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Wiederkehr
und Mehrdeutigkeit
Entwurfswerkzeuge der Architektur
Wiederkehr und Mehrdeutigkeit
Jonis Hartmann
Wiederkehr und
Mehrdeutigkeit
Entwurfswerkzeuge der Architektur
Jonis Hartmann
Hamburg, Deutschland
Springer Vieweg
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
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Gut Werkzeug
Halbe Arbeit
Mat gewidmet
6
7
Danksagung
Ich danke allen denjenigen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, im
Besonderen: Felix Amtsberg/ Georg Augustin/ Tom Avermaete/ Peter Barber/
Clemens Bellut/ Alberto Campo Baeza/ Margitta Buchert/ Richard Dietrich/ Eas-
tern Office/ Yasmín Laila Fardjoume/ Günther Fischer/ Aurelio Galfetti/ Helmut
Geisert/ Vittorio Gregotti/ Analia Hanono/ HHS Architekten/ Claus-Peter Hart-
mann/ Guido Höfert/ Volkmar Hovestadt/ Hermann Kaufmann/ Axel Kilian/
Leonard Koren/ Bernd Ludloff/ Christoph Mäckler/ Mirjana Markoviý/ Robert
McCarter/ Yana Milev/ Ákos Moravánszky/ Glenn Murcutt/ Sonja Oh/ RCR
Arquitectos/ Jean-Louis Rey/ Wigbert Riehl/ Emmanuel Saadi/ Ingo Schneider/
Thomas Sieverts/ Werner Sobek/ Sunways/ Janine Tüchsen/ Klaus Vajen/ Heiner
von Riegen/ Georg Vrachliotis/ Carlo Weber/ Kim Annika Welling/ Florian Wer-
ner/ Bernhard Weyres-Borchert/ Andreas Wiege
8
9
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... 13
Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... 23
Personenverzeichnis ..........................................................................................................25
Vorwort ............................................................................................................................... 35
Anliegen und Aufbau der Arbeit ..................................................................................... 37
Einführung: Der Begriff des Entwurfswerkzeugs................................................................... 43
5. Abbildungen...............................................................................................................261
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
bsp. beispielsweise
d. h. das heißt
ebd. ebenda
etc. et cetera
f. folgend
ff. fortfolgend
Hg. Herausgeber
mas. maskulin
neut. neutrum
s. siehe
S. Seite
u. und
u. a. unter anderem
usw. und so weiter
vgl. vergleiche
z. B. zum Beispiel
Personenverzeichnis
Aalto, Alvar. S. 55 ff., 82, 172, 250, 263, 264
Abraham, Raimund. S. 120, 286
Acconci, Vito. S. 198 ff.
Adorno, Theodor W. S. 189, 214 ff.
Agnelli, Giovanni. S. 160
Aisslinger, Werner. S. 158, 298
Alberti, Leon Battista. S. 39, 100, 230
Alexander, Christopher. S. 90, 108 ff., 284
Allmann Sattler Wappner. S. 239
Ando, Tadao. S. 98, 277
Antonioni, Michelangelo. S. 128
archigram. S. 143 ff., 148
Arnheim, Rudolf. S. 39, 45, 84, 120 ff., 140, 206, 231
Artaud, Antonin. S. 87 ff.
Arup. S. 150 ff., 295
Asplund, Gunnar. S. 213, 316
Atelier 5. S. 275
Atelier Tekuto. S. 307
Auer, Gerhard. S. 238 ff.
Augé, Marc. S. 126
Bachelard, Gaston. S. 72
Baer, Steve. S. 237
Ban, Shigeru. S. 311
Barragán, Luís. S. 189, 307
Barthes, Roland. S. 40, 89, 209 ff.
Banham, Reyner. 67, 101, 136, 143, 160, 185, 210, 212, 227 ff., 229, 234 ff., 236,
237, 248
Baudrillard, Jean. S. 209
Bearth Deplazes. S. 301
Beckett, Samuel. S. 248
Benevolo, Leonardo. S. 102 ff.
Benjamin, Walter. S. 218
Bense, Max. S. 80 ff.
Berg, Max. S. 107
Bertinetto, Alessandro. S. 245
Beutom, Janos. S. 311
BHHS. S. 239, 319
BIG. S. 75 ff., 270
Blanc, Patrick. S. 213, 316
Blanchot, Maurice. S. 248
Blaser, Werner. S. 53, 70 ff., 106 ff., 173
Bo Bardi, Lina. S. 60, 265
26 Personenverzeichnis
Kahn, Louis. S. 67, 72, 93, 138 ff., 142, 175, 206 ff., 226, 236, 269, 291, 314
Kaltenegger, Werner. S. 239
Kämpfen, Beat. S. 239, 319
Keaton, Buster. S. 157
Kennedy Violich. S. 242, 290
Kepes, György. S. 49, 122
Kikutake, Kiyonori. S. 93
Kittler, Friedrich. S. 203
Klein Dytham. 299, 314
Klotz, Cemens. S. 85, 161
Koetter, Fred. S. 178, 218
Kohn Pedersen Fox. S. 274
Personenverzeichnis 29
Masaccio. S. 254
Matta-Clark, Gordon. S. 68
Mattè-Trucco, Giacomo. S. 160 ff., 165, 298, 299
McCarter, Robert. S. 207
Mei. S. 184 ff., 189, 306
Meier, Richard. S. 108
Melnikov, Konstantin. S. 91, 175, 275
Mendelsohn, Erich. S. 107
Mendes da Rocha, Paulo. S. 183, 305
Mengeringhausen, Max. S. 257
Merleau-Ponty, Maurice. S. 45, 194
Mestura. S. 204 ff., 313
Meyer H., Jürgen. S. 168 ff., 233, 245, 301, 321
Mies van der Rohe, Ludwig. S. 46, 76, 82, 196 ff., 200, 201, 310
Milev, Yana. S. 43, 215 ff.
MINIWIZ. S. 219, 318
Möller, Eberhard. S. 190
Moravánszky, Ákos. S. 113
Moore, Charles. S. 78, 271
Murcutt, Glenn. S. 177, 304
MVRDV. S. 63 ff., 66, 94 ff., 98, 131, 165, 250, 266, 276
Oliver, Paul. S. 91
OMA. S. 186 ff., 189, 192
Ortner Ortner. S. 289
Otto, Frei. S. 195, 309
Oudolf, Piet. S. 217
Saarinen, Eero. S. 82
Saadi Rey. S. 132 ff., 289
Safdie, Moshe. 65, 78, 271
SANAA. S. 144 ff., 182, 185, 187, 293, 294
Sant' Elia, Antonio. S. 201
Scarpa, Carlo. S. 147, 177, 303
Scharoun, Hans. S. 107
Scheerbart, Paul. S. 204
Scheeren, Ole. S. 84
Schenckenberger, Manfred. S. 199
Schindler, Rudolf. S. 141, 292
Schubert, Gerhart. S. 170
Schupp Kremmer. S. 267
Scott, Ridley. S. 148, 151
Seijima, Kazuyo. S. 182
Semper, Gottfried. S. 60
Serlio, Sebastiano. S. 104, 278
Serra, Richard. S. 199
Serres, Michel. S. 69
Shuhei, Endo. S. 208 ff., 315
Shukhov, Vladimir. S. 61, 195, 241, 265
Singh, Pratap. S. 268
Sitte, Camillo. S. 97
Siza, Alvaro. S. 172 ff., 177, 225, 302
32 Personenverzeichnis
Wachsmann, Konrad. S. 110, 147, 190 ff., 194 ff., 256 ff., 308
Warhol, Andy. S. 148
Weese, Harry. S. 185, 306
Wenders, Wim. S. 126, 174
West 8. S. 278
Wilkens, Michael. S. 51
Williams. Amancio. S. 186, 305
WOHA. S. 165, 213, 296, 300
Wood, John. S. 273
Wright, Frank Lloyd. S. 106, 107, 136, 177, 235 ff.
Xenakis, Iannis. S. 61
Zumthor, Peter. S. 39, 57 ff., 56, 115, 189, 264, 294, 307
Vorwort
Eine Betrachtung zum Entwerfen zu verfassen ist ein Gang aufs Glatteis. Trotz
bändeweise erschienener Literatur von Architekturtheoretikern und trotz einem
bedeutenden Mehr an jährlich publiziertem Bildmaterial zu diesem Thema ist das
Entwerfen an sich, d. h. der Vorgang, bevor das Phänomen Bauwerk in seiner sys-
temischen Gänze manifestiert wird, enigmatisch geblieben. Das wird es auch nach
der vorliegenden Betrachtung bleiben. Denn Entwerfen ist regelhaft und regellos
zugleich, es ist wild und besitzt trotzdem Theorie. Ihm ist nicht zur Gänze wissen-
schaftlich beizukommen und gleichzeitig postuliert vorliegende Arbeit genau das:
Einige Aspekte des Entwerfens können nämlich zur Gänze phänomenologisch
gefasst werden. Wenn das Entwerfen aus Idee und Umsetzung besteht, so kann
letzterer Teil unter Hinzunahme von Hilfsmitteln optimiert werden. Diese Hilfsmit-
tel heißen Werkzeuge, basieren auf Erfahrung und besitzen Wirkung. Sie sind im-
materiell und nicht zu verwechseln mit den Mitteln der Darstellung wie Stift, Papier
etc.
Vorliegende Betrachtung möchte zwei Werkzeuge beispielhaft zum Anlass
nehmen, über das Verhältnis von Werkzeug und Kompetenz des mit seiner Hilfe
bearbeiteten Werkes, dem Entwurf, zu sinnieren und das Ergebnis in Form einer
phänomenologisch geführten Methodik anhand zahlreicher bebilderter Beispiele
darzustellen. Die damit postulierte Existenz von Entwurfswerkzeugen festzustellen, ist
das übergeordnete Anliegen der Arbeit. Epistemologisch gesehen, soll Wissen hier-
bei nicht ausschließlich über die Theorie entwickelt werden – das wäre im Ergebnis
eine weitere Theorie, basierend auf Theorie, die sich wiederum nur an Theoretiker
wendet – nein, die Betrachtung hat sich explizit aus dem praxeologisch orientierten
Impetus entwickelt, Erkenntnisse über das Entwerfen durch das Entworfene selbst
zu gewinnen. Damit wendet sie sich vor allem an Praktiker der Architektur, in der
Absicht, einen Erkenntnisgewinn auf der bis heute nur unzureichend beleuchteten
Ebene des Entwurfsprozesses zu generieren. Dabei entsteht, gemäß der Komplexi-
tät des Themas und der Architektur an sich geschuldet, eine große Menge an
beifließendem Wissen und reichhaltigen Anknüpfungspunkten, die zwar als Stützen
dienen mögen, jedoch über ihre Erwähnung in den jeweiligen Zusammenhängen
hinaus nicht weiter verfolgt werden können; weder in theoretischen Überlegungen
noch in quantitativen Versuchen. Das Besondere Interesse liegt auf der Fokussie-
rung auf ein Thema mittels zweier seiner Repräsentanten und deren Bedeutung für
eine künftige Praxis inmitten einer Begrifflichkeit des Wandels, die auf Architektur
und Architekten gleichermaßen zukommt und eigentlich schon ist: in Form von
Digitalisierung und damit veränderten Arbeitsbedingungen und -definitionen sowie
infolge Klimawandels und globalen Trends und Krisen wie Migration, dynamischen
Habitus etc. veränderten Anforderungen an die Architektur.
36 Vorwort
Wenn nun die Betrachtung sich vorgenommen hat, die beiden Entwurfswerkzeuge
Wiederkehr und Mehrdeutigkeit aufzuspüren, zu definieren und in ihrer Wirkung zu
beschreiben, inklusive den Möglichkeiten ihrer Verwendung, so erhebt sie jedoch
keinen Anspruch auf die Etablierung einer erschöpfenden Ausschließlichkeit ihrer
Postulate. Wiederkehr und Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeuge stellen Möglichkeiten
dar. Man kann sie zur Hand nehmen, kann aber auch anderes zur Hand nehmen –
denn das Ziel des Schaffen von architektonischer Kompetenz, also die bestmögli-
che Lösung auf die gestellte Entwurfsaufgabe zu finden, besitzt kein Rezept. Noch
immer ist Architektur nicht die Domäne von vordefinierten Baulösungen, selbst
wenn Schlüsselfertigprojekte und computergestützte Entwurfsmethodik, die auf
humane Intelligenz weitgehend verzichten möchte, auf dem Vormarsch sind. Das
architektonische Entwerfen ist seit jeher eine geistig-händische Tätigkeit, die umso
kompetentere Ergebnisse erzielt, je weiter entwerferische Erfahrung und Wissen
darin fortgeschritten sind. Das heißt immer noch, dass die Währung des Entwerfens
und mithin ihr Reichtum sich auf einen weitreichenden Erfahrungsschatz beruft.
Wenn man Entwurfswerkzeuge für diesen Prozess optimierend und ertüchtigend zur
Hand nimmt, so soll die vorliegende Betrachtung als Stütze und Inspiration dienen,
um über Ursache und Wirkung von Wiederkehr und Mehrdeutigkeit nachzudenken und
deren architektonischen Potentiale im Entwerfen inspirierend verwerten zu können.
Vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, von den sogenannten Entwurfswerkzeu-
gen, die unter anderem kompositorisch, funktional oder intellektuell wirken, einan-
der überlagern oder in Verbindung mit anderen Wirkungen auftreten, zwei Vertreter
repräsentativ in Wirkung und Einfluss vorzustellen: die Wiederkehr und die Mehrdeu-
tigkeit. Je ein Hauptabschnitt der Arbeit widmet sich als phänomenologische De-
monstration den Spuren ihrer Existenz. Zuvor sind sie definitorisch eingeführt
worden und werden im Schlussteil nach ihren künftigen Potentialen befragt. Die
nachfolgend skizzierte Systematik der allgemeinen und öffentlichen Sprache von
Architektur vermittelt den gewählten epistemologische Ansatz sowie den methodi-
sche Aufbau der Arbeit.
Architektur ist systematisch. Sie ist entgegen allen anders lautenden Meinungen,
besonders von Architekten, kein individueller Mythos, der aus grenzenloser Kreati-
vität entsteht, sondern ein System aus benennbaren Komponenten. Ähnlich einer
Sprache besitzt Architektur eine verständliche Grammatik, der sich jeder Entwurf
ab einem bestimmten Entstehungszeitpunkt zu bedienen hat, um zu Architektur zu
werden. Nur ein kleiner, allerdings elementarer, Bestandteil von Architektur findet
in einem kreativen Bereich statt: die Idee. Diese steht, prozessual gesehen, an aller-
erster Stelle des Entwerfens. Sie erwächst aus einem individuellen Zugang des Ent-
werfers zur gestellten Bauaufgabe und begleitet ihn bei all seinen Entscheidungen
während des Entwurfsprozesses. Der systematische Teil des Entwerfens jedoch, der
nach der Idee einsetzt, ist fassbar, nachvollziehbar und begründbar, denn er folgt
den systemischen Regeln der architektonischen Grammatik. Sein Ziel ist es, aus
einer persönlichen Idee heraus öffentliche Architektur entstehen zu lassen, die auf
die Anforderungen der Bauaufgabe kompetent reagiert. Die systemischen Regeln
einer solchen Grammatik sind global gesehen ähnlich und regional gesehen in De-
tailfragen unterschiedlich. Das Nämliche gilt für die Entwurfswerkzeuge, die dem
Entwerfer zur Verfügung stehen, um eine Entwurfsidee zu kompetenter Architek-
tur werden zu lassen.
Entwurfswerkzeuge sind architekturtheoretisch nicht per se eingeführt worden.
Generell ist die Literatur zum reinen Entwerfen schon an sich spärlich und die
Wissenschaft zwiegespalten. Entwerfer lassen sich ungern kategorisieren, Architek-
tur nur schwer objektivieren. Sigfried Giedion schreibt:
„Eine Architektur mag aus den verschiedensten Bedingungen hervorgegangen sein, aber im Mo-
ment, wo sie dasteht, bildet sie einen Organismus in sich selbst, mit einem eigenen Charakter und
einem eigenen kontinuierlichen Leben. Ihr Wert kann nicht in jenen soziologischen oder ökonomi-
schen Begriffen festgehalten werden, durch die wir ihren Ursprung erklären, und ihr Einfluss mag
38 Anliegen und Aufbau der Arbeit
noch fortwirken, wenn sich ihre ursprüngliche Umgebung längst verändert hat oder verschwunden
ist. Architektur kann weit über ihre Geburtszeit hinausweisen.“ 1
„It‘s so little known, we don‘t even have a name for it. For want of a generic label, we call it
vernacular, anonymous, spontaneous, indigenous, rural, as the case may be (...) The beauty of this
architecture has long been dismissed as accidental, but today we should be able to recognize it as the
result of rare good sense in the handling of practical problems. The shapes of the houses, sometimes
transmitted through a hundred generations seem eternally valid.“ 2
Demnach existiert eine systemische Gültigkeit der Architektursprache. Sie baut auf
menschlicher Wahrnehmung auf und emanzipiert das Phänomen Gebäude als ver-
gleichbare Entität von den Dikta ihrer Autorschaft. Sie sorgt durch das Ermögli-
chen der Bildung von architektonischen Bewertungs-Kategorien auf sinnlich erfass-
bare Gebäude für eine allgemeine, öffentliche Architektur. Ohne das sinnliche Ent-
gegenkommen eines jeden Entwurfes innerhalb dieser Kategorien architektonischer
Bewertung würde er als systemloser Umriss von Flächen und Begrenzungen in der
Landschaft verschwinden – wie ein zufälliger Gegenstand. Die Arbeit postuliert,
dass Wiederkehr und Mehrdeutigkeit das Entgegenkommen des Entwurfes für seine
Wahrnehmung als öffentliche Architektur erhöhen und so seine sogenannte archi-
tektonische Kompetenz steigern.
Die architektonische Kompetenz wiederum als das Ziel des Entwerfens, als die
bestmögliche Antwort auf die gestellte Entwurfsaufgabe, soll beleuchtet werden,
indem die Wechselwirkung zwischen den ihr zugrunde liegenden Werkzeugen und
ihrer morphologischen Manifestation im Gebäude durch Beispiele erläutert wird.
Die Arbeit ist in drei Teile geteilt, wobei die aufbaugleichen ersten beiden Teile
jeweils einem der beiden Entwurfswerkzeuge Wiederkehr und Mehrdeutigkeit gewidmet
sind. Es werden zunächst Definitionen aus unterschiedlichen Feldern und Quellen
zu beiden Werkzeugen gesammelt. Daraufhin werden Entwürfe, die durch Maßstä-
be und Anwendungsfelder hindurch für herausragende Architekturen mit unmittel-
barem Bezug zum jeweiligen Entwurfswerkzeug stehen, vorgestellt und in Hinblick auf
die Rolle des Werkzeuges analysiert. Über diese Phänomenologie soll der praktische
Bezug zwischen Entwurf und Werkzeug herausgestellt und Wissen über die Wir-
kung von Werkzeugen generiert werden. Die Liste ist zum einen ohne Anspruch
auf Vollständigkeit, was angesichts der Anzahl weltweit vorhandener Objekte nicht
verwundert, und zum anderen durchweg aus kompetenten Gebäuden gebildet, denn
es liegt wenig Sinn darin, negative Konstrukte in den Fokus des Interesses zu rü-
Anliegen und Aufbau der Arbeit 39
„Die grundlegenden Fragen, mit denen sich ein Architekt beschäftigen muss, sind bei allem Wan-
del der Architektur selbst erstaunlich konstant geblieben, und nur sie sind Gegenstand einer Theo-
rie der Architektur [... Vitruv] liefert die theoretischen Grundlagen für die Arbeit und das Selbst-
verständnis der Architekten (...) Er spricht von dem anzustrebenden Ergebnis, von den erforderli-
chen Qualitätsmerkmalen der zu errichtenden Gebäude.“ 3
Fischer führt an, dass im Laufe der Bauhistorie „der Kern seiner architekturtheoretischen
Aussage, die gleichzeitige Erfüllung aller drei Kriterien, dabei weitgehend unter den Tisch gefallen
ist.“ 4 Oder nach Fritz Neumeyer:
„Stattdessen wird der größte Teil der Debatten in der Architekturtheorie seit dem Ende des
Vitruvianismus um den Vorrang einer der drei Kategorien geführt. Schlagworte wie Funktiona-
lismus, Konstruktivismus, Formalismus kennzeichnen diese Verabsolutierung.“ 5
zeitgleich, überlagern sich dialektisch mit der Idee der architektonischen Kompe-
tenz und sind möglicherweise von ebensolcher Bedeutung, scheiden aber für die
wissenschaftliche Analyse der Wirkung von Entwurfswerkzeugen aus: punctum und
Wabi-sabi. Roland Barthes beschreibt das punctum. Ursprünglich als Gedanken zur
Fotografie formuliert, übersteigen sie diesen Bereich bei weitem. Jacques Derrida
dazu:
„Der Essay könnte sehr wohl der grundlegende Text zur sogenannten Frage nach dem Referenten
in der technischen Moderne sein.“ 8
Das punctum beschreibt das psychologische Moment der persönlichen Attraktion des
Betrachters zum Objekt. Die Architektur wird angenommen, d. h. für gut befunden
oder eben abgelehnt, also für schlecht befunden, ohne dass der Betrachter seine
Beweggründe in Worte fassen, geschweige denn wissenschaftlich vertretbar darle-
gen könnte. Barthes schreibt:
„Dies Element (...) möchte ich das punctum nennen; denn punctum, das meint auch: Stich, kleines
Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt – Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist
jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft).“ 9
Aus Japan stammt eine Betrachtungsweise, die ebenfalls dem Individuellen ver-
pflichtet ist: Wabi-sabi. Ursprünglich aus dem Zen-Buddhismus, hat sich der Begriff
zu einem eigenständigen Konzept entwickelt. Leonard Koren erklärt es folgender-
maßen: „Wabi-sabi bezeichnet die Schönheit unvollkommener, vergänglicher und unvollständiger
Dinge.“ 10 Dies steht jeder neuen Architektur diametral entgegen. Kein Gebäude
würde an- bzw. abgenommen werden, wenn es unvollkommen im Sinne der Pla-
nung oder gar unvollständig wäre. Dennoch schlägt die Sympathie des Betrachters
oft in diese Richtung aus. Jenes fernöstliche Denken des Respektes vor äußeren
Einflüssen ist eine interessante Parallele zu der im Westen weit verbreiteten Roman-
tisierung von Gebäuden, die wenig architektonische Kompetenz aufweisen (z. B.
Ruinen oder durch Spuren der Zeit verändertes Baumaterial), aber Atmosphäre und
Persönlichkeit in sich tragen.
„Wabi-sabi Dinge sind Ausdruck erstarrter Zeit. Sie sind aus Materialien hergestellt, denen die
Einwirkung der Witterung und menschlicher Behandlung deutlich auszumachen ist. Sie registrie-
ren Sonne, Wind, Regen, Hitze und Kälte, indem sie sich verfärben, rosten, anlaufen, Flecken
bekommen, sich verziehen, einlaufen, schrumpfen und rissig werden (...) Auch wenn [sie] kurz vor
ihrer Entmaterialisierung stehen mögen und im Laufe der Zeit äußerst schwach, brüchig oder
trocken geworden sind, besitzen sie immer noch unvermindertes Gewicht und Charakterstärke (...)
[Sie] stehen dem, was gemeinhin als guter Geschmack postuliert wird, gleichgültig gegenüber (...)
[Sie] können Einwirkungen eines Unfalls zur Schau stellen, wie eine zerbrochene Schale, die
wieder zusammengeklebt wurde.“ 11
Dies sind fundamentale Kategorien, doch wie vorangestellt, sind sie genau nicht im
Rahmen einer wissenschaftlich-phänomenologischen Untersuchung zu Entwurfs-
Anliegen und Aufbau der Arbeit 41
werkzeugen fassbar oder determinierbar, sodass sie nicht weiterverfolgt oder aufge-
griffen werden können im Rahmen der vorliegenden Betrachtung.
i
I Sigfried Giedion. Raum, Zeit, Architektur. Birkhäuser. Basel 2007. S. 44
2 Bernard Rudofsky. Architecture without Architects. University of New Mexico Press. Albuquerque
1987. S.7, 10
3 Günther Fischer. Vitruv NEU oder Was ist Architektur? Birkhäuser. Basel 2010. S. 17, 18, 136
4 ebd. S. 164
5 Fritz Neumeyer. Quellentexte zur Architekturtheorie. Prestel. München 2002. S. 158
6 vgl. Jürgen Joedicke. Angewandte Entwurfsmethodik für Architekten. Krämer. Stuttgart 1976
7 Peter Zumthor. Architektur Denken. Birkhäuser. Basel 2010. S. 37
8 Jacques Derrida. Die Tode des Roland Barthes. Nishen. Berlin 1987. S. 13
9 Roland Barthes. Die helle Kammer. Suhrkamp. Frankfurt 1985. S. 36
10 Leonard Koren. Wabi-sabi. Wasmuth. Tübingen 2007. S. 7
11 ebd. S. 61, 64
Einführung
Der Begriff des Entwurfswerkzeugs
Der Begriff Entwurfswerkzeug ist wie die meisten Termini aus dem Themenkomplex
Entwerfen von Kontroversen durchsetzt. Für viele Architekten und Theoretiker ist
Entwerfen nicht gleich Entwerfen, sondern durch einen persönlichen Zugang ge-
kennzeichnet, der die Qualität eines Werkes schon durch die Individualität im Ent-
stehungsprozess sichert. Daher kann auch kaum von einer allgemeinen Theorie des
Entwerfens gesprochen werden. Dass dies jedoch eine offene These ist, die sich
lediglich gegen die Verallgemeinerung persönlicher Erfahrung und Prozesse aus-
spricht, die gewissermaßen darum kämpft, kein System für die Allgemeinheit zu
liefern, und dass es aber dennoch abwegig ist, nicht von allgemein bestimmbaren
Parametern einer Theorie des Entwerfens zu sprechen, zeigt Christian Gänshirts
Studie Werkzeuge für Ideen. Es handelt sich um eines der wenigen Werke überhaupt,
das sich rein dem Thema Entwerfen widmet und nach gründlicher Exegese der
gewiss nicht armen, aber eben eindimensionalen Literatur zu diesem Komplex
entstanden ist. Gänshirt schreibt:
„dass es sich beim Entwerfen keineswegs um eine spezielle Fähigkeit von Künstlern, Architekten,
Ingenieuren und Designern, sondern um ein grundlegendes menschliches Handeln handelt (...),
dessen wesentliches Ziel es wäre, impliziertes Handlungs- und Erfahrungswissen mittelbar, nach-
prüfbar und diskutierbar zu machen (...), geprägt von der Problematik, trotz offensichtlicher
Widersprüche akzeptable Lösungen erarbeiten zu wollen.“ 12
„[dass es] als design thinking eine Methode entwickelt, komplexe Probleme zu lösen und innovati-
ve Ideen zu entwickeln (...), basierend auf der Überzeugung, dass herausragende Innovationen
dann entstehen, wenn sich interdisziplinäre Gruppen zusammenschließen.“ 14
44 Einführung. Der Begriff des Entwurfswerkzeugs
„Wahrnehmung ist der erste und zugleich grundlegende Schritt jeder Entwurfsarbeit (...) Alle
Wahrnehmung geschieht immer vor dem Hintergrund des schon Bekannten (...) Die wesentliche
Funktion von Entwurfswerkzeugen ist es, innere Vorstellungen für den Entwerfenden selbst und
für andere wahrnehmbar zu machen (...) Eine der Wirkungsweisen, die den Entwurfswerkzeugen
zugrunde liegt, ist die Reduktion komplexer Sachverhalte auf wenige überschaubare und handhab-
bare Aspekte.“ 15
Werkzeuge sind demnach aus Erfahrung gebildete Hilfsmittel für Formulierung und
Entscheidung, also völlig zu Recht in einer geistigen Ebene verortet. Was Gänshirt
aber bei seinen eigenen Beispielen für Werkzeuge, allesamt materiell (Modell, Ani-
mation, Diskussion etc.), übersieht, ist der geistige Vorgang des tatsächlichen Tref-
fens von Entscheidungen während des Entwerfens. Dies bleibt bei seiner Theorie
nach wie vor im Dunklen, ist aber genau genommen der wichtigste Moment jeder
Entwurfsphase. Hier setzt vorliegende Betrachtung postulierend ein und behauptet,
dass Entwurfswerkzeuge eben keine neutralen Abstrahierer wie Stifte etc. sind, son-
dern in Wirklichkeit geistige Steuerer ebenjener Entwurfsentscheidungen. Basierend auf
Erfahrung und Wissen, benutzt der Entwerfer seine Entwurfswerkzeuge als Entschei-
dungsmittel für die architektonische Legitimierung seiner Ideen.
Von den verschiedenen Werkzeugen, derer sich in jener transformatorischen
Zugriffs-Phase bedient werden kann, ist die Wiederkehr eines der Hauptsächlichen,
denn sie spielt bei jedem Entwurf eine Rolle. So lautet, vorangestellt, das zu prüfen-
de Postulat für den folgenden phänomenologischen Teil. Wiederkehr ist eine obliga-
Einführung. Der Begriff des Entwurfswerkzeugs 45
„entsteht der Effekt der Leere, wenn die umgebenden Formen (...) der betreffenden Fläche kein
Strukturgerüst auferlegen (...) Dementsprechend kommt es beim Betrachter zu einem Gefühl der
Verlorenheit.“ 16
Maßregler legt sie den Entwurfsduktus fest, solcherart bisweilen von Architekten
selbst pointiert umrissen, wie Mies van der Rohes „less is more“ oder Louis Sullivans
„form follows function“, oder sich von stilistischen Schlagwörtern nährend wie Minima-
lismus, Purismus, Fülligkeit, Reichhaltigkeit etc. Die Entwurfshaltung ist eine persönliche,
mitunter geschmacklich konstituierte, Herangehensweise an den Entwurf. Auch sie
wird, einmal festgelegt, systematisch angewendet.
Die Entwurfswerkzeuge schließlich ablösend, als materiell-transformatorische
Vervollständiger des Entwurfsprozesses, kommen die Werkzeuge der Darstellung
und der Vermittlung ins Spiel. Ihnen allen ist gemein, dass sie die Morphologie des
Entwurfes reziprok beeinflussen, indem sie medium-immanent Rückschlüsse und
Überprüfungen auf den Entwurfsinhalt generieren. Wie bei einer Schleife erzeugen
sie die aktuelle mediale Repräsentation des Entwurfes, wiederum mit einer eigenen
Sprache und eigenen Regeln. Steht die Darstellung in keiner Übereinstimmung mit
den Zielen und letztlich den von der Idee entwickelten Inhalten, wird der Entwerfer
bis zu einem Punkt seines Entwurfsprozesses zurückkehren und Alternativen her-
ausbilden. Dies wird so lange geschehen, bis der Schleifpunkt der Darstellung zu-
friedenstellend oder eben bestmöglich durchlaufen werden kann. Die materiellen
Werkzeuge der Darstellung können sämtliche der von Gänshirt umrissenen verbalen
oder visuellen Werkzeuge sein, vom Modell über die Diskussion bis zur Theorie
oder der Animation. Was aber bei jenen materiellen Werkzeugen ausschließlich der
Fall ist: Weil sie keine 1:1 Realitäten abbilden, sondern als Abstrahierer ihrem jewei-
ligen Medium und Maßstab verhaftet bleiben, beeinflussen sie in der Hauptsache
nur die Tätigkeiten mit dem Werkstück des Mediums in dessen Maßstab. Die trans-
formatorischen Entscheidungen des übergeordneten Entwurfsinhalts benötigen
deshalb zusätzlich die parallele immaterielle Entwurfsarbeit mittels Wissen und
Erfahrung durch Entwurfswerkzeuge.
Darüber hinaus hat die zufallsgenerierte Methodik des Entwerfers selbst Ein-
fluss auf den Entwurfsprozess und dessen Zugriffe. Sie lässt heuristisch zwischen
den Prozessparametern wie der Strategie, der Haltung oder den Mitteln hin und her
wechseln und beeinflusst damit letztlich auch die Entwurfsidee kritisch. Oder aber sie
findet linear statt. Beides ist dem Entwerfer überlassen. Gerd de Bruyn und Wolf
Reuter schreiben über die heuristische Steuerung des Entwurfsprozesses:
„Zu Beginn des Entwerfens ist keinem Entwerfenden die Gesamtheit des Wissens präsent, das für
seinen Entwurf relevant sein könnte (...) Mit dem fortlaufenden Aufwerfen von Fragen und dem
Versuch ihrer Beantwortung entsteht Wissen (...) Eine wesentliche Eigenschaft des Architekur-
und Planerwissens ist sein permanentes Wachstum.“18
Über die Erfahrung wiederum generiert sich jenes Wissen, aus dem sich der Um-
gang mit immateriellen Entwurfswerkzeugen bedient.
Zusammengefasst, werden im Verlauf des Entwurfsprozesses die verschiedens-
ten Komplexe berührt; scheinbar oft chaotisch oder nicht verallgemeinerbar. Den-
noch lässt sich der Prozess von der Idee zur öffentlichen Architekturgenerierung
kategorisieren. Was den Entwerfer permanent begleitet, ist die Aufforderung, Ent-
scheidungen zu treffen. Diese werden ihm von keiner der abstrahierenden Tätigkei-
Einführung. Der Begriff des Entwurfswerkzeugs 47
ten wie Modellbauen oder Skizzieren abgenommen. All jene visualisieren lediglich
eine aktuelle Repräsentation des Entwurfsgeschehens. Folglich sind sie vielleicht
Werkzeuge des Entwerfens wie Gänshirt sie benennt, aber keine Entwurfswerkzeuge in
dem Sinne, wie sie vorliegende Betrachtung einführen möchte. Letzteren wird ein-
geräumt, dass sie nicht die Tätigkeiten des Entwerfens beeinflussen, sondern die
Entscheidungen des Entwerfens. Sie sind damit unmittelbar an der Morphogenese
von Architektur beteiligt. Gestützt auf Erfahrung und anthropometrische Wahr-
nehmung, denn entscheidend ist stets die menschliche Perspektive auf menschliche
Kreation, schaffen sie ein geistiges Wertesystem, das Entscheidungen legitimiert
und im letzten Schritt zu öffentlicher Architektur werden lässt. Im Folgenden wird
der Blick auf Gebäude gerichtet, die besonderen Bezug zu beiden für diese Betrach-
tung ausgewählten Werkzeugen erkennen lassen; bei denen Entscheidungen, die
Morphologie betreffend, durch erfolgreiche Anwendung von Wiederkehr und Mehr-
deutigkeit getroffen zu sein scheinen.
ii
12 Christian Gänshirt. Werkzeuge für Ideen. Birkhäuser. Basel 2011. S. 37, 18
13 ebd. S. 24
14 Yana Milev. Emergency Design. Merve. Berlin 2011. S. 39
15 Gänshirt. S. 59 ff.
16 Rudolf Arnheim. Die Dynamik der architektonischen Form. DuMont. Köln 1980. S. 17 ff.
17 Maurice Merleau-Ponty. Phänomenologie der Wahrnehmung. De Gruyter. Berlin 1966. S. 239
18 Gerd de Bruyn, Wolf Reuter. Das Wissen der Architektur. Transcript. Bielefeld 2011 S. 55, 61 ff.
„In der Architektur erzeugen Bewohntheit und auch Verkehr Modularität. Sich wiederholende
Einheiten durch funktionale Notwendigkeiten diktiert, kommen in allen Größen vor, sind aber im
größeren Maßstab des Städtebaus auffälliger.“ 19
Die Wiederholung, die hier auf eine identische Wiederkehr infolge von Funktionalität
reduziert wird, kann jedoch noch bedeutend umfassender gesehen werden. Die
Wiederkehr im Sinne eines Entwurfswerkzeuges ist omnipräsent in der Architektur. Ob
unterbewusst oder bewusst, stellt sich jeder Entwurf der Frage der Wiederkehr. Denn
diese bedeutet, im Sinne des Aufgreifens oder Wiederholens, architektonische
Themenkomplexe in einer bestimmten Anzahl auftauchen und mithin wiederkehren
zu lassen. Der in diesem zusammenhang oft genannte Begriff der Modularität ist hier
eher hinderlich und soll in einem Addendum (s. S. 227) zu dieser Betrachtung mit
seinen vielfältigen Beziehungen und Bedeutungen erklärt werden.
Die Themenkomplexe können vom materiellen Elemente-Maßstab wie bei-
spielsweise Ziegel oder einem Detail-Komposit-Element Ziegelmauerwerk-Attika über
den Raummaßstab, den Gebäudemaßstab bis zum gesamten Städtebaumaßstab
reichen. Immer bedeutet Wiederkehr das Wiederaufgreifen des Themas im Sinne
eines Duplikats. Am konkreten Gebäude kann ein Themenkomplex multipliziert
auftauchen, zum Beispiel ein bestimmter Fenstertyp, der immer wieder eingesetzt
wird. Es kann aber auch ein Gebäude Themenkomplexe wiederkehren lassen, die von
einem anderen Gebäude stammen oder sogar aus einer anderen Zeit beziehungs-
weise Epoche. Anhand dieses speziellen Wirkens der Wiederkehr, die dann wie eine
Erinnerung auftritt, wird klar, welche fundamentale Rolle sie im Entwurf spielt. Sie
wird so entweder als Memorierer zu einem stilistisch-konzeptuellen Fortschreiber
oder Kommentator, der sie, ob gewollt oder ungewollt, als Beitrag zum architektur-
geschichtlichen Diskurs ausweist, oder aber sie nimmt als im Gebäude selbst wieder-
kehrendes Element eine Form der Rhythmisierung und Taktung seiner kompositori-
schen Absichten wahr –ein sehr häufiges Auftreten. Im Folgenden werden beide
Formen der Wiederkehr, Materielle und Immaterielle, genauer umrissen.
Sobald sich der Entwerfer entschließt, eine zuvor skizzierte Gebäude-Idee fester
zu umreißen, damit sich daraus langsam der Entwurf formen lässt, stellt sich die
Frage nach der Wiederkehr. In einem materiellen, das heißt sichtbaren, Sinne entschei-
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
J. Hartmann, Wiederkehr und Mehrdeutigkeit,
DOI 10.1007/978-3-658-13396-2_1
50 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
19 György Kepes (Hg.) Modul, Proportion, Symmetrie, Rhythmus. La Connaissance. Brüssel 1969 S.112
20 William Lidwell, Kritina Holden, Jill Butler. Design. Stiebner. München 2009. S. 142
21 eda. S. 184
22 eda. S. 176
23 Christian Norberg-Schulz. Existence, Space and Architecture. Studio Vista Limited. London. 1971.
S. 33
24 Michael Wilkens. Architektur als Komposition. Birkhäuser. Basel 2000. S. 83
25 ebd. S. 83
26 ebd. S. 199
27 vgl. Georges Poisson, Olivier Poisson. Eugène Viollet-le-Duc 1814-1879. Editions A&J Picard.
Paris 2014
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 53
Jede Architektur lässt sich in sichtbare und sich größtenteils wiederholende Einhei-
ten zerlegen. Wie Musik wird sie von wiedererkennbarer Rhythmik, Struktur und
eigenen Regeln der Komposition durchzogen. Pierre von Meiss schreibt:
„Die Architektur ist eine Kunst, die Abhängigkeiten zwischen den Elementen schafft, um Kohä-
renz herzustellen (...) Die rhythmische Wiederholung ist ein sehr einfaches Kompositionsprinzip,
das auf Anhieb ein Kohärenzempfinden auslöst.“ 28
Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei nicht auf eine weitere Variante von Ar-
chitekturkritik, die sich zeitformenabhängig auf feuilletonistische oder technische
Aspekte von Gebäuden einlassen könnte, sondern auf einen Blick, der
praxeologisch vom Entwerfen fürs Entwerfen lernen will. Indem das Entworfene
entschlüsselt wird, soll Wissen und Erfahrung für die weitere Praxis epistemologisch
gewonnen werden, denn ohne Erfahrung lässt sich kein Werkzeug bedienen, erst
recht kein Entwurfswerkzeug.
Übersicht:
Über das Einfache und das Chthonische, das Aalto nicht nur bei seinem Sommerhaus
verwendet, schreibt Martin Heidegger:
„Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Unvermittelt kehrt es bei den
Menschen ein und braucht doch ein langes Gedeihen. Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt
es seinen Segen.“ 30
Auch im Experiment werden Regeln angewendet. Aalto arbeitet mit der einfachsten
Art von Wiederkehr, indem er versucht, Gruppen und Patterns aus Ziegeln zu bilden
(Abb. 17-19). Nie lässt er Einzelstücke aufeinander treffen, denn es geht ihm um die
Erprobung von Strukturen. Der Ziegel ist einer der kleinsten Nenner der Architek-
tur überhaupt und die Wiederkehr mehrerer Ziegel im Verband ist das Strukturprin-
zip im Mauerwerksbau, den Aalto mit Substrukturen für seine Wände studieren will.
In den frühen 1950er Jahren erbaute er sein später berühmt gewordenes Gemeinde-
haus Säynätsalo, das zu einem Klassiker des Kommunalen Bauens geworden ist.
Während der Bauarbeiten beschloss er, auf der benachbarten Insel Muuratsalo für
sich und seine Frau ein Sommerhaus zu errichten. Aus dem einfachen Vorhaben
wurde schnell mehr: ein von Aalto als „Labor“ betiteltes architektonisches Experi-
mentierfeld.31 Spielerisch wendet Aalto verschiedene konstruktive Methoden gleich-
zeitig an, um Aufschlüsse für seine benachbarte Großbaustelle in Säynätsalo zu
gewinnen. Neben den Experimenten mit dem Material Ziegelstein sollten Schwer-
punkte im Bereich Bauen ohne Fundamente, Freiform-Stützstrukturen und Solares
Heizen sein. Während Letzteres allerdings nicht weiter verfolgt wurde, gelingt es
Aalto im Fassadenbereich, über 50 verschiedene Ziegelstrukturen in Form von
Patchwork-Panels auszuprobieren. Sie unterscheiden sich sowohl nach Herstellung,
Verband und Größe als auch nach formalen Einsatzlösungen.
Insgesamt bildet Aaltos Labor eine Gebäudegruppe, von Groß nach Klein ab-
steigend, wobei das Haupthaus auf einem quadratischen Feld installiert wird. Mittels
eines L-förmigen Formates und der Verlängerung der Außenmauern entlang der
Feldgrenzen bildet sich ein Innenhof heraus, dessen Pflasterung ebenfalls in ver-
schiedenen Ziegelsteinpatterns aufgeht. Auf diese Weise schafft Aalto ein Maximum
an Einsatzsituationen für den Ziegelstein und kann sie direkt einander ergänzend
vergleichen und bewerten.32
Das Experimentelle Haus in Muuratsalo kann als Pilot für einen zwanglosen Um-
gang mit Neuem betrachtet werden. Auf spielerische Weise werden Widersprüche
56 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
bewusst in Kauf genommen, wird ausprobiert, ohne das Ziel vorher bis ins Detail
visioniert zu haben. Dass dies möglich ist, ohne in einem visuellen Chaos zu enden,
zeigt Aalto anhand einer erfahrenen und disziplinierten Komposition von Wieder-
kehr: Jede Idee taucht als Gruppe auf. Sie bildet ein einfaches Pattern durch, dessen
Hauptakteur, der Ziegelstein, in ruhig proportioniertem Maß eingesetzt wird. Mal
eingerückt, mal vorstehend, mal breit und kompakt, mal schmal und kleinteilig.
Teilweise steht auch nicht der Ziegel im Vordergrund, sondern die Fuge dazwi-
schen. Aaltos Ideen zur freien Gestaltung von Ziegelstein-Verbänden decken Wir-
kungsfelder wie Geometrie, Topografie, Plastizität und Flächigkeit bis hin zur Hap-
tik ab. Sein paralleler Bau in Säynätsalo konnte erheblich von den Experimenten auf
der Nachbarinsel profitieren. Dort wird zwar nur ein einziger Verband durchexer-
ziert, dieser aber wiederum mit vor- und rückspringenden Raumvolumina und be-
wusst mangelhafter Ausschussware innerhalb der Ziegel aufgebrochen. Jene Materi-
al-Phase in Aaltos Werk hat berühmte Vorläufer in dem sogenannten Backstein-
Expressionismus33 der Vorkriegszeit, der über die Amsterdamer Schule und das Ruhrge-
biet in den Norddeutschen Raum gelangte. Sigfried Giedion schreibt über Aalto:
„dass dieser auf dem Gebiet der Architektur der Stärkste jener Exponenten [sei], die Irrationali-
tät und Standardisierung miteinander zu verknüpfen wissen, das heißt Standardisierung nicht
bestimmen, sondern dienen zu lassen.“ 34
Es gibt wenige Architekten, die den Mut besessen haben, Architektur zu testen,
beziehungsweise stellenweise geradezu mit ihr zu improvisieren. Aaltos Haus könn-
te in diesem Sinne als ein steinernes Skizzenbuch bezeichnet werden: der Architekt
auf der Suche nach dem perfekten Umgang mit dem Material. Als ein gebauter
Essay, der Zeugnis ablegt von den geglückten sowie verunglückten Möglichkeiten,
das Material Ziegelstein zu verwenden. Bisher scheint Aalto damit nach wie vor
außer Konkurrenz zu sein. Dass es sich um sein eigenes Haus handelt, ist selbstver-
ständlich einer der Hauptgründe für die ausgelebte Experimentierlust, denn kein
Bauherr würde wohl explizit Provisorien oder unpassende Test-Muster dauerhaft
akzeptieren. Neben einer raffinierten, ausgewogenen und doch wie beiläufig ge-
streuten Typologie des Hauses auf dem bewaldeten Hügel ist es der tastende Um-
gang mit dem Material, der die Gestaltung des experimentellen Hauses prägt. Dass
es zu keinen optischen Problemen bei dieser Planung ins Ungewisse kommt, liegt
an Aaltos Disziplin und Erfahrung mit der Wiederkehr. Er kombiniert nicht unkon-
trolliert, sondern behutsam die verschiedenen Patterns aus Ziegeln und anderem
wie glasiertem Steinzeug. Die bewusste Ausbildung von gleichberechtigten Gruppen
von Wiederkehr schafft die gestalterische Sicherheit, keine missglückten Hierarchien
aufzubauen und Ungleichgewicht zu produzieren. Aufgrund der starken Großform
des Hauses geraten die Ziegelverbände nicht ins Fahrwasser der Effekthascherei.
Form und Ausführung ergeben eine gemeinsame Galerie, von Anfang an integral
verstanden.
Zwar geht Aalto konstruktive Experimente ein, wenn er versucht, ohne Funda-
mente zu bauen und in den Nebengebäuden, Stützen ans äußerste Feldende zu
positionieren, doch enttäuscht die Improvisation beziehungsweise die Inkonse-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 57
Mit Architektur bewusst zu experimentieren, ist eine brillante Idee mit einer gerade-
zu pädagogischen Dimension, nicht nur sich selbst sondern auch der Nachwelt
gegenüber. Das konkrete Anschauungsobjekt überlebt im Nachhinein jede nachge-
lassene Skizze auf Papier über unveröffentlichte Experimente. Mit seinen gestalteri-
schen Versuchen gelingt Aalto hierbei Beachtliches. Vor allem zeigt er, dass auch
„schlechte Ideen“ innerhalb von Regeln funktionieren, denn es braucht dazu nur
eines, die sichere und konsequente Handhabung der architektonischen Grammatik,
herbeigeführt durch erfahrungsbasierte Entwurfswerkzeuge wie das der Wiederkehr.
Aalto beherrscht sie trotz all ihrer Fallen, nicht zuletzt deswegen, weil er sie auspro-
biert hat.
Wiederkehr und nichts weiter. Das möchte man angesichts des ephemeren Holz-
Raum-Gebildes ausrufen (Abb. 20-22). Auf die Spitze getrieben wird das Spiel mit
der Reduktion von Peter Zumthor, dessen Pavillon strenggenommen aus nichts
weiter besteht als der Materialwiederholung eines einzelnen Rohstoffes. Hierbei
wird die erfolgreiche Anwendung des Entwurfswerkzeuges der Wiederkehr derart
blaupausig vorgeführt, dass man glauben könnte, von nun an jeden Pavillon künftig
auf diese Mono-Materialbauweise bauen zu können: sei es aus Stahl-, Stein-, Glas-
oder anderen Elementen. Dass dies so aber nicht geschieht, liegt sicherlich auch in
der Aufgabenstellung begründet, scheint aber insbesondere auf Zumthors Herange-
hensweise und individuelle Verbindung mit dem Thema zurückzugehen, die aus der
vermeintlichen Allerwelts-Lösung ein tiefgründiges Vexierspiel aus Architektur,
Rohstoff, Repräsentation und Biografie macht.
Schon zu seiner Eröffnung war der Schweizer Pavillon einer der Publikumsmagne-
ten der Expo 2000 in Hannover.36 Sein heutiger Status als Klassiker der ephemeren
Architektur hat sich ins kollektiven Gedächtnis eingeschrieben. Der Grund des
58 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Erfolgs liegt in seinem Konzept der Ambivalenz begründet. Der Klangraum ver-
weigert sich als Grenzgänger zwischen Architektur, Objekt-Kunst und Environ-
ment dem gängigen Pavillon-Schema. Seine Idee, alles und gleichzeitig nur eines zu
sein, ein temporär befestigter Stapel Holzbohlen, ist gemessen an dem traditionellen
Überhöhungs-Duktus der anderen Länder-Pavillons revolutionär. Die Schweiz wird
repräsentiert als eine begehbare Skulptur aus Klang und Raum, gebildet aus der
puren Materialerfahrung mit dem Rohstoff Holz. Zumthor verwendet dabei die
raumbildenden Möglichkeiten einer an Stahlseilen aufgefädelten Holzbohlen-
Stapelung, wie sie in jedem Schreinerei-Lager zu finden ist, um aus diesem kleinst-
möglichen Nenner der Architektur eine labyrinthische Folge von Räumen, Innen-
höfen, schmalen Gassen, Auslassungen und Eingängen zu entwerfen. Drei kleine
Fertigteilräume bevölkern als zugestandene Büros neben Sitzgelegenheiten und
Gastronomie-Mobiliar die Räume, halten sich jedoch im Hintergrund, sodass sich
die Sinne der Besucher ganz auf das Zusammenspiel von Klang, Raum und Material
konzentrieren können. Die Raum-Skulptur ist Zumthor-typisch in kompakt wir-
kende Kompartimente verschiedener Größe aufgeteilt, die sich durch die Stapelrich-
tung unterscheiden und wie Patterns miteinander verbunden werden. Während der
sechsmonatigen Expo ist das unbehandelte Holz der Witterung ausgesetzt, sodass
nicht nur farbliche sondern vor allem auch physisch Veränderungen im Holz auftre-
ten. Letztere können durch die Stahlband-Konstruktion aufgefangen und bewusst
gemacht werden.
Zumthors Bau ist auf minimalistische Art und Weise komplex und einfach zu-
gleich. Die Wiederkehr der gestapelten Holzbohle führt die Möglichkeiten der Erzeu-
gung von Komplexität vermittels Wiederholung und Variation vorbildhaft vor.
Nicht nur dass der Pavillon nach strenger Gesetzmäßigkeit aufgebaut wird, er setzt
seine Ressourcen so schonend ein, dass nach Beendigung der Expo kein Abbruch
erfolgt, sondern ein ebenso fein geplanter Rückbau stattfindet, bei dem wie bei einer
Lagerauflösung das Holz innerhalb anderer Bauprojekte verbaut wird. Jede Bohle
als wiederkehrendes Element steht sowohl für sich allein, als auch als unverzichtbarer
Akteur innerhalb der sturen Gesamtwirkung, seinen Platz behauptend. Die Anord-
nung der Struktur arrangiert Zumthor mit den Mitteln räumlicher Komposition.
Dabei kommt es zum Einbruch des Biografischen und der Überlagerung mit dem
Repräsentativen. Der Klangraum ist als Schweizer Hörerlebnis konzipiert, Zumthor
selbst passionierter Jazzbassist, Architektur wiederum laut Friedrich Schelling nichts
weniger als „erstarrte Musik.“ 37 In treffender Doppeldeutigkeit verarbeitet Zumthor
Schellings These nun zu „Architektur ist erstarrtes Holz“ und zwar so lange, bis der
Pavillon abgebaut wird. Dann ist die Musik verklungen und Schellings erstarrte
Musik verschwunden. Zumthor ist Komponist und Arrangeur eines Ganzen, bei
dem sich die Einzelteile wie Noten der sogenannten Seriellen Musik38 eines Stock-
hausen, Boulez oder Nono zum Ganzen verhalten – Figuren eines Spiels aus Länge,
Pause, Proportion, Höhe – erfahrbar durch ihren Ablauf in der Zeit.
Konzeptuell werden dem Pavillonbau völlig neue Aspekte abgewonnen.
Zumthor gelingt es zum einen, die Schweiz auf eindrückliche Art und Weise zu
repräsentieren mit Klang, Raum und haptischen Erlebnissen. Zum anderen erzeugt
er eine sich durch alle Maßstäbe hindurch ziehende Ambivalenz des Sowohl-als-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 59
auch. Mit minimalem Aufwand, und ohne jemals das Bild des lagernden Holz-
Stapels zu verlassen, zeichnet er ein System der Erweiterung, Verdichtung und
Auslassung in die Ebene hinein, um einen komplexen Pavillon von scheinbarer
Unendlichkeit zu schaffen, der voller sinnlicher Erlebnisse steckt. Diese wirken
umso stärker, je rationaler sich sein entwurfliches System in der Analyse verhält.
Christian Norberg-Schulz schreibt:
„[von dem] Terminus [des] technischen Systems, worunter wir die geordnete Wiederholung einer
beschränkten Anzahl technischer Elemente verstehen.“ 39
Hier ist das technische zugleich das sinnliche System, auf dessen Generik die Ge-
staltung des Pavillons konsequent beruht. Es wird nichts hinzugefügt, und vor allem
wird nichts weggenommen. Der Pavillon repräsentiert sich selbst: ein Stapel Holz-
bohlen. Dieser ist mit Zugbändern und Verankerungen gesichert gegen die örtlichen
Bedingungen; zwar edler ausgeführt als in der Forstwirtschaft aber grundsätzlich
nicht anders. Man kann von einer inerten Gestaltung sprechen, die sorgfältig hierar-
chisiert, aber jeden Zug der Überhöhung vermeidet. Das architektonische Spiel der
Raumbildung aus Holzstapeln evoziert einen fast ironischen Zug der Wiederkehr,
ohne aber Seriosität zu verlieren.
Effizient arbeitet die konstruktive Idee innerhalb des Gesamtkonzepts. Die
luftige, aufgefädelte Holzstapelwand ist durchaus innovativ, denn so hat man einen
Holzmassivbau noch nicht gesehen. Nachempfunden dem Block- oder Strickbau
der Alpenregionen, entpuppt er sich beinahe als ein konstruktiver Scherz, dem das
Unfertige lieber ist als eben das Massive der Ewigkeit. Bewusst werden auf baukli-
matische Maßnahmen verzichtet, sodass, wiederum konzeptgemäß, wetterbedingte
Einflüsse auf das Erscheinungsbild explizit zugelassen werden.
Zumthor verwendet Wiederkehr als tragendes Entwurfsmoment. Die Idee, aus ge-
stapelten Holzbohlen Wände zu formen, ergibt durch konsequente Durchstruktu-
rierung eine hohe architektonische Kompetenz, deren Substrukturen eigene Ge-
schichten zu erzählen vermögen. Strenge und Stoizität auf der einen Seite stehen
Haptik, Klang und Vergänglichkeit gegenüber. Etwas Neues wird geschaffen, indem
Emergenz und Ephemerität eingeschlossen werden.
Material. Monomaterialität
Zusammenfassung/ weitere Projekte
Es ist ausgeschlossen, beim Einsatz von Material im Bauwesen nicht von Wiederkehr
zu sprechen. Jedes Bauprojekt lässt sich auf eine Handvoll Materialien in verschie-
denen Mengen und Reihen reduzieren. Dennoch gilt es, im Sinne der architektoni-
schen Grammatik mit Blick auf eine hohe architektonische Kompetenz dafür zu
sorgen, dass ein bewusster Einsatz der Wiederkehr im Entwurf stattfindet. Es macht
keinen Sinn, einfach nur zu schichten, zu fügen und zu warten, bis sich der Raum
60 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
schließt. Jedes Material besitzt seine eigenen Stärken und Schwächen und aus ihm
können daher nur bestimmte Morphologien von Qualität generiert werden.
Zumthors und Aaltos Beispiele stellen vor allem einen konzeptuellen Ansatz
heraus: Die Reduktion auf das Material an sich. Was sich zu einer gestalterischen
Herausforderung entwickelt, ist innerhalb der Konzept-Ebene radikal und schlüssig.
Es hinterfragt kritisch jedes materielle Potpourri und plädiert stattdessen für das
Mono-Materielle, wie es in frühen Architekturen vorkommt und noch heute an (mate-
rialarmen) Orten verwendet wird, z.B. Schilfbau am Titicacasee (Abb. 24), Iglus der
Inuit. Auch die apulischen Trulli haben eine interessante Antwort auf ihre Umge-
bung gefunden: Sie bestehen aus hiesigem Trockenmauerwerk (Abb. 23), zu fal-
schen Kraggewölben geschichtet. Sie sind auf- und wieder abbaubar, als bevorzugte
Unterkunft von Steuerprellern;40 eine fast ironisierte mobile Steinarchitektur.
Wie vorangestellt, ist die Reduktion auf einige wenige Materialien, wenn nicht
überhaupt nur ein einziges Material, von entscheidender Bedeutung für die Gestal-
tung. Der größte Feind der Architektur, die Monotonie, hat jedoch leichtes Spiel bei
eben jener Disposition. Als Gegenkonzept wird versucht, ein Maximum an Kom-
plexität herzustellen, das mit menschlichen Sinnen noch fassbar ist, ohne wiederum
in jenes überfordernde Potpourri zu kippen. Aalto und Zumthor zeigen auf, wie aus
einem einzigen Material Komplexität erzielt werden kann: Über die Wahl des Mate-
rials bezogen auf die Entwurfsaufgabe und die Konsequenz seines Einsatzes. Dabei
ist dessen Charakter entscheidend: das Projekt ausgeführt aus Natürlichem, bei dem
die Einzigartigkeit der Beschaffenheit, seine Fehler oder Alterserscheinungen bereits
für Varianz sorgen, ist ungleich komplexer im Erscheinungsbild als bei einer Aus-
führung des Projektes aus industrieller Perfektion, dem keinerlei Individualisierung
innerhalb einer Charge beiwohnt. Dementsprechend sind die Ansprüche für eine
gelungene, d. h. kontrastreiche Gestaltung von mono-materieller Wiederkehr zwischen
Komplexität und Monotonie anzusetzen.
Ausgeschalter Beton besitzt durchaus beide Qualitäten, wie Lina Bo Bardi in
São Paulo zeigt (Abb. 27). Jean Nouvel spielt mit der Varianz des Industriellen,
indem er sämtliche verfügbaren Maßausführungen von Glas am 100 11th verbaut,
mit demselben Effekt (Abb. 29, 30) einer abwechslungsreichen visuellen Erschei-
nung. Im Konstruktiven ist eine Mono-Materialität bei gleichzeitiger typologischer
Freiheit nahezu unmöglich. Materialgerechtes Konstruieren im tektonischen Sinne
Gottfried Sempers41 ist eine Besonderheit und nicht permanent und in jedem Kon-
text möglich. Einige Architekten verbinden dennoch eine besondere Architektur
mit der Befähigung, ein einziges Material beinahe durchgängig zu verwenden. Ela-
dio Dieste führt den Ziegel an sine konstruktiven Grenzen (Abb. 25), wie zuvor
auch Gaudì, Gion Caminadas behutsam konstruierte Wohnhäuser verwenden fast
ausschließlich und mono-materiell die Möglichkeiten eines nach wie vor traditionellen
Holzbaus (Abb. 28), über den Christian Norberg-Schulz schreibt:
"Die Langlebigkeit der der hölzernen Architektur beruht auf dem relativ gleichbleibenden Cha-
rakter der natürlichen Umwelt und auf der ständigen Verwendung von Bauholz in der einheimi-
schen Architektur (...) Dörfer und Bauernhöfe sind heute immer noch von ihnen geprägt (...) und
sind deshalb von Interesse, weil sie Variationen über ein gemeinsames Thema darstellen. Ohne
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 61
ihren eigentlichen Charakter aufzugeben, drücken sie die spezifischen Merkmale einer Region
aus." 42
An vielen Orten der Welt etwas Unabdingbares, an anderen qua Entscheidung eine
besondere Herausforderung: Die Kompetenz mono-materieller Architektur steht und
fällt mit der Konsequenz der ausgespielten Möglichkeiten des Materials. Denn die
reine Wiederholung braucht zwingend Logik. Oder wie es Christian Norberg-Schulz
ausdrückt, es braucht an sich eine „Logik der Baukunst." 43
„Ein Maßsystem, das als Grundlage für die Serienherstellung von Bauelementen gedacht ist und
vor allem auch, vom Raumbedarf des Körpers ausgehend, der Architektur eine am Maß des Men-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 63
schen orientierte mathematische Ordnung zu geben versucht. (...) Das neues System, dessen Be-
zeichnung eine Kombination aus Modul und section d’or [Goldener Schnitt] ist, zielt darauf ab,
ähnlich der Harmonik in der Musik, das Gefühl für Intervalle zu schärfen.“ 48
Es handelt sich um eine Maßmaschine, basierend auf Der Modul (vgl. S. 253 ff.);
keinesfalls hat diese etwas mit Das Modul gemein:
„I am, in principle, against modules when they curtail the imagination, claiming abslute rights over
the project to the petrification of invention. But I believe in the absolute nature of a (poetic) relation-
ship. And relationships are, by definition, variable, diverse and innummerable. My mind cannot
adopt the modules of AFNOR and Vignola in building. I accept no canons. I claim the presence
of harmony between the objects involved.” 49
Wiederkehr als Entwurfswerkzeug für Strukturen ist der organisierende Schlüssel von
La Tourettes Fenstergruppen: Wenige Komponenten kehren wieder oder variieren, dies
aber mit kompositorischer Präzision. Obwohl sie auseinanderfließen könnten, hält
ihre Ähnlichkeit die Substrukturen zusammen. La Tourette mag, wie vieles von Le
Corbusier, ihn selbst in die Nähe der überdimensionierten Schandtaten seiner Epi-
gonen rücken. Auf den zweiten Blick jedoch verblüfft es bis ins kleinste Detail
durch die Ausgewogenheit seiner entwurflichen Mittel.
potenzierte Zufall wird heute, Jahre später, mithilfe von CAD geskriptet, der Effekt
ist derselbe: Komplexität aus minimalen Zutaten mittels Wiederkehr.
E pluribus unum. Aus vielem Eines, das ist das Credo des WoZoCo. Dabei besteht das
vermeintlich Viele aber aus ganz wenig. Mithilfe eines aleatorischen Arrangements
von wenigen Variablen wird über deren organisierte Wiederkehr eine hochkompeten-
te Struktur geschaffen.
Schon seit Jahrhunderten sind die Niederlande eines der Kernländer des dichten
Wohnungsbau.50 Sie brechen früh mit dem CIAM-Strukturalismus der 50er und
schlagen mit Aldo van Eyck und Herman Hertzberger einen eigenen Weg ein, der
trotzdem den progressiven Ideen der Strukturalisten verbunden bleibt. Aus dieser
geistigen Unabhängigkeit entwickelt sich ein beinahe freidenkerischer Umgang mit
Bauen und Wohnen, der sich in unkonventioneller Weise den gestellten Bauaufga-
ben annimmt. MVRDV werden 1997 einer breiten Öffentlichkeit schlagartig be-
kannt. Das liegt an zwei aufsehenerregenden in jenem Jahr fertiggestellten Projek-
ten. Das Rundfunk-Gebäude VPRO in Hilversum sowie das WoZoCo in Amster-
dam.51 Schnell wird letzteres zu einer vielbesprochenen Ikone des Wohnungsbaus.
Hauptsächlich ist dies seiner spektakulären Außenfassaden geschuldet. Die straßen-
seitige Fassade mit den angehängten Zusatzwohnungen ist eines der meistfotogra-
fierten Motive der Phase des sogenannten Super-Dutch. Insgesamt sollten in der
Planungsphase 90 Wohnungen für Senioren nachgewiesen werden. Nachdem sich
der Investor aber entscheidet, 10 Wohnungen zusätzlich zu verlangen, um damit die
verlockenden 100 zu erreichen, wird es für das Projekt insofern schwierig, als dass
der Bebauungsplan der vor den Toren Amsterdams gelegenen Gartenstadt, von
Cornelis van Eesteren stammend, kein Geschoss mehr zulässt. Das Problem wird
zur Initialzündung des Konzepts, zusätzliche Flächen (Wohn- wie Austrittsflächen)
an die Kubatur anzuhängen. MVRDV gelingt es, die 10 zusätzlichen Wohnungen an
der Vorderfassade anzubringen (Abb. 34) und damit die an sie gestellte Forderung
zu erfüllen. Das Thema des Hängens setzt sich mit erstaunlicher Konsequenz an
der rückwärtigen Fassade fort (Abb. 35). Für den Zweck der Betrachtung von Bau-
gruppen am Beispiel Balkone/ Austritte ist deren dortige Ausformulierung der
eigentliche Grund für die Auswahl des Gebäudes: Es sind die flamboyanten Balko-
ne und Austrittsflächen, die jeder Wohnung zugestanden werden und die sich aus
dreifachen Variablen der Materialien Beton, Stahl, Glas und der Farbe generieren.
Die Balkon-Dichte ist ungewöhnlich hoch und verleiht durch ihre pixelige Struktur
der einfachen Riegel-Kubatur des Gebäudes einen komplexen, beinahe parasitären
Charakter, der die Hauptstruktur wie mit einer Substruktur befällt.
Die Kontrastwirkung, die durch die große Anzahl Balkone erzielt wird, ist es-
sentiell für die Konzeption des WoZoCo. Indem die Wiederkehr der Austritte jedoch
geschickt in Größe und Position variiert wird, entsteht der spielerische, ungezwun-
gene Ensemblecharakter. Jede Wohnung erhält als besonderes Plus einen individua-
lisierten Austritt innerhalb einer topographischen Fassadenlandschaft. Kontrast und
gleichzeitige Menschlichkeit der Maßstäbe ist genau der Punkt, an dem damals die
unmittelbar aus der CIAM hervorgegangene Organisation Team X ihre wichtigen
Mitglieder van Eyck und Hertzberger verliert. Sind die frühen Projekte eines Geor-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 65
ges Candilis etwa in Casablanca, Nid d‘Abeilles52, noch nahe an späteren gelungenen
Gebäudetopografien wie Moshe Safdies Habitat dran, grenzen sich die riesigen
Projekte des Team X aus den 60ern wie Frankfurter-Römerberg oder Berlin-Dahlem mit
abstrakten Geometrien und seltsamen Maßstäben selbst aus. Kenneth Frampton
schreibt über van Eycks Position, aus der der niederländische Ansatz bis zu
MVRDV stammt:
„Years of intense urban development had been enough to convince van Eyck that the architectural
profession (...) had so far proved incapable of developing either an aesthetic or strategy for dealing
with the urban reality of mass society. [He doubts] to meet the pluralistic demands of society with-
out the mediation of a vernacular.“ 53
Als Ergebnis des Zusammenspiels bzw. der Konfrontation zwischen den Architek-
ten und den forschen Zwängen des Investors hat sich das innovative Konzept des
WoZoCo herausgebildet. Dabei zieht sich das Thema des Anhängens mit Konse-
quenz durch das Gebäude. Auch auf Ebene der Materialausführung zeigt sich die
Idee der Komplettierung und der Veredelung mittels Anhängen: Ist der Riegel eher
in kostengünstiger Art und Weise ausgeführt, stehen ihm bei den Balkonen und
Austritten hochwertige Ausführungen gegenüber. Die Wiederkehr der Zusatz-
Wohnungen und besonders der Austritte nehmen mit ihrer pixelartigen Verteilung
die Möglichkeiten von Gestaltung mittels CAD-basierten Skripten vorweg. Mit
wenigen, dafür spektakulären Mitteln gelingt es den Architekten, eine hohe Band-
breite an Formen und Farben zu erzeugen, die die großflächige Fassade der stren-
gen Riegelstruktur aufbricht und mit Topografie überzieht. Dazu beschreibt Arnulf
Lüchinger die auch baulich relevante Definition von Struktur aus der Sicht der
strukturalistischen Philosophie von Claude Lévi-Strauss wie folgt:
„Struktur ist ein Ganzes von Beziehungen, worin die Elemente sich verändern können und zwar
so, dass diese vom Ganzen abhängig bleiben und ihren Sinn erhalten (...) Die Elemente sind
auswechselbar, nicht aber die Beziehungen.“ 54
Dies ist auch das poststrukturale Bildungsprinzip des WoZoCo, heute Skript ge-
nannt, computerbasiert programmierbar und vielfach in Gebrauch übergegangen.
Die Konstruktion der hängenden Zusatz-Wohnungen wird auf einen verblüf-
fenden Effekt hin verschleiert. Zu Zeiten der Herrschaft der High-Tech Architek-
tur, die stets zeigt, was sie kann, indem alle Konstruktionen offengelegt werden und
der Kraftfluss mithilfe formschöner Stahlverbindungen visualisiert wird, verweigern
MVRDV dem Betrachter die genaue Auflösung. Das abgehängte Stahlfachwerk
geht innerhalb der Wohnungswände auf, sodass beim Betrachter der Eindruck
entsteht, die Konstruktion sei vollkommen wider die Statik realisiert. Dies entsprä-
che dem Konzept des WoZoCo: 90 Wohnungen wären problemlos zu realisieren
möglich, 100 Wohnungen hingegen eigentlich unmöglich.
zept vorgelegt, sondern vielmehr kann eine Haltung vorgetragen werden, die zudem
eine ganze Stil-Epoche prägen wird. Gegen alle Hindernisse wird eine Entwurfsidee
anvisiert, die die Probleme der Bauaufgabe nicht nur anspricht, sondern darüber
hinaus zum eigenen Thema macht. Daraus resultiert eine innovative Gebäudeform,
die gegen bisherige Sehgewohnheiten verstößt und doch auf eine umsichtige Art
und Weise allen Kategorien der architektonischen Kompetenz Rechnung trägt. Der
Schlüssel liegt im wiederkehrenden Auftreten einiger weniger, aber sehr guter, Ideen
und dem absichtsvollen Durchbrechen von respektvoll angewendeten Dogmen.
Baugruppe
Zusammenfassung/ weitere Projekte
Wiederkehr bei der Verwendung von Baugruppen ist in der Architektur ebenso allge-
genwärtig wie die zuvor diskutierte Wiederkehr des Materials. Ist ein gruppierter
Architektur-Komposit aus Einzelkomponenten etabliert, seien es Fenster, Treppen,
Balkone oder andere Baugruppen, fußen die meisten Architekturen auf der mehrfa-
chen Verwendung dieses Komposits und werden von ihm wie durch einen Taktge-
ber rhythmisiert und strukturiert. Das Entwurfswerkzeug Wiederkehr bestimmt die
Anzahl und Verteilung der Baugruppe schon während der Konzeptionierung des
Entwurfes. Nicht selten ist die Baugruppe ein skulpturales Element, das sich von
der Hintergrundfläche der Architekturstrecke abhebt, wie Steven Holls Hängetrep-
pen beim Vanke Center.
Die Ausformulierung der Baugruppe folgt einem festgelegten Thema, das sich
wiederum aus der Bauaufgabe konstituiert. So kann bei den meisten gelungen Pro-
jekten bereits innerhalb der Baugruppe das Konzept des Gesamtentwurfs herausge-
lesen werden. Damit wird die Idee der Bildung einer baulichen Identität gestützt.
Der Maßstab ist klein, was nicht selten weitgreifende Variationsmöglichkeiten in der
Wiederkehr erlaubt, ohne dass die Baugruppe an Wiedererkennungswert verlieren
würde. Le Corbusier und MVRDV zeigen den entwerferisch virtuosen Umgang mit
der Varianz innerhalb der Gruppe. An keiner Stelle rückt die individuelle Ausprä-
gung in den Vordergrund. Die Baugruppen Balkone/ Austritte (MVRDV) und
Fenster (Le Corbusier) bilden eine kontinuierliche Einheit und geben ihrem jeweili-
gen Part trotzdem strukturelle Tiefe durch die ausgespielten Variationen. Stets sind
ihre Beziehungen zum Ganzen eindeutig geklärt; wie auch bei Pierre Chareaus
Maison de Verre, mit ihren kompakten Fensterkomposita.
Die Baugruppe als verkleinerter Zeichenträger des Gesamtkonzeptes im Sub-
Maßstab stellt gestalterische Ansprüche, die mit vielerlei Mitteln erfüllt werden
können. Die reine Reihung ohne Variation funktioniert bei sorgfältiger Ausgewich-
tung durch maßstabsgleiche Gegenreihen wie bei Gropius fassadenreichem Bauhaus-
Gebäude. Raffiniert ist die wiederkehrende Portikus-Einheit bei Palladios Villa Rotonda.
Durch die vollkommen identische, nichtsdestoweniger hochdifferenzierte, seiten-
gleiche Fassade entsteht eine Omnipräsenz des Gebäudes in alle Himmelsrichtun-
gen, als ob der Betrachter stets an seinen Ausgangspunkt zurückkehren würde.
Interessant die rationalen Verbindungsgänge für die Bergleute bei der Zeche Zollver-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 67
ein, ihre Gestalt von der Wanderung der Zechengebäude in der Landschaft, diese
jeweils durch die unterirdischen Flözlagen bestimmt.
Die konstruktiven Zielsetzungen wiederum beeinflussen nicht nur die Gestalt
der Baugruppe sondern auch deren Einsatzdichte, das Achsraster und die Positio-
nierung. Die Baugruppe ist nicht selten direkte Visualisierung des statischen und
bauphysikalischen Skeletts, die die Materialien in einen größeren Zusammenhang
und ihre bautechnischen Aufgaben miteinander verknüpft. So kann energetisch-
konstruktive Kompetenz durch die spezielle Ausformulierung einer Baugruppe
erreicht werden. Berühmt in dieser Hinsicht Louis Kahn bei dem Richards Medical
Research Building mit seinen zu Service-Türmen zusammengefasster Versorgungs-
technik. Reyner Banham schreibt dazu:
„Effectively what Kahn has done, is to provide the laboratories with monumental cupboards in
which all the services that he hates can be forgotten because they‘re outside of the building.“ 55
Auch Kunst wird entworfen. Und auch sie folgt Regeln der Wiederkehr. Das Ruck-
sackhaus von Stefan Eberstadt hat aus mehreren Gründen eine Ausnahmestellung
inne.56 Zunächst ist Eberstadt kein Architekt sondern freischaffender Künstler. Das
Rucksackhaus ist demzufolge mehr als Skulptur zu verstehen, denn der Architektur
zugehörig. Allerdings befindet es sich genau im Spannungsfeld dieser zwei Diszipli-
nen, indem es Aspekte beider Bereiche mit einbezieht. Dass es weitaus mehr kann,
als ein begehbares Ausstellungsstück zu sein, liegt bei seiner funktionalen Ge-
bräuchlichkeit auf der Hand und ist beabsichtigter Zweck des Prototypen. Gerade
weil er sich als Skulptur tarnt, ist dieses Objekt im baulich-räumlichen Kontext
überhaupt nur möglich. Denn das parasitenhafte Erweitern einer Wohnung über ein
hängendes Fassadenelement (Abb. 43) benötigt im hiesigen Umfeld umfangreiche
rechtliche Genehmigungen. In zurzeit beinahe sämtlichen Fällen scheinen diese
aber im Stadtbild kaum erteilbar. Das Rucksackhaus wird damit zu einer architektoni-
68 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
„Der Parasit ist Expansion, er läuft, er wächst. Er dringt ein und besetzt. In dieser (...) Kultur-
welt ist er ein Gast, der die Gastfreundschaft missbraucht, ein unvermeidliches Tier und die Stö-
rung einer Nachricht,“60 „[zwar] mit der Wachsamkeit einer Ratte [und] auf den ersten Blick
führt er eine Unterbrechung herbei, doch auf den zweiten bringt er eine Konsolidierung.“61
Raum. Raumreihen
aat+ Makoto Yokomizu. Tomihiro Art Museum. Azuma 2005. Japan
In der japanischen Architektur hat die Verwendung von Wiederkehr eine bis weit in
die Vergangenheit zurückreichende Tradition. Selbst über den Bruch der Moderne
hinweg haben das Wiederholende und das Zurückhaltende als Qualitäten gleicher-
maßen unverminderten Einfluss auf das aktuelle Schaffen japanischer Architekten.
Werner Blaser schreibt:
„Das Ausgehen vom Innenräumlichen, von einer kleinsten, aber wesentlichen Einheit, der Boden-
matte tatami – die Erhöhung des Baues über den Boden – die klare Unterscheidung von Haut
und Gerippe – der offene Grundriss ohne feste Wände – die Einbeziehung der Umgebung, sodass
der Garten ein Teil des Hauses wird, und aus allen diesen Voraussetzungen heraus die klare
formale Gliederung des Baues in grossartiger ästhetischer Ausgewogenheit. Den vielleicht stärksten
Eindruck machte auf mich (...) die völlige Übereinstimmung des Raumes mit der Lebensführung
des Japaners. (...) Die tatami ist der vollkommendste Modulor der architektonischen Ausdrucks-
weise in Japan und ist über das Ästhetische hinaus geistiger Art, denn sie repräsentiert den
kleinstmöglichen kultivierten Lebensraum überhaupt.“ 62
Makoto Yokomizu schuf mit dem 2005 eröffneten Tomihiro Art Museum eine neuere
Inkunabel des japanischen Bauens.63 Alle von Blaser angesprochenen Aspekte sind
bei diesem Gebäude zu finden, auch wenn sich das Museum auf keine der formalen
Bauformen bezieht, die der Autor beschreibt: Tempel, Schreine und Wohnbauten
aus Holz, Bambus und Papier. Es ist das geistige Entwurfsprinzip der japanischen
Tradition, das hier vom Architekten adaptiert worden und einer ungewöhnlichen
Morphologie zugeführt worden ist. Das Museum, dem querschnittsgelähmten Maler
und Dichter Tomihiro Hoshino gewidmet, generiert sich vollständig aus der ebenso
simplen wie verblüffenden Idee, 33 Zylinder unterschiedlicher Radien in ein grenz-
definierendes Quadrat einzustellen. Jedes Zylindervolumen stellt einen Galerieraum
dar (Abb. 45). Die Berührungspunkte auf der Umfanglinie der Zylinder fungieren
als Übergangszone zwischen den Volumina. Alle ungeschnittenen Zwickelräume
werden konsequenterweise als Außenfläche mit dem Charakter eines begrünten
Innenhofes ausgestaltet (Abb. 47). Das gegenseitige Bedingen von Innen und Au-
ßen ist hier in einem unauflösbaren Spiel miteinander verschränkt. Raumbelegun-
gen, die nicht direkt als Ausstellungsfläche dienen, wie Café/ Entrée, Garderobe,
WC, Verwaltung und integrierte stadtöffentliche Mehrzweckräume werden mit
gleicher Konsequenz in die zylindrischen Räume implantiert. Die Zylinder selbst
sind aus vorgefertigten Stahlblechelementen gefertigt, die ausführende Firma ist
eigentlich auf Silobau spezialisiert.
Auf formaler Ebene unterstützt das Museum mit beeindruckender Konsequenz
die These der Kompetenzerzwingung des Entwurfes durch Wiederkehr bei gleichzei-
tiger Verwendung von Mehrdeutigkeit. Zunächst verstößt der Entwurf an keiner
Stelle gegen sein generisches Regelsystem. Die Geometrien der Zylinder kehren in
Kleingruppen wieder oder werden zu unikaten Elementen infolge des Radius. Weite-
re Unikate entstehen auf zwanglose Weise durch die Brechung der Randzylinder an
der imaginären Grenze des Umfassungsquadrates. Durch beide Morphologien
kommt es zu einem abwechslungsreichen Spiel der Geometrien, ohne dass eine
erdrückende Wiederkehr von einseitig verwendeten Elementen entstehen würde. An
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 71
dieser Stelle kann ebenso die Fähigkeit der Natur, sich selbst zu strukturieren, als
Prinzip der Zylinder-Organisation herangezogen werden. Buckminster Fuller
schreibt:
„Auch die Radiolarien gebrauchen in ihrem Aufbau die geodätische Strukturierung und die Ener-
getische/ Synergetische Geometrie (...), [wie] das selbststrukturierende Verhalten der Viren auf
jener Schwelle zwischen belebten und unbelebten Phänomenen.“ 64
Fumihiko Maki schreibt zum Thema der Grundform (des Zylinders als Raum):
„Formen haben in den Gruppenformen ihre eigene, entweder sichtbare oder latente Verknüpfung,
sodass sie in einem System wachsen können (...), [sie] sind prototypische Elemente, (...) weil sie
System und Verknüpfung in sich tragen.“ 65
Raum. Raumreihen
Zusammenfassung/ weitere Projekte
Von dem Maßstab der Baugruppe erfolgt der Sprung zum nächstgrößeren Maßstab,
dem des Raumes. Dabei erhöht sich der Kompetenz-Aspekt der Einheit um ein
Vielfaches, denn der Raum ist in der ansteigenden Reihe der hier untersuchten
Wiederkehr das erste Element, dem die komprimierte Essenz von Architektur als ein
umschließendes Ganzes innewohnt. Gaston Bachelard schreibt:
„dass der Raum alles ist, denn die Zeit lebt nicht im Gedächtnis (...) nur mithilfe des Raumes, nur
innerhalb des Raumes finden wir die schönen Fossilien der Dauer.“ 66
Bei den diskutierten Beispielen wurde sowohl die Wiederkehr von Räumen innerhalb
eines Gebäudes betrachtet als auch das wiederkehrende, unabhängige Ein-Raum-
Gebäude innerhalb einer Serie.
Dem Raum als kleinste Funktionseinheit kommt analog zum biologischen Prin-
zip der Zelle die Aufgabe der Belebung/ Kolonisierung eines Ortes zu. Wie ein
rhizomatisches67 Netzwerk von Aufenthaltsmöglichkeiten oder Nachrichten/ In-
formationen überzieht die Raumgruppe den Ort und formt dabei die Sprache und
Thematik des Baus. Sie kann eine hüllenlose Ansammlung von Einzel-Räumen sein
(Rucksackhaus, Micro-Compact-Homes (Abb. 53.) etc.), die sich parasitär in einer Land-
schaft einnisten und Siedlungen oder Sub-Siedlungen ausbilden oder innerhalb einer
festen Hülle ihre Raumstruktur etablieren (Tomihiro Art Museum, Nakagin Capsule
Tower, Nevigeser Dom (Abb. 49-51)). Louis Kahn, als ein Vertreter der Letzteren, ver-
wendet die Motivik der Wiederkehr besonders klar und reduziert beim Kimbell Art
Museum (Abb. 54). Beide Raum-Wiederkehr-Systeme können feste, ortsfixe Positio-
nen erhalten oder aber als mobile Räume nomadisch von Ort zu Ort ziehen. Die
Raumeinheiten innerhalb einer Gruppe sind entweder identisch oder ähnlich. Selten
kommt es tatsächlich zu Variationen.
Strukturen werden auch aus ökonomischen Gründen oft aus identischen Raum-
typen gebildet. Die Lebendigkeit in der Gestaltung von Raumwiederkehr erfolgt daher
überwiegend durch ihre Anordnung. Nicht selten ist dafür die Beschaffenheit des
Terrains verantwortlich, das seine topografischen Eigenschaften auf die Raumgrup-
pe überträgt und sie damit städtebaulich beeinflusst. Liegen weder Variationen noch
topografisches Spiel in der Anordnung vor, wird die Raumwiederkehr zu banaler, oft
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 73
Insgesamt ist der Raum als kleinste selbständige Architektureinheit die wichtigste
und für den Entwurf eine der zentralen Kategorien der Anwendung von Entwurfs-
werkzeugen. Otto Friedrich Bollnow schreibt, „dass der Raum eine Kategorie der mensch-
lichen Existenz ist.“ 69 Damit ist klar, dass sich das Gelingen von architektonischer
Kompetenz an der Frage des Raumes entscheidet. Ein kompetenter Raum ist kom-
petente Architektur bis zum nächsthöheren Maßstab, der die Wiederkehr der Räume
kompositorisch verwaltet, wo dann wiederum eine erneute Fehlerquelle lauert.
Mit konsequenter Wiederkehr kann auch eine graue Maus bunt werden: Wenn es
einem Einzelentwurf an Charisma fehlt, so kann ein ungewöhnlicher Ort sowie
gruppiertes Auftreten des Entwurfes diesen Mangel ins Gegenteil verkehren. Bruno
Taut schreibt 1919 über die Stadtkrone und vom Chaos im Stadtbild:
„Eine Unklarheit, ein Durcheinander in den Begriffen der Stadtplanung musste entstehen, da ein
Zusammenfassen des Alten und Neuen nicht mehr möglich war (...) Und käme nun ein Gott und
stellte plötzlich das herrlichste Viertel hin, so würde sich nach und nach auch das Leben in solchen
neuen Häusern nach ihnen richten. Aber es gehörte wirklich ein Gott dazu. [Er zeigt], dass die
Spitze, das Höchste, die kristallisierte religiöse Anschauung, Endziel und Ausgangspunkt zu-
gleich für alle Architektur ist und ihr Licht auf alle die einzelnen Bauten bis zur einfachsten
Hütte hin ausstrahlt und die Lösung der simpelsten praktischen Bedürfnisse mit einem Schimmer
ihres Glanzes verschönt.“ 70
74 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Das Lighthouse ist ein parasitär konzipiertes Hausobjekt ähnlich dem Rucksackhaus
von Stefan Eberstadt. Drei oder mehr Raummodule geben eine gestapelte Raum-
folge vor, von einer erschließende Treppe verbunden. Das tiefste Raummodul ist in
der Fläche halbiert und mit Stützen versehen, sodass ein überdachter Außenraum
entsteht. Das Lighthouse kann direkt auf einem unbebauten Grundstück errichtet
werden, oder gemäß der parasitären Ausrichtung des Projektes auf dem Dach eines
Bestandsgebäudes. Im Gegensatz zum Rucksackhaus bildet es jedoch keinen nut-
zungsoffenen Raum aus, sondern positioniert sich als konventioneller Wohnungs-
bau. Das Ziel des Lighthouse ist es, eine kompakte Wohneinheit durchzubilden, die
autark vom Wirt ist. Seine zurückhaltende Holzfassade und Fenstertypen lassen das
Objekt allerdings eher in den Hintergrund treten als nach Guerilla erscheinen (Abb.
55). Eine städtische Intervention dieser Ausführung bemüht sich stattdessen, Lü-
cken mit einer unauffälligen Füllfläche zu schließen, die sich neutral an beinahe
jeden Fassadentypus angliedern kann. Als effiziente Fertighäuser sind die Lighthouses
allerdings wenig erfolgreich: Außerhalb des fünffachen Pilot-Einsatzes auf einem
Wohnquartiersblock in Groningen scheinen sich die kompakten Wohnungen auf
dem Markt bisher nicht durchzusetzen, bzw. das Projektziel war ein anderes.
Die Diskussion des Lighthouse erfolgt hier aus zwei Gründen der Anwendung
von Wiederkehr: Zum einen verwendet jedes einzelne Lighthouse sein Container-
artiges Grundmodul mehrfach: dreifach in Stapelung und mit einer Variation im
untersten, dem Zugangsmodul. Das heißt, der Entwurf benutzt die wiederkehrende
Raumsequenz als Entwurfsthema im Gebäude. Zum anderen generiert sich eine
zweite Wiederkehr durch die Gesamtwirkung der Baukörper in der gruppierten Addi-
tion der praktisch baugleichen fünf Einzelwohnungen. Es handelt sich hier mithin
um eine wiederkehrende Gebäudesequenz, in einem dem Aufbau dieser Arbeit vor-
greifenden Maßstabswechsel sozusagen. Damit befindet sich das Projekt in einem
anderen Terrain als das utopische Rucksackhaus, auch wenn es ihm wiederum wie
angedeutet noch an einem erweiterten Einsatz außerhalb des Pilot-Gebietes fehlt.
Das Außergewöhnliche des Entwurfs steckt tatsächlich in den skulpturalen Mög-
lichkeiten einer großflächigen Besetzung von städtischer Wirtslandschaft. Gesetzt
den Fall einer urbanen Gebäudegruppe unterschiedlicher Firsthöhen, könnte die
wiederkehrende Inbesitznahme durch Lighthouses tatsächlich eine zeitgemäße Krone
hinzufügen, die das Straßenbild im Sinne Tauts nachdrücklich verändern, schließen
und auffrischen könnte (Abb. 56). Eine Intervention dieser Art wäre vergleichbar
mit großmaßstäblichen Eingriffen in bestehenden Straßenzügen wie der Ergänzung
von Arkaden und Kolonnaden mit dazugehörigen Nutzgeschossen in den Zeitaltern
des Barock und Klassizismus (Beispiel Stadt Bologna) oder der Errichtung von meh-
reren Stadtschichten übereinander, die beide simultan in Benutzung sind (Beispiel
Stadt Perugia).
Das Konzept, auf Basis einer wiederkehrenden Raumfolge autarke Wohneinheiten
zu schaffen, ist zwar nicht neu, jedoch scheinen die städtebaulichen Möglichkeiten
einer solchen Operation kaum ausgeschöpft. Der Gedanke des aufgeständerten
Eingangsmodul als Differenzierung zwischen bloßen Einheitscontainern schafft
zudem einen charmanten außenräumlichen Einbezug des Wirtsdaches, der im güns-
tigsten Fall einen kommunikativen Dialog zwischen den Wohneinheiten kreieren
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 75
kann. Die zurückhaltende Materialität des Lighthouse taugt in der gewählten Ausfüh-
rung allerdings kaum für einen attraktiven Einsatz als singuläre Aufstockung: Zu
dutzendfach werden Holzfassaden mit anspruchsloser Fensterteilung verbaut. Mit
ihrer Wiederkehr jedoch wüchse auch diese Fassade über sich hinaus. Die Idee der
durchgehenden Krone aus addierten Lighthouse-Körpern nämlich würde einen star-
ken Gegenpart von skulpturaler Qualität zu Kopf chaotischer Straßenzüge schaffen,
der sie wiederum reziprok ertüchtigen könnte, indem ihre Vielheit plötzlich anders
betont würde. Mit dem Lighthouse-Konzept stehen interessante Möglichkeiten zur
Verfügung, Ortsschichtungen vorzunehmen. Zur Notwendigkeit des Entwerfen im
Örtlichen schreibt Christian Norberg-Schulz:
„Architecture means to visualize the genius loci, and the task of the architect is to create meaning-
ful places, whereby he helps man to dwell (...) There are not different kinds of architecture, but only
different situations which require different solutions in order to satisfy man‘s physical and psychic
needs (...) Architecture belongs to poetry, and its purpose is to help man to dwell (...) To make
practical towns and buildings is not enough (...) In general, this means to concretize the genius loci
(...) The basic act of architecture is therefore to understand the vocations of the place (...) A man
made place, however, is something more than a space with a varying degree of openness (...) The
making of places we call architecture. Through building man gives meanings concrete presence, and
he gathers buildings to visualize and symbolize his form of life as a totality (...) In the town foreign
meanings meet the local genius, and create a more complex system of meanings (...) In general we
may say that the meanings which are gathered by a place constitute its genius loci.“ 71
Trotz kleinerer Einschränkungen besitzt das Lighthouse dank des vorzüglichen Kon-
zepts eine hohe Attraktivität. Die große Stärke der wiederkehrenden, autarken Raum-
sequenz liegt in der ihr zugrunde liegenden Idee des urbanen Parasitismus. Eine
Adaption dessen in anderen Konstruktionen/ Ausführungen sollte kein Hindernis
darstellen, das Konzept noch zu erweitern und in mutige Ideen aufgehen zu lassen.
Raumkomplex. Raumsequenz-Reihen
BIG. Mountain Dwelling. Kopenhagen 2008. Dänemark
kein leeres Mittel zum Zweck. Die Wiederkehr der Terrassenhäuser ist einfach zu
lesen, aber komplex genug, um das System sinnlich attraktiv zu halten.
Wiederkehr erzeugt Topografie. Bjarke Ingels bekam den Auftrag auf einen zusam-
menhängenden Grundstück in Örestad, einem abgelegenen Viertel im Süden Ko-
penhagens, mehrere dichte Wohngebäude zu errichten.72 Das Grundstück, an einer
breiten Ausfallstraße mit hohem Verkehrsaufkommen gelegen, ist von dieser durch
einen Miniatur-Kanal getrennt und mit insgesamt wenig Attraktivität infolge Lärm
von Straße und Bahntrasse ausgestattet. Die Ansprüche an die Wohngebäude waren
daher klar: Attraktivität durch bauliche Maßnahmen zu generieren. Das erste
Grundstück wurde bereits 2005 durch das VM Housing von BIG bebaut. Dieser
dicht gestaffelte Wohnwall in Hufeisenform öffnet sich zur grünen Landseite und
stellt der Hochstraße seine massiv ausgebildete Scheitelachse entgegen, die den
Innenhof optisch und akustisch abschirmt. Dieses funktionierende Konzept kein
zweites Mal zu bemühen, ist eine der klugen Herangehensweisen von BIG bei ihrer
Lösung. Die zunächst seltsam anmutende Idee des Mountain verbindet auf intelli-
gente Weise den Bedarf nach wohnungsnahen Stellflächen für PKWs mit der Schaf-
fung einer künstlichen Topografie, die so extrem ist, dass die eigentliche Bauaufgabe
des Wohngebäudes statt des Bauens auf freien Felde zu einem Bauen am Hang
verwandelt wird (Abb. 57). Der künstliche Berg ist nicht nur Parkhaus, sondern
beinhaltet darüber hinaus Kommunikationszonen für die Bewohner, halböffentliche
Aktivitätsbereiche wie Spielplätze und eine Kletterwand. Als Zwischenebene über
dem Parkhaus befinden sich die in knalligen Farben gehaltenen Erschließungskorri-
dore für die L-förmigen Wohneinheiten. Diese terrassieren sich, ineinander ge-
schachtelt, als eine künstliche Hanglage bis zum Gipfel des Berges hinauf. Dabei
umschließen sie, jeweils auf dem flachen Dach der tiefer gelegenen Wohnung, einen
hofartigen Garten. Die Terrassenfassaden der Wohneinheiten sind im Gegensatz zu
den ironisch mit Bergmotiven (Abb. 58) versehenen murals der Parhaus-/ Erschlie-
ßungszone und deren bunten Innenwänden mit einer einfachen Holzfassade ausge-
stattet, wie um die Illusion einer natürlichen Bergatmosphäre künstlerisch zu evo-
zieren. Um dem Bild-Konzept letzte Konsequenz zu erweisen, sind die Fahrstühle
zu den Wohnungen hinauf als schräg den Berg hochfahrende Gondeln ausgebildet
(Abb. 59).
Der Mountain bemüht mehrere bekannte Klassifizierungen und schlägt sie alle
mit einem neuartigen Credo, dass der 2009 erschienen Monographie von Bjarke
Ingels entnommen scheint „Yes is more.“ 73 Diese, gefühlt einhundertste, Variation
des zum Fanal des 20. Jahrhunderts gewordenen Ausspruchs von Mies van der
Rohes „less is more“, bringt das positive „man-muss-es-einfach-machen“ des Büros treffsi-
cher auf den Punkt. Unabgeschreckt von den immensen Proportionen und der
mitunter grob anmutenden Gestaltung des Mountain Dwelling kreiert der Koolhaas-
Schüler Ingels eine unvoreingenommene Haltung zur Architektur, die erfindungs-
reich und beinahe spielend neue, innovative Elemente in bereits Gesehenes einbaut
und darüber hinaus sowohl politische Statements setzt, als auch, durchaus poppig
anmutend, formale Wagnisse nicht scheut, sondern geradezu zu forcieren scheint.
Der künstliche Berg als Mehrdeutiges Element par excellence zeigt die ironische Annä-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 77
herung der Architekten an die künstliche Landschaft, die nicht um ihrer bloßen
Existenz willen errichtet wird, sondern weil sie funktional vollkommen unerlässlich
ist. Das mit diesem Element erstellte Bauniveau, von der Beschaffenheit des
Grundstücks mit seinen Nachteilen vollkommen unabhängig, wird im zweiten
Schritt mit einem bemerkenswerten Update der Wiederkehr von Raumkomplexen
besiedelt, die in gereihter L-Form den Expo ‘67 Wohnungsbergen von Habitat in
Montréal folgen. Im Gegensatz zu dessen kompliziert in einander verwobenen
Raumelementen, die mit Leeräumen und Durchblicken arbeiten, ist das Mountain
Dwelling jedoch einfach und durchschaubar arrangiert. Neben der bemerkenswerten
Erschließung durch den Parkhaus-Berg, sind es die Freiterrassen der Wohnungen,
die das Projekt auszeichnen. Wo Habitat mit der grandiosen Grundstückslage am St.
Lorenz-Strom wenig kompensieren musste, aber zudem die Erschließung eher
unbeholfen als nicht inszenierte Tubes um die Wohnungen legt, schafft BIG das
Kunststück, auf einem kaum attraktiven Grundstück mit einigen Kunstgriffen und
sturer Wiederkehr arbeitend, ein unerwartetes Wohnklima zu erschaffen.
BIGs Konzept ist die größte Leistung des Projektes. Die geniale Idee, Funktio-
nen zu einer neuen Form zu verschmelzen, um auf diesem neuen Träger eine für
das Grundstück per se vollkommen unpassende Bebauungstypologie zu entwickeln,
die sowohl funktioniert, als auch über die Probleme des Grundstückes erfolgreich
hinweg agiert, ist ein vorzügliches Beispiel für den erfrischenden Umgang mit Ideen
im Wohnungsbau, der aus der Zeit des Super-Dutch herübergerettet zu sein scheint.
Zudem nähert sich das Konzept mit seiner Künstlichkeit dem kritisch-ironischen
Tonfall der Pop-Art/ Konzeptkunst, die ihre Inhalte ästhetisch beschwört und sie
zugleich aber so distanziert vorträgt, dass eine Fetischisierung unterbunden wird.74
Die zum Teil überzogen wirkende Popularisierung des Themas, indem plakativ ein
großes Bild des Mount Everest auf die Parkhauswand gerastert wird, passt zur just
do it-Attitüde der Architekten. Selbst wenn möglicherweise ein ausgefeilteres Arbei-
ten in den Details und im Arrangement der Farben des Parkhauses möglich gewe-
sen wäre, konzentriert sich Ingels darauf, die konzeptuelle Idee als solche in den
Vordergrund zu stellen und sie nicht mit einer materialverliebten Preziosenarbeit tot
zu planen. So wird eine kritische Distanz aufgebaut, die dem Geiste der Bauaufgabe
entspricht. Die privaten Seiten der Wohnungen sind mit der Teakholz-Bekleidung
sehr gut bedient, das Illusorische der einsamen Berghütte, durch die hofartige Ab-
trennung der Wohneinheiten von einander wird beschworen (Abb. 60). Das kon-
struktive Basteln der Architektur sieht man dem Projekt nicht an, denn das anything
goes des Konzeptes überträgt sich in die Konstruktion, die auf alle Anforderungen
mit einer passenden Antwort reagiert. Die privaten Höhengärten der Bewohner
beispielsweise werden mit einem internen Bewässerungsystem unauffällig unter-
stützt. Insgesamt hält sich die Konstruktion zurück und vermeidet, in das Fahrwas-
ser von HighTech-Architektur zu rücken.
Neben den Wohnbauten des ersten Bauabschnitt gelingt BIG ein großer Wurf mit
dem Mountain Dwelling. Die Wiederkehr der Raumkomplexe, die sich die zum Berg-
hang ausformulierte Tiefgarage hinauf treppen, ist schon jetzt ein einflussreiches
Bild der neueren europäischen Architektur geworden und inspiriert geistig verwand-
78 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
te Bauten. Die Wiederkehr und die Topografie der Stapelung sind hierbei die Basis
zur Legitimierung einer an sich unpassenden Idee.
Raumkomplex. Raumsequenz-Reihen
Zusammenfassung/ weitere Projekte
bemühte jedoch einen ähnlichen maßstäblichen Ansatz (Abb. 64). Als konsequent,
klarer lesbar und beinahe parodistisch in derselben Idee mutet George Tchachavas
Ministerium in Tiflis an (Abb. 63).
Mit dem Entwerfen und Denken in größeren Raumzusammenhänge bessert sich
das energetisch-bauphysikalische Verhältnis von Oberfläche und nutzbarem Raum
deutlich. Dementsprechend hat ein Arrangement von Raumkomplexen innerhalb
einer durchgehenden Gebäudehülle Vorteile gegenüber der freistehenden (Schollen)
Gruppe, welche somit auch aus bautechnischer Seite gesehen nachteilig ist.
Insgesamt erfährt der Entwurf Entschiedenheit und Zielstrebigkeit durch die Ver-
wendung von wiederkehrenden Raumkomplexen. Sonst könnte er womöglich in ein
schwierig zu organisierendes, spontanes Cluster zerfallen, das keinerlei Organisation
oder Hierarchie aufweist. Wenn hierbei einige Aspekte zum Aufbau sinnlicher
Komplexität in Betracht gezogen werden und dazu die Einschränkungen des schol-
lenkonformen Baurechts umgangen werden können, ermöglicht die Wiederkehr eine
wirkungsmächtige Grammatik von mehrräumigen Entwurfsideen.
„Dieses Gebäude bringt auf den Punkt, was der Begriff modern für Brasilien bedeutet (...) Je
höher man steigt, desto mehr entzieht man sich der Stadt (...) Diese Dualität, sich von der Stadt
zurückziehen zu können, selbst wenn man sich inmitten ihres kollektiven Kräftezentrums befindet,
macht die Poesie des Copán aus.“ 77
Als eines der kühnsten Projekte der Architekturgeschichte verteidigt das Copán seit
seiner Eröffnung im Jahr 1966 erfolgreich seinen Status als weltweit größtes Wohn-
gebäude. Seine Wohnfläche beträgt 116 000 Quadratmeter bei 5 000 Einwohnern,
verteilt auf 1 160 Wohneinheiten. Die Stadt in der Stadt verfügt über eine eigene
Postleitzahl und eine Verwaltung mit über 100 Angestellten. Im Erdgeschoss fließt
Urbanität als öffentlicher Raum in das Gebäude hinein mittels Einkaufszentren,
Märkten und Läden, um dann in die sogenannte Dienstleistungszone der unteren
Geschosse zu münden. In dieser sind unter anderem Büros, Gastronomie, Video-
thek, Frisöre, Auditorien und eine Kirche untergebracht.78 Ähnlich dem New Yor-
ker Rockefeller Center ist hier eine Inkarnation der von Rem Koolhaas beschworenen
Bigness entworfen worden.79 Als realisierte Vision modernistischer Utopien (Abb.
67) genießt es eine Art Kultstatus unter den in Brasilien so zahlreichen Bauten der
80 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
zweiten Moderne zwischen den 50ern und 60ern. Oscar Niemeyer war selbst nur
bis 1953 an dem Projekt beteiligt. Dennoch verdankt das Copán seine markante,
grafische Erscheinung weitgehend seinen Ideen. Die 32 Stockwerke des insgesamt
140 Meter hohen Gebäudes sind in der Fassade identisch wiederkehrend und dabei
durch Verschattungselemente vor den Fenstern gegliedert, als horizontale Bänder
ausgebildet. Der Grundriss erstreckt sich als sinus-förmige Welle von knapp 500
Metern, die bis zur Dachterrasse in die Höhe extrudiert wird.
Das Copán begegnet der Monotonie seiner eigenen Wiederkehr mit mehreren
klugen Gestaltregeln. Zunächst ist die Kubatur des Gebäudes schwierig in eine
geometrische Schublade zu stecken. Je nach Perspektive erscheint das Copán als
Punkthaus, kaum von den umliegenden Hochhäusern zu unterscheiden. Dann aber
entwickelt es wiederum in Längsrichtung seine Riegelqualitäten. Erschwert durch
die Sinus-Form des Grundriss ergibt sich keine Möglichkeit, die abgewickelte Ge-
samtlänge des Riegels von 500 Metern mit dem Auge zu erfassen. Die Welle in der
Fassade zieht vielmehr die kapitale Massigkeit des Riegels zusammen und lässt
durch die horizontalen Gliederungen das Bild eines bewegten, wie beim Abrollen
eingefrorenen Baukörpers entstehen. Durch diese Nichtfassbarkeit des
Unmaßstäblichen im Copán gelingt das Kunststück, das Monströse des Raumpro-
gramms auf dynamische Art und Weise zu verschleiern. So zieht sich die angespro-
chene Dualität jenes Raumprogramms auch durch seine Gestalt. Die Strenge der
brise-soleil Fassade (Abb. 74) wird auf der Gegenfassade aufgefangen von einer weit-
gehend freien Aufrasterung der Glasflächen der Wohneinheiten. Diese Individuali-
sierung der Nord-Fassade ist zwar der Eigeninitiative der Bewohner geschuldet,
dennoch zeugt das Zulassen von Flexibilisierung in dieser Fassade von einem anti-
zipierenden Konzept. So wird der Rastermonotonie, anders als bei Steven Holl (vgl.
S. 81 ff.), nicht mit einem Zweitsystem entgegengewirkt, sondern mit der partizipa-
torischen Entfaltung eines gelebten Mosaiks aus Individualität (Abb. 68). Das Copán
stellt wie kaum ein Gebäude seiner Zeit und Hemisphäre eine Pioniertat dar.80 Heu-
te wäre ein Projekt dieser Dimension nur in einem exponentiell gesteigertem Bau-
kostenrahmen zu realisieren. Eine partizipative, nachträgliche Veränderung der
individuellen Fassade ist zudem in einen Bereich des Anarchischen gerückt, der
schwer planbar oder durchsetzbar ist.
Eine große Menge Wohnraum zu schaffen, ist ein stets schwieriges Unterfan-
gen. Das Gigantomane droht. Gerade dieses Problem wird durch das Copán und
sein Konzept der Verschleierung jedoch umgangen. Eleganz in der formalen Lö-
sung gepaart mit urbaner Vision höchster Dichte zeichnen das Gebäude aus. Es
umgeht die Fehler vieler gesichtsloser Riegel oder Punkthäuser, indem es eine Mehr-
deutigkeit in der Form einführt, die zudem in der Fassade dynamisiert wird. Es lebt
von Dualität und Präzision gleichermaßen. Über das dialektische Spannungsver-
hältnis zwischen Struktur und Gestalt, das für das Copán konstitutiv ist, schreibt
Max Bense:
„Information und Entropie definieren entgegengesetzte Prozesse bzw. Strukturen. Der physikali-
sche Weltprozess hat die entgegengesetzte Richtung des ästhetischen Weltprozess (...) Indessen
erweist sich jeder ästhetischer Vorgang als typisch schöpferischer Prozess, sofern er jeder Auflösung
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 81
und jedem Ausgleich gerade entgegenarbeitet, das Neue, das Unerwartete, das Ursprüngliche gibt
und in der gesamten intelligiblen Sphäre die Prinzipien der Individuation, Differentiation, Sortie-
rung und Originalität zur Geltung bringt (...) Die ästhetische Konzeption einer gotischen Kathed-
rale erfolgte unter dem Aspekt einer Gestalt. Die ästhetische Konzeption einer modernen Cité
radieuse erfolgt stärker unter dem Aspekt einer Struktur.“ 81
Das Copán verbindet beides. Die minimalistische Gestaltung des Gebäudes folgt
dem Stil der Entstehungszeit. Wo heute wieder mit ornamental motivierten Fassa-
den operiert wird, kommt es mit einer puristischen Architektur aus, die genau für
den Maßstab des Gebäudes proportioniert worden ist. Die grafische Betonung der
Horizontalen verstärkt die Wellenbewegung immens, unterstützt somit die Idee der
Verschleierung der Baumasse. Die freie Fensterteilung der Nordseite lässt den
schleichenden Modifikations-Prozess zu, sodass das schwere Gebäude sowohl
Leichtigkeit als auch Komplexität an sich heran lässt bzw. geradezu anzieht. Das
Copán gehört unschwer in die Phase modernistischer brasilianischer Architektur.
Deren damalige Anforderungen oder Ansprüche an die Bauphysik standen weniger
im Fokus als die an ihre Stelle gerückte expressive Kühnheit der Form. Das Copán
bringt den Stahlbeton an die Grenzen des Machbaren der damaligen Zeit und be-
nutzt mit den brise-soleils ein konsequent durchgehaltenes typisches Detail und Stil-
mittel seiner Zeit.
„Als geistigen Mut des Machens“ 82 beschreibt Bense unter dem Eindruck des ent-
stehenden Brasília die von ihm selbst betitelte sogenannte Brasilianische Intelligenz.
Weiterhin schreibt Bense:
„Cartesianische Intelligenz ist die Entscheidung für bewusste Klarheit, wenn zärtliche Dunkelheit
zur Verfügung steht. Aber ich verstehe [darunter] die Ausprägung der geistigen Klarheit in diesem
Land zu einer selbstbewussten Hoffnung und Produktivität (...) Die Stadt [Brasília] wirkt
natürlich zunächst vollkommen statisch, unverrückbar, unergänzbar, schließt als Ganzes jede
Mobilität aus. Doch in ihrem Innern angesehen, also unter dem Aspekt eines gewaltigen Zimmers
(...), ergibt sich zwangsläufig die Vorstellung eines veränderlichen mobilen Arrangements.“ 83
Ohne das Copán zu kennen, beschreibt Bense treffend dessen Natur. Für das Copán
gilt auch, was er über die spielerische Wiederkehr im Werk von Roberto Burle Marx
sagt, „dass er die cartesianische Vorstellung von der Natur (...) brasilianisch repetiert, also über-
raschend dynamische Momente hervorkehrt, wo man, wie gewohnt, die statischen erwartet hätte.“ 84
Gebäudeabschnitt. Architekturstrecken
Steven Holl. Simmons Hall. Cambridge 2002. USA
Synergie aus dem Zusammenprall von zwei Systempolen. Das Wohnheim für Stu-
denten auf dem M.I.T.-Campus in Cambridge, Massachusetts, reiht sich an diesem
Ort ein in eine beachtliche Sammlung bedeutender Architektur von Mies van der
Rohe über Aalto, Saarinen bis zu Gehry, um einige zu nennen. Der Anspruch an ein
neues Gebäude ist innerhalb dieses illustren Umfeldes hoch. Das Raumprogramm,
etwas mehr als 300 Betten, Gemeinschaftsräume, Auditorium sowie Essbereich,
sollte auf einem straßenseitigen Grundstück arrangiert werden.85 Das Ergebnis ist
ein verblüffend einfaches Entwurfskonzept (Abb. 72), das die Verwendung von
Wiederkehr zur Maxime gemacht hat. Ein Grund-Raster auf quadratischer Fassaden-
teilung aufbauend, wird zum Anlass genommen, eine Copy-Paste-Raumgeometrie,
bestehend aus großzügigem Erschließungsflur und den Studentenappartements
über sämtliche Stockwerke zu verteilen. Nun wird aber genau nicht an diesem
Punkt der wiederkehrenden, das heißt in diesem Fall identisch wiederholenden Archi-
tektur stehengeblieben – wie es bei vielen Architektengenerationen lange usus gewe-
sen ist – sondern das Grund-Raster wird mit einem zweiten Entwurfssystem über-
lagert, welches formal eine Konträr-Position einnimmt. Holl beschreibt dieses zwei-
te System als porösen Schwamm, der scheinbar willkürlich Löcher und Blasen in
das Grund-Raster hineinfrisst (Abb. 70, 71). Diese brechen in antithetischer Kon-
trastwirkung Raum-Skulpturen in das quadratische Raster hinein und fügen auf
diese Weise vollkommen unerwartete Synergien bei den Gemeinschaftsräumen, der
Belichtung und der Erschließung des System hinzu. Der bis zu diesem Schritt regel-
geometrische Baukörper, ein Quader, wird anschließend mittels einer dritten Inter-
vention durch Würfelschnitte subtrahiert. Übrig bleibt ein von zwei überlagerten
Systemen gebildeter Riegel, der durch die letzte vorgenommene volumetrische
Differenz zu einer in der Senkrechten mäandrierenden Restfigur wird.
Holls Entwurfshandeln bedeutet in erster Linie, aus zwei voneinander unabhän-
gigen Ideen eine sich addierende Raumkonstellation zu schaffen. Dabei ergänzen
sich die Ansätze mit ihren Stärken zugunsten ihrer jeweiligen Fähigkeiten. Die
streng gerasterte Wiederholung in Fassade und Raum liefe Gefahr, in Monotonie
und Unmaßstäblichkeit unterzugehen. Daher kann ihr nur mit einem gegenläufigen
Konzept begegnet werden, das sie dialektisch unterläuft. Holls Erfahrung im Um-
gang mit gegenläufigen Geometrien erlauben ihm, die dafür notwendige
entwerferische Zuversicht in Erwartung von Emergenz der beiden Pole zu entwi-
ckeln. Das zweite System nämlich, die Porosität, ist ein skulpturales System. Dessen
freies Formen und negatives Fügen von Blasen oder Höhlen ist ein plastischer
Vorgang, der an jeder Ecke, mit jedem Radius und mit jedem Maß versucht, Indivi-
dualität herzustellen. Die Schwächen eines rein skulpturalen Systems wiederum
liegen in seiner formalen Grenzenlosigkeit und den Schwierigkeiten seines Maßsta-
bes, der sich ins Unlesbare begibt, wenn keine sinnlichen Kontrapunkte im Blick-
feld des Betrachters vorhanden sind. Nun wird genau dies aber durch das begleiten-
de Raster hergestellt. Man könnte quasi von einem perfekten Teamwork der beiden
Systeme sprechen. Holl gelingt es dadurch, mit scheinbar einfachsten Mitteln,
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 83
„Es gibt eine These, wonach für das magische Denken die entgegengesetzten Extreme eines Be-
griffskomplexes zusammenfallen (...) [Es] wird einem bewusst, dass erst bei solchem Zusammen-
denken von Gegensätzen das Wesentliche des Gedachten ans Licht rückt. Nur fällt uns eine solche
Denkart nicht leicht, wir sind nicht in ihr geübt, wie es vielleicht die magischen Kulturen waren.
Möglicherweise hat sich dieses Denken im Laufe der Geschichte etwa dergestalt entwickelt: Ambi-
valente, synkrete Begriffe wurden in ihre diskreten Elemente auseinandergefaltet, und dabei wurde
ihr Inhalt klar und der Zusammenhalt ging verloren. Und jetzt beginnt man, zu versuchen, wieder
zusammenzufassen und synoptisch zu denken.“ 86
Aus einer an sich monotonen, wenn nicht gar drögen Fassade entwickelt Holl den
Antagonisten, die porösen Schwammlöcher. Sie sind das genaue Gegenteil, unge-
bändigt und flamboyant, dabei aber kontrolliert platziert. So entsteht eine Gestal-
tung von beinahe klassischer Ausgewogenheit, innerhalb derer kein Teil hinzugefügt
oder weggenommen werden kann, ohne die Wirkung zu schwächen. Bemerkens-
wert sind vor allem die CAD-generierten Schalungen der Schwammlöcher, die für
diesen Zeitpunkt der technischen Entwicklung erstaunlich souverän Betonwände in
Sichtbetonqualität geschaffen haben. Was sich heute mehr und mehr durchsetzt,
mithilfe von CAM-Skripten und Baurobotik auch die schwierigsten Schalungsskulp-
turen anzugehen, ist ein Novum zu Zeiten der Planung. Der ursprünglich intendier-
te natürliche Lichteinfall durch die Betonblasen ist in den unteren Stockwerken
kaum der Rede wert, war allerdings auch nicht die wichtigste Begründung für die
Dekonstruktion des primären Wohnrasters.
Mit der Simmons Hall hat sich Steven Holl endgültig als Innovator zwischen Skulptur
und Raster etabliert. Das Hinterfragen der Anwendung eines Entwurfswerkzeuges
wie der Wiederkehr und dessen Unterlaufen mit einem völlig gegenteiligen Instru-
ment weist ihn als einen, wenn nicht den Überwinder des baulichen Strukturalismus
aus. Seine wiederkehrende Architekturstrecke beinhaltet im Innenraum überra-
84 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
schende Wendungen, die ein dramatisches Element zurück in den Entwurf bringen,
welches von rationalen Architekturen lange Zeit zurückgedrängt worden ist. Hier
kann es sich entfalten. Über die konkrete Ausführung kann – wie immer – gestritten
werden; nicht jedoch über die Methode und Konsequenz der Anwendung.
Gebäudeabschnitt. Architekturstrecken
Zusammenfassung/ weitere Projekte
Die Gebäudestrecke ist ein häufig eingesetzter Fall von Wiederkehr. Ist ein funktio-
nierendes Zusammenspiel aus Struktur und Form gefunden, stellt sich die Frage
nach seiner Vervielfältigung. Schnell kann durch Wiederkehr von Gebäudeabschnit-
ten oder ganzen Geschossen umbauter Raum geschaffen werden, horizontal wie
vertikal. Dabei ist zu beobachten, dass dieses Entwurfswerkzeug sowohl kompetente
Architektur als gleichzeitig auch schwerwiegende Fehler verursachen kann, die zu
gesichtslosen, großflächig kopierten Bauten von drückender Monotonie führen. Der
Umgang mit Gebäudeabschnitten sollte daher nicht blindlings angewendet werden,
ohne begleitende Maßnahmen zu ergreifen, bloß weil er schnell zu wirtschaftlich
scheinbar befriedigenden Flächenkreationen führt. Denn das reine Kopieren ist
nicht der ausschließliche Sinn von Wiederkehr. Sorgfältige Geometrie ist ein Abbild
von Charakter – Gebäude wie Design, u. a. auf treffende Art und Weise narrativ
verarbeitet bei Alain Resnais Film L‘Année dernière à Marienbad.87
Die diskutierten Bauten, wie auch Beispiele vom Royal Crescent (Abb. 73, 74) bis
zu aktuellen Megakomplexen eines Ole Scheeren in Asien, haben ein gemeinsames
Ziel: Die Erzeugung von Dichte. Statt auf Basis einer kleinflächigen Parzellierung
mit Schollen, wird das Gegenteil, eine im besten Fall multifunktional einsetzbare
Struktur ausgebildet, die Erschließung, Wohnraum und Außenraum, öffentlich wie
nicht-öffentlich vereint. Die Aufgabe des Entwerfers ergibt sich aber, neben dem
Streben nach Gewährleistung einer solchen Funktionalität, aus der Vermittlung des
Maßstabes der nicht selten monumentalen Struktur auf die menschlichen Sinne.
Rudolf Arnheim schreibt:
„Will ein Betrachter ein Objekt richtig wahrnehmen, muss er auf dessen Kräftefeld Rücksicht
nehmen und einen angemessenen Abstand einnehmen (...) Nicht nur die Masse oder Höhe des
Objektes bestimmt die Reichweite des Kräftefeldes, sondern auch die Schlichtheit oder Üppigkeit
seiner äußeren Erscheinung.“ 88
An dieser Stelle sollte Arnheim umgedreht werden: Denn nicht der Betrachter ist
schuld, wenn er das Objekt falsch wahrnimmt (der angemessene Abstand zur Gro-
piusstadt wäre demnach der Vogelflug) sondern die Architektur. So sie nicht in der
Lage ist, in einem gegebenen Kontext sich selbst den angemessenen Ausdruck zu
geben, sodass der Betrachter zwanglos in das von der Architekur vorgegebenene
Konzept zur sinnlichen Vermittlung ihres Maßstabes eintreten kann. Denn das
Aufbauen von Komplexität als sensorisches Mittel gegen die reine Wiederholung ist
überlebenswichtig für die Architekturstrecke. Verschachtelte, durchdacht kompo-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 85
Die Baukörper sind zur Gänze mit Aluminiumblech verkleidet, auf diese Weise
werden , die Sphingen aus ihrer sandsteinernen Vergangenheit in eine „schimmern-
de“ Gegenwart transponiert (Abb. 82).
Das fünffache Kopieren und Einsetzen eines Gebäudes gehört zu einer gängi-
gen städtebaulichen Praxis. Was einmal funktioniert, ein in sich stimmiges Wohnge-
bäude, kann auch in Multiplikation funktionieren. Darin liegt wiederum die bereits
mehrfach herausgestellte Gefahr, das Maß zu überschreiten, Monotonie zu erzeu-
gen und in Konzept- beziehungsweise Bezuglosigkeit zu enden. Genau dieser letzte
Punkt wird von Neutelings-Riedijk mit der Idee der Sphinx-Geste vermieden. Die
fünf identischen Solitäre ergeben zusammen einen Sinn. Wie in Ägypten (Abu
Simbel oder Karnak) bewachen sie in Reihe die Uferzone. Die damaligen
Bewacherfiguren der zwei Tempel waren von Ramses II. im 13. Jahrhundert v. Chr.
an der Südgrenze des Reiches zum tributpflichtigen Nubien errichtet worden. Sie
sollten als Machtdemonstration dienen.91 Die regelmäßigen Abstände und ihre
identischen Höhen erzeugten Stoizität, Unerbittlichkeit und eine poetische Form
von Zeitlosigkeit. Bei den Sphingen der Niederlande hält dasselbe dramatische Motiv
dieser Reihe die Gebäude zusammen, bestimmt deren Form und verhindert Belie-
bigkeit sowie Maßstabslosigkeit. Die Architekten unternehmen darüber hinaus keine
Cappricen oder ablenkende Ornamentausgestaltung, sondern lassen die städtebauli-
che Gruppe die alleinige Hauptrolle spielen. Die Wohnungen, sich abtreppend bis
zur finalen Etage, finden alle auf ihre eigene Art und Weise ihre Attraktoren im
Umgang mit Wasser, Licht und Freifläche. Entstanden zur Hochphase des soge-
nannten Super-Dutch sind die Sphingen schnell zu einem vielpublizierten Klassiker
dieser Bauepoche geworden.92
Statt gedankenlos zu wiederholen, verknüpfen Neutelings-Riedijk ihre Häuser
mit einem plausiblen Motiv. Die wachenden Sphingen legitimieren Form und Ver-
ortung der Gebäudereihe, die in ihrer Anzahl dem Maßstab des Ortes angemessen
ist. Die Ausbildung der Wohnungen mit hinteren und vorderen Außenraum mit
Bezug zu Himmel und See meistert die fürs Wohnen am Wasser erwartete Aufgabe
der Schaffung und Ausnutzung von Atmosphäre. Zu letzterer schreibt Gernot
Böhme:
„Man sieht Dinge in ihrem Arrangement, Dinge, die aufeinander verweisen, man sieht Situatio-
nen (...) Das, was zuerst und vor allem Einzelnen aufgenommen wird, [ist] in gewisser Weise der
Raum selbst. Dabei ist aber mit Raum (...) die affektiv getönte Enge oder Weite, in die man
hineintritt, das Fluidum, das einem entgegenschlägt [gemeint]. Wir nennen es (...) die Atmosphäre
(...) Man wird Dinge erkennen, man wird Farben benennen, Gerüche identifizieren. Wichtig ist,
dass dann jedes einzelne gewissermaßen von der Atmosphäre getönt ist (...) Der ästhetische Arbei-
ter weiß (...) nämlich, wie er durch Raumgestaltung, durch Farben, durch Requisiten Atmosphäre
erzeugen kann (...) Es zeigt sich, dass die Atmosphäre überhaupt keinen einzelsinnlichen Cha-
rakter hat (...) Gerade die Architektur produziert in allem, was sie schafft, Atmosphären.“ 93
zitiert, ohne dass die ungewöhnliche Gebäudeform zu einer Maskerade von Woh-
nungsbau verfällt. Die Fensterfront zum Wasser sowie die großzügigen Terrassen
zur Landseite wirken gleichermaßen attraktiv für die einzelnen Wohnungen, sodass
ein maximaler Gewinn für die Bewohner geschaffen wird. Die Sphingen sind fein in
ihrer Detaillierung, ohne die Konstruktion in den Vordergrund zu stellen. Sie besitzt
einen dienenden Charakter dem Konzept gegenüber. Die Statik wird von einer
ersten Stahlbeton-Hülle übernommen, die bis auf das wasserberührende Geschoss
unsichtbar bleibt, und darüber von einer schimmernden zweiten Hülle aus Alumini-
um verkleidet wird. Hier wird kein Neuland betreten, sondern gängige Konstruktion
zeitgemäß verwendet. Die Landschaft, der Ort, als eine Bühne zur Inszenierung des
Entwurfs ist in seiner architektonischen Behandlung selten dem Vorgang einer
Theaterinszenierung verglichen worden. Dabei gibt es wichtige Gemeinsamkeiten.
Antonin Artaud schreibt:
„Das echte Theater hingegen, weil es sich bewegt und sich lebendiger Werkzeuge bedient, stört
weiterhin Schatten auf, wo das Leben fortwährend versagt. Der Schauspieler, der nicht zweimal
dieselbe Geste macht, sondern der Gesten macht, bewegt sich, und ganz gewiss misshandelt er
Formen, doch hinter diesen Formen und dadurch, dass er sie zerstört, erreicht er wieder, was die
Formen überlebt und ihr Fortleben sichert (...) Ich sage, dass die Bühne ein körperlicher, konkreter
Ort ist, der danach verlangt, dass man ihn ausfüllt und dass man ihn seine konkrete Sprache
sprechen lässt (...) [Die körperliche Sprache] besteht in all dem, was die Bühne beschäftigt, in all
dem, was auf der Bühne in stofflicher Hinsicht sich manifestiert und ausdrückt und was sich
zunächst einmal an die Sinne richtet statt gleich an den Geist wie die Sprache des Wortes.“ 94
Sowohl die Gebäudeidee an sich als auch das städtebauliche Konzept ordnen sich
dem Sphinx-Konzept unter. Die dramatische Wirkung als steinerne Zeugen entfal-
tet sich hauptsächlich aus der strengen Repetition der Gebäude, die ohne die kleins-
te Variation auskommt. Auf eine vielleicht kitschige Ausgestaltung der Gebäude
wird verzichtet zugunsten der Narrativität des Städtebaus, welcher ausreicht, um
Spannung zu erzeugen. Die Analogie zum Theater Artauds, das die Realität zu sein
einfordert, anstatt nur ein Stück abzubilden, ist konstitutiv für die Sphingen. Sie bil-
den die ägyptischen Vorbilder nicht ab oder nach, sondern benutzen sie als Realität,
als Gestalten eines treffsicheren Wohnungsbaus mit Sinn für Motivik. Damit wird
eine Legitimierung der Wiederkehr als Kopie ohne Variation hergestellt, die prinzipi-
ell aber eine Ausnahme sein sollte, denn nicht alle blind kopierten Gebäude, sind
Sphingen im Sinne der städtebaulichen Metapher. Zudem gilt es für den Entwerfer
wie für den Regisseur als hohes Gut, die Antwort auf den jeweils unikaten Kontext
zu finden, welcher niemals zweimal auftaucht.
88 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Gebäude. Gebäudereihen
Groosman Partners. Polder-Villen. Leiderdorp 2005. Niederlande
Verdichtung von Landschaft mittels Wiederkehr ihrer Zeichen. Inmitten von Wiesen
und Kanälen erheben sich Windmühlen und reetgedeckte Häuser. Dies ist das tra-
dierte Bild der holländischen Polderlandschaft. Direkt am Übergang zwischen der
Stadt Leiden und eben jener Polder haben Groosman Partners eine moderne Inter-
pretation der Polder-Typologie vorgelegt. Die Siedlung besteht aus 21 Polder-Villen,
in zwei Typen unterschiedlicher Größe aufgeteilt.95 Sie werden entlang zwei zuei-
nander gedrehter Achsen arrangiert und durch Wassergräben voneinander getrennt
(Abb. 83). Die beiden Typologien unterscheiden sich marginal voneinander, bei-
spielsweise in der Fensteraufteilung. Sie sind der Kategorie Turmhaus zugehörig
und erwecken damit die formale Assoziation von hohen Windmühlentürmen. Ihre
Fassade besteht zur Gänze aus Reet, das sich vom Flachdach bis zum Sockel entfal-
tet (Abb 84). Eingeschnitten wie Schlitze sind schmale Fensterbänder in der
Reetummantelung. Der Wohnbereich im Ergeschoss ist als gläserner Fernseher
ausgebildet, der sich aus der Reet-Fassade hinausreckt. Für den rückwärtigen Ein-
gangsbereich wird ein typisch holländischer Backstein verwendet.96
Die Siedlung funktioniert auf zwei Ebenen: zum einen im klassischen städtebau-
lichen Sinne und zum anderen in typologischer Hinsicht. Auf ersterer Ebene zeich-
net die Reihe der beiden Gebäudetypen Klein/ Groß dafür verantwortlich, eine
semi-urbane Landschaft aus den tradierten Bildern der Polder-Bebauung zu erzeu-
gen. Mit nur einer Variation, der Größe bzw. Achse der Stellung, wird durch die
Wiederkehr der kopierten Gebäude eine ländlich-dörfliche Agglomeration erschaffen.
Der Minimalismus der Konzeption führt zum angestrebten Effekt, der Erzeugung
punktueller Dichte in allen Achsen bei gleichzeitiger Wahrungen der individuellen
Schollen. Großen Anteil daran hat die typologische Idee des Punkthauses: Vier
Geschosse erzeugen trotz des ländlichen Milieus urbane Dichte. Die Stellung der
Häuser zueinander wiederum lässt die Einzelgebäude zusammenwachsen. In allen
Hauptachsen schieben Gebäude sich durch die Querstellung dazwischen. Durchbli-
cke und Lücken werden vermieden, sodass auch in der perspektivischen Breite die
Idee der ländlichen Dichte erreicht wird. In typologischer Hinsicht betreten die
Häuser vor allem mit der Ausbildung der Fassade Neuland. Anstatt das Reet in ein
klassisches Satteldach zu integrieren, überführen die Architekten den horizontalen
Eindruck besonders tief traufender Reetdächer in ein rein horizontales Fassaden-
konzept. Im postmodernen Sinne beginnt an dieser Stelle ein Spiel mit Versatzstü-
cken der Landschaftskultur, allerdings nicht zu Lasten der Sinnhaftigkeit, sondern
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 89
mit konkreter, symbolhaft wirkender Novität. An dieser Stelle drängt sich die Zei-
chenhaftigkeit von Architektur in den Entwurfsprozess. Umberto Eco schreibt:
„Das architektonische Objekt denotiert eine Form des Wohnens. Aber es ist klar, dass diese
Denotation auch dann zutrifft, wenn ich von dieser Bewohnbarkeit keinen Gebrauch mache (...)
Das geht so weit, dass mir ein Architekt angedeutete Fenster bauen kann, deren Funktion nicht
existiert und die doch [da sie eine Funktion denotieren, die nicht funktioniert, aber mitgeteilt wird]
als Fenster im architektonischen Kontext funktionieren und kommunikativ als Fenster erfahren
werden. (...) Aber sie denotieren nicht nur eine Funktion; sie erinnern auch an bestimmte Vorstel-
lungen von Wohnen und Nutzen; sie konnotieren eine globale Ideologie, welche die Arbeit des
Architekten bestimmte (...) Sie beginnen, symbolische Funktion anzunehmen.“ 97
„Rechtwinklige, netzförmige Städte (...) bereiten uns tiefes Unbehagen; sie verletzen in uns eine
kinästhetische Empfindung der Stadt, wonach jeder urbane Raum ein Zentrum besitzen muss, in
das man gehen und aus dem man zurückkehren kann, einen vollkommenen Ort, von dem man
träumt und in Bezug auf den man sich hinwenden und abwenden, mit einem Wort sich finden
kann (...) An diesem ausgezeichneten Ort verdichten sich sämtliche Werte der Zivilisation (...) ins
Zentrum gehen heißt (...) an der großartigen Fülle der Realität teilnehmen.“ 98
Beispielhaft hat Barthes unter anderem die Sprache der Mode untersucht, seine fol-
gende Beschreibung gilt jedoch für alle Kulturpraktiken:
„Die Semiologie (...) führt nicht zur Erkenntnis von Praktiken, sondern von Bildern (...) die
Modebeschreibung dient nicht bloß dazu, dem Abbild ein Vorbild zu liefern, sondern auch und
vor allem dazu, die Mode als Sinn zu verbreiten. Die Sprache ist eine Institution, ein abstrakter
Corpus von Zwängen; das Sprechen hingegen ist derjenige Teil dieser Institution, den das Individu-
um in einem bestimmten Augenblick daraus zum Zwecke der Kommunikation entnimmt und
aktualisiert.“ 99
Die Polder-Villen ziehen sich nicht nur Ländliches im Sinne von Kleidung über,
sie bilden einen eigenen Sprechakt aus. Das gestalterische Verwenden der Turm-
haustypologie und der Einsatz des typischen Reet als Fassadenmaterial sind gelun-
gene Adaptionen. Die Gebäude wie auch ihr Städtebau erzeugen damit symbiotisch
Dichte. Nur zwei Haustypen werden ausgebildet und gegeneinander komponiert.
90 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Insgesamt wird bei den Polder-Villen auf Bewährtes gesetzt, mit dem Reet aber ein
bauphysikalisches Zeichen gesetzt, das eine interessante Alternative zu chemo-
therapierten Wärmedämmverbundsystemen für Fassaden sein kann. Trotz Abstri-
chen punkten die Polder-Villen durch ihren Entwurf mittels symbolischer Wieder-
kehr von Zeichen. Ihre Haustypologie bildet identifikatorische Bezugspunkte aus,
die weit zurück in das tradierte Siedlungsbild der holländischen Polderlandschaft
reichen und zugleich eine neue Form entstehen lassen. Der landschaftliche Genius
Loci wird sowohl mit dem Einzelhaus auch mit der wiederkehrenden Reihe be-
schworen.
Gebäude. Gebäudereihen
Zusammenfassung/ weitere Projekte
„Zur Großstadt sei keine Alternative möglich. In ihr unterdrückt ein enorm intensivierter Lebens-
rhythmus sehr bald jedes lokale und individuelle Element. In der Großstadt sei jede Familiarität
Lüge.“ 102
Darauf formulieren etwa 30 Jahre später Serge Chermayeff und Christopher Ale-
xander eine direkte Antwort:
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 91
Als grundsätzliches kulturproduktives Handeln des Menschen ist das Siedeln konsti-
tutiv in der architektonischen Behandlung eines Ortes und dessen Wandlung in ein
anthropometrisches Zeichen-System. Paul Oliver schreibt:
„In a great many cultures the dwelling is the largest artefact that a man, a woman or their family
may ever construct; in many others it is the single most important item that they may ever call their
own. The dwelling is more than the site it occupies (...) Humankind is social, and the need to be in
the company of others extends beyond safety and self-preservation. Companionship and competition,
argument and appreciation, the sharing of problems and the giving of advice, and discussion and
dispute about issues of mutual concern are essential among social groups.“ 105
Jede Gebäudereihe beruht auf der Auseinandersetzung mit Wiederholung und Vari-
ation, je nach Kontext und Aufgabe zum Guten oder Schlechten innerhalb des
Maßstabes. Das Entscheidende ist die Bewusstmachung der Problematik.
92 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Tokyo Bay ist eine der bekanntesten Groß-Figuren der Geschichte; mit vielen Sub-
reihen. Die Wiederkehr von formalen Versatzstücken aus der Biomodularität ist der
Formengenerator der Bebauungs-Achsen. Als eigentliche Apotheose des Brutalis-
mus, zeichnet sich das Projekt mit einer erstaunlichen Differenziertheit in den Maß-
stäben aus, die aber nicht realisiert oder weiterentwickelt wurde.
Eine neue Stadt als Trabant der alten Stadt auf dem Wasser. Autark und eines der
größten wiederkehrenden Architektur-Systeme, die jemals entworfen wurden. 1960
unternimmt Kenzo Tange gemeinsam mit einigen seiner Schüler und Getreuen der
Metabolisten-Bewegung, darunter später so erfolgreiche Architekten wie Fumihiko
Maki, Arata Isozaki und Kisho Kurokawa, den Versuch, den enormen Bevölke-
rungszuwachs der Megastadt Tokyo-Yokohama urbanistisch in den Griff zu be-
kommen. Dazu weichen sie aufgrund der schwierigen Bergtopografie des Festlan-
des auf die Idee der Besiedlung des wasserseitigen Küstenstreifens aus. Wie eine
Brücke verbindet der bionisch entwickelte Entwurf die beiden gegenüberliegenden
Ufer der Tokyo Bay. In orthogonaler Achse reihen sich verschiedene Siedlungsele-
mente aneinander, die sich durch Form, Rhythmus und Größe in mehrere Typolo-
gien einteilen lassen. Schwerpunkt des im Projektstatus verbliebenen Werkes ist
dabei die Idee des Wachstums entlang von Arterien (Abb. 93, 94). Mit explizitem
Bezug auf das biologische Wachstum nach D‘Arcy Thompson106 entwerfen der
Kenzo Tange Workshop verschiedene Verkehrstrassen, die sich als Transportwege,
Pendlerrouten und Nahverkehrsnetze ausweisen, an denen sich die Reihen unter-
schiedlicher Gebäudetypologien aufziehen. Öffentliche und private Gebäude wech-
seln mit infrastrukturellen Kernen, ohne dass ein Zentrum herausgearbeitet wird.
Das städtebauliche Netz soll beliebig erweiterbar bzw. rückbaubar sein und über-
lässt der Stadt Tokyo seine Vormachtstellung, indem es die Rolle einer nicht kon-
kurrierenden Hilfsstadt annimmt.
Kenzo Tange selbst schreibt über das Projekt und dessen unbedingte Notwen-
digkeiten seiner Entstehung:
„Recent resarch by the UN says that Tokyo has missed two chances of recovery – the great Kanto
Earthquake and the war disaster – and this would be the third. We don‘t need to wait for foreign-
ers to tell us that we have been repeating mistakes. Indeed, unless we make a plan, it will be too
late to remedy this malaise.“ 107
Für die Metabolisten-Bewegung bedeutete das Tokyo Bay Project einen weltweiten
Durchbruch. Es wurde als intelligente Idee gefeiert, die durch ihren extremen Maß-
stab zwar den Charakter einer Utopie beschwört, was sie jedoch von den etwa
gleichzeitig entstandenen Entwürfen von Utopisten wie Yona Friedman unterschei-
det, ist der relativ weit ausdifferenzierte Charakter der eingesetzten Bauformen.
Hervorzuheben ist dabei der Versuch, Monotonie zu vermeiden, indem die ver-
schiedenen Reihen bewusst miteinander kombiniert und in Kontrast zueinander
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 93
gesetzt werden. Zwischen den verschiedenen Trassen gruppieren sich klein- wie
großmaßstäbliche Milieus im steten Wechsel. Nach dem Vorbild biologischen
Wachstums werden entlang der breiten Transport-Achsen die Gebäudegruppen
platziert, jeweils mit einem sich verjüngenden Maßstab. Mit diesem Prinzip aus der
Natur wird dem Monotonie-Problem auf eine optimistische, bis dato unkonventio-
nelle Weise entgegengetreten: es existiert keine dem System widersprechende Ge-
genform, sodass es nicht zu den bekannten Kalt-Warm Kontrasten kommt (später
ein Hauptkritikpunkt). Wenn man als idealistisches Gesamtmodell einen Baum
heranzieht, eröffnet sich dem Betrachter die Philosophie des Metabolismus: es gibt
keinen Widerspruch im Gestaltungssystem Baum, seine ästhetische Wirkung entfal-
tet sich aus der unendlichen Differenziertheit seiner Bestandteile sowie seiner per-
manenten Verformbarkeit durch die Behandlung der topografischen Umgebung.
Generativ ist das Projekt allerdings kein Baum, sondern eine Struktur. Deren städ-
tebauliches Netz wiederum würde, auf eine andere Topografie angewendet z. B. der
Bucht von Hongkong eine differente Konfiguration annehmen. Darin liegt die
Stärke des Netzes: seine Flexibilität. Man kann bei diesem Projekt daher auch von
einer frühen Form der Parametrik sprechen.
Christian Norberg-Schulz äußert sich allerdings kritisch über Planung und
grundsätzliche ideelle Ausführung:
„Why this failure of an approach which seemed to offer so many possibilitites? The simple answer
is that structuralism did not really represent a new interpretation of the properties of the city. Again
a concept developed in connection with buildings [e.g. Kahn] is blown up to become a city. A city,
however, ought to possess a different kind of organization. [Its] nature ist topological rather than
structural.“ 108
Manfredo Tafuri und Francesco dal Co werfen dem Projekt eine „Flucht in
unkontrollierbare Bilder“ 109 vor. Dennoch ist Tanges konsequente Innovierung der
städtebaulichen Reihe durch den Einsatz eines generativen Wachstum-Modells aus
der Biologie seiner Zeit voraus gewesen und wird möglicherweise im Zeitalter der
computerbasierten Skripte eine erneute Revitalisierung erfahren. Reizvoll zudem ist
bei diesem Modell der Aspekt der Kolonisierung der Wasserregion. Ähnlich dem
Modell Venedig kann sich Stadt und Landschaftsraum rhythmisch einander abwech-
seln. So ist die Gestaltung im Großmaßstab ist gelungen, denn das Konzept der
Ausdifferenzierung der Reihen und der Einsatz verschiedener Gebäudetypologien
erzeugt eine hochkomplexe Struktur, die leistungsstark Baumassen und Funktionen
miteinander zu weben weiß. Einzelgebäude sind aufgrund des Maßstabes nicht Teil
der Veröffentlichung des Projektes, obwohl sich hierin genau die Tauglichkeit des
Konzeptes zeigen muss. Einige spätere Bauten Tanges nehmen Proportionen des
Tokyo Bay Projects wieder auf, wobei es sich jeweils um Solitäre handelt, die nicht in
wiederkehrenden Reihen entworfen wurden. Sein Schüler Kiyonori Kikutake hat
einige Gebäude realisiert, die abgesehen von ihrer geringen Größe sehr konsequent
aus biomodularen plug-ins bestehen.110 Über die Konstruktionsweise des Projektes
ist wenig bekannt. Eine zu erwartende Auseinandersetzung mit dem Bauen in einer
tektonisch gefährdeten Zone, die sich zudem auf offenem Wasser befindet, ist nicht
94 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
abzulesen. Dies wäre bei weiterer Bearbeitung eine Chance, für diesen besonderen
Ort auch eine besondere konstruktiv-strukturelle Lösung zu finden. Die damals
vielerorts eingesetzten Megastrukturen, die auch einigen der Gebäude vom Tokyo
Bay Project zugrundeliegen, haben sich bereits als probate, widerstandsfähige Kon-
struktionen erwiesen.
Wie bei allen Utopien liegt der Nachteil auf der Hand: Die Probe auf das Exempel
fehlt. Es liegt nahe zu glauben, dass die einzelnen Gebäude Probleme aufgeworfen
hätten. Der Wechsel in den örtlichen Architekturmaßstab ist außerhalb der Welt-
raumperspektive von Tange nicht vorhanden, sodass nicht nachgewiesen werden
kann, ob die Differenzierung der Wiederkehr als wesentliches Entwurfswerkzeug bis
in die Wohneinheiten fortgesetzt geworden wäre. Bei den überlieferten Modellfotos
sowie Bauten Tanges und Nachfolger in den Metropolregionen Asiens ist eine
erschlagende Monotonie zu befürchten hinsichtlich der Größe der Einzel-Milieus.
Tange erhielt immerhin in Skopje, Abuja und bei der Masterplanung der Osaka
Expo von 1970 Gelegenheit, seine Ideen der städtebaulichen Reihe ganz oder in
Teilen verwirklicht zu sehen. Allerdings mit differenzierten Architekturen als fill-ins,
von verschiedener Hand entworfen.
Städtebau. Großmaßstab
MVRDV. Long Tan Park. Luizhou 2004. China
in länglichen Stahlbetonquadern ist ganz auf die Schaffung von Wohnqualität durch
Luft und Ausblick ausgerichtet. Zwischen den Gebäuden weben sich treppenartig
Pfade und Erschließungsstiche die Berge empor. Das Prinzip des gebauten Berges
ist seit langem romantisch besetzt durch berühmte mediterrane Orte wie Positano am
äußersten Ende der felsigen Amalfiküste in Kampanien oder die Dörfer der Cinque
Terre in Ligurien, die praktisch ohne waagerechten öffentlichen Raum, Straßen oder
Erschließung auskommen und bei der die Landschaft aus kubischen Häusern die
Umrisse der Berge abstrahierend nachfährt. Interessant ist bei dem Projekt die
typische asiatische Handhabung der Abgrenzung zur Natur. Wie in Hongkong wird
auf der einen Seite eine Urbanität von extremer Dichte generiert, auf der anderen
Seite stößt man schon auf der anderen Straßenseite direkt auf Natur, die als dichte
Vegetation, nur von Wanderpfaden durchzogen, die Berge bedeckt (Abb. 96). Auf
diese Weise treten Gebäudefigurenfolge und Landschaft in eine kontrastreiche
Figur-Grund-Beziehung, die einen völlig anderen Raum generiert, als es beispiels-
weise die modernistischen Ideen der Ville Radieuse proklamierten, bei der Dichte
durch Punkthäusern erzeugt und kultivierte Natur in Form von weitläufigen ge-
stutzten Parkanlagen durch die Zwischenräume fließt.
MVRDV‘s vier Wohnberge sind trotz identischer Wohneinheiten vollkommen
individuell. Die Schaffung eines adaptierbaren Teppichs nimmt die Entwicklung der
computerbasierten, skriptartigen Programmierung einer Großfigur-Wiederkehr vor-
weg. Die Stärke einer solchen adaptierbaren Gruppe liegt in der Vermeidung der
Monotonie durch die Parametrisierung des individuellen Baugrundes. Die vier Ber-
ge erhalten ihr genaues Höhenabbild mit dem Gebäudeteppich, der sich wie ein
Stück elastischer Stoff über alle Wölbungen, Rücksprünge und Lücken legt. Gilles
Deleuze und Félix Guattari schreiben:
„Schichten haben eine große Mobilität. Jede Schicht kann einer anderen immer als Substratum
dienen oder an eine andere angrenzen (...) Gefüge entstehen zwar in den Schichten, aber wirksam
werden sie in den Bereichen, wo Milieus decodiert werden: sie entnehmen den Milieus zunächst
einmal ein Territorium. Jedes Gefüge ist vor allem territorial. (...) Man muss die territorialen
Gefüge von jemandem entdecken, von Mensch oder Tier: sein Zuhause. (...) In jedem Gefüge muss
man den Inhalt und den Ausdruck finden, ihren tatsächlichen Unterschied ermessen, ihre wechsel-
seitige Voraussetzung, ihre stückweise gegenseitige Verschachtelung.“ 112
MVRDV`s territoriale Gruppen besitzen mehrere Instanzen. Zum einen die Wieder-
kehr der Typologie des länglichen Quaderhauses, das durch sein Klettern eine Stape-
lung erfährt, die es nicht von einem riesigen Einzelgebäude aus gestapelten Wohn-
einheiten unterscheiden lässt. Als zweite Instanz fungiert der wiederkehrende Städte-
bau: an vier verschiedenen Stellen, die nicht miteinander verbunden sind, kommt
die Idee zum Einsatz. Das Tal wird optisch eingefangen und seine Grenzen groß-
maßstäblich durch Verdichtungen markiert. Die Wiederkehr der städtebaulichen Idee
gibt der radikalen Optik ihre ikonische Stärke und den Bergen ihren schlüssigen
Schutz. Eine architektonische Innovation zu kreieren, die Lösungen auf mehreren z.
T. sehr disparaten Ebenen einschließt, ist eine seltene Leistung. Nicht nur werden
Probleme der Stadterweiterung sondern auch der Umweltzerstörung durch einen
96 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
„In China war von den Bergen der Glückseligkeit die Rede, und die alten Weisen pflegten ihre
Schüler am Rand von Abgründen zu versammeln (...) Soll ein Berg die Rolle des Analog spielen
können, muss den Menschen, so wie die Natur sie ausgestattet hat, sein Gipfel unzugänglich, sein
Fuß jedoch zugänglich sein. Er muss der einzige seiner Art sein, und er muss geografisch existie-
ren. Die Pforte zum Unsichtbaren muss sichtbar sein.“ 113
Städtebau. Großmaßstab
Zusammenfassung/ weitere Projekte
die reine Wiederkehr dafür zielführend ist, wurde früh von Camillo Sitte in Frage
gestellt:
„Erschreckend arm ist der moderne Städtebau an Motiven seiner Kunst. Die schnurgerade Häu-
serflucht, der würfelförmige Baublock ist alles, was er dem Reichtume der Vergangenheit entgegen-
zusetzen vermag.“ 114
Ohne ein Mindestmaß an Komplexität mit zu erschaffen, muss sich die Planung
diesen Vorwurf bis heute vielfach gefallen lassen.
Der Entwurf von neuem oder erneuertem Nutzraum ist die konzeptuelle Do-
mäne der Stadtplanung. Bereits die Römer führten eine wiederkehrende, unver-
wechselbare Art und Weise eine, aus dem militärisch befestigten Lager (Castrum) in
kolonisierten Gebieten Städte oder Stützpunkte zu entwerfen (vgl. S. 102 ff.). Es
macht für ihre adaptierbare Systematik keinen Unterschied, ob die Stadt dabei in der
Wüste wie in Timgad (Abb. 97, 98) oder im feuchten Sumpfgebiet errichtet wird
(Ostia Antica). Dezentrale Ideen wie Ebenezer Howards Garden City haben in demo-
grafischen Ballungsräumen der globalen Mega-Cities weltweit Aktualität als Versu-
che, funktionsautarke Satelliten aus Problemzonen auszulagern, um diese zu entlas-
ten (Abb. 102). Die Komplexität der Reihe ist im städtebaulichen Maßstab verbun-
den mit der Notwendigkeit, sinnlich erfassbare Momente zu erzeugen, die dem
menschlichen Wahrnehmungsspektrum gerecht werden. Planungen wie Ildefons
Cerdàs Eixample in Barcelona gelingt es, mit minimalen Details, den abgerundeten
Blockecken, eine konsequente, dabei ansprechende Neubauform zu generieren, mit
hohem Wiederkennungswert (Abb. 100). Dabei wird prototypisch das kontrastin-
tensive Stören des Rasters durch Ausfalltrassen, Plätze und gekurvte Passagen (wie
in Manhattan der Broadway) integriert. Im umgekehrt entstandenen Fall von Haus-
manns Pariser Boulevards (subtraktiv statt Cerdàs Addition (Abb. 99)) wird derselbe
Effekt durch überlagerte Reihen erreicht. Eine behutsame, zugleich intelligente
zeitgenössische Reihe ist in Amsterdam mit Borneo-Sporenburg entstanden. Über
Höhen und Parzellengrößen ist die Wiederkehr der Volumina festgelegt worden, die
Variation indessen auf Fassade, Innenorganisation und Typologie. So kann hohe
Differenzierung innerhalb der Rigidität des Systems erreicht werden (Abb. 103,
104). Klaus Theo Brenner und Helmut Geisert schreiben:
„Offensichtlich hat das Maß an Regeln Bauherren und Architekten in ihrem Spieltrieb eher
herausgefordert, als in ihrer Freiheit beschnitten. Fast jede denkbare Bespielung der schmalen
Parzellen in Grundriss und Schnitt wurde realisiert, und in der Erscheinung der Reihe herrscht
formale Anarchie.“ 115
Konstruktiv macht die Reihe im Städtebau vor allem positionell Sinn. Durch das
geplante Raster kann Dauerhaftigkeit der Struktur erlangt werden. Fallen bauliche
Blöcke infolge von Alter oder Zerstörung aus, so ist deren Rekonstruktion inner-
halb der vorgegebenen Baulinien möglich, ohne die städtebauliche Idee zu unter-
wandern. Versorgungskanäle und Verkehrsströme bleiben ebenso erhalten, irrever-
sible Verletzungen des Organismus des Quartiers finden nicht statt.
98 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Wie die beiden großen Projekte von Tange bis MVRDV bestätigen, ist der Städte-
bau häufiger Projekt als ausgeführte Erfahrung. Adaptionen auf kleinerem Territo-
rium wie Tadao Andos Rokko Housing (Abb. 101) jedoch zeigen auf, dass mit gedul-
dig austarierter Repetition zwischen Wiederholung und Variation, ein starker wieder-
kehrender Städtebau möglich sein kann.
iv
28 Pierre von Meiss. Vom Objekt zum Raum. Birkhäuser. Basel 1994. S. 45
29 Werner Blaser. Ikonen der Weltarchitektur. Niggli. Zürich 2012. S. 52 ff.
30 Martin Heidegger. Der Feldweg. Klostermann. Frankfurt 2010. S. 17
31 vgl. Peter Reed (Hg.) Alvar Aalto. Between Humanism and Materialism. MoMA. New York 2002.
S. 230 ff.
32 vgl. Tomoko Sato, Juhani Pallasmaa, Cigalle Hanaor (Hg.) Alvar Aalto through the Eyes of Shigeru
Princeton 2004
36 vgl. Peter Zumthor. Swiss Sound Box. Birkhäuser. Basel 2000
37 vgl. Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. Philosophie der Kunst (in Sämtliche Werke. Abt. 1,
tik. Frankfurt am Main & München 1860 – 1863. Reprint Mittenwelt 1977
42 Christian Norberg-Schulz, Yukio Futagawa. Holzhäuser in Europa. Kohlhammer. Stuttgart 1979.
S. 7 ff.
43 Christian Norberg-Schulz. Logik der Baukunst. Viehweg & Sohn. Braunschweig 1980
44 vgl. Jean-Louis Cohen, Tim Benton. Le Corbusier Le Grand. Phaidon. London 2008. S. 602 ff.
45 Aldo Rossi. Il Convento de La Tourette di Le Corbusier. In: Scritti scelti sull’Architettura e la Città
S. 276 ff.
54 Arnulf Lüchinger. Strukturalismus in Architektur und Städtebau. Karl Krämer. Stuttgart 1981. S. 16
55 Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago Press.
63 vgl. Christian Schittich (Hg.) Tomihiro-Kunstmuseum in Azuma. Detail Konzept 9. München 2006.
S. 950 ff.
64 Richard Buckminster Fuller. Begrifflichkeit von Grundstrukturen. In: György Kepes (Hg.) Struktur in
Basel 2013
79 vgl. Rem Koolhaas. Delirious New York. Arch+ Verlag. Aachen 2002
80 vgl. Lauro Cavalcanti. When Brazil was modern: A Guide to Architecture 1928-1960. Princeton
Como Films, Argos Films, Les Films Tamara, Cinétel, Silver Films, Cineriz. 1961
88 Rudolf Arnheim. Die Dynamik der architektonischen Form. DuMont. Köln 1980. S. 36
89 vgl. Jürgen Rostock, Franz Zadnicek. Paradiesruinen. Das KDF-Seebad der Zwanzigtausend auf
102 Manfredo Tafuri, Francesco dal Co. Klassische Moderne. DVA. Stuttgart 1988. S. 168
103 Serge Chermayeff, Christopher Alexander. Gemeinschaft und Privatbereich im neuen Bauen. Neue
Bauhausbücher. Bei Florian Kupferberg. Mainz Berlin 1971. S. 167
104 Gerald Staib, Andreas Dörrhöfer, Markus Rosenthal. Elemente und Systeme. Birkhäuser. Basel 2008.
S. 36
105 Paul Oliver. Dwellings. Phaidon. London 2003. S.17, 56
106 vgl. D’Arcy Thompson. Über Wachstum und Form. Suhrkamp. Frankfurt 1982
107 Rem Koolhaas, Hans Ulrich Obrist (Hg.) Project Japan: An Oral History of Metabolism. Taschen.
London 2000. S. 85
109 Manfredo Tafuri, Francesco dal Co. Weltgeschichte der Architektur. Gegenwart. DVA.
„Er verwarf die Lesbarkeit der Form und favorisierte dagegen die Vorstellung einer
Erinnerbarkeit als Bild. Der Wahrheitsgehalt nahm dabei ab, dafür aber der Erinnerungswert
zu.“ 116
Doch bedeutet Immaterielle Konzeptwiederkehr nicht nur, sich für Stile aus romanti-
schen, ironischen oder intellektuellen Motiven zu interessieren, sondern darüber
hinaus das Funktionale, Technische oder Soziotope von erfolgreichen Konzepten
102 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
zu adaptieren und somit ihre praxeologische Komponente zu nutzen. Für die wie-
derholte Anwendung eines Konzeptes spielt es keine Rolle, ob sich die Betrachtung
auf lokal begrenzte Phänomene beschränkt oder eine globale Perspektive einge-
nommen wird. Analog zum Vorgehen dieser Betrachtung bei der Materiellen Wie-
derkehr, werden im Folgenden sowohl Repräsentanten ersterer wie letzterer disku-
tiert und zusammengefasst.
Übersicht:
Das systemische Bauen der westlichen Welt hat einen kollektiven Erfinder: Rom.
Die Namensgeber dieser Epoche gelten als eine der erfolgreichsten Kulturen der
Menschheit. Durch ihre Disziplin und Organisation sind sie ihren Zeitgenossen
überlegen und können ihr Reich mittels militärischer Kontrolle beinahe beliebig
weitflächig ausdehnen. Neben Errungenschaften wie dem Römischen Recht und
den Zeugnissen von Kunst und Literatur sind es vor allem die Fertigkeiten ihrer
Baukunst, die bis heute beeindrucken. Diese fußt zu einem Großteil auf der Fähig-
keit zu Komplexität bei gleichzeitiger Reduktion ihrer Mittel auf einen kleinen,
jedoch kompetenten Fundus baulicher Konzepte. Diese werden wiederkehrend je
nach Maßstab als Detail oder als Gesamt-Bauwerk programmatisch in allen Territo-
rien des Reiches eingesetzt. Zudem wird ihr Wissen um bauliche Lösungen bereits
früh konserviert in Form von Traktaten, mit denen sich der wiederkehrende Einsatz
von Baukonzepten gegenüber Einzellösungen dokumentieren lässt. Damit sind die
Römer mit die ersten, die ihre Baukultur auch schriftlich zu bewahren versuchen,
indem ihre wiederkehrenden Merkmale katalogisiert werden. Von späteren Kommenta-
toren entstehen daraus Ableitungen zu sogenanntem Stil, Stilwillen und letztlich der
Architekturtheorie. Leonardo Benevolo schreibt:
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 103
„Die Verwaltung des Römischen Reichs machte bestimmte Eingriffe in die Landschaft erforder-
lich, die nicht so sehr auf Grund der Neuartigkeit der hierbei angewandten Techniken beachtens-
wert sind, sondern vor allem wegen ihrer konsequenten, regelmäßigen und einheitlichen Anwendung
in großem Maßstab (...) Und tatsächlich gleichen diese Bauwerke den Elementen der natürlichen
Umgebung auf Grund ihrer Größe, ihrer Einfachheit und der ständigen Wiederkehr der gleichen
Grundstrukturen.“ 117
„die Art und Weise, wie die Römer das eroberte Land kolonisierten. Dabei interessieren vor allem
drei wesentliche Eingriffe in die Natur: a) Der Aufbau einer Infrastruktur: Bau von Straßen,
Brücke, Aquädukten, Verteidigungswällen; b) Die Aufteilung des fruchtbaren Bodens in einzelne
bebaubare Ländereien; c) Die Gründung neuer Städte.“ 118
Weiterhin beschreibt Benevolo die sogenannten limites als zur elementaren Grundla-
ge des Systems gehörige Basis-Parameter:
„[Diese sind] ein eindrucksvolles Netz von Nebenstraßen ohne Beispiel in der antiken Welt.
Dieses äußerst engmaschige Straßennetz ermöglichte eine weiträumige und dennoch intensive Ver-
breitung des landwirtschaftlichen, ökonomischen und verwaltungstechnischen Systems der Römer
(...) So findet auch hier die These einer Analogie von Hauptstadt und Reich eine weitere Bestäti-
gung: Das Reich war genau wie die Hauptstadt Rom von einem Straßennetz durchzogen und von
Mauern umgeben und es verfügte – allerdings in einem wesentlich größeren Maßstab – über diesel-
be Infrastruktur.“ 119
Das Systematische in Organisation und Denken zeugt vom Pragmatismus der Rö-
mer. Ihre grundsätzliches Arbeiten mit Wiederkehr im Bauwesen erfolgt weniger aus
dem Bedürfnis heraus, einen bestmöglichen Entwurf nach heutigen Maßstäben als
Antwort auf eine bauliche Fragestellung herauszuarbeiten, sondern vielmehr, in
Kenntnis der systemischen Zwänge der Bautechniken, um zweckdienliche Bauwer-
ke zu erschaffen. Dabei verhalten sich die tradierten Lösungen auf Probleme von
Tragen und Lasten, Topografie-Überwindung und Erschließung wie die Pionier-
trupps einer Expedition ins unbekannte Gelände: Das Bekannte kehrt als Modul
(vgl. S. 253 ff.) solange wieder, bis die Aufgabe abgeschlossen werden kann. Ist
beispielsweise der Höhenunterschied zu groß für die erste Bogenreihe eines Aquä-
dukts, so wird einfach eine weitere, als wasserführendes Geschoss, addiert (Abb.
105, 106). Zu den programmatischen Bauaufgaben des Reiches gehören zum einen
ingenieursmäßige, wie Straßen, Brücken, Aquädukte und Stadt- bzw. Straßenmau-
ern, zum anderen militärische wie Kastelle, Kasernen und befestigte Lager, sowie
öffentlich-zivile Bauten wie Stadien, Basiliken, Tempel, Foren, Thermen, Bürger-
und Warenhäuser. Jene unterscheiden sich regional und durch den infolge des
Bauorts hervorgerufenen Grad an Komplexität, nicht jedoch in ihrem wiederkehrenden
Immateriellen Baukonzept, das als geistiges Fundament der Gebäude-Genres in jedem
Detail für jede Entscheidung präsent ist.
104 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Nachdem die Römer das bauliche Repertoire der von ihnen bewunderten Griechen
und der vorher in Italien sesshaften Etrusker übernommen haben, beginnen sie, es
auf ihre Bedürfnisse hin zu erweitern. Die Erfindung des Bogens und des Echten
Gewölbes sind dabei Eckpfeiler des phänomenalen Erfolges ihrer ingenieursmäßigen
Konstruktionen. Sigfried Giedion schreibt:
Dazu kommt Opus Caementitium als erstes Gussmauerwerk der Geschichte, das die
Abhängigkeit vom Behauen von Naturstein oder dem Ziegelbrennen aufhebt. Mit
dem Opus Implectum führen sie mehrschaliges Mauerwerk ein und können Konstruk-
tion und Gestaltung voneinander trennen. Gebäudetechnische Pionierarbeit leisten
sie mit ihrem Hypokaustischen Heizsystem (vgl. S. 135 ff.). Den Säulenkanon erweitern
sie mit Komposit- und Toskanischer Ordnung. Zudem hält das Thermenfenster als Bau-
gruppe Einzug in den Fensterkanon.121
Nachdem Vitruvs Architekturtraktat jahrhundertelang verschollen ist und
gleichzeitig die meisten römischen Gebäude als Steinbruch genutzt worden sind,
kommt es während der Renaissance zu einem epochalen Wiederentdecken der
antiken, speziell römischen Architektur. Ihre Formensprache und ihr konzeptueller
Kanon wird von den neuen Baumeistern studiert, aufgegriffen und adaptiert. Bauli-
che Aufgaben dieser Zeit sind unter anderem Kirchen und Palazzi von Herrschern,
Gilden und Bürgern. Deren Baumeister übernehmen von den römischen Konzep-
ten Stilmittel wie Gliederung, Proportion und Baudetail, sodass das bauliche Erbe
durch Transformation wiederbelebt und lebendig gehalten wird. Die Illustrierung
und Kommentierung von Vitruvs Traktat führt zu einer ersten Blüte von Architek-
turschriften, die hauptsächlich zum Thema haben, Konzepte und bauliche Lösun-
gen ihrer Zeit festzuhalten. Aus den Schriften, deren bedeutendste von Leon Battis-
ta Alberti, Antonio Filarete, Sebastiano Serlio, Giacomo da Vignola und Andrea
Palladio verfasst worden sind, erlangt das Wissen um bauliche Lösungen, die ubi-
quitär eingesetzt werden können, seine Aufnahme in später weltweit verwendete
Stilkanone (Abb. 107-110). Als Beispiel möge der Klassizismus dienen, dessen bauli-
che Details an vielen Stellen auf römische Elemente zurückgeführt werden können.
Bauten in Buenos Aires oder in Singapur, um das 19.Jh. errichtet, können mit Bau-
ten in Berlin und Vancouver vertauscht werden, ohne signifikant das stilistische Bild
der Stadt oder des Stadtviertels zu ändern – Regionalia wie ornamentale Ausschmü-
ckungen verändern nicht das grundsätzliche axiale Raster oder die Proportionierung
(Abb. 111-118).
Die gedanklichen baulichen Konzepte der Römischen Baukultur sind identisch und
weltweit wiederkehrend angewendet worden, die Erweiterung von zunächst pragmati-
scher zu stilistischer, d.h. medial intendierter Wiederkehr damit vollzogen, ein Stil
geboren.
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 105
Konzeptwiederkehr, kulturübergreifend
Weitere Beispiele
Die Römer als prominentestes Beispiel sollen nicht einseitig darüber hinwegtäu-
schen, dass, kulturgeschichtlich betrachtet, es in allen Teilen der Welt zu demselben
Phänomen der sogenannten kulturübergreifenden Wiederkehr gekommen ist.
Um auch eines der zentralen baulichen Beispiele beider Amerikas zu nennen, die
Pyramiden des ehemaligen Reiches der Maya und später der Azteken (Abb. 125,
126), sowie gleichzeitiger Kulturen der Anden, finden sich als gedankliches Gut in
praktisch jedem Land zwischen Mexiko, Guatemala (Teotihuacán und Tikal) oder
Peru an, jeweils in spezifischer Funktion, Form und Materialität, jedoch in ihrem
morphogenetischem Ideengehalt und Charakter als perfekte Beispiele für eben jener
panterritorialen, kulturübergreifenden Immateriellen Wiederkehr.
106 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
Über Rudolf Steiner zu schreiben, ist oft mit dem Gefühl eines heiklen Unterfan-
gens durchsetzt. Werner Blaser rechtfertigt sich:
„Eine erneuerte Baukunst findet ihre Gestalt in ihrem inneren Ausdruck, in der objektiven
Wahrheit von Stoff und Konstruktion, von Maß und Raum. Es sind nicht die Stilelemente eines
nachvollziehbaren Zeitgeistes und keine Ismen, die das sinnerfüllte Bauen beflügeln, sondern es ist
die in die Welt tretende natürliche Erfüllung, die uns hinführt zu dem, was ein Bauwerk (...)
bedeutet. Darum richten wir unsere Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Namen Rudolf Steiner
oder Goetheanum, sondern auf das Wahrnehmbare, damit sich der Blick auf das sichtbare Bauen
konzentriert.“ 122
Rudolf Steiner (1861-1925) ist als Begründer der Anthroposophie, die er als ganz-
heitliches System versteht, nicht nur als Intellektueller sondern tatsächlich im Be-
sonderen als Architekt von Bedeutung. Ausgehend von seinen Lehren, die sich auf
Goethe wie auf Helena Blavatsky berufen, entwickelt er ein geistiges Fundament,
das sich in Form eines konzeptuellen Regelwerkes in allen Bereichen des menschli-
chen Lebens und seiner Tätigkeiten niederschlagen soll. Seine spezielle Raumauffas-
sung führt zur Etablierung eines eigenen Stils. Abgeleitet aus Natur und natürlichem
Wachstum erschafft er einen Kanon, der mit dem Heizhaus von 1914 Pate steht für
alle weiteren Planungen der Einrichtungen seiner philosophischen Schule. War
Steiner selbst durchaus innovativ in seiner Materialverwendung (z.B. beim frühen
Einsatz von Stahlbeton mit ungewöhnlichen und sehr aufwendigen Schalungen),
sind seine Konzepte in der Folge oft übernommen worden, ohne irgendeine Form
von Weiterentwicklungen zuzulassen. Im Gegenteil, die anthroposophische Archi-
tektur ist bisweilen zu einer Fertighausform mutiert und so weit verbreitet Steiners
Baukonzepte in der Anthroposophie weltweit sind (Abb. 135, 137, 138), so marginal
ist die Anerkennung seines Werkes unter anderen Architekten. Um 1922 jedoch,
parallel zur Bewegung der Organischen Architektur im frühen 20. Jhd. entwirft er das
zweite Goetheanum in Dornach, auf Anhieb ein Klassiker (Abb. 136). So schreibt
Wolfgang Pehnt über:
„[Das Goetheanum] als eine der großartigsten architekturplastischen Erfindungen, die das 20.
Jahrhundert aufzuweisen hat.“ 123
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 107
Dieses initiale Bauwerk weist durchaus Gemeinsamkeiten auf zu zeitgleich entste-
henden Werken von Architekten wie Max Berg, Hans Scharoun, Erich Mendelsohn,
Hugo Häring und Hans Poelzig. Letztere weichen jedoch bald von eben jenem
wiederkehrenden Konzeptverhalten ab und zeigen sich als offen für neue Einflüsse.
Vor allem erweisen sie sich als unvoreingenommen in Bezug auf den Ort des Ent-
werfens, sowie auf die Gebäudeform an sich. In der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts gerät die Organische Architektur weitgehend in Vergessenheit. In Europa
sind es während dieser Zeit vor allem Imre Makovecz124 und die Pécser Gruppe, die
sich als deren Vertreter gegen den herrschenden Funktionalismus stellen und sich
direkt auf die anthroposophischen Konzepte Steiners bezogen, zudem aber Ansätze
Frank Lloyd Wrights und Antoni Gaudís inkorporierten, und deren Stil schon bald
auf eigenen Füßen stehen sollte.
„Ist es überhaupt möglich, die Botschaft Le Corbusiers, der zeitlebens von prophetischem Eifer
beseelt war, letztgültig zu fassen?“ 125
Dies fragt Jean Louis Cohen. Der Genannte (1887-1965) veröffentlichte parallel zu
seinen architektonischen Projekten in großer Zahl Schriften zu seinen Positionen.
Viele sind zu Klassikern der Publikationsgeschichte der Architektur im 20. Jahrhun-
dert geworden, darunter Vers une Architecture (1922), Urbanisme (1925), Précisions sur
sur un État présent de l'Architecture et de l’Urbanisme (1930) und La Ville Radieuse (1935).
Die beiden wichtigsten, gemessen an ihrem Einfluss auf umgesetzte Projekte sind
die Fünf Punkte von 1926 und die Publikationen des Modulor von 1948 bzw. 1955. In
ihnen legt Le Corbusier seine Methoden und Verfahrensweisen als wiederkehrende
Konzepte dar. Die Fünf Punkte beinhalteten als Planungsparameter Stützen (pilotis),
Dachgarten, Freie Grundrissgestaltung, Langfenster und Freie Fassadengestaltung, der Modulor
hingegen ist (vgl. S. 61) ein auf Vitruvs Ideen und dem Maß des menschlichen Kör-
pers beruhendes Skalen-System. Beide Programme haben für alle seine kommenden
Werke entscheidende Bedeutung. Als wiederkehrend eingesetzte Entwurfskonzepte
fungiert der Modulor ab 1948 als alleiniges Proportionssystem Le Corbusiers, das in
108 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
allen Maßstäben ubiquitär eingesetzt wird. Je nach Bauart und Bauaufgabe geht Le
Corbusier allerdings nie so weit, seine Systeme starr und ohne Einschränkung ein-
zusetzen. Im Gegenteil, kaum jemand ist derart findungsreich in der Adaption und
Flexibilisierung seiner Ideen in Bezug auf den Bauort.
Wirkt die Villa Savoie (1931) wie ein Manifest auf freiem Felde in vollkommener
Klarheit des wiederkehrenden verwendeten Werkprogrammes (Abb. 140), ähnlich das
Weißenhofer Doppelhaus 1927 (Abb. 139), kombinieren spätere Wohnhäuser wie die
Villa Curutchet (1953) im argentinischen La Plata (Abb. 142) oder die Villa Shodhan
im indischen Ahmedabad (Abb. 141) in respektvoller Weise die Anforderungen und
Bedingungen ihres Grundstückes mit den programmatischen Konzepten des Archi-
tekten. Da Le Corbusier sich immer wieder neu erfindet, kommt es in seiner Karrie-
re zu Bauten, die scheinbar nur wenig Bezug zu seinen bis dato verwendeten Kon-
zepten haben, so z. B. die Kirchen in Ronchamp (1955) und die posthum 2006 fertig-
gestellte in Firminy (Abb. 143). Architekten in seiner Nachfolge beziehen sich meist
weniger auf letztgenannte späte Konzepte als vielmehr auf seine Bauten aus den
klassischen Jahren. Dabei ging es Gruppen wie den New York Five126 oder den Tessi-
nern um Luigi Snozzi127 weniger um direkte Kopien der Programme Le Corbusiers
als um eine freie Verwendung seines formalen Repertoires, nicht selten auch als
intellektuelle Spielerei in Form von direkten Zitaten, wie sie beispielsweise Peter
Eisenman oder Richard Meier bei ihren ersten Häusern verwendet haben.
„Seine Poesie besitzt eine Kohärenz, die der Beständigkeit seines zivilen Bewusstseins weit überle-
gen ist. Seine Beziehung zur Wirklichkeit ist immer indirekt (...) Im Laufe der Jahre vertieft sich
diese Kluft maßlos.“ 128
„As an architect my problem is understanding how to assume the responsibility for the design of a
building while knowing little or nothing about its users, as well as knowing when it‘s time to stop
so as leave room for their choices.“ 129
Es geht bei seinen Entwürfen weniger um ein konkretes Design als um eine vage
Andeutung dessen, was die Bewohner innerhalb des vorgegebenen Rahmen-
Systems aus den ihnen zur Verfügung gestellten Gestaltungsmöglichkeiten errich-
ten. Der Architekt reduziert seine eigene Rolle auf die Erstellung sogenannter manu-
als, in denen die Benutzer auf die Gestaltungswerkzeuge hingewiesen werden. Bei
nahezu allen Projekten verwendet Friedman ein wiederkehrendes Gitter-System als
Rahmen-Struktur für die Aufnahme der Nutzungs-fillings. Dabei ist seinen Entwür-
fen gemein, dass die intervenierende Megastruktur den Bestand niemals angreift
bzw. zerstört, sondern sich wie ein neues Kapitel als Meta-Ebene über oder zwi-
schen ihn legt. Teile seiner manuals finden heute im Engagement der UNESCO in
der sogenannten Dritten Welt Verwendung.
„My main task has been to show that there is a deep and important underlying structural corre-
spondence between the patterns of a problem and the process of designing a physical form which
answers that problem. I believe that the great architect has in the past always been aware of the
110 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
patterned similarity of problem and process, and that it is only the sense of this similarity of struc-
ture that ever led him to the design of great forms.“ 133
„Mit den Bausteinen eines Baukasten-Systems erstellte Objekte besitzen eine spezielle Qualität des
Gebrauchs und der Erscheinung. Sie sind Variationen von Anordnungen der Bausteine eines
allgemeinen Systems und nicht einmalige Originale. Objekte aus Bausteinen eines Baukasten-
Systems sind umbaubar und können entsprechend dem Wandel ihrer Nutzung den neuen Anfor-
derungen angepasst werden. Der Neubau eines Objektes ist ein Sonderfall des Umbaus.“ 134
Fritz Haller (1924-2012) steht mit seinen Entwürfen ikonisch für eine Architektur
der kontinuierlichen Systeme. Sowohl für kleinste Maßstäbe wie dem erfolgreichen
Möbelsystem USM Haller (Abb. 147) als auch für größere Maßstäbe wie die Totale
Stadt, die sich zum Ziel nimmt, außerterrestrische menschliche Kolonien zu gestal-
ten, entwirft Haller präzise durchkonstruierte Systeme. Jeweils basierend auf
Modularität, die es erlaubt, beliebig anzuschließen, auszutauschen oder zu erweitern,
bildet er ab 1949 Bauserien, die im Gegensatz zu den Ideen seines Mentors Konrad
Wachsmann, zeitlebens in der Praxis Anwendung fanden. Neben USM sind es
Stahlbausysteme, die nach Umfang und Größe in MINI (Abb. 148), MIDI (Abb.
149) und MAXI (Abb. 150) unterteilt werden. Das wiederkehrende Konzept der
Modularität wird jeweils auf den Bauort und dessen spezielle Vorgaben appliziert.
Im MINI-System werden Wohnbauten, Büros und Schulen realisiert, im MIDI-System
hochinstallierte Gebäude wie Forschungszentren, im MAXI-System schließlich In-
dustriebauten.
Insbesondere ist das System MIDI von Interesse. Es setzt sich von herkömmli-
chen modularen Bausystemen ab, indem es mit dem CAD-basierten Installations-
programm ARMILLA135 ein gebäudetechnisches Ausstattungssystem generiert, das
auf die modulare Architektur abgestimmt ist. Die Gewerke arbeiten in einem ge-
meinsamen Arbeitsschritt, jeweils mit demselben CAD-basierten raumbildenden
Modell. Dadurch wird ein Maximum an Effizienz durch die wegfallende traditionel-
le Gewerke-Abstimmung gewonnen, was in Zeiten der komplexer gewordenen
Spezialisierungen der Branche ein Statement hin zu einer Vereinfachung und Rück-
führung auf das Baumeisterliche der architektonischen Tätigkeit darstellt.
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 111
Innerhalb des Werkes von Fritz Haller findet sich eine beeindruckende Konsequenz
der Verwendung von wiederkehrenden Konzepten. Das IFIB in Karlsruhe, an dem
Haller lange Zeit geforscht hatte, ist nach wie vor in der Entwicklung des Industriel-
len Bauens in seinem Sinne involviert und betreut das System ARMILLA und seine
Nachfolger im Bereich der Gebäudeautomation. Auf außer-universitärer Ebene hat
sich aber infolge der fehlenden Nachfrage auch ARMILLA leider noch nicht be-
währen können. Der größte Erfolg gelingt Haller im Bereich der Möbelproduktion
von USM, die ein Verkaufsschlager geworden und nach wie vor eine gefragte Büro-
einrichtung ist, von der er sich später allerdings selbst distanziert hat. Im Bereich
der Fertighaus-Industrie haben sich hingegen viele andere Konzepte durchgesetzt
und werden beispielsweise von Firmen wie Muji in Japan (z.T. entworfen von Ken-
go Kuma) mit durchaus großem Absatz produziert.
Aldo Rossi (1931-1997) ist einer der wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts.
Aus der Negation des Funktionalismus und der Kritik an der Moderne entwickelt er
ein System der persönlichen Architektur, die sich auf das Memorieren,
Wiederkehrenlassen und das fragmentarische Erinnern mit geometrischen Formen
stützt. Seine frühen Gebäude, die auf geometrische Archetypen aufbauen, werden in
seinem Werk, das in späteren Jahren zunehmende Anerkennung erfährt, immer
wieder zitiert, variiert oder in Details als Erinnerung wach gehalten. In seiner
Wissenschaftlichen Autobiografie von 1981 erklärt Rossi:
„In my projects, repetition, collage, the displacement of an element from one design to another,
always places me before another potential project which I would like to do but which is also a
memory of some other thing.“
„The question of the fragment in architecture is very important since it may be that only ruins
express a fact completely (...) I am thinking of a unity, or a system, made solely of reassambled
fragments.“ 136
Obwohl er sich zeitlebens dagegen sperrt, rückt diese Vorgehensweise Rossi in die
Nähe der Postmoderne. Was ihn tatsächlich formal davor bewahrt, ist seine Ernst-
112 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
haftigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die fast völlige Absenz
der postmodernen Ironie macht aus seinem Werk eine melancholische, bisweilen
mystische Meditation über das Ewige der geometrischen Form. Seine Wiederkehr ist
werkübergreifend, indem von ihm entwickelte Lösungen oder Details wiederkehren,
als auch eine biografische Wiederkehr expliziter, persönlich erlebter Architekturge-
schichte wie am Beispiel der Ecksäule Filaretes in Venedig (Abb. 151), die wie ein
bereits ihrerseits historisches Fragment als absurdes Detail an einem Palazzo ver-
baut ist und bei Rossis Beitrag für die 1987 IBA an der Kochstraße in Berlin (Abb.
152), nur scheinbar unmotiviert, wieder auftaucht und dem Gebäude seinen
Wiedererkennungswert verleiht, oder wenn er ein Fassadenteil des Palazzo Farnese in
einem Berliner Block wiederkehren lässt (Abb. 153).
Rossis besonderes Prinzip der Wiederkehr wurde u. a. zur sogenannten Analogen
Architektur erweitert: Ein Gebäude oder ein Gebäudeelement wird analog zu beste-
henden Gebäuden entworfen. Diese Entwurfsstrategie begründet später eine eigene
Richtung an der ETH Zürich. Rossi schreibt über sogenannte „analogical links“
zwischen Gebäuden:
„Identity is something unique, typical, but it is also a choice (...) There is something analogous in
architecture (...) They [swiss timetables] brought me again to the idea of analogy, which i have
already regarded as the realm of a probability, of definitions that approximated the object through a
kind of cross-referency. They intersect like timetables.“ 137
Einerseits kann das Werk von Rem Koolhaas (*1944) als vielfältig und schwierig zu
kategorisieren bezeichnet werden. Andererseits bindet sich Koolhaas trotz schein-
barer Unendlichkeit seines Konzeptreichtums an einige beinahe sklavisch wieder-
kehrende Motive. Im Großteil seines Outputs seit den 80er Jahren finden sich wie-
1.2 Wirkung und Einfluss von Wiederkehr: Aspekte und Beispiele 113
derkehrend angewendete Entwurfsmittel. Den größten Raum dabei nimmt die Idee
der Passage ein. Wie schon Le Corbusier mit seiner berühmten promenade
architecturale versucht Koolhaas, bei aller Komplexität seiner meist sehr großen Ge-
bäude, eine einfache Fußgänger-taugliche Passage zu errichten, die alle relevanten
Ebenen des Gebäudes miteinander verlinkt. Der Spaziergänger im Sinne Le
Corbusiers soll auf seiner Promenade die Nutzungen begehen und als solcher die
räumlichen Ideen des Gebäudes erfahren. Dies kann auf breiter Ebene geschehen
wie bei den Beispielen der Kunsthal (Abb. 157) in Rotterdam (1993), dem Utrechter
Auditorium (Abb. 158) von 1998 oder der Seattle Central Library (2004), bei denen sich
die zueinander gekippten Geschossebenen selbst verlinken, oder aber als labyrin-
thisch verzweigtes Wegenetz zwischen den Raummassen, zu erleben bei der Nieder-
ländischen Botschaft (Abb. 154) in Berlin (2003) oder der Casa da Música (Abb. 156) in
Porto (2005). Auch sein bisher größtes Bauvorhaben, das CCTV (Abb. 155) in
Peking (2009) beinhaltet eine öffentliche Passage entlang den Konturen der Gebäu-
deform. Den Grundstein für seine Konzepte legt Koolhaas mit seiner Publikation
Delirious New York von 1978.139 Darin erläutert er seine Ansichten über Raster, Ebe-
nen und Passagen, indem er diese rückblickend auf den sogenannten Manhattanismus
projiziert. Das Raster der Stadt, ausgefüllt mit zum Teil sehr ungewöhnlichen Kon-
zepten innerhalb der Baulinien, illustriert er in der manifestosen Collage City of the
captive Globe, die Stapelung verschiedener Nutzungen übereinander, verbunden
durch Passagen, erläutert er am Beispiel der Golf-Courts im Rockefeller Center.
Koolhaas reaktiviert die benannten Konzepte aus Delirious New York bei seinen
eigenen Entwürfen und Projekten, mal offen und provokant, mal versteckt und
hintergründig, um ihnen allerdings auch stets Konzepte des aktuellen Mediendiskur-
ses, der erweiterten Möglichkeiten der digitalen Tragwerksgestaltung und den An-
forderungen der jeweiligen Aufgabenstellung beizumengen.
Koolhaas‘ Einfluss sowohl als Architekt wie als auch Lehrer ist seit den 70er
Jahren immens. Nicht nur ist praktisch eine ganze Generation bekannter Architek-
ten seinem Büro entstiegen, seine Bauten zählen heute zu den meistbeachteten
weltweit und repräsentieren häufig sowohl den Stand der Technik als auch die
Grenzen der konzeptuellen Kompetenz. Ákos Moravánszky schreibt:
„Die Folgen der Globalisierung auf die Stadtentwicklung untersuchend, versucht er, die Möglich-
keiten und Aufgaben des Architekten ohne Illusion, aber mit Ironie neu zu definieren.“ 140
Seine wiederkehrend verwendeten Konzepte der Ebenen und Passagen gehören mitt-
lerweile zum fest verankerten Kanon des architektonischen Ausdrucks und auch
wenn er sich häufig unbefangen gibt, sind seine neuen Lösungen stets von bekann-
ten, programmatischen Details durchsetzt.
v
116 Claire Zimmermann. Von der lesbaren Form zum erinnerbaren Bild: Architektonisches Wissen von
Rudolf Wittkower zu Reyner Banham. In: Candide No. 5. ACTAR. Barcelona 2012117 Leonardo
Benevolo. Die Geschichte der Stadt. Campus. Frankfurt 2007. S. 241
118 ebd. S. 171
119 ebd. S. 250, 248
114 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
120 Sigfried Giedion. Architektur und das Phänomen des Wandels. Wasmuth. Tübingen 1969. S. 99
121 vgl. Heinrich Laag. Kleines Wörterbuch der frühchristlichen Kunst und Archäologie. Reclam.
Stuttgart 1990
122 Werner Blaser. Natur im Gebauten: Rudolf Steiner in Dornach. Birkhäuser. Basel 2002. S. 7
123 vgl. Wolfgang Pehnt. Die Architektur des Expressionismus. Hatje. Stuttgart 1998
124 vgl. Anthony Tischhauser. Imre Manovecz. Urachhaus. Stuttgart 2002
125 Jean-Louis Cohen. Le Corbusier. Taschen. Köln 2004. S. 15
126 vgl. Arthur Drexler, Colin Rowe, Kenneth Frampton. Five Architects: Eisenman, Graves, Gwathmey,
S. 23
130 vgl. Christopher Alexander. A Pattern Language. Oxford University Press. 1978
131 vgl. Erich Gamma, Richard Helm, Ralph Johnson, John Vlissides. Entwurfsmuster. Addison-Wesley.
München 2004
132 u.a. Rem Koolhaas, Hans Ulrich Obrist. Von fließender Systematik und generativen Prozessen.
In: Entwurfsmuster: Raster, Typus, Pattern, Script, Algorithmus, Ornament. Arch+ 189. Aachen
2008. S. 20 ff.
133 Christopher Alexander. Notes on the Synthesis of Form. Harvard University Press. Boston 1964.
S. 132
134 H. Wichmann (Hg.) Fritz Haller. Bauen und Forschen. Dokumentation der Ausstellung. Solothurn
1988. S. 1.0
135 vgl. Volkmar Hovestadt, Ludger Hovestadt. The Armilla Project. Automation in Construction.
1.3 Schlussbetrachtung. Wiederkehr als permanentes Entwurfswerkzeug 115
1.3 Schlussbetrachtung
Wiederkehr als permanentes Entwurfswerkzeug
heißt für die bauherrenbestimmte Architektur weiterhin, dass die Anzahl ihrer ver-
wendeten Teile möglichst gering ausfallen sollte. Zusätzlich dazu gilt, je massen-
kompatibler die verwendeten Elemente, desto garantierter die Minderkosten für den
Bauherren bei Verzicht auf Sonderanfertigungen, Einzelzulassungen oder weite
Transportwege. Die durch den digital turn ermöglichte Massenproduktion von Ein-
zelstücken, die sich ähnlich sind, aber nicht identisch, ist ein Faktor im Erschei-
nungsbild der Architektur von morgen mit weitreichenden Konsequenzen. Jedoch
ist dieser abhängig vom Zeitpunkt der mehrheitlichen Umstellung der industriellen
Produktion und dem architektonischen Entwurf beziehungsweise dessen Notation
auf einen digitalen Workflow. Der Begriff der Wiederholung, im Gegensatz zu
seinem Spezialfall Serialität (identische Elemente), verändert sich damit jedoch kei-
neswegs, denn Ähnlichkeit ist, wie an anderer Stelle erläutert, als Variation ein expli-
zites Prinzip seiner Anwendung.
Der interessante Fall der Immateriellen Wiederkehr, der mit den Sachverhalten der
Konzeptwiederkehr und stilistischen Wiederkehr operiert, scheint eine der Kulturpro-
duktion allgemein anhaftende Anwendung zu sein. Das Zitieren, das Remixen, das
Beschwören von Vergangenem oder bereits Hergestelltem erfährt eine ungebroche-
ne Anziehungskraft. Mit jeweils unterschiedlichen Herangehensweisen und kultur-
wissenschaftlichen Begriffen unterlegt, wird von der Antike an mit sogenannten
Stilen und einzelnen Versatzstücken als wiederkehrender Legitimator für etwas „Neu-
es, das (in Teilen) schon da war“ operiert: als identitätsstiftender Baustil einer
Hochkultur, als Wiederverwendung/ Recycling oder Zurschaustellung von Spolien,
als aufgreifende Adaption und Weiterentwicklung von technischen Errungenschaf-
ten, als Historismus, als medialer Bedeutungsträger, als postmoderner Ironismus, als
Dekonstruktion, als bionische Imitation, als dub in der musikalischen Remix-Kultur,
die seit langem auch Literatur und Kunst erfasst hat oder ganz allgemein als Erinne-
rung. Diese offene Liste zeigt, dass jede Form von Architektur eine Haltung auf die
Frage nach Wiederkehr, Materiell oder Immateriell, gibt, denn abgesehen von der zwin-
genden Wiederkehr infolge der architektur-sprachlichen Ordnung des Entwurfs, stellt
sich dieser, ob bewusst oder unbewusst, auch einem Aspekt des Diskurses der Im-
materiellen Wiederkehr, indem er bekannte Themen aufgreift oder negiert oder ver-
sucht, diese neu zu erfinden. Dabei obliegt es, Umberto Eco folgend, dem Interpre-
ten zu gleichen Maßen wie dem Urheber, Sinnzusammenhänge141 im kulturge-
schichtlichen Diskurs aufzustellen innerhalb der Grenzen des interpretatorisch
Sinnfälligen.142 Da Wiederkehr unter anderem auch unbewusst auftritt, nämlich in
Form der Ideenbeeinflussung des Entwerfers, die wiederum auf seiner unterbewusst
gebildeten Erfahrung aufbaut, gehört sie zum omnipräsenten Werkzeug eines jeden
Entwurfes. Sie ist konstitutiv, denn jede Architektur bildet sich aus Summen und
Anzahl Wiederkehrender Elemente, und jede Architektur steht in Beziehung zu bereits
gebauter Architektur, die über Erfahrung, Unterbewusstsein oder kollektivem Ge-
dächtnis Eingang in die Morphologie des Neubaus als Immaterielle Wiederkehr gefun-
den hat. Zu letzterer Theorie des Kollektiven Gedächtnisses schreibt Maurice Halb-
wachs:
1.3 Schlussbetrachtung. Wiederkehr als permanentes Entwurfswerkzeug 117
„Unsere Bildung, unser Geschmack und unsere Neigungen, die in der Auswahl und der Anord-
nung der Gegenstände zutage treten, erklären sich in starkem Maße durch die Bande, die uns stets
mit einer großen Anzahl wahrnehmbarer oder unsichtbarer Gesellschaften verbinden (...) Wenn die
Steine sich auch versetzen lassen, so kann man doch nicht ebenso leicht die Beziehungen verändern,
die zwischen Steinen und Menschen entstanden sind (...) Der Raum indessen ist eine Realität, die
andauert: unsere Eindrücke jagen einander, nichts bleibt in unserem Geist haften, und es wäre
unverständlich, dass wir die Vergangenheit wieder erfassen können, wenn sie nicht tatsächlich
durch das materielle Milieu aufbewahrt werden würde, das uns umgibt.“ 143
Wie an anderer Stelle erläutert, ist diese Erfahrung, von der auch Halbwachs spricht,
im Umgang mit Entwurfswerkzeugen die Voraussetzung für deren erfolgreiche An-
wendung.
Der Gebrauch beider Arten der Wiederkehr hat im Verlauf der Baugeschichte zu
bemerkenswerten Errungenschaften architektonisch kompetenter Bauwerke ge-
führt. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie eine erfolgreiche Position in ihrem Maß-
bewusstsein gefunden und behauptet haben. Die diskutierten Beispiele zeichnen
sich dadurch aus, dass sie ihr Entwurfswerkzeug der Wiederkehr gebrauchen, ohne in
Maßlosigkeit abzustürzen. Das gelingt ihnen beinahe ausnahmslos darin, Reihen
entweder auf eine differenzierte Weise zu rhythmisieren oder spannungsreich zu
inszenieren, sodass sich eine Komplexität des Systems einstellt, die auf einer kalku-
lierten Emergenz ihrer Bestandteile beruht (z. B. die Dramatik der Sphingen-Häuser).
Vielfach ist die Brechung eines Regelsystems auf einen Kontrasteffekt hin der ent-
scheidende Faktor für die Erhaltung des richtig tarierten Maß. Natürlich existiert
das Gegenteilige in der gebauten Umwelt. Vorliegende Betrachtung verzichtet je-
doch bewusst auf eine Zurschaustellung der allgemein bekannten und leider viel zu
häufigen Architektur einer Maßlosigkeit an Wiederkehr, die es versäumt, architekto-
nische Kompetenz in allen triadischen Kategorien von Funktion/ Konzept, Gestal-
tung und Konstruktion zu erreichen. Dennoch sei in diesem Zusammenhang an die
weltweit in vielfacher Weise errichteten Ismen-Architekturen erinnert, die epigo-
nenhaft im Fahrwasser einiger bedeutender Vertreter ihrer Art errichtet werden,
aber über die bedrückende Banalität von Plattenbauten (als totale Materielle Wieder-
kehr), Effektplastiken (als globalisierte Immaterielle Wiederkehr eines einzigen erfolg-
reichen Konzeptes allerorten) oder ähnlichen nicht hinauskommen. Ihnen, wie auch
in den weltweit metastasenhaft wuchernden Fertighäusern oder durch institutionali-
sierte Baupolitik vorkonfektionierten Einzelhäusern auf addierten Schollen geht
nach einem bestimmten kritischen Massepunkt das Maßhalten bei der Wiederkehr ab.
Das bedeutet sowohl im gebäudereferentiellen Maßstab die tumbe Wiederholung
einiger weniger Elemente ohne strukturelle Brechung oder kompositorischen Nut-
zen, sowie im städtebaulichen Maßstab die Eliminierung von Individualität/ Identi-
tät durch kommerzielle, ortsunspezifische Neubauten in riesiger Zahl. Daraus bleibt
zu folgern, dass der Gebrauch von Wiederkehr zu hoher architektonischer Kompe-
tenz führen kann bei einem Gefühl des Entwurfs für das angemessene Anwen-
dungsziel, aber gleichzeitig derselbe Gebrauch von Wiederkehr in den Flächenbrand
der hirnlosen Wiederholung (copy/ paste) führen kann. So birgt Wiederkehr wie jedes
118 1. Die Verwendung von Wiederkehr als Entwurfswerkzeug
140 vgl. Umberto Eco. Das offene Kunstwerk. Suhrkamp. Frankfurt 1977
141 vgl. Umberto Eco. Die Grenzen der Interpretation. DTV. München 1999
142 Maurice Halbwachs. Das kollektive Gedächtnis. Ferdinand Enke. Stuttgart 1967. S. 127 ff.
119
2.1 Der Begriff der Mehrdeutigkeit: Ableitungen aus Texten von Ro-
bert Venturi, Colin Rowe und Rem Koolhaas
Jedes architektonische Element, dass zwei oder mehr Systemen im selben Objekt
simultan und hierarchielos dient, ist mehrdeutig. Der Terminus Mehrdeutigkeit in Ver-
bindung mit Architektur beschreibt einen Sinnkomplex, der zwar bereits bei frühes-
ten Gebäuden vorkommt, dem sich bisher aber erst selten definitorisch genähert
worden ist. Erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen in kurzer Folge
hintereinander mehrere Traktate, die sich hauptsächlich in einem morphologischen
Sinne der Idee annahmen. Im Folgenden soll sich über drei einschlägige Texte von
Venturi, Rowe und Koolhaas der Idee genähert werden, wobei festzustellen ist, dass
alle drei jeweils nur einen Aspekt berücksichtigen. Der Abschnitt schließt mit einer
erweiternden Definition der Mehrdeutigkeit, wie sie als Basis für den phänomenologi-
schen zweiten Teil der Arbeit dienen soll, sowie abschließenden Gedanken zur
Überlagerung von Systemen.
Die bekannteste Einführung des Themenkomplexes stammt von Robert Ventu-
ri aus seinem zuerst 1966 erschienen Werk Complexity and Contradiction.144 Darin
versucht der Autor, sich gegen den vorherrschenden Simplizismus in den Bauten
der Nachmoderne zu wehren, indem der Gegen-Entwurf einer Architektur der
Komplexität aufgestellt wird. Zu deren Verwirklichung tragen unter anderem Mehr-
deutige Elemente bei. Der Manifest-Charakter seiner Schrift wird unterstrichen durch
persönlich-aktionistische Statements zu Vorteilen der Mehrdeutigkeit wie:
„I welcome the problems and exploit uncertainties of future architecture (...) I am for richness of
meaning rather than clarity of meaning (...) I like elements which are hybrid rather than pure.“ 145
Venturis Buch arbeitet mit einer großen Anzahl an Bildmaterial und verlässt sich
treffenderweise auf diese hauptsächlich bildliche Argumentation. Er unterscheidet
zwei Varianten von Elementen: Die erste wird both-and element betitelt und be-
schreibt ein sogenanntes double meaning in relation of the part to the whole im Sinne eines
Gegensatzes (contradiction). Beispiele für diese widersprüchliche Ebene der Mehrdeutig-
keit sind Elemente, die im Detail als zu groß für ihre Aufgabe dimensioniert worden
sind, aber ihrerseits im Verhältnis zur Größe des Gesamtgebäudes dennoch klein
wirken (wie Schlusssteine bei gemauerten Fensterstürzen). Venturi sieht diese Form
eines Gegensatzes auf Elementebene als essentiell an für den Aufbau von Spannung
innerhalb eines Gebäudes:
Die zweite Variante ist nach Venturi das sogenannte double functioning element. Hierbei
dient das Element zwei Funktionen. Die Besonderheit der Mehrdeutigkeit entsteht
durch die fehlende Hierarchie der Funktionen: Es ist nicht eindeutig geklärt, was die
eigentliche Hauptfunktion des Elementes ist. Als Beispiel führt Venturi die brise-
soleils der Unité d‘Habitation von Le Corbusier an:
„[They] are structures and porches as well as sunscreens. Are they wall segments, piers or col-
umns?“ 147
„Widerspruch [ist] ein Makel, der als elementare Tatsache von Robert Venturi wirkungsvoll
verschleiert worden ist (...) Der innere Widerspruch, (...) eine falsche Verwendung eines Begriffes
aus der Logik (...), den Venturi verteidigt, ist ein Vorstoß gegen die Ordnung, ein Fehler begangen
2.1 Der Begriff der Mehrdeutigkeit 121
aus Unwissenheit oder aus Versehen oder zu einem untauglichen Zweck. (...) Ein Objekt kann
mehrere Funktionen erfüllen, vorausgesetzt, diese Funktionen sind nicht unvereinbar.“ 149
„Venturi bringt viele ausgezeichnete Beispiele für Komplexität. Aber er stellt die irreführende
Behauptung auf, diese Komplexitäten enthielten einen Widerspruch und seien deshalb ungeordnet –
in Wirklichkeit sind sie das so gut wie nie (...) Sie halten einander im Gleichgewicht.“ 150
Abgesehen von diesem logischen Einspruch ist vor allem dem allzu pragmatischen
Charakter in der Rezepthaftigkeit von Venturis Schrift immer wieder Kritik entge-
gen geschlagen. Außerdem zu einem nicht geringen Teil, weil dessen eigene Gebäu-
de selten die Kompetenz der diskutierten Bauten aus seiner einflussreichen Beispiel-
sammlung erreichen, obwohl er explizit seine Theorie der Komplexität und später
der Ikonographie bei ihnen angewendet sieht.
Zusammenfassend gesehen, besitzen Venturis Untersuchungen einen einzelgän-
gerischen Zug. Statt tatsächliche Empirie zu verwenden, argumentiert er mit einem
für die damalige Zeit neuen Phänomenologie-Prinzip, das aus persönlicher Exegese
der Baugeschichte besteht. Seine erste, frühe Version der Mehrdeutigkeit wäre haupt-
sächlich dem morphologischen Wirken zuzurechnen, das aus Komplexität erzeu-
genden Elementen in einem Gebäude besteht. Diese Komplexität wird durch Dop-
pelfunktion oder Gegensatz von Elementen auf einer formalen Ebene hervorgeru-
fen. Dabei fehlt es Venturi an präzisen Abgrenzungen oder Taxonomien und letzt-
lich auch an dem Umkehrschluss zu einer aktiven entwurfswerkzeuglichen Verwendung
der aufgespürten Phänomene.
Ein wenig früher als Venturis Schrift, nämlich in den 50ern als Vorabdruck,
erscheint die bahnbrechende Untersuchung Transparenz von Colin Rowe und Ro-
bert Slutzky, die einen ähnlichen inhaltlichen Zweck verfolgt, aber, statt phänome-
nologisch wie Venturi, über geometrische Empirie von Typologien vorgeht. Folg-
lich ist auch sie dem morphologischen Wirken von Mehrdeutigkeit zuzurechnen,
wenn auch in einer differenzierteren, typologischen Argumentation. Es folgt eine
erneute Publikation 1964, die allerdings wegen ihrer Polemik gegen Walter Gropius
wieder zurückgezogen wird und erst später, 1968, vollständig erscheinen kann und
damit letztlich erst nach Venturis Buch veröffentlicht worden ist. Mit einem wesent-
lichen Kommentar ihres Übersetzers Bernard Hoesli versehen, der die Ideen von
Rowe und Slutzky zu verallgemeinern versucht und einem erneuten Addendum von
1982, versammelte die dritte Auflage des Werkes von 1989 schließlich die gesam-
melten Thesen zur Transparenz, die ähnlich wie Venturis Gedanken zu einem vielzi-
tierten Schlüsseltheorem der Postmoderne werden.
Rowe und Slutzky gehen bei ihrer Argumentation davon aus, dass ähnlich der
Prämisse der vorliegenden Arbeit:
122 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„an einem [gebauten] Beispiel demonstriert werden kann, dass aus dem empirisch Entstandenen
theoretische Grundlagen gewonnen werden können.“ 151
An dieser Stelle taucht auch erstmals der in vorliegender Arbeit verwendete Termi-
nus Werkzeug als begriffliche Stütze auf. Was von den Autoren als Werkzeug verstan-
den wird, ist die morphologisch angewendete Schaffung der Transparenz, und zwar
statt im herkömmlichen in einem übertragenen Sinne. Dieser ist anders als der ma-
terielle, konventionelle Begriff der Transparenz von Glas wie bei dem curtain-wall-
Prinzip (Bauhausgebäude Dessau) zu verstehen, nämlich vielmehr als das raumgeomet-
rische Konzept der Villa Stein: „Das sich gegenseitige Durchdringen, ohne sich optisch zu
zerstören.“ 153 Im Sinne der Mehrdeutigkeit hieße das, dass der überlagerte Raumteil,
sowohl dem einen wie auch dem anderen Raum zugehörig ist und eben mehrere
(geometrische) Deutungen zulässt. Die ursprüngliche Bezugsquelle der Autoren ist
ein Text von György Kepes über den Kubismus. Darin schreibt dieser über die
Malerei jener Epoche:
„Wenn man zwei oder mehrere Figuren sieht, die einander überschneiden, und jede den gemeinsa-
men Teil für sich selbst beansprucht, steht man vor einem Widerspruch der räumlichen Dimension.
Um diesen Widerspruch aufzulösen, muss man die Anwesenheit einer neuen optischen Qualität
annehmen. Die Figuren werden mit Durchsichtigkeit ausgestattet, das heißt, sie sind in der Lage,
sich gegenseitig zu durchdringen, ohne sich optisch zu vernichten. Doch enthält Transparenz mehr
als ein optisches Charakteristikum, sie impliziert eine umfassendere räumliche Ordnung. Transpa-
renz bedeutet eine gleichzeitige Wahrnehmung von verschiedenen räumlichen Lagen. Der Raum
dehnt sich nicht nur aus, sondern fluktuiert in kontinuierlicher Aktivität. Die Lage der transpa-
renten Figuren hat einen zweideutigen Sinn, wenn man jede Figur bald als die nähere, bald als die
entferntere sieht (...) Dieser Definition zufolge hört Transparenz auf, das zu sein, was vollkommen
klar ist, und wird stattdessen zu etwas, das deutlich zweideutig ist.“ 154
„[Gropius] verhindert die Möglichkeiten einer potentiellen Mehrdeutigkeit (...) so werden ihm nur
wenige der mehrdeutigen Eindrücke bewusst, die von Transparenz im übertragenen Sinne ausge-
hen.“ 155
2.1 Der Begriff der Mehrdeutigkeit 123
Auf diese Weise fassen die Autoren beide Verwendungen der Transparenz, im her-
kömmlichen wie übertragenen Sinn, zusammen. Als ein weiteres prominentes Bei-
spiel von Transparenz im übertragenen Sinne führen die Autoren Le Corbusiers
Wettbewerbsbeitrag des Völkerbundpalast in Genf von 1927 an und schreiben:
„[dass dessen] räumliche Schichtungen – Mittel, mit denen der Raum verwirklicht und gegliedert
wird – das Wesen jener Transparenz im übertragenen Sinne sind.“ 156
Sie stellen fest, wie bereits bei Venturis Begriff des Widerspruch:
„[dass es] eine ununterbrochene Dialektik zwischen Tatsache und Andeutung gibt (...) durch
deren resultierenden Spannung Lesart um Lesart erzwungen wird,“ 157
In Bernard Hoeslis Kommentaren und dem späteren Addendum wird der Begriff
Transparenz mit einem noch allgemeineren Inhalt gefüllt. Hoesli definiert Transparenz
folgendermaßen:
„Etwas, das immer dort entsteht, wo es im Raum Stellen gibt, die zwei oder mehreren Bezugssys-
temen zugeordnet werden können – wobei die Zuordnung unbestimmt und die Wahl einer jeweili-
gen Zuordnungsmöglichkeit frei bleibt.“ 158
Hoesli benutzt Transparenz abwechselnd als Vertreter der Gattung Werkzeug, In-
strument, Technik oder als Mittel des Entwurfes, ohne sich dabei festzulegen. Zu-
nächst gibt er aus der Betrachtung der Empirie die Definition der Gattung vor:
„Der Transparenzbegriff wird zum Werkzeug der Betrachtung; er ermöglicht Verstehen und
Werten. Er wird zugleich aber auch sofort zum operativ einsetzbaren Mittel, mit dessen Hilfe
während der Entwurfsarbeit Formordnung gedanklich ermöglicht und zeichnerisch erstellt werden
kann (...) Er ist ein Werkzeug, um bei der Entwurfsarbeit komplexe Ordnungssysteme hervorzu-
bringen.“ 159
Das Addendum von 1982, das bezeichnenderweise den Titel „Transparenz – Mittel
des Entwurfes“ trägt, fasst in einer noch weiter reichenden Definition den Gattungs-
begriff der Transparenz an, so wie er bereits bei der Begriffsdefinition des Entwurfs-
werkzeugs zu Beginn der vorliegenden Arbeit zitiert wurde:
„Transparente Formorganistion sollte als ein Hilfsmittel beim Entwerfen, als eine Technik zur
Schaffung einer nachvollziehbaren Ordnung betrachtet werden, ähnlich wie beispielweise die Ver-
wendung axialer Reihung, Wiederholung oder Symmetrie. Als Mittel der Formorganisation schafft
Transparenz Klarheit und erlaubt gleichzeitig Ambivalenz und Zweideutigkeit.“ 160
Über den unmittelbaren Bezug zum Begriff Mehrdeutigkeit ist darüber hinaus Fol-
gendes von besonderem Interesse:
124 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Die transparente Organisation von Mehrdeutigkeit bietet eine besonders wirksame Möglichkeit
der Schaffung von Ordnung (...) es verbindet sich bei der Transparenz eine aufgezwungene Ord-
nung gleichzeitig mit der Möglichkeit einer freien Entscheidung.“ 161
Daraus ergibt sich eine Deutungshoheit des Betrachters über die unterschiedlichen
Lesarten der Mehrdeutigkeit im morphologischen, das heißt räumlichen Sinne. Der
Betrachter kann changierend zwischen den verschiedenen Interpretationsmöglich-
keiten des Raumes wählen. Wie in Balthasar Neumanns berühmten Treppenhaus
der Würzburger Residenz (Abb. 163) läuft die räumliche Disposition des zweigeschos-
sigen Hauptraumes, der dennoch „nur“ erschließende Funktion hat, auf eine Viel-
zahl von Zugehörigkeiten sowohl vertikal als auch horizontal hinaus, sodass eine
interpretationsoffene Hierarchie stets aufs Neue gebildet werden kann. Nach Hoesli
liegen die Vorteile der transparenten Raumorganisation in folgenden Schlagworten
begründet:
Mit anderen Worten, Transparenz ist ein geometrisches Mittel zur Schaffung von
morphologischer Mehrdeutigkeit.
Zusammenfasend kann die Textsammlung Transparenz als eines der wichtigsten
architekturtheoretischen Statements sowohl zur Etablierung des Werkzeugbegriffes im
Entwurf als auch zur Etablierung der Mehrdeutigkeit als entwurfliches Qualitäts-
merkmal herangezogen werden. Aber beide, sowohl Transparenz als auch Venturis
Complexity and Contradiction, fassen ihre Thesen in einem ausschließlich morphologi-
schen Sinne auf. Von den beiden wird übergangen, dass lediglich der Aspekt der
Form und mithin ihrer Gestaltung in einem ausschließlichen Fokus ihrer Betrach-
tung steht. Eine Erweiterung auf den funktionalen Aspekt der Mehrdeutigkeit ist
höchsten immanent vorhanden, wenn Hoesli in seinem Kommentar davon spricht,
dass „der Raum die gemeinsame Grundlage von Nutzung und Form ist.“ 163 Insgesamt bleibt
eine explizite Anwendung der Mehrdeutigkeit auf Basis der Funktion jedoch aus. Dass
sich aber Mehrdeutigkeit auch aus Mehr- oder Multifunktionalität ergibt, wird von
beiden noch übergangen.
Diesen entscheidenden fehlenden Schritt unternimmt Rem Koolhaas 1978 in
seinem Buch Delirious New York. Die bedeutende urbanistische Studie, die dessen
Autor als retroaktives Manifest verstanden sehen will, ist bei aller selbstauferlegten
Bindungsfreiheit zu anderen veröffentlichten Manifesten und Theorien, ein wichti-
ger Baustein innerhalb des Diskurses der Mehrdeutigkeit auf Basis von Funktionalität.
Koolhaas benutzt in einer ihm eigenen Sprache mit bewusst verschleierndem Voka-
bular, das sich davor hütet, in pragmatische Thesen oder gar Anwendbarkeit zu
verfallen, einige der herausragenden Architekturen Manhattans, um deren ungesagte
Entstehungsmechanismen und -regeln aufzuzeigen. Der Terminus des Werkzeugs
oder andere bereits verwendete Definitionen tauchen selbstverständlich in seinem
als singulär und nachträglich wirken wollenden Manifest für den Manhattanismus
nicht auf. Wohl aber wird mit dem Begriff des Rasters und dessen funktionaler
2.1 Der Begriff der Mehrdeutigkeit 125
Brechung, was im wesentlichen den Kern des Manhattanismus ausmacht, die Metho-
de zur Erzeugung von Venturischem Widerspruch auf funktionaler Ebene fortge-
schrieben und zu einen allgemeinen Urbanismus-Prinzip der Metropole an sich
erhoben. In einer dem eigentlichen Text, welcher bewusst postmodern in fragmen-
tarischer Form geclustert wird, vorangestellten Erklärung schreibt Koolhaas:
„Das Raster ist zuallererst eine konzeptuelle Spekulation. Trotz seiner scheinbaren Neutralität
impliziert es ein intellektuelles Programm für Manhattan: Indifferent gegenüber der Topographie,
gegenüber dem Bestehenden, behauptet es die Überlegenheit geistiger Konstrukte über die Wirk-
lichkeit (...) Alle Blocks sind identisch; ihre Gleichwertigkeit entkräftet (...) sämtliche Gliede-
rungs- und Differenzierungsysteme, wie sie für die Anlage herkömmlicher Städte maßgebliche
gewesen sind. Es zwingt die Erbauer Manhattans, ein neues System formaler Werte zu entwickeln
und Strategien zu ersinnen, mit denen ein Block vom anderen unterschieden werden kann (...) Im
einzelnen Block (...) entfaltet es ein Maximum an urbanistischem Ego.“ 164
Über die Vorgabe der Bebauung jeder einzelnen Rasterparzelle gelangt Koolhaas
zum Prinzip des Widerspruchs zwischen Hülle und Inhalt mittels der funktionalen
Unbestimmtheit der einzelnen Geschosse innerhalb der Gebäude. Denn aufgrund
der Dimensionen jedes einzelnen Rasterblockes wird Manhattan der Zwang aufge-
nötigt, jede Parzelle wie eine eigene Stadt aufzubauen, die die Versorgung mit
Wohn-, Arbeits- und Freizeitraum nebst Einkaufsraum sicherstellen muss.
„In urbanistischer Hinsicht bedeutet diese Unbestimmtheit, dass ein gegebenes Grundstück nicht
mehr einem einzelnen vorher festgelegten Zweck gewidmet werden kann. Von nun an beherbergt
jedes Grundstück eine [...] Kombination simultaner Aktivitäten.“ 165
„In der bewussten Diskrepanz zwischen Hülle und Inhalt, entdecken New Yorks Schöpfer ein
Reich beispielloser Freiheit (...) Dieses wird genutzt als architektonisches Pendant zur Loboto-
mie.“ 166
Nichts anderes jedoch als die Grundzüge der Mehrdeutigkeit werden hier verhandelt
und ausgelegt, wonach die Interpretation der räumlichen und funktionalen Disposi-
tion dem Betrachter und Nutzer freigestellt werden.
Die zusammengefassten Erkenntnisse seines Manifestes münden in einer konzi-
sen Definition des urbanen Werkzeuges des Manhattanismus:
„Der Manhattanismus ist die urbanistische Doktrin, die unversöhnliche Gegensätze zwischen
einander ausschließenden Positionen aufhebt (...) wonach die unterschiedlichsten Programme gleich-
zeitig auf ein und demselben Grundstück existieren können.“ 167
126 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Ersetzt man geistig die Simultaneität mit dem bereits vorgestellten Terminus der
Transparenz, also des gleichzeitigen Existierens mehrerer Systeme hierarchielos im
selben Objekt, erhält Koolhaas‘ Manifest den ihr in dieser Arbeit zugewiesenen
Charakter der Erweiterung der Transparenz vom rein morphologischen zu einem
zusätzlichen funktionalen Entwurfswerkzeug.
An dieser Stelle einige abschließende Gedanken zur Bedeutung des Entwurfs-
werkzeugs der Mehrdeutigkeit. Schlussendlich sieht eine allgemeine Definition von
architektonischer Mehrdeutigkeit auf Basis der Untersuchungen von Venturi, Rowe
und Koolhaas folgendermaßen aus: Jedes architektonische Element, dass zwei oder
mehr Systemen im selben Objekt simultan und hierarchielos dient, ist mehrdeutig. Die
Systeme können morphologisch, funktional oder gedanklicher Natur sein. Dabei
kann der Maßstab von der kleinen Komponente bis zum ganzen Gebäudeobjekt
innerhalb einer städtebaulichen Figur reichen. Aus den ausgeübten Funktionen
ergibt sich die spezielle Morphologie des Objektes, wobei die Sinnhaftigkeit der
Funktionen auch durchaus im ornamentalen, visuell wirkenden Spektrum angesie-
delt werden kann. Beispiele für eine solche non-funktionale Überhöhung einzelner
Elemente in den mehrdeutigen morphologischen Bereich hinein wären Fritz Högers
Chilehaus in Hamburg (Abb. 164 Schiffsform), Oscar Niemeyers Wohnhaus Spitzbein
(Abb. 166 mit aberwitzigem geometrischen Kontrast zwischen Hauptkörper und
Erschließungsturm) oder Ludwig Leos Umlauftank 2 (Abb. 161, Funktionalismus in
beinahe schon zappaesker Morphologie). Und doch ist es genau diese anfängliche
Verwirrung mit potentieller Auflösung, die den Reiz des Widersprüchlichen aus-
macht, das den genannten Beispielen innewohnt. Sie alle erfüllen ihren Zweck, aber
geben sich nicht damit zufrieden. Sie engagieren sich darin, vermeintlichen Nicht-
Orten168 im Sinne Marc Augés mit einer mehrfachen Reizüberdimensionierung ent-
gegenzuwirken. Sie warten nicht auf andere Medien wie den Film, der Poesie aus
Nicht-Orten zu ziehen in der Lage ist, wie Wim Wenders bei Alice in den Städten169 aus
Wuppertal einen narrativen Ort voller Bedeutungen macht, die per se aber nicht
durch die vorhandene gebaute Umwelt allein vermittelt werden können, sondern sie
stemmen sich selbst mit den kompositorischen Möglichkeiten der architektonischen
Mehrdeutigkeit gegen ein mono-intentionales Dasein und sind am Ende mehr als das,
was sie sein müssten. Sie sind optimistische Erzeuger eines Plus. Sie dienen einem
System und gleichzeitig einem oder mehreren anderen Systemen. So werden sie
reich an Bedeutungen, haben sich verdichtet und ein Spannungspotential aufgebaut.
Sie können auf mehrere Weise gelesen werden und wenden sich damit sinnlich
entgegenkommend an ihre Betrachter, die sie damit zur Interpretation auffordern –
ein Akt der Kommunikation, eine Steigerung der Kompetenz von Gebäuden.
vii
144 vgl. Robert Venturi. Complexity and Contradiction in Architecture. Museum of Modern Art. New
York 2002. S. 16
145 ebd. S. 34
146 ebd. S. 20
147 ebd. S. 36
146 ebd. S. 40
149 Rudolf Arnheim. Die Dynamik der architektonischen Form. DuMont. Köln 1980. S. 168 ff.
150 ebd. S. 184 ff.
2.1 Der Begriff der Mehrdeutigkeit 127
151 Colin Rowe, Robert Slutzky, Bernard Hoesli. Transparenz. Einführung von Werner Oechslin.
Birkhäuser. Basel 1997. S. 7
152 ebd. S. 22
153 ebd. S. 38
154 zit. nach Görgy Kepes. The Language of Vision. Paul Theobald. Chicago 1944. S. 77. In: Rowe/
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 128
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit
Aspekte und Beispiele. Einleitung und Übersicht
der Absichten dieser Betrachtung jedoch, eine übersichtliche Einführung des funk-
tional-morphologischen Zusammenhangs der Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug zu
geben, sollte dieser kurze Ausschnitt aus einer großen Menge an Möglichkeiten
sowie ihr beispielhafter Abriss zunächst genügen.
Wiederum wird an dieser Stelle keine typologische Vergleichsebene hergestellt,
und es werden keine auktorialen oder historischen Aspekte berücksichtigt, die in
eine zeitformabhängige Auslegung oder Perspektive auf Architektur schließen las-
sen würden. Die Auswahl erfolgt aus der reinen entwurflichen Relevanz bezie-
hungsweise der Beschränkung auf bestimmte Einzelaspekte ein oder mehrerer
Entwurfsteile auf das postulierte Verhältnis von Werkzeug und Wirkung.
Übersicht
Energie Pfeifer Roser Kuhn, Saadi Rey, Jourda & HHS, Lovegrove,
Ortner Ortner, Kennedy Violich, Splitterwerk
Hohlraumsysteme Hypokausten, Kahn, Brunelleschi, Amalfi,
Hanssen, Schindler, Lee
Klima/ Technik Rogers & Piano, SANAA, Burgos, Naeen,
Douz, Grimshaw, Zumthor
Medien Cook, Giostra & Arup, Rom, Münster, Afsluitdijk,
Terragni, Ho, Ito, Klein Dytham, WOHA
Mobilität/ Ubiquität Spanien, Kuma, Argentinien Russland, Roussel,
LOT-EK, Aisslinger, Halong Bay, Rost Niederehe
Multifunktionalität Mattè-Trucco, Fujimoto, Atrani, Martinelli,
WOHA, Chang, Urbanus
Parametrik Kuma, Meyer H, Le Corbusier, Foster,
Bearth Deplazes, Hadid, Hovestadt
Polymorphologie (Elemente) Siza, Holl, Bamberg, Gaudi, Duiker, Niemeyer,
Scarpa, Coop Himmelblau, Murcutt, Fehn
Polymorphologie (Gebäude) Kroll, Nishizawa, Erfurt, Mallet-Stevens,
Williams, Mendes da Rocha, Lacaton Vasall, Fujimoto
Raumhaltigkeit Mei, OMA, Crozant, Knobelsdorff,
Barragán, Atelier Tekuto, Zumthor
Statik Wachsmann, Herzog de Meuron, Parler, Otto,
Ludloff Ludloff, Herzog de Meuron, Ito
Transformation Mies van der Rohe, Holl, Invernizzi, Beutom,
Prouvé, Ban, OMA, LOT-EK
Transluzenz Japan, Marokko, Indien, Italien, Brasilien, Le Corbusier, Costa,
Mestura, Reidy, Kahn, Foreign Office
Vegetationseinbindung Shuhei, Ecosistemas Urbanas, Lucca, Terragni,
Asplund, Nouvel & Blanc, Herzog de Meuron, Francois, Boeri
Wechselfunktionalität Gigon Guyer, Diller Scofidio, Savello, Prouvé,
Nouvel, Superuse, MINIWIZ
130 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Über eine aktive Klimahülle zu einem eigenen formalen Ausdruck. Was zunächst
wie eine fügsame Anbiederung an den gesetzlichen Architekturwunsch der Be-
bauungspläne wirkt, ist in Wirklichkeit eine außerordentlich raffinierte Möglichkeit,
dem Bebauungsplan genüge zu tun und im Gewand der formalen Hülle eine zum
Teil extravagante räumliche Komplexität zu erzielen. Das Patchworkhaus in Müll-
heim172 ist ein Doppelhaus als Passivhaus, deren beide Parteien einen umeinander
gedrehten Wohnraum besitzen, in dessen bündelnder, mehrdeutiger Erschliessungs-
zone (Abb. 169) sich eine gemeinschaftliche Atriumsituation befindet. Diese dient
nicht nur als subtiler kommunikativer Ankerpunkt der internen Erschließung (Abb.
167), die in Piranesi-artiger Kreuzung die übereinander verdreht angeordneten drei
Geschosse voneinander trennt, sondern sie ist in erster Linie Belichtungsinstrument
und Dreh- und Angelpunkt des energetischen Konzept des Hauses.173 Dessen
transparente Hülle ist bis auf Nord- und Südfassade aus Polycarbonat-Platten gefer-
tigt (Abb. 168). Sie dient ohne zusätzliche Dämmung, nur mit einer kontrollierten
Luftschicht als solarer Luftkollektor, der die in dem Dachspitz gesammelte Luft
erwärmt und über Kaminzüge in die tiefer gelegenen Geschosse strömen lässt. Über
elektronische Lüftungselemente kann der Luftstrom kontrolliert und im Sommer
abgeführt werden. Das Atrium und die Giebelwände dienen mit ihren massiven
Brettstapelwänden, bzw. Mauerwerk als Energiespeicher. Zusätzlich dazu sind die
Decken bauteilaktiviert, sodass hinter jedem Bauelement eine gedoppelte gebäude-
technische Funktion agiert.
Das Verblüffende an dem Haus ist sein internes Raumgefüge. Die drei in sich
verwundenen Geschosse sind ein für ein Doppelhaus ungewöhnliches Arrange-
ment. Zudem ist die mehrdeutige Atriumsituation von einer räumlichen Bedeutung,
die die Funktion eines Treppenhaus bei weitem übersteigt. Indem die Architekten
das Atrium zum energetischen und belichtungstechnischen Schlüsselraum des Hau-
ses deklarieren, machen sie aus der typischen ungeliebten Doppelhaustypologie mit
Trennwand eine weiche, überlappende Grenze, die sinnbildlich das Gemeinsame
und Verbindende der Bewohner betont. Wie Terence Riley es in The Un-Private
House ausdrückt:
„The current ubiquity of the private house in its most traditional form is rife with contradiction.
The social conditions and structures that drove the development of the private house – privacy, the
separation of living and work, the family, domesticity – have all changed drastically.“ 174
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 131
Noch anders als bei dem ebenfalls sehr interessanten urbanen Doppelhaus von
MVRDV in Utrecht von 1997, das trotz einer geschossweise springenden Trenn-
wand, eben die trennende Seite akzentuiert, entsteht beim Patchworkhaus das Gegen-
teil. Die technische Funktionalität des Atriums als Batterie und Speicher ist über die
Erweiterung der solaren Luftkollektoren über beinahe alle Fassaden hinweg zum
gestalterischen Clou der an sich vielgeschmähten Haussilhouette avanciert. Abgese-
hen von den beiden Stirnfassaden, die leider etwas inkonsequent als verputztes,
einschaliges Mauerwerk ausgeführt worden sind, ertüchtigen die transluzenten
Polycarbonatplatten mit den durchscheinenden Wandaufbauten aus Holz und der
Luftraum mit den Treppenläufen die Gestaltung auf subtile Weise. Abwechslungs-
reich wird das Innenleben schimmernd nach außen getragen. Die stoische Fassade
erzeugt auf ironische Weise Distanz zu ihrem scheinbar freien Innenleben, sodass
beinahe der Eindruck des Haus-im-Haus-Themas erzeugt wird beziehungsweise der
Losgelöstheit des Inhalts von der Form. In teilweise größeren Maßstäben ist das
hier diskutierte Gestaltungs-Konzept von den französischen Architekten Lacaton-
Vasall vorgelegt worden, die sich mit den Möglichkeiten transparenter Hüllen und
deren mannigfachen verschiedenen Inhalten beschäftigen.175
Beim Patchworkhaus führen die Architekten mit einem zurückhaltenden Konzept
das Potential der Morphogenese aus solaren Luftkollektoren vor. Unter Verwen-
dung der typologisch einschlägig bekannten Satteldachsilhouette überrascht das
Gebäude mit einer räumlich komplexen Zonierung der Bewohnerparteien um einen
mehrdeutigen Luftraum herum, der sowohl als Erschließungszone, Belichtungsin-
strument mit Innenhofqualitäten als auch raumtemperierender Heiz- bzw. Kühl-
und Speicherraum dient. Die Ansprüche dieses Raums an seine Bewohner sind
hoch, Öffentlichkeit im Privaten wird zum Mittelpunkt der Komposition. Einer
Heterotopie, wie sie von Michel Foucault beschrieben wird; ein anderer Raum, der aus
dem bekannten, gepflegten Schema ausbricht. Er schreibt:
„Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche
des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander (...) Wir sind in einer Epoche,
in der sich uns der Raum in der Form von Lagerungsbeziehungen darbietet (...) Vielleicht ist
unser Leben noch von Entgegensetzungen geleitet, an die man nicht rühren kann, an die sich die
Institutionen und die Praktiken noch nicht heran gewagt haben. Entgegensetzungen, die wir als
Gegebenheiten akzeptieren: z.B. zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum, zwischen dem
Raum der Familie und dem gesellschaftlichen Raum (...) Alle diese Gegensätze leben noch von
einer stummen Sakralisierung.“ 176
Genau diese Praxis wird konzeptuell aufgebrochen und durch das Atrium in eine
anregende sozial-räumliche Morphologie gebracht. Die gestalterischen Ableitungen
aus der energetischen Behandlung machen den Entwurf zu einer selbstbewussten
Äußerung. Das Spiel mit Unschärfen hinter der Fassade, der Beleuchtung und Ref-
lektion und dem veränderlichen Licht verleiht dem Gebäude Lebendigkeit. Insge-
samt wäre zu hinterfragen, ob sich die gewählte ikonografische Silhouette tatsäch-
lich aus den Bedingungen des Bebauungsplanes ergeben hat. Falls nicht, müsste ihr
die gewisse ironische Distanz zum ästhetischen System der Einfamilienhäuser abge-
132 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
sprochen werden. Funktional erfüllt das Haus die Passivhausstandards. Das ist bei
Verzicht auf zusätzlichen Gewinn durch Erdwärme oder solare Einspeisung in das
häusliche Stromnetz erstaunlich. Das Luftwärmesystem mit dem als Kamin genutz-
ten Atrium scheint effizient und ist als konzeptueller Schlüssel zum daraus organisa-
torisch und gestalterisch erwachsenem Haus mit Priorität behandelt worden.
Optik und energetischer Ertrag der Fassade sind gleichberechtigt. Das Wohnhaus
Quai de Valmy ist mit seiner bis auf das Erdgeschoss vollständig von Photovoltaik-
Paneelen bekleideten Straßenfassade einzigartig durch seine Verwendung der Zellen
als gestaltbildendes Element (Abb. 171). Es konfrontiert den typischen Pariser
Kontext aus ehrwürdigen Bürgerhäusern mit einer minimalistischen Antithese. Die
sieben Geschosse sind mit insgesamt 130 PV-Paneelen ausgestattet, die rhythmisch
mit den paneelgroßen Fensteröffnungen wechseln und so die Fassade strukturieren.
Insgesamt können 40% des Energiebedarfs mittels der Paneele sichergestellt wer-
den. Die PV ist zudem in verschiedenen Tiefen angeordnet, sodass sich ein topo-
grafisches Relief auf der Fassade abzeichnet. Statt in gewohntem Blau sind die Zel-
len smaragdgrün ausgeführt. Die Reflektorschicht wurde zu diesem Zweck farbig
beschichtet. Über- und Untergrößen der Paneele wurden für die Fassadengestaltung
eigens angefertigt, was einen zusätzlichen Kontrapunkt gegen den konventionellen
Umgang mit PV setzt.
Das Projekt ist ein Vorreiter des Solaren Bauens und eines der ersten seiner Art,
das vollständig auf bisher bekannte Außenwandbekleidungen verzichtet und PV-
Paneele als geschlossene flächige Haut einsetzt – ein weiteres bekanntes Beispiel ist
Zara Köln von 2003. Zwar gibt es in der Tat Pavillonbauten, die wie bei dem Solar
Decathlon nur zum Ausstellen oder Demonstrieren errichtet worden sind, doch
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 133
„By architecture of the city we mean two different things: first, the city seen as a gigantic man-made
object (...) second, certain more limited but still crucial aspects of the city, namely urban artifacts,
which like the city itself are characterized by their own history and thus their own form. [...] In an
urban artifact, certain original values and functions remain, others are totally altererd; about some
stylistic aspects of the form we are certain, others are less obvious (...) We should initially state that
there is something in the nature of urban artifacts that renders them very similar – and not only
metaphorically – to a work of art. They are material constructions, but notwithstanding the mate-
rial, something different: although they are conditioned, they also condition (...) The city is the locus
of the collective memory (...) Thus we consider locus the characteristic principle of urban artifacts;
the concepts of locus, architecture, permanences, and history together help us to understand the
complexity of urban artifacts.“ 177
Abseits vom medialen Interesse wird ein fortschrittliches Projekt inmitten des
schwierigen Kontextes der Pariser Innenstadt realisiert. Es ist eines der ersten Ge-
bäude, das zwanglos eine Synthese aus energetischem Konzept und gestalterischer
Verwendung von PV eingegangen ist. Dabei nutzt es viele Erkenntnisse der aktuell
möglichen Gestaltung mit Solar-Zellen, indem es individuelle Herstellungsmetho-
den testet und damit Anstöße für die Verwendung von PV-Technik über die bishe-
rigen Grenzen der industriellen Produktion hinaus antizipiert. Entwurfliche Basis ist
die Ausschöpfung des mehrdeutigen Potentials einer Fassade aus technischen Überle-
gungen in Kombination mit deren daraus hervorgehenden gestalterischen Innovati-
onen. Künftige Adaptionen der angewendeten Idee können formal noch radikalere
Wege einschlagen.
Der Großteil der praktizierenden Architekten hat sich bisher hartnäckig geweigert,
energetisch wirksame Elemente, wie beispielsweise Solarthermie und andere, gestal-
terisch anspruchsvoll in den Entwurf zu integrieren oder mehr darin zu sehen als
eine kritisch beäugbare Notwendigkeit. Konzeptlose Anhängsel auf dem Dach oder
zaghaft an versteckten Ecken des Grundstücks untergebrachte Zugeständnisse an
die Öffentlichkeit sind hingegen zu einem wohlbekannten Anblick geworden. Zu
einer mehrdeutigen Überlagerung kommt es oft nicht.
Gelingt es aber, das energetische Konzept des Gebäudes zu einem Zeitpunkt
festzulegen, der es erlaubt, aus diesem gewissermaßen ein Leitthema der Architektur
oder Teilen derselben werden zu lassen, kann der Entwurf ins gewinnbringende
Fahrwasser des Nicht-nur-sondern-auch geführt werden (Mont Cenis‘ Halle aus
Klimahülle und Stadt im Gebäude (Abb. 172)). Der Potsdamer Solarpavillon bei-
spielsweise erweckt den Eindruck, seinen konstruktiven Wandaufbau komplett aus
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 135
schwarzen PV-Paneelen zu bestreiten (Abb. 173, 174). Die Felder sind Zweck,
Energiequelle und gestalterisches Zentrum in einem, die lastabtragenden Stützen
stehen kaum sichtbar dahinter. Die Rückseite der Paneele, aus glänzenden Kupfer-
kristallen, erfährt eine gleichstarke Aufmerksamkeit im Entwurf, sodass auch der
Innenraum durch die energetische Gestaltung konditioniert wird. Konsequent ist
die seitengleiche Behandlung der Fassaden. Der Ertrag der Nordseite geht gegen
Null, dennoch wird die Reihung der Paneele nicht unterbrochen oder eine Aus-
nahmefassade entwickelt. Genau dieser entwurfliche Impetus ist zur Durchsetzung
der psychologischen Akzeptanz von einer energetischen Ineffizienz der Paneele
unverzichtbar. Hier liegt die größte der zu überwindenden Hürden bei der Integra-
tion der Solartechnik: die Angst oder Verachtung gegenüber einem stellenweise
ornamentalen Einsatz der Technik. Die Gestaltung mittels vorkonfektionierten
industriellen Produkten ist nicht ohne weiteres entwurflich in den Griff zu bekom-
men. Entweder die Architektur wird mit weitgehend bekannten Komponenten
ausgestattet, die die Gefahr des bloßen technischen Accessoires bieten, oder es kann
mit der Industrie zusammen eine effiziente Ebene der Sonderanfertigung für das
gewisse formale Etwas erzielt werden, wie z. B. Farben bei der Fassade am Quai de
Valmy oder Extravaganzen wie die eigenwilligen Solar Trees, die den energetischen
Gewinn in ungewöhnliche Morphologien verpacken (Abb. 170). Das größte per-
formative Potential steckt in der erweiterten Funktionalität der energetisch wirksa-
men Mehrdeutigen Elemente. Stark sind Experimente wie die transformablen Solar-
Membranen des Soft House ( Abb. 175, 176) oder die photosynthetische Algenfassa-
de des BIQ ( Abb. 177, 178), beides Gebäude der IBA 2013, die es wagen, neue
Funktionalität auszuprobieren. Das Soft House unterzieht die Trägermaterialien von
Zellen einer Revision und versucht, sie in eine nichtstarre Funktionalität zu integrie-
ren, ohne bekannte Muster wie das Nachführen neu zu erfinden. Das BIQ verpackt
eine bisher nicht gesehene helio-autotrophe Fassade in eine zwar anspruchslose
Dutzend-Architektur, gibt aber damit einen interessanten Impuls für biomorphe
Applikationen der Zukunft.
Später hält die Trennung von Klima und Architektur mittels gewöhnlichen Lüftern
und Anlagen prägenden Einzug in die Architekturgeschichte, sodass sich ein struk-
tureller Einfluss weitgehend aufhebt. Erst gegen Ende des 20. Jh. wird der Einsatz
von beheizten Bauteilen wieder aktuell, der insbesondere mit dem Stichwort der
Bauteilaktivierung in den letzten Jahren in den Interessefokus gerückt ist. Hypokaus-
ten und Tubuli sind mehr denn je Ausgangspunkte für eine architektonische Ausei-
nandersetzung mit dem Hohlraum. Dessen Mehrwert kann durch verschiedene
Konzepte ertüchtigt werden. Die Idee, ein Bauteil doppelt zu nutzen, beziehungs-
weise ihm eine künstliche Eigenschaft zuzuweisen, die es sonst nicht hat, besitzt
immer Potential. Heute wird auf unterschiedliche Weise versucht, dieses Innovati-
ons-Muster, das sich von der Bautechnik auf die Bauform überträgt, zu erhalten,
indem in Flächenbauteilen relevante Komponenten versteckt werden (Versorgung,
Schächte, Verdrängungskörper etc.)
Konzeptuell erreicht das Hypokaustensystem mit einer verhältnismäßig simplen
Lösung eine völlige Neubewertung des Fußbodens an sich. Weg von der ehemals
zentralen Feuerstelle, kann sich nun an jedem beliebigen Ort des Raumes versam-
melt und aufgehalten werden, der Einzug einer besonderen Form von Raumquali-
tät. Die globale Prominenz des warmen Bodens untermauert das Beispiel des ondol
aus Korea, das das Sitz-/ Aufenthaltsverhalten einer ganzen Kultur respektive der
benachbarten japanischen beeinflusst hat. Boden und Wand sind als Mehrdeutiges
Element nicht nur eine flächige Raumbegrenzung oder ein Ort, an dem ein Heizkör-
per befestigt wird, sondern ein wohltemperierendes Wohnmittel. Gestalterisch
treibt die römische Baukultur in konsequenter Weise die Schichtung von Bauteilen
nach Funktion voran. Neben der Einführung von mehrschichtigem Mauerwerk
trennt sie mit den Hypokausten auch im Fußbodenbereich Konstruktion von Gestal-
tungsschicht. Der Bodenbelag über dem Estrich ist je nach Bauaufgabe variierend
zwischen einfachen gebrannten Ziegeln und aufwendigen, bemalten Kacheln für
repräsentative Zwecke. Für den Baumeister bedeutet das eine Zunahme an Kom-
plexität der Bauaufgabe und damit auch der Kompositionsmöglichkeiten. Anhand
der verdickten Wände und der aufgeständerten erdberührenden Bauteile kommt im
Schnittbereich das figurative Darstellungsprinzip der poché, der volumetrischen
Raumdarstellung mittels grafischem Schlucken von Hohlräumen, zu interessanten
Positiv-Negativ-Verhältnissen im Raum. Diese grafischen Unreinheiten werden zu
wichtigen Komplexitätsparametern bei der Strukturgrafik von Gebäuden.183 Die
Ertüchtigung des Fertigfußbodens durch anspruchsvolle Bauklimatik öffnet für
Konstruktion ein weites Feld. Die unsichtbaren Leitungen und Schächte können in
beliebiger Art und Weise verlegt werden, wobei die konstruktive Höhe des Bodens
keine Rolle für den Entwurf spielt, die Dicke der Tubuli jedoch Flächeneinbußen im
Grundriss verursacht. So ist der Doppelboden auch als ein besonderer topografi-
scher Eingriff zu verstehen, der Unebenheiten des Geländes auszugleichen vermag.
Der technische Schwachpunkt zu römischen Zeiten war die angesprochene energe-
tische Effizienz der Heizung.
Hohlraumsysteme. Doppelnutzung
Louis Kahn. Salk Institute. San Diego 1965. USA
Überraschende mehrdeutige Geschosse. Das Salk Institute ist sicher eines der bekann-
testen Bauten des großen Neuerers und Einzelgängers Louis Kahn.184 Das spekta-
kuläre Grundstück am Stadtrand von San Diego ist topografisch geprägt durch
einen Canyon, der sich in Ost-West-Richtung durch den felsigen Untergrund
schneidet, bevor er an der westlichen Grundstücksgrenze steil in den Pazifik abfällt.
Von ursprünglich drei thematisch unterschiedlichen Bauplätzen auf dem Grund-
stück, von denen jeder auf seine eigene Weise den Ort architektonisch interpretiert,
ist nur der Laborkomplex umgesetzt worden. Er widmet sich dem Thema der Fort-
schreibung des Canyons. Auf einem Sichtbeton-Travertin Plateau bildet eine Was-
serrinne den Canyon-Einschnitt ab, während sich rechts und links der Rinne sym-
metrische Baumassen auftürmen, die Laborgebäude (Abb. 181). Sie bestehen aus
einem konstruktiven Skelett, ebenfalls Sichtbeton, und den zellenartigen Raumein-
bauten, mit verwitterndem Teakholz verkleidet. Zum Canyon, beziehungsweise zu
der Rinne hin, stehen schräge Erker aus der Fassade heraus, die wie Guckkästen
den Blick auf den Horizont an der West-Seite ausrichten und das Licht des Sonnen-
unterganges in die Studierzimmer hineinführen. Die Tiefe der Baukörper entwickelt
in der Nord-Süd-Achse die im Maßstab zunehmenden, schwer und dunkel wirken-
den Räume der Laboratorien und Experimentierstätten, bei denen die Geschosse
zwischen Nutz- und Technikgeschoss wechseln.185
Das Salk Institute schafft es trotz seiner erstaunlichen Monumentalität, den vor-
handenen Reiz des Grundstückes nicht zu zerstören, sondern im Gegenteil, seine
dramatischen Potentiale noch zu steigern. Die Grundrissdisposition erkennt das
Kathedralshafte der Landschaft als Komposition und lässt den pazifischen Hori-
zont solcherart zu einem Heiligtum werden, dessen Licht sich auf vielerlei Spielar-
ten in der Rinne und den kargen Materialien der Bauten widerspiegelt. Großen
Anteil daran hat nicht nur die sparsame Auskleidung und die perfekte Proportionie-
rung der architektonischen Geometrien, sondern besonders die konsequente Motiv-
Wiederholung der klar ablesbaren Raumfolgen. In der Perspektive verkürzen sich
die von Erkern geschlossenen Raumreihen zu einem beschleunigten Rhythmus, der,
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 139
wie bei Darstellungen der Idealstadt der Renaissance, zu einem Sieg der Geometrie
über das Chaos ausholt, illuminiert von dem eingefangenen Schauspiel der unterge-
henden Sonne – wie ein Kamera-Zoom, den auch ein Andrei Tarkovsky nicht an-
ders eingefangen hätte (wie z. B. sehr stimmungshaft in seinem Film Nostalghia)186
Von Anfang an ist das Salk Institute als Festung konzipiert. Sowohl in der bauli-
chen Struktur als auch in der metaphorisch wirkenden Ebene: Das Forschen findet
in einem zum Heiligtum erhobenen Ort statt, der nicht nur, geometrisch gespro-
chen, dem Chaos der Natur abgerungen wurde, sondern vielmehr die landschaftli-
chen Begebenheiten des Grundstücks zu einem intentionalen Drama erklärt und
dieses in baulicher, i. e. humanoider Leistung interpretiert und fortschreibt. Nichts
anderes ist das menschliche Forschen: dem intentionalen Charakter der Natur auf
der Spur sein. So gibt Kahns Konzept dem Forschen nicht nur ein technisches
Zuhause, sondern visualisiert es in baulicher Art und Weise, nachdem zuvor das
Grundstück von ihm erforscht worden ist.
Der spezielle Fokus liegt nun auf der überraschenden Verwendung von Hohl-
räumen, die bei diesem Gebäude von Kahn bis in den Rang von Geschossen erho-
ben worden sind. Im Labortrakt, der die beiden hinteren Drittel der Seitenflügel der
Forschungsanlage ausmachen, versucht Kahn, ein vollkommen flexibel
einrichtbares, stützenfreies Laborgeschoss einzurichten. Dies gelingt ihm durch den
radikalen Einsatz von geschosshohen Vierendeel-Trägern in Kombination mit
vorgespannten Deckenelementen, die sich mit den drei Laborgeschossen abwech-
seln (Abb. 182). Diese sogenannten Konstruktions- oder auch Technikgeschosse
des Instituts sind mit die prominentesten ihrer Art. Aufgrund der großen Bekannt-
heit des axialen Fotomotivs des Instituts stehen sie in dessen Schatten, sind jedoch
mit ihrer Klarheit und Funktionalität der eigentliche Garant für die hervorragenden
flexiblen Forschungsbedingungen. Tief in den Monumenten der Antike verwurzelt,
generiert Kahn Architektur als Synthese aus den formellen Errungenschaften der
Moderne und seinen durchaus eigenwilligen Interpretationen von Konzepten der
Alten Baukunst. Die Konstruktionsgeschosse sind nicht nur eine Stapelung und
Weiterentwicklung des zuvor besprochenen Hohlraumes der Römischen Hypokaus-
ten sondern gleichzeitig eine wie selbstverständliche mehrdeutige Symbiose aus Gestal-
tung und Funktion. Der Eindruck einer gestalterischen Zwangsläufigkeit ist in etwa
vergleichbar mit der historisch-technischen Invention der gotischen Strebepfeiler,
die, obwohl ornamental anmutend wie eine Form von skulpturaler Applikation, in
Wirklichkeit essentielle statische Konstruktionen sind, ohne die die betroffenen
Wände zur Seite wegbrechen würden. Kahn verwendet bei seinem, ohnehin bereits
in seinen Maßen monumentalen, Bau Träger, die den Maßstab desselben noch
einmal sprengen. Diese Träger sind innerhalb des Gebäudes zugleich versteckt und
offen, denn nicht jeder erwartet von einer Konstruktion, zugleich integraler Be-
standteil des Erscheinungsbildes des Gebäudes zu sein. Das Konstruktionsgeschoss
beinhaltet zwar weniger Aufenthaltsräume denn Leitungen und Trassen für die
Gebäudetechnik, besitzt aber dennoch in seiner Proportion und Raumschichtung
eine ganz eigene gestalterische Ausformulierung, die nicht zuletzt auch eine präzis
ablesbare Fassadenansicht beinhaltet. Die keinesfalls überdimensionierten Träger
des Geschosses schaffen und ermöglichen den tiefer gelegenen stützenfreien Labor-
140 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Monumentalität in der Architektur ist eine geistige Qualität; sie vermittelt die Empfindung von
Ewigkeit. In einer Konstruktion solcher Art kann nichts verändert und nichts hinzugefügt werden
(...) Monumentalität hat etwas Enigmatisches. Sie lässt sich nicht erzwingen (...) Der Bau beginnt
und endet nicht mit dem Raum, den er einschließt, sondern (...) greift in die fließenden Umrisse
von Landschaft und Vegetation ein.“ 187
Beim Salk Institute stimmt nahezu alles. Aufgrund seiner malerischen Inszenierung
gilt es als eines der bekanntesten Gebäude des 20. Jh. Dabei gerät in Vergessenheit,
dass es durch die raffinierte Konstruktion der Laboratorien auch einen Platz unter
den innovativsten verdient. In Vollendung wird die Hohlraumidee der Römer ge-
steigert zur geschossweisen Verwendung, die nicht nur höchste Funktionalität bie-
tet, sondern maßgeblichen Einfluss auf die gestalterischen Entscheidungen des
Gebäudes nimmt. Die Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug wird hierbei von Kahn
gestaltprägend eingesetzt.
Hohlraumsysteme. Doppelnutzung
Zusammenfassung/ weitere Projekte
Der Großteil der praktizierenden Architekten hat sich bisher hartnäckig geweigert,
Hohlraumsysteme können als eine der ältesten entwurflichen Katalysatoren der
Architektur überhaupt angesehen werden. Die Unterschiedlichkeit der Funktionen
zeugt von ihrer Entstehungszeit und den jeweiligen Bedürfnissen der Anwender:
Speicherorte, Transportwege, offen oder geheim oder technische Notwendigkeit zur
Erhöhung des Komforts der Architektur. Interessant ist außerdem ihr narratives
Potential, abgerufen u. a. von Filmen wie Terry Gilliams Brazil 188 oder Bright Future
189
von Kiyoshi Kurosawa, in denen Mehrdeutigkeit überall lauert.
Je nach Anforderungen an den Hohlraum, kann er zur Gänze verschwinden und
keinen signifikanten Einfluss auf das räumliche Layout des Gebäudes haben, oder
aber dieses integral mitbestimmen. Zu Ersterem gehören neben dem hypokaustischen
System alle unsichtbaren Doppelebenen, wie u. a. die aufgeständerten Technik-
Böden des Standard-Bürobaus von heute. Das sichtbare Hohlgeschoss als dienen-
des Element wie beim Salk Institute bringt hingegen eigene Morphologien hervor.
Stauräume wie Dachböden oder Abseiten, sind im Kaispeicher B in Hamburg (Abb.
188) im Kellergeschoss unterhalb des Wasserpegels vorhanden. Deren Besonderheit
liegt in der Flutungsfunktion der aus Materialersparnis dünnen Außenwände. Bei
Flut gelangt das Wasser durch Filterluken in das Speichergeschoss, das demzufolge
nur von schweren, geteerten Behältern angefüllt sein konnte, und übt damit keinen
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 141
Wasserdruck mehr auf die Wände aus. Eine andere Form der Hohlräume sind die
im Laufe der Geschichte durch Aushöhlen und Überbauen entstandenen Gänge in
den Altstadtvierteln des Mittelmeerraumes (Amalfi (Abb. 185, 186)); sowohl additi-
ver als auch subtraktiver Natur, eine komplexe Masse aus Gebäudeteilen agglome-
rierend. Rudolf Schindler spielt mit dem Hohl/ Voll-Prinzip und stattet das Beach-
house mit massiven Betonscheiben aus, die von optischen Gängen durchstoßen
werden, sodass der Eindruck eines ausgehöhlten, luftzirkulierten Monolithen (Abb.
187) entsteht.190 Besondere Rollen spielen Hohlräume, wenn sie nicht nur nach dem
dienenden Prinzip als niederhierarchische Positionen verwendet werden, sondern
als gliedernde Katalysatoren räumlicher Gestaltung. So bei barocken Raumnischen,
die je nach Perspektive den Raum falten, erweitern oder verkürzen. Eine besondere
Leistung beim Bau der Kuppel des Florentiner Duomo vollbringt Brunelleschi mit
der Verschmelzung mehrerer innovativer Bautechniken: eine zweischalige Kuppel
mit begehbarem Hohlraum als gotische Spitzbogen-Skelettkonstruktion auf einem
Tambour ohne Strebepfeiler (Abb. 183, 184). Das wäre vergleichbar mit einem
Experiment, dessen Ausgang mehr als ungewiss ist. Die Kuppel als prestigeträchti-
ges mehrdeutiges Element bündelt Vision, Wagnis und Erkenntnis.191 Ebenfalls als
konstruktive Triebfeder des Entwurfes entwickelt der Taipei 101 Räume für die
Entfluchtung sowie Brandschutzgeschosse und -treppenhäuser (Abb. 189, 190).
Nicht zuletzt das riesige Gegenpendel an der Spitze verwendet Hohlräume für die
statisch-technische Ausstattung, essentiell für den Betrieb des Gebäudes. Der soge-
nannter utility-core ist nicht zuletzt seit der Erfindung des internen Lastenaufzuges
wie eine Arterie vieler Hochhäuser zu verstehen. In dem Moment, in dem er zusätz-
liche Aufgaben wie Repräsentation und Statik/ Aussteifung mit übernimmt, wird er
zu einem Mehrdeutigen Element, in dem sich Potentiale und Kompetenzen bündeln.
Die Gebäudetechnik bildet den Raum. Aus der frühen Zusammenarbeit im Wett-
bewerb 1971 der späteren Stararchitekten Richard Rogers und Renzo Piano geht
eines der umstrittensten Gebäude der 70er Jahre hervor.192 Das 1977 eröffnete
142 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Centre Pompidou auf dem Gebiet der ehemaligen Markthallen Les Halles von Paris
erzürnt mit seinem damals völlig nonkonformistischen Erscheinungsbild die Gemü-
ter der Traditionalisten und setzt gleichzeitig einen bedeutenden Etappenposten für
das Einsetzen der Ingenieurarchitektur als weltweite Bewegung, die sich parallel zur
Postmoderne etablieren sollte. Die enormen Dimensionen des Gebäudes sprengen
den Maßstab des Quartiers bei Weitem (Abb. 191, 192). Ähnlich den etwa 100 Jahre
früher erfolgten Eingriffen Baron Haussmanns in die gewachsenen Pariser Häuser-
agglomeration (vgl. S. 97 ff.), wird mit einem aggressiven Eingriff der Stellenwert
des Neuen-Denkens-in-Neuen-Formen propagiert, indem wie ein Fremdkörper das
Neue in das Alte platziert wird. So ist es nur konsequent, dass nicht nur der Materi-
alwechsel radikal ausfällt, sondern die formale Ausführung ebenso deutlich andere
Wege als die bisher gekannten beschreitet. Der sechsgeschossigen Komplex, der für
seine Zeit eine bemerkenswert diversifizierte Mischnutzung aus Museen, Kino,
Bibliotheken, Gastronomie und pädagogischen Einrichtungen beinhaltet, zeigt als
Schlüsselkonzept die konsequente Auslagerung von Gebäudetechnik, Tragwerk und
Erschließung an die Außenseite der Fassade. Damit gewinnen die beinahe sieben
Meter hohen Geschosse ihre weitgehende Stützenfreiheit, die den Ausstellungskon-
zepten größtmögliche Flexibilität bei der räumlichen Gestaltung einräumen. Das
radikale Farbkonzept unterstreicht den Wunsch nach Lesbarkeit der Funktionalität:
weiß sind Tragwerk und Belüftung, rot die Erschließung, gelb die Elektrik, blau die
Wasserrohre und grün die Klimaanlagen. Der ursprüngliche Wettbewerbsentwurf
sieht zudem eine große Videoinstallation als Medienwerkzeug an der Schnittstelle
zwischen Fassade und Stadt vor, außerdem in der Höhe verstellbare Geschosse.
Diese beiden spektakulären Besonderheiten sind aus Budget-Gründen allerdings
nicht realisiert worden.
Das Konzept der konsequenten Auslagerung aller gebäudetechnischen Vorgän-
ge und der Erschließung aus dem Innenleben heraus ist maßgebend für sowohl das
Erscheinungsbild als auch das räumliche Layout des Centre Pompidou. Erst mit dieser
Entscheidung der Architekten entsteht der besondere Habitus des Gebäudes. Bis-
her war das Zeigen der Gebäudetechnik für Nicht-Industriebauten ein Tabu oder
ein Ausgangspunkt von monumentaler Verschleierung wie bei Louis Kahn. Durch
das aggressive Nach-Außen-Kehren des technischen Innenlebens konfrontieren
Piano und Rogers die ehrwürdigen Pariser Altstadthäuser mit ihrer gestalterischen
Antithese. Wo Ornamente und verborgene Schächte das Gebäudeinnere verklären,
um eine repräsentative Form aus Reichtum und Grandeur anzuzeigen, will das
Centre Pompidou nicht mehr sein, als es ist: freie Ausstellungsräume mit einer hoch-
technifizierten Hülle. Die Rasterung, die Achsen und die Abmessungen ergeben
sich aus den Notwendigkeiten des Grundstücks. Das Fehlen von nahezu jeglicher
Überhöhung der Architektur durch gestalterische Gesten ist programmatisch. Da-
raus ergibt sich das konzeptuelle Wesen der künftigen Ingenieur- bzw. High-Tech-
Architektur: die Inszenierung der technischen Abläufe. Das Haus nähert sich der
Ästhetik der Maschine und genügt sich selbst durch makellose Funktionalität. Ro-
gers und Pianos radikale und zugleich einfache Idee ist eine Initialzündung für eine
ganze Richtung gewesen, die zeigt, dass Räumlichkeit gebildet werden kann, indem
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 143
„The functional and other desiderata that produced the coloured ducts on the facade (...) and the
flying escalators (...) would have been there whatever the circumstances, but the fact and the manner
of their conspicous display, even the choices of strong popart colours, attest to the spectacular
graphics of archigram. As usual, aesthetics had done the pioneering work of making technology
visually acceptable.“ 194
„The building is obviously a realization of the (...) rhetoric of archigram; and while the full conse-
quences of this approach are becoming evident through every-day use, it is apprent that certain
paradoxical achievements may be claimed on its behalf (...) It is a brilliant tour de force in ad-
vanced technique, looking for all the world like the oil refinery whose technology it attempts to
emulate (...) One of the unintended ironies of this work seems to derive from the spectacular view of
the city from the glazed escalator access tubes (...) These access ways are now barely adequate to
accomodate the average daily attendance of more than 20000 visitors.“ 195
Das Centre Pompidou ist das meistdiskutierte Bauwerk der 70er gewesen und steht in
einem Diskurs jenseits von Moderne und Postmoderne, der stattdessen die Technik
des Gebäudes zum Thema hat. Die plakative Mehrdeutigkeit der Gestaltung aus
144 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Technik ist sinnbildlich für die Möglichkeiten des damals neuen Genres der High-
Tech-Architektur.
Mehrdeutige Wände. Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Zollverein, einem der
größten zusammenhängenden Industriekomplexe der Welt, entwerfen SANAA
einen sechsgeschossigen Kubus als städtebauliches Landmark in der Eingangszo-
ne.196 Dies hatte der Masterplan zur Gesamtanlage von Rem Koolhaas an dieser
Stelle so vorgesehen. SANAA kommt der bestehenden Wohnbebauung am Über-
gang zu den Industrieanlagen entgegen, indem sie den Maßstab des Kubus und
seine Ausstattung betont klein halten. Am Bauwerk fällt die extrem dünne Außen-
wand aus Sichtbeton ins Auge (Abb. 193). Sie ist einschalig, also auch von der In-
nenseite in Sichtbetonqualität hergestellt, bei einer insgesamten Wandstärke von nur
30cm.197 Diese nimmt laut den Architekten expliziten Bezug auf die umliegenden
Industriebauten, deren Außenmauerwerk ebenfalls einschalig ausgeführt worden ist.
In Konzentration auf die Seiten des Kubus ist die Außenwand von Fensteröffnun-
gen perforiert, die in unregelmäßigem Rhythmus dicht aufeinanderfolgen und mit
ihren verschieden großen quadratischen Proportionen ein grobpixeliges, fast
pointillistisches Fassadenbild erzeugen (Abb. 194). Dieses kontrastiert die scharfen
geometrischen Kanten des Gebäudes mit einer wolkigen Unschärfe zu den Fenster-
zonen hin. Die Eingänge des Kubus sind ebenfalls quadratisch und setzen sich
nicht von den übrigen Öffnungen ab, sodass das Gefühl von Hierarchielosigkeit
und Unschärfe auch in der Erschließungszone bestehen bleibt. Bewusst wiedersetzt
sich die Gruppierung der Öffnungen den Gesetzen von Ordnung, deren Fehlen
von Rudolf Arnheim treffend beschrieben wird:
„Die erwähnte Leere und das sich daraus ergebende Gefühl der Verlassenheit findet sich nicht nur,
wenn die zur Bestimmung eines Kräftefeldes in einem offenen Raum erforderlichen Sehobjekte
fehlen. Eine ähnliche Wirkung entsteht, wenn solche bestimmenden Faktoren zwar da sind, jedoch
zusammen keine organisierte Struktur ergeben und sich dabei gegenseitig aufheben.“ 198
Da zudem an keiner Stelle die Geschossigkeit des Gebäudes erkennbar ist, wird eine
aktive Verschleierung der Baustruktur betrieben. Das Gebäude versucht, einen
Schwebezustand zwischen offen und geschlossen zu erreichen, zwischen konstruk-
tiv und antifunktional. Etwas weiter ausgeholt, könnte das wolkige Erscheinungs-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 145
bild des Gebäudes dem japanischen Ideal des Halbschattens entsprechen, wie von
Junichiro Tanizaki beschrieben, bei dem weder das eine ausschließlich ist, noch das
andere.199 Die dünne Sichtbetonkubatur von Außenwand und Geschossdecken wird
möglich durch das Einbetonieren der Gebäudetechnik zwischen die Bewehrung der
Bauteile. Die fehlende Dämmung der Außenwände wird kompensiert durch senk-
rechte Schläuche, die das noch warme Grubenwasser aus den Stollen abpumpen
und durch das Gebäude zirkulieren lassen. In den Decken verlaufen sämtliche Lei-
tungen unsichtbar, zudem verringern Verdrängungskörper aus Kunststoff das Ei-
gengewicht der Decke. Zwar ist die aktive Wärmedämmung abhängig von dem
reibungslosen Funktionieren der Pumpenanlage, dem Wasserspiegel und der Tem-
peratur des Grubenwassers, was bis heute bereits zu mehrfachem Versagen geführt
hat, doch ist die Idee eines ortsspezifischen, gebäudetechnischen Kreislaufes als
Ausgangspunkt für eine neuartige Architekturformulierung innovativ. Die räumliche
Wirkung der dünnen Haut aus massiv anmutendem Material ist überraschend und
nicht ohne ästhetischen Reiz. Nachdem aufgrund mietereigener Probleme die Design
School nicht mehr länger in dem Kubus wohnhaft ist, sind Teile der Folkwang
Hochschule Essen in die Räume eingezogen. Dass wenig Öffentlichkeit in dem
Gebäude stattgefunden hat und das intendierte Landmark mehr zur Villa mit priva-
tem Charakter mutiert ist, ist den Planern nicht anzulasten. Mit den angesprochenen
Problemen bei der fragilen Gebäudetechnik hat sich der Kubus zudem einen eher
zweifelhaften Ruf erworben, der durch die durchaus eigenwillige Statikgeschichte
des Gebäudes untermauert wird: Trotz drei tragender innerer Kerne sind zwei dün-
ne Stützen zusätzlich nötig, um die Geschosslast abzuleiten. Die ursprüngliche
Fassade, die in der Endfassung aus nur vier unterschiedlichen Fensterformaten
besteht, war ursprünglich weitaus unregelmäßiger und verzweigter in einem Maße,
das mit statischer Strukturierung nur wenig zu tun hatte.
Ohne die Qualität der Ausführung vorweg zu nehmen, ist SANAA‘s Konzept,
einen mehrdeutigen, unscharfen Kontrast mit den vorhandenen Mitteln des Ortes zu
schaffen, auf überzeugende Weise aufgegangen. Gebäudetechnik zum Ausgangs-
punkt für innovatives Innen-/ Außen-Design zu machen, ist seit dem Centre Pompi-
dou (vgl. S. 141 ff.) nicht mehr derart explizit vorgenommen worden. Konsequent
setzen SANAA ihre gestalterische Idee der Unschärfe durch. Nicht nur die interes-
sant platzierten quadratischen Fenster, die sowohl Lichtverlauf als auch rahmenden
Ausblicken folgen, verhelfen dem Verschwimmen bekannter Raumeindrücke zu
neuen Perspektiven. Es ist besonders der Kontrast zu nennen zwischen der klassi-
schen Schwere einer Sichtbetonfassade in Verbindung mit unsichtbarer Gebäude-
technik und der im Vergleich zu gewohntem Beton geradezu verschwindend gerin-
gen Wandstärke. Zwar ist die Gebäudetechnik eine Schlüsselposition des
entwurflichen Konzeptes und ihre Gesamtidee stark, doch ist die Ausführung von
zu vielen Faktoren abhängig, die die insgesamt positive Erscheinung des Gebäudes
mit ihren Unsicherheiten verwässert haben. Der Ruf des Gebäudes hat sich
technischerweise eher als ein Misserfolg herausgestellt, sodass die Idee in ihrer
wohlmeinend utopischen Weise gewürdigt werden muss. Die etwas unglückliche
Nutzungsgeschichte des Gebäudes tut der formalen Klasse der Architektur jedoch
keinen Abbruch. Kristine Guzmán schreibt:
146 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Transparency is an alley of light, which in turn is an agnostic instrument to describe the spirituali-
ty and otherness of architecture [John Pawson. Minimum. Phaidon. London 2003. P. 14]. It is
perhaps the word that best describes SANAA‘s works, since they frequently resort to that which is
extremely light, or to an interplay of reflections that often obscures orientation within a building.
However, this transparency not only refers to the effect obtained by the use of glass – or any other
transparent material (...) What SANAA is searching for is some kind of transparency without
transparent material. [Alejandro Zaera. A Conversation with SANAA. El Croquís 77. Ma-
drid 2001. P.17]“ 200
Die Mehrdeutigkeit der konstruktiven Bauteile des Kubus ist eine, wenn auch nicht
ganz funktionale, Raumidee, die in dieser Konsequenz nur wenige Architekturen zu
ihrem Konzept gemacht haben. Fassade und technisches System sind Eins, in bril-
lanter Gestaltung umgesetzt. Der Gebrauch des Entwurfswerkzeugs Mehrdeutigkeit
wird von SANAA auf eine japanisch gefärbte Weise betrieben: Ein stetiges Sowohl-
als-auch kennzeichnet die Elemente des Gebäudes. Keines ist nur einfach als
Raumbildungsinstrument eingesetzt, um sich damit zu begnügen.
Die konzeptuelle Überlagerung der Gebäudetechnik mit der Bildung von Raum ist
ähnlich gelagert wie bei dem später behandelten Thema der Mehrdeutigkeit von Statik
in Verbindung mit daraus resultierender Raumbildung. Verschiedene Ansätze, zu
denen auch die zum Thema der Hohlräume beschriebenen Hypokausten gehören,
zeigen entwurfskatalysierende Möglichkeiten auf, wie über die Schlüsselstellung der
Gebäudetechnik ein Entwurf an neuen Perspektiven zur Raumbildung gewinnt.
Bruno Taut schreibt:
„Auch das größte Talent eines Architekten kann nur dann zu einem Werk führen, wenn es eine
Basis in der Wirklichkeit hat. Es gibt anscheinend nur einen einzigen Faktor in der Realität, der
diese Basis darstellt; alle übrigen realen Grundlagen sind nur Konsequenzen dieses Faktors. Es ist
das Klima.“ 201
Die konzeptionelle Herangehensweise konstituiert sich aus der Idee, die Gebäude-
technik nicht als notwendiges Anhängsel der Architektur zu betrachten, sondern als
integral bestimmenden Ausgangspunkt der räumlich gestalterischen Entscheidun-
gen. Anstatt sie zu verstecken hinter mehrschichtigen Bauteilen oder standardisier-
ten Lösungen, steht die Gebäudetechnik gestaltgebend hinter Konzepten wie den
altstädtischen Filterfassaden im nordspanischen Burgos (Abb. 196), dem Centre Pom-
pidou oder dem Kunsthaus Bregenz. Dort wird versucht, ein technisches Spiel mit der
Tageslichtführung zu betreiben, das sowohl den Baukörper nach außen repräsen-
tiert, indem sein Innenleben an der Fassade in Teilen ablesbar ist, als auch im abge-
schotteten Inneren Tageslichtverhältnisse von außen wirken zu lassen, die einen
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 147
konzentrierten Kunstgenuss ermöglichen (Abb. 199, 200). Aus den formalen Vor-
gaben, welche die technische Ausstattung gibt, kann die gestalterische Sprache der
Architektur gewonnen werden. Wenn zudem eine untrennbare Verbindung zwi-
schen Gebäudetechnik und räumlicher Idee aufgebaut werden kann, entsteht, wie
im Fall vom Toledo Glass Pavillon, eine aufregende neue Architektur, deren spieleri-
scher Charakter eine erstaunliche Synthese der technischen Möglichkeiten mit den
Ideen neuer Raumbeziehungen eingeht (Abb. 201, 202). Eine dysfunktionale, rein
effekthascherische Gebäudetechnik entpuppte sich als bloßes Ornament, das sich
echter Mehrdeutigkeit entziehen würde. Nicolas Grimshaws Eden Project, eine Variante
von Fullers geodätischen Kuppeln (Abb. 197), zeigt Kohärenz von Konzept, Funk-
tionalität und Gestaltung auf, die nicht mehr sein will als Funktionalität. Und genau
deswegen stellt sich die Emergenz ein, von der Konrad Wachsmann spricht, das
Durchscheinen einer poetischen Raumerfahrung (vgl. S. 192). Norman Foster ver-
sucht unterdessen, eine Stadt (Masdar) rein auf Basis von energieeffizienter Gebäu-
detechnik zu planen.202 Die persische Methode der Kühlung von Räumen mittels
Windtürmen (Abb. 195), den sogenannten badgir, ist alt und effizient. Die heißen
Winde werden von den Austrittsöffnungen der gebäudegroßen Türme eingefangen,
kühlen ab, fallen durch den Zug in die Untergeschosse und sorgen für Raumküh-
lung. Umgekehrt funktionieren sie über Grundwasserkühlung, den sogenannten
qanat, durch die aufsteigende Luft infolge Aufwindkaminen in die oberen Geschos-
se gelangt. Bernard Rudofsky schreibt:
„Since the wind always blows from the same direction, the position of the windscoops is permanently
fixed. In multistored houses they reach all the way down, doubling as intramural telephones. Alt-
hough the origin of this contraction is unknown, it has been in use for at least five hundred years.“
203
Interessant die Sahara-Brunnen für die Kühlung des kochenden tiefen Grundwassers:
obwohl aus rein technischen Beweggründen erbaut, glichen sie in ihrer ästhetischen
emergenten Dimension den besten Werken eines Carlo Scarpa (Abb. 198). Das
Konzentrieren von Raumbildung und Technik auf die Herausbildung besonderer
Elemente hin ist eine pragmatische Konstituierung von Architekturkompetenz. Das
Verbinden des Notwendigen mit dem mehrdeutigen Morphologischen ist prinzipiell
bei jedem Entwurf möglich.
Die finale Umsetzung eines Traums. Peter Cook, der in den 60er Jahren des ver-
gangenen Jahrhunderts mit seinen Entwürfen für die mit Ron Herron und anderen
herausgegebene Zeitschrift archigram auf sich aufmerksam machte, bekommt den
Zuschlag für den kontrovers diskutierten Neubau des Kunsthaus Graz. Das amor-
phe Gebäude, betont alienhaft gestaltet (Abb. 203, 204) – im Gegensatz zu Ridley
Scotts bösartigem Filmwesen Alien aber freundlich gestimmt204 – erinnert in seinem
entwurflichen Duktus an das spektakuläre und inzwischen weitgehend als ikonisch
etablierte Walking City-Projekt von 1964. Der wichtige Unterschied ist allerdings,
dass das thematisierte Gehen und das Ortsunabhängige der Walking City hier ins
Gegenteil verkehrt wird. Es fehlen die Stelzen des beinähnlichen Unterbaus, sodass
das Grazer Kunsthaus mit seinem Bauch direkt auf der Erde landet und nicht geneigt
scheint, sich von dort fortzubewegen. Ein geometrisch fremd zum Form-Konzept
wirkender Panoramagang heftet sich an das Obergeschoss des Gebäudes; er scheint
noch am ehesten den Geist der ‘64er Stützen abzubilden. Das mit blauschimmern-
den, mehrsinnig gekrümmten Glaspaneelen eingekleidete Kunsthaus versteht sich als
Gast im Stadtbild. Die Grazer Altstadt, das Ensemble als Weltkulturerbe gelistet, ist
durch die Mur in zwei Teile geteilt. An deren einem Ufer sitzt das Kunsthaus. Auf
einem Grundstück, das erst mit Blick von der Anhöhe des Festungsfelsens mit der
Dachlandschaft verschmilzt und erst damit den Fremdkörper-Status innerhalb der
zusammengewachsenen Bausubstanz zuweisen kann. Von der Mur aus betrachtet,
wirkt das Gebäude weniger fremd als denn wie eine freistehende Extravaganz am
Rande der Altstadt. Zu der Hommage an die gebaute Utopie in einem mittelalterli-
chen Stadtbild gehört die Mehrdeutigkeit der Fassade. Tagsüber zieht sich das nicht-
spiegelnde Blau in sich selbst zurück, nachts jedoch verwandelt sich die Außenhaut
in eine der ersten Medienfassaden von größerem Maßstab. Die Beleuchtungskörper
hinter den Glaspaneelen können separat angesteuert werden, was sie in die Lage
versetzt, differenzierte Leuchtmuster über die gekrümmte Oberfläche der Gebäu-
dekubatur zu ziehen. 1968 schreibt archigram:
„Die Experimente haben überall begonnen. Es handelt sich um Träume, denn wir kehren immer
wieder zu ihnen zurück.“ 205
Das Kunsthaus ist nicht blind an einer nachträglichen Umsetzung der Walking City
interessiert, die aus verschiedenen Gründen hier nicht direkt installierbar ist, son-
dern versucht, eine zeitgemäße Transponierung des Konzeptes Fremdkörper zu
inszenieren. Neben der spektakulären Außenform ist es besonders das mehrdeutige
Element der Außenhaut, das den Baukörper mit Leben füllt. Die Medienfassade
macht aus dem Kunsthaus einen Comic, indem er die Leuchtbotschaften zu dessen
Sprechblasen stilisiert, getreu dem damaligen, auf Populärkultur abzielenden Image
der archigram-Publikationen. Diese versuchen, einen ähnlichen Ansatz wie Andy
Warhol in der Kunst gezielt in die Architektur zu übertragen, indem Alltagssymbole
wie Supermärkte und Kinos zu einer besonderen Kulturleistung stilisiert und tat-
sächlich mit Erfolg etabliert werden. Erst mit diesem gestalterisch-konzeptuellen
Schritt wird das Kunsthaus zu einem lebendigen Statement der Gegenwart gemacht,
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 149
das sich von seinen Nachbargebäuden absetzt. Manfredo Tafuri und Francesco dal
Co kritisieren jedoch die „erregende Futurologie“ von archigram:
„Wir stehen vor einem Versinken in Tatsachen, die als absolut, als ideale Modelle vorausgesetzt
werden (...) Die selbstbeweglichen Stadt-Maschinen erneuern die futuristische Idolatrie einer In-
dustriedynamik biomorpher und mystischer Art. Doch gerade weil dieses mechanische Universum
auf mystische Weise interpretiert wird, bleiben dessen reale Gesetze unbekannt. Ins Hinterland des
subjektiven Bewusstseins zurückgedrängt, kann es lediglich grafische Diverstissements erzeugen. Im
übrigen ist es bedeutend einfacher, sich nur mit dem äußeren Schein (...) zu messen (...), als dessen
Gesetze wissenschaftlich zu studieren.“206
Doch der Wechsel des Fokus von einem Konzept auf seine Umsetzung ins Reelle
liegt bei Peter Cook klar in der Betonung des Fremdartigen des Gebäudes und nicht
des Utopischen. Dessen Innenräume sind den Ideen der Außenform mit ihrer ei-
genwilligen Kubatur untergeordnet und fügen sich als zwangsläufige Notwendigkei-
ten den Vorgaben der Geometrie. Die Qualität des Gebäudes liegt im Ausspielen
der Möglichkeiten, die Fassade nicht nur als Epidermis zu formulieren, sondern sie
gezielt als Kommunikationsmedium einzusetzen. So wird versucht, die Idee der
Lebendigkeit, die einst der Utopie der Walking City innegewohnt hatte, in das Milieu
des konkreten Objektes einzubringen. Das Gebäude kommuniziert durch sich
selbst als Medium, indem es das Konzept von Robert Venturis Long Island Duckling
in eine zeitgemäße eigenbestimmte Form überträgt.207 Das Kunsthaus soll mittels
seiner Amorphität an eine außerirdische Lebensform erinnern, die ihre architektoni-
sche Notwendigkeiten wie Oberlichter in Form von Saugnäpfen artikuliert. Dass
eine derartige Versteifung auf die Formensprache einer dreidimensionalen Illustrati-
on anfällig für Kompromisse bei funktionalen Konflikten wird, zeigt das Kunsthaus
bei einigen Details wie der Panoramapassage, die sich geometrisch als Appendix
darbietet. Dieser Fremdkörper am Fremdkörper ist gestalterisch vielleicht nicht die
glücklichste Wahl gewesen. Nachts hingegen kommt die beleuchtete Medienfassade
zur vollen Entfaltung und kann ihr Potential einer unkonventionell kommunizie-
renden Architekturform ausspielen. Konstruktiv stellt das Kunsthaus im Bereich der
Fassade eine Herausforderung für die Herstellung der individuellen, mehrsinnig
gekrümmten Glaspaneele dar. Hierbei ist das Gebäude eines der ersten größeren
Objekte, das parametrisch programmiert und digital in den Fertigungsprozess über-
führt worden ist. Verbunden mit der Installation der mehrschichtigen Medientech-
nik in der Fassade ist die Konstruktion in ganzheitlicher Hinsicht außerordentlich
innovativ.208
Das Kunsthaus übersetzt die Ideen der Lebendigkeit utopischer Gebäude in eine
zeitgemäße Ästhetik. Die Medienfassade bildet dabei das Herzstück einer mehrdeuti-
gen Hülle, die Eigenschaften und Botschaften des Kunsthaus ablesen lässt. Im Ent-
wurf scheint sich das Zitierenwollen der Comic-Motive als zentrales Ziel herausge-
stellt zu haben, die emergente Idee der Medienfassade jedoch ist der tatsächliche
kompetente Aspekt der transportierten Motive. Ihre Mehrdeutigkeit aus Raumbildung
150 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Langfristig wird vielleicht jedes Objekt zu einem Bildschirm werden, der mit dem Netz verbunden
ist, sodass der gesamte Raum zu einer Reihe von Bildschirmoberflächen wird (...) Datenschichten,
die den ganzen physikalischen Raum überlagern. Ich werde den Ausdruck erweiterter Raum,
augmented space, benutzen, um mich auf diese Art von Raum zu beziehen, der langsam zu Reali-
tät wird.“ 209
Die Fassade ist die Botschaft. Was Marshall McLuhan prophezeit und andeutet, hat
sich als ein unleugbarer Aspekt der Gegenwart eingestellt. Er schreibt:
„Alle Medien sind Erweiterungen einer psychischen oder physischen Fähigkeit eines Menschen (...)
Wir leben in einer Zeit der Grenzüberschreitungen, der Auflösung alter Kategorien, des Herumex-
perimentierens. Wenn man zwei scheinbar völlig unvereinbare Elemente auf neue, ungewöhnliche
Art nebeneinander stellt und miteinander ins Gleichgewicht bringt, macht man oft verblüffende
Entdeckungen.“ 210
Für die Olympischen Spiele 2008 in Peking wurden neben den zum Teil spektakulä-
ren Sportstätten auch infrastrukurelle und urbane Bauprojekte vorangetrieben.
Eines von ihnen, Simone Giostras Green Pix zählt dabei zu den Innovativsten. Der
Pixel-Schirm aus LED-Leuchten (Abb. 205, 206) mit einer Gesamtfläche von
2230m² ist der weltweite Größte seiner Art. Die Besonderheit des Schirms ist aller-
dings nicht seine Größe, sondern seine CO2-Neutralität. Die komplette Betriebs-
energie zieht er passiv aus solarer Einstrahlung. Mit den einschlägigen Firmen der
gestalterisch noch immer jungfräulichen Solarbranche wurden Glaspaneele entwi-
ckelt, die an ihren Rändern mit polykristallinen Photovoltaik-Modulen bestückt
sind. In der Fassadenschichtung folgen an zweiter Stelle die LED-Leuchten der
Medienfassade. Die Solarpaneele sind in unterschiedlicher Anzahl mit
Photovoltaikzellen bedeckt, sodass die Verdeckung der LED-Beleuchtung zum
Thema gemacht wird. Je nach Anzahl wird mit der Größe der beleuchteten Pixel
gespielt, was eine interessante, abwechslungsreiche Lichtwolke erzeugt. Nachdem
sich das System tagsüber aufgeladen hat, setzt nach Einbruch der Dunkelheit das
Spiel der LED-Medien ein. Dabei werden computerbasiert drei verschiedene Pro-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 151
gramme visualisiert: Zum einen speziell für den Schirm produzierte Videokunst,
zum anderen ein abstraktes Abbild der Interaktion mit Passantenbewegungen und
zum dritten eine Aufzeichnung von Windbewegungen.
Medienfassaden sind, insbesondere wenn sie nichts anderes als sich selbst dar-
stellen seit den eindrucksvollen Kulissen des 1982er Films Blade Runner, ein durch-
aus positiv besetztes Image der globalisierten High-Tech Welt geworden.211 Dabei
hat ein Wandel von der überwachenden Seite zur Input-gebenden stattgefunden.
Die Schwierigkeiten einer blinden Energieverschwendung oder bloßer Installierung
eines Werbefilms in gigantomanem Maßstab unterläuft das Green Pix Projekt dabei
spielend. Rein architektonisch wird einmal mehr auf Robert Venturis Learning from
Las Vegas zurückgegriffen, indem der sogenannte decorated shed - Aspekt herange-
führt wird: Ein an sich schmuckloser Kasten erfährt durch eine überdimensionale
Medialisierung seiner Außenwand die ihn beschreibende Bedeutung.212 Mit dem
Unterschied, dass hier der Schirm als emanzipiertes Objekt ein Eigenleben entwi-
ckelt, das sich zudem über seine Selbstversorgung mit Betriebsenergie zu einem
selbständigen Mechanismus und gleichzeitigem Demonstrationsobjekt erhebt. Die
Botschaft der Fassade ist sowohl ihre Kunst, mit den sie umgebenden Einflüssen
wie Menschen und Wind zu interagieren, als aber auch Ideen und Innovationen
eines Null-Energie Bauens beziehungsweise Betreibens vorzutragen. Unauffällig in
der Erdgeschosszone befindet sich der Eingang zum Gebäude, dem Entertainment-
Komplex Xicui. Dessen weitere Fassadenseiten sind ebenfalls von schirmartigen
Paneelen eingefasst, diese werden jedoch weder LED-animiert noch zu Medienfas-
saden überhöht.
Die Steigerung des Maßstabs für eine Medienfassade ist per se noch keine Über-
raschung, jedoch konzeptuell auf den Null-Energie Aspekt zu setzen, ist insbeson-
dere in einem Land wie China außergewöhnlich innovativ. Dazu kommt die viel-
schichtige Ansiedlung des Pixelthemas innerhalb der Problematik der groben Auflö-
sung einer Oberfläche. Der Schirm versucht nicht einfach, einen großen Bildschirm
zu erzeugen, der Ambitionen des public viewing unterstützt, sondern er versucht,
symbiontisch mit den Solarzellen eine neue, eigene Ästhetik aufzubauen, die sich
selbst zum Anlass nimmt. Green Pix erfindet eine gestalterische Synthese aus den
ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Janusköpfigkeit der Fassade, die
tagsüber still und beinahe ausdruckslos die Sonnenergie auftankt, um nach Einbre-
chen der Dunkelheit wie ein nachtaktives Tier ihre Lichtinstallationen durchzufüh-
ren, ist eine zum Thema gemachte Darstellung ihrer Funktionalität, die völlig non-
ornamental ihre Form genau aus der Funktion schöpft. Dazu gehört auch die kon-
trastierende Nüchternheit der übrigen Fassaden, die nicht mehr darstellen, als sie
sind: seitliche Fassaden mit wenig Solarertrag. Aufgrund der Tatsache, dass das
Konzept versucht, Umweltverträglichkeit in das Feld der Medienfassade zu bringen,
werden Neuentwicklungen seitens der Industrie angestoßen. Die geglückte Umset-
zung einer neuartigen Fassade, deren Schichten alle die an sie gestellten Aufgaben
erfüllt, ist der Lohn für intensive Zusammenarbeit mit der Industrie. Simone
Giostra gelingt es, innerhalb der Medienfassaden ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Green Pix ist nicht nur groß in der Bandbreite seiner Lichtperformance, es ist zusätz-
lich auch einfallsreich in der Auseinandersetzung mit seinem konstituierendem
152 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Element, der Photovoltaik. Denn sie wird nicht kaschiert oder von einem anderen
Ort aus mit Betriebsenergie beliefert, sondern ist integraler Bestandteil des gestalte-
rischen Konzeptes. Für Lev Manovich würde allerdings auch der Schirm von Green
Pix nicht weit genug gehen. Er schreibt:
„Ein wichtiges Designproblem unserer Zeit ist die Frage, wie man das neue Funktionieren einer
Oberfläche als elektronisches Display mit neuen Arten von Räumen kombinieren soll, die die
Besonderheit unserer Zeit symbolisieren. Wenn Venturi elektronische Displays an seinen Gebäu-
den anbringt, die eng der traditionellen bodenständigen Architektur folgen, so ist das offensichtlich
nicht die einzige mögliche Strategie (...) Diese geschichtliche Analogie begrenzt unsere Vorstellung
dessen, wie die Architektur neue Medien verwenden kann. Ein elektronischer Bildschirm wird
schlichtweg zu einer bewegten Plakatwand oder zu einem bewegten Ornament (...) Architekten
können (...) den nächsten logischen Schritt machen, den unsichtbaren Raum von elektronischen
Datenströmen als Substanz und nicht nur als Leere zu begreifen – als etwas, das eine Struktur,
eine Politik und eine Poetik braucht.“ 213
Green Pix bleibt zwar in diesem Sinne dem Ornamentalen durchaus verhaftet, doch
leistet es einen wichtigen Beitrag zur Frage der ökologisch-ökonomischen Bilanz
einer solchen erweiterten Raumthematik, denn nicht nur ihre Struktur ist entschei-
dend sondern auch die Frage nach dem zeitlich energetischem Bestehenkönnen
ihres Programmes. Green Pix ist als Mehrdeutiges Element verantwortlich für den Er-
folg des Gebäudes, indem es die klassischen Fassadenaufgaben übernimmt und
daneben zum ikonischen Botschaftsträger des Gebäudes wird.
„[Es] geht um eine Architektur, die ein Instrument zur Transformation der Individuen ist: die
auf diejenigen, welche sie verwahrt, einwirkt, ihr Verhalten beeinflussbar macht, die Wirkung der
Macht bis zu ihnen vordringen lässt, sie einer Erkenntnis aussetzt und verändert.“ 214
Auch die Weltkriegsbunker sind auf diese Weise lesbar. Paul Virilio schreibt:
„Hier verbindet sich der Mythos mit der Propaganda; die Befestigungsmauer ist auch eine ideologi-
sche und dient dazu, der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit zu geben und zugleich den Feind
im Angesicht des Uneinnehmbaren, des Unbesiegten zu entwaffnen.“ 215
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 153
Durch Venturi, der sich auf die nonchalante Verwendung von Medienfassaden in
kommerzieller Architektur bezieht, rückt in der Nachmoderne, die Fassade als Be-
deutungsträger verstärkt in den Fokus. Mit dem Aufkommen neuer technischer
Möglichkeiten entstanden zuletzt innovative Architekturen, die mehrdeutige Fassa-
denelemente als wesentliche Kompetenzkatalysatoren einsetzen. (Kunsthaus Graz,
Green Pix) Ihre mehrdeutige Verwendung als Medium macht sie zum Akteur inner-
halb des Zusammenwirkens von Form und Bedeutung. Dies kann auf zwei Arten
geschehen. Zum einen als Hüllfunktion, die das Dahinter in medialer Weise be-
schreibt wie die Uniqlo-Fassade in Tokyo (Abb. 214), die prototypisch den Pixel-
screen der amerikanischen Vorbilder, wie Times Square oder den Casinos von Las
Vegas oder Macao (Abb. 212), in eine zeitgemäße Fassadenfom transponiert und
die die Disposition des Dahinter bestimmt. Das zweite Konzept umfasst nicht die
Umhüllung einer Räumlichkeit, sondern die Emanzipation der Fassade als eigen-
ständiges funktionales Hauptstück des Gebäudes, so bei dem Tower of Winds, der
tagsüber als transparentes Technikmonument der umgebenen Urbanität den Vor-
tritt lässt, in den Nachtstunden jedoch als abstrakte Licht und Toninstallation mit
dem Wind interagiert (Abb. 211), diesen medial wandelt und reflektiert. Lev
Manovich und Vilém Flusser weisen wiederholt auf letzten Aspekt hin, der noch
immer auf seine häusliche Anwendung wartet. Flusser schreibt:
„So hat das neue Haus auszusehen: wie eine Krümmung im zwischenmenschlichen Feld, wohin
Beziehungen angezogen werden. So ein attraktives Haus hätte die Beziehungen einzusammeln, sie
zu Informationen zu prozessieren, diese zu lagern und weiter zu geben. Ein schöpferisches Haus
als Knoten der zwischenmenschlichen Nähe (...) Wände stehen da, nackt, dem menschlichen Ge-
staltungswillen zum Trotz. Gegen diese Wände versichert der Mensch sich seiner als Wesen, das
sich dem formlosen Blödsinn, den die Welt präsentiert, widersetzt.“ 216
Mehrdeutig, weil überall gültig: Ein lokales Konzept in globaler Anwendung. Als ein
Atavismus aus der Herrschaft der Mauren in Spanien haben sich die sogenannten
toldos bis heute in den Städten erhalten.214 Um die hochstehende Sonne in der hei-
ßen Jahreszeit aus den Straßenschluchten fernzuhalten, werden an Leinen gespannte
Sonnensegel quer von Haus zu Haus aufgezogen (Abb. 215). Dabei bleibt der Luft-
austausch erhalten. Die Segel sind hell und aus dünnen Leinwänden gefertigt. Ohne
standardisiert zu sein, können sie als gewachsene Struktur mitunter ganze Straßen-
züge bedecken. Dabei sind sie je nach örtlicher Häuserhöhe und Straßentiefe in
verschiedenen Winkeln gehängt. Meistens zeichnen sie durch ihre Unterschiedlich-
keit ein sehr individuelles Bild eines jeden Straßenzuges. In den Altstädten von
Sevilla, Málaga und auch Madrid gehören sie zum festen visuellen Inventar. Winters
werden die toldos wieder eingezogen.
Die arabisch-mediterrane Welt hat mit zwei anonymen architektonischen Kon-
zepten auf ihre zum Teil harschen klimatischen Verhältnisse reagiert und während
ihrer Baugeschichte sowohl den Typus des hier untersuchten mobil-ubiquitären
Elementes entwickelt als auch den ortsfesten Städtebau angepasst. Letzterer besteht
aus der Etablierung der medina, einem Baukonzept, das Baumassen in steter Ab-
wechslung mit kleinmaßstäblichen Räumen als Innen- wie Außenraum zu einem
einzigen großen Agglomerat verschmelzen lässt, bei dem die Grenzen zwischen
Gebäude und Nachbargebäude vollkommen fließend sind. Enge Gassen, überdach-
te Straßenzüge und die Vermeidung von großen Plätzen machen die medina zu
einem räumlichen Labyrinth, in dem die Orientierung schwerfällt, das allerdings im
Sommer sich auf öffentlichem Wegeniveau kaum erwärmt, weil die Schichtung der
Kleinräume die Hitze wirkungsvoll aufhält und andererseits im Winter die Innen-
wärme der Räume die medina nicht verlässt und nur wenig Wind den Weg durch die
inneren Gassen findet. Neben dieser stationären Lösung ist die Verwendung der
mobil-ubiquitären Elemente eine interessante Idee, um, abhängig von den Jahreszei-
ten, angenehme mikroklimatische Verhältnisse in den souqs zu schaffen. Der Einsatz
von Zelten beziehungsweise Zeltbahnen als nomadischem Kulturgut ist eines der
ältesten Kulturprodukte der Zivilisation überhaupt. Angewendet jedoch in urbanem
Kontext, machen mobile Elemente einen Großteil des Wiedererkennungswertes
einer Straße aus. Neben verbauten Sonnenschutzelementen (brise-soleil etc.) können
andere fest installierte Konstruktionen wie zum Beispiel Holzgerüste, einer Pergola
ähnlich, zurückbleiben, über die die Stoffe oder Schilfmatten gespannt werden. Im
Fall der toldos, der Sonnensegel Spaniens, bleibt überhaupt keine Konstruktion zu-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 155
rück. Die Leinen für die Segel werden mit eingezogen und erst im nächsten Jahr
wieder aufgebaut. Ösen und Verankerungshaken an den Hauswänden weisen den
Fußgänger auf der Straße auf die Spannmöglichkeiten hin. Das Besondere der toldos
ist die Qualität, sie wie einen architektonischen Parasiten einsetzen zu können, der
bewusst unterschiedlichste Straßen heimsucht und sie zu einem architektonischen
Ganzen zusammenzufassen in der Lage ist. Damit können sehr heterogene Viertel
inklusive ihrer Baulücken, Bausünden oder ruinösen Zustände mit wenig Aufwand
zu einem gestalterischen Ausdruck geführt werden, deren räumliche Qualität zusätz-
liche klimatische Kompetenz aufweist (Abb. 216). So könnte praktisch in allen
Zonen rund um den Globus dieselbe grundsätzliche Idee verwendet werden (vgl. S.
243 ff.).
Die spanischen toldos sind ein gelebtes Beispiel für die Kraft der anonymen
Architektur, die, obwohl niemandem zugeschrieben, höchste formale Qualitäten
entwickeln kann. Bernard Rudofsky schreibt:
„Canopied streets cast a spell upon the beholder. By the magic agency of the trellises, associations
develop that transport his mind beyond the confines of the town to coppice, a grove, and that is in
effect what the arbor pretends to be. In places, the streets resemble deep dark pools, their surfaces
aquiver with sunlight. The close similarity to water and vegetation suggests itself perhaps because
both loom large in the education of our senses. Yet none of these optic sensations can satisfactorily
explain the incantation produced by a streets‘ fragile roof. Its impact is plainly sensuous, and it
seems proper to wonder why (...) Awnings, hung vertically or at an angle, flapping or ballooning in
the wind, are characteristic for Andalusia. They are called toldos, literally tent-shaped roofs, and
probably represent a vestige from the days of the Moorish domination. They resemble the kind of
velum that old-fashioned studio fotografers employed for softening the sunlight.“ 218
Die Mehrdeutigkeit der ubiquitär einsetzbaren Sonnensegel liegt in ihrer hohen gestal-
terischen Kraft. Nicht nur funktional erfüllen sie in sonnenbelasteten Regionen eine
wichtige klimatische Aufgabe, sondern sie sorgen durch ihre Einfachheit für eine
gestalterische Strenge, die über ihre Wiederkehr in der Lage ist, einen architekto-
nisch kompetenten Schleier über verunglückte Straßenzüge zu legen. Die herbe
Simplizität der Materialien, das weiße Leinen, damit einhergehend die Assoziationen
von Segeln oder auch Baldachinen beziehungsweise Zelten, sowie die kaum wahr-
nehmbaren Stahlseile der Aufhängung, ist außerordentlich billig herzustellen. Je
nach Sonnenstand verändert sich durch sie der kühlende Schattenriss auf Straßen
und Gebäuden und taucht die Szenerie in unterschiedliche, oft kontrastreiche Far-
ben. Werden die toldos nicht, wie einigerorts bereits beobachtet, Ziel von Werbe-
bannern, wirken sie wie eine beruhigende Wolke inmitten der Hitze des Viertels.
Wie ein tatsächliches Segel, das gesetzt und gerefft werden kann, breiten sich die
toldos über die Straßenzüge aus. Sie sind Teil des kommunalen Lebens und gehören
sowohl der Stadt als auch teilweise Privatpersonen, die die Verankerungen an ihren
Fassaden zur Verfügung stellen. Konstruktive Widerstände ergeben sich durch den
Wind, der mittels der richtigen Verankerung aber nicht zum Problem wird. Gegen
die zum Teil sintflutartigen Regenfälle, die plötzlich wie aus dem Nichts im Süden
auftauchen können, nützt die Schrägstellung der Segel beträchtlich. So kann das
156 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Als entwurfswerkzeugliche Anwendung stehen sie Pate für die globale Kompetenz eines
simplen, jedoch wirkungsvollen klimatischen Konzeptes. Verwandt den anderen
bekannten Ideen wie Kühlung mittels baulicher Maßnahmen oder Belichtung durch
Öffnungen und Schächte verbinden sie die klimatische mit einer ubiquitären räum-
lichen Kompetenz, die in beinahe jedem Kontext funktioniert. Ihre räumliche Aus-
strahlung macht sie zu einem Mehrdeutigen Element, das weit über private Markisen
oder den Sonnenschirm-Ständer hinaus reicht.
Ein geheimnisvolles Objekt als mehrdeutige Antwort auf sämtliche Orte der Welt. Das
aufblasbare Teehaus von Kengo Kuma ist ein prominentes Beispiel einer ganzen
Reihe von mobilen Raumsystemen, die innerhalb der letzten Jahre entstanden sind.
Nicht nur der Aspekt der Mobilität, sondern besonders der des Zubereitens von
Tee als Akt der Meditation ist der Ausgangspunkt einiger Vertreter dieser möbelar-
tigen Räume (wie beispielsweise auch der Mobile Ichijo von Tishihiro Suzuki, einem
mobilen Meditationsraum220) Der insgesamt nur 20m² große Pavillon ist als
mietbare Eventlocation verpackt und wird auf Bestellung aufgebaut. 2007 bevölker-
te er als Installation den Garten des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst
(Abb. 217). Er kann sowohl draußen im Freien stehen – für diesen Fall wird ein
ringförmiges Betonfundament benötigt, an das er zusätzlich befestigt wird – oder
aber als Raum-im-Raum Installation in Innenräumen aufgebaut werden. Er besteht
aus einer flexiblen Außenhülle aus Tenara, speziellen PFTE-Kissen, deren Zwi-
schenraum mittels eines Gebläses auf Überdruck gefüllt wird. Die gesteppten, über
Seilverbindungen verhafteten Kissenkompartimente legen sich im aufgeblasenen
Zustand in die Form einer halben Erdnussschale mit zwei amorphen Kugelseiten.
Die Verbindungen zwischen den Membranen werden über punktförmige Ver-
schweißungen geschaffen, die als Punktraster auf der Außenhaut sichtbar sind. Der
Eingang in das Teehaus erfolgt über eine eingelassene Reißverschlussöffnung, wie bei
einem herkömmlichen Zelt. Das Haus ist mit LED-Leuchten versehen, die den
Korpus nachts zum Strahlen bringen sollen. Traditionelle japanische tatamis bede-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 157
cken den Boden des Innenraumes. Für die Durchführung der Teezeremonie ist ein
faltbarer Wandschirm Bestandteil des Innenraums, der ansonsten keinerlei Abtren-
nung aufweist.
Innerhalb des Werkes des japanischen Architekten Kengo Kuma nimmt das
Teehaus eine Sonderrolle ein. Ansonsten eher auf additive Systeme spezialisiert, die
thematisch einen Gutteil des Ortes in ihrer partikularistischen Hülle repräsentieren,
ist das Teehaus vollkommen ortlos. Es ist daher prototypisch ubiquitär, mit einer
alleinigen Referenz auf sich selbst. Gerade weil es sich auf nichts einlässt und formal
keine Wagnisse eingeht, kann es an jedem Ort bestehen (Abb. 218, 219). Seine
Mehrdeutigkeit liegt in Bezug auf seine architektonische Inhaltslosigkeit. Es nimmt
abgesehen von der Beleuchtung keinerlei Bezug zu seiner Umgebung auf. Es fehlen
Öffnungen oder Belichtung im traditionellen Sinne. Für seine Funktionalität, die
Abhaltung der Teezeremonie ist genau dies völlig unerheblich. Sie kann prinzipiell
in jedem Raum abgehalten werden. Kengo Kumas Teehaus kann daher insgesamt
auch als eigenschaftslos angesehen werden. Es kann folglich jeden Kontext erfüllen
und sowohl mitten in der Wüste stehen als auch wie geschehen im urbanen Kontext
von Frankfurt. Im übrigen würde es auch als konstruktivistische Parodie eines Fer-
tighaus durchgehen, dessen dekonstruktivistischer Partner Buster Keatons Fertig-
haus-Albtraum One week221 wäre. Beide unterminieren dessen Selbstverständnis als
Qualitätsprodukt. Kengo Kumas Konzept der völligen Bezuglosigkeit und der
daraus resultierenden Ubiquität ist von einer Eigenwilligkeit durchzogen, die auch
innerhalb seines sonstigen Werks selten zu finden ist. Für gewöhnlich komplex und
detailreich, negiert das Teehaus diese Aspekte gänzlich. Es dient nur einer einzigen
Funktion: der Teezeremonie. Diese ist ihrerseits nahezu losgelöst vom Raum. Ähn-
lich der Meditation stellt sie keine Ansprüche an ihre Örtlichkeit. Sie ist das nur auf
sich selbst gerichtete Zentrum ihrer Tätigkeit. Die Bedeutung beziehungsweise
Widmung des Raumes geschieht erst in dem Moment der Durchführung der Zere-
monie.
Die Ubiquität des mobilen Raumes lässt sich lesen wie ein Kommentar zum
Leben in einer freundlichen Blase, das seit Buckminster Fuller viele Architekten
beschäftigt hat. Von archigram bis Werner Sobek ist die Erschaffung von temporä-
rem Raum außerhalb jedwedem Kontextes ein Thema von Interesse, dem allerdings
oft die Vorgabe einer reellen Funktion abgeht. Kumas Teehaus beginnt jedoch an
genau dieser Stelle. Die Mehrdeutigkeit seines Pavillons liegt in dem gestalterischen
System begründet, mit der er jeden denkbaren Kontext für seine Funktion bespielen
kann. Auch im Niemandsland einer Zwischenstadt könnte das Teehaus existieren
und seine architektonische Vision entfalten, genauso wie auf dem Dach eines
Hochhauses oder dem Innenraum eines Foyers. Dazu gesellt sich der Anflug von
Reproduzierbarkeit. Der Pavillon würde sich nicht nur als individuelles, reisendes
Objekt eignen sondern auch zur Kolonisierung größerer Gebiete im Verband oder
als Parasit. Die angesprochene Verweigerung im Ausdruck, die das Material und
seine spezielle Form des Aufbaus durch Aufblasbarkeit in situ evozieren, lässt zwar
entfernt an eine Wolke oder einen Hauch popkultureller Identifikation mit Science
Fiction oder Filmobjekten denken, in Wirklichkeit besteht sie aber nur aus der dar-
gestellten Funktionalität, die durch nichts überhöht wird; ein Zug, der auch der
158 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Als Solitär in Kumas Werk ist das Teehaus ein Versuch, eine poetisch wirkende
Form aus der nüchtern darstellenden Haltung der Ingenieurarchitektur zu entwi-
ckeln, welche zwar die Funktionalität und Konstruktion ihrer selbst zum beherr-
schenden Thema macht, die aber dennoch zu einer mehrdeutigen, verschleiernden
Objekthaftigkeit aufbricht. Die Ortlosigkeit durch das demonstrative Fehlen von
sinnlichen Anknüpfungspunkten schneidet jeden Aufbau von Kontext ab. Genau
dies ist seine mehrdeutige Wirkung: Alles Interpretatorische wird zugelassen.
Mobilität und Ubiquität schaffen eine besondere mehrdeutige Qualität, denn Ortlosig-
keit bedeutet maximale Kommunikation. War in frühen Zeiten oder in ländlichen
Regionen die Mobilität von Gebäuden und Behausungen eine Bedingung für einen
bestimmten Typus Leben, sind heutige Experimente entweder Nachahmungen
eines romantisierten Lebensgefühls, das ohne wirklichen Zweck seinen Ausdruck in
Morphologien sucht, die kaum mehr als Beschwörungen sind, oder aber sie sind
tatsächliche mehrdeutige Objekte, die weit über ein reines Zitieren hinausgehen,
indem sie ihre Form direkt und seriös aus einem ubiquitären Ansatz ableiten.
So bei den Pop-up Stores von Uniqlo (Abb. 222), die an verschiedenen Orten der
Welt als vorgefertigte Shop-Einheiten aufgebaut werden, um anschließend abgebaut
und woanders neu zu entstehen. Das Nomadische einer Architektur unter freiem
Himmel, die kein Messepavillon ist, wird hier zum konzeptuellen Motiv erklärt.
Aisslingers Loft-Cubes wollen dasselbe, allein die fehlende Praktikabilität des mobilen
Wohnobjektes verhindert dies (Abb. 225). Teil-Elemente wie Windmühlen (Abb.
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 159
220, 221) sind wie Zelte oder toldos Konzepte, die in allen Teilen der Welt vorkom-
men, mit jeweils regionalen Typologien, deren funktionale Kompetenz aber stets
dieselbe ist. Ihr Hang zur Kolonisierung und damit ihre gestaltliche Prägung von
Landschaften macht sie zu mehr als bloßen Trägern ihrer Funktion; sie sind sym-
bolhafte Identitätsstifter durch Bausysteme, die ihren morphologischen Kontext
durch Wiederkehr selbst aufbauen. Häuser, die sich fortbewegen sind zu Lande weni-
ger der Architektur zuzurechnen als dem Automobilbau. Einer der ersten Bewohner
eines selbstentworfenen Wohnautos war der exzentrische Schriftsteller Raymond
Roussel, dessen Reisevehikel (Abb. 223, 224) er benutzte, um quer durch Europa zu
fahren mit seiner eigenen Schreibstätte, die er paradoxerweise angeblich aber nie
verließ oder nur aus ihrem Fenster schaute.223 Ganze Hausumzüge sind in Amerika
auf den Highways hingegen keine Seltenheit. Besonders interessant die Minga auf
der chilenischen Insel Chiloé, bei der sommers das gesamte Haus von versammelter
Nachbarhand auf Baumstämme gewuchtet wird, um dann von Ochsen ein paar
hundert Meter weiter gezogen zu werden. Früher verbreitet waren Häuser, die fest-
installierte Kufen statt eines Fundamentes besaßen. Bernard Rudofsky schreibt:
„Today few sleigh houses (...) can still be seen on the plain around Sofia, the temporary habitat of
the Wallachians. Nomadic shepherds by choice, they do not cultivate the land but wander with
their flocks in search of fresh pastures, and such is the climate that in summer they find grazing
grounds in the mountains and in winter never run out of them on the plains. Their pace may be
slow, but then, neither sheep or shepherds are in a hurry.“ 224
Eine erfolgreiche mobile Architektur ist die zu Wasser befindliche. Neben dem
Schiffsbau, der die Architektur der Moderne beeinflusst hat, sind es die heutigen
schwimmenden Hausarchitekturen, die dem Landgrundstück vorgezogen werden.
Wie in Asien (Abb. 227) scheinen sich Floating Villages in der westlichen Welt (Abb.
226) zu etablieren, deren Mobilität jedoch erst dann volle Geltung hätte, wenn sich
diese fortbewegen könnten wie ihre vietnamesischen Vertreter. Bernard Rudofskys
Kritik trifft daher zu:
„To see the world without leaving home – and I don‘t mean on the flickering screen – is one of the
amenities that contemporary architecture does not provide.“ 225
Über Rationalität der Funktionen zu Mehrdeutigkeit der Form. In dem Turiner Stadt-
teil Lingotto errichteten die damaligen Eigentümer des Fiat-Unternehmens um
Giovanni Agnelli von 1916 bis 1923 die modernste Automobilfabrik Europas. Vor-
bild waren, wie damals für viele Industriekomplexe, die Anlagen Henry Fords in
den USA. Nach umfangreichen Recherchen vor Ort in Detroit, beschloss Fiat, den
noch wenig bekannten Architekten und Bauingenieur Giacomo Mattè-Trucco mit
der Planung der Anlage zu beauftragen. Dabei sollte nicht nur ein Gebäude für die
moderne Fließbandproduktion der Autos entstehen, sondern zudem Wohn- und
Einkaufsmöglichkeiten für die im Werk beschäftigten Arbeiter und deren Familien.
Mattè-Trucco entwirft mit dem Leitgebäude in Stahlbeton, Il Lingotto [=der Barren]
genannt, ein erstaunliches Stück Architekturgeschichte, nach Banham „the most nearly
Futurist building ever built.“ 226 Das langgezogene Gebäudeoval (Abb. 228, 229), von
drei verbindenden Zwischenriegeln auf der Ringinnenseite getaktet, zitiert mit sei-
nen gestreckten Proportionen den römischen Circus Maximus, die Arena der Wagen-
rennen. In seinem Inneren schlängeln sich auf über 150 000 m², in zum Teil steilen
Radien, spiralförmige Rampen von unten nach oben, die Fließbänder für die Mon-
tage der Wagen (Abb. 230). Auf den insgesamt fünf Stockwerken waren zu Hoch-
zeiten des Werkes 30 000 Arbeiter mit der Fertigung von bis zu 80 Modellen gleich-
zeitig beschäftigt. Jedes Stockwerk hatte dabei seine eigene Spezialisierung im Pro-
zess der Montage. Per Zug kamen die Einzelteile im Verladebahnhof auf Erdge-
schossniveau an, um dann als fertiges Auto im sechsten Geschoss die 1,4 km lange
Teststrecke, La Pista, zu befahren, zu bestehen und schließlich, die Fabrik zu verlas-
sen.
Neben der funktional begründeten Großform des Gebäudes ist es letzterer
Aspekt des Lingotto, der ihn bauhistorisch zu einer ikonischen Architektur macht.
Die doppelte Nutzung des Daches, sowohl als baufunktionaler Schutz gegen die
Witterung aber eben auch als spektakuläre Teststrecke für die neu hergestellten
Autos aus dem Werk, ist absolut einzigartig. Sie wirkt deswegen eindrucksvoll, weil
sie nicht aus dem Spleen entstanden ist, eine Präsentationsfläche für einen luxuriö-
sen Fuhrpark zu etablieren, sondern zwingend aus dem Entwurfskonzept hergelei-
tet worden ist. Der mit seinen beiden Hochkurven beinahe anmutig emporge-
schwungene Parcours ist der logische Abschluss der Fabrikationsstrecke im Gebäu-
de. Man könnte von einer promenade architecturale aus der Sicht des Autos sprechen.
Hat der Wagen den Anstieg und damit seine Formwerdung hinter sich gebracht,
wird er vom Fahrer auf die Rennstrecke gebracht, beschleunigt und nach ein, zwei
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 161
Runden endgültig aus dem Gebäude gefahren und in die Welt entlassen. Die schlüs-
sige Verschmelzung von Dachfunktion und krönend inszeniertem Abschluss der
Fertigungsstrecke setzt dabei die Idee der multi use-Elemente mit Sorgfalt um, indem
sie die entwurfliche Ausrichtung des Baus auf die Auslotung von Strecke und Nut-
zen zum Kernthema macht. Formal wird nicht nur das modernistische Flachdach,
dessen Spiel mit dem Gefälle bis hin zur beinahe senkrechten Neigung in den Kur-
ven aufsehenerregend ist, zu einer völlig neuen Gestaltungsidee gebracht, sondern
die Thesis von der Krönung des Neuwagens, der das Licht der Welt erst auf dem
Dach des Gebäudes erblickt, mit Raffinesse und Zwangsläufigkeit thematisiert. So
kommen witterungsgerechte Notwendigkeit und gebäudeintentionale Funktionalität
zusammen.
Als eine Ikone der Betonarchitektur, ist der Lingotto ein Vertreter des monolithi-
schen Bauens. Paul Virilio, dessen dromologische Theorien durchaus eine bauliche
Repräsentation in Turin finden, schreibt über den Bunker:
„Eines der hervorstechenden Merkmale des Bunkers besteht darin, dass es sich bei ihm eine der
wenigen modernen monolithischen Architekturen handelt. Während die meisten Bauwerke durch
ihr Fundament mit dem Grund verwachsen sind, besitzt der Bunker überhaupt keins; sein
Schwerpunkt ersetzt es (...) Hydrodynamik, Aerodynamik, diese gegenseitige Durchdringung bis
dahin vollständig unterschiedlicher Elemente wird eine letzte Vermischung des Lebendigen mit dem
Unbelebten verwirklichen: die aerostatische Architektur (...) Im Guss des Betons gibt es also keine
Zwischenräume, keine Nahtstellen mehr, alles ist kompakt.“ 227
„Der Asphalt wäre also das politische Territorium? Ist die Macht des bürgerlichen Staates die
Straße oder auf der Straße? Liegt seine virtuelle Kraft und seine Gewichtigkeit also an den Orten
intensiven Verkehrs und auf den Wegen schnellen Transportes?“ 228
Neben einer klaren, aufs Äußerste reduzierten Formensprache bei den Geschossen,
die in ihrer Proportion vage an die Entwürfe von Clemens Klotz in Prora auf Rü-
gen etwa 10 Jahre später erinnern, ist es vor allem die durchgehende, auf die Dar-
stellung von Geschwindigkeit fokussierte Fertigungsstraße, die die gestalterische
Hauptrolle spielt. Von enger Steigung in den Geschossen, die einer unendlichen
Rampe gleichen, bis hin zur weitläufig angelegten Teststrecke als Dachabschluss,
gewinnt der Lingotto seine gestalterische Ausstrahlung über die Ästhetik des Par-
cours. Durchaus dem Glauben Marinettis229 an den Fortschritt durch Geschwindig-
keit verwandt, jedoch mit einer sinnlich eigenständigen Komponente durch bewusst
mehrdeutige Symbolik, erfuhr der Lingotto 1969 in einer kurzen Sequenz des Films
The Italian Job zurecht seine pop-ästhetische Würdigung: die drei Mini Cooper be-
streiten einen Teil der legendären Verfolgungsjagd durch Turin auf dem Dach und
durch das Gebäude.230 Virtuos ist der Einsatz des damals noch jungen Materials
Stahlbeton. Die verhältnismäßig schlanken Stützen und die intelligente Kraftfluss-
darstellung der Lastabtragung der Geschossebenen sind ein frühes Beispiel für
162 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
italienische Ingenieursbaukunst, die später unter anderem von Pierluigi Nervi und
Angelo Mangiarotti fortgesetzt wurde.
Ein Haus ohne Ziel, Räume als unendlich funktionale Elemente. Georges Perec
erkundet eine absurde, uneindeutige und darum der Mehrdeutigkeit verwandte The-
matik. Er schreibt:
„Ich habe mehrmals versucht, an eine Wohnung zu denken, in der es ein überflüssiges Zimmer
gäbe, ein ganz und gar und absichtlich überflüssiges Zimmer. Es wäre keine Abstellkammer, es
wäre kein zusätzlicher Raum gewesen, weder ein Flur noch ein Kabuff noch ein Schlupfwinkel. Es
wäre ein funktionsloser Raum gewesen. Er hätte zu nichts genützt, er hätte auf nichts verwiesen
(...) Ein Raum ohne Funktion. Nicht etwa ohne genaue Funktion, sondern genau ohne Funktion;
nicht plurifunktional (das kann jeder), sondern afunktional. Selbstverständlich wäre das kein
Raum gewesen, dessen einzige Aufgabe darin bestanden hätte, die anderen Räume zu entlasten
(Rumpelkammer, Wandschrank, Kleiderablage, Stellraum usw.), sondern ein Raum, ich wieder-
hole es, der zu nichts genützt hätte.“ 231
Sou Fujimotos House NA von 2010 in Tokyo mutet wie eine einzige Absurdität an
(Abb. 231, 232). Die Stapelung von zum Teil witterungsungeschützten Räumen, die
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 163
nur über ihre mit Stahlträgern markierten Konturen materialisiert sind, scheint
Perecs Vision von radikaler Funktionslosigkeit sehr nahe zu kommen. Wohlgemerkt
handelt es sich bei dem Haus um Architektur und nicht um ein Kunstprojekt, auch
wenn die Grenzen sich unter dem Strich vermischen. Analog zu einem Baum, so
der Ansatz der Architekten, generieren sich die Wohnräume des Gebäudes aus
Nistplätzen, die es zu erobern, erlernen und besiedeln gilt. Fujimoto spricht sogar
von einem heuristischen Benutzen der einzelnen Module.232 Die extrem dünnen
Gebilde aus Stahleinfassungen, Glas- und Bodenplatten verbinden sich zu einem
durchsichtigen, fragilen Haus, das sich radikal den bisherigen Seh- und Wohnmög-
lichkeiten verweigert. Dem Wunsch der Bauherrn nach einem gelebten Nomaden-
tum in den eigenen vier Wänden beziehungsweise auf dem Grundstück wird auf
eine intelligente, fordernde und vor allem außerordentlich leicht erscheinende Weise
entsprochen. Wie in einer zeitgemäßen Version des Raumplans von Adolf Loos wird
dessen Konzept der von einander unabhängigen, aber dramatisch zu einander in
Beziehung stehenden Raumeinheiten wiederbelebt und mit teilweisen extremen
Topografiesprüngen auf die Spitze getrieben. Die gestuften Verknüpfungen der
einzelnen Raumeinheiten sollen zum Sitzen, Klettern oder intelligenten Bespielen
einladen.
Sehr interessant ist die typisch japanische Verschmelzung von Innen- und Au-
ßenraum, indem die Raumgrenzen zum Teil überhaupt nicht definiert sind. So
werden Gebäude und Wände, Gärten oder Terrassen der Nachbarschaft mit einbe-
zogen in das offene Wohnen des House NA. Besonders der Bezug zum öffentlichen
Straßenraum scheint dem bisherigen Verständnis von Privatheit und Abgeschieden-
heit vollkommen zuwider zu laufen. Neben der Teilhabe der Öffentlichkeit am
Leben der Hausbewohner gesellt sich auch die permanente Gefahr des Abstürzens
aus den offenen Raumkästen zum heuristischen Wohnen dazu. Mit dieser antizykli-
schen Startkonfiguration des Gebäudes jedoch, zunächst angefüllt mit Perecschen
funktionslosen Räumen, wird eine besondere Form der Partizipation der Bewohner
ins Spiel gebracht. Zu vermuten wäre, dass sich die Hausbesitzer einem
permutativen Spiel mit ihren Räumen, Halbräumen und freien Plattformen hinge-
ben, indem sie diese verändern, je nach Gebrauch mit Gegenständen der Erschlie-
ßung, Verhüllung oder Trennung.
Konzeptuell betritt Sou Fujimoto einen schmalen Grad zwischen anschaulicher
Bauherrenpartizipation, die das private Leben zu einer öffentlichen Performance
macht und geradezu anti-architektonischem Kitsch, der wenig systematisch eine
nicht zu Ende gedachte Skizze als Haus verkauft. Jeder Raum oder vielmehr jedes
Raumfragment jedoch ist ein Paradebeispiel für das Mehrdeutige und Offene, das
durch seine Funktionsbelegung bestimmt wird. Das Gesamtgebilde wie das einzelne
Element ist bewusst nicht endgültig, bewusst unfertig und bewusst wandelbar. Und
obwohl die konturenhafte Umsetzung fast nicht vorhanden ist, so dient sie als stabi-
les Gerüst einer Multimorphologie, die beinahe sämtliche Themen der vorliegenden
Betrachtung in Bezug auf Mehrdeutigkeit aufweist oder je nach Gebrauchsentschei-
dung der Bewohner im Laufe der Zeit aufweisen könnte. Die Gestaltung der mini-
malistischen Plattformen, der Stahlkonturen und der wenigen Einrichtungsgegen-
stände erscheint wie eine Parodie auf das Wohnen an sich, ergibt aber in Bezug auf
164 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
die Partizipation der Bewohner mit ihrer materiellen Zurückhaltung absolut Sinn.
Das Nomadische, dem immer das Flüchtige und Ephemere beiwohnt, belebt nicht
nur den privaten Nutzen der Raumeinheiten sondern vor allem auch den öffentli-
chen Aspekt des Hauses, dessen Bewohnen der Tätigkeit einer Schaufensterdekora-
tion gleichkommt. Fujimotos Leistung liegt darin, nahezu alle gestalterischen Ent-
scheidungen der Bewohner tragen zu können. Damit scheint er ein erster Umsetzer
der Ideen Yona Friedmans zu sein, dessen dünne Raumkonturen innerhalb einer
urbanen Megastruktur sämtlich auf eine partizipatorische Gestaltung seitens ihrer
Bewohner angewiesen sind.233 Konstruktiv-technisch bleibt ein großes Fragezeichen
angesichts des klimatischen Komforts der teilweise offenen Raumeinheiten. Die
statisch äußerst leichte und dünne Konstruktion scheint zudem schnell an die
Grenzen ihrer Tragfähigkeit zu gelangen, sodass eine unendliche Varianz der Parti-
zipation mittels Ein- und Umbauten eben doch nicht zur Gänze gegeben ist. Eine
klimatisch-energetische Effizienz ist nicht abzulesen, war jedoch auch zu keiner Zeit
das entwurfliche Ziel des Projektes. Die additive, sozusagen bottom-up-Strategie
Fujimotos, aus unbestimmten Raumeinheiten Bedeutung zu schaffen, indem sie
zueinander komponiert werden und das Benutzerverhalten in besonderem Maße
mit einbeziehen, ist nahezu vollständig auf den in diesem Kapitel diskutierten multi
use-Elementen aufgebaut. Deren entwurfswerkzeugliche Verwendung funktioniert aus-
nahmslos und an jeder Stelle, weil das Gebäude keine Hierarchien benötigt. So wird
das House NA zu einem multi use-Objekt aus multi use-Elementen, fast völlig deu-
tungsoffen. Arata Isozaki schreibt über das, auch hier auftretende, typisch Japani-
sche:
„Maruyama extracted two opposed concepts, sakui (artifice) and jinen (...) Sakui implies a will to
construction, while jinen is a notion of selfbecoming. One might translate the pair of terms simply as
construction and becoming, although the equivalence is not exact. Furthermore, sakui might also be
interpretated as architecture-as-Western-mode-of-thought, which entered Japan as the modern. By
contrast jinen could be thought of as the Japanese life view: an attitude of letting the natural process
of becoming decide its own course, that is, intuiting the course of nature and following it. We may
also wish to call this Japan-ness.“ 234
Das Potential der Verwendung von multi use-Bauelementen liegt in der Möglichkeit,
Attraktivität an Stellen des Gebäudes zu erzeugen, die normalerweise lediglich als
standardisierte Teile des Ganzen angesehen werden. Die besondere Betonung von
Wänden, Stützen, Dächern oder Geschossebenen, indem sie durch eine weitere
Funktion zusätzlich zu ihrer normalen baulichen Aufgabe qualifiziert werden, macht
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 165
„This roof was a full incarnation of the communal, rendered as a space of public appearence and set
against the backdrop of distant mountains, in such way as to evoke the agoras of the antique
world.“ 236
Urbanus zeigt beim Shenzhen Loft, wie der Hof zweier Wohngebäude mittels eines
künstlichen Berges zu einem Park wird, in dessen überbauter Erdgeschosszone
Läden integriert sind (Abb. 237, 238). Aus konstruktiver Sicht trägt die Belegung
von Mehrfachfunktionen auf Bauelemente eine entscheidende Singularität in das
Gebäude: eine Form der technischer Erfindung, die zuvor nirgendwo bekannt ist
und die speziell für dieses Gebäude an dieser Stelle ihren Sinn und Zweck erfüllt.
Toyo Ito macht für die Sendai Mediathek seine statisch wirksamen Stützen zum
Dreh- und Angelpunkt des gesamten Gebäudes, indem sich in ihnen sämtliche
Erschließungsanlagen sichtbar befinden, Treppen und Fahrstühle.237 Im kleinen
Maßstab gelingt dies WOHA mit der Erfindung des Monsoon Window im Moulmein
Rise von 2003 (Abb. 236), eines auskragenden Lüftungselementes für tropische
Klimaverhältnisse, das sich nach unten öffnet und in geschlossenem Zustand die
Auskragung zum Wohnraum und zur Sitzgelegenheit macht.238 Gary Chang benutzt
beim Suitcase House Hotel den schwebenden Boden als eine Art Raumgenerator
(Abb. 235), der wie eine Batterie entladen werden kann. Bei Bedarf können über
Klapptüren aus der künstlich verdickten Bodenzone der Flure zusätzliche Nassräu-
me und Aufenthaltskapseln erschlossen werden.239
Die Mehrdeutigkeit von Gebäuden wird durch die Morphologie von multi use-
Elementen generiert oder ertüchtigt, die sich wiederum aus ihren Funktionen erge-
166 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
ben hat. Sie lässt den Entwurf zu einer Besonderheit werden, die tradierte Seh- und
Ausführungsgewohnheiten aufbricht.
Kontext, zum Beispiel einer weiteren Grundrissdisposition, denn die Parametrik des
Regales hält eine ubiquitäre Einsatzform des Gestalt-Codes vor. Damit wird der
Zustand des Entwurfssystems vom Lucien Pellat-Finet Shop nur zu einem Beispiel
eines an sich unendlich oft anwendbaren Entwurfes. Denkbar wären beispielsweise
weitere Flagship-Stores an anderen Orten, die vollkommen andere Grenzdispositio-
nen des Regalssystems über ihre Grundriss-Geometrie aufbauen und auf die weitere
Phänotypen oder Objekte reagieren würden.
Kumas Idee, zwei Konzepte innerhalb desselben Gebäudes unterzubringen ist
ungewöhnlich, wenn nicht sogar nur in Teilen gelungen. Die Inkonsequenz bezogen
nur auf den Lucien Pellat-Finet Shop ist nicht leicht nachzuvollziehen, in Betrachtung
des gesamten Gebäudes macht seine Entscheidung aber Sinn. Wenn das Herzstück
des Shops sein parametrisches Regal ist, so kann es am wirkungsvollsten existieren,
wenn es mit den daraus resultierenden Zwängen in einen vorhandenen Bestand
integriert wird; am wahrscheinlichsten sicherlich mit einem direkt kontrastierenden
Bestand. Kuma setzt jedoch diese Unpässlichkeit des Grundstücks außer Kraft,
indem er selbst einen Bestand schafft, als Neubau, in dem dann wiederum wie ein
zweiter Auftrag das Regal seinen Platz findet und kraft seiner parametrischen Viel-
seitigkeit sich in verschiedenen räumliche Situationen zurecht findet. Das Regal
selbst ist einfach, aber zugleich expressiv durch die Stauchungen und Streckungen,
die es infolge der Grundrissdisposition erhält. Kuma spielt dort sein bionisches
Verständnis von Wiederkehr eines Elementes aus und zeigt, dass das System in
Wirklichkeit unendlich ist und nur von den Grenzen des Grundstücks und des
Shops zurückgehalten wird. Kenneth Frampton schreibt:
„Kuma belongs to that genre of late-modern architects for whom the material surface itself consti-
tutes the major part of the expressive charge (...) The more the one enters into his [work], the more
one has to recognize the schism running through the figure, for while his works stems in large
measure from the technological and digital cutting edge of contemporary building production, it
remains equally rooted in his persistent cultivation of the surviving traces of japanese craft. This
paradoxical combination of advanced manufacturing methods with techniques that would seem to
be virtually unchanged from medieval times recalls Arata Isozakis observation that in Japan, no
established practice or belief ever becomes totally obsolete (...) The arresting beauty of the works
stems from its non-hierarchical particulization of the structure, which invariably activates the
phenomenological play of light across the form (...) This goes along some way towards explaining
Kuma‘s frequent evocation of a building as a cloud.“ 241
Das Regal harmoniert nicht mit den konventionellen Elementen der Räume. Es
bleibt ein Fremdkörper. Diese eigentliche Stärke wird von Kuma aber nicht gänzlich
als solche genutzt, sondern an einigen Stellen zu Kompromissen genötigt, die die
Gesamtwirkung des Regals mindern, wenn z. B. aus den Waben Bodenkörper wer-
den wie einfache Sideboards oder niedrige Regale. Dennoch sind alle jene Momente
herausragend gelungen, bei denen sich die Wabenstruktur wölbt und etabliert, so-
dass ein Raum im Raum entsteht. Hier wird die ganze Adaptivität des Systems ge-
nutzt. In seinen Deckenrauten verschwindet die Beleuchtung, wie ein beiläufiges
Zitat modernistischer Deckenbehandlung. Als Regal funktioniert das System nur
168 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
insoweit, als dass die Ware darauf abgestimmt wird. Die Wabenfächer sind wenig
geeignet, ohne weitere Halterungen, Gegenstände wie Bücher, Bekleidung etc. auf-
zunehmen. Eine zusätzliche Möblierung mit Kleiderstangen, Loungemöbeln und
Tresen löst die Probleme eigenständig und unabhängig von dem Wabensystem,
wohingegen die Kompromisse aus Sideboards eine eher unsichere Atmosphäre
ausstrahlen. Die durch Aluminiumverbinder miteinander verzapften Holzwaben
sind stark und hätten bei konsequenter Transformation sicherlich auch schwierige
Ablageflächen meistern könnten.
diesen gestalterisch eher schwächen. Sowohl auf dem Gebiet der Parametrik in
Entwurf und Fertigung als auch in der Wahl des Materials, PU-beschichtetem Fur-
nierschichtholz, begibt sich der Metropol Parasol auf Neuland. Die digitale Präzision
bis zur Montage ist Teil einer beispielhaften Umsetzung, bei dem lediglich die nicht
unmittelbar mit der Parasolform korrespondierenden Bereiche wie Unterbau und
Promenade in konventionelle Konstruktion verfallen. Gerhart Schubert schreibt:
„Heute hat es keine Bedeutung mehr, gleichteilige Bauteile herzustellen. Statt auf Grundlage vieler
gleicher, additiv zu fügender Bauteile basieren heutige digitale Modelle auf der Basis eines Genotyps
(...) Je nachdem wie man die Parameter einstellt und variiert, ändert sich auch das Aussehen des
Körpers auf Basis des Genotyps. Es lassen sich so unendlich viele verschiedenartige Varianten
erzeugen, modifizieren und anpassen. die Form wird nicht mehr gefunden, sondern generiert.“ 245
Die Parametrik als Gen-Schlüssel, der ein Gebäude zum eingefrorenen Zustand
eines Systems macht, ist für den Parasol entscheidend. Sie gehört der Mehrdeutig-
keit an, da sie stets weitere Möglichkeiten mit einschließt. Das suggerierte Potential
eines Einsatzes an weiteren Orten scheint verlockend, unklar ist aber, ob es jemals
dazu kommen wird, denn eine Architektur lebt noch immer von der einen Lösung
für den bestimmten Ort, sodass primäre Einzigartigkeit einem System von Objek-
ten, die auf denselben Genotyp (Objektil) zurückzuführen sind, vorgezogen wird.
Jörg Gleiter schreibt: „Jedes neue Medium findet zuerst Verwendung wie ein Altes (...und)
zeigt dessen Defizite.“ 246
In letzter Zeit wurde Parametrik abwechselnd befürwortet als Aufbruch in ein neu-
es Entwurfszeitalter, gleichzeitig abgelehnt als Banalisierung der Architektur zu
einer rein formalen gestaltlichen Auseinandersetzung. Daneben entstanden aber
Gebäude in Entwurf und Fertigung, die jenseits von Pavillon-Anwendungen dauer-
hafte und mehrdeutige Baulösungen anbieten. Parametrik als Entwurfssystem von
Abhängigkeiten generiert einen neuen Blick auf den fertigen Entwurf an sich. Im
Idealfall wird von dem Abhängigkeitensystem eine große Anzahl baulicher Lösun-
gen vorgeschlagen, von denen eine die höchste Fitness für die Anforderungen des
Bauortes erreicht. Zwar steht am Ende (noch) ein Gebäude alter Konvention, das
sich kaum von einem traditionell erstellten Entwurf unterscheidet, doch ist das, was
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 171
umgesetzt wird, nur eine manifeste Möglichkeit von vielen. Die große Chance wäre,
auch im Sinne des hier diskutierten entwurfswerkzeuglich Mehrdeutigen, diese Anpas-
sungsfähigkeit eines Systems weniger auf den konventionellen Solitärbau zu richten,
sondern eben auf die Reihung von Objekten.
Im analogen Zeitalter war Parametrik kein Begriff, gleichwohl aber ausgeführte
Baukonzeption, wenn nämlich, wie im Kapitel der Wiederkehr diskutiert, ein Ent-
wurfssystem/ Stil wie von den Römern an verschiedenen Orten zum Einsatz
kommt, jeweils als Repräsentativ des Entstehungsortes. Le Corbusier kann hier als
Vorreiter genannt werden, denn sein System der Unités kam an fünf Orten zum
Einsatz, mit jeweils regionalen Ausprägungen (Abb. 243, 244). Es handelt sich um
keine ähnlichen Entwürfe eines Architekten, der Branding mit seinen Gebäuden
betreibt, sondern explizit als vom selben Objektil stammende. Somit ist die Unité ein
parametrischer Bau. Der Entwurf repräsentiert ein System, das an einem anderen
Ort, mit ähnlicher Rahmenbedingungen auf Basis von identischer Generierung
einen gleichstarken Entwurf hervorbringt. Er ist in einem maximalen Sinne ubiqui-
tär. Gleichzeitig ist er stets individuell und verarbeitet die Einflüsse des Bauortes in
seinen Parametern, sodass eine direkte Reaktion auf den Bauort im manifesten
Entwurfsinhalt stattfindet. perfekt vorgeführt bei den Stationen von Zaha Hadids
Hungerburgbahn (Abb. 247, 248) Das Weingut Gantenbein nutzt die Möglichkeiten der
Baurobotik aus, um sein Ziegelwand-System in jeder Ausfachung dergestalt zu
kalibrieren, dass Pixelgrafiken durch die Stellung der Ziegel zueinander umgesetzt
werden (Abb. 245). Hier wird Parametrik als Teilaspekt des Entwurfes genutzt,
Mehrdeutigkeit wird durch die jeweilige Ausfachung impliziert. Jede ist individuell,
aber erkennbar als manifester Zustand des unendlichen Systems (Customization).
Vorteil der Parametrik ist die Umsetzbarkeit mittels einer digitalen Fertigungskette,
die nicht traditionelles Handwerk veredelt, sondern die Fertigungstechnik selbst
revolutioniert. CNC-Steuerung ist in der Lage, in kurzer Zeit individuelle Werkstü-
cke zu produzieren wie die Gläser und Streben des Great Court (Abb. 246) oder die
Polygone des Swissbau-Pavillons. Letzter stammt von Ludger Hovestadt, auch an der
Monte Rosa-Hütte beteiligt, die ein parametrisches Skript aus Wind-/ Schneelasten,
Wandstärken, Bettenzahl, Baustelleneinrichtung und Temperaturspreizung benötig-
te, um überhaupt gebaut werden zu können (Abb. 249). Hovestadt schreibt:
„Ein Entwurf ist auf diesem Bauplatz nur dann zu realisieren, wenn die Glieder der digitalen
Kette fugenlos ineinander greifen.“ 248
Das Skript könnte nun für andere zukünftige Hütten auf 3000 Metern Höhe ver-
wendet werden. Es bleibt abzuwarten, ob das Umdenken von Einzel-Objekt zu
Einzel-Objektil mit Objekten nur bei einzelnen mehrdeutigen Experimenten oder
Teilelementen stattfinden kann. Solange traditionell gebaut und geplant, somit auch
rezipiert wird, vermutlich nicht zur Gänze.
172 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Verdichtete Landschaft/ Teil des Meeres und des Landes/ Verschmelzung/ Beton
Als natürlich belassener Teil der Landschaft bildet Siza eine ergänzende, verdich-
tende Struktur aus Beton aus, die Becken, Abtrennungen und Wege in die Uferto-
pografie legt. Dabei verschmelzen nicht nur die Bauwerksgeometrien mit dem um-
gebenden Ort, sondern es werden in den Fels hinein Stege und Passerellen gegos-
sen, die widersprüchliche, polymorphe, d.h. mehrdeutige Gebilde ausformen.
Landschaft oder Gebäude? Álvaro Siza bearbeitet in den späten 50er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts gleichzeitig einige Projekte in seinem Heimatort
Matosinhos, entlang des Küstenstreifens nahe Porto gelegen. Zunächst ist dies das
Teehaus Casa da Chá da Boa Nova, das sich als Teil der Topografie der felsigen Ufer-
zone begreift und sich behutsam zwischen die großen Geröllbrocken schmiegt.
Obwohl mit sein erstes Gebäude, spiegelt es bereits Sizas enorme Fähigkeit zur
Bildung eines komplexen und zugleich einfachen Gebäudeprinzips wider. Aus den
lokalen Architekturbestandteilen wie der weißen Putzfassade und den rostroten,
gebrannten Dachziegeln zusammengesetzt, die jedoch zu einer abweichenden po-
lymorphen Geometrie gefügt werden, steigert Siza die Erdverbundenheit des Ge-
bäudes, indem er das gleitende Fundament aus einem sandfarbenen Beton bildet,
der aus dem Geröll selbst gegossen zu sein scheint. Das chthonische Element dieser
Herangehensweise, die vor ihm bereits Alvar Aalto kultiviert hat (vgl. S. 55 ff.), ist
noch stärker bei dem nur kurze Zeit später entstandenen Strandbad Piscinas de Marés.
Das Meerwasser-Schwimmbad, bestehend aus einigen Abtrennungen zwischen
Strand und Brandung, sowie Rampen, Pfaden und einigen Freiluftumkleidekabinen
nebst Café (Abb. 250), ist zur Hauptsache aus dem Fundamentprinzip der Casa da
Chá gebildet. Die Betonmauern, Terrassen und Abgrenzungen der Bassins mengen
zerstoßene Felssteine der Umgebung mit in die Gussmasse. Darüber hinaus zerstö-
ren sie die topografische Situation vor Ort nicht, sondern schmiegen sich erneut in
die vorhandenen Felsformationen ein oder verschwinden in dem weichen Sand des
Strandes. Die Anlage geht in ihrem Verschmelzen mit der Topografie so weit, dass
sie von der Küstenstraße nicht einsehbar ist. Sie verschwindet als Teil des Felswalls,
der sich neben dem Asphalt aufbaut. Nur ein paar Betonpfade und Treppen deuten
auf die Anwesenheit eines architektonisch geformten Ortes hin. Auf dem Weg
dieser szenisch inszenierten Promenade erschließt sich dem Besucher Schritt für
Schritt die Dimension der Eingriffe, die durchaus den jahrtausendealten Reisterras-
sen in den Bergen Asiens vergleichbar sind, in ihrem Bemühen, der Natur ein Stück
Land abzuringen, urbar zu machen und zu kultivieren. Erst aus der Distanz, beim
Schwimmen in den Bassins, kann rückblickend, sozusagen von der Perspektive des
Wassers aus, die Gesamtanlage eingesehen werden.
Anders als bei vergleichbaren Projekten wie beispielweise César Manriques Lago
Martiánez in Puerto de la Cruz auf Teneriffa249 von 1971, steht bei Siza nicht die
Form beziehungsweise die Überhöhung derselben als Sichtbarmachung ihrer selbst
im Vordergrund, sondern es gründet sich ihre Morphologie auf dem Vorhandenen.
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 173
Als ob die Idee der Anlage auch ohne bauliche Manifestation in dem Ort schon
lange anwesend gewesen wäre. Siza füllt also nur die Zwischenräume aus. Er ver-
bindet die örtliche Topografie zu einer gemeinsamen Morphologie (Abb. 251).
Diese wiederum ist, formal gesehen, ein widersprüchlicher Hybrid aus wildem,
wettergeformten Felsgestein und streng komponiertem, geometrischem, wenn auch
archaisch anmutendem Beton. Letzterer ist aufgrund seiner stofflichen Zusammen-
setzung aber wiederum Teil seines vermeintlichen Antikörpers, dem Felsen. Zu der
Beschaffenheit des mit der Möglichkeit der Alterung und der Fehlstellenausbildung
ausgestatteten béton brut äußert Werner Blaser treffend, es handele sich um „ein Or-
nament ohne Ornament.“ 250 Die reliefartige Wirkung des Materials korrespondiert mit
dem Felsen: sie altern gemeinsam, sind auf ewig aneinander gebunden, bilden ein
gemeinsames polymorphes Element aus.
Die konzeptuelle Ausformulierung von Mehrdeutigkeit mittels der Morphologie
ist einer der hauptsächlichen Wesenszüge des Strand-Bades. Es entzieht sich nicht
nur seiner Einsehbarkeit, es entzieht sich auch seiner gestaltlichen Zuordnenbarkeit.
Wie erläutert, geschieht dies zum einen über seine abtauchende, flache Geometrie
und der gestaltlichen Verschmelzung mittels des Chthonischen seiner Materialität,
zum anderen Teil jedoch geschieht dies in einem beinahe noch stärkeren Maße in
Ausübung seiner Funktionalität. Wenn nämlich die Brandung des kalten Atlantiks
über die absichtlich nicht als Hindernis ausgebildeten Bassin-Einfassungen hinweg
rollt, wird die Anlage auch zu einem Teil des Meeres. Sie verschmilzt nicht nur zu
Lande sondern auch zu Wasser. Sie erleidet dasselbe Schicksal wie die von ihr abge-
bildete, weitergeführte und verdichtete Landschaft: bei Flut überspült und bei Ebbe
freiliegend, das sich erwärmende Flutwasser in Becken zurücklassend. So generiert
Sizas Strand-Bad eine Reihe von Lesbarkeiten, die es im Spannungsfeld zwischen
Gebäude und Landschaft aufgehen lassen, ohne nur das eine oder andere aus-
schließlich zu sein. Kenneth Frampton schreibt über Siza:
„He has grounded his buildings in the configuration of a specific topography and in the fine-grained
texture of the local fabric. To this end his pieces are tight responses to the urban, land and marine
scape of the Porto Region (...) All of Siza‘s buildings are delicately laid into the topography of their
sites. His approach is patently tactile and tectonic, rather than visual and graphic.“ 251
Siza hält sich gestalterisch zurück, man mag glauben, seine Gebäude seien generell
sehr einfach, aber in Wirklichkeit sind sie das keineswegs, denn bei genauerem Hin-
sehen entpuppt sich ihre Einfachheit als außerordentliche Komplexität, die in Form
von Andeutungen und aufs Äußerste reduzierten skulpturalen Elementen auftaucht
wie eine erzählerische Ellipse, welche dem gesamten Gebäude augenblicklich eine
andere Lesart aufzwingt. Bei den Piscinas de Marés sind dies die polymorphen Ele-
mente aus Felsgestein und um sie herum gegossenem, scharfkantigem Beton, die die
gestalterische Komplexität der Gesamt-Form generieren. Die konstruktive Schlicht-
heit der Gebäude oder vielmehr der auf Fragmente von Gebäuden reduzierten
Betongeometrien evoziert neben ihrer Chthonik eine Atmosphäre der sinnlichen
Transzendenz, die aufgrund ihrer geografischen Lage, generell der portugiesischen
Küste beiwohnt. Diese bedeutet jahrtausendelang das Ende der bekannten Welt für
174 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
die Europäer. Dahinter beginnt die große Weite; bereits sichtbar und spürbar. Alle
Wellen an Portugals Ufern sind ihren langen Weg über den Atlantik gereist. Sizas
Architektur reiht sich perfekt ein in die Stimmung und den Ernst dieser Landschaft,
die unter anderem von Wim Wenders Film Der Stand der Dinge über eine apokalypti-
sche Zukunft in einer entrückten Welt beschworen wird.252
Das Schwimmen-Können jedoch in einem an sich kalten und zum Teil sehr feind-
seligen Meer macht aus Sizas formaler Evokation der Schwere wiederum eine
Leichtigkeit des Benutzens, die dem Geiste eines Parks nahe steht als wichtiger
gesellschaftlicher Sozialraum. Erneut wird aus architektonischer Mehrdeutigkeit ein
spannungsreicher räumlicher Diskurs geformt: Die einzelnen Elemente sind mehre-
ren Teilen zugehörig, wie auch das Ganze und seine Funktion.
Mehrdeutige Verdichtung der Topologie. Nach einem verheerenden Brand sind einige
Gebäude der Higgins Hall unrettbar zerstört. Der Komplex beheimatet die Architek-
turfakultät des Pratt Institute, einer renommierten Privat-Uni der Vereinigten Staa-
ten. Das Gebäude ist wie mehrere andere auf dem Campus ein signifikantes Beispiel
für den neo-gotischen Backsteinstil Brooklyns gewesen. Des Hauptflügels beraubt,
gestaltete sich für Steven Holl die Aufgabe als insofern schwierig, da sich nicht nur
die Wiedererrichtung des verlorenen Verbindungstraktes zwischen den beiden Sei-
tenflügeln auf der programmatischen Agenda befand, sondern eben auch die Instal-
lation des Haupteingangs der Fakultät.253 Dabei sollte die Füllung aber keinesfalls
das Restgefüge zerstören oder sich anbiedern: an sich eine klassische auf den Kom-
promiss angelegte Bauaufgabe, ein bauliches Oxymoron, der Gefahr läuft, allen
Seiten den Tod zu bringen. Was Holl mit seiner Intervention gelingt, ist tatsächlich
beides: Ohne Anbiederung wird der Bestand respektiert, trotzdem negiert und mit
einem betont polymorphen Eingangsbereich (Abb. 252) zu einer synergetischen
Situation geführt, bei der beide Pole, einander unterstützend, zu einem neuen Gan-
zen zusammen wachsen. Kenneth Frampton schreibt:
„It is one of those rare interventions that has ended up creating the institution as a new beginning.
It has so revitalized the existing brick structures on either side that it now seems as if the Pratt
School of Architecture has finally come into its own. Thus one is presented with an eminently
functional but also discreetly symbolic building that is equal in terms of its significant distribution
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 175
of space to any comparable school of architecture in the U.S. In the final analysis the trick has been
turned by little more than a few masterly spatial gestures from the hand of a consummate archi-
tect.“ 254
Das dominante von Holl verwendete Material ist das profilierte, matt
transluzente Industrieglas, das er in seinem Werkrepertoire immer wieder einsetzt.
Sowohl beim Nelson Atkins Museum in Kansas City von 2007, als auch unter ande-
rem kürzlich bei der Glasgow School of Art, bei denen jeweils, der Higgins Hall ver-
wandt, eine bauliche Erweiterung zum Bestand etabliert werden sollte, übernimmt
das Profilglas die Hauptrolle. Es stellt gewissermaßen ein perfektes Neutrum dar,
das sich keiner Seite zuordnen lässt, aber gleichzeitig als natürliches Beleuchtungs-
mittel funktioniert, sowie nachts von innen beleuchtet werden kann. Was Holl aber
bei der Higgins Hall einsetzt als Gegenspieler zum Profilglas, ist die Konstituierung
des Haupteingangs als polymorphes Element aus Klarglas-Fenstern, deren Stahlpro-
fil-Rahmen sowie zusätzlichen Applikationen, wie die an dem hervorstehenden
Eingangs-Portal angeschlossene Stahlbank. Die auf diese Weise gebildete
Polymorphologie aus verschmolzenen Elementen taucht auf beiden Traktseiten auf,
sozusagen als jeweils eingeschobener Fremdkörper, der die hermetischen Profilglas-
fassaden durcheinander bringt. Als markierende Halterungen der Profilgläser fun-
gieren, in einem dem Backstein verwandten Rostrot lackierte Stahlprofile. Diese
münden direkt in die kleiner dimensionierten Stahlrahmen der Fensterscheiben der
Polymorphologie. Sie folgen den Geschossdecken der beiden auseinander liegenden
Altbauten und führen sie jeweils in der Polymorphologie zusammen. Interessant ist
zu sehen, wie die verschiedenen Geschossniveaus springen und alles andere als
planar zueinander liegen. Wenn Holl nun deren Versprung zum Thema macht, ihn
markiert und auf diese Weise kommuniziert, gelingt ihm die Schaffung eines tat-
sächlichen Neuem. Nicht nur führt er Spuren zusammen, er benutzt die skulpturale
Qualität der Ebenen, um aus ihnen die Polymorphologie des Eingangsbereiches
herzuleiten. Diese ist damit nicht willkürlich ersonnen und schwebt irgendwo im
Raum, sondern sie ergibt sich mit ihrem Bildungsprinzip als Zwangsläufigkeit aus
den Bestandsbedingungen und das ist, was sie zu einem glaubhaften architektoni-
schen Schachzug macht. Sie ist Sichtachse, natürliche Belichtung, Eingangsportal,
Kommunikator und konstruktivistische Fantasie in einem, das polymorphe, mehr-
deutige Zentralelement des Entwurfes.
Das Konzept der Auflösung des klassischen Lochfassadenprinzips (ein Fenster
ist gleichzeitig eine gerahmte Unterbrechung der Fassade an einer Stelle) wird erst
seit knapp 70 Jahren skulptural interpretiert. Anders als beispielsweise bei Treppen,
die schon immer eine morphologische Spielstätte für Architekten gewesen sind, war
das Fenster als Mediator von Innen und Außen quasi sakrosankt. Es hatte entweder
die Aufgabe, als Rahmen eines Landschaftsausschnittes zu fungieren und als solcher
unsichtbar zurückzutreten oder aber in Form von reinen curtain-wall-Fassaden
rhythmisierte Transparenz zu schaffen. Waren Fenster-Objekte von Le Corbusier
(u. a. La Tourette vgl. S. 61 ff.) oder Konstantin Melnikov (Haus am Krivoarbatski Nr.
10)255 eher die Ausnahme, so war Louis Kahn einer der ersten, der eine fantastisch
anmutende dreidimensionale Skulptur aus dem System Glas-Rahmen-Besondere
Funktion zu schaffen im Stande war: Die berühmte verglaste Ecke des Fisher House
176 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
von 1967 war eine vor- und zurückspringende Raumskulptur, die transformable
Elemente ebenso beinhaltete wie festverglaste Elemente, verschiedene Formate
miteinander kombinierte und innenseitig direkt in eine Holzbank mit Schränkchen
überging, aus demselben Material wie die Rahmen.256 Dies ist auch Anknüpfungs-
punkt von Holl, der im Y-House von 1999 ebenfalls bei einem Privathaus in Holz-
bauweise mit Fenster-Skulpturen arbeitete257 und sie bei dem polymorphen Ein-
gangselement der Higgins Hall zu einem vorläufigen Höhepunkt bringt. So wichtig
hierbei das gestalterische Einfühlungsvermögen in die Situation hinein der Heraus-
bildung eines Repräsentativs für den Entwurf ist, so schwierig und teilweise anti-
physikalisch ist die technische Umsetzung solcher Fensterskulpturen. Das
Inkaufnehmen von baulichen Wärmebrücken oder möglichen konstruktiven
Schwachstellen gehört zum auszutragenden Diskurs bei der Entstehung und Pla-
nung der technischen Detaillierung.
Das für den Entwurf entscheidende Kriterium bleibt jedoch die Herausbildung der
architektonischen Kompetenz. Dieses gelingt Holl trotz eventueller technisch heik-
ler Stellen. Sein Entwurf baut zwar auf unterschiedlichen Hintergründen auf, doch
ist die Mehrdeutigkeit seines polymorphen Eingangselementes das entscheidende
verdichtende Unikum für das Gebäude. Es hierarchisiert als Höhepunkt in einem
traditionellen Sinne wie ein klassischer Portikus, visualisiert aber darüber hinaus wie
als Vorwegnahme die topologischen Themen des Entwurfes, seine
Geschossversprünge und die Rekonstruktion. Es ist allein bereits architektonisch
hochkompetent und zugleich als erkennbare bauliche Skulptur von Poesie beseelt.
So kann es über seine starke Morphologie verschiedene Lesarten in den Gesamt-
Entwurf tragen.
Das Besondere in einer Architektur entsteht nicht selten durch ein bestimmtes
Element, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie ein Höhepunkt überragt es die
anderen Teile des Gebäudes und ertüchtigt diese aufgrund seiner eigenen architek-
tonischen Kraft zu insgesamt erhöhter Kompetenz. Jenes Element kann alle mögli-
chen formalen oder funktionalen Besonderheiten aufweisen, was an dieser Stelle
jedoch diskutiert wird, sind die sogenannten polymorphen Elemente, die ihre Ge-
stalt nicht aus einer klaren Geometrie beziehen sondern vielmehr aus einer unkla-
ren, mehrdeutigen und widersprüchlichen Haltung heraus.
Einer der Kernaspekte bei der entwurflichen Ausbildung von Polymorphologie
ist das Verschmelzen mehrerer differenter Ideen. Der Bamberger Schlachthof besitzt
ein prominentes Wasser-Geschoss (Abb. 254), das funktionalen Sinn für Bootsla-
dungen oder Wasserzufuhr macht, architektonisch jedoch das Gebäude in eine
hybride Haltung bringt, die mehrfache Lesarten (steht es im Wasser oder auf dem
Land?) unauflösbar streut. So verfährt auch die Freiluftschule mit ihren offenen Klas-
senräumen, die das Gebäude aufreißen (Abb. 256). Oder die Casa das Canoas, die
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 177
sich dergestalt an einen Felsen schmiegt, dass es ihn zu Teilen der Innenrichtung
werden lässt (Abb. 255), verwandt sowohl Sizas Strandbad als auch vor allem Frank
Lloyd Wrights Falling Water, dessen Kaminzone ebenfalls den Hybrid aus Steinfuß-
boden und natürlichem Felsgrund sucht.258 Gaudís berühmter skulpturaler Impetus
wiederum manifestiert sich immer wieder in scheinbar unglaublichen visuellen
Ideen. Wenn das Dach der Casa Batlló ein schuppiger Drache259 sein soll, was für
eine Vision hat dann Pate bei der Ausarbeitung der Schornsteinaustritte (Abb. 253)
der Casa Milà gestanden? Natürlich sind die Schächte in erster Linie Abzüge, aber
sie sind trotzdem wie eine Parade außerirdischer Behelmter, denen zudem die Köp-
fe rauchen, morphologisiert. Wie in David Lynchs Film Lost Highway, wenn Bill
Pullman unvermittelt in der kompletten Finsternis einer hybriden Zone seines
Wohnhauses verschwindet260 und sich die Kamera nicht herein traut, so gibt es
Morphologien, die überraschend und vollkommen unvermittelt den Charakter von
Gebäuden ändern oder einen neuen Aspekt hinzufügen. Einer der Klassiker solch
einer Intervention, der Dachausbau Falkestraße, lebt von dem Überraschungsmoment,
das in der Gestik des Anspringens der klassizistischen Fassade mit einem
alienhaften Facehugger 261 aus dornigem Stahl und Glas liegt (Abb. 257). Ruhiger, aber
nichts desto weniger genauso rätselhaft und mehrdeutig die Asymmetrie bei Glenn
Murcutt, wenn die Räume der einen Seite mit angehängten Boxen versehen werden,
die das Haus zu kippen scheinen (Abb. 260). Carlo Scarpa schließlich, der größte
Designer unter den Architekten, schuf mit der widerspenstigen Treppe bei Olivetti
(Abb. 258), eine „neoplastische Dekonstruktion der Laurenziana Rampe von Michelangelo (...)
reich an Ereignissen,“ 262 die viele Lesarten wie Sitzbank, Stellfläche oder Ponton
gleichzeitig erzwingt. Das Aukrust Museum verschmilzt Wände und Dach und sorgt
so für einen hybriden Schneefang (Abb. 259), der winters das Gebäude sich durch
Eingraben zurückziehen lässt. Für Christian Norberg-Schulz verkörpert es das
typisch Norwegische „with a sense for the expressive possibilities of construction.“ 263
Fehns gewolltes Fangen von Lasten exemplifiziert das Widersprüchliche und Mehr-
deutige in der Architektur, die aufgrund eben einer solchen Besonderheit zu Kompe-
tenz gelangt. Deren Komplexität erwächst oft aus einer einzigen, aber dafür starken
morphologischen Ungereimtheit, einem unauflösbaren Widerspruch der simultanen
Bedienung von mehreren Systemen.
„Ambiguous and composite buildings, (...) these are, all of them, regular/ irregular and more than
a little wild. They, all of them, oscillate (and in different parts) between a passive and an active
behaviour. They, all of them, both actively collaborate and strenuously assert. They, all of them, are
occasionally ideal.“ 264
Krolls Ziele waren nicht nur die Expressivität genau solcher Groß-Komplexe zu
erreichen, die ein Bindeglied zwischen Architektur und Urbanismus darstellen, er
war vor allem an dem Weg dorthin interessiert. Zu einem Zeitpunkt, an dem andere
Architekten versuchten, das Pittoreske einer historisch gewachsenen Struktur über
eine stilistische Wiederkehr (vgl. S. 51 ff.) zu erreichen, wie Rob und Léon Krier
beispielsweise oder danach Hans Kollhoff, greift Kroll, der im Übrigen von den
Studenten selbst ausgewählt wurde, ihr Wohnheim zu bauen265 in einer Initiative,
die der politisch-akademischen Kraft einer vergangenen Epoche angehört, auf die
Erkenntnisse des baulichen Strukturalismus zwar zurück, überwindet diese jedoch
formal und konzeptuell. Der Philosophie des Kommunitarismus von Charles Tay-
lor266 und anderen nahestehend, generiert der Planer nur noch den formalen Rah-
men, behält natürlich das letzte Wort, lässt aber das Wilde und Widersprüchliche
der Wünsche der einbezogenen Benutzer explizit zu. In einem zunächst kaum ab-
sehbaren Schritt, der folglich völlig ergebnisoffen ist, sitzt ein Kollektiv am Zei-
chentisch, das sich vornehmlich aus Laien und wenigen Fachleuten zusammensetzt,
wie ein Abbild der tatsächlichen Weltverhältnisse, und generiert einen Körper, der
scheinbar überall und nirgends hineinpassen will. Die Chance, dass dieses teilweise
anti-architektonische Basteln, das letztlich auf viel good-will aufbaut, tatsächlich
aber auch zu einem kompetenten Ausdruck innerhalb der Grammatik des öffentli-
chen Architekturverständnisses führt, ist einzig und allein abhängig von der Kom-
petenz des leitenden Entwerfers, der sich sozusagen die Benutzung seiner ureige-
nen, angestammten Entwurfswerkzeuge von anderen ausborgt. Es ist letzten Endes
die entwerferische Persönlichkeit Lucien Krolls, die verantwortlich ist für die gelun-
gene Umsetzung.
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 179
„Ein bisher deterministischer Geist verschließt sich dem Prinzip der Reziprozität noch immer, (...)
ohne Rücksicht auf die ihnen allen inhärente Ambivalenz (innen-außen, offen-geschlossen, indivi-
duell-kollektiv) (...) wurden die widerstreitenden Hälften zu leerer Absolutheit verzerrt (...) Es ist
an der Zeit, Architektur urbanistisch und Urbanistik architektonisch zu denken – was aus
beiden Begriffen sinnvollen Unsinn macht – das heißt, durch Pluralität zur Einheit gelangen und
umgekehrt.“ 267
„Die Architektur ist tatsächlich zu wichtig geworden, um sie den Architekten zu überlassen (...)
Es bedarf einer wirklichen Veränderung (...), damit Bauen und Gebrauch zu zwei Momenten
eines einzigen Gestaltprozesses werden, (...) der, anders als bei allen vorherigen Vorschlägen einer
stilistischen Erneuerung, weder vorbestimmten Bahnen folgt, noch zu endgültigen Lösungen ge-
langt.“ 268
Genauso aber wie der dritte große Vertreter der Praxis des partizipatorischen
Bauens, Herman Hertzberger, der nach Herman van Bergeijk:
„nach einer polyvalenten Form suchte, die individuelle Deutungen provozierte, (...) der Schaffung
von Räumen, die sich von jedem Benutzer temporär in Gebrauch nehmen lassen, [um] ein intensi-
veres und bewusstes Sozialleben zu fördern,“ 269
verwechseln sie die Autorität eines quasi nur bis zum Rohbau durchdachten Ge-
bäudes und die gestalterischen Fähigkeiten ihrer Bewohner mit einem rein utopisti-
schen Willen, dass sich der Rest, d. h. die finale architektonische Kompetenz, inklu-
sive der tatsächlichen Schaffung von mehreren Deutungen des Raumes, schon von
allein einstellen würde. Das war aber so gut wie nie der Fall. Die Bewohner lebten
vor sich hin und dachten nicht einmal daran, Veränderungen der Valenz der Räume,
die außerhalb von Inneneinrichtung oder Bepflanzung standen, vorzunehmen.
Dazu braucht es keinen Rückzug des eigentlich damit Beauftragten aus seiner Ver-
antwortung und der aufdiktierten Weiterleitung an die Bewohner, dazu braucht es
entweder Toleranz der Guerilla-Eingriffe von einigen Mutigen (Edifício Copán), oder
aber die Herangehensweise Krolls, der sich nicht vor Verantwortung drückt, son-
180 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
dern einen methodischen Weg findet, unterschiedliche Deutungen schon auf dem
Bauantrag glaubhaft darstellen zu können. Indem er den Oberbefehl zu jedem Zeit-
punkt der Planung behält, bleibt er traditioneller Entwerfer. Seine
entwurfswerkzeugliche Methode, um Mehrdeutigkeit zu erzeugen, jedoch unterscheidet
sich durch die Partizipation schon im zeichnerischen Prozess.
Ursache und Wirkung der Mehrdeutigkeit sind hier gewissermaßen in Deckung ge-
bracht. Beide finden simultan statt, sind dem Gebäude sozusagen von Anfang an
inhärent. Um einen Terminus von Paul Virilio zu benutzen, der Entwurf der Mémé
ist eine „Ereignislandschaft.“ 270 Sie verbindet verschiedene Aspekte zu einem Ganzen,
das weit über eine strukturalistische Einordnung hinausgeht, denn selbst die Struk-
tur ist hier in Wirklichkeit pluristruktural.
Das Private von seiner Hülle der umschließenden Architektur und damit des Unan-
tastbaren befreien. Bernard Rudofsky schreibt:
„Es ist kaum möglich, Wohnkultur kritisch zu betrachten, ohne das japanische Wohnhaus als
Vergleichsmaßstab heran zu ziehen.“ 271
Ryue Nishizawas Moriyama House bestätigt erneut diese Einsicht, denn es scheint das
möglicherweise unkonventionellste Wohnhaus überhaupt zu sein. Wie von Marshall
McLuhan in Bezug auf die Neuen Medien prophezeit, sprengt es alles bisher dage-
wesene. McLuhan schreibt:
„Um uns eine völlig neue Welt der Allgegenwart. Die Zeit steht still, der Raum ist verschwunden.
Wir leben heute in einem globalen Dorf..., in einem Happening der Gleichzeitigkeit.“ 272
Die Gleichzeitigkeit der räumlichen Situation des Moriyama House entspricht dem
Offenlegen der Beziehungen der Räume untereinander. Wie bei einem Loosschen
Raumplan liegen alle Räume mehr oder weniger autark zu einander mit einer eigenen
Position und Höhe (Abb. 264). Anders aber als bei einem traditionellen Haus, fehlt
dem Moriyama House seine zusammenfassende Hülle. Wenn beispielweise alle
Räume der berühmten Villa Müller in Prag273 von Adolf Loos explodiert werden
und diese dann anschließend ohne die verbindende Haut der Außenfassade auf dem
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 181
Grundstück verteilt werden würden, zudem ohne sich zu berühren, sprich mit gar-
tenähnlichem Zwischenraum dazwischen, so käme man auf das Strukturprinzip des
Moriyama House. Um den medialen Bogen zu McLuhan zu schließen, müsste man
sagen: Wenn alle Kanäle eines Fernsehers, die natürlich simultan ihr jeweils eigenes
Programm abspielen, mit einem Mal von ihrem Ort, dem Fernsehergehäuse, befreit
werden würden und der Zuschauer plötzlich alle Programme gleichzeitig schaut,
wäre er in derselben Position wie der Bauherr des Moriyama House, dem für beinahe
jede häusliche Funktion ein anderer Raum auf dem Grundstück zugewiesen worden
ist. Insgesamt zehn verschiedene kubische Volumen bilden sein Haus (Abb. 263).
Alle sind mit einer großen Anzahl an Fenstern versehen, sodass die Blicke aus den
Innenräumen jeweils den Zwischenraum zum nächsten Volumen wie einen Innen-
hof erscheinen lassen. Das dies aber genau kein Innenhof ist, sondern der tatsächli-
che Außenraum, der weiter gesponnen, unmittelbar aus dem Grundstück hinaus-
führt, also prinzipiell nichts anderes als eine Gasse auf dem eigenen Grund und
Boden, ist ein unerhörtes Novum. Es handelt sich geradezu um eine Umwälzung
der gesamten Architekturgeschichte bis hierher, die immer eine sorgfältige Kultivie-
rung des Privaten versus des Öffentlichen gewesen ist. So wie Chris Marker den
Film an sich in La Jetée274 in seine Bestandteile zerlegt, indem nur Standfotos anei-
nander gereiht werden, wird ausgerechnet in Tokyo, einer Stadt mit höchsten
Grundstückspreisen, eine vollkommen anti-private und anti-ökonomische Geomet-
rie etabliert, die alte, utopische und bisher oft schlecht beleumundeten Themen wie
Partizipation, Nachbarschaft, Verschmelzung in einer zunächst absurd anmutenden
Geometrie auflöst. Das Haus, das hier als Miniaturstadt erdacht wird, deren Volu-
mina eben in Wirklichkeit winzig sind wie tatsächliche japanische Zimmer in der
heutigen Zeit, beschreibt Ryue Nishizawa wie folgt:
„Die unregelmäßig verlaufenden Straßen [der Umgebung] bilden ein unbestimmtes Muster, das
weder völlig zufällig ist, noch einem geplanten Raster entspricht. Die Gassen und Straßen sind
keine reinen Transiträume, sondern Teil des Lebensraumes der Anwohner. Dieser urbane Kontext
inspirierte die räumliche Struktur von Moriyama House. Dabei haben sich die folgenden gestalteri-
schen Elemente heraus kristallisiert: 1.Verteilung der Funktionen auf einzelne Baukörper
2.Verzicht auf ein eindeutiges Zentrum 3.Kleinteilige Struktur 4.Schaffung einer Umgebung
5.Transparenz 6.Nutzungsmischung/ Dichte sowie 7.Verzicht auf klare Abgrenzung von der
Umgebung.“ 275
Die verschiedenen Volumina bestehen aus äußerst dünnen weißen Wänden, die auf
beinahe jegliche Autorität im Detail verzichten. Wären sie nicht streng und konse-
quent angeordnet, von seriösen Fenstern perforiert und intelligent mit der Vegetati-
on des Garten-Hof-Gassenraums verzahnt, müsste man fast von einer trashigen
Ausführung sprechen, die an informelle Siedlungen wie Favelas etc. erinnert. Doch
dies ist genau nicht der Fall, denn die Kubaturen verhalten sich als Stadt in der Stadt
oder Quartier im Quartier wie ein selbstähnliches Fraktal ihrer Umgebung. Sie anti-
zipieren ihren Genius Loci, interpretieren ihn neu, sind aber gleichzeitig zurückhal-
tend und geben keine modischen Technik-Applikationen als expressive Detaillie-
rung aus. Sie stellen erhebliche Ansprüche an ihren Bauherren, der aber, um es
182 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
vorweg zu nehmen und wie beinahe zu erwarten, kein gewöhnlicher ist. Der Kunst-
sammler reagierte partizipatorisch auf die ihm dargebotene Situation, wie es sich die
Utopisten der 60er und 70er Jahre gewünscht hätten: Aus dem strukturellen Quar-
tier wird tatsächlich ein gelebtes Quartier, eine „Kommune, die funktionierte – weil sie
nicht in die falsche architektonische Form gezwungen war,“ die eine „massiv klaustrophobische
Grundstimmung“ erzeugen würde.276 Der Bauherr vermietet die Boxen an Gleichge-
sinnte, die geneigt sind, ihren Lebensraum, ihre Wohnfunktionen zu teilen. Wie in
Hiroshi Teshigaharas Film Suna no Onna/ Woman of the Dunes funktioniert das über-
lagerte Zusammenleben der Bewohner aus einem Schritt der Akzeptanz der Ver-
hältnisse heraus.277 Dazu braucht es keine Ideologie, sondern eine architektonische
Atmosphäre278 im Sinne Gernot Böhmes, die räumlich in der Lage ist, Werte zu
kommunizieren.
Der Wohncluster ist eine einzigartige Weiterentwicklung verschiedener Ideen,
östlicher wie westlicher. Das japanische Konzept der engawa zum Beispiel, der Zone
zwischen Außenraum und den durch shoji abgetrennten Innenräumen, typologisch
der Veranda oder porch vergleichbar, wird zu einer mehrdeutigen, unendlichen Fas-
sung gebracht, die nicht nur die Volumina verbindet oder trennt, sondern die die
traditionelle, halböffentliche Begegnungszone der Japaner mit dem öffentlichen
Raum der Straße verschmilzt. Mehrdeutig auch das sinnliche Verhältnis von Haus,
Raum und Siedlung: Das Moriyama House ist keines davon ausschließlich, sondern
alles zugleich. Wie Kristine Guzmán feststellt:
„SANAA builds the world over. Their architectural solutions are largely indifferent to localiza-
tion, culture or history, creating a contemporary global architecture. (...) However, SANAA‘s
architecture, may signify a new constructive vision of tradition itself, subtly and perhaps uncon-
sciously applying features of traditional Japanese architecture.“ 279
Letzterer Punkt ist entscheidend, denn obwohl auf den ersten Blick Gebäude von
Nishizawa und Seijima scheinbar nur sich selbst gehorchen, basieren sie auf den
zweiten Blick auf einer außergewöhnlichen Subtilität der Ortsverschränkung. Noch
mehr, sie sind in der Lage, den Ort zu adaptieren, aufzugreifen und vor allen Din-
gen in stupende neue Formen zu überführen, was angesichts so vieler Avantgarden,
die unverstanden worden sind, eine absolute Ausnahmestellung schon zu Lebzeiten
bedeutet. Die Mehrdeutigkeit des Moriyama House ist ein Höhepunkt ihres Werkes.
Wenn ein Gebäude oder ein Komplex mehrerer Gebäude nicht auflösbar ist, das
heißt mehrere Morphologien zugleich in sich vereint, so ist er mehrdeutig. Dabei
zeigen die diskutierten Beispiele, dass es mehrere entwerferische Wege zu einer
solchen Mehrdeutigkeit gibt, darunter die Versuche, sie entwurflich zu evozieren,
indem bewusst großmaßstäbliche Widersprüche in den Bauformen auftreten, oder
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 183
„So architecture seems to survive only when it saves its nature by negating the form that society
expects of it (...) Architecture constantly plays the seducer. Its disguises are numerous (...) like
masks they place a veil between what is assumed to be reality and its participants (...) Once you
uncover that which lies behind the mask, it is only to discover another mask (...) No single unders-
tanding is possible (...) No permutation is innocent.“ 282
Genau letzteres ist Aufgabe eines Entwurfswerkzeugs wie der Mehrdeutigkeit: Ein Prin-
zip der Verantwortung zu generieren.
184 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
gen ein konzeptuell diversifiziertes, nachhaltiges Viertel, das durch seine Vielseitig-
keit wiederum einen langen Atem zu haben scheint. Der Block als Stadt in der Stadt
erhält Attraktivität durch die Lage am Wasser, den verschiedenen öffentlichen
Raumsituationen mit geschlossenen versteckten Höfen, privaten Ausblicken und
den großen vorgelagerten Plätzen. Konsequent im Sinne der Diversifizierung der
verschiedenen Nutzungen ist die Ausgestaltung der Volumina zu unterschiedlichen
Baukörpern, die ablesbar innerhalb des Blocks bleiben. Wie angedeutet, gehen die
Fassaden der verschiedenen Baukörper in ihrer Gestaltung verschiedene Wege. Von
Lochfassaden mit sichtbarer dahinterliegender Tragschicht, über komplett verglaste
Loggien mit öffenbaren Scheiben bis hin zu der Boxenlösung mit Laubengang. Mit
den Mitteln der Wiederkehr und in der Haltung des Minimalismus wird das Kernele-
ment, die mehrdeutig auslegbare Box über die äußere Hülle verteilt. Je nach Licht-
einfall werden expressive Schatten geworfen und gleichzeitig räumliche Tiefe durch
den Laubengang suggeriert, der durch das metallenen Netz durchschimmert. Im
Gegensatz zu ihr wirken die anderen Fassaden kontrastarm und untopografisch.
Interessant ist die Loggienfassade bei mehreren geöffneten Falttüren, die eine eben-
falls schattenreiche Topografie erzeugen können. Die Konstruktion enthält sich der
Experimente. Sie trennt deutlich tragende von nichttragenden Elementen und ist
modular, aus wenigen Einzelteilen zusammengesetzt. Deren Maßgabe war eine
hohe Recyclingfähigkeit gewesen – wobei die Frage nach einem reellen Rückbau
unwahrscheinlich sein dürfte. Einen interessanten Vorläufer in der Gestaltung be-
sitzt die Schiecentrale mit den 1963 von Harry Weese in Chicago erbauten Row-Houses.
Deren Rucksäcke sind tatsächlich ausgelagerte Raumboxen der Klimaanlagen (Abb.
271). Man könnte auch von Haustechnikräumen sprechen. Diese werden nicht
versteckt in einem Keller, sondern gezeigt und damit als wichtiges Gestaltungsele-
ment verwendet. Reyner Banham schreibt:
„Few architect-designed buildings set out to exploit the neat visual detailing of their intake grilles
(...) A rightly-noticed exception to this indifference is seen in the terrace of Row-Houses in Chicago
(...) There, the conditioner grilles form rather delicate visual accents on the outer faces of projecting
cupboard units that occupy several bays of the frame on the back of the terrace, while the non-
structural nature of these projecting cupboard-backs shoul make them relatively simple to alter.“ 285
Die Not zur Tugend machen und zusätzlichen Raum derart zu integrieren, dass er
das Erscheinungsbild des Entwurfes verändert, ist einem Willen zur Mehrdeutigkeit
geschuldet. Ähnlich wie bei SANAA‘s Design School herrscht eine verschleiernde
Ordnung der Rucksäcke an der Fassade der Schiecentrale. Die Boxen scheinen sich
zu verselbständigen. Genau diesen überraschenden Moment der offenen Deutung
hat die Südfassade den anderen voraus. Paul Valéry schreibt über das Haus, es sei
„[eine Wohnstätte], die den Blick erfreue und sich mit dem Geist unterhalte, die im Einklang sei
mit der Vernunft und mit zahlreichen Bedingungen, die üblich sind.“ 286
Mit einem nachträglichen Blick Bruno Tauts würde die Südfassade als einzige Pro-
portion besitzen. Er schreibt:
186 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Die Technik, Konstruktion und Funktion kann völlig einwandfrei sein, und trotzdem kann die
Architektur durchaus abwesend sein (...) Es scheint, dass die Proportion den Architekten erst zu
einem Architekten macht und dass Technik, Konstruktion und Funktion erst durch die Proporti-
on zu architektonischen Kunstmitteln werden (...) Demnach besteht kein Zweifel, dass der Mensch
einen besonderen Sinn für die Proportion besitzt (...) Er erzeugt die Architektur. Er und nichts
anderes reagiert auf Architektur (...) Der fruchtbare Weg liegt einzig darin, den technischen Er-
rungenschaften Proportionen zu geben.“ 287
Interessant ist Tauts Herleitung der Proportion aus dem Bereich des Enigmatischen
und damit letztlich auch wiederum Mehrdeutigen:
„Wir haben festgestellt, dass die Proportion außerhalb des rationalen Denkens und Argumentie-
rens steht und ganz und gar dem Bereich des Gefühls angehört (...) Für etwas Gutes gibt es keine
direkte Begründung.“ 288
Zwar ist die Herkunft einer Idee enigmatisch, deren Umsetzung in architektonische
Kompetenz ist jedoch sehr wohl begründbar. Meis Südfassade erreicht dies über
reelle Zusatzfunktionen durch Räume an unerwarteter Stelle.
In Tokyos Omotesando Bezirk ist mit dem Flagshipstore für Coach eine weitere
architektonische Besonderheit entstanden. Seit den bahnbrechenden Projekten des
Büros für Prada ist OMA Spezialist für die konzeptuelle Behandlung von sogenann-
tem brandscaping geworden:
So geschehen auch für den Coach Flagshipstore. Coach zeichnet sich durch eine nüch-
terne Präsentation der Produkte in Bücherregalen aus. Der Schritt zum Design eines
durchsichtigen Regals, das nach allen Seiten visuellen Zugriff auf das ausgestellte
Produkt bietet, scheint eine logische Konsequenz dieser frühen markeneigenen
Präsentationsform zu sein (Abb. 276). Der kleine dreigeschossige Laden verzichtet
auf herkömmliche Kommunikationsmittel wie Leinwandflächen, Schaufensterplatz
für Puppen oder Deko. Die gestapelten Glas-Regale bilden zugleich die äußere
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 187
Hülle des Shops und dessen Innenwände entlang der Erschließungswege zu den
Obergeschossen. Die äußeren Scheiben sind satiniert, um zusätzlichen Sonnen-
schutz zu gewähren; die verschiedenen Glastypen harmonieren miteinander in ei-
nem abwechslungsreichen Spiel mit den Produkten. Kaum sichtbar sind die seitlich
angebrachten Stahlrahmen, die Lasten der Regale abfangend. Aus Stahl bestehen
außerdem die Geschossdecken und Treppen.290
OMA kommentiert nicht, anders als bei den Prada-Projekten, die Doppeldeu-
tigkeit von Marke und Luxus, sondern vermittelt Pragmatik und Eleganz vermittels
eines einfachen und zugleich effizienten Bausystems (Abb. 275). Mittlerweile ist
Tokyo und besonders Omotesando zu einem interessanten Mikrodiskurs der Pro-
duktpräsentation geworden, an dem Herzog de Meuron, Toyo Ito und SANAA mit
jeweils unterschiedlichen Lösungen für nahezu identische Aufgabenstellungen teil-
nehmen. Die Herangehensweise von OMA ist als beinahe traditionell einzustufen,
sowohl im Ergebnis als auch in ihrer sonst oft kopflastigen Entwurfsherleitung. Die
erfrischende, beinahe leichte Architektur des Ladens wirkt in ihrer Positionierung
als kleiner hochauflösender Pixel zu Füßen eines großgewachsenen Glasbaus sehr
prezios (Abb. 274). Damit kommuniziert er über die Maßstäblichkeit bereits den
Wert der Marke. Das Fehlen einer architektonischen Hülle erweist sich als zusätzli-
ches Mittel zum Zweck: Die Produkte scheinen quasi filterlos zwischen Straße, mit
deren Passanten und dem Innenraum zu schweben. Das Konzept an sich ist nicht
neu, trotz seiner Maßgeschneidertheit für die Markenpräsentation angesichts der
großen Konkurrenz. Ganz im Gegenteil: Die Verwendung von Regalmodulen zur
Raumbildung ist besonders in Japan seit vielen Jahrzehnten zu einem Standard
avanciert. Daher kann OMA‘s Entwurf sicher nicht zu den großen Innovationen
dieser Art gezählt werden. Das Besondere jedoch sind zum einen die Wahl von
Glas als Material und zum anderen die sich aus diesem Schritt ergebenden Mehr-
deutigkeiten der Fassade. Sie ist durchsichtig, das heißt Schaufenster und Blickbe-
ziehung zwischen Innen und Außen, Sonnenschutzelement, Produktregal und
gleichzeitig der raumbegrenzende Kamm der Innenwelt. Die engen Teilmaße lassen
die Regalaufteilung wie eine geometrische Vitrinensammlung erscheinen. Diese
entwickelt Analogien zum Sammeln von Spielzeugmodellen oder Antiquitäten, was
wiederum die Perspektive auf die präsentierten Taschen in ein besonderes Licht
rückt.
Ist das Konzept an sich mit einem leicht angestaubten Beigeschmack versehen,
zeigt die Ausgestaltung der Fassade mit der additiven Fügung von wenigen unter-
schiedlichen Regalmodulen eine hohe Qualität. Die gläserne Verdichtung einer
Zone innerhalb eines anderen großen Glasbaus wirkt ohne Zweifel anziehend im
Gesamtzusammenhang des Gebäudes. Im Detail verleiht die Dopplung der Glas-
rahmen, rechtwinklig zur Fassadenebene, der Struktur Präsenz und sorgt gleichzei-
tig für interessante Hell-Dunkel Effekte zwischen Innen und Außen. OMA ver-
wendet mit einer bis zu diesem Zeitpunkt eher ungewöhnlich für die sonstige Arbeit
des Büros wirkenden Leichtigkeit das Thema Glas. Mit erfahrener Hand wird eine
kleinteilige Fassade konstruiert, die dem bereits bekannten Konzept der raumhalti-
gen Einrichtungselemente eine vorläufige gestalterische Krone aufsetzt. Das ge-
wählte Glasregal-Modul, hergeleitet aus der Geschichte der Marke, wird von der
188 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Inneneinrichtung bis zur Fassade gesteigert und gerät damit sinnbildlich zu einer
bewussten Mehrdeutigkeit seiner Bestandteile, die im Zusammenhang mit der Bau-
aufgabe kein Selbstzweck ist, sondern Ursprung und Ziel einer intelligent durchge-
führten Architektur. Spannend ist, dass die zuletzt in zum Teil enormen Maßstäben
operierenden Architekten hier einen Auftrag von sehr geringen Dimensionen ange-
nommen haben und ihn mit einer ebenso beachtlichen Sorgfalt wie bei ihren großen
städtebaulichen Interventionen haben anreichern können. Man kann mit Blick auf
die angewendeten Entwurfswerkzeuge sicherlich von einer bottom-up-Strategie spre-
chen, bei der das gesamte architektonische Potential einer räumlich komponierten
Vitrinenaddition ausgespielt wird. Ettore Sottsass schreibt:
„Ich denke, dass Architekten manchmal nicht Häuser entwerfen, sondern die Gedanken, die man
sich darüber machen kann, wie man ein Haus entwirft, und dann entwerfen sie die Gedanken
darüber, wie man Gedanken entwirft, die zum Entwerfen von Häusern benutzt werden (...) All
dies, um zu sagen, dass die Architekten manchmal – wie Spezialisten, wie ein spezielle Kaste –
Ideen über die Architektur aufnehmen, eine riesige Menge von Ideen und Informationen, organi-
siert, veröffentlicht und mitgeteilt, interpretiert, vertreten und schließlich katalogisiert, bis am Ende
all diese Informationen und Kataloge tout court die Existenz von Architektur werden, sie werden
der Ort, an dem man sich mit der Architektur konfrontiert, der Punkt, von dem aus Maß ge-
nommen wird, wie man sagt, sie werden die Art, sich zu verstehen, der kulturelle Standard, der
Beweis und der Gegenbeweis etc. Manchmal werden all diese Informationen und Kataloge auch
zum Ausweis der Kaste, zum Stammeszeichen, zum Zeichen der Nationalität und so weiter.“ 291
Die Konstruktion der Glasregal-Module ist nur durch Stahlrahmen möglich. Diese
liegen zwar möglichst versteckt an den Seiten der Glasmodule, doch wäre sicherlich
mit einem konsequenteren Ansatz auch eine Ausführung in statisch wirksamen Glas
möglich gewesen. Das gleiche gilt für die Geschossdecken und -treppen, die statt in
Stahl bei einer Glasausführung das Gesamtbild möglicherweise noch zielfassender
zu einer Meditation über das Schauen, Sehen und Bewegen in einer gläsernen
Shopping-Welt verarbeitet hätte.
Das vergeistigte Vorgehen (Sottsass) während des Entwerfens birgt die Gefahr, sich
schnell in Dickichten der Motivik des Entwurfes zu verlieren und von Klarheit des
Strukturellen abzulassen. OMA gelingt mit dem Coach Flagshipstore aber genau
jenes: Sie generieren eine einfache Mehrdeutigkeit aus einem räumlichen Motiv, der
Rest ist Interpretation.
Das Entwerfen im Hinblick auf das Erzeugen eines besonderen Elementes kann bei
einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Konzept, Gestaltung und Funktionalität
zu einem der Höhepunkte des Gebäudes werden. Mit einer einkalkulierten Mehrdeu-
tigkeit in Bezug auf seinen Nutzen oder seine Gestalt entzieht sich die raumhaltige
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 189
Baugruppe der einseitigen Interpretation. Sie gehört sowohl zu der einen Sorte wie
auch zu einer oder mehreren anderen. OMA‘s Coach-Flagshipstore besteht zur Gänze
aus einer solchen Baugruppe, dem Regal-Modul, das gleichzeitig Konstruktion,
gläsernes Schaufenster und Inneneinrichtung ist.
Auf Ebene der Konzeption geht die Verwendung der Baugruppe über den
reinen Einsatz als architektonische Komponente hinaus. Die Treppe, das Fenster
oder das Regal sind nicht nur einfach Treppe, Fenster oder Regal sondern steigern
ihre Kompetenz mithilfe zusätzlicher Aufgaben, die dem Gesamtentwurf zugute-
kommen, indem sie das Besondere, Einzigartige formulieren (Mei). Das Fenster
lässt Räumlichkeit entstehen, wie die mittelalterlichen Nischenfenster in Crozant
(Abb. 278). Der Fensterraum wird zu einer eigenen Instanz des Hauptraumes. So
bei Luís Barragáns Haus in Coyoacán, bei dem das große Fenster des Hauptraumes
mehrdeutig entworfen ist, indem es die Raumwahrnehmung in eine eigene Vor- und
Rückzone (unter dem Vordach der Terrasse) saugt, wie ein Schleusenraum (Abb.
279). Es entsteht ein scheiben- und rahmenloser, kontinuierlicher Fensterraum von
eigenen Dimensionen, der wiederum durch die ungewöhnliche, symmetrische
Schein-Sprossierung zurück zum klassischen Fensterscheibenmotiv springt. Theo-
dor Adorno schreibt:
„Alle Kunstwerke, und Kunst insgesamt, sind Rätsel; das hat von alters her die Theorie der Kunst
irritiert. Dass Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzug es verbergen, nennt den
Rätselcharakter unterm Aspekt der Sprache.“ 292
Peter Zumthors besondere raumhaltige Fenster der Kolumba sind hingegen schmale
raumhohe Zonen, die aus der Fassade treten und als Sitzbereich in den Leseräumen
ausformuliert werden (Abb. 280, 281). Sie fordern zum Aufenthalt auf; ein schma-
ler, hoher Raum im Raum. Über einen konsequenten Einsatz als Gestaltungsele-
ment wird die mehrdeutige Baugruppe zu einem Träger des ästhetischen Konzeptes.
Das Cell Brick House erhält seine Gestalt über eine raumgreifende Konstruktion von
Aluminium-Wandkästen, die Regale und tragende Wände zugleich sind (Abb. 280).
Sie bauen sowohl innen als auch außen das Bild der Komposition auf, indem sie
sich als konkav-konvexe Wandschicht eindrücken, entweder als innenbündige Fens-
ter oder nach außen stoßende Regale. Die mehrfunktionale Terrassierung des Schloss
Sanssouci wiederum zeigt neben dem inszenierten Umgang mit der Topografie kleine
integrierte Gewächshauszonen, rückwärtig in den Mauern gelegen. Diese sind
gleichzeitig rhythmisierende Taktungen der gewellten Hangmodellierung (Abb.
277).
Zur Funktionalität der Mehrdeutigen Baugruppen gehört, dass sie nicht zum Selbst-
zweck geschaffen werden. Das Beispiel der tragenden Regale bringt die Element-
pflicht auf den Punkt: Der Coach-Flagshipstore ohne Waren in den Regalen ist nichts
wert. Alban Janson und Florian Tigges schreiben zur Raumhaltigkeit:
„Manche Aushöhlungen in der Wand entsprechen in Lage und Form einer Projektion des mensch-
lichen Körpers (...) Die persönliche Raumsphäre kann sich so in die Hohlräume der Raumschale
ausdehnen (...) Wo wir hingreifen, antwortet die Wand mit dem jeweils passenden Service.“ 293
190 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Strukturen zu bilden aus einer Verbindung, die in alle Richtungen funktioniert. Die
Strukturen nach ihrer Kompetenz zu befragen. Mehrdeutigkeit als emergentes Ent-
wurfsmoment zuzulassen. Das sind die programmatischen Thesen, die aus dem
bottom-up abgeleitet werden können. Wachsmanns letzte große, nur in Teilen zur
Ausführung gebrachte Bauteilentwicklung ist das Tetraeder-System, das seinem Ziel
der maximalen räumlichen Flexibilität mithilfe eines universellen Knotens am nahe-
sten kommt. Am MIT in Chicago von ihm und seinen Studenten erforscht, kann
der aus zwei miteinander kombinierten Stahlringen bestehende Knoten bis zu 18
Stäbe in jeder beliebigen Variation vereinen (Abb. 283). Seine eigene damalige Ziel-
formulierung lautet folgendermaßen:
„Ein Bausystem, das, aus standardisierten Elementen bestehend, jede mögliche Kombination von
Konstruktion, geometrischen Systemen, Gebäudearten und Spannweiten im Sinne einer anpas-
sungsfähigen, anonymen Bauweise erlaubte. Ein auf diese Weise errichtetes Gebäude sollte aber
auch jederzeit ohne Materialverlust abgebaut und in ganz anderer Kombination für andere Zwecke
beliebig oft wieder verwendet werden können.” 294
Der Auftraggeber war die US Airforce, die sich Hangare für ihre Flugzeuge erhoff-
te, die in puncto Ökonomie und Einfachheit im Handling Maßstäbe setzen sollten.
Die Visionen von monumental in der Proportion wirkenden Hallen bei gleichzeitig
filigraner Konstruktion konnte Wachsmann aber nicht mehr umgesetzt erleben. Es
blieb bei eindrucksvollen Modellstudien, Ausstellungen und Vorträgen rund um den
Globus. Gleichzeitig erlangt Wachsmann Ruhm als Visionär, Innovator und Kon-
strukteur, der Pioniere des industriellen Bauens ebenso zu den Besuchern seiner
Seminare zählt wie Fritz Haller oder spätere Strukturalisten wie Richard Dietrich.
Eberhard Möller beschreibt die entstandenen Modellbilder des Hangars als „gleich-
samen Kulminationspunkt der Entwicklung des industriellen Bauens“ 295 vor dem Einsetzen
des postmodernen Denkens und dem damit verbundenen Abflauen der
modularistischen Bewegung.
Der Entwurf gliedert sich in ein räumliches Fachwerk aus Tetraedern und hal-
bierten Oktaedern. Die allseitig 50 Meter weite Auskragung des Daches wird über
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 191
„Durch die Distanz der Zeit entrückt von Zweck und Sinn der Werke, vernimmt man deren
Vereinfachung zur Allgemeingültigkeit der Botschaft, sieht in allem das Kunstwerk auch dort, wo
es vielleicht gar nicht beabsichtigt war (...) Der Raum, geformt aus begrenzender Materie oder nur
durch Andeutungen oder Umschreibungen, die ihn auch dort fühlbar machen, wo er scheinbar ganz
offen ist, ist die von der Natur getrennte, künstlich geschaffene Umwelt, in der sich die Funktion
des Lebens, entsprechend einer jeweiligen Epoche, abspielt, kann also nur für diese, die ihn erdacht
hat, eine volle, unbewusste Erfüllung der Vorstellung von dem Ideal des Raumes sein.“ 296
Statik. Raumbildung
Herzog de Meuron. Prada Aoyama Epicenter. Tokyo 2003. Japan
Wie viel Kompetenz steckt in der statischen Struktur? Kann sie räumliche Perspek-
tiven schaffen und mit erweiterten Funktionen füllen? Neben dem Shopping-
Distrikt Ginza in Tokyo ist in der letzten Dekade vor allem das Aoyama Viertel auf
der anderen Seite der Stadt zu einem Mekka der Marken und der Flagship-
Architektur geworden. Für Prada entwarfen Herzog de Meuron das zweite der
sogenannten Epicenter, nachdem bereits OMA/ Rem Koolhaas in New York deren
erstes gestaltet hat. Entgegen gängiger Praxis, das Grundstück zur Gänze zu bebau-
en, erarbeiten die Architekten eine westliche Typologie aus vorgelagerter Plaza und
einem eher schlanken, dafür umso auffälliger strukturierten Baukörper. Damit
schaffen sie eine luxuriöse Distanz, die sich über den monetären Wert des Grund-
stücks hinwegsetzt. Die sechsgeschossige Skulptur des Gebäudes lebt von ihrer
kristallinen regelmäßigen Struktur aus rautenförmig gewebten, verglasten Stahl-
rohrmaschen (Abb. 285). Anders als beim curtain wall-Prinzip ist hier die Fassade
kein Vorhang sondern tragendes Element. Die Geschossebenen sowie die horizon-
talen Röhren des Innenraums (Abb. 286), die mehrfunktionale Parameter besetzen,
sowie der Fahrstuhlkern bilden das Tragwerk des Gebäudes. Die abgeschrägte
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 193
Schlussfassade des Turmes ist nicht als Dach ausgebildet sondern als konsequent
weitergeführte Haut der Skulptur. Deren verglaste Rauten sind als ein variables
System ausgeführt mit jeweils plan, konkav oder konvex gewölbten Einzel-
Scheiben.
Das Besondere des Epicenters, von Jacques Herzog auch als „Wahrnehmungsma-
schine“ 297 bezeichnet, ist seine Überbeanspruchung von Funktionen auf einige weni-
ge konstituierende Elemente. Diese sind prototypisch zu verstehen als Mehrdeutige
Elemente. Die Fassade ist als verglaste Tragstruktur omnipräsent und prägt Innen-
wie Außenraum, dennoch ist sie durchsichtig, folglich im Prinzip nicht vorhanden.
Durch Spiegelungen, Sonneneinstrahlung und unterschiedlichem Lichteinfall regu-
liert sie in permanenter Filterfunktion die sich verändernden Lichtverhältnisse.
Rhythmisiert wird dieser Vorgang durch die Verwendung der drei verschieden
gewölbten Gläser. „The character of the building‘s identity is ambivalent, always changing and
oscillating.“ 298
Der Blick kann wie durch Linsen in beide Richtungen verzerrt werden oder die
Realität Eins zu Eins abbilden; ein Konzept, das die Idee des Schaufensters innova-
tiv interpretiert, „almost cinematographic.“ 299 Das Vor- und Zurückspringen des Fassa-
denraumes wird im Innenraum genutzt, indem die Ware wiederum in den Trag-
werksrauten präsentiert werden kann als Regal oder Schauboard. Besondere Auf-
merksamkeit gebührt ferner den drei Tubes, die wie Fernrohre den Kristall von
Fassade zu Fassade durchstoßen (Abb. 287). Sie übernehmen ebenfalls essentielle
tragende Funktion, indem sie die Geschossebenen aufnehmen und als Treppen
umlenken. Daneben beherbergen sie Umkleidekabinen, loungeartige Infobereiche
und die zurückgezogenen Gliederungsebenen der Verkaufsfläche. Ihre Enden sind
jeweils offen und unterstützen damit die Idee des verbindenden Fernrohrs. Der
Ausblick durch die Glasfassade wird an entscheidenden Stellen gerahmt und betont,
sodass eine Hierarchisierung der Blicke auf den umgebenden Kontext durch das
Gebäude selbst zur Verfügung gestellt wird. Die Tubes fungieren als Statik, räumli-
che Gliederung und Sehmaschine, wobei zu bemerken wäre, dass sie dreimal auftre-
ten, die kleinstmögliche Wiederkehr repräsentierend, und damit als System etabliert
werden. Den Luxus der Marke zu thematisieren, indem der Maßstab klein gehalten
und das Motiv des Sehens, Betonens und Lenkens ausgespielt wird, spiegelt das
Preziose und den Glanz der Aufgabenstellung wider. Zudem wird in stringenter
Logik die Raumbildung mit der Statik verbunden, sodass eine Struktur aus notwen-
digen und zugleich mehrdeutigen Elementen entsteht, die formal wie intellektuell
sinnliche Komplexität entstehen lässt.
Konzeptuell zeichnen sich Hülle und innere Geschossskulptur durch ihre Ei-
gensinnigkeit aus. Sie werden jeweils von der Mehrdeutigkeit bei Tubes und Statik
sowie der gestalterischen Verwendung von luxuriös anmutender Materialität zu-
sammengehalten. Der Kristall wendet das Luxuriöse seines wertvollen Verkaufsin-
halt zugleich auf sich selber an: Die Gestaltung der Architektur, der Umgang mit
dem Raum ist verschwenderisch und teuer. Konstruktiv verschmelzen in innovati-
ver Weise statische Bedürfnisse und räumliches Layout mit einander. Die Hülle
trägt nicht nur die Geschossebenen, sie ist zugleich Träger der Schaufassade aus
verschiedenen Glasfeldern, die mal Linse, mal Spiegel des Innen und Außenraumes
194 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
sind. Die Tubes gehen noch einen Schritt weiter, indem sie tragen, als Treppen
miteinander verbinden und räumliche Subregionen schaffen, die mittels der Fassade
als Sehinstrumente Innen und Außen miteinander dialogisieren. Zum Thema der
„Industrialisierung des Sehens“ 300 prophezeit Paul Virilio:
„Jetzt nehmen mich die Gegenstände wahr, hat bereits der Maler Paul Klee gesagt. Diese etwas
überraschende Behauptung ist seit kurzem eine objektive Tatsache und entspricht der Wahrheit.
Wird denn nicht von der bevorstehenden Produktion einer Sehmaschine gesprochen, die in der Lage
sein wird, nicht nur den Umriss von Formen zu erkennen, sondern auch das gesamte Gesichtsfeld
zu interpretieren und von nah oder fern eine komplexe Umwelt in Szene zu setzen? (...) [Daraus
ergibt sich] vor allem die philosophische Frage nach der Verdoppelung des Standpunktes, nach der
Aufteilung der Wahrnehmung der Umwelt in das Belebte, das lebendige Subjekt, und das Unbe-
lebte, das Subjekt, die Sehmaschine.“ 301
„Ich brauche nur etwas zu sehen, um es treffen und erreichen zu können, auch wenn ich nicht weiß,
wie das im Nervensystem vor sich geht. Mein beweglicher Leib zählt zur sichtbaren Welt, ist ein
Teil von ihr, und deshalb kann ich ihn in dem Sichtbaren ausrichten. Umgekehrt jedoch hängt
auch das Sehen von der Bewegung ab. Man sieht nur, was man betrachtet. Was wäre das Sehen
ohne jede Bewegung der Augen? (...) Alles, was ich sehe, ist prinzipiell in meiner Reichweite,
zumindest in Reichweite meines Blickes, vermerkt auf der Karte des Ich-kann.“ 302
Das Epicenter konstituiert sich aus Verdichtung von Katalysatoren zu einem eigenen
Leib. Im Gesamtwerk von Herzog de Meuron nimmt es einen bedeutenden Platz
als herausforderndes Gebäude ein. Wie so oft ist die Fassade von großer Bedeutung
und gibt wie später das Bird‘s Nest in Peking die Strukturhülle mit allen abgeleiteten
Bedingungen des Gebäude vor. Daneben spielt der Entwurf mit einer Reihe von
Mehrdeutigkeiten bei Statik, Raum und nicht zuletzt bei den Sehgewohnheiten. Die
Mehrfachbelegung von Funktionen auf einige wenige Elemente schafft Konzentra-
tion und Hierarchien, die die Ausformulierung der Hintergrundelemente während
des Entwurfsprozesses entlasten. So kann das Werkzeug der Mehrdeutigkeit struktu-
rierende Richtungen bei der Entwurfsarbeit vorgeben und Entscheidungen beein-
flussen.
Statik. Raumbildung
Zusammenfassung/ Weitere Projekte
keit einzelner Elemente her. Schließlich der konstruktive Höhepunkt mit der Gotik.
Die kunstvolle Abbildung der Kraftflüsse wie in Kutná Hora (Abb. 288), ist mehr
als das bloße statische Skelett. Sigfried Giedion schreibt:
„Die Architekten der Gotik verwendeten nicht nur das neue konstruktive Wissen; sie sahen in
ihm Möglichkeiten, um den Willen, die Gefühle und das Wesen der Zeit zu verwirklichen (...)
[Es] wurden neue Erfindungen sozusagen vermenschlicht; emotionelle und und intellektuelle Fort-
schritte gingen parallel.“ 303
Von Konrad Wachsmann, der sehr weit in der statischen Antizipation vorgerückt
war, über Frei Otto und Nachfolger gelangt die Suche nach statischer Qualität wie-
der verstärkt in den Fokus. Frei Ottos Beschäftigung mit leichten und weitgespann-
ten Konstruktionen304 ist einer der Pionierbeiträge zur Überwindung der zum Teil
statikverlassenen Architektur der Klassischen Moderne. Er knüpft an die ingeniösen
Leistungen305 des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von Paxton, Shukhov oder
Maillart an, indem er das Tragwerk wieder von seiner zurückgedrängten Rolle
emanzipiert. Die Multihalle ist ein berühmtes Beispiel für seinen experimentierfreu-
digen Umgang mit Tragwerkshüllen, die zugleich die Gebäudehüllen sind (Abb.
289, 290). Architekturen wie Herzog de Meurons Epicenter oder Bird‘s Nest verbin-
den in zurückhaltender Zwangsläufigkeit ein spannendes statisches Konzept mit
dem räumlichen Layout und der gestalterischen Überhöhung des Kraftflusses (Abb.
293). Ziel ist es hierbei, eine schließende Haut zu erzeugen, die das Gebäude kon-
zeptuell repräsentiert, indem die Präsenz der Statik die Raumwahrnehmung bewusst
beeinflusst. Auch Toyo Ito versucht immer wieder, statische Innovationen, bezie-
hungsweise ungewöhnliche statische Abbilder der Kraftflüsse in der Fassade zu
erzeugen, um mit ihnen optischen Einfluss auf die Raumgliederung zu nehmen.
Sein Flagship Store für TODS, ebenfalls in Tokyo, erzeugt ein auffälliges statisches
Bild, dessen Diagonalen und Streben zugleich mit ihren Auslassungen die Füllfor-
men der Fenster und Glasflächen vorgeben (Abb. 294). Statik, Gestaltung und
Lichteinfall werden hierbei in einer einzigen, mehrdeutigen Gebäudehülle behan-
delt. Eine teilweise Umsetzung zeigt die Deckenkonstruktion der Grundschulmensa
von Ludloff+Ludloff. Hier wird eine hölzerne Dominanz als Balkenabbund appli-
ziert, die in unregelmäßigem Bild die Decke mit statischer Höhe unterstützt. So
wird in Abhängigkeit der Bedürfnisse der Konstruktion, ein gleichmäßiges, aber
nicht regelmäßiges statisches Systembild erzeugt, das für den bedeckten Raum die
nötige gestalterische Abwechslung bietet, um einen komplexen Sinneseindruck zu
erzeugen (Abb. 291, 292). Die obere negative Raumgrenze ist unscharf zerschnitten
durch die Statik. Des weiteren sind gläserne Konstruktionen ein interessantes Bei-
spiel für Mehrdeutigkeit.
Konstruktion als Ausgangspunkt für Gestaltung und räumliches Layout birgt die
Gefahr des spekulativen Entwerfens auf den Effekt hin, ohne dass eine mehrdeuti-
ge Symbiose aus konstruktiven Erfordernissen und komplexem Erscheinungsbild
entsteht. Für eine kompetente Morphogenese genügt aber nicht nur ein Zweck,
sondern bewusste zweckliche Mehrfachbelegung.
196 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„While the mechanical lowering of the long glass wall converted the whole of the living area into a
belvedere, the conservatory acted as a natural foil in a symbolic scheme – as a mediation between
natural vegetation and the fossilized onyx of the interior.“ 307
Mies setzte diese frühe Form der Gebäudeautomation bereits ein Jahr zuvor beim
Haus Esters, einer seiner beiden Krefelder Villen, 1929 ein.303 Dort allerdings bei
weitaus kleineren Scheiben in einer anderen Topografie. Automatische Roll- und
Garagentore waren bereits bekannt und auch von anderen Architekten standardmä-
ßig eingesetzt, doch betritt Mies mit seiner Verwendung einer räumlichen Trans-
formation Neuland. Die schiere Größe des Eingriffs macht den Wohnraum der
Villa Tugendhat zu weitaus mehr als nur einer temporären Loggia. Bei offener Fassa-
de erhebt der Einfluss der freien Luftströmung zwischen Boden- und Deckenplatte
den Raum zu einem einmaligen Hybriden aus überdachter, möblierter Terrasse und
dem großen gerahmten Schaupanorama auf die Stadt.
Mies‘ transformable Elemente stehen historisch und auf den Gesamtentwurf
bezogen nicht im Mittelpunkt der Komposition. Dennoch geht von ihnen eine
Faszination aus, die sicherlich weit über den jetzigen Status als leicht obskure Be-
sonderheit des Hauses hinausgehen würde. Die Gründe dafür sind möglicherweise
die besondere Bekanntheit der Inneneinrichtung, die früh erstaunliche Ausmaße
angenommen hatte und andererseits die nur früh genutzte und durchaus fragile
Mechanik der Anlage. Im Verlauf der wechselhaften Nutzungsgeschichte des Hau-
ses ergaben sich nur wenigen Anlässe, die Scheiben abzusenken. Dennoch steht
Mies‘ Konzept für eine der grundsätzlichen Ideen überhaupt in der Architektur: die
reversible Transformation eines Innenraums zum Außenraum. Als ein Meister des
Details und der Materialisierung gelingt Mies gestalterisch ein großer Wurf. Obwohl
in der Formensprache äußerst reduziert und klar, werden die Proportionen und das
Material mit exzessiv anmutender Material-Pracht ausgestattet. Die Maße sind zum
Teil kolossal (700m² Wohnfläche im unteren Geschoss), die Stützen verchromt, die
Trennwand aus seltenem Onyx, die Makassarfurniere der Wände und Einbauten
ebenso wie die Lederbezüge der Möbel luxuriös. Auf diese Weise spielt Mies mit
den Begriffen karg und üppig, eine immerwährende Spannung in die Räume hinein
komponierend. Ähnlich spannungsreich die transformablen Elemente: im geschlos-
senen Zustand praktisch unsichtbar, im offenen Zustand keine sichtbare Verände-
rung im Raum, außer dass der Luftzug von außen ungehindert fließt. Der Zugang
zur Landschaft wird durch eine winzige, dünne Durchsichtigkeit gewährt oder ver-
wehrt. Die konstruktiven Vorzüge der Villa Tugendhat sind verglichen mit Mies‘
späteren Entwicklungen wie dem curtain wall-Prinzip überschaubar. Nach damaligem
Stand der Technik errichtet, sind die transformablen Scheiben die einzige echte
Innovation. Dabei bedeutet die Wahl einer per Knopfdruck funktionierenden Me-
chanik ein besonderes Novum, denn das händische Schieben, auch von größeren
Fenstern in Loggien oder Wintergärten war bekannt. Wie bei einem noblen Auto,
die Analogie besteht im übrigen auch durch die verchromten Stahlstützen, leistet
man sich den Luxus per komfortablen Fingerdruck. Jean-Louis Cohen schreibt:
198 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Fritz Tugendhat betonte, wie gerne er die elektrisch versenkbare große Scheibe öffnete, wenn man
bei klarem Frostwetter (...) bei herabgelassenen Scheiben in der warmen Sonne sitzen und auf
schneebedeckte Landschaft schauen [kann], wie in Davos.“ 309
Trotz der massiven Kritik an Mies von Zeitgenossen aufgrund des antimodernen
Luxus und damit verbundener Ignoranz von Kritikern (Giedion etc.), ist die Villa
eines der wichtigsten Gebäude der Architekturgeschichte geworden. Auf vielen
Ebenen überrascht den Betrachter Mies‘ Komposition aus freiem Fluss und intelli-
genten Gegensätzen. Eine rezeptionsgeschichtliche Marginalie geblieben sind die
hier fokussierten Scheiben. Aus heutiger Sicht jedoch können sie als eine der wich-
tigen Errungenschaften der gelungenen Erzeugung von kompositorischer Mehrdeu-
tigkeit gesehen werden. Dieses Entwurfsmittel setzt dem perfekten maschinen-
ästhetischen Entwurf die sprichwörtliche Krone der Poesie auf, indem nicht die
Trennung zur Natur thematisiert wird sondern deren Zusammengehörigkeit – auf
reversible Weise.
Transformation. Raumänderung
Steven Holl. Storefront Gallery. New York 1993. USA
Das Mehrdeutige des Weder-noch ist ein anderes Sowohl-als-auch. Holls frühes Pro-
jekt310 ist eine Renovierungsarbeit in situ. Die Storefront Gallery, ein Ausstellungs-
raum, der sich der Architektur-Präsentation verschrieben hat, beauftragte Holl und
den Künstler Vito Acconci mit der Durchführung der Instandsetzung der Galerie-
räume und dem Design einer neuen Fassade. Holl kontrastiert den Altbau aus der
Gründerzeit mit einer hermetisch geschlossenen Betonfassade im Erdgeschoss. Der
eigentliche Galerieraum, schmal und keilförmig in die Länge gezogen, ist vollkom-
men ohne natürliche Belichtung. Dieser Zustand der Negation lässt sich jedoch
durch seine Öffnung ins Gegenteil transformieren. Die Betonwand ist perforiert
von verschiedenen Paneelen, einige raumhoch, wie Puzzleteile zueinander angeord-
net. Sie sind axial gelagert und lassen sich entweder vertikal oder horizontal öffnen.
Daraus ergibt sich ein zweites, völlig anderes Bild der Galerie: das eines offenen
Raumes, der über eine unregelmäßige Filterkonstruktion aus Toren, Türen, Fens-
tern und Klappen nebst Rahmen mit dem Straßenraum verschmilzt (Abb. 297, 298).
Weil viele Öffnungspaneele mittig sowohl nach außen als auch nach innen ragen,
verwandeln sie die Architektur der Galerie in ein transitorisches Element. Selten
wird ein Gebäude von zwei möglichen Zuständen konstituiert, die tatsächlich in
einem 50/ 50-Verhältnis stehen. Die Storefront Gallery baut jedoch einen Hybriden
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 199
auf, der wie eine Tag- oder Nachtseite erscheinen kann, sodass prinzipiell nie von
einem einzigen, immerwährenden Charakter gesprochen werden kann. Das Gebäu-
de ist durch seine transformablen Elemente in einen Prozess verwandelt worden,
ähnlich der beweglichen Stadt im Film Dark City.311
Konzeptuell beschreiten Holl und Acconci völlig neues Territorium. Eine Hyb-
rid-Architektur zu schaffen, die bewusst auf Eindeutigkeit verzichtet, ist in der
weitgehend statischen Charakteristik einer Gebäudelandschaft durchaus einmalig.
Etwas problematisch an der Idee und Anwendung ist allerdings ihre weitgehende
Zweckfreiheit. Es gibt keine gedanklich-funktionale Brücke zum Thema Galerie
und Ausstellungsarchitektur. Das Gebäude ist vielmehr selbst als ein Raumkunst-
Objekt zu sehen, das mehr aus seinem Können und seiner Gestaltung seinen Zweck
zieht. Einen praktischen Ausstellungsraum schafft Holl kaum. Die Öffnungspaneele
an sich hätten durchaus auch mit weiteren Funktionen wie beispielsweise Tischen
oder Sitzgelegenheiten versehen werden können, sodass ein mögliches kommunika-
tives Entgegenkommen aufgebaut wird, jedoch kann dagegen gehalten werden, dass
eine solche funktionale Askese wiederum eine kritische Haltung im Allgemeinen
erzwingt und dass dafür die Raum-Kunst anstelle der Funktion treten muss. Bei
Ausstellungen werden die öffenbaren Paneele selbst häufig als Vitrinen oder Bild-
wände bespielt. Die Gestaltung hingegen ist unzweideutig: Die Öffnungspaneele
schaffen mit aufregenden Formen, die zum Teil extravagant miteinander verzahnt
werden, eine hochlebendige Fassade, die in geöffnetem Zustand kontrastreiche
Schatten in die Galerie wirft. Die zurückbleibenden feststehenden Rahmen wirken
fragil angesichts der massiven Öffnungspaneele. Das puzzleartige Bild der Wand im
geschlossenen Zustand erinnert vage an die zyklopischen Mauern der Steinmetz-
kunst der Inka in Peru mit ihren individuell verzahnten Steinen. Aus konstruktiver
Sicht ist gegen die Storefront Gallery kaum etwas einzuwenden. Perfekt sitzen die
Drehachsen der Öffnungspaneele und gewähren mit der Passgenauigkeit der Rah-
men ein reibungsloses Spiel der beiden Wandzustände. Der Innenraum wurde weit-
gehend in seinem ursprünglichen Zustand belassen und nur akzentuiert durch neue
eine Beleuchtung, sodass ein interessanter Materialkontrast zwischen dem rauen
unsanierten Mauerwerk und den perfekten Oberflächen des neuen Entwurfes ent-
steht. Die Kunst, die sich der Architektur annähert oder umgekehrt, ist bei der
Storefront Gallery treibende Kraft der visuellen Argumentation. Vertreter der Minimal
Art wie Richard Serra und Donald Judd bewegen sich ähnlich auf einem Pfad der
Raumkunst, der nicht zweckfrei, aber bauherrenfrei räumliche Kompositionen
generiert, nicht selten im Pavillon-Maßstab. Manfred Schenckenburger schreibt:
„Die eigentliche raison d‘etre [der Minimal Art] liegt im Verhältnis des Betrachters zum Objekt,
in einer veränderten ästhetischen Erfahrung. Diese Kuben und Strukturen sind nicht deshalb so
einfach, weil sie im Gegenstandslosen die Summe der gegenständlichen Welt bergen (...) Sie antizi-
pieren keine Utopie. Sie beschränken sich auf die Interaktion von Objekt, Raum und Akteur, der
sich selbst erfährt. Sie bringen unsere Wahrnehmung auf ihr Gerüst – und machen sie dadurch
stark.“ 312
„Tatsächlicher Raum ist an sich stärker und präziser als Farbe auf einer zweidimensionalen
Oberfläche. Es ist offensichtlich, dass alles, was dreidimensional ist, jede Form haben kann, eine
regelmäßige oder unregelmäßige, und jegliche Beziehung zur Wand, zum Boden, zur Decke, zum
Raum, zum Innen- oder Außenraum oder zu überhaupt nichts haben kann.“ 313
Beiläufig stellen die Entwerfer die Frage nach Ort und Raum. Das Gebäude als
ambivalenter Besetzer eines Ortes ist gleichzeitig in der Lage, diesen zu negieren,
indem es einen Nicht-Ort schafft. Michel de Certeau schreibt:
„Ein Ort ist die Ordnung (egal, welcher Art), nach der Elemente in Koexistenzbeziehungen
aufgeteilt werden. Damit wird also die Möglichkeit ausgeschlossen, dass sich zwei Dinge an dersel-
ben Stelle befinden (...) Ein Ort ist also eine momentane Konstellation von festen Punkten. Er
enthält einen Hinweis auf eine mögliche Stabilität. Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvek-
toren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist
ein Geflecht von beweglichen Elementen (...) Er ist also ein Resultat von Aktivitäten, (...) die ihn
verzeitlichen und dahin bringen, als eine mehrdeutige Einheit (...) zu funktionieren (...) Im Gegen-
satz zum Ort gibt es also weder eine Eindeutigkeit noch die Stabilität von etwas Eigenem. Insge-
samt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht (...) Das theoretische und praktische Prob-
lem der Grenze lautet: zu wem gehört sie? Ein Fluss, eine Mauer oder ein Baum bildet eine
Grenze. Diese Dinge haben nicht den Charakter eines Nicht-Ortes, den die kartographische
Grenzlinie für eine Grenze voraus setzt.“ 314
Die Storefront Gallery ist Ort, Raum und Nicht-Ort zugleich. Holl gelingt ein Meilen-
stein in architektonischer Mehrdeutigkeit. Die transformable Wand ist überraschend
gestaltet und bietet im offenen Zustand sowohl dem Straßen- als auch dem Innen-
raum eine aufregende Skulpturalität. Diese steht allerdings so sehr im Vordergrund
des Entwurfs, dass die eigentliche Funktionalität der Galerie zurückgedrängt wird;
allein durch die immensen Öffnunsgradien der Klappen, die die Ausstellungsfläche
deutlich reduzieren. Folglich wird das Gebäude selbst zu einem komplexen Raum-
kunstwerk, das Raumgewohnheiten in Frage stellt und deren Zweck hinter einer
Form zurücksteht, welche den Fragen nach architektonischer Kompetenz aus-
weicht, um sie wie per Bande zurück auf den Betrachter zu werfen. Hier macht es
Sinn.
Transformation. Raumänderung
Zusammenfassung/ Weitere Projekte
Gaudí ist einer der ersten, der verschiebliche Zwischenwände zu einer der Haupt-
ideen des Innenraumentwurfes macht. In der Casa Mila können die Wohneinheiten
mittels Trennwänden verkleinert werden.315 LOT-EK dagegen vergrößert die Flä-
che der Mobile Dwelling Unit mittels Ausfahren (Abb. 305, 306). Das Curtain Wall
House spielt mit der originären Wortbedeutung, indem es Mies‘ Prinzip der freitra-
genden Fassade zum Anlass nimmt, seine Räume im wahrsten Sinne des Wortes nur
mit einem Vorhang zu umschließen. Innen- und Außenraum sind praktisch ohne
Grenze miteinander verbunden (Abb. 304). Mies hatte dies bereits 65 Jahre früher
bei den Gartenfassaden seiner Villen eingeführt. Die Fassade am Square Mozart ist
eine patentierte Sonnenschutzapplikation aus Aluminiumblechen, die es gleitend
erlaubt, die Fenster wie bei einem Schiebeladen ganz oder teilweise zu schließen
(Abb. 302), darüber hinaus aber auch in die Horizontale wie bei einer Markise
verschieblich zu sein. Bei der Villa Balassa lässt sich das große Rundfenster des
Rondellraumes mechanisch vollständig in die Wand verschieben (Abb. 301). Eine
selten wiederholte Extravaganz, die den Raum plötzlich zur offenen Loggia werden
lässt. Im Gegensatz zu den logischerweise unauffälligen Geheimtüren aus früheren
Zeitaltern ist die Gestaltung mit transformatorischen Elementen eine offensive
Formulierung der beweglichen Funktion geworden. Bei der Maison à Bordeaux steht
die bewegliche Hebebühne mit Schreibtisch, die dem an den Rollstuhl gefesselten
Hausherrn als Erschließung der drei Geschosse dient, im Mittelpunkt der
entwurflichen Entscheidungen (Abb. 303). Die Räume sind inkomplett ohne den
fehlenden Bodenteil der Bühne, ein Luftraum klafft zwischen den Geschossen.
Damit ist das Gebäude nie fertig, nie in einem Zustand gefangen, sondern oszilliert
zwischen den verschiedenen Raummodellen in ständigem Transit. Aus besonderen
Veränderungen der Räume ergeben sich häufig auch besondere Arten der konstruk-
tiven Durchplanung. Ein vollkommen singuläres Beispiel ist die sich im Kreis fort-
bewegende Casa Girasole, 1936 als post-futuristisches Wohnobjekt erbaut. Das Kon-
zept basiert auf einem motorisierten Kern im Mittelpunkt des bebauten Viertelkrei-
ses und einem Schienensystem. Das Haus rotiert bis heute um wenige Zentimeter
am Tag, eines der wenigen beweglichen Häuser der Welt, deren Bewegung Teil der
Gestaltung ist (Abb. 299, 300). Solcherart steht die Inszenierung der Bewegung den
ästhetischen Ideen der Futuristen316 nahe, jedoch ist die detaillierte Ausgestaltung
wesentlich näher an der Bewegung des Razionalismo und deren Nachfahren als der
dynamischen Architektur eines Sant‘Elia zugehörig.317
Überall auf der Welt wird seit Menschengedenken versucht, sich dem Einfluss der
Sonne zu entziehen beziehungsweise, ihn mithilfe von baulichen Elementen so zu
modifizieren, dass Licht und Hitze gefiltert werden können. Aus dem Schutz vor
Licht leitet sich wiederum die Idee der Transluzenz ab, die das Licht zwar hindurch
lässt, die Sichtbarkeit jedoch einschränkt oder abstrahiert. Damit wird Mehrdeutigkeit
entwickelt, denn die Wand ist geschlossen und trotzdem offen und zudem fakultativ
statisch wirksam. Zu diesem Zweck werden bauliche Lösungen generiert, die trotz
unterschiedlicher Kulturkreise stets eine individuelle Morphologie gebildet haben,
die sich sowohl raumbildend-konstruktiv als auch gestalterisch-funktional den je-
weiligen Aufgaben der Lichtmodulation zuwendet.
In Europa entsteht zu Zeiten der romanischen Architektur die sogenannte
Transenna, eine Verschlussschicht aus Holz oder dünn gehauenen Steinen vor der
Fensteröffnung, bevor diese mit Glas gefüllt wurde. Dient sie zuvorderst dem
Zweck der Abschirmung oder Begrenzung, aus der Transenna wurde die Jalousie
(Eifersucht) in Frankreich, so gelangt doch Licht durch die Öffnung hinein, sodass
sich das Konzept des Maßwerks als Gestaltung des Lichteinfalls entwickeln kann
(Abb. 310). Dieses nimmt später zu Zeiten der Gotik zusätzliche konstruktive Auf-
gaben wahr. In Arabien entstehen zwei verschiedene Typen von Sonnenschutzele-
menten: die qamariyah, die dem Verschlussprinzip der Transenna ähnlich ist und
häufig mit bunten Füllgläsern ausgefacht wird, und zweitens die weit verbreitete
mashrabiyah, die als engmaschiges Pattern, aus leichtem Holz gefertigt, als raumgrei-
fender Erker auch für die Luftzirkulation durch die Öffnungen verantwortlich ist
(Abb. 307). Parallel zu den arabischen Varianten entsteht in dem ebenfalls lange
arabisch beeinflussten Indien die Etablierung der jali, welche der luftdurchlässigen
mashrabiyah ähnlich sind (Abb. 309).318 Die Beherrschung der asiatischen Baukultur
wiederum durch die Chinesen hat keine Entwicklung eines besonderen Elementes
zur Folge. Die meisten Häuser sind nach innen gekehrt und oft Frontfenster-lose
beziehungsweise blickdichte Hofhäuser. In Japan jedoch entsteht mit der Kultivie-
rung des Halbschattens die Ausformulierung eines speziellen räumlichen Lichtmo-
dulators, der sudare. Aus dünnen, aneinander gereihten Bambushalmen hat der
Sudare den leichten Charakter eines Roll-Rollos, das das Licht und Umrisse in Tei-
len durchlässt (Abb. 308), sodass sich der von Junichiro Tanizaki gepriesene Halb-
schatten einstellt. Er schreibt:
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 203
„So besteht das ästhetische Element unserer Räume in nichts anderem als eben in der mittelbaren,
abgestumpften Lichtwirkung (...) Und wenn man [den Wohnräumen] Glanz verleiht, löst sich die
weiche, zarte Stimmung des spärlichen Lichtes wieder im Nichts auf.“ 319
Größere sudare werden straßenseitig aufgestellt und zur kühleren Jahreszeit wieder
eingeräumt; es entsteht wandschirmartig ein partieller Filterraum mit Hofcharakter
vor den eigentlichen Fassaden. Die südamerikanische Variante, die sogenannten
cobogó aus dünnen, glasierten Ziegeln als kleinmaßstäbliches Element sind dort seit
dem 19. Jahrhundert bekannt. Ebenfalls in Brasilien vollzieht sich die Einführung
der als brise-soleil von Le Corbusier aus dem nordafrikanischen Raum importierten
Elemente als modernes Ausdrucksmittel mit dem Edifício Capanema im Jahre 1936
(Abb. 313), das von einem Kollektiv mit den künftigen Größen Affonso Reidy,
Lúcio Costa und Óscar Niemeyer entworfen wird. Le Corbusier bringt das Konzept
in seinen späteren Werken in allen Maßstäben zum Einsatz und definiert damit das
Inventar dieses mithin global etablierten mehrdeutigen Elementes. So zum Beispiel
an seinem Sekretariatsgebäude in Chandigarh von 1953, bei dem die Fassade mit klei-
nen Elementen sowie großen Raumzellen von brise-soleils simultan überzogen wird
(Abb. 312), die zum Teil auch ohne Füllglas auskommen, um einen natürlichen
Luftaustausch zu generieren.
Die Entwicklung von Sonnenschutzelementen zu differenzierten, raumgenerie-
renden Charakterbauteilen hat mit der Renaissance des Ornamentalen der letzten
Jahre eine erneute Entwicklung durchlaufen. Neben Balkonen und Austritten sind
es hauptsächlich die individuell ausgeformten Sonnenschutzelemente, die Gebäuden
ihr Gesicht verleihen. Hierbei bietet sich die Möglichkeit, mit einer Vielzahl neuerer
Technologien zu experimentieren, wie beispielsweise solaren Energiequellen, um
neue mehrdeutige Morphologien zu erzeugen. Die konzeptuelle Qualität eines Son-
nenschutzelementes liegt in seiner Fähigkeit, Raum zu schaffen, der über die reine
Funktionalität heraus geht. Die bewusst gestaltete Filterwand entwickelt ein perme-
ables Eigenleben, das als Transitzone zwischen Innen und Außen zum Kommuni-
kationsinstrument des Gebäudes wird. Dabei ist zu beobachten, dass es neben der
dimmenden Filterwirkung auch stets eine gegenteilige Tendenz zur Verschärfung
durch Lichtwirkungen gibt, die dem Loch in der Wand die fensterliche Funktion
eines Sehmediums zuspricht in dem Sinne, dass der Beobachter dahinter selbst
abgeschirmt bleiben kann. Friedrich Kittler schreibt mit Blick auf die Renaissance:
„Die camera obscura arbeitet (...) als ein Rauschfilter: Das kleine Loch, durch das die Strahlen
aller Lichtquellen, der direkt leuchtenden wie auch der indirekt beleuchteten, hindurch gezogen
werden, fängt die ansonsten allgegenwärtigen Streulichter ab, macht also die Abbildung überhaupt
erst scharf (...) Giambattista della Porta nämlich schlug 1560 einfach vor, das Fenster eines
Zimmers, das auf die Sonnenseite der Straße muss, bis auf ein kleines Loch zu verdunkeln und
daraufhin an der gegenüberliegenden Wand mit zu verfolgen, wie auf dem Kopf stehende Passanten
und Haustieren dortselbst ihr zauberisches Unwesen trieben.“ 320
Rasters subtil aufbricht. Zusätzlich glasierte man die Elemente in zwei verschiede-
nen Farbgruppen Grün und Rot-Gelb, welche jeweils Ost- und West-Blickrichtung
zugeordnet werden, um ein jahreszeitliches Farbbild zu erzeugen. Die Sonnen-
schutzelemente, die eine Sonderform der brise-soleils der klassischen Moderne dar-
stellen, ließ man speziell für die Grundschule als Keramikerzeugnis anfertigen und
mit zusätzlichen Metallverbindern gegeneinander sichern.
Die Filterschicht aus Sonnenschutzelementen übernimmt nicht nur die eigentli-
che Stammaufgabe des Lichtmodulierens, sondern Mestura Arquitectos verstehen
es, die besondere Form aus dem Keramikmodul herauszuarbeiten und es als Identi-
fikationsträger der Schule zu benutzen. Es führt das flächige Gestalten zu einem
lebhaften Spiel mit der Unregelmäßigkeit innerhalb eines von dem Riegel vorgege-
benen geometrischen Rahmens. So komplex das äußerlich wahrnehmbare Fassa-
denspiel wirkt, so abwechslungsreich ist auch die räumliche Lichtgestaltung innen-
seitig. Wie unter einem durchstoßenen Baldachin oder den Pergolen eines Basares
ergibt sich ein fragmentierter Schattenwurf. Aufgrund des kleinen Maßstabes der
Filterelemente und der Fülle an Öffnungen, nicht jedoch deren Varianz, entsteht
insgesamt ein homogenes Lichtmuster. Die Klassenzimmer in den drei Geschossen
werden abgeschirmt, indem die Sonnenschutzwand einen halben Meter vor der
eigentlichen Glasfassade angeordnet ist, sodass zusätzlich zur Filtermodulation der
Dachüberstand die direkte Sonneneinstrahlung erschwert. Vor den Klassenzimmern
wird das Treppenhaus, das mit Foyer und Flur zusammen als eine weitere
vielmetrige Filterschicht vorgeschaltet wird, zu einem partiellen Aufenthaltsraum
mit Bänken und weiteren Sitzgelegenheiten. Dies macht die Keramikwand zum
zentralen mehrdeutigen Element des Entwurfs. Seine Filter- und Gestaltungsfunk-
tion des Lichtes wird über die besondere Formen- und Farbsprache der Module
gesteigert und zu einem Inszenierer der Schule gemacht, dem zudem ein spezieller
Markencharakter beiwohnt. Keramikerzeugnisse sind außerdem seit langem ein
Aushängeschild der iberischen Industrie. So greift der Entwurf sowohl inhaltlich-
technisch den Ort auf als auch herstellunsgtechnisch.
Sonnenschutzelemente sind insbesondere für Orte des Lernens eine Unabding-
barkeit. Ohne jedoch mit einer konventionellen Variante das räumlich-expressive
Potential zu verschenken, das in ihnen steckt, werden sie bei der Martinet Grund-
schule von den Architekten im Gegenteil überhöht und zum Hauptakteur gemacht.
Insbesondere für Kinder ist ein wandelbares Licht, das mal mehr mal weniger kon-
trastreich in die Räume fällt eine interessante Abwechslung zu standardisierten
Orten mit wenig bewusstem Tageslichtkonzept. Trotz der ikonografischen Außen-
wirkung der Fassade ist es gerade der innere Teil des Layerings mehrerer Filter-
schichten mit verschiedenen Licht- und Klimaniveaus, der das Konzept der groß-
flächig eingesetzten Keramikmodule zur Besonderheit werden lässt. Als Weiterent-
wicklung der brise-soleils der klassischen Moderne zeigen Mestura Arquitectos, wie im
Zeitalter der digitalen Ästhetik die primären Nachteile einer flächigen Gestaltung
aufgehoben und zu einer topografischen Fassadenlandschaft gewandelt werden
können. Anders als bei Le Corbusier wird es dabei nicht durch das Nebeneinander
von verschiedenen Maßstäben gelöst, sondern indem dasselbe Element in binäre
Gestaltcodes transferiert wird (Position und Farbe), die ausreichen, um Ab-
206 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Das Licht ist mehr als nur die physikalische Voraussetzung des Sehens. Auch psychologisch
bleibt es eine der grundlegendsten und menschlichen Erfahrungen (...) Das Licht ist für den Men-
schen (...) die Voraussetzung für die meisten Tätigkeiten (...) Unter besonderen kulturellen Bedin-
gungen betritt das Licht die Kunstszene als aktiv handelnde Kraft, und man kann erst von unserer
eigenen Zeit behaupten, sie habe künstlerische Experimente hervorgebracht, die sich mit nichts
anderem als dem Spiel des körperlosen Licht auseinandersetzen.“ 324
Die Grundschule wird durch die bewusst mehrdeutige Verwendung der Sonnen-
schutzelemente zu einem besonderen Architekturobjekt. Der Bereich des Klassen-
traktes als das Aushängeschild des Selbstverständnisses einer Schule ist damit zum
Bedeutungsträger eines ikonischen Umganges mit der Sonneneinstrahlung gemacht
worden. Dabei wird klar von der flächigen Behandlung der Doppelwand noch zu
Zeiten der Moderne und des Funktionalismus abgerückt, indem mit minimalem
Variantenspiel das Thema der Abwechslung eingebracht wird.
Aus praktischen Erwägungen heraus, wie über die Sonneneinstrahlung den Licht-
einfall ins Gebäude zu beeinflussen sein könnte, entstehen seit der Antike verschie-
dene Elementkonzepte. Je nach deren Form und Maßstäblichkeit haben sie sich im
Laufe ihrer Anwendung zu eigenständigen Komponenten der Architektur entwi-
ckelt. Ihre Anwendungsfelder innerhalb von Mehrdeutigkeit reichen von den rein
konstruktiven Aufgaben bis hin zur Identitätsstiftung mittels konzepthafter gestalte-
rischer Übersteigerung.
So zeigt der spanische Expo-Pavillon eine Herangehensweise an die Verwendung
von Sonnenschutzelementen, wie sie einem Ausstellungskontext angemessen ist:
Fähigkeiten zu zeigen. Die Keramik-Erzeugnisse konstruieren, indem sie in einer
ungewöhnlichen Form als Fünfeck modular verwendet werden, das gesamte Ge-
bäude; als geschlossenes Element oder als offener Lichtfilter, der dem Gebäude
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 207
gleichzeitig Fenster ist (Abb. 321, 322). Ein Maximum verwendeter Mehrdeutigkeit
wohnt dem Modul inne (vgl. Grundschule). Hingegen zeigt das Esherick House neben
einer Vielzahl an weiteren Mehrdeutigkeiten eine originelle Verwendung der Kamin-
Schornsteine. Sie sind direkt vor den Fenstern platziert. Auf diese Weise wirken sie
als zusätzlicher Lichtfilter, der indirektes Licht in die Räume lässt (Abb. 319, 320).
Robert McCarter schreibt:
„Kahn believed that no space is really an architectural space unless it has natural light, and that
architectural space could only be made by sunlight (...) Kahn began to develop designs with layered
walls at their periphery so as to create volumes of light filled-space, at once inside and outside the
building, protecting the interior spaces within.“ 325
„The structure is an indissoluble part of the architecture, functioning as a visual and determinative
element of the spatial organization (...) In Reidy‘s original plan, sunlight was combined with
artificial illumination in the galleries, because, contrary to contemporary concepts it was considered
damaging to (artifacts).“ 326
Sein Wohn- und Kulturkomplex Pedregulho, zwar ein fehlgeschlagener Versuch, die
sozialen Verhältnisse zu verbessern, besteht aus einer wahren Enzyklopädie der
solaren Maßnahmen in verschiedenen Maßstäben wie cobogós, Raumeinheits-großen
brise-soleils, Überständen und vorgelagerten Korridoren.328 Beinahe alle fungieren
gleichzeitig als gestalterische Ikonen und räumlich-statische Notwendigkeiten, die
jeweils eine hohe architektonische Kompetenz ausstrahlen (Abb. 317).
Selten sind die Schutz-Elemente nur zweckerfüllende Diener, sondern sie verselb-
ständigen sich darüber hinaus zu räumlich-ornamentalen Wänden, die die Gestalt
des Gebäudes stark beeinflussen. In entwurflicher Hinsicht setzt ihre funktionale
Bandbreite die postulierten Ziele von Mehrdeutigkeit um. Je nach Sonneneinfall gene-
riert jeder Ort dabei eigene Ausprägungen.
208 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Eine unauflösbare Dualität wird zum Entwurfsthema gemacht. Die Natur ist wie
künstlich, das Künstliche wie natürlich. Teiji Ito schreibt:
„Viele japanische Gärten beginnen buchstäblich in den Häusern. Oder umgekehrt: Das Haus
beginnt im Garten (...) Wie die frühen Japaner gereinigte Zonen aus weißen Kies schufen, um die
Naturgötter zu empfangen, so schafft der japanische Gärtner eine Art Zwischen – oder Mittlerzo-
ne, in welcher der Mensch – durch die Gestaltung des Raumes – und die Natur – durch die
Werkstoffe – ineinander wirken.“ 329
Endo Shuheis Sporthalle330 mit insgesamt neun Tennisplätzen und einem Raumpro-
gramm, bestehend aus Empfang, Umkleideräumen und Gastronomie, ist aus Grün-
den der Katastrophensicherheit fast zur Gänze unter die Erde gelegt worden. Dabei
wird aus der Not eine Tugend gemacht, indem die Konstruktion der Halle, ein
stählernes Raumfachwerk auf unregelmäßigem Grundriss, anstelle einer Fassaden-/
Dachbekleidung eine bis auf die großen Oberlichter vollständige Mimikry als be-
pflanzter Grashügel eingeht (Abb. 325). Dabei ist von der Südseite nicht auszuma-
chen, ob es sich tatsächlich um ein Gebäude oder einen künstlichen Hügel handelt.
Die Grassohle fungiert nicht nur als begehbare Landschaft, die mit der Zeit Verän-
derungen und Wachstum innerhalb der Vegetationsdecke auskommen muss, son-
dern übernimmt die Funktion der Wärmedämmung. Dadurch kann die Temperatur
der Halle über das Jahr hindurch konstant gehalten werden, trotz des starken Licht-
einfalls durch die Oberlichter, ohne dass die Klimaanlage ständig angeschaltet sein
müsste. Auf Fenster zu den Seiten wird gänzlich verzichtet.
Die Besonderheit der großen Sporthalle ist die Zwanglosigkeit mit der sie sich in
die Vertikale erstreckt. Die Mimikry eines einfachen Grashügels ist bis auf die nicht
von Gras bewachsenen Zonen um die Oberlichter herum eine hervorragende Mög-
lichkeit, große Bauvolumina klein in der Ansicht zu halten, ohne dass deswegen aus
dem inneren Raumlayout heraus Einbußen an Raumqualität hingenommen werden
müssten. Im Gegenteil, die überraschende Wirkung der weitläufigen unterirdischen
Hallen wird bei Eintritt in die vermeintliche Hobbithöhle in einem grünen Hügel
noch gesteigert (Abb. 326). Die doppelte Funktionsweise der grünen Dämmung als
notwendiges, temperierendes Bauelement und gleichzeitiges Garten- und Land-
schaftselement befördert Endo Shuheis Projekt auf die Ebene hybrider, mehrdeutiger
Architektur, die das Sowohl-als-auch in sich trägt. Zumindest auf der zur Gänze
bewachsenen Südseite ist das Gebäude nahezu unkenntlich, seine künstliche Land-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 209
schaft erinnert vielmehr an eine parkartige freundliche Picknickzone für die Mit-
tagspause. Mit der doppelten Verwendung der Bepflanzung, die selbstverständlich
noch deutlich mehr in den Vordergrund treten kann, als nur mit Gras die Konturen
der Halle nachzufahren, wird das Entwurfswerkzeug Mehrdeutigkeit auf interessante
Weise angewendet. Nur aus der Luft und an sich zur Gänze auch nur aus dem In-
nenraum heraus lassen sich die Gesamtmaße des Gebäudes erfassen. Damit leistet
Endo Shuheis Sporthalle einen Beitrag zur Vermeidung der optischen Zersiedlung
der Landschaft. Indem Shuhei aber nicht nur gut ein Drittel des Volumens in der
Erde versenkt und damit Einiges an sichtbarer Höhe einspart, nutzt er die zusätzli-
che Möglichkeit, den sichtbaren Tragwerksteil mit einer künstlichen Landschaft zu
überziehen, um so noch einmal optische Mimikry zu betreiben und das Gebäude
zum Monument aus Landschaft und Funktion zu machen. Auf der einen Seite
glänzt die Innenraumgestaltung mit einer zurückhaltenden, dennoch sportlichen
Eleganz, bei der die Hauptrolle das formgebende Raumfachwerk in Zusammenhang
mit den drei leichthändig geometrisierten Oberlichtern spielt, auf der anderen Seite
ist die vom Innenraum völlig abgekoppelte Außenraumgestaltung nicht bis zu einer
klaren Grenze zu Ende geführt worden. Es bleibt rätselhaft, warum nicht der ge-
samte Dachbereich von der grünen Dämmung bespannt wird. So wird besonders
beim Luftbild deutlich, dass die Dachhaut unentschieden zwischen konventioneller
Abklebung und grüner Dämmung schwebt. Zudem würde die Rolle der Bepflan-
zung um Qualität und Glaubwürdigkeit erweitert, wenn die grüne Dämmung nicht
nur aus Gras bestehen würde, die den künstlichen Hügel kaum von einem Auto-
bahn-Schallschutzhang unterscheidbar macht, sondern eben eine signifikante Ge-
staltung aufbauen würde. Des weiteren wären öffentliche Attraktoren wie Bänke
und Aussichtspunkte nicht im Bereich des Unmöglichen, um eine tatsächliche Ver-
schmelzung im optischen und funktionalen Sinne zwischen Architektur und Land-
schaft zu erzeugen. Beeindruckend ist aus konstruktiver Sicht die stützenfreie Über-
spannung der Tennishalle. Das eingesetzte Raumfachwerk ist perfekt dimensioniert
und strahlt Leistungsfähigkeit durch die große Spannweite aus. Die weitläufigen
Oberlichter bringen ausreichend Licht in die Halle, sodass keine weiteren Fassaden-
öffnungen nötig sind. Harmonisch ist auch das Zusammenspiel der grünen Däm-
mung und dem Innenklima, was für energiesparende Temperierung sorgt. Zu den
Folgen des Uneindeutigen eines mimetischen Berges schreibt Jean Baudrillard:
„So wenig es möglich ist, eine absolute Ebene des Realen auszumachen, ist es unmöglich, Illusionen
zu inszenieren. Beide Unmöglichkeiten gehören der gleichen Ordnung an (...) Sogar das Medium
ist als solches nicht mehr greifbar, und insofern ist die These von der Vermischung von Medium
und Botschaft, McLuhan, der erste große Satz dieser neuen Ära. Es gibt kein Medium im buch-
stäblichen Sinne des Wortes mehr: von nun an lässt es sich nicht mehr greifen, es hat sich im
Realen ausgedehnt und gebrochen, und man kann nicht einmal sagen, es hat sich dadurch ver-
fälscht.“ 331
Diese speziell westliche Sicht wird von dem japanischen Garten unterlaufen, der das
Hybride sucht und wie bei Endo Shuheis Sporthallen-Berg, eine schöpferische
Realität abbildet. Roland Barthes geht diesem auf die Spur:
210 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
„Das Ziel (...) besteht darin, ein Objekt derart zu rekonstituieren, dass in dieser Rekonstitution
zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (...) Die Struktur ist in Wahrheit also nur ein
Simulacrum des Objektes, aber ein gezielt interessiertes Simulacrum, da das imitierte Objekt etwas
zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unver-
ständlich blieb (...) Das Simulacrum, das ist der dem Objekt hinzugefügte Intellekt (...) Man sieht
also, Schöpfung oder Reflexion sind hier nicht originalgetreuer Abdruck der Welt, sondern wirkli-
che Erzeugung einer Welt, die der ersten ähnelt, sie aber nicht kopieren, sondern verständlich
machen will.“ 332
Trotz Abstrichen bei der Gestaltung ist die Sporthalle beispielhaft für den mehrdeutigen
Umgang mit dem Grün als architektonischem Element. Die Vegetation ist nicht
ausschließlich eingesetzt als lebendiges Paneel, das keine sonstige Verbindung zum
Baukörper aufbaut, sondern es formt hier den Baukörper mit, dämmt und macht
ihn im Gelände unsichtbar.
seiten, die nach dem Prinzip der Windtürme des Orients zu Füßen der unteren
Tubeöffnungen Wasserdampf versprühen und so die Luftfeuchte und Temperatur
im Umkreis der Air Trees regeln.
Ecosistemas Urbanas gelingt ein erstaunlicher Spagat zwischen intervenierenden
Maschinen und Architektur im Öffentlichen Raum. Der manifestöse Charakter der
Arbeit liest sich zunächst wie das beabsichtigte politische Statement einer Gruppe
junger Architekten gegen die profitorientierte antistädtebauliche Besiedlung der
Stadtneubaugebiete, doch steckt in der Betrachtung des räumlich-entwurflichen
Potentials der lebendigen Baukörper eine interessante hybride Kompetenz. Zum
einen erwecken die Zylinder durch ihre lockere Gestaltung den Anschein mehrge-
schossiger Gebäude wie sie auf jeder Messe stehen könnten und sind doch in Wirk-
lichkeit nur Klimaanlagen für die unbebaute Erdgeschosszone, wie Schirme über
dem Öffentlichen Raum. Zum anderen sind die beiden reinen Vegetationstürme in
Wahrheit Gärten, die sich über mehrere Geschosse erstrecken und sich als eine
durch Wachstum verändernde Struktur den Öffentlichen Raum in die Vertikale zu
transportieren scheinen. Die Gestaltung der Fassaden mittels Pflanzen beinhaltet
nicht nur den jahreszeitlich bedingten Wechsel der Farben des Grüns sondern auch
die aktive Filterfunktion der Vegetation für die Verbesserung der Luftqualität des
Viertels mittels Feinstaubbindung. Die Autarkie des Systems, das durch Sonnen-
energie seine programmierte Automation betreibt, welche auf unterschiedliche
außenklimatische Bedingungen reagieren kann, macht die drei Maschinen zu einem
selbständigen parallelen Mikrokosmos, der es versteht, Architektur, Funktion und
die Annehmlichkeiten eines Gartens im Öffentlichen Raum zu kombinieren und zu
bis dato ungesehenen städtebaulichen Objekt-Interventionen zu verschmelzen. Die
Akzeptanz der Bevölkerung ist, wie stets bei leicht utopischen Systemen, erst nach
Jahren zu beurteilen, ein gestalterischer Erfolg ist es schon jetzt.
Ohne Zweifel steht das Konzept für eine höchst interessante Symbiose aus
Architektur und Gartengestaltung im Öffentlichen Raum unter dem Deckmantel
einer erweiterten maschinellen Funktionalität. Alle Elemente gehören sowohl der
einen als auch der anderen Gruppe an, sodass ein mehrdeutiger Städtebau/ Land-
schaftsbau aus einer Komposition von Maschinen entsteht. Mittels einer Interventi-
on wird der unbebaute Raum unter den Zylinderhauben gewonnen und mit klimati-
schen Annehmlichkeiten versehen. Der Negativ-Raum wird qualifiziert – eine der
wichtigsten städtebaulichen Überlegungen überhaupt – und wird zu einem Interak-
tionsfeld der Anwohner. Die Gestaltung benutzt die Wiederkehr mit Variation als
Grundfigur und vertraut auf das möglicherweise überbordende Wachstum der
Pflanzen, um eine lebendige, sich selbst überlassene Fassade zu erzeugen. Der ma-
schinelle Charakter der Elemente wird ohne Abschwächung in den Vordergrund
gekehrt, die Attraktoren jedoch, um die Öffentlichkeit für den Negativ-Raum unter
den Zylindern zu gewinnen, sind spröde und bemerkenswert reizlos ausgefallen. Es
fehlen Bänke, Spiel- und Sportgeräte oder Grillstationen. Zudem wäre eine Vegeta-
tions-Verbindung der senkrechten Gärten mit waagerechten Pflanzreihen am Bo-
den sicherlich effektiv gewesen. Einige Parallelen ergeben sich zum Werk des gro-
ßen amerikanischen Außenseiters Bruce Goff. Dieser Vorreiter einer antitraditionel-
len Architektur war stets darum bemüht, auch aus den abwegigsten Materialien
212 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
kohärente Gestaltungssysteme für seine Gebäude zu generieren, die zum Teil haar-
scharf an Basteleien schrammen, aber nichtsdestoweniger immer ein Gespür für die
Originalität eines mehrdeutigen Entwurfsdenkens im Sinne der Motivik hatten.333
Diese besitzen die Air Trees zweifelsohne auch. Die funktionale Seite ist die
entwurfliche Inititation der Air Trees. Sie führt eine verblüffende technische Autar-
kie ein, um eine Ressourcen schonende öffentliche Klima-Anlage zu Architektur
werden zu lassen; eine kontemporäre Herangehensweise mit Vorbild-Charakter. Die
Air Trees verkörpern im besten Sinne das, was Buckminster Fuller als „regenerative
Landschaft“ 334 bezeichnet. Er schreibt:
„Ich muss feststellen, dass wir Leben überhaupt nur dann erhalten können, wenn es uns gelingt,
mehr Strahlungsenergie der Sonne an Bord unseres Raumschiffs [Erde] einzufangen, als wir
verlieren, wenn die Erde sie abgibt (...) Das rückt die Lösung künftiger Design-Probleme der
Lebensindustrie in den Brennpunkt und bringt sie in direkten Bezug zur Verantwortlichkeit des
Architekten, dem einzigen Beruf, der in einer Zeit zunehmender Fragmentierung infolge intensiver
Spezialisierung noch damit befasst ist, Dinge zusammen zu setzen.“ 335
Genau dies versuchen die Air Trees. Das Projekt hat Nachahmer und Variationen
verdient, denn allein das Konzept könnte eine Umwälzung vieler öffentlicher Pro-
jekte in nachhaltige, mehrdeutige Auseinandersetzungen zwischen Technik, Res-
sourcen und architektonischer Raumgestaltung im Sinne Banhams337 bewirken.
Deren Potential wird bis jetzt selten abgerufen oder einfach nur belächelt. Dabei
kann ohne Zweifel konstatiert werden, dass, wie im dritten Teil der Betrachtung
angedeutet (vgl. S. 243 ff.), viele Funktionen zur Morphogenese bereit liegen.
Die Verwendung von Pflanzen ist seit jeher aus zweierlei Gründen Teil der Baukul-
tur: Zunächst als landwirtschaftliches Einkommen und später als Plaisir und leben-
diges Pendant zum gebauten Raum. Die gegenseitige Beeinflussung über architek-
tonische Elemente im Garten oder Bepflanzung von Architektur ist Teil eines
räumlichen Spiels. Wenn nun die Verwendung von Pflanzen zusätzlich zum ur-
sprünglichen Zweck um weitere Ziele ergänzt wird, bekommt sie Mehrdeutigkeit
verliehen, die ihre Kompetenz steigern kann (Airtrees u.a.).
So geschehen bei der interessanten Transformation der Stadtmauern von Lucca
zu einem umlaufenden Parkband rund um die Altstadt (Abb. 332). Wie auf der
Plattform des dortigen Torre Guinigi wurden Bäume gepflanzt, so als ob das sehge-
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 213
„For a short breather, a walk on Lucca‘s circular avenue has the edge over an outing into the
country.“ 338
Giuseppe Terragni war einer der ersten, der im klassischen Wohnungsbau zu Zeiten
der Moderne halböffentliche Räume inszenierte, die mehr waren als bloße Erschlie-
ßungsflächen.339 Die Casa Rustici ist an ihrer Kopfseite durch geschossweise gereihte
Passerellen strukturiert, die als vertikale Gärten Aufenthaltsattraktoren schaffen
(Abb. 331). Der Aufenthalt auf einem Dachgarten ist auch expliziter Programm-
punkt Le Corbusiers und zeitlebens hat er es verstanden, ein besonderes Arrange-
ment von Pflanzen, Kübeln und architektonischer Landschaft zu komponieren.340
Dabei ist die Rolle der Vegetation jedoch stets eine dienende. Nur bei dem Pavillon
de l‘Esprit Nouveau, der seine Gestalt explizit um einen Bestands-Baum herum entwi-
ckelt, stehen Gebäude und Vegetation im selben Maß nebeneinander. Den umge-
kehrten Weg, Architektur der Vegetation dienend zu machen, gehen Gunnar
Asplund und Sigurd Lewerentz bei dem Waldfriedhof Skogskyrkogården. Ihr Entwurf
einer Friedhofsbebauung taucht unter den majestätischen Bäumen ab und erweitert
die Wald-Kompetenz um besondere Aufenthaltsorte (Abb. 333). Gestalterisch kann
es besonders innerhalb von urbanen Situationen, die städtisches Grün maximal in
Form von kurz gehaltenen Alleebäumen zulassen, Sinn machen, kontrastierende
Fassadenbegrünung einzusetzen, die wie eine Form von Paneelen gebraucht wird.
Patrick Blanc, der für die Fassaden des Musée du Quai Branly in Paris (Abb. 336) und
des Caixa Forum in Madrid (Abb. 334) verantwortlich zeichnet, appliziert die unter-
schiedlichsten Vegetationstypen mithilfe einer wasserhaltenden Rückverankerung an
senkrechten Wänden; ein grünes Statement. Der Flower Tower in Paris verwendet
große Mengen einbetonierter Pflanzkübel an den Laubengängen der Wohneinheiten
(Abb. 335), um ein beinahe ironisches Bild der urbanen Balkonvegetation zu erzeu-
gen. Das Bild wird derart überhöht, dass es über sich hinauswächst und eine neue
Perspektive auf den grünen Raum und das grüne Gebäude an sich schafft. Noch
radikaler artikulieren WOHA bei dem Downtown Oasis Tower in Singapur und Stefano
Boeri in Mailand mit dem Bosco Verticale das Thema (Abb. 337). Feinstaubbindung,
Sichtschutz, Sonnenschutz, Schallschutz und Windfang zählen neben dem gärtneri-
schen Element in der Höhe zu den Zielen der hängenden Bepflanzung grüner
Hochhäuser, die sich beide zur Zeit (2015) in Konstruktion befinden bzw. einge-
weiht wurden (Boeri).341
Insgesamt geht es bei der Schaffung von Mehrdeutigkeit mittels Vegetation nicht
darum, eine Topfpflanze auf einem Balkon als dekorierendes Element zu verwen-
den, sondern die elementaren Biofunktionen des Grüns abzurufen oder seine spezi-
elle Gestalt bewusst einzusetzen, um einen architektonischen Zweck zu bewirken.
Der rekreative Effekt stellt sich von allein ein.
214 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Hinter den meisten Gegenständen verbirgt sich mehr als das, was sie eigentlich
waren. In Luzern befindet sich seit den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts das
Verkehrshaus der Schweiz. Es ist das besucherstärkste Museum des Landes. Als
1999 ein Wettbewerb für sowohl eine neue Eingangshalle als auch eine neue Halle
für die Ausstellung Straßenverkehr ausgelobt wird, gehen Gigon-Guyer als Sieger
hervor. Für beide Gebäude im Bestand wählen die Architekten das Thema der
wechselfunktionalen Elemente in der Fassade. Die Eingangshalle wird mit recycel-
ten Radkappen, Rädern, Propellern etc. belegt, die hinter einer durchsichtigen
Schicht aus Profilglas aufgehängt sind. Die dicht arrangierten Schaustücke sind
ornamental wirksam als Fassadengliederung, jedoch hauptsächlich symbolisch für
den Inhalt des Technikmuseums zu verstehen. Wie runde, individuelle Pixel verlei-
hen sie der Fassade eine gewolkte Schaufensteratmosphäre. Die Straßenverkehrshal-
le benutzt ehemalige Verkehrsschilder, um ihre Fassadenhaut zu verkleiden, jeweils
farblich nach Fern-, Nah- und Innerortsverkehr sortiert.
Die Einzigartigkeit der beiden Hallen resultiert aus ihrer ironischen Benutzung
artfremder Gegenstände als Architekturelemente. Wie in Venturis, Scott-Browns
und Izenours vielzitierter postmoderner Schrift Learning from Las Vegas342 konsta-
tiert, wird über ein decorated shed das ikonische Verhältnis von Darstellung und Inhalt
des Gebäudes aufgerufen. Dabei geht die Straßenverkehrshalle noch einen Schritt
weiter als die Eingangshalle. Letztere stellt die Technik-Asservate lediglich hinter der
durchsichtigen Fassade aus (Abb. 339), ohne dass außerhalb dieses Ausstellens eine
architektonische Funktion übernommen wird. Hier wird das Ornamentale in den
Vordergrund gestellt, wohingegen die Schilder der Straßenverkehrshalle die äußere
Haut des Gebäudes bilden. Sie sind sowohl Witterungsschutz als auch mit ihrem
großflächigen Einsatz das multiplizierte Gestaltungselement der Halle (Abb. 338).
Ihre Mimikry ist auf mehreren Ebenen wirksam. Zum einen konstituiert sie eine
interessante Idee: die Verwendung der Blechschilder als Schilde, mit denen eine
schuppige Haut gebildet wird. Zum anderen die vertrauten Inhalte der Beschilde-
rung, Richtungshinweise nämlich, die wohlvertraut sind aus jeder persönlichen
Verkehrsteilnahme, die hier selber zum Archiv und zum Ausstellungsstück werden,
sowie ihren eigenen Inhalt mit dem der Ausstellungshalle kommunizieren und
gleichsetzen. Theodor Adorno schreibt über das Verhältnis von Idee und Mimesis:
„Kunst ist Zuflucht des mimetischen Verhaltens (...) Mimesis ist in der Kunst das Vorgeistige,
dem Geist Konträre und wiederum das, woran es entflammt. In den Kunstwerken ist der Geist zu
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 215
ihrem Konstruktionsprinzip geworden, aber genügt seinem Telos nur dort, wo er aus dem zu Kon-
struierenden, den mimetischen Impulsen aufsteigt, ihnen sich anschmiegt, anstatt dass er ihnen
souverän zudiktiert würde.“ 343
„Schrift ist wohl auch ein Zweckmittel, wie Nahrung, Kleidung oder Wohnung. Der Reiz aber
wird immer im Wechsel des Stils liegen. Es ist anzunehmen, dass der Leser die Silben- und Wort-
silhouetten in einer Art Skelettform in sich trägt und dass die Details, die den Schriftstil bestim-
men, eher als Klang mit aufgenommen werden und den Leseprozess an sich nicht stören, insofern
die Schrift im Gesamten, den Grundregeln entsprechend, konzipiert ist. Um den skeletthaften
Grundstrich eines Buchstabens herum wird der eigentliche Charakter modelliert. In der Klangzone
der Schrift kommt das Künstlerische, das, was man als Stil bezeichnet, zum Ausdruck.“ 344
Wechselfunktionalität. Umwidmung
Diller Scofidio Renfro. High Line Park. New York 2011. USA
Statt Transportadern nun grüne Raumadern. Michael Foster befindet sich nahe am
Kern, wenn er schreibt: „Buildings often have a longer life than the functions for which they
were originally constructed.“ 346 Die Umwidmung und Permutation der New Yorker
High Line ist prototypisch als Beispiel, wie Architektur einen völlig anderen Sinn
erhalten kann, wenn ihre Nutzung verändert wird. Aus der ehemaligen Hochbahn-
strecke ist ein extravaganter Park beziehungsweise Wanderweg geworden, der
ungewöhnlicherweise in der Höhe seinen rekreativen Raum aufspannt. Das ehema-
lige Fahren durch den Stadtteil Chelsea, der in seiner ikonischen Form der Urbani-
tät sinnbildlich für die Entwicklung der Stadt des 20. Jahrhunderts geworden ist,
wird abgelöst durch das Spazierengehen, Innehalten und Verweilen, was wie ein
Kommentar zur Entschleunigung wirkt (Abb. 340-342). Byung-Chul Han schreibt:
„Die Intentionalität der Moderne ist ein Projektieren. Sie ist zielgerichtet. Ihre Gangart ist somit
ein Marschieren auf ein Ziel hin. Ein gemächliches Gehen oder ein richtungsloses Schweben ent-
spricht nicht ihrem Wesenszug.“ 347
Dabei ist die Gestaltung zum einen sehr minimalistisch bei der Etablierung von
Wegen und Gärten auf den einstigen Schienen, zum anderen jedoch plastisch und
raumgreifend bei der Ausformulierung von Zugangstreppen mit Gastronomie,
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 217
„Die Konstruktion nimmt die Rolle des Unterbewusstseins ein (...) Die Schiene wird das erste
montierbare Eisenteil, die Vorgängerin des Trägers. Man verwendet das Eisen bei Wohnbauten
und verwendet es bei Passagen, Ausstellungshallen, Bahnhöfen – Bauten, die transitorischen
Zwecken dienen (...) Das Eisen verbindet sich also sofort mit funktionalen Momenten im Wirt-
schaftsleben. Aber was damals funktional und transitorisch war, beginnt heute in verändertem
Tempo formal und stabil zu werden (...) Wie groß die natürliche Symbolgewalt technischer Neue-
rungen sein kann, dafür sind die Eisenbahnschienen mit der durchaus eigenen und unverwechselba-
ren Traumwelt, die sich an sie anschließt, ein sehr eindrückliches Beispiel (...)“ 351
Der High Line Park verbindet auf charmante Weise das Alte mit dem Neuen. Erneut
Benjamin: „Den Flanierenden leitet die Straße in eine entschwundene Zeit.“ 352
Wechselfunktionalität. Umwidmung
Zusammenfassung/ Weitere Projekte
Als eine omnipräsente Bauaufgabe erweist sich der Umgang mit dem Bestand. Sei
dies durch die Transformation einer bestehenden Architektur oder durch die archi-
tektonische Verwandlung von Bestandselementen, die in Form von Re- oder
Upcycling Verwendung in einem neuen Entwurf finden (Gasometer Wien (Abb. 346)).
Wird die Funktion gewechselt, aber die alte Morphologie erhalten oder nur gering-
fügig verändert, entsteht Mehrdeutigkeit und räumlich-funktionale Spannung. Colin
Rowe und Fred Koetter schreiben:
„We are obliged to think again. Which is what the present essay is all about. A proposal for
constructive disillusion, it is simultaneously an appeal for order and disorder, for the simple and for
2.2 Wirkung und Einfluss von Mehrdeutigkeit: Aspekte und Beispiele 219
the complex, for the joint existence of permanent reference an random happening, of the private and
the public, of innovation and tradition, of both the retrospective and the prophetic gesture (...) It is
here proposed that rather than hoping and waiting for the withering away of the object (...) it might
be judicious, in most cases, to allow and encourage the object to become digested in a prevalent
texture or matrix (...) The imagined condition is a solid-void dialectic which might allow for the
joint existence of the overtly planned and the genuinely unplanned, of the set-piece and the accident.“
353
Diese Einstellung zur baulichen Vergangenheit, eine kreative Koexistenz von Be-
stand, Transformation und Neuem aufzubauen, ist die entwurfswerkzeugliche Philoso-
phie der wechselfunktionalen Elemente.
So wie das Marcellustheater aus altrömischer Zeit zu einem Wohnquartier umge-
widmet wurde, die ehemalige Typologie aber noch klar ersichtlich bleibt (Abb. 343),
so ergeben sich Synergien und Spannung aus scheinbar widersprüchlichen
Funktionsmorphologien (Highline). Einer der Pioniere der Funktionswandlung ist
Jean Prouvé, der als Konstrukteur und Erfinder stets an industriellen Prototypen
interessiert ist und unter anderem „die Grundlage aller heutigen Pfosten/ Riegel Konstrukti-
onen entwickelte.“ 354 Bei seiner Arbeit, die oft unter Zeit- und Kostendruck steht,
bezieht er gebrauchte oder nicht verwendete leichte Halbzeuge der umliegenden
Industrien für seine Gebäude mit ein. So zum Beispiel Aluminiumträger oder Walz-
bleche, um sie als Fassadenelemente oder Trägerstrukturen zu integrieren (Maisons
Tropicales (Abb. 344)). Aus dieser Zweckentfremdung entsteht wiederum eine origi-
nelle, mehrdeutige Formensprache der teilweisen Überdimensionierung oder wider-
sprüchlichen Geometrie von Elementen innerhalb des Ganzen.355 Im Gegensatz zur
High Line verwendet die Villa Welpeloo die kleinmaßstäbliche Herangehensweise des
Upcyclings von ausrangierten Gegenständen beziehungsweise Bauprodukten. Sie ist
fast zur Gänze aus recycelten Hölzern und Stahlelementen konzipiert worden. Ihre
Form hat sich an den Maßen der gefundenen Materialien orientiert, lediglich
Ortbeton, Fenster und einige Einbauten sind neu hergestellt worden (Abb. 345).
MINIWIZ schafft mit dem Eco-Ark ähnliches (Abb. 347, 348): Eine riesige Menge
gestapelte PET-Flaschen generieren als Füllmaterial eine semi-transparente Fassade
zwischen einem konstruktiven Skelett, die konsequent die Form des Gebäudes
abbildet und so vermeidet, zum Selbstzweck zu werden. Ähnlich dem Verkehrsmuse-
um wird über konsequente Wiederkehr eine neue Materialität etabliert, deren architek-
tonisches Potential ausgespielt wird.
170 vgl. Siegfried Gohr. René Magritte. DuMont. Köln 2009
171 Michelangelo Antonioni. Blow Up. Bridge Films, Carlo Ponti Production, Metro-Goldwyn-Mayer.
1966
220 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
172 vgl. http://guenterpfeifer.de/content/patchwork.html. Letzter Abruf: 20.6.2014
173 vgl. Michelle Galindo. Contemporary Prefab Houses Braun Publishing. Salenstein 2011. S. 76 ff.
174 Terence Riley (Hg.) The Un-Private House. Museum of Modern Art. New York 1999. S. 10
175 vgl. Jamie Benyei, Liliana Obal Diaz (Hg.) Lacaton Vasall 1993-2015: Post Media Horizon.
Oxford 2011
193 vgl. Jorge Luís Borges. Die Bibliothek von Babel. Reclam. Stuttgart 2003
194 Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago Press.
S. 285 ff.
196 vgl. Walter Niedermayr. Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/Sanaa. Hatje Cantz. Ostfildern 2007
197 vgl. Manfred Grohmann. Die integrierte Planung der Zollverein School of Management and Design.
Internationale Ausgabe. S. 7
203 Bernard Rudofsky. Architecture without Architects. University of New Mexico Press.
Basel 2001
208 vgl. Claudia Fuchs. Integrale Planung innovativer Gebäudehüllen. In: Christian Schittich, Peter
211 Ridley Scott. The Blade Runner. Warner Brothers, Shaw Brothers, Ladd Company. 1982
212 vgl. Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour. Learning from Las Vegas. Birkhäuser.
Basel 2001
213 Lev Manovich. Black Box - White Cube. Merve. Berlin 2005 S. 135, 142 ff.
214 Michel Foucault. Überwachen und Strafen. In: Die Hauptwerke. Suhrkamp. Frankfurt 2008. S. 877
215 Paul Virilio. Bunkerarchäologie. Passagen. Wien 2008. S. 82
216 Vilém Flusser. Der Stand der Dinge. Steidl. Göttingen 1993. S. 81, 76
217 vgl. Bernard Rudofsky. Architecture without Architects. University of New Mexico Press.
Albuquerque 1987. S. 83
218 Bernard Rudofsky. Streets for People. Doubleday. New York 1969. S. 217, 210
219 vgl. ebd. S. 216
220 http://www.atelier-opa.com/member/toshihikosuzuki/mobile-ichijoletzter Abruf 07.12.2015
221 Buster Keaton. One Week. Joseph M. Schenck Productions. 1920
222 Kenneth Frampton. Kengo Kuma. Complete Works. Thames & Hudson. London 2012.
S. 12 ff., 22 ff.
223 vgl. Raymond Roussel. Locus Solus. Die Andere Bibliothek. Berlin 2012
224 Bernard Rudofsky. The Prodigious Builders. Harcourt Brace Jovanovich. New York 1977. S. 142
225 ebd. S. 128
226 Reyner Banham. Theory and Design in the First Machine Age. The MIT Press. Cambridge 1980.
S. 193
227 Paul Virilio. Bunkerarchäologie. Passagen. Wien 2011. S. 61, 70, 77
228 Paul Virilio. Geschwindigkeit und Politik. Merve. Berlin 1980. S. 10
229 vgl. Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Futurismus: Geschichte, Ästhetik, Dokumente. Rowohlt.
Reinbek 2009
230 Peter Collinson. The Italian Job. Paramount Pictures, Oakhurst Productions. 1969
231 Georges Perec. Träume von Räumen. Diaphanes. Berlin 2014. S. 57
232 vgl. Mariam Gegidze, Anh-Linh Ngo. Sou Fujimoto. Projekt: House N. Ein Haus wie ein Baum. In:
Tokio. Die Stadt bewohnen. Arch+ 208. Arch+ Verlag. Aachen 2012. S. 72 ff.
233 vgl. Annie Ratti, Massimo Bartolini, Anna Darneri. Yona Friedman. Charta Publishing.
Wien 2005
241 Kenneth Frampton. Kengo Kuma. Complete Works. Thames & Hudson. London 2012. S. 18, 23, 25
242 vgl. Gilles Deleuze. Differenz und Wiederholung. Wilhelm Fink. München 2007
243 vgl. Frank Kaltenbach. Metropol Parasol. Detail 10. 2011. S. 1224 ff.
244 vgl. Winfried Nerdinger (Hg.) Wendepunkte im Bauen. Birkhäuser. Basel 2010. S. 172 ff.
245 Gerhard Schubert. Individuelle Industrieform. In: Winfried Nerdinger (Hg.) Wendepunkte im Bauen.
Heidelberg 1992
250 Werner Blaser. Ikonen der Weltarchitektur: Niggli. Zürich 2012 S. 7
251 Kenneth Frampton. Modern Architecture. Thames & Hudson. New York 2007. S. 317 ff.
252 Wim Wenders. Der Stand der Dinge. Artificial Eye, Gray City, Musidora Films, Pari Films, Pro-ject
Filmproduktion, Road Movies Filmproduktion, V.O. Filmes, Wim Wenders Productions, Zweites
Deutsches Fernsehen. 1982
253 vgl. Fernando Márquez Cecilia, Richard Levene (Hg.) Steven Holl Architects. Selected Works 2003/
222 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
2008. El Croquís 141. Madrid 2008. S. 6 ff.
254 Kenneth Frampton. K. F. looks at two recent architectural Works by Steven Holl. Domus 896.
Mailand 2006. S. 47
255 vgl. Olivier Boissière. Häuser des 20. Jahrhunderts. Terrail. Paris 1998. S. 58 ff.
256 vgl. Joseph Rosa. Louis Kahn. Taschen. Köln 2006. S.54 ff.
257 vgl. Fernando Márquez Cecilia, Richard Levene (Hg.) Steven Holl 1984 2003. El Croquís 108.
Frankfurt 1996
267 Aldo van Eyck. Versuch, die Medizin der Reziprozität herzustellen. In: Gerd de Bruyn, Stephan Trüby
(Hg.) architekturtheorie_doc. Texte seit 1960. Birkhäuser. Basel 2003. S.38 ff.
268 Giancarlo de Carlo. Die Öffentlichkeit der Architektur. In: Susanne Hauser, Christa Kammleithner,
Roland Meyer (Hg.) Architekturwissen Band II. Transscript. Bielefeld 2013. S. 416 ff.
269 Herman van Bergeijk. Herman Hertzberger. Birkhäuser. Basel 1997. S. 17
270 vgl. Paul Virilio. Ereignislandschaft. Hanser. München. 1998
271 Bernard Rudofsky. Sparta/ Sybaris. Residenz Verlag. Wien 1987. S. 9
272 Marshall McLuhan, Quentin Fiore. Das Medium ist die Massage. Tropen. Stuttgart 2011. S. 63
273 vgl. August Sarnitz. Adolf Loos. Taschen. Köln 2003. S. 70 ff.
274 Chris Marker. La Jetée. Argos Films. 1963
275 Ryue Nishizawa. Moriyama House. In: Tokio. Die Stadt bewohnen. Arch+ 208. Aachen 2012.
S.110 ff.
276 Niklas Maak. Der Fluch des Eigenheims. Japanische Architektur als Vorbild. In: http://www.faz.net/
aktuell/feuilleton/japanische-architektur-als-vorbild-der-fluch-des-eigenheims 11590530-p3.html.
Letzter Abruf: 20.06.2014
277 Hiroshi Teshigahara. Suna no Onna. Toho Film (Eiga) Co. Ltd., Teshigahara Productions. 1964
278 vgl. Gernot Böhme. Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Suhrkamp. Frankfurt 2013
279 Kristine Guzmán. Reinterpretating traditional aesthetic Values. In: Houses. Kazuyo Sejima + Ryue
S. 714 ff.
284 vgl. Thilo Hilpert. Walter Gropius. Das Bauhaus-Gebäude in Dessau. Von der Idee zur Gestalt.
292 Theodor W. Adorno. Ästhetische Theorie. Suhrkamp. Frankfurt 2000. S. 182
293 Alban Janson, Florian Tigges. Grundbegriffe der Architektur. Birkhäuser. Basel 2013. S. 250
294 Konrad Wachsmann. Wendepunkt im Bauen. Krausskopf. Wiesbaden 1959. S. 170
295 Winfried Nerdinger (Hg.) Wendepunkte im Bauen. Birkhäuser. Basel 2010. S. 104
296 Konrad Wachsmann. Aspekte. Krausskopf. Wiesbaden 1961. S. 9, 38
297 vgl. Gerhard Mack (Hg.) Herzog & de Meuron 1997-2001. Das Gesamtwerk. Band 4. Birkhäuser.
Basel 2008
298 Fernando Márquez Cecilia, Richard Levene (Hg.) Herzog de Meuron 2002 2006. El Croquís 129/ 130.
S. 166 ff.
308 vgl. Claire Zimmerman. Mies van der Rohe. Taschen. Köln 2011. S. 32 ff.
309 Jean-Louis Cohen. Ludwig Mies van der Rohe. Birkhäuser. Basel 2011. S. 78
310 vgl. Fernando Márquez Cecilia, Richard Levene (Hg.) Steven Holl 1984 2003. El Croquís 108.
Reinbek 2009
317 vgl. Vittorio Mario Lampugnani. Antonio Sant’Elia. Gezeichnete Architektur. Prestel. Berlin 1992
318 vgl. Alfred Koepf, Günther Binding. Bildwörterbuch der Architektur. Kröner. Stuttgart 2005
319 Junichiro Tanizaki. Lob des Schattens. Manesse. Zürich 2010. S. 38
320 Friedrich Kittler. Optische Medien. Merve. Berlin 2013. S. 58 ff.
321 Friedrich Kittler. Grammophon Film Typewriter. Brinkmann & Bose. Berlin 1986. S. 8
322 vgl. Paul Scheerbart. Glasarchitektur. Verlag Der Sturm. Berlin 1914
323 vgl. Urs Büttiker. Louis I. Kahn. Licht und Raum. Birkhäuser. Basel 1993
324 Rudolf Arnheim. Kunst und Sehen. de Gruyter. Berlin 2000. S. 297
325 Robert McCarter. Louis I. Kahn. Phaidon. London 2010. S. 136 ff.
326 Philippe de Broca. L’Homme de Río. Dear Film Produzione, Les Films Ariane, Les Productions
336 vgl. Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago
Press. Chicago 1984
338 Bernard Rudofsky. Streets for People. Doubleday. New York 1969. S. 122
339 vgl. Ada Francesca Marciano. Giuseppe Terragni. Opere completa 1925-1943. Officina Edizioni 1987.
S. 117 ff.
340 vgl. Jean-Louis Cohen. Le Corbusier Le Grand. Phaidon. London. 2008
341 vgl. http://woha.net/#Oasia-Downtown. Letzter Abruf: 20.06.2014
Basel 2001
343 Theodor W. Adorno. Ästhetische Theorie. Suhrkamp. Frankfurt 2000. S. 86, 180
344 Adrian Frutiger. Der Mensch und seine Zeichen. Frankfurt 1979. In: Klaus Thomas Edelmann, Gerrit
London 1983. S. 20
347 Byung-Chul Han. Duft der Zeit. Transcript. Bielefeld 2009. S. 37
348 vgl. Joshua Bolchover, Johanna Agerman Ross (Hg.) Vitamin Green. Phaidon. London 2012. S.144 ff.
349 vgl. http://www.iba.nrw.de/main.htm. Letzter Abruf: 20.06.2014
350 vgl. Alain Orlandini. Le Parc de la Villette de Bernard Tschumi. Somogy. Paris 2001
351 Walter Benjamin. Das Passagen-Werk. Suhrkamp. Frankfurt 1983. S. 46, 216 ff.
352 ebd. S. 524
353 Colin Rowe, Fred Koetter. Collage City. The MIT Press. Cambridge 1978. S. 8, 93
354 Gerald Staib, Andreas Dörrhöfer, Markus Rosenthal. Elemente und Systeme. Birkhäuser. Basel 2008.
S. 28
355 vgl. Nils Peters. Jean Prouvé. Taschen. Köln 2013. S. 63 ff.
2.3 Schlussbetrachtung Mehrdeutigkeit als Entwurfskatalysator 225
2.3 Schlussbetrachtung
Mehrdeutigkeit als Entwurfskatalysator
Basierend auf den theoretischen Untersuchungen von Venturi, Rowe und Koolhaas
hat sich vorliegende Betrachtung vorgenommen, das Entwerfen mit Mehrdeutigkeit
als ein Werkzeug etablieren, mit dessen Hilfe sich innerhalb des Entwurfes Zonen
architektonischer Verdichtung herstellen lassen. Diese Zonen können als Beson-
derheit des Ganzen gedeihen und den Entwurf mit einer individuellen Qualität
ertüchtigen, indem sie kontextuelle Anforderungen in innovative Morphologien
wandeln. Die Praxis-Termini Bündelung und Überlagerung von Aufgaben sind
dabei die Hauptmittel für deren Erzeugung. Die im vorangegangenen Teil in Bei-
spielen diskutierten Aspekte von Mehrdeutigkeit haben das Spektrum ihrer architek-
tonischen Verwendung aufgezeigt. Gemeinsam ist allen diskutierten Projekten, dass
die Rolle der Mehrdeutigkeit sich aus dem Zusammenspiel ihres architektonischen
Entwurfssystem entwickelt hat. Sie ist eine potente Komponente der Entwurfsidee
und verhilft dieser zur architektonischen Kompetenz, indem sie überkategorisch
agiert und sich entwurfliche Aspekte des Ganzen im kleinen Element wiederfinden
(z. B. steckt die gesamte polymorphologische Idee von Sizas Strandband auch in
dessen kleinsten Betonweg-Teil, vgl. S. 172 ff.). Die Verwendung von Mehrdeutigkeit
führt als ein Entwurfswerkzeug im Prozess des systemischen Entwerfens zu Potentia-
len, die in allen relevanten Kategorien – neben der konzeptuellen, auch der gestalte-
rischen und der konstruktiven – hohe Kompetenzen erzielen können. Aus der
Möglichkeit, die Aspekte des Entwurfskontextes unmittelbar für die Bildung von
individueller Mehrdeutigkeit herbeizuziehen, generiert sich der Aufbau von mehrfa-
cher Lesbarkeit. Im Folgenden einige nach-phänomenologische Gedanken zum
Charakter der Mehrdeutigkeit im Entwurf, sowie zur Möglichkeit des gemeinsamen
Auftretens mit der Wiederkehr.
Ob Mehrdeutigkeit nun in entwurfswerkzeuglicher Form tatsächlich so offen agiert
hat, wie hier postuliert, ist den diskutierten Projekten nicht immer anzusehen. Es ist
von Anfang an ein bewusster interpretatorischer Idealismus der Betrachtung gewe-
sen, der anhand der gesammelten Phänomenologien ersichtlich werden soll. So gibt
es, wie innerhalb der Aspekte-Diskussion angeführt, viele Zeugnisse der Entwerfer
zu ihren Projekten, die auch von Mehrdeutigkeit oder ähnlichen Begrifflichkeiten
sprechen, doch scheint es sich bisher bei dem in diesem Zuge hier definierten Ent-
wurfswerkzeug mehr um eine eher theoretische Konzeption als um einen anerkannten
terminus technicus zu handeln. Dies wird insbesondere ersichtlich im Zuge dieser
Betrachtung durchgeführten Frage- und Erhebungsbögen und den vom Verfasser
geführten Interviews mit verschiedenen Architekten, Baufirmen und Fachleuten.
Bei vielen stieß nicht nur der Begriff des Entwurfswerkzeugs auf Widerstand und
Unverständnis, sondern insbesondere der Mehrdeutigkeit wurde mit Ablehnung be-
226 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
gegnet. Das kann natürlich der verschleiernden Semantik des eben Nicht-
Eindeutigen und möglicherweise Verunsichernden geschuldet sein, die dem Wort
innewohnt. Und natürlich wäre dies so zu verstehen auch durchaus möglich: das
Mehrdeutige als etwas Hinderliches, das einem Planen, einem honorierten Vorhersa-
gen entgegensteht und dem man nicht vertraglich beikommen kann. Was aber der
Begriff der Mehrdeutigkeit einem eindeutigen Terminus wie zum Beispiel der lange
Zeit für diese Betrachtung verwendeten Multifunktionalität voraus hat, ist sein allge-
meinerer, umfassender Inhalt. Bezogen auf die kategoriale architektonische Kompe-
tenz, hätte Multifunktionalität nichts mit Gestaltung und Konzept zu tun. Des Weite-
ren schließt sie poetische Ansätze aus, wie sie viele der diskutierten Projekte (Kahn,
Le Corbusier etc.) explizit aufweisen, und bringt sich damit nur in einem Feld ein,
deren hervorragender Vertreter sicherlich der sogenannte imaginierte Mufuti der
DDR sein müsste. Der offensive Umgang mit Mehrdeutigkeit hingegen, der mögli-
cherweise dem einen oder anderen Betrachter auch einmal Nebulöses verkauft, ist
dennoch in seiner Anwendung innerhalb des Programmes einer architektonischen
Grammatik nicht ausschließlich nebulös oder missverständlich. Denn jenes dürfte
innerhalb des Entwurfsprozesses weitgehend eliminiert werden, oder aber zuguns-
ten von anderen, vollkommen klaren Aspekten des Entwurfes legitimiert sein. Es
geht immer um die Erzeugung von Architektur, nicht um Kunst oder Anwendungs-
fernes. Trotz der also möglicherweise schwierigen Begriffswahl postuliert vorlie-
gende Betrachtung weiterhin, dass Mehrdeutigkeit den Entwurf nicht schwächt, son-
dern stärkt. Dass sie ihm zugutekommt, dass sie ihn dazu bringt, nicht nur mit der
einen Lösung, die eine einzige Antwort gibt, zufrieden zu sein, sondern dass er
versuchen sollte, ein Plus herauszubilden, etwas, das über das eine Einzige hinaus
geht. Die Inhalte dessen obliegen vollkommen dem Entwerfer. Wer allerdings
schon so weit ist, eine Idee zu konkretisieren, wird mitnichten in den reinen Nebel-
zustand dieser Idee zurückkehren, sondern immer vor Augen haben, ein kompeten-
tes Gebäude erzeugen zu wollen. Dieses ist im hohem Maße rational,öffentlich und
konkret. Mehrdeutig ist daher auch nicht ein irrationaler Wert des Entwurfes, mehrdeu-
tig ist der Interpretationsspielraum des Betrachters gegenüber der Form. Die Form
aber ist generiert aus einem effektiven, rationalen, wenn auch komplexen, Ent-
wurfsprozess, der mehr Regeln als Nebel besitzt.
Wie im theoretischen Teil (vgl. S. 119 ff.) erläutert, gibt es drei bedeutende Hal-
tungen zur Entwicklung des Begriffsmodells der architektonischen Mehrdeutigkeit.
Robert Venturi hat früh in seinen Studien zu Widersprüchlichkeit und ihrem Zu-
sammenhang zur Komplexität gezeigt, dass doppelt funktionierende Elemente
besondere Attraktoren eines Gebäudes sein können. Parallel zu Venturis Arbeit
haben Colin Rowe und Robert Slutzky das besonders von Le Corbusier benutzte
Werkzeug der Transparenz erforscht, welches wiederum als ein Aspekt des Gesamt-
entwurfs fungiert, diesen aber auf tiefgreifende Art und Weise zu einer mehrfachen
Lesbarkeit erweitert. Die mehrfache Lesbarkeit bezieht den Betrachter mit ein und
fördert damit die komplexe Interaktion zwischen Raum und Nutzer. Rem Koolhaas
schließlich erklärt das Verhältnis von Raster und Singularität mit mehrfacher Nut-
zung zu einem grundsätzlichen Werkzeug von Architektur, das auch im städtebauli-
chen Großmaßstab von Bedeutung ist.
2.3 Schlussbetrachtung. Mehrdeutigkeit als Entwurfskatalysator 227
Ist die Verwendung der Wiederkehr im ersten Teil der Arbeit noch als ein Werkzeug
beschrieben worden, das aus kultur- und wahrnehmungsspezifischen Gründen jeder
Architektur innewohnt und diese stets zu einer Antwort oder Positionierung im
Hinblick auf die Frage nach der Häufigkeit seiner Elemente zwingt, so ist die Ver-
wendung von Mehrdeutigkeit eine spezielle Anwendung, die nicht zwangsläufig jeder
Architektur innewohnen muss. Kompetente Architektur kann aus vielen Bildungs-
prinzipien oder Themen bestehen und explizit ohne Mehrdeutige Elemente auskom-
men. Jedoch zeigen die diskutierten Projekte eine Offensichtlichkeit dieses Werk-
zeuges an. Das auf seine Weise verdichtete architektonische Element als ein struktu-
reller Höhepunkt des Entwurfes entwickelt sich mehr oder weniger direkt aus dem
Kontext des Gebäudes (wie Brückengeschosse oder andere Polymorphologien). Es gibt
Antworten auf Anforderungen der Bauaufgabe und ist zum Teil eben doch essenti-
ell (wiederum Brückengeschosse) für die Funktionalität derselben. Es fasst mehrere
Aspekte zusammen, bündelt sie und generiert über diesen Vorgang eine spezifische
Form, die häufig innovativ sein kann, da eben selten Baukontexte einander bis aufs
Haar gleichen. So gewinnt der Entwurf mit jedem effektiven Einsatz des Werkzeugs
eine individuelle Komponente, die ihn als besondere Zone oder Teil prägt. Da bei
jeder Architektur eine Auseinandersetzung mit der Frage der Wiederkehr auftritt,
wird bei jeder Verwendung von Mehrdeutigkeit auch stets eine Verbindung mit der
Wiederkehr formuliert. Die Häufigkeit des Auftretens eines Mehrdeutigen Elementes
sowie dessen Variationen entsteht durch die Haltung des Entwerfers zur Wiederkehr.
So bedingen sich die beiden Werkzeuge gegenseitig, wenn sie als Teil des Entwurfs-
systems dem Gebäude katalysatorisch ein organisatorisches wie inhaltliches Mehr
zur Seite stellen.
Eine besondere Qualität bei der Verwendung von Mehrdeutigkeit liegt in der
permanenten Wandelbarkeit der Ergebnisse. Dem Entwerfer sind alle Möglichkei-
ten gegeben, aus funktionalen Kontexten heraus, die Entscheidungen zur Kombina-
tion von Lesbarkeiten seiner Lösungen zu treffen. Da die Kontexte jeder Bauaufga-
be verschieden sind und zudem unter dem Einfluss veränderlicher Faktoren wie
Klimawandel, Demografieschwankungen oder Dikta von Bauordnungen stehen,
unterliegt die Verwendung von Mehrdeutigkeit der Tendenz zum Experimentellen.
Der Entwerfer ist aufgefordert, Neues zu adaptieren und mit schon Bekanntem in
seinem eigenen Entwurfssystem zu kombinieren. Dabei kommt es auf durchaus
spielerische Weise zu einer Rolle des Architekten als aktiven, fachbereichsübergrei-
fendem Experimentator, der, auf der Suche nach Synergien, zu einem Erfinder
wird. Neue Morphologien können aus diesem Entwurfsprozess heraus das gewinn-
bringende Ergebnis sein.
Im Sinne einer triadischen Erfassung von architektonischer Kompetenz oder
sogar mit einem gewissen Willen zum Widerspruch gegenüber dem kontrastieren-
den System, kann Mehrdeutigkeit auf vielerlei Weise zu ihrer endgültigen Gestalt
kommen (z. B. durch Überlagerung, Bündelung, Kombination, Anti-Hierarchie).
Der entscheidende Punkt ist die Ausformulierung einer besonderen Entwurfskom-
ponente im Verhältnis zum Gesamtsystem, welches wiederum von der Besonder-
heit dieser Komponente aufgewertet wird. Reyner Banhams aufschlussreicher
228 2. Die Verwendung von Mehrdeutigkeit als Entwurfswerkzeug
Kommentar zum ersten Solarbau, der St. George‘s School von 1961, lautet in diesem
Zusammenhang:
„The solar wall was undoubtedly the key to the functioning of the whole building, and has also
been the aspect that has caught the fancy of the public.“ 356
Jedes Gebäude profitiert sowohl von der Funktionalität seiner besonderen Elemen-
te als auch von deren distinkter Ikonographie. Im Zusammenspiel des Entwurfssys-
tems mit seinen Besonderheiten offenbart sich schließlich die Qualität des Entwur-
fes. Es obliegt dem Entwerfer, welcher systemischen Prozesskette oder Methodik er
sich beim Entwerfen bedient, ob er Entwurfswerkzeuge aktiv benutzt, unbewusst
einsetzt oder absolut nichts von ihnen wissen will. Eines ist jedoch nicht in seinen
Händen: Die Deutung seines Gebäudes durch eine Öffentlichkeit. In deren Sinne
sollte die Reihe der aufgeführten Beispiele zeigen, dass eine immense Menge an
Aspekten von Mehrdeutigkeiten – die Liste an Projekten könnte jede Größe anneh-
men – im Interpretationsraum des Betrachters explizit vorhanden ist. Und dass
genau diese Mehrdeutigkeit dafür sorgt, dass die Projekte zu kompetenter, das heißt
starker, Architektur geworden sind, die einen Reichtum und eine Tiefe an komple-
xem Interpretationspotential erreicht haben, der der plutokraten, effizient hoch-
gezogenen Alltagsbauwelt so wenig innewohnt wie den Konserven im Supermarkt.
Ob man nun das eine oder das andere präferiert, sei jedem selbst überlassen, nicht
zu leugnen ist allerdings, dass die künftigen Aufgaben an die Architektur vermutlich
völlig neue Kontexte generieren werden, auf welche die Entwerfer praktisch reagie-
ren müssen. Warum nicht mit einer mehrdeutigen Morphogenese?
ix
356 Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago
Press.Chicago 1984. S. 280
Einleitung
Der folgende Teil, zwangsweise deutlich kürzer gehalten als die vorhergehenden, da
er im Grunde genommen unendlich ist, umreisst einige mögliche Anwendungen
und Bedeutungen der beiden Entwurfswerkzeuge Wiederkehr und Mehrdeutigkeit, die für
die Zukunft unserer gebauten Umwelt eine maßgebliche Rolle spielen könnten.
Da die Wiederkehr, wie von vorliegender Betrachtung vertreten, überall und zu
jeder Zeit eine Rolle spielt, wird ihre Relevanz in Bezug auf das vermutlich ein-
schneidendste architekturgeschichtliche Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte bewer-
tet: dem sogenannten digital turn. Was für einen Einfluss hat dieser Schnitt auf ihre
phänomenologische Repräsentation und was genau könnten die stilistischen Folgen
sein?
Umfangreicher und doch eingeschränkter als bei der Wiederkehr fällt der Aus-
blick auf die Anwendungen der Mehrdeutigkeit aus. Hier soll repräsentativ für die
große Menge an Aufgabengebieten aus den baulich-räumlichen Kontexten, die
praktisch grenzenlos und immer neu kombinierbar sind, der Umgang mit dem Kli-
mabewussten Bauen durchleuchtet werden, um ein funktionsreiches, morphogeneti-
sches Hochpotential, das zudem dringend einer kompetenteren Architektur-
Adaption als bisher gesehen bedarf, für sein entwurfswerkzeugliches Aufgreifen anhand
der Mehrdeutigkeit durchzuspielen. Dafür werden zunächst einige Thesen Reyner
Banhams zur Bedeutung des Green Thinking aktualisiert, dann wird in einem zweiten
Schritt, die Fassade als wichtigstes Mehrdeutiges Element per se nach ihren grundle-
genden Bündelungen von Aufgaben befragt, um dann in einem weiteren Abschnitt
die Photovoltaik und Solarthermie als die beiden visuell einflussreichsten Parameter
auf aktuellen Stand der Technik und Forschung hin zu untersuchen. Dabei soll ein
spezieller Fokus auf das Werk von HHS Architekten gelegt werden, Pionieren des
Solaren Bauens in Deutschland und einigen ihrer letzten Projekte. In einem finalen
Abschnitt werden einige urbane intervenistische Konzepte visualisiert, die als eine
gezogene Summe vieler der vorher diskutierten Positionen fungieren sollen.
Im ersten Teil der Arbeit wurde die Wiederkehr von verschiedenen Seiten beleuchtet
und als Entwurfswerkzeug eingeführt, beziehungsweise zunächst einmal definiert.
Dabei wurde für die Etablierung des Werkzeugbegriffes nicht das darstellende In-
strumentarium des Entwerfens wie Stift, Modell etc. herangezogen (vgl. S. 43 ff.),
sondern das ideelle Instrumentarium an der Schwelle des Entwurfszustands zwi-
schen der Idee und der Formulierung eines Konzeptes innerhalb von öffentlicher,
architektonischer Grammatik. Die Wiederkehr befindet sich also in einem Feld, das
sich unabhängig von Produktionsmechanismen, Technikfortschritt oder Planungs-
medien an einer Übergangszone ansiedelt. Weil es sich um ein anthropometrisches,
d. h. an der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen orientiertes Instrument han-
delt, wohnt der architektonischen Wiederkehr eine gewisse Zeitlosigkeit inne, die,
voraus gegriffen, auch der fundamentale Paradigmenwechsel des digital turn nicht
zerstören kann. Doch zunächst ist ein Blick auf die allgemeinen Folgen des digital
turn sowie im Anschluss auf seine speziellen Folgen notwendig, um herauszustellen,
warum er eben genau keinen Einfluss auf die Wiederkehr an sich hat.
Während die im ersten Teil der Arbeit diskutierten Beispiele beinahe ausschließ-
lich in die produktionsgeschichtliche Epoche vor dem digital turn fallen, so scheint
es doch eine in naher Zukunft nicht mehr nur parallel und nischenhaft ablaufende
zweite Formproduktion, beziehungsweise Abwicklung von Architektur zu geben:
die weitgehend digitalisierte. Diese Architektur wird mindestens gleichberechtigt,
wenn nicht irgendwann mehrheitlich verwendet werden. Damit einhergehend wür-
de sich hauptsächlich die Rolle des Architekten als Entwerfer wandeln. Der digital
turn stellt bekanntermaßen die klassischen Regeln der Autorschaft in Frage und
sorgt u. a. über die simultanen BIM-Technologien dafür, dass die virtuelle Realität
des partzipatorisch bearbeiteten Entwurfsmodells fast unmittelbar gleichzusetzen ist
mit dem ebenfalls digitalen, aus demselben Modell produzierten, fabrizierten Ge-
bäude. Damit wird der Aufgabenbereich des Architekten je nach Ansichtsweise
verkleinert oder vergrößert und im Besonderen, sein Einfluss auf die Notation des
Gebäudes neu aufgerollt, denn das Ergebnis ist offen bis zum Zeitpunkt der eintre-
tenden Emergenz. In vielen anderen von der Digitalisierung betroffenen Ge-
brauchsbereichen ist aber trotz eines prognostizierten Sturzes der klassischen Mittel
und Werte oft genau das Gegenteil eingetreten: Nämlich eine qualitative Aufwer-
tung der bisherigen konservativ gefertigten Gebrauchsgegenstände (z. B. LPs, Ana-
log-Kameras, Einzelhandel, Graswurzelbewegung etc.). Es wäre also durchaus
denkbar, dass die traditionelle Position des Architekten, als Autor im Sinne Albertis,
und die handwerklichen Ausführung des Entwurfes sich als ein geschärftes Profil
gegenüber digitalen Prozessketten behaupten. Beides als Folge des digital turn , kon-
servative Rolle und Architektur sowie neue Rolle und Architektur aus dem Rechner,
3.1 Wiederkehr im digital turn 231
hätten logischerweise zunächst einmal keine Auswirkungen auf das Auftreten von
Wiederkehr an sich, denn weder die Anthropometrie noch der Öffentlichkeitsstatus
von Gebäuden in Bezug auf architektonische Grammatik würde hier berührt.
Die materielle Folge allerdings besteht in einer Verschiebung der identischen zur
ähnlichen Wiederkehr. Um jenes bisherige phänomenologische Auftreten von Wie-
derkehr gemäß des ersten Teil Revue passieren zu lassen, wird es noch einmal der
Reihenfolge nach aktiviert: Der hauptsächliche Einsatz der Wiederkehr ist vor dem
digital turn der sogenannten entwurfsinternen Materiellen Wiederkehr zuzuordnen.
Dabei wird, auf den Einzel-Entwurf bezogen, der Einsatz der Wiederkehr im aufstei-
genden Maßstab vom Teilelement wie Ziegelstein bis hin zur gebäudegroßen Kopie
im Städtebau-Cluster (vgl. S. 55 ff.) beschrieben. Diese Form der Wiederkehr ist eine
grammatikalisch wirksame Architekturkonvention, die anthropometrisch die Ge-
bäudewahrnehmung des Betrachters bestimmt. Die Elemente sind identisch oder
ähnlich. Sie erzeugen, mit Rudolf Arnheim, Pierre von Meiss u. a. (vgl. S. 53 ff.)
gesprochen, die architektursprachliche Einordnung von Gebäuden, die sich von
chaotischen Objekt-Assemblagen oder Materiallandschaften unterscheiden, indem
sie redundante Informationsstrukturen verwenden. Einige Gebäude steigern ihre
Kompetenz mit bewusst komponierter Wiederkehr. Andere schwächen sie durch
fehlendes Bewusstsein dafür und erzeugen dröge Monotonie. Eine andere Ursache
von Wiederkehr außerhalb der organisatorisch-kompositorischen Notwendigkeit ist
die frühe Bindung an die Ökonomie der Herstellung, Verarbeitung und des Verbaus
gewesen. Diese konnte mit dem Beginn des industrialisierten Bauens immens ge-
steigert werden und bis zum digital turn das äußerste Maß an Präzision und Ge-
schwindigkeit erreichen. Das Paradoxe des digital turn ist nun, dass die Leistungsfä-
higkeit der Maschinen infolge ihrer Weiterentwicklung in einen Bereich vorgedrun-
gen ist, in dem bei demselben Zeiteinsatz die Produktionsgeschwindigkeit ähnlicher
Teile, das heißt Variationen der Ausgangsform, die der identischen Teile erreicht,
überflügelt und dadurch ablöst. Damit geht einher, dass bei einer Übernahme dieser
Produktionstechnik in einem überwiegenden Teil der Bauindustrie, möglicherweise
aber nicht zwangsläufig, die Anzahl an identischer Wiederkehr, also der lupenreinen,
industriellen (vgl. S. 253 ff.) Serialität, zurücktreten wird zugunsten der Ähnlichkeit
oder Variation einer Ausgangsform. Dies wäre die phänomenologische Folge des
digital turn auf die Materielle Wiederkehr.
An einem Beispiel: Eine elementierte Freiform wie die Hülle des Kunsthaus Graz
(vgl. S. 147 ff.) ist absolut genauso architekturgrammatisch konzipiert wie die re-
gelmäßig, i. e. identisch, elementierte Fassadenhaut des Kunsthaus Bregenz (vgl. S.
146). Das Fassadenmaterial in Graz taucht wiederkehrend auf, an keiner Stelle von
Kontrasten (plötzlich gegenläufiges Holz, Metall etc.) in seiner Wirkung gestört;
Nämliches passiert in Bregenz. Das Maß an redundanten Informationen beider
Gebäude ist gleich hoch, Wahrnehmungsprobleme stellen sich nicht ein. Das archi-
tekturgrammatische Programm der Wiederkehr ist nicht an sich in Frage gestellt,
einzig eine Tendenz zur Verwendung von identischen zu ähnlichen Teilen findet
statt in einer ansonsten redundant, monistischen Hierarchie von einigen wenigen
Materialien.
232 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
Für den stilistischen Teilbereich (Konzepte, werk- oder kulturübergreifend) der Immate-
riellen Wiederkehr gilt, dass sogenannte Stile künftig schneller entstehen könnten,
denn einmal als systemisches Ganzes entworfen, gibt es keinen Grund, ein funktio-
nierendes System (als Stil) erneut zu adaptieren und ohne konkretes Ende wieder
und wieder zu verwenden.
Für die Konzept-Wiederkehr innerhalb eines werkübergreifenden Zusammenhangs
ergibt sich keine direkte Folge, die nicht vom Autoren selbst hervorgerufen wird.
Diese wurde definiert anhand der Feststellung, dass die wiederkehrenden Elemente
eine geistige Verwandtschaft mit ihren jeweiligen zugrundeliegenden Konzepten
aufweisen, deren materielle Manifestationen sich möglicherweise aber noch nicht
einmal ähnlich sind. Diese theoretische Wiederkehr ist abhängig vom Werkverständ-
nis beziehungsweise der Entwurfshaltung des Entwerfers, wenn er wie Rem
Koolhaas beispielsweise stets seinem Drang nachgibt, eine öffentliche Passage oder
Promenade etc. in seinen Entwürfen (vgl. S. 112) einzubauen, die sich höchstens
motivisch gleicht. Das Phänomenologische wäre hier also keineswegs betroffen,
denn das ist es auch vorher nicht gewesen, wenn ein Konzept wie Koolhaas‘ Passa-
gen bei jedem Entwurf einen anderen Phänotyp besitzen.
Der vom digital turn betroffene Aspekt der Immateriellen Wiederkehr ist vielmehr
die stilbildende Wiederkehr. Diese ist als ein Teilbereich der Immateriellen Wiederkehr
beschrieben worden, bei der der Phänotyp sehr wohl einander gleicht, auf Basis von
wiederkehrenden Konzepten wie bei der Römischen Ingenieursbaukunst (vgl. S. 102 ff.).
Der sogenannte Stil zeichnet sich dadurch aus, dass er keinem einzelnen Autoren
direkt zugeschrieben werden kann, sondern vielmehr einem Kollektiv von Autoren
oder aber im globalen Fall der Anonymen Architektur, einem kulturellen Erfahrungs-
schatz, der in Form von Problem-Mustern, als Patterns, von allen Anwendern einer
Baukultur verwendet wird. Durch den digital turn, der über die sogenannte mass-
customization, also die Maßanfertigung, veranlasst, dass eine Palette von Variationen
eines Entwurfes produziert werden kann und im Fall einiger Architekten auch
längst wird, so z. B. Kengo Kumas Fertighäuser357 für Muji, verändert sich die Au-
torschaft des Architekten insofern, als dass es nicht mehr nur das Einzelwerk gibt,
sondern Werkgruppen. Diese sind über einen begrenzten Katalog von Variationen
miteinander verbunden, was im Umkehrschluss dazu führt, dass der Architekt künf-
tig keine Gebäude mehr als Singularitäten autorisiert, sondern Pluralitäten, das
heißt, Stile entwirft. Dazu schreibt Mario Carpo zusammenfassend und in Bezug
auf Gilles Deleuze‘ Theorien des Objektils:
„In Differenz und Wiederholung hatte Deleuze diesen technischen Wandel vorausgesehen. Sein
Doppelbegriff von Objekt und Objektil definiert immer noch treffend die Grundprinzipien der
nicht standardisierten Serialität. Das neue technologische Paradigma ist (...) auf Variationen
ausgerichtet, die sequentiell entworfen und hergestellt werden (...) [und] benutzt, um massenweise
unendliche Variationen desselben Objektils herzustellen (...) Das Objektil, das als Funktion eine
unendliche Anzahl von Objekten in sich trägt (wird Ereignis). Jedes einzelne Objekt ist eine
Aktualisierung des mathematischen Algorithmus oder des Objektils, das allen zugrunde liegt (...)
Der Designer des Objektils ist ein allgemeiner oder besser gesagt ein generischer Autor (...) Alle
3.1 Wiederkehr im digital turn 233
Elemente einer nicht-standardisierten Serie folgen also im ursprünglichen Sinn des Wortes demsel-
ben Stil, insofern stilus sich auf das Werkzeug und nicht die Ansichten des [Autors] bezieht.“ 358
Die Folge ist also auch keine phänomenologische, sondern eine auktoriale. Denn
damit könnte künftig das, was zuvor dem anonymen Kollektiv zugeschrieben wur-
de, nämlich einen Stil gebildet zu haben, sowohl einem Architekten zugeschrieben
werden – als Beispiel mögen die parametrischen Entwürfe (Objektile) von Jürgen
Meyer H. in Sevilla (vgl. S. 168 ff.) oder von Zaha Hadid in Innsbruck (vgl. S. 171)
dienen, die damit (mögliche) Objektgruppen/ Stile entworfen haben – es könnte
aber auch gleichzeitig, infolge der genannten Partizipation mehrerer Disziplinen im
Entwurf überhaupt keinem Architekten mehr zugeschrieben werden. Beide Verän-
derungen der Autorschaft sind möglich, zum Teil schon in Gebrauch oder in transi-
torischem Übergang.
Keinen Unterschied hat wie gesehen der digital turn auf die Phänomenologie der
Wiederkehr gehabt. Nach wie vor bestehen Gebäude aus einer beschränkten Menge
an identischen oder zunehmend einander nur ähnlichen Einzelelementen, durch
anthropometrische Wahrnehmung organisiert und als Architektur legitimiert. Das
gilt für jeden Maßstab. Die Bildung und Betrachtung von Stilen durch Immaterielle
Wiederkehr ist definitorisch zwar schwer zu umreißen, wenn aber, wie in dieser Ar-
beit angenommen, Objekt-Variationen eines Objektils ein Stil sind, dann könnte es
eines Tages in Folge der digitalen Parametrik sehr viel mehr und schneller entste-
hende parametrisch-ubiquitäre Reihen wie Le Corbusiers Unités geben (vgl. S. 171),
die an jedem Ort ein bisschen anders aussehen, also differentielle Varianten durch-
bilden, in diesem Falle auch mehrdeutig wären und deswegen möglicherweise sogar
sehr kompetente Architekturen abbilden. Mit solch einem Projekt würden sich
Immaterielle (stilistische und werkübergreifende) Wiederkehr und Materielle Wiederkehr,
sowie inhaltliche Mehrdeutigkeit überlagern.
x
357 vgl. Wanna Live In Kengo Kuma’s MUJI House? Now You Can. In:
http://architizer.com/blog/muji-contest/ Artikel vom 27.6.2012. Letzter Abruf: 20.06.2014
358 Mario Carpo. Alphabet und Algorithmus. Transcript. Bielefeld 2012. S. 115, 109, 107, 67, 116
234 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im Klimabewussten Bauen
Ableitungen aus Texten von Reyner Banham
Im ersten Teil der Arbeit wurde die Wiederkehr von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Als Quintessenz vom zweiten Teil der Betrachtung wurde festgestellt: Über die
Bündelung von Aufgaben innerhalb eines Entwurfssystems kommt es zur Heraus-
bildung von Mehrdeutigen Elementen. Diese verstehen sich als Zusammenfassung oder
Verdichtung von Themen des Entwurfes, die also wie bei einem gelungenen Archi-
tekturdetail die Entwurfshaltung zu ihren spezifischen architektonischen Lösungen
in einem kleineren Maßstab fortschreibt. Aufgrund der häufig fehlenden Standard-
Elemente für eine solche Bündelung muss von dem Entwerfer eine neue Form
erfunden werden, welche die verschiedenen Aufgaben versammeln kann. Die Mor-
phogenese des Neuen, das über diese Herangehensweise entstehen kann, ist eine
Möglichkeit, Einfluss auf die bauliche Zukunft zu nehmen. Erfundene
Morphologien neuer Elemente ertüchtigen den Entwurf um eine spezifisch innova-
tive Komponente, die bei einer ikonischen Ausformulierung in der Lage ist, identi-
tätsstiftende Hauptrollen im Entwurfssystem zu übernehmen.
Eine offenkundige Herausforderung für die Aufgaben der Architekturen der
Zukunft sind die allgegenwärtig auftretenden, globalen Bedingungen des Klima-
wandels. Denn es ist eine der hervorragenden und spezifische Funktionn des
Bauens, auf Klima zu reagieren, beziehungsweise domestiziertes Klima zu schaffen
wie Reyner Banham es als einer der ersten forderte. Banham zeigte in seinem 1969
erschienen und später (1984) um wichtige Kapitel ergänzten Buch The Architecture of
the well-tempered Environment, dass Architektur in der Hauptsache als ein Klimagenera-
tor zu verstehen sei. Dass es eine ihrer Hauptaufgaben sei, wohl-klimatisierte Räu-
me nach innen und nach außen zu erschaffen.
„The house as an environmental system. (...) A large part (...) comes from the deployment of tech-
nical resources and social organisations, in order to control the immediate envrionment (...) man-
kind has only disposed of one common method for achieving environmental improvements; to erect
massive and apparently permanent structures.“ 359
Wie um dieser These zu folgen, ist es heutzutage, 30 Jahre später, absolut unum-
gänglich geworden und längst in der Baugesetzgebung festgeschrieben, dass Gebäu-
de klimatische Auflagen und Bedingungen zu erfüllen haben. Dies ist für die Er-
schaffung Mehrdeutiger Elemente aus der Sichtweise von vorliegender Arbeit keine
Einschränkung, sondern im Gegenteil eine Ausweitung der entwurflichen Möglich-
keiten und letztlich auch des Einflusses des Architekten. Banham stellt fest:
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im klimabewussten Bauen 235
„The possibility of a purely regenerative architecture has emerged from the first time in human
history.“ 360
Er zeigt im Verlauf seines Textes, wie ein z. B. Großteil des Werkes Frank Lloyd
Wrights in seiner hohen architektonischen Kompetenz auf der doppelten Funktio-
nalität seiner Bestandteile beruht. Er blickt auf dessen energetische Temperierung:
„It was the use he made of mechanics and structural form in combination that marks out the
Prairie Houses as triumphs of environmental art. (...) It derives from a shift of emphasis from
exterior show in domestic architecture to interior comfort in domestic environment (...) Environmen-
tal technology (...) was finally and naturally subsumed into the working methods of the architect,
and contributed to his freedom of design.“ 361
Darüberhinaus formuliert Banham als einer der ersten die technische Mehrfunktio-
nalität als eine besondere Qualität (hier sind es die Deckenpaneele):
„to use the new product, perforated acoustic tile, to a) form the ceiling surface b) deaden the
reverbation of sound c) form a continuous diffusing outlet for ventilating air. We are therefore
dealing with a genuine multi-purpose power-membrane.“ 362
Banham kann so gesehen als einer der Begründer des Green Thinking gesehen wer-
den. Seine Thesen stehen noch immer vor der eigentlichen Umsetzung. Gezielter
entwurflicher Einsatz von Mehrdeutigkeit könnte jedoch einen entscheidenden, do-
minanten Weg dorthin weisen und als Pilot eine Zugwirkung für weitere erzielen.
Seit jeher konstitutives Bindeglied zwischen Innen- und Außenraum, dient die Fas-
sade als öffentliche Filterschicht zwischen den Klimaverhältnissen und ist neben
den inneren Strukturen des Gebäudes eine seiner nicht weiter reduzierbaren Mani-
festation: „die Visitenkarte des Gebäudes.“ 363 Sie bestimmt die Morphologie der Archi-
tektur und hat als solche neben der Schaffung klimatischer Bedingungen auch die
Schaffung der phänomenologischen Identität inne. Damit ist sie per se ein Mehrdeu-
tiges Element, das simultan verschiedene Kombinationen von Aufgaben bündelt.
Reyner Banham noch einmal:
Banham greift als Beispiel wiederum Wright auf, dessen enorm komplexes Larkin
Building neben vielen anderen innovativen Aspekten besonders über seine findungs-
reichen, temperierenden Mittel in der Fassade Maßstäbe gesetzt hat:
236 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
„The system of environmental management mediates constantly between interior and exterior form
(...) The Larkin Building must be judged a design where final form was imposed in the method of
the environmental management deployed.“ 365
Wright benutzt bei seinem Entwurf die notwendigen Treppentürme an den Seiten
des Gebäudes, um sie nicht nur von dem Innenraum abzurücken, damit dieser frei
gehalten werden kann, sondern hauptsächlich, um mithilfe der hohlen Backsteinfas-
sade ein mechanisches Luftfiltersystem zu etablieren, das die Außenluft von der
Staubbelastung der unmittelbar an das Grundstück angrenzenden Bahnlinie reinigen
sollte, damit nicht jede Fensterlüftung zum gesundheitlichen Problem wird. So wird
das Larkin Building zu einem der ersten über die Fassade klimatisierten Gebäude.
Deren morphologisches wirksames Element, die Phänomenologie der Treppentür-
me, beeinflusst klar die wiedererkennbare Morphologie des Gebäudes. Ihre Über-
höhung in Proportion und Ausführung steht Pate im Laufe des 20. Jahrhunderts für
viele architektonische Weiterentwicklungen, wie z. B. Louis Kahns Servings beim
Richards Medical Research. Aus deren Kritik wiederum, aufgrund ihrer seltsamen Ge-
staltüberbetonung, entwickelt sich die zeigende High-Tech/ Ingenieurarchitektur.
Banham kommentierte:
„Suggesting that here was a set of architectural temperament who, unlike Kahn, did not hate pipes,
but saw them as modern opportunity to extend the expressive vocabulary of their art.“ 366
Das Spektrum der quantifizierbaren Ortsbedingungen auf die Fassade und deren
mögliche technischen Maßnahmen zeigt die umseitige grafische Aufstellung. Die
verschiedenen aktuellen Aufgabengebiete der Fassade und ihrer koordinierenden
Möglichkeiten entstammen dem Fassadenatlas, in dessen Einleitung die kulturhistori-
sche Bedeutung der Fassade hervorgehoben wird:
„Die Hüllen von Gebäuden spiegeln die Entwicklung der Technologien einer Region und damit
einen wesentlichen Teil der jeweiligen Kultur wider (...) Um die Ansprüche für den Gebrauch und
den Komfort zu erfüllen, müssen die lokalen Bedingungen und gestellten Anforderungen näher
erfasst, beeinflussbar und dann durch geeignete konstruktive Mittel erfüllbar werden (...) Die
Fassade ist spätestens seit der Renaissance ein Medium.“ 367
Die letztgenannte Qualität, die des aktiven Mediums, fungiert als das besondere
Reservoir der Wechselwirkung zwischen besonderem Element und Entwurfssys-
tem. Hier setzt der katalysatorische Effekt der Mehrdeutigkeit an und entwickelt sein
größtes Entfaltungspotential. Die Fassade bündelt nicht nur das, was sie muss, sie
bietet die Chance der kommuzierenden Überhöhung als ein Medium. Sie bietet so
die weitgreifendsten entwurflichen Verdichtungsmöglichkeiten und steht
rezeptorisch an erster Stelle, d. h. ist bestens geeignet, innovative Erfindungen auf-
zunehmen und aktiv nach Außen zu kommunizieren.
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im klimabewussten Bauen 237
Hinter beiden Begrifflichkeiten verstecken sich hohe Potentiale zur Bildung von
Mehrdeutigkeit: Im Folgenden soll ein kurzer Technikabriss gegeben, Teile des Wer-
kes von HHS sowie neueste Trends diskutiert werden. Für vorliegende Betrachtung
steckt im Solaren Bauen eine der großen Möglichkeiten zur innovativen Morphogene-
se mittels dem Entwurfswerkzeug der Mehrdeutigkeit. Die Technologien der
Solarthermie und der Photovoltaik sind seit etwa 40 Jahren auf dem Vormarsch.
Trotz schwankender Nachfrage infolge politischer Bedingungen scheint es auf lange
Sicht keine Alternative zur Nutzung der Sonnenenergie zu geben. In der baulichen
Adaption dieser ausschließlich fassadenbezogenen Anwendung sind bisher nur
wenige kompetente Beispiele entstanden. Hingegen gibt es eine hohe Zahl an addi-
tiver Aufrüstung des Bestandes mit Paneelen, die lediglich den Amortisationssoll
ihrer Anschaffung erfüllen, um als Anhängsel auf dem ästhetischen Level von Satel-
litenschüsseln, Antennen oder unmotivierten Dachlukenfenstern zu existieren. Das
nicht ansatzweise ausgeschöpfte ganzheitliche Architekturpotential dieser Technik
kann aber Bestandteil von Synergien zwischen Architekturkompetenz und neuer
Entwicklung sein. Als Banham seine Thesen zum Green Thinking veröffentlicht, er
stirbt 1988, ist PV-Nutzung noch immer ein Bereich der Raumfahrttechnik und nur
zögerlich ins Bewusstsein ziviler Baukultur zu bringen. Solarthermie ist hingegen
mit einigen Vertretern ab 1961, der St. George‘s School (vgl. S. 224), und den Zomes
von Steve Baer368 aus dem Jahre 1972, zumindest als Außenseiter etabliert. Auch
Buckminster Fuller ist bis zu seinem Tod von der Notwendigkeit überzeugt, dieses
vielfach belächelte Außenseitertum als einem Ansatzpunkt künftiger Architektur zu
verstehen. Noch fehlt es dafür aber an kompetenten Gestaltungen dieser Technik
und solange diese nicht von Architekten/ Designern konzipiert und umgesetzt
werden, wird es weiterhin dauern, ehe eine allgemeine Akzeptanz der Solartechnik
als notwendigem Bestandteil von Fassaden herbeigeführt wird. Banham schreibt
dazu: „As usual aesthetics have done the pioneering work of making technology visually accepta-
ble.“ 369
An dieser Stelle erfolgt ein notwendiger Abriss der für dieses Kapitel maßgebenden
Technik der Photovoltaik und der Solarthermie, um nicht im ungesagten raum zu
operieren. Im Schwerpunkt steht, welche neueren Entwicklungen stattgefunden
haben und aus dem architekturrelevanten Blickwinkel von Interesse sind. Grund-
sätzlich gilt die einfache Maxime für PV- und Solarthermieanlagen: Photovoltaik
erzeugt solaren Strom, Solarthermie erzeugt solare Wärme. Beide Techniken kön-
nen auch gekreuzt werden, sodass zur Zeit daran geforscht wird, mittels PV-
Anlagen zu heizen. Gegenwärtig existieren drei verschiedene Arten von PV-
Modulen: mono- und polykristalline, sowie Dünnschichtmodule. Diese unterschei-
den sich in Form, Farbe, Maßen und Ertragsleistung. Gemeinsam ist ihnen ihre
Funktionsweise, die einzelnen Zellen jeweils in Reihe zu schalten und den Ertrag
über Wechselrichter ins Stromnetz oder aufladbaren Akkumulatoren oder den di-
rekten Eigenbedarf zu speisen. Der Ertrag ist abhängig von Ausrichtung und Auf-
stellwinkel, welche sich wiederum von Standort zu Standort unterscheiden. Selbst
238 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
sonnenlose Helligkeit bietet Erträge, sodass auch nordseitige Module nicht völlig
ertraglos sind. Die einzige ertraglose Situation entsteht über Verschattung oder
totale Reflektion der Zellen.
Technologisch und ideell beschreitet die Solarthermie anderes Territorium. Zwei
verschiedene Kollektorarten, Flachkollektoren oder Vakuumröhrenkollektoren,
werden solar erhitzt und setzen über erwärmte Flüssigkeit in den Kollektoren einen
Strömungskreislauf in Gange, der in einen gedämmten Warmwasserspeicher mün-
det. Dessen Kapazitäten wiederum werden für verschiedene häusliche Wasserkreis-
läufe wie Heizung, Trinkwasser- oder Brauchwassererwärmung eingesetzt. For-
schungsgebiete der PV umfassen zur Zeit die Entwicklung von Hybridkollektoren,
von hauseigenen Batterien für die Speicherung von Solarstrom, die Wirkungsgrad-
verbesserung und, für die Architektur von besonderem Interesse, die Ausbildung
der Modulmorphologie: ausdruckbare Dünnschichtmodule, kugelförmige Module,
Verbundstoffe aus Textil und PV-Zellen, sowie farbliche Gestaltungen mittels Be-
druckung unter Berücksichtigung des Wirkungsgrades.
Ein interessantes Forschungsgebiet stellt die PV aus nichtkristallinen Zellen dar.
Dabei wird auf organische Materialfolien zurückgegriffen, an denen verschiedenen
Farbigkeiten erreicht werden können, ähnlich den Neuentwicklungen der OLED-
Technik. Diese sogenannten Farbstoffzellen, auch Grätzel-Zellen genannt, errei-
chen derzeit allerdings nur sehr geringe Wirkungsgrade von 6%. Möglicherweise
steckt hier jedoch das größte bauliche Potential der Zukunft. In der Solarthermie
wird zur Zeit an den Kollektormaterialien geforscht z. B. der Kupfervermeidung,
der Wärmespeicherverbesserung hin zu einer langfristig verfügbaren Kapazität
anstelle der Wochenspeicherung sowie der Überwindung der Stagnationsproblema-
tik, die während der sommerlichen Überhitzungsperiode auftritt.
Um Photovoltaik in der Architektur zur Morphogenese eines Mehrdeutigen Ele-
mentes zu verwenden, genügt es schon, sie gestalterisch zu integrieren. Dabei haben
sich zwei Tendenzen von Integrationskonzepten herausgebildet: das Verstecken
und das Zeigen. Seit der verstärkten Benutzung ab den 1980er Jahren wurde das
hauptsächlich über die Betonung des technischen Charakters der PV getan, indem
die ingenieursmäßigen Aspekte der Paneele vorgeführt wurden. In der Publikation
Energizing Architecture - Design and Photovoltaics, die die gestalterische Integration von
PV zum Thema hat, schreibt Claudia Lüling:
„Bestimmende Eigenschaft der PV ist ihre chamäleonhafte und mimikryhafte Anpassungs- und
Verwandlungsfähigkeit, in der ihr eigentlicher ästhetischer Reiz liegt. [Daher sollte man] sie eher
als Textur denn als Material darstellen lassen.“ 370
Im selben Band schreibt der Architekturtheoretiker Gerhard Auer, dass man „die
vorlaute photovoltaische Rhetorik,“ 371 die heute in erster Linie ins Auge fällt und diese
technische Errungenschaft in allgemeinen Misskredit gebracht hat, hinter sich lassen
und „einen Platz in der Familie der Halbzeuge“ 372 einrichten solle, der Planern und
Gestaltern den notwendigen Freiraum für einen konzeptintegrierbaren Gestaltungs-
ansatz liefern kann. In Verbindung mit einer pointierten Zusammenfassung der
Kulturgeschichte des Ornaments schreibt Auer:
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im klimabewussten Bauen 239
„Ob an Kulthöhle oder Eiffelturm, ob in malerischen oder skulpturalen Formen, keine Baukunst
der Welt hat je auf Dekoration verzichtet – selbst die puristische Moderne erfand den Waschbeton
und die Raufasertapete. Es wäre daran zu erinnern, dass die ornamentfeindlichen Manifeste des
20. Jahrhunderts sich gegen den massenhaft reproduzierten Verzierungskitsch der Industriewaren
richteten, nicht gegen jenes Dekor, das von jeher als würdige Bekleidung oder Auszeichnung seine
Träger nobilitierte (...) Warum sollte unser sonnenhungriges Silizium (...) nicht seine bescheidene
Techno-Herkunft aufgeben und in den Überbau des Dekors wechseln?“ 373
„Das Aktivhaus ist in der Stadt vernetzt. Es tauscht Energien mit seinen Nachbarn aus und
verbessert so seine Bilanz weiter.“ 376
Den in der Vergangenheit begangenen Fehlern mit der Integration von klimabe-
wussten Elementen, die „der Akzeptanz der erneuerbaren Energien geschadet haben,“ 377
hält HHS als Credo entgegen:
„Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn Aktivhäuser gut gestaltet sind, wenn Produkt-
design und Architektur der Nachhaltigkeit faszinieren, (...) denn nur ein von der städtischen
Gesellschaft und seinen Nutzern geliebtes Gebäude ist wirklich nachhaltig.“ 378
Einen eigenen großen Schritt in diese Richtung hat HHS mit dem zur Hamburger
IBA 2013 eröffneten Energiebunker in Wilhelmsburg unternommen (Abb. 354).
Dieser ist bis zum Rahmen der Bauausstellung völlig ungenutzt geblieben. Britische
Truppen hatten das Innere kontrolliert gesprengt, in dem während des Krieges über
10 000 Wilhelmsburger Schutz gefunden hatten. Die bis zu drei Meter dicken Aus-
senmauern hielten der Detonation aber stand. Der verwüstete Innenraum wurde als
einsturzgefährdet eingestuft, ein kostenintensiver Abbruch kam vor allem deswegen
nicht zustande, weil der Bunker für die Bürger Wilhelmsburgs ein Symbol des Über-
lebens mit starkem Identifikationswert geworden war. Um erneut Paul Virilio anzu-
führen, der viel über Bunker geforscht hat:
„In normalen Zeiten ein Anachronismus, scheint der Bunker in Friedenszeiten so etwas wie eine
Überlebensmaschine (...) zu sein. Er erzählt von anderen Elementen, von unglaublichem, atmo-
sphärischen Druck, von einer unbewohnbaren Welt, in der Wissenschaft und Technik die Mög-
lichkeiten einer endgültigen Auflösung entwickelt haben.“ 379
„Von einem Kriegsmahnmal wurde der Bunker zu einem Monument der Energiewende. Damit ist
er ein Symbol für den gesellschaftlichen Wandel hin zu Erneuerbaren Energien und verdeutlicht
deren friedenssichernde Bedeutung ganz konkret.“ 380
artigen Hybrid aus PV und einer vorgelagerten Schicht aus Kugellinsen mit opti-
schem Tracker zu installieren.383 Die Linsenschicht erübrigt das Nachführen der
Zelle und ist durch die Bündelungsfähigkeit in der Lage, aus diffusen Lichtsituatio-
nen den Ertrag zu steigern. Die Marktreife dieses Hybridelementes mit interessanter
optischer Doppeldeutigkeit steht noch aus. Das Konzept, mittels Siebdruck grafi-
sche Patterns nicht nur hinter die PV-Schicht, das heißt, innenseitig zu applizieren,
sondern eben auf den Zellen, bietet über ein erstmals von der UdK Berlin entwi-
ckeltes Patent die Möglichkeit, die Zellen nahezu unsichtbar zu halten (Abb. 358).
Für den Denkmalschutz ist es schon jetzt durchführbar, sogar gegen Weiß tendie-
rende Paneele herzustellen, selbstverständlich mit Einschränkungen im Wirkungs-
grad, die nur aus minimaler Ansichtsdistanz von Bestandsoberflächen wie Putzen
etc. zu unterscheiden sind. Kieran Timberlakes Patent Smart Wrap beschreibt hinge-
gen einen Verbundwerkstoff, der als klimabegrenzende Mittelschicht Polyester-
Folie benutzt, die außen mit aufgedruckten Dünnschichtmodulen operiert (Abb.
357), welche die innenseitig liegenden OLEDS aktivieren und so eine hochinstallier-
te Folienwand zur ganzheitlichen Raumbegrenzung ertüchtigen. Parallel arbeitet das
Büro Kennedy Violich im Softhouse, der Verbindung aus segelartigen Stoffen (Abb.
357) mit organischen Solarzellen als raumbegrenzende Vorhänge (vgl. S. 127). Beide
Patente sind in Verbindung mit entweder urbanen Entwurfswerkzeugen und Interven-
tionen, die im folgenden Kapitel in Übersicht gezeigt werden, kompatibel oder aber
wären denkbar als mobiler Reisebedarf in Wildnisgebieten, quasi als eine Art
Outdoor-Notwendigket.
Eine andere Richtung, sogenannte kugelförmige Solarzellen sind bereits Be-
standteil von im Handel erhältlichen Bausätzen für Bastler, die wie ein analoger
Fotofilm eine enorme Biegsamkeit an den Tag legen (Abb. 360). Die Tendenz zur
textilen Materialität, die vielleicht einmal sehr komplexe Bauformen bespannen
könnte, ist nah. Auch im solarthermischen Bereich wird daran gearbeitet, hybride
Elemente herzustellen; wie in absehbarer Zukunft das thermale Speichern in der
Fassade selber. Beispielhaft sei dabei die Arbeit des Institut Thermische Energie-
technik der Universität Kassel384 genannt, die an prismierten Glasoberflächen als
Deckschicht der Kollektorröhren arbeiten. Pilotprojekte wie die einschichtige Neu-
deckung von Dächern stehen noch aus, jedoch ist die Verringerung des Wirkungs-
grades bei nur 1% infolge der Prismierung äußerst gering. Die optische Wirkung
dieser Paneele changiert je nach Himmelsbild zu geschlossenen, flächigen Grafiken,
die mit herkömmlichen Modulmaßen nichts mehr gemein haben. Eine passive
Form der Solarthermie, die ähnlich den Lehm-Pueblos Amerikas funktioniert, ist
der Solarputz. In diesem sind kleinste Hohlkugeln aus Mikrokeramik vergossen,
deren Speicherfähigkeit sommerlichen wie winterlichen Wärmeschutz unterstützt,
ähnlich phasenwechselnden Materialien der thermischen Speicherung.
Die Potentiale dieser und weiterer Projekte sind hoch. Die Bündelung verschie-
dener Funktionen könnte diverse Mehrdeutige Elemente in spe hervorbringen, die stark
sein könnten, allein es fehlt bisher an zufriedenstellenden Ergebnissen in überregio-
nalem Maßstab. Genau dies kann und sollte aber der Anknüpfungspunkt sein, In-
novationen um jeden Preis zu integrieren, aber sie vor allem erfinderisch und kom-
petent zu kreiieren.
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im klimabewussten Bauen 243
„Das ist die Aufgabe alles Raumgestaltens: Räume zu öffnen, innerhalb welcher etwas hingestellt
wird, was vorher nicht vorgestellt werden konnte (...) Raum hat nicht mehr eine niedrige Kiste zu
sein, die auf dem Boden sitzt und durch welche die Zeit in Richtung Zukunft durchbläst. Eher hat
Raum eine Blase zu sein, die sich in die Zukunft ausdehnt (...) Eher hat Raum eine lebende
Haut zu sein, die Informationen aufnimmt, sie speichert, verarbeitet, um sie weiterzugeben (...)
Und jetzt, da wir den Raum von innen her, also topologisch, zu erleben und zu verstehen beginnen,
wird das Merkmal alles Räumlichen das Überschneiden, das Überdecken, das Ineinandergreifen
werden (...) Die künftige Raumgestaltung wird eine Vielzahl von ineinandergreifenden, sich im
Raum und in der Zeit verschiebenden grauen Zonen zu öffnen haben, innerhalb welcher Spezialis-
ten der einzelnen Sphären gemeinsam Informationen schaffen, speichern und verteilen werden.“ 386
Stattdessen rotten heute viele der besagten Orte vor sich hin, kosten Instandhaltung
und füttern ein Bild der Vernachlässigung, mit allen dazugehörigen Konnotationen.
Nichtsdestoweniger haben einige Projekte bereits vormachen können, wie mithilfe
von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr in diesem Aufgabenfeld operiert werden kann. Die
Idee der Mobilität und die damit verbundenen Möglichkeit der temporären Nut-
zung ist die Voraussetzung für unkomplizierte und schnelle Inbetriebnahme der
244 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
„Ein Bau ist in all seinen Funktionen rhizomorph: als Wohnung, Vorratslager, Rangiergelände,
Versteck oder Ruine.“ 387
3.2 Die Verwendung von Mehrdeutigkeit im klimabewussten Bauen 245
Vor allem jedoch ist die Stadt an sich rhizomorph und zwar nicht nur als Netzwerk-
Potential.
Soziotope und Praktiken im sozialen Raum wie public viewing, mourning, Dj-ing
oder public workshops und temporären Schauräumen sowie Bühnen sind die wichtigs-
te Funktion in Kombination mit Energie oder Vegetation (Abb. 375-378). Zuletzt
haben das Guggenheim Lab, das zwar berechtigterweise Kritik einstecken musste oder
die Schaustelle München von Jürgen Meyer H. gezeigt, wie viel Potential in urbanen
Räumen steckt (Abb. 365, 366). Im Zusammenhang mit der Vegetation wäre das
Urban Gardening/ Farming zu nennen, das bereits erfolgreiche soziale Praxeologien
fördert (Abb. 361, 362), vielleicht zu kombinieren mit zusätzlichen, mobilen Märk-
ten, anderen Soziotopen wie Sport/ Freizeit oder Mobilen Büchereien, Lesenestern (Abb.
372) etc.
Um ein extrem weites Feld in diesem Zusammenhang zumindest anzusprechen,
denn es ist von hoher sozial-räumlicher, d. h. architekturräumlicher Bedeutung: die
Idee der Aneignung und der Improvisation von Architektur.Von letzterer spricht
Alessandro Bertinetto, der speziell ein "autopoetisches Wachstum" 388 von Architektur-
räumen einfordert, das im Übrigen exakt den Ideen Urbaner Intervention entpräche
mit ihren (überlagerten) Aktualisierungen von Form und Funktion. Er schreibt:
„Erstens kann man sagen, dass die Umgestaltung von Funktionen von alten Gebäuden als ein
spezifischer improvisatorischer Zug von Architektur begriffen werden kann. Gebäude ändern ihre
Funktionen mit der Zeit. Sie werden an neue Situationen angepasst. Deswegen kann man sagen,
dass hier die Improvisation in der Phase des Gebäudegebrauchs im Spiel ist. Diese Art improvisa-
torischer Praxis wird nicht nur von Architekten geleistet, die alte Gebäude für neue Funktionen
renovieren, sondern auch von neuen potentiellen Benutzern, die alte Gebäude für neue, vorher
unvorhersehbare Funktionen re-aktualisieren.” 389
Pierre Bourdieu, der kritische Vater einer Begrifflichkeit der Aneigung von Räumen
gibt auf dem Weg zu bedenken (und so soll nicht bloß rezepthaft genickt werden):
„Kurzum, es ist der Habitus, der das Habitat macht, in dem Sinne, dass er bestimmte Präferen-
zen für einen mehr oder weniger adäquaten Gebrauch des Habitats ausbildet. In Frage zu stellen
ist damit auch der Glaube, dass die räumliche Annäherung oder, genauer, die Kohabitation von im
sozialen Raum fernstehenden Akteuren an sich schon soziale Annäherung oder, wen man will,
Desegegration bewirken könnte: Tatsächlich steht einem nichts ferner und ist nichts weniger tole-
rierbar als Menschen, die sozial fern stehen, aber mit denen man in räumlichen Kontakt kommt.
In Frage zu stellen sind aber auch jene Architekten, die in Unkenntnis der mentalen Strukturen
seiner mutmaßlichen Bewohner so tun, als wären sie von sich aus in der Lage, den sozialen Ge-
brauch der Gebäude und Einrichtungen durchzusetzen, in die sie ihre eigenen mentalen Strukturen
projizieren, das heißt, die sozialen Strukturen, deren Produkt diese sind.” 390
Urbane oder wie auch immer geartete Interventionen sind als Architektur nichts
wert, ohne die dazugehörige Toleranz von Habitus und schöpferischem Aneig-
nungswillen ihrer Benutzer. Die urbanen Räume jedoch liegen gewissermaßen auf
der Straße. Es gilt lediglich, sie auf eine Weise zu nutzen, die mehrere Probleme
246 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
zugleich anpackt: Indem sie mehrdeutig ist. Die Menge an Möglichkeiten dazu ist
unendlich. Über die bauliche Wiederkehr der Konzepte wird daraus Architektur mit
Seriosität und Identität. Dies ist die architektonische Voraussetzung für das kompe-
tente Gelingen von etwas, das sonst nur Utopie bleiben würde.xi
359 Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago Press.
Chicago 1984. S. 99, 18
360 ebd. S. 28
361 ebd. S. 92, 95, 111
362 ebd. S. 211
363 Dirk U. Hindrichs, Winfried Heusler. Fassaden. Gebäudehüllen für das 21. Jahrhundert. Birkhäuser.
Basel 2010. S. 32
364 Reyner Banham. The Architecture of the well-tempered Environment. University of Chicago Press.
Dietmar Hosser, Helmut Müller, Christoph Nolte, Dieter Schwarzkopf, Gerhard Sedlacek, Dieter
Thiel, Claudia Ziller. Doppelfassaden. Ernst und Sohn. Berlin 2001. S. 5
386 Vilém Flusser. Räume. In: Jörg Dünne, Stephan Günzel (Hg.) Raumtheorie. Suhrkamp. Frankfurt
Jörg H. Gleiter, Ludger Schwarte (Hg.) Architektur und Philosophie. Transcript. Bielefeld 2015.
S. 226
389 ebd. S. 225, 226
390 Pierre Bourdieu. Physischer, sozialer und angeeigneter Raum. In: Martin Wentz (Hg.) Stadt-Räume.
Wie in zwei Szenarien diskutiert, haben die beiden Entwurfswerkzeuge Wiederkehr und
Mehrdeutigkeit eine interessante Rolle in der Zukunft inne. Mit ihnen kann eine mög-
liche Morphogenese aus innovativen Techniken von neuartiger Architektur geschaf-
fen werden. Natürlich soll dies kein Patentrezept darstellen und immer ist auch die
Gefahr groß, anti-architektonische oder minderkompetente Gebäudemasse herzu-
stellen, gerade weil man sich auf mögliche Patente verlässt. Grundsätzlich scheinen
beide Entwurfswerkzeuge zwar keine omnipotente Heilsbringer in einer wie auch
immer gearteten Zukunft zu sein, doch muss man kein Prophet sein, um zu erken-
nen, dass ein blinder Konservativismus oder ökonomische Erpressbarkeit im Ent-
wurf an den realen Aufgaben eines Klima- und Demografie-Wandels vorbeigeht.
Daher sollten die beiden Entwurfswerkzeuge als mögliche Organisatoren einer künfti-
gen Architektur unbedingt beachtet werden.
Da sich beide Werkzeuge überschneiden und überlagern – wie an anderer Stelle
dargelegt, ist die Wiederkehr als Taktgeber des Entwurfskonzeptes oder Werkkon-
zeptes eine Art Mutter aller Entwurfserkzeuge, die bei jeder Entscheidung des Entwer-
fers im Spiel ist – entsteht bei der Verwendung von Mehrdeutigkeit immer auch die
Frage nach dem Maß ihrer Anwendung, das heißt, der Häufigkeit ihrer Wiederkehr.
War zu Zeiten des propagierten industriellen Bauens die identische Wiederkehr des
Objektes das ökonomische Ziel, wird sie im digital turn von der differentiellen Wie-
derkehr eines sogenannten genotypischen Objektils in einander ähnlichen Variatio-
nen absorbiert. Die Mehrdeutigkeit wiederum, deren Name sich von der bloßen Mul-
tifunktionalität eines Elementes oder Objektes abgrenzt, indem sie zusätzliche
Funktionsysteme wie Gestaltungsparameter oder poetische Züge als wichtige Ei-
genschaften mitaufnimmt, ist gekoppelt an die sich ständig verändernde Bandbreite
an Aufgaben des Bauens. Nicht nur grundstücksimmanente Problemlösungen son-
dern explizite baulich-technische Fragestellungen, die den gesamten Kulturdiskurs
mitbestimmen, wirken auf die Bildung zeitgemäßer Mehrdeutigkeit ein. Insbesondere
sind die klimatischen Veränderungen der Erde Bestandteil der reichhaltigen Aufga-
benstellungen des Bauens. Kombiniert mit demografischen Faktoren, die häufig in
der Betonung der sogenannten sozialen Flexibilität von baulichen Räumen ihre
architektonische Antwort finden, liegt in der offensiven Adaption der sich verän-
dernden Anforderungen mittels Mehrdeutiger Elemente ein großes entwerferisches
Potential. Der Architekt kann mit der Herausbildung von Sowohl-als-auch-Elementen
seinem eigenen Entwurf nicht nur besondere Individualität verleihen, die sich im
Zeitalter des Fetischs von Marken-Standardisierung wohltuend von der Gefahr der
Vereinheitlichung abhebt, er kann darüberhinaus jederzeit sowohl technische Inno-
248 3. Ausblick auf Hauptanwendungsgebiete von Mehrdeutigkeit und Wiederkehr
Diskurs (z. B. bei sämtlichen vom Verfasser geführten Interviews etc.) nicht ver-
standen oder als etwas eher Negatives aufgefasst. Das kann mit der Wortwahl zu
tun haben, die ja der rein funktionell orientierten Multifunktionalität einen zusätzli-
chen poetischen, gestalterisch überhöhenden Zug verleihen will. Im theoretischen
Diskurs jedoch konnte die Mehrdeutigkeit als konzeptuelles Ideengebilde, das schon
von Bernard Hoesli (vgl. S. 123 ff.) als Werkzeug bezeichnet worden ist, von den
Schriften Venturis, Rowe/ Slutzky/ Hoesli und Koolhaas abgeleitet werden. Prinzi-
piell von jeweils einem einzelnen Aspekt ausgehend, hatten diese Theoretiker die
Idee hinter der Mehrdeutigkeit bereits eingeführt. Neben der Absicht, ihre jeweiligen
Einzel-Aspekte zusammenzuführen, zu erweitern und umfassend zu definieren,
unternimmt vorliegende Betrachtung den Versuch, jene morphogenetische Aufga-
benbündelung als ein Mittel herauszustellen, dem Entwurf unverwechselbare Ele-
mente anzubieten und ihn dadurch signifikant zu ertüchtigen. Die Auswahlliste an
Beispielen dazu hätte länger ausfallen oder andere Vertreter gewählt werden kön-
nen. Die Erkenntnisabsicht liegt in der Annahme, dass mit jeder Bauaufgabe an
einem speziellen Ort auch eine oder mehrere spezielle Morphologien als Antwort
auf die orts-/ entwurfsspezifischen Anforderungen herausgebildet werden können.
So kann durch Mehrdeutigkeit, die über Bündelung besagter Aufgaben entsteht, der
Entwerfer katalysatorisch in die Kompetenz des Entwurfes eingreifen, indem er
einen unerwarteten Schritt hin zur Ausformulierung von morphologischer Origina-
lität geht. Über gelungene Mehrdeutigkeit können Formen erfunden werden, die noch
nicht auf diese Art gesehen worden sind und die verdichtende Identität verleihen. In
fünfzehn Einzelkategorien (von Statik und Raumbildung über Medien oder
Raumhaltigkeit) sind verschiedene Entwürfe und Konzepte diskutiert worden, bei
denen, analog zur phänomenologischen Betrachtung der Wiederkehr, die Schlussfol-
gerung gezogen werden kann, dass Ursache und Wirkung der Mehrdeutigkeit
entwurflich gleichzusetzten wären. Dass also, selbst bei einer aktiven Negation von
befragten Architekten, die weder von Mehrdeutigkeit gehört haben, noch sie in ir-
gendeiner Form mit ihrer Architektur in Verbindung bringen wollen, das Faktum
der Aufgabenbündelung inklusive dazugehöriger Sonderform vorhanden ist und
diese reziprok in ein aktives Entwurfswerkzeug transformiert werden kann. Um mit
Rowe/ Slutzky/ Hoesli zu sprechen, deren Transparenz eine rein geometrische Vari-
ante der Mehrdeutigkeit darstellt, ertüchtigt die Verwendung eines solchen Instrumen-
tarium den Entwurf um viele Lesarten. Auch wenn das nur intuitiv geschieht, oder
völlig unbewusst, kann dies kein Ausschlusskriterium darstellen, dieses Entwurfs-
werkzeug nicht in einen bewussten, systematischen Entwurfsprozess zu inkludieren.
Nicht unbedingt als per se notwendiges Werkzeug, aber als eines mit hohem Poten-
tial zur Bildung morphogenetischer Originalität.
Der ausblickende dritte Teil hat nach den Anwendungen der Zukunft für beide
Werkzeuge gefragt. Für die Wiederkehr, die ihren omnipräsenten Status so lange
verteidigen wird, bis sich die Wahrnehmung des Menschen an sich ändern sollte,
wird es auch nach dem digital turn keine signifikanten Transformationen geben. Sie
ordnet und strukturiert jegliche digitale Architektur auf dieselbe Wirkungsweise, wie
sie vorher jegliche analoge Architektur durchzogen hat. Die Formen künftiger
Mehrdeutigkeit hingegen sind aufgrund ihres sich ständig verändernden integrativen
252 4. Zusammenfassung der Arbeit
Addendum
Exkurs Serialität und Modularität
Um nicht unerwähnt zu bleiben, folgen an dieser Stelle einige der Wiederkehr ver-
wandte Begriffserklärungen, nicht zuletzt auch deshalb, um häufig auftrtende Miss-
verständnisse auszuräumen.
Der Begriff der Serialität war lange das Zugpferd der Arbeit. Wie aus den im
Zuge der Arbeit erfassten Erhebungsbögen und Interviews, stieß genau dieser Be-
griff aber auf berechtigten Widerstand. Das Wort existiert an sich nicht. Es ist eine
Neuschöpfung, die versucht, das Serielle einer Elementmenge als Eigenschaft zu
beschreiben. Seriell wiederum bedeutet identisch. Im Zeitalter des industriellen
Bauens ist die identische Serie das angestrebte Ideal einer ökonomischen Produkti-
on gewesen. Die daraus abgeleitete Serialität, deren Übersetzungen seriality, sérialité,
serialità sämtlich unverständlich waren, wäre allerdings nur ein bestimmter Aus-
schnitt des in dieser Arbeit entwickelten Begriffes der Wiederkehr gewesen, eben der
angesprochene Fall der Wiederkehr von identischen Bauteilen (Standardisierung).
Wiederkehr jedoch umfasst, wie umfassend zuvor dargelegt, sowohl die Ähnlichkeit
als auch die Variation von Elementen.
Zum Feld der Standardisierung gehört die Modularität, sich auf den Terminus
Modul stützend. Interessant ist, dass sowohl im herkömmlichen als auch im fach-
spezifischen Sprachgebrauch der Begriff Modul unterschiedliche Verwendung findet,
je nach Genus. Von seiner ursprünglichen lateinischen Übersetzung her (modus=
Maß/ Maßstab, modulus= kleines Maß) hat sich der Gebrauch von Modul innerhalb
von Bereichen wie Mathematik, Medizin, Kognitionswissenschaften, Kybernetik
und nicht zuletzt Architektur verbreitet und spezifiziert, wobei speziell in der Archi-
tektur ab den 60er Jahren beide Modulbegriffe nebeneinander existieren. Die Defi-
nition von Modul aus der Mathematik lautet wie folgt:
„Ein/ Der Modul (...) ist eine algebraische Struktur, die eine Verallgemeinerung eines Vektor-
raums darstellt.” 391 „Zu den wichtigsten algebraischen Konstrukten gehören, neben den Klassikern
wie Gruppe, Ring, Körper und Vektorraum, auch und insbesondere die Moduln. Die Theorie der
Moduln hat sich als Erweiterung der Ringtheorie aus der Darstellungstheorie von Gruppen, Rin-
gen und Algebren entwickelt.“ 392
„Der Kompressionsmodul ist eine intensive und stoffeigene physikalische Größe aus der Elastizi-
tätslehre. Er beschreibt, welche allseitige Druckänderung nötig ist, um eine bestimmte Volumenän-
derung hervorzurufen.“ 393
254 Addendum
„Der Elastizitätsmodul ist ein Materialkennwert aus der Werkstofftechnik, der den Zusammen-
hang zwischen Spannung und Dehnung bei der Verformung eines festen Körpers bei linear elasti-
schem Verhalten beschreibt.“ 394
„Der Schubmodul ist eine Materialkonstante, die Auskunft über die lineare elastische Verfor-
mung eines Bauteils infolge einer Scherkraft oder Schubspannung gibt.“ 395
“Modul= ein festgesetztes Grundmaß, mit dem durch Berechnungen die Gliederung das ganzen
Kunstwerks durchgeführt wird. In der antiken Architekturtheorie (Vitruv, de architectura libri
decem, um 33-22 v.Chr.) war der Modul zumeist der untere Säulendurchmesser, durch den als
Vielfaches u. a. die Säulenhöhe, das Interkolumnium und die Gesamtabmessungen der Gebäude
ausgedrückt werden konnten. Die Maße von Details (z. B. Faszien, Kapitellen und Basen der
Säulen) wurden in Bruchteilen des Gesamtmaßes angegeben. Durch eine konsequente Proportionie-
rung der Bauten mittels Modulsystem erreichten die griechischen und römischen Architekten die
geforderte Symmetrie und Harmonie. Obwohl im Mittelalter andere bedeutende Konstruktionswei-
sen entwickelt wurden (Quadratur, Triangulatur), konnte sich die modulare Ordnung weiterhin
behaupten. Erst in der Renaissance wurde die antike Modullehre wieder in vollem Umfang rezi-
piert, wie das sogenannte Trinitätsfresko (1429) von Masaccio und die nach Plänen Filippo
Brunelleschis 1434 begonnene Kirche S. Spirito in Florenz zeigen. Die Einführung des metrischen
Systems und neue Kunstformen trugen zur Auflösung der traditionellen Konstruktionsprinzipien
bei. Auf dem Gebiet der modernen Architektur wird seit längerem versucht, modulare Koordinati-
onen durch Normierung zu erreichen.” 396
Nach Vitruv und dessen Kommentatoren Alberti, Filarete, Vignola und Palladio in
der Renaissance ist Jean-Louis Durand mit der systematischen Einführung des
modularen Rasters in den Entwurf verbunden. An der École Polytechnique, die von
ihm lange Zeit geleitet wurde, musste der Entwerfer maßliche Proportionen mittels
eines modularen Rasters erlernen. Robin Evans spricht in diesem Zusammenhang
von der Mathematik als „Waffe geistig-militärischen Fortschritts.“ 397
Wie Antoine Picon nachweist, muss Durand durch seine theoretischen Schriften
als einer der geistigen Wegbereiter der Industrialisierung gelten:
“For Durand, utility as applied to architecture finds expression in two ways: in making buildings
suitable for their intended use and in minimizing the physical or financial support required for their
completion. Convenance and Economy. (...) Economy as defined by the précis relates to the princi-
ples of regularity, symmetry and simplicity: the more symmetrical, regular and simple a building is,
Durand declares, the less costly it becomes. He argues the economy of materials permitted by ele-
mentary forms and volumes, such as the square and above all the circle, which make it possible to
Addendum 255
minimize the ratio between perimeter and enclosed area. (...) His formal systematization of plans,
elevations and sections effectively transformed architectural design into a selective modular typology
in which symmetry and simple geometrical forms prevailed.” 398
“Ein Modul oder Feld bezieht sich auf einen von mehreren Blöcken, die das Gerüst eines Rasters
formen, in dem ein Entwurf gestaltet wird.” 399
Diese Aussage kommt der architektonischen Verwendung nahe: das Raster als
Wahrnehmungs- und Organisationsmittel, das als Hilfs- oder maßliche Meta-Ebene
aber unsichtbar bleibt.
Mit dem Denken der Moderne hat sich der Normierungswille in der Gesell-
schaft durchgesetzt. Durands Tafelwerk Précis wurde u. a. vom Neufert abgelöst.
Spätestens mit Gründung des Deutschen Instituts für Normung, der DIN, um 1917
begann die systematische Erfassung von Produktmaßen und -vorschriften. Man
kann die DIN durchaus als Pionier des Bauwesens bewerten. Mit als erste versuchte
sie eine allgemein gültige Modulordnung im Bauwesen zu erstreben. Im Fassadenat-
las definiert Roland Krippner diese als
„eine sogenannte Grammatik auf den bautechnischen Gesamtzusammenhang mithilfe des Maß-
schlüssels des Moduls. (...) [Mit folgender Zielsetzung] geometrische und maßliche Gesamtkoordi-
nation des Bauwerkes/ Austauschbarkeit der Produkte/ Beschränkung der Produktevielfalt/
Vorfertigung, kontrollierte und stimmige Montage auf der Baustelle“ 400
Die bedeutendste Norm zu diesem Komplex ist die DIN 18 000 Modulordnung im
Bauwesen. Daraus die wichtigsten Begriffe:
„Modulordnung: eine Übereinkunft über abgestimmte Größen für Koordinationsmaße von Bau-
werken und Bauteilen auf Basis des Grundmoduls M (M:100mm) und Regeln für ihre Anwen-
dung. Bezugssystem: System von Punkten, Geraden und Ebenen, auf welches die Größen und die
Lage von Bauwerken und Bauteilen bezogen werden. Modularer Raumraster: Dreidimensionales,
rechtwinkliges Koordinaten-Bezugssystem, in welchem der Abstand aufeinander folgender Ebenen
dem Grundmodul, einem Multimodul oder einem ganzzahligen Vielfachen eines Multimoduls
entspricht. Der Abstand kann für jede der drei Dimensionen des Rasters verschieden sein. Modu-
larer Flächenraster: Zweidimensionales, rechtwinkliges Koordinaten-Bezugssystem, in welchem der
Abstand aufeinander folgender Geraden dem Grundmodul, einem Multimodul oder einem ganz-
zahligen Vielfachen eines Multimoduls entspricht. Der Abstand kann für jede der beiden Dimen-
sionen des Rasters verschieden sein. Modul: Größeneinheit, die als Maßsprung in Maßordnungen
angewendet wird. Grundmodul (M): Grundeinheit der Modulordnung. Multimodul: Genormtes
ganzes Vielfaches des Grundmoduls. Es sollen vorwiegend die Vorzugsmaße Verwendung finden,
die sich als ganzzahlige Vielfache des größtmöglichen Multimodules ergeben.“ 401
“Modullehre= lateinisch modulatio. Die Modullehre gibt vor, über Gebäudegrundrisse quadrati-
sche Raster zu legen (auch über Fassaden), bei denen der Abstand zwischen den Linien ebenfalls
als Modul bezeichnet wird.” 402
Diese Definition liest sich zurecht wie die Handhabung von Modul aus dem Grafik-
Design und deckt sich zugleich mit den in der Renaissance entwickelten Perspektiv-
Rastern, die als Hilfsmittel für Freihandzeichner und Maler dienten, um in rück-
schließender Weise Proportionen erfassen zu können. Trotz der augenscheinlichen
Perfektion der Antike für Proportion und Maße ist mehr als evident, dass einige
Verallgemeinerungen über sie sich im Bereich des Spekulativen bewegen. Aufgrund
der schwierigen Quellensituation ist es vielfach nicht belegbar, welche Maßsysteme
tatsächlich bewusst angewandt worden sind. Das gilt für Griechische Tempel wie
für das romantisch glorifizierte Zeitalter der Gotik. Bedeutende Forschungen zu
diesem Thema hat Konrad Hecht vorgelegt, der unter anderem nachgewiesen hat,
dass die sogenannte Triangulatur, ein Maßsystem anderen Ursprungs als Vitruvs
Modulordnung, in der Gotik nahezu zweifelsfrei überhaupt nicht zur Anwendung
gekommen sei.403 Sondern dass vielmehr intuitive Entscheidungen der Baumeister
verantwortlich für die Proportionierung der Gebäude gewesen wären. Dazu gehört
auch die Negation des Mythos, es existiere ein parametrisches System, dass es den
Baumeistern möglich gemacht haben soll, von jedem Stein auf die Größe der übri-
gen Bestandteile zu schließen:
„Die Bildquellen zeigen keine Proportionsfiguren. Sie zeigen das Abschnüren von Fluchten (...)
Die italienischen Quellen hatten keine historische Grundlage gegeben. Mit den deutschen und mit
den französischen Quellen steht es nicht anders.“ 404
Als italienische Quelle gilt u. a. auch die angesprochene Rezeption Vitruvs, die erst
mit der Wiederentdeckung seiner Schrift in der St. Galler Bibliothek, nachträglich
mit interpretierenden Illustrationen versehen wurde. Vitruv selbst definiert Modul in
seinem Werk nicht. Das ist nicht verwunderlich, denn für ihn existiert Modul nicht
als Lehnwort, sondern lediglich in Übersetzung als „das Maß“.
Aus der Analyse von Joseph Paxtons Kristallpalast entwickelte Konrad
Wachsmann 1959 eine eigene Definition von Der Modul, aus der sich bereits der
Grundstock der Modulordnung der DIN ableiten lässt:
“Der Modul ist die abstrakte Grundeinheit eines Messwertes, der durch Multiplikation, Subtrak-
tion oder Division das geometrische System einer gedachten modularen Ordnung zahlenmäßig
bestimmt.” 405
Damit bringt Wachsmann das zuvor Angeführte über Der Modul auf den Punkt. Er
definiert außerdem Modulkategorien zur Bildung eines für das gesamte Bauwerk
maßgebenden Universalmodul:
Addendum 257
„Ein Modul ist bei Bachelor- und Master-Studiengängen an Hochschulen eine Lehreinheit, die
aus mehreren Lehrveranstaltungen zu einem gemeinsamen Teilgebiet eines Studienfachs besteht“ 407
„Mit Modul bezeichnet man eine funktionale Einheit, unabhängig von der neuronalen Organisati-
on. Im menschlichen Gehirn gibt es u. a. Module für Sprache, für mathematisches Denken, für
psychologisches Einfühlungsvermögen.“ 408
Der Vergleich zwischen Gehirn und Konzept führt nahe an die architektonische
Bedeutung:
„Multiple Module (Multimind) ist ein Konzept des menschlichen Geistes, das dessen scheinbar
monolithische Struktur einer Revision unterzieht. Stattdessen wird der Geist als Ansammlung
teilweise selbständiger Module aufgefasst. (...) sogenannten multiplen Modulen, von denen jedes in
einem bestimmten Wissens- und Handlungsbereich arbeitet (...) oder analysiert.“ 409
In der Biologie ist Modularität die Voraussetzung für das Konzept der Resilienz, der
Fähigkeit, Störungen zu tolerieren, ohne dass das System zusammenbricht. Die
Unabhängigkeit der funktionalen Einheiten (Module) von einander ist Bedingung:
„In ecology, modularity is considered a key factor – along with diversity and feedback – in support-
ing resilience (...) In biology, modularity refers to the concept that organisms or metabolic pathways
are composed of modules. (...) In nature, modularity refers to the construction of a cellular organism
258 Addendum
by joining together standardized units to form larger compositions, f.e. the hexagonal cells in a
honeycomb.“ 410
„Ein Modul ist eine abgeschlossene funktionale Einheit einer Software (...) Inhalt eines Moduls ist
häufig eine wiederkehrende Berechnung oder Bearbeitung von Daten, die mehrfach durchgeführt
werden muss. (...) Die Schnittstelle eines Moduls definiert die Datenelemente, die als Eingabe und
Ergebnis der Verarbeitung durch das Modul benötigt werden.“ 411
Aufschlussreich ist, dass Programmierer tatsächlich auch von Vitruvs Traktat Ge-
brauch machen. Nachzulesen u. a. in dem Text Im Zweifel das Bewährte - Quergedanken
über Datenbanken von Bernhard Eversberg, bei dem das Byte dem modulus gleichge-
setzt wird.412
Der Medientheoretiker Lev Manovich ergründet in The Language of New Media
die Prinzipien der sogenannten New Media:
„I. What is New Media? Principles of New Media: 1. Numerical Representation/ 2. Modulari-
ty/ 3. Automation/ 4. Variability/ 5. Transcoding. What New Media is Not: Cinema as New
Media/ The Myth of the Digital/ The Myth of Interactivity.“ 413
Abgeleitet von Das Modul wird erneut der Begriff Modularität wie folgt erschlossen:
„Modularität ist die Aufteilung eines Ganzen in Teile, die als Module, Bauelemente oder Bau-
steine bezeichnet werden. Bei einem modularisierten Aufbau werden Gesamtsysteme aus standardi-
sierten Einzelbauteilen zusammengesetzt. Die gegenteilige Bauweise nennt man monolithisch. (...)
Einzelne Komponenten lassen sich unterschiedlich zu einem Ganzen kombinieren, wenn sie wie
Spielbausteine ausgeführt sind (...) das Gegenteil wäre einem Puzzle vergleichbar, bei dem jede
Komponente nur genau einen möglichen Platz hat, und das System nur als ein ganzer Block
(monolithisch) funktioniert. (...) Durch die Modularität von komplexen Systemen lässt sich deren
Verständlichkeit für den Menschen erhöhen. (...) Mögliche Vorteile sind: Billige Herstellung durch
baugleiche Serien/ Niedrige Entwicklungskosten und schnellere Produktzyklen/ Einfache Mon-
tageprozesse und Reparatur. Darüber hinaus bieten modulare Systeme dann eine erhöhte Flexibili-
tät (Anpassungsfähigkeit], wenn verschiedene kompatible Module zur Verfügung stehen, die
angebracht, entfernt, gewechselt oder anders gruppiert werden können, um das System an neue
Bedingungen anzupassen. Ein monolithisches System hingegen kann solche Anpassungen nur in
Form einer Strukturumwandlung bewerkstelligen, wenn die Parametrisierung seiner Funktionen
nicht eine passende Einstellung erlaubt.“ 414
heit innerhalb des Ganzen, komplex zu fassen, über das mono-materielle hinaus.
Zur Verwendung von Modul äußert er:
„Es existiert keine allgemeine Definition zu Das Modul. Jeder benutzt Modul auf seine eigene
Weise. Niemand kann Anspruch auf eine universelle Gültigkeit der Definition erheben.“ 415
391 wikipedia.org/wiki/Modul_(Mathematik). Letzter Abruf: 20.06.2014
392 Einführung in die Modultheorie. Alexander Hölzle. 2007 Mathematik-Netz.de. S. 2
393 wikipedia.org/wiki/Kompressionsmodul. Letzter Abruf: 20.06.2014
394 wikipedia.org/wiki/Elastizitätsmodul. Letzter Abruf: 20.06.2014
395 wikipedia.org/wiki/Schubmodul. Letzter Abruf: 20.06.2014
396 Wolf Stadler (Hg.) Lexikon der Kunst. Malerei Architektur Bildhauerkunst. Karl Müller.
403 vgl. Konrad Hecht. Maß und Zahl der gotischen Baukunst. Olms. Hildesheim 1997. S. 469 ff.
404 ebd. S. 223
405 Konrad Wachsmann. Wendepunkt im Bauen. DVA. Stuttgart 1971. S. 54
406 ebd. S. 55
407 http://de.wikipedia.org/wiki/Modul_(Hochschule). Letzter Abruf: 20.06.2014
408 http://de.wikipedia.org/wiki/Modul_(Kognitionswissenschaften). Letzter Abruf: 20.06.2014
409 Robert Ornstein. Multimind. Junfermann. Paderborn 1989. S. 88
410 http://en.wikipedia.org/wiki/Modularity. Letzter Abruf: 20.06.2014
411 http://de.wikipedia.org/wiki/Modul_(Software). Letzter Abruf: 20.06.2014
412 Bernhard Eversberg. Im Zweifel das Bewährte - Quergedanken über Datenbanken. Auf: http://www-
5. Abbildungen
Abb. 01-06 Castel del Monte, Bürgervillen in Francavilla Fontana, Geschlechtertürme in Bologna, Honkongs
Siedlungsstruktur, Thailändische Tempel in Chiang Mai, Synagoge Toledo.
Abb. 07-12 Doppeltürme des Dom in Brno, Siedlung Carl Legien, ein Teil der Berliner Moderne, Wohnungs-
bauten in Kopenhagen, Puerta del Sol in Madrid, Glyptothek München.
5. Abbildungen 263
Abb. 19-24 Sommerhaus Alvar Aalto Muuratsalo 1953 Finnland, Klangraum Peter Zumthor Hannover 2000
Deutschland. Jede einzelne Bohle hat ihren Platz und bildet durch ihre Wiederkehr seriösen Raum. Trulli
Apulien ab 1700 Italien, Schilf-Behausungen Titicaca-See Peru.
5. Abbildungen 265
Abb. 25-30 Iglesia de Cristo Obrero Eladio Dieste Atlantida 1958 Uruguay, Hyperboloide Vladimir Shukhov
Oka 1929 Russland, Fábrica da Pompéia Lina Bo Bardi São Paulo 1986 Brasilien, Haus Walpen Gion
Caminada Blatten 2004 Schweiz, 100 11th Avenue Jean Nouvel New York 2008 USA.
266 5. Abbildungen
Abb. 31-36 La Tourette Le Corbusier Éveux 1960 Frankreich. Außen- und Hoffassade mit den wiederkeh-
renden Fenstergruppen und der Taktungsstudie der Notation von Xenakis. WoZoCo MVRDV Amsterdam
1997 Niederlande. Zwei Fassaden durch konsequente Wiederkehr/ Varianz weniger Spielteilnehmer, die
sich auf das Kohärenzempfinden des Betrachters infolge ihrer Ähnlichkeit verlassen können. La Rotonda
Andrea Palladio Vicenza 16. Jhd. Italien. Wiederkehr von Portikus und Gesamtfassade.
5. Abbildungen 267
Abb. 37-42 Glaswände Maison de Verres Pierre Chareau Paris 1932 Frankreich, Austritt Bauhaus-Gebäude
Walter Gropius Dessau 1926 Deutschland, Passerelle Zeche Zollverein Schupp Kremmer u.a. Essen 1932
Deutschland, Treppe Vanke Center Steven Holl Shenzhen 2009 China.
268 5. Abbildungen
Abb. 43-48 Rucksackhaus Stefan Eberstadt 2006 Deutschland. Re-Kolonisierung durch Wiederkehr. Reales
Objekt und Montage. Tomihiro Art Museum Makoto Yokimizu Azuma 2005 Japan, der zylindrische Aus-
gangs-Raum als Strukturgenerator mit Raumübergängen und Zwickelhöfen. Durch Wiederkehr kohärent,
und intelligenter Nutzung der Zwickel ein kompetentes Ganzes. Hawa Mahal Palast der Winde Sawai
Pratap Singh Jaipur 1799 Indien.
5. Abbildungen 269
Abb. 49-54 Glaswände Wallfahrtsdom Gottfried Böhm Neviges 1972 Deutschland, Nakagin Capsule Tower
Kisho Kurokawa Tokyo 1972 Japan, Central Beheer Herman Hertzberger Appeldoorn 1972 Niederlande,
Micro Compact Homes Horden Cherry Lee u. Hack Höpfner München 2005 Deutschland, Kimbell Art
Museum Louis Kahn Fort Worth 1972 USA.
270 5. Abbildungen
Abb. 55-60 Lighthouse DAAD Groningen 2005 Niederlande, Objekt und fotomontierter wiederkehrender
Einsatz als Aufstockung. Eine Stadtkrone, gebildet als Raum- und Gebäudesequenz. Mountain Dwelling
BIG Kopenhagen 2008 Dänemark, alle Seiten des thematisieren comic-artig das Wohnen am Berg. Die
Raumkomplexe stapeln sich als Sequenz und bilden über ihre Wiederkehr ihre eigene Topografie aus
5. Abbildungen 271
Abb. 61-66 Sea Ranch Charles Moore u. Donlyn Lyndon u. William Turnbull u. Richard Whitaker
Sonoma County 1965 USA, Habitat Moshe Safdie Montréal 1967 Kanada, Ministerium für Straßenbau
George Tchachava Tiflis 1975 Georgien, Metastadt Richard Dietrich Wulfen 1972 Deutschland, Con
House 2+ Jure Kotnik Trebnje 2008 Slowenien, Tietgenkollegiet Lundgaard Tranberg Kopenhagen 2006
Dänemark.
272 5. Abbildungen
Abb. 67-72 Edifício Copán Oscar Niemeyer u.a. São Paulo 1966 Brasilien. Trotz seiner Größe differenziert
das dynamische Copán seine wiederkehrenden Details bis in den Wohnungsmaßstab hinein, inklusive
Toleranz der partizipatorischen Initiativen. Simmons Hall Steven Holl Cambridge 2002 USA. Die Überla-
gerung eines Systems mit einem anderen System. Wiederkehr als strenge, identische Wiederholung gegen
Freiformen.
5. Abbildungen 273
Abb. 73-78 Royal Crescent und Cavendish John Pinch the Elder u. John Wood the Younger Bath 1774
England, Corviale Mario Fiorentino Rom 1982 Italien, Il Biscione Forte Quezzi Luigi Darneri Genua 1956
Italien, Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße Georg Heinrichs u.a. Berlin 1980 Deutschland.
274 5. Abbildungen
Abb. 79-84 International Commerce Center Kohn Pedersen Fox Hongkong 2010 China, Petronas Towers
Cesar Pelli Kuala Lumpur 1999 Malaysia, Lakeside Housing Neutelings Riedijk Huizen 2003 Niederlande.
Die Reihung verleiht dem Konzept der Sphingen ihre notwendige Dramatik. Polder-Villen Groosman
Partners Leiderdorp 2005 Niederlande. Zwei durch Wiederkehr erzeugte Gruppen in Aufstellung. Je nach
Sicht erzielen sie hohe oder niedrige Dichte. Die Landschaft des Bauortes wird mit ihren Zeichen im
Gebäude repräsentiert und verdichtet.
5. Abbildungen 275
Abb. 85-90 Arkadenhäuser Telÿ 17. Jhd. Tschechien, Die Große Mauer bei Peking ab 7. Jh. v. Chr. China,
Reihenhäuser ~19. Jhd. Monte Sant‘Angelo Italien, Sukharev Markt Konstantin Melnikov Moskau 1925
Russland, Siedlung Halen Atelier 5 Bern 1961 Schweiz,
276 5. Abbildungen
Abb. 91-96 Siedlung Fredensborg Jörn Utzon Fredensborg 1963 Dänemark. Tokyo Bay Project Kenzo Tange
Tokyo 1960 Japan, Differenzierung der Reihen. Tan Long Park MVRDV Luizhou 2004 China, eine
städtebauliche Idee wiederkehrend an mehreren Orten. Der verletzte Berg wird mit Gebäudestrukturen
bedeckt und vor Erosion geschützt. Daneben das Hongkong-Prinzip: Extreme Dichte und abrupte Grenze
zur (fast) unberührten Natur.
5. Abbildungen 277
Abb. 97-102 Timgad Lucius Munatius Gallus 100 n. Ch. Algerien, Paris Georges Haussmann 18. Jhd.
Frankreich, Eixample Ildefons Cerdá Barcelona ab 1859 Spanien, Rokko Housing I-III Tadao Ando Osaka
1983 1993 1999 Japan, Garden City Ebenezer Howard Letchworth 1903 England.
278 5. Abbildungen
Abb. 103-108 Borneo Sporenburg West 8 Amsterdam 1996 Niederlande, Römische Aquädukte an entgegen-
gesetzten Punkten des Reiches wiederkehrend: Rom und Segovia. Säulenordnungen I-II, die später in Teilen an
beinahe jedem Ort der Welt zu finden sind (Sebastiano Serlio und Antonio Filarete).
5. Abbildungen 279
Abb. 109-114 Säulenordnungen III-IV (Giacamo da Vignola und Andrea Palladio), Gebäude des 19. Jh. mit
klassizistischem, also römischem, Hintergrund in Buenos Aires, Prag, Singapur und Hanoi.
280 5. Abbildungen
Abb. 115-120 Weitere klassizistische Gebäude des 19. Jh. in Vancouver, Istanbul, Tunis, und Macao.
Kulturübergreifende Wiederkehr: Buddhistische Baukultur in Thailand und Laos: Luang Prabang-Ayutthaya.
5. Abbildungen 281
Abb. 121-126 Hinduistische Baukultur in Indien: Madurai-Mysore, Islamische Baukultur in Türkei und Tune-
sien: Istanbul-Kairouan, Maya-Baukultur in Mexiko und Guatemala: Teotihuacán-Tikal.
282 5. Abbildungen
Abb. 127-132 Kulturübergreifende Wiederkehr: Griechische Baukultur in Griechenland und Italien: Athen-
Paestum, Chinesische Baukultur in Vietnam und China: Hanoi-Hongkong, Cham-Khmer Baukultur in Kam-
bodscha und Vietnam: Angkor Wat-My Son
5. Abbildungen 283
Abb. 133-138 Ägyptische Baukultur in Ägypten und Sudan: Chons-Al Musawwarat As-Sufra, Waldorfschule
Trier, das Goetheanum in Dornach als Isnkunabel und zwei weitere konzeptuelle Wiederkehren der Anthropo-
sophischen Baukultur: Die Waldorfschool Manila, Philippinen, und der Kibbuz Harduf, Israel.
284 5. Abbildungen
Abb. 139-144 Le Corbusier: Kombination von wiederkehrendem Konzept und den Bedingungen des
Grundstücks bei dem Doppelhaus Weißenhof, der Villa Savoie, desr Villa Shodhan, der Villa Curutchet sowie
der späten Kirche St. Pierre in Firminy. Letztere steht Pate für die fortschreitend skulptural werdende
Handschrift Le Corbusiers, die trotzdem ihre Herkunft nie verschleiert. Ein städtebauliches Wege-Pattern
von Christopher Alexander.
5. Abbildungen 285
Abb. 145-150 Yona Friedman: Zwei Collagen der Ville Spatiale, Paris, von 1959, mit ihrer wiederkehrenden
Mega-Struktur. Fritz Hallers wiederkehrendes Konzept des Rasters in vier Maßstäben. Im Uhrzeigersinn:
USM Möblierung, MINI Haus Schärer Münsingen 1969, MIDI Schulungszentrum Löwenberg 1982, MAXI
USM Betriebsanlage Bühl 1987.
286 5. Abbildungen
Abb. 151-156 Aldo Rossis wiederkehrende Fragmente: Filaretes Säule in Venedig. Dasselbe Säulenmotiv in
der Kochstraße und darunter ein Ausschnitt des Palazzo Farnese in der Schützenstraße, beides in Berlin. Rem
Koolhaas' wiederkehrende Passagen und Labyrinthe in der Niederländischen Botschaft Berlin, dem CCTV
Peking, und der Casa da Música in Porto.
5. Abbildungen 287
Abb. 157-162 Rem Koolhaas' wiederkehrende Passagen und Labyrinthe in der Kunsthal Rotterdam und dem
Utrechter Audimax. Haus für Musiker in Hombroich, San Vitale in Ravenna, Umlauftank 2 in Berlin, Pulver-
turm in Prag.
288 5. Abbildungen
Abb. 163-168 Residenz in Würzburg, Chilehaus in Hamburg, Wohnungsbau Spitzbein in Berlin, Haus Hohenhof
in Hagen, Wohnhaus Spitzbein in Berlin. Patchworkhaus Pfeifer Roser Kuhn, Doppelhaus mit gemeinsa-
mem, mehrdeutigem Atrium als Wärme-Speicher und Forum.
5. Abbildungen 289
Abb. 169-174 Treppen-Atrium im Patchworkhaus. Solar Tree Ross Lovegrove Gleisdorf 2007 Österreich,
Quai de Valmy Saadi Rey Paris 2011 Frankreich, das urbane Artefakt im denkmalgeschützten Kontext.
Energiekonzept und Fassade überlagern sich zu einer mehrdeutigen Aussage. Fortbildungsakademie Mont Cenis
Jourda-Perraudin u. HHS Herne 1999 Deutschland, Solar Pavillon Ortner Ortner Potsdam 2012 Deutsch-
land.
290 5. Abbildungen
Abb. 175-180 Softhouse Kennedy Violich u. 360 grad+ Hamburg 2013 Deutschland, BIQ Splitterwerk
Hamburg 2013, Deutschland. Hypokausten in Arles und Tubuli – Wandheizungen – in Ostia Antica,
Wand und Boden sind mehr, als sie scheinen.
5. Abbildungen 291
Abb. 181-186 Salk Institute Louis Kahn San Diego 1965 USA. Im Schnitt die mehrdeutigen, stützenfreien
Laborgeschosse als geschosshohen Träger gebündelt, im Wechsel mit den bedienten Geschossen. Duomo
Filippo Brunelleschi Florenz 1436 Italien, Überdeckte Straßen Anonym Amalfi ca. 16.Jh. Italien
292 5. Abbildungen
Abb. 187-192 Lovell Beach House Rudolf Schindler Newport Beach 1926 USA, Kaispeicher B Hanssen-
Meerwein Hamburg 1879 Deutschland, Taipei 101 C. Y. Lee Taipei 2004 Taiwan. Centre Pompidou Rogers
Piano Paris 1977 Frankreich, Gebäudetechnik als mehrdeutige Konfrontation und zentrales Element der
Morphologie.
5. Abbildungen 293
Abb. 193-198 Design School Zeche Zollverein SANAA Essen 2006 Deutschland, pointillistischer Effekt der
Fassade. Die extrem dünnen Wände sind mehrdeutige Technikkompositionen, Windtürme des Ab Anbar-
Systems Naeen Iran, Filterfassaden Burgos Spanien. Eden Project Nicholas Grimshaw St. Austell 2001
England. Sahara Grundwasserbrunnen Douz Tunesien.
294 5. Abbildungen
Abb. 199-204 Kunsthaus Peter Zumthor Bregenz 1997 Österreich, Glass Pavillon SANAA Toledo 2006
USA, Kunsthaus Peter Cook Graz 2003 Österreich, in der Dachlandschaft und bei Nacht. Die witterungs-
beständige Fassade überlagert sich mit ihrer Medialität.
5. Abbildungen 295
Abb. 205-210 Green Pix Simone Giostra & Arup Peking 2008 China. Detailaufnahme der Module auf den
Glaspaneelen und in der Dämmerung. Die Fassade ist mehrdeutig, indem sie produzierende und konsu-
mierende Technik morphologisch miteinander verschränkt. Täuferkörbe Lambertikirche Münster ab 1375
Deutschland, Triumphbogen des Septimius Severus Rom 203 Italien, Casa del Fascio Giuseppe Terragni
Como 1936 Italien, Casemate Museum Kornwerderzand Afsluitdijk 1940 Niederlande.
296 5. Abbildungen
Abb. 211-216 Tower of Winds Toyo Ito Yokohama 1986 Japan, Grand Lisboa und Casino Lisboa Stanley Ho
u.a. Macao 1970 China, Iluma WOHA Singapur 2009 Singapur, Uniqlo Ginza Klein Dytham Tokyo 2005
Japan. Toldos überdecken Gassen in Sevilla und binden diese räumlich. Ihre Ubiquität lässt an jedem Ort
eine eigene Kontextbildung zu. Die Elemente kommunizieren ihre Performanz. Toldo-Montage in
Shenzhen, China.
5. Abbildungen 297
Abb. 217-222 Teehaus Kengo Kuma Frankfurt 2007 Deutschland. Das Teehaus in aufgeblasenem Zustand
und in anderen Kontexten. Stets bleibt es mehrdeutig und enigmatisch. Windmühlen in Russland und Argen-
tinien, Uniqlo Pop-Up Stores LOT-EK New York 2006 USA.
298 5. Abbildungen
Abb. 223-228 Reisewagen Raymond Roussel 1925 Frankreich, Loft Cube Werner Aisslinger 2007 Deutsch-
land, Hausboot am Eilbekkanal Rost Niederehe Hamburg 2009 Deutschland, Floating Farms Halong Bay
2011 Vietnam, Lingotto Giacomo Mattè-Trucco Turin 1921 Italien.
5. Abbildungen 299
Abb. 229-234 Lingotto Giacomo Mattè-Trucco Turin 1921 Italien. Die Rampen als strukturierendes
Element und krönender Abschluss der Produktionsstrecke. Das Dach ist weit mehr als nur eine wetter-
abweisende Haut, es taktet das Gebäude und ikonographiert seine Morphologie. House NA Sou Fujimoto
Tokyo 2010 Japan. Das heuristische Bewohnen eines extremen Raumplans. Fast jeder Raum ist unbe-
stimmt, also mehrdeutig im maximalen Sinn. Gebäudestraße Atrani 1950er Jahre Italien, Brückengeschoss
Martinelli u.a. Schloss þeský Krumlov 1777 Tschechien.
300 5. Abbildungen
Abb. 235-240 Suitcase House Hotel Gary Chang Edge Design Badaling Great Wall 2002 China, Monsoon
Window WOHA Singapur 2003 Singapur, Shenzhen Loft Urbanus Shenzhen 2005 China, Lucien Pellat-Finet
Store Kengo Kuma Osaka 2009 Japan. Kumas Regalwerk als raumgreifende Struktur. Ein anderer Ort ist
ebenso möglich; die Struktur bliebe erkennbar aus demselben Code, d.h. auf ihren unsichtbaren Genotyp
zurückführbar.
5. Abbildungen 301
Abb. 241-246 Metropol Parasol Jürgen Meyer H. Sevilla 2011 Spanien. Ortsabhängige, mehrdeutige Lösung in
Form eines parametrischen Objektils. Unten Montage als Objekt-Customization an einem anderen Ort
in Sevilla adaptiert. Unité d’Habitation Le Corbusier in Berlin 1958 und Firminy 1967 Deutschland und
Frankreich, Weingut Gantenbein Bearth Deplazes u. Grammazio Kohler Fläsch 2006 Schweiz, British
Museum Great Court Norman Foster London 2000 England.
302 5. Abbildungen
Abb. 247-252 Hungerburgbahn Zaha Hadid Innsbruck 2008 Österreich, Neue Monte Rosa Hütte ETH Zürich
Ludger Hovestadt u. a. Wallis 2010 Schweiz, Piscinas de Marés Álvaro Siza Leça da Palmeira Matosinhos
1966 Portugal. Die Becken verdichten die Elemente der Landschaft. Unten die polymorphen Wege als
ein Mehrdeutiges Element aus Fels und Beton. Pratt Institute Higgins Hall Steven Holl New York 2005 USA.
Der neue Trakt thematisiert das Verspringen der Geschosse und artikuliert einen polymorphen Ein-
gangs-körper als Mehrdeutiges Element.
5. Abbildungen 303
Abb. 253-258 Casa Milà Antoni Gaudí Barcelona 1910 Spanien, Alter Schlachthof Bamberg 18. Jhd.
Deutschland, Casa das Canoas Óscar Niemeyer Río de Janeiro 1952 Brasilien, Openluchtschool Johannes
Duiker Amsterdam 1931 Niederlande, Dachausbau Falkestraße Coop Himmelb(l)au Wien 1988 Österreich,
Negozio Olivetti Carlo Scarpa Venedig 1959 Italien.
304 5. Abbildungen
Abb. 259-264 Aukrust Museum Sverre Fehn Alvdal 1996 Norwegen, Marika-Alderton House Glenn Murcutt
Yirrkala Community 1994 Australien, La Mémé Lucien Kroll Brüssel 1976 Belgien. Eines der wenigen
größeren mittels Partizipation entstandenen Gebäude und als deren Ergebnis von einer bizarr anmuten-
den Polymorphologie gekennzeichnet. Moriyama House Ryue Nishizawa Tokyo 2005. Ein Cluster von
Räumen ohne Hülle und das bisher einzige seiner Art. Jeder Raum ist mehrdeutig und steht für sich allein,
obwohl er gleichzeitig zum Haus gehört.
5. Abbildungen 305
Abb. 265-270 Krämerbrücke div. Architekten Erfurt 1486 Deutschland, Rue Mallet-Stevens Robert Mallet-
Stevens Paris 1927. Frankreich, Casa del Puente Amancio Williams Mar del Plata 1942 Argentinien, Museu
Brasileiro da Escultura Paulo Mendes da Rocha São Paulo 1988 Brasilien, Prototype Dwelling Lacaton Vassal
Projekt 1992 Frankreich, N House Sou Fujimoto Oita 2008 Japan.
306 5. Abbildungen
Abb. 271-276 Row Houses Harry Weese Chicago 1963 USA, Schiecentrale Mei Rotterdam 2009 Niederlande.
Die Südfassade der Schiecentrale adapiert die mehrdeutigen Außenboxen Weeses. Coach Flagship Store Rem
Koolhaas OMA Tokyo 2011 Japan.
5. Abbildungen 307
Abb. 277-282 Gewächsräume in Terrassierungen Schloss Sanssouci Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff
Potsdam ab 1745 Deutschland, Mittelalterliche Fensternische Chateau de Crozant 15. Jhd. Frankreich, Casa
Barragán Luís Barragán Tacubaya Ciudad de México 1948 Mexiko, Cell Brick House Atelier Tekuto Tokyo
2004 Japan, Kolumba Diözesan Museum Peter Zumthor Köln 2007 Deutschland.
308 5. Abbildungen
Abb. 283-288 United States Airforce Hangar Konrad Wachsmann Projekt 1953 USA. Verschiedene Ansich-
ten des Knotens. Statik und Raumbildung sind überlagert. Prada Aoyama Epicenter Herzog de Meuron
Tokyo 2003 Japan. Die Struktur der Sehmaschine im Kontext, im Schnitt und als Innenraum (Tube). Die
mehrdeutige Statik wird mit Raum und Sehaufgaben ausgestattet. Dom der heiligen Barbara Johann Parler der
Jüngere u. a. Kutná Hora ab 1388 Tschechien.
5. Abbildungen 309
Abb. 289-294 Multihalle Frei Otto Mannheim 1975 Deutschland, Grundschulmensa Ludloff Ludloff Berlin
2009 Deutschland, Bird‘s Nest Stadium Herzog de Meuron Peking 2008 China, TODS Omotesando Toyo Ito
Tokyo 2004 Japan.
310 5. Abbildungen
Abb. 295-300 Villa Tugendhat Ludwig Mies van der Rohe Brno 1930 Tschechien. Die Gartenfassade mit
versenkbaren Wohnraumfenstern. Der Wohnraum oszilliert zwischen Innen- und Außenraum mehrdeutig
hin und her. Storefront Gallery Steven Holl New York 1993 USA. Zwei Zustände eines Raumes, Ortes,
Nicht-Ortes. Mehrdeutigkeit als ständiges Schweben zwischen den Zuständen. Casa Girasole Invernizzi-
Fagiuoli Marcellise 1935 Italien.
5. Abbildungen 311
Abb. 301-306 Villa Balassa Janos Beutom Budapest 1935 Ungarn, Fassade am Wohnhaus Square Mozart
Jean Prouvé Paris 1954 Frankreich, Maison à Bordeaux Rem Koolhaas Bordeaux 1998 Frankreich, Curtain
Wall House Shigeru Ban Tokyo 1995 Japan, Mobile Dwelling Unit LOT-EK 2003 USA.
312 5. Abbildungen
Abb. 307-312 Mashrabiyah in Marokko, Sudare in Japan, Jali in Indien, Transenna in Apulien, Cobogó in
Brasilien, Le Corbusiers Secretariat in Chandigarh. Mehrdeutige Fassaden durch Bündelung von Luft, Licht
und Modulation.
5. Abbildungen 313
Abb. 313-318 Edifício Capanéma Niemeyer & Costa & Le Corbusier etc. Martinet Grundschule Mestura
Arquitectes Barcelona 2010 Spanien. Die Filterfassade ist ein überlagerter Modulator der inneren Licht-
verhältnisse und grafisches Element. Pedregulho Komplex Affonso Reidy Río de Janeiro 1952 Brasilien,
Museu de Arte Moderna Affonso Reidy Río de Janeiro 1968 Brasilien.
314 5. Abbildungen
Abb. 319-324 Esherick House Louis Kahn Philadelphia 1961 USA, Expo-Pavillon Spanien Foreign Office &
A. Zaera Aichi 2005 Japan, Billboard Building Klein Dytham Tokyo 2005 Japan.
5. Abbildungen 315
Abb. 325-330 Slowtecture M Endo Shuhei Hyoyo 2008 Japan. Die Hallengröße von Außen und von
Innen. Verborgene Sporthalle und gleichzeitig ein bepflanzter Berg als mimetisches Objekt. Air Trees
Ecosistemas Urbanas Madrid Vallecas 2010 Spanien, Torre Guinigi Lucca 14. Jhd. Italien.
316 5. Abbildungen
Abb. 331-336 Casa Rustici Giuseppe Terragni Mailand 1935 Italien, Stadtmauern Lucca 15. Jhd. Italien,
Skogskyrkogården Gunnar Asplund u. Sigurd Lewerentz Stockholm 1940 Schweden, Caixa Forum Herzog
de Meuron u. Patrick Blanc Madrid 2008 Spanien, Flower Tower Edouard François Paris 2004 Frankreich,
Musée du Quai Branly Jean Nouvel u. Patrick Blanc Paris 2006 Frankreich.
5. Abbildungen 317
Abb. 337-342 Bosco Verticale Stefano Boeri Mailand 2014 Italien. Verkehrshaus der Schweiz Gigon Guyer
Luzern 2009 Schweiz. Die Fassaden der Halle für Straßenverkehr und der Eingangshalle: Mehrdeutige
Mophologien durch die gewechselte Funktion ihrer Elemente. High Line Park Diller Scofidio Renfro
New York 2011 USA. Ungewöhnliche Überlagerung zweier Formen als mehrdeutiges Ergebnis einer
Umwandlung.
318 5. Abbildungen
Abb. 343-348 Marcellus Theater Savelli Orsini u.a. Rom 13 v. Chr. Italien, Maison Tropicale Jean Prouvé
New York 1951 USA, Villa Welpeloo Superuse Studio Enschede 2009 Niederlande, Gasometer A Jean
Nouvel Wien 2001 Österreich, Eco Ark MINIWIZ Taipeh 2010 Taiwan.
5. Abbildungen 319
Abb. 349-354 Wohnanlage Thomas Herzog München 1982, Solararchitektur Rolf Disch Freiburg 1994,
Feuerwache Peter Kulka Heidelberg 2007, Q-Cells Verwaltung BHSS Architekten Thalheim 2007, Marché-
Büro Beat Kämpfen Kemptthal 2008, Energiebunker HHS Hamburg 2013.
320 5. Abbildungen
Abb. 355-360 Energiebunker HHS Hamburg 2013. Surreale Atmosphäre als mehrdeutige Emergenz von
Einzel-Faktoren. Darunter Neuartige Hybrid-Materialien: Textil des Softhouse, bedruckte Zellen, Smart Wrap
und kugelförmige Zellen auf einem herkömmlichen biegsamen Träger aus dem Bastelversand.
5. Abbildungen 321
Abb. 361-366 Daily Needs Modular Chicken Coop & Garden Studio Segers Projekt 2013, Solar-Bunker Emden
2000 Deutschland, Bio Sphere Buckminster Fuller Montréal 1967 Canada, Schaustelle Jürgen Meyer H.
München 2013 Deutschland, Guggenheim LAB Fiedler Marciano New York 2013 USA. Allesamt Pionier-
projekte der Urbanen Intervention.
322 5. Abbildungen
Abb. 367-372 Urbane Funktionen, frei miteinander kombinierbar zu mehrdeutigen Morphologien: Ertüchti-
gung von Fassaden als unregelmäßige Bekleidung und Mobiles Solar-Filling für Baulücken, ornamentale
Verwendung von Solar Patterns als Hauptparameter der Gestaltung, Urban Gardening und Farming an
Nicht-Orten, Mobiles Bibliothekssystem für Parkhäuser, Brachen etc.
5. Abbildungen 323
Abb. 373-378 Feinstaubbindung mittels Vegetation an Nicht-Orten und Baulücken, Öffentliche Terrassen oder
Bühnen mittels Baugerüsten in Baulücken oder ungenutztem Bestand, Marktplätze und Börsen mittels
einfachen multifunktionalen und mobilen Bauelementen, partizipatorische und kommunitaristische Architektu-
ren als Intervention, Public Mourning und Public Viewing als soziale Interaktionsorte.
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