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NORDISCHE MEMOIRENVON TORSTEN SCHWANKEERINNERUNGEN AN SKANDINAVIENDas geht jetzt alles so durcheinander. Wir sind mit dem Auto - einem kleinen Renault - nach Travemünde gefahren und dann mit dem Auto auf die Fähre. Auf der Fähre gab es ein Kino, da hab ich Don Camillo und Peppone gesehen. (Später spielte ich mit Karines Vater Don Camillo und Peppone, Konrad war der kommunistische Bürgermeister und ich der katholische Priester, der immer mit Jesus sprach, aber sich auch gerne prügelte.) Auf dem Schiff trug ich schon Klocks, Holzschuhe mit hartem Lederbezug. Wir waren einmal auf der dänischen Ostsee-Insel Langeland, da waren weite Felder von rotem Mohn (die Engländer sagen Poppie...) Wir trafen uns da mit Mamas Schulfreundin Wilhelmine und Familie (Stefan im Alter von Bärbel und ich im Alter der wunderschönen Doris, die später sehr erfolgreich im Tischtennis wurde). Meine Mutter fragte mich,ob ich lieber Frauen mit großen oder mit kleinen Brüsten möge - peinlich! Mama! (Natürlich mit großen Brüsten...) Aber meistens waren wir auf Öland. Aber erstmal noch von Dänemark, wir hatten auf dem Festland eine Ferienwohnung, ein Holzhaus in der Nähe des Strandes, aber das Holzhaus war voll mit Ungeziefer. Und am Badestrand schwammen in der Ostsee Feuerquallen, die sehen aus wie transparente Spiegeleier und brennen wie Nesseln. Es gab da salzige Butter. Und Himbeermarmelade (seit jener Zeit meine Lieblingsmarmelade) und wir aßen Dickmilch mit Honig-Smacks. Nach Öland aber fuhren wir nicht mit der Fähre, sondern über die längste Brücke Europas. In Öland gab es sehr viele Windmühlen. Und da war auch die Sommerresidenz der schwedischen Königin, ich meine, es war die deutsche Sylvia. Ach ja, in Kopenhagen war ich auch einmal, bin aber nicht Kierkegaards Schatten begegnet, sondern sah die stocksteifen Wachsoldaten mit riesigen Fellmützen das Kopenhagener Schloss bewachen. Auf Öland lernten wir eine schwedische Familie kennen, die dort ihre Sommervilla hatte. Die Mutter hieß Maj-Brit und der Vater Ingmar und sie hatten einige Söhne und Töchter. Maj-Brit hatte eigenen Dill im Garten. Maj-Brit konnte etwas deutsch. Die Kinder kaum. Maj-Brit fand es seltsam, dass im deutschen Fernsehen Cowboys und Indianer alle deutsch reden. Im schwedischen Fernsehen reden sie englisch (mit schwedischen Untertiteln). Ich las auf Öland Kriminalromane von Raymond Chandler über Philip Marlowe, aber auf deutsch. Wir machten einen Vorlesewettbewerb: Mama las am schnellsten, ich machte den zweiten Platz. Übrigens liebte ich in meiner frühen Jugend die Kriminalromane von Sjöwall/Wahlöö, ich las alle davon. Eines Tages fuhr Papa allein mit einem kleinen Segelboot auf die Ostsee und kam nicht zurück... Wir hatten Angst, er sei ertrunken, er war aber nur gekentert und kam spät doch noch zurück. Am Strand von Öland gab es Stellen mit klebrigem Lehm, den rollte ich zu langen Schlangen und häufte sie übereinander und töpferte so eine Blumenvase, die an der Sonne trocknete, die brachte ich aus dem Urlaub meiner lieben Oma mit. Zuhause dann auf dem Jahrmarkt schoss ich ihr mit dem Gewehr eine rote Plastikrose, die stellte sie dann in meine Blumenvase in der Küche auf die Fensterbank. Dann wollten wir eine Nordland-Reise machen. Mama arbeitete als Sekretärin bei einem Bauunternehmer, der lieh uns einen VW-Bus, und Papa als Heimwerker machte die Inneneinrichtung selbst, so hatten wir einen Wohnwagen. Mama und Papa schliefen im Bus und Stefan und ich im Zelt. Einmal wachte ich morgens auf und sah aus dem Zelt, da stand ein Rentier vor dem Zelt. Wir machten irgendwo an einem See in Waldnähe ein Feuer und grillten Lachs, frisch auf dem Markt gekauft, aber Einheimische verboten uns das Feuermachen wegen Waldbrandgefahr. Ich dachte mir auf der Autofahrt mein eigenes Englisch aus und sprach in einer erfundenen Phantasie-Sprache. In Dänemark übrigens haben wir oft Karten gespielt, Rommée und Canasta. Die Fjorde in Norwegen waren sehr schön. In Finnland sah ich echte Lappländer in ihren Folklore-Kostümen. Ich wünschte mir ein Messer, und Papa kaufte mir eins mit einem Hirschhorngriff. Mama und Papa kauften auch ein Elchgeweih, das hing zuhause lange an der Wand. Wir waren auch am Nordkap, dem nördlichsten Punkt Europas, gleich danach kam die
 
Arktis. Um den Hals trug ich ein Lederband mit einer Rentier-Zehe daran. Ja, in Finnland waren wirauch mal in einer Sauna, das einzige Mal in meinem Leben, dass ich in einer Sauna war. Zum Abkühlen ging es dann in den Badesee. Ganz hoch im Norden wurde es nachts gar nicht richtig dunkel. es war wie die berühmten Weißen Nächte von Petersburg, oder auf Latein Aurora Borealis, über den Bergen war nachts eine rosige Dämmerung. In Finnland kehrten wir mitten in der leeren Weite in ein Gasthaus ein, da gab es Grütze. Wir waren in Schweden auch in Upsala, das war früherdas Hauptheiligtum der skandinavischen Germanen. Ich stand dort im lutherischen Dom. Wir warenauch in einem Museum, da wurde das Floß gezeigt, auf dem ein Norweger den Atlantik überquert hatte. Wir waren in Schweden auch in einer Glasbläserei, wo sie Flaschen und Vasen aus blauem Glas bliesen. - Ach, das waren schöne Kindertage, ich war weder schizophren, noch hatte ich Liebeskummer, ich war einfach glücklich…ERINNERUNGEN AN BALTRUM"Wenn ich nicht bald eine Blaue Insel finde!Erzähle mir von ihren Wundern."(Else Lasker-Schüler)1Die ostfriesische Nordseeinsel Baltrum hieß früher Balderinge, sie war nach den beiden germanischen Göttern Balder und Ing benannt. Da auf der Insel viele Heckenrosen (Hagebutten oder Weinrosen) wachsen, nennt man sie auch das Dornröschen der Südlichen Nordsee. Meine Mutter, Doris Paula Schwanke, geborene Grensemann, ist dort geboren. Und obwohl sie Doris hieß,denn Doris war in der griechischen Mythologie eine Göttin des Meeres, mochte sie nicht gerne schwimmen. Ihre Mutter stammte auch von Baltrum, meine Großmutter Paula Margarethe Grensemann, geborene Mayer. Deren Mutter hieß Margarethe Johanna Mayer, geborene Ulrichs. Und deren Vater hieß Ulrich Ulrichs und war ein Seemann (wenn nicht gar ein Pirat). Seine Schiffertruhe besaß ich in meiner Kindheit. Leider ist sie spurlos verschwunden gegangen. Meine Großmutter Paula Margarethe Grensemann hatte mit ihrem Mann Dirk Grensemann (der vom Festland, aus Norden stammte) fünf Töchter. Ihre Tochter Paula ist als Kleinkind gestorben. Ihre anderen Töchter hießen Hildegard, Petheda und Henriette, zuletzt kam als jüngste meine Mutter Doris. Hildegard hatte geheiratet einen Karl-Heinz Klawonn und war weggezogen, sie wurde Mutter von vier Söhnen. Henriette, genannt Henny, hatte ein Hotel zur Post, sie hatte Alkoholprobleme, wie mein Großvater dirk Grensemann, der ein Quartalssäufer war. Petheda, genannt Thedi oder von uns Tante Thedi hatte Arno Meinhold geheiratet, sie brachte in die Ehe ihren unehelich empfangenen sohn Joachim, genannt Achim mit, was aber lange ein Geheimnis war.Meine Großeltern hatten eine Pension auf Baltrum, die Villa Petheda, mit fünfzig Betten, Oma hattealle Hände voll zu tun, und die Töchter (bis auf die Kleine Doris) mussten mithelfen. Thedi und Arno hatten im Ostdorf die Teestube, und dort war ich in meiner Kindheit offt zu Gast, mit den Eltern oder mit meinem Bruder Stefan allein. Wir wohnten auf dem Festland im Flecken Hage, Mama, Papa, Stefan und ich. Meine liebe Oma wohnte im Haus nebenan allein, denn sie war Witwe, mein Großvater war vor meiner Geburt gestorben.2
 
Meine Tante Thedi führte mit Onkel Arno die Teestube im Ostdorf. Da waren Stefan und ich in der Kindheit oft zu Besuch. Ostern haben wir dann bunt gefärbte Eier den sanften Hügel runterrollen lassen und versucht, so andere Eier zu treffen. Die Angestellten in der Teestube nannte Tante Thedi immer "unsere Mädchen". Thedis Sohn Achim war auf dem Festland. In der Küche hatte Thedi für uns immer Eis bereit, Vanille oder Erdbeer, heute noch meine Lieblingssorten. Oft gab es auch frisch gebackenen Apfelkuchen. Thedi rauchte Filterzigaretten "Lord" und legte manchmal eine Zigarette angezündet in den Aschenbecher, wenn sie was zu tun hatte. Ich sog dann an der Zigarette,leugnete aber, es getan zu haben, Thedi fand es aber heraus, doch schimpfte sie nicht. Stefan und ich schliefen oben in einem geräumigen Zimmer.Onkel Arno brachte uns ins Bett und sein Abendsegen war: Klappe zu - Affe tot. Arno schenkte uns die gesammelten Werke von Karl May, die Achim alle gelesen hatte, und die ich nun alle las, nicht nur die Indianerbücher, sondern auch dieaus Kurdistan oder Sibirien. Um die Teestube herum die sanft wellenden Wiesen fand man viele Kaninchen-Löcher, denn es wimmelte auf Baltrum von Kaninchen. Dann kam man zum Kiefernwäldchen, das sehr still war. Überhaupt war es auf Baltrum himmlisch-still, weil auf der ganzen Insel keine Autos fuhren. Alles war gut zu Fuß zu erreichen, vom Ostdorf zum Westdorf ein Fußweg von vielleicht zehn Minuten. Man sagte, die Insel heiße Baltrum, weil man bald rum sei. Am Strand gab es einen Kiosk, wo es Eis und Pommes frites gab. Am Strand sammelten wir Muscheln und bauten Sandburgen.Natürlich gingen wir auch baden in der Nordsee. Manchmal besuchten wir Mamas Cousine Ursel, die mit ihrem Mann Werner eine Bäckerei hatte. Wir spielten dann mit deren Söhnen. Es roch dort immer sehr gut nach frisch gebackenem Brot. Im Westdorf führte unsere Tante Henni ein Hotel, mit ihrem Mann, aber da waren wir selten. Henni war uns lange nicht so lieb wie Thedi. Über die ganze Insel führten auch Reitpfade. An solch einem Reitpfadfanden Stefan und ich hohe Ballen von Heu gestapelt, in die wir Löcher rein bohrten und uns in ihnen versteckten.Henni war uns lange nicht so lieb wie Thedi. Über die ganze Insel führten auch Reitpfade. An solch einem Reitpfad fanden Stefan und ich hohe Ballen von Heu gestapelt, in die wirLöcher rein bohrten und uns in ihnen versteckten.Henni war uns lange nicht so lieb wie Thedi. Überdie ganze Insel führten auch Reitpfade. An solch einem Reitpfad fanden Stefan und ich hohe Ballen von Heu gestapelt, in die wir Löcher rein bohrten und uns in ihnen versteckten.3Im Alter von ungefähr 35 Jahren - Hälfte des Lebens - fuhr ich mit meinen beiden Frauen Evi und Karine nach Baltrum. Drei Jahre später fuhren wir erneut auf die Insel. Karine war im neunten Monat schwanger mit ihrem ersten Kind, Evi hatte ihren dreijährigen Sohn Quentin mit. Karine hatte noch ihren Knecht mitgenommen. Wir hatten eine Ferienwohnung im idyllischen Ostdorf gemietet. Karine schlief in einem Zimmer mit ihrem Knecht, ich sollte mit Evi in einem Zimmer schlafen. Aber da ich dann keine Nachtruhe finden würde, schlief ich im Wohnzimmer auf dem Sofa. Karine hatte einen verspannten Rücken, sie zog ihr Hemd aus, und Evi massierte ihr Rücken und Nacken. Abends saßen wir auf dem Balkon und plauderten beim Wein. Die Grillen zirpten, "schwatzhaft wie Goethe und Eckermann". Ich psychologisierte mit Evi. Karine gegenüber zitierte ich Salomo: Sei nicht allzu weise und nicht allzu gerecht". Das gefiel ihr. Wir spielten ein Gesellschaftsspiel, Therapie. Auf die Frage, wen er lieber treffen möchte, Gott oder den Teufel, sagte der Knecht: Den Teufel. Ich will lieber in die Hölle kommen als in den Himmel. - Auf die Frage, wie sie sterben möchte, bei Musik oder beim Sex, sagte Evi: Beim Sex. Auf die Frage, welche Frau als Baby schöner gewesen, sagte der Knecht: Evi. Karine war beleidigt. Eines Tages ging ich mit Evi spazieren, gemeinsam zogen wir den Bollerwagen, in dem Quentin saß. Es war heller Sonnenschein. Evis Hand und meine Hand waren als Schatten auf der Erde zu sehen. Während sich unsere Körper-Hände nicht berührten, berührten sich unsere Schatten-Hände, was mitden Anlaß gab zu mystischen Spekulationen. Ich las in diesem Urlaub den Schriftsteller Reinhold Schneider. Er schrieb: "An der Schwelle von der Jugendkraft zur Altersweisheit", das war genau dieEpoche meines Lebens. Ich schrieb einen Text in poetischer Prosa, es kam darin die Vatikanische Venus und die Erotik des Rotweins vor. Ich las ihn den beiden Frauen vor. Eines Nachts ging ich

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