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1508 - 1588
„La Rotonda“
1566 / 67
Vicenza / Veneto
Heute besuchte ich das eine halbe Stunde von der Stadt, auf einer
angenehmen Höhe liegende Prachthaus, die Rotonda genannt. Es ist
ein viereckiges Gebäude, das einen runden, von oben beleuchteten
Saal in sich schließt. Von allen vier Seiten steigt man auf breiten
Treppen hinan und gelangt jedesmal in eine Vorhalle, die von sechs
korinthischen Säulen gebildet wird
Aufriss Vertikalschnitt
Sicherlich wird Abwechslung und neue Erfindung jedermann erfreuen, aber man sollte dabei
nicht gegen die Regeln der Kunst und gegen das Gebot der Vernunft verstoßen. Darum sehen
wir, dass die Alten zwar reich an Erfindung waren, sich aber niemals von gewissen
allgemeingültigen und notwendigen Regeln entfernten. Palladio (3)
Viele Renaissancetheoretiker fanden den Schlüssel für das Verhältnis von Makrokosmos und
Mikrokosmos in den vitruvianischen Figuren des Mannes im Kreis und im Quadrat, der organische und
geometrische Schönheit versöhnt. Palladio deutet die Metapher vom gotterschaffenen Menschen ins
Hierarchische um (Buch II, S. 3): „Wie Gott, der Gebenedeite, unsere Körperglieder so angeordnet hat,
daß die schönsten an sichtbarster Stelle sind und sich die weniger anständigen verbergen, so wollen wir
selbst es beim Bauen halten: Wir plazieren die wichtigen und ansehnlichen Teile gut sichtbar, die weniger
schönen dagegen verstecken wir nach Möglichkeit vor unseren Augen."
Palladio betrachtet den Makrokosmos als eine vollendete Maschine (Buch IV, S. 3); diese „questa bella
machina del Mondo" zeigt sich besonders in den wechselnden Jahreszeiten und in der „süßen Harmonie
ihrer gemessenen Bewegung": „Wir können nicht zweifeln, daß die kleinen Tempel, die wir bauen, jenem
gewaltigen Tempel gleichen müssen, den Gottes unendliche Güte mit einem einzigen Wort erschaffen hat,
daß wir gehalten sind, in unseren Tempeln allen Schmuck anzubringen, dessen wir fähig sind, daß wir sie
in der Weise und mit solchen Proportionen errichten sollen, daß alle Teile zusammen eine süße Harmonie
in die Augen der Betrachter tragen und jeder Teil für sich seiner Bestimmung angemessen diene."
Unter dem Gesichtspunkt der Bewegung sieht Palladio auch die Kreisform (Buch IV, S. 6): „Tempel
werden rund, quadratisch, sechseckig, achteckig und so fort gebaut, in Formen also, die im Kreis be
schlossen sind; auch kreuzförmig und in verschiedenen anderen Formen und Figuren, welche die
Menschen erfinden. Lob verdienen alle, die sich durch schöne, angemessene Proportionen und durch eine
elegante, wohlgeschmückte Architektur auszeichnen. Die schönsten und regelmäßigsten Formen aber,
von denen die anderen ihre Maße ableiten, sind Kreis und Quadrat." Kreisförmige Tempel hätten die Alten
für Sol und Luna gebaut, weil diese sich um die Welt drehten, ebenso für Vesta als Göttin der Erde, „weil
die Erde bekanntlich rund ist". Auch die Säulenordnungen seien Göttern und Göttergruppen zugeordnet
gewesen. „Wir aber, die wir nicht mehr die falschen Götter haben, wählen die vollendetste und erhabenste
Form der Tempel, weil nur diese sich schickt. Da aber die Kreisform allein unten allen Formen einfach,
einheitlich, ausgeglichen, stark und geräumig ist, bauen wir die Tempel rund; denn diese Form , wo sich
das Entfernteste überall gleich weit vom Mittelpunkt entfernt befindet, ist auf´s höchste geeignet, die
Einheit, die Unendlichkeit, die Einheitlichkeit und die Gerechtigkeit Gottes zu zeigen. (4)
Pantheon, Rom, 118 – 125 n. Chr.
Hadrian (Kaiser: 117 – 138) Inschrift: geschaffen von M. Agrippa während seines
dritten Konsulats
Vorhalle in traditioneller
Gliederbauweise: Säulen tragen
Gebälk, darauf der Giebel,
Zwischenbau und Rotunde als
Massivbau: massiges
Ziegelmauerwerk,
Bau ruht auf massivem Ringfundament
(5,50 m Tiefe), acht Pfeiler in
zylindrischer Wand, hohl aufgemauert,
mit Gussbetonschichten gefüllt.
Kuppel zweischalig gebaut. Die innere,
aus Backstein gemauerte Kalotte,
besteht aus aufsteigenden Rippen, die
untereinander mit Querbindern
stabilisiert sind. In den Zwischen
räumen sitzen die Kassetten.
Rippensystem mit gestuften Kassetten
wird von homogener Betonmasse
umhüllt. Abnahme der Dicke der
Kuppelschale nach oben.
Druckkräfte im oberen Bereich der
Kuppel drücken nach innen, zur Mitte,
und drücken den Steinring, der den
Okulus umrandet zusammen.
Aufgrund der Krümmung und der Last
treten im unteren Bereich Schubkräfte
auf,die schräg nach außen drängen –
diese werden gebändigt durch
getreppte Steinringe außen und
Widerlager im unteren Gewölbebereich
Längsschnitt:
Innenraum mit 44m
Durchmesser, überwölbt von
der Halbkugel einer Kuppel,
fünf Ringe mit je 28
Kassetten. Der
zweigeschossige
zylindrische Sockel ist gleich
hoch wie die Kuppel. Der
oculus im 44m hohen
Scheitel hat einen
Portikus
Durchmessen von 9m und
bildet die einzige Lichtquelle.
Nebenapsiden (halbrunde
Exedren)
Apsis der
Neptunsbasilika
Minor Minor
Major
venustas auf Anmut aber, wenn das Bauwerk ein angenehmes und gefälliges
Aussehen hat und die Symmetrie der Glieder die richtigen
Anmut berechnungen der Symmetrien hat. (9)
Palladio:
Dauerhaftigkeit Zweckmäßigkeit Schönheit /bellezza
Die Forderungen Palladios zum Thema „Dauerhaftigkeit“, also zu den Kriterien Konstruktion und
Material, sind durch die forciert technische Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert weitgehend
hinfällig. Was er über „Zweckmäßigkeit“, d.h. den richtigen gebrauch von Gebäuden und
Gebäudelementen durch ihre Benutzerschreibt (...) ist als Kriterium gültig. Die Diskussion um die
Bedeutung Palladios ist vornehmlich auf die Frage nach der richtigen Gestaltung – mithin auf
bellezza und venustas – hin ausgerichtet. (11)
Symmetria
Vitruv verwendet drei ästhetische Hauptbegriffe, die sich teilweise überschneiden: „symmetria", „eurythmia" und
„decor". Er definiert sie hintereinander im 2. Kapitel des I. Buches in der Reihenfolge „eurythmia", „symmetria",
„decor"; wir nehmen aber die Symmetrie vorweg. Vitruv schreibt: „Symmetria [. . .] ist der sich aus den Gliedern
des Bauwerks selbst ergebende Einklang und die auf einem berechneten Teil (modulus) beruhende
Wechselbeziehung der einzelnen Teile für sich gesondert zur Gestalt des Bauwerks als Ganzem. Wie beim
menschlichen Körper aus Ellenbogen, Fuß, Hand, Finger und den übrigen Körperteilen die Eigenschaft der
Eurythmie symmetrisch ist, so ist es auch bei Ausführung von Bauwerken. Und vornehmlich bei heiligen
Bauwerken wird entweder aus den Säulendicken oder dem Triglyphon [. . .] die Berechnung der Symmetrie
gewonnen.„
„Symmetria", so können wir vereinfachend sagen, nennt Vitruv ein Proportionsgesetz, dessen Recheneinheit ein
Bau oder Körperteil ist. Am menschlichen Körper ist die Sache leichter zu erklären. Wer einenKopf streng frontal
zeichnen will, geht am besten von der Länge der Nase aus. Die Strecke von der Nase zum Kinn beträgt eine
Nasenlänge, die Strecke von der Nasenwurzel zum Haaransatz ebenfalls eine Nasenlänge, ebenso vom
Haaransatz zum Scheitel; ferner sind die Ohren gleich lang wie die Nase und setzen gleich hoch an. Gemessen
an der gewählten Einheit ist ein Menschenhaupt vier Modul hoch. Die menschliche Hand bedeckt genau das
menschliche Gesicht, ist also drei Nasen lang. Zunächst sieht eine solche Einteilung wie eine harmlose
Eselsbrücke aus; vor dem Modell aber oder bei einigem Nachdenken stellt sich heraus, daß die Menschen
verschieden sind.
In dem Augenblick, da er die Verschiedenheit der Menschen gewahr wird, muß der Zeichner die Ungenauigkeit
seiner Regel eingestehen oder sie zur Norm erheben. Aus der Eselsbrücke wird dann unverhofft ein
Proportionsgesetz für den schönen Menschen oder ein Kanon. Aus der griechischen Bildhauerei des 5. und 4.
Jahrhunderts sind verschiedene solcher Kanones überliefert, von denen der Kanon des Bildhauers Polyklet der
berühmteste ist. Ein solcher Proportionskanon kann nun leicht eine Ehe mit der Zahlenlehre der Pythagoräer
eingehen. Nach der Lehre der Phythagoräer durchwalten einfache Zahlenverhältnisse den ganzen Kosmos. (10)
In der Deutung Palladios stammt die Schönheit „aus der schönen Form, aus der
Übereinstimmung des Ganzen mit den Teilen, der Teile untereinander und mit dem
Ganzen, sodass ein Gebäude als ein Körper mit fehlerlosen und vollkommenen
Proportionen erscheint, an dem jedes Glied vom Standpunkt des ganzen Körpers
notwendig ist.“ (...) Hierbei beruft sich Palladio eindeutig auf Vitruv, für den sich
Schönheit und Harmonie aus den griechischen Prinzipien der Proportionslehre herleiten.
Leon Battista Alberti
De re aedificatoria, um 1450
Verweilraum
Palladio, Il Rendentore
Vollständig symmetrisch Hauptbau als „Würfel“ mit flachem
aufgebauter Baukörper, in jede Walmdach, in der Mitte runde, realtiv
Himmelsrichtung gleichmäßig flache Kuppel mit mehreren Stufen und
mit offener Treppe und kleiner Krone (bekrönt)
säulengestützter Vorhalle Über jeder
(Portikus, Loggia) Giebelecke große
figürliche Flacher Dreiecksgiebel
Vollplastik mit Tympanon, zwei
ovale Fenster, Wappen
Offene Wandflächen
Vorhalle, eher schlicht ,
ionische wenig Fenster,
Säulen – ohne Goldener
Kanneluren Schnitt, zwei
Gurtgesimse
und
Sockelgesims,
schlichtes,
schmales
Wangen Freitreppe Kranzgesims
säumen
Treppe,
Vollplastik
Ein breiter Gesimsstreifen betont die Waagrechte und wird zwischen
Portikussäulen und Dreiecksgiebeln um den ganzen Bau herumgezogen. Er trennt
das obere Attikageschoss vom „piano nobile“, dem höheren
Hauptgeschoss, das auf dem fundamentartigen, mit gewölbten Räumen
versehenen Sockelgeschoss aufliegt.
Alle Fenster werden schlicht in die Mauerfläche eingeschnitten, nur die fast bis
auf Bodenhöhe herabgezogenen Fenster in den Wandflächen neben den
Säulenfronten übernehmen die ÄdikulaRahmung der Hauptportale.
Attikageschoss
Piano nobile
Sockelgeschoss
Villa Rotonda - privates Landhaus vor den Toren der Stadt Vicenza,
von Palladio für den hoch gebildeten Theologen Paolo Almerico entworfen,
ohne landwirtschaftliche Nebengebäude.
Ort der Erholung, Synthese von landschaftlicher Schönheit und
architektonischer Harmonie, repräsentativer Ort für Zusammenkünfte
mit befreundeten Humanisten.
Palladio: „Der Ort ist schön gelegen (…); weil man sich auf alle vier Seiten hin der schönen
Aussicht erfreut, wurden auf allen Fassaden Loggien errichtet.“
Landschaftsausblicke in vier Himmelsrichtungen
Rotonda auf der Kuppe eines Hügels (Belvedere – Charakter)
(Integration des Baus in andere Umgebung)
Bauwerk und Landschaft werden durch Treppenläufe miteinander verbunden
(Verschmelzung mit Natur)
Kuppel als Überhöhung der Kuppe
(Überhöhung der Landschaft, Natur „vereinnahmt“ Architektur)
Einerseits: Verschmelzung und Durchdringung von Architektur und Landschaft
Andererseits: Kontrast zwischen gewachsener Natur und nach strengem Maß konstruiertem
Kunstgebilde („absolute Wahrheit“ der Mathematik)
Ergo: Architekturentwurf ohne diesen Landschaftskontext so nicht denkbar.
Portikus Ionische Säulenordnung, deren Kapitelle mit den sich einrollenden Voluten
von der Vertikale der Säulen in die Horizontale des Gesimses und in die
Basis der Dreiecksgiebel überleiten. Von den fünf Interkolumnien der tempelähnlichen
Vorhallen ist das mittlere durch eine etwas größere Breite akzentuiert. Ihm entspricht an
den Wänden des kubischen Hauptbaues das reiche profilierte, übergiebelte Eingangsportal.
Eine profilierte Rahmung mit Zahnschnittfries begrenzt stark plastisch die Giebelfelder, die
durch zwei querovale Fenster und mittigem Wappen strukturiert werden.
Palladios besondere Liebe gilt der Tempelfront.
Schon in Daniele Barbaros Vitruvausgabe zeigt sich
das von Palladio rekonstruierte antike Haus von
einer Tempelfront geschmückt. Ebenso
rekonstruiert Palladio in den Quattro libri das antike
Landhaus nach Vitruvs Beschreibung mit einer
Tempelfront. Gestützt darauf schreibt er (Buch II, S.
69); „In allen Landhäusern (fabriche di Villa) wie
auch in einigen Stadtpalästen habe ich im
Gegensatz zu den Alten das Frontispiz auf die
Vorderseite gesetzt, wo die Hauptportale sind; denn
solche Frontispize zeigen den Eingang des Hauses
an und unterstreichen Größe und Pracht des
Werkes; dadurch gewinnt die Vorderfront an
Bedeutung. Außerdem kommen Frontispize sehr
gelegen für das Anbringen von Insignien und
Wappen der Bauherren, die man in der Mitte der . Die Tempelfront als Ganzes nennt er „frontispicio
Fassade anzubringen pflegt. Solche Frontispize sopra loggie"; sie bieten einen herrlichen Anblick, weil
verwendeten auch die Alten, wie man an den sie den Mittelteil gegenüber den Flanken hervorheben
überkommenen Tempeln und anderen öffentlichen (Buch II, S. 48 und 77). Auch Portikusflügel, die
Gebäuden sieht [. . .]. Wahrscheinlich entnahmen Herrenhaus und ökonomiebauten verbinden, tragen in
sie Erfindung und Begründung der Frontispize den Palladios Augen zum Schmuck bei (Buch II, S. 46).
Privatbauten, das heißt den Häusern." Aus dieser Hinter Palladios Ableitung der Tempelfront aus dem
wie auch aus anderen Stellen läßt sich erkennen, Hausbau steht die Theorie Vitruvs, der die Entstehung
daß Palladio mit „frontispicio" nicht die ganze der Architektur aus dem Hausbau schildert. In seinem
Tempelfront, sondern nur den Tempelgiebel erhellenden Büchlein über die Villa Foscari hat Erik
bezeichnet. Forssman Palladios Bedürfnis nach Legitimation so
umschrieben (1973, S. 37); „Er wünschte an seinen
Villen als Front einen monumentalen Portikus zu haben
und erfand deshalb einen antiken Vorläufer. Das ist
typisch für seinen gesamten .Klassizismus', der nicht
imitativ, sondern kreativ ist." (5)
Aufsicht
(Modell):
Colen Campbell (* 1676, † 1729) war ein führender englischer Architekt des
18. Jhdts. und einer der prominentesten Protagonisten des Neopalladianischen
Stils. Er baute u.a. Burlington House und Wanstead House in London,
Houghton Hall in Norfolk, Stourhead House in Wiltshire und Mereworth in Kent.
Er übersetzte die Vier Bücher zur Architektur des Andrea Palladio und gab
1715 1725 in drei Bänden den Vitruvius Britannicus heraus, eine Sammlung
von Entwürfen vor allem von Inigo Jones, Sir Christopher Wren und seiner
selbst.
Schloss Wörlitz (1769 – 1773), Architekt: Friedrich Wilhelm Freiherr von
Erdmannsdorff (1736 -1800)
Tempietto Barbarano
Maser (Treviso)
Villa Cornaro
Piombino Dese (Treviso)
Anhang
1. Goethe, zit. nach Bödefeld, Gerda /Hinz, Berthold, Die Villen im Veneto Darmstadt 1998, S. 126
2. Palladio, Andrea, Die vier Bücher zur Architektur, Zürich und München 1983, S. 132
3. Palladio, ebenda, S. 82
4. Germann, Georg, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, Darmstadt 1980, S. 135 f
5. Germann, Georg, ebenda, S. 137
6. Wittkower, Rudolf, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus,München 1969, S.63
7. Wittkower, Rudolf, ebenda, S. 61
8. Wittkower, Rudolf, ebenda, S. 13
9. Vitruv, De architetura libri decem, Wiesbaden 2004, S. 27 f
10. Germann, Georg, ebenda, S. 18f
11. Nachwort von Andreas Beyer /Ulrich Schütte – Die vier Bücher zur Architektur, München 1983, S. 443
Tipp: www.marcusfrings.de/rotonda