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Enzyklopädie der Neuzeit Online

Hugenotten
(1,350 words)

1. Begri f
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H. war vom 16. bis zum 18. Jh. eine ursprünglich pejorative
1. Begri f
Bezeichnung für die franz. Reformierten ( Calvinismus).
Der Terminus geht wohl auf das seit 1520 belegte eyguenot 2. Formierung der
(»Eidgenossen«) zurück und ist seit der Verschwörung kirchlichen Institution
von Amboise 1560 – neben der Benennung als Anhänger 3. Zwischen Verfolgung und
der »vorgeblich reformierten Religion« (franz. religion Toleranz
prétendue réformée, R.P. R.) – auch in o ziellen Texten zu 4. Die sukzessive Au ebung
nden, nachdem man zu Anfang die reformatorisch des Edikts von Nantes
Gesinnten évangéliques oder luthériens genannt hatte. 5. Restitution

Irene Dingel

2. Formierung der kirchlichen Institution

Bereits in den 1520er Jahren gab es in Frankreich Anhänger der Reformation, doch es kam auch
sogleich zu Verfolgungen [19]; [17]. Nach einer kurzen, von der humanistischen Gesinnung
Franz’ I. bestimmten Duldungsperiode ammten sie nach der a faire des placards 1534 (dem
Auftauchen von Plakaten reformatorisch-agitatorischen Inhalts in Paris und anderen franz.
Städten) wieder auf und erfuhren unter dessen Sohn Heinrich II. ab 1547 eine entscheidende
Verschärfung. Viele H. ohen nach Genf, wo der franz. Protestantismus calvinistisches Gepräge
gewann.

In den 1550er Jahren wandte sich der franz. Adel – auch in Opposition gegen
frühabsolutistische Tendenzen – dem Protestantismus zu. Gleichzeitig setzte eine allmähliche
Konsolidierung der bisher lose nebeneinander bestehenden Gemeinden ein, die mit der
Erstellung eines Bekenntnisses ( Confession de foi) [12] und einer presbyterial-synodal
ausgerichteten Kirchenordnung (Discipline ecclésiastique) auf der ersten H.-Nationalsynode in
Paris 1559 ihren Abschluss fand. Die siebte Nationalsynode von La Rochelle bestätigte 1571 die
Confession de foi (auch Confession de La Rochelle oder Confessio Gallica/Gallicana genannt) als
/
hugenottisches (= hug.) Bekenntnis [3], unterzeichnet u. a. von Calvins Nachfolger Theodor
Beza, Johanna von Albret und ihrem Sohn Heinrich von Navarra, Heinrich von Condé und dem
Admiral Gaspard de Coligny.

Irene Dingel

3. Zwischen Verfolgung und Toleranz

Unter Führung des hug. Adels bildete sich schnell eine auch militärisch bedeutende protest.
Partei [18]. Das Bemühen, sie politisch einzubinden und einen Ausgleich der Konfessionen zu
erreichen, veranlasste Katharina von Medici [7] (Regentin für den minderjährigen Karl IX.) 1561
zu einem Religionsgespräch in Poissy [9], das sein Ziel jedoch nicht erreichte. Mit dem im
Januar 1562 erlassenen Edikt von St. Germain wurde den H. aber begrenzte konfessionelle
Koexistenz garantiert [5]. Doch das noch im selben Jahr an den H. verübte Blutbad von Vassy
löste den ersten von insgesamt acht Religionskriegen (1562–1598) aus [16].

In diesem Zeitraum erlassene Pazi kations- und Toleranzedikte verbürgten unterschiedliche


Grade von Freiheiten. Durch das nach dem dritten Religionskrieg ausgehandelte Edikt von St.
Germain-en-Laye (1570) erfuhren die H. politischen Rückhalt; hier wurden ihnen erstmals vier
Garnisonsstädte (La Rochelle, Cognac, La Charité-sur-Loire, Montauban) als sog.
Sicherheitsplätze zugesprochen. Aber mit dem Blutbad der Bartholomäusnacht (24. 8. 1572),
das den protest. Adel beseitigte oder ihn – wie im Falle Heinrichs von Navarra und Heinrichs
von Condé – zur Konversion zwang, trat eine Wende ein. Die bis dahin dem Königtum loyal
gegenüberstehenden H. entfalteten nun ein monarchomachisch geprägtes Widerstandsrecht
(Monarchomachen) – eine Haltung, die sie freilich wieder zugunsten einer königstreuen
Position aufgaben, als nach der Ermordung Heinrichs III. (1589) eine Thronfolge des 1575
wieder evang. gewordenen Heinrich von Navarra immer wahrscheinlicher wurde.

Bei dessen Regierungsantritt standen sich politisch autonom organisierte H. einerseits und
Vertreter der Kath. Liga andererseits gegenüber. Heinrich IV. konnte durch die Niederwerfung
Letzterer (1589 und 1590), seine Konversion zum Katholizismus (1593), den Sieg über die
Spanier (1595) und das den H. Duldung verbürgende Edikt von Nantes (13. 4. 1598) seine
königliche Autorität innen- wie außenpolitisch etablieren. Das Edikt enthielt religiöse und
zivile Bestimmungen wie z. B. beschränkte Kultfreiheit, volle bürgerliche Rechte und
rechtlichen Schutz durch an den Gerichtshöfen eigens einzurichtende chambres de l’édit, d. h.
dem Jurisdiktionsbereich des Edikts zugeordnete Kammern. In den folgenden Jahren wurden
in Montauban (1598), Sedan (1601) und Saumur (1604) protest. Akademien zur theologische
Ausbildung der Eliten im eigenen Land gegründet [13]. Charakteristisch für das kirchliche
Leben wurden der schlichte Stil und die karge Innenausstattung der hug. Kirchenbauten
(temples; die Bezeichnung steht im Gegensatz zu église) – und die Verwendung des sog. H.-
Psalters, bestehend aus vertonten Psalmparaphrasen in franz. Sprache [10].

Irene Dingel

4. Die sukzessive Au ebung des Edikts von Nantes


/
Schon unter Ludwig XIII. und dessen Minister Kardinal Richelieu kam es zu neuen
kriegerischen Auseinandersetzungen, die 1628 im Fall der H.-Festung La Rochelle und dem
Ende der politischen Organisation der H. gipfelten. Mit der Alleinregierung Ludwigs XIV.
begann im Zeichen absolutistischer Zentralisierung die sukzessive Zurückdrängung der H.
Über eine restriktive Auslegung des Edikts von Nantes, Bekehrungs- und Missionskampagnen
sowie die Einquartierung von Dragonern (Dragonnaden, seit 1681) erzwang man Konversionen,
und viele H. verließen das Land. Die Au ebung des Edikts von Nantes durch das Edikt von
Fontainebleau (18. 10. 1685) [14] löste – sofern die H. nicht den Weg des leidvollen Widerstands
in den Cevennen wählten (église du désert, »Kirche in der Wüste«), auf die Galeeren verbannt
oder eingekerkert wurden – eine Auswanderungswelle aus ( Exil; Glaubens üchtlinge).

Anlaufstelle des Refuge (der Flucht) war die Stadt Frankfurt am Main, von wo aus die H. in
verschiedene protest. Gegenden Europas weiterreisten [11]; [21], v. a. nach Holland und
Brandenburg [2], aber auch in kleinere calvinistisch gesinnte Territorien und Städte des Alten
Reichs, außerdem nach Großbritannien [4] und in die Schweiz [20]. Die Obrigkeiten wollten
durch Aufnahme von H. der einheimischen Wirtschaft neue Impulse verleihen und kamen den
Migranten (Migration) – oft zum Leidwesen der Einheimischen – mit Vergünstigungen
entgegen. Durch das Einbringen neuer Techniken, durch die Erschließung neuer Felder für
Produktion und Handel sowie durch ihre Lebens- und Frömmigkeitsformen bewirkten die H.
eine kulturelle und intellektuelle Ö fnung Europas (vgl. Calvinismus; Frömmigkeitskulturen)
[1].

Irene Dingel

5. Restitution

In Frankreich gewährte erst das von Ludwig XVI. erlassene Toleranzedikt vom November 1787
den H. wieder Religionsfreiheit und bürgerliche Rechte [6]; [8], nachdem seit 1760, unter dem
Ein uss der Au lärung, die Unterdrückung der H. allmählich nachgelassen und diese
begonnen hatten, sich kirchlich zu reorganisieren. Im Vorfeld der Französischen Revolution, in
der auch H. eine Rolle spielten, betrug die Gesamtzahl der Protestanten Frankreichs nur noch
ca. 500 000, während man für das 16. Jh. 2 Mio. (ca. 10 % der Gesamtbevölkerung) und für das
17. Jh. 856 000 (ca. 4 %) veranschlagen kann. Die Menschen- und Bürgerrechtserklärung vom
27. 8. 1789 hob viele Beschränkungen auf. Sie brachte den H. allgemeine Gewissens- und
Glaubensfreiheit sowie bürgerliche Gleichstellung der Person und Zulassung zu allen
ö fentlichen Ämtern. Die Aufnahme der Kultfreiheit in die franz. Verfassung von 1791
bedeutete, dass sich die Evangelischen Kirchen nun selbständig organisieren konnten, bis die
Radikalisierung der Revolution und die Terreur sie wieder unterdrückten. Die Politik
Napoleons schuf im 19. Jh. einen Existenzraum für die nun in 80 Konsistorialkirchen
aufgeteilten franz. Reformierten, die 1850 auch eigene Schulen erhielten [15]. Das kirchliche
Leben gewann durch die Erweckungsbewegung (réveil) neue Impulse.

Verwandte Artikel: Calvinismus | Edikt von Nantes | Exil | Glaubens üchtlinge | Religionskriege

Irene Dingel
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Bibliography

[1] S. B / H. O (Hrsg.), Zuwanderungsland Deutschland. Die Hugenotten, 2005

[2] M. B (Hrsg.), Die Hugenotten zwischen Migration und Integration, 2005

[3] J. C , La Confession de foi de la Rochelle, in: Revue Réformée 32, 1971, 43–54

[4] B. C , The Huguenots in England, 1992

[5] S. D , Le Parlement de Paris et l’édit du 17 janvier 1562, in: Revue Historique 122,
1998, 515–547

[6] I. D , Art. Hugenotten I.1, in: RGG4 3, 2000, 1925–1929

[7] I. D , Katharina von Medici im Spannungsfeld von Religion und Politik, in: I. D et
al. (Hrsg.), Reformation und Recht, 2002, 224–242

[8] B. D , Die Hugenotten, 2006

[9] A. D , Das Religionsgespräch von Poissy, in: G. M (Hrsg.), Die


Religionsgespräche der Reformationszeit, 1980, 117–126

[10] W. G et al. (Hrsg.), Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der
Schweiz und den Niederlanden, 16.–18. Jh., 2004

[11] F. H / S. J -W (Hrsg.), Die Hugenotten und das Refuge. Deutschland und


Europa, 1990

[12] H. J , Studien zur Überlieferungsgeschichte der Confession de foi von 1559, 1964

[13] H. K , Calvinismus und franz. Monarchie im 17. Jh., 1975

[14] E. L , »Une foi, une loi, un roi?« La révocation de l'édit de Nantes, 1985

[15] M. L , Art. Frankreich III.2, in: TRE 11, 1983, 373–385

[16] G. L , Les guerres de religion (1559–1958), 41977

[17] R. M et al., Histoire des protestants en France, 1977

[18] R. N , Die Politisierung des franz. Protestantismus, 1948

[19] G. P , Geschichte des franz. Calvinismus, 5 Bde., 1857–1869 (Ndr. 1964)

[20] R. T / M. M (Hrsg.), Die Hugenotten. 1685–1985, 21986


/
[21] C. W , Histoire des réfugiés protestants de France depuis la révocation de l’édit de
Nantes, 2 Bde., 1985.

Cite this page

Dingel, Irene, “Hugenotten”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit
den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag
GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_282004>
First published online: 2019

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