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Leserbrief – Was und wozu?

- vor dem Unterricht unbedingt lesen -


Was ist ein Leserbrief?
Ein Leserbrief ist ein Kommentar zu einem Artikel oder einem Thema, das in einer Zeitung,
Zeitschrift, online oder offline, behandelt wurde. Im Leserbrief vertreten Sie Ihre Meinung.

Wozu ein Leserbrief? Warum wird er von uns verlangt?


Ein Leserbrief ist, gestanden, inzwischen ein veraltetes Format. In den letzten Jahren haben
Publikationen wie Tagesblätter oder Wochenzeitungen an Popularität unter jungen Menschen stark
abgenommen, da die meisten ihre Nachrichten aus dem Internet beziehen – das ist auch
nachvollziehbar. Warum wird aber von Ihnen verlangt, Leserbriefe zu schreiben?
Historisch waren Leserbriefe ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses – die LeserInnen
beteiligten sich durch Ihre Kommentare am öffentlichen Austausch, da auch einige besonders
kritische oder gute Leserbriefe in Zeitungen veröffentlicht wurden, oder weil sich die JournalistInnen
in ihren Artikeln auf Kommentare aus Leserbriefen bezogen. So bekamen LeserInnen durch
Leserbriefbeiträge neue Impulse und Einsicheten zu einem Thema und konnten sehen, dass nicht nur
die Meinung der Redaktion einer Zetung die einzig mögliche oder die einzig korrekte Meinung sein
kann. Heute haben wir die Leserbriefe durch Reddit und andere Foren, oder durch die
Kommentarfunktion bei verschiedenen Social Media, ersetzt – etwas anders ausgedrückt, ist der
Leserbrief also der Großonkel von Facebook-Kommentaren. 1
Ein Leserbrief war und die neuen Kommentarformate sind daher wichtige Teile einer gesunden
Diskussionskultur. Also sehen Sie das so – der Leserbrief ist eine Übung für Sie und Ihre
Meinungsentwicklung und Meinungsäußerung.

Der Leserbrief als Übung


Man denkt oft, dass man durch denken Meinungen formt. Ganz korrekt ist das nicht – Meinungen
werden erst durch den Versuch geformt, das innerliche Gefühl oder die Meinung im Kopf schriftlich
oder mündlich festzuhalten. Das passiert, weil wir im Sprechen hören oder ich Schreiben sehen, was
wir eigentlich denken und so reflektieren wir automatisch – oft merken wir erst dann, dass unsere
Meinung vielleicht schwach, uninformiert oder noch nicht ganz fertiggebacken ist.
Ein weiterer Grund, warum Meinungen erst in Worten reifen, ist die Kommunikation – ein Gedanke
ist vielleicht für Sie in Ihrem Kopf sehr klar, aber andere verstehen Sie nicht. So ist ihre Meinung
automatisch „schwächer“ als die Meinung anderer, weil sie nicht verstanden wurde.
Der letzte Grund ist, dass wir soziale Tiere sind – wir denken (sprich: formen Meinungen) viel besser,
wenn wir unsere Meinungen mit den Meinungen anderer vergleichen, abwiegen und auch kämpfen
lassen. Im schriftlichen wie mündlichen Gespräch können wir viel schneller sehen, ob unsere
Meinung Sinn ergiebt, ob sie überhaupt verstanden wird, ob wir genügend informiert sind, und ob wie
vielleicht unsere Meinung ändern sollen.
Daher – sehen sie die Leserbriefaufgaben als die Möglichkeit zu erlernen, wie Sie Ihre eigenen
Meinungen einwickeln können – den Gedanken an sich zu gestalten, die Argumente zu sammeln, den
richtigen Ausdruck zu finden und am wichtigsten – Ihre Meinung selbstständig und mit
Selbstbewusstsein vertreten zu können (und zwar auf Deutsch!).
Leserbrief als Textsorte
Der Leserbrief ist – anders als ein Essay – immer eine direkte Antwort oder Reaktion auf einen
Zeitungsartikel, den der Verfasser des Leserbriefes gelesen hat. Der Verfasser äußert seine Meinung
in Bezug auf den Zeitungartikel: Er kann den Inhalt des Artikels kommentieren, korrigieren oder
1
Wer neugierig ist, kann auf Wikipedia weiter zu Lesebriefen lesen: https://www.shorturl.at/djsuA

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ergänzen, er kann Elemente kritisieren oder richtigstellen. Grundsätzlich – der Leserbrief ist eine
kritische Meinungsäußerung zu einem Thema oder Punkt aus dem Zeitungsartikel.
Struktur eines Leserbriefs
Ein Leserbrief besteht aus vier Teilen: 1. Anrede, 2. Einleitung mit Bezug zum Artikel und Thema, 3.
Hauptteil mit Argumentation, 4. Zusammenfassende Schlussfolgerung und Grußwort
Für einen gelungenen Leserbrief, folgen Sie einigen der folgenden Vorschläge.
1. Anrede
In der Anrede adressieren Sie die Redaktion der Zeitung und geben das Verfassungsdatum Ihres
Briefes. Hier verwenden Sie übliche Anschreibeformen für formelle Briefe:

Max Mustermann
Musterstraße 6
11000 Belgrad

An die
Redaktion des Standards
Vordere Zollamtsstraße 13
1030 Wien
Belgrad, den 10.10.2020

Kommentar zu „Männer und Frauen – harmloses Flirten oder sexuelle


Belästigung“ vom 09.10.2020

Sehr geehrter Herr Schuster, /


Sehr geehrte Frau Dr. Lehmann, /
Sehr geehrte Redaktion des „Standards“, /

ich möchte den Artikel ...

Anmerkung zum Studierendenfavorit „Sehr geehrte Damen und Herren“

In Schulen wird unterrichtet, dass beim unbekannten Empfänger „Sehr geehrte Damen und Herren“
geschrieben werden soll. Dies stimmt durchaus, z. B. bei Bewerbungen für Stipendien oder bei formellen
öffentlichen Briefen, die an alle LeserInnen gerichtet sind.
Bei dem Leserbrief ist aber der Empfänger bekannt – es ist ein bestimmter Redakteur oder die Redaktion an
sich. Darum ist es zu empfehlen, dass „Sehr geehrte Damen und Herren“ mit einer drei möglichen Anreden
aus dem Beispieltext (s. oben) zu ersetzen.

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2. Einleitung – was gehört hier?
Hier brauchen Sie drei Sätze:
1. Bezug zum Zeitungsartikel (Titel, Datum, AutorIn) erstellen
2. Kontextualisierung oder Zusammenfassung des Zeitungsartikels
3. Ihre Schreibabsicht

Sehr geehrte Redaktion des „Standards“,

ich möchte den Artikel „Männer nicht unter Generalverdacht stellen“ vom 9.
Oktober loben. Die Autorin Katharina Braun hat das umstrittene Thema der
Sexualbelästigung aufgegriffen, was besonders in Anbetracht der neulichen
Zwischenfälle wichtig ist. Trotzdem bin ich der Einsicht, dass die Verfasserin mit
einigen Argumenten zu weit gegangen ist.
Kontextualisierung bedeutet, dass das Hauptthema, die Haupttese oder die Pointe des Zeitungsartikels
in einem Satz wiedergegeben wird. Sie dürfen den Zeitungsartikel auch in aktuelle Geschehen
verorten (z. B. wird im Beispieltext oben erwähnt, dass das Thema „besonders in Anbetracht der
neulichen Zwischenfälle“ sehr wichtig ist.)
Die Schreibabsicht signalisiert den LeserInnen, was im Hauptteil geschrieben wird, ob es ein Lob,
eine Kritik, ein Kommentar oder eine Ergänzung sein wird.
Es müssen aber nicht zwangsläufig drei Sätze sein. Sie können die drei Sätze auch in komplexere
Sätze kombinieren, z. B.
 Ihr Beitrag [“Titel”] vom [Datum] zum Thema … berührt mich sehr. Auch ich habe ähnliche
Erfahrungen gemacht, denn …
 In Ihrem Artikel [“Titel”] vom [Datum] schreiben Sie, dass … Dazu möchte ich
sagen/hinzufügen/…
 Mit Interesse habe ich Ihren Artikel [“Titel”] vom (Datum) in Ihrer Zeitung gelesen und frage
mich …
 In seinem/ihrem Beitrag [“Titel”] vom [Datum] schreibt [AutorIn], dass …
 Ihr Artikel [“Titel”] vom [Datum] erscheint mir inhaltlich wichtig, schon alleine deshalb, weil

 Sie schreiben in Ihrem Artikel [“Titel”] vom [Datum], dass … Dazu möchte ich Ihnen
Folgendes mitteilen: …
 Endlich war in Ihrer Zeitung zu lesen, was ich mir schon immer gedacht habe: denn im
Artikel [“Titel”] vom [Datum] schreibt der/die AutorIn …
Diese Formulierungen sind nur Vorschläge – Sie können sie auch weiter kombinieren oder anders
schreiben. Ihrer Kreativität und Ausdrucksfähigkeit sind keine Grenzen gesetzt, suchen Sie ruhig nach
Formulierungen, die zu Ihnen und Ihrer Sprech-/Denkweise passen. Sehen Sie das PDF-Dokument
„Leserbriefe – Mustervorlagen“ im Moodle nach weiteren Verfassungsmöglichkeiten, oder schauen
Sie auch im Internet nach!
3. Hauptteil – kurz und bündig argumentieren

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Den Hauptteil eröffnen Sie mit einem Satz zu Ihrer Haltung zum Zeitungsartikel allgemein. Sie
können der allgeminen Aussage des Artikels zustimmen oder auch ihr widersprechen. (Im Beispiel
einigt sich die Verfasserin des Leserbriefes mit der Autorin des Zeitungsartikels.)

[...] Trotzdem bin ich der Einsicht, dass die Verfasserin mit einigen Argumenten zu weit
gegangen ist.

Es ist keine Frage, dass sexuelle Übergriffe schwere Verbrechen sind und entsprechend
bestraft werden sollen.

Es ist keine Frage, dass sexuelle Übergriffe schwere Verbrechen sind und
entsprechend bestraft werden sollen. Die Verfasserin behauptet jedoch an einer Stelle,
dass sich Männer von „freizügig gekleideten Frauen“ sexuell angereizt fühlen
können, weswegen dann „Frauen sich nicht wundern sollen, wenn was passiert“.
Natürlich steht fest, dass Männer Triebe haben und Kleidung effektiv anreizend sein
kann. Es ist allerdings unsinnig zu behaupten, dass die freizügige Kleidung der
Frauen jegliches Verhalten der Männer rechtfertigt. Genauso wie ein Mann ganz
locker ohne Oberteil auf der Straße im Sommer laufen kann, ohne dabei damit
rechnen zu müssen, dass „was passieren“ kann, sollte sich jede Frau so kleiden
dürfen, wie sie will. Jeder vernünftige Mensch muss Herr seiner Triebe sein
können. Wenn man Hunger und kein Geld dabei hat, stiehlt man nicht sofort im
Supermarkt. Genauso ist die locker gekleidete, attraktive Figur einer Frau kein Grund
für sexuelle Belästigung, noch kann das jegliches Handeln rechtfertigen.
Die Belege dienen dazu, Ihre Argumente zu stärken. Die Belege können Fakten sein, die Sie selber
kennen oder im Zeitungsartikel gelesen haben, es können aber auch Beispiele, Vergleiche oder
Erklärungen sein, die Ihre Argumente dem Leser näher bringen.

Anmerkung zum Studierendenfavorit „Meiner Meinung nach“

In der Schule wurden Phrasen wie „m. M. n.“ oder „meines Erachtens“/„m. E. n.“ gelernt. Diese sind auch
gängig und korrekt, aber da Sie nun Deutsch auf einem höheren Niveau erlernen und einüben sollen, fordern
wir von Ihnen, dass sie auch andere Ausdrucksformen ausprobieren. Im Beispiel wird auf „m. M. n.“
komplett verzichtet – stattdessen hat die Verfasserin noch einen Satz der Zustimmung zur Autorin eingebaut,
um dann einen Kontrast mit „allerdings“ aufzubauen, um so ihren Widerspruch zu äußern.
4. Schluß- und Grußwort
Um Ihren Brief abzuschließen, schreiben Sie als Schlußwort einen Satz, in dem Sie eine prägnante
eigene Aussage, ein Fazit, eine Schlußfogerung, die sich us Ihren Argumenten ableitet, oder eine
Zusammenfassung Ihrer Kritik ausdrücken.

[...] noch kann das jegliches Handeln rechtfertigen. Das Problem ist nicht die Kleidung -
wer nicht vernünftig genug ist, seine eigenen Triebe unter Kontrolle zu halten, der stellt

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für andere eine Gefahr dar und braucht psychlogische Hilfe.

Mit freundlichen Grüßen,


Marie Mustermann
Falls Sie sich weniger kritisch zum Text äußern wollen, als dies der Fall im Beispielbrief ist, haben
Sie auch folgende Möglichkeiten:
 Herzlichen Dank dafür, dass
 Ich freue mich auf weitere interessante Artikel ...
Nach dem Schlußwort schreiben Sie dann Ihr Grußwort.
Sie können auch das Schluß und Grußwort kombinieren, wie z. B.:
 In der Hoffnung, dass es noch weitere Darstelungen / Berichte / Artikel / Kommentare zu
diesem Thema geben wird, grüße ich die Redaktion / den Autor / die Autorin / ...

Genaues zur Klausur

In der Klausur bekommen Sie einen kurzen Schreibanlass (z. B. den „Vorschlag zum
Antidiskriminierungsfach an der Uni Passau“), zu dem Sie dann einen Leserbrief schreiben. Hier
suchen Sie einen Punkt aus, der Ihnen zum Thema des Schreibanlasses problematisch erscheint,
und kritisieren ihn. Diese Aufgabe ist shwerer, weil Sie sich einen zu kritisierenden Punkt selber
ausdenken. Aber keine Sorge – die Themenwahl der Schreibanlässe leitet sich aus den Themen ab,
die wir im Unterricht bearbeitet und diskutiert haben (und wenn Sie fleißig waren – zu denen Sie
schon eine Hausaufgabe geschrieben haben).

Formalia: Times New Roman 12pt, 1.5 Zeilenabstand, Blocksatz

1. Redemittel für den Leserbrief


Gute Anfangssätze für den Hauptteil:

Sie starten mit der im Zeitungsartikel Sie gehen sofort auf den Punkt im
beschriebenen Situation: Zeitungsartikel ein:
 Auch ich habe den Eindruck, dass  Ich möchte mich Ihrer Meinung zu voll
 Auch ich habe diese Erfahrung gemacht und ganz anschließen, aber…
 Diese Situation kenne ich sehr gut …
 Diese Aussagen entsprechen auch  Was Ihr Urteil über … betrifft: Dem
meinen Erfahrungen … kann ich gar nicht zustimmen.
 Mir scheint, dass die Darstellung etwas  Auch ich glaube / denke / bin der
Überzeugung, dass …

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übertrieben ist.
 Ganz im Gegensatz zu Herrn Huber
 Ich finde es erfreulich/empörend, dass
meine ich, dass …
 Endlich hat sich jemand dieser Sache /
 Diese Meinung / Sichtweise kann ich
dieses Themas angenommen!
ganz und gar nicht teilen.
 Wie ich Ihrem Bericht entnehme …
 Ich sehe das überhaupt nicht so wie
 Schade, dass …
Herr Huber!

Mögliche Satzanfänge im Hauptteil (für Argumente oder Belege)

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↓ Ganz wichtig zum Schluss

Einige Anmerkungen zu gewissen Wörtern und Wendungen


Verboten sind folgende Wörter und Wendungen: Benutzen Sie stattdessen folgende Ausdrücke:

interessant / spannend  berührend / überraschend / attraktiv...

wichtig bedeutsam / von großer Bedeutung /


wesentlich / etw. (Dat.) wird große
Bedeutung beigemessen / unabdingbar...
Ich habe eine kritische Meinung dazu. s. unter Einwände
Um welche Gruppe von Leuten handelt es
sich? Z. B. Studierende, Befürworter,
Menschen / Leute / Person/en
Gegner, Gesellschaft...

Ich freue mich auf weitere s. unter Appell an die LeserInnen


interessante Artikel.

..., meine meine Meinung zu s. unter Meinungsäußerungen, s. unter


äußern/Ihnen meine Meinung Satzanfäge für den Hauptteil, oder
mitzuteilen/Ihnen zu sagen, was ich beginnen Sie sofort mit ihrer Positionierung
denke/u. ä. – stimmen Sie dem Artikel zu, was
kritisieren Sie an ihm?

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Benutzt auch das Thesaurus (https://www.openthesaurus.de/synonyme/) und findet entsprechende


Synonyme.
Sie dürfen kreativ sein! Ja, der Leserbrief ist im Unterricht eine Übung und Prüfungsform – dies
bedeutet aber nicht, dass Sie sich quälen müssen! Finden Sie Ihre Stimme und Ihren Stil, haben Sie
Spaß mit Stilformen, suchen Sie im Internet nach weiteren Redemitteln, die Ihnen gefallen. Der Sinn
ist, dass sie Lernen – und man lernt am besten mit etwas Spaß. 

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