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Sancta sanctis

Status quaestionis und neue Perspektiven

Felix Thome (Tübingen)

Die Bedeutung des Kommunionempfangs in den östlichen Riten gehört zu jenen Kapiteln,
die noch nicht genügend erforscht sind, wenn man von der großen Untersuchung Tafts zu den
auf die Kommunion vorbereitenden Riten in der byzantinischen Chrysostomusliturgie
absieht.1 Die Untersuchung des Empfangs der Gaben kann für die Ökumene eine ganz große
Rolle spielen, wobei den orientalischen Quellen eine außerordentliche Relevanz zukommt.
Zum Sancta sanctis, das in allen östlichen Liturgien Teil der auf die Kommunion
vorbereitenden Riten bildet, sind in den letzten drei Jahrzehnten bedeutende Studien von
Miguel Arranz2, Robert Taft3 und Gabriele Winkler4 erschienen. Und doch scheint aufgrund
der unterschiedlichen Interpretationen, die sich dabei ergeben haben, die Einordnung und
Deutung dieses Rufs noch nicht nach allen Seiten hin geklärt zu sein. Auf jeden Fall ist es
lohnenswert, die verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten zum Sancta sanctis neu in Blick
zu nehmen und zu überlegen, in welche Richtung, unter Beachtung weiterer Quellen, die
Forschung vorangetrieben werden kann, um neues Licht in das Verständnis des Sancta sanctis
und seine Deutung im Kontext der östlichen Liturgien zu bringen.
Um den Status quaestionis in der Frage nach dem Sancta sanctis zu erheben, werden im
folgenden die Forschungsbeiträge von M. Arranz, R. Taft, und G. Winkler zusammengefasst
und deren Ergebnisse vorgestellt.

1
Cf. R.F. Taft, A History of the Liturgy of St. John Chrysostom V: The Precommunion Rites (Orientalia
Christiana Analecta 261, Rom 2000). Für die überwiegend westlichen Quellen cf. H. Bohl, Kommunionempfang
der Gläubigen. Probleme seiner Integration in die Eucharistiefeier. Eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung
(Frankfurt am Main 1980).
2
Cf. M. Arranz, „Le »Sancta sanctis« dans la tradition liturgique des Églises“, Archiv für
Liturgiewissenschaft 15 (1973), 31-67.
3
Cf. Taft, Precommunion Rites (wie Anm. 1); Taft hat in dieses Buch, was das Sancta sanctis und das damit
in Zusammenhang stehende Inklinationsgebet anbetrifft, zwei seiner früher erschienenen Artikel integriert,
nämlich: „The Inclination Prayer before Communion in the Byzantine Liturgy of St. John Chrysostom: A Study
in Comparative Liturgy“, Ecclesia Orans 3 (1986), 29-60; idem, „»Holy Things for the Saints«: The Ancient Call
to Communion and its Response“, in: G. Austen (ed.), Fountain of Life. In Memory of Niels K. Rasmussen
(Washington 1991), 87-102.
4
Cf. G. Winkler, „Anmerkungen zu einer wichtigen neuen Untersuchung von R.F. Taft über die auf den
Kommunion-Empfang vorbereitenden Riten“, Oriens Christianus 86 (2002), 527-547; eadem, Das Sanctus.
Über den Ursprung und die Anfänge des Sanctus und sein Fortwirken (Orientalia Christiana Analecta 267, Rom
2002), 249-263.
2

Status quaestionis

1. Die Theorie von Miguel Arranz

Ziel des 1973 erschienene Aufsatzes „Le »Sancta sanctis« dans la tradition liturgique des
Églises“ von Arranz ist es, dem Ruf Sancta sanctis in der liturgischen Tradition der östlichen
Kirchen nachzugehen und so die Bedeutung dieses Rufs zu erheben.
Methodologisch geht Arranz dazu so vor, daß er danach fragt, wie dieser Ruf in den
patristischen Schriften gedeutet wird und vor allem, wie dieser Ruf in den verschiedenen
östlichen Liturgien situiert ist, um durch einen Vergleich der Liturgien die Bedeutung des
Rufs zu eruieren.
Dazu strukturiert Arranz seine Überlegungen folgendermaßen:

I. Die Formulierungen des Sancta sanctis in den verschiedenen Liturgien5


II. Das Sancta sanctis bei den Vätern, vor allem bei Theodor von Mopsuestia,
Cyrill von Jerusalem und Johannes Chrysostomus6
III. Das Sancta sanctis in den verschiedenen Liturgien
1. Diejenigen Formulare, die von Arranz als „Liturgies récentes“ bezeichnet
werden7
2. Jene Texte, die von Arranz „Liturgies archaïques“ genannt werden8
IV. Der ethische Rigorismus der Väter in Bezug auf den Kommunionempfang9
V. Ergebnis10

Folgen wir nun dem Gedankengang und den Beobachtungen von Arranz:

Arranz stellt in einem ersten Schritt zusammen, wie das Sancta sanctis in den
verschiedenen Liturgien formuliert ist (cf. I).11

• Constitutiones Apostolorum, lib. VIII, byzantinische und alexandrinische


Liturgie: Ta; a{gia toi'~ aJgivoi~ bzw. die entsprechenden orientalischen
Übersetzungen
• Der westsyrische Text, den Arranz auf französisch folgendermaßen wiedergibt:
„La chose sainte aux saints et aux purs est donnée“
• Die maronitische Textgestalt nach Arranz: „La chose sainte aux saints est
donnée, dans la perfection, la pureté et la sainteté“

5
Cf. Arranz, „Sancta sanctis“, 31-32 (wie Anm. 2).
6
Ibid., 32-37.
7
Ibid., 37-57.
8
Ibid., 57-62.
9
Ibid., 62-66.
10
Ibid., 66-67.
11
Ibid., 31.
3

• Die ostsyrische Fassung nach Arranz: „La chose sainte aux saints convient dans
la perfection“
• Der äthiopische Text nach Arranz: „La sainteté aux saints“
• Die armenischen Textgestalten nach Arranz.: „Pour la sainteté des saints“ bzw.
„Les choses saintes conviennent aux saints“

Ausdrücklich weist Arranz darauf hin, daß sich in der Bibel keine derartige Formulierung
findet.12

Bei seiner Untersuchung, inwieweit sich das Sancta sanctis bei den Vätern findet (cf. II),
kann Arranz zwei Grundlinien der Väterinterpretation dieses Rufs feststellen:13

(1) Theodor von Mopsuestia und Cyrill von Jerusalem:


Sie betonen den theologischen Aspekt des Rufs, nämlich ta; a{gia (d.h. Leib und Blut
Christi) sind Nahrung für die Geheiligten (d.h. die Getauften).
(2) Johannes Chrysostomus:
Er betont den moralischen Aspekt, wobei er „heilig“ als Synonym für „würdig“
versteht, mit der Konsequez, daß Unwürdige, also Sünder, sich nicht der Kommunion
nähern dürfen.

Im nächsten Schritt untersucht Arranz die Stellung des Sancta sanctis in den verschiedenen
Liturgien (cf. III), wobei er besonders das Gebet vor dem Vaterunser und das priesterliche
Segensgebet bei der Inklination in seine Erwägungen einbeziehen will.14
Arranz beginnt mit jenen Formularen, die von ihm „liturgies récentes“ genannt werden,
wobei er jedoch mit einer Erörterung der Constitutiones Apostolorum einsetzt und auch die
jüdische Liturgie miteinbezieht.15
Das VIII. Buch der Constitutiones Apostolorum kennt nach Arranz keinen Hiatus zwischen
Anaphora und Kommunion, sondern beide bilden mit den dazwischenliegenden Gebeten und
dem Sancta sanctis eine unteilbare Einheit. Die Kommunion ist logische Folge der Anaphora,
Sündenvergebung ist nicht Voraussetzung, sondern Konsequenz der Kommunion.16
Durch die weitere Untersuchung der ostsyrischen, byzantinischen und armenischen
Formulare kommt Arranz zu dem Ergebnis, daß diese Liturgien wie das VIII. Buch der
Constitutiones Apostolorum keine Unterscheidung zwischen Sündern, die nicht zur
Kommunion zugelassen waren, und Nichtsündern, die es waren, kennen. Diese Liturgien

12
Ibid., 31-32.
13
Ibid., 32-35.
14
Ibid., 37.
15
Ibid., 37-57.
16
Ibid., 39.
4

liegen nach Arranz eher auf der Linie der Interpretation Theodors, der davon ausgeht, daß die
Getauften die Heiligen sind.17
Bei der Untersuchung der alexandrinischen Formulare weist Arranz darauf hin, daß schon
die ältesten Formulare (d.h. die griechische Markusliturgie und der äthiopische Text der sog.
„Traditio Apostolica“) dem Inklinationsgebet vor dem Sancta sanctis einen pönitentiellen
Akzent gaben. Alle anderen Anaphoren des alexandrinischen Traditionsstrangs weisen nach
Arranz zusätzlich ein Absolutionsgebet nach der Inklination auf, was er auf einen
westsyrischen Einluß zurückführt.18 Die westsyrischen Anaphoren – so Arranz –
entwickelten im Gefolge der Jakobusliturgie die Bitte um Sündenvergebung, als ob die
Eucharistiefeier in ihrem Gesamt dazu nicht genügen würde.19 Im Anschluß an die
Forschungen seines Lehrers Louis Ligier verweist Arranz auf einen möglichen
Zusammenhang mit dem jüdischen Versöhnungstag, und zwar über Hebr 9; in diesem Sinne
ist dann jede Eucharistie sozusagen ein Versöhnungstag.20 Auf jeden Fall ist nach Arranz zu
beobachten, daß das jüdische Versöhnungsgebet des 3./4. Jhs. in die christliche Liturgie
eindrang, was in der westsyrischen und alexandrinischen Liturgie greifbar wird.21 Daß das
Sancta sanctis dementsprechend als Absolution angesehen wurde, ist nach Arranz allerdings
eine spätere Interpretation, die nichts mehr mit der Einladung dieses Rufs zum
Kommunionempfang gemein hat.22
Als Ergebnis seines Durchgangs durch die verschiedenen Liturgien hält Arranz fest, daß
der Ruf Sancta sanctis im 4. Jh. schon eine allgemein verbreitete, ererbte Formel war, deren
Sinn nicht genau zu erheben ist.23
Bevor sich Arranz jenen Texten zuwendet, die er als „liturgies archaïques“ kennzeichnet,
äußert er die Vermutung, daß das Sancta sanctis im Zusammenhang mit der liturgischen
Reform der 2. Hälfte des 4. Jhs. formuliert wurde.24
Bei den sog. „liturgies archaïques“ bespricht Arranz unter anderem das Testamentum
Domini, das den Ruf als „Sancta in sanctis“ formuliert. Dabei ist jedoch im Auge zu behalten,
daß dieser Ruf hier der Anaphora vorangeht und bereits in den Eingangsdialog integriert
worden ist. Interessanterweise interpretiert Arranz diesen Sachverhalt dahingehend, daß damit
das Bekenntnis der Sünden dem Eucharistiegebet vorgelagert sei.25

Im nächsten Abschnitt (cf. IV) fragt Arranz danach, woher die rigoristische Interpretation
des Johannes Chrysostomus kommt, der „heilig“ im Sinne von „vollkommen“ auffaßt. Arranz

17
Ibid., 44-45.
18
Ibid., 45-47 u. 50.
19
Ibid., 50.
20
Ibid., 51 u. 55.
21
Ibid., 56.
22
Ibid., 57.
23
Ibid.
24
Ibid.
25
Ibid., 59.
5

stellt dazu eine Reihe von Vätertexten zusammen, die sich fast ausschließlich auf den
alexandrinischen und nordafrikanischen Bereich beziehen.26

Arranz kommt abschließend zu folgendem Ergebnis (cf. V):


Im 4. Jh. existierte bereits das Sancta sanctis in allen Liturgien als erratischer Block ohne
sichtbare Verbindung zu irgendeinem anderen Gebet. Zugleich scheint der Ruf keine sehr
genaue Bedeutung zu haben. Von daher waren auch divergierende Interpretationen möglich,
wie z.B. bei Theodor und Johannes Chrysostomus. 27 Das Sancta sanctis war dabei aber nach
Arranz sicherlich nicht dazu gedacht, jemanden, der nicht der öffentlichen Buße unterlag, von
der Kommunion auszuschließen, und noch weniger darf darin eine „déclaration de pardon“28
gesehen werden.
Nach Arranz bleibt der Ruf Sancta sanctis eine „formule cryptique“, die ihre Wurzeln in
alter Zeit hat (cf.. Didache) und die im 4. Jh. die Christen darauf aufmerksam machte, daß die
Anaphora beendet ist und es Zeit ist, sich der Kommunion zu nähern. Wenn man annimmt,
wie es Arranz tut, daß auch Nichtchristen anwesend waren, wäre dann der Ruf des Sancta
sanctis als zurückhaltende, wenn nicht sogar als versteckte Einladung zur Kommunion zu
interpretieren, die nur von den Getauften verstanden wurde.29
Letztlich ist – so Arranz – der Ruf sehr alt und sehr einfach und bedeutet: Was heilig ist,
ist für die Heiligen bestimmt. Der Empfang der geheiligten Gaben ist den Getauften
vorbehalten.30

2. Die Interpretation von Robert Taft

In Robert Tafts groß angelegter Untersuchung „The Precommunion Rites“, die 2000
erschienen ist, werden die der Kommunion vorangehenden Riten in der Liturgie des Hl.
Johannes Chrysostomus behandelt. Hier muß man wissen, daß dieser Teil der
Chrysostomusliturgie nicht von der Basiliusliturgie abweicht, wenn man von zwei Gebeten
absieht.31
Da Taft das Sancta sanctis in einem engen Zusammenhang mit der sog. Inklination sieht,
die diesem Ruf vorangeht, und für ihn die Deutung der Inklination das Problem schlechthin
darstellt, werde ich einen Überblick über die relevanten Bausteine der spirituellen
Vorbereitung auf die Kommunion in der byzantinischen Liturgie präsentieren:32

26
Ibid., 62-66.
27
Ibid., 66.
28
Ibid.
29
Ibid., 67: „l’obscurité de la phrase aurait favorisé la discrétion de l’invitation“.
30
Ibid.
31
Cf. Taft, Precommunion Rites, 54 (wie Anm. 1).
32
Ibid., 54-57.
6

I. Die sog. Inklination


1. Segen
2. Aufforderung des Diakons, „das Haupt zu beugen“
3. sog. Inklinationsgebet (um 400 bezeugt)
4. sog. Elevationsgebet
5. Elevation
II. Sancta sanctis
1. Aufforderung des Diakons: provscwmen (um 350 bezeugt)
2. Ta; a{gia toi'~ aJgivoi~ (um 350 bezeugt)
3. Antwort

Als Ergebnis seiner Untersuchung der Evolution der auf die Kommunion vorbereitenden
Riten kann Taft festhalten, daß um 350 das provscwmen und das Sancta sanctis vorhanden
sind und das Inklinationsgebet erst nach 400 bezeugt ist.33
Im Anschluß an die Forschungen seines Lehrers Juan Mateos ist die wichtigste Annahme
von Taft, daß die Inklination ursprünglich im Kontext mit einer Entlassung aufzufassen ist.34
Das Inklinationsgebet der Chrysostomusliturgie ist nach Taft kein Vorbereitungsgebet auf die
Kommunion, sondern ein abschließendes Gebet („concluding prayer“).35
Mit einem Blick auf die Geschichte macht Taft auf die veränderte Situation aufmerksam,
die sich im 4./5. Jh. herausbildete: Mit dem konstantinischen Frieden verlief die
Scheidegrenze nicht mehr zwischen Getauften und Nichtgetauften, weshalb letztere nach dem
Wortgottesdienst entlassen wurden, sondern zwischen Kommunizierenden und
Nichtkommunizierenden, wobei nach Taft die Nichtkommunizierenden vor der Kommunion
entlassen wurden.36 Im Anschluß an das Zeugnis des Johannes Chrysostomus führt Taft aus,
daß Leute, die nicht kommunizierten, die Kirche nach der Warnung durch das Sancta sanctis
verließen, wobei das Inklinationgebet sozusagen der Entlassungssegen für diese Leute
darstellt.37 Zur Unterstützung dieser Hypothese zieht Taft reichhaltig Zeugnisse des
lateinischen Westens heran, was bereits Brakman auf den Plan rief, der auf diese
Unzulässigkeit des Einbezugs lateinischer Quellen aufmerksam machte, wenn sie überhaupt
nicht durch östliche Quellen abgestützt werden.38
Zusammenfassend sagt Taft: „the Inclination was inserted into the precommunion rites of
CHR around the turn of the century [damit meint Taft die Wende vom 4. zum 5. Jh.], perhaps
as a missa for non-communicants“39. Taft nimmt an, daß nach dem Niedergang der

33
Ibid., 65-66.
34
Ibid., 172-173.
35
Ibid., 170.
36
Ibid., 179.
37
Ibid., 182.
38
Ibid., 184-193. Zur Problematik, die Gegebenheiten des Westens auf den Osten zu übertragen, cf. H.
Brakmann, „Der Gottesdienst der östlichen Kirchen (Literaturbericht)“, Archiv für Liturgiewissenschaft 30
(1988), 303-410, hier 341.
39
Taft, Precommunion Rites, 194.
7

öffentlichen Buße das entlassende Segensgebet in den meisten Formularen zu einem


Vorbereitungsgebet auf die Kommunion transformiert wurde.40
Das Sancta sanctis, das seit der 2. Hälfte des 4. Jh. in Antiochien bezeugt ist, war nach Taft
ursprünglich eine Ermahnung, die die Würdigen zur Kommunion ruft und die Unwürdigen
warnt41, wofür er besonders Johannes Chrysostomus und seine apotropäische Deutung
(„apotropaic interpretation“) des Sancta sanctis ins Feld führt.42 Die Antwort auf das Sancta
sanctis: „Einer ist heilig, einer der Herr, Jesus Christus, zur Ehre Gottes des Vater“, also eine
christologische Formulierung, die sich so noch heute im byzantinischen und armenischen
Ritus findet, fügt sich laut Taft gut an das Sancta sanctis als Einladung zur Kommunion an.43
Allerdings wurde die christologische Antwort in den Auseinandersetzungen des 4. Jh. suspekt,
was nach Taft zu einer trinitarischen Antwort führte, wie sie sich bis heute in vielen östlichen
Liturgien findet.44 Im Anschluß an E. Peterson macht Taft darauf aufmerksam, daß die
Antwort auf das Sancta sanctis, nämlich „Einer ist heilig“, einerseits eine Akklamation ist, die
ephiphanen Charakter hat, da Christus in den geheiligten Gaben erscheint, andererseits aber
auch einen apotropäischen Sinn beinhaltet.45 Sie ist „apotheosis and anathema, both inviting
the worthy and warning off the rest“46. In diesem Sinne rundet nach Taft das Sancta santis die
Anaphora ab, indem dieser Ruf die Anaphora beschließt, wo sie begann, nämlich im
Eingangsdialog mit einer Einladung zur Gnade, die zugleich eine Warnung jenen gegenüber
darstellt, die nicht würdig sind, sie zu empfangen.47 Schon das Sursum corda beim
Eingangsdialog der Anaphora hat nach Taft die Absicht, die Unwürdigen zu warnen und
fernzuhalten.48

3. Die Deutung von Gabriele Winkler

Bevor wir auf G. Winklers Beiträge zur Deutung des Sancta sanctis eingehen, ist noch auf
einen hochbedeutsamen Aufsatz von S. Brock hinzuweisen.49 Die Bedeutung seines kurzen,
jedoch inhaltsreichen Aufsatzes von 1985 mit dem Titel „The Thrice-Holy Hymn in the
Liturgy“ liegt darin, daß er in seiner Erörterung der christlich-liturgischen Rezeption von Jes
6,3 nicht nur auf das anaphorische Sanctus hinweist, sondern neben der Erwähnung des
Trishagions ausdrücklich auch auf das Sancta sanctis zu sprechen kommt und damit sowohl

40
Ibid.
41
Ibid., 231.
42
Ibid., 233.
43
Ibid., 242.
44
Ibid., 242-243.
45
Ibid., 248.
46
Ibid.
47
Ibid.
48
Ibid., 233.
49
Cf. S. Brock, „The Thrice-Holy Hymn in the Liturgy“, Sobornost VII/2 (1985), 24-34.
8

das Trishagion als auch das Sancta sanctis in einen Kontext mit Jes 6,3 stellt und beide in
einen genetischen Zusammenhang bringt.50
Aus G. Winklers Besprechung von Tafts Buch The Precommunion Rites ist ein
Forschungsbeitrag hervorgegangen mit der Überschrift „Anmerkungen zu einer wichtigen
neuen Untersuchung von R.F. Taft über die auf den Kommunion-Empfang vorbereitenden
Riten“, der im Oriens Christianus 2002 erschienen ist. Darin macht die Verfasserin im
Zusammenhang mit der sog. Inklination auf wichtige Beobachtungen aufmerksam, die sich
auch eminent auf die Deutung des Sancta sanctis auswirken.51 In einem weiteren Beitrag,
nämlich ihrem 2002 erschienenen Buch Das Sanctus. Über den Ursprung und die Anfänge
des Sanctus und sein Fortwirken, greift G. Winkler ihre Überlegungen zur Inklination und
zum Sancta sanctis auf und vertieft sie.52
Ihre Argumente und Ergebnisse zur Deutung des Sancta Sanctis und der ihm
vorangehenden Inklination lassen sich wie folgt zusammenfassen:

(1) Die sog. Inklination ist zumindest im armenischen und äthiopischen Traditionsstrang
keine Inklination, sondern eine Prostration. Während nämlich in der byzantinischen Liturgie
zum Beugen des Hauptes aufgefordert wird mit der entsprechenden Antwort Soi; Kuvrie, ist in
den armenischen und äthiopischen Formularen die Rede davon, sich vor Gott niederzuwerfen,
also ihn anzubeten, mit der entsprechenden Antwort „Vor dir, o Herr!“. Als Besonderheit
merkt Winkler an, daß die äthiopischen Formulare neben der Prostration auch das Beugen des
Hauptes erwähnen, hier also eine Verschmelzung beider Traditionsstränge vorliegt.53 Die
orientalischen Quellen mit ihrem Hinweis auf eine Prostration passen sehr gut in den Kontext
des Aufrufs Sancta sanctis und den bevorstehenden Empfang der Gaben von Brot und Wein,
den a{gia.

(2) Die sog. Inklinationsgebete in den verschiedenen orientalischen Formularen sind in


hohem Maße variabel, was sich z.B. daran erkennen läßt, daß das Gebet der ersten Rezension
der armenischen Basiliusliturgie (arm Bas I) das Gedankengut des Vaterunsers mit seinem
Embolismus weiterführt.54 Wenn also das Inklinationsgebet der byzantinischen
Chrysostomusliturgie keinen Bezug zur Kommunion beinhaltet, ist das kein Argument,
dahinter eine Entlassung der Nichtkommunikanden zu vermuten. Außerdem verweisen einige
äthiopische Formulare auf einen Zusammenhang von Prostration, dem Sanctus und dem
Sancta sanctis.55

50
Ibid., 30-31.
51
Cf. Winkler, „Anmerkungen“, 540-547 (wie Anm. 4).
52
Cf. Winkler, Sanctus, 249-264 (wie Anm. 4).
53
Cf. Winkler, „Anmerkungen“, 540-541, 544-545;
54
Ibid., 540-541; eadem, Sanctus, 262,
55
Cf. Winkler, „Anmerkungen“, 541.
9

(3) Der ganze Kontext der Inklination und Prostration der äthiopischen Formulare sowie
einige der äthiopischen Inklinationsgebete, die höchst variabel sind, nehmen in mehreren
äthiopischen Formularen inhaltlich Bezug auf die Engel und das von den Engeln ausgerufene
Sanctus.56

(4) Das Mitte des 4. Jhs. bezeugte provscwmen mit dem sich anschließenden Sancta sanctis
ist als ursprünglicher Aufruf zum Empfang der geheiligten Gaben anzusehen; die im 5. Jh.
aufgekommene Erweiterung durch die Inklination bzw. Prostration mit dem dazugehörigen
Gebet muß „als zusätzlicher Aufruf, also eigentlich als eine Dublette zu provscwmen“57
gedeutet werden.

(5) In einigen Formularen, darunter z.B. die armenische Basilius-Anaphora, wird bei der
Antwort auf das Sancta sanctis an Elemente der Qedušša angeknüpft, was Winkler anhand
verschiedener Zeugnisse nachweisen kann.58

(6) Von daher ist es viel naheliegender, die sog. Inklination bzw. Prostration in einen
Zusammenhang mit dem Sancta sanctis zu stellen und das Sancta sanctis mit dem Sanctus zu
verbinden. Mit der Inklination und vor allem verdeutlicht durch die Prostration beginnt ein
neuer liturgischer Baustein, der zum Sancta sanctis führt und dabei nichts anderes bezweckt
als die große Ehrfurcht vor den geheiligten Gaben und ihren bevorstehenden Empfang
sinnfällig zum Ausdruck zu bringen.59

Perspektiven und Forschungsausblick

Wenn wir die Forschungsergebnisse zum Sancta sanctis nochmals kurz zusammenfassen,
scheinen sich zwei divergierende Interpretationslinien herauszuschälen: (1) Arranz und Taft,
die mehr den ethischen Implikationen dieses Rufs nachgegangen sind, und (2) Winkler, die
Brocks knappen Hinweis entfaltet, das Sancta sanctis in einem genetischen Zusammenhang
mit dem Sanctus zu sehen.
Arranz und Taft weisen darauf hin, daß das Sancta sanctis einerseits die Getauften zum
Empfang der geheiligten Gaben ruft, verbinden als Kehrseite damit andererseits die Mahnung
an die Unwürdigen, seien es Nichtchristen oder Sünder, sich der Teilnahme fernzuhalten.
Welche der beiden Seiten dabei das Übergewicht hatte, kann dabei sehr unterschiedlich sein.
Den Grund sieht Arranz darin, daß der im 4. Jh. allgemein verbreitete Ruf Sancta sanctis ein
erratischer Block ohne genaue Bedeutung, eben eine „formule cryptique“ war. Arranz

56
Ibid., 545; eadem, Sanctus, 250-256, 262-263.
57
Winkler, „Anmerkungen“, 546.
58
Cf. Winkler, Sanctus, 256-261.
59
Cf. Winkler, „Anmerkungen“, 544; eadem, Sanctus, 263.
10

verweist allerdings auf die spätere Deutung des Sancta sanctis im Kontext der
Sündenvergebung, die er vor allem im westsyrischen und alexandrinischen Traditionsstrang
gegeben sieht, wobei er bei letzterem Traditionsstrang die äthiopischen Formulare
miteinschließt.
In einer erneuten Untersuchung dieser liturgischen Formulare im jeweiligen Orginal wird
zu fragen sein, ob sich nicht unter Ausschluß der Passagen, die auf die Sündenvergebung
Bezug nehmen und sicherlich eine spätere Interpretation sind, neue Aspekte ergeben, die auch
das Sancta sanctis in einem neuen Licht erscheinen lassen. Auf die Bedeutung des
äthiopischen Traditionsstranges, der in diese Richtung weist, hat Winkler schon hingewiesen.
In diesem Zusammenhang wird unter Einbezug der maßgeblichen orientalischen
liturgischen Formulare die Frage zu erörtern sein, ob sich Tafts These, die Inklination vor dem
Sancta sanctis als Entlassungssegen für die Nichtkommunikanden aufzufassen, erhärten läßt
oder ob die Inklination im Kontext der auf die Kommunion vorbereitenden Riten nicht doch
eine anders zu interpretierende Funktion ausübt und mit anderen Elementen der Eucharistie,
wie z.B. dem Sanctus und dem Eingangsdialog, zu verbinden ist. Dem Hinweis Tafts, daß das
Sancta Sanctis in einem Zusammenhang mit dem Eingangsdialog steht, ist hierbei näher
nachzugehen, wobei zu überprüfen bleibt, ob diesen beiden Elementen generell ein
apotropäischer Aspekt zuzuschreiben ist, wie das von Taft angenommen wird.
Die bisherigen Untersuchungen Winklers, die sog. Inklination, die im armenischen und
äthiopischen Traditionsstrang eine Prostration ist, in einem Kontext mit dem Sancta sanctis
zu sehen und diese ganze liturgische Einheit mit dem anaphorischen Sanctus zu verbinden,
sollen unter Einbezug weiterer Quellen ausgebaut werden. Dabei wird besonders dem
syrischen, armenischen und äthiopischen Befund im jeweiligen Original nachzugehen sein.
Bei den syrischen Zeugen müssen die ostsyrischen Formulare und die auf uns gekommenen
syrischen Homilien des Theodor von Mopsuestia sowie des Narsai und Ps.-Narsai
miteinbezogen werden. Beim westsyrischen Befund möchte ich schon hier auf einen Sedro
aus dem westsyrischen Diakonale hinweisen, der heute mit dem Eingang zur Anaphora
gesungen wird und deutlich den Zusammenhang von Gabenprozession und Eingangsdialog
der Anaphora mit dem Sanctus und dem Sancta sanctis erkennen läßt. Im folgenden die
französische Übersetzung des Sedro:60

Voici que sur le char spirituel de feu et d’esprit


est porté en procession le corps que notre Seigneur prit de nous.
Des chérubins innombrables le benissent;
les séraphins le louent avec leurs ailes;
ils lui chantent: Saint, Saint, Saint est le Seigneur;

60
Cf. G. Khouri-Sarkis, „Les saints mystères“, L’Orient Syrien 4 (1959), 307-318; der Text des Sedro findet
sich in französischer Übersetzung ibid., 311-312. Die Texthervorhebungen stammen von mir; sie deuten (1)
Stellen an mit Einfluß der Targumim (wie z.B. den durch die Flügel hervorgerufenen Lobpreis) und
kennzeichnen (2) die den Syrern eigentüliche Reihenfolge der Cherubim und Seraphim. Zu beiden Aspekten cf.
G. Winkler, „Beobachtungen zu den im »ante Sanctus« angeführten Engeln und ihre Bedeutung“, Theologische
Quartalschrift 183 (2003) 213-238.
11

les cieux sont pleins de toi; et la terre, de ta gloire;


Halléluyah! Sois béni jusqu’à l’éternité!

Vous qui vous préparez à recevoir le corps et le sang


de celui qui s’est incarné pour nous …
Ouvrez les portes de votre entendement aux choses spirituelles.
Chantez avec les forces angéliques:
«Portes, élevez vos linteaux,
élevez-vous, portes éternelles,
afin que le roi de gloire fasse son entrée»,
car c’est lui qui nous a relevés
et nous a placés avec lui au ciel.

Le voici qui est placé devant nous,


pour que nous le recevions.
Glorifions-le avec crainte et disons trois fois:
Saint, gloire à toi!

Das Sancta sanctis, das die Gläubigen zum Empfang der geheiligten Gaben ruft, hat in der
römischen Liturgie keine Parallele, jedoch finden sich Spuren dieses Rufs in den Zeugnissen
der nicht-römischen lateinischen Tradition.61 Dieser Sachverhalt verweist nicht nur auf den
Einfluß der östlichen Liturgien auf den lateinischen Westen, sondern ist zugleich ein
eindrückliches Zeichen der Verbundenheit von Ost und West in der Wahrnehmung des
Heiligen und in der Teilnahme am Heiligen. Um so mehr ist es Auftrag, der Bedeutung des
Sancta sanctis nachzuspüren und seine Bedeutung für die Ökumene nahezulegen. Das
Spannungsfeld zwischen Anaphora und dem Empfang der Gaben ist einer Balance
zuzuführen, was für das ökumenische Anliegen nicht unbedeutend sein wird.

61
Cf. M. Smyth, La liturgie oubliée. La prière eucharistique en Gaule antique et dans l’Occident non romain
(Paris 2003), 220-221; L. Brou, „Le ‘Sancta Sanctis’ en Occident“, Jounal of Theological Studies 46 (1945),
160-178 u. 47 (1946), 11-29.

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