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Neue Z 252 Rcher Zeitung International 06 Juli 2022
Neue Z 252 Rcher Zeitung International 06 Juli 2022
Zweiter Booster
für alle im Herbst
Über 80-Jährige sollen sich sofort nachimpfen lassen
Redaktion und Verlag: Neue Zürcher Zeitung, Falkenstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich, Telefon: +41 44 258 11 11
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Impressum: 4
2 Krieg in der Ukraine Mittwoch, 6. Juli 2022
Der Donbass
ist wie ein See,
der austrocknet
Jahrelang war die Region das industrielle Herz der
Ukraine. Jetzt ist sie zu einer Front-Provinz geworden,
wo die russischen Truppen immer weiter vorrücken.
Ein Streifzug durch ein untergehendes Land
ein richtiger Krieg stattfindet, bei dem Klatsch und Terrorismus. «Eine weitere Jordan Meda Mamourou Bénao nommen hat. Die Häufung fiel zusam- auch auf Whatsapp, Tiktok und einer
der Westen und zunehmend Russland Facebook-Seite, die so tut, als ob sie ein Chefredaktor Betreiber von men mit Berichten, dass die Junta des Website. «Es ist harte Arbeit», sagt er.
mitmischen. Islamistische Terroristen Medium wäre», sagt er. «Diese Seiten «Fasocheck» «Globinfos.net» Nachbarlands Mali Wagner-Soldaten ins Inzwischen lebt er davon; etwas mehr
breiten sich immer weiter aus in Mali, sind so beliebt, weil die Nutzer nicht zwi- Land holen wollte – was sie im Dezem- als 200 Franken verdient er pro Monat.
Niger und Burkina Faso. Tausende Zivi- schen einem seriösen Medium und einer ber dann tatsächlich tat. Bénao erzählt seine Geschichte so: Er
listen wurden bereits getötet, Millionen Facebook-Seite unterscheiden können.» Jordan Meda sagt, es gebe zurzeit wuchs auf dem Land auf,als Bauernsohn,
Menschen vertrieben. Französische Sol- Noch eine Seite, «Burkina Actu», 64 000 keine Belege dafür, dass die prorussi- in einem Dorf 160 Kilometer südwest-
daten bekommen die Aufständischen Follower, hier dreht sich alles um Frank- schen Lautsprecher in Burkina Faso von lich von Ouagadougou.Er träumte schon
seit zehn Jahren nicht zu fassen. Inzwi- reich und Russland. Ein Post: «Frank- russischen Akteuren bezahlt würden als Kind davon, Journalist zu werden,
schen ersetzen in Mali russische Wag- reich und die EU kommen inAfrika nicht oder sonst direkte Verbindungen hätten. doch bald nach der Primarschule ging
ner-Truppen die Franzosen. Und viele voran und geben Russland die Schuld. Eher handle es sich um Überzeugungs- das Geld aus. Er half bei den Eltern mit,
fragen sich: Wo führt das hin? Hält man Die früheren afrikanischen Kolonien su- täter, die Propaganda im Internet sam- bis er 2009, 22-jährig, in die Hauptstadt
sich in der Region auf oder scrollt man chen sich neue Hilfe, nachdem ihnen die melten und in Burkina Faso für ein emp- ging, um bei Verwandten zu leben.Wenn
durch die sozialen Netzwerke, kann man Europäer während Jahren Militäropera- fängliches Publikum weiterverbreiteten. er Geld hatte, ging er weiter zur Schule.
leicht den Eindruck gewinnen: näher hin tionen aufgezwungen haben.» Meda sagt: 2018, inzwischen 31-jährig, schloss er die
zu Russland. «Dahinter steckt eine Einzelperson, ein Spuren zu Trollfabrik Mittelschule ab.Da arbeitete er schon als
Der Informationskrieg ist ungleich, prorussischer Aktivist.» Journalist, er hatte nach vielen Absagen
Russland gewinnt ihn. Das hat verschie- Es sind solche Seiten, über die Mil- Andernorts inAfrika sind dieVerbindun- schliesslich bei einer Zeitung eine drei-
dene Gründe. Die Ressentiments gegen- lionen von Burkinabern ihre Informatio- gen klarer. Der Think-Tank Africa Cen- monatige Stage absolviert.
über der früheren Kolonialmacht Frank- nen beziehen, vor allem jüngere. Klassi- ter for Strategic Studies hat im April 16 Doch Journalist zu sein in Burkina
reich gehören dazu, aber auch die Ver- sche Medien verlieren an Einfluss. Das Fake-News-Kampagnen auf dem Konti- Faso, ist hart, selbst ein Redaktor ver-
vielfältigungseffekte der sozialen Netz- liegt daran, dass Radio und Zeitungen nent gezählt, die von russischen Akteu- dient manchmal nur knapp 2 Franken
werke. Man versteht besser, wenn man nicht mit den psychologischen Anrei- ren gesteuert wurden.Im Mai 2021 wurde pro Tag. Die meisten Journalisten hal-
mit Faktencheckern und Betreibern zen der Logarithmen mithalten können. Facebook auf ein prorussisches Netzwerk ten sich über Wasser, indem sie sich da-
fragwürdiger Facebook-Seiten spricht. Es liegt auch daran, dass sich Studentin- «Desinformation im Sudan aufmerksam, dessen Konten für bezahlen lassen, Pressekonferen-
Zum Beispiel mit Jordan Meda, dem nen und Studenten – wie jene, die an der zusammen fast eine halbe Million Fol- zen zu besuchen und darüber zu be-
27-jährigen Chefredaktor von «Faso- Universität debattieren – keine Quali- ist etwas Seltsames: lower gesammelt hatten. Die Konten richten. Zwischen 7 und 30 Franken be-
check», einem kleinen Faktenchecker- tätsmedien leisten können; immer wie- Du glaubst jenen gaben vor, sudanesischen Politikern oder kommen sie dafür, die grossen NGO
Medium, das 2019 gegründet wurde. der aber ein paar Megabyte von einem Medien zu gehören, sie teilten Inhalte, zahlen manchmal bis zu 80 Franken.
Meda sitzt in einem kahlen Büro in Mobilfunkbetreiber, um durch Facebook Informationen die etwa denWagner-Gründer und Putin- 2021 wurde Mamourou Bénao sein
einer Villa im Süden der 2,5-Millionen- und Whatsapp zu scrollen. Das ist auch am ehesten, denen Vertrauten Jewgeni Prigoschin feierten eigener kleiner Medienunternehmer, er
Stadt Ouagadougou, an einem Tisch da- ausserhalb der Städte so, selbst in abge- und die USA verteufelten. Die digitale muss das Geld nun mit niemandem tei-
neben starren vier Mitarbeiter schwei- legenen Ecken des Landes haben man- du am meisten Spur führte zu Prigoschins Trollfabrik len. Bénao spricht von «Klienten», wenn
gend in ihre Laptops. Meda wischt auf che Dorfbewohner Zugriff aufs Internet. ausgesetzt bist.» Internet Research Agency in St. Peters- er über jene spricht, über die er berich-
seinem Handy durch Facebook-Seiten, Traditionelle Medien werden nicht burg. Sie hatte Berühmtheit erlangt, als tet. Er schreibt häufig mehrere Texte pro
er zeigt die Akteure, die er und seine nur in afrikanischen Ländern von sozia- Jordan Meda bekanntwurde, dass sie versucht hatte, Tag, Schnelligkeit, sagt er, sei in diesem
Faktenchecker in Ouagadougou
Mitarbeiter auf dem Radar haben. «Cé- len Netzwerken und Messaging-Apps die amerikanische Präsidentschaftswahl Geschäft das Wichtigste. Stehen keine
lébrités Burkina» zum Beispiel, «ein verdrängt. Doch in Ländern wie Bur- 2016 zu beeinflussen. Pressekonferenzen an, findet er seine
Produzent von Fake News» mit knapp kina Faso ist das Phänomen folgenrei- Die russische Propaganda auf dem Themen über Facebook und Whats-
cher: Das Bildungsniveau ist gering, nur Kontinent kann sich aber auch auf will- app. Er scrollt durch seine Timeline,
41 Prozent der über 15-Jährigen kön- fährige Social-Media-Influencer und vorbei an Posts von Journalisten, Akti-
nen lesen und schreiben, das ist eine der Medienunternehmer stützen, die ihre visten, nationalen und internationalen
weltweit tiefsten Quoten. Damit fehlt Verbindungen nicht verstecken. Der Medien. Er wählt die interessantesten
oft auch die Fähigkeit, wahre Infor- antifranzösische Aktivist Kémi Séba aus, kopiert und bearbeitet sie und ver-
mation von falscher zu unterscheiden. zum Beispiel, der allein auf Facebook öffentlicht sie auf «Globinfos.net».
Die traditionellen Medien sind ohne- eine Million Follower hat, behauptete Das ist die neue Medienwelt von
hin in einer schwachen Position, gerade 2020 in einem Interview, er habe Jew- Burkina Faso, in der prorussische In-
in autoritären Staaten; und die Regulie- geni Prigoschin mehrmals getroffen und halte und andere Blüten gedeihen. Ma-
rung der Social-Media-Firmen ist gerin- von ihm finanzielle Unterstützung er- mourou Bénao ist kein geifernder Pro-
ger als etwa in Europa. halten, um «die afrikanische Jugend zu pagandist, er ist ein schlecht ausgebil-
Der Faktenchecker Jordan Meda gewaltsamen Aktionen gegen französi- deter Journalist, der für ein oft schlecht
sagt: «Desinformation ist etwas Seltsa- sche Interessen zu animieren». Ein ande- gebildetes Publikum schreibt, das nicht
mes: Du glaubst jenen Informationen rer Russland-Verbündeter ist der Kame- merkt, wenn Bénao eine Falschmeldung
am ehesten, denen du am meisten aus- runer Justin Tagouh. Er leitet das Unter- teilt. Das sind gute Nachrichten für Russ-
gesetzt bist.» Und das sind für viele Bur- nehmen Afrique Média, dessen Medien land. Die vielleicht beste: Es ist eine Pro-
kinaber Informationen in sozialen Netz- prorussische Inhalte verbreiten. Ta- pagandamaschine, die selbst ohne russi-
werken. In den letzten Monaten hatten gouh ist mehrmals nach Sotschi gereist sches Zutun funktioniert.
Mittwoch, 6. Juli 2022 Feuilleton 7
Es war einmal vor langer Zeit, genauer siegbar. Andere Figuren wiederum ster-
gesagt am 25. Mai 1977, als «Star Wars» ben in diesem Zeitraffer, bevor man sie
in Amerika anlief. Damals glaubte kaum richtig kennenlernen konnte.
jemand an den Film, im ganzen Land Bei «Stranger Things» dagegen ist
zeigten ihn nur vierzig Kinos. Umso er- allein das Staffelfinale über vier Stunden
staunlicher, was sich dort vor den Vor- lang, bis dahin quillt die dichte Erzäh-
stellungen abspielte: Oft standen die lung über vor liebevollen Details, Twists
Menschen bis um den Block Schlange, und sorgfältig aufgebauten, dramati-
um noch Karten zu ergattern. schen Charaktermomenten. Hätten die
Inflationsbereinigt ist «Star Wars» Rückkehr von Ewan McGregor und sei-
noch immer der zweiterfolgreichste ner Figur nicht eine ähnliche Ambition,
Film aller Zeiten, und ganz nebenbei eine vergleichbare Substanz verdient ge-
machte er das einstige Regie-Wunder- habt – oder gar einen eigenen Film mit
kind George Lucas («American Graf- einer wirklich guten neuen Story?
fiti») zum milliardenschweren Visionär, Bei «Star Wars» ging es nie nur um
hatte er sich doch früh die Rechte am das, was man sah; es ging oft mehr um das
Merchandising gesichert. Dahinter; die eigene Phantasie, die von
Es folgten zwei Fortsetzungen und den Filmen beflügelt wurde; die unzähli-
ab 1999 die Prequels, welche die Vor- gen Diskussionen, wie es mit den Figuren
geschichte um den Untergang der Jedi weitergehen würde. George Lucas wurde
und der Republik erzählten. Doch auch zuletzt stark für einen Overkill an Effek-
wenn diese Teile teilweise harsche Kritik ten und hölzerne Drehbücher kritisiert,
einstecken mussten, blieb eine Sache un- auch von mir; aber wenn der Schöpfer
verändert: die weltweite Faszination für selbst Fehler macht, ist es etwas anderes,
diese Galaxis und Figuren wie Anakin als wenn fremde Leute sich an seinem
Skywalker, Prinzessin Leia oder Obi- Werk versuchen. Zumal Lucas Charak-
Wan Kenobi. tere und Geschichten erfand, die einen
als Fan trotz allen Schwächen interessier-
Kalte Dusche für die Fans ten. Denn er erzählte von neuen Welten,
liess auch einmal Lücken und verstand
Mich selbst erwischte es mit dreizehn, als es, sein Universum mit jedem Film grös-
mich Freunde in eine Wiederaufführung ser zu machen.
von «The Empire Strikes Back» mitnah- Seit Disney die Rechte hat, spielt fast
men. Ich kannte bis dahin nichts von der alles auf dem Wüstenplaneten Tatooine.
Saga – doch spätestens, als Darth Vader Bis auf wenige Ausnahmen (etwa den
dem jungen Helden Luke die Hand ab- Film «Rogue One», 2016, und die bis-
schlug und ihm sein berühmtes «No . . . herigen starken Staffeln von «The Man-
I am your father» entgegenschleuderte, dalorian») vollzieht sich mit den unzäh-
begriff ich, was Kinomagie ist. Fortan ligen Filmen und Serien eine Verwässe-
war auch für mich jeder neue «Star rung, ja Egalwerdung der Saga. Statt die
Wars»-Film ein Ereignis, dem man oft Welt hinter der Welt auszubauen, wird
jahrelang entgegenfieberte; bereit, ihn in das schon Bekannte immer weiter aus-
Diskussionen lustvoll niederzumachen geleuchtet, und die alten Figuren werden
oder blind zu lieben. so lange rezykliert, erklärt und entmytho-
Irgendwann in den letzten Jahren ist logisiert, bis sie an Bedeutung verlieren.
das verlorengegangen. Irgendwann wur- Inzwischen wirkt die «Star Wars»-
den aus diesen sehnsüchtig erwarteten Galaxis derart geschrumpft, dass selbst
Events normale Filme und Serien, deren Die Geschichten von «Star Wars» versanden zunehmend. Szenenbild aus «Obi-Wan Kenobi» (2022). LUCASFILM ihre grössten Helden und Schurken
gute Momente einen kaum mehr tief be- in nur wenige schlanke Episoden des
rührten und deren Scheitern man nur mauseigenen Streamingkanals passen,
noch achselzuckend zur Kenntnis nahm. auf die es wöchentlich zu warten gilt.
Es wäre zu einfach, das alles auf den angegossen passt; mit seiner Präsenz steckt, da sie zwischen zwei bekannten Und ja, vielleicht spricht hier auch die
Verkauf der «Star Wars»-Rechte an Dis- trägt er mühelos die Serie. Filmen spielt, und man dadurch immer Verbitterung des alten Fans, der das alles
ney zu schieben, aber es half wohl nicht, Man spürt die Verbitterung seines weiss, wer überleben wird. Und so bleibt viel zu ernst nimmt.
dass dort sofort eine Trilogie gemacht im Exil auf Tatooine lebenden Jedi, der als Erkenntnis, dass hier trotz der spür-
wurde, die angesichts der glühenden Er- sich nun «Ben» nennt, auch die Schwä- baren Zuneigung der Beteiligten zu den Hab mehr Mut, Disney!
wartungen der Fans wie eine kalte Du- che und die Furcht, wenn er noch mal Figuren eine Chance verpasst wurde.
sche wirken musste. Statt sich vorher ge- aufbrechen muss, um die vermisste Leia Ich hätte die Serie gern geliebt, und Vielleicht war «Star Wars» immer schon
meinsam und in Ruhe eine spannende zu retten – hier noch ein Kind. Die oft das Problem ist auch nicht, dass sie vor allem für Kinder und Jugendliche.
und konsistente Geschichte auszuden- berührenden Szenen zwischen dem ält- schlecht wäre, sondern, dass sie grund- Nur will man das als Erwachsener nicht
ken, wurden die Macher zeitlich so unter lichen Mann und dem vorlauten Mäd- solide ist, aber oft nicht mehr. Schmerz- wahrhaben und lädt die Figuren und
Druck gesetzt – das Geld für die Rechte chen gehören zu den Stärken der Serie. haft wird einem bewusst, dass wirklich Filme mit Bedeutungen auf, die sie nie
sollte möglichst schnell eingespielt wer- Man sorgt sich um Obi-Wan, wenn er inspiriert, mitreissend und tief dann hatten. Und man vermisst dann Gefühle
den –, dass sie auf Nummer sicher gingen unterwegs von der Inquisitorin Reva doch anders ginge und dass wohl auch in den Fortsetzungen, die man selbst
oder gefühlt auch einmal erstbeste Ideen (beeindruckend: Moses Ingram) verfolgt die gesamte Handlung auf eine Serviette nicht mehr in sich trägt. So dass einem
und Schnellschüsse verfilmten.Teilweise wird und sich den Dämonen seiner Ver- gepasst hätte. ein Zitat der amerikanischen Lyrike-
widersprachen sich die Regisseure sogar gangenheit stellen muss. Denn aus sei- Oder ist das zu gemein? Ist es wirk- rin Louise Glück in den Sinn kommt,
direkt, töteten eine wichtige Figur aus nem einstigen Freund und Schüler Ana- lich so schlimm, dass es hier wenig Über- das immer schon für die leicht zu ent-
dem Vorgängerfilm des anderen oder kin Skywalker wurde der gefürchtete raschendes gab und die Inszenierung täuschenden älteren Fans und zugleich
nahmen eine Entscheidung von dort mit Bösewicht Darth Vader. Und der hat es kaum Raffinement bot, sollte man sich für diese nostalgische Reihe gestanden
unverhohlener Mittelfingergeste zurück. auf ihn abgesehen. nicht einfach mal freuen, die alten Hel- haben könnte: «Wir sehen uns die Welt
Das Ergebnis waren zunehmend see- Ewan McGregor den zu sehen? nur einmal an. In der Kindheit. Der Rest
lenlose, aber auch kommerziell enttäu- Erstaunlich konfus passt die Rolle ist Erinnerung.»
schende Filme, da das Interesse der Fans «Stranger Things» ist besser Andererseits war das Echo auf die
schnell nachliess. Während George Lucas Nach dem gelungenen Auftakt war ich des Obi-Wan neue Serie erneut durchwachsen, auch
sich stets an die Weisheit «Weniger ist bis auf die teilweise sterile Atmosphäre – noch immer Vielleicht hätte man das denken können, bei jungen Leuten. Und so möchte man
mehr» hielt und über Jahrzehnte hinweg der ganze Planet Alderaan wirkt so, als wäre nicht zeitgleich die vierte Staffel von den ja doch vielen grossartigen Kreati-
nur sechs Kinofilme herausbrachte, hat lebten hier maximal zwanzig Menschen – wie angegossen, «StrangerThings» auf Netflix erschienen – ven bei Disney zurufen: Habt mehr Mut,
Disney seit dem Kauf der Rechte die Tak- angetan, doch dann passierte etwas Ver- mit seiner Präsenz die andere grosse Serie in diesem Som- und traut euch das Neue, Aufregende!
tung spürbar erhöht. Allein in den letz- blüffendes: Obwohl danach vieles kam, mer. Nicht, dass diese perfekt wäre, aber Ein «Star Wars»-Film war einst ein Er-
ten sieben Jahren kamen fünf Filme ins was sich die Fans erhofft haben dürften – trägt er mühelos auffallend ist der Unterschied in Sachen eignis, ein knappes, kostbares Gut, ein
Kino, dazu diverse Serien auf dem Strea- ikonische Begegnungen und Licht- die Serie. Ambition. Die Macher von «Stranger Zittern beim Anschauen. «Obi-Wan
minganbieter Disney+, so dass es nur eine schwertduelle –, lässt einen das alles Things» haben in dieser neuen Staffel Kenobi» dagegen wirkte mit seinen
Frage der Zeit scheint, bis auch noch Yo- seltsam kalt. Schnitt und Kamera sind wirklich etwas zu sagen: Sie dachten sich wöchentlichen Episodenhäppchen wie
das Kindheit verhandelt wird. Der neu- erstaunlich konfus, und Logiklöcher sind einen epischen Plot aus, schrieben iko- die Serie zum Nachmittagstee. Ewan
este Output war nun aber erst mal «Obi- in diesem Genre zwar nichts Neues, aber nische Szenen und brachten selbst Kate McGregor in dieser Rolle hat manchen
Wan Kenobi». Nicht irgendwer, sondern es stört dann doch, wie unüberlegt oder Bush zurück in die Charts. Auch arbeite- Menschen wirklich etwas bedeutet, er
eine der wichtigsten und am meisten ge- sogar unglaubwürdig sich auch intelli- ten sie mit One-Takes und anderen Stil- war das Einzige, auf das sich Anhänger
liebten Figuren der Saga. gente Figuren verhalten, während Darth mitteln, während bei «Obi-Wan Kenobi» und Gegner der Prequels einigen konn-
Der Trailer überzeugte, die Fernseh- Vader auf fast jeden Trick des Univer- alles gemütlicher zugeht und kaum noch ten. Falls wie angedacht noch weitere
regisseurin Deborah Chow schien nach sums hereinfällt. Selbst die Musik, einst an echten Sets gedreht wurde. kurze Staffeln in dieser gut durchschnitt-
ihrer Arbeit an «Mr. Robot» und «Better das Herz von «Star Wars», bleibt bis auf Noch gravierender ist der Unter- lichen Qualität kommen, wäre aber auch
Call Saul» eine interessante Wahl. Noch ein schönes neues Thema von John Wil- schied, wenn man die Tiefe der Hand- Obi-Wan wie inzwischen so vieles aus
einmal schossen die Erwartungen hoch: liams blass. lung und der Charaktere betrachtet. Der dieser Galaxis: egal.
Die Pilotfolge, die rund fünfundvierzig Nach dem Finale entsteht gar ein alt gewordene Ben Kenobi hat seine Aber das könnte ein frommer
Jahre nach dem ersten «Star Wars»-Film Gefühl von Entfremdung: Manche der stärksten Momente, wenn er schwach Wunsch bleiben. Disney hat für «Star
erschien, brach den Rekord für die am eher pflichtschuldig angesetzten Kon- ist; geplagt von seinem Gewissen, weil Wars» bereits sieben neue Serien ange-
meisten gestreamte Episode einer Serie. frontationen wollen sich einfach nicht sein einstiger Schüler zum Mörder ge- kündigt.
Und tatsächlich ist es für einen langjäh- aufregend anfühlen, überhaupt wirken worden ist. In der Mitte der Serie scheint
rigen Fan ein schönes Gefühl, Ewan viele Szenen, als wäre ein Häkchen hin- er keine Chance zu haben, das war span- Der deutsch-schweizerische Autor Benedict
McGregor wieder in der Rolle des Obi- ter Fanwünsche gemacht worden. Zumal nend, doch nur drei kurze Folgen später Wells, 1984 in München geboren, lebt in
Wan zu sehen, die ihm noch immer wie die Geschichte in einem engen Korsett wirkt er ohne ersichtlichen Grund unbe- Zürich.
12 Panorama Mittwoch, 6. Juli 2022
dings füllen die Kugeln bloss etwas weni- länder James Maynard. Im Gegensatz ein sehr ruhiges Kind gewesen, das alles
PD
ger als 0,2 Prozent des 24-dimensionalen June James Hugo zu Huh war er schon als Kind ein Aus- für sich behalten habe. Es habe kaum
Raumes; 99,8 Prozent bleiben leer. Im Huh Maynard Duminil-Copin nahmekönner. Heute forscht er als Pro- Gespräche zwischen ihnen gegeben,
E8-Gitter wird jede Kugel von 240 be- Princeton University Oxford University Universität Genf fessor in Oxford über Primzahlen, das Robert sei die ganze Zeit vor seinem
nachbarten Kugeln berührt; im Leech- heisst Zahlen, die nur durch eins und Computer gesessen. Offenbar lebten er,
Gitter hat jede Kugel 196 560 Nachbarn. rie und Physik. Unter anderem arbeitet Duminil-Copin verband die mathe- sich selber dividiert werden können. sein Vater und der Onkel an derselben
Die Fields-Medaille ist nicht die erste er an Problemen der Perkolation und matischen Theorien der Phasentransfor- Besonders interessiert sich Maynard Adresse, aber Robert Crimo hatte eine
Anerkennung für Viazovska. Neben der Phasenübergänge. Unter Perkola- mation und der Perkolation in drei und für die Lücken zwischen zwei aufeinan- eigene Wohnung. Sein Vater ist Inha-
mehreren anderen Auszeichnungen er- tion versteht man die Bewegung von vier Dimensionen und konnte so Fragen derfolgenden Primzahlen. Die kleinste ber eines Feinkostladens und bewarb
hielt sie vor zwei Jahren den mit 100 000 Flüssigkeiten oder Gasen durch poröses zur Magnetisierung von Materialien und Lücke ist 2, und seit Mitte des neunzehn- sich 2019 erfolglos um das Bürgermeis-
Franken dotierten Schweizer Wissen- Material, wie zum Beispiel, wenn heisses zur Quantenmechanik beantworten. ten Jahrhunderts wird vermutet, dass es teramt von Highland Park. Robert war
schaftspreis Latsis. Seither durfte sie sich Wasser durch gemahlenen Kaffee einen unendlich viele sogenannte Primzahl- laut seinem Onkel arbeitslos, hatte frü-
Hoffnungen auf die Fields-Medaille ma- Weg nach unten sucht. Ist das Kaffee- Ein Lyriker wird Mathematiker zwillinge gibt, wie zum Beispiel 17 und her jedoch in einer Bäckerei gearbeitet.
chen. Viazovska wusste aber auch, dass pulver allerdings zu dicht gepackt, kann 19 oder 1031 und 1033. Sein Profil ist in vielerlei Hinsicht
dieses Jahr die letzte Gelegenheit für das Wasser nicht durchfliessen. Der dritte Preisträger, June Huh, wurde Diese Vermutung ist noch unbewie- typisch für amerikanische Amokschüt-
den Preis war. Denn in vier Jahren wird In den mathematischen Modellen der in Kalifornien geboren und wuchs in sen. Maynard konnte aber immerhin zen: Jung, männlich, weiss, Angehöri-
sie älter als 40 sein. Perkolation sind die Zwischenräume zwi- Südkorea auf. Da er in der Schule zeigen, dass es unendlich viele Prim- ger der Mittelschicht, aufgewachsen im
Nicht weit von Lausanne entfernt, schen benachbarten Elementen mit einer schlecht in Mathematik war, wandte er zahlpaare gibt, die höchstens 600 Stel- kleinstädtischen Milieu, eher verschlos-
in Genf, lehrt Hugo Duminil-Copin, gewissenWahrscheinlichkeit durchlässig. sich dem Gedichteschreiben zu. Erst in len auseinanderliegen. Ein anderes sen, verbringt viel Zeit im Internet, fühlt
der zweite Preisträger. Ihm wurde die Liegt diese Wahrscheinlichkeit über seinen Mittzwanzigern, als er sich an leicht verständliches Theorem, das May- sich verkannt oder ausgeschlossen und
Fields-Medaille gewissermassen in einem kritischen Wert, so gibt es im All- der Seoul National University zum nard bewies, ist, dass es für jede Zif- steigert sich zunehmend in Grössen-
die Wiege gelegt. Seine Masterarbeit gemeinen einen Weg durch das Mate- Wissenschaftsjournalisten ausbilden fer zwischen 0 und 9 unendlich viele und Allmachtsphantasien, die er dann
schrieb er unter Anleitung von Wende- rial, sonst nicht. In bisherigen Arbeiten lassen wollte, entdeckte er die Mathe- Primzahlen gibt, die diese Ziffer nicht eines Tages, unfassbar für seine Nächs-
lin Werner, der 2006 die Fields-Medaille zur Perkolation waren die Wahrschein- matik dank einer Zufallsbekanntschaft aufweisen. ten, umsetzt.