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D.

Kohn

T. Pohlemann

Operationsatlas für die orthopädisch-unfallchirurgische Weiterbildung


D. Kohn
T. Pohlemann

Operationsatlas
für die orthopädisch-
unfallchirurgische
Weiterbildung
unter Mitarbeit von E. Fritsch

Mit 817 Abbildungen

1 23
Prof. Dr. med. Dieter Kohn
Universitätsklinikum des Saarlandes
Direktor der Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
D-66421 Homburg / Saar

Prof. Dr. med. Tim Pohlemann


Universitätsklinikum des Saarlandes
Kliniken und Institute für Chirurgie
Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
D-66421 Homburg / Saar

Prof. Dr. med. Ekkehard Fritsch


Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
D-66421 Homburg / Saar

ISBN-13 978-3-540-72513-8 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York

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Planung: Dr. Fritz Kraemer, Antje Lenzen, Kathrin Nühse, Heidelberg


Projektmanagement: Claudia Kiefer, Barbara Knüchel, Cécile Schütze-Gaukel, Heidelberg
Lektorat: Ursula Illig, Gauting
Zeichnungen: Jörg Kühn, Klingenmünster
Einbandgestaltung: deblik Berlin
Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg

SPIN 11010630
Gedruckt auf säurefreiem Papier 2111 – 5 4 3 2 1 0
V

Vorwort

Dieses Buch wurde für die Assistenzärzte unseres neuen Faches Orthopädie/Unfallchirurgie geschrieben.
Es soll ein Leitfaden für die tägliche Arbeit im Operationssaal sein für den, der das Operieren erlernt,
für den, der assistiert und vielleicht auch für den, der als Oberarzt oder erfahrener Facharzt den jungen
Operateur schult. Wir geben das weiter, was sich nach eigener Erfahrung bewährt hat. Wir sind deshalb
zu ganz besonderem Dank verpflichtet denen, die uns das Operieren gelehrt haben, Prof. Dr. em. Carl-
Joachim Wirth und Prof. Dr. em. Harald Tscherne.
Bei der Arbeit an diesem Buch haben wir ausgezeichnete Unterstützung und Hilfe erfahren. Zu aller-
erst und an vorderster Stelle ist hier Herr Prof. Dr. med. E. Fritsch zu nennen, der die Kapitel zum Thema
Wirbelsäule beigesteuert hat. Herrn Prof. W. Knopp und u. a. Frau Dr. Wencke Müller danken wir für
die große Arbeit der Bildauswahl für den unfallchirurgischen Teil. Danken möchten wir den ausgezeich-
neten Mitarbeitern des Springer Verlags, allen voran Herrn Dr. med. Fritz Kraemer. Die Idee zu diesem
Buch wurde zusammen mit Herrn Dr. Kraemer aus der Taufe gehoben. Er hat es bis zur Fertigstellung
mit nimmermüder Geduld hilfreich begleitet. Danken möchten wir unseren Sekretärinnen Frau Christa
Adolph und Frau Ingrid Hammer, die uns bei der Erstellung der Manuskripte unschätzbare Hilfe geleis-
tet haben.
Mit Herrn Jörg Kühn konnte für die Gestaltung der Abbildungen ein überaus renommierter und
erfahrener Künstler gewonnen werden. Seine aussagekräftigen, präzisen Darstellungen werden unseren
jungen Lesern eine entscheidende Hilfe bei der Erlernung ihres schönen Berufes als Ärzte für Orthopä-
die und Unfallchirurgie sein.

Homburg/Saar im November 2009

Dieter Kohn
Tim Pohlemann
VII

Inhaltsverzeichnis

6 Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
6.1 Sprunggelenkarthroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132
Sektion I Orthopädische Eingriffe
6.2 Außenbandrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136
an den Extremitäten und 6.3 Chevron-Osteotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138
am Becken 6.4 Kondylenresektion nach Hohmann . . . . . . . . . . . . . . . . .141

1 Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .3
1.1 Schulterarthroskopie und subakromiale Sektion II Operative Versorgung
Bursoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 von Verletzungen
1.2 Laterale Klavikularesektion, offen und
arthroskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13
1.3 Subakromiale Dekompression, offen und 7 Allgemeine operative Techniken und
arthroskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16 Notfallbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
1.4 Operation nach Weaver-Dunn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 7.1 Notfalloperation »Venae sectio« zur Anlage
1.5 Rotatorenmanschettenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . .21 eines großvolumigen venösen Zugangs . . . . . . . . . . . .148
1.6 Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, 7.2 Chirurgische Wundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150
offen und arthroskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 7.3 Anlage einer Thoraxdrainage (Bülau-Drainage) . . . . .154
7.4 Fixateur externe am Beckenring zur
2 Ellbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Notfallstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158
2.1 Ellbogenarthroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32 7.5 Beckenzwinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161
2.2 Operation bei Epikondylitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 7.6 Beckentamponade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166
2.3 Dekompression und Verlagerung des N. ulnaris . . . . . .42 7.7 Behandlungsprinzipien bei Abdominalverletzungen
2.4 Arthrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 nach Notfalllaparotomie (Tamponade) . . . . . . . . . . . . .168
7.8 Technik der Anlage eines Fixateur externe . . . . . . . . . .172
3 Handgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 7.9 Operative Spaltung eines Kompartmentsyndroms . .176
3.1 Spaltung des Ligamentum carpi transversum,
offen und arthroskopisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50 8 Verletzungen der oberen Extremitäten . . . . . 183
3.2 Ulna-Verkürzungsosteotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 8.1 Osteosynthese der Klavikulafraktur . . . . . . . . . . . . . . . . .184
3.3 Ulnaköpfchenresektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .56 8.2 Stabilisierung der AC-Gelenksluxation . . . . . . . . . . . . . .189
8.3 Offene Reposition und Stabilisierung nach
4 Becken, Hüftgelenk und proximales Femur . . . 59 proximalen Humerusfrakturen mit winkelstabilem
4.1 Primäre Hüftendoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .60 Plattensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
4.2 Beckenosteotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68 8.4 Offene Reposition und Plattenosteosynthese
4.3 Hüftreposition beim Säugling und Kleinkind . . . . . . . . .72 der Humerusschaftfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199
4.4 Intertrochantäre Femurosteotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 8.5 Offene Reposition und retrograde Marknagelung
4.5 Operationen bei Epiphysiolysis capitis der Humerusschaftfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204
femoris (ECF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .82 8.6 Versorgung der Olekranonfraktur mit
4.6 Spongiosaentnahme vom Beckenkamm . . . . . . . . . . . . .86 Zuggurtungsosteosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209
8.7 Versorgung einer Radiusköpfchenmeißelfraktur . . . .214
5 Kniegelenk, distales Femur und 8.8 Versorgung der Unterarmschaftfraktur mit
proximale Tibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Plattenosteosynthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .218
5.1 Kniegelenkarthroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 8.9 Operative Stabilisierung einer distalen
5.2 Meniskektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 Radiusfraktur mit Spickdrahtosteosynthese . . . . . . . . .222
5.3 Meniskusnaht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 8.10 Versorgung einer dislozierten distalen
5.4 Mikrofrakturierung, Abrasionsarthroplastik, extraartikulären Radiusextensionsfraktur mit
Pridiebohrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106 palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese . . . . . .227
5.5 Spaltung des lateralen Retinakulum . . . . . . . . . . . . . . . .107 8.11 Operative Stabilisierung der frischen Kahnbein-
5.6 Bikondyläre Prothese und Totalprothese . . . . . . . . . . . .109 fraktur durch Zugschraubenosteosynthese . . . . . . . . .232
5.7 Monokondyläre Knieprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115
5.8 Tibiakopfosteotomie, valgisierend, aufklappend . . . .120 9 Verletzungen der unteren Extremitäten . . . . 237
5.9 Suprakondyläre Femurosteotomie, varisierend . . . . . .125 9.1 Osteosynthese einer medialen Schenkelhals-
5.10 Medialisierung der Tuberositas tibiae . . . . . . . . . . . . . . .128 fraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .238
VIII Inhaltsverzeichnis

9.2 Versorgung einer medialen dislozierten 12.6 Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule
Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese . . . . . . . . . .245 (laterale Thorakotomie: TH4–TH11; tiefe laterale
9.3 Versorgung einer pertrochantären Femurfraktur Thorakotomie: TH10–L2) mit Korporektomie und
mit dynamischer Hüftschraube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan . . . . .374
9.4 Versorgung einer subtrochantären Oberschenkel- 12.7 Retroperitonealer Zugang zur Lendenwirbel-
fraktur mit proximalem Femurnagel . . . . . . . . . . . . . . . .259 säule und zum thorakolumbalen Übergang mit
9.5 Versorgung einer geschlossenen Korporektomie und Wirbelkörperersatz /
Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader trikortikalem Beckenspan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .380
Oberschenkelnagelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .267 12.8 Ventrale Fusionsoperationen an der Lenden-
9.6 Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur wirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder
mit winkelstabiler Plattenosteosynthese . . . . . . . . . . . .275 retroperitonealer Zugang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .383
9.7 Patellafraktur (Zuggurtungsosteosynthese) . . . . . . . . .281 12.9 Lumbale Bandscheibenprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . .392
9.8 Versorgung der Tibiakopffraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .284 12.10 Lumbale Diskushernie: Mikrodiskektomie . . . . . . . . . .396
9.9 Stabilisierung einer geschlossenen 12.11 Mikrochirurgische (monosegmentale)
Unterschenkelfraktur mit Marknagelosteo- Dekompression bei Rezessusstenose . . . . . . . . . . . . . . .400
synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .293 12.12 Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule
9.10 Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur . . .300 (»posterior lumbar interbody fusion«; PLIF) . . . . . . . . .403
9.11 Operative Versorgung einer Fersenbeinfraktur . . . . . .308 12.13 Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule
(»transarticular lumbar interbody fusion«; TLIF) . . . . .408
10 Eingriffe an der Wirbelsäule und
am Becken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
10.1 Geschlossene/offene Reposition und dorsale
Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur Anhang
interne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .316
10.2 Symphysenplatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326
10.3 Spongiosaentnahme am Becken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .330 13 Der Operationsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
13.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .414
11 Verletzungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . 335 13.2 Gliederung und Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .414
11.1 Operative Versorgung einer dislozierten 13.3 Beispielhafter Operationsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .414
suprakondylären Oberarmfraktur beim Kind . . . . . . . .336
11.2 Versorgung einer distalen Radiusfraktur Typ Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
Aitken I mit geschlossener Reposition und
Spickdrahtosteosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .342
11.3 Versorgung einer geschlossenen
Oberschenkelschaftfraktur mit
Markdrahtungsosteosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .344

Sektion III Orthopädische Eingriffe


an der Wirbelsäule

12 Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
12.1 Ventrale interkorporelle Fusion an der
Halswirbelsäule (C2–TH1) mit Platte und
Knochenblock/Cage oder Wirbelkörperersatz . . . . . . .352
12.2 Nukleotomie und Dekompression des Spinal-
kanals an der Halswirbelsäule mit Implantation
einer Bandscheibenprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .356
12.3 Stabilisierung mittels Fixateur interne an der
Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . .360
12.4 Dekompression des lumbalen (thorakalen)
Spinalkanals: Laminektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .366
12.5 Instrumentation mit Pedikel- und Laminahaken
bei Korrekturspondylodesen an der Brust- (und
Lendenwirbelsäule) bei Deformitäten . . . . . . . . . . . . . .370
I

Sektion I Orthopädische Eingriffe an den


Extremitäten und am Becken

D. Kohn

Kapitel 1 Schulter – 3

Kapitel 2 Ellbogen – 31

Kapitel 3 Handgelenk – 49

Kapitel 4 Becken, Hüftgelenk und proximales Femur – 59

Kapitel 5 Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia – 89

Kapitel 6 Fuß – 131


1

Schulter

1.1 Schulterarthroskopie und subakromiale Bursoskopie – 4

1.2 Laterale Klavikularesektion, offen und arthroskopisch – 13

1.3 Subakromiale Dekompression, offen und arthroskopisch – 16

1.4 Operation nach Weaver-Dunn – 19

1.5 Rotatorenmanschettenrekonstruktion – 21

1.6 Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, offen und


arthroskopisch – 25
4 Kapitel 1 · Schulter

1.1 Schulterarthroskopie und subakromiale


1 Bursoskopie

Indikation
Diagnostische Arthroskopie nur noch als Ausnahmeindika-
tion, falls es trotz Einsatz aller bildgebenden Verfahren nicht
gelingt eine Diagnose zu stellen. Sonst im Vorlauf zur subakro-
mialen Dekompression, Synovektomie, Labrumrekonstruktion
bei SLAP-Läsion (Labrumschaden am Ansatz der langen Bi-
zepssehne), Kapselrekonstruktion bei Instabilität und Rekons-
truktion der Rotatorenmanschette. Während die diagnostische
Arthroskopie/Bursoskopie vom Facharztanwärter durchgeführt
werden kann, wird die folgende arthroskopische Operation nur
vom spezialisierten Facharzt, eine folgende offene Operation
dagegen in geeigneten Fällen ebenfalls vom Facharztanwärter
bewerkstelligt werden können.

Operationsprinzip
Mit der 4-mm/30°-Winkeloptik wird unter kontinuierlicher
Spülung mit Ringerlaktatlösung und bei Aufrechterhaltung eines
intraartikulären/intrabursalen Druckes von 50–100 mmHg eine
systematische Durchsicht zunächst des Gelenkraumes, dann der
Bursa subacromialis vorgenommen. Ergänzend werden wichtige
Strukturen mit einem Tasthäkchen palpiert. Eine diagnostische
Arthroskopie des Akromioklavikulargelenks ist nicht sinnvoll.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
Besprechung möglicher operativer Konsequenzen der diagnos-
tischen Arthroskopie/Bursoskopie.

Diagnostik und Planung


Prüfung des Bewegungsumfangs der Schulter und orientierend
neurologische Untersuchung sind Voraussetzungen für jede
operative Maßnahme. Spezielle Untersuchungsverfahren wer-
den vor den betreffenden Operationen besprochen.

Röntgen: Aufnahmen des Gelenks in 2 Standardebenen soll-


ten in jedem Falle vorliegen. Weitere Bildgebung siehe unter
den speziellen Operationsverfahren.
1.1 · Schulterarthroskopie und subakromiale Bursoskopie
5 1
Im Operationssaal Eine Alternative ist die Seitlagerung auf einer Vakuummatratze
Lagerung mit Fixierung des Arms in einem Armhalter. Dies bietet für die
Halbsitzende Lagerung (⊡ Abb. 1.1) Arthroskopie Vorteile, erschwert aber eine nachfolgende offene
Operation.
! Schädigung des Plexus cervicobrachialis bei schlechter Lage-
Bei der Arthroskopie in halbsitzender Lagerung müssen
rung mit primärer Fehlhaltung des Halses oder Fehlhaltung
Arthroskop und Kamera vor herablaufender Spülflüssigkeit
nach Verrutschen von Oberkörper und/oder Kopf des Patienten
besonders geschützt werden.
während der Operation.

> Achtung 1. Assistent


Die halbsitzende Lagerung ist schwierig und muss vom Arzt
überwacht werden. Freier Zugang zur Schulter einerseits und
sichere Positionierung des Oberkörpers und Kopfes anderer-
seits sind erforderlich. Der erste Assistent hält den Kopf des
Patienten während des Lagerns bis zur sicheren Fixierung an
der Kopfstütze. Er überprüft danach:
▬ die natürliche, gerade, weder verdrehte noch über-
streckte oder gebeugte Stellung des Halses,
▬ die korrekte Anlage der gut gepolsterten Augenklappen,
▬ die sichere Fixierung des Kopfes in der Kopfstütze ohne
Druck auf die Ohrmuscheln, die Nasenwurzel oder die
Augenklappen,
▬ die fest angezogenen Schrauben zur Fixierung der Stütze,
▬ die Lagerung des Armes, frei beweglich, der Ellbogen 1
cm »schwebend« oberhalb der Armstütze,
▬ den freien Zugang zur gesamten Schulter einschließlich
des Schulterblatts.

⊡ Abb. 1.1. Halbsitzende


Lagerung. Sie wird auch
»Liegestuhlposition«, »Beach-
chair-Position« genannt, und
ist der beste Kompromiss für
das kombiniert arthrosko-
pisch/offene Vorgehen
6 Kapitel 1 · Schulter

Operationstechnik
1 Die Grundausrüstung ist dieselbe wie fürs Kniegelenk. Einige
Zusatzinstrumente sind erforderlich (⊡ Abb. 1.2). Wegen des
dickeren Weichteilmantels werden die Arbeitszugänge jedoch
mit Kunststoffkanülen besetzt. Eine wesentliche Verbesserung
hat die Einführung der Hochfrequenzinstrumente gebracht,
die es erlauben, Blutungen zu beherrschen. Am Schultergelenk
können einige Zugänge von innen nach außen angelegt werden.
Dies ist ganz besonders nützlich, falls die äußeren Landmar-
ken schlecht definiert sind, also bei Schwellung und bei sehr
muskelkräftigen Patienten. Für das Umsetzen von Instrumen-
ten und Arthroskop ist die Wechselstabtechnik erforderlich
(⊡ Abb. 1.3).

⊡ Abb. 1.2. Instrumentarium


zur Schulterarthroskopie.
Von oben nach unten:
Kunststoffkanüle mit Trokar
Schultertasthaken (lang)
Lange Kanülen Stärke 1
Wissinger-Stab
Wechselstäbe
Hochfrequenzinstrument für
Resektion und Koagulation
1.1 · Schulterarthroskopie und subakromiale Bursoskopie
7 1
Sollen Arthroskop und ein Instrument – in ⊡ Abb. 1.3 das
Tasthäkchen – umgesetzt werden, also das Arthroskop auf den
ehemaligen Arbeitszugang und umgekehrt das Tasthäkchen auf
den ehemaligen Arthroskopzugang gewechselt werden, werden
Trokarhülse und Arbeitskanüle mit Wechselstäben besetzt. Im
nächsten Schritt werden Hülse und Kanüle entfernt, die Stäbe
jedoch als Platzhalter in den Zugangskanälen belassen. Dann
werden Arbeitskanüle und Arthroskophülse jeweils auf den
anderen Wechselstab gesteckt, die Wechselstäbe entfernt und
schließlich die Wechselstäbe wieder gegen Tasthäkchen und
Arthroskop ausgetauscht.

⊡ Abb. 1.3. Wechselstabtechnik.


Sie erlaubt das atraumatische
Austauschen von Instrumenten
zwischen vorhandenen Zugängen
8 Kapitel 1 · Schulter

Die Zugänge zum Schultergelenk und zur Bursa subacromi-


1 alis sind anhand knöcherner Leitstrukturen (Landmarken)
auffindbar (⊡ Abb. 1.4a,b und ⊡ Abb. 1.5a,b). Die auf der Ab-
bildung eingezeichneten knöchernen Konturen sind tastbar
und werden nach Abwaschen und Abdecken des Patienten
auf der Haut markiert. Der posteriore Zugang (P) fürs Arth-
roskop, der anteriore Zugang (A) für den Tasthaken und der
superiore Zugang (S) für die Ablaufkanüle werden bei jeder
Schulterarthroskopie besetzt. Der laterale Zugang (L) ist der
Instrumentenzugang für den Subakromialraum und sollte
bei Verwendung mit einer Kunststoffkanüle armiert werden,
da er auf langer Strecke durch Gewebe verläuft. Der anterior-
superiore Zugang (As) wird besonders für Arbeiten an der
a
Rotatorenmanschette eingesetzt. Wir empfehlen den anterior-
inferioren Zugang (Ai) für den weniger erfahrenen Schulter-
arthroskopeur nicht. Er liegt zu nahe am Gefäßnervenbündel.
Er erlaubt andererseits ein gutes Erreichen der vorderen unte-
ren Labrumregion.

⊡ Abb. 1.4a,b. Die wichtigsten Zugänge zum Schultergelenk


und zur Bursa subacromialis. a Sicht auf die rechte Schulter von
oben mit 45° abduzierbarem Arm. Ai anterior – inferior; A anterior;
As anterior – superior; L lateral; S superior; P posterior. b Synopsis
der Zugänge gezeigt am lateral eröffneten Gelenk nach Entfer-
b nung des Humeruskopfes
1.1 · Schulterarthroskopie und subakromiale Bursoskopie
9 1

⊡ Abb. 1.5a,b. Nahe der Portale verlaufende neurovaskuläre


Strukturen; a ventral; b dorsal. N. axillaris (L, P); N. musculocu-
taneus (Ai); N. suprascapularis (S, P); V. cephalica (A, Ai) b
10 Kapitel 1 · Schulter

Der systolische Blutdruck wird unter 100 mmHg gesenkt. Der


1 Operateur steht hinter dem Patienten. Der Assistent steht ne-
ben dem Patienten. Seine Faust liegt in der Axilla. Die andere
Hand zieht mit etwa 100 Newton am Oberarm und adduziert
diesen an den Oberkörper. Die Faust wirkt als Hypomochlion,
über das der Humeruskopf von der Pfanne weggehebelt wird.
Dieses Manöver gibt genügend Raum zum Einbringen von Tro-
kar/Trokarhülse. Der Daumen der linken Hand des Operateurs
erfühlt die dem posterioren Zugang entsprechende Delle in den
Weichteilen. Dort erfolgt eine Hautinzision von 8 mm Länge in
Hautspaltlinienrichtung. Aufsetzen des Zeigefingers der linken
Hand auf die Spitze des Proc. coracoideus. Penetration von
Subkutis und Muskulatur mit Trokarhülse/spitzem Trokar, bis
man den kräftigen Widerstand der Kapsel mit dem Trokar
erfühlt (⊡ Abb. 1.6). Austausch des spitzen gegen den stumpfen
Trokar.

⊡ Abb. 1.6. Posteriorer Zugang

Mit Trokarhülse/stumpfem Trokar wird in der Tiefe der Pfan-


nenrand und der Humeruskopf getastet und das Instrument
dann in den Winkel zwischen beiden mit Zielrichtung Kora-
koidspitze eingestoßen (⊡ Abb. 1.7). Austausch des stumpfen
Trokars gegen die 30°-Winkeloptik. Arthroskopische Identifi-
kation des Gelenkraums. Flüssigkeitsfüllung (Pumpe) mit 50
mmHg Druck.

! Das Einführen des Arthroskops in das glenohumerale Gelenk ist


technisch anspruchsvoll, verlangt volle Konzentration und ge-
naue Beachtung aller oben genannten Details! Es ist bedeutend
schwieriger als das Einführen eines Arthroskops ins Kniegelenk.

Nächster Schritt ist das Einstechen einer Abflusskanüle in das


superiore Portal (S). Alle weiteren Schritte erfolgen unter kon-
tinuierlicher Spülung.

⊡ Abb. 1.7. Ertasten des Gelenkspaltes mit dem stumpfen Trokar


1.1 · Schulterarthroskopie und subakromiale Bursoskopie
11 1
Es folgt der diagnostische Rundgang durch das Gelenk > Achtung 1. Assistent
(⊡ Abb. 1.8). Leitstruktur ist die Sehne des langen Bizepskopfes. Für die Inspektion des Schultergelenks bleibt der Arm des
Sie führt zur Gelenkpfanne und zum Labrum. Anhand der Patienten zunächst ungeführt auf der Armstütze wie be-
Pfanne wird die Kamera so ausgerichtet, dass die Orientie- schrieben. Zur Beurteilung der Rotatorenmanschette wird
rung des Monitorbildes der tatsächlichen Orientierung des Ge- der Operateur um etwa 70°-Abduktion und um wechselnde
lenks im Raum entspricht. Dies vereinfacht das nachfolgende Rotationspositionen bitten. Alle diese Manöver müssen »wie
Einbringen und Bewegen von Instrumenten. Im Gegensatz in Zeitlupe«, ganz langsam erfolgen. Die durchschnittlich 20-
zum Kniegelenk genügen in der Schulter kleine Bewegungsaus- fache Vergrößerung durch das arthroskopische opto-elektro-
schläge des Instrumentes, um den gesamten Gelenkraum zu er- nische System lässt Bewegungen entsprechend beschleunigt
fassen. Die Beurteilung beginnt mit der vorderen Gelenkwand erscheinen. Dies erschwert dem Operateur die Kontrolle.
(1), der Oberkante der Subskapularissehne und dem vorderen
Labrum. Danach folgen der Ansatz von mittlerem und unterem Ein Hochwölben der Manschette durch den ansteigenden Was-
glenohumeralem Ligament sowie der Eingang in die Bursen serdruck beweist bereits, dass keine komplette Manschettenrup-
der Gelenkvorderwand (2). Dann wird der Humeruskopf mit tur mit Kommunikation von Bursa und Gelenkraum vorliegt.
dem Arthroskop von der Pfanne abgehoben. Beim Blick nach An der Vorderkante der Manschette wird die Bizepssehne wieder
kaudal wird die untere Hälfte des Labrum glenoidale sichtbar. erreicht. Sie wird bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt und an-
Fortschreiten der Untersuchung zum Recessus axillaris (3) und schließend das hintere Labrum begutachtet. Hier ist die Gefahr,
dem hinteren Umfang der Humerusgelenkfläche (4), der nach dass das Arthroskop aus dem Zugang rutscht, am größten. Bei
kranial gefolgt wird. Unterbrechung des Abflusses und Steigern vermuteten Schäden im hinteren Gelenkbereich muss deshalb
des Pumpendrucks auf 100 mmHg zur Beurteilung der Rotato- ein vorderer oberer Zugang (AS) angelegt werden und eine er-
renmanschette (5). neute Beurteilung nach Umsetzen des Arthroskops auf den vor-
deren oberen Zugang (As) mittels Wechselstabtechnik erfolgen.

⊡ Abb. 1.8. Diagnostischer Rundgang.


1 Bizepssehnenanker, 2 vordere Gelenkwand,
3 Rezessus axillaris, 4 Humeruskopf, 5 Rotatorenmanschette
12 Kapitel 1 · Schulter

Labrum glenoidale, intraartikulärer Verlauf der langen Bizeps- Wissinger-Stab eingeführt. Mit kräftigem Druck perforiert er
1 sehne, glenohumerale Ligamente und Rotatorenmanschette die vordere Gelenkkapsel und kann unter der Haut palpiert
müssen zusätzlich zur Inspektion palpiert werden, um Läsi- werden. An dieser Stelle wird gegeninzidiert (a). Der Wissin-
onen sicher einordnen zu können. Dazu wird eine Arbeits- ger-Stab wird aus der Haut nach ventral herausgedrückt. Über
kanüle in das anteriore Portal (A) eingesetzt (⊡ Abb. 1.9a–c). den Stab wird eine Kunststoffarbeitskanüle eingesetzt (b). Der
Das Arthroskop wird in das aus Oberkante der Sehne des Stab wird entfernt und das Arthroskop wieder in die Trokar-
M. subscapularis, Bizepssehne und Labrum gebildete Dreieck hülse geschoben durch die Arbeitskanüle wird der Tasthaken
vorgeschoben. Die Optik wird entfernt und der lange stumpfe eingeführt (c).

⊡ Abb. 1.9a–c. Anteriorer Zu-


gang. a Gegeninzision der Haut.
c b Einschieben der Arbeitska-
nüle über den Wissinger-Stab.
c Zugang etabliert und Tastha-
ken eingeführt
1.2 · Laterale Klavikularesektion, offen und arthroskopisch
13 1
Nach Durchsicht des Schultergelenks wird das Arthroskop in 1.2 Laterale Klavikularesektion,
den Subakromialraum umgesetzt: Austauschen der Optik ge- offen und arthroskopisch
gen den stumpfen Trokar. Zurückziehen des Trokars aus dem
Gelenk, jedoch nicht durch den M. deltoideus. Die Finger der Indikation
linken Hand palpieren die Oberfläche des Akromions. Mit dem Schmerzhafte, erfolglos nichtoperativ behandelte Arthrose
stumpfen Trokar wird die hintere Ecke des Akromions erfühlt. des Akromioklavikulargelenks. Schmerzhafte idiopathische
Dann Einstoßen des stumpfen Trokars zwischen Akromion und Knochennekrose des lateralen Klavikulaendes (»weight lifter’s
Rotatorenmanschette (⊡ Abb. 1.10). Das Instrument wird dabei shoulder«).
so weit nach vorne geschoben, bis beim Hin- und Herbewegen
das Ligamentum coracoacromiale als deutlicher Widerstand
ertastet werden kann. Einsetzen des Arthroskops. Füllung der Operationsprinzip
Bursa mit 50 mmHg Druck, ggf. Anlegen des lateralen Arbeit- Resektion des lateralen Klavikulaendes unter Mitnahme der
sportals (L) nach Vorsondierung mit einer langen Kanüle. Ein- Reste des Discus articularis und nach kaudal gerichteter Os-
zige in der Bursa ohne vorheriges Débridement identifizierbare teophyten an der akromialen Gelenkfläche. Die Länge des
Struktur ist das durch ihre dünne Wand durchschimmernde resezierten Klavikulastückes soll mindestens 5 mm und höchs-
Lig. coracoacromiale. Eine intakte synoviale Deckschicht dieses tens 10 mm betragen, um einerseits den Kontakt zwischen den
Ligamentes spricht gegen das Vorhandensein einer Engpass- Gelenkpartnern auszuschalten, andererseits die korakoklaviku-
problematik. lären Bänder nicht zu schädigen. Die Resektion kann isoliert
offen oder arthroskopisch als Erweiterung einer subakromialen
Dekompression erfolgen. Die isolierte arthroskopische Resek-
Postoperativ tion ist zeit- und damit kostenaufwändig und ohne eindeutige
Probleme Vorteile.
Nach diagnostischer Schulterarthroskopie/Bursoskopie sind
keine Probleme zu erwarten.
Operationsvorbereitung
Nachsorge Aufklärung
Die Inzisionen verheilen im Laufe einer Woche. Die Nachbe- ▬ Bei geplantem arthroskopischem Vorgehen muss die Zu-
handlung wird von der auf die Arthroskopie folgenden Schulte- stimmung zum offenen Vorgehen vorliegen, um das Ver-
roperation bestimmt. fahren wechseln zu können, falls intraoperativ Sichtprob-
leme entstehen.
▬ Schwere körperliche Belastung ist postoperativ für 3 Mo-
nate nicht möglich.

Diagnostik und Planung


Lokalisierter Schmerz: Patient kann die schmerzhafte Region
mit der Fingerspitze zeigen (»Fingerzeichen«). Lokalisierter
Druckschmerz, Schmerz bei Horizontaladduktion und bei
endgradiger Abduktion (»hoher schmerzhafter Bogen«). Infil-
tration des AC-Gelenks mit Lokalanästhetikum führt zu Be-
schwerdefreiheit (»positiver LA-Test«).

Röntgen: a.-p. Spezialaufnahme, Zentralstrahl 10° ansteigend


als Zielaufnahme zur Darstellung des Gelenkspaltes (»Zanca-
Aufnahme«). Transaxilläre Aufnahme zur Beurteilung der Po-
sition des lateralen Klavikulaendes in der Horizontalebene. Ty-
pischerweise finden sich Osteophyten, unregelmäßig begrenzte
knöcherne Gelenkflächen und Zysten im lateralen Klavikula-
ende.

MRT: Bei zusätzlichem Subakromialsyndrom zur Beurteilung


der Rotatorenmanschette. Die Impression des Musculus su-
praspinatus durch ein kaudal prominentes arthrotisches AC-
⊡ Abb. 1.10. Punktion Subakromialraum Gelenk ist direkt darstellbar.
14 Kapitel 1 · Schulter

Im Operationssaal
1 Lagerung
 Kap. 1.1

Offene Operationstechnik
Der Hautschnitt liegt über der geplanten Osteotomie der Klavi-
kula und verläuft längs der Langer’schen Linien auf 3 cm Länge.
Hautlappen werden nach medial und lateral sowie nach ven-
tral und dorsal unterminiert. Der Faszienperiostkapselschnitt
erfolgt quer zum Hautschnitt mit dem Elektromesser nach
Einsetzen eines Selbstspreizers. Er beginnt in der Mitte des
Akromions und endet 2 cm medial des lateralen Klavikula-
endes. Das Periost wird mit einem kleinen Raspatorium von
der Oberfläche, der Rück- und der Vorderfläche der hier sehr
breiten Klavikula abgeschoben. 2 schmale, spitze Hohmann-Re-
traktoren werden eingesetzt. Mit der schmalen (5 mm), 25 mm
langen oszillierenden Säge erfolgt die Osteotomie unter Erhalt
des Periostes auf der Unterfläche (⊡ Abb. 1.11).
Das abgetrennte Klavikulaende wird mit einer Kocher-
Klemme gefasst und mit dem 15er-Skalpell aus den noch an-
haftenden Weichteilen ausgeschält. Nun erfolgt nochmals eine
subtile Blutstillung und Spülung der Wunde.

⊡ Abb. 1.11. Laterale Klavikularesektion. Blick auf das rechte ACG von
vorne oben

Die Resektion wird überprüft: Das Kleinfingerendglied des


Operateurs sollte in die entstandene Lücke passen. Beim
Durchbewegen der Schulter darf es auch bei 180°-Abduktion
und bei Horizontaladduktion nicht mehr zum Knochenkontakt
zwischen Akromion und Klavikulaende kommen. Weder am
Klavikulaende, noch am Akromion dürfen scharfe Knochene-
cken verbleiben. Solche werden mit der Luer-Zange geglättet
(⊡ Abb. 1.12).
Der Wundverschluss erfolgt durch solide Adaptierung der
Faszienperiostkapselschicht mit resorbierbaren Einzelknopf-
nähten der Stärke 1 USP, durch resorbierbare Subkutannähte
und intrakutane, resorbierbare Hautnaht.

⊡ Abb. 1.12. Abrunden der Klavikula und Entfernen von Osteophyten


am Akromion
1.2 · Laterale Klavikularesektion, offen und arthroskopisch
15 1
Arthroskopische Operationstechnik
Für die arthroskopische erweiterte laterale Klavikularesektion
(AELK) werden ein anteromediales (AM) Zusatzportal 2 cm
ventral des AC-Gelenks und ein dorsales (D) Portal 1,5 cm kau-
dal der hinteren Akromionecke zusätzlich zu den vorhandenen
Schulterportalen angelegt. Fakultativ ist ein drittes, dorsokrani-
ales (DK) Portal erforderlich (⊡ Abb. 1.13).
Nach einer arthroskopischen subakromialen Dekompres-
sion wird das Akromioklavikulargelenk von kaudal mit dem
Synovialresektor eröffnet. Das Gelenk lässt sich durch die Be-
wegung des lateralen Klavikulaendes bei kräftigem Druck auf
dasselbe von außen arthroskopisch identifizieren. Dieser Druck
⊡ Abb. 1.13. Portale zur arthroskopischen erweiterten lateralen
wird nach Entfernung der Kapsel erneut ausgeübt. Er bringt die
Klavikularesektion (AELK)
untere Hälfte des Klavikulaendes gut in das arthroskopische
Gesichtsfeld. Dieser Bereich wird mit der Kugelfräse entfernt
(⊡ Abb. 1.14).

! In manchen Fällen ist die Gelenkfläche des AC-Gelenks von


lateral proximal nach medial distal geneigt. In solchen Fällen
lässt sich die Klavikula erst nach kaudal drücken, nachdem die
akromiale Gelenkfacette reseziert wurde.

Unter Sicht der 70°-Optik wird nun auch die obere Hälfte des
zu resezierenden Knochens abgefräst. Das Umsetzen des Ar-
throskops auf den anteromedialen Zugang (AM) erlaubt eine
direkte Inspektion der Resektionsflächen. Falls dorsokranial
ein Klavikulasporn verblieben ist, wird die 4-mm-Kugelfräse
direkt von dorsokranial (DK) ins Gelenk eingeführt und der
Sporn abgetragen. Die Breite des Resektionsspaltes wird durch
Vergleich mit dem bekannten Außendurchmesser der Fräsen
abgeschätzt (⊡ Abb. 1.15).

Postoperativ
Probleme
▬ Ungenügende Resektion mit verbliebenem Knochenkon-
⊡ Abb. 1.14. Beginn der Resektion der Klavikula nach arthroskopischer
takt
subakromialer Dekompression
▬ Zu großzügige Resektion mit Instabilität des lateralen Kla-
vikulaendes bei Beschädigung von Lig. trapezoideum und
bei noch weiter nach medial reichender Resektion auch des
Lig. conoideum

Nachsorge
Gilchrist-Verband oder Armschlinge zur Vermeidung von
schmerzhaftem Zug an der Resektionsstelle durch die Eigen-
schwere des Armes für 1 Woche. Pendelübungen ab dem ersten
postoperativen Tag. Sportfähigkeit und körperliche Arbeitsfä-
higkeit nach 6 Wochen gegeben.

⊡ Abb. 1.15. Abtragen des dorsokranialen Knochenrestes


16 Kapitel 1 · Schulter

1.3 Subakromiale Dekompression, Der Schmerz ist diffus im Gegensatz zu dem punktuell, direkt
1 offen und arthroskopisch über dem Schultereckgelenk angegebenen akromioklavikulären
Schmerz.
Indikation
Keine Besserung eines Subakromialsyndroms (SAS) trotz 3- bis Röntgen: Modifizierte ap Aufnahme mit 30 Grad zur betrof-
6-monatiger Behandlung mit nichtsteroidalen Antiphlogistika, fenen Seite gedrehtem Oberkörper und Y-Aufnahme (Outlet-
Physiotherapie und subakromialer Infiltration mit Steroiden. Aufnahme). Die ap Aufnahme dient zum Ausschluss anderer
Bei Defekt der Rotatorenmanschette nur im Ausnahmefall bei Ursachen der Schulterschmerzen wie Omarthrose, Tendinosis
kleiner Läsion (nur eine Sehne), falls Schmerzen und nicht oder Bursitis calcarea, Rotatorenmanschettendefekt mit Hu-
die Schwäche im Vordergrund der Symptomatik stehen, der meruskopfhochstand. Die Y-Aufnahme zeigt eine knöchern
Humeruskopf noch nicht nach kranial gewandert ist und der bedingte Verengung des subakromialen Raumes.
Patient geringe Ansprüche an seine Schulterfunktion stellt.
Sonographie: Zur Beurteilung von Bursa, Rotatorenman-
schette und Bizepssehne. Eine Sonographie sollte jede klinische
Operationsprinzip Erstuntersuchung der schmerzhaften Schulter ergänzen.
Der subakromiale Gleitraum, also der Raum zwischen Unterflä-
che Akromion und akromioklavikulärem Gelenk, Ligamentum Lokalanästhesietest: Die Bursa subacromialis wird von dor-
coracoacromiale und Procesuss coracoideus einerseits sowie sal punktiert und 10 ml 1%-iges Scandicain injiziert. Schmerz-
der Oberfläche der Rotatorenmanschette und des Tuberculum freie volle Beweglichkeit wenige Minuten nach der Injektion
majus andererseits, wird vergrößert. Dazu wird das Lig. cora- identifiziert die subakromiale Problematik und hilft bei der
coacromiale durchtrennt, kaudale Osteophyten entfernt und Abgrenzung zur Frozen Shoulder. Bei unveränderten oder le-
Knochensubstanz von der Unterfläche des vorderen Akromi- diglich gemilderten Schmerzen wird zusätzlich das Akromio-
onteils abgeschliffen oder abgemeißelt. So wird der Gleitraum klavikulargelenk punktiert und mit 2 ml Scandicain gefüllt.
den Supraspinatussehne und Tuberculum majus bei Abduktion Ein Verschwinden der Schmerzen daraufhin identifiziert eine
oder Elevation beanspruchen weiter und es kommt nicht mehr akromioklavikuläre Schmerzursache.
zum schmerzhaften Anstoßen (Impingement) dieser Struktu-
ren am korakoakromialen Bogen. Eine Teilresektion der Bursa
subacromialis/subdeltoidea, die den ventrolateralen Anteil des Im Operationssaal
Raumes auskleidet, ist stets Teil der Operation, wobei der Boden Lagerung
der Bursa, der dem Perimyseum der Supraspinatussehne un-  Kap. 1.1
mittelbar aufliegt, nicht tangiert werden darf, um die in diesem
Bereich kritische Durchblutung der Sehne nicht zu gefährden. Offene Operationstechnik
Langzeitresultate sind nach offener und arthroskopischer 4 cm langer Hautschnitt dem Verlauf der Langer’schen Linien
subakromialer Dekompression (SAD) gleich. Vorteil der offe- folgend 1 cm lateral des Gelenkspaltes des Akromioklavikular-
nen Methode ist die Möglichkeit der digitalen Palpation des gelenks geführt; über das Akromion verlaufend und 2 cm über
Schulterdaches mit Identifikation aller Protuberanzen. Vorteil dessen vorderes Eck auf den M. deltoideus reichend (⊡ Abb. 1.16).
der arthroskopischen SAD sind die hervorragende Übersicht Nach medial und lateral wird die Haut auf 2 cm Breite mit der
über das Glenohumeralgelenk in derselber Sitzung, die gerin- Präparierschere unterminiert. Einsetzen eines Selbstspreizers.
gere Gefahr einer Infektion und die schnellere Rehabilitation
durch geringere operative Morbidität.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Akromionfraktur, sekundäre Schultersteife, Zweiteingriff
bei Rotatorenmanschettendefekt.
▬ Bei der arthroskopischen SAD muss die Zustimmung
zum Umsteigen auf ein offenes Vorgehen bei technischen
Schwierigkeiten wie z. B. unüberwindlichen Sichtproble-
men vorliegen.

Diagnostik und Planung


Schulterschmerz ist das Leitsymptom. Er tritt spontan als
Nachtschmerz und bewegungsabhängig bei aktiver Abduktion
und Elevation zwischen 80° und 120° auf (schmerzhafter Bo-
gen). Bei passiver Bewegung des Armes durch den Untersucher ⊡ Abb. 1.16. Zugang. ____ Hautschnitt; - - - Periost-Muskelschnitt. Die
in diesem Bewegungssegment (»Impingmenttest« nach Neer). grau hinterlegte Kreisfläche zeigt die Unterminierung des Hautlappens
1.3 · Subakromiale Dekompression, offen und arthroskopisch
17 1
> Achtung 1. Assistent
Beim Zugang zum Subakromialraum blutet es sowohl aus
einigen größeren als auch aus zahlreichen, meist sehr kleinen
Gefäßen. Nach Koagulation der größeren Gefäße sollte früh-
zeitig ein Selbstspreizer eingesetzt werden, was die kleineren
Blutungen stoppt.

Senkrecht zum Hautschnitt Spalten des Periostes auf der latera-


len Klavikula, der Gelenkkapsel des Akromioklavikulargelenks
und des Periostes auf dem Akromion, sowie einer Muskelraphe
des M. deltoideus auf 2 cm Länge mit dem Elektromesser. Diese
Schicht wird vorsichtig subperiostal vom Knochen abpräpariert
und somit die vordere Begrenzung des Akromion und der
lateralen Klavikula dargestellt. Das Lig. coracoacromiale liegt
der Unterfläche des M. deltoideus unmittelbar an und lässt
sich durch Abschieben des Muskels mit einem Raspatorium
oder einem Präparierstiel auf 1 cm Länge darstellen. Das dünne
kraniale Blatt der Bursa subacromialis wird bei der Darstellung
des Akromions stets zwangsläufig mit durchtrennt und somit
die Bursa eröffnet. Ein stumpfer Hohmann-Retraktor kann nun
in die Bursa eingelegt, an der Unterfläche des hinteren Akromi-
ondrittels abgestützt und dann zum Abdrängen von kaudalem
Blatt der Bursa, Rotatorenmanschette und Humeruskopf ver- ⊡ Abb. 1.17. Subakromialraum. Die rote Linie zeigt die Schnittkante
wendet werden. Der Subakromialraum ist nun gut sicht- und der Faszien-Periost-Muskelschicht. Die Grenzen der Knochenresektion
tastbar (⊡ Abb. 1.17). sind gestrichelt, die Durchtrennung des Lig. coracoacromiale gepunktet
Die Resektion beinhaltet die gesamte Breite des Akromion, eingezeichnet
dessen kraniale Kortikalis bleibt jedoch erhalten (⊡ Abb. 1.18).
Der entfernte Knochen ist keilförmig, wobei die Basis des
Keiles fast die gesamte Dicke des vorderen Akromionendes um-
fasst und seine Länge etwa 15 mm beträgt. Wir bevorzugen zur
Resektion die oszillierende Säge mit einem schmalen (5 mm)
und 25 mm langen Sägeblatt.

! Bei zu flacher Führung der Säge resultiert nicht der gewünschte


Keil, sondern eine Abtrennung der vorderen Akromionhälfte
oder eine Akromionfraktur. Deshalb unbedingt sorgfältige Wahl
der Sägerichtung, im Zweifel eher steiler.

Das Akromionfragment wird mit anhängendem Ligamentum


coracoacromiale mit einer Kocher-Klemme gefasst und das Li-
gament 1 cm distal seines Ansatzes quer mit dem Elektromesser
durchtrennt. Dabei blutet es oft kräftig aus einem am medialen
Rand des Ligamentes verlaufenden Ast der Art. coracoacro-
mialis. Diese Blutung muss durch Koagualtion beider Gefäß-
stümpfe sicher gestillt werden.
Alle dort fühlbaren Knochenvorsprünge werden mit Luer-
Zange oder Säge abgetragen, bis eine glatte Fläche resultiert.
Abschließend Kontrolle der Rotatorenmanschettenoberfläche
durch Rotation des Humerus in verschiedenen Abduktionspo-
sitionen nach Herausnahme des Hohmann-Retraktors.
Der Subakromialraum wird ausgespült, um sicher Kno-
chenfragmente und Sägemehl zu entfernen. Die Adaptierung ⊡ Abb. 1.18. Anschrägung des vorderen Akromionendes
der Periost-Faszien-Muskelschicht erfolgt durch kräftige resor-
bierbare Nähte in Einzelknopftechnik in ca. 7 mm Abstand. Die
Wunde sollte bluttrocken sein, so dass keine Drainage erforder-
lich ist. Subkutannähte mit dünnem resorbierbarem Material.
Hautverschluss durch intrakutane resorbierbare Naht.
18 Kapitel 1 · Schulter

Arthroskopische Operationstechnik
1 Diagnostische Arthroskopie des Glenohumeralgelenks ⊡ Abb. 1.1.
Umsetzen des Arthroskops in den Subakromialraum. Der Ope-
rateur zieht die Optik aus der Trokarhülse und gibt Kamera/
Optik an den Assistenten. Er setzt den stumpfen Trokar ein und
zieht das System aus dem Gelenk, ohne jedoch das Hautportal
zu verlassen. Die hintere Ecke des Akromion wird mit dem Tro-
kar getastet und dann Trokar/Hülse unter Kontakt mit der Ak-
romionunterfläche nach ventral geschoben. Der stumpfe Trokar
perforiert die dünne Wand der Bursa subacromialis. Mit dem
Trokar erfühlt man das ventrale Ende des Akromion. Jetzt wird
Trokar/Hülse fächerförmig nach medial und lateral bewegt um
Verwachsungen der Bursa zu lösen. Die Kante des Lig. coracoa-
cromiale lässt sich ebenfalls mit dem Trokar ertasten. Wechsel
des stumpfen Obturators auf die Optik. Auffüllen der Bursa mit
50 mmHg Druck. Einsetzen der Arbeitskanüle (5,5 mm) in das
laterale Portal. Meist stören sowohl Zotten der Bursa als auch
herabhängendes Gewebe im Bereich des pathologischen Kon-
taktes (Impingement) am vorderen Akromionende die Sicht.
Die Spülflüssigkeit wird zudem durch Blutung aus kleinen Gefä-
ßen getrübt. Motorfräse und Elektroresektor/Elektrokoagulator
beseitigen diese Hindernisse. Danach helfen zwei Kanülen, an
der medialen und lateralen Ecke der vorderen Akromionkante
eingestochen, bei der sicheren Identifizierung der vorderen Ak-
romionkante von innen und des akromialen Ansatzes des Lig.
coracoacromiale. Die Bandstruktur ist eindeutig zu sehen.
! Nur bei einwandfreier Identifizierung des Ligamentes und Sicht
auf beide Kanülenspitzen ist die endoskopische Anatomie klar.
Nötigenfalls muss die langsamdrehende Motorfräse mit wenig
Sog und der Elektrokauter/Elektroresektor erneut verwendet
werden.

Nächster Schritt ist die Durchtrennung des Lig. coracoacromi-


ale nahe seines akromialen Ursprungs mit dem Elektroresektor
(⊡ Abb. 1.19). Dabei kann es bei Durchtrennung des lateralen
Randes des Ligaments kräftig aus Ästen des Ramus acromialis
der Arteria coracoacromialis bluten. Diese Blutung muss sofort
beherrscht werden.
! Bei Blutung: Spüldruck kurzzeitig auf 100 mmHg nötigenfalls
⊡ Abb. 1.19. Durchtrennung des Lig. coracoacromiale. Für die Lage der
auf 150 mmHg erhöhen. Abfluss schließen. Elektroinstrument in
Zugänge ⊡ Abb. 1.4
die Nähe der vermuteten Blutungsquelle bringen. Druck wieder
senken bis das erneut austretende Blut zeigt wo die Blutungs-
quelle liegt. Gefäßstumpf gezielt koagulieren.

Ein vorderer Akromionsporn (Y-Aufnahme) wird mit der Ku-


gelfräse abgetragen, wobei erneut die Spitzen der beiden Mar-
kierungskanülen bei der Orientierung helfen. Dann mittels
Wechselstabtechnik Umsetzen des Arthroskops auf den latera-
len Zugang und Einführen der Walzenfräse über den dorsalen
Zugang (⊡ Abb. 1.20).
Die Fräse hat aufgrund der Relation von Akromion und
dorsalem Portal den richtigen Anstellwinkel zur Akromio-
nunterfläche und ermöglicht bei fächerförmigem Hin- und
Herbewegen eine Anschrägung des vorderen Akromionendes.
Einlegen einer Saugdrainage, 10 Charrière, über die Trokar-
hülse. Verschluss des dorsalen Zuganges durch Rückstichnaht.
⊡ Abb. 1.20. Abtragen des vorderen Akromionspornes Verband.
1.4 · Operation nach Weaver-Dunn
19 1
Postoperativ 1.4 Operation nach Weaver-Dunn
Probleme
Die Rehabilitation bis zur schmerzfreien Beweglichkeit kann Indikation
mehrere Monate dauern. Bei ungenügendem Bewegungsum- Posttraumatische symptomatische Instabilität des lateralen
fang und beginnender Einsteifung entsprechende Modifikation Klavikulaendes, teils kombiniert mit einer posttraumatischen
der Krankengymnastik, ggf. auch Interskalenusblockade. Arthrose des Akromioklavikulargelenks. Bei der frischen Ver-
letzung bevorzugen wir die anatomische Gelenkrekonstruktion
Nachsorge ( Kap. 8.2).
Ziehen der Drainage am 1. postoperativen Tag. Schmerzadap-
tiert zunehmendes Bewegen des Armes. Dreimonatige Sport-
karenz bzw. Freistellung von schwerer körperlicher Arbeit und Operationsprinzip
6-monatiges Meiden von Überkopfarbeit. Eine laterale Klavikularesektion ( Kap 1.2) wird mit einer
Transposition der knöchernen Ansatzzone des Lig. coracoacro-
Besonderheiten miale von der Akromionvorderunterkante in den Markraum
Der offene Zugang zur Rotatorenmanschette umfasst eine SAD, der lateralen Klavikula verbunden. Dadurch wird einerseits
um genügend Raum für die Manschettenrekonstruktion zu der schmerzhafte Kontakt zwischen Akromion und Klavikula
schaffen. Die SAD wird dann in offener Technik ( Kap. 1.5) eliminiert, andererseits das Klavikulaende nach kaudal gezü-
durchgeführt. gelt und somit die Insuffizienz der korakoklavikulären Bänder
kompensiert.

Operationsvorbereitung:
Diagnostik und Planung
Die veraltete Luxation des AC-Gelenks (Grad III oder IV nach
Rockwood) ist klinisch am Hochstand der lateralen Klavikula
und der damit verbundenen Asymmetrie der Silhouetten von
verletzter und gesunder Schulter zu erkennen. Bei Druck auf
das Schlüsselbein von oben lässt sich durch passives Anheben
des Armes und damit der Skapula des Patienten die Reposition
herbeiführen (»Klaviertastenphänomen«).

Röntgen: a.-p. Röntgenaufnahmen beider Akromioklavikular-


gelenke mit 15° nach kranial gerichtetem Zentralstrahl auf ei-
nem Film unter 10 kg Gewichtsbelastung der Arme bei aufrecht
sitzendem Patienten mit zurückgenommenen Schultern.

Aufklärung
▬ Stabilität des AC-Gelenks kann nicht vollständig wiederher-
gestellt werden.
▬ Eine leichte Schwäche des Armes kann verbleiben.

Im Operationssaal
Lagerung
 Kap. 1.1

Operationstechnik
Der Zugang entspricht dem bei der lateralen Klavikularesek-
tion angegebenen ( Kap. 1.2) ist allerdings nach dorsal und
ventral jeweils 1,5 cm länger. Damit lassen sich breitere Haut-
bezirke unterminieren und sowohl die Akromionvorderkante
( Kap. 1.3) als auch die Oberfläche der lateralen Klavikula
auf 3 cm Länge darstellen. Das Lig. coracoacromiale wird wie
bei der offenen Technik der subakromialen Dekompression
besprochen ( Kap. 1.3) mit einem Knochenstück am Akro-
mion desinseriert. Das laterale Klavikulaende wird reseziert
( Kap. 1.2).
20 Kapitel 1 · Schulter

Die Klavikula wird mit Daumendruck auf die korrekte Höhe


1 und Position in Relation zum Akromion eingestellt und die
Länge des in den Markraum zu ziehenden Anteils des Lig. cora-
coacromiale abgeschätzt (⊡ Abb. 1.21).
Der Markraum wird mit einer kleinen Kugelfräse oder mit
einem 4,5-mm-Bohrer auf 1,5 cm Länge aufgebohrt und das
Knochenstück mit der Luer-Zange so verkleinert, dass es in den
Markraum gezogen werden kann. Armierung mit nichtresor-
bierbarem Material Stärke 2 USP. 2 Bohrungen, 2 mm Durch-
messer durch die Kortikalis der Klavikula zum Ausleiten der
Fäden (⊡ Abb. 1.22).
Einziehen des Bandendes mit oder ohne Knochen mittels
der Fäden. Überkorrektur durch kräftigen Druck auf die Klavi-
kula, die während des Knüpfens der Fäden 5 mm zu tief stehen
soll, da die Konstruktion im Laufe der Nachhandlung immer
etwas nachgibt. Knüpfen der Fäden über der Knochenbrücke
⊡ Abb. 1.21. Lig. coracoclaviculare am Akromion mit Knochenschuppe (⊡ Abb. 1.23). Verschluss  Kap. 1.2.
desinseriert, laterales Klavikulaende reseziert
! Die laterale Klavikula ist im Querschnitt nicht rund, sondern
oval. Der querovale Markraum ist deshalb manchmal sehr eng.
Falls der Raum für das Einziehen eines Knochenstücks nicht
ausreicht, muss dieses vom korakoakromialen Band entfernt
und das in Krackow Technik (Insert) armierte Bandende ohne
Knochen eingezogen werden.

Postoperativ
Probleme
Lockerung und erneuter Hochstand des lateralen Klavikula-
endes bei zu früher Belastung innerhalb der ersten 12 Wochen
postoperativ

Nachsorge
Schulterorthese, die das Gewicht des Armes für 6 Wochen trägt.
Ab dem ersten postoperativen Tag darf die Schulter passiv
krankengymnastisch aus der Orthese heraus beübt werden.
Elevation und Abduktion bis 90°. Halten der Eigenschwere des
⊡ Abb. 1.22. Einziehen des Ligamentes in den Markraum der Klavikula Armes durch den Krankengymnasten. Nach 6 Wochen Frei-
gabe des Bewegungsspielraums und aktive Beübung zunächst
ohne Widerstand. Nach 12 Wochen auch wieder körperliche
Belastung.

⊡ Abb. 1.23. Knüpfen in Überkorrektur


1.5 · Rotatorenmanschettenrekonstruktion
21 1
1.5 Rotatorenmanschettenrekonstruktion Röntgen: Aufnahmen wie in  Kap. 1.3 beschrieben. Bei gro-
ßem chronischen Defekt kann der Humerus nach kranial
Indikation wandern (Unterbrechung der Maloney-Linie auf der a.p. Auf-
Frischer kompletter Riss mit Funktionsausfall bei zuvor voll nahme: mediale Kontur der proximalen Humerusmetaphyse
funktionsfähiger Schulter. Veraltete Läsion mit Schmerzen und und Margo lateralis scapulae lassen sich normalerweise zu
Funktionsausfall/Schwäche trotz 3- bis 6-monatiger konser- einem romanischen Bogen verbinden). Schließlich stößt der
vativer Behandlung. Bei sehr großen, mehrere Sehnenanteile Humeruskopf an der Akromionunterfläche an und bildet mit
erfassenden Defekten mit retrahierter, atrophischer Muskulatur ihr ein Hilfsgelenk (Nearthros). Gleichzeitig entsteht eine
und Hochstand des Humeruskopfes ist eine anatomische Re- Omarthrose. Das Vollbild wird als Rotatorendefektarthro-
konstruktion nicht mehr möglich. pathie bezeichnet. Es entwickelt sich kontinuierlich. Mit ab-
nehmendem Abstand des Humeruskopfes vom Akromion
wird die Prognose für eine Rekonstruktion schlechter. Bei
Operationsprinzip voller Ausprägung ist eine anatomische Wiederherstellung
Die Rotatorenmanschette wird verschlossen. Am Humerus ab- nicht mehr möglich.
gerissene Sehnen werden reinseriert. Damit wird einerseits die
zentrierende Wirkung der Manschette auf das Gelenk wieder Sonographie: Mittels Ultraschall kann der geübte Untersu-
hergestellt und somit die Subluxation des Kopfes gegenüber der cher die klinische Diagnose sichern und die Rupturgröße (Ein-,
Pfanne behoben. Andererseits wird die Muskelkraft der Rotato- Zwei- oder Dreisehnenruptur) beurteilen.
renmuskeln wieder auf den Humerus übertragen und dadurch
die Schwäche des Armes beseitigt. Die Rekonstruktion wird MRT: Der Zustand der Muskelbäuche der Rotatorenmuskeln
offen durchgeführt, kann aber auch arthroskopisch erfolgen. ist am besten im MRT zu beurteilen. Die Erfolgsaussichten der
Bei der Rekonstruktion veralteter Läsionen ist die gleichzeitig Rekonstruktion werden bei Atrophie oder Verfettung der Mus-
bereits beim Anlegen des Zugangs durchgeführte subakro- kulatur geringer.
miale Dekompression für ein ungehindertes Bewegungsspiel
! Größe, Form, Lage und Alter der Rotatorenmanschetten-
der rekonstruierten Manschette nötig. In diesem Buch wird
ruptur bzw. des Rotatorenmanschettendefektes bestim-
die offene Standardoperation beschrieben. Arthroskopische
men über die Möglichkeit einer Rekonstruktion und den
Rekonstruktionsverfahren bleiben spezialisierten Operateuren
dafür erforderlichen operativen Aufwand. Der Schwierig-
vorbehalten.
keitsgrad ist damit sehr unterschiedlich. Nur die Ein- oder
Zweisehnenruptur von M. supraspinatus und M. infraspina-
Operationsvorbereitung tus bei noch zentriertem Humeruskopf und ohne Muskel-
Aufklärung atrophie eignet sich für die Versorgung durch den weniger
Erfahrenen.
▬ Langwierige Rehabilitationsphase für 6 Monate.
▬ Reruptur nicht auszuschließen.
▬ Da die meisten Sehnen bereits vor der Ruptur degenerativ
verändert waren, kann durch eine Rekonstruktion oft keine Im Operationssaal:
voll funktionsfähige und voll belastbare Schulter erzeugt Lagerung
werden.  Kap. 1.1
▬ Nach Injektionen kortikoidhaltiger Medikamente in den
Subakromialraum ist das Infektionsrisiko erhöht. Operationstechnik
▬ Siehe zudem Aufklärung vor subakromialer Dekompression Zugang entsprechend  Kap. 1.3. Um das Tuberculum majus
( Kap. 1.3). für die Reinsertion gut zu erreichen, sollte die Muskelraphe im
M. deltoideus auf 4 cm Länge gespalten und das distale Ende
Diagnostik des Spalts durch eine temporäre Naht gesichert werden.
Klinik wie beim Subakromialsyndrom ( Kap. 1.3). Zusätzlich
Zeichen des Ausfalls der Rotatorenmuskeln: ! Der N. axillaris und seine Begleitgefäße verlaufen auf der Unter-
▬ »Pseudoparalyse«: der vom Untersucher in 90°-Abduktion fläche des M. deltoideus in mindestens 5 cm Abstand vom Ak-
gehaltene Arm fällt bei Nachlassen der Unterstützung kraft- romion nahezu horizontal von dorsal nach ventral. Der Schlitz
los herab, falls M. supraspinatus und M. infraspinatus des- im M. deltoideus darf deshalb beim Aufspreizen des Zugangs
inseriert sind; keinesfalls nach distal ausreißen. Länge von 4 cm sorgfältig ein-
▬ Abhebetest (»Lift-off-Test«): die im Schürzengriff auf dem halten, Sicherung durch Naht.
Rücken liegende Hand kann nicht nach hinten vom Kör-
per abgehoben werden, falls der M. subscapularis ausge- Bei frischen Rupturen des M. supraspinatus reicht der Zugang
fallen ist; ohne subakromiale Dekompression zur Rekonstruktion aus.
▬ Bauchdruck-Test (»Belly-press-Test«): beim Druck mit der In allen anderen Fällen ist der erste Schritt der Operation
Hand auf die Nabelgegend weicht bei Ausfall des M. subsca- die offene subakromiale Dekompression wie in  Kap. 1.3 be-
pularis der Ellbogen nach ventral aus. schrieben.
22 Kapitel 1 · Schulter

⊡ Abb. 1.24. L-förmige Supraspinatussehnenruptur. Blick auf


die rechte Schulter von vorne oben

Der Defekt wird durch Rotation des Armes und Wahl der Ab-
duktionsposition in das Zugangsfenster manövriert. Das krani-
ale Blatt der Bursa subacromialis/subdeltoidea und zerfaserte
Rissränder sowie zerstörte Teile des kaudalen Bursablattes wer-
den mit Pinzette und Skalpell entfernt. Form, Größe und Lage
der Rissstelle (»L-förmig, auf 1,5 cm Länge am Tuberculum ma-
jus abgerissen und 2 cm nach medial reichend, supraspinatus«)
werden protokolliert (⊡ Abb. 1.24).

Die lange Bizepssehne wird inspiziert: der proximale Teil durch


Einsetzen eines schmalen, etwa 5 cm langen Langenbeck-Ha-
kens, der mittlere Teil durch Anheben mit einem Einzinkerhäk-
chen unter Anbeugen des Ellbogengelenks. Dabei hilft kräftiger
axialer Zug am Oberarm, den Subakromialraum maximal zu
⊡ Abb. 1.25. Beurteilung der langen Bizepssehne entfalten (⊡ Abb. 1.25).
1.5 · Rotatorenmanschettenrekonstruktion
23 1

Doppelt armierte nichtresorbierbare Fäden der Stärkte 5 USP


werden in den retrahierten Sehnenrand eingeflochten (Insert).
Dabei genügt eine Naht auf 5 mm Sehnenlänge (⊡ Abb. 1.26).
! Die Sehnenplatte ist häufig auch horizontal eingerissen und
in zwei Schichten getrennt. Die unten liegende Schicht ist oft
stärker retrahiert als die obere. Mit der Naht müssen unbedingt
beide Sehnenschichten erfasst werden.

Am Tuberculum majus wird eine der Sehnenbreite entspre-


chende Nut gemeißelt. Drei Bohrlöcher von 2 mm Durchmesser
werden von proximal nach distal so angelegt, dass ihre Ausgänge
mindestens 1,5 cm distal der Obergrenze des Tuberculum majus
in kräftiger Kortikalis liegen. Die Ausgänge müssen jedoch zum ⊡ Abb. 1.26. Armierung der Sehne, Knochennut und Bohrlöcher im
Ausziehen und Knüpfen der Fäden erreichbar sein. Tuberculum majus. Das Insert zeigt Nut und Bohrlöcher im Frontal-
schnitt und die Armierungstechnik nach Mason-Allen
> Achtung 1. Assistent
Dabei ist die ideale Position des Armes zur bestmöglichen
Darstellung des Tuberculum majus gefragt. Der 2. Assistent
erhält einen Langenbeck-Haken, mit dem er den M. deltoi-
deus vom Tuberculum majus weghält, ohne dabei den Haken
zu verkanten, mit gefühlvollem Zug und ohne in dieser Phase
den Hakenzug nachzulassen. Lichteinstellung optimal?

Unter Zug an den Armierungsfäden wird überprüft, ob sich das


Sehnenende in die Nut ziehen lässt. Oft ist dies zunächst nicht
der Fall. Dann müssen Verklebungen und Verwachsungen gelöst
werden. Diese befinden sich zwischen der Oberfläche von Rota-
torenmanschette und ihrer Umgebung und zwischen der Unter-
fläche der Sehne und dem Gelenk. Besonders der supraglenoi-
dale Rezessus medial und kranial-dorsal des Labrum glenoidale
ist häufig obliteriert. Unter Zug an den Armierungsfäden nach
lateral werden zuerst die oberflächlichen Verwachsungen stumpf
mit dem Finger gelöst und so die Oberfläche der Manschette
befreit. Dem folgt die Durchtrennung der intraartikulären Ver-
wachsungen mit einem stirnschneidenden Raspatorium.
! 2,5 cm medial des Glenoidalrandes verläuft der N. suprascapularis.
Die Ablösung der Kapsel darf deshalb nur bis zu einer Tiefe von
etwa 15 mm über den Glenoidrand hinaus nach medial erfolgen.
24 Kapitel 1 · Schulter

Der Längsriss wird mit einer nichtresorbierbaren Schnürsen-


1 kelnaht Stärke 2 USP armiert (⊡ Abb. 1.27). Die Fäden werden
unter Verwendung dünner, biegsamer Drahtschlingen (»Blu-
mendrähte«) durch die Knochenkanäle gezogen. Auch die En-
den der Schnürsenkelnaht werden über einer Knochenbrücke
geknüpft (⊡ Abb. 1.28).
! Weniger die Fixierung der Fäden im Sehnengewebe, die
heute meist mittels der gezeigten Mason-Allen-Naht sehr
sicher erfolgt, als vielmehr der einwandfreie Halt am Kno-
chen ist das Problem. Die Austrittsöffnungen der Bohrkanäle
müssen deshalb in solidem kortikalem Knochen, also nicht
zu weit proximal am Tuberculum majus liegen. Die Spannung
der Rekonstruktion darf auch bei angelegtem Oberarm nicht
zu groß sein.

Der Verschluss der Wunde erfolgt wie für die offene subakro-
miale Dekompression angegeben ( Kap. 1.3). Der Schlitz im
M. deltoideus wird mit 5 resorbierbaren Einzelknopfnähten
⊡ Abb. 1.27. Schnürsenkelnaht und Mason-Allen-Nähte USP 1 adaptiert.

Postoperativ
Probleme
Schmerz in der unmittelbaren postoperativen Phase. Regionale
Analgesie über einen interskalenären Verweilkatheter mit kon-
tinuierlicher oder intermittierender Gabe von Lokalanästheti-
kum kann über die ersten postoperativen Tage erforderlich sein
(Anästhesiologie).

Nachbehandlung
Postoperative Lagerung auf der Abduktionsschiene für 6 Wo-
chen (30° Abduktion, 20° Flexion, Neutralrotation).
Passive Bewegungsübungen ab dem 1. postoperativen Tag.
Dabei hilft die Angabe des Operateurs über die Beweglichkeit
der Schulter nach Knüpfen der Rekonstruktionsfäden. In die-
sem Bereich kann die Krankengymnastin gefahrlos bewegen.
! Die Bewegungsprüfung der rekonstruierten Schulter vor dem
Verschluss des M. deltoideus erlaubt es dem Operateur, die
Krankengymnastik präzise über den möglichen Bewegungs-
spielraum in den ersten 6 Wochen zu informieren.

Ab der 7. Woche Abtrainieren der Orthese und Beginn mit


aktiven Bewegungsübungen. Nach 6 Monaten sollte die freie
Beweglichkeit erreicht sein.

⊡ Abb. 1.28. Reinserierte, verschlossene Supraspinatussehen. Das In-


sert zeigt den in die Knochennut gezogenen Sehnenstumpf und den
transössären Fadenverlauf im Frontalschnitt
1.6 · Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, offen und arthroskopisch
25 1
1.6 Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, einer Luxationstasche bestehend aus Periost und Kapsel ein-
offen und arthroskopisch hergeht, ist die charakteristische Weichteilläsion. Mit dem
Tasthäkchen durch eine Arbeitskanüle, im anterioren Zugang
Indikation (A,  Kap. 1.1) wird das abgelöste Labrum glenoidale mitsamt
Instabilität bedeutet wiederholtes Luxieren oder symptomati- dem desinserierten vorderen Band des Lig. glenohumerale
sches Subluxieren des Glenohumeralgelenks. Handelt es sich inferius angehoben und die Luxationstasche (Stern) ausgetas-
um eine posttraumatische Instabilität, wofür eine einschlägige tet. Die traumatische Luxation führt häufig zusätzlich zu einer
Anamnese und die Reposition durch einen Arzt sprechen, sollte dorsokranialen Impressionsfraktur des Humeruskopf dort, wo
nach drei Luxationsereignissen operativ stabilisiert werden. Die im luxierten Zustand der Kopf gegen den harten eckigen
Stabilisierung kann nach wenigen Luxationen noch arthrosko- Pfannenvorderunterrand drückt (Hill-Sachs-Läsion, Pfeile).
pisch erfolgen. Das offene Vorgehen muss jedoch in jedem Falle Diese Impressionsfraktur darf in nahezu allen Fällen bei der
beherrscht werden, um sich darauf zurückziehen zu können. Die operativen Versorgung unberücksichtigt bleiben. Nur solche
arthroskopische Technik ist technisch an der oberen Schwierig- Impressionsfrakturen die mehr als ein Drittel der Zirkumfe-
keitsgrenze für den in Ausbildung befindlichen Operateur und renz des Humeruskopfes umfassen bedürfen einer speziellen
wird deshalb nur im Ausnahmefall vermittelt werden können. Operationstechnik.
Ist die Instabilität auf konstitutionelle Faktoren wie übermä- Die Rekonstruktion erfolgt durch Reinsertion des Labrum-
ßige Laxität der Kapsel und Bänder und/oder Anomalien der Kapsel-Ligament-Komplexes am angefrischten Pfannenvorder-
knöchernen Gelenkkörper zurückzuführen, wofür die spontane rand und an der Vorderfläche des Skapulahalses. Dabei muss
Entstehung und die Reposition durch den Patienten selbst spre- möglicherweise eine Raffung der Kapsel, insbesondere nach
chen, sollte zunächst versucht werden, durch Muskelkräftigung häufig wiederholten Luxationen erfolgen. In Bezug auf das
und durch Gebrauchsschulung mit Vermeidung luxationsbe- Vermeiden erneuter Luxationen erreichen arthroskopische Ver-
günstigender Situationen, erneute Luxationen zu verhindern. fahren noch nicht die Erfolgsrate der traditionellen offenen
Die operative Behandlung solcher Formen ist ebenso wie die Methoden. Andererseits ist das mit einem arthroskopischen
Beurteilung und Behandlung der Zwischenformen Aufgabe des Eingriff verbundene Operationstrauma im Vergleich zu dem
Schulterspezialisten und sprengt den Rahmen dieses Lehrbuchs. bei offener Rekonstruktion erheblich reduziert und die Ge-
fahr der postoperativen Bewegungseinschränkung oder Arth-
roseentstehung ist geringer.
Operationsprinzip
Bei rezidivierenden posttraumatischen Luxationen liegen cha-
rakteristische intraartikuläre Schäden vor, die für das Krank- Operationsvorbereitung
heitsbild ursächlich sind. Sie gehen auf nichtverheilte Verlet- Aufklärung
zungen bei der Erstluxation zurück. Hier wird ausschließlich die ▬ Reluxationsrisiko verfahrensabhängig 5–10%
häufigste Instabilitätsform, die posttraumatisch rezidivierende ▬ Postoperative Teilimmobilisation des Armes für 6 Wochen
vordere untere Luxation/Subluxation beschrieben (⊡ Abb. 1.29). ▬ Umsteigen intraoperativ von der arthroskopischen auf die
Die Desinsertion des Labrum-Kapsel-Ligament-Komple- offene Rekonstruktionstechnik manchmal erforderlich
xes am Pfannenvorderunterrand, die häufig mit Ausbildung
Diagnostik und Planung
Im einfachsten Fall berichtet der Patient einen typischen Un-
fallhergang und legt das im luxierten Zustand von der erst-
versorgenden Klinik gefertigte Röntgenbild vor. Bei positivem
vorderem Apprehension-Test kann dann unmittelbar die In-
dikation zur Rekonstruktion gestellt werden. Wesentlich ist
die Abgrenzung gegenüber der möglicherweise nichtoperativ
zu behandelnden konstitutionellen Schulterinstabilität. Eine
allgemeine Laxität der Gelenke spricht für eine konstitutio-
nelle Schulterinstabilität. Sulkustest und Schubladentests sind
zusätzliche Unterscheidungshilfen. Röntgenologisch müssen
Begleitschäden des Gelenks wie ein knöcherner Ausriss des
Pfannenrandes, eine Fraktur des Tuberculum majus und ein
Abbruch des Prozessus coracoideus ausgeschlossen werden.
A.p. Aufnahme, axilläre Aufnahme und ggf. Spezialprojekti-
onen zur Darstellung des Pfannenvorderunterrandes und des
Humeruskopfes werden durchgeführt. Ist die Luxationsrich-
tung unklar oder besteht der Verdacht auf eine konstitutionelle
Laxität mit atraumatischer rezidivierender Luxation, muss ein
⊡ Abb. 1.29. Posttraumatische vordere Schulterinstabilität. Typischer Arthro-MRT oder ein CT-Arthrogramm erfolgen. Hier sind
Gelenkbefund (Bezeichnungen  Text) die typischen Veränderungen wie vordere Luxationstasche, La-
26 Kapitel 1 · Schulter

brumschaden, Hill-Sachs-Delle zu suchen. In manchen Fällen Als nächste Schicht erscheint die fast weiße Fascia clavipec-
1 ist die letzte diagnostische Sicherheit erst während einer dia- toralis. Zum vollständigen Abschieben des M. deltoideus und
gnostischen Arthroskopie zu gewinnen. Der Operateur muss des M. pectoralis von der Faszie auf Schnittlänge und auf 2 cm
darauf vorbereitet sein, seinen Behandlungsplan aufgrund des Breite kann ein Präparierstiel verwendet werden. Einsetzen
Arthroskopiebefundes zu ändern. von je einem Roux-Haken unter den M. deltoideus und den
M. pectoralis und eines Langenbeck-Hakens ans Korakoid.
Durchtrennen der Fascia clavipectoralis neben den tastbaren,
Im Operationssaal am Korakoid inserierenden gemeinsamen Sehnen von kurzem
Lagerung Bizepskopf und Korakobrachialis. Die gemeinsame Sehne wird
Falls arthroskopische Versorgung geplant, halbsitzend ( Kap. 1.1). 1 cm unterhalb der Korakoidspitze auf 2/3 ihrer Breite von late-
Falls offene Versorgung, Rückenlagerung, flach um Armbreite ral nach medial mit dem Elektromesser eingekerbt.
zur gesunden Körperseite verschoben, so dass der zu operierende
! Der N. musculocutaneus tritt von dorsomedial in dieses Mus-
Arm in ganzer Länge sicher auf dem Operationstisch aufliegt.
kelbündel etwa 2–5 cm unterhalb der Korakoidspitze ein. Ist
Offene Operationstechnik ein Nerv so wie in diesem Fall nicht sichtbar und der Operateur
trotzdem gezwungen, in seiner Nähe zu schneiden, erlaubt die
Deltoideopektoraler Zugang. Hautschnitt von der Korakoid-
Verwendung eines Elektromessers die Sicherheit zu erhöhen:
spitze auf einen Punkt 2 cm lateral der Axillarfalte gezielt. Un-
Wenn mit dem Elektromesser in der Nähe eines motorischen
terminieren der Haut zur Darstellung der V. cephalica im unte-
Nerven gearbeitet wird, wird dieser gereizt und die zugehörige
ren Drittel des Schnitts. Mit Präparierschere und stumpf digital
Muskulatur beginnt zu zucken. Der Operateur ist gewarnt.
werden die Muskelfasern 5 mm medial der Vene auseinander
gedrängt. Wegen der zahlreichen Venenäste in den M. deltoi- Die gemeinsame Sehne wird in Krackow-Technik (Insert) ange-
deus wird die V. cephalica mit der schützenden, schmalen Mus- schlungen mit doppelt armiertem nichtresorbierbarem Material
kelmanschette nach lateral abgedrängt und dieser Wundrand der Stärke 2 USP. Der erste Assistent rotiert nun den Arm des
zunächst mit einem stumpfen Haken gehalten. Patienten nach außen. Dabei tastet der Operateur den Sulcus
bicipitalis, der in 45°-Außenrotation nach anterolateral zeigt
> Achtung 1. Assistent und das Tuberculum minus das in 45°-Außenrotation nach
Von der V. cephalica nach medial abgehende Äste müssen ventral zeigt. Nach Abschieben von etwas lockerem Bindege-
unterbunden werden. Eine Koagulation verletzt leicht den webe sieht man Muskelbauch und Sehne des M. subscapularis
Hauptstamm des Gefäßes. Der Operateur erwartet, dass die sowie das kleine Bündel der Zirkumflexagefäße am Unterrand
Technik der Unterbindung beherrscht wird. dieser Sehne (⊡ Abb. 1.30).

⊡ Abb. 1.30. Deltoideopektoraler Zugang zum rechten Schulter-


gelenk. Sicht von vorne. Insert: Krackow-Technik zur Armierung der
gemeinsamen Sehne
1.6 · Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, offen und arthroskopisch
27 1
L-förmiges Ablösen des M. subscapularis von der vorderen
Gelenkkapsel (⊡ Abb. 1.31). Dabei ist die Sehne nahe des Tuber-
culum minus so eng mit der Kapsel verwachsen, dass nur eine
scharfe Trennung in Frage kommt (Insert). Nachdem 1 cm Seh-
nenlänge gewonnen wurde, wird deren freier Rand dreifach in
Matratzentechnik mit Haltenähten angeschlungen, nach ventral
gezogen und die Sehne mit der Präparierschere, weiter medial
mit dem stirnschneidenden Raspatorium von der vorderen Kap-
sel gelöst (⊡ Abb. 1.31).

! Eine vollständige Trennung in Sehne einerseits und geschlos-


sene Kapselwand andererseits ist praktisch unmöglich. Die
Oberkante der Sehne ist arthroskopisch von innen nahe dem
Labrum sichtbar. Folglich wird an dieser Stelle mit Ablösung der
Sehne das Gelenk zwangsläufig auf einige Millimeter eröffnet.

⊡ Abb. 1.31. Trennung von Sehne und Muskelbauch des M. subscapu-


laris von der Schltergelenkkapsel. Insert: Horizontalschnitt. Ansatznahe
ist auf etwa 10 mm Länge eine scharfe Trennung in Sehne und Kapsel
erforderlich

Bei Umsetzen des breiten Langenbeck-Hakens auf die Unterflä-


che des M. subscapularis wird der Blick auf die vordere Kapsel
frei. Der Pfannenrand wird durch die Kapsel hindurch palpiert.
0,5 cm lateral und parallel zum Pfannenrand wird die Kapsel
von 1 Uhr bis 6 Uhr eröffnet (⊡ Abb. 1.32).

> Achtung 1. Assistent


Dieser Schritt ist wichtig, findet aber am tiefsten und an dem
am wenigsten gut einsehbaren Ort des Zugangs statt. Konse-
quenz: guter Hakenzug am Langenbeck-Haken durch den 2.
Assistenten und gute Einstellung der Operationsleuchte in die
Tiefe der Wunde durch den 1. Assistenten.

⊡ Abb. 1.32. Lage des Kapselschnittes schematisch (Pfeilspitze, Hori-


zontalschnitt). Der M. subscapularis ist abgeschoben
28 Kapitel 1 · Schulter

Der Kapselretraktor wird in die Luxationstasche geschoben und Doppelung der Rekonstruktion parallel zum Pfannenvorder-
1 findet am Skapulahals Halt. Der Humeruskopf wird mit einem rand (Insert) (⊡ Abb. 1.34).
am hinteren Pfannenrand verhakten Kopfretraktor nach dorsal
> Achtung 1. Assistent
abgedrängt. Der Arm liegt frei beweglich neben dem Patienten.
Vom Zeitpunkt des Knüpfens der Rekonstruktionsnähte an
Nun sind Skapulahals und vorderer Pfannenrand übersichtlich
darf der Arm nicht mehr über die Neutralstellung hinaus in
dargestellt und der Skapulahals wird sparsam mit einer Kugel-
Außenrotation gedreht werden oder in Retroversion kommen.
fräse angefrischt. Dann werden in der 2-, 3- und 5-Uhr-Position
Er muss durch die Assistenz bis zum festen Sitz des Verbandes
drei Nahtanker im Knochen versenkt (⊡ Abb. 1.33).
in Innenrotation und Anteversion gesichert werden.
Nachdem die Retraktoren entfernt sind, wird der laterale
Kapsellappen in Matratzentechnik mit den Armierungsfäden Die Sehne des M. subscapularis wird anatomisch mit drei
der Anker erfasst. Der Arm wird jetzt innenrotiert und die drei resorbierbaren Matratzennähten Stärke 1 USP an ihrem tu-
Nähte geknüpft. Dies bringt den Kapselrand zurück auf den berkulumseitigen Stumpf refixiert. Die Sehne von kurzem Bi-
Pfannenvorderrand. Danach muss noch eine Außenrotation zepskopf und Korakobrachialis wird mit Hilfe der vorgelegten
von 10°–20° möglich sein; sonst ist die Kapselspannung zu Armierungsnaht am Proc. coracoideus refixiert. Dabei wird
hoch und muss gelockert werden durch Versetzen der Fäden zur Wegnahme der Spannung der Arm im Ellbogen 90° ge-
am Kapselrand. Ist die Spannung gut, wird der mediale Kapsel- beugt. Redondrainage 10 Charrière. Resorbierbare Subkutan-
lappen mit den armiert und lang belassenen Fäden durchsto- nähte und fortlaufende intrakutane resorbierbare Hautnaht.
chen und auf die Nahtreihe aufgesteppt. Damit ergibt sich eine Gilchrist-Verband.

a b

⊡ Abb. 1.33a,b. a Abdrängen von Kopf und Kasel zur Anfrischung des Skapulahalses. b Verankerung von 3 Fadenschlingen am Pfannenrand

⊡ Abb. 1.34. Reinsertion des lateralen Kapsel-


lappens und Kapseldoppelung. Insert: Vorderer
Pfannenrand mit Nahtanker, reinseriertem latera-
lem und darüber gelegtem medialem Kapsellap-
pen (Horizontalschnitt)
1.6 · Rekonstruktion bei vorderer Schulterinstabilität, offen und arthroskopisch
29 1
Arthroskopische Operationstechnik
Die arthroskopische Technik verfolgt dasselbe Ziel wie das
offene Verfahren. Von den zahlreichen Varianten wird die von
Habermeyer beschriebene Refixationstechnik übernommen.
Bei dieser Methode ist lediglich der anteriore und der poste-
riore sowie in manchen Fällen der anterior/superiore Zugang
erforderlich ( Kap. 1.1). Dabei muss bei der Anlage des anteri-
oren Zugangs dieser so tief als möglich, also durch Platzierung
des Wissinger-Stabs möglichst knapp oberhalb der Subskapu-
laris-Sehne angelegt werden ( Kap. 1). Der anteriore Zugang
wird mit einer sehr großlumigen Kunststoffarbeitskanüle von
8 mm Durchmesser armiert.
Für die arthroskopische Rekonstruktion sind spezielle Ins-
trumente erforderlich (⊡ Abb. 1.35). Zunächst werden Skapula-
hals und Luxationstasche mit der Motorfräse debridiert. Durch
die Arbeitskanüle wird dann eine spezielle Fass-Bohrzange ge-
führt, der Kapsellabrumkomplex in der 5-Uhr-Position gefasst
und in Richtung Bizepssehnenansatz nach kranial verzogen.

⊡ Abb. 1.35. Instrumentarium zur Insertion


von Fadenankern (Fa. Arthrex)
30 Kapitel 1 · Schulter

In dieser Position wird durch die Fass-Bohrzange unter Ver-


1 wendung des kanülierten Ankerhalters ein armierter Titanfa-
denanker (Fasttack, Fa. Arthrex) in den Skapulahals gebohrt
(⊡ Abb. 1.36).
Nach Zurückziehen des Ankerhalters und Entfernen der
Zange zeigt der Verlauf des Fadens die zu erwartende Reposi-
tion des Kapsel-Labrum-Ligament Komplexes an. Der Arbeits-
gang wird wiederholt und in der 2-Uhr-Stellung ein weiterer
Anker eingebracht.
Das Verknoten der beiden Fäden in Matratzentechnik re-
poniert den Kapsel-Labrum-Ligament-Komplex und spannt
das vordere Band des unteren glenohumeralen Gelenkes
(⊡ Abb. 1.37).

Postoperativ
⊡ Abb. 1.36. Einbringen des ersten Ankers Probleme
Einsteifung bei vollständiger Immobilisation des Armes. Die
Schulter muss ab dem 1. postoperativen Tag täglich bewegt
werden.
Lockerung der Rekonstruktion bei zu intensiver Beübung.
Bis zum Anheilen des Kapsel-Labrum-Ligament-Komplexes
ist eine krankengymnastische Muskelkräftigung nicht möglich.
Intensive krankengymnastische Behandlung in den ersten 6
Wochen ist kontraproduktiv.

Nachbehandlung
Pendelübungen ab dem 1. postoperativen Tag. Für 6 Wochen
Gilchrist-Verband zur Nacht. Tagsüber darf der Verband ab
der 5. Woche immer länger weggelassen werden. Vermeidung
von Außenrotation, Retroversion und Abduktion über 90°.
Für 4 Wochen wird der Arm nur passiv und geführt bewegt.
Dann zunehmend auch aktiv im genannten Bereich. Ab der 7.
Woche Freigabe der Beweglichkeit und Ablegen des Gilchrist-
Verbandes.
⊡ Abb. 1.37. Reposition Kapsel-Labrum-Ligament-Komplex durch 2
Matratzennähte
Literatur
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berg, München
Hedtmann A, Fett H (2002) Erkrankungen des Akromioklavikulargelenkes. In:
Gohlke F, Hedtmann A (Hrsg.) Orthopädie und orthopädische Chirurgie,
Band Schulter. Thieme, Stuttgart, S. 246–285, S. 350–366, S. 581–582
Kohn D (1997) Arthroskopie. In: Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.)
Orthopädische Operationslehre: Schulter und obere Extremität. Thieme,
Stuttgart, S. 716–718
Kohn D (2001) Arthroscopic subacromial decompression. In: Wülker N, Man-
sat M, Fu FH (eds) Shoulder surgery. Dunitz, London, pp 187–200
Sampson TG, Nisbet JK, Glick JM (1991) Precision acromioplasty in arthrosco-
pic subacromial decompression of the shoulder. Arthroscopy 7:301–307
Wirth CJ, Kohn D (1999) Gelenkchirurgie. Thieme, Stuttgart, S. 59–60
2

Ellbogen

2.1 Ellbogenarthroskopie – 32

2.2 Operation bei Epikondylitis – 39

2.3 Dekompression und Verlagerung des N. ulnaris – 42

2.4 Arthrolyse – 46
32 Kapitel 2 · Ellbogen

2.1 Ellbogenarthroskopie

Indikation
Diagnostische Arthroskopie bei Schmerzen oder Gelenkblo-
2 ckaden, falls die Ursache trotz Einsatz bildgebender Verfahren
nicht gefunden wird. Sonst im Vorlauf zur arthroskopischen
oder offenen Operation wie Entfernung freier Körper, Be-
handlung der Osteochondrose des Capitulum humeri, Synov-
ektomie, Arthrolyse mit Osteophytenresektion, Debridement
bei Epicondylitis radialis. Wie an der Schulter eignet sich
die diagnostische Arthroskopie zur Durchführung durch den
fortgeschrittenen Facharztanwärter, während die anschließende
arthroskopische Operation dem spezialisierten Facharzt vorbe-
halten bleibt.

Operationsprinzip
Das Prinzip wurde bei der Schulterarthroskopie beschrieben
( Kap. 1.1). Für die dorsalen Gelenkabschnitte und in kleinen
Ellbogengelenken ist die Verwendung der 2,7-mm-/30°-Win-
keloptik (Außendurchmesser der Hülse 3,5 mm) samt miniatu-
risiertem Instrumentarium sinnvoll. Das Ellbogengelenk ist nur
bei Spiegelung über mehrere Zugänge beurteilbar.
! Die Ellbogenarthroskopie ist technisch deutlich schwieriger
als die Spiegelung von Knie- oder Schultergelenk. Außer dem
dorsalen liegen alle Zugänge in unmittelbarer Nähe neurovas-
kulärer Strukturen. Es gibt keine »sicheren« Areale. Die Portale
müssen deshalb in spezieller Technik angelegt werden.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Gefahr vorübergehender oder permanenter Nervenschäden.
▬ Aufgrund der kurzen Zugangswege können leicht Synovial-
fisteln entstehen, die allerdings gute Tendenz zur Spontan-
heilung haben.
▬ Besprechung möglicher Konsequenzen einer diagnostischen
Arthroskopie.

Diagnostik und Planung


Prüfung des Bewegungsumfangs. Palpation des N. ulnaris. Ein
subluxierender oder luxierter N. ulnaris sowie eine frühere chi-
rurgische Verlagerung dieses Nerven verbieten ulnare Portale
zur Arthroskopie. Orientierend neurologische Untersuchung
des Armes zum Ausschluss präoperativ bereits vorhandener
Nervenschäden.

Röntgen: Aufnahmen in 2 Ebenen. Bei Verdacht auf das Vor-


liegen freier Körper auch wiederholte Aufnahmen im zeitlichen
Versatz.
2.1 · Ellbogenarthroskopie
33 2
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage mit frei beweglich aufgehängtem Arm (⊡ Abb. 2.1).
Alternativ dazu wird Seitenlage empfohlen. In Rückenlage ist
die Übersicht über die Beuge-, in Seitenlage über die Streckseite
besser.

⊡ Abb. 2.1a,b. Lagerung zur Ellbogenarthroskopie.


a Rückenlage. Aufhängen der Hand an Fingerfängern.
b Seitlange. Oberarmstütze. Besonders gute
Zugänglichkeit der dorsalen Gelenkanteile. b
34 Kapitel 2 · Ellbogen

Operationstechnik
Die Epikondylen und das Olekranon werden palpiert und auf
der Haut markiert. Die Portale werden ebenfalls eingezeichnet
(⊡ Abb. 2.2). Erster Schritt ist die Auffüllung des Gelenks über
2 das dorsoradiale Portal mit 20–30 ml Ringerlaktat (Spinalnadel
18 G, 20-ml-Spritze).

⊡ Abb. 2.2a–c. Zugänge.


a Radial: dorsoradial (dR) und anteroradial (aR)
b Ulnar: superoulnar (sU) und anteroulnar (aU)
c Dorsal: dorsolateral (Dl) und dorsozentral (Dz) c
2.1 · Ellbogenarthroskopie
35 2
Die sensiblen Nervenäste müssen beim Anlegen der Portale
durch eine besondere Technik geschont werden, da es keinen
genügenden Sicherheitsabstand gibt: Die Inzision erfolgt in
einer abgehobenen Hautfalte (⊡ Abb. 2.3a). Der Weg von Tro-
kar/Trokarhülse wird mittels eines Klemmchens vorgebahnt
(⊡ Abb. 2.3b). Die Kapsel wird mit dem stumpfen Trokar pene-
triert (⊡ Abb. 2.3c).

a b

⊡ Abb. 2.3a–c. Anlegen der Portale.


a Anheben einer Hautfalte zur Inzision.
b Mit dem gebogenen, stumpfen Klemmchen wird der Weg vorgebahnt.
c Penetration des Gelenkraums c
36 Kapitel 2 · Ellbogen

Die Arthroskopie beginnt mit dem Einführen des Arthros- tauscht. Die vordere Gelenkkammer wird inspiziert. Das Radi-
kops (⊡ Abb. 2.4) in das superiore ulnare Portal (sU; ⊡ Abb. 2.2b). usköpfchen lässt sich infolge seiner Drehung bei Pro- und Sup-
Dieser Zugang liegt vor dem Septum intermusculare ulnare. nationsbewegungen des Unterarmes identifizieren und damit
Dazu werden zunächst erneut der Epicondylus ulnaris und der auch das gegenüberliegende Capitulum humeri. Die Wanderung
2 N. ulnaris palpiert. Das Portal wird angelegt wie oben beschrie- des Processus coronoideus in der Trochlea bei Beuge-Streckbe-
ben. Der Trokar wird gegen die 30°-/4-mm-Winkeloptik ausge- wegungen erlaubt die Identifizierung dieses Gelenkteils.

⊡ Abb. 2.4. Spezialinstrumentarium.


1 Dünnes Arthroskop 2,7 mm
2 Kunststoffkanüle (innen 5,5 mm) mit Trokar
Wechselstäbe 4 mm
3 Synovialresektor und Kugelfräse für kleines
4 Motorhandstück
5 Miniatur-Tasthäkchen

⊡ Abb. 2.5. Superiores ulnares Portal. Sicht auf die ventralen Anteile des humeroulnaren (links) und des humeroradialen Gelenks (rechts)
2.1 · Ellbogenarthroskopie
37 2
Der anteroradiale Zugang (aR) wird von innen nach au-
ßen angelegt. Dazu erhöht man zunächst den intraartikulären
Druck auf 100 mmHg, um die Nerven soweit als möglich von
den Portalen abzudrängen. Das Arthroskop wird quer durch
die vordere Gelenkkammer vorgeschoben und auf die radiale
Gelenkwand an der geplanten Zugangsstelle aufgesetzt. Man
entfernt die Optik aus der Hülse und ersetzt sie durch den
Wechselstab. Mit dem Wechselstab wird die laterale Kapsel
perforiert (⊡ Abb. 2.6a) und der Stab nach Gegeninzision der
Haut radial soweit herausgezogen, dass sein ulnarseitiges Ende
noch im Gelenkraum verbleibt. Das Arthroskop wird ulnar-
seits wieder in die Hülse gesetzt und die Lage des Stabendes
im Gelenk kontrolliert. Dann wird eine Kunststoffkanüle über
den Wechselstab eingesetzt und der Tasthaken durch diese
Kanüle eingeführt (⊡ Abb. 2.6b). Während die radialen Teile der
vorderen Kammer in dieser Konfiguration palpatorisch und in- a
spektorisch ideal beurteilbar sind, ist es in manchen Gelenken
erforderlich, für die ulnare Seite die Positionen von Arthros-
kop und Arbeitskanüle auszutauschen. Dies erfolgt mittels der
Wechselstabtechnik ( Kap. 1.1).

⊡ Abb. 2.6a,b. Anterioradiales Portal.


a Anlegen des Portals in Innen-außen-Technik mittels
Wechselstab. b Sicht von ulnar, Arbeitskanüle radial
38 Kapitel 2 · Ellbogen

Das 4-mm-Arthroskop wird aus der vorderen Kammer


entfernt, das 2,7-mm-Arthroskop wird über den dorsoradialen
Zugang am 45° gebeugten Ellbogengelenk in die hintere Kam-
mer eingeschoben (⊡ Abb. 2.7). Falls die Läsion im hinteren
2 Gelenkanteil liegt, werden ein oder mehrere Zusatzzugänge für
Instrumente nach Vorsondieren mit der Spinalnadel angelegt.
Zur Sichtverbesserung ist häufig die Verwendung der Miniatur-
fräse hilfreich.
> Achtung 1. Assistent
Ihre Aufgabe ist die Stabilisierung des Gelenks in der jeweils
vom Operateur gewünschten Position.

In der Regel folgt auf den Diagnostikgang ein arthroskopischer


oder offener Eingriff am Gelenk. Bleibt es bei der arthroskopi-
schen Operation, werden die Zugänge durch Einzelknopfnähte
(ohne Rückstich, um nicht versehentlich Hautnerven zu erfas-
sen) verschlossen.
! Alleiniger Verschluss der Portale durch Steristrippflaster ist am
Ellbogen nicht zu empfehlen. Es besteht die Gefahr einer lange
anhaltenden Sekretion durch offen gebliebene Portale.

⊡ Abb. 2.7. Dorsale Portale, besetzt mit Arthroskop (2,7 mm) und Mini-
aturfräse

Postoperativ
Probleme
Aufgrund der Nähe der Portale zu den Armnerven besteht
immer ein Restrisiko von Nervenirritationen durch die Portale.
Deshalb Prüfung der Motorik und Sensibilität von Unterarm
und Hand.

Nachbehandlung
 Kap. 1.1.

Literatur
Kohn D (1997) Arthroskopie. In: Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.)
Orthopädische Operationslehre, Band III: Schulter und obere Extremität.
Thieme, Stuttgart, S. 719–729
2.2 · Operation bei Epikondylitis
39 2
2.2 Operation bei Epikondylitis Operationsvorbereitung
Aufklärung
Indikation ▬ Eine Besserung ist in 85% der Fälle zu erwarten.
Die Epicondylitis humeri radialis (»Tennisellbogen«) ist fünf- ▬ Die Wiederherstellung der vollen Gebrauchsfähigkeit des
mal häufiger als die Epicondylitis humeri ulnaris (»Golferell- Armes dauert 6–12 Wochen.
bogen«). Die Behandlung ist primär nichtoperativ durch Ver-
meidung der auslösenden Ursache, lokaler und systemischer Diagnostik
Anwendung von nichtsteroidalen Antiphlogistika, Friktions- Der lokale Druckschmerz über den betroffenen Sehnenab-
massage mit Kryotherapie und schließlich Infiltration des Are- schnitten etwas distal der Epikondylen ist zusammen mit den
als mit Kortikosteroiden. Persistieren die Beschwerden trotz Provokationstests richtungweisend. Bei der radialen Epikon-
konsequenter Behandlung über 6 Monate und sind hierdurch dylitis wird der Schmerz durch Extension der Hand gegen
auch Alltagstätigkeiten erschwert, sollte operiert werden. Widerstand provoziert. Bei der ulnaren Epikondylitis wird der
Schmerz durch Flexion der Hand gegen Widerstand ausgelöst.

Operationsprinzip Röntgen: Ellbogengelenk in 2 Ebenen. Ausschluss von Ge-


Der M. extensor carpi radialis brevis (100%) und der ventrale lenkschäden und Nachweis von Osteophyten.
Anteil des M. extensor digitorum communis (35%) auf der
Radialseite (lateral) des Ellbogengelenks sind am häufigsten MRT: In Zweifelsfällen kann das veränderte Signalverhalten der
von der schmerzhaften Tendinose betroffen. Die degenerative betroffenen Sehnenanteile kernspintomographisch nachgewie-
Veränderung und in manchen Fällen Rissbildung dieser Seh- sen und damit die Diagnose gesichert werden.
nen sind intraoperativ zu sehen. Auf der ulnaren (medialen)
Seite gilt dasselbe für den M. pronator teres und den M. flexor
carpi radialis. Außer einer »angiofibroplastischen« Tendinose
dieser Sehnen finden sich in 20% der Fälle Exostosen an den
Epikondylen. Der Operateur reseziert die veränderten Sehnen-
anteile. »Einkerbung« und »Denervierung« sind nur noch von
historischem Interesse. Durch Anbohren der Knochenoberflä-
che im ehemaligen Insertionsbereich soll die Heilungstendenz
gefördert werden. Eine Gelenkeröffnung ist nur bei zusätzli-
chen intraartikulären Läsionen nötig. Das Operationsprinzip
ist radial- und ulnarseitig gleich. Hier wird die häufigere radial-
seitige Operation beschrieben. Die offene Operationstechnik ist
Standard. Die arthroskopische Variante bleibt dem fortgeschrit-
tenen Arthroskopeur am Ellbogengelenk vorbehalten.
40 Kapitel 2 · Ellbogen

Im Operationssaal Unterarmfaszie und den Epikondylus. Entwickeln zweier Haut-


Lagerung lappen zur Darstellung der Ansatzregion von M. extensor di-
Rückenlage, Armtisch, Oberarmblutsperre, frei beweglich ab- gitorum (ED), M. extensor carpi radialis longus (ECRL) und
gedeckter Arm, Operateur sitzt proximal, der Assistent sitzt M. extensor carpi radialis brevis (ECRB). Der ECRL verdeckt
2 ihm am Armtisch gegenüber. den Ansatz des ECRB. Die Faszie des ED geht in die kräftige
gemeinsame Extensorenaponeurose über. Der ventrale Rand
Operationstechnik dieser Extensoraponeurose markiert sich mit einer Furche ge-
3 cm langer Hautschnitt ventral des Epicondylus humeri ra- gen den Muskelbauch des ECRL ab.
dialis (⊡ Abb. 2.8). Präparation durch das Fettgewebe auf die

b c

⊡ Abb. 2.8a,b. Anatomie und Schnittverlauf. a Lage des Hautschnitts in Relation zum Epicondylus humeri radialis (Punkt) und den Extensoren.
ECRL M. extensor carpi radialis longus, ECRB M. extensor carpi radialis brevis, ED M. extensor digitorum. b Muskulatur auf der Radialseite des Ellbo-
gengelenks und seiner Umgebung. c Ansatzzonen von ED, ECRB und ECRL
2.2 · Operation bei Epikondylitis
41 2
Die Furche zwischen der Extensorenaponeurose und dem Mus-
kelbauch des ECRL wird aufgesucht und auf der gesamten Länge
des Schnittes mit dem Skalpell im Verlauf dieser Furche 2 mm
tief inzidiert (⊡ Abb. 2.9). Die Muskelfasern des ECRL werden
nach medial von dem darunter liegenden sehnigen Anteil des
Musculus extensor carpi radialis brevis (ECRB) teils scharf, teils
stumpf abgeschoben. Der degenerativ veränderte Ansatzbereich
des ECRB wird subperiostal scharf vom Condylus radialis abprä-
pariert und entfernt. Da die Ursprungssehne des ECRB zusätz-
lich am Ligamentum anulare radii und der Extensoraponeurose
befestigt ist, kommt es nicht zu einer Distalisierung des Muskel-
bauches. Eine Eröffnung des Gelenkes lässt sich beim Ablösen
des ECRB nicht immer umgehen, ist aber belanglos.

⊡ Abb. 2.9. Tiefe Präparation

Das nun freiliegende Knochenareal am Condylus radialis wird


je nach Größe 3- bis 4-fach mit einem Bohrer der Stärke 2 mm
perforiert (⊡ Abb. 2.10).

⊡ Abb. 2.10. Anbohren des Knochens am Condylus humeri radialis

Der Verschluss des Intervalls zwischen ECRL und Extensoren-


aponeurose erfolgt durch fortlaufende resorbierbare Naht der
Stärke 0 USP (⊡ Abb. 2.11). Eine Raffung ist unerwünscht. Diese
Naht verschließt auch das in manchen Fällen miteröffnete
Gelenk. Einige Subkutannähte und eine resorbierbare intraku-
tane Hautnaht gesichert durch Steristrippflaster beenden den
Eingriff.

⊡ Abb. 2.11. Verschluss des Intervalls zwischen ECRL und Extensoren-


aponeurose
42 Kapitel 2 · Ellbogen

Postoperativ 2.3 Dekompression und Verlagerung


Probleme des N. ulnaris
▬ Ungenügendes Débridement durch schlechte Darstellung
des Intervalls zwischen ECRL und ECRB und damit unsi- Indikation
2 chere Identifizierung des erkrankten Sehnenareals Kompression des N. ulnaris durch Knochenfragmente bei Frak-
▬ Übersehen eines gleichzeitig bestehenden Supinatorsyn- tur (Notfalleingriff). Habituelle Subluxation des Nerven. Verla-
droms oder eines Nervus-ulnaris-Kompressionssyndroms gerung im Rahmen eines dorsalen Zugangs zur Alloarthroplas-
tik. Idiopathisches Kompressionssyndrom; bei dieser Indikation
Nachbehandlung zunächst nichtoperative Behandlung durch Ruhigstellung über
Anlegen der vorbereiteten Oberarmkunststoffschiene in 90°- 4–6 Wochen und Antiphlogistika. Die Operation ist nur bei
Beugung. Sie soll eine Woche getragen werden. Passive Bewe- elektromyographischen Denervierungszeichen, progredienter
gungsübungen von der Schiene beginnend ab dem 1. postope- Atrophie der intrinsischen Handmuskeln und persistierenden
rativen Tag. Gezielte Kräftigungsübungen für die betroffenen Sensibilitätsstörungen indiziert.
Muskeln ab der 7. postoperativen Woche. Volle Belastbarkeit
nach 3 Monaten.
Operationsprinzip
Der N. ulnaris wird von der Struther Arkade bis zur Arkade des
Literatur M. flexor carpi ulnaris mobilisiert. Seine Muskeläste bleiben er-
Kuklo TR, Taylor KF, Murphy KP, et al. (1999) Arthroscopic release for lateral halten. Der Gelenkast wird durchtrennt. Der Nerv wird soweit
epicondylitis: a cadaveric model. Arthroscopy 15:259–264
mobilisiert, dass er ohne Abwinkelung und spannungsfrei vor
Nirschl RP, Pettrone F (1979) Tennis elbow: the surgical treatment of lateral
epicondylitis. J Bone Joint Surg 61A:832–839
den Epicondylus ulnaris unter das Subkutangewebe auf die Un-
Regan W, Wold L, Coonrad R, et al. (1992) Microscopic histopattology of chro- terarmfaszie verlagert werden kann. Eine aufwändige Vorver-
nic refractory lateral epicondylitis. Am J Sports Med 20:746–749 lagerung in die Muskulatur ist nur im Ausnahmefall, z. B. bei
abgemagerten Patienten, erforderlich. Bei Identifikation einer
kurzstreckigen Kompressionsläsion des Nerven ist die Dekom-
pression dieses Abschnitts ohne Verlagerung ausreichend.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Typische Symptome sind Taubheit des Kleinfingers und der
Kleinfingerseite des Ringfingers sowie des dorsoulnaren
Handrückens, Atrophie der Hypothenarmuskeln und ein po-
sitives Tinel-Zeichen beim Beklopfen der Sulkusregion. Die
elektrophysiologische Untersuchung durch den Neurologen
sichert die Diagnose durch Nachweis von Denervierungs-
zeichen der betroffenen Muskeln und Verlangsamung der
Nervenleitgeschwindigkeit. Damit ist eine Lokalisation des
Schadens möglich.
Für die Operation sind spezielle Instrumente (feine Präpa-
rierschere und Pinzetten, Präparierstielchen, bipolares Hoch-
frequenzinstrument, Myrthenblattsonde, Gefäßbändchen, feine
Overholt-Klemmen), eine Lupenbrille und eine besondere Prä-
pariertechnik erforderlich (⊡ Abb. 2.14).

Aufklärung
▬ Schädigung des Nervus ulnaris und seiner Muskeläste mit
sensorischen und motorischen Ausfallserscheinungen
▬ Rezidiv mit Notwendigkeit zur erneuten Operation
2.3 · Dekompression und Verlagerung des N. ulnaris
43 2
Im Operationssaal
Lagerung
Der Patient befindet sich in Rückenlage, Oberarmblutsperre
weit proximal. Der stark außenrotierte Arm wird auf den Arm-
tisch gelagert, der Ellbogen zusätzlich mit einer flachen Tuch-
rolle unterpolstert. Der Hautschnitt verläuft zwischen Olekra-
non und Epicondylus humeri medialis (⊡ Abb. 2.12). Vom Epi-
kondylus reicht er 8 cm nach proximal und 8 cm nach distal.

! Ein zu tiefer, unvorsichtiger Hautschnitt kann bei sehr schlanken


Patienten den N. ulnaris verletzen. Vor dem Schnitt sollte man
sich palpatorisch von der Lage des Nerven überzeugen. Er ist
direkt proximal und etwas dorsal des Epicondylus ulnaris tast-
bar. Bei Narben (Voroperationen im medialen Ellbogenbereich)
muss stets die Möglichkeit einer früheren Nervenverlagerung in
Betracht gezogen werden. Dann sollte erst nach Vorliegen des
alten Operationsberichtes der neue Eingriff geplant werden.

⊡ Abb. 2.12. Palpation des N. ulnaris zwischen Olekranon und


Epicondylus humeri medialis zum Platzieren des Hautschnittes

⊡ Abb. 2.13. Größerer ventraler und kleinerer dorsaler Hautlappen.


1 Hier wird der Nerv aufgesucht. 2 Freilegung nach proximal. 3 Freile-
gung nach distal

Entwickeln von 2 sukutanen Hautlappen mit Darstellung der


Unterarmfaszie. Im distalen Wundwinkel kann der Ramus an-
terior des N. cutaneus antebrachii medialis kreuzen. Er sollte
geschont werden. Der N. ulnaris wird im Segment 1 (rot her-
vorgehoben) unter einer dünnen Faszienschicht sichtbar. Er
wird nach proximal (Segment 2) und distal (Segment 3) mobi-
lisiert (⊡ Abb. 2.13).
44 Kapitel 2 · Ellbogen

Die Darstellung peripherer Nerven erfolgt in standardisier-


ter Technik (⊡ Abb. 2.14). Dabei wird mit Vorteil eine Lupen-
brille verwendet. Schwierig ist die Mobilisation des Nerven im
Segment 3 (⊡ Abb. 2.13), da hier mehrere Muskeläste abgehen.
2 Der Nerv wird inspektorisch und palpatorisch lokalisiert.
Mit feinen Pinzetten wird die schützende Faszie angehoben
und inzidiert.
> Achtung 1. Assistent
Die Faszie wird auf einer Seite vom Operateur, auf der anderen
vom Assistenten angehoben. Dabei darf keinesfalls der Nerv
a
versehentlich mit der Pinzette gefasst werden!

Eine Myrthenblatt-Rinnensonde wird unter die Faszie gescho-


ben. Auf dieser Sonde kann der Fazienschnitt unter Schutz des
Nerven verlängert werden. Alternativ kann mit einer feinen
Präparierschere gearbeitet werden, wobei die Schere zunächst
spreizend, dann 90° gedreht und schneidend vorwärts bewegt
wird. Der Nerv wird mitsamt seinen Begleitgefäßen mittels
einer Overholt Klemme unterfahren; ein Gefäßbändchen wird
durchgezogen; der Nerv wird damit vorsichtig angehoben. Die
zum Nerv ziehende Bindegewebsplatte, die Gefäße und Ner-
venäste enthält, wird schrittweise durchtrennt. Hier hilft die
b Lupenbrille. Nervenäste werden, wenn möglich, erhalten. Ge-
fäße werden in möglichst großer Distanz vom Nervenhaupt-
stamm bipolar koaguliert oder ligiert.

⊡ Abb. 2.14a–e. Technik zur Freilegung und Mobilisierung eines


Nerven. a Lokalisierung visuell und palpatorisch. b Anheben und Auf-
schneiden der Faszie. c Aufschlitzen der Faszie unter Schutz des Nerven
durch die Rinnensonde. d Unterfahren des Nerven und Durchzug eines
Kunststoffbändchens. e Anheben des Nerven und Durchtrennung der
e Verbindungen. Dabei ist die Lupenbrille vorteilhaft
2.3 · Dekompression und Verlagerung des N. ulnaris
45 2
Der Nerv liegt jetzt auf 10–15 cm frei und lässt sich vor den
Epikondylus verlagern. Er darf bei Beuge-Streckbewegungen
des Armes nicht abknicken oder spannen. Die subkutane Faszie
wird mit 3 Vicrylnähten Stärke 0 USP an Periost und fibröses
ehemaliges Dach des Sulkus angeheftet (⊡ Abb. 2.15). Diese
Nähte sollen den N. ulnaris locker vor dem Epikondylus halten,
was erneut bei Beugung/Streckung überprüft wird. Wundver-
schluss durch Subkutannähte und Einzelknopfrückstichnähte.

⊡ Abb. 2.15. Vorlegen der Fäden. Drei Fäden wurden durch Periost und
subkutanes Gewebes vorgelegt. Sind sie geknotet, kann der Nerv nicht
in den Sulkus zurück und liegt ventral

Postoperativ
Probleme
Unzureichende Mobilisation und Abknicken des Nerven be-
günstigen das Persistieren von Symptomen.

Nachbehandlung
Dorsale, vorgefertigte Oberarmkunststoffschiene in 70°-Beu-
gung für 3 (alleinige Dekompression) bis 6 (Vorverlagerung)
Wochen. In der zweiten Woche beginnt die geführte Bewegung
des Armes. Die Flexion wird freigegeben, die Extension bei
Verlagerung schrittweise in den folgenden 4 Wochen vergrö-
ßert. Die Geschwindigkeit der Rehabilitation hängt von der
Rückbildungstendenz der neurologischen Symptome ab. Belast-
barkeit des Armes ist nach 8 Wochen wieder gegeben.
46 Kapitel 2 · Ellbogen

2.4 Arthrolyse Im Operationssaal


Lagerung
Indikation  Kap. 2.2.
Beuge- oder Streckhemmung von mehr als 30°. Bei Bewe- Nach Palpation des Epicondylus radialis und der Crista supra-
2 gungseinschränkung in Folge von Osteophyten und/oder freien condylaris lateralis ca. 10 cm langer Hautschnitt (rot gestrichelt,
Körpern ist der Versuch der Narkosemobilisation sinnlos. Bei ⊡ Abb. 2.16). Zwei Drittel verlaufen proximal, ein Drittel distal
kurzer, höchstens dreimonatiger Anamnese mit Verklebungen des Epikondylus. Ventral und dorsal der Crista Inzision (durch-
und beginnender Verkürzung von Kapsel und periartikulären gezogene rote Linien) und Abschieben der dort inserierenden
Weichteilen ist ein nichtoperativer Versuch der Mobilisation Muskulatur. Der M. extensor carpi radialis longus und der
angezeigt. M. brachioradialis werden dabei teilweise am Humerus desin-
seriert, verbleiben aber im Verbund. Dorsal wird der M. triceps
abgeschoben, der M. anconeus wird eingekerbt.
Operationsprinzip Bei der Streckhemmung wird in 90°-Beugung die ventrale
Das Gelenk wird unter Schonung des radialen Kollateralbandes Kapsel zunächst in Hautschnittrichtung vom Capitulum bis
und des Ligamentum anulare radii über einen radialen Zugang zum Radiushals eröffnet. Bei frischer Streckhemmung mit ge-
eröffnet. Dabei liegt der Zugang in die vordere Kammer vor der ringer Narbenbildung ist dieser Kapselschnitt ausreichend und
Crista supracondylaris lateralis und dem Epicondylus lateralis, ein Langenbeck-Haken wird ins Gelenk in die vordere Kammer
der Zugang in die dorsale Gelenkkammer liegt dahinter. Ven- gesetzt. Diese sollte nun gut einsehbar sein. Die Fossa corono-
trale (Streckhemmung) bzw. dorsale Kapsel (Beugehemmung) idea wird mit einer Sonde palpiert und, falls erforderlich, mit
werden am Humerus desinseriert oder bei bereits kräftiger Ver- dem scharfen Löffel ausgekratzt. Ein Osteophyt am Processus
schwielung exzidiert. Störende Exostosen an Olekranonspitze coronoideus wird abgemeißelt. Bei der Streckhemmung wird
und Processus coronoideus ulnae werden abgemeiselt. Fossa die ventrale Kapsel mit dem Raspatorium auf gesamter Breite
coronoidea und Fossa olecrani werden von sessilen Körpern am Humerus desinseriert. Ist sie verschwielt oder verdickt, wird
und Narbengewebe gesäubert. Die beschriebenen Zugänge sind sie nach Anheben der Muskulatur mit dem Langenbeck-Haken
unabhängig von der Indikation Standardzugänge in die vordere exzidiert (⊡ Abb. 2.17). Analog wird bei der Beugehemmung
und hintere Kammer des Ellbogengelenkes. Sie erlauben ein in die hintere Gelenkkammer in Streckung ein Langenbeck-
geschicktes Umgehen neurovaskulärer Strukturen. Haken gesetzt. Die hintere Kapsel wird ebenfalls am Humerus
mit dem Raspatorium desinseriert, wobei medial wegen des
Nervus ulnaris sehr vorsichtig vorgegangen werden muss. Im
Operationsvorbereitung Zweifelsfalle hat hier eine Darstellung des Nerven über einen
Diagnostik und Planung zweiten ulnaren Schnitt zu erfolgen ( Kap. 2.3). Bei Streckhem-
Seitliche Aufnahmen in maximaler Beuge- und Streckstellung mung wird die Fossa olecrani ausgetastet und nötigenfalls mit
des Gelenkes. Sie zeigen knöcherne Hindernisse. Bei Verdacht dem scharfen Löffel ausgekratzt. Ein Osteophyt am Olecranon
auf solche zusätzlich Computertomographie. Die Schichten wird abgemeißelt.
durch Fossa coronoidea/olecrani zeigen das knöcherne Hin-
dernis.

Aufklärung
▬ In der Regel kein Erreichen freier Beweglichkeit, lediglich
Verbesserung des Bewegungsumfanges
▬ Lange und aufwändige Nachbehandlung mit Redressions-
schienen und Krankengymnastik
▬ Frakturmöglichkeit bei Nachmobilisation
2.4 · Arthrolyse
47 2

⊡ Abb. 2.16. Hautschnitt (rot, gestrichelt)


und tiefe Inzision (rot, durchgezogen)
zur Eröffnung von vorderer und hinterer
Gelenkkammer von radial.
M. brachioradialis,
M. extensor carpi radialis longus (ECRL),
M. extensor carpi radialis brevis (ECRB),
M. extensor digitorum (ED),
M. extensor carpi ulnaris (ECU),
M. anconeus,
M. flexor carpi ulnaris,
M. triceps

⊡ Abb. 2.17. Beide Gelenkkammern sind eröffnet.


Die verschwielte vordere Kapsel wird mit einer Pinzette
angehoben und exzidiert
48 Kapitel 2 · Ellbogen

Einer Beugehemmung liegen möglicherweise sessile Körper


in der Fossa coronoidea, ein Osteophyt des Processus coro-
noideus und meist gleichzeitig eine Verkürzung der dorsalen
Kapsel zugrunde (⊡ Abb. 2.18). Umgekehrt sind sessile Körper
2 in der Fossa olecrani, ein Osteophyt des Olekranon und meis-
tens auch eine Verkürzung der ventralen Kapsel verantwortlich
für die Streckhemmung. Bei Beseitigung der Hindernisse sollte
der Operateur nach jedem Schritt den Ellbogen nachmobilisie-
ren und sich so vom Erfolg des jeweiligen Operationsschrittes
überzeugen. Intraoperativ ist der Regel kein volles Bewegungs-
ausmaß zu erreichen. Streck- und Beugedefizits von 10° sind
tolerabel.

⊡ Abb. 2.18. Ursachen für Beugehemmung (1–3) und Streckhem-


mung (4–6). 1 Sessile Körper in der Fossa coronoidea. 2 Osteophyt des
Processus coronoideus. 3 Verkürzte dorsale Kapsel. 4 Sessile Körper in
der Fossa olecrani. 5 Osteophyt des Olekranons. 6 Verkürzte ventrale
Kapsel

Postoperativ
Probleme
Die postoperative Erhaltung des intraoperativ erreichten Be-
wegungsumfangs ist schwierig. Schmerzen bei der kranken-
gymnastischen Nachbehandlung müssen soweit als möglich
ausgeschaltet werden.

Nachbehandlung
Lagern des Armes auf einer Schiene, die dem maximal erreich-
ten Beuge-/Streckwinkel entspricht. Wurde in beide Richtun-
gen mobilisiert, Anfertigung zweier Schienen und anfänglich
Wechsellagerung im 4-Stunden-Rhythmus tagsüber. Zweima-
lige tägliche Krankengymnastik. Analgesie, falls erforderlich,
auch über Skalenuskatheter.

Literatur
Mansat P, Morrey BF (1998) The column procedure: A limited lateral approach
for extrinsic contracture of the elbow. J Bone Joint Surg 80-A (1998)
1605–1612
3

Handgelenk

3.1 Spaltung des Ligamentum carpi transversum,


offen und arthroskopisch – 50

3.2 Ulna-Verkürzungsosteotomie – 54

3.3 Ulnaköpfchenresektion – 56
50 Kapitel 3 · Handgelenk

3.1 Spaltung des Ligamentum carpi transversum,


offen und arthroskopisch

Das Lig. carpi transversum wid laut Nomina anatomica als


Retinaculum flexorum bezeichnet. Ein solches gibt es auch am
Fuß. Hier wird deshalb die eindeutige, gebräuchlichere und
auch im englischsprachigen Raum übliche (transverse carpal
3 ligament) Bezeichnung verwendet.

Indikation
Druckläsion des N. medianus im Karpalkanal. Fortbestehende
Symptomatik und Atrophie der Thenarmuskeln trotz Anwen-
dung nichtsteroidaler Antiphlogistika, Schienung über einige
Wochen und gegebenenfalls auch lokaler Steroidinjektionen.

Operationsprinzip
Spaltung des Ligamentum carpi transversum unter Schonung
des oberflächlichen Hohlhandbogens und des Ramus muscu-
laris des N. medianus endoskopisch kontrolliert oder offen.
Falls der N. medianus durch ein identifizierbares mechani-
sches Hindernis beeinträchtigt wird, muss in offener Technik
vorgegangen werden. Mögliche mechanische Hindernisse sind
Exostosen am skapho-trapezialen (ST-)Gelenk bei Arthrose,
Ganglien im Karpalkanal, ein vorstehendes Os lunatum bei
übersehener perilunärer Handgelenkluxation und die Einen-
gung des Karpalkanals durch posttraumatische Fehlstellung
des distalen Speichenendes. Allerdings ist die häufigste Form
des Karpaltunnelsyndroms idiopathisch und damit schonend
endoskopisch durch alleinige Ligamentspaltung therapierbar.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Nachblutung bei Verletzung des oberflächlichen Hohlhand-
bogens mit Notwendigkeit zur operativen Revision und
Gefäßligatur
▬ Nervenverletzung in Form einer Schädigung des Ramus
muscularis oder des Nervenhauptstammes des N. medianus
mit motorischen und sensiblen Ausfallserscheinungen
▬ Rezidiv des Karpaltunnelsyndroms durch Vernarbung
▬ Bei endoskopischer Spaltung Notwendigkeit zum Umstei-
gen auf das offene Vorgehen bei schlechter Sicht

Diagnostik und Planung


Klinisch sind Parästhesien und Schmerzen, im Ausbreitungsge-
biet des N. medianus, besonders nachts, die sich auf Schütteln
der Hand bessern, charakteristisch. Bei länger bestehendem
Karpaltunnelsyndrom kommt es zur Atrophie der Thenarmus-
keln. Sicherung der klinischen Diagnose durch Elektromyogra-
phie und Messen der Nervenleitgeschwindigkeit.

Röntgen: Handgelenk mit distalem Unterarm in 2 Ebenen und


Karpalkanal tangential bei dorsal flektierter Hand.
3.1 · Spaltung des Ligamentum carpi transversum, offen und arthroskopisch
51 3
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage, Armtisch, Oberarmblutsperre in Bereitschaft, All-
gemeinnarkose oder i.v. Regionalanästhesie.

Offene Operationstechnik
Der Hautschnitt folgt der Linea vitalis bis zu den Handgelenk-
beugefalten und biegt dann ulnarwärts um (⊡ Abb. 3.1). Os
pisiforme und Hamulus ossis hamati sind die ulnaren Leit-
strukturen, die palpatorisch identifiziert und dann markiert
werden sollten. Die Unterarmfaszie wird ulnar der Sehne des
M. palmaris longus in Längsrichtung auf 2 cm Länge gespalten.
Die Haut wird mittels Haltefäden vom 1. Assistenten offen
gehalten. Das sensible Versorgungsgebiet des N. medianus ist
hellrot markiert.

⊡ Abb. 3.1. Hautschnitt und knöcherne Leitstrukturen. Das vom N.


medianus sensibel versorgte Hautareal ist rosa hervorgehoben. Beachte
den zur Thenarmuskulatur ziehenden kleinen motorischen Ast! Die Beu-
gesehnen wurden der Übersichtlichkeit halber nicht dargestellt.

Mit der Myrthenblattsonde wird das Lig. carpi transversum


unterfahren. Die Sonde perforiert die Palmarfaszie am distalen
Rande des Ligamentum carpi transversum. Mit dem Skal-
pell wird das Ligament unter Schutz der Sonde durchtrennt
(⊡ Abb. 3.2). Dabei ist besonderes Augenmerk auf den Ramus
muscularis tenaris nervi mediani zu richten, der verschiedene
Verläufe nehmen kann. Der jeweils zu durchtrennende An-
teil des Ligamentum carpi transversum ist deshalb mit dem
Präparierstielchen von jeglichem Weichteilgewebe zu befreien.
Ein quer zur geplanten Schnittrichtung verlaufender Nervenast
kann so identifiziert werden. Im distalen Anteil der geplanten
Spaltung ist zu prüfen, ob nicht der oberflächliche Hohlhand-
bogen mit auf die Rinne geladen wurde. Seine Durchtrennung
führt zu unangenehmen Nachblutungen. Unter Beiseitehalten
der Sehnen und des N. medianus wird der Boden des Karpal-
kanals inspiziert. Die oben beschriebenen mechanischen Hin-
dernisse werden beseitigt. Für eine eventuell nötige Neurolyse
des Nerven sind Lupenbrille und spezielle Kenntnisse in der
neurochirurgischen Präparationstechnik erforderlich. Ihre Dar-
stellung sprengt den Rahmen dieses Buches. Der Wert der Neu-
rolyse ist umstritten. Der Wundverschluss nach offener Technik
⊡ Abb. 3.2. Spaltung des Lig. carpi transversum unter Schutz des
erfolgt durch Subkutannähte und Hautnaht. N. medianus
52 Kapitel 3 · Handgelenk

Endoskopische Operationstechnik
Das Prinzip der Operation ist dasselbe. Über Inzision und Ge-
geninzision wird eine Schlitzkanüle unter das zuvor mit einem
Raspatorium frei präparierte Lig. carpi transversum geschoben
(⊡ Abb. 3.3a). Der Schlitz der Kanüle liegt dem Lig. direkt von
unten an (⊡ Abb. 3.3b). Mit einem in die Kanüle geschobenen
Endoskop wird das über den Schlitz gespannte Ligament kon-
3 trolliert. Eingeklemmte Nerven oder Weichteile müssen durch
Drehen der Kanüle bzw. durch Abschieben mit einem stumpfen
Instrument beseitigt werden. Die Struktur der Unterfläche des
Ligamentum carpi transversum ist eindeutig identifizierbar.
Falls sie von proximal nach distal gut einsehbar ist, kann die
Durchtrennung beginnen, sonst muss die Kanüle neu platziert
und im Zweifelsfalle auf das offene Vorgehen umgestiegen
werden.
! Keinesfalls darf mit der Durchtrennung begonnen warden,
a bevor nicht die Unterfläche des Lig. carpi transversum auf der
gesamten geplanten Schnittlänge eindeutig identifizeirt ist.

⊡ Abb. 3.3a,b. Platzierung der geschlitzten Kanüle zur endoskopisch


kontrollierten Spaltung des Lig. carpi transversum.
a Übersicht. b Horizontalschnitt auf Höhe des Os pisiforme. Lage der
Kanüle und Orientierung des Schlitzes sind korrekt
3.1 · Spaltung des Ligamentum carpi transversum, offen und arthroskopisch
53 3
Unter Sicht des Endoskops auf die Unterfläche des Lig. carpi
transversum wird dieses mit drei verschiedenen Messertypen
(Einmalinstrumente) durchtrennt (⊡ Abb. 3.4). Die proxima-
len und distalen Ränder werden mit dem vorwärts schnei-
denden Messer, die Mitte mit dem Dreiecksmesser und die
Verbindungsstücke mit dem rückwärts schneidenden Instru-
ment durchtrennt. Die Hautinzisionen werden durch Nähte
verschlossen.

⊡ Abb. 3.4a–c. Endoskopische Spaltung des Lig. carpi transversum.


Insert 1: Beginn der Durchtrennung am distalen Rand des Ligamentes
mit dem vorwärts schneidenden Messer unter endoskopischer Sicht.
Das Endoskop wurde von proximal, das Messer von distal in die ge-
schlitzte Kanüle eingeführt. Insert 2: Messertypen für die Durchtrennung
des Retinakulums: Dreiecksmesser (a), vorwärts schneidendes Messer
(b), rückwärts schneidendes Messer (c)

Postoperativ
Probleme
Insuffiziente Spaltung bei schlechter endoskopischer Sicht.
Nachblutung.

Nachbehandlung
Bei offenem Vorgehen Unterarmschiene in Funktionsstellung
für die erste postoperative Woche, dann zunehmende Bewe-
gungsübungen für Hand und Handgelenk unter Vermeidung
der Dorsalextension für 6 Wochen. Bei endoskopischer Arbeits-
weise kann auf die Schienung verzichtet werden. Kraftvoller
Einsatz der Hand ist frühestens in der siebten postoperativen
Woche möglich.

Literatur
Scharizer E (1997) Karpaltunnelsyndrom. In: Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel
S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre, Band III. Thieme, Stuttgart, S.
365–368
Kohn D (1997) Endoskopische Spaltung des Retinaculum flexorum. In: Bauer
R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre, Band
III. Thieme, Stuttgart, S. 741–746
54 Kapitel 3 · Handgelenk

3.2 Ulna-Verkürzungsosteotomie

Indikation
Angeborene oder posttraumatische Verkürzung des Radius re-
lativ zur Ulna mit Handgelenkbeschwerden.

3 Operationsprinzip
Verkürzung der Ulna im distalen Drittel durch Z-förmige, rota-
tionsstabile Osteotomie. Kompressions-Plattenosteosynthese.
a

Operationsvorbereitung
X Aufklärung
▬ Pseudarthrose bei instabiler Osteosynthese, dann Notwen-
digkeit zur Re-Osteosynthese mit Spongiosaplastik
▬ Metallentfernung der subkutan liegenden Implantate in der
Regel erforderlich

Diagnostik und Planung


Röntgenaufnahmen distaler Unterarm mit Handgelenk in 2
Ebenen. Normalerweise endet das Ulnaköpfchen auf demsel-
b ben Niveau wie der ulnare Anteil der distalen Radiusgelenk-
fläche. Bei der »Plusvariante« der Ulna überragt diese die
⊡ Abb. 3.5a,b. Prinzip der Z-förmigen Verkürzungsosteotomie.
a Normale Längenverhältnisse von Radius und Ulna. b Ulnaplusvariante.
Radiusgelenkfläche. Die Verkürzungsosteotomie stellt dasselbe
Die Elle ist um die Strecke X zu lang. Dies wird bei der Osteotomiepla- Niveau von Ulnaköpfchen und Radiusgelenkfläche wieder her
nung berücksichtigt. Die Zahlen geben die Reihenfolge der Osteotomie- (⊡ Abb. 3.5).
schnitte an
3.2 · Ulna-Verkürzungsosteotomie
55 3
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage, Armtisch, Oberarmblutsperre.

Operationstechnik
Der Hautschnitt entspricht dem bei der Ulnaköpfchenresektion
gezeigten ( Kap. 3.3), ist aber 8 cm lang. Die Ulna wird subpe-
riostal im geplanten Osteotomiebereich 4–6 cm proximal des
Köpfchens dargestellt (⊡ Abb. 3.6). Der Muskelbauch des M. ex-
tensor carpi ulnaris wird nach dorsal weggehalten. Die Osteoto-
mielinie wird mit dem Elektrokauter oder einem Markierungs-
stift auf dem Knochen eingezeichnet. Ihr längs verlaufender
Anteil soll parallel zur geplanten Platte liegen, verläuft also in
dorsopalmarer Richtung. Ihre Länge beträgt die zweifache ge-
wünschte Verkürzungsstrecke (X, ⊡ Abb. 3.5b) zuzüglich 5 mm.
Sie wird als erste durchgeführt. Dann folgen die restlichen
Osteotomien in der auf ⊡ Abb. 3.5b angegebenen Reihenfolge. ⊡ Abb. 3.6. Subperiostale Darstellung der Ulna. Der Osteotomieverlauf
Die aufwändige Osteotomietechnik verhindert im Vergleich zur (rot, gestrichelt) und die zu rezierenden Knochensegmente (rosa) sind
einfachen Osteotomie eine spätere Rotationsfehlstellung. dargestellt

Eine 6-Loch/3,5-mm-DC-Platte wird angelegt und zunächst


distal mit 2 Schrauben befestigt. Die Osteotomie wird reponiert
(⊡ Abb. 3.7). Die proximalen Schrauben werden unter Ausnut-
zung des dynamischen Kompressionsprinzips eingebracht und
setzen die Osteotomie axial unter Druck. Eine 5. Schraube kann
als Zugschraube quer durch die Osteotomie platziert werden
und deren Längsanteil komprimieren. Verschluss von Subkutis
und intrakutan resorbierbare Hautnaht.

Postoperativ
Probleme
Bei stabiler Osteotomie kaum zu erwarten. Bei sehr dünnen
Weichteilen kann anstelle der 3,5-mm-DC-Platte ein Drittel-
rohrplättchen verwendet werden.

Nachbehandlung ⊡ Abb. 3.7. Reposition und Verplattung


Die übungsstabile Osteosynthese erlaubt aktive Bewegungs-
übungen ab dem 1. postoperativen Tag. Die erste Röntgenkon-
trolle erfolgt nach 6 Wochen. Bei unveränderter Position der
Osteotomie und Lage des Osteosynthesematerials kann der
Arm zunehmend in Gebrauch genommen werden. Eine Metal-
lentfernung sollte frühestens nach 12 Monaten erfolgen.

Literatur
Zichner L (1997) Unterarm. In: Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.) Ortho-
pädische Operationslehre, Band III. Thieme, Stuttgart, S. 276–277
56 Kapitel 3 · Handgelenk

3.3 Ulnaköpfchenresektion

Indikation
Rheumatoide Arthritis mit Caput-ulnae-Syndrom. Dabei
auffällig vorspringendes Ulnaköpfchen, schmerzhaft einge-
schränkte Pro- und Supination sowie Dorsalflexion, lokaler
Druckschmerz.
3 Fehlstellung im distalen Radioulnargelenk posttraumatisch
mit Einschränkung der Beweglichkeit bei über 50-jährigen
Patienten ohne besondere körperliche Belastung. Posttrauma-
tische Arthrose des distalen Radioulnargelenks bei derselben
Patientengruppe.

Operationsprinzip
Das aufgrund des rheumatischen Zerstörungsprozess oder
postraumatisch subluxierte und erodierte Caput ulnae wird
reseziert. Der synoviale Pannus in diesem Bereich wird mit
entfernt. Auch die Sehne des M. extensor carpi ulnaris wird
von rheumatischem Pannus befreit. Synovektomie und Teno-
synovektomie entfallen bei posttraumatischer Arthrose und
Fehlstellung.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
Die Ulnaköpfchenresektion bessert die vorherigen Beschwer-
den, ergibt aber kein voll belastbares und funktionsfähiges
Handgelenk. Kraftvoller Einsatz der Hand ist nicht mehr mög-
lich.

Diagnostik und Planung


Röntgenaufnahmen des Handgelenks in 2 Ebenen zeigen die
Fehlstellung (seitliche Aufnahme) und die Arrosion des Ulnar-
köpfchens (rheumatoide Arthritis) bzw. die beginnende post-
traumatische Arthrose und Fehlstellung des distalen Radioul-
nargelenks.
3.3 · Ulnaköpfchenresektion
57 3
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlagerung, Armtisch, Oberarmblutsperre.
Der 4 cm lange Hautschnitt verläuft gerade über dem dis-
talen Ende der Ulna und erstreckt sich bis zum Processus sty-
loideus (⊡ Abb. 3.8). Er nutzt damit die sichere Zone zwischen
Ramus dorsalis des N. ulnaris und Arteria ulnaris. Von der Art.
ulnaris zur Art. interossea dorsalis kreuzende Gefäße können
koaguliert werden.
⊡ Abb. 3.8. Hautschnitt (rot, gestrichelt) zwischen R. dorsalis
n. ulnaris und Art. ulnaris

Nach Durchtrennung der Subkutis Aufsuchen der Sehne des


M. extensor carpi ulnaris. Die Sehne wird aus ihrer Sehnen-
scheide mobilisiert und bis unter das Retinaculum extensorum
verfolgt (⊡ Abb. 3.9). 1,5 cm proximal des Ulnaköpfchens wird
die Ulna mit kleinen Raspatorien subperiostal freigelegt und
mit kleinen Hohmann-Haken umfahren. Unter Schutz dieser
Haken Osteotomie mit der oszillierenden Säge mit kleinem
(5 mm breitem) Sägeblatt.

⊡ Abb. 3.9. Osteotomie nach Mobilisierung der Sehne des


M. extensor carpi ulnaris

Das abgetrennte Knochenstück wird mit einer Backhaus-


Klemme gefasst und unter leichtem Zug nach proximal
mit dem 15-er Skalpell aus seiner Umgebung auspräpariert
(⊡ Abb. 3.10). Zur Mobilisation sind die kräftigen, am Pro-
cessus styloideus ansetzenden Bänder zu desinserieren. Bei
streng subperiostaler Präparation lässt sich das Ulnaköpfchen
gefahrlos entwickeln. Nun folgt beim Rheumapatienten die
Entfernung sämtlichen hypertrophen synovialen Materials mit
Pinzette, Skalpell und kleiner Luer-Zange. Das Periost wird
über dem Ulnastumpf verschlossen. Subkutannähte. Intraku-
tane resorbierbare Hautnaht.

⊡ Abb. 3.10. Subperiostales Ausschälen des Ulnaköpfchens unter Zug


58 Kapitel 3 · Handgelenk

Probleme
Bei sehr fortgeschrittenem rheumatischem Krankheitsbild
kann die Sehne des M. extensor carpi radialis rupturiert sein.
In diesem Fall ist eine Sehnentransposition zu erwägen. Solche
Eingriffe gehen über den Rahmen des vorliegenden Werkes
hinaus.
3 Nachbehandlung
Unterarmkunststoffschiene für 1 Woche, dann schmerzabhän-
gige Mobilisierung des Handgelenks.

Literatur
Gschwend N (1977) Die operative Behandlung der chronischen Polyarthritis,
2. Aufl. Thieme, Stuttgart, S. 93–98
4

Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

4.1 Primäre Hüftendoprothese – 60

4.2 Beckenosteotomie – 68

4.3 Hüftreposition beim Säugling und Kleinkind – 72

4.4 Intertrochantäre Femurosteotomie – 75

4.5 Operationen bei Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) – 82

4.6 Spongiosaentnahme vom Beckenkamm – 86


60 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

4.1 Primäre Hüftendoprothese

Indikation
Koxarthrose jedweder Ursache (degenerativ, postentzündlich,
posttraumatisch, postnekrotisch). Hüftkopfnekrose mit schmerz-
haftem Kalotteneinbruch (ARCO-Stadium III). Veraltete kon-
genitale Hüftluxation des Erwachsenen. Schenkelhalsfraktur
mit hohem Kopfnekrose- oder Pseudarthrosenrisiko bei Pati-
enten über 65 Jahre ( Kap. 9.1). Neoplasmen des proximalen
4 Femurs und/oder des Azetabulums und/oder des Hüftgelenks.
Leidensdruck und Funktionseinbuße bestimmen bei der
Koxarthrose den Zeitpunkt des endoprothetischen Hüftgelen-
a
kersatzes.

Operationsprinzip
Bei isolierter Schädigung des proximalen Femur (Fraktur, Neo-
plasma) und geringem funktionellem Anspruch (hohes Lebens-
alter, fortgeschrittenes Tumorleiden) Hemiprothese (auch als
Kopfprothese bezeichnet; ein alleiniger Ersatz der Hüftpfanne
wird nicht durchgeführt) ohne Ersatz der Gelenkpfanne. Bei
einfachen Kopfprothesen ist der Kopf fest mit dem Konus
des Prothesenstiels verbunden. Bei Duokopfprothesen ist ein
großer Prothesenkopf über einen kleinen Kopf gestülpt, was
eine zusätzliche Rotation innerhalb des Prothesendoppelkopfes
erlaubt.
Die Totalendoprothese ersetzt Kopf und Pfanne. ⊡ Abbil-
b
dung 4.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Prothesen-
typen.
Das Drehzentrum des Kunstgelenks muss dem Drehzent-
rum einer intakten Hüfte entsprechen. Damit müssen Kopfzen-
trum und Pfannenzentrum von Prothese und ehemaligem in-
taktem Gelenk übereinstimmen. In Relation zum Femur muss
also der Prothesenkopf an derselben Stelle wie der Femurkopf
c
und in Relation zum Becken das Pfannendrehzentrum an sel-
⊡ Abb. 4.1a–c. Überblick über die wichtigsten Prothesentypen. a Stan- ber Stelle wie das Drehzentrum des Azetabulum stehen. Kopf-
dardprothese; von links nach rechts: zementierte Prothese, Geradschaft- halsgeometrie der Prothese und Eingangsebene der Pfanne
prothese (zementlos), anatomische Prothese (zementlos). b Neuentwick- sollen ein freies Bewegungsspiel des Gelenks ohne Anschlag
lungen; von links nach rechts: Druckscheibenprothese, Kurzschaftpro- (»Impingement«) erlauben. Im physiologischen Bewegungs-
these (zementlos), Kopfkappenprothese (zementiert). c Pfannen; von
links nach rechts: Polyethylenpfanne (wird mit Zement befestigt), Me-
sektor darf es nicht zur Luxation des Gelenks kommen. Die
tallpfanne mit rauer Oberfläche und Schraubenlöchern, Metall-Schraub- Befestigung der Komponenten am Knochen erfolgt mittels
pfanne (beide enthalten eine Gleitfläche zumeist aus Polyethylen und Knochenzement (Polymethylmetacrylat) oder durch Anwach-
werden zementlos am Knochen befestigt) sen des Knochens an die dafür speziell konzipierte Implanta-
toberfläche (Kontaktosteogenese). Letzteres erfordert für einige
Wochen mechanische Ruhe zwischen Implantat und Knochen.
Sie wird durch ein Verklemmen der Komponenten im Kno-
chenbett (»Pressfit«), pfannenseitig teils durch zusätzliche Ver-
schraubung erzielt.
Die artikulierenden Oberflächen von Kopf und Pfanne,
⊡ Tab. 4.1. Die 4 möglichen Gleitpaarungen
die Gleitpaarung, kann aus verschiedenen Materialien mit je-
Kopf Metall Keramik weiligen Vor- und Nachteilen bestehen (⊡ Tab. 4.1). Moderne
Prothesensysteme sind modular, was einerseits die Operation
Pfanne Metall Keramik
vereinfacht und andererseits ein späteres Auswechseln von Ver-
Polyethylen Polyethylen
schleißteilen ohne Ausbau des gesamten Kunstgelenks erlaubt.
4.1 · Primäre Hüftendoprothese
61 4
Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Prothesenluxation
▬ Beinlängendifferenz
▬ Periartikuläre Verknöcherung mit Bewegungseinschrän-
kung
▬ Intraoperative Fraktur und Osteosynthese
▬ Postoperative Infektion
▬ Aseptische Lockerung
▬ Prothesenverschleiß
▬ Spätinfekt

Bei den derzeit verwendeten Standardprothesen ist mit einer


Standzeit von 15 Jahren bei über 90% der Stiele und bei 80%
der Pfannen zu rechnen.
a
Diagnostik und Planung
Bewegungsumfang und Beinlängen werden bei der klinischen
Untersuchung gemessen und protokolliert. Hüftübersichtsauf-
nahme mit ausreichend langer Darstellung des Femur und
Markierung zur Ermittlung des Vergrößerungsfaktors sowie
Lauenstein-Aufnahme sind die Voraussetzungen für die obli-
gate präoperative Planung (⊡ Abb. 4.2).
Auf der Hüftübersichtsaufnahme werden die Parallelen a
und b durch die tiefsten Punkte der Foramina obturatoria A1,
A2 und durch die tiefsten Punkte der Sitzbeine B1, B2 gezeich-
net. Der am weitestens nach medial ausladende Punkt der
kleinen Trochanteren wird mit Pfeilen markiert. Der Höhenun-
terschied h der kleinen Trochanteren entspricht der projizierten
durch die Hüfte bedingten Beinlängendifferenz. Durch die
Mitte des gesunden Hüftkopfes C2 wird eine dritte Parallele c
gezeichnet. Auf ihr liegt das Pfannenzentrum und damit das
Drehzentrum C1 der zu ersetzenden Hüfte. Die richtige Pfan-
nengröße wird durch Auflegen von Schablonen zunächst auf
b
die gesunde Gegenseite ermittelt. Sie ist etwas größer als die
subchondrale Sklerose vorgibt. Dann wird die Schablone in
der Weise lateral der erkrankten Hüfte aufgelegt, dass die Pfan-
neneingangsebene e einen Winkel von 40° mit den Parallelen
bildet. Die Pfannenschablone wird nach medial verschoben, bis
sie die Köhler-Tränenfigur berührt. Dies ist die erwünschte Po-
sition des Implantates. Sie wird auf das Röntgenbild übertragen.

⊡ Abb. 4.2a–c. Planung der primären Hüftendoprothese. Aufgrund


der Abnutzung besteht bei rechtsseitiger Arthrose eine Beinlängendif-
ferenz h. a Bestimmung von Beinlängendifferenz h und Höhe der Pfan-
nenzentren C. Die Geraden a, b und c sind parallel. Einzelheiten  Text.
b Einzeichnen der Prothesenpfanne (Schablonen des Herstellers) in der
richtigen Größe und Position (medial der Köhler-Tränenfigur anliegend;
Pfannenzentrum C1 auf derselben Höhe wie Pfannenzentrum C2 der
gesunden Hüfte; Öffnungswinkel in der Frontalebene 40°). Einzelheiten
 Text. c Einzeichnen des Prothesenstiels (Schablonen des Herstellers)
in der richtigen Größe und unter Rekonstruktion des Kopfzentrums D in
Relation zur Femurachse f und in korrekter Höhe. Nach Reposition sind
die Beinlängen wieder gleich. Einzelheiten  Text c
62 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Die ehemalige Form der Kopfkalotte wird durch Auflegen einer Im Operationssaal
Schablone mit konzentrischen Kreisen (sog. »Moses-Temp- Lagerung
late«) nachvollzogen und so das Hüftkopfzentrum D bestimmt. Rückenlage oder Seitenlage. Vorteil der Rückenlage ist die defi-
Durch Auflegen der Stielschablonen wählt man nun den Stiel nierte, konstante Position des Beckens. Dies erleichtert die kor-
aus, der bezüglich seiner Größe in den Markraum passt und rekte Positionierung der Pfanne. Vorteil der Seitenlage ist die
der es erlaubt, den Kopfmittelpunkt des Prothesenstiels auf das bessere Sicht auf und in den Femurschaft und der freie Zugang
natürliche Kopfzentrum zu legen. zu den hinteren Gelenkanteilen und Weichteilen. Während für
Viele Systeme bieten mittlerweile zwei Serien von Pro- die Revisionsalloarthroplastik und bei navigierter Operation
thesenstielen an: eine Serie mit großem CCD-Winkel (»val- die Seitenlage gewählt wird, hängt die Lagerung bei der primä-
4 gisch«). Das bedeutet einen geringen Versatz v des Kopfzen- ren Alloarthroplastik vom geplanten Zugang und der Vorliebe
trums von der Femurachse f. Eine zweite Serie mit kleinem des Operateurs ab.
CCD-Winkel (»varisch«) was einem großen Versatz v des
> Achtung 1. Assistent
Kopfzentrums gleichkommt. Für die Länge des Lotes vom
Bevor der Operateur den Saal betritt, sollten die Planungsbil-
Kopfzentrum D auf die Femurachse f, den Versatz v, hat
der aufgehängt werden und die Lagerung kontrolliert werden.
sich die Bezeichnung »Offset« eingebürgert. Es ist zu beach-
ten, dass im Röntgenbild nur bei innenrotierter Aufnahme
der projizierte Versatz dem anatomischen entspricht. In den Rückenlage: Patient liegt gerade. Körper ist zur Operations-
meisten Fällen wird der Versatz röntgenologisch etwas un- seite an die Tischkante verschoben. Arm der Operationsseite
terschätzt. Die Prothesenschablone zeigt die gewünschte Re- ist hochgelagert.
sektionslinie r in Relation zu den Trochanteren (Punkt T und
Distanz l) sowie den Abstand s der Prothesenschulter von der Seitenlage: Patient liegt exakt auf der Seite (⊡ Abb. 4.3). Das
Trochanterspitze. Resektionslinie und Prothesenkontur wer- Becken ist weder nach vorne noch nach hinten verkippt. Sym-
den auf das Röntgenbild übertragen. Jetzt sollte die Kopfmitte physe, Lendenwirbelsäule und Sternum sind abgestützt. Eine
D um die Höhe h über dem Pfannenzentrum C1 stehen. Nach Polsterrolle liegt unter der Axilla des unteren Armes (Plexus-
Reposition wäre damit gleiche Höhe der kleinen Trochanteren schutz). Nach Lagerung wird die Durchleuchtbarkeit der Hüft-
in Relation zum Becken und damit gleiche Beinlänge wieder region überprüft. Ob während des Eingriffs durchleuchtet wird,
hergestellt. Eine Feinjustierung ist intraoperativ durch Ver- hängt von der Vorliebe und Erfahrung des Operateurs aber
wendung verschiedener Prothesenköpfe möglich, deren un- auch vom Operationsverlauf ab. Der weniger Erfahrene sollte
terschiedlich tiefe Bohrung beim Aufsetzen auf den Stielkonus sich die Möglichkeit der intraoperativen Durchleuchtungskon-
um ca. 8 mm variable Halslängen ergibt. trolle zunutze machen.

⊡ Abb. 4.3. Seitenlagerung und Bildwandlereinstellung


zur a.p. Aufnahme
4.1 · Primäre Hüftendoprothese
63 4
Operationstechnik
Zugänge zum Hüftgelenk (⊡ Abb. 4.4) für die Endoprothetik
sind möglich von anterolateral (vorderer Zugang nach Smith
Petersen, anterolateraler Zugang nach Watson-Jones) von late-
ral (transglutealer Zugang nach Bauer) und von dorsal (hinterer
Zugang oder »southern approach«). Zudem gibt es verkürzte,
minimalinvasive Zugänge die sich aber wenig für den Einstieg
in die Hüftprothetik eignen. Der an der jeweiligen Klinik üb-
liche Zugang muss im Detail und unter Zuhilfenahme anato-
mischer Atlanten erlernt werden. Eine kursorische Darstellung
verschiedener Zugänge in diesem Buch wäre wenig hilfreich.
Nach Eröffnung und Teilresektion der Gelenkkapsel kann
der Hüftkopf luxiert werden.
> Achtung 1. Assistent
Ihre Hilfe bei der Luxation ist entscheidend. Während der
Operateur mit einem stumpfen Haken am Schenkelhals zieht,
führen Sie die Luxationsbewegung mit dem Bein des Patien-
ten durch. In Rückenlage bei seitlichem Zugang: Flexion (45°),
Adduktion und Außenrotation. In Seitenlage bei hinterem
Zugang: Innenrotation (90°), Adduktion, Flexion. Das Kniege-
lenk ist hierzu gebeugt, Zug- und Hebelbewegungen erfolgen
über den Unterschenkel des Patienten.

! Bei Kniearthrose oder bei Knieendoprothesenträgern darf über


das Knie nur wenig Kraft eingeleitet werden.

⊡ Abb. 4.4. Zugänge zum Hüft-


gelenk. Die das Gelenk lateral und
ventral bedeckenden Muskeln sind
auf Gelenkhöhe entfernt. Antero-
laterale (al), laterale (l) und dorsale
Zugänge (d) verlaufen zwischen die-
sen und durch diese Muskeln
64 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Nach Osteotomie des Schenkelhalses am Übergang zum


Trochantermassiv der Planzeichnung folgend fällt der Blick
erstmals in die Gelenkpfanne. Aber erst nach Abtrennen der Ge-
lenkkapsel vom Pfannenrand, insbesondere der mediokaudalen
Kapsel lassen sich die Retraktoren endgültig am Pfannenrand
platzieren und die Sicht in die Pfanne wird frei (⊡ Abb. 4.5).
! Bei der Kapselresektion kommt es mitunter zu kräftigen
Blutungen aus den Kapselgefäßen. Sie sollten sofort elek-
trokoaguliert werden, was nur bei guter Sicht und guter
Beleuchtung gelingt. Nicht »in der Tiefe und im Dunkeln«
schneiden! Das Messer soll so geführt werden, dass seine
Spitze stets ins Pfanneninnere zeigt.

⊡ Abb. 4.5. Darstellung Hüftpfanne. Transglutäaler Zugang. Hüftkopf


und Schenkelhals sind entfernt. Die Pinzette fasst und spannt den me-
diokaudalen Kapselrest, der mit dem Skalpell am Pfannenrand abge-
schnitten wird. Die Spitze des Skalpells zeigt stets ins Pfanneninnere.
Haken 1 und 2 sitzen hinter dem ventralen Pfannenrand. Haken 3 stützt
sich gegen das Os ischii ab. Haken 4 ist optional am Foramen obturatum

Die Resektion des Lig. capitis femoris mit dem Elektromes-


ser und die Entnahme des Pannus aus der Fossa acetabuli
schließen die Darstellung der Pfanne ab. Bei Resektion des
Ligamentes kommt es oftmals zu einer Blutung aus der Arteria
capitis femoris, die mit dem Elektroinstrument gestillt wird.
Pfannengrundosteophyten sollten jetzt abgemeißelt werden,
damit der anatomische Pfannenboden eindeutig sichtbar wird
(⊡ Abb. 4.6). Er bildet die Grenze nach medial für den nun fol-
genden Fräsvorgang.
Die Pfanne wird mit hemisphärischen Fräsen in anstei-
gender Größe ausgefräst, bis ein allseits leicht blutendes eben-
falls hemisphärisches Knochenbett entsteht. Der Vorgang wird
jeweils durch das Umwechseln auf die nächstgrößere Fräse
unterbrochen. Der Operateur nutzt diese Zeit zum Trocknen
der Pfanne mit einem Stieltupfer. Er beurteilt, wo die stärkste
Knochensklerose sitzt. Der Druck auf die Fräse wird in diese
Richtung gegeben. Keinesfalls sollte der Pfannenboden mit der
Fräse durchbrochen werden. Manchmal werden beim Fräsen
Geröllzysten eröffnet, die dann mit dem scharfen Löffel ausge-
kratzt und mit Fräsmaterial gefüllt werden.
⊡ Abb. 4.6. Präparation Pfannengrund. Resektion von Lig. capitis femo-
ris und von Pannusgewebe aus der Fossa acetabuli. Abtragen von Pfan-
nengrundosteophyten mit dem Lexer Meißel (längs der rot gestrichelten
Grenze der Fossa acetabuli)
4.1 · Primäre Hüftendoprothese
65 4
Zum Schluss soll die Fräse in derselben Richtung wie die ge- Kortikalis des Os ileum durchbrochen , eine Entlüftungskanüle
plante Prothesenpfanne gehalten werden, so dass eine Pfannen- in die Spongiosa eingedreht und mit der Absaugung verbun-
eingangsebene mit 40°-Inklination in der Frontalebene und 20°- den. Das Pfannenbett wird mit dem pulsierenden Wasserstrahl
Anteversion resultiert. Die Prothesenpfanne wird mit Hilfe eines (»Jetlavage«, »pulsierende Lavage«) gereinigt und mit Bauchtü-
Einschlaginstruments (zementlose Pressfit-Pfanne) eines Ein- chern ausgetrocknet und tamponiert.
drehinstruments (zementlose Schraubpfanne) oder eines Ein-
! Verwenden Sie in tiefen Wunden nur röntgenmarkierte
drückinstruments (zementierte Pfanne) eingesetzt (⊡ Abb. 4.7).
Bauchtücher. Dies schließt die Gefahr aus, Kompressen in der
Bei zementierter Pfanne werden nach Anfräsen des Aze-
Wunde zurückzulassen. Kompressen haben in tiefen Wunden
tabulums 2 Löcher von 8 mm Durchmesser und 10 mm Tiefe
nichts zu suchen.
im Pfannendach angelegt. Dies erfolgt entweder mit einem
speziellen flexiblen Bohrer oder mit einem kleinen Meißel und Der vorgekühlte, vakuumgemischte, hochvisköse Zement wird
einem scharfem Löffel. Die Löcher dienen der Zementveran- in das saubere, trockene Pfannenbett gedrückt und mit einem
kerung (Zement kann nicht »kleben«, füllt jedoch in flüssigem weichen Instrument nachkomprimiert. Dann wird die Poly-
Zustand alle Hohlräume und Unebenheiten und bewirkt so ethylenpfanne langsam mit konstantem Druck unter Beachtung
einen »Formschluss«). Der Durchmesser der letzten Fräse soll von Inklination (40°) und Anteversion (20°) zentrisch in den
4 mm größer als die geplante Polyethylenpfanne sein, um einen Zement gesetzt (⊡ Abb. 4.8). An den Rändern vorquellender
Zementmantel von 2 mm Dicke zu gewährleisten. 2 cm ober- Zement wird mit dem scharfen Löffel entfernt. Sitzt die Pfanne
halb des Pfannenlagers wird mit dem 4,5 mm Bohrer die äußere in Bezug auf Tiefe und Ausrichtung korrekt, wechselt man das
Einsetzinstrument gegen das Kugelinstrument aus, mit dem
bis zum Aushärten des Zements konstanter Druck von etwa
10 kg auf die Pfanne ausgeübt wird (Zement verliert während
der Aushärtung etwas an Volumen, deshalb Kompression bis
zur Verfestigung). Abtragen von restlichen Zementüberständen
und Osteophyten am Pfannenrand. Spülung.
! Zementpartikel müssen vollständig aus der Wunde entfernt
werden. Kleine Partikel, die später ins Gelenkspiel zwischen
Kopf und Pfanne geraten, verstärken den Polyethylenabrieb
erheblich (sog. »Drittkörperproblem«).

⊡ Abb. 4.7a,b. Einsetzen einer zementlosen Pfanne. Die Metallpfanne ⊡ Abb. 4.8. Einsetzen einer zementierten Pfanne. Das Polyethylenim-
hat eine raue Oberfläche (⊡ Abb. 4.1c) und einen etwas größeren Au- plantat wird unter Beachtung der in ⊡ Abb. 4.7 genannten Winkel in den
ßendurchmesser als das gefräste Knochenbett. Sie verklemmt sich da- noch weichen Zement gedrückt. Die Absaugekanüle sorgt für Unterdruck
durch im elastischen Knochen (sog. »Pressfit«-Prinzip). a Position in der im spongiösen Knochen und damit für ein besseres Eindringen des Ze-
Frontalebene. b Kippung der Pfanneneingangsebene zusätzlich um 20° mentes in die Spongiosa. Einsetzinstrument mit Rand: grau. Links daneben
nach ventral zur Erzielung der Anteversion das Kugelinstrument zum Nachdrücken. Endgültige Pfannenposition: rot
66 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Für den Einbau des Prothesenstiels ist ein ungehinderter


Zugang in den Markraum des proximalen Femur Vorausset-
zung. Gleichzeitig muss eine Traumatisierung der pelvitrochan-
tären Muskeln vermieden werden. Entscheidend sind eine ge-
schickte Position des Oberschenkels und ein adäquater Zugang
(⊡ Abb. 4.9). Der 2. Assistent fixiert das Bein in der gewünsch-
ten Position.
> Achtung 1. Assistent
Für die korrekte Antetorsion des Prothesenstiels ist eine kon-
4 stante korrekte Position des Beins entscheidend. Sie müssen
wiederholt kontrollieren, ob der 2. Assistent die Position korrekt
und unverändert hält.

⊡ Abb. 4.9a–c. Drei mögliche Positionen des Beins und damit des pro-
ximalen Femurendes (Insert) zur Osteotomie des Schenkelhalses und
zum Einbau des Prothesenstiels. a Rückenlage, seitlicher Zugang, Hüfte
nach vorne luxiert. Adduktion 45°, Außenrotation 90°, Flexion durch
anderes Bein vorgegeben. Schenkelhals zeigt deckenwärts und etwas
nach lateral. Pfeil markiert die Richtung des Markraums. Sicht von schräg
seitlich. b Seitenlage, seitlicher Zugang, Hüfte nach vorne luxiert. Flexion
45°, Außenrotation 90°, Adduktion 20°. Steriler Beutel (rot) zum Schutz
des sterilen Fußes und Unterschenkels. Schenkelhals zeigt kopfwärts
und etwas zur Decke (Antetorsion). Sicht von oben. c Seitenlage, hinterer
Zugang, Hüfte nach hinten luxiert. Flexion 30°, Innenrotation 90°, Ad-
duktion 30°. Schenkelhals zeigt nach hinten und etwas tischwärts. Sicht
c von schräg seitlich
4.1 · Primäre Hüftendoprothese
67 4
Das Knochenbett für den Prothesenstiel wird je nach verwen- gung/Innenrotation der Luxationsweg durch einen dorsokaudal
detem System mit Raspeln oder mit Bohrern und Raspeln erhöhten Pfannenrand verbaut.
vorbereitet (⊡ Abb. 4.10). Dabei wird wie bei der Pfanne mit Der Ranawat-Test ist hilfreich zur Beurteilung der Stiel-
Instrumenten in ansteigender Größe gearbeitet. Erster Schritt Pfannenrelation: Bei korrekter Position beider Komponenten
ist die Entfernung eines Spongiosablocks aus der intertrochan- stellt sich der Prothesenkopf in Streckung und 45°-Innenrota-
tären Region. Dann wird die kleinste Raspel oder der kleinste tion maximal tief und symmetrisch in die Pfanne ein.
Bohrer vorsichtig und von Hand eingeführt. Durch Zug am Bein wird die Stabilität des Gelenks in axia-
ler Richtung geprüft. Beim relaxierten Patienten lässt sich dabei
! Das erste Instrument bereitet den Weg für alle folgenden! Es
die Kugel 3–5 mm aus der Pfanne ziehen. Eine Bildwandlerkon-
darf keine falsche Richtung nehmen oder gar aus dem Femur
trolle zeigt den Sitz der Raspel und die Höhe des Trochanter mi-
herausperforieren. Damit es sicher im Markraum läuft, sollte es,
nor in Relation zum Sitz-Schambein (⊡ Abb. 4.2). Die Beinlänge
wenn immer möglich, von Hand und nicht mit einer Maschine
kann durch Aufsetzen verlängernder Prothesenköpfe angepasst
oder mit dem Hammer eingebracht werden.
werden. Eine leichte Verlängerung ist so technisch unproblema-
Die letzte Raspel, die sich eben noch einschlagen lässt, wird mit tisch. Andererseits darf bei korrekter Weichteilspannung nicht
einem Prothesenprobekopf versehen und dann eine Probere- auf Kosten der Luxationssicherheit verkürzt werden. Luxations-
position vorgenommen. Die Luxationssicherheit der Prothese sicherheit hat Präferenz vor Beinlänge. Ist bei korrekter Bein-
wird überprüft. Kritisch sind stets Außenrotation in Streckung länge der Kopf/Pfannenkontakt zu locker, sollte geprüft werden
(mindestens 70°) und Innenrotation in 90°-Beugung (mindes- ob durch einen Stiel mit größerem Versatz (Offset; ⊡ Abb. 4.2c)
tens 45°). Luxiert das Gelenk, müssen Pfannenorientierung das Problem behoben werden kann. Die Raspel wird nun durch
und Antetorsion des Stiels überprüft werden. Es muss zudem den definitiven Prothesenstiel ersetzt, der entweder zementfrei
nach unerwünschten Kontaktzonen zwischen proximalem Fe- nach dem Verklemmungsprinzip (Pressfit) eingeschlagen oder
mur und Becken (Pfannenrandosteophyten, Osteophyten der in ein Zementlager eingesetzt wird (⊡ Abb. 4.11).
Trochanterregion) gesucht werden. Die Verwendung eines Wird der Stiel zementiert, erhöht sich damit der operative
asymmetrischen Pfanneneinsatzes, mit dem sich die Pfannen- Aufwand. Nach Vorbereitung mit der Raspel wird der Mark-
eingangsebene korrigieren lässt, kann bei zementlosen Pfannen raum ausgebürstet, mit dem pulsierenden Wasserstrahl gerei-
Abhilfe schaffen. So wird z. B. bei Luxationstendenz in Beu- nigt und eine Markraumplombe, am besten aus resorbierbarem

⊡ Abb. 4.10. Aufraspeln des Markraums. Transglutäaler Zugang. Position wie ⊡ Abb. 4.9a

⊡ Abb. 4.11. Einsetzen eines zementierten


Stiels. Der Markraum ist distal durch eine Mark-
raumplombe (Markraumsperrer) verschlossen
und mit Zement gefüllt. 1 Eindrückinstrument,
2 Zentrieraufsatz, 3 Markraumplombe
68 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Material, 1 cm tiefer als die Spitze des geplanten Prothesenstiels 4.2 Beckenosteotomie
positioniert. Das Knochenbett wird getrocknet. Vakuumge-
mischter hochvisköser Knochenzement wird mit einer Zemen- Indikation
tierspritze retrograd in den Markraum eingefüllt, vorkompri- Schwere Dysplasie der Hüftpfanne ohne Chance einer Nach-
miert und dann der Prothesenstiel eingesetzt. Der »Centra- reifung. Letztere besteht nur in den ersten 18 Lebensmonaten.
lizer«, ein auf die Prothesenspitze gesteckter Abstandshalter, Bei operativer Reposition einer kongenitalen Hüftluxation ab
garantiert die zentrische Position des Stiels im Zementmantel. eineinhalb Jahren kann bei schwer dysplastischer Pfanne zeit-
Zementüberstände werden entfernt und die Prothese während gleich die Beckenosteotomie erfolgen. Frühestes Operations-
des Zementaushärtens unter konstantem axialem Druck gehal- alter ist damit 1,5 Jahre. Beim Erwachsenen ist die operative
4 ten. Nach Abbinden des Zements nochmalige kräftige Spülung, Verbesserung der Gelenksituation durch eine Beckenosteoto-
Aufsetzen des Prothesenkopfs mit der zuvor bestimmten Hals- mie nur sinnvoll solange noch keine Koxarthrose besteht. Da
länge und definitive Reposition. Der Wundverschluss erfolgt sich die Dysplasiekoxarthrose in der Regel bereits im jungen
in Schichten unter Einlage einer tiefen Saugdrainage. Die Haut und mittleren Erwachsenenalter entwickelt, sind Beckenosteo-
kann genäht oder geklammert werden. tomien bis etwa zum 35. Lebensjahr zu erwägen. Das Ausmaß
der Dysplasie wird bis zum Verschluss der Y-Fuge anhand des
Probleme Pfannendachwinkels (AC-Winkel, AC = »acetabular«), danach
Fissur oder Fraktur des Femurschaftes beim Einschlagen ei- mittels des Zentrumeckenwinkels (CE-Winkel, CE = »center
nes zementlosen Prothesenstiels. Dies lässt sich in der Regel edge«) auf der Beckenübersichtsaufnahme beurteilt. »Schwer
durch Einbringen mit vielen »kleinen« Hammerschlägen, mit dysplastisch« ist eine Pfanne mit Winkelwerten jenseits der
konstantem Impuls unter Vermeidung »großer«, zu kräftiger doppelten Standardabweichung vom Mittelwert des Winkels
Schläge, insbesondere solcher mit verschiedener Amplitude, in der Gesamtpopulation. Während des Wachstums sind die
verhindern. Bei zu großem Kraftaufwand beim Einschlagen ist Werte altersabhängig.
es besser, den Stiel nochmals zu entfernen und nachzuraspeln.
Kommt es trotz aller Vorsicht zur Fissur, was der Operateur
daran erkennt, dass der zuvor fest sitzende Stiel plötzlich bei je- Operationsprinzip
dem Hammerschlag deutlich tiefer tritt, muss der Stiel zunächst Die Form des Azetabulum oder die Position des Azetabulum in
nochmals entfernt werden. Der Riss wird aufgesucht und längs Relation zum Hüftkopf werden nach teilweiser oder vollständi-
des Femur durch Abschieben der Muskulatur bis zu seinem ger Durchtrennung des Knochens in Pfannennähe korrigiert.
distalen Ende verfolgt. Ein einfacher Riss, der sich elastisch Die »Überdachung« des Hüftkopfes wird dadurch verbessert.
schließt, kann durch Drahtseilzerklagen gesichert werden. Ist Bei genügender Elastizität des Knochens und der Symphysis
jedoch ein Knochenstück ausgebrochen oder reponiert sich das pubis bzw. bei noch offener Y-Fuge genügt zur Korrektur die al-
Femur nach Entfernung der Prothese nicht völlig anatomisch, leinige Osteotomie des Os ilium. Dies ist bis zum Schulalter der
ist eine Plattenosteosynthese zu erwägen. Fall. Idealer Operationszeitpunkt ist das 4. oder 5. Lebensjahr.
Dabei gibt es 2 unterschiedliche Operationsprinzipien:
! Protrusionskoxarthrosen, Dysplasiekoxarthrosen, deformierte
▬ Bei der Pfannendachplastik wird das Os ilium knapp kra-
Femora nach Morbus Perthes und schwer osteoporotischer
nial des Azetabulum eingeschnitten und das Pfannendach
Knochen sind schlechte Voraussetzungen für den jungen
in eine bessere Position gebogen.
Operateur. Die Hybridendoprothese mit Schraubpfanne und
▬ Bei der Osteotomie nach Salter wird das Os ilium in Höhe
zementiertem Stiel bei degenerativer Koxarthrose ist die am
des Foramen ischiadicus komplett durchtrennt und danach
einfachsten zu lösende Aufgabe.
die gesamte Pfanne in eine bessere Position gedreht.
Nachbehandlung
Ab etwa 8 Jahren muss das Azetabulum durch mehrere Osteo-
Lagerung in Abduktion auf dem Rücken bei neutraler Rota-
tomien völlig aus dem Knochenverbund des Beckens gelöst,
tion des Beines zur Luxationsprophylaxe. Aufstehen noch am
neu orientiert und refixiert werden (Dreifachosteotomie nach
Operationstag. Zunehmende Belastung des operierten Beines,
Tönnis). Nach Abschluss des Knochenwachstums kann dies
abhängig von der muskulären Kontrolle. Nach Abheilen der
durch eine periazetabuläre Osteotomie z. B. nach Ganz erfol-
Operationswunde ist der Patient rehabilitationsfähig.
gen. Eine Beschreibung dieser anspruchsvollen Mehrfachosteo-
tomien würde den Rahmen des vorliegenden Buches sprengen.
Literatur
Effenberger H, Imhof M (2004) Primäre Hüftendoprothetik. In: Wirth CJ, Zich-
ner L (Hrsg.) Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Band: Becken
Hüfte. Thieme, Stuttgart
Gradinger R, Rechl H, Gollwitzer H (2007) Degenerative Erkrankungen. In:
Wirth CJ, Mutschler W (Hrsg.) Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie.
Thieme, Stuttgart
Kerschbaumer F (1994) Alloarthroplastik des Hüftgelenks, Primäreingriffe. In:
Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre,
Becken und untere Extremität, Band 2/1. Thieme, Stuttgart
4.2 · Beckenosteotomie
69 4
Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Becken-Bein-Fußgips für 6 Wochen
▬ Metallentfernung nach 6–8 Wochen
▬ Intraoperativer Blutverlust
▬ Einbau von allogenem Knochenmaterial (Pfannendachplas-
tik)
▬ Veränderung der äußeren Beckenkontur (Salter-Osteoto-
mie)
▬ Veränderung des Geburtskanals (Salter-Osteotomie)
▬ Hüftkopfnekrose, insbesondere falls kombiniert mit offener
Hüftreposition

Diagnostik und Planung


Exakt projizierte Beckenübersichtsaufnahme. Kleinkinder wer- ⊡ Abb. 4.12. Die Mutter hält das Kind zur Röntgenaufnahme. G Gona-
den unter Anleitung des Orthopäden von der Mutter gehalten denschutz, B Bleihandschuhe, R Röntgenschürze. Hüften 20° gebeugt.
Neutrale Rotation mit nach oben zeigenden Kniescheiben
(⊡ Abb. 4.12). Vermessung des AC-Winkels.

Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlagerung mit Sandsack unter der zu operierenden Kör-
perseite. Gonadenschutz, steril. Bildwandler.

Operationstechnik bei Salter-Beckenosteotomie


Hautschnitt in der in  Kap. 4.6 beschriebenen Technik.
Ziel des operativen Zuganges ist die subperiostale Darstel-
lung des Os ilium kranial des Azetabulum einschließlich des
vorderen Drittels der Crista iliaca (⊡ Abb. 4.13). Bei Kindern bis
zu 6 Jahren ist die Apophyse knorpelig. Sie wird mittig gespal-
ten. Ihre äußere Hälfte setzt sich in den M. gluteus medius und
in den M. tensor fasciae latae, die innere in den M. iliacus fort.
Distal bildet die Apophyse die Spina iliaca anterior superior.
Der Ansatz des M. sartorius und das Leistenband verbleiben
am inneren Teil der Apophyse, der M. tensor fascie latae am
äußeren. An der Ventralkante des Os ilium muss der Ansatz
des Caput rectum des M. rectus femoris an der Spina iliaca
anterior inferior abgelöst werden. Die Muskeln werden von
der Außen- und der Innenseite des Os ilium mit dem Raspato-
rium abgeschoben. Der Raum zwischen Knochen und Muskeln a
wird sofort mit Kompressen tamponiert. Dies ist die wichtigste
blutstillende Maßnahme, die zudem den Raum in dem später
die Gigli-Säge läuft aufweitet. Während die Incisura ischiadica
auf der Außenseite mit dem Raspatorium gut erreicht werden
kann, ist im Beckeninneren die Darstellung nur bis zur Linea
terminalis einfach. Die Fläche von der Linea terminalis bis
zum Foramen ischiadicum wird besser mit dem stumpfen ge-
schwungenen Chiari-Haken freigelegt (⊡ Abb. 4.13b). Eine kon-
trakte Psoassehne wird tenotomiert ( Kap. 4.3).
b

⊡ Abb. 4.13a,b. Subperiostale Freilegung des Os ilium im Osteoto-


miebereich. a Anatomische Darstellung. Chiari-Haken (1) berühren sich
in der Incisura ischiadica und sichern Nerven, Gefäße und Muskeln.
Zwischen Knochen und Haken wird mit der Overholt-Klemme (2) die
Gigli-Säge (3) durchgezogen. Geplante Osteotomien: rot gestrichelt.
b Horizontalschnitt. Außen wird da Periost mit dem Raspatorium (1), in-
nen dorsal der Linea terminalis mit dem Chiari-Haken (2) abgeschoben
70 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Die Gigli-Säge wird durchgezogen (⊡ Abb. 4.14). Der we-


niger Erfahrene kontrolliert ihre Lage mit dem Bildwandler.
Dann erfolgt die Osteotomie: Winkel zwischen den beiden
Schenkeln der Säge so groß wie die Wunde erlaubt, konstante,
etwa 15 cm lange wechselnde Züge an den Handgriffen der
Säge ohne Unterbrechung der Bewegung und mit nur leichtem
Kraftaufwand.
Nach Durchtrennung Stabilisieren des oberen Fragmentes
mit der Repositionszange. Viererposition des Beines durch
4 den 1. Assistenten. Korrektur des distalen Fragmentes mittels
kräftiger kleiner Repositionszange mit Spitzen. Rotation über
den Hüftkopf in anterolateraler Richtung. Durchleuchtungs-
kontrolle: Im a.p. Strahlengang sollte der Hüftkopf jetzt ein-
wandfrei überdacht sein. Das Foramen obturatum erscheint
durch die Neurorientierung des pfannentrangenden Becken-
segmentes quer-oval im Vergleich zur kreisförmigen Gegenseite
(⊡ Abb. 4.15).

⊡ Abb. 4.14. Durchtrennung des Os ilium

⊡ Abb. 4.15. Neuorientierung der Pfanne. Kranialer Abschnitt Os ilium wird durch erste Repo-
sitionszange (1) stabilisiert. Pfannentragender Anteil wird mit zweiter Repositionszange (2) nach
ventral und lateral über den Hüftkopf gezogen. Dabei Drehbewegung in der Symphyse (Pfeil). Die
Neurorientierung wird durch die Viererposition des Beins (Insert) erleichtert
4.2 · Beckenosteotomie
71 4
Einsetzen eines vom Darmbein mit der oszillierenden Säge
ausgeschnittenen Keils.
> Achtung 1. Assistent
Ihre Aufgabe ist es nun, den Keil mit einer Kocherklemme zu
sichern und die Viererposition des Beines zu halten.

Fixieren von Osteotomie und Keil mit 2 Bohrdrähten. Der


ventral liegende Draht sollte zuerst gebohrt werden, da er den
Keil fixiert. Der dorsale Draht wird möglichst tief in den unte-
ren Anteil des Ileum in den hinteren Pfeiler dorsal am Gelenk
vorbeigebohrt. Bildwandlerkontrolle. Durchbewegen der Hüfte.
Es darf dabei keinerlei Geräusch, das ein Zeichen einer intraar-
tikulären Lage der Bohrdrahtspitzen wäre, auftreten.
⊡ Abb. 4.16. Überbrückung und Stabilisierung der Osteotomie. Ent-
Der Wundverschluss erfolgt durch anatomisch präzise Naht
nahme eines Knochenkeils (Osteotomieverlauf rot gestrichelt ⊡ Abb. 4.13a
der Apophysenhälften, Subkutannaht und intrakutane Haut- und 4.15), dessen Größe dem klaffenden Osteotomiespalt entspricht. Ein-
naht. Die Bohrdrähte werden knapp über Apophysenniveau setzen und Fixierung mit 2 Bohrdrähten
abgezwickt was ihre Entfernung 6 Wochen postoperativ erleich-
tert. Becken-Bein-Fußgipsverband (30°-Abduktion, 15°-Beu-
gung, 15°-Innenrotation, 15°-Kniebeugung; sog. modifizierte
Lange-Stellung) in Narkose. Diese Winkelwerte sind nur unge-
fähre Richtwerte. Die beste Stellung des Hüftkopfes in Relation
zur Pfanne wird unter Bildwandlerkontrolle bestimmt und
mit dem Gipsverband fixiert. Nach 6 Wochen Gipsentfernung,
Röntgenkontrolle, Entfernung der Drähte in Kurznarkose.

Operationstechnik bei Pfannendachplastik


Der Zugang entspricht dem für die Salter-Osteotomie beschrie-
benen. ⊡ Abb. 4.17 zeigt das Operationsprinzip unter Verwen-
dung eines allogenen autoklavierten kortikospongiösen Kno-
chenkeils.

Literatur
Pothmann M, Cordier W (2004) Protrahierte Hüftreifungsstörung im Kindesal-
ter. In: Wirth CJ, Zichner L (Hrsg.) Orthopädie und Orthopädische Chirur- a
gie, Band Becken, Hüfte. Thieme, Stuttgart
Salter RB (1961) Innominate osteotomy in the treatment of congential dislo-
cation and subluxation of the hip. J Bone Joint Surg (Br) 43, 518

⊡ Abb. 4.17a,b. Pfannendachplastik. a Pfannendysplasie rechts mit be-


ginnender Subluxation des Hüftkopfes mit Unterbrechung der Shenton-
Menard-Linie (rot). b Osteotomie und Herabdrücken des Pfannendaches
mit dem Meißel. Gute Überdachung und Reposition (die Shenton-Me-
nard-Linie ist wieder durchgängig). Sicherung der Position mit einem
Knochenkeil
72 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

4.3 Hüftreposition beim Säugling und Kleinkind Im Operationssaal


Lagerung
Indikation Rückenlage mit Anheben der zu operierenden Seite durch Un-
Verschleppte Hüftluxation (sonographisch: dezentrierte Hüfte) terlegen eines kleinen Sandsacks, der die Hüftdurchleuchtung
bei Kind älter als 6 Monate. Nach erfolgloser konservativer nicht behindern darf. Frei beweglich abgedecktes Bein mit
Behandlung mit Retention über 2-mal 4 Wochen im Sitz-Hock- Obergrenze der Abdeckung am unteren Rippenbogen. Falls
Gips innerhalb der ersten 6 Lebensmonate. Dabei bedeutet »er- arthrographiert wurde, muss für die offene Einstellung neu
folglos« eine auch nach Gipsabnahme und Remobilisation noch gelagert, gewaschen und abgedeckt werden.
sonographisch dezentrierte Hüfte oder eine Hüfte mit Abstand
Operationstechnik
4 Kopf-Pfannenboden von mehr als 5 mm im Hüftarthrogramm.
Der Hautschnitt verläuft parallel zu und je nach Größe des
Kindes 1–2 cm unterhalb des vorderen Drittels der Crista iliaca.
Operationsprinzip Ab Höhe der Spina iliaca anterior superior wird er um dieselbe
Eröffnung des Hüftgelenks durch breite Inzision oder Teilresek- Länge auf der anterolateralen Seite des Oberschenkels nach
tion der Kapsel. Beseitigung der Repositionshindernisse. Tiefe distal fortgesetzt. Alternativ dazu kann ein Schnitt parallel zum
Reposition in Abduktion, Innenrotation, Flexion (modifizierte Leistenband erfolgen. Zum Hautschnitt wird die Haut nach
Lange- Stellung). Temporäre Transfixierung durch Draht oder medial verzogen, so dass direkt über der festen Unterlage der
Raffnaht der Kapsel. Ruhigstellung im Becken-Bein-Fußgips Crista inzidiert werden kann ( Kap. 4.6).
über 6 Wochen. In derselben Sitzung bei älteren Kindern über Spalten der Apophyse des Darmbeinkammes und Fortset-
2 Jahre eventuell zusätzlicher pfannenverbessernder Eingriff zen der Inzision durch Längsspaltung der Faszie über dem M.
und/oder proximale Femurosteotomie mit Varisierung und/ tensor fasciae latae (⊡ Abb. 4.18). Dieser wird zusammen mit
oder Verkürzung. dem ventralen Anteil des M. gluteus medius vom Darmbein
subperiostal abgelöst und von seinem medialen Faszienblatt
abgeschoben. Das Faszienblatt schützt den N. cutaneus femoris
Operationsvorbereitung lateralis. Beim Abschieben des vorderen Anteils des M. gluteus
Aufklärung medius erreicht man die Hüftgelenkkapsel von superior late-
▬ Gipsruhigstellung mit erschwerter Pflege des Kindes ral. Sie wird kranial vom Caput reflexum und ventral von der
▬ Metallentfernung in Narkose nach 6 Wochen, falls zeitglei- Sehne des M. rectus femoris begrenzt und teilweise von diesen
che Salter-Beckenosteotomie Strukturen verdeckt.
▬ Narbenbildung mit Vergrößerung der Narbe während des
Wachstums
▬ Hüftkopfnekrose, wobei deren Ursache nach wie vor unklar
ist. Das Risiko steigt bei Kombinationseingriffen
▬ Rezidivluxation oder -subluxation
▬ Später erforderlicher pfannenverbessernder Eingriff
▬ Nervenläsion mit Gefühlsstörung (N. cutaneus femoris la-
teralis) oder Muskellähmung und Gefühlsstörung (N. fe-
moralis)

Diagnostik und Planung


Diagnosesicherung sonographisch und ergänzend arthrogra-
phisch in Narkose. Letzteres erlaubt eine einfache Beurteilung
der Stabilität, der sichersten Position des Gelenks für die Fixie-
rung und des Ausmaßes eines Repositionshindernisses. Wird
bei der Arthrographie beim Säugling eine Position gefunden,
die eine tiefe, sichere Reposition erlaubt, ist ein nochmaliger
nichtoperativer Behandlungsversuch im Sitz-Hock-Gips ge- ⊡ Abb. 4.18. Anterolateraler Zugang zur Hüfte des Säuglings oder
Kleinkindes. M. tensor fasciae latae und M. glutaeus medius bleiben
rechtfertigt.
mit der lateralen Hälfte der Darmbeinkammapophyse in Zusammen-
hang. Der Muskelbauch des M. tensor fasciae latae wird von einem
Langenbeck-Haken, seine Faszie von einem stumpfen Vierzinker-Haken
gehalten
4.3 · Hüftreposition beim Säugling und Kleinkind
73 4
Die Rektussehne wird unterfahren und durchtrennt. Das
Intervall zwischen M. rectus femoris und M. tensor fasciae latae
wird nach distal stumpf eröffnet. Dort kreuzen Äste der A. und
V. circumflexa femoris medialis. Sie müssen identifiziert und
koaguliert werden. Nach Einsetzen kleiner stumpfer Hohmann-
Retraktoren um den Ramus superior ossis pubis und extrakap-
sulär dorsal am Schenkelhals wird die Kapsel mit Präparierstiel
und Raspatorium aus den umgebenden Weichteilen auspräpa-
riert und möglichst weit nach distal dargestellt.
! Die Kapsel darf nicht zu früh eröffnet werden. In geschlosse-
nem Zustand ist das Kapselgewebe besser vom umgebenden
Muskel- und Fettgewebe zu trennen.

⊡ Abb. 4.19. Anterolateraler Zugang zur Hüfte des Säuglings oder


Kleinkindes. Tiefe Schicht nach Spaltung der Hinterwand der Faszie des
M. tensor fasciae latae. Das Gefäßbündel im kaudalen Wundwinkel muss
koaguliert werden. Ein kleiner stumpfer Hohmann-Haken (1) sitzt in der
Bursa iliopectinea. Rot gestrichelt: geplanter Kapselschnitt

Breite Kapseleröffnung parallel zum Pfannenrand (⊡ Abb. 4.20)


und längs in Verlaufsrichtung des Schenkelhalses. Dabei nicht
in den Kopfknorpel schneiden! Der Kopf wird durch Außenro-
tation-Adduktion weiter luxiert und der Ansatz des Lig. capitis
femoris mit einem arthroskopischen Tasthäkchen unterfahren.
Das Ligament wird zunächst mit einem kräftigen Faden ange-
schlungen und danach dicht am Kopf durchtrennt.
! Das Lig. capitis femoris ist der Wegweiser in die Tiefe des Azeta-
bulum und darf nicht verloren gehen.

Nach weiterer Inzision der Kapsel ggf. Durchtrennung der


Psoassehne.
! Die Psoassehne könnte mit dem N. femoralis verwechselt wer-
den! Deshalb vor Durchtrennung der vermeintlichen Sehne
Einsatz des Hochfrequenzgerätes in der Nähe. Auf etwaige Mus- ⊡ Abb. 4.20. Situs nach T-förmiger Kapseleröffnung und Luxation des
kelzuckungen des M. quadriceps achten. Die Sehne liegt unter Hüftkopfes. Lig. capitis femoris mit Tasthäken (1) unterfahren und vor
(dorsal), der Nerv liegt auf dem Muskelbauch (ventral) des M. Durchtrennung durch Anschlingen (2) gesichert
psoas.

Der Kopf sollte sich jetzt mit einem Einzinkerhaken soweit


nach dorsal ziehen lassen, dass das Azetabulum eingesehen
werden kann.
74 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Durchtrennung des Lig. transversum unter Sicht und in


Koagulationsbereitschaft. Resektion nur, falls erforderlich
(⊡ Abb. 4.21). Jetzt Resektion des Lig. capitis femoris elektro-
chirurgisch an seiner Basis. Reposition des Hüftkopfes. Kont-
rolle des Resultates klinisch und mittels Bildwandler. Die un-
unterbrochene Shenton-Menard-Linie gibt den besten Anhalt
(⊡ Abb. 4.22).
Eine tiefe Reposition kann nun entweder durch einen
Kirschner-Draht, 1,2 mm, oder durch eine Kapselplastik gesi-
4 chert werden. Der Draht ist zuverlässiger, muss jedoch nach
6 Wochen operativ entfernt werden. Er wird nach kleiner Inzi-
sion über der Oberschenkelaußenseite durch den Schenkelhals
ins Os ilium unter Bildwandlerkontrolle gebohrt, abgezwickt
und umgebogen.

⊡ Abb. 4.21. Beseitigung der Luxationshindernisse. Hüftkopf wird mit-


tels stumpfen Einzinker-Haken soweit als möglich aus der Pfanne her-
ausgezogen. Lig. transversum und Lig. capitis femoris werden reseziert
(rot gestrichelt)

⊡ Abb. 4.22. Sicherung der


Hüftreposition mit einem
Kirschner-Draht (Durch-
leuchtungsbild). Durchgän-
gige Shenton-Menard-Linie

Die Kapselplastik verkürzt die vorderen Kapselanteile unter


Opferung eines Kapselabschnitts (⊡ Abb. 4.23). Die Kapsel wird
mit kräftigem, nicht resorbierbarem Material (Mersilene® 1
USP) verschlossen. Der Wundverschluss erfolgt durch Rein-
sertion der Rectussehne und anatomisch exakte Naht der Apo-
physe mit resorbierbarem atraumatischem Material (Vicryl® 0
USP). Die Haut wird mit einer resorbierbaren Intrakutannaht
geschlossen. In Narkose erfolgt die Anlage des Becken-Bein-
Fuß-Gipsverbandes in der durch die Reposition vorgegebenen
a Position des operierten Beines und bei symmetrischer Absprei-
zung des Beines der Gegenseite.
! Keine Pflasterverbände unter dem Gipsverband. Stattdessen
Kompressen die mit dem Polstermaterial für den Gipsverband
fixiert werden.

⊡ Abb. 4.23a,b.
Kapselplastik zur Verkleine-
rung des Kapselvolumens.
a Der hintere Kapsellappen
wird reseziert. b Kapselver-
schluss mittels des vorderen
Kapsellappens b
4.4 · Intertrochantäre Femurosteotomie
75 4
Probleme 4.4 Intertrochantäre Femurosteotomie
▬ Ungenügende Sicht ins Azetabulum mit insuffizientem Aus-
räumen der Repositionshindernisse. Die Sicht muss durch Indikation
eine Erweiterung des Zuganges erzwungen werden. Fehlstellung des proximalen Femurendes (Coxa valga,
▬ Der Eingriff wird mit höherem Lebensalter und länger be- Coxa vara, Coxa antetorta, Coxa retrotorta) im Rahmen einer
stehender Luxation schwieriger. Hüftreifungsstörung, eines muskulären Ungleichgewichtes bei
▬ Wandern des transfixierenden Drahtes, falls sein Ende nicht neuromuskulären Erkrankungen, bei Epiphyseolysis capitis fe-
umgebogen wurde. moris lenta und posttraumatisch. Bei Hüftreifungsstörungen
▬ Der luxierte Kopf kann zu groß werden oder entrunden. muss primär die pfannenseitige Korrektur erwogen werden;
Dann entsteht ein Missverhältnis von Kopf- und Pfan- nur bei stark ausgeprägter oder im Vordergrund stehender
nengröße oder eine Inkongruenz. Auch in diesem Fall Fehlstellung des proximalen Femur wird die intertrochantäre
darf das kraniale Labrum, das Wachstumszentrum für den Osteotomie zusätzlich oder – selten – als isolierte Maßnahme
Pfannenerker, nicht reseziert werden. Allerdings kann dann durchgeführt. Bei der infantilen Zerebralparese kann die Wie-
ein radiäres Einschneiden des Labrum an mehreren Stellen derherstellung der normalen Geometrie des proximalen Femu-
erforderlich werden, um eine Reposition zu ermöglichen. rendes einer Hüftluxation vorbeugen; sie wird zumeist mit Te-
notomien der hüftübergreifenden Muskeln kombiniert werden.
Nachbehandlung Bei idiopathischer isolierter Coxa valga antetorta besteht im
Der Gipsverband wird für 6 Wochen belassen, danach erfolgt Kindesalter keine Operationsindikation, da die häufige spon-
die stationäre Wiederaufnahme. Der Gips wird zur Schale ge- tane Besserung im Verlaufe des Wachstums abgewartet werden
schnitten und das Kind zunächst aus der Schale remobilisiert. sollte. Bei sehr ausgeprägten Formen mit funktionellen Störun-
Wurde ein transfixierender Draht benutzt, wird dieser in Kurz- gen kann allerdings nach Wachstumsabschluss eine Osteotomie
narkose zusammen mit dem Gipsverband entfernt. nötig werden.
Umschriebene Schädigung des Caput femoris in der Be-
lastungszone. Durch die intertrochantäre Osteotomie wird der
Literatur beschädigte Anteil der Kopfkalotte aus der Belastungszone ge-
Graf R (2004) Sonographiegesteuerte Therapie von Hüftreifungsstörungen. kippt und ein intaktes Kopfsegment übernimmt die Lastüber-
In: Wirth CJ, Zichner L (Hrsg.) Orthopädie und Orthopädische Chirurgie,
tragung. Dieser Eingriff kommt bei jüngeren Patienten mit
Bd. Becken Hüfte. Thieme, Stuttgart
Morissy RT (1996) Atlas of pediatric orthopaedic surgery. Lippincott Raven,
lokal begrenzten Herden einer aseptischen Hüftkopfnekrose in
Philadelphia New York Betracht. Er muss gegen die Möglichkeit des frühzeitigen endo-
Wagner H, Wagner M (1994) Rekonstruktive Operationen an der Hüfte. In: prothetischen Gelenkersatzes abgewogen werden.
Bauer R, Kerschbaumer F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre, Tiefe Einstellung der Hüftkopfkalotte in die Hüftpfanne bei
Band II/1 Becken und untere Extremität. Thieme, Stuttgart
Morbus Perthes durch Varisierung. Die Pfanne wirkt dann wie
eine hemisphärische Gussform auf den temporär erweichten
Hüftkopf. Nach Wiederaufbau des nekrotischen Kopfkernes
resultiert damit ein sphärischer Hüftkopf. Indiziert ist die Va-
risierung, falls bei beginnender Dezentrierung des Hüftkopfes
noch eine genügende Hüftbeweglichkeit besteht.
76 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Operationsprinzip Korrektur von Drehfehlstellungen zu Nutze. So wird der In-


Zuerst Einschlagen des Klingenmeißels, der den Weg für die nendrehgang bei der Coxa antetorta oder der Außendrehgang
Plattenklinge vorbahnt. Dann wird das proximale Femur un- bei der Coxa retrotorta durch intertrochantäre Drehosteotomie
mittelbar oberhalb des Trochanter minor senkrecht zur anato- korrigiert.
mischen Femurschaftachse durchtrennt. Dies erlaubt einerseits Die neue räumliche Anordnung der beiden Femursegmente
das proximale Femursegment gegenüber der Hüftpfanne im nach Osteotomie und Korrektur wird durch eine übungsstabile
gewünschten Sinne neu zu orientieren (⊡ Abb. 4.24). Dabei Osteosynthese bis zur knöchernen Ausheilung gehalten. Ideales
kann die Korrektur in der Ebene von Schenkelhals und Femur- Implantat ist die Winkelplatte, auch Klingenplatte genannt.
schaft erfolgen (Vergrößerung des CCD-Winkels = Valgisie- Während die Lasche dieser Platte durch Löcher am Femur-
4 rung, Verkleinerung des CCD-Winkels = Varisierung). Weiter schaft verschraubt wird, erfolgt der Halt des proximalen Seg-
ist eine Kippung in der Sagittalebene nach vorne (Flexionsos- mentes durch eine im Markraum des Schenkelhalses liegende
teotomie) mit Mehrbelastung des dorsalen, bei Hüftkopfnek- Klinge mit U- oder T-Profil. Eine offene Wachstumsfuge darf
rosen häufig noch intakten Kalottenanteils oder eine Kippung durch die Klinge nicht tangiert werden.
nach hinten (Extensionsosteotomie) möglich. Bei diesen Ope- Bei mehrdimensionalen Korrekturen werden verschiedene
rationen wird auch die Kopf-Pfannen-Relation verändert. Die der genannten Möglichkeiten gleichzeitig genutzt. Da die Coxa
Beweglichkeit des Kopfes gegenüber der Pfanne und damit die valga häufig mit einer Coxa antetorta und einer Innendrehfehl-
Korrekturmöglichkeit werden von der Weite der Hüftgelenk- stellung des Beines kombiniert auftritt, erfolgt eine Korrektur
kapsel begrenzt. durch die intertrochantäre varisierende, derotierende Osteoto-
mie (IVDO). Zur Korrektur der Kalottenposition bei Epiphy-
! Vor Varisierung, Valgisierung, Flexion oder Extension muss prä-
seolysis capitis femoris lenta mit Abrutschen der Kalotte nach
operativ überprüft werden, ob sich das Bein auch nach der Än-
dorsal und medial ist eine Derotation, Flexion und Valgisierung
derung der Kopf-Pfannen-Relation noch in einem funktionellen
erforderlich. Solche mehrdimensionalen Korrekturen sind an-
Bewegungssektor bewegen lässt.
spruchsvoll und werden vom erfahrenen Facharzt durchge-
Andererseits ermöglicht die intertrochantäre Osteotomie bei führt. Die Varisierung beim M. Perthes eignet sich dagegen
unveränderter Kopf-Pfannen-Relation eine Korrektur der Po- auch als Einstiegsoperation für den in Ausbildung befindlichen
sition des distalen Femursegmentes und damit des gesamten Assistenzarzt. Deshalb wird dieser Eingriff im Folgenden genau
Beines gegenüber dem Becken. Dies macht man sich bei der beschrieben.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Leichte Beinverkürzung abhängig von der Körpergröße und
dem Varisierungswinkel
▬ Entlastungsphase von 8 Wochen
▬ Metallentfernung nach 2 Jahren, je nach Durchbau, frühes-
tens nach einem Jahr
▬ Im Wachstumsalter spontane Revalgisierung möglich

Diagnostik und Planung


Die Patienten sind zumeist 5–7 Jahre alt. Klinisch besteht ein
hinkendes Gangbild mit wechselnden, belastungsabhängigen
Hüftschmerzen. Der Untersucher findet eine Einschränkung
der Beweglichkeit, besonders von Abduktion und Innenrota-
tion. Röntgenologisch zeigen sich die klassischen Zeichen des
Frühstadiums der Erkrankung: Eine subchondrale Fraktur,
eine geringgradige Verdichtung des epiphysären Knochens
(»Kondensation«), eine leichte Abflachung der Kopfkontur
und die Verbreiterung des Gelenkspaltes in Höhe der Köhler-
Tränenfigur beim Vergleich mit der Gegenseite. Von besonde-
rer Bedeutung für die geplante Varisierung ist die Überprü-
fung der passiven Hüftbeweglichkeit. Für eine tiefe Einstellung
⊡ Abb. 4.24. Prinzip der intertrochantären Korrekturosteomie. Ein der Kopfkalotte in die Pfanne ist in den meisten Fällen eine
Klingenmeißel wurde eingeschlagen. Die intertrochantäre Osteotomie Varisierung von 25° erforderlich. Dafür ist theoretisch eine
ist erfolgt. Unter Verwendung des Klingenmeißels kann das proximale
Abduktionsfähigkeit von 25° Voraussetzung. Dann wäre nach
Femursegment varisiert (a), valgisiert (b), flektiert (c) oder extendiert (d)
werden. Bei Fixierung des proximalen Femursegmentes kann das distale Osteotomie jedoch keinerlei Abduktion mehr möglich. Des-
Femursegment und damit das Bein außenrotiert (e) oder innenrotiert (f) halb sollten präoperativ tatsächlich mindestens 35°-Abduktion
werden möglich sein.
4.4 · Intertrochantäre Femurosteotomie
77 4
Zusätzlich zur vorliegenden Hüftübersichtsaufnahme wird
für die Planung der Varisierung eine Aufnahme in Abduk-
tion durchgeführt, wobei der Abduktionswinkel dem geplanten
Varisationswinkel entspricht. Die Aufnahme zeigt damit die
Kopf-Pfannen-Relation wie sie bei gestreckten Hüftgelenken
postoperativ zu erwarten ist. Plattenlage und Osteotomiever-
lauf werden eingezeichnet (⊡ Abb. 4.25). Die Ausbuchtung der
Osteosyntheseplatte erlaubt eine mediale Verschiebung des di-
stalen Femursegmentes, die Unterstellung. Die Unterstellung
ist erforderlich, um den durch die Varisierung in Relation zum
Schaft zunächst nach medial versetzten Hüftkopf nach lateral
zu schieben und damit die die Position des Kopfzentrums
wieder zu normalisieren. Damit bleibt auch die Traglinie unver-
ändert erhalten. Winkelplatten gibt es in verschiedenen Größen
und für unterschiedlich große Unterstellung, so dass die Platte
dem jeweiligen Lebensalter und Varisierungswinkel angepasst
werden kann (⊡ Abb. 4.26). Der vom Hersteller vorgegebene ⊡ Abb. 4.25. Planzeichnung für eine 25°-Varisierung. Ausgangsbefund
(graue Linien). Konturen des proximalen Femurendes vom a.p. Röntgen-
Winkel zwischen Schaft und Klinge beträgt 90° oder 100°. Für bild der Hüfte übernommen. Korrekturposition (kräftig-rote Linien) in 25°
die folgende Operationsbeschreibung wird eine 90°-Platte ver- Abduktion entsprechend 25° Varisierung. Durch die »Unterstellung« (u)
wendet. der Winkelplatte wird das distale Femursegment gegenüber dem proxi-
malen nach medial verschoben. Ein Knochenkeil (rot) wird entnommen

⊡ Abb. 4.26. Einfluss von Varisierung und Valgisierung auf die mecha-
nische Beinachse (Traglinie). Normal (dunkelgrau): Beinachse kreuzt die
Kniemitte. Valgisierung (rot): Achse wird nach lateral verschoben, laterale
Kniehälfte wird vermehrt belastet. Varisierung (hellgrau): Achse wird nach
medial verschoben, mediale Kniehälfte wird vermehrt belastet
78 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage. Durchleuchtungsmöglichkeit. Steriler Gonaden-
schutz. Bein frei beweglich abgedeckt.
Hautschnitt an der Oberschenkelaußenseite von der Tro-
chanterspitze gerade nach distal geführt. Länge 3 cm plus Länge
des Schaftes der gewählten Platte. Spaltung der Fascia lata im
Hautschnittverlauf (⊡ Abb. 4.27). L-förmiges Einschneiden des
M. vastus lateralis.
4 > Achtung 1. Assistent
Beim Einschneiden des M. vastus lateralis blutet es meist. Bei
Kindern kommt es ganz besonders auf die Vermeidung grö-
ßerer Blutverluste an. Dies verlangt volle Aufmerksamkeit und
⊡ Abb. 4.27. Seitlicher Zugang zum proximalen Femurschaft. Nach rasche Koagulation.
Spaltung der Fascia lata wurde der M. vastus lateralis L-förmig einge-
schnitten. Abheben des Muskels vom Femur mit Kocher-Klemme (1) und Der lange Schenkel des L soll bei innenrotiertem Bein zwar
Hohmann-Haken (2). Abschieben des Muskelbauches von seiner Faszie dorsal, aber noch in der Muskelsubstanz des M. vastus lateralis
mit dem Raspatorium (3)
geschnitten werden. Auf diese Weise können beide Stümpfe
kreuzender Gefäße leicht aufgefunden und koaguliert werden.
Schneidet man noch weiter dorsal im reinen Faszienbereich,
besteht die Gefahr, dass die medialen Gefäßstümpfe retrahie-
ren und die Blutstillung damit deutlich erschwert wird. Die
Ecke der Fascia propria des M. vastus lateralis wird mit einer
Kocher-Klemme gefasst und angehoben, der Muskelbauch vom
Femur mit einem Raspatorium abgehoben und ein stumpfer
Hohmann-Retraktor ventral um das Femur gelegt. Der Muskel-
bauch lässt sich nun nach distal mit dem Raspatorium von der
Fascia propria abschieben.
! Das kräftige Gefäßbündel, das zu den Vasa perforantes I zieht
und von dorsomedial kommend in den M. vastus lateralis
eintritt, ist beim Erwachsenen etwa 5–8 cm distal des Tuber-
culum innominatum zu erwarten. Beim Kind reduziert sich
diese Distanz entsprechend der Femurgröße. Bei vorsichtigem
Abschieben der Muskelfasern mit dem Raspatorium sieht man
das Bündel, bevor es zerrissen wird. Diese Gefäße sollten isoliert
und gezielt koaguliert werden.

Abschließend wird die Dorsalseite des Femur im geplanten Os-


teotomiebereich auf 2 cm subperiostal dargestellt. Dazu starke
Innenrotation und Präparation mit dem kleinen Skalpell hart
am Femurknochen. Das Septum intermusculare wird an der
Linea aspera abgesetzt.
! Die Abtrennung des Septum intermusculare von der Linea as-
pera ist mit großer Vorsicht und dicht am Knochen durchzufüh-
ren um unangenehme Blutungen zu vermeiden. Sie ist jedoch
unbedingt erforderlich, um eine genügende Mobilität der bei-
den Segmente nach der Osteotomie zu erzielen. Danach sollte
die Intertrochantärregion rundum palpabel und das Areal für
die Platte frei zugänglich sein. Die Arbeit am Knochen darf erst
beginnen, wenn genügend Platz für Osteotomie und Implan-
tat geschaffen wurde, und die Wunde bluttrocken ist. Es wäre
unsinnig, während der Korrektur und der Osteosynthese noch
gegen Weichteile und Blut anzukämpfen. Zudem blutet es nach
der Osteotomie meist aus der Knochenwunde, was die Suche
nach weichteiligen Blutungsquellen erschwert.
4.4 · Intertrochantäre Femurosteotomie
79 4
Ein Führungsdraht, an dessen Verlauf das Plattensitzins-
trument ausgerichtet werden kann, wird in den Schenkelhals
gebohrt: 15° Innenrotation des Beines durch den 1. Assistenten
zum Ausgleich der Antetorsion des Schenkelhalses (⊡ Abb. 4.28).
Auflegen eines Drahtes auf die Hüfte des Patienten im vermute-
ten Schenkelhalsverlauf und a.p. Durchleuchtung. Einzeichnen
des Drahtverlaufs auf der Haut über der Hüfte als Orientie-
rungshilfe. Bohren des Drahtes zunächst unter Durchleuchtung
a.p. Er soll in der oberen Hälfte des Schenkelhalses kranial des
Plattenlagers verlaufen und wird zunächst etwa 1 cm tief einge-
bohrt. Da aufgrund der leichten Innenrotation der Schenkel-
hals in der Tischebene liegt, können Draht und Bohrmaschine
ebenfalls in der Tischebene gehalten werden. Wechsel in die
Imhäuser-Position ( Kap. 4.5). In der zweiten Ebene muss der
Draht mittig auf Schenkelhals und Kopfkalotte zielen. Ist dies
der Fall, Fortsetzung des Bohrvorgangs; falls nein, entspre- a
chende Korrektur. Während des Bohrens wechselt der 1. As-
sistent auf Anweisung zwischen Streckung/Innenrotation und
90°-Beugung in Imhäuser-Position.

⊡ Abb. 4.28a,b. Bohren eines Führungsdrahtes unter Bildwandlerkon-


trolle. a Beginn bei gestrecktem Hüftgelenk und 15° innenrotiertem Bein
(Position 1). Wiederholte Kontrollen in der zweiten Ebene in Imhäuser-
Position ( Kap. 4.5) (Position 2). b Korrekte Lage des Drahtes im a.p. Bild
(links) und in der zweiten Ebene (rechts)

Das Führungsinstrument für den Plattensitzmeißel wird gemäß


dem Korrekturwinkel eingestellt. Der Winkel zwischen dem
Plattensitzinstrument und dem Femurschaft beträgt bei einer
90°-Winkelplatte ohne Korrektur 90°, bei 25° Varisierung be-
trägt er 90°–25° = 65° (⊡ Abb. 4.29).
Vormeißeln der Eintrittsöffnung des Plattensitzinstrumen-
tes mit dem Lambotte-Meißel in der lateralen Femurkortika-
lis knapp unterhalb des Apophysenknorpels. Planungszeich-
nung und Führungsdraht helfen bei der Auswahl der richtigen
Stelle. Anhalten des Plattensitzinstrumentes an den Eintritts-
punkt in der geplanten Ausrichtung im a.p. Strahlengang und
Durchleuchtung. Endgültige Ausrichtung anhand der Lasche
des Führungsinstrumentes (parallel zum Femurschaft) und des
Führungsdrahtes (parallel zu diesem in der Tischebene). Mit ⊡ Abb. 4.29a,b.
Plattensitzinstrument
leichten Schlägen wird der Plattensitzmeißel etwa 2 cm tief ein- eingestellt auf einen Ein-
geschlagen. Dann Durchleuchtung in der 2. Ebene. Einschlagen schlagwinkel von 65°.
unter wiederholter Bildwandlerkontrolle. Nach jeweils 1 cm a Schematisch.
Einschlagtiefe muss das Instrument wieder etwas zurückge- b Führungsdraht, Plat-
schlagen werden, da es sich sonst zu fest im Knochen verankert. tensitzinstrument und
Schlitzkammer. Der Ham-
Ist die richtige Einschlagtiefe erreicht – sie beträgt 0,5 cm weni- mer dient zur Führung
ger als die gewählte Klingenlänge – nochmaliges Zurückschla- und späteren Lockerung
gen um 0,5 cm. des Klingenmeißels
80 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Auflegen eines K-Drahtes auf das Femur in Höhe der ge- Nach vollständiger Durchtrennung des Knochens wird ein 2 cm
planten Osteotomie. Markierung des Osteotomieverlaufs mit breiter Lambotte-Meißel in die Osteotomie eingeführt und die
dem Thermokauter (⊡ Abb. 4.30). Anbringen einer 1 cm langen Segmente werden damit etwas auseinander gehebelt. Jetzt wird
oberflächlichen Kerbe anterolateral am Femur mit dem Lam- das Plattensitzinstrument und damit das proximale Femurseg-
botte-Meißel zur Markierung der Rotation. ment in die Korrekturstellung gebracht. Bei Verwendung einer
Einlegen von 2 stumpfen Hohmann-Retraktoren um den 90°-Platte verläuft dabei der Plattensitzmeißel senkrecht zum
Osteotomiebereich. Osteotomie senkrecht zum Femurschaft Femurschaft und parallel zur Osteotomie. Die Relation Femur-
mit der oszillierenden Säge unter Wasserkühlung (⊡ Abb. 4.31). kopf/Pfanne wird nochmals im Durchleuchtungsbild überprüft.
Dabei wird mit der Säge ohne jeden Druck und unter einwand- Falls noch Veränderungen der Winkelstellung nötig sind, ist
4 freier Sicht längs der Markierung zunächst die ventrale Femur- später eine Veränderung des Klingenschaftwinkels der Platte
hälfte durchtrennt. Durch diesen Knochenschlitz geführt wird mittels Schränkeisen vorzunehmen. Befindet sich das proximale
dann die hintere Hälfte durchsägt. Segment in der idealen Position zur Pfanne, wird seine Basis mit
der oszillierenden Säge parallel zur Schnittfläche des unteren
! Eine unvollständige Osteotomie mit der Säge und der Einsatz
Femursegmentes bei Ausrichtung des Beines in Streckstellung
des Meißels sind nicht empfehlenswert. Beim Meißeln bricht
und Neutralrotation osteotomiert. Dies erfolgt unter voller Sicht
zu leicht ein Stück aus der harten medialen Femurkortikalis im
nach Einstellung mit Hohmann-Retraktoren. Es wird stets nur
Bereich des Kalkar aus.
ein kleiner, knapp die halbe Breite des Segmentes umfassender
Keil ausgesägt, um nicht zu viel Länge zu verlieren (Inset).

⊡ Abb. 4.30. Markierung von Osteotomiehöhe


und Rotationsstellung. Die Position des K-Drah-
tes (1) wird unter Durchleuchtung kontrolliert. Er
soll sich auf die Oberkante des Trochanter minor
projizieren. Markierung mit dem Thermokauter (2)

⊡ Abb. 4.31a,b. Osteotomie und Varisierung.


a Nach kompletter Osteotomie Varisierung über
den Klingenmeißel. b Korrekturposition. Der
Knochenkeil wird in dieser Stellung der Segmente
a b parallel zur unteren Osteotomiefläche gesägt
4.4 · Intertrochantäre Femurosteotomie
81 4
Das proximale Femursegment wird mit einer kräftigen Re- Sehnenstumpf refixiert. Verschluss der Fascia lata mit Einzel-
positionszange gefasst. Der Plattensitzmeißel wird ausgeschla- knopf-Rückstichnähten. Subkutannähte. Intrakutan resorbier-
gen. Die Plattenklinge wird in das vorbereitete Lager einge- bare fortlaufende Hautnaht. Sicherung durch Steristrippflaster.
schoben, was bei korrekter Richtung auf 2/3 der Klingenlänge Eine Redondrainage ist bei bluttrockener Wunde nicht nötig.
von Hand gelingt und dann mit dem Hammer vervollständigt Ab dem Schulalter wird auf eine äußere Fixierung verzichtet.
wird. Während der Operateur das proximale Segment mit Bei Kleinkindern Becken-Bein-Fußgips.
einer kräftigen Repositionszange hält, reponiert der 1. Assis-
tent das distale Femursegment an die Platte und schließt den Probleme
Spalt zwischen den beiden Osteotomieflächen (⊡ Abb. 4.32). ▬ Ungenügende Darstellung der Osteotomiezone und des Fe-
Der Operateur setzt eine Verbrügge-Zange, welche die Femur- murschaftes mit erheblicher Erschwerung der entscheiden-
diaphyse an den Plattenschaft reponiert. Zwei Plattenlöcher den Operationsschritte Osteotomie und Osteosynthese.
müssen für die Verschraubung zugänglich bleiben. Kontrolle ▬ Klaffen der Osteotomie auf der Medialseite bei nicht pa-
und ggf. Korrektur der Rotation anhand der Rotationsmarkie- ralleler Ausrichtung der Osteotomieflächen und/oder zu
rung (⊡ Abb. 4.30). Bildwandlerkontrolle. Bei guter Position von starker Plattenkompression. Die Platte muss nochmals
Platte und Osteotomie Befestigung des Plattenschaftes mit bi- entfernt, die Klinge etwas im Varussinne nachgeschränkt
kortikalen Schrauben unter Ausnutzung des Prinzips der dyna- und die proximale Osteotomiefläche sparsam angepasst
mischen Kompression bei 2 Schrauben. Diese Technik erlaubt werden.
es, den Osteotomiespalt unter Druck zu setzen.
Wundverschluss durch Reposition es abgelösten M. vastus Nachbehandlung
lateralis. Der lange Schenkel des L wird an der Fascia propria 8-wöchige Entlastung. Dann nach Röntgenkontrolle zur Voll-
angeheftet, der kurze mit 2 Matratzennähten am proximalen belastung bis zur 12. Woche.

⊡ Abb. 4.32. Reposition und Osteosynthese.


Proximales Femursegment wird mit kräftiger
Repositionszange (1) gehalten. Reposition
unter Beachtung der Rotationsmarkierungen
(2). Platte am Femur vorläufig mit Verbrügge-
Zange (3) befestigt
82 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

4.5 Operationen bei Epiphysiolysis capitis femoris lung (⊡ Tab. 4.2). Die Imhäuser-Aufnahme ist bei der instabilen
(ECF) ECF schmerzbedingt oft nicht durchführbar. Dann sollte eine
Lauenstein-Aufnahme erfolgen, die den Abrutsch deutlicher
Der Abrutsch der Hüftkopfkalotte bei offener Epiphysenfuge zeigt als die Beckenübersicht. Eine Hüftsonographie im Seiten-
ist die typische Hüfterkrankung im Adoleszentenalter. Er be- vergleich dient dem Nachweis oder Ausschluss eines Gelenker-
trifft vorwiegend großwüchsige, übergewichtige Jungen. Die gusses.
Behandlung ist operativ.

⊡ Tab. 4.2. Schweregrad der ECF


Indikation
4
Die instabile Epiphysiolysis umfasst die »akute« und die »akute Abrutschwinkel Schweregrad
auf chronische« Form. Sie ist gekennzeichnet durch Schmerz,
<30° Leicht/Grad 1
Gehunfähigkeit und Unfähigkeit auf dem betreffenden Bein zu
stehen. Sie stellt eine dringliche Operationsindikation dar. Bei 30–60° Mäßig/Grad 2
stabiler Epiphysiolysis oder chronischer (Lenta-)Form sollte in >60° Schwer/Grad 3
den auf die Diagnose folgenden Tagen operiert werden. Die sta-
bile Form der Epiphyseolyse, bei der die Patienten definitions-
gemäß noch gehfähig sind, ist kein Notfall, aber zunehmender
Abrutsch verschlechtert die Prognose.

Operationsprinzip
Fixierung der Kalotte in situ bei leichtem Abrutsch. Reposition
und Fixierung bei mäßigem Abrutsch bei der instabilen Form.
Bei schwerem Abrutsch Fixierung und Korrekturosteotomie.
Prophylaktische Fixierung der Gegenseite. Bei einseitiger ECF
muss in 50% mit einem Abrutsch der Gegenseite im weiteren
Verlauf gerechnet werden.
Die Osteotomien der Intertrochantärregion oder des Schen-
kelhals sind anspruchsvolle Eingriffe die dem Erfahrenen vor-
behalten bleiben. Fixierung und Reposition werden hier be-
schrieben.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Risiko der Hüftkopfnekrose 20–50%, das Risiko steigt mit
der Größe des Abrutschwinkels
▬ Verbleibende Bewegungseinschränkung bei Restfehlstellung
▬ Chondrolyse, also Ablösung des Knorpels von der Kopfka-
lotte und Pfanne mit Früharthrose
▬ Bei jungen Patienten Nachoperation wegen zu kurz wer-
dender Drähte im Verlauf des weiteren Wachstums

Diagnostik und Planung


Plötzlicher Hüftschmerz spontan oder nach Bagatelltrauma bei
einem Adoleszenten meist vom adiposogenitalen Phänotyp,
oder chronisch rezidivierende Hüftschmerzen. Das Drehmann-
Zeichen ist positiv, bei der instabilen Form jedoch schmerzbe-
dingt oft kaum prüfbar. Die Beckenübersichtsaufnahme zeigt
nur einen höhergradigen Abrutsch. Verdächtig ist, wenn die
Kopfkalotte die laterale Schenkelhalstangente nicht überragt.
Die Imhäuser Aufnahme (90°-Hüftbeugung, Abduktion =
CCD-Winkel – 90°, a.p. Strahlrichtung) stellt den Kopf-Hals-
Übergang in der zweiten Ebene dar und erlaubt die Messung
des Abrutsches nach dorsal. Dieser Winkel ist als Abrutschwin-
kel Alpha definiert. Er ist Grundlage für die Schweregradeintei-
4.5 · Operationen bei Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
83 4
Im Operationssaal Die Fixierung der Kappe erfolgt auf der Abrutschseite mit
Lagerung 3–4, auf der Gegenseite zur Prophylaxe mit 3 Kirschner-Drähten
Rückenlage. Durchleuchtungsmöglichkeit. Beide Beine frei be- der Stärke 1,5 mm (⊡ Abb. 4.34). Ein überlanger Draht wird zu-
weglich abgedeckt. Abdeckung oberhalb der Darmbeinkämme. nächst auf die Oberschenkelvorderseite gelegt und durchleuchtet.
Zwischen den Beinen Abdeckung windelartig abgeklebt. Steri- Projiziert er sich auf die Schenkelhalsachse, werden sein Verlauf
ler Gonadenschutz. und die Projektion des Eintrittspunktes in den Knochen auf der
Beim narkotisierten Patienten erneut Bewegungsprüfung Haut angezeichnet. Die Hautinzision erfolgt an der Oberschen-
und Einstellung zur Durchleuchtung in Imhäuser-Position kelaußenseite und ist auf den Knochenaustrittspunkt zentriert.
(⊡ Abb. 4.33). Überprüfung des auf der präoperativen Auf- Ihre Länge variiert mit der Dicke der Oberschenkelweichteile
nahme gemessenen Abrutschwinkels α. Falls α<30° Fixierung von 5–10 cm. Ein anterolaterales Knochenareal am Übergang
in situ. Falls α>30° Repositionsversuch. vom Trochanter major zum Femurschaft wird durch Spaltung
der Fascia lata und Auseinanderdrängen von Faszie und Fasern
des M. vastus lateralis dargestellt. Der erste Draht (1) wird unter
Durchleuchtungskontrolle zentral in den Schenkelhals und in
die Kopfkalotte gebohrt. Dabei wechselt man zwischen a.p. und
Imhäuser-Projektion bei der Durchleuchtung.
> Achtung 1. Assistent
Ihre Aufgabe ist die Führung des Beines. Dabei muss langsam
und vorsichtig bewegt werden, damit einerseits die Schenkel-
halsgefäße am Übergang zur gelockerten Kopfkalotte nicht
abreißen und andererseits der Operateur mit Bohrmaschine
und Draht folgen kann.

! Der Eintrittspunkt des Drahtes liegt ventrolateral, nicht lateral


am Femur. Nur von dort wird die stets etwas dorsal stehende
Kopfkappe zentral getroffen.

Der zweite Draht wird weiter proximal und ventral angesetzt.


Er zielt auf das dorsokaudale Kappensegment. Der dritte Draht
wird weiter distal und dorsal angesetzt. Er zielt auf das ventro-
kraniale Kappensegment.

b
b

⊡ Abb. 4.33a,b. Durchleuchtung in Imhäuser-Position und Abrutschwin- ⊡ Abb. 4.34a,b. Stabilisierung der Kopfkalotte mit 3 Drähten bei der
kel. a Hüfte abduziert (Abduktionswinkel β = CCD-Winkel – 90°), dann 90° Epiphyseolysis capitis femoris. a Reihenfolge und Lage der Eintrits-
gebeugt. Diese Imhäuser-Position ist die zweite Ebene für Femurkopf punkte. b Korrekte Position der Drähte bei Bildwandlerkontrolle a.p.,
und Femurhals in Bezug zur a.p. Aufnahme. Sie dient der Messung des links in Hüftstreckung, rechts in Imhäuser-Position
Abrutschwinkels. b Abrutschwinkel α. Ein Lot s auf der Epiphysenbasislinie
e bildet mit der Kopf-Hals-Achse h den Abrutschwinkel α
84 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

! Nicht zu tief bohren. Sobald die Epiphysenlinie überschritten ist


durch Bewegen der Hüfte die Einstellung finden die die Draht-
spitze im Bildwandler am dichtesten unter der Kalotte zeigt.
Den Draht in dieser Position auf die definitive Länge bohren.
Beim Durchbewegen auf Gelenkgeräusche achten. Sobald alle
Drähte liegen, nochmalige Längenkontrolle.

Abzwicken auf 2 cm Länge, rechtwinkliges Umbiegen und Dre-


hen der Drähte um 180°, so dass deren Enden an der Femur-
4 kortikalis anliegen (⊡ Abb. 4.35).
a

⊡ Abb. 4.35a–c. Umbiegen und Drehen der Drähte. a Abzwicken auf


2 cm Länge. b Umbiegen, wobei Zange 1 die Position des Drahtes si-
chert, Zange 2 das Drahtende nach proximal umbiegt. c Drehung des
Drahtes um ca. 180°, bis sein Ende der Femurkortikalis anliegt
4.5 · Operationen bei Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
85 4
Falls die Reposition einer instabilen Kopfkappe versucht
wird, muss zunächst der zentrale Kirschner-Draht bis zur Epi-
physenfuge gebohrt werden. Dann erfolgt das Repositionsma-
növer mit Abduktion, Flexion und Innenrotation (⊡ Abb. 4.36).
Diese Bewegung stellt den Schenkelhals senkrecht über die hin-
ten, unten, antevertiert im Azetabulum liegende Kopfkappe. In
dieser Position wird der vorgelegte Draht um 1 cm vorangetrie-
ben und dann das Gelenk vorsichtig unter Bildwandlerkontrolle
zurück in die Normalposition gebracht. Ist die Kappe reponiert,
wird sie durch mindestens 2 weitere Drähte gesichert. Falls
sonographisch ein Gelenkerguss nachgewiesen wurde, sollte
dieser nun unter BV-Kontrolle abpunktiert werden. Nach Ver-
sorgung der abgerutschten Kappe erfolgt die prophylaktische
Spickung der Gegenseite. Hier liegen die Drahteintrittspunkte
bei anatomisch korrekter Position der Kopfkappe an der Late-
ralseite des Femur. Ansonsten ist die Vorgehensweise identisch.

Probleme a
Ist die Kalotte nicht mobil in Relation zum Schenkelhals und
damit irreponibel, muss bei schwerem Abrutsch eine Stellungs-
korrektur durch intertrochantäre Valgisierung/Flexion und
Derotation nach Imhäuser mit gleichzeitiger Verschraubung
oder Spickung der Kopfkappe erfolgen. Bei schweren irreponib-
len Fehlstellungen wird auch die korrigierende Schenkelhalsos-
teotomie und Verschraubung angegeben. Die offene Reposition
führen wir wegen des hohen Kopfnekroserisikos nicht durch.
Ein intraartikuläres Vorstehen der Drahtspitzen muss sofort
beseitigt werden, da dies zur irreversiblen Knorpelschädigung,
zur Chondrolyse führt. Überstehende Drähte dürfen nicht mit
der Maschine zurückgedreht werden, da hierbei leicht ihre
Spitze abbricht, im Gelenk verbleibt und zu einer Arthrotomie
zwingt. Das äußere Drahtende sollte umgebogen und der Draht
dann mit einer Zange unter vorsichtigen Drehbewegungen zu-
rückgezogen werden.

Nachbehandlung
12 Wochen Sohlenkontakt bei instabiler ECF. Wurde eine sta-
bile ECF fixiert, 6 Wochen Sohlenkontakt. Röntgenkontrollen
nach 3, 6 und 12 Wochen, danach halbjährlich. Entfernung der
b
Drähte nach Fugenschluss.
⊡ Abb. 4.36a,b. Reposition bei akutem Kalottenabrutsch. Das Femur
wird gegenüber der Kalotte in eine anatomisch korrekte Position ge-
Literatur bracht. a Abgerutschte Kalotte. Position des Femurs aus Sicht des rechts
Krauspe R (2004) Epiphyseolyse. In: Wirt CJ, Zichner L (Hrsg.) Orthopädie und neben dem Operationstisch stehenden Operateurs. b Repositionsmanö-
Orthopädische Chirurge, Bd. Becken, Hüfte. Thieme, Stuttgart ver: Abduktion (1), Flexion (2), Innenrotation (3)
86 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

4.6 Spongiosaentnahme vom Beckenkamm nur im Ausnahmefall (Haupteingriff in Rückenlage aber Kno-
chentransplantat vom hinteren Beckenkamm, Haupteingriff in
Autologe Knochentransplantate sind das wertvollste Knochen- ehemals entzündlichem Wundgebiet bei Rekonstruktion nach
ersatzmaterial, weil mechanisch und biologisch bislang anderen Osteomyelitis) mit der Entnahme des Knochentransplantates
Materialien überlegen. Allerdings ist die Gewinnung mit einem beginnen.
zusätzlichen Operationstrauma verbunden. Deshalb sollte man
stets prüfen, ob alternativ allogener Knochen oder syntheti-
sches Ersatzmaterial verwendet werden kann. Im Operationssaal
Lagerung
4 Indikation
Wird vom Haupteingriff bestimmt. Umlagern von der Bauch-
in die Rückenlage ist bei Entnahme vom hinteren Beckenkamm
Kortikospongiöse Knochenblöcke werden dort eingesetzt wo und Haupteingriff in Rückenlage erforderlich. Bei der Abde-
das Transplantat dauerhaft Last aufnehmen muss (Spreizen ckung kann entweder über der geplanten Entnahmestelle ein
von Osteotomien, Überbrückung von Osteotomiespalten oder »Fenster« offen bleiben, oder das gesamte Bein bleibt mitsamt
Pseudarthrosen, Arthrodesen). Spongiöser Knochen dient als der Region des Beckenkammes frei.
biologisch hochwertiges Füllmaterial, wo es auf eine Stimu-
> Achtung 1. Assistent
lierung der Knochenheilung ankommt (verzögerte Knochen-
Häufig wird über dem Beckenkamm ein zu kleines Fenster frei
heilung, Pseudarthrose, Defekt nach Ausräumung von Osteo-
gelassen oder die Möglichkeit einer Knochentransplantation
myelitisherden). Der Beckenkamm und das Os ileum sind das
bei der Abdeckung vergessen. Dies kostet später Zeit und ge-
größte Reservoir für autologen Knochen und zudem einfach
fährdet möglicherweise die Sterilität.
und relativ schonend operativ zugänglich. Für kleine und mitt-
lere Transplantate sowie für sehr stabile trikortikale Blöcke ist
der ventrale Anteil des Beckenkammes, für große Transplantat-
mengen sein dorsaler Anteil zu bevorzugen. Operationstechnik bei Entnahme vom vorderen
Beckenkamm
Die Mitte des Hautschnitts liegt 5 cm hinter der Spina iliaca
Operationsprinzip anterior superior über dem bei schlanken Patienten tastbaren
Subperiostale Darstellung der Crista iliaca und des Os ileum Tuberculum iliacum (⊡ Abb. 4.37). Seine Länge richtet sich nach
in der benötigten Ausdehnung. Ausmeißeln eines kortikalen der Größe des Knochentransplantates. Bei reiner Spongiosaent-
Fensters oder Aussägen des kortikospongiösen Spans. Spongio- nahme reichen 4 cm.
saentnahme mit scharfen Löffeln.
! Keinesfalls darf der Schnitt zu weit vorne liegen, da damit ei-
nerseits der N. cutaneus femoris lateralis gefährdet würde und
Operationsvorbereitung andererseits eine ventrale Knochenentnahme zum Abbrechen
der Spina iliaca anterior superior führen kann, mit dann erfor-
Aufklärung
derlicher Osteosynthese.
Auch an eine nur eventuell nötige Knochentransplantation
muss bei der Aufklärung gedacht werden. Der Patient ist zu
Recht erstaunt, wenn er mit einer zusätzlichen unerwarteten
Operationswunde am Beckenkamm aus der Narkose erwacht.

Risiken:
▬ Nachblutung
▬ Läsion sensibler Nervenäste mit Störung der Hautsensibili-
tät am Gesäß (Nn clunium superiores et medii) oder an der
Vorderaußenseite des Oberschenkels (N. cutanaeus femoris
lateralis)

Diagnostik und Planung


Art und Menge des Transplantates sowie die Lagerung zur
geplanten Operation (Rücken- versus Bauch- oder Seiten-
lage) sind für die Auswahl der Entnahmestelle entscheidend.
Im Wachstumsalter ist in der Regel nur vom dorsalen Be-
ckenkamm genügend Material zu gewinnen. Ein Röntgenbild
(Ala-Aufnahme) der Beckenhälfte sollte nach Voroperationen
angefertigt werden. Die genaue Menge der benötigten Spon-
giosa oder die Größe des Knochenblocks lässt sich häufig erst ⊡ Abb. 4.37. Hautschnitt zur Entnahme von Knochentransplantaten
während des Haupteingriffs bestimmen. Deshalb wird man vom vorderen Darmbeinkamm
4.6 · Spongiosaentnahme vom Beckenkamm
87 4
Während des Hautschnitts wird die seitliche Bauchwand mit
der flachen Hand sanft, knapp oberhalb des Darmbeinkamms
nach innen gedrückt. Damit kann der Hautschnitt mittig
über der soliden Unterlage des Darmbeinkammes erfolgen,
die Narbe liegt jedoch später distal der Crista, was weniger
stört (⊡ Abb. 4.38a). Das Periost wird zudem besser erreicht,
wenn die Bauchmuskulatur etwas nach innen gedrückt und der
Schnitt von lateral oben geführt wird. Ist Knochenkontakt auf
der gewünschten Länge mit dem Messer erreicht, erfolgt die
subperiostale Ausschälung der Crista mit Skalpell und Raspa-
torium. Bei Spongiosaentnahme kann man sich dabei auf die
innere Hälfte beschränken. Soll der Span wie ein Kuchenstück a
den gesamten Darmbeinkamm und die Ala mit innerer und äu-
ßerer Kortikalis erfassen, muss die entsprechende Knochenzone
innen und außen subperiostal dargestellt werden (⊡ Abb. 4.38b
gestrichelte rote Linie).
! Während die subperiostale Darstellung der Innenfläche des Os
ilium leicht gelingt, führt der Überhang der Crista nach außen
leicht dazu, dass man mit dem Raspatorium in den M. gluteus
medius anstatt zwischen Muskel- und Darmbein gerät. Dies
führt zu unnötigen Blutungen.
b

⊡ Abb. 4.38a,b. Darstellung der Crista iliaca. a Die Haut wird nach oben
verzogen, damit die Narbe später unterhalb des Darmbeinkamms liegt.
b Wegdrücken der Bauchmuskulatur erlaubt die subperiostale Darstel-
lung (rot) ohne Muskelverletzung

Nach Darstellung der gewünschten Knochenzone, Anzeich-


nen der Knochenschnitte und Meißeln eines Fensters unter
Weghalten der Muskulatur mit einem spitzen Hohmannhaken.
Bei Spongiosaentnahme Meißeln eines aufklappbaren Deckels.
Spongiosaentnahme mit dem größten scharfen Löffel, der in das
Knochenfenster passt (⊡ Abb. 4.39). Trikortikale kuchenstückför-
mige oder viereckige Späne sollten mit der Säge ausgeschnitten
werden. Beim Meißeln wäre die Frakturgefahr zu groß.
> Achtung 1. Assistent
Späne und Spongiosa sind immer in Gefahr abzustürzen! Des-
halb Span vor dem endgültigen Ablösen mit Kocherklemme
sichern. Das Gefäß zum Sammeln der Spongiosa bewusst si-
cher und außerhalb des Arbeitsgebiets des Operateurs halten.
Transplantate in sicherer Zone auf dem Instrumentiertisch
a
aufbewahren.

⊡ Abb. 4.39a,b. Entnahme


von Knochentransplantaten.
Gewinnung eines kortikospon-
giösen Spans. Die Spitze eines
Hohmann-Hakens (1) steckt in
der inneren Kortikalis der Ala
ossis ilii. Zuerst wird zweimal
der schmale (2), dann der breite
Meißel (3) eingeschlagen und
das Knochenstück längs der
gestrichelten roten Linie durch
Anheben des breiten Meißels
ausgebrochen b
88 Kapitel 4 · Becken, Hüftgelenk und proximales Femur

Beim Zugang zum hinteren Beckenkamm sollte der Haut-


schnitt keinesfalls dem Verlauf des Darmbeinkammes folgen,
da sonst die Nn. clunii superiores durchtrennt werden können
(⊡ Abb. 4.40). Die Gegend der Spina iliaca posterior superior
wird im Hautschnittverlauf nach Durchtrennung der Subkutis
erreicht und die Darmbeinaußenfläche wird subperiostal dar-
gestellt. Das Knochenfenster wird in der äußeren Kortikalis
angelegt.
! Keinesfalls darf beim Aufmeißeln des Knochens der Meißel in
4 das Foramen ischiadicum abrutschen. Auch beim Hantieren mit
dem scharfen Löffel ist dies zu vermeiden. Die subchondrale
Sklerosezone zum Sakroiliakalgelenk muss ebenfalls geschont
werden.

Der Verschluss erfolgt nach Einlegen von Hämostyptikum in


den Knochendefekt. Bei kräftigen Blutungen aus dem Knochen,
Abdichten mit Knochenwachs. Nach Spongiosaentnahme Re-
position des Knochendeckels. Naht des Periostes und der Sub-
⊡ Abb. 4.40. Hautschnitt zur Knochenentnahme vom hinteren Anteil
kutis. Nur im Ausnahmefall Redon-Überlaufdrainage.
des Os ilium ! Sogdrainagen sollten nicht in die Nähe von Knochenwunden
platziert werden, da sonst erhebliche Blutmengen aus dem
Knochen »abgesaugt« werden können.

Intrakutane Hautnaht zur Minimierung der Narbe.

Probleme
▬ Zu kleines Knochenfenster und zu wenig Transplantatma-
terial. Es sollte eher etwas zuviel Material entnommen wer-
den, so man sich zur Transplantatentnahme entschlossen
hat.
▬ Hämatombildung mit der Notwendigkeit zur Revision und
Ausräumung
▬ Bei ungewöhnlichen Schmerzen an der Entnahmestelle
Röntgenaufnahme (Ala-Aufnahme) zum Frakturausschluss

Nachbehandlung
Wundnachsorge. Dabei muss der Entnahmestelle dieselbe Sorg-
falt gelten wie der Hautinzision der entsprechenden Operation.
Es sollte nicht vorkommen, dass der Patient den Stationsarzt
auf seine »zweite Wunde« aufmerksam machen muss.
5

Kniegelenk, distales Femur


und proximale Tibia

5.1 Kniegelenkarthroskopie – 90

5.2 Meniskektomie – 98

5.3 Meniskusnaht – 103

5.4 Mikrofrakturierung, Abrasionsarthroplastik, Pridiebohrung – 106

5.5 Spaltung des lateralen Retinakulum – 107

5.6 Bikondyläre Prothese und Totalprothese – 109

5.7 Monokondyläre Knieprothese – 115

5.8 Tibiakopfosteotomie, valgisierend, aufklappend – 120

5.9 Suprakondyläre Femurosteotomie, varisierend – 125

5.10 Medialisierung der Tuberositas tibiae – 128


90 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

5.1 Kniegelenkarthroskopie ▬ Möglicherweise langwierige Nachbehandlung


▬ Möglicherweise Arthrotomie bei intraoperativen Komplika-
Indikation tionen erforderlich
Diagnostische Arthroskopie nur noch in Ausnahmefällen,
! Keine Arthroskopie darf in Angriff genommen werden, wenn
falls es trotz Einsatz bildgebender Verfahren nicht gelingt,
der Patient die Einwilligung zur Arthrotomie verweigert hat.
eine Diagnose zu stellen. Dies kann beim posttraumatischen
Hämarthros, aber auch bei chronischen Schmerzzuständen Meniskusläsionen können sich als reparabel erweisen. Dies
nach vorheriger Knieoperation der Fall sein. Falls es bei ge- bedeutet für den Patienten eine länger dauernde Nachbe-
planter monokondylärer Schlittenprothese oder Umstellungs- handlung. Nach der Therapie von Knorpelschäden kann post-
osteotomie Zweifel daran gibt, dass die prothetisch nicht zu operativ eine Entlastungsphase bis zu 8 Wochen erforderlich
versorgende bzw. die zu belastende Gelenkhälfte völlig intakt werden. Die Wahl der Anästhesieform bleibt letztendlich dem
ist, sollte ebenfalls diagnostisch arthroskopiert werden. Übli- Patienten überlassen. Die Regionalanästhesie bietet gelegent-
5 cherweise erfolgt die diagnostische Arthroskopie im Vorlauf lich Nachteile für die Frühmobilisation und für die post-
zu arthroskopischen oder offenen Kniegelenkoperationen in operative Erkennung von Komplikationen. Eine ungestörte
derselben Sitzung. Allgemeinnarkose schafft die besten Voraussetzungen für den
arthroskopischen Operateur. Einem eventuellen Wunsch nach
Arthroskopie in Lokalanästhesie sollte nur in Ausnahmefällen
Operationsprinzip entsprochen werden: Lokalanästhesie engt die Möglichkeiten
Mit der 4-mm/30°-Winkeloptik. ergänzt für manche Gelenkbe- des Operateurs und damit die Chancen für einen erfolgreichen
reiche durch die 4-mm/70°-Winkeloptik wird unter kontinuier- Behandlungsverlauf ein.
licher Spülung mit Ringer-Laktat-Lösung und bei Aufrechter-
haltung eines intraartikulären Druckes von 50 bis maximal 150
mmHg eine systematische Durchsicht sämtlicher Gelenkkom-
partimente vorgenommen. Knorpeloberflächen, Meniszie und
Kreuzbänder werden zusätzlich mit einem stumpfen Tasthäk-
chen palpiert.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
In Ergänzung zur klinischen Diagnostik, mit der bereits ein
Erguss, viele Meniskusläsionen, eine Instabilität und Arthro-
sezeichen nachgewiesen werden, darf keinesfalls auf die prä-
operative Durchführung von Röntgenaufnahmen verzichtet
werden. Aktuelle Röntgenbilder des Kniegelenks in 2 Ebenen
mit Kniescheibentangentialaufnahme sind die Mindestvoraus-
setzung. Das Übersehen knöcherner Verletzungen, kniegelen-
knaher Knochentumoren oder einer Algodystrophie könnte
für den Patienten schwere Nachteile bedeuten. Liegt allerdings
ein aktuelles Kernspintomogramm guter Qualität mit Befund
vor, kann dieses die Röntgendiagnostik ersetzen. Jeder loka-
lisierte oder generalisierte Entzündungszustand ist eine Kon-
traindikation für die Arthroskopie. Dies gilt nicht für die ar-
throskopische Behandlung intraartikulärer Infektionen. Auch
bei Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten der Vordiagnostik
wird ein Teil der Kniegelenkarthroskopien völlig unerwartete
Befunde liefern. Nur der entsprechend ausgebildete, erfahrene
Operateur kann in diesen Fällen die Diagnose stellen und die
erforderlichen Konsequenzen ziehen.

Aufklärung
▬ Wie bei jedem anderen operativen Eingriff Infektion,
Thrombose, Embolie sowie Verletzung von Nerven und
Gefäßen
▬ Möglichkeit des Instrumentenbruchs
▬ Mögliche aus der Arthroskopie folgende operative Konse-
quenzen
5.1 · Kniegelenkarthroskopie
91 5
Im Operationssaal
Lagerung
Alle arthroskopischen Eingriffe am Knie erfolgen bei frei hän-
gendem Unterschenkel unter Einsatz eines Oberschenkelhalters
(⊡ Abb. 5.1). Für Eingriffe an den Menisken befindet sich der
Beinhalter exakt in Oberschenkelmitte, für Eingriffe am patel-
lofemoralen Gelenk und zur Kreuzbandplastik im proximalen
Drittel des Oberschenkels. Von Vorteil ist die Anbringung ei-
ner Blutsperrenmanschette innerhalb des Oberschenkelhalters.
Die Manschette sollte nicht routinemäßig aufgefüllt werden:
Eine Blutsperre erschwert die Diagnostik von Blutungen und
synovialen Veränderungen und erhöht das Risiko von Nerven-
läsionen. Andererseits ist die Verwendung motorisierter Inst-
rumente mit kräftiger Sogwirkung nur in Blutsperre möglich.
Deshalb regelmäßiges Anlegen einer Manschette, die nur bei
Verschlechterung der Sichtbedingungen oder gelegentlich zur
besonders festen Fixierung des Oberschenkels gefüllt wird. Um
einer Hyperlordosierung vorzubeugen, wird das Hüftgelenk des
gesunden Beines 30° angebeugt.
> Achtung 1. Assistent ⊡ Abb. 5.1. Lagerung zur Kniegelenkarthroskopie
Am Kniegelenk hängt der Erfolg einer Arthroskopie von einer
strikten Beachtung der technischen Details ab. Erfahrungsge-
mäß erscheint die Lagerung einfach und wird dem Pflegeper-
sonal überlassen. Es ist aber die Aufgabe des 1. Assistenten,
dafür zu sorgen, dass der Beinhalter tatsächlich in der Mitte
oder im proximalen Teil des Oberschenkels sitzt, dass Blut-
sperre und Polsterung den Oberschenkel perfekt umfassen
und es damit nicht zu Druckstellen kommen kann, dass der
Oberschenkel in Richtung der Längsachse des Operationsti-
sches ausgerichtet ist und dass auch das nicht zu operierende
Bein gut unterlegt und gesichert ist, so dass es nicht während
des Eingriffs seitlich über den Tisch herabrutscht. Steriles
Abwaschen und Abdecken dürfen erst beginnen, wenn sich
entweder der Operateur oder der 1. Assistent von der absolut
korrekten Lagerung überzeugt haben.
92 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Instrumentarium
Der arthroskopische Operateur arbeitet unter Einschaltung
eines bildgebenden Systems zwischen Auge und Operations-
situs. Wichtigstes Instrument für die Arthroskopie der großen
Gelenke ist das 4-mm/30°-Weitwinkelarthroskop (⊡ Abb. 5.2).
Das Instrument erlaubt beim Drehen um seine optische Achse
ein »Sich-Umsehen« im Gelenk. Ergänzt wird es für spezielle
Fragestellungen durch die 4-mm/70°-Weitwinkeloptik. Stets
wird die Optik unter Schutz einer Trokarhülse eingesetzt. Als
Einführhilfen für die Hülse dienen spitze und stumpfe Tro-
kare. Grundsätzlich wird das vom Arthroskop erzeugte Bild
über eine Videokette auf einem Monitor zur Darstellung ge-
5 bracht. Durch einen sterilisierbaren Adapter wird der Wech-
sel verschiedener Optiken an der sterilverpackten Kamera
vereinfacht. Die ökonomische Führung von Arthroskop und
Kamera muss erlernt werden. Das im Gelenk benötigte Licht
wird über eine Kaltlichtquelle zur Verfügung gestellt und
via Lichtleiterkabel zum Arthroskop transportiert. Gelenke
sind im nativen Zustand kapilläre Spalten. Um den nötigen
Raum für Sicht und Manipulation zu erhalten, muss das
Gelenkkavum mit einem wässrigen, im Ausnahmefalle auch
gasförmigen Medium entfaltet werden. Klare Sicht erfordert
den Einsatz eines Spülsystems mit kontinuierlichem Flüssig-
keitsdurchfluss.

⊡ Abb. 5.2a–e. Instrumentarium und Geräte.


a 1 Spitzer Trokar, 2 stumpfer Trokar, 3 Hülse mit drehba-
rem Stutzen zur Zuführung von Spülflüssigkeit, 4 Weit-
winkeloptik 4 mm, α = Öffnungswinkel, ß = Blickwinkel
a) 30°-Optik, b) 70°-Optik a
5.1 · Kniegelenkarthroskopie
93 5

e
⊡ Abb. 5.2a–e. Instrumentarium und Geräte. Fortsetzung.
b Videokette. c Spülsystem. d Führung von Arthroskop und Kamera.
Die dominierende – in der Regel rechte – Hand führt das Arthroskop
am Lichtstutzen. e falls unter arthroskopischer Sicht operiert wird, über-
nimmt eine Hand Arthroskop und Kamera und fixiert das Arthroskop in
der günstigsten Rotationsstellung
94 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Operationstechnik ⊡ Abb. 5.3 zeigt die möglichen Zugangswege zur Kniege-


Der Durchmesser arthroskopischer Zugangsportale muss so ge- lenkhöhle. Ein Teil der Zugänge eignet sich für Arthroskop und
wählt werden, dass einerseits ein Penetrieren mit dem Arthro- Operationsinstrumente gleichermaßen. Der zentrale Zugang ist
skop möglich ist, dass aber andererseits kein Druckabfall durch für die diagnostische Kniegelenkarthroskopie für Meniskusope-
zu große Leckstellen entsteht. Die Länge der Hautinzision rationen, für die Entfernung freier Körper, für die Biopsie und
beträgt damit für den Arthroskopzugang etwa 7 mm, für Ins- für die Plicaresektion ideal. Er erlaubt eine Beurteilung beider
trumentenzugänge etwa 5 mm. Um die Narbenbildung mög- dorsaler Kompartimente ohne Umsetzen des Arthroskops.
lichst gering zu halten, sollten alle Hautinzisionen längs der Seine Position ist anhand knöcherner Landmarken defi-
Langerschen Spaltlinien liegen. Diese verlaufen auf Höhe des niert. Der zentrale Zugang erlaubt eine eindeutige Positionsan-
Kniegelenkspaltes horizontal. Die Penetration der Haut erfolgt gabe für die wichtigsten Instrumentenzugänge. Er ermöglicht
grundsätzlich mit dem Skalpell. Die Penetration der fibrösen ein symmetrisches Vorgehen bei Operationen am medialen
Kapsel erfolgt mit dem Skalpell oder mit dem spitzen Trokar. und am lateralen Meniskus. Allerdings ist der zentrale Zugang
5 Die Synovialmembran wird mit dem stumpfen Trokar durch- ausschließlich für das Arthroskop geeignet. Bei korrekter Vor-
stoßen. Erst nachdem die Eintrittspforten mit dem Arthroskop gehensweise ist die Traumatisierung der Patellarsehne vernach-
intraartikulär kontrolliert werden können, ist eine Penetration lässigbar, Beschwerden treten nicht auf. Die Fasern der Sehne
der Synovialmembran auch mit dem Skalpell oder mit dem werden nur auseinander gedrängt, keineswegs durchtrennt.
spitzen Trokar erlaubt. Für den weniger Geübten empfiehlt sich
ein Vorsondieren geplanter Instrumentenzugänge mit einer
1er-Kanüle. Arbeitskanülen sind in der Regel hinderlich. Der
Verschluss arthroskopischer Inzisionen erfolgt entweder mit
Steristrip-Verbänden oder durch Einzelknopfnähte.

a b c

⊡ Abb. 5.3a–c. Zugangswege zum Kniegelenk. a Der wichtigste pri- 7 Hoher anterolateraler Zugang
märe Zugang. b Sicht von anteromedial. c Sicht von anterolateral 8 Hoher parazentraler medialer Zugang
1 Zentraler Zugang, 1 cm über dem Rand des medialen Plateaus in 9 Hoher parazentraler lateraler Zugang
Kniemitte gelegen 10 midpatellarer medialer Zugang
2 Anteromedialer Zugang 11 midpatellarer lateraler Zugang
3 Anterolateraler Zugang 12 Superomedialer Zugang
4 Parazentraler medialer Zugang 13 Superolateraler Zugang
5 Parazentraler lateraler Zugang 14 Posteromedialer Zugang
6 Hoher anteromedialer Zugang 15 Posterolateraler Zugang
5.1 · Kniegelenkarthroskopie
95 5
Am 90° gebeugten Knie wird die Kante des medialen Ti-
biaplateaus getastet und markiert. Beide Epikondylen wer-
den palpiert und ihr Abstand halbiert. Die quere 7 mm lange
Hautinzision erfolgt mit dem Skalpell senkrecht zur gedachten
Mittellinie des Kniegelenks, 1 cm kranial der medialen Tibi-
aplateaukante. Unter vorsichtigen Drehbewegungen wird mit
dem in die Hülse eingesetzten spitzen Trokar das Ligamentum
patellae penetriert (⊡ Abb. 5.4). Der spitze Trokar wird gegen
den stumpfen Trokar ausgewechselt und die Hülse mit dem
stumpfen Trokar bei gestrecktem Knie in das Patellofemoralge-
lenk geschoben (⊡ Abb. 5.5).
Der stumpfe Trokar wird gegen die zuvor mit Kamera und
Lichtleitkabel konnektierte Standardoptik ausgetauscht. Nach-
dem sich der Operateur durch einen ersten Blick auf den Mo-
nitor von der intraartikulären Lage des Arthroskops überzeugt
hat, wird der Wasserzulauf angeschlossen und bei einer Druck- ⊡ Abb. 5.4. Penetration des Lig. patellae. Sie erfolgt am rechtwinklig
gebeugten Gelenk mittels kontrolliertem Druck unter Drehbewegungen
vorwahl von 100 mmHg das Gelenk über den Arthroskopschaft
von Hülse und Trokar
mit Spülflüssigkeit aufgefüllt. Bei prallem Gelenk erfolgt die
Punktion des superiomedialen Rezessus mit der Ablaufkanüle.
Sie wird mit einem Ablaufschlauch verbunden, an dem zur
Drucksteuerung eine Rollenklemme sitzt. Sobald das Spülsys-
tem in Gang gekommen ist und sich der Operateur durch einen
Blick ins Auffanggefäß vom Funktionieren des Ablaufsystems
überzeugt hat, kann der diagnostische Rundgang beginnen.

⊡ Abb. 5.5. Vorschieben des stumpfen Trokars in das Patellofemoral-


gelenk. Nach Auswechseln des spitzen gegen den stumpfen Trokar wird
das Knie gestreckt und das Hülsen-Trokar-System in den patellofemora-
len Gelenkspalt vorgeschoben
96 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Ein Durchsehen des Gelenks nach einem konstanten (⊡ Abb. 5.6c). Durch den lateralen Rezessus, vorbei am Ansatz
Schema ist entscheidend für die Vollständigkeit der arthro- der Popliteussehne und mit der Möglichkeit, den Eingang zum
skopischen Diagnostik. Nach Kontrolle der intraartikulären Rezessus popliteus zu inspizieren, bewegt sich das Arthroskop
Lage der Abflusskanüle bewegt sich das Arthroskop über den ins laterale Kompartiment. Der Operateur lagert den Fuß des
medialen Rezessus ins mediale Kompartiment. Bereits bei die- Patienten um und öffnet bei ca. 20° Kniebeugung durch Kör-
sem ersten Schritt kann eine Plica synovialis mediopatellaris perdruck im Varussinne den lateralen Gelenkspalt.
diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Der Operateur lädt Bei ungenügendem Einblick hilft die sog. Viererposition
sich nun die Knöchelregion des Patienten auf die Hüfte und (⊡ Abb. 5.6d): Das Kniegelenk wird 90° gebeugt, die Knöchelre-
bewirkt durch Druck im Valgussinne eine Öffnung des medi- gion wird hochgehoben, das Bein liegt quer vor dem Operateur
alen Gelenkspaltes. Der mediale Meniskus wird inspiziert und und der laterale Spalt klafft maximal. Über den anterolateralen
über den anteromedialen Zugang palpiert (⊡ Abb. 5.6a). Das Zugang wird der laterale Meniskus mit dem Häkchen palpiert.
Arthroskop wird dann nach dorsal in den posteromedialen Das Arthroskop wird nach posterolateral vorgeschoben und
5 Rezessus vorgeschoben und hinteres Kreuzband und Rezes- der posterolaterale Rezessus am 90° gebeugten Knie analog
sus werden inspiziert. Insbesondere müssen freie Körper in zum posteromedialen Rezessus betrachtet. Letztes Komparti-
diesem »Schlammfänger des Gelenks« ausgeschlossen werden ment ist die Fossa intercondylaris mit den Kreuzbändern. Das
(⊡ Abb. 5.6b). Bei Arbeiten im hinteren medialen Rezessus wird Knie wird 60° gebeugt, der Fuß des Patienten ruht auf dem
die Standardoptik gegen die 4-mm/70°-Weitwinkeloptik ausge- Oberschenkel des Operateurs und das Arthroskop befindet
tauscht. Beim Zurückziehen des Arthroskops und Drehung der sich vor dem Eingang zur Fossa intercondylaris. Das vordere
Blickrichtung nach oben erscheint das Patellofemoralgelenk. Kreuzband kann so in seinem ganzen Verlauf übersehen und
Unter Beugung und Streckung wird die patellofemorale Arti- getastet werden (⊡ Abb. 5.6e). Die diagnostische Arthroskopie
kulation beurteilt. Durch eine intraartikuläre Drucksteigerung ist damit abgeschlossen, das Arthroskop wird entfernt, ebenso
bei Verschluss des Ablaufschlauches wird die Kniescheibe an- die Ablaufkanüle. Die Zugänge werden durch Einzelknopfnähte
gehoben und der retropatellare Knorpel kann inspiziert und oder Zugpflaster verschlossen. Ein gepolsterter Kompressions-
mit dem medial eingebrachten Tasthäkchen palpiert werden verband wird für die ersten postoperativen Stunden angelegt.

a b

⊡ Abb. 5.6a–e. Diagnostischer Gang durchs Kniegelenk mit dem Arthroskop. a Medialer Gelenkspalt. b Posteromedialer Rezessus
5.1 · Kniegelenkarthroskopie
97 5

d e

⊡ Abb. 5.6a–e. Diagnostischer Gang durchs Kniegelenk mit dem Arthroskop. Fortsetzung. c Patellofemoralgelenk. d Lateraler Gelenkspalt, Vierer-
position. e Fossa intercondylaris
98 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Probleme 5.2 Meniskektomie


Abweichend von offenen Operationen muss der Operateur
beim arthroskopischen Vorgehen außer dem Situs auch seine Indikation
technische Ausstattung, das bildgebende und das Spülsystem Bei symptomatischem Meniskusschaden, wenn eine Meniskus-
verstehen und kontrollieren. So wie eine ungenügende Dar- naht nicht möglich ist.
stellung beim offenen Operieren verhindern beim Arthrosko-
pieren unzureichende Beleuchtung, trübe Spülflüssigkeit und
unscharfe Bildgebung einen erfolgreichen Eingriff. Auch das Operationsprinzip
Operationsteam muss vor dem Eingriff genau in seine Funkti- Resektion geschädigter Meniskusanteile unter Belassung ei-
onen eingewiesen sein. Der Springerschwester bzw. dem Sprin- ner stabilen, d. h. nicht ins Gelenk dislozierbaren Randleiste.
gerpfleger kommt eine genauso wichtige Rolle wie der Instru- Ein vollständiges radiäres Durchtrennen des Meniskus kommt
mentierschwester bzw. dem Instrumentierpfleger zu. funktionell einer totalen Meniskektomie gleich. Die arthrosko-
5 pische Meniskektomie kann zumeist mit handbetriebenen Inst-
Nachbehandlung rumenten bewerkstelligt werden. Der Eingriff wird vereinfacht
Am 1. postoperativen Tag kontrolliert der Operateur den Lokal- durch die Zuordnung von Zugang und erreichbarem Menis-
befund, ersetzt den Kompressionsverband durch kleine Pflaster kusareal (⊡ Abb. 5.7). Dieselbe Zuordnung gilt symmetrisch für
und ermutigt den Patienten zur zunehmenden Belastung seines den medialen und den lateralen Meniskus.
operierten Beines. Die Fäden können bereits nach 4 Tagen ent-
fernt werden.

Literatur
Kohn D (1996) Arthroskopie. In: Bauer R, Kerschbaumer F, Poisl S (Hrsg.) Or-
thopädische Operationslehre, Band 2/II. Thieme, Stuttgart, S. 419–433

⊡ Abb. 5.7. Von verschiedenen Zugängen aus erreichbare Areale des


Innenmeniskus (Lage und Nummerierung der Zugänge ⊡ Abb. 5.3). Von
anteromedial (2): weiß (Pars intermedia und Teil des Hinterhorns). Von
parazentral medial (4): dunkelgrau (Teil des Hinterhorns). Von hoch ante-
rolateral (7): hellgrau (Vorderhorn und Teil der Pars intermedia)
5.2 · Meniskektomie
99 5
Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Schmerz in Gelenkspalthöhe, rezidivierende Blockaden und die
Ausbildung seröser Gelenkergüsse sind die typischen Symp-
tome der Meniskusschädigung. Der Untersucher findet neben
Erguss und Druckschmerz über dem beschädigten Meniskusa-
real in manchen Fällen eine Einschränkung der Streckung und/
oder Beugung. Direkter Druck des palpierenden Fingers am
90° gebeugten Kniegelenk in Gelenkspalthöhe ist der wichtigste
und gleichzeitig einfachste Untersuchungshandgriff. Dieser
Fingerdruck provoziert Schmerzen über einem beschädigten
Meniskus.
Bei der weiteren Untersuchung werden die Meniszi kompri-
miert: durch Varus- und Valgusstress die Pars intermedia, durch
passive Überstreckung die Pars anterior und durch passive Beu-
gung die Pars posterior. Ein Kreiseln des Unterschenkels gegen
das Femur in 90° Beugung setzt die Meniszie unter Zugspan-
nung. Einzelne dieser Maßnahmen und ihre Kombination sind
unter verschiedenen Autorennahmen als »Meniskuszeichen«
bekannt. Wichtig für die Untersuchung ist die Abfolge nach
einem festen Schema, z. B. passive Beugung, passive Streckung,
Valgus-/Varusstress, Innenrotation und Außenrotation in 90°-
Beugung und in maximaler Beugung. Schließlich Palpation der
Gelenkspalte. Der Patient wird den Schmerz stets dort empfin-
den, wo die Schädigung liegt. Eine qualitativ hochwertige Kern-
spintomographie sichert die klinische Verdachtsdiagnose und
erlaubt die Erkennung von zusätzlichen Läsionen (⊡ Abb. 5.8).
Der bei einer Kernspintomographie als Zufallsbefund entdeckte
asymptomatische Meniskusschaden ist keine Indikation zur
Operation.

Aufklärung
▬ Möglichkeit einer Meniskusnaht beim peripheren Längs-
riss. Die Naht erfordert eine längere und aufwändigere
Nachbehandlung. Die Rerupturrate liegt nach Menisknaht
im stabilen Kniegelenk zwischen 0 und 10% innerhalb von
10 Jahren.
▬ Die Entfernung von Meniskussubstanz beinhaltet stets das
Risiko einer Früharthrose, wobei die Entfernung bei ent-
sprechender Symptomatik nicht zu umgehen ist.
⊡ Abb. 5.8. Der Meniskus im Kernspintomogramm. Die klinische Be-
▬ Volle Belastbarkeit nach Meniskusresektion nach 6 Wochen, deutung von Läsionen Typ 1 und 2 ist unklar. Läsionen Typ 3 und 4
Arbeitsfähigkeit in körperlich nicht belastenden Berufen entsprechen makroskopisch sichtbaren Einrissen (Einteilung nach Stoller
nach 1–2 Wochen. 1987)
100 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationssaal
Lagerung
 Kap. 5.1.

Operationstechnik bei medialer Korbhenkelläsion


Vor der Indikation zur Korbhenkelentfernung muss die Mög-
lichkeit einer Refixierung geprüft werden. Ist das abgelöste
Fragment intakt, die Rissstelle blutig oder weniger als 2 mm
vom meniskokapsulären Übergang entfernt, sollte genäht wer-
den. In allen anderen Fällen erfolgt die Resektion.
Erster Schritt ist die Reposition des in die Fossa intracondy-
lica luxierten Korbhenkels mithilfe eines stumpfen Trokars über
5 den anteromedialen Zugang (⊡ Abb. 5.9a). Dann erfolgt die
Durchtrennung der dorsalen Anheftungsstelle des Korbhenkels
mit einer kleinen geraden Stanze über den medialen parazen-
a tralen Zugang (⊡ Abb. 5.9b). Mit der diagonal über den hohen
anterolateralen Zugang eingeführten Stanze wird die Anhef-
tung am Vorderhorn durchtrennt (⊡ Abb. 5.9c). Die Extraktion
erfolgt mit einer Fasszange durch den zuvor durch Aufspreizen
mit einer Schere erweiterten anteromedialen Zugang.
Bei sehr engen Verhältnissen im medialen Spalt kann eine
Hilfstechnik eingesetzt werden: Zunächst vorne absetzen, Frag-
ment anklemmen, anspannen und danach das gespannte Frag-
ment dorsal abtrennen.

⊡ Abb. 5.9a–c. Korbhenkelentfernung medialer Meniskus. Rechtes


Kniegelenk. Weichteile 2 cm oberhalb des Tibiaplateaus durchtrennt.
Femur entfernt. Nummerierung und Lage der Zugänge ⊡ Abb. 5.3.
a Der interkondylär eingeschlagene Korbhenkel wird mit dem stumpfen
Trokar reponiert. Arthroskop: zentraler Zugang (1), Trokar: anteromedia-
ler Zugang (2). b Die Abtrennung beginnt dorsal durch Resektion des rot
bezeichneten Korbhenkelanteils mit einer Stanze. Stanze: parazentraler
medialer Zugang (4). c Durchtrennung der vorderen Anheftungsstelle
durch Resektion des rot bezeichneten Vorderhornanteils mit der Stanze.
Stanze: hoher anterolateraler Zugang (7)
5.2 · Meniskektomie
101 5
Operationstechnik bei medialem Lappenriss
Diese Läsion findet sich häufig im mittleren Lebensalter. Dia-
gnostisch bereitet ein unter dem Meniskus versteckter, einge-
schlagener Lappen manchmal Schwierigkeiten. Bei sorgfältiger
Palpation mit dem Häkchen entgeht jedoch dem Operateur
dieser Befund nicht. Der einfache mediale Lappenriss ist die
ideale Läsion für den noch nicht so versierten arthroskopischen
Operateur. Erster Schritt ist die Reposition bzw. Luxation des
Lappens in den medialen Gelenkspalt (⊡ Abb. 5.10a), danach
erfolgt die inkomplette Absetzung der Verbindungsstelle des
Lappens (⊡ Abb. 5.10b). Ideal ist, wenn dieser an wenigen Fa-
sern am Restmeniskus angeheftet bleibt. Das Fragment wird
über den mit der Schere etwas aufgespreizten anteromedialen
Zugang mit einer Fasszange entfernt.
a

⊡ Abb. 5.10a,b. Lappenentfernung medialer Meniskus (Präparat wie


bei ⊡ Abb. 5.9). a Der unter dem Meniskus eingeklemmte Lappen wird
mit dem Tasthäkchen hervorgezogen. Tasthäkchen: anteromedialer Zu-
gang (2). b Die Abtrennung erfolgt durch angleichende Resektion des
rot bezeichneten Vorderhornanteils mit der Stanze. Stanze: hoher ante-
rolateraler Zugang (7)
102 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Operationstechnik bei Komplexriss des lateralen


Meniskus
Die Kombination von horizontalen, radiären und vertikalen
Einrissen des Außenmeniskus ist nicht selten. Diese komplexe
Läsion bereitet dem Operateur Schwierigkeiten, falls das Vor-
derhorn des Außenmeniskus mitbetroffen ist und die Sicht ins
laterale Kompartiment versperrt. Hier erweist sich der primäre
Einsatz eines motorisierten Meniskusresektors als sinnvoll. Mo-
torisierte Instrumente sind generell von Vorteil, wenn die Me-
niskussubstanz erweicht ist und anstatt glatter Rissränder eine
Auffaserung vorliegt. Ein Belassen der Randleiste wird gegen-
über einer vollständigen Meniskektomie auch bei dieser Läsion
5 bevorzugt. Insbesondere ist eine Brücke aus Meniskussubstanz
vor dem Hiatus politeus zu erhalten, um nicht den biomechani-
schen Defekt einer totalen Meniskektomie zu verursachen.
a Erster Schritt ist die Beseitigung des ventralen Sichthinder-
nisses mit dem Meniskusresektor der über den anterolateralen
Zugang eingeführt wird (⊡ Abb. 5.11a). Die beschädigten aber
stabileren Teile von Vorderhorn und Pars intermedia wer-
den mit der seitwärts schneidenden Stanze die diagonal über
den hohen anteromedialen Zugang eingeführt wird reseziert
(⊡ Abb. 5.11b). Pars intermedia und Hinterhorn werden mit ei-
ner breiten aufgebogenen oder geraden Stanze über den hohen
anteromedialen und schließlich über parazentralen lateralen
Zugang entfernt (⊡ Abb. 5.11c).
Letzter Schritt der Meniskusresektion ist die Glättung der
verbliebenen Randleiste mit der Motorfräse. Dies kann bei
primär glatten Schnitträndern unterbleiben. Das Gelenk wird
kräftig gespült, die Meniskuspartikel werden mit einem Saug-
rohr entfernt. Dabei gilt das Interesse insbesondere dem obe-
ren Gelenkrezessus, in dem sich Meniskuspartikel infolge der
Durchflussrichtung der Spülflüssigkeit um die Abflusskanüle
b ansammeln.
! Es dürfen keine Meniskuspartikel im Gelenk verbleiben. Diese
können in der postoperativen Phase schlimmstenfalls zu einer
Einklemmung in den meisten Fällen zu einer unangenehmen,
lange dauernden Synovialitis mit Ergussbildung und damit zu
einem unzufriedenen Patienten führen. Auch beim Herauszie-
hen der Ablaufkanüle ist darauf zu achten, keine Meniskusparti-
kel, die an der Kanüle sitzen, im Portal abzustreifen.

⊡ Abb. 5.11a–c. Operation bei Komplexriss lateraler Meniskus (Präpa-


rat wie bei ⊡ Abb. 5.9). a Entfernung zerfaserter Anteile des Vorderhorns
– im Schema rot markiert – mit der Motorfräse. Motorfräse: anterolate-
raler Zugang (3). b Nachresektion von Vorderhorn und Pars intermedia
mit der seitwärts schneidenden Stanze. Stanze: hoher anteromedialer
Zugang (6). c Entfernung der beschädigten Anteile von Pars intermedia
und Hinterhorn mit der breiten Stanze. Stanze: hoher anterolateraler
Zugang (6), später parazentraler lateraler Zugang (5)
5.3 · Meniskusnaht
103 5
Postoperativ 5.3 Meniskusnaht
Probleme
Das Belassen instabiler Meniskusteile führt zur Persistenz von Indikation
Symptomen, die zu großzügige Entfernung begünstigt die Ent- Bei einem instabilen, kompletten über 1 cm langen Längsriss
wicklung einer Früharthrose. Erst die Erfahrung lehrt den im peripheren Meniskusdrittel, weniger als 2 mm vom me-
Operateur anhand von Aussehen und Tastbefund, das Ausmaß niskokapsulären Übergang entfernt, bei intaktem Meniskus-
der Resektion in jedem Falle optimal zu wählen. Gleichzeitig fragment und bei stabilem Gelenk sollte genäht werden. Die
bestehende Schäden des hyalinen Knorpels sind häufig für die Meniskusnaht wird in aller Regel unter Sicht des Arthroskops
Persistenz von Beschwerden auch nach einwandfreier Menis- durchgeführt, kann aber beim ganz peripher gelegenen intra-
kusresektion verantwortlich. meniskalen und beim meniskokapsulären Riss auch offen unter
direkter Sicht erfolgen.
! Patienten über 50 Jahren haben in einem hohen Prozentsatz
klinisch stumme Meniskusläsionen. Schmerzen in Gelenkspalt-
höhe werden nicht in jedem Fall von diesen Meniskusläsionen Operationsprinzip
verursacht. Ein diagnostisches Problem kann dadurch entste-
Nach Anfrischung der perimeniskalen Synovialmebran wird
hen, dass eine beginnende aseptische Knochennekrose (Mor-
die Rissstelle möglichst anatomisch adaptiert und durch Fäden
bus Ahlbäck) anfänglich die Symptome einer Meniskusläsion
in dieser Repositionsstellung gehalten. Alternativ ist die Ver-
imitiert. Da beim M. Ahlbäck die Schmerzen der kernspintomo-
wendung von speziell für die Meniskusrefixation entwickelten
graphischen Darstellbarkeit etwa 6 Wochen voraneilen sollte
resorbierbaren Klammern oder Pfeilen möglich. Wir empfehlen
bei spontan aufgetretenen Schmerzen in Gelenkspalthöhe bei
nach wie vor die Verwendung von Fäden, da bei Verwendung
einem über 50-jährigen Patienten 6 Wochen zugewartet und
anderer Materialien unter Umständen Schäden am hyalinen
dann ein Kernspintomogramm angefertigt bzw. wiederholt
Gelenkknorpel entstehen. Langsam resorbierbares Fadenmate-
werden, bevor die Indikation zur arthroskopischen Meniskuso-
rial (PDS®) der Stärke 0 USP hat gegenüber nichtresorbierbaren
peration gestellt wird.
Fäden nur Vorteile. Von den verschiedenen möglichen Naht-
techniken wird hier die Innen-/Außennaht des Innenmeniskus
Nachbehandlung mit dorsaler Hilfsinzision beschrieben.
Die unkomplizierte Meniskektomie wird in der Regel ambu-
lant durchgeführt. Der Patient darf noch am Operationstag
aufstehen und belasten. Krankengymnastik mit Kräftigung der Operationsvorbereitung
Oberschenkelmuskulatur in den ersten postoperativen Wochen Diagnostik und Planung
beschleunigt die Rehabilitation. Längsrisse des Innenmeniskushinterhornes entstehen zumeist
zusammen mit einer vorderen Kreuzbandruptur. Die Versor-
gung des Band- und des Meniskusschadens erfolgen dann im
Rahmen derselben Operation. Die Unterscheidung zwischen
rekonstruierbaren und nichtrekonstruierbaren Meniskusschä-
den ist kernspintomographisch unsicher. Sie muss vom arthros-
kopischen Operateur während des Eingriffs getroffen werden.

Aufklärung
 Kap. 5.2.
104 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationssaal
Lagerung
 Kap. 5.1.

Operationstechnik
Nachdem die Indikation zur Naht gestellt ist, wird eine dor-
somediale Hilfsinzision angelegt, die es erlaubt durch einen
breiten Langenbeck-Haken die neurovaskulären Strukturen der
Kniekehle vor den durch die Kapsel austretenden Nadeln zu
schützen (⊡ Abb. 5.12).

5
⊡ Abb. 5.12. Hilfsinzision dorsomedial (Insert). Darstellung der Gelenk-
kapsel. Die vomGelenkinneren durch den Meniskus gestochene Nadel
perforiert die Gelenkkapsel in Höhe der Meniskusbasis. Ein Langenbeck-
Haken schützt die Strukturen in der Kniekehle

Das Arthroskop wird für die mediale Meniskusnaht in den para-


zentralen medialen Zugang umgesetzt. Erster Schritt ist die An-
frischung der perimeniskalen Synovialmembran (⊡ Abb. 5.13).
Aus dieser synovialen Verletzung entwickelt sich der synoviale
Pannus, der in den Riss einwandert und zur Heilung der Riss-
flächen führt.

⊡ Abb. 5.13. Anfrischen der perimeniskalen Synovialmembran. Lage und


Nummerierung der Zugänge ⊡ Abb. 5.4. Arthroskop: parazentraler media-
ler Zugang (4); scharfer Löffel: hoher parazentraler lateraler Zugang (9)

Eine Nahtführungskanüle wird durch den hohen lateralen pa-


razentralen Zugang auf das Meniskusfragment aufgesetzt und
die lange biegsame Nadel durchgeschoben. Der 1. Assistent
sitzt auf der Medialseite des Kniegelenks, hält den Langenbeck-
Haken und nimmt mit der anderen Hand mithilfe eines Na-
delhalters die austretende Nadelspitze (⊡ Abb. 5.12) in Empfang
(⊡ Abb. 5.14).

⊡ Abb. 5.14. Durch die Nahtführungskanüle wird eine biegsame Nadel


geschoben, die Meniskusfragment, Meniskusperipherie und Kapsel
durchdringt und durch die Hilfsinzision herausgezogen wird. Nahtfüh-
rungskanüle: hoher parazentraler lateraler Zugang (9). Insert: Weg der
Nadel durch Meniskus und Kapsel. Rote Anfrischungszone parallel zum
oberen Meniksusrand
5.3 · Meniskusnaht
105 5
Danach erfolgt versetzt der Durchstich der 2. Nadel, so dass
eine U-förmige Naht das Meniskusfragment fasst und gegen die
Randleiste reponiert. Die Reposition wird durch Zug an den
Fäden überprüft (⊡ Abb. 5.15). Die Nadeln werden abgeschnit-
ten, die Fäden mit einer Klemme gesichert. Pro 7 mm Risslänge
sollte eine U-Naht erfolgen. Letzter Schritt ist das Knüpfen der
Fäden auf der Gelenkkapsel.
Verschluss des dorsomedialen Hilfsschnittes durch Subku-
tan- und intrakutan resorbierbare Hautnaht. Sonst Vorgehen
wie nach Meniskektomie.

Probleme
Verletzung des hyalinen Gelenkknorpels bei unvorsichtigem
Hantieren mit Nahtführungskanüle und Nadel.
Gefährdung des Nervus saphenus bei Verzicht auf eine
saubere Präparation der dorsomedialen Kapsel. Der Nerv sollte
sich sicher im Subkutanlappen und unter dem Schutz des
Langenbeck-Hakens befinden.

Nachbehandlung
Belasten des operierten Beines nur in einem abnehmbaren
Tutor in Streckstellung, der für 6 Wochen getragen werden soll.
Eine Beugung über 90° soll während dieser Zeit vermieden
werden. Volle sportliche Belastung frühestens 7 Monate nach
der Operation.

⊡ Abb. 5.15. Durchstich der zweiten


Nadel. Der ca. 70 cm lange Faden ist
atraumatisch mit 2 langen, biegsamen
Nadeln verbunden (Insert links oben).
Das rechte Insert zeigt den Fadenver-
lauf auf der Meniskusoberfläche und
im Schnittbild
106 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

5.4 Mikrofrakturierung, Abrasionsarthroplastik,


Pridiebohrung

Indikation
Umschriebene vollschichtige Läsion des hyalinen Gelenkknor-
pels bei intakter oder nur oberflächlich geschädigter, gegen-
überliegender Gelenkfläche. Bei degenerativen Gelenkverände-
rungen selten indiziert. Abgrenzung gegen die aufwändigeren
Maßnahmen wie Transplantation autologer, osteochondraler
Zylinder und autologe Chondrozytentransplantation. Ab einer
Defektgröße von mehr als 2 cm2 sind die markraumeröffnen-
a
den Verfahren nicht mehr indiziert.
5
Operationsprinzip
Durchbrechen der subchondralen Sklerosezone. Damit Eröff-
nung des Weges für pluripotente Zellen aus der Markhöhle auf
die defekte Gelenkoberfläche. Diese können sich dort unter
b Schutz vor mechanischer Belastung zu einer faserknorpeligen
Narbe ausdifferenzieren. Die Narbe deckt den Knorpeldefekt,
verhindert möglicherweise seine Vergrößerung, ist aber mecha-
nischer Belastung auf Dauer nicht gewachsen.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Die Größe und Tiefe des Defekts können an einem qualitativ
hochwertigen Kernspintomogramm abgeschätzt werden. Ein
Kernspintomogramm ist in jedem Fall erforderlich, um die
c möglichen begleitenden Läsionen der Menisken und des sub-
chondralen Knochens zu identifizieren.
⊡ Abb. 5.16a–c. Eröffnung des Markraums. a Pridiebohrung. b Abrasi-
onsarthroplastik. c Mikrofrakturierung
Aufklärung
Aufwändige Nachbehandlung mit Anwendung der Motor-
schiene und Entlastung über 6–8 Wochen.

Im Operationssaal
Der Eingriff wird im Rahmen einer Kniegelenkarthroskopie
(gleiche Seite) durchgeführt.
Die Eröffnung des Markraums kann unter Sicht des Arthro-
skops entweder durch Bohrung, durch Anfräsen des subchon-
dralen Knochens oder durch Anbringen kleiner Löcher mit
einem Pfriem (Mikrofrakturierung) erfolgen (⊡ Abb. 5.16). Die
Methodenwahl hängt von der Lokalisation ab (⊡ Abb. 5.17).

Probleme
Die Maßnahme ist nur bei entsprechender Nachbehandlung
sinnvoll. Der entstehende Knorpel hält Spitzenbelastungen
nicht mehr stand.

Nachbehandlung
6–8 Wochen Entlasten des operierten Beines. Motorschiene zur
passiven Bewegung des Gelenks für 2-mal 2 h täglich während
der Entlastungsphase. Krankengymnastik zum Erhalt der Mus-
kelkraft.
⊡ Abb. 5.17. Lokalisationsabhängiger Einsatz verschiedener Verfahren
5.5 · Spaltung des lateralen Retinakulum
107 5
5.5 Spaltung des lateralen Retinakulum und des Kniestreckapparates bei gleichzeitiger gezielter
Kräftigung des M. vastus medialis obliquus
Indikation ▬ Nachblutung mit Notwendigkeit zur operativen Häma-
Vorderer Knieschmerz bei nach lateral verschobener und ver- tomausräumung
kippter Kniescheibe nach erfolgloser mindestens dreimonatiger
krankengymnastischer Behandlung. Symptomatische begin-
nende bis mäßiggradige Retropatellararthrose mit lateralisier- Im Operationssaal
ter, verkippter Kniescheibe. In Kombination mit einer Antero- Lagerung
medialisierung der Tuberositas tibiae bei Retropatellararthrose Wie zur Kniegelenkarthroskopie ( Kap. 5.1) jedoch Unter-
des unter 50-jährigen Patienten. In Kombination mit medialer stützung der Ferse auf einem gepolsterten höhenverstellbaren
Raffung und/oder Tuberositasmedialisierung bei rezidivieren- Tisch, so dass sich das Knie in 30°-Beugung befindet.
der Kniescheibenluxation. Nach Beendigung der Arthroskopie und Lagerung wie oben
beschrieben, 3 cm lange Hautinzision etwa 1 cm lateral des
superolateralen Kniescheibenpols. Ausgehend vom Hautschnitt
Operationsprinzip wird die Subkutis bis zum Gelenkspalt vom Retinakulum ab-
Die Spaltung des Retinakulum patellae laterale wird meist kurz geschoben. Auch nach proximal erfolgt eine Unterminierung
als »Retinakulumspaltung« oder als »lateral release« bezeichnet. auf 3 cm Länge (⊡ Abb. 5.18). Der mit der Präparierschere vor-
Der Eingriff umfasst die Durchtrennung sämtlicher Schichten bereitete Raum wird dabei stumpf vom Finger des Operateurs
des Retinakulum patellae laterale, unter Mitdurchtrennung sei- erweitert.
ner Verstärkungszüge, des distalen patellotibialen Bandes und
des proximalen epikondylopatellären Bandes, 1–2 cm lateral
des Kniescheibenrandes. Das Verfahren kann arthroskopisch
von innen nach außen oder offen von außen nach innen unter
Schonung der Membrana synovialis erfolgen. Wir bevorzugen
die offene Technik via Miniinzision nach vorgängiger Arthros-
kopie, da sie eine gezielte Blutstillung erlaubt und eine Vernar-
bung der Membrana synovialis nicht zu befürchten ist.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Vorderer Knieschmerz, insbesondere bei Bergauf-, Bergab-
oder Treppauf-, Treppabgehen und nach längerem Sitzen mit
gebeugten Kniegelenken. Patellaanpressschmerz beim Durch-
bewegen des Gelenks. Hypomobile Kniescheibe: Beim Patella- ⊡ Abb. 5.18. Ausgehend von einer Miniinzision lateral des oberen
verschiebetest, der am gestreckten und am 30° gebeugten Knie Patellapols wird die Haut nach proximal und nach distal bis zum Ge-
bei entspannter Quadrizepsmuskulatur durchgeführt wird, lässt lenkspalt mit der Präparierschere unterminiert
sich die Kniescheibe um weniger als ein Viertel ihrer Breite
nach medial schieben. Beim Patellakipptest lässt sich unter
denselben Vorbedingungen der laterale Rand der Kniescheibe
nicht über eine Horizontalstellung hinaus anheben. Sehne des
M. vastus lateralis und laterales Retinakulum sind manchmal
druckschmerzhaft. Vermehrte retropatellare Krepitation beim
Durchbewegen unter Palpation weist auf eine Knorpelschä-
digung im patellotrochleären Gelenk hin. Die Kniescheiben-
tangentialaufnahme am 45° gebeugten Knie mit Vergleich-
saufnahme der Gegenseite ist unverzichtbar. Eine hintere
Knieinstabilität als Ursache retropatellarer Beschwerden sollte
ausgeschlossen werden. Die Indikation zur Retinakulumspal-
tung darf nur gestellt werden, wenn röntgenologisch eine nach
lateral verkippte Kniescheibe vorliegt.

Aufklärung
▬ Rezidivneigung durch Vernarbung des lateralen Retinaku-
lum mit Wiederauftreten von Beschwerden
▬ Erfolg des Eingriffs nur bei adäquater krankengymnas-
tischer Nachbehandlung mit Dehnung des Retinakulums
108 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Mit dem Skalpell beginnt die Retinakulumspaltung im Be-


reich des Hautschnittes unter guter Sicht (⊡ Abb. 5.19). Der In-
nenseite des Retinakulum liegen in dieser Gegend kräftige Äste
der Arteria geniculata lateralis superior an. Ihre Identifizierung
und sorgfältige Unterbindung oder Koagulation ist die Schlüs-
selstelle des Eingriffs. Bei zahlreichen kleinen Gefäßästen emp-
fiehlt sich die Koagulation, bei wenigen kräftigen die Isolierung
aus der Umgebung mittels der spreizenden Overholtklemme
und die Durchtrennung zwischen 2 Klemmen mit nachfolgen-
der Unterbindung. Nun folgt die Spaltung des Retinakulum bis
zum Gelenkspalt einerseits und folgend der Hinterkante der
Sehne des M. vastus lateralis. Dazu wird jeweils ein langer sch-
5 maler Langenbeck Haken unter den Subkutanlappen gesetzt, so
dass die Spaltung unter Sicht erfolgen kann. Die Präparierschere
wird halb geöffnet in den Retinakulumschlitz eingeführt, wobei
eine Branche oberhalb, die andere unterhalb des Retinakulum
zu liegen kommt. Die untere Branche drängt die Synovialmem-
⊡ Abb. 5.19. Spaltung des latera- bran vom Retinakulum ab. Die Durchtrennung erfolgt mit
len Retinakulum mit der Schere mehreren kleinen Schnitten bei denen die Schere jeweils nicht
unter Anheben von Kutis und völlig geschlossen werden darf. Kaudal des unteren Patellapols
Subkutis mit dem Langenbeck-
Haken. Das Gefäßbündel der Vasa
sind Blutungen aus Gefäßen des Hoffa-Kniefettkörpers zu er-
geniculata superiores laterales warten. Auch diese Gefäße müssen sorgfältig koaguliert wer-
verläuft in Höhe der Mitte der den. Nötigenfalls ist dazu der Hautschnitt zu verlängern.
Hautinzision auf der Unterfläche
des Retinakulum und wird unter ! Die Nachblutung aus übersehenen, kleinen arteriellen Gefäßen
guter Sicht unterbunden und ko- ist das Hauptproblem dieser Operation. Deshalb sollte nicht in
aguliert. Insert: Lage der Schere Blutsperre gearbeitet werden.
in Bezug auf Retinakulum, Syno-
vialmembran und Subkutis Nach Beendigung der Spaltung wird die Wundhöhle mit
2 Kompressen tamponiert, die Blutungszeit abgewartet, die
Kompressen entfernt und dann nochmals unter Sicht eine
subtile Blutstillung vorgenommen. Die unversehrte Membrana
synovialis und distal der Hoffa-Kniefettkörper quellen aus dem
Retinakulumschnitt. Jede verbliebene fibröse Struktur, die das
Klaffen des Retinakulums verhindert, wird durchtrennt. Bei ge-
strecktem Knie lässt sich jetzt der laterale Kniescheibenrand um
ca. 45° anheben. Beim Verschiebetest lässt sich die Kniescheibe
um mehr als ein Viertel ihrer Breite nach medial schieben.
Der Schnitt im Retinakulum ist wesentlich länger als der
kleine Hautschnitt. Außer den Vasa geniculata superiores late-
ralis werden keine wesentlichen Gefäße berührt (⊡ Abb. 5.20).
Die bluttrockene Wunde wird durch resorbierbare Sub-
kutannähte und eine intrakutane resorbierbare Hautnaht ver-
schlossen. Sicherung durch Steristrippflaster quer zur Wunde.

Postoperativ
Probleme
Ausbildung eines Hämatoms bei unzureichender Blutstillung.

Nachbehandlung
Lagerung in 70°-Kniebeugung ohne Immobilisation. Das Knie-
gelenk darf sofort schmerzabhängig bewegt werden. Ab dem 1.
postoperativen Tag folgen Kräftigungsübungen für die Quadri-
zepsgruppe unter besonderer Betonung des M. vastus medialis
⊡ Abb. 5.20. Hautschnitt (rot, gestrichelt), Schnitt im lateralen Retin- obliquus. Mit Wiedererlangung der muskulären Kontrolle darf
akulum (rot, durchgehend) und Rete articulare genus. Die Sehne des zunehmend belastet werden. Vollbelastung gelingt zumeist 2–3
M. vastus lateralis wird nicht durchtrennt Wochen nach dem Eingriff.
5.6 · Bikondyläre Prothese und Totalprothese
109 5
5.6 Bikondyläre Prothese und Totalprothese

Operationsprinzip
Die Gelenkflächen von Tibiaplateau und Femurkondylen ein-
schließlich der Trochlea femoris werden durch Metall (Fe-
mur) und Polyäthylen (Tibia) ersetzt (bikompartimental).
Falls auch die Patellarückfläche durch Polyäthylen ersetzt
wird, ist das System trikompartimental. Achsenfehlstellun-
gen des Beines (Genu varum, Genu valgum, Genu flexum,
Genu recurvatum) werden dabei korrigiert. Der Gelenkspalt
der Prothese muss senkrecht zur Belastungsachse des Beines
ausgerichtet werden. Die Patella muss in der Trochlea der
Prothese zentriert werden. Das vordere Kreuzband wird stets
entfernt. Die tibialen Komponenten überdecken sein Inserti-
onsareal. Bei Insuffizienz anderer Bänder oder der Notwen-
digkeit zu deren Resektion muss eine zunehmende Koppelung
zwischen Femur- und Tibiakomponente die fehlende Band-
stabilität kompensieren.

Operationsvorbereitung
Präoperative Diagnostik und Planung
Klinische Diagnostik und Röntgendiagnostik: a.p. und streng
seitliche Aufnahme des Kniegelenks, Patellatangentialaufnahme
und Beinganzaufnahme a.p. sind zur Planung erforderlich. Kli-
nische Untersuchung und Röntgenuntersuchung erlauben eine
Vorentscheidung betreffs des Prothesentyps (⊡ Tab. 5.1).
Die Prothesenplanung am Röntgenbild erfolgt nach der
Indikationsstellung einige Wochen präoperativ um nötigenfalls
Prothesenkomponenten und Instrumentarium, die in der Kli-
nik nicht vorgehalten werden, bestellen zu können. Sie umfasst ⊡ Abb. 5.21. Die Beinachsen (Beispiel: Genu varus). Die Ausrichtestäbe
folgen den anatomischen Achsen von Tibia und Femur. a.p. Ganzbein-
die Planung der Ausrichtung der Komponenten in Relation
aufnahme mit Planungslinien (a Traglinie Femur, b Traglinie Tibia, c ana-
zum Knochen durch entsprechende Lage der Sägeschnitte unter tomische Achse Femurschaft, β-Winkel: Schaft-Traglinie, D Eintrittspunkt
Berücksichtigung der Achsen, sowie die ungefähre Vorherbe- für Markraumeröffnung, e Resektionslinie distaler Femur, f Resektions-
stimmung der Prothesengröße (⊡ Abb. 5.21). linie Tibia)

⊡ Tab. 5.1. Definitionen und Indikationen verschiedener Knieendo-


prothesen. Jeweils optionale Kombination mit Patellagleitflächener-
satz

Prothesentyp (primär) Einsatzbereich

Gleitflächenersatz (kondyläre Standard


Knieprothese) ungekoppelt
Sonderform: mobiles Tibiaplateau Wie oben. Hypothetische Ver-
besserung des Abriebverhaltens.
Hypothetische Möglichkeit des
rotatorischen »Self-Alignment«

Gleitflächenersatz (kondyläre Erhebliche Fehlstellung


Knieprothese) posterior stabili- (Genu varum/valgum/flexum)
siert, teilgekoppelt Verlust des hinteren Kreuzbandes

Knietotalendoprothese gekoppelt Instabilität, schwerste Fehl-


(Rotationsscharnier) stellung, Tumoren
110 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationsaal
Der erste Assistent überprüft die Antibiotikaprophylaxe. Er
hängt die relevanten Röntgenbilder und die Planzeichnun-
gen auf. Der Operateur vergewissert sich von der Lagerung,
die die gewünschte Beugestellung aber auch das Durchbewe-
gen des Kniegelenks und die volle Streckung erlauben muss.
Er vergewissert sich vom korrekten weit proximalen Sitz der
Blutsperrenmanschette. Auch eine eventuell nötige intraope-
rative Bildwandlerkontrolle wird vorbereitet (durchleuchtbare
Tischplatte). Vor dem sterilen Abdecken erfolgt eine Stabilitäts-
und Bewegungsprüfung des Kniegelenks in Narkose. Sie zeigt
dem Operateur das voraussichtliche Ausmaß des erforderlichen
5 Weichteilrelease an. Unter »Release« wird die chirurgische Ver-
längerung von Kapsel, Bändern und/oder von Narbengewebe
verstanden.
> Achtung
Der allgemein übliche Ausdruck »Release« ist nicht definiert.
Er kann die Durchtrennung einer Struktur, ihre Schwächung
durch mehrfache Stichinzisionen (Stichelung) oder ihre sub-
periostale Ablösung am Knochen bedeuten. Ziel ist stets die
Verlängerung einer Kapselbandstruktur.

Operationstechnik
Zugang: Der Standardzugang ist medial parapatellar (⊡ Abb. 5.22).
Seltener kommen Modifikationen wie der sog. Subvastus-Zu-
⊡ Abb. 5.22. Hautschnitt. a Median (leicht medial der Mittellinie) nie
gang oder ein lateraler parapatellarer Zugang mit oder ohne
über den höchsten Punkt von Tuberositas tibiae und Kniescheibe, da die temporäre Desinsertion der Tuberositas tibiae in Frage. Der
Narbe sonst beim Knien stört. b Lateral. Gestrichelte rote Linie: anterome- Zugang umfasst die Durchtrennung von Verwachsungen im
dialer Faszien/Kapselschnitt; gepunktete rote Linie: Subvastus-Zugang Gelenkraum, die oft zwischen Streckapparat und Kondylus
(Unterrand des Muskelbauches des M. vastus medialis). Kreuzchen-Linie: femoris lateralis und im oberen Gelenkrezessus ausgebildet
anterolateral. Dabei häufig Desinsertion der Tuberositas tibiae erforder-
sind. Er umfasst die Teilentfernung des Hoffa-Kniefettkörpers
lich. Die Markierungen am distalen Schnittende geben die übliche Länge
und die Schnittverlängerung an zur Sichtverbesserung und zur Volumenreduktion. Die Implan-
tate beanspruchen in der vorderen Kniekammer einen Teil des
Raumes, der zuvor für den Fettkörper zur Verfügung stand. Die
Restmenisken und das vordere Kreuzband werden ebenfalls
entfernt.
> Achtung 1. Assistent
Bei Gelenkeröffnung fließt zumeist reichlich Ergussflüssigkeit.
Diese sollte sofort abgesaugt und bei vorausgehenden Injek-
tionen ins Gelenk zur hygienischen Untersuchung eingesandt
werden. Beim Absetzen des Außenmeniskus dorsal des Pop-
liteusschlitzes durchtrennt der Operateur häufig ein kleines
Gefäßbündel, das kräftig nachbluten kann und deshalb ko-
aguliert werden muss.
5.6 · Bikondyläre Prothese und Totalprothese
111 5
Der Tibiakopf wird abhängig von der Beinachse in unter- gelenkseitige Fläche nach ventrolateral zeigt (⊡ Abb. 5.24). Bei
schiedlichem Ausmaß aus seinem Weichteilmantel ausgeschält gleichzeitiger Beugung und Außenrotation des Unterschenkels
(⊡ Abb. 5.23), was gleichzeitig die Übersicht verbessert und ei- bleibt die Kniescheibe in dieser Position und ist für die Zurich-
nem Release des medialen Bandapparates entspricht. tung von Femur und Tibia nicht im Wege.
Bei Varusgonarthrosen erleichtert die subperiostale Darstel-
lung des medialen Tibiakopfes die Entspannung der medialen > Achtung
Weichteile. Sie reicht in leichten Fällen bis zum Oberrand des Ein Abreißen des Lig. patellae von der Tuberositas kann in
Pes anserinus, kann diesen in schweren Fällen umfassen und dieser Phase vorkommen. Es ist eine ernste Komplikation.
schließlich auch einen Teil des Ansatzes des Lig. tibiale collate- Eine anatomisch korrekte und sichere Refixierung der Patel-
rale superficiale ablösen. Wichtig ist, dass sämtliche Weichteile larsehne ist technisch schwierig. Die Nachbehandlung wird
im Verbund abgelöst und die Schnittflächen beim Wundver- dadurch beeinträchtigt. Übergroße Spannung des Streck-
schluss wieder adaptiert werden. apparates beim Evertieren und Beugen und manchmal ein
Die Bursa infrapatellaris wird eröffnet oder bei Vernarbung deutliches Knackgeräusch beim beginnenden Abriß sind die
wieder eröffnet und damit das Lig. patellae bis zu seinem An- letzten Warnzeichen. Notfalls muss auf das Umklappen der
satz am Oberrand der Tuberositas tibiae mobilisiert. In Knie- Kniescheibe verzichtet und bei etwas weniger guter Über-
streckung lässt sich die Patella um 180° umklappen, sodass ihre sicht operiert werden.

⊡ Abb. 5.23. Ausschälen des Tibiakopfes. Subperiostale Darstellung des ⊡ Abb. 5.24. Übersichtliche Darstellung der Gelenkflächen. 1 Vordere
medialen Tibiakopfes. Etwa 4 cm distal der Gelenkfläche inserieren die Schublade; 2 Außenrotation; 3 Evertieren der Patella. Hohmann-Haken:
Sehnen des Pes anserinus. Etwa 8 cm distal der Geflenkfläche inseriert a und b halten die distale Femurepiphyse frei, c sitzt vor dem hinteren
das Lig. collaterale mediale. Diese Distanzen müssen beim medialen Kreuzband und schiebt das Tibiaplateau nach vorne, d hält den Streckap-
subperiostalen »Weichteil-Release« beachtet werden. Der Pes muss rein- parat zurück. Cave: Abriss des Lig. patellae (1); Verletzung neurovaskulä-
seriert werden, das Innenband sollte nicht vollständig abgelöst werden rer Strukturen der Kniekehle (2)
112 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Zurichtung des Knochens:


Unter Beachtung der Planung und der Operationsanleitung
des verwendeten Prothesensystems werden die Sägelehren jus-
tiert und befestigt und die Enden von Femur und Tibia pas-
send zur Aufnahme der Prothesenkomponenten zurechtgesägt
(⊡ Abb. 5.25). Die Ausrichtung erfolgt üblicherweise über einen
sog. Markraumstab im Femur und einen externen Stab parallel
zur Achse der Tibia vom Sprunggelenk bis zum Kniegelenk.
An den Ausrichtkanälen werden Schnittblöcke so orientiert,
dass sie eine Knochenresektion senkrecht zu den mechanischen
Achsen und von der gewünschten Dicke, entsprechend der ge-
planten Dicke der Prothesenkomponenten, erlauben. Der Block
5 kann nur als Auflagefläche dienen oder das Sägeblatt in einem
Schlitz führen. Eine prinzipiell andere Möglichkeit ist die Ver-
wendung von Navigationsgeräten.
Bei Verwenden von Sägeblöcken kann es zu aggressiven
Sägefehlern mit Wegnahme von zuviel Knochensubstanz
kommen, falls das Sägeblatt dem Block nicht plan aufliegt
(⊡ Abb. 5.26). Die Führung des Sägeblattes in Schlitzen löst die-
ses Problem. Die voluminöseren Schlitzblöcke erschweren aber
die Sicht auf den Knochen.
Die Zurichtung des Knochens zur Aufnahme der Pro-
thesenteile erfordert bei nahezu allen Systemen am Femur
5 Sägeschnitte und jeweils einen Schnitt an Tibia und Pa-
tella (⊡ Abb. 5.27). Für die Schnitte 2–5 muss die Sägelehre
⊡ Abb. 5.25. Ausrichtung der Sägelehren. Distaler Sägeschnitt am Fe-
mur und Sägeschnitt am Tibiakopf. Das Sägeblatt wird im Schlitz einer
in der richtigen Rotationsposition ausgerichtet werden. Beim
Sägelehre geführt. Die Ausrichtung der Sägelehren erfolgt entweder Sägevorgang am Femur müssen die Kollateralbänder durch
durch einen in den Markraum gesteckten Stab (Femur) oder einen ex- Retraktoren geschützt werden. Beim Sägeschnitt an der proxi-
tern parallel zur Knochenachse ausgerichteten Stab (Tibia) malen Tibia muss das hintere Kreuzband durch einen spitzen
Hohmann-Retraktor nach dorsal abgedrängt und ebenfalls ge-
schützt werden.

⊡ Abb. 5.26. Aggressiver Säge-


fehler bei Verwendung eines
Auflageblocks für die Säge.
Der tatsächliche Sägeverlauf
weicht von der gewünschten
Richtung (gestrichelt) ab

⊡ Abb. 5.27. Zurichtung des


Knochens zur Aufnahme der
Prothesenteile. Die üblichen
Sägeschnitte an Femur, Tibia
und Patella zur Anpassung des
Knochens an die Prothesen-
rückfläche. Am Femur sind 5
Schnitte in der angegebenen
Reihenfolge nötig
5.6 · Bikondyläre Prothese und Totalprothese
113 5
Schwierigste Aufgabe ist die korrekte Ausrichtung der Ro-
tation der Femurkomponente (⊡ Abb. 5.28). Die transepikon-
dyläre Achse (a) ist die beste Näherung der momentanen Knie-
beugeachsen. An ihr soll die Rotation der Femurkomponente
ausgerichtet werden. Die anterior-posteriore Femurachse oder
Whiteside-Linie (b) verbindet den tiefsten Punkt der Trochlea
und die Mitte der Fossa interkondylica und verläuft senkrecht
zu a. Die hintere Kondylentangente bildet zu a einen Winkel
von normalerweise 3°.
⊡ Abb. 5.28. Hilfslinien zur korrekten Ausrichtung der Rotation der
Auch bei der Tibiakomponente ist die Ausrichtung der
Femurkomponente. a transepikondyläre Achse; b anterior-posteriore
Rotation wichtig. Die Tibiaplatte soll einerseits groß genug Achse (stets senkrecht zu a); c hintere Kondylentangente, R Rotations-
sein, um auf dem kortikalen Rand aufsitzen zu können. Sie soll winkel der Sägelehre in Relation zur Kondylentrangente. Die Sägelehre
andererseits so rotiert werden, dass die Patella in die Trochlea und damit die Resektionsebene sind parallel zu a auszurichten
zentriert wird (⊡ Abb. 5.29). Links ist die Tibiakomponente auf
das mediale Drittel der Tuberositas zentriert (z Projektion der
Zentralachse auf den Tibiaschaft). Rechts ist die Tibiakompo-
nente zu stark nach innen rotiert; a markiert den Rotationsfeh-
ler. Um diese Strecke steht die Tuberositas zu weit lateral. Dar-
aus ergibt sich ein größerer und somit ungünstigerer Q-Winkel
mit schlechter Patellaführung.
Nach dem Sägen wird die Beinachse durch Aufeinander-
stellen der Sägeflächen von Femur und Tibia überprüft. An-
schließend wird durch Zug am Unterschenkel mit maximaler
Distraktion der Sägeflächen die Form des Streckspaltes über-
prüft (⊡ Abb. 5.30). Er sollte rechteckig, nicht trapezförmig sein,
und die Breite des Spaltes zwischen den Resektionsflächen muss
medial und lateral gleich groß sein. Da die Prüfung von Streck-
und Beugespalt von großer Wichtigkeit für eine gleichmäßige
Bandspannung während der Kniebewegungen ist, bieten ver-
schiedene Hersteller hierfür Hilfsinstrumente an. Bei trapezför-
migem Streckspalt erfolgt auf der engeren Seite ein »Release«
des Kapselbandapparates und damit eine Verlängerung und
letztendlich die Herstellung eines rechteckigen Streckspaltes.
> Achtung 1. Assistent
Die Sägeflächen an Femur und Tibia sind spongiös und des- ⊡ Abb. 5.29. Positionierung und Ausrichtung der Rotation der Tibia-
halb weich und eindrückbar. Bei Manipulation des Kniegelen- komponente. Die Tibiakomponente ist links korrekt rotiert, rechts nach
kes nach dem Sägen sind diese Flächen deshalb auf Distanz innen fehlrotiert. Z Projektion der zentralen Markraumachse auf die Tibia-
vorderfläche; a Rotationsabweichung der Tibiakomponente nach medial
zu halten.

> Achtung
Weniger das korrekte Zurechtsägen von Femur, Tibia und
Patella als vielmehr der wohldosierte Weichteilrelease ist die
technische Hürde der Operation. Die kontrakten Weichteile
müssen zwar verlängert werden, dürfen aber dabei ihre Kon-
tinuität nicht verlieren.

⊡ Abb. 5.30. Streckspalt (links) und Beugespalt (rechts) nach Kno-


chenresektion. Idealerweise sind mediale und laterale Hälfte des Streck-
spaltes gleich groß und die Weite des Streckspalltes ist wiederum eben-
sogroß wie die Weite des Beugespaltes
114 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Danach wird auf 90° gebeugt und der Beugespalt überprüft. Nachbehandlung
Er sollte abhängig von der verwendeten Prothesenform gleich ▬ Lagerung anfänglich in Streckung
breit oder etwas breiter als der Streckspalt sein. Bei Achsen- ▬ Zunehmende Belastung des operierten Beines mit Wieder-
fehlstellung über 20° in der Frontalebene oder einer Streck- erlangung der muskulären Kontrolle. Nach 1 Woche sollten
hemmungen von mehr als 20° ist es häufig nicht möglich, das 90° Beugefähigkeit erreicht sein.
hintere Kreuzband zu erhalten und gleichzeitig Symmetrie von ▬ Laborkontrolle: Hb und CRP mehrfach postoperativ bis zur
Streck- und Beugespalt zu erzielen. Dann wird das hintere Normalisierung der CRP
Kreuzband entfernt und eine posterior stabilisierte Prothese ▬ Ziehen der Drains bei weniger als 30 ml Fördermenge pro
(PS-Prothese), die einen höheren Grad der Kopplung zwischen Tag, spätestens jedoch am 2. postoperativen Tag
Femur- und Tibiateil aufweist, eingebaut. Sind alle Bänder zer- ▬ Postoperative Röntgenkontrolle des Kniegelenks in 2 Ebe-
stört oder besteht eine extreme Kniefehlstellung ist anstelle der nen, am besten noch im Operationssaal
Gleitflächenersatzprothese (ungekoppelt oder teilgekoppelt)
5 die Totalendoprothese (gekoppelte Prothese) erforderlich, die Im Laufe der Nachbehandlung ist eine stationäre Rehabilitation
durch einen Gelenkmechanismus zwischen den Prothesenkom- zur Wiedererlangung der Gehfähigkeit üblich.
ponenten die tibiofemorale Stabilität auch ohne Bänder und
Kapsel gewährleistet

Einbau: Bei einem Probelauf mit den Probekomponenten


Überprüfung von Bewegungsumfang (Ziel: 0–0–130°), Stabi-
lität und Lauf der Patella (Ziel: beim Beugen und Strecken ist
die Patella in der Trochlea zentriert, ohne dass sie seitlich vom
Operateur geführt werden muss: »no thumbs rule«). Danach
Abnahme der Probekomponenten, Reinigung der spongiösen
Knochenoberflächen mit der pulsierenden Lavage und Einze-
mentieren der Prothesenkomponenten mit hochviskösem, an-
tibiotikahaltigem Knochenzement. Alternativ zementfreie Im-
plantation bei entsprechend gestalteten Prothesenrückflächen.
An der Tibiakomponente sollte bei zementfreiem Implantat
eine Hydroxylapatitbeschichtung für den sicheren Knochen-
einbau sorgen. Axiale Kompression des Gelenkes in Streckung
während der Aushärtephase des Zements. Öffnen der Blut-
sperre und Blutstillung. Abtragen der Zementüberstände.
> Achtung 1. Assistent
Beim Abtragen der Zementüberstände werden leicht Ze-
mentpartikel in der Kniehöhle zurückgelassen. Damit entsteht
später ein »Drittkörperproblem« mit vermehrtem Abrieb des
Polyäthylens. Der Assistent sollte mit dafür sorgen, dass alle
Partikel entfernt werden.

Wundverschluss: Beim Wundverschluss wird auf eine Naht


der oft entzündlich veränderten oder nur noch in Resten vor-
handenen Synovialmembran verzichtet und die Periostschicht/
Gelenkkapselschicht zuerst verschlossen. Dann folgen Subku-
tan- und Hautverschluss. Der Gelenkraum sollte drainiert wer-
den. Üblich sind Redonddrainagen von 10 Charr. als Überlauf-
drain oder mit Sog. War es erforderlich einen Hautlappen zu
entwickeln, ist auch eine Subkutandrainage zu empfehlen.

Postoperative Probleme
▬ Wundheilungsstörung, besonders bei vorbestehenden Nar-
ben am Knie
▬ Infektion, besonders bei postoperativer Hämatombildung
und/oder verlängerter Wundsekretion
▬ Lockerung der Verankerung am Knochen
▬ Verschleiß des Polyäthylens
5.7 · Monokondyläre Knieprothese
115 5
5.7 Monokondyläre Knieprothese beugbar sein. A.p. und streng seitliche Aufnahme sowie Patel-
latangentialaufnahme sind zur Planung der Knochenresektion
Indikation und der Prothesengröße sowie zur objektiven Beurteilung des
Die isolierte Varusgonarthrose ist die häufigste Indikation für Patellofemoralgelenks erforderlich. Werden zur Ausrichtung
die monokondyläre Knieprothese (Schlittenprothese, Mono- der Sägelehre die Achsen von Femur und Tibia benutzt, ist
schlitten). Bei Fehlen des vorderen Kreuzbandes, bei entzündli- eine Beinganzaufnahme a.p. nötig. Im Varus- und Valgussinne
chen Gelenkerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis und gehaltene a.p. Aufnahmen sichern die Indikation: Während
bei erheblichem Übergewicht (BMI >30) ist der Monoschlitten die geschädigte Gelenkhälfte unter Kompression keinen oder
nicht indiziert. Die valgisierende Umstellungsosteotomie des nur noch einen Restgelenkspalt aufweist, bleibt die intakte
Tibiakopfes und die mediale monokondyläre Schlittenprothese Hälfte unter Kompression unverändert. Die Unversehrtheit der
werden beide zur Behandlung der medialen femorotibialen anderen Gelenkhälfte ist die wichtigste Voraussetzung für ein
Arthrose eingesetzt. Für Patienten, die älter als 60 Jahre sind, gutes und dauerhaftes Resultat. Der Zustand von Meniskus und
wird der Monoschlitten bevorzugt. Prothesen werden mit be- Gelenkknorpel in der intakten Gelenkhälfte sowie des Knorpels
weglichem und und mit fixiertem PE-Teil angeboten. Beide im Patellofemoralgelenk sollte präoperativ durch ein qualitativ
Designvarianten weisen Vor- und Nachteile auf. hochwertiges Kernspintomogramm beurteilt werden, falls kein
aktueller Arthroskopiebefund vorliegt.

Operationsprinzip Aufklärung
Die Gelenkflächen einer Tibiaplateauhälfte und des gegen- ▬ Infektion, Lockerung, Polyäthylenverschleiß.
überliegenden Femurkondylus werden ersetzt. Voraussetzung ▬ Zeigt sich intraoperativ ein unerwarteter Schaden in der
ist eine intakte andere Hälfte des femorotibialen Gelenks, ein »intakten« Gelenkhälfte, sollte der Operateur auf ein bikon-
asymptomatisches Patellofemoralgelenk und unversehrte Bän- dyläres Knie umsteigen. Diese Möglichkeit muss mit dem
der. Während das vordere Kreuzband beim Einbau der bikon- Patienten präoperativ erörtert werden.
dylären Prothese reseziert wird, ist seine Präsenz für ein ein- ▬ Eine Prothesenstandzeit von 10 Jahren kann in 85–95% der
wandfreies Funktionieren der monokondylären Prothese erfor- Fälle erwartet werden.
derlich. Kinematik und Bewegungsumfang eines Kniegelenks ▬ Der Verschleiß der gesunden Gelenkhälfte und/oder des
mit monokondylärer Prothese sind nahezu physiologisch. Die Patellofemoralgelenks kann zusätzlich zu den prothesenbe-
Ausrichtung der Prothesenkomponenten folgt einem anderen dingten Problemen die Reoperation erfordern. Dann ist der
Prinzip als bei der bikondylären Prothese: Die Tibiakompo- Wechsel auf eine bikondyläre Prothese angezeigt.
nente muss in der Frontal- und in der Sagittalebene parallel zur
unbeschädigten Gelenkhälfte orientiert werden. Die Femur-
komponente wird sowohl in Streckung als auch in 90°-Beugung
parallel zur Tibiakomponente ausgerichtet. Eine Korrektur von
Achsenfehlstellungen ist nur insoweit möglich, wie diese auf
Substanzverluste in der arthrotischen Gelenkhälfte zurückge-
hen, also bei der medialseitigen Arthrose eine Varusposition
oder bei der lateralseitigen Arthrose eine Valgusposition be-
stehen. Nach Einbau sollte die Belastungsachse des Beines im
Sinne einer Unterkorrektur leicht zur prothesenversorgten Ge-
lenkhälfte verschoben bleiben. Auf diese Weise wird die nicht
prothesenversorgte Hälfte entlastet und damit einer frühzei-
tigen Degeneration vorgebeugt. Dem Standardoperationsver-
fahren mit guter Übersicht-, aber größerer Operationswunde
stehen minimalinvasive Methoden mit kleinerer Inzision, aber
reduzierter Übersicht gegenüber.

Operationsvorbereitung:
Diagnostik und Planung
Bei der klinischen Untersuchung gilt der Bandstabilität und
dem Bewegungsumfang besonderes Interesse. Intakte Kreuz-
bänder und stabile Kollateralbänder sind erforderlich. Bei er-
heblicher Schädigung von Knorpel und Knochen kann eine
Defektinstabilität resultieren, die durch den Einbau des Mono-
schlittens beseitigt wird. In diesem Fall lässt sich die O-Bein-
oder X-Beinfehlstellung bei der Kollateralbandprüfung manuell
korrigieren. Das Knie sollte voll streckbar und mindestens 130°
116 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationssaal
Lagerung
 Kap. 5.8

Operationstechnik
Zugang: Der Standardzugang ist sowohl für den medialen
als auch für den lateralen Monoschlitten medial parapatellar
mit medianem Hautschnitt (⊡ Abb. 5.31). Für den Einbau eines
medialen Schlittens wird die Patella nach lateral verschoben;
für den lateralen Schlitten muss sie zusätzlich evertiert werden.
Verwendung spezieller Retraktoren und intraoperative Bild-
wandlerkontrolle oder Navigation erlauben kürzere Zugänge
5 mit begrenzter Übersicht.
Falls keine Arthroskopie vorausging erfolgt nach der Ge-
lenkeröffnung die Inspektion und Palpation des Gelenkraumes.
Zur Beurteilung der lateralen Gelenkhälfte (medialer Mono-
schlitten) wird das Knie in die Viererposition gebracht, der
Hoffa-Kniefettkörper mit einem schmalen, langen Langenbeck-
Retraktor nach anterolateral weggehalten und das Operations-
licht in die Wunde gerichtet (⊡ Abb. 5.32). Gelenkknorpel und
Meniskus werden inspektorisch und mit dem Tasthaken be-
urteilt. Bei Verwendung der Zugänge b oder c (⊡ Abb. 5.31) ist
dieser Schritt durch die vorgängige Arthroskopie zu ersetzen.

⊡ Abb. 5.31. Zugänge für die monokondyläre Knieprothese. a Stan-


dardzugang; b kurzer medialer Zugang; c kurzer lateraler Zugang. Durch-
gezogene Linie: Hautschnitt; gestrichelte Linie: Faszienschnitt

⊡ Abb. 5.32. Viererposition zur Beurteilung der lateralen Gelenkhälf-


ten bei medialer Inzision. Mithilfe eines Langenbeck-Hakens wird der
Hoffa-Kniefettkörper retrahiert und der laterale Gelenkspalt lässt sich
einsehen (Insert)
5.7 · Monokondyläre Knieprothese
117 5
Die Sägelehre für die tibiale Knochenresektion wird unter
BV-Kontrolle und mit Hilfe eines Ausrichtestabs am Tibiakopf
orientiert und befestigt (⊡ Abb. 5.33). Der Ausrichtestab dient
zusätzlich der korrekten Einstellung in der Sagittalebene, also
der Neigung des Sägeschnitts nach dorsal (Slope).
! Im Gegensatz zur bikondylären Prothese ist beim Monoschlit-
ten allein die Gelenkfläche der intakten Hälfte des Tibiakopfes
entscheidend für die Ausrichtung der Sägelehre. t und S1
müssen parallel sein. Bei einem Achsenfehler der Tibia gibt der
Ausrichtestab bei Zentrierung auf Kniemitte und Sprunggelenk-
mitte für das Plateau die falsche Richtung in der Frontalebene
an (⊡ Abb. 5.33, Insert).

Mit der oszillierenden Säge (S1) und Stichsäge (S2) wird das
Tibiaplateau reseziert.
> Achtung 1. Assistent
Für die Resektion muss das Innenband durch einen Haken
auf Höhe des Sägeschnittes geschützt werden. Dieser Haken
darf nicht verrutschen. Das Knie muss während des Sägevor-
ganges sicher und ruhig fixiert werden, ohne dass dadurch
Druck in der Kniekehle ausgeübt wird, der die neurovaskulä- ⊡ Abb. 5.33. Sägelehre ausgerichtet zur medialseitigen tibialen Re-
ren Strukturen nach ventral gelenkwärts in die Gefahrenzone sektion (Röntgenkontrolle). t Tangente an die Oberfläche des Gelenk-
brächte (⊡ Abb. 5.34). Der Abstand beträgt – unabhängig von knorpels des intakten Kompartimentes; g Gerade, die die subchondrale
Sklerosezone annähert, wichtig für die Ausrichtung am Röntgenbild; S1
der Beugestellung – 5–6 mm zwischen hinterer Tibiakante
horizontale Resektionslinie; S2 vertikale Resektionslinie, Sägeschnitt darf
und A. poplitea. vordere Kreuzbandinsertion nicht verletzen; a Resektionshöhe entspre-
chend der Dicke der tibialen Prothesenkomponente (bei den meisten
Systemen beginnend mit 8 mm und bis 16 mm für tiefgreifende Schäden
am Plateau. Das Insert zeigt, dass bei einer Deformität der Tibia die Aus-
richtung der Sägelehre nicht an der mechanischen Tibiaachse, sondern
ausschließlich an der Tangente t erfolgen darf

⊡ Abb. 5.34. Druck in der Kniekehle durch eine Lagerungshilfe oder


durch die Hand des Assistenten muss vermieden werden. Die Aus-
lenkung der Stichsäge nach dorsal ist genau zu kontrollieren, um die
A. poplitea nicht zu gefährden
118 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Die tibiale Sägelehre wird entfernt. Die zu ihrer Befestigung


verwendeten Stifte werden belassen, das tibiale Knochenre-
sektat wird entnommen und seine Form mit der Planzeich-
nung verglichen. Die femorale Sägelehre für den frontalen
Femurschnitt wird auf die Stifte aufgesteckt (⊡ Abb. 5.35). Dies
erlaubt einen zur tibialen Resektionsfläche parallelen femoralen
Schnitt. Das Knie muss jedoch vor der Befestigung der Lehre
am Femur manuell in eine Position mit normaler medialer Kol-
lateralbandspannung gebracht werden. Dies bedarf der prakti-
schen Erfahrung und ist theoretisch kaum zu vermitteln.
! Die Festlegung der normalen Spannung des Kapselbandappa-
rates ist bislang nicht objektivierbar. Dieser Handgriff bedarf
5 der Erfahrung des Operateurs.

Nach Befestigung der Sägelehre an beiden Knochen erfolgt der


⊡ Abb. 5.35. Nach Tibiaresektion wird die Sägelehre für den distalen
Sägeschnitt am Femur auf die am Tibiakopf belassenen Stifte ge-
frontale Sägeschnitt am Femur mit langer, schmaler oszillieren-
steckt. Der Sägeschlitz für den Femur (rot) verläuft damit parallel zur der Säge. Dieses Vorgehen erzeugt bei der vorgegebenen Band-
tibialen Resektionsfläche spannung zwangsläufig einen rechteckigen Streckspalt und da-
mit später parallele Prothesenoberflächen in Streckung.
Durch eine zweite femorale Sägelehre wird die Form der
Kondyle an die Form der Auflagefläche der Femurkomponente
angepasst. Dies erfolgt am 90° gebeugten Knie. Die meisten Sys-
teme erreichen die Anpassung durch zwei weitere Sägeschnitte,
S4 und S5 (⊡ Abb. 5.36). Die Positionierung der zweiten Lehre
und damit der Komponente muss so erfolgen, dass auch bei
90°-Beugung die Prothesenkomponenten parallel sind. Damit
darf die Lehre/Prothese nicht der anatomischen Richtung der
Kondyle folgen, sondern muss dorsal medial eingerückt und
ventral an die Kante der Schnittfläche positioniert werden
(⊡ Abb. 5.37). Nach Sägung werden die Probekomponenten auf-
gesetzt und das Knie durchbewegt und beurteilt.

⊡ Abb. 5.36. Durch die Sägeschnitte S4 und S5 wird die Form der Kondyle
der Form der Prothesenrückfläche angepasst. Hellgrau: Femorale Kompo-
nente der Schlittenprothese. Dunkelgrau: Resektion mediales Tibiaplateau

⊡ Abb. 5.37. Ausrichtung der Femurkomponente am 90° gebeugten


Gelenk. Die Prothese darf nicht dem Verlauf der medialen Kondyle fol-
gen, sondern muss senkrecht zur Resektionsfläche der Tibia ausgerichtet
werden. Falsch ausgerichtete Prothese mit dünnem rotem Rand. Korrekt
ausgerichtete Prothese mit kräftigem roten Rand. Die schwarzen Pfeile
zeigen die Korrekturrichtung an
5.7 · Monokondyläre Knieprothese
119 5
Zahlreiche Varianten der hier beschriebenen Operations-
technik sind möglich. Allen gemeinsam ist der Versuch, die
Komponenten der Prothese optimal zu platzieren. Die vier
typischen Fehler beim Monoschlitten gilt es zu vermeiden
(⊡ Abb. 5.38). Es sind die folgenden:
▬ Die Komponenten sind nicht parallel (rasche Abnutzung;
⊡ Abb. 5.38a).
▬ Beim medialen Monoschlitten wurde aus einem O-Bein
ein leichtes X-Bein (das noch intakte laterale Gelenk
wird sich rasch abnutzen und Beschwerden verursachen;
⊡ Abb. 5.38b).
▬ Die Tibianeigung ist zu gering. Die Probekomponente
»schnabelt« bei zu großer Spannung in Flexion ventral auf.
(Die Tibiakomponente wird sich lockern; ⊡ Abb. 5.38c).
▬ Der hintere Kondylenüberstand am Femur wurde nicht
abgetragen (die Beugefähigkeit bleibt gering; ⊡ Abb. 5.38d).

Nach zufriedenstellendem Probelauf, Abnahme der Probekom-


ponenten. Einbau der Originalkomponenten. Vorgehen wie in
 Kap. 5.6 beschrieben.
Wundverschluss: Naht der Synovialmembran, sonst wie in
 Kap. 5.6 beschrieben.

Postoperativ
Probleme
Wie in  Kap. 5.6 beschrieben. Der kleinere operative Zugang,
die geringere Knochenresektion und die weniger ausgeprägte
Gelenkschädigung präoperativ führen dazu, dass sich der Pa-
tient bei geringeren Beschwerden schneller erholt als nach
bikondylärer Prothese. Probleme treten seltener auf.

Nachbehandlung
Wie in  Kap. 5.6 beschrieben. Die 90°-Beugung sollte bereits ⊡ Abb. 5.38a–d. Fehlermöglichkeiten beim Einbau einer medialen mo-
nokondylären Knieprothese. a Tibiale und femorale Komponenten sind
nach 3–4 Tagen erreicht sein. nicht parallel. b Der Prothesenaufbau ist zu hoch. Aus dem O-Bein wird
ein X-Bein. c Der Beugespalt ist dorsal zu eng, da die Dorsalneigung des
Tibiaplateaus nicht berücksichtigt wurde. d Ein Überstand der medialen
Literatur Kondyle (rot) verhindert die tiefe Beugung
Reichel H (2005) Alloarthroplastik. In: Wirth CJ, Zichner L (Hrsg.) Orthopädie
und Orthopädische Chirurgie, Bd. Knie (Hrsg. D. Kohn). Thieme, Stuttgart,
S. 409–434
120 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

5.8 Tibiakopfosteotomie, valgisierend,


aufklappend

Achsenfehlstellungen des Beines im Sinne eines Genu varum


(O-Bein) oder eines Genu valgum (X-Bein) sind durch Ver-
biegung von Tibia oder Femur, asymmetrischen Verlust von
Gelenkknorpel und/oder Menisken, Kollateralband- und Kap-
sellockerung auf der Knieinnen- oder -außenseite oder durch
eine Kombination der genannten Faktoren bedingt. Die Kor-
rektur von Achsenfehlstellungen im Wachstumsalter zählt zu
den anspruchsvollen Operationsverfahren, die von erfahrenen
Fachärzten ausgeführt werden sollten. Im Erwachsenenalter
5 werden Korrekturen der Beinachsen ganz überwiegend vorge-
nommen, um die Hauptbelastung aus einer überlasteten und
beschädigten Kniegelenkhälfte wegzuverlagern. Dabei erfolgt
lediglich eine Korrektur der knöchernen Komponente der De-
formität. Das O-Bein mit medialseitigen Knorpelschäden wird
durch eine valgisierende Osteotomie (Valgisierung), das X-Bein
mit lateralseitigen Knorpelschäden durch eine varisierende Os-
teotomie (Varisierung) behandelt. Die Osteotomie erfolgt in
der Metaphyse des Knochens der den größeren Fehlstellungs-
winkel aufweist (⊡ Abb. 5.39). Die dem Genu varum zugrunde
liegende knöcherne Fehlstellung findet sich überwiegend in der
proximalen Tibia. Das Genu valgum wird zumeist durch eine
Fehlform des distalen Femur verursacht. Die beiden häufigsten
Osteotomien, die Valgisierung des Tibiakopfes und die Varisie-
rung des distalen Femur werden beschrieben.
Durch die valgisierende Osteotomie des Tibiakopfes wird
die mechanische Beinachse (Traglinie) in lateraler Richtung
verlagert und damit die Belastung aus der medialen in die
laterale Hälfte des femorotibialen Gelenks verschoben (siehe
Planung, ⊡ Abb. 5.41). Dies kann entweder durch medialseitiges
Aufspreizen eines Sägeschnittes im Tibiakopf – aufklappende
Osteotomie – oder durch Entnahme eines lateralbasigen Kno-
⊡ Abb. 5.39. Mechanische Achsen und Kniegelenkachse nach Paley chenkeils und Zuklappen des Defektes – zuklappende Osteo-
und Tetsworth. A Kopfmittelpunkt, B Mitte Eminentia intercondylica, C tomie – erfolgen. Das Korrekturergebnis wird stets durch eine
Mitte distale Tibiagelenkfläche; a mechanische Beinachse, g Tangente Osteosynthese gehalten, die eine freie, aktive Bewegung des
an die Femurkondylen, h Tangente an das Tibiaplateau. Links normale
Kniegelenks postoperativ erlaubt.
Achsen (Knochen grau, Achsen schwarz); rechts Genu varum bei De-
formität der proximalen Tibia; Mitte Genu valgum bei Deformität des
distalen Femur. Die deformierten Knochenabschnitte sind rot hinterlegt.
Die pathologischen mechanischen Beinachsen sind rot, die anatomisch Indikation
korrekten Beinachsen sind schwarz gezeichnet Beginnende bis mäßiggradige, medialseitige Gonarthrose bis
zum Grad 3 (⊡ Tab. 5.2) mit Varusfehlstellung bei intaktem
lateralem, femorotibialem Gelenk. Der Patient klagt über be-
⊡ Tab. 5.2. Röntgenologische Klassifikation des Schweregrades der
lastungsabhängige, medialseitige Knieschmerzen. Das Patien-
Arthrose nach Kellgren u. Lawrence 1963 tenalter sollte weniger als 60 Jahre betragen. Der Eingriff ist
nicht indiziert bei symptomatischer Retropatellararthrose, bei
Schweregrad Röntgenologischer Befund Osteoporose, bei Übergewicht und bei starken Rauchern.
0 Keine Arthrosezeichen

1 Fraglicher Nachweis von Osteophyten Operationsprinzip


2 Sicherer Nachweis von Osteophyten, keine Unvollständige Osteotomie der proximalen Tibia unter Er-
Gelenkspaltverschmälerung halt einer 5–10 mm breiten, lateralen Knochenbrücke. Mediales
3 Mäßige Gelenkspaltverschmälerung Aufspreizen des Sägespaltes bis zum Erreichen der planerisch
vorbestimmten Weite. Intraoperative Kontrolle des Verlaufs der
4 Gelenkspalt erheblich verschmälert bzw. auf- Traglinie unter dem Bildwandler. Osteosynthese. Bei großen
gehoben
Korrekturen mit Klaffen der medialen Tibiakortikalis von mehr
5.8 · Tibiakopfosteotomie, valgisierend, aufklappend
121 5
als 10–12 mm autologe Spongiosatransplantation vom Becken- Erster Schritt bei der Planung einer aufklappenden, valgisie-
kamm. Der Wert zusätzlicher Maßnahmen zur Reparatur der renden Tibiakopfosteotomie ist die Kontrolle des Gelenkspaltes
Knorpelschäden im medialen Kniekompartiment ist unsicher, (⊡ Abb. 5.40). Konvergieren die Tangenten g und h, ist dieser
bedingt aber eine erhöhte Morbidität des Eingriffs. Deshalb Winkel γ vom vorläufigen Korrekturwinkel β zu subtrahieren,
empfehlen wir solche Zusatzmaßnahmen wie Mikrofrakturie- da sich g und h nach Valgisierung unter Belastung parallel
rung, Knorpel- oder Meniskusersatz nicht. Allerdings müssen einstellen werden. Die vor einer Osteotomie erforderliche kons-
freie Körper, Meniskusfragmente oder Lappen des hyalinen truktionszeichnung zeigt ⊡ Abb. 5.41.
Knorpels, die durch Einklemmung zu Gelenkblockaden führen
können (sog. mechanisch wirksame Läsionen) arthroskopisch
entfernt werden.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Beim Aufklärungsgespräch ist die Indikation zur Osteo-
tomie gegen die zur monokondylären Schlittenprothese
( Kap. 5.7) abzugrenzen.
▬ Vollbelastung im Alltag nach etwa 8 Wochen möglich.
▬ Durchbau der Osteotomie dauert je nach Aufklappwinkel ⊡ Abb. 5.40. Beurteilung des Gelenkspaltes am a.p. Röntgenbild unter
bis zu 18 Monate. Belastung. Bezeichnung der Tangenten wie auf ⊡ Abb. 5.39. Bei ein-
▬ Metallentfernung nach Durchbau, falls die Implantate als seitigen Gelenkschäden konvergieren die Tangenten und bilden einen
störend empfunden werden. Winkel γ
▬ Zwar ist von einer Besserung der präoperativen Kniebe-
schwerden und der Funktion auszugehen, aber in vielen
Fällen verbleiben leichte Restbeschwerden auch nach Aus-
heilung der Osteotomie.
▬ Bei großen Korrekturwinkeln Notwendigkeit zur Trans-
plantation autologer Beckenkammspongiosa.
▬ Hämatombildung durch Blutung aus den Osteotomieflä-
chen
▬ Verzögerter Durchbau der Osteotomie und Notwendigkeit
zur Reoperation mit Spongiosaplastik

Diagnostik und Planung


Dem Bewegungsumfang und der Angabe von Schmerzen aus-
schließlich im medialen Kompartiment, spontan und beim pas-
siven Durchbewegen unter Kompression gelten das besondere
Interesse des Untersuchers: Die Beweglichkeit muss noch min-
destens 0–5–120° betragen. Das mediale Kollateralband sollte
stabil sein. Dagegen stellt ein fehlendes vorderes Kreuzband
keine Gegenindikation dar: Instabilitätssymptome bei vorde-
rer Knieinstabilität sind nach valgisierender Osteotomie häufig
gebessert. Bei Persistenz kann sekundär eine Kreuzbandplastik
erfolgen.
Wichtigstes Röntgenbild ist die Beinganzaufnahme a.p. im
Stehen (⊡ Abb. 5.39). Sie bildet die Grundlage zur Planung der
Korrektur. Seitliche Aufnahme in maximaler Kniestreckung
und Patellatangentialaufnahme zeigen die Position der bei der
Osteotomie zu schonenden Tuberositas tibiae sowie der Patella.
Bei Patellatiefstand darf die Operation nicht in der beschrie-
benen Weise erfolgen, da der Tiefstand sonst verschlimmert ⊡ Abb. 5.41. Konstruktionszeichnung. Strecke AC = a aktuelle mecha-
würde. Der Zustand von Meniskus und Gelenkknorpel im nische Achse oder Traglinie, Strecke AC’ = b geplante Traglinie durch den
lateralen femorotibialen Gelenk sollte präoperativ durch ein lateralen Eminentiahöcker, C’ geplante Mitte distale Tibiagelenkfläche, D
Drehpunkt der Osteotomie, Winkel C’DC vorläufiger Korrekturwinkel β.
qualitativ hochwertiges Kernspintomogramm oder arthrosko-
Korrekturwinkel α=β–γ. Gerade o Osteotomie, Gerade o’ distale Osteoto-
pisch beurteilt werden. Die Planung (⊡ Abb. 5.41) ist mit einem miefläche nach dem Aufklappen, l projizierte Breite des Osteotomiespal-
Zeitaufwand von etwa 10 min verbunden und folgt einfachen tes; bei üblicher Vergrößerung des Röntgenbildes entspricht l 110% der
Gesetzen der ebenen Geometrie. tatsächlichen intraoperativ messbaren Höhe
122 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage. Gesäß auf der Operationsseite so unterlegt, dass
die Kniescheibe zur Decke zeigt. Durchleuchtungsmöglichkeit
für Hüft-, Knie- und Sprunggelenk. Unsteriles Durchleuchten
und Markierung des Hüftkopfmittelpunktes auf der Haut mit-
tels EKG-Elektrode, die später durch die Abdeckungstücher
hindurch tastbar sein muss. Oberschenkelblutsperre angelegt,
aber nicht aufgeblasen. Knie- und Hüftgelenk frei beweglich.
Am 90° gebeugten Kniegelenk erfolgt der Hautschnitt
(⊡ Abb. 5.42, gestrichelt). Er beginnt 1 cm unterhalb des Ge-
lenkspaltes über dem dorsomedialen Tibiakopf, verläuft schräg
5 nach distal zur Tuberositas, schwingt nach distal um und
verläuft weiter 1 cm dorsal der vorderen Tibiakante auf 4 cm
Länge nach distal. Innenband, R. infrapatellaris/N. sapheni und
Pes anserinus werden geschont. Die Retinakulumschicht wird
⊡ Abb. 5.42. Hautschnitt (gestrichelte Linie) und Inzision des Periostes durch Bildung kleiner subkutaner Lappen von der Vorderkante
(gepunktete Linie) zur valgisierenden, aufklappenden Tibiakopfos- des Innenbandes bis zur medialen Kante des Lig. patellae und
teotomie nach distal je nach Größe des geplanten Implantates dargestellt.
Dann erfolgt die Eröffnung der Bursa infrapatellaris und die
Inzision des Periosts (⊡ Abb. 5.42, gepunktete Linie).

⊡ Abb. 5.43. Darstellung der Bursa infrapatellaris und des Patellaseh-


nenansatzes (Langenbeck-Haken) sowie subperiostale Freilegung der
Tibia im Osteotomiebereich mit dem stirnschneidenden Raspatorium
5.8 · Tibiakopfosteotomie, valgisierend, aufklappend
123 5
Ein kleiner Langenbeck-Haken wird in die Bursa infrapa-
tellaris gesetzt (⊡ Abb. 5.43). Mit dem stirnschneidenden Ras-
patorium wird das geplante Osteotomieareal subperiostal durch
Abschieben eines Periostlappens nach dorsal und kaudal darge-
stellt. Dabei wird schließlich unter dem Innenband die mediale
hintere Tibiakante erreicht, was am besten in maximaler Knie-
beugung gelingt. Bei kontraktem Innenband ist es erforderlich,
dasselbe nach distal teilweise von der Tibia zu lösen, was mit
dem stirnschneidenden Raspatorium erfolgt. Schließlich wird
ein kleiner spitzer Hohmann-Retraktor um die Tibiahinter-
kante geschoben. Das Knochenareal für die Osteotomie ist
damit freigelegt (⊡ Abb. 5.44).
Unter Bildwandlerkontrolle und bei exakter a.p. Einstel-
lung des Gelenks werden 2 Bohrdrähte als Leitschiene für die
Säge im Osteotomieverlauf vorgebohrt (⊡ Abb. 5.44). Sie durch-
brechen die laterale Kortikalis (Insert). Die Osteotomie soll
10 mm, in hartem Knochen 5 mm kürzer sein als das längere, ⊡ Abb. 5.44. Osteotomie. Geplanter Osteotomieverlauf rot eingezeich-
im Knochen liegende Stück der beiden Drähte. Die Osteotomie net. Die oszillierende Säge wird von distal an 2 parallele Bohrdrähte
muss ansteigend mit Zielpunkt oberes Drittel des proximalen angelegt und damit die mediolaterale Osteotomie geführt. Die Drähte
wurden unter a.p. Bildwandlerkontrolle vorgelegt (Insert)
Tibiofibulargelenks verlaufen. Nachdem die Drähte platziert
sind, wird die Tiefe der Osteotomie auf dem Sägeblatt an-
gezeichnet, der Bildverstärker zurückgefahren, das Knie 90°
gebeugt und die Osteotomie mit der Säge durchgeführt. Dabei
muss mit geringer Geschwindigkeit und unter permanenter
Kühlung gesägt werden. Die hintere Kortikalis wird dabei vor-
sichtig in »Schlagsägetechnik« durchtrennt.
! Das Durchtrennen der dorsalen Kortikalis ist nur für den ge-
übten Operateur mit einer Technik, die der Schlagbohrtechnik
beim Anlegen von Schraubenlöchern im Knochen entlehnt ist
und bei präzisem Gefühl für den Ausschlag der Säge mit der
nötigen Sicherheit durchführbar. Ein Abschieben und damit
Schutz der dorsalen Weichteile wäre mit einem erheblich grö-
ßeren Zugang und damit auch mit einem größeren Trauma
verbunden. Allerdings muss diese Sägetechnik zunächst am
Kunststoffmodell und danach am Präparat erlernt werden.

Der Osteotomiespalt wird nun durch sukzessives Einschlagen


von Osteotomen aufgedehnt. Dazu werden am besten spezielle
Osteotome mit Längenkalibrierung und einseitig verbreitertem
Ende verwendet. Begonnen wird mit 25 mm breiten Instru-
menten. Zwischen die ersten beiden Osteotome werden weitere
eingeschlagen, die den Osteotomiespalt mehr und mehr drei-
ecksförmig aufspreizen. Sobald die mediale Kortikalis auf der
geplanten Höhe l (⊡ Abb. 5.41) klafft, wird dorsal der Osteotome
⊡ Abb. 5.45. Aufspreizen der Osteotomie. Zuerst mit Osteotomen –
ein Osteotomiespreizer zwischen die dorsomedialen Ecken der hier wurden 5 Osteotome eingeschlagen, die Zahlen nennen die Reihen-
Osteotomieflächen gesetzt. Er wird soweit gespreizt, bis sich die folge, in der sie eingesetzt wurden. Danach wird der Osteotomiespreizer
Osteotome leicht aus dem Spalt entnehmen lassen. eingesetzt und die Osteotome können entfernt werden
124 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Mittels Durchleuchtungskontrolle wird das – röntgendichte


– Diathermiekabel zwischen Sprunggelenkmitte und Hüftkopf-
mitte ausgespannt und seine Lage auf dem a.p. Durchleuch-
tungsbild in Kniehöhe überprüft (⊡ Abb. 5.46). Die Position des
Kabels sollte der geplanten Traglinie entsprechen und durch
den lateralen Eminentiahöcker verlaufen. Ist dies nicht der Fall,
kann die Weite der medialen Kortikalislücke mit Hilfe des Os-
teotomiespreizers nachkorrigiert werden.
Die erzielte Korrekturstellung wird durch Anschrauben ei-
nes winkelstabilen Plattenfixateurs gesichert (⊡ Abb. 5.47). Der
Osteotomiespreizer wird entfernt. Bei Korrekturen >10–12 mm
erfolgt eine Auffüllung der klaffenden Osteotomie mit autolo-
5 ger Beckenkammspongiosa. Bei kleineren Korrekturwinkeln
füllt sich der Spalt innerhalb von 12–18 Monaten spontan mit
Knochen.
Der Wundverschluss erfolgt durch Reposition des Periost-
lappens unter den Plattenfixateur, Subkutannaht und Haut-
naht.
! Der Wundverschluss duldet bei subkutan liegenden Implan-
taten keinerlei technische Fehler. Die Haut darf weder mit Pin-
zetten gequetscht noch durch zu enge Nähte stranguliert wer-
den. Trotzdem muss der Verschluss »wasserdicht« sein. Solches
gilt prinzipiell für jedweden Wundverschluss, wobei jedoch bei
diesem Eingriff Fehler unmittelbar zu weiteren Problemen und
schließlich zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen.

Nachbehandlung
Beginn mit Bewegungsübungen und 20 kg Teilbelastung am
⊡ Abb. 5.46. Röntgenologische Kontrolle der Traglinie nach Osteoto-
mie und Halten der Breite des Osteotomiespaltes mit dem Spreizer.
1. postoperativen Tag. Nach 6 Wochen Röntgenkontrolle. Bei
Bei korrekter Weite des Osteotomiespaltes verläuft die Projektion des unveränderter Position von tibialem Knochen und Implantat
röntgendichten Diathermiekabels über der Mitte von Hüftkopf und obe- im Vergleich zur postoperativen Aufnahme, darf beschwer-
rem Sprunggelenk sowie etwas lateral der Kniegelenkmitte deabhängig aufbelastet werden. Volle sportliche Belastung ist
allerdings erst nach Durchbau des Osteotomiespaltes zu emp-
fehlen.

Probleme
Bei Aufklappwinkeln >8° kommt es meist zum Bruch der
lateralen Kortikalisbrücke. Implantate mit winkelstabiler Plat-
ten-Schrauben-Verbindung erlauben auch in diesem Fall eine
stabile Osteosynthese. Nachblutungen aus den größeren spon-
giösen Knochenoberflächen führen möglicherweise zu großen
revisionsbedürftigen Hämatomen in den Weichteilen der Wade.
Arbeiten ohne Blutsperre, Abdecken des medialseitigen Korti-
kalisdefekts mit hämostiptischem Kollagenvlies und Einlegen
einer Überlaufdrainage werden als prophylaktische Maßnah-
men empfohlen.

Literatur
Lobenhoffer P, Agneskircher JD, Galla M (2007) Kniegelenknahe Osteotomien.
Thieme, Stuttgart, 2007
Paley D, Tetsworth K (1992) Mechanical axis deviation of the lower limbs –
preoperative planning of uniapical angular deformities of the tibia or the
femur. Clin Orthop 280:48–64
⊡ Abb. 5.47. Stabilisierung der Osteotomie durch einen winkelstabi-
len Plattenfixateur. Die Länge des Implantates garantiert auch in der
sagittalen Ebene eine einwandfreie Stabilität
5.9 · Suprakondyläre Femurosteotomie, varisierend
125 5
5.9 Suprakondyläre Femurosteotomie, varisierend Größe und Lage des Resektionskeiles werden genau vorgeplant.
Der Grundriss des Keiles entspricht einem gleichschenkligen,
Indikation spitzwinkligen Dreieck, dessen Spitze auf den Epikondylus
Beginnende bis mäßige laterale femorotibiale Arthrose (Grad femoris lateralis zeigt. Eine 6-Loch-AO-Halbrohrplatte wird
III,  Kap. 5.8) im mittleren Lebensalter bei Genu valgum mit am Femurmodell unsteril vorgeformt. Eine Plattenhälfte wird
Lokalisation der Fehlstellung im distalen Femur. mit dem Hammer flach geklopft. Dies ist die »Plattenklinge«.
Schweres, kosmetisch entstellendes Genu valgum nach Ab- Durch das 3. Loch wird die Platte rechtwinklig gebogen und
schluss des Knochenwachstums mit Lokalisation der Fehlstel- dann die Kontur des gewölbten Teils der des distalen medialen
lung am distalen Femur. Femur am Modell eines normalen Femur angepasst. Intraope-
Der Eingriff sollte nicht bei symptomatischer Retropatel- rativ sind auf diese Weise nur noch kleine Korrekturen der
lararthrose, Schäden im medialen tibiofemoralen Gelenk, Os- Plattenform nötig. Das so vorbereitete Implantat wird verpackt
teoporose, starken Rauchern und einem Lebensalter über 60 und sterilisiert.
Jahren durchgeführt werden.

Operationsprinzip
Entnahme eines schrägen, medialbasigen kortikospongiösen
Keiles aus der distalen Femurmetaphyse unter Erhalt einer la-
teralen Knochenbrücke von 5 mm Breite. Approximierung der
Knochenflächen und Kompressionsosteosynthese mit Halb-
rohr-Klingenplatte und 1–2 Zugschrauben.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Verzögerte Knochenheilung mit Notwendigkeit einer Reos-
teosynthese und autologer Spongiosaplastik
▬ Besserung aber in vielen Fällen keine Beseitigung der vor-
bestehenden Arthrosebeschwerden
▬ Letztendlich Fortschreiten der Arthrose mit Beteiligung
auch der medialen und retropatellaren Gelenkanteile nach
5–10 Jahren
▬ Metallentfernung nach 1–2 Jahren, falls das Material als
störend empfunden wird
▬ Teilbelastung und abnehmbarer Tutor für 8 Wochen

Diagnostik und Planung


Für den Arthrosepatienten gilt bei der klinischen Untersu-
chung das für die Tibiakopfosteotomie beschriebene Vorgehen
( Kap. 5.8), allerdings mit Schmerzangabe bei Kompression der
lateralen Gelenkseite. Die Planung wird analog zu der bei Ti-
biakopfosteotomie vorgenommen ( Kap. 5.8). Der Drehpunkt
für die Korrektur entspricht der lateralen Knochenbrücke, die
Traglinie wird beim Arthrosepatienten so eingestellt, dass sie
durch den medialen Eminentiahöcker verläuft; bei der X-Bein-
Korrektur des jungen Erwachsenen soll sie dagegen exakt das
Kniezentrum treffen.
! Während bei der valgisierenden Umstellungsosteotomie des
Tibiakopfes eine Überkorrektur mit Verlagerung der Traglinie in
die laterale Gelenkhälfte angestrebt wird, gilt dies nicht für die
varisierende Umstellungsosteotomie am distalen Femur. Mit
diesem Eingriff soll der Verlauf der Traglinie normalisiert (X-Bein
des jungen Erwachsenen) oder allenfalls minimal nach medial
verschoben werden (beginnende laterale Gonarthrose). Eine
Überkorrektur im Varussinn führt rasch zur Entstehung einer
medialseitigen Arthrose.
126 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Im Operationssaal
Lagerung
Wie zur Tibiakopfosteotomie, aber ohne Blutsperre.
10 cm langer Hautschnitt an der Oberschenkelinnenseite,
beginnend über dem Epicondylus femoris medialis. Spalten der
Faszie über dem M. vastus medialis im gesamten Hautschnitt-
verlauf (⊡ Abb. 5.48). Stumpfes Abschieben des Muskelbauches
vom Knochen und vom Septum intermusculare mediale nach
ventral. Dabei müssen einige Ästchen der Arteria descendens
genicularis, die von dorsal kommend in den Muskelbauch
ziehen, unterbunden und durchtrennt werden. Ein Hohmann-
Hebel wird frühzeitig knapp oberhalb des Recessus superior
5 des Kniegelenks ventral um das Femur geführt und damit die
medialen und ventralen Anteile der Vastusgruppe angehoben.
Spalten des Periostes im mittleren Drittel des Zuganges parallel
zum Femurverlauf und ausgehend von diesem Schnitt subpe-
riostale Darstellung des Femurs medial, dorsal und ventral im
Bereich der geplanten Osteotomie. Schließlich wird auch dorsal
subperiostal ein Hohmann-Hebel eingesetzt.
Aus röntgendichtem Material, wie z. B. der Verpackungs-
⊡ Abb. 5.48. Subperiostale Freilegung des distalen Femur. Muskel- folie von Fäden, wird ein Dreieck geschnitten, das dem Umriss
bauch des M. vastus medialis angehoben. Kleine von dorsal kommende
des geplanten Keils entspricht. Diese Röntgenschablone wird
Gefäße werden unterbunden. Darstellung eines rechten Beins
auf die Vorderseite des Femur aufgelegt und dann exakt a.p.
durchleuchtet. Sobald die Lage der Schablone mit der Position
des Dreiecks auf der Planzeichnung übereinstimmt, werden pa-
rallel zu seinen beiden Seiten 2 Kirschner-Drähte gebohrt, die
als Führung für die oszillierende Säge dienen. Parallel zum di-
stalen Draht wird ein 3. Kirschner-Draht im geplanten Verlauf
der Plattenklinge gebohrt (⊡ Abb. 5.49).
Die Osteotomien erfolgen entlang dieser Drähte und unter
wiederholter a.p. Röntgenkontrolle am gestreckten Kniegelenk,
wobei zunächst die vorderen 2/3 des Femur unter guter Sicht
auf das Sägeblatt durchtrennt werden und dann geführt durch
diese Sägeschlitze in Beugung und unter Schutz der dorsa-
len Weichteile durch den dorsalen Hohmann-Hebel die harte
hintere Kortikalis durchsägt wird. Auf eine ventral und dorsal
gleich hohe Keilbasis ist zu achten, um keinen unerwünschten
Extensions- oder Flexionseffekt zu erzeugen.

⊡ Abb. 5.49. Markierung des Osteotomiekeils (1 und 2) und der Lage


der Plattenklinge (3) mit Drähten unter Kontrolle des Röntgenbild-
wandlers. Die Zahlen geben die Reihenfolge an, in der die Drähte ge-
bohrt werden
5.9 · Suprakondyläre Femurosteotomie, varisierend
127 5
Der Weg der »Plattenklinge« wird mit einem Lambotte-
Meißel, dessen Breite der Klingenbreite entspricht, zur Hälfte
vorgeschnitten. Einschlagen der Platte und langsames Schließen
der Osteotomie durch zunehmenden Varusdruck (⊡ Abb. 5.50).
Verschrauben der Platte, wobei zuerst eine 4,5-mm-Kor-
tikalisschraube durch das Loch am Plattenwinkel schräg nach
proximal in die kräftige laterale Kortikalis am diaphysär-meta-
physären Übergang eingedreht wird.
> Achtung 1. Assistent
Kräftige Varuskompression durch den 1. Assistenten während
der Verschraubung.

Besetzen der restlichen 3 Plattenlöcher mit Kortikalisschrauben


in der auf der Abbildung angegebenen Reihenfolge. Bei wei-
chem Knochen zusätzliche Spongiosazugschraube mit Unter-
legscheibe ventral der Klingenplatte. Durchleuchtungskontrolle
zur Überprüfung des Schraubensitzes in der lateralen Gegenk-
ortikalis.
! Die Stabilität der Osteosynthese ist nur gewährleistet, wenn
alle Schrauben sicher die laterale Gegenkortikalis erfassen. ⊡ Abb. 5.50. Plattenosteosynthese nach Zuklappen des keilförmigen
Konzentration beim Bohren, Gewindeschneiden und Schrau- Osteotomiedefektes. Die rote Linie entspricht den aufeinanderliegen-
ben! Im Zweifelsfall Erfühlen des Bohrloches in der Gegenk- den Osteotomieflächen. Durch die Zugschraube (1) werden die Osteoto-
ortikalis mit der Längenmesslehre. Das Gewinde sollte vorge- mieflächen komprimiert (Pfeilspitzen). Die Verschraubung erfolgt in der
angegebenen Reihenfolge der Schrauben. Die Spongiosaschraube mit
schnitten werden.
Unterlegscheibe (5) ist optimal
Wundverschluss über einer Redondrainage nach Reposition
des M. vastus medialis. Naht der Muskelfaszie, Subkutan- und
Hautnaht.

Probleme
Durchtrennung oder Brechen der lateralen Knochenbrücke. Literatur
Beim jungen Erwachsenen gibt das intakte Periost meist soviel Stähelin T, Hardegger F, Ward J-C (2000) Supracondylar osteotomy of the
femur with use of compression. JBJS 82-A:712–722
Stabilität, dass die Operation ohne Modifikation weitergeführt
werden kann. Beim älteren Arthrosepatienten sollte der Kon-
dylus lateralis über einen kurzen Längsschnitt dargestellt und
eine zusätzliche laterale Stabilisierung der Osteotomie mit zwei
Knochenklammern erfolgen.
»Versägen« des Keils. Bei zu sparsamer Knochenentnahme
kann nachgebessert werden. Bei aggressiven Sägefehlern mit
Entnahme eines zu großen oder unförmigen Keiles muss das
spongiöse Material aus dem entnommenen Keil wieder an-
gelagert werden. Die Osteosynthese soll in diesen Fällen eine
hohe Stabilität gewährleisten und muss durch den Erfahrenen
mittels Plattenfixateur oder nach Standard-AO-Technik mit der
rechtwinkligen Klingenplatte erfolgen. Auf die dem beschriebe-
nen Verfahren inhärente knöcherne Stabilität darf nicht mehr
vertraut werden.

Nachbehandlung
Übungsstabile Osteosynthese. Aktive Bewegungsübungen mit
Erreichen der vollen Kniebeweglichkeit innerhalb von 2 Wo-
chen. Während dieser Zeit Entlastung. Nach Abschluss der
Wundheilung Anpassen eines abnehmbaren Tutors in Streck-
stellung. Im Tutor für weitere 6 Wochen Teilbelastung mit
20 kg. Der Tutor darf zur Nacht abgelegt werden. Nach 8 Wo-
chen Röntgenkontrolle und Aufbelastung.
128 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

5.10 Medialisierung der Tuberositas tibiae

Indikation
Rezidivierende Patellaluxation oder -subluxation bei patho-
logisch vergrößerter TT–TG-Distanz (»tibial tuberosity« –
»trochlear groove«) im CT (⊡ Abb. 5.51). Dabei kann gleichzei-
tig ein Patellahochstand durch Distalversetzung der Tuberositas
korrigiert werden. Die lateralisierte Kniescheibe im Rahmen
einer Retropatellararthrose ist pathogenetisch anders zu sehen.
Eine isolierte Medialisierung der Tuberositas ist zu ihrer Be-
handlung nicht geeignet.

5 ⊡ Abb. 5.51. Zwei axiale CT-Schnitte werden übereinander projiziert.


Der proximale Schnitt verläuft dort durch das Femur, wo die Fossa in- Operationsprinzip
tercondylica die Form eines römischen Bogens hat. Der distale verläuft
durch den am weitesten ventral liegenden Punkt der Tuberositas tibiae. Die Tuberositas tibiae wird auf 5 cm Länge und in ihrer ge-
Die Kontur der Tibia wurde rot gezeichnet. TT ist der ventralste Punkt samten Breite von der Tibia abgelöst, bleibt aber distal im
der Tuberositas tibiae. TG ist der dorsalste (tiefste) Punkt der Trochlea periostalen Verbund mit der Tibiavorderkante. Ihr proximaler
femoris (»trochlear groove«). Die Lote auf die hintere Kondylentangente Anteil wird nach medial geschwenkt und der Ansatz des Li-
von TT und TG markieren eine Strecke d, die TT-TG-Distanz. Sie beträgt
gamentum patellae damit medialisiert. Die neue Position wird
normalerweise 10–15 mm
durch übungsstabile Osteosynthese nach dem Zugschrauben-
prinzip und durch Verhaken des Tuberositasfragments unter
einer Knochenleiste gesichert.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Die Patienten beschreiben wiederholte Subluxationen oder Lu-
xationen ihrer Kniescheibe. Es handelt sich typischerweise um
junge Erwachsene. Wichtigstes Zeichen bei der klinischen Un-
tersuchung ist das bei aktiver Beugung und Streckung auftre-
tende J-Zeichen, das ein abruptes Verschieben der Kniescheibe
von lateral nach medial beim Übergang von der Streckung in
die Kniebeugung beschreibt. Auf der seitlichen Aufnahme des
Kniegelenks bei 90°-Beugung wird die Höhe der Kniescheibe
bestimmt: Normalerweise berührt ihr kranialer Pol eine an die
ventrale Femurkortikalis gelegte Tangente.
Das CT des Kniegelenks erlaubt die genaue Vermessung
der Relation von Trochlea femoris und Tuberositas tibiae
(⊡ Abb. 5.51). Ist diese Relation normal, ist eine weichteilige
proximale Korrektur erforderlich; ist sie pathologisch, besteht
die Indikation zur Medialisierung der Tuberositas. Ergänzend
zu den genannten Untersuchungen sollten eine a.p. Aufnahme
des Kniegelenks und eine Tangentialaufnahme der Kniescheibe
bei 45°-Kniebeugung durchgeführt werden.
Die selten erforderliche operative Korrektur einer schweren
Trochleadysplasie sprengt den Rahmen dieses Buches.

Aufklärung
▬ Rezidiv der Subluxation mit Notwendigkeit einer Nachope-
ration
▬ Intraoperative Fraktur der Tuberositas mit Notwendigkeit
zur Verwendung zusätzlicher Schrauben
▬ Metallentfernung; insbesondere bei schlanken Personen
stören die Schraubenköpfe an der Tuberositas
5.10 · Medialisierung der Tuberositas tibiae
129 5
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage. Weit proximal liegende Oberschenkelblutsperre in
Bereitschaft. Gesäß auf der zu operierenden Seite unterlegt, so
dass die Kniescheibe zur Decke zeigt, frei beweglich abgedeck-
tes Bein.

Operationstechnik
8 cm langer Hautschnitt, beginnend in Höhe der Patellaspitze
und längs des lateralen Randes des Ligamentum patellae ge-
rade nach distal auf der Vorderaußenseite des Unterschenkels
neben der Tuberositas tibiae verlaufend. Eröffnung der Bursa
infrapatellaris lateral des Ligamentum patellae und Inzision
längs der Lateralkante des Ligamentes auf 3 cm Länge in
Richtung Patella (⊡ Abb. 5.52). Inzision in Verlängerung des ⊡ Abb. 5.52. Darstellung der Tuberositas tibiae und des Ansatzes des
lateralen Randes des Ligamentum patellae durch die Fascia Lig. patellae von lateral
propria und die ventralsten Fasern des M. tibialis anterior bis
auf den Knochen der Lateralseite der Tuberositas. Das Skalpell
wird hierbei in der Frontalebene geführt. Mit dem Raspato-
rium wird die vordere Hälfte der Facies lateralis tibiae durch
Abschieben des M. tibialis anterior auf 5 cm nach distal frei
gelegt. Ein subkutaner Hautlappen wird über die Tuberositas
nach medial entwickelt, so dass die gesamte Tuberositas tibiae
zugänglich ist.
Die Osteotomie erfolgt auf 5 cm Länge nach distal, in
Richtung der Tibiavorderkante, flach auslaufend, proximal mit
einer 5 mm breiten horizontalen Stufe (⊡ Abb. 5.53). Dabei
wird die Stufe unter Weghalten des Ligamentum patellae nach
vorne mit einem 6 mm breiten Lambotte-Meißel in laterome-
dialer Richtung angelegt. Die Osteotomie in der Frontalebene
erfolgt mit der oszillierenden Säge. Idealerweise resultiert ein
Tuberositassegment von 5 cm Länge und knapp 1 cm maxima-
ler Dicke (⊡ Abb. 5.54)

⊡ Abb. 5.53. Proximal stufenförmige distal flach auslaufende Osteo-


tomie (rot)

⊡ Abb. 5.54. Reihenfolge und Durchführung der Osteotomien: Zuerst


erfolgt das Anlegen der Stufe mit einem Lambotte-Meißel (1), danach
die frontale Osteotomie mit der oszillierenden Säge
130 Kapitel 5 · Kniegelenk, distales Femur und proximale Tibia

Durch Daumendruck wird der proximale Anteil der Tu-


berositas und damit der Ansatz des Ligamentum patellae medi-
alisiert. Dabei beträgt die Verschiebung so viele Millimeter, in
der Regel 5–8, wie aus dem Planungs-CT vorberechnet wurde
(⊡ Abb. 5.55). Mit einem kurzen Kirschner-Draht, der die hin-
tere Tibiakortikalis nicht perforieren soll und dessen Lage der
Lage der künftigen distalen Schraube entspricht (⊡ Abb. 5.56),
erfolgt eine präliminäre Fixierung. Das Knie wird gebeugt und
gestreckt und der Lauf der Kniescheibe beobachtet. Falls kein
J-Zeichen und keine Subluxationstendenz nach lateral oder
medial auftreten, wird die Tuberositas zunächst mit einer 3,5-
mm-Kortikalisschraube 1,5 cm oberhalb des Drahtes in Zug-
5 schraubentechnik befestigt. Dann wird der Kirschner-Draht
durch eine zweite Zugschraube ersetzt.
! Beide Schrauben müssen sicher die hintere Tibiakortikalis erfas-
sen. Nur so wird die Tuberositas genügend fest auf die Osteoto-
miefläche komprimiert. Die proximale Stufe ergibt zusammen
mit den beiden Schrauben eine solide und gegen den Zug des
Ligamentum patellae resistente Befestigung.
⊡ Abb. 5.55. Verschiebung des Tuberositassegmentes nach medial. Wundverschluss durch dichte Subkutan- und Hautnähte, da
Ein Abreißen der Periostbrücke, die die Spitze des Segmentes mit der
Tibia verbindet, sollte vermieden werden
aufgrund der Verschiebung des Ligamentes und der Tuberosi-
tas eine Naht der Faszienschicht nicht möglich ist. Redondrai-
nage als Überlaufdrainage an die Osteotomie. Röntgenkontrolle
im Operationssaal in 2 Ebenen zur Sicherung der korrekten
Schraubenlage und -länge sowie der Reposition des Tuberosi-
tassegmentes.

Probleme
Übermäßige Medialisierung ohne intraoperative Kontrolle.
Hier droht die mediale Subluxation der Kniescheibe die stets
iatrogen ist. Kommt es trotz einer Versetzung um den vorbe-
rechneten Millimeterbetrag weiterhin zu Störungen der patel-
lotrochlearen Artikulation, kann deren Ursache nicht durch
übermäßige Medialisierung, sondern muss vielmehr durch eine
Korrektur anderer Instabilitätskomponenten also durch Spal-
tung des lateralen Retinakulum, mediale Raffung, Rekonstruk-
tion des medialen patellofemoralen Ligamentes oder Trochlea-
plastik behoben werden.

Nachbehandlung
Sohlenkontakt für 6 postoperative Wochen. Nach Wundhei-
lung Anmodellieren eines abnehmbaren Oberschenkeltutors in
15°-Beugung. Tägliche Krankengymnastik mit Streckung und
Beugung bis zu 70° in den ersten 4 Wochen, bis zu 90° in der 5.
⊡ Abb. 5.56. Kompressionsosteosynthese mit 2 Zugschrauben, die in und 6. Woche. Metallentfernung nach röntgenologischer Kon-
der dorsalen Kortikalis der Tibia Halt finden müssen solidierung der Tuberositas, frühestens nach 6 Monaten.

Literatur
Biedert RM (2004) Patello femoral disorders. John Wiley, Westsussex
6

Fuß

6.1 Sprunggelenkarthroskopie – 132

6.2 Außenbandrekonstruktion – 136

6.3 Chevron-Osteotomie – 138

6.4 Kondylenresektion nach Hohmann – 141


132 Kapitel 6 · Fuß

6.1 Sprunggelenkarthroskopie in der Nähe neurovaskulärer Strukturen oder wichtiger Sehnen.


Es gibt keine sicheren Areale. Die Portale müssen deshalb in
Das kongruente talokruale Gelenk lässt sich arthroskopisch nicht spezieller Technik, so wie bei der Ellbogenarthroskopie be-
leicht einsehen. Die Konvexität der Trochlea tali erschwert den schrieben, angelegt werden ( Kap. 2.1).
Übergang vom vorderen ins hintere Gelenkkompartiment. Die
Schwierigkeit einer Sprunggelenkarthroskopie hängt jedoch er-
heblich von der Bandführung ab. So ist das instabile obere Sprung- Operationsvorbereitung
gelenk, sei es infolge einer Bandverletzung oder bei generalisierter Diagnostik und Planung
Bandlaxität, arthroskopisch, wesentlich einfacher zu übersehen Prüfung des Bewegungsumfanges und der Stabilität. Palpation
als ein intaktes straffes Gelenk. Hinzu kommt, dass es so wie am der vorderen Kammer über der medialen und lateralen Talus-
Ellbogen keine wirklich sicheren Zugangsareale gibt. Alle Portale rollenkante. Hier findet sich bei osteochondralen Läsionen oder
liegen in der Nähe von Sehnen oder neurovaskulären Strukturen. bei posttraumatischer Vernarbung häufig ein lokalisierter Druck-
Aber auch die Arthrotomie dieses Gelenks erlaubt stets nur einen schmerz. Beim vorderen Impingement weist der örtlich begrenzte
begrenzten und – bei Verzicht auf eine Innenknöchelosteotomie Druckschmerz häufig auf die Lokalisation des Osteophyten hin.
– im Vergleich zur Arthroskopie weniger guten Überblick. Unter
6 Ausschöpfung der arthroskopischen Technik lassen sich auch am Röntgen: Aufnahmen in 2 Ebenen. Gesucht wird nach freien
Sprunggelenk zahlreiche Eingriffe viel weniger invasiv durchfüh- Gelenkkörpern, Osteophyten und osteochondralen Läsionen.
ren als mit der offenen Methode. Es lohnt sich, die Sprunggelen- Zusätzlich Gabelaufnahme des Sprunggelenks in Spitzfußstel-
karthroskopie zu erlernen, auch wenn die heute gängige Technik lung. In dieser Position wird der Übergang vom mittleren zum
noch erhebliches Entwicklungspotenzial besitzt. hinteren Drittel der medialen Talusrollenkante, häufigster Sitz
osteochondraler Schäden, besonders deutlich dargestellt.

Indikation ! Es hat sich gezeigt, dass nur anterolaterale Osteophyten auf


der seitlichen Aufnahme zur Darstellung kommen. Für den Aus-
Persistierende Beschwerden nach Distorsion des Gelenks. Diese
schluss oder Nachweis anteromedialer Osteophyten sind Schrä-
können einerseits weichteilig, durch Band- und Kapselfrag-
gaufnahmen oder Schnittbildverfahren erforderlich. Zur Suche
mente oder durch fibrosierte Narbenstränge verursacht sein. Sie
nach freien Körpern, zur genauen Lokalisation von Osteophyten
können andererseits auf osteochondrale Verletzungen zurück-
sowie zur Lage- und Größenbestimmung osteochondraler Läsi-
gehen. Diagnostische Sprunggelenkarthroskopie im Vorlauf zur
onen ist ein Spiral-CT die aussagekräftigste Untersuchung.
arthroskopischen Operation einer osteochondralen Talusläsion,
der Entfernung freier Körper, der Abtragung von Osteophyten
an den Gelenkkanten, die insbesondere die Dorsalextension Aufklärung
stören (sog »vorderes Impingement«), im Vorlauf zur arthros- ▬ Sensibilitätsstörungen durch Irritation sensibler Hautnerven
kopischen Synovektomie bei primär synovialen Erkrankungen ▬ Schmerzhafte Bewegungseinschränkung infolge von Seh-
und zur genauen Abschätzung großer osteochondraler Läsio- nenverletzungen
nen im Vorlauf zu geplanten offenen knorpelrekonstruktiven ▬ Ausbildung von Synovialfisteln an den Portalen besonders
Maßnahmen. Während der arthroskopische oder offene Ein- bei zu früher Wiederaufnahme der Bewegung
griff dem Erfahrenen überlassen bleibt, kann die diagnostische
Arthroskopie des Sprunggelenks bereits von dem in Ausbildung
befindlichen Assistenzarzt durchgeführt werden. Im Operationssaal
Rückenlage mit 70° angebeugtem Hüftgelenk, Unterpolsterung
und Fixierung des Oberschenkels (⊡ Abb. 6.1). Traktion über
Operationsprinzip ein gepolstertes, steriles Gurtsystem.
Das Prinzip wurde bei der Schulterarthroskopie beschrieben
( Kap. 1.1). Während sich die vordere Gelenkkammer und die
vorderen zwei Drittel der Talusrolle sowie die talomalleolären
Rezessi recht problemlos einsehen lassen, bedarf der Zugang
zur hinteren Gelenkkammer einer speziellen Technik. Eine voll-
ständige Übersicht über die hintere Gelenkkammer ist nur bei
einem zusätzlichen posterolateralen Zugang möglich. Die 2,7-
mm/30°-Winkeloptik (Außendurchmesser der Hülse 3,5 mm)
samt miniaturisiertem Instrumentarium ist die Standardaus-
rüstung am Sprunggelenk. Nur in großen, übersichtlichen und
nicht allzu straffen Gelenken kann auf die größeren, an Knie
und Schulter gebräuchlichen Instrumente gewechselt werden. ⊡ Abb. 6.1. Lagerung zur Arthroskopie des oberen Sprunggelenks.
Über eine gepolsterte Manschette wird an Ferse und Fußrücken Zug
ausgeübt. Dies ist für die Inspektion der hinteren Kammer erforderlich.
! Die Sprunggelenkarthroskopie ist deutlich schwieriger als die Bei Inspektion der vorderen Kammer wird der Zug durch Drehen an der
Spiegelung von Knie oder Schultergelenk. Alle Zugänge liegen Gewindespindel nachgelassen
6.1 · Sprunggelenkarthroskopie
133 6
Operationstechnik Die Arthroskopie beginnt mit der Punktion des Gelenks antero-
Palpation und Markierung der Umrisse der Knöchel, der Late- lateral und der Auffüllung mit 20–30 ml Ringer-Laktat-Lösung
ralkante der Achillessehne und des vorderen oberen Sprungge- über eine Kanüle der Stärke 1.
lenkspaltes auf der Haut. Palpation der Arteria dorsalis pedis.
In Eversion des Fußes bei Plantarflexion der 4. Zehe markiert > Achtung 1. Assistent
sich bei schlanken Patienten auf dem lateralen Fußrücken der Bei der Punktion hält der 1. Assistent das Gelenk dorsal ex-
N. cutanaeus dorsalis intermedius, ein Endast des N. peronaeus tendiert, was eine Entfaltung des vorderen Gelenkrezessus
superficialis ab. Er ist der bei der Sprunggelenkarthroskopie am ermöglicht und den Knorpelüberzug der Talusrolle vor der
häufigsten verletzte Nerv. Einzeichnen des anteromedialen, des Nadelspitze schützt.
anterolateralen und des posterolateralen Zuganges (⊡ Abb. 6.2).
Der Kolben der Spritze muss sich anfangs ohne jeden Wider-
! Die Arteria dorsalis pedis kann in der Höhe des Sprunggelenks stand eindrücken lassen. Ab etwa 15–20 ml Füllung bemerkt
sehr unterschiedlich verlaufen. In 5% der Fälle einer Studie man zunehmenden Widerstand, bei Nachlassen des Drucks
kreuzte die Arterie die vordere Syndesmose und verlief weit strömt Flüssigkeit aus dem Gelenk in die Spritze zurück. Das
lateral. Auch der Verlauf der Hautnerven ist variabel. Deshalb ist Gelenk wird prall gefüllt. Dann wird das Trokarsystem wie in
eine spezielle Technik beim Anlegen der Zugänge erforderlich.  Kap. 2.1 für die Ellbogenarthroskopie beschrieben über das
Sie wurde in  Kap. 2.1 für das Ellbogengelenk beschrieben und anterolaterale Portal eingeführt. Der stumpfe Trokar wird gegen
soll am Sprunggelenk in selber Weise eingesetzt werden. die 2,7-mm/30°-Optik ausgetauscht.

a b

⊡ Abb. 6.2a,b. Anatomie und Portale zum oberen Sprunggelenk. a Anterolaterales und anteromediales Portal, b posterolaterales Portal
134 Kapitel 6 · Fuß

Der Blick fällt zunächst auf die mediale Talusrollenkante


und die Knorpelfläche des Innenknöchels. Beim Zurückziehen
des Arthroskops werden die Tibiavorderunterkante und die
Talusrolle inspiziert (⊡ Abb. 6.3). Unter Diaphanoskopie wird
unter Vermeidung der klar durchscheinenden Vena saphena
zwischen Innenknöchel und Sehne des M. tibialis anterior
und ventral des Saphenusbündels der anteromediale Zugang
in derselben Weise wie der anterolaterale angelegt und mit
einem 2,7-mm-Wechselstab besetzt. Unter Ausnutzung des
Exentsionssystems gelingt es durch kräftigen Zug, den Talus
soweit von der distalen Tibiagelenkfläche zu entfernen, dass
sich der Wechselstab in die dorsale Kammer vorschieben lässt.
In Wechselstabtechnik ( Kap. 1.1) wird das Arthroskop nun auf
den anteromedialen Zugang und damit in die hintere Kammer
umgesetzt.
6

⊡ Abb. 6.3. Inspektion von vorderer Kammer, medialem talomalleo-


lärem Gelenk und medialem, ventralem Anteil der Trochlea tali. Das
Arthroskop befindet sich im anterolateralen Portal. Bei Plantarflexion
werden auch zentrale und ein Teil der dorsalen Trochlea sichtbar. Das
Insert zeigt den arthroskopischen Situs
6.1 · Sprunggelenkarthroskopie
135 6
Dorsomedial ist die tiefe Schicht des Ligamentum tibio fi- Postoperativ
bulare posterius, das den Außenknöchel und die dorsolaterale Probleme
Ecke der Tibia verbindet und parallel dazu durch einen kleinen Wie am Ellbogen besteht auch am Sprunggelenk aufgrund der
synovialen Rezessus getrennt, das posteriore intermalleoläre Li- Nähe der Portale zu den Hautnerven ein Restrisiko von Nerve-
gament, auch »tibial slip« genannt, zu identifizieren (⊡ Abb. 6.4). nirritationen. Deshalb postoperativ Überprüfung der Sensibili-
Benötigt man einen posterolateralen Zugang, wird dieser über tät des Fußes.
das zuvor markierte Hautportal mit einer Kanüle besetzt. Dabei
soll die Kanüle den Gelenkraum zwischen tibiofibularem Liga- Nachbehandlung
ment und intermalleolärem Ligament treffen. Das Arthroskop Für 4 Tage Lagern des Fußes in der vorbereiteten gepolsterten
bewegt sich nun über die Konvexität der Talusrolle mit Blick Unterschenkelrechtwinkelschiene. Dabei darf der Fuß täglich
auf den Außenknöchel und den Syndesmosenspalt zurück in von der Schiene genommen und das Sprunggelenk aktiv einige
die vordere Kammer. Hier ist insbesondere nach Narbensträn- Male bewegt werden. Entlastung bis zum sicheren Verkleben
gen und Osteophyten zu fahnden. Ergänzt wird die Inspektion der Portale nach ca. 1 Woche. Die Vollbelastung ist je nach
durch eine Palpation mit dem Miniaturhäkchen, das über den Beschwerdemaßgabe bis Ende der 2. postoperativen Woche an-
jeweils nicht vom Arthroskop besetzten Zugang eingeführt zustreben.
wird. Bei Routinearthroskopien wird der posterolaterale Zu-
gang nicht verwendet. Er liegt sehr nahe am N. suralis einerseits
und an der Achillessehne andererseits (⊡ Abb. 6.2b). Literatur
In der Regel schließt sich jetzt die arthroskopische Behand- Golano P et al. (2006) Ankle anatomy fort the arthroscopist. Part I: The portals.
Foot Ankle Clin 2006: 11: 253–273
lung der gefundenen Läsion an. Die Beschreibung arthroskopi-
Golano P et al. (2006) Ankle anatomy fort the arthroscopist. Part II: Role of the
scher Sprunggelenkoperationen würde den Rahmen des Buches ankle ligaments in soft tissue impingement. Foot Ankle Clin 11:275–296
sprengen. Kohn D (1997) Diagnostische und operative Arthroskopie großer Gelenke.
Nach Abschluss des Eingriffs wird zunächst die Traktion re- Thieme, Stuttgart, S. 144–152
duziert; die Portale werden durch oberflächliche Einzelknopf-
nähte dicht verschlossen. Falls, wie den meisten Fällen, bereits
zur Sichtverbesserung etwas Synovialmembran entfernt werden
muss, kann auf eine Ablaufkanüle verzichtet werden, da der
Ablauf über die Miniaturfräse erfolgt. Bei guten Sichtbedin-
gungen ohne Notwendigkeit die Fräse einzusetzen, genügt als
Ablauf eine Kanüle der Stärke 1 im jeweils nicht anderweitig
besetzten Portal.

⊡ Abb. 6.4. Inspektion von hinterer Kammer, lateralem talomalleolärem Gelenk und lateralem Anteil der Trochlea tali. Das Arthroskop befindet
sich im anteromedialen Portal. Die Inserts zeigen den arthroskopischen Situs in der dorsolateralen Gelenkkammer (rechts) und das laterale talo-
malleoläre Gelenk (links). Dieser Teil der Untersuchung erfolgt unter Zug am Fuß zur Distraktion des Gelenks. Eine durch das posterolaterale Portal
eingestochene Kanüle perforiert das posteriore intermalleoläre Ligament, einen Verstärkungszug der dorsalen Gelenkkapsel (Insert)
136 Kapitel 6 · Fuß

6.2 Außenbandrekonstruktion Projektion ergänzen die Standardaufnahmen. Eine Seitendif-


ferenz der vorderen Schubladen von mehr als 3 mm und der
Indikation Taluskippung von mehr als 3° werden als radiologische Zeichen
Symptomatische, posttraumatische Instabilität des oberen der Instabilität gewertet. Ein qualitativ hochwertiges Kernspin-
Sprunggelenks nach erfolgloser konservativer Behandlung mit tomogramm ermöglicht die Beurteilung des Gelenkknorpels,
Kräftigung der Peronäalmuskeln und Propriozeptionstraining der fibulotalaren Syndesmose und den Ausschluss osteochon-
über mindestens 6 Monate. draler Läsionen der Talusrollenkante. Liegt kein solches MRT
vor, muss der offenen Bandstabilisierung eine diagnostische
Arthroskopie des oberen Sprunggelenks vorangestellt werden.
Operationsprinzip
Anatomische Wiederherstellung der elongierten Ligamenta fibu- Aufklärung
lotalare anterius und fibulocalcaneare durch Raffung, knöcherne Verbleiben einer Restinstabilität oder Auslockerung der rekon-
Reinsertion und Augmentierung durch Bandstumpf und Periost. struierten Bänder.

6 Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Diagnostik und Planung Lagerung
Anamnestisch sind wiederholte Supinationstraumen ohne we- Rückenlage. Gesäß auf der zu operierenden Seite unterlegt.
sentliche Schwell- und Schmerzzustände sowie die Klage über Becken gegenseitig abgestützt. Tisch zur Gegenseite gekippt.
»fehlenden Halt« und häufiges »Umknicken« charakteristisch. Der Fuß soll in leichter Innenrotation auf einer Tuchrolle liegen
Klinisch finden sich bei Läsion des Lig. fibulotalare anterius mit freier Zugangsmöglichkeit zum Außenknöchel und zur
eine vermehrte vordere Schubladenbewegung des Fußes ge- Lateralfläche des Fersenbeins. Oberschenkelblutsperre. Die Ab-
genüber der Knöchelgabel sowie ein Einsinken der Haut über deckung endet unterhalb des Kniegelenks. Vorfuß und Zehen
dem Bandverlauf bei vorderer Schublade (»Dimple-Zeichen«; sind mit einem Handschuh überzogen.
der Ausdruck beschreibt eine Delle in der Haut, die der Delle
in der Flasche der gleichnamigen Whiskymarke gleicht). Bei Operationstechnik
zusätzlicher Läsion des Lig. fibulocalcaneare findet sich zu- Viertelskreisförmiger Hautschnitt vor und unter dem Außen-
dem eine vermehrte lateralseitige Aufklappbarkeit des obe- knöchel unter Schonung von N. suralis und des lateralen Astes
ren Sprunggelenks. Die überdehnten Peronäalsehnen können des N. cutaneus dorsalis intermedius (⊡ Abb. 6.5). Eröffnung
druckschmerzhaft sein. Eine habituelle Peronäalsehnenluxation der Peronäalsehnenscheide und Beiseitehalten der Sehne mit
ist differenzialdiagnostisch abzugrenzen. Gehaltene Röntgen- einem stumpfen Haken. Präparation der der elongierten Liga-
aufnahmen beider oberer Sprunggelenke in a.p. und seitlicher menta fibulocalcaneare und fibulotalare anterius.

⊡ Abb. 6.5. Darstellung der elongierten Lig. fibulotalare anterius


und fibulocalcaneare
6.2 · Außenbandrekonstruktion
137 6
Die Bänder werden 1 mm distal ihres Ansatzes an der
Fibula durchtrennt (⊡ Abb. 6.6) und in Krakow-Technik mit
nichtresorbierbaren Fäden (Stärke 0 USP) armiert (Krackow-
Naht  Kap. 1.6, ⊡ Abb. 1.30). Die Ansatzzone wird subperiostal
dargestellt. Mit kleinen Lambotte-Meißeln wird jeweils ein der
Bandbreite entsprechendes Knochenbett in die Kortikalis der
Fibulaspitze gemeißelt. Mit Hilfe des 2-mm-Bohrers und einer
kräftigen Rundnadel werden jeweils 2 Fadenkanäle aus dem
Knochenbett geführt. Die Fäden werden transossär ausgeleitet.
Der Assistent hält den Fuß in neutraler Flexions-/Extensi-
onsstellung und in Pronation. Die Fäden werden geknüpft und
die Ligamente damit wieder gespannt (⊡ Abb. 6.7). Periostlap-
pen und Bandstümpfe werden über die reinserierten Bänder
gedoppelt und mit feinen resorbierbaren U-Nähten (Stärke
2/0 USP) befestigt. Reposition der Peronäalsehnen. Fortlau-
fend resorbierbarer Verschluss ihrer Sehnenscheide. Naht der
Sprunggelenkkapsel. Hautnähte. Verband. Lagerung in einer
präoperativ vorbereiteten gepolsterten dorsalen Unterschen- ⊡ Abb. 6.6. Durchtrennung der verlängerten Bänder. Meißeln einer
kelschiene in 90°-Position des oberen Sprunggelenks mit etwas Vertiefung im knöchernen Ansatzbereich nach Abschieben der Band-
angehobenem äußerem Fußrand. stümpfe und des Periostes (Vertiefung des Knochens: rot). Armierung
der distalen Bandstümpfe und Einziehen der Fäden
Probleme
Die Präparation der Bänder ist Voraussetzung für die Rekons-
truktion nach Karlsson. Gelingt sie nicht, muss auf ein anderes
Verfahren wie etwa den Bandersatz durch eine Periostlappen-
plastik umgestiegen werden.

Nachbehandlung
Nach Abschwellung Sprunggelenkorthese zur Vermeidung von
Supinationsbewegungen für 6 postoperative Wochen. Diese Or-
these muss permanent getragen werden. Auch bei Wiederauf-
nahme der sportlichen Tätigkeit ist die Orthese zu tragen. Dies
gilt für insgesamt 6 postoperative Monate.

Literatur
Karlsson J et al. (1997) Comparison of two anatomic reconstructions for chro-
nic lateral instability of the ankle joint. Am J Sports Med 25:48–53

⊡ Abb. 6.7. Nach Knüpfen der Fäden sind die Bänder gespannt und
gedoppelt
138 Kapitel 6 · Fuß

6.3 Chevron-Osteotomie

Im Gegensatz zu den technisch anspruchsvollen proximalen


Osteotomien am ersten Metatarsale und den weichteiligen Kor-
rekturoperationen bei Hallux valgus, lässt sich die Chevron-
Osteotomie auch vom weniger geübten Fußchirurgen durch-
führen.

Indikation
Therapieresistente Beschwerden über der Pseudoexostose bei
Hallux valgus. Zunehmende Varusfehlstellung der Großzehe
mit daraus resultierenden Kleinzehendeformitäten und Schuh-
druckproblemen. Dies sind die allgemeinen Indikationen zum
operativen Eingriff beim Hallux valgus.
6 Die Chevron-Osteotomie im Speziellen wird eingesetzt bei
leichten bis mittelschweren Deformitäten mit Hallux-valgus-
Winkeln von weniger als 40° und einem Intermetatarsalwinkel
I–II von unter 15° (⊡ Abb. 6.8). Eine Altersbegrenzung gibt es
nicht.

Operationsprinzip
Abtragung der Pseudoexostose. V-förmige Osteotomie des Me-
tatarsaleköpfchens und Verschiebung desselben um 5 mm nach
lateral. (Der Ausdruck »Chevron« kommt aus dem Franzö-
sischen und bezeichnet ein V-förmiges Uniformabzeichen.)
Fixierung mit einer Schraube. Abtragung des medial überste-
henden Knochens und Raffung der medialen Kapsel-Periost-
Lamellen unter Reposition der Sesambeine unter das Metatar-
saleköpfchen.

Operationsvorbereitung
Diagnostik und Planung
Untersuchung des Fußes: Da es sich bei der Osteotomie um
einen extraartikulären Eingriff handelt, werden gelenkbedingte
Schmerzen nicht beeinflusst. Besonders wichtig ist daher die
Unterscheidung von Beschwerden, die von der Pseudoexostose
hervorgerufen werden, von artikulären Schmerzen.
Röntgenaufnahmen d.p. und seitlich unter Belastung
(⊡ Abb. 6.8). Die Achsen des 1. und des 2. Os metatarsale und
die Achse der Grundphalanx werden eingezeichnet. Sie schlie-
ßen den Intermetatarsalwinkel α (Normalwert: <10°) und den
Hallux-valgus-Winkel β (Normalwert: 8–20°) ein. Verbindet
man die mediale mit der lateralen Ecke der Gelenkfläche durch
eine Gerade, bildet diese Gelenkbasislinie mit einer senkrechten
auf der Os-metatarsale-I-Achse den nach medial offenen Meta-
tarsale-Gelenkflächenwinkel γ (Normalwert: <10°). Außer den
genannten Winkeln ist die Relation der Sesambeine zum Meta-
tarsale-I-Köpfchen ein wichtiger Parameter: Bei zunehmender
Hallux-valgus Fehlstellung disloziert das Metatarsaleköpfchen
in Relation zu den unverändert stehenden Sesambeinen nach
medial. Auf der seitlichen Aufnahme wird nach Arthrosezei-
⊡ Abb. 6.8. Messlinien auf der d.p. Belastungsaufnahme. a Achse Me-
tatarsale I, b Achse Metatarsale II, c Achse Grundphalanx I, d Gelenkbasis- chen im Großzehengrundgelenk, insbesondere nach dorsalen
linie, α Intermetatarsalwinkel I–II, β Hallux-valgus-Winkel, γ Metatarsale- Osteophyten am Metatarsaleköpfchen gesucht.
gelenkflächenwinkel
6.3 · Chevron-Osteotomie
139 6
Aufklärung
▬ Rezidiv
▬ Pseudarthrose
▬ Osteonekrose des Metatarsaleköpfchens
▬ Notwendigkeit zur Metallentfernung
▬ Einlagenversorgung bei Pes transversus auch postoperativ
erforderlich

⊡ Abb. 6.9. Zugang zum Großzehengrundgelenk und dem distalen


Im Operationssaal Drittel des Metatarsale I. Hautschnitt (gestrichelte rote Linie) und Peri-
Lagerung ost-/Kapselinzision (durchgezogene rote Linie) sind kulissenförmig um
Rückenlage. Oberschenkelblutsperre. Abdeckung bis zur Knö- 5 mm versetzt
chelgegend. Abdecken der Zehen durch Überstülpen abge-
schnittener Handschuhfinger. Vorbereitung einer Durchleuch-
tungskontrolle am Operationsende.

Operationstechnik
Hautschnitt von der Mitte der Grundphalanx über die Pseu-
doexostose bis zur Mitte des Os Metatarsale I (⊡ Abb. 6.9). Bil-
dung eines 10 mm breiten Hautlappens in Richtung Fußsohle.
Durchtrennung von Periost und Gelenkkapsel parallel zum
Hautschnitt aber 5 mm fußsohlenwärts versetzt.
Subperiostale Darstellung der Pseudoexostose und der
subkapitalen Region des 1. Metatarsale. Einsetzen zweier klei-
ner spitzer Hohmann-Retraktoren subkapital und subperios-
tal und zweier scharfer Zweizinkerhaken in die Gelenkkapsel
(⊡ Abb. 6.10).
Die Pseudoexostose wird mit der oszillierenden Säge in
dorsoplantarer Richtung abgetragen. Die Ebene des Sägeschnit-
tes liegt senkrecht zur Gelenkbasislinie und damit nahezu
parallel zum medialen Fußrand. Nun wird ein 2-mm-Bohrloch
längs des Schnittverlaufs der beiden Osteotomieebenen ange- ⊡ Abb. 6.10. Subperiostale Darstellung der Exostose und Gelenk-
legt (⊡ Abb. 6.11). Es verläuft senkrecht zur Achse des Metatar- eröffnung
sale und streng medio-lateral. Der Anfänger sollte die Lage der
Bohrspindel intraoperativ mit dem Bildwandler kontrollieren.

⊡ Abb. 6.11. Im Schnittpunkt der geplanten Osteotomien wird ein


Bohrloch (2 mm Durchmesser) angelegt. Der wenig Erfahrene kann die
Lage der Bohrspindel unter Durchleuchtung kontrollieren. Die geplan-
ten Osteotomieebenen sind rot umrandet
140 Kapitel 6 · Fuß

Mit der oszillierenden Säge erfolgen die beiden Osteoto-


mien, die sich im Bohrloch treffen (⊡ Abb. 6.12a). Abweichend
von der Originalmethode wird der untere Schenkel des V län-
ger und die untere Knochenschuppe damit größer gewählt, um
die spätere Verschraubung zu vereinfachen. ⊡ Abb. 6.12b zeigt
das Resultat der Osteotomie in idealisierter Form; operativ wer-
den die Osteotomieflächen kaum distrahiert.
Mit feinen Lambotte-Meißeln werden beide Osteotomien
a nachgemeißelt und etwas aufgedehnt. Dann erfolgt die Ver-
schiebung des distalen Fragmentes mitsamt der Großzehe nach
lateral um ca. 5 mm unter Gegenhalt am proximalen Fragment
mit einer Backhaus-Klemme (⊡ Abb. 6.13). Der überstehende
Knochen wird mit der Säge reseziert.
Die Osteotomie wird mit einer 2,7-mm-Schraube gesichert,
b während der 1. Assistent die Position der beiden Fragmente
6 stabilisiert (⊡ Abb. 6.14). Die Schraube muss nach proximal und
lateral gezielt werden, um den kräftigsten kortikalen Anteil der
⊡ Abb. 6.12a,b. Die Chevron-Osteotomie in modifizierter Form: kurzer plantaren Knochenlamelle zu fassen und Kompression zu er-
dorsaler und langer plantarer Osteotomieverlauf. a Osteotomie mit der
oszillierenden Miniatursäge. b Osteotomieresultat (zur Verdeutlichung
zeugen. Ein Kapsel-Perioststreifen von 3–5 mm Breite, je nach
wurden die Knochensegmente weit distrahiert. Dies erfolgt während der Laxizität der Medialseite wird entfernt und der palmare Anteil
Operation nicht) der Kapsel mit 3–5 Matratzennähten (resorbierbar, Stärke 0
USP) nach medial verzogen und an der dorsalen Lamelle fi-
xiert. Diese Naht reponiert die Sesambeine unter das Metatar-
saleköpfchen. Hautverschluss durch Einzelknopfnähte.
Kontrolle des Resultates unter Durchleuchtung auf dem
Operationstisch. Einlegen von ausgezogenen Kompressen in
die Zwischenzehenräume. Gefaltete Kompresse auf die Wunde.
Vorfußkompressionsverband mit schmaler elastischer Binde.

Probleme
▬ Nekrose des Metatarsaleköpfchens. Wahrscheinlich wird
diese durch eine zusätzliche Weichteildissektion auf der
Lateralseite des Metatarsalknochens begünstigt, die folglich
unterbleiben sollte.
▬ Insuffizientes Korrekturergebnis bei Erweiterung der Indi-
kation auf schwere Hallux-valgus Fehlstellungen (s. o.)
▬ Schwellneigung des Fußes bis zu 6 Monate
⊡ Abb. 6.13. Verschiebung des distalen Segmentes durch Fingerdruck
nach lateral unter Gegenhalt am proximalen Segment mit einer Back-
haus-Klemme. Abschließend Resektion des Überstandes am proximalen
Segment

⊡ Abb. 6.14. Verschraubung der Segmente und Matratzennaht der


Kapsel-/Periostlamellen. Zuvor wird der Überstand der Kapsel-/Periost-
schicht reseziert
6.4 · Kondylenresektion nach Hohmann
141 6
Nachbehandlung 6.4 Kondylenresektion nach Hohmann
Mobilisation im Verbandsschuh mit starrer Sohle unter Voll-
belastung am Operationstag, allerdings für 5 Tage gelockerte Beim Pes transversus mit Hallux valgus sind Beugekontraktu-
Bettruhe und Hochlagerung. Aktive und geführte Bewegungs- ren der Kleinzehen in Form von Hammerzehen (Zehenkuppe
übungen für das Metatarsophalangealgelenk bereits ab dem erreicht den Boden) oder Krallenzehen (zusätzliche Extensi-
1. postoperativen Tag. Nichtsteroidale Antiphlogistika. Tägli- onsfehlstellung im MP-Gelenk, Zehenkuppe vom Boden abge-
ches Erneuern des Vorfußkompressionsverbandes der ebenso hoben) häufig. Isoliert können solche Zehenfehlstellungen bei
wie der Verbandsschuh für 6 Wochen verwendet werden soll. Überlänge der 2. und 3. Zehe und Schuhdruck entstehen.
Schraubenentfernung falls das Implantat als störend empfun-
den wird, 6 Monate postoperativ.
Indikation
Schmerzhafte, kontrakte Flexionsfehlstellung des proxima-
Literatur len Interphalangealgelenks (PIP) der Zehen II, III selten IV.
Wülker N (2002) Zehendeformitäten. In: Wirth CJ (Hrsg.) Orthopädie und Or- Ein Hallux valgus muss gleichzeitig korrigiert werden um der
thopädische Chirurgie, Bd. Fuß. Thieme, Stuttgart, S. 174–196
betreffenden Zehe nach der Operation ausreichend Platz zu
bieten. Falls zusätzlich eine kontrakte Extensionsfehlstellung
des Metatarsophalangealgelenks (MP-Gelenk) besteht, ist die
alleinige Kondylenresektion nicht ausreichend und der Eingriff
muss auf das MP-Gelenk ausgedehnt werden.

Operationsprinzip
Osteotomie der Grundphalanx proximal des Köpfchens und
senkrecht zur Schaftachse. Temporäre Stabilisierung mit einem
axialen Kirschner-Draht.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Temporäre Drahtfixierung für 2 Wochen
▬ Schwellneigung der Zehe bis zu 6 Monaten

Diagnostik und Planung


Bei der Untersuchung zunächst Beobachtung des Barfußgan-
ges. Beurteilung der Fußsohlenbeschwielung: insbesondere auf
eine druckschmerzhafte Keratose unterhalb der MP-Gelenke II,
III und IV als Zeichen eines Pes transversus ist zu achten. Dau-
mendruck proximal der MP-Gelenke II–IV auf die Fußsohle
(Push-up-Test) hierbei sollte sich die Stellung der MP-Gelenke
normalisieren, während die kontrakten Beugefehlstellungen der
IP-Gelenke unverändert bleiben.
Vor jeder Fußoperation Beurteilung von Haut, Trophik und
Durchblutung. Palpation der Arteria dorsalis pedis und der Ar-
teria tibialis posterior. Ausschluss lokaler Infektionen wie z. B.
infizierter Clavi oder Paronychien.
! Pflaster über den Zehen oder an Druckstellen sind immer
verdächtig. Lassen Sie den Patienten das Pflaster abnehmen.
Zeigt die Wundauflagefläche des Pflasters, dass eine Sekretion
stattfindet, ist der Patient kein Kandidat für eine Fußoperation.
Zunächst muss der Hautdefekt zur Abheilung gebracht werden.

Dorsoplantare Aufnahmen von Mittel-Vorfuß und seitliche


Aufnahme des Fußes jeweils unter Belastung. Während die seit-
liche Aufnahme der Dokumentation der Flexionsfehlstellungen
dient, ist auf der d.p. Aufnahme insbesondere eine Subluxation
der MP-Gelenke auszuschließen.
142 Kapitel 6 · Fuß

Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlage. Abdeckung bis zur Knöchelgegend. Abdecken der
nicht zu operierenden Zehen z. B. durch Überstülpen abge-
schnittener Handschuhfinger. Eingriff in Leitungsanästhesie
oder Kurznarkose. Bildwandlerkontrolle am Operationsende
vorbereiten.

Operationstechnik
Querer Hautschnitt 2 mm proximal der Falten des PIP. Falls
sich ein Clavus über dem Gelenk ausgebildet hat, wird dieser
spindelförmig umschnitten und entfernt. Der Hautschnitt um-
fasst die ganze Breite der Zehe. In den Ecken dürfen die Gefäß-
nervenbündel nicht verletzt werden. Aufhalten mittels zweier
Haltefäden (Prolene, 0 USP). Längsspalten der Strecksehne und
6 der Kapsel und damit Gelenkeröffnung. Die Zehe wird im PIP
kräftig flektiert und die Kondylen damit aus der Wunde heraus-
⊡ Abb. 6.15. Subkapitale Osteotomie des Köpfchens der Zehengrund-
phalanx. Die Hautwunde wird in proximodistaler Richtung durch Halte- gedrückt. Auspräparieren der Kondylen mit dem Skalpell Gr.
fäden aufgehalten. Die beiden Haken drängen den längs gespaltenen 15 (⊡ Abb. 6.15).
Streckapparat jeweils hälftig nach medial und lateral ab Die Kondylen werden mit einer Backhaus-Klemme gefasst.
Die Haut wird samt der Weichteile mit 2 kleinen Hohmann-
Retraktoren nach medial und lateral abgedrängt und geschützt.
Die Osteotomie erfolgt mit der oszillierenden Säge. Dabei ist
zu beachten, dass das kleine Kondylenmassiv beugeseitig etwas
weiter nach proximal reicht als streckseitig. Nach Entfernung
der Kondylen und bei leichtem axialem Zug am Zehenendglied
soll zwischen der Basis der mittleren Phalanx und der Osteoto-
miefläche ein Spalt von ca. 5-mm klaffen.
Ein 1,0-mm-Kirschner-Draht wird in die Mitte der Basis
der Mittelphalanx eingebohrt. Er soll axial durch Mittel- und
Endphalanx verlaufen (⊡ Abb. 6.16).

⊡ Abb. 6.16. Mittel- und Endphalanx werden mit einem K-Draht durch-
bohrt
6.4 · Kondylenresektion nach Hohmann
143 6
Die Bohrmaschine wird auf das andere Drahtende umge-
spannt und das nun freie Drahtende mit dem Seitenschneider
schräg abgeschnitten. Dieses angeschärfte Ende wird in die
Osteotomiefläche eingedrückt und zunächst von Hand und
dann mit der langsam drehenden Maschine in die Grund-
gliedbasis vorgeschoben und dort verankert (⊡ Abb. 6.17). Bei
schlechter Knochenqualität ist auch ein zusätzliches Einbohren
in das Köpfchen des Os metatarsale mit temporärer Transfixie-
rung des Metatarsophalangealgelenks möglich. Kontrolle der
Position des Drahtes mit dem Bildverstärker in zwei Ebenen.
Das aus der Zehenkuppe hervorstehende Drahtende wird auf
2 cm gekürzt und umgebogen. Verschluss von Gelenkkapsel
und Strecksehne mit dünnen resorbierbaren Nähten. Haut-
verschluss mit 2–4 Einzelknopfnähten. Einlegen ausgezogener
Mullkompressen in die Zehenzwischenräume, Abdecken der
Operationswunde mit einer gefalteten kleinen Kompresse und
Wicklung des Vorfußes mit einer schmalen elastischen Binde
unter leichter Kompression.

Nachbehandlung
Sofortige Belastung im Verbandsschuh. Für 3–5 Tage gelockerte
Bettruhe und Hochlagerung des Fußes. Nichtsteroidale Anti-
phlogistika. Entfernung des Drahtes ohne Narkose im Gips-
raum nach 2 Wochen.
⊡ Abb. 6.17. Nach Umspannen des Bohrfutters auf das distale Draht-
ende wird dieses durch die Osteotomiefläche in die Grundphalanx
gebohrt
Literatur
Fuhrmann RA, Roth A (1998) Kleinzehendeformitäten: Kondylenresektion
an Grund- und Mittelphalanx. In: Wülker N, Stephens M, Cracchiolo A III
(Hrsg.) Operationsatlas Fuß und Sprunggelenk. Enke, Stuttgart, S. 77–84
II

Sektion II Operative Versorgung


von Verletzungen
T. Pohlemann

Kapitel 7 Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen – 147

Kapitel 8 Verletzungen der oberen Extremitäten – 183

Kapitel 9 Verletzungen der unteren Extremitäten – 237

Kapitel 10 Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken – 315

Kapitel 11 Verletzungen im Kindesalter – 335


7

Allgemeine operative Techniken


und Notfallbehandlungen

7.1 Notfalloperation »Venae sectio« zur Anlage eines großvolumigen


venösen Zugangs – 148

7.2 Chirurgische Wundversorgung – 150

7.3 Anlage einer Thoraxdrainage (Bülau-Drainage) – 154

7.4 Fixateur externe am Beckenring zur Notfallstabilisierung – 158

7.5 Beckenzwinge – 161

7.6 Beckentamponade – 166

7.7 Behandlungsprinzipien bei Abdominalverletzungen


nach Notfalllaparotomie (Tamponade) – 168

7.8 Technik der Anlage eines Fixateur externe – 172

7.9 Operative Spaltung eines Kompartmentsyndroms – 176


148 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7.1 Notfalloperation »Venae sectio« zur Anlage Im Operationssaal


eines großvolumigen venösen Zugangs Lagerung
Der Patient verbleibt auf der Schockraumtrage. Es muss darauf
Indikation geachtet werden, dass Fuß und Unterschenkel ausreichend zu-
In Notfallsituationen, insbesondere nach erheblichen Blut- gänglich sind, das Bein liegt frontal in ausreichender Außenro-
verlusten, ist die Schaffung von ausreichend dimensionierten tation (⊡ Abb. 7.1).
venösen Zugängen oft lebensrettend. Da großvolumige Ver-
! Wenn möglich, sollte ein unverletztes Bein gewählt werden. In
weilkanülen im Schockzustand ggf. schwierig anzulegen sind,
keinem Fall darf eine Unterschenkelfraktur vorliegen.
andererseits eine Kanülierung der Vena femoralis in Seldin-
ger-Technik nicht immer verfügbar ist, soll an dieser Stelle Fuß und Unterschenkel werden großzügig abgewaschen bzw.
der klassische Eingriff der Venae sectio der Vena saphena als abgesprüht und in toto mit einem sterilen Lochtuch abge-
Notfalleingriff beschrieben werden. Dieser Eingriff kann gut deckt. Der Eingriff wird auch im Schockraum mit Mund-
im Rahmen der primären Notfallbehandlung im Schockraum schutz, Haube und sterilen Handschuhen, idealerweise auch
parallel zu anderen Maßnahmen durchgeführt werden. mit sterilem Operationskittel durchgeführt. Nötig ist ein kleines
Wundversorgungsset, gebogene Klemmen (z. B. Overhold) zur
Unterfahrung der Vena saphena, Halte- und Fixationsfäden,
Operationsvorbereitung eine spitze Gefäßschere sowie ein ausreichend dimensionierter
7 In der Notfallsituation ist keine Aufklärung möglich und erfor- Katheter (z. B. Shaldon-Katheter) zur Einlage in die Vene. Zent-
derlich. Es geht in diesem Fall um einen akut lebensrettenden rale Venenkatheter sind nicht zu verwenden, da ihr Querschnitt
Eingriff. eine Massentransfusion in kurzer Zeit nicht zulässt.

⊡ Abb. 7.1. Lagerung und Abdeckung zur Venae sectio der V. sa-
phena magna am distalen Unterschenkel. Der Patient verbleibt auf
der Schockraumtrage, das Bein wird steril abgewaschen und der distale
Unterschenkel mit sterilen Tüchern abgedeckt. Die sterilen Instrumente
sind idealerweise in einem Set vorgepackt und können direkt auf einem
kleinen Instrumententisch geöffnet werden. Zum Eingriff selbst sind
Mundschutz und Haube und im Minimum sterile Handschuhe zu tragen,
besser zusätzlich ein steriler Operationsmantel
7.1 · Notfalloperation »Venae sectio« zur Anlage eines großvolumigen venösen Zugangs
149 7
Operationstechnik
Die Orientierung erfolgt im Wesentlichen am Innenknöchel,
es wird etwa 3–5 cm proximal der Innenknöchelspitze eine
etwa 3 cm lange, quer verlaufende Inzision durchgeführt. Es
ist darauf zu achten, dass die Hautinzision möglichst nur bis in
das subkutane Gewebe reicht, um nicht im ersten Schnitt die
Vene zu verletzen. Mit der stumpfen Schere wird das Gewebe
gespreizt und die Vena saphena ventral des Innenknöchels auf-
gesucht. Sie wird zunächst mit einem Klemmchen unterfahren
und ein Haltefaden (z. B. nicht resorbierbares Material, gefloch-
ten, Stärke 0) durchgezogen. Etwa 1 cm weiter distal wird ein
2. Faden (resorbierbar, ebenfalls Stärke 0) durchgezogen. Die
Vene wird mit den Haltefäden angespannt und eine kleine Que-
rinzision mit der spitzen Schere in die zugewandte Venenwand
angelegt. Alternativ kann die Venenwand auch mit einem spit-
zen Skalpell (Nr. 11) eröffnet und der Einschnitt mit der spitzen
Schere erweitert werden. Der Katheter wird in diesem Moment
bereitgehalten und direkt in die Vene eingeschoben (⊡ Abb. 7.2).
Es ist darauf zu achten, dass der Katheter nicht in Höhe einer
Venenklappe stoppt, ggf. muss eine Auffüllung des Katheters
mit Kochsalzlösung erfolgen und unter ständiger Injektion von
Kochsalzlösung vorgeschoben werden.
Ist der Katheter weit genug proximal positioniert, wird der ⊡ Abb. 7.2. Kanülierung der Vene mit großvolumigen Kathetern. Die
proximale Haltefaden geknotet und damit der Katheter in der Vene ist dargestellt und wurde mit einem Klemmchen unterfahren.
Vene fixiert. Der 2. Faden wird spätestens jetzt, ggf. auch vor Ein- Proximal der geplanten Venotomiestelle wird ein resorbierbarer Faden
schneiden der Vene, geknotet und damit die Vene distal ligiert. (Stärke 0) vorgelegt, distal davon ein gleichartiger Faden geknotet, um
eine Blutung zu vermeiden. Ein Assistent hebt die Fäden an, der Opera-
teur eröffnet die Vene mit einer spitzen Schere, indem etwa ein 1/3 der
Wundverschluss/Verband Zirkumverenz eingeschnitten wird. Der gewählte Katheter sollte die Öff-
Mit einer weiteren Naht wird nun die Wunde geschlossen und nung gerade durchqueren. Vorsichtiges Vorschieben des Katheters nach
der Katheter an der Haut fixiert, idealerweise mit Durchstich proximal. Sollten Venenklappen stören, wird der Katheter leicht zurück-
durch spezielle Fixationshülsen. Anlage eines sterilen Verban- gezogen und man versucht, unter Drehung und erneutem Vorschieben
des Katheters die Stelle zu überqueren. Anspülen des Katheters mit NaCl
des. Die notwendigen Infusionen oder Transfusionen werden, 0,9%-Lösung. Bei gutem Durchfluss wird der proximale Faden geknotet,
um die Durchflussgeschwindigkeit hoch zu halten, möglichst um die Vene abzudichten. Nach Hautverschluss wird der Katheter mit
direkt, unter Vermeidung von 3-Wege-Hähnen, angeschlossen. einer kutanen Haltenaht gesichert
150 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7.2 Chirurgische Wundversorgung Im Operationssaal


Vorbereitung
Vorbemerkung Kleinere Wunden können in Infiltrationsanästhesie versorgt
Chirurgische Wundversorgungen stellen die häufigsten chir- werden, größere Wunden sollten in Leitungsanästhesie bzw. Re-
urgischen Eingriffe dar, der orthopädisch/unfallchirurgische gionalanästhesie versorgt werden. Bei umfangreicheren Wun-
Weiterbildungsassistent wird in der Regel sehr früh im Rah- den oder Wundversorgung bei Kindern ist ggf. eine Allgemein-
men der Rotationszeit in der Notaufnahme mit Wundversor- narkose angeraten. Alle zur Wundversorgung notwendigen In-
gungen konfrontiert. Obwohl die Grundregeln der chirurgi- strumente sind in klinikspezifischen »Wundversorgungs-Sets«
schen Wundversorgungen ubiquitär anwendbar sind, muss steril vorgehalten. Während das kleine Wundversorgungs-Set
jede Wunde als individuelle Verletzung mit einem breiten i. d. R. aus Skalpell, chirurgischer Pinzette, Schere, 2 kleinen
Spektrum an Komplikationsmöglichkeiten angesehen werden. Gefäßklemmchen, 2 kleinen Wundhaken, 2 Tuchklemmen und
Die exakte Anamnese, Untersuchung und das Fahnden nach Nadelhalter besteht, werden in größeren Wundversorgungs-
Begleitverletzungen sind daher unumgänglich. Eine Wund- sets zusätzliche Wundhaken und Gefäßklemmen beigepackt.
versorgung muss immer unter streng sterilen Kautelen erfol- Idealerweise ist auch das sterile Abdeckmaterial beigepackt.
gen und sollte idealerweise in einem besonders ausgewiese- In der Regel sind ein wasserdichtes Tuch zur Unterlage und
nen Wundversorgungsraum durchgeführt werden. Oberste ein Lochtuch ausreichend. Vor dem sterilen Abwaschen und
Priorität haben die sichere Schmerzausschaltung, die sterile Abdecken sollte alles benötigte Material vorbereitet sein. Eine
7 Abdeckung sowie die exakte Durchführung von Wundaus- assistierende Hilfsperson ist obligat. Sie reicht während des Ein-
schneidung, Exploration und Wundverschluss. Bei ausge- griffs ggf. notwendiges weiteres Material an, wie z. B. Lokalan-
dehnten Wunden bzw. unklaren Verletzungen, in denen z. B. ästhetikum zur Erweiterung der Infiltrationsanästhesie, sterile
subkutane Sehnen-, Nerven- oder auch Gefäßverletzungen Kompressen oder Fadenmaterial.
zu erwarten sind, sollte die Wundversorgung grundsätzlich
! Der Patient sollte grundsätzlich bequem liegen, da auch sehr
in einem vollständig ausgestatteten Operationssaal durch-
selbstbewusst auftretende männliche Patienten nicht zu sel-
geführt werden.
ten im Rahmen von Wundversorgungen kollabieren können.
Angehörige sollten nur bei Kindern und möglichst begrenzt
Operationsvorbereitung auf eine Begleitperson im Eingriffsraum anwesend sein, um
Aufklärung die Sterilität nicht zu gefährden und die ausreichende Ruhe
und Konzentration für diesen chirurgischen Eingriff sicherzu-
Sie kann auf Grund der Akutsituation kurz gefasst werden,
stellen.
sollte aber auf alle Fälle folgende Punkte betreffen:
▬ Erfragen von Allergien, z. B. gegen Lokalanästhetikum und
Antibiotika Lagerung
▬ Ggf. Auftreten eines Wundinfektes mit Revisionsbedürftig- Die Lagerung selbst wird so gestaltet, dass das Operationsfeld
keit gut erreichbar ist, gut ausgeleuchtet werden kann und der
▬ Narbenbildung Patient bequem liegt. Ggf. müssen Lagerungshilfen wie ab-
▬ Vorliegen von ggf. noch nicht erkennbaren Begleitverlet- waschbare Polsterungskissen verwendet werden. Es ist auf eine
zungen ausreichende Rasur in behaarten Körperregionen zu achten.
▬ Erfragen von antikoagulativer Therapie Die sterile Abdeckung wird so geplant, dass die Tücher nicht
verrutschen können (ggf. sterile Klebestreifen oder Tuchklem-
Diagnostik und Planung men vorhalten. Es muss genügend Platz zum Abstellen der
Es wird eine exakte Anamnese vorgenommen, um den Unfall- Operationsinstrumente und -materialien vorhanden sein (ste-
mechanismus zu eruieren und ggf. nicht erkennbare Begleitver- riler Operationstisch).
letzungen zu diagnostizieren (Glasscherbenverletzung, Holz-
splitterverletzung, Kontaminationen aus dem landwirtschaftli- Operationstechnik
chen Bereich, Bissverletzungen etc.). Zunächst steriles Abwaschen weiträumig um den Wundbereich
Die Untersuchung erfolgt zunächst unter Belassen des mit einem wasserlöslichen, nicht schmerzhaften Desinfekti-
Schutzverbandes, prüft insbesondere die Durchblutung, Mo- onsmittel. Nach entsprechender Einwirkzeit Infiltrationsanäs-
torik und Sensibilität distal der Wunde und schließt auch die thesie, beginnend proximal der Wunde fächerförmig; nach
Evaluation des Allgemeinzustandes ein. Je nach Bedarf werden kurzer Einwirkzeit über eine zweite, im schon anästhesierten
Impfungen durchgeführt (Tetanus, Tollwut). Eine Antibiotika- Bereich gesetzten Injektion auch nach distal. Komplettes ste-
prophylaxe wird routinemäßig nur bei Vorliegen offener Frak- riles Abwaschen und Abdecken der Wunde, danach wird bei
turen schon in der Notaufnahme begonnen. Versorgung einer Extremität ein wasserdichtes, steriles Tuch
Ist die Einsprengung von Fremdkörpern nicht auszuschlie- untergelegt. Der Eingriff wird mit Haube, Mundschutz und ste-
ßen oder wahrscheinlich, bestehen erhebliche Verschmutzun- rilen Handschuhen, bei größeren Wundversorgungen auch mit
gen. Bei ausgedehnten Weichteilverletzungen werden vor der sterilem Kittel durchgeführt. Prüfung der Schmerzfreiheit, Ex-
operativen Versorgung Röntgenaufnahmen in Weichteiltechnik ploration der Wunde durch Hakenzug und ggf. Palpation und
durchgeführt. Sondierung nach Fremdkörpern. Frische, glatt begrenzte und
7.2 · Chirurgische Wundversorgung
151 7
gut durchblutete Wunden werden nach ausreichender Spülung
primär verschlossen (⊡ Abb. 7.3).
Wunden mit unregelmäßig begrenzten Rändern werden
grundsätzlich erst nach Wundausschneidung verschlossen. Die
Wundausschneidung nach Friedrich wird idealerweise in toto
durchgeführt. Dazu wird von einem Wundpol her mit dem
Skalpell etwa 3–5 mm des Haut- und Wundgewebes in toto re-
seziert bis überall glatt begrenzte, frisch blutende Wundränder
bestehen. Danach Blutstillung, Spülung und ebenfalls primärer
Wundverschluss.
Bestehen kontaminierte Wunden, z. B. nach Bissverletzun-
gen oder landwirtschaftlichen Verletzungen, werden die Wun-
den nach Wundausschabung offen gelassen und nach einigen
Tagen bei beginnender Granulation sekundär verschlossen. Bei
freiliegenden Sehnen, Nerven und Gefäßen sind ggf. spezielle
Techniken zur Gewebedeckung notwendig. Derartige Versor-
gungen sind idealerweiser im Operationssaal durchzuführen
und erfolgen unter fachärztlicher Anleitung. ⊡ Abb. 7.3. Wundrandausschneidung nach Friedrich. Die Wunde wird
Sehr große, kontaminierte Wunden werden heutzutage in der ganzen Zirkumferenz etwa 5 mm vom Wundrand entfernt »im
nach Wundausschneidung mit einem Vakuumsystem passager Gesunden« exzidiert. Die »Radikalität« richtet sich nach Geometrie
und Verschmutzungsgrad der Wunde. Im Idealfall wird das gesamte
versiegelt und können damit i. d. R. nach recht kurzer Konditio-
debridierte Gewebe in toto ausgeschnitten und entfernt. Entstehende
nierungszeit verschlossen werden. Blutungen sind in der Regel durch Kompression zum Sistieren zu brin-
Nach der Wundausschneidung erfolgt insbesondere bei gen, in Ausnahmefällen wird eine Umstechung nötig (aus Nerlich u.
Verletzungen der Hand und über Gelenken eine sehr sorgfäl- Berger 2003)
tige Wundinspektion, um ggf. bisher unerkannte Zusatzverlet-
zungen (Sehnen, Gefäße, Nerven) erkennen zu können.
Der Wundverschluss erfolgt i. d. R. mit der Rückstich-
naht nach Allgöwer (weniger traumatisierend!) oder Donati
(⊡ Abb. 7.4 und 7.5), im Bereich der Hand und des Gesichtes
mit Einzelknopfnähten. Bei sauberen Schnittwunden kann in
Ausnahmefällen auch eine Intrakutannaht erfolgen (⊡ Abb. 7.6).
Die Wunde wird nach abschließender Säuberung und Desin-
fektion mit einem sterilen, trockenen Mullkompressenverband
abgedeckt und darüber ein leicht komprimierender elastischer
Verband angelegt.

⊡ Abb. 7.4. Naht nach Donati. Der Einstich beginnt auf der Seite der
Wunde, auf der die Weichteilschädigung geringer ist (hier kommt auch
der Knoten zu liegen), etwa 5–8 mm vom Wundrand entfernt. Die Nadel
wird senkrecht durch die Haut gestochen und erreicht den Wundspalt
im Subkutangewebe. Hier wird sie wieder mit dem Nadelhalter gefasst
und in der Wunde die Gegenseite subkutan gestochen, und die gegen-
seitige Haut wieder etwa 8 mm vom Wundrand entfernt von innen her
durchquert. Der sog. »Rückstich« erfogt ca. 1 mm bis maximal 2 mm
vom Wundrand intrakutan bis in den Wundspalt. Dort wird die Nadel
erneut gegriffen und auf der Gegenseite intrakutan ausgestochen. Ge-
rade am Anfang ist es sinnvoll, die Lage der Haut »auf der Nadel« zu
beurteilen. Ist eine »Stufenbildung« im Hautniveau erkennbar, lag der
intrakutane Rückstich nicht in gleicher Tiefe der Haut und muss wie-
derholt werden. Ansonsten wird nun der Faden bis etwa 5 cm vor dem
Fadenende durchgezogen. Das Knoten erfolgt mit dem Nadelhalter. Die
Spannung sollte gering sein. Die Haut darf sich auf keinen Fall »aufwuls-
ten«, da durch die zwangsläufig perioperativ zunehmende Schwellung
sogar lokale Durchblutungsstörungen am Wundrand auftreten könnten.
Die Hautränder sollten lückenfrei, aber auch spannungsfrei aneinander
liegen. Der Nahtabstand hängt von der Körperregion und der Hautbe-
schaffenheit ab. In der Regel beträgt der Abstand 5–8 mm (aus Nerlich
u. Berger 2003)
152 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7
⊡ Abb. 7.5. Naht nach Allgöwer. Die Besonderheit dieser Nahtführung ist
der rein intrakutane Rückstich auf der Gegenseite. Die Wundränder sind
weniger belastet. Diese Technik ist schonender für die Haut, braucht aber
auch etwas mehr Übung, um Wundrandverwerfungen zu vermeiden (aus
Nerlich u. Berger 2003)

⊡ Abb. 7.6. Intrakutannaht. Eine Besonderheit stellt die Intrakutannaht


dar. Hier wird zunächst in Verlängerung der Wunde durch die Haut ge-
stochen. Die weiteren Stiche erfolgen im Verlauf der Wunde rein intraku-
tan, d. h. die Nadel und der Faden bleiben unter Hautniveau und werden
erst am Ende der Wunde erneut ausgestochen. Der Faden wird mit spe-
ziellen Verschlüssen gesichert oder aber in sich oder über einen Tupfer
geknotet. Bei längeren Wunden muss darauf geachtet werden, dass
etwa alle 5–8 cm ein seitlicher Ausstich erfolgt. Durch diese dann vor der
Haut liegende Schlaufe kann ein loses Fadenende gelegt werden. Das ist
nötig, um bei der Fadenentfernung kein Abreißen des Fadens durch zu
große Reibung zu provozieren. Vor Entfernung des Fadens wird gut des-
infiziert, um auch die Gleitfähigkeit des monofilen Materials zu erhöhen,
und nach Öffnen der Verschlüsse von einer Seite her ein sich langsam
steigernder Zug ausgeübt. Sobald der Faden »in Bewegung« ist, ist die
Entfernung unkritisch. Sollte ein Faden nicht gezogen werden können,
ist es sinnvoll, einen erfahrenen Kollegen zu Rate zu ziehen, bevor der
Faden subkutan abgerissen ist und ggf. nur durch einen erneuten Ein-
griff zu bergen ist
7.2 · Chirurgische Wundversorgung
153 7
Postoperativ
Probleme
Der Patient ist entsprechend des Ausmaßes der Verletzung im-
mer genau über Verhaltensmaßregeln (Schonung, Hochlagerung,
Wunden trocken halten) zu instruieren und insbesondere über
Zeichen einer beginnenenden Komplikation (Nachblutung, In-
fektzeichen, sekundäre Wunderöffnung etc.) aufzuklären. Es ist
sinnvoll, zu besprechen, wohin sich der Patient bei weiteren Fra-
gen und auftretenden Komplikationen wenden kann.

Nachbehandlung
Wundkontrolle am nächsten Tag und ggf. Reduktion des
Wundverbandes auf Pflasterverband, zeitgerechter Fadenzug
nach 10–14 Tagen.

⊡ Tab. 7.1. Impfungen und Prophylaxe. Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes im Verletzungsfall und nach Insektenbissen in Deutschland

Tetanus1

Anzahl der bisherigen Tetanusimpfungen Saubere, geringfügige Wunden Alle anderen Wunden

Tda TIGb Tda TIGb

Unbekannt Ja Nein Ja Ja

0–1 Ja Nein Ja Ja

2 Ja Nein Ja Neine

3 oder mehr Neinc Nein Neind Nein

Tollwut2

Exposition durch ein tollwutverdächtiges oder toll- Exposition durch ein Tollwutimpfstoffköder Immunprophylaxe
wütiges Wild- oder Haustier (tollwutverdächtig ist
auch eine Fledermaus, die sich anfassen lässt)

 Berühren/Füttern von Tieren  Berühren von Impfködern bei intakter  Keine Impfung
 Belecken der intakten Haut Haut

 Knabbern an der unbedeckten Haut  Kontakt mit der Impfflüssigkeit eines  Impfung (nach Angaben des Herstellers)
 Oberflächliche, nicht blutende Kratzer durch beschädigten Impfstoffköders mit nicht
ein Tier intakter Haut
 Belecken der nicht intakten Haut

 Jegliche Bissverletzung oder Kratzwunden  Kontamination von Schleimhäuten und  Impfung und simultan einmalig mit der
 Kontamination von Schleimhäuten mit Speichel frischen Hautverletzungen mit einem ersten Impfung passive Immunisierung
beschädigen Impfstoffköder mit Tollwutimmunglobulin (20 IE/kg KG)

Zeckenbisse Frühsommerenzephalitis (FSME)3

Personen, die in FSME-Risikobebieten für Zecken exponiert sind oder die durch FSME beruflich ge- Grundimmunisierung und Auffrisch-
fährdet sind (exponiertes Laborpersonal sowie in Risikogebieten Forstarbeiter) impfungen mit einem für Erwachsene bzw.
Kinder zugelassenen Impfstoff nach Anga-
ben des Herstellers

Zeckenbisse Borreliose

Ein in den USA entwickelter Impfstoff wurde 2002 wieder vom Markt genommen

1 Frink et al. 2006


2 www. Laborlexikon.de/Lexikon/labor
3 Robert-Koch-Institut Epidem. Bulletin Nr. 30 S. 241

a Kinder unter 6 Jahren Tetanusimpfstoff (T), alle anderen Tetanus-Diphtherie-Kombinationsimpfstoff (Td) mit verringertem Diphtherietoxoid-Gehalt

b Humanes Tetanus-Immunglobulin (250–500 IE) simultan mit T/Td

c Ja, wenn letzte Impfung älter als 10 Jahre

d Ja, wenn letzte Impfung älter als 5 Jahre

e Ja, wenn die Verletzung älter als 24 h ist


154 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7.3 Anlage einer Thoraxdrainage (Bülau-Drainage)

Indikation
Das Legen einer Thoraxdrainage ist eine wichtige Maßnahme,
die als Basistechnik im Fachgebiet Orthopädie/Unfallchirurgie
beherrscht werden sollte. Häufig muss diese Maßnahme im
Rahmen einer akuten Notfallsituation, wie z. B. einem Span-
nungspneumothorax oder einem posttraumatischen Hämato-
pneumothorax, durchgeführt werden. Es ist daher wichtig, eine
sicher anwendbare und zuverlässige Methode zu beherrschen.
Im Folgenden wird die Anlage einer Thoraxdrainage im 4.
ICR in der vorderen Axillarlinie in getunnelter Technik als
halboffene Methode beschrieben. Durch Verzicht auf das Ein-
gehen mit spitzen Trokaren ist eine iatrogene Lungenverletzung
weitestgehend ausgeschlossen, durch die Einlage von Drainage
mit ausreichendem Durchmesser (28–33 Charr.) ist die ausrei-
chende Entlastung auch eines Hämatothorax gesichert. In der
7 Regel wird die Anlage beim narkotisierten Patienten durchge-
führt. Bei einem reinen Pneumothorax kann unter ausreichen-
der Lokalanästhesie der Eingriff in gleicher Technik auch beim
wachen Patienten erfolgen. Beim spontan atmenden Patienten
muss auf eine ausreichende Abdichtung (z. B. Heimlich-Ventil)
geachtet werden.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
In lebensbedrohlichen Situationen, beispielsweise im Rahmen
eines kreislaufwirksamen Spannungspneumothorax oder bei
einem ausgedehnten Hämatopneumothorax, muss unverzüg-
lich gehandelt werden. Hier ist das Legen der Thoraxdrainage
als lebensrettende Sofortmaßnahme anzusehen. Soll beim wa-
chen und ansprechbaren Patienten ein Resterguss oder ein Hä-
matothorax bzw. Mantelpneumothorax entlastet werden, muss
eine Aufklärung erfolgen. Folgende Punkte sind anzusprechen:
▬ Verletzung innerer Organe (Lunge, Milz, bzw. Leber, intra-
thorakaler großer Gefäße)
▬ Unzureichende Entlastung des Seroms/Hämatothorax/
Pneumothorax
▬ Wundinfektion bis zum Pleuraempyem mit Nachoperati-
onen
▬ Verletzung der Interkostalnerven mit langfristiger, schmerz-
hafter Reizung
7.3 · Anlage einer Thoraxdrainage (Bülau-Drainage)
155 7
Im Operationssaal
Vorbereitung
Der Eingriff findet im Normalfall in Intubationsnarkose statt.
Bei dem wachen Patienten wird im Bereich des betroffenen,
einschließlich des darüber und darunter liegenden Interkostal-
raumes, flächenhaft die lokale Infiltration der Haut durchge-
führt. In der Tiefe erfolgt die weitere Infiltration im Bereich des
vorgesehenen Penetrationspunktes in der Nähe des Interkostal-
nervs mit einem kurzwirksamen Lokalanästhetikum.
Günstig kann das Einzeichnen der Eintrittsstelle sein, meist
der 4. Interkostalraum (Anhaltsgröße: in »Höhe der Mamille«;
⊡ Abb. 7.7). Üblicherweise wird in der vorderen Axillarlinie
eingegangen, je nach lokalen Verhältnissen und Lage des Er-
gusses (mögliche Verkapselung) kann auch der Bereich bis zur
hinteren Axillarlinie gewählt werden. Die Hautinzision wird
einen ICR distal der Durchtrittsstelle in den Thorax gewählt,
um einen schrägen und damit selbst »dichtenden« Verlauf des ⊡ Abb. 7.7. Lagerung und Orientierungspunkte. Der Arm der betroffe-
Weichteiltunnels zu erreichen. nen Seite wird nach oben gelagert, ggf. von einer Hilfsperson gehalten.
Abzählen der Rippen und Identifikation des 4. ICR, ggf. wird eine An-
Der Eingriff wird unter sterilen Kautelen mit Haube, Mund-
zeichnung vorgenommen. Das Operationsfeld wird großzügig desinfi-
schutz, Kittel und sterilen Handschuhen durchgeführt. In der ziert und steril umdeckt. Die eigentliche Hautinzision erfolgt über der
Regel ist das notwendige Instrumentarium in einem »Thorax- nächsttieferen Rippe, der 4. ICR wird über einen subkutanen Tunnel er-
drainagenset« zusammengepackt. Folgende Instrumente, Medi- reicht, um eine bessere Abdichtung der Thoraxdrainage beim Durchtritt
kamente und Materialien werden vorbereitet: durch die Thoraxwand zu erreichen
▬ 1 grobe chirurgische Pinzette, 1 Skalpellhalter mit Klinge,
z. B. Größe 21, Metzenbaum-Schere, 2 Backhaus-Klemmen
oder Tuchklemmen, Nadelhalter sowie eine nicht resorbier-
bare geflochtene Annaht (z. B. Stärke 0–2), 2 Thoraxklemmen
(zum Abklemmen der Drainage), eine gebogene Kornzange,
Thoraxdrainage mit Trokar (28–32 Charr. je nach Indika-
tionsstellung), Kompressen, Verbandskompressen (Schlitz-
kompressen).ggf. Markierungsstift für die Haut
▬ Kurz wirksames Lokalanästhetikum mit Injektionskanülen
(10–20 ml)
▬ 1 Wasserschloss nach Bülau oder heutzutage besser als kon-
fektionierter Einmalartikel mit regulierbarer Saugstärke
▬ Einstellbare Absaugmöglichkeit (Pumpe oder Wandsaugung)

Lagerung
Der Patient wird in die Rückenlage verbracht, der betroffene
Arm wird durch einen Helfer nach oben gehalten. Steriles
Abdecken der gesamten betroffenen Thoraxseite. Die Eintritts-
stelle am Oberrand der 5. Rippe in der vorderen Axillarlinie
wird abgezählt und markiert. Die Hauteröffnung erfolgt einen
ICR weiter distal und wird ebenfalls angezeichnet.
156 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Operationstechnik
An der markierten Stelle (6. ICR) erfolgt eine etwa 2,5 cm
lange Inzision am Oberrand der Rippe. Mit der Präparierschere
(Metzenbaum-Schere) wird subkutan eingegangen und nach
kranial hin der Oberrand der 5. Rippe palpiert (⊡ Abb. 7.8).
Unter leichter Spreizung wird über den Oberrand der 5. Rippe
eingegangen und unter beständiger Spreizung der Muskulatur
die Pleura parietalis erreicht und vorsichtig eröffnet. Bei Vorlie-
gen eines Pneumothorax entweicht hörbar Luft.
Dieser Kanal wird nun mit der Schere, danach mit dem
Zeigefinger aufgeweitet. Durch Palpation im Pleuralspalt
(⊡ Abb. 7.9) können wertvolle Informationen gewonnen werden,
z. B. über die Konsistenz des Lungengewebes, Hämatomausmaß
etc.. Möglichst mit liegendem Finger wird nun die Thorax-
drainage eingeschoben (⊡ Abb. 7.10). Ist der Kanal weit genug
präpariert, kann zur Verminderung der Gefahr von iatrogenen
Verletzungen ganz auf den Trokar verzichtet werden.
7

⊡ Abb. 7.8. Thoraxeröffnung. Im Querschnitt wird die Tunnelungstech-


nik deutlicher. Mit der Schere wird stumpf, spreizend der Oberrand der
5. Rippe aufgesucht; sehr vorsichtig werden Interkostalmuskulatur und
letztendlich auch die Pleura parietalis eröffnet. Brüske Bewegungen soll-
ten auf alle Fälle vermieden werden, um keine Lungenverletzung zu pro-
vozieren. Auf keinen Fall darf am Unterrand der Rippe eingegangen wer-
den, da hier eine hohe Verletzungsgefar der Interkostalgefäße besteht

⊡ Abb. 7.9. Austasten mit dem Finger. Mit dem Finger wird jetzt getas- ⊡ Abb. 7.10. Platzierung der Drainage mit zurückgezogenem Füh-
tet, ob der Thorax wirklich eröffnet wurde oder die Wundhöhle ggf. nur rungsspieß. Der Führungsspieß der Drainage wird etwa 3–5 cm zurück-
subkutan liegt. Palpation innerhalb des Thorax, um die Lage und Konsis- gezogen und das weiche Ende der Thoraxdrainage über den Finger in
tenz der Lunge und/oder ggf. das Zwerchfell zu tasten (cave: potenziell den Thorax geführt. Je nach Vorliegen eines reinen Pneumothorax kann
zu weit distal eingegangen!). Bestehende Verklebungen können sehr die Drainage nach kranial, bei Vorliegen eine Hämato- oder Hämato-
vorsichtig gelöst werden Pneumothorax auch nach distal dirigiert werden. Das Vorschieben ge-
schieht durch sequenzielles Zurückziehen des Führungsspießes, er sollte
immer mit der Spitze außerhalb des Brustkorbs sein
7.3 · Anlage einer Thoraxdrainage (Bülau-Drainage)
157 7
In einigen Fällen wird aber eine »Versteifung« zum Ein-
schieben benötigt. Dazu wird der Trokar soweit zurückgezogen,
bis etwa 2–2,5 cm der Spitze der Thoraxdrainage flexibel sind.
Damit lässt sich die Drainage nun ausreichend »steuern«, ohne
dass die Spitze verletzen könnte. Dieses Manöver ist insbeson-
dere hilfreich, um innerhalb der Pleurahöhle die Drainage nach
kranial oder distal-dorsal zu positionieren. Ist die Richtung
festgelegt, wird der Trokar sukzessive zurückgezogen und nur
die Drainage vorgeschoben. Besteht ein Hämatothorax bzw.
Hämatopneumothorax, wird die Drainage in den distalen, dor-
salen Rezessus eingeschoben. Beim reinen Pneumothorax wird
die Drainage nach kranial-ventral platziert. Ist die Inzision sehr
klein, kann dieses Manöver auch subkutan ohne digitale Kon-
trolle durchgeführt werden. Das Einschieben der Drainage er-
folgt dann mit einer Kornzange, allerdings mit erhöhtem Risiko
für Verletzungen des Lungengewebes.
! Es ist sicherzustellen, dass der Pleuralraum erreicht wurde
und die Drainage nicht akzidentiell im Subkutangewebe
vorgeschoben wird. Die Drainage sollte ausreichend weit
eingeschoben werden, um nicht über die Perforationen in
der Drainagewand eine Verbindung von Pleuralspalt zum
Subkutangewebe herzustellen. Dies würde zu einem ausge- ⊡ Abb. 7.11. Wasserschloss. Kommerziell erhältliches »Wasserschloss«
dehnten Luftemphysem führen. (z. B. Fa. Tyco Healthcare) mit verschiedenen Funktionen wie z. B. Kon-
trolle der Saugleistung, Sekretsammelkammer und Wasserschloss, um
Die Drainage wird zunächst digital gesichert und das Ende ab- ein Eindringen von Außenluft in den Pleuraspalt zu verhindern
gegeben und mit dem Wasserschloss konnektiert (⊡ Abb. 7.11).
In der Regel findet eine spontane Entleerung statt, bei PEEP-
Beatmung ist keine weitere Maßnahme notwendig, bei Spontan-
atmung sollte eine Saugung mit 20 mm Wassersäule erfolgen.
Um ein Herausrutschen zu vermeiden, wird nun die Drai-
nage angenäht (⊡ Abb. 7.12). Dazu wird quer zur Inzision ein-
gestochen und zunächst die Wunde verschlossen, danach über
einen »Steg« mehrfaches Umschlingen der Drainage und Si-
cherungsknoten. Durch leichten Zug an der Drainage wird die
sichere Fixation überprüft. Abschließend wird quer zur Wunde
eine U-Naht vorgelegt und am Ende vorgeknotet. Sie wird bei
der Entfernung der Drainage benötigt, um die Inzision sicher
zu verschließen. Kontrolle des guten Spiels durch Kompression
des Schlauches. Sollte die Drainage abgeknickt sein, muss ggf.
die Position korrigiert und durch Rotation der Drainage der
Knick entfernt werden. Umlegen der Inzision mit Schlitzkom-
pressen und weiteren Kompressen. Der abschließende Wund-
verschluss erfolgt mit Klebepflaster.

⊡ Abb. 7.12. Annaht und Vorlegen einer U-Naht. Die Drainage wird mit
nicht resorbierbarem Nahtmaterial (Stärke 0) an der Haut vernäht. Dazu
ist es nötig, mehrere Umschlingungen und Knoten am Drainageschlauch
selbst vorzunehmen, um ein Durchrutschen sicher zu verhindern. Eine
sog. »U-Naht« wird nur locker um die Eintrittsstelle gestochen und »lang
gelassen«. Sie dient zum Verschluss des Drainagekanals nach der Draina-
geentfernung. Das Knoten kann in der Regel ohne weitere Lokalanästhe-
sie erfolgen. Um ein akzidentielles Herausziehen zu vermeiden, wird der
lange Faden ganz am Ende geknotet. Dieser Knoten wird unmittelbar
vor Entfernung der Drainage abgeschnitten
158 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Postoperativ 7.4 Fixateur externe am Beckenring


Probleme zur Notfallstabilisierung
Das betreuende Personal auf der Station muss mit der Funktion
und den Risiken einer liegenden Thoraxdrainage vertraut sein. Indikation
Insbesondere müssen Anzeichen eines ggf. schnell auftretenden Beckenringverletzungen weisen ein weites Schweregradspekt-
Spannungspneumothorax rechtzeitig erkannt werden. Mögli- rum auf, das von rein symptomatisch zu behandelnden Becken-
cherweise kann ein Abknicken der Drainage oder ein Koagel randfrakturen bis hin zu akut lebensbedrohlichen, instabilen
die Ursache sein. Diese Hindernisse müssen unmittelbar ent- Beckenringfrakturen mit peripelvinem Weichteilschaden geht.
fernt werden und evtl. sofort eine Saugung angelegt werden. Auf Grund dieser hohen Variabilität, der schwierigen radiolo-
Auch eine schnell ansteigende Blutmenge in der Sammelkam- gischen Darstellbarkeit des knöchernen Beckenrings und den
mer als Zeichen einer thorakalen Blutung muss sofort erkannt häufig nur schwer erkennbaren Begleitverletzungen, hat die
werden. Verletzungsanalyse, die Indikationsstellung und ein angemes-
senes »Timing« der einzelnen Maßnahmen eine entscheidende
Nachbehandlung Bedeutung für das primäre Überleben im Akutfall. Während in
Röntgenkontrolle nach Anlage der Thoraxdrainage, Verord- Notfallsituationen die mechanische Stabilisierung des zerrisse-
nung von Saugung wenn notwendig (Pneumothorax, Luftleck). nen Beckenrings im Vordergrund steht, ist bei der definitiven
Am Bett müssen Thoraxdrainageklemmen bereitgehalten wer- Versorgung eine möglichst anatomische Rekonstruktion des
7 den, um nach Extubation im Falle einer Diskonnektion einen Beckenrings anzustreben, da sie als Voraussetzung für eine
sofortigen Verschluss der Drainage vor Auftreten eines Pneu- komplette Rehabilitation des Patienten anzusehen ist. Da die
mothorax sicher zu stellen. korrekte Entscheidungsfindung mit Auswahl adäquater Os-
teosyntheseverfahren eine vertiefende Beschäftigung mit dem
Thema benötigt, werden an dieser Stelle nur einzelne Basistech-
niken beschrieben, ohne auf ihre Wertigkeit im Rahmen einer
Gesamtrekonstruktion eines mehrfach instabilen Beckenrings
einzugehen. Die beschriebene Technik der Stabilisierung mit
dem Fixateur externe ist vom Grundsatz her sowohl in Akutsi-
tuationen, als auch im Rahmen von Definitivversorgungen ein-
setzbar. Für die vertiefende Beschäftigung mit dieser Thematik
werden neben dem Studium der weiterführenden Literatur der
Besuch von speziellen »Beckenkursen« und die Hospitation in
spezialisierten Zentren empfohlen.

Operationsprinzip
Ein Fixateur externe am Beckenring kann prinzipiell im Be-
reich der Beckenschaufeln oder in der sog. supraazetabulären
Position im Bereich der Spina iliaca anterior inferior verankert
werden. Auf Grund der besseren Verankerungsmöglichkeiten
im Knochen und der geringeren Rate von Weichteilproblemen
setzt sich zunehmend die hier angeführte supraazetabuläre Va-
riante durch. Der Fixateur externe ist als Osteosynthesemethode
zur Stabilisierung von Typ-B-Verletzung (partiell erhaltene Sta-
bilität im hinteren Beckenring z. B. instabile Scham- und Sitz-
beinastfrakturen) ausreichend. Bei Typ-C-Verletzungen wird er
entweder als vorübergehende Notfallstabilisierungsmaßnahme
eingesetzt oder additiv nach dorsalen Osteosynthesen. Auf
Grund der rein perkutanen Technik ist er bei entsprechender
Infrastruktur auch als Notfallmaßnahme im Schockraum an-
legbar.
7.4 · Fixateur externe am Beckenring zur Notfallstabilisierung
159 7
Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Thrombose-Embolie-Risiko
▬ Verletzung des Nervus cutaneus femoris lateralis (häufig!
ca. 20–40%, auch passager)
▬ »Pin-tract«-Infektion
▬ Verletzung Femoralgefäße/Nervus femoralis (äußerst selten)
▬ Hüftgelenksperforation (äußerst selten)
▬ Weichteil- und/oder Knocheninfekt

Der Patient sollte darauf hingewiesen werden, dass bei einer


rein knöchernen Verletzung im vorderen Beckenring der Fixa-
teur für 3–4 Wochen belassen wird.

Diagnostik und Planung


Ein besonderes Risiko nach Beckenringverletzungen besteht in
der hohen Thromboserate, die ohne Prophylaxe in einzelnen Stu-
dien bei bis zu 100% der Patienten angegeben wurden. Es wird da-
her bei kreislaufstabilen Patienten unmittelbar nach Einlieferung
nach einem leitliniengerechten Hochrisikoschema vorgegangen.
Ist die lückenlose Thromboseprophylaxe nicht zu sichern, z. B.
⊡ Abb. 7.13. Lagerung und Abdeckung. Der Patient liegt in der Rücken-
bei sekundär aus anderen Kliniken zuverlegten Patienten, ist ein lage auf dem Standardtisch, besser auf dem Tisch mit röntgendurchläs-
Thrombosescreening zumindest mit Duplexsonographie, besser siger Tischplatte. Die benötigten Bildwandlereinstellungen sind vor der
mit Computertomographie oder NMR anzuraten. Abdeckung zu überprüfen, da insbesondere in der »Outlet-Projektion«
Die lokalen Haut- und Weichteilverhältnisse werden genau eine Kippung des Bildwandlers durch die Tischsäule behindert sein
kann. Der Patient muss dann weiter »fußwärts« gelagert werden. Die Ab-
untersucht, insbesondere Schürfungen, Wunden, insbesondere
deckung erfolgt großzügig, um Becken und die untere Abdominalregion
wenn sie superinfiziert sind, aber auch ein subkutanes Décol- zugängig zu haben. Ist eine geschlossene Reposition einer Beckenhälfte
lement (sog. »Morell-Lavallé-Läsion«) können zur Änderung geplant, ist es sinnvoll, an der betroffenen Seite das Bein frei beweglich
der operativen Strategie führen. abzudecken

Im Operationssaal
Lagerung
Lagerung möglichst auf einem röntgendurchlässigen Operati-
onstisch bzw. in ausreichender Entfernung von der Tischsäule,
damit die Standortprojektionen (einschließlich der Inlet- und
Outlet-Aufnahmen) mit dem Bildwandler durchgeführt wer-
den können (vor dem Abdecken prüfen!) (⊡ Abb. 7.13).
Ausreichende Rasur des Operationsgebietes einschließ-
lich der Schambehaarung. Ist eine geschlossene Reposition bei
Fehlstellung notwendig, wird die betroffene untere Extremität
frei beweglich abgedeckt. Insbesondere bei mehrfachverletzten
Patienten muss auf eine ausreichende Vorreinigung des Opera-
tionsgebietes geachtet werden.
! Durchnässung der Auflageflächen mit Verbrennungsgefahr bei
Benutzung des Elektrokauters.

Zugang
Zunächst Anzeichnen der Landmarken: Spina iliaca anterior
superior und Symphyse. Eintrittspunkte je nach Größe des
Patienten 2–3 cm distal und 2–3 cm medial der Spina iliaca an- ⊡ Abb. 7.14. Orientierung und Inzision. Da die Schanz-Schrauben schräg
terior superior. Anzeichnen des Verlaufs der Arteria femoralis in das Becken eintreten, ist es nötig, die Hautinzision distal und lateral der
(Palpation!) direkt und der lateral anschließenden Vena femo- knöchernen Eintrittsstelle zu positionieren. Es besteht naturgemäß eine
Abhängigkeit von den anatomischen Gegebenheiten. In der Regel ist aber
ralis und des Nervus femoralis. Der Zugang ist ca. 2–3 cm lang eine Position 2–3 cm distal der Spina iliaca anterior superior und 2 cm bis
und verläuft schräg in den Hautspaltlinien von proximal lateral maximal 3 cm nach medial versetzt korrekt. Hier wird eine ca. 2 cm lange,
nach distal medial (⊡ Abb. 7.14). in den Hautspaltlinien verlaufende schräge Inzision angelegt
160 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Operationstechnik
Die tiefe Präparation erfolgt stumpf mit der spreizenden Schere
in einer Richtung etwa 30° nach kranial und 30° nach medial,
bis der vordere Beckenring kranial der Spina iliaca anterior
inferior erreicht wird. Mit der Spitze der Schere wird die
Knochenoberfläche abgetastet und eine erste Orientierung zur
Ausrichtung der Spina iliaca anterior inferior und der Becken-
eingangsebene erreicht (⊡ Abb. 7.15). Entfernen der Schere und
Einsetzen des dreiteiligen Trokarhülsensets zur Fixateur-Ap-
plikation. Je nach Ausdehnung des Weichteilmantels wird das
kurze oder lange Hülsenset gewählt. Es muss bei Kontakt zum
Knochen noch ausreichend mit der Hand stabilisierbar sein.
Erneute Palpation mit dem Trokar und ggf. Bildwandlerkon-
⊡ Abb. 7.15. Technik der Bohrung. Nach der Hautinzision wird der Kno-
chen durch stumpfes Präparieren mit einer Schere oder Klemme erreicht. trolle der korrekten Eintrittsstelle am Knochen, die etwa 1–2
Der Beckenkamm kranial der Spina iliaca anterior inferior ist in der Regel cm kranial der Spina iliaca anterior superior liegen sollte. Mit
gut zu tasten. Diese Position wird mit dem dreiteiligen Trokar aufgesucht dem Bildwandler erfolgt ggf. auch eine Feinkorrektur der Boh-
und durch einen Hammerschlag eine »Ankörnung« an der Eintrittstelle rerrichtung. Der Zielpunkt sollte knapp lateral des SI-Gelenks
erzeugt. Der Assistent übernimmt die Bohrhülsen und hält die Position,
7 liegen. Der Assistent hält die äußeren Hülsen in der richtigen
bis der Trokar entfernt und der Bohrer in den Kochen eingedrungen ist
Position. Durch einen leichten Hammerschlag wird mit dem
zentralen Trokar eine Vertiefung im Knochen erzeugt, um ein
späteres Abrutschen des Bohrers zu verhindern. Jetzt exakte
Stabilisierung und Entfernung des zentralen Trokars. Eingehen
mit einem langen 3,5-mm-Bohrer und Anlegen einer etwa 5 cm
tiefen Bohrung in der sog. »Schlagbohrtechnik«.
Jetzt Entfernen von Bohrer und erster Trokarhülse (cave:
hohe Abrutschgefahr der äußeren Hülse!) und Einführen einer
langen Schanz-Schraube mit T-Griff.
> Achtung 1. Assistent
Ein Abrutschen geschieht in dem Moment, wenn der spitze
Trokar aus der Bohrhülse gezogen wird. In diesem Moment
muss die führende Hand guten Kontakt mit dem Körper des
a Patienten halten und die äußeren Bohrhülsen müssen fest
und streng axial auf den Knochen gepresst werden.

Eindrehen der Schanz-Schraube. Nach etwa 2–3 cm vorsichtige


Wackelbewegungen am T-Griff, um sicherzustellen, dass die
Schanz-Schraube sicher intraossär liegt und nicht das Bohrloch
verfehlt wurde. Endgültiges Eindrehen der Schanz-Schraube,
bis durch eine Ablenkung an der inneren Kortikalis im dorsalen
Beckenbereich eine Vorbiegung der Schanz-Schraube und da-
mit eine deutlich verbesserte Fixation erreicht ist.
! Vorsicht bei der Verwendung der langen Trokarhülsen: Bei ra-
schem Eindrehen wird die Hülse nicht selten durch Auflaufen
auf den T-Griff in den Knochen gedrückt! Daher wird ggf. die
Trokarhülse bei sicherer Verankerung der Schanz-Schraube im
Knochen nach Entfernung des T-Griffs abgezogen und der T-
Griff danach erneut aufgesetzt.

b Bildwandlerkontrolle in Inlet- und Outlet-Projektion. Die int-


raossäre Lage kann durch eine Bildwandlerprojektion parallel
⊡ Abb. 7.16a,b. Montagevariationen Fixateur externe am Beckenring. zur Orientierung der Schanz-Schraube gesichert werden.
a Hier wurde eine gebogene Karbon-Rundstange zur Verbindung bei- Entsprechendes Vorgehen auf der kontralateralen Seite, da-
der Schanz-Schrauben verwendet. Sie ist speziell für den Beckenring nach Aufsetzen der Verbindungsbacken und Durchführen der
konstruiert und hat den Vorteil, dass sie sich der Kontur der Körperober-
geschlossenen Reposition (Kompression/Distraktion, ggf. Rota-
fläche sehr gut anpasst. Die Karbonstange erleichtert auch spätere Rönt-
genkontrollen. b Alternativ können auch Standardkomponenten aus tion) und Sichern mit einer gebogenen Karbonstange. Alterna-
dem Fixateur-Set verwendet werden. Zur besseren Röntgenmöglichkeit tiv können auch kurze Standardrundstäbe mit Verbindungsge-
sollten möglichst Karbon-Verbindungsstangen eingesetzt werden lenk verwendet werden (⊡ Abb. 7.16).
7.5 · Beckenzwinge
161 7
Der Abstand der Verbindungsbacken zur Haut sollte etwa 7.5 Beckenzwinge
3–4 cm betragen. Die Schanz-Schrauben werden noch nicht
gekürzt, da im Rahmen der Mobilisation die Position der Ver- Indikation
bindungsstange ggf. nochmals korrekturbedürftig ist. Die Beckenzwinge wird bis auf wenige Ausnahmesituationen
Vor Abschluss der Operation wird die spannungsfreie nur zur Notfallstabilisierung einer instabilen Beckenringver-
Hautlage um die Schanz-Schrauben kontrolliert. Nach Reposi- letzung vom Typ C in Kombination mit einer beckenbedingten
tionen einer größeren Fehlstellung kann die Hautspannung so hämodynamischen Instabilität eingesetzt. Das Ziel ist es, im
verändert sein, dass ggf. nochmals nachinzidiert werden muss. Rahmen der Notfallbehandlung möglichst schnell eine effektive
Eine Wundnaht wird nur in Ausnahmefällen bei ausgedehnten mechanische Stabilisierung des Beckenrings zu erreichen und
Inzisionen als Adaptationsnaht durchgeführt. dadurch weitere Blutverluste zu vermeiden sowie die physiolo-
Der Verband erfolgt mit eingeschnittenen Kompressen. gische Hämostase zu ermöglichen. Da bei inkorrekter Indika-
tionsstellung und Technik durchaus schwerwiegende Kompli-
kationen wie z. B. Fehlplatzierungen, Perforation in das kleine
Postoperativ Becken und weitere Verschiebungen der instabilen Becken-
Probleme hälfte beschrieben wurden, sollte die Zwinge nur von in der
Probleme können auftreten, wenn die Weichteile mit Spannung Anwendung erfahrenen Chirurgen angewendet werden. Da auf
von den Schanz-Schrauben verdrängt werden. Hier muss die Grund der Seltenheit derartiger Verletzungen und der unmit-
Haut ggf. auch sekundär weiter eingeschnitten werden. In der telbar lebensbedrohlichen Situation in der Regel nur wenig per-
Regel ist hierzu Lokalanästhesie ausreichend. Bei einer Mon- sönliche Erfahrung erlangt wird, sollte die Handhabung auch
tage in ungünstigem Winkel oder zu nahe zur Körperoberflä- dem Weiterbildungsassistenten in ihren Grundzügen vertraut
che kann das Sitzvermögen des Patienten behindert sein. Im sein. In speziellen Kursen kann die Anwendung am Simulator
eigenen Vorgehen werden die Schanz-Schrauben erst dann geübt werden.
endgültig gekürzt, wenn der Patient mobilisiert ist. Bis dahin
besteht die Möglichkeit, die Konstruktion zu optimieren.
Operationsvorbereitung
Nachbehandlung Auf Grund der Notfallsituation ist bei dem intubierten und
Täglicher Verbandswechsel der Schlitzkompressen. beatmeten Patienten keine spezifische Vorbereitung nötig. Das
Bei ausgedehnter Sekretion aus den Eintrittstellen (z. B. bei gesamte Instrumentarium sollte zusammen mit der Becken-
vorliegendem subkutanem Décollement) erfolgt der Verbands- zwinge als steriles Notfallset im Schockraum griffbereit gehal-
wechsel ggf. auch mehrfach täglich. Kontrolle der Lage der ten werden, damit nach Öffnen des Sets unmittelbar mit der
Verbindungsstange, insbesondere beim Aufsitzen und bei der Anlage begonnen werden kann. Da meist parallel zu weiteren
Mobilisation. Gegebenenfalls Nachkorrektur der Position. lebenserhaltenden Maßnahmen gearbeitet werden muss, wird
unter Absprache mit den weiteren Mitgliedern des Schock-
! Die Nachkorrektur der Position ggf. unter Bildwandlerkontrolle
raumteams die gesamte Beckenregion steril abgewaschen und
durchführen, da Repositionsverlust möglich.
abgedeckt. Ein steriles, wasserundurchlässiges Tuch wird zuvor
Alternativ wird eine weitere Verbindungsstange passager an- beidseits unter das Gesäß geschoben, um ein Durchnässen der
gesetzt, die Position korrigiert und danach die Kürzung vorge- Unterlage zu vermeiden. Die Abdeckung erfolgt sehr einfach
nommen. Nach endgültiger Positionierung werden die Schanz- durch 4 Rechtecktücher, die beidseits unter den Patienten ge-
Schrauben ggf. noch gekürzt, um das Tragen der Kleidung schoben und jeweils großzügig über Rumpf und Beine gelegt
möglichst wenig zu behindern. werden. In der Regel muss auf eine formelle Operationsvorbe-
Der Fixateur externe zur Behandlung einer knöchernen reitung im Schockraum verzichtet werden, als Minimum sind
Verletzung des vorderen Beckenrings wird für 3 Wochen belas- aber zusätzlich zu der persönlichen Schutzkleidung Mund-
sen. Danach ist durch die gute Kallusbildung in dieser Region schutz und sterile Handschuhe zu tragen. Im Idealfall wird der
schon i.d.R. eine ausreichende mechanische Stabilität vorhan- Operateur durch einen Assistenten unterstützt, eine weitere
den. Vor der Entfernung der Schanz-Schrauben wird aber zu- Person steht bereit, um durch Zug und Innenrotation am Fuß
nächst die Verbindungsstange gelöst und durch Bewegungen an der betroffenen Seite die Reposition durchzuführen oder zu-
den Schanz-Schrauben eine Schmerzprüfung vorgenommen. mindest zu verbessern.
Bestehen keine Schmerzen, erfolgt eine Mobilisation. Ist auch
diese schmerzfrei, können die Schanz-Schrauben endgültig Diagnostik und Planung
entfernt werden. Bestehen noch Schmerzen, wird die Verbin- Zur Indikationsstellung ist die genaue Analyse der im Rahmen
dungsstange erneut befestigt und der Fixateur für eine weitere der Notfalldiagnostik angefertigten Beckenübersichtsaufnahme
Woche belassen. Danach wird der beschriebene Test wieder- nötig. Sie bestätigt die instabile Beckenringverletzung, gibt Auf-
holt. Nach Entfernung des Fixateurs erfolgt die radiologische schluss über Ausmaß und Richtung der Fehlstellung und lässt
Kontrolle mit einer Beckenübersichtsaufnahme. den Ausschluss von Kontraindikationen zu, wie z. B. Iliumfrak-
turen und transiliakale Luxationsfrakturen des SI-Gelenks. Zur
Orientierung sollte diese Aufnahme im Sichtbereich des Opera-
teurs an den Leuchtkasten gehängt werden.
162 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

> Achtung 1. Assistent nach dorsal »gezogen« werden muss. Im Zweifelsfall sollte
Der Assistent führt, wenn notwendig, die Vormontage der lieber etwas weiter dorsal und großzügig, etwa 3–5 cm lang,
Beckenzwinge durch, der Operateur orientiert sich am Situs, inzidiert werden.
deckt ab und markiert die Eintrittspunkte.
Operationstechnik
Mit einer ausreichend langen Schere wird die Glutealmusku-
Im Operationssaal latur gespreizt und der Knochen erreicht. Hier lässt sich durch
Zugang vorsichtige Palpation schon eine Orientierung gewinnen. Wird
Man beginnt auf der unverletzten Seite, da hier die anatomi- das Instrument genau parallel zur Unterlage gehalten, rutscht
schen Landmarken meist besser erkennbar sind und die Re- man kranial der Eintrittsstelle an der Schräge der Becken-
position erleichtert wird, wenn die Beckenzwinge zunächst auf schaufel ab und wird nach dorsal zum korrekten Eintrittspunkt
den »stabilen Knochen« aufgesetzt wird. Für die Hautinzision geführt, an dem die äußere Kortikalis die Richtung ändert und
ist nur eine relativ grobe Orientierung nötig. Die Inzisions- nun senkrecht zur Oberfläche der Untersuchungsliege ver-
stelle liegt am Kreuzungspunkt der Linie, die von der Spina läuft. Die kraniokaudale Orientierung ist damit ebenfalls grob
iliaca anterior superior senkrecht zur Unterlage geht, mit der abzuschätzen. Durch vorsichtige Palpation kann die Lage der
lateralen Achse des Oberschenkels (⊡ Abb. 7.17). Es ist zu be- Incisura ischiadicus majus festgestellt werden, durch die Ver-
achten, dass die Oberschenkelachse nach dorsal hin gekrümmt wendung eines stumpfen Instrumentes wird die Verletzung des
7 verläuft und daher diese »Kurve« auch in der Verlängerung glutealen Gefäß-Nerven-Bündels vermieden.

⊡ Abb. 7.17a,b. Orientierungspunkte zur Anlage der Beckenzwinge.


a Der Patient liegt in Rückenlage auf der Schockraumtrage. Thorax, Ab-
domen und Beine sind mit sterilen Tüchern abgedeckt, nachdem die Be-
ckenregion desinfiziert wurde. Die Zwinge ist auf der sterilen Abdeckung
auf den Beinen bereitgelegt. Die Operation beginnt auf der unverletzten
Seite, da hier die anatomischen Landmarken ungestört sind. Die Ober-
schenkelachse ist angezeichnet und verläuft kranial der Trochanterspitze
in einem Bogen nach dorsal. Das Lot, ausgehend von der Spina iliaca
anterior superior ist ebenfalls angezeichnet. Am Kreuzungspunkt beider
Linien wird eine ca. 3 cm lange Längsinzision angelegt. b Hier ist das Ein-
gehen auf den Knochen dargestellt. Eine Schere oder auch eine gerade
b Klemme werden unter ständigem Spreizen genau parallel zum Tisch bis
zum Erreichen des Knochens vorgeschoben. Die Markierungslinien sind
zum besseren Verständnis nochmals dargestellt
7.5 · Beckenzwinge
163 7
Bei neuen Beckenzwingenmodellen wird dieser Palpations-
vorgang mit einem speziellen, an der Arbeitsspitze abgerunde-
ten kanülierten Instrument vorgenommen. An der ermittelten
Eintrittsstelle kann dann durch das Instrument hindurch direkt
ein langer Spickdraht in den Knochen eingeschlagen werden,
der Eintrittspunkt ist so gesichert und ohne Abrutschgefahr
immer wieder zu erreichen (⊡ Abb. 7.18). Diese Vorgehensweise
erleichtert die sichere Zwingenapplikation erheblich.
Der Operateur wechselt danach die Seite und führt die
entsprechende Inzision und das Aufsuchen der Eintrittsstelle
auf der Gegenseite durch. Hier kann es durch die Fehlstellung
a
der Beckenhälfte zu erheblichen Orientierungsschwierigkeiten
kommen. Eine Bildwandlerkontrolle ist bei fehlender Übung
hilfreich. Die Lageänderung muss entsprechend der Analyse
der Röntgenaufnahme einkalkuliert werden, ggf. ist es sogar
notwendig, schon jetzt eine Reposition durch Zug am Bein,
Innenrotation oder auch durch manuelle Kompression der Be-
ckenhälften durchzuführen. Ist der gegenseitige Eintrittskanal
vorbereitet, wird die Beckenzwinge zunächst auf der unver-
letzten Seite über den Spickdraht geschoben und bis auf den
Knochen geführt. Je nach Modell wird die Zwinge nun zu-
sammengeführt oder nach Einführen der Verbindungsstange
der gegenseitige Bügel aufgeschoben und nach durchgeführter
Reposition auf den Knochen geführt.
Ist der Knochenkontakt erreicht, erfolgt zunächst eine ma-
nuelle Kompression parallel und in Nähe zur Verbindungs-
stange, ganz ähnlich wie bei einer regulären Schraubzwinge.
Bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Repositionsgüte und
der Lage der Zwinge, wird vor der endgültigen Kompression die
ausreichende Repositionsstellung gesichert.
! Bei geteilten Verbindungsstangen ist darauf zu achten, dass der
abnehmbare Anteil der Verbindungsstange auf der verletzten
Seite zu liegen kommt und die Kompression auch von dieser
Seite her durchgeführt wird. Anderenfalls verliert die Zwinge
Stabilität durch Biegung an der Verbindungsstelle; für eine
erweiterte Diagnostik, z. B. im CT, kann die Stange dann nicht b
gekürzt werden.

⊡ Abb. 7.18a,b. Querschnitt in Höhe der Eintrittsstelle und Führungs-


instrument. a In diesem Querschnitt sind die Orientierungsmöglichkei-
ten verständlicher. Die Ansatzstelle der Zwinge sollte möglichst besser
auf Höhe des Sakroiliakalgelenks liegen. Diese Stelle ist durch den Über-
gang der Krümmung der Außenkontur des Hüftbeines in eine nahezu
senkrecht abfallende Fläche gekennzeichnet. Bei Palpation mit einer
Klemme, oder wie hier dargestellt mit einem stumpfen, kanülierten Füh-
rungsinstrument, ist diese Stelle leicht erkennbar. Eine zu weit ventral
liegende Position ist unbedingt zu vermeiden, da das Ilium hier milli-
meterdünn ist und mit der Zwinge der Knochen unmittelbar perforiert
wird. b Das kanülierte Führungsinstrument erlaubt es, einen Spickdraht
in der identifizierten Eintrittsstelle im Knochen zu verankern. Damit lässt
sich diese Position später mit der Zwinge zweifelsfrei und schnell wieder
aufsuchen. Bei Unsicherheiten, insbesondere bei wenig Erfahrung, ist
für diese Schritte unbedingt die Verwendung eines Bildwandlers zu
empfehlen
164 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Endgültige Kompression durch Andrehen der Dorne im Ge-


winde (⊡ Abb. 7.19 und 7.20). Die Zwinge sollte fest liegen,
allerdings nicht den Knochen perforieren. Bestehen Unsicher-
heiten über das Ausmaß der Kompression, wird ebenfalls im
Bildwandler kontrolliert.
Abschließend werden je nach verwendetem Modell die
Sperrmechanismen verriegelt oder das zur Anlage benötigte
Verlängerungsstück abgenommen. Die Zwinge wird gut unter-
polstert und auf dem Körper abgelegt. Sie kann dann je nach
Fortgang der weiteren Diagnostik und Therapie entweder auf
den Oberschenkel oder auf das Abdomen geschwenkt werden.
Dabei muss immer auf eventuelle Lockerungszeichen geachtet
werden. Ist die Position korrekt, kann ggf. mit dem Schrauben-
schlüssel nachgespannt werden.
! Ein Anheben des Patienten an der Zwinge ist nicht möglich.

⊡ Abb. 7.19. Zusammenführen der Beckenzwinge. Die Zwinge wird


zunächst auf der unverletzten Seite auf den Spickdraht geschoben und
bis auf den Knochen vorgeführt. Der Assistent stabilisiert die Zwinge von
der unverletzten Seite her (hier rechts), der Operateur führt den Dorn
auf der verletzten Seite durch die Inzision, bis die Knochenoberfläche
erreicht ist. Eine Kompression wird noch nicht ausgeübt. Vorher wird
durch Längszug am verletzten Bein und Innenrotation eine Reposition
der Beckenhälfte erreicht (ggf. Bildwandlerkontrolle)

⊡ Abb. 7.20. Kompression des hinteren Beckenrings. Bei ausreichender


Kompression wird die Zwinge zunächst manuell zusamengeführt und
der hintere Beckenring komprimiert. Durch wechselseitiges Anziehen
der Gewinde der Dorne wird die Kompression erhöht. Die Zwinge sollte
straff sitzen, aber nicht überkomprimieren oder in den Knochen eintau-
chen. Ggf. sind auch hierzu Bildwandlerkontrollen nötig
7.5 · Beckenzwinge
165 7
Postoperativ
Probleme
Auf Grund des Verletzungsmusters besteht in der Regel akute
Lebensgefahr für den Patienten. Spezifische Gefahren der Be-
ckenzwinge liegen insbesondere in der Fehlpositionierung mit
Perforation durch die Beckenschaufeln (Verletzungen des glute-
alen Gefäß-Nerven-Bündels) und in der Verkippung der instabi-
len Beckenhälfte durch Fehlpositionierung bzw. unzureichende
Reposition. Die Gefahr der Überkompression des sakralen Ner-
venplexus bei Sakrumtrümmerfrakturen besteht prinzipiell, hat
aber bei drohender Verblutung keine akute Relevanz.

Nachbehandlung
Die Zwinge ist eine Notfallmaßnahme und wird, sobald es die
Situation erlaubt, durch eine definitive Osteosynthese ersetzt.
a
Auf Grund der meist erheblichen Weichteilschäden ist eine
ausgedehnte Sekretion aus den Eintrittsstellen zu erwarten.
Hier ist immer für trockene Verbandsauflagen zu sorgen.
Die Zwinge wird mehrfach täglich auf Lockerung kont-
rolliert und ggf. nachgespannt. Bei sichtbaren Fehllagen muss
unmittelbar eine Röntgenkontrolle erfolgen.
Kommt es im Verlauf der weiteren Tage nach Abschluss
der Blutstillung zu einer Zwingenlockerung, wird sie ersatzlos
abgenommen. Eine Osteosynthese des hinteren Beckenrings
sollte allerdings dann möglichst bald erfolgen. Alternativ wird
vorübergehend ein Verfahrenswechsel auf einen ventralen Fixa-
teur externe vorgenommen, um einer sekundären Dislokation
im hinteren Beckenring vorzubeugen.
Die Versorgung einer Beckenfraktur mit Anlage einer Be-
ckenzwinge wird beispielhaft in ⊡ Abb. 7.21 dargestellt.

⊡ Abb. 7.21a,b. Röntgen vor und nach Anlage der Beckenzwinge.


a Notfall-Beckenübersichtsaufnahme eines Patienten nach komplexer
Beckenfraktur Typ C (Sakrumfraktur rechts und transpubische Instabili-
tät rechts) mit instabiler Kreislaufsituation. b Situation nach Anlage der
Notfallbeckenzwinge. Die gute Kompression ist an der Kompression der
Schambeinäste im vorderen Beckenring erkennbar
166 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7.6 Beckentamponade

Indikation
Es handelt sich um eine Notfallmaßnahme für Situationen,
in denen bei instabilen Beckenringverletzungen mit lebensbe-
drohlicher, beckenbedingter Blutung nach der mechanischen
Stabilisierung des Beckenrings ( Kap. 7.5) eine weitergehende
beckenbedingte Blutung besteht. In diesen Fällen sind diffuse
Blutungen aus den venösen Beckenplexus die Ursache für den
Blutverlust. Durch eine Tamponade des kleinen Beckens lassen
sich diese Blutungen bei rechtzeitiger Durchführung sicher
beherrschen.

Operationsvorbereitung
Eine Vorbereitung erfolgt nicht, da eine Notfallsituation besteht.
Ansonsten entsprechen die Vorbereitungen einer Notfalllapara-
7 tomie. Bereithalten eines Korb-/Siebsaugers. Darüber hinaus
ist die vorangehende ausreichende mechanische Stabilisierung
(Beckenzwinge, Fixateur externe, ggf. definitive Osteosynthese)
des instabilen Beckenrings Grundvoraussetzung, da ansonsten
kein Widerlager für die Tamponaden besteht.

Im Operationssaal
Lagerung
Der Patient wird in Rückenlage auf einem Standardoperations-
tisch gelagert. Beide Arme sind in der Regel ausgelagert, um
⊡ Abb. 7.22. Ausbreitungsgebiet eines im kleinen Becken nach Be- das komplette Abdomen und den Thorax erreichen zu können.
ckenfrakturen entstehenden retroperitonealen Hämatoms. Durch die Es werden das gesamte Abdomen, die Beckenregion bis zur
bei Beckenringinstabilitäten zerrissenen Faszienräume breitet sich eine
Blutung im kleinen Becken meist schnell nach kranial aus. Eine Auto-
Symphyse, ggf. auch der Thorax abgewaschen, um Erweiterun-
tamponade kann nicht mehr stattfinden, so dass auch die in der Regel gen und zusätzliche Eingriffe durchführen zu können.
venösen Blutungen zu hohen, lebensbedrohlichen Blutverlusten führen
können Operationstechnik
Bei gesicherter pelviner Blutung (⊡ Abb. 7.22) ohne intraabdo-
minelle Massenblutung folgt eine infraumbilikale Längsinzision
vom Nabel bis zur Symphyse (⊡ Abb. 7.23). Nach Eröffnen der
Faszie muss keine weitere Präparation durchgeführt werden, da
man auf eine mehr oder weniger ausgedehnte Hämatomhöhle
stößt, die das Ausmaß der Verletzungsregion erkennen lässt.
Es wird zunächst unter ständiger Saugung mit dem Korbsauger
mit der Hand in die Hämatomhöhle eingegangen (⊡ Abb. 7.24).
Mit den Fingerspitzen wird auf der stärker betroffenen Seite das
Os sacrum erreicht, die Hand gedreht und damit der Blase nach
medial abgedrängt.
In die entstehende Kavität zwischen der knöchernen quad-
rilateralen Fläche und der Handfläche werden nun mäanderför-
mig lange Streifen oder Bauchtücher zur Tamponade eingelegt,
bis die Blutung steht (⊡ Abb. 7.25).
Auf der Gegenseite, die meist nicht so stark betroffen ist,
wird ein entsprechend weniger ausgedehntes Manöver durch-
⊡ Abb. 7.23. Lagerung und Orientierungspunkte. In diesem Fall sind geführt. Bei Bedarf und nach Stabilisierung der allgemeinen
Becken und Abdomen abgedeckt. In Notfällen erfolgt eine Mittellini- Kreislaufsituation kann die Lage der Tamponaden nochmals
eninzision. Liegt keine freie Flüssigkeit im Abdomen bzw. kein Verdacht
verbessert werden. Die Lage und Zahl der Tamponaden werden
auf eine versorgungspflichtige intraabdominelle Parenchymverletzung
vor (Sonographie, CT), wird die Inzision nur distal des Nabels zur rein notiert und die Faszie wird durch adaptive Nähte verschlossen,
retroperitonealen Eröffnung geplant. In allen anderen Fällen wird eine um den Kompressionseffekt zu erhöhen. Der Hautverschluss
Laparotomie durchgeführt erfolgt zeitsparend mit Hautklammern.
7.6 · Beckentamponade
167 7

⊡ Abb. 7.24. Situation nach Eröffnen der Faszie. Eine umfangreiche


Präparation ist nicht notwendig, da durch den Unfall eine größere häma-
tomgefüllte Wundhöhle entstanden ist. Nach Längseröffnung der Linea
alba ist die Übersicht durch hervortretendes Blut stark eingeschränkt.
Die Hand palpiert die Wundhöhle, auf der weitergehend verletzten
Seite versucht man, mit den Fingerspitzen den hinteren Beckenring zu
erreichen und mit diesem Widerlager die Blase und Eingeweide nach
medial zu drängen. Der entstandene »Hohlraum« ist das Zielvolumen zur
Aufnahme der Tamponade

⊡ Abb. 7.25. Durchführung der Tamponade. Die Tamponade (breite Rol-


len, ggf. auch Bauchtücher) werden systematisch vom hinteren Becken-
ring mäanderförmig nach ventral eingelegt und immer wieder nachge-
stopft. Die Hand wird dabei sukzessive zurückgezogen. Insbesondere im
paravesikalen Gewebe (»Cavum rezii«) muss sehr sorgfältig tamponiert
werden. Auf der Gegenseite wird entsprechend vorgegangen. Oftmals
ist hier die Verletzung weit weniger ausgedehnt. In der Regel werden pro
Seite 3–8 Rollen verwendet. Die Faszie sollte verschlossen werden, um
einen ausreichenden Kompressionseffekt sicherzustellen

Postoperativ
Nachbehandlung
Auf der Intensivstation wird eine kurzfristige Überwachung
der Vitalparameter und Gerinnungssituation durchgeführt. Der
konsequenten Erwärmung des meist ausgekühlten Patienten
kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, um die physiolo-
gische Hämostasekapazität zu unterstützen. Verluste von Ge-
rinnungsfaktoren und Blut werden ausgeglichen. Sind trotzdem
weitere Blutverluste von über 2–3 Konserven pro Stunde zu
verzeichnen, wird operativ revidiert, ggf. nach klinikinternem
Behandlungsalgorithmus auch eine Angiographie/Embolisa-
tion angeschlossen.
168 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

7.7 Behandlungsprinzipien bei Indikation


Abdominalverletzungen nach Die Indikation zur Durchführung einer Notfalllaparotomie be-
Notfalllaparotomie (Tamponade) steht immer dann,
▬ wenn perforierende Abdominalverletzungen vorliegen oder
Vorbemerkung vermutet werden,
Die neuen Weiterbildungspläne für den Facharzt für Orthopä- ▬ wenn nach stumpfen Traumen chirurgisch versorgungs-
die und Unfallchirurgie sehen eine Rotation in die Allgemein- pflichtige Organverletzungen diagnostiziert wurden,
bzw. Viszeralchirurgie nicht mehr zwingend vor. Dennoch ▬ wenn zunehmend freie Flüssigkeit mit Kreislaufinstabilität
kann es im Rahmen von Notfallbehandlungen schwerverletzter vorliegt.
Patienten durchaus zu Situationen kommen, in denen Not-
falllaparotomien verantwortlich durchgeführt werden müssen
oder zumindest die 1. Assistenz bei diesem Eingriff kompetent Operationsvorbereitung
beherrscht werden muss. Es sollen an dieser Stelle daher die Aufklärung
Grundzüge einer Notfalllaparotomie dargestellt werden, wohl Eine spezifische Aufklärung des Patienten ist in diesen Fällen
wissend, dass die Kompetenz zur eigenständigen Durchfüh- nicht möglich, der Eingriff zählt als lebensrettender Notfallein-
rung derartiger Eingriffe nur durch eine spezifische, nach Auf- griff.
fassung der Herausgeber insbesondere beim Anstreben einer
7 Zusatzqualifikation als spezieller Unfallchirurg immer anzura-
tenden ausreichend langen Rotation in die Viszeralchirurgie zu Im Operationssaal
erreichen ist. Es ist je nach Situation auf das Vorhalten von ausreichend Blut-
konserven, in sehr zeitsensitiven Notfällen auch als 0-negative
Konserven, zu achten (4–8 Konserven).

Lagerung
Der Eingriff wird auf einem Standardtisch durchgeführt
(⊡ Abb. 7.26). Es wird eine großzügige Abdeckung gewählt,
um ggf. auch eine Thorakotomie anschließen zu können bzw.
eine Beckenstabilisierung mit Tamponade durchzuführen, d. h.
die Abdeckung erfolgt von der Symphyse bis zum Manubrium
sterni. Ist eine Thoraxverletzung auszuschließen, sollte auf alle
Fälle das Xyphoid sicher erreichbar sein.

⊡ Abb. 7.26. Lagerung und Abdeckung. Der Patient wird auf dem Nor-
maltisch gelagert. Beide Arme werden ausgelagert, um eine bessere
Erreichbarkeit von Thorax, Abdomen und Becken zu gewährleisten. Die
Abdeckung erfolgt mindesten vom Xyphoid bis zur Symphyse, ggf. wird
der Thorax mit eingeschlossen, um eine Erweiterungsmöglichkeit in un-
klaren Situationen zu haben. In unklaren Notfallsituationen erfolgt eine
mediane Laparotomie unter Linksumschneidung des Nabels
7.7 · Behandlungsprinzipien bei Abdominalverletzungen nach Notfalllaparotomie (Tamponade)
169 7

Operationstechnik
Bei der explorativen Laparotomie wird eine mediane Inzision
unter Längsumschneidung des Nabels durchgeführt. Diese er-
folgt großzügig, um möglichst schnell einen Überblick über
den Bauchraum zu erlangen. Da nach der Eröffnung des Perito-
neums durch die Druckreduktion von einem akuten Blutdruck-
abfall auszugehen ist, wird nach Abdeckung die Abdomeneröff-
nung erst dann durchgeführt, wenn von Seiten der Anästhesie
die Vorbereitungen zur Kreislaufsubstitution abgeschlossen
sind und möglichst die Blutkonserven zur Verfügung stehen.
Die Inzision erfolgt zunächst bis zur Faszie. Zur Erleich-
terung der Blutstillung kann nach Hautinzision die subkutane
Präparation mit dem elektrischen Messer erfolgen. Die Fas-
zien- und Peritonealeröffnung erfolgt zunächst im Bereich des
Nabels unter Anhebung der Faszie mit chirurgischen Pinzetten,
es wird zunächst nur ein vorsichtiger, etwa 1,5–2 cm langer
Schnitt durchgeführt, um eine Darmverletzung zu vermeiden
(⊡ Abb. 7.27). Meist entleert sich nun schon sehr viel Blut, so
dass der Assistent einen Siebsauger bereithalten sollte. Der
Operateur greift mit zwei oder sogar mehreren Fingern in die
kleine Öffnung und erweitert nach proximal und distal, bis
mit der Hand eingegangen werden kann und Darmschlingen b
mitsamt Omentum majus sicher abgedrängt werden können.
Unter ständigem Saugen wird nun die Laparotomie bis zum
Xyphoid und nach distal bis zur peronealen Umschlagfalte der
Blase weitergeführt. ⊡ Abb. 7.27a,b. Eröffnung des Peritoneums. a Bei der Eröffnung des
Peritoneums kann es gerade in Notfallsituationen leicht zu Organver-
! Bei den zu erwartenden massiven Blutaustritten muss unbe- letzungen kommen. Dieser Schritt muss daher sorgfältig durchgeführt
dingt mit dem Cellsaver gearbeitet werden, um in der Früh- werden. Nachdem entlang der gesamten Inzision die subkutane Präope-
ration bis zur Faszie abgeschlossen wurde, wird direkt distal des Nabels
phase ausreichend eigenes Blut zurückzugewinnen. die Faszie mit 2 Pinzetten in einer »kleinen Falte« angehoben und mit
Eine mediane Laparotomie ist ausreichend, nur in Ausnahme- Messer oder Schere eine kurzstreckige Eröffnung von Faszie und Perito-
neum durchgeführt. Die eindringende Luft lässt die Organe zurückfallen,
fällen, z. B. zur Exploration der Vena cava inferior, sind quere die weitere Eröffnung nach kranial und distal erfolgt nun unter Sicht.
Erweiterungsschnitte angezeigt. Sie sollten immer leicht schräg b Bei der Erweiterung der Inzision wird die Hand unter die Faszie ge-
oder rechtwinklig auf dem medianen Schnitt verlaufen, um schoben und schützt die Eingeweide (cave Verletzungsgefahr!)
Hautrandnekrosen zu vermeiden.
170 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Intraabdominelle Exploration und weitere


Operationsschritte
Die Notfalllaparotomie hat insbesondere zwei Ziele:
▬ Blutungskontrolle
▬ Kontaminationskontrolle

Eine primär definitive Versorgung wird heutzutage nur noch


bei Patienten mit stabilen Kreislaufsituationen durchgeführt. In
kritischen Situationen muss die Vorgehensweise den Prinzipien
der sog. »damage control surgery« angepasst werden. Dabei
werden nur die zur Lebenserhaltung notwendigen Maßnah-
men in möglichst kurzer Zeit durchgeführt (Versorgung großer
Gefäße, Tamponaden, Darmausleitungen), das Abdomen nur
vorübergehend verschlossen oder sogar offen gelassen und eine
Stabilisierung der allgemeinen Körperfunktionen angestrebt. In
sorgfältig abgestuften Zeitabständen wird je nach Allgemein-
situation des Patienten dann eine schrittweise Definitivversor-
7 gung vorgenommen.
a
Blutungskontrolle: Der wesentliche Schritt der Notfalllapa-
rotomie ist die sichere Beherrschung von abdominellen Blu-
tungen. Zu erwarten sind insbesondere akute Blutungen nach
Milzzerreißungen sowie Lebereinrissen. Techniken zur Blu-
tungskontrolle sind hierbei die Organmobilisation und manu-
elle Kompression mit ggf. manueller Kompression des Milz-
stiels und formeller Splenektomie (⊡ Abb. 7.28).
Nach Durchführung der medianen Laparotomie werden
zunächst alle 4 Quadranten austamponiert, um eine Übersicht
zu bekommen. Die Tamponaden werden dann einzeln entfernt,
um gezielt vorgehen zu können. Der erste Schritt ist die Inspek-
tion des linken oberen Quadranten mit dem Ziel, eine Milzzer-
reißung oder Verletzung des linken Leberlappens zu erkennen.
Nach leichtem Zug am Magen wird die Milz umfahren und
abgetastet, ggf. muss bei Milzzerreißungen direkt am Milzhilus
komprimiert und geklemmt werden. Durch entsprechenden
Hakenzug kann das linke Zwerchfell getastet und auch direkt
eingesehen werden. Nach entsprechender Vorverlagerung der
Milz lässt sich auch retroperoneal die linke Niere tasten. Hä-
matome können auf eine Nieren- oder Nierenstielverletzung
hindeuten, werden aber nur operativ exploriert, wenn sie sich
vergrößern bzw. pulsieren.
b

⊡ Abb. 7.28a,b. Mobilisation der Milz, Splenektomie. a Im linken Ober-


bauch wird das Zwerchfell getastet, die Milz manuell nach ventral sublu-
xiert. Der linke Oberbauch kann dazu auch austamponiert werden, um ein
ausreichendes Widerlager zu erhalten. Ist bei Milzzerreißungen oder aber
in Anbetracht der Allgemeinsituation eine Milzerhaltung nicht sinnvoll,
erfolgt die umgehende Splenektomie. Im Milzstiel (Gefäße tasten) wird
die Umschlagsfalte zum Peritoneum eröffnet und die Milzarterien isoliert
umfahren und geklemmt. Entsprechendes Vorgehen mit den Milzvenen.
Absetzen des Organs und sorgfältige Ligaturen. b Ein Querschnitt durch
Milz und Milzstiel veranschaulicht die anatomischen Gegebenheiten. Die
Milzgefäße sollten möglichst nahe an der Milz abgesetzt werden, um eine
iatrogene Verletzung des Pankreasschwanzes zu vermeiden
7.7 · Behandlungsprinzipien bei Abdominalverletzungen nach Notfalllaparotomie (Tamponade)
171 7
Im Bereich der Leber kommen v. a. die manuelle Kom-
pression der Rupturflächen und die gezielte Tamponade zum
Einsatz. Der Versuch eines Organerhaltes ist bei der Milz nur
bei kreislaufstabilen Patienten angezeigt. Im Bereich der Leber
kann durch ausreichende Kompression und Tamponade zumin-
dest so lange eine Blutstillung erreicht werden, bis der Kreislauf
und die Gerinnung ausreichend stabilisiert sind (⊡ Abb. 29).
Eine Pankreasverletzung wird nach Eröffnung der Bursa
omentalis erkennbar. Inwieweit immer eine Eröffnung der
Bursa durchgeführt werden muss, bestehen verschiedene An-
sichten, liegen Verdachtsmomente einer Pankreasverletzung
vor (z. B. begleitende Wirbelfrakturen), sollte auf alle Fälle eine
Exploration durchgeführt werden.
Liegen nur kleinere Verletzungen vor, wird erneut eine a
Tamponade eingelegt und als nächstes der rechte obere Quad-
rant inspiziert. Es werden Leber (Abtasten nach Hämatomen!),
Gallenblase und Ligamentum hepatoduodenale untersucht. Bei
Verdacht auf eine Leberverletzung wird der rechte Leberlap-
pen mobilisiert. Dazu muss das Lig. falciforme koaguliert und
von der Bauchwand abgetrennt werden. Dadurch ist es auch
möglich, das rechte Zwerchfell zu untersuchen. Eine additive
Methode zur passageren Drosselung des Bluteinstroms in die
Leber ist das sog. Pringle-Manöver, bei dem das Ligamentum
hepatoduodenale über ein Tourniquet verschlossen wird. In
verzweifelten Fällen kann auch durch manuelles Abdrücken
der Aorta gegen die Wirbelsäule oder ein supradiaphragmales
Kompressionsmanöver der Aorta ein besserer Überblick er-
reicht werden.
Nach Reposition der Leber werden Pylorus und Duodenum
untersucht. Bestehen hier periduodenale Blutungen oder sogar
eine gallige Verfärbung, wird eine komplette Mobilisation des b
Duodenums nach Kocher notwendig. Dazu wird das Peri-
toneum an der Umschlagfalte rechts lateral des Duodenums
inzidiert, das Peritoneum parietale stumpf mit einem Stiel- ⊡ Abb. 7.29a,b. Mobilisation der Leber, Lebertamponade. a Bei Blutan-
tupfer nach lateral abgedrängt und dabei das Duodenum nach sammlungen im rechten Oberbauch muss zunächst durch Einführen der
medioventral abgeschoben. Die Vena cava ist nach dieser Mobi- Hand zwischen Leber und Zwerchfell eine Leberverletzung getastet oder
ausgeschlossen werden. Die Leber wird nach ventral subluxiert und das
lisation gut einsehbar, weiter nach distal lässt sich nun auch die sich anspannende Lig. falsiforme ligiert; weitere Anheftungen werden
rechte Niere nach Hämatomen absuchen. mit dem Elektrokauter getrennt. Im Notfall erfolgt jetzt die Tamponade.
Auch hier wird erneut ein Bauchtuch eingelegt. b Die Bauchtücher und ggf. Rollen sind dabei so zu positionieren,
dass die Leberwunden aufeinandergepresst werden und eine möglichst
Darminspektion: Als nächster Schritt wird der gesamte Darm gleichmäßige Kompression des gesamten Organs erfolgt. Es muss unbe-
dingt vermieden werden, dass durch den Tamponadevorgang weitere
inspiziert. Dazu wird zunächst das Treitz-Ligament identifiziert Lebereinrisse entstehen bzw. bestehende Risse durch Anteile der Tam-
und der Dünndarm abschnittsweise bis zum Zökum kontrol- ponade distrahiert oder vergrößert werden
liert.

> Achtung 1. Assistent


Der Assistent achtet dabei darauf, dass die Darmschlingen sys-
tematisch zugeführt werden und nicht durch »Überspringen«
ein Darmabschnitt übersehen wird.

Im Anschluss werden nun Colon ascendens, transversum und


descendens sowie Sigma und soweit erreichbar das Rektum
sorgfältig inspiziert und v. a. auf Hämatome, Serosaeinrisse und
Verfärbungen der Darmwand geachtet.
172 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Beckenbodeninspektion: Die genaue Inspektion der Blase, 7.8 Technik der Anlage eines Fixateur externe
bei Frauen auch von Uterus und Adnexen, sowie des pelvinen
Raumes beenden die systematische Exploration. Eine Eröff- Vorbemerkung
nung des pelvinen Peritoneums über einen paravesikalen Zu- Der Fixateur externe ist eine minimalinvasive Osteosynthese-
gang ist nur bei zusätzlich vorliegenden Beckenverletzungen technik, die sich auf Grund der generellen Verfügbarkeit, des
zur Tamponade dieser Blutungen erforderlich. unkomplizierten sterilen Einsatzes und dem geringen operati-
ven Aufwand als Notfallmaßnahme, in Ausnahmefällen auch
Wundverschluss/Verband als Definitivmaßnahme zur Frakturversorgung nahezu welt-
Abhängig von der Planung des weiteren Vorgehens (bereits weit durchgesetzt hat. Die ersten Systeme wiesen rechtwink-
erfolgte definitive Versorgung, in den meisten Fällen jedoch be- lige Verbindungen zwischen den Schanz-Schrauben und den
reits geplante Second-look-Operation) erfolgt nun ein schicht- Verbindungsstangen auf und setzten daher eine möglichst ge-
weiser Wundverschluss oder ein temporärer, meist oberfläch- naue Reposition der Fraktur vor Einsatz der Schanz-Schrauben
licher Wundverschluss, z. B. in fortlaufender Nahttechnik. Vor voraus. Moderne Systeme bieten eine große Auswahl an Ver-
Wundverschluss sollte mindestens eine Easyflow-Drainage in bindungsmöglichkeiten, so dass prinzipiell die Applikation der
den linken oberen (Milzbett) sowie den rechten oberen (Leber- Schanz-Schrauben proximal und distal der Fraktur unabhängig
bett) Quadranten eingelegt werden. Der Flüssigkeitsverlust, ins- voneinander ohne Ausrichtung erfolgen kann und in einem
besondere der Blutverlust aus diesen Drainagen ist regelmäßig letzten Schritt die Montage mit entsprechenden Verbindungs-
7 und häufig zu überwachen, um ggf. bei Insuffizienz der Blut- elementen nach ausreichender Reposition fixiert wird. Für die
stillungsmaßnahmen die Indikation zur Relaparatomie stellen Notfallsituation haben sich im Wesentlichen unilaterale Sys-
zu können. teme durchgesetzt, bei denen Schanz-Schrauben von einer gut
Besteht keine Eigenexpertise in der definitiven Versorgung zugänglichen Seite des Knochens eingesetzt werden. Durch-
der Leberverletzung, sollte der Patient unter suffizienter Tam- bohrende, d. h. auf der Gegenseite austretende Steinmann-Na-
ponade unverzüglich in ein Traumazentrum verlegt werden. gel- oder Schanz-Schrauben-Fixationen sind Sonderfällen vor-
Es ist darauf zu achten, dass die angelegten Tamponaden nach behalten, ebenso wie Ringfixateure, bei denen lediglich dünne,
spätestens 48 h entfernt werden sollten. ausreichend lange Kirschner-Drähte kreuzweise den Knochen
Prinzipiell sollte aber gerade bei unzureichender Erfah- durchbohren und ihre Stabilität durch eine starke Vorspannung
rung immer versucht werden, durch eine direkte Tamponade mit Hilfe von Kunststoff- oder Stahlringen erhalten (»Ilizarov-
eine Blutungskontrolle zu erreichen. Die Tamponaden werden Technik«).
dabei so platziert, dass die Verletzungsflächen gegeneinander Gerade bei Schwerverletzten und bei Serienverletzungen
gedrückt werden und durch die Tamponade von außen kom- können die Einzelfixateure gut kombiniert werden, so dass
primiert werden. Auf keinen Fall dürfen die Tamponaden in z. B. kombinierte Ober- und Unterschenkelfrakturen mit und
die Läsionen gesetzt werden, um eine weitere Aufweitung und ohne Instabilität am Kniegelenk leicht im Sinne einer externen
damit eine Zunahme der Blutung zu vermeiden. transartikulären Fixation überbrückt werden können. Nachfol-
Die Techniken der definitiven Versorgung, insbesondere gend werden die häufigsten Fixationspunkte an der oberen und
auch der Komplikationskontrolle, sind der speziellen Unfall- unteren Extremität dargestellt (⊡ Abb. 7.30 und 7.31). Detailliert
chirurgie und Viszeralchirurgie zuzuordnen und sollen daher beschrieben ist die Technik der Anlage eines ventralen Fixa-
bewusst nicht Gegenstand dieser Darstellung sein. teur externe bei kombinierter Ober- und Unterschenkelfraktur.
Für spezielle Techniken, wie z. B. diejenige der lateralen Lage
der Schanz-Schrauben am Oberschenkel zur Vermeidung von
schmerzhaften Störungen des Streckapparates am Knie, wird
auf die weiterführende Literatur verwiesen.
7.8 · Technik der Anlage eines Fixateur externe
173 7

⊡ Abb. 7.30a–c. Fixateur externe an der oberen Extremität. a Beispiel samtsystems angebracht. b Beipiel der Versorgung einer Oberarmfraktur
der Anlage des Fixateur externe zur Reposition und Stabilisierung einer mit einem Fixateur externe. Hier ist ein Standardsystem verwendet wor-
distalen Radiusfraktur. Die Schanz-Schrauben, hier »Minischrauben«, wer- den. Beim Einbringen der Schanz-Schrauben ist unbedingt auf die Lage
den vom Radius auf das Metacarpale 2 gesetzt. Die Verbindung erfolgt mit des N. radialis zu achten. Eine Reposition gelingt auch hier wieder durch
Mini-Karbonstangen. Zunächst wird über eine zusätzliche Verbindungs- den Einsatz der Verbindungsstange bei liegenden Schanz-Schrauben.
stange ausreichend Freiheit zur Durchführung der Reposition geschaffen. c Der das Ellenbogengelenk übergreifende Fixateur externe bei Ellenbo-
Nach Fixation dieser Verbindungen bei Erreichen einer ausreichenden genverletzungen oder Serienfrakturen der oberen Extremität. Bei Bedarf
Reposition wird eine weitere Verbindungsstange zur Versteifung des Ge- kann die Konstruktion auch bis zur Hand verlängert werden (⊡ Abb. 7.30a)
174 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Operationsvorbereitung
Aufklärung
Es handelt es sich um Notfallsituationen, in denen die Auf-
klärung kurz gehalten werden kann. Der Patient ist darauf
hinzuweisen, dass zwar prinzipiell eine Ausbehandlung der
Fraktur im Fixateur externe möglich ist, aber in diesen Fällen
von deutlich längeren Konsolidierungszeiten über mindestens
4–8 Wochen ausgegangen werden muss, die Gefahr der Pin-
Sekretionen steigt und ein höheres Risiko der Ausbildung von
Pseudarthrosen besteht. Es muss daher auf die Notwendigkeit
eines Verfahrenswechsels hingewiesen werden.
Im Einzelnen zu besprechen sind:
▬ Gefäß-, Nerven- oder Sehnenverletzungen bei falschen Ein-
trittspunkten und fehlerhafter Insertionstechnik
▬ Wund-, Weichteil- oder Knocheninfektionen, häufiger Se-
kretion aus den Schanz-Schraubeneintrittsstellen, ggf. »Pin-
Infekt«
7 a ▬ Unzureichende Reposition
▬ Einschränkung der Beweglichkeit der angrenzenden Ge-
lenke (transmuskuläre Applikation!)
▬ Ausriss der Schanz-Schrauben (selten)
▬ Nachfolgeoperationen, ggf. Verfahrenswechsel

Diagnostik und Planung


Es ist darauf zu achten, dass ausreichende Röntgenaufnahmen
vorliegen. Neben der Fraktur müssen immer die angrenzenden
Gelenke komplett in 2 Ebenen dargestellt werden, um ggf. ge-
lenknah verlaufende Fissuren zu erkennen.
Bei offenen Frakturen ist schon nach Eintreffen des Pa-
b tienten eine Prophylaxe mit einem Antibiotikum (z. B. Ce-
phalosporin 1. Generation) zu beginnen. Die Fixateur-Anlage
erfolgt erst nach dem Wunddébridement, um eine ausreichende
Exploration der nicht zu behindern ( Kap. 7.2).

Im Operationssaal
Lagerung
Es ist auf eine ausreichende Durchleuchtungsmöglichkeit zu
achten, da die Frakturreposition geschlossen unter Bildwand-
lerkontrolle durchgeführt wird. Wenn verfügbar, wird ein
röntgendurchlässiger Karbontisch verwendet. Zur Versor-
gung der oberen Extremität wird die Rückenlage mit Aus-
lagerung auf dem Armtisch bevorzugt, eine ausreichende
Durchleuchtungsmöglichkeit der Schulter ist zu prüfen. Die
untere Extremität kann auf dem Normaltisch versorgt werden,
c wobei bei der Versorgung von Oberschenkelfrakturen die
ausreichende Durchleuchtungsmöglichkeit der Hüfte sicher-
⊡ Abb. 7.31a–c. Varianten zu Anlage eines Fixateur externe an Becken zustellen ist.
und der unteren Extremität. a Beispiel einer erweiterten Konstruktion Nach Narkoseeinleitung ggf. Vorreinigung und Rasur.
zur Stabilisierung einer Beckenverletzung. Zu der besprochenen Position
der Schanz-Schrauben in der supraazetabulären Region sind jetzt noch
Schanz-Schrauben in den Beckenkamm positioniert worden. b Beispiel
Operationstechnik
der Versorgung einer Ober- und Unterschenkelfraktur. Der Oberschenkel Auf eine Blutsperre wird verzichtet. Im beschriebenen Fall der
ist in der sog. »Tube-to-tube«-Variante versorgt, d. h. beide Hauptfrag- Serienverletzung mit Ober- und Unterschenkelfraktur ist beim
mente werden getrennt gefasst und erst nach geschlossener Reposition Abwaschen auf einen ausreichenden Längszug des Beins zu
(durch den Fixateur erleichtert!) mit zwei Verbindungsstangen fixiert.
Eine Transfixation des Kniegelenks ist bei Bedarf durch eine einfache
achten, ggf. muss hier nach Abwaschen des Fußes mit steri-
gelenkübergreifende Konstruktion möglich. c Beispiel eines das Sprung- len Handschuhen gearbeitet werden. Das gesamte Bein wird
gelenk übergreifenden Fixateur externe möglichst komplett bis zur Hüfte abgewaschen, damit auch die
7.8 · Technik der Anlage eines Fixateur externe
175 7
proximalen Eintrittsstellen der Schanz-Schrauben ausreichend
Abstand von der Fraktur haben.
Der Assistent führt zu Beginn der Operation ein Repositi-
onsmanöver durch. Damit werden die Übersicht und die An-
lage des Fixateurs erheblich erleichtert. Nach Längszug am Bein
wird die Rotation korrigiert, die Patella sollte möglichst exakt
nach ventral ausgerichtet sein und der Fuß eine Außenrotation
von ca. 15° aufweisen (ggf. Kontrolle der Gegenseite). Es ist
davon auszugehen, dass das proximale Oberschenkelfragment
in einer stärkeren Außenrotationsposition liegt als von der Pa-
tellaposition zu erwarten wäre. Die Lage der Fraktur wird zur
Vereinfachung nach 2 Bildwandlerschüssen mit einem sterilen
Stift auf der Haut markiert und je nach Frakturlokalisation und a b c
-form mindestens 5 cm Abstand nach proximal und distal ein-
gehalten. Vom Prinzip her sollten die einzelnen »Fixationsclus- ⊡ Abb. 7.32a–c. Schematische Darstellung der Technik der Einbrin-
gung der Schanz-Schrauben. a Aufsetzen des Trokars auf dem Zenit
ter« möglichst in Linie liegen, um die spätere Feinreposition zu
des Knochens. b Zwei Hülsen sind eingesetzt, der Bohrer hat die gegen-
erleichtern. Die Schanz-Schrauben sollten etwa in einem Ab- seitige Kortikalis erreicht. c Eine Hülse ist verblieben, um das Bohrloch
stand von 10 cm zueinander verankert werden. In strenger a.p. sicher auffinden zu können. Die Schanz-Schraube wird vorgedreht
Projektion des Bildwandlers erfolgt nun zunächst die Markie-
rung der am weitesten proximal gelegenen Schanz-Schraube.
Erfahrene Operateure können ggf. auf die Bildwandlerkontrolle
verzichten. Es wird in streng sagittal bis ca. 10–20° nach medial
geneigt auf den Knochen zugegangen, zunächst mit der sprei-
zenden Schere unter Überwindung der Faszie, danach mit den
dreiteiligen Bohrhülsen mit Trokar.
Die Mittellinie des Knochens lässt sich durch vorsichtiges
»Überfahren« der Knochenkontur ermitteln. Bei einem ange- a
nommenen runden Querschnitt sollte genau im Zenit einge-
gangen werden. Ist dieser Punkt erreicht, fixiert der Operateur
die Doppelhülse, der zentrale Trokar wird vom Assistenten
herausgezogen und mit dem langen Bohrer eine bikortikale
Bohrung durchgeführt. Nach dem Bohren wird die innere
Führungshülse entfernt, eine Schanz-Schraube mit Kortika-
lisgewinde eingeführt und soweit eingedreht, dass die zweite b
Kortikalis sicher durchquert wird. Moderne Systeme können
auf bikortikale Fixation verzichten, lediglich die Spitze der
Schanz-Schraube verankert sich in der gegenseitigen Innen-
kortikalis.
In entsprechender Weise wird nun die am weitesten di-
stal gelegene Schraube appliziert und in Linie nun 2 weitere
Schanz-Schrauben in 5 cm Abstand von der Fraktur eingesetzt
(⊡ Abb. 7.32). Jeweils die proximalen und distalen Schrauben
werden leicht überstehend mit hohen Stangen verbunden.
Eine oder zwei kleine übergreifende Stangen werden angesetzt
und dann mit Längszug und Manipulation an den Schanz- c
Schraubenclustern die Reposition erreicht (⊡ Abb. 7.33). Ist
die Reposition befriedigend, werden nun die Verbindungsba- ⊡ Abb. 7.33a–c. Prinzip der Reposition über eine »Tube-to-tube«-Kon-
cken fixiert, im Bildwandler in 2 Ebenen nochmals die aus- struktion. a Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt in der unabhängi-
gen Besetzung der Schanz-Schrauben in den beiden Hauptfragmenten.
reichende Reposition gesichert, ggf. nochmals nachreponiert
Eine aufwändige und klinisch nur schwer zu haltende Vorreposition ist
und dann abschließend mit einer zweiten, idealerweise nun nicht nötig. Die Schanz-Schrauben sind in das proximale und distale
geraden durchgehenden Stange die Steifigkeit der Konstruk- Hauptfragment eingebracht und werden durch kurze Verbindungsstan-
tion erhöht. In entsprechender Weise wird am Unterschenkel gen verbunden. b Mit speziellen Verbindungselementen wird nun eine
vorgegangen, wobei hier v. a. auf die dreieckige Kontur der 3. Stange lose angebracht. Durch die guten Angriffspunkte gelingt die
Tibia zu achten ist. Reposition in der Regel einfach (Bildwandlerkontrolle!). c Die Repositi-
onsstellung wird gehalten, bis der Assistent die Verbindungsstange ver-
Sollte eine Transfixation des Gelenks notwendig sein, so riegelt hat. Durch Anbringen einer weiteren, nun beide Hauptfragmente
wird unter Einsatz der Verbindungsstangen das Kniegelenk in fassenden langen Verbindungsstange wird das Gesamtsystem stabiler
etwa 20°-Beugung überbrückend fixiert. gemacht (⊡ Abb. 7.30a)
176 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Wundverschluss/Verband 7.9 Operative Spaltung eines


Die Pineintrittsstellen werden mit sterilen Schlitzkompressen Kompartmentsyndroms
verbunden. Danach elastischer Verband des Wundgebietes un-
ter Einschluss der Pineintrittsstellen. Vorbemerkung
Kompartmentsyndrome können prinzipiell in allen eng um-
schlossenen Faszienräumen des Körpers entstehen, so dass
Postoperativ heutzutage sogar posttraumatische Hirnschwellungen und
Nachbehandlung abdominelle Druckerhöhungen mit diesen Begrifflichkeiten
Es ist auf eine sorgfältige Pflege der Eintrittsstellen zu achten. versehen werden. Klassischerweise werden Kompartmentsyn-
Hautspannungen um die Pin-Eintrittsstellen sind zu vermei- drome aber in muskulären Faszienräumen beschrieben und
den, ggf. muss unter Lokalanästhesie die Haut weiter gespalten sind pathophysiologisch durch eine druckbedingte Störung der
werden. Die Pin-Eintrittsstellen werden täglich einmal steril Mikroperfusion gekennzeichnet. Neben dem Ischämie-Reper-
verbunden und der Fixateur insgesamt sauber gehalten. Bei fusionssyndrom sind vor allen Dingen posttraumatische Aus-
den täglichen Visiten ist darauf zu achten, dass sich keine löser zu beobachten, so dass generell bei allen Verletzungen
Verbindungselemente gelockert haben, ggf. sind die Muttern mit offenen, vor allem aber geschlossenen Weichteilschäden
nachzuziehen. mit der sekundären Entwicklung eines Kompartmentsyndroms
gerechnet werden muss. Nach der »arteriovenösen Gradienten-
Fixateur-Abnahme theorie« sind insbesondere 3 Faktoren auslösend:
7
Die regelrechte Frakturheilung wird vor der Abnahme radio- ▬ Erhöhung des lokalen venösen Drucks innerhalb des Kom-
logisch gesichert und dokumentiert. Ist ein Verfahrenswech- partments (»Abflussstörung durch erhöhten Gewebedruck«)
sel vorgesehen, erfolgt die Abnahme in Narkose, direkt vor ▬ Verminderung des arteriellen Drucks mit abnehmender
Durchführung der alternativen Osteosynthese. Muss, z. B. bei Kapillarperfusion (z. B. bei Kreislaufinstabilität aber auch
Entzündungen der Schanz-Schrauben, ein vorübergehender bei übertriebener Hochlagerung)
Verfahrenswechsel auf eine Gipsruhigstellung erfolgen, sollte ▬ Erhöhung des Gefäßwiderstandes (z. B. erhöhte Viskosität
die Abnahme im Gipsraum erfolgen, um unmittelbar eine des Blutes bei Volumenmangel).
Gipsanlage durchführen zu können.
Die Fixateur-Abnahme selbst kann ohne Narkose durchge- Diese Rahmenbedingungen können im Verlauf der Primär-
führt werden, ggf. wird dem Patienten eine i.v. oder orale An- therapie noch weiter verschlechtert werden, z. B. durch ein-
algesie verabreicht. Wichtig ist, dass der Patient genau über die engende zirkulierende Verbände (v. a. Gipsverbände), zu stark
Vorgehensweise aufgeklärt wird. Schmerzen sind an sich erst aufgeblasene Luftkammerschienen, fehlende Ruhigstellung
bei dem Lösen der Schanz-Schrauben zu erwarten. Zunächst und damit weitergehende Gewebetraumatisierung oder un-
werden die Verbindungsstangen vorsichtig gelöst. Dabei ist dar- zureichende Kreislaufwiederherstellung im Rahmen der Poly-
auf zu achten, möglichst keinen Biege- oder Rotationsstress auf traumatherapie.
die Schanz-Schrauben auszuüben. Nach Entfernung des gesam- Eine eingeschränkte oder sistierende Mikrozirkulation
ten Fixateurs wird nochmals die Frakturstabilität geprüft. Gibt führt über Hypoxie und Azidose zu einer Schädigung der En-
der Patient noch Schmerzen an, muss ggf. das Therapiekonzept dothelzellen mit zunehmendem Protein- und Flüssigkeitsaus-
überdacht werden. In diesem Fall sollten die Verbindungsstan- tritt in den interstitiellen Raum. Dieser Mechanismus setzt ei-
gen zunächst nochmals montiert werden und die Situation nen Circulus vitiosus in Gang, der nur in der Frühphase durch
einem erfahrenen Facharzt demonstriert werden. nichtoperative Maßnahmen (Kreislaufstabilisierung, allenfalls
Ansonsten wird der T-Griff vorsichtig auf die Schanz- leichte Hochlagerung bis auf Vorhofhöhe, lokale Kühlung,
Schraube mit der geringsten Weichteildeckung aufgesetzt. Die hochdosierte nichtsteroidale Antiphlogistika) durchbrochen
Lösung der Fixierung im Knochen ist kurzfristig schmerzhaft. werden kann. Ansonsten bietet lediglich die rechtzeitige und
Dann erfolgt das Herausdrehen der Schraube unter gleichmäßi- komplette operative Spaltung des betroffenen Kompartments
gen Drehvorgängen. eine Möglichkeit, den ausgedehnten Gewebsuntergang (Mus-
kulatur und Nervengewebe) mit gravierenden Langzeitfolgen
! Auch nach Lösung aus dem Knochen sollte die Drehbewegung
für den Patienten zu vermeiden. Die Behandlung von Kom-
in den Weichteilen weitergeführt werden, um ein »Reißen« in
partmentsyndromen ist daher als dringliche Notfallsituation
der Muskulatur zu vermeiden.
einzuschätzen.
Entzündlich veränderte Schanz-Schrauben, die größere Anteile Da etwa 70% der operativ behandlungsbedürftigen Kom-
der Weichteile durchquerten (z. B. Oberschenkel) sollten zum partmentsyndrome den Unterschenkel betreffen, wird an
Schluss entfernt werden, da ihre Extraktion etwas schmerzhaf- dieser Stelle nur dieser Eingriff detailliert beschrieben, die
ter ist als die Schanz-Schrauben am Unterschenkel. Spaltung in anderen Körperregionen ist der speziellen Unfall-
Nach der Schanz-Schraubenentfernung bleiben die Ein- chirurgie zuzuordnen bzw. lässt sich mit Standardinzisionen
trittsstellen offen (offen chirurgische Wundbehandlung). Sie gut ableiten.
werden nach Desinfektion trocken verbunden und sollten bis
zur Sekundärheilung täglich kontrolliert werden.
7.9 · Operative Spaltung eines Kompartmentsyndroms
177 7
Klinik Klassischerweise werden Messwerte über 40 mmHg als ma-
Das führende Symptom ist der übermäßige, nicht verletzungs- nifestes, Werte zwischen 30 und 40 mmHg als drohendes Kom-
adäquate Schmerz trotz ausreichender Reposition und Ruhig- partmentsyndrom angesehen. In Anbetracht der hohen Bedeu-
stellung der verletzten unteren Extremitäten. Das Vorhanden- tung des Perfusionsdrucks sollte aber die Differenz zwischen
sein der Fußpulse ist nicht richtungsweisend, da es sich um diastolischem Blutdruck und Kompartmentdruck, gerade beim
eine Störung der Mikroperfusion handelt. Typisch ist ein ausge- polytraumatisierten Patienten, als genauerer Messwert heran-
prägter passiver Muskeldehnungsschmerz, im fortgeschrittenen gezogen werden. Sinkt dieser Differenzwert unter 30 mmHg,
Stadium auch zunehmende Sensibilitätsausfälle, zunächst im so muss von einem manifesten Kompartmentsyndrom mit der
Zwischenzehenraum 1 und 2 aufgrund einer Druckschädigung Notwendigkeit der sofortigen Spaltung ausgegangen werden.
des Nervus peroneus profundus (Tibialis-anterior-Loge).
! Das Kompartmentsyndrom entwickelt sich typischerweise
schleichend über mehrere Stunden, so dass der Patient in der
Regel die Notaufnahme schon verlassen hat und auf Station
liegt. Das behandelnde Pflegepersonal muss instruiert sein,
dass bei zunehmenden Schmerzen jederzeit eine erneute ärztli-
che Kontrolle obligat ist. Insbesondere der steigende Schmerz-
mittelbedarf ist ein Alarmzeichen. Aufgetretene Sensibilitätsstö-
rungen sind auf alle Fälle als Spätsymptom zu werten, hier ist
unmittelbarer Handlungsbedarf geboten.

Kompartmentdruckmessung
Die erste Maßnahme besteht in dem kompletten Spalten al-
ler Verbände und Öffnen der Gipsverbände. Die erreichbaren
Kompartimente fühlen sich prall-elastisch bis »steinhart« an. In
diesen klinisch klaren Fällen, v. a. bei schon vorliegenden Sen-
sibilitäts- oder Funktionsausfällen, ist eine unmittelbare opera-
tive Kompartmentspaltung angezeigt. In unklaren Fällen wird
eine Kompartmentdruckmessung durchgeführt (⊡ Abb. 7.34);
sie kann als Einzelmessung oder zur Langzeitkontrolle als Dau-
ermessung angelegt werden.
! Falsche Messungen durch Okklusion der Kanüle!

Einzelmessung: Bei der Einzelmessung wird mit einem spe-


ziellen Gerät nach entsprechender Desinfektion und örtlicher
Betäubung eine sterile Nadel schräg in das Kompartment ein-
gestochen und durch die Injektion von geringen Mengen Koch- ⊡ Abb. 7.34. Kompartmentdruckmessung am Unterschenkel. Nach
Desinfektion und Lokalanästhesie der Haut wird die Nadel des zuvor
salzlösung ein Äquilibrium hergestellt. Mit einem im Gerät vor- geeichten Druckmessgerätes sicher innerhalb des zu messenden Mus-
handenen Druckaufnehmer lässt sich der Druck direkt ablesen. kelkompartimentes positioniert. Der Wert kann nach kurzer Messzeit
Eine Reihe von technischen Fehlerquellen kann die Messung direkt digital abgelesen werden
verfälschen, so muss der Druckaufnehmer möglichst genau
in Höhe des Kompartmentes liegen, die Nadelspitze muss frei
im Muskelgewebe liegen und darf nicht durch Gewebeanteile
blockiert sein. Idealerweise lässt sich durch leichten manuellen
Druck auf den Unterschenkel ein Druckanstieg nachweisen, der
sich im Anschluss auf den Messwert »einpendelt«. Sind Mess-
wert und Klinik nicht in Einklang zu bringen, sollte im Zwei-
felsfall immer eine operative Kompartmentspaltung erfolgen.

Dauermessung: Dauermesssysteme arbeiten mit Kunststoff-


kathetern. Sie sind insbesondere geeignet, wenn bei mehrfach-
verletzten Patienten ein Dauerdruckmonitoring vorgenommen
wird, da bei Verschlechterung der Kreislaufsituation die peri-
phere Gewebeperfusion stärker beeinflusst wird als bei normo-
tonen Patienten.
178 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

⊡ Abb. 7.35a,b. Inzisionsmöglichkeiten bei Kompart-


mentsyndromen an der oberen oder unteren Extremi-
tät. a Typische Inzisionen bei Kompartmentsyndromen
an der oberen Extremität. Es ist darauf zu achten, dass
die betroffenen Kompartimente jeweils komplett ge-
spalten werden. b Typische Hautinzisionen bei Kompart-
b mentsyndromen am Becken und der unteren Extremität

Operationsprinzip Lagerung
7 Operative Eröffnung und Entlastung aller Faszienräume mit Lagerung auf dem Normaltisch. Muss die Osteosynthese kor-
passagerer, spannungsfreier Wunddeckung (⊡ Abb. 7.35). Nach rigiert werden (so ist z. B. die Unterschenkelmarknagelung in
gesicherter Muskelregeneration und Rückgang der Schwellung Distraktion ein erheblicher Risikofaktor für das Auftreten eines
wird im Rahmen von Folgeoperationen ein möglichst komplet- Kompartmentsyndroms), muss auf ausreichende Röntgenmög-
ter sekundärer Hautverschluss angestrebt, in Ausnahmefällen lichkeit geachtet werden. Auf eine Blutsperre wird verzichtet.
ist eine Spalthautdeckung notwendig.
Zugang
Bei frakturbedingten Kompartmentsyndromen wird ein late-
Operationsvorbereitung raler Einzelschnitt bevorzugt, um die Fraktur möglichst haut-
Wenn noch nicht vorhanden, wird vor der Operation die Ge- und muskelbedeckt zu lassen (⊡ Abb. 7.36). Längsinzision über
rinnungssituation als Notfalllaboruntersuchung überprüft. Ggf. dem gesamten Verlauf der Fibula und Durchtrennung des
muss die Gerinnungssituation vor dem Eingriff kurzfristig nor- Subkutangewebes (Cave: N. peroneus superficialis, s. u.). In Un-
malisiert werden. Längere Wartezeiten im Ausmaß von über terschenkelmitte zunächst Anlegen einer 4 cm langen queren
einer Stunde sollten keinesfalls entstehen, es handelt sich um ei- Faszieninzision (Erleichterung der Identifikation der Muskello-
nen dringenden Notfall!. Bei mehrfachverletzten Patienten Be- gen), Identifikation des N. peroneus superficialis.
reitstellung von Blutkonserven je nach Allgemeinsituation. Bei
eingeschränkter Gerinnung sollten für eine Kompartmentspal-
tung am Unterschenkel 2 Blutkonserven bereitgestellt werden.

Aufklärung
Es handelt sich um eine Notfalloperation, die nach Indikati-
onsstellung ohne Zeitverzögerung durchgeführt werden muss.
Bei Nichtbehandlung bestehen erhebliche irreversible Folgeer-
scheinungen mit ischämiebedingter Muskel- und Nervennek-
rose und nachfolgenden Kontrakturen (Funktions- und Sensi-
bilitätsverlust). Bei ausgedehnten Kompartmentsyndromen in
mehreren Regionen kann es auf Grund der zu erwartenden
Rhabdomyolyse zu lebensbedrohlichen Situationen kommen.
In derartigen Situationen können gelegentlich lebensrettende
Amputationen indiziert sein. Bei bewusstlosen Patienten auf
der Intensivstation sind insbesondere die Angehörigen über
den Hintergrund und den Verlauf zu informieren.

Im Operationssaal
Nach Narkoseeinleitung Rasur und Vorreinigung des Opera-
tionsgebietes. In der Regel ist bei verletzungsbedingtem Kom-
partmentsyndrom schon eine Stabilisierung mit Marknagel ⊡ Abb. 7.36. Querschnitt durch die Unterschenkelkompartimente.
oder Fixateur externe vorgenommen worden. Der Fixateur Schematische Darstellung der Zugangswege über eine einzelne late-
wird belassen und ebenfalls vorgereinigt. rale Inzision
7.9 · Operative Spaltung eines Kompartmentsyndroms
179 7
Operationstechnik zision ausgehend Skalpellinzision nach proximal und distal von
Es müssen am Unterschenkel 4 Kompartimente zuverlässig ge- etwa 10 cm Länge, Spaltung der Restfaszie nach proximal und
spalten werden (⊡ Abb. 7.36 und 7.37): distal mit der Schere in beschriebener Technik.
! Vorsicht bei der Spaltung nach distal: Der Nervus peroneus
Identifikation der peronealen Muskelfaszie (⊡ Abb. 7.38):
superficialis verläuft schräg direkt unterhalb der Faszie, im
Ausgehend von der Querinzision Spaltung etwa 10 cm nach
distalen Bereich subkutan, und muss geschont werden.
proximal und distal mit dem Skalpell, danach weitere Spaltung
mit der langen Schere unter digitaler Kontrolle innerhalb der Oberflächliches Beugerkompartiment: Verschiebung von
Muskelloge. Haut und Subkutangewebe nach dorsal. Die Muskelfaszie des
M. triceps surae ist dünn, sie wird mit dem Skalpell nach proxi-
! Verlauf des Nervus peroneus communis proximal (Fibula-
mal und distal gespalten. Nach distal Eingehen mit der Schere
köpfchen) und distal.
bis in Höhe der Achillessehne. Die Faszie ist mit dem Muskel
Tibialis-anterior-Loge: Dazu Verschieben von Haut und Sub- verwachsen, die Spaltung ist daher nicht so »eindrucksvoll« wie
kutangewebe auf der Faszie nach ventral und von der Querin- in den anderen Kompartimenten.

⊡ Abb. 7.37. Hautinzision am Unterschen-


kel mit Erweiterungsmöglichkeit zum
Fußrücken. Nach Durchführung der Hautin-
zision über der gesamten Länge der Fibula
werden subkutan die Faszien dargestellt
und das Streckerkompartment, das fibulare
Kompartment und das oberflächliche Beu-
gerkompartment identifiziert. Angedeutet
ist die Erweiterungsmöglichkeit zur Spaltung
der Fußkompartimente

⊡ Abb. 7.38. Spaltung des peronealen


Muskelkompartimentes. Nach kurzer
Querinzision der Faszie wird mit der langen
Schere die Faszie nach proximal und distal
bis zur letzten Faser gespalten. Durch Pal-
pation mit dem Finger oder Unterfahren
mit einer Klemme kann bei Unsicherheiten
die Faszie besser isoliert werden
180 Kapitel 7 · Allgemeine operative Techniken und Notfallbehandlungen

Tiefes Beugerkompartiment (⊡ Abb. 7.39): Das tiefe Beuger- ▬ Auf leichten Pinzettendruck muss eine Kontraktilität be-
kompartiment ist nicht direkt einsehbar. Zunächst wird Pere- stehen.
onalmuskulatur vom Septum intermuscularae cruris posterius ▬ Es sollten kapilläre Blutungen nachweisbar sein.
abpräpariert und mit einem Langenbeck-Haken nach ventral ▬ Die Muskelkonsistenz ist weich-elastisch.
angespannt. Zwischen der Fibula und der Fascia cruris spannt ▬ Mit digitaler Kontrolle wird nochmals in allen Kompar-
sich nun die Muskelfaszie des tiefen peronealen Komparti- timenten die komplette Spaltung der Faszien überprüft.
mentes an und kann ebenfalls primär mit dem Skalpell, dann Insbesondere bei muskelkräftigen Patienten ist die ausrei-
weitergehend mit der Schere gespalten werden. Es muss hier chende Spaltung nach proximal und distal zu bestätigen.
sehr vorsichtig vorgegangen werden, um die direkt subfaszial
gelegenen Venenplexus nicht zu verletzen. Dieser Präparati- Wundverschluss
onsschritt wird durch streng subperiostales Ablösen der Faszie Zum Wundverschluss hat sich heute die Vakuumversiege-
von der Fibula erleichtert. Die Blutstillung in diesem Bereich ist lung (⊡ Abb. 7.40) bewährt und die Wundverschlusstechni-
mühsam, muss aber in allen Fällen exakt abgeschlossen werden. ken mit Hautersatz bzw. Einlage von feuchten Bauchtüchern
Auf der anderen Seite muss die Spaltung komplett erfolgen, da nahezu vollständig verdrängt. Bei sichergestellter Bluttro-
es ansonsten zu partiellen Muskelnekrosen im Kompartiment ckenheit wird spannungsfrei ein großer Saugschwamm auf-
kommen kann. gelegt und entsprechend zugeschnitten. Die Hautränder wer-
Nach kurzer Wartezeit und sorgfältigster Blutstillung wird den mit Klammernahtgerät an den Schwamm fixiert und
7 nun der Muskelstatus überprüft: eine Folienversiegelung vorgenommen. Die Saugung mit der
▬ Die Muskelfarbe sollte schnell wieder normalisiert sein Pumpe erfolgt intermittierend mit einem maximalen Sog von
(von blass, lehmig gefleckt zu dunkelrot). 80 mmHg.

⊡ Abb. 7.39. Spaltung des tiefen Beugerkom-


partmentes. Das tiefe Beugerkompartment
wird durch das subperiostale Ablösen der
Fascia cruris von der Fibula komplett eröffnet.
Auf venöse Querverbindungen muss geachtet
werden. Nur eine sorgfältige Darstellung und
Ligatur bzw. eine Vermeidung der Gefäße ver-
hindert hartnäckige und schwer zu stillende
Blutungen. Das Tibialis-anterior-Kompartment
wird nach subkutaner Präparation nach ven-
tral, das oberflächliche Beugerkompartment
direkt in der dorsalen Wunde aufgesucht und
mit der Schere gespalten. Im Bereich des ober-
flächlichen Beugerkompartmentes bestehen
ofmals nur sehr dünne, einzelne Faszienzüge,
aber auch sie müssen bis zur kompletten Ent-
spannung der darunter liegenden Muskulatur
gespalten werden

⊡ Abb. 7.40. Wundverschluss. Die Wunde wird


mit Hautersatz abgedeckt, besser allerdings
mit einem Vakuumsystem verschlossen. Um
eine Retraktion der Hautränder zu verhindern,
wird eine nahezu spannungsfreie elastische
Hautnaht mit Silikonzügeln und Hautklam-
mern angelegt. Bei den geplanten Revisionen
gelingt es mit dieser Technik nahezu immer,
bei fortschreitender Abschwellung die Haut-
ränder wieder sukzessive zu adaptieren und
sekundär zu verschließen
7.9 · Operative Spaltung eines Kompartmentsyndroms
181 7
Postoperativ Literatur
Probleme Boffard K (2003) Manual of definitive surgical trauma care. Hodder Arnold,
London
Problematisch kann ein sog. »Rebound-Kompartmentsyndrom«
Frink M, Müller C, Ziesing S, Krettek C (2006) Tetanusprophylaxe in der Notauf-
sein. Hierbei führen der Wundverschluss und die angelegten nahme. Unfallchirurg 109(11):977–82
Verbände zu einem erneuten Druckanstieg. Deswegen muss Nerlich M, Berger A (2003) Tscherne Unfallchirurgie – Weichteilverletzungen
auch nach der Operation eine weitere Überwachung des Lo- und -infektionen. Springer, Berlin Heidelberg New York
kalzustandes erfolgen und ggf. bei Ausbleiben einer Besserung Ruedi T, Buckley R, Moran C (2007) AO principles of fracture management. Vol.
1: Principles. Thieme, Stuttgart New York
nach Abnahme der Verbände eine Revision im Operationssaal
Trentz O, Tscherne H (2000) Tscherne Unfallchirurgie – Kopf und Körperhöh-
durchgeführt werden. len. Springer, Berlin Heidelberg New York
Tscherne H, Regel G (1997) Tscherne Unfallchirurgie – Trauma-Management.
Nachbehandlung Springer, Berlin Heidelberg New York
Die Extremität wird flach, allenfalls leicht hochgelagert (ma-
ximal 10 cm über Vorhofniveau), die Dichtheit des Verbandes
muss beständig überprüft werden. Bei regelrechtem Verlauf
und Rückgang der Schwellung ist nach 48 h eine Revisionsope-
ration vorgesehen.
Im Rahmen der Revision wird im Operationssaal unter ste-
rilen Kautelen die Versiegelung abgenommen und die Extremi-
tät erneut steril abgewaschen und abgedeckt, die Nekrosen wer-
den ggf. sparsam debridiert. Besteht ein deutlicher Rückgang
der Schwellung, was bei rechtzeitiger Spaltung zu erwarten ist,
werden die Wundränder von distal und proximal her soweit
wie möglich eingeengt und verschlossen. Die Restwunde wird
in beschriebener Technik erneut vakuumversiegelt.
! Die Kompression darf nicht zu stark sein, um ein sog. »Re-
bound-Kompartmentsyndrom« zu vermeiden.

Über den Schwamm kann eine leicht angespannte elastische


Naht mit Silikonzügeln und Hautklammern angelegt werden,
um eine Retraktion der Hautränder zu verhindern. In der
Phase der Vakuumversiegelung wird eine Antibiotikaprophy-
laxe mit Cephalosporinen der ersten Generation durchgeführt,
bei Auftreten einer Superinfektion Antibiotikatherapie entspre-
chend dem Antibiogramm.
Bei regelrechtem Verlauf erfolgen die Revisionen in 2-tägi-
gem Abstand, bei der 2. oder 3. Revision kann eine komplette
Sekundärnaht der Haut vorgenommen werden.
Bei verzögerten Verläufen lassen sich ggf. die Hautränder
nicht mehr sekundär adaptieren, so dass hier in der 4. oder
5. Revision eine Spalthautdeckung des nun granulierenden
Wundgrundes vorgenommen wird.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Der Belastungsaufbau erfolgt entsprechend dem Beschwerde-
bild des Patienten. Prinzipiell ist die Belastungsfähigkeit der
Extremität durch die Fraktur definiert. Eventuelle Nervenaus-
fälle und Funktionsdefizite müssen sehr exakt im Arztbrief
angegeben werden, nicht nur als Ausgangsbefund für die Lang-
zeitbeobachtung, sondern auch aus versicherungsrechtlichen
Gründen. Der Patient wird darüber aufgeklärt, dass prinzipiell
mit einer leichten Kraftminderung der Extremität zu rechnen
ist, die aber bei entsprechendem Muskelaufbautraining funk-
tionell kompensiert werden kann. Bestanden Muskelnekrosen
oder Nervendefizite, muss von einem langwierigen Verlauf
ausgegangen werden. Nervenregenerationen sind innerhalb der
ersten 2 Jahre zu erwarten.
8

Verletzungen der oberen Extremitäten

8.1 Osteosynthese der Klavikulafraktur – 184

8.2 Stabilisierung der AC-Gelenksluxation – 189

8.3 Offene Reposition und Stabilisierung nach proximalen


Humerusfrakturen mit winkelstabilem Plattensystem – 194

8.4 Offene Reposition und Plattenosteosynthese


der Humerusschaftfraktur – 199

8.5 Offene Reposition und retrograde Marknagelung


der Humerusschaftfraktur – 204

8.6 Versorgung der Olekranonfraktur


mit Zuggurtungsosteosynthese – 209

8.7 Versorgung einer Radiusköpfchenmeißelfraktur – 214

8.8 Versorgung der Unterarmschaftfraktur


mit Plattenosteosynthesen – 218

8.9 Operative Stabilisierung einer distalen Radiusfraktur


mit Spickdrahtosteosynthese – 222

8.10 Versorgung einer dislozierten distalen extraartikulären


Radiusextensionsfraktur mit palmarer winkelstabiler
Plattenosteosynthese – 227

8.11 Operative Stabilisierung der frischen Kahnbeinfraktur


durch Zugschraubenosteosynthese – 232
184 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.1 Osteosynthese der Klavikulafraktur ! Übersehene thorakoskapuläre Dissoziation oder instabile


Skapulafraktur, auch als »floating shoulder« bezeichnet.
Vorbemerkung
Klavikulafrakturen betreffen in etwa 70% das mittlere Drittel Da eine perioperative »Single-shot«-Antibiotikaprophylaxe vor-
und heilen in über 90% der Fälle unter konsequenter kon- gesehen ist, muss die Antibiotikaverträglichkeit erfragt werden.
servativer Behandlung (Rucksackverband) folgenlos aus. Die Laborwerte nach Routine kontrollieren, insbesondere Gerin-
operative Therapie wird daher die Ausnahme bleiben. Frak- nungsstatus.
turen des lateralen Klavikulaendes bedürfen häufiger einer
operativen Therapie, sind aber auf Grund spezieller Indika-
tionsstellungen und Techniken der speziellen Unfallchirurgie Im Operationssaal
zuzuordnen. Nach Narkoseeinleitung (Allgemeinnarkose) Vorreinigung und
Vordesinfektion des Operationsgebietes, ggf. auch der Achsel-
höhle (schmerzbedingt Körperhygiene vor Narkoseeinleitung
Indikation häufig behindert!).
Die operative Behandlung der Klavikulafraktur im mittleren
Drittel ist angezeigt bei: Lagerung
▬ Offenen Frakturen und/oder Frakturen mit schweren loka- Danach Lagerung in der Liegestuhllagerung (»beach chair«;
len Begleitverletzungen bzw. Gefäß-Nerven-Verletzungen  Kap. 1.1) mit frei beweglichem Arm. Sowohl die ventrale und
(A./V. subclavia!) dorsale Schulterpartie und die Region über der Klavikula bis
▬ Nicht reponierbaren Verkürzung über 15 mm hin zum Sternoklavikulargelenk müssen frei zugänglich sein.
8 ▬ Störendem Fragmentdruck bzw. dadurch bedingter Perfora- Die Positionierung des Kopfes muss so erfolgen, dass intra-
tionsgefahr operativ eine Bildwandlerkontrolle durchgeführt werden kann.
▬ Relativer Indikation bei speziellen Patientenanforderungen Die Zugänglichkeit und Position des Bildwandlers muss daher
(hohe körperliche Anforderung wie z. B. Leistungssportler schon vor dem Abdecken kontrolliert und der Bildwandler so
bei Verletzungen des »Wurfarms«) positioniert werden, dass er ohne Verzögerung und Störung des
Operationsablaufes eingebracht werden kann (in der Regel von
kranial her). Die Armstütze wird so eingestellt, dass der Unter-
Operationsprinzip arm während der Operation gut abgestützt ist und eine starke
Als Standardoperation wird nach offener Reposition eine klas- Retroversion der Schulter vermieden wird (Plexus brachialis!).
sische Zugschraubenosteosynthese mit Neutralisationsplatte Danach steriles Abwaschen und Abdecken mit frei bewegli-
durchgeführt. Lediglich bei seltenen Querfrakturen lässt sich chem Arm. Je nach persönlicher Präferenz steht der Operateur
das dynamische Kompressionsprinzip der Platte ausnutzen. Die kranio- oder kaudolateral, der Assistent entsprechend komple-
in der Literatur beschriebenen »Markdrahtungen« werden bei mentär. Instrumentiert wird zwischen dem Operateur und dem
den eigenen Patienten aufgrund von mannigfaltigen Komplika- 1. Assistenten von lateral her.
tionsmöglichkeiten und erhöhter Pseudarthroserate bisher nur
in Ausnahmefällen durchgeführt.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
Auf Grund der prinzipiell möglichen konservativen Behand-
lungsoption erfolgt ein umfassendes Aufklärungsgespräch:
▬ Subklaviaverletzung (ggf. lebensbedrohlich, seltener Plexus-
schädigung)
▬ Wundheilungsstörung und Infekt
▬ Kosmetisch störende Narbe (häufig) sowie tast- und sicht-
bare Platte, besonders bei schlanken Patienten
▬ Pseudarthrose trotz Operation

Beim Regeleingriff ist nur ein geringer Blutverlust zu erwarten;


als Eingriff der oberen Extremität besteht nur ein minimales
allgemeines Thromboserisiko.

Diagnostik und Planung


Präoperativ zu kontrollieren sind die lokalen Haut- und Weich-
teilverhältnisse (Schürfungen, Fragmentdruck?), die Durchblu-
tungssituation des Armes und eventuelle Nervenstörungen.
8.1 · Osteosynthese der Klavikulafraktur
185 8
Zugang
Es wird ein sog. »Säbelhiebschnitt« von etwa 7–10 cm Länge in
sagittaler Ebene über der Fraktur angelegt (⊡ Abb. 8.1). Diese
Art der Inzision berücksichtigt die Hautspaltlinien und lässt eine
kosmetisch günstige Narbenbildung erwarten. Bei Pseudarth-
rosen bzw. ausgedehnten Trümmerzonen wird alternativ eine
quere Inzision direkt über dem Knochen angelegt, um die Kla-
vikula in ihrer gesamten Ausdehnung erreichen zu können.

Operationstechnik
Die Fraktur ist meist direkt nach der subkutanen Präparation
erkennbar, so dass nach Entfernung des Frakturhämatoms die
Frakturenden direkt mit dem scharfen Löffel vorsichtig gesäu-
bert werden können. Dazu werden die Hauptfragmente mit
kleinen scharfen Knochenhaltezangen gefasst und angehoben.
! Vorsicht bei der dorsalseitigen Präparation, die Gefäße verlau- a
fen in unmittelbarer Nähe!

Danach Einsetzen von runden Knochenhebeln (»abgerundeter


Hohmann-Haken«). Sie verbessern die Übersicht und schüt-
zen im Frakturbereich die dorsalen Weichteile und Gefäße
(⊡ Abb. 8.2).

⊡ Abb. 8.1a,b. Topographische Anatomie und Schnittführungen. a Aus


kosmetischen Gründen wird die sog. »Säbelhiebinzision«, parallel zu den
Hautspaltlinien, direkt über der Fraktur, bevorzugt. Ist eine ausgedehnte
Exposition über die gesamte Länge der Klavikula nötig, wird eine Längs-
inzision bevorzugt. b Die enge topographische Beziehung der Klavikula
zu Arteria und Vena subclavia sollte immer beachtet werden und kann
sowohl im Rahmen von Begleitverletzungen als auch bei operativen
Repositionsmanövern und der Stabilisierung (Technik der Bohrung!)
Bedeutung erhalten b

⊡ Abb. 8.2. Exposition und Reposition. Die Fraktur ist nun dargestellt
und die direkte Frakturzone vorsichtig mit runden Hohmann-Hebeln
umfahren. Die Fragmente werden nicht denudiert und nur soweit mobi-
lisiert, dass eine gezielte Ausräumung und Säuberung des Frakturspaltes
möglich wird. Zum Einsatz kommen kleine Löffel, der Zahnarzthaken.
Die Kontrolle über die Hauptfragmente kann durch den Einsatz der klei-
nen Repositionszange mit Spitzen (rechts im Bild) erreiht werden
186 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Reposition

> Achtung 1. Assistent


Der Assistent bringt durch Manipulationen an Arm und Schul-
ter die Klavikula in die ideale Länge, so dass bei einfachen
Frakturverläufen der Operateur eine vorläufige Stabilisierung
durch eine kleine spitze Knochenrepositionszange einfach
durchführen kann.

Bestehen Biegungskeile, werden diese zunächst reponiert und


vorläufig stabilisiert, um die korrekte Länge und Rotation zu
erreichen. Nur bei ausgedehnten Trümmerzonen (selten!) wird
eine reine Überbrückungsosteosynthese ohne Exploration der
Trümmerzone durchgeführt.

Stabilisierung
Je nach Frakturtyp erfolgt zunächst eine interfragmentäre Zug-
schraubenosteosynthese (normalerweise 3,5-mm-Kortikalis-
⊡ Abb. 8.3. Einbringung einer interfragmentären Zugschraube. Bei schraube oder bei zierlichem Knochenbau und kleinen Frag-
freien Fragmenten und/oder schrägen Frakturverläufen wird zunächst menten ggf. auch 2,7 mm oder sogar 2,0 mm) (⊡ Abb. 8.3). Zur
eine direkte interfragmentäre Kompression durch Einbringung einer
Kompensation der hohen Biegekräfte wird zusätzlich eine Neu-
oder mehrerer Zugschrauben erreicht. Gelegentlich sind 3,5-mm-Korti-
8 kalisschrauben bei kleineren Fragmenten an der Klavikula zu voluminös. tralisationsplatte angebracht (⊡ Abb. 8.4). Die Autoren verwen-
In diesen Fällen kann man durchaus auf kleinere Schrauben (z. B. 2,0 mm den auf Grund der höheren Stabilität eine 3,5-mm-DC-Platte
aus dem Handset) zurückgreifen. Die immer notwendige Plattenosteo- bzw. LCDCP-Platte, wobei in jedem Hauptfragment mindestens
synthese schützt als »Neutralisationsplatte« auch die kleinen Zugschrau- 3 Kortikalisschrauben Halt finden sollten. Als Alternative kann
ben vor sekundärer Dislokation
auch eine winkelstabile Platte verwendet werden. Bezüglich
der Schraubengeometrie besteht hierzu noch wenig Erfahrung,
so dass bei den eigenen Patienten in jedem Hauptfragment
derzeit mindestens 1 Plattenzugschraube und 2 winkelstabile
Schrauben verwendet werden. Rekonstruktionsplatten lassen
sich zwar besser der Klavikulageometrie anformen, werden
aufgrund der geringeren Stabilität von den Autoren allenfalls in
Ausnahmesituationen eingesetzt.

⊡ Abb. 8.4a,b. Anpassung der Neutralisationsplatte. a Die Neutralisati-


onsplatte muss sehr exakt an die Knochenoberfläche angepasst werden.
Aus Gründen der ausreichenden Stabilität werden DC-Platten, winkel- b
stabile DC-Platten oder die seit kurzem verfügbaren anatomisch adap-
tierten Platten verwendet. Die weniger stabile Rekonstruktionsplatte
wird nur in Ausnahmefällen, wenn ansonsten keine Anformung möglich
wäre, eingesetzt. Die antero-kraniale Plattenlage ist der Standard, da nur
wenig Muskel abgelöst werden muss und die Operationstechnik relativ
einfach ist. Eine anteriore Plattenlage ist kosmetisch günstiger, benötigt
aber eine weitreichendere Freilegung des Knochens. b Die Verschrau-
bung der Platte erfolgt im Wechsel beider Hauptfragmente von fraktur-
nah nach frakturfern ohne Kompressionswirkung (ohne »DC-Wirkung«).
Eine mögliche Sequenz ist in der Abbildung dargestellt
8.1 · Osteosynthese der Klavikulafraktur
187 8
Besonderheiten/Gefahren
Gefahr besteht besonders bei Repositionsmanövern und Ins-
trumenteneinsatz in Nähe der Gefäße. Eine ähnliche Gefahr
besteht beim Bohren in der Klavikula, da Erfahrung dazuge-
hört, bei dem sehr harten Knochen die gegenseitige Kortikalis
mit der Bohrerspitze nicht wesentlich zu überschreiten. Frak-
turnah sollte daher immer ein runder Hohmann-Hebel zum
Schutz untergesetzt werden. Frakturfern muss äußerst exakt
in der sog. »Schlagbohrtechnik« vorgegangen werden und auf
eine gute Abstützung der Bohrmaschine geachtet werden.
! Selten kann es auf Grund von zu langen Schrauben zu Gefäß-
verletzungen bzw. Thrombosen der Vena subclavia kommen.
Daher immer Dimension des Knochens und Schraubenrichtung
beachten und mit dem Messergebnis korrelieren!

Wundverschluss/Verband
Zunächst Kontrolle auf Bluttrockenheit und Wundspülung
(Vorsicht Assistent: Nierenschale rechtzeitig an den distalen
Wundpol drücken!). Einlage einer Redon-Drainage (12 Charr.),
die wundnah ausgeleitet wird. Sorgfältige Subkutannähte, um
möglichst wenig Spannung auf die Haut entstehen zu lassen
(Narbenbreite!) (⊡ Abb. 8.5). Hautverschluss mit Rückstichnäh-
ten, alternativ Intrakutannaht ( Kap. 7.2), wobei bei der Länge
der Inzision zumindest eine Fadenausleitung in der Mitte der
Wunde zu empfehlen ist. Gegebenenfalls letzte Adaptation der
Wundränder mit Klebepflaster. Danach steriler Verband und ⊡ Abb. 8.5. Wundverschluss. Die Wunde wird nach sorgfältiger Blutstil-
Anlage eines Gilchrist-Verbandes bzw. Wiederanlage eines lung schichtweise verschlossen. Zum Hautverschluss wird aus kosmeti-
konfektionierten schultermobilisierenden Verbandes. schen Gründen eine Intrakutannaht empfohlen
188 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Postoperativ
Probleme
Spezifische Probleme nach Klavikulafrakturen sind selten und
umfassen dann in der Regel Wundheilungsstörungen und
Wundhämatome. Regelmäßige Wundkontrollen müssen sicher-
gestellt sein, in Zweifelsfällen sollte eine frühzeitige Wundre-
vision erfolgen. Sehr selten führen überlange Schrauben zu
Verletzungen der Gefäße und/oder des Plexus brachialis. Eine
sofortige postoperative und wiederholte Kontrolle von Durch-
blutung, Motorik und Sensibilität des Armes ist notwendig.
a Nachbehandlung
▬ Operationstag: Postoperative Kontrolle von DMS, Anregen
von eigenständigen Bewegungsübungen der Hand (»Faust-
schluss/Pumpen«), ggf. am Operationsabend Durchbewe-
gen des Ellenbogens, Kontrolle der Drainageflasche.
▬ Postoperativer Tag 1: Falls Drainagevolumen unter 50 ml,
Drainage unter Verband heraus entfernen, ansonsten Drai-
nage leicht mobilisieren und belassen. Bewegungsübungen
Ellenbogen und Hand, vorsichtige geführte Pendelübungen
8 des Arms. Patient kann frei mobilisiert werden.
▬ Postoperativer Tag 2: Verband entfernen, Redon-Drainage
entfernen, Pflasterverband, geführte Schulterbewegung bis
90°, konfektionierten Schulterverband anlegen, der vom Pa-
b tienten selbständig abgenommen werden kann (z. B. Shoul-
der Immobilizer®).

Postoperative Röntgenkontrolle veranlassen (⊡ Abb. 8.6). Ent-


lassungsfähigkeit je nach Allgemein- und Wundsituation.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Regelmäßige Wundkontrolle, Fadenentfernung nach 14 Tagen.
Geführte Schulterbewegung bis 90° für 3 Wochen, danach aktiv
bis 90°, geführt über 90°.
! Es muss hier eher zur Vorsicht geraten werden, da die Schulter-
gelenksbeweglichkeit nach Klavikulafraktur meist problemlos
erreicht wird und bei der in der Regel schnellen Schmerzfreiheit
c der Patienten ggf. schon »Kraftübungen« durchgeführt werden.

Röntgenkontrolle nach 6 Wochen, danach Steigerung der Be-


⊡ Abb. 8.6a–c. Röntgenverlauf. a Schrägfraktur mit Biegungskeil. b In-
terfragmentäre Kompressionsschrauben (2) und aufgrund starker »Bie-
lastung unter Vermeidung von Stütz- und Wurfübungen.
gung« der Klavikula Einsatz einer Rekonstruktionsplatte zur Neutralisa- Abschließende Röntgenkontrolle nach 12 Wochen. Bei
tion der auftretenden Kräfte. c Ausheilung nach Metallentfernung 2 Jahre kompletter knöcherner Durchbauung volle Belastungsfähigkeit
nach Unfall nach muskulärem Wiederaufbau.
Abschlusskontrolle nach 1 Jahr. Implantatentfernung ist
indiziert, falls die Implantate lokal stören, ansonsten werden die
Implantate belassen.
8.2 · Stabilisierung der AC-Gelenksluxation
189 8
8.2 Stabilisierung der AC-Gelenksluxation Nachteilen verbunden, da bei der hohen Mobilität im Schulter-
bereich Implantatbrüche und -wanderungen sehr häufig sind.
Vorbemerkung
Luxationen im Akromioklavikulargelenk sind häufig und wer-
den v. a. bei Körperkontakt-Mannschaftssportarten wie z. B. Operationsvorbereitung
Rugby und American Football regelmäßig erlitten. Die Klassifi- Aufklärung
kation geht ursprünglich auf Tossy zurück, er unterschied: ▬ Ausführlich über allgemeine Operationsrisiken (relative In-
▬ Typ I als Distorsion ohne radiologischen Nachweis einer dikation!)
Verschiebung ▬ Nicht komplette Repositionsmöglichkeit
▬ Typ II mit zerrissenen akromioklavikulären, aber erhalte- ▬ Sekundäre Redislokation mit sichtbarem Klavikulahochstand
nen korakoklavikulären Bändern, was sich radiologisch in ▬ Schmerzhafte AC-Gelenksarthrose auch bei durchgeführter
einer Stufenbildung des Gelenks ohne kompletten Verlust AC-Gelenksresektion
der Kontaktfläche ausdrückt ▬ Wundheilungsstörung, v. a. bei Augmentation mit resorbier-
▬ Typ III mit Ruptur aller Bänder mit radiologisch vollkom- barem Material
menem Verlust des Gelenkkontaktes ▬ Vermeiden von »Über-Kopf-Tätigkeiten« für mindestens
6 Wochen
In einer Ergänzung durch Rockwood werden zusätzlich unter-
schieden: Diagnostik und Planung
▬ Typ IV mit dorsaler Durchspießung des Musculus trapezius Auf Grund der relativen Operationsindikation muss auf eine
durch die Klavikula lückenlose Dokumentation (native Röntgenbilder sowie Panora-
▬ Typ V mit einer ausgedehnten Instabilität der Klavikula, die maaufnahmen der Schulter mit Belastung im Seitenvergleich) ge-
sowohl kraniokaudale als auch anterioposteriore Bewegung achtet werden. Die generelle Indikation wird nochmals überprüft.
zulässt Danach Prüfung der lokalen Hautverhältnisse, der peripheren
▬ Typ VI, bei dem sich die Klavikula nach distal unter Akro- DMS des Armes sowie der allgemeinen Operationsfähigkeit.
mion oder Korakoid verklemmt

Im Operationssaal
Indikation Lagerung
Die drei zuletzt genannten Formen sind sehr seltene, schwere Der Patient wird in der »Liegestuhlposition« gelagert (⊡ Abb. 1.1).
Verletzungen, die immer operativ versorgt werden sollten.
Die AC-Gelenksdistorsion wird konservativ behandelt. Auf Zugang
Grund der unsicheren Ergebnisse der operativen Behandlung Palpieren bzw. Anzeichnen des Akromions, AC-Gelenks, la-
und der guten Rehabilitationsfähigkeit nach konservativer teralen Klavikulaendes und Verlaufs der Klavikula sowie des
Therapie wird auch bei Verletzungen des Typs Tossy II von Korakoids. Hautinzision, »Säbelhiebinzision« in Sagittalebene
den Autoren immer eine konservativ-funktionelle Therapie parallel zu den Hautspaltlinien etwa in der Mitte zwischen late-
empfohlen. ralem Klavikulaende und Korakoid (⊡ Abb. 8.7).
Strittig ist die Behandlung von Verletzungen des Typs Tossy
III, da bisher in keiner Vergleichsstudie Vorteile der operativen
Therapie nachgewiesen werden konnten. Bei den eigenen Pa-
tienten wird daher auf die relative Indikation hingewiesen und
jungen, sportlich aktiven Patienten sowie Patienten mit häufigen
»Über-Kopf-Tätigkeiten« eher zur Operation geraten. Ausnah-
men bestehen hier bei Kampfsportlern, da hier bei Wiederauf-
nahme des Sportes eine hohe Rezidivrate zu erwarten ist. Bei
geringerem Anspruch an die körperliche Aktivität wird eher zur
konservativ-funktionellen Therapie geraten. In allen Fällen wird
auf einen ggf. kosmetisch störenden Hochstand des lateralen
Klavikulaendes hingewiesen und das Risiko einer sich sekundär
entwickelnden AC-Gelenksarthrose besprochen. Eine schmerz-
hafte AC-Gelenksarthrose lässt sich sekundär mit guter Prog-
nose durch eine operative AC-Gelenksresektion behandeln.
Zur Versorgung der AC-Gelenkssprengung gibt es eine
große Zahl von Operationsverfahren, wobei die Prinzipien so-
wohl intraartikuläre Techniken mit Zuggurtungsosteosynthesen
⊡ Abb. 8.7. Topographie und Hautinzision. Die gut tastbaren Knochen-
und Plattenosteosynthesen des Gelenks als auch extraartikuläre konturen werden angezeichnet. Die Inzision erfolgt als »Säbelhiebin-
Techniken mit Bandrekonstruktionen und Verschraubungen zision« in den Hautspaltlinien direkt über dem AC-Gelenk. Roter Kreis:
umfassen. Jedes Verfahren ist mit mehr oder weniger großen Lokalisation der Bohrung durch die Klavikula
190 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Operationstechnik
Nach Präparation durch das Subkutangewebe zunächst unter
Hakenzug Präparation auf der Klavikula nach lateral und Dar-
stellen des AC-Gelenks. Bei den eigenen Patienten werden der
Diskus komplett entfernt und eine AC-Gelenksresektion durch-
geführt, indem nach Umfahren des lateralen Klavikulaendes
mit runden Hohmann-Hebeln 5 mm der Klavikula mit der Säge
reseziert werden (⊡ Abb. 8.8).

> Achtung 1. Assistent


Sägeblatt mit Spülflüssigkeit zur Vermeidung von Knochen-
nekrosen kühlen!

Danach Präparation nach medial und Ablösung von Fasern


des Ursprungs des M. trapezius. Darstellen der zerrissenen
klavikulo-korakoidalen Bänder. Palpation des Korakoides und
vorsichtige Präparation des etwas weiter dorsal gelegenen »Ko-
Lig. coracoacromiale
rakoidhalses«. Zunächst Einsetzen von Haken (Langenbeck-
Haken mittlerer Größe bzw. kleine runde Hohmann-Hebel) um
das Korakoid und Armieren der korakoidalen Bandstümpfe mit
8 ⊡ Abb. 8.8. Situs und AC-Gelenksresektion. Durch sparsames Ablösen
resorbierbarer Naht (z. B. PDS Stärke 0 mit kleiner Bandnadel).
der Muskulatur von der Klavikula wird die Läsion dargestellt. Der Dis-
Die Nadel wird belassen und mit Klemmchen gesichert. Da-
cus articularis ist in der Regel zerrissen. Zur Prävention von späteren nach Umfahren des Korakoidhalses mit kleinem Dechamp oder
AC-Gelenksarthrosen wird im eigenen Vorgehen immer eine sparsame gebogener Klemme und Durchziehen eines Augmentierungs-
AC-Gelenksresektion durchgeführt (Resektion von maximal 5 mm des bandes (z. B. PDS-Band 10–15 mm; ⊡ Abb. 8.9).
angrenzenden Knochens). Die Bandstümpfe werden unter der Klavikula
und am Proc. coracoides aufgesucht

Proc. coracoideus

⊡ Abb. 8.9. Naht korakoklavikuläre Bänder und Augmentation. Zu-


nächst werden die distalen Bandstümpfe mit monofiler, resorbierbarer
Naht gefasst und die Naht im proximalen Bandstumpf vorgelegt. Tech-
nisch schwieriger ist die Umschlingung des Proc. coracoideus mit einer
resorbierbaren Kordel. Nach Vorpräparation mit dem gebogenen Ras-
patorium wird der Knochen mit dem Dechamp oder einer gebogenen
Klemme umfahren und entweder zunächst ein Hilfsfaden oder das Band
direkt durchgezogen
8.2 · Stabilisierung der AC-Gelenksluxation
191 8
Nun wird die Fixation der Klavikula vorbereitet, wobei
man sich am Ursprung der abgerissenen Bandstümpfe orien-
tiert. An dieser Stelle wird der Knochen mit dem gebogenen
Raspatorium vorsichtig umfahren (Cave: Nähe zum Gefäß-
Nerven-Bündel!) und nach Einsetzen von runden Hohmann-
Hebeln zum Schutz des Gefäß-Nerven-Bündels ein Bohrloch
von 3,5 mm in kraniokaudaler Richtung in »Schlagbohrtechnik«
angelegt (⊡ Abb. 8.10). Bei Bohrung in ventrodorsale Richtung
besteht die Gefahr von Ausrissen und Frakturen mit Pseudarth-
rosenbildung. Das Durchziehen des PDS-Bandes wird entspre-
chend der Luxationsrichtung der Klavikula justiert. Besteht eine
Luxationsrichtung eher nach ventral, wird die Klavikula von
ventral her umschlungen (⊡ Abb. 8.11a), ansonsten von dorsal
(⊡ Abb. 8.11b). Nachdem die PDS-Bandposition festgelegt ist,
wird der klavikuläre Bandstumpf mit der vorgelegten PDS-Naht
gefasst. Die endgültige Fixation erfolgt erst nach endgültiger Re-
position der Klavikula und Sicherung durch die Augmentation.

⊡ Abb. 8.10. Bohrung durch die Klavikula. Die Bohrung durch die Kla-
vikula erfolgt in kraniokaudaler Richtung. Die spätere Zugrichtung der
Augmentation sollte berücksichtigt werden

a b

⊡ Abb. 8.11a,b. Fixation. a Die Umschlingung der Klavikula erfolgt je


nach Richtung der Dislokation ventral (a) oder dorsal (b). Damit kann
die Zugrichtung und Reposition beeinflusst werden. Nur in Fällen einer
höhergradigen Instabilität (Rockwood V) verbleibt auch nach Anziehen
der Kordel eine Dislokation des Gelenkes nach anterior oder dorsal. In
diesen Fällen wird im eigenen Vorgehen eine passagere (3 Wochen)
Spickdrahttransfixation durchgeführt (2,0 mm Durchmesser, Drähte bei
hoher Dislokationsgefahr immer umbiegen!). c Situs vor dem Knoten des
Augmentationsbandes
c
192 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Reposition
Der Assistent hebt Arm und Schulter an und drückt die Klavi-
kula mit Raspatorium oder scharfen Löffel gegenläufig nach di-
stal. Bei erreichter Reposition wird das PDS-Band nun verkno-
tet und der Knoten ggf. durch eine zusätzliche durchstechende
Naht gesichert.
Da der Knoten technisch am besten nahe der Klavikula
angelegt wird, dort aber bei Resorption des recht voluminö-
sen Knotens Heilungsstörungen bis hin zu Fisteln beobachtet
wurden, wird nach endgültiger Verknotung die Knotenpor-
tion der Schlinge nach distal verschoben (⊡ Abb. 8.12). Dieses
gelingt in forcierter Repositionsstelle mit vorsichtigem Einsatz
eines »Overholds« meist problemlos. Der Knoten kommt
dadurch nahe am Korakoid und damit gut unter guter Weich-
teildeckung zu liegen. Jetzt Straffen und Knoten der Band-
naht und abschließende Kontrolle von Repositionsstellung
und Stabilität.

8
⊡ Abb. 8.12. Knotenverschieben. Die vorgelegte Bandnaht wird eben-
falls verknotet. Der voluminöse Knoten der Kordel wird in die Tiefe
geschoben, um Reizzustände unter der Haut im Rahmen der Fadenre-
sorption zu vermeiden
8.2 · Stabilisierung der AC-Gelenksluxation
193 8
Postoperativ
Probleme
Gelegentlich treten Wundheilungsstörungen auf, daher ist auch
hier auf eine sorgfältige postoperative Wundkontrolle zu achten.
Im Zweifelsfall sollte eine frühzeitige Wundrevision erfolgen.

Nachbehandlung a
▬ Operationstag: Kontrolle DMS und Drainagen. Motivation
zur Ellenbogenbewegung und Handbewegung.
▬ Postoperativer Tag 1: Bei Drainagemenge unter 50 ml Ent-
fernung der Drainage. Vorsichtig geführte Bewegung in
der Schulter bis maximal 90°. Anleitung zu Eigenübungen
Unterarm und Hand.
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Drainage, Entfer-
nung des Verbandes, allenfalls noch Pflasterverband, Rönt-
genkontrolle, Schulter a.p.

⊡ Abb. 8.13 zeigt beispielhaft die Versorgung einer AC-Gelenks-


sprengung. b

Weiterbehandlung/Arztbrief
Ruhigstellung mit eigenständiger Abnahme des immobilisie-
renden Schulterverbandes für Übungen für 3 Wochen, Schul-
terelevation für die ersten 6 Wochen bis 90° limitiert. Fadenent-
fernung nach 14 Tagen.
Nach 6 Wochen Röntgenkontrolle. Wiederaufnahme der
sportlichen Tätigkeit nach entsprechendem Muskelaufbau nach
ca. 8–12 Wochen.

⊡ Abb. 8.13a–c. Röntgenverlauf nach Versorgung einer AC-Gelenks-


sprengung Typ Tossy III durch AC-Gelenksresektion, Bandnaht und
Augmentation. a Primärdiagnostik mit »Panoramaaufnahme« unter
Belastung (10 kg) im Seitenvergleich. b Postoperative Kontrolle. c Ab-
schlusskontrolle nach 6 Monaten
194 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.3 Offene Reposition und Stabilisierung Operationsvorbereitung


nach proximalen Humerusfrakturen mit Aufklärung
winkelstabilem Plattensystem Grundlegend wird die Indikation zur operativen Versorgung
besprochen. Vorteile sind v. a. die Chance der verbesserten ana-
Vorbemerkung tomischen Rekonstruktion und die Möglichkeit der funktionel-
Die Klassifikation der proximalen Humerusfrakturen nach len Nachbehandlung. Folgende Komplikationsmöglichkeiten
Neer beruht im Wesentlichen auf der Einteilung von 4 Haupt- sollten explizit besprochen werden.
segmenten (Kopf, Schaft, Tuberculum majus und Tuberculum ▬ Allgemeine Operationsrisiken
minus) die die Grundlage für die systematische Analyse und – Thromboembolische Komplikationen (am Oberarm sel-
Therapieplanung bilden. Eine Reihe von weiteren Klassifikatio- ten)
nen (u. a. auch die AO-Klassifikation) bauen auf dieser Grund- – Wundinfektion bis hin zur Schultergelenksinfektion und
einteilung auf. Auf Grund der Änderung der Altersstruktur ist Osteomyelitis
die Zahl der proximalen Humerusfrakturen auch weiterhin – Gefäß- und Nervenschäden, hier insbesondere des N.
deutlich ansteigend. axillaris
Die Therapiekonzepte haben sich in den letzten Jahren ▬ Spezifische Komplikationen
erheblich geändert. Nachdem nichtoperative ruhigstellende, – Eingeschränkte Schulterbeweglichkeit durch Vernar-
aber auch funktionell-konservative Therapieverfahren bei bungen bzw. störendes Implantat (Impingement). Durch
verschobenen Frakturen nur unbefriedigende funktionelle frühzeitige Implantatentfernung und Adhäsiolyse können
Resultate ergaben, liegt jetzt der Fokus auf einer möglichst hier jedoch noch deutliche Verbesserungen erreicht wer-
anatomischen Reposition des proximalen Humerus mit sta- den.
8 biler Fixation unter möglichst biologischen Kriterien, um die – »Einsinterung« des Kopfes mit konsekutiver Schrauben-
komplexe Schulterfunktion nur gering zu beeinträchtigen. Da perforation in das Gelenk, hier ist ggf. der Schrauben-
die proximale Humerusfraktur im Regelfall bei geschwäch- wechsel oder die frühzeitige Implantatentfernung vorzu-
ter Knochenstruktur auftritt, konnte erst durch Einführung sehen
winkelstabiler Implantate, wie z. B. der proximalen Humerus- – Partialnekrose des Humeruskopfes (oftmals funktionell
platten oder auch Verriegelungsmarknägeln, die für die Schul- unbedeutend)
ter so wichtige frühfunktionelle Nachbehandlung realisiert – Verzögerte Frakturheilung/Pseudarthrosenbildung, dann
werden. Bei den eigenen Patienten wird die Stabilisierung auch u. U. Implantatbrüche
mit einer anatomisch adaptierenden, winkelstabilen proxi- – Implantatausrisse, bei winkelstabilen Platten insbeson-
malen Humerusplatte bevorzugt, da die Operationstechnik dere im Bereich des Schaftes bei zu früher Belastung, z. B.
standardisierbar ist, die Reposition durch die anatomisch vor- Abstützen im Bett
geformte Platte erleichtert und so eine hohe Primärstabilität – Bei Versagen des primär osteosynthetischen Vorgehens
geboten wird. ggf. sekundäre Notwendigkeit der Implantation einer Ge-
lenkprothese

Indikation Es wird besprochen, dass postoperativ eine Ruhigstellung im


Die Indikation zur operativen Versorgung ist bei dislozier- Gilchrist-Verband notwendig ist. Aus dem Verband heraus
ten (Fragmentdiastase über 1 cm, Fragmentverkippung über werden je nach Compliance des Patienten eigenständige oder
30°) und/oder instabilen proximalen Humerusfrakturen gege- ggf. ausschließlich krankengymnastisch angeleitete Bewegungs-
ben. Im Zweifelsfall wird mit einer Bildwandleruntersuchung übungen durchgeführt (3 bis maximal 6 Wochen).
im Sitzen (a.p. und tangentiale Körperaufnahme sind durch
Drehen des Bildwandlers auf der Kreisbahn ohne weitere Diagnostik und Planung
schmerzhafte Bewegung des Patienten leicht möglich) die Direkt präoperativ wird die Vollständigkeit der Röntgenbil-
fragliche Stabilität der Frakturfragmente zueinander doku- der überprüft, bei nicht ausreichender Abbildungsqualität ist
mentiert. Bei jüngeren Patienten bis etwa 60 Jahre wird auch ggf. eine Computertomographie erforderlich. Diese wird bei
bei mehrfragmentären Frakturen und »Headsplit-Frakturen« den eigenen Patienten bei unklarer Situation zur adäquaten
ein Rekonstruktionsversuch vorgenommen. Lediglich Pati- Indikationsstellung und genauen präoperativen Planung zwi-
enten in stark reduziertem Allgemeinzustand mit schalenför- schenzeitlich fast immer durchgeführt. Prüfung der lokalen
migen Kopffragmenten und Headsplit-Verletzungen werden Weichteilverhältnisse.
einem primären prothetischen Ersatz zugeführt. Sollte es sich
allerdings intraoperativ zeigen, dass eine Reposition nicht im
ausreichenden Maße möglich ist, wird ein sofortiger endopro-
thetischer Ersatz angestrebt, da ansonsten mit einer deutlich
verlängerten Rehabilitationszeit unter Schmerzen zu rechnen
ist. Mehrere Untersuchungen bestätigen, dass in diesen Fällen
sekundäre prothetische Versorgungen zu einem funktionell
schlechteren Ergebnis führen.
8.3 · Offene Reposition und Stabilisierung nach proximalen Humerusfrakturen mit winkelstabilem Plattensystem
195 8
Im Operationssaal
Lagerung
Nach Narkoseeinleitung Vorreinigung der Schulter, Rasur der
Achsel, Liegestuhllagerung ( Kap. 1.1; ⊡ Abb. 8.14). Der Arm
wird frei beweglich abgedeckt, auf eine ausreichende Zugäng-
lichkeit bis zum Proc. coracoideus und mindestens Mitte Ober-
arm muss geachtet werden. Der Unterarm wird auf einer Arm-
stütze gelagert.
Die intraoperative Durchleuchtung muss möglich sein, da-
her Prüfung der Bildwandlereinstellung, ggf. Ausdrucken eines
a.p. Bildes unter leichtem Zug des Armes (durch die Ligamen-
totaxis wird die Darstellbarkeit und anatomische Orientierung
erleichtert!).
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporinen der
1. Generation.

Zugang
⊡ Abb. 8.15

⊡ Abb. 8.14. Liegestuhllagerung und Abdeckung. Lagerung in der


»Liegestuhllagerung«. Der Kopf muss ausreichend gegen Verrutschen
gesichert sein (Lagerungsschale, Bandagen). Der Arm sollte frei be-
weglich sein, der Unterarm wird mit einer Armschiene abgestützt. Vor
endgültiger Abdeckung muss die Durchleuchtungsmöglichkeit geprüft
werden, um einen von Tischanteilen unbehinderten Strahlengang zu
erreichen

Proc. coracoideus

M. deltoideus

⊡ Abb. 8.15. Landmarken und Zugang. Als Landmarken dienen der


Proc. coracoideus, das Akromion und der Sulcus deltoideo-pectoralis.
Die Inzision beginnt am Proc. coracoideus und verläuft entlang des Sul-
cus deltoideo-pectoralis bis zum Ansatz des M. deltoideus
196 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Operationstechnik
Präparation durch das Subkutangewebe und Aufsuchen des
Sulcus deltoideo-pectoralis, Eröffnen der Faszie und Aufsuchen
der Vena cephalica (⊡ Abb. 8.16). Diese wird geschont und
nach lateral weggehalten, da sie den venösen Abfluss des M.
deltoideus sicherstellt. Die weitere Präparation erfolgt stumpf,
Bicepssehne bei jüngeren Patienten mit der Schere. Die Präparation muss
bis zum Proc. coracoideus weitergeführt werden. Unter leichter
Abduktion des Armes (Assistent) digitales Eingehen auf die
Rotatorenmanschette und Orientierung am Verlauf der langen
Bizepssehne. Das Ausmaß der Fraktur wird nun erkennbar.

Reposition/Stabilisation
In der Regel ist der Kopf valgisch eingestaucht, das Tuberculum-
majus-Fragment nach proximal gerutscht und es besteht ein
Einriss der Rotatorenmanschette kranial des Tuberculum-majus-
Fragmentes in unterschiedlichem Ausmaß. Die Frakturfreile-
gung sollte nur sparsam erfolgen. Eine komplette Freilegung
und Ausräumung des Frakturhämatoms ist normalerweise nicht
nötig, wichtig ist die Wiederherstellung der Form des proxima-
8 len Humerus. Ein kritischer Punkt ist dabei die Dislokation am
medialen Kopf/Schaftübergang, da hier die versorgenden Blut-
gefäße einstrahlen. Bei der Reposition des Kopfes sollte eine Ver-
schiebung in diesem Bereich unbedingt vermieden werden, ggf.
⊡ Abb. 8.16. Tiefe Präparation. Das Aufsuchen der V. cephalica kann werden vor der Varisierung des Kalottenfragmentes (»Anheben
mühsam sein, sollte aber sorgfältig erfolgen. Die Vene verbleibt lateral, des Kopfes«) Spickdrähte durch den Schaft in den distalen Kopf-
um den venösen Abfluss aus dem M. deltoideus nicht zu behindern.
anteil eingebracht, um ein »Abrutschen« zu verhindern. Da das
In diesem Intervall wird direkt auf den Knochen eingegangen und
die Fraktur identifiziert. Die lange Sehne des M. biceps wird ebenfalls Ausmaß der Varisierung nur durch eine anatomische Reposition
identifiziert; der Verlauf des Sulcus bicipitis im Knochen erleichtert die des Tuberculum-majus-Fragmentes gesichert werden kann, wer-
Orientierung über die Rotation des Oberarms den zur verbesserten Manipulation und späteren Reposition zu-
nächst Haltenähte in die Rotatorenmanschette eingelegt. Bei den
eigenen Patienten werden Sehnennähte angelegt, die gleichzeitig
den Einriss verschließen. Durch Zug an diesen Fäden kann die
Rotatorenmanschette entspannt werden und die Reposition des
Tuberculum-majus-Fragmentes wird damit erleichtert.
Zum Anheben des Kalottenfragmentes wird der Einsatz
eines scharfen Löffels ausreichender Größe bevorzugt, er gibt
in der Spongiosa eine relativ gute Auflagefläche. Gleichzeitig
Distalisieren des Tuberculum-majus-Fragmentes und Kontrolle
der anatomischen Einpassung in den Schaft. Gegebenenfalls
müssen kleinere Fragmente, die dem Periost noch anhängen,
aufgelegt werden, um die Orientierung zu verbessern. Besteht
ein zusätzliches großes Tuberculum-minus-Fragment, werden
beide Tubercula jetzt mit einer großen Repositionszange mit
Spitzen gegeneinander gepresst und ein erneutes Absinken des
Kopfes verhindert.
Besteht nur ein großes Tuberculum-majus-Fragment, legt
sich das Kalottenfragment in anatomischer Position an das
Tuberculum an. Die Rotation des Schaftes wird durch den ge-
raden Verlauf der Bizepssehne gesichert. Bei festem Knochen
lässt sich diese Rotation auch durch direkten Fragmentkontakt
im Bereich des Sulcus bicipitalis erkennen. In der Regel steht
der Schaft selbst noch in Valgusposition. Er wird mit Hilfe der
Platte indirekt reponiert. Dazu Aussuchen einer Platte geeigne-
ter Länge und Auflegen in direkter lateraler Position. Der Sul-
cus bicipitalis sollte nicht überschritten werden. Das Auflegen
kann durch den verdeckenden M. deltoideus schwierig sein.
8.3 · Offene Reposition und Stabilisierung nach proximalen Humerusfrakturen mit winkelstabilem Plattensystem
197 8
Es wird erleichtert durch ausreichende Abduktion des Armes Valgusstellung aus, der Kopf wird im Verhältnis zum Schaft in
und leichte Innenrotation, ggf. kurzfristigen Einsatz eines Hoh- die anatomische Position gedrückt. Auf eine korrekte Neutral-
mann-Hebels den Schaft medialseitig und lateralseitig umgrei- stellung in Anterior-posterior-Richtung muss geachtet werden.
fend zur Darstellung des Schaftes. Die korrekte Höhe der Platte Ist die Position palpatorisch und inspektorisch korrekt, wird das
wird durch einen eingesetzten Spickdraht direkt kranial des Kalottenfragment nun zunächst mit 2 winkelstabilen Schrauben
Tuberculum majus gesichert und kontrolliert (⊡ Abb. 8.17). vorläufig fixiert. Damit besteht ausreichende Stabilität, so dass
Es wird nun zunächst mit einer Plattenzugschraube im nun eine Bildwandlerkontrolle durchgeführt werden kann. Die
Längsloch der Platte der Schaft vorsichtig gegen die Platte re- Projektionen sollten in a.p. und axialer Richtung erfolgen. Ge-
poniert. Durch die anatomische Form der Platte gleicht sich die gebenenfalls wird nachjustiert.

⊡ Abb. 8.17a–c. Reposition und Plattenanlage. a Die in der Regel par- aufgeschraubt) geschoben wird und der kranialen ossären Begrenzung
tiell eingerissene Rotatorenmanschette wird mit Haltenähten, die in des Tub. majus direkt aufliegen soll. Die erste Fixation erfolgt gegen
Kirchmeyer-Technik gestochen werden, gefasst. Durch Anziehen der den Schaft durch das Langloch der Platte. Durch vorsichtiges Anziehen
Haltefäden lässt sich die Kopfposition während der Reposition beein- der Schraube kann auch in begrenztem Rahmen eine Reposition durch
flussen (»Valgisierung«). Die Rotation wird anhand der Lage des Sulcus Heranziehen des Schaftes gegen die Platte erreichet werden. Durch die
bicipitis kontrolliert. Die Tubercula sollten sich anatomisch einfügen, »3-Punkt-Abstützung« wird eine recht hohe Stabilität schon mit einer
um insbesondere die ausreichende Aufrichtung des Kopfes bei valgisch Schraube erreicht, die aufgrund der Überlänge in der Regel zum Ende
eingestauchten Frakturen kontrollieren zu können. Nach Einrichtung der Stabilisierung getauscht wird. b Schematische Darstellung der kra-
von Achse und Rotation wird die Plattenposition bestimmt. Die kranio- niokaudalen Plattenausrichtung mit Spickdraht in der entsprechenden
kaudale Position wird durch einen Spickdraht festgelegt, der durch eine Bohrung des Zielaufsatzes. c Bildwandleraufnahme a.p. nach Entfernen
spezielle, proximale Bohrung des Zielgerätes (passager auf die Platte des Spickdrahtes und Setzen der ersten Schrauben
198 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Bei ausreichender Reposition zunächst Besetzen weiterer


winkelstabiler, bei älteren Patienten immer bikortikal aus-
geführte Plattenschrauben an Schaft und Kopf. Die Kalotte
wird dabei nicht durchbohrt, die Schrauben sollten vor der
subchondralen Knochenschicht enden, um ein späteres »Auf-
sintern des Kopfes« mit konsekutiver Zerstörung der Gelenk-
fläche zu verhindern. Die Schraubenlänge wird mit graduier-
ten Bohrern direkt an der Bohrhülse abgelesen. Die mit nicht
resorbierbaren Fäden gefasste Rotatorenmanschette wird nun
in freie Plattenlöcher oder spezielle Plattenbohrungen einge-
knotet, um ein Ausreißen des Tuberculum-majus-Fragmentes
durch Bewegen des Armes bei schwacher Knochenstruktur zu
verhindern.
! Bei der klinischen Abschlusskontrolle ist intraoperativ ins-
besondere auf »Reibegeräusche« beim Bewegen zu achten:
a
überstehende Schrauben!
Bei Abduktion sollte die Platte nicht im subakromialen
Raum stören (subakromiales Impingement!). Verklebungen
der Rotatorenmanschette werden digital gelöst, ggf. kann
zusätzlich prophylaktisch eine Durchtrennung des Liga-
8 mentum coracoacromialis erfolgen.

Bildwandlerkontrolle in mehreren Ebenen (⊡ Abb. 8.18), wobei


v. a. auf die Schraubenlänge im Kopfbereich zu achten ist. Die
zur Reposition eingebrachte Plattenzugschraube ist meist zu
lang und wird gegen eine kurze (ggf. winkelstabile) Schraube
ausgewechselt.

Wundverschluss/Verband
Je nach Ausdehnung des Zugangs werden 1 oder 2 Redon-
Drainagen knochennah eingelegt. Die Muskeln werden entlang
der zarten Faszien sparsam mit resorbierbarem Faden und
b Einzelknopfnähten adaptiert. Der Hautverschluss erfolgt mit
Rückstichnähten. Die sterile Wundabdeckung erfolgt mit ei-
nem Klebeverband.

c d

⊡ Abb. 8.18a–d. Röntgenverlauf. a, b Proximale Humerusfraktur in 3 Tei-


len, a.p. (a) und transskapulare (b) Aufnahme. c,d Zustand nach Versor-
gung mit winkelstabiler Plattenosteosynthese a.p. (c) und transskapulare
(d) Aufnahme
8.4 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
199 8
Postoperativ 8.4 Offene Reposition und Plattenosteosynthese
Probleme der Humerusschaftfraktur
Wundheilungsstörungen sind eher selten und in der Regel nur
nach ausgedehnten Weichteilschädigungen zu beobachten. Da Indikation
häufig geriatrische Patienten betroffen sind, muss bei präopera- Obwohl Humerusschaftfrakturen relativ »gutartige« Frakturen
tiver Einnahme von Antikoagulanzien gelegentlich mit ausge- sind und lange Zeit die konservative Therapie einen festen Platz
dehnten Hämatomen gerechnet werden. einnahm, haben die Vorteile der frühfunktionellen Nachbe-
handlung und der deutlich erhöhte Patientenkomfort zu einer
Nachbehandlung breiteren Indikationsstellung zur Osteosynthese geführt. Da
▬ Operationstag: Nachdem der Patient wach ist, wird die aber die konservative Therapie mit kurzfristiger Ruhigstellung
DMS des Unterarms und der Hand geprüft, ebenso die Sen- und funktioneller Brace-Behandlung weltweit gesehen sicher-
sibilität über dem M. deltoideus (meist nur eingeschränkt lich die am häufigsten angewendete Methode zur Behandlung
prüfbar). Der Patient wird zu Greifübungen der Hand ange- von Oberarmschaftfrakturen ist, muss die Indikationsstellung
halten. Kontrolle der Füllung der Redon-Drainage. sorgfältig erfolgen und der Patient besonders sorgfältig und
▬ Postoperativer Tag 1: Kontrolle des Verbandes, falls durch- umfassend aufgeklärt werden. Prinzipiell kommen als Osteo-
geblutet, wird er gewechselt, Kontrolle der Füllung des Re- syntheseverfahren sowohl die Plattenosteosynthese als auch die
dons, leichte Mobilisation des Redon. Oberarmverriegelungsmarknagelung in Frage. Bei den eigenen
▬ Postoperativer Tag 2: Abnahme des Verbandes, Entfer- Patienten hat es sich bewährt, eher proximal gelegene Fraktu-
nung der Redon-Drainage, Pflasterverband und Anleitung ren durch eine Plattenosteosynthese über den anterolateralen
zu ersten Pendelübungen. Zu diesem Zeitpunkt wird bei Zugang und Schaftfrakturen mit einer retrograden Oberarm-
den eigenen Patienten auf einen konfektionierten Gilchrist- marknagelung zu versorgen. Die generellen Indikationen zur
Verband übergegangen, der es dem Patienten erlaubt, den Osteosynthese sind in ⊡ Tabelle 8.1 zusammengefasst.
Ellenbogen eigenständig frei zu beüben.
⊡ Tab. 8.1. Indikationen zur Osteosynthese nach proximalen Humerus-
Weiterbehandlung/Arztbrief
frakturen
Der Gilchrist-Verband wird für 3 Wochen dauerhaft getragen
und nur zur Krankengymnastik mit Pendelübungen und ge- Absolute Offene Fraktur
führten Bewegungen bis maximal 90° Armhebung abgenom- Operations- Frakturen mit Diastase ohne knöchernen Kontakt
indikationen der Fragmente
men. Gefäßläsionen
Fadenzug nach 14 Tagen. Sekundär auftretende Nervenschädigung (beson-
Im Zeitraum 3–6 Wochen kann der Gilchrist-Verband ders N. radialis)
tagsüber abgenommen werden. Geführte Bewegungen auch Kombinationsverletzungen Schulter und Ellbogen
über 90°. Relative Bilaterale Humerusfraktur, insbesondere bei Poly-
Nach 6 Wochen Röntgenkontrolle und bei unveränderter Indikationen trauma
Stellung und gutem Heilungsverlauf Beginn der freien aktiven Querfrakturen (AO32 A3)
Bewegung. Fehlende Muskelspannung (neurologische Defizite,
Plexus-brachialis-Verletzung etc.)
Sportfähigkeit unter Einsatz des Armes frühestens nach
Segmentfrakturen (AO31 C2)
8–12 Wochen. Starke Schmerzen oder fehlende Möglichkeit,
die Reposition zu halten bei eingeleiteter
konservativer Therapie
Primäre Läsion des N. radialis

Besondere Ausgeprägte Adipositas


Indikationen Pathologische Fraktur
Oberarmpseudarthrosen
200 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Operationsvorbereitung Diagnostik und Planung


Aufklärung Am Operationstag
Der Patient ist über die prinzipielle Möglichkeit der nichtopera- Lagerung
tiven Behandlung aufzuklären. Spezifische Komplikationsmög- Die Operation wird in Rückenlage unter Verwendung eines
lichkeiten der Osteosynthese sind: Armtisches durchgeführt, seltener eine gemäßigte »Liegestuhl-
▬ Allgemeine Operationsrisiken Lagerung« ( Kap. 1.1) bevorzugt. Die Abdeckung erfolgt bei
– Thromboembolische Komplikationen im Bereich der frei beweglichem Arm bis zur Schulter (⊡ Abb. 8.19).
oberen Extremität (selten) In der Regel erfolgt der Eingriff in Allgemeinnarkose un-
– Wund- und Weichteilinfekt mit Risiko der Ausbildung ter Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1. Generation).
einer Osteomyelitis Nach Narkoseeinleitung Abnahme des Gilchrist-Verbandes und
– Gefäßverletzungen (selten) Rasur der Achsel und des Operationsgebietes unter ständigem
– Sekundäre Nervenschäden (insbesondere N. radialis), Längszug des Armes vor Desinfektion der Haut.
Prognose bei Druck oder Zug in der Regel gut Nachdem der Patient im Saal positioniert wurde, kann
▬ Spezifische Komplikationen die Prüfung der Durchleuchtungsfähigkeit (u. a. des Schulter-
– Fixation in Fehlstellung gelenks) sinnvoll sein. Eine Blutsperre kann nicht verwendet
– Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung bis hin zur werden.
Pseudarthrose
– Partialnekrose des Humeruskopfes (oftmals funktionell Zugang
unbedeutend) Die Inzision ist in ⊡ Abb. 8.19 dargestellt.
– Einschränkungen der Schulter- und Ellenbogenbeweg-
8 lichkeit
– Kosmetisch ungünstige Narbenbildung

⊡ Abb. 8.19. Rückenlage, Armtisch und Landmarken. Der Patient liegt


in der Rückenlage, der Arm wird frei beweglich abgedeckt auf einem
Armtisch gelagert. Landmarken zur Orientierung sind der Proc. coraco-
ideus, der Sulcus deltoideo-pectoralis und das Intervall zwischen dem
Bauch des M. biceps und des M. brachiradialis. Mit dieser Inzision ist
prinzipiell der gesamte Oberarm erreichbar. Die Länge der Inzision wird
anhand der Frakturform und -lage variiert
8.4 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
201 8
Operationstechnik M. biceps brachii ventral
⊡ Abb. 8.20 und 8.21

Reposition anterolateraler
Die Reposition orientiert sich im Wesentlichen an der Fraktur- Zugang
form:
▬ Bei Querfrakturen wird unter Zuhilfenahme der Platte re-
poniert. M. brachialis
▬ Schrägfrakturen können nach entsprechender Ausformung
des Frakturspaltes durch den vorsichtigen Einsatz von gro-
ßen Repositionszangen mit Spitzen reponiert werden.
▬ Bei Mehrfragmentfrakturen und Segmentbrüchen wird
möglichst »indirekt« vorgegangen, um eine Auslösung von
Fragmenten aus dem Weichteilverbund möglichst zu ver-
meiden.

Die Orientierung hinsichtlich der Rotation kann Schwierigkei-


ten bereiten. Gerade bei mehrfragmentären Frakturen sollten dorsal
die einzelnen Knochenfragmente guten Kontakt zueinander
haben. Im Zweifelsfall wird eine leichte Verkürzung von bis zu ⊡ Abb. 8.20. Querschnitt des Oberarms mit Zugang. Querschnitt durch
1 cm akzeptiert. Die Stabilisierung in einer Diastase ist auf alle den Oberarm proximal der Schaftmitte. Der anterolaterale Zugang folgt
Fälle zu vermeiden. im proximalen und mittleren Oberarmabschnitt dem lateralen Rand des
M. biceps, der über dem Knochen liegende M. brachialis wird in Faser-
richtung vorsichtig gespalten. Im mittleren und distalen Abschnitt des
Oberarms wird im Intervall zwischen M. brachialis und M. brachioradialis
der Knochen erreicht. Der N. radialis wird nicht zwingend dargestellt,
solange die Präparation direkt auf dem Knochen erfolgt

⊡ Abb. 8.21. Tiefe Exposition. Tiefe Präparation im Muskelintervall und


Freilegung der Fraktur. Die Reposition erfolgt auf »klassische Weise« nach
sorgfältiger Säuberung der Frakturflächen, unter Benutzung der spitzen
Repositionszangen, möglichst ohne einzelne Fragmente zu denudieren
202 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Stabilisierung

! Auf Grund der Hebelkräfte sind lange Platten mit weniger


Schrauben stabiler als kurze Platten, selbst wenn alle Schrau-
benlöcher besetzt sind.

Die Plattenschrauben werden »neutral« eingebracht, eine


Kompression oder Distraktion muss vermieden werden, um
bei schräg verlaufenden Frakturen eine sekundäre Disloka-
tion der durch die interfragmentären Zugschrauben reponier-
ten und unter Druck stehenden Frakturflächen zu vermeiden
(⊡ Abb. 8.22 und 8.23). Ausnahmen sind hier die Querfrakturen,
hier wird die Kompression unter 3° Vorbiegung der Platte
durch dynamische Kompressionsschrauben (bzw. eher selten
durch den Einsatz des Plattenspanners) erreicht.

⊡ Abb. 8.22. Plattenanlage. Die Stabili-


sierung erfolgt entweder auf »klassische
Weise« mit interfragmentären Zug-
schrauben und langer Neutralisations-
platte oder als »biologische Osteosyn-
these« durch überbrückende winkelsta-
bile Platte ohne weitgehende Freilegung
der Fraktur. In dieser Technik sind auch
reduzierte Zugänge mit »Einschieben«
der Implantate möglich. Prinzipiell sollte
die Platte so lang wie möglich gewählt
werden, um durch längere Hebel eine
bessere Haltekraft zu erreichen

⊡ Abb. 8.23. Die Platte ist angelegt und


verschraubt, die Osteosynthese abge-
schlossen
8.4 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
203 8

a b d

⊡ Abb. 8.24a–d. Röntgenverlauf. a Unfallbild: Humerusschaftfraktur.


c b Postoperatives Bild nach Plattenosteosynthese. c,d Ausheilung nach
1 Jahr

Wundverschluss/Verband Nachbehandlung
In das Implantatlager wird eine Redon-Drainage 12 Charr. ▬ Operationstag: Nach Aufwachen des Patienten DMS-Kon-
eingelegt, die nach proximal ausgeleitet wird. Da der M. bra- trolle der Hand, auf Station Kontrolle der Redon-Drainage
chialis nur gespalten wurde, genügen meist adaptierende Fas- und der DMS. Röntgenkontrolle.
ziennähte, situative Subkutannähte und Hautverschluss mit ▬ Postoperativer Tag 1: Abnahme des Gilchrist-Verbandes,
Rückstichnaht oder Klammernaht. Steriler trockener Verband leichte Pendelübungen, Strecken des Ellenbogens.
und kurzfristige Ruhigstellung im Gilchrist zur Schmerz- ▬ Postoperativer Tag 1: Entfernen von Verband und Drai-
reduktion. nage, Pflasterverband, Krankengymnastik mit geführten
⊡ Abb. 8.24 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Hume- Bewegungen bis 90° und beginnenden aktiven Übungen
russchaftfraktur durch eine Plattenosteosynthese. im Ellenbogen, falls von den Schmerzen her möglich auch
aktive Übungen Schulter und Oberarm.

Postoperativ Weiterbehandlung/Arztbrief
Probleme Frühfunktionelle Behandlung mit aktiven, krankengymnastisch
Die Gefahr der Verletzung des N. radialis (meist Traktions- angeleiteten Übungen. Keine Abstützung, kein Anheben schwe-
schäden) ist relativ hoch. Daher sind unmittelbare Kontrollen rer Lasten (>5 kg).
der Nervenfunktion angezeigt. Wundheilungsstörungen treten Fadenzug nach 14 Tagen.
selten, in der Regel in Verbindung mit ausgedehnten Weichteil- Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen.
schäden im Rahmen der Primärverletzung, auf. Sportfähigkeit nach radiologischer Heilung, i. d. R. nach 12–16
Wochen.
204 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.5 Offene Reposition und retrograde Diagnostik und Planung


Marknagelung der Humerusschaftfraktur Präoperativ genaue Kontrolle und Dokumentation der periphe-
ren DMS und der Weichteilverhältnisse im Operationsgebiet.
Vorbemerkung Komplette Röntgenaufnahmen des Oberarmschaftes sowie ge-
Die Oberarmnagelung ist ein elegantes, minimalinvasives Ver- zielt der Schulter und des Ellenbogengelenks in ausreichender
fahren, was durch die hohe Primärstabilität eine nahezu so- Qualität, um Fissuren zu erkennen, müssen vorliegen. Die
fortige Schmerzarmut bis zur Schmerzfreiheit des Patienten Kontraktilität des M. deltoideus ergibt Hinweise auf fraktur-
bietet. Da der Oberarmmarkraum in der Regel aber nur einen bedingte Läsionen des N. axillaris. Die verletzungsbedingte
geringen Durchmesser aufweist, muss sehr sorgfältig vorge- Weichteilschwellung sollte möglichst abgeklungen sein, schon
gangen werden, um eine Sprengwirkung insbesondere bei der früh bestehende extreme Schwellungen deuten auf eine lokale
retrograden Marknagelung zu vermeiden. Die präoperativen Blutung bzw. die Einnahme von Antikoagulanzien hin. In der
Röntgenaufnahmen müssen sehr genau analysiert werden, um Akutsituation muss das Auftreten eines Kompartmentsyndroms
bisher unverschobene Frakturlinien, v. a. nach distal Richtung ausgeschlossen werden.
Ellenbogen auslaufend, auszuschließen. Direkt präoperativ wird die Vollständigkeit der Röntgenbil-
der überprüft.

Indikation
Sehr gute Indikationen für die Oberarmnagelung sind dia-
physäre Frakturen. Technisch deutlich aufwändiger zu versor-
gen sind metaphysäre Verletzungen, bei denen die Nagelung
8 eine Ausnahmeindikation darstellt, die oftmals nur mit Spe-
zialimplantaten realisierbar ist. Im eigenen Vorgehen wird die
retrograde Nagelung der antegraden vorgezogen, um iatrogen
erzeugte Vernarbungen im Bereich der Rotatorenmanschette
zu vermeiden.

Operationsvorbereitung
Aufklärung
Ausführliche Aufklärung des Patienten, da prinzipiell bei ge-
schlossenen Frakturen auch eine nichtoperative Therapie mög-
lich ist. Vorteile sind jedoch vor allem die Chance der ver-
besserten Reposition und die Möglichkeit der funktionellen
Nachbehandlung. Explizit anzusprechen sind folgende Kom-
plikationen:
▬ Allgemeine Operationsrisiken
– Thromboembolische Komplikationen (an der oberen Ex-
tremität sehr selten)
– Wund-/Weichteil-, aber in sehr seltenen Fällen auch Kno-
cheninfekt
– Sekundäre Nervenschäden, ggf. mit der Notwendigkeit
einer sofortigen Revision
– Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung mit der
Notwendigkeit von Folgeeingriffen
▬ Spezifische Komplikationen
– Eingeschränkte Beweglichkeit der Schulter und des El-
lenbogens durch Vernarbungen bzw. störendes Implantat;
durch frühzeitige Implantatentfernung und Adhäsiolyse
jedoch noch deutliche Verbesserungen möglich
– Ggf. störende Implantate (Verriegelungsbolzen)
– Verzögerte Frakturheilung/Pseudarthrosenbildung, dann
auch u. U. Implantatbrüche
– Implantatausrisse, Implantatversagen
– Selten kosmetisch störende Narben
– Ggf. iatrogene Knochensprengung mit der Notwendigkeit
eines Verfahrenswechsels
– Nachfolgeoperationen
8.5 · Offene Reposition und retrograde Marknagelung der Humerusschaftfraktur
205 8
Im Operationssaal
Lagerung
Der Eingriff wird in Bauchlage durchgeführt, daher in der Regel
Intubationsnarkose. Nach Narkoseeinleitung Rasur und Vorrei-
nigung des Operationsgebietes. Der Patient wird in die Bauch-
lage gebracht und entsprechend abgepolstert (⊡ Abb. 8.25). Der
Arm wird bei 90° gebeugtem Ellenbogen auf einem kurzen
Armtisch gelagert. Der Ellenbogen selbst muss etwas ȟber-
stehen«, um auch eine Beugung deutlich über 90° erreichen zu
können, damit die Olekranonspitze nicht den Eintritt des Na-
gels behindert. Die ausreichende Durchleuchtungsfähigkeit in
beiden Ebenen muss sichergestellt werden. Das spätere proxi-
male Nagelende schultergelenksnah muss ausreichend einseh-
bar sein, um eine sichere Verriegelung zu erreichen. Gegebe-
nenfalls muss der Patient umpositioniert oder die Ausrichtung
des kleinen Armtisches korrigiert werden.
Der Eingriff wird in Single-shot-Antibiotikaprophylaxe
durchgeführt (Cephalosporin der 1. Generation).

Zugang ⊡ Abb. 8.25. Bauchlage mit Armtisch, Durchleuchtungsmöglichkeit


und Orientierungspunkte. Der Patient liegt für die retrograde Oberarm-
Orientierungspunkte sind die Olekranonspitze und der Verlauf nagelosteosynthese in Bauchlage. Der Oberarm wird auf einem kurzen
des Oberarmschaftes. Bei 90° gebeugtem Ellenbogen wird die Armtisch ausgelagert. Die Durchleuchtungsfähigkeit bis zum Oberarm-
Inzision von der Olekranonspitze bis etwa 7 cm nach proximal kopf muss gesichert sein
geführt (⊡ Abb. 8.26).

⊡ Abb. 8.26. Präparation bis zur Fossa olecrani. Die Inzision erfolgt von
der Olekranonspitze in der Mittellinie des Oberarms nach proximal. Die
Inzisionslänge beträgt etwa 7–12 cm. Nach Spaltung der Faszie wird der
M. triceps brachii im Faserverlauf gespalten und ein Wundspreizer ein-
gesetzt. Nach Aufsuchen der Fossa olecrani wird der proximale Rand der
Fossa aufgesucht und der Markraum durch einzelne Bohrungen eröffnet.
Die Bohrungen (rote Kreise) erfolgen in aufsteigendem Durchmesser
206 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Operationstechnik

! Ein bikortikales Durchbohren des an dieser Stelle sehr


»dünnen« Humerus ist dabei sicher zu vermeiden.

Der Bohrer kann in Richtung Markraum abgesenkt werden,


ohne jedoch ein Abbrechen zu riskieren (⊡ Abb. 8.27). Die end-
gültige Ausarbeitung der ovalen Eintrittsstelle erfolgt mit dem
Kegelfräser, nur in Ausnahmefällen mit Bohrern in aufstei-
gender Größe. Sind nur gewöhnliche Bohrer vorhanden, kann
es sinnvoll sein, diese in das Handfutter einzuspannen. Eine
zumindest 30°-Neigung zur dorsalen Kortikalis muss auf alle
Fälle erreicht werden.

⊡ Abb. 8.27. Eröffnung des Markraums. Mit dem Konusfräser werden Reposition
die Bohrungen verbunden und die Markhöhle ovalär eröffnet. Dabei
wird die Öffnung in Richtung des medullären Kanals ausgearbeitet, um Nachdem der Markraum eröffnet ist, wird mit der Röntgen-
eine widerstandsfreie Einbringung des Marknagels zu ermöglichen schablone unter manueller Reposition der Fraktur Länge und
Durchmesser des Nagels endgültig bestimmt. Der Nagel sollte
distal sicher mit dem Knochen abschließen und nach pro-
ximal ausreichend Abstand vom Schultergelenk haben. Eine
eventuelle Kompression der Fraktur durch »Nagelrückschlag«
8 (Kompressionsmanöver nach proximaler Verriegelung) muss
mit einkalkuliert werden. Der Nagel wird mit dem Führungs-
instrumentarium vorsichtig eingeführt (⊡ Abb. 8.28), sollte er
verklemmen, muss ggf. mit der Kegelfräse nachgearbeitet wer-
den. Der Nagel sollte manuell einführbar sein, allenfalls können
sehr leichte, vorsichtige Schläge mit dem Hammer angewendet
werden. Bei Nagelverklemmung ggf. Bildwandlerkontrolle in
der seitlichen Durchleuchtung.
Der Nagel wird bis zur Fraktur vorgeschlagen, er sollte die
Fraktur um etwa 5 mm überragen. Mit guter Relaxation wird
⊡ Abb. 8.28. Einführung des Nagels. Der Marknagel wird nun einge- nun manuell die Reposition durchgeführt (⊡ Abb. 8.29). Das
führt. Je nach Modell wird zunächst ein Führungsdraht über die Fraktur- proximale Fragment kann mit einer Tuchrolle stabilisiert wer-
stelle geschoben und der Marknagel geführt platziert oder ein Solidna-
gel bis zur Fraktur vorgeschoben und dann die Reposition mit Hilfe des
den, damit ausreichend Bewegungsfreiheit für das mit dem Na-
Nagels durchgeführt gel und Führungsinstrumentarium geführte distale Fragment
besteht. Bei sehr schlanken Patienten gelingt die Reposition und
die Überquerung der Fraktur meist ohne Bildwandlerkontrolle,
bei muskelkräftigen Patienten muss ggf. unter Beibehaltung der
Reposition in einer Ebene die andere Ebene kontrolliert wer-
den, um Richtung und Ausmaß der Abweichung entsprechend
darzustellen.

⊡ Abb. 8.29. Einführen des Nagels im Röntgenbild. In diesem Beispiel


wurde ein Führungsdraht benutzt. Der Nagel hat das distale Fragment
und die Frakturstelle gerade passiert. Die Repositionsstellung ist ausge-
zeichnet, beide Hauptfragmente haben guten Kontakt
8.5 · Offene Reposition und retrograde Marknagelung der Humerusschaftfraktur
207 8
Es ist günstig, mit der Vergrößerung zu arbeiten. Dies er- lige Röntgenkontrolle und dann vorsichtiges Vorbohren durch
leichtert den Zielvorgang. Die Verriegelungslöcher werden über Kortikalis, Nagelloch und Gegenkortikalis.
Stichinzisionen nach Markierung der Eintrittsstelle mit einem Die distale Verriegelung erfolgt durch den Zielbügel mit
röntgendichten Instrument aufgesucht, in der Folge vorsichti- den entsprechenden Bohrhülsen (⊡ Abb. 8.31).
ges Spreizen mit der Schere oder Klemme und Durchführung Bei der Längenmessung ist darauf zu achten, dass das Mess-
der Verriegelungsbohrungen mit dem röntgendurchlässigen gerät bis auf den Knochen geführt wird. Die Verriegelungsbol-
Winkelgetriebe (⊡ Abb. 8.30). Es wird zunächst die Bohrerspitze zen sollten die Gegenseite etwa 2 mm perforieren, um einen
nach exakter Ausrichtung der Röntgendarstellung über das ausreichenden Halt zu erreichen. Es werden mindestens 2, im
Verriegelungsloch gebracht und danach der Bohrer orthograd Idealfall 3 Verriegelungsbolzen eingesetzt.
zum Zentralstrahl ausgerichtet, ggf. in dieser Position nochma-

⊡ Abb. 8.30a,b. Proximale Verriegelung. Die proximale Verriegelung


erfolgt in der sog. »Freihandtechnik« unter Durchleuchtung mit einem
Winkelgetriebe. Nachdem die Bohrerspitze in Projektion auf das genau
rund projizierte und damit genau orthograd getroffene Verriegelungs-
loch positioniert wurde (a), wird die Bohrerachse in Linie mit der Pro- ⊡ Abb. 8.31. Distale Verriegelung. Die distale Verriegelung erfolgt je
jektionsachse gebracht und die Bohrung durchgeführt (b). Anzumerken nach Nagelsystem über Zielbügel, die durch Einsetzen von Führungs-
ist die Schwierigkeit der Lagerung. Der Humeruskopf ist durch Überla- hülsen eine zuverlässige Verriegelung ohne weitere Verwendung des
gerungen halb abgedeckt, die Verriegelungslöcher sind gerade noch Bildwandlers ermöglicht. Der Nagel liegt nun komplett ein, ist verriegelt,
erkennbar die Operation wird mit dem Wundverschluss abgeschlossen
208 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

a b c

⊡ Abb. 8.32a–c. Röntgenverlauf. 20-jähriger Patient mit einer isolierten, geschlossenen Oberarmfraktur am Übergang vom mittleren zum distalen
Drittel (AO12 A2). a Unfallbild. b,c 6 Wochen nach der Versorgung mit einem retrograden Nagel ist Kallusbildung zu erkennen, regelrechter Heilungs-
verlauf

8
⊡ Abb. 8.32 zeigt beispielhaft die Versorgung einer geschlosse- lung eines Hämatoms mit konsekutiver Kompression des
nen Oberarmfraktur durch eine retrograde Marknagelung. N. radialis sprechen. Dann intensiviert Kühlen und Lage-
rungstechniken. Regelmäßige Kontrollen der DMS. Auf der
Wundverschluss/Verband Station am Operationsabend Kontrolle der Produktion der
Nachdem geprüft wurde, dass kein übermäßiges Überstehen Redon-Drainage, Kontrolle von DMS.
des Nagels in die Fossa olecrani vorliegt und die Streckung
! Bei sekundär aufgetretenen Radialisläsionen ist eine Revision
im Ellenbogen komplett möglich ist, wird eine Redon-Drai-
mit Exploration der Nerven vorzunehmen.
nage eingelegt, die nach proximal ausgeleitet wird. Die Faszie
wird mit Einzelknopfnähten verschlossen, Hautverschluss mit Aus dem Verband heraus werden je nach Compliance des Pa-
Rückstichnähten. Steriler trockener Verband und Umlagern tienten eigenständige oder ggf. ausschließlich krankengymnas-
des Patienten. Auf eine weitere Ruhigstellung wird in der Re- tisch angeleitete Bewegungsübungen unmittelbar postoperativ
gel verzichtet. In besonderen Situationen kann kurzfristig ein durchgeführt. Schmerzabhängig voller Bewegungsumfang des
Gilchrist-Verband zur Schmerzreduktion eingesetzt werden. betroffenen Armes erlaubt.
▬ Postoperativer Tag 1: Falls Produktion der Drainage unter
50 ml, Entfernung der Redon-Drainage und Verbandswech-
Postoperativ sel, Pflasterverband und beginnende Pendel- und Bewe-
Probleme gungsübungen.
Probleme entstehend vorwiegend, wenn technische Probleme bei ▬ Postoperativer Tag 2: Verbandswechsel und eigenständige Be-
der Reposition und Nageleinbringung aufgetreten sind. Kritisch wegungsübungen. Röntgenkontrolle Oberarm in 2 Ebenen.
sind insbesondere Sprengungen des distalen oder proximalen
Fragments bei engem Markraum und/oder sehr distal gelegener Weiterbehandlung/Arztbrief
Fraktur. Hier sind in der Regel zusätzliche Osteosynthesen not- Frühfunktionelle Behandlung mit eigenständigen und kranken-
wendig. Problematisch sind auch Nagelungen in Distraktion. Ne- gymnastisch angeleiteten Bewegungsübungen. Rotationsbewegun-
ben der Gefahr der sekundären Schäden des N. radialis sind ver- gen in Achse des Oberarms, insbesondere gegen Widerstand, soll-
zögerte oder auch ausbleibende Frakturheilungen zu erwarten. ten während der ersten 6 Wochen unbedingt vermieden werden!
Abstützbewegungen und Anheben schwerer Lasten (>5 kg)
Nachbehandlung vermeiden.
▬ Operationstag: Nach Aufwachen des Patienten Kontrolle Fadenzug nach 14 Tagen.
der peripheren DMS, insbesondere der Nervus-radialis- Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen.
Funktion. Eine schleichende, stets gering zunehmende Sportfähigkeit nach knöcherner Heilung und ausreichender
Symptomatik im N.-radialis-Areal kann für die Entwick- Muskelkraft, i. d. R. nach 12–16 Wochen.
8.6 · Versorgung der Olekranonfraktur mit Zuggurtungsosteosynthese
209 8
8.6 Versorgung der Olekranonfraktur Operationsvorbereitung
mit Zuggurtungsosteosynthese Aufklärung
Bei dislozierten Frakturen besteht keine vernünftige Therapie-
Vorbemerkung alternative, da ansonsten mit erheblichen, behindernden Funk-
Die Versorgung einer dislozierten Olekranonfraktur, als Aus- tionsbeeinträchtigungen des Ellenbogengelenks zu rechnen ist.
druck einer Abrissverletzung, stellt besondere Anforderungen An Komplikationsmöglichkeiten sind zu nennen:
an das Osteosyntheseverfahren, da während der Heilungszeit ▬ Thromboembolische Komplikationen (an der oberen Extre-
die starken distrahierenden Zugkräfte des M. triceps brachii mität selten)
kompensiert werden müssen. Das klassische Osteosynthesever- ▬ Wundweichteil-, selten auch Gelenk- und Knocheninfekti-
fahren ist die Zuggurtungsosteosynthese, bei der nach zunächst onen
anatomischer Rekonstruktion der Gelenkfläche eine Schienung ▬ Unzureichende Gelenkreposition
mit 2 parallel verlaufenden Spickdrähten vorgenommen wird. ▬ Sekundäre Fragmentdislokationen bei unzureichend gefass-
Eine Translationsbewegung wird damit verhindert. Über eine ten Fragmenten und/oder übermäßiger postoperativer Ge-
vorgespannte Drahtschlinge (»Cerclage«) werden die bei der lenkbelastung
Beugung des Gelenks auftretenden Zugkräfte kompensiert ▬ Verzögerte Frakturheilung bis hin zur Pseudarthrosenbil-
und die Fraktur durch die zunehmende Drahtspannung unter dung
Kompression gebracht. Bei der exakten Durchführung stellt ▬ Dislokation und/oder Bruch der Implantate (ein Bruch
die Zuggurtungsosteosynthese eine zuverlässige Technik zur der Cerclage ist nach abgeschlossener Frakturheilung recht
Behandlung eines einfachen Frakturtyps dar, osteosynthesebe- häufig zu beobachten, bleibt aber ohne Konsequenzen)
dingte Probleme sind meist auf falsche Indikationsstellung und ▬ Störende Implantate (nur geringe Weichteildeckung im El-
unzureichende operative Technik zurückzuführen. Bestehen lenbogenbereich) bis hin zu implantatbedingten Hautperfo-
mehrere Fragmente und/oder ist die Olekranonfraktur Teil rationen
einer ausgedehnten Ellenbogenverletzung, wird ggf. auf Zug-
schraubenosteosynthesen mit zusätzlichen stabilen konventio-
nellen oder auch winkelstabilen Neutralisationsplatten zurück-
gegriffen. An dieser Stelle soll die Zuggurtungsosteosynthese
dargestellt werden.

Indikation
Geeignet für das Osteosyntheseverfahren sind dislozierte zwei-,
ggf. auch dreifragmentäre Olekranonfrakturen mit ausreichen-
dem Kontakt der Hauptfragmente. Undislozierte und stabile
Frakturen werden konservativ behandelt, Frakturen mit Ge-
lenkdefekten oder Trümmerzonen ohne ausreichenden Kontakt
der Hauptfragmente werden mit anderen Osteosyntheseverfah-
ren (s. o.) versorgt.
Offene Frakturen werden unmittelbar nach Aufnahme in-
nerhalb der 6-Stunden-Grenze nach Unfall, geschlossene Frak-
turen möglichst frühzeitig, idealerweise ebenfalls direkt nach
Aufnahme operativ versorgt. Bestehen Hautabschürfungen,
sollte eine möglichst unmittelbare Versorgung vorgenommen
werden, da ansonsten schon nach kurzer Zeit mit Sekundär-
kontamination zu rechnen ist und dann erst nach teilwei-
ser langwieriger Abheilung der Schürfwunden operiert wer-
den kann. Muss Zeit bis zur Operation überbrückt werden,
wird dem Patienten eine Oberarmgipsschiene angelegt, zur
Schmerzreduktion kann kurzfristig von der 90°-Stellung abge-
wichen werden und in etwa 20°- bis 40°-Beugung, selten auch
in Streckung, fixiert werden.
210 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Diagnostik und Planung


»Die Vollständigkeit der Röntgendiagnostik wird überprüft.
Das Ellenbogengelenk muss in guter Qualität abgebildet sein.
In unklaren Situationen oder bei multiplen Fragmenten wird
eine Computertomographie angefertigt.«

Im Operationssaal
Lagerung
Die Versorgung wird bevorzugt in Rückenlage durchgeführt.
Hierzu muss dann der Arm nach Abdeckung auf einer Rolle auf
dem Thorax gelagert werden (⊡ Abb. 8.33). Häufig ist hierbei
ein zusätzlicher Assistent nötig. Die Versorgung in Rücken-
lage bietet den Vorteil der nicht notwendigen Umlagerung bei
mehrfachen Eingriffen. Es ist darauf zu achten, dass eine Rönt-
genkontrolle mit dem Bildwandler durchgeführt werden kann.
Wird der Arm manuell abgespreizt gehalten, ist nach Durch-
führung des Bildwandlers auch eine exakte seitliche Einstellung
unproblematisch. Alternativ kann auch in Bauchlage versorgt
werden. Der Arm wird dabei auf einem kurzen Armtisch gela-
⊡ Abb. 8.33. Lagerung und Orientierungspunkte. Die Lagerung erfolgt
8 im eigenen Vorgehen in Rückenlage. Nach Abdeckung wird der Arm auf gert und muss im Ellenbogen 90° beugbar sein.
dem Thorax auf einem Polster gelagert. Orientierungspunkte sind die Als Narkoseverfahren kommen die Allgemeinnarkose, aber
Olekranonspitze und die gut tastbare knöcherne Kontur der Ulna. Die auch Regionalverfahren zum Einsatz.
Inzision wird von der Olekranonspitze bis zu einem Punkt etwa 5 cm Der Eingriff wird unter Single-shot-Antibiotikaprophylaxe
distal der Fraktur geführt
(Cephalosporin der 1. Generation) durchgeführt.
Im Vorbereitungsraum nach Narkoseeinleitung ausreichende
Vorreinigung des Operationsgebietes, ggf. Rasur.

Zugang
Es wird ein gerader Zugang von der Olekranonspitze über die
gut tastbare dorsale Knochenkante der Ulna etwa 10 cm nach
distal angelegt. An der Ellenbogenspitze selbst wird der Zugang
partialseitig leicht S-förmig begonnen, um eine Vernarbung im
Bereich der Ellenbogenspitze zu vermeiden.

Operationstechnik
Während die Freilegung der Fraktur i. d. R. relativ einfach ge-
lingt, können die Reposition und die Sicherung des Repositi-
onsergebnisses durchaus schwierig sein. Es ist darauf zu achten,
dass durch entsprechende Streckung (Fragmente mobiler) oder
Beugung (Gelenkflächenkongruenz leichter zu halten) im El-
lenbogengelenk die einzelnen Operationsschritte unterstützt
werden.
8.6 · Versorgung der Olekranonfraktur mit Zuggurtungsosteosynthese
211 8
Reposition/Stabilisierung
⊡ Abb. 8.34

! »Eine Perforation in das Radioulnargelenk (erkennbar an


Reibegeräuschen bzw. Blockade der Unterarmdrehung) muss
unbedingt vermieden werden.«

Die Spickdrähte müssen genau parallel eingebracht werden, um


ein »Sperren« in der Gelenkebene zu vermeiden. Sie beginnen
im sehnigen Ansatz des M. triceps brachii, verlaufen möglichst
senkrecht über die Frakturfläche in Nähe der Gelenkfläche,
sollten die Gegenkortikalis zwar perforieren, aber in diesem
Bereich nicht weit überstehen (⊡ Abb. 8.35). Eine Perforation
in das Radioulnargelenk (erkennbar an Reibegeräuschen bzw.
Blockade der Unterarmdrehung) muss unbedingt vermieden
werden. Verwendet werden Spickdrähte der Stärke 2,0 mm. Sie
werden relativ kurz eingespannt, um eine gute »Führung« zu
gewährleisten. Die Richtungsorientierung gelingt unter Pal-
pation der Gelenkfläche meist ohne Bildwandler, die Längs-
ausrichtung erfolgt parallel zum sichtbaren Verlauf der Ulna.
Der 2. Draht wird bevorzugt mit Hilfe der Parallelbohrbüchse
eingebracht. Die Drähte werden soweit eingeführt, dass die
Kortikalis der Gegenseite nur gerade eben perforiert wird,
da nach Umbiegen und endgültigem Nachschlag der Drähte
nochmals etwa 5 mm Weg gewonnen wird. Nach Umbiegen
und Nachschlagen müssen die Spitzen der Drähte sicher in der
Gegenkortikalis verankert sein! ⊡ Abb. 8.34. Darstellung der Fraktur. Die Fraktur ist dargestellt, durch die
Diastase lassen sich in vielen Fällen die Gelenkfläche inspizieren und freie
Jetzt Bildwandlerkontrolle in beiden Ebenen, wobei in der
Fragmente entfernen. Am Rand des Gelenks kann die nach Ausräumung
seitlichen Durchleuchtung auf ausreichenden Abstand der des Frakturspalts durchgeführte Reposition (erleichtert durch leichte
Spickdrähte zur Gelenkfläche und die absolut anatomische Streckstellung des Ellenbogens!) kontrolliert werden. Die Reposition wird
Reposition der Gelenkflächenebene zu achten ist. Mit der a.p. zunächst mit einer großen Repositionszange mit Spitzen gehalten
Ansicht wird die Parallelität der Drähte sowie der Abstand zum
Radioulnargelenk kontrolliert.

⊡ Abb. 8.35. Lage der Kirschner-Drähte. Positionierung der Kirschner-


Drähte. Die Drähte sollten möglichst parallel eingebracht werden, ge-
lenkflächennah verlaufen (Gelenk inspizieren!) und die Gegenkortikalis
sicher fassen/perforieren
212 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Zur Einbringung der Drahtcerclage (1,25 mm) wird in etwa


3 cm Abstand von der Fraktur eine quere Bohrung durch die
dorsal auslaufende Ulnakante angelegt (2,5 mm), hierzu müs-
sen in der Regel die Muskelursprünge sparsam abgeschoben
werden (⊡ Abb. 8.36). Die Drahtcerclage wird durchgeführt bis
zur Mitte, dann abgebogen, überkreuzt und um die Spickdrähte
gelegt.
! Die Bohrung nicht zu weit dorsal anlegen, um ein Ausreißen im
Bohrloch zu vermeiden!

Damit lässt sich die exakte Lage der zur Vorspannung anzule-
genden Drahtwendel bestimmen. Es werden 2 Wendel angelegt,
da sonst eine asymmetrische Kompression resultieren würde.
Die Wendel sollten möglichst so gelegt werden, dass eine spä-
tere Implantatentfernung über einen örtlich begrenzten Zugang
möglich ist. Nach den ersten beiden Umschlingungen Kürzen
des Drahtes und unter leichter Streckung des Ellenbogenge-
⊡ Abb. 8.36. Einbringen der Drahtcerclage. Die Cerclage (1,25 mm) wird
lenks wechselseitiges Anspannen, wobei darauf zu achten ist,
achtförmig über die Fraktur gelegt. Im Bereich der Trizepssehne wird die dass der Draht mit der Zange zunächst vom Knochen abgeho-
Sehne mit einer dicken Kanüle unterfahren, distal der Fraktur wird die ben wird und während der Drehbewegung der Zange langsam
8 Cerclage durch eine Bohrung (2,0 mm) im Knochen geführt. Um eine
gleichmäßige Anspannung der Cerclage zu erreichen, werden 2 Wirbel
zurückgeführt wird. Dann wird ein gleichmäßiger Zug erzeugt.
Ein Überschlagen des Drahtes mit der Gefahr des Drahtbruches
möglichst nah an der Eintrittsstelle der Kirschner-Drähte angelegt. Das
Anspannen erfolgt durch wechselseitiges Verdrillen
wird damit verringert. Kürzen der Wendel auf etwa 7–10 mm;
mit der spitzen Flachzange werden die Drahtwendelenden zum
Knochen hin umgebogen.
! Drillrichtung der Wendel beachten, um eine Lockerung durch
diesen Vorgang zu vermeiden!

Die Spickdrähte werden etwa 5–7 mm distal der Cerclage mit


dem Seidenschneider abgelängt und zunächst mit dem Bie-
geeisen um mindestens 90° umgebogen (⊡ Abb. 8.37). Mit der
spitzen Flachzange wird diese Biegung auf 180° erhöht und der
Spickdraht so rotiert, dass die entstandene Krampe den Cercla-
gedraht sicher umschließt und möglichst nach Einschlagen im
Knochen zu Liegen kommt. Nachschlagen der Drähte mit Hilfe
der Biegeeisen.
Danach Durchbewegen des Ellenbogens, eine Bewegung
bis deutlich über 90° sowie die komplette Ellenbogenstreckung
müssen ohne Fragmentbewegung möglich sein. Abschließende
Röntgenkontrolle mit dem Bildwandler in beiden Ebenen und
Ausdrucken der Bilder. Öffnen der Blutsperre und nach Spü-
⊡ Abb. 8.37. Anziehen der Wirbel der Drahtcerclage, Kürzen und Um- lung Kontrolle auf Bluttrockenheit. Es wird eine Redon-Drai-
biegen der Spickdrähte. Beide Drahtwirbel sind jetzt symmetrisch ange- nage 12 Charr. nach proximal ausgeleitet.
spannt worden, der Frakturspalt steht unter Kompression. Die Führungs-
spickdrähte wurden einzeln leicht zurückgezogen, 180° umgebogen
Wundverschluss/Verband
und mit dem Stössel im Knochen versenkt. Damit wird eine sekundäre
Drahtwanderung vermieden, gleichzeitig ist der Cerclagedraht vor dem Adaptierende Subkutannähte und Hautverschluss in Rückstich-
Abrutschen geschützt technik. Steriler trockener Verband und leichter Kompressions-
verband von der Hand her bis zum Oberarm. Postoperativ An-
lage einer Oberarmgipsschiene in 90°-Stellung, aus der heraus
direkt Bewegungsübungen vorgenommen werden.
8.6 · Versorgung der Olekranonfraktur mit Zuggurtungsosteosynthese
213 8
Postoperativ
Probleme
Die Wundheilung, gerade bei geriatrischen Patienten, kann
aufgrund der geringen Weichteildeckung problematisch sein.
Lückenlose Wundkontrollen in der Frühphase sind angezeigt.
Bei Patienten mit geringer Compliance sollten die Bewegungs-
übungen sehr vorsichtig freigegeben werden, ggf. ist es sinnvoll,
zwischen den krankengymnastisch überwachten Übungen zur
Protektion eine Oberarmgipsschiene (Kunststoff) anzulegen.
In der Spätphase können die Implantate sehr prominent und
störend werden, ggf. ist nach Heilung eine frühzeitige Implan-
tatentfernung erforderlich.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Kontrolle der peripheren DMS, Kontrolle
der Redon-Drainage. Der Patient sollte aktive Greifübun-
gen mit der Hand durchführen. a b
▬ Postoperativer Tag 1: Kontrolle der Redon-Drainage, Pro-
duktion und Mobilisation der Drainage, krankengymnas-
tisch assistierte Bewegungsübungen im Verband, ggf. schon
eigenständige Übungen.
▬ Postoperativer Tag 2: Abnahme des Verbandes, Entfernen
der Redon-Drainage, Pflasterverband, funktionelle Nachbe-
handlung mit eigenständigen Übungen unter krankengym-
nastischer Anleitung, bei starken Schmerzen Anlage einer
Oberarmkunststofflagerungsschiene, die sequenziell und
zur Nacht angelegt wird.

⊡ Abb. 8.38 zeigt beispielhaft die Versorgung einer geschlos-


senen Olekranonfraktur durch eine Zuggurtungsosteosynthese.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Regelmäßige Wundkontrollen.
Fadenzug nach 14 Tagen.
Röntgenkontrollen nach 4 und 8 Wochen. c
Intensive Krankengymnastik zur Wiedererlangung des voll-
ständigen Bewegungsumfangs situationsbezogen nach 4–6 Wo-
chen, davor vorsichtige Bewegungsübungen.

⊡ Abb. 8.38a–d. Röntgenverlauf. Geschlossene Olekranonfraktur bei


einem 28 Jahre alten Patienten. a,b Unfallbilder. c Versorgung mit Zug-
gurtungsosteosynthese. d Ausheilungsergebnis nach 10 Monaten, freier
Bewegungsumfang des Ellenbogens
214 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.7 Versorgung einer Radiusköpfchenmeißelfraktur Im Operationssaal


Lagerung
Vorbemerkung Der Eingriff wird in Regionalanästhesie oder Vollnarkose in
An dieser Stelle soll der typische Ablauf bei der Versorgung Rückenlage unter Verwendung des Armtisches durchgeführt
einer dislozierten Radiusköpfchenmeißelfraktur ohne Begleit- (⊡ Abb. 8.39). In der Regel erfolgt die Anlage einer Blutsperre.
verletzungen durch Minischrauben dargestellt werden Die Blutsperre sollte sicher in Oberarmmitte angelegt und
abgeklebt werden, um eine ausreichende Abdeckung zu ge-
währleisten.
Indikation Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit Cefalosporin der 1.
Radiusköpfchenfrakturen werden entsprechend der Prinzipien Generation.
der Versorgung von Gelenkfrakturen ab einer Stufenbildung
von 2 mm offen eingerichtet und durch eine Osteosynthese sta- Zugang
bilisiert. Während die isolierten Radiusköpfchenfrakturen, in ⊡ Abb. 8.39 und 8.40
den meisten Fällen Meißelfrakturen, kein Problem in Indikati-
onsstellung und operativer Technik darstellen, ist die Entschei- Operationstechnik
dungsfindung bei Radiusköpfchenfrakturen im Rahmen von Darstellen der Faszie und des radialen Seitenbandes, am vent-
Ellenbogenluxationsfrakturen bzw. Kombinationsverletzungen ralen Rand des Bandes werden Band und Faszie eröffnet, ggf.
schwierig und bedarf ausreichender Erfahrung. Bei mehrfrag- beim muskelkräftigen Patienten die Ursprünge des M. extensor
mentären Frakturen hängt die Versorgungsstrategie v. a. von digitorum eingekerbt und nach ventral weggehalten.
dem Ausmaß der Ellenbogengelenksinstabilität ab. Während Das Gelenk lässt sich damit eröffnen, es entleert sich das
8 bei stabilen Ellenbogengelenken in der Regel eine Radiusköpf- Hämatom. Das Ausmaß der Verletzung und die genaue Frak-
chenresektion ausreichend ist, muss bei instabilen Gelenken turebene werden durch Rotationsbewegungen bestimmt. Die
ggf. sogar an einen endoprothetischen Radiusköpfchenersatz Inzision wird ggf. etwas nach proximal verlängert, so dass ein
gedacht werden, bei zusätzlichen Verletzungen des Proc. coro- guter Einblick in das Gelenk resultiert. Durch Einsatz eines
noideus an aufwändige Rekonstruktionen, u. U. kombiniert mit Langenbeck-Hakens unter die ventrale Gelenkkapsel lässt sich
einem Bewegungsfixateur. in den meisten Fällen auch die Gelenkfläche des Capitulum
radii zumindest mit dem Tasthaken untersuchen, da hier u. U.
Knorpelabscherungen bestehen. Ausgiebiges Ausspülen des
Operationsvorbereitung Gelenks, dann Vorbereitung der Reposition.
Aufklärung
▬ Wund-, Weichteil- und Gelenkinfektion
▬ Thromboembolische Komplikationen bei Eingriff an der
oberen Extremität selten
▬ Postoperativ auftretende Bewegungseinschränkungen
▬ Ggf. störende Implantate
▬ Unzureichende Gelenkreposition
▬ Sekundäre Fragmentdislokationen bei unzureichend gefass-
ten Fragmenten und/oder übermäßiger postoperativer Ge-
lenkbelastung
▬ Verzögerte Frakturheilung bis hin zur Pseudarthrosenbil-
dung

Diagnostik und Planung


Die Diagnostik basiert zunächst auf exakt ausgerichteten Rönt-
genaufnahmen des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen, ggf. ergänzt
durch eine Radiusköpfchenzielaufnahme. Ist das Ausmaß der
Verletzung dort nicht ausreichend analysierbar, muss auf eine
Computertomographie mit multiplanaren Rekonstruktionen
zurückgegriffen werden. Lässt sich hier eine Stufenbildung von
2 mm nachweisen mit einer entsprechenden klinischen Sym-
ptomatik (Rotationsschmerzen, ggf. Reibegeräusche, Schmer-
zen bei der Ellenbogenbeugung), wird eine operative Therapie
empfohlen. Dieses gilt ebenfalls für sekundäre Dislokationen
mit primär eingeleiteter konservativer Therapie.
Vor der Operation Kontrolle der lokalen Weichteilverhält-
nisse und der peripheren DMS.
8.7 · Versorgung einer Radiusköpfchenmeißelfraktur
215 8

⊡ Abb. 8.39. Lagerung. Der Patient wird auf dem


Rücken auf einem Standardtisch gelagert. Der Arm liegt
auf einem Armtisch und wird leicht unterpolstert. Eine
Blutsperre wird angelegt. Orientierungspunkte sind
der Epicondylis radialis und das bei Rotation recht gut
tastbare Radiusköpfchen. Die Inzision erfolgt leicht ge-
schwungen direkt über der Läsion

⊡ Abb. 8.40. Tiefe Präparation und Gelenkeröffnung. Nach


Präparation der Faszie erfolgen Inzision und Gelenkeröff-
nung direkt ventral des radialen Seitenbandes. Das Lig.
annulare radii wird nur soweit inzidiert, wie es zur Exposition
der Fraktur nötig ist. Die genaue Exposition wird durch ent-
sprechende Rotation des Unterarms erleichtert
216 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Reposition/Stabilisierung
In der Regel ist das Fragment nach distal abgerutscht und
am Radiushals noch im Periostverbund. Dieser Periostverbund
sollte möglichst geschont werden, um die Restdurchblutung des
Fragmentes nicht zu gefährden. Die Fraktur wird sehr vorsich-
tig minimal gespreizt und mit dem Zahnarzthaken ausgeräumt.
Oftmals gelingt es schon durch Einsatz des Zahnarzthakens in
die Fraktur, das Fragment anzuheben und durch Druck auf das
Fragment zu reponieren (⊡ Abb. 8.41). Idealerweise schließt sich
die Gelenkfläche spaltfrei. Bestehen zusätzliche kleine Frag-
mente, sollten sie zwischen die Hauptfragmente eingeklemmt
oder entfernt werden.
! Als Grundregel gilt, dass ein Radiusköpfchen, das sich nicht mit
maximal 3 Schrauben (⊡ Abb. 8.42) stabil versorgen lässt, eher
reseziert werden sollte.

⊡ Abb. 8.43 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Radiusköpf-


⊡ Abb. 8.41. Reposition. Der Frakturverlauf bei Radiusköpfchenfraktu- chenmeißelfraktur.
ren kann sehr variabel sein und daher müssen ggf. unterschiedliche
Repositionsstrategien angewendet werden. Im typischen Fall einer »Mei-
ßelfraktur« sollte immer versucht werden, das distal anhängende Periost
8 am Fragment zu erhalten, um Durchblutungsstörungen zu minimieren. Postoperativ
Die Frakturfläche wird mit feinen Instrumenten (Löffel, Zahnarzthaken) Probleme
gesäubert und ggf. die Reposition schon angenähert. Wenn räumlich Probleme treten insbesondere bei mehrfragmentären Frakturen
möglich, erfolgt die stufenfreie Kompression der Gelenkfläche mit einer
auf. In diesen Fällen muss ggf. eine Radiusköpfchenresektion
kleinen Repositionszange. Die Repositionsstellung wird zunächst durch
2 senkrecht zur Frakturfläche eingebrachte Spickdrähte (1,4 mm) gesi- bzw. ein prothetischer Ersatz in Erwägung gezogen werden.
chert (cave: Perforation der Gegenseite!) Diese Entscheidung erfordert ausreichende Erfahrung (Fach-
arzt/Oberarzt).
Die Implantate müssen sicher unter das Knorpelniveau
versenkt werden. Ggf. können auch Doppelgewindeschrauben
eingesetzt werden, die für die komplett intraossäre Lage kon-
zipiert sind.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Kontrolle von DMS, Fingerbeweglichkeit
und der Produktion der Redon-Drainage.
▬ Postoperativer Tag 1: Bei Redon-Drainage unter 50 ml
diese entfernen, ansonsten bis zum 2. postoperativen Tag
belassen. Vorsichtiges Durchbewegen des Ellenbogenge-
lenks, Anhalten des Patienten zur Rotationsbewegung.
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Drainage, Pflaster-
verband der Wunde, unter krankengymnastischer Anlei-
tung werden Eigenübungen durchgeführt, schmerzabhän-
gig wird die Schiene für mehrere Stunden täglich abgenom-
men, Röntgenkontrolle des Ellenbogens exakt in 2 Ebenen
⊡ Abb. 8.42. Einbringen der Schrauben. Stabilisierung erfolgt mit klei- ohne Drainage.
nen Zugschrauben (z. B. 2 mm aus dem Handset), die die Spickdrähte
ersetzen. Cave: Die Schraubenläge muss sehr exakt gemessen werden, Weiterbehandlung/Arztbrief
damit auch nach Versenken des Schraubenkopfes und Kompression des
Frakturspaltes kein Überstehen der Schraubenspitze resultiert. Es muss Fädenentfernung 14 Tage postoperativ, Weiterführung der Be-
eine radiologische, besonders aber auch sehr genaue klinische Rotati- wegungsübungen unter krankengymnastischer Anleitung so-
onsprüfung erfolgen (Reibegeräusche!) lange das volle Bewegungsausmaß noch nicht erreicht wird.
Röntgenkontrolle nach 6 Wochen, danach forcierte Kran-
kengymnastik.
Implantatentfernung bei gut positionierten Schrauben nicht
vorgesehen.
8.7 · Versorgung einer Radiusköpfchenmeißelfraktur
217 8

a b

c d

⊡ Abb. 8.43a–d. Röntgenverlauf. 61-jährige Patientin mit Radiusköpfchenmeißelfraktur nach Sturz. a,b Unfallbilder. c,d Kontrolle nach 6 Wochen: freie
Funktion
218 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.8 Versorgung der Unterarmschaftfraktur


mit Plattenosteosynthesen

Vorbemerkung
Indikation
Akzeptierte Indikationen zur operativen Therapie sind derzeit:
▬ Verschobene Frakturen beider Knochen
▬ Luxationsfrakturen wie z. B. vom Typ Monteggia, Galeazzi
und Essex-Lopresti
▬ Offene Frakturen
▬ Refrakturen

Unverschobene und/oder minimal dislozierte Frakturen eines,


⊡ Abb. 8.44. Rückenlagerung, Armtisch, Blutsperre. Der Patient wird äußerst selten beider Unterarmknochen werden funktionell
auf dem Normaltisch in Rückenlage mit ausgelagertem Arm auf einem konservativ im Brace behandelt. Ausnahmen bestehen auch
Armtisch gelagert. Eine sterile Tuchrolle wird zur besseren Positionie- hier je nach Anforderungsprofil des Patienten unter Abwägung
rung untergelegt. Eine Oberarmblutsperre wird angelegt, bei Frakturen
von Vor- und Nachteilen nach ausführlicher Aufklärung.
mit ausgeprägtem Weichteilschaden allerdings nur in Ausnahmesituati-
onen verwendet

Operationsvorbereitung
8 N. radialis
Aufklärung
Da bei Ausheilung in Fehlstellung erhebliche Einschränkungen
der Unterarms-, Handgelenks- und Ellenbogenbeweglichkeit
M. brachioradialis zu erwarten sind, gibt es keine vernünftigen Behandlungsal-
R. superficialis ternativen bei dislozierten Frakturen. Im Einzelnen anzuspre-
chend sind:
R. profundus ▬ Thromboembolische Komplikationen am Unterarm (sehr
selten)
▬ Wundweichteil-, aber auch Knocheninfektionen
▬ Gefäß- oder Nervenschaden (Gefäßschäden sehr selten,
Nervenschaden insbesondere des Ramus profundus nervi
radialis bei Radiusfrakturen im proximalen Drittel)
▬ Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung
▬ Ausbildung einer funktionsbehindernden Synostose
⊡ Abb. 8.45. Anatomie. Im Schnittbild sind die Unterarmkomparti- ▬ Implantatentfernung nur bei störendem Implantat emp-
mente zu erkennen. Eine exakte Präparation in den Faszienintervallen fohlen
ist zur Schonung der Nerven und Gefäße unabdingbar. Es ist auf eine
standardisierte Lagerung des Unterarms zur Planung der Hautinzision Diagnostik und Planung
zu achten, da sich die Lage der Muskellogen bei der Unterarmdrehung
erheblich verändert. Besonders zu beachten ist bei proximalen Radius- Zur Analyse der Verletzung müssen Aufnahmen des Unter-
frakturen die Lage des R. profundus des N. radialis armes in 2 Ebenen sowie Zielaufnahmen von Ellenbogen und
Handgelenk in 2 Ebenen vorliegen.
Die Frakturen sollten möglichst direkt nach dem Unfall
operiert werden, bei infrastrukturbedingten Verzögerungen ist
auf eine frühe achsengerechte Einrichtung und Ruhigstellung
zu achten. In diesen Fällen muss eine regelmäßige DMS-Kon-
trolle erfolgen und die Weichteile im Gips müssen präoperativ
beurteilt werden.

Im Operationssaal
Lagerung
⊡ Abb. 8.46. Landmarken und Inzision, ulnarer Zugang. Die Ulna ist in Der Eingriff wird in Rückenlage unter Auslagerung des be-
ihrer gesamten Länge gut subkutan zu tasten. Die Orientierung gelingt troffenen Armes auf dem Armtisch durchgeführt (⊡ Abb. 8.44).
daher einfach, der Zugang befindet sich auf einer Linie zwischen Olekra- Nach Positionierung auf dem Armtisch ist die Bildwandlerein-
nonspitze proximal und dem Proc. styloideus ulnae distal. Die Linie wird
angezeichnet und die Inzision über der Fraktur begonnen und zunächst
stellungsfähigkeit zu prüfen.
ca 8–12 cm proximal und distal der Fraktur verlängert Es wird eine Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit einem
Cephalosporin der 1. Generation durchgeführt.
8.8 · Versorgung der Unterarmschaftfraktur mit Plattenosteosynthesen
219 8
Zugang
Die Versorgung der Unterarmfrakturen wird über 2 Zugänge
durchgeführt, um das Weichteiltrauma möglichst gering zu
halten. Da sich die Reposition von Radius und Ulna während
der Unterarmdrehung ändert, ist bei der Einzeichnung der
Orientierungspunkte auf Streckung im Ellenbogen und Su-
pination zu achten (⊡ Abb. 8.45). Der Abstand zwischen den
eingezeichneten Zugängen sollte mindestens 5 cm betragen. Ist
diese Distanz nicht sicher zu realisieren, liegt wahrscheinlich
⊡ Abb. 8.47. Tiefe Präparation, ulnarer Zugang. Die tiefe Präparation
ein Orientierungsproblem vor. erfolgt in der Grenze zwischen Unterarmbeugern und -streckern. Das
Die Ulna ist über ihre gesamte Länge subkutan zu tasten, Periost wird möglichst intakt gelassen, der Knochen allenfalls direkt im
die Orientierung ist damit einfach (⊡ Abb. 8.46 und 8.47). Frakturbereich sparsam freigelegt und zur Erleichterung der Reposition
Beginnend von der Olekranonspitze kann eine Inzision poten- mit Hohmann-Hebeln umfahren. Auch bei »biologischen« Osteosynthe-
sen müssen Achse, Länge und Rotation exakt wiederhergestellt sein, um
ziell bis zum Proc. styloideus ulnae verlängert werden. Nur im die Unterarmdrehung nicht zu behindern. Die Orientierung ist in der
sehr distalen Bereich ist der Ramus subcutaneus des N. ulnaris Regel nur durch eine möglichst anatomische Reposition der Hauptfrag-
potenziell in Gefahr. Ansonsten wird je nach Lage der Fraktur mente zu erreichen. Eine Denudierung von einzelnen Fragmenten sollte
eine Inzision von etwa 15 cm Länge zentriert auf die Fraktur aber unbedingt vermieden werden
angelegt.
Der Knochen wird in der Trennlinie zwischen Unterarmex-
tensoren und -flexoren erreicht, wird sparsam direkt im Frak-
turbereich zur Säuberung der Frakturfläche freigelegt und vor-
sichtig mit Hohmann-Hebeln umfahren.
Eine komplette Exposition des Radius gelingt über den
anterioren Zugang nach Henry, der von den Autoren allerdings
nur bei sehr proximal gelegenen Radiusfrakturen eingesetzt
wird (Verlauf des R. profundes nervi radialis!) (⊡ Abb. 8.48).
Bei den typischen Frakturen im mittleren und distalen Drittel
wird der dorsolaterale Zugang bevorzugt. Hier sind die Orien-
tierungspunkte der Epicondylus radialis humeri und der Proc.
styloideus radii. Auf einer geraden Verbindungslinie wird auch
hier ein etwa 15 cm langer Zugang zentriert über die Fraktur
angelegt. Lediglich im distalen Anteil ist der Ramus superficia- ⊡ Abb. 8.48. Zugang zum Radius nach Thompson. Landmarken der In-
lis des N. radialis potenziell in Gefahr. zision sind der Epicondylus humeri radialis und Radiusköpfchen proximal
und das Lister-Tuberkel distal. Für die typische Fraktur in Schaftmitte bzw.
Nach der Subkutanpräparation wird das Intervall zwischen im Übergang zum distalen Drittel wird die Inzision auf das mittlere und
M. extensor carpi radialis brevis und des M. extensor digitorum distale Schaftdrittel begrenzt. Cave: eine Verlangerung nach proximal ist
aufgesucht (⊡ Abb. 8.49). Beide Muskelgruppen werden entlang aufgrund der Verletzungsgefahr des R. profundus des N. radialis gefähr-
des Septums intermusculare getrennt, wobei günstigerweise lich. Diese Erweiterung sollte dem erfahrenen Chirurgen vorbehalten sein
direkt proximal des Muskelbauches des M. abductor pollicis
longus eingegangen wird. Müssen noch weiter distal liegende
Bereiche des Radius erreicht werden, werden der M. extensor
pollicis brevis und M. abductor pillicis longus gemeinsam un-
terfahren und angeschlungen. Dadurch können beide Muskeln
je nach geforderter Übersicht wechselseitig nach distal oder
proximal retrahiert werden.
Nach proximal wird die Inzision durch die quer verlaufen-
den Fasern des M. supinator begrenzt, der dem Radius direkt
aufliegt. Es ist darauf zu achten, dass auch kein Hakenzug in
diesem Bereich erzeugt wird, da hier der Ramus profundus
des N. radialis rechtwinklig durch die Muskelfasern verläuft.
Eine subperiostale Ablösung in diesem Bereich ist nur möglich,
wenn der Nerv etwa 4 cm distal des Radiusköpfchens getastet,
auspräpariert, mobilisiert und angeschlungen wird. ⊡ Abb. 8.49. Tiefe Präparation Radius. Nach der subkutanen Präpa-
ration wird das Septum intermuskulare zwischen M. extensor carpi
radialis brevis und M. extensor digitorum getrennt und auf den Knochen
eingegangen. M. extensor pollicis brevis und M. abductor pillicis longus
verlaufen schräg durch die Wunde und müssen bei Bedarf unterfahren,
angehoben und zur Manipulation am Knochen wechselseitig nach proxi-
mal oder distal verlagert werden
220 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Reposition/Stabilisierung
Das Ziel bei einfachen Frakturformen des Typs A oder B nach
AO-Klassifikation (⊡ Abb. 8.50) muss die absolut anatomische Re-
position und stabile Fixation sein. Lediglich bei ausgedehnten
Trümmerzonen kann eine sog. Überbrückungsosteosynthese bio-
logisch günstiger sein. Die Orientierung hinsichtlich der Wieder-
⊡ Abb. 8.50. Typische Fraktur. Typische Konfiguration einer Unterarm-
fraktur mit Biegungskeil (AO22 B3) herstellung von Länge, Achse und Rotation ist allerdings in diesen
Fällen sehr anspruchsvoll, so dass eine derartige Osteosynthese
dem erfahrenen Unfallchirurgen vorbehalten sein sollte.
Welcher der beiden Knochen günstigerweise zunächst sta-
bilisiert wird, hängt wesentlich von der Frakturform ab. In der
Regel ist es vorteilhaft, mit der Ulna zu beginnen bzw. mit dem
Knochen, der durch eine einfache Osteosynthese die Wiederher-
stellung von Länge, Achse und Rotation erlaubt. Es sollte immer
zunächst eine vorläufige Fixation erfolgen, da ggf. zur Reposi-
⊡ Abb. 8.51. Typische Plattenkonfiguration. Versorgungsbeispiel mit
Kleinfragmentplatten. Radial ist die Frakturzone überbrückt, auf jeder tion des zweiten Knochens nochmals eine Lösung der Fixation
Seite sind »6 Kortizes« (3 jeweils bikortikal fest verankerte Schrauben) ge- notwendig sein kann. Günstig ist es dann, wenn man durch par-
fasst, ulnar wurde eine interfragmentäre Plattenzugschraube verwendet tielles Lösen einer Schraube oder die Entfernung einer Schraube
bei persistierender Plattenlage nach Reposition der Gegenseite
die anatomische Position schnell wieder erreichen kann.
8 Bei Schrägfrakturen wird typischerweise nach sparsamer
Freilegung der Fraktur die Frakturfläche sorgfältig mit kleinem
Löffel und Zahnarzthaken gesäubert und unter manuellem
Längszug sowie korrekter Rotation mit Hilfe der kleinen Re-
positionszange mit Spitzen komprimiert und »eingerastet«. Bei
sehr schrägen Frakturverläufen oder nur kleinen Kontaktflä-
chen kann es günstig sein, die gewählte Platte zunächst einseitig
zu fixieren, um ein Abrutschen der Fraktur während des Repo-
sitionsvorganges zu vermeiden.
Dabei ist natürlich peinlichst genau auf die notwendige An-
formung der Platte zu achten, da ansonsten nach Anziehen der
Schrauben Fehlstellungen fixiert werden können. Im Regelfall
⊡ Abb. 8.52. Zugschraubenosteosynthese, 1. Schritt. Technik der Repo-
erfolgt zunächst eine vorläufige Fixation mit einer interfrag-
sition mit Platte und interfragmentärer Plattenzugschraube: Die Platte
wird in einem Fragment verankert, die Plattenlage verhindert ein »Ab- mentären Zugschraube. Sie sollte so geplant werden, dass sie
rutschen« der Fraktur. Die Repositionsstellung wird mit einer kleinen sicher außerhalb des Plattenlagers liegt oder direkt durch die
Repositionszange mit Spitzen weichteilschonend gesichert Platte als Plattenzugschraube angelegt wird.
Bestehen Fragmentkeile oder Segmentfrakturen, kann es
notwendig sein, diese kleinen Fragmente mit Kleinfragment-
schrauben oder sogar mit Minischrauben aus dem Handsieb
zu fixieren (⊡ Abb. 8.51). Es ist auf alle Fälle aber darauf zu
achten, dass die Einzelfragmente möglichst im Weichteilver-
bund verbleiben. Eine komplette Auslösung ist zu vermeiden.
Um die Einrichtung zu erleichtern, kann ggf. auch eine indi-
rekte Reposition unter Verwendung der Platte erfolgen. Bei
a dieser sog. »Push-pull-Technik« wird die Platte zunächst an
einem Hauptfragment fixiert und über die Platte eine Distrak-
tion erreicht (⊡ Abb. 8.52 bis 8.54). Das heißt, im gegenseitigen

⊡ Abb. 8.53a,b. Zugschraubenosteosynthese, 2. Schritt. a Durch Beset-


zen eines weiteren Plattenlochs exzentrisch, jenseits der Fraktur wird die
dynamische Kompressionswirkung (»DC-Loch«) erreicht und die Frak-
tur komprimiert. Eine leichte Vorbiegung der Platte gewährleistet die
b plattenferne Kompression des Frakturspaltes. b Eine interfragmentäre
Plattenzugschraube erhöht die Kompression im Frakturspalt. Hier ist das
plattennahe Loch mit 3,5 mm gebohrt, die eingesetzte »Steckbohrhülse«
zentriert den 2,5-mm-Bohrer in der Gegenkortikalis, um eine Verschie-
bung der Fraktur zu vermeiden
8.8 · Versorgung der Unterarmschaftfraktur mit Plattenosteosynthesen
221 8
Fragment wird entweder über den Plattenspanner oder mit
Hilfe einer Hilfsschraube und eines Arthrodesenspreizers eine
Streckung im Frakturbereich erzeugt. Jetzt gelingt es meist
wesentlich einfacher, die einzelnen Fragmente sehr schonend
unter Zuhilfenahme des Zahnarzthakens und kleiner Instru-
mente in Position zu bringen. Durch langsames Nachlassen a
der Distraktion gleiten die Fragmente dann Stück für Stück
in Position.
! Es ist darauf zu achten, dass bei Systemen, die sowohl den
Einsatz von winkelstabilen als auch von Standardschrauben er-
möglichen, Repositionstechnik und Fixation aufeinander abge-
stimmt sein müssen, um nicht durch den verfrühten Einsatz der
winkelstabilen Schrauben beidseits der Fraktur eine noch nicht b
behobene Fehlstellung zu fixieren.

⊡ Abb. 8.55 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Unterarm-


schaftfraktur durch eine Plattenosteosynthese.

Wundverschluss/Verband
⊡ Abb. 8.54a,b. Zugschraubenosteosynthese, 3. Schritt. a Die Schraube
Nach sorgfältiger Blutstillung Einlage von 2 Redon-Drainagen, wird angezogen, die Fraktur kommt unter Kompression. b Als Alter-
die idealerweise nach proximal ausgeleitet werden. Bei starker native kann auch die Plattenzugschraube als erste Schraube bzw. bei
Schwellung wird auf einen Faszienverschluss verzichtet, an- Variationen des Frakturverlaufes auch als freie Schraube besetzt wer-
den. Die Platte wird dann als »Neutralisationsplatte« eingesetzt, die
sonsten die Faszie mit Einzelknopfnähten refixiert. Nach Sub-
Plattenschrauben werden in neutraler Position (»grüne Bohrhülse«) in
kutannähten sorgfältige Hautnähte mit Rückstichnähten und den Plattenlöchern positioniert. Eine mögliche Abfolge der Bohrungen
Anlage eines sterilen trockenen Kompressenverbandes bis zum ist angegeben. Jedes Loch sollte einzeln gebohrt und sofort mit einer
Oberarm. Schraube besetzt werden

a b c d

⊡ Abb. 8.55a–d. Röntgenverlauf. 51-jähriger Patient nach Sturz vom Gerüst. a,b Unfallbilder. c,d Ausheilung 11 Monate nach Plattenosteosynthese
222 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Postoperativ 8.9 Operative Stabilisierung einer distalen


Probleme Radiusfraktur mit Spickdrahtosteosynthese
Intraoperative Probleme treten insbesondere bei unzureichen-
der Reposition auf. Da Radius und Ulna in der Gesamtheit Vorbemerkung
für die Unterarmbewegung »ein Gelenk« darstellen, ist die ex- Distale Radiusfrakturen stellen mit einem Anteil von etwa 20%
akte Wiederherstellung von Länge, Achse und Rotation beider aller Frakturen die häufigsten Frakturen des Menschen dar
Knochen eine Grundvoraussetzung für die spätere uneinge- und kommen in nahezu jedem Lebensalter vor. Da Ausheilun-
schränkte Unterarmfunktion. Bei einfachen Frakturtypen ist gen in Fehlstellungen einen erheblich negativen Einfluss auf
die Reposition meist gut zu kontrollieren, bei mehrfragmen- die Greiffunktion des Handgelenks haben können, ist immer
tären Brüchen müssen in der Regel beide Knochen simultan eine möglichst exakte Reposition mit Wiederherstellung der
freigelegt und eine vorläufige Reposition (Platten mit Repozan- anatomischen Gelenkfläche in korrekter Länge und Gelenkflä-
gen oder jeweils 2 Schrauben fixieren!) zur Funktionsprüfung chenkippung anzustreben. Gerade bei geriatrischen Patienten
durchgeführt werden. Ggf. wird die Reposition und Plattenpo- sollten Kompromisse in der Behandlung möglichst vermieden
sition korrigiert. werden, da eine wesentlich geringere Kompensationsmöglich-
Bei ausgedehnten Weichteilschäden kann ein primärer keit besteht. Prinzipiell sollten nur minimal verschobene, sta-
Wundverschluss zu starke Weichteilspannungen provozieren. bil eingestauchte Frakturen konservativ funktionell behandelt
In diesen Fällen wird ein vorübergehender steriler Wundver- werden. In Fällen, in denen eine geschlossene, auf alle Fälle
schluss einer Inzision mit der Vakuumtechnik durchgeführt aber wenn eine offene Reposition notwendig wird, muss eine
und die Wunde sekundär nach 2, ggf. auch nach 4 Tagen ver- Stabilisierung erfolgen, da durch die Lösung der eingestauchten
schlossen. Fragmente die Instabilität der Gesamtfraktur erhöht wird.
8 ! Ein iatrogenes provoziertes Kompartmentsyndrom muss
An dieser Stelle sollen die derzeit häufigsten beiden Opera-
tionsverfahren beschrieben werden, die geschlossene Einrich-
unbedingt vermieden werden!
tung und perkutane Spickdrahtosteosynthese sowie die volare
Plattenosteosynthese mit einem winkelstabilen Implantat.
Nachbehandlung
▬ Operationstag: Nach Abklingen der Narkose DMS-Kont-
rolle des Unterarmes, leichte Hochlagerung des Armes auf Indikation
Vorhofniveau, ggf. Eiskühlung. Der Patient wird zu eigen- Zur Versorgung mit der Spickdrahtosteosynthese sind gut ge-
ständigen Bewegungsübungen der Finger angehalten. eignet extraartikuläre Extensionsfrakturen sowie intraartikuläre
▬ Postoperativer Tag 1: Kontrolle der Sekretion in die Re- Frakturen mit geringer Dislokation im Gelenkbereich. Der
don-Drainage, ggf. leichtes »Anziehen und Drehen« der Eingriff wird möglichst direkt nach der Verletzung schon in
Drainage. Anleitung zu eigenständigen Bewegungsübun- der Ambulanz durchgeführt. In der Regel lässt sich die Einrich-
gen, weiter Hochlagerung und Kühlung. tungsstabilisierung recht gut in Lokalanästhesie durchführen,
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernen der Drainagen und des in Ausnahmefällen ist eine Regionalanästhesie oder sogar La-
Verbandes, Anlage eines Pflasterverbandes. Bei starker rynxmaskennarkose notwendig.
Schwellung noch leichter Kompressionsverband. Kranken-
gymnastische Übungsbehandlung mit aktiven Übungen im
gesamten Bewegungsumfang, keine Belastungen. Röntgen- Operationsvorbereitung
kontrolle des Unterarmes exakt in 2 Ebenen. Aufklärung
Die Heilungszeit der Fraktur beträgt 4 Wochen, in Ausnah-
mefällen wird 6 Wochen ruhig gestellt. Im Zeitrahmen von
Weiterbehandlung/Arztbrief 4–6 Wochen und nach Versorgung ist auch die Spickdrahtent-
Wundkontrollen bis zum Fadenzug nach 14 Tagen. Durchfüh- fernung in Lokalanästhesie vorgesehen. Risiken sind:
ren von eigenständigen Bewegungsübungen, bei Schwierigkei- ▬ Verletzung von Gefäßen (Arteria radialis) und Nerven (Ra-
ten ggf. unter krankengymnastischer Anleitung. dialisäste, Nervus medianus im Wesentlichen durch Frag-
Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen, Belastungen mentdruck, selten Nervus ulnaris)
erst nach sicherer Konsolidierung der Fraktur möglich (ca. ▬ Thrombose, Embolie (selten)
10–12 Wochen). ▬ Wundheilungsstörung, ggf. Hautirritationen und Infekti-
Implantatentfernung nur bei störenden Implantaten. Bei onen der Eintrittsstellen sowie mögliche Perforation der
schlanken Patienten kann die ulnar gelegene Platte ggf. stö- Spickdrähte
rend tastbar sein. Generell sollte die Implantatentfernung erst ▬ Sekundäre Dislokation mit Repositionsverlust
nach 24 Monaten erfolgen, insbesondere nach Frakturen mit ▬ Druckstellen im Gips mit Notwendigkeit von Gipswechsel
Weichteilschaden und offenen Frakturen, um Refrakturen zu
vermeiden. In Ausnahmefällen, bei radiologisch eindeutiger Diagnostik und Planung
Heilung kann der Zeitraum im Einzelfall auf 12 Monate ver- Bei einfachen, extrartikulären Frakturen (AO23 Typ A) sind gut
kürzt werden. eingestellte Nativaufnahmen des Handgelenkes in exakt 2 Ebenen
i. d. R. ausreichend, um Reposition und Stabilisierung zu planen.
8.9 · Operative Stabilisierung einer distalen Radiusfraktur mit Spickdrahtosteosynthese
223 8
Bei Einstrahlung in die Gelenkfläche, insbesondere bei mehr-
fragmentären und primären Frakturen, und bei Verdacht auf zu-
sätzliche Verletzungen der Handwurzel wird heutzutage nahezu
immer eine CT-Diagnostik mit multiplanaren Rekonstruktionen
angeschlossen. Nur so kann die Indikation zur Spickdrahtosteo-
synthese gesichert, häufiger ausgeschlossen werden und ein Alter-
nativverfahren (z. B. eine Plattenosteosynthese) geplant werden.

Im Operationssaal
Bruchspaltanästhesie
Im Gipsraum wird der Arm zunächst auf eine flache Unterlage
gelegt und von dorsal her eine Bruchspaltanästhesie durchge-
führt, um die weiteren Maßnahmen schmerzfrei vornehmen ⊡ Abb. 8.56. Schema der Bruchspaltanästhesie bei abgelegtem Arm.
zu können (⊡ Abb. 8.56). Etwa 5–7 cm proximal der Frakturlinie Die Bruchspaltanästhesie wird zur schnelleren Schmerzbekämpfung am
zunächst lokale Infiltration, nach kurzer Wartezeit Eingehen günstigsten vor der Reposition am auf einem Armtisch abgelegten
Unterarm durchgeführt. Der distale Unterarm und das Handgelenk wer-
mit der langen Nadel bis auf den Knochen im schrägen Winkel den steril abgewaschen und von proximal her mit einer dünnen Injek-
und Vorschieben bis in den Frakturspalt. Da bei der typisch tionsnadel (Nr. 12) der Knochen erreicht. Die Nadelspitze »rutscht« in
eingestauchten nach dorsal abgekippten Fraktur die distale dieser Technik auf der Kortikalis in den dorsal impaktierten Bruchspalt.
Kortikalis die proximale Kortikalis überdeckt, ist nur in dieser Durch Aspiration von Hämatom aus dem Frakturspalt wird die Position
Technik ein sicherer Eingang in den spongiösen Bereich zu gesichert und etwa 10 ml langwirksames Lokalanästhetikum (z. B. Me-
pivacain 1%) langsam injiziert. Nach kurzer Wartezeit kann dann das
finden. Die Aspiration zeigt Frakturhämatom. Dann langsame »Aushängen« und die Reposition in der Regel schmerzfrei durchgeführt
Injektion von etwa 5 ml Lokalanästhetikum, weitere subkutane werden. Bei fehlender Erfahrung kann eine Durchleuchtung das Aufsu-
Infiltration im Bereich des Proc. styloideus radii. Gegebenen- chen der richtigen Injektionsstelle erleichtern.
falls dorsal über der Fraktur, falls eine intrafokale Spickung
nach Kapandji vorgesehen ist.

Reposition/Stabilisierung
Nach kurzer Wartezeit Aushängen der Fraktur in Rückenlage
des Patienten (⊡ Abb. 8.57). Dazu wird primär der Daumen mit
einem sog. »Mädchenfänger« gefasst (dient der radialen Aufrich-
tung). Der zweite, ggf. auch dritte Finger kann zur Rotationssi-
cherung ebenfalls gefasst werden. Bei starker Verschiebung wird
mit einem Ledergurt am Oberarm mit etwa 2–5 kg extendiert.
Der Bildwandler wird so positioniert, dass eine a.p. und seitliche
Durchleuchtung durchgeführt werden kann, ohne den Arm des
Patienten drehen zu müssen (Rotation des Bildwandlerbogens!).
Nach einer Wartezeit von 5–10 Minuten zunächst Kontrolle
des Repositionsergebnisses unter Aushang, dann endgültige
manuelle Reposition unter Längszug und Volarkippung. Bei
befriedigender Reposition jetzt Vorbereitung des Eingriffs. Der
Eingriff wird unter sterilen Kautelen vorgenommen mit Haube,
Mundschutz und Kittel sowie sterilen Handschuhen. Steriles
Abwaschen des Operationsbereiches im Aushang, Abkleben
mit wasserdichten, selbstklebenden Tüchern, wobei der ge- ⊡ Abb. 8.57. »Aushängen«. Die Hand wird durch Ansetzen von sog. »Mäd-
samte Unterarm frei bleiben sollte zur Anlage der dorsalen chenfängern« am Daumen, zur Rotationssicherung sekundär auch an
Gipsschiene. Zur Versorgung benötigt werden: Zeigefinger und ggf. auch am 3. Finger, gefasst und bei rechtwinklig ge-
beugtem Ellenbogen »ausgehängt«. Ein am Oberarm mit Lederschlinge
▬ Kleines Wundversorgungsset
befestigtes Gewicht (2–5 kg) führt zu einer langsamen, kontinuierlichen
▬ Bohrmaschine, bevorzugt kleine Akkubohrmaschine und Distraktion und Wiederherstellung der »Länge«. Die Restreposition wird
Spickdrähte von 1,8 mm Durchmesser durch Fingerdruck erreicht. Der Bildwandler wird parallel zum Boden ein-
▬ Seidenschneider zur Kürzung der Spickdrähte gestellt und muss sich 90° zur Ansicht beider Ebenen rotieren lassen
224 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Operationstechnik
Der Operateur tritt an das Operationsgebiet heran, der steril abge-
deckte Bildwandler wird herangeführt, Kontrolle der Reposition.
Bei der typischen fächerförmigen Spickdrahtosteosynthese vom
Proc. styloideus radii ausgehend wird nach Kontrolle der kom-
pletten Anästhesie der Proc. styloideus radii getastet, zuvor der
ausreichende Abstand zur A. radialis kontrolliert (⊡ Abb. 8.58).
Ca. 1 cm lange Hautinzision vom Proc. styloideus radii nach dis-
tal, Spreizen der Weichteile mit einem Klemmchen und Palpation
des Knochens (⊡ Abb. 8.59). Der erste Spickdraht wird auf den
Knochen aufgesetzt und im Bildwandler die korrekte Position
gesichert (⊡ Abb. 8.59). Einbohren bis kurz vor den Frakturspalt.
Dann in forcierter Repositionsstellung Überqueren des Frak-
turspaltes und sicheres Einbohren in die proximale Kortikalis
des Radiusschaftes (⊡ Abb. 8.60). Ist die Repositionsstellung nur
schwierig zu erreichen, übernimmt ein Helfer die Reposition.

! Auf ausreichenden Strahlenschutz der Hände ist zu achten!

! Gerade bei geringer Erfahrung kann die Orientierung schwierig


sein. Hilfreich ist es, nach Positionierung des ersten Drahtes eine
8 genaue Orientierung vorzunehmen, insbesondere um zu sehen,
ob dieser Draht eher nach volar oder dorsal gezielt wurde. Mit
⊡ Abb. 8.58. Orientierung der Drähte. Die Orientierung erfolgt durch dieser Information kann die Richtung der weiteren Drähte damit
Palpation des Proc. styloideus radii. Da eine rein perkutane Spickdrahtin- sehr viel besser geplant werden, da sich die »Auffächerung« auch
sertion häufig zu lokalen Hautschäden (Quetschung, Verbrennung durch in den sichtbaren Anteilen der Spickdrähte widerspiegeln muss.
Reibung) führt, wird eine kurze, etwa 10 mm lange Längsinzision ca. 1–2
cm proximal des Proc. angelegt. Durch den schrägen Eintritt der Drähte Nach ausreichender Stabilisierung wird von einem Helfer das
lässt sich der Knochen ohne Weilchteilspannung erreichen. Die Endäste Gewicht abgenommen und nach Entlastung unter Bildwand-
des N. radialis sollten geschont werden (stumpfes Spreizen des Gewebes
mit einem Klemmchen!)
lerkontrolle eine vorsichtige Bewegung des Handgelenks vor-
genommen. Die Fragmente sollten auch unter Bewegung stabil

⊡ Abb. 8.59. Orientierung der Drähte. Der erste Spickdraht wird auf den
Knochen aufgesetzt und dann die Eintrittsrichtung festgelegt. Bei geringer ⊡ Abb. 8.60. Endposition nach konventioneller Spickdrahtosteosyn-
Erfahrung sollte dieser Schritt im Bildwandler kontrolliert werden, ansons- these. Alle Drähte sind jetzt positioniert und ergeben eine gute Abstüt-
ten werden lediglich die Repositionsstellung und der ausreichende Eintritt zung des distalen Hauptfragments. Bei besonderen Fraktursituationen
der Spickdrähte in die Gegenkortikalis durch Bildwandleraufnahmen be- müssen ggf. modifizierte Techniken angewendet werden (⊡ Abb. 8.61).
stätigt. Geplant werden mindestens 3 Drähte, die sich in jeder Ebene um Wird diese Technik z. B. bei einfachen intraartikulären Frakturtypen an-
etwa 25–30° in der Richtung unterscheiden, möglichst nicht alle in der gewendet, sollte zunächst ein parallel zur Gelenkfläche eingebrachter
Fraktur kreuzen und einen festen Halt in der Gegenkortikalis haben Draht die Reposition des Gelenkfragments sichern
8.9 · Operative Stabilisierung einer distalen Radiusfraktur mit Spickdrahtosteosynthese
225 8
bleiben. Danach werden die Spickdrähte gekürzt, so dass sie Wundverschluss/Verband
den Knochen ca. 5 mm überragen, aber möglichst keine Haut- Mobilisation von eventuell gefassten Weichteilen mit einem
irritationen hervorrufen. Bei eng aneinander liegenden Dräh- Klemmchen, Verschluss der Inzision mit 1 oder 2 Hautnähten.
ten kann es hilfreich sein, mit einem U-förmig umgebogenen Unter Beibelassen des Aushangs wird nun eine dorsale, bis zur
Spickdraht geringen Durchmessers, z. B. 1,4 mm, die Weichteile Mittellinie umgreifende Unterarmgipsschiene angelegt, wobei
zu retrahieren, um einen besseren Ansatz mit dem Seiten- während der Aushärtezeit die Repositionsstelle bei Neutralstel-
schneider zu bekommen. lung im Handgelenk gehalten wird (⊡ Abb. 8.62).

⊡ Abb. 8.61a,b. Positionierung der


Drähte in Kapandji-Technik. Die Technik
nach Kapandji wird auch »intrafokale Spi-
ckung« genannt, da die Spitze des Spick-
drahtes zunächst in die Fraktur gebracht
und das distale Fragment durch Anheben
des Drahtes (»Hebeln«) reponiert wird (a).
Die Fixation erfolgt durch Verankerung
des Spitze in der Gegenkortikalis. Je nach
Frakturform wird zumindest ein Draht von
radial und ein Draht von dorsal, ggf. auch
mehrere Drähte eingebracht (b) a b

⊡ Abb. 8.62. Dorsale Gipsschiene und Repositionsstellung. Repositi-


onsstellung und Spickdrahtosteosynthese werden zunächst mit einer
dorsalen Gipsschiene, nach ausreichender Abschwellung mit einem Un-
terarmgipsverband gesichert. Auf einen guten Sitz und ausreichende
Abstützung der Fragmente ist zu achten. Daumen und Fingergrundge-
lenke sollten frei beweglich bleiben
226 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Postoperativ Nachbehandlung
Probleme ⊡ Abb. 8.63 zeigt beispielhaft die Versorgung einer intraartikulä-
Gerade am Anfang kann die Orientierung und damit die Be- ren Radiusfraktur durch eine Spickdrahtosteosynthese.
stimmung der korrekten Drahtrichtung schwierig sein. Hier
hilft die Orientierung am Radiusschaft. Ggf. kann auch ein Spickdrahtentfernung
Draht mit Klebeband in der vorgesehenen Richtung auf die Die Spickdrahtentfernung kann bei tastbaren Spickdrahten-
Haut aufgeklebt und die Position mit der Durchleuchtung gesi- den in örtlicher Betäubung ambulant durchgeführt werden.
chert bzw. ggf. korrigiert werden. Das Kürzen der Drähte sollte Lediglich bei »gewanderten« Spickdrähten, die nach intraossär
sorgfältig erfolgen, im eigenen Vorgehen werden die Drähte verlagert sind, ist eine Entfernung in Regionalanästhesie oder
subkutan versenkt. Die Haut und die Weichteile sollten aber Vollnarkose im Operationssaal erforderlich.
auf alle Fälle spannungsfrei zu liegen kommen (ggf. Inzision Die Spickdrahtentfernung wird etwa 4–6 Wochen nach der
verlängern). Versorgung durchgeführt und richtet sich im Wesentlichen

a b c

d e f

⊡ Abb. 8.63a–f. Röntgenverlauf Kapandji-Technik. Distale intraartikuläre Radiusfraktur (AO23 C1). a,b Unfallbilder. c,d Versorgung. e,f Nach 6 Wo-
chen ist die Fraktur fest verheilt, die Funktion des Handgelenks ohne Einschränkungen wiederhergestellt. Die Spickdrähte wurden in Lokalanästhesie
4 Wochen nach der Spickdrahtosteosynthese entfernt
8.10 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
227 8
nach den lokalen Wundverhältnissen und den infrastrukturel- 8.10 Versorgung einer dislozierten distalen
len Planungen zur Durchführung dieses Eingriffs. extraartikulären Radiusextensionsfraktur mit
palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese
Durchführung: Tasten und ggf. Markieren der Spickdraht-
enden, Desinfektion des Operationsgebietes und Setzen von Vorbemerkung
Lokalanästhesie. In der Regel kann bei der Injektion das Spick- Diese seit etwa 10 Jahren zunehmend favorisierte Technik
drahtende schon »gefühlt« werden. Nach Abwartezeit steriles erlaubt es, die meist vorliegende dorsale Trümmerzone un-
Abwaschen und Abdecken des Operationsgebietes auf einem berücksichtigt zu lassen, eine zuverlässige Reposition und
Armtisch. Stabilisierung durch das winkelstabile Implantat zu erreichen
Der Eingriff wird unter sterilen Kautelen mit Haube, Mund- und eine ausreichende Abdeckung des Implantates durch den
schutz, Kittel und sterilen Handschuhen durchgeführt. Im Ide- M. pronator quadratus zu haben, so dass Sehnenirritationen
alfall Tasten des Spickdrahtendes und Anspannen der Haut, und die Notwendigkeit einer sekundären Implantatentfernung
Stichinzision mit einem Skalpell Größe 11. Bei gut überste- minimiert werden. Die Vorteile dieses Verfahrens liegen in der
henden Drähten lässt sich der Draht durch Manipulation der Möglichkeit, eine funktionelle Nachbehandlung ohne weitere
Haut vorverlagern und problemlos fassen. Ansonsten Eingehen Gipsruhigstellung durchführen zu können.
mit einem Klemmchen und Spreizen der Weichteile, bis das
Drahtende identifiziert ist. Schwierig kann die Identifikation
der Drahtrichtung sein. Hierzu müssen die aktuellen Röntgen- Indikation
bilder sichtbar sein, um eine ausreichend genaue Orientierung Die Indikationen werden derzeit relativ weit gestellt und um-
im Raum zu erreichen. Ist die Orientierung klar, wird mit der fassen dislozierte Radiusextensionsfrakturen vom Typ B und
spitz zulaufenden Flachzange eingegangen und der Draht in C, gelegentlich auch Typ A, um die Vorteile einer frühfunkti-
Längsrichtung gefasst und unter leicht rotierenden Bewegun- onellen Nachbehandlung nutzen zu können. Bei ausgeprägten
gen extrahiert. dorsalen Trümmerzonen muss einkalkuliert werden, dass eine
Gegebenenfalls kann das Auffinden schwierig sein, hier ist indirekte Reposition der Gelenkfläche von volar her ggf. nicht
es sinnvoll, die Inzision etwas zu verlängern und ggf. kleine gelingt und eine zusätzliche dorsale Freilegung, ggf. auch Stabi-
scharfe Haken durch einen Assistenten einsetzen zu lassen. lisierung nötig wird. Diese Frakturen, wie auch alle Frakturen
Ist der Draht per se nicht tastbar, wird er unter Bildwandler mit multifragmentären Gelenkbrüchen, stellen Operationen
aufgesucht, am liegenden Arm wird dann zunächst eine Kanüle des hohen Schwierigkeitsgrades dar und sollten immer durch
in Verlängerung des Drahtes eingestochen und möglichst mit erfahrene Kollegen begleitet werden!
der Spitze das Drahtende erreicht. Ist die Orientierung weiter-
hin schwierig, wird zunächst in einer Ebene mit einer Kanüle
markiert und dann in der zweiten Ebene mit einer zweiten Operationsvorbereitung
Kanüle die Feinausrichtung vorgenommen. Hautinzision dann Aufklärung
im Bereich des Austritts der Kanüle aus der Haut und Spreizen Typische Komplikationsmöglichkeiten sind:
entlang der Kanüle, bis der Draht gefunden wurde. Alternativ ▬ Gefäß- und Nervenschaden, v. a. Nervus medianus bei un-
kann auch eine orthograde Einstellung des Spickdrahtes mit günstigem Hakenzug sowie eine Verletzung der A. radialis
dem Bildwandler die Orientierung erleichtern. ▬ Unzureichend Reposition
Die komplette Entfernung aller Drähte wird mit einer Bild- ▬ Pseudarthrosenbildung, z. B. bei Implantatversagen
wandleraufnahme in einer Ebene dokumentiert (Ausdruck für ▬ Gegebenenfalls Sehnenirritation auf der Dorsalseite bei
die Akte). Spülung und Hautverschluss mit Einzelnaht, bei der Schraubenperforation bis hin zu Sehnenrupturen
kleinen Inzision kann ggf. auch mit Klammerpflaster verschlos- ▬ Wund-, Weichteil-, selten Knocheninfekte
sen werden.
Diagnostik und Planung
Weiterbehandlung Vor dem Operationstag, wenn keine Versorgung unmittelbar
Bei sehr guter Beweglichkeit kann auf eine krankengymnasti- nach dem Unfall erfolgte, sollte die Schwellung ausreichend
sche Nachbehandlung verzichtet werden, ansonsten wird kran- zurückgegangen sein. Die örtlichen Hautverhältnisse sowie die
kengymnastische Bewegungstherapie und vorsichtige Gelenk- Durchblutung, Motorik und Sensibilität der Hand werden ex-
mobilisation rezeptiert. Der Patient sollte die Hand zunehmend akt geprüft und dokumentiert. Bei extraartikulären Frakturen
schmerzabhängig einsetzen und wird zu eigenständigen Bewe- sowie Frakturen mit minimaler Gelenkverschiebung sind als
gungsübungen angehalten. Diagnostik gut eingestellte Nativaufnahmen des Handgelenks
in 2 Ebenen ausreichend. Bestehen Gelenkfrakturen, sollte zur
exakten Planung eine Computertomographie erfolgen.
228 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Im Operationssaal Operationstechnik
Lagerung Nach Anlage der Blutsperre Inzision auf die Sehne und im Seh-
Der Patient wird in Rückenlage auf dem Normaltisch ge- nenbett unter Retraktion der Sehne nach ulnar, ggf. auch radial
lagert, der betroffene Arm auf einem Armtisch ausgelagert vorsichtiges Eingehen in die Tiefe, Darstellen des M. pronator
(⊡ Abb. 8.64). Auf ausreichende Durchleuchtungsmöglichkeit quadratus. Dieser ist durch seine parallelen, quer zum Unterarm
muss geachtet werden! verlaufenden Muskelfasern gut erkennbar. Retraktion der Weich-
teile nach radial und Aufsuchen des radialen Ursprungs. Hier
Zugang wird der Muskel scharf vom Knochen abgelöst und mit 2 Halte-
Als Zugang wird der palmare Zugang gewählt, der sich im fäden gefasst. Er wird nach ulnar hin abgeschoben (⊡ Abb. 8.65).
Wesentlichem am Verlauf der Sehne des M. flexor carpi ra- Damit ist die Fraktur exponiert und der Frakturspalt erkennbar.
dialis orientiert. Der zur Darstellung des Radius abgehobene Da die Kortikalis in der Regel übereinander geschoben ist und
M. pronator quadratus bedeckt später die Platte. Daher sind der Gelenkblock nach dorsal verkippt ist, ist das Ausmaß der
nach diesem Zugang Weichteilirritationen eher die Ausnahme. Fraktur von palmar her nicht direkt erkennbar.

M. flexor carpi radialis

⊡ Abb. 8.64. Lagerung und Landmarken. Das


Handgelenk wird mit einer kleinen Tuchrolle un-
terstützt und der Verlauf der Sehne des M. flexor
carpi radialis getastet und markiert. Es sollte keine
Verwechslung mit der Sehne des M. palmaris lon-
gus erfolgen, da der N. medianus in unmittelbarer
Nähe liegt

M. pronator quadratus

⊡ Abb. 8.65. Ablösung des M. pronator quadratus.


Die Präparation erfolgt im Bett der Sehne des
M. flexor carpi radialis. Nach Eröffnung der dorsalen
Sehnenscheide sind die querverlaufenden Fasern
des M. pronator quadratus zu erkennnen. Der Mus-
kel wird am radialen Rand scharf vom Knochen ab-
gelöst, mit Fäden armiert und nach ulnar retrahiert.
So kommt die Fraktur zur Darstellung
8.10 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
229 8
Reposition/Stabilisierung
Im Zuge der Fixation der Platte an den Schaft wird, unterstützt
durch manuelle Repositionsmaßnahmen, bei anatomisch ausge-
richteten Platten in den meisten Fällen eine ideale Einrichtung
erreicht werden. Nach Markierung der Gelenkebene, ggf. kon-
trolliert durch eine seitliche Bildwandleraufnahme, wird nun
eine geeignete Platte ausgewählt. Sie wird zunächst ausgerichtet
und ein weiterer Spickdraht parallel zu dem Markierungs-
spickdraht in das distale Fragment eingebracht (⊡ Abb. 8.66).
Idealerweise wird die Position so gewählt, dass der Draht durch
ein Schraubenloch eingebracht wird, damit die Plattenpositio-
nierung nicht behindert ist.
Die Position dieses Spickdrahtes wird nun nochmals im
Bildwandler kontrolliert, ggf. müssen erneut Korrekturen vor-
genommen werden bzw. bei der Besetzung der Schrauben not-
wendige Über- oder Unterkorrekturen berücksichtigt werden.
Der in das Gelenk eingesteckte Spickdraht wird dann entfernt,
die Platte in der anderen Ebene nochmals ausgerichtet und
die Führungshülsen aufgesetzt. Die entsprechende Distalisie-
rung oder Proximalisierung der Platte ist über den durch das ⊡ Abb. 8.66. Röntgenverlauf mit intraoperativer Markierung der Ge-
Loch eingebrachten Spickdraht gesichert (⊡ Abb. 8.67). Die Füh- lenkebene mit Spickdraht. Die Reposition wird indirekt über die winkel-
stablen Schrauben in der Platte vorgenommen. Da die Platte anatomisch
rungshülse wird nun genau parallel zum eingebrachten Spick-
angeformt ist, müssen die Schrauben streng parallel zur Gelenkfläche
draht ausgerichtet (Hinweis: zur Vereinfachung kann auch im eingebracht werden. Die Gelenkebene wird dazu am besten mit ei-
spickdrahtführenden Loch eine Führungshülse eingeschraubt nem dünnen (1,4–1,6 mm) Spickdraht markiert. Die Bohrungen für die
werden, wenn dieser Spickdraht ideal liegt). Die Platte kommt Schrauben erfolgen parallel zur Drahtachse
so nahezu automatisch in die richtige Lage.
! Es muss darauf geachtet werden, dass das proximale Ende
der Platte ausreichend vom Knochen absteht. Die Reposition
wird durch vorsichtiges Andrücken der Platte an den Kno-
chen erreicht.

⊡ Abb. 8.67. Platte distal verankert, Repositionsvorgang mit Tuchrolle


und Distraktion und Volarflexion. Die Platte ist distal verankert, die
Schrauben liegen parallel zur Gelenkfläche. Mit Hilfe der Tuchrolle, leich-
ter Extension und vorsichtigem Andrücken der Platte an den Schaft wird
die Reposition erreicht und durch Einbringen einer Plattenzugschraube,
bevorzugt in ein Langloch, gesichert. Durch leichtes Lösen dieser
Schraube lassen sich ggf. noch leichte Längenkorrekturen erreichen
230 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Abschließend Bildwandlerkontrolle in exakt 2 Ebenen, Doku-


mentation der Bilder, Prüfen der Handgelenksbeweglichkeit
und sorgfältigste Prüfung zum Ausschluss der Perforation
einer Schraube in die dorsalen Sehnenfächer (⊡ Abb. 8.68
und 8.69).

Wundverschluss/Verband
Eröffnen der Blutsperre, Kontrolle auf Bluttrockenheit und Spü-
lung, Einlage einer Redon-Drainage 10 Charr., der M. pronator
quadratus wird über die Platte gelegt und mit 3 resorbierbaren
Nähten am Periost refixiert. Ein Verschluss der Sehnenscheide
des M. flexor carpi radialis muss nicht durchgeführt werden,
Subkutannähte und Hautverschluss mit Rückstichnaht, steriler
trockener Verband.
⊡ Abb. 8.70 zeigt beispielhaft die Versorgung einer extraar-
tikulären Radiusextensionsfraktur durch eine Plattenosteosyn-
a these.

Postoperativ
8 Probleme
Probleme sind bei korrekter Operationstechnik eher selten.
Gelegentlich treten bei nicht atraumatischer Operationstechnik
Irritationen des N. medianus auf. Problematisch sind dorsal
überstehende Schraubenspitzen, die zu Irritationen, gelegent-
lich auch zu Rupturen der Strecksehnen führen können. Sollten
Beschwerden auftreten, wird eine frühzeitige Implantatentfer-
nung empfohlen.

Nachbehandlung
Postoperativ wird die Anlage einer dorsalen Gipslagerungs-
schiene empfohlen, um die Schmerzen zu minimieren. Diese
Schiene wird für Bewegungsübungen abgenommen.
Verbandswechsel am 2. postoperativen Tag, dann Ziehen
b der Redon-Drainage und Pflasterverband, krankengymnasti-
sche und eigenständige Bewegungsübungen ohne Schiene. Zur
⊡ Abb. 8.68a,b. Röntgendarstellung der Reposition. a Platte distal ver- Nacht und zur Schmerzreduktion intermittierende Anlage der
ankert. b Platte an den Schaft gedrückt und verschraubt dorsalen Gipsschiene.
Bei den eigenen Patienten wird am 2. Tag eine Kunststoffla-
gerungsschiene angefertigt, die der Patient selbständig an- und
abwickeln kann.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Regelmäßige Wundkontrollen.
Fadenzug nach 10–14 Tagen.
Krankengymnastisch angeleitete Bewegungsübungen sofort.
Röntgenkontrolle nach 4 Wochen.
Intensivierte Krankengymnastik zur Wiedererlangung des voll-
ständigen Bewegungsausmaßes nach 4–6 Wochen.
⊡ Abb. 8.69. Reposition. Schematische Darstellung der reponierten und Implantatentfernung nur bei Beschwerden, i. d. R. dann nach
stabilisierten Fraktur 1 Jahr.
8.10 · Offene Reposition und Plattenosteosynthese der Humerusschaftfraktur
231 8

a b c

d e f

⊡ Abb. 8.70a–f. Röntgenverlauf. Dislozierte distale extraartikuläre Radiusextensionsfraktur. a,b Unfallbilder. c,d Reposition im Gips. e,f Postoperative
Bilder nach Plattenosteosynthese
232 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

8.11 Operative Stabilisierung der – Lokale Wund-, Weichteil- und auch Knocheninfekte
frischen Kahnbeinfraktur durch – Gefäß- und Nervenverletzungen, v. a. Ramus superficialis
Zugschraubenosteosynthese des Nervus radialis und Arteria radialis
▬ Spezifische Komplikationen
Vorbemerkung – Selten Sehnenverletzungen
Die Kahnbeinfraktur ist die häufigste Fraktur der Handwurzel. – Verzögerte Frakturheilung bis hin zur Pseudarthrosen-
Bedingt durch die großen Gelenkanteile der Knochenoberflä- bildung trotz Osteosynthese mit der Notwendigkeit von
che, der großen Mobilität und der spezifischen Blutversorgung Folgeeingriffen
von distal her stellt sie aber eine »kritische Verletzung« dar, mit – Überstehende Implantate können ggf. eine Implantatent-
einer hohen Rate von verzögerten Frakturheilungen, Pseudar- fernung nötig machen, die bei korrekter Schraubenlage
throsenbildung und im Endstadium sogar der Möglichkeit des und Beschwerdefreiheit des Patienten nicht indiziert ist
karpalen Kollaps. – Partialnekrose des Skaphoids mit der Notwendigkeit von
Nachoperationen, ggf. stabilisierend bis hin zur Arthro-
dese
Indikation – Implantatbrüche
Die konservative Therapie ist langwierig, eine 12-wöchige Ru-
higstellung wird empfohlen, sowohl im Oberarm- als auch Diagnostik und Planung
Unterarmgipsverband, wobei nach diesen Ruhigstellungszeiten Vor dem Operationstag, da dieser Eingriff häufig ambulant
mit einer hohen Rate von Muskelatrophien und ruhigstel- durchgeführt wird, muss im Rahmen des Vorbereitungsgesprä-
lungsbedingten (Bewegungs-)Einschränkungen der beteiligten ches die DMS der Hand geprüft und dokumentiert werden. Die
8 Gelenke gerechnet werden muss. Daher wird die Indikation zur lokale Schwellung und Weichteilbeschaffenheit ist zu prüfen.
operativen Stabilisierung von frischen Frakturen zunehmend
großzügig gestellt und besteht auf alle Fälle bei:
▬ Verschobenen Frakturen einschließlich Diastasen Im Operationssaal
▬ Offenen Frakturen und Kombinationsverletzungen Lagerung
Der Eingriff wird in Rückenlage auf dem Armtisch in Blutsperre
Aber auch bei unverschobenen oder wenig verschobenen Frak- durchgeführt (⊡ Abb. 8.71). Eine ausreichende Durchleuchtungs-
turen kann nach einer erfolgreichen Zugschraubenosteosyn- möglichkeit der Handwurzel einschließlich der Möglichkeit einer
these auf eine Ruhigstellung verzichtet werden, in vielen Fällen Schrägprojektion muss gegeben sein und sollte vor der Abde-
ist sogar der Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nach 4 Wochen ckung geprüft werden.
realisierbar, was im Vergleich zu einer 4- bis 6-monatigen Ar- Der Eingriff kann sowohl in Regional- als auch in Vollnar-
beitsunfähigkeit bei konservativer Behandlung durchaus ein kose durchgeführt werden. Es ist auf die Vollständigkeit der
wichtiges Argument für die Operation sein kann. bildgebenden Diagnostik zu achten.
Im Folgenden wird die operative Versorgung der typischen
Querfraktur im mittleren Drittel über einen dorsalen Zugang Zugang
mit einem kanülierten Doppelgewindeschraubensystem vor- Die Tabatiere wird aufgesucht und ggf. der Verlauf der Sehne
gestellt (AO Typ B2). Insbesondere bei Frakturen des distalen, des M. abductor pollicis longus und abductor pollicis brevis
speziell aber auch des proximalen Drittels sowie bei Mehrfrag- angezeichnet. Nach Anlage der Blutsperre (Arm ausreichend
ment- und Trümmerfrakturen müssen spezielle Techniken an- lange – mindestens 1–2 Minuten – elevieren), ggf. nach proxi-
gewendet werden, ggf. auch über palmare Zugänge oder Kom- mal hin »ausstreichen«, um blutarme Verhältnisse zu erreichen.
binationszugänge. Hier handelt es sich jedoch um Eingriffe aus Dann Aktivieren der Blutsperre. Der Zugang erfolgt längs, etwa
dem Bereich der speziellen Handchirurgie. 5 cm lang, direkt über der Tabatiere.

Operationstechnik
Operationsvorbereitung ⊡ Abb. 8.72 und 8.73
Aufklärung
Da bei wenig verschobenen Frakturen prinzipiell auch eine
konservative Therapie möglich ist, muss ein intensives Ge-
spräch mit dem Patienten erfolgen, das auch die persönlichen
Lebensumstände, die berufliche Tätigkeit und das Anforde-
rungsprofil umfasst. In den meisten Fällen stellt die Option der
operativen Stabilisierung und der frühfunktionellen Behand-
lung die sichere und für den Patienten angenehmere Therapie-
option dar.
▬ Allgemeine Operationsrisiken
– Thromboembolische Komplikationen (an der oberen Ex-
tremität sehr selten)
8.11 · Operative Stabilisierung der frischen Kahnbeinfraktur durch Zugschraubenosteosynthese
233 8

Sehne des
M. flexor
carpi radialis

⊡ Abb. 8.71. Lagerung, Abdeckung und Orientierungspunkte. Der Pa- ⊡ Abb. 8.72. Hautinzision und Exposition Kahnbein. Nach der Hautinzi-
tient liegt in der Rückenlage auf dem Normaltisch. Der betroffene Arm sion wird die Sehnenscheide des M. flexor carpi radialis eröffnet und die
ist auf einem Armtisch ausgelagert. Das Handgelenk wird auf einer klei- Sehne retrahiert. Nach Längsinzision des Sehnengrundes erreicht man
nen Tuchrolle überstreckt. Die Orientierung erfolgt entlang der Sehne direkt das Kahnbein
des M. flexor carpi radialis

⊡ Abb. 8.73. Tiefe Präparation. Das Kahnbein wird sparsam im Fraktur-


bereich freigelegt. Eine weite Ablösung sollte auf alle Fälle vermieden
werden, um die Blutversorgung der Fragmente nicht zusätzlich zu ge-
fährden
234 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Reposition/Stabilisierung
Bei Frakturen im mittleren Drittel kann man durch Retraktion
der Gelenkkapsel einen ausreichenden Überblick über die Frak-
tur erlangen, so dass unter Einsatz des Zahnarzthakens und des
Elevatoriums die Fraktur reponiert werden kann. Die Ausräu-
mung von Frakturhämatomen erfolgt sparsam, eine Freilegung
sollte auf alle Fälle vermieden werden. Mit Einsatz eines feinen
gebogenen Hakens in den proximalen Pol kann eine Kompres-
sion der Fraktur erreicht werden, bei instabiler Situation wird
zunächst vorläufig mit einem Spickdraht (1,2 oder 1,4 mm)
stabilisiert (⊡ Abb. 8.74).
Da moderne Doppelgewindeschraubensysteme kanüliert
sind, kann oftmals aber auch schon primär der Führungsdraht
direkt eingesetzt werden. Er misst nur 1,9 mm Durchmesser
und sollte dementsprechend eher »kurz eingespannt« werden,
um eine ausreichende Navigationskontrolle zu erreichen. Er
sollte parallel zur Längsachse des Kahnbeins verlaufen und die
Frakturfläche möglichst senkrecht überqueren.
Sind die Drähte positioniert (⊡ Abb. 8.75), erfolgt die Bild-
wandlerkontrolle in mehreren Ebenen, die einerseits die kor-
8 rekte Position des Skaphoids mit anatomischer Reposition si-
chert und andererseits die korrekte Länge des Spickdrahtes, der
zwar in der Gegenkortikalis des proximalen Pols verankert sein,
⊡ Abb. 8.74. Instrumentarium: »Herbert-Schraube« (Doppelgewinde-
schraube). Das Instrumentarium der Doppelgewindeschraube erlaubt
diesen aber nicht überragen sollte, demonstriert (⊡ Abb. 8.76).
eine Kompression der Fragmente und dient gleichzeitig als Zielinstru- ! Sind Nachrepositionen nötig, sollte sehr vorsichtig vorgegan-
mentarium für die Bohrung. Moderne Versionen der Schraube sind kanü-
liert, damit über einen Führungsdraht auch eine perkutane Applikation,
gen werden, um nicht durch den übermäßigen Einsatz von
z. B. bei unverschobenen Frakturen, möglich ist zusätzlichen Spickdrähten die Knochenstruktur weiter zu stören
bzw. die Blutversorgung der Fragmente zu reduzieren.

⊡ Abb. 8.75a,b. Repositionsstellung und eingebrachter Führungsdraht. a Die Fraktur ist reponiert, der Führungsdraht eingebracht und überbohrt.
b Die Schraube wird eingebracht und soweit eingedreht, dass das zweite Gewinde vollständig im Knochen verschwindet. Damit ist die maximale
Kompression erreicht, ohne dass ein störender Schraubenkopf die Knochenoberfläche überragt
8.11 · Operative Stabilisierung der frischen Kahnbeinfraktur durch Zugschraubenosteosynthese
235 8

a b c

d e f

g h i

⊡ Abb. 8.76a–j. Röntgenverlauf einer perkutanen Skaphoidverschraubung. a Unverschobene,


6 Wochen alte Skaphoidfraktur mit ausbleibender Heilung. Ansicht im CT-Schnitt. b,c Es besteht
eine Indikation zur perkutanen Schraubenosteosynthese. Der Führungsdraht wird eingebracht und
seine korrekte Lage in beiden Ebenen kontrolliert. d Mit dem speziellen Längenmessgerät wird die
Länge der Schraube gemessen. e,f Je nach verwendetem System wird nach Überbohrung mit dem
kanülierten Bohrer die Schraube eingebracht (Kontrolle der Schraubenlage in beiden Ebenen).
g,h Die Schraube darf bei korrekter Lage nicht überstehen. i,j Kontrolle nach weiteren 6 Wochen,
j
die Fraktur ist zwischenzeitlich verheilt
236 Kapitel 8 · Verletzungen der oberen Extremitäten

Bei ideal liegendem Draht wird nun hierüber eine Längenmes- Behandlung der Kahnbeinpseudarthrose (Spaninterposition,
sung durchgeführt und eine entsprechende Schraube, je nach Plattenosteosynthese etc.) zurückgegriffen werden.
Frakturform 2–4 mm kürzer als der gemessene Längsdurch-
messer des Skaphoids, gewählt. Es ist darauf zu achten, dass Nachbehandlung
beide Gewindeanteile sicher jenseits der Frakturebene liegen ▬ Operationstag: Direkt postoperativ DMS-Kontrolle. Der
und das Skaphoid nicht überragen. Patient sollte die Finger bewegen, der Arm wird hochgela-
Je nach System erfolgt nun eine Überbohrung mit einem gert. Da der Eingriff in vielen Fällen ambulant durchgeführt
kanülierten Bohrer, wobei darauf zu achten ist, dass es wäh- wird, muss der Patient instruiert werden, dass u. U. in den
rend des Bohrvorgangs nicht zu einer Rotation der Fragmente Abendstunden der elastische Verband gelockert werden
kommt. Ein zusätzlich eingebrachter Hilfsspickdraht kann diese muss, ansonsten erfolgt ein Verbandswechsel.
Rotationsbewegung zuverlässig verhindern. Eine weitere Ge- ▬ Postoperativer Tag 1: Hier kann die Wunde mit einem
fahr besteht darin, beim Entfernen des Bohrers den Spickdraht Pflasterverband abgedeckt werden. Soll eine kurzfristige
ebenfalls herauszuziehen. Hier muss durch einen zusätzlichen Ruhigstellung zur Schmerzreduktion erfolgen, wird eine
Draht, der durch die Bohrmaschine in den kanülierten Bohrer dorsale Unterarmgipsschiene angepasst, sie kann durch den
eingeführt wird, die Position des Zieldrahtes beim Herauszie- Patienten selbstständig abgenommen werden.
hen des Bohrers gesichert werden.
Die Schraube der entsprechenden Länge wird über den Weiterbehandlung/Arztbrief
Führungsdraht eingebracht und zunächst soweit eingedreht, Die Fäden werden 10–14 Tage postoperativ entfernt. Bei un-
dass das Gegengewinde den distalen Pol sicher fasst, aber der verschobenen Frakturen wird vor Wiedereintritt der Arbeits-
Kopf noch nicht komplett im Knochen verschwindet. In dieser fähigkeit nach 4 Wochen eine Röntgenkontrolle durchgeführt,
8 Situation sollte schon eine leichte Kompression im Bereich ansonsten wird nach 6 und 12 Wochen eine Röntgenkontrolle
des Frakturspaltes erkennbar sein. Jetzt muss der Hilfsdraht veranlasst.
entfernt werden, um eine »Sperre« zu vermeiden. Das weitere Kann nach 12 Wochen eine knöcherne Durchbauung noch
Eindrehen der Schraube muss nun sehr vorsichtig erfolgen, um nicht gesichert werden, wird zusätzlich eine computertomogra-
eventuell auftretenden Rotationsbewegungen der Fragmente phische Untersuchung durchgeführt.
entgegenwirken zu können. Die Fraktur sollte nun gut unter In der Nachbehandlungszeit wird der Patient angehalten,
Kompression kommen. Die Schraube wird soweit eingedreht, den Arm für alltägliche Verrichtungen schmerzadaptiert einzu-
dass sie 1 mm tiefer, zumindest jedoch eben mit der Kortikalis setzen, ggf. unter Anlage der dorsalen Unterarmgipsschiene für
abschließt. Der Frakturspalt sollte gut komprimiert und stufen- den Zeitraum von 2 bis maximal 4 Wochen zur Schmerzstillung.
und distanzfrei zur Darstellung kommen. Die Schiene wird regelmäßig zweimal täglich abgenommen und
Der Führungsspickdraht wird entfernt und die Implan- eigenständige Bewegungen des Handgelenks durchgeführt.
tatlage sowie die anatomische Reposition durch eine erneute Eine weitergehende krankengymnastische Therapie wird
Durchleuchtung in mehreren Ebenen gesichert. Dokumenta- bei den eigenen Patienten nur bei Vorliegen von Bewegungs-
tion der entsprechenden Bilder. Mit dem Elevatorium wird einschränkungen frühestens nach 6 Wochen verordnet.
sehr sorgfältig die stufenfreie Gelenkfläche gesichert und nach
Spülung des Gelenks die Blutsperre eröffnet.
Literatur
Wundverschluss/Verband Rüedi T (2008) AO-Prinzipien des Frakturmanagementes. Thieme, Stuttgart
Scharf H, Rüter A, Pohlemann T, Marzi M, Kohn D, Günther HP (2008) Orthopä-
Nach ausgiebiger Spülung wird i. d. R. nur die Haut mit Ein-
die und Unfallchirurgie: Facharztwissen nach der neuen Weiterbildungs-
zelknopfnähten verschlossen. Auf eine Redon-Drainage wird ordnung. Elsevier, München
meist verzichtet. Nach der sterilen Abdeckung wird ein leichter Schmit-Neuerburg KP, Letsch R, Towligh H (2001) Tscherne Unfallchirurgie.
Druckverband angelegt. Dieser kann nach einigen Stunden, Ellenbogen, Unterarm, Hand. Springer, Berlin Heidelberg New York
falls der Patient Beschwerden angibt, gelockert werden.

Postoperativ
Probleme
Probleme können auftreten, wenn bei unzureichender Reposi-
tion eine geschlossene Verschraubung versucht wird. Im Zwei-
felsfall sollte die Repositionsgüte offen kontrolliert werden.
Bestehen Trümmerzonen und damit kein ausreichend stabi-
ler Kontakt der Hauptfragmente unter Kompression, ist das
beschriebene Osteosyntheseverfahren überfordert. In diesen
Fällen ist eine andere Osteosynthesetechnik, z. B. die Plattenos-
teosynthese zu bevorzugen. Bei älteren Frakturen, insbesondere
bei ausgedehnten Zystenbildungen, muss ggf. auf Verfahren zur
9

Verletzungen der unteren Extremitäten

9.1 Osteosynthese einer medialen Schenkelhalsfraktur – 238

9.2 Versorgung einer medialen dislozierten Schenkelhalsfraktur


mit Duokopfprothese – 245

9.3 Versorgung einer pertrochantären Femurfraktur


mit dynamischer Hüftschraube – 252

9.4 Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur


mit proximalem Femurnagel – 259

9.5 Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur


mit antegrader Oberschenkelnagelung – 267

9.6 Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur


mit winkelstabiler Plattenosteosynthese – 275

9.7 Patellafraktur (Zuggurtungsosteosynthese) – 281

9.8 Versorgung der Tibiakopffraktur – 284

9.9 Stabilisierung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur


mit Marknagelosteosynthese – 293

9.10 Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur – 300

9.11 Operative Versorgung einer Fersenbeinfraktur – 308


238 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

9.1 Osteosynthese einer medialen


Schenkelhalsfraktur

Vorbemerkung
Die Inzidenz der medialen Schenkelhalsfraktur steigt derzeit
im Rahmen der sich ändernden Altersstrukturen deutlich an.
Bei geschwächter Knochenstruktur tritt sie in der Regel als Bie-
gungsfraktur schon bei Bagatelltraumen auf. Bis vor wenigen
Jahren wurde im deutschen Sprachraum fast ausnahmslos der
endoprothetische Hüftgelenksersatz als Therapieoption bevor-
zugt. Auf Grund der ermutigenden Ergebnisse aus dem skandi-
navischen Raum und der für die Patienten deutlich weniger be-
lastenden Operationen finden rekonstruktive Verfahren wie die
minimalinvasive perkutane Schenkelhalsverschraubung oder
alternativ die Versorgung mit der dynamischen Hüftschraube
zunehmend Verbreitung. Eine Reihe von Untersuchungen zei-
gen, dass zur Vermeidung einer Sekundäroperation auf Grund
von sich entwickelnden Hüftkopfnekrosen oder ausbleibender
Heilung die Indikation differenziert betrachtet werden sollte.

Indikation
In der eigenen Klinik wird die Schenkelhalsosteosynthese bei
9 folgenden Indikationen durchgeführt (⊡ Abb. 9.1):
▬ Immer bei Frakturen Typ Garden I und II unabhängig von
dem Intervall nach Unfall
▬ Frakturen Typ Garden III i. d. R., wenn der Unfall weniger
als 6 h, längstens 12 h zurückliegt
▬ Patienten im guten Allgemeinzustand mit biologischem
Alter unter 60 Jahren
▬ Bei Patienten ohne Nebenerkrankungen im Alter unter 50
Jahren bei allen Frakturtypen

Operationsprinzip
Im Standardvorgehen wird eine geschlossene Reposition auf
dem Extensionstisch durchgeführt und im Bildwandler in bei-
den Ebenen das Repositionsergebnis gesichert und dokumen-
tiert. Es erfolgt eine perkutane Versorgung mit kanülierten
Schrauben oder Bolzen, die sich im Sinne einer Dreipunkt-
abstützung am Adam-Bogen und an der lateralen Kortikalis
des Oberschenkels abstützen. Bei jungen Patienten bzw. bei
Vorliegen von Trümmerzonen im Schenkelhals, die eine sichere
Dreipunktabstützung verhindern, wird alternativ die dynami-
sche Hüftschraube mit oder ohne zusätzliche Zugschraube ein-
gesetzt.
9.1 · Osteosynthese einer medialen Schenkelhalsfraktur
239 9

⊡ Abb. 9.1a–c. Einteilung der Schenkelhalsfrakturen nach Garden – Typ Garden III: komplette Fraktur mit »teilweiser Verschiebung« (medi-
(1964). Der Zeichnung (a) sind jeweils beispielhafte Röntgenaufnahmen ale Trabekel nicht in Kontinuität)
in der a.p. (b) und seitlichen (c) Projektion beigefügt. – Typ Garden IV: komplette Fraktur, komplette Verschiebung (Kopf
– Typ Garden I: inkomplette Fraktur, valgisiert eingestaucht wieder in die ursprüngliche Position im Azetabulum zurückgeglit-
– Typ Garden II: komplette Fraktur, »unverschoben« ten)
240 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Aufklärung Lagerung
Die Aufklärung sollte vermitteln, dass einerseits keine akzep- Die Lagerung erfolgt auf dem Extensionstisch mit etwa 20–30°
table konservative Therapieoption besteht, mit dem perkutan Abduktion des betroffenen Beins (⊡ Abb. 9.2). Auf eine ausrei-
durchführbaren Eingriff andererseits eine relativ verlässliche chende Polsterung des Zentralpollers muss geachtet werden,
Option zur späteren Frühmobilisation und Rehabilitation exis- um Druckschäden des Nervus pudendus zu vermeiden. Das
tiert. Risiken sind: gegenseitige Bein wird bei ausreichender Beweglichkeit in der
▬ Thrombose/Embolie gynäkologischen Beinstütze in der Hüfte gebeugt, um eine bes-
▬ Ausriss der Implantate mit ggf. erneuter Operation und sere Einstellungsmöglichkeit für die seitliche Durchleuchtung
endoprothetischem Ersatz zu bekommen.
▬ Hüftkopfnekrose (frühestens 3–6 Monate postoperativ er- Bevor mit der Abdeckung begonnen wird, erfolgt die Kon-
kennbar) mit Notwendigkeit eines nachfolgenden Hüftge- trolle der Bildwandlereinstellung und Reposition der Fraktur
lenksersatzes (⊡ Abb. 9.3). Dazu wird zunächst in a.p. Durchleuchtung durch
▬ Irritationen am Tractus iliotibialis durch Zusammensinte- Regulierung von Abduktion/Adduktion und Extensionsstärke
rung der Fraktur und konsekutiv überstehenden Schrauben die Fraktur eingerichtet, wobei eine leichte Valgisation einer
mit ggf. Notwendigkeit einer vorgezogenen Implantatent- eher varischen Stellung vorzuziehen ist. Der Kopf sollte sich
fernung idealerweise an der lateralen Kortikalis des distalen Fragments
»aufhängen«. Danach Umschwenken des Bildwandlers in die
Zur Verringerung des Risikos einer sich sekundär durch in Dis- seitliche Projektion. Hier muss durch Innenrotation des Beins
lokationsstellung abgeknickter hüftkopfversorgender A. circum- ein Absinken des Oberschenkels kompensiert werden. Gege-
flexa femoris medialis entwickelnden Hüftkopfnekrose wird die benenfalls ist es notwendig, eine zusätzliche Beinschale am
Operation im Grundsatz als Notfalloperation günstigstenfalls Extensionsbügel einzusetzen, um den Oberschenkel anzuhe-
innerhalb von 6 h nach dem Unfall, spätestens 12 h nach dem ben. Selten gelingt die geschlossene Reposition nicht. In die-
9 Unfall bei allen dislozierten Frakturen (Garden III und IV) sen Fällen muss Vorbereitung getroffen werden, intraoperativ
durchgeführt. Eingestauchte Frakturen (»Abduktionsfraktur«) durch Eröffnung der ventralen Hüftgelenkskapsel eine offene
können auch nach entsprechender Vorbereitung im elektiven Reposition durchzuführen.
Operationsprogramm operiert werden. Nach Sicherung der Repositionsstellung Fixieren aller Ge-
lenke des Extensionstisches und steriles Abwaschen und Ab-
Diagnostik und Planung decken.
Da es sich in der Regel um geriatrische Patienten handelt, muss Die Operation kann auch simultan mit 2 Bildwandlern oder
eine umfassende Untersuchung zur Sicherung der allgemeinen mithilfe eines biplanaren Bildwandlers durchgeführt werden.
Operationsfähigkeit durchgeführt werden. Die Anlage eines Hierzu sind spezielle Abdeckungen nötig, ggf. ist die Aktions-
transurethralen Blasenkatheters ist empfehlenswert. freiheit des Operateurs etwas eingeschränkt. Vorteile liegen in
der besseren Visualisierung beider Ebenen gleichzeitig. In zu-
nehmendem Maße kommen auch Navigationsgeräte zum Ein-
satz, auf Grund der speziellen Vorbereitungen haben sie sich
aber noch nicht im allgemeinen Routineeinsatz durchgesetzt.

⊡ Abb. 9.2. Lagerung auf Extensionstisch und


Bildwandlereinstellungen. Der Patient wird so
gelagert, dass sowohl eine a.p. als auch seitliche
Durchleuchtung des proximalen Oberschenkels
problemlos gelingt. Der Bildwandler muss während
der Operation mehrfach »durchgeschwenkt« wer-
den«. Alternativ wird gelegentlich mit 2 stationär
eingestellten Bildwandlersystemen gearbeitet. Die
Zugänglichkeit zum Patienten ist dann allerdings
häufig etwas erschwert
9.1 · Osteosynthese einer medialen Schenkelhalsfraktur
241 9
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1.
Generation).
Nach Narkoseeinleitung (Allgemeinnarkose und Spinalan-
ästhesie sind möglich) Vorreinigung und Vordesinfektion des
Operationsgebietes, ggf. Rasur. Am betroffenen Bein wird der
Extensionsschuh nach ausreichender Abpolsterung des Fußes
angelegt und fixiert.

⊡ Abb. 9.3a–d. Repositionsvorgang. Nach der Lagerung wird zunächst


unter Bildwandlerkontrolle ein Längszug am Bein ausgeübt (a). In der
Regel ist jetzt die Abduktion des Beins unter Beibehaltung des Längs-
zuges erforderlich (b). Eine leichte »Abduktionsstellung« der Fraktur ist
dabei eher vorteilhaft. Mithilfe von Innenrotationsbewegungen wird die
Fraktur endgültig eingerichtet (c). Ist die Fraktur verhakt, sind ggf. di-
rekte Manipulationen am Oberschenkel notwendig (d), evtl. muss auch
eine zusätzliche Unterstützung am Oberschenkel angebracht werden,
d
um ein »Durchhängen« in der Fraktur zu kompensieren, ohne einen
übermäßigen Zug ausüben zu müssen
242 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Zugang ! Da die korrekte Positionierung des Führungsdrahtes es-


Es handelt sich um eine perkutane Technik, die über eine Inzi- senziell für den Erfolg der Osteosynthese ist, sollte der
sion von ca. 5 cm Länge durchgeführt werden kann. Auf Grund Zielvorgang mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt
der großen Distanzen zur Fraktur muss eine genaue Planung werden. Bei nicht ausreichender Erfahrung ist es angezeigt,
der Inzision erfolgen. Dazu wird das Tuberculum innominatum ggf. auch mehrfach die zweite Ebene im Bildwandler zu
getastet und ggf. die Mittellinie des Femurs angezeichnet, um die kontrollieren, da eine Korrektur bei schon vorhandenen
Eintrittsstelle in a.p. Ebene festzulegen. Bohrlöchern immer schwieriger wird. Besteht eine Fehlboh-
rung, ist es vorteilhaft, den fehlliegenden Draht im Bohr-
Operationstechnik loch zu belassen und erst nach endgültiger Positionierung
Jetzt Längenmessung, wobei je nach verwendetem System ggf. des korrekten Drahtes zu entfernen, um den präformierten
Zugaben oder Abzüge notwendig sind. Vom Prinzip her sollte Bohrtunnel zu blockieren.
die Schraube gerade den relativ harten subchondralen Knochen
erreichen, auf keinen Fall die subchondrale Knochenschicht per- Die Zielbohrhülse bleibt in situ; über die zweite Bohrung wird
forieren und lateral etwa 5 mm die Kortikalis überragen. Unter ein weiterer Draht mehr dorsal eingebracht, um auch in der
Bildwandlerkontrolle wird ein langer 2,0 mm Spickdraht in a.p. zweiten Ebene eine Dreipunktabstützung zu erreichen. In Aus-
Projektion in die geplante Schraubenlage projiziert. Dabei sollte nahmefällen bei sehr großem Schenkelhals kommt eine dritte
sich die Schraube auf dem Adam-Bogen abstützen. Im Schnitt- Schraube zur Anwendung.
punkt zur Oberschenkelachse liegt die erste Eintrittsstelle. Sind die Führungsdrähte sicher eingebracht und ihre Po-
Hautinzision von etwa 2 cm, Inzision des Tractus iliotibialis sition im Bildwandler in beiden Ebenen gesichert, wird mit
und Aufspreizen der Wunde transmuskulär mit der Schere bis dem kanülierten Bohrer die Bohrung durchgeführt. Gefahren
auf den Knochen (⊡ Abb. 9.4). Zur Abschätzung der Antetor- bestehen in der Verkantung des Bohrers, in Extremfällen kann
sion wird nun in Richtung des aufgelegten Drahtes ein zweiter sogar der Führungsspickdraht »abgebohrt« werden. Bei erhöh-
Spickdraht eingeführt, der immer Kontakt zur ventralen knö- tem Widerstand sollte immer unverzüglich im Bildwandler
9 chernen Begrenzung des Schenkelhalses hält und leicht in den nach der Ursache gefahndet werden. Die Bohrung wird nicht
Hüftkopf eingeschlagen wird (⊡ Abb. 9.18). Die Lage des Drah- bis zum Ende des Drahtes fortgeführt, damit der Draht nicht
tes kann bei Unsicherheit in der seitlichen Durchleuchtung herausrutscht. Sollte beim Herausziehen des Bohrers der Draht
bestätigt werden. Der Draht wird parallel zur ventralen Schen- im Bohrer verbleiben, wird ein weiterer Draht von hinten
kelhalsbegrenzung fixiert. Jetzt Eingehen mit der Zielhülse. durch die Maschine in den Bohrer eingeführt und damit der
Sie wird in der Mittellinie fest auf den Oberschenkelknochen Führungsdraht im Kanal gehalten. Sequenzielles Eindrehen
aufgesetzt und parallel zu den Referenzdrähten ausgerichtet. der Schrauben, wobei nach jeder Bohrung die Schraube direkt
Ein Führungsspickdraht oder Führungsbohrer, je nach System, eingebracht werden sollte, um eine Rotation des Schenkelhalses
wird nun schrittweise vorgebohrt und mit der Spitze in der sub- bei Anziehen der Schraube zu vermeiden.
chondralen Sklerosezone des Hüftkopfes verankert (⊡ Abb. 9.5). Die korrekte Schraubenlage wird mit dem Bildwandler in
beiden Ebenen gesichert und die Bilder zur Dokumentation
ausgedruckt. Danach steriler Verband, in der Regel reichen
Pflasterverbände. Das Bein wird aus der Extensionseinrichtung
herausgenommen und gewickelt, ggf. direkt Antithrombose-
strümpfe übergezogen. Je nach Allgemeinzustand des Patienten
postoperative Betreuung auf der Normal- oder Überwachungs-
station.
! Vorerkrankungen wie pAVK!

⊡ Abb. 9.6 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Schenkelhals-


fraktur durch eine perkutane Schraubenosteosynthese.

⊡ Abb. 9.4. Zugang und Einsetzen des Zielgerätes. Es wird eine ca.
5–10 cm lange Inzision entlang der lateralen Femurachsen, beginnend
vom Tuberculum innominatum nach distal, angelegt. Nach Spalten des
Tractus iliotibialis wird im Faserverlauf des M. vastus lateralis direkt auf
den Knochen eingegangen
9.1 · Osteosynthese einer medialen Schenkelhalsfraktur
243 9

c d

e f

⊡ Abb. 9.5a–f. Platzierung der Zieldrähte. Mit der Zielbohrbüchse wird giosastruktur). b Mit der Parallelbohrhülse lässt sich proximal dorsal ein
zunächst der Zielbohrer (ggf. auch Bohrdraht) für die distale Schraube zweiter Führungsdraht platzieren, der sich insbesondere an der dorsalen
eingebracht. Es soll eine 3-Punkt-Abstützung der Schraube resultieren Kortikalis des Schenkelhalses abstützen soll. c,d Bildwandlerkontrolle der
(Hüftkopf – distale Schenkelhalskortikalis – laterale Femurkortikalis). a Der Einbringung des 1. Zieldrahtes in a.p. (c) und seitlicher (d) Durchleuch-
Bohrer muss daher etwa 5 mm kranial der distalen Schenkelhalskortikalis tung. e Der erste Draht ist mit dem Stufenbohrer überbohrt und bleibt
verlaufen und sollte in der axialen Durchleuchtung möglichst zentral in situ. Der 2. Führungsdraht wird parallel dazu mithilfe der Doppelbohr-
liegen bzw. in den dorsalen Anteil des Hüftkopfes zielen (stabilere Spon- büchse eingebracht. f Stufenbohrung über den 2. Draht
244 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

⊡ Abb. 9.6. Röntgenverlauf. Schenkelhalsfraktur Typ Garden III bei


einer sehr mobilen 67-jährigen Patientin nach Sturz von einer Trittlei-
ter. a Beckenübersicht. b Laterale Projektion. Sofortige Versorgung mit
geschlossener Einrichtung und perkutaner Schraubenosteosynthese.
d
c,d Postoperative Verlaufskontrolle nach Mobilisation
9.2 · Versorgung einer medialen dislozierten Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese
245 9
Postoperativ 9.2 Versorgung einer medialen dislozierten
Probleme Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese
Intraoperative Probleme treten in der Regel auf, wenn keine
ausreichend exakte Reposition bzw. Bildwandlervisualisierung Vorbemerkung
erreicht wird. Hier sollte auf alle Fälle sehr exakt, Schritt für Bei einer deutlich zunehmenden Inzidenz von Schenkelhals-
Schritt, vorgegangen werden. Ist eine geschlossene Reposition frakturen auf Grund der Änderung der Bevölkerungsstruktur
nicht zu erreichen, muss ggf. die Indikation überprüft wer- muss eine differenzierte Indikationsstellung zur Versorgung
den (endoprothetischer Ersatz geeigneter?) bzw. bei jüngeren dieser Verletzung erfolgen, um einerseits eine rasche Rehabili-
Patienten eine offene Reposition durch eine ventrale Kapse- tation der geriatrischen Patienten zu erreichen und andererseits
leröffnung durchgeführt werden. Postoperative Probleme sind die Eingriffsgröße möglichst gering zu halten. Während in
meist mit dem Allgemeinzustand der geriatrischen Patienten den skandinavischen Ländern traditionell bisher nahezu aus-
verbunden. schließlich Osteosynthesen durchgeführt worden sind, wurde
im deutschen Sprachraum vorwiegend der Hüftgelenksersatz
Nachbehandlung favorisiert. Da die Osteosynthese als perkutanes Verfahren mit
▬ Operationstag: Der Patient wird sofort zu eigenständigen einer geringen Invasivität durchgeführt werden kann, kommt
Bewegungen des Beins angeregt. sie in der eigenen Vorgehensweise immer dann in Frage, wenn
▬ Postoperativer Tag 1: Krankengymnastisch assistierte Mo- relativ wenig verschobene Frakturen (Garden I und II), stärker
bilisation vor das Bett. Weitere Mobilisation unter Vollbela- verschobene Frakturen kurz nach dem Unfall mit guter Repo-
stung, bei jungen Patienten unter Teilbelastung des Beins so sitionsfähigkeit (Garden III) sowie bei jüngeren Patienten in
intensiv wie möglich. Betracht.

Postoperative Röntgenkontrollen in 2 Ebenen, dann nach 6 und


12 Wochen. Indikation
Bei Trümmerzonen im Schenkelhals zusätzlich Röntgen- In Fällen, in denen stark verschobene Frakturen des Typs
kontrolle nach Mobilisation vor Entlassung. Garden III und IV vorliegen und die Fraktur schon über 6 h
her ist, wird primär ein endoprothetischer Hüftersatz durch-
Weiterbehandlung/Arztbrief geführt. Bevorzugt wird die sog. »Duokopfprothese«, die eine
In der Regel wird eine Rehabilitationsbehandlung, ggf. auch alleinige Präparation im Schaftbereich beinhaltet und daher die
eine geriatrische Frührehabilitation angeschlossen. Eingriffsgröße im Vergleich zur Totalendoprothese der Hüfte
Stützenfreies Gehen nach radiologischer Frakturheilung deutlich reduziert. Lediglich Patienten mit bekannter sympto-
möglich. Nach Versorgung verschobener Frakturen (Garden matischer Koxarthrose bei ausreichender Mobilität werden für
III und IV) bzw. langem Intervall zur Versorgung zusätzliche einen totalendoprothetischen Ersatz vorgesehen. Im folgenden
Kontrollen nach 6 und 12 Monaten, bei wiederauftretenden Kapitel wird der typische Fall einer verzögert vorgestellten,
Schmerzen sofort. dislozierten Schenkelhalsfraktur Typ Garden IV mit Indikation
zur Versorgung mittels Duokopfprothese dargestellt.
Implantatentfernung
In der Regel werden die Implantate belassen und der Patient
entsprechend aufgeklärt. Kommt es im Zuge der Frakturhei-
lung zu einer »Sinterung« mit lateraler Reizung des Tractus ilio-
tibialis, können die Implantate nach Heilung, frühestens nach
6 Monaten, entfernt werden.
246 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Aufklärung Lagerung
Konservative Therapiealternativen bestehen nicht, so dass v. a. Bei den eigenen Patienten wird der Eingriff in Seitenlage
auf die alternative Osteosynthese versus endoprothetischen Er- durchgeführt (⊡ Abb. 9.7), die im Folgenden beschrieben wird.
satz eingegangen werden muss. Folgende Punkte sind anzu- Dies hat den Vorteil der besseren Exposition und bietet v. a.
sprechen: in Ausbildungskliniken die bessere Übersicht für Operateur
▬ Allgemeine Operationsrisiken und Assistenz. Alternativ kann der Eingriff auch in Rückenlage
– Thromboembolische Komplikationen durchgeführt werden.
– Wund-, Weichteil-, Gelenk- oder Knocheninfektion Perioperative Antibiotikaprophylaxe mit einem Cephalo-
– Nachblutung oder Serombildung sporin der 1. Generation.
– Selten Nervenschäden (Traktionsschaden Nervus ischia- Der Eingriff kann sowohl in Spinal- oder Periduralanästhe-
dicus), langwierige Rehabilitation sie als auch in Vollnarkose durchgeführt werden.
▬ Spezifische Komplikationen: Nach Narkoseeinleitung Vorreinigung des Operationsge-
– Beinlängendifferenzen bietes, ggf. Rasur. Der Patient wird auf einem regulären Tisch
– Luxationen des Gelenks, v. a. in den ersten 6–12 Wochen in die Seitenlage gebracht. Es ist auf eine ausreichende Abstüt-
– Schaftauslockerung mit Notwendigkeit der Nachfolge- zung bei frei beweglich verletztem Bein zu achten. Im Regelfall
operation werden Abstützungspolster an Thorax und Schulterblatt sowie
– Selten zunehmende Arthrose im Azetabulum mit der Symphyse und Os sacrum angebracht. Auf eine ausreichende
Notwendigkeit der Indikation zur Implantation einer To- Polsterung der unten liegenden Extremität (cave: N. peroneus!)
talprothese und insbesondere die korrekte Lage der Arme (cave: Plexus-
– Selten pulmonale Komplikationen bei der Zementein- dehnung!) ist zu achten. Der gleichseitige Arm wird über eine
bringung Stütze mit fixiertem Ellenbogen auf die Vorderseite des Körpers
▬ Beratung über die ggf. notwendige Anschlussheilbehand- angehoben.
9 lung in einer Rehabilitationseinrichtung Die Abdeckung erfolgt mit frei beweglichem Bein, die Tro-
chanterregion muss gut zugänglich sein.
Diagnose und Planung
In der Regel handelt es sich um multimorbide Patienten, nicht
selten werden sie erst einige Zeit nach einem Sturz aufgefun-
den. Daher sind nach Diagnosestellung die Überprüfung und
möglicherweise Stabilisierung des Allgemeinzustandes vor-
dringlich. Idealerweise wird auch nach dieser Verletzung die
Versorgung direkt unmittelbar nach Aufnahme durchgeführt.
In vielen Fällen bestehen aber Begleiterkrankungen, die die
Einnahme von oralen Antikoagulantien notwendig machen, so
dass zumindest eine Normalisierung der Gerinnungssituation
vorgeschaltet werden muss.
Zur Diagnostik werden eine Beckenübersichtsaufnahme so-
wie eine Aufnahme der betroffenen Hüfte axial durchgeführt.
Idealerweise sollte während der a.p. Aufnahme des Beckens
eine passive Innenrotation beider Oberschenkel durchgeführt
werden, um eine optimale Darstellung des Schenkelhalses zu
ermöglichen (erkennbar am »Verschwinden« oder »Kleiner-
werden« des Trochanter minor). Anhand dieser Aufnahmen
lässt sich schon eine grobe Schätzung der Prothesengröße vor-
nehmen, insbesondere ist die Form des Markraums zu beach- ⊡ Abb. 9.7. Lagerung. Der Patient wird in der Seitenlage gelagert. Es
erfolgt eine gute Abstützung, damit der Patient unter der Abdeckung
ten. Meist werden zementierte Prothesen eingesetzt; nur bei
nicht »kippt«. Das betroffene Bein ist beweglich abgedeckt. Der Opera-
einer ideal konvergierenden (»trichterförmigen«) Schaftgeome- teur steht dorsal, der erste Assistent gegenüber. Wichtigste Landmarke
trie können bei jüngeren Patienten auch zementfreie Systeme ist der Trochanter major. Die Länge der Inzision richtet sich nach dem
zum Einsatz kommen. subkutanen Weichteilmantel und beträgt in der Regel 10–15 cm
9.2 · Versorgung einer medialen dislozierten Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese
247 9
Operationstechnik
Zugang
Der Eingriff wird mit dem geraden lateralen Zugang nach
Bauer durchgeführt. Getastet werden die Trochanterspitze so-
wie der Verlauf des Femurs. Es wird eine gerade Inzision je
nach Ausmaß des Subkutangewebes von 12–25 cm angelegt von
der Trochanterspitze nach proximal und distal.

Operationstechnik
Nach Eröffnen des Subkutangewebes wird der Tractus ilioti-
bialis dargestellt. Die Exposition ist einfach, da die Weichteile
schwerkraftbedingt nach ventral und dorsal »wegfallen«. Vor
der Inzision des Tractus iliotibialis wird nochmals die genaue
Lage des Trochanters bestimmt, um genau in der Mittellinie
zu spalten. Es wird ausreichend nach proximal und distal ge-
spalten, so dass nach Einsetzen eines Wundsperrers unter die
Faszie der Trochanter gut exponiert wird (⊡ Abb. 9.8). Ein huf-
eisenförmiges muskelfreies Intervall am Übergang vom Ansatz
der Abduktoren zum Ursprung des M. vastus lateralis wird
erkennbar. Es wird das ventrale Drittel des M. vastus lateralis
sowie der Abduktoren abgelöst (⊡ Abb. 9.8). Dazu wird der
Schnittverlauf mit dem elektrischen Messer angezeichnet und ⊡ Abb. 9.8. Subfasziale Präparation. Nach Präparation des Subkutan-
zunächst in Längsrichtung der Muskelfasern der M. vastus gewebes wird die Faszie (Tractus iliotibialis) dargestellt. Jetzt kann der
lateralis gespalten und bis zum Knochen inzidiert. Diese In- Trochanter major gut getastet werden. Die Faszieninzision erfolgt genau
zision wird bis zur Trochanterspitze fortgeführt und dort im mittig über dem Trochanter in Faserrichtung des Traktus. Dieser Schritt
Verlauf der Fasern des M. gluteus medius leicht geschwungen ist wichtig, da bei zu weit ventraler oder dorsaler Spaltung die Präpara-
tion des Schaftes nach Luxation der Hüfte erschwert ist. Die Abduktoren
nach ventral präpariert. Die Präparation sollte möglichst direkt und der M. vastus lateralis werden nach ventral abgelöst. Dabei bleiben
auf dem Knochen erfolgen, die frei präparierten Muskellappen die dorsalen 2/3 der Muskeln am Oberschenkel, das ventrale 1/3 wird mit
können später zur leichteren Identifikation mittels Haltenähten dem elektrischen Messer abgelöst
markiert werden.
> Achtung 1. Assistent
Der Assistent hält das ventrale Muskelpaket mit Langenbeck-
Haken, bei sehr schlanken Patienten mit scharfen Haken unter
ständiger Spannung. Der 2. Assistent saugt den entstehenden
Rauch bei der Elektropräparation beständig ab. Der 1. Assis-
tent führt nun eine zunehmende Außenrotation des betroffe-
nen Beins durch, so dass kontinuierlich auf die Hüftgelenks-
kapsel präpariert werden kann.

Nach Lösen von weiteren Verklebungen kann nun mit dem


breiten Raspatorium die Muskulatur endgültig von der Hüftge-
lenkskapsel abgeschoben werden. Es ist darauf zu achten, dass
nach distal ausreichend »Platz geschaffen wird«, so dass unter
Außenrotation der Trochanter minor tast- bzw. sichtbar wird. In
Richtung des Schenkelhalses wird ein Haken eingesetzt, entweder
ein Langenbeck-Haken, der unter gutem Kontakt zum Knochen
gehalten werden muss, oder aber ein Hohmann-Hebel, der im
Bereich des ventralen Azetabulumrandes eingeschlagen wird.
Die Kapsel wird nun längs über der Mitte des Schenkelhalses
eröffnet (⊡ Abb. 9.9), in der Regel entleert sich Hämatom, das ab-
gesaugt wird. Die Kapsel wird im Bereich der Linea intertrochan- ⊡ Abb. 9.9. Eröffnung der Hüftgelenkskapsel und Darstellung des
terica nach kranial und distal mit dem elektrischen Messer ab- Schenkelhalses. Nach Freilegung der Hüftgelenkskapsel wird diese zu-
gelöst, so dass nun eine umgekehrt T-förmige Inzision entsteht. nächst in Schenkelhalsmitte längs eröffnet und in der intertrochantä-
ren Linie T-förmig erweitert. Fraktur und Schenkelhalsstümpfe sind nun
Die Kapselecken werden mit kräftigen resorbierbaren Fäden
erkennbar. Zur Osteotomie des distalen Schenkelhalsstumpfes muss
armiert und retrahiert. Die Präparation wird soweit geführt, bis zum Schutz der Weichteile der Restknochen mit Osteotomie-Hohmann-
der Azetabulumrand sicher erkennbar ist und der Schenkelhals Hebeln umfahren werden. Die Osteotomie erfolgt senkrecht auf die ven-
umfahren werden kann. Gegebenenfalls muss am Azetabulum- trale Kortikalis parallel zur und nahe an der intertrochantären Linie
248 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

rand durch eine Querinzision mehr Raum geschaffen werden.


Unter maximaler Außenrotation wird nun der Restschenkelhals
mit dem gebogenen Raspatorium umfahren und ein Osteotomie-
Hohmann-Hebel eingesetzt. Die Orientierung zur Osteotomie
erfolgt an der intertrochantären Linie und an der Position des
Trochanter minor. Die schräg verlaufende Osteotomie sollte etwa
1 cm proximal des Trochanter minors enden.
! Es ist auf eine ausreichende Außenrotation bei der Osteotomie
zu achten, damit nicht dorsalseitig größere Anteile des Schen-
kelhalses belassen werden, die die Entfernung des Hüftkopfes
und die weitere Orientierung behindern könnten!

Während der Osteotomie wird ausreichend mit Wasser gespült


und danach der Restschenkelhals entfernt. In der Regel hat
man nun einen guten Einblick auf den frakturierten Schenkel-
hals und den Hüftkopf. Das Extraktionsinstrument wird nun
in den Schenkelhals eingedreht. Nur bei härterem Knochen
muss das Instrument eingeschlagen werden, ansonsten wird es
⊡ Abb. 9.10. Extraktion des Kopfes. Das Extraktionsinstrument ent-
spricht einem »Korkenzieher« und wird in die Spongiosa des Schenkel-
soweit eingedreht, bis ein sicherer Halt im Kopf erreicht wird,
halses eingeschraubt. Meist gelingt die Extraktion durch Zug und Kip- erkennbar durch Rotation des Kopfes. Unter Einsatz des Ex-
pung des Instrumentes. Gelegentlich muss mit dem »Extraktionslöffel« in traktionsraspatoriums wird der Kopf aus der Pfanne herausge-
den Gelenkspalt eingegangen werden, um den Hüftkopf »auszuhebeln« zogen (⊡ Abb. 9.10), wobei gelegentlich das Ligamentum capitis
femoris scharf durchtrennt werden muss und häufig dorsale
9 Retinakulumansätze ebenfalls scharf gelöst werden müssen.
Nach Entfernung des Kopfes wird mit der Schieblehre der
Kopfdurchmesser bestimmt, er definiert die Größe der zu ver-
wendenden Prothese.
Jetzt besteht gute Einsicht in das Azetabulum. Ebenfalls
werden noch störende Anteile des Lig. capitis femoris in der
Fossa acetabuli reseziert. Dort auftretende Blutungen müssen
sorgfältig gestillt werden, da es ansonsten zu Nachblutungen
kommen kann. Es ist darauf zu achten, dass die Kapsel ausrei-
chend abgelöst ist, um ein problemloses Einsetzen des Duokop-
fes zu sichern. In das Azetabulum wird ein Tuchstreifen oder
eine Kompresse eingelegt.
! Die Einlage und insbesondere die spätere Herausnahme der
Kompresse müssen abgesprochen und formell bestätigt werden.

Zur Präparation des Schaftes in der Seitenlage wird das Bein


flektiert und außenrotiert. Dazu wird ein steriler Tischsack über
das Bein gestülpt und das Bein »übergeschlagen« (⊡ Abb. 9.11).
Um eine ausreichende Retraktion des Tractus iliotibialis zu
gewährleisten, wird der sog. »Müller-Haken« vor der Flexion
des Beins unter Innenrotation in die Fossa trochanterica ein-
gesetzt, danach das Bein außenrotiert und vorsichtig flektiert
und adduziert.
> Achtung 1. Assistent
Der 1. Assistent bringt nach Fixation des Tischsacks mit Tuch-
⊡ Abb. 9.11. Lagerung des Beins zur Vorbereitung des Prothesen- klemmen das Kniegelenk in 90°-Beugung. Der Unterschenkel
schaftes. Um den Markraum zur Aufnahme des Prothesenschaftes vor- steht senkrecht zum Erdboden.
bereiten zu können, muss das Bein jeweils 90° gebeugt und außenrotiert
werden. Der Unterschenkel wird zur Wahrung der Sterilität in einen In dieser Lage lässt sich nun die Antetorsion der Prothese sicher
Tischsack eingeschlagen. Der Tractus iliotibialis wird dabei mit einem bestimmen. Durch Verstärkung der Adduktion wird ein verbes-
speziellen Haken retrahiert. Er kann mit einem Gewicht beschwert wer-
serter Eintrittswinkel in den Oberschenkelschaft erreicht. Der
den und ist damit »selbsterhaltend«. Der Assistent hat darauf zu achten,
dass das Knie in 90°-Beugung und der Unterschenkel genau senkrecht Müller-Haken wird so positioniert, dass der Tractus iliotibialis
zum Boden gehalten werden. Diese Position ist wichtig, um die korrekte ausreichend nach dorsal gehalten wird. Ein Gewicht beschwert
Antetorsion des Schaftes bestimmen zu können ihn, so dass der Haken nur noch leicht geführt werden muss.
9.2 · Versorgung einer medialen dislozierten Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese
249 9
Ein 2. Hohmann-Hebel wird nach ventral unter den Trochanter
minor gesetzt, ggf. muss beim muskelkräftigen oder adipösen
Patienten noch ein 3. Hohmann-Hebel nach kranial gesetzt
werden, um eine gute Exposition des Markraumquerschnittes
zu erreichen. In dieser Lage wird nun nochmals die Lage der
zuvor vorgenommenen Osteotomie kontrolliert und ggf. dorsal
überstehender Knochen nachosteotomiert.
Um eine Varusstellung des Schaftes zu vermeiden, wird zu-
nächst mit dem Hohlmeißel eine ausreichende Lateralisierung
der Eintrittsöffnung im Bereich des Trochanter major erreicht.
Dazu wird die laterale Femurkortikalis getastet und mit dem
Meißel in Verlängerung dieser Linie die Spongiosa eröffnet
(⊡ Abb. 9.12). Wird später eine Markraumsperre aus Spongiosa
verwendet, kann der Spongiosazylinder idealerweise jetzt aus
dem proximalen Femur gewonnen werden. Ansonsten wird die
gewonnene Spongiosa zunächst asserviert (im Fall von iatroge-
nen Schaftsprengungen kann die asservierte Spongiosa angela-
gert werden). Nach Eröffnung des Markraums wird zunächst
mit den Eröffnungsahlen erweitert und damit eine genaue Zen-
trierung auf die Schaftachse sichergestellt. Damit ist schon eine
grobe Abschätzung der erforderlichen Schaftgröße möglich.
Jetzt wird die weitere Vorbereitung des Schaftes mit den
⊡ Abb. 9.12. Eröffnung Markraum mit Meißel. Der Markraum wird nun
Raspeln vorgenommen. Dazu wird zunächst die kleinste ver-
schrittweise von proximal her eröffnet. Mit dem Meißel wird Kortikalis la-
fügbare Raspel ausgewählt und mit Einschlaginstrumentarium teral entfernt, damit keine Ablenkung der Raspel im Varussinne erfolgen
und Führungsstab versehen. Der Führungsstab wird von oben kann. Die lange Ahle entfernt weitere Spongiosa und zeigt beim tiefen
eingesetzt und dient der Orientierung beim Einschlagen. Beim Einführen die genaue Schaftachse an. Die Raspeln werden in aufsteigen-
in 90°-Stellung des Kniegelenks senkrecht zum Boden zeigen- der Größe jeweils komplett eingeschlagen. Die Antetorsion wird durch
einen angesetzten Stab im Griff erkennbar. Dadurch, dass der Assistent
den Unterschenkel besteht bei Parallelität des Führungsstabes
den Unterschenkel des betroffenen Beines genau senkrecht zu Boden
zum Unterschenkel eine neutrale Rotationsstellung. Zunächst hält, ist die Frontalebene des Femurs erkennbar. Der Winkel dieses Sta-
wird möglichst in Neutralstellung, allenfalls in sehr leichter bes zu dieser virtuellen Ebene zeigt die Neutralstellung bzw. die Ante-,
Antetorsion vorgegangen, da auf Grund der Weichteilverhält- ungünstiger die Retrotorsion der Prothesenraspel an
nisse und der Form des proximalen Femurs eine Tendenz zur
Antetorsionsbewegung beim Einschlagen besteht (⊡ Abb. 9.13).
Zusätzlich kann mit der kleinen Raspel die trochantäre, laterale
Führung etwas aufgefräst werden, um erneut einer Varisierung
des Implantates vorzubeugen. Die Raspeln zunehmender Größe
werden nun nacheinander vorsichtig eingeschlagen.
! Eine Schaftsprengung, häufig vorher erkennbar durch Ände-
rung des Einschlagtons und fehlender Vorwärtsbewegung beim
Einschlagen, muss unbedingt vermieden werden. Im Zweifels-
fall wird bei liegender Raspel eine Bildwandlerkontrolle mit
durchgeschwenktem C-Arm durchgeführt.

Bei sorgfältiger Vorplanung gelingt es in der Regel problemlos,


eine Schaftgröße auszuwählen, die mit guter Stabilität im Be-
reich der innertrochantären Linie abschließt. Um die korrekte
Beinlänge und Position abschätzen zu können, kann eine Be-
stimmung des »Drehzentrums« erfolgen. Es sollte senkrecht
zur Schaftachse auf Höhe der Trochanterspitze liegen.

⊡ Abb. 9.13. Einschlagen des Schaftes mit Ausrichtung der Antetor-


sion. Angestrebt wird in der Regel eine Antetorsion von 10°. Sie ist leicht
zu realisieren, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei senkrecht ste-
hendem Unterschenkel und 90° gebeugtem Kniegelenk die Horizontale
die 0°-Position darstellt
250 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

! Ein 90° Langenbeck-Haken, der parallel zur lateralen Kortikalis Je nach ermitteltem Befund werden nun die endgültigen
des Femurs angelegt wird, sollte den Prothesenkonus etwa Komponenten ausgesucht. Unter Einsatz eines einzinkigen Ha-
3–4 mm unterhalb seines proximalen Endes kreuzen. kens wird die Prothese erneut luxiert und die Position zur
Einsicht in den Oberschenkelschaft wieder hergestellt. Heraus-
Je nach verwendetem Prothesensystem und Erfahrungsgrad er- nahme der Probekomponente, danach Spülung des Schaftes,
folgt jetzt eine Probereposition. Dazu wird auf den Probeschaft Einsetzen der Markraumsperre. Es ist darauf zu achten, dass sie
ein Kopf mittlerer Halslänge und eine Duokopfkomponente weit genug in den Schaft getrieben wird, um ein »Auflaufen«
im zuvor bestimmten Durchmesser des resezierten Hüftkopfes der Prothese zu vermeiden. Der Zementmantel sollte sich bis
aufgesetzt und die Probereposition durchgeführt. etwa 1–1,5 cm distal der Prothesenspitze ausdehnen. Nachdem
Hierzu muss zunächst die im Azetabulum liegende Kom- die Originalkomponenten geprüft und ausgepackt wurden, er-
presse entfernt werden. Der 1. Assistent übernimmt das Bein, folgt das Anrühren des Zements, bevorzugt in Vakuumtechnik.
der 2. Assistent oder die OP-Pflegekraft assistiert bei der He- Die Oberschenkeleingangsebene inklusive des Azetabulums
rausnahme aus dem sterilen Beutel, der Operateur steuert die werden mit Tüchern umlegt und ein »Entlüftungsschlauch«
Kopfkomponente mit einem Polyethylenstößel. Die Kapsel wird in den Markraum eingelegt. Kurz vor dem Einbringen des
dabei an den Haltefäden nach ventral und dorsal weggehal- Zements nochmals Spülung und Absaugen der Spülflüssigkeit.
ten. Unter beginnendem Längszug, vorsichtiger Innenrotation Danach Auffüllen des Markraums von distal nach proximal,
und schließlich Extension sollte die Reposition ohne großen ggf. unter Absaugung durch das Entlüftungsrohr. Die Prothese
Kraftaufwand möglich sein. Bei kräftigen Weichteilen muss ggf. wird nun zunächst manuell vorsichtig eingedrückt, dabei wird
zusätzlich in Langenbeck-Haken eingesetzt werden, um den gleichzeitig der Entlüftungsschlauch vorsichtig durch den As-
Repositionsweg freizuhalten. Auf eine entsprechende Relaxa- sistenten herausgezogen.
tion in Allgemeinnarkose ist zu achten.
! Rechtzeitige Information der Anästhesie, da Zementpartikel
Ist die Reposition gelungen, kontrolliert der Operateur zu-
durch die Linea aspera des Oberschenkels in die Blutbahn
nächst die Antetorsion des Schaftes, dazu hält er das Knie in
9 90°-Beugung in Neutralposition der Hüfte. Der 1. Assistent
geschwemmt werden und pulmo-embolische Probleme, in
seltenen Fällen bis zum akuten Herzstillstand, beobachtet
retrahiert die Weichteile nach ventral, die Antetorsion ist durch
wurden!
lateralen Einblick leicht erkennbar. In dieser Neutralstellung
kann auch durch »Peilung« über die Trochanterspitze Rich- Sobald der Widerstand zunimmt und ein manuelles Eindrü-
tung Drehzentrum die Beinlänge recht genau abgeschätzt wer- cken der Prothese nicht mehr möglich ist, wird sie mit dem
den. Danach Durchbewegen der Hüfte unter Palpation der Stößel vorgetrieben, der Assistent kontrolliert hierbei die Ante-
Kopfkomponente in alle Richtungen zur Prüfung der Luxati- torsion durch leichten Druck auf den Prothesenkonus. Bei Un-
onstendenz (⊡ Abb. 9.14). Zu testender Bewegungsumfang: E/F sicherheiten bezüglich der korrekten Antetorsion sollte schon
0–0–90°, IR/AR 10–0–10, Abduktion 20°. Ebenfalls kritisch ist mit der Probeprothese eine Markierung des Knochens erfolgen,
in Streckung des Kniegelenks das mögliche Impingement des um die vorbestimmte Antetorsion von etwa 10–15° sicher
Schenkelhalses. Bei Adduktion und Außenrotation sollte es reproduzieren zu können. Die Prothese wird bis zur vorbe-
nicht zum Anschlagen des Schenkelhalses am Azetabulumrand stimmten Tiefe eingeschlagen, danach sofort der überschüssige
kommen. Zement entfernt. In der eigenen Klinik wird dazu einmal mit
dem Skalpell entlang der Resektionsebene durch den Zement-
köcher geschnitten, der ausgetretene Zement lässt sich dann in
toto entfernen und der prothesenumgebende Zementmantel
bleibt auch proximal unberührt.
> Achtung 1. Assistent
Der 1. Assistent achtet auf nun ausreichende Außenrotation,
um einen Kontakt des Schenkelhalses mit den Weichteilen zu
vermeiden, die Aushärtung wird nun abgewartet.

Nach endgültiger Aushärtung wird nochmals sorgfältig nach


Zementresten gefahndet, die abdeckenden Tücher entfernt, die
Kompresse aus dem Azetabulum entfernt und ausgiebig ge-
spült. Aufsetzen des Kopfes mit vorbestimmter Halslänge und
des Duokopfes unter leicht drehenden Bewegungen.
! Das Aufsetzen des relativ voluminösen Kopfes gelingt unter
maximaler Außenrotation und Adduktion des Oberschenkels
⊡ Abb. 9.14. Einblick auf reponierte Prothese, Kontrolle der Antetor- durch den 1. Assistenten in der Regel leichter.
sion. Die Prothese ist reponiert, eine komplette Bewegungsprüfung
wurde durchgeführt, ohne dass eine Luxationstendenz oder ein »An- Danach wird der vorbeschriebene Repositionsvorgang in ana-
schlagen« des Schenkelhalses bemerkbar wurde. Zur zusätzlichen Siche- loger Weise erneut durchgeführt, zusätzlich Prüfung der Ante-
rung wird die Kapsel mit einer Naht verschlossen torsion, der Beinlänge und der Luxationstendenz.
9.2 · Versorgung einer medialen dislozierten Schenkelhalsfraktur mit Duokopfprothese
251 9
Wundverschluss/Verband
Ist die Position befriedigend, zunächst Einlage einer tiefen
Redon-Drainage innerhalb der Hüftgelenkskapsel, mit den
Haltefäden wird die Kapsel adaptiert und zusätzliche Nähte der
Kapsel angelegt. Unter Innenrotation des Beins werden nun die
Abduktoren und der M. vastus lateralis refixiert (⊡ Abb. 9.15).
Kräftige Nähte können hier v. a. im sehnigen Anteil im Bereich
des Tuberculum innominatum nach distal sowie im sehnigen
Ansatzbereich des M. gluteus medius durchgeführt werden.
Eine zweite Redon-Drainage wird subfaszial in die Bursa tro-
chanterica gelegt und der Tractus iliotibialis mit kräftigen Ein-
zelknopf- oder auch fortlaufenden Nähten verschlossen.
Im Subkutangewebe wird nochmals ausgiebig gespült, um
Kontaminationen zu reduzieren. Einlage einer dritten Redon-
Drainage, Subkutannähte und Hautverschluss mit Rückstich-
a
naht oder Klammernaht. Zunächst wird ein steriler trockener
Verband angelegt, danach der Patient in die Rückenlage ver-
bracht und ein Spicaverband zur Kompression des Operations-
gebietes angelegt. Bestehen arterielle Durchblutungsstörungen
(pAVK), darf nur locker gewickelt werden.
! Eine regelmäßige Kontrolle der Durchblutung des Beins ist
obligat.

Die Röntgenabschlusskontrolle wird meist mit dem Bildwand-


ler durchgeführt und sollte neben der a.p. Projektion zumindest
eine halbschräge, besser axiale Projektion umfassen, um die
vollständige Reposition zu belegen.
⊡ Abb. 9.16 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Schen-
kelhalsfraktur mit einer Duokopfprothese.

⊡ Abb. 9.15. Verschluss der Kapsel, Refixation der Muskulatur und


c
Faszieverschluss. Die Haltefäden der angeschlungenen Kapsel werden
gegeneinander verknotet und ggf. noch zusätzliche Nähte angelegt, um
einen stabilen Kapselverschluss zu bekommen (Luxationsprävention). ⊡ Abb. 9.16a–c. Röntgenverlauf. Dislozierte mediale Schenkelhalsfrak-
Die Muskulatur wird mit kräftigem Faden im Bereich des Ansatzes der tur links (Typ Garden 4) bei einer 86-jährigen Patientin nach häuslichem
Abduktoren und des Tuberculum innominatum durch die Muskelfaszie Sturz. Die Patientin wurde aufgrund ihrer Hilflosigkeit erst 8 Stundenn
vernäht. Eine Innenrotation des Beins erleichtert diesen Schritt. Die nach dem Sturz aufgefunden und in das Krankenhaus eingeliefert.
Faszie wird mit fortlaufender Naht (z. B. PDS Stärke 1) oder auch Einzel- a,b Präoperative Aufnahmen. c Unmittelbare operative Versorgung mit
nähten lückenlos verschlossen einer Duokopfprothese, im Anschluss unauffälliger Verlauf
252 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Postoperativ 9.3 Versorgung einer pertrochantären


Probleme Femurfraktur mit dynamischer Hüftschraube
Probleme können auftreten, wenn die Kopfgröße und die Bein-
länge nicht exakt bestimmt werden. Eine Reposition kann im Indikation
Extremfall unmöglich werden, mit der Notwendigkeit, einen Auf Grund des extrakapsulären Frakturverlaufes sind pertro-
fixierten Schaft unmittelbar wieder entfernen zu müssen. Alle chantäre Femurfrakturen hinsichtlich des Risikos der schweren
Schritte müssen daher exakt kontrolliert werden und ggf. auch Ausbildung einer Femurkopfnekrose als gutartig einzustufen.
mehrfache »Proberepositionen« mit den Probekomponenten Problematisch kann aber insbesondere die höhergradige In-
durchgeführt werden. stabilität sein, die bei zusätzlichen Fragmenten des Trochanter
Postoperative Probleme sind in der Regel auf den Allge- minor oder aber auch Trochanter major bedeutsam wird. Da
meinzustand der geriatrischen Patienten zurückzuführen. Eine bei den geriatrischen Patienten die Compliance in der Regel
postoperative Überwachung auf einer Intensivstation bzw. Inter- gering ist und eine Versorgung immer von einer sofortigen
mediate-Care-Station ist in diesen Fällen unbedingt anzuraten. Vollbelastungsfähigkeit ausgehen muss, ist die hier beschrie-
bene Versorgung mit der dynamischen Hüftschraube im We-
Nachbehandlung sentlichen auch stabile Frakturen vom Typ AO 31 A1 begrenzt.
▬ Operationstag: Nach Abklingen der Narkose Kontrolle der Höhergradig instabile Frakturen werden bevorzugt mit den
peripheren DMS sowie des Füllungszustandes der Drai- im folgenden Kapitel beschriebenen intramedullär verankerten
nagen. Füllt sich die tiefe Drainage schnell, so wird sie proximalen Femurnägeln versorgt, die eine höhere biomechani-
vorübergehend mit einer sterilen Kanüle, auf die ein Bak- sche Stabilität aufweisen. Unabhängig vom Implantat ist immer
terienfilter aufgesetzt ist, entlüftet (»Überlauf«) und nach auf eine möglichst genaue Reposition zu achten, um möglichst
einer Wartezeit von etwa 1–2 h der Sog erneut angesetzt. frühzeitig eine Kraftüberleitung über guten Fragmentkontakt
Der Patient sollte frühzeitig Muskelanspannungsübungen zu erreichen.
und Fußbewegungen durchführen, um das Thromboembo-
9 lierisiko zu minimieren.
▬ Postoperativer Tag 1: DMS-Kontrolle, Hb-Kontrolle, Kon- Operationsvorbereitung
trolle der Drainagensituation, eigenständige und kranken- Aufklärung
gymnastisch angeleitete Bewegungsübungen im Bett, Ver- Die Versorgung wird als Notfallmaßnahme möglichst direkt
meidung von Adduktion und Außenrotation. Sorgfältige nach dem Unfall, spätestens nach ausreichender Stabilisierung
Information des Patienten über das Luxationsrisiko. Im des Allgemeinzustandes der Patienten vorgenommen. Da es
Idealfall stehend vor dem Bett und erste Schritte. keine sinnvollen nichtoperativen Behandlungsalternativen gibt,
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung von Spicaverband und besteht eine dringliche Indikation zur Operation. Wesentliche
Drainagen, Pflasterverband und Anlegen von Kompressi- Komplikationsmöglichkeiten sind:
onsstrümpfen. Mobilisation des Patienten je nach Aktivi- ▬ Thromboembolische Komplikationen
tätsgrad mit Gehwagen oder Unterarmgehstützen. Rönt- ▬ Wund-, Weichteil- oder Knocheninfektionen
genkontrolle. ▬ Selten Gefäß- oder Nervenschäden (Fraktionsschäden im
Extensionstisch)
! Postoperative Röntgenkontrolle nach Hüftprothesen nur als
▬ Implantatausbruch bei Fehlplatzierung und starker Osteo-
a.p. Aufnahmen, keine axialen Darstellungen in der Früh-
porose
phase, um das Luxationsrisiko zu minimieren. Ist eine axiale
▬ Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung mit der Not-
Aufnahme unbedingt vonnöten, so kann eine Johansson-Auf-
wendigkeit einer Reoperation
nahme (axiale Projektion bei kaudokranialem Strahlengang)
angeordnet werden. Diagnostik und Planung
Eine spezifische Vorbereitung ist nicht notwendig. Es ist v. a.
Weiterbehandlung/Arztbrief auf die Stabilisierung des Allgemeinzustandes zu achten. Die
In der Regel sind bei geriatrischen Patienten geriatrische Frühr- lokalen Weichteilverhältnisse sollten zufriedenstellend sein.
ehabilitationen oder Rehabilitationsaufenthalte vorgesehen und Präoperativ wird der Patient in einer für ihn angenehmen Stel-
sollten frühzeitig organisiert werden (im Optimalfall unmittel- lung gelagert, eine Extension ist normalerweise nicht notwen-
bar nach der stationären Aufnahme). Während des stationären dig. Auf ausreichende Analgesie ist zu achten.
Aufenthaltes sorgfältige Wundkontrollen, um Hämatom- oder
Serombildungen frühzeitig zu diagnostizieren. Gegebenenfalls
ultraschallbasierte Wundkontrollen. Fadenzug nach 14 Ta-
gen. Geriatrische Patienten sollten sofort eine Vollbelastung,
schmerzabhängig, durchführen.
Röntgenkontrollen situationsabhängig, beim beschwerde-
freien und beim beschwerdearmen Patienten nach 12 Wochen,
bei Beschwerden vorzeitig.
9.3 · Versorgung einer pertrochantären Femurfraktur mit dynamischer Hüftschraube
253 9
Im Operationssaal Die Abdeckung kann auf verschiedene Weise durchgeführt
Lagerung werden, entweder mit Einzeltüchern, Klebetüchern oder auch
Die Lagerung erfolgt auf dem Extensionstisch (⊡ Abb. 9.17). Das speziell Klebefolien, die großflächig auf die steril abgewaschene
gegenseitige Bein wird in Hüfte und Knie auf 90° gebeugt und und abgetrocknete Trochanterregion aufgeklebt werden. Wich-
auf einer Beinstütze ausgelagert, um eine seitliche Durchleuch- tig ist, dass das seitliche Femur von der Trochanterspitze bis zu
tung der Hüfte zu gewährleisten. einem Punkt etwa 20–25 cm distal des Tuberculum innomina-
Die Bildwandlereinstellung wird vor Abdeckung geprüft, tum erreichbar bleibt.
eine gute axiale Aufnahme bei durchgeschwenktem Bildwandler Perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin der
muss möglich sein. Während der Bildwandlereinstellung wird 1. Generation.
schon eine möglichst anatomische Einrichtung durch Zug am Der Eingriff kann sowohl in Allgemeinanästhesie als auch
Bein, Innenrotation des Beins und ggf. Unterstützung des dis- Regionalanästhesie durchgeführt werden. Bei ängstlichen Pa-
talen Femurschaftes mit einer zusätzlichen Beinstütze erreicht. tienten und Schwierigkeiten bei der Reposition wird bei den
Lässt sich keine ausreichende anatomische Reposition errei- eigenen Patienten die Allgemeinnarkose bevorzugt. Nach Nar-
chen, sollte eher eine Valgusposition angestrebt werden. Eine koseeinleitung wird eine Vorreinigung, wie ggf. Rasur des Ope-
Optimierung der Reposition ist auch nach Durchführung des rationsgebietes, vorgenommen.
Zugangs durch Einsatz von Repositionszangen (z. B. Kolliniar-
zange) oder Rotation am Oberschenkelschaft erreichbar.

a b c

d e

⊡ Abb. 9.17a–e. Lagerung auf Extensionstisch, Landmarken und Zugang. a Der Patient wird in Rückenlage auf dem Extensionstisch gelagert, das
gegenseitige Bein auf der Beinstütze ausgelagert (Posterung Fibulaköpfchen beachten!). b,c Die Durchleuchtungsmöglichkeit mit dem Bildwandler
muss für den a.p. (b) und seitlichen Strahlengang (»durchgeschwenkt«; c) problemlos möglich sein. d,e Die Einrichtung erfolgt wie in ⊡ Abb. 9.3
dargestellt durch Längszug und Rotation
254 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationstechnik
Zugang
Nach Abdeckung erfolgt die Orientierung am Tuberculum in-
nominatum und im Längsverlauf des Schaftes. Die Inzisions-
länge beträgt etwa 7–10 cm.

Operationstechnik
Es wird ein lateraler Zugang gewählt, d. h. nach Durchtrennung
von Haut und Subkutangewebe wird direkt durch den Tractus
iliotibialis eingegangen und die Muskulatur des im Bereich des
Tuberculum innominatum entsprechend dem Vastus lateralis
gespalten. Die Freilegung erfolgt sparsam und muss nur bei
Notwendigkeit einer offenen Reposition nach ventral erweitert
werden. In diesen Fällen wird nach Ablösung der Muskulatur
mit dem Raspatorium eine Retraktion der Weichteile und ggf.
⊡ Abb. 9.18. Schematische Darstellung der Zieldrähte. Der ventral auf
auch eine Sicherung der Reposition mit in das proximale Frag-
den Schenkelhal aufgelegte Spickdraht definiert die Antetorsion des ment eingesetztem spitzem Hohmann-Hebel erreicht. Ist die
Schenkelhalses. Er wird vorübergehend kurzstreckig im Kopf verankert. Reposition schon geschlossen ausreichend exakt, wird lediglich
Der zeite, weiter proximal eingebrachte Draht sichert die Rotation im die laterale Oberfläche des Femurs vom Tuberculum innomina-
Frakturbereich. Wird er streng parallel zum ersten Draht eingebracht, tum bis etwa 5 cm distal beigelegt. Hier können sehr vorsichtig
markiert auch er die Antetorsion. Der erste Draht kann dann wieder
entfernt werden
ventral und dorsal Hohmann-Hebel eingesetzt werden, um die
Exposition zu erleichtern.
Bei ausreichender Reposition wird zunächst ein Spickdraht
9 in etwa 130–140°-Winkel zur Schaftachse auf die ventrale Kor-
tikalis aufgelegt, die Gelenkkapsel perforiert und der Draht
leicht in den Kopf eingeschlagen (⊡ Abb. 9.18). Die Drahtposi-
tion wird im Bildwandler in a.p. Ebene, bei wenig Erfahrung
auch in der seitlichen Durchleuchtung gesichert. Bei ausrei-
chender Reposition werden nun parallel zu diesem Draht im
proximalen Drittel des Schenkelhalsdurchmessers 2 Drähte von
lateral her in das proximale Fragment eingebracht und damit
die Rotation und Position gesichert. Danach nun Aufsetzen der
135°-Zielhülse (nur bei speziellen Situationen mit sehr steilem
Collum-Diaphysen-Winkel oder bei bewusster Valgisierung
wird die 150°-Schablone benutzt) (⊡ Abb. 9.19). Dieser Draht
wird so ausgerichtet, dass er im Verlauf etwa 5 mm proximal
des Adam-Bogens im Schenkelhals verläuft und der physiologi-
schen Antetorsion des Schenkelhalses folgt (dies kann anhand
der Antetorsion des auf die ventrale Kortikalis aufgelegten
Spickdrahtes überprüft werden).
Bei gesicherter Position wird unter festem Aufpressen der
Schablone auf die laterale Kortikalis der kanülierte Führungs-
draht ein- und bis in die subchondrale Kortikalis des Hüftkop-
⊡ Abb. 9.19. Einbringen des Führungsdrahtes. Das Zielinstrument (kor- fes vorgebohrt (⊡ Abb. 9.19). Idealerweise verläuft er etwa 5 mm
rekten Winkel des Zielgerätes beachten, hier 135° übereinstimmend zur kranial des Adam-Bogens (⊡ Abb. 9.18) und kommt zentral
ausgewählten dynamischen Hüftschraube!) wird distal des Tuberculum
innominatum aufgesetzt, die Antetorsion kontrolliert (parallel zum Si-
mittig oder leicht im dorsalen Kopfanteil zu liegen, da hier auch
cherungsdraht) und der Führungsdraht unter Bildwandlerkontrolle ein- bei Osteoporose die Knochenqualität relativ gesehen noch am
gebracht besten ist.
9.3 · Versorgung einer pertrochantären Femurfraktur mit dynamischer Hüftschraube
255 9
! Die Zug- und Drucktrabekel des Hüftkopfes und Schenkelhalses
sind auch bei starker Osteoporose noch gut zu erkennen. Die
Schraubenposition sollte distal der Zugtrabekel verlaufen, um
eine gute Auflage auf die Schraube zu gewährleisten.

Ist dieser Draht optimal positioniert, wird eine Längenmessung


vorgenommen. Muss der Draht repositioniert werden, ist es
günstig, den alten Draht zu belassen und damit eine Via falsa
zu blockieren. Veränderung der Drahtposition wird immer in
Abstimmung mit den Bildwandlerbildern in Beziehung zu den
schon eingebrachten Drähten vorgenommen, d. h. sie zeigen
die notwendige Abweichung von der vorbestehenden Drahtpo-
sition an (⊡ Abb. 9.20).
In der Längenmessung wird eine Schraubenlänge 5 mm a
weniger als gemessen ausgewählt, um einen ausreichenden
Kompressionseffekt zu erreichen.

⊡ Abb. 9.20a,b. Einbringen des Führungsspickdrahtes. Schematische


Darstellung der einzelnen Spickdrähte und des Zielgerätes (a). Der Füh-
rungsspickdraht ist platziert (b), aufgrund der guten Reposition und
Verzahnung der Frakturflächen wurde auf einen »Sicherungsdraht« ver-
zichtet
256 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Der »Stufenbohrer« wird entsprechend der systemisch-


spezifischen Besonderheiten eingestellt und dann mit Hilfe
der Führungshülse die Bohrung zum Anschlag vorgenommen
(⊡ Abb. 9.21). Da dieser Bohrer ein großes Drehmoment auf-
bringt, ist es notwendig das Kopf-Halsfragment ausreichend
mit Spickdrähten gegen Rotation zu sichern. Bei kräftiger
Spongiosa, d. h. bei jüngeren Patienten, muss ein Gewinde-
schneiden bis in den Kopf erfolgen, ansonsten wird nur ein
»Anschnitt« durchgeführt. Mit einer weiteren Führungshülse
wird die ausgewählte Schraube eingedreht und möglichst direkt
subchondral verankert.
Ein Vordrehen des Führungsdrahtes und auch ein Ausrei-
ßen der Gewinde in der dünnen Kortikalis muss vermieden
werden, ggf. Kontrolle im Bildwandler (⊡ Abb. 9.22). Kommt
die Schraube in endgültige Position, ist darauf zu achten, dass
⊡ Abb. 9.21. Stufenbohrung. Liegt der Draht korrekt, wird die Länge
gemessen und der Schraubenkanal mit dem korrekt eingestellten »Stu- der Handgriff parallel zur Schaftachse steht, denn damit ist die
fenbohrer« vorbereitet. Die implantatspezifischen Anleitungen zur Län- stabile Laschenposition vorbestimmt. Nach Abziehen der Inst-
genbestimmung müssen hierbei unbedingt beachtet werden rumente wird nun eine Platte ausgesucht.

a
c

b d

⊡ Abb. 9.22a–d. Radiologische Kontrolle des Bohrvorgangs. Der Stu- erkennen, sowie vor Erreichen der Drahtspitze (b). Eine höhere Sicher-
fenbohrer wird auf die korrekte Länge eingestellt und auf den Führungs- heit ist durch den anfangs erwähnten proximalen Sicherungsdraht (c)
draht aufgesetzt. a,b Bildwandlerkontrollen sind nötig, wenn die Fraktur gewährleistet. d Nach dem Gewindeschneiden (nur bei harter Spon-
überquert ist (a), um ggf. auftretende Fragmentrotationen frühzeitig zu giosa nötig!) wird die entsprechende Schraube eingebracht
9.3 · Versorgung einer pertrochantären Femurfraktur mit dynamischer Hüftschraube
257 9
Bei unkomplizierten Frakturen mit ausreichender me- Kompressionsschraube eingeführt und unter Bildwandlerkon-
dialer Abstützung ist eine 2-Loch-Platte ausreichend. Bei trolle eine Kompression der Fraktur erreicht (⊡ Abb. 9.23). Der
sehr schwacher Knochenqualität bzw. Frakturen im Bereich Frakturspalt sollte sich damit möglichst anatomisch schließen.
des Trochanter majors ist eine 4-Loch-Platte vorzuziehen Die Schraube kann sowohl belassen als auch herausgedreht
(⊡ Abb. 9.24). werden. Bei den eigenen Patienten wird sie in der Regel ent-
Diese Platte wird aufgesetzt und mit einem speziellen Stö- fernt. Jetzt Besetzen der beiden Plattenschrauben mit 4,5 mm
ßel über die Schenkelhalsschraube eingebracht (⊡ Abb. 9.23). bikortikalen Schrauben.
Bei Blockade kann ggf. eine Fehlrotation der Schraube beste- Es ist darauf zu achten, dass beide Schrauben möglichst
hen. Die Platte ist dann leicht zu drehen, um sie aufzusetzen, im Raum verschränkt werden und gut in der Gegenkortikalis
ggf. muss mit einer Repositionszange eine Rotation in die fixiert sind, um eine ausreichende Sicherung gegen Auszug und
Schaftachse erfolgen. Nach Aufbringen der Lasche wird eine Ausriss zu erhalten.

a
b

⊡ Abb. 9.23. Plattenlage. a Die Schenkelhalsschraube wird mit einge-


brachter Führungshülse und aufgesetzter Laschenplatte eingedreht. Die
korrekte Lage wird anhand der Skalierung an der Führungshülse und
durch die Durchleuchtung bestimmt. Bei starker Osteoporose sollte
die dichteren subchondralen Knochenareale erreicht werden. b In der
Endposition sollte der Griff des Positionierungsinstruments parallel zum
Schaft stehen (Antekurvation des Oberschenkels beachten!). c Die Füh-
rungshülse ist zweigeteilt und wird entfernt, die Laschenplatte vorge-
schoben und mit 4,5-mm-Kortikalisschrauben gegen den Schaft fixiert.
Ggf. kann eine passager in die Schenkelhalsschraube eingedrehte »Kom-
pressionsschraube« zur Kompression der Fraktur verwendet werden c
258 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Die endgültige Implantatposition und Reposition wird


in Bildwandlerdurchleuchtungen in a.p. und seitlicher Ebene
gesichert und die Bilder zur Dokumentation ausgedruckt
(⊡ Abb. 9.24 und ⊡ Abb. 9.25).
Danach Einlage einer tiefen Redon-Drainage. Die Musku-
latur selbst muss nicht fixiert werden, ggf. können Situations-
nähte angelegt werden.
⊡ Abb. 9.25 zeigt beispielhaft die postoperative Röntgen-
kontrolle nach Versorgung der pertrochantären Femurfraktur
durch eine dynamische Hüftschraube.

Wundverschluss/Verband
Dann Verschluss der Faszie mit Einzelknopfnähten. Gegebe-
a nenfalls Einlage einer subkutanen Redon-Drainage, Subkutan-
nähte und Hautverschluss. Es wird ein trockener steriler Ver-
band angelegt und der Patient vom Extensionstisch genommen
und auf dem Normaltisch gelagert. Danach Anlage eines Hüft-
Spicaverbandes, um das eventuelle Auftreten von postoperati-
ven Nachblutungen zu minimieren.
! Zu feste Wicklung bei AVK vermeiden! Regelmäßige Durch-
blutungskontrollen!

c a b

⊡ Abb. 9.24a–c. Einbringen der Platte in der Bildwandlerdarstellung. ⊡ Abb. 9.25a,b. Postoperative Röntgenkontrollen. Röntgenkontrollen
a Einbringen der Platte. In diesem Fall wurde eine 4-Loch-Platte ver- eine Woche nach der Versorgung. Der Patient ist zwischenzeitlich mit
wendet, um eine bessere Haltekraft in dem osteoporotischen Knochen Vollbelastung mobilisiert
zu erreichen. b,c Die Fraktur steht valgisiert (günstig), aber mit leichter
Diastase. Daher wird der Frakturspalt durch die passager eingebrachte
Kompressionsschraube (b) angenähert (c)
9.4 · Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur mit proximalem Femurnagel
259 9
Postoperativ 9.4 Versorgung einer subtrochantären
Probleme Oberschenkelfraktur mit proximalem
Intraoperative Probleme treten vor allem auf, wenn die Repo- Femurnagel
sition nicht exakt (ggf. offen reponieren) und/oder die exakte
Platzierung des Führungspickdraht nicht gelingen (gute Bild- Vorbemerkung
wandlerdarstellbarkeit in beiden Ebenen ist obligat!). Bei sehr Die Versorgungsstrategie von pertrochantären und subtrochan-
osteoporotischen Knochen ist auf einen ausreichenden Platten- tären Oberschenkelfrakturen hängt ganz wesentlich vom Aus-
halt am Oberschenkelschaft zu achten (ggf. längere Platte unter maß der Frakturstabilität bzw. -instabilität ab. Insbesondere bei
Berücksichtung der Biomechanik verwenden!). den sog. »instabilen Frakturen«, bei denen kein belastungsfähi-
Postoperative Probleme sind in der Regel auf den All- ger Kontakt der Hauptfragmente im medialen Bereich besteht,
gemeinzustand der geriatrischen Patienten zurückzuführen. kann eine Stabilisierung mit winkelstabilen Plattensystemen
Daher ist eine postoperative Überwachung (Intensivstation, (Klingenplatten, DHS, DCS) schwierig sein und ggf. zu Hei-
Intermediate-Care-Station) empfehlenswert. lungsstörungen führen. Die Einführung der sog. proximalen
Femurnägel (z. B. Gammanagel, PFN etc.) erleichtert die Ver-
Nachbehandlung sorgung derart instabiler Frakturen, da durch die Einbringung
▬ Operationstag: Nach Narkoseausleitung Kontrolle der eines intramedullären Kraftträgers in Kombination mit min-
DMS, je nach Allgemeinzustand des Patienten ggf. inten- destens einem winkelstabilen, durch den Nagel in Schenkelhals
sivmedizinische Überwachung. Kontrolle des Blutverlustes und -kopf eingebrachten Lastträger eine sehr stabile, bei geria-
aus der Drainage am Abend des Operationstages und auch trischen Patienten in der Regel voll belastungsfähige Situation
am nächsten Tag, bei stärkeren Blutverlusten muss eine Re- geschaffen wird.
vision mit Blutstillung und Hämatomausräumung erfolgen. Trotz aller Vorteile eines »minimalinvasiven Verfahrens«
▬ Postoperativer Tag 1: Mobilisation; wenn vom Patienten darf aber auf keinen Fall übersehen werden, dass bei der Ver-
her vertretbar, wird eine Teilbelastung für 6 Wochen durch- wendung derartiger Implantate eine möglichst anatomische Re-
geführt, ansonsten, insbesondere bei Frakturen mit guter position in Kombination mit einer weichteilschonenden Ope-
medialer Abstützung voll belastet. rationstechnik die sicherste Voraussetzung für eine zeitgerechte
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung des Spiekerverbandes, Heilung sind. Exemplarisch wird an dieser Stelle die operative
Entfernung der Redon-Drainage und Pflasterverband der Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur (Frak-
Wunde. Der Patient wird mit Antithrombosestrümpfen ver- turzone direkt bis etwa 3 cm distal des Trochanter minors) dar-
sorgt und die Mobilisation spätestens zu diesem Zeitpunkt gestellt. Bei der Verwendung derartiger Nagelsysteme für per-
begonnen. Röntgenkontrolle in 2 Ebenen. trochantäre Frakturen sind keine wesentlichen Änderungen der
Operationstechnik zu berücksichtigen. Da sich die verfügbaren
Die Rehabilitationsfähigkeit ist gegeben, sobald der Patient mit Nagelsysteme in Details wie z. B. der Sequenz der Einbringung
krankengymnastischer Anleitung mobil ist. der queren Lastträger und im Instrumentarium unterscheiden,
sollte vor Durchführung der Operation eine sorgfältige Vorbe-
Weiterbehandlung/Arztbrief reitung erfolgen, um Instrumentarium und den technischen
Fadenentfernung nach 14 Tagen, Röntgenkontrolle in 2 Ebenen Ablauf exakt zu beherrschen.
nach 6 Wochen, danach Steigerung der Belastung bei instabi-
len Frakturtypen und abschließende Röntgenkontrolle nach
12 Wochen. Indikation
Implantatentfernung nur bei lokalen Beschwerden, v. a. im Subtrochantäre Femurfrakturen treten einerseits als Frakturen
Trochanterbereich. geriatrischer Patienten im Niedrigenergiebereich auf, seltener
sind sie als Hochrasanztraumen nach Abstürzen und Verkehrs-
unfällen zu beobachten. Es sollte eine sofortige Versorgung
erfolgen, um den Nachteilen einer andauernden Frakturinsta-
bilität zu begegnen. Bei geriatrischen Patienten muss allerdings
die allgemeine Operationsfähigkeit bestehen oder hergestellt
werden.
260 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Aufklärung Lagerung
Sinnvolle nichtoperative Therapievarianten liegen heutzutage Der Eingriff wird auf dem Extensionstisch durchgeführt
nicht mehr vor, so dass in der Regel die operative Stabilisierung (⊡ Abb. 9.26). Nach Narkoseeinleitung zunächst Vorreinigung
durchgeführt wird. Da zur Stabilisierung sowohl auf konventi- und Rasur des Operationsgebietes und Anlage des Extensions-
onelle winkelstabile Platten und Plattenschraubensysteme, aber schuhs. Nachdem der Patient auf dem Extensionstisch gelagert
auch auf die hier beschriebenen Nagelsysteme zugegriffen wer- wurde, wird das gegenseitige Bein in 90° Hüftbeugung und 90°
den kann, hängt die Implantatwahl ganz wesentlich von der be- Kniebeugung leicht außenrotiert ausgelagert, so dass eine freie
stehenden Frakturform, aber auch von den hausinternen oder Durchleuchtbarkeit in beiden Ebenen gewährleistet ist. Unter
auch persönlichen Präferenzen ab. Es ist nicht notwendig, diese Bildwandlerkontrolle wird nun die Fraktur eingerichtet. Um
technischen Alternativen mit dem Patienten zu besprechen. eine Dislokation nach dorsal auszugleichen, kann zusätzlich
Folgende Punkte müssen aber angesprochen werden: mit einer Beinstütze gearbeitet werden, um das distale Frag-
▬ Allgemeine Operationsrisiken ment anzuheben.
– Thromboembolische Komplikationen Single-shot-Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1.
– Wundinfektion bis hin zur Osteomyelitis Generation).
– Gefäß- und Nervenschäden Nach befriedigender Einrichtung und gesicherter Bildwand-
– Gefahr der unzureichenden Reposition mit der Notwen- lerdarstellbarkeit, v. a. auch der lateralen Schenkelhalsansicht,
digkeit einer offenen Einrichtung steriles Abwaschen und Abdecken des Operationsgebietes. Da
– Blutverluste bei ausgedehnteren Weichteilschäden der Eingriff größtenteils perkutan über eine kleine Inzision
▬ Spezifische Komplikationen durchgeführt wird, hat der Assistent insbesondere die Aufgabe,
– Implantatdislokation und Fragmentverschiebung, Im- die endgültige Reposition der Fraktur herzustellen und diese
plantatbrüche bis zur Überquerung mit dem Nagel zu sichern.
– Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung mit der
9 Notwendigkeit von Reeingriffen
– Ggf. Implantatentfernung, v. a. bei störenden Verriege-
lungsschrauben

Diagnostik und Planung


Zur Operationsplanung müssen Aufnahmen der Hüfte in
2 Ebenen sowie des gesamten Femurs in 2 Ebenen vorliegen,
um insbesondere weitere distal gelegene Frakturen (Segment-
frakturen) auszuschließen. Anhand dieser Aufnahmen wird
die korrekte Nagellänge und der Nageldurchmesser bevorzugt
durch Einsatz von Planungsschablonen festgelegt. Die lokalen
Hautverhältnisse sollten überprüft werden, bei Schürfungen
sollte eine möglichst sofortige operative Versorgung erfolgen,
um Gefahren durch spätere Superinfektion und der dann not-
wendigen sehr langen Wartezeit zu vermeiden.
9.4 · Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur mit proximalem Femurnagel
261 9

⊡ Abb. 9.26a–d. Lagerung auf Extensionstisch. a Der Patient wird auf


dem Extensionstisch gelagert, die Durchleuchtungsmöglichkeit in bei-
den Ebenen geprüft und die Fraktur geschlossen reponiert. b,c Die hier
gezeigte subtrochantäre Fraktur ist stark disloziert und hochgradig insta-
bil. d Die geschlossene Reposition gelingt in derartigen Fällen häufig nur
unzureichend, so dass wie in diesem Fall über die laterale Inzision (zur
c
Einbringung der Schenkelhalsschraube) eine offene Reposition nötig ist
262 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Zugang
Es wird ein kleiner, etwa 3–5 cm langer Zugang, etwa 7–10 cm
proximal der Trochanterspitze angelegt (⊡ Abb. 9.27). Der Ein-
gangspunkt ist je nach Nagelsystem etwas verschieden und
liegt bei proximal »geraden« Nägeln in der Fossa trochanterica,
spezielle gebogene Nagelsysteme können auch über einen eher
lateral gelegenen Zugang an der Trochanterspitze eingebracht
werden. Der Zugang selbst sollte exakt in der Verlängerung der
Oberschenkelachse liegen. Dabei ist zu beachten, dass diese
Linie auf Grund der gebogenen Kontur des Oberschenkels nach
dorsal hin abweicht. Gegebenenfalls muss eine Anzeichnung
erfolgen.

a
Operationstechnik
Nach Durchführung der Inzision und Präparation durch das
Subkutangewebe wird die Faszie auf etwa 5 cm gespalten und
mit der Schere in Längsrichtung der Muskulatur durch den M.
gluteus medius auf die Trochanterspitze eingegangen. In der
Regel lässt sich die Trochanterspitze und auch die Gluteussehne
b
sehr gut tasten. Bei Systemen, die mit Führungsdraht und
Führungshülsen arbeiten, kann prinzipiell unter digitaler Kon-
trolle der Führungsdraht aufgesetzt werden, ansonsten muss
eine sparsame Ablösung der Muskulatur erfolgen, um einen
9 Wundspreizer oder auch Hohmann-Hebel vorsichtig um Tro-
chanter und Schenkelhals einsetzen zu können.

⊡ Abb. 9.27a–c. Orientierungspunkte, Hautinzision. a Schematische


Darstellung der geplanten Hautinzisionen, um möglichst orthograd
den Femurschaft zu erreichen. b Die Leitstruktur ist die Sehne des
M. piriformis, die in der Fossa piriformis, der Eintrittstelle des Nagels,
am Oberschenkel ansetzt. c Nach digitaler Palpation kann diese Stelle
in der Regel durch Spreizen der Muskelfasern mit der Schere erreicht
werden
9.4 · Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur mit proximalem Femurnagel
263 9
Reposition/Stabilisierung
Zunächst muss eine Eröffnung des Markraums erfolgen, und
zwar möglichst exakt in Verlängerung des Markraums oder
entsprechend der Nagelgeometrie lateral davon (⊡ Abb. 9.28).
Es wird auf alle Fälle zunächst ein Führungsspickdraht ein-
gebracht. Er ist relativ steif und hat einen Durchmesser von
2,5–3 mm. Idealerweise wird er mit dem T-Griff geführt, auf die
vorgesehene Eintrittsstelle aufgesetzt und mit dem Bildwandler
die korrekte Lage sowohl in a.p. als im seitlichen Strahlengang
bestätigt. Bei geriatrischen Patienten kann der Spickdraht nun
direkt axial in den Markraum eingeschoben werden, bei jün-
geren Patienten muss ggf. ein Einschlagen mit dem Hammer
erfolgen. Wenn möglich, wird dieser Spickdraht schon so weit
nach distal geführt, dass er die Fraktur überquert und in den
distalen Markraum eindringt. In vielen Fällen ist dies aber auf
Grund der Weichteilsituation nicht möglich, so dass zunächst
a
eine proximale Eröffnung erfolgt, bevor die endgültige Reposi-
tion und das Überqueren der Fraktur dargestellt werden kann.
Je nach System erfolgt nun die Eröffnung mit einer spe-
ziellen Hohlstanze oder einem großkalibrigen Bohrer. Es ist
sorgfältig darauf zu achten, dass die notwendige Schutzhülse
sicher auf dem Knochen aufsitzt, um eine übermäßige Weich-
teilschädigung zu vermeiden. Um besser in die Markraumachse
zu gelangen, ist es notwendig, Hülse und Bohrer sehr nah an
den Körper des Patienten heranzuführen. Sollte dies auf Grund
der anatomischen Gegebenheiten des Patienten nicht möglich
sein, muss ggf. die Fixation des Extensionsarmes gelöst und das
Bein stärker adduziert werden.

⊡ Abb. 9.28a–c. Markraumeröffnung. a Zunächst wird die geplante


Eintrittsstelle mit dem Führungsbohrer/Führungsdraht markiert. b,c Die
korrekte Drahtposition wird in der Durchleuchtung a.p. (b) und seitlich
(c) gesichert. Muss eine Korrektur erfolgen, verbleibt der erste Draht, bis
ein neuer positioniert ist (bessere Orientierung, Wiedereintritt in die alte
c
Öffnung wird vermieden)
264 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Nach Eröffnung des proximalen Fragments wird nun je


nach gewähltem System entweder direkt der Nagel, geführt
am Zielbügel, unter Bildwandlerkontrolle eingebracht oder
aber bei kanüliertem System ein Führungsdraht vorgeschoben
(⊡ Abb. 9.29). Die Verwendung eines Führungsdrahtes erleich-
tert das Überqueren der Fraktur, da der Draht mit einer Füh-
rungshülse recht gut in das distale Fragment dirigiert werden
kann. Ansonsten wird der Nagel bis kurz vor die Fraktur vor-
geschoben und durch starke Adduktion des Nagels an den Kör-
per und Elevation des proximalen Fragments die muskelzug-
bedingte Fehlstellung ausgeglichen. Der Assistent unterstützt
diesen Vorgang durch Manipulation am distalen Fragment. Ist
der Frakturspalt überquert, wird der Nagel leicht vorgeschlagen
und seine sicher intrameduläre Lage mit dem Bildwandler in
2 Ebenen gesichert. Der Nagel kann nun endgültig eingeschla-
gen werden, wobei das proximale Ende gerade eben im Kno-
chen versinken sollte.
a ! Da der Übergang zwischen Nagel und Führungsinstrument
radiologisch nur schwer zu erkennen ist, sollte diese Stelle vor
Einbringen des Nagels genau inspiziert werden. In der Regel
sind entsprechende, später im der Durchleuchtung erkennbare
Kerben angebracht.
9 Es ist darauf zu achten, dass ggf. vorliegende Frakturdiastasen
noch ausgeglichen werden müssen. Das heißt, wenn die Dias-
tase durch »Rückschlagtechnik« kompensiert wird, muss diese
Strecke einkalkuliert werden, um ein proximales Überstehen
des Nagels zu vermeiden. In diesen Fällen wird zunächst die
distale Verriegelung vorgenommen. Es ist darauf zu achten,
dass die Rotation des Beins möglichst exakt ist und in der
Bildwandlereinstellung der distalen Verriegelungslöcher eine
vergrößerte Darstellung im genau zentralen Strahlengang er-
folgt. Das Verriegelungsloch sollte absolut rund sein, um Fehl-
positionierungen zu vermeiden (s. a. ⊡ Abb. 9.37).
Die Verriegelung erfolgt mit dem röntgendurchlässigen
Winkelgetriebe (⊡ Abb. 9.30). Dazu wird mit einem röntgen-
dichten Instrument die Eintrittsstelle markiert und eine etwa
b
1,5–2 cm lange Längsinzision durchgeführt. Faszie und Mus-
kulatur werden mit der Schere gespreizt und der Bohrer dann
schräg von distal her auf dem Knochen aufgesetzt. Mit kurzen
Durchleuchtungsbildern wird die Bohrerspitze in die Mitte der
Projektion des Verriegelungsloches aufgesetzt und dann unter
Beibehaltung dieses Punktes der Bohrer in den zentralen Strah-
lengang verbracht. Konzentrische Ringe im Winkelgetriebe er-
lauben die Kontrolle der orthograden Ausrichtung.

⊡ Abb. 9.29a–c. Einbringen des Nagels mit angesetztem Zielbügel.


a Nach dem Aufbohren, das einen spannungsfreien Eintritt des Nagels
gewährleistet, wird der Nagel mit aufgesetztem Zielgerät über den
Führungsdraht eingebracht. Das Einsetzen sollte manuell leicht möglich
sein, ansonsten muss die ausreichende Aufbohrung überprüft werden.
b,c Gerade im Frakturbereich sollte das Einschieben des Nagels mit dem
Bildwandler überprüft werden, um eine akzidentielle Frakturdislokation
c
zu vermeiden
9.4 · Versorgung einer subtrochantären Oberschenkelfraktur mit proximalem Femurnagel
265 9

a d g

b e h

c f

⊡ Abb. 9.30a–i. Endgültige Einbringung von Schenkelhalsschraube und Verriegelung. a Nachdem der Nagel
ausreichend eingeschoben wurde (* Markierung am Übergang zum Einbringinstrumentarium) wird der Füh-
rungsdraht für die Schenkelhalsschraube eingebracht. b Die Schenkelhalsschraube sollte im distalen Drittel des
Schenkelhalses, möglichst zentral, ggf. auch leicht dorsal, auf keinen Fall ventral, zu liegen zu kommen. c,d Nach
Kontrolle der Drahtposition und Längenmessung wird mit dem Stufenbohrer aufgebohrt, ggf. wird ein Gewinde
angeschnitten und die Schenkelhalsschraube (d) eingebracht. Am Zielbügel gelingt die distale Verriegelung rela-
tiv einfach. e,f Nach Längenmessung (e) wird die Verriegelungsschraube eingebracht (f). g,h Postoperative Kon-
trolle. In diesem Fall musste bei schwer zu reponierendem Trochanter-major-Fragment eine zusätzliche Fixation
mit einer Cerclage durchgeführt werden. i Schematische Übersicht der Nagellage i
266 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

! Es ist darauf zu achten, dass die Orientierung des Bildschirmes Postoperativ


exakt der Positionierung des Patienten entspricht, da bei sei- Probleme
tenverkehrter oder gespiegelter Darstellung die Orientierung Intraoperative Probleme treten vor allem auf, wenn die Repo-
deutlich erschwert wird. sition nicht exakt (ggf. offen reponieren) und/oder die exakte
Platzierung des Führungspickdraht nicht gelingt (gute Bild-
Der Bohrvorgang wird zunächst vorsichtig ausgeführt, um wandlerdarstellbarkeit in beiden Ebenen ist obligat!).
durch »Ankörnen« ein Abrutschen vom Knochen zu vermei- Postoperative Probleme sind meist auf den Allgemeinzu-
den. Nach Durchqueren der ersten Kortikalis kann nochmals stand der geriatrischen Patienten zurückzuführen. Daher ist
mit dem Bildwandler die korrekte Lage mit einem kurzen engmaschige postoperative Überwachung (Intensivstation, In-
Bildwandlerschuss gesichert werden. Der weitere Bohrvorgang termediate-Care-Station) empfehlenswert.
ist gut nachzuvollziehen, da der Bohrerkontakt mit dem Metall
und der Gegenkortikalis in der Regel deutlich spürbar ist. Die Nachbehandlung
Bolzenlänge sollte so gewählt werden, dass die Gegenkortikalis ▬ Operationstag: Nach Abklingen der Narkose Kontrolle
sicher überquert wird, um einen ausreichenden Halt im zylind- der peripheren DMS, Kontrolle des Füllungszustandes der
rischen Anteil der Schraube zu erhalten. Redon-Drainage. Der Patient wird zu eigenständigen Bewe-
Nach Durchführung der distalen Verriegelung wird nun gungsübungen und Muskelanspannungsübungen des Beins
der Frakturspalt durch sog. »Rückschlagen« geschlossen und angehalten.
komprimiert. Gegebenenfalls können jetzt auch noch Fein- ▬ Postoperativer Tag 1: Mobilisation vor das Bett. Bei nur
korrekturen der Rotation erfolgen, im Idealfall »verzahnt« sich minimaler Produktion aus der Redon-Drainage wird diese
die Fraktur, erkennbar am Verschwinden des Frakturspaltes schon nach 24 h entfernt.
und das Fehlen eines Kortikalissprungs in allen Ansichten. ▬ Postoperativer Tag 2: Nach Entfernung der Redon-Drai-
Bei korrekter Lage von Fraktur und Implantat wird nun die nage Röntgenkontrolle und Mobilisation an Unterarmgeh-
proximale Schenkelhalsschraube eingebracht. Der angebrachte stützen unter Teilbelastung des Beins. Je nach Mobilisati-
9 Zielbügel erleichtert dieses Vorgehen. Es ist auch hierbei dar- onsgrad des Patienten kann bei Sicherheit des Patienten
auf zu achten, dass die Schraube möglichst im distalen Drittel schon nach wenigen Tagen die Entlassung erfolgen.
des Schenkelhalses zu liegen kommt und hier die dorsalen
Hüftkopfanteile erreicht. Es ist daher notwendig, dass die Ante- Vorgesehen ist eine Entfernung der Fäden nach 10–14 Tagen.
torsion exakt bestimmt wird und schon vor Durchführung der Eine Röntgenkontrolle wird 6 Wochen postoperativ durchge-
distalen Verriegelung festgelegt wird. führt, abhängig hiervon schmerzadaptierte Belastungssteige-
Je nach verwendetem System wird über eine Stichinzision rung. Von einem endgültigen Durchbau ist nach 10–12 Wochen
eine Führungshülse bis an den Knochen (Tuberculum innomi- auszugehen, nach 12 Wochen erfolgt eine erneute Röntgenkon-
natum) herangeführt und zunächst mit Führungsbohrern die trolle. Abtrainieren der Unterarmgehstützen und krankengym-
korrekte Lage und Länge der Schenkelhalsschraube festgelegt. nastische Bewegungstherapie sowie Muskelaufbautraining.
Dann Eröffnen mit Bohrern oder Stufenbohrern, die Schenkel- Auf Grund des hohen Thrombembolierisikos wird die
halsschraube wird nun eingebracht, ggf. noch eine zweite weiter medikamentöse Thromboseprophylaxe bis zum Erreichen der
proximal liegende Schraube zur Rotationssicherung. Bei eini- Vollbelastung, ca. 8 Wochen postoperativ, weitergeführt. In
gen Systemen kann durch Einbringen einer Verschlusskappe dieser Zeit sind regelmäßige Kontrollen des Blutbildes mit
eine zusätzliche Stabilität erreicht werden. Nachdem die Im- Thrombozytenzahlbestimmung zum rechtzeitigen Erkennen
plantate korrekt liegen, erfolgt eine sorgfältige Röntgendiagnos- einer evtl. auftretenden heparininduzierten Thrombozytopenie
tik, um die sichere Position zu beweisen, dann Dokumentation durchzuführen.
und Ausdrucken der Bilder. Die volle Belastungsfähigkeit ist meist 4–6 Monate postope-
rativ erreicht.
Wundverschluss/Verband Eine Implantatentfernung wird nur bei störenden Implan-
In der Regel wird nun im Bereich der Nageleintrittsstelle eine taten, als komplette Implantatentfernung frühestens 12–18 Mo-
Redon-Drainage eingelegt, Verschluss der Faszie mit Einzelnäh- nate, in der Regel 2 Jahre postoperativ erfolgen.
ten und schichtweiser Wundverschluss sowie Hautverschluss
an allen Eintrittsstellen. Nach Anlage eines sterilen trockenen
Verbandes wird die Hüftgelenksbeweglichkeit geprüft, sie sollte
seitengleich sein, um Rotationsfehler schon grob ausschließen
zu können.
9.5 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader Oberschenkelnagelung
267 9
9.5 Versorgung einer geschlossenen ▬ Implantatbrüche, insbesondere der Verriegelungsbolzen vor
Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader allem bei Trümmerfrakturen und Defektfrakturen und nicht
Oberschenkelnagelung zeitgerechter Heilung
▬ Eine Implantatentfernung wird nicht mehr routinemäßig
Vorbemerkung empfohlen, allenfalls Entfernung der Verriegelungsbolzen,
Die operative Stabilisierung von Oberschenkelfrakturen mit Implantatentfernung bei Beschwerden, bei Jugendlichen
Marknägeln wurde in den Jahren 1940 von Küntscher ein- und auf Wunsch des Patienten.
geführt und ist ein typisch minimalinvasives Verfahren, das
eine hohe Primärstabilität bei geringem zusätzlichem Weich- Diagnostik und Planung
teilschaden bietet. Die Einführung der verriegelten Marknä- Es ist darauf zu achten, dass die komplette Röntgendiagnostik
gel, später auch der unaufgebohrten Solidnägel aus Stahl und durchgeführt wurde. Idealerweise werden lange Aufnahmen
Titan, erlaubt nun den Einsatz in einem breiten Integrations- des Oberschenkels in 2 Ebenen sowie gezielte Aufnahmen des
spektrum, u. a. bei offenen Frakturen sowie mehrfragmentä- Hüft- und Kniegelenks in 2 Ebenen vorgenommen. Bei Frak-
ren und Segmentfrakturen, die bis nahe an den epiphysären turen des Typs AO 32 A und B bestehen im Normalfall keine
Knochenanteil reichen. Die ursprüngliche antegrade Nagelung prinzipiellen Probleme bei der geschlossenen Reposition, bei
wurde zwischenzeitlich durch retrograde Nagelungen ergänzt, Frakturen des Typs C kann die Reposition auf Grund von feh-
bei denen über Miniinzision durch das Kniegelenk eingegan- lenden Landmarken zur Wiederherstellung von Länge, Achse
gen wird. An dieser Stelle soll die typische Versorgung einer und Rotation schwierig sein. In diesen Fällen ist darauf zu ach-
geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur im mittleren Drittel ten, dass Aufnahmen des gegenseitigen Oberschenkels zum Sei-
mit einem kanülierten, verriegelten Solidnagel in antegrader tenvergleich vorliegen. Präoperativ sollte die Rotation klinisch
Technik dargestellt werden. Es ist darauf zu achten, dass je nach (Innen-/Außenrotationsfähigkeit der unverletzten Hüfte in 90°
verwendetem Nagelsystem gewisse Besonderheiten hinsichtlich Beugung) oder auch radiologisch (Bestimmung der Kontur
Nageleintrittsstelle, Instrumentarium und Verriegelungstechni- des Trochanter minus bei Neutralstellung der Patella) erfolgen.
ken bestehen, die Grundzüge der Repositionen und Nagelein- Diese Untersuchungen sind in Rückenlage des Patienten int-
bringungen sind aber bei allen Systemen anwendbar. raoperativ leicht am betroffenen Bein zu reproduzieren. Wird
der Eingriff in Seitenlage, ggf. sogar auf dem Extensionstisch
durchgeführt, ist diese Bestimmung erfahrungsgemäß sehr
Indikation schwer und hat zu teilweise erheblichen, revisionsbedürftigen
Idealerweise wird die Versorgung einer frischen Oberschen- Rotationsdifferenzen geführt.
kelschaftfraktur unmittelbar nach Einlieferung vorgenommen. Präoperativ zu bestätigen ist der ausreichende Allgemein-
Lediglich in Situationen, in denen schwere Begleitverletzungen, zustand, insbesondere nach Polytraumatisierung, um durch
insbesondere Lungenverletzungen im Rahmen eines Polytrau- die vorgesehene Marknagelung die Allgemeinsituation nicht zu
mas, vorliegen, wird zunächst eine Notfallstabilisierung mittels gefährden.
Fixateur externe vorgenommen. In diesen Fällen erfolgt die Neben der detaillierten Analyse der Frakturform, die na-
sekundäre Nagelung nach primärer Stabilisierung des Allge- türlich eine Marknagelosteosynthese prinzipiell zulassen muss
meinzustandes (»Damage Control Surgery«). (kritisch sind insbesondere nach proximal oder distal auslau-
fende unverschobene Frakturlinien!), muss auch der Markraum-
durchmesser und die Oberschenkellänge bestimmt werden,
Operationsvorbereitung damit sichergestellt ist, dass Implantate geeigneter Dimension
Aufklärung zur Verfügung stehen. Vor allem bei sehr schmalem Markraum
Die operative Versorgung von Oberschenkelfrakturen im Er- (im Zweifelsfall Aufnahmen mit Maßstab anfertigen!) muss
wachsenenalter wird heutzutage nicht mehr angezweifelt. Die man sich ggf. auf eine Markraumaufbohrung einstellen und ein
alternative nichtoperative Behandlung ist mit erheblichen Ri- entsprechendes Instrumentarium bereithalten.
siken und Nachteilen verbunden, so dass von einer absoluten
Indikation ausgegangen werden kann. Anzusprechen sind:
▬ Thrombose-, Embolierisiko
▬ Ggf. Verschlechterung einer pulmonalen Beeinträchtigung
nach Mehrfachverletzung und Lungenkontusion
▬ Wund-, Weichteil-, in seltenen Fällen auch Knocheninfekti-
onen bis zur Osteomyelitis
▬ Postoperative Hämatombildung mit der Notwendigkeit der
operativen Ausräumung
▬ Kompartmentsyndrom, insbesondere falls in Diastase stabi-
lisiert wird
▬ Ausbleibende Frakturheilung bis zur Pseudarthrose
▬ Achsenabweichung
▬ Rotationsdifferenzen, ggf. korrekturbedürftig
268 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Im Operationssaal
Lagerung
Bei den eigenen Patienten wird die Operation auf dem Stan-
dardtisch in Rückenlage durchgeführt, zur Verbesserung der
seitlichen Durchleuchtung kann das gegenseitige Bein auf ei-
ner Beinstütze in 90°-Beugung der Hüfte ausgelagert werden
(⊡ Abb. 9.31). Allerdings wird damit die Möglichkeit der direk-
ten klinischen Rotations- und Längenkontrolle unmöglich.
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1.
Generation).
Nach Narkoseeinleitung und Lagerung des Patienten unter
Sicherung der Durchleuchtungsmöglichkeiten (insbesondere
distal muss zur Verriegelung eine absolut seitliche Einstellung
möglich sein) Markierung der Nageleinstrittsstelle in Verlän-
gerung der Trochanterspitze (⊡ Abb. 9.31 und 9.32). Danach
steriles Abwaschen und Abdecken, die Abdeckung muss einen
guten Zugang zum Trochanter ermöglichen und ausreichend
⊡ Abb. 9.31. Lagerung und Einstellung des Bildwandlers. Der Patient
Raum für das Einbringen des Nagels ermöglichen. Auf der
liegt auf dem Rücken auf einem röntgendurchlässigen Standardoperati- Operationsseite müssen die Abdecktücher daher nahezu paral-
onstisch. Zur besseren Durchleuchtungsfähigkeit des proximalen Femurs lel zur Längsausrichtung des Tisches ausgerichtet werden.
(Nageleintrittsstelle) wird das gegenseitige Bein in der Hüfte gebeugt und
auf einer Beinstütze gelagert. Durch Herausnehmen der entsprechenden
Beinplatte wird die Zugänglichkeit zum betroffenen Bein und damit die
Möglichkeiten der geschlossenen Reposition nochmals verbessert
9

⊡ Abb. 9.32. Bestimmung von Nagellänge und


Durchmesser mit Röntgenschablonen. Unter
leichtem Zug am Bein wird die Fraktur in Repositi-
onsstellung gebracht (»Länge ausgeglichen«) und
die radiologische Bestimmung von Nageldurch-
messer und Länge vorgenommen. Es muss je-
weils eine senkrechte Projektion im Zentralstrahl
gewählt werden, um Verzerrungen zu vermeiden.
Der Oberschenkel muss daher mit dem Bildwand-
ler »abgefahren« werden und an den Messpunk-
ten einzelne Aufnahmen gemacht werden. Die
Röntgenschablone wird zunächst proximal in Pro-
jektion des Trochanter major gebracht (linkes In-
sert) und auf die Haut aufgelegt. b Im Bereich der
engsten Stelle des Markraumes, hier Frakturzone,
wird anhand der Durchmessermarkierungen der
Innendurchmesser des Schaftes bestimmt (mitt-
leres Insert) Distal kann anhand der Lägenmarkie-
rungen in senkrechter Projektion der Nagellänge
abgelesen werden (rechtes Insert)
9.5 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader Oberschenkelnagelung
269 9
Operationstechnik
Es wird der Konvexität des Femurs folgend an der Trochanter-
spitze beginnend eine etwa 7 cm lange Inzision kranialwärts
durchgeführt. Nach Präparation durch das Subkutangewebe
wird die Faszie mit der Schere eröffnet und digital die Trochan-
terspitze getastet. Mit Ausnahme von sehr muskelkräftigen Pa-
tienten kann man dorsal der Abduktoren die Fossa piriformis
tasten. Die Piriformissehne ist dabei eine sehr gute Leitstruktur.
In der Regel ist nach leichtem Spreizen des Bindegewebes damit
schon ausreichend Zugangsmöglichkeit gegeben, um die Ein-
trittsstelle festlegen zu können. Eine formelle Exposition mit
Einsetzen von Hohmann-Hebeln ist nur in Ausnahmefällen
bei unübersichtlicher Anatomie erforderlich. Dazu muss der
Zugang etwas nach proximal erweitert werden.
Je nach Nageltyp wird nun die Nageleintrittsstelle mit ei-
nem langen Führungsspickdraht markiert. Gerade Nägel be-
nutzen die Fossa piriformis als Eintrittsstelle, so dass hier
unter digitaler Kontrolle der Spickdraht aufgesetzt werden kann
(⊡ Abb. 9.33). Das Einsetzen wird durch Adduktion des Beins a
unter Zug erleichtert.
! Es ist darauf zu achten, dass der Führungsdraht der Konvexität
des Femurs folgend geführt wird, da die Achse des Oberschen-
kels in Sagittalebene bogenförmig nach ventral verläuft.

⊡ Abb. 9.33a,b. Inzision und Aufsuchen der Fossa piriformis. Schema-


tische Darstellung des Zugangs. a Je nach Weichteilmantel wird ausrei-
chend weit proximal der Trochanterspitze eingegangen und die Faszie
eröffnet. Die Muskelfasern werden gespreizt. b Leitstruktur ist die Sehne
des M. piriformis, in deren Ansatzstelle in der Fossa piriformis auch die
Eintrittsstelle der meisten Oberschenkelmärknägel liegt (cave: Es gibt
auch andere Modelle, sog. »laterale Marknägel« mit Eintrittspunkt an der
Trochanterspitze!)
270 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Nach Eingehen in die Spongiosa wird nun eine Bildwandler- Gegenkortikalis erreicht, hier sollte der Draht nach lateral
kontrolle in beiden Ebenen durchgeführt, diese bestätigt die abgleiten. Ist die Eintrittsstelle gesichert, wird mit einem
Eintrittsstelle in Anterior-posterior-Richtung. In der Regel speziellen, über den Draht geführten Markraumeröffnungs-
ist die achsengerechte Einbringung nur unter Vorbiegung des instrumentarium unter rotierend-schneidenden Bewegungen
Drahtes oder sehr starker Adduktion des Beins zu erreichen. durch die Spongiosa eingegangen und der Markraum eröffnet
Der Draht wird mit dem Hammer vorsichtig vorgeschla- (⊡ Abb. 9.34). Führungsdraht und Instrument können nun ent-
gen, bis er sicher im Markraum einsitzt und die mediale fernt werden. Je nach System wird ggf. aufgebohrt.

a b

c d

⊡ Abb. 9.34. Radiologische Kontrolle der Markraumeröffnung. a,b Aufsuchen der Eintrittsstelle, hier mit dem Pfriem. c Einsetzen des Führungs-
drahtes, Adduktion des Beins und Vorschieben des Drahtes in den Markraum. d Endgültige proximale Eröffnung bei korrekt liegendem Führungs-
draht mit dem kanülierten Eröffnungsbohrer. Entsprechende Führungshülse zum Weichteilschutz verwenden!
9.5 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader Oberschenkelnagelung
271 9
Reposition
Vor Einbringung des Nagels müssen Länge und Durchmesser
bestimmt werden. Ist die Röntgenanalyse nicht eindeutig zu
interpretieren gewesen, wird nun mit einem speziellen Län-
genlineal Länge und Durchmesser bestimmt. Dazu wird das
Lineal unter genau a.p. Durchleuchtung in die vorbestimmte
Position etwa 2 cm proximal des Kniegelenksspaltes entlang
der Achse des Oberschenkels auf die ventrale Hautoberfläche
aufgelegt. Der Längszug des Beins wird beibehalten und mit
einem nächsten a.p. Bild die Fraktur dargestellt. Hier sollten
nun keine wesentlichen Verkürzungen oder Distraktionen vor-
handen sein, eventuell Ausgleich durch Zug am Bein. Anhand
dieser Aufnahme kann nun auch der engste Markraumdurch-
messer durch Markierung am Lineal abgelesen werden. Jetzt
unter Beibehaltung des Längszuges a.p. Aufnahme im Bereich
der Trochanterregion und Ablesen der exakten Nagellänge. Der
Nagel sollte mit der Trochanterspitze abschließen, um eine ggf.
notwendige Nagelentfernung nicht unnötig zu erschweren. a

! Vor allem bei Trümmerzonen wird die Größenbestimmung


vor der Abdeckung am unverletzten Bein vorgenommen.

Ein entsprechender Nagel wird nun ausgesucht und in korrek-


ter Position mit dem Zielbügel und dem Einschlaginstrumenta-
rium verbunden. Der Operateur prüft die korrekte Nagellänge
und den Durchmesser, der Nagel wird nun unter digitaler Füh-
rung (evtl. kann der Assistent mit einem Langenbeck-Haken
die Weichteile nach ventral retrahieren) in das proximale Fe-
mur eingebracht.
Der Nagel wird nun abgesetzt, der Assistent übernimmt
erneut das Bein und führt nun eine maximale Adduktion unter
gutem Längszug durch. Damit erleichtert sich das Einbringen
des Nagels in das proximale Femurende. Mit leichten Rotations-
bewegungen wird nun der Nagel vorgeschoben (⊡ Abb. 9.35). Er
sollte zu diesem Zeitpunkt noch relativ einfach einzubringen
sein. Die Achse des Femurs muss dabei berücksichtigt wer-
den, um eine Sprengwirkung zu vermeiden. Gegebenenfalls
unterstützt durch leichte Schläge mit dem Schlitzhammer oder
mit dem normalen Hammer wird der Nagel bis zur Fraktur
b
vorgetrieben (⊡ Abb. 9.36). Die Reposition ist insbesondere bei
muskelkräftigen Patienten schwierig. Meist besteht eine Fehl-
⊡ Abb. 9.35a,b. Einführen des Nagels und Repositionsmanöver. a Der
stellung mit Beugung der Hüfte, so dass der Nagel mit Füh- ausgewählte Nagel mit Führungs- und Zielinstrument wird nun manuell
rungsinstrumentarium angehoben werden muss, um die Mus- eingeführt. Das proximale Fragment wird zur Reposition durch den Ope-
kelspannung auszugleichen. Das distale Fragment muss nach rateur mit dem Nagel »gesteuert«. Der Assistent manipuliert das distale
ventral gebracht werden. Hierzu ist es oftmals sinnvoll, eine Fragment durch Zug, ggf. durch Druck, mit einem möglichst röntgen-
größere Rolle als Hypomochlion unter den proximalen Anteil durchlässigen Hammer. Bei muskelkräftigen Patienten sollte möglichst
eine zweite Assistenz am Tisch sein! Bis zum endgültigen Passieren der
des distalen Fragments unterzulegen. Fraktur müssen ggf. auch mehrfach Projektionsänderungen des Bild-
> Achtung 1. Assistent wandlers vorgenommen werden. b In der seitlichen Durchleuchtung ist
zu erkennen, dass der distale Markraum nun erreicht wurde
Der Assistent zieht am Bein, achtet auf die Seitverschiebung
und versucht nun unter ausreichendem Längszug das distale
Fragment über das Hypomochlion nach ventral zu bringen.
Beim muskelschwachen Patienten kann dies durchaus durch
ein »Einrasten der Fraktur« wahrnehmbar sein.
272 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

⊡ Abb. 9.36. Endgültiges Einschlagen


des Nagels. Der Nagel wird nun mit leich-
ten Hammerschlägen vorgetrieben. Ist
ein erheblicher Widerstand zu verspüren,
muss ggf. der Marknagel gewechselt und
ein dünnerer Nagel verwendet werden,
um Schaftsprengungen zu vermeiden.
Alternativ kann bei gegebener Indikation
auch eine Aufbohrung erfolgen. Darstel-
lung der endgültigen Einbringung und
manuellen Kontrolle der Nagelrotation
anhand des Zielbügels

Der Operateur dirigiert mit dem Einschlaginstrument das pro- mit dem Winkelgetriebe. Der Bohrer wird zunächst schräg auf
ximale Ende des Nagels und versucht, in die distale Markhöhle den Knochen aufgesetzt, bis die Spitze genau in Projektion des
einzutauchen. Ist in dieser Technik die Reposition nicht mög- Lochs liegt. Dann wird die Bohrrichtung parallel zum Zen-
lich, muss mit einer seitlichen oder leicht schrägen Durchleuch- tralstrahl des Bildwandlers ausgerichtet und nochmals eine
tung das Ausmaß der Dislokation in Sagittalebene verifiziert Kontrollaufnahme gemacht. Die eingearbeiteten röntgendich-
9 werden, um ggf. das Hypomochlion in der Position zu ändern ten Kreise sollten nun konzentrisch um das Verriegelungsloch
und die Zugrichtung zu korrigieren. Zur Überquerung der zu liegen kommen.
Fraktur kann der Nagel auch extraanatomisch gedreht werden,
! Diese Position muss unbedingt gehalten werden, dazu muss
um in Richtung auf die Markraumöffnung zu »steuern«. Ist
der Operateur eine sichere Standposition haben. Die Orientie-
der distale Markraum erreicht, wird der Nagel etwa 1,5–2 cm
rung im Bildwandler kann schwierig sein, daher ist vor genauer
vorgeschlagen und dann sukzessive in die reguläre Position
Justierung eine Ausrichtung erforderlich. Der auf der Gegen-
zurückgebracht. Vorsichtiges Einschlagen des Nagels, bis der
seite stehende Bildschirm muss sowohl in kraniokaudaler als
Nagel proximal im Knochen versinkt (entsprechende Markie-
auch anteroposteriorer Ausrichtung mit der Lage des Patienten
rungen sollten vor dem Verschwinden des Nagels nochmals
übereinstimmen.
angesehen werden, damit die Röntgenkontur sicher wiederer-
kannt wird!). Der Knochen wird jetzt »angekörnt« unter vorsichtigem Anlau-
Wenn keine wesentliche Diastase besteht, wird der Nagel fen des Bohrers, danach Durchqueren der nahen Kortikalis, das
etwa 5 mm tiefer eingeschlagen und der Oberschenkel klinisch Nagelquerschnitts und der Gegenkortikalis. Die Bolzenlänge
in die korrekte Rotation verbracht (die Patella sollte streng nach wird mit dem Längenmessgerät bestimmt. Ist die Länge nicht
kranial zeigen). In dieser Situation wird das Bein nun im Knie- sicher zu eruieren, muss ggf. durch Umschwenken des Bild-
gelenk auf eine Rolle gelegt und die seitliche Durchleuchtung wandlers in a.p. Ebene die Längenmessung gesichert werden.
des Bildwandlers eingerichtet.
! Gegebenenfalls kann der Längenmesser nicht ausreichend auf
> Achtung 1. Assistent den Knochen geführt werden, wenn die Inzision im Bereich des
Der Assistent hält dabei das Bein kontinuierlich in der erreich- Tractus iliotibialis zu kurz gewählt wurde!
ten Position.
Einbringen einer entsprechenden Verriegelungsschraube. Sie
Die Verriegelungslöcher werden nun genau rund in Bildschirm- wird ganz in den Knochen eingedreht und sollte auf der Ge-
mitte (Zentralstrahlprojektion!) dargestellt (ggf. Ausgleich genseite etwa 3–4 mm überstehen, um einen guten Halt zu
durch Adduktion/Abduktion des Beins oder Veränderungen haben. Die weiter proximal gelegene Schraube wird in gleicher
der Bildwandlerposition) und ggf. die Vergrößerungsoption Technik besetzt. Danach wird nun eine Rotationskontrolle des
eingestellt (⊡ Abb. 9.37). Auf der lateralen Seite muss ausrei- Oberschenkels durchgeführt. Lassen sich durch Bildwandler-
chend Platz sein, um mit Bohrer und Winkelgetriebe den Ober- einstellungen keine Kortikalisstufen zwischen proximalem und
schenkel zu erreichen. Gegebenenfalls muss dazu die Stellung distalem Fragment nachweisen, ist die Fraktur ggf. sogar »ein-
des Bildwandlers verändert werden. gerastet«, ggf. kann die Rotationskontrolle mit diesen Informa-
Mit einer Klemme wird nun das Zentrum des rund darge- tionen abgeschlossen werden. Ansonsten wird die Antetorsion
stellten Loches auf der Haut markiert und dort eine etwa 1,5 cm des Schenkelhalses mit dem Bildverstärker bestimmt. Kontrolle
lange Längsinzision als Stichinzision durchgeführt. Diese In- der Gegenseite vor Abdeckung! Genau seitliche Durchleuch-
zision wird durch den Tractus bis auf den Knochen geführt, tung der Femurkondylen, ohne Beugung des Beines wird der
stumpfes Spreizen der Inzision mit der Schere. Jetzt Eingehen Bildverstärker dann nach proximal gefahren und die Antetor-
9.5 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit antegrader Oberschenkelnagelung
273 9
sion des Schenkelhalses beurteilt. Der Nagel wird nun »zurück-
geschlagen«, um einen besseren Frakturkontakt (Kompression)
zu erreichen, ggf. ist damit eine Verzahnung der Fraktur mög-
lich.
Jetzt erfolgt die proximale Verriegelung, die mit dem Ver-
riegelungsbügel durchgeführt wird. Bestehen Querfrakturen
mit ausreichendem Kontakt der Hauptfragmente, kann eine
rein dynamische Verriegelung im Langloch erfolgen, ansonsten
wird zunächst die statische Verriegelung gewählt. Dazu wird
die Führungshülse auf die Haut aufgesetzt, an der markierten
Stelle eine Längsinzision von etwa 2 cm durchgeführt, wobei
auch hier der Traktus zu spalten ist. Die Führungshülse wird
mit Trokar bis auf den Knochen aufgesetzt, der Trokar entfernt
und die Bohrung durch Knochen und Nagel durchgeführt. Bei
Erreichen der Gegenkortikalis wird bei den meist verwendeten
gradierten Bohrern eine Ablesung bei fest auf dem Knochen
a
aufsitzender Bohrhülse durchgeführt. Gewöhnlich ist die Ge-
genkortikalis etwa 5 mm dick, so dass der gemessene Wert mit
einer Zugabe von etwa 7–10 mm die Schraubenlänge darstellt.
Einbringen zunächst der statischen, dann der dynamischen
Verriegelungsschrauben.
Danach Abnehmen des Einschlaginstrumentariums und
Aufsetzen der Abschlusskappe. Dazu muss das Bein nochmals
adduziert werden. Es erfolgt nun eine abschließende Rotations-
prüfung der Hüfte, sowohl Innen- als auch Außenrotation soll-
ten problemlos möglich sein und idealerweise mit den Werten
der Gegenseite übereinstimmen.
! Eine abschließende Bildwandlerkontrolle ist unbedingt not-
wendig, insbesondere muss in der seitlichen Durchleuchtung
gesichert werden, dass keine Schraube unter Verfehlung des
Nagellochs ventral oder dorsal am Nagel vorbeigeht. Eventuell
müssen die Schrauben nochmals nachgezogen werden, damit
sie sicher mit dem Schraubenkopf auf der Kortikalis aufliegen.
b

Wundverschluss/Verband ⊡ Abb. 9.37a,b. Distale Verriegelung. a Zur distalen Verriegelung wird


Abschluss der Operation durch Einlage einer Redon-Drainage das reponierte Bein so gelagert, dass eine exakt seitliche Durchleuch-
tung der Verriegelungslöcher des Nagels möglich wird. b Erkennbar wird
im Bereich der Nageleintrittsstelle, Verschluss der Faszie überall
dies durch die absolut runde Darstellung des zur Verriegelung geplanten
(Muskelhernien!) und Hautverschluss mit Einzelnähten. Steri- Lochs im Zentralstrahl (Insert). Diese Position wird exakt beibehalten,
ler trockener Verband, normalerweise als Pflasterverband an eine Stichinzision durchgeführt und der Bohrer mit Winkelgetriebe auf-
allen Operationswunden. gesetzt. b Zunächst wird die Bohrerspitze in Projektion auf das Verriege-
lungsloch gebracht (linkes Insert). Danach wird der Bohrer parallel zum
Strahlengang »eingeschwenkt« (rechtes Insert). In dieser Position kann
nun gebohrt werden. Der Bohrer muss sehr gut stabilisiert werden, um
nicht abzurutschen. Es ist wichtig, die einzelnen zu »durchquerenden«
Strukturen zu »erfühlen« (Kortikalis, Verriegelungsloch im Metall, Gegen-
kortikalis), um bei Abweichungen sofort radiologisch kontrollieren und
ggf. korrigieren zu können
274 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Offene Reposition Postoperativ


Ist die Reposition geschlossen nicht möglich, muss ggf. auf eine Probleme
offene Reposition übergegangen werden. Als Minimaleingriff Bei Nagelungen allgemein, besonders aber bei Oberschenkel-
können dazu Schanz-Schrauben unikortikal in beide Fragmente marknagelungen können intraoperativ eine Reihe von Prob-
frakturnah eingebracht werden (Stichinzisionen) und mit Hilfe lemen auftreten. Ein exaktes, schrittweises Vorgehen und die
der mit dem T-Griff armierten Schanz-Schrauben (»Joysticks«) Planung von ggf. notwendigen Alternativen (Reposition ggf.
lässt sich die Repositionsmöglichkeit verbessern. offen, Nagellänge, Nageldurchmesser, Rotationskontrolle etc.)
In seltenen Fällen muss über eine laterale Miniinzision eine sind daher dringend zu empfehlen. Auch wenn Oberschen-
offene Einrichtung erfolgen. Dieses kann auch dann notwendig kelmarknagelungen bei erfahrenen Chirurgen ofmals elegant
werden, wenn schalenartige Fragmente vollkommen verdreht und unproblematisch erscheinen, darf nicht übersehen werden,
sind und den Eingang in die Markhöhle versperren. dass eine große Zahl von Einzelschritten berücksichtigt werden
⊡ Abb. 9.38 zeigt beispielhaft die Versorgung einer geschlos- müssen und der Eingriff eher der höheren Schwierigkeitsstufe
senen Oberschenkelschaftfraktur mit einer Oberschenkelver- zuzuordnen ist.
riegelung.

a b c

d e f

⊡ Abb. 9.38a–f. Röntgenverlauf. Geschlossene Oberschenkelschaftfraktur (Typ AO12 A3) rechts einer 80-jährigen Patientin nach häuslichem Trep-
pensturz. a,b Unfallbilder. c–f Versorgung mit Oberschenkelverriegelungsnagel in a.p. (c,d) und seitlicher (e,f) Projektion
9.6 · Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur mit winkelstabiler Plattenosteosynthese
275 9
In der postoperativen Phase können Weichteilschwellungen 9.6 Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur
problematisch werden, hier sollten engmaschige Kontrollen mit winkelstabiler Plattenosteosynthese
erfolgen.
Die Rotationskontrolle ist beim Oberschenkel erfahrungs- Vorbemerkung
gemäß schwierig. Postoperativ muss genau auf Differenzen In der Versorgung der distalen Oberschenkelfrakturen hat es
geachtet werden, in Zweifelsfällen wird eine Rotationsbestim- in den letzten Jahren eine erhebliche Änderung der Thera-
mung durch die CT angestrebt. piestrategie gegeben. Waren mit dem früheren Konzept der
offenen anatomischen Reposition mit stabiler Fixation häufig
Nachbehandlung verzögerte Frakturheilungen des suprakondylären Frakturan-
▬ Operationstag: Kontrolle der peripheren DMS, Kontrolle teils zu sehen, konnte durch den Einsatz der minimalinvasiven
der Schwellung des Oberschenkels und der Produktion der Techniken die primäre Heilungsrate deutlich erhöht werden.
Redon-Drainagen. Obwohl minimalinvasive Techniken (MIPO = minimalinvasive
▬ Postoperativer Tag 1: Der Patient steht vor dem Bett, es perkutane Plattenosteosynthese) auch mit den Standardim-
werden geführte krankengymnastische Übungen durchge- plantaten wie Kondylenplatte, dynamische Kondylenschraube,
führt mit Hüftbeugung und Kniebeugung, bei geringer DCS oder regulären Platten durchführbar sind, konnte durch
Produktion aus der Redon-Drainage Entfernung derselben, die Entwicklung von anatomisch adaptierten winkelstabilen
ansonsten belassen bis zum 2. Tag. Implantaten eine nochmalige deutliche Verbesserung von
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Verbände, Mobili- Handling, Übersicht und Eingriffsdauer erreicht werden. An
sation des Patienten an Unterarmgehstützen. Bei gutem dieser Stelle soll daher die typische Versorgung einer supra-
Kontakt der Hauptfragmente und Querfraktur ist schmerz- diakondylären Oberschenkelfraktur mit einem winkelstabilen
abhängig eine Vollbelastung sofort möglich. Plattensystem dargestellt werden. Es sei darauf hingewiesen,
dass unter Einsatz der beschriebenen Prinzipien natürlich
Rotationsbewegungen während der Krankengymnastik sollten auch mit alternativen Implantaten sehr gute Ergebnisse erzielt
möglichst vermieden werden, um eine zu starke Belastung werden können.
der Verriegelungsbolzen zu vermeiden. Röntgenkontrolle nach
Entfernung der Drainagen.
Indikation
Weiterbehandlung/Arztbrief Supradiakondyläre Oberschenkelfrakturen werden mit Aus-
Entlassung bei sicherer Mobilisation des Patienten und Zurück- nahme von geriatrischen Patienten in der Regel im Rahmen
gehen der Schwellung möglich. Treppen sollten eigenständig von Hochrasanztraumen erlitten. Kommen sie als isolierte Ver-
bewältigt werden. letzungen vor, ist idealerweise eine Sofortversorgung nach Aus-
Fadenzug 10–14 Tage postoperativ. schluss von Begleitverletzungen angezeigt. Bestehen mehrere
Je nach Frakturform Teil- oder Vollbelastung, Röntgenkont- Begleitverletzungen im Sinne einer Polytraumatisierung, wird
rolle nach 6 und 12 Wochen. Beginnende Heilungszeichen soll- eine primäre Notfallstabilisierung mit einem gelenküberbrü-
ten nach 6–8 Wochen erkennbar sein, der komplette Durchbau ckenden Fixateur externe vorgenommen ( Kap. 1.8) und die
zwischen 12 und 16 Wochen erfolgen. endgültige Osteosynthese nach Stabilisierung der Allgemeinsi-
Zunehmende Belastung mit abnehmenden Beschwerden, tuation vorgesehen.
Sportfähigkeit und schwere körperliche Arbeitsfähigkeit erst
nach radiologisch sicherem Durchbau (unter Beurteilung bei-
der Ebenen der Fraktur sollten radiologisch mindestens 3 Cor-
tices komplett durchbaut sein).

Implantatentfernung
Nach Oberschenkelfrakturen im Regelfall frühestens nach 1,5–2
Jahren, bei Beschwerden im Bereich der Verriegelungsbolzen
(insbesondere medial am distalen Oberschenkel bei überste-
hendem Verriegelungsbolzen) nach 6–12 Monaten möglich.
276 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Aufklärung Lagerung
Eine sinnvolle nichtoperative Behandlungsoption besteht bei Der Eingriff wird auf dem Standardtisch durchgeführt
derartigen Verletzungen nicht, auf Vor- und Nachteile eventu- (⊡ Abb. 9.39). Eine ausreichende Durchleuchtungsmöglichkeit
eller Alternativverfahren wie z. B. retrograder intramedullärer muss gegeben sein.
Verfahren ( Kap. 3.5) muss ggf. hingewiesen werden. Anzu- Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin der 1. Genera-
sprechen sind: tion.
▬ Allgemeine Operationsrisiken Der Eingriff kann in Regional- und Allgemeinnarkose
– Thrombembolische Komplikationen durchgeführt werden. Auf eine ausreichende Muskelentspan-
– Wund-, Weichteil- oder Knocheninfektion nung während des Repositionsvorganges sollte geachtet wer-
– Gefäß- und Nervenschäden den. Eine Blutsperre wird nicht vorgesehen.
– Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung Nach Narkoseeinleitung sorgfältige Vorreinigung und Ra-
– Längen-, Achsen- oder Rotationsfehlstellungen sur. Ein liegender Fixateur wird bei sauberen Pins und vernünf-
▬ Spezifische Komplikationen tiger Repositionsstellung belassen, wobei die Zahl der Verbin-
– Ungenügende Gelenkreposition mit ggf. frühzeitiger Ar- dungsstangen auf das Minimum reduziert wird. Danach steriles
throse, insbesondere bei Achsenfehlstellung und/oder Abwaschen und Abdecken des gesamten Beins. Dieses muss
primären Knorpelschäden frei beweglich sein und bis zur Spina iliacae anterior superior
– Störende Implantate, insbesondere bei medialer Schrau- frei bleiben, um eine Orientierung über die Beinachsenbestim-
benperforation mung zu haben. Es ist sinnvoll, vor dem endgültigen Abdecken
– Notwendigkeit der Teilbelastung für mindestens 6–12 Wo- Rotationsprüfungen der Gegenseite vorzunehmen und zu do-
chen kumentieren ( Kap. 3.5).
– Implantatentfernungen sind nicht routinemäßig vorge-
sehen, insbesondere bei schlanken Patienten bei lokal Operationstechnik
9 störenden Platten aber relativ häufig Es handelt sich um ein minimalinvasives Verfahren, d. h. eine
direkte Exposition findet nur dort statt, wo chirurgische Re-
Diagnostik und Planung positionen erfolgen bzw. Implantate eingebracht werden. Zur
Präoperativ müssen Aufnahmen des kompletten Oberschenkels Repositionskontrolle muss ein guter Einblick in das Kniegelenk
in 2 Ebenen sowie gezielte Aufnahmen des Kniegelenks in 2 möglich sein. Dazu wird das Bein leicht erhöht gelagert und
Ebenen vorliegen, zusätzlich Aufnahmen des Hüftgelenks bzw. ein Abklappen im Kniegelenk auf etwa 60° durch Absenken
der Beckenübersicht und der Hüfte axial zum Ausschluss von der Beinplatte möglich gemacht. In dieser Position sollte zu-
proximalen Frakturen. mindestens das mittlere und distale Drittel des Femurs bei
Sorgfältige Prüfung der lokalen Weichteilverhältnisse, ins- durchgeschwenktem Bildwandler störungsfrei darstellbar sein.
besondere bei liegendem Fixateur externe muss auf Zeichen Angezeichnet wird die Patella, das Ligamentum patellae und
einer Pininfektion geachtet werden, Kontrolle und Dokumenta- der laterale Femurkondylus.
tion der peripheren DMS. Die Hauptinzision erfolgt anterolateral auf etwa 7 cm Länge
parallel zum lateralen Patellarand (⊡ Abb. 9.40). Nach Spaltung
des Retinaculums Arthrotomie und Einsehen in das Gelenk. In
dieser Position kann nun der obere und laterale Recessus eröff-
net werden, so dass es möglich ist, unter Retraktion der Weich-
teile nach dorsal eine Platte lateral an das Femur einzuschieben.
Dieser Weg wird mit dem langen Raspatorium vorpräpariert.

⊡ Abb. 9.39. Lagerung und Zugang. Die Lagerung erfolgt auf einem
röntgendurchlässigen Standardtisch. Das gegenseitige Bein wird leicht
abgesenkt, um eine ausreichende seitliche Durchleuchtungsmöglichkeit
zu erhalten. Der Zugang erfolgt durch eine anterolaterale, parapatellare
Inzision, um ausreichend Überblick über die Gelenkanteile der Fraktur
zu erhalten
9.6 · Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur mit winkelstabiler Plattenosteosynthese
277 9

a
a

⊡ Abb. 9.41a,b. Exposition und Reposition der Gelenkfraktur. a Die


b Fraktur ist nun ausreichend exponiert, um eine Reposition im Gelenk-
bereich vornehmen zu können. b Die Fragmente werden zunächst mit
⊡ Abb. 9.40a,b. Hautinzision und Eröffnung Kniegelenk, Exposition la- Repositionszangen gehalten und danach mit Zugschrauben gegenei-
teraler Kondylus des Kniegelenks. a Es erfolgt eine parapatellar laterale nander fixiert. Bei der Wahl der Schraubenposition ist einerseits die
Hautinzision und Gelenkeröffnung. b Durch Beugung des Kniegelenkes Geometrie der Femurkondylen zu berücksichtigen, um eine intraossäre
wird eine gute Übersicht über die Gelenkfläche erreicht. Gelenkfrakturen Schraubenlage zu gewährleisten, andererseits muss aber auch das spä-
sind so gut einsehbar und reponierbar tere Plattenlager ausgespart werden

Reposition/Stabilisierung zange, um die Kondylenfragmente manipulieren und kompri-


Unter direktem Einblick in das Gelenk wird nun zunächst mieren zu können.
eine Reposition der Gelenkblöcke vorgenommen (⊡ Abb. 9.41). Ist die Gelenkfläche ausreichend anatomisch wiederher-
Gegebenenfalls können hier Spickdrähte als sog. »Joysticks« gestellt, vorläufige Fixation mit Spickdrähten und Bildwand-
eingesetzt werden, um Rotation und Verschiebungen zu kon- lerkontrolle, ggf. jetzt schon Einsatz von Zugschrauben. Auf
trollieren. Der Einsatz einer großen Tibiakopfrepositionszange die spätere Plattenposition muss unbedingt geachtet werden.
ist empfehlenswert, evtl. auch einer großen Beckenrepositions- Es ist weiterhin zu beachten, dass der mediale Kondylus sehr
278 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

⊡ Abb. 9.42. Einschieben der »LISS-Platte«.


Nach Rekonstruktion des Gelenkblocks
erfolgt nun die endgültige Fixation gegen
den Schaft in »minimalinvasiver, perkutaner
Technik«. Die Fraktur sollte dabei möglichst
nicht exponiert werden, ggf. kann mit dem
langen Raspatorium entlang des Knochens
»getunnelt« werden, um ein Einschieben der
Platte zu erleichtern. Die schematische Dar-
stellung zeigt das Einschieben der Platte mit
aufgesetztem und zuvor justiertem Zielbügel.
Die Platte ist anatomisch geformt, so dass
nach Erreichen der vorläufigen Endposition
die Feinreposition an die Plattengeometrie
erfolgen kann

viel kleiner ist und von daher die Schrauben absteigend ein- Hierüber kann nun eine verschraubte Zielhülse eingesetzt wer-
gebracht werden müssen. Nach Reposition des Gelenkblockes den, sie fixiert die korrekte Position des Zielbügels, so dass In-
wird nun die Platte eingeschoben (⊡ Abb. 9.42). Die suprakon- kongruenzen durch Verwindung unmöglich gemacht werden.
dyläre Frakturzone sollte dabei möglichst schonend ohne wei- Die Platte wird nun proximal vorläufig fixiert, dazu wird durch
9 tere Freilegung überquert werden. Da das Einführen der Platte die Zielhülse ein Spickdraht in die Kortikalis eingebracht. Die
bei möglichst genauer Achsausrichtung vereinfacht ist, sollte richtige Position kann »ertastet« werden, indem die Platte
spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Repositionskontrolle mit zunächst leicht ventral, dann leicht dorsal überstehend gehal-
dem Bildwandler erfolgen. Eventuelle Verschiebungen in Sa- ten wird, die Schaftmitte liegt genau im »Zenit« dieser Kno-
gittalebene können entweder durch Ummontage des Fixateurs chenrundung (⊡ Abb. 9.43). Obwohl nun Länge und Rotation
oder entsprechende Unterpolsterung und/oder Lageänderung bestimmt sind, bestehen in der Regel noch Achsabweichungen,
des Beins ausgeglichen werden. sie können durch Manipulation am Bein oder durch Einsetzen
Es wird eine ausreichende lange Platte gewählt, die mög- spezieller Zuginstrumentarien ausgeglichen werden. Diese Ins-
lichst langstreckig im proximalen Fragment verankert werden trumentarien erlauben es, über Stichinzisionen weitere Hülsen
kann. Da in der Regel nur monokortikale Schrauben verwendet einzubringen und z. B. das distale Ende des proximalen Schaft-
werden, sollten mindestens 5–6 Schraubenlöcher sicher im fragments indirekt über ein Gewinde gegen die Platte zu repo-
unverletzten Segment zu liegen kommen. Die entsprechende nieren. Liegen alle Fragmente nun streng parallel zur Platte,
Platte wird nun auf das Führungsinstrument aufmontiert und ein direkter Kontakt ist aufgrund der Winkelstabilität nicht
die richtige Ausrichtung zu den Schraubenlöchern überprüft. unbedingt erforderlich, und sind Achse und Rotation gesichert,
Die Platte wird von distal her eingeschoben. erfolgt nun die Besetzung mit winkelstabilen Schrauben.
Hilfreich ist es, mit der Plattenspitze möglichst immer Kon- Im Bereich des Femurkondylus sind die Schraubenrichtun-
takt zum Periost zu halten. gen vorgegeben, so dass hier ein optimaler Halt gewährleistet
Nachdem die Platte weit genug eingeschoben ist, erfolgt ist. Die Schraubenlängen können anhand einer Tabelle entspre-
zunächst distal eine vorläufige Fixation mit einem oder zwei chend der ermittelten Kondylengröße ausgesucht werden, sie
Spickdrähten. Das Gelenkfragment und das Schaftfragment sind selbstbohrend und werden nach maschineller Einbringung
sollten möglichst parallel zur anatomisch ausgeformten Platte mit dem Drehmomentschraubenzieher definiert angezogen.
zu liegen kommen, dazwischen liegende Fragmente bleiben Proximal werden monokortikale Schrauben über weitere Sti-
unberücksichtigt. Vor der Fixation im proximalen Schaftanteil chinzisionen eingebracht, sie sind bei guter Knochenqualität
ist die Rotationsstellung (z. B. durch die Ermittlung der Kontur zur Stabilisierung ausreichend.
des Trochanter minors) zu ermitteln und ggf. zu korrigieren. Bei geriatrischen Patienten und bei schlechter Knochen-
Ist ein Fixateur in Position, ist die Rotationsstellung damit im qualität sollte zumindestens die am weitesten proximal liegende
Normalfall gesichert. Ansonsten kann durch Einbringen einer Schraube bikortikal eingebracht werden, um ein Ausreißen der
Schanz-Schraube im Bereich des Trochanter major die Rotation Platte zu verhindern. Nach Abnahme des Zielgerätes erfolgt nun
des proximalen Fragments kontrolliert werden. Die korrekte nochmals eine komplette Bewegungsprüfung von Hüfte und
Länge muss ebenfalls radiologisch gesichert werden. Vor allem Kniegelenk sowie die abschließende Sicherung der Beinachse
bei ausgedehnten Trümmerzonen kann dies schwierig sein und (z. B. Kabelmethode), der Rotation (Innen- und Außenrotation
man ist unter Umständen auf eine Seitenvergleich angewiesen. der Hüfte seitengleich) und ggf. der Beinlänge. Die Röntgenkon-
Im Bereich des proximalsten Plattenloches wird nun eine trolle hat sorgfältig in beiden Ebenen zu erfolgen, um sicherzu-
Stichinzision gesetzt und das Gewebe bis zur Platte gespreizt. stellen, dass alle Schrauben auch im Knochen liegen.
9.6 · Versorgung einer distalen Oberschenkelfraktur mit winkelstabiler Plattenosteosynthese
279 9

e
c d

⊡ Abb. 9.43a–e. Feinpositionierung am Schaft und indirekte Repositi- Führungshülse eingebrachten Spickdraht bzw. auch direkt mit dem Boh-
onsmechanismen. a,b Zur Kontrolle der subkutan liegenden Platte sind rer bewährt. c Die Bohrung selbst wird durch die Hülse mit Wasserküh-
neben der Bildwandlerkontrolle spezielle Techniken notwendig. Damit lung vorgenommen. d,e Spezielle Ansätze erlauben ein »Heranziehen«
die Platte proximal in der Schaftmitte zu liegen kommt, hat sich die Pal- des Knochens an die Platte
pation des »Zenits« der Femurschaftzirkumferenz mit einem durch die

! Auch ein komplettes Überstehen der Platte wird bei dem Ein- Wundverschluss/Verband
drehen der Schrauben nicht bemerkt, da die Verschraubung im Nach Einlage einer Redon-Drainage in das distale Plattenlager
Plattenloch einen festen Halt vortäuscht! Verschluss des Gelenks und des Retinaculums, Verschluss
von Subkutangewebe und der Haut sowie der Stichinzision.
⊡ Abb. 9.44 zeigt beispielhaft die Versorgung einer suprakon- Steriler trockener Verband und leichter Kompressionsver-
dylären Femurfraktur mit einer Plattenosteosynthese. band.
280 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

a b c

d e f

g h i

⊡ Abb. 9.44a–l. Röntgenverlauf. Suprakondyläre Femurfraktur bei einer 97-jährigen Patientin. a–c Kontrolle der Plattenlage und Fixierung mit K-
Drähten. d Besetzen der distalen Schrauben. e,f Indirekte Reposition. g–i Postoperative Röntgenkontrolle
9.7 · Patellafraktur (Zuggurtungsosteosynthese)
281 9
Postoperativ 9.7 Patellafraktur (Zuggurtungsosteosynthese)
Probleme
Intraoperative Probleme sind in der Regel in einer unzurei- Operationsprinzip
chenden Orientierungsmöglichkeit bei der rein perkutanen Die »klassische Osteosynthese« bei Vorliegen einer Patellaquer-
Technik begründet. Besonders die Rotationskontrolle kann fraktur ist die Zuggurtungsosteosynthese. Mehrfragmentäre
problematisch sein. Derartige Eingriffe sind daher einer höhe- Frakturen und bestehende Trümmerzonen können Modifika-
ren Schwierigkeitskategorie zuzuordnen und sollten am Anfang tionen der Techniken nötig machen, auch Schraubenosteosyn-
ausschließlich mit erfahrener Assistenz durchgeführt werden. thesen mit und ohne Kombination von Gurtungen werden
Postoperative Probleme bereiten häufig die bei diesen Ver- angewendet. Entscheidend für den Erfolg der Osteosynthese
letzungen ausgeprägten Weichteilschäden. Engmaschige klini- ist die zuverlässige Kompensation der hohen Zugkräfte des M.
sche Kontrollen sind daher unerlässlich. quadrizeps femoris, um eine sekundäre Diastase zu vermeiden.
Da die intraoperative Achsen- und Rotationskontrolle ein- An dieser Stelle soll daher eine typische Versorgung bei ge-
geschränkt ist, sollte frühzeitig eine genaue klinische und ggf. schlossener Patellaquerfraktur dargestellt werden.
auch radiologische Kontrolle (evtl. auch mit Rotations-CT)
erfolgen, um evtl. schon frühzeitig korrigieren zu können.
Operationsvorbereitung
Nachbehandlung Aufklärung
▬ Operationstag: Nach Abklingen der Narkose DMS-Kon- Bei dislozierten Frakturen gibt es keine vertretbaren Behand-
trolle, Anhalten zu eigenständigen Spannungsübungen, lungsalternativen, um die Streckfähigkeit des Kniegelenks zu
Kontrolle des Füllungsstandes der Redon-Drainage. erhalten. Typische Komplikationsmöglichkeiten sind:
▬ Postoperativer Tag 1: Entfernung der Drainage bei geringer ▬ Thrombose-, Embolierisiko
Produktion (unter 50 ml). Beginnende Mobilisation in Ab- ▬ Wund-, Weichteil-, selten Kniegelenks- und Knocheninfekte
hängigkeit vom Allgemeinzustand. Kniebewegungsschiene ▬ Sekundäre Diastasen mit Pseudarthrosenbildung
mit möglichst zügiger Steigerung auf 90° Kniebeugung. ▬ Retropatellare Arthrosen, insbesondere bei primär ausge-
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Drainagen, Ver- prägten Knorpelschäden oder unzureichender Reposition
bandswechsel, Pflasterverband, Kompressionsstrümpfe, ▬ Lokale implantatbezogene Schmerzen
Mobilisation an Unterarmgehstützen, Weiterführung der
Bewegungsschienentherapie bis sicher 90° erreicht werden. Da postoperativ die Beugung des Kniegelenks für 6 Wochen
auf 60° begrenzt wird, ist die präoperative Bereitstellung eines
Postoperative Röntgenkontrolle Oberschenkel in 2 Ebenen, »Bewegungs-Braces« mit einstellbarer Kniebeugung sinnvoll.
Kniegelenk in 2 Ebenen.
Nach Mobilisation sorgfältige klinische Prüfung von Bein- Diagnostik und Planung
länge und Rotationsdifferenzen, im Zweifelsfall Durchführung Alle frischen Frakturen, auch die Patellaquerfraktur, sollten
eines Rotations-CT. bei bestehender Indikation idealerweise unmittelbar nach dem
Unfall operativ versorgt werden. Insbesondere bei bestehenden
Weiterbehandlung/Arztbrief Weichteilverletzungen oder den häufigen Schürfungen ist mit
Fadenzug nach 14 Tagen. einer unmittelbaren Versorgung das Infektionsrisiko gemin-
Teilbelastung für 6 Wochen, danach Röntgenkontrolle in dert. Ansonsten muss die sichere Konsolidierung der Weich-
exakt 2 Ebenen. Je nach Heilungsfortschritt zunehmender Be- teile abgewartet werden.
lastungsaufbau. Weitere Röntgenkontrolle nach 12 Wochen,
dann Übergang auf Vollbelastung. Endgültige Heilung nach
12–16 Wochen zu erwarten. Volle Belastungsfähigkeit nach
12–16 Wochen.
282 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Im Operationssaal
Lagerung
Die Lagerung erfolgt auf dem Standardtisch (⊡ Abb. 9.45). In-
operative Bildwandlerkontrollen sind notwendig, am Kniege-
lenk aber kein Problem.
Vorreinigung und Rasur. Eine Oberschenkelblutsperre
kann verwendet werden, muss aber ausreichend proximal am
Oberschenkel angelegt werden. Bei den eigenen Patienten wird
darauf verzichtet.

⊡ Abb. 9.45. Lagerung und Zugang. Der Patient wird in Rückenlage auf
Zugang
einem normalen Operationstisch gelagert. Das Bein wird frei beweglich Orientierungspunkte sind die gut tastbare Patella (oftmals ist
abgedeckt. Die Inzision erfolgt median über der in der Regel gut tastba- sogar die Frakturdiastase palpabel und/oder sichtbar). Es erfolgt
ren Fraktur eine etwa 15 cm lange Längsinzision mittig über der Patella.
> Achtung 1. Assistent
Es kann ein erheblicher Hämarthros vorliegen, der bei Eröff-
nung unmittelbar abgesaugt werden muss.

Operationstechnik
Nach Präparation durch das Subkutangewebe wird die Frak-
turstelle sofort erreicht. Es erfolgt nun die weitere Freilegung
der Quadrizepssehne und des Lig. patellae, so dass der vorhan-
9 dene Einriss des Retinakulums sichtbar wird (⊡ Abb. 9.46). Die
beiden Hauptfragmente werden angehoben, dazu werden sie
jeweils mit der großen Repositionszange mit Spitzen seitlich
gefasst.
Es kann jetzt die Femurkondyle und die knorpelige Rück-
⊡ Abb. 9.46. Darstellung der Fraktur. Nach Eröffnung des Retinakulums fläche der Kniescheibe inspiziert werden. Freie Knorpelfrag-
sind Fraktur und Kniegelenk durch die Fraktur meist schon gut einzuse- mente werden entfernt, abstehende Knorpelstücke geglättet.
hen. Je nach Frakturlokalisation wird die Inzision als laterale oder medi- Das Kniegelenk wird ausgedehnt gespült und durch Beugung
ale parapatellare Inzision erweitert, um die Reposition der Gelenkfläche auf 90° auf weitergehende Verletzungen inspiziert. Nach Säube-
ausreichend kontrollieren zu können
rung der Frakturflächen kann nun die Reposition erfolgen.

Reposition/Stabilisierung
Die Schwierigkeit besteht in der Kontrolle der anatomischen
Reposition, da nach Kompression der Hauptfragmente die Pa-
tellarückfläche meist nicht mehr eingesehen werden kann. Es
wird daher in der Überstreckstellung des Kniegelenks (Assis-
tenz: Tuchrolle unter den distalen Unterschenkel legen!) mit
Hilfe der angelegten Zangen die Zusammenführung der Haupt-
fragmente durchgeführt und die lückenlose Reposition durch
den über die Retinakulumverletzung eingeführten Zeigefinger
kontrolliert (⊡ Abb. 9.47).
In dieser Situation wird die Reposition durch Einsetzen
einer großen Repositionszange mit Spitzen in kraniokaudaler
Richtung gesichert und die Fraktur in anatomischer Position
komprimiert. Da bei einfachen Frakturformen eine sehr gute
Verzahnung der Hauptfragmente stattfindet, ist die Reposition
so auch stabil zu halten. Oftmals gelingt es auch, die Patella
leicht anzukippen, und durch den bestehenden Einriss des
⊡ Abb. 9.47. Repositionsstellung und Einbringen der Spickdrähte. Die Retinaculums ggf. unter leichter Erweiterung des Einrisses die
Reposition erfolgt in Streckung des Gelenks unter Sicht bzw. digita- Rückfläche nochmals zu inspizieren, ansonsten zu palpieren.
ler Kontrolle der Gelenkfläche. Zunächst wird die Reposition mit einer Nach gesicherter Reposition wird die endgültige Osteosynthese
großen Repositionszange mit Spitzen gehalten. Danach werden zwei
kräftige Spickdrähte (2,0 mm) parallel zueinander, gelenkflächennah von
vorbereitet.
distal her eingebracht. Die Drähte stehen proximal über, um ein ausrei- Entsprechend des Zuggurtungsprinzips wird durch 2 pa-
chendes Widerlager für die Cerclage zu gewährlisten rallel zueinander und zur Knorpeloberfläche eingebrachte
9.7 · Patellafraktur (Zuggurtungsosteosynthese)
283 9
Spickdrähte von mindestens 2,0 mm Durchmesser eine sekun-
däre Verschiebung der Hauptfragmente ausgeschlossen. Eine
Verschiebung entlang der Achse der Spickdrähte wird durch
die »Zuggurtungscerclage« verhindert bzw. bei Beugung des
Kniegelenks die interfragmentäre Kompression noch erhöht.
Die Einbringung der Spickdrähte erfolgt von distal nach
kranial. Dazu werden im Abstand von etwa 2 cm medial und
lateral kleine Längsinzisionen in der Patellarsehne durchge-
führt und der Spickdraht unter Einsatz seiner Führungshülse
direkt auf den Knochen aufgesetzt. Der Assistent stabilisiert die
Führungshülse, so dass der Operateur unter digitaler Kontrolle
der Patellarückfläche den Spickdraht frei ausrichten kann und
parallel zur Knorpelfläche nach kranial bohrt.
a
! Der Knochen ist in der Regel sehr hart, beim Abrutschen be-
steht Verletzungsgefahr. Beim Überhitzen des Drahtes erfolgt
eine Kühlung durch Spülflüssigkeit.

Der Draht sollte genau in Längsrichtung liegen und wird kra-


nial unter leichter weiterer Beugung des Kniegelenks aus dem
Knochen herausgebohrt und soweit durch die Muskulatur ge-
schoben, bis er die Quadrizepssehne perforiert oder zumindes-
tens gut tastbar ist. Er muss dort knochennah freigelegt werden.
Genau parallel dazu, in einem Abstand von etwa 2 bis maximal
3 cm, wird ein zweiter Draht eingebracht. Die Parallelität der b
Drähte ist wichtig, da durch eine schräge Position der komplette
Schluss der Fraktur verhindert werden kann. Die korrekte Lage ⊡ Abb. 9.48a,b. Vorlegen und Spannen der Cerclage. a Nun wird der
der Drähte sowie die anatomische Reposition werden jetzt im Cerclagedraht (1,25 mm) in Achtertour um die Spickdrahte gelegt. Proxi-
mal wird die Quadrizepssehne untertunnelt und die Cerclage möglichst
Bildwandler in beiden Ebenen gesichert.
nah an den Knochen angenähert. Es werden zwei Drahtwendel angelegt,
Zur Durchführung der Zuggurtung wird ein Cerclagedraht um eine gleichmäßige Spannung der Drähte zu erreichen. Beide Wendel
von 1,25 mm Durchmesser verwendet. Er wird proximal kno- sollten möglichst diastal in der Nähe der Spickdrähte zu liegen kommen,
chennah unter die Spickdrähte geführt. Zur Erleichterung kann um eine Implantatentfernung zu erleichtern. b Das Spannen der Cerclage
eine gebogene Kanüle ausreichender Dimension unter den erfolgt durch Verdrillen der Wendel. Dabei wird zunächst mit der Zange
ein Längszug ausgeübt, danach erfolgt die Verdrehung. Durch diese
Drähten »durchgestochen« werden und danach der Draht ein-
Technik werden ein Brechen der Drähte verhindert und ein guter Materi-
geführt und durch Rückzug der Kanüle unter der Sehne plat- alkontakt innerhalb der gleichmäßig geformten Verdrillung erreicht
ziert werden. Nach Entfernung der Kanüle wird der Draht zu-
nächst manuell angezogen, so dass ein sicherer knochennaher
Halt gewährleistet ist. Der Draht wird nun gekreuzt und in
entsprechender Weise distal sehr knochennah unter den Spick-
drähten durchgeführt. Um eine gleichmäßige Anspannung zu
gewährleisten, werden 2 Drahtwirbel angelegt. Dazu wird an
der geschlossenen Seite mit der Zange eine Hülse gelegt, die
»offene Seite« der Cerclage wird angespannt und verwirbelt
(⊡ Abb. 9.48). Jetzt abwechselndes Anziehen beider Seiten durch
Verdrillen. Die Cerclage muss gut unter Kompression kommen.
Kürzen der Wirbel auf etwa 1 cm und Umbiegen des Wirbels,
so dass die Spitzen dem Knochen aufliegen.
Die Spickdrähte werden nach Kürzung zunächst mit dem
Biegeeisen soweit wie möglich, danach mit einer spitzen Zange
in eine 180°-Biegung abgewinkelt. Der abwinkelte Schenkel
wird nötigenfalls nochmals auf etwa 8 mm gekürzt und dann
mit dem Stößel in den Knochen eingeschlagen (⊡ Abb. 9.49).
Der Cerclagedraht muss dabei gut umfasst werden, um ein
sekundäres Abrutschen zu vermeiden. Proximal werden die
⊡ Abb. 9.49. Zurückschlagen der umgebogenen Spickdrähte. Die Spick-
Spickdrähte nur gekürzt, so dass sie das Cerclagedrahtende um
drähte werden auf die korrekte Position überprüft, dann distal abgeschnit-
etwa 1 cm überstehen. Hier sollte keine Umbiegung erfolgen, ten und um 180° umgebogen (Biegestab und Zange). Durch Zurückschla-
um bei der Implantatentfernung einen kleinen Zugang wählen gen wird die entstandene Krampe um den Cerclagedraht herum in den
zu können. Knochen geschlagen
284 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Nach Abschluss der Osteosynthese wird eine vorsichtige 9.8 Versorgung der Tibiakopffraktur
Bewegungsprüfung bis 90° Beugung des Kniegelenks durchge-
führt. Der Cerclagedraht sollte sich gut anspannen und unter Vorbemerkung
der Anspannung keine Verschiebung der Fragmente, insbe- Tibiakopffrakturen weisen ein breites Spektrum von Schweregra-
sondere im Bereich der Gelenkfläche auftreten. Abschließende den und Begleitverletzungen auf. Die im Wesentlichen verwen-
Röntgenkontrolle im Bildwandler in beiden Ebenen, danach deten Klassifikationssysteme der AO nach Schatzker orientieren
ausgiebige Spülung, auch des Kniegelenks. sich vor allem an der Frakturmorphologie. Für die Beurteilung
des Schweregrades ist aber insbesondere die Differenzierung
Wundverschluss/Verband zwischen den sog. Luxationsfrakturen (Einteilung nach Moore)
Einlage einer intraartikulären Redon-Drainage, Verschluss des und den Kompressionsfrakturen sinnvoll. Die Luxationsfrak-
Retinakulums mit resorbierbarer Naht der Stärke 0, Subkutan- turen umfassen zwar nur etwa 20% aller Frakturen, sind aber
nähte und Hautverschluss mit Rückstichnähten. Steriler tro- sehr viel häufiger mit lokalen Begleitverletzungen (Verletzungen
ckener Verband und postoperative Anlage eines »Bewegungs- der Popliteagefäße in 2%, Nervenverletzungen, insbesondere N.
Braces« der in der Beugung auf 60°-Beugung limitiert wird. peroneus, in 4% der Fälle) und Kompartmentsyndromen verge-
sellschaftet. Hochgradig verdächtig für Luxationsfrakturen sind
Frakturformen, die unter Einschluss der Eminentia intercon-
Postoperativ dylaris des Tibiakopfes auf die Gegenseite verlaufen bzw. dort
Probleme isolierte Fragmente aufweisen.
Besondere Gefahren liegen in der sekundären Dislokation. Bei derartigen Frakturformen muss auch bei primär nur
Der Patient sollte instruiert werden, dass bei zunehmenden geringer Verschiebung mit spontanen Dislokationen gerechnet
Schmerzen und/oder Hämatom- und Ergussbildungen eine so- werden, so dass schon zur Notversorgung eine Ruhigstellung
fortige Wiedervorstellung mit Röntgenkontrolle erfolgen muss. im Brace, der Oberschenkelgipsschale oder sogar im Fixateur
externe angeraten ist. Die operative Rekonstruktion einer Tibia-
9 Nachbehandlung kopfluxationsfraktur kann chirurgisch äußerst anspruchsvoll
▬ Operationstag: Kontrolle der Drainagen und des Verban- sein und ist daher als Eingriff im Wesentlichen erfahrenen
des. Der Patient sollte zu eigenständigen Übungen ange- Fachärzten vorbehalten. Um das Grundverständnis zu erhö-
halten werden mit leichter aktiver Kniebeugung und Bewe- hen, eine fachgerechte Assistenz zu erleichtern und ggf. Teile
gung des Fußes zur Thromboseprophylaxe. des beschriebenen Eingriffs für die Versorgung von einfachen
▬ Postoperativer Tag 1: Mobilisation, bei geringer Draina- Spalt- oder Spaltimpressionsfrakturen zu verwenden, wird an
genförderung unter 50 ml Entfernung, ansonsten nach 48 h. dieser Stelle die Versorgung einer typischen 4-Teile-Fraktur
Einsatz der Kniebewegungsschiene mit kontinuierlicher mit größerem interkondylärem Fragment und anhängendem
Steigerung der Beugung bis 60°. Kreuzbandursprung beschrieben. Trotz der hohen Variabilität
der Frakturverläufe bestehen gewisse Gemeinsamkeiten, die die
Weiterbehandlung/Arztbrief Entwicklung einer einheitlichen Repositions- und Stabilisati-
Mobilisation unter Teilbelastung des Beins für 6 Wochen, im onsstrategie vereinfachen und dabei helfen, die Zugangsgröße
Anschluss Röntgenkontrolle und zunehmende Belastungsstei- in einem bezüglich der Weichteildeckung kritischem Gebiet
gerung. möglichst minimal zu halten.
Bei geringer Compliance wird der »Bewegungs-Brace« für Je nach Frakturverlauf wird lediglich die anterolaterale In-
6 Wochen belassen. Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen. zision zur Versorgung verwendet, z. B. bei lateralen Spalt- oder
Implantatentfernung nach 12 Monaten, bei lokalen Be- Spaltimpressionsbrüchen. Auch bei diesen »relativ einfachen«
schwerden frühestens nach 6 Monaten bei sicherer knöcherner Frakturformen besteht auf Grund der parallel zur Fraktur ein-
Konsolidierung. wirkenden Kräfte ein hohes Dislokationsrisiko, wenn nicht eine
ausreichende Fragmentabstützung erfolgt. Von daher ist an
sich immer der Einsatz zumindestens einer distalen »Antigleit-
platte« indiziert. Bei sehr weicher Knochenstruktur sollte eine
durchgehende Platte als »Neutralisationsplatte«, idealerweise
sogar unter Einsatz von winkelstabilen Schrauben, verwendet
werden.
9.8 · Versorgung der Tibiakopffraktur
285 9

a b c d

e f

g h i

⊡ Abb. 9.50a–i. Klassifikation der Tibiakopffrakturen. a Spaltbruch. dialer oder lateraler Kondylenbruch. g Typ 3, Randabrissbruch (»Segond-
b Impressionsfraktur. c Impressions-Spaltbruch. d Bikondyläre Fraktur. Fragmente«). h Typ 4, Randkompressionsfraktur medial oder lateral.
Die selteneren Luxationsfrakturen werden nach Moore (1981) eingeteilt i Typ 5 Vier-Teile-Bruch
in: e Typ 1, mediodorsaler Kondylenspaltbruch. f Typ 2, kompletter me-
286 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsprinzip Operationsvorbereitung
Bei der Analyse der Tibiakopfluxationsfrakturen wird man fest- Aufklärung
stellen, dass typischerweise das mediale Fragment in Beziehung Da keine sinnvollen nichtoperativen Therapieoptionen zur
zum Femur verbleibt. Das heißt, es findet eine Verschiebung Verfügung stehen, ist bei instabilen Frakturen, bei Fraktu-
zwischen femoraler Gelenkkomponente und anhängendem ren mit Gelenkstufenbildung über 2 mm und/oder potenziell
medialem Tibiakopffragment gegenüber dem Unterschenkel instabilen Frakturen die offene Einrichtung und interne Fi-
statt, wobei die Verletzung des interkondylären und lateralen xation die Therapieoption der Wahl. Die Komplikationsrate
Kompartiments variabel ist. Im vorgestellten Fall (⊡ Abb. 9.51) hängt ganz wesentlich vom Ausmaß der Begleitverletzung,
ist es zu einem großen, wenig verschobenen Ausbruch der aber auch der operativen Technik ab. Die Aufklärung sollte
Interkondylärregion gekommen. Zusätzlich besteht eine Dislo- den Patienten auch auf einen evtl. verlängerten postoperati-
kation im lateralen Schienbeinkopfkompartiment als tief impri- ven Verlauf und notwendige Folgeeingriffe vorbereiten. Zu
mierter Spaltimpressionsbruch. besprechen sind:
Aus diesem typischen Dislokationsmuster erschließt sich ▬ Relativ hohe Rate an thromboembolischen Komplikationen
recht einfach die Versorgungsstrategie: ▬ Wund-, Weichteil-, Knocheninfektionen
▬ In einem ersten Schritt wird eine Grobeinrichtung mit ▬ Ggf. Unmöglichkeit des primären Wundverschlusses mit
Längszug am Unterschenkel durchgeführt, um das umge- Vakuumversiegelung und sekundärer Wundnaht
bende Gewebe zu entlasten. In vielen Fällen wird dies im ▬ Unzureichende Gelenkrekonstruktion bei ausgeprägter
Rahmen eines Notfalleingriffs mit Hilfe eines ventralen Knorpelzerstörung und konsekutiver Entwicklung einer
gelenküberbrückenden externen Fixateurs erreicht. posttraumatischen Früh- oder Spätarthrose trotz anatomi-
▬ Durch eine anatomische Reposition des medialen Frag- scher Reposition
ments gegen die Tibia ist die »Gesamtlänge« der Extremität ▬ Sekundäre Dislokation bei inadäquater Nachbehandlung
festgelegt. Die weitere Versorgung kann nun entsprechend ▬ Gefäß- oder Nervenläsion
einer »Impressionsfraktur« erfolgen. ▬ Persistenz einer Kniebandinstabilität
9 ▬ Da im interkondylären Fragment die Kreuzbänder an- ▬ Ggf. Verwendung von autogener Spongiosa aus dem Be-
setzen, muss dafür Sorge getragen werden, dass keine ckenkamm oder Knochenersatz-material bei ausgedehnten
sekundäre Dislokation dieses Fragments erfolgt. Bei gro- spongiösen Defekten.
ßen Fragmenten kann durch ein »Einklemmen« zwischen
lateralem und medialem Fragment durch Zugschrauben Diagnostik und Planung
eine ausreichende Fixation erreicht werden, ansonsten In der Akutphase sind Begleitverletzungen wie Gefäßabrisse,
müssen, insbesondere bei Zertrümmerung des Interkon- sekundäre Thrombosen nach Intimaläsion oder Nervenver-
dylärraums, die Bandstümpfe mit nicht resorbierbarem letzungen auszuschließen und regelmäßige Überwachung von
Faden gefasst und durch die Fraktur ausgeleitet und ver- Durchblutung, Motorik und Sensibilität anzuordnen. Auch ein
knotet werden. Kompartmentsyndrom darf keinesfalls übersehen werden. In
▬ Die Versorgung des lateralen Tibiaplateaus entspricht dem der Regel wird der Eingriff aber elektiv unter optimalen infra-
der isolierten Kompressionsfraktur. Über einen anterolate- strukturellen Bedingungen durchgeführt. Zur Analyse und Pla-
ralen Zugang wird nach Durchtrennung des Lig. menisco- nung sind Aufnahmen des Kniegelenks in 2 Ebenen, ggf. auch
tibiale eine gute Einsicht in das Gelenk gewonnen, einge- des gesamten Unterschenkels in 2 Ebenen nötig. Zur Beurtei-
presste Knorpelfragmente werden durch die Fraktur nach lung des Ausmaßes der Gelenkimpression und der Fraktur-
kranial gestößelt und das meist schalenförmige laterale ausdehnung v. a. in den posterioren Gelenkabschnitten ist die
Fragment stabil fixiert. Durchführung einer Computertomographie mit multiplanaren
Reformationen dringend zu empfehlen.
Da bei dieser Art von Verletzung erhebliche Kräfte übertragen Vor dem Eingriff wird die periphere DMS und die lokale
werden müssen, auf der anderen Seite aber ein erhebliches Haut- und Weichteilsituation sorgfältig geprüft. Insbesondere
Infektrisiko besteht, müssen die Implantate situationsgerecht, bei bestehenden Hautschürfungen oder nach operativ gespal-
biomechanisch optimal platziert werden. Da das mediale Ti- tenen Kompartmentsyndromen muss das Risiko eines Wund-
biakopffragment in der Regel eine in Sagittalebene von vent- und Weichteilinfektes sorgfältig abgewogen werden.
ral nach dorsal schräg abfallende Frakturoberfläche aufweist,
ist das Anbringen einer mediodorsalen sog. »Antigleitplatte«
wichtig. Richtig platziert weist auch ein sehr kleines Implan-
tat, wie ein H-Plättchen oder T-Plättchen, eine sehr hohe
Stabilität auf. Nach Rekonstruktion der Gelenkfläche muss
eine ausreichende Neutralisation der auftretenden Kräfte er-
folgen. Daher ist lateral, bei guter Weichteildeckung durch die
Extensoren, die Anlage einer speziellen Tibiakopfplatte oder
sogar winkelstabilen Tibiakopfplatte notwendig. Mit dieser
Implantatkombination ist eine frühfunktionelle Nachbehand-
lung möglich.
9.8 · Versorgung der Tibiakopffraktur
287 9

a b c d

e f g h

⊡ Abb. 9.51. Röntgenanalyse. Eine exakte Analyse der Fraktur ist un- sind das »posterior-mediale Schlüsselfragment« (c,d), das »laterale Frag-
umgänglich, um Repositionstaktik und Stabilisierung gut vorplanen zu ment« (e,f) und das »Eminentia-intercondylaris-Fragment« (g,h). i In
können. a,b Die a.p. (a) und seitliche (b) Röntgenaufnahmen stellen der CT-Analyse lässt sich die typische geometrische Beziehung leicht
trotz der geringen Verschiebung eine hochgradig instabile Tibiakopflu- nachvollziehen und damit allein schon die biomechanisch günstigste
xationsfraktur dar (4-Teile-Fraktur nach Moore). c–h Typische Fragmente Implantatposition erkennen
288 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Im Operationssaal der Beckenkamm der betroffenen Seite mit steril abgewaschen


Lagerung und abgedeckt.
Während der Operation muss eine Durchleuchtungsmöglich-
keit des Knies in 2 Ebenen gegeben sein (möglichst röntgen- Zugang
durchlässigen Tisch verwenden, die Beinplatte der betroffenen Der Eingriff erfolgt über 2 Inzisionen. Zur Abstützung des
Seite muss in Kniegelenksebene bis 60° abklappbar sein). Ggf. medialen Tibiakopffragments wird ein kurzer posteromedialer
Hochlagerung des betroffenen Beins, um eine seitliche Durch- Zugang angelegt (⊡ Abb. 9.53). Die Versorgung der lateralen
leuchtung ohne Anheben des gegenseitigen Beins zu ermögli- Seite erfolgt über einen anterolateralen Zugang. Als Orientie-
chen (⊡ Abb. 9.52). Eine Blutsperre kann angelegt werden, bei rungspunkte zu markieren sind unter etwa 30°-Beugung des
den eigenen Patienten wird aber auf ihre Verwendung ins- Kniegelenks die Patellakonturen, das Fibulaköpfchen, der me-
besondere bei Vorliegen von ausgedehnten Weichteilschäden diale und laterale Kniegelenksspalt, die tastbaren Sehnen des
(Kompartmentsyndrom!) verzichtet. Pes anserinus medialseits sowie die Tuberositas tibiae und die
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1. in den Tibiakopf einstrahlenden Fasern des Tractus iliotibialis
Generation). anterior bzw. lateral.
Das betroffene Bein wird frei beweglich abgedeckt. Beim
Abwaschen wird das Bein unter Längszug gehalten, um eine ! Um insbesondere bei prekären Weichteilverhältnissen die
weitergehende Dislokation der Fragmente und Sekundärschä- posteromediale Inzision kleinzuhalten, kann unter Bildwandler-
den der Weichteile zu vermeiden. verwendung der Frakturverlauf aufgezeichnet werden. Besteht
Ist schon ein transfixierender Fixateur externe angelegt, noch eine stärkere Verkürzung, wird nach Lösen des Fixateurs
wird er vor dem Abwaschen auf eine Verbindungsstange redu- eine möglichst optimierte geschlossene Einrichtung durchge-
ziert, aber in situ belassen und mit abgewaschen und abgedeckt. führt. Vorsicht: Beim Lösen der Backen und Verbindungsstan-
Ist die Verwendung von autogener Spongiosa vorgesehen, wird gen wird erneut ausreichend desinfiziert!

⊡ Abb. 9.52a,b. Zugänge posteromedial und anterolateral. Das


betroffene Bein wird in leichter Beugung (Beinplatte 20° absen-
ken) möglichst auf einem röntgendurchlässigen Operationstisch
gelagert. Das gegenseitige Bein sollte abgesenkt werden, um eine
seitliche Durchleuchtung nicht zu behindern. a,b Vorgesehen sind
eine kurze posteromediale Inzision (a), um das posteromediale
Schlüsselfragment reponieren und abstützen zu können, und eine
anterolaterale Inzision (b), die auch allein für die Versorgung von
b lateralen Kompressionsfrakturen verwendet wird
9.8 · Versorgung der Tibiakopffraktur
289 9
Operationstechnik
Die Inzision erfolgt geschwungen etwa 7–10 cm lang über dem
Pes anserinus und endet etwa 1–2 cm distal der tibialen Gelenk-
fläche. Nach Präparation durch das Subkutangewebe und Eröff-
nen der Faszie sind die Sehnen des Pes anserinus aufzusuchen.
Je nach Frakturform wird nun entweder durch die Sehnen oder
dorsal der Sehnen eingegangen. Die posteromediale »Fraktur-
spitze« kann mit dem Raspatorium dargestellt werden. In dieser
Position wird nun ein runder Hohmann-Haken eingesetzt, um
die Weichteile ausreichend zu retrahieren. Vorsichtiges Sprei-
zen der Fraktur (⊡ Abb. 9.54) und sparsames Ausräumen mit
dem Zahnarzthäkchen oder dem kleinen scharfen Löffel. Bei
guter geschlossener Vorreposition kann die endgültige Repo-
sition durch manuellen Druck erreicht werden. Ggf. muss der
Fixateur nochmals geöffnet werden, um unter Sicht die Länge
herzustellen. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, mit einer
großen übergreifenden Repositionszange (spezielle Tibiakopf-
oder große Beckenrepositionszange) über eine Stichinzision im ⊡ Abb. 9.53. Exposition nach posteromedialem Zugang. Die Fraktur
Bereich der Tuberositas tibiae eine anatomische Einrichtung zu wird nach Spreizen der Sehnen des Pes anserinus sichtbar. In dieser
schematischen Ansicht ist die Platte zur Abstützung des posteromedia-
erreichen. Klinisch ist dabei immer die Gesamtachse des Beins
len Fragmentes schon angelegt. Sie verhindert lediglich ein Abrutschen
zu beachten. Nur wenn diese stimmt, ist auch eine ausreichend der in diesem Fall ideal »verzahnten« Fragmente
präzise Einpassung des medialen Tibiakopffragments gewähr-
leistet.
Die Fixation erfolgt idealerweise direkt an der Spitze der
schräg nach dorsal auslaufender Fraktur, um ein weiteres
Abrutschen zu verhindern. Je nach Frakturform wird eine
Kleinfragmentplatte oder T-Platte, in seltenen Fällen auch eine
kleine DC-Platte angeformt. Bei den eigenen Patienten wird
die Verwendung der H-Platte bevorzugt. Es wird zunächst ein
2,5 mm Loch möglichst weit in posteroanteriorer Richtung di-
rekt distal des Frakturspitzes angelegt und die Platte, im mitt-
leren Loch mit einer Schraube ausreichender Länge armiert,
dort angeschraubt. Damit ist schon ein Abrutschen des Frak-
turspitzes verhindert, die Besetzung der weiteren Schrauben
sichert die Position. Die Wunde wird mit feuchten Tüchern
abgestopft und nun auf die anterolaterale Seite übergegangen.
Hier wird unter Beibehaltung der Beugung des Knies eine
leicht geschwungene Inzision, beginnend zwischen Tractus
iliotibialis und Tuberositas tibiae, etwa von der Patellaspitze
an bis zu einer Linie 1 cm lateral der Schienbeinvorderkante
durchgeführt. Da eine Platte angelegt werden muss, ist die In-
zision je nach Umfang des Beins zwischen 10 und 15 cm lang.
Nach Präparation durch das Subkutangewebe wird durch
Palpation der Übergang zwischen Exzision, Ursprung und Tibi-
⊡ Abb. 9.54. Vorsichtiges Aufspreizen und Darstellen der Fraktur. Die
akopf getastet und die Faszie L-förmig in diesem Bereich eröff- lateralen Anteile der Fraktur sind nach Ablösen des Ursprungs der Ex-
net und gleichzeitig die Muskelfasern vom Knochen abgelöst. tensoren von der Knochenoberfläche und Anheben des Meniskus mit
Mit dem Raspatorium wird die Muskulatur nach dorsal gescho- Haltenähten nach Ablösung der tibialen Anheftung dargestellt.
ben. Man bekommt so Überblick auf den lateralen Tibiakopf.
Um einen Einblick in das Gelenk zu erreichen, wird nun scharf
subperiostal proximal präpariert und die Fasern des Periostes
und des Lig. meniscotibiale en bloc abgehoben. Sobald das
Gelenk eröffnet ist, entleert sich altes Hämatom. Hier wird nun
eine Haltenaht angelegt, die die Basis des Meniskus sowie das
Lig. meniscotibiale fasst.
Sequenziell wird nun nach ventral und dorsal gearbeitet
und etwa alle 10 mm eine Haltenaht angelegt, bis die gesamte
Meniskusbasis nach kranial angehoben werden kann. Man be-
290 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Gegebenenfalls kann an dieser Stelle vorläufig ein Drittelrohr-


plättchen zur Abstützung des Fragments distal angeschraubt
werden. Die Frakturspitze bleibt damit »eingeklemmt«, kann
aber proximal zur Feinjustierung weiterhin bewegt werden. Die
Einzelfragmente werden nun zwischen Interkondylärraum und
lateralem Tibiaplateau eingepasst und zunächst mit Spickdräh-
ten fixiert. In dieser Phase sollte unbedingt eine Bildwandler-
kontrolle in beiden Ebenen erfolgen. Sie sichert die korrekte
Beinachse, die Lage des interkondylären Fragments, welches
ggf. etwas distalisiert werden muss und insbesondere in leicht
gekippter Einstellung die korrekte Höhe der Gelenkflächen.
! Die laterale Gelenkfläche sollte sich konvex darstellen
und etwa 7–8 mm kranial der medialen, konkav geformten
Gelenkfläche zur Darstellung kommen.

Selbstverständlich ist auf Stufenbildung zu achten und in der


seitlichen Durchleuchtung die Kippung der Gelenkfläche nach
dorsal oder ventral zu beachten (der »tibial slope« ist indivi-
duell verschieden und sollte aber normalerweise zwischen 3°
⊡ Abb. 9.55. Repositionsmanöver. Reposition der Gelenkanteile und und 5° nach dorsal abfallen). Ist die Reposition befriedigend,
ggf. Unterfüttern mit Spongiosa und/oder Knochenersatzstoff werden zunächst 1 oder 2 Spongiosazugschrauben von lateral
eingebracht, um eine Fixation des Gelenkblocks zu sichern.
Dabei ist die spätere Plattenlage zu planen.
9 kommt so eine sehr gute Einsicht auf das meist weit nach distal Sollten winkelstabile Platten mit anatomischer Ausformung
imprimiertem Gelenkareal. Die Präparation wird nach dorsal verwendet werden, kann es sinnvoll sein, diese Platte vorläufig
bis in die Höhe der Fibula weitergeführt. Eine weitere Präpara- einzuschieben und mit einem Spickdraht in Position zu halten.
tion ist nicht möglich, da das Seitenband stört. Muss hier noch Idealerweise kommen die Zugschrauben etwa 5–10 mm distal
eine ausgedehntere Freilegung erfolgen, so ist ein erweiterter der Gelenkfläche dorsal und ventral der Platte zu liegen. Vor
lateraler Zugang mit Fibulaosteotomie durchzuführen. Davor dem endgültigen Fixieren der Schrauben muss ggf. der bandar-
muss aber unbedingt der N. peroneus dargestellt und ange- mierte Kreuzbandstumpf gestrafft werden. Dieses geschieht
schlungen werden, was bei der Durchführung des »normalen« unter forcierter hinterer Schublade und Anspannung der Halte-
anterolateralen Zuganges nicht notwendig ist. naht. Die anatomisch adaptierte Platte wird zunächst mit einer
Nach Ausspülung des Gelenks erfolgt nun die Orientie- Schraube als Plattenzugschraube im Schaft fixiert, damit wird
rung. Ist das interkondyläre Fragment sehr groß, bleibt es in eine sicher anatomische Achsausrichtung erzwungen und eine
situ, ggf. kann seine Position vorübergehend mit Spickdrähten zusätzliche Kompression der Fragmente erreicht.
gesichert werden. Bestehen nur kleine Fragmente mit stabilen
Bandstümpfen, wird das Kreuzband jetzt unter noch optima- ! Bei der Anpassung der Platte, die im distalen Bereich häufig
ler Einsicht mit nicht resorbierbarem Faden (z. B. Mersilene, perkutan eingeschoben wird, ist darauf zu achten, dass sie die
Ethibond, Fiber Wire) mit kleiner Bandnadel armiert, um Tibiavorderkante nicht überragt, d. h. dass die Ausrichtung in
eine ausreichende Sicherung des vorderen Kreuzbandstump- Sagittalebene ausreichend genau ist.
fes zu erreichen. Abscherungen des hinteren Kreuzbandes
sind eher selten, ggf. muss hier ein zusätzlicher Eingriff zur In dieser Situation wird nochmals eine radiologische Kontrolle
Stabilisierung angeschlossen werden. Die Frakturreposition in 2 Ebenen durchgeführt. Ist auch diese befriedigend, werden
(⊡ Abb. 9.55) erfolgt bevorzugt durch die Fraktur selbst, dazu nun die restlichen Schrauben winkelstabil eingebracht. Zum
wird der sagittale Spaltbruch mit Raspatorium, Löffel und ggf. Schaft hin müssen nicht alle Schraubenlöcher besetzt werden,
kleinem Arthrodesenspreizer soweit gespreizt, bis alle Gelenk- biomechanisch günstig ist die Verwendung von langen Platten,
flächenanteile aufgesucht und, sehr vorsichtig möglichst noch bei denen monokortikale Schrauben am Plattenende und in
im Verbund belassen, von dorsal angehoben werden können. wenigen Zwischenpositionen besetzt werden.
Nur in Fällen von ausgedehnten Defekten und sehr weicher Es erfolgt jetzt die abschließende Kontrolle im posterome-
Knochenstruktur ist eine Unterfüllung mit Spongiosa oder dialen Bereich. Hier sollte keine Fragmentverschiebung auf-
Knochenersatzstoff erforderlich, ab einer Fragmenttiefe von getreten sein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird der Fixa-
etwa 1 cm reicht eine ausreichende Verklemmung gegen das teur externe endgültig abgenommen. Ausnahmen bestehen bei
laterale Fragment, um eine stabile Heilung zu ermöglichen. geriatrischen Patienten mit deutlicher Osteoporose. Bei den
Häufig schwierig ist die Einschätzung der erforderlichen eigenen Patienten wird in diesen Fällen der Fixateur belas-
»Gelenkhöhe«. Hierzu ist es sinnvoll, das distale Frakturende sen. Zur Nachbehandlung auf der Bewegungsschiene und zur
des lateralen Spaltbruchs aufzusuchen und durch ausreichen- Physiotherapie werden die Verbindungsstangen gelöst, bei der
des Anheben des Fragments die »Frakturspitze« einzurasten. Mobilisation zum Schutz der Osteosynthese fixiert.
9.8 · Versorgung der Tibiakopffraktur
291 9
Das Kniegelenk wird intraoperativ komplett durchbewegt,
das Ausmaß der Abdeckung der Gelenkzerstörung lateral durch
den Meniskus dokumentiert und ggf. die Gelenkfläche noch-
mals mit dem Tasthäkchen geprüft.
! Die Einsicht in das laterale Kompartiment sollte jetzt nur noch
erschwert möglich sein, da bei ausreichender Anhebung des
lateralen Fragments nur noch ein minimaler Spielraum zur Aus-
tastung, weniger zur Einsicht zur Verfügung steht!

Vorsichtige Stabilitätsprüfung für vordere und hintere Schub-


lade.

Wundverschluss/Verband
Nach ausgiebiger Spülung werden nun die Haltenähte über
die um wenige Millimeter zurückgedrehten und dann wieder
fixierten Tibiakopfzugschrauben fixiert. Einlage einer platten-
nahen Redon-Drainage, Refixation von Faszie und Extenso-
rengruppe mit fortlaufender PDS-Naht (⊡ Abb. 9.56), ggf. Ein- a
lage einer subkutanen Redon-Drainage und Hautverschluss,
posteromedial ebenfalls Einlage einer tiefen Redon-Drainage,
adaptierender Verschluss der Faszie und Hautverschluss mit
Rückstichnähten. Steriler trockener Verband und leichte An-
lage eines Kompressionsverbandes.
⊡ Abb. 9.56 und 9.57 zeigen beispielhaft die Versorgung ei-
ner Tibiakopffraktur.

⊡ Abb. 9.56a,b. Verschluss der lateralen Inzision. a Refixation des Me-


niskus durch Naht an die Platte/Schrauben. b Refixation der Faszie der
Unterschenkelextensoren
292 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

a b c

9
d e

⊡ Abb. 9.57a–e. Röntgenverlauf. Die einzelnen Repositions- und Sta- kommt damit unter Kompression, die Platte zieht sich an den Knochen
bilisationsschritte lassen sich im radiologischen Verlauf gut nachvoll- heran. d,e Plattenfixation mit weiteren Schrauben, im Bereich des Tibia-
ziehen: a Tibiakopffraktur vom Typ V nach Moore (»Vier-Teile-Fraktur«) kopfes mit Zugschrauben (d), distal mit regulären Plattenschrauben (e).
in der a.p. und seitlichen Ansicht. b Die posteromediale Abstützung ist Die ausschließliche Besetzung des letzten distalen Loches dieser relativ
mit einer »H-Platte« erfolgt, das laterale Fragment wird angehoben und langen Platte ist biomechanisch sehr günstig, daher in diesem Fall abso-
in diesem Fall mit Spickdrähten gesichert. c Einschieben der lateralen lut ausreichend und kann perkutan durchgeführt werden
Platte und zunächst Sichern mit einer Plattenzugschraube. Der Tibiakopf

a b

⊡ Abb. 9.58a,b. Abschließende Röntgenkontrolle in beiden Ebenen.


Derselbe Patient wie in ⊡ Abb. 9.57
9.9 · Stabilisierung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur mit Marknagelosteosynthese
293 9
Nachbehandlung 9.9 Stabilisierung einer geschlossenen Unter-
▬ Operationstag: Sofort nach Narkoseausleitung Überprü- schenkelfraktur mit Marknagelosteosynthese
fung der DMS. Der Patient wird zu eigenständigen Fußbe-
wegungen angehalten, um das Thromboembolierisiko zu Vorbemerkung
minimieren. Kontrolle der Drainageproduktion, am Opera- Die Versorgung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur mit
tionsabend ggf. Lockern des Kompressionsverbandes. Marknagelosteosynthese ist ein klassisch minimalinvasives Ver-
▬ Postoperativer Tag 1: Beginn der Bewegungstherapie auf fahren, das eine äußerst stabile Versorgung über lediglich mi-
der CPM-Schiene, geführte krankengymnastische Bewe- nimale Zugänge erlaubt. Bei entsprechenden Frakturformen
gung, ggf. Sitzen an der Bettkante und Stehen vor dem (Querfrakturen mit gutem Kontakt der Hauptfragmente) ist
Bett. unmittelbar nach der Osteosynthese die volle Belastungsfähig-
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Verbände, Entfer- keit des Beins wiederhergestellt.
nung der Drainagen, Wundpflaster und Kompressions- Unterschenkelfrakturen treten in einem weiten Spektrum
strumpf, beginnende Gehübungen an Unterarmgehstützen von Frakturformen bei ggf. lokalen und allgemeinen Begleit-
unter Teilbelastung des Beins (15–20 kg), möglichst lang- verletzungen auf. Daher muss vor Planung einer Osteosynthese
dauernde passive Bewegungsübungen auf der Kniebewe- immer eine sorgfältige Prüfung des Allgemeinzustandes, aber
gungsschiene, postoperative Röntgenkontrolle in 2 Ebenen. vor allem auch der lokalen Verhältnisse der Extremität erfolgen.
Der spezifische anatomische Aufbau der Unterschenkelmusku-
Danach je nach Konstitution des Patienten auch aktive Übun- latur begünstigt das Auftreten von Kompartmentsyndromen
gen auf der »Frankfurter-Bewegungsschiene« und zunehmende wie auch von lokalen Haut- und Weichteilschäden. Das frühzei-
Mobilisation unter Teilbelastung. Isometrische Übungen. Ein tige Erkennen dieser Probleme und die unmittelbare Einleitung
Anheben des Beins bei gestrecktem Kniegelenk sollte nicht adäquater therapeutischer Maßnahmen (Notfallstabilisierung,
erfolgen. z. B. mit Fixateur externe, Kompartmentspaltungen, lokale
Kryotherapie etc.) stehen im Vordergrund der Behandlung. In
Weiterbehandlung/Arztbrief unkomplizierten Fällen ist die primäre Marknagelversorgung
Entlassungsfähigkeit je nach Wundverhältnissen und Mobilisa- einer Fraktur möglichst kurzfristig nach dem Unfall ein scho-
tionsgrad (Patient sollte eigenständig Treppen steigen können) nendes und bewährtes Verfahren, um bei hohem Patienten-
nach etwa 5–10 Tagen. Entfernung der Fäden 10–14 Tage post- komfort eine unmittelbare Frühmobilisation anzustreben.
operativ. Teilbelastung an Unterarmgehstützen für 6 Wochen,
danach Röntgenkontrolle und in Abhängigkeit vom Heilungs-
verlauf langsam gesteigerte Belastung. Komplette Heilung nach Indikation
8–12 Wochen. Während klassisch aufgebohrte Marknagelsysteme i. d. R. nur
Abschließende Röntgenkontrolle nach 12 Wochen. eine sichere Versorgung von Frakturen im mittleren Drit-
Je nach Heilungsfortschritt zunehmendes Muskeltraining, tel des Tibiaschaftes erlaubten, wurde durch die Einführung
bevorzugt beginnend auf dem Standfahrrad. Wiederaufnahme von unaufgebohrten, verriegelten Systemen auch die Ver-
von sportlicher Tätigkeit frühestens nach 4 Monaten, Sprung- sorgung von weiter proximal und distal liegenden Frakturen
und ausdauernde Laufsportarten nach 6 Monaten. ermöglicht. Entscheidend für eine adäquate Versorgung, die
Implantatentfernung nur bei Jugendlichen vorgesehen. einen störungsfreien Heilungsverlauf ermöglichen soll, ist die
Nicht selten stören aber gerade bei schlanken Patienten die Wiederherstellung von Länge, Achse und Rotation der Tibia,
winkelstabilen anterolateralen Implantate. Hier ist eine Implan- die sich bei Einsatz des Nagels in den proximalen und dista-
tatentfernung nach ca. 12 Monaten vorgesehen. len Grenzbereichen oftmals nur durch Einsatz zusätzlicher
Hilfsmittel, wie den sog. »Pollerschrauben« oder winkelsta-
bilen Verriegelungsmechanismen, erreichen lassen. Die Pol-
lerschrauben stützen in der trichterförmigen Aufweitung des
Markraums den Nagel entsprechend ab, um einer Fehlstellung
entgegen zu wirken.
Welches Nagelsystem im Endeffekt verwendet wird, hängt
weitgehend von den persönlichen Präferenzen, der Fraktur-
form und dem Ausmaß des Weichteilschadens ab. Während in
der Akutsituation i. d. R. recht dünne (8 mm oder 9 mm) unauf-
gebohrte Nägel verwendet werden, um eine möglichst geringe
Störung der enostalen Blutversorgung zu verursachen, werden
bei einfachen Frakturformen oder verspäteten Versorgungen
durchaus auch aufgebohrte Nägel größeren Durchmessers, ggf.
auch Kompressionsnägel, verwendet. An dieser Stelle soll der
typische Ablauf bei Versorgung einer Unterschenkelfraktur in
Schaftmitte (Typ AO 42 B1) mit proximaler und distaler Verrie-
gelung dargestellt werden.
294 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationsvorbereitung Im Operationssaal
Aufklärung Lagerung
▬ Allgemeine Operationsrisiken Lagerung auf dem Normaltisch (⊡ Abb. 9.59). Die Durchleuch-
– Thrombose, Embolie, Wundheilungsstörung tungsfähigkeit in a.p. und seitlicher Ebene muss gegeben sein,
– Auftreten eines Kompartmentsyndroms ggf. Absenken der Beinplatte des gegenseitigen Beins. Ein Ex-
– Infektion bis hin zur Markraumphlegmone tensionstisch wird in unserer Klinik nicht verwendet. Zur ver-
– Sehnen- und Nervenirritationen durch Verriegelungs- einfachten Lagerung kann eine sterile Beinstütze verwendet
schrauben werden, die in der Kniekehle des betroffenen Beins ansetzt
– Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung (H-förmige Rahmenkonstruktion aus Karbon-Fixateurstangen
– Fixation in Fehlstellung im Bereich der Kniekehle mit Tuchumschlingung gepolstert)
▬ Spezielle Operationsrisiken und so den Unterschenkel freischwebend anhebt.
– Implantatbruch (vor allem Verriegelungsschrauben) Perioperative Antibiotikaprophylaxe (Cephalosporin der 1.
– Auftreten eines Kompartmentsyndroms Generation).
Nach Narkoseeinleitung Vorsäubern des Unterschenkels,
Diagnostik und Planung ggf. Rasur und Vordesinfektion. Dabei ist auf manuellen Längs-
Kontrolle des Allgemeinzustandes des Patienten sowie der loka- zug zu achten, um zusätzliche Weichteilschäden zu vermeiden.
len Weichteilverhältnisse. Bei vorausgegangener Gipsbehand- Auf eine Blutsperre wird bei den eigenen Patienten verzich-
lung muss der Gips gespreizt und die Haut, der Schwellungs- tet. Das gesamte Bein wird bis zum Oberschenkel abgewaschen
zustand des Unterschenkels sowie die periphere Durchblutung, (zunächst Abwaschen des Fußes, dann Längszug unter Einsatz
Motorik und Sensibilität beurteilt werden. Hautirritationen im von sterilen Handschuhen, Abdeckung bis Mitte Oberschen-
Bereich der Nageleintrittsstelle und auch der Verriegelungs- kel).
bolzen sollten auf keinen Fall vorliegen. Die Vollständigkeit
der Röntgenbilder wird überprüft. Insbesondere sollten Auf- Zugang
9 nahmen von Kniegelenk und Sprunggelenk sowie des Unter- In Streckstellung des Beins wird die Tibiaachse angezeichnet
schenkels komplett vorliegen, um evtl. minimal verschobene und ihr Schnittpunkt mit dem Tibiaplateau markiert (ggf. Bild-
Frakturlinien, die nach distal in das Sprunggelenk ziehen, zu wandler benutzen) (⊡ Abb. 9.60). An dieser Stelle wird eine etwa
erkennen. 5 cm lange Längsinzision, beginnend am distalen Patellapol,
angelegt (⊡ Abb. 9.61).
9.9 · Stabilisierung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur mit Marknagelosteosynthese
295 9

⊡ Abb. 9.59. Lagerung und Abdeckung. Der Patient wird auf einem
röntgendurchlässigen Operationstisch gelagert, das betroffene Bein frei
beweglich abgedeckt. Mit einem speziellen Lagerungsrahmen (aus Stan-
dardteilen des Fixateur-externe-Sets zusammengesetzt) lässt sich das
Bein aufstellen und das Knie über 90° beugen, um Nageleintritt und
Reposition zu erleichtern

⊡ Abb. 9.60. Zugang. Die Bestimmung von Länge und Durchmesser des ⊡ Abb. 9.61a–c. Aufsuchen der Eintrittsstelle. a Das Lig. patellae ist im
Nagels erfolgt analog der bei der Oberschenkelmarknagelung beschrie- Faserverlauf gespalten und wird mit Haken distrahiert. b,c Die korrekte
benen Technik bei gestrecktem Unterschenkel (⊡ Abb. 9.33). Es wird eine Eintrittsstelle wird mit dem Führungsdraht a.p. median (b) und seitlich
mediane Inzision gewählt, die von etwa Mitte der Patella bis ca. 2 cm (c) aufgesucht und der Draht in die Markhöhle vorgeschlagen. Eröffnen
proximal des Tibiaplateaus reichen sollte des markraums mit dem über den Führungsdraht eingebrachten »Spon-
giosaschneider« (a)
296 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Operationstechnik > Achtung 1. Assistent


Bei unserer Operationstechnik wird das Lig. patellae gespal- Der Assistent versucht durch Längszug über den Haltebügel
ten (transligamentärer Zugang) und der Schienbeinkopf er- eine möglichst genaue Fraktureinrichtung zu halten, ggf. kön-
reicht. Die korrekte Eintrittsstelle hängt von der Form des nen die Knochenfragmente durch die Haut getastet und in
gewählten Nagelsystems ab. Je geringer die Nagelkrümmung Position gedrückt werden.
ist (»Herzogkrümmung«), desto weiter dorsal muss der Nagel
eingeführt werden. Im Zweifelsfall wird der Eintrittspunkt mit Kurz vor Erreichen der Fraktur wird durch Manipulation am
der Bildwandlerdurchleuchtung in beiden Ebenen gesichert. Haltegerät und Gegenzug am distalen Fragment die Reposition
Der Unterschenkel wird nun mit Beugung des Kniegelenks nochmals verbessert und der Nagel über die Fraktur geschlagen.
aufgestellt und entweder manuell gehalten oder mithilfe der Das Vorschlagen sollte mit leichten Hammerschlägen gelingen.
beschriebenen Beinstütze abgestützt. Ein Führungsspickdraht Muss »Gewalt« angewendet werden, ist ggf. der Nageldurch-
wird aufgesetzt und mit leichten Hammerschlägen oder dem T- messer zu groß und es sollte auf einen geringeren Durchmesser
Griff vorsichtig durch die Spongiosa in den Markraum vorge- ausgewichen werden.
schoben. Zu diesem Zeitpunkt kann nach Bildwandlerkontrolle
! Beim Verklemmen des Nagels im distalen Fragment muss
die Position nochmals korrigiert werden.
schnell reagiert werden, um eine Überdistraktion der Fraktur
! Eine zu mediale, laterale, anteriore oder posteriore Position unbedingt zu vermeiden (Risiko der Entwicklung eines Kom-
kann zu deutlichen Verschiebungen im Frakturbereich führen, partmentsyndroms).
insbesondere bei proximalen Frakturen.
Der Nagel wird nun so weit vorgeschlagen, dass er proximal
Jetzt Eröffnen des Markraums mit dem kanülierten Mark- mit der Knochenkontur abschließt (vor dem Einschlagen Mar-
raumbohrer (alternativ: Pfriem, kanülierter Pfriem). Er wird kierungskerben am Nagelende beachten und einprägen); dis-
manuell mit rotierenden schneidenden Bewegungen durch den tal sollte die Fraktur ausreichend überquert sein. Idealerweise
Tibiakopf in den Markraum vorgetrieben. Der zuvor ausge- endet die Nagelspitze in Verlängerung der Markraummitte
9 wählte Nagel in geeignetem Durchmesser und Länge wird etwa 1 cm proximal der Sprunggelenksgelenkfläche. Bei sehr
mit dem Zielbügel und dem Haltegerät gefasst und zunächst distal gelegenen Frakturen wird der Nagel bis über die ehe-
vorsichtig manuell in den proximalen Tibiaanteil vorgescho- maligen Epiphysenfuge vorgetrieben. Durch Röntgenkontrolle
ben (⊡ Abb. 9.62). Der Einschlagvorgang wird in der seitlichen (⊡ Abb. 9.63) im Frakturbereich und klinische Kontrolle wird
Durchleuchtung kontrolliert, i. d. R. ist es günstig, wenn der die Unterschenkelrotation geprüft, die Hauptfragmente sollten
Operateur leicht erhöht auf einem Bänkchen steht. »spaltfrei« einrasten.
! Die Rotationsbestimmung am Unterschenkel kann problema-
tisch sein, so dass hier ggf. zusätzliche Maßnahmen, wie die
Rotationsbestimmung mit dem Bildverstärker zur Hilfe genom-
men werden. Weitere Hilfsgrößen sind eventuelle Sprünge in
der Kortikalisdicke oder die Achsenbestimmung mit der Kabel-
methode.

Ist die Rotation festgelegt, wird zunächst die distale Verriege-


lung vorgenommen (⊡ Abb. 9.64). Da das Einschlaggerät noch
in situ ist und eine Streckung des Kniegelenks damit nicht
möglich ist, erfolgt die distale Verriegelung am aufgestellten
Bein. Die Verriegelungslöcher müssen exakt rund (orthograd
in Schraubenrichtung) eingestellt werden, günstig ist hierbei
die Vergrößerungseinstellung am Bildwandler. Mit einem rönt-
gendichten Instrument wird von medial her die Mitte des
Verriegelungsloches markiert und dort eine etwa 1 cm lange
Stichinzision durchgeführt.
! Um die schwierige dreidimensionale Orientierung zu erleich-
tern, muss die Spiegelung und Rotation im Bildwandler genau
⊡ Abb. 9.62. Einbringen des Nagels. Das Einbringen des Nagels erfolgt auf die Lage des Beins abgestimmt werden. Gerade bei noch
je nach Nagelsystem mit oder ohne Führungsdraht. Auf eine ausrei- geringer Erfahrung lässt sich damit die Bohrerführung erleich-
chende Beugung im Knie über 90° muss unbedingt geachtet werden. tern und die Strahlenbelastung reduzieren.
Der Nagel sollte auf leichten Druck in die Markhöhle vorgeschoben
werden können, ansonsten muss entweder der Durchmesser überprüft
oder aufgebohrt werden
9.9 · Stabilisierung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur mit Marknagelosteosynthese
297 9

a a

b c

⊡ Abb. 9.64a–c. Distale Verriegelung. Zunächst erfolgt bei ausreichend


tief eingebrachtem Nagel (Rücklaufstrecke zur Kompression der Fraktur
berücksichtigen!) die distale Verriegelung. a Das Bein wird ausreichend
im Kniegelenk gebeugt und durch einen Assistenten in dieser Position
gehalten. Einstellen des Bildwandlers in den seitlichen Strahlengang
und absolut runde Einstellung des zu besetzenden Verriegelungsloches
(Vergrößerungsfunktion benutzen). b Über Stichinzisionen zunächst
Aufsetzen der Bohrerspitze (Winkelgetriebe verwenden). c Danach Ein-
b
schwenken parallel zum Strahlengang

⊡ Abb. 9.63a–c. Dreimalige Röntgenkontrolle des Nageleintritts und


der Überquerung der Fraktur
298 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Auf das strahlendurchlässige Winkelgetriebe wird der zum


Nagelsystem passende Bohrer aufgesetzt und zunächst die
Bohrerspitze schräg auf die Projektion des Verriegelungslochs
geführt. Unter ständigem Kontakt am Knochen wird der Boh-
rer nun axial zum Röntgenstrahl ausgerichtet und nochmals
ein Kontrollbild durchgeführt. Liegt der Bohrer immer noch
richtig, wird die erste Kortikalis durchbohrt und i. d. R. direkt
das Verriegelungsloch getroffen, ggf. wird der Zielvorgang
wiederholt. Ungünstig ist es, mehrere Löcher bohren zu müs-
sen, da der Bohrer meist immer wieder in die falsche Position
abgelenkt wird. Am einfachsten gelingt die Bohrung, wenn in
idealer Position die Bohrerspitze den Knochen zunächst nur
»ankörnt« und danach die endgültige Ausrichtung vorgenom-
men wird.
Nach bikortikaler Durchbohrung Ausmessen der Bolzen-
länge, wobei ggf. auf fehlenden Knochenkontakt mit dem Mess-
gerät zu achten ist. Einbringen der beiden Verriegelungsbolzen.
! Auch in der seitlichen Durchleuchtung kann die korrekte
Schraubenlage gesichert werden, wenn in der genau seitlichen
⊡ Abb. 9.65. Rückschlagtechnik. Nach distaler Verriegelung von zumin- Projektion das Verriegelungsloch komplett überdeckt ist.
dest einer, besser von zwei Schrauben wird die Fraktur durch dosiertes
Rückschlagen des Nagels in Kontakt gebracht. Eine Diastase ist auf alle Nach der distalen Verriegelung in Frontalebene erneutes
Fälle zu vermeiden. Bei einfachen Frakturtypen lässt sich die Fraktur ge- Einstellen der Fraktur und leichtes Rückschlagen des Nagels
9 legentlich »einrasten« und damit in eine absolut anatomische Stellung
bringen
(⊡ Abb. 9.65). Damit kommen die Frakturenden in guten Kon-
takt (Kompression). Es kann nun bei fixiertem distalem Frag-
ment auch die Rotation nochmals optimiert werden.
Die proximale Verriegelung erfolgt mit Hilfe des Zielbügels,
der auf dem Einschlaginstrument aufgesetzt ist (⊡ Abb. 9.66). Bei
gutem Kontakt von ausreichend großen Hauptfragmenten wird
eine alleinige dynamische Verriegelung durchgeführt, ansons-
ten eine kombinierte statische und dynamische Verriegelung.
In der Regel erfolgt zunächst die statische Verriegelung, da im
Langloch der dynamischen Verriegelung etwas mehr Spielraum
besteht. Einschieben der Führungshülsen bis zur Haut. Dort
ebenfalls Durchführen einer 1 cm langen Stichinzision. Die
Hülsen mit Trokar werden auf den Knochen aufgesetzt und die
Bohrung durchgeführt. Eine Verkantung des Zielbügels ist zu
vermeiden, da ansonsten das Verriegelungsloch verfehlt werden
kann. Ausmessen der Bolzen und Eindrehen mit dem Schrau-
benzieher und entsprechendes Einsetzen der dynamischen Ver-
riegelungsschraube.
Das Führungsinstrumentarium wird nun komplett abge-
nommen und die korrekte Nagellänge erneut digital überprüft.
Eine Verschlusskappe wird generell empfohlen. Bei den eigenen
Patienten wird i. d. R. darauf verzichtet, da im Falle einer Im-
plantatentfernung die Bergung der Verschlusskappe oft schwie-
⊡ Abb. 9.66. Proximale Verriegelung. Die proximale Verriegelung ist mit
riger sein kann als die chirurgische Freilegung des proximalen
den Führungsbügeln relativ einfach. Das Zielgerät kann jetzt abgenom-
men werden, das Bein wird gestreckt und die Reposition, insbesondere Nagelgewindes.
die Rotation, überprüft. Ggf. können nun bei gestrecktem Bein noch wei- Das Bein kann jetzt gestreckt werden. Der Bildwandler wird
tere Verriegelungen distal in a.p. Richtung vorgenommen werden umgeschwenkt und in a.p. Durchleuchtung die korrekte Bol-
zenlänge und das komplette Eindrehen der Bolzen kontrolliert.
Kontrollieren der Frakturstellung in a.p. Ebene sowie der dista-
len Bolzen, Demonstration der korrekt gewählten Nagellänge
in Beziehung zum oberen Sprunggelenk. Zur Erhöhung der
Stabilität wird die Durchführung einer distalen Verriegelung in
a.p. Richtung empfohlen. Dazu wird erneut das Verriegelungs-
loch rund eingestellt und eine Stichinzision durchgeführt. Die
9.9 · Stabilisierung einer geschlossenen Unterschenkelfraktur mit Marknagelosteosynthese
299 9
subkutane Präparation wird mit der Schere vorsichtig durchge- Einlage einer Redon-Drainage 12 Charr., die allerdings nicht
führt und unter ständigem Spreizen im Wege liegende Sehnen in den Markraum gelegt werden sollte. Naht im Bereich des
zur Seite gedrängt. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass bei Hoffa-Fettkörpers mit resorbierbarer Naht. Verschluss des ge-
Durchführung der Bohrung kein Weichteilgewebe interponiert spaltenen Lig. patellae mit adaptierenden resorbierbaren Fäden,
ist. Vor dem kompletten Festziehen der Bolzen wird mit dem das Peritendineum wird ebenfalls adaptierend genäht. Schicht-
Klemmchen geprüft, dass kein Sehnengewebe unter dem Bol- weiser Wundverschluss. Verschluss aller Stichinzisionen mit
zenkopf eingeklemmt ist. Hautnähten. Steriler, trockener Kompressenverband und leichte
Abschließende klinische Kontrolle von Länge, Achse und elastische Wicklung des gesamten Beins.
Rotation. Nochmalige seitliche Durchleuchtung zur Sicherung ⊡ Abb. 9.67 zeigt beispielhaft die Versorgung einer geschlos-
der korrekten Bolzenlage. Im Bereich der Nageleintrittsstelle senen Unterschenkelfraktur mit einer Marknagelung.

a b c d

e f g

⊡ Abb. 9.67a–g. Röntgenverlauf. Geschlossene Unterschenkelfraktur nach Fahrradsturz im Übergang zum distalen 1/3 bei einem 51-jährigen Pati-
enten. a–c Unfallbilder. Nach auswärtiger Anlage eines Oberschenkelgipsverbandes und Zuverlegung wird die Indikation zur Unterschenkelmarkna-
gelung gestellt. d,e Postoperative Kontrollen nach geschlossener Unterschenkelmarknagelung. Da die Fraktur sehr weit distal bis in den Gelenkbe-
reich auslief, musste vor der Nagelung eine gelenknahe Verschraubung des Gelenkblocks erfolgen. f,g Kontrolle 6 Wochen postoperativ. Der Patient
ist zwischenzeitlich zur Vollbelastung übergegangen, da Kallus erkennbar ist. Schmerzen bestehen nicht mehr
300 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Postoperativ 9.10 Stabilisierung einer


Probleme Sprunggelenksluxationsfraktur
Probleme bereiten intraoperativ besonders die am Unterschen-
kel häufig kritischen Weichteilverhältnisse. Eine Distraktion Vorbemerkung
in der Fraktur muss daher unbedingt vermieden werden, ggf. Verletzungen der Malleolengabel sind häufig und können schon
droht ein Kompartmentsyndrom. bei geringer Gewalteinwirkung, z. B. im Rahmen von Sportver-
Postoperativ ist besonders auf die korrekte Achsen- und letzungen, auftreten. Das Verletzungsspektrum ist breit und
Rotationsstellung zu achten. reicht von isolierten knöchernen Abrissfrakturen der Außen-
knöchelspitze über sehr instabile trimalleoläre Sprunggelenks-
Nachbehandlung luxationsfrakturen bis hin zu den sog. Pilonfrakturen, bei de-
▬ Operationstag: Direkt postoperativ und im frühen Ver- nen mehr oder minder große Knorpelknochenfragmente in die
lauf regelmäßige Kontrolle von Durchblutung, Motorik und distale Tibia impaktiert werden. Hier beschrieben ist die relativ
Sensibilität. Bei starken Schmerzen, insbesondere auch pas- häufige trimalleoläre Sprunggelenksluxationsfraktur Typ Weber
siven Muskeldehnungsschmerz und immer bei Sensibilitäts- C (AO 4 B3), da alle wesentlichen Operationsschritte beinhaltet
störungen sofortige Abnahme des Verbandes und Prüfung sind. Bei einfacheren Frakturtypen fallen entsprechende Ope-
zum Ausschluss eines Kompartmentsyndroms ( Kap. 7.9). rationsschritte weg, die wesentlich schwerwiegenderen Pilon-
Erneute Kontrolle am Abend der Operation. Hier auch tibiale-Frakturen werden in der Regel nach einer primären
Kontrolle der Redon-Drainage. Anhalten zu sofortigen Be- externen Transfixation in einer gesondert zu planenden Opera-
wegungsübungen (aktive Bewegung im Sprunggelenk, An- tion definitiv versorgt. Diese Operation ist mit hohem Kompli-
heben des Kniegelenks). kationspotenzial und Schwierigkeitsgrad verbunden.
▬ Postoperativer Tag 1: Sitzen an der Bettkante, Aufstehen,
ggf. erste Schritte.
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernung der Verbände, Entfernung Operationsvorbereitung
9 der Redon-Drainage, Wechsel auf Antithrombosestrümpfe. Aufklärung
Gehübungen an Unterarmgehstützen. Bei gutem Kontakt ▬ Lokale Wundheilungsstörungen
der Hauptfragmente schmerzabhängiges Aufbelasten, bei ▬ Wundweichteil-, Knochen- und Gelenkinfektionen
fehlendem Kontakt der Hauptfragmente Teilbelastung für ▬ Unzureichende anatomische Reposition
6 Wochen. ▬ Syndesmoseninstabilität
▬ Thrombose/Embolie
Röntgenkontrolle des Unterschenkels in 2 Ebenen. ▬ Langfristig: Innen-/Außenknöchelpseudarthrose
▬ Arthrose des oberen Sprunggelenks
Weiterbehandlung/Arztbrief
Eigenständige Bewegungsübungen Kniegelenk und Sprungge- Der Patient ist darauf hinzuweisen, dass schon minimale Ver-
lenk ggf. unter krankengymnastischer Anleitung. Voll- bzw. kürzungen der Fibula und Repositionsdefizite im Millimeterbe-
Teilbelastung in Abhängigkeit vom Frakturtyp an Unterarm- reich zu einer deutlichen Verminderung der Gelenkkongruenz
gehstützen für 6 Wochen. führen und daher schon bei gering dislozierten Sprunggelenks-
Röntgenkontrolle nach 6 Wochen, danach ggf. Steigerung frakturen die Vorteile der operativen Therapie die Risiken der
der Belastung. Je nach radiologischem Befund Dynamisierung Operation deutlich überwiegen.
des Nagels nach 6–12 Wochen. Die Nachbehandlung kann unterschiedlich gehandhabt
Abschluss Röntgenkontrolle nach 12 Wochen. werden. Bei den eigenen Patienten wird bei ausreichender
Implantatentfernung nicht regelhaft, ggf. Entfernung der Knochenqualität und stabiler Versorgung eine 6-wöchige Be-
Verriegelungsbolzen bei lokalen Schmerzen. Nagelentfernung handlung im stabilisierenden OSG-Stiefel (z. B. Adimed stabil)
bei jugendlichen Patienten und auf Wunsch des Patienten unter Teilbelastung an Unterarmgehstützen durchgeführt. Bei
(Fremdkörpergefühl). isolierten Außenknöchelfrakturen kann situationsbezogen im
Stiefel auch eine volle Belastung erfolgen. Wurde eine Synde-
smoseninstabilität durch Stellschraube versorgt, erfolgt immer
eine Teilbelastung und der Patient ist darauf hinzuweisen,
dass nach 6 Wochen eine perkutane Stellschraubenentfernung
durchgeführt werden muss, in der Regel in Lokalanästhesie.
Ansonsten besteht die Gefahr des Schraubenbruchs.

Diagnostik und Planung


Akutfall: Der beste Zeitpunkt zur operativen Versorgung ei-
ner Sprunggelenksluxationsfraktur ist unmittelbar nach dem
Trauma vor Auftreten einer Gewebeschwellung. Neben den
klinischen Frakturzeichen stützt sich die Diagnose vor allem
auf die Röntgenaufnahme des Sprunggelenks in beiden Ebenen.
9.10 · Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur
301 9
Bleibt die Verletzungskette unklar, z. B. isolierte Innenknöchel- Im Operationssaal
frakturen, muss auf alle Fälle der komplette Unterschenkel in Lagerung
zwei Ebenen geröntgt werden, um ggf. hohe Fibulafrakturen Die Operation wird in Rückenlage durchgeführt (⊡ Abb. 9.68).
(Maisonneuve-Fraktur) auszuschließen oder zu bestätigen. In Ein Keilkissen unter dem Gesäß der betroffenen Seite mit ge-
Ausnahmefällen werden gehaltene Aufnahmen zur Überprü- genseitiger Abstützung erleichtert die Innenrotation des Beins.
fung der Syndesmosenstabilisierung angefertigt, wobei diese Die Durchleuchtungsmöglichkeit des Sprunggelenks muss ge-
auf alle Fälle auch im Rahmen der operativen Versorgung unter währleistet sein. Die Operation kann mit und ohne Blutsperre
dem Bildwandler durchgeführt werden sollten. durchgeführt werden. In unserer Klinik wird die Manschette
zur Blutsperre am Oberschenkel immer angelegt, allerdings nur
Späterer Operationszeitpunkt. Ist eine unmittelbare opera- bei Bedarf nach Maßgabe des Operateurs aktiviert.
tive Versorgung nicht möglich, wird zunächst in Repositions- Die Röntgenbilder müssen vorhanden und sichtbar sein.
stellung in geschlossenem Unterschenkelgips ruhiggestellt und Bei liegendem Gipsverband wird dieser nach Narkoseein-
unter Hochlagerung, Kühlung, nichtsteroidaler Antiphlogistika leitung bevorzugt im Vorraum abgenommen und eine Vorrei-
und Thromboseprophylaxe die Konsolidierung der Weichteile nigung des Fußes mit Wasser und Seife durchgeführt. In der
abgewartet (3–7 Tage). In dieser Zeit ist eine engmaschige ärzt- Regel kann zum definitiven Abwaschen der Unterschenkel am
liche Kontrolle nötig, um Komplikationen frühzeitig erkennen Knie gehalten werden. Bei sehr instabilen Situationen wird der
und behandeln zu können, wie z. B.: Fuß nach Vordesinfektion steril zum endgültigen Abwaschen
▬ Reluxationen mit Fragmentdruck auf die Haut gehalten.
▬ Übermäßige Schwellung mit Entwicklung von Spannungs-
blasen (ggf. bedingt durch Reluxation) Zugang
▬ Kompartmentsyndrom Im vorliegenden Ausmaß der Verletzung wird ein lateraler
▬ Thrombose/Embolie Zugang (Fibulaosteosynthese, ggf. Stellschraube), ein media-
ler Zugang (Innenknöchelosteosynthese, ggf. Reposition eines
Unabhängig vom Operationszeitpunkt muss die allgemeine Volkmann-Fragments) und ein perkutaner medianer Zugang,
Operations- und Narkosefähigkeit überprüft und bestätigt wer- in der Regel als Stichinzisionen (zur Zugschraubenosteosyn-
den, insbesondere bei sekundär durchgeführten Operationen these des Volkmann-Fragments von ventral) benötigt.
sollte die lokale Weichteilsituation durch vorsichtige Inspektion
im geweiteten Gips überprüft sein.
! Bei sehr instabilen Situationen wird daher eine primäre transar-
tikuläre externe Fixation als passagere Maßnahme bevorzugt.
Reluxationen kommen praktisch nicht vor und die Weichteil-
pflege ist erheblich erleichtert.

⊡ Abb. 9.68. Lagerung und Zugang. Der


Patient liegt auf dem Rücken auf einem
röntgendurchlässigen Standardtisch.
Das betroffene Bein ist frei beweglich
abgedeckt. Die Inzision orientiert sich am
Verlauf der distal gut tastbaren Fibula und
biegt distal leicht nach ventral ab
302 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Außenknöchelosteosynthese
Der Unterschenkel wird auf einer Tuchrolle gelagert, das Fer-
senbein bleibt frei, der 2. Assistent (gegenüberliegende Tisch-
seite) führt eine Innenrotation des Unterschenkels durch (steht
nur 1 Assistent zur Verfügung, muss er diese Funktion mit
übernehmen und steht dann am besten dem Operateur gegen-
über). Die Inzision erfolgt gerade, normalerweise von der Knö-
chelspitze bis zu einem Punkt etwa 3–4 cm proximal der Frak-
tur. Es wird direkt auf den Knochen präpariert, Peronealsehnen
und Peronealmuskelbäuche werden nach dorsal retrahiert. Eine
ausreichend lange Inzision verhindert Weichteilspannungen
durch übermäßigen Hakenzug, der bei den gesamt kritischen
Weichteilen häufig zu Hautrandnekrosen führt. Die Fraktur
selbst wird möglichst sparsam freigelegt, wobei eingeschlagenes
Periost zu entfernen ist und insbesondere die Fragmentspit-
zen vollständig dargestellt werden müssen, um eine lückenlose
anatomische Reposition zu erreichen. Nach ausreichender Säu-
berung der Frakturfläche mit scharfem Löffel, Zahnarzthaken
und Spülung wird bei direktem Kontakt der Hauptfragmente
⊡ Abb. 9.69. Repositionsmanöver Außenknöchel. Die Fraktur ist frei-
gelegt. Hohmann-Haken können eingesetzt werden, sollten aber nur
eine Reposition durchgeführt (⊡ Abb. 9.69).
ganz kurzfristig angespannt werden (wenn Übersicht benötigt wird), um > Achtung 1. Assistent
Hautnekrosen in diesem bezüglich der Durchblutung kritischen Gebiet
zu vermeiden. Säubern der Fraktur mit dem Löffel, Reposition durch Ma-
Der Assistent wechselt dabei in der Regel zum Fußende und
9 nipulation am Fuß und Einsatz der Repositionszange mit Spitzen führt durch Zug am Bein den Längenausgleich, bevorzugt
auch schon einen Rotationsausgleich, durch.

Die endgültige Reposition erfolgt durch den Operateur, der mit


einer kleinen Repositionszange mit Spitzen den letzten Längen-
und Rotationsausgleich durchführt und im Idealfall die Fraktur
so »zum Einrasten« bringt. Bei Biegungskeilen oder mehreren
Fragmenten, insbesondere in Fällen, in denen die Hauptfrag-
mente keinen Kontakt haben, kann die Repositionskontrolle
äußerst schwierig sein. Hier muss ggf. auf die erweiterten Tech-
niken der indirekten Reposition durch Einsatz von Platten und
Distraktionsinstrumenten übergegangen werden.
Der nächste Operationsschritt umfasst das Eindringen einer
interfragmentären Zugschraube (⊡ Abb. 9.70). Hierzu muss ggf.
die Position der Repositionszange durch sequenzielles Anset-
zen einer zweiten Zange korrigiert werden, um eine ideale
Schraubenposition senkrecht zum Frakturspalt zu erreichen.
Da die Schraube in anterior-posteriorer Richtung von schräg
proximal oder distal verläuft, wird für den kurzen Moment der
Schraubeneinbringung der scharfe Haken gegen einen kleinen
Langenbeck-Haken ausgetauscht, damit das 3,5-mm-Gleitloch
in idealer Position eingebracht werden kann.
! Die Weichteilverhältnisse am Außenknöchel sind immer als
kritisch anzusehen. Insbesondere bei Vorerkrankungen und
geriatrischen Patienten sind Wundheilungsstörungen häufig.

> Achtung 1. Assistent


Der Assistent hat bei dieser Operation die wichtige Aufgabe,
die Übersicht zu erhalten, aber immer auch auf eine Minimie-
rung der Weichteilspannung zu achten. Der Hakenzug wird
nachgelassen, wenn keine unmittelbare Einsicht benötigt
wird. Der Hautschnitt ist eher länger zu wählen, um die Weich-
teilspannung, insbesondere bei Anlage der Zugschraube,
minimal zu halten.
9.10 · Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur
303 9
Nach Einbringen der Zentrierungshülse Bohren des gegensei-
tigen Fragments mit einem 2,5-mm-Bohrer. Der Einsatz der
Kopfschraubenfräse verbessert den Kontakt zum Knochen und
verringert die Sprengwirkung. Die Länge sollte so bemessen
werden, dass die Schraube gegenseitig etwa 2 mm übersteht
und auch bei schrägem Frakturverlauf die Kortikalis komplett
fasst. Nach Anziehen der Schraube nochmalige Überprüfung
der absolut anatomischen Reposition und sofortiges Entlasten
des Hakenzugs. Bei einfachem Frakturverlauf wird eine Neu-
tralisationsplatte angelegt. Meist reichen hierzu Drittelrohrplat-
ten aus, die mit 2 Schrauben im proximalen und 2 Schrauben a
im distalen Fragment verankert werden (⊡ Abb. 9.71). Bei ver-
minderter Knochenqualität und/oder Trümmerzone werden
entsprechend längere Platten, ggf. auch kleine DC-Platten, ver-
wendet. Neuerdings kann auch durch den zusätzlichen Einsatz
winkelstabiler Schrauben die Stabilität weiter erhöht werden.
Nach Abschluss der Außenknöchelosteosynthese wird die
Syndesmosenstabilität geprüft. Dazu Eingehen mit einem klei-
nen Einzinkerhaken um die Fibula in Höhe des vorderen Syn-
desmosenbandes. Beim Zug wird visuell und palpatorisch ein
Öffnen der Syndesmose überprüft (⊡ Abb. 9.72). Bei Unklarheit
wird dieses Manöver unter Bildwandler wiederholt.
Bei Nachweis einer Instabilität (»Erweiterung des Syn-
desmosenspaltes über 1–2 mm«) erfolgt eine weitergehende
Therapie entsprechend des Verletzungsmusters: Bei einem
knöchernen Ausriss des hinteren Syndesmosenbandes (Volk-
mann-Dreieck) wird nach dessen Stabilisierung eine erneute b
Syndesmosenprüfung durchgeführt (⊡ Abb. 9.72 und 9.73). An-
sonsten wird das ventrale Syndesmosenband durch vorsichtige
Präparation entlang des Bandansatzes freigelegt, eingeschlagene
Bandanteile und Debris von dem fibulotalaren Spalt entfernt,
um zunächst eine manuelle Reposition durchgeführt. Schwierig
⊡ Abb. 9.70a,b. Repositionszange und Zugschraube. a Die Fraktur wird
kann die Kontrolle der Anterior-posterior-Fehlstellung sein, mit der kleinen Repositionszange »eingerüttelt« und unter Kompression
insbesondere wenn anlagebedingt eine nur unzureichende Ein- gebracht. b Senkrecht zur Frakturlinie wird eine Kleinfragment-Kompres-
muldung in der Tibia besteht. sionsschraube eingebracht. Bei weichem Knochen wird die Zange belas-
Die erreichte Repositionsstellung wird bei den eigenen Pa- sen, bis die Neutralisationsplatte die Kräfte aufnimmt, ansonsten kann
die Schraube bei ungeschickten Bewegungen am Bein ausreißen
tienten vorsichtig mit einer auf die Platte und perkutan auf die
mediale Tibia eingesetzte, schräg verlaufende große Repositi-
onszange mit Spitzen gesichert und im Bildwandler kontrolliert
(auf Rechtwinkelstellung des Fußes achten!). Danach etwa 2 cm
proximal des vorderen Syndesmosenbandes, um eventuelle
Synostosen entlang der Bohrung zu vermeiden, Durchführung
einer 2,5-mm-Bohrung in etwa 40° ansteigender Richtung,
transfibular in die Tibia.
Angestrebt wird eine trikortikale 3,5-mm-Stellschraube, die
die tibiale Gegenkortikalis nicht verletzt, um das Risiko eines
Schraubenbruchs zu minimieren. Die Schraube kann bei poste-
rolateraler Plattenlage auch durch ein leeres Plattenloch geführt
werden, wobei auf die aufsteigende Bohrrichtung zu achten ist.
In der Regel wird das Gewinde mit dem Gewindeschneider
bis in die Tibia angeschnitten, um eine Sprengwirkung bei ex-
zentrischem Auftreffen der Schraube auf das tibiale Bohrloch
zu vermeiden. Vor Einbringen der Schraube wird der Fuß in
Rechtwinkelstellung verbracht, da durch eine zu starke Vor-
spannung eine nicht korrigierbare Spitzfußstellung entsteht. ⊡ Abb. 9.71. Plattenosteosynthese. Eine 5-Loch-Drittelrohrplatte wurde
Die Schraube sollte vorsichtig manuell bei Unsicherheit vor angeformt und im Sinne einer Neutralisationsplatte befestigt. Das Schrau-
Erreichen der tibialen Kortikalis unter Bildwandlerkontrolle benloch über der Fraktur bleibt unbesetzt
304 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

eingebracht werden. Das Anziehen erfolgt so weit, dass der


Fuß ohne großen Widerstand bis in die Rechtwinkelstellung
verbracht werden kann und der Syndesmosenspalt sicher ge-
schlossen ist.

Innenknöchelosteosynthese
Im typischen Frakturverlauf besteht eine Abrissfraktur des In-
nenknöchels. Eine absolut anatomische Reposition ist notwen-
dig, um eine Medialisierung bzw. Lateralisierung des Talus zu
vermeiden und die ausreichende Gelenkkongruenz sicherzu-
stellen. Es muss daher unter Sicht reponiert werden, perkutane
Stabilisierungen sind bei fehlender Kontrollmöglichkeit der
Rotation nur in extremen Ausnahmefällen zu empfehlen.
Nach Abstopfen der lateralen Wunde wird nun eine Außen-
rotation des Unterschenkels durchgeführt. Es erfolgt ein gerader
oder leicht geschwungener Schnitt von der Innenknöchelspitze
⊡ Abb. 9.72. Prüfung der Syndesmoseninstabilität. Mit dem »Einzin- bis ca. 3 cm proximal der Fraktur (⊡ Abb. 9.74). Der Schnitt ist
kerhaken« wird die Fibula unter Bildwandlerkontrolle nach lateral ge-
zogen. Jede Erweiterung im Syndesmosenspalt ist verdächtig auf eine
ebenfalls ausreichend lang zu wählen, um die Weichteilspan-
Syndesmoseninstabilität! nung gering zu halten. Es wird direkt auf den Knochen und
die Fraktur präpariert. In der Regel ist Periost eingeschlagen,
was lokal reseziert werden muss. Die Präparation wird auf dem
Knochen bis zur ventralen Gelenkkapsel weitergeführt, die Ge-
lenkkapsel eröffnet und mit einem kleinen Langenbeck-Haken
9 von ventral her Einsicht in das Gelenk geschaffen.
Unter vorsichtiger Retraktion des Innenknöchelfragmentes
mit dem Zahnarzthaken lässt sich in den meisten Fällen ein
guter Überblick über die Talusoberfläche gewinnen und die
tibiale Gelenkfläche inspizieren. Das Gelenk wird ausgespült,
eventuelle Knorpelflakes entfernt und Schäden dokumentiert.
! Besteht ein sog. Volkmann-Fragment, kann jetzt nach ent-
sprechender Erweiterung des Schnitts die Reposition unter
Sicht erfolgen. Dazu wird am Übergang zur Metaphyse streng
a subperiostal nach dorsal präpariert und der »Frakturspitze« des
Volkmann-Fragments aufgesucht. Von proximal her Säubern
der Frakturflächen und Reposition unter Einsatz der speziellen
Malleolarzangen nach Weber. Neben dem »Einrasten« des
proximalen Frakturausläufers kann über den aufgeklappten
Innenknöchel insbesondere die anatomische Reposition der
Gelenkfläche eingesehen oder zumindest mit dem Tasthaken
kontrolliert werden.

Danach Reposition des gesäuberten Innenknöchelfragmentes


und Halten mit einer zusätzlichen großen Repositionszange mit
Spitzen. Bei kleinen Fragmenten oder schwieriger Reposition
kann auch durch in das Fragment eingebrachte Spickdrähte
eine bessere Positionskontrolle erfolgen. Bei absolut anatomi-
scher Reposition wird zunächst mit zwei Spickdrähten 2,0 mm
vorläufig stabilisiert und die Reposition im Bildwandler gesi-
chert.
Ist die Reposition in beiden Ebenen anatomisch, werden
die Spickdrähte nacheinander durch 3,5-mm-Zugschrauben er-
setzt (⊡ Abb. 9.75). Bei den eigenen Patienten werden Kortika-
lisschrauben mit durchgehendem Gewinde bevorzugt (Bohren
b von 3,5-mm-Gleitlöchern bis in den Frakturspalt notwendig!).
Der Vorteil liegt darin, dass die Zugwirkung der Schraube nicht
⊡ Abb. 9.73a,b. Geometrie der Malleolengabe. a Verletzung der Syn- durch einen die Fraktur nur inkomplett überquerten Gewinde-
desmose (CT). b Kontrolle nach Ausheilung (MRT) anteil blockiert werden kann. Prinzipiell können auch Spogiosa-
9.10 · Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur
305 9
zugschrauben verwendet werden, wenn der Gewindeanteil sicher
im Fragment zu liegen kommt.
Bei noch liegender Malleolarzange jetzt unter Bildwand-
lerkontrolle Stichinzision etwa 5 mm proximal der tibialen
Gelenkfläche, Spreizen der Weichteile und Eingehen mit der
Führungshülse. Es werden in strenger a.p. Richtung Bohrungen
direkt proximal des Gelenks durchgeführt. Je nach Ausmaß des
Volkmann-Fragments werden 1 oder 2 Schrauben eingesetzt.
Wir verwenden bevorzugt durchgehende 3,5-mm-Kortikalis-
schrauben. Hierzu wird zunächst eine durchgehende 2,5-mm-
Bohrung durch das Fragment angelegt, danach unter seitlicher
Durchleuchtung eine 3,5-mm-Bohrung bis zum Frakturspalt.
Die benötigte Schraubenlänge kann so direkt gemessen wer-
den, ein notwendiges Kürzen des Gewindeanteils der Spon-
giosazugschrauben ist nicht notwendig. Ziehen die Schrauben
ausreichend stabil, ist die Osteosynthese damit abgeschlossen.
Bei sehr großem Volkmann-Fragment kann es notwendig sein,
proximal im Bereich des Frakturspitzes oder der in sich gebro-
chenen Frakturspitze ein kleines »Antigleitplättchen« anzubrin-
gen (z. B. 2- oder 3-Loch-Drittelrohrplatte), um eine sekundäre ⊡ Abb. 9.74. Hautschnitt und Exposition Innenknöchel. Der Haut-
Dislokation zu vermeiden. schnitt wird leicht geschwungen direkt über dem gut tastbaren Innen-
knöchel angelegt
Als Alternative zur Schraubenosteosynthese des Innenknö-
chels kann in Ausnahmefällen bei sehr kleinen Fragmenten
oder Trümmerzonen auch eine Zuggurtungsosteosynthese
durchgeführt werden. Der Cerclagedraht kann über eine sepa-
rat eingebrachte Hilfsschraube oder auch durch eine Knochen-
bohrung geführt werden.
Nach Abschluss der Osteosynthese Bildwandlerkontrolle,
a.p. und seitlich, wobei in der a.p. Richtung mit 20°-Innenrota-
tion der gesamte Gelenkspalt zur Darstellung kommt. Zu ach-
ten ist auf die korrekte Reposition und Fibulalänge, auf die me-
diale und kraniale Gelenkspaltbreite sowie die korrekte Länge
der Schrauben v. a. im distalen Außenknöchelbereich, um eine
intraartikuläre Schraubenposition sicher zu vermeiden. Ab-
schließend wird ggf. nochmals die Stabilität der Syndesmose
kontrolliert. Nach ausgiebiger Spülung wird die Blutsperre, falls
angelegt, jetzt geöffnet und eine 5-minütige Kompression der
Wunde durchgeführt. Danach Blutstillung und Einlage einer
Redon-Drainage 12 Charr. im Außen-, 10–12 Charr. im In-
nenknöchelbereich. In der Regel wird nur das Subkutangewebe
situativ adaptiert. Wundverschluss bevorzugt in Nahttechnik
nach Allgöwer. Steriler trockener Verband. Auf eine Gipsru- ⊡ Abb. 9.75. Innenknöchelosteosynthese. Das Innenknöchelfragment
wird reponiert (kongruente Gelenkkontur durch direkten ventralen Ein-
higstellung kann i.d.R. verzichtet werden. Bei starker Spitzfuß-
blick in das Gelenk, ggf. Palpation mit Tasthaken prüfen) und mit der
tendenz Unterschenkelspaltgips in Rechtwinkelstellung noch in Repositionszange gehalten. Zunächst Spickdrahtfixation und Röntgen,
Narkose. danach Ersetzen der Spickdrähte durch 3,5-mm-Kortikalisschrauben
⊡ Abb. 9.76 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Sprung- (Zugschrauben), ggf. auch Spongiosazugschrauben
gelenksluxationsfraktur.
306 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

a b

c d

e f

⊡ Abb. 9.76a–k. Röntgenverlauf. Bimalleoläre Sprunggelenksverrenkungsfraktur Typ Weber C. a,b Unfallbilder. c Intraoperative Röntgenkontrolle
nach Reposition des Außenknöchels. d Stabilisierung durch Zugschraube und Platte. e Prüfung der Syndesmosenstabilität, eine Aufweitung im
Syndesmosenspalt wird dynamisch erkennbar. f,g Einbringung einer Stellschraube. h,i Situation nach Innenknöchelosteosynthese. j,k Situation nach
Ausheilung (6 Wochen)vor Entfernung der Stellschraube
9.10 · Stabilisierung einer Sprunggelenksluxationsfraktur
307 9

g h

i j

k
308 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Postoperativ 9.11 Operative Versorgung einer


Probleme Fersenbeinfraktur
Problematisch kann die anatomische Reposition der Fibula
sein, wenn kein ausreichender Kontakt des distalen und pro- Vorbemerkung
ximalen Hauptfragmentes besteht (Trümmerzonen). Da die Fersenbeinfrakturen machen etwa 60% der Frakturen
Wiederherstellung der korrekten Länge und Rotation essenziell des Rückfußes aus und gehören mit einer Häufigkeit von
für das spätere Funktionieren des Sprunggelenkes ist, muss 1–2% zu den häufigsten Frakturen der Fußwurzelknochen
ggf. eine Angleichung an die Röntgenaufnahmen der gesunden (⊡ Abb. 9.77). Sie sind hinsichtlich der lokalen Weichteilsi-
Seite erfolgen. tuation, der technischen Schwierigkeiten der operativen Re-
Naturgemäß sind am Sprunggelenk die Weichteile kritisch. konstruktion und der häufig auftretenden Langzeitschäden
Eine äußerst exakte, weichteilschonende Operationstechnik ist problematische Frakturen, die erst in den letzten Jahren ei-
daher unumgänglich. Bei starken Schwellungen kann es sinn- ner systematischen operativen Behandlung zugeführt wur-
voll sein, einen Hautverschluss zweistufig, nach vorübergehen- den. Nur durch eine sehr präzise, standardisierte und den
der Vakuumversiegelung (48 h) vorzunehmen. lokalen Weichteilverhältnissen angepasste Operationstechnik
lassen sich komplikationsarme Rekonstruktionen erreichen.
Nachbehandlung Da die ausführliche Erörterung aller begleitender Aspekte,
▬ Operationstag: Am Abend des Operationstages Kontrolle wie Klassifikation, Weichteilschäden, Verletzungsmuster und
von Durchblutung, Motorik und Sensibilität der Zehen, alternative Therapiekonzepte, den vorgegebenen Rahmen
Füllung der Redon-Drainagen und ggf. Schmerzen im Gips. sprengen würde, wird an dieser Stelle die typische Versor-
Zu straffe Kompressionsverbände müssen am Operations- gung einer »Joint-depression«-Fraktur (nach Essex-Lopresti)
abend komplett erneuert werden. über einen erweiterten lateralen Zugang beschrieben. Neben
▬ Postoperativer Tag 1: Wenn Drainagemenge unter 50 ml, der exakten Frakturanalyse ist insbesondere die Beurteilung
diese entfernen, ansonsten die Drainage bis zum Abend der Weichteile präoperativ von essenzieller Bedeutung. Sie
9 belassen. Mobilisation vor das Bett und eigenständige Be- sollte auf alle Fälle durch einen erfahrenen Arzt erfolgen, um
wegungsübungen des Sprunggelenks ohne Gips. den optimalen Operationszeitpunkt bestimmen zu können.
▬ Postoperativer Tag 2: Anpassen des Stiefels und Gehübun- Einerseits sollten die Weichteile soweit abgeschwollen sein,
gen unter Teilbelastung mit Stützen. Der Patient wird ange- dass auch nach anatomischer Reposition ein spannungsfreier
leitet, im Wechsel zwischen Hochlagerung und Mobilisation Wundverschluss möglich wird. Andererseits muss die deutlich
mehrfach täglich zu üben. In gutem Allgemeinzustand und zunehmende Schwere der Repositionsfähigkeit nach Ablauf
bei ausreichender Compliance kann ggf. eine Entlassung von etwa 10–14 Tagen einkalkuliert werden.
erfolgen, ansonsten wird die Mobilisationstherapie bis zum
Erreichen der Gehfähigkeit auf der Treppe und ausrei-
chender Wundabschwellung stationär weitergeführt. Nach Operationsvorbereitung
Entfernung der Drainagen Röntgenkontrolle des Sprungge- Aufklärung
lenks in 2 Ebenen. Thromboseprophylaxe gewichtsadaptiert ▬ Allgemeine Operationsrisiken
bis zum Erreichen der Vollbelastung. – Thrombose, Embolie, Wundheilungsstörungen und In-
fekt
Weiterbehandlung/Arztbrief – Deutlich erhöhtes Wundheilungsrisiko bei peripherer
Kurzfristige Wundkontrollen. Verschlusskrankheit und Rauchern, ggf. Kontraindika-
Fadenentfernung 14 Tage postoperativ. tion zur Operation
Teilbelastung für 6 Wochen an Unterarmgehstützen, danach – Erhöhtes Risiko postoperativer Wundsekretion und einer
Röntgenkontrolle. Ist eine Stellschraube implantiert, wird diese Infektentwicklung mit ggf. der Notwendigkeit der früh-
nach 6 Wochen in Lokalanästhesie entfernt. zeitigen Revision
In beiden Fällen nach der 6. Woche zügige Aufbelastung, so – Ggf. Lappenplastiken zum Wundverschluss
dass spätestens 8 Wochen nach der Operation stützfrei gelaufen ▬ Spezielle Operationsrisiken
wird. – Weiterschreiten des Infektes bis zur Fersenbeinosteomye-
Bei ausreichender Sprunggelenksbeweglichkeit allenfalls litis
krankengymnastische Gehschulung, ansonsten gezielte Rezep- – Fehlende Rekonstruktionsmöglichkeit der Gelenke und
tur von zusätzlicher manueller Therapie und Gelenkmobilisa- fehlende Repositionsmöglichkeit der Fersenform
tion. – Risiko des Auftretens einer posttraumatischen subtalaren
Arthrose mit Notwendigkeit der Durchführung einer se-
Implantatentfernung kundären subtalaren Arthrodese
Die Implantate werden prinzipiell belassen. Sollte der Pati- – Zwingende Teilbelastung für 6, ggf. 12 Wochen
ent über einen längeren Zeitraum allerdings lokale Druckbe- – Falls notwendig Spongiosaentnahme bzw. Auffüllung von
schwerden (über dem Außenknöchel nicht selten) bemerken, Defekten mit Knochenersatzstoffen
wird frühestens 6 Monate postoperativ eine Implantatentfer- – Tendinitis der Peronealsehnen
nung durchgeführt. – Reflexdystrophien
9.11 · Operative Versorgung einer Fersenbeinfraktur
309 9
Typ II
zentral
Susten-
takulum

medial

lateral
a b

Typ III Typ IV

c d e

⊡ Abb. 9.77a–e. Einteilung der Fersenbeinfrakturen nach Sanders. a,b Typ II: eine Frakturlinie, zwei Fragmente an der posterioren Facette.
Klassifikation anhand koronarer CT-Schichten des Subtalargelenks: An- c,d Typ III: zwei Frakturlinien, drei Fragmente an der posterioren Facette.
zahl und Lokalistion der Hauptfragmente der subtalaren (hinteren) e Typ IV: mehr als zwei Frakturlinien, vier Fragmente an der posterioren
Gelenkfläche. Typ I: alle nicht dislozierten Frakturen (nicht dargestellt). Facette

Diagnostik und Planung


Die generelle Operationsindikation muss geklärt sein. Zur ex-
akten präoperativen Frakturanalyse sollte neben Aufnahmen
des seitlichen Fußes, des Sprunggelenks a.p. und der dorsoplan-
taren Vor- und Mittelfußaufnahme ein Spiral-CT mit sagittalen
und frontalen Rekonstruktionen vorliegen. Die generelle Re-
konstruktionsfähigkeit, insbesondere der posterioren Facett-
egelenke sollte gegeben sein.

Im Operationssaal
Lagerung
Der Patient wird in Seitenlage operiert bei frei beweglichem
betroffenem Bein (⊡ Abb. 9.78). Auf eine ausreichende Unter- ⊡ Abb. 9.78. Lagerung, Abdeckung und Position von Operateur und
stützung und Abpolsterung muss geachtet werden. Die Anlage Assistenz. Der Patient liegt in der Seitenlage, das Bein ist frei beweglich,
einer Blutsperre wird bei geringem Weichteilschaden durchge- abgewaschen und abgedeckt und im Knie ca. 60° gebeugt. Der Ope-
rateur steht auf der dorsalen Seite des Patienten, der erste Assistent in
führt, bei stärkeren Weichteilschäden verzichten wir bei unse-
diesem Fall links neben ihm, der zweite Assistent auf der Gegenseite
ren Patienten darauf.
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporinen
der 1. Generation.
Die Operation wird i. d. R. in Allgemeinnarkose, in Aus- Durchleuchtung sowohl in seitlicher Projektion (a.p. Strahlen-
nahmefällen auf Wunsch des Patienten auch in Spinal- oder gang des Bildwandlers in Seitenlage des Patienten), als auch
Periduralanästhesie durchgeführt. Operationsdauer von durch- im axialen Strahlengang zum Fersenbein (durchgeschwenkter
schnittlich 2 h. In Narkose Vorreinigung des Fußes. Bildwandler) möglich sein, ggf. Prüfung vor endgültiger Po-
Der Operateur sitzt an der Dorsalseite des Patienten. 1. sitionierung, falls kein strahlendurchlässiger Operationstisch
und 2. Assistent stehen gegenüber. Intraoperativ muss eine verwendet wird.
310 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Zugang
Nach sterilem Abwaschen erfolgt das Abdecken, dann in Recht-
winkelstellung des Sprunggelenks Anzeichnen der Fibulalängs-
achse und der Fibulaspitze. Die Mitte der Verlängerung von
Fibulaspitze bis zur Fußsohle wird angezeichnet, ebenso die
½ ½ ½ Mitte der rechtwinklig nach dorsal verlaufenden Linie von der
Fibulaspitze bis zur Achillessehne (⊡ Abb. 9.79).
½
Operationstechnik
In den angezeichneten Linien L-förmige Inzision mit Umbie-
gung in relativ kleinem Radius. Die Inzision wird direkt durch
die subkutanen Weichteile bis auf den Knochen durchgeführt
und beginnend vom angezeichneten Winkel der gesamte Haut-
⊡ Abb. 9.79. Markierungspunkte für den Zugang, Anzeichnung. Die und subkutane Lappen vom Periost abgelöst (⊡ Abb. 9.80). Der
Orientierung erfolgt von der Hinterkante der Fibula und der Knöchel-
gesamte Lappen sollte in toto verbleiben und bei Erreichen der
spitze aus. Der erweitert laterale Zugang wird großzügig angezeichnet
und sollte möglichst weit nach proximal und distal geführt werden, um Peronealsehnen auch diese mit der Sehnenscheide angehoben
Weichteilspannungen zu vermeiden werden. In der Lappenecke sowie jeweils 2 cm nach ventral und
kranial davon werden Haut- und Subkutangewebe mit Haltefä-
den armiert und der Lappen sehr vorsichtig eleviert. Ein Ha-
kenzug sollte vermieden werden. Weitere scharfe Präparation
auf der i. d. R. frakturierten und in sich verschobenen lateralen
Kalkaneusoberfläche.
Wichtig ist, dass die Inzisionen weit genug nach proximal
9 und distal gezogen werden, damit ein vollkommen spannungs-
freies Anheben des Hautlappens bei guter Einsicht in das
Subtalargelenk gelingt. Sobald das Subtalargelenk erreicht ist,
wird der Fuß mit einer kleinen Tuchrolle unterpolstert und ein
Varusstress auf den Kalkaneus ausgeübt. Man erhält so Einsicht
in das Subtalargelenk und auf die talare Gelenkfläche. Direkt
kranial der subtalaren Gelenkfläche werden 3–4 Spickdrähte
mit 2 mm Durchmesser in etwa 2 cm Abstand in den Talus
a eingebohrt und diese Drähte dann nach ventral abgebogen. Der
Lappen, ggf. in ein feuchtes Tuch eingeschlagen, liegt so voll-
kommen spannungsfrei auf, ohne dass eine weitere Retraktion
notwendig wird.

⊡ Abb. 9.80a,b. Auspräparierter Zugang. a Es wird direkt auf den Kno-


chen eingegangen und der gesamte Weichteilmantel in toto, möglichst
subperiostal abgehoben. b Um diesen Weichteillappen möglichst span-
nungsfrei zu halten, werden Spickdrähte in den Talus gebohrt und um-
gebogen. Die Schnittfläche wird mit feuchten Kompressen bedeckt
9.11 · Operative Versorgung einer Fersenbeinfraktur
311 9
Reposition/Stabilisierung
In einem ersten Schritt erfolgt die Reposition der posterioren
Facette. Das dislozierte Fragment ist teilweise über 90° nach di-
stal rotiert und impaktiert, so dass zur Reposition die zu einem
»Hügel aufgeworfenen« (»bulge«) laterale Kalkaneuskortikalis
vorsichtig angehoben werden muss. Ein komplettes Lösen der
Fragmente sollte vermieden werden, da die kleinen schup-
penförmigen Fragmente später angedrückt als Repositionshilfe
dienen werden.
Zur Strategie der Reposition ist anzumerken, dass das
sustentakuläre Fragment i. d. R. unverschoben in Beziehung
zum Talus steht und damit als Referenz zur Reposition dient
(⊡ Abb. 9.81). Bei einem großen sustentakulären Fragment ist
der Einblick in das Subtalargelenk in den meisten Fällen ein-
fach und die Reposition der Gelenkfläche gut visuell zu kon-
trollieren. Bei sehr kleinen Fragmenten kann der direkte Ein-
blick erschwert sein. Hier kann es gelegentlich günstig sein,
nach posterolateral zu präparieren, um zumindest durch digi-
tale Kontrolle die Einrichtung des lateralen Gelenkfragments
zu erleichtern.
Vor der Reposition werden die Fragmente mit dem schar-
fen Löffel gereinigt und das Wundgebiet ausführlich gespült.
Das Fragment sollte spaltenfrei in das sustentakuläre Frag-
ment einrasten. In vielen Fällen behindert das dislozierte und ⊡ Abb. 9.81. Repositionsmöglichkeiten. Die subtalare Gelenkfläche
muss exakt rekonstruiert werden. Referenz ist das sustentakuläre Frag-
u. U. varisch verkippte Oberfragment die Reposition und muss
ment, das in anatomischer Position steht. Einsicht wird erst nach Abklap-
vorher distalisiert und valgisiert werden. Dazu wird distal des pen der lateralen Kortikalis erreicht. Defekte müssen nur bei sehr kleinen
Ansatzes der Achillessehne eine etwa 1 cm lange Inzision dorsal Gelenkfragmenten unterfüttert werden, ansonsten sind sie durch die
über dem Tuber calcanei in den Hautspaltlinien angelegt und gelenkflächennahe Verschraubung ausreichend stabil
nach 3,5-mm-Bohrung eine Schanz-Schraube (»Joystick«) ein-
gedreht. Sie sollte leicht von kranial eingesetzt werden, um eine
ausreichende Mobilisation zu ermöglichen. Danach Distalisie-
rung und Valgisierung des Tuberfragments und Durchführen
der absolut anatomischen Reposition des lateralen Gelenkfrag-
ments. Es wird zunächst mit 2 Spickdrähten gegen das sustenta-
kuläre Fragment gesichert und die vollständige Kongruenz der
Gelenkfläche mit dem Tasthaken oder visuell bestätigt. Reten-
tion dieses Fragments mit zwei 3,5-mm-Zugschrauben gegen
das sustentakuläre Fragment.
In einem weiteren Schritt wird nun das Processus-anterior-
Fragment reponiert, wobei insbesondere auf die anatomische
Übereinstimmung im sog. »Winkel von Gissane« (Verhältnis
von Fersenbeinhalsebene zur Subtalarebene) beachtet werden
muss. Diese Struktur stellt einen wichtigen Anhaltspunkt zur
Wiederherstellung der Fersenbeinkontur dar. Sollten zusätzliche
Frakturlinien im Processus-anterior-Fragment bestehen, wird
auch hier zunächst eine Reposition durchgeführt. In einzelnen
Fällen kann eine Verschraubung indiziert sein, insbesondere,
wenn die kalkaneokuboidale Gelenkfläche betroffen ist.
Das Tuberfragment wird nun mit Hilfe der Schanz-Schraube
distalisiert und valgisiert, bis die laterale Knochenoberfläche
reponiert ist. Die ausreichende Reposition kann i. d. R. recht
gut durch die am Periost anhängenden gebrochenen Knochen-
schuppen überprüft werden und ist als defektfreie Oberfläche
palpierbar. In dieser Position wird das Repositionsergebnis
durch temporäre Spickdrähte, die in das subtalare Gelenkfrag-
ment eingebracht werden, gesichert. Zusätzliche Drähte sichern
das Processus-anterior-Fragment. Die Bildwandlerkontrolle
312 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

seitlich und mit dem Fersenbein axial sichert die Reposition


der Kalkaneuskontur und der subtalaren Gelenkfläche (ggf.
Broden-Einstellung!). Durch leichtes Aufstellen des Beins lässt
sich durch eine dorsoplantare Aufnahme die Rekonstruktion
des Kalkaneokuboidgelenks überprüfen.
Nun erfolgt die Wahl einer passenden Kalkaneusplatte. Sie
sollte plan aufliegen und nur an den überstehenden Auslegern
gebogen werden (⊡ Abb. 9.82). Bei geschwächter Knochenstruk-
tur bzw. starker Zertrümmerung sind winkelstabile Implantate
zu empfehlen. Die Platte wird nun mit Plattenzugschrauben
fixiert. Die zuvor eingesetzten Spickdrähte können nun sukzes-
sive entfernt werden. Wichtig ist der ausreichende Schrauben-
halt insbesondere im Bereich der subtalaren Gelenkfläche, im
Tuberfragment und gelenkflächennah im Processus-anterior-
Fragment. Der zentrale Defekt wird nur in Ausnahmefällen bei
sehr geschwächter Knochenstruktur mit Knochenersatzstoffen
oder autogener Spongiosa aufgefüllt.
Nach Fixation der Platte abschließende visuelle bzw. pal-
⊡ Abb. 9.82. Plattenposition. Jetzt wurden auch das Tuber-Fragment
und das Processus-anterius-Fragment reponiert und die Platte aufge- patorische Kontrolle der subtalaren Gelenkfläche, Entfernen
legt. Die laterale Kalkaneusfläche ist absolut plan, eine Vorbiegung der der Haltespickdrähte und restlicher Spickdrähte, Einlage einer
Platte daher nur an den einzelnen Armen nötig. Fixation mit bikortikalen Kompresse, Auflegen des Hautweichteillappens und passagerer
Schrauben steriler elastischer Verband. Die Blutsperre wird nun eröffnet
und die abschließende intraoperative Röntgenkontrolle durch-
9 geführt. Bei befriedigender Position Abnahme der Binde und
sorgfältigste Blutstillung. Ausgiebige Spülung. Einlage einer
Redon-Drainage, die wundrandnah nach proximal ausgeleitet
wird und unter Verwendung der Haltefäden exakte Reposition
des Hautweichteillappens.
⊡ Abb. 9.83 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Joint-
depression-Fraktur.
9.11 · Operative Versorgung einer Fersenbeinfraktur
313 9

a b c

**

*
***

d e

f g

⊡ Abb. 9.83a–g. Röntgenverlauf. Fraktur vom Typ »joint depression«, Sowohl die Gelenkflächen (*), der Böhler-Winkel (**) als auch der Gissane-
Sanders II. a,b Präoperative Röntgenaufnahmen. c CT Analyse. d,e Intra- Winkel (***) sind gut rekonstruiert. Die axiale Aufnahme zeigt keine
operative Kontrollen in der seitlichen (d) und axialen (e) Durchleuchtung. nennenswerte Varisierung. f,g Kontrolle nach 12 Wochen. Die Fraktur ist
Gut erkennbar sind die eingesetzten Spickdrähte zur Weichteilretraktion. zwischenzeitlich verheilt, der Patient vollständig rehabilitiert
314 Kapitel 9 · Verletzungen der unteren Extremitäten

Wundverschluss/Verband
An den Kanten werden versenkte Subkutannähte eingesetzt,
um den Lappen spannungsfrei zu halten. Danach sehr sorgfäl-
tige Hautnaht in Allgöwer-Rückstichtechnik mit Position des
Knotens nach distal und dorsal (⊡ Abb. 9.84). Abschließender
vorsichtiger Kompressionsverband.

Postoperativ
Probleme
Probleme bereiten insbesondere die Weichteile. Schon die Ein-
schätzung der Operationsfähigkeit verlangt klinische Erfahrung.
Kalkaneusosteosynthesen sind als schwierige Osteosynthese
einzustufen und sollten daher während der Weiterbildung nur
⊡ Abb. 9.84. Wundverschluss mit Allgöwer-Nähten mit erfahrener Assistenz durchgeführt werden.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Kontrolle DMS und Redon-Drainage am
Operationsabend. Bei Schmerzen ggf. Lösen des Kompres-
sionsverbandes.
▬ Postoperativer Tag 1: Leichte Mobilisation der Redon-Drai-
nage unter dem Verband (Drehen, um ein Verkleben zu
vermeiden). Hochlagerung. Eigenständige Bewegungsübung
mit Dorsalextension/Plantarflexion im oberen Sprunggelenk
9 und Kreisbewegung des Fußes. Kurzfristige Mobilisation am
Bettrand und Stehen unter Sohlenkontakt des Fußes, vorwie-
gend aber Bettruhe und Hochlagerung, ggf. Kühlen.
▬ Postoperativer Tag 2: Abnahme des Verbandes. Bei tro-
ckener Wunde Pflasterverband und ATS. Ansonsten tro-
ckener Verband mit sterilen Kompressen und Wicklung
bis zu absoluten Wundtrockenheit. Bei trockener Wunde
erste kurzfristige Gehversuche mit Abrollen des Fußes und
Teilbelastung. Bei bestehender Wundsekretion vorwiegend
Hochlagerung und Bewegungsübungen im Bett.

Zunehmende Mobilisation erst bei trockener Wunde und Rück-


gang der Schwellung. Gefäßtraining mit häufigem Wechsel zwi-
schen Stehen und Liegen.
Intermittierend Eiskühlung und additiv antiphlogistische
Therapie zur adäquaten Analgesie.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Entlassung bei trockener Wunde möglich. Fadenentfernung
14 Tage postoperativ. Teilbelastung im normalen Schuh an
Unterarmgehstützen für 6 Wochen, danach Röntgenkontrolle.
Bei einfachen Frakturtypen Übergang zur Vollbelastung bis
zur 8. Woche, bei komplizierten Frakturtypen und Einsatz von
Spongiosatransplantationen bzw. Knochenersatzmaterialien
Teilbelastung für 12 Wochen.
Implantatentfernung bei lokalem Druckschmerz bzw.
schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit des unteren
Sprunggelenks nach einem Jahr.

Literatur
Tscherne H, Szyskowitsch R (2003) Tscherne Unfallchirurgie. Unterschenkel.
Springer, Berlin Heidelberg New York
Rüedi T (2008) AO-Prinzipien des Frakturmanagementes. Thieme, Stuttgart
Zwipp H (1994) Chirurgie des Fußes. Springer, Wien
10

Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

10.1 Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung


einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne – 316

10.2 Symphysenplatte – 326

10.3 Spongiosaentnahme am Becken – 330


316 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

10.1 Geschlossene/offene Reposition und Diagnostik und Planung


dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur Nach typischem Verletzungsmechanismus wird die Diagnose
mit Fixateur interne anhand von gezielten Aufnahmen des thorakolumbalen Über-
ganges in 2 Ebenen, ergänzt durch eine Computertomographie,
Vorbemerkung gesichert. Schon in der Primärphase muss neben der Evalua-
Frakturen des lumbosakralen Überganges sind die häufigsten tion des Allgemeinzustandes eine sehr isolierte neurologische
Frakturen der Wirbelsäule. Unmittelbare Operationsindikatio- Untersuchung durchgeführt und dokumentiert werden, um
nen ergeben sich in Fällen von Frakturen mit einer partiellen auf Änderungen der neurologischen Symptomatik unmittelbar
oder sogar zunehmenden Querschnittsymptomatik, bei offenen reagieren zu können. Neben der Prüfung der motorischen und
Frakturen, seltener bei Frakturen ohne neurologische Ausfalls- sensiblen Situationen der unteren Extremitäten ist auch die
erscheinungen, dort aber insbesondere bei instabilen Frakturen Prüfung und Dokumentation von perianaler Sensibilität und
vom Typ C oder auch B. Die operative Versorgung einer Wir- Sphinktertonus wichtig. Bei einer starken Kyphose sollte, wenn
belverletzung ist der speziellen Unfallchirurgie, Orthopädie, die operative Stabilisierung nicht unmittelbar erfolgen kann,
ggf. auch Neurochirurgie zuzuordnen, trotzdem soll an dieser eine geschlossene Einrichtung durch Längszug und ggf. Lage-
Stelle der typische Operationsablauf beschrieben werden, um rung auf einer Tuchrolle erfolgen. Dabei ist darauf zu achten,
in Notfallsituationen sicher assistieren zu können und in einem dass keine Druckschädigung durch unnachgiebige Unterlagen
späteren Weiterbildungsstand derartige Eingriffe auch unter erfolgt. Besser ist hier die Unterlage eines gefalteten, ebenfalls
verantwortlicher Assistenz durchzuführen. Beschrieben ist die gerollten Gelkissens. Kann keine unmittelbare Operation erfol-
Versorgung einer typischen kranialen Berstungsfraktur vom gen, sollte auch auf die Darmmotilität geachtet werden, da die
Typ A des LWK-1 mit deutlichem Kyphosewinkel und nur par- hämatombedingte Reizung des Peritoneum parietale oftmals
tieller geschlossener Reponierbarkeit. zu einer paralytischen Subileus-, selten sogar Ileussymptomatik
führt. In der Frühphase kann der Patient axial gedreht werden,
ansonsten wird Bettruhe verordnet.
Operationsvorbereitung
Aufklärung
Da prinzipiell auch eine nichtoperative Therapie möglich ist,
10 müssen Vor- und Nachteile der Operation detailliert darge-
legt werden. Insbesondere bei Kyphosewinkeln über 25° und
schon primär bestehendem starkem Schmerz muss von einer
höheren Rate von dauerhaften Beschwerden und Instabilitäts-
gefühl ausgegangen werden. Eine rein dorsale Versorgung bei
Verletzungen der Grund- oder Deckplatte des entsprechenden
Bewegungssegments führt meist zu einem späteren Repositi-
onsverlust. Dementsprechend sollte der Patient über die Not-
wendigkeit einer in der Regel zweizeitig geführten ventralen
intrakorporellen Spondylodese mit Ausräumung des betroffe-
nen Bandscheibenraums aufgeklärt werden. Alter und Allge-
meinzustand des Patienten können hierbei Abweichungen vom
Standardtherapiekonzept nötig machen.
▬ Allgemeine Operationsrisiken
– Thromboembolische Komplikationen
– Wund-, Weichteilinfekte
– Hämatombildung und Wundheilungsstörungen, ggf. Re-
visionspflicht
▬ Spezifische Komplikationen:
– Neurologische Komplikationen bei Implantatfehllage bzw.
im Rahmen des Repositionsmanövers
– Nicht ausreichende Reposition
– »Durchschneiden« der Implantate, insbesondere bei
schlechter Knochenqualität, dabei ggf. auch Implan-
tatausriss
– Repositionsverlust und Nachsintern, ggf. mit Implantat-
bruch bei nicht erfolgter bzw. nicht ausreichender ventra-
ler Abstützung
– Blutverluste, ggf. Transfusionsbedarf
10.1 · Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne
317 10
Im Operationssaal
Lagerung
Die Operation wird in Bauchlage unter Allgemeinnarkose
durchgeführt (⊡ Abb. 10.1). Es ist darauf zu achten, dass der Spi-
raltubus knickfrei geführt wird sowie ausreichende intravenöse
Zugänge geschaffen werden, da ggf. größere Blutverluste aus
der Rückenmuskulatur auftreten können. Die Lagerung muss
so erfolgen, dass eine ausreichende Bildwandlerdarstellung so-
wohl a.p. und in leichter Schrägeinstellung zur Darstellung der
Neuroforamina sowie seitlich erfolgen kann. Je nach Tischsys-
tem muss der Patient fußwärts oder kopfwärts in ausreichen-
dem Abstand von der Säule gelagert werden. Eine ausreichende
Unterpolsterung im Bereich des Brustkorbs und des Beckens ist
wichtig, um eine Atmungsbehinderung zu vermeiden.
Unter seitlicher Durchleuchtung wird in diesem Zustand
bereits die Reposition geprüft. In der Regel ist allein durch den
erzielten Durchhang durch Unterpolsterung an Becken und
Thorax eine Aufrichtung der kyphotischen Fehlstellung erziel-
bar. Unter der seitlichen Durchleuchtung kann die geschlossene
Reposition durch Längszug am Bein unter Unterstützung der
Achseln noch verbessert werden, ggf. durch leichten Druck
auf die dorsale Wirbelsäule über LWK-1. Bei höhergradiger
Verletzung vom Typ B oder C muss dabei sehr sorgfältig vor-
gegangen werden und in der a.p. Durchleuchtung evtl. Rotati-
onsfehlstellungen erkannt und ausgeglichen werden. In diesen
Fällen ist eine Überdistraktion auf alle Fälle zu vermeiden. Bei
Typ-A-Verletzungen ist eine Überdistraktion normalerweise
nicht möglich.

⊡ Abb. 10.1. Lagerung. Der Patient wird auf einem röntgendurchlässi- sene Reposition angezeigt, wird der Bildwandler in die seitliche Position
gen Operationstisch in Bauchlage gelagert. Thorax und Becken werden geschwenkt und unter dosiertem Längszug an Oberkörper und Beinen
mit festen Kissen unterstützt, um eine ausreichende Atemexkursion eine akzentuierte Lordosierung durch Druck mit der Hand durchgeführt.
zu ermöglichen. Gleichzeitig wird dadurch die zur Reposition nötige Die erreichte Aufrichtung des Wirbelkörpers wird sequenziell in der
Lordose verstärkt. Die Bildwandlereinstellung wird vor dem Abdecken Durchleuchtung verfolgt. Die Inzision erfolgt direkt über dem betroffe-
überprüft, der Bildwandler sollte frei schwenkbar sein. Ist eine geschlos- nen und dem oben und unten angrenzenden Wirbelkörper
318 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Operationstechnik
Nach Abdeckung und Hautdesinfektion erfolgt die Inzision in
etwa 15 cm Länge in der Mittellinie entlang der Dornfortsätze
direkt über dem markierten Wirbelkörper. Unter ständiger
Blutstillung wird zunächst das Subkutangewebe gespalten und
die Fascia thoracolumbalis sparsam freigelegt. Einsetzen eines
oder ggf. auch zweier Wundspreizer zum Weghalten des subku-
tanen Fettgewebes. Beidseits der Dornfortsätze erfolgt jetzt eine
Inzision der Faszie und zunächst ein sparsames Ablösen der
Muskulatur. Die Muskulatur wird dann mit dem langen Ras-
patorium en bloc von Dornfortsatz und Wirbelbogen bis nach
lateral zu den Facettengelenken vorsichtig abgeschoben.

a > Achtung 1. Assistent


Während der Operateur dieses Manöver durchführt, werden
noch anspannende sehnige Ansätze der Muskulatur vom
Assistenten mit dem elektrischen Messer abgetrennt. Damit
ist es möglich, eine weitgehend blutarme Exposition zu
erreichen.

Nach Präparation einer Seite wird die Wunde zunächst sehr


straff mit Streifen oder Bauchtüchern abgestopft und die Ge-
genseite präpariert. Auch hier wird zunächst abgestopft und
nach kurzer Wartezeit eine gezielte Blutstillung vorgenommen.
Nun tieferes Einsetzen der Wundspreizer unter Einbezie-
hung der paravertebralen Muskulatur. Jetzt ist ein guter Über-
blick über den dorsalen Aspekt des thorakolumbalen Übergangs
10 b
möglich. Es können die großen Wundspreizer von kranial und
distal her nun optimal positioniert werden. Unter leichter Be-
wegung an den Dornfortsätzen werden die Facettengelenke
identifiziert, dadurch ist die Übersicht erleichtert. Gegebenen-
falls bestehende Einrisse der Lig. interspinosi oder auch Frak-
turen innerhalb der Dornfortsätze im Sinne einer B-Verletzung
können damit ebenfalls identifiziert werden. Die Pedikelein-
trittsstellen der Wirbelkörper Th12 und L2 werden identifiziert
und zunächst mit einem kleinen Luer markiert.
Ein kurzer Spickdraht von etwa 7 cm Länge wird mit einer
Klemme gehalten und mit der Spitze auf die markierte Pedike-
leintrittsstelle unter einer Konvergenz von etwa 20° gesetzt. In
dieser Position wird nun mit dem a.p. eingestellten Bildwandler
durchleuchtet und geprüft, ob der Spickdraht orthograd über
der Pedikelkontur zu liegen kommt (⊡ Abb. 10.3). Ist dies der
Fall, wird er mit einem Flachmeißel (Abstand zum Bildwand-
ler!) leicht eingeschlagen und fixiert (⊡ Abb. 10.4). Entspre-
c chendes Vorgehen an allen 4 markierten Pedikeln, damit sind
die Eintrittsstellen festgelegt. Der Bildwandler wird nun in die
seitliche Durchleuchtung umgeschwenkt. Es ist darauf zu ach-
ten, dass eine sicher orthograde Darstellung von Grund- und
Deckplatte erfolgt.
Der Operateur nimmt die Eröffnungsahle, der Assistent
entfernt unter ständigem Saugen einen Spickdraht. In die-
ser Position wird nun mit der Eröffnungsahle die Kortikalis
⊡ Abb. 10.2a–c. Ablösung Fascia thoracolumbalis, Einsatz des Raspa- durchbrochen, danach kann mit der Reibahle sehr vorsichtig
toriums. Nach Ablösung der Fascia thoracolumbalis von den Dornfort- die Spongiosa beiseite gedrängt und der Pedikel durchquert
sätzen wird die autochthone Rückenmuskulatur von den Wirbelbögen
werden. Dieser Vorgang erfolgt unter häufiger Bildwandler-
abgedrängt (a,b). Sehnige Fasern werden mit dem elektrischen Messer
abgelöst (c). Die Wundhöhle wird vorübergehend mit Streifen tampo- kontrolle. Es ist dabei wichtig, dass die taktile Information der
niert und danach eine selektive Blutstillung vorgenommen. Bei Bluttro- Reibahle mit der Bildposition verglichen wird. In der Regel ist
ckenheit wird ein Wundspreizer eingesetzt durch leicht trichterförmige Bewegungen die sicher intraossäre
10.1 · Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne
319 10

⊡ Abb. 10.3a,b. Markieren der Pedikel. Die Durchleuchtung wird zu-


nächst a.p. vorgenommen und die Projektion der Pedikel mit kurzen
Spickdrähten, die mit einer Klemme gehalten werden, markiert (a).
Danach Umschwenken des Bildwandlers und exakt seitliche Einstellung.
Grund und Deckplatten müssen ohne »Doppelkonturen« dargestellt
b
werden (b)

⊡ Abb. 10.4. Situs zur Besetzung der Pedikel vorbereitet. Schematische


Übersicht des für die Besetzung der Pedikel vorbereiteten Situs
320 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Lage zu bestätigen. Es wird nur bis kurz ventral der Hinterkante


vorgegangen, im Wirbelkörper selbst nicht weiter aufgerieben.
Nach Entfernen der Ahle wird nun mit dem Längenmessinstru-
ment oder der Tastolive der entstandene Kanal ausgetastet.
! Es sollte überall spongiöser Knochen zu tasten sein. Wird eine
Perforation bemerkt, muss ggf. noch durch eine ergänzende
Durchleuchtung in a.p. und seitlicher Richtung die Position kor-
rigiert werden.

Ist die intraossäre Lage sicher, erfolgt das Einbringen einer


Schanz-Schraube (⊡ Abb. 10.5). In der Regel werden 5-mm- oder
6-mm-Schanz-Schrauben bevorzugt. Präoperativ können diese
Dimensionen anhand der CT-Untersuchungen validiert wer-
den. Eindrehen der Schanz-Schrauben. Sie sollten gut fassen
und die ventrale Kortikalis des Wirbelkörpers auf keinen Fall
erreichen, da die spezielle Wirbelkörpergeometrie ein Überra-
gen der Konturen in der seitlichen Durchleuchtung nicht sicher
ausschließen lässt.
Entsprechendes Vorgehen in allen 4 Positionen.

10

⊡ Abb. 10.5a,b. Einbringen der Schanz-Schrauben.


Unter Kontrolle in der seitlichen Durchleuchtung wird
nun die Eintrittsstelle in den jeweiligen Pedikel gesi-
chert und der Pedikel zur Aufnahme der Schanzschrau-
ben vorbereitet. Dabei wird jeweils in folgenden Schrit-
ten vorgegangen, die jeweils unter Durchleuchtung
kontrolliert werden: a Entfernung des Markierungss-
pickdrahtes (cave Assistent: gut saugen, um die relativ
kleine Knochenperforation nicht aus den Augen zu
verlieren!). Erweitern der Eintrittsstelle mit einem Luer
und Entfernung der Kortikalis zum leichteren Eintritt
in den Knochen. Erweitern und Vertiefen der Eintritts-
stelle mit der Eröffnungsahle, die einen Tiefenanschlag
besitzt, um bei evtl. Perforation nicht in Richtung Spi-
nalkanal »abzurutschen«. b »Aufreiben« des Pedikels
mit der Pedikelahle. Dies sollte ohne größeren Wider-
stand möglich sein. Ggf. die Richtung in der Durch-
leuchtung überprüfen. Bei schwerem Eintritt ist in der
Regel die Eröffnung zu weit distal gesetzt. Die Ahle
wird soweit vorgeschoben, bis der Wirbelkörper sicher
erreicht ist, allerdings auf keinen Fall bis zur ventralen
Kortikalis. Austasten des Kanals mit dem Längenmess-
gerät. Es sollte medial und lateral über die gesamte
Länge des Pedikelkanals Knochen zu tasten sein. Nach
ventral hin kann mit einem sehr leichten »Schlag« auf
das Gerät geprüft werden, ob auch hier die Spongiosa
des Wirbelkörpers sicher zu tasten ist. Damit ist die kor-
rekte intraossäre Lage des Kanals gesichert. Einbringen
der Schanz-Schraube im größtmöglichen Durchmesser
und seitlicher Durchleuchtung. Bei der Bestimmung
der Eintrittstiefe muss die nicht ideal zylinderförmige
Form des Wirbelkörpers unbedingt beachtet werden,
a b um ventrale Perforationen zu vermeiden
10.1 · Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne
321 10
Reposition/Stabilisierung
Die durch Lagerung im Durchhang und Längszug schon er-
reichte Aufrichtung des komprimierten und dichten Wirbelkör-
pers wird instrumentell bis zur möglichst absolut anatomischen
Reposition verbessert. Das Prinzip ist, dass durch Fixations-
backen eine weitere Kompression der Hinterwand verhindert,
die Lordosierung erzielt und in einem zweiten Schritt durch
Distraktion die eigentliche Wirbelkörperhöhe wieder erreicht
wird. Durch Anspannen des hinteren Längsbandes während
des Distraktionsmanövers kommt es durch Ligamentotaxis zu
einer Reposition der Hinterkantenfragmente.
! Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Reihenfolge ein-
gehalten und auch unter dem Lordosierungsmanöver die
erreichte Distraktion erhalten wird. Andernfalls kann es zu einer
Kompression im Bereich der Hinterwand kommen und Frag-
mente zum Spinalkanal verlagert werden.

Zur Vorbereitung der Reposition wird die notwendige Länge


der Verbindungsstangen mit einem Zentimetermaß, besser
einem flexiblen Stab, ausgemessen. Die Verbindungsstangen
werden mit etwa 10–20 mm Zugabe abgeschnitten, um ausrei-
a
chenden Weg für die Distraktion zur Verfügung zu haben. Die
Stangen werden mit dem Biegegerät an die physiologische Lor-
dose angepasst, im Bereich des thorakolumbalen Überganges
können in der Regel nahezu gerade Stäbe verwendet werden.
Mit den systembedingt unterschiedlichen Verbindungsbacken
werden die Verbindungsstäbe zunächst an den distalen Schanz-
Schrauben fixiert und in die proximalen Verbindungsbacken
eingerastet.
Im ersten Schritt erfolgt die Lordosierung. Eine Kompres-
sion muss bei diesem Manöver unbedingt verhindert werden.
Dazu werden bei noch locker angezogenen Verbindungsbacken
Verriegelungsschellen frakturnah auf die Verbindungsstangen
unmittelbar an die Verbindungsbacke angrenzend aufgesetzt
und festgezogen. Eine Kompression ist damit nicht mehr mög-
lich, die Rotation um diese nun fixierten Drehpunkte ist aber
immer noch realisierbar. Die zum System passenden Griffe
werden auf die Schanz-Schrauben aufgesetzt und die jeweils
distalen und proximalen Schanz-Schrauben gegeneinander ge-
führt. Damit lässt sich nun eine Lordosierung erreichen, die im
Bildwandler genau kontrolliert wird. Bei zufrieden stellendem
Ergebnis wird auch diese Position durch Anziehen der entspre-
chenden Fixationsmuttern retiniert.

⊡ Abb. 10.6a,b. Einsetzen der Verbindungsstangen. a Die Distanz zwi-


schen den Schanz-Schrauben wird bestimmt (flexible, graduierte Verbin-
dungsstange) und Verbindungsstangen der entsprechenden Länge mit
etwa 10–20 mm »Zugabe« zur Durchführung der Reposition abgelängt.
Je nach anatomischer Position wird die Krümmung der Stange der
Kontur der Lordose/Kyphose angepasst. Die Stange wird locker in die
Verbindungsbacken eingeschoben. b Zunächst erfolgt die Lordosierung.
Eine Kompression wird durch die zuvor aufgesetzten Fixationsschellen
verhindert. Um ein Ausreißen zu vermeiden, wird die Lordosierung der
rechten und linken Seite gleichzeitig vorgenommen. Cave: Bildwand-
lerkontrolle, um ungünstige Fragmentbewegungen ggf. sehr frühzeitig
erkennen zu können!
322 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Unter Einsatz spezieller Distraktionszangen, die meist zwi-


schen der proximalen Backe und einer auf die Stangen auf-
gesetzten Hilfsbacke angesetzt werden, wird nun die Distrak-
tion erreicht (⊡ Abb. 10.7). Dieser Vorgang wird unter seitlicher
Durchleuchtung sehr genau kontrolliert, damit keine Überdis-
traktion hergestellt wird.
! Günstig ist es, die Distraktion gleichzeitig rechts und links
durchzuführen, um eine gleichmäßige Kraftübertragung zu
realisieren und einem evtl. Ausriss der Pedikelschrauben vor-
zubeugen. In diesem Falle übernimmt der erste Assistent die
ihm zugewandte Seite und vollzieht das Distraktionsmanöver
adäquat den Bewegungen des Operateurs folgend.

Durch Umschwenken des Bildwandlers in die a.p. Ebene wird


nochmals die sicher intrapedikuläre Lage dokumentiert, da-
nach können die überstehenden Schanz-Schrauben mit dem
entsprechenden Instrumentarium gekürzt werden.
Im Falle einer vorliegenden B-Verletzung kann, bei einer
C-Verletzung muss ein zusätzlicher Querverbinder eingebracht
werden, um eine Parallelverschiebung der Konstruktion um die
Pedikelschrauben zu vermeiden (»Regaleffekt«).
In ⊡ Abb. 10.8 lassen sich die einzelnen Schritte nochmals
anschaulich nachvollziehen.
⊡ Abb. 10.7. Distraktion. Nach dem Festziehen der Verbindungsmuttern
können die Verriegelungsschellen geöffnet und so umpositioniert wer-
den, dass eine Distraktionszange mit ausreichendem »Weg« eingesetzt
10 werden kann. Danach unter ständiger Vorspannung mit der Zange Lösen
der Verbindungsbacke, Distraktion unter Bildwandlerkontrolle und er-
neutes Fixieren
10.1 · Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne
323 10

a b

⊡ Abb. 10.8a–c. Röntgenverlauf. a Verbindungsstange eingebracht.


c
b Lordosierung. c Distraktion (hier mit Diskographie – fakultativ)
324 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Wundverschluss/Verband
Nach ausgiebiger Spülung und Entfernung der Wundspreizer
werden nekrotische Muskelanteile sorgfältig debridiert und
2 Redon-Drainagen eingelegt, die mit ausreichendem Abstand
vom Wundrand seitlich ausgeleitet werden. Die Fixation der
thorakolumbalen Faszie muss sehr sorgfältig erfolgen, so dass
eine lückenlose Adaptation an die Lig. interspinosa erreicht
wird (⊡ Abb. 10.9). Subkutanfaszie und Haut werden ebenfalls
sorgfältig verschlossen, um Hohlräume zu vermeiden. Nach
Anlage eines sterilen trockenen Verbandes wird der Patient in
die Rückenlage umgelagert und nach Extubation, möglichst
schon im Operationssaal, DMS der unteren Extremitäten
geprüft.
⊡ Abb. 10.9. Wundverschluss. Refixation von Faszie und Muskulatur ⊡ Abb. 10.10 zeigt beispielhaft die Versorgung einer LWK1-
durch sichere Naht an die Dornfortsätze und die Ligg. interspinosi, um Fraktur im Rahmen einer Mehrfachverletzung.
spätere Serombildung zu vermeiden

10

a b

⊡ Abb. 10.10a–j.
Röntgenverlauf nach einer
BWK12-Fraktur (Berstungs-
bruch, ohne Neurologie) im
Rahmen einer Mehrfachver-
letzung nach Pkw-Unfall.
a–c Unfall-Röntgenbilder
und CT-Schnitte zur besseren
Darstellung und Analyse der
c
Verletzung
10.1 · Geschlossene/offene Reposition und dorsale Stabilisierung einer LWK-1-Fraktur mit Fixateur interne
325 10

d e f

g h i j

⊡ Abb. 10.10a–j. Röntgenverlauf nach einer BWK12-Fraktur (Berstungsbruch, ohne Neurologie) im Rahmen einer Mehrfachverletzung nach
Pkw-Unfall. d–f Zustand nach operativer dorsaler Versorgung am Aufnahmetag und sekundärer Spondylese durch thorakoskopische Interposition
eines kortikospongiösen Beckenkammspans. g,h Ausheilung nach 1 Jahr. i,j Metallentfernung 19 Monate nach Unfall
326 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Postoperativ 10.2 Symphysenplatte


Probleme
Wirbelsäulenchirurgie kann mit einer Vielzahl von Komplika- Vorbemerkung
tionen und Problemen einhergehen. Operative Versorgungen Die Stabilisierung einer Symphysenruptur mit einer Platte-
sollten daher nur vorgenommen werden, wenn sowohl die nosteosynthese hat sich als Standardverfahren zur Versorgung
Expertise als auch Infrastruktur zur Behandlung von Kompli- dieser Verletzung durchgesetzt. Vorteile sind die hohe Primär-
kationen vorhanden sind. In Zweifelsfällen sollte immer zu- stabilität und die lange Haltekraft der Plattenosteosynthese, die
nächst der Kontakt mit einem spezialisierten Zentrum gesucht der Heilungszeit der Symphyse von mindestens 12–16 Wochen
werden. Unmittelbar zu beachten sind Verschlechterungen des Rechnung trägt. Eine definitive Behandlung mit dem Fixateur
neurologischen Zustandes und postoperativ bestehende starke externe ist bei gesprengter Symphyse nicht anzuraten, da auf
Schmerzen. In diesen Fällen ist mit einer unmittelbaren CT, ggf. Grund der langen Heilungszeiten Probleme an den Eintritts-
auch MRT eine Diagnose zu »erzwingen«, um sofort geeignete stellen der Schanz-Schrauben zu erwarten sind und der Patien-
Schritte einleiten zu können (Revision, Dekompression etc.). tenkomfort erheblich reduziert wird.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Der Patient sollte möglichst auf dem Rücken Operationsprinzip
liegen, um Nachblutungen in die Wunde zu vermeiden. Die Nach Darstellung der Symphysenregion unter möglichst weit-
Sekretion in die Redon-Drainagen ist zu kontrollieren. Bei gehender Schonung der Ansätze des M. rectus abdominis
stärkerer Nachblutung muss die Drainage ggf. für einige Stun- wird nach Reposition der Symphyse eine Osteosynthese mit
den durch Einstechen einer sterilen Kanüle entlüftet werden. Kompressionsplatten durchgeführt. Eine Plattenposition di-
Danach sollte aber wieder Sog angelegt werden, um die Aus- rekt dorsal der Rektusansätze erlaubt mit 40–60 mm eine aus-
bildung eines größeren Wundhämatoms zu vermeiden. reichende Schraubenlänge zum sicheren Halt im spongiösen
▬ Postoperativer Tag 1: Der Patient sollte in die Senkrechte Knochen.
mobilisiert werden, ggf. unter physiotherapeutischer Hilfe
einige Schritte gehen. Während des Liegens soll eine ausrei-
chende Bewegung der unteren Extremitäten sichergestellt Operationsvorbereitung
10 werden, um das Thromboserisiko zu minimieren. Aufklärung
▬ Postoperativer Tag 2: Der Verband wird abgenommen, die ▬ Thrombose-/Embolierisiko
Drainage entfernt und ein erneuter steriler Verband, ggf. ▬ Iatrogene Blasen-/Urethraverletzung
schon ein Pflasterverband, angelegt. Röntgenkontrolle des ▬ Erektile Dysfunktion, in der Regel als Verletzungsfolge, hy-
thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen. Der Patient kann pothetisch auch als Operationsfolge
schmerzabhängig frei mobilisiert werden. ▬ Ausriss der Osteosynthese (in der Regel bei Fehleinschät-
zung der Gesamtverletzung oder unkontrollierter Mobilisa-
! Es ist auf Blasen- und Mastdarmstörungen zu achten, um nicht
tion des Patienten)
einen paralytischen Ileus zu übersehen.
▬ Wundweichteilinfekt (relativ häufig, bis 10%, in der Regel
Im eigenen Vorgehen wird zu diesem Zeitpunkt eine erneute durch frühzeitige Revision folgenlos beherrschbar)
CT-Kontrolle zur Sicherung der korrekten Implantatlage und ▬ Osteomyelitis bei weiterschreitendem Infekt (sehr selten,
zur Planung des ventralen Eingriffs durchgeführt. aber schwierig zu behandeln)
Der Eingriff der ventralen interkorporellen Spondylodese ▬ Narbenhernie
entspricht im Wesentlichen den im Teil Wirbelsäule ( Kap. 12.6,
12.7 und 12.8) beschriebenen orthopädischen Techniken, so dass Vor dem Operationstag müssen die lokalen Hautverhältnisse
an dieser Stelle nicht gesondert darauf eingegangen wird. inspiziert werden. Der Patient wird auf die Einlage eines tran-
surethralen Urinkatheters (wenn nicht schon liegend) sowie auf
Weiterbehandlung/Arztbrief die Rasur von Abdomen und Schamhaaren vorbereitet.
Röntgenkontrollen nach 6 und 12 Wochen, bei persistierenden Be-
schwerden auch noch zu einem späteren Zeitpunkt. Im Falle einer Diagnostik und Planung
dorsalen bisegmentalen Stabilisierung und rein monosegmentalen Da bei Beckenfrakturen ein hohes Thromboembolierisiko be-
ventralen Spondylodese ist die Durchführung einer Implantatent- steht, muss die lückenlose Thromboembolieprophylaxe nach
fernung etwa 12–18 Monate nach dem primären Eingriff angera- einem leitliniengerechten Hochrisikoschema durchgeführt und
ten, um einerseits ein zusätzliches Bewegungssegment freizugeben, dokumentiert sein. Ansonsten erfolgt z. B. bei zuverlegten Pa-
andererseits einen Bruch der Implantate zu vermeiden. Die Be- tienten ohne ausreichende Dokumentation ein Screening mit
wegungsfähigkeit zur krankengymnastischen Übungsbehandlung minimal Duplexsonographie, besser CT oder MRT.
ist spätestens nach Durchführung der ventralen Spondylodese Das Vorliegen einer Blasen- oder Urethraverletzung muss
gegeben, körperliche Belastungen mit sportlicher Betätigung und ausgeschlossen sein (bei primär blutigem Urin bzw. Blutaustritt
Anheben von Gewichten sollte frühestens 2–4 Monate postopera- aus dem Meatus urethrae erfolgt die entsprechende Diagnostik
tiv wieder aufgenommen werden. Auch Rotationsbewegungen im mit Urethradarstellung, Zystographie, ggf. erweiterte Nieren-
LWS-Bereich sollten bis dahin vermieden werden. diagnostik).
10.2 · Symphysenplatte
327 10
Im Operationssaal
Lagerung
Es wird geprüft, ob der transurethrale Urinkatheter liegt und
fördert. Die teilweise ausgedehnte Rasur sollte im Vorberei-
tungsraum durchgeführt werden und Haare komplett mit Kleb-
streifen entfernt werden. Danach ausgedehnte Vorreinigung
mit Wasser und Seife.
Lagerung des Patienten auf einem röntgendurchlässigen
Operationstisch oder soweit distal der Tischsäule, dass In-
let- und Outletprojektionen durchgeführt werden können (ggf.
Prüfung vor Abdeckung) (⊡ Abb. 10.11).
Das Bein der instabilen Beckenhälfte sollte frei beweglich
abgedeckt werden.
Beim Abwaschen ist darauf zu achten, dass die Flüssigkeit
ausreichend aufgenommen wird, damit der Patient keinesfalls
im Feuchten liegt. Die Abdeckung umfasst den distalen Anteil ⊡ Abb. 10.11. Lagerung, Abdeckung und Orientierungspunkte. Der
des Abdomens vom Bauchnabel bis zur Schamgrenze, ein Bein Patient liegt auf dem Rücken auf einem möglichst röntgendurchlässigen
ist frei beweglich abgedeckt (⊡ Abb. 10.11). Operationstisch. Die Symphysenregion wird sorgfältig abgedeckt, bei
stärkeren Dislokationen kann es hilfreich sein, das Bein der instabileren
Seite frei beweglich abzudecken. Die Orientierung erfolgt anhand der
Operationstechnik
meist gut tastbaren Symphyse. Bei elektiven Operationen erfolgt eine
Orientierungspunkte sind die Spina iliaca anterior superior Querinzision 1–2 Querfinger kranial der Symphyse von 7–12 cm Länge,
sowie die Symphyse (Palpation; ⊡ Abb. 10.11). Bei schlanken Pa- bei Notfalloperation wird eine mediane Inzision gewählt
tienten ist gelegentlich auch schon die Symphysenlücke tastbar.
In elektiven Situationen wird die quere Inzision etwa 1–2
Finger kranial der palpablen Symphyse durchgeführt. In Not-
fallsituationen, in denen ggf. eine Laparatomie angeschlos-
sen werden muss, wird eine infraumbilikale Längsinzision von
ebenfalls etwa 6–10 cm Länge gewählt. In beiden Fällen Prä-
paration durch das Subkutangewebe und stumpfes Darstel-
len der Faszie des M. obliquus externus und M. pyramidalis
und der Mittellinie. Die etwa 6–10 cm lange Längsinzision der
Faszie erfolgt in der Mittellinie nach distal bis zur Symphyse
(⊡ Abb. 10.12). In der Regel ist bei einer frischen Verletzung die
klaffende Symphyse schon jetzt nach Entfernung von Häma-
tomkoageln sichtbar oder palpabel. Ansonsten Präparation bis
zu den Schambeinästen und mit einem Spatel oder gebogenen
runden Hohmannhebel vorsichtiges Abdrängen der Blase nach
dorsal. Zur Verbesserung der Übersicht müssen die Ansätze
des M. rectus abdominis beidseits eingekerbt werden. Es ist da-
rauf zu achten, dass die Muskelansätze nicht komplett abgelöst
werden, da die Gefahr einer sich im Verlauf ausbildenden Nar-
benhernie besteht. In der Regel ist der Muskel ein-, gelegentlich
auch beidseits schon eingerissen, so dass keine weitere Präpa-
ration erforderlich ist. Die Exposition wird so weit geführt, bis
2 spitze Hohmann-Hebel im Bereich der Tubercula pubica ein-
gesetzt werden können und das Operationsgebiet ausreichend
freigelegt ist (⊡ Abb. 10.13). ⊡ Abb. 10.12. Faszienpräparation. Nach Darstellung der Bauchwandfas-
zie wird die Mittellinie aufgesucht und längs inzidiert. Cave: Blasenver-
Der Diskus ist in der Regel einseitig vom Knochen abge-
letzungen! Immer auf entleerte Blase bei einliegendem Blasenkatheter
rissen, seine Ausdehnung kann mit einer Kanüle oder kleinem achten! In der Regel ist auf der instabileren Seite der Ansatz des M. rectus
Spickdraht kanalisiert werden, um die exakte Lage der Mittelli- abdominis eingerissen. Eine Ablösung sollte sehr sparsam erfolgen, um
nie zu bestimmen. Der Diskus selbst bleibt aber in situ. spätere Bauchwandhernien zu vermeiden
328 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Die Reposition erfolgt mit der großen Repositionszange mit


Spitzen, die ventral der Symphyse in den vorderen Beckenring
oder sogar in die kraniomediale Begrenzung der Foramina ob-
turata eingesetzt werden (⊡ Abb. 10.14).
Jetzt Auflegen der ausgewählten Platte. Als Standardim-
plantat kommt eine schmale 4-Loch-DC-Platte (4,5 mm) zum
Einsatz. Es sind auch spezielle Symphysenplatten erhältlich, die
sich der Anatomie besser anpassen und zusätzlich die Option
der winkelstabilen Verankerung bei osteoporotischen Knochen
bieten. Die Platte wird mittig ausgerichtet und zunächst sym-
physennah 2 Schraubenlöcher exzentrisch mit Kompressions-
wirkung besetzt.
Die Bohrrichtung kann in der Regel durch Palpation mit
dem Zeigefinger gut bestimmt werden (⊡ Abb. 10.15).
> Achtung 1. Assistent
Bei kleinen Zugängen ist es für den Operateur teilweise
sehr schwierig, Plattenlage, Bohrer und Bohrerrichtung
ausreichend zu kontrollieren. Gegebenenfalls müssen die
Hohmann-Haken asymmetrisch gezogen werden, so dass
⊡ Abb. 10.13. Exposition und eingesetzte Hohmann-Haken. Der M.
rectus abdominis wird durch Einsetzen von Hohmann-Haken um das der Operateur behinderungsfrei die Bohrerrichtung justie-
Tuberculum pubicum retrahiert, die Blase durch einen runden Retraktor ren kann.
geschützt

10

⊡ Abb. 10.14. Reposition. Die Reposition gelingt in der Regel durch den ⊡ Abb. 10.15. Orientierung der Bohrerrichtung. Nach Reposition und
Einsatz der großen Repositionszange mit Spitzen, die beidseits in den Plattenauswahl wird die Platte fixiert. Wichtig ist die Plattenlage dorsal
Knochen, bei erforderlichen größeren Repositionskräften auch in den der Rektusansätze und die durch Palpation meist gut bestimmbare
lateralen Rand des Foramen obturatum gesetzt werden können. Die Ab- Schraubenrichtung, um ausreichenden Schraubenhalt zu gewährleisten
bildung zeigt die variablen Positionen, es wird eine Zange verwendet (Schraubenlänge 50–60 mm anstreben)
10.2 · Symphysenplatte
329 10
In der Regel wird ein oszillierender Bohrer eingesetzt, der
die Verwendung einer Bohrhülse entbehrlich macht. Mit Ein-
satz der beiden symphysennahen Schrauben kommt die Sym-
physe nochmals unter zusätzliche Kompression. Die restlichen
Schrauben werden wechselseitig eingebracht, um die Stabilität
zu erhöhen (⊡ Abb. 10.16).
Implantat- und Repositionskontrolle mit dem Bildwandler
in Inlet- und Outletprojektion.
Die Rektusansätze werden gegen das Periost, ggf. auch
durch Plattenbohrungen, fixiert.
⊡ Abb. 10.17 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Sym-
physensprengung mit einer Plattenosteosynthese.

⊡ Abb. 10.16. Plattenlage. Die Platte ist verschraubt, der Symphysen-


spalt geschlossen. Zu beachten ist die Lage hinter dem Ansatz der
beiden Rektusbäuche. Damit ist eine gute Refixationsmöglichkeit von
Muskulatur und Faszie gewährleistet

a b

c d

⊡ Abb. 10.17. Röntgenverlauf. a Die Symphyse ist gesprengt, hier wurde schon in einem auswärtigen Krankenhaus eine Notfallversorgung mit
Fixateur externe ( Kap. 8) vorgenommen. b–d Versorgung mit Plattenosteosynthese und postoperative Röntgenkontrollen in a.p. (b), Inlet- (c) und
Outlet-Projektion (d)
330 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Wundverschluss/Verband 10.3 Spongiosaentnahme am Becken


Verschluss der Faszie mit Einzelknopfnähten nach Einlage einer
tiefen Redon-Drainage und ausgiebiger Spülung. Einlage einer Vorbemerkung
Subkutanredon-Drainage und schichtweiser Wundverschluss. Die Entnahme von autologer Spongiosa, insbesondere aus dem
Steriler trockener Klebeverband. vorderen Beckenkamm, ist weiterhin die grundlegende Maß-
nahme zur Einbringung von osteoinduktivem Material und
Auffüllung von Knochendefekten zur Anregung der Knochen-
Postoperativ heilung. Obwohl dieser Eingriff sehr häufig durchgeführt wird,
Probleme ist er leider, insbesondere bei unsorgfältiger Durchführung, mit
Schraubenlockerungen kommen vor, da in der Symphyse phy- einer relativ hohen Komorbidität verbunden. Es ist daher im-
siologischerweise Bewegungen stattfinden. Minimale Schrau- mer auf eine exakte Planung und Durchführung zu achten.
benlockerungen nach 12 Wochen ohne Symphysendiastase Prinzipiell können Spongiosa und strukturelle Knochen-
sind akzeptabel, sollten Schraubenlockerungen schon nach blöcke sowohl vom vorderen als auch hinteren Beckenkamm
6 Wochen auftreten mit Auseinanderweichen der Symphyse, entnommen werden. Hier wird der häufigste Eingriff, die Ent-
muss ggf. eine Revision durchgeführt werden. nahme eines trikortikalen Knochenblocks mit zusätzlicher zer-
kleinerter Spongiosa vom vorderen Beckenring, beschrieben.
Nachbehandlung
▬ Operationstag: Der Patient wird zu Bewegungsübungen
der Beine angeregt (Thromboseprophylaxe). Kontrolle der Operationsvorbereitung
Füllung der Redon-Drainagen. Aufklärung
▬ Postoperativer Tag 1: Mobilisation mit Teilbelastung der Mit dem Patienten wird die Notwendigkeit der Knochenent-
verletzten Seite. nahme ausführlich besprochen, insbesondere, da die postope-
▬ Postoperativer Tag 2: Entfernen der Drainagen. rativen Beschwerden im Entnahmegebiet stärker und länger
anhaltend sein können, als die im eigentlichen Operationsge-
Sehr genaue Wundinspektionen in den nachfolgenden Tagen. biet! Risiken sind:
Bei Rötung und Schmerzen Kontrolle der Entzündungswerte ▬ Thrombose/Embolie
10 und Ultraschallkontrolle, bei Flüssigkeitsansammlung großzü- ▬ Lokaler Wundweichteil-, selten auch Knocheninfekt
gige Indikation zur Revision auf Grund der hohen Infektions- ▬ Passagere oder definitive Läsion des N. cutaneus femoris
gefahr. lateralis mit Sensibilitätsausfällen bzw. Missempfindungen
Röntgenkontrolle Beckenübersichtsaufnahme nach Entfer- ▬ Abbruch des verbleibenden vorderen Pfeilers bei zu tiefer
nung der Drainagen. Entnahme und fehlender Zuggurtungsosteosynthese
▬ Mobilisationsbeschwerden über 2–8 Wochen
Weiterbehandlung/Arztbrief ▬ Gegebenenfalls kosmetisch störende »Einsenkung« des Be-
Weiterführung der Teilbelastung für 12 Wochen. Röntgenkont- ckenkamms bei sehr schlanken Patienten und fehlender
rollen Beckenübersicht nach 6 und 12 Wochen. Plattenanlage
Fädenentfernung nach 14 Tagen.
Implantatentfernung nach 12–18 Monaten, bei symptomati- Bei den eigenen Patienten wird bei Entnahme von struktu-
schen Schraubenlockerungen ohne Diastase ggf. kurzfristig rellen Transplantaten (»trikortikale Späne«) immer eine Zug-
vorher. gurtungsosteosynthese mit Drittelrohrplatte durchgeführt, um
einer Abrissfraktur vorzubeugen und die Kontur des Becken-
kamms zu erhalten. Das Implantat (Titan) verbleibt auf Dauer.

Diagnostik und Planung


Im Entnahmegebiet sollte die Haut sorgfältig auf lokale Schür-
fungen oder Hautinfekte inspiziert werden. Ggf. muss eine
andere Entnahmestelle geplant werden. Sinnvoll ist die Ent-
nahme auf der zu operierenden Seite (untere Extremität), da
sonst durch den postoperativen Wundschmerz eine beidseitige
Behinderung entstehen würde.
10.3 · Spongiosaentnahme am Becken
331 10
Im Operationssaal
Ausreichende Rasur des Operationsgebietes im Vorbereitungs-
raum, Vordesinfektion der Haut.
Im Operationssaal Rückenlagerung, ausreichende Ab-
deckung, um ein Durchweichen mit Desinfektionsmittel zu
vermeiden (⊡ Abb. 10.18). Ausreichend weite Desinfektion, da
durch die Abdeckung das erforderliche Operationsgebiet ggf.
eingeengt wird. Orientierungspunkte sind die Spina iliaca ante-
rior superior und der Verlauf des Beckenkamms.

Zugang
Landmarken sind die Spina iliaca anterior superior sowie der
Verlauf des Beckenkamms. Es wird eine Sicherheitszone von
2 cm von der Spina iliaca anterior superior nach dorsal einge-
halten, da hier potenziell der N. cutaneus femoris lateralis das
Operationsgebiet kreuzen kann. Die Hautinzision wird nach
Größe der geplanten Entnahme und Dimension der subkuta-
nen Fettschicht zwischen 4 cm und 15 cm Länge geplant. Die
Inzision verläuft etwas lateral des Beckenkamms. ⊡ Abb. 10.18. Lagerung, Abdeckung und Landmarken. Die Lagerung
erfolgt in Rückenlage, der Beckenkamm wird mit ausreichendem Sicher-
Operationstechnik heitsabstand abgewaschen und abgedeckt. Ggf. muss die Abdeckung
variiert werden, da die Spongiosaentnahme in der Regel Teil einer an-
Unter ständiger Blutstillung wird zunächst auf die Muskelfaszie
deren Operation ist. Die Inzision beginnt ca. 2 cm dorsal der Spina iliaca
präpariert. In der Regel überragt der Muskelbauch des M. ob- anterior superior (cave: N. cutaneus femoris lateralis) und folgt dem
liquus externus den Beckenkamm etwas lateral, so dass relativ Beckenkamm nach dorsal. Die Inzision sollte etwas weiter lateral als der
weit nach distal präpariert werden muss, um den sehnigen An- tastbare Beckenkamm angelegt werden, um in der tiefen Präparation
satz in Beziehung zur Faszie des M. gluteuas medius zu errei- den etwas »überhängenden« Muskelbauch der Bauchwandmuskulatur
zur vermeiden und sicher eine Ablösung im sehnigen Übergang zum
chen (⊡ Abb. 10.19). Hier wird bis an den Knochen präpariert,
Knochen durchführen zu können
um eine Muskeldurchtrennung zu vermeiden. Dazu wird der
Muskelbauch vorsichtig mit einem scharfen Haken nach kranial
gestreckt. Mit dem Skalpell erfolgt nun zunächst das scharfe
Abtrennen des Faszienansatzes vom Beckenkamm, dann wird
die weitere Präparation mit dem Raspatorium durchgeführt. Es
wird das gebogene Raspatorium benutzt, damit auch im weite-
ren Verlauf nach medial immer in direktem Kontakt zum Kno-
chen, subperiostal in die Fossa iliaca präpariert werden kann.

⊡ Abb. 10.19. Präparation in der Fossa iliaca und Exposition. Die


Bauchwandmuskulatur ist scharf vom Beckenkamm abgelöst, der Ansatz
des M. iliacus wird mit dem Raspatorium abgehoben
332 Kapitel 10 · Eingriffe an der Wirbelsäule und am Becken

Die Ursprünge des M. iliacus, der dem Knochen locker


aufliegt, werden dabei abgehoben (⊡ Abb. 10.19). Zunächst wird
ein schmaler Hohmann-Hebel in die Fossa iliaca eingesetzt und
mit zunehmender Übersicht die Präparation auf der »Innen-
seite« abgeschlossen. Zur Entnahme von Spongiosa und sog.
monokortikalen »Knochenchips« reicht diese Exposition aus
(⊡ Abb. 10.20).
Wird ein trikortikaler Span gewünscht, wird die Faszie des
M. gluteus medius lateral scharf vom Knochen abgelöst und mit
dem geraden breiten Raspatorium der Muskel vom Knochen
abgehoben (⊡ Abb. 10.21). Auch hier wird zunächst ein schma-
ler, später bei Bedarf ein breiter Hohmann-Hebel eingesetzt.
Der Beckenkamm liegt nun frei, die Dimensionen des zu ent-
nehmenden Spans können ausgemessen und mit Meißelschlä-
gen markiert werden. Zur Entnahme wird eine oszillierende
Säge, möglichst mit graduiertem Sägeblatt, verwendet, um die
⊡ Abb. 10.20. Spanentnahme mit Löffel und Hohlmeißel. Entnahme
von sog. »Knochenchips« mit dem Hohlmeißel, ggf. auch mit dem schar-
Tiefe des Blocks sicher bestimmen zu können und eine Soll-
fen Löffel bruchstelle durch zu tiefe Sägeschnitte zu vermeiden.
! Die Dimension und Geometrie des Beckenkamms ist individuell
sehr variabel, so dass ggf. weiter nach dorsal präpariert werden
muss, um einen ausreichend dimensionierten Knochenblock zu
gewinnen.

Sollte nach Entnahme des Blocks zusätzliche Spongiosa be-


nötigt werden, wird innerhalb des Beckenkamms mit einem
scharfen Löffel oder mit dem Hohlmeißel auf der Innenseite
10 des Beckenkamms Spongiosa entnommen.
Nach ausgiebiger Spülung und Kontrolle auf Bluttrockenheit
wird zur sicheren Blutstillung Kollagenvlies auf die blutenden
spongiösen Flächen aufgelegt. Auf den Beckenkamm wird eine
leicht angebogene Drittelrohrplatte bevorzugt aus Titan aufge-
legt, so dass jeweils ein Schraubenloch ventral und dorsal des
Defektes besetzt werden kann (⊡ Abb. 10.22). Schräg verlaufend
zwischen den Kortikalisflächen wird nun jeweils eine Kortika-
lisschraube, in der Regel mit der Länge 40–60 mm, eingebracht,
um eine Zuggurtungswirkung der Platte zu erreichen.
a ! Bei sehr ausgedehnten Entnahmen muss ggf. eine längere
Platte benutzt werden, um einen ausreichenden Schraubenhalt
zu bekommen.

Nach Einlage einer Redon-Drainage in die Fossa iliaca erfolgt


die sorgfältige Refixation der Muskulatur (⊡ Abb. 10.23). Es wird
mit kräftigem resorbierbarem Faden (z. B. geflochten Stärke
0 oder 1) U-förmig gestochen und die Faszie des M. oblicus
externus gegen die Faszie der Abduktoren fixiert. Bei Bedarf er-
folgt die zusätzliche Einlage einer subkutanen Redon-Drainage.
Der Hautverschluss kann mit Naht oder Klammer erfolgen. Die
Wunde wird mit Kompressen und Klebeverband abgedeckt.

⊡ Abb. 10.21a,b. Entnahme eines trikortikalen Spans. Zur Entnahme


eines belastungsfähigen trikortikalen Spans muss eine sparsame Ab-
lösung der Abduktoren von der Außenseite des Iliums erfolgen. a Die
gewünschte Größe des Spans wird ausgemessen, markiert (Meißel) und
der Span mit oszillierender Säge seitlich gelöst. b Zur endgültigen Ablö-
sung wird der abgewinkelte Meißel eingesetzt
10.3 · Spongiosaentnahme am Becken
333 10
Postoperativ
Probleme
Probleme können entstehen, wenn keine ausreichende Blutstil-
lung erzielt wird und die Refixation der Muskulatur nicht exakt
erfolgt. Die Spongiosaentnahme darf als Eingriff nicht unter-
schätzt werden – nur mit einer guten Operationstechnik lassen
sich die relativ häufig postoperativ auftretenden Schmerzen in
Grenzen halten.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Schon im Operationssaal und Aufwach-
raum Kontrolle der Füllung der Redon-Drainage. Bei sehr
starkem Blutverlust zunächst Entlüftung der Drainage, bei
weitergehender Blutung Revision. Ansonsten wird nach
einigen Stunden oder am nächsten Morgen der Sog wieder
probeweise oder dauerhaft angelegt.

Belassen der Redon-Drainage für 2 Tage. ⊡ Abb. 10.22. Zuggurtungsosteosynthese mit Platte. Gerade bei der
Sorgfältige Wundkontrollen, bei Hämatomverdacht Sono- Entnahme größerer Späne ist das Risiko einer späteren Abrissfraktur
des ventralen Beckenkamms nicht zu vernachlässigen. Bei den eigenen
graphie und ggf. frühzeitige Revision. Patienten wird daher nach vorheriger Aufklärung immer eine »Zuggur-
Ausreichende Schmerzmedikation, da alle Körperbewegun- tungsosteosynthese« mit einfacher Titan-Drittelrohrplatte vorgenom-
gen in der Regel als schmerzhaft empfunden werden. men. Es ist ausreichend, auf jeder Seite nur eine Schraube zu besetzen.
Entfernung des Nahtmaterials nach 14 Tagen. Diese Platte hält die Kontur des Beckenkamms und erleichtert die Refi-
xation der Muskulatur
! Sollten im Rahmen der Mobilisation sehr starke Schmerzen auf-
treten, unmittelbare Röntgenkontrolle, da ggf. eine Abrissfrak-
tur des Beckenkamms aufgetreten sein kann.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Eine eingebrachte Platte muss im Arztbrief erwähnt werden,
eine spezifische Nachbehandlung ist nicht notwendig.

Literatur
Tscherne H, Blauth M (1998) Tscherne Unfallchirurgie. Wirbelsäule. Springer,
Berlin Heidelberg New York
Tscherne H, Pohlemann T (1998) Tscherne Unfallchirurgie. Becken. Springer,
Berlin Heidelberg New York
Rüedi T (2008) AO-Prinzipien des Frakturmanagementes. Thieme, Stuttgart
Scharf H, Rüter A, Pohlemann T, Marzi M, Kohn D, Günther HP (2008) Orthopä-
die und Unfallchirurgie: Facharztwissen nach der neuen Weiterbildungs-
ordnung. Elsevier, München

⊡ Abb. 10.23. Refixation der Muskulatur. Um eine ausreichend stabile


Fixation der Muskulatur zu erreichen, wird die Bauchwandmuskulatur
mit »U-Stichen« gegen die Fasern des Ursprungs der Abduktoren fixiert
11

Verletzungen im Kindesalter

11.1 Operative Versorgung einer dislozierten suprakondylären


Oberarmfraktur beim Kind – 336

11.2 Versorgung einer distalen Radiusfraktur Typ Aitken I mit


geschlossener Reposition und Spickdrahtosteosynthese – 342

11.3 Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur


mit Markdrahtungsosteosynthese – 344
336 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

11.1 Operative Versorgung einer Operationsvorbereitung


dislozierten suprakondylären Aufklärung
Oberarmfraktur beim Kind ▬ Thromboembolische Komplikationen (bei einem Kind sehr
selten)
Vorbemerkung ▬ Traumatische, selten iatrogene Gefäß- oder Nervenläsion
Suprakondyläre Oberarmfrakturen sind auf Grund der sich än- mit der Notwendigkeit einer erneuten operativen Revision
dernden Festigkeit der Knochenstruktur typische Verletzungen ▬ Fehlheilung bei unzureichender Reposition
des Alters zwischen 5 und 12 Jahren (⊡ Abb. 11.1). Je nach Me- ▬ Sekundäre Dislokation bei unzureichender Stabilisierung
chanismus können sie durch Extensions- oder Flexionsbewe- ▬ Wund- und Weichteil-, ggf. auch Knocheninfekt
gungen des distalen Humerus verursacht werden. Die Prognose ▬ Bewegungseinschränkung
hängt ganz wesentlich von der möglichst exakten Einrichtung
der Frakturenden ab. Bei Extensionsfrakturen ohne Rotati- Diagnostik und Planung
onskomponente gelingt dies durch eine einfache Flexion im In der Regel werden die Kinder als Notfall vorgestellt, so
Ellenbogen mit dem »Cuff-and-collar«-Verband. Das intakte dass bei Vorliegen einer dislozierten, surprakondylären Ober-
dorsale Periost, bei den Kindern dieser Alterstufe noch relativ armfraktur regelhaft eine unmittelbare operative Versorgung
kräftig, wirkt als Scharnier und sichert die kontinuierliche Ein- angestrebt wird. Zur Diagnostik werden Aufnahmen des El-
richtung. Bei Rotationsfehlstellungen sind diese Periostverbin- lenbogens in 2 Ebenen angefertigt. Da diese schmerzbedingt
dungen unterbrochen, die Fraktur wird höhergradig instabil. oftmals nicht in idealen Projektionen gelingen, ist es bei ent-
Eine folgenlose knöcherne Heilung ist jetzt nur bei exakter sprechendem Mechanismus und typischem Alter des Kindes in
Wiederherstellung der Anatomie zu erwarten, da die in dieser der Regel zur Indikationsstellung ausreichend, die Fraktur und
Lokalisation sehr »schmale Knochengeometrie« schon bei ge- Dislokation zu erkennen.
ringen Rotationsfehlern keinen ausreichenden Knochenkontakt Bei Bedarf werden weitere, ideal eingestellte Aufnahmen
mehr ermöglicht. nach Narkoseeinleitung im Operationssaal unter Längszug des
Eine zweite Schwierigkeit besteht in der ausreichenden Arms angefertigt.
Wiederherstellung der Flexion des distalen Gelenkfragmentes, Die periphere DMS ist unbedingt zu prüfen, da bei stark
um Fehlheilungen mit resultierenden Beugedefiziten auszu- dislozierten Frakturen das Risiko von Nervenschäden, insbe-
gleichen. An dieser Stelle wird das typische Vorgehen bei der sondere von Verletzungen der A. brachialis, steigt (Abknickun-
Versorgung einer in Rotationsstellung dislozierten Extensions- gen, Intimaläsionen bis hinzu Gefäßab- und Einrissen), die eine
11 fraktur beschrieben werden. Es wird zunächst davon ausgegan- sofortige Gefäßversorgung notwendig machen würde.
gen, dass eine geschlossene Einrichtung gelingt und die Stabi-
lisation perkutan mit Spickdrähten durchgeführt wird. Die bei
Repositionsdefiziten nötige offene Einrichtung, ebenfalls mit
Spickdrahtstabilisierung, ist auch angeführt.

a b c d e

⊡ Abb. 11.1a–e. Anatomische Orientierung. Lage der Epiphysenfugen Normalerweise verläuft die sog. Rogers-Hilfslinie in der seitlichen Pro-
am distalen Humerus in der a.p (a) und seitlichen (b) Projektion. Mit jektion zentral durch den Knochenkern der distalen Humerusepiphyse
einer Hilfslinie, die an die ventrale Kortikalis des Oberarmschaftes ange- (c). Bei Extensionsfrakturen verläuft sie ventral des Knochenkerns (d), bei
legt wird, ist die Beurteilung einer eventuellen Fehlstellung erleichtert. Flexionsfrakturen dorsal des Knochenkerns (e)
11.1 · Operative Versorgung einer dislozierten suprakondylären Oberarmfraktur beim Kind
337 11
Im Operationssaal
Lagerung
Nach Narkoseeinleitung wird das Kind in der Rückenlage ge-
lagert, der Arm wird abduziert und mit einem kleinen, durch-
leuchtungsfähigen Armtisch abgestützt (⊡ Abb. 11.2). Ggf. muss
die Durchleuchtungsfähigkeit kontrolliert werde. Dabei sollten
unter Längszug des Arms gleich Standardaufnahmen in a.p.
und seitlicher Projektion angefertigt und ausgedruckt werden.
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporinen der
1. Generation.

Operationstechnik bei geschlossener Reposition


Der erste wesentliche Operationsschritt ist die geschlossene
Einrichtung mit Überprüfung der anatomischen Stellung. Dazu
wird zunächst der komplette Arm steril abgewaschen und abge-
deckt. Auf eine Blutsperre wird bei den eigenen Patienten ver-
zichtet, da in Verbindung mit der Abdeckung die Manipulati- ⊡ Abb. 11.2. Lagerung und Durchleuchtungsmöglichkeit a.p. Der Arm
onsmöglichkeiten zur geschlossenen Einrichtung eingeschränkt wird auf einem kleinen Armtisch gelagert. Die seitliche Durchleuchtung
gelingt einfach, die a.p. Durchleuchtung wird wie dargestellt bei maxi-
seien können. Zunächst erfolgen ein vorsichtiger Längszug und
mal gebeugtem Arm durchgeführt
die Supination des Unterarms (⊡ Abb. 11.3). Dabei wird mit der
2. Hand der Oberarm leicht nach dorsal gedrückt. Unter Auf-
rechterhaltung von Längszug und Supination wird nun langsam
und kontrolliert der Ellenbogen maximal gebeugt. Oftmals ist
dabei, v. a. bei »zarten Kindern« ein guter Knochenkontakt und
das »Einrasten« der Fraktur zu fühlen. Die ausreichende Repo-
sition wird im Bildwandler gesichert.

⊡ Abb. 11.3a,b. Geschlossene Reposition. Bei den häufigeren Extensi-


onsfrakturen wird zunächst ein Längszug des Arms durchgeführt (a) und
dann in Supinationsstellung des Unterarms im Ellenbogen gebeugt (b).
Ist in der Durchleuchtung eine ausreichende Repositionsgüte erreicht,
wird eine perkutane Spickdrahtosteosynthese angeschlossen. Auf mehr-
fache geschlossene Repositionsmanöver sollte zur Schonung der Weich-
teile unbedingt verzichtet werden. In diesen Fällen wird offen reponiert
338 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

Die seitliche Durchleuchtung (⊡ Abb. 11.4) stellt in der Regel


kein Problem dar, die notwendige a.p. Projektion lässt sich aller-
dings nur in Beibehaltung der Beugestellung realisieren, da bei
Streckung des Arms die Reposition verloren gehen würde. Auf
eine gute Abbildungsqualität muss geachtet werden, da Über-
lagerungen durch den Unterarm die Interpretation erschweren
können. Ist die Reposition ausreichend und die Anatomie des
distalen Oberarms wiederhergestellt, wird die Position durch
den Assistenten gehalten. Alternativ kann diese Position auch
mit 8-tourig gewickelter elastischer Binde gehalten werden.
Der Operateur führt nun zunächst eine Stichinzision im Be-
a b
reich des Epicondylus humeri radialis durch und bringt einen
Spickdraht 2,0 mm schräg über die Fraktur in den Oberarm-
schaft ein (⊡ Abb. 11.5). Danach nochmalige Bildwandlerkont-
rolle, ggf. Nachkontrolle der Rotation. Ein zweiter Draht wird
von ulnar eingebracht. Die Stichinzision und Drahtposition
muss unbedingt den Verlauf des N. ulnaris im Sulcus ulnaris
berücksichtigen. Erneute Stichinzision im Bereich des Epicon-
dylus humeri ulnaris. Der Sulcus ulnaris ist in der Regel recht
gut zu tasten, ggf. auch der N. ulnaris direkt. Die Eintrittsstelle
für den Draht liegt sicher ventral und im ausreichenden Ab-
stand zum Sulcus ulnaris. In Zweifelsfällen wird eine kleine In-
zision angelegt und der Nerv vor der Einbringung des 2. Drah-
c tes dargestellt. Der ulnare Draht sollte den radialen Draht
möglichst nicht in der Frakturebene kreuzen, aber ebenfalls die
⊡ Abb. 11.4a–c. Kontrolle der Rotation. a Die Kontrolle der Rotation ist Gegenkortikalis durchbohren. Jetzt wird der Arm vorsichtig
sehr wichtig, da nur in anatomischer Stellung ausreichender Knochen-
gestreckt und es werden erneut Bildwandlerbilder in 2 Ebenen
kontakt besteht. b,c In der seitlichen Durchleuchtung ist auf die sog.
»Rotationsnase« oder »-spitze« zu achten. Sie zeigt eine Fehlrotation an. durchgeführt, um die anatomische Reposition zu sichern. Bei
11 Nur bei harmonischem Verlauf der Linien kann von einer korrekten Posi- sehr instabilen Situationen kann noch ein 2. Draht mit einem
tion ausgegangen werden etwas steileren Winkel von radial her eingebracht werden.

⊡ Abb. 11.5. Geschlossene Spickdrahtosteosynthese. Bei dem geschlos-


senen Verfahren werden die Spickdrähte in maximaler Beugung des El-
lenbogens eingebracht. Zunächst wird von radial her ein Draht (2,0 mm)
schräg auf den Epicondylus radialis aufgesetzt und in die Kortikalis des
Humerusschaftes eingebracht. Sind der Sulcus ulnaris und der Verlauf des
N. ulnaris gut zu tasten, kann gleichsinnig von ulnar her vorgegangen wer-
den. Ansonsten kann ggf. auch von proximal radial her stabilisiert werden
11.1 · Operative Versorgung einer dislozierten suprakondylären Oberarmfraktur beim Kind
339 11
Operationstechnik mit offener Reposition
Ist die geschlossene Reposition im 2. Versuch nicht möglich,
wird offen eingerichtet. Dazu zunächst unter etwa 20°-Beugung
des Arms radialer Zugang mit gebogener Inzision über dem
Epicondylus humeri radialis in Verlängerung des Oberarm-
schaftes (⊡ Abb. 11.6). Direkte Präparation durch das Subkutan-
gewebe auf den Knochen. Durch Abschieben der Muskulatur
mit dem Raspatorium ist die Fraktur problemlos zu erreichen.
Im Idealfall lässt sich schon durch digitale Kontrolle eine ein-
deutige Rotationssicherung erreichen. Ist dies nicht möglich,
wird zunächst radial eine anatomische Einrichtung hergestellt ⊡ Abb. 11.6. Zugang zur offenen Reposition. Der Arm wird auf 90° ge-
und mit einem Draht stabilisiert (⊡ Abb. 11.7). Dann exaktes beugt und der Epicondylus humeri radialis getastet. Die Inzision wird in
Tasten des Epicondylus humeri ulnaris, dort ebenfalls etwa Verlängerung der Schaftachse des Humerus auf etwa 7–10 cm Länge ge-
5 cm lange Inzision. Nach Durchtrennung des Subkutangewe- schwungen über den Epicondylus humeri radialis durchgeführt. Eingehen
zwischen Flexoren und Extensoren direkt auf den Schaft. Der radial gele-
bes wird direkt subfaszial der Nervus ulnaris aufgesucht und
gene Anteil der Fraktur ist sichtbar, durch Palpation können die Rotation
ggf. angeschlungen. Er muss sicher identifiziert sein, bis auch und die ulnarseitige Reposition kontrolliert werden. Ggf. kann das kräftige
hier die Fraktur durch Abheben der Muskulatur erreicht wird. Periost Probleme bei der Reposition bereiten. Es muss ggf. sparsam abge-
Es wird nun von ulnar her die anatomische Ausrichtung löst werden, um eine ausreichende Übersicht zu bekommen
und die ausreichende Kippung des distalen Gelenkblockes her-
gestellt und von ulnar her ein zweiter Draht (2,0 mm) einge-
bracht. In diesen instabilen Situationen ist es sinnvoll, zumin-
dest einen weiteren Draht von radial her einzubringen, ggf.
auch noch einen weiteren Draht von ulnar her. Bildwandler-
kontrolle in 2 Ebenen in der vorbeschriebenen Technik, da-
nach Kürzen der Drähte. Sie sollten etwa 5 mm den Knochen
überragen, damit sie später über Stichinzision zu entfernbar
sind. Spülung und schichtweiser Wundverschluss. Je nach Aus-
dehnung der Inzisionen wird eine Redon-Drainage frakturnah
eingelegt. Der Verband muss spannungsfrei liegen, da er später
nur eingeschränkt kontrolliert werden kann. Der Oberarm wird
dann in einer gespaltenen Oberarmgipsschiene in 90°-Stellung
in Neutralstellung des Unterarms versorgt.

⊡ Abb. 11.7a–c. Einbringen des ersten Drahtes. a Der Assistent hält die
Reposition, der Operateur kontrolliert die korrekte Reposition mit dem
Zeigefinger und gewinnt damit zusätzlich ausreichend Orientierung für
die Richtung Drahtpositionierung (a). Bei sehr instabilen Frakturen mit
wenig Kontaktfläche kann es günstiger sein, zunächst von radial her
einen Draht einzubringen. Danach wird der ulnare Draht in perkutaner
Technik eingebracht (b,c). Bei starker Schwellung und sehr schwieriger
Reposition kann es nötig werden, auch einen zweiten ulnaren Zugang c
anzulegen. Dabei muss allerdings der N. ulnaris aufgesucht und ange-
schlungen werden b
340 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

Postoperativ
Probleme
Gerade bei stark dislozierten Frakturen können Weichteil-
schwellungen im peri- und postoperativen Management Pro-
bleme bereiten. Eine gute Dokumentation des präoperativen
Zustandes, insbesondere der neurologischen Situation darf
daher nicht vergessen werde. Gefahren bestehen vor allem
bei übersehenen oder sekundär auftretenden Gefäßläsionen
oder -verschlüssen, die unmittelbar operativ behandelt werden
müssen.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: Direkt postoperativ nach Aufwachen des
Kindes wird die DMS kontrolliert und ggf. Pulskontrollen
angeordnet. Das Kind sollte möglichst frühzeitig eigenstän-
dig die Finger bewegen. Bei stark dislozierten Frakturen
kontinuierliche Kontrolle der peripheren Durchblutung mit
der Pulsoxymetrie.
▬ Postoperativer Tag 1: Der Gips wird gespreizt, der Verband
gespalten, ggf. erneuert, um Verklebungen des Verbandes
durch Blut zu entfernen. Bei nur geringer Produktion aus
der Redon-Drainage Entfernung derselben. Erneuter ste-
riler Verband und elastische Wicklung, Wiederanlage des
Gipses.
▬ Postoperativer Tag 2: Erneuter Verbandswechsel, Röntgen-
kontrolle, ggf. vorsichtiges Durchbewegen des Ellenbogens
durch den Operateur. Das Kind kann in der Regel am
2. postoperativen Tag entlassen werden. Nach endgültiger
11 Abschwellung, etwa 3.–5. Tag, Anlage eines geschlossenen
Oberarmgipses in 90°-Stellung.

⊡ Abb. 11.8 zeigt beispielhaft die Versorgung einer instabilen


Extensionsfraktur durch eine Spickdrahtosteosynthese.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Der geschlossene Gips verbleibt für 3 Wochen. In dieser Zeit
Gipskontrollen durch Hausarzt, nach 3 Wochen Abnahme des
Gipsverbandes und vorsichtige Bewegungsübungen. In der Re-
gel werden die Spickdrähte 4–5 Wochen postoperativ in Allge-
meinnarkose entfernt. Danach je nach Bewegungsumfang des
Ellenbogens intensive Krankengymnastik.
Bei offenem Vorgehen werden die Fäden 10–12 Tage post-
operativ entfernt.
Röntgenkontrollen nach 3 Wochen und nach Entfernung
der Spickdrähte.
11.1 · Operative Versorgung einer dislozierten suprakondylären Oberarmfraktur beim Kind
341 11

a b

c d

e f

⊡ Abb. 11.8a–f. Röntgenverlauf. Typische Extensionsfraktur bei einem 7-jährigen Mädchen nach Schaukelsturz. a,b Unfallbilder. c,d Geschlossener
Reposition in Narkose. e,f Versorgung mit perkutaner Spickdrahtosteosynthese
342 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

11.2 Versorgung einer distalen Radiusfraktur


Typ Aitken I mit geschlossener Reposition
und Spickdrahtosteosynthese

Vorbemerkung
Distale Epiphysenlösungen mit metaphysärer Keilbildung sind
in der Regel »gutartige« Frakturen, die unter konservativer
Behandlung folgenlos ausheilen. Allerdings sollten gerade bei
älteren Kindern Fehlstellungen über 10° und Verkürzungen
ausgeglichen werden. Da repetitive Repositionsversuche auf
Grund der erzeugten Schmerzen vermieden müssen, wird die
Reposition in Operationsbereitschaft durchgeführt (Eingriffs-
raum oder Operationssaal), um bei nicht ausreichender Stabi-
lität nach Reposition eine sofortige operative Stabilisierung mit
Spickdrahtosteosynthese durchführen zu können.
a b

⊡ Abb. 11.9a,b. Typische distale Radiusfraktur beim Kind (Typ Aitken I, Operationsvorbereitung
metaphysärer Keil). a.p. (a) und seitliche (b) Projektion Aufklärung
▬ Risiken einer Ausheilung in Fehlstellung mit fehlender Kor-
rekturmöglichkeit
▬ Wund- oder Weichteilinfektionen an der Drahteintritts-
stelle
▬ Sekundäres Abrutschen trotz Fixation mit der Notwendig-
keit einer Nachoperation
▬ Verletzungen und Perforationen von Sehnen

Diagnostik und Planung


11 Aussagekräftige Röntgenaufnahmen Handgelenk in 2 Ebenen
(⊡ Abb. 11.9).

Im Operationssaal
Reposition und Eingriff werden als Notfall direkt nach Verlet-
zung durchgeführt. Vorhanden sein muss eine ausreichende
Durchleuchtungsmöglichkeit und Instrumentarium zur perku-
tanen Spickdrahtosteosynthese. Eine »Single-Shot«-Antibiose
ist normalerweise nicht erforderlich.

Lagerung
Der Eingriff wird in der Regel in Rückenlage auf dem Armtisch
durchgeführt (⊡ Abb. 11.10). Die Abdeckung erfolgt bis zum
Oberarm bei freiem Ellenbogengelenk, um einen maximalen
⊡ Abb. 11.10. Lagerung und Abdeckung. Lagerung im Aushang; zuvor Bewegungsspielraum des Arms zu garantieren. Die Zugänglich-
wurde eine Bruchspaltanästhesie durchgeführt ( Kap. 8.9), Bildwandler
keit und Position des Bildwandlers muss schon vor dem Abde-
in Position. Der Bildwandler ist horizontal geschwenkt, damit a.p. und
seitliche Projektion ohne Drehung des Unterarms realisiert werden kön- cken kontrolliert und der Bildwandler so positioniert werden,
nen. Zur kontinuierlichen Reposition wird ein Gewicht von ca. 2–3 kg am dass er ohne Verzögerung und Störung des Operationsablaufes
gepolsterten Oberarm befestigt eingebracht werden kann.
11.2 · Versorgung einer distalen Radiusfraktur Typ Aitken I mit geschlossener Reposition und Spickdrahtosteosynthese
343 11
Operationstechnik
Nach Narkoseeinleitung zunächst geschlossene Reposition un-
ter Längszug und Palmarflexion unter manuellem Druck auf
das distale radiale Fragment (⊡ Abb. 11.11). Häufig kommt es
zum merkbaren »Einrasten« der Fuge und des metaphysären
Keils. In diesem Fall jetzt Bildwandlerkontrolle in 2 Ebenen,
Durchbewegen des Handgelenkes zur Prüfung der Stabilität.
Kommt es auch unter Dorsalextension nicht zu einem
sekundären Abrutschen, wird in typischer Weise eine dorsale
Unterarmgipsschiene mit »Delle« direkt proximal des distalen
Radiusfragments angelegt.
Ist ein Abrutschen der Fraktur nach dorsal in der seitlichen
Durchleuchtung erkennbar, wird die Reposition unter Palmar-
flexion gesichert und nach Stichinzision vom Proc. styloideus
c
radii her ein Spickdraht 1,8 mm schräg in das Schaftfragment
transepiphysär eingebracht. In der Regel ist 1 Draht ausrei-
chend, bei älteren Kindern kann noch ein 2. gekreuzter Draht a b
eingebracht werden (⊡ Abb. 11.12).
⊡ Abb. 11.11a–c. Repositionsmanöver. In der Regel ist die Epiphyse
Wundverschluss/Verband nach dorsal abgerutscht, metaphysär ein mehr oder weniger großer
Knochenkeil ausgebrochen. Das Repositionsmanöver beginnt mit der
Zunächst Kontrolle auf Bluttrockenheit und Wundspülung. Extension (a), dann wird mit Fingerdruck die Epiphyse nach volar ge-
Hautverschluss. Hier genügen im Normalfall Einzelknopfnähte. drückt und ggf. das Handgelenk maximal flektiert (b,c). Idealerweise
Nun Stabilitätskontrolle unter Bewegung des Handgelenkes, verspürt man ein regelrechtes »Einrasten« der Wachstumsfuge
danach steriler Verband und Anlage der dorsalen Unterarm-
gipsschiene.

Postoperativ
Probleme
Je nach Dislokationsgrad und Schwierigkeiten bei der geschlos-
senen Reposition können erhebliche Weichteilschwellungen
auftreten. Bei unklaren Situationen ist eine stationäre Überwa-
chung angezeigt.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: DMS-Kontrolle postoperativ, der Eingriff
kann prinzipiell ambulant durchgeführt werden.
▬ Postoperativer Tag 1: Gipskontrolle. Sorgfältige Dokumen-
tation von DMS.

Weiterbehandlung/Arztbrief
Nach Abschwellung Wechsel auf geschlossenen Unterarmgips
a b
für 3 Wochen bis zum Alter von 8 Jahren, danach 4 Wochen (auf
eine ausreichende Polsterung der subkutan versenkten Drahten-
⊡ Abb. 11.12a,b. Spickdrahtosteosynthese. Ist das Repositionsergebnis
den ist zu achten). Gipsabnahme nach 4 Wochen mit Röntgen- nicht absolut stabil, wird mit 2 fugenübergreifenden Spickdrähten sta-
kontrolle, Spickdrahtentfernung je nach Compliance des Kindes bilisiert. Die Technik der Einbringung entspricht der beim Erwachsenen
in Lokal- oder Allgemeinnarkose in den folgenden Tagen. beschriebenen ( Kap. 8.9)
344 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

11.3 Versorgung einer geschlossenen Indikation


Oberschenkelschaftfraktur mit Die Frakturform wird anhand von konventionellen Röntgen-
Markdrahtungsosteosynthese aufnahmen des Oberschenkelschaftes in 2 Ebenen gesichert.
Geeignet sind insbesondere Quer- oder kurze Spiralfrakturen
Vorbemerkung mit oder ohne kleineren Biegungskeile, bei denen die Haupt-
Frakturen im Kindesalter sind auf Grund ihrer schnellen Hei- fragmente ausreichenden Kontakt haben. Segmentfrakturen
lung, der Korrekturpotenz und dem in der Regel guten Rehabi- sind prinzipiell auch versorgbar, die Reposition ist aber er-
litationsergebnis immer noch eine Domäne der nichtoperativen schwert. Ungeeignet sind lange Spiralfrakturen, die bis zum
Therapie. Da aber v. a. bei den Schaftfrakturen der langen Gelenkbereich auslaufen, da es hier durch Torsionsbewegungen
Röhrenknochen längerfristige stationäre Aufenthalte mit zu zu einem Zusammenstauchen der Fraktur kommen kann.
Beginn oftmals schmerzhaften Extensionsbehandlungen nötig Die Frakturversorgung wird idealerweise unmittelbar nach
sind, werden zunehmend kindgerechte Osteosyntheseverfahren Aufnahme als Notfalleingriff vorgenommen, um die Schmerz-
eingesetzt, die zu einer schnellen Schmerzreduktion, der Mög- dauer für das Kind zu minimieren. Durch den Einsatz von
lichkeit der frühzeitigen Mobilisation und damit auch zu einer vorgebogenen, derzeit in der Regel aus Titan bestehenden elas-
deutlichen Abkürzung der stationären Behandlungsdauer füh- tischen Markdrähten ist die »Bündelnagelung nach Prevot«
ren. Bei Gelenkfrakturen und/oder Frakturen im Bereich der auch zur Versorgung von Frakturen im Kindesalter möglich.
Wachstumsfuge muss allein auf Basis der erforderlichen mög- Die Bündelnagelung wird bei den eigenen Patienten ab einem
lichst anatomischen Reposition häufig eine offene Einrichtung Alter von etwa 2,5–3 Jahren bis zum Schluss der Wachstumsfu-
vorgenommen werden, so dass auch in diesen Fällen durch den gen vorgenommen. Nach Verschluss der Wachstumsfugen wird
Einsatz von Spickdrähten und Zugschrauben, seltener Platte- die Osteosynthese nach den Prinzipien der Frakturversorgung
nosteosynthesen, eine anatomische Ausheilung gesichert und beim Erwachsenen (Marknagel, Plattenosteosynthese) vorge-
ein früher Beginn der funktionellen Nachbehandlung erreicht nommen.
werden kann. An dieser Stelle sollen nur ausgewählte typische,
teilweise auch modellhaft auf andere Frakturformen übertrag-
bare Osteosyntheseverfahren genannt werden. Operationsprinzip
Das Prinzip der Bündelnagelung besteht aus einer elastischen
Dreipunktabstützung von mindestens 2 in den Markraum ein-
gebrachten Drähten (⊡ Abb. 11.13). Damit ist eine ausreichende
11 Achsenführung gewährleistet. Durch Eintreiben der Nägel in
die spongiösen diaphysären Bereiche ist auch eine ausreichende
Rotationssicherung vorhanden. Das Verfahren wird in der Re-
gel über Stichinzisionen diaphysär der Wachstumsfuge einge-
hend geschlossen und damit minimalinvasiv durchgeführt und
stellt damit eine sehr kindgerechte Osteosyntheseform dar.

⊡ Abb. 11.13. Prinzip der Verspannung mit »Bündelnägeln«. Prinzip


der 3-Punkte Verspannung bei eingebrachten »Bündelnägeln« bei ei-
ner Oberschenkelschaftquerfraktur. Die Epiphysenfugen werden nicht
überkreuzt
11.3 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit Markdrahtungsosteosynthese
345 11
Operationsvorbereitung
Aufklärung
Da geschlossene Schaftfrakturen im Kindesalter prinzipiell
auch nichtoperativ behandelbar sind, erfolgt eine ausführliche
Aufklärung der Eltern, insbesondere im Hinblick auf die Vor-
und Nachteile einer Extensionsbehandlung, der Repositions-
güte und der Gesamtbehandlungsdauer. Risiken der operativen
Behandlung sind:
▬ Auftreten eines Wund-, Weichteil-, selten auch Knochenin-
fektes
a
▬ Thromboembolische Komplikationen bei älteren Kindern
▬ Unzureichende Reposition, insbesondere Rotationsdiffe-
renzen
▬ Ausheilung in Fehlstellung mit fehlender Korrekturmög-
lichkeit
▬ Verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung mit Pseudar-
throsenbildung
▬ Bei Versagen der geschlossenen Einrichtung ggf. Notwen-
digkeit eines offenen Vorgehens zur Reposition
▬ Ggf. wandernde Drähte, selten mit sekundärem Repositi-
onsverlust, aber häufiger lokale Druckschmerzen an der
Nageleintrittsstelle b

Diagnostik und Planung


Eine sorgfältige klinische Untersuchung der peripheren DMS
und der lokalen Weichteilverhältnisse fahndet nach lokalen
Gefäß- und Nervenverletzungen und einem drohenden oder
manifesten Kompartmentsyndrom.

Im Operationssaal
Lagerung
Nach Narkoseeinleitung Vorreinigung des Operationsgebietes.
Der Eingriff wird auf dem Standardtisch durchgeführt. Da eine
geschlossene indirekte Reposition vorgesehen ist, müssen aus-
reichende Durchleuchtungsmöglichkeiten gegeben sein. Eine c
sterile Abdeckung ist erforderlich, darf aber in keinem Fall die
Durchleuchtungsmöglichkeiten am proximalen Oberschenkel
behindern (ggf. vor Abdeckung überprüfen!).
Single-shot-Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporinen
der 1. Generation.
Das betroffene Bein wird komplett bis zur Hüfte frei beweg-
⊡ Abb. 11.14a–c. Hautinzisionen. a Die Inzisionen erfolgen lateral und
lich steril abgewaschen und abgedeckt. medial am distalen Femur direkt über der Wachstumsfuge (Bildwandler-
markierung!). Bedingt durch die schräge Einbringung muss die Hautinzi-
sion weiter distal als die beabsichtigte Eintrittsstelle am Knochen liegen.
Operationstechnik b Mit dem Pfriem wird die Spongiosa eröffnet und die Eintrittsrichtung
Zugang festgelegt (ebenfalls Bildwandlerkontrolle). c Bei härterem Knochen er-
folgt die stufenweise Aufbohrung bis 4,5 mm
Die Eintrittspunkte für die Drähte liegen für die Hautinzisi-
onen medial und lateral an den femoralen Epikondylen, der
Eintritt in den Knochen liegt etwa 1 cm proximal der femoralen
kniegelenksnahen Epiphysenfuge.

Operationstechnik
Die Hautinzisionen werden medial und lateral angelegt und
die Eintrittsstellen durch Spreizen mit der Schere stumpf dar-
gestellt (⊡ Abb. 11.14). Die Eröffnung des Markraums erfolgt
mit dem spitzen Pfriem. Er wird unter Bildwandlerkontrolle an
346 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

der geeigneten Eintrittsstelle im flachen Winkel in den weichen


Knochen eingedrückt und unter drehenden Bewegungen der
Markraum eröffnet.
Die Auswahl des Marknageldurchmessers erfolgt nach Alter
des Kindes und den Röntgenaufnahmen. Eine blockierende
»Verklemmung« innerhalb der Diaphyse sollte unbedingt ver-
mieden werden. In der Regel sind 2 Drähte im Durchmesser
3 mm ausreichend (⊡ Abb. 11.15). Der Draht wird zunächst mit
dem T-Handgriff kurz gefasst und in die Bohrung eingesetzt,
bei Erreichen des Markraums wird er gedreht, so dass das
kufenförmig aufgebogene Spitzenende nun flach auf die Ge-
genkortikalis aufläuft und durch diese nun geführt wird. Unter
leichten Drehbewegungen, ggf. durch leichte Hammerschläge
auf das Führungsinstrument, wird der Draht eingebracht. Er
sollte sich ohne große Gewalteinwirkung der Knochenkontur
anlegen. Ist das nicht erreichbar, muss ggf. die Eintrittsrichtung
durch Erweitern der Kortikalisperforation abgeflacht oder ein
a b dünnerer Draht verwendet werden.
Der Draht wird nun zunächst bis zum Frakturende vorge-
schoben, sollte die Fraktur allerdings noch nicht überragen. Die
Reposition erfolgt unter Längszug des Beines und muss vom
Assistenten durchgeführt werden. Gerade bei ausgedehntem
Weichteilmantel ist es oftmals schwierig, die Repositionsstel-
lung zu »erfühlen«. Es sollte zunächst einmal ausreichender
Längszug ausgeführt werden, bis ein Fragmentkontakt erreicht
ist. Da eine formelle Bildwandlerkontrolle in 2 Ebenen in der
Regel ein Durchschwenken des Bildwandlers und damit eine
Positionsänderung des Assistenten bedingt, werden bei den
11 eigenen Patienten bevorzugt 45°-Schrägaufnahmen in beiden
Seiten verwendet, um die mögliche Dislokation in beiden Ebe-
nen zu identifizieren. Durch Unterlegen von Tuchrollen kann
ein Hypomochlion erzeugt werden, das die Reposition erleich-
tert. Durch Druck mit einem Holzhammer lässt sich unmittel-
bar im Frakturbereich manipulieren, ohne mit den Händen in
den Strahlengang zu kommen.
Ist eine ausreichende Kongruenz des Schaftbereichs her-
gestellt, wird der Nagel ggf. unter Korrektur der Drehung
c d
vorgeschlagen, um den proximalen Markraum zu erreichen. In
der Regel ist das Erreichen des Markraums am Draht fühlbar,
⊡ Abb. 11.15a–d. Einbringen der Nägel. a Zunächst wird der erste so dass erst jetzt das sichere Überqueren der Fraktur mit dem
Draht bis zur Frakturstelle vorgeführt. b Der zweite Draht folgt ebenfalls Bildwandler gesichert werden muss. Der Draht wird nun bis
bis zur Frakturstelle, danach kann durch Manipulation mit den Drähten etwa 3 cm distal des Trochanter major vorgetrieben.
mit zunächst einem Draht die proximale Markhöhle erreicht werden. Einbringen des gegenseitigen Drahtes in gleicher Weise.
c Durch Rotation dieses Drahtes lässt sich auch der zweite Draht relativ
einfach in die proximale Markhöhle platzieren. d Beide Drähte wer-
Vor dem Überqueren der Fraktur wird die Rotation klinisch
den dann proximal verankert. Vor dem endgültigen Einschlagen muss gesichert und nach Überqueren der Frakturebene unter Bild-
die Rotation im Frakturbereich kontrolliert und ggf. korrigiert werden. wandlerkontrolle versucht, durch leichte Rotationsbewegungen
Die Drähte sollten schließlich in der festen Spongiosa des proximalen ein »Einrasten« der Fraktur zu erreichen. Eine Fehlstellung
Femurs medial und lateral verankert werden, die Epiphysenfuge bzw. ad latum wird durch die Dreipunktabstützung der Drähte in
lateral die Apophyse des Trochanter major nicht berühren. Nach Rönt-
genkontrolle mit dem Bildwandler werden die Drähte distal gekürzt und
der Regel beim Vorschlagen der Drähte gut ausgeglichen. Der
unter der Haut versenkt 2. Draht wird nun in Richtung Schenkelhals bis etwa 2 cm vor
der Wachstumsfuge eingetrieben. Nach Sicherung der ausrei-
chenden Frakturreposition im Bildwandler werden die Drähte
mit dem Seitenschneider gekürzt. Sie sollten die Kortikalis etwa
5 mm überragen, um eine Dislokation in den Markkanal zu
vermeiden und die Drahtentfernung zu erleichtern.
⊡ Abb. 11.16 zeigt beispielhaft die Versorgung einer Ober-
schenkelschaftfraktur durch eine Markdrahtosteosynthese.
11.3 · Versorgung einer geschlossenen Oberschenkelschaftfraktur mit Markdrahtungsosteosynthese
347 11

a b c

d e

f g

⊡ Abb. 11.16a–g. Röntgenverlauf. Typische Oberschenkelschaftfraktur bei einem 9 Jahre alten Kind nach Fahrradunfall. a,b Unfallbilder. c–e Versor-
gung mit Markdrahtung durch elastische Titandrähte. f,g Zustand nach 9 Monaten. Die Fraktur ist verheilt, die Drähte entfernt
348 Kapitel 11 · Verletzungen im Kindesalter

Wundverschluss/Verband
Kontrolle auf Bluttrockenheit und Wundspülung. Verschluss
der Inzision mit Rückstichnähten. Steriler trockener Verband.

Postoperativ
Probleme
Postoperative Schmerzen und Weichteilschwellungen können
Probleme bereiten. Eine gute Lagerung in einer Schaumstoff-
schiene mit unterstützender Eiskühlung sollte immer eingesetzt
werden. Ansonsten sollte auf eine gute analgetische Abdeckung
in der Akutphase geachtet werden.

Nachbehandlung
▬ Operationstag: DMS-Kontrolle postoperativ, ausreichende
Schmerzmedikation.
▬ Postoperativer Tag 1: Je nach Schmerzausprägung Aufsit-
zen am Bettrand, ggf. Standübungen.
▬ Postoperativer Tag 2: Je nach Schmerzverlauf kranken-
gymnastisch assistierte Mobilisation an Unterarmgehstüt-
zen. Aufbelastung wird je nach Schmerzausprägung im
Ermessen des Kindes erlaubt.

Postoperative Röntgenkontrollen in 2 Ebenen vor Entlassung.


Die Entlassung erfolgt, sobald das Kind in häuslicher Versor-
gung führbar ist. Vor Entlassung klinische Kontrolle der Rota-
tionsstellung.

11
Weiterbehandlung/Arztbrief
Röntgenkontrollen nach 4 Wochen und 8 Wochen.
Fadenzug zeitgerecht nach 10–14 Tagen.
Drahtentfernung bei Kindern unter 6 Jahren nach 4 Mona-
ten, bei 6–12 Jahren nach 6–9 Monaten, darüber nach 1 Jahr.

Literatur
Laer L, Kraus K, Linhart E (2007) Frakturen und Luxationen im Kindesalter.
Thieme, Stuttgart
Rüedi T (2008) AO-Prinzipien des Frakturmanagementes. Thieme, Stuttgart
Tscherne H, Weinberg A (2006) Tscherne Unfallchirurgie. Unfallchirurgie im
Kindesalter. Springer, Berlin Heidelberg New York
III

Sektion III Orthopädische Eingriffe


an der Wirbelsäule

E. Fritsch

Kapitel 12 Wirbelsäule – 351


12

Wirbelsäule

12.1 Ventrale interkorporelle Fusion an der Halswirbelsäule (C2–TH1)


mit Platte und Knochenblock/Cage oder Wirbelkörperersatz – 352

12.2 Nukleotomie und Dekompression des Spinalkanals an der


Halswirbelsäule mit Implantation einer Bandscheibenprothese – 356

12.3 Stabilisierung mittels Fixateur interne an der Brust-,


Lenden- und Halswirbelsäule – 360

12.4 Dekompression des lumbalen (thorakalen) Spinalkanals:


Laminektomie – 366

12.5 Instrumentation mit Pedikel- und Laminahaken bei


Korrekturspondylodesen an der Brust- (und Lendenwirbelsäule)
bei Deformitäten – 370

12.6 Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule (laterale Thorakotomie:


TH4–TH11; tiefe laterale Thorakotomie: TH10–L2) mit Korporektomie
und Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan – 374

12.7 Retroperitonealer Zugang zur Lendenwirbelsäule und zum


thorakolumbalen Übergang mit Korporektomie und
Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan – 380

12.8 Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule


(minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang) – 383

12.9 Lumbale Bandscheibenprothese – 392

12.10 Lumbale Diskushernie: Mikrodiskektomie – 396

12.11 Mikrochirurgische (monosegmentale) Dekompression


bei Rezessusstenose – 400

12.12 Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule


(»posterior lumbar interbody fusion; PLIF) – 403

12.13 Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule


(»transarticular lumbar interbody fusion«; TLIF) – 408
352 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.1 Ventrale interkorporelle Fusion an der Diagnostik und Planung


Halswirbelsäule (C2–TH1) mit Platte und ▬ Schmerzanamnese
Knochenblock/Cage oder Wirbelkörperersatz ▬ Lokaler Befund (HWS-Profil sagittal und frontal, Schmerz-
punkte über den Hinterhauptsschuppen, den Proc. spinosi,
Indikation paravertebral), Muskeltonusüberprüfung am Nacken und
▬ Instabile Halswirbelsäule bei/nach Frakturen und Luxatio- der Schulterpartie
nen ▬ Funktioneller Befund (Kinn-Jugulum-Abstand; Flexion/Ex-
▬ Korporektomie bei Tumoren, Entzündungen und zur vent- tension, Seitneigung, Rotation)
ralen Rückenmarksdekompression ▬ Segmentorientierte neurologische Untersuchung (Oberflä-
▬ Posttraumatische Kyphose chensensibilität, segmentbezogene Überprüfung der Kenn-
▬ Degenerative Erkrankungen der Halswirbelsäule mit (radi- muskeln, Bizepssehnenreflex, Trizepssehnenreflex, Radius-
kulären) Nacken oder Armschmerzen periostreflex)
▬ Funktionelles/neurologisches Defizit bei folgenden durch ▬ Klinische Untersuchung des pyramidalen und extrapyra-
bildgebende Verfahren bestätigten Konditionen: midalen Systems (Bauchhautreflexe, ASR und PSR patho-
– Bandscheibenvorfall logisch? Babinski-Reflex, Trömner-Reflex, Finger-Nase-
– Retrospondylophytose Zeigeversuch, Armvorhalteversuch, Unterberg-Tretver-
– Foramenstenose durch Spondylophyten such)
– Kombinationen ▬ Klinische Untersuchung des arteriellen und venösen Gefäß-
▬ Therapieresistenz nach 6 (12) Wochen suffizienter konser- status
vativer (medikamentös; physikalisch) Therapie
Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,
SSEP.
Kontraindikationen (relativ)
▬ Zervikale Spinalkanalstenosen durch Verknöcherung des Röntgen: Halswirbelsäule im Stehen mit Darstellung des zer-
hinteren Längsbandes (OPLL) über mehr als 3 Segmente vikothorakalen Übergangs in 4 Ebenen (Anomalitäten; Erkran-
(Indikation zur dorsalen Laminoplastie) kungen, die das klinische Bild einer Diskushernie imitieren,
▬ Superinfizierte Hauterkrankungen z. B. Osteolysen, osteoporotische Frakturen; OPLL); seitliche
▬ Erhebliche Vernarbungen im Halsbereich Funktionsaufnahmen zur Diagnostik von Instabilitäten.

CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion; Informationen


Operationsprinzip über Art und Ausmaß einer knöchernen Verletzung; Informa-
12 Von C2 bis TH1 bei degenerativen Bandscheibenerkrankun- tionen über Protrusion, Prolaps, Sequester, Lage und Ausdeh-
gen ventrale Nukleotomie und Dekompression des Spinalka- nung der Bandscheibenpathologie; Ausmaß einer Retrospon-
nals und der Neuroforamina mit nachfolgender Spondylodese dylophytose und der konsekutiven Spinalkanalstenose sowie
durch Knochenspan oder Cage und zusätzlicher Plattenfixation. über das Ausmaß einer Stenose des Foramen intervertebrale,
Bei Tumoren und Entzündungen sowie Spinalkanalstenosen Differenzialdiagnose hinsichtlich osteolytischer Prozesse; Aus-
Korporektomie zur Dekompression und Ersatz des entfernten maß der Verknöcherungen bei der OPLL.
Wirbelkörpers durch Knochenspan oder einen metallischen
Wirbelkörperersatz mit zusätzlicher Plattenfixation. MRT: Informationen über: Protrusion, Prolaps, Sequester,
Lage und Ausdehnung der Bandscheibenpathologie. Bei Vor-
operationen Unterscheidung hinsichtlich Narbengewebe. Bei
Operationsvorbereitung osteolytischen Prozessen wichtigste Informationsquelle hin-
Aufklärung sichtlich der Differenzialdiagnose von Tumor oder Entzün-
▬ Verletzung von Nerven und Gefäßen bei der Präparation (vor dung.
allem N. recurrens; A. carotis, V. jugularis interna, N. vagus)
▬ Verletzung von Ösophagus und Trachea Myelographie mit Myelo-CT: Nur noch indiziert bei spezi-
▬ Verletzungen der Nervenwurzeln und der A. vertebralis bei ellen Fragestellungen und Unklarheiten, die nicht mit CT und
der Dekompression NMR beantwortet werden können. Bei Klaustrophobie (MRT
▬ Querschnittslähmung und deren Folgen in Abhängigkeit unmöglich) und diagnostischer Unsicherheit im CT.
von der operierten Höhe
▬ Duraverletzung, Liquorverlustsyndrom 3-Phasen-Skelettszintigraphie: Bei Tumorleiden Hinweise
▬ Spondylitis bzw. Spondylodiszitis auf das Ausmaß der Skelettbeteiligung. Differenzialdiagnos-
▬ Schraubenlockerung und Schraubenmigration (Ösophagus/ tische Hinweise bei Entzündungen.
Trachea)
▬ Pseudarthrose (bei intersomatischer Fusion)
▬ Span-/Wirbelkörperersatz Dislokation mit der Notwendig-
keit der Reoperation
12.1 · Ventrale interkorporelle Fusion an der Halswirbelsäule (C2–TH1) mit Platte und Knochenblock/Cage
353 12
Im Operationssaal
Lagerung
Rückenlagerung des Patienten auf einem strahlendurchlässi-
gen Operationstisch, welcher uneingeschränkt zulässt, dass der
Röntgenbildwandler nach oben und unten verschoben werden
kann und eine exakte laterale und a.p. Bildwandlerdarstellung
der HWS möglich ist. Seitliches Anlagern der Arme mit Pols-
terung in der Axilla. Zug an jedem Arm über eine gepolsterte
Handgelenkmanschette von maximal 1,5 kg oder Herunterzü-
geln der Arme mit Pflasterzügeln.
Lagerung des Kopfes in leichter Überstreckung durch Un-
terpolstern des Rückens zwischen den Schultern. Unterpolstern
des Nackens mit einer individuell in der Dicke adaptierten
festen Rolle aus Baumwolle oder Lagerung des Kopfes in ei-
ner Kopfschale. Bei der Frakturversorgung Extension mittels
Mayfield-Klemme oder Halo-Extension mit einem Gewicht
⊡ Abb. 12.1. Ventrale Zugänge zur Halswirbelsäule
von 5–7 kg (Gegengewicht durch Absenken der Beine des Pa-
tienten).
Neutralrotation des Kopfes oder leichte Rotation zur Ge-
genseite.

Operationstechnik
Längsschnitt am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus
oder Querschnitte in den Hautfalten (beginnend ca. 1 cm
jenseits der Mittellinie und 4–5 cm diesseits der Mittelli-
nie), wenn nur 1 oder 2 Segmente freigelegt werden müssen
(⊡ Abb. 12.1).
Es gelten folgende Anhaltspunkte:
▬ Wirbelkörper C3 und C4: Inzision 2 QF unter der Mandi-
bula in Höhe des Zungenbeins
▬ Wirbelkörper C4 und C5: Inzision in Höhe des Schildknor-
pels
▬ Wirbelkörper C5 und C6: Inzision in Höhe des Ringknor-
pels ⊡ Abb. 12.2. Situs nach Durchtrennung von Subkutis und Platysma.
▬ Wirbelkörper C6 und C7: Inzision 2 QF oberhalb der Klavi- Spaltung der oberflächlichen Halsfaszie parallel zum Vorderrand des
kula M. sternocleidomastoideus. Querverlaufende Venen werden ligiert und
durchtrennt
! Für C6 und darunter ist beim linksseitigen Eingehen eine gerin-
gere Gefahr der Schädigung des N. recurrens gegeben, dieser
verläuft rechts unregelmäßiger und höher.

Nach Durchtrennen der Subkutis und des Platysmas in Längs-


richtung (mit Mobilisation nach beiden Seiten und nach
oben und unten) erfolgt die Darstellung der oberflächlichen
Halsfaszie am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus.
Diese wird parallel zum Vorderrand des M. sternocleidomas-
toideus eröffnet. Darunterliegende querverlaufende Venen
und Äste der Ansa cervicalis werden ligiert und durchtrennt
(⊡ Abb. 12.2)
Am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus wird nun
stumpf in die Tiefe präpariert. Das Gefäß-Nervenbündel wird
dabei vorsichtig nach lateral und die viszeralen Strukturen
sowie der M. sternohyoideus und M. sternothyroideus nach
medial beiseite gehalten. Der M. omohyoideus, der (je nach
Zugangshöhe) quer durch das Operationsgebiet verläuft, kann,
wenn möglich, weggehalten werden, ansonsten wird er ligiert ⊡ Abb. 12.3. Ligatur und Durchtrennung des oberen Muskelbauches
und zwischen den Ligaturen durchtrennt (⊡ Abb. 12.3). des M. omohyoideus
354 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Anschließend stumpfes Durchtrennen der mittleren Hals-


faszie und Eingehen auf die Wirbelsäule. Unterhalb der mitt-
leren Halsfaszie müssen querverlaufende Venen (V. thyroidea
media) ligiert und durchtrennt werden. Die tiefe Halsfaszie
wird längsgespalten und der Vorderrand der Wirbelsäule frei-
präpariert (⊡ Abb. 12.4).
Nun wird die Höhenbestimmung/Höhenkonfirmation
durchgeführt mittels eines dünnen (1,4 mm Titan) Spickdrah-
tes, der in die vermutete Bandscheibe eingebracht wird, im
seitlichen Strahlengang. Anschließend erfolgen die Ablösung
des M. longus colli bis zur Basis der Querfortsätze und sodann
das Einsetzen eines Spreizers, dessen Blätter sich idealerweise
unter dem M. longus colli verankern.
! Das Abpräparieren des M. longus colli kann durch erhebliche
Blutungen aus dem Muskel schwierig sein. Durch Einsatz der
⊡ Abb. 12.4. Aspekt der Halswirbelsäule nach stumpfer Spaltung der bipolaren Koagulationspinzette kann eine Abpräparation unter
mittleren Halsfaszie und Durchtrennung von querverlaufenden tiefen
gleichzeitiger Blutstillung erfolgen.
Venen. Die tiefe Halsfaszie muss noch durchtrennt werden
Das weitere Vorgehen richtet sich nach der zugrunde liegen-
den Pathologie: Bei degenerativen Bandscheibenleiden wird
das vordere Längsband H-förmig inzidiert und abgeschoben
(⊡ Abb. 12.5), der vordere Anulus fibrosus wird auf einer Breite
von wenigstens 15 mm exzidiert (⊡ Abb. 12.6).
Das Segment kann zur besseren Einsicht aufgespreizt wer-
den, wofür der Caspar-Spreizer (oder Analoga) sich weitgehend
durchgesetzt hat. Im seitlichen Bildwandlerstrahlengang kon-
trolliert wird in Wirbelkörpermitte die vordere Kortikalis mit
einem kleinen Pfriem eröffnet und ein Pin des Caspar-Spreizers
eingedreht. Dieser sollte gerade eben die hintere Wirbelkortika-
lis erreichen. Um eine optimale Einsicht in das Segment zu er-
zielen, sollten die Pins parallel zu den Deck- und Bodenplatten
12 eingedreht werden. Das Operationsmikroskop sollte so gekippt
werden, dass eine senkrechte Einsicht in das Segment erfolgt.
Beim Aufspreizen des Segments verhindert eine Drehmoment-
sperre im Spreizer die Applikation einer zu starken Gewalt
(⊡ Abb. 12.7).
⊡ Abb. 12.5. Abpräparation des M. longus colli und Inzision des vor- Es folgt die Nukleotomie mit Rongeuren, das Anfrischen
deren Längsbandes
der Deck- und Bodenplatten mittels kleiner Ringküretten oder
scharfer Löffel. Auch kann eine hochtourige Fräse mit einem
Walzenvorsatz zum Einsatz kommen, wodurch die Deck- und
Bodenplatten parallelisiert werden.
Retrospondylophyten werden mit kleinen Stanzen (1 mm
oder 2 mm) oder mit einer kleinen Kugelfräse abgetragen.
Wenn notwendig muss das Lig. longitudinale posterius rese-
ziert werden (subligamentärer Bandscheibenvorfall). Mit der
2 mm Stanze kann dann das Neuroforamen erweitert werden.
Die Dekompression des Spinalkanals und der Neurofora-
mina sollte wegen der besseren Ausleuchtung und der Möglich-
keit der Vergrößerung mit Hilfe eines Operationsmikroskops
erfolgen, Eine Möglichkeit der ständigen Durchleuchtung im
seitlichen Strahlengang (gepulster Modus!) erlaubt jederzeit die
Tiefenkontrolle der Instrumente.
Mit Hilfe eines kleinen Wurzelhäkchens, das hinter die
Hinterkante des Wirbels positioniert wird, lässt sich im seit-
lichen Strahlengang feststellen, ob die Retrospondylophyten
suffizient abgetragen sind. Das Häkchen wird ganz links, ganz
⊡ Abb. 12.6. Exzision des ventralen Anulus fibrosus rechts und in der Mitte des Wirbelkörpers positioniert; in
12.1 · Ventrale interkorporelle Fusion an der Halswirbelsäule (C2–TH1) mit Platte und Knochenblock/Cage
355 12
seitlicher Durchleuchtung zeigt sich dann jeweils der Abstand
zur Hinterkante, welcher im idealen Falle eben nicht mehr
vorhanden ist.
Nun erfolgt das Einpassen eines Cages oder eines Kno-
chenblockes. Die Pins des Caspar-Spreizers werden entfernt.
Manchmal ist es notwendig, die Eintrittslöcher mit kleinen
Kegeln aus Knochenwachs abzudichten.
! Eine Überdisktraktion des Segmentes ist zu vermeiden. Anhalts-
punkte liefern benachbarte gesunde Bandscheibensegmente.

Vor der Montage der Platte müssen ventrale Osteophyten so-


weit abgetragen werden, dass die Platte nicht absteht (ansonsten
besteht die Gefahr von postoperativen Schluckstörungen).
Anschließend wird die Platte angelegt und nötigenfalls zu-
rechtgebogen, wobei die exakt passende Länge im seitlichen
Bildwandlerstrahlengang festgestellt werden kann. ⊡ Abb. 12.7. Aufspreizen des Zwischenwirbelraums
Sie wird in der Regel provisorisch fixiert, im a.p. und
seitlichen Strahlengang kontrolliert und dann festgeschraubt.
Das sog. Spreizschraubendesign hat sich bewährt; eine kleine
Spreizschraube fixiert den Schraubenkopf winkelstabil im Plat-
tenloch und verhindert so eine Dislokation der Schraube.
Bei Frakturen, Spondylitis, Tumoren und bei mehrsegmen-
talen schweren Spinalkanalstenosen (vor allem OPLL) muss in
der Regel eine Korporektomie eines oder mehrerer Halswirbel
erfolgen.
Von einer ca. 15 mm breiten Längsnute, die mit der Hoch-
tourenfräse geschaffen wird, erfolgt – soweit wie notwendig
– die weitere Resektion nach den Seiten. Muss die hintere
Kortikalis entfernt werden, so geschieht dies mit feinen Stanzen
ausgehend von den benachbarten Bandscheibenräumen, die wie
oben beschrieben nukleotomiert und dekomprimiert werden.
Danach wird die Distanz für den einzupassenden trikorti-
kalen Beckenspan ausgemessen, dieser entnommen und einge- ⊡ Abb. 12.8. Montage der Platte mit monokortikalen Spreizkopf-
setzt. Die Seiten des Spans müssen entsprechend den schrägen schrauben
Deck- und Bodenplatten zugerichtet werden; der Caspar-Sprei-
zer ermöglicht ein Einsetzen des Spans im distrahierten Zustand
und somit eine Verklemmung nach Entspannen des Spreizers.
Die Pins des Caspar-Spreizers werden entfernt. Danach erfolgt
die Montage der Platte wie beschrieben (⊡ Abb. 12.8).
Wesentlich eleganter ist die Versorgung des Defektes mit ei-
nem metallischen Wirbelkörperersatz. Er ist aus Titan gefertigt
und in situ distrahierbar. Einige Modelle haben Endplatten mit
integrierten Laschen, durch die der Wirbelkörperersatz an die
angrenzenden Wirbel angeschraubt werden kann. Das Trauma
einer Beckenspanentnahme kann somit minimiert und in vie-
len Fällen gänzlich vermieden werden.
Die Wundspreizer werden nun entfernt.
Nach Kontrolle des Operationsergebnisses im a.p. und seit-
lichen Bildwandlerstrahlengang mit Dokumentation folgen die
Einlage einer 10er-Redon-Drainage an die Wirbelsäule, danach
die Naht des Platysmas, der Subkutis (wenn nötig) und Hautver-
schluss mittels Intrakutannaht oder Histoacryl-Gewebekleber.
! Eine Redon-Drainage ist obligat. Auch bei sog. bluttrockenem
Situs. Ein postoperatives Hämatom kann durch Kompression
der Trachea zur intubationspflichtigen Situation führen. Diese
ist dann besonders schwierig.
356 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Postoperativ 12.2 Nukleotomie und Dekompression des


Probleme Spinalkanals an der Halswirbelsäule mit
Eine zu weit abstehende Platte kann zu Schluckstörungen Implantation einer Bandscheibenprothese
führen. Manchmal ist dann eine Reoperation notwendig. Die
Schrauben müssen zur Gänze in der Platte versenkt werden, Indikation
um eine Weichteilirritation zu vermeiden. Bei sehr schräger ▬ (Radikuläre) Nacken oder Armschmerzen
Schraubenlage gelingt dies nicht immer. Unter ständiger Spü- ▬ Funktionelles/neurologisches Defizit bei folgenden durch
lung kann das hervorstehende Stückchen der Schraube mit bildgebende Verfahren bestätigten Konditionen:
einer Diamantfräse abgetragen werden. – Bandscheibenvorfall
Beim Einsatz von einfachen Platten kann durch die Not- – Retrospondylophytose
wendigkeit der bikortikalen Schraubenverankerung eine Ver- – Foramenstenose durch Spondylophyten
letzung epiduraler Venen, der Dura oder des Rückenmarks re- – Kombinationen
sultieren. Bei den heute gängigen Modellen mit winkelstabilen ▬ Therapieresistenz nach 6 (12) Wochen suffizienter konser-
Schrauben meist der Länge 14 mm oder 16 mm besteht diese vativer (medikamentös; physikalisch) Therapie
Gefahr nicht mehr. ▬ Alter 18–60 Jahre
Eine Duraverletzung stellt immer eine ernste Komplikation
dar (möglich vor allem bei einer Korporektomie mit Resektion
Kontraindikation
der hinteren Kortikalis) und muss entsprechend versorgt wer-
den. Unter Umständen ist mit der Einlage einer temporären ▬ Deformitäten
Liquordrainage der Liquordruck zu senken, um die Ausbildung ▬ Posttraumatische Segmente
einer Fistel zu verhindern. ▬ Schwere symptomatische Facettenarthrose
▬ Metallallergie
Nachbehandlung ▬ Autoimmunerkrankungen
▬ Mobilisation am 1. postoperativen Tag ▬ Osteoporose oder andere Systemerkrankungen mit Kno-
▬ Entfernung der Redon-Drainage am 1. oder 2. postoperati- chenbeteiligung
ven Tag ▬ Infekt
▬ Frei bewegliche Lagerung (eventuell weiche Halskrawatte ▬ Tumor
bis zur Wundheilung) ▬ Knöcherne Defekte
▬ Vermeiden des Hebens und Tragens von schweren Lasten ▬ Instabilitäten (v. a. Spondylolisthesis)
für 12 Wochen ▬ Spinalkanalstenose mit Myelopathie
▬ Sofortiger Beginn der Physiotherapie mit isometrischen ▬ Mehrsegmentale (<2 Segmente) Pathologie
12 Übungen möglich ▬ OPLL
▬ Schwangerschaft
Besonderheiten
Eine implantatfreie Spondylodese (Operation nach Robinson) Operationsprinzip
ist immer noch gängig. Auch die Implantation von PMMA- Ventrale Nukleotomie an der Halswirbelsäule von C2/3 bis
Stücken als intersomatischer Platzhalter kommt noch vor. Da C6/7 und/oder Dekompression des Spinalkanals und/oder der
die Spondylodese mit Plattenfixation biomechanisch diesen Neuroforamina und nachfolgende Implantation einer Band-
Verfahren überlegen ist und auch eine orthesenfreie Rehabili- scheibenendoprothese über 1 oder 2 Segmente mit der Zielset-
tation erlaubt, ist der zusätzlichen Plattenfixation der Vorzug zung des Erhalts der segmentalen Beweglichkeit und dadurch
zu geben. Lediglich die geringeren Implantatkosten sind ein größtmöglicher Schonung der Nachbarsegmente.
Argument für das Verzichten auf die Platte oder für den Einsatz
eines Knochenspans anstelle eines Cages.
Operationsvorbereitung
Aufklärung
Literatur ▬ Risiko des operativen Zugangs und der Dekompression
Bohlman HH, Emery SE, Godfellow DB, et al. (1993) Robinson anterior cer-  Kap. 12.1
vical discectomy and arthrodesis for cervical radiculopathy. Long term ▬ Iatrogener symptomatischer Bandscheibenvorfall durch das
follow-up of one hundred and twenty-two patients. J Bone Joint Surg
Einschlagen der Prothese
[Am] 75(9):1298–1307
Hacker RJ, Cauthen JC, Gilbert TJ, Griffith SL (2000) A prospective randomized ▬ Lockerung der Bandscheibenprothese mit eventuell not-
multicenter clinical evaluation of an anterior cervical fusion cage. Spine wendiger Revisionsoperation
25:2646–54 ▬ Dislokation der Bandscheibenprothese nach vorne oder
Goffin J, Geusens E, Vantomme N, et al. (2004) Long term follow-up after inter- hinten mit eventuell notwendiger Revisionsoperation
body fusion at the cervical spine. J Spinal Disord Tech 17 (2):79–85
▬ Einbruch der Bandscheibenprothese in die Grund- oder
Deckplatten mit eventuell notwendiger Revisionsoperation
▬ Sekundäre Verknöcherung des Segmentes
▬ Bei Prothesen mit Kiel: Spaltung des Wirbelkörpers
12.2 · Nukleotomie und Dekompression des Spinalkanals an der Halswirbelsäule mit Implantation einer Bandscheibenprothese
357 12
Diagnostik und Planung des Operationsgebietes (praktischerweise mit Bestimmen und
 Kap. 12.1 unter strikter Beachtung der Indikationen, vor allem Einzeichnen der Zugangstrajektorie im seitlichen Strahlengang)
aber auch der Kontraindikationen. in beiden Ebenen vor der Desinfektion und Abdeckung.

Operationstechnik
Im Operationssaal Ventraler Zugang zur HWS wie oben beschrieben.
Lagerung Nach Konfirmierung der korrekten Höhe erfolgt die Be-
Rückenlagerung des Patienten auf einem strahlendurchlässigen stimmung der Mittellinie mittel eines in die Bandscheibe
Operationstisch, der uneingeschränkt zulässt, dass der Rönt- oder in den Wirbelkörper eingebrachten Spickdrahtes (Titan,
genbildwandler nach oben und unten verschoben werden kann 1,4 mm) im a.p. Strahlengang (⊡ Abb. 12.9).
und ein exakte laterale und a.p. Bildwandlerdarstellung der Unter Kontrolle im seitlichen Strahlengang werden die Pins
HWS möglich ist. Seitliches Anlagern der Arme mit Polsterung für den Spreizer gesetzt: Bei Versorgung mit einer Prothese
in der Axilla. Zug an jedem Arm über eine gepolsterte Man- ohne Kiel können diese in beiden Dimensionen mittig im Wir-
schette von maximal 1,5 kg oder Herunterzügeln der Arme. belkörper liegen. Bei Versorgung mit einer Prothese mit Kiel
Unterpolstern des Nackens mit einer individuell in der Dicke und monosegmentaler Versorgung sollten die Pins am oberen
adaptierten festen Rolle aus Baumwolle (Widerstand für die bzw. unteren Drittelpunkt des benachbarten Wirbels liegen und
HWS beim Einschlagen der Prothese). bei monosegmentaler Versorgung mittig. Bei bisegmentaler
Neutralrotation des Kopfes. Im a.p. Strahlengang Überprü- Versorgung muss der mittlere Pin mittig im Wirbel aber neben
fung der Neutralrotation der HWS (Orientierung an den Procc. der Mittellinie eingebracht werden, um den Kiel nicht zu be-
uncinati). Überprüfung der röntgenologischen Darstellbarkeit hindern (⊡ Abb. 12.10).

⊡ Abb. 12.9. Mittenbestimmung durch Titanspickdraht

⊡ Abb. 12.10. Platzierung der Distraktionspins


358 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Der Durchmesser der Distraktionspins variiert je nach Sys- werden. Auf besonders ausgiebige Spülung des Operationsge-
tem. Die Länge sollte so gewählt werden, dass die hintere Wir- bietes ist zu achten, um Knochenbröckel oder Knochenmehl
belkortikalis erreicht oder gerade eben mitgefasst wird. weitestgehend zu entfernen.
Es folgen die Aufdehnung des Segmentes mittels der Dis- Ventrale Osteophyten sollten nicht abgetragen werden. Das
traktionspins, danach die Nukleotomie und die eventuell not- hintere Längsband sollte – wenn es die Pathologie nicht er-
wendige Dekompression mit weiterer schrittweiser Segmentdis- fordert – nach Möglichkeit nicht reseziert werden. Verhindert
traktion, die mittels eines kleinen Wirbelkörperspreizers vorge- ein kontraktes hinteres Längsband jedoch die notwendige Seg-
nommen werden sollte, um die Pins nicht zu überlasten. mentdistraktion, so muss es ebenfalls reseziert werden.
Im großen Unterschied zur Fusion an der HWS sollte nicht Nach der Nukleotomie/Dekompression erfolgt die Implan-
mit einer hochtourigen Fräse gearbeitet werden, um so wenig tation der Prothese, nachdem die korrekte Größe mittels Pro-
wie möglich Osteoblasten freizusetzen, die zu einer sekundären bierprothesen bestimmt wurde (dabei röntgenologische Konfir-
knöchernen Überbrückung führen könnten. Die Deck- und mation der optimalen Lage) (⊡ Abb. 12.11).
Bodenplatten sollten mit einer feinen Ringkürette entknorpelt Die Prothese sollte vom Proc. uncinatus bis zum Proc.
werden, Retrospondylophyten und Spondylophyten, die die uncinatus reichen und von der vorderen bis zur hinteren Wir-
Foramina einengen, sollten nach Möglichkeit mit einer feinen belbegrenzung. Das Einschlagen bis zur korrekten Tiefe erfolgt,
(1 mm/2 mm) Knochenstanze ohne Einsatz der Fräse entfernt wie auch das Einbringen der Probierprothese, unter ständiger

12

⊡ Abb. 12.11a–c. Probierprothese.


a Einbringen des Probeimplantates;
danach »Entspannen« des Sprei-
zers. b Im seitlichen Strahlengang
Kontrolle der korrekten Dimension
b
und Tiefe. c Im a.p. Strahlengang
Kontrolle der korrekten Dimension
c
und Positionierung
12.2 · Nukleotomie und Dekompression des Spinalkanals an der Halswirbelsäule mit Implantation einer Bandscheibenprothese
359 12
Kontrolle im seitlichen Strahlengang (der gepulste Modus des
Bildwandlers sollte aus Strahlenschutzgründen benutzt werden)
(⊡ Abb. 12.12a-c).
Das Ergebnis wird röntgenologisch kontrolliert und doku-
mentiert, danach erfolgt der Wundverschluss wie für die vent-
rale HWS-Fusion beschrieben ( Kap. 12.1).

Postoperativ
Probleme
Ein Verlust der Beweglichkeit des mit einer Bandscheibenpro-
these versorgten Segmentes durch überbrückende ventrale oder
dorsale Spondylophyten ist mit unterschiedlicher Häufigkeit für
alle der bisher erhältlichen Systeme beschrieben. Eine Indika-
tion zur Revision ergibt sich alleine aus diesem Umstand nicht.
Bei postoperativen Problemen gilt für alle Prothesen, dass
die Region hinter der Prothese weder im CT noch im MRT in-
folge der Artefakte beurteilt werden kann. Dies begründet sich
dadurch, dass fast alle Prothesen aus Chrom/Kobalt/Molybdän-
Stahl gefertigt sind, der besonders ausgeprägte Auslöschungs- a
artefakte sowohl im CT als auch im MRT produziert. Lediglich
ein im Jahre 2007 auf den Markt gekommenes Modell ist aus
Titan gefertigt. Ob bei dieser Prothese die Probleme geringer
sind, muss abgewartet werden. Oft ist daher der Bereich hinter
der Prothese nur mittels einer zervikalen Myelographie sichtbar
zu machen.

Nachbehandlung
▬ Mobilisation am 1. postoperativen Tag
▬ Entfernung der Redon-Drainage am 1. oder 2. postoperati-
ven Tag
▬ Frei bewegliche Lagerung (eventuell weiche Halskrawatte
bis zur Wundheilung)
▬ Vermeiden des Hebens und Tragens von schweren Lasten
für 12 Wochen
▬ Sofortiger Beginn der Physiotherapie mit isometrischen b
Übungen möglich

Besonderheiten
Eine Prothesenrevisionsoperation ist an der Halswirbelsäule
grundsätzlich wesentlich einfacher als an der Lendenwirbel-
säule, so dass die Voraussetzungen für einen Prothesenwechsel
an der HWS deutlich besser sind als an der LWS. Dies kann bei
der Indikationsstellung berücksichtigt werden.
Erste Studien, die nachweisen, dass auf Dauer die Ergebnisse
zervikaler Bandscheibenprothesen besser als die der lumbalen
sind, wurden publiziert. Jedoch existiert noch keine Studie, die
belegt, dass Anschlussdegenerationen nach Bandscheibenpro-
thesen geringer auftreten als nach Fusionen.

Literatur
Fritsch E, Pitzen T (2006) Zervikale Bandscheibenprothesen. Orthopäde 35: c
347–61
Patel AI, Talbert SD, Lam Ch, Jannsen ME (2004) Comparison of single level ⊡ Abb. 12.12a–c. Prothesenimplantation. a Einbringen der Prothese;
ADCF versus Prodisc-C: Preliminary result of a randomized prospective danach »Entspannen« des Spreizers. b Im seitlichen Strahlengang Kont-
study. Poster #9. Annual Meeting Cervical Spine Research Society rolle der korrekten Dimension und Tiefe. c Im a.p. Strahlengang Kontrolle
Phillips FM, Garfin SR (2005) Cervical disc replacement. Spine 30:S27–S33 der korrekten Dimension und Positionierung
360 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.3 Stabilisierung mittels Fixateur interne Durch die Anwendung von Navigationssystemen (CT-, fluoro-
an der Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule skopisch, ISO-C-3D- oder elektromagnetisch basiert) lässt sich
die Fehlplatzierungsgefahr von Pedikelschrauben nachweislich
Indikation dramatisch vermindern. Auch werden die Durchleuchtungszei-
▬ Verbesserung der Biomechanik bei Spondylodesen (mit ten drastisch reduziert. Die Anwendung eines Navigationssys-
nachgewiesen deutlich verbesserten Spondylodeseraten) bei: tems ist auch aus medikolegaler Sicht unbedingt empfehlens-
– Intersomatischen Spondylodesen (trikortikaler Becken- wert. Auch intraoperatives Neuromonitoring, wobei ein Reiz-
span, Cages) strom auf die eingebrachte Pedikelschraube appliziert wird, ist
– Dorsolateralen Spondylodesen geeignet, eine Kompromittierung einer Wurzel zu entdecken;
– Interlaminären Spondylodesen im positiven Fall ist die Fehllage dann aber schon eingetreten.
▬ Zur Therapie von:
– Degenerativen Wirbelsäulenleiden (vor allem erosiver Diagnostik und Planung
Osteochondrose, Spinalkanalstenose) Eine Wirbelsäulenerkrankung, bei der eine operative Therapie
– Spondylolisthesis unter Verwendung eines Fixateur interne indiziert ist, muss zwei-
– Instabilitäten (posttraumatisch, postoperativ) felsfrei nachgewiesen sein. Ein spezielles Augenmerk ist darauf
▬ Instrumentation zur Korrektur bei Skoliosen und Kypho- zu richten, ob es bei ventralen Operationsverfahren zur Therapie
sen einer solchen Erkrankung alternative ventrale Instrumentationen
▬ Dorsale Stabilisierung und Korrektur bei Frakturen der gibt, die einen zusätzlichen dorsalen Eingriff zur Anlage eines
Wirbelsäule Fixateur interne überflüssig machen. Eine Vielzahl von ventralen
▬ Zusätzliche Stabilisierung bei Korporektomien und kom- winkelstabilen Schrauben-/Plattensystemen ist in letzter Zeit ent-
pletten Vertebrektomien bei Deformitäten und Anomalien, wickelt worden. Daneben gibt es Cages mit integrierten Platten
Tumoren oder Entzündungen oder Hohlschrauben, die einen Einsatz des Fixateurs überflüssig
machen. Das erhöhte Risiko eines u. U. erweiterten ventralen Zu-
gangs zur zusätzlichen Montage eines Schrauben-/Plattensystems
Kontraindikation (relativ) muss dann gegen das Risiko des zusätzlichen dorsalen Eingriffs
Schwere Osteoporose. Durch Augmentation der Pedikelschrau- für den Fixateur interne abgewogen werden. Eine bestehende
ben mit Knochenzement lässt sich auch in diesem Fall ein guter schwere Osteoporose muss diagnostiziert sein, wobei in diesem
Halt erreichen, insbesondere, wenn polysegmental instrumen- Fall mehrere Segmente in die Instrumentation und/oder Zemen-
tiert wird. taugmentation der Pedikelschrauben miteinbezogen werden.

Röntgen: Eine Nativröntgenaufnahmen in 2 Ebenen ist vor


12 Operationsprinzip allem an der LWS wichtig hinsichtlich Segmentationsstörungen;
Monosegmentale oder polysegmentale Instrumentation zur ein lumbalisierter S1er-Wirbel hat eine S1er-Pedikelanatomie
Durchführung von Korrekturmanövern und/oder Stabilisie- und umgekehrt.
rung der Wirbelsäule durch von dorsal her transpedikulär in
den Wirbelkörper eingebrachte Pedikelschrauben (oder Schanz- CT: Im CT ist in der Regel die Pedikelanatomie dargestellt; an-
Schrauben), die winkelstabil mit einem Längsträger (Stab) ver- hand dieser kann präoperativ die Angulation der Pedikelachse
bunden werden. Durch Verbinder zwischen den Längsträgern zur intraoperativen Ausrichtung der Instrumente bestimmt
(Querverbinder) lässt sich eine deutliche Verbesserung der werden. Die Winkelung der Pedikelachse nimmt an der LWS
Rotationsstabilität erreichen. von kaudal nach kranial hin ab (ca. 20°–7°) und beträgt an der
BWS ca. 7–10° (Ausnahme BWK1 mit ca. 30°). Die Durchfüh-
! Mit Ausnahme von Frakturen, die keiner ventralen Fusion be-
rung eines CT ausschließlich zur Planung ist aber aus Strahlen-
dürfen, und bei Metastasen unter palliativem Therapieansatz
schutzgründen nicht zu rechtfertigen.
muss ein Fixateur interne immer mit einer Spondylodese oder
einem Wirbelkörperersatz kombiniert werden.
MRT: Für die Planung des Fixateur interne von untergeordneter
Bedeutung, da die axialen Schnitte im MRT selten segmental
adjustiert sind. Die Pedikel sind daher oft schräg geschnitten.
Operationsvorbereitung
Aufklärung
▬ Schraubenfehllagen mit: Im Operationssaal
– Irritation oder Schädigung von Rückenmark und/oder Lagerung
Nervenwurzeln mit passageren oder bleibenden neurolo- Bauchlagerung; Unterpolsterung am Thorax und Becken oder
gischen Ausfällen bis hin zur Querschnittlähmung seitliche Rahmenpolsterung (Wilson-Bank) zur Ermöglichung
– Verletzung der großen Gefäße ventral der Wirbelsäule einer freien Bauchatmung. Falls für das operative Vorgehen
(vor allem Aorta, V. cava) mit entsprechenden Auswir- notwendig: Flexion der Hüftgelenke um ca. 30° zur Reduzie-
kungen (bis zum Verblutungstod) bei ventraler Schrau- rung der lumbalen Lordose, vor allem bei Versorgungen L5/S1.
benperforation (zu lange Schraube) Unterpolsterung der Oberschenkel suprapatellar (z. B. durch
12.3 · Stabilisierung mittels Fixateur interne an der Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule
361 12
geformte Gelkissen). Unterpolsterung der Unterschenkel. Gel-
mattenpolsterung der Fibulaköpfchen (oft wird ein Operati-
onstisch über die Unterschenkel des Patienten positioniert und
beim Auf- oder Abwärtsfahren des Patienten können Druck-
schäden am N. peronaeus entstehen).
Kontrollierte Lagerung der Arme nach vorne (Schwim-
merstellung) bei Schulterkontraktur seitliche Anlagerung der
Arme. Eine freie Axilla (Test durch die Hand des Operateurs)
muss verifiziert werden. Der Epicondylus humeri ulnaris muss
bei Schwimmerstellung mit Gelmatten abgepolstert werden.
! Vor dem Desinfizieren und Abdecken des Patienten muss
überprüft werden, ob die zu pedikulierende Anatomie mit
dem Bildwandler in der seitlichen und a.p. Ebene darzustellen
ist. Dies kann mit einer röntgenologischen Lokalisation der
zu operierenden Segmente kombiniert werden. Die entspre-
chenden Segmente werden auf der Haut markiert. So kann der
Hautschnitt adäquat gehalten werden

Operationstechnik
Die Hautinzision erfolgt streng in der Mittellinie und orien-
tiert sich an der vorab durchgeführten Höhenlokalisation. Eine
Erweiterung des Hautschnittes nach kranial ist bei Versorgung
einer lumbosakralen Spondylolisthesis notwendig, da die Ein-
gangsebene zur Bandscheibe L5/S1 in der Regel sehr schräg ist.
Im Falle einer angestrebten posterolateralen Spondylodese ist der
Hautschnitt ebenfalls großzügiger zu wählen, da die Weichteile
weiter nach lateral freipräpariert werden müssen. Gleiches gilt für
eine Situation, bei der eine Tumorentfernung oder Vertebrektomie
von dorsal durchgeführt werden soll (Tomita-Technik); hier ist
eine extrem weit laterale Präparation der Weichteile notwendig.
Nach Durchtrennung der Subkutis wird die Dornfortsatzreihe
sichtbar. Die Fascia thoracolumbalis wird mit dem Diathermie-
messer beidseits der Dornfortsätze knochennah abgelöst. Das Li-
gamentum supraspinale bleibt intakt. Der Musculus erector spinae
wird von den Dornfortsätzen und den Wirbelbögen subperiostal
z. B. mit einem Cobb-Rasparatorium abgeschoben (⊡ Abb. 12.13). a

⊡ Abb. 12.13a,b. Subperiostales Ab-


schieben der Muskulatur. a Thorakale
Wirbelsäule im Querschnitt. b Situs nach
erfolgter Freipräparation und Einsetzen
der Wundspreizer
362 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Teilweise müssen Ansätze der Semispinalis- und Multifi-


dus-Muskulatur von der Unterkante der Dornfortsätze mit dem
Skalpell oder der Schere abgetrennt werden.
Blutungen aus den Venen des Plexus venosus vertebralis ex-
ternus posterior müssen mittels bipolarer Koagulationspinzette
gestillt werden. Die subperiostale Präparation erfolgt an der
Brustwirbelsäule bis zum Ende der Querfortsätze. Zur besseren
Darstellung kann die Durchtrennung der Ansätze der Mm.
multifidi und Mm. rotatores mit der Präparierschere notwen-
dig sein. An der Lendenwirbelsäule müssen die Gelenkkapseln
der Intervertebralgelenke immer dargestellt werden. Ein weiter
laterales Abschieben der Muskulatur und subperiostales Frei-
präparieren der Querfortsätze muss je nach Operationsziel
durchgeführt werden.
Blutungen aus den aus der Tiefe emporkommenden Rami
dorsales der Intervertebralarterien müssen mittels bipolarer
Koagulationspinzette gestillt werden. Ein Einsatz monopolarer
Systeme verbietet sich hier aufgrund der Nähe der Spinalner-
ven, die unter den Querfortsätzen liegen. Der Situs wird mit
Wundspreizersystemen gesichert. Nun erfolgt die Segment-
lokalisation. Diese wird am sichersten mittels eines 2-mm-
Titan-Spickdrahtes vorgenommen, der an dem anatomischen
Eintrittspunkt eines mit einer Pedikelschraube zu besetzenden
Pedikels ca. 5 mm tief eingebracht wird und dessen Lage dann
in a.p. Strahlengang bestimmt wird. Bei Unklarheiten muss
auch zusätzlich im seitlichen Strahlengang kontrolliert werden.
Anatomisch kann der 12. Brustwirbel durch den rückgebil-
deten Querfortsatz, unter dem die gut bewegliche 12. Rippe
liegt, und der benachbarte erste Lendenwirbel anhand des
⊡ Abb. 12.14. Anatomisch korrekte Schraubeneintrittspunkte an der
Brustwirbelsäule nichtbeweglichen Proc. transversus identifiziert werden. Auch
ist das Gelenk Th12/L1 sagittal eingestellt, während das Gelenk
12 Th11/12 brustwirbelsäulentypisch frontal eingestellt ist. An der
Lendenwirbelsäule gilt, dass es kaudal von S1 kein Lig. flavum
mehr gibt, und dass der Dornfortsatz von L5 deutlich größer ist
als von S1.
! Vielfältige Assimilationsstörungen (Lendenrippen, Lumbalisa-
tion von S1, Sakralisation von L5) müssen präoperativ erkannt
und intraoperativ bedacht werden.

Eine fluoroskopische Höhenlokalistation ist daher immer anzu-


empfehlen. Wiewohl es eine Technik gibt, bei welcher der Pedi-
kel gänzlich ohne intraoperative Röntgenkontrolle eröffnet und
ausgetastet sowie eine Pedikelschraube dann ebenfalls ohne
Bildwandlerkontrolle eingebracht wird (Technik nach Lenke),
ist dieses erst nach spezieller Ausbildung und mit sehr viel
Erfahrung sicher möglich. Die in Europa verbreitete hier be-
schriebene Standardtechnik erfordert den intraoperativen Ein-
satz eines Bildwandlers.
Nach der Segmentbestimmung erfolgt die Darstellung des
Eintrittpunktes der Pedikelschraube.
Zur Orientierung an der Brustwirbelsäule wird der Ober-
rand des Querfortsatzes am Übergang von der Lamina in den
Querfortsatz aufgesucht. Der Eintrittspunkt liegt unmittelbar
am unteren Rand des oberen Facettengelenks und variiert je
nach BWS-Abschnitt (⊡ Abb. 12.14).
An der Lendenwirbelsäule kann man sich an dem Kreu-
zungspunkt einer gedachten Linie, die die lateralen Kanten
12.3 · Stabilisierung mittels Fixateur interne an der Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule
363 12
der oberen Gelenkfortsätze verbindet, und der horizontalen zweite Linie horizontal der unteren Kante des Gelenkfortsatzes
Mittellinie durch den Querfortsatz (⊡ Abb. 12.15) orientieren anliegend (⊡ Abb. 12.17).
(Methode nach Magerl). Am Schraubeneintrittspunkt wird die äußere Kortikalis
Zu bedenken ist jedoch, dass der Eintrittspunkt des Pedi- in einem kleinen Areal abgetragen (Luer oder Fräse), um
kels L1 3,9 mm oberhalb dieses Punktes liegt, für L2 liegt der ein Abrutschen des jetzt einzubringenden Kirschner-Drahtes
Eintrittspunkt 2,8 mm oberhalb des Punktes, für L3 1,4 mm (2 mm Titan) und später eines Bohrers oder Pfriems zu ver-
oberhalb, für L4 0,5 mm unterhalb und für L5 1,5 mm unter- hindern.
halb des Kreuzungspunktes (⊡ Abb. 12.16). Der Kirschner-Draht wird ca. 10 mm tief eingeschlagen,
Am Sakrum ist der Schraubeneintrittspunkt der Kreu- dann erfolgt eine Bildwandlerkontrolle im a.p. und seitlichen,
zungspunkt zweier gedachter Linien, eine Linie senkrecht der an der LWS zusätzlich im axialen (ca. 10–15° außengedrehten)
lateralen Kante des oberen Gelenkfortsatzes anliegend und eine »Owl’s eye view« Strahlengang (⊡ Abb. 12.18).

⊡ Abb. 12.15. Bestimmung der Pedikeleintrittspunkte an der LWS ⊡ Abb. 12.17. Schraubeneintrittspunkte am Sakrum
nach Magerl. Das Eröffnen der Kortikalis mit einer Fräse verhindert ein
Abrutschen des Pfriems oder Bohrers

⊡ Abb. 12.16. Anatomisch korrekte Schraubeneintrittspunkte an der ⊡ Abb. 12.18. Bildwandlerkontrolle. Die orthograde Einstellung des
Lendenwirbelsäule in Bezug auf die horizontale Mittellinie durch die Bildwandlers auf den Pedikel führt zur punktförmigen Abbildung des
Querfortsätze Kirschner-Drahtes im Zentrum des »Auges« (»Owl’s eye view«)
364 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Auf eine exakte Ausrichtung des Bildwandlers ist zu achten;


im seitlichen Strahlengang bilden bei exakt seitlicher Ausrichtung
die Deck- und Bodenplatten eine Linie (sonst ein Oval) und die
seitlichen oberen und unteren kortikalen Begrenzungen der Pedi-
kel überdecken sich vollständig. Im a.p. Strahlengang bilden die
Deck- und Bodenplatten bei exakter Ausrichtung ebenfalls eine
Linie und die kortikalen Begrenzungen der Pedikel »Die Augen«
sind exakt gleich weit vom Außenrand des Wirbels entfernt (eine
Orientierung am mittig stehenden Dornfortsatz ist nicht verläss-
lich!). Nötigenfalls ist der Bildwandler auf jeden Wirbel einzeln
genau auszurichten. Eine Kontrolle nur im seitlichen Strahlen-
⊡ Abb. 12.19. Mögliche Ausrichtung der Schrauben im Sakrum gang ist nicht ausreichend; die Anatomie ist nicht so verlässlich,
dass der Eintrittspunkt des Pedikels immer nach anatomischen
Gesichtpunkten bestimmt werden kann, insbesondere bei stark
degenerativ veränderten Wirbelsäulen oder bei Anomalien.
Nach Konfirmierung der korrekten Lage des Spickdrah-
tes wird der Pedikel (im seitlichen Strahlengang kontrolliert)
eröffnet. Zur Anwendung kommen Ahlen (Pfrieme) mit tel-
lerartigen Tiefenstopps oder Bohrer. Die Instrumente werden
an der Lendenwirbelsäule je nach präoperativ bestimmter Pe-
dikelangulation gekippt, an der BWS ca. 7°. Am Sakrum ist die
Richtung ca. 15° konvergierend auf das Promontorium zu oder
15° divergierend in die Massa lateralis (⊡ Abb. 12.19).
Die Eröffnung des Pedikels mit einer Ahle erscheint siche-
rer. Bei Via falsa kann ein Bohrer wie eine Spaghettigabel wir-
ken und die Nervenwurzel aufdrehen, was bei einer Ahle nicht
möglich ist; andererseits können sklerosierte oder enge Pedikel
oft nur aufgebohrt werden.
Der Pedikel wird danach mit einer stumpfen Sonde ausge-
tastet, die bis zum Kortikaliskontakt nach vorne vorgeschoben
wird, wobei auch hier eine Kontrolle im seitlichen Bildwandler-
12 strahlengang vorgenommen wird. Mit der Sonde kann anhand
der festgestellten Eindringtiefe bis zur vorderen Wirbelkortikalis
(ein kalibriertes Instrument ist zu bevorzugen) die Länge der
Pedikelschraube bestimmt werden. Diese wird nach einem even-
⊡ Abb. 12.20. Distraktion bei instabilen Frakturen. Die Sicherung der tuell notwendigen Gewindeschneiden (viele Pedikelschrauben
Distraktion durch ein eingebrachtes Instrument verhindert bei der an-
schließenden Relordosierung eine Krafteinwirkung auf die instabile Hin-
sind selbstschneidend) im seitlichen Strahlengang kontrolliert
terkante eingedreht. Die korrekte Länge ist im seitlichen Strahlengang
auch daran zu erkennen, dass die Schraube nur bis zum 2/3-
Punkt des seitlichen Wirbelkörperdurchmessers reicht.
Eine Abschlusskontrolle der Schraubenlage mit Bildwand-
lerkontrolle im a.p. und seitlichen, an der LWS zusätzlich im
axialen (ca.10–15° außengedrehten) »Owl’s eye view« Strahlen-
gang, wird durchgeführt.
! Eine eventuelle ventrale Instrumentation/Beckenspan/Wirbel-
körperersatz muss bei der Bestimmung der Trajektorie der Pedi-
kelschrauben bedacht werden.

Es erfolgt nun die Montage der Längsträger (Stäbe) und der


Befestigungsschrauben.
Bei Frakturen schließt sich vor dem festen Anziehen der
Deckelschrauben das Repositionsmanöver an. Bei intakter Hin-
terkante kann alleine durch Angulieren der Schrauben die Rel-
ordosierung des frakturierten Wirbels erfolgen. Bei betroffener
Hinterkante wird zunächst durch ein zwischen den Schrauben
ansetzendes Instrument distrahiert (⊡ Abb. 12.20) und dann bei
liegendem Distraktor über die Schrauben relordosiert.
12.3 · Stabilisierung mittels Fixateur interne an der Brust-, Lenden- und Halswirbelsäule
365 12
Bei Skoliosen erfolgen in der Regel eine Stabrotation und bar. Angrenzende Wirbel müssen im Bedarfsfall instrumen-
segmentale Distraktionen/Kompressionen zur Korrektur. Bei tiert werden.
Kyphosen ist es meist notwendig, durch entsprechende Me-
chanismen (spezielle Schrauben oder Instrumente) den Stab Schraubenlockerungen: Diese kommen bei Pseudarthro-
in die Pedikelschrauben zu zwingen und die Kyphose über die sen oder bei Sinterung eines verwendeten ventralen Becken-
Stabkrümmung auszugleichen. spans oder bei Subsidience eines ventralen Implantates (Cage,
Bei intersomatischen Fusionen mit Cages sollte eine Kom- Wirbelkörperersatz) vor. Am Röntgenbild ist die Lockerung
pression auf das Segment über den Fixateur interne appliziert anhand eines osteolytischen Saumes (Halo) um die Schraube
werden, um eine Dislokation des Cages zu verhindern. herum zu erkennen. Eine Indikation zur Revision ist je nach
Ein Querverbinder sollte bei allen mehrsegmentalen Mon- Gesamtsituation gegeben; dann sollte die gelockerte Schraube
tagen, nach Hemilaminektomien oder Laminektomien und bei mit einer Schraube größeren Durchmessers ersetzt werden.
allen C-Verletzungen (rotationsinstabil) zur Anwendung kom- Findet diese auch keinen Halt mehr, ist u. U. ein angrenzender
men. Pedikel zu besetzen
Die Abschlussbildwandlerkontrolle des Fixateur interne
wird im a.p. und seitlichen Strahlengang mit Dokumentation Nachbehandlung
(eine Dokumentation ist schon für die Kontrolle der Schrau- ▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
benlage zu empfehlen) durchgeführt. gen
Nach sorgfältiger mehrfacher Wundspülung erfolgt die Ein- ▬ Mobilisation des Patienten so früh wie möglich
lage von zwei 10er-Redon-Drainagen beidseits der Dornfort- ▬ Vermeiden von Torsionsbewegungen
satzreihe. Bei freiliegender Dura haben sich weiche Drainagen, ▬ Versorgung mit einem Korsett je nach Gesamtsituation
die nach dem Kapillarprinzip fördern und an die ein Beutel mit ▬ Metallentfernung bei Frakturversorgung nach 6–12 Mona-
niedriger Saugkraft angeschlossen werden kann, bewährt. Die ten (in Abhängigkeit von der Art der Fraktur (traumatisch/
Rückenstreckerfaszie wird engmaschig mit resorbierbaren 1er- osteoporotisch), dem Frakturtyp, der knöchernen Konsoli-
Fäden an das Lig. supraspinosum wieder angenäht, auch können dierung), um »gesunde« Bewegungssegmente wieder frei-
die Nähte bei nicht allzu festem Knochen transossär durch den zugeben
Dornfortsatz gelegt werden. Nach einer invertierenden Subkut-
! Die heutigen Fixateur-interne-Systeme sind fast ausschließlich
annaht (2–0 oder 3–0 resorbierbar) erfolgt der Hautverschluss.
aus Titanlegierungen gefertigt. Eine Indikation zur Metallentfer-
nung aus Gründen einer Korrosion, Abstoßungsreaktion oder
Postoperativ Allergie ergibt sich daher nicht. Weichteilirritationen kommen
Probleme fast nur bei fehlerhafter Technik vor (zu lange Stäbe oder Irrita-
tion eines Gelenks durch zu medial eingebrachte Schrauben)
Schraubenbrüche: Diese treten auf, wenn der Fixateur in-
und begründen dann u. U. eine Metallentfernung.
terne bei fehlender ventraler Lastaufnahme zu lange der Wech-
selbiegebeanspruchung einer normalen physischen Aktivität
des Patienten ausgesetzt ist. Dies ist nach ca. 12 Monaten der Besonderheiten
Fall. Von Bedeutung ist dies bei Pseudarthrosen und bei pal- Konstruktionen mit herkömmlichen Knochenschrauben und/
liativ versorgten tumorösen Osteolysen oder tumorbedingten oder Verwendung von Platten sind mittlerweile als historisch
pathologischen Frakturen. Bei Tumorpatienten, palliativem zu betrachten. Angesichts ihrer biomechanischen Nachteile ge-
Therapieansatz und einer Lebenserwartung von länger als 9 genüber neueren Pedikelschraubensystemen sollten sie nicht
Monaten sollte der Fixateur interne als alleinige Stabilisierung mehr angewandt werden.
daher nicht zur Anwendung kommen, sondern mit einer vor- Herkömmliche Schanz-Schrauben sind aufgrund der Ge-
deren Stabilisierung kombiniert werden. windeart und Dimension modernen Pedikelschrauben mit von
Eine Pedikelschraube bricht in der Regel ca. 2–5 mm un- proximal nach distal abnehmendem Schraubenkerndurchmes-
terhalb der äußeren Pedikelöffnung und ist daher nur schwer ser und umgekehrt abnehmendem Gewindedurchmesser un-
zu entfernen. Im Idealfall kann die gebrochene Schraube über- terlegen und sollten bei Osteoporose nicht mehr zum Einsatz
bohrt und entfernt werden und eine Versorgung mit einer kommen. So genannte Dual-Core-Schanz-Schrauben, deren
Schraube größeren Durchmessers ist möglich. Oft steht der Pe- Gewindearchitektur den neueren Pedikelschraubensystemen
dikel mit gebrochener Schraube im Revisionsfall jedoch nicht entspricht, sind jedoch erhältlich. Zwischenzeitlich bieten fast
mehr zur Verfügung. alle Hersteller von Pedikelschrauben Traumasysteme mit spe-
ziellen Repositionsschrauben an, mit denen eine Distraktion/
Schraubenausbrüche: Diese kommen vor allem bei Osteo- Reposition genauso gut möglich ist wie mit Schanz-Schrauben.
porose und bei polysegmentalen Aufrichtungsspondylodesen Fixateur-interne-Systeme, bei denen die Pedikelschrauben
zur Therapie von Kyphosen vor. Ist die Schraube nach hinten perkutan eingebracht werden, sind seit 1998 auf dem Markt.
in der Achse des Pedikels ausgerissen, ist oft eine Versor- Hier wird der Längsträger ebenfalls perkutan eingefädelt.
gung mit einer Pedikelschraube größeren Durchmessers evtl. Die Bestimmung des Pedikelschraubeneintrittspunktes er-
mit Zementaugmentation möglich. Bei Schraubenausbrüchen folgt bei diesen Systemen ausschließlich fluoroskopisch oder
nach oben oder seitlich ist der Pedikel nicht mehr verwend- mit Navigation. Diese Systeme sind zur Versorgung instabi-
366 Kapitel 12 · Wirbelsäule

ler Frakturen vielfach ungeeignet, da der eingefädelte Längs- 12.4 Dekompression des lumbalen (thorakalen)
träger nicht als Widerlager für die Distraktion/Kyphosierung Spinalkanals: Laminektomie
verwandt werden kann. Eine dorsolaterale oder interlaminäre
Spondylodese ist mit diesen perkutanen Systemen nur unzu- Indikation
reichend möglich. In neuerer Zeit werden diese Systeme mit Symptomatische primäre oder sekundäre lumbale Spinalkanal-
minimalinvasiven Techniken zur intersomatischen Fusion (mi- stenose mit typischem Beschwerdebild mit/ohne neurologische
nimalinvasiver TLIF) kombiniert. Defizit (sekundäre Spinalkanalstenose durch Tumor/Metastase
mit Rückenmarkskompression/Kompression der Nervenwur-
zeln).
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12 Operationsprinzip
Eine mono- oder polysegmentale Stenose des lumbalen Wir-
belkanals kann kongenital oder erworben sein. Die erheblich
häufigere erworbene Form (am häufigsten betroffen L3/L4 und
L4/5) entsteht durch die Degeneration der Bandscheiben und
den darauf zurückzuführenden Veränderungen ( Kap. 12.11).
Liegt eine ausgeprägte Einengung auch des sagittalen Durch-
messers des Spinalkanals neben der Einengung des Recessus
lateralis durch eine hypertrophierte superiore Gelenkfacette
vor, so ist eine mikrochirurgische Dekompression wie bei der
Rezessusstenose beschrieben alleine nicht ausreichend. Das
Prinzip der operativen Therapie ist die Erweiterung des Reces-
sus lateralis durch Entfernung der Osteophyten an den Gelenk-
facetten und die Beseitigung der sagittalen Enge durch Entfer-
nung eines hypertrophen Lig. flavum und des Wirbelbogens
(Laminektomie). Durch weitgehenden Erhalt der kleinen Wir-
belgelenke (>2/3 sollten erhalten werden) wird die Stabilität der
Wirbelsäule erhalten und eine Fusion ist u. U. nicht notwendig.
! Bei der sekundären Spinalkanalstenose wird deren Ursache,
nämlich die degenerative Diskopathie nicht behandelt, aus-
schließlich die Folgen. Daher sind Rezidive durch erneute
Osteophytenbildungen an den Gelenkfacetten nicht selten. Re-
Operationen sind erheblich komplikationsträchtiger aufgrund
der Vernarbungen. Dies muss im Gesamtbehandlungskonzept
mit berücksichtigt werden.
12.4 · Dekompression des lumbalen (thorakalen) Spinalkanals: Laminektomie
367 12
An der Brustwirbelsäule stellen Kompressionssyndrome durch treppenförmigen Pseudospondylolisthesen. Erkrankungen, die
Tumoren/Metastasen die Hauptindikation zur Laminektomie das klinische Bild imitieren, z. B. Osteolysen, osteoporotische
dar. In den allermeisten Fällen ist eine zusätzliche Stabilisierung Frakturen).
durch eine Instrumentation notwendig.
! Auch eine sekundäre Spondylolisthesis (degenerative Spondy-
lolisthesis) ist eine definierte Instabilität. Eine zusätzliche Fusion
Operationsvorbereitung ist hier unbedingt durchzuführen.
Aufklärung
▬ Duraschädigung mit Liquoraustritt; Liquorverlustsyndrom CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen
▬ Liquorfistel über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen Hyper-
▬ An der BWS (bis ca. L1): Rückenmarksirritation und Schä- trophien. Nachweis von zusätzlicher Pathologie wie Protrusion,
digung bis zur kompletten bleibenden Querschnittsläh- Prolaps, Sequester, Darstellung einer primäre Spinalkanalste-
mung nose, Differenzialdiagnose hinsichtlich osteolytischer Prozesse.
▬ Nervenwurzelschaden mit passageren oder bleibendem
(sensiblem/motorischem) Defizit MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene Pa-
▬ Zusätzliche neurologische Defizite bei Anomalien (»conjoi- thologie wie: Protrusion, Prolaps, Sequester, Hinweise auf eine
ned root«) durch Zug diskogene Schmerzkomponente insbesondere bei Ödemen der
▬ Schädigung der Cauda equina mit passageren oder bleiben- Deck- und Bodenplatten (Modic-I- und -II-Komplex). Dif-
den Störungen von Miktion, Defäkation und Vita sexualis ferenzialdiagnose hinsichtlich osteolytischer Prozesse. Myelo-
▬ Diszitis oder Spondylodiszitis (0,3–1,5%) mit eventuell not- MRT-Ableitungen können u. U. eine Myelographie ersetzen, da
wendiger chirurgischer Therapie hier die gesamte LWS dargestellt wird.
▬ Narbenbedingtes Beschwerden entsprechend einem Post-
diskotomiesyndrom Funktionsmyelographie mit Myelo-CT: Zur Operationspla-
▬ Rezidive nung unbedingt zu empfehlen, da die gesamte LWS dargestellt
▬ Lagerungschaden wird, und zwar auch dynamisch! Die abgehenden Nervenwur-
zeln sind in der Myelographie weit besser zu beurteilen als im
Diagnostik und Planung NMR.
Anamneseerhebung und klinische Untersuchung wie in
 Kap. 12.10 beschrieben. Besonderes Augenmerk ist auf die ty-
pische Claudicatio-spinalis-Symptomatik mit Kreuzschmerzen
und nach einer gewissen Gehstrecke auftretenden beidseiti-
gen ischialgieformen Beschwerden, gelegentlich verbunden mit
Parästhesien und Schwächegefühl in den Beinen, zu richten.
Typisch ist die Besserung dieser Beschwerden bei Entlordosie-
rung. Die ersten neurologischen Ausfälle sind meist Blasenstö-
rungen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Untersuchung
der Gefäße zu richten.

Fachangiologische Untersuchung: Bei nicht sicher tast-


baren peripheren Pulsen an der unteren Extremität mandato-
risch.

Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,


SSEP: Eine präoperative apparative Untersuchung ist in jedem
Falle empfehlenswert.
! Dekompressive Laminektomien sind risikoträchtige Eingriffe
und die präoperative Feststellung neurologischer Defizite ist
für die Einschätzung des postoperativen Verlaufs aber auch aus
medikolegalen Gründen wichtig. Weiterhin müssen anderwei-
tige neurologische Erkrankungen ausgeschlossen werden.

Röntgen: Standardprojektionen des betroffenen Wirbelsäu-


lenabschnitts mit Darstellung der Übergangsbereiche (im Ste-
hen) in 2 Ebenen (Anomalitäten). Nachweis einer definierten
Instabilität insbesondere: Spondylolisthesis; Drehgleiten mit
De-novo-Skoliose; sagittale Deterioration der Wirbelsäule mit
368 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Im Operationssaal
Lagerung
Wie zur Mikrodiskektomie oder zum Fixateur interne ( Kap. 12.3
und 12.10). Bei mehrsegmentalen Laminektomien ist die Lage-
rung wie zum Fixateur interne beschrieben ( Kap. 12.3) günsti-
ger, da hier in 2 Ebenen durchleuchtet werden kann.

Operationstechnik
Höhenlokalisation: Wie zur Mikrodiskektomie ( Kap. 12.10)
oder zum Fixateur interne ( Kap. 12.3).

Eigentliche Operation Lendenwirbelsäule: Darstellung wie


in  Kap. 12.3 beschrieben. Zunächst wird der Dornfortsatz bzw.
die Dornfortsätze mit einem Luer abgetragen (⊡ Abb. 12.21).
⊡ Abb. 12.21. Entfernung des Dornfortsatzes und Ausdünnung der
Eine Ausdünnung der zentralen Lamina mit dem Luer kann
Lamina. Mit dem Dissektor Abschieben des Lig. flavum
durchgeführt werden, um besser mit der Stanze arbeiten zu
können. Zuvor sollte das Lig. flavum dann mit einem Dissektor
vom Unterrand des Bogens abgeschoben werden, und zwar
schrittweise, wenn nötig.
! Bei einer Spinalkanalstenose ist die Dura oft am Lig. flavum
adhärent und das epidurale Fett ist durch den Druck ver-
schwunden. In Höhe L5 – Sakrum – sind regelmäßig feine
Bindegewebszüge zwischen Lig. flavum und Dura zu beachten.
Die Abpräparation des Flavums von der Dura sollte daher mit
äußerster Vorsicht nach schrittweiser Trennung der Schichten
mit dem Dissektor erfolgen.

Der restliche Bogen wird dann mit einer Knochenstanze (4 mm


oder 5 mm) abgetragen (⊡ Abb. 12.22).
Der Stanzenschuh sollte immer parallel zum Unterrand des
Bogens geführt werden, um eine Kompression der Nervenwur-
12 zeln zu vermeiden. Zur Dekompression nach lateral hin emp-
⊡ Abb. 12.22. Vervollständigung der Laminektomie mit der Knochen- fiehlt sich das Vorgehen wie es bei der Dekompression einer
stanze Rezessusstenose beschrieben ist: Mit der Hochtourenfräse wird
das mediale Drittel des Processus articularis inferior bis zur Ge-
lenkfläche entfernt. Danach kann die sichtbar werdende hyper-
trophierte Portion des Processus articularis superior entfernt
werden, vorzugsweise mit der Hochtourenfräse unter Verwen-
dung einer kleinen Kugel oder aber mit feinen Stanzen (2-mm-
oder 3-mm-Schuh). Es ist darauf zu achten, dass das Foramen
intervertebrale ausreichend dekomprimiert wird (Überprüfung
mit dem Nervenwurzelhäkchen; ⊡ Abb. 12.23).
Die Resektion der Gelenkflächen sollte so weit wie nötig,
aber so gering wie möglich vorgenommen werden (feste An-
haltspunkte sind aufgrund der starken Variabilität nicht zu
geben). Mit der Entwicklung einer Instabilität ist nur in einem
geringen Prozentsatz von 25% zu rechnen, wenn noch 2/3 des
Gelenks erhalten sind. Der Processus articularis inferior sollte
an seinem Isthmus der Pars interarticularis nicht zu sehr aus-
gedünnt werden, da es dann zur Fraktur mit Entwicklung einer
Instabilität kommen kann. Am Ende der Operation muss eine
minutiöse Blutstillung am Spinalkanalboden mittels bipola-
rer Koagulationspinzette, oft auch mit einem schaumförmigen
Hämostyptikum (unbedingt im Operationsbericht zur Vermei-
dung von Interpretationsfehlern vermerken, falls ein früh post-
⊡ Abb. 12.23. Überprüfung der Weite des Foramen intervertebrale mit operatives MRT notwendig wird) erfolgen, um ein epidurales
dem Nervenwurzelhäkchen Hämatom zu vermeiden.
12.4 · Dekompression des lumbalen (thorakalen) Spinalkanals: Laminektomie
369 12
Eigentliche Operation Brustwirbelsäule: Das Vorgehen Postoperativ
entspricht der beschriebenen Laminektomie an der Lendenwir- Nachbehandlung
belsäule. Ein Einsatz der Fräse sollte jedoch vermieden werden, ▬ Ziehen der Drainage nach 24–48 h
da die Ligg. flava dünn sind und das Rückenmark oft nach ▬ Mobilisierung des Patienten am 1. postoperativen Tag
dorsal verlagert ist. Der Einsatz der Stanze sollte mit besonderer ▬ Isometrische Krankengymnastik ab dem 1. postoperativen
Vorsicht erfolgen, um das sehr druckempfindliche Rücken- Tag
mark zu schonen. Eine Dekompression weit nach lateral ist zu ▬ Unterweisung über bandscheibengerechtes Verhalten »Rü-
empfehlen, um am Rückenmark vorbei ventral falls notwendig ckenschule«
dekomprimieren zu können. ▬ Keine grundsätzlichen Beschränkungen für das Sitzen (neu-
ere Druckmessungen am Lebenden zeigten im Sitzen kei-
! Das Myelon darf im Gegensatz zu den Nervenwurzeln mit
nen höheren Bandscheibendruck als im Stehen, der Druck
Dissektoren oder Haken nicht beiseite gehalten werden. Die
ist sogar im Sitzen geringer; ein Verbot des Sitzens postope-
Gefahr einer iatrogenen Querschnittslähmung ist zu groß.
rativ ist daher sinnlos!)
▬ Kein schweres Heben und Tragen (>15 kg) für 6 Wochen.
Wundverschluss: Nach Mehrfachspülung (u. U. mit Genta- Keine wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen für 12
mycinzusatz) Einlage einer subfaszialen 10er-Redon-Drainage Wochen
(bei freiliegender Dura haben sich alternativ weiche Drainagen, ▬ Eine stationäre Rehabilitation ist erst nach 3 Wochen sinn-
die nach dem Kapillarprinzip fördern und an die Beutel mit voll (erst nach Konsolidierung der Weichteile)
niedriger Saugkraft angeschlossen werden können, bewährt),
adaptierende Naht der Rückenmuskulatur, Fasziennaht, Subku-
tannaht, Intrakutanhautnaht. Literatur
Reulen H-J (1991) Stenosen im lumbalen Wirbelkanal. In: Bauer R, Kersch-
baumer F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre; Wirbelsäule.
Besonderheiten: Nach erfolgter Laminektomie ist an der
Thieme, Stuttgart New York, pp 340–45
Lendenwirbelsäule in der Regel ausreichend Platz, um eine McNally DS, Adams MA, Goodship AE (1992) Development and validation of
intersomatische Spondylodese mit (vorzugsweise) Cages durch- a new transducer for intradiscal pressure measurement. J Biomed Eng
zuführen. Eine Kombination mit einem Fixateur interne ist 14(6):495–8
dann notwendig. Sator K, Kikuchi S, Yonvezawa T (1999) In vivo intradiscal pressure measure-
ment in healthy individuals and in patients with ongoing back problems.
Bei erheblicher Höhenminderung der Zwischenwirbel-
Spine 24 (23):2468–74
räume u. U. mit starker Osteochondrose ist eine Spondylodese Wilke HJ, Rohlmann A., Neller S, Graichen F, Claes L, Bergmann G (2003) A
mit Distraktion des Segmentes und Versorgung mit einem novel approach to determine trunk muscle forces during flexion and
intersomatischen Implantat zu empfehlen, um hierdurch das extension: a comparison of data from an in vitro experiment and in vivo
Foramen intervertebrale indirekt zu erweitern. measurements. Spine 28(23):258–93. Erratum in: Spine 29(16):1844
An der Brustwirbelsäule ist eine intersomatische Spondylo-
dese nicht möglich, da das Myelon nicht beiseite gehalten wer-
den kann. Nach der Laminektomie ist eine Instrumentation mit
einem Fixateur interne oder Pedikelhaken dann mandatorisch,
in vielen Fällen muss zusätzlich eine ventrale Spondylodese
durchgeführt werden.
370 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.5 Instrumentation mit Pedikel- und Falls infragekommend:


Laminahaken bei Korrekturspondylodesen ▬ Risiken bei der Verwendung von Knochen aus der Kno-
an der Brust- (und Lendenwirbelsäule) bei chenbank
Deformitäten ▬ Versagen der Instrumentation mit Fraktur der hinteren
Wirbelelemente, Auslockerung oder Ausbruch der Haken
Indikation oder Stabbruch bei ungenügender Konsolidierung der Fu-
▬ Instrumentation zur Korrektur bei Skoliosen (Kyphosen) sion oder zu langer Belastung des Implantates (Dauer-
vor allem im Thorakalbereich schwingbruch durch Materialermüdung)
▬ Instrumentation zur Stabilisierung der Brustwirbelsäule ▬ Pseudarthrosen mit eventuell notwendiger Re-Operation
nach Dekompression (Tumoren, Metastasen) mit ausge- ▬ Fakultative Notwendigkeit einer Korsettimmobilisation
dehnter Resektion der Facettengelenke und zu befürchten-
der Instabilität Diagnostik und Planung
▬ Instrumentation bei degenerativen Segmentinstabilitäten Anamneseerhebung und klinische Untersuchung. Besonderes
im Thorakalbereich Augenmerk sollte auf das sagittale und frontale Wirbelsäulen-
profil gerichtet werden. Funktioneller Defizite im BWS- und
LWS-Bereich sollten erkannt werden. Außerdem sollte eine
Kontraindikation Untersuchung der Hüften erfolgen, um die Auswirkungen einer
▬ Akute infektiöse Prozesse insbesondere der dorsalen Weich- eventuellen langstreckigen Fusion besser abschätzen zu kön-
teile nen. Eine dezidierte differenzierte neurologische Untersuchung
▬ Schwere Osteoporose (durch die schlechte Knochenqualität ist unabdingbar.
ist hier ein Ausbruch der Haken zu erwarten)
Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,
SSEP: Eine präoperative apparative Untersuchung ist in jedem
Operationsprinzip Falle empfehlenswert.
Dorsale Instrumentation der Wirbelsäule durch Haken, die sich
am Pedikel verankern (Pedikelhaken) bzw. unter der Lamina Röntgen: Der betroffene Wirbelsäulenabschnitt sollte in 2 Ebe-
(Laminahaken) oder am Querfortsatz ansetzen (Querfortsatz- nen möglichst im Stehen mit Darstellung der Übergangszonen
haken). Ziele sind: abgebildet werden. Bei Skoliosen oder Kyphosen vorzugsweise
▬ Korrektur einer Deformität und eine Retention des Korrek- Wirbelsäulenganzaufnahmen im Stehen. Zur Operationspla-
turergebnisses bis zur knöchernen Fusion nung unabdingbar bei Skoliosen sind Bending-Aufnahmen in 2
▬ Stabilisierung der Wirbelsäule bei Erkrankungen, die die Ebenen zur Bestimmung der strategischen Wirbel (⊡ Abb. 12.24
12 Wirbelsäule destabilisieren, (Tumoren/Entzündungen) bis und 12.25).
zur Re-Stabilisierung der Wirbelsäule durch die kausale
Therapie der Grundkrankheit (oder ad infinitum bei pallia- CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen
tiver Tumortherapie) über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen Zerstö-
▬ Stabilisierung der Wirbelsäule nach Dekompressionen bis rung bei osteolytischen Prozessen.
zur Durchbauung der Fusion (oder ad infinitum bei pallia-
tiver Tumortherapie) MRT: Informationen über eine Weichteilpathologie wie: Lokali-
sation und Ausdehnung des weichteiligen Anteils bei Tumoren,
Lokalisation und Ausdehnung von Abszessen. Differenzialdia-
Operationsvorbereitung gnose hinsichtlich osteolytischer Prozesse. Das Ausmaß einer
Aufklärung Spinalkanaleinengung kann in der Myelo-MRT-Ableitung dar-
▬ Risiken der Dekompressionsoperation ( Kap. 12.4) gestellt werden.
▬ Infektionen mit der eventuellen Notwendigkeit der Metal-
lentfernung
▬ Verschlechterung eines vorbestehenden neurologischen
Defizits oder postoperatives neurologisches Defizit bis zur
Querschnittslähmung durch die Instrumentation (vor allem
Laminahaken) oder das Korrekturmanöver (vor allem bei
»tethered cord«)
▬ Eventuelle Notwendigkeit der Transfusion von Blut und
Blutbestandteilen mit Ihren Risiken (insbesondere Hepatitis
B und C, HIV Infektion)
! Bei langstreckigen Korrekturspondylodesen zur Behandlung
von Deformitäten sollte eine Eigenblutspende durchgeführt
werden. Ein Cell-Saver sollte zur Anwendung kommen.
12.5 · Instrumentation mit Pedikel- und Laminahaken bei Korrekturspondylodesen
371 12

a b c

⊡ Abb. 12.24a–d. Bestimmung der Endwirbel in den Bending-Aufnah-


men. a a.p. in Neutralstellung. b a.p. Seitliches Bending nach links. c a.p.
seitliches Bending nach rechts. d Seitlicher Stahlengang in Extension
und Flexion. Die kaudal der Instrumentation gelegene Bandscheibe
sollte eine möglichst symmetrische Öffnung in beiden Ebenen (Flexion/
Extension; laterales Bending) aufweisen. Beachte: Bei dieser Darstellung
wurde von der Sicht des Operateurs ausgegangen, der von dorsal auf
den Rücken seines Patienten blickt!

⊡ Abb. 12.25. Präoperative Planung der Haken


372 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Im Operationssaal
Lagerung
Wie zum Fixateur interne ( Kap. 12.3). Noch vor der Desinfek-
tion und Abdeckung sollte sichergestellt werden, dass die Fusi-
onsstrecke gut in beiden Bildwandlerstrahlengängen dargestellt
werden kann.

Operationstechnik
Höhenlokalisation: Klinische Orientierung an der Anatomie
und Höhenbestimmung bei der unsterilen Überprüfung der
Darstellung mit dem Bildwandler.
Nach der Mehrfachdesinfektion und Abdeckung Zugang
zur Brust-/Lendenwirbelsäule wie in  Kap. 12.3 beschrieben.
Ist zusätzlich zu einer interlaminären Spondylodese im Len-
denwirbelsäulenbereich eine dorsolaterale Knochenanlagerung
⊡ Abb. 12.26. Pedikelhaken: partielle Resektion des unteren Gelenk- geplant, so müssen die Wirbelgelenke und Querfortsätze depe-
fortsatzes
riostiert werden und zusätzlich die Facetten der Wirbelgelenke
reseziert werden.

Pedikelhaken: Das kleine Wirbelgelenk wird partiell eröffnet.


Eine quere Osteotomie des unteren Gelenkfortsatzes wird 4
mm unterhalb der Verbindungslinie des unteren Querfort-
satzrandes durchgeführt. Senkrecht darauf wird der Knochen
longitudinal entfernt (Meißel, Stanze) an der Grenze zwischen
Gelenkfortsatz und Lamina (Umschlag zwischen Konvexität
der Lamina und Konkavität des Gelenkfortsatzes) parallel zum
Dornfortsatz (⊡ Abb. 12.26).
Ein Pedikelelevatorium wird eingeführt bis zum festen Wi-
derstand am Pedikel (⊡ Abb. 12.27).
Danach wird der Pedikelhaken mit einem Setzinstrument
eingebracht (⊡ Abb. 12.28).
12
Thorakaler Laminahaken: Die Wirbelkörper werden mit
einer kleinen Spreizzange vorsichtig zwischen den Dornfortsät-
⊡ Abb. 12.27. Pedikelhaken: Einführen des Pedikelelevatoriums
zen etwas gespreizt, das Lig. flavum wird nahe der Mittellinie
reseziert. Mit einer feinen Stanze werden dann die medialen
Anteile des kaudalen Gelenkfortsatzes und der kranialen La-
mina sparsam entfernt. Ebenso werden medial die kranialen
Anteile des kaudalen Wirbelbogens entfernt, bis ein genügend
großes Fenster zur problemlosen Einführung des Laminaha-
kens geschaffen ist (⊡ Abb. 12.29). Nach dessen Einführung
kann der Spreizer entfernt werden.
! Die Krafteinleitung ist beim Laminahaken strikt zu beachten:
Bei einem Haken zur Distraktion nach kranial erfolgt die Kraft-
einleitung an der kranialen Lamina, die dann durch das Präpa-
rieren des Fensters nicht geschwächt werden sollte. Bei einem
Haken zur Distraktion nach kaudal gelten die umgekehrten
Verhältnisse.

⊡ Abb. 12.28. Pedikelhaken: Einführen des Pedikelhakens


Transversalhaken: Mit dem Querfortsatzelevatorium wird
zwischen der Rippe und dem Querfortsatz eingegangen, dann
wird der Querfortsatzhaken (fast immer als Kompressionsha-
ken ausgelegt) eingeführt (⊡ Abb. 12.30).
Eine Kombination mit einem Laminahaken führt zu einer
Klammer mit hoher biomechanischer Stabilität.
12.5 · Instrumentation mit Pedikel- und Laminahaken bei Korrekturspondylodesen
373 12
Bei Korrekturspondylodesen erfolgt nun die Präparation
(Dekortikation) der kleinen Wirbelgelenke, der Dorn- und
Querfortsätze und der Laminae (⊡ Abb. 12.31).
Dann erfolgen die Stabmontage und das Korrekturmanöver.
Abschließend werden alle Stab-Hakenverbindungen fest ange-
dreht und ein oder mehrere Querverbinder montiert. Zusätz-
licher Knochen aus den Beckenkämmen oder Knochenersatz-
material (vorzugsweise keramisiertes Hydroxylapatit mit oder
ohne Kollagenmatrix) kann angelagert werden.
Eine Bildwandlerkontrolle wird im a.p. und seitlichen Strah-
lengang mit Dokumentation durchgeführt. Danach erfolgt der
Wundverschluss wie in  Kap. 12.3 beschrieben.
Bei Stabilisierungsoperationen zur Behandlung von Os-
teolysen (Tumor oder Entzündung) ist zu beachten, dass bei
Hakeninstrumentation immer 2 Wirbel kranial und kaudal des
⊡ Abb. 12.29. Laminahaken: Aufspreizen zwischen den Dornfortsät-
zu stabilisierenden Bereichs gefasst werden müssen (also min- zen zur besseren Einführung des Hakens
destens 4 Haken pro Seite). Mit nur einem Haken und auch mit
nur einer Klammer lässt sich eine fortschreitende Kyphosierung
der Wirbelsäule z. B. bei ventraler Tumorosteolyse nicht ver-
hindern. Der Haken kann sich konsekutiv aushängen und der
Stabilisierungseffekt ist zunichte gemacht.

⊡ Abb. 12.30. Korrekte Positionierung eines Querfortsatzhakens

b
⊡ Abb. 12.31a, b. Dekortikation. a Dekortizieren im Be-
reich der kleinen Wirbelgelenke (links) und Überbrückung
mit Knochenmaterial. b Dekortikation der dorsalen Lami-
nae (links); Anlagerung von Knochenspänen (rechts) a
374 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Postoperativ 12.6 Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule


Probleme (laterale Thorakotomie: TH4–TH11;
Ein intraoperativer Hakenausbruch durch zu starke Distraktion tiefe laterale Thorakotomie: TH10–L2) mit
stellt ein erhebliches Problem dar. Die Instrumentierung muss Korporektomie und Wirbelkörperersatz /
dann zum nächst höheren/tieferen Wirbel erweitert werden. trikortikalem Beckenspan
Bei der Hakensitzpräparation ist daher peinlich darauf zu ach-
ten, den Knochen nicht zu sehr zu schwächen. Indikation
Laminahaken haben vor allem im mittleren Brustwirbel- ▬ Ventrale Korrekturspondylodese bei Kyphosen oder Skolio-
säulenbereich einen großen Volumeneffekt auf den Spinalkanal sen
und können zu Myelonkompression führen. Pedikelhaken lie- ▬ Ventrale Spondylodese bei Frakturen
gen extraspinal und haben wesentlich bessere biomechanische ▬ Ventrale Korporektomie bei Tumoren oder Spondylitis
Eigenschaften. Sie sind daher Laminahaken vorzuziehen. Eine
Klammer mit einem Querfortsatzhaken ist jedoch schwierig zu
bewerkstelligen. Kontraindikation (relativ)
▬ Kardiopulmonale Insuffizienz
Nachbehandlung ▬ Manifeste Gerinnungsstörungen
▬ Nachbeobachtung auf der Intensivstation zwischen 12 und ▬ Schwere Osteoporose
24 h je nach Ausdehnung der Operation
▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
gen Operationsprinzip
▬ Mobilisation des Patienten möglichst früh Ventrale Fusion eines oder mehrerer Bewegungssegmente im Be-
▬ Vermeiden von Torsionsbewegungen reich der Brustwirbelsäule und des thorakolumbalen Übergangs
▬ Behandlung der Grunderkrankung bei Tumorleiden und von einem transthorakalen Zugang aus. Je nach Pathologie Ent-
Entzündungen fernung einer oder mehrerer Bandscheiben mit Knocheninterpo-
▬ Bis zur Konsolidierung der Spondylodese (ca. nach 3 Mo- sition und ventraler Instrumentation (bei Kyphosen und Skolio-
naten) Vermeiden von schwerem Heben und Tragen (>10 sen); Entfernung einer oder mehrerer Bandscheiben und partielle
kg), Bücken, Verwinden, Überstrecken oder komplette (en bloc) Korporektomie (ein oder mehrere Wir-
▬ Versorgung mit einem Korsett je nach Gesamtsituation bel) bei Frakturen, Tumoren, Entzündungen mit Implantation
eines trikortikalen Beckenspans oder metallischen Wirbelkörper-
Besonderheiten ersatzes, optional mit zusätzlicher ventraler Instrumentation.
Im Lendenwirbelsäulenbereich sollten Haken als Instrumenta-
12 tion nur im Ausnahmefall zum Einsatz kommen. Hier ist eine
dorsale Instrumentation mit Pedikelschrauben vorzuziehen. Operationsvorbereitung
Auch im Brustwirbelsäulenbereich werden mehr und mehr die Aufklärung
Haken durch Pedikelschrauben ersetzt. Diese haben eine bes- ▬ Verschlechterung des neurologischen Status durch Verlet-
sere Biomechanik und eine Derotation der Wirbelsäule mittels zung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und Teilen des
paariger Pedikelschrauben kann wesentlich besser vorgenom- sympathischen Nervensystems mit sensiblen/motorischen
men werden als mit Haken. Ausfällen bis hin zur Querschnittslähmung, Sympathekto-
Durch den Einsatz von Navigationssystemen ist eine si- mie-ähnliche Symptome oder Blasen-Mastdarmstörungen
chere Platzierung von Pedikelschrauben im gesamten Brust- ▬ Verletzung von Lunge oder Herz
wirbelsäulenbereich auch bei Skoliosen und Kyphosen möglich. ▬ Verletzung großer Gefäße (Aorta, V. cava, V. azygos, V. he-
Durch eine spezielle Technik der Eröffnung und des Austastens miazygos) mit gefäßchirurgischer Intervention bis hin zum
der Pedikel im Brustwirbelsäulenbereich ist sogar eine Inst- Verblutungstod
rumentation ohne Navigationssystem oder Röntgenkontrolle ▬ Verletzung des Ductus thoracicus mit Chylothorax
möglich. ▬ Eventuelle Notwendigkeit der Transfusion von Blut und
Blutbestandteilen mit ihren Risiken (insbesondere Hepatitis
B und C, HIV Infektion)
Literatur ▬ Risiken der Entnahme eines trikortikalen Beckenspans
Bauer R (1991) Operation nach Cotrel-Dubousset. In: Bauer R, Kerschbaumer
F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre; Wirbelsäule. Thieme,
Falls infrage kommend:
Stuttgart New York, pp 131–46
Fritsch E (2006) Placement of pedicle-screws at the entire spine with the ISO-
▬ Risiken bei der Verwendung von Knochen aus der Kno-
C-3D Guiding system Eur Spine J 15 (10):1574–75 chenbank
Kim YJ, Lenke LG, Bridwell KH, Cho YS, Riew KD (2004) Free hand pedicle screw ▬ Falls infrage kommend: Risiken bei Verwendung von allo-
placement in the thoracic spine: is it safe? Spine 29(3):333–42 genen Knochentransplantaten (»femoral rings«)
O’Brian MF, LenkeLG, Mardjetko S, Lowe TG, Kong Y, Eck K, Smith D (2000)
▬ Komplikationen durch den eventuell verwendeten metalli-
Pedicle morphology in thoracic idiopathic scoliosis: is pedicle fixation an
anatomically viable technique? Spine 25(18):2285–93
schen Wirbelkörperersatz (Dislokation, Subsidience, Ein-
bruch)
12.6 · Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule mit Korporektomie und Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan
375 12
▬ Pseudarthrosen mit eventuell notwendiger Re-Operation
▬ Ungenügend mögliche Korrektur bei Deformitäten
▬ Korrekturverlust bei Spanresorption
▬ Fakultative Notwendigkeit einer Korsettimmobilisation

Diagnostik und Planung


Die operativ zu behandelnde Erkrankung muss umfassend di-
agnostiziert sein. Besonderer Wert ist hierbei auf die Erhebung
des neurologischen Status, u. U. mittels apparativer neurolo-
gischer Untersuchungen, zu legen. Die differenzialtherapeu-
tischen Erwägungen müssen ergeben, dass der beste Weg zur
operativen Therapie in der transthorakalen ventralen Behand-
lung der Pathologie besteht.
Zur Operationsplanung sollten folgende bildgebende Ver-
fahren angewandt werden:

Röntgen: Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule (falls möglich)


im Stehen in 2 Ebenen. Bei Skoliosen und Kyphosen: Ganz-
aufnahme der Wirbelsäule in 2 Ebenen inklusive Bending-
Aufnahmen (Planung der Spondylodesestrecke).

CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion : Informati-


onen über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen
Verletzung/entzündlichen Zerstörung/tumoröser Zerstörung.
Darstellung der Dimensionen der Wirbelkörper (präopera-
tive Einschätzung der Knochenspandimension/Dimension des
metallischen Wirbelkörperersatzes), Differenzialdiagnose hin-
sichtlich osteolytischer Prozesse.

MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene


Weichteilpathologie wie: Bandscheibenverletzung, Lokalisation
und Ausdehnung des weichteiligen Anteils bei Tumoren, Loka-
lisation und Ausdehnung von Abszessen. Differenzialdiagnose
hinsichtlich osteolytischer Prozesse. Ausmaß der Spinalkanalei-
nengung in der Myelo-MRT-Ableitung.

Im Operationssaal
Der Patient sollte mit einem Doppellumentubus intubiert sein.
Bei allen nicht entzündlichen oder tumorösen Operationsindi-
kationen sollte ein Cell-Saver zum Einsatz kommen.

Lagerung
Prinzipiell ist der Zugang zur Brustwirbelsäule sowohl von
rechts als auch von links möglich. Der rechtsseitige Zugang bie-
tet Vorteile dahingehend, dass die Aorta linksseitig verläuft. Bei
Skoliosen ist der Zugang immer auf der Seite der Konvexität.
Der Patient wird in Seitlage gebracht mit Unterpolste-
rung der Axilla (Plexusschutz), des Beckens und des unten-
liegenden Knies (N. peronaeus). Zwischen die Beine wird ein
Schaumstoffkissen platziert. Der obenliegende Arm wird in
einem Armhalter mit Gelmattenpolsterung desselben gelagert
(⊡ Abb. 12.32).
Durch Seitenstützen am Schulterblatt, der Symphyse und
am Kreuzbein wird eine kippstabile Abstützung erreicht. Es er-
folgt die Abkippung des Kopf/Oberkörperteils und gegenläufig
des Beinteils und so eine Aufdehnung der Zugangsseite. Noch ⊡ Abb. 12.32. Lagerung und Schnittführung
376 Kapitel 12 · Wirbelsäule

vor der Desinfektion und Abdeckung sollte sichergestellt wer- Nach Durchtrennung der Subkutis (⊡ Abb. 12.33) wird
den, dass die Fusionsstrecke gut in beiden Bildwandlerstrahlen- der M. latissimus dorsi stumpf dargestellt und elektrochirur-
gängen dargestellt werden kann. Die Abdeckung erfolgt ventral gisch quer zur Faserrichtung durchtrennt (möglichst kaudal,
knapp unterhalb der Mamillen, dorsal bis zu den Dornfortsät- um die Nervenversorgung (N. thoracodorsalis) zu schonen
zen, kaudal so weit, dass der Beckenkamm frei ist, und kranial (⊡ Abb. 12.34).
soweit, dass die Axilla noch sichtbar ist. Der nun sichtbar werdende M. serratus anterior wird elek-
trochirurgisch quer zur Faserrichtung durchtrennt – ebenfalls
Operationstechnik möglichst kaudal, um die Nervenversorgung (N. thoracicus
Laterale Thorakotomie: Klinische Orientierung an der Ana- longus) zu schonen.
tomie: Im Allgemeinen ist der Zugang wegen des schrägen Das Periost der zu resezierenden Rippe wird mit dem Dia-
Rippenverlaufes 2 Rippen höher als das Zentrum der Läsion. Es thermiemesser von oben bis an die Knorpel-Knochen-Grenze
gelten folgende Anhaltspunkte: durchtrennt (⊡ Abb. 12.35). Mit verschiedenen Rippenraspara-
▬ TH5–TH11: Resektion der 5.Rippe torien wird die Rippe subperiostal dargestellt (⊡ Abb. 12.36).
▬ TH6–Th12: Resektion der 6. Rippe Die Rippe wird ventral an der Knorpel-Knochen-Grenze
▬ TH7–L1: Resektion der 7. Rippe mit der Rippenschere durchtrennt, dann abgehoben und dorsal
ca. 4 cm lateral des Kostotransversalgelenks ebenfalls durch-
Eine exakte Höhenbestimmung kann im a.p. und seitlichen trennt. Die Pleura kann nun inzidiert werden (⊡ Abb. 12.37).
Strahlengang unter Zuhilfenahme eines Metallstabes bei der Anschließend wird die Lungenhälfte von der Beatmung ab-
unsterilen Überprüfung der Darstellung mit dem Bildwandler gekoppelt. Die kollabierende Lunge kann dann beiseite gehalten
erfolgen. Der Zugangsweg ist dann vorgegeben. Bei räumlich werden. Die Wirbelsäule ist nun sichtbar. Ein Rippenspreizer
begrenzter Pathologie (vor allem bei Frakturen, Spondylitis wird eingesetzt.
über nur ein Segment oder Tumoren mit nur einem betroffe-
! Bei Entzündungen können die Pleurablätter und die Lunge
nen Wirbel) kann dann der Zugang wesentlich kleiner ausge-
erheblich miteinander verbacken sein. Dann ist die Präparation
führt werden.
äußerst schwierig. Ist der Operateur in der Dekortikation der
Der Hautschnitt erfolgt leicht S-förmig mit kaudaler Um-
Pleura unerfahren, muss ein Thoraxchirurg hinzugezogen wer-
schneidung der Skapula über der gewählten Rippe. Er beginnt
den. Fatalerweise sind solche Verwachsungen präoperativ nicht
ca. 10 cm oberhalb der Dornfortsatzreihe und verläuft nach
sicher diagnostizierbar. Ein Stand-by des Thoraxchirurgen sollte
vorne bis zur Knorpel-Knochen-Grenze. Bei exakter Höhenlo-
daher bei der operativen Therapie einer thorakalen Spondylitis
kalisation kann der Hautschnitt so minimiert werden, dass er
vereinbart werden.
von der hinteren bis zur vorderen Axillarlinie verläuft.

12

⊡ Abb. 12.33.
Situs nach Durchtrennen
von Kutis und Subkutis
12.6 · Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule mit Korporektomie und Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan
377 12

⊡ Abb. 12.34. Situs nach Durchtrennen des M. latissimus dorsi

⊡ Abb. 12.35. Situs nach Durchtrennen des M. serratus anterior


378 Kapitel 12 · Wirbelsäule

⊡ Abb. 12.36. Situs nach Spaltung des Rippen-


periostes und Ausschälung der Rippe

12

⊡ Abb. 12.37. Situs nach Resektion der Rippe und


Eröffnung der Pleura costalis
12.6 · Transthorakaler Zugang zur Brustwirbelsäule mit Korporektomie und Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan
379 12
Die Pleura parietalis wird längs in Höhe der Rippenköpfchen Postoperativ
gespalten, so weit, wie es die Pathologie erfordert. Danach wird Probleme
sie nach ventral abpräpariert. Die in Wirbelkörpermitte gele- Verletzungen der Pleura visceralis oder der Lunge können zur
genen Segmentgefäße müssen unterfahren, ligiert und durch- Luftleckage führen. Ein Sog von ca. 20 cm H2O auf der Tho-
trennt werden. Nun kann der Wirbelkörper subperiostal bis zur raxdrainage ist daher anzulegen. Nicht beseitigte Atelektasen
Gegenseite freipräpariert werden. können zu schweren Komplikationen führen und sollten daher
vor dem Verschluss der Pleura ausgeschlossen werden.
! Bei Entzündungen ist diese Präparation oft sehr schwierig, da
Die eingebrachten Spondylodesematerialien können viel-
alle Strukturen miteinander verbacken sind. Bei Tumoren kann
fältige Problemen bereiten. Insbesondere bei trikortikalen Be-
die Situation durch Einwachsen des Tumors in die Umgebung
ckenspänen kann es zu Spandislokation kommen, die postope-
erschwert werden.
rativ röntgenologisch sehr schwer zu erkennen sind. Bei Ver-
Das weitere Vorgehen richtet sich nach der zu behandelnden wendung von trikortikalen Beckenspänen sind in einem nicht
Pathologie. unerheblichen Prozentsatz eine Resorption oder ein Sintern
Nach Abschluss der eigentlichen operativen Maßnahmen des Knochenspans möglich. Auch ist die Pseudarthrosenrate
an der Wirbelsäule kann versucht werden, die Pleura parietalis zu bedenken.
mit resorbierbarem 2-0er-Nahtmaterial wieder anzuheften. Oft Bei metallischen Wirbelkörperersätzen kann es zu Einbrü-
ist dies jedoch aufgrund der eingebrachten Implantate nicht chen in die Deck- und/oder Bodenplatte oder zum Einsinken
möglich. Anschließend wird eine Thoraxdrainage eingelegt. (»subsidence«) im Laufe der Zeit kommen.
Danach erfolgt eine Approximation der Rippen mit einem
Approximator oder mit 2–3 resorbierbaren 2er-Nähten. Die Nachbehandlung
Pleura, die Interkostalmuskulatur und das Periost (wenn mög- ▬ Nachbeobachtung über 12–24 h auf der Intensivstation (nö-
lich) werden fortlaufend mit resorbierbarem 0er-Nahtmaterial tigenfalls länger) mit suffizienter Analgesie
verschlossen. Es folgt die Naht (Einzelknopf oder fortlaufend) ▬ Beginn der Atemtherapie unmittelbar postoperativ
des M. serratus anterior und des M. latissimus dorsi, ebenfalls ▬ Entfernung der Thoraxdrainage am 2. postoperativen Tag
mit resorbierbarem 0er-Nahtmaterial. Dann invertierende Sub- bei Sekretfördermenge von <150 ml/24 h, sonst am 3. oder
kutannaht und Hautverschluss. 4. postoperativen Tag
Vor dem Verschluss der Pleura erfolgen die Wiederbeat- ▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
mung der kollabierten Lunge und die Kontrolle hinsichtlich gen
Atelektasen. Es muss notfalls solange mit Überdruck beatmet ▬ Mobilisation des Patienten frühest möglich über die nicht
werden, bis keine Atelektasen mehr vorhanden sind. Gege- operierte Seite (zunächst unter Verwendung eines Gehwa-
benenfalls muss endobronchial optisch kontrolliert abgesaugt gens)
werden. ▬ Vermeiden von Kyphose und Torsionsbewegungen
Abschließend wird die Abschlussbildwandlerkontrolle im ▬ Versorgung mit einem Korsett je nach Gesamtsituation
a.p. und seitlichen Strahlengang mit Dokumentation durchge-
führt. Besonderheiten
Durch den Einsatz der Thorakoskopie und endoskopische Ope-
Tiefe laterale Thorakotomie (TH10–L1): Hier erfolgt in der rationstechniken, die für eine Vielzahl der an der Brustwirbel-
beschriebenen Rechtseitenlagerung der Hautschnitt über der säule möglichen Operationen entwickelt worden sind, kann der
10. Rippe in der beschriebenen Ausdehnung. Elektrochirur- beschriebene transthorakale Zugang ersetzt werden. Vorteile
gisch muss der M. latissimus dorsi in der beschriebenen Weise der endoskopischen Technik sind eindeutig in dem wesentlich
und der M. serratus posterior inferior durchtrennt werden, geringeren Zugangstrauma zu sehen, das die Rehabilitation
bevor die 10. Rippe in der beschriebenen Weise subperiostal deutlich erleichtert. Die Komplikationsquote durch die Wir-
ausgeschält und reseziert werden kann. Sodann wird die Tho- belsäulenoperation selbst ist nicht geringer. Thorakoskopische
rakotomie im Bett der 10. Rippe durchgeführt. Das Zwerchfell Operationstechniken sind schwierig zu erlernen, die Lernkurve
muss mit einem Langenbeck-Haken nach kaudal beiseite ge- ist sehr flach und eine beständige Übung und Anleitung sind
halten werden. Durch das Eingehen in die Zwerchfellschenkel notwendig. Die Frage, ob 5 Inzisionen von 1–2 cm und eine
an der Wirbelsäule kann der 1. Lendenwirbel bis maximal zur 3-mal längere Operationszeit minimalinvasiver sind als eine
Deckplatte des 2. Lendenwirbels dargestellt werden. Auf den 15 cm lange Inzision, ist wie immer in der Diskussion über we-
Truncus sympathikus ist hierbei zu achten. niger invasive Operationsverfahren zu bedenken.
380 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.7 Retroperitonealer Zugang zur Lenden- ▬ Komplikationen durch den eventuell verwendeten metalli-
wirbelsäule und zum thorakolumbalen schen Wirbelkörperersatz (Dislokation, Subsidience, Ein-
Übergang mit Korporektomie und bruch)
Wirbelkörperersatz / trikortikalem Beckenspan ▬ Pseudarthrosen mit eventuell notwendiger Re-Operation
▬ Ungenügend mögliche Korrektur bei Deformitäten
Indikation ▬ Korrekturverlust bei Spanresorption
▬ Ventrale Korrekturspondylodese bei Kyphosen oder Skolio- ▬ Fakultative Notwendigkeit einer Korsettimmobilisation
sen
▬ Ventrale Spondylodese bei Frakturen Diagnostik und Planung
▬ Ventrale Korporektomie bei Tumoren oder Spondylitis Die operativ zu behandelnde Erkrankung muss umfassend di-
agnostiziert sein. Besonderer Wert ist hierbei auf die Erhebung
des neurologischen Status, u. U. mittels apparativer neurolo-
Kontraindikation (relativ) gischer Untersuchungen, zu legen. Die differenzialtherapeu-
▬ Kardiopulmonale Insuffizienz tischen Erwägungen müssen ergeben, dass der beste Weg zur
▬ Manifeste Gerinnungsstörungen operativen Therapie in der ventralen Behandlung der Patholo-
▬ Schwere Osteoporose gie besteht.
Zur Operationsplanung sollten folgende bildgebenden Ver-
fahren angewandt werden:
Operationsprinzip
Ventrale Fusion eines oder mehrerer Bewegungssegmente Röntgen: Lendenwirbelsäule mit thorakolumbalen Übergang
im Bereich der Lendenwirbelsäule und des thorakolumbalen (falls möglich) im Stehen in 2 Ebenen. Bei Skoliosen und Ky-
Übergangs von einem retroperitonealen Zugang aus über einen phosen: Ganzaufnahme der Wirbelsäule in 2 Ebenen inklusive
Flankenschnitt in Linksseitenlage des Patienten. Je nach Patho- Bending-Aufnahmen (Planung der Spondylodesestrecke).
logie Entfernung einer oder mehrerer Bandscheiben mit Kno-
cheninterposition und ventraler Instrumentation (bei Kyphosen CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informati-
und Skoliosen); Entfernung einer oder mehrerer Bandscheiben onen über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen
und partielle oder komplette (en bloc) Korporektomie (ein Verletzung/entzündlichen Zerstörung/tumorösen Zerstörung.
oder mehrere Wirbel) bei Frakturen, Tumoren, Entzündungen Darstellung der Dimensionen der Wirbelkörper (präopera-
mit Implantation eines trikortikalen Beckenspans oder metalli- tive Einschätzung der Knochenspandimension/Dimension des
schen Wirbelkörperersatzes optional mit zusätzlicher ventraler metallischen Wirbelkörperersatzes), Differenzialdiagnose hin-
Instrumentation. sichtlich osteolytischer Prozesse.
12
MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene
Operationsvorbereitung Weichteilpathologie wie: Bandscheibenverletzung, Lokalisation
Aufklärung und Ausdehnung des weichteiligen Anteils bei Tumoren, Loka-
▬ Verschlechterung des neurologischen Status durch Verlet- lisation und Ausdehnung von Abszessen. Differenzialdiagnose
zung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und Teilen des hinsichtlich osteolytischer Prozesse. Ausmaß der Spinalkanalei-
sympathischen Nervensystems mit sensiblen/motorischen nengung in der Myelo-MRT-Ableitung.
Ausfällen bis hin zur Querschnittslähmung
▬ Sympathektomie-ähnliche Symptome
▬ Blasen-Mastdarmstörungen
▬ Störungen der Vita sexualis bei Kompromittierung des Ple-
xus hypogastricus
▬ Störungen der Bauchwandinnervation
▬ Verletzung von Milz (Splenektomie), Niere, Ureter, Perito-
neum, Darm
▬ Verletzung großer Gefäße (Aorta, V. cava, A. und V. iliaca)
mit gefäßchirurgischer Intervention bis hin zum Verblu-
tungstod
▬ Eventuelle Notwendigkeit der Transfusion von Blut und
Blutbestandteilen mit ihren Risiken (vor allem Hepatitis B
und C, HIV-Infektion)
▬ Risiken der Entnahme eines trikortikalen Beckenspans
▬ Falls infrage kommend: Risiken bei der Verwendung von
Knochen aus der Knochenbank
▬ Falls infrage kommend: Risiken bei Verwendung von allo-
genen Knochentransplantaten (»femoral rings«)
12.7 · Retroperitonealer Zugang zur Lendenwirbelsäule und zum thorakolumbalen Übergang
381 12
Im Operationssaal

! Bei allen nichtentzündlichen oder tumorösen Operationsindika-


tionen sollte ein Cell-Saver zum Einsatz kommen.

Lagerung
Prinzipiell ist der Zugang zur Lendenwirbelsäule sowohl von
rechts als auch von links möglich. Der linksseitige Zugang bie-
tet Vorteile dahingehend, dass die Aorta im Abdominalraum
rechtsseitig verläuft. Bei Skoliosen ist der Zugang immer auf
der Seite der Konvexität.
Der Patient wird in Seitlage gebracht mit Unterpolsterung ⊡ Abb. 12.38. Lagerung und Schnittführung zum retroperitonealen
der Axilla (Plexusschutz), des Beckens und des unten lie- LWS-Zugang
genden Knies (N. peronaeus). Zwischen die Beine wird ein
Schaumstoffkissen platziert. Der oben liegende Arm wird in
einem Armhalter gelagert mit Gelmattenpolsterung desselben
(⊡ Abb. 12.38).
Eine kippstabile Abstützung wird durch Seitenstützen am
Schulterblatt, der Symphyse und am Kreuzbein erreicht. Es er-
folgen die Abkippung des Kopf-/Oberkörperteils und gegenläu-
fig des Beinteils und so die Aufdehnung der Zugangsseite. Nun
sollte noch vor der Desinfektion und Abdeckung sichergestellt
werden, dass die Fusionsstrecke gut in beiden Bildwandler-
strahlengängen dargestellt werden kann. Die Abdeckung erfolgt
ventral knapp unterhalb der Mamillen, dorsal bis zu den Dorn-
fortsätzen, kaudal so weit, dass der Beckenkamm frei ist und
kranial soweit, dass die Axilla noch sichtbar ist.

Operationstechnik
Höhenlokalisation: Eine exakte Höhenbestimmung kann im
a.p. und seitlichen Strahlengang unter Zuhilfenahme eines Me-
tallstabes bei der unsterilen Überprüfung der Darstellung mit
dem Bildwandler erfolgen. Der Zugangsweg ist dann vorgege-
ben. Bei räumlich begrenzter Pathologie (vor allem bei Frak-
turen, Spondylitis über nur ein Segment oder Tumoren mit nur
einem betroffenen Wirbel) kann dann der Zugang wesentlich
kleiner ausgeführt werden.
Ansonsten erfolgt zum Erreichen der oberen Lendenwirbelsäule
der Hautschnitt leicht S-förmig, beginnend nahe der Mittellinie
in Höhe des Dornfortsatzes Th11, dann entlang der 12. Rippe
und schräg nach vorne bis in die Nähe der Rektusscheide ver-
laufend. Soll die mittlere Lendenwirbelsäule erreicht werden,
kann der Hautschnitt mittig zwischen Rippenbogen und Be-
ckenkamm angelegt werden. Um die untere Lendenwirbelsäule
zu erreichen, erfolgt der Schnitt über dem Beckenkamm oder
es wird der pararektale oder transabdominelle Zugang gewählt.
Nach Durchtrennung der Subkutis wird der M. latissimus
dorsi stumpf dargestellt und elektrochirurgisch quer zur Fa-
serrichtung durchtrennt. Der sich nach vorne anschließende
M. obliquus externus kann teilweise in Faserrichtung gespalten ⊡ Abb. 12.39. Durchtrennung von M. latissimus dorsi und M. obliquus
werden (⊡ Abb. 12.39). externus
382 Kapitel 12 · Wirbelsäule

In der nächst tieferen Schicht werden der M. serratus pos-


terior inferior und der M. obliquus internus und M. trans-
versus abdominis ebenfalls elektrochirurgisch durchtrennt
(⊡ Abb. 12.40 und 12.41). Man gelangt in das Retroperitoneum.
Die Niere und der Ureter werden nach medial abgeschoben.
Die 12. Rippe wird subperiostal präpariert und der periphere
Anteil reseziert. Auf diese Weise kann eine Eröffnung der Pleura
vermieden werden (⊡ Abb. 12.42). Der M. quadratus lumborum
kann, wenn notwendig, eingekerbt werden. Die Wirbelsäule
wird sichtbar. Es folgt das Einsetzen des Rippenspreizers.
Zur Darstellung der Lendenwirbelkörper wird das retro-
peritoneale Gewebe in Längsrichtung gespalten. Der Truncus
sympathicus muss geschont werden, meist indem er mit den
Psoasansätzen nach der Seite mobilisiert wird. Die in Wir-
belkörpermitte gelegenen Segmentgefäße müssen unterfahren,
ligiert und durchtrennt werden. Nun kann der Wirbelkörper
subperiostal bis zur Gegenseite freipräpariert werden.
! Bei Entzündungen ist diese Präparation oft sehr schwierig, da
⊡ Abb. 12.40. Durchtrennung von M. serratus posterior inferior, alle Strukturen miteinander verbacken sind. Bei Tumoren kann
M. obliquus internus und M. transversus abdominis
die Situation durch Einwachsen des Tumors in die Umgebung
erschwert werden.

Das weitere Vorgehen richtet sich nun nach der zu behandeln-


den Pathologie.
Nach Abschluss der eigentlichen operativen Maßnahmen
an der Wirbelsäule wird eine Robinson-Drainage (16 Charr.)
eingelegt. Danach erfolgen die Naht des eventuell teilweise
abgelösten M. quadratus lumborum mit dem Periost der 12.
Rippe und die schichtweise Naht der durchtrennten Abdomi-
nalmuskulatur mit resorbierbarem 0er-Nahtmaterial, zuletzt
des M. serratus posterior inferior und des M. latissimus dorsi
12 ebenfalls mit resorbierbarem 0er-Nahtmaterial. Dann invertie-
rende Subkutannaht und Hautverschluss.
Es folgt nun die Abschlussbildwandlerkontrolle im a.p. und
seitlichen Strahlengang mit Dokumentation.

⊡ Abb. 12.41. Situs nach Durchtrennung der Bauchmuskulatur. Durch-


trennung des M. iliocostalis und Inzidieren des Periostes der 12. Rippe
(rote Linie)

⊡ Abb. 12.42. Situs nach Resektion der 12. Rippe


12.8 · Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang)
383 12
Postoperativ 12.8 Ventrale Fusionsoperationen an der
Probleme Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver
Die eingebrachten Spondylodesematerialien können zu viel- trans- oder retroperitonealer Zugang)
fältigen Problemen führen. Insbesondere bei trikortikalen Be-
ckenspänen kann es zu Spandislokationen kommen, die post- Indikation
operativ röntgenologisch sehr schwer zu erkennen sind. ▬ Operationspflichtige degenerative Lendenwirbelsäulener-
Bei Verwendung von trikortikalen Beckenspänen ist in ei- krankungen, die nicht zur Versorgung mit einer Bandschei-
nem nicht unerheblichen Prozentsatz eine Resorption oder ein benendoprothese geeignet sind
Sintern des Knochenspans möglich. Auch ist die Pseudarthro- ▬ Degenerative Segmentinstabilitäten
senrate zu bedenken. ▬ Spondylolisthesis vera
Bei metallischen Wirbelkörperersätzen kann es zu Einbrü- ▬ Das sog. Postnukleotomiesyndrom nach Ausschöpfung al-
chen in die Deck- und/oder Bodenplatte oder zum Einsinken ler konservativen Therapiemaßnahmen
(Subsidence) im Laufe der Zeit kommen. ▬ Posttraumatische Fehlstellungen, die monosegmental inter-
somatisch korrigierbar sind
Nachsorge ▬ Spondylodiszitis
▬ Nachbeobachtung über 12–24 h auf der Intensivstation (nö-
tigenfalls länger) mit suffizienter Analgesie
▬ Beginn der Atemtherapie unmittelbar postoperativ Kontraindikation
▬ Entfernung der Robinson-Drainage am 2. postoperativen ▬ Rentenbegehren (aufgrund der sozialmedizinischen Prob-
Tag bei Sekretfördermenge von <50 ml/24 h, sonst am 3. lematik kann ein gutes Operationsergebnis nicht erwartet
oder 4. postoperativen Tag werden)
▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun- ▬ Schwere Osteoporose (durch die schlechte Knochenqualität
gen ist hier ein Einbruch des Cages zu erwarten)
▬ Mobilisation des Patienten möglichst früh über die nicht ▬ Vorbestrahlung im Operationsbereich; schlechte Vorausset-
operierte Seite zunächst unter Verwendung eines Gehwagens zungen für die Durchstrukturierung der Fusion
▬ Vermeiden von Kyphose und Torsionsbewegungen ▬ Reduzierter Allgemeinzustand des Patienten
▬ Versorgung mit einem Korsett je nach Gesamtsituation ▬ Multilokuläre Tumorerkrankung

Besonderheiten
Durch den Einsatz der Lumboskopie und endoskopischer Ope- Operationsprinzip
rationstechniken, die für manche der an der Lendenwirbelsäule Intersomatische Spondylodese an der LWS von ventral unter
möglichen Operationen entwickelt worden sind, kann der be- Verwendung von entsprechend zurechtgeschnittenen trikor-
schriebene Zugang ersetzt werden. Vorteile der endoskopischen tikalen Beckenspänen oder meist trapezförmigen Implantaten
Technik sind eindeutig in dem wesentlich geringeren Zugang- (Cages) aus Titanlegierung oder PEEK (Polyetheretherketon)
strauma zu sehen, das die Rehabilitation deutlich erleichtert. von einem kleinen transperitonealen- oder retroperitonealen
Die Komplikationsquote durch die Wirbelsäulenoperation Zugang aus unter Verwendung eines darauf abgestimmten Re-
selbst ist nicht geringer. Lumboskopische Operationstechniken traktorsystems. Zielsetzung ist die Minimierung der Zugangs-
sind schwierig zu erlernen, die Lernkurve ist sehr flach und es morbidität und dadurch die Verbesserung der Rehabilitation.
ist eine beständige Übung und Anleitung notwendig. Die Frage, Eine zusätzliche Instrumentation des Segmentes mit einer ven-
ob 5 Inzisionen von 1–2 cm und eine 3-mal längere Operations- tralen (winkelstabilen) Platte oder einem dorsalen Fixateur
zeit minimalinvasiver sind als eine 15 cm lange Inzision, ist wie interne (der perkutan eingebracht werden kann) ist notwendig.
immer in der Diskussion über weniger invasive Operationsver- Bei neueren Implantaten ist der Cage mit einer entsprechenden
fahren zu bedenken. Neben den lumboskopischen Techniken Platte fest montiert. Die zusätzliche suffiziente Stabilisierung
sind Mini-Open-Techniken unter Zuhilfenahme eines Retrak- erfolgt ebenfalls mit ventralen Schrauben.
torsystems von einem streng lateralen Zugangsweg möglich.
Insbesondere bei einer monosegmentalen intersomatischen
Spondylodese lässt sich hierdurch der Zugang auf 6–7 cm mi-
nimieren. Die Behandlung einer lumbalen ausgedehnten Spon-
dylitis oder eine Vertebrektomie ist mit dieser Technik jedoch
nicht möglich.
384 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Operationsvorbereitung benprotrusion, -prolaps, -sequester, Darstellung einer primäre


Aufklärung Spinalkanalstenose, Differenzialdiagnose hinsichtlich osteoly-
▬ Risiko des operativen Zugangs und der Dekompression: tischer Prozesse.
– Narben- und Bauchwandhernien inklusive Narbeninkar-
zeration MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene
– Verletzungen der großen Gefäße (Aorta, V. cava, A. und Pathologie wie: Bandscheibenprotrusion, -prolaps, -sequester.
V. iliaca) mit der Notwendigkeit gefäßchirurgischer Inter- Hinweise auf eine diskogene Schmerzkomponente insbeson-
vention bis hin zum Verblutungstod dere Ödemen der Deck- und Bodenplatten (Modic-I- und
▬ Vena-cava- oder Beckenvenenthrombose mit eventuellen -II-Komplex). Differenzialdiagnose hinsichtlich osteolytischer
Konsequenzen Prozesse. Eine Angio-MRT-Ableitung sollte wenn möglich
▬ Verletzungen des Ureters und der Blase mit operativ-urolo- durchgeführt werden, um Gefäßanomalien zu erkennen und
gischer Therapie den Zugang eventuell darauf abzustimmen.
▬ Verletzung des Retroperitoneums und des Darmes mit
eventuell notwendiger allgemeinchirurgischer Therapie Digitale Subtraktionsangiographie: Optional zur Darstel-
▬ Peritonitis mit eventuellen Folgeeingriffen lung der abdominellen Gefäße. Oft ist die Arterien- und Ve-
▬ Nervenverletzung mit entsprechenden Gefühlsstörungen nenbifurkation und die Lage der Gefäße vor der LWS jedoch
oder Beinteillähmungen, Störung des sympathischen Ner- auf den MRT-Bildern gut zu erkennen und zu lokalisieren, so
vensystems mit entsprechenden Symptomen an der unteren dass bei genügender Fähigkeit zur mentalen dreidimensionalen
Extremität Rekonstruktion seitens des Operateurs genügend Informati-
▬ Kompromittierung des Plexus hypogastricus mit Potenzstö- onen über die intraoperative Notwendigkeit der Gefäßmobili-
rungen (retrograde Ejakulation) beim Mann und Lubrifika- sation gewonnen werden können.
tionsstörung bei der Frau
▬ Iatrogener symptomatischer Bandscheibenvorfall durch das Knochendichtebestimmung: Bei Frauen über dem 45. Le-
Einschlagen des Spans/Cages bensjahr empfehlenswert und bei dem Verdacht einer Osteopo-
▬ Pseudarthrose mit eventuell notwendiger Revisionsopera- rose (Röntgen) notwendig.
tion
▬ Dislokation des Spans/Cages nach vorne oder hinten mit
eventuell notwendiger Revisionsoperation
▬ Einbruch des Spans/Cages in die Grund- oder Deckplatten
mit Korrekturverlust

12 Diagnostik und Planung


Anamneseerhebung und klinische Untersuchung wie in
 Kap. 12.10 beschrieben.
Eine differenzierte neurologische und eine klinisch-angio-
logische Untersuchung ist unabdingbar.

Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,


SSEP. Eine präoperative apparative Untersuchung ist in jedem
Falle empfehlenswert.

Fachangiologische Untersuchung: Zur Differenzialdia-


gnose bei nicht sicher tastbaren peripheren Pulsen an der un-
teren Extremität mandatorisch.

Röntgen: Lendenwirbelsäule im Stehen mit Darstellung des


thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen (Anomalitäten am
thorakolumbalen Übergang), Nachweis einer definierten In-
stabilität insbesondere: Spondylolisthesis; Drehgleiten mit
De-novo-Skoliose; sagittale Deterioration der Wirbelsäule mit
treppenförmigen Pseudospondylolisthesen; Erkrankungen, die
das klinische Bild imitieren, z. B. Osteolysen, osteoporotische
Frakturen.

CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen


über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen Hyper-
trophien. Nachweis von zusätzlicher Pathologie wie Bandschei-
12.8 · Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang)
385 12
Im Operationssaal Trajektorie kann so bestimmt werden. Der Hautschnitt und die
Operationsvorbereitung Mittellinie werden eingezeichnet. Desinfektion und Abdeckung
Spülung des Magen Darm-Traktes mit einem speziellen salini- müssen großzügig erfolgen, um den Zugang im Falle einer
schen Abführmittel (Clean-Prep) wie zu einer Darmoperation Komplikation erweitern zu können. Ein Beckenkamm muss
mit mindestens 4 Litern am Vorabend der Operation. Unter kei- mit desinfiziert und bei der Abdeckung berücksichtigt werden,
nen Umständen sollte hierauf verzichtet werden. Eine Minimie- um einen Span oder Spongiosa entnehmen zu können.
rung des Zugangsweges kann nur so erreicht werden. Auch hin-
sichtlich des Risikos der Verletzung intraabdomineller Strukturen Retroperitonealer pararektaler Mini-Zugang: Die Lage-
unbedingt zu empfehlen. Bei eingetretener Darmverletzung sind rung erfolgt in Rückenlage. Eine Beugung von 20° in Hüften
die Folgen bei sauberem Darm ungleich weniger dramatisch. und Kniegelenken durch Unterpolsterung sollte zur Entspan-
nung vor allem des M. psoas angestrebt werden.
Lagerung Der Operateur steht auf der linken Seite des Patienten,
Transabdomineller Mini-Zugang: Die Lagerung erfolgt in der erste Assistent und der 2. Assistent rechts. Noch vor der
einer modifizierten Steinschnittposition (⊡ Abb. 12.43). Eine Desinfektion und Abdeckung sollte sichergestellt werden, dass
Beugung von 20° in Hüften und Kniegelenken sollte zur Ent- der zu operierende LWS-Abschnitt gut in beiden Bildwandler-
spannung vor allem des M. psoas angestrebt werden. strahlengängen dargestellt werden kann. Die horizontale Lage
Der Operateur steht zwischen den Beinen des Patienten, des Patienten sollte im a.p. Strahlengang anhand des Abstandes
der erste Assistent auf der linken Seite des Patienten, der 2. As- der »Pedikelaugen« zur lateralen Wirbelbegrenzung überprüft
sistent rechts. Noch vor der Desinfektion und Abdeckung sollte werden.
sichergestellt werden, dass der zu operierende LWS-Abschnitt Die Höhenlokalisation sollte mit einer tupferbewehrten
gut in beiden Bildwandlerstrahlengängen dargestellt werden Kornzange im seitlichen Strahlengang erfolgen: Die optimale
kann. Eine Überprüfung der horizontalen Lage des Patienten Trajektorie kann so bestimmt werden. Der Hautschnitt und die
ist im a.p. Strahlengang möglich: Der Abstand der »Pedikel- Mittellinie werden nun eingezeichnet. Der Hautschnitt wird
augen« zur lateralen Wirbelbegrenzung sollte gleich sein; eine entweder horizontal pararektal oder schräg pararektal angelegt.
Orientierung am Dornfortsatz hingegen ist unsicherer. Auch hier muss die Desinfektion und Abdeckung großzü-
Die Höhenlokalisation sollte mit einer tupferbewehrten gig erfolgen. Ebenso muss ein Beckenkamm mit desinfiziert
Kornzange im seitlichen Strahlengang erfolgen: Die optimale und bei der Abdeckung berücksichtigt werden.

⊡ Abb. 12.43. Operations-Setup für die modifizierte


Steinschnittlage
386 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Operationstechnik
Transabdomineller Mini-Zugang: Der Hautschnitt ist ca.
6–7 cm lang, entweder pfannenstielartig quer oder längs in der
Mittellinie (⊡ Abb. 12.44).
Die Rektusfaszie wird nach Durchtrennen der Subkutis dar-
gestellt, zwischen 2 Pinzetten inzidiert, stumpf mit der Schere
unterminiert und dann in der Linea alba längs gespalten (eben-
falls 6–7 cm) (⊡ Abb. 12.45).
Dann wird zwischen den beiden Bäuchen des M. rectus ab-
dominis auf das Peritoneum eingegangen. Dieses wird mit zwei
Pinzetten angehoben, gespalten und dann nach Beiseitehalten
der Därme mit tupferbewehrten Kornzangen weiter gespalten.
Es folgt die Darstellung des Promontoriums.
! Die korrekte Darstellung des Promontoriums ist schwierig. Es
⊡ Abb. 12.44. Möglichkeiten der Hautinzision zum transabdominellen ist darauf zu achten, dass sich das Mesosigma nicht vor das
Zugang L5/S1 Promontorium legt. Hilfreich ist eine Kopftieflage des Patienten
unter Anhebung der Bauchdecken durch die Assistenten und
ein schrittweises Entwickeln des Situs mittels eingebrachter
feuchtwarmer Bauchtücher.

Der Situs wird mit den Retraktorblättern, die mit Handgriffen


versehen sind, gehalten, das Retroperitoneum wird ca. 2 cm
rechts der Mittellinie medial des rechten Ureters über der
rechten A. iliaca communis gespalten. Es wird stumpf mit Prä-
pariertupfern nach links unter Mitnahme des Plexus hypogast-
ricus abgeschoben (⊡ Abb. 12.46).
! Die Präparation nach Eröffnen des Retroperitoneums sollte
⊡ Abb. 12.45. Darstellen und Längsspalten des Peritoneums nach grundsätzlich nur stumpf erfolgen: Eine Koagulation kleinerer
Längsspalten der Rektusfaszie in der Linea alba blutender Gefäße muss bipolar erfolgen, um den Plexus zu
schonen. Eine monopolare Koagulation an der Bandscheibe ist
12 abzulehnen.

⊡ Abb. 12.46. Stumpfes Abpräparieren des Retroperitoneums nach


lateral
12.8 · Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang)
387 12
Die Vasa sacralia werden aufgesucht und nach proximal und di-
stal ligiert und dann durchtrennt. Nun können die Bifurkation
und die Iliakalgefäße vorsichtig stumpf nach oben und nach
den Seiten abgeschoben werden und die Bandscheibe wird dar-
gestellt (⊡ Abb. 12.47).
! Die Durchtrennung der Vasa sacralia vor der Mobilisation der
Gefäße ist von kardinaler Bedeutung: Werden die Sakralgefäße
»misshandelt«, reißen sie immer aus der Bifurkation aus, was
eine ernste Komplikation mit gefäßchirurgischer Intervention
nach sich zieht.

Nach ausreichender Darstellung der Bandscheibe werden die


Retraktorblätter endgültig positioniert und befestigt. Ein siche-
rer Arbeitskanal sollte dadurch entstanden sein.
Zur Konfirmation der korrekten Höhe und Ausdehnung
der Bandscheibendarstellung erfolgt die Durchleuchtung in
beiden Ebenen.
Nach der Nukleotomie, Dekompression und Spondylo-
dese werden die Retraktorblätter schrittweise entfernt. Eine
abschließende Blutstillung erfolgt mittels bipolarer Koagulati-
onspinzette. Die Ränder des Retroperitoneums werden wieder
eingestellt. Das Retroperitoneum wird mit einer fortlaufenden
resorbierbaren 3-0er-Naht verschlossen (durch den Einsatz von
resorbierbaren Fadenclips [Lapara TY] entfällt das Knoten).
Das Peritoneum wird mit Miculicz-Klemmen gefasst und fort-
laufend mit einer resorbierbaren 2-0er-Naht verschlossen. Zu-
vor sollte der Darm rearrangiert werden und insbesondere das
große Netz wieder über die Därme ausgebreitet werden. Eine
Drainage muss nicht eingelegt werden. Die Rektusfaszie wird
entweder fortlaufend oder mit resorbierbaren 0er-Einzelknopf-
nähten verschlossen. Danach invertierende Naht der Subkutis
und Intrakutanhautnaht.

⊡ Abb. 12.47. Situs nach vollständiger Freipräparation


der lumbosakralen Bandscheibe
388 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Retroperitonealer pararektaler Mini-Zugang: Beim re-


troperitonealen Zugang erfolgt der Hautschnitt vorzugsweise
linksseitig, entweder horizontal oder schräg pararektal in einer
Ausdehnung von 6–7 cm. Nach Durchtrennung der Subkutis
erfolgt die Darstellung der oberflächlichen Rektusfaszie. Diese
wird mit 2 Pinzetten angehoben und zwischen diesen eröffnet.
Nach stumpfer Unterminierung wird die Faszie weiter längsge-
spalten. Nun kann der Muskelbauch abgeschoben werden. Die
Vereinigung zwischen oberflächlicher und tiefer Rektusfaszie
wird sichtbar. An dieser Stelle wird die tiefe Faszie inzidiert und
man gelangt ins Retroperitoneum (⊡ Abb. 12.48).
Das Peritoneum wird mit einem Tupfer abgeschoben und
die weitere Spaltung der inneren Rektusfaszie vorgenommen.
Die querverlaufenden Vasae epigatricae inferiores müssen ent-
sprechend ligiert werden. Der Peritonealsack wird stumpf nach
medial abgeschoben; der M. psoas wird sichtbar. Die auf dem
Psoas liegenden Nerven müssen peinlich geschont werden.
Der Ureter wird identifiziert und nach lateral beiseite gehal-
ten. Vor der weiteren Mobilisation der großen Venen muss die
äußerst variabel verlaufende, aus der Vena iliaca communis
⊡ Abb. 12.48. Pararektaler Zugang. Eine Situationsnaht proximal ver- entspringende Vena iliolumbalis aufgesucht, unterbunden und
hindert ein weiteres Aufreißen mit möglicher Schädigung der Interkos- durchtrennt werden. Nun können die Gefäße stumpf nach der
talnerven X und XI rechten Seite mobilisiert werden (⊡ Abb. 12.49).

12

⊡ Abb. 12.49. Vollständige Exposition der Wir-


belsäule nach Durchtrennung der V. iliolumbalis
und Abschieben der Gefäße und des Ureters
12.8 · Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang)
389 12
Der Situs wird durch die Retraktorblätter gesichert, diese
werden nach ausreichender Darstellung der Bandscheibe fi-
xiert. Zur Konfirmation der korrekten Höhe und Ausdehnung
der Bandscheibendarstellung erfolgt eine Durchleuchtung in
beiden Ebenen. Nach der Nukleotomie, Dekompression und
Spondylodese werden die Retraktorblätter schrittweise entfernt;
mittels bipolarer Koagulationspinzette eine abschließende Blut-
stillung erreicht. Eine weiche, 16 Charr. messende Robinson-
Drainage wird eingelegt und perkutan ausgeleitet. Sie sollte
vor die Wirbelsäule zu liegen kommen. Dann erfolgen die
fortlaufende Naht der inneren Rektusfaszie mit resorbierbarem
0er-Nahtmaterial und die gleiche Versorgung der äußeren Rek-
tusfaszie. Danach invertierende Naht der Subkutis und Intraku-
tanhautnaht.
Nach Darstellung der Bandscheibe wird die Operation für
beide Zugänge gleichermaßen fortgeführt: Es folgt die Inzision
des Anulus fibrosus und die Exzision der Bandscheibe mit
Rongeuren, gefolgt von der Anfrischung der Deck- und Bo-
denplatten mit Küretten (⊡ Abb. 12.50). Peinlich ist darauf zu
achten, dass diese nicht verletzt werden, um ein Einbrechen des
Knochenspans oder Cages zu verhindern.

⊡ Abb. 12.50. Aufspreizen des Segmentes und


Entknorpeln der Deck- und Bodenplatte
390 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Mit einem Distraktor kann das Segment aufgedehnt wer-


den. Falls notwendig müssen der hintere Anulus fibrosus und
das hintere Längsband reseziert werden. Subligamentäre Se-
quester können entfernt werden. Analog zur HWS können die
Neuroforamina mit einer Stanze (2 mm) erweitert werden. Blu-
tungen aus epiduralen Venen müssen mit Kollagenschwämmen
gestillt werden. Es folgen die Implantation eines Probier-Cages
und die Überprüfung der korrekten Lage und Dimension in
beiden Bildwandlerstrahlengängen. Danach wird das Original-
implantat unter Kontrolle im seitlichen Strahlengang bis zur
korrekten Tiefe eingeschlagen (⊡ Abb. 12.51). Nun erfolgt die
Abschlusskontrolle in beiden Bildwandlerstrahlengängen.

12

⊡ Abb. 12.51. Einbringen des Originalimplantates


nach Größenbestimmung durch das Probeimplantat
12.8 · Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (minimalinvasiver trans- oder retroperitonealer Zugang)
391 12
Postoperativ Literatur
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Bei schwachem Bindegewebe kann eine Insuffizienz der Bauch-
2nd ed. Lippincott-Raven, Philadelphia, pp 267–75
muskelfaszien mit manchmal störender Konturungleichheit DeWald CJ, Millikan KW, Hammerberg KW, Doolas A, Dewald RL (1999)
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müssen manchmal chirurgisch versorgt werden. Im Zuge der 65:61–67
Entnahme der Beckenkammspongiosa kann es zu einer Ver- Faciszweski T, Winter RB, Lonstein JE, Denis F, Lohnson L (1995) The surgical
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rakteristischem Areal gestörter Sensibilität. Bei Verwendung dures. Spine 20:1592–9
trikortikaler Beckenkammspäne ist eine Spanresorption mit Freebody D, Bendall R, Taylor RD (1971) Anterior transperitoneal lumbar fu-
Verlust der Segmentdistraktion möglich, auch ist die Pseudar- sion. J Bone Joint Surg [Br] 53:617–27
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Mayer HM (2000) The ALIF Concept. Eur Spine J 9 (Suppl 1):35–43
eines Cages. Bei Cages ist ein sekundäres Einbrechen in die Mayer HM, Wiechert K (1998) Ventrale Fusionsoperationen an der Lendenwir-
Deck- oder Bodenplatte bei zu klein gewähltem Implantat oder belsäule. Orthopäde 27:466–76
unterschätzter Osteoporose möglich. Eine iatrogene Bandschei- O’Brien JP, Holte DC (1992) Simultaneous combined anterior and posterior
benhernie ist bei unzureichender Bandscheibenausräumung fusion. Eur Spine J 1:2–13
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durch das Einbringen des Cages möglich und macht sich durch
spine with video assistance. Spine 21:249–4
ein monoradikuläres Schmerzbild bemerkbar, das oft erst nach Wimmer C, Krismer M, Gulch H, Sterzinger G, Ogon M (1997) Anterior inter-
Tagen auftritt. Die Unterscheidung zu ebenfalls häufig auftre- body fusion of the lumbar spine. Orthopäde 26:563–7
tenden ISG-Irritationen ist dann schwierig.

Nachbehandlung
▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
gen
▬ Mobilisation des Patienten möglichst früh
▬ Vermeiden von Torsionsbewegungen für 3 Monate
▬ Vermeiden von Heben und Tragen von Lasten über 10 kg
für 3 Monate
▬ Vermeiden von wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen
(Bücken/Verwinden/Überstrecken) für 3 Monate
▬ »Bandscheibengerechtes« Verhalten zeitlebens

Besonderheiten
Der Einsatz von trikortikalen Beckenspänen oder Cages ohne
zusätzliche winkelstabile Instrumentation (Stand-alone) ist aus
Gründen der Biomechanik abzulehnen. Der Einsatz von zylin-
drischen Cages ist in Europa ebenfalls fast zur Gänze verlassen
worden. Eine additive dorsale perkutane Fixateur-interne-Ins-
trumentation ist möglich. Auch kann eine ventrale Platte mit
winkelstabiler Schraubenfixation in den benachbarten Wirbel-
körpern angebracht werden.
Auch ein Cage mit integrierter Platte zur winkelstabilen
Verankerung von Schrauben in den benachbarten Wirbelkör-
pern ist entwickelt worden.
392 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.9 Lumbale Bandscheibenprothese ▬ Dislokation der Bandscheibenprothese nach vorne oder


hinten mit eventuell notwendiger Revisionsoperation
Indikation ▬ Einbruch der Bandscheibenprothese in die Grund- oder
▬ Diskogene Schmerzen bei mono- oder bisegmentalem de- Deckplatten mit eventuell notwendiger Revisionsoperation
generativem Bandscheibenleiden (L3/4–L5/S1); CT- oder ▬ Sekundäre Verknöcherung des Segmentes
MRT- und/oder diskographisch gesichert mit oder ohne ▬ Bei Prothesen mit Kiel: Spaltung des Wirbelkörpers
symptomatischen Bandscheibenvorfall
! Über die Alternative der Fusion bei technischer Unmöglichkeit
▬ Alter 18–60 Jahre
der optimalen Implantation einer Bandscheibenendoprothese
▬ Mehr als 6 Monate frustrane konservative Therapie
muss immer aufgeklärt werden.
▬ Rückenschmerzen > Beinschmerzen
▬ Präoperativer Oswestry-Score >40% und VAS >40
Diagnostik und Planung
Anamneseerhebung und klinische Untersuchung wie in
Kontraindikation  Kap. 12.10 beschrieben.
▬ Spondylolyse/Spondylolisthese Besonderes Augenmerk sollte auf das klinische Erschei-
▬ Tumoren und Infektionen nungsbild des diskogenen Schmerzsyndroms gerichtet werde:
▬ Posttraumatische Segmente Oft wird ein (tief-)lumbales Durchbrechgefühl angegeben oder
▬ Postoperative Segmente außer beim sog. Postdiskotomie- das Gefühl, eine Betonplatte sitze im Rücken oder ein Messer
syndrom stecke im Rücken. Typisch ist die nächtliche Durchschlafstö-
▬ Metabolische Knochenerkrankungen (Osteoporose) rung mit dem Gefühl, wegen des Durchbrechschmerzes keine
▬ Metallallergie Lage zum Schlafen mehr zu finden. Ebenso typisch ist die
▬ Autoimmunerkrankungen morgendliche Steifigkeit in der LWS (Füße können nicht mehr
▬ Pathologische Adipositas (BMI >35) erreicht werden).
▬ Fixierte chronische Schmerzkrankheit Eine differenzierte neurologische Untersuchung und kli-
nisch angiologische Untersuchung sind unabdingbar.

Grenzindikation Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,


▬ Irreguläre Endplatten SSEP. Eine präoperative apparative Untersuchung ist in jedem
▬ Spinalkanalstenose Falle empfehlenswert.
▬ Sequestrierter Bandscheibenvorfall
▬ Höhergradige Facettenarthrose Fachangiologische Untersuchung: Zur Differenzialdia-
12 ▬ Translatorische Instabilität (Antero- und Retrolisthesis) gnose bei nicht sicher tastbaren peripheren Pulsen an der un-
▬ Geringe Deformitäten (z. B. segmentaler Tilt ohne Rotation) teren Extremität mandatorisch.
▬ Höhe des Zwischenwirbelraumes <4 mm (im Röntgenbild)
▬ Multisegmentale Pathologie Röntgen: Lendenwirbelsäule im Stehen mit Darstellung des
▬ Diskogenes Schmerzsyndrom nach Mikronukleotomie ohne thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen (Anomalitäten am tho-
wesentliches pseudoradikuläres Schmerzbild rakolumbalen Übergang), Nachweis einer definierten Instabilität,
insbesondere: Spondylolisthesis; Drehgleiten mit De-novo-Skoli-
ose; sagittale Deterioration der Wirbelsäule mit treppenförmigen
Operationsprinzip Pseudospondylolisthesen, Erkrankungen, die das klinische Bild
Mono- oder bisegmentale Nukleotomie und segmentale De- imitieren z. B. Osteolysen, osteoporotische Frakturen).
kompression von einem ventralen trans- oder retroperitonealen
Zugang aus mit (wenn notwendig) Distraktion des Segmentes CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen
und Implantation einer Bandscheibenendoprothese: Ziel ist der über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen Hyper-
Erhalt der segmentalen Beweglichkeit und dadurch die Scho- trophien. Nachweis von zusätzlicher Pathologie wie Bandschei-
nung der Nachbarsegmente unter dem Aspekt der Verminde- benprotrusion, -prolaps, -sequester, Darstellung einer primären
rung der Gefahr einer Anschlussdegeneration. Spinalkanalstenose, Differenzialdiagnose hinsichtlich osteoly-
tischer Prozesse.

Operationsvorbereitung MRT: Hinweise auf eine diskogene Schmerzkomponente sind


Aufklärung insbesondere die Ödeme der Deck- und Bodenplatten (Modic-I
▬ Risiko des operativen Zugangs und der Dekompression und -II-Komplex). Informationen über eventuell zusätzlich
 Kap. 12.8 vorhandene Pathologie wie: Bandscheibenprotrusion, -prolaps,
▬ Iatrogener symptomatischer Bandscheibenvorfall durch das -sequester. Differenzialdiagnose hinsichtlich osteolytischer Pro-
Einschlagen der Prothese zesse. Eine Angio-MRT-Ableitung sollte, wenn möglich, durch-
▬ Lockerung der Bandscheibenprothese mit eventuell not- geführt werden, um Gefäßanomalien zu erkennen und den
wendiger Revisionsoperation Zugang eventuell darauf abzustimmen.
12.9 · Lumbale Bandscheibenprothese
393 12
Digitale Subtraktionsangiographie: Optional zur Darstel- Operationstechnik
lung der abdominellen Gefäße. Oft ist die Arterien- und Ve- Der Zugang entspricht dem minimalinvasiven Zugang zur LWS
nenbifurkation und die Lage der Gefäße vor der LWS jedoch ( Kap. 12.8), er kann aber nicht so klein gewählt werden wie
auf den MRT-Bildern gut zu erkennen und zu lokalisieren, so zur ventralen Spondylodese, da eine Bandscheibenprothese un-
dass bei genügender Fähigkeit zur mentalen dreidimensionalen gleich voluminöser als ein Cage ist.
Rekonstruktion seitens des Operateurs genügend Informati-
! Wegen der immer notwendigen Mobilisation der Bifurkationen
onen über die intraoperative Notwendigkeit der Gefäßmobili-
und/oder der großen Gefäße zur Darstellung der Bandscheiben
sation gewonnen werden kann.
zur Prothesenimplantation sollten nur abdominalchirurgisch
erfahrene Operateure alleine agieren. Die Hinzuziehung eines
Knochendichtebestimmung: Bei Frauen über dem 45. Le-
Operateurs mit gefäßchirurgischer Erfahrung ist ansonsten zur
bensjahr und beim Verdacht einer Osteoporose (Röntgen) un-
Präparation des Zuganges obligat.
bedingt notwendig, um die immer ernst zu nehmende Kontra-
indikation Osteoporose nicht zu übersehen. Beim transabdominellen Zugang ist auf eine Unterbindung der
Vasa sacralia größter Wert zu legen, um die Bifurkationen nach
Provokative Diskographie und probatorische Facetten- ventral und auf beide Seiten mobilisieren zu können. Beim retro-
infiltration: Wiewohl nicht ganz unumstritten, gibt die pro- peritonealen Zugang muss die äußerst variabel verlaufende Vena
vokative Diskographie wertvolle Hinweise auf den Zustand iliolumbalis, die aus der linken Vena iliaca communis entspringt,
der Bandscheibe und darüber, ob ein Distensionsschmerz aufgesucht, unterbunden und durchtrennt werden, bevor die Ge-
ausgelöst werden kann. Es sollten immer die letzen 3 Band- fäße nach der rechten Seite mobilisiert werden (⊡ Abb. 12.52).
scheiben diskographiert werden. Eine Manipulation durch
den Patienten ist unwahrscheinlich, da der Patient nicht weiß
und auch nicht erkennen kann, welche Bandscheibe gerade
untersucht wird.
Eine Schmerzfreiheit über die Wirkungsdauer des verwen-
deten Lokalanästhetikums bei der Facetteninfiltration hat zur
Folge, dass die Indikation zur Bandscheibenprothese zu ver-
werfen ist.

Im Operationssaal
Operationsvorbereitung:
Spülung des Magen-Darm-Traktes mit einem speziellen salini-
schen Abführmittel (Clean-Prep) wie zu einer Darmoperation
mit mindestens 4 Litern am Vorabend der Operation. Unter
keinen Umständen sollte hierauf verzichtet werden. Eine Mi-
nimierung des Zugangsweges kann nur so erreicht werden.
Auch hinsichtlich des Risikos der Verletzung intraabdomi-
neller Strukturen unbedingt zu empfehlen. Bei eingetretener
Darmverletzung sind die Folgen bei sauberem Darm ungleich
weniger dramatisch.

Lagerung
Wie zum minimalinvasiven ventralen Zugang zur LWS
( Kap. 12.8). Noch vor der Desinfektion und Abdeckung sollte a
sichergestellt werden, dass der zu operierende LWS-Abschnitt
gut in beiden Bildwandlerstrahlengängen dargestellt werden
kann. Eine Überprüfung der horizontalen Lage des Patienten
ist im a.p. Strahlengang möglich: Der Abstand der »Pedikel-
augen« zur lateralen Wirbelbegrenzung sollte gleich sein; eine
Orientierung am Dornfortsatz hingegen ist unsicherer.
Die Höhenlokalisation kann noch vor der Desinfektion und
Abdeckung wie beim minimalinvasiven ventralen Zugang zur b
LWS beschrieben erfolgen. Die Alternative der Fusion ist bei
⊡ Abb. 12.52a,b. Unterbindung der Vena iliolumbalis. a Doppelte Un-
der Abdeckung zu beachten: Ein Beckenkamm muss mit desin- terbindung/Clip proximal und einfache Unterbindung/Clip distal der V.
fiziert werden, um notwendigenfalls einen Span oder Spongiosa iliolumbalis vor der Durchtrennung. b Anatomische Varianten der V. ilio-
zu gewinnen. lumbalis
394 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Die Mobilisation der Strukturen und die Darstellung der mentäre Sequester können entfernt werden. Analog zur HWS
Bandscheiben müssen weit nach beiden Seiten erfolgen. Die können die Neuroforamina mit einer Stanze (2 mm) erweitert
Retraktorblätter werden fixiert und die Mittellinie mit einem werden. Blutungen aus epiduralen Venen müssen mit Kolla-
eingebrachten 2-mm-Spickdraht markiert. Es erfolgt eine Kon- genschwämmen gestillt werden. Es folgen die Implantation
trolle im a.p. Strahlengang: Die Retraktorblätter sollten jenseits einer Probierprothese und die Überprüfung der korrekten
einer gedachten Linie mittig durch die »Pedikelaugen« liegen. Lage und Dimension in beiden Bildwandlerstrahlengängen
Der Spickdraht sollte in der Mitte des Wirbelkörpers zu liegen (⊡ Abb. 12.54).
kommen. Die Exzision der Bandscheibe und das Anfrischen Danach wird die Originalprothese mit dem entsprechenden
der Deck- und Bodenplatten mit Küretten schließen sich an. Instrumentarium implantiert. Im seitlichen Strahlengang wird
Peinlich ist darauf zu achten, dass diese nicht verletzt werden, sie bis zur korrekten Tiefe eingeschlagen (⊡ Abb. 12.55).
um ein Einbrechen der Prothese zu verhindern. Mit einem Dis- Nun erfolgt die Abschlusskontrolle in beiden Bildwandler-
traktor kann das Segment aufgedehnt werden (⊡ Abb. 12.53). strahlengängen. Danach die schrittweise Entfernung der Re-
Falls notwendig, müssen der hintere Anteil des Anulus traktorblätter und der weitere Wundverschluss wie in  Kap. 12.8
fibrosus und das hintere Längsband reseziert werden. Subliga- beschrieben.

12

⊡ Abb. 12.53. Aufdehnung des Segmentes mit einem intersomatischen Spreizer

⊡ Abb. 12.54. Implantation der Probierprothese ⊡ Abb. 12.55. Implantation der Originalprothese
12.9 · Lumbale Bandscheibenprothese
395 12
Postoperativ Literatur
Probleme LeHuec JC, Kiaer T, Friesem T, et al. (2003) Schock absorption in lumbar
disc prosthesis: a preliminary mechanical study. J Spinal Disord Tech
Zusätzlich zu den in  Kap. 12.8 beschriebenen Schwierigkeiten
16(4):346–351
kann es bei lumbalen Bandscheibenprothesen zu folgenden Mayer HM (2005) Total lumbar disc replacement. J Bone Joint Surg [Br]:
Problemen kommen: Ein sekundäres Einbrechen der Prothese 87:1029–1037
in die Deck- oder Bodenplatte kann bei zu klein gewähltem Im- Modic MT (2007) Modic type I and type 2 changes. J Neurosurg Spine
plantat oder unterschätzter Osteoporose auftreten. Oft zwingt 6(2):150–1
dies zu einer Fusion. Eine iatrogene Bandscheibenhernie oder
eine zu weit nach hinten eingeschlagene Prothese machen sich
durch ein monoradikuläres Schmerzbild bemerkbar, das oft erst
nach Tagen auftritt. Die Unterscheidung zu ebenfalls häufig
auftretenden ISG-Irritationen ist dann schwierig.
Bei postoperativen Problemen gilt für alle Prothesen, dass
die Region hinter der Prothese infolge der Artefakte weder im
CT noch im MRT beurteilt werden kann. Dies begründet sich
dadurch, dass alle Prothesen aus Chrom/Kobalt/Molybdän-
Stahl gefertigt sind, der besonders ausgeprägte Auslöschungs-
artefakte sowohl im CT als auch im MRT produziert. Daher
ist der Bereich hinter der Prothese nur mittels einer lumbalen
Myelographie sichtbar zu machen.
Ventrale Dislokationen von Bandscheibenprothesen sind
beschrieben und stellen ein ernstes Problem dar: Eine Revision
vom gleichen Zugang kann durchgeführt werden, ist jedoch
extrem anspruchsvoll. Eine vom retroperitonealen Zugang aus
eingebrachte Prothese L5/S1 kann transabdominell revidiert
werden. Retroperitoneal eingebrachte Prothesen bei L4/5 oder
höher können von der Gegenseite aus revidiert werden. Dies
ist gefährlicher wegen der rechtseitigen Lage der V. cava. Alle
Revisionseingriffe sollten immer unter Hinzuziehung eines er-
fahrenen Abdominalchirurgen erfolgen.
Ultima ratio ist eine Entfernung der Bandscheibenprothese
mit angrenzenden Wirbeln im Sinne einer Hemikorporektomie
und eine Beckenspanspondylodese von einem Flankenschnitt
aus mit zusätzlicher Fixateur-interne-Instrumentation. Dies stellt
auch die Therapieoption bei septischer Prothesenlockerung dar.

Nachbehandlung
▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
gen
▬ Mobilisation des Patienten möglichst früh
▬ Vermeiden von Torsionsbewegungen für 3 Monate
▬ Vermeiden von Heben und Tragen von Lasten über 10 kg
für 3 Monate
▬ Vermeiden von wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen
(Bücken/Verwinden/Überstrecken) für 3 Monate
▬ »Bandscheibengerechtes« Verhalten zeitlebens

Besonderheiten
Grundsätzlich unterscheiden sich lumbale Bandscheibenprothe-
sen zum einen in der Gleitpaarung und zum anderen im Grad
der Bewegungsfreiheiten. Zu differenzieren sind Metall/Metall-
Gleitpaarungen und Metall/Polyäthylen-Gleitpaarungen. Auch
gibt es Prothesen mit und ohne Kiel. Grundsätzlich können
Bandscheibenprothesen die Pufferfunktion der Bandscheiben
nicht wiederherstellen, so dass die Belastungsfähigkeit der LWS
(besonders im beruflichen Sinne wichtig) durch Implantation
einer Bandscheibenprothese nicht verbessert werden kann.
396 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.10 Lumbale Diskushernie: Mikrodiskektomie ▬ Postdiskotomiesyndrom


▬ Lagerungschaden
Indikation
▬ Absolute Indikation: Diagnostik und Planung
– Cauda-equina-Kompressionssyndrom (Notfalloperation) ▬ Schmerzanamnese; v. a. Anteil »medianer« Schmerzsymp-
– Akute schwere Parese (ohne Rückbildung auf maximale tomatik (diskogen) im Verhältnis zur radikulären Sympto-
antiphlogistische Therapie mit Kortikoiden) matik (Ergebnisse lumbaler Bandscheibenprothesen nach
– Zunehmende Parese unter konservativer Therapie Nukleotomie schlecht)
▬ Relative Indikation (Operation nach erfolgloser konserva- ▬ Lokaler Befund (Wirbelsäulenprofil sagittal und frontal,
tiver Therapie über mindestens 14 Tage besser 6 Wochen Schmerzpunkte, Valleix-Druckpunkte; ISG-Tests)
mit Bettruhe/Stufenlagerung, analgetisch-/antiphlogisti- ▬ Funktioneller Befund (FBA; Messtrecke nach Schober bzw.
scher Therapie; physikalische Therapie z. B. Stangerbad/ Ott; Seitneigung, Rotation)
Interferenzstomtherapie; Krankengymnastik z. B. nach ▬ Wurzeldehnungszeichen (Lasègue, Bragard, umgekehrter
McKenzie) Lasègue, gekreuzter Laseque und Feststellung des Segmen-
– Stark schmerzhaftes radikuläres Syndrom tes der Schmerzausstrahlung)
– Chronisch rezidivierendes radikuläres Schmerzsyndrom ▬ Segmentorientierte neurologische Untersuchung
mit diskretem oder fehlendem neurologischem Defizit ▬ Überprüfung der Reithosensensibilität (Wattestäbchen)
▬ Überprüfung der Sphinkterfunktion (rektal-digitale Unter-
suchung mit Beurteilung des Sphinktertonus: »Pressen wie
Kontraindikation zum Stuhlgang«→ Erschlaffen des Sphinkters: »Kneifen« →
▬ Mehrsegmentale Bandscheibenvorfälle (bisegmental = Anspannung des Sphinkters)
Grenzindikation) ▬ Überprüfung der Blasenfunktion durch Restharnbestim-
▬ Schwere Spinalkanalstenosen mung (pathologisch >100 ml)
▬ Spondylolisthesis (u. U. Progredienz des Gleitens) ▬ Klinische Untersuchung des arteriellen und venösen Gefäß-
▬ Generalisierte und lokale Infektionen status
▬ Klinisch nicht eindeutiger Befund
▬ Protrusionen 1. und 2. Grades (nach Krämer) → konserva- Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,
tive Therapie oder perkutane minimalinvasive Operations- SSEP.
verfahren
Röntgen: Lendenwirbelsäule im Stehen mit Darstellung des
thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen (Anomalitäten am
12 Operationsprinzip thorakolumbalen Übergang; Erkrankungen, die das klinische
Diskotomie und/oder Sequesterektomie von einem kleinen Bild einer Diskushernie imitieren, z. B. Osteolysen, osteoporo-
mittigen dorsalen Zugang mit Verwendung von trichterförmi- tische Frakturen).
gen Spreizsystemen und abgewinkelten Instrumenten. Verwen-
dung optischer Hilfssysteme (Operationsmikroskop, Kaltlicht- CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen
systeme, Lupenbrille, Endoskope). Zielsetzungen: Verringerung über Protrusion, Prolaps, Sequester, Lage und Ausdehnung der
des Ausmaßes von Muskelablösung, -trauma und -denervation Bandscheibenpathologie; Facettenhypertrophie mit Stenose des
gegenüber dem konventionellen ausgedehnten Zugang zur Dis- Recessus lateralis, primäre Spinalkanalstenose, Differenzialdia-
kektomie und dadurch Vorteile in der Rehabilitation. gnose hinsichtlich osteolytischer Prozesse.

MRT: Informationen über: Protrusion, Prolaps, Sequester, Lage


Operationsvorbereitung und Ausdehnung der Bandscheibenpathologie; Bandscheiben-
Aufklärung binnensignal (»black disc«), Ödeme der Deck- und Bodenplat-
▬ Duraschädigung mit Liquoraustritt; Liquorverlustsyndrom ten (Modic-I- und -II-Komplex). Bei Rezidiven: Unterschei-
▬ Liquorfistel dung hinsichtlich Narbengewebe.
▬ Nervenwurzelschaden mit passagerem oder bleibendem
(sensiblem/motorischem)Defizit Myelographie mit Myelo-CT: Nur noch indiziert bei spezi-
▬ Zusätzliche neurologische Defizite bei Anomalien (»conjoi- ellen Fragestellungen und Unklarheiten, die nicht mit CT und
ned root«) durch Zug NMR beantwortet werden können. Bei Klaustrophobie (MRT
▬ Schädigung der Cauda equina mit passageren oder bleiben- unmöglich) und diagnostischer Unsicherheit im CT.
den Störungen von Miktion, Defäkation und Vita sexualis
▬ Diszitis oder Spondylodiszitis (0,3–1,5%) mit eventuell not-
wendiger chirurgischer Therapie
▬ Ventrale Perforation des Anulus fibrosus mit Verletzung ab-
domineller Gefäße oder Organe (1:1000–1:6000) mit Not-
wendigkeit der sofortigen Laparatomie und Versorgung
12.10 · Lumbale Diskushernie: Mikrodiskektomie
397 12
Im Operationssaal
Lagerung
Mekkalagerung/Kniehocklagerung, mit Kissen auf einem Uni-
versaltisch oder auf einem Spezialtisch. Lagerung auf konvexem
Lagerungsgestell (-kissen). Zu achten ist immer auf ein freies
Abdomen! Zielsetzung: Kyphosierung der LWS mit Erweite-
rung der interlaminären Fenster, Verminderung des venösen
Rückstaus bei geringem intraabdominellen Druck zur Vermei-
dung vermehrter venöser Blutungen.

Operationstechnik
Höhenlokalisation der Diskotomie: Nach Lagerung des Pa-
tienten Einstellung der unteren Lendenwirbelsäule im seitlichen
Strahlengang mit dem Bildwandler. Eine exakte Positionierung
ist dabei unbedingt zu beachten; im exakt seitlichen Strah-
lengang bilden sich die Deck- und Bodenplatten strichförmig
ab und die Pedikelgrenzen überdecken sich vollständig. Nach
Desinfektion des Operationsgebietes mit einem schnell wirk- ⊡ Abb. 12.56. Intraoperativer Situs nach Ablösung der Muskulatur
samen Hautdesinfektionsmittel wird eine Einmalkanüle auf
der kontralateralen Seite des Prolapses senkrecht eingesteckt.
Die Nadelspitze soll genau auf die zu operierende Bandscheibe
zeigen. Das Ergebnis muss dokumentiert werden.
! Segmentationsstörungen der unteren Lendenwirbelsäule müs-
sen in jedem Fall erkannt und beachtet werden.

Die korrekte Höhe wird mit einem Markierungsstift festgehal-


ten. Erst jetzt erfolgen die Mehrfachdesinfektion und die sterile
Mehrfachabdeckung.

Eigentliche Operation: 2,5–3 cm langer Hautschnitt in der


Medianlinie, i. d. R. zentriert auf die Höhenmarkierung. Bei
Sequestern u. U. exzentrisch der Höhenmarkierung je nach
Richtung der Sequestrierung. Eröffnen der Fascia lumbalis auf
der Prolapsseite paraspinal und Erweitern mit der Schere auf
ca. 4 cm. Abschieben der Muskulatur mit dem Rasparatorium.
Gegebenenfalls müssen einzelne Muskelanheftungen mit der
Schere durchtrennt werden (⊡ Abb. 12.56).
Nun Einsetzen des Trichter-Systems und Aufspreizen des
Trichters. Eventuell Einsetzen des Gegensperrers (z. B. Origi-
nalsystem nach Caspar Fa. Aeskulap) (⊡ Abb. 12.57). ⊡ Abb. 12.57. Nach Einsetzen des Retraktors 90°-Schwenk zum Assis-
Freipräparation des Lig. flavum und der angrenzenden Bö- tenten, danach Aufspreizen
gen. Einbringen eines 0,8-mm-Titan-Spickdrahtes in den obe-
ren Bogen und 2. Höhenkontrolle im seitlichen Strahlengang
mit Dokumentation (2. Höhenkontrolle z. B. von der deutschen
Gesellschaft für Neurochirurgie empfohlen).
Eröffnen des dorsalen Blattes des Lig. flavum mit dem Skal-
pell, stumpfes Spalten des ventralen Blattes und Eingehen in
den Spinalkanal.
398 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Resektion des Lig. flavum und nötigenfalls Erweitern des


interlaminären Fensters mittels nach vorne gerichteten Stanzen
(2 mm, 3 mm, 5 mm) (⊡ Abb. 12.58). Das Lig. flavum ist nor-
malerweise 2–3 mm dick; bei älteren Patienten kann es bis zu
8 mm dick sein.
Nun Mobilisierung der Nervenwurzel von lateral nach me-
dial über den Prolaps mittels Mikrodissektor. Weghalten von
Nervenwurzel und Duralsack nach medial mittels Mikrodissek-
tor oder Wurzelhaken.

> Achtung 1. Assistent


Ein Verkanten des Wurzelhakens oder ein zu starker Zug nach
a medial kann zu einem zusätzlichen neurologischen Defizit
führen. Ein Operationsmikroskop, das auch dem 1. Assistent
erlaubt, den Situs zu sehen, ist daher vorteilhaft!

Blutstillung am Spinalkanalboden mittels bipolarer Koagula-


tionspinzette. Bei nicht frei sequestrierten Prolapsen nun In-
zision des hinteren Längsbandes (⊡ Abb. 12.59) und Entfernen
des hervorquellenden Bandscheibenprolapses. Ausräumen des
degenerierten Nucleus pulposus aus dem Zwischenwirbelraum
mit Fasszangen verschiedenen Typs (gerade, gewinkelt).
! Stark gebogene (>90°) Rongeure sind wegen der Gefahr einer
Duraverletzung zu vermeiden. Eine Tiefenkalibrierung der In-
strumente ist hilfreich, um bei defektem vorderem Anulus fibro-
sus nicht in den retroperitonealen Raum zu gelangen.

Schlussendlich Überprüfen des Situs mit den Nervenwurzel-


häkchen nach allen Richtungen, ob alle Sequester entfernt und
b die Nervenwurzel/Duralsack spannungsfrei sind. Im Zweifels-
falle Bildwandlerkontrolle und Dokumentation mit im ZWR
12 ⊡ Abb. 12.58a, b. Resektion des Lig. flavum. a Erweiterung des inter- einliegendem Mikrodissektor zur Dokumentation des korrek-
laminären Fensters (rote Linie). b Nach Erweiterung des interlaminären ten Segmentes.
Fensters Beiseitehalten der Nervenwurzel mit einem Dissektor Abschließende Blutstillung mit bipolarer Koagulationspin-
zette. Es kann auch ein schaumförmiges Hämostyptikum ver-
wendet werden (unbedingt im Operationsbericht vermerken,
zur Vermeidung von Interpretationsfehlern, falls ein früh post-
operatives MRT notwendig wird).

Wundverschluss: Nach Mehrfachspülung (u. U. mit Genta-


mycinzusatz) Einlage einer subfaszialen 10er-Redon-Drainage,
Fasziennaht, Subkutannaht, Intrakutanhautnaht oder auch Kle-
ben mit Histoarcryl-Kleber.

Postoperativ
Probleme
Nach kranial sequestrierte Bandscheibenvorfälle sind schwierig
zu erkennen und zu entfernen, da eine vollständige Hemilami-
nektomie möglichst vermieden werden sollte.
Weit laterale intraforaminäre oder extraforaminäre Band-
scheibenvorfälle sind mit der beschriebenen Technik in der Re-
gel nicht behandelbar. Hier müssen perkutane endoskopische
Verfahren oder eine laterale Nukleotomie von einem Wiltse-
⊡ Abb. 12.59. Beiseitehalten der Nervenwurzel über den Prolaps. Inzi- Zugang aus durchgeführt werden.
sion des hinteren Längsbandes und des Anulus fibrosus (wenn notwen- Bei großen Vorfällen – vor allem medialen – sind Dura und
dig) Entfernen des Prolaps mit einem feinen Rongeur Nervenwurzel stark gegen das Lig. flavum gedrückt mit der
12.10 · Lumbale Diskushernie: Mikrodiskektomie
399 12
Gefahr der Dura- bzw. Wurzelverletzung beim Eröffnen des
Lig. flavum. Unter Umständen muss sogar von der Gegenseite
eingegangen werden (⊡ Abb. 12.60). Die präoperative Schnitt-
bilddiagnostik ist unbedingt diesbezüglich zu studieren.
Ein Ausräumen des Prolapses »durch die Wurzelachsel«
sollte grundsätzlich wegen der höheren Komplikationsgefahr
vermieden werden. Bei sehr großen Vorfällen ist jedoch ein
Verkleinern des Prolapses durch Teilsequesterentfernung durch
die Wurzelachsel manchmal notwendig, um die Wurzel über-
haupt über den Prolaps mobilisieren zu können.
Bei einer intraoperativen Duraverletzung ist diese zu ver-
sorgen. Kleinere Risse können geklebt werden, wobei hier strikt
darauf geachtet werden muss, dass Fibrinkleber nicht intra-
thekal gelangt (Arachnitis!). Größere Risse müssen mit nicht
resorbierbarem Fadenmaterial der Stärke 5×0 oder 6×0 genäht
werden. ⊡ Abb. 12.60. Querschnitt des Spinalkanals bei Massenprolaps. Starke
Kompression von Dura und Nervenwurzel gegen das Lig. Flavum
Nachbehandlung
▬ Ziehen der Drainage nach 24–48 h
▬ Mobilisierung des Patienten am 1. postoperativen Tag
▬ Isometrische Krankengymnastik ab dem 1. postoperativen
Tag
▬ Unterweisung über bandscheibengerechtes Verhalten (»Rü-
ckenschule«)
▬ Keine grundsätzlichen Beschränkungen für das Sitzen (neu-
ere Druckmessungen am Lebenden zeigten im Sitzen kei-
nen höheren Bandscheibendruck als im Stehen, der Druck
ist sogar im Sitzen geringer; ein Verbot des Sitzens postope-
rativ ist daher sinnlos!)
▬ Kein schweres Heben und Tragen (>15 kg) für 6 Wochen
▬ Keine wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen für 12
Wochen
▬ Eine stationäre Rehabilitation ist erst nach 3 Wochen sinn-
voll (erst nach Konsolidierung der Weichteile)

Literatur
Krämer J (2006) Offene Operation des lumbalen Bandscheibenvorfalls –
Diskotomie. In: Krämer J (Hrsg.) Bandscheibenbedingte Erkrankungen.
Thieme, Stuttgart New York, S. 262–276
McNally DS, Adams MA, Goodship AE (1992) Development and validation of
a new transducer for intradiscal pressure measurement. J Biomed Eng
14(6):495–8
Sator K, Kikuchi S, Yonvezawa T (1999) In vivo intradiscal pressure measure-
ment in healthy individuals and in patients with ongoing back problems.
Spine 24(23):2468–74
Wilke HJ, Rohlmann A., Neller S, Graichen F, Claes L, Bergmann G (2003) A
novel approach to determine trunk muscle forces during flexion and
extension: a comparison of data from an in vitro experiment an in vivo
measurements. Spine 28(23):2585–93. Erratum in: Spine 29(16):1844
400 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.11 Mikrochirurgische (monosegmentale)


Dekompression bei Rezessusstenose

Indikation
▬ Stenose des Recessus lateralis (»superior facet syndrome«)
mit monoradikulärem Beschwerdebild mit/ohne radikulä-
res neurologisches Defizit
▬ Am häufigsten betroffen L4/5 und L5/S1

Kontraindikation
▬ Unklares klinisches Zustandsbild mit fehlendem segmen-
talem Bezug und/oder Diskordanz zur bildgebenden Diag-
nostik
▬ Instabilitäten (vor allem Spondylolisthesis vera, degenera-
tive Spondylolisthesis, postoperative Instabilität)
▬ Vollbild des Syndroms des engen Spinalkanals mit hohem
Anteil an lokalen Beschwerden und Claudicatio intermit-
tens spinalis
▬ Durch andere neurologische Erkrankungen hervorgeru-
fene Symptome (z. B. Neuritis, Radikulitis, Polyneuropa-
thie)
▬ Durch eine arterielle Verschlusskrankheit hervorgerufene
Symptome

Operationsprinzip
⊡ Abb. 12.61. Spondylophytäre Ausziehungen am kleinen Wirbelge-
Die Degeneration der Bandscheiben führt zu vielfältigen Ver-
lenk rechts änderungen. Der Zwischenwirbelraum wird schmäler, da-
durch verkleinert sich der Querschnitt des Nervenaustrittska-
nals. Bandscheibenvorwölbungen und Retrospondylophyten
12 können zu einer Einengung des Spinalkanals von ventral
führen. Die überlastungsbedingte Degeneration der Facet-
tengelenke hat in der Regel eine Osteophytenausbildung zur
Folge (⊡ Abb. 12.61).
Die osteophytären Ausziehungen der Facettengelenke,
insbesondere der oberen Facette, führen zu einer Einen-
gung des Recessus lateralis, in dem die Nervenwurzel ver-
läuft, und können zu einer Nervenwurzelkompression führen
(⊡ Abb. 12.62).
Die Verdickung des Lig. flavum – bedingt durch die dege-
nerativen Veränderungen des Bewegungssegmentes – kann zu
einer zusätzlichen Einengung des Spinalkanals führen. Liegt
überwiegend eine Einengung des Recessus lateralis durch eine
hypertrophierte superiore Gelenkfacette vor, so entsteht ein
meist monoradikuläres Schmerzbild, das sich von den Symp-
tomen eines engen Spinalkanals (Kreuzschmerzen, beidseitige
ischialgiforme oder pseudoischialgiforme Beschwerden, Clau-
dicatio intermittens spinalis) deutlich unterscheidet.
Das Prinzip der operativen Therapie ist die Erweiterung
des Recessus lateralis durch Entfernung der Osteophyten an
den Gelenkfacetten und Entfernung eines hypertrophen Lig.
flavum. Der operative Eingriff kann mit dem gleichen Retrak-
torsystem, wie dies bei einer Mikronukleotomie zum Einsatz
kommt, vorgenommen werden. Die Länge der Hautinzision ist
⊡ Abb. 12.62. Einsicht in den Spinalkanal. Die Spondylophyten am ebenfalls nicht größer. Optische Hilfsmittel kommen in gleicher
Proc. articularis superior führen zur Nervenwurzelkompression Weise wie bei der Mikronukleotomie zum Einsatz, daneben ist
12.11 · Mikrochirurgische (monosegmentale) Dekompression bei Rezessusstenose
401 12
in der Regel jedoch eine hochtourige Fräse notwendig. Infolge MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene Pa-
des kleinen Zugangs, der Verwendung von Retraktorsystemen thologie wie: Protrusion, Prolaps, Sequester, Hinweise auf eine
und optischen Hilfsmitteln wird die Operation als mikrochir- diskogene Schmerzkomponente insbesondere bei Ödemen der
urgische Dekompression bezeichnet. Deck- und Bodenplatten (Modic-I- und -II-Komplex).

! Die Ursache der Rezessustenose, nämlich die degenerative Myelographie mit Myelo-CT: Nur noch im Ausnahmefall
Diskopathie, wird nicht behandelt, ausschließlich die Folgen. indiziert.
Daher sind Rezidive durch erneute Osteophytenbildungen
an den Gelenkfacetten nicht selten. Re-Operationen sind er-
heblich komplikationsträchtiger aufgrund der Vernarbungen. Im Operationssaal
Dies muss im Gesamtbehandlungskonzept mit berücksichtigt Lagerung
werden. Wie zur Mikrodiskektomie ( Kap. 12.10).

Operationstechnik
Operationsvorbereitung Höhenlokalisation: Wie zur Mikrodiskektomie ( Kap. 12.10).
Aufklärung
▬ Duraschädigung mit Liquoraustritt; Liquorverlustsyndrom Eigentliche Operation: Vorgehen wie zur Mikrodiskektomie
▬ Liquorfistel ( Kap. 12.10) bis zur Flavektomie. Bei starker Hypertrophie
▬ Nervenwurzelschaden mit passagerem oder bleibendem der Gelenkfacetten ist das interlaminäre Fenster sehr klein
(sensiblem/motorischem) Defizit oder gar nicht mehr vorhanden. Dann muss die Präparation
▬ Zusätzliche neurologische Defizite bei Anomalien (»conjoi- mit der Hochtourenfräse beginnen. Zunächst müssen 5–6 mm
ned root«) durch Zug von der oberen Lamina abgetragen werden (Erweiterung des
▬ Schädigung der Cauda equina mit passageren oder bleiben- interlaminären Fensters), dann das mediale Drittel des Pro-
den Störungen von Miktion, Defäkation und Vita sexualis cessus articularis inferior bis zur Gelenkfläche. Diese kann
▬ Diszitis oder Spondylodiszitis (0,3–1,5%) mit eventuell not- ohne nennenswerte Gefährdung neuraler Strukturen mit der
wendiger chirurgischer Therapie Hochtourenfräse bewerkstelligt werden, da bei der Fensterung
▬ Narbenbedingte Beschwerden entsprechend einem Postdis- der Duralsack durch das Lig. flavum geschützt wird und die hy-
kotomiesyndrom pertrophierte obere Gelenkfacette die darüberliegende untere
▬ Rezidive Gelenkfacette überragt (⊡ Abb. 12.63).
▬ Lagerungschaden

Diagnostik und Planung


Anamneseerhebung und klinische Untersuchung wie in
 Kap. 12.10 beschrieben. Besonderes Augenmerk ist darauf zu
richten, dass der lokale Beschwerdeanteil (Lumbialgie) mög-
licht gering ist und die Beschwerden eindeutig radikulär, idea-
lerweise monosegmental ausgeprägt sind.

Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG,


SSEP. Die radikuläre Beschwerdeursache muss bestätigt und
anderweitige neurologische Erkrankungen müssen ausgeschlos-
sen werden.

Röntgen: Lendenwirbelsäule im Stehen mit Darstellung des


thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen (Anomalitäten am
thorakolumbalen Übergang, Spondylolisthesis, Erkrankungen,
die das klinische Bild imitieren, z. B. Osteolysen, osteoporo-
tische Frakturen).
⊡ Abb. 12.63. Entfernen der osteophytären Ausziehungen am Proc.
CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen articularis inferior mit der Hochtourenfräse
über die Lokalisation und das Ausmaß der Facettenhyper-
trophie mit Stenose des Recessus lateralis. Nachweis von zu-
sätzlicher Pathologie wie Protrusion, Prolaps, Sequester, Dar-
stellung primäre Spinalkanalstenose, Differenzialdiagnose hin-
sichtlich osteolytischer Prozesse.
402 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Nun kann die sichtbar werdende hypertrophierte Portion


des Processus articularis superior entfernt werden, vorzugs-
weise mit der Hochtourenfräse unter Verwendung einer klei-
nen Kugel oder aber mit feinen Stanzen (⊡ Abb. 12.64).
Dies ist der gefährlichste Teil der Operation, da wegen der
Enge die Nervenwurzel stark kompromittiert wird. Durch vor-
sichtiges schrittweises Beiseitehalten kann die Gefahr minimiert
werden, ein starker Zug auf die Wurzel ist jedoch unbedingt zu
vermeiden, da die Wurzel meist im Rezessus »gefangen« ist. Es
ist darauf zu achten, dass das Foramen intervertebrale ausrei-
chend dekomprimiert wird (Überprüfung mit dem Nerven-
wurzelhäkchen). Die Resektion der Gelenkflächen sollte so weit
wie nötig, aber so gering wie möglich vorgenommen werden
(feste Anhaltspunkte sind aufgrund der staken Variabilität nicht
zu geben). Der Processus articularis inferior sollte an seinem
Isthmus der Pars interarticularis nicht zu sehr ausgedünnt wer-
den, da es dann zur Fraktur mir Entwicklung einer Instabilität
⊡ Abb. 12.64. Situs nach Entfernung der osteophytären Ausziehungen kommen kann. Bei der Kombination eines engen Rezessus mit
am Proc. articularis superior mit der Knochenstanze einer Bandscheibenprotrusion oder einem Bandscheibenpro-
laps und dem Entschluss, Nukleotomie durchzuführen, erfolgt
nun die Mobilisierung des Duralsackes und der Nervenwurzel
nach medial mittels Mikrodissektor. Und das weitere Vorgehen
entspricht dem in  Kap. 12.10 dargestellten Vorgehen.
Am Ende der Operation erfolgt eine Blutstillung am Spinal-
kanalboden mittels bipolarer Koagulationspinzette, auch kann
ein schaumförmiges Hämostyptikum verwandt werden (un-
bedingt im Operationsbericht vermerken, falls ein früh post-
operatives MRT zur Vermeidung von Interpretationsfehlern
notwendig wird).

Wundverschluss: Nach Mehrfachspülung (u. U. mit Genta-


12 mycinzusatz) Einlage einer subfaszialen 10er-Redon-Drainage,
Fasziennaht, Subkutannaht, Intrakutanhautnaht oder auch Kle-
ben mit Histoacryl-Kleber.

Besonderheiten
Die dargestellte Operationstechnik kann auch zur beidseitigen
Dekompression einer beidseitigen lateralen Spinalkanalstenose
ohne sagittale Einengung eingesetzt werden. Auch kann mit der
dargestellten Technik bei mehrsegmentaler lateraler Stenose
vorgegangen werden, um eine Laminektomie zu vermeiden.
Bei operativer Versorgung von mehreren Segmenten ist in
der Regel jedoch der Zugang zur LWS so ausgedehnt, dass die
Operation ohne Einsatz optischer Hilfsmittel vorgenommen
werden kann. Auch sollte in diesem Fall die Lagerung des
Patienten wie zum Fixateur interne ( Kap. 12.3) beschrieben
gewählt werden.
Mit der dargestellten Technik ist es in der Regel möglich,
genügend Platz und Übersicht zu schaffen, um eine intersoma-
tische Spondylodese mit (vorzugsweise) Cages durchzuführen.
Eine Kombination mit einem Fixateur interne ist dann not-
wendig.
12.12 · Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (»posterior lumbar interbody fusion«; PLIF)
403 12
Postoperativ 12.12 Fusionsoperationen an der
Nachbehandlung Lendenwirbelsäule (»posterior lumbar
▬ Ziehen der Drainage nach 24–48 h interbody fusion«; PLIF)
▬ Mobilisierung des Patienten am 1. postoperativen Tag
▬ Isometrische Krankengymnastik ab dem 1. postoperativen Indikation
Tag ▬ Zusätzlich zur Dekompression bei ein- oder mehrsegmen-
▬ Unterweisung über bandscheibengerechtes Verhalten (»Rü- talen Spinalkanalstenosen, mit ausgedehnter Resektion der
ckenschule«) Facettengelenke und zu befürchtender Instabilität
▬ Keine grundsätzlichen Beschränkungen für das Sitzen (neu- ▬ Degenerative Segmentinstabilitäten
ere Druckmessungen am Lebenden zeigten im Sitzen kei- ▬ Spondylolisthesis vera (außer Spondyloptose)
nen höheren Bandscheibendruck als im Stehen, der Druck ▬ Spinalkanalstenose bei degenerativer Spondylolisthesis
ist sogar im Sitzen geringer; ein Verbot des Sitzens postope- ▬ Zur intersomatischen Spondylodese bis L3/4 (L2/3) bei
rativ ist daher sinnlos!) Korrekturspondylodesen der LWS bei zugrunde liegender
▬ Kein schweres Heben und Tragen (>15 kg) für 6 Wochen. Bandscheibendegeneration
Keine wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen für 12 ▬ Postnukleotomiesyndrom nach Ausschöpfung aller konser-
Wochen vativen Therapiemaßnahmen
▬ Eine stationäre Rehabilitation ist erst nach 3 Wochen sinn- ▬ Chronisches lumbales Schmerzsyndrom nach Ausschöp-
voll (erst nach Konsolidierung der Weichteile) fung aller Therapiemaßnahmen (falls keine geeignete Indi-
kation zur Bandscheibenprothese gegeben ist)

Literatur
Reulen H-J (1991) Stenosen im lumbalen Wirbelkanal. In: Bauer R, Kersch- Kontraindikation
baumer F, Poisel S (Hrsg.) Orthopädische Operationslehre; Wirbelsäule.
▬ Spondyloptosen (hier ist immer ein ventrales oder kombi-
Thieme, Stuttgart New York, pp 340–45
niertes Vorgehen angezeigt)
▬ Rentenbegehren (aufgrund der sozialmedizinischen Prob-
lematik kann ein gutes Operationsergebnis nicht erwartet
werden)
▬ Schwere Osteoporose (durch die schlechte Knochenqualität
ist hier ein Einbruch des Cages zu erwarten)
▬ Vorbestrahlung im Operationsbereich; schlechte Vorausset-
zungen für die Durchstrukturierung der Fusion
▬ Oberhalb L2/3

Operationsprinzip
Intersomatische Spondylodese von dorsal unter Verwendung
von meist trapezförmigen Implantaten (Cages) aus Titanle-
gierung oder PEEK (Polyetheretherketon) oder entsprechend
zurechtgeschnittenen trikortikalen Beckenspänen. Nach Inst-
rumentation des Segmentes mit Pedikelschrauben erfolgt eine
bilaterale Fenesterotomie meist in Kombination mit einer Re-
zessusdekompression oder eine Laminektomie. Dann wird die
Bandscheibe beidseits durch Beiseitehalten des Duralsackes
dargestellt. Nach bilateraler Inzision und Ausräumung der
Bandscheibe wird das Segment schrittweise mittels speziel-
ler im Bandscheibenraum aufzustellender Distraktoren auf-
gedehnt. Danach wird die Präparation (Entknorpelung) der
Deck- und Bodenplatten durchgeführt. Nach Einbringen von
Knochenspänen nach ventral und zur Mitte erfolgt die Inser-
tion der Cages, mit anschließender Adjustierung der Cage-Po-
sition. Anschließend Vervollständigung der Fixateur-interne-
Montage mit segmentaler Kompression zur Vermeidung einer
Cage-Dislokation. Beim PLIF muss bilateral fenesterotomiert
und die Bandscheiben auf beiden Seiten dargestellt werden,
was beim Postnukleotomiesyndrom mit Narbenbildungen von
Nachteil ist. Durch den Erhalt der Facettengelenke erfolgt ide-
alerweise keine wesentliche Destabilisierung der Wirbelsäule.
404 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Die PLIF-Spondylodese kann mit einer dorsolateralen Spondy- trophien. Nachweis von zusätzlicher Pathologie wie Bandschei-
lodese kombiniert werden. Die PLIF Spondylodese ist maximal benprotrusion, -prolaps, -sequester, Darstellung einer primäre
bis zur Höhe L2/3 möglich; darüber ist die Gefahr einer neuro- Spinalkanalstenose, Differenzialdiagnose hinsichtlich osteoly-
logischen Komplikation zu hoch (Conus medullaris; horizontal tischer Prozesse.
abgehende Nervenwurzeln).
MRT: Informationen über eventuell zusätzlich vorhandene
Pathologie wie: Bandscheibenprotrusion, -prolaps, -sequester,
Operationsvorbereitung Hinweise auf eine diskogene Schmerzkomponente insbeson-
Aufklärung dere bei Ödemen der Deck- und Bodenplatten (Modic-I-
▬ Risiken des Fixateur interne ( Kap. 12.3) und -II-Komplex). Differenzialdiagnose hinsichtlich osteoly-
▬ Risiken der Dekompressionsoperation ( Kap. 12.4 und tischer Prozesse. Myelo-MRT-Ableitungen können u. U. eine
 Kap. 12.11) Myelographie ersetzen, da hier die gesamte LWS dargestellt
▬ Eventuelle Notwendigkeit der Transfusion von Blut und wird.
Blutbestandteilen mit ihren Risiken (vor allem Hepatitis B
und C, HIV-Infektion) Funktionsmyelographie mit Myelo-CT: Liegt als Operati-
▬ Anstreben einer Eigenblutspende, wenn kein Cell-Saver zur onsindikation eine Spinalkanalstenose vor, so ist eine Funkti-
Anwendung kommt onsmyelographie mit Myelo-CT zur Operationsplanung unbe-
▬ Falls infrage kommend: Risiken bei der Verwendung von dingt zu empfehlen, da die gesamte LWS dargestellt wird, und
Knochen aus der Knochenbank zwar auch dynamisch! Die abgehenden Nervenwurzeln sind in
▬ Falls infrage kommend: Risiken bei Verwendung von allo- der Myelographie weit besser zu beurteilen als im NMR.
genen Knochentransplantaten (»femoral rings«)
▬ Komplikationen durch den verwendeten Cage (Retropul- Knochendichtebestimmung: Bei Verdacht einer schweren
sion, Subsidience, Einbruch) Osteoporose (Röntgen) empfehlenswert, um die Fusion u. U. als
▬ Pseudarthrosen mit eventuell notwendiger Re-Operation dorsolaterale Fusion auszuführen und u. U. die Pedikelschrau-
▬ Fakultative Notwendigkeit einer Korsettimmobilisation ben mit Knochenzement zu augmentieren.

Diagnostik und Planung


Anamneseerhebung und klinische Untersuchung. Besonderes Im Operationssaal
Augenmerk sollte auf das sagittale und frontale Wirbelsäulen- Lagerung
profil gerichtet werden, um u. U. die Notwendigkeit einer län- Wie zum Fixateur interne ( Kap. 12.3). Noch vor der Desinfek-
gerstreckigen Korrektur und Fusion nicht zu übersehen. Funk- tion und Abdeckung sollte sichergestellt werden, dass die Fusi-
12 tionelle Defizite im BWS- und LWS-Bereich sollten erkannt onsstrecke gut in beiden Bildwandlerstrahlengängen dargestellt
und eine Untersuchung der Hüften durchgeführt werden, um werden kann.
die Auswirkungen einer lumbalen Fusion besser abschätzen zu
können. Eine differenzierte neurologische Untersuchung und Operationstechnik
klinisch-angiologische Untersuchung unter dem Augenmerk Höhenlokalisation: Klinische Orientierung an der Anatomie
der dargestellten Kontraindikationen ist unabdingbar. und Höhenbestimmung bei der unsterilen Überprüfung der
Darstellung mit dem Bildwandler.
Apparative neurologische Untersuchungen: EMG, NLG, Nach der Mehrfachdesinfektion und Abdeckung Zugang
SSEP. Eine präoperative apparative Untersuchung ist in jedem zur Lendenwirbelsäule wie in  Kap. 12.3 beschrieben. Ist zu-
Falle empfehlenswert. sätzlich zur intersomatischen Spondylodese eine dorsolaterale
Knochenanlagerung geplant, so müssen die Wirbelgelenke und
Fachangiologische Untersuchung: Zur Differenzialdia- Querfortsätze deperiostiert und zusätzlich die Facetten der
gnose bei nicht sicher tastbaren peripheren Pulsen an der un- Wirbelgelenke reseziert werden.
teren Extremität mandatorisch. Die Pedikelschrauben werden nun eingebracht ( Kap. 12.3),
danach erfolgt eine Bildwandlerkontrolle des Fixateur interne
Röntgen: Lendenwirbelsäule im Stehen mit Darstellung des im a.p. und seitlichen Strahlengang mit Dokumentation (Do-
thorakolumbalen Übergangs in 2 Ebenen (Anomalitäten am kumentation schon für die Kontrolle der Schraubenlage zu
thorakolumbalen Übergang), Nachweis einer definierten In- empfehlen).
stabilität insbesondere: Spondylolisthesis; Drehgleiten mit Das weitere Vorgehen richtet sich nach der zu behandelnden
De-novo-Skoliose; sagittale Deterioration der Wirbelsäule mit Pathologie. Ist keine zentrale Komponente einer Spinalkanals-
treppenförmigen Pseudospondylolisthesen; Erkrankungen, die tenose vorhanden, so entspricht die Darstellung der Dura, der
das klinische Bild imitieren, z. B. Osteolysen, osteoporotische Nervenwurzeln und der Bandscheiben einer Dekompression
Frakturen). bei Rezessusstenose ( Kap. 12.11). Ansonsten ist eine Lamin-
ektomie notwendig. Die Facettengelenke sollten weitestgehend
CT: Dünnschicht-CT, u. U. mit Rekonstruktion: Informationen erhalten werden, um die Wirbelsäule möglicht wenig zu desta-
über die Lokalisation und das Ausmaß der knöchernen Hyper- bilisieren und so den Stress auf die Fusion zu minimieren. Die
12.12 · Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (»posterior lumbar interbody fusion«; PLIF)
405 12
Resektion der hinteren Wirbelanteile sollte vorzugsweise mit
einer 4-mm- oder 5-mm-Knochenstanze durchgeführt werden.
Der hierbei anfallende ortsständige Knochen kann zur Füllung
des Cages und zur Knochenanlagerung verwandt werden, so
dass eine Spongiosaentnahme aus dem Beckenkamm in aller
Regel nicht notwendig ist.
! Da die Nervenwurzeln nach medial gehalten werden müssen,
ist es äußerst wichtig, eine eventuelle Rezessustenose zu besei-
tigen, um den Zug auf die Nervenwurzel und somit das Risiko
eines Schadens zu verringern: Eine nicht beseitigte Rezessuste-
nose kann bedeuten, dass die Wurzel im Rezessus fixiert ist und
bei Beiseitehalten überdehnt wird.

Der Duralsack und die Nervenwurzel werden vorsichtig mit


einem Häkchen (wie zur Mikrodiskektomie) beiseite gehalten.
Eine bipolare Koagulation der Venen am Spinalkanalboden
sollte nun erfolgen und danach kann der Anulus fibrosus recht-
eckig inzidiert werden.
Eine Blutstillung mit der bipolaren Pinzette ist bei ausge-
prägten Varizen am Spinakanalboden oft insuffizient. Dann
sollte eine Kompressionsblutstillung mit hämostyptischen
Schwämmen (u. U. fibrinbeschichtet) und Hirnwatte erfolgen.
Besonders in der Wurzelachsel ist die bipolare Blutstillung
schwierig und auch gefährlich, so dass hier eher zur Hirnwatte
gegriffen werden sollte. Auch eine Beatmung ohne PEEP (falls
möglich) kann dazu beitragen, die venösen Blutungen zu ver-
mindern, da dann die Venenfüllung im epiduralen Venenplexus
abnimmt. ⊡ Abb. 12.65. Schrittweises Aufdehnen des Bandscheibenfaches durch
Die Bandscheiben werden nun mit Rongeuren ausgeräumt, alternierendes Einführen von in der Größe zunehmenden Distraktoren
dann wird das Zwischenwirbelfach mit Distraktoren aufge-
dehnt. Der Distraktor wird mit der Schmalseite in das Band-
scheibenfach eingeführt und vorsichtig um 90° gedreht. Eine
Tiefenkalibrierung schützt davor, ventral den Anulus fibrosus
zu perforieren. Die Distraktion des Bandscheibenfaches muss
unter Umständen alternierend und schrittweise von beiden
Seiten aus erfolgen (⊡ Abb. 12.65).
Bei einseitig liegendem Distraktor werden nun die Deck-
und Bodenplatten mit entsprechenden Küretten (tiefenkalib-
riert!) entknorpelt (⊡ Abb. 12.66).
Nachdem die Präparation auf der einen Seite fertig gestellt
ist, wird der entsprechende Distraktor wieder eingeführt und
die gegenüberliegende Seite entknorpelt.
! Die Entknorpelung der Deck- und Bodenplatten ist mit der
wichtigste Präparationsschritt, da nicht entfernter Endplatten-
knorpel eine knöcherne Fusion verhindert. Daher muss hier ⊡ Abb. 12.66. Entknorpelung der Deck- und Bodenplatten mit ent-
besondere Sorgfalt aufgewandt werden. sprechenden tiefenkalibrierten Küretten
406 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Nun wird der erste Cage, der mit ortsständigem (vom Zu-
gang her anfallendem) möglichst spongiösem Knochen gefüllt
wurde, eingeschlagen (bei liegendem Distraktor auf der Gegen-
seite) (⊡ Abb. 12.67).
Danach wird auch der zweite Distraktor entfernt und der
zweite Cage eingebracht (⊡ Abb. 12.68).
Das Einschlagen des 2. Cages kann erleichtert werden, indem
das Segment mittels einer Distraktionszange, die an den Pedikel-
schrauben ansetzt, vorsichtig aufgespreizt wird. Ein Nachschlagen
der Cages mit Impaktoren sollte im seitlichen Bildwandlerstrah-
lengang erfolgen, um die Cages auf gleiches Niveau zu bringen
und sicherzustellen, dass die Cages ca. 2–5 mm unterhalb der
Wirbelhinterkante zu liegen kommen.
Nach visueller Kontrolle des Situs und Entfernung eventuell
beim Einschlagen der Cages herausgefallenen Knochenbröckel
erfolgt eine abschließende Blutstillung am Spinalkanalboden
mit der bipolaren Koagulationspinzette und wenn nötig einem
Hämostyptikum.
Eine Spongiosaentnahme aus dem Beckenkamm zur Fül-
⊡ Abb. 12.67. Einschlagen des Cages lung von Cages ist meist nicht notwendig. Durch die opti-
male biomechanische Festigkeit der PLIF-Spondylodese und
insbesondere durch den Umstand, dass ein Cage sich nicht
resorbiert, kann eine u. U. längere Zeit bis zur knöchernen
Fusion beim Einsatz ortsständigen Knochens im Vergleich zu
Beckenkammspongiosa toleriert werden, auch unter dem Ge-
sichtpunkt der Vermeidung der Morbidität einer Beckenkamm-
spongiosaentnahme. Ist genügend Knochenmaterial vorhan-
den, so kann eine ventrale Knochenplastik vor Einbringen des
Cages erfolgen, um die Fusion zu verbessern. Eine zusätzliche
dorsolaterale Knochenanlagerung verfolgt das gleiche Ziel, ist
aber nur möglich, wenn die Facettengelenke intakt sind (an-
12 sonsten besteht die Gefahr einer Nervenwurzelirritation oder
-schädigung durch den lateral angelagerten Knochen).
Die Montage der Längsträger schließt sich an (unter Kom-
pression zur Vermeidung einer dorsalen Cage-Dislokation). Da-
nach erfolgt der Wundverschluss wie in  Kap. 12.3 beschrieben.
Es folgt die Abschlussbildwandlerkontrolle im a.p. und seit-
lichen Strahlengang mit Dokumentation.

⊡ Abb. 12.68. Endgültiger Situs nach Einschlagen beider Cages


12.12 · Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (»posterior lumbar interbody fusion«; PLIF)
407 12
Postoperativ Literatur
Probleme Brantigan JW, Neidre A (2003) Achievement of normal sagittal alignment
using a wedged carbon fiber reinforced polymer fusion cage in treat-
Zusätzlich zu den in  Kap. 12.3 beschriebenen Problemen kann
ment of spondylolisthesis. Spine J 3(3):186–96
es bei der PLIF-Spondylodese zu folgenden Problemen kom- Gödde S, Fritsch E, Dienst M, Kohn D (2003) Influence of cage geometry on
men: sagittal alignment in instrumented posterior lumbar interbody fusion.
Durch unvorsichtiges intraoperatives Manipulieren mit den Spine 28(15):1693–9
Distraktoren kann, insbesondere bei Vorliegen einer Osteo- Hioki A, Miyamoto K, Kodama H, Hosoe H, Nishimoto H, Sakeda H, Shimizu K
(2005) Two-level posterior lumbar interbody fusion for degenerative disc
porose, eine Verletzung der Deck- und/oder Bodenplatte re-
disease: improved clinical outcome with restoration of lumbar lordosis.
sultieren. Dann ist die Tragfähigkeit der Endplatten verloren Spine J 5(6):600–7
gegangen und das Einbringen eines intersomatischen Platzhal- Trouillier H, Birkenmaier C, Rauch A, Weiler C, Kauschke T, Refior HJ (2006)
ters zur Aufrechterhaltung einer Distraktion sinnlos. Gleiches Posterior lumbar interbody fusion (PLIF) with cages and local bone graft
gilt beim Entknorpeln der Deck- und Bodenplatte; auch hier in the treatment of spinal stenosis. Acta Orthop Belg 72(4):460–6
ist mit der nötigen Sensibilität vorzugehen, um den Knochen
nicht zu schädigen. Auch beim Einschlagen der Cages ist eine
Verletzung der Deck- und/oder Bodenplatten möglich, so dass
ebenfalls höchste Vorsicht und Sorgalt angebracht ist.
Bei Verwendung von trikortikalen Beckenspänen ist in ei-
nem nicht unerheblichen Prozentsatz eine Resorption oder ein
Sintern des Knochenspans möglich. Auch ist die Pseudarthro-
senrate höher als bei der Verwendung von Cages.
Werden Cages verwandt, so kann es zu Einbrüchen des
Cages in die Deck- und/oder Bodenplatte mit Verlust der
erreichten Segmentdistraktion kommen. Auch ein Einsinken
(Subsidence) im Laufe der Zeit ist möglich.
Eine Retropulsion der Cages oder des Beckenspans ist
ein ernstes Problem, das nur in seltenen Fällen nicht zu einer
schwierigen und komplikationsträchtigen Re-Operation zwingt.
Eine sorgfältige Segmentkompression über den Fixateur interne
nach Positionierung der Cages kann das Problem vermindern.
Cages mit glatten Wänden oder Kanten sollten nicht eingesetzt
werden.
Ein Durchrutschen mit dem Cage nach ventral ist theore-
tisch möglich, aber in der Literatur noch nicht beschrieben. Ein
geübter dosierter Einsatz des Hammers beim Einschlagen der
Cages wird jedoch immer vorausgesetzt.

Nachbehandlung
▬ Physiotherapie sofort postoperativ mit isometrischen Übun-
gen
▬ Mobilisation des Patienten möglichst früh
▬ Vermeiden von Torsionsbewegungen
▬ Versorgung mit einem Korsett je nach Gesamtsituation

Besonderheiten
Der Einsatz von Cages ohne zusätzliche Fixateur-interne-Inst-
rumentation (»Stand-alone«) ist aus Gründen der Biomechanik
abzulehnen und zwischenzeitlich fast gänzlich verlassen wor-
den. Fast alle Cage-Hersteller geben an, dass ihre Produkte nur
in Verbindung mit einem Fixateur interne zu verwenden seien.
Der Einsatz von zylindrischen Cages ist in Europa ebenfalls
fast zur Gänze verlassen worden.
Der Einsatz von nur einem mittigen Cage (Kostengründe)
ist aus mechanischen Überlegungen heraus abzulehnen.
408 Kapitel 12 · Wirbelsäule

12.13 Fusionsoperationen an der Operationsvorbereitung


Lendenwirbelsäule (»transarticular lumbar Aufklärung
interbody fusion«; TLIF) ▬ Risiken des Fixateur interne ( Kap. 12.3)
▬ Risiken der Dekompressionsoperation ( Kap. 12.4 und 12.11)
Indikation ▬ Eventuelle Notwendigkeit der Transfusion von Blut und
▬ Postnukleotomiesyndrom nach Ausschöpfung aller konser- Blutbestandteilen mit ihren Risiken (vor allem Hepatitis B
vativen Therapiemaßnahmen und C, HIV-Infektion)
▬ Chronisches lumbales Schmerzsyndrom nach Ausschöp- ▬ Falls kein Cell-Saver zur Anwendung kommt, Anstreben
fung aller Therapiemaßnahmen (falls keine geeignete Indi- einer Eigenblutspende
kation zur Bandscheibenprothese gegeben ist) ▬ Komplikationen durch den verwendeten Cage (Retropul-
sion, Subsidience, Einbruch)
▬ Pseudarthrosen mit eventuell notwendiger Re-Operation
Kontraindikation ▬ Fakultative Notwendigkeit einer Korsettimmobilisation
▬ Rentenbegehren (aufgrund der sozialmedizinischen Prob-
lematik kann ein gutes Operationsergebnis nicht erwartet Diagnostik und Planung
werden)  Kap. 12.12
▬ Osteoporose (da der Cage beim TLIF meist im Zentrum des
Wirbelkörpers zu liegen kommt, ist hier ein Einbruch des
Cages zu erwarten)
▬ Vorbestrahlung im Operationsbereich (schlechte Vorausset-
zungen für die Durchstrukturierung der Fusion)

Operationsprinzip
Intersomatische Spondylodese von dorsal unter Verwendung
von speziell geformten (bananenförmigen) Implantaten (Cages)
aus Titanlegierung oder PEEK. Nach Instrumentation mit Pedi-
kelschrauben und Aufdehnung des Segmentes mittels spezieller
mit den Schrauben konnektierter Distraktoren erfolgt die Dar-
stellung der Bandscheiben lateral im Neuroforamen nach ein-
seitiger kompletter Resektion des Facettengelenks. Nun kann
12 unter nur geringem Weghalten des Duralsacks nach medial
und der austretenden Nervenwurzel nach kranial uniportal die
Bandscheibe ausgeräumt werden, gefolgt von der Präparation
(Entknorpelung) der Deck- und Bodenplatten.
Nach Einbringen von Knochenspänen nach ventral und zur
Gegenseite erfolgt die uniportale Insertion des bananenförmi-
gen Cages, mit anschließender Adjustierung der Cage-Position
und (fakultativ) Anlagern von Knochenspänen dorsal des Ca-
ges. Danach Vervollständigung der Fixateur interne Montage
mit segmentaler Kompression zur Vermeidung einer Cage-
Dislokation. Beim TLIF muss nicht bilateral fenesterotomiert
und die Bandscheiben auf beiden Seiten dargestellt werden,
sondern nur auf einer Seite. Dies ist beim Postnukleotomie-
syndrom mit Narbenbildungen von Vorteil. Die notwendige
komplette Facettektomie stellt jedoch eine Destabilisierung der
Wirbelsäule dar.
Die TLIF-Spondylodese kann mit einer gegenseitigen dor-
solateralen Spondylodese kombiniert werden. Die TLIF-Spon-
dylodese ist maximal bis zur Höhe L2/3 möglich; darüber ist
die Gefahr einer neurologischen Komplikation zu hoch (Conus
medullaris; horizontal abgehende Nervenwurzeln).
12.13 · Fusionsoperationen an der Lendenwirbelsäule (»transarticular lumbar interbody fusion«; TLIF)
409 12
Im Operationssaal
Lagerung
 Kap. 12.12

Operationstechnik
Höhenlokalisation, Zugang zur Lendenwirbelsäule und Inst-
rumentation mit Pedikelschrauben wie in den entsprechenden
Kapiteln beschrieben.
Es erfolgt nun eine Hemilaminektomie und eine komplette
einseitige Resektion des Facettengelenks. Dieses sollte vorzugs-
weise mit einer 4 oder 5 mm Knochenstanze durchgeführt
werden. Der hierbei anfallende ortsständige Knochen kann zur
Füllung des Cages und zur Knochenanlagerung verwandt wer-
den, so dass eine Spongiosaentnahme aus dem Beckenkamm in
aller Regel nicht notwendig ist.
Nun wird der Distraktor an die Pedikelschrauben montiert ⊡ Abb. 12.69. Situs nach Hemilaminektomie und Foraminotomie. Das
und das Segment distrahiert (⊡ Abb. 12.69). Segment wird mittels eines in den Pedikelschrauben verankerten Sprei-
zers aufgedehnt
! Die Segmentdistraktion über die Pedikelschrauben sollte
vorsichtig erfolgen, um ein Ausbrechen der Schrauben zu ver-
hindern; insbesondere, wenn schon eine gewisse Osteoporose
vorhanden ist.

Die Nervenwurzel wird nach oben und der Duralsack leicht


nach medial beiseitegehalten. Nun wird der Anulus fibrosus
inzidiert und rechteckig exzidiert. Die Bandscheibe wird mit
Rongeuren (gerade und gewinkelt) ausgeräumt.
! Mittels uniportal entsprechend der PLIF-Technik eingebrachten
Distraktoren kann das Segment, wenn notwendig, intersoma-
tisch aufgedehnt werden. Die Distraktion kann dann durch
Nachspannen am Distraktor gehalten werden. Hierdurch wer-
den die Pedikelschrauben nicht überfordert und diesbezügliche
Komplikationen können vermieden werden.

Es schließt sich das Anfrischen der Deck- und Bodenplatten an,


hierbei ist darauf zu achten, dass genügend weit zur Gegenseite
vorgegangen wird (⊡ Abb. 12.70).
⊡ Abb. 12.70. Anfrischen der Deck- und Bodenplatten mit einer ent-
sprechend gebogenen Kürette
410 Kapitel 12 · Wirbelsäule

Ein Probier-Cage zur Bestimmung der korrekten Cage-


Dimension wird nun eingebracht. Daran anschließend wird der
Original-Cage gefüllt. Übriger Knochen kann ventral des Cages
vor dessen Einschlagen intersomatisch eingebracht und mit
dem Probier-Cage verdichtet werden. Der Original-Cage wird
nun eingeschlagen und im seitlichen Bildwandlerstrahlengang
kontrolliert (⊡ Abb. 12.71).
Bei Bedarf kann er mit Impaktoren in seiner Stellung kor-
rigiert werden, insbesondere muss die horizontale Orientierung
des Cages überprüft und bewerkstelligt werden (⊡ Abb. 12.72).
Fakultativ kann nun Knochenmaterial zwischen Cage und
hinterem Längsband impaktiert werden, was aber nur bei sicher
intaktem Längsband möglich ist. Es schließen sich die Stabmon-
tage beidseits und das feste Andrehen der Verschlussschrauben
unter segmentaler Kompression an. Abschließende Bildwandler-
kontrolle und Dokumentation im seitlichen und a.p. Strahlen-
gang. Der Wundverschluss erfolgt wie in  Kap. 12.3 beschrieben.
⊡ Abb. 12.71. Einschlagen und Ausrichten des Original-Cage

Postoperativ
Probleme
Es können die gleichen Probleme wie im Kapitel PLIF-Spon-
dylodese auftreten. Eine Cage-Retropulsion ist bei der TLIF-
Spondylodese aufgrund der Orientierung und der Form des
Cages nahezu auszuschließen.
Anders als bei der PLIF-Spondylodese, bei der die beiden
Cages fast immer auf der tragfähigen Ringapophyse des Wirbel-
körpers aufliegen, ist es beim TLIF oft so, dass der Cage im Zen-
trum des Wirbels zu liegen kommt. Hier ist die Tragfähigkeit
des Knochens schlechter und die Gefahr einer Subsidence oder
Einbruch des Cages größer. Bei osteoporotischem Knochen
12 sollte daher der PLIF-Technik der Vorzug gegeben werden.

Nachbehandlung
 Kap. 12.12. Da biomechanisch gesehen der TLIF-Cage eine
größere Kipp- und Rotationsstabilität aufweist als 2 PLIF-Ca-
ges, kann eher auf eine Korsettruhigstellung verzichtet werden
⊡ Abb. 12.72. Ausrichten des Original-Cage
als beim PLIF.

Besonderheiten
Auch für den TLIF gilt, dass der Einsatz von Cages ohne
zusätzliche Fixateur-interne-Instrumentation (»stand alone«)
aus Gründen der Biomechanik abzulehnen ist. Fast alle Cage-
Hersteller geben vor, dass ihre Produkte nur in Verbindung mit
einem Fixateur interne zu verwenden seien.

Literatur
Cutler AR, Siddiqui S, Mohan AL, Hillard VH, Cerabona F, Das K (2006) Compa-
rison of polyetheretherketone cages with femoral cortical bone allograft
as a single-piece interbody spacer in transforaminal lumbar interbody
fusion. J Neurosurg Spine 5(6):534–9
Hackenberg L, Halm H, Bullman V, Vieth V, Schneuder M, Lijenquist U (2005)
Transforaminal lumbar interbody fusion; a safe technique with satisfac-
tory three to five year results. Eur Spine J 14(6):551–8
Lauber S, Schulte TL, Lijenquist U, Halm H, Hackenberg L (2006) Clinical and
radiological 2–4 year results of transforaminal lumbar interbody fusion
in degenerative and isthmic spondylolisthesis grade 1 and 2. Spine
31(15):1693–8
Anhang

T. Pohlemann

Kapitel 13 Der Operationsbericht – 413


13

Der Operationsbericht

13.1 Vorbemerkung – 414

13.2 Gliederung und Ausführung – 414

13.3 Beispielhafter Operationsbericht – 414


414 Kapitel 13 · Der Operationsbericht

13.1 Vorbemerkung Im Folgenden wird beispielhaft ein typischer Operationsbe-


richt nach der Versorgung einer Sprunggelenksluxationsfraktur
Der Operationsbericht ist ein wesentlicher Bestandteil eines vom Typ Weber C angeführt.
operativen Eingriffs. Er stellt sowohl die wesentlichen Ope-
rationsschritte und Maßnahmen nachvollziehbar dar, um im
Falle von Folgeeingriffen und etwaigen Revisionen alle zur 13.3 Beispielhafter Operationsbericht
Weiterbehandlung notwendigen Informationen zeitnah ver-
fügbar zu haben. Ein zunehmend Bedeutung gewinnender Patient: ________________________________________________
Aspekt liegt im forensischen Bereich, da der Dokumentensta-
tus besitzende Operationsbericht als wichtiges Beweismittel OP-Datum: ________________________________________________
in juristischen Auseinandersetzungen herangezogen wird. Es
ist daher unabdingbar, dass der Operationsbericht zeitnah, Station: ________________________________________________
möglichst unmittelbar nach Abschluss der Operation, erstellt
– heutzutage in der Regel diktiert – oder geschrieben wird. Operateur: ________________________________________________
Nach Fertigstellung sieht der Operateur den Bericht durch,
korrigiert evtl. Fehler, unterzeichnet und fügt ihn der Kran- Assistenz: ________________________________________________
kenakte des Patienten bei.
Der dem Patienten in der Regel direkt auf Station mitge- Diagnosen: OSG-Luxationsfraktur Typ Weber C rechts
gebene Operationsausweis dient lediglich der schnellen Ori-
entierung und Übermittlung von postoperativ notwendigen Operation: Zugschraubenosteosynthese mit Neutralisati-
Maßnahmen und Anweisungen, er ist kein Ersatz für einen onsplatte
formellen Operationsbericht!
Indikation:
Der Patient hatte sich vor 5 Tagen im Rahmen eines Um-
13.2 Gliederung und Ausführung knicktraumas beim Fußball eine klinisch und radiologisch ge-
sicherte, dislozierte Sprunggelenksluxationsfraktur vom Typ
Der Operationsbericht sollte die Abschnitte Indikation, den Weber C zugezogen. Nach verzögerter Vorstellung und erhebli-
Operationsablauf und die Nachbehandlung enthalten. cher Schwellung wurde zunächst eine geschlossene Einrichtung
Im Abschnitt Indikation werden die Überlegungen, die und Ruhigstellung im gespaltenen Unterschenkelgipsverband
zur Durchführung der Operation geführt haben, dargelegt durchgeführt. Das Sprunggelenk ist jetzt deutlich abgeschwol-
und ggf. begründet. Dieser oft vergessene Abschnitt ist umso len, die Hautverhältnisse sind in Ordnung. Mit dem Patienten
wichtiger, je relativer die Operationsindikation ist. Sinnvoll wurde eine Zugschrauben- und Plattenosteosynthese mit ggf.
kann es in Einzelfällen auch sein, zu vermerken, mit wem und Einbringen einer Stellschraube bei intraoperativem Nachweis
in welcher Form ggf. die möglichen Therapieoptionen bespro- einer Syndesmoseninstabilität besprochen.
13 chen wurden.
Der Abschnitt Operationsverlauf gliedert sich in die ge- Technik:
danklichen Unterabschnitte »Vorbereitung und Lagerung«, Der Eingriff wird in Single-shot-Antibiotikaprophylaxe (Ce-
»Zugang«, »Hauptteil der Operation« und »Wundverschluss«, phalosporin) und Oberschenkelblutsperre durchgeführt. Nach
ohne dass diese einzeln aufgeführt werden. Die wesentlichen Einleitung der Narkose und Larynxmaskenanästhesie wird der
Operationsschritte werden knapp und nachvollziehbar darge- Patient auf dem Normaltisch in Rückenlage gelagert. Steriles
stellt. Insbesondere eventuelle Abweichungen vom Standard- Abwaschen und Abdecken des rechten Beines, Anlage der
vorgehen müssen niedergelegt und begründet werden. Int- Blutsperre und ca. 10 cm lange Längsinzision über der distalen
raoperativ auftretende Komplikationen oder Störungen des Fibula. Nach Präparation durch das Subkutangewebe, welches
Operationsverlaufes werden auf alle Fälle unter Nennung der im Frakturbereich deutlich eingeblutet ist, Darstellen der Fibula
getroffenen Maßnahmen beschrieben. und Entfernen von Frakturhämatom. Im Bereich der schräg
Im Abschnitt Nachbehandlung werden die in der Regel verlaufenden Fraktur wird zunächst eingeschlagenes Periost
schon im Operationsausweis skizzierten Nachbehandlungsvor- mit Skalpell und Raspatorium entfernt und nach vorsichtiger
gaben wiederholt und präzisiert, z.B. Besonderheiten des Drai- Spreizung der von ventral-cranial nach dorsal-distal verlaufen-
nagemanagements, notwendige Folgeeingriffe, Bewegungs- und den Fraktur erfolgt die Säuberung des Frakturspalts mit schar-
Belastungsaufbau etc.. fem Löffel und Zahnarzthaken. Unter Längszug und Adduktion
Operationsberichte werden immer einen individuellen, lässt sich die Fraktur nun einrichten und preliminär mit einer
operateurbezogenen Charakter behalten, es ist daher sinnvoll, kleinen Repositionszange mit Spitzen anatomisch halten. Die
sich in Vorbereitung auf eine eigene Operation ggf. mehrere Stabilisierung erfolgt zunächst mit einer 3,5 mm interfragmen-
Operationsberichte zu einer gleichartigen oder ähnlichen Ope- tären Kortikaliszugschraube, die senkrecht zum Frakturspalt
ration durchzulesen. Insbesondere klinikspezifische Besonder- von distal nach cranial eingebracht wird (Titanschraube). Eine
heiten lassen sich damit in der Regel gut nachvollziehen und 6-Loch-Drittelrohrtitanplatte wird nun dem Knochen ange-
die eigene Vorbereitung verbessern. formt und als Neutralisationsplatte in 3 proximalen und 2 dis-
13.3 · Beispielhafter Operationsbericht
415 13
talen Plattenlöchern am Knochen fixiert. Ein Überschreiten der
gelenknahen Kortikalis wird vermieden.
Jetzt Einfahren des Bildwandlers und Kontrolle des Sprung-
gelenks in 2 Ebenen. Die Fraktur ist anatomisch reponiert und
steht ideal, die Implantate liegen regelrecht, der Gelenkspalt ist
frei. Unter Hakenzug Prüfung der Syndesmosenstabilität, diese
ist gegeben, so dass auf eine Stellschraube verzichtet werden
kann.
Ausdrucken der Bildwandlerbilder einschließlich der dyna-
mischen Stabilitätsprüfung zur Dokumentation.
Ausgiebiges Spülen der Wunde, Eröffnen der Blutsperre,
Kontrolle auf Bluttrockenheit unter Stillung einiger kleinerer
Blutungen mit dem Elektrokauter, Einlage einer Redondrainage
10 Charr., die nach proximal ausgeleitet wird. Subkutannähte
und spannungsfreier Hautverschluss mit Rückstichnaht. Anlage
eines sterilen trockenen Verbandes und postop. Ruhigstellung
in einem gespaltenen Unterschenkelgips in Rechtswinkelstel-
lung des Fußes.
Nachbehandlung: die weitere Nachbehandlung soll im Spe-
zialschuh erfolgen, darin Teilbelastung für die Dauer von 6
Wochen an Unterarmgehstützen.
Stichwortverzeichnis

Beckenosteotomie 68
A Beckenring C
– Fixateur externe 158, 174
Abhebetest 21 – Kompression 164 Cage 352, 403
Abnahme, Fixateur externe 176 – Notfallstabilisierung 158, 161 Caput femoris, Schädigung 75
Abrasionsarthroplastik 106 Beckenringverletzung 158 Caspar-Spreizer 354
Akromioklavikulargelenk – instabile 161 Cauda-equina-Kompressionssyndrom
– Arthrose 13, 19, 189 Beckenspan, trikortikaler 374, 380 396
– Luxation 19, 189 Beckentamponade 166 Chevron-Osteotomie 138
– Resektion 190 Beckenverletzung 174
Akromionfraktur 16 Beckenzwinge 161
Antigleitplatte 284 Beinachsen 109
Arthroskopie, diagnostische 4 Belly-press-Test 21
D
Aufrichtungsspondylodese 365 Bending-Aufnahme 371
Außenbandrekonstruktion 136 Beugerkompartiment Dekompression 4
Außenknöchelosteosynthese 302 – oberflächliches 179 – subakromiale 15, 16
– tiefes 180 De-novo-Skoliose 366
Blutung, pelvine 166 Diskographie, provokative 393
Bruchspaltanästhesie 223 Diskotomie, Höhenlokalisation 397
B Brustwirbelsäule Diskushernie, lumbale 396
– Deformität 370 Duokopfprothese 245
Bandscheibenprothese 356 – Dekompression 370
– lumbale 392 – Stabilisierung 370
Bandscheibenvorfall 352, 356 – transthorakaler Zugang 374
– subligamentärer 354 Brustwirbelsäulenfraktur, Stabilisierung
E
Bauchdruck-Test 21 360
Beach-chair-Position 5 Bülau-Drainage 154 Einzelknopfnaht 151
Beckenbodeninspektion 172 Bündelnagelung 344 Ellbogen
Beckenfraktur 326 Bursa subacromialis, Zugang 8 – Arthrolyse 46
Beckenkamm, Spongiosaentnahme 86 Bursoskopie 4 – Zugänge 34
418 Stichwortverzeichnis

Ellbogenarthroskopie 32
– Instrumentarium 36 H K
– Lagerung 33
Epicondylitis humeri radialis 32, 39 Hallux valgus 138, 141 Kahnbeinfraktur
Epicondylitis humeri ulnaris 39 Halswirbelsäule – operative Stabilisierung 232
Epiphysiolysis capitis femoris 82 – instabile 352 – Zugschraubenosteosynthese 232
Extremität, Fixateur externe 173 – ventrale interkorporelle Fusion 352 Kapandji-Technik 223, 225
– ventrale Nukleotomie 356 Klaviertastenphänomen 19
Halswirbelsäulenfraktur, Stabilisierung Klavikula
360 – abrunden 14
F Hämatom, retroperitoneales 166 – Knochennekrose 13
Hämatopneumothorax 154 Klavikulafraktur, Osteosynthese 184
Facetteninfiltration, probatorische 393 Headsplit-Verletzung 194 Klavikularesektion, laterale 13, 19
Femurfraktion, Reposition 263 Heimlich-Ventil 154 Kniearthrose, Klassifikation 120
Femurfraktur Hemiprothese 60 Knieendoprothese
– distale 275 Herbert-Schraube 234 – bikondyläre 109
– Osteosynthese 275 Hill-Sachs-Läsion 25 – monokondyläre 115
– pertrochantäre 252 Hochrasanztrauma 259 – totale 109
– Reposition 277 Hoffa-Kniefettkörper 116 Kniegelenkarthroskopie
– subtrochantäre 259 Hüftendoprothese, primäre 60 – diagnostisch 90
Femurnagel, proximaler 259 Hüftgelenk, Zugänge 63, 72 – Instrumentarium 92
Femurosteotomie Hüftkopfnekrose 60 – Lagerung 91
– intertrochantäre 75 Hüftluxation, verschleppte 72 – Operationstechnik 94
– suprakondyläre 125 Hüftreposition 72 Knochenblock 352
Femurschaftfraktur 267 Hüftschraube, dynamische 252 Knochentransplantat, autologe 86
– Markdrahtosteosynthese 344 Humerusfraktur Kompartmentdruckmessung 177
– Reposition, geschlossene 271 – instabile 194 Kompartmentsyndrom, Operative Spaltung
– Reposition, offene 274 – offene Reposition 194 176
Fenesterotomie 403 – Osteosynthese 199 Kondylenresektion, nach Hohmann 141
Fersenbeinfraktur 308 – proximale 194 Korbhenkelentfernung 100
– Einteilung 309 – Verriegelung 207 Korbhenkelläsion, mediale 100
– Reposition 311 Humerusplatte 194 Korporektomie 352, 374, 380
Fixateur externe Humerusschaftfraktur – ventrale 374, 380
– Anlage 172 – offene Reposition 199, 204 Korrekturosteomie, intertrochantäre 76
– Beckenring 158 – Plattenosteosynthese 199 Korrekturspondylodese 370
– Montage 160 – retrograde Marknagelung 204 – ventrale 374, 380
Fixateur interne Koxarthrose 60
– Lendenwirbelsäule 403
– LWK-1-Fraktur 316
– Schraubenausbruch 365
I
– Schraubenbruch 365
L
– Schraubenlockerung 365 Ilizarov-Technik 172
– Wirbelsäulenfraktur 360 Imhäuser-Position 83 Labrumrekonstruktion 4
Freihandtechnik 207 Impfung 153 Laminahaken 370
FSME-Impfung 153 Impingement 60, 132 – thorakaler 372
Fusion, ventrale interkorporelle 352 Innenknöchelosteosynthese 304 Laminektomie 366, 368
interbody fusion 403 Laparotomie, explorative 169
Intrakutannaht 151 Leber, Mobilisation 171
Lebertamponade, Mobilisation 171
G Leberverletzung 171
Lendenwirbelsäule
Glenohumeralgelenk, Luxation 25
J – Fusion 403, 408
Golferellbogen 39 – Mini-Zugang, retroperitonealer pararek-
Joint-depression-Fraktur 308 taler 385
Joystick 277 – Mini-Zugang, transabdomineller 385
– retroperitonealer Zugang 380
– ventrale Fusion 383
419
Stichwortverzeichnis

Lendenwirbelsäulenfraktur 316 Oberschenkelnagelung


– dorsale Stabilisierung 316 – antegrade 267 S
– Reposition 321 – geschlossene 267
– Stabilisierung 360 Olekranonfraktur, Reposition 211 Säbelhiebschnitt 185
Liegestuhlposition 5 Operation, nach Weaver-Dunn 19 Salter-Beckenosteotomie 69
Lift-off-Test 21 Operationsbericht 414 Schanz-Schraube 172, 320
Ligamentum carpi transversum, Spaltung Osteotomie, nach Salter 68 Schenkelhalsfraktur
50 – dislozierte 245
LISS-Platte 278 – Duokopfprothese 245
– Einteilung 239
P – Extension 240
– mediale 245
M Pankreasverletzung 171 – mediale Osteosynthese 238
Patellafraktur 281 – Reposition 241
Markdrahtosteosynthese, geschlossene Pedikelhaken 372 Schenkelhalsschraube 265
344 Pedikelschraube 364 Schlagbohrtechnik 160
Marknagelosteosynthese 293 Pfannendachplastik 68, 71 Schlittenprothese 115
Meniskus Plattenosteosynthese, minimalinvasive Schmerzsyndrom, chronisches lumbales
– Komplexriss 102 perkutane 275 403, 408
– Korbhenkelentfernung 100 PLIF-Spondylodese 403 Schulterarthroskopie
– Lappenentfernung 101 posterior lumbar interbody fusion – Instrumentarium 6
Meniskusnaht 103 403 – subakromiale 4
Mikrodiskektomie 396 Postnukleotomiesyndrom 383, 403, Schultergelenk, Zugang 8
Mikrofrakturierung 106 408 Schulterinstabilität, vordere 25
MIPO, minimalinvasive perkutane 275 Pridiebohrung 106 Shenton-Menard-Linie 74
Mobilisation Probierprothese 394 Skaphoidverschraubung, perkutane 235
– Milz 170 SLAP-Läsion 4
– Splenektomie 170 Spannungspneumothorax 154
Monoschlitten 115 Spickdrahtentfernung 226
Meniskektomie 98
Q Spickdrahtosteosynthese 222, 342
Morbus Perthes 75 Spickung nach Kapandji 223
Querfortsatzelevatorium 372 Spinalkanal, Dekompression 356, 366
Querfortsatzhaken 370 Spinalkanalstenose 352, 360
Querschnittsymptomatik 316 – Dekompression 403
N – lumbale 366
– sekundäre 366
Nagelrückschlag 206 Spondylodese 360
Naht nach Allgöwer 152
R – intersomatische 383, 403, 408
Naht nach Donati 151 – ventrale 374, 380
N. medianus, Druckläsion 50 Radiusextensionsfraktur – ventrale intrakorporelle 316
Notfalllaparotomie 168 – dislozierte 227 Spondylodiszitis 383
Nukleotomie 356 – distale 227 Spondylolisthesis 360, 366
– ventrale 352 – extraartikuläre 227 – degenerative 403
N. ulnaris Radiusfraktur Spondylolisthesis vera 383, 403
– Dekompression 42 – distale 342 Spondylophyten 352, 356
– Verlagerung 42 – operative Stabilisierung 222 Spongiosaentnahme, Becken 330
– Reposition 223 Spreizer, intersomatischer 394
– Spickdrahtosteosynthese 222 Spreizkopfschraube, monokortikale 355
Radiusköpfchenmeißelfraktur 214 Sprunggelenkarthroskopie, diagnostische
O Rebound-Kompartmentsyndrom 181 132
Retinakulum 107 Sprunggelenkfraktur, Reposition 302
Oberarmfraktur Retrospondylophytose 352, 356 Sprunggelenksluxationsfraktur,
– dislozierte suprakondyläre 336 Rezessusstenose, Dekompression 400 Stabilisierung 300
– Reposition, geschlossene 337 Rotatorenmanschette, Rekonstruktion 4, Sprunggelenksverrenkungsfraktur 306
– Reposition, offene 339 21 Stufenbohrung 256
Oberarmnagelung 204 Retinakulumspaltung 107 Subakromialraum 17
Oberschenkelfraktur s. Femurfraktur 267 Rückstichnaht nach Allgöwer 151 Subakromialsyndrom 16
420 Stichwortverzeichnis

superior facet syndrome 366, 400


Supraspinatussehnenruptur 22 W
Symphysenplatte 326
Symphysenruptur 326 Wasserschloss 157
Syndesmoseninstabilität 304 Wechselstabtechnik 7, 134
Synovektomie 4, 32 weight lifter’s shoulder 13
Wirbelkörperersatz 352, 360, 374, 380
Wirbelsäulenfraktur 316
– Distraktion 364
T – Stabilisierung 360
Wundausschneidung nach Friedrich 151
Tetanusimpfung 153 Wundkontrolle 153
Thorakotomie, laterale 374 Wundverschluss 180
Thoraxdrainage 154 Wundversorgung, chirurgische 150
Tibiakopffraktur 284
– Klassifikation 285
Tibiakopfosteotomie 120
Tibialis-anterior-Loge 179
Z
Tibiaresektion 118
TLIF-Spondylodese 408 Zuggurtungsosteosynthese 281, 333
Tollwutimpfung 153 – Olekranonfraktur 209
transarticular lumbar interbody fusion 408
Transversalhaken 372
Tuberositas tibiae
– Darstellung 129
– Medialisierung 128
Tube-to-tube-Konstruktion 175
Tennisellbogen 39
Totalendoprothese 60

U
Ulna, Verkürzungsosteotomie 54
Ulnaköpfchen, Resektion 56
U-Naht 157
Unterarmfraktur, Reposition 220
Unterarmkompartimente 218
Unterarmschaftfraktur, Plattenosteo-
synthese 218
Unterschenkelfraktur
– geschlossene 293
– Marknagelosteosynthese 293

V
Vakuumversiegelung 180
Varusgonarthrose 115
Venae sectio 148
Volkmann-Dreieck 303

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