 f (4) (0) = 0

f (5) (0) = 1 f (6) (0) = 0 f (7) (0) = −1 f (8) (0) = 0


Die Mac Laurin-Reihe 8-ter Ordnung für sin x ergibt sich gemäß Gl. (3.34) zu:
1 0 −1 3 0 4 1 5 0 6 −1 7 0 8
f8 (x) = 0 + x + x2 + x + x + x + x + x + x
1! 2! 3! 4! 5! 6! 7! 8!
x3 x5 x7
⇒ sin x ≈ x − + −
3! 5! 7!
Kontrolle:
Für x = π/2 ergibt die obige Reihe:

π π (π/2)3 (π/2)5 (π/2)7


sin ≈ − + −
2 2 3! 5! 7!
≈ 1,57079 − 0,64596 + 0,08969 − 0,00468 = 0,9998

Der exakte Wert ist bekanntlich sin(π/2) = 1 . Somit ergibt sich der relative Fehler
Erel nach Gl. (1.23) zu:
   
 f − fn   1 − 0,9998 

Erel =   =   = 0,0002 ≡ 0,02%
f   1 

3.15.2 Taylor-Reihe
Die Taylor-Reihe stellt eine Verallgemeinerung der Mac Laurin-Reihe dar. Als Entwicklungs-
punkt muss nicht mehr x = 0 genommen werden, sondern jede beliebige Stelle x0 dient als
Entwicklungspunkt. Die sinnvolle Festlegung von x0 erfolgt natürlich nach den Gegebenheiten
der zu lösenden Aufgabe.
Wenn mit f (n) (x0 ) die n-te Ableitung an der Stelle x = x0 bezeichnet wird, lässt sich die
Funktion f (x) in eine Taylor-Reihe entwickeln:

f  (x0 ) f  (x0 ) f  (x0 )


f (x) = f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + (x − x0 )3 + · · ·
1! 2! 3!
(3.35)
f  (x0 ) f  (x0 ) f (n) (x0 )
= f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + · · · + (x − x0 )n + R
1! 2! n!
3.15 Entwicklung von Funktionen in Potenzreihen 93

Mit ähnlichen Überlegungen wie bei den Mac Laurin-Reihen kommt man auch hier zu einer
abgebrochenen Potenzreihe n-ter Ordnung, die eine näherungsweise Wiedergabe der gegebenen
Funktion f (x) gestattet:

f  (x0 ) f  (x0 ) f (n) (x0 )


f (x) ≈ fn (x) = f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + · · · + (x − x0 )n (3.36)
1! 2! n!

Die Anzahl der Reihenglieder beträgt n + 1, d.h. ist endlich; daher ist die abgebrochene Taylor-
Reihe nur eine Näherung für die tatsächliche Funktion f (x) und besitzt stets einen Restfehler R,
der allerdings umso kleiner wird, je mehr Glieder betrachtet werden.
Der Restfehler R hängt sowohl von der höchsten in der Taylorreihe vorkommenden Ableitung
n, aber auch von der Stelle x0 , an der die Entwicklung statt findet, ab. In allgemeinen Anwendun-
gen, z.B. numerische Mechanik nach der Finite Element Methode, lässt R sich mit vertretbarem
Aufwand nicht berechnen. Für ingenieurtechnische Anwendungen ist daher der zweckmäßigste
Weg zur Bestimmung der erforderlichen Anzahl von Reihengliedern eine Verfolgung des Abfalls
der Reihenglieder mit zunehmendem n, wobei die Reihe beim n-ten Glied abgebrochen wird,
wenn die restlichen Glieder jenseits von n unterhalb eines -zweckmäßig zu wählenden- Schwel-
lenwertes liegen.

Beispiel 3.34:
Gesucht ist die Entwicklung der Funktion y = ex in eine Taylor-Reihe an der Stelle
x0 = 0 mit n = 3. Wie groß ist relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle x = 0,2 ?

f (x) = ex f  (x) = ex f  (x) = ex f (3) (x) = ex

x0 = 0 ⇒ f (0) = e0 = 1 f  (0) = 1 f  (0) = 1 f (3) (0) = 1


Die Taylorreihe mit n = 3 ergibt sich zu:
1 1 1 1 1
fn (x) = 1 + (x − 0) + (x − 0)2 + (x − 0)3 = 1 + x + x2 + x3
1! 2! 3! 2 6
1 2 1 3
ex ≈ 1 + x + x + x
2 6
Funktionswert der Taylor-Reihe (Näherungswert) an der Stelle x = 0,2:
1 1
fn (0,2) = 1 + 0,2 + 0,22 + 0,23 = 1,22133
2 6
Exakter Funktionswert:

f (0,2) = e0,2 = 1,22140

Relativer Fehler:
   
 f − fn   1,22140 − 1,22133 

Erel =   =   = 5,7 · 10−5 ≡ 0,0057%
f   1,22140 
94 3 Differentialrechnung

3.16 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 3.35:
Bestimmen Sie den Differentialquotienten dy/dx der Funktion y = x3 .

f (x) = x3 f (x + Δx) = (x + Δx)3 = x3 + 3x2 Δx + 3x (Δx)2 + (Δx)3

Δy x3 + 3x2 Δx + 3x (Δx)2 + (Δx)3 − x3


= = 3x2 + 3x Δx + (Δx)2
Δx Δx
dy Δy
= lim = lim [3x2 + 3x Δx + (Δx)2 ] = 3x2 + 0 + 0 = 3x2
dx Δx→0 Δx Δx→0

Beispiel 3.36:
Die Produktregel (uv) = u v + uv kann auf verschiedene Arten hergeleitet werden.
a) Mit Hilfe von Differentialen
Die Teilfunktionen u und v haben an infinitesimal benachbarten Positionen die Funkti-
onswerte u + du und v + dv. Das Differential d(uv) der Funktion uv ergibt sich aus der
Differenz von uv an der augenblicklich betrachteten Position und dieser infinitesimal
benachbarten Position:

d(uv) = (u + du) · (v + dv) − uv


= uv + u dv + v du + du dv − uv
= u dv + v du + du
 dv
≈0
d(uv) = u dv + v du

Division beider Seiten durch dx liefert:


d(uv) dv du
= u +v d.h. (uv) = u v + uv
dx dx dx
Die geometrische Interpretation der obigen Herleitung ist im Bild dargestellt.
u dv du dv
dv

v uv v du

u du

b) Mit Hilfe von Ableitungsdefinition


Die Anwendung der Definitionsformel (3.3) für den Differentialquotienten auf Seite
59 auf die gegebene Funktion uv liefert:

d(uv) Δ(uv) (uv)(x + Δx) − (uv)(x)


= lim = lim
dx Δx→0 Δx Δx→0 Δx
3.16 Zusätzliche Beispiele 95

Anmerkung: Der Ausdruck (uv)(x + Δx) ist als »Wert von uv an der Stelle (x + Δx)«
zu verstehen, ganz analog der Ausdruck (uv)(x).

(uv)(x + Δx) − (uv)(x) u(x + Δx) v(x + Δx) − u(x) v(x)


=
Δx Δx
Eigentlich hilft uns dieses Zwischenergebnis nicht viel weiter, weil wir mit ihm nicht
allzuviel anfangen können. Allerdings sieht die Sache deutlich besser aus, wenn wir
dem Zähler des Ausdrucks auf der rechten Seite den Term −u(x) v(x+Δx)+u(x) v(x+
Δx) hinzuaddieren, wodurch sich ja mathematisch nichts ändert (wir addieren bloß
eine »0«hinzu).

u(x + Δx) v(x + Δx) − u(x) v(v)


lim
Δx→0 Δx
=0
  
u(x + Δx) v(x + Δx) −u(x) v(x + Δx) + u(x) v(x + Δx) −u(x) v(x)
= lim
Δx→0 Δx
 
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
= lim v(x + Δx) + u(x)
Δx→0 Δx Δx
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
= lim lim v(x + Δx) + u(x) lim
Δx→0 Δx Δx→0 Δx→0 Δx
Mit den Grenzwerten
u(x + Δx) − u(x) v(x + Δx) − v(x)
lim = u lim v(x+Δx) = v lim = v
Δx→0 Δx Δx→0 Δx→0 Δx
erhalten wir die Produktregel:

d(uv)
= u v + uv d.h. (uv) = u v + uv
dx

c) Mit Hilfe von Logarithmus

Diese Herleitung erfolgt verblüffend schnell. Wir definieren einfach

f = uv oder ausführlicher: f (x) = u(x) v(x)

Beide Seiten werden zunächst logarithmiert, anschließend nach x abgeleitet.

ln f = ln(uv) = ln u + ln v

d ln f d ln u d ln v 1 df 1 du 1 dv
= + ⇒ = + s. (3.15) auf Seite 69
dx dx dx f dx u dx v dx
96 3 Differentialrechnung

Nun wird die linke Seite mit f und die rechte Seite mit uv multipliziert, wodurch sich
nichts ändert, weil ja f = uv gilt.

df du dv
= v+u d.h. f  = u v + uv
dx dx dx
Setzt man schließlich auf der linken Seite anstelle von f den Ausdruck uv ein, erhält
man die Produktregel:

(uv) = u v + uv

Beispiel 3.37:
Für verschiedene Funktionen soll die 1. Ableitung y berechnet werden.
a) y = 2 sin2 (5x + 3)

y = 2 · 2 sin(5x + 3) cos(5x + 3) · 5 = 20 sin(5x + 3) cos(5x + 3

y = 10 sin(10x + 6)

b) y = e−4x sin x

y = −4 e−4x sin x + e−4x cos x = e−4x (−4 sin x + cos x)

2 ln x
c) y = 5x
Anwendung der Kettenregel mit der Substitution u = x2 ln x liefert:

dy du 1
y = 5u = 5u ln 5 = 2x ln x + x2 = x (2 ln x + 1)
du dx x

dy du
y =
2
= 5u ln 5 · x (2 ln x + 1) = 5x ln x ln 5 · x (2 ln x + 1)
du dx

d) y = x ln x − ln(5x3 )

1 15x2 3
y = 1 · ln x + x − 3 = 1 + ln x −
x 5x x

e) y = ln(sin2 (x3 ))

2 sin(x3 ) cos(x3 ) 3x2


y = = 6 x2 cot(x3 )
sin2 (x3 )
3.16 Zusätzliche Beispiele 97

Beispiel 3.38:
Bestimmen Sie die 3. Ableitung folgender Funktionen.
a) y = 5 ln(1 + x3 )
15x2  = 30x − 15x  = 30(1 − 7x + x )
4 3 6
y = y y
1 + x3 (1 + x3 )2 (1 + x3 )3
b) y = tanh x
y = (tanh x) = 1 − tanh2 x (s. Ableitungstabelle auf S. 776)
y = (1 − tanh2 x) = −2 tanh x (tanh x) = −2 tanh x (1 − tanh2 x)
 
y = −2 (tanh x) (1 − tanh2 x) + tanh x (1 − tanh2 x)
= −2(1 − tanh2 x)(1 − 3 tanh2 x)
c) y = xx
y = xx (ln x + 1) y = xx (ln x + 1)2 + xx−1
y = xx (ln x + 1)3 + 3xx−1 (ln x + 1) − xx−2

Beispiel 3.39:
y = xx y =?
Die gegebene Gleichung wird zunächst auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens lo-
garithmiert:

ln y = ln xx ⇒ ln y = x ln x (vgl. (1.12) auf S. 8)

Beide Seiten werden jetzt differenziert: Die linke Seite mit der logarithmischen Ablei-
tungsregel dieses Abschnitts (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass y eine Funk-
tion von x ist: y = f (x)) und die rechte Seite nach Produktregel:

d(ln y) d(ln y) dy 1
= = y
dx dy dx y 
 dy/dx
d(ln y)/dy

d(x ln x) 1
= 1 · ln x + x · = 1 + ln x
dx x
Das Gleichsetzen beider Ableitungen ergibt:

y
= 1 + ln x ⇒ y = y (1 + ln x) = xx (1 + ln x)
y
98 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.40:
y = xsin x y =?
Nach Logarithmieren beider Seiten der Gleichung erhält man:

ln y = ln xsin x ⇒ ln y = sin x ln x (vgl. (1.12) auf S. 8)

Analoges Vorgehen wie in Beispiel 3.39 liefert:

d(ln y) y d(sin x ln x) sin x


= = cos x ln x +
dx y dx x

 
sin x
y = y cos x ln x +
x
x cos x ln x + sin x
= xsin x
x
= xsin x−1 (x cos x ln x + sin x)

Beispiel 3.41:
2
In welchem Punkt P = (x, y) besitzt die Funktion y = 1 − e−x+2 eine waagerechte
Tangente?
 
y = 2 1 − e−x+2 −(−1) · e−x+2 = 2e−x+2 (1 − e−x+2 )

y = 0 ⇒ (1 − e−x+2 ) = 0, 1 = e−x+2 , ln 1 = −x + 2, 0 = −x + 2, x=2


2
y = 1 − e−2+2 = 1 − 1 = 0 ⇒ P : (2; 0)

Beispiel 3.42:
Gegeben ist ein Kreis mit dem Radius r = 5 in Parameterform (s. Seite 45):

x = r cos t y = r sin t

Gesucht sind für den Parameter t = 135◦ die Steigung m und der Steigungswinkel α
der Kreistangente.
Mit Hilfe der Ableitungsformel für Parameterfunktionen (3.16) erhält man:
ẏ 5 cos t
ẏ = 5 cos t ẋ = −5 sin t ⇒ y = = = − cot t
ẋ −5 sin t

Wegen m = tan α = y ergibt sich für t = 135◦ :

m = tan α = − cot(135◦ ) = +1 ⇒ α = arctan 1 = 45◦


3.16 Zusätzliche Beispiele 99

Aufgabe: Lösen Sie diese Aufgabe auch unter Verwendung der klassischen Kreisglei-
chung x2 + y2 = r2 .

Beispiel 3.43:
Ein Körper bewegt sich geradlinig. Die zurückgelegte Strecke sei durch die Beziehung
s = 0,4 t 3 gegeben. Die Beschleunigung a des Körpers zum Zeitpunkt t = 5 s ist
sowohl klassisch mittels zweiter Zeitableitung von s(t) als auch nach Formel (3.21)
auf Seite 76 (Leibniz-Kalkül) zu berechnen.
a) Klassische Ermittlung der Beschleunigung über zweimalige Ableitung von s(t)
nach t :
ds d2 s
= ṡ = 1,2 t 2 = s̈ = 2,4t a = 2,4 · 5 = 12 m/s2
dt dt 2
b) Berechnung nach Gl. (3.21):

ds 1 d(1,44t 4 )
ṡ = = 1,2t 2 ṡ2 = 1,44t 4 s̈ = (a)
dt 2 ds
Der Term t 4 im letzten Ausdruck in (a) könnte, analog zur Vorgehensweise in Bei-
spiel 3.23 auf Seite 77, als Funktion von s aufgestellt und dann nach s differenziert
werden (führen Sie dies als Hausaufgabe durch!). Es soll hier jedoch ein anderer Weg
eingeschlagen werden.
d d dt
Gemäß Kettenregel gilt die Beziehung = . Daraus ensteht durch algebrai-
ds dt ds
sche Umformung folgende Beziehung:

d d 1 d 1
= = (b)
ds dt ds dt ṡ
dt

Die Beschleunigung s̈ lässt sich jetzt aus (a), unter Berücksichtigung von (b), wie
folgt ermitteln:

1 d(1,44t 4 ) 1 1 1 1 1
s̈ = = · 5,76t 3 = · 5,76t 3 = 2,4t
2 dt ṡ 2 ṡ 2 1,2t 2

a = 2,4 · 5 = 12 m/s2
100 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.44:

Gegeben sei die Funktion y = 3 3 x. Es wird am Punkt P der Kurve, der zur Koor-
dinate x = 0,4 korrespondiert, die Normale an die Kurve gebildet. Gesucht ist der
Schnittpunkt S der Normalgeraden mit der x-Achse.

6
Tangente

y
P
2
Normale

Q S
–2 0 2 4 6
x

Die Koordinaten des Punktes P sind:



xP = 0,4 yP = 3 3 0,4 = 2,2104

Die Steigung m der Tangente am Punkt P ergibt sich zu:


1 1
y = m = y (0,4) = = 1,8420
x2/3 0,42/3
Die Steigung mn der Normale am Punkt P ist (s. Seite 291):
1 1
mn = − =− = −0,5429
m 1,8420
Punktsteigungsform der Normalgeraden (s. Seite 280):

yn (x) = mn (x − xP ) + yP = −0,5429 (x − 0,4) + 2,2104

Der Schnittpunkt Ps mit der x-Achse ergibt sich aus der Bedingung yn (xS ) = 0:

−0,5429 (xS − 0,4) + 2,2104 = 0 ⇒ xS = 4,47 S = (4,47; 0)

Aufgabe: Bestimmen Sie den Schnittpunkt Q der Tangente mit der x-Achse.
3.16 Zusätzliche Beispiele 101

Beispiel 3.45:
Gegeben sei die Funktion y = x3 . Am Punkt P = (2; 8) der Funktionskurve wird die
Normale der Kurve gebildet. Gesucht wird der Schnittpunkt Ps der Normalgeraden mit
der x-Achse.
Die Tangentensteigung am Punkt P ergibt sich zu:

y = 3x2 y (2) = 3 · 22 = 12 ⇒ m = 12

Die Steigung mn der Normale am Punkt P ist (s. Seite 291):


1 1
mn = − =−
m 12
Punktsteigungsform der Normalgeraden (s. Seite 280):
1
yn (x) = mn (x − x0 ) + y0 = − (x − 2) + 8
12
Der Schnittpunkt Ps mit der x-Achse ergibt sich aus der Bedingung yn (x) = 0:

1
− (x − 2) + 8 = 0 ⇒ xs = 98 Ps = (98; 0)
12

Beispiel 3.46:
Gegeben ist die Kurve y = 3x2 + π ln(π − x) + 1.
a) Berechnen Sie den Extremwert der Funktion im Intervall 0 ≤ x ≤ 1.
b) An der Position x0 = 1 wird die Normalen-Gerade an die Kurve y gebildet.
Ermitteln Sie den Schnittpunkt dieser Gerade mit der x-Achse.
Lösung:
π 6x2 − 6πx + π
a) y = 6x − = ≡0 ⇒ 6x2 − 6πx + π = 0 ⇒ x0 =
π −x π −x
0,176
Extremwert: y(x0 ) = 4,51
π π
y = 6 − y (x0 ) = 6 − = 5,64 > 0 ⇒ Minimum
(π − x)2 (π − 0,176)2
b) y(1) = 6,39 y (1) = 4,53
Steigung der Normalen: mn = −1/y = −1/4,53 = −0,22
Gleichung der Normalen (Punktsteigungsform): y = −0,22 (x − 1) + 6,39
Schnittpunkt mit der x-Achse ergibt sich aus y = 0 : ⇒ xs = 30,0
102 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.47:
Die Funktion y = e−x cos x soll an der Stelle x0 = 0 in eine Taylor-Reihe mit n = 3
entwickelt und der relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle x = 0,2 berechnet
werden.

(x) = e−x cos x f  = −e−x (cos x + sin x) f  = 2e−x sin x

f (3) = 2e−x (cos x − sin x) f (0) = 1 f  (0) = −1 f  (0) = 0 f (3) (0) = 2


Die Taylorreihe für n = 3 ergibt sich zu:

−1 0 2 x3
fn (x) = 1 + (x − 0) + (x − 0)2 + (x − 0)3 = 1 − x +
1! 2! 3! 3
0,23
fn (0,2) = 1 − 0,2 + = 0,8027
3
Exakter Funktionswert: f (0,2) = e−0,2 cos(0,2) = 0,8024
 
 f − f
 n 
Relativer Fehler: Erel =   = 0,0004 ≡ 0,04%
 f 

Beispiel 3.48:
Gesucht ist die Entwicklung der Funktion y = ln(1 + x) in eine Taylor-Reihe an der
Stelle x = 0 mit n = 2. Wie groß ist der relative Fehler der Taylor-Reihe an der Stelle
x = 0,2 ?
1 −1
f (x) = ln(1 + x) f  (x) = f  (x) =
1+x (1 + x)2

x0 = 0 ⇒ f (0) = ln(1 + 0) = 0 f  (0) = 1 f  (0) = −1


Die Taylor-Reihe ergibt sich zu:

1 −1 x2
fn (x) = 0 + (x − 0) + (x − 0)2 = x −
1! 2! 2
Näherungswert der Funktion:

0,22
fn (0,2) = 0,2 − = 0,18000
2
Exakter Funktionswert: f (0,2) = ln(1 + 0,2) = 0,18232
 
 f − fn 
Relativer Fehler: Erel =   = 0,0127 ≡ 1,27%
f 
3.16 Zusätzliche Beispiele 103

Beispiel 3.49:
2
Entwickeln Sie die Funktion f (x) = ex−x an der Stelle x = 0 in eine Taylor-Reihe
3. Ordnung (n = 3) und bestimmen Sie den relativen Fehler dieser Reihe an der Stelle
x = 0,7.

f  (x) = (1 − 2x)ex−x
2

f  (x) = [−2 + (1 − 2x)2 ]ex−x


2

f  (x) = [−6(1 − 2x) + (1 − 2x)3 ]ex−x


2

f (0) = 1 f  (0) = 1 f  (0) = −1 f  (0) = −5


1 2 5 3
Taylor-Reihe: fn (x) = 1 + x − x − x
2 6
Funktionswerte an der Stelle x = 0,7:

Exakt: f (0,7) = 1,2337 Taylor-Reihe: fn (0,7) = 1,1692

Relativer Fehler:
   
 f − fn   1,2337 − 1,1692 

Erel =   =   = 0,052 ≡ 5,2%
f   1,2337 

Beispiel 3.50:
Berechnen Sie den Grenzwert des folgenden Ausdrucks.
x − 1 + cos x
y = lim
x→0 x + sin x
Lsg:
Wir setzen zunächst den Grenzwert x → 0 in den obigen Ausdruck ein:
x − 1 + cos x 0 − 1 + 1 0
y = lim = =
x→0 x + sin x 0+0 0
Das Ergebnis ist unbestimmter Ausdruck!

Nun wenden wir die Regel von l’Hospital und erhalten:

(x − 1 + cos x) 1 − sin x 1−0


y = lim = lim = = 0,5
x→0 (x + sin x) x→0 1 + cos x 1+1
104 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.51:
Gesucht ist der Krümmungsradius ρ der sog. Gauß-Funktion y = e−x an der Stelle
2

x = 0.
1

–2 y 0 x 2

y = −2x e−x y = e−x (−2 + 4x2 ) ⇒ y (0) = 0 y (0) = −2


2 2

−2 1 1
κ= = −2 ρ= = = 0,5
[1 + 02 ]3/2 |κ| | − 2|

Beispiel 3.52:
Berechnen Sie die Krümmung und den Krümmungsradius der Funktion y = sin2 x
an der Stelle x = π/2.
1
y

0 1 2 3
x

–1

y = 2 sin x cos x y = 2 (cos2 x −sin2 x) ⇒ y (π/2) = 0 y (π/2) = −2

−2 1 1
κ= = −2 ρ= = = 0,5
[1 + 02 ]3/2 |κ| | − 2|

Beispiel 3.53:
Gesucht ist der Extremwert der Funktion y = (7x − 1)e−2x .
Position des Extremums:

y = (9 − 14x)e−2x = 0 ⇒ x0 = 0,6429
1

Art des Extremums:


y

y = (−32 + 28x)e−2x


0 1 2
y (x0 ) = −3,87 < 0 ⇒ Maximum x

Extremaler Funktionswert:
–1
ymax = 0,9676
3.16 Zusätzliche Beispiele 105

Beispiel 3.54:
Bestimmen Sie ein lokales Extremum folgender Funktionen.
a) y = 4(x − 2)2 + 3

y = 8(x − 2) = 0 ⇒ x0 = 2

y = 8 y (x0 ) = 8 > 0 ⇒ Minimum Funktionswert: ymin = 3

b) y = (x − 2)3

y = 3(x − 2)2 = 0 ⇒ x0 = 2

y = 6(x − 2) y (2) = 0 ⇒ keine Aussage über Extrema möglich!


y = 6 = 0 ⇒ Sattelpunkt bei x = 2

c) y = ax5 mit a = 0

y = 5ax4 = 0 ⇒ x0 = 0

y = 20ax3 y (0) = 0 y = 60ax2 y (0) = 0


y(4) = 120ax y(4) (0) = 0 y(5) = 120a = 0
Es ist n = 5, d.h. ungerade; deshalb liegt bei x = 0 ein Sattelpunkt vor und zwar
unabhängig vom Vorzeichen von a.
d) y = (x − 2)4 − 3

y = 4(x − 2)3 = 0 ⇒ x0 = 2

y = 12(x − 2)2 y (2) = 0 y = 24(x − 2) y (2) = 0


y(4) = 24 > 0
Weil n = 4 (n gerade) und f (4) > 0, liegt bei x = 2 ein Minimum vor.
Funktionswert: ymin = −3
e) y = x e−x

y = 1 · e−x − x e−x = e−x (1 − x) = 0 ⇒ x0 = 1

y = −e−x (1 − x) − e−x = e−x (x − 2)


y (1) = e−1 (1 − 2) = −e−1 = −0,3678 < 0 ⇒ Maximum
Funktionswert: ymax = 0,368
106 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.55:
Ausgehend von der Startposition x0 = 0 soll mit Hilfe des Newton-Verfahrens die Null-
stelle der Funktion y = (5x − 1)e−2x ermittelt werden.

fi
i xi = xi−1 − fi fi
fi
0 0,0 −1 7
f = (5x − 1)e−2x
1 0,143 −0,214 4,185
f  = (7 − 10x)e−2x 2 0,194 −0,020 3,433
3 0,2 ≈ 0,0

⇒ xs = 0,2

Beispiel 3.56:
Für verschiedene Funktionen soll die 1. Ableitung y implizit ermittelt werden.
a) y3 + y2 − ex/3 + e−x/3 = 8
Implizite Differentiation liefert (s. Absch. 3.7):

1 1 ex/3 + e−x/3
3y2 y + 2yy − ex/3 − e−x/3 = 0 ⇒ y =
3 3 3(3y2 + 2y)

b) sin y + y ex − 3x2 = 0
Implizite Differentiation liefert:

6x − y ex
cos y · y + y ex + y ex − 6x = 0 ⇒ y =
cos y + ex

Beispiel 3.57:

Gesucht ist die Steigung der durch die Gleichung y − x2 y − 5x − 4 = 0 beschriebe-
nen Kurve am Schnittpunkt xs dieser Kurve mit der x-Achse.
Unter Verwendung der impliziten Differentiation (s. Abs. 3.7) erhält man:

√ 1 4xy + 10 y
y − 2x y − x2 √ y − 5 = 0 ⇒ y = √
2 y 2 y − x2

Die Schnittpunktkoordinate xs ergibt sich aus der Bedingung y = 0 :



0 − x2 0 − 5x − 4 = 0 ⇒ Schnittpunkt: xs = −0,8

0+0
Steigung bei xs : y = =0
0 − (−0,8)2
Die Kurve besitzt also an der Stelle xs = −0,8 eine waagerechte Tangente.
3.17 Technische Anwendungen 107

3.17 Technische Anwendungen

Beispiel 3.58:
Ein Forstbetrieb transportiert Baumstämme in einem Wasserkanal von der Breite b .
Dieser Kanal mündet in einen anderen senkrecht zu ihm orientierten Kanal von der
Breite c (Fließrichtung in Kanälen durch gestrichelte Pfeile angedeutet). Die Baum-
stämme dürfen eine bestimmte Länge nicht überschreiten, damit sie nicht an der Ecke
E festsitzen. Es soll die höchst zulässige Länge L des Baumstamms berechnet wer-
den (Einfluß des Baumstammdurchmessers wird vernachlässigt, d.h. der Baumstamm
wird mathematisch wie eine Linie behandelt).

E
L

b
a b=3m c=6m

Wir drücken die Baumstammlänge als Funktion des Winkels α aus.

b c
L= +
sin α cos α
Die höchst zulässige Länge ergibt sich als Extremwert der obigen α-Funktion. Die
Ableitung von L nach α lautet:

dL −b cos α c sin α −b cos3 α + c sin3 α


= + =
dα sin2 α cos2 α sin2 α cos2 α
Aus der Extremalbedingung
dL
=0

erhalten wir:

b 3 b
−b cos α + c sin α = 0
3 3
tan α =
3
tan α =
c c

3
tan α = = 0,7937 ⇒ α = arctan 0,7937 = 38,44◦
3

6
3 6
L= ◦
+ = 12,48 m
sin 38,44 cos 38,44◦
108 3 Differentialrechnung

Beispiel 3.59:

Ein einfeldriger Biegebalken aus dem Stahlprofil IPE-200 ist an seinem linken Ende
gelenkig gelagert und am rechten Ende eingespannt. Die Belastung ist die konstan-
te Streckenlast q . Der Verlauf der Durchbiegung w über die Balkenlänge ist durch
folgende Gleichung gegeben:
 
ql 4 x 3x3 2x4
w(x) = − 3 + 4
48EI l l l

E : Elastizitätsmodul des Balkenwerkstoffs


I : Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts
l : Länge des Balkens
Das Biegemoment M(x) und die Durchbiegung w(x) hängen über die Momenten-
Krümmung-Beziehung miteinander zusammen:

w
M = −EI · κ mit κ =
[1 + (w )2 ]3/2

Gesucht ist das Biegemoment M sowie der Krümmungsradius ρ an der Stelle x0 =


0,375 l (vom linken Balkenende aus gemessen) für folgende Werte:

q = 0,05 kN/cm l = 600 cm E = 21000 kN/cm2 I = 1940 cm4


 
ql 3 9x 2 8x 3 ql 3
w (x) = 1− 2 + 3 w (x0 ) =
48EI l l 37,4634EI
 
 ql 3 18x 24x2 ql 2
w (x) = − 2 + 3 w (x0 ) = −
48EI l l 14,2222EI

w (x0 ) = 8,63 · 10−4 w (x0 ) = −3,107 · 10−5 cm−1


− 3,107 · 10−5
κ(x0 ) = = −3,107 · 10−5 cm−1
[1 + (8,63 · 10−4 )2 ]3/2
Biegemoment:

M(x0 ) = −EI · κ(x0 )


= −21000 · 1940 · (−3,107 · 10−5 ) = 1265,8 kNcm

Krümmungsradius:

1 1
ρ= = = 32185 cm ≈ 322 m
|κ| | − 3,107 · 10−5 |
3.17 Technische Anwendungen 109

Beispiel 3.60:
Gesucht ist die momentane Geschwindigkeit eines Einmassenschwingers, dessen Schwing-
weg durch folgende Funktion gegeben ist.

x = f (t) = A sin(ωt + φ )

x momentaner Schwingweg
A Amplitude der Schwingung (Skalar)
ω Eigenschwingungsfrequenz des Schwingers (Skalar)
φ Phasenverschiebung der Schwingung (Skalar)
t Zeit
Die momentane Geschwindigkeit v entspricht der ersten Ableitung des Schwing-
weges f (t) nach der Zeit t :

dx
v = ẋ =
dt
Substitution: u = ωt + φ ⇒ x = f (u) = A sin u
dx d(A sin u) du d(ωt + φ )
= = A cos u = =ω
du du dt dt
dx dx du
v = ẋ = = = A cos u · ω = A ω cos(ωt + φ )
dt du dt

Beispiel 3.61:
Ein beidseitig gelenkig gelagerter Biegebalken von der Länge L wird in der Mitte
durch eine senkrecht stehende Einzellast F auf Biegung belastet. Die Durchbiegungs-
kurve y des Balkens unter dieser Belastung ist durch folgende Gleichung gegeben
(Koordinate x vom linken Balkenende
 aus gemessen).
FL3 x x3
y= − 0 ≤ x ≤ L/2
EI 16L 12L3
a) An welcher x-Position des Balkens tritt die größte Durchbiegung auf?
b) Welchen Wert besitzt die größte Durchbiegung ymax ?
c) Wie groß ist das Biegemoment M an der x-Position von ymax ?

Lsg:
a) Die Position der größten Durchbiegung ergibt sich aus y = 0:
 
 FL3 1 x2
y = − = 0 ⇒ x0 = L/2
EI 16L 4L3
 
FL3 x FL
b) y = − 3 y (L/2) = − <0 ⇒ Maximum
EI 2L 4EI
110 3 Differentialrechnung

FL3
Maximale Durchbiegung: ymax = y(L/2) = −
48EI

c) Biegemoment in Balkenmitte:
Das Biegemoment M und die Biegelinie eines Balkens sind miteinander durch
die Beziehung M = −EI y verknüpft (wg. Einzelheiten dieser Beziehung kann
ein Buch der Festigkeitslehre konsultiert werden).

FL FL
y (L/2) = − ⇒ M(L/2) = −EI · y =
4EI 4

Beispiel 3.62:

Die Schwingung eines Fernsehturms ist durch die Gleichung x = 0,2 e−0,1t sin 2t
beschrieben (x ist der momentane Schwingweg der Turmspitze in Metern und t die
Zeit in Sekunden).

Zu welchem Zeitpunkt t0 wird die Geschwindigkeit der Turmspitze zum ersten


Mal nach Einsetzen der Schwingung gleich Null?

Die Geschwindigkeit entspricht der ersten Ableitung des Schwingwegs nach der
Zeit:

ẋ = −0,02e−0,1t sin 2t + 0,4e−0,1t cos 2t

ẋ = e−0,1t (−0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t)


Die Geschwindigkeit ist Null, wenn

e−0,1t
  (−0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t) = 0 ⇒ −0,02 sin 2t + 0,4 cos 2t = 0
=0

⇒ tan 2t = 20 ⇒ 2t = arctan 20 2t = 1,52 t0 = 0,76 s

Beispiel 3.63:

Die theoretisch erzielbare Leistung einer Windenergie-Anlage (WEA) ergibt sich aus
der folgenden Formel.
   
ρ 3 πD2 1 v2 v
P = v0 1− 2 1+
2 4 2 v0 v0
3.17 Technische Anwendungen 111

Nm
P : Leistung der WEA in = Watt
s
ρ : Luftdichte in kg/m (ρ ≈ 1,25 kg/m3 )
3

D : Rotordurchmesser in m
v0 : Ungestörte Windgeschwindigkeit in m/s
(vor dem Rotor)
v : Geschwindigkeit der austretenden Luft in m/s
(hinter dem Rotor)

Die Größen ρ, v0 , D sind für den gewählten Standort und das Investitionsvolu-
men fest stehende Werte, d.h. Konstanten. Die Luftströmungsgeschwindigkeit v hin-
ter dem Rotor hingegen ist eine durch Rotorblatt-Anstellwinkel steuerbare Größe, d.h.
eine Variable. Die Leistung P der WEA ist daher eine Funktion der Variable v.
Es soll bestimmt werden, wie groß die maximale Energieausbeute der WEA aus
dem Wind ist.
Die maximale Leistung stellt sich für die Bedingung dP/dv = 0 ein, weil P = f (v)
ist:
   
dP ρ 3 πD2 1 d v2 v
= v 1− 2 1+
dv 2 0 4  2 dv v0 v0
P0 =konst.
   
P0 2v v v2 1
= − 2 (1 + ) + 1 − 2
2 v0 v0 v0 v0
   
P0 v v2 v2 P0 − 2vv0 − 2v2 + v20 − v2
= −2 − 2 2 + 1 − 2 =
2v0 v0 v0 v0 2v0 v20
=0

⇒ −2vv0 − 2v2 + v20 − v2 = 0 − 3v2 − 2vv0 + v20 = 0


v0
Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung sind v1 = und v2 = −v0 . Die zweite
3
Lösung macht physikalisch keinen Sinn, weil die Luft nicht gegen den Wind (wegen
des negativen Vorzeichens) zurück strömen kann! Die richtige Lösung lautet also v =
v0 /3, d.h. wenn die ungestörte Windgeschwindigkeit auf ein Drittel reduziert wird,
erreicht die WEA ihre maximale Leistung Pmax .
   
P0 (v0 /3)2 v0 /3
Pmax = 1− 1+ = 0,592 P0
2 v20 v0

P0 entspricht physikalisch der im Wind insgesamt vorhandenen kinetischen Energie.


Man kann also mit einer idealen reibungsfreien WEA (d.h. mit einem traumhaft hohen
Wirkungsgrad η = 1!) bestenfalls 59% der im Wind vorhandenen Energie nutzbar
machen.
112 3 Differentialrechnung

Anmerkung: Aufgrund unvermeidbarer Reibungsverluste und anderer Ursachen er-


reichen moderne Windkraftanlagen in Wirklichkeit ca. 40 − 50% Energieausbeute.

Beispiel 3.64:
In diesem Beispiel wollen wir eine sehr wichtige Zentralaussage der Mechanik un-
ter Verwendung von (3.21) herleiten: Die von einer Kraft an einem Körper geleistete
Arbeit entspricht der Änderung der kinetischen Energie dieses Körpers.

v1 v2
F

t1 t2
s u

Bekanntlich besteht zwischen der an einem Körper (Masse m) angreifenden Kraft F


und der Beschleunigung a des Körpers folgende Beziehung nach Newton:

F = ma a : momentane Beschleunigung (a)

ds d2 s
= ṡ = v = s̈ = a s : Wegstrecke v : Geschwindigkeit t : Zeit
dt dt 2
Unter Berücksichtigung von (3.21) erhalten wir aus (a):

1 d(ṡ2 ) 1 1
F = ma = ms̈ = m ⇒ ms̈ ds = m d(ṡ2 ) ⇒ F ds = m d(v2 )
2 ds 2 2
Nun integrieren wir die ganz recht stehende Beziehung in der obigen Zeile:
 
1
F ds = m d(v2 ) Arbeitsintegral
2

Diese Integralbeziehung gilt sowohl für konstante als auch nicht-konstante Kraft F.
Der Term F ds gibt die von der Kraft F entlang des von ihr zurückgelegten Weges
geleistete Arbeit wieder, s. auch Beispiel 5.71 auf Seite 258.

Sonderfall: Konstante Kraft F


Falls die einwirkende Kraft F konstant ist (auch a wäre dann konstant), läßt sich das
obige Arbeitsintegral leicht auswerten. Im Zeitintervall [t1 · · · t2 ] legt der Körper die
Gesamtstrecke u zurück. Die Integration liefert dann:

 t2 u 1 t2
1   1
F ds = m d(v2 ) ⇒ Fs = m v2  Fu = m (v22 − v21 ) (*)
2 0 2 t1 2
u t1
3.17 Technische Anwendungen 113

Die von der Kraft F auf dem Weg u geleistete Arbeit W beträgt:

W = Fu

Die kinetische Energie zum Zeitpunkt t1 sei mit Ekin,1 und zum Zeitpunkt t2 mit Ekin,2
bezeichnet. Wir haben also:
1 2 1 2
Ekin,1 = mv Ekin,2 = mv
2 1 2 2
Die finale Aussage dieser Ergebnisse lautet, dass die Änderung der kinetischen Ener-
gie eines sich infolge der Kraft F bewegenden Körpers gleich ist der von dieser Kraft
geleisteten Arbeit W :

W = Ekin,2 − Ekin,1

Freier Fall als Beispiel


Der oben hergeleitete Energiesatz soll jetzt auf eine punktförmige Masse angewandt
werden, die sich zum Zeitpunkt t1 = 0 in der Höhenlage h über dem Boden in Ruhe
befindet, d.h. die Anfangsgeschwindigkeit v1 ist Null (v1 = 0 m/s2 ). Gesucht ist ihre
Geschwindigkeit beim Berühren des Bodens.
Die auf die Masse einwirkende Kraft F bleibt während des gesamten Fallvorgangs
konstant und beträgt F = mg. Einsetzen dieses Ausdrucks in die obige Gleichung (*)
liefert mit v1 = 0 (abgekürzt schreiben wir v anstatt v2 und h anstelle von u):
1 
mg h = m (v2 − 02 ) ⇒ v= 2gh
2

Beispiel 3.65:
Ein elastisch gebetteter Balken ist ein schlanker Balken auf elastischer Unterlage (z.B.
ein Streifenfundament auf Erdreich, eine Eisenbahnschiene auf Traversen). Wir be-
trachten einen solchen langen Balken, der in der Mitte durch ein Einzelmoment M0
belastet wird. Nach den Gesetzmäßigkeiten der technischen Mechanik ist die Biegeli-
nie w(x) des Balkens durch folgende Beziehung gegeben:

λ 2 M0 −λ x 4 k
w(x) = e sin λ x wobei λ =
k 4EI
E und I sind der Elastizitätsmodul sowie das Trägheitsmoment des Balkens; k ist die
elastische Bettungskonstante. Gesucht ist die maximale Durchbiegung des Balkens für
die Werte M0 = 3 · 106 Nmm, EI = 1 · 1011 Nmm2 , k = 0,2 N/mm2 .
Mit diesen Zahlenwerten ergibt sich die Durchbiegungsformel zu:

λ = 0,000841 λ 2 M0 /k = 10,61 ⇒ w(x) = 10,61 e−λ x sin λ x

Für die Bestimmung der maximalen Durchbiegung ermitteln wir zunächst die erste
114 3 Differentialrechnung

Ableitung von w(x) und setzen sie gleich Null:

w = 10,61 λ e−λ x (cos λ x − sin λ x)

w (x0 ) = 0 ⇒ cos λ x0 − sin λ x0 = 0 ⇒ tan λ x0 = 1 d.h. λ x0 = π/4


Einsetzen von λ x0 = π/4 in der obigen Formel für die Durcbiegung liefert:
π
wmax = 10,61 e−λ x0 sin λ x0 = 10,61 e−π/4 sin
4
= 10,61 · 0,4560 · 0,7071 = 3,42 mm

Die Position der maximalen Durchbiegung erhält man zu:


π π
x0 = = = 933,9 mm (Position der maximalen Durchbiegung)
4λ 4 · 0,000841
Die Durchbiegungslinie des Balkens ist im folgenden Bild mit Hilfe von M APLE dar-
gestellt.

2
w

0 2000 4000 6000 8000 10000


x

Beispiel 3.66:
Ein Auto (Masse m) fährt mit konstanter Geschwindigkeit v in eine Strassenkurve, die
durch die Funktion y = 100 ln x (x in Metern und x > 0) beschrieben wird. Die auf
das Auto wirkende Zentrifugalkraft kann nach der Formel F = mv2 /ρ berechnet
werden. Diese Kraft F ist nicht konstant, weil der Krümmunsradius ρ der Kurve von
der momentanten Position des Wagens abhängt. Der Reibungsbeiwert zwischen den
Reifen und der Strasse beträgt μ. Die Reibungskraft FR zwischen den Autoreifen und
dem Asphalt (Rückhaltekraft) lässt sich nach der Formel FR = μ G = μ mg berechnen
(g : Erdbeschleunigung).
m = 1500 kg v = 162 km/h μ = 0,7 g = 9,81 m/s2
Bleibt das Auto auf der Strasse oder kommt es ins Schleudern?
3.17 Technische Anwendungen 115

Krümmungsradius ρ der Fahrbahn:


 3/2
1 + (y )2 100 −100
ρ= y = y =
|y | x x2
  2 1,5
100
1+
x (x2 + 1002 )1,5
⇒ ρ= =
100 100x
x2
Zentrifugalkraft auf das Auto:

mv2 3,0375 · 108 x


v = 162 km/h = 45 m/s ⇒ F= = 2
ρ (x + 1002 )1,5

Maximale Zentrifugalkraft Fmax :

F  = dF/dx = 0 Extremalbedingung

3,0375 · 108 (x2 + 1002 )1,5 − 3,0375 · 108 x · 1,5 (x2 + 1002 )0,5 · 2x
F = =0
(x2 + 1002 )3
3,0375 · 108 (x2 + 1002 )0,5 (x2 + 1002 − 3x2 )
F = =0
(x2 + 1002 )3
3,0375 · 108 (x2 + 1002 )0,5 (1002 − 2x2 )
F = =0
(x2 + 1002 )3
Der Ausdruck (x2 + 1002 )0,5 in der letzten Gleichung ist stets = 0, weil gemäß aufga-
benstellung x ≥ 0 gilt. Daher muss folgende Bedingung gelten, damit F  = 0 erfüllt
ist:

1002 − 2x2 = 0 ⇒ xm = 5000 = 70,71 m

Die größte Zentrifugalkraft tritt also an der Stelle xm = 70,71 m auf. Nach Einsetzen
116 3 Differentialrechnung

dieses Wertes in die Gleichung für F ergibt sich die Zentrifugalkraft Fmax zu:

3,0375 · 108 70,71


Fmax = = 11691 N
(70,712 + 1002 )1,5

Die auf das Auto wirkende Rückhaltekraft aufgrund der Reibung zwischen Reifen und
Straße beträgt:

FR = 0,7 · 1500 · 9,81 = 10300 N

Das Auto kommt in der Kurve ins Schleudern, weil Fmax > FR .

Beispiel 3.67:

Ein einfeldriger Biegebalken ist an seinem linken Ende gelenkig gelagert und am rech-
ten Ende eingespannt. Die Belastung ist die konstante Streckenlast q . Der Verlauf
des Biegemomentes M und der Durchbiegung w über die Balkenlänge ist durch fol-
gende Gleichungen gegeben. Gesucht ist der Größtwert des Biegemoments und der
Durchbiegung.
   
ql 2 3x x2 ql 4 x 3x3 2x4
M(x) = − w(x) = − 3 + 4
2 4l l 2 48EI l l l

Die Position xM des größten Moments Mmax lässt sich aus der 1. Ableitung bestimmen:
 
 ql 2 3 2x
M (x) = − =0 ⇒ xM = 0,375 l
2 4l l 2

Das maximale Biegemoment beträgt dann:


 
ql 2 3 · 0,375l (0,375l)2 9
Mmax = − = ql 2
2 4l l2 128

Die Position der größten Durchbiegung lässt sich aus folgender Bedingung berechnen:
 
ql 3 9x 2 8x 3
w (x) = 1− 2 + 3 = 0
48EI l l

Die Nullstelle dieser Funktion soll hier nicht analytisch, sondern numerisch bestimmt
werden. Hierfür soll das Newton-Verfahren benutzt werden. Die Funktion, deren Null-
stelle gesucht wird, lautet:
   
 9x2 8x3   18x 24x2
f (x) = w (x) = 1 − 2 + 3 = 0 f (x) = w (x) = − 2 + 3
l l l l
3.17 Technische Anwendungen 117

Die Newton-Iteration wird tabellarisch durchgeführt:

i xi /l fi = wi fi = wi


0 0,200 0,704 -2,640
1 0,467 -0,147 -3,173 ⇒ Nullstelle: xs = 0,422 l
2 0,420 0,005 -3,333
3 0,422 - -

Die größte Durchbiegung des Balkens beträgt:


 
ql 4 0,422 l 3(0,422 )3 2(0,422 l)4 2 ql 4
wmax = w(xs ) = − 3
+ 4
=
48EI l l l 369 EI

Beispiel 3.68:
Ein beidseitig gelenkig gelagerter Balken wird durch eine linear veränderliche Stre-
ckenlast q(x) = q0 (x/L) belastet. Der Verlauf der Durchbiegung w(x) über die Bal-
kenlänge ist durch folgende Gleichung gegeben:
 
ql 4 7x 10x3 3x5
w(x) = − 3 + 5
360EI l l l

wobei E : Elastizitätsmodul, I : Trägheitsmoment des Balkenquerschnitts, l die Bal-


kenlänge sind. Es soll die maximale Durchbiegung des Balkens bestimmt werden.

q = 100 kN/m l = 2m E = 2,1 · 108 kN/m2 I = 1,71 · 10−6 m4

Die Position der maximalen Durchbiegung wird über die erste Ableitung bestimmt.
   
 ql 3 30x2 15x4 30x2 15x4
w (x) = 7− 2 + 4 =0 ⇒ f (x) = 7 − 2 + 4 =0
360EI l l l l

Die Nullstelle x/l der Funktion f (x) wird mit dem Newton-Verfahren bestimmt.
 
60x 60x3 1 60x 60x3
f  (x) = − + = − +
l2 l4 l l l3

Als Startposition wählen wir x/l = 0,5, weil es aus Alltagserfahrung naheliegt, dass
die maximale Durchbiegung irgendwo in der Nähe der Feldmitte liegen sollte.
Nachfolgende Tabelle zeigt sehr schnelle Konvergenz des Newton-Verfahrens.

i xi /l fi fi
0 0,5000 0,4375 -22,500/l x
⇒ Nullstelle: = 0,5195
1 0,5194 0,0016 -22,757/l l
1 0,5195 - -
118 3 Differentialrechnung

Die maximale Durchbiegung ergibt sich dann zu:

ql 4  ql 4
max w = 7 · 0,5195 − 10 · 0,51953 + 3 · 0,51955 = 0,00652
360EI EI
Mit den vorliegenden Zahlenwerten erhält man:

100 · 2,04
max w = 0,00652 = 0,029 m ≡ 2,9 cm
2,1 · 108 · 1,71 · 10−6

Beispiel 3.69:
Die Biegelinie y des einseitig eingespannten Balkens unter der Einwirkung des äuße-
ren Biegemomentes M ist gegeben durch:

M 2
y = f (x) = x
2EI
y : vertikale Durchbiegung des Balkens
ϕ : Verdrehung des Balkenendes (rad)
E = 2,1 · 1011 N/m2 (Elastizitätsmodul)
I = 1 · 10−7 m4 (Trägheitsmoment)
L = 6 m (Balkenlänge )

Das äußere Biegemoment leistet während der Verdrehung des Balkenendes die Ar-
beit W = 12 Mϕ.
Wie groß muß das Moment M sein, damit die geleistete Arbeit genau W = 3600 Nm
beträgt? Anmerkung: Es soll vorausgesetzt werden, dass die Durchbiegung und die
Verdrehung des Balkens klein sind, so dass tan ϕ ≈ ϕ (ϕ in Bogenmaß) angenommen
werden darf.
Drehwinkel ϕ am Balkenende:

d  M 2 M 6M
y = x = x tan ϕ ≈ ϕ = y (x = L) =
dx 2EI EI 2,1 · 1011 · 10−7

1 6M 2
W = Mϕ = = 3600 ⇒ M = 5020 Nm
2 2 · 2,1 · 1011 · 10−7

Beispiel 3.70:
In vielen Gebieten der Physik, z.B. in der Mechanik (nichtlineares Tragverhalten, Opti-
mierung), Steuerungs- und Regelungstechnik, Flugmechanik spielt die Linearisierung
einer Funktion eine wichtige Rolle. Oft ist die Lösung des Problems in geschlosse-
ner Form nicht erreichbar. Eine Näherungslösung lässt sich aber meistens iterativ er-
reichen, indem die unabhängige Variable, z.B. die statische Belastung F, in kleine
Teilbeträge (Inkremente) unterteilt und die endgültige Tragwerksantwort (abhängige
Variable y) als Summe von entsprechend vielen Verformungsinkrementen berechnet
3.18 Aufgaben 119

wird:

F = ΔF1 + ΔF2 + · · · + ΔFn

y = Δy1 + Δy2 + · · · + Δyn mit Δy1 = f1 (ΔF1 ) Δy2 = f2 (ΔF2 ) ···

3.18 Aufgaben
1. Bestimmen Sie den Differenzenquotienten Δy/Δx folgender Funktionen.
Δy
a) y = 3x2 − x Lsg: = 6x + 3Δx − 1
Δx
Δy
b) y = 3x3 + x Lsg: = 9x2 + 9x(Δx) + 3(Δx)2 + 1
Δx
Δy
c) y = 2x3 − x2 Lsg: = 6x2 + 6x(Δx) + 2(Δx)2 − 2x − Δx
Δx
2. Bestimmen Sie die 1. Ableitung y folgender Funktionen.
2 sin x
a) y = 4x5 − tan2 x Lsg: y = 20x4 −
cos3 x
5x 5 − 10 x2
b) y = Lsg: y =
2x2 + 1 (2x2 + 1)2
c) y = 2 sin (5x + 3) Lsg: y = 10 cos (5x + 3)
2 √ √ 6 2 3
Lsg: y = 4 + √ +√
3 4
d) y = − 3 + 3 x2 + 4 x3 3 4
x x x x
2 ln x
e) y = ln2 x Lsg: y =
x
f) y = ln(cos x) Lsg: y = − tan x
1
g) y = ln(tan x) Lsg: y =
sin x cos x
cos x 1
h) y= Lsg: y = − 2
sin x sin x
i) y = e−1 e2x Lsg: y = 2 e2x−1 bzw. 0,7358 e2x
j) y = ex sin x Lsg: y = (sin x + x cos x) ex sin x
 
 sin x
k) y = xsin x Lsg: y = x sin x + cos x ln x
x
√ cos x
l) y = sin x Lsg: y = √
2 sin x


m) y = ex a2x Lsg: y = e a2x + 2a2x ln a
x

n) y = 2x ex cos x Lsg: y = 2ex (cos x + x cos x − x sin x)


o) y = x2 ex sin x Lsg: y = 2x ex sin x + x2 ex sin x + x2 ex cos x
120 3 Differentialrechnung

p) y = xa ex Lsg: y = xa−1 ex (x + a)
q) y = e2x a2x Lsg: y = ex a2x + 2 ln a a2x
r) y = x2 ex cos x Lsg: y = ex [x2 (cos x − sin x) + 2x cos x]
s) y = e3−5x e5x Lsg: y = 0
t) y = 2 (1 + cos x) e− cos x Lsg: y = sin 2x e− cos x
u) y = 2 (1 − cos x) e−2+cos x Lsg: y = sin 2x e−2+cos x
1 1 1
v) y = cosh Lsg: y = − 2 sinh
x x x
3. In der Liste auf Seite 777 sind unbestimmte Integrale (Stammfunktionen) für diverse Funk-
tionen (Integranden) angegeben. Überzeugen Sie sich, dass die erste Ableitung der jewei-
ligen Stammfunktion tatsächlich den Integranden liefert (auf diese Weise haben Sie eine
große Sammlung von Übungsaufgaben für die Differentiation!).
4. Die Schwingung eines gedämpften Schwingers (s. Seite 414) wird durch die Gleichung
u = e−2t sin(4t + 5) beschrieben, wobei u die momentane Auslenkung der Schwingermas-
se und t die Zeit bedeuten (Einheiten in m und s). Wie groß ist die Beschleunigung des
Schwingers zum Zeitpunkt t = 0?

Geschwindigkeit: u̇(t) = −2e−2t sin(4t + 5) + 4e−2t cos(4t + 5)

Beschleunigung: ü(t) = −12e−2t sin(4t + 5) − 16e−2t cos(4t + 5)


Beschleunigung zum Zeitpunkt t = 0 : ü(0) = 6,97 m/s2

5. Zeigen Sie, dass man die Quotientenregel (3.12) auf Seite 64 auch aus der Produktregel
(3.9) auf Seite 63 herleiten kann, wenn auf den v−1 -Term die Kettenregel angewandt wird.
6. Versuchen Sie die Quotientenregel (3.12) auf Seite 64 mathematisch strenger als in der vor-
angehenden Aufgabe herzuleiten. Tipp: a) Gehen Sie dabei in Anlehnung an das Beispiel
3.36 für die Produktregel auf Seite 94 vor, b) Addieren Sie im Zähler diesmal den Ausdruck
−u(x) v(x) + u(x) v(x) hinzu.
7. Bestimmen Sie die erste Ableitung y folgender Funktionen in Parameterform (p : Parame-
ter).
p+1 p−1 dy
a) x= y= Lsg: y = = −1
p p dx
dy cos p − sin p
b) x = e p sin p x = e p cos p Lsg: y = =
dx cos p + sin p
8. Bestimmen Sie die Geradengleichung der Tangente der Funktionskurve y = e−x/2 sin 4x
an der Stelle x = −π/2.
Lsg: Steigung: y (−π/2) = 8,773 Gleichung der Tangente: y = 8,773x + 13,78
6−x
9. Gegeben ist die Funktion y = ln 2 . Ermitteln Sie die Gleichung der Normalen an die
x
Funktionskurve bei x = −3. Lsg: y = −1,8x − 5,4
3.18 Aufgaben 121

10. Gegeben ist eine Kurve y = sin2 x.


Berechnen Sie den Schnittpunkt der Normalengeraden der Kurve, die an der Stelle x0 = 2
gebildet wird, mit der x-Achse.
y0 = y(2) = 0,8268 y = 2 sin x cos x y (2) = −0,7568
mn = −1/y (2) = 1,3213 Normale: y = m(x − x0 ) + y0
Gleichung der Normalengeraden: y = 1,3213 (x − 2) + 0,8268 = 1,3213 x − 1,8159
Der Schnittpunkt ergibt sich aus ys = 0 : 1,3213 xs − 1,8159 = 0 ⇒ xs = 1,374

11. Gegeben ist die Kurvenfunktion y = 2sin2 x. Berechnen Sie die Koordinaten des Schnitt-
punktes der Normale der Kurve y für x0 = 0,9 mit der x-Achse.
12. Bestimmen Sie für t = π/2 die Steigung der Kurve, die in folgender Parameterdarstellung
definiert ist.

x = f (t) = 6 sin t + 4 sin 2t y = g(t) = −6 cos t − 8 cos3 t

ẏ dx dy ẏ(π/2) 6 3
Lsg: y = mit ẋ = ẏ = y (π/2) = = =−
ẋ dt dt ẋ(π/2) −8 4

13. Bestimmen Sie die 1. Ableitung folgender impliziter Funktionen.


−x
a) x2 + y2 − r2 = 0 Lsg: y = √
r 2 − x2
x 2 y2 2
b) + − 1 = 0 Lsg: y  = −b x
a2 b2 a2 y
3x2
c) y sin y − x3 = 0 Lsg: y =
sin y + y cos y
−2xy
d) x2 y + y2 = 1 Lsg: y = 2
x + 2y
3y − 2x
e) x2 + y3 − 3xy = 1 Lsg: y = 2
3y − 3x
−3y2 + 2x
f) xy3 − 3xy2 + x2 = 0 Lsg: y =
6xy
2x − 2y − 1
g) (x − y)2 − x − y + 1 = 0 Lsg: y =
2x − 2y + 1
ey
h) y − 1 − xey = 0 Lsg: y =
2−y
(x − 1)y
i) ex+y − xy = 0 Lsg: y =
x(1 − y)
sin y
j) x sin y − cos y + cos 2y = 0 Lsg: y =
2 sin 2y − x cos y − sin y
1 − 2x2
k) ln(x + y) − x2 = 0 Lsg: y =
2x
122 3 Differentialrechnung

14. Bestimmen Sie die 2. Ableitung y folgender Funktionen.


a) y = 3e−4x Lsg: y = 48 e−4x
b) y = 2x3 e−x Lsg: y = (12x − 12x2 + 2x3 ) e−x
1
c) y = x ln x Lsg: y =
x
ln x −3 + 2 ln x
d) y= Lsg: y =
x x3
e) y = et cos t Lsg: ÿ = −2 e sin t
t

f) y=e x2 −2x+1 Lsg: y = (4x2 − 8x + 6) ex


2 −2x+1

12 2 (3x2 − 2)2
g) y = 2 ln(x3 − 2x) Lsg: y = −
x2 − 2 (x3 − 2x)2
h) y = tan x Lsg: 
y = 2 tan x(1 + tan2 x)

i) y = sin2 x + cos2 x) Lsg: y = 0
y = (2 + 4x2 )ex
2 2
j) y = ex Lsg:
k) y = e2 ln x Lsg: y = 2
15. Bestimmen Sie den numerischen Wert der angegebenen Ableitung.
a) y = x ln x y (1) =?
Lsg: y = −1/x2 y (1) = −1

x ex − x 2
b) y= y (0) =?
x − ex
Lsg: y = −1 y (0) = −1

x ex − x 2
c) y= y (1) =?
x + ex
2ex (x2 − x) + e2x − x2
Lsg: y = y (1) = 0.4621
(x + ex )2
d) y = ln tan x y (π/2) =?
1 1
Lsg: y = − y (π/2) = −1
cos2 x sin2 x
 
1 x
e) y = 1+ y (1) =?
x      
1 x 1 1
Lsg: y = 1 + ln 1 + − y (1) = 0,3863
x x x+1
3.18 Aufgaben 123

16. Berechnen Sie die Wendepunkte folgender Funktionen.


 2
1 x−μ
1 −
a) y = √ e 2 σ (Gauss-Kurve)
σ 2π
Lsg: Aus f  (x) = 0 folgt die Position der Wendepunkte: x = μ ± σ .
Bedingungen für Wendepunkt: f  (μ ± σ ) = 0  f  (μ ± σ ) = 0 
b) y = sin2 x (nur der erste Wendepunkt für x > 0 gesucht)
Lsg: Wendepunkt bei x = π/4 f  (π/4) = 0  f  (π/4 = 0 

17. Bestimmen Sie die maximale Druckfestigkeit σmax des Betons C25/30, dessen Spannungs-
Dehnungslinie (σ -ε-Linie) in Beispiel 2.5 auf Seite 26 angegeben ist.
Lsg: σmax = 25 N/mm2 bei ε0 = 0,0022.

18. Die Druck-Zeit-Funktion eines explosiven Stoffes ist für t ≥ 0 durch die Funktion p(t) =
te−t gegeben. a) Bestimmen Sie den höchsten Druck pmax , b) Zeigen Sie, dass es sich um
2

ein Maximum handelt, c) Stellen Sie die Funktionskurve im Intervall 0 ≤ t ≤ 3 grafisch


dar.
dp
= (1 − 2t 2 )e−t = 0
2
Lsg: ṗ = ⇒ t0 = 0,7071 pmax = p|t=t0 = 0,429
dt
19. Ein Kind wirft einen Stein vertikal nach oben mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 . Der
Luftwiderstand wird vernachlässigt. Die vom Stein zurückgelegte Strecke s als Funktion
der Zeit lautet s(t) = v0 t − gt 2 /2 . Bestimmen Sie die maximale Steighöhe des Steins.
Lsg: smax = v20 /2g

20. Berechnen Sie die Extrema folgender Funktionen (Sie sollten die Wurzeln der entstehen-
den Gleichungen nach Möglichkeit analytisch berechnen). Zur visuellen Kontrolle Ihrer Be-
rechnung wird empfohlen, die Funktionen mit Hilfe eines Plotsoftware zusätzlich grafisch
darzustellen.
a) y = 1 + 5x − 4x2 x≥0 Lsg: Maximum bei x0 = 0,625, ymax = 2,5625
b) y = 1 + 5x + x2 − 4x3
Minimum bei x0 = −0,5675, ymin = −0,7844
Maximum bei x0 = 0,7342, ymax = 3,6270
14 (x + 1)
c) y = √ x≥0
x
Minimum bei x0 = 1, ymin = 28
d) y = 1 + sin x cos3 x Gesucht sind nur die Extremwerte im x-Intervall [0; 2].
Maximum bei x0 = 0,5236, ymax = 1,3248
Sattelpunkt bei x0 = 1,5708, y0 = 1,0000
e) y = 3 e−(x−π)2 x≥0 Lsg: Maximum bei x0 = π, ymax = 3
124 3 Differentialrechnung

3 4
f) y = + 0,1 ≤ x ≤ 1,5
sin x cos x
Lsg: Minimum bei x0 = 0,7375, ymin = 9,866
e−x
g) y = 0 ≤ x ≤ 1,4.
cos x
Lsg: Minimum bei x0 = 0,7854, ymin = 0,6448
e−x
h) y = 1 ≤ x ≤ 3,1.
sin x
Lsg: Minimum bei x0 = 2,356, ymin = 0,134
5e−(x+1)
2
i) y = Lsg: Maximum bei x0 = −1, ymax = 5

21. Berechnen Sie das lokale Extremum folgender Funktionen im angegebenen Intervall. Für
die Bestimmung der Extremwertposition sollte ein numerisches Verfahren, z.B. Regula-
Falsi oder Newton-Verfahren, angewendet werden. Stellen Sie zusätzlich mit Hilfe eines
Kurvenplotprogramms den jeweiligen Funktionsverlauf im angegebenen Intervall grafisch
dar.
a) y = (1 + x) cos x [0; 2].
Lsg: Maximum bei x0 = 0,5678, ymax = 1,3218.
b) y = ex − e−x − sin 3x [0; 0,4].
Lsg: Minimum bei x0 = 0,2693, ymin = −0,1777.
c) y = e−x sin x [0,5; 1,2].
Lsg: Maximum bei x0 = 0,7854, ymax = 0,3224.
d) y = ln xsin x [0,2; 0,6].
Lsg: Minimum bei x0 = 0,3522, ymin = −0,36.
e) y = esin x/(x+cos x) [0; 3].
Lsg: Maximum bei x0 = π/2, ymax = 1,89.
f) y = ln xsin x [1,5; 2,5].
Lsg: Maximum bei x0 = 2,1276, ymax = 0,641.
ex
g) y = [1,2; 2,5].
ln x
Lsg: Minimum bei x0 = 1,7632, ymin = 10,28.

22. Entwickeln Sie folgende Funktionen an der Stelle x0 = 0 in Taylor-Reihen 4. Ordnung.


√ 1 2
a) f (x) = sin x b) f (x) = 1+x c) f (x) = √ d) f (x) = ex
1+x
x3 x x2 x3 5 x4
a) fT (x) = x − b) fT (x) = 1 + − + −
6 2 8 16 128
x 3x2 5x3 35x4 x 4
c) fT (x) = 1 − + − + d) fT (x) = 1 + x2 +
2 8 16 128 2
3.18 Aufgaben 125

23. Entwickeln Sie folgende Funktionen in eine Taylor-Reihe (n = 6) bei x0 = 0 .


a) f (x) = cos x b) f (x) = tan x c) f (x) = cot x d) f (x) = sinh x

x2 x4 x6 x3 2 x5
a) cos x = 1 −+ − b) tan x = x + +
2! 4! 6! 3 15
1 x x 3 2 x5 x3 x5
c) cot x = − − − d) sinh x = x + +
x 3 45 945 3! 5!
24. Bestimmen Sie für folgende Funktionen ihre Taylor-Reihe an der Stelle x = x0 der Ordnung
n. Stellen Sie mit Hilfe von M APLE die Funktion und ihre Taylor-Reihe in der näheren
Umgebung von x0 graphisch dar.
a) y = 1/x x0 = 1 n=3 Lsg: y = 1 − (x − 1) + (x − 1)2 − (x − 1)3
1
b) y = e−x cos x x0 = 0 n=2 Lsg: y = 1 − x + x3
3
1 1
c) y = ln x x0 = 1 n=3 Lsg: y = x − 1 − (x − 1)2 + (x − 1)3
2 3
d) y = sin(x2 ) x0 = 1 n=3 Lsg: y = 0,8415 + 1,081(x − 1) − 1,143(x − 1)3
25. Die von der harmonisch schwingenden Masse eines mechanischen Feder-Masse-Dämpfer-
Systems beschriebene Wegstrecke x, d.h. die von der Masse momentan eingenommene
Position x, ist als Funktion der Zeit t gegeben gemäß der Bewegungsgleichung x(t) =
e−t sin πt (t in Sekunden).
a) Bestimmen Sie die Position x , Geschwindigkeit v und Beschleunigung a der Masse
zum Zeitpunkt t = 0,3 s.
b) Bestimmen Sie die Position x der Masse zum Zeitpunkt t = 0,4 s mit Hilfe einer
a. exakten Berechnung,
b. Näherungberechnung, indem die Bewegungsgleichung x(t) zum Zeitpunkt
t = 0,3 s linearisiert wird?
a) x(0,3) = 0,599 m v(0,3) = 0,769 m/s a(0,3) = −8,052 m/s2
b) a. Exakte Lösung: x(0,4) = 0,637 m
b. Näherungslösung: x(0,4) = 0,676 m

26. Zeigen Sie mit Hilfe der Taylor-Reihe bei x0 = 0 die Richtigkeit folgender Beziehungen.
a) (sin x) = cos x (für n = 7)
x2
b) cosh x ≈ 1 + (für kleine Werte von x)
2
126 3 Differentialrechnung


27. In der linearen Statik von Konstruktionen treten Ausdrücke auf wie z.B. 2 1 + ε. Dabei
wird vorausgesetzt, dass die Dehnung des Werkstoffs ε sehr klein ist, z.B. ε =√0,001. Bei
solchen Wurzelausdrücken, in denen ε  1 ist, wird anstelle des Ausdrucks 2 1 + ε der
wesentlich einfachere Näherungsausdruck 1 + ε/2 verwendet (s. auch Formel (1.2) auf
Seite 1). Zeigen Sie mit Hilfe der MacLaurin-Reihe, dass diese Näherungsbeziehung richtig
ist.
28. Bestimmen Sie die 1. Ableitung y folgender Funktionen, indem Sie die Potenzreihe der
jeweiligen Funktion ableiten.
a) y = ex
b) y = sin x
29. Bestimmen Sie für folgende Funktionen ihre MacLaurin-Reihe der Ordnung n.
a) y = e−x n=3 b) y = ex sin x n=3 c) y = tan x n=3

d) y = ex sin x n=3 e) y = (ex − 1)2 n=2 f) y = sin2 x n=3

g) y = ln(x + 1) n=3 h) y = x2 ex n=3

x2 x 3 x3
a) y = 1 − x + − b) y = x + x2 +
2 6 3
x3
c) y = x + d) y = 1 + x2
3
x4 2 6
e) y = 2,952 + 9,342(x − 1) + 12,060(x − 1)2 f) y = x2 − + x
3 45
x2 x3 x4
g) y = x − + h) y = x2 + x3 +
2 3 2
30. Berechnen Sie folgende unbestimmte Ausdrücke mit Hilfe der Regel von l’Hospital.
Anmerkung: Kontrollieren Sie zuerst, ob der jeweilige Ausdruck grenzwertig auf die Form 0/0 oder
∞/∞ führt; ggf. müssen Sie durch geeignete Umformung des Ausdrucks zunächst auf eine dieser
Formen kommen, dann können Sie die Regel von l’Hospital anwenden.
1 − ex
a) limx→0 Lsg: −1
x
ex
b) limx→∞ Lsg: ∞
x
ex − 1
c) limx→0 Lsg: 1
sin x
ln(x − 1)
d) limx→∞ Lsg: 0
x
xn+1 − 1
e) limx→1 Lsg: n + 1
x−1
ln x
f) limx→∞ Lsg: 0
x
3.18 Aufgaben 127

sin(n − m)π
g) limm→n =π Lsg: π
n−m
 
cos(1 − n)π cos 2(1 − n)π
h) limn→1 − =0 Lsg: 0
1−n 1−n
 
t
i) limt→∞ − t + −1/t Lsg: 1
e
31. Lösen Sie folgende Gleichungen im angegebenen Bereich mit Hilfe des Newton-Verfahrens.

a) x − tan x = 0 4,4 ≤ x ≤ 4,6 Lsg: x = 4,493


b) x + tan x = 0 1,7 ≤ x ≤ 2,5 Lsg: x = 2,029
1
c) − ln x = 0 1,4 ≤ x ≤ 3,0 Lsg: x = 1,7632
x
d) e2x − sin x − 4 = 0 0,5 ≤ x ≤ 1,2 Lsg: x = 0,7736
e) x3 − 1200 x2 + 4,725 · 105 x − 6,0775 · 107 = 0 350 ≤ x ≤ 450 Lsg: x = 436,465
4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.1 Einführung

Matrix als rechteckige Anordung von Elementen


Die Grundlage der linearen Algebra ist der Begriff einer Matrix (Mehrzahl: Matrizen). Unter ei-
ner Matrix versteht man ein System von Größen, die in einem rechteckigen Schema angeordnet
sind. In diesem Schema werden die horizontalen Reihen als Zeilen, und die vertikalen Reihen
als Spalten der Matrix bezeichnet. Bei den als Matrix angeordneten Größen kann es sich um
Zahlen, Variablen oder auch Funktionen handeln. Jeder Eintrag in der Matrix ist ein Matrixele-
ment, wobei das eine Element eine Zahl, während ein anderes Element eine Variable, sogar ein
Funktionsausdruck, sein kann.
Die rechteckförmige Anordnung der Elemente ai j ( i = 1 . . . m, j = 1 . . . n) in einer m × n
Matrix erfolgt nach folgendem Schema:

Sp. 1 Sp. 2 . . . Sp. n


↓ ↓ ↓
⎡ ⎤ ⎛ ⎞
Zeile 1 → a11 a12 . . . a1n a11 a12 ... a1n
Zeile 2 → ⎢
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥⎥

⎜ a21 a22 ... a2n ⎟

.. ⎢ . .. .. ⎥ oder ⎜ .. .. .. ⎟
. ⎣ .. . . ⎦ ⎝ . . . ⎠
Zeile m → am1 am2 . . . amn am1 am2 . . . amn
In diesem Buch wird die Schreibweise mit eckigen Klammern verwendet. Die Nummerierung
der Zeilen erfolgt von oben nach unten (beginnend mit 1), die der Spalten von links nach rechts
(ebenfalls mit 1 beginnend).
Die Gesamtzahl von Elementen einer Matrix ergibt sich aus

Anzahl der Elemente = Anzahl der Zeilen × Anzahl der Spalten

Eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten hat also m × n Elemente. Man spricht deshalb auch von
einer m × n-Matrix.
Mit dem Symbol ai j wird dasjenige Matrixelement bezeichnet, das sich in der i-ten Zeile
und der j-ten Spalte der Matrix befindet. Die Zählvariablen i und j werden als Indexvariablen
des Elementes bezeichnet. Der erste Index i gibt die Zeilennummer und der zweite Index j die
Spaltennummer des Elementes innerhalb der Matrix an.
Matrizen werden symbolisch mit fetten Großbuchstaben gekennzeichnet, z.B. A , R , X usw.
Anstelle eines fetten Buchstabens kann auch ein unterstrichener Buchstabe verwendet werden,
z.B. A, R, X . Nicht selten ist auch die Schreibweise [A ], [R ], [X] . Ebenfalls sieht man in der
mathematischen Literatur folgende Schreibweisen für eine m × n Matrix:

[ai j ] (ai j ) [ai j ]i=1...m, j=1...n (ai j )i=1...m, j=1...n

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_4,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
130 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.1:
Nachfolgend sind einige Beispiele für Matrizen gegeben.
   
a11 a12 5 1
A=A= = 2 × 2-Matrix
a21 a22 3 8
   
b11 b12 b13 4 1 3
B=B= = 2 × 3-Matrix
b21 b22 b23 −2 6 5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
c11 c12 2 3
C = C = ⎣ c21 c22 ⎦ = ⎣ −2 4 ⎦ 3 × 2-Matrix
c31 c32 5 8
 
3 x y
D=D= 2 × 3-Matrix
−x 6 5
⎡ ⎤
sin α x y
E = E = ⎣ −2 cos x 5 ⎦ 3 × 3-Matrix
−x 8 tan α
 
sinh x −1 0
F =F = √ 2 × 3-Matrix
ln x 4 e2x

Bedeutung der Matrizen in der Physik


Matrizen erlauben eine außerordentlich kompakte symbolische Darstellungsweise und gestatten
auf diese Weise, komplizierte Beziehungen zwischen mehreren Größen (mitunter sogar zwischen
mehreren Millionen Größen) in symbolischer Schreibweise auszudrücken. Selbst verwickelte Zu-
sammenhänge und Operationen lassen sich mit Hilfe der Matrixrechnung übersichtlich darstellen.
Eine Matrix besteht zwar aus vielen (sogar sehr vielen) Elementen, dennoch lässt sie sich in ma-
thematischen Berechnungen trotzdem als eine eigenständige Einheit behandeln – darin liegt ihre
besondere Stärke.
Matrizen besitzen auch besondere Kenngrößen und Merkmale (z.B. Determinante, Spur, Ei-
genwert und Eigenvektor), welche in diesem Kapitel vorgestellt werden. Diese sind wichtig bei
der Aufstellung und Lösung technisch wissenschaftlicher Probleme. Ohne Matrizen wären die
modernen, heute als selbstverständlich betrachteten, Berechnungsmethoden der Physik und Me-
chanik (Statik, Dynamik, Stabilität, Strömungsmechanik, Wärmeleitung, Industrieroboter, elek-
trische Schaltkreise, Magnetismus usw.) gar nicht möglich gewesen.
Matrizen bilden das Kernstück der Finite Elemente Methode (FEM). Die FEM ist eine univer-
selle Methode für die Computer-basierte numerische Lösung von physikalischen Problemen und
ist auch im Maschinenbau, Bauingenieurwesen und der Automobiltechnik das unverzichtbare
Analysewerkzeug des Berechnungsingenieurs.
4.2 Definitionen für Matrizen 131

4.2 Definitionen für Matrizen

Dimension einer Matrix


Bei einer Matrix mit m Zeilen und n Spalten ist m die Zeilendimension und n die Spaltendi-
mension der Matrix. Der Ausdruck m × n kann deshalb als Dimension der Matrix angesehen
werden. Die Reihenfolge in m × n ist wichtig: Eine m × n Matrix und eine n × m Matrix besit-
zen nicht die gleiche Dimension!

Quadratische Matrix
Eine Matrix A wird quadratisch genannt, wenn sie die gleiche Anzahl von Zeilen und Spalten hat,
d.h. die Dimension n × n besitzt.
⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ⎡ ⎤
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ 2 −1 5
⎢ ⎥
A=⎢ . .. .. .. ⎥ Bsp: A = ⎣ −1 4 1 ⎦
⎣ .. . . . ⎦ 1 2 3
an1 an2 . . . ann

Zeilenmatrix (Zeilenvektor)
Eine Matrix mit der Dimension 1 × n heißt Zeilenmatrix bzw. Zeilenvektor, denn sie besteht aus
1 Zeile und n Spalten.
   
x = x1 x2 . . . xn Bsp: x = 2 −3 5 4 1 × 4-Matrix

Oft werden Vektoren in fetten Kleinbuchstaben angegeben, z.B. x oder y . Anstelle des Fettbuch-
stabens kann auch ein Buchstabe mit Unterstrich verwendet werden, z.B. x, y.
Anmerkung: Wenn wir in der linearen Algebra von einem »Vektor« sprechen, dann ist damit
nicht der klassische Vektor (Linie mit Pfeil) gemeint. Ein Vektor in der linearen Algebra kann
(und das kommt in der Ingenieurpraxis extrem häufig vor) mehr als 3 Komponenten haben, er
muss also nicht zwingend geometrisch anschaulich sein.

Spaltenmatrix (Spaltenvektor)
Eine Matrix mit der Dimension n × 1 heißt Spaltenmatrix bzw. Spaltenvektor, sie besteht aus n
Zeilen und 1 Spalte.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 2
⎢ y2 ⎥ ⎢ −3 ⎥
⎢ ⎥
y=⎢ .. ⎥ Bsp: y=⎢
⎣ 5 ⎦
⎥ 4 × 1-Matrix
⎣ . ⎦
yn 4

Nullmatrix 0
In einer m × n Nullmatrix 0 sind alle Elemente gleich Null.
132 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤ Bsp:
0 0 ... 0
⎢ Das Ergebnis der Matrixoperation B − B
⎢ 0 0 ... 0 ⎥⎥
0=⎢ .. .. .. .. ⎥ ist die Nullmatrix 0 :
⎣ . . . . ⎦
0 0 ... 0 B −B
B =0

Gleichheit von zwei Matrizen


Zwei Matrizen A = [ai j ] und B = [bi j ] sind gleich, d.h. A = B , wenn sie beide von der gleichen
Dimension m × n sind (d.h. ihre Zeilenanzahl m und ihre Spaltenanzahl n jeweils übereinstim-
men) und die korrespondierenden Matrixelemente gleich sind.

A =B wenn ai j = bi j für i = 1,2, . . . , m und j = 1,2, . . . , n

Beispiel 4.2:
a) Folgende Matrizen sind gleich.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 2 3
A=⎣ 3 5 ⎦ B=⎣ 3 5 ⎦ A =B
8 1 8 1

b) Folgende Matrizen sind nicht gleich, weil ihre Dimension nicht gleich ist.
⎡ ⎤
2 3  
2 3 8
A=⎣ 3 5 ⎦ B= A = B weil A : (3 × 2) B : (2 × 3)
3 5 1
8 1

c) Eine Zeilenmatrix und eine Spaltenmatrix sind grundsätzlich ungleiche Matrizen,


selbst wenn ihre Elemente identische Zahlenwerte enthalten. Grund: Ihre Dimen-
sionen stimmen nicht überein (Zeilenmatrix: 1 × n , Spaltenmatrix: n × 1 ).
⎡ ⎤
  2
A= 2 4 −3 B=⎣ 4 ⎦ A = B
−3

Hauptdiagonale einer Matrix


Die Elemente a11 , a22 , · · · , ann (d.h. aii mit i = 1 . . . n ) einer quadratischen n × n Matrix A
bilden die Hauptdiagonale von A . Die Hauptdiagonale beginnt mit dem ersten Element oben
links und verläuft diagonal zum letzten Element unten rechts. Die Elemente der Hauptdiagonale
können auch als ein Vektor (entweder als Spaltenvektor oder als Zeilenvektor) dargestellt werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 5 2  
⎢ ⎥
Bsp: A=⎣ 3 4 7 ⎦ diag A = ⎣ 4 ⎦ bzw. diag A = 2 4 3
6 2 3 3
4.2 Definitionen für Matrizen 133

Diagonalmatrix

Eine Diagonalmatrix ist eine Matrix mit der Dimension n × n, wobei ihre Elemente außerhalb
der Hauptdiagonalen alle gleich Null sind (einzelne Elemente auf der Hauptdiagonale dürfen
aber natürlich ebenfalls Null sein).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 0 . . . 0 2 0 0 0 1 0 0 0
⎢ 0 a22 . . . 0 ⎥ ⎢ 0 3 0 ⎥ ⎢ 0
⎢ ⎥ 0 −1 0 0 ⎥
A=⎢ . .. ⎥ Bsp: A=⎢ ⎣

⎦ B=⎢
⎣ 0

0 0 4 ⎦
.. ..
⎣ .. . . . ⎦ 0 0 8 0
0 0 . . . ann 0 0 0 −4 0 0 0 2

Matrix A ist eine Diagonalmatrix, Matrix B hingegen nicht (wegen 4 in der dritten Zeile).

Anmerkung: Diagonalmatrix und »Diagonale einer Matrix« sind verschiedene Begriffe! Eine
Diagonalmatrix besitzt die Dimension n × n, während die Diagonale einer Matrix ein Vektor ist,
d.h. die Dimension n × 1 (bzw. 1 × n ) hat.

Einheitsmatrix I

Eine spezielle Diagonalmatrix ist die Einheitsmatrix I . Sie hat die Dimension n × n, ihre Haupt-
diagonalelemente haben den Zahlenwert 1, alle anderen Elemente sind Null (ai j = 1 für i = j
und ai j = 0 für i = j). Für die Einheitsmatrix werden in der Literatur anstelle von I auch die
Symbole E oder 1 verwendet.
⎡ ⎤
1 0 ... 0
⎢ 0 1 ... 0 ⎥
⎢ ⎥
I =⎢ .. .. . . . ⎥
⎣ . . . .. ⎦
0 0 ... 1

Symmetrische Matrix

Eine Matrix ist dann symmetrisch, wenn sie die Dimension n × n hat (also quadratisch ist) und
für alle Matrixelemente die Beziehung ai j = a ji gilt. Bei einer symmetrischen Matrix stellt
die Hauptdiagonale eine Symmetrielinie dar. Als Merkregel kann folgendes dienen: Man stellt
sich die Hauptdiagonale wie eine Spiegelebene vor und prüft, ob Originalbild und Spiegelbild
identisch sind.

symmetrisch unsymmetrisch
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 8 2 3 8
A=⎣ 3 5 −1 ⎦ B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ a32 = −a23 !
8 −1 6 8 1 6
134 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Antimetrische Matrix

Eine quadratische Matrix wird antimetrisch bzw. schiefsymmetrisch genannt, wenn für ihre Ele-
mente gilt: aii = 0 (d.h. Hauptdiagonale ist Null) und ai j = −a ji für i = j .
⎡ ⎤
0 3 −8
A = ⎣ −3 0 −1 ⎦
8 1 0

Negative Matrix

Die negative Matrix −A


A entsteht aus der Matrix A , indem alle Elemente von A mit −1 multi-
pliziert werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n −a11 −a12 ... −a1n
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ −a21 −a22 ... −a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ −A
A=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
am1 am2 . . . amn −am1 −am2 . . . −amn

Spur einer Matrix

Die Spur einer n × n Matrix A , bezeichnet als tr A (Englisch trace), ist die algebraische Summe
der Hauptdiagonalelemente von A . Die Spur steht mit den Eigenwerten einer Matrix in einem
speziellen Zusammenhang, s. Formel (13.14) auf Seite 644.

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 2 5 7 −3
⎢ . . . a2n ⎥ ⎢ −1
⎢ a21 a22 ⎥ 3 4 0 ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ A=⎢
⎣ 6

⎣ . .
..
. . ⎦ 9 8 2 ⎦
an1 an2 . . . ann 5 1 2 −1

tr A = a11 + a22 + . . . + ann tr A = 2 + 3 + 8 − 1 = 12

Obere Dreiecksmatrix

Eine quadratische Matrix wird obere Dreiecksmatrix genannt, wenn alle Elemente unterhalb
ihrer Hauptdiagonale Null sind ( ai j = 0 für alle i > j ).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 a13 a14 2 3 0 1
⎢ 0 a22 a23 a24 ⎥ ⎢ 0 5 −1 9 ⎥
A=⎢
⎣ 0
⎥ A=⎢ ⎥
0 a33 a34 ⎦ ⎣ 0 0 6 2 ⎦
0 0 0 a44 0 0 0 4
4.2 Definitionen für Matrizen 135

Untere Dreiecksmatrix
Eine quadratische Matrix wird untere Dreiecksmatrix genannt, wenn alle Elemente oberhalb
ihrer Hauptdiagonale Null sind ( ai j = 0 für alle i < j ).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 0 0 0 2 0 0 0
⎢ a21 a22 0 0 ⎥ ⎢ 3 4 0 0 ⎥
A=⎢
⎣ a31
⎥ A=⎢ ⎥
a32 a33 0 ⎦ ⎣ 1 −9 7 0 ⎦
a41 a42 a43 a44 8 0 1 6

Einheitsvektor e i
In einem Einheitsvektor e i sind alle Elemente gleich Null mit Ausnahme des i-ten Elements,
welches gleich 1 ist (e j = 1 für j = i, e j = 0 für j = i).
Spalteneinheitsvektor: Zeileneinheitsvektor:
Bsp: Bsp:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤  
1 0 0 e1 = 1 0 0 0 0 ... 0
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 ⎥ ⎢ 1 ⎥ ⎢ 0 ⎥  
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ e2 = 0 1 0 0 0 ... 0
⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥ ⎢ 1 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥  
e1 = ⎢

0 ⎥
⎥ e2 = ⎢

0 ⎥
⎥ e3 = ⎢

0 ⎥
⎥ e3 = 0 0 1 0 0 ... 0
⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
0 0 0
Zerlegung von Matrizen in Zeilen- und Spaltenvektoren
Eine m × n Matrix kann in m Zeilenvektoren bzw. in n Spaltenvektoren zerlegt werden (welche
Zerlegungsvariante gewählt wird, hängt von der Anwendung ab):
Zerlegung in Zeilenvektoren: Zerlegung in Spaltenvektoren:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤  
a11 a12 ... a1i ... a1n z1 A= s1s2 . . . si . . . sn
⎢ ... ... ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a21 a22 a2i a2n ⎥ ⎢ z2 ⎥ ⎡ ⎤
⎢ .. .. .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ a1i
⎢ . . . . . ⎥ ⎢ . ⎥ ⎢ a ⎥
A=⎢ ⎥=⎢ ⎥ ⎢ 2i ⎥
⎢ ai1 ai2 ... aii ... ain ⎥ ⎢ zi ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ .. .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎢ . ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . ⎦ si = ⎢ ⎥
⎢ aii ⎥
am1 am2 . . . ami . . . amn zm ⎢ ⎥
⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
 
zi = ai1 ai2 . . . aii . . . ain ami
136 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.3:
Die gegebene Matrix A soll in ihre Zeilenvektoren und Spaltenvektoren zerlegt wer-
den.
⎡ ⎤
2 3 8
⎢ 4 5 −1 ⎥
A=⎢
⎣ 9

3 6 ⎦
7 2 15
⎤ ⎡
z1    
⎢ z2 ⎥ z1 = 2 3 8 z2 = 4 5 −1
A=⎢ ⎥
⎣ z3 ⎦    
z3 = 9 3 6 z4 = 7 2 15
z4
⎡ ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎤
2 3 8
  ⎢ 4 ⎥ ⎢ 5 ⎥ ⎢ −1 ⎥
A= s1 s2 s3 s1 = ⎢ ⎥
⎣ 9 ⎦ s2 = ⎢ ⎥
⎣ 3 ⎦ s3 = ⎢
⎣ 6 ⎦

7 2 15

4.3 Transposition von Matrizen

Transposition eines Vektors


Falls ein Zeilenvektor als Spaltenvektor (und umgekehrt) geschrieben wird, redet man von Trans-
position des Vektors. Die Transponierte des Vektors x wird mit dem Symbol x T gekennzeichnet.
Transposition macht aus einem Zeilenvektor einen Spaltenvektor, und aus einem Spaltenvektor
einen Zeilenvektor.
⎡ ⎤
x1
   T ⎢ ⎢ x2 ⎥

x = x1 x2 . . . xn x T = x1 x2 . . . xn =⎢ . ⎥
⎣ .. ⎦
xn
⎡ ⎤ ⎡ ⎤T
y1 y1
⎢ y2 ⎥ ⎢ y2 ⎥  
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
y=⎢ .. ⎥ yT = ⎢ .. ⎥ = y1 y2 . . . yn
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
yn yn
Die nochmalige Transposition eines bereits transponierten Vektors liefert den ursprünglichen
Vektor:

(xxT )T = x (yyT )T = y
4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen 137

Beispiel 4.4:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  2 1  
x= 2 3 −1 xT = ⎣ 3 ⎦ y=⎣ 2 ⎦ yT = 1 2 3
−1 3

Kompakte Schreibweise für einen Spaltenvektor. Gelegentlich wird, um Platz zu sparen, ein
Spaltenvektor auch als Transponierte des Zeilenvektors geschrieben. Beispielsweise sind folgen-
de Vektorangaben von ihrem mathematischen Inhalt her absolut identisch:
⎡ ⎤
a  T
⎣ b ⎦= a b c
c

Transposition einer Matrix


Wenn eine m × n Matrix A transponiert wird, entsteht die n × m Matrix A T . Die Transposition
erfolgt in der Weise, dass man die Zeilen von A als Spalten schreibt (bzw. die Spalten als Zeilen).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n a11 a21 . . . am1
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ a12 a22 . . . am2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ AT = ⎢ .. .. .. ⎥ (4.1)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn a1n a2n . . . amn

Bei quadratischen Matrizen kann man sich die Transposition auch so vorstellen, dass die untere
und obere Dreiecksmatrix von A jeweils um die Hauptdiagonale gespiegelt werden.
Beispiel 4.5:
⎡ ⎤
  2 3
2 3 8
a) A = (2×3)-Matrix AT = ⎣ 3 5 ⎦ (3×2)-Matrix
3 5 −1
8 −1
⎡ ⎤
a b  
⎣ ⎦ a c e
b) = c d
B B T =
b d f
e f
   
cos θ sin θ cos θ − sin θ
c) Q = QT =
− sin θ cos θ sin θ cos θ

4.4 Addition und Subtraktion von Matrizen

Addition
Die Addition von zwei m × n Matrizen A und B liefert eine neue m × n Matrix C .

C = A +B
B
138 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Tabelle 4.1: Regeln für Matrixtransposition

(A
A T )T = A
(A
A+B
B)T = A T +B
BT
(A
A + B + · · · +Z
Z )T = A T +B
BT + · · · +Z
ZT
(A
ABB)T = BT AT
(A
A B · · · Z )T = Z T · · · BT AT
Wenn A symmetrisch: AT = A

mit A = [ai j ] B = [bi j ] C = [ci j ] i = 1,2, . . . , m j = 1,2, . . . , n


Die Elemente ci j der Matrix C ergeben sich durch algebraische Addition der korrespondieren-
den Elemente ai j und bi j :

ci j = ai j + bi j i = 1,2, . . . , m j = 1,2, . . . , n (4.2)

Zwei Matrizen A und B können dann und nur dann addiert werden, wenn sie gleiche Dimension
besitzen. Wenn also A eine m × n Matrix ist, muß auch B eine m × n Matrix sein. Folglich
kann z.B. eine m × n Matrix kann nicht mit einer n × m Matrix addiert werden! Regeln der
Matrixaddition sind in Tabelle 4.2 zusammen gestellt.
Subtraktion
Die Subtraktion der Matrix B von der Matrix A erfolgt analog zur Addition:

C = A −B
B mit ci j = ai j − bi j (4.3)

Beispiel 4.6:
Einige Beispiele für die Addition und Subtraktion von Matrizen sind nachfolgend ge-
geben.
     
−4 6 3 5 −1 0 1 5 3
a) A = B= A +B B=
0 1 2 3 1 0 3 2 2
⎡ ⎤
  5 −1
−4 6 3 ⎣
b) =A B = 3 1 ⎦
0 1 2
2 3
A +B
B ist nicht definiert, weil sie unterschiedliche Dimension haben.
⎡ ⎤
2  

c) x = 3 ⎦ y= 5 1 2
5
x +yy ist nicht definiert, weil sie unterschiedliche Dimension haben.
     
−4 6 3 5 −1 0 −9 7 3
d) A = B= A −BB=
0 1 2 3 1 0 −3 0 2
4.5 Multiplikation von Matrizen 139

Tabelle 4.2: Regeln für Addition und Subtraktion von Matrizen

A +00 = A
A + (−A
A) = 0
A − (−A
A) = A +A
A
A −A
A = 0
A +B
B = B +A
A
A −B
B = −B
B +A
A
(A
A +B
B) +C
C = A + (B
B +C
C)
(A
A +B
B) −C
C = A + (B
B −C
C)
A +B
B = 0 ⇒ A = −B
B
A −B
B = 0 ⇒ A =B

4.5 Multiplikation von Matrizen

4.5.1 Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar

Eine m × n Matrix A wird mit einem Skalar k multipliziert, indem alle Elemente von A mit k
multipliziert werden (vgl. Tabelle 4.3):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n k a11 k a12 ... k a1n
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ k a21 k a22 ... k a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ kA = Ak = ⎢ .. .. .. ⎥ (4.4)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn k am1 k am2 . . . k amn

Beispiel 4.7:
     
2.7 −1.8 2.7 −1.8 5.4 −3.6
A= A=2
2A =
0.9 3.6 0.9 3.6 1.8 7.2

Tabelle 4.3: Regeln für Matrix-Skalar-Multiplikation

(1) A = A
(−1) A = −AA
c (A
A +BB) = cA +cB
(c + k) A = cA +kA
c (kA
A) = (ck) A
140 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.5.2 Dimensionskompatibilität für Matrix-Matrix-Multiplikation

Die Grundvoraussetzung für die Multiplikation einer Matrix mit einer anderen Matrix ist, dass
deren Dimensionen kompatibel bzgl. der Multiplikation sind. Ist diese Kompatibilität nicht gege-
ben, so ist eine Multiplikation prinzipiell nicht möglich.
A sei eine m × n Matrix und B eine n × p Matrix, dann liefert die Multiplikation A B als
Ergebnis eine m × p Matrix C :

 B = 
A  C
m×n n×p m×p

Die Dimension der Matrix C ergibt sich nach folgendem Schema:

(m × n) (n × p) → (m × p) (4.5)
        
A B C

Die Voraussetzung für die Durchführbarkeit der Matrixmultiplikation AB ist, dass die beiden
innersten Dimensionszahlen im obigen Schema (links vom Pfeil) identisch sind (n und n). Diese
Voraussetzung wird als Dimensionskompatibilität für die Matrixmultiplikation bezeichnet.
Als visuelle Hilfe für die Bestimmung der Dimension von C werden die beiden innersten
Dimensionszahlen –aber nur dann, wenn sie identisch sind– gestrichen, und die beiden verblei-
benden äusseren Zahlen geben dann die Dimension des Resultats an:

(m×  n)( n × p) → (m × p)

Zwei Matrizen sind nur dann miteinander multiplizierbar, wenn sie dimensionskompatibel sind.
Folgendes Beispiel wäre deshalb falsch:

(m×  n)( q × p) → (m × p) falsch, weil n = q

Beispiel 4.8:
Es soll mit Hilfe des Dimensionskompatibilitäts überprüft werden, ob mit folgenden
Matrizen die angegebenen Multiplikationen möglich sind.

A = (m × n) B = (m × p) C = (p × m) D = (n × p)

AB nicht möglich, weil (m × n)(m × p)


AC nicht möglich, weil (m × n)(p × m)
AD möglich, weil (m×  n)( n × p) → m × p Matrix
BC möglich, weil (m×  p)( p × m) → m × m Matrix
CB möglich, weil (p×  m)( m × p) → p × p Matrix
BD nicht möglich, weil (m × p)(n × p)
CD nicht möglich, weil (p × m)(n × p)
DC möglich, weil (n×  p)( p × m) → n × m Matrix
A TB möglich, weil (n×  m)( m × p) → n × p Matrix
4.5 Multiplikation von Matrizen 141

DTC nicht möglich, weil (p × n)(p × m)


BCA möglich, weil ((m×  p)( p × m)) (m × n) → (m×  m)( m × n) → m × n Matrix
ADC möglich, weil ((m×  n)( n × p)) (p × m) → (m×  p)( p × m) → m × m Matrix
ADB nicht möglich, weil ((m×  n)( n × p)) (m × p) → (m × p)(m × p)

4.5.3 Skalarprodukt von zwei Vektoren

Ein Zeilenvektor x mit n Elementen ist gleichbedeutend mit einer 1 × n Matrix. Ein Spalten-
vektor y mit n Elementen ist gleichbedeutend mit einet n × 1 Matrix. Die Multiplikation des
Zeilenvektors x mit dem Spaltenvektor y liefert als Ergebnis ein Skalar und wird daher als Ska-
larprodukt (auch inneres Produkt genannt) von zwei Vektoren bezeichnet.
Für die Vektoren
⎡ ⎤
y1
  ⎢ y2 ⎥
⎢ ⎥
Zeilenvektor x = x1 x2 . . . xn Spaltenvektor y = ⎢ . ⎥
⎣ . ⎦.
yn

ist das Skalarprodukt x y definiert als


⎡ ⎤
y1
 ⎢
⎢ y2 ⎥

n
xy = x1 x2 . . . xn ⎢ .. ⎥ = x1 y1 + x2 y2 + · · · + xn yn = ∑ xi yi (4.6)
⎣ . ⎦ i=1
yn

Dimensionskompatibilität: (1×  n)( n × 1) → 1 × 1 Matrix (das ist ein Skalar!).

Beispiel 4.9:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
    y1 1
x= x1 x2 x3 = 2 3 1 y = ⎣ y2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
y3 6
3
x y = ∑ xi yi = x1 y1 + x2 y2 + x3 y3 = 2 · 1 + 3 · (−1) + 1 · 6 = 5
i=1

4.5.4 Matrixprodukt von zwei Vektoren

Die Multiplikation eines Spaltenvektors y mit n-Elementen (n × 1 Matrix) und eines Zeilenvek-
tors x mit n-Elementen (1×n Matrix) liefert als ergebnis kein Skalar sondern eine Matrix! Diese
142 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Multiplikation wird als Matrixprodukt bezeichnet und ist definiert als:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 y 1 x1 y1 x2 . . . y 1 xn
⎢ y2 ⎥  ⎢ y2 x1 y2 x2 . . . y 2 xn ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
yx = ⎢ .. ⎥ x1 x2 . . . xn =⎢ .. .. .. .. ⎥ (4.7)
⎣ . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
yn yn x1 yn x2 . . . yn xn

Mit dem Dimensionscheck sieht man sofort, dass das Ergebnis eine Matrix ist:

y : (n × 1) x : (1 × n) ⇒ y x : (n×  1)( 1 × n) → (n × n)

Beispiel 4.10:
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
1   2 1 4
y =⎣ 2 ⎦ x= 2 1 4 yx = ⎣ 4 2 8 ⎦
−3 −6 −3 −12

4.5.5 Multiplikation einer Matrix mit einem Spaltenvektor


Die Multiplikation einer m × n Matrix A mit einem n × 1 Vektor x liefert als Ergebnis einen
Vektor y von der Dimension m × 1 :

y =Ax Dimensionskompatibilität: (m×  n)( n × 1) → (m × 1)


⎡ ⎤
⎡ ⎤ x1 ⎡ ⎤
a11 a12 ...... a1n ⎢ ⎥ y1
⎢ ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a21 a22 ...... a2n ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ y2 ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ x=⎢ x3 ⎥ y=⎢ .. ⎥
⎣ . . . ⎦ ⎢ .. ⎥ ⎣ . ⎦
⎣ . ⎦
am1 am2 . . . . . . amn ym
xn
Das i-te Element von y ist gegeben durch Skalarprodukt des i-ten Zeilenvektors von A mit dem
Spaltenvektor x :
⎡ ⎤
x1
 ⎢
⎢ x2 ⎥

yi = ai1 ai2 · · · ain ⎢ .. ⎥ = ai1 x1 + ai2 x2 + · · · + ain xn (4.8)
  ⎣ . ⎦
i-te Zeile von A
xn
Der Multiplikationsvorgang kann durch Zerlegung der Matrix A in Zeilenvektoren besonders
übersichtlich dargestellt werden:
⎡ ⎤
z1
⎢ z2 ⎥  
⎢ ⎥
A=⎢ .. ⎥ wobei z i = ai1 ai2 . . . ain
⎣ . ⎦
zm
4.5 Multiplikation von Matrizen 143

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
y1 z1 x
⎢ y2 ⎥ ⎢ z2 x ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⇒ y=⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ mit y i = z i x
⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
ym zm x
Zunächst wird also der erste Zeilenvektor z 1 der Matrix mit dem Spaltenvektor x multipliziert,
das Ergebnis ist ein Skalar. Danach wird die zweite Zeile z 2 der Matrix mit x multipliziert usw.

Beispiel 4.11:
 
  x
a) 1 3 = 1 · x + 3 · y = x + 3y
y
Dimensionskompatibilität: (1×  2)( 2 × 1) → (1 × 1)
     
3   3·4 3·2 12 6
b) 4 2 = = (2×  1)( 1 × 2) → (2 × 2)
5 5·4 5·2 20 10
  
1 2
c) nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen!
−1 3
Dimensionskompatibilität: (2 × 1)(2 × 1) 
  
3 4 2
d) nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen!
5 1 8
Dimensionskompatibilität: (2 × 1)(2 × 2) 
      
4 2 3 4·3+2·5 22
e) = =
1 8 5 1·3+8·5 43
Dimensionskompatibilität: (2×  2)( 2 × 1) → (2 × 1)
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 4 5 3 2·3+4·1+5·0 10
f) ⎣ 2 6 8 ⎦ ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 2 · 3 + 6 · 1 + 8 · 0 ⎦ = ⎣ 12 ⎦
1 0 9 0 1·3+0·1+9·0 3
Dimensionskompatibilität: (3×  3)( 3 × 1) → (3 × 1)

4.5.6 Multiplikation von zwei Matrizen

Die Multiplikation einer m × n Matrix A mit einer n × p Matrix B liefert die m × p Matrix C :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1n b11 b12 . . . b1p
⎢ a21 a22 ... a2n ⎥ ⎢ b21 b22 . . . b2p ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. ⎥ B=⎢ .. .. .. ⎥
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
am1 am2 . . . amn bn1 bn2 . . . bnp
     
(m×n) (n×p)
144 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
c11 c12 ... c1p
⎢ c21 c22 ... c2p ⎥
⎢ ⎥
C = AB = ⎢ .. .. .. ⎥ (m×  n)( n × p) → (m × p)
⎣ . . . ⎦
cm1 cm2 . . . cmp
  
(m×p)

Ein beliebiges Element ci j von C ergibt sich als das Skalarprodukt der i-ten Zeile von A und der
j-ten Spalte von B :

n
ci j = ai1 b1 j + ai2 b2 j + · · · + ain bn j = ∑ aik bk j (4.9)
k=1
i = 1,2, · · · , m j = 1,2, · · · , p

Anmerkung: Wenn wir die Matrix A als eine Menge von Zeilenvektoren z i und die Matrix B
als eine Menge von Spaltenvektoren s i auffassen, kann die Multiplikation AB auch in folgender
Form ausgedrückt werden:
⎡ ⎤
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ b11 b12 . . . b1p
a11 a12 ... a1n z1 ⎢ b21 b22 . . . b2p ⎥
⎢ a21 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a22 ... a2n ⎥ ⎢ z2 ⎥ B=⎢ .. .. .. ⎥
A=⎢ . .. .. ⎥=⎢ .. ⎥ ⎣ . . . ⎦
⎣ .. . . ⎦ ⎣ . ⎦
bn1 bn2 . . . bnp
am1 am2 . . . amn zm  
= s1 s2 . . . sp
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
c11 c12 ... c1p z1 · s1 z1 · s2 ··· z1 · s p
⎢ c21 c22 ... c2p ⎥ ⎢ z2 · s1 z2 · s2 ··· z2 · s p ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
C = AB = ⎢ .. .. .. ⎥=⎢ .. .. .. ⎥ (4.10)
⎣ . . . ⎦ ⎣ . . . ⎦
cm1 cm2 . . . cmp zm · s1 zm · s2 · · · zm · s p

Es würde sich z.B. auf diese Weise ergeben: c11 = z 1 · s 1 , c2p = z 2 · s p , usw.
Falk-Schema
Ein leicht zu merkendes visuelles Multiplikationsschema für zwei Matrizen A und B ist das Falk-
-
Schema in Bild 4.1.1 Das Element ci j der Matrix C (in Bild gekennzeichnet mit dem Symbol )
ergibt sich aus dem Skalarprodukt des i-ten Zeilenvektors der Matrix A mit dem j-ten Spalten-
vektor der Matrix B. Die »Koordinaten« des Elements ci j entsprechen dem Kreuzungspunkt der
i-ten Zeile von A mit der j-ten Spalte von B.

1 Der Begriff Matrix hier steht sowohl für eine »Matrix« als auch einen Vektor, d.h. für die Anwendung des Falk-
Schemas ist keine Einschränkungen bzgl. der Dimension nötig. Erforderlich ist natürlich nach wie vor die Dimensi-
onskompatibilität.
4.5 Multiplikation von Matrizen 145

xxx × x
×
x x x x x x xl ×
..
.
..
B .
..
.
×
×
×

·
·
·
-
× × ··· ··· ··· × × · · · x

A C

Bild 4.1: Falk-Schema für Matrixmultiplikation AB = C

Beispiel 4.12:
   
1 2 5 1
a) A = B=
3 4 1 2
   
7 5 8 14
AB = BA =
19 11 7 10
   
1 1 −1 1
b) A = B=
2 2 1 −1
   
0 0 1 1
AB = BA =
0 0 −1 −1
⎡ ⎤
  8 0
2 3 1
c) A = B=⎣ 6 1 ⎦
0 4 5
7 9
⎡ ⎤
  16 24 8
41 12
AB = BA = ⎣ 12 22 11 ⎦
59 49
14 57 52
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3 1 0 0
d) A = ⎣ 4 5 6 ⎦ I =⎣ 0 1 0 ⎦
7 8 9 0 0 1
146 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
1 2 3
AI = I A = ⎣ 4 5 6 ⎦
7 8 9

Ein simpler, nicht optimierter Algorithmus für die Computerprogrammierung der Matrix-Multiplikation
ist in Tabelle 4.4 wiedergegeben.

Tabelle 4.4: Algorithmus für Matrix-Matrix-Multiplikation

Führt die Matrix-Multiplikation C = A B durch.


Dimension von A : m × n Dimension von B : n × p

EINGABE (INPUT): m, n, p, A , B
AUSGABE (OUTPUT): m × p Matrix C

ALGORITHMUS:
for i = 1,2, · · · , m do
for j = 1,2, · · · , p do
ci j = 0 Initialisierung
for k = 1,2, · · · , n do
ci j = ci j + aik bk j
end do
end do
end do

C ausdrucken.

Einige Regeln für die Matrixmultiplikation sind in Tabelle 4.5 zusammen gestellt.

Beispiel 4.13:
Beispiel zur Regel in Tabelle 4.5, dass aus AC = BC nicht zwangsläufig A = B folgt.
     
2 1 4 0 1
A= B= C=
4 0 0 2 2
   
4 4
AC = BC = A = B aber AC = BC
4 4
4.6 Lineare Gleichungssyteme 147

Tabelle 4.5: Regeln der Matrixmultiplikation

1. AB = BA (zufällig kann AB = BA sein)


2. AI = IA = A (II : die Einheitsmatrix, vgl. Seite 133)
3. Ix = x (xx : Spaltenvektor)
4. II = I2 = I
5. (kA
A)B
B = AB ) = A (kB
k(A B) = kA
AB k : beliebiger Skalar
6. C (A
A +B
B) = CA +C
CB
7. (A
A +B
B)C
C = AC +B
BC
8. C (A
A +B
B) = (A
A +B
B)C
C
9. AB C = A (B
BC ) = (A
AB )C
C
10. AA = A2
11. AAA = A3 usw.
12. aus AB = 0 folgt nicht zwangsläufig, dass A = 0 oder B = 0 muss.
13. aus AB = 0 folgt nicht zwangsläufig, dass BA = 0 muss.
14. aus AC = BC folgt nicht zwangsläufig, dass A = B sein muss.

4.6 Lineare Gleichungssyteme

Eine lineare Gleichung mit n Unbekannten ist durch folgende Gleichung definiert:

c1 · x1 + c2 · x2 + · · · + cn · xn = b

c1 , c2 , · · · , cn sind die skalaren Koeffizienten der Gleichung, b ist ebenfalls ein Skalar (ein Ska-
lar ist ist entweder eine Zahl oder ein Symbol, dem ein skalarer Wert zugeordnet ist, z.B. λ ). Die
Variablen x1 , x2 , · · · , xn sind die Unbekannten.
Ein lineares Gleichungssystem mit n Unbekannten besteht aus n linearen Gleichungen:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(4.11)
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Die Zahlen a11 , a12 , · · · , ann heißen die Koeffizienten des Gleichungssystems, x1 , x2 , · · · , xn
sind die Unbekannten. Die Zahlen b1 , b2 , · · · , bn bilden die rechte Seite des Gleichungssystems.
Die Bestimmung aller unbekannten Variablen x1 , x2 , · · · , xn wird als die Lösung des Glei-
chungssystems bezeichnet.
148 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Homogenes lineares Gleichungssystem


Falls die rechte Seite in (4.11) ausschließlich aus Nullen besteht ( bi = 0, i = 1,2, . . . , n), wird
das Gleichungssystem als homogen bezeichnet.

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = 0


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = 0
(4.12)
................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = 0

Inhomogenes lineares Gleichungssystem


Das Gleichungssystem heißt inhomogen, wenn mindestens ein Element der rechten Seite ver-
schieden von Null ist (d.h. es gilt mindestens einmal bi = 0, für i = 1,2, . . . , n).

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(4.13)
.................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Beispiel 4.14:

Homogenes Gleichungssystem: Inhomogenes Gleichungssystem:

2x1 + x2 + x3 = 0 2x1 + x2 + x3 = 1
4x1 + x2 + 0 · x3 = 0 4x1 + x2 + 0 · x3 = 4
−2x1 + 2x2 + x3 = 0 −2x1 + 2x2 + x3 = 0

4.6.1 Gauss-Elimination
Die Gauss-Elimination (auch Gauss-Algorithmus oder Gauss-Jordan-Algorithmus genannt) zur
Lösung von linearen Gleichungssystemen ist ein altes und (direkt oder in abgewandelter Form)
häufig verwendetes Verfahren. Die Vorgehensweise bei der Gauss-Elimination soll anhand des
folgenden Gleichungssystems erläutert werden. Für die Erläuterung der Methode soll zunächst
auf Matrixschreibweise verzichtet werden.
Zu lösen ist das folgende lineare Gleichungssystem:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
.................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Die Grundidee des Gauss-Verfahrens ist die fortwährende Elimination von Variablen aus den
Gleichungen, so dass man am Ende an einer Gleichung mit nur einer Unbekannten ankommt.
Dieses Ziel lässt sich mit folgenden Schritten erreichen:
4.6 Lineare Gleichungssyteme 149

1. Die 1. Gleichung wird (links und rechts vom Gleichheitszeichen) mit der Zahl −a21 /a11
multipliziert und zur 2. Gleichung hinzu addiert. Nach dieser Operation erhält die 2. Glei-
chung folgende Gestalt:
(1) (1) (1) (1)
a21 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2

Der Hochindex in Klammern (1) informiert über den aktuellen Eliminationsschritt.

(1)
Der neue Koeffizient a21 wird bei diesem Vorgang zu Null:
 
(1) a21
a21 = a21 + a11 · − = a21 − a21 = 0
a11

Die anderen Koeffizienten ergeben sich zu:


   
(1) a21 (1) a21
a22 = a22 + a12 · − ··· a2n = a2n + a1n · −
a11 a11

In kompakter Form lässt sich dieser Schritt wie folgt angeben:


(1)
a2 j = a2 j + a1 j · (−a21 /a11 ) j = 1,2, . . . , n

Das Element b2 auf der rechten Seite muss hierbei wie folgt modifiziert werden:
 
(1) a21
b2 = b2 + b1 · −
a11

Die 2. Gleichung sieht nach dieser Operation folgendermaßen aus:


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2

Die Variable x1 ist jetzt faktisch nicht mehr in der 2. Gleichung enthalten, weil der zuge-
(1)
hörige Koeffizient a21 gleich Null ist. Man kann auch sagen, dass die Variable x1 aus der
2. Gleichung eliminiert wurde (daher kommt der Name Gauss-Elimination).

Das lineare Gleichungssystem hat jetzt folgende Gestalt:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
a31 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

2. Nun wird die Variable x1 aus der 3. Gleichung eliminiert. Hierzu wird die 1. Gleichung mit
der Zahl −a31 /a11 multipliziert und zur 3. Gleichung hinzu addiert. Die Koeffizienten der
150 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

3. Zeile ergeben sich auf diese Weise zu:


 
(1) (1) (1) a31
a31 =0 a3 j = a3 j + a1 j · (−a31 /a11 ) j = 2,3, . . . , n b3 = b3 + b1 · −
a11

Das Gleichungssystem sieht danach wie folgt aus:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(1) (1) (1)
0 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
an1 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

3. Der obige Rechengang wird sinngemäß so lange wiederholt, bis die Variable x1 aus allen
Gleichungen (außer der 1. Gleichung) verschwunden ist und folgende Gestalt besitzt:

a11 · x1 + a12 · x2 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + · · · + a2n · xn = b2
(1) (1) (1)
0 · x1 + a32 · x2 + · · · + a3n · xn = b3
...................................
(1) (1) (1)
0 · x1 + an2 · x2 + · · · + ann · xn = bn

Dabei wird folgende Eliminationsformel verwendet:


   
(1) −ai1 (1) ai1
ai j = ai j + a1 j · bi = bi + b1 · − i = 2,3, . . . , n j = 1,2, . . . , n
a11 a11

Damit wäre der erste Eliminationsschritt beendet. Das ursprügliche Gleichungssystem ( n


Gleichungen mit den n Unbekannten x1 , x2 , x3 , . . . , xn ) wurde auf ein neues System mit
(n − 1) Gleichungen und den (n − 1) Unbekannten x2 , x3 , . . . , xn transformiert. Zwar ist
die 1. Gleichung auch noch da, aber vorläufig wird sie nicht benötigt.
Anmerkung: Das Matrixelement a11 wird als das Pivotelement des ersten Eliminations-
schrittes bezeichnet (Französisch »Pivot« : Angelpunkt, Zapfen) .

4. Jetzt kommt der zweite Eliminationsschritt. Zunächst wird die -neue- zweite Gleichung mit
(1) (1)
der Zahl −a32 /a22 multipliziert und zur dritten Gleichung hinzu addiert. Das Resultat
dieser Rechenoperation ist, dass die Variable x2 aus der dritten Gleichung verschwindet:
 (1) 
(2) (1) (1) a32 (1) (1)
a32 = a32 + a22 · − (1) = a32 − a32 = 0
a22
 (1)   (1) 
(2) (1) (1) a32 (2) (1) (1) a
a3 j = a3 j + a2 j · − (1) j = 3,4, . . . , n b3 = b3 + b2 · − 32 (1)
a22 a22
4.6 Lineare Gleichungssyteme 151

(1)
Das Element a22 ist das Pivotelement dieses Eliminationsschrittes.
Diese Prozedur wird sinngemäß auf die restlichen Gleichungen, d.h. vierte, fünfte usw.,
angewandt. Am Ende entsteht folgendes Gleichungssystem:

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1n · xn = b1


(1) (1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2n · xn = b2
(2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + a33 · x3 + · · · + a3n · xn = b3
........................................
(2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + an3 · x3 + · · · + ann · xn = bn

Damit wäre der zweite Eliminationsschritt beendet.

5. Es folgen weitere Eliminationsschritte nach obigem Muster. Am Ende des (n − 1)-ten Eli-
minationsschrittes entsteht folgendes Gleichungssystem.

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1(n−1) · xn−1 + a1n · xn = b1


(1) (1) (1) (1) (1)
0 · x1 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2(n−1) · xn−1 + a2n · xn = b2
(2) (2) (2) (2)
0 · x1 + 0 · x2 + a33 · x3 + · · · + a3(n−1) · xn−1 + a3n · xn = b3
................................................
(n−2) (n−2) (n−2)
0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 + · · · + a(n−1)(n−1) · xn−1 + a(n−1)n · xn = bn−1
(n−1) (n−1)
0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x 3 + · · · + 0 · xn−1 + ann · xn = bn

Um die Übersichtlichkeit zu erhöhen, ersetzen wir im obigen Ausdruck die Hochindizes


zur Kennzeichnung der Eliminationsschritte durch einfaches Hochkomma und erhalten auf
diese Weise das auf Dreiecksform reduzierte System:

a11 · x1 + a12 · x2 + a13 · x3 + · · · + a1(n−1) · xn−1 + a1n · xn = b1


0 + a22 · x2 + a23 · x3 + · · · + a2(n−1) · xn−1 + a2n · xn = b2
0 + 0 + a33 · x3 + · · · + a3(n−1) · xn−1 + a3n · xn = b3
(4.14)
...............................................
0 + 0 + 0 + · · · + a(n−1)(n−1) · xn−1 + a(n−1)n · xn = bn−1
0 + 0 + 0 +···+ 0 + ann · xn = bn

Die Namensgebung reduziertes System geht darauf zurück, dass die Anzahl der Unbekann-
ten in der letzten Zeile von n auf 1 reduziert wurde.
Dieser beschriebene Vorgang der Elimination der Variablen x1 , x2 , . . . , xn−1 aus den Glei-
chungen wird Vorwärtselimination genannt. Oft spricht man auch von Dreieckszerlegung,
weil am Ende ein Gleichungssystem übrig bleibt, dessen Koeffizientenschema einer oberen
Dreiecksmatrix entspricht (vgl. Seite 134).

6. Rückwärtssubstitution. Zur Bestimmung der Unbekannten bewegt man sich jetzt im redu-
zierten Gleichungsssystem (4.14) rückwärts von der letzten zur ersten Gleichung; deshalb
152 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

wird dieser Vorgang auch als Rückwärtssubstitution bezeichnet.

Bestimmung der Unbekannten xn

Die Gleichung in der letzten Zeile von (4.14) enthält nur noch eine Unbekannte:

bn
ann · xn = bn ⇒ xn =
ann

Bestimmung der Unbekannten xn−1

Jetzt kann man die Variable xn−1 leicht aus der vorletzten Gleichung in (4.14) ermitteln,
weil xn ja inzwischen bekannt ist und in die vorletzte Gleichung eingesetzt werden kann.
1  
xn−1 = bn−1 − a(n−1)n · xn
a(n−1)(n−1)

Auf ähnliche Weise werden die übrigen Unbekannten xn−2 , xn−3 , · · · , x1 usw. berechnet.

Die allgemeine Bestimmungsformel für die Rückwärtssubstitution lautet:


 
n
1
xi = 
aii
bi − ∑ aik xk i = n, n − 1, n − 2, · · · ,3,2,1 (4.15)
k=i+1

Im letzten Substitutionsschritt zur Bestimmung von x1 gilt natürlich a1 j = a1 j in der ersten
Zeile ( j = 1,2, · · · , n).

Beispiel 4.15:
Das folgende Gleichungssystem ist nach dem Gauss-Verfahren zu lösen.

2x + y + z= 1
4x + y + 0 = −2
−2x + 2y + z= 7

Zunächst wird die 1. Gleichung mit −a21 /a11 = −4/2 = −2 multipliziert und zu der
2. Gleichung addiert; dann wird die 1. Gleichung mit −a31 /a11 = 1 multipliziert und
zur 3. Gleichung addiert:

2x + y + z= 1
0 − y − 2z = −4
0 + 3y + 2z = 8
4.6 Lineare Gleichungssyteme 153

Jetzt muss y aus der 3. Gleichung eliminiert werden. Deshalb wird die 2. Gleichung
(1) (1)
mit −a32 /a22 = −3/(−1) = 3 multipliziert und zur 3. Gleichung addiert:

2x + y + z= 1
0 − y − 2z = −4
0 + 0 − 4z = −4

Damit ist die Dreieckszerlegung beendet.


Rückwärtssubstitution. Die letzte Gleichung lautet −4z = −4 . Daraus folgt unmittel-
bar z = 1. Nach Einsetzen (Substitution) von z = 1 in die 2. Gleichung des reduzierten
Systems erhält man y = 2. Die 1. Gleichung liefert schließlich x = −1.

Gauss-Elimination in Matrixschreibweise
Das lineare Gleichungssystem (4.11) kann in Matrixschreibweise wie folgt angegeben werden:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 b1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
Ax =b ⎢ .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥ (4.16)
⎣ . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 an2 . . . ann xn bn
        
A x b

Der im Abschnitt 4.6.1 beschriebene Gauss-Algorithmus kann sinngemäß auf Gleichung (4.16)
angewandt werden. Durch Zeilenoperationen wird die Matrix A in die obere Dreiecksform trans-
formiert (Dreieckszerlegung). Gleichzeitig wird der Vektor b den gleichen Operationen unter-
worfen. Das lineare Gleichungssystem sieht am Ende des Dreieckszerlegungsprozesses schema-
tisch wie folgt aus:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 ... a1(n−1) a1n
x1 b1
⎢ 0 a22 ... a2(n−1) a2n ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 ..
a3(n−1) a3n ⎥⎢ x3 ⎥ ⎢ b3 ⎥
⎢ 0 . ⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥ (4.17)
A x = b ⎢ ⎥⎢ .. ⎥ ⎢ .. ⎥
⎢ .. .. .. .. ⎥⎢ . ⎥ ⎢ . ⎥
⎢ . . . . ⎥⎢ ⎥ ⎢  ⎥
⎢ ⎥⎣ x ⎦ ⎣ bn−1 ⎦
⎣ 0 0 . . . a(n−1)(n−1) a(n−1)n ⎦ n−1
xn bn
0 0 ... 0 ann      
   x b
A

Anschließend wird mittels Rückwärtssubstitution nach (4.15) der Unbekanntenvektor x ermit-


telt:
b 1  
xn = n xn−1 =  bn−1 − a(n−1)n · xn xn−2 = · · · usw.
ann a(n−1)(n−1)
154 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Erweiterte Matrix
Wie oben erwähnt, werden die zur Dreieckszerlegung notwendigen Operationen nicht nur auf die
Koeffizientenmatrix A selbst angewandt, sondern auch auf die rechte Seite b . Bei Handrechnun-
gen kann es daher etwas übersichtlicher sein, wenn A und b in einer erweiterten Matrix zusam-
mengefasst werden. Alle Eliminationsoperationen werden jetzt unmittelbar auf die erweiterte
Matrix angewandt (die erweiterte Matrix ist nur eine optische Erleichterung, inhaltlich ändert
sich nichts).
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1(n−1) a1n b1 a11 a12 . . . a1(n−1) a1n b1
⎢ a ⎥ ⎢ 0 a  ⎥
⎢ 21 a22 . . . a2(n−1) a2n b2 ⎥ ⎢
 
22 . . . a2(n−1) a2n b2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ a31 a32 . . . a3(n−1) a3n b3 ⎥ ⎢
⎢ . ⎥ −→ ⎢
..    ⎥
3 ⎥
⎢ . .. .. .. .. ⎥ 0 0 . a a b
⎢ . . ⎥ ⎢ 3(n−1) 3n ⎥

. . .
⎥ ⎢ . . . . . ⎥
⎣ · · · · · ⎦ ⎣ .
. .
. .
. .
. .
. ⎦
an1 an2 . . . an(n−1) ann bn 0 0 ... 0 ann bn

Trivialer Lösungsvektor
Für jedes lineare homogene Gleichungssystem ist der Nullvektor 0 ein sog. trivialer Lösungs-
vektor (in technischen Anwendungen ist ein trivialer Lösungsvektor natürlich nicht besonders
nützlich!).

Beispiel 4.16:
Das Gleichungssystem des Beispiels 4.15 auf Seite 152 lautet in Matrixschreibweise
(die Richtigkeit dieser Matrixgleichung lässt sich leicht überprüfen, indem die Matrix-
multiplikation Ax auf der linken Seite ausgeführt wird):
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 1 x 1
⎣ 4 1 0 ⎦ ⎣ y ⎦ = ⎣ −2 ⎦ symbolisch: A x = b
−2 2 1 z 7
        
A x b

Beispiel 4.17:
Zu lösen ist das folgende lineare Gleichungssystem.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1,2
⎣ 1 4 −2 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 1,0 ⎦
−1 1 6 x3 7,4

Die Gauss-Elimination (Dreieckszerlegung) liefert in der Schreibweise der erweiterten


Matrix:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 1,2 8 2 1 1,2 1/8
⎣ 1 4 −2 1,0⎦ ← − + −→ ⎣ 0 5 4 8,4⎦
−1 1 6 7,4 −1 1 6 7,4 ← −+
4.6 Lineare Gleichungssyteme 155

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 1,20 8 2 1 1,20
−→ ⎣0 5 4 8,40⎦ −1/4 −→ ⎣0 5 4 8,40⎦
0 1,25 6,125 7,55 ← −+ 0 0 5,125 5,45
Das Gleichungssystem in Dreiecksform lautet somit:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1,20
⎣ 0 5 4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 8,40 ⎦
0 0 5,125 x3 5,45

Die Unbekannten werden durch Rückwärtssubstitution nach (4.15) ermittelt:

5,45
x3 = = 1,0634
5,125 ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 −0,1903
8,40 − 4 · 1,0634
x2 = = 0,8293 ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0,8293 ⎦
5
1,20 − 2 · 0,8293 − 1 · 1,0634 x3 1,0634
x1 = = −0,1903
8

Anmerkungen zur Gauss-Elimination


1. Wenn in einem beliebigen Schritt des Gauss-Algorithmus das Pivotelement gleich Null wird,
kann der Eliminationsprozess nicht fortgesetzt werden. In solchen Fällen kann evtl. ein Ver-
tauschen der Pivotzeile mit einer der darunter liegenden Zeilen weiterhelfen. Wenn es nicht
verhindert werden kann, dass ein Pivotelement zu Null wird, d.h. wenn auch das Vertau-
schen von Zeilen (und Spalten) nicht weiter hilft, ist das Gleichungssystem nicht lösbar.
2. Die Gauss-Elimination ist ein direktes Lösungsverfahren. Mit einem »direkten« Verfahren
können die Unbekannten im Rahmen der Rechengenauigkeit des Computers »exakt« be-
stimmt werden.2 Außerdem kann man die Anzahl der benötigten Rechenoperationen zur
Bestimmung der Unbekannten im voraus errechnen und damit die Rechenzeit abschätzen.
Im Gegensatz zu den direkten Verfahren stehen die iterativen Lösungsmethoden.
3. In der Praxis wird der Gauss-Algorithmus normalerweise nicht in der oben beschriebe-
nen Art eingesetzt. Es existieren andere Verfahren, die auf der Idee der Gauss-Elimination
basieren und eine effizientere Lösung von Gleichungssystemen gestatten (LU-Zerlegung,
Cholesky-Zerlegung, s. Seite 687). Die Gauss-Elimination wird hier trotzdem ausführlich
behandelt, weil sie ein Basisalgorithmus ist, von dem viele andere Verfahren abgeleitet wur-
den, und weil sie leicht verständlich ist, eine klare Struktur hat und hohe Robustheit besitzt.
4. Die praktischen Ingenieuraufgaben der Gegenwart führen auf lineare Gleichungssysteme
mit sehr vielen Unbekannten. In der FEM (Finite Elemente Methode) z.B. gehören Glei-
chungssysteme mit mehreren hunderttausend und sogar noch mehr Unbekannten auf einem
Rechner höherer Leistungsklasse (Workstation) zum Alltag des Berechnungsingenieurs aus
2 Diese »exakte« Bestimmung ist natürlich nur im Rahmen der Gleitkommagenauigkeit des Computers/Compilers zu
verstehen - nicht im absoluten Sinne!
156 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Gebieten Bauingenieurwesen, Flugzeugbau, Schiffsbau, Maschinenbau. Mit Höchstleistungs-


rechnern werden in der Klimaforschung und in weniger rühmlichen Gebieten wie z.B. Kern-
waffenforschung Gleichungssysteme mit vielen Millionen Unbekannten gelöst. Für solche
Aufgabenstellungen sind allerdings weder die Gauss-Elimination noch andere direkte Ver-
fahren rechentechnisch effizient. In solchen Fällen, wo die Rechenzeit eine kritische Größe
darstellt, können iterative Methoden eingesetzt werden. Iterative Verfahren kommen bei
»gut konditionierten« Systemen mit sehr viel weniger Rechenzeit aus, als die direkten Ver-
fahren. Eine kurze Einführung in iterative Lösungsmethoden wird auf Seite 695 gegeben.
Eine andere Möglichkeit riesengroße Gleichungssysteme mit direkten Verfahren zu lösen
ist der Einsatz von parallelisierenden Algorithmen, in denen das Gleichungssystem in vie-
le Teile zerlegt wird, die dann von mehreren tausend Prozessoren gleichzeitig verarbeitet
werden.

4.7 Lineare Abhängigkeit

Eine linear unabhängige Matrix wird auch als reguläre Matrix und eine linear abhängige Matrix
auch als singuläre Matrix bezeichnet. Zur Definition der linearen Abhängigkeit (bzw. Unabhän-
gigkeit) betrachten wir eine m × n Matrix A , die in m Zeilenvektoren z i bzw. n Spaltenvektoren
s i zerlegt ist:
⎡ ⎤
z1
⎢ z ⎥
⎢ 2 ⎥
⎢ . ⎥
⎢ .. ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
⎢ z i−1 ⎥  
A=⎢ ⎥ = s 1 s 2 . . . s j−1 s j s j+1 . . . s n
⎢ zi ⎥
⎢ ⎥
⎢ z i+1 ⎥
⎢ ⎥
⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
zm

Die Matrix A wird linear abhängig genannt, wenn zumindest einer folgender Fälle vorliegt:
a) Irgendeine Zeile z i von A kann aus den restlichen (m − 1) Zeilen durch eine beliebige Linear-
kombination mit den skalaren Koeffizienten ci zusammengesetzt werden:
m
zi = ∑ ck z k d.h. z i = c1 z 1 + c2 z 2 + · · · + ci−1 z i−1 + ci+1 z i+1 + · · · + cm z m (4.18)
k=1
k=i

b) Irgendeine Spalte s j von A kann aus den restlichen (n − 1) Spalten durch eine beliebige Line-
arkombination mit den skalaren Koeffizienten di zusammengesetzt werden:
n
sj = ∑ dk s k d.h. s j = d1 s 1 + d2 s 2 + · · · + d j−1 s j−1 + d j+1 s j+1 + · · · + dn s n (4.19)
k=1
k= j
4.7 Lineare Abhängigkeit 157

Falls keiner der obigen beiden Fälle zutrifft, wird A linear unabhängig genannt. Tabelle 4.6 zeigt
die Eigenschaften einer linear abhängigen Matrix.

Tabelle 4.6: Eigenschaften einer linear abhängigen Matrix A

1. Mindestens eine Zeile (Spalte) von A lässt sich als Linearkombination der übrigen Zeilen (Spal-
ten) ausdrücken.
2. Bei der Dreieckszerlegung einer linear abhängigen Matrix entsteht mindestens eine Nullzeile.
3. Die Determinante von A ist Null: |A
A| = 0 (s. Regel 7 auf Seite 164).
4. A besitzt keine Inverse A−1 (s. Abschnitt 4.9).

Alternative Definition der linearen Abhängigkeit


Durch geeignete Umformungen können die Beziehungen (4.18) und (4.19) auch in folgende
Form gebracht werden:

c̃1z 1 + c̃2z 2 + . . . + c̃iz i + . . . + c̃mz m = 0 (4.20a)

d˜1s 1 + d˜2s 2 + . . . + d˜js j + . . . + d˜ns n = 0 (4.20b)


Die Matrix A heißt dann und nur dann linear unabhängig, wenn zur Erfüllung der Gleichungen
(4.20a) und (4.20b) alle Koeffizienten c̃i und d˜i zwangsläufig Null sein müssen, d.h. wenn es
gelten muss:

c̃1 = c̃2 = . . . = c̃m = 0 d˜1 = d˜2 = . . . = d˜n = 0

Wenn mindestens ein Koeffizient ci bzw. di ungleich Null ist und die Gleichungen (4.20a) und
(4.20b) trotzdem erfüllt sind, heißt die Matrix A linear abhängig.

Beispiel 4.18:
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a1 2 3 8 b1 2 3 8
a) A = ⎣ a 2 ⎦ = ⎣ 3 5 −1 ⎦ B = ⎣ b 2 ⎦ = ⎣ 3 5 −1 ⎦
a3 7 11 15 b3 5 8 6
Die Matrix A linear abhängig, weil die 3. Zeile durch Linearkombination der 1.
und 2. Zeile ausgedrückt werden kann. In der Formulierung von (4.18) ergibt
sich:

a 3 = 2 a 1 +aa2 [7 11 15] = 2 [2 3 8] + [3 5 − 1]

In der alternativen Darstellung von (4.20a) nimmt die Abhängigkeitsbedingung


folgende Gestalt an:

2 · a1 + 1 · a2 − 1 · a3 = 0

Die Linearkombination auf der linken Seite liefert als Ergebnis Null, obwohl
kein einziger Koeffizient gleich Null ist; deshalb ist A linear abhängig.
158 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Dagegen ist die Matrix B ist linear unabhängig, weil keine Zeile (bzw. Spalte)
in B durch irgendeine Linearkombination anderer Zeilen (bzw. Spalten) ausge-
drückt werden kann (probieren Sie es aus!).

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  5 3 11   5 3 11
b) C= c1 c2 c3 =⎣ 2 5 12 ⎦ D= d1 d2 d3 =⎣ 2 5 12 ⎦
7 8 20 8 8 24

C ist eine linear unabhängige Matrix, weil keine Zeile (bzw. Spalte) in C durch
Linearkombination anderer Zeilen (bzw. Spalten) ausgedrückt werden kann.

Dagegen ist die Matrix D linear abhängig, weil sich die 3. Spalte als Linearkom-
bination der 1. und 2. Spalte dargestellt werden kann:

d3 = d1 + 2 ·d2 oder 1 ·d1 + 2 ·d2 − 1 ·d3 = 0

Beispiel 4.19:

Der Rang einer Matrix A (gekennzeichnet durch rg A ) ist gleich der Anzahl ihrer
linear unabhängigen Zeilen.
a) Die Matrix A unten hat den Rang 3, weil eine Zeile als Linearkombination der
übrigen Zeilen ausgedrückt werden kann, d.h. A hat lediglich 3 unabhängige Zeilen.
⎡ ⎤
1 2 3 1
⎢ 3 4 2 5 ⎥
A=⎢
⎣ 6

9 4 10 ⎦
4 6 5 6

Die 4. Zeile ist von anderen abhängig:

z 4 = z 1 +zz2

Anzahl linear unabhängiger Zeilen = 4 − 1 = 3.

⇒ rg A = 3

b) Folgende Matrix hat den Rang 2, weil die 1. Zeile sich aus der 2. und 3. Zeile
durch Linearkombination zusammensetzen lässt. Die 3 × 3 Matrix A hat also nicht
drei, sondern nur zwei unabhängige Zeilen, ist deshalb linear abhängig.
⎡ ⎤
7 1 3
A=⎣ 3 2 −2 ⎦ z1 = 2 z2 +zz3 ⇒ rg A = 2
1 −3 7
4.8 Determinanten 159

4.8 Determinanten

Die Determinante einer quadratischen Matrix ist eine Zahl, die nach einer exakt vorgegebenen
Rechenvorschrift aus dieser Matrix berechnet wird. Die Determinante der Matrix A wird entwe-
der durch das Symbol |AA| oder durch »det A « gekennzeichnet.
Anmerkung: Das Zeichen | von |A
A| darf nicht mit dem Absolutwertzeichen | verwechselt
werden.
Gelegentlich wird das Determinantensymbol nicht auf das Matrixsymbol sondern unmittelbar
auf die Matrix selbst angewandt. Somit ergeben sich insgesamt vier Darstellungsmöglichkeiten
für die Determinante einer Matrix A :
⎡ ⎤  
a11 a12 . . . a1n  a11 a12 . . . a1n 
 
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥  a21 a22 . . . a2n 
⎢ ⎥  
|A
A| ≡ det A ≡ det ⎢ . .. .. .. ⎥ ≡  .. .. .. .. 
⎣ .. . . . ⎦ .
 . . . 
a a ... a  a a ... a 
n1 n2 nn n1 n2 nn

4.8.1 Determinante einer n × n Matrix

Für die Berechnung der Determinante einer beliebigen n × n Matrix A


⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann

wird der Entwicklungssatz von Laplace verwendet, der in zwei Formen vorliegt:

n
|A
A| = ∑ (−1)i+ j ai j |AAi j | Entwicklung nach der i-ten Zeile (4.21)
j=1

n
A| = ∑ (−1)i+ j ai j |A
|A Ai j | Entwicklung nach der j-ten Spalte (4.22)
i=1

Die Unterdeterminante |AAi j | ist die Determinante derjenigen (n−1)×(n−1) Matrix A i j , welche
aus A durch Streichung der i-ten Zeile und j-ten Spalte hervorgeht. Der Term (−1)i+ j liefert
das jeweils korrekte Vorzeichen der einzelnen Summationsglieder.
Der Term (−1)i+ j in (4.21) bzw. (4.22) liefert das korrekte Vorzeichen für die einzelnen
160 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Unterdeterminanten |A
Ai j | und kann in einem Schachbrettmuster wie folgt visualisiert werden:
⎡ ⎤
+ − + − + ···
⎢ − + − + − ··· ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ + − + − + ··· ⎥
⎢ ⎥
⎣ − + − + − ··· ⎦
· · · · · ···

4.8.2 Determinante einer 2 × 2 Matrix

Die Determinante einer 2 × 2 Matrix ist gegeben durch


 
a11 a12
A= det A = |A
A| = a11 · a22 − a12 · a21 (4.23)
a21 a22

Die obige Formel lässt sich unmittelbar aus (4.21) ableiten:

A| = a11 |A
|A A11 | − a12 |A
A12 | mit A 11 = a22 A 12 = a21

Beispiel 4.20:
   
4 2  4 2 
A= A| = 
det A = |A = 4 · 8 − 2 · 1 = 30
1 8 1 8 

4.8.3 Determinante einer 3 × 3 Matrix

Für die Berechnung der Determinante einer (3×3)-Matrix A können wir die Laplace-Entwicklung
verwenden. Nachfolgend wird die Laplace-Entwicklung in beiden Varianten vorgestellt.
⎡ ⎤
a11 a12 a13
A = ⎣ a21 a22 a23 ⎦
a31 a32 a33

Entwicklung nach der 1. Zeile:


Die Anwendung von (4.21) auf die erste Zeile (i = 1) liefert:
3
|A
A| = ∑ (−1)1+ j a1 j |AA1 j |
j=1

= (−1)1+1 a11 |A
A11 | + (−1)1+2 a12 |A
A12 | + (−1)1+3 a13 |A
A13 |
        
=1 =−1 =1
= a11 |A
A11 | − a12 |A
A12 | + a13 |A
A13 |
4.8 Determinanten 161

Mit den Untermatrizen A 11 , A 12 , A 13


     
a22 a23 a21 a23 a21 a22
A 11 = A 12 = A 13 =
a23 a33 a31 a33 a31 a32

erhalten wir die Determinante von A :


     
 a a23   a21 a23   a21 a22 
A| = a11  22
|A  − a 
12   + a 
13  (4.24a)
a32 a33 a31 a33 a31 a32 

oder (nach Vertauschung der beiden Spalten in der mittleren Determinante):


     
 a a23   a23 a21   a21 a22 
A| = a11  22
|A  + a 
12   + a 
13  (4.24b)
a32 a33 a33 a31 a31 a32 

Entwicklung nach der 1. Spalte:

Die Anwendung von (4.22) auf die erste Spalte ( j = 1) liefert:


3
A| = ∑ (−1)i+1 ai1 |A
|A Ai1 |
i=1
= (−1)1+1 a11 |A A11 | + (−1)2+1 a21 |AA21 | + (−1)3+1 a31 |A
A31 |
= a11 |A
A11 | − a21 |A
A21 | + a31 |A
A31 |

Mit den Untermatrizen A 11 , A 21 , A 31


     
a22 a23 a12 a13 a12 a13
A 11 = A 21 = A 31 =
a23 a33 a32 a33 a22 a23

erhalten wir die Determinante von A :


     
 a a23   a a13   a a13 
A| = a11  22
|A − a21  12 + a31  12 (4.25a)
a32 a33  a32 a33  a22 a23 

oder (nach Vertauschung der beiden Zeilen in der mittleren Determinante):


     
 a a23   a a33   a a13 
A| = a11  22
|A  + a21  32  + a31  12 (4.25b)
a32 a33 a12 a13 a22 a23 

Die Auswertung der obigen Beziehungen ergibt die nachfolgende Formel, die jedoch nicht so
ganz leicht zu merken ist.

|A
A| = a11 a22 a33 + a12 a23 a31 + a13 a21 a32 − a11 a23 a32 − a22 a13 a31 − a33 a12 a21 (4.26)
162 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Eine weit verbreitetes Hilfsmittel für die Berechnung der Determinante einer 3 × 3 Matrix ist
die sog. Sarrus-Regel, die zum Schluß auf die in Gl. (4.26) angegebene Beziehung führt. Die
Sarrus-Regel gilt nur für eine 3 × 3 Matrix.

Beispiel 4.21:
⎡ ⎤
5 4 3

A= 2 2 3 ⎦ |A
A| =?
4 1 4
Mit Hilfe der Gl. (4.24a) erhalten wir:
     
 2 3     2 
A| = 5 
det A = |A −4  2 3 +3  2 = 5 (8 − 3) − 4 (8 − 12) + 3 (2 − 8) = 23
1 4   4 4   4 1 

Die Verwendung von (4.24b) liefert natürlich das gleiche Ergebnis:


     
 2 3   3 2   2 2 

det = |A | = 5 
A A  
+4   
+3   = 5 (8 − 3) + 4 (12 − 8) + 3 (2 − 8) = 23
1 4  4 4  4 1 

4.8.4 Regeln für Determinanten


Für Determinanten gelten bestimmte Regeln und Eigenschaften, die z.B. bei der Klassifikation
von Matrizen und der Lösung von linearen Gleichungssystemen bzw. Eigenwertaufgaben (s. Ka-
pitel 13) nützlich sind:

1. Determinanten sind nur für quadratische Matrizen definiert.

2. Die Determinante einer Matrix A und diejenige ihrer Transponierten A T sind identisch.
 
A| = A T 
|A (4.27)

Beispiel 4.22:
 
 1 3 0 
 
A| =  2 6 4  = 1 (6 · 2 − 4 · 0) − 3 (2 · 2 + 4 · 1) + 0 (2 · 0 + 6 · 1) = −12
|A
 −1 0 2 
 
 1 2 −1 
 
AT | =  3 6
|A 0  = 1 (6 · 2−4 · 0)−2 (3 · 2−0 · 0)−1 (3 · 4 −6 · 0) = −12
 0 4 2 

3. Wenn zwei beliebige Zeilen (oder zwei Spalten) einer Matrix miteinander vertauscht wer-
den, ändert die Determinante ihr Vorzeichen (der Betrag der Determinante bleibt unverän-
dert).
4.8 Determinanten 163

Beispiel 4.23:
a) Matrix B entsteht durch Vertauschung der 1. und 2. Zeile von A .
   
 1 3 0   2 6 4 
   
A| =  2 6 4  = −12
|A B| =  1 3 0  = 12
|B |B
B| = −|A
A| 
 −1 0 2   −1 0 2 

a) Matrix C entsteht durch Vertauschung der 1. und 2. Spalte von A .


   
 1 3 0   1 0 
   3
A| =  2 6 4  = −12
|A C | =  6
|C 2 4  = 12 |C
C | = −|A
A| 
 −1 0 2   0 −1 2 

4. Die Determinante bleibt unverändert, wenn eine Zeile (Spalte) mit einem beliebigen Skalar
multipliziert und dann zu einer anderen Zeile (Spalte) addiert wird.

Beispiel 4.24:
a) Die Matrix B entsteht aus der Matrix A , indem die 1. Zeile von A mit 2
multipliziert und zur 3. Zeile addiert wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 4
A=⎣ 1 3 0 ⎦ B=⎣ 1 3 0 ⎦ |A
A| = |B
B| = 12 
−1 0 2 3 12 10

a) Die Matrix C entsteht aus der Matrix A , indem die 2. Spalte von A mit −2
multipliziert und zur 3. Spalte addiert wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 −8
A=⎣ 1 3 0 ⎦ C=⎣ 1 3 −6 ⎦ A| = |C
|A C | = 12 
−1 0 2 −1 0 2

5. Die Determinante einer Diagonalmatrix ist das Produkt ihrer Hauptdiagonalelemente.


⎡ ⎤
a11 0 ... 0
⎢ 0 a22 ... 0 ⎥
⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ A| = a11 · a22 · · · ann
|A (4.28)
⎣ . . . . ⎦
0 0 . . . ann

Es folgt daraus, dass die Determinante der Einheitsmatrix I stets 1 ist:

det I = |II | = 1 (4.29)


164 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.25:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 0 0 5 0 0
A=⎣ 0 2 0 ⎦ |A
A| = 5 · 2 · 4 = 40 B=⎣ 0 0 0 ⎦ |B
B| = 5 · 0 · 4 = 0
0 0 4 0 0 4
Die Matrix B wird singulär genannt, weil |B
B| = 0 ist.

6. Die Determinante einer oberen (unteren) Dreiecksmatrix ist das Produkt ihrer Hauptdiago-
nalelemente.

obere Dreiecksmatrix untere Dreiecksmatrix


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . . . . a1n b11 0 0 ... 0
⎢ 0 a22 . . . . . . a2n ⎥ ⎢ b21 b22 0 . . . 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ 0 a33 . . . a3n ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ 0 ⎥ B = ⎢ b31 b32 b33 . . . 0 ⎥
⎢ . .. .. .. .. ⎥ ⎢ . .. .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . . ⎦ ⎣ .. . . . . ⎦
0 0 0 . . . ann bn1 bn2 bn3 . . . bnn

|A
A| = a11 · a22 · a33 · · · ann |B
B| = b11 · b22 · b33 · · · bnn (4.30)

Anmerkung: Durch Kombination dieser und der Regel Nr. 4 kann die Determinante einer
n × n Matrix recht elegant auf die Weise berechnet werden, dass man sie zunächst mit Hilfe
der Gauss-Elimination (s. Abschnitt 4.6.1 auf Seite 153) in die Dreiecksform transformiert
und dann (4.30) anwendet. Insbesondere für Matrizen mit n > 3 ist dieser Weg schneller als
die Laplace-Entwicklung. In Beispiel 4.46 auf Seite 179 wird dieser Weg beschritten.

Beispiel 4.26:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 0 1 2 0 0 0
⎢ 0 5 −1 9 ⎥ ⎢ 3 4 0 0 ⎥
A=⎢
⎣ 0
⎥ B=⎢ ⎥
0 6 2 ⎦ ⎣ 1 −9 7 0 ⎦
0 0 0 4 8 0 1 6

|A
A| = 2 · 5 · 6 · 4 = 240 |B
B| = 2 · 4 · 7 · 6 = 336

7. Die Determinante einer linear abhängigen (singulären) Matrix ist = 0. Die Determinante
einer linear unabhängigen (regulären) Matrix ist = 0 (s. auch Abschnitt 4.7).

Beispiel 4.27:
 
 3 6 −4 
 
a. A =  1 −1 3 
 z 3 = 2 z 1 , d.h. A ist linear abhängig.
 6 12 −8 
4.8 Determinanten 165

Nach (4.24b) erhält man die Determinante |A


A|:

|A
A| = 3 (8 − 36) + 6 (18 + 8) − 4 (12 + 6) = 0
⎡ ⎤
2 4 3
b. B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ z 3 = 2 z 1 −zz2 , d.h. B ist linear abhängig.
1 3 7
Nach (4.24b) erhält man die Determinante |B B|:

|B
B| = 2 (35 + 3) + 4 (−1 − 21) + 3 (9 − 5) = 0
⎡ ⎤
2 3 8
c. C = ⎣ 3 5 −1 ⎦
5 8 6
C ist linear unabhängig, weil |C
C | = 2 (30 + 8) + 3 (−5 − 18) + 8 (24 − 25) =
−1 = 0

8. Die Determinante eines Matrixproduktes ist gleich dem Produkt der Determinanten der
einzelnen Matrizen.

|A
AB | = |A
A| · |B
B| (4.31)

Beispiel 4.28:
     
3 4 −2 1 18 15
A= B= ⇒ AB =
5 7 6 3 32 26
|A
A| = 21 −20 = 1 |B
B| = −6−6 = −12 |AB
AB| = 468 − 480 = −12
AB |A
A| · |B
B| = −12

9. Wenn eine Zeile (Spalte) einer Matrix A ein Nullvektor ist, gilt |A
A| = 0. Eine solche Matrix
wird singulär genannt.

Beispiel 4.29:
   
 0 0 0   0 6 −4 
  
A| =  1 −1
|A 3 =0
 B| =  0
|B −1 3  = 0
 6 12 −8   0 12 −8 

10. Die Determinante eines Matrixproduktes von zwei quadratischen Matrizen A und B ist
unabhängig davon, ob die Matrizen von rechts oder von links multipliziert werden.

|A
AB | = |B
BA | A und B sind n × n Matrizen)
(A (4.32)

Beispiel 4.30:
       
3 4 −2 1 18 15 −1 −1
A= B= AB = BA =
5 7 6 3 32 26 33 45
166 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

|AB
AB| = 468 − 480 = −12
AB |BA
BA| = −45 + 33 = −12
BA

11. Die Multiplikation einer n × n Matrix A mit dem Skalar k ändert die Determinante um den
Faktor kn .
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ka11 ka12 . . . ka1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ ka21 ka22 . . . ka2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ . .. .. .. ⎥ k A = ⎢ . .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . ⎦ ⎣ .
. . . . ⎦
an1 an2 . . . ann kan1 kan2 . . . kann

|kA
A| = kn |A
A| (4.33)

Beispiel 4.31:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 4 12 8
A=⎣ 1 3 0 ⎦ k=2 A=⎣ 2
A = 2A
kA 6 0 ⎦
−1 0 2 −2 0 4
|A
A| = 12 |2A
A| = 4(24 − 0) + 12(0 − 8) + 8(0 + 12) =  12 = k3 |A
8 ·  A|
=23 =|A
A|

12. Multiplikation einer Zeile (bzw. Spalte) einer Matrix A mit einem Skalar k .
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n ka11 ka12 . . . ka1n
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A=⎢ .. .. .. .. ⎥ B=⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann an1 an2 . . . ann

|B
B| = k |A
A|

Beispiel 4.32:
Die letzte Zeile von A wird mit k = 2 multipliziert und ergibt die Matrix B:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 6 4 2 6 4
A=⎣ 1 3 0 ⎦ B=⎣ 1 3 0 ⎦
−1 0 2 −2 0 4

|A
A| = 12 |B
B| = 2(12 − 0) + 6(0 − 4) + 4(0 + 6) = 24 = 2 · 12 = k |A
A|
4.8 Determinanten 167

4.8.5 Cramer-Regel
Oft soll in der Praxis ein kleines lineares Gleichungssystem von Hand gelöst werden. In solchen
Fällen ist die Cramer-Regel vorteilhaft. Betrachtet wird das folgende lineare Gleichungssystem:
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1 j . . . a1n x1 b1
⎢ a21 a22 . . . a2 j . . . a2n ⎥⎢ x2 ⎥ ⎢ b2 ⎥
⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A ·x = b ⎢ .. .. .. .. ⎥⎢ .. ⎥=⎢ .. ⎥
⎣ . . . . ⎦⎣ . ⎦ ⎣ . ⎦
an1 an2 . . . an j . . . ann xn bn
        
A x b

Ein beliebiges Element xi des Lösungsvektors x ergibt sich aus folgender Cramer-Regel:

|AAi |
xi = mit |A
Ai | = det A i |A
A| = det A i = 1,2, · · · , n (4.34)
|A
A|

A1 |
|A A2 |
|A |A
A j| An |
|A
x1 = x2 = xj = ··· xn =
|A
A| |A
A| |A
A| |A
A|
Die Matrix A i entsteht aus der Matrix A , wenn die i-te Spalte von A durch den Vektor b der
rechten Seite ersetzt wird, z.B.:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
b1 a12 . . . a1 j . . . a1n a11 b1 . . . a1 j . . . a1n
⎢ b2 a22 . . . a2 j . . . a2n ⎥ ⎢ a21 b2 . . . a2 j . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
A1 = ⎢ . .. .. ⎥ A = ⎢ . .. ⎥
⎣ .. . . ... ⎦ 2
⎣ ..
..
.
..
. . ⎦
bn an2 . . . an j . . . ann an1 bn . . . an j . . . ann
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . b1 . . . a1n a11 a12 . . . a1 j . . . b1
⎢ a21 a22 . . . b2 . . . a2n ⎥ ⎢ a21 a22 . . . a2 j . . . b2 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
Aj = ⎢ .. .. .. .. ⎥ An = ⎢ .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
an1 an2 . . . bn . . . ann an1 an2 . . . an j . . . bn

Cramer-Regel für ein 2 × 2 Gleichungssystem


Die Anwendung der Cramer-Regel auf das 2 × 2 Gleichungssystem führt zu folgenden Bestim-
mungsformeln:
    
a11 a12 x b1 a22 b1 − a12 b2 a11 b2 − a21 b1
= x= y= (4.35)
a21 a22 y b2 a11 a22 − a12 a21 a11 a22 − a12 a21

Beispiel 4.33:
Folgendes Gleichungssystem soll mit Hilfe der Cramer-Regel gelöst werden.
    
4 −6 x 6
=
−2 8 y 10
168 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

     
 4 −6   6 −6   4 6 
A| = 
|A = 20 |A 
A1 | =   = 108 A2 | = 
|A = 52
−2 8  10 8  −2 10 
|A
A1 | 108 A2 | 52
|A
x= = = 5,4 y= = = 2,6
|A
A| 20 |A
A| 20

Anmerkung: Die Cramer-Regel ist nur für kleine Gleichungssysteme mit höchstens 3 Unbekann-
ten zu empfehlen, weil der Rechenaufwand mit der Anzahl von Unbekannten rapide ansteigt. Für
größere Gleichungssysteme ist der Gauss-Algorithmus geeigneter.

4.8.6 Lösbarkeitsbedingungen für lineare Gleichungssysteme

Ein lineares Gleichungssystem besitzt nur in folgenden Fällen eine Lösung:

1. Das inhomogene Gleichungssystem A x = b (mit b = 0 ) kann nur dann eindeutig gelöst


werden, wenn die Determinante |A A| = 0 ist. Für den Fall |A
A| = 0 existiert entweder über-
haupt keine oder zumindest keine eindeutige Lösung.

2. Das homogene Gleichungssystem A x = 0 besitzt nur dann eine nicht-triviale Lösung,


wenn die Determinante |AA| = 0 ist (wenn x = 0 ist, spricht man von einer trivialen Lösung,
s. Seite 154). Für den Fall |A
A| = 0 ist der Nullvektor 0 der einzige Lösungsvektor (das
Gleichungssystem hat also nur eine Triviallösung).

Beispiel 4.34:
    
3 5 x 15
=
6 10 y 60
Die Gauss-Elimination wird auf die erweiterte Matrix angewandt:
   
3 5 | 15 −2 3 5 | 15

6 10 | 60 ← −+ 0 0 | 30

Aus der zweiten Zeile der erweiterten Matrix folgt:

0 · x + 0 · y = 30 0 = 30 

Das Gleichungssystem führt also zu einem Widerspruch und ist somit nicht lösbar. Die
Matrix A ist linear abhängig, weil die 2. Zeile ein Vielfaches der 1. Zeile ist: z 2 = 2 z 1 .
Folglich muss auch die Determinante |A A| gleich Null sein:
 
 3 5 
A| = 
|A = 30 − 30 = 0
6 10 
4.9 Invertierung von Matrizen 169

4.9 Invertierung von Matrizen

Eine quadratische Matrix B wird die inverse Matrix (auch Kehrmatrix genannt) zur quadrati-
schen Matrix A genannt, wenn zwischen A und B folgende Beziehung existiert:

AB = BA = I

Die Inverse der Matrix A wird mit A−1 bezeichnet und ergibt sich aus folgender Definition:

AA −1 = A −1A = I (4.36)

Die Inverse ist nur für quadratische Matrizen definiert. Aber nicht jede quadratische Matrix be-
sitzt unbedingt eine Inverse. Wenn die Inverse einer Matrix A existiert, wird A als reguläre Matrix
bezeichnet, anderenfalls ist A eine singuläre (d.h. linear abhängige) Matrix, s. auch Tabelle 4.6
auf Seite 157.

Berechnung der Inverse mit Hilfe der Gauss-Elimination


Die Inverse einer Matrix kann mit Hilfe des Gauss-Algorithmus berechnet werden. Hierzu wer-
den folgende n lineare Gleichungssysteme betrachtet:
⎡ ⎤⎡ (1) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 1
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (1) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 0 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax 1 = e 1 : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ 0 ⎥ (für e 1 s. Seite 135) (a)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣ .. ⎦
⎣ . . . ⎦⎣ ⎦ .
(1) 0
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A x1 e1

⎡ ⎤⎡ (2) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (2) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 1 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax 2 = e 2 : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ 0 ⎥ (b)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣ .. ⎦
⎣ . . . ⎦⎣ ⎦ .
(2) 0
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A x2 e2

············
⎡ ⎤⎡ (n) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (n) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x ⎥ ⎢ 0⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 ⎥ ⎢ ⎥
Ax n = e n : ⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ ..
⎥ (c)
⎢ ⎥⎢ . ⎥ ⎢ .

⎢ ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣
0 ⎦
⎣ .. .. .. ⎦⎣ ⎦
. . .
(n) 1
an1 an2 . . . ann xn
  
     
A xn en
170 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Diese n Gleichungssysteme lassen sich auch in einem System zusammenfassen:


⎡ ⎤⎡ (1) (2) (n) ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n x1 x1 · · · x1 1 0 ··· 0 0
⎢ a21 a22 . . . a2n ⎥ ⎢ (1) ⎥ ⎢ ⎥
⎢ ⎥⎢ x (2)
· · · x2
(n) ⎥ ⎢ 0 1 ··· 0 0 ⎥
⎢ .. .. .. ⎥⎢ 2 x2 ⎥ ⎢ ⎥
⎢ . . . ⎥⎢ ⎥=⎢ .. .. .. ..
⎥ (d)
⎢ ⎥⎢ . .. .. ⎥ ⎢ . . . .⎥
⎢ ⎥ ⎢ .. ⎥ ⎣
0 ⎦
⎣ .. .. .. ⎦⎣ . . ⎦
. . . 0 0 ··· 1
(1) (2) (n)
an1 an2 . . . ann xn xn · · · xn 0 0 ··· 0 1
       
A X I

Die Lösung aller n Gleichungssysteme in (a), (b) und (c) nacheinander liefert also die Lösungs-
matrix X ind (d). In symbolischer Schreibweise lässt sich das obige Gleichungssystem auch wie
folgt angeben:

AX = I X = [xx1 x 2 · · · x n ] I = [ee1 e 2 · · · e n ] (II : Einheitsmatrix)

Wegen der grundlegenden Definition AA −1 = I muss also die Lösungsmatrix X des n × n Glei-
chungssystems mit n Rechte-Seite-Vektoren der inversen Matrix A −1 entsprechen, d.h. es muss
gelten X = A −1 . Dass dies tatsächlich so ist, kann man sofort erkennen, indem das obige Glei-
chungssystem mit A −1 von links multipliziert wird:

−1 −1
  A X = A
A   I I X = A −1
⇒  ⇒ X = A −1
I A−1 X

Die Inverse einer Matrix A kann also mit Hilfe der Gauss-Elimination bestimmt werden durch
die Lösung des linearen Gleichungssystems AX = I .
Enthält eine quadratische Matrix eine Nullzeile bzw. eine Nullspalte, so ist sie stets singulär,
d.h. ihre Inverse ist nicht definiert. Eine Matrix, deren Determinante gleich Null ist, besitzt keine
Inverse. Wenn eine Matrix eine Inverse besitzt, wird sie auch als invertierbar bezeichnet. Die
Regeln für die Matrixinvertierung sind in Tabelle 4.7 zusammengestellt.

Invertierung von Hand


Für die Invertierung von Hand schreibt man die zu invertierende Matrix A und die Einheitsmatrix
I in erweiterter Form nebeneinander auf:
⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 1 0 . . . 0
⎢ a21 a22 . . . a2n 0 1 . . . 0 ⎥
⎢ ⎥
⎢ . .. .. .. .. .. ⎥
⎣ .. . . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann 0 0 ... 1
    
A I original

Durch geeignete Zeilenumformungen (d.h. durch wiederholtes Hinzufügen eines geeigneten Viel-
fachen einer Zeile zu einer anderen Zeile) wird die Matrix A in eine Einheitsmatrix I trans-
formiert. Die Transformationsoperationen, die man auf die links stehende Matrix A anwendet,
4.9 Invertierung von Matrizen 171

Tabelle 4.7: Rechenregeln für inverse Matrizen

AA −1 = A −1A (= I )
A−1 )−1
(A = A
(AT ) −1 = (A−1 )T
1 −1
A)−1
(kA = A für k = 0
k
1 1
A−1 |
|A = d.h. det (AA−1 ) =
|A
A| det A
A −n = A−1 )n
(A n positiv und ganzzahlig
(A B)−1
A +B = A −1 +B
B−1
(AB) −1 = B−1 A−1 aber : (AB) −1 = A −1B −1
(ABC · · · Z) −1 = Z −1 · · ·C
C−1 B−1 A−1
Wenn A singulär ⇒ A −1 existiert nicht!

werden gleichzeitig auf die rechts stehende Einheitsmatrix I original angewendet. Am Ende der
Transformationsprozedur, wenn nämlich aus A die Einheitsmatrix I hervorgegangen ist, steht
auf der rechten Seite anstelle der ursprünglichen Einheitsmatrix I original die Inverse A −1 von A :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a11 a12 . . . a1n 1 0 ... 0 1 0 . . . 0 a11 a12 . . . a1n
⎢ a21 a22 . . . a2n 0 1 ... 0 ⎥ ⎢ 0 1 . . . 0 a21 a22 . . . a2n ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎢ .. .. .. .. .. .. ⎥ −→ ⎢ .. .. .. .. .. .. ⎥
⎣ . . . . . . ⎦ ⎣ . . . . . . ⎦
an1 an2 . . . ann 0 0 ... 1 0 0 . . . 1 an1 an2 . . . ann
         
A I original A →II A−1
I original →A
(4.37)

Beispiel 4.35:
Gesucht ist die Inverse der angegebenen Matrix. A .
⎡ ⎤
1 2 −1
A=⎣ 3 8 −2 ⎦ A −1 =?
−1 −6 3

Nach dem Vorgehensschema von (4.37) ergibt sich folgende Prozedur:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 1 0 0 a11 a12 a1n
⎣ 3 8 −2 0 1 0 ⎦ Zeilenoperationen ⎣ 0 1 0 a21 a22 a2n ⎦
−−−−−−−−−−−−→
−1 −6 3 0 0 1 0 0 1 an1 an2 ann
         
A I original I A −1
172 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Addition von (−3)×(1. Zeile) zur 2. Zeile sowie der 1. Zeile zur 3. Zeile:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 −3 1 2 −1 1 0 0
⎣3 8 −2 0 1 0⎦ ← −+ −→ ⎣0 2 1 −3 1 0⎦
−1 −6 3 0 0 1 ←−−−−− + 0 −4 2 1 0 1

Addition von 2×(2. Zeile) zur 3. Zeile:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 1 2 −1 1 0 0
⎣0 2 1 −3 1 0⎦ 2 −→ ⎣0 2 1 −3 1 0⎦
0 −4 2 1 0 1 ← −+ 0 0 4 −5 2 1

Addition von −1/4×(3. Zeile) zur 2. Zeile sowie von 1/4×(3. Zeile) zur 1. Zeile:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 −1 1 0 0 ←−−−−−− + 1 2 0 −1/4 1/2 1/4
⎣0 2 1 −3 1 0⎦ ← −+ −→ ⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦
0 0 4 −5 2 1 −1/4 1/4 0 0 4 −5 2 1

Addition von (−1)×(2. Zeile) zur 1. Zeile:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 0 −1/4 1/2 1/4 ←−+ 1 0 0 3/2 0 1/2
⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦ −1 −→ ⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦
0 0 4 −5 2 1 0 0 4 −5 2 1

Division der 2. Zeile durch 2 und der 3. Zeile durch 4 :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 0 3/2 0 1/2 1 0 0 3/2 0 1/2
⎣0 2 0 −7/4 1/2 −1/4⎦ | · 1/2 −→ ⎣ 0 1 0 −7/8 1/4 −1/8 ⎦
0 0 4 −5 2 1 | · 1/4 0 0 1 −5/4 1/2 1/4
    
I A −1

Die inverse Matrix A −1 lautet somit:


⎡ ⎤
3/2 0 1/2
A −1 = ⎣ −7/8 1/4 −1/8 ⎦
−5/4 1/2 1/4

4.9.1 Sonderfälle für die Matrix-Invertierung

In folgenden Sonderfällen kann die Inverse einer Matrix unmittelbar angegeben werden.
Inverse einer 2 × 2 Matrix:
   
a11 a12 1 a22 −a12
A= A−1 = A| = a11 a22 − a12 a21
mit |A (4.38)
a21 a22 |A
A| −a21 a11
4.9 Invertierung von Matrizen 173

Inverse einer Diagonalmatrix:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
d11 0 ... 0 1/d11 0 ... 0
⎢ 0 d22 ... 0 ⎥ ⎢ 0 1/d22 ... 0 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
D=⎢ .. .. .. .. ⎥ D−1 = ⎢ .. .. .. .. ⎥ (4.39)
⎣ . . . . ⎦ ⎣ . . . . ⎦
0 0 . . . dnn 0 0 . . . 1/dnn

Bedingung: dii = 0

Beispiel 4.36:
     
2 −2 1 8 2 1,0 0,25
A= |A
A| = 16 − 8 = 8 A−1 = =
−4 8 8 4 2 0,5 0,25

Beispiel 4.37:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4,6 0 0 0 0,217 0 0 0
⎢ 0 12 0 0 ⎥ ⎢ 0 0,083 0 0 ⎥
D=⎢
⎣ 0
⎥ D−1 = ⎢ ⎥
0 5,8 0 ⎦ ⎣ 0 0 0,172 0 ⎦
0 0 0 24,3 0 0 0 0,041

4.9.2 Bedeutung der Inverse in der Statik


In der Theorie der Computer orientierten Statik (z.B. FEM - Finite Elemente Methode) werden
die mechanischen Grundgleichungen häufig in symbolischer Matrixform aufgestellt. Beispiels-
weise wird das Gleichgewicht eines Tragwerks nach der linearen Statik durch folgendes lineares
Gleichungssystem formuliert:

Kx=f K : Steifigkeitsmatrix, x : Verschiebungsvektor, f : Lastvektor (4.40)

Dieses Gleichungssystem wird symbolisch dadurch gelöst, indem beide Seiten mit K −1 multi-
pliziert werden:
−1 −1
 K x = K f
K I x = K −1 f ⇒ x = K −1 f
I

Anmerkung: Die obige Lösungsmethode für den Verschiebungsvektor x besitzt nur theoretische
Bedeutung. In kommerziellen FEM-Systemen werden andere Lösunsgmethoden verwendet, die
viel effizienter sind. Dennoch ist diese symbolische Schreibweise aus Sicht der höheren Mecha-
nik sehr wertvoll, weil sie erlaubt, mechanische Zusammenhänge in äußerst kompakter Form
darzustellen.
174 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

4.10 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 4.38:
Folgendes Gleichungssystem ist zu lösen.

x + y + z = −2
3x + 3y − z = 6
x − y + 2z = −1

Die ersten beiden Eliminationsschritte für die 2. und 3. Zeile führen auf

x + y + z = −2
0 + 0 − 4z = 12
0 − 2y + z= 1

Das Pivotelement in der 2. Zeile ist Null! Durch Vertauschung der 2. und 3. Zeile kann
das Problem umgangen werden:

x + y + z = −2
0 − 2y + z = 1
0 + 0 − 4z = 12

Die Rückwärtssubstitution liefert die Unbekannten: z = −3, y = −2, x = 3

Beispiel 4.39:
Mit Hilfe der Gauß-Elimination soll gezeigt werden, dass folgende lineare Gleichungs-
systeme nicht bzw. nicht eindeutig lösbar sind.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 6 −4 x1 1
a) A = ⎣ 6 −1 3 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
6 12 −8 x3 3
Die Dreieckszerlegung führt auf
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 6 −4 x1 1
A = ⎣ 0 −13 11 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0 0 0 x3 1

Die letzte Zeile führt zur nicht erfüllbaren Gleichung 0 · x3 = 1 , d.h. das Glei-
chungssystem ist nicht lösbar. Die Determinante A ist aufgrund der Singularität
gleich Null:

|A
A| = 3 · (−13) · 0 = 0
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 −2 x1 1
b) A = ⎣ −1 1 −4 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
2 −2 8 x3 3
4.10 Zusätzliche Beispiele 175

A ist eine singuläre Matrix, weil sie linear abhängige Spalten enthält:

s3 = s1 − 3 s2

Die Determinante A ist aufgrund der Singularität gleich Null:

|A
A| = 4(8 − 8) + 2(−8 + 8) − 2(2 − 2) = 0

Beispiel 4.40:
Folgende Gleichungssysteme sind nach dem Gauß-Verfahren zu lösen. Wenn ein Null-
Pivot auftritt, soll durch Zeilenvertauschung versucht werden, das Problem zu umge-
hen.

a) 2x − 3y + 0 =3
4x − 5y + z =7
2x − y − 3z = 5

Die Lösung ergibt sich mit folgenden Eliminationsschritten:


1. (-2) × 1. Zeile zur 2. Zeile hinzu addieren
2. (-1) × 1. Zeile zur 3. Zeile hinzu addieren
3. (-2) × neue 2. Zeile zur 3. Zeile hinzu addieren
4. Rückwärtssubstitution liefert x = 3, y = 1, z = 0

2x1 − x2 + x3 = 4
b) −x1 + 2x2 + x3 = 10 Lsg: x1 = −1, x2 = 1, x3 = 7
x1 + 2x2 + x3 = 8

c) 3x1 + 2x2 + x3 = 3
2x1 + x2 + x3 = 0
6x1 + 2x2 + 4x3 = 6

Die Dreickszerlegung führt auf das System


3x1 + 2x2 + x3 = 3
0 + −0,333x2 + 0,333x3 = −2
0 + 0 + 0 = 12
Die letzte Gleichung führt zur Aussage, dass 0 = 12 sei, was offensichtlich ein
Widerspruch ist. Das Gleichungssystem ist daher nicht lösbar.

Beispiel 4.41:
Lineares Gleichungssystem – nicht eindeutige Lösung.
    
3 5 x 15
=
9 15 y 45
176 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Die Gauss-Elimination liefert


   
3 5 | 15 −3 3 5 | 15

9 15 | 45 ← −+ 0 0 | 0

Aus der zweiten Zeile folgt jetzt

0·x+0·y = 0

Diese Gleichung ist für beliebige Werte von x und y erfüllt. Man kann deshalb für x
(oder y) einen beliebigen Wert wählen und die andere Unbekannte y (oder x) aus der
1. Gleichung bestimmen. Auf diese Weise ergeben sich unendlich viele Lösungen, d.h.
das Gleichungssystem ist nicht eindeutig lösbar.
Wählt man z.B. x = 1, ergibt sich aus der ersten Zeile:

3 · 1 + 5 y = 15 ⇒ y = 2,4

Für andere gewählte Werte von x erhält man ebenfalls andere y-Werte. Die Determi-
nante von A ist, wie zu erwarten, gleich Null:
 
 3 5 
|A 
A| =   = 45 − 45 = 0 ⇒ A ist linear abhängig: z 2 = 3 z 1
9 15 

Beispiel 4.42:
Determinante nach Laplace-Formel. Die Determinante der Matrix A ist mit Hilfe
von Laplace-Entwicklung sowohl nach der 1. Zeile als auch nach der 1. Spalte zu
berechnen.
⎡ ⎤
1 −2 −3
A=⎣ 2 4 6 ⎦
−5 1 3

Entwicklung nach der 1. Zeile gemäß (4.21) auf Seite 159:


3
|A
A| = ∑ (−1)1+ j a1 j |AA1 j |
j=1

= (−1)1+1 a11 |A A11 | + (−1)1+2 a12 |AA12 | + (−1)1+3 a13 |A


A13 |
= a11 |A
A11 | − a12 |A
A12 | + a13 |A
A13 |
     
4 6 2 6 2 4
A 11 = A 12 = A 13 =
1 3 −5 3 −5 1
|A
A11 | = 12 − 6 = 6 |A
A12 | = 6 − (−30) = 36 |A
A13 | = 2 − (−20) = 22
|A
A| = 1 · 6 − (−2) · 36 + (−3) · 22 = 12
4.10 Zusätzliche Beispiele 177

Entwicklung nach der 1. Spalte gemäß (4.22):


3
A| = ∑ (−1)i+1 ai1 |A
|A Ai1 | = a11 |A
A11 | − a21 |A
A21 | + a31 |A
A31 |
i=1
     
 4 6   −2 −3   −2 −3 
= 1 ·  −2·


 1
 + (−5) · 
1 3 3   4 6 
= (12 − 6) − 2(−6 + 3) − 5(−12 + 12) = 6 + 6 − 0 = 12

Beispiel 4.43:
Determinante. Berechnen Sie die Determinante der angegebenen Matrizen.

⎡ ⎤
6 12 −2 4 2
⎢ 5 −7 5 −5 9 ⎥
⎢ ⎥
⎢ ⎥
a) A = ⎢ 1 13 2 3 −4 ⎥
⎢ ⎥
⎣ 4 5 8 1 3 ⎦
3 6 −1 2 1
´

A| = 0, weil die 1. und 5. Zeile linear abhängig sind: a1i = 2a5i


|A (i = 1,2, . . . ,5)

⎡ ⎤
2 0 −4 6
⎢ 0 5 9 −12 ⎥
b) B = ⎢
⎣ 0

0 2,4 3,8 ⎦
0 0 0 47,25
Die Determinante einer Dreiecksmatrix ist gleich dem Produkt der Diagonalele-
mente:

|B
B| = 2 · 5 · 2,4 · 47,25 = 1134

⎡ ⎤
4 1 2 3
⎢ 3 −5 ⎥
⎢ 1 2 ⎥
⎢ ⎥
c) C = ⎢ −2 1 9 2 ⎥
⎢ ⎥
⎣ 3 −4 1 6 ⎦
−5 1 4 −1
Die Determinante |C C | ist nicht definiert, weil C eine 6 × 5 Matrix ist (Determi-
nanten sind nur für quadratische Matrizen definiert).
178 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.44:
Berechnen Sie mit den gegebenen Matrizen A und v die geforderten Operationen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
A=⎢
⎣ 1
⎥ v=⎢ ⎥
1 1 3 ⎦ ⎣ 0 ⎦
2 −2 −4 1 1

a) A v T b) A T I v c) |A
A|

a) A vT ist nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 1 2 1
⎢ 1 −1 1 −2 ⎥ ⎢ −1 ⎥
b) AT = ⎢
⎣ 2
⎥ I v = v ⇒ AT I v = AT v = ⎢ ⎥
1 1 −4 ⎦ ⎣ −2 ⎦
1 2 3 1 2
c) Nach Transformation der Matrix in die obere Dreiecksform erhalten wir die De-
terminante als Produkt der Hauptdiagonalelemente, weil die Addition eines Viel-
fachen einer Zeile zu einer anderen Zeile die Determinante nicht verändert.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢⎣ 0 0 −4 −1 ⎦
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 3 = 24

0 0 0 3

Beispiel 4.45:
Determinante einer singulären Matrix. Zur Berechnung der Determinante der Matrix
A.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥
A=⎢ ⎣ 1

1 1 3 ⎦
2 −2 −4 −2

wird A mit Hilfe der Gauss-Elimination zunächst in die obere Dreiecksform transfor-
miert. Die Determinante ergibt sich aus dem Produkt der Hauptdiagonalelemente der
Dreiecksmatrix (vgl. Seite 164).
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢
⎣ 0
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 0 = 0
0 −4 −1 ⎦
0 0 0 0
4.10 Zusätzliche Beispiele 179

Beispiel 4.46:
Bestimmung der Determinante mit Hilfe von Gauss-Elimination. In diesem Beispiel
wird die Determinante der Matrix A mittels Transformation in die Dreiecksform be-
rechnet.
⎡ ⎤
4 0 −4 6
⎢ 8 5 1 0 ⎥
A=⎢ ⎣ 0 2

6 −1 ⎦
−4 8 9 2

Die Regel 4 auf Seite 163 besagt, dass die Determinante einer Matrix unverändert
bleibt, wenn eine beliebige Zeile der Matrix mit einem beliebigen Skalar multipliziert
und zu einer anderen Zeile hinzu addiert wird. Wir können von dieser Eigenschaft
Gebrauch machen, indem die Matrix A mittels sukzessiver Zeilenoperationen in eine
obere Dreicksmatrix A o transformiert wird.
Zunächst wird das Element a11 = 4 als Pivotelement verwendet und die restlichen
Elemente der 1. Spalte werden eliminiert. Hierzu wird die 1. Zeile zunächst mit −2
multipliziert und dann zur 2. Zeile hinzu addiert. Für die 3. Zeile ist keine Operation
notwendig, weil dort ja ohnehin bereits 0 steht. Zum schluß wird die 1. Zeile (mit 1
multipliziert und dann) zur 4. Zeile hinzu addiert.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 −2 4 0 −4 6
⎢8 5 1 0⎥ ⎢0 5 9 −12⎥
⎢ ⎥ ← −+
⇒ ⎢ ⎥
⎣ 0 2 6 −1⎦ ⎣0 2 6 −1 ⎦
−4 8 9 2 ←−−−−− + 0 8 5 8

Weitere Zeilenoperationen sind nachfolgend angegeben.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 4 0 −4 6
⎢0 5 9 −12⎥ −2/5 −8/5 ⎢0 5 9 −12 ⎥
⎢ ⎥ ⇒ ⎢ ⎥
⎣0 2 6 −1 ⎦ ← −+ ⎣0 0 12/5 19/5 ⎦
0 8 5 8 ←−−−−−− + 0 0 −47/5 136/5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 −4 6 4 0 −4 6
⎢0 5 9 −12 ⎥ ⎢0 5 9 −12 ⎥
⎢ ⎥ ⇒ Ao = ⎢ ⎥
⎣0 0 12/5 19/5 ⎦ 47/12 ⎣ 0 0 12/5 19/5 ⎦
0 0 −47/5 136/5 ← −+ 0 0 0 2525/60
Die Determinante der zuletzt aufgestellten Dreiecksmatrix A o ist durch das Produkt ih-
rer Hauptdiagonalelemente gegeben (vgl. Regel 6) und liefert somit die Determinante
von A :
12 2525 606000
|A
A| = |A
Ao | = 4 · 5 · · = = 2020
5 60 300
180 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Beispiel 4.47:

Symbolische Matrixalgebra. Es soll die Richtigkeit der Beziehung (AB) −1 = B −1A −1


auf Seite 171 bewiesen werden.

Wir gehen von der Identität (AB) (AB) −1 = I aus und multiplizieren Sie auf beiden
Seiten mit A−1 von links und formen das Ergebnis um:

A −1 (AB) (AB) −1 = A −1 I ⇒ −1 −1
  A B (AB) = A
A −1
  I
I A −1

I B (AB) −1 = A −1
 ⇒ B (AB) −1 = A −1
B

Der letzte Ausdruck wird jetzt mit B −1 von links multipliziert.


−1 −1 −1 −1
  B (AB) = B A
B ⇒ I (AB) −1 = B −1 A −1
  
I (AB) −1

Damit wäre die Beziehung (AB) −1 = B −1A −1 bewiesen.

Beispiel 4.48:

Invertierung einer Matrix. Gesucht ist die Inverse der angegebenen Matrix A .
⎡ ⎤
−1 1 2
A=⎣ 3 −1 1 ⎦
−1 3 4

Mit Hilfe der erweiterten Matrix läuft die Invertierung folgendermaßen ab.
⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0
⎣ 3 −1 1 0 1 0 ⎦
−1 3 4 0 0 1
    
A I
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 3 −1 −1 1 2 1 0 0
⎣ 3 −1 1 0 1 0⎦ ←−+ −→ ⎣ 0 2 7 3 1 0⎦
−1 3 4 0 0 1 ←−−−− + 0 2 2 −1 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 −1 1 2 1 0 0
⎣0 2 7 3 1 0⎦ −1 −→ ⎣ 0 2 7 3 1 0⎦
0 2 2 −1 0 1 ← −+ 0 0 −5 −4 −1 1
Nun werden die Zeilen mit geeigneten Skalaren multipliziert, um die Hauptdiagonal-
elemente der links stehenden Matrix (das ist die ursprüngliche Matrix A ) gleich 1 zu
4.10 Zusätzliche Beispiele 181

machen:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 0 0 | · (−1) 1 −1 −2 −1 0 0
⎣0 2 7 3 1 0⎦ | · (0,5) → ⎣0 1 3,5 1,5 0,5 0 ⎦
0 0 −5 −4 −1 1 | · (−0,2) 0 0 1 0,8 0,2 −0,2

Es folgen noch einige weitere Zeilenoperationen und die ursprüngliche Matrix A ver-
wandelt sich in die Einheitsmatrix:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 −2 −1 0 0 ←−−−−−− + 1 −1 0 0,6 0,4 −0,4
⎣0 1 3,5 1,5 0,5 0 ⎦ ← −+ → ⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0 0 1 0,8 0,2 −0,2 −3,5 2 0 0 1 0,8 0,2 −0,2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 0 0,6 0,4 −0,4 ← −+ 1 0 0 −0,7 0,2 0,3
⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦ → ⎣0 1 0 −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0 0 1 0,8 0,2 −0,2 0 0 1 0,8 0,2 −0,2
Die linke Hälfte der erweiterten Matrix ist jetzt vollständig in die Einheitsmatrix I
transformiert. Die rechte Hälfte entspricht somit der gesuchten Inverse von A :
⎡ ⎤
−0,7 0,2 0,3
A −1 = ⎣ −1,3 −0,2 0,7 ⎦
0,8 0,2 −0,2

Beispiel 4.49:
Invertierung einer Matrix. Gesucht ist die Inverse A −1 folgender Matrix A .
⎡ ⎤
4 2 6
A = ⎣ −2 3 −1 ⎦
2 1 4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 6 1 0 0 0,5 −0,5 4 2 6 1 0 0
⎣−2 3 −1 0 1 0⎦ ← −+ ⇒ ⎣0 4 2 0,5 1 0⎦
2 1 4 0 0 1 ←−−−−− + 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 6 1 0 0 ←−−−−− + 4 2 0 4 0 −6
⎣0 4 2 0,5 1 0⎦ ← −+ ⇒ ⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦
0 0 1 −0,5 0 1 −2 −6 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 0 4 0 −6 ← −+ 4 0 0 3,25 −0,5 −5
⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦ −0,5 ⇒ ⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦
0 0 1 −0,5 0 1 0 0 1 −0,5 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 0 0 3,25 −0,5 −5 | (1/4) 1 0 0 0,8125 −0,125 −1,25
⎣0 4 0 1,5 1 −2⎦ | (1/4) = ⎣ 0 1 0 0,3750 0,250 −0,50 ⎦
0 0 1 −0,5 0 1 0 0 1 −0,5000 0 1
182 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Nach diesen Zeilenoperationen entspricht die linke Hälfte der erweiterten Matrix der
Einheitsmatrix I . Die rechte Hälfte ergibt somit die gesuchte Inverse von A .
⎡ ⎤
0,8125 −0,125 −1,25
A −1 = ⎣ 0,3750 0,250 −0,50 ⎦
−0,5000 0 1

4.11 Technische Beispiele

Beispiel 4.50:
Stabkräfte in einem Fachwerk. Das abgebildete Fachwerk wird durch die Horizontal-
kraft H und die Vertikalkraft V belastet. Die Berechnung der Stabkräfte kann nach
dem Gleichgewichtsprinzip der Statik erfolgen, weil das Fachwerk statisch bestimmt
ist. Zu diesem Zweck werden die Stäbe 1 und 2 unmittelbar am Kraftangriffspunkt
-gedanklich- durchtrennt und an den Schnitten werden die Stabkräfte N1 und N2 ange-
bracht (rechtes Teilbild).

V V
y H H
N1
N2
x
1 2
1 2
a b a b

α = 45◦ β = 70◦ H = 20 kN V = 10 kN

Das Gleichgewicht des Kraftangriffspunktes verlangt, dass die Summe aller Kräfte in
horizontaler und vertikaler Richtung jeweils Null sein muss. Diese Forderung liefert
zwei Gleichungen:

∑ Fx = H −N1 cos α +N2 cos β = 0 ∑ Fy = −V −N1 sin α −N2 sin β = 0


In Matrixschreibweise können diese beiden Gleichungen geschrieben werden als
    
− cos α cos β N1 −H
= (a)
− sin α − sin β N2 V

Die Gauss-Elimination des obigen Gleichungssystems liefert:


⎡ ⎤ sin α ⎡ ⎤
− cos α cos β −H − − cos α cos β −H
⎣ ⎦ ← − + cos α −→ ⎣ ⎦
− sin α − sin β V 0 − sin β − tan α cos β V + H tan α
4.11 Technische Beispiele 183

Aus der zweiten Zeile der reduzierten Matrix erhält man die Stabkraft N2 :
V + H tan α
N2 =
− sin β − tan α cos β

Die erste Zeile liefert dann die Stabkraft N1 :


−H − N2 cos β
N1 =
− cos α
Mit den angegebenen Zahlenwerten ergeben sich die Stabkräfte zu:

10 + 20 tan 45◦
N2 = = −23,406 kN (Druckkraft)
− sin 70◦ − tan 45◦ cos 70◦
−20 − (−23,406) cos 70◦
N1 = = 16,963 kN (Zugkraft)
− cos 45◦
Anm.: Die Gauss-Elimination würde natürlich wesentlich schneller erfolgen, wenn wir
die Zahlenwerte schon frühzeitig in die Beziehung (a) eingesetzt hätten.

Beispiel 4.51:
Instabiler Balken. Ein waagerechter Biegebalken, der in der xy-Ebene liegt, ist an sei-
nem linken Ende an einem Festlager gelenkig gelagert; sein rechtes Ende ist völlig frei.
Ein derart gelagerter Balken wird in der Statik kinematisch instabil bezeichnet, er kann
keinerlei Lasten aufnehmen und würde nach unten kippen. Einfachheit halber soll der
Balken die Länge L = 1, die Biegesteifigkeit EI = 1 und die Last F = 10 besitzen. Die
Steifigkeitsmatrix K des Balkens und der Lastvektor F sind nachstehend angegeben.
Der Vektor U der Knotenverschiebungen enthält die Verschiebung und die Verdrehun-
gen der Knotenpunkte 1 und 2. Wir versuchen, das Gleichungssystem K U = F zu
lösen.
y
labiler Balken F
1 2

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −6 2 0
K = ⎣ −6 12 −6 ⎦ P=⎣ 0 ⎦
2 −6 4 −10
⎡ ⎤
θ1 ← Verdrehung des Knotens 1
U = ⎣ u2 ⎦ ← Verschiebung des Knotens 2
θ2 ← Verdrehung des Knotens 2
Die Gauss-Elimination liefert:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −6 2 1.5 −0.5 4 −6 2 4 −6 2
⎣−6 12 −6⎦ ← −+ −→ ⎣0 3 −3⎦ −→ ⎣0 3 −3⎦
2 −6 4 ←−−−−− + 0 −3 3 ←
−+ 0 0 0
184 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

Die letzte Zeile der reduzierten Steifigkeitsmatrix ist eine Nullzeile, d.h. die Matrix K
singulär, das Gleichungssystem K U = F ist nicht lösbar. Eine derartige Steifigkeits-
matrix K nennt man auch positiv semidefinit, ihre Determinante ist gleich Null, vgl.
Abschnitt 13.7.1 auf Seite 641. Die Verschiebung u2 und die Verdrehungen θ1 , θ2 stel-
len sich als unendlich große Werte heraus, d.h. der Balken wird zu einer kinematischen
Kette und damit instabil:

0 · θ2 = −10 ⇒ θ2 = −10/0 = −∞

3 · u2 + (−3) · (−∞) = −10 ⇒ u2 = −∞/3 = −∞


4 · θ1 − 6 · (−∞) + 2 · (−∞) = 0 ⇒ u2 = −4 ∞/4 = −∞
Das Verschiebungsmuster des Balkens ist im Bild gestrichelt dargestellt; ein solches
Muster wird auch als Starrkörperverschiebung bezeichnet.
Die Singularität von K kann man auch über ihre Determinante zeigen. Aus (4.24a)
erhalten wir:

|K
K | = 4 (48 − 36) − (−6) (−24 + 12) + 2 (36 − 24) = 48 − 72 + 24 = 0 ⇒ K singulär.

Die Erkenntnis aus diesem Beispiel lässt sich in der Tragwerksstatik verallgemeinern:

Die Steifigkeitsmatrix K eines Tragwerks, das instabil ist bzw. eine Starrkörper-
bewegung erfahren kann, ist singulär; ihre Determinante ist gleich Null, |K
K | = 0.

Beispiel 4.52:
Zwei dimensionaler Spannungszustand. Im 2-dimensionalen ebenen Spannungszustand
der Elastizitätstheorie existieren zwischen den Dehnungen εx , εy , γxy und den Span-
nungen σx , σy , τxy folgende Zusammenhänge, mit deren Hilfe man bei bekannten
Spannungen die unbekannten Dehnungen berechnen kann:

1 1 τxy 2(1 + μ)
εx = (σx − μ σy ) εy = (σy − μ σx ) γxy = = τxy
E E G E
E : Elastizitätsmodul, G : Schubmodul μ : Querkontraktionszahl
Die obigen Beziehungen sollen so umgeformt werden, dass man aus -bekannten- Deh-
nungen die -unbekannten- Spannungen berechnen kann.
Die obigen Elastizitätsgleichungen werden zunächst in Matrixform gebracht:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤
εx 1 −μ 0 σx
⎣ εy ⎦ = 1 ⎣ −μ ⎦ ⎣ σy ⎦
1 0 ε =F σ
E
γxy 0 0 2(1 + μ) τxy
        
ε F σ
4.12 Aufgaben 185

Das obige Gleichungssystem wird von links mit F −1 multipliziert:

F −1 ε = F −1 F σ ⇒ σ = F −1 ε = E ε mit E = F −1

Nach Invertierung von F erhalten wir die gesuchte Lösung:


⎡ ⎤
⎡ ⎤ 1 μ 0 ⎡ ⎤
σx ⎢ μ 1 ⎥ εx
⎣ σy ⎦ = E ⎢ 0 ⎥ ⎣ εy ⎦ σ =E ε
1 − μ2 ⎣ 1 − μ2 ⎦
τxy 0 0 γxy
   2(1 + μ)   
σ    ε
E

4.12 Aufgaben
1. Führen Sie für die beiden nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen
durch.
⎡ ⎤
  1
a T = −1 1 2 b = ⎣ −1 ⎦
1

d) ab
a) aT +bb
e) ba
b) a +bb
f) b Ta
c) a Tb
g) b T aT
Lsg:
a) aT +bb = n.d. (1 × 3) + (3 × 1)
⎡ ⎤ d) ab = n.d. (3 × 1)(3 × 1)
0
e) ba = n.d. (3 × 1)(3 × 1)
b) a +bb = ⎣ 0 ⎦
f) b Ta = 0
3 g) bT aT = n.d. (1 × 3)(1 × 3)
c) a Tb = 0
2. Gegeben sind folgende Matrizen mit den angegebenen Dimensionen, wobei m = n = p.

A : (m × n) B : (m × p) C : (p × m)

Bestimmen Sie die Dimension folgender Matrixmultiplikationen. Zeichnen Sie zusätzlich


zu jeder Aufgabe das zugehörige Falk-Schema (Sie können für diesen Zweck Zahlenwerte
für m, n, p verwenden, z.B. m = 4, n = 6, p = 3).
a) AB nicht definiert b) A TB (n × p) c) B TA (p × n)
d) AB T nicht definiert e) A TB T nicht definiert f) AC nicht definiert
g) ATC nicht definiert h) ATC T (n × p) i) CA (p × n)
j) BC (m × m) k) CB (p × p) l) B TC T (p × p)
m) C TB T (m × m)
186 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

3. Führen Sie für die nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen durch.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2   −1
−1 1 2  
A=⎣ 3 −1 1 ⎦ B= a= −1 1 2 b=⎣ 3 ⎦
3 −1 1
−1 3 4 −1

A +B
B =? A +aa =? A +bb =? a +bb =? aT +bb =?
AB =? Aa =? Ab =? Ba =? Bb =?
BA =? aA =? aB =? ab =? BaT =?
bA =? bB =? ba =? aTb =? bTaT =?

A +BB = nicht definiert A +aa = nicht definiert A +bb = nicht definiert


⎡ ⎤
−2
a +bb = nicht definiert aT +bb = ⎣ 4 ⎦ AB = nicht definiert
1
⎡ ⎤
2
Aa = nicht definiert Ab = ⎣ −7 ⎦ Ba = nicht definiert
   6 
2 2 4 7  
Bb = BA = aA = 2 4 7
−7 −7 7 9  
6
aB = nicht definiert ab = [2] BaT =
−2
⎡ ⎤
1 −1 −2
bA = nicht definiert bB = nicht definiert ba = ⎣ −3 3 6 ⎦
1 −1 −2
aT b = nicht definiert bT aT = [2] = 2

4. Führen Sie für die nachfolgenden Matrizen die angegebenen Matrixoperationen durch.
 
 x 
a) 2 1 1
y
Nicht definiert, weil inkompatible Dimension: (1 × 3)(2 × 1)
 
x  
b) 1 3
y
 
x 3x
(2 × 1)(1 × 2) = (2 × 2)
y 3y
⎤ ⎡
 x 
c) 2 1 ⎣ y ⎦
z
Nicht definiert, weil inkompatible Dimension: (1 × 2)(3 × 1)
4.12 Aufgaben 187

5. Mit folgenden Matrizen sind die angegebenen Operationen durchzuführen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 3 8 1  
1
A=⎣ 3 5 ⎦ B=⎣ 2 3 ⎦ v=
−1
8 1 3 5

⎡ ⎤
2 3
A − 2A
a) 3A A Lsg: ⎣ 3 5 ⎦
8 1
b) AB Lsg: nicht definiert
 
46 51
c) A TB Lsg:
37 23
⎡ ⎤
−1
d) Av Lsg: ⎣ −2 ⎦
7
e) A 2 Lsg: A 2 = AA nicht definiert (Dimensionsunverträglichkeit).

6. Zeigen Sie, dass die n × n Einheitsmatrix I aus Spalteneinheitsvektoren (oder Zeilenein-


heitsvektoren) e i wie folgt zusammengesetzt werden kann.
⎡ ⎤
e1
  ⎢ e2 ⎥
⎢ ⎥
I= e1 e2 . . . en oder I = ⎢ .. ⎥
⎣ . ⎦
en

7. Verifizieren Sie die Regeln (4.1) auf Seite 138 für folgende Matrizen.
   
5 −8 1 2
A= B=
4 1 3 4

     
5 + 1 −8 + 2 6 −6 6 7
A+B = = (A + B) = T
4+3 1+4 7 5 −6 5

     
5 4 1 3 6 7
AT = BT = A T +B
BT =
−8 1 2 4 −6 5

      
5 −8 1 2 −19 −22 −19 7
AB = = (AB) T =
4 1 3 4 7 12 −22 12
188 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

    
1 3 5 4 −19 7
B TA T = =
2 4 −8 1 −22 12

8. Berechnen Sie die Determinanten folgender Matrizen.


⎡ ⎤
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 2 0 −4 6
−3 0 0 −1 1 2 ⎢ 4 5 1 0 ⎥
A=⎣ 6 4 0 ⎦ B = ⎣ 3 −1 1 ⎦ C=⎢
⎣ 0

2 6 −1 ⎦
−1 2 5 −1 3 4
−3 8 9 1
|A
A| = −3 · 4 · 5 = −60 |B
B| = 10 |C
C | = 1134

9. Gegeben sind die Matrizen A und v .


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 1 1
⎢ 3 −1 1 2 ⎥ ⎢ 0 ⎥
A=⎢
⎣ 1
⎥ v=⎢ ⎥
1 1 3 ⎦ ⎣ 0 ⎦
2 −2 −4 1 1

a) A v T =?
Lsg: A v T nicht definiert, weil inkompatible Dimensionen.
b) A T I v =?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 1 2 1
⎢ 1 −1 1 −2 ⎥ ⎢ −1 ⎥
AT = ⎢
⎣ 2
⎥ Iv =v ⇒ AT I v = AT v = ⎢ ⎥
1 1 −4 ⎦ ⎣ −2 ⎦
1 2 3 1 2

c) |A
A| =?
Nach Transformation der Matrix in die obere Dreiecksform erhalten wir die Deter-
minante als Produkt der Hauptdiagonalelemente, weil die Addition eines Vielfachen
einer Zeile zu einer anderen Zeile die Determinante nicht verändert.
⎡ ⎤
−1 1 2 1
⎢ 0 2 7 5 ⎥
Ad = ⎢⎣ 0 0 −4 −1 ⎦
⎥ |A
A| = |A
Ad | = (−1) · 2 · (−4) · 3 = 24

0 0 0 3

10. Gegeben sind die Matrizen A , B und der Vektor v . Berechnen Sie
a) die Determinante der Matrix A .
b) A v
4.12 Aufgaben 189

c) A v T
B I B −1B −1B )−1
d) (B
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 1 2 2 2 −1 3 2 1
⎢ 3 −1 1 −6 ⎥ ⎢ 3 4 2 −1 ⎥ ⎢ 1 ⎥
A=⎢⎣ 1
⎥ B=⎢ ⎥ v=⎢ ⎥
2 1 −2 ⎦ ⎣ −1 −2 8 3 ⎦ ⎣ 1 ⎦
1 5 −3 −2 1 5 −3 2 1
a) det A = |A
A| = 0, weil s 4 = −2ss1
⎡ ⎤
4
⎢ −3 ⎥
b) A v = ⎢
⎣ 2 ⎦

1
c) A vT nicht definiert
d) BI B −1B −1B )−1
(B =I

11. Berechnen Sie die Determinante der angegebenen Matrizen.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 1 −4 0 1 3 1 −4 0 1
⎢ 0,5 0 ⎥ ⎢ 4 −2 ⎥
⎢ 0 0 0 ⎥ ⎢ 1 0 3 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
a) A = ⎢ −1 4 5 1 2 ⎥ b) B = ⎢ −1 0 0 2 1 ⎥
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎣ 0 1 3 2 6 ⎦ ⎣ 0 0 0 2 1 ⎦
4 0 0 0 0 4 0 0 0 0

a) |A
A| = 0, weil die 2. und 5. Zeile linear abhängig sind.
b) Die Laplace-Entwicklung der Determinante nach der 5. Zeile liefert sofort |B
B| = 0.

12. Berechnen Sie die Determinante der Matrix A , indem A in die obere Dreiecksmatrix A o
transformiert wird.
⎡ ⎤
⎡ ⎤ 1 −1 1 1
1 −1 1 1 ⎢ 0 5 2 1 ⎥
⎢ 2 3 4 3 ⎥ Ao = ⎢ ⎣


A=⎢ ⎥ 0 0 −0,2 −0,6
⎣ 1 2 2 1 ⎦ 0 0 0 4
2 −1 1 2
⇒ |A A| = |AA | = 1 · 5 · (−0,2) · 4 = −4
o

13. Überprüfen Sie mit den angegebenen Matrizen die nachfolgenden Determinantenregeln.
?
a) |A
AB| = | A| · | B|
?
b) |A
AB | = |B
B A|
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 −1 −1 −1
A = ⎣ −1 1 1 ⎦ B = ⎣ −1 1 −1 ⎦
1 −1 1 −1 −1 1
190 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤
−7 −3 −5
a) AB = ⎣ −1 1 1 ⎦ |A
AB | = −48 |A
A| = 12 |B
B| = −4
−1 −3 1
⎡ ⎤
−4 −2 −3
b) BA = ⎣ −6 0 −1 ⎦ |B
BA | = −48
−2 −4 −1

14. Berechnen Sie die Determinante des Matrixprodukts AB .


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 3 2 2 2
a) A = ⎣ −1 2 −4 ⎦ B = ⎣ 1 −4 3 ⎦
3 4 2 6 3 4
Wir berechnen die Determinante unter Beachtung der Regel |A
AB | = |A
A| |B
B|.

|A
A| = 2(4 + 16) + 1(−12 + 2) + 3(−4 − 6) = 40 − 10 − 30 = 0

Weil |A
A| = 0, erübrigt es sich |B
B| zu berechnen und wir haben: |A
AB | = 0 · |B
B| = 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0 1 0 −4 6
⎢ −1 1 0 0 ⎥ ⎢ 0 4 9 −12 ⎥
b) A = ⎢
⎣ 3
⎥ B=⎢
⎦ ⎣
⎥ Lsg: |A
AB | = 48
2 3 0 0 0 2 2 ⎦
−2 −1 0 −1 0 0 0 −1

15. Überprüfen Sie die Regeln 11 und 12 auf Seite 166 für folgende Werte.
⎡ ⎤
4 2 1
A = ⎣ −1 1 1 ⎦ k=2
1 −1 1

16. Sind folgende Matrizen linear abhängig oder unabhängig?


⎡ ⎤
2 3 8
a) A = ⎣ 3 5 −1 ⎦ Lsg: Linear unabhängig, weil |AA| = 0
5 8 6
⎡ ⎤
2 3 8
b) B = ⎣ 3 5 −1 ⎦ Lsg: Linear abhängig, weil |B
B| = 0
5 8 7
⎡ ⎤
5 3 11
c) C = ⎣ 2 5 12 ⎦ Lsg: Linear unabhängig, weil |C
C | = 0
7 8 20
⎡ ⎤
5 3 11
d) D = ⎣ 2 5 12 ⎦ Lsg: Linear abhängig, weil |D
D| = 0
7 8 23
4.12 Aufgaben 191

17. Berechnen Sie den Ausdruck |A


A| · tr A für folgende Matrizen.
⎡ ⎤
1 2 3 4
⎢ 2 −4 2 3 ⎥
a) A = ⎢⎣ 3
⎥ Lsg: |AA| = 1096, tr A = 0 ⇒ |A
A| · tr A = 0.
2 −1 −5 ⎦
4 2 −5 4
Anm.: Die -rechenintensive- Berechnung von |A A| = 1096 hätten wir uns sparen kön-
nen, wenn wir vorher tr A ermittelt hätten! Man sollte deshalb bei Aufgabenstellungen
zunächst die einfacher zu berechnenden Teilausdrücke auswerten, um zu sehen, ob dar-
aus vielleicht nützliche Schlußfolgerungen für die restlichen Lösungsschritte gezogen
werden könnten.
⎡ ⎤
1 2 3 4
⎢ 2 −4 2 3 ⎥
b) A = ⎢⎣ 3
⎥ Lsg: |AA| · tr A = 0, weil |A
A| = 0, tr A = −4
2 −1 −5 ⎦
0 0 0 0

18. Bestimmen Sie den Rang folgender Matrizen.


⎡ ⎤
2 0 1
a) A = ⎣ −1 1 −2 ⎦ Lsg: rg A = 3, weil |AA| = 0
1 −2 3
⎡ ⎤
2 0 1
b) B = ⎣ 1 3 −4 ⎦ Lsg: rg B = 2, weil z 2 = 2 z 1 + 3 z 3 (|B
B| = 0)
−1 1 −2
⎡ ⎤
2 1 −1
c) C = ⎣ −1 4 2 ⎦ Lsg: rgCC = 2, weil s 2 = 2 s 1 + 3 s 3 (|C
C | = 0)
0 3 1

19. Für welche Werte von a ist das nachfolgende Gleichungssystem nicht oder nicht eindeutig
lösbar? Lösen Sie Gleichungssystem für a = 1.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a −3 −1 x1 1 0,2
⎣ −6 3a 0 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −3 ⎦ Lsg: a = ±4 x = ⎣ −0,6 ⎦
0 −5 1 x3 4 1,0

20. A sei eine n × n Matrix, wobei eine Zeile, sagen wir die i-te Zeile, eine Nullzeile ist (alle
Elemente in dieser Zeile sind Null). Zeigen Sie mit Hilfe der Definition (4.20a) auf Seite
157, dass A eine linear abhängige Matrix ist.

21. Lösen Sie folgende lineare Gleichungssysteme mit Hilfe der Gauß-Elimination.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 x1 1
a) ⎣ −1 1 1 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
1 −1 1 x3 1
192 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 1 x1 1 0,75
Lsg: ⎣ 0 1,5 1,25 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −1,75 ⎦ ⇒ x = ⎣ −0,75 ⎦
0 0 2 x3 −1 −0,50
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
9,1 3,4 0,8 x1 38
b) ⎣ 4,8 2,5 −1,3 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 20 ⎦
2,2 1,3 1,1 x3 50
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
9,1 3,4 0,8 x1 38 −15,49
Lsg: ⎣ 0 0,71 −1,72 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ −0,04 ⎦ ⇒ x = ⎣ 47,99 ⎦
0 0 2,07 x3 40,84 19,72
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 −1 1 x1 1
⎢ −1 2 −1 1 ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ −2 ⎥
c) ⎢
⎣ −1 −1
⎥⎢ ⎥=⎢ ⎥
1 1 ⎦ ⎣ x3 ⎦ ⎣ 1 ⎦
1 −1 −1 2 x4 2
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎤⎡ ⎡ ⎤
1 −1 −1 1 x1 1 1,5
⎢ 0 1 −2 2 ⎥ ⎢ x2 ⎥ ⎢ −1 ⎥ ⎢ 0 ⎥
Lsg: ⎢
⎣ 0
⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥
⎦ ⎣ x3 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ ⇒ x=⎢ ⎥
⎣ 1,5 ⎦
0 −4 6
0 0 0 1 x4 1 1

22. Lösen Sie das folgende lineare Gleichungssystem mit Hilfe der Cramer-Regel.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 2 1 x1 1 −0,10
⎣ 1 4 −2 ⎦ ⎣ x2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦ Lsg: x = ⎣ 0,71 ⎦
−1 1 6 x3 3 0,37

23. Können Sie die Gleichung (4.35) auf Seite 167 aus der Cramer-Regel herleiten?

24. Berechnen Sie die Transponierte und Inverse der Matrix A .


⎡ ⎤
−1 1 2
A=⎣ 3 −1 1 ⎦
−1 3 4
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 3 −1 −0.70 0.20 0.30
Lsg: AT = ⎣ 1 −1 3 ⎦ A−1 = ⎣ −1.30 −0.20 0.70 ⎦
2 1 4 0.80 0.20 −0.20

25. Gegeben sind die Matrizen


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 0 0,258 0,033 0,008
A = ⎣ −1 8 −1 ⎦ B = ⎣ 0,033 0,133 0,033 ⎦
0 −1 4 0,008 0,033 0,258
4.12 Aufgaben 193

a) Zeigen Sie, dass B die Inverse von A ist.


b) Welches Resultat liefert die Matrixmultiplikation B A ?

26. Invertieren Sie folgende Matrizen mit Hilfe der Gauß-Elimination.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3 0,667 0,333 −0,500
a) A = ⎣ 4 5 6 ⎦ Lsg: A−1 = ⎣ −3,333 0,333 1,000 ⎦
2 6 8 2,333 −0,333 −0,500
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 −1 0,676 −0,206 0,147
b) B = ⎣ 1 4 1 ⎦ Lsg: B−1 = ⎣ −0,206 0,324 −0,088 ⎦
−1 1 6 0,147 −0,088 0,206

27. Überprüfen Sie die Regeln der Tabelle 4.7 auf Seite 171 mit folgenden Werten.
   
2 −2 2 −2
A= B= k=3
−4 8 −1 4
⎡ 1 ⎤ ⎡ 2 1 ⎤
1
⎢ 4 ⎥ ⎢ 3 3 ⎥
A −1 = ⎣ ⎦ B −1 = ⎣ ⎦
1 1 1 1
2 4 6 3
|A
A| = 8 A|−1 = 1/8
|A A−1 | = 1/8
|A
⎡ 1 1 ⎤ ⎡ 1 1 ⎤
 
6 −6 ⎢ 3 12 ⎥ 1 −1 ⎢ 3 12 ⎥
A=
kA A)−1 = ⎣
(kA ⎦ A =⎣ ⎦
−12 24 1 1 k 1 1
6 12 6 12
⎡ ⎤
  5 1
6 −12 ⎢ 6 4 ⎥
AB = (AB) −1 = ⎢
⎣ 1


−16 40 1
3 8
28. Berechnen Sie die Inverse von AB mit den nachfolgend angegebenen Matrizen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,5 0 0 2 0 0
A = ⎣ 0,5 3 −1 ⎦ B = ⎣ −2 3 1 ⎦
−0,5 −2 1 −2 2 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0,5 0 0
A −1 = ⎣ 0 1 1 ⎦ B −1 = ⎣ 0 1 −1 ⎦
1 2 3 1 −2 3
⎡ ⎤
1 0 0
AB )−1 = B −1A −1
Lsg: (A AB )−1 = ⎣ −1 −1 −2 ⎦
⇒ (A
5 4 7
194 4 Matrizen und lineare Gleichungssysteme

29. Welchen Wert muss das Matrixelement a haben, damit B = A −1 wird.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 1 2 −2 −1
A=⎣ 1 1 −1 ⎦ B = ⎣ −5 7 3 ⎦ Lsg: a=1
a −2 4 −3 4 2

30. Berechnen Sie die Inverse der angegebenenen Matrizen. Kontrollieren Sie Ihr Ergebnis.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 1 0 0 1 0
a) A = ⎣ 1 0 0 ⎦ Lsg: A −1 = ⎣ 1 0 0 ⎦
0 0 1 0 0 1
Anmerkung: Es ist rein zufällig, dass A und A −1 identisch sind.
⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 1 0 0 1 0 1 0 0
?
Kontrolle: AA −1 = I ⎣ 1 0 0 ⎦⎣ 1 0 0 ⎦ = ⎣ 0 1 0 ⎦ 
0 0 1 0 0 1 0 0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 0 0 0,5 0 0 0
⎢ 4 1 0 0 ⎥ ⎢ −2 1 0 0 ⎥
b) B = ⎢
⎣ −2 0

⎦ Lsg: B −1 = ⎢



2 0 0,5 0 0,5 0
0 0 −2 1 1 0 1 1
Tipp: Matrix B liegt in der unteren Dreiecksform vor. Die Lösung des Gleichungssys-
tems BX = I nach X liefert unmittelbar die gesuchte Inverse: X = B −1 .

31. Berechnen Sie die Inverse A −1 und vereinfachen Sie das Ergebnis soweit wie möglich.
⎡ ⎤
1 a 0 ⎡ ⎤
⎢ a 1 ⎥ 1 −a 0
0 1
A=⎢ ⎣
⎥ Lsg: A−1 = ⎣ −a 1 0 ⎦
1 − a2 ⎦ 1 − a2
0 0 0 0 2(1 + a)
2(1 + a)

32. Überprüfen Sie, ob die in Biespiel 4.35 auf Seite 171 ermittelte inverse Matrix A −1 die Be-
ziehung AA −1 = I erfüllt, indem Sie die Matrixmultiplikation AA −1 zahlenmäßig durch-
führen.
4.12 Aufgaben 195

33. Zeigen Sie, dass die angegebenen Matrizen orthogonal sind.


⎡ ⎤
1 0 0
⎡ √ ⎤
a) A = ⎣ 0 cos x − sin x ⎦ −1 3
0 sin x cos x ⎢ 2 2 ⎥
⎡ ⎤ c) C = ⎢⎣ √


cos x sin x 0 3 1
b) B = ⎣ − sin x cos x 0 ⎦ 2 2
0 0 1
34. Ermittteln das Ergebnis folgender Matrix-Ausdrücke.
a) AA −1A −1 (A
A−1 )−1 =? Lsg: I
b) B B I B −1B −1B )−1
(B =? Lsg: B −1
35. A , B , C sind quadratische Matrizen von gleicher Dimension. A ist zusätzlich orthogonal.
Bestimmen Sie das Ergebnis angegebener Matrixoperationen.
a) C TCATAC −1BT (B
B−1 )T Lsg: C T
b) A −1C −1B −1BCAAA T Lsg: I

36. Lösen Sie folgende Gleichungen zunächst in symbolischer Schreibweise nach A auf. Be-
rechnen Sie anschließend die Matrix A mit den angegebenen Zahlenmatrizen; und über-
prüfen Sie dann die Richtigkeit Ihrer Berechnung, indem Sie die Zahlenmatrizen in die
jeweilige Gleichung einsetzen (das Ergebnis muss immer die Nullmatrix 0 sein).
a) A +A
AB −C
CB −C
C =0 Lsg: A = C
     
2 1 1 3 1 3
B= C= ⇒ A =C =
−1 5 −2 4 −2 4
Einsetzen von A , B , C in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
b) (A
A +A
AB )T −II −B
BT = 0 Lsg: A = I
   
2 1 1 0
B= ⇒ A =I =
−1 5 0 1
Einsetzen von A , B in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
A−1 )T B −C
c) (A CT = 0 Lsg: A = C −1B T
⎡ 3 −7 ⎤
   
2 1 ⎢ 5 10 ⎥ 1 3
B= C=⎣ ⎦ ⇒ A=
−1 5 7 1 −2 4
5 5
Einsetzen von A , B , C in die obige Gleichung liefert die Nullmatrix 0 . 
5 Vektorrechnung

Eine Größe, die durch eine reelle Zahl ausgedrückt werden kann, heisst Skalar. Zahlreiche phy-
sikalische Größen sind nur durch ihren skalaren Wert definiert, d.h. sie besitzen keine Richtung.
Beispielsweise sind Zeit, Masse, Länge, Flächeninhalt, Temperatur, Energie alle eindeutig be-
schrieben, sofern ihr Zahlenwert bekannt ist, eine Richtungsinformation ist nicht erforderlich.
Ein Vektor hingegen besteht aus einer skalaren Größe und einer Richtungsinformation; oder
anders ausgedrückt, ein Vektor ist ein gerades Liniensegment mit festgelegter Länge und Rich-
tung. Ein Vektor ist erst durch Angabe ihrer Länge und ihrer Richtung bzw. durch ihren Anfangs-
punkt und Endpunkt vollständig definiert.
−→
In Bild 5.1 ist der Vektor a vom Punkt P zum Punkt Q definiert als a = PQ (der Pfeil gibt
die positive Richtung des Vektors an, nämlich vom Startpunkt P zum Endpunkt Q ).

rQ


l a −→
 a = PQ

rP

Bild 5.1: Vektor a als Liniensegment mit Richtung

Zur Kennzeichnung eines Vektors wird üblicherweise eines folgender mathematischer Sym-
bole verwendet:
- Fettbuchstabe, z.B. a , v , x , V , F
→ → →
- Buchstabe mit Pfeil, z.B. a , v , x
- Buchstabe mit unterer Tilde, z.B. ∼a , ∼v , ∼x
Die Länge eines Vektors a entspricht der Länge l des zugehörigen Liniensegments und wird
durch das Symbol |aa| ausgedrückt (statt Länge spricht man oft auch vom Betrag eines Vektors):
−→
|aa| = |PQ| = l

Vektoren, und mit denen verbunden die Vektoranalysis, haben durch die Entwicklung und enor-
me Verbreitung von numerischen Methoden (Computerprogramme) in allen Disziplinen des Inge-
nieurwesens, vom Maschinenbau über Bauwesen bis hin zur Elektrotechnik und Medizintechnik,
enorm an Bedeutung gewonnen.
Wir werden nur Vektoren im zwei- bzw. dreidimensionalen Raum (2D-Raum bzw. 3D-Raum)
betrachten (es gibt auch Vektoren im n-dimensionalen Raum, diese kann man sich allerdings
nicht räumlich vorstellen).

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_5,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
198 5 Vektorrechnung

Die Rolle von Vektoren in der Mechanik


Die klassische Newtonsche Mechanik ist eine vektorielle Mechanik, d.h. einwirkende Kräfte auf
einen Körper und dessen Bewegungsgrößen (Verschiebung, Geschwindigkeit, Beschleunigung)
sind allesamt Vektoren. Man spricht deshalb vom Kraftvektor, Verschiebungsvektor, Geschwin-
digkeitsvektor usw. Der Vektorrechnung kommt daher in der Mechanik eine bedeutende Rolle
zu. Eines der drei Newtonschen Gesetze postuliert, dass zwischen dem einwirkenden Kraftvek-
tor F und und dem resultierenden Beschleunigungsvektor a eines Körpers folgende Beziehung
besteht:
F
a= bzw. F = m a m : Masse des Körpers (Skalar)
m
Anmerkung: Diese Newtonsche Beziehung kann mit mathematischen Methoden oder mit Lo-
gik alleine nicht hergeleitet werden. Wir können also nicht wissenschaftlich lückenlos »erklä-
ren« warum die Newtonschen Gesetze gültig sind. Langzeiterfahrung und sorgfältig durchge-
führte Versuche bestätigen aber ihre Gültigkeit: Mit Hilfe dieser »Gesetze« können wir (makro-
)mechanische Vorgänge qualitativ und quantitativ widerspruchsfrei und im Einklang mit Messun-
gen beschreiben.

5.1 Definitionen für Vektoren


Nullvektor 0 . Jeder Vektor mit der Länge 0 ist ein Nullvektor. Die Richtung eines Nullvektors
kann willkürlich gewählt werden.

Gleichheit von Vektoren. Wenn zwei Vektoren a und b beide die gleiche Länge und Richtung
haben (bei gebundenen Vektoren müssen zusätzlich die Anfangs- bzw. Endpunkte beider
Vektoren identisch sein), dann sind sie gleich. Die Gleichheit wird formal durch die Bezie-
hung a = b ausgedrückt.

Einheitsvektor e . Ein Vektor mit der Länge 1 ist ein Einheitsvektor (natürlich handelt es sich
bei zwei Einheitsvektoren e 1 und e 2 mit gleicher Länge aber unterschiedlicher Richtung
um zwei verschiedene Vektoren).

Freier Vektor. Ein freier Vektor darf in jede gewünschte Richtung beliebig parallel verschoben
werden, s. Bild 5.2. Die Parallelverschiebung wird auch Translation genannt. Während der
Translation darf der Vektor sich natürlich nicht in irgendeiner Art drehen. Ein Beispiel für
einen freien Vektor ist der momentane Richtungsvektor eines sich im Raum bewegenden
Körpers, weil ein solcher Vektor nur die Bewegungsrichtung beschreibt, ansonsten aber
keine weitere physikalische Bedeutung (z.B. Kraftvektor) besitzt.

Gebundener Vektor. Ein gebundener Vektor ist im Raum vollkommen fixiert und darf über-
haupt nicht verschoben werden. Bilder 5.3 und 5.4 zeigen Beispiele für gebundene Vekto-
ren.
Anmerkung: Die Frage, ob ein Vektor als freier oder als gebundener Vektor angesehen
werden soll, ist eigentlich keine mathematische Frage im engeren Sinne, sondern hängt von
der physikalischen Aufgabenstellung ab. Nachfolgende Beispiele sollen das beleuchten.
5.1 Definitionen für Vektoren 199

Gleitender Vektor. Ein gleitender Vektor (Bild 5.5) ist eine Art freier Vektor, der entlang seiner
Wirkungslinie verschoben werden darf, aber ohne Seitwärtsbewegung. In der Mechanik star-
rer Körper dürfen Kraftvektoren entlang ihrer Wirkungslinie beliebig verschoben werden.
Auch die sog. Stabstatik im Bauingenieurwesen macht von gleitenden Vektoren intensiven
Gebrauch, weil das Gleichgewicht des sog. statisch bestimmten Systems sich nicht ändert,
wenn ein Kraftvektor entlang seiner Wirkungslinie verschoben wird.

a
y
a
a
a

x
freier Vektor

Bild 5.2: Freier Vektor

Beispiel 5.1:
Gebundener Vektor. Der in Bild 5.3 abgebildete Ortsvektor r P des Punktes P legt die
Position von P in Bezug auf den Ursprung des Koordinatensystems fest. Genauso wird
mit r Q die Position von Q eindeutig beschrieben.

y6

rP *
 rQ
r Q
rP 
 
 


 -
x
z

Bild 5.3: Ortsvektoren für Punkte P und Q

Beispiel 5.2:
Gebundener Vektor. In Bild 5.4 ist ein waagerecht liegender Balken abgebildet, auf
den zwei Kraftvektoren einwirken: F von oben, G von unten. Für die Detailkonstrukti-
F ) oder
on des Balkens ist es von erheblicher Bedeutung, ob die Belastung von oben (F
G) eingeleitet wird. Es wird nämlich keine besondere Maßnahme notwen-
von unten (G
dig sein, wenn die Kraft von oben einwirkt. Hingegen wird man sich Detailmaßnah-
men überlegen müssen, wie die von unten eingeleitete Last G am Balken sauber und
tragfähig befestigt werden kann (z.B. mit Hilfe von Anschweißteilen).
200 5 Vektorrechnung

Allgemein können wir feststellen: Der auf einen deformierbaren Körper (elasti-
sches Kontinuum) einwirkende Kraftvektor darf nicht ohne weiteres verschoben wer-
den, weil sonst die Spannungsfeld im Körper sich stark ändern würde.

Bild 5.4: Kraftvektoren auf einem Biegebalken

Beispiel 5.3:
Gleitender Vektor. Der in Bild 5.5 abgebilde gleitende Vektor a darf entlang seiner
Vektorachse verschoben werden.

y
a

x
gleitender Vektor

Bild 5.5: Gleitender Vektor

5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren

In Bild 5.6 ist ein Vektor a im 3D-Raum dargestellt, der vom Anfangspunkt P = (xP ; yP ; zP ) zum
Endpunkt Q = (xQ ; yQ ; zQ ) verläuft. Die zur x-Achse parallele Komponente des Vektors a soll
mit ax , die zur y-Achse parallele Komponente mit ay und die zur z-Achse parallele Komponente
mit az bezeichnet werden. In Matrixschreibweise lautet der Vektor a :

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax = xQ − xP ax xQ − xP
ay = yQ − yP a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ yQ − yP ⎦ (5.1)
az = zQ − zP az zQ − zP
5.2 Komponentenschreibweise für Vektoren 201

y
6 pqQ



a
ay

P pq ax
az
-
x
z

Bild 5.6: Komponenten eines 3D-Vektors

Sonderfall: Vektor in der xy-Ebene


Alle Beziehungen für 3D-Vektoren gelten sinngemäß auch für Vektoren in der xy-Ebene, wenn
die z-Komponente gleich Null gesetzt wird, d.h. az = 0.
   
ax xQ − xP
a 2D = =
ay yQ − yP

Anmerkungen:
1. Es ist nicht zwingend, einen Vektor unbedingt in Spaltenform, d.h. als Spaltenvektor, anzu-
geben. Man kann auch einen Zeilenvektor verwenden. Prinzipiell spielt es keine Rolle, ob
die Vektorkomponenten in Spalten- oder Zeilenform angegeben sind. Der obige Vektor a
kann daher auch als Zeilenvektor definiert werden:
   
a = ax ay az = (x2 − x1 ) (y2 − y1 ) (z2 − z1 )

2. Nach den Regeln der Matrixrechnung wäre eine solche »großzügige« Betrachtungsweise
an sich nicht möglich gewesen. Die Vektorrechnung erlaubt dies, weil Vektorprodukte (Ska-
larprodukt, Kreuzprodukt usw.) nach eigenen Regeln definiert werden. Eine strenge Orien-
tierung nach der Regeln der Matrixrechnung ist deshalb nicht zwingend.

Beispiel 5.4:
Gegeben sind im 3D-Raum die beiden Punkte P = (4; −3; −2) und Q = (6; 2; 1). Ge-
sucht ist der Vektor a vom Punkt P zum Punkt Q in Matrixschreibweise.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax xQ − xP 6−4 2
a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ yQ − yP ⎦ = ⎣ 2 − (−3) ⎦ = ⎣ 5 ⎦
az zQ − zP 1 − (−2) 3

Gleichheit von zwei Vektoren


Zwei Vektoren a und b sind gleich, wenn alle ihre Komponenten gleich sind:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ a =b ⇔ a x = bx ay = by az = bz
az bz
202 5 Vektorrechnung

5.2.1 Länge eines Vektors


Die Länge a eines Vektors a (auch Betrag |aa| des Vektors genannt) im 3D-Raum lässt sich mit
Hilfe von Pythagoras-Satz berechnen (Bild 5.6):

a = |aa| = a2x + a2y + a2z (5.2)

Falls der Vektor in der xy-Ebene liegt (im 2D-Raum ist az = 0), ergibt sich die Länge zu:

a = |aa| = a2x + a2y (5.3)

Beispiel 5.5:
Ein Vektor a verläuft vom Startpunkt P = (−1; 1; 4) zum Endpunkt Q = (1; 5; 3).
Gesucht ist der Vektor in Matrixschreibweise und seine Länge a.
⎤ ⎡
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax x2 − x1 1 − (−1) 2
a = ⎣ ay ⎦ = ⎣ y2 − y1 ⎦ = ⎣ 5 − 1 ⎦ = ⎣ 4 ⎦
az z2 − z1 3−4 −1
 
a= a2x + a2y + a2z = (2)2 + (4)2 + (−1)2 = 4,58

Beispiel 5.6:
Von einem in der xy-Ebene liegenden Vektor a sei seine Länge a und der Winkel α
zwischen der x-Achse und a bekannt: a = 3, α = 30◦ . Gesucht ist die Matrixschreib-
weise von a .
Die Komponenten des Vektors a ergeben sich aus elementarer Trigonometrie:

ax = a · cos 30 = 2,6 y 6
*

ay = a · sin 30 = 1,5 a 


ay
   
ax 2,6 
⇒ a= =  α = 30◦ -
ay 1,5 ax
x

5.3 Linearkombination von Vektoren

Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar (Pfeildarstellung)


Verschiedene Beispiele für die Skalar-Vektor-Multiplikation sind in Bild 5.7 gezeigt. Die Multi-
plikation eines Vektors a mit dem Skalar c dehnt (oder staucht) den Vektor a um den Faktor
c . Der Vektor dehnt sich, wenn c > 1 ist; für c < 1 wird er gestaucht.
Das Vorzeichen von c bestimmt die Richtung des neuen Vektors: Für c > 0 wird die alte
5.3 Linearkombination von Vektoren 203

Richtung beibehalten, für c < 0 kehrt sich die Zeigerichtung des Vektors um. Für c = −1 än-
dert sich die Länge von a zwar nicht, der neue Vektor zeigt aber genau in die entgegengesetzte
Richtung (Richtungsumkehr). Durch Multiplikation eines gebundenen Vektors (z.B. des Ortsvek-







  
 1  
 a  2aa a 
 2
a
 a −aa
     

a: 2 a 1
b: a c: − a
2

Bild 5.7: Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar

tors r mit Anfangspunkt P, Endpunkt Q und der Länge L ) mit dem Skalar c entsteht ein neuer
Vektor crr , der den gleichen Anfangspunkt P wie der Vektor r aber einen anderen Endpunkt Q
besitzt, weil sich seine Länge auf den Wert cL geändert hat.
Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar (Komponentendarstellung)
Die Multiplikation eines Vektors a in der Definition von (5.1) auf Seite 200 mit einem Skalar c
liefert einen neuen Vektor b :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx ax c ax
a = ⎣ ay ⎦ b = ca ⎣ by ⎦ = c ⎣ ay ⎦ = ⎣ c ay ⎦ (5.4)
az bz az c az

Die Länge von b ergibt wie folgt:



|bb| = c2 (a2x + a2y + a2z ) = |c a | = |c| |aa|

Die Multiplikation des Vektors a mit c modifiziert also seine Länge (Dehnung, wenn |c| > 1 bzw.
Stauchung, wenn |c| < 1).

Beispiel 5.7:
Der Vektor a des Beispiels 5.5 wird mit c = 2 multipliziert. Gesucht ist die Länge
des neuen Vektors b = 2aa.
 √
|aa| = 22 + 42 + (−1)2 = 21 = 4,58 |bb| = 2 |aa| = 2 · 4,58 = 9,16

Oder alternativ:
⎡⎤ ⎡ ⎤
2·2 4 
b = 2a = ⎣ 2 · 4 ⎦ = ⎣ 8 ⎦ |bb| = 42 + 82 + (−2)2 = 9,16
2 · (−1) −2
204 5 Vektorrechnung

Addition und Subtraktion von Vektoren (Pfeildarstellung)


Die Addition von zwei Vektoren a und b liefert als Ergebnis einen neuen Vektor c , der -
geometrisch betrachtet- dem Diagonalen des Parallelogramms entspricht, welches von den Vek-
toren a und b aufgespannt wird.

c = a +bb

Anschaulicher als die Parallelogrammkonstruktion ist das sequentielle Aneinanderfügen der zu


addierenden Vektoren, vgl. Bild 5.8 a. Für die Addition a +bb wird hierbei der Anfangspunkt Pb
des zweiten Vektors b auf den Endpunkt Qa des ersten Vektors a gesetzt. Der sich vom Punkt
Pa zum Punkt Qb erstreckende Vektor ist der resultierende Vektor c . Auf diese Weise kann man
sehr leicht auch mehr als zwei Vektoren addieren. Die Reihenfolge der Addition spielt hierbei
keine Rolle, d.h. es ist gleichgültig, ob man den Vektor b zum Vektor a hinzu addiert (= a +bb),
oder den Vektor a zum Vektor b (= b +aa), vgl. Bild 5.8 b.
Die Subtraktion von zwei Vektoren kann als eine Addition mit Richtungsumkehr aufgefasst
werden. Beispielsweise lässt sich die Subtraktion a − b als Addition des Vektors a mit dem
Vektor −bb interpretieren, vgl. Bild 5.8 c:

c = a −bb = a + (−bb)

Qb Qb , Pa a - Qa Pa a - Qa , Pb

* 
*
a +bb   
 @ 
 b b   @ −bb
     b +aa a −bb @ 
 -  
 R Qb
@
Pa a Qa , Pb Pb

a: c = a +bb b: c = b +aa c: c = a −bb

Bild 5.8: Addition und Subtraktion von Vektoren

Addition und Subtraktion von Vektoren (Komponentendarstellung)


Zwei Vektoren werden addiert bzw. subtrahiert, indem ihre Komponenten algebraisch addiert
bzw. subtrahiert werden.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦
az bz
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
cx ax + bx dx ax − bx
a+b =c ⎣ cy ⎦ = ⎣ ay + by ⎦ a−b =d ⎣ dy ⎦ = ⎣ ay − by ⎦ (5.5)
cz az + bz dz az − bz
5.3 Linearkombination von Vektoren 205

Beispiel 5.8:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2 −2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 5 ⎦ c = ⎣ −5 ⎦
1 3 −3
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 28 6 2
−a = ⎣ 0 ⎦ 7aa = ⎣ 0 ⎦ a +bb = ⎣ 5 ⎦ a −bb = ⎣ −5 ⎦
−1 7 4 −2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 2 4
b +cc = ⎣ 0 ⎦ = 0 2(aa −bb) = 2 ⎣ −5 ⎦ = ⎣ −10 ⎦
0 −2 −4
a = b = c b = −cc c = −bb b +cc = 0

Für Linearkombinationen von Vektoren gelten die Rechenregeln der Tabelle 5.1.

Tabelle 5.1: Regeln für die Linearkombination von Vektoren

a +bb = b +aa
(aa +bb) +cc = a + (bb +cc)
(c1 + c2 ) a = c 1 a + c2 a
c (aa + bb) = ca +cb
c1 (c2 a ) = (c1 · c2 ) a
a +00 = a
(−1) · a = −a
(−a)
a +(−a) = 0

Beliebige Linearkombination von Vektoren


In der folgenden Linearkombination von mehreren Vektoren a1 , a2 , a3 , · · · , an wird jeder einzel-
ne Vektor ai durch den ihm zugeordneten Skalierungsfaktor ci gedehnt, gestaucht oder gedreht.
Die Operation liefert als Ergebnis wiederum einen Vektor.

b = c1 a1 + c2 a2 + · · · + cn an (c1 , c2 , . . . cn : Skalierungsfaktoren) (5.6)

Beispiel 5.9:
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −1 5
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 2 ⎦ c = ⎣ −1 ⎦ c1 = 2 c2 = −3 c3 = 4
3 4 −2
⎡ ⎤
25
2aa − 3bb + 4cc = ⎣ −6 ⎦
−14
206 5 Vektorrechnung

5.4 Vektordarstellung mit Basisvektoren

Bei der Behandlung mechanischer Aufgaben erweist sich die in diesem Abschnitt vorgestellte
Darstellungsart eines Vektors mit Hilfe der Basisvektoren des kartesischen 3D-Koordinatensystems
als sehr vorteilhaft, weil sie es gestattet, mit den Vektorkomponenten so umzugehen als wären
sie gewöhnliche mathematische Symbole.

Basisvektoren i , j , k
Das rechtshändige kartesische Koordinatensystem im 3D-Raum besteht aus drei orthogonalen
(d.h. zueinander senkrecht stehenden) Basisvektoren i , j , k (s. Bild 5.9). Der Basisvektor i liegt

y 6


|ii| = 1

a

| j| = 1
6
|kk | = 1
j


- -
k i x

z a = a x i + ay j + az k

Bild 5.9: Basisvektoren i , j , k

auf der x-Achse und zeigt in positive x-Richtung, j und k liegen jeweils auf der y- bzw. z-Achse
und zeigen in deren positive Richtungen. Jeder dieser Basisvektoren ist ein Einheitsvektor, d.h.
besitzt die Länge 1. In Matrixschreibweise lauten die Basisvektoren:
⎤⎡ ⎡ ⎤ ⎡

1 0 0
Spaltenform: i = ⎣ 0 ⎦ j =⎣ 1 ⎦ k=⎣ 0 ⎦ (5.7)
0 0 1
     
Zeilenform: i = 1 0 0 j= 0 1 0 k= 0 0 1
  
|ii| = 12 + 02 + 02 = 1 | j | = 02 + 12 + 02 = 1 |kk | = 02 + 02 + 12 = 1

Vektordarstellung mit den Basisvektoren i , j , k


Ein Vektor a kann auch als Linearkombination von Basisvektoren dargestellt werden:

a = a x i + ay j + a z k (5.8)
5.5 Skalarprodukt 207

Beispiel 5.10:
Gegeben sind zwei Vektoren in Matrixschreibweise:
⎡⎤ ⎡⎤
4 2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 5 ⎦
1 −3

Die Darstellung dieser Vektoren mit Basisvektoren i , j , k lautet:

a = 4 i + 0 j + 1 k = 4 i +kk b = 2i +5 j −3k

Einige exemplarische Linearkombinationen von a und b sind:

−a = −(4 i +kk ) = −4 i −kk


7a = 7 · (4 i +kk ) = 28 i + 7kk
a +bb = (4 i +kk ) + (2 i + 5 j − 3 k ) = 6 i + 5 j − 2 k
     
a b
2(aa −bb) = 2[(4 i +kk ) − (2 i + 5 j − 3 k )] = 2(2ii − 5 j + 4kk ) = 4 i − 10 j + 8 k

5.5 Skalarprodukt

Das Skalarprodukt von zwei Vektoren a und b wird durch »aa · b « gekennzeichnet. Wie der Name
es bereits zum Ausdruck bringt, ist a · b ein Skalar (d.h. eine Zahl k) und definiert als:
3-dimensionaler Fall
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ax bx a = a x i + ay j + az k
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ bzw.
az bz b = b x i + by j + bz k

a · b = ax bx + ay by + az bz Skalarprodukt für 3D-Vektoren a und b (5.9)

2-dimensionaler Fall
    a = a x i + ay j
ax bx
a= b= bzw.
ay by
b = b x i + by j

a · b = ax bx + ay by Skalarprodukt für 2D-Vektoren a und b (5.10)

In Tabelle 5.2 sind einige Rechenregeln für das Skalarprodukt angegeben.


208 5 Vektorrechnung

Tabelle 5.2: Regeln für Skalarprodukt von zwei Vektoren

a ·b = b ·a (Kommutativität)
a · (bb +cc) = a · b +aa · c (Distributivität)
(aa +bb) · c = a · c +bb · c
(k a ) · b = k(aa · b )
(k a ) · (bb +cc) = k(aa · b ) + k(aa · c )
(k1 a + k2 b ) · c = (k1 a ) · c + (k2 b ) · c = k1 (aa · c ) + k2 (bb · c )
(aa +bb) · (cc +dd ) = a · c +aa · d +bb · c +bb · d
(aa +bb +cc) · (dd +ee + f ) = a · d +aa · e +aa · f +bb · d +bb · e +bb · f +cc · d +cc · e +cc · f

Beispiel 5.11:
Gesucht ist das Skalarprodukt der Vektoren a = i + 2 j + 5kk und b = 3ii − 2 j +kk .

a · b =3 
i · i −2 i · j + 
i · k +6 j · i −4 j · j +2 j · k +15 
k · i −10 k · j +5 
k ·k
    
=1 =0 =0 =0 =1 =0 =0 =0 =1

= 3−4+5 = 4

Schreibweise ohne den Skalarpunkt ».«


Das Skalarprodukt a · b von zwei Vektoren a und b wird durch die Angabe eines Punktes » · «
kenntlich gemacht. Deshalb darf man die korrespondierenden Komponenten von a und b mitein-
ander multiplizieren, was nach den Regeln der Matrixrechnung eigentlich nicht erlaubt wäre (die
Dimensionen von a und b würden für eine Matrix-Matrix-Multiplikation inkompatibel sein, weil
sie beide entweder in Spaltenform oder in Zeilenform vorliegen).
Grundsätzlich könnte das Skalarprodukt aber auch ohne Angabe des Skalarpunktes » · « for-
muliert werden, wenn a als Zeilenvektor und b als als Spaltenvektor (oder umgekehrt) geschrie-
ben werden:
⎡ ⎤
  bx
a · b ≡ a T b = ax ay az ⎣ by ⎦ = ax bx + ay by + az bz
bz
⎡ ⎤
  ax
a · b ≡ bT a = bx by bz ⎣ ay ⎦ = ax bx + ay by + az bz
az
In der Schreibweise ohne den Punkt » · « ist die Reihenfolge der multiplizierten Vektoren und
ihrer Transponierten wichtig. Wenn man anstelle von a T b (oder b T a ) den Ausdruck a b T (oder
b a T ) verwenden würde, wäre das Ergebnis kein Skalar, sondern eine 3 × 3 Matrix!
5.5 Skalarprodukt 209

Geometrische Interpretation des Skalarprodukts


In Bild 5.10 sind zwei in der xy-Ebene liegende Vektoren a und b dargestellt, die miteinander
den Winkel α einschließen. Der Vektor a besitzt die Länge a und schließt mit der x-Achse den
Winkel γ ein, der Vektor b besitzt besitzt die Länge b und schließt den Winkel β ein. Mit den

b by

a a ay
b
g
bx ax
x

Bild 5.10: Vektoren a und b in der xy-Ebene

Angaben in Bild 5.10 lassen sich folgende elementare Beziehungen anschreiben:

by bx ay ax
α = β −γ sin β = cos β = sin γ = cos γ = (5.11)
b b a a
Mit Hilfe des Additionstheorems für die Kosinusfunktion (s. Nr. 25 auf Seite 774) und der obigen
Formeln lässt sich dann folgender Ausdruck herleiten:

bx ax by ay ax bx + ay by
cos α = cos(β − γ) = cos β cos γ + sin β sin γ = + =
b a b a ab
Unter Beachtung von (5.10) sowie a = |aa|, b = |bb| ist die obige Beziehung identisch mit

a ·b
cos α = (5.12)
|a | |bb|
a

Nach Umformung resultiert daraus die bekannte Definition für das Skalarprodukt:

a · b = |aa| |bb| cos α Skalarprodukt (5.13)

Der von den Vektoren a und b eingeschlossene Winkel α ergibt sich aus (5.12):1

a ·b
α = arccos (5.14)
|aa| |bb|

1 Der aus (5.14) berechnete Winkel α ist leider nicht immer eindeutig; das hängt mit der Kosinusfunktion zusammen.
Der Taschenrechner liefert z.B. für das Argument 0,5 den Winkel α = arccos 0,5 = 60◦ . Der Winkel α = 300◦ wäre
allerdings genauso richtig gewesen, weil zwar cos 60◦ = 0,5, andererseits aber auch cos 300◦ = 0,5.
210 5 Vektorrechnung

Der Ausdruck |bb| cos α auf der rechten Seite von (5.13) entspricht der Projektion des Vektors
b auf dem Vektor a (genauso gut könnte man natürlich auch den Ausdruck |aa| cos α wählen,
der nichts anderes ist als die Projektion des Vektors a auf dem Vektor b ). Deshalb kann das
Skalarprodukt auch interpretiert werden als die Multiplikation der Längen von zwei Vektoren,
von denen der eine auf dem anderen projeziert wird.
Das Vorzeichen des Skalarproduktes hängt von der relativen Orientierung der beiden Vektoren
zueinander ab (s. Bild 5.11):

 6 @
I
b b @b
α = 90
@ α > 90◦
α < 90◦ - - @ -
a a a

a: a · b > 0 b: a · b = 0 c: a · b < 0

Bild 5.11: Skalarprodukt



⎨> 0 : die Projektion von b auf a zeigt in die gleiche Richtung wie a

a · b = = 0 : b steht senkrecht zu a (aa ⊥ b )


⎩< 0 : die Projektion von b auf a zeigt in die entgegengesetzte Richtung wie a

Anmerkung: Der Winkel α ist der kleinere Winkel zwischen den Vektoren a und b , wenn sie
von einem gemeinsamen Punkt aus wegzeigen.

Beispiel 5.12:
⎤ ⎡ ⎤ ⎡
1 3
Gesucht ist der Winkel zwischen den Vektoren a = ⎣ 2 ⎦ und b = ⎣ −2 ⎦ .
5 1
 √
a · b = 1 · 3 + 2 · (−2) + 5 · 1 = 4 |aa| = 12 + 22 + 52 = 30
 √ 4
|bb| = 32 + (−2)2 + 12 = 14 cos α = √ √ = 0,1952 ⇒ α = 78,7◦
30 14

Länge eines Vektors als Skalarprodukt


Für die Länge des Vektors a kann eine Beziehung hergeleitet werden, die auf dem Skalarprodukt
beruht. Zu diesem Zweck wird a mit sich selbst skalar-multipliziert:

a · a = |aa||aa| cos 0 = |aa|2
  ⇒ |aa| = a ·a Länge des Vektors a (5.15)
=1
5.6 Kreuzprodukt 211

5.6 Kreuzprodukt

Einleitende Betrachtung in der xy-Ebene


Für die in Bild 5.10 auf Seite 209 dargestellten Vektoren a und b in der xy-Ebene kann mit Hilfe
der Beziehungen (5.11) und des Additionstheorems für die Sinusfunktion (s. Nr. 24 auf Seite
774) folgender Ausdruck hergeleitet werden:

by ax ay bx ax by − ay bx
sin α = sin(β − γ) = sin β cos γ − sin γ cos β = − =
b a a b ab
⇒ ax by − ay bx = a b sin α d.h. ax by − ay bx = |aa| |bb| sin α
Der Ausdruck ax by − ay bx kann mit Hilfe folgender Determinante auch als die Länge eines in
Richtung des Basisvektors k gerichteten Vektors c aufgefasst werden:
 
 i j k 

c =  ax ay 0  = 0 i + 0 j + (ax by − ay bx ) k = (ax by − ay bx ) k |cc| = ax by − ay bx
 b b 0 
x y

Nach Zusammenfassen der obigen Ergebnisse erhalten wir:

|cc| = |aa| |bb| sin α

Der Vektor c steht senkrecht sowohl auf dem Vektor a als auch auf b . Das können wir sofort
ersehen durch Bildung der Skalarprodukte:

a = a x i + ay j + 0 k b = b x i + by j + 0 k c = 0 i + 0 j + (ax by − ay bx ) k

a · c = ax · 0 + ay · 0 + 0 · (ax by − ay bx ) = 0 d.h. a ⊥ c
b · c = bx · 0 + by · 0 + 0 · (ax by − ay bx ) = 0 d.h. b ⊥ c

Allgemeine Definition des Kreuzproduktes


Die obige für den 2D-Raum angestellte Betrachtungsweise kann auch auf den 3D-Raum verall-
gemeinert werden. Das Kreuzprodukt (oder Vektorprodukt) der Vektoren a und b ist ein Vektor c ,
der senkrecht auf der von a und b aufgespannten Ebene steht. Symbolisch wird das Kreuzprodukt
geschrieben als

c = a ×bb Kreuzprodukt (5.16)

Das Bild 5.12 zeigt das Kreuzprodukt c = a ×bb in zwei Varianten. In beiden Teilbildern steht der
Vektor c senkrecht zu der von Vektoren a und b aufgespannten Ebene (s. auch das Beispiel 5.48
auf Seite 244), aber die Richtung von c ist jeweils entgegengesetzt. Mit Hilfe der Schrauben-
regel kann man sich die positive Richtung des Kreuzproduktes c leicht bildhaft machen: Wenn
eine rechtsgängige Schraube so gedreht wird wie die Drehung des Vektors a zum Vektor b auf
dem kürzestmöglichen Winkel α, bewegt sich die Schraube stets in die positive Richtung des
Kreuzprodukts c .
212 5 Vektorrechnung

z z

c
b a

a A y a
A y

a b
x x c

a: c in positiver z-Richtung b: c in negativer z-Richtung

Bild 5.12: Kreuzprodukt c = a ×bb

Im 3D-Raum lässt sich das Kreuzprodukt c = a ×bb aus folgender Formel berechnen:
⎡ ⎤ ⎡
⎤ ⎡ ⎤
ax bx cx
a = ⎣ ay ⎦ b = ⎣ by ⎦ c = a ×bb = ⎣ cy ⎦
az bz cz
   
 i j k   i ax bx 
   
c = a ×bb =  ax ay az 
 oder c =  j ay by 
 (5.17)
 b by bz   k az bz 
x

oder nach Ausrechnen der Determinante:

c = (ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k (5.18)


        
cx cy cz

Die Komponenten von c entsprechen also folgenden 2-reihigen Determinanten:


     
 ay az   ax az   ax ay 

cx =   
cy = −   
cz =  
by bz  bx bz  bx by 

Die Herleitung von (5.18) wird in Beispiel 5.42 auf Seite 240 ausführlich demonstriert.
Die Länge (Betrag) des Kreuzprodukts c ist gleich dem Flächeninhalt A des von Vektoren
a und b aufgespannten Parallelogramms:

A = |cc| = |aa ×bb| = c2x + c2y + c2z Länge des Kreuzprodukts (5.19)

Die Herleitung der Formel (5.19) ist in Beispiel 5.44 auf Seite 242 gezeigt.
Für die Berechnung der Länge des Kreuzprodukts können auch folgende Beziehungen ver-
wendet werden:

|cc| = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α (5.20)


5.6 Kreuzprodukt 213


|cc| = |aa ×bb| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 (5.21)

Die Herleitung der Formel (5.21) ist in Beispiel 5.43 auf Seite 241 gezeigt.
In Tabelle 5.3 sind die wichtigsten Regeln für das Kreuzprodukt zusammengestellt.

Tabelle 5.3: Regeln für das Kreuzprodukt von Vektoren

a ×bb = 0 ⇔ a bb
a ×bb = −(bb ×aa)
a × (bb +cc) = (aa ×bb) + (aa ×cc)
(aa +bb) ×cc = (aa ×cc) + (bb ×cc)
k(aa ×bb) = (kaa) ×bb = a × (kbb)
a × (bb ×cc) = (aa ×bb) ×cc (von Sonderfällen abgesehen)
a · (bb ×cc) = b · (cc ×aa) = c · (aa ×bb) s.(5.28) auf Seite 222
a × (bb ×cc) = (aa · c ) b − (aa · b ) c s. Beispiel 5.53 auf Seite 247
(aa ×bb) · (cc ×dd ) = (aa · c ) (bb · d ) − (aa · d ) (bb · c )
(aa ×bb) × (cc ×dd ) = (aa · (bb ×dd )) c − (aa · (bb ×cc)) d für (aa b d ) vgl. Abschnitt 5.8

Beispiel 5.13:
Für Vektoren a und b sind ihr Kreuzprodukt c und seine Länge |cc| zu berechnen.

⎤ ⎤⎡
4 −2
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 1 ⎦
−1 3

   
 i j k   i j k 
   
c = a ×bb =  ax ay az = 4
  0 −1 

 b by bz   −2 1 3 
x
⎤ ⎡
1
= i (0 + 1) + j (2 − 12) +kk (4 + 0) = i − 10 j + 4 k = ⎣ −10 ⎦
4

|cc| = 12 + (−10)2 + 42 = 10,82
214 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.14:
Es soll der Flächeninhalt A des von den Vektoren a und b aufgespannten Parallelo-
gramms berechnet werden.
⎡⎤ ⎡ ⎤
2 5
a=⎣ 3 ⎦ b = ⎣ −9 ⎦
4 12

Der Flächeninhalt A ist gleich dem Betrag des Kreuzprodukts der Vektoren a und b .
a) Berechnung nach Gl. (5.17) bzw. (5.18)
   
 i j k   i j k 
 
c = a ×bb =  ax ay az  =  2 3 4 

 b b b   5 −9 12 
x y z

= i (36 + 36) + j (20 − 24) +kk (−18 − 15) = 72 i − 4 j − 33 k



|cc| = 722 + (−4)2 + (−33)2 = 79,30

b) Berechnung nach Gl. (5.20)


 √  √
|aa| = 22 + 32 + 42 = 29 |bb| = 52 + (−9)2 + 122 = 250

Der Winkel α zwischen a und b lässt sich mit Hilfe des Skalarproduktes ermit-
teln:

a · b = 2 · 5 + 3 · (−9) + 4 · 12 = 31

a ·b 31
cos α = =√ √ = 0,3641 ⇒ α = 68,65◦ sin α = 0,9314
|aa| |bb| 29 · 250
Der Flächeninhalt A ergibt sich damit zu:
√ √
A = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α = 29 250 (0,9314) = 79,30

c) Berechnung nach Gl. (5.21)

a · a = 29 b · b = 250 a · b = 31
 
A = |aa ×bb| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 = 29 · 250 − 312 = 79,30
5.6 Kreuzprodukt 215

Beispiel 5.15:
Es soll der Flächeninhalt des Polygons bestimmt werden, deren Kanten durch die Punk-
te 1, 2, 3, · · · , n − 1, n definiert sind.
3 (x3, y3)

2 (x2, y2)

y
1 (x1, y1)

O x
n (xn, yn)

n-1 (xn-1, yn-1)

Die Fläche A1 des markierten Dreiecks O12 erhalten wir aus


 
 i j k 
1 −→ − → 1 
A1 = |O1 × O2| =  x1 y1 z1 
2 2
x2 y2 z2 

Die Summe der Flächen aller Dreiecke liefert die gesuchte Gesamtfläche A:
     
 i j k   i j k   i j k 
1  1  1  
A = A1 + A2 + · · · + An =  x1 y1 z1  +  x2 y2 z2  + · · · +  xn yn zn 

2 2 2
x2 y2 z2  x3 y3 z3  x1 y1 z1 

In kompakter Form erhalten wir die Formel für den Flächeninhalt der Polygonfläche:
 
 i j k 
n
1 
n 
A = ∑ Ai = ∑  xi yi zi 
 mit xn+1 = x1 yn+1 = y1 zn+1 = z1
i=1 2 i=1  
xi+1 yi+1 zi+1

Beispiel 5.16:
Nachfolgend sind verschiedene Kreuzprodukte der Basisvektoren i , j und k im karte-
sischen xyz-Koordinatensystem angegeben. Das Vorzeichen des jeweiligen Kreuzpro-
duktes lässt sich mit Hilfe der Schraubenregel anschaulich festlegen. 6
j
i ×ii = 0 i× j =k i ×kk = − j -
k i
j ×ii = −kk j× j =0 j ×kk = i

k ×ii = j k × j = −ii k ×kk = 0
216 5 Vektorrechnung

5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts

In diesem Abschnitt werden technische Anwendungsbeispiele für das Kreuzprodukt vorgestellt.

5.7.1 Moment einer Kraft

Bild 5.13 zeigt einen Kraftvektor F , der in der Blattebene liegt und im Punkt A angreift (der
Betrag von F , d.h. die Kraftintensität, ist F). Das vom Kraftvektor F im Punkt P erzeugte
Moment M ist nach Gesetzen der Statik

Moment = Kraft × Hebelarm ⇒ M = F ·d

Wenn der Kraftvektor F nicht in der Blattebene liegt, sondern im 3D-Raum in eine beliebige
Richtung zeigt, ist die Ermittlung des Hebelarms d schon etwas aufwändiger. In solchen Fällen,
insbesondere in Computerprogrammen, bietet sich die Berechnung des Moments mit Hilfe des
Kreuzproduktes an. Der von einem im 3D-Raum liegenden Kraftvektor F in Bezug auf einen


F

P
L - α
@ r A
@
d@
@
@

Bild 5.13: Moment der Kraft F um den Punkt P

beliebigen Punkt P erzeugte Momentenvektor M entspricht dem Kreuzprodukt des Streckenvek-




tors r = PA mit dem Kraftvektor F , wobei A der Angriffspunkt von F ist:

M = r ×F
F (5.22)

In der Determinantenschreibweise des Kreuzprodukts ergibt sich:


  ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
 i j k  Mx rx Fx

M =  rx ry rz  mit M = ⎣ My ⎦ r = ⎣ ry ⎦ F = ⎣ Fy ⎦ (5.23)
 F F F  Mz rz Fz
x y z

Für die Definition des Streckenvektors r kann anstelle des Punkts A auch jeder andere beliebige
Punkt, der auf der Wirkungslinie von F liegt, gewählt werden. Der Streckenvektor r erstreckt sich
vom Punkt P zum Punkt A und hat die Länge L. Der Betrag des Momentenvektors M entspricht
dem gesuchten Moment M der Kraft F in Bezug auf den Punkt P.
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts 217

Beispiel 5.17:
Für das Moment von F im Punkt P (s. Bild 5.13) erhält man aus (5.22) und (5.20):

M = |M F | = |rr | |F
M | = |rr ×F F | sin α = F L  α = F d
 sin
 
L F d

Beispiel 5.18:
Das in Bild 5.13 skizzierte System sei in der xy-Ebene eines rechtshändigen kartesi-
schen xyz-KS gegeben. Mit Hilfe des Kreuzproduktes soll das Moment im Punkt P für
folgende Zahlenwerte berechnet werden.
⎡ ⎤
707,1 N
F = ⎣ 707,1 N ⎦ A = (3,2; 0; 0) P = (2; 0; 0) (Koordinaten in m)
0N

Der Streckenvektor r ergibt sich gemäß (5.1) aus den Punktkoordinaten:

y6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3,2 − 2 1,2 F
r =⎣ 0−0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ 
P
0−0 0 q - -
r A x
z M
Der Momentenvektor ergibt sich aus (5.22):
 
 i j k 

F =  1,2
M = r ×F 0 0  = i (0 − 0) + j (0 − 0) +kk (1,2 · 707,1 − 0)
 707,1 707,1 0 

M = 848,5 k M zeigt aus der Blattebene heraus, weil in positiver k -Richtung)


(M
Der Betrag des Moments ist:

M | = 02 + 02 + 848,52 = 848,5 Nm
M = |M

5.7.2 Bahngeschwindigkeit einer rotierenden Scheibe


Das Bild 5.14 zeigt eine Kreisscheibe, die sich in ihrem Mittelpunkt um eine zur Scheibenebene
senkrechte Achse im 3D-Raum mit der Winkelgeschwindigkeit ω dreht. Der Vektor Winkelge-
schwindigkeit sei mit ω bezeichnet, es gilt ω = |ω ω |. Mit r wird der Streckenvektor von einem
beliebigen Punkt A auf der Linie des Rotationsvektors ω zum Punkt P bezeichnet. Der Ge-
schwindigkeitsvektor v des Punkts P ist tangential zum Scheibenrand, d.h. er steht senkrecht auf
der von den Vektoren ω und r aufgespannten Ebene. Gesucht ist der Bahngeschwindigkeitsvek-
tor v des Punktes P.
218 5 Vektorrechnung

y
w

d
v
P
a r
A

x
z

Bild 5.14: Bahngeschwindigkeit eines rotierenden Punktes

Bereits aus der Schulphysik ist gut bekannt, dass die Bahngeschwindigkeit eines um eine
Drehachse rotierenden Punktes P gleich ist dem Produkt der Winkelgeschwindigkeit ω und
des Abstands zwischen dem Punkt P und der Drehachse:

v = ω ·d a)

Das Einsetzen der Beziehungen

v = |vv| ω|
ω = |ω d = |rr | sin α

in die obige Formel a) liefert unter Berücksichtigung der Definition des Kreuzprodukts gemäß
Gl.(5.20) auf Seite 212:

ω | |rr | sin α = |ω
|vv| = |ω ω ×rr | ⇒ v = ω ×rr

Der tangentiale Geschwindigkeitsvektor v eines beliebigen Punktes P auf der Scheibe entspricht
also dem Kreuzprodukt von ω und r :

v = ω ×rr (5.24)

ω benützen?
Frage: Was würde passieren, wenn wir anstatt v = ω ×rr den Ausdruck v = r ×ω

Beispiel 5.19:
Gesucht ist die Bahngeschwindigkeit v des Punktes P = (20; 50; 20) cm in einem
Körper, der mit der Winkelgeschwindigkeit ω = 31,42 rad/s um die y-Achse rotiert.
Der Rotationsgeschwindigkeitsvektor und der Ortsvektor lauten:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
ωx 0 20
ω = ⎣ ωy ⎦ = ⎣ 31,42 ⎦ r = ⎣ 50 ⎦
ωz 0 20
5.7 Technische Anwendungen des Kreuzprodukts 219

Der Geschwindigkeitsvektor des Punkts P ergibt sich nach (5.24):


 
 i j k 

v = ω ×rr =  0 31,42 0  = 628,4 i + 0 j − 628,4 k = 628,4 (ii −kk )
 20 50 20 

Die Bahngeschwindigkeit v entspricht dem Betrag von v :



v = |vv| = 628,42 + (−628,4)2 = 888,7 cm/ sec ≡ 8,887 m/ sec

5.7.3 Radialbeschleunigung eines rotierenden Punktes

Die abgebildete kreisrunde Scheibe dreht sich in ihrem Mittelpunkt M mit konstanter Winkelge-
schwindigkeit ω um die zur Scheibe senkrechten Drehachse (M bleibt in Ruhe). Die Drehung ist
durch den Winkelgeschwindigkeitsvektor ω mathematisch vollständig beschrieben. Gesucht ist
der Beschleunigungsvektor a des Punktes P.

z w

M
r
P
v
y
x

Für einen Punkt P, der sich im Raum beliebig bewegt, gilt folgende differentiale Beziehung
zwischen seinem Geschwindigkeitsvektor v und seinem Ortsvektor r die allgemein gültige Be-
ziehung
drr
v= = ṙr
dt
Zusätzlich benötigen wir noch die in (5.24) angegebene Beziehung für den Geschwindigkeits-
vektor v des Punktes P einer rotierenden Kreisscheibe (aus Vereinfachungsgründen wird hier der
Vektor r vom Mittelpunkt M zum Punkt P verlaufend betrachtet – das ändert freilich nichts am
Ergebnis).
Der Beschleunigungsvektor a entspricht der zeitlichen Ableitung des Geschwindigkeitsvek-
tors v , es gilt also a = dvv/dt. Somit erhalten wir unter Anwendung der Kettenregel und Berück-
sichtigung von ω̇ ω = 0 (wegen ω =const.) sowie der Gl. (5.24):

ω ×rr )
dvv d(ω
a= = = (
ω̇ ω × ṙr ) = ω ×vv = ω × (ω
ω ×rr ) + (ω ω ×rr )
dt dt
0
220 5 Vektorrechnung

Für die weitere Bearbeitung des Ausdrucks ω ×(ωω ×rr ) können wir von der folgenden, in Tabelle
5.3 auf Seite 213 angegebenen und in Beispiel 5.53 auf Seite 247 bewiesenen Regel

a × (bb ×cc) = (aa · c ) b − (aa · b ) c

für das zweifache Kreuzprodukt Gebrauch machen und erhalten als Beschleunigungsvektor:

ω ×rr ) = (ω
a = ω × (ω ω · ω ) r = −ω 2r
ω · r ) ω − (ω
  
0

Die Vektoren ω und r sind im vorliegenden Fall orthogonal, so dass ω · r = 0 ist. Das negative
Vorzeichen im Ergebnis deutet darauf hin, dass der Beschleunigungsvektor a entgegengesetzt
zum Ortsvektor r gerichtet ist, also vom Punkt P aus in Richtung Mittelpunkt M zeigt.
Der Betrag des Beschleunigungsvektors a ist: |aa| = | − ω 2r | = ω 2 r, d.h. er ist identisch mit
der aus Schulphysik bekannten Formel für die Zentripetalbeschleunigung eines kreisförmig ro-
tierenden Punktes.

5.8 Spatprodukt
Das Spatprodukt stellt eigentlich keine eigenständige Produktgattung dar, es ist nur eine spezielle
Produktkombination von drei Vektoren und wird wie folgt definiert:
.
(cc a b ) = c · (aa ×bb)

Spatprodukt wird in englischsprachigen Mathematikbüchern scalar triple product genannt. Be-


vor wir die Eigenschaften des Spatproduktes erörtern, ist es nützlich, seine geometrische Deutung
gemäß Bild 5.15 kennen zu lernen. Der von den drei Vektoren a ,bb,cc gebildete schiefe Quader wird
als Spat bezeichnet (auch Parallelepiped genannt). Die Anwendung von (5.13) auf Seite 209 für
Skalarprodukt auf den Ausdruck c · (aa ×bb) liefert:

c · (aa ×bb) = |cc| |aa ×bb| cos γ = |aa ×bb| |cc| cos γ = A · h ≡ V (5.25)
     
A h

Das Spatprodukt ist also gleich der Multiplikation der Grundfläche A des Spats mit seiner Höhe
h, d.h. gleich seinem Volumen V .

a xb

c
h
b
g
A

Bild 5.15: Spatprodukt entspricht dem Volumen des Spats


5.8 Spatprodukt 221

Anmerkung: In der Literatur wird für Spatrodukt c · (aa × b ) anstelle der Abkürzung (cc a b )
auch der Ausdruck [cc a b ] verwendet.
Das Spatprodukt läßt sich mit Hilfe von Determinanten mathematisch noch präziser schreiben
als in (5.25) angegeben. Mit den Vektoren

a = a x i + ay j + a z k b = b x i + by j + bz k c = c x i + cy j + cz k

läßt sich a ×bb folgendermaßen als Determinante schreiben (s. auch (5.17) auf Seite 212):
 
 i j k 

a ×bb =  ax ay az  (a)
 b b b 
x y z

Das Spatprodukt c · (aa × b ) in Determinantenschreibweise ergibt sich, wenn in der ersten Zeile
der obigen Determinante die Komponenten des Vektors c eingesetzt werden:
 
 cx cy cz 
 
V = (cc a b ) = c · (aa ×bb) =  ax ay az  (5.26)
 b b b 
x y z

Die Richtigkeit von (5.26) läßt sich sehr einfach überprüfen, indem die Determinante in Gl. (a)
ausmultiplizert wird (vgl. auch (5.18) auf Seite 212), dann mit dem Vektor c skalarmultipliziert,
und anschließend wieder in Determinantenform geschrieben wird.
Was passiert, wenn wir als Grundfläche des Spats nicht die von a und b aufgespannte Ebene,
sondern die von b und c aufgespannte Ebene definieren? Erhalten wir dann ein anderes Volumen?
Natürlich würden wir sofort sagen, dass das Volumen V unabhängig davon sein muss, wie wir
den Spat auf den Tisch stellen! Für diesen Fall können wir in Analogie zu (5.26) schreiben:
 
 ax ay az 
 
(aa b c ) = a · (bb ×cc) =  bx by bz  (5.27)
 c c c 
x y z

Nach der Regel 3 auf Seite 162 ändert sich das Vorzeicen einer Determinante, wenn zwei Zei-
len miteinander vertauscht werden. Wenn wir nun in dieser Determinante zunächst die 1. Zeile
mit der 3. Zeile vertauschen, und dann die neue 2. Zeile mit der 3. Zeile vertauschen, entsteht
eine zweimalige Vertauschung, d.h. das Vorzeichen ändert sich zweimal, bleibt also letztendlich
unverändert. Das Ergebis ist wie folgt:
       
 ax ay az   cx cy cz   cx cy cz   cx cy cz 
       
 bx by bz  = −  bx by bz  = −(−)  ax ay az  =  ax ay az 
       
 c c c   a a a   b b b   b b b 
x y z x y z x y z x y z

Es gilt also

a · (bb ×cc) = c · (aa ×bb)


222 5 Vektorrechnung

Wir sehen, dass sich das Volumen V des Spats nicht ändert, wenn das Spatprodukt in anderer Rei-
henfolge ihrer Vektoren durchgeführt wird. Würden wir zum Experimentieren eine noch andere
Grundfläche wählen, würde sich wieder dieses Resultat ergeben. Zusammenfassend können wir
also folgende Beziehungen schreiben:

a · (bb ×cc) = b · (cc ×aa) = c · (aa ×bb) (5.28)

Anmerkung: Eine leichte Merkregel für diese Beziehungen lautet, dass wir a , b und c zyklisch
vertauschen dürfen. 2

Beispiel 5.20:
Es ist das Volumen des von den Vektoren a , b und c aufgespannten Spats zu berech-
nen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 0 1
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 3 ⎦ c=⎣ 1 ⎦
0 0 4

Mit Hilfe von (5.26) erhalten wir:


   
 cx cy cz   1 1 4 
   
V =  ax ay az  =  2 0 0 

 b b b   0 3 0 
x y z
= 1 · (0 − 0) + 1 · (0 − 0) + 4 · (6 − 0) = 24

5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren


Die lineare Abhängigkeit von Vektoren kann analog zu den Ausführungen in Abschnitt 4.7 auf
Seite 156 behandelt werden. Die Vektoren a1 , a2 , · · · an heißen linear abhängig, wenn irgend
ein beliebiger Vektor a i unter ihnen aus den restlichen (n − 1) Vektoren durch eine beliebige
Linearkombination mit den skalaren Koeffizienten ci zusammengesetzt werden kann:
n
ai = ∑ ck a k = c1 a 1 + c2 a 2 + · · · + ci−1 a i−1 + ci+1 a i+1 + · · · + cn a n (5.29)
k=1
k=i

Falls kein einziger unter den n Vektoren durch eine Linearkombination aus den übrigen zu-
sammengesetzt werden kann, heissen die Vektoren a1 , a2 , · · · an linear unabhängig. Eine andere
-gleichwertige- Definition der linearen Unabhängigkeit ist folgende:
Die Vektoren a1 , a2 , · · · an heißen dann, und nur dann, linear unabhängig, wenn zur Erfüllung
der Gleichung

c1 a1 + c2 a2 + · · · + cn an = 0 (5.30)

2 Zyklische Vertauschung kann man sich wie das Verschieben der Perlen einer geschlossenen Kette vorstellen.
5.9 Lineare Abhängigkeit von Vektoren 223

alle Koeffizienten c1 , c2 , . . . , cn zwangsläufig gleich Null sein müssen. Wird dagegen diese Glei-
chung erfüllt, obwohl nicht alle Koeffizienten ci Null sind, werden die Vektoren a1 , a2 , · · · an als
linear abhängig bezeichnet.
Aus dieser Definition folgt, dass wenn in der Menge der Vektoren a1 , a2 , · · · an der Nullvektor
0 enthalten ist, diese Vektoren zwangsläufig linear abhängig sein müssen. Man sieht das deutlich
an folgender Linearkombination:

c1 a1 + c2 a2 + · · · + ci 0 + · · · + cn an = 0 (a)

Damit die Gleichung (a) erfüllt ist, müssen alle Koeffizienten (mit Ausnahme von ci ) gleich Null
sein. Für ci = k = 0 wäre aber die Gleichung immer noch erfüllt, weil ci mit dem Nullvektor 0
multipliziert wird:

0 · a1 + 0 · a2 + · · · + k 0 + · · · + 0 · an = 0

Da zur Erfüllung dieser Gleichung nicht alle Koeffizienten gleich Null sein müssen, ist die Vek-
tormenge a1 , a2 , · · · , 0 · · · , an linear abhängig.

5.9.1 Lineare Abhängigkeit von zwei Vektoren

Zwei Vektoren a und b sind linear abhängig, wenn ihr Kreuzprodukt der Nullvektor 0 ist:

a ×bb = 0 ⇔ a und b linear abhängig (5.31)

Aus dieser Definition folgt, dass zwei parallele Vektoren stets linear abhängig sind, weil ihr
Kreuzprodukt wegen α = 0◦ gleich Null ist.

Beispiel 5.21:
Es ist zu bestimmen, ob die folgenden zwei Vektoren a und b linear abhängig sind.

⎤ ⎡

2 4
a=⎣ 3 ⎦ b=⎣ 6 ⎦
4 8

Zwei Vektoren sind nur dann linear abhängig, wenn ihr Kreuzprodukt gleich dem Null-
vektor 0 ist. Das Kreuzprodukt von a und b lautet:
   
 i j k   i j k 

a ×bb =  ax ay az  =  2 3 4  = (24 − 24) i + (16 − 16) j + (12 − 12) k = 0
 b b b   4 6 8 
x y z

⇒ a und b sind linear abhängig.


224 5 Vektorrechnung

5.9.2 Lineare Abhängigkeit von drei Vektoren

Drei Vektoren a , b , c in einer Ebene


Drei Vektoren in einer Ebene sind immer dann linear abhängig, wenn sie alle drei durch den
selben Punkt gehen, weil sich einer von ihnen stets als Linearkombination der beiden anderen
Vektoren ausdrücken lässt, z.B.



KAA a 2
a 1A 
a2 = c1 a1 + c3 a3
A -
a3

Anmerkung: Falls a , b , c zwar nicht durch den selben Punkt gehen, aber es sich bei ihnen um
freie Vektoren handelt (s. Seite 198), können sie durch Translation in einen gemeinsamen Punkt
verschoben werden.
Drei Vektoren a , b , c im 3D-Raum
Drei im 3D-Raum definierte Vektoren a , b und c sind dann linear abhängig, wenn ihr Spatprodukt
gleich Null ist:
 
 ax ay az 
 
(aa b c ) = a · (bb ×cc) =  bx by bz  = 0 ⇔ a , b , c sind linear abhängig (5.32)
 c c c 
x y z

Begründung: Wenn das Spatprodukt von drei Vektoren gleich Null ist, bedeutet dies, dass der aus
ihnen gebildete Spat das Volumen Null hat. Daraus folgt zwangsläufig, dass sie alle drei in einer
Ebene liegen müssen. Wenn drei Vektoren aber in einer Ebene liegen, sind sie nach Erkenntnis
gemäß Seite 224 sind sie linear abhängig.
Drei Vektoren im 3D-Raum liegen also in einer Ebene, wenn sie linear abhängig sind. Um-
gekehrt können wir auch erkennen, dass drei Vektoren linear abhängig sind, wenn sie in einer
Ebene liegen.

5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie


Die Vektoralgebra bietet einen eleganten Weg, Aufgaben aus der analytischen Geometrie wesent-
lich eleganter, kompakter und übersichtlicher zu behandeln als dies in der klassischen analyti-
schen Geometrie möglich ist. Nachfolgend werden einige Möglichkeiten vorgestellt.

5.10.1 Normierung eines Vektors


In technischen Anwendungen muss immer wieder eine Normierung eines Vektors vorgenommen
werden (man redet auch vom Normalisieren). Ein Vektor a wird normiert, indem seine Kompo-
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 225

nenten durch seine Länge |aa| geteilt werden:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a∗x ax / |aa|
⎢ ⎥ ⎢ ⎥ 
a∗ = ⎢ ∗ ⎥ = ⎢ a / |a a|

mit |aa| = a2x + a2y + a2z
⎣ a y ⎦ ⎢ ⎣ y


(5.33)
az∗
az / |aa|

Der normierte Vektor a ∗ ist ein Einheitsvektor, d.h. seine Länge ist gleich Eins:
 
 a2 a2
a2
|aa|2 √
|aa∗ | = a∗x 2 + a∗y 2 + a∗z 2 =
y z
x
+ + = = 1=1
|aa|2 |aa|2 |aa|2 |aa|2

Beispiel 5.22:
Der Vektor a = [1; 1; 0] soll normiert werden.
 
Länge von a: a = |aa| = a2x + a2y + a2z = 12 + 12 + 02 = 1,414

Der normierte Vektor a∗ lautet:


⎡ a ⎤ ⎡ 1

x
⎢ a ⎥ ⎢ 1,414 ⎥ ⎡ ⎤
⎢ a ⎥ ⎢ ⎢

⎥ 0,7071
⎢ y ⎥ ⎢ 1 ⎥ = ⎣ 0,7071 ⎦
a∗ = ⎢ ⎥=
⎢ a ⎥ ⎢ 1,414 ⎥
⎣ a ⎦ ⎢ ⎣

⎦ 0
z 0
a 1,414

|aa∗ | = 0,70712 + 0,70712 + 02 = 1

5.10.2 Richtungsvektor

Ein Richtungsvektor v kann ein Einheitsvektor sein, d.h. |vv| = 1, oder aber auch von beliebi-
ger Länge. Meistens wird er in Form eines Einheitsvektors verwendet (s. auch Abschnitt 5.10.1
auf Seite 224). Ist v kein Einheitsvektor, kann man ihn in einen solchen verwandeln, indem v
normiert wird, d.h. indem man v durch seine Länge |vv| dividiert.
⎡ vx ⎤
⎡ ⎤
⎢ |vv| ⎥ v∗x
⎢ ⎥ ⎢ ⎥
v ⎢ vy ⎥
v∗ = =⎢ ⎥ v∗ = ⎢⎣ v ∗ ⎥
⎦ |vv∗ | = 1 (5.34)
|vv| ⎢ |vv| ⎥ y
⎣ vz ⎦
v∗z
|v |
v
226 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.23:
Es soll der normierte Richtungsvektor bestimmt werden, der in Richtung des Vektors
v zeigt.
⎤ ⎡
2
v=⎣ 4 ⎦
−1

Der normierte Richtungsvektor v ∗ ergibt sich aus Gl. (5.34) :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
 2 0,4364
v 1 ⎣
|vv| = (2)2 + (4)2 + (−1)2 = 4,5826 v∗ = = 4 ⎦ = ⎣ 0,8729 ⎦
|vv| 4,5826
−1 −0,2182

|vv∗ | = 0,43642 + 0,87292 + (−0,2182)2 = 1

5.10.3 Vektorgleichung einer Geraden

5.10.3.1 Punktrichtungsform

Diese Darstellungsmöglichkeit einer Geraden entspricht sinngemäß der klassischen Punktstei-


gungsform. Die Steigung wird hier durch einen Richtungsvektor erfasst. Gegeben sind in Bild

@
@
@p P1 = (x1 , y1 , z1 )
@ a

 @
 R
@
@
r1  @ p P = (x, y, z)
 *@

 
r 
y
@@G
 
  
O 
z x

Bild 5.16: Punktrichtungsform der Geraden G

5.16 mit Bezug auf den Koordinatenursprung O ein Punkt P1 = (x1 ; y1 ; z1 ) und ein Richtungsvek-
tor a (aa muss hier nicht zwangsläufig ein Einheitsvektor sein, das wäre aber durchaus zweckmä-
ßig). Die Gerade G ist so definiert, dass sie durch den Punkt P1 geht und den Vektor a enthält. G
ist vollständig bestimmt, wenn man den Ortsvektor r jedes beliebigen Punktes P auf der Geraden
mittels folgender Vektorgleichung angeben kann:
−→
G: r = r 1 + P1 P
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 227

−→
Der Vektor P1 P wird durch Skalierung des Vektors a gewonnen:
−→
P1 P = λ a

Die Geradengleichung in Vektorform lautet:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax
r = r1 + λ a oder ⎣ y ⎦=⎣ y1 ⎦ +λ ⎣ ay ⎦ (5.35)
z z1 az
        
r r1 a

Die Positionskoordinaten des Punktes P = (x; y; z) hängen in dieser Darstellungsform sowohl


vom Skalierungsfaktor λ als auch von der Länge des Vektors a ab. Der Faktor λ lässt sich an-
schaulich als Anzahl der Schritte in Richtung von a deuten, wenn |aa| als Schrittweite verstanden
wird. Deshalb könnte man den Vektor a sowohl als Richtungsvektor als auch als Schrittvektor
ansehen.
Anmerkung. Es sollte nicht vergessen werden, dass in technischen Anwendungen der Multi-
plikator λ eng mit der physikalischen Bedeutung des Richtungsvektors a zusammenhängt. Zum
Beispiel könnte a der Geschwindigkeitsvektor eines Körpers sein und λ die Zeit ausdrücken.
Die in λ Sekunden zurückgelegte Strecke würde dann s = |λ · a | sein. Wenn man dabei vor-
her den Vektor a normiert, lässt sich das physikalische Problem nicht mehr korrekt erfassen,
weil a dann nicht mehr die tatsächliche, sondern eine verzerrte Geschwindigkeit (vom Betrag 1)
bedeuten würde.

Beispiel 5.24:
: Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden, die durch den Punkt P1 = (3; −2; 1)
geht und dem Vektor a = [5 2 3] parallel ist. Gesucht sind auch die xyz-Koordinaten
des Punkts P für λ = 2, wenn |aa| als Schrittweite gewählt wird.
Vektorgleichung der Geraden nach (5.35):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax 3 5
r = ⎣ y ⎦ = ⎣ y1 ⎦ + λ ⎣ ay ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ 2 ⎦
z z1 az 1 3

Koordinaten des Punkts P für λ = 2 :


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x 3 5 13
r = r1 + 2 a ⎣ y ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + 2 ⎣ 2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
z 1 3 7

Aufgabe: Welche Koordinaten hätte der Punkt P des Beispiels 5.24, wenn der Richtungsvektor
a ein Einheitsvektor wäre?

Lsg: a ∗ = [0,8111; 0,3244; 0,4867] P = (4,62; −1,35; 1,97)


228 5 Vektorrechnung

5.10.3.2 Zweipunkteform
Gegeben sind in Bild 5.17 mit Bezug auf den Koordinatenursprung O zwei Punkte P1 = (x1 ; y1 ; z1 )
und P2 = (x2 ; y2 ; z2 ). Durch die beiden Punkte soll die Gerade G gehen. Diese Gerade ist voll-
ständig bestimmt, wenn der Ortsvektor r = [x y z ] eines beliebigen Punktes P auf der Geraden
mittels einer Vektorgleichung angegeben werden kann.

@@qP1
@ r 2 −rr 1
 @
RqP2
@
 @
r 1  r2 @ qP = (x, y, z)
 *@


y  
r @ G
  @
  
O 
x
z

Bild 5.17: Zweipunkteform der Geraden G

−−→
Für den Ortsvektor r sowie den Vektor P1 P2 erhält man:
−→ −−→ −−→
r = r 1 + P1 P r 1 + P1 P2 = r 2 ⇒ P1 P2 = r 2 −rr 1
−→ −−→
Der Vektor P1 P kann aus dem Vektor P1 P2 durch Skalierung gewonnen werden:
−→ −−→
P1 P = λ · P1 P2 = λ (rr 2 −rr 1 )

Das Einsetzen dieser Beziehung in den Ausdruck für r liefert die Vektorgleichung von G:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 x2 − x1
G: r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) oder ⎣ y ⎦=⎣ y1 ⎦ +λ ⎣ y2 − y1 ⎦ (5.36)
z z1 z2 − z1
        
r r1 r 2 −rr 1

Der Vektor r 2 − r 1 spielt hierbei offensichtlich die Rolle eines Richtungsvektors und bestimmt
auch die Schrittweite. Die Positionskoordinaten des Punktes P = (x; y; z) hängen deshalb sowohl
vom Skalierungsfaktor λ (Anzahl der Schritte) als auch von der Schrittweite |rr 2 −rr 1 | ab.
Beispiel 5.25:
Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden G, die durch die Punkte P1 = (1; 1; 1)
und P2 = (2; 0; 4) geht, sowie die Schrittweite auf der Geraden. Bestimmen Sie ferner
den normierten Richtungsvektor r 2 −rr 1 .
⎡ ⎤ ⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 2−1 1
r1 = ⎣ 1 ⎦ r2 = ⎣ 0 ⎦ r 2 −rr 1 = ⎣ 0 − 1 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
1 4 4−1 3
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 229

Geradengleichung:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x 1 1
r = ⎣ y ⎦ = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = ⎣ 1 ⎦ + λ ⎣ −1 ⎦
z 1 3

Schrittweite:
 √
|rr 2 −rr 1 | = 12 + (−1)2 + 32 = 11 = 3,3166

Normierter Richtungsvektor:
⎡ √ ⎤ ⎡ ⎤
1/√11 0,3015
r −rr
(rr 2 −rr 1 )∗ = = ⎣ −1/√11 ⎦ = ⎣ −0,3015 ⎦
2 1
|rr 2 −rr 1 |
3/ 11 0,9045

|(rr 2 −rr 1 )∗ | = 1

Beispiel 5.26:
Stellen Sie die Vektorgleichung einer Geraden G in der xy-Ebene auf, die durch die
klassische Beziehung x/3 + y/4 = 1 gegeben ist.
Zunächst werden zwei beliebige Punkte P1 und P2 auf der Geraden ermittelt. Wir
wählen hierfür willkürlich zwei Koordinatenwerte:
Für x1 = 0 erhält man:

0/3 + y/4 = 1 ⇒ y1 = 4 P1 = (0; 4)

Für y2 = 0 erhält man:

x/3 + 0/4 = 1 ⇒ x1 = 3 P1 = (3; 0)

Die Ortskoordinaten der Punkte P1 und P2 sind:


       
x1 0 x2 3
r1 = = r2 = =
y1 4 y2 0

Der Richtungsvektor ergibt sich zu:


   
3−0 3
r 2 −rr 1 = =
0−4 −4

Die Vektorform der Geraden G ergibt sich nach (5.36):


   
0 3
r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = +λ
4 −4
230 5 Vektorrechnung

5.10.3.3 Abstand zwischen einem Punkt und einer Geraden

Wir betrachten eine Gerade G in der Punktrichtungsform (Bild 5.18).

G: r = r1 + λ a

Gesucht ist der Abstand d eines Punktes Q von der Geraden G ( d entspricht der Länge der
Lotgeraden vom Punkt Q zur Geraden G).

P1 q c -q Q
@ d ,
@

 a@R@ ,,
@
 @
a ∗ @

@ P @

@ R
@q
2 @
r1  rQ
@

@G


y 

O

z x
Bild 5.18: Abstand eines Punktes von einer Geraden

Da die Länge des Vektors a beliebig sein kann, wird er zunächst normiert:
a −−→ −−→
a∗ = ⇒ |aa∗ | = 1 a ∗ ≡ P1 P2 |P1 P2 | = 1
|aa|
−−→
Der Vektor c = P1 Q lässt sich nach Regeln der Vektoraddition bestimmen:

rQ = r 1 +cc ⇒ c = rQ −rr 1

Die Fläche A des von den Vektoren a∗ und c aufgespannten Parallelogramms kann mit Hilfe
des Kreuzprodukts bestimmt werden:
 
a  |aa × (rrQ −rr 1 )|
A = |aa∗ ×cc| =  × (rrQ −rr 1 ) = (a)
|aa| |aa|

Nach Regeln der elementaren Geometrie ist die Fläche A eines Parallelogramms gleich dem
Produkt der Grundlänge |aa∗ | mit der Höhe d des Parallelogramms:

A = |aa∗ | d = 1 · d = d (b)
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 231

Gleichsetzen der beiden Flächenformeln (a) und (b) ergibt den gesuchten Abstand d:

|aa × (rrQ −rr 1 )|


d= (5.37)
|aa|

Beispiel 5.27:
Gesucht ist der Abstand des Punktes Q = (5; 3; −2) von der Geraden G, die durch
folgende Punkrichtungsform gegeben ist.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2
G: r = r1 + λ a = ⎣ 0 ⎦ + λ ⎣ 5 ⎦
1 2

⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 1 2 4
rQ = ⎣ 3 ⎦ r1 = ⎣ 0 ⎦ a=⎣ 5 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ 3 ⎦
−2 1 2 −3
 
 i j k 


a × (rrQ −rr 1 ) =  2 5 2  = −21 i + 14 j − 14 k
 4 3 −3 

|aa × (rrQ −rr 1 )| = (−21)2 + 142 + (−14)2 = 28,86
 28,86
|aa| = 22 + 52 + 22 = 5,745 ⇒ d= = 5,02
5,745

5.10.3.4 Schnittpunkt und Schnittwinkel zweier Geraden

Betrachtet werden zwei Geraden G1 und G2 in der Punktrichtungsform (Bild 5.19):

G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1

G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2

Der Schnittpunkt S lässt sich durch Gleichsetzen der Ortsvektoren r G1 und r G2 bestimmen:

r G1 = r G2 ⇒ r 1 + λ1 a 1 = r 2 + λ2 a 2 λ1 a 1 − λ2 a 2 = r 2 −rr 1

Wenn die Ortsvektoren r 1 , r 2 sowie die Richtungsvektoren a 1 , a 2 als Spaltenvektoren verstanden


werden, lässt sich diese Bestimmungsgleichung auch in folgender Matrixform schreiben:
 
  λ1  
a 1 −aa2 = r 2 −rr 1 (5.38)
λ2
232 5 Vektorrechnung

G2


a 2 
*

p
P2 
@ 

 rG2
@ 
q

p

S 
 @
r 2



@ pP1
y
 3@@ a1

 r1 @ R

((((( @
(
3


( ( ( rG1 @ G1
O
z x @@
Bild 5.19: Schnittpunkt zweier Geraden

oder in ausführlicher Schreibweise:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a1x −a2x   r2x − r1x
⎣ a1y −a2y ⎦ λ 1
= ⎣ r2y − r1y ⎦ (5.39)
λ2
a1z −a2z r2z − r1z

Dieses lineare Gleichungssystem besteht aus 3 Gleichungen und 2 Unbekannten. Es werden dar-
aus zwei Gleichungen ausgewählt und mit einem Verfahren, z.B. Cramer-Regel, nach λ1 und
λ2 gelöst (zur Hervorhebung des Schnittpunktes S werden sie als λ1s und λ2s bezeichnet). An-
schließend muss noch geprüft werden, ob die berechneten Parameter λ1s und λ2s die noch nicht
verarbeitete Gleichung in der dritten Zeile von (5.39) erfüllen. Wird diese dritte Gleichung auch
erfüllt, liegt tatsächlich ein Schnittpunkt vor, ansonsten schneiden sich die Geraden G1 und G2
nicht.
Durch Einsetzen des Parameters λ1s in die Gleichung für G1 (oder des Parameters λ2s in die
Gleichung für G2 ) werden die xyz-Koordinaten des Schnittpunktes S berechnet.

G1 : r S = r 1 + λ1s a 1 oder G2 : r S = r 2 + λ2s a 2 (5.40)

Der Schnittwinkel α zwischen den Geraden G1 und G2 lässt sich aus dem Skalarprodukt der
Richtungsvektoren a1 und a2 bestimmen:
 
a1 · a2 a1 · a2
cos α = α = arccos (5.41)
|aa1 | |aa2 | |aa1 | |aa2 |

Beispiel 5.28:
Gesucht ist der Schnittpunkt und Schnittwinkel der nachfolgend angegebenen Gera-
den.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2
G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1 = ⎣ 1 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦
0 1
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 233

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1
G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2 = ⎣ 0 ⎦ + λ2 ⎣ −1 ⎦
2 2
Für den Schnittpunkt gilt die Bedingung rG1 = rG2 . Daraus ergibt sich nach Umfor-
mung folgende Bestimmungsgleichung:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −1   2−1
⎣ 1 λ1
1 ⎦ = ⎣ 0−1 ⎦ (a)
λ2
1 −2 2−0

Zur Bestimmung von λ1 und λ2 werden die beiden ersten Zeilen verwendet:
    
2 −1 λ1 1
=
1 1 λ2 −1

Daraus folgt mit Hilfe der Cramer-Regel (oder Gauß-Elimination):


?
λ1s = 0 λ2s = −1 Kontrolle mit Hilfe der 3. Gl. in (a): 1 · 0 − 2(−1) = 2 

Die Koordinaten des Schnittpunktes ergeben sich zu:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 1
Aus G1 : rS = ⎣ 1 ⎦ + 0 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ S = (1; 1; 0)
0 1 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 1
Aus G2 : r S = ⎣ 0 ⎦ − 1 ⎣ −1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ S = (1; 1; 0)
2 2 0
Schnittwinkel α der Geraden G1 und G2 :
√ √
a 1 · a 2 = 2 · 1 + 1 · (−1) + 1 · 2 = 3 |aa1 | = 6 |aa2 | = 6

a1 · a2 3
cos α = = √ √ = 0,5 ⇒ α = 60◦
|a 1 ||a 2 |
a a 6 6

5.10.3.5 Vektorgleichung einer Ebene


Die Vektoralgebra bietet eine sehr elegante und kompakte Möglichkeit, eine Ebene im 3D-Raum
zu definieren (Bild 5.20). Zur Definition der Ebene E werden lediglich zwei Größen benötigt:
- ein beliebiger Punkt P1 = (x1 ; y1 ; z1 ) in der Ebene E
- ein beliebiger Normalenvektor n zur Ebene E (nn steht senkrecht zur E)
Der Normalenvektor n muss nicht unbedingt im Punkt P1 starten; jeder andere zur Ebene E
senkrecht stehende Vektor ist auch als Normalenvektor geeignet. Die Ebene E, deren Gleichung
234 5 Vektorrechnung

6
%n
% %
%
% :qP = (x, y, z)
r −rr 1
 %
%  %
P1 q 
7
% %
%   Ebene E %
 
 
r1  r n⊥E
 
 
 
y
 

O

z x
Bild 5.20: Vektorgleichung einer Ebene

wir suchen, ist eindeutig bestimmt, wenn der Ortsvektor r eines beliebigen Punktes P, der in
dieser Ebene liegt, angegeben werden kann.
−→
Der Vektor P1 P = r −rr1 liegt in der Ebene E, folglich er ist orthogonal zum Normalenvektor
n . Ihr Skalarprodukt muss daher gleich Null sein:

n · (rr −rr 1 ) = 0 ⇒ n · r −nn · r 1 = 0 n · r = n · r1

Die obigen Beziehungen repräsentieren die Vektorgleichung der Ebene:

E : n · (rr −rr 1 ) = 0 oder n · r = n · r 1 (5.42)

Man erhält die klassische Form einer Ebenengleichung durch Einsetzen der Vektoren
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
nx x x1
n = ⎣ ny ⎦ r =⎣ y ⎦ r1 = ⎣ y1 ⎦
nz z z1

in (5.42) und Bildung der Skalarprodukte als:

E : nx x + ny y + nz z = nx x1 + ny y1 + nz z1 (5.43)

Beispiel 5.29:
Gesucht ist die Gleichung
 der Ebene,
 die den Punkt P1 = (2; −5; 3) enthält und den
Normalenvektor n = 4 2 5 besitzt.

⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎤
4 x 2
n=⎣ 2 ⎦ r =⎣ y ⎦ r1 = ⎣ −5 ⎦
5 z 3
5.10 Vektorrechnung in der analytischen Geometrie 235

Die Gleichung der Ebene erhält man aus (5.42):

n · r = 4x + 2y + 5z n · r1 = 4 · 2 + 2 · (−5) + 5 · 3 = 13

⇒ E : 4x + 2y + 5z = 13 Gleichung der Ebene E

5.10.3.6 Abstand eines Punktes von einer Ebene


Eine Ebene sei durch den Punkt P1 mit dem Ortsvektor r 1 und den Normalenvektor n gegeben
(Bild 5.21). Der Abstand des Punkts Q mit dem Ortsvektor r Q von der Ebene E entspricht der
Länge d der Lotgeraden QQ vom Punkt Q zur Ebene E.

qQ
((((
((( 

b6




d
 n6 a 


 n∗ 6 q (((qQ


( (
 P1 ( q ( 
  Ebene E 


r 1 
r
Q


y 

O

z x
Bild 5.21: Vektorgleichung einer Ebene

Das Skalarprodukt zwischen a und n ist gegeben durch

a · n = |aa| |nn| cos α,

wobei α den Winkel zwischen a und n bezeichnet. Durch Umstellung erhält man aus dieser
Beziehung den Ausdruck
a ·n a ·n
= |aa| cos α ⇒ d= , (a)
|nn|    |nn|
=d

weil der Term |aa| cos α gemäß elementarer Trigonometrie nichts anderes ist als der gesuchte
Abstand d (Linie d ist parallel zu n ).
Aus r1 + a = rQ folgt a = rQ − r1 . Einsetzen dieses Ausdrucks für a in die Beziehung (a)
liefert:
(rrQ −rr1 ) · n
d=
|nn|

In Abhängigkeit von der relativen Orientierung der Vektoren a und n zueinander kann der
236 5 Vektorrechnung

berechnete Abstand d positiv oder negativ sein (je nachdem ob der Winkel zwischen n und a
größer oder kleiner als 90◦ ist). Ein negativer Abstand macht geometrisch keinen Sinn, weshalb
er immer als Absolutwert berechnet werden sollte:
 
 (rrQ −rr1 ) · n 
d=   (5.44)
|nn| 

Beispiel 5.30:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q von der Ebene, die durch den Punkt P1 und
den Normalenvektor n definiert ist.
⎡ ⎤
1
Q = (−2; 1; 3) P1 = (1; 0; 9) n=⎣ 3 ⎦
5
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 1 −2 − 1 −3
rQ = ⎣ 1 ⎦ r1 = ⎣ 0 ⎦ r Q −rr 1 = ⎣ 1 − 0 ⎦ = ⎣ 1 ⎦
3 9 3−9 −6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −3
n · (rrQ −rr1 ) = ⎣ 3 ⎦ · ⎣ 1 ⎦ = −3 + 3 − 30 = −30
5 −6
 √
|nn · (rrQ −rr1 )| = | − 30| = 30 |nn| = 12 + 32 + 52 = 35 = 5,916
Abstand d nach Gl. (5.44): d = 30/5,916 = 5,07

5.10.4 Vektorgleichungen einer Kurve


Die Parameterdarstellung einer Kurve K im 2D- oder 3D-Raum erfolgt mit Hilfe eines geeigneten
Parameters t wie folgt (s. auch Seite 45):

- 2D-Raum: x = x(t) y = y(t)

- 3D-Raum: x = x(t) y = y(t) z = z(t)

x,y,z sind die Koordinaten eines zum Parameter t korrespondierenden Punktes auf der Kurve K.
Verschiedenen Werten von t entsprechen verschiedene Positionen auf der Kurve.
Eine Kurve im 2D- bzw. 3D-Raum ist vollständig beschrieben, wenn die räumliche Position
jedes einem beliebigen Parameter t zugeordneten Kurvenpunktes P angegeben werden kann.
Die Positionsangabe erfolgt zweckmäßigerweise durch die Aufstellung einer Funktion für den
Ortsvektor r (t). Die Vektorgleichung einer Kurve ist daher durch folgende Ortsvektorfunktion
gegeben:

r = r (t) = x(t) i + y(t) j + z(t) k (5.45)


5.11 Zusätzliche Beispiele 237

Beispiel 5.31:
Nachfolgend sind die Vektorgleichungen für zwei Kurven angegeben.
a) Kreis in der xy-Ebene (s. auch Seite 45).

r (α) = r cos
 α i + r sin
 α j
x y

r : Kreisradius, α : Umfangswinkel, bezogen auf die x-Achse.


b) Schraubenlinie im xyz-Raum (s. auch Seite 47).

 α i + r sin
r (α) = r cos  α j + 2π k
x y 
z

r : Schraubenradius, α : Umlaufwinkel, h : Ganghöhe.

5.11 Zusätzliche Beispiele


Beispiel 5.32:
Der Vektor a besitzt die Komponenten [ax ay az ]T = [2 3 0]T und den Anfangs-
punkt P = (x1 ; y1 ; z1 ) = (4; 9; 0). Gesucht sind die Koordinaten seines Endpunktes
Q = (x2 ; y2 ; z2 ) sowie seine Länge a.

ax = x2 − x1 x2 = x1 + ax = 4 + 2 = 6
ay = y2 − y1 ⇒ y2 = y1 + ay = 9 + 3 = 12 ⇒ Q = (6; 12; 0)
az = z2 − z1 z2 = z1 + az = 0 + 0 = 0
√ 
a = | a| = a · a = 22 + 32 + 02 = 3,61

Beispiel 5.33:
Der Vektor v = [vx vy vz ]T = [13 8 − 5]T besitzt den Endpunkt Q = (x2 ; y2 ; z2 ) =
(−2; 5; 4). Bestimmen Sie seine Länge v und die Koordinaten des Anfangspunktes
P = (x1 ; y1 ; z1 ).

v = | v | = 132 + 82 + (−5)2 = 16,06
ax = x2 − x1 x1 = x2 − ax = −2 − 13 = −15
⇒ P = (−15; −3; 9)
ay = y2 − y1 y1 = y2 − ay = 5 − 8 = −3
az = z2 − z1 z1 = z2 − az = 4 − (−5) = 9

Beispiel 5.34:
Der Vektor a mit dem Anfangspunkt P = (−1; −4; 2) und dem Endpunkt Q = (5; 3; 7)
soll in der Gleichungsform mit Basisvektoren i , j , k bestimmt werden.
238 5 Vektorrechnung


ax = x2 − x1 = 5 − (−1) = 6 ⎬
ay = y2 − y1 = 3 − (−4) = 7 ⇒ a = ax i +ay j +az k = 6 i +7 j +5 k

az = z2 − z1 = 7 − 2 = 5

Beispiel 5.35:
Gesucht sind folgende Skalarprodukte der kartesischen Basisvektoren i , j und k .

i · i =? i · j =? i · k =?
j · i =? j · j =? j · k =?
k · i =? k · j =? k · k =?

i ·i = 1 · 1+0 · 0+0 · 0 = 1 i · j = 1·0+0·1+0·0 = 0


i ·k = 1 · 0+0 · 0+0 · 1 = 0 j ·i = 0 · 1+1 · 0+0 · 0 = 0
j · j = 0·0+1·1+0·0 = 1 j ·k = 0 · 0+1 · 0+0 · 1 = 0
k ·i = 0 · 1+0 · 0+1 · 0 = 0 k · j = 0·0+0·1+1·0 = 0
k ·k = 0 · 0+0 · 0+1 · 1 = 1

Beispiel 5.36:
   
1 1
Gesucht ist der Winkel zwischen den Vektoren a = und b =
2 −1
 √  √
a · b = 1 · 1 + 2 · (−1) = −1 |aa| = 12 + 22 = 5 |bb| = 12 + (−1)2 = 2

a ·b −1 −1
cos α = =√ √ =√ α = arccos(−0,31623) = 108,4◦
|aa| |bb| 5 2 10

Beispiel 5.37:
Gegeben sind im kartesischen Koordinatensystem die Punkte P = (−2, 4, 8) und
−→
Q = (6, −2, 4). Bestimmen Sie die Winkel zwischen dem Vektor v =PQ und den
Koordinatenachsen x, y, z.
−→
v =PQ= [6 − (−2); −2 − 4; 4 − 8] = 8ii − 6 j − 4kk ⇒ |vv| = 10,77
        
vx vy vz

v ·i 8·1
cos αx = = = 0,743 ⇒ αx = 42◦
|vv| |ii| 10,77 · 1
v·j −6 · 1
cos αy = = = −0,557 ⇒ αy = 123,8◦
|vv| | j | 10,77 · 1
v ·k −4 · 1
cos αz = = = −0,371 ⇒ αz = 111,8◦
|vv| |kk | 10,77 · 1
5.11 Zusätzliche Beispiele 239

Beispiel 5.38:
Berechnen Sie mit Hilfe des Skalarprodukts die inneren Winkel des Dreiecks mit den
Eckpunkten

A = (−3; 0; 3) B = (5; 4; −2) C = (4; −1; 3)


⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
8 7 −1

→ −
→ −

AB = a = ⎣ 4 ⎦ AC = b = ⎣ −1 ⎦ BC = c = ⎣ −5 ⎦
−5 0 5
. . .
α = ∠(AB, AC) β = ∠(BA, BC) γ = ∠(CA, CB)
a ·b (−aa) · c (−bb) · (−cc)
α = arccos β = arccos γ = arccos
|aa||bb| |aa||cc| |bb||cc|
a · b = 52 (−aa) · c = 53 (−bb) · (−cc) = −2
√ √ √
|aa| = 105 = 10,247 |bb| = 50 = 7,071 |cc| = 51 = 7,141
52 53
α = arccos = 44,14◦ β = arccos = 43,59◦
10,247 · 7,071 10,247 · 7,141
−2
γ = arccos = 92,27◦
7,071 · 7,141

Beispiel 5.39:
Bestimmen Sie das Ergebnis folgender Ausdrücke (ii, j , k sind die Basisvektoren des
3D kartesischen Koordinatensystems).
a) (ii × j ) × j =? (ii × j ) × j = k × j = −ii
  
k
b) i × ( j × j ) =? i × ( j × j ) = i ×00 = 0
  
0
c) i × j ×ii × j =? (Operationen sind von links nach rechts durchzuführen.)

i × j ×ii × j = k ×ii × j = j × j = 0
 
k j

d) ((ii × j ) · k ) j ×kk =? (Operationen sind von links nach rechts durchzuführen.)

((ii × j ) · k ) j ×kk = (kk · k ) j ×kk = j ×kk = i


     
k 1
240 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.40:
Überprüfen Sie die Regel a × (bb × c ) = (aa × b ) × c in Tabelle 5.3 auf Seite 213 für
a = i, b = i , c = j .
Nach Substitution der Vektoren i , j und k anstelle von a , b und c in die angegebene
Regel erhält man:

i × (ii × j ) = i ×kk = − j aber (ii ×ii) × j = 0 × j = 0 ⇒ − j = 0 


     
k 0

Beispiel 5.41:
Über zwei Vektoren a und b ist nur bekannt, dass sie die Bedingung |aa × b | = a · b
erfüllen. Es ist zu bestimmen, welchen Winkel α die Vektoren a und b einschließen.

|aa ×bb| = |aa||bb| sin α |aa · b | = |aa||bb| cos α

⇒ |aa||bb| sin α = |aa||bb| cos α ⇒ sin α = cos α


⇒ tan α = 1 α = arctan 1 = 45◦

Beispiel 5.42:
Die Definition des Kreuzprodukts in (5.18) auf Seite 212 soll hier ausführlich herge-
leitet werden. Wir wissen, dass c = a ×bb ein Vektor ist, der sowohl auf a als auch auf
b senkrecht steht. Es folgt daraus, dass folgende Beziehungen erfüllt sein müssen:

c ·a = 0 und c ·b = 0

wobei

a = a x i + ay j + az k ; b = b x i + b y j + bz k ; c = c x i + cy j + cz k ;

Die Skalarprodukte liefern folgende Gleichungen:

c · a = cx ax + cy ay + cz az = 0 (a)

c · b = cx bx + cy by + cz bz = 0 (b)
Nun wird zunächst (a) mit bz und (b) mit az multipliziert, anschließend wird (b) von
(a) subtrahiert:

cx ax bz + cy ay bz + cz az bz = 0

cx bx az + cy by az + cz bz az = 0
cx (ax bz − bx az ) + cy (ay bz − by az ) + cz (az bz − bz az ) = 0
  
=0
5.11 Zusätzliche Beispiele 241

⇒ cy (ay bz − az by ) = cx (az bx − ax bz ) (c)


Beziehung (c) wird automatisch erfüllt, wenn wir für cx und cy folgende Ausdrücke
wählen:

cx = (ay bz − az by ) cy = (az bx − ax bz ) (d)

Jetzt wird (a) mit bx und (b) mit ax multipliziert, anschließend werden sie voneinander
subtrahiert:

cx ax bx + cy ay bx + cz az bx = 0

cx bx ax + cy by ax + cz bz ax = 0
cx (ax bx − bx ax ) +cy (ay bx − by ax ) + cz (az bx − bz ax ) = 0
  
=0

⇒ cz (az bx − ax bz ) = cy (ax by − ay bx )
Daraus folgen für cy und cz :

cy = (az bx − ax bz ) cz = (ax by − ay bx ) (e)

Der Vektor c lautet also

c = (ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k

Dieser Ausdruck ist mit demjenigen in(5.18) auf Seite 212 identisch, womit die Be-
weis für die Richtigkeit von (5.18) erbracht wäre.

Beispiel 5.43:
Die Kreuzproduktformel (5.21) auf Seite 213 ist sehr nützlich, wenn es nur um die
Berechnung des Betrags des Vektorprodukts geht und nicht um das Vektorprodukt
(also um die Komponenten des Vektors c ) selbst. Nachfolgend wird die Herleitung
von (5.21) gezeigt. Als Ausgangspunkt dient die Beziehung (5.20) auf Seite 212:

|cc| = |aa ×bb| = |aa| |bb| sin α

Quadrieren beider Seiten liefert:

|cc|2 = |aa|2 |bb|2 sin2 α ⇒ |cc|2 = |aa|2 |bb|2 (1 − cos2 α)

Das Einsetzen folgender Beziehungen, die aus (5.13) auf Seite 209 sowie (5.15) auf
Seite 210 folgen, in den obigen Ausdruck liefert die gesuchte Formel (5.21):

|aa|2 |bb|2 cos2 α = (aa · b )2 |aa|2 = a · a |bb|2 = b · b



|cc|2 = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 |cc| = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 
242 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.44:

In diesem Beispiel wird untersucht, warum der Betrag des Kreuzprodukts in (5.19)
auf Seite 212 dem Flächeninhalt A des Parallelogramms entspricht, welches von den
Vektoren a und b aufgespannt wird.

In Beispiel 5.42 waren die Komponenten des Kreusprodukts c wie folgt ermittelt
worden:

cx = (ay bz − az by ) cy = (az bx − ax bz ) cz = (ax by − ay bx )

Jetzt berechnen wir den Betrag (die Länge) von c :



|cc| = c2x + c2y + c2z

= (ay bz − az by )2 + (az bx − ax bz )2 + (ax by − ay bx );

Die letzte Zeile kann auch in folgende Form gebracht werden (durch Ausmultiplizie-
ren und Vergleichen beider Ausdrücke kann dies verifiziert werden):

|cc| = (a2x + a2y + a2z )(b2x + b2y + b2z ) − (ax bx + ay by + az bz )2 ;

Der Ausdruck in der letzten Zeile läßt sich mit Hilfe des Skalarprodukts auch in fol-
gender Form schreiben:

|cc| = (aa · a )(bb · b ) − (aa · b )2 ; (a)

Der Flächeninhalt eines Parallelogramms ist bekanntlich gleich dem Produkt seiner
Grundkantenlänge L und seiner Höhe h, d.h.

A = L·h

Wir wählen als Grundkante den Vektor a , d.h. es ist L = |aa|. Die Höhe ergibt sich aus
h = |bb| sin α, wobei α der Winkel zwischen a und b ist.

A = |aa| · |bb| sin α

Dem Beispiel 5.43 auf Seite 241 entnehmen wir nun, dass

|aa| · |bb| sin α = (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2

⇒ A= (aa · a ) (bb · b ) − (aa · b )2 (b)
Vergleich von (a) mit (b) zeigt sofort, dass |cc| = A gilt, womit der Beweis für Glei-
chung (5.19) erbracht wäre.
5.11 Zusätzliche Beispiele 243

Beispiel 5.45:
Es soll untersucht werden, ob die Vektoren a und b parallel oder orthogonal sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1
a) a = ⎣ 1 ⎦ b = ⎣ −1 ⎦
2 0
Die Frage, ob die Vektoren parallel sind, kann mit Hilfe des Kreuzprodukts oder
des Skalarprodukts beantwortet werden. Wenn zwei Vektoren parallel, d.h. linear
abhängig, sind, muss ihr Kreuzprodukt gleich Null sein.
   
 i
 j k   i j k 
a ×bb =  ax ay az  =  1 1 2  = 2 i + 2 j − 2 k = 0
 b b b   1 −1 0 
x y z

⇒ a und b sind nicht parallel.


Eine Aussage über die Orthogonalität ist über das Skalarprodukt möglich. Wenn
zwei Vektoren orthogonal sind, ist der Winkel α zwischen ihnen gleich 90◦ .

cos α = 0 = a · b = 1 · 1 + 1 · (−1) + 2 · 0 = 0 ⇒ Sie sind orthogonal.


   
6 42 3 8 12
b) a = −4 b= − −
8 5 28 14 10

Sie sind parallel, weil a ×bb = 0 (Sie sollten die Detailberechnung zwecks Übung
ausführen). Alternativ läßt sich die Aufgabe auch über die Bestimmung des Win-
kels α zwischen den Vektoren a und b mit Hilfe des Skalarprodukts lösen:

|aa| = 9,33394 |bb| = 1,33342 a · b = −12,44607

a ·b −12,44607
cos α = = = −1,00000 ⇒ α = 180◦
|aa| |bb| 9,33394 · 1,33342
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0,35 −2,8
c) a = ⎣ −1,4 ⎦ b = ⎣ 11,2 ⎦
4,2 −33,6

a · b = −157,78 = 0 ⇒ a und b sind nicht orthogonal

Wenn zwei Vektoren parallel, d.h. linear abhängig, sind, muss ihr Kreuzprodukt
gleich Null sein.
   
 i j k   i j k 

a ×bb =  ax ay az  =  0,35 −1,4 4,2 
 b b b   −2,8 11,2 −33,6 
x y z
= 0i +0 j +0k = 0 ⇒ a und b sind parallel
244 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.46:
Der Ausdruck (aa · b )2 + (|aa ×bb|)2 soll so weit wie möglich vereinfacht werden.

Skalarprodukt: a · b = |aa||bb| cos α

Vektorprodukt: |aa ×bb| = |aa||bb| sin α


(|aa||bb| cos α)2 + (|aa||bb| sin α)2 = (|aa||bb|)2 (cos2 α + sin2 α ) = (|aa| |bb|)2
  
=1

⇒ (aa · b ) + (|aa ×bb|) = (|aa| |bb|)


2 2 2

Beispiel 5.47:
Von drei -nicht näher spezifizierten- Vektoren a , b , c ist nur bekannt, dass sie folgende
Bedingung erfüllen. Bestimmen Sie den Winkel α zwischen a und c .

a × (bb ×cc) = 0

Die angegebene Bedingung (Nullvektor 0 auf der rechen Seite) bedeutet, dass der
Vektor a und das Kreuzprodukt (bb ×cc) (der ebenfalls ein Vektor ist) parallel sind.
Das Krezprodukt b × c steht senkrecht zu der Ebene, die von b und c aufgespannt
wird, d.h. b × c schließt mit dem Vektor c einen Winkel von 90◦ ein. Deshalb ist der
gesuchte Winkel α zwischen a und c : α = 90◦

Beispiel 5.48:
Es ist zu zeigen, dass das nach (5.18) auf Seite 212 berechnete Kreuzprodukt c tatsäch-
lich senkrecht auf der Ebene steht, die von den Vektoren a und b aufgespannt wird.

Wenn der Vektor c tatsächlich senkrecht auf der aufgespannten Ebene stünde, dann
müsste er senkrecht sein sowohl zu a als auch zu b - Das bedeutet, dass für die Skalar-
produkte c · a und c · b gelten muss: c · a = 0 und c · b = 0.

c · a = [(ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k ] · (ax i + ay j + az k )


= ax (ay bz − az by ) + ay (az bx − ax bz ) + az (ax by − ay bx )
= ax ay bz − ax az by + ay az bx − ay ax bz + az ax by − az ay bx
=0

c · b = [(ay bz − az by ) i + (az bx − ax bz ) j + (ax by − ay bx ) k ] · (bx i + by j + bz k )


= bx (ay bz − az by ) + by (az bx − ax bz ) + bz (ax by − ay bx )
= bx ay bz − bx az by + by az bx − by ax bz + bz ax by − bz ay bx
=0
5.11 Zusätzliche Beispiele 245

Beispiel 5.49:
Mit Hilfe des Kreuzproduktes soll die Fläche des von den Vektoren a und b aufge-
spannten Parallelogramms berechnet werden.
⎡⎤ ⎡⎤
1 1
a=⎣ 0 ⎦ b=⎣ 1 ⎦
2 2

Die gesuchte Fläche ist gleich dem Betrag des Kreuzproduktes:


   
 i
 j k   i j k 
A = |aa ×bb| a ×bb =  ax ay az  =  1 0 2  = −2 i + 0 j + 1 k
 b b b   1 1 2 
x y z

A = |aa ×bb| = (−2)2 + 02 + 12 = 2,24

Beispiel 5.50:
Gegeben sind im 3D-Raum die Punkte A = (1; 2; 3), B = (−1; 4; −5), C = (0,1, −6).
−→
Gesucht ist der Flächeninhalt A des Parallelogramms, das von den Vektoren a =AB
−→
und b =AC aufgespannt wird.
Die Fläche des Parallelogramms entspricht dem Betrag des Kreuzproduktes der
Vektoren a und b , vgl. Gl. (5.19). Die Auswertung von (5.19) wird sowohl nach Gl.
(5.17) als auch nach Gl. (5.21) durchgeführt.
a) Lösung nach (5.17)
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−1 − 1 −2 0−1 −1
A = |aa ×bb| a = ⎣ 4−2 ⎦ = ⎣ 2 ⎦ b = ⎣ 1 − 2 ⎦ = ⎣ −1 ⎦
−5 − 3 −8 −6 − 3 −9
 
 i j k 

a ×bb =  −2 2 −8  = −26 i − 10 j + 4 k
 −1 −1 −9 

A = |aa ×bb| = (−26)2 + (−10)2 + 42 = 28,14
b) Lösung nach (5.21)

A = (aa · a ) · (bb · b ) − (aa · b )2

a · a = 4 + 4 + 64 = 72 b · b = 1 + 1 + 81 = 83

a · b = −2(−1) + 2(−1) − 8(−9) = 72 A = 72 · 83 − 722 = 28,14
246 5 Vektorrechnung

Beispiel 5.51:
Die Vektoren v1 und v2 spannen ein Parallelogramm im 3D-Raum auf. Für welchen
Wert des Parameters λ beträgt die Fläche dieses Parallelogramms genau A = 20?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 −λ
v1 = ⎣ 1 ⎦ v2 = ⎣ 5 ⎦
1 −5
⎡ ⎤
i j k
v = v1 ×vv2 = det ⎣ 1 1 1 ⎦ = −10 i + (−λ + 5) j + (5 + λ ) k
−λ 5 −5

A = |vv| = [102 + (−λ + 5)2 + (5 + λ )2 ]1/2 = 20


A2 = 150 + 2λ 2 = 400 ⇒ λ = ±11,18

Beispiel 5.52:
Es soll der Flächeninhalt A eines Dreiecks, das durch seine Eckpunkte A, B, C defi-
niert ist, berechnet werden.

A = (1; 0; 0) B = (0; 1; 0) C = (0; 0; 1)

Die Dreiecksfläche A entspricht der halben Fläche des zugehörigen Parallelogramms,



→ −→
welches von den Vektoren a = AB und b = AC gebildet wird.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0−1 −1 0−1 −1
a = ⎣ 1−0 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ b = ⎣ 0−0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦
0−0 0 1−0 1
   
 i j k   i j k 
  
a ×bb =  ax ay az  =  −1
  1 0  = i + j +kk
 b by bz   −1 0 1 
x

1  2
A= 1 + 12 + 12 = 0,866
2   
Parallelogrammfläche
5.11 Zusätzliche Beispiele 247

Beispiel 5.53:
In diesem Beispiel wollen wir die Richtigkeit der in der Tabelle 5.3 auf Seite 213
angegebenen Regel a × (bb × c ) = (aa · c ) b − (aa · b ) c für das Kreuzprodukt von drei
Vektoren zeigen.
Bevor der Beweis durchgeführt wird, ist es zweckmäßig, sich anschaulich ein Bild
davon zu machen, was die einzelnen Terme im obigen Ausdruck bedeuten. Die Ter-
me a · c und a · b sind Skalarprodukte, d.h. Zahlen. Folglich bedeutet der Ausdruck
(aa · c ) b − (aa · b ) c nichts anderes als eine Linearkombination der Vektoren b und c .
Der aus dieser Linearkombination hervorgehende Vektor liegt natürlicherweise in der
von b und c aufgespannten Ebene E. Das zweifache Kreuzprodukt a × (bb ×cc) ist also
ein Vektor, der in der Ebene E liegt. Dass dies auch tatsächlich so sein muss, läßt sich
leicht plausibel machen, wenn vor Augen gehalten wird, dass b ×cc ein Vektor ist, der
auf der Ebene E senkrecht steht. Also muss das Kreuzprodukt a × (bb × c ) wiederum
in der Ebene E liegen.
Der Beweis wird geführt, indem a × (bb ×cc) vollständig ausgeschrieben wird:
 
 i j k 

b ×cc =  bx by bz 
 c c c 
x y z
= (by cz − bz cy ) i + (bz cx − bx cz ) j + (bx cy − by cx ) k
        
ux uy uz

b ×cc = u = uxi + uy j + uzk

 
 i j k 
 
a × (bb ×cc) = a ×uu = v =  ax ay az 

 u uy uz 
x
= (ay uz − az uy ) i + (az ux − ax uz ) j + (ax uy − ay ux ) k
        
vx vy vz

Der Übersichtlichkeit halber werden die einzelnen Komponenten des Kreuzprodukts


getrennt betrachtet.
Für die vx -Komponente erhalten wir:

vx = ay uz − az uy = ay (bx cy − by cx ) − az (bz cx − bx cz )
= bx (ay cy + az cz ) − cx (ay by + az bz )

Nun fügen wir dem letzten Ausdruck den Term ax bx cx − ax bx cx hinzu, wodurch ja
sich eigentlich nichts ändert (was aber für angestrebten Beweis sich als sehr nützlich
erweist):

vx = bx (ax cx + ay cy + az cz ) −cx (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b
248 5 Vektorrechnung

Die Wiederholung der obigen Vorgehensweise für die Komponenten vy und vz liefert
(der detaillierte Rechengang wird dem Leser zur Übung empfohlen):

vy = by (ax cx + ay cy + az cz ) −cy (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b

vz = bz (ax cx + ay cy + az cz ) −cz (ax bx + ay by + az bz )


     
a ·c a ·b

Zusammenfassend erhalten wir:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
vx bx (aa · c ) cx (aa · b )
a × (bb ×cc) = ⎣ vy ⎦ = ⎣ by (aa · c ) ⎦ − ⎣ cy (aa · b ) ⎦ = (aa · c) b − (aa · b) c 
vz bz (aa · c ) cz (aa · b )

Beispiel 5.54:

Es soll überprüft werden, ob folgende Vektoren linear abhängig sind.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 0 2
v1 = ⎣ 2 ⎦ v2 = ⎣ 0 ⎦ v3 = ⎣ 4 ⎦
1 3 0

Für linear abhängige Vektoren ist die Determinante der Komponentenmatrix gleich
Null. Es spielt keine Rolle, ob die Vektorkomponenten als Zeilen- oder Spaltenvek-
toren in der Matrix angeordnet werden (meistens ist jedoch zweckmäßiger, sie als
Spaltenvektoren zu schreiben).
 
 1 0 2 
 
|vv1 v2 v3 | =  2 0 4  = 1 · (0 − 12) − 2 · (0 − 6) + 1 · (0 − 0) = 0
 1 3 0 

⇒ v1 , v2 , v3 sind linear abhängig.

Beispiel 5.55:

Es soll bestimmt werden, für welchen Wert des Parameters λ die folgenden Vektoren
linear abhängig sind.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −λ 2
v1 = ⎣ −λ ⎦ v2 = ⎣ 2 ⎦ v3 = ⎣ 2 ⎦
−7 5 2
5.11 Zusätzliche Beispiele 249

Für lineare Abhängigkeit muss det[vv1 ; v2 ; v2 ] = 0 sein:


 
 2 −λ 2 
 
 −λ 2 2  = −2λ 2 + 4λ + 16 = 0 ⇒ λ1 = −2 λ2 = 4

 −7 5 2 

Es existieren also zwei λ -Werte, für die die Vektoren v1 , v2 v2 linear abhängig sind.
Kontrolle:
 
 2 2 2 
 
λ1 = −2 :  2 2 2  = −12 − 36 + 48 = 0 
 
 −7 5 2 

 
 2 −4 2 
 
λ1 = 4 :  −4 2 2  = −12 + 24 − 12 = 0 

 −7 5 2 

Beispiel 5.56:
Für welchen Wert des Parameters λ sind die folgenden Vektoren linear abhängig?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 −λ −6
v1 = ⎣ 3 ⎦ v2 = ⎣ 6 ⎦ v3 = ⎣ λ ⎦
3 15 21

Für lineare Abhängigkeit muss det [vv1 ; v2 ; v2 ] = 0 sein.


 
 3 −λ −6 
 
 3 6 λ  = −3λ 2 + 18λ + 216 = 0 ⇒ λ1 = −6 λ2 = 12

 3 15 21 

Beispiel 5.57:
Untersuchen Sie, ob alle vier Punkte in einer Ebene liegen.

P = (2; 3; 1) Q = (4; 3; 2) R = (3; 2; 1) S = (7; 0; 3)


−→ − → −

Falls die Vektoren PQ, PR und PS in einer Ebene liegen, würden zwangsläufig auch
alle vier Punkte auch in einer Ebene liegen. Wir müssen also durch Berechnung des
Spatprodukts herausfinden, ob die Vektoren in einer Ebene liegen.
Zunächst werden aus den Punktkoordinaten die Vektoren ermittelt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 1 5
−→ ⎣ ⎦ −
→ ⎣ −

PQ = 0 PR = −1 ⎦ PS = ⎣ −3 ⎦
1 0 2
250 5 Vektorrechnung

Das Spatprodukt lýefert:


   
 ax ay az   2 0 1 
   
a · (bb ×cc) =  bx by bz = 1
  −1 0  = −2 = 0

 c c cz   5 −3 2 
x y

Die drei Vektoren liegen also nicht in der gleichen Ebene, und folglich liegen die vier
Punkte nicht in der gleichen Ebene.

Beispiel 5.58:

Prüfen Sie, ob der Punkt Q auf der Geraden G liegt.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 2
Q = (−2; 4; −1) G : r = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ −2 ⎦
2 1

Wenn der Punkt Q auf der Geraden liegt, dann muss sein Ortsvektor r Q die Geraden-
gleichung erfüllen:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 4 2
r Q = ⎣ 4 ⎦ = ⎣ −2 ⎦ + λ ⎣ −2 ⎦
−1 2 1

Aus der 1. Zeile dieser Gleichung folgt: −2 = 4 + 2λ ⇒ λ = −3


Durch Einsetzen von λ in die 2. und 3. Zeile wird überprüft, ob evtl. ein Wider-
spruch auftritt:

2. Zeile: 4 = −2 + (−2) · (−3) = 4 

3. Zeile: − 1 = 2 + 1 · (−3) = −1 
Der Punkt Q liegt also auf der Geraden G.

Beispiel 5.59:

Zwei Punkte P1 = (2; 3; 4) und P2 = (−4; 4; 2) im 3D-Raum werden geradlinig mit-


einander verbunden. Auf dieser Verbindungslinie von der Länge L befindet sich ein
Punkt Q, der vom Punkt P1 den Abstand 0,3L hat. Gesucht sind die Koordinaten des
Punktes Q.

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 − 2 −6
−−→
P1 P2 = a = ⎣ 4 − 3 ⎦ = ⎣ 1 ⎦
2−4 −2
5.11 Zusätzliche Beispiele 251

−−→ −−→
Durch Skalierung des Vektors P1 P2 mit dem Faktor 0,3 erhält man den Vektor P1 Q:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−6 −1,8
−−→ −−→
P1 Q = 0,3 · P1 P2 = 0,3 · ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 0,3 ⎦
−2 −0,6

Die Koordinaten des Punktes Q lassen sich mit Hilfe seines Ortsvektors rQ bestim-
men:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 −1,8 0,2
−−→
r Q = r 1 + P1 Q = ⎣ 3 ⎦ + ⎣ 0,3 ⎦ = ⎣ 3,3 ⎦ ⇒ Q = (0,2; 3,3; 3,4)
4 −0,6 3,4

Beispiel 5.60:

Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden, die durch den Punkt P1 geht und dem
Vektor a parallel ist. Welche xyz-Koordinaten hat der Punkt Q auf der Geraden für die
Parameter λ1 = 2 und λ2 = −2?
⎡ ⎤
−1
P1 = (4; 0; 3) a=⎣ 1 ⎦
−1
⎡⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x x1 ax 4 −1
r = ⎣ y ⎦ = ⎣ y1 ⎦ + λ ⎣ ay ⎦ = ⎣ 0 ⎦ + λ ⎣ 1 ⎦
z z1 az 3 −1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 2
λ1 = 2 : r Q1 = ⎣ 0 ⎦ + 2 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ 2 ⎦
3 −1 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
4 −1 6
λ2 = −2 : r Q = ⎣ 0 ⎦ − 2 ⎣ 1 ⎦ = ⎣ −2
2

3 −1 5
für λ1 = 2 : Q1 = (2; 2,1) für λ2 = −2 : Q2 = (6; −2,5)

Beispiel 5.61:

Im 3D-Raum sind der Punkt Q = (4; 4; 4) und die folgende Gerade G gegeben:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1
G: r = ⎣ 0 ⎦+λ ⎣ 1 ⎦
0 −1
252 5 Vektorrechnung

Gesucht ist der Abstand d zwischen dem Punkt Q und der Geraden G.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1 4 3
r1 = ⎣ 0 ⎦ a=⎣ 1 ⎦ rQ = ⎣ 4 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ 4 ⎦
0 −1 4 4
 
 i j k 

a × (rrQ −rr 1 ) =  1 1 −1  = 8 i − 7 j +kk
 3 4 4 
 √
|aa × (rrQ −rr 1 )| = 82 + (−7)2 + 12 = 114
 √ 
|aa| = 12 + 12 + (−1)2 = 3 d = 114/3 = 6,16

Beispiel 5.62:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q von der Geraden, die durch den Punkt P1
geht und den Richtungsvektor a besitzt.
⎡ ⎤
1
P1 = (−4; 4; 0) Q = (1; 2; 3) a = ⎣ −1 ⎦
2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 1 5
r1 = ⎣ 4 ⎦ rQ = ⎣ 2 ⎦ r Q −rr 1 = ⎣ −2 ⎦
0 3 3
 
 i j k 

a × (rrQ −rr 1 ) =  1 −1 2  = i + 7 j + 3 k
 5 −2 3 

|aa × (rrQ −rr 1 )| = 12 + 72 + 32 = 7,68

7,68
|aa| = 12 + (−1)2 + 22 = 2,45 d= = 3,13
2,45

Beispiel 5.63:
Gesucht ist die Vektorgleichung der Geraden G, die durch die Punkte P1 = (2; 3; −4)
und P2 = (7; 9; 5) geht. Wie groß ist der Abstand d zwischen dem Punkt P1 und demje-
nigen Punkt Q auf der Geraden, der sich für λ = 4 ergibt?

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2 7 5
r1 = ⎣ 3 ⎦ r2 = ⎣ 9 ⎦ r 2 −rr 1 = ⎣ 6 ⎦
−4 5 9
5.11 Zusätzliche Beispiele 253

⎤ ⎡ ⎡ ⎤
2 5
G : r = r 1 + λ (rr 2 −rr 1 ) = ⎣ 3 ⎦ + λ ⎣ 6 ⎦
−4 9
⎤⎡
22 
λ =4: r Q = ⎣ 27 ⎦ d = |rr Q −rr 1 | = 202 + 242 + 362 = 47,67
32

Beispiel 5.64:
Eine Gerade G ist gegeben durch den Punkt P1 und den Richtungsvektor a . Wie groß
ist der Abstand zwischen dem Punkt Q und demjenigen Punkt P2 auf der Geraden G,
der sich für λ = 3 aus der Geradengleichung ergibt?
⎡⎤
1
P1 = (−4; 4; 0) a = ⎣ −1 ⎦ Q = (1; 2; 3)
2
⎡⎤ ⎡ ⎤
−4 1
G : r = r 1 + λaa = ⎣ 4 ⎦ + λ ⎣ −1 ⎦
0 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 1 −1 1
r 2 = ⎣ 4 ⎦ + 3 ⎣ −1 ⎦ = ⎣ 1 ⎦ rQ = ⎣ 2 ⎦
0 2 6 3

d = |rr Q −rr 2 | = (1 + 1)2 + (2 − 1)2 + (3 − 6)2 = 3,74

Beispiel 5.65:
Bestimmen Sie, sofern vorhanden, den Schnittpunkt der Geraden G1 und G2 .
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
1 −2
G1 : r G1 = r 1 + λ1 a 1 = ⎣ 2 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦
3 1
⎤ ⎡ ⎡ ⎤
4 1
G2 : r G2 = r 2 + λ2 a 2 = ⎣ 5 ⎦ + λ2 ⎣ 2 ⎦
9 −2
Gemäß (5.38) muss im Schnittpunkt die Bedingung rG1 = rG2 gelten. Daraus folgt:
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
  −2 −1   3
  λ1   λ
a1 −aa2 = r 2 −rr 1 ⎣ 1 −2 ⎦ 1
= ⎣ 3 ⎦ (a)
λ2 λ2
1 2 6
254 5 Vektorrechnung

Zur Bestimmung von λ1 und λ2 werden die beiden ersten Zeilen verwendet:
    
−2 −1 λ1 3
=
1 −2 λ2 3

Daraus folgt mit Hilfe der Cramer-Regel (oder Gauß-Elimination):

λ1s = −0,6 λ2s = −1,8

Zur Kontrolle werden die berechneten Parameter λ1s , λ2s in die 3. Gleichung von (a)
eingesetzt:
?
1 · (−0,6) + 2 · (−1,8 = 6 − 4,2 = 6 

Dieser Widerspruch zeigt, dass die Geraden G1 und G2 sich nicht schneiden!

Beispiel 5.66:
Gegeben sind folgende Vektoren.

a = −ii − 2 j + 3kk b = 4ii + 2 j + 4kk c = 2ii + 4 j − 6kk

Jemand behauptet, dass der Vektor c zu der von den Vektoren a und b aufgespannten
Ebene E parallel sei. Überprüfen Sie, ob diese Behauptung richtig ist.
Das Kreuzprodukt a × b steht senkrecht auf der aufgespannten Ebene. Wenn der
Vektor c tatsächlich parallel zur Ebene E ist, dann muß zwangsläufig die Bedingung
(aa ×bb) · c = 0 gelten.
⎡ ⎤
i j k
a ×bb = ⎣ −1 −2 3 ⎦ = −14ii + 16 j + 6kk
4 2 4

(aa ×bb) · c = (−14ii + 16 j + 6kk ) · (2ii + 4 j − 6kk ) = −28 + 64 − 36 = 0


⇒ Der Vektor c ist parallel zur Ebene E

Beispiel 5.67:
Ein Parallelogramm E geht durch den Punkt P und ist parallel zu den beiden Vektoren
a und b . Ferner ist ein Punkt Q außerhalb der Parallelogrammebene gegeben. Berech-
nen Sie den Abstand des Punktes Q von der Ebene E.

P = (5; 5; 5) a = 3ii + 2 j + 1kk b = 4ii − 3 j − 2kk Q = (0; 0; 0)

Die Ebene E enthält den Punkt P. Zur Aufstellung der Ebenengleichung benötigen
wir noch zusätzlich einen Vektor n , der zur dieser Ebene senkrecht stehen soll. Dieser
Vektor n entspricht dem Kreuzprodukt von a und b (weil a und b parallel zur Ebene
5.11 Zusätzliche Beispiele 255

E sind):
  ⎡ ⎤
 i j k  −1
 
n = a ×bb =  3 2 1  = −ii + 10 j − 17kk = ⎣ 10 ⎦

 4 −3 −2  −17

Den Abstand d des Punktes Q von der Ebene E erhalten wir aus der Formel

|nn · (rrQ −rr1 )|


d=
|nn|

wobei r 1 und r Q die Ortsvektoren der Punkte P und Q sind:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
5 0 −5
r1 = ⎣ 5 ⎦ rQ = ⎣ 0 ⎦ rQ −rr 1 = ⎣ −5 ⎦
5 0 −5

|nn · (rrQ −rr1 )| = 40 |nn| = (−1)2 + 102 + (−17)2 = 19,748
d = 40/19,748 = 2,02

Beispiel 5.68:
Zeigen Sie, dass folgende drei Vektoren in einer Ebene liegen.

⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 1 2
a=⎣ 4 ⎦ b=⎣ 1 ⎦ c=⎣ 0 ⎦
−2 1 4

Drei Vektoren liegen in einer Ebene, wenn sie folgende Bedingung erfüllen:

(aa ×bb) · c = 0
  ⎡ ⎤
 i j k  6

a ×bb =  1 4−2  = 6ii − 3 j − 3kk = ⎣ −3 ⎦
 1 1 1  −3
⎡⎤ ⎡ ⎤
6 2
(a ×b ) · = −3 · 0 ⎦ = 0
a b c ⎣ ⎦ ⎣
−3 4
Die Vektoren a , b und c liegen also tatsächlich in einer Ebene.
256 5 Vektorrechnung

5.12 Technische Beispiele

Beispiel 5.69:
Stabkräfte eines Fachwerks. Ein Fachwerk ist eine aus Stäben bestehende Konstrukti-
on, die miteinander über Gelenke verbunde sind. In einem Fachwerkstab können nur
Kräfte auftreten, die in Richtung der Stabachse verlaufen, d.h. parallel zum Stab ge-
richtet sind. Die vertikal gerichtete äußere Kraft F greift an einem Knoten an. Gesucht
sind die Stabkräfte N1 und N2 .

N2x
x
N2
N2y

(2) N1
F

(1) a
L
F

Die Lösung dieser Aufgabe mit Hilfsmitteln der Statik würde zwar ziemlich einfach
und schnell gelingen, insbesondere wenn die Stabkräfte graphisch ermittelt werden.
Hier soll die Aufgabe jedoch streng mit Hilfe der Vektorrechnung erfolgen.
Wir nehmen zunächst mal an, dass die Stabkräfte am betreffenden Knoten so an-
greifen, wie es in der Zeichnung dargestellt ist. Dann zerlegen wir die äußere Kraft F
und die Stabkräfte in ihre xy-Komponenten:
     
0 −N1x −N2x
F= N1 = N2 =
−F 0 N2y

mit F = |F
F| N1x = |N
N 1| N2x = |N
N 2x | N2y = |N
N 2y |
Das negative Vorzeichen rührt daher, weil die x-Komponenten der Stabkraftvektoren
in die negative Koordinatenrichtung zeigen.
Nach Regeln der Statik muss am Knoten Kräftegleichgewicht herrschen, d.h. die
vektorielle Summation der äußeren und inneren Kräfte am Knoten muss gleich Null
sein:
       
0 −N1x −N2x 0
F +NN 1 +N
N2 = 0 += + = (a)
−F 0 N2y 0
5.12 Technische Beispiele 257

Aus der zweiten Zeile in (a) folgt unmittelbar: N2y = F


N2y
Aus der Zeichnung können wir ferner ablesen, dass N2x = gilt. Es ist also
tan α
N2y F
N2x = =
tan α tan α
Setzen wir diese Beziehung in die erste Zele von (a) ein und lösen nach N1x auf, erhal-
ten wir:
F
N1x = −N2x = −
tan α
Das negative Vorzeichen in der obigen Zeile bedeutet, dass der Kraftvektor N 1 nicht
nach links, sondern nach rechts zeigt, also nicht vom Knoten weg, sondern in den
Knoten hinein zeigt. Unsere ursprüngliche Annahme bzgl. der Richtung von N 1 war
also nicht korrekt. Aber dieser Fehler wurde jetzt automatisch korrigiert.
Die Vektoren der Stabkräfte lauten:
⎡ F ⎤ ⎡ F ⎤

N 1 = ⎣ tan α ⎦ N 2 = ⎣ tan α ⎦
0 F

Die Stabkräfte selbst können über den Betrag ihrer Vektoren berechnet werden:
 2
F F
N1 = −|NN 1| = − − + 02 = − (Druckkraft!)
tan α tan α
 2
F F
N2 = |N
N 2| = + F2 = (Zugkraft)
tan α sin α
Aufgabe: Zeichnen Sie die Stabkräfte als Funktion des Winkels α im Intervall
0◦ ≤ α ≤ 90◦ auf und interpretieren Sie die Ergebnisse.

Beispiel 5.70:
Ein Kraftvektor F mit der Kraftintensität F = 1000 N liegt in der xy-Ebene, greift
im Punkt A = (0; 1,5; 0) an und bildet mit der x-Achse einen Winkel von α = 30◦ .
Gesucht ist der Momentenvektor der Kraft um den Punkt P = (0; 0; 0) und sein Betrag.
Alle Positionsangaben sind in Metern.
y
F
a -z
A

M
P
x
z
258 5 Vektorrechnung

⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
Fx 1000 · cos 30◦ 866
F = ⎣ Fy ⎦ = ⎣ 1000 · sin 30◦ ⎦ = ⎣ 500 ⎦
Fz 0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0−0 0


r = PA = ⎣ 1,5 − 0 ⎦ = ⎣ 1,5 ⎦
0−0 0

   
 i j k   i j k 
  
F =  rx
M = r ×F ry rz = 0
  1,5 0 
 F Fy Fz   866 500 0 
x
⎡ ⎤
0
= 0 · i + 0 · j − 1299 · k = −1299 k = ⎣ 0 ⎦
−1299

Der Momentenvektor M verläuft also parallel zur z-Achse und besitzt keine Kompo-
nenten in x- und y-Richtungen. Das negative Vorzeichen besagt, dass die z-Komponente
Mz des Momentenvektors M in Richtung negativer z-Achse zeigt. Das Moment M er-
gibt sich aus dem Betrag von M :
 
M = |MM | = Mx2 + My2 + Mz2 = 02 + 02 + (−1299)2 = 1299 Nm

Beispiel 5.71:
In Physik ist die mechanische Arbeit bekanntlich definiert als Arbeit=Kraft×Weg. Wir
nehmen an, dass F der auf einen Massenpunkt einwirkende Kraftvektor sei, und s der
Verschiebungsvektor dieses Massenpunktes. Die von der Kraft F entlang des Weges s
geleistete mechanische Arbeit W ist dann das Skalarprodukt von F und s :

W = F ·s

Im wichtigen ingenieurwissenschaftlichen Gebiet der Mechanik stellt das Skalarpro-


dukt eines Kraftvektors F mit dem von ihm zurückgelegten Verschiebungsvektor s
den Ausgangspunkt für die Herleitung von weiteren sehr effizienten Rechenverfahren
dar. Wir werden später in Kapitel 7 sehen, dass im allgemeinen Fall -wenn F entlang
des Weges s seine Intensität und/oder Richtung ändert- für die von einer Kraft geleis-
tete Arbeit folgende integrale Beziehung gilt:

W= F · dss
s
5.12 Technische Beispiele 259

Beispiel 5.72:
Die dargestellte kreisrunde Scheibe steht senkrecht zu der z-Achse (die z-Achse geht
durch den Mittelpunkt der Scheibe) und dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit
ω = 2π rad/s um die z-Achse. Ein Punkt P am Scheibenrand hat die Koordinaten
P = (0; 5; 10) (alle Koordinaten sind in Metern). Gesucht ist die momentane Bahnge-
schwindigkeit v des Punktes P und ihre Richtung.

v
P

r
A
y
x

Der Geschwindigkeitsvektor v eines beliebigen Punktes auf der Kreisscheibe ergibt


sich aus der Beziehung (5.24):
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
0 0
v = ω ×rr mit ω = ⎣ 0 ⎦ r =⎣ 5 ⎦
2π 10
⎡ ⎤
i j k
v = ω ×rr = ⎣ 0 0 2π ⎦ = −10π i (vv zeigt in negative x-Richtung)
0 5 10
Die Bahngeschwindigkeit v ist gleich dem Betrag von v :

v = |vv| = 10π = 31,4 m/s

Beispiel 5.73:
Beim abgebildeten Mobilkran greift am Lasthaken A der Kraftvektor F an. Berechnen
Sie den von der Belastung erzeugten Momentvektor M und seinen Betrag im Kran-
schwerpunkt S. Die Koordinaten von A und S sowie der Kraftvektor F sind nachfol-
gend angegeben.

A = (−4; 1; 13) m S = (10; 3; 2) m

F = [6; −5; −100]T kN


260 5 Vektorrechnung

A
F

z
y S

Der Momentenvektor M am Punkt S ist gegeben durch das Kreuzprodukt M =




SA ×FF.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 − 10 −14
−→
SA = r = ⎣ 1 − 3 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
13 − 2 11
   
 i j k   i j k 
   
F =  rx
M = r ×F ry rz  =  −14 −2
  11 

 F Fy Fz   6 −5 −100 
x

M = i (200 + 55) − j (1400 − 66) +kk (70 + 12) = 255ii − 1334 j + 82kk
Das Moment M ergibt sich aus dem Betrag des Momentenvektors M :
 
M = |M
M | = Mx2 + My2 + Mz2 = 2552 + (−1334)2 + 822 = 1360,63 kNm

Beispiel 5.74:
Ein Fahrzeug A fährt zum Zeitpunkt t = 0 vom Ortspunkt P1 = (1000; 2000; 0) los und
hat eine Geschwindigkeit von vA = 72 km/h. Seine Fahrtrichtung ist parallel zum Vek-
tor a = [1 − 2 0 ]. Ein anderes Fahrzeug B fährt zum Zeitpunkt t = 0 vom Ortspunkt
P2 = (−1208; −5038; 0) los und besitzt eine Geschwindigkeit von vB = 108 km/h in
Richtung des Vektors b = [1 1 0]. Mit Hilfe der Vektorrechnung soll berechnet werden,
nach wieviel Sekunden die Fahrzeuge zusammentreffen.
Die augenblicklichen Positionen, d.h. die Ortsvektoren, der Fahrzeuge lassen sich
mit Hilfe der Geschwindigkeiten und der normierten Richtungsvektoren berechnen.
Die normierten Richtungsvektoren a ∗ und b ∗ lauten:
√ √
|aa| = 5 |bb| = 2
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
a∗x 0,4472 b∗x 0,7071
⇒ a ∗ = ⎣ a∗y ⎦ = ⎣ −0,8944 ⎦ b ∗ = ⎣ b∗y ⎦ = ⎣ 0,7071 ⎦
a∗z 0 b∗z 0
Die momentanen Ortsvektoren der Fahrzeuge bestimmt man mit Hilfe der Vektorglei-
chung einer Geraden in Punktrichtungsform gemäß Gl. (5.35). Aus der für eine kon-
5.12 Technische Beispiele 261

stante Geschwindigkeit gültigen Kinematikbeziehung

Wegstrecke = Geschwindigkeit × Zeit

ergibt sich der Ortsvektor des Fahrzeugs A zu:

r A = r 1 + vA a ∗ t
⎡ ⎤ ⎡ ∗ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x1 ax 1000 0,4472
72000
r A = ⎣ y1 ⎦ + vA ⎣ a∗y ⎦ t = ⎣ 2000 ⎦ + t ⎣ −0,8944 ⎦
∗ 3600
z1 az 0 0
Der Ortsvektor des Fahrzeugs B lautet:

r B = r 2 + vB b ∗ t
⎡ ⎤ ⎡ ∗ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
x2 bx −1208 0,7071
108000
r B = ⎣ y2 ⎦ + vB ⎣ b∗y ⎦ t = ⎣ −5038 ⎦ + t ⎣ 0,7071 ⎦
∗ 3600
z2 bz 0 0
Beim Zusammentreffen der Fahrzeuge gilt für Ortsvektoren die Bedingung rA = rB :
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1000 0,4472 −1208 0,7071
72000 108000
⎣ 2000 ⎦ + t ⎣ −0,8944 ⎦ = ⎣ −5038 ⎦ + t ⎣ 0,7071 ⎦
3600 3600
0 0 0 0

Daraus folgt folgende Bestimmungsgleichung:


⎡ ⎤ ⎡ ⎤
2208 12,269 t
⎣ 7038 ⎦ = ⎣ 39,101 t ⎦
0 0

Aus der ersten (bzw. der zweiten) Gleichung ergibt sich die Zeitdauer bis zum Zusam-
mentreffen der Fahrzeuge:

t = 2208/12,269 = 180 s
262 5 Vektorrechnung

5.13 Aufgaben
1. Berechnen Sie die Komponenten des Vektors a mit dem Anfangspunkt P und dem Endpunkt
Q.
a) P = (2; 3; 4) Q = (5; 6; 7) Lsg: a = [3; 3; 3]
b) P = (−1; 2; 4) Q = (−5; −2; 3) Lsg: a = [−4; −4; −1]
c) P = (5/2; 3; −2) Q = (−1/2; 5; 4) Lsg: a = [−3; 2; 6]

2. Berechnen Sie den Anfangspunkt P des angegebenen Vektors a mit dem Endpunkt Q.
a) a = [−3; −3; −3] Q = (5; 6; 7) Lsg: P = (8; 9; 10)
b) a = [4; 4; 1] Q = (−5; −2; 3) Lsg: P = (−9; −6; 2)
c) a = [3; −2; −6] Q = (−1/2; 5; 4) Lsg: P = (−7/2; 7; 10)

3. Führen Sie die angebenen Vektoroperationen mit nachfolgenden Vektoren durch.


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 0
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 1 ⎦ c = ⎣ −5 ⎦
−3 4 0

⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1+2 3
a) a +bb Lsg: ⎣ 2 + 1 ⎦ = ⎣ 3 ⎦
−3 + 4 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3+0 3
b) (aa +bb) +cc Lsg: ⎣ 3 − 5 ⎦ = ⎣ −2 ⎦
1+0 1
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 · 1 8·0 −4
c) −4aa + 8cc Lsg: ⎣ −4 · 2 ⎦ + ⎣ 8 · (−5) ⎦ = ⎣ −48 ⎦
−4 · (−3) 8·0 12
⎡ ⎤
1 
d) | a −cc| Lsg: a −cc = ⎣ 7 ⎦ | a −cc| = 12 + 72 + (−3)2 = 7,68
−3
 
e) |aa| − |cc| Lsg: 12 + 22 + (−3)2 − 02 + (−5)2 + 02 = −1,26
f) |aa|−1b Lsg: [0,5345; 0,2673; 1,0690]
g) |cc|(aa −bb) Lsg: [−5; 5; −35]
h) a /|aa| Lsg: [0,2673; 0,5345; −0.8018]

4. Berechnen Sie die Länge L des Seils, das zwischen den Punkten P und Q straff, d.h. ohne
Durchhang, gespannt wird.

P = (92; −50; 9) Q = (96; −54; 11) Lsg: L = 6


5.13 Aufgaben 263

5. Berechnen Sie den Winkel zwischen den angegebenen Vektoren.


a) a = [−6 10] b = [5 3] Lsg: α = 90◦
b) r = [2 − 1 3] s = [1 2 − 1] Lsg: α = 109,1◦
c) u = i + 2 j + 3kk v = −4ii + 6 j + 2kk Lsg: α = 60◦
6. Zeigen Sie, dass das Skalarprodukt a · b der Vektoren a = ax i + ay j + az k und b =
bx i + by j + bz k durch folgende Beziehung gegeben ist. Tipp: Machen Sie Gebrauch von
den Regeln in Tabelle 5.2 auf Seite 208.

a · b = ax bx + ay by + az bz

7. Berechnen Sie die Länge der Projektion des Vektors a auf dem Vektor b .

a = i + 2 j + 3kk b = −4 i + 6 j + 2 k Lsg: 1,87

8. Führen Sie mit den folgenden drei Vektoren die angegebenen Vektoroperationen durch.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡⎤
1 1 −1
a=⎣ 2 ⎦ b=⎣ 2 ⎦ c=⎣ 1 ⎦
−3 0 0

a) a ×bb b) b ×aa c) a · b
d) b · a e) |bb ×cc| f) |cc ×bb|
g) (cc −aa) × (2bb) h) (aa −cc) × (2bb) i) (aa +bb) ×cc
j) a ×cc −cc ×bb k) a × (bb −cc) l) b ×aa +aa ×cc
m) (aa · b )cc n) (aa ×bb) · c
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
6 −6
a) ⎣ −3 ⎦ b) ⎣ 3 ⎦ c) 5 d) 5 e) 3
0 0
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−12 12 3 3
f) 3 g) ⎣ 6 ⎦ h) ⎣ −6 ⎦ i) ⎣ 3 ⎦ j) ⎣ 3 ⎦
−6 6 6 6
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
3 −3 −5
k) ⎣ −6 ⎦ l) ⎣ 6 ⎦ m) ⎣ 5 ⎦ n) −9
−3 3 0
264 5 Vektorrechnung

9. Welchen Wert muss die unbekannte Vektorkomponente zb haben, damit die Vektoren a und
b senkrecht zueinander stehen?
⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−4 2
a=⎣ 6 ⎦ b=⎣ 3 ⎦ Lsg: zb = −5
2 zb

10. Zeigen Sie, dass für zwei beliebige Vektoren a und b folgende Schwarz’sche Unglei-
chung gilt.

|aa · b | ≤ |aa| |bb|

11. Sind die folgenden Vektoren linear abhängig oder unabhängig?


⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 3
v1 = ⎣ 5 ⎦ v2 = ⎣ 4 ⎦ v3 = ⎣ 9 ⎦ Lsg: unabhängig
3 6 11

12. Berechnen Sie das Volumen des Spats in Beispiel 5.20 auf Seite 222 mit Hilfe der Formel
(5.25).
13. Berechnen Sie das Volumen des Spats, dessen drei benachbarte Kanten von den Vektoren
−→ −→ −

PQ, PR und PS gebildet wird.

P = (3; −1; 2) Q = (5; −1; 2) R = (3; 2; 2) S = (4; 0; 6) Lsg: V = 24

14. Ein Dreick P1 P2 P3 hat die Eckpunkte P1 = (2; 2; 5) , P2 = (4; 2; 3) und P3 = (2; 4; 3).
Zeigen Sie mit Hilfe der Vektorrechnung, dass es ein gleichschenkliges Dreieck ist.
15. Mit den angegebenen vier Punkten wird ein Viereck gebildet. eines Vierecks besitzen fol-
gende Koordinaten im kartesischen Koordinatensystem. Die Punkte P1 und P3 sind gegen-
über liegend.
a) Zeigen Sie, dass es sich bei diesem Viereck um ein Parallelogramm handelt.
b) Berechnen Sie den Flächeninhalt A des Vierecks.

P1 = (3; 3; 3) P2 = (5; 4; 4) P3 = (7; 7; 8) P4 = (5; 6; 7)


−−→ −−→ −−→ −−→
Lsg: a) Parallelogramm, weil P1 P2 ||P3 P4 und P2 P3 ||P1 P4 . b) A = 7,28
16. Zeigen Sie, dass die folgenden vier Punkte im 3D-kartesischen Koordinatensystem alle in
einer Ebene liegen. Berechnen Sie auch die Innenwinkel der von den vier Punkten gebilde-
ten Vierecks.

P1 = (2; 1; 2) P2 = (1; 5; 3) P3 = (−3; 3; 5) P4 = (−2; −1; 4)

Lsg: α1 = 95,52◦ α2 = 84,48◦ α3 = 95,52◦ α4 = 84,48◦


5.13 Aufgaben 265

17. Gegeben sind folgende drei Kraftvektoren, die an einem Rahmenpunkt angreifen. Ermitteln
Sie den resultierenden Kraftvektor und seine Lastintensität. Überprüfen Sie, ob die Kraft-
vektoren alle in einer Ebene liegen.
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
−2 6 10
F 1 = ⎣ −2 ⎦ F2 = ⎣ 0 ⎦ F 3 = ⎣ 40 ⎦
−2 12 −20

Lsg: Sie liegen in einer Ebene, weil die Determinante der Matrix A = [F F 1 F 3 F 3 ] gleich
F 1 ×F
Null ist bzw. das Produkt (F F 2 ) · F 3 = 0 ergibt. Die Lastintensität beträgt F = 41,71.

18. Ein Punkt P befindet sich an der Position (r, α) = (5; 135◦ ) eines Kreises in der xy-Ebene
mit dem Radius 5 cm. Bestimmen Sie den Ortsvektor des Punktes P in der Form einer
Vektorgleichung nach 5.45 in Abschnitt 5.10.4.

Lsg: r = 5 cos 135◦ i + 5 sin 135◦ j = −3,53ii + 3,53 j

19. Untersuchen Sie, ob sich die beiden Geraden g 1 und g 2 schneiden.


   
−1 2 x y
a) g 1 : r = +λ g2 : + =1
1 −3 4 6
   
4 2
Tipp: g 2 läßt sich auch schreiben als r = +λ
0 −3
Lsg: Kein Schnittpunkt!
⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤
1 2 2 1
b) G1 : r G1 = ⎣ 1 ⎦ + λ1 ⎣ 1 ⎦ G2 : r G2 = ⎣ 3 ⎦ + λ2 ⎣ −1 ⎦
0 1 2 2
Lsg: Kein Schnittpunkt (die Bestimmungsgleichung ist nicht lösbar).

20. Eine Ebene enthält den Punkt P1 und den Normalenvektor n . Bestimmen Sie die Gleichung
der Ebene in der klassischen Form f (x, y, z) = 0.
⎡⎤
1
P1 = (2; 5; 8) n=⎣ 3 ⎦ Lsg: x + 3y − 2z = 1
−2
6 Analytische Geometrie

6.1 Koordinatensysteme

Der Standort eines Punktes im 3-dimensionalen Raum (3D-Raum) wird durch seine relative La-
ge zu einem Bezugspunkt bestimmt. Die relative Lage wird in einem Koordinatensystem (KS)
definiert. Es gibt drei Koordinatensysteme im 3D-Raum:

- Kartesisches Koordinatensystem
- Zylindrisches Koordinatensystem
- Sphärisches Koordinatensystem

6.1.1 Kartesisches Koordinatensystem

Das kartesische, d.h. rechtwinklige, Koordinatensystem besteht aus drei zueinander senkrecht
stehenden Achsen. In diesem System wird ein Punkt P durch Angabe seiner Koordinaten x,
y und z entlang dieser drei Achsen eindeutig festgelegt (Bild 6.1). Man schreibt symbolisch
P = (x, y, z). Häufig wird auch von einem xyz-Koordinatensystem gesprochen. Im meisten Fällen
der Ingenieurpraxis hat man mit einem kartesischen Rechtssystem zu tun (auch rechtshändiges
System genannt). Das rechtshändige System lässt sich mit drei Fingern der rechten Hand gut
visualisieren (Bild 6.2).
Den drei Fingern werden dabei die drei Koordinatenachsen xyz zugeordnet. Im Grunde ist
es gleichgültig, welchem Finger die x-Achse zugeordnet wird. Wichtig ist lediglich, dass der
Zyklus »Daumen-Zeigefinger-Mittelfinger« als geschlossene Schleife durchlaufen wird. Daraus
resultieren die folgenden drei Möglichkeiten:


⎪ y-Achse zeigt in Richtung des Zeigefingers



⎪ Daumen :

⎪ z-Achse zeigt in Richtung des Mittelfingers




. y-Achse zeigt in Richtung des Mittelfingers
Richtung der x-Achse = Zeigefinger :

⎪ z-Achse zeigt in Richtung des Daumens







⎪ y-Achse zeigt in Richtung des Daumens

⎩Mittelfinger : z-Achse zeigt in Richtung des Zeigefingers

Als sehr nützlich für die Kontrolle eines rechtshändigen Koordinatensystems hat sich auch die
Schraubenregel erwiesen. Zur Veranschaulichung soll das Koordinatensystem so festgelegt sein,
dass die x-Achse dem Daumen, die y-Achse dem Zeigefinger und die z-Achse dem Mittelfinger
entspricht. Wenn jetzt eine rechtsgängige Schraube z.B. in Richtung des Mittelfingers gehalten
und so gedreht wird, wie es dem Drehsinn vom Daumen zum Zeigefinger hin entspricht, dann

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_6,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
268 6 Analytische Geometrie

x y
y
x

Bild 6.1: Kartesisches xyz-Koordinatensystem

Bild 6.2: Fingersystem als Hilfe für das positive kartesische KS

bewegt sich die Schraube in Richtung der Mittelfingerspitze, d.h. in Richtung positiver z-Achse,
weil es sich hierbei um ein rechtshändiges Koordinatensystem handelt.
Bewegt sich die Schraube dagegen in die entgegen gesetzte Richtung des dritten Fingers, han-
delt es sich beim untersuchten Koordinatensystem um ein Linkssystem.
Eine mathematisch positive Drehrichtung liegt vor, wenn bei der Drehung in einem Rechts-
system die Rechtshandregel eingehalten wird. In der xy-Ebene bedeutet dies, dass die Drehung
im Gegenuhrzeigersinn mathematisch eine positive Drehrichtung ist.

6.1.2 Zylindrisches Koordinatensystem


Bei diesem System wird die Verbindungsgerade vom Koordinatenursprung O zum Punkt P auf
die xy-Ebene projeziert. Die Projektionsgerade in der xy-Ebene soll die Länge r und den von der
positiven x-Achse aus gemessenen Winkel ϕ besitzen. Durch die Angabe der drei geometrischen
Größen r, ϕ und z ist die Position des Punktes P im 3D-Raum eindeutig bestimmt. Man schreibt
dafür P = (r, ϕ, z).
Die Umrechnung der Koordinaten von einem Koordinatensystem in ein anderes wird auch
Koordinatentransformation genannt.
Transformation zylindrischer Koordinaten in kartesische Koordinaten
Aus Bild 6.3 lassen sich die Transformationsformeln trigonometrisch recht einfach ableiten:

x = r cos ϕ
y = r sin ϕ zylindrisch −→ kartesisch (6.1)
z=z
6.1 Koordinatensysteme 269

j r x y
y
x

Bild 6.3: Zylindrisches rϕz-Koordinatensystem

Transformation kartesischer Koordinaten in zylindrische Koordinaten


Durch Umformung der Beziehungen in (6.1) ergeben sich folgende Transformationsformeln:

Kartesische Koordinaten werden transformiert in zylindrische Koordinaten:


 −−−−−−−−−−−−−−−−−−−→
r = x2 + y2
x x
ϕ = arccos = arccos  kartesisch −→ zylindrisch (6.2)
r x + y2
2
y y
ϕ = arcsin = arcsin 
r x + y2
2

z=z

Eindeutige Bestimmung von ϕ


Bei der eindeutigen Bestimmung des Winkels ϕ aus (6.2) stößt man nicht selten auf Schwie-
rigkeiten. In jedem beliebigen xy-Wertepaar ist wegen der Vorzeichen von x, y automatisch
die Quadranteninformation enthalten, d.h. man weiß sofort, in welchem Quadranten des xy-
Koordinatensystems man sich befindet. Bei der Bestimmung des Winkels ϕ in (6.2) über die
Arkusfunktionen geht diese Information verloren. Das hat zur Folge, dass man u.U. verschiede-
ne Winkelwerte für ϕ erhält, abhängig davon, ob man zur Bestimmung von ϕ den Arkussinus,
den Arkuskosinus oder den Arkustangens benutzt.
Mit ϕc sei der Winkel ϕ bezeichnet, den man aus dem Arkuskosinus ermittelt; und mit ϕs
der Winkel, der sich aus dem Arkussinus ergibt. Der Winkel ϕ lässt sich auf folgende Weise
eindeutig bestimmen:

ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
ϕ= (6.3)

360 − ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
270 6 Analytische Geometrie

oder wenn Bogenmaß verwendet wird:



ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs
ϕ= (6.4)
2π − ϕc wenn sign ϕc = sign ϕs

Polarkoordinaten in der xy-Ebene


Polarkoordinaten r und ϕ stellen einen Sonderfall der zylindrischen Koordinaten dar. Sie ergeben
sich, wenn man nur die xy-Ebene betrachtet.

x = r cos ϕ y = r sin ϕ
 x y (6.5)
r = x2 + y2 ϕ = arccos  ϕ = arcsin 
x2 + y2 x2 + y2

Beispiel 6.1:
Die Koordinaten des Punktes P sind im zylindrischen Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine kartesischen Koordinaten.

P(r, ϕ, z) = (4; 150◦ ; 3) P(x, y, z) =?

x = r cos ϕ = 4 cos 150 = 4 · (−0,867) = −3,464


y = r sin ϕ = 4 sin 150 = 4 · 0,5 = 2
P = (x, y, z) = (−3,464; 2; 3)

Beispiel 6.2:
Die Koordinaten des Punktes P sind im kartesischem Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine zylindrischen Koordinaten.

P(x, y, z) = (1; −1; 2) P(r, ϕ, z) =?


  √
r = x2 + y2 = 12 + (−1)2 = 2
x 1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos 0,7071 = 45◦
x2 + y2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = 1 sign ϕs = −1 sign ϕc = sign ϕs
⇒ ϕ = ϕc = 360◦ − 45◦ = 315◦ z=2

P = (r, ϕ, z) = ( 2; 315◦ ; 2)
6.1 Koordinatensysteme 271

6.1.3 Sphärisches Koordinatensystem

Beim sphärischen Koordinatensystem (auch Kugelkoordinatensystem genannt) wird eine Kugel


definiert, deren Radius r gleich dem Abstand des Punktes P vom Ursprungspunkt O ist (r = OP).
Die Position von P wird durch die Angabe des Radius r und von zwei Winkeln beschrieben. Der
Winkel ϕ hat dabei die gleiche Bedeutung wie beim zylindrischen KS (also der von der positiven
x-Achse aus gemessene Winkel in der xy-Ebene). Der Winkel θ wird von der positiven z-Achse
aus gemessen. Kugelkoordinaten haben also eine enge Verwandschaft mit geographischen Posi-

P
r
q
z
y
j

Bild 6.4: Sphärisches Koordinatensystem

tionsangaben auf der Erdoberfläche. Der Punkt P hat dabei vom Erdmittelpunkt den Abstand r
(Erdradius), vom Greenwich-Nullmeridian den Winkel ϕ, vom Nordpol den Winkel θ (Äquator
entspricht dem Winkel θ = 90◦ ).
Die Transformationsbeziehungen zwischen kartesischen und sphärischen Koordinaten werden
analog zu zylindrischen Koordinaten hergeleitet, wobei diesmal jedoch auch der Azimutwinkel
θ zusätzlich zu berücksichtigen ist.

Transformation von Kugelkoordinaten in kartesische Koordinaten


x = r sin θ cos ϕ
y = r sin θ sin ϕ (6.6)
z = r cos θ

Transformation kartesischer Koordinaten in Kugelkoordinaten



r = x2 + y2 + z2
x y
ϕ = arccos  ϕ = arcsin 
x2 + y2 x2 + y2 (6.7)
z z
θ = arccos = arccos 
r x + y2 + z2
2

Die eindeutige Bestimmung des Winkels ϕ erfolgt ganz analog zur Gleichung (6.3).
272 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.3:
Vom Punkt P sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) = (1; 1; 2) bekannt.
Gesucht sind seine Kugelkoordinaten P(r, ϕ, θ ).
  √
r = x2 + y2 + z2 = 12 + 12 + 22 = 6 = 2,45
x 1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos 0,7071 = 45◦
x2 + y2 2
y 1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin 0,7071 = 45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = ϕc = 45◦
z 2
cos θ = = √ = 0,816 ⇒ θ = 35,26◦
r 6
P = (r, ϕ, θ ) = (2,45; 45◦ ; 35,26◦ )

6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene


6.2.1 Globales und lokales Koordinatensystem
Im Alltag denken wir bewusst oder unbewusst permanent in lokalen Koordinatensystemen. Die
Position eines Grundstücks beschreiben wir bevorzugt in Bezug auf eine Straßenecke (»biegen
Sie an der Ampel rechts ab, dann 100 m geradeaus«). Die genaue Lage des Gebäudes auf diesem
Grundstück wird in Bezug auf einen Eckpunkt des Grundstücks gemessen. Und der Standort
des Fernsehers lässt sich wiederum am besten in einem »Wohnzimmer-Koordinatensystem« be-
schreiben.
Ein neues Koordinatensystem entsteht aus einem Bezugskoordinatensystem entweder durch
Parallelverschiebung oder durch Drehung oder durch beides gleichzeitig. Im folgenden gehen
wir von einem ursprünglichen xy-Koordinatensystem aus und bezeichnen das neue aus dem xy-
System hervorgehende Koordinatensystem als das xy-Koordinatensystem.

y
y

y P
y

a x
x
O j
b
O x x

Bild 6.5: Koordinatentransformation in der xy-Ebene


6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 273

In Bild 6.5 sind zwei kartesische ebene Koordinatensysteme dargestellt. Das xy-System ist das
ursprüngliche Koordinatensystem. Das xy-Koordinatensystem geht aus dem xy-System durch
Verschiebung des Koordinatenursprungs O um die Beträge a bzw. b parallel zu den x- und
y-Achsen, sowie durch Drehung des xy-Systems um den Winkel ϕ um den neuen Ursprung O
hervor.
In der technischen Mechanik würde man beim xy-System von einem globalen und beim xy-
System von einem lokalen Koordinatensystem sprechen. In der Technik werden lokale Koordina-
tensysteme häufig verwendet. Das erleichtert die Datenerfassung und verringert die Fehleranfäl-
ligkeit.
Ein beliebiger Punkt P sei im xy-Koordinatensystem durch seine Koordinaten P = (x, y)
ausgedrückt. Im xy-System hätte P dann die Koordinaten P = (x, y). Diesen Übergang vom xy-
System in das xy-System (und umgekehrt) nennt man Koordinatentransformation.
Eine Koordinatenransformation zwischen dem ursprünglichen und dem neuen KS besteht also
aus Verschiebungs- und Drehungsvorgängen der Koordinatenachsen.
Spezifikation eines Punktes durch seinen Ortsvektor
Ein Punkt P kann symbolisch sowohl in der Standardnotation P = (x, y) definiert werden als
auch durch Angabe seines Ortsvektors r (s. Bild 6.6). Der Ortsvektor r erstreckt sich vom Koor-
dinatenursprung O zum Punkt P. In Vektorschreibweise lässt sich der Punkt P also auch durch
folgende Ortsvektoren eindeutig bestimmen:
   
x x
r= bzw. P = (x, y) r= bzw. P = (x, y)
y y

6.2.2 Translation des Koordinatensystems


Die Translation ist eine Parallelverschiebung des xy-Koordinatensystems. Nach der Translation
bleiben die x- und x-Achsen sowie die y- und y-Achsen weiterhin zueinander parallel (Bild 6.6).
Die x-Achse wird gegenüber dem Ursprung O um den Betrag a verschoben. Die Verschiebung
der y-Achse beträgt b. Ein negativer Wert von a bzw. b ist gleichbedeutend mit Verschiebung
des KS in negativer x− bzw. y-Richtung.
Die Umrechnung der Koordinaten des Punktes P = (x, y) von einem System ins andere erfolgt
dann mit Hilfe folgender Beziehungen:

x = x−a y = y−b x = x+a y = y+b (6.8)

Wenn man den Punkt P durch seinen Ortsvektor r und die Parallelverschiebungen a und b als
Vektor v ausdrückt, ergeben sich folgende Beziehungen:
 
a
r = r −vv r = v +rr wobei v = (6.9)
b

Gl. (6.9) lässt sich in Komponentenschreibweise wie folgt angeben:


           
x x a x x a
= − = +
y y b y y b
274 6 Analytische Geometrie

y
y P
r
a x x
r
v
b

x x

Bild 6.6: Parallelverschiebung des Koordinatensystems

Beispiel 6.4:
Ein Punkt P besitzt im xy-Koordinatensystem die Koordinaten P = (−2; 3). Gesucht
sind die Koordinaten von P in einem x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-
KS um a = 1 und b = −2 parallel verschoben ist.

x = x − a = −2 − 1 = −3 y = y − b = 3 − (−2) = 5 ⇒ P(x, y) = (−3; 5)

Berechnung in Vektorschreibweise:
     
−2 1 −3
P(x, y) : r = r −vv = − =
3 −2 5
     
r v

Beispiel 6.5:
Im xy-System ist ein Kreis durch die Gleichung x2 + y2 = 16 beschrieben. Wie lautet
diese Kreisgleichung im x y-System, das gegenüber dem xy-System um v = [2; −3]
verschoben wurde?
Zunächst werden die xy-Koordinaten als Funktion der x y-Koordinaten ausgedrückt:

a=2 b = −3 ⇒ x = x+2 y = y−3

Die Substitution der obigen Ausdrücke in die gegebene Gleichung x2 + y2 = 16 liefert


die Kreisgleichung im x y-System:

(x + 2)2 + (y − 3)2 = 16 bzw. x2 + y2 + 4 x − 6 y = 3


6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 275

6.2.3 Rotation des Koordinatensystems

Bei der Rotation (Drehung) wird der Koordinatenursprung O fixiert und das xy-System wird
insgesamt um den Drehwinkel ϕ um den Ursprung gedreht (Bild 6.7). Ein positiver Drehwin-
kel ϕ entspricht einer Drehung gegen den Uhrzeigersinn. Ein negativer Drehwinkel ϕ hingegen
bedeutet Rotation im Uhrzeigersinn.

y
P
y-

x-
R

Q T
j
O S x

Bild 6.7: Positive Drehung des xy-Koordinatensystems

Transformation vom xy-System ins xy-System


Die Transformation der Koordinaten des Punkts P vom xy-System ins xy-System kann mittels
geometrischer Betractungen aus Bild 6.7 abgeleitet werden:

x = OQ + QR y = PT − RT

OQ = x cos ϕ QR = ST = y sin ϕ PT = y cos ϕ RT = QS = x sin ϕ


Aus obigen Beziehungen folgt die Transformationsformel:

x = x cos ϕ + y sin ϕ y = −x sin ϕ + y cos ϕ (6.10)

Gl. (6.10) lässt sich auch in Matrizenschreibweise angeben:


     
x cos ϕ sin ϕ x
r =Rr mit r = R= r= (6.11)
y − sin ϕ cos ϕ y

Die Matrix R wird Rotationsmatrix genannt.

Transformation vom xy-System ins xy-System


Falls die Koordinaten im xy-System bekannt sind und diese ins xy-System transformiert werden
sollen, können wir die Matrixgleichung (6.11) nach r auflösen:
 
cos ϕ − sin ϕ
r = R −1 r mit R −1 = (6.12)
sin ϕ cos ϕ
276 6 Analytische Geometrie

oder in konventioneller Schreibweise:

x = x · cos ϕ − y · sin ϕ y = x · sin ϕ + y · cos ϕ (6.13)

Eigenschaft der Rotationsmatrix R


Die in (6.11) eingeführte Rotationsmatrix R ist eine sog. orthogonale Matrix. Die Inverse und
die Transponierte einer orthogonalen Matrix sind gleich, d.h. es gilt stets R −1 = R T .
   
cos ϕ sin ϕ cos ϕ − sin ϕ
R= ⇒ RT = R −1 = R T  (6.14)
− sin ϕ cos ϕ sin ϕ cos ϕ

Beispiel 6.6:
Gesucht sind die Koordinaten des Punkts P(x, y) = (3; 2) im x y-Koordinatensystem,
das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦ gedreht wird.

x = x · cos ϕ + y · sin ϕ = 3 · cos 135◦ + 2 · sin 135◦ = −0,707

y = −x · sin ϕ + y · cos ϕ = −3 · sin 135◦ + 2 · cos 135◦ = −3,535


P(x, y) = (−0,7071; −3,5355)
Berechnung in Matrixschreibweise:
     
3 cos 135◦ sin 135◦ −0,7071 0,7071
r= R= =
2 − sin 135◦ cos 135◦ −0,7071 −0,7071
 
−0,7071
r =Rr ⇒ r= ⇒ P(x, y) = (−0,7071; −3,5355)
−3,5355

Beispiel 6.7:
Der Punkt P hat im x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦
gedreht ist, die Koordinaten P(x y) = (−1,414; −7,071). Welche Koordinaten besitzt
P im xy-System?
   
−0,7071 0,7071 −0,7071 −0,7071
R= RT =
−0,7071 −0,7071 0,7071 −0,7071
   
−1,414 6
r= r = RT r ⇒ r=
−7,071 4

Beispiel 6.8:
Geradengleichung im gedrehten System. Im xy-Koordinatensystem ist eine Gerade
durch die Gleichung y = 2x − 1 gegeben. Wier lautet die Gleichung dieser Geraden
in einem xy-KS, das gegenüber dem xy-System um ϕ = 30◦ gedreht ist?
6.2 Koordinatentransformation in der xy-Ebene 277

Mit Hilfe der Rotationsformel (6.10) erhält man:

x = x · cos ϕ − y · sin ϕ = x · cos 30◦ − y · sin 30◦ = 0,866x − 0,5y


y = x · sin ϕ + y · cos ϕ = x · sin 30◦ + y · cos 30◦ = 0,5x + 0,866y

Nach Einsetzen dieser Ausdrücke für x und y in Gleichung y = 2x − 1 erhält man:

0,5x + 0,866y = 2 (0,866x − 0,5y) − 1 ⇒ y = 0,66 x − 0,536

6.2.4 Translation und Rotation


Bei dieser Koordinatentransformation ist das x y-KS gegenüber dem xy-System sowohl parallel
verschoben als auch gedreht (s. Bild 6.5). Hierbei spielt es keine Rolle, ob zunächst verschoben
und dann gedreht wird oder zunächst gedreht und dann verschoben wird.
Die Transformationsbeziehung zwischen dem xy-System und dem xy-System lautet:

x = (x − a) · cos ϕ + (y − b) · sin ϕ y = −(x − a) · sin ϕ + (y − b) · cos ϕ (6.15)

In Matrixschreibweise ergibt sich:

r = R (rr −vv) r = R T r +vv R gemäß (6.11), v gemäß (6.9) (6.16)

Beispiel 6.9:
Pegeben ist der Punkt P(x, y) = (4; 2) im xy-Koordinatensystem. Berechnen Sie die
Punktkoordinaten P(xy) im dargestellten xy Koordinatensystem, wobei ϕ = 30◦ ist.
y
y- x-

3
P

2
x

Es handelt sich beim xy-Koordinatensystem um ein verschobenes und gedrehtes KS.


       
4 a −2 6
r= v= = r −vv =
2 b 3 −1
   
cos ϕ sin ϕ 0,866 0,500
R= =
− sin ϕ cos ϕ −0,500 0,866
 
4,70
r = R (rr −vv) ⇒ r= P(x, y) = (4,70; −3,87)
−3,87
278 6 Analytische Geometrie

z Q

P L
z2
z1

x1 y
y1 x2

x y2

Bild 6.8: Abstand zwischen zwei Punkten

6.3 Abstand zwischen zwei Punkten


Der Abstand L zwischen zwei Punkten P = (x1 ; y1 ; z1 ) und Q = (x2 ; y2 ; z2 ) im kartesischen
Koordinatensystem (s. Bild 6.8) ist die Länge der Gerade, welche die beiden Punkte miteinander
verbindet. L kann mit Hilfe des Pythagoras-Satzes berechnet werden:

L= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 + (z2 − z1 )2 (im kartesischen xyz-Raum) (6.17)

Falls die Punkte P und Q in der xy-Ebene liegen, entfällt die z-Koordinate, und die Gleichung
vereinfacht sich wie folgt:

L= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 (in der kartesischen xy-Ebene) (6.18)

Der Abstand L zwischen den Punkten P und Q ist eine skalare Größe, d.h. vom verwendeten
Koordinatensystem unabhängig. Der Abstand zwischen zwei Punkten bleibt unverändert, wenn
anstelle kartesischer Koordinaten zylindrische oder sphärische Koordinaten verwendet werden.

Beispiel 6.10:
Bestimmen Sie den Abstand zwischen den Punkten P = (−3; 1; 7) und Q = (−1; 5; 2) ,
deren Koordinaten im kartesischen xyz-Koordinatensystem definiert sind.
Abstand L gemäß Gl. (6.17):
 √ √
Lxy = [−3 − (−1)]2 + (1 − 5)2 + (7 − 2)2 = 4 + 16 + 25 = 45 = 6,708

Beispiel 6.11:
Der Abstand zwischen zwei Punkten ist invariant gegenüber KS-Transformation. Im
kartesischen xy-System sind zwei Punkte P = (−2; 1) und Q = (2; 3) definiert. Das
x y-Koordinatensystem ist gegenüber dem xy-System um v = [1; −2] parallel verscho-
ben. Es soll gezeigt werden, dass sich der Abstand L zwischen P und Q nicht
ändert, d.h. invariant bleibt, wenn die Koordinaten der Punkte P und Q im x y-
Koordinatensystem ausgedrückt werden.
6.4 Geraden in der xy-Ebene 279

Abstand L im xy-Koordinatensystem gemäß Gl. (6.18) :


 √
Lxy = (2 − (−2))2 + (3 − 1)2 = 20 = 4,472

Koordinaten der Punkte P und Q im x y-KS:

P(x, y) = (−2 − 1; 1 − (−2)) = (−3; 3)

Q(x, y) = (2 − 1; 3 − (−2)) = (1; 5)


Abstand L gemäß Gl. (6.18) im x y-KS:
 √
Lxy = (1 − (−3))2 + (5 − 3)2 = 20 = 4,472

Lxy = Lxy , der Abstand L hat also in beiden Koordinatensystemen denselben Wert.

6.4 Geraden in der xy-Ebene

Die kürzeste Verbindungslinie zweier Punkte heißt Gerade. Eine Gerade, die symbolisch mit G
bezeichnet wird, ist durch zwei beliebige auf ihr liegende Punkte eindeutig bestimmt.

6.4.1 Formen der Geradengleichungen

Eine Gerade in der xy-Ebene lässt sich in mehreren Gleichungsformen darstellen, wobei jede
von ihnen sich durch Umformung in eine andere Darstellungsform überführen lässt.

Allgemeine Linearform
Die allgemeine Linearform (ALF) ist die allgemeinste Gleichungsform einer Geraden:

ax + by + c = 0 (6.19)

wobei a, b, c konstante Koeffizienten und x, y die Koordinaten eines beliebigen Punktes auf der
Geraden sind. Ein Punkt P = (x1 , y1 ) befindet sich dann und nur dann auf der Geraden, wenn
seine Koordinaten die Gleichung (6.19) erfüllen, d.h. wenn die Gleichung ax1 + by1 + c = 0
erfüllt ist. Anderenfalls liegt der Punkt nicht auf dieser Geraden.

Normalform (Hauptform)
Falls die Gerade, wie in Bild 6.9 dargestellt, durch den Punkt P = (x1 , y1 ) = (0, k) geht, der
sich auf der y-Achse bei der Ordinate k befindet, erhält man aus (6.22) die Normalform (auch
Hauptform genannt) einer Geraden:

y = mx+k (6.20)

Die Steigung der Geraden ist m; die Konstante k ist der Ordinatenabschnitt auf der y-Achse.
280 6 Analytische Geometrie

m=tan j

m
1

j k
x
G

Bild 6.9: Normalform einer Geraden

Punktsteigungsform
Der Term (y2 − y1 )/(x2 − x1 ) in (6.24) gibt den Tangens des Winkels ϕ zwischen der positi-
ven x-Achse und der Geraden wieder. Der Tangens des Winkels ϕ wird auch Steigung m der
Geraden genannt.
y2 − y1
m = tan ϕ = (6.21)
x2 − x1

Die Geradengleichung einer Geraden, die durch den Punkt P = (x1 , y1 ) geht und die Steigung
m besitzt (Bild 6.10), lautet in der Punktsteigungsform:

y = m (x − x1 ) + y1 (6.22)

y P=(x1,y1)
m=tan j

m
P 1

j
x
G

Bild 6.10: Punktsteigungsform einer Geraden

Zweipunkteform
Falls die Gerade durch zwei Punkte P = (x1 , y1 ) und Q = (x2 , y2 ) definiert ist (Bild 6.11),
lautet die Geradengleichung in der Zweipunkteform:

y − y1 y2 − y1
= (6.23)
x − x1 x2 − x1
6.4 Geraden in der xy-Ebene 281

y P=(x1,y1)
Q=(x2,y2)

x
G

Bild 6.11: Zweipunkteform einer Geraden

y0

x0 x

Bild 6.12: Achsenabschnittsform einer Geraden

Die Umformung liefert folgende Geradengleichung:

y2 − y1
y= (x − x1 ) + y1 (6.24)
x2 − x1

Achsenabschnittsform
Durch die beiden Punkte P = (x1 , y1 ) = (0, y0 ) und Q = (x2 , y2 ) = (x0 , 0) in Bild 6.12 verläuft
die Gerade G, welche die x-Achse bei x0 und die y-Achse bei y0 schneidet. Ausgehend von der
Zweipunkteform einer Geraden gemäß (6.23) erhält man zunächst
y − y0 0 − y0 y − y0 x y x
= ⇒ = ⇒ − +1 =
x−0 x0 − 0 −y0 x0 y0 x0
und daraus die Achsenabschnittsform einer Geraden:

x y
+ =1 (6.25)
x0 y0

Die Achsenabschnittsform gilt nicht für Geraden, die durch den Koordinatenursprung gehen,
weil dann ja x0 = y0 = 0 wäre und folglich in (6.25) das Ergebnis undefiniert.
Anmerkung: In der Technik wird die Achsenabschnittsform einer Geraden z.B. in der Festig-
282 6 Analytische Geometrie

keitslehre für das Sachgebiet »Ermüdungsfestigkeit von Werkstoffen« recht häufig verwendet.

Hesse-Normalform
Auf der in Bild 6.13 abgebildeten Geraden G wählen wir einen beliebigen Punkt Q, dessen Orts-
vektor r sei. Die vom Koordinatenursprung O zur G gebildete Lotgerade habe die Länge p und
von der x-Achse den Winkel γ. Der Abstand zwischen O und G ist also p. Der Vektor n ist der
Einheitsvektor auf der Lotgeraden, d.h. es gilt |nn| = 1.

p
n
g
O x
G

Bild 6.13: Hesse-Normalform einer Geraden

Wir drücken zunächst die Vektoren r und n mit Hilfe der Basisvektoren i und j aus (s. Seite
206) aus und berechnen dann das Skalarprodukt r · n .

r = xi +y j n = cos γ i + sin γ j |nn| = cos2 γ + sin2 γ = 1

r · n = x cos γ + y sin γ und r ·n = p (a)


Aus der letzten Beziehung (a) folgt unmittelbar die Hesse-Normalform einer Geraden G :

x cos γ + y sin γ − p = 0 Hesse-Normalform (HNF) (6.26)

Bestimmung der Hesse-Normalform aus der allgemeinen Linearform


Der Schönheitsfehler in der Beziehung (6.26) ist, dass weder der Winkel γ noch der Parameter p
noch bekannt sind. Wir könen jedoch aus der allgemeinen Linearform diese Parameter berechnen.
Dazu multiplizieren wir zunächst die Geradengleichung der allgemeinen Linearform (6.19) mit
einem Skalierungsfaktor k:

k (ax + by + c) = 0 (b)

Gleichsetzen von (6.26) mit (b) liefert:

cos γ = ka sin γ = kb − p = kc
6.4 Geraden in der xy-Ebene 283

Daraus erhalten wir:


1
cos2 γ + sin2 γ = (ka)2 + (kb)2 ⇒ k2 (a2 + b2 ) = 1 k = ±√
a + b2
2

Das Vorzeichen von k ist nicht eindeutig. Wie wir gleich sehen werden, erhalten wir den Abstand
p stets als positiven Wert (was Sinn macht), wenn k wie folgt gewählt wird:
sign c
k = −√ sign : Signumfunktion (6.27)
a2 + b2
Der Koeffizient p ergibt sich nun zu
c · sign c
p = −k · c = √ (6.28)
a2 + b2
Der Abstand p ist jetzt stets positiv, weil »c · sign c« stets positiv ist.
Die oben beschriebene Transformation von der allgemeinen Linearform in die Hesse-Normalform
kann symbolisch ausgedrückt werden als:

GHNF = k · GALF

wobei das Symbol GHNF die Geradengleichung in Hesse-Normalform und GALF die Geradenglei-
chung in allgemeiner Linearform bedeuten. Die Geradengleichung GALF braucht also lediglich
mit dem Faktor k multipliziert werden, um GHNF zu erhalten.
Falls die in der Aufgabenstellung enthaltene Geradengleichung nicht der allgemeinen Line-
arform (ALF) entspricht, muss sie vorher durch geeignete Umformungen in die ALF gebracht
werden.
Die Hesse-Normalform gilt nicht für Geraden, die durch den Koordinatenursprung gehen,
weil für solche Geraden c = 0 gilt.

Bestimmung des Winkels γ:


Nach der Ermittlung des Faktors k mit Hilfe von (6.27) kann der Winkel γ ermittelt werden:

cos γ = ka sin γ = kb ⇒ γc = arccos ka γs = arcsin kb

γc und γs können identisch sein, aber auch unterschiedlich ausfallen. Für die eindeutige Bestim-
mung des Winkels γ wenden wir die auf Seite 269 beschriebene Vorgehensweise an und erhalten:

γc wenn sign γc = sign γs
γ= (6.29)
360 − γc wenn sign γc = sign γs
284 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.12:
Die Gerade, die durch die Punkte P = (−2; 1) und Q = (2; 3) geht, soll in verschiede-
nen Gleichungsformen beschrieben werden.

M Q
d

P
p g
O x
G

Zweipunkteform:
Aus (6.23) ergibt sich:
y−1 3−1 y−1
= = 0,5 y = 0,5x + 2
x+2 2+2 x+2

Punktsteigungsform:
Aus Gl. (6.21) ergibt sich die Steigung zu
y2 − y1 3−1
m = tan ϕ = = = 0,5
x2 − x1 2+2
Mit den Koordinaten des Punktes P erhält man die Geradengleichung

y = 0,5 (x − (−2)) + 1 = 0,5x + 2

Mit den Koordinaten des Punktes Q ergibt sich die gleiche Geradengleichung:

y = 0,5 (x − 2) + 3 = 0,5x + 2

Normalform:
Die Koordinaten des Punktes Q können zur Bestimmung des Ordinatenabschnitts k
in Gl. (6.20) verwendet werden. Die Steigung m wurde bereits während der Herlei-
tung der Punktsteigungsform bestimmt (m = 0,5).
Die Geradengleichung y = m x + k liefert für den Punkt Q = (2; 3):

3 = 0,5 · 2 + k ⇒k=2

Die Normalform der Geradengleichung lautet somit:

y = m x + k = 0,5x + 2
6.4 Geraden in der xy-Ebene 285

Achsenabschnittsform:
Aus der oben ermittelten Normalform der Geradengleichung y = 0,5x + 2 erhält man
durch Umformung zunächst

y − 0,5x = 2

und dann durch Division beider Seiten dieser Beziehung durch 2:


−0,5x y x y
+ = 1, ⇒ + =1
2 2 (−4) 2

Die Gerade schneidet also die x-Achse bei x0 = −4 und die y-Achse bei y0 = 2.

Allgemeine Linearform:
Die allgemeine Linearform ergibt sich durch Verschiebung aller Glieder in der Glei-
chung y = 0,5x + 2 auf eine Seite (nach links oder nach rechts):

0,5x − y + 2 = 0 oder 2 · (0,5x − y + 2) = x − 2y + 4 = 0

Hesse-Normalform:
Aus der allgemeinen Linearform 0,5x − y + 2 = 0 von G erhält man gemäß (6.27) :
1
sign c = sign 2 = +1 k = − = −0,89443
0,52 + (−1)2

Die Multiplikation k · (ax + by + c) liefert:

(−0,89443) · 0,5x − (−0,89443) · y + (−0,89443) · 2 = 0

Die Ausmultiplikation liefert die Hesse-Normalform der Geraden:

HNF: −0,44721 x + 0,89443 y − 1,78885 = 0


        
cos γ sin γ p

Der Abstand der Geraden vom Ursprung beträgt also p ≈ 1,79 Längeneinheiten.

Bestimmung des Winkels γ (Hesse-Normalform):


Aus cos γ = −0,44721 folgt γ = γc = 116,56◦ und der Ausdruck sin γ = 0,89443 liefert
γ = γs = 63,44◦ . Welcher Winkel ist nun richtig? Diese Problematik bei der Bestim-
mung des Winkels ist nicht selten (s. auch Seite 269), die Ursache liegt im Verlust von
sog. Phaseninformation. Der korrekte Winkel γ (positiv im Gegenuhrzeigersinn von
der x-Achse aus gemessen) ergibt sich nach (6.29) auf Seite 283 zu:

signγc = signγs ⇒ γ = γc = 116,55◦


286 6 Analytische Geometrie

6.4.2 Steigung einer Geraden

Die Steigung m der Geraden G in Bild 6.10 entspricht dem Tangens des Winkels ϕ zwischen
der positiven x-Achse und G. Die Bestimmung der Steigung hängt von der Form der Geraden-
gleichung ab.

Gerade in der allgemeinen Linearform:


Aus der Geradengleichung (6.19) ergibt sich durch Umformung:
a c
y = − x−
b b
Die erste Ableitung dieser Funktion liefert die Steigung der Geraden:
a
m = y = − (6.30)
b
Gerade in Zweipunkteform:
Die Steigung ergibt sich aus der ersten Ableitung der Gl. (6.24):
y2 − y1
m = y = (6.31)
x2 − x1
Gerade in Achsenabschnittsform:
Gleichung (6.25) wird nach y aufgelöst und dann differenziert:
y0 y0
y = y0 − x m = y = − (6.32)
x0 x0
Gerade in Hesse-Normalform:
Gleichung (6.26) wird nach y aufgelöst und dann differenziert:
p − x cos γ cos γ
y= m = y = − = − cot γ (6.33)
sin γ sin γ

Beispiel 6.13:

Die Steigung der Geraden in Beispiel 6.12 soll bestimmt werden.

Allgemeine Linearform (6.30): Zweipunkteform (6.31):

a 0,5 y2 − y1 3−1
m=− =− = 0,5 m= = = 0,5
b −1 x2 − x1 2+2

Achsenabschnittsform (6.32): Hesse-Normalform (6.33):

y0 2 cos γ −0,447
m=− =− = 0,5 m=− =− = 0,5
x0 −4 sin γ 0,894
6.4 Geraden in der xy-Ebene 287

6.4.3 Richtungsvektor einer Geraden


Für eine Gerade in der xy-Ebene ist ihr Richtungsvektor v so definiert, dass die Vektorspitze in
die positive x-Richtung zeigt. In Komponentenschreibweise wird der Vektor v angegeben als (s.
Bild 6.14):
   
vx 1
v= = m : Steigung der Gerade (6.34)
vy m

y
G2

v m

1
m
v
G1
x

Bild 6.14: Richtungsvektor einer Geraden

Beispiel 6.14:
Gesucht sind die Richtungsvektoren der Geraden G1 und G2 .

G1 : y = −4x + 6 G2 : y = 1,5x − 2

Die Geraden haben die Steigungen

G1 : m1 = y = −4 G2 : m2 = y = 1,5

Die Richtungsvektoren ergeben sich zu:


           
v1x 1 1 v2x 1 1
v1 = = = v2 = = =
v1y m1 −4 v2y m2 1,5

6.4.4 Abstand eines Punktes von einer Geraden


Zur Berechnung des Abstandes d zwischem dem Punkt M = (x1 ; y1 ) und der in Hesse-Normalform
gegebenen Geraden G in Bild 6.15 gehen wir (wie schon auf Seite 282 gehandhabt) vom Skalar-
produkt des Ortsvektors r mit dem Normaleneinheitsvektor n aus:

r · n = x1 cos γ + y1 sin γ (a)

Andererseits gilt für das Skalarprodukt (s. Bild 6.15):

r ·n = p+d (b)
288 6 Analytische Geometrie

Gleichsetzen von (a) und (b) liefert den gesuchten Abstand d :

d = x1 cos γ + y1 sin γ − p (c)

Diese Beziehung besagt, dass der Abstand d auf unmittelbare Weise berechnet wird, wenn die
Koordinaten des Punktes M in die Gleichung (6.26) einer Geraden in der Hesse-Normalform
eingesetzt werden. Zur Vermeidung von negativen Abständen ist es zweckmäßig, für die rechte
Seite in (c) den Absolutwert zu verwenden, weil ein negativer Abstand geometrisch wenig Sinn
macht.

d = | x1 cos γ + y1 sin γ − p | (6.35)

y
M
d
r

p
n
g
O x
G

Bild 6.15: Abstand d des Punktes M von der Geraden G

Beispiel 6.15:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes M = (−2; 3) von der Geraden G des Beispiels
6.12 auf Seite 284.
Die Hesse-Normalform der Geraden lautet:

−0,44721 x + 0,89443 y − 1,78886 = 0

Das Einsetzen der Koordinaten von M in diese Gleichung liefert den Abstand d:

d = | − 0,44721 · (−2) + 0,89443 · 3 − 1,78886| = 1,79

6.4.5 Schnittpunkt von Geraden


Der Schnittpunkt S der Geraden G1 und G2 (Bild 6.16) kann auf verschiedene Weise berechnet
werden. Falls die Geraden beispielsweise in der allgemeinen Linearform gegeben sind, erfüllen
die Koordinaten xs , ys des Schnittpunktes folgende lineare Gleichungen:

Gerade G1 : a1 xs + b1 ys + c1 = 0
6.4 Geraden in der xy-Ebene 289

Gerade G2 : a2 xs + b2 ys + c2 = 0

Diese Gleichungen können in Matrizenschreibweise zusammengefasst werden. Die Lösung des


linearen Gleichungssystems liefert die gesuchten Koordinaten xs , ys :
     
a1 b1 xs −c1
= ⇒ S = (xs , ys ) (6.36)
a2 b2 ys −c2

G2
y
v2
m2
G1
1
v1
m1
j 1

a j2
ys j1
S
xs x

Bild 6.16: Schnittpunkt S und Schnittwinkel ϕ von Geraden

Falls die Geraden in der Normalform gegeben sind (mit Steigungen m1 und m2 ), lässt sich
ihr Schnittpunkt S = (xs , ys ) durch Gleichsetzung beider Geradengleichungen für den Punkt S
ermitteln:

G1 : ys = m1 xs + k1 G2 : ys = m2 xs + k2
k1 − k2 k1 m2 − k2 m1
m1 xs + k1 = m2 xs + k2 ⇒ xs = ⇒ ys = (6.37)
m2 − m1 m2 − m1

Beispiel 6.16:
Gesucht ist der Schnittpunkt P = (xs ; ys ) der Geraden G1 und G2 .

G1 : y = 2x − 1 G2 : y = −x/3 + 5

Das Gleichsetzen der Geradengleichungen im Schnittpunkt S ergibt:

2xs − 1 = −xs /3 + 5 ⇒ xs = 2,57

Das Einsetzen von xs in die erste (oder zweite) Geradengleichung liefert: ys :

ys = 2 · 2,57 − 1 = 4,14 ⇒ Ps = (2,57; 4,14)


290 6 Analytische Geometrie

6.4.6 Winkel zwischen zwei Geraden

Methode 1
Der Winkel ϕ zwischen den Geraden G1 und G2 mit den Steigungen m1 und m2 (Bild 6.16)
lässt sich durch folgende Betrachtung bestimmen.
Der Winkel zwischen der x-Achse und der Geraden G1 wird mit ϕ1 bezeichnet und derjenige
zwischen der x-Achse und G2 mit ϕ2 . Der Winkel ϕ1 (oder ϕ2 ) wird als positiv angesehen, wenn
er im Gegenuhrzeigersinn zeigt, und negativ im Uhrzeigersinn.
Der gesuchte Schnittwinkel ϕ entspricht der Differenz der beiden Winkel (ϕ wird von der
Geraden G1 aus im positiven Drehsinn, d.h. im Gegenuhrzeigersinn, gemessen):

ϕ = ϕ2 − ϕ1

In der letzten Beziehung bilden wir nun den Tangens der links und rechts stehenden Terme.
Anschließend wenden wir den Additionstheorem 26 auf Seite 774 für Tangens und erhalten:
tan ϕ2 − tan ϕ1
tan ϕ = tan(ϕ2 − ϕ1 ) ⇒ tan ϕ =
1 + tan ϕ1 tan ϕ2

Unter Berücksichtigung der Erkenntnis, dass die Steigung m einer Geraden G dem Tangens ihres
Winkels ϕ mit der x-Achse entspricht, d.h.

m1 = tan ϕ1 m2 = tan ϕ2 ,

ergibt sich der Schnittwinkel ϕ zwischen den Geraden G1 und G2 zu:


 
m2 − m1 m2 − m1
tan ϕ = ϕ = arctan (6.38)
1 + m1 m2 1 + m1 m2

Methode 2
Diese Berechnungsmethode bedient sich der Vektorrechnung. Die Richtungsvektoren v 1 und v 2
auf den Geraden G1 und G2 (Bild 6.16) lassen sich ausdrücken als:

v 1 = i + m1 j v 2 = i + m2 j

Der Winkel ϕ wird mit Hilfe des Skalarprodukts berechnet. Hierzu lässt man die beiden Vektoren
v 1 und v 2 auf den Geraden G1 und G2 derart gleiten, dass sie ihren jeweiligen Startpunkt im
Schnittpunkt S haben. Von jetzt an werden also nicht die Geraden selbst, sondern die Vektoren
betrachtet. Das Skalarprodukt gemäß (5.12) auf Seite 209 liefert folgende Resultate:
v1 · v2
cos ϕ =
|vv1 | |vv2 |
 
v1 · v2 = (ii + m1 j ) · (ii + m2 j ) = 1 + m1 m2 |vv1 | = 1 + m21 |vv2 | = 1 + m22
6.4 Geraden in der xy-Ebene 291

1 + m1 m2 1 + m 1 m2
cos ϕ =   ϕ = arccos   (6.39)
1 + m21 1 + m22 1 + m21 1 + m22

Anmerkung: Der aus (6.39) berechnete Winkel ist der zwischen den Vektoren v 1 und v 2 lie-
gende kleinere Winkel. Allerdings braucht dieser kleinere Winkel zwischen v 1 und v 2 nicht zwin-
gend auch der kleinere Winkel zwischen G1 und G2 zu sein. Daher können die Formeln (6.38)
und (6.39), je nach aktueller Aufgabenstellung, unterschiedliche Winkel liefern, d.h. entweder
den Winkel ϕ oder den Winkel α (s. Bild 6.16). Diese Differenz wird im Beispiel 6.14 weiter
unten näher betrachtet.
Sonderfälle
Zwei Geraden G1 und G2 sind parallel, wenn ihre Steigungen gleich sind:

m1 = m 2 ⇔ G1 G2

Für zwei zueinander orthogonale Geraden G1 und G2 (G1 ⊥G2 ) gelten folgende Beziehungen:

1
m1 m2 = −1 m1 = − (6.40)
m2

Wir können die Richtigkeit der Beziehung (6.40) sofort erkennen, wenn in (6.39) ϕ = 90◦ gesetzt
und die Beziehung umgeformt wird:
1 + m1 m2 1 + m1 m2
cos 90◦ =   0=  
1 + m21 1 + m22 1 + m21 1 + m22

⇒ 1 + m1 m2 = 0 ⇒ m1 m2 = −1 

Beispiel 6.17:
Gesucht ist der Winkel zwischen den Geraden G1 und G2 .

G1 : y = 1,5x − 1 G2 : y = −4x − 12

Die Geraden haben die Steigungen

G1 : m1 = y = 1,5 G2 : m2 = y = −4

Nach (6.38) erhalten wir den Winkel ϕ als:

m2 − m1 −4 − 1,5
tan ϕ = = = 1,1 ⇒ ϕ = arctan 1,1 = 47,7◦
1 + m1 m2 1 + 1,5 · (−4)

Nach (6.39) ergibt sich der Winkel ϕ zu:

1 + 1,5 · (−4)
cos ϕ =   = −0,673 ⇒ ϕ = arccos(−0,673) = 132,3◦
1 + 1,52 1 + (−4)2
292 6 Analytische Geometrie

Mit den Winkelbezeichnungen des Bildes 6.16 ergeben sich folgende Schnittwinkel:

ϕ = 47,7◦ α = 132,3◦

6.4.7 Winkelhalbierende zweier Geraden


Bild 6.17 zeigt zwei sich schneidende Geraden G1 und G2 sowie ihre Winkelhalbierenden H1
und H2 . Wenn die Geraden G1 und G2 in der Hesse-Normalform vorliegen, ergeben sich die
Geradengleichungen von H1 und H2 aus folgender Beziehung:

H1 = G1 + G2 H2 = G1 − G2 (6.41)

Anmerkungen:

a) Die Winkelhalbierenden H1 und H2 stehen senkrecht zueinander (H1 ⊥H2 ).

a) H2 befindet sich im denjenigen Winkelraum der sich schneidenden Geraden, in dem sich auch
der Koordinatenursprung befindet.

y H2

G1 a2 a2 a1 H1
a1

G2

O x

Bild 6.17: Winkelhalbierende zweier Geraden

Beispiel 6.18:
Gegeben sind drei Punkte P1 = (−2; −4), P2 = (2; 2) und P3 = (−4; 4). Durch die
Punkte P1 ,P2 geht die Gerade G1 , und durch die Punkte P1 ,P3 die Gerade G2 . Gesucht
sind die Gleichungen der beiden Winkelhalbierenden der Geraden G1 und G2 .
Ausgehend von der Zweipunkteform ergeben sich folgende Geradengleichungen in
der allgemeinen Linearform:

2 − (−4)
G1 : y= (x − (−2)) − 4 = 1,5x − 1 ⇒ 1,5x − y − 1 = 0
2 − (−2)

4 − (−4)
G2 : y= (x − (−2)) − 4 = −4x − 12 ⇒ 4x + y + 12 = 0
−4 − (−2)
6.5 Zusätzliche Beispiele 293

Daraus erhält man folgende Geradengleichungen in Hesse-Normalform:


−1
G1 : k1 = −  = 0,555 ⇒ 0,833x − 0,555y − 0,555 = 0
1,52 + (−1)2

1 −1
G2 : k2 = − √ =√ ⇒ −0,970x − 0,243y − 2,910 = 0
42 + 12 17
Die Gleichungen der Winkelhalbierenden lauten nach Gl. (6.41):

H1 = G1 + G2 H2 = G1 − G2

H1 : −0,137x − 0,798y − 3,465 = 0 oder y = −0,172x − 4,34


H2 : 1,803x − 0,312y + 2,355 = 0 oder y = 5,779x + 7,548

6.5 Zusätzliche Beispiele

Beispiel 6.19:
Die Koordinaten des Punktes P sind im kartesischem Koordinatensystem gegeben.
Gesucht sind seine zylindrischen Koordinaten.

P(x, y, z) = (−1; −1; 1) P(r, ϕ, z) =?


 
z=1 r = x2 + y2 = (−1)2 + (−1)2 = 1,414
x −1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos(−0,7071) = 135◦
x +y
2 2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x2 + y2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = 360 − ϕc = 360 − 135 = 225◦
⇒ P(r, ϕ, z) = (1,414; 225◦ ; 1)

Beispiel 6.20:
Transformation der Kreisgleichung. Im xy-Koordinatensystem sei ein Kreis mit der
Gleichung x2 + y2 = 16 gegeben. Wier lautet die Gleichung dieses Kreises in einem
uv-Koordinatensystem dessen Ursprung im xy-system die Koordinaten O = (−2; −1)
besitzt?
Das uv-Koordinatensystem ist gegenüber dem xy-System um a = −2 und b = −1
parallel verschoben. Daraus folgt mit (6.8)

x = u + a = u + (−2) = u − 2 y = v + b = v + (−1) = v − 1
294 6 Analytische Geometrie

Einsetzen dieser Ausdrücke in die Kreisgleichung x2 + y2 = 16 liefert:

(u − 2)2 + (v − 1)2 = 16 ⇒ u2 + v2 − 4u − 2v = 11

Beispiel 6.21:
Gesucht sind die Koordinaten des Punkts P(x, y) = (4; 4) im x y-Koordinatensystem,
das gegenüber dem xy-KS um a = 1, b = 2 parallel verschoben und um ϕ = 60◦
gedreht wird.
Die Lösung wird mit Hilfe der Matrixbeziehung (6.16) durchgeführt.
     
4 1 0,500 0,866
r= v= R=
4 2 −0,866 0,500
       
0,500 0,866 4 1 3,232
r = R (rr −vv) = − =
−0,866 0,500 4 2 −1,598
P(x, y) = (3,232; −1,598)

Beispiel 6.22:
Vom Punkt P sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) = (−1; −1; 1) be-
kannt. Gesucht sind seine Kugelkoordinaten.

  √
r = x + y + z = (−1)2 + (−1)2 + 12 = 3
2 2 2

x −1
ϕc = arccos  = arccos √ = arccos(−0,7071) = 135◦
x2 + y2 2
y −1
ϕs = arcsin  = arcsin √ = arcsin(−0,7071) = −45◦
x +y
2 2 2
sign ϕc = sign ϕs ⇒ ϕ = 360 − ϕc = 360 − 135 = 225◦
z 1
cos θ = = √ = 0,577 ⇒ θ = 54,7◦
r 3

P = (r, ϕ, θ ) = ( 3; 225◦ ; 54,7◦ )

Beispiel 6.23:
Im xy-Koordinatensystem ist die Gleichung x · y = c gegeben. Wie lautet diese Glei-
chung im xy-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-System um ϕ = 45◦ gedreht
wurde?

x = x · cos 45 − y · sin 45 = 0,707 x − 0,707 y


6.5 Zusätzliche Beispiele 295

y = x · sin 45 + y · cos 45 = 0,707 x + 0,707 y


Das Einsetzen dieser Beziehungen in die Gleichung x · y = c liefert:

(0,707 x − 0,707 y) · (0,707 x + 0,707 y) = c


     
x y

Die Umformung und Vereinfachung dieses Ausdrucks liefert:

x 2 y2
− =c (Gleichung einer Hyperbel, s. Seite 49)
2 2
Die Funktion x y = c entspricht also im xy-System einer Hyperbel.

Beispiel 6.24:
Gesucht ist der Abstand d des Punktes Q = (−3; 4) von der Geraden G1 , die durch
die Punkte P1 = (−1; −3) und P2 = (2; 2) verläuft.
Die Steigung der Geraden lässt sich aus Koordinaten der Punkte P1 , P2 berechnen:
y2 − y1
m= = 1,667
x2 − x1
Für die Ermittlung der Punktsteigungsform der Geraden wird der Punkt P1 zugrunde
gelegt (Bezug auf den Punkt P2 würde natürlich das gleiche Ergebnis liefern):

y = m(x − x1 ) + y1 y = 1,667(x − (−1)) + (−3) = 1,667x − 1,333

Alle Terme werden jetzt auf eine Seite gebracht, so dass die allgemeine Linearform
der Geradengleichung lautet:

1,667x − y − 1,333 = 0

Für die Abstandsberechnung benötigt man die Hesse-Normalform der Geraden:


−1
k = − = 0,515 ⇒ 0,515(1,667x − y − 1,333) = 0
1,6672 + 12

⇒ 0,857x − 0,515y − 0,686 = 0


Der Abstand d ergibt sich durch Einsetzen der Koordinaten des Punktes Q in diese
Geradengleichung:

d = |0,857 · (−3) − 0,515 · 4 − 0,686| = | − 5,32| = 5,32

Das Vorzeichen des Abstands ist negativ, weil der Koordinatenursprung O und der
Punkt Q sich auf der gleichen Seite der Geraden befinden.
296 6 Analytische Geometrie

Beispiel 6.25:
Gegeben sind drei Punkte P1 = (−1; −3), P2 = (2; 2), P3 = (−3; 4). Durch die Punk-
te P1 ,P2 geht die Gerade G1 , und durch die Punkte P1 ,P3 die Gerade G2 . Gesucht sind
die Gleichungen der beiden Winkelhalbierenden H1 , H2 .
Geradengleichungen in allgemeiner Linearform:

G1 : 5x − 3y − 4 = 0 G2 : 7x + 2y + 13 = 0

Geradengleichungen in Hesse-Normalform:

G1 : 0,857x − 0,514y − 0,686 = 0 G2 : −0,962x − 0,275y − 1,786 = 0

Gleichungen der Winkelhalbierenden:

H1 = G1 + G2 ⇒ H1 : −0,105x − 0,789y − 2,472 = 0

H2 = G1 − G2 ⇒ H2 : 1,819x − 0,239y + 1,10 = 0


Aufgabe: Zeichnen Sie maßstäblich die Geraden G1 , G2 , H1 sowie H2 und überzeugen
Sie sich visuell, dass die Winkelhalbierenden H1 und H2 orthogonal zueinander sind.

Beispiel 6.26:
Gesucht ist die Gleichung der Geraden G2 , die durch den Punkt P geht und senkrecht
zur folgenden Geraden G1 steht.

P = (x1 ; y1 ) = (−2; 1) G1 : 4x − 6y − 10 = 0

2 5 2
Die Steigung m1 der Geraden G1 : y = x− ⇒ m1 =
3 3 3
Die gesuchte Gerade G2 ergibt sich aus der Punktsteigungsform mit P als Punkt und
m2 als Steigung:
1 3
m2 = − =−
m1 2

−3
G2 : y = m2 (x − x1 ) + y1 = (x + 2) + 1 = −1,5 x − 2
2

Beispiel 6.27:
Wie groß ist der Abstand zwischen der Geraden G2 des Beispiels 6.26 und dem Punkt
Q = (1; 2)?
Zur Abstandsberechnung wird die Hessesche Normalform (HNF) der Geraden G2
benötigt, zu deren Ermittlung man wiederum die allgemeine Linearform (ALF) braucht.
Die ALF ergibt sich aus der Punktsteigungsform von G2 :

G2,ALF : 1,5x + y + 2 = 0
6.5 Zusätzliche Beispiele 297

Bestimmung der Hesse-Normalform (HNF) der Geraden:



k = −1/ 1,52 + 12 = −0,5547

⇒ (−0,5547) 1,5x + (−0,5547) y + (−0,5547) 2 = 0


G2,HNF : −0,8320x − 0,5547y − 1,1094 = 0
Der Abstand des Punktes Q von der Geraden G2 ergibt sich durch Einsetzen seiner
Koordinaten in die HNF von G2 :

d = | − 0,8320 · 1 − 0,5547 · 2 − 1,1094| = 3,05

Beispiel 6.28:
Gegeben ist ein Dreieck durch seine Eckpunkte P1 = (2; 2), P2 = (−3; 4) und P3 =
(−1; −3).
a) Gesucht ist die Geradengleichung des Lots vom Punkt P2 zur Seite P1 P3 .
b) Es ist der Schnittpunkt der Lotgeraden mit der x-Achse zu bestimmen.
Lsg:
y3 − y1 −3−2 5
a) Steigung m1 der Seite P1 P3 : m1 = = =
x3 − x1 −1 − 2 3
−1 3
Steigung m2 des Lots: m2 = =−
m1 5
Die Geradengleichung des Lots ergibt sich aus der Punktsteigungsform mit P2
und m2 :

3 3 11
y = m(x − x2 ) + y2 = − (x + 3) + 4 = − x +
5 5 5

b) Der Schnittpunkt mit der x-Achse ergibt sich aus y = 0:

3 11
0 = − x+ ⇒ xs = 3,67
5 5

Beispiel 6.29:
Mit Hilfe von Richtungsvektoren soll der von den Geraden G1 und G2 eingeschlossene
Winkel ϕ berechnet werden.

G1 : −2x + y + 2 = 0 G2 : x + y − 2 = 0
   
1 1
Richtungsvektoren (nicht normiert): v 1 = v2 =
2 −1
298 6 Analytische Geometrie

√ √
v 1 · v 2 = −1 |vv1 | = 5 |vv2 | = 2
v1 · v2 −1
cos ϕ = cos ϕ = √ √ = −0,3162 ⇒ ϕ = 108,4◦
|vv1 | · |vv2 | 5 2

6.6 Aufgaben
1. Von einem Punkt P sind die kartesischen Koordinaten P = (x, y, z) bekannt. Bestimmen Sie
seine Koordinaten P = (r, ϕ, z) im zylindrischen Koordinatensystem.

a) P = (x, y, z) = (−1; 1; 2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = ( 2; 135◦ ; 2)

b) P = (x, y, z) = (1; −1; 2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = ( 2; 315◦ ; 2)
c) P = (x, y, z) = (−3; −4; −2) Lsg: P = (r, ϕ, z) = (5; 233,1◦ ; −2)
2. Jetzt wird die Aufgabe 1 umgekehrt: Vom Punkt P sind die zylindrischen Koordinaten P =
(r, ϕ, z) bekannt. Gesucht sind seine kartesischen Koordinaten P = (x, y, z).

a) r = 2 ϕ = 135◦ z = 2 Lsg: P = (x, y) = (−1; 1; 2)
√ ◦
b) r = 2 ϕ = 315 z = 2 Lsg: P = (x, y) = (1; −1; 2)
c) r = 5 ϕ = 233,1◦ z = −2 Lsg: P = (x, y) = (−3; −4; −2)
3. Der Punkt P hat im x y-Koordinatensystem, das gegenüber dem xy-KS um ϕ = 135◦
gedreht ist, die Koordinaten P(x y) = (−1,414; −7,071). Welche Koordinaten besitzt P im
xy-System?
   
−0,7071 −0,7071 −1,414
RT = r=
0,7071 −0,7071 −7,071
 
6
r =R r T
⇒ r=
4

4. Gegeben sind zwei Punkte P = (5; 9) und Q = (12; 18) im xy-Koordinatensystem. Zeigen
Sie, dass sich der Abstand L zwischen den Punkten P und Q nicht ändert, wenn P und Q im
x y-KS ausgedrückt werden.
a) Das x y-KS wird gegenüber dem xy-Koordinatensystem um v = [−5; 4] verschoben.
b) Das x y-KS wird gegenüber dem xy-Koordinatensystem um ϕ = 45◦ gedreht.
5. Ein kartesisches x y z-Koordinatensystem sei gegenüber dem xyz-KS um v = [1; −2; 4] par-
allel verschoben. Ferner sind im xyz-System zwei Punkte P = (−2; 1; 2) und Q = (2; 3; 6)
definiert. Zeigen Sie, dass sich der Abstand L zwischen P und Q nicht ändert, wenn die
Koordinaten der Punkte P und Q im x y z-KS ausgedrückt werden.
Lxyz = 6 P(x, y) = (−3; 3; −2) Q(x, y) = (1; 5; 2) Lxyz = 6
6. Im xy-Koordinatensystem ist die Gleichung x y = 2 gegeben. Welche Form nimmt diese
Gleichung im xy-System an, das gegenüber dem xy-System um −90◦ gedreht wird?
Lsg: x y = −2
6.6 Aufgaben 299

7. Wie lautet die Gleichung der Geraden, die durch den Punkt P = (2; −1) geht und mit der
x-Achse einen Winkel von ϕ = 150◦ bildet?
Lsg: m = tan ϕ = tan 150◦ = −0,577 y = −0,577(x − 2) − 1 = −0,577x + 0,154

8. Gegeben ist eine Gerade in der allgemeinen Linearform 3x − 2y + 2 = 0. Gesucht ist die
Geradengleichung in folgenden Formen:
a) Normalform
b) Achsenabschnittsform
c) Hessesche Normalform
Lsg:
a) Normalform : y = 1,5x + 1
x y
b) Achsenabschnittsform + =1
(−0,667) 1
c) Hessesche Normalform −0,832x + 0,554y − 0,554 = 0

9. Stellen Sie die Gleichung der Geraden G1 auf, die durch den Punkt P = (−2; 1) geht und
parallel zur Geraden G2 : 2x − 3y − 5 = 0 verläuft.
2 2 7
Lsg: Steigung m von G2 : m = Punktsteigungsform von G1 : y = x+
3 3 3
10. Berechnen Sie unter Verwendung der Hesse-Normalform den Abstand des Punktes P =
(1; −1) von der Geraden G , die durch die Punkte P1 = (−2; 1) und P2 = (2; 3) geht.
Lsg:
Allgemeine Linearform: 0,5x − y + 2 = 0
Hessesche Normalform G : −0,447x + 0,894y − 1,789 = 0.
Abstand : d = | − 0,447 · 1 + 0,894 · (−1) − 1,789| = | − 3,13| = 3,13.

11. Berechnen Sie für das Beispiel 6.18 den Winkel zwischen G1 und G2 .
12. Berechnen Sie für das Beispiel 6.14 die Winkelhalbierenden von G1 und G2 .
13. Berechnen Sie für das Beispiel 6.16 den Winkel sowie die Winkelhalbierenden von G1 und
G2 .
7 Integralrechnung
Die Integralrechnung ist das Gegenteil der Differentialrechnung und bildet das zweite Standbein
der Infinitesimalrechnung. Beide Gebiete hängen sehr eng miteinander zusammen.
Bei der Differentiation wird durch Ableitung aus einer gegebenen Funktion F(x) eine neue
Funktion f (x) gewonnen. Dieser Vorgang wird formal durch die Beziehung F  (x) = f (x) aus-
gedrückt.
Bei der Integration ist die Situation umgekehrt: Aus einer gegebenen Funktion f (x) wird eine
neue Funktion F(x) unter der Bedingung gewonnen, dass F  (x) = f (x) gilt. Dieser Vorgang
wird formal durch die Beziehung f (x) dx = F(x) ausgedrückt. Integration und Differentiation
sind also zueinander inverse Operationen.

Gegeben Operation Ergebnis Bedingung Formalausdruck

F(x) Differentiation f (x) F  (x) = f (x)


−−−−−−−−−−−−−−→

f (x) Integration F(x) F  (x) = f (x) f (x) dx = F(x)


−−−−−−−−−−−−−−→

Stammfunktion
Eine Funktion F(x) ist die Stammfunktion von f (x) , wenn folgende Bedingung gilt:

d
F(x) = f (x) bzw. F  (x) = f (x) F(x) : Stammfunktion (7.1)
dx
Beispiel 7.1:
Nachfolgend sind jeweils zwei Funktionen, f (x) und F(x), gegeben. Die Ableitung
von F(x) liefert f (x) , d.h. F(x) ist die Stammfunktion von f (x).

a) f (x) = 1 F(x) = x F  (x) = (x) = 1 = f (x) 


b) f (x) = 2x F(x) = x2 F  (x) = (x2 ) = 2x = f (x) 
c) f (x) = ex F(x) = ex F  (x) = (ex ) = ex = f (x) 
d) f (x) = cos x F(x) = sin x F  (x) = (sin x) = cos x = f (x) 
1 1
e) f (x) = F(x) = ln x F  (x) = (ln x) = = f (x) 
x x
f) f (x) = sinh x F(x) = cosh x F  (x) = (cosh x) = sinh x = f (x) 
 
1 1 1  1
g) f (x) = 2 F(x) = − F  (x) = − = 2 = f (x) 
x x x x
1 1
h) f (x) = F(x) = − ln(a − x) F  (x) = (− ln(a − x)) = = f (x) 
a−x a−x

Z. Şanal, Mathematik für Ingenieure, DOI 10.1007/978-3-658-10642-3_7,


© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
302 7 Integralrechnung

7.1 Unbestimmtes Integral

Durch Hinzufügen einer beliebigen Konstante C zur Stammfunktion F(x) kann die Menge der
Stammfunktionen unbegrenzt erweitert werden, weil die Ableitung von C stets Null ist:

[F(x) +C] = F  (x) + (C) = F  (x) + 0 = F  (x) = f (x)

Sowohl F(x) als auch F(x) + C sind also Stammfunktionen von f (x). Weil C beliebig ist,
ergibt sich eine unendlich große Schar von Stammfunktionen. Die Addition von C zu F(x) kann
man sich bildlich auch so vorstellen, daß die Funktionskurve y = F(x) im xy-Koordinatensystem
in y-Richtung um den Betrag C parallel verschoben wird.
Die in Bild 7.1 dargestellten Sinusfunktionen F(x) = sin(x) + C mit verschiedenen Werten
für C sind alle gleichwertige Stammfunktionen von f (x) = cos x , weil C sich auf die Ableitung
von F(x) nicht auswirkt.

2 C=2
y

C=1

–6 –4 –2 2 4 6 C=0 8
x
C = –1

–2 C = –2

Bild 7.1: Schar von Stammfunktionen y = F(x) = sin x +C

Das unbestimmte Integral ist die Gesamtmenge aller Stammfunktionen der Funktion f (x) :

f (x) dx = F(x) +C Formale Definition des unbestimmten Integrals (7.2)

Der Ausdruck f (x) innerhalb des -Symbols wird Integrand genannt.


Die für die Ingenieurpraxis wichtigsten Integrale sind auf Seite 777 zusammengestellt.

Beispiel 7.2:
Einige Beispiele für das unbestimmte Integral der Funktion f (x) sind nachfolgend
angegeben (man kann die Richtigkeit der Ergebnisse leicht kontrollieren, indem die
angegebenen Integrale einmal differenziert werden).
a) f (x) = 4x3 f (x) dx = 4x3 dx = x4 +C
b) f (x) = − sin x f (x) dx = (− sin x) dx = cos x +C
c) f (x) = −e−x f (x) dx = (−e−x ) dx = e−x +C
xk+1
d) f (x) = xk f (x) dx = (xk ) dx = +C k : Skalar
k+1
7.1 Unbestimmtes Integral 303

Differentiation und Integration als inverse Operationen


Die Integration ist die Umkehrung der Differentiation. Aus dieser Aussage folgt, dass die Ablei-
tung eines Integrals wieder den Integranden liefern muss. Dass dies tatsächlich auch der Fall ist,
sieht man sofort, wenn beide Seiten der Gl. (7.2) nach x differenziert werden:
 
d d d d
f (x) dx = (F(x) +C) = F(x) + C = f (x) + 0 = f (x)
dx dx dx dx

Zwischen Differentiation und Integration gelten die folgenden formalen Beziehungen:



d
f (x) dx = f (x) (7.3)
dx
 
d
f (x) dx = f  (x) dx = f (x) (7.4)
dx

Beispiel 7.3:
Für die Funktion f (x) = x3 erhält man mit Hilfe der Beziehungen (7.3) und (7.4):
  4 
d d x 4x3
x3 dx = +C = + 0 = x3 
dx dx 4 4
 
d 3
x dx = 3x2 dx = x3 +C = f (x) +C 
dx

Aufgabe:
Die Ableitung der Funktion F(x) = sin x ist f (x) = cos x (Bild 7.2). Gemäß Gl. (7.1) existiert
zwischen den Funktionen F(x) und f (x) die Beziehung dF/dx = f (x) . Die Ableitung einer
Funktion wiederum entspricht der Steigung ihrer Tangente. Zeichnen Sie für die Positionen
x0 = π/4, π/2, 3π/4 in Bild 7.2 mit einem Lineal die Tangente an die Kurve F(x) , und messen
Sie den Tangentenwinkel α ab (der Winkel α ist als positiv anzusehen, wenn er von der x-
Achse aus im Gegenuhrzeigersinn zeigt, anderenfalls als negativ). Überprüfen Sie dann, ob die
Bedingung tan α = f (x0 ) an den angegebenen Positionen tatsächlich erfüllt ist.

1
F(x)=sin x
y

0.5

0 0.5 1 1.5 2 2.5 3


x
–0.5

f(x)=cos x
–1

Bild 7.2: F(x) = sin x ist die Stammfunktion von f (x) = cos x
304 7 Integralrechnung

7.1.1 Regeln für das unbestimmte Integral


Für unbestimmte Integrale gelten folgende Rechenregeln.

1. Faktorregel. Ein konstanter Faktor k darf vor das Integral verschoben werden.
 
k · f (x) dx = k f (x) dx (7.5)

2. Summenregel. Eine lineare Kombination von Funktionen darf gliedweise integriert wer-
den.

f (x) = c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · + cn fn (x)


   
f (x) dx = c1 f1 (x) dx + c2 f2 (x) dx + · · · + cn fn (x) dx (7.6)

3. Potenzregel. Die Potenzregel geht auf die Kettenregel der Differentiation zurück.
 a+1
1
f (x)a f  (x) dx = f (x)a+1 +C Hinweis: f (x)a+1 ≡ f (x) (7.7)
a+1

4. Logarithmusregel. Die Logarithmusregel geht auf die Ableitung einer logarithmischen


Funktion zurück.

f  (x)
dx = ln f (x) +C (7.8)
f (x)

Beispiel 7.4:
1. Faktorregel.
 
4 sin x dx = 4 sin x dx = 4(− cos x) +C = −4 cos x +C

2. Summenregel.
a. (cos x − sin x) dx = cos x dx − sin x dx = sin x − (− cos x) +C = sin x +
cos x +C

b. (3ex − 2x) dx = 3ex dx + (−2x) dx = 3 ex dx − 2 x dx = 3ex − x2 +C


3. Potenzregel.

1
( x2 − ex )3 (2x − ex ) dx = (x2 − ex )4 +C
      4
f (x) f  (x)

4. Logarithmusregel.
3x2
a. dx = ln(x3 + 1) +C, weil (x3 + 1) = 3x2
x3 + 1
7.1 Unbestimmtes Integral 305

2x
b. dx = ln(x2 − 5) +C, weil (x2 − 5) = 2x
x2 − 5
x 1 20x 1
c. dx = dx = ln(10x2 − 5) +C
10x2 − 5 20 10x2 − 5 20

7.1.2 Partielle Integration


Das Ziel der partiellen Integration besteht darin, den Integranden f (x) im Integralausdruck
f (x) dx soweit zu vereinfachen, dass zum Schluß ein Grundintegral entsteht (etwas verein-
facht ausgedrückt versteht man unter Grundintegral ein besonders einfaches Integral, das man
praktisch auswendig kennt, oder zumindest mit ein wenig Überlegung leicht von Hand aufstellen
kann, ohne in einer Integralsammlung nachzuschauen).
Zur Herleitung der partiellen Integrationsformel betrachten wir das Produkt u(x) v(x) von
zwei Funktionen u(x) und v(x). Die Ableitung des Produkts uv liefert gemäß der Produktregel
(3.9):

(u v) = u v + u v

Die formale Integration beider Seiten liefert die bekannte partielle Integrationsformel:
    
(u v) dx = u v dx + u v dx ⇒ u v dx = u v − u v dx
  
=uv (vgl. (7.4))

Bei der Bestimmung von f (x) dx nach der partiellen Integrationsregel wird der Integrand f (x)
zunächst als Produkt von zwei -sinnvoll zu wählenden- Funktionen f1 (x) und f2 (x) ausgedrückt.
Danach wird anstelle der Bezeichnung f1 das Symbol u und anstelle von f2 das Symbol v
verwendet:
  
f (x) dx = f1 (x) f2 (x) dx = u(x) v (x) dx Anmerk: u(x) v (x) ≡ f (x)
     
u(x) v (x)

Das Integral f (x) dx lässt sich jetzt mit Hilfe folgender partieller Integrationsformel berech-
nen:
 
u v dx = u v − u v dx

oder etwas ausführlicher: Partielle Integration (7.9)


 
u(x) · v (x) dx = u(x) · v(x) − u (x) · v(x) dx

Der Term v(x) ist die Stammfunktion des Ausdrucks v (x).


306 7 Integralrechnung

Beispiel 7.5:
  
x sin x dx = sin x dx = 
x 
 x (− cos x) − 1 · (− cos x) dx

     
u v u v u v

= −x cos x + cos x dx = −x cos x + sin x +C

Beispiel 7.6:
  
1
ln x dx = 1 dx = 
ln x · 
 x −
ln x ·  x dx
x 

u v u v v
u

= ln x · x − dx = ln x · x − x = x (ln x − 1) +C

Beispiel 7.7:
  
x2 1 x2
x ln x dx = x ln
 x dx = ln
x · − dx
2
 2
x 

v  u u
v u v

x2 x x2 x2 x2
= ln x − dx = ln x − +C = (2 ln x − 1) +C
2 2 2 4 4

Beispiel 7.8:
  2 
x x x2
x ex dx = x e x
  dx = e − ex dx
2 2
v u

Der Integrand ist nach partieller Integration komplizierter geworden als das Ausgangs-
problem! Die Wahl von u und v war also ungeeignet. Die Integration gelingt jedoch
problemlos durch Vertauschung von u und v :
  
x ex dx = ex dx = x ex −
x 
 1 · ex dx = ex (x − 1) +C
u v

Beispiel 7.9:
  
x −x −x x+1
dx = x 
 e dx = (x) (−e ) − 1 · (−e−x ) dx = − x

ex        e
u v u v u v
7.1 Unbestimmtes Integral 307

Hinweise:
1. Die partielle Integration ist nur dann sinnvoll, wenn u v einfacher zu integrieren ist als
f (x).

2. Erfahrung und Intuition -und manchmal einfach auch Glück!- spielen bei der richtigen Wahl
von u und v eine große Rolle.
3. Für die Wahl von u und v existieren keine allgemein gültigen Regeln. Meistens ist es sinn-
voll, Potenzfunktionen mit positiver Potenz (z.B. x, x2 usw.) als u zu wählen, weil sich
dadurch der Potenzgrad bei der Bildung von u verringert.
4. Falls der neue Ausdruck u v dx auf der rechten Seite in (7.9) zwar einfacher als der
Originalausdruck u v dx geworden ist, aber trotzdem noch nicht elementar integrierbar,
muss die partielle Integration wiederholt werden.
5. Die ursprüngliche Wahl von u und v kann sich als ungeeignet herausstellen. Das merkt
man daran, dass der neue Integrand noch komplizierter geworden ist als der ursprüngliche
Integrand. In diesem Fall müssen u und v vertauscht werden, vgl. Beispiel 7.8. Falls auch
die Vertauschung nicht weiter hilft, ist die partielle Integration für den vorliegenden Fall
ungeeignet.

6. Falls während der partiellen Integration die Ausdrücke u v dx (auf der linken Seite)
und u v dx (auf der rechten Seite) identisch werden, wird u v dx auf die linke Seite
gebracht, vgl. Beispiel 7.35.
7. Manchmal führt die partielle Integration zu einem Trivialergebnis, wie z.B. 0 = 0, mit dem
man wenig anfangen kann. In solchen Fällen sollte geprüft werden, ob die Ausnutzung
geeigneter mathematischer Gesetzmäßigkeiten, z.B. Substitution von (1 − sin2 x) anstelle
von cos2 x , weiter hilft, vgl. Beispiel 7.37.
8. Statt der Schreibweise u v dx für die partielle Integration kann natürlich auch jede andere
beliebige Schreibweise verwendet werden, z.B. g h dx = g h − g h dx oder p q dx =
p q − p q dx .
9. Partielle Integration ist ein leistungsfähiges Werkzeug, mit dem sich viele Integrationsaufga-
ben lösen lassen. Ferner ist es bei der Formulierung und Behandlung von Aufgaben der Kon-
tinuumsmechanik (Mechanik deformierbarer Körper) von überragender Bedeutung. Den-
noch ist die partielle Integration kein Universalwerkzeug, das für alle Integrationsaufgaben
geeignet wäre. Es gibt noch weitere spezielle Integrationsmethoden, die in weiterführender
Fachliteratur ausführlich behandelt werden.
308 7 Integralrechnung

7.2 Bestimmtes Integral


Die Fläche unterhalb der Kurve y = f (x) in Bild 7.3 kann näherungsweise dadurch bestimmt
werden, dass man das Intervall [a, b] in n Teilintervalle von gleicher Breite Δx unterteilt.1 Je-
dem Teilintervall entspricht eine Teilfläche, die sich zwischen der Kurve f (x) und der x-Achse
befindet. Die Teilfläche ΔIi kann bei genügend schmaler Intervallbreite Δx als ein Trapez be-
trachtet werden (das entspricht der Linearisierung der gekrümmten Randkurve im Intervall Δx
entsprechend Abschnitt 3.8) und besitzt den Flächeninhalt:
1 2
f (x ) + f (x ) + f  (x ) Δx
f (xi ) + f (xi + Δx) i i i
ΔIi ≈ Δx ≈ Δx
2 2
1
≈ f (xi ) Δx + f  (xi ) (Δx)2
2
Die Gesamtfläche I unterhalb der Kurve ergibt sich durch Summation aller Teilflächen:
n n 1 2
1
I = ∑ ΔIi = ∑ f (xi ) Δx + f  (xi ) (Δx)2
i=1 i=1 2

Die Anzahl n der Teilintervalle kann beliebig groß gewählt werden. Wenn n im Grenzfall gegen
unendlich geht, wird die Intervallbreite Δx infinitesimal, und geht in dx über:

lim Δx = dx lim ΔIi = dI lim xi = x (dx)2 << dx


n→∞ n→∞ n→∞

∞ ∞ 1 2 ∞
1
I = ∑ ΔIi = ∑ f (xi ) dx + f  (xi ) (dx)2 ≈ ∑ f (xi ) dx
i=1 i=1 2 i=1

In der letzten Gleichung wurde der zweite Term mit (dx)2 vernachlässigt, weil er sehr viel
kleiner als der erste Term mit dx ist.

f(xi )
y=f(x)
f(x1)
f(xn )
DI 1 DI i
DI n
Dx Dx Dx

a=x1 xi xn b x

Bild 7.3: Zur Definition des bestimmten Integrals

1 Es sollte jedoch hervorgehoben werden, dass das bestimmte Integral nicht immer gleichbedeutend ist mit dem Flä-
cheninhalt der zwischen der Funktionskurve und der x-Achse liegenden Fläche (hierzu mehr Ausführungen auf
Seite 310). Dennoch ist es didaktisch sehr sinnvoll, das bestimmte Integral anhand von Flächenbetrachtungen zu
erläutern.
7.2 Bestimmtes Integral 309

Die unendliche Summe wird als das bestimmte Integral der Funktion y = f (x) im Intervall
[a, b] bezeichnet und ist definiert als:

b b
I= dI I= f (x) dx Bestimmtes Integral (7.10)
a a

7.2.1 Berechnung des bestimmten Integrals


Das bestimmte Integral lässt sich mit Hilfe der Stammfunktion F(x) von f (x) berechnen (Bild
7.4). Zu diesem Zweck betrachten wir ein infinitesimal schmales Trapez zwischen der Kurve
f (x) und der x-Achse (im Bild stark vergrößert dargestellt). Wegen seiner infinitesimalen Breite
kann man das Trapez auch als Rechteck betrachten, dessen Höhe f (x) ist. Die differentielle
Fläche des Rechtecks ist dI = f (x) dx .

f(x)
F(b)
F(x)

F(x)

f(x)
dF
F(a)
f(x)
dx

a x b x

Bild 7.4: Bestimmtes Integral und Stammfunktion

Zwischen f (x) und ihrer Stammfunktion F(x) existiert gemäß (7.1) folgende Beziehung:

dF
= f (x) ⇒ dF = f (x) dx
dx
Integration beider Seiten dieser Beziehung im Intervall [a, b] liefert:

b b b
dF = f (x) dx ⇒ F(b) − F(a) = f (x) dx
a a a
  
=F(b)−F(a)

b
Nach Einführung des Ausdrucks F(x)a als Abkürzung für die Änderung F(b) − F(a) der
Stammfunktion erhält man die wohlbekannte Beziehung für das bestimmte Integral:

b b

f (x) dx = F(b) − F(a) = F(x) (7.11)
a
a
310 7 Integralrechnung

Beispiel 7.10:
Nachfolgend werden mehrere bestimmte Integrale berechnet.
2 1 1 22 16
a) x3 dx = x4 = −0 = 4
0 4 0 4
2 1 22
b) ex dx = ex = e2 − e−1 = 7,02
−1 −1
π 1 2π
c) sin x dx = − cos x = (− cos π) − (− cos 0) = 1 − (−1) = 2
0 0
2π 1 22π
d) sin x dx = − cos x = (− cos 2π) − (− cos 0) = −1 − (−1) = 0
0 0
π 1 2π
e) cos x dx = sin x = (sin π) − (sin 0) = 0 − 0 = 0
0 0
2π 1 22π
f) cos x dx = sin x = (sin 2π) − (sin 0) = 0 − 0 = 0
0 0

3π/2 1 23π/2
g) cos x dx = sin x = sin(3π/2) − sin(π/2) = −1 − 1 = −2
π/2 π/2

2x 1 x + 1 22
h) x
dx = − x = 0,594
0 e e 0

3 1 x2 23
i) x ln x dx = (2 ln x − 1) = 2,843
0,5 4 0,5

Bestimmtes Integral = Flächeninhalt?


Das bestimmte Integral ab f (x) dx wird oft mit dem Flächeninhalt unterhalb der Kurve gleich
gesetzt. Das ist nur in Sonderfällen richtig.
Das Integral ab f (x) dx entspricht der Summe von unendlich vielen infinitesimalen Teilflä-
chen im Integrationsbereich [a, b] . Diese Teilflächen sind allerdings mit Vorzeichen behaftet,
weil der Funktionswert f (x) positiv oder negativ sein kann. Das heißt, dass positive und negative
Teilflächen zu addieren sind. Im Extremfall können sich diese Teilflächen vollständig auslöschen
und das bestimmte Integral wird zu Null.
Daher darf das bestimmte Integral nicht generell als Flächeninhalt zwischen der Funktion
f (x) und der x-Achse interpretiert werden. Die Gleichsetzung des bestimmten Integrals als Flä-
cheninhalt ist nur in solchen Fällen korrekt, in denen die Kurve f (x) im Integrationsintervall
[a, b] die x -Achse nicht kreuzt. Die Berechnung von Flächen mit Hilfe des bestimmten Integrals
wird im Abschnitt 7.4.1 behandelt.
7.2 Bestimmtes Integral 311

7.2.2 Eigenschaften des bestimmten Integrals


Für das bestimmte Integral gelten prinzipiell die gleichen Regeln wie für das unbestimmte Inte-
gral (vgl. Abschnitt 7.1.1) und darüber hinaus einige zusätzliche Aspekte.
1. Faktorregel

b b
k · f (x) dx = k f (x) dx (7.12)
a a

Beispiel 7.11:
π/2
 π/2
 π/2 

4 sin x dx = 4 sin x dx = 4(− cos x) = 4 −0 − (−1) = 4
0
0 0

2. Summenregel

b  b b
c1 f1 (x) + c2 f2 (x) + · · · dx = c1 f1 (x) dx + c2 f2 (x) dx + · · · (7.13)
a a a

Beispiel 7.12:
1 1 1
a. (3ex − 2x) dx = 3ex dx − 2x dx
0
 01 0
= 3 [ex ]10 − x2 0 = 3(e − 1) − (1 − 0) = 4,15
 2 2
2 x 2x3 x4
b. (x − 2x + x ) dx =
2 3 − + = 0,667 − 0 = 0,667
0 2 3 4 0

3. Identische Integrationsgrenzen. Bei identischen Integrationsgrenzen ist das bestimmte


Integral gleich Null.

a b
f (x) dx = 0 bzw. f (x) dx = 0 (7.14)
a b

Beispiel 7.13:
3 1 1 23 1
x dx = x2 = (32 − 32 ) = 0
2 3 2
3

4. Vertauschen von Integrationsgrenzen. Das Vertauschen der oberen und unteren Integrati-
onsgrenze bewirkt einen Vorzeichenwechsel des Integrals.

a b
f (x) dx = − f (x) dx (7.15)
b a
312 7 Integralrechnung

Beispiel 7.14:
0 π
?
sin x dx = − sin x dx
π 0

0 1 20
sin x dx = − cos x = (− cos 0 + cos π) = (−1 − 1) = −2
π
π
π  π 

− sin x dx = − − cos x = cos π − cos 0 = −1 − 1 = −2
0
0

5. Unterteilung des Integrationsintervalls. Das Integrationsintervall a ≤ x ≤ b darf in zwei


(oder auch beliebig viele) Teilintervalle unterteilt werden.

b c b
f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx für a ≤ c ≤ b (7.16)
a a c

Beispiel 7.15:
2 2

2x dx = x2  = (22 − 02 ) = 4
0
0

1 2 1 2
 
2x dx + 2x dx = x2  + x2  = (12 − 0) + (22 − 1) = 1 + 3 = 4
0 1
0 1

6. Partielle Integration

b b 1 2b b

f (x) dx = u v dx = u v − u v dx mit f (x) = u(x) · v (x) (7.17)
a
a a a

Beispiel 7.16:
π/2
 π/2 π/2

sin x dx = −x cos x +
x 
 cos x dx
0
0 u v 0
π/2 π/2
 
= −x cos x + sin x = [−0 + 0] + [1 − 0] = 1
0 0
Die Integrationsgrenzen könnten auch ganz zum Schluß ausgewertet werden:
π/2
 1 2π/2
x sin
 x dx = −x cos x + sin x = [−0 + 1 + 0 − 0] = 1
0
0 u v
7.3 Numerische Integration 313

7.3 Numerische Integration


Falls die Stammfunktion F(x) des Integranden f (x) gefunden werden kann, wird von geschlos-
sener Integration gesprochen. Existiert dagegen keine Stammfunktion, muss das bestimmte Inte-
gral mittels numerischer Integration bestimmt werden.
Numerische Integration liefert immer ein skalares Einzelergebnis, welches nur für das gera-
de untersuchte Problem gültig ist. Dagegen liefert die geschlossene Integration ein generisches
Resultat, d.h. das Ergebnis besitzt allgemeine Gültigkeit.
Beispiele für bestimmte Integrale, die nicht in geschlossener Form ausgewertet werden kön-
nen, weil für die Integranden keine Stammfunktionen existieren, sind in nachfolgenden Bildern
angegeben.
1 2
f (x) = e−x f (x) = e−x ln x
2 2
f (x) dx =? f (x) dx =?
0 1
1
0.04
0.8 f(x)
f(x)

0.02
0.6

0.4
0 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2
0 0.2 0.4 x 0.6 0.8 1 x

ex 3 1 2
f (x) = f (x) dx =? f (x) = f (x) dx =?
ln x 2 x sin x 1
18 1.2

16 1
f(x)

f(x)

14
0.8

12
0.6
2 2.2 2.4 x 2.6 2.8 3 1 1.2 1.4 1.6 1.8 2
x

Numerische Integration ist natürlich nur für das bestimmte Integral definiert. Unbestimmte In-
tegrale lassen sich nicht numerisch ermitteln. Das Ergebnis der numerischen Integration ist (von
Einzelfällen abgesehen) ein Näherungswert, dessen Güte vom verwendeten Integrationsverfah-
ren abhängt. Nachfolgend werden einige Standardverfahren für numerische Integration erörtert.
314 7 Integralrechnung

7.3.1 Trapez-Verfahren

Das Trapez-Verfahren (auch Trapez-Regel genannt) ist eine besonders einfache Methode und
lässt sich sehr gut anschaulich herleiten. Die gekrümmte Funktionskurve zwischen zwei Stütz-
stellen wird durch ein Trapez näherungsweise ersetzt (Bild 7.5). Der Integrationsbereich [a, b]
wird in n Teilintervalle gleicher Breite unterteilt (äquidistante Intervalle), was insgesamt n + 1
Stützstellen ergibt:

Integrationsbereich : a≤x≤b
Anzahl der Teilintervalle : n
Stützstellen : x0 , x1 , x2 , · · · , xn
b−a
Schrittweite : h=
n

y
y i-1 yi
y1 y=f(x)

y0 h yn

I1 Ii In

a=x0 x1 xi-1 xi b=x n x

Bild 7.5: Trapez-Verfahren

Die x- und y-Koordinaten der i-ten Stützstelle ergiben sich dann aus:

xi = a + i · h yi = f (xi ) i = 0,1,2, . . . , n

In tabellarischer Form erhält man:

Stützstelle i 0 1 2 ··· n
xi a a+h a + 2h ··· b
yi y0 y1 y2 ··· yn

Die Trapezfläche Ii des i-ten Teilintervalls lässt sich auf elementare Weise berechnen:
yi−1 + yi
Ii = h i = 1,2,3, · · · , n
2
Hinweis: Die Trapezfläche Ii besitzt Vorzeichen, d.h. kann positiv oder negativ sein!
7.3 Numerische Integration 315

Das bestimmte Integral I ergibt sich aus der Summe der n Trapezflächen:

b
I= f (x) dx ≈ I1 + I2 + · · · + In
a

b
y0 + y1 y1 + y2 y2 + y3 yn−1 + yn
f (x) dx ≈ h+ h+ h+...+ h
2 2
         2  2 
a
I1 I2 I3 In

Nach dem Zusammenfassen gleicher Terme ergibt sich die Trapez-Regel zu:

b y +y 
0 n
f (x) dx ≈ h · + y1 + y2 + y3 + · · · + yn−1 Trapez-Regel (7.18)
2
a

Die Genauigkeit des Trapez-Verfahrens ist, wie bei allen numerischen Methoden, umso besser,
je mehr Teilintervalle benutzt werden.

Sonderfall : n = 2

b y +y 
0 2
f (x) dx ≈ h · + y1
2
a

Beispiel 7.17:
1
e−x dx nach dem Trapez-Verfahren mit n = 2
2
Es soll das bestimmte Integral I =
0
berechnet werden.

Anmerkung: Dieses Integral ist nicht geschlossen bestimmbar, daher besitzt es auch
kein exaktes Ergebnis. Als quasi-exaktes Ergebnis soll hier der mit Maple berechnete
Wert I = 0,7468 zu Grunde gelegt werden.

n=2
i xi yi yi
y = f (x)e−x
2
0 0,0 1,0000
b−a 1−0 1 0,5 0,7788
h= = = 0,5 2 1,0 0,3679
n 2
∑ 1,3679 0,7788

1 y +y   1,3679 
e−x dx = h ·
2 0 2
I= + y1 = 0,5 · + 0,7788 = 0,7314
2 2
0
316 7 Integralrechnung

Relativer Fehler des numerischen Integrals gegenüber dem »exakten« Wert:


 
 0,7314 − 0,7468 

Erel =   = 0,021 = 2,1%
0,7468 

7.3.2 Simpson-Verfahren
Das Simpson-Verfahren nutzt den Sachverhalt aus, dass drei Punkte in der xy-Ebene mit einer all-
gemeinen quadratischen Parabel y = c0 + c1 x + c2 x2 verbunden werden können. Beispielsweise
verläuft durch die folgenden drei Punkte jeweils eine quadratische Parabel (Bild 7.6):

Parabel 1 : P0 = f (x0 , y0 ) P1 = f (x1 , y1 ) P2 = (x2 , y2 )


Parabel i : P2i−2 = f (x2i−2 , y2i−2 ) P2i−1 = f (x2i−1 , y2i−1 ) P2i = (x2i , y2i )

Der Integrationsbereich wird diesmal in 2n äquidistante Teilintervalle unterteilt. Der Grund für
die Wahl von 2n Intervallen liegt darin, dass die Simpson-Regel eine gerade Anzahl von Teilin-
tervallen benötigt (2n ist immer eine gerade Zahl).

y
P2i-2 P2i-1 P2i
P2 y=f(x)
P1
Ii
P0 I1
P2n

2h In

a=x0 x2i-2 x2i b=x2n x


x2i-1

Bild 7.6: Simpson-Verfahren

Die quadratische Parabel, die sich jeweils über drei Stützstellen erstreckt, kann einen beliebig
gekrümmten Kurvenverlauf natürlich nur näherungsweise decken. Der Fehler dieser Näherung
ist aber deutlich geringer als die geradlinige Näherung des Trapezverfahrens. Daher darf man
beim Simpsonverfahren im allgemeinen eine spürbar höhere Genauigkeit erwarten als beim Tra-
pezverfahren.
Integrationsbereich : a≤x≤b
Anzahl der Teilintervalle : 2n
Stützstellen x0 , x1 , x2 , · · · , x2n−1 , x2n
:
b−a
Schrittweite : h=
2n
Die x- und y-Koordinaten der i-ten Stützstelle ergiben sich dann aus:

xi = a + i · h yi = f (xi ) i = 0,1,2, . . . ,2n


7.3 Numerische Integration 317

In tabellarischer Form erhält man:


Stützstelle i 0 1 2 ··· 2n
xi a a+h a + 2h ··· b
yi y0 y1 y2 ··· y2n
Der Flächeninhalt I1 der ersten Doppelteilfläche zwischen den Stützstellen x0 und x2 beträgt:

h
I1 = (y0 + 4y1 + y2 )
3
Anmerkung: Die obige Formel zur Berechnung des Flächeninhalts eines Quasi-Rechtecks, des-
sen vierte Randlinie durch eine quadratische Parabel beschrieben wird (schraffierte Fläche in
Bild 7.6), kann üblichen Formelsammlungen entnommen werden und soll hier nicht im Detail
hergeleitet werden.
Der Flächeninhalt I2 der zweiten Doppelteilfläche zwischen den Stützstellen x2 und x4 ergibt
sich in analoger Weise zu:

h
I2 = (y2 + 4y3 + y4 )
3
Für die i-te Doppelteilfläche Ii zwischen den Stützstellen x2i−2 und x2i gilt:

h
Ii = (y2i−2 + 4y2i−1 + y2i ) i = 1,2,3, · · · , n
3
Die Gesamtfläche unterhalb der Funktionskurve ergibt sich aus der Summe aller n Doppelteil-
flächen:
b
I= f (x) dx ≈ I1 + I2 + · · · + In
a

b
h h h
f (x) dx ≈ (y0 + 4y1 + y2 ) + (y2 + 4y3 + y4 ) + · · · + (y2n−2 + 4y2n−1 + y2n )
a 3   3   3  
I1 I2 In

Nach dem Zusammenfassen gleicher Terme ergibt sich die Simpson-Regel zu:

b
h 
f (x) dx ≈ y0 + y2n + 4(y1 + y3 + · · · + y2n−1 ) + 2(y2 + y4 + · · · + y2n−2 ) (7.19)
3
a

Sonderfall : 2n = 2 (eine Teilfläche)

b
h
f (x) dx ≈ [y0 + y2 + 4y1 ] (7.20)
3
a
318 7 Integralrechnung

Sonderfall : 2n = 4 (zwei Teilflächen)

b
h
f (x) dx ≈ [y0 + y4 + 4(y1 + y3 ) + 2y2 ] (7.21)
3
a

Die Simpson-Regel besitzt eine deutlich schnellere Konvergenz als die Trapezregel, d.h. eine Er-
höhung der Intervallanzahl verbessert die Genauigkeit der Simpsonregel in viel stärkerem Maße
als diejenige der Trapezregel.

Beispiel 7.18:
1
Das bestimmte Integral I = e−x dx des Beispiels 7.17 soll jetzt nach dem Simpson-
2

0
Verfahren mit 2n = 2 und 2n = 4 berechnet werden (exaktes Ergebnis: I = 0,7468).

Simpson-Regel mit 2n = 2

2n = 2
i xi yi yi
b−a 1−0 0 0,0 1,0000
h= = = 0,5
2n 2 1 0,5 0,7788
2 1,0 0,3679
∑ 1,3679 0,7788

1
0,5
e−x dx =
2
I= (1,3679 + 4 · 0,7788) = 0,7472
3
0

Relativer Fehler des numerischen Integrals:


 
 0,7472 − 0,7468 

Erel =   = 0,0005 = 0,05%
0,7468 

7.3.3 Gauss-Quadratur

Die numerische Integration nach Gauss wird Gauss-Quadratur genannt. Ihre Herleitung ist rela-
tiv aufwändig und soll hier nicht wiederholt werden. Nachfolgend werden nur die wesentlichen
Teile des Verfahrens vorgestellt.
Bei der Gauss-Quadratur wird die Funktion f (x) an einigen genau festgelegten Stellen inner-
halb des Integrationsintervalls [a, b] ausgewertet und mit tabellierten Gewichtungsfaktoren Wi
multipliziert. Anschließend werden die einzelnen Terme addiert. Man erhält dadurch folgende
7.3 Numerische Integration 319

numerische Integrationsformel:

b n
f (x) dx = ∑ fi Wi
a i=1

Die Rechenprozedur der Gauss-Quadratur ist nachfolgend zusammengefasst:

Gauss-Quadratur

b n
f (x) dx ≈ ∑ fi Wi
a i=1

n : Anzahl der Stützstellen (üblicherweise 1 bis 4)


fi : Funktionswert an der Stelle xi (7.22)
a+b b−a
fi = f (xi ) mit xi = + ξi
2 2
Wi : Gewichtungsfaktor
b−a
Wi = αi
2
Die Koeffizienten ξi und αi sind der Tabelle 7.1 zu entnehmen.

Tabelle 7.1: Koeffizienten der Gauss-Quadratur

n i ξi αi
1 1 0 2
2 1 −0,5773502692 1
2 +0,5773502692 1
1 −0,7745966692 0,5555555556
3 2 0 0,8888888889
3 +0,7745966692 0,5555555556
1 −0,8611363116 0,3478548451
4 2 −0,3399810436 0,6521451549
3 +0,3399810436 0,6521451549
4 +0,8611363116 0,3478548451

Die Gauss-Quadratur ist die in der höheren numerischen Mechanik wohl am häufigsten ver-
wendete numerische Integrationsmethode. Der Grund für seine Beliebtheit liegt in der hohen
320 7 Integralrechnung

Genauigkeit bei der Integration von Polynomfunktionen, die man schon mit sehr wenigen Stütz-
stellen erreichen kann. Ein Polynom (2n − 1)-ten Grades lässt sich bereits mit n Stützstellen
exakt, d.h. ohne Näherungsfehler, integrieren.

Beispiel 7.19:
1
Das bestimmte Integral I = e−x dx des Beispiels 7.17 soll nach der Gauss-Quadratur
2

0
mit 2 Stüzstellen berechnet werden (exaktes Ergebnis: I = 0,7468).

a+b b−a
= 0,5 = 0,5
2 2

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,9563 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,5368 1 0,5

1
e−x dx = 0,5 · 0,9563 + 0,5 · 0,5368 = 0,7466
2
I=
0

Relativer Fehler:
 
 0,7466 − 0,7468 

Erel =   = 0,0003 = 0,03%
0,7468 

Beispiel 7.20:
1
Es soll das Integral I = x3 e−x
2 /2
dx nach der Gauss-Quadratur mit n = 2 berechnet
0
werden.

n=2
i ξi xi fi αi Wi
1 -0,57735 0,2113 0,00919 1 0,5
2 +0,57735 0,7887 0,35947 1 0,5

I = 0,5 · 0,00919 + 0,5 · 0,35947 = 0,1843


7.3 Numerische Integration 321

Die Bedeutung des Koeffizienten ξ in der Gauss-Quadratur


Die Bedeutung des Koeffizienten ξi wird deutlich, wenn die dimensionsbehaftete Ortskoordinate
x mit Hilfe folgender linearer Transformation durch die dimensionslose Variable ξ ausgedrückt
wird:
a+b b−a
x = g(ξ ) = +ξ − 1 ≤ ξ ≤ +1
2 2
Die Richtigkeit dieser Transformation sieht man sofort, wenn die Endpunkte der neuen Variable
ξ eingesetzt werden:

a+b b−a
ξ = −1 : x= + (−1) =a
2 2
a+b b−a
ξ = +1 : x= + (+1) =b
2 2
Die Stützstellen xi lassen sich also aus den dimensionslosen Stützstellen ξi bestimmen:

a+b b−a
xi = + ξi
2 2
Das ursprüngliche Integral kann als Funktion von ξ geschrieben werden:

b +1
b−a
f (x) dx = f (g(ξ )) dξ
2
a −1

+1
Das Integral −1 f (g(ξ )) dξ ergibt sich mit Hilfe der Gauss-Quadratur zu:

1 n
f (ξ ) dξ = ∑ αi fi
i=1
−1

b
Das gesuchte Integral a f (x) dx lautet somit:

b 1
b−a n
b−a n
f (x) dx = f (g(ξ )) dξ = ∑ αi f (xi ) = ∑ Wi fi
2 i=1  2  i=1
a −1
Wi

Anmerkungen
• Für Polynomfunktionen liefern die Simpson- und Gauss-Regel i.a. genauere Ergebnisse als
die Trapezregel. Für Exponential- oder Transzendentalfunktionen gilt dies nicht unbedingt.
• In der Finite-Element-Methode (FEM), die einen Zweig der computergestützten Mechanik
(computational mechanics) bildet, wird die Gauss-Quadratur in der dimensionslosen Form
mit der Variable ξ durchgeführt.
322 7 Integralrechnung

7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung


In diesem Abschnitt werden einige geometrische Anwendungsbeispiele der Integralrechnung vor-
gestellt.

7.4.1 Flächenberechnung
Das bestimmte Integral I entspricht dem Flächeninhalt A zwischen der Funktionskurve y = f (x)
und der x-Achse im Intervall x = [a, b] , sofern die Funktionskurve die x-Achse nicht schneidet.
Das bestimmte Integral I wird negativ, wenn die Kurve der Funktion f (x) unterhalb der x-Achse
verläuft. Da aber nur ein positives Flächenmaß geometrisch Sinn macht, sollte generell als Fläche
A der Absolutwert des Integrals I verwendet werden, d.h. A = |I| :

b 
 
A = |I| =  f (x) dx  (7.23)
a

Beispiel 7.21:
Gesucht ist die von der Sinusfunktion y = sin x im Intervall 0 ≤ x ≤ π eingeschlos-
sene Fläche A.
1

y 0.5

0 1 2 3
x

π π

A= sin x dx = − cos x = − cos π − (− cos 0) = 1 + 1 = 2
0
0

Vorzeichenwechel der Funktionswerte


Wenn die Funktionswerte von f (x) im Integrationsintervall [a, b] ihr Vorzeichen wechseln,
muss die Flächenberechnung mit Hilfe des bestimmten Integrals etwas modifiziert werden. In
diesem Fall wird das Intervall [a, b] in n Teilintervalle unterteilt. Die Anzahl der Teilintervalle
n ist so zu wählen, dass das Vorzeichen von f (x) sich innerhalb eines Intervalls nicht ändert.
Die Gesamtfläche A ergibt sich dann aus der Addition der einzelnen Flächen Ai :
n n
A = ∑ Ai = ∑ |Ii |
i=1 i=1

Anmerkung: Leider sieht man der Funktionsgleichung f (x) oft nicht ohne weiteres an, ob sie
im Integrationsbereich einen Vorzeichenwechsel erfährt oder nicht. Im Zweifelsfall sollte man
daher eine Skizze des Funktionsverlaufes anfertigen – in vielen Fällen wird eine von Hand nur
qualitativ gezeichnete Funktionskurve ausreichend sein.
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 323

Beispiel 7.22:
Die von der Sinusfunktion y = sin x und der x-Achse eingeschlossene Fläche im
Intervall [0; 2π] soll berechnet werden.
1
y
0 2 4 6
x
–1

a) Ohne Unterteilung des Integrationsbereiches erhält man auf jeden Fall ein falsches
Ergebnis.

2π 2π

A= sin x dx = − cos x = − cos 2π − (− cos 0) = −1 + 1 = 0 
0
0

b) Mit Unterteilung des Integrationsbereiches, aber ohne Verwendung der Absolut-


werte der Teilintegrale, erhält man wieder ein falsches Ergebnis.

π 2π
A= sin x dx + sin x dx
0 π
π 2π 
 
= − cos x − cos x = −(−1 − 1) − 1 − (−1) = 2 − 2 = 0 
0 π

c) Unterteilung des Integrationsbereiches und Verwendung der Absolutwerte der


Teilintegrale liefert das korrekte Ergebnis.
   
π  2π 
   
A =  sin x dx +  sin x dx
0  π 
   
   
= [− cos x]π0  + [− cos x]2π
π  = |2| + | − 2| = 4 

Flächenberechnung bei bereichsweise definierten Funktionen


Gelegentlich kommt es vor, dass die Funktion f (x) die x-Achse zwar nicht schneidet, aber aus
nur bereichsweise definierten Teilfunktionen besteht (Bild 7.7). Auch in solchen Fällen ist die
Unterteilung des Integrationsintervalls in geeignete Teilbereiche notwendig:


⎪ f1 (x) für x0 ≤ x ≤ x1



⎨ f2 (x) für x1 ≤ x ≤ x2
f (x) = ..



⎪ .

⎩ f (x) für x
n n−1 ≤ x ≤ xn
324 7 Integralrechnung

0.5

y
0 1 2
x

Bild 7.7: Bereichsweise definierte Funktionen x und cos(x − 1)

⇒ A = A1 + A2 + · · · + An
     
 x1  x2   xn =b 
     
A =  f1 (x) dx  +  f2 (x) dx + · · · +  fn (x) dx
x =a  x  x 
     
0 1 n−1
  
A1 A2 An

Beispiel 7.23:
Die Fläche unterhalb der bereichsweise definierten Kurve in Bild 7.7 soll berechnet
werden.

⎨ f1 (x) = x für 0 ≤ x ≤ 1
f (x) =
⎩ f2 (x) = cos(x − 1) für 1 ≤ x ≤ π + 1
2

       
1   π/2+1  1   π/2+1 
         
A = A1 + A2 =  f1 (x) dx +  f2 (x) dx =  x dx +  cos(x − 1) dx
0   1  0   1 
1 2 2  1 2 
 x 1  π/2+1 
=   +  sin(x − 1)
 
 = |(0,5 − 0)| + |(1 − 0)| = 0,5 + 1 = 1,5

2 0 1

7.4.2 Fläche zwischen zwei Kurven


Die in Bild 7.8 a dargestellte Fläche A zwischen den Kurven f1 (x) und f2 (x) ergibt sich aus der
nachfolgenden Beziehung (die Kurven schneiden sich nicht im Innenbereich des Integrationsin-
tervalls [a, b] ).
   
 b   b b 
   
A =  [ f1 (x) − f2 (x)] dx  =  f1 (x) dx − f2 (x) dx  (7.24)
a  a a


Wenn sich die Kurven f1 (x) und f2 (x) an n Zwischenpunkten innerhalb des Integrationsintervalls
[a, b] kreuzen (mit den Kreuzungspositionen x1 , x2 , · · · , xn ), muss die gesuchte Fläche A als
7.4 Geometrische Anwendungen der Integralrechnung 325

y y

y=f1(x) y=f1(x)
n=1
n
A