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Babette Babich, „Die Beiträge als Heideggers Wille zur Macht.

Nietzsche – Technik – Machenshaft“


in: ders., »Eines Gottes Glück, voller Macht und Liebe« (Weimar: Bauhaus-Universitätsverlag, 2009),
Kapitel VII, S. 178-208.

Forme uniche della continuità nello spazio [Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum], 1913

Umberto Boccioni (1882–1916), Bronze, 112 x 40 x 90 cm, The Museum of Modern Art,
New York City, NY, U.S.A.; Foto: Verfasserin
Henning Hahn

Nietzsche contra “Heideggers Nietzsche”


VII.
sc. Aphorismus contra System
Die Beiträge als Heideggers
Wille zur Macht.
Nietzsche – Technik – Machenschaft
Die Verstrickung in die Wirrnis der Wertvorstellung, das Nichtverstehen ihrer
fragwürdigen Herkunft ist der Grund, weshalb Nietzsche die eigentliche Mitte
der Philosophie nicht erreichte. Aber auch wenn ein Künftiger sie wieder errei-
chen sollte – wir Heutigen können dem nur vorarbeiten – wird auch er der Ver-
strickung, nur einer anderen, nicht entgehen. Keiner springt über seinen Schat-
ten.
Heidegger, Einführung in die Metaphysik, S. 15

Der „Wille zur Macht“ als Hauptwerk

Nietzsche schrieb sein Wille zur Macht nie mit eigener Hand als Buch und des-
halb auch nie als eigentliches „Werk.“ Heidegger zufolge sollten wir den Aus-
druck „Wille zur Macht“ lediglich „als Titel des von Nietzsche Jahre hindurch ge-
planten und vorbereiteten, aber nicht ausgeführten philosophischen Hauptwer-
kes“ verstehen.1 Doch als Ausdruck bedeute der Wille zur Macht genau

dasjenige was Nietzsche denkt wenn er die Leitfrage der Philosophie fragt.2

Um diesen ersten Tatbestand zu betonen, beginnt Heideggers erste Nietzsche


Vorlesung aus den Jahren 1936–37, Der Wille zur Macht als Kunst, mit der Be-
sonderheit, das Wort „Werk“ in Anführungszeichen zu setzen. Da es aus Nietz-
sches verbliebenen Papieren zusammengestückelt ist, einschließlich, wie Heideg-
ger schreibt, „Vorarbeiten“ und nur „stückweise[n] Ausarbeitungen“, – und auch,
wie wir inzwischen gelernt haben, aus von Nietzsche weggeworfenen Entwürfen
–, weist Heidegger auf die Entstehungsgeschichte dieses berüchtigten Buches
hin, während er sich gleichzeitig anschickt, Nietzsche-Spezialisten zu verärgern,
indem er trotz allem zu einer genauen Auslegung dieses Nicht-„Werks“ übergeht.
Und nicht nur das.
Zu Beginn seiner Nietzsche-Vorlesungen betont Heidegger deshalb wiederholt,
dass die Konzeption von Der Wille zur Macht einem bestehenden Plan in Nietz-
sches Notizen entspricht; und er hebt hervor, dass so, wie die Frage des Seins in
seinem eigenen Sein und Zeit fundamental bleibt, das, was in Nietzsches Wille
zur Macht essenziell ist, nicht „die Folge von vereinzelten Fragmenten […] ge-
sammelt und summiert in einem Buch [….] wo solch eine Anordnung willkürlich
und unwesentlich ist“, sei, „sondern was es uns aufgibt, ist zu forschen – in, mit
und durch Nietzsche.“3
Es ist klar, dass Heidegger uns nicht einfach lehrt, Nietzsches Nachlass auf Kosten
der publizierten Werke zu lesen, sondern dass er vielmehr davon spricht, wie
man dem Willen zur Macht als einem Teil von Nietzsches Nachlass Sinn abge-
winnen kann.

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VII. Heideggers Wille zur Macht…

Auf diese Weise gibt Heidegger zu verstehen, dass er Nietzsches Wille zur Macht
ernst zu nehmen gedenkt. Im Kontext von Deutschland im Jahre 1936, und zwar
sowohl bis zu diesem Zeitpunkt als auch danach, lief das Anliegen, den Willen
zur Macht ernst zu nehmen, darauf hinaus, Nietzsche allzu ernst zu nehmen.
Und das trifft auch noch heute zu: Man nimmt aber Nietzsche auch nicht ernst,
wenn man Über Wahrheit und Lüge liest – um ein weiteres Werk anzuführen, das
Nietzsche nicht geschrieben hat –, auch wenn man es möglicherweise als ge-
haltvoller wahrnehmen wird als viele poststrukturalistische und die meisten phi-
lologischen Alternativen. Obwohl dies vielen angelsächsischen Lesern gegen den
Strich gehen mag, kann man dasselbe vielleicht in Bezug auf Zur Genealogie der
Moral behaupten, ein Werk, das man üblicherweise als einer populären, also
gleichsam ethischen Philosophie am nächsten stehend betrachtet.
So wie Der Wille zur Macht als Nietzsches Hauptwerk betrachtet werden kann,
können auch Heideggers Beiträge4 quasi als dessen Hauptwerk angesehen wer-
den. Es bestehen aber gravierende Unterschiede. Heidegger hatte bereits ein
erstes Hauptwerk geschrieben (was für Nietzsche nicht zutrifft), und Heidegger
schrieb dieses Werk selbst und von eigener Hand, so wie Nietzsche es eben
nicht tat.
Nicht nur als ein Quasi-Hauptwerk, wie Nietzsches Arbeit, sehe ich Heideggers
Beiträge an, sondern als seinen wahrhaftigen „Willen zur Macht“ in zwiefacher
Hinsicht. Der erste und wichtigere Grund ist, dass Heidegger die Problematik der
Macht und der Beherrschung, der Machenschaft zum Thema macht. Dies ist ein
politischer Fokus, wie Reiner Schürmann ihn gelesen und Fred Dallmayr analy-
siert hat.5 Doch die Beiträge sind auch stilistisch nicht, wie manche Ausleger in
eher impressionistischer Sicht nahegelegt haben, nach der Vorlage von Nietz-
sches Zarathustra, sondern vielmehr nach Nietzsches Der Wille zur Macht ge-
formt, nach jenem Werk also, das der hauptsächliche Gegenstand von Heideg-
gers gleichzeitigem ersten Vorlesungs-Kurs zu Nietzsche war. Der hauptsächliche
Grund, der für diese Behauptung angeführt werden kann, betrifft den Stil. In
ihrem Format und Entwurf weisen die Beiträge ebenso wie Der Wille zur Macht
kurze Abschnitte auf – so kurz, wie der scholastische Heidegger sie nur machen
konnte – und er nummerierte sie in Unterparagrafen, die mit jenen von Bernard
Lonergans Insight um einen exzessiven Zahlen-Enthusiasmus wetteifern könnten;
doch vor allem weisen die Beiträge Paragrafentitel auf, die mit den Titeln in
Nietzsches Büchern vergleichbar zu sein scheinen, etwa wie Die fröhliche Wis-
senschaft, Jenseits von Gut und Böse, und Der Wille zur Macht. Im Folgenden
werde ich Zitate aus den Titeln anführen, die Heidegger in seinen nummerierten
Paragrafen in den Beiträgen verwendet. Dies wird verdeutlichen, dass die Beiträ-
ge Nietzsches Wille zur Macht Wesentliches verdanken, der doch – wohlgemerkt
nach Heideggers Einschätzung – Nietzsches „Hauptwerk“ ist: Denn Nietzsche, so
erscheint es mir, dient Heidegger nie als Beispiel, sondern als Horizont und Hin-
tergrund.

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Heidegger, Nietzsche und die moderne Technik: …

Die zweite Parallele besteht in der thematischen Bedeutung der Macht für beide
Werke, Nietzsches Der Wille zur Macht und Heideggers Beiträge. Die Idee der
Macht war in den dreißiger Jahren allgegenwärtig, besonders in Deutschland,
und besonders in einer Welt, die sich bereits zuvor zu einer bis dahin ungeahn-
ten Stufe der Verwüstung und Erniedrigung durchgekämpft hatte und sich an-
schickte, nochmals den Kurs unvorstellbarer Zerstörung bis in die Naturgeschich-
te der Destruktion hinein einzuschlagen, – um die beunruhigenden Worte von
Lord Solly Zuckerman,6 die in dem posthum im Englischen veröffentlichten Buch
von Wilfried Sebald auftauchen (The Natural History of Destruction [Luftkrieg und
Literatur]),7 für das zu verwenden, was sich als die Konsequenz des Zweiten
Weltkriegs erweisen sollte. Heideggers Bezeichnung für diese Zerstörung ist
‚Machenschaft’, ein Wort, das eine Leidenschaft für Selbsterhaltung in ihrer selt-
sam modernen Allianz mit Selbstbehauptung bezeichnet – bzw. jenen Zug, den
wir jetzt in den Vereinigten Staaten „nationale Sicherheit“ nennen.
Für Heidegger hatte Machenschaft in der Welt der 1930er-Jahre einen dezidiert
modernen Zungenschlag, den er später in seinen Vorträgen beim Club von Bremen
als das Wesen der modernen Technik identifizierte: die Weltansicht der moder-
nen Wissenschaften. Dieses Wesen überschritt politische Grenzen. Es ist ein wahr-
haft globales Wesen, das die scheinbaren Unterschiede zwischen Bolschewismus
und Kapitalismus sowie der vorherrschenden Machtausübung des Nationalsozia-
lismus und seiner Vorstellung von den Wissenschaften negierte, so wie sie sich
in einer praktischen und durchaus politischen Hinwendung zu Gerätschaften –
technischen und kybernetischen, biologischen und psychologischen – seitens der
modernen Wissenschaften und ihrer totalisierenden Entwicklung ausprägte.
Nach der Behandlung von Heideggers Beiträge[n] als einem editorischen Phäno-
men, ähnlich wie das auf Nietzsches Wille zur Macht zutrifft, biete ich einen
zusammenfassenden Überblick über Heideggers Analyse der Macht als techni-
sche und wissenschaftliche Machenschaft. Abschließend weise ich auf die anhal-
tende Relevanz der heideggerschen Gedanken über die moderne technologische
Machenschaft hin, im Hinblick auf die fundamentalen Annahmen und Ambitio-
nen der Gen-Manipulation im Allgemeinen und des menschlichen Genompro-
jekts im Besonderen.

Heidegger, Nietzsche und die moderne


Technik: Machenschaft und Wille zur Macht

Seit ihrer ersten, scheinbar überraschenden Veröffentlichung außerhalb der vor-


geschriebenen Reihenfolge der Gesamtausgabe haben Forscher die Beiträge wie-
derholt gelesen, ohne auch nur annähernd irgendeinen Konsens hinsichtlich
ihrer Lesart erzielen zu können. Ob sich der heutige Leser eine gewisse Vorliebe

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VII. Heideggers Wille zur Macht…

für den Heidegger von Sein und Zeit erhält oder ob er die Umwandlung der
„Kehre” an den Beiträge[n] selbst oder in ihren Folgewirkungen würdigt, die
komplexen Sprach-Resonanzen und Denk-Unternehmen des „späten Heidegger“
sind weiterhin nur schwer in das heideggersche Corpus einzufügen.
Warum ist das so? Oberflächlich gesehen wäre natürlich die einfachste Antwort,
dass die Publikation schlichtweg zu frisch ist – uns selbst noch zu nahe – sowohl
im Hinblick auf das Erscheinen der Beiträge im Jahr 1989 als auch auf das, ge-
messen an akademischen Gepflogenheiten, kurze Jahrzehnt bis zu ihrer engli-
schen Übersetzung, die im Dezember 1999 erschienen ist. Doch diese Antwort
ist unbefriedigend.8 Otto Pöggeler hat zwar behauptet, Heidegger habe

selbst seinen engsten Schülern gegenüber von dieser Arbeit nicht gesprochen,9

aber Pöggelers Darstellung der Beiträge als Heideggers „zweites Hauptwerk“ kur-
siert seit vierzig Jahren in deutschen und anderen Kreisen,10 angefangen mit
Pöggelers eigener früher Schilderung des Textes selbst in Sein und Ereignis
(1959).11 Zumindest aber ist der postulierte Überraschungs- oder Neuheitsfaktor
nicht wirklich zutreffend.
Ich bin meinerseits der Ansicht, dass Heideggers Manuskript nicht nur zufällig
eine Verquickung mit Nietzsches Stil darstellt, sondern dass Heidegger seinen
Text nach dem Vorbild eines editorischen Phänomens verfasste, das in der Tat
etwas zuwege brachte, das man als Nietzsches „Beiträge zur Philosophie” be-
zeichnen könnte: jenen Teil von Nietzsches Philosophie, der Nachlass blieb.12 So
gesehen können dann umgekehrt die Beiträge ihrerseits als Heideggers Wille zur
Macht gelesen werden.13 Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass Heideg-
ger in seiner ersten Nietzsche-Vorlesung eine Betrachtung dessen expliziert, was
bei ihm Ereignis (im Untertitel zu den Beiträgen) – oder in Nietzsches Ausdrucks-
form „Nihilismus“ heißt.14
In einem derart wohlbestimmten Kontext können wir nun Heideggers damalige
Mitarbeit im Ausschuss der Herausgeber für die geplante Ausgabe der Werke
Nietzsches interpretieren. Indem Heideggers erstmaliges offizielles Eintreten für
Nietzsche in der Tat von der textgebundenen (nämlich editorischen) Form über-
lagert wurde, war Heidegger ebenso – bewusst oder nicht – dazu inspiriert, sich
Nietzsches Stil anzueignen (eine Verlockung, die kaum einem Nietzsche-Leser
erspart bleibt).15 Dies wäre dann die ständige Triebfeder für Heideggers ver-
hängnisvolles Sich-Einlassen auf nichts Geringeres als die Grenzen der Sprache
selbst. Kenntnis von Heideggers eigenen Worten für diese Begegnung habe ich
durch Hans-Georg Gadamer (der, wie viele meiner alten Freunde, dieselbe Ge-
schichte offenbar allen möglichen Leuten anvertraut hat): Nietzsche hat mich
kaputt gemacht.16 Die Bemerkung ist irritierend einfach; doch, was sie nun
eigentlich bedeutet, ist alles andere als klar. Wie sollte Nietzsche für Heideggers
Ruin gelten? Wie konnte Heidegger sich Nietzsche vorstellen als denjenigen, der

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Heidegger, Nietzsche und die moderne Technik: …

seinen Ruin verursacht hatte? In welchem Sinne hätte Nietzsche Heidegger rui-
niert? Gestürzt aus welcher Höhe oder Position?
Die Bedingungen, unter denen Heidegger 1935 die Einladung Walter F. Ottos
annahm, er möge der Herausgebergruppe für die kritische Ausgabe beitreten,
waren politisch kompliziert17 und, ohne übertreiben zu wollen mysteriös.18 Aber
gerade dieses Involviertsein gab Heidegger eine Vorwarnung hinsichtlich des
Schicksals der Werke eines Verfassers.19 Denn wie Heidegger selbst ausführlich
darlegte, Nietzsches Der Wille zur Macht war nicht eigentlich ein Werk, es ent-
sprach nicht einmal einem Forschungsweg im heideggerschen Sinn.20 Stattdes-
sen war Der Wille zur Macht im wahrsten Sinne des Wortes ein editorisches
„Produkt” (was uns auch die Tatsache, dass die Urheberrechte des Buches bei
Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche lagen, zeigen sollte).21
Im Geist derartiger Nachlass-Kompilationen entsprächen Heideggers Beiträge zur
Philosophie einem absichtlichen Versuch, eine „Grundlage“ von „Notizen“ für den
späteren Bestand von Heideggers „unveröffentlichten Abhandlungen“ zu erstel-
len.22 So gesehen ist Heideggers besonderer Stil der Beiträge weniger ein Bei-
spiel für seine eigenste philosophische Stimme als für seine gewissenhafte Be-
schäftigung mit dem Format, mit der Idee selbst eines Nachlasses an sich.23 Um
Nietzsches Ausdrucksweise zu verwenden, Heidegger verfasste seine Beiträge als
seinen eigenen „posthumen“ Text.
Auf diese Weise versuchte Heidegger, dem Schicksal zu entgehen, das Nietzsche
vermittels von professionell oder politisch motivierten Herausgebern erfahren
hatte (und das sollte man sich nicht nur als ein kontingentes Ereignis vorstellen,
das nur unter bestimmten politischen Regimes möglich ist), indem er spezifisch
und absichtlich seine eigenen „Nachlass”-Materialien abfasste. Mit direkter eige-
ner Erfahrung der Rolle, die Herausgeber in der Rezeption eines Denkers ergrei-
fen können – oder im Blick auf das Wesen der Stimme eines Dichters, wie es uns
positiv der Fall von Hölderlin und Norbert von Hellingraths „Entdeckung” (oder
Gegen-Edition) der späten Gedichte einer Zeit des zugeschriebenen Wahnsinns
verdeutlicht –, verfolgte Heidegger die Absicht, seine Verwundbarkeit seitens
derartiger herausgeberischer Eingriffe zu beschränken, indem er das, was in sei-
nen Augen als Nachlass zählen würde, unter Kontrolle behielt.
Ironischerweise konnte aber auch Heidegger nicht allen editorischen Manipula-
tionen entrinnen – so wenig, wie es Nietzsche gelungen war. Zwar sind Heideg-
gers Beiträge durchaus nicht das Konglomerat, das Nietzsches Wille zur Macht
darstellt, eine Auswahl nach editorischem Gutdünken, zusammengestellt aus
verschiedenen Notizbüchern und unzusammenhängenden Aufzeichnungen; den-
noch sind sie in Wahrheit ähnliche (und ähnlich radikale) herausgeberische Pro-
duktionen, die auf der Basis von Notizen veröffentlicht wurden, die über Heideg-
gers Leben hinweg aufbewahrt worden waren.
Soweit mir bekannt ist, blieb die Radikalität dieser textuellen Verfasstheit bisher
nahezu ganz ohne Kommentar.24 Gleichwohl konnte eine Zusammenstellung der

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VII. Heideggers Wille zur Macht…

Beiträge zu ihrer gegenwärtig publizierten Form (als fertiges Buch) nicht ohne
etwas so Substanzielles wie die Verschiebung eines ganzen Hauptteils gesche-
hen. Nun als letzter Abschnitt eingeordnet, wurde nämlich der Abschnitt „Das
Seyn” aus seiner ursprünglichen Stelle im Manuskript, wo es als zweiter Teil dem
„Vorblick“ folgend stand, heraus und in die achte Position hinein versetzt. Im
veröffentlichten Buch erscheint „Das Seyn” als der Abschluss des Werkes anstatt
des ursprünglichen Schlusskapitels „Der letzte Gott.” Wie Friedrich-Wilhelm von
Herrmann in seinem Epilog erklärt, entsprach diese editorische Veränderung
einer Notiz auf einem losen Zettel, wonach der fragliche Abschnitt „nicht richtig
eingereiht” sei.25 Aber wie ist solch ein loser Zettel zu interpretieren? Stellt er
eine direkte Anweisung für einen späteren Herausgeber dar? War es eine Bemer-
kung seitens des Autors, die auf die Notwendigkeit verwies, in Zukunft eine Um-
stellung vorzunehmen? So wie die Dinge jetzt stehen, wird in der Publikation
des Buches von positiven Antworten auf beide Fragen ausgegangen. Aber man
darf fragen: Handelte es sich hierbei um eine Notiz, die nichts anderes darstellt
als einen notwendigen Kommentar zu einer erwarteten Positionierung und zu
gegenläufigen Erwartungen? Heideggers wohlbekannte Nebenbemerkungen und
Kommentare zur Anordnung seiner Texte (offensichtlich gezielt gegen Vorurteile
seitens der Leser oder, um die offensichtliche Anordnung des Textganzen zu
untergraben) sind alles andere als ungewöhnlich für einen Heidegger, der ähnli-
che Kommentare zum argumentativen Aufbau in Sein und Zeit oder in Einfüh-
rung in die Metaphysik oder Was heißt Denken abgibt – dies jedoch ist Heideg-
gers Leserschaft bestens bekannt.26 Im Fall der Beiträge bemerkte der hier in
Frage stehende Kommentar auf dem fraglichen Stück Papier nur, dass die Unter-
teilung nicht richtig vorgenommen war: Er äußerte sich nicht dazu, wie sie bes-
ser vorzunehmen sei.27 Aber die beigefügte Notiz war die alleinige Rechtferti-
gung, die für die Entscheidung angeführt wurde, die Stelle ganz an das Ende des
Manuskriptes zu transponieren, „wodurch”, wie der Herausgeber erklärt, „dieser
nun nicht mehr den zweiten, sondern den achten Teil bildet”.28 Der Manuskript-
teil, der zunächst das „Seyn” behandelt, ist somit von einem rückschauenden
Ausgangspunkt vor Heideggers „Anklang” weg versetzt und wird – Echo von
Heidegger II – im neu angeordneten Text ein Postskriptum.29
Ich unterstelle natürlich von Herrmann nicht im Geringsten andere als wohlmei-
nende Absichten. Ich betrachte diese als unangreifbar und wie Silvio Vietta und
auch andere Forscher, Übersetzer und Herausgeber bin auch ich überzeugt, dass
von Hermanns Arrangement der zeitlichen Folge von Heideggers Textredaktion
entspricht.30 Als Herausgeber und mit gutem Gewissen sicherte von Herrmann
die seither entscheidende Kraft seiner eigenen Interpretation von Heideggers
„Absichten” auf sehr direkte Art und Weise durch die Patentlösung einer Neu-
ordnung der Beiträge in ihrer gedruckten Version ab.
Die Beiträge bieten ein Motto: „Hier wird das in langer Zögerung/Verhaltene an-
deutend festgehalten/als Richtscheit einer Ausgestaltung.” Wenn Heidegger

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Zu dem letzten Menschen und dem „Letzten Gott“

selbst zuerst eine Anordnung gewählt hätte und dann ungeachtet seines eigenen
Kommentars auf dem Inhaltsverzeichnis des Typoskripts trotzdem die Anord-
nung seines Manuskripts (und wohlgemerkt, der Typoskript-Version desselben
Textes) unverändert von 1939 (dem Datum des Manuskript Kommentars, auf
den sich von Herrmann bezieht) bis zu seinem Tod im Jahr 1976 beibehielt und
wenn er in der Zwischenzeit Direktiven hinsichtlich der Verbreitung dieses Ma-
nuskripts von acht Unterteilen und 935 Abschnitten an Pöggeler (und andere)
abgab, wenn Heidegger obendrein in den letzten Jahren seines Lebens an einer
präzise autorisierten letzten Edition seiner Werke arbeitete und wenn er, wie ich
behaupte, darauf bedacht war, dem Schicksal von Nietzsches Nachlass seitens
der Herausgeber zu entgehen, die ihren eigenen Einsichten den Vorzug geben,
dann wären Heideggers Absichten in den Beiträgen dem sanfteren Ordnungssinn
von Herrmanns zum Opfer gefallen.

Zu dem letzten Menschen und dem „Letzten Gott“

In einer wichtigen Äußerung zur Frage der Technik und der Wissenschaften er-
klärt Heidegger Nietzsche zum letzten Philosophen des Abendlandes, indem er
gewissermaßen das Ende der Metaphysik mit Nietzsches Philosophie des Willens
zur Macht als Kunst oder techné krönt. Obwohl die Nietzsche-Forschung übli-
cherweise Heideggers Interpretation Nietzsches als willkürlich und nicht korrekt
ablehnt, beziehe ich mich auf die aus derselben Zeit stammenden Vorlesungen
über Nietzsche, um meinen Beweis zu stützen, dass Heideggers Beschäftigung
mit Nietzsche ein bedeutsames Licht auf Heideggers eigentümliche und erschre-
ckend vernachlässigte – wenn nicht gar ignorierte – Besinnung auf die Logik der
Wissenschaft und der modernen Technik wirft.31
In den späteren Zollikoner Seminaren erklärt Heidegger mit Beziehung auf das
Subthema Vom Ereignis in den Beiträgen:

So lange man das Sein als Anwesen versteht, wie dies üblich war und ist, kann man die
Technik nicht verstehen, und schon gar nicht das Ereignis…32

Und schon früher, in den Nietzsche-Vorlesungen, sehen wir, dass die Frage nach
der Technik in Bezug auf Nietzsches eigene nachdenkliche Beurteilung seines
Erstlings-Werkes zu verstehen war – ebenfalls kein Hauptwerk, zu Nietzsches
dauerhafter Enttäuschung. Die „Aufgabe”, wie Nietzsche es in seinem „Versuch
einer Selbstkritik” ausdrückte, ist, „die Wissenschaft unter der Optik des Künst-
lers zu sehen, die Kunst aber unter der des Lebens …”33 Heidegger zufolge ist
das, was Nietzsche hier sagt, üblicherweise missverstanden worden. 1936/37
sagt er:

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VII. Heideggers Wille zur Macht…

Ein halbes Jahrhundert ist über Europa hinweggegangen, seitdem dies Wort niedergeschrie-
ben wurde. In diesen Jahrzehnten ist das Wort immer wieder mißdeutet worden, und zwar
gerade von denen, die einer zunehmenden Entwurzelung und Verödung der Wissenschaft
entgegen zu arbeiten sich mühten.34

Nietzsches Anliegen ist an dieser Stelle nicht, dass wir der Wissenschaft mehr
Leben und Glanz beizugeben hätten, damit sie lebendiger werde, auch nicht,
dass wir der Welt des Wissenschaftlers einen Hauch von Lebenskunst verleihen
sollten, um so die Wissenschaften künstlerischer zu machen.35

Das Wort fordert das Wissen vom Ereignis als Nihilismus, welches Wissen für Nietzsche
zugleich den Willen zu seiner Überwindung einschließt und zwar aus den ursprünglichen
Gründen und Fragen.36

Gerade dieser Plan zur Überwindung erinnert uns an Hölderlin ebenso wie an
Heidegger, mit dem sein Denken auszeichnenden Unternehmen des ständig wie-
derholten Fragens, also des Fragens von Fragen, das an den Fragenden selbst ge-
richtet ist.
Bekanntlich findet Heidegger Nietzsches Infragestellung des Begriffs „Wahrheit“
als einer „Art von Irrtum” nicht radikal genug. Obwohl oder vielleicht gerade
weil, wie er behauptet, die „Ursprünglichkeit des Fragens, die Nietzsches Philo-
sophie im Ganzen einnimmt”, von zentraler Bedeutung ist, gilt es zu erkennen,
dass „die Frage nach dem Wesen der Wahrheit“ auch in Nietzsches Denken aus-
bleibt. Allerdings sei das als „ein Versäumnis eigener Art“ zu betrachten, auch
wenn dieses „nicht ihm allein und nicht erst ihm, zur Last gelegt werden kann.“
In diesem Sinne, meint Heidegger, geht dieses ‚Versäumnis’

seit Platon und Aristoteles überall durch die ganze Geschichte der abendländischen
Philosophie.37

Dies gilt nach Heidegger für die Philosophen insgesamt, von Descartes bis Nietz-
sche:

Sie alle lassen das Wesen der Wahrheit selbst unangetastet.38

Was aber die Unabdingbarkeit des nietzscheschen Denkens unterstreicht, ist ge-
rade die vorläufige Artikulation der Aufgabe des Denkens am Ende der Philoso-
phie, innerhalb dessen Nietzsche für Heidegger eine wichtige Rolle spielt, die
mit dem epochalen Ereignis in den Beiträgen korrespondiert.39

Was Nietzsche erstmals und zwar in der Ausrichtung auf den Platonismus als Nihilismus er-
kennt, ist in Wahrheit von der ihm fremden Grundfrage aus gesehen nur der Vordergrund des

186
Zu dem letzten Menschen und dem „Letzten Gott“

weit tieferen Geschehens der Seinsvergessenheit, die gerade im Verfolg der Antwortfindung
für die Leitfrage mehr und mehr heraufkommt. (B § 55, Seinsverlassenheit)

Wie Heidegger in den Nietzsche-Vorlesungen erklärt, verfinstert der Satz ‚Gott


ist tot’ , der üblicherweise mit dem Nihilismus in Verbindung gesetzt wird, den
eigentlichen Bereich von Nietzsches Anspruch.

Das Wort ‚Gott ist tot’ ist kein atheistischer Lehrsatz, sondern die Formel für die
Grunderfahrung eines Ereignisses der abendländischen Geschichte.40

Was Heidegger idiosynkratisch als „Seynsverlassenheit” bezeichnet, ist somit das,


was „vielleicht am meisten verhüllt und verneint wurde durch das Christentum
und seine verweltlichten Nachfahren” (B § 55, Seinsverlassenheit). Heidegger er-
innert uns an die Tatsache, dass wir die Tendenz haben, uns von Nietzsches Stil
einschläfern zu lassen, was zu einem Missverstehen der philosophischen Bedeut-
samkeit der Aussagen von Nietzsche führt:

Man hat, mitverleitet durch die Form der Mitteilungsart Nietzsches selbst, seine ‚Lehre’ vom
‚Nihilismus’ als eine interessante Kulturpsychologie zur Kenntnis genommen. (B § 72, Der
Nihilismus)

Nietzsches Einsicht in die heraufkommende Herrschaft des Nihilismus ist keine


Erkenntnis der bloßen ‚Seynsvergessenheit’. Weit entfernt davon, etwa die Not-
wendigkeit einer Rückkehr zur Theologie oder zu religiösen Werten zu eröffnen,
zeigen Nietzsches Reflexionen Heidegger vielmehr das einzigartige Ereignis des
Nihilismus, wie dieser einbricht in den wissenschaftlichen Bereich der Wahrheit
und den logistischen Bereich des Beweisens.41 Aus demselben Grund artikuliert
sich Heideggers Nachdenken über Nietzsches zentrale nihilistische Aussage als
Reflexion über die Kreuzung in dem wesenhaft rechnenden „Begriff der Wahr-
heit im Platonismus sowohl als auch im Positivismus.”42
Heidegger konfrontiert seine eigene Deutung der Wahrheit als al ētheia mit der
rationalistischen Überzeugung von der Austauschbarkeit von Richtigkeit und
Wahrheit auf allen Ebenen, besonders auf der Ebene des Absoluten – wie sie
offenkundig ausgedrückt ist bei Hegel und wie sie realistisch, positivistisch an-
genommen wird in der technologischen Darstellung der modernen Wissenschaft
(vgl. B § 102 und B § 104). Jedoch versäumt Heidegger es nicht, auf die Unzu-
länglichkeit dieser verabsolutierenden Absichten der modernen Wissenschaften
zu verweisen:

wie wenig dies glücken kann, zeigt uns die Wahrheitsauffassung Nietzsches. (B § 102, Das
Denken: der Leitfaden der Leitfrage der abendländischen Philosophie)

187
VII. Heideggers Wille zur Macht…

So kann Nietzsche die Wandlungsgeschichte der Idee der Wahrheit in deren


Zurückführung auf eine Illusion freilegen – als platonisch oder rein idealisierend,
als positivistisch oder in Wirklichkeit pragmatisch. Für Nietzsche bedeutet die
Erkenntnis der Wahrheit als Irrtum, dass „die Wahrheit zum notwendigen
Schein, zur unumgänglichen Festmachung ausartet, einbezogen in das Seiende
selbst“ – hier erkennen wir Heideggers Herausforderung an die ontische Meta-
physik der westlichen technischen Rationalität –, das als ‚Wille zur Macht’
bestimmt wird. (ibid.) Heidegger betrachtet Nietzsche als den Höhepunkt sowie
als die Überwindung der westlichen Metaphysik:

So ist die Abendländische Metaphysik an ihrem Ende der Frage nach der Wahrheit des Seyns
am fernsten und doch zugleich am nächsten, indem sie den Übergang dahin als Ende vorbe-
reitet hat. (ibid.)

Heideggers Herausforderung an die westliche, technisch-wissenschaftliche Ratio-


nalität äußert sich in seiner These vom Abschluss und Wendepunkt der Meta-
physik. Diese Behauptung wird ausgedrückt durch eine nietzschesche Topik:

Die Wahrheit als Richtigkeit vermag nicht ihren eigenen Spielraum als solchen zu erkennen
und das heißt zu begründen. Sie hilft sich, indem sie sich selbst in das Unbedingte aufstei-
gert und alles unter sich bringt, um so selbst des Grundes (so scheint es) unbedürftig zu wer-
den. (ibid.)

Indem er die Relevanz von Nietzsches Kritik der Wahrheit als Geschichte ein
Illusion (oder besser: die Auflösung der Wahrheit in und als die Illusion) aner-
kennt, umschreibt Heidegger seine eigene Aufgabe für das philosophische Den-
ken in einer Aufzählung, die sich an Nietzsches Auflistung von Aufgaben, The-
men und Titeln in Der Wille zur Macht ausrichtet. Sinn der Vorlesungen sei es,

mit Nietzsche die Auseinandersetzung zu wagen als dem Nächsten und doch erkennen, daß
er der Seinsfrage am fernsten steht. (B § 88, In den Umkreis dieser Aufgabe gehören die
,geschichtlichen‘ Vorlesungen.)

Eben dies bezeichnet Heidegger andernorts als Nietzsches Bedeutsamkeit für das
Denken und das heißt, immer noch, für die Philosophie.43

Heideggers Beiträge als politische Kritik

In schroffem Gegensatz zu der soziopolitischen Skepsis der späteren Frankfurter


Schule stellt Heidegger die wohl kalkulierte These auf, unsere Welt sei alles

188
Heideggers Beiträge als politische Kritik

andere als ein entzauberter Bereich – eine These, die subversiv geworden wäre
und buchstäblich ihrem Urheber hätte gefährlich werden können, hätten die Bei-
träge die Öffentlichkeit erreicht, was eben nicht der Fall war. Wir leben in einer
sei es auch illusorisch und heute „virtuell” verzauberten Welt technologischer
Macht mit immer schöneren, neuen und ach so amerikanischen Möglichkeiten
für die Zukunft, wie wir sie uns vorzustellen vermögen. Aber weit entfernt
davon, der Nostalgie das Wort zu reden, erklärt Heidegger zu dieser Zeit:

Die Behexung durch die Technik und ihren sich ständig überholenden Fortschritt ist nur ein
Zeichen dieser Verzauberung, der zufolge alles auf Berechnung, Nutzung, Züchtung,
Handlichkeit und Regelung drängt. Sogar ‚der Geschmack’ wird jetzt Sache dieser Regelung,
und Alles kommt auf ein ‚gutes’ Niveau. (B § 59, Das Zeitalter der völligen Fraglosigkeit und
Verzauberung)

Die Machenschaft, auf die Heidegger hier hindeutet – das heißt, das organisier-
te Geschrei, das so provozierend, aber so ohnmächtig in einem absichtlich
zurückbehaltenen Text analysiert wird –, bezieht sich auf die damaligen Partei-
Veranstaltungen:

die Übertreibung und Überschreiung und das blinde bloße Anschreien, in diesem Schrei man
sich selbst beschreit und sich von der Aushöhlung des Seienden wegtäuscht. (B § 66,
Machenschaft und Erlebnis)44

Entsprechend versteht Heidegger die Unmittelbarkeit von Radio-Übertragun-


gen,45 ähnlich wie Rudolf Arnheim aufgrund derselben Erfahrungen der Zwi-
schenkriegszeit in Deutschland Radio-Sendungen analysierte. Ebenso kann man
an den noch roheren „Ventriloquismus” der Lautsprecher denken, wie man ihn
zur „Belebung” der Parteiaufmärsche einsetzte, der aber auch auf dieselbe Weise
wirkt wie die „strömenden Medien” des heutigen Internets. Heideggers Analyse
bleibt für jede Art Medium in Geltung, nicht nur für den Journalismus, den
Heidegger wie Nietzsche vor ihm wegwerfend als Surrogat-Wissen kritisiert, wel-
ches immer noch mehr Surrogat-Bedürfnisse bedient; sie gilt auch für die inter-
personelle Kommunikation jeglicher Art, samt ihren jeweiligen Instrumentarien:
E-Mail, sts-System und Mobilfunk-Technologien. Die von Lautsprechern ange-
triebene, organisierte Massenpolitik des Nationalsozialismus sowie die viel sub-
tilere Allgegenwart des heutigen Mobiltelefons wissen nichts von einer inhären-
ten oder fundamentalen Grenze, und ebenso geht ihnen jede Zurückhaltung
oder „Scheu“ ab. Dieses Fehlen jeglicher Zügelung verbindet solche Medien mit
dem Ideal des „Erlebnisses” – also mit dem, was wir heute als ein teilnahmezen-
triertes oder performativ realisiertes (oder gar als virtuelles on-line) Leben be-
zeichnen; vielleicht erklärt es sogar den wachsenden Zuspruch für tv-Reality
Sendungen oder auch totale gängelnde Machinationen aller Art und sogar die
‚Machenschaft’ überhaupt.

189
VII. Heideggers Wille zur Macht…

Wie Heidegger den antizipatorischen Charakter intentionalen Vorstellens und


Handelns deutet, geht es dabei um mehr als die Tatsache, dass der von ihm so
bezeichnete Zufall machinaler Machenschaft und erlebter Erfahrung einer leben-
digen oder wirklichen oder wahrhaftigen Macht einen festen Ort in der postmo-
dernen Welt einnimmt.

Der Entwurf des Vor-stellens im Sinne der vorgreifend-planend-einrichtenden Erfassung von


allem, bevor es schon im Besonderen und Einzelnen gefaßt ist, dieses Vor-stellen findet am
Gegebenen keine Grenze und will keine Grenze finden. (B § 70, Das Riesenhafte)
Derart betont Heidegger, die moderne technische Praxis sei wesenhaft und fun-
damental anders als die aristotelische techné zu interpretieren:

[e]s gibt grundsätzlich nicht das ,Un-mögliche‘; man ,haßt‘ dieses Wort. (ibid.)

Dieselbe Ungeduld mit dem Begrenzten erscheint als kapitalistische Losung un-
seres eigenen technologischen Optimismus und unserer technischen Ambitionen
im Informationszeitalter als das, was Ivan Illich „Hybris“ nennt. Zu seiner Zeit je-
doch, vor etwa fünfundsechzig Jahren, sah Heidegger hierin die treibende Logik
des Faschismus:

Alles ist menschen-möglich, wenn nur Alles in jeder Hinsicht und diese wiederum im voraus
in Rechnung gestellt und die Bedingungen beigebracht werden. (Ibid.)

Betrachtet man die Dinge mit der Begrifflichkeit und innerhalb der Schemata des
technisch-wissenschaftlichen Komplexes, dann kann alles als im Voraus gegeben
oder gewusst angesehen werden:

innerhalb der Machenschaft gibt es nichts Frag-würdiges (B § 51, Der Anklang).

Als das Zeitalter des Weltspektakels dargeboten, ermöglichen der wissenschaft-


liche Standpunkt oder die technische Sicht in der Neuzeit überhaupt erst die
Unmittelbarkeit der vermittelten Erfahrung. Sie erreichen dies, indem sie in dra-
matischer Weise alles Fragbare ausschließen und das, was des Fragens würdig
wäre, in lediglich technische Probleme umdeuten: Das Fragwürdige wird bloß zu
einer Reihe potenzieller Problemstellungen, die die Entdeckung ihrer Lösung
herbeiharren.
Das optimistische Ergebnis wird experimentell erzielt als „Erlebnis“, das jetzt in
Form wissenschaftlich erkennbarer und potenziell universal bereitgestellter oder
zumindest ausdrückbarer Ergebnisse zugänglich ist. Derartige Resultate finden
eine eindeutige Interpretation auf dem Weg zu wachsendem Fortschritt und
Wohlstand, für jedermann zu erwerben und verfügbar, bereitstehend zur Aufre-
gung, zur Unterhaltung, zur Zerstreuung und so weiter.

190
Heideggers Beiträge als politische Kritik

Unter dem Thema Die Not behandelt Heidegger die Frage des spätmodernen
Ethos der Freizeit und des Komforts, die Nietzsche früher schon angesprochen
hatte, und er stellt dabei die gegenwärtige Bewertung des Freiseins von Not als
ein unbedingt ‚Gutes’ infrage. Darin gemahnt das Echo von Nietzsches Erwägun-
gen in Jenseits von Gut und Böse zusammen mit der dritten Abhandlung der Ge-
nealogie der Moral an den von ihm sogenannten sokratischen (alexandrinischen)
Optimismus in der Geburt der Tragödie und im Namen von Platon und Aristote-
les mit der gesamten philosophischen Tradition in der Götzendämmerung (B § 53
und § 55). Stärker als eine bloße Auseinandersetzung mit Freizeit und kultureller
Bequemlichkeit und mehr als ein kapitalistisches Spektakel von medialer Zerstreu-
ung oder allgegenwärtiger Reklame sieht Heidegger hier den Verlust des Seins.
Dieser Verlust, der jetzt im grenzenlosen Ehrgeiz des Westens (den wir entspre-
chend heute als Globalisierung bezeichnen) Ausdruck findet, spiegelt sich in
dem gigantischen Ideal der Totalisierung; und Heidegger betont dann diesen
Verlust in jenen Vorträgen, die sich später in den Essays in und um Die Frage
nach der Technik verdichten sollten, wobei der bereits in diesem frühen Text in
den Vordergrund gerückte Verlust dasselbe wie unsere Selbstsicherheit meint. Er
entspricht auch dem, was der Heidegger der Beiträge als „Fraglosigkeit“ in einer
fraglosen Zeit bezeichnet. Denn damals wie heute orientieren wir uns fraglos an
der gängelnden Machenschaft unserer Zeit und an unserer Technologie als End-
zweck und Mittel. Dennoch hat diese selbe Selbstsicherheit zahlreiche Wand-
lungen (und ebenso zahlreiche Verwerfungen) erfahren; und – das ist die tiefere
Bedeutung jener Fraglosigkeit – wir sind weiterhin überzeugt, dass wir unsere
Technik so gut wie unter Kontrolle haben. Wenn uns irgendetwas wahrhaft ret-
ten kann, dann ist es nicht die Rede von „Gott“ (vgl. Spiegel-Gespräch: „Nur
noch ein Gott kann uns retten“), sondern die Rede von unserer Technologie.
Und wenn die Technologie Probleme aufzuwerfen droht, kann man sich auch
dagegen absichern (wie zum Beispiel durch die Anti-Virus Software, die entwi-
ckelt wurde, um unsere Cyber-Antennen oder Computer gegen die „Trojanische“
oder Spitzel-Software zu schützen, die wir unwissentlich, aber automatisch
herunterladen, wann immer wir im Internet surfen). Technologisch orientiert wie
wir eben sind (von Kopf bis Fuß), wollen wir die Kosten managen und die Vor-
teile der uns zur Verfügung stehenden Macht „erhalten“ – in ökologischer Hin-
sicht als „Umwelt“, die wir als „Natur“ verstehen, und so letztlich als Mittel un-
serer Selbstdarstellung oder der Entwicklung der Welt oder von uns selbst nach
unserem Ebenbild.46

191
VII. Heideggers Wille zur Macht…

Heidegger, die Technik und die


Verwüstung des Stils: Die Frage nach Nietzsche

Was ich bis hierher als Heideggers Wille zur Macht bezeichnet habe, ist also
Heideggers Aneignung nicht allein der Idee von Nietzsches Nachlass (als Ort sei-
nes eigentlichen Philosophierens); neu zu schaffen war dabei der Nachlass, so
wie Heidegger sich diesen Plan als sein eigenes Vermächtnis in der Sprache eines
Textes letzter Hand zurechtlegte: Aneignung auch im Sog der zur Nachfolge rei-
zenden Allüre eines Denkers, der seinerseits eine Leserschaft, wie sie Nietzsche
zu Gebote stand, aufrufen und jene „Dinge mit Wörtern tun” konnte, die Nietz-
sche auf dem Wege über seinen Schreibstil erzielen konnte.
Zumindest bis zu seinem Tod erreichte Heidegger sein erstes Ziel: Er schützte das
vollendete Werk, das sein Wille zur Macht werden sollte, als Vermächtnis. Er
würde, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, „kaputt gemacht” werden
bei dem Versuch, es mit Nietzsches Stil aufzunehmen, mehr noch, ihn stilistisch
nachzuahmen und ihm bis in den aphoristischen Stil der Betitelung von Ab-
schnitten hinein zu folgen. Demgemäß – so meine These – sollten wir sein Be-
kenntnis, Nietzsche habe ihn ruiniert, im Rahmen dieser sprachstilistischen Be-
ziehung verstehen. Es handelt sich um Nietzsches stilisierte Ausrichtung seiner
Texte auf bestimmte Leser hin (immer ein besonderer Erfolg bei einem veröf-
fentlichten – und mithin, wie Nietzsche kommentiert, einem öffentlichen und
daher allzu allgemeinen – Werk).
In Heideggers Sicht betrifft Nietzsches esoterische Auszeichnung seine eigene,
höchst esoterische Konzeption der Natur des Fragens in der noch linkischen Un-
bestimmtheit seines endgültigen Votums: „Für die Wenigen – Für die Seltenen“,
und es ist diese stilistische Zurückhaltung, die sich in Heideggers eigenem (und
in unauflösbarer Weise problematischen) Ausdruck des Schweigens fortsetzt.

Es verschlägt einem das Wort … ursprünglich”, schreibt Heidegger, „Das Wort kommt gar
nicht zum Wort. (B § 13, Die Verhaltenheit und die Sorge)

Beim Nachdenken über „Das Erschweigen und das Fragen” wird er behaupten,
dass Suchen, Fragen und Stillschweigen eine enge, sogar wesenhafte Verbindung
eingehen. So können wir Heideggers Satz verstehen:

Das Suchen als Frage und dennoch Erschweigung.47

Wenn Heidegger das Fragen zu einer leitenden Seinsweise des Denkens erhebt,
also als authentisches, „eigentliches” Fragen – im Gegensatz zu jener Art des Fra-
gens, die, wie in den Beiträgen kontrastierend hervorgehoben, der „Neugierde“
entspringt, und die, wie wir ergänzen können, ebenso der investigativen For-

192
Heidegger, die Technik und die Verwüstung des Stils: …

schung entspricht –, so wird in den Nietzsche-Vorlesungen die Natur des Fragens


weiter ausgearbeitet.48
Der Fragestil, dem man sich zu widersetzen hat, ist der der wissenschaftlichen
Untersuchung: ein antwort-gebundenes oder problem-gerichtetes Fragen. Für
Heidegger stagniert eine derartige Untersuchung vor dem eigentlichen Fragen.
Und im Gegenzug zur herrschenden Logik49 will er auf die Radikalität des Den-
kens selbst hinaus.
Heidegger kritisiert die modernen Wissenschaften in ihrer totalisierenden Logik,
also in ihrem technologischen Wesen. Viel später wird er, ganz im Geiste Nietz-
sches, schreiben:

Heute herrscht der Glauben, die Wissenschaft allein gebe die objektive Wahrheit. Sie ist die
neue Religion.50

Diese Kritik äußert sich darin, dass Heidegger die gängelnde Machination ver-
wirft. (An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass uns heute, genau so wie in Heid-
eggers eigener Nazi-politisierten Welt, Heideggers Beiträge zu einer Erfassung
des Wesens der modernen Wissenschaften begrifflich einer sich kognitiv geben-
den Wissenschaft im Allgemeinen entgegengesetzt zu sein scheinen, ebenso wie
den kognitivistischen zu sein Sinngebungspräferenzen [und analytischen Gepflo-
genheiten] der Wissenschafts-philosophie.51)
So versucht Heidegger wie vor ihm Nietzsche, die Wissenschaft wissenschaftlich
infrage zu stellen. Aber solch eine Frage ist schwer aufzuwerfen, gerade weil sie
uns als Nicht-Frage erscheint. Deshalb meinte Nietzsche, er selber habe es ge-
wagt, die „Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdig ge-
fasst” zu haben. (gt, Versuch einer Selbstkritik, § ii) Dies versteht Heidegger in
seinen Nietzsche-Vorlesungen unter der „Strenge des Wissens“,52 entsprechend
dem Sinn, in dem er sagt:

bloße Wissenschaft ist nur so weit wissenschaftlich, d. h. über eine bloße Technik hinaus ech-
tes Wissen, als sie philosophisch ist.53

Philosophie, die Magd der Theologie, und zwar aus rein und makellos metaphy-
sischen Gründen, war indes für Heidegger nicht die Magd der Wissenschaften;
das Verhältnis war vielmehr umgekehrt. So hatte die Darlegung Heideggers in
Sein und Zeit eine ähnliche Unterscheidung verlangt. „Solche Grundlegung der
Wissenschaften hinkt nie den Wissenschaften nach“, sagt Heidegger, sie wirke
stattdessen als „produktive Logik in dem Sinne, daß sie in ein bestimmtes Seins-
gebiet gleichsam vorspringt, es in seiner Seinsverfassung allererst erschließt und
die gewonnenen Strukturen den positiven Wissenschaften als durchsichtige An-
weisungen des Fragens verfügbar macht.“54

193
VII. Heideggers Wille zur Macht…

Eben dieses Beharren auf der modernen (und technologischen) wissenschaftli-


chen Weltanschauung führt uns zu der wohl meist geschmähten Textstelle bei
Heidegger. Denn die Beiträge wiederholen das, was Heidegger in der bekannte-
ren Passage der Einführung in die Metaphysik vorbringt. Vergleicht man dies mit
Bezug auf das rechnende, technologisch-rationale Ideal der Neuzeit, dann sind
„Amerika“ und „Russland“, so Heidegger, tatsächlich „das Selbe“. Im Zusam-
menhang genommen (oder zumindest in seiner eigenen Vorstellung), wird Hei-
deggers Bemerkung zum Tribunal: Sie kritisiert das damals herrschende Regime
als eines, das dieselbe dynamisch-politisierende, technologisierende Ordnung
und dasselbe ordnende Moment verkörpert wie andere (doch ansonsten anders-
artige) imperialistische Gesellschaften. Entsprechend ist die Triebkraft, die Heid-
egger Machenschaft nennt, dem „bolschewistischen“ Russland ebenso eigen wie
dem „kapitalistischen“ Amerika, und eine solche technologische Machination
wäre ganz genauso, worum es Heidegger zu tun ist, kennzeichnend für das
„nationalsozialistische“ Deutschland. Darum erklärt Heidegger:

Die ‚völkische’ [d. h. nationalsozialistische] ‚Organisation’ der ‚Wissenschaft’ bewegt sich auf
derselben Bahn wie die ‚amerikanische’. (B § 76: Sätze über die Wissenschaft, 10)

Wir können weiter behaupten – mag es auch eine politisch heikle Aussage sein
–, dass genau dieses globalisierende Ideal, also die technologische Machenschaft
selbst, ungehindert in dem monotonen, mehr totalisierten als monopolistischen
Kapitalisten- und Konsumenten-Ethos unserer eigenen Tage weiterlebt.
An dieser totalisierenden Parallele kann man aber sehen, dass sie den Sinn der
sogenannten „inneren Wahrheit und Größe“ des Nationalsozialismus in ein an-
deres Licht rückt, und zwar gerade im Kontext der in Parenthese darauf folgen-
den Erläuterung, die wir alle kennen als einen vermutlich späteren Zusatz von
Heidegger,

nämlich mit der Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen
Menschen.55

Sie entspricht jetzt Heideggers Behauptung, die moderne, techno-rationalisti-


sche Weltanschauung des Nationalsozialismus wäre im Wesen dasselbe oder
nicht anders, jedenfalls nicht bedeutsam anders als amerikanische oder russische
Alternativen.56 Halten wir fest, dass hinsichtlich der Zweiteilung der Vernunft in
eine kritische und eine objektive oder wissenschaftliche (bzw. nicht-kritische)
Vernunft Herbert Marcuse eine ganz ähnliche These vertritt.57 Marcuse weist
dabei darauf hin, dass die moderne Technologie die Tendenz hat, das Kritische
dem Autoritären aufzuopfern, das ein Absolutes, also ein absolutes Ideal der
Vernunft ist. In Heideggers Fall, und mithin anders als bei den Einsichten seines
politisch (und dialektisch) gebildeteren Schülers, scheint klar zu sein, dass gera-

194
Heidegger, die Technik und die Verwüstung des Stils: …

de seine am wenigsten ansprechenden politischen Werte an dieser Stelle mit sei-


ner Überzeugung in Einklang stehen und seinem Widerstand gegenüber dem
Kern der modernen Wissenschaften entsprechen. Denn es ist seine Skepsis be-
züglich des Erlösungs-Potenzials der Demokratie, die ihn auf die Gegen-Seite
zum Nationalsozialismus und dessen durchaus nicht singulärer Begeisterung für
die Wissenschaften bringt.58 Heideggers Behauptung ist atemberaubend prophe-
tisch im Hinblick auf die Globalisierung als solche. Unter den neuesten Markt-
wirtschaften befinden sich Russland und Amerika; sie werden, dessen kann man
sicher sein, wenn der aufgewirbelte Staub des politischen Konfliktes sich gelegt
hat, Afghanistan und Irak, das ganze Korea, Pakistan usw. umfassen. Alle Öko-
nomien werden unter den einen Schirm der Weltwirtschaft gebracht werden, der
die totalisierende Bedeutung des Globalen an sich darstellen wird, und zwar
jetzt in einem rechnend-ökonomischen und zugleich produktiv-rationalistischen
Sinn (als der globale Markt und als der Nicht-Ort, den wir als Internet bezeich-
nen). Sollte auch die wirkliche Marktwirtschaft der globalisierten Welt noch wei-
terhin mit altmodischen politischen Problemen konfrontiert sein, mit Grenzen
und (sogenannten) soziokulturellen Werten – Jihad (oder „Olive Tree Values”) vs.
McWorld (oder „Lexus Economies”)59 – wir kennen jetzt diese globale Zukunft
besser als Heidegger (wie hellsichtig er auch immer war) sie sich vorstellen konn-
te. Wir wissen nämlich, wie eine totalisierte, globalisierte Welt in einer praxis-
bezogenen Theorie aussehen würde, jedenfalls wissen wir es „virtuell”.60
In der Folge der fundamentalistischen islamischen Attacke auf die usa am elften
September 2001, vielleicht sogar mehr noch angesichts der darauf folgenden An-
griffe auf Afghanistan und noch brutaler und andauernder jetzt in der US-Beset-
zung des Irak ist eine frühere Debatte über die Autonomie der Technik, die nur
Spezialisten interessierte, zu einer nur allzu genauen Einsicht geworden. Eben
dies ist Heideggers Frage nach der totalisierenden Mechanisierung von demo-
kratischen, Nutzer-spezifischen und Nutzer-angeeigneten Technologien; die un-
mögliche, dennoch nur allzu wahre Darstellung der Nichtbeherrschbarkeit der
Technik, selbst oder gerade wenn sie von ihren Nutzern vereinnahmt wird, unter-
streicht nur seine ursprüngliche Einsicht.
Heidegger schärft uns ein, dass wir nicht dann der Technik am meisten unter-
worfen sind, wenn sie uns staunen macht, sondern eben, wenn wir sie als
selbstverständlich nehmen: das heißt, wenn sie allgegenwärtig genug ist, dass
wir auf ihren anthropologischen und instrumentalen Charakter bauen, in der
Überzeugung

Alles liegt daran, die Technik als Mittel in der gemäßen Weise zu handhaben. Man will, wie
es heißt, die Technik geistig in die Hand bekommen.61

Dies ist der Kern von Heideggers Kritik der Verzauberung der Entzauberung (der
Verhexung durch die moderne Technik) in den Beiträgen. Wenn Technik-Kritiker

195
VII. Heideggers Wille zur Macht…

wie Marcuse oder in jüngster Vergangenheit Langdon Winner oder John Gray
ihre Besorgnis ausdrücken hinsichtlich des möglichen Verlustes gewisser Freihei-
ten, die vorher als unabdingbar betrachtet wurden (jedenfalls für Amerikaner in
ihrem eigenen Land), dann sind solche Sorgen eben nicht gegenstandslos: Sie
stellen die unerlässlichen Grundregeln für die amerikanische nationale Sicherheit
dar.
Ausgerüstet mit einem bestimmten Programm technologischer Steuerung ver-
wandelte eine Selbstmordkollision Flugzeuge in benzingetriebene Bomben. Das
Modell war bereits in den fortdauernden Konflikten des Mittleren Ostens hin-
reichend bekannt: Es ging darum, einen Lastwagen durch die Barrikaden eines
Militärkomplexes zu rammen, wobei das Leben des Fahrers geopfert wurde, um
eines bestimmten Maßes an wechselseitiger Zerstörung willen, gleichgültig, ob
es nun etwas größer oder geringer war. So wie ein Selbstmordfahrer einen Last-
wagen steuert, steuern Piloten ein Flugzeug; allerdings geschieht dies mit erhöh-
ter Masse und Geschwindigkeit und mit unvorstellbar verstärkten Konsequen-
zen. Bis heute bleiben viele Fragen unbeantwortet. Wir konnten beobachten,
wie zwei Wolkenkratzer aus dem südlichsten Horizont der Stadt New York
herunterstürzten, wir sahen zu, wie sie in sich selbst hinein erzitterten, im Tod
zusammenbrachen, indem sie giftigen Staub verbreiteten; und jeder Lacanianer
kann uns sagen, was kein New Yorker wird abstreiten können: dass wir nämlich
in der Rückwirkung einer aufdringlichen Permanenz gefangen sind, die uns neu-
lich Slavoj Žižek (sowie in anderer Art Jean Baudrillard und Paul Virilio)62 als
Zeugnis dafür erkennen lehrte, was Lacan das „unmögliche“ Register des „Rea-
len” nannte.63 Das rationalistische Ideal bezeichnete Heidegger als Logik, jen-
seits des Reiches des imaginären Erhabenen, das sich jetzt überhöht darstellt als
das virtuelle Bild der modernen Technologie. Die moderne wissenschaftliche
Weltanschauung, die heute immer ungehemmter durch irgendwelche „mögli-
chen” (vorstellbaren) Alternativen herrscht, ist die einzige verbleibende Regel.
Weder Pluralismus noch eine „Rückkehr” zu traditionellen Gesellschaften kann
das monotone Spiel der Technik abändern. Weder die moderne Welt noch vor-
moderne Gesellschaften (als was man gemäß einer überholten Ideologie gern
fundamentalistische islamische Gesellschaften darstellen möchte) können anders
denn technologisch betrachtet werden. Es bleibt nur die Modernität, die Heid-
egger in diesem Text eben als Machenschaft bezeichnet.
Wie auch Pöggeler betont, werden aus dieser Sicht alle Reflexionen, die sich im
Fahrwasser der Metaphysik halten, notwendig „übergänglich.”64 „Beiträge” sind
dann, der scheinbar fragmentarischen Form des provozierend betitelten Aphoris-
mus und des verknappten Umrisses bei Nietzsche folgend (was freilich bei Heid-
egger nicht immer voll gelungen ist), alles, was von Heideggers Hinterlassen-
schaft zurückbleibt – als sein Wille zur Macht. Das ist so, weil Heidegger in dem
schärfsten Übergang von ‚Heidegger I’ zu ‚Heidegger II’, Hölderlins Tod des
Empedokles paraphrasierend und ebenso offenbar auf Nietzsche verweisend, mit

196
Heidegger, die Technik und die Verwüstung des Stils: …

Bezug auf die Philosophie überhaupt sowie auf sein erstes Buch schreibt: „Die
Zeit der ,Systeme‘ ist vorbei.” (Nr. 1, Die ‚Beiträge’ fragen in einer Bahn.)65 Wenn
Hölderlins Empedokles in seiner Ablehnung einer populären Ausrufung zum
König erklärt, dies sei die Zeit der Könige nicht mehr, so war dies für Hölderlin
selbst auf die Französische Revolution bezogen.66 In einem veränderten politi-
schen Klima bekräftigt Heideggers unveröffentlichter Wille zur Macht,

[d]ie Zeit der Erbauung der Wesensgestalt des Seienden aus der Wahrheit des Seyns ist noch
nicht gekommen. (ibid.)

Die Probleme der heutigen modernen Technik sind nicht nur die Probleme von
Nationen und Diktatoren, von Politisierung und von Krieg. Heute liegen unsere
Probleme auch in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, die wir einnehmen, der
Luft, die wir einatmen, und in naher Zukunft werden die Probleme das Aussehen
unseres eigenen menschlichen Fleisches und unseres Leibes annehmen: Die
Technik möchte im neuen Jahrtausend unbedingt ein menschliches Gesicht ge-
winnen. Es ist nicht eine freundlichere, sanftere Technik. Vielmehr ist es eine
Technik, die Reis und Getreide an Bauern verkauft, damit sie Reis- und Getrei-
dearten anbauen, die besondere Eigenschaften gegen Krankheiten, Ungeziefer,
und Unkräuter bieten, aber die auch (nur rein zufällig und sehr vorteilhaft) nicht
erneut wachsen können. Wie die Aktivierungsprogramme bestimmter Software
sind diese neuen Samen Einwegsamen, und wenn man als Bauer weiter wirt-
schaften will, so wird man wieder auf den Hersteller dieser neuen und verbes-
serten Gen-Versionen zurückgreifen müssen. Die Techniken sind recht einfach,
ähnlich dem Aufpfropfen auf der Zellebene, das Bauern und Gärtner schon
immer praktiziert haben.
Indem die Zellmechanismen zu genetisch veränderten, aber immer noch allzu
natürlichen Bakterien umgearbeitet werden – wir sind mit all unseren geneti-
schen Modifikationen der Lebensprozesse noch weit davon entfernt, künstliches
Leben erfinden zu können –, erstellen diese Mechanismen dennoch nur Opera-
toren wie nukleotide Transkriptionen; in ihnen werden also modifizierte Gene
zum Zweck von Therapien oder Transformationen benutzt. Bereits patentiert
und im Einsatz sind einzellige Organismen, einsatzbereit für die Arbeit genau
deshalb, weil der benötigte Mechanismus (Infektion/Ingestion) bereits vorhan-
den ist, selbst wenn er entschieden jenseits der Grenzen dessen liegt, was unse-
re gegenwärtigen Techniken herstellen können. Indem heutige Forscher modifi-
zierte Bakterien und Viren als Vektoren verwenden, wird das technisierte Tier
selbst neu geboren als der virale Vektor von profitablen Mutationen, ebenso das
bakterielle Plasmid, – und Monsanto träumt bereits einem Tag entgegen, an
dem es die Welt beherrschen kann.
Wenn Heidegger den Übergang vom humanen zum technisierten Tier be-
schreibt, so formuliert das Bild, das er verwendet, eine organische Technizität,

197
VII. Heideggers Wille zur Macht…

die den Gegebenheiten seiner Zeit weit voraus ist. Es ist dies keine weitere Dar-
stellung von Shelleys Frankenstein, also von einem Menschen, der nicht nach
dem Bilde Gottes, sondern des Menschen gemacht ist, von zusammengeschus-
terten Körperteilen; es ist nicht einmal die Roboterfantasie, die uns immer noch
in Bildern illusionistischer Androiden amüsiert; und es sind auch keine Illusio-
nen, die dem ebenso imaginären Cyborg der Fantasie und nicht festmachbaren
Verknüpfungen zwischen dem Virtuellen und Wirklichen nun Platz eingeräumt
haben. Stattdessen bedeutet die neue Sprache der Gene, dass wir in menschli-
chen Wesen ebenso wie in Reis oder Sojabohnen und Mais unsere Essenz in die-
ser chiffrierten Form ausgedrückt finden werden.67
Was mit diesem heutigen digitalisierten Ideal verraten wird, ist nicht mehr die
Drohung, dass die Menschheit selbst, nicht nur die „natürliche” Welt der „natür-
lichen Ressourcen”, die Gestalt von Heideggers „Bestand“ annehmen wird. Die
letzten fünfzig Jahre haben diese Gefahr schon in triviale Wirklichkeit verwan-
delt. In der Theorie handelt es sich um die ganze Bevölkerung von Island; in der
Praxis wollen wir nur die Fruchtbarkeitskliniken erwähnen, als wahrhaftige Ban-
ken von Menschen-Wesen, potenzial und aktuell. Es gibt so viele Ova, so viele
Vialen von Samen, so viele Embryos, ganz abgesehen von Stammzellen und
geklonten Zell-Linien, also der Basis von genetischer Forschung, die in einigen
Fällen nun bereits für mehr als fünfzig Jahre kultiviert wurden! Dies alles sind be-
reits existierende Waren auf Lager und nichts im Vergleich mit dem virtuellen
Versprechen der nämlichen Technologie. Wenn auch das Genomprojekt mit gäh-
nender Langeweile aufgenommen wurde, wie es ja tatsächlich der Fall war, so
verführt uns doch der genetische Code, die bloße Idee einer molekular erfassten
und zugänglichen Essenz der Menschheit, zum Glauben an ein Zeichengebilde,
das wir mit freudiger Zustimmung an die Stelle der gelebten Komplexitäten
menschlichen Lebens zu setzen hoffen.

Rekapitulation

Ich habe zu Anfang dieser Ausführungen von Heideggers Willen zur Macht unter
der Rubrik der akademischen Eitelkeit und der Buchmärkte gesprochen. Ich habe
sodann von realer Politik im Bereich des Welthistorischen wie des Alltäglichen
gehandelt. Über das Schicksal eines Buches hinaus, das dem editorischen Wohl-
wollen ausgeliefert ist, jenseits der Verletzlichkeit aller Autoren-Intentionen (ein
Verhängnis, das verknüpft ist mit dem öffentlichen Schicksal der Worte eines
Autors, mag er sie noch so sehr geschützt zu haben meinen): Am wichtigsten
sind doch die Fragen, mit denen ich soeben zu Ende gekommen bin. Dies ist die
Substanz der philosophischen Reflexionen von Nietzsche und Heidegger in Be-
zug auf den Willen zur Macht. Nietzsche lehrt die Allgegenwart des Willens zur

198
Rekapitulation

Macht in der Welt der Lebendigen und der Toten, im organischen sowie im
anorganischen Leben, vor allem aber als Gemeinsamkeit der Machinationen der
Mächtigen und der Kalkulationen der Unterdrückten. So deutet sein philosophi-
sches Vermächtnis auf die erstaunliche Fähigkeit aller Schwachen, auf den Erfolg
einer Sklaven-Moral, durch seine zutreffende und unheimlich kontra-intuitive
Deutung biblischer Lehren, die uns in verschiedenen Tönen, im Alten sowie im
Neuen Testament, sagen, es sei das auserwählte Schicksal der Schwachen. Das
sollte hier am Ende ganz klar sein: Das Schicksal des reaktiven und sklavenhaf-
ten Willens zur Macht wird es sein, sich die Erde zum Erbe zu erhalten. Und dies
besteht darin, jegliches andere Lebewesen zu enteignen, Tier und Pflanze, im
Meer, in der Luft und auf dem Land, und uns schließlich nach getaner Arbeit ge-
gen uns selbst zu wenden. Es versteht sich von allein, dass wir auf dem besten
Wege dahin sind. Heideggers Beiträge als seinen Willen zur Macht zu lesen, heißt
damit den Blick auf die Machenschaften der modernen Technik und der moder-
nen Wissenschaft unerbittlich festzuhalten.
Ich ziehe diesen letzten Schluss nicht, um den Ernst unserer Situation zu unter-
streichen. Das ist bereits zu einem höheren Grad und in mehr Fällen geschehen,
als wir uns ausmalen können, insofern als unser größtes Problem darin besteht,
dass wir die Taten, die wir tun, vor der allgemeinen Wahrnehmung verbergen
und damit vorgeben, dass die Dinge doch eigentlich gar nicht so schlimm seien.
Trotz aller Aufklärung bleiben wir Kinder des Aberglaubens und fabulieren uns
etwas vor, wie Nietzsche immer klagte. Wir glauben, dass dort, wo nichts gese-
hen (oder gehört oder gefühlt) wird, auch nichts ist.
Daher finden chemische Stoffe in unserer Nahrung und in unserem Wasser
schließlich auch nicht den Weg in unser Körperfett, selbst wenn sie in den Fett-
reserven von Fischen und wilden Tieren aufgefunden, festgestellt und gemessen
werden können. Wir sind eben anders (Wir sind höher, flüsterten Nietzsches Vö-
gel). Es gibt keine toxischen Schadstoffe: Wie uns unsere wohl etablierten medi-
zinischen Autoritäten versichern, bedarf es wahrhaftig keiner „Entgiftung.“ In
unseren Körpern vollzieht sich das von selber in einer Art „unbefleckter“ Einver-
leibung.
Das in verachtenswerter Grausamkeit geschlachtete Fleisch hinterlässt dement-
sprechend keine Spuren der Hormone der Todesangst, die von uns aufgenom-
men werden könnten, ganz zu schweigen von den Wachstumshormonen und
Steroiden, die unsere Schlachttiere in Rekordzeit von dem trostlosen Leid der
Geburt über ihr erbärmlich verarmtes Leben zu ihrem qualvollen, entsetzlichen
Tod bringen – wir hacken und bluten unsere Tiere zu Tode, Schlachten ist ein die
Dinge verharmlosender Ausdruck für das, was wir tun –, und wir absorbieren
auch nicht denselben Steroid-Cocktail, mit einem Schuss von Antibiotika, in
unserer Milch. Denn wir haben gehört und verinnerlicht, dass der menschliche
Körper in der Tierwelt einmalig sei, jeder klinische Ernährungsspezialist wie jeder
Pfarrer sagt uns das. Wir entnehmen die „Nährwerte“, und unsere wunderbaren,

199
VII. Heideggers Wille zur Macht…

ja gottgleichen Körper filtern auf brillante Art und Weise den Rest völlig heraus.
Iss gesund, betätige dich körperlich und besuche regelmäßig deinen Arzt.
Oder vielleicht ist es doch jenseits der inhärenten Selbstsucht einer solchen
Sorge um unsere Gesundheit an der Zeit, darüber nachzudenken, was wir tun.
Nicht was wir essen und in welcher Welt wir leben, ist entscheidend, sondern
was wir dieser Welt und den Lebewesen antun, die wir aufziehen, um von ihrem
Leben zu leben, von ihrem Leid zu leben, indem wir sie verbrauchen und von
ihren Produkten beschuht und in ihnen gekleidet sind. Denn wir haben wahrhaft
die Erde geerbt. Wir haben Macht über sie und über alle Tiere, die kriechen,
fliegen oder schwimmen. Und sei es durch Jagen, Vergiften, genetische Modifi-
kation, Kastrieren oder gewöhnliches Opfern – all der vielen unbesungenen, aus-
gestorbenen Äquivalenten des „snail darters,“ (percina tanasi), einer vom
Aussterben bedrohten nord-amerikanischen Fischart, des Dodo Vogels oder
Drontes, den wir wegen seiner überraschenden Verletzlichkeit gegenüber
menschlicher Raubsucht so benannt haben, ebenso wie der einzigen überleben-
den Schildkröte ihrer Art auf den Galapagosinseln –, überall in Ost und West, im
Norden wie im Süden, haben wir unsere uneingeschränkte Meisterschaft darin
bewiesen, die Welt von so vielen Gattungen wie möglich in Windeseile zu ent-
leeren.
Die Ökologen haben uns wissen lassen, dass dieser Prozess so nicht weitergehen
kann. Was uns dabei unheimlich stimmt, ist weder das enorme Ausmaß unserer
Unverschämtheit noch die Effizienz unserer Zerstörung von Lebewesen oder des
Landes und des Wassers oder der Veränderung unserer Luft. Stattdessen verär-
gert uns der Gedanke, so wie er ein kleines Kind verärgert, dass wir unser Trei-
ben nicht auf immer werden fortsetzen können. Dass es so nicht weitergehen
kann, stimmt uns misslich, nicht das, was wir tun. Wir analysieren die aufkom-
mende Unruhe unter dem Begriff eines möglichen Aufrechterhaltens der Dinge
und erwarten zuversichtlich, – zu zuversichtlich nach Heideggers Warnung, dass
wir „die Technik ‚geistig in die Hand bekomme’“, dass wir sie „meistern.“68 Mit
anderen Worten, wir sind immer noch und trotz aller Schwierigkeiten relativ
sicher, dass das Projekt der endlosen Entwicklung wissenschaftlich aufrechterhal-
ten und mit den entsprechenden technologischen Anwendungen auskalkuliert
und ‚gemanagt’ werden kann.
Und dennoch hat, woran Nietzsche und Heidegger uns erinnern, der Philosoph
die Frage nach der wirklichen Gerechtigkeit in all ihrer Komplexität jenseits der
beruhigenden Absegnung einer angeblichen Legitimierung aufzuwerfen. Denn
alle Philosophenfragen, die Kant zusammengefasst hat in seinem: Was kann ich
wissen? Was muss ich tun? Was kann ich erhoffen? sind miteinander verquickt.
Dementsprechend befasst sich Heideggers Frage in Bezug auf die modernen
Technologien und Wissenschaften nicht damit, was getan werden soll, aber
genau mit dem, was auch Kant gefragt hätte: Was darf ich hoffen? Doch in Kant
und das Problem der Metaphysik bemerkt Heidegger, dass Kant noch eine umfas-

200
Rekapitulation

sendere Frage fragt: „Was ist der Mensch?“ Diese vierte Frage ist für Heidegger
in seiner Debatte mit Cassirer ausschlaggebend, und sie ist auch der Grund,
warum er sein Sein und Zeit in der Form einer Befragung dieses Seins artikuliert,
des Daseins als solchem. Wie Heidegger erklärt, erkennen wir das, was Heideg-
ger den „Lastcharakter der Daseins“ (sz 134) nennt, nur ganz selten, doch ist es
jederzeit möglich, dass er durch unsere Befindlichkeit, unsere Stimmungen auf-
brechen kann. Gerade „stimmungsmäßig“ ist dann

das Dasein als das Seiende erschlossen, dem das Dasein in seinem Sein überantwortet wurde
als dem Sein, das es existierend zu sein hat. (sz 134; vgl. sz 179)

Dieses „Sein des Daseins als nacktes ‚Daß es ist und zu sein hat’“ (ibid.) trifft auf
uns alle zu, ob wir es anerkennen oder nicht, so wie Heidegger am Anfang von
Sein und Zeit Dasein als das Seiende, das „je sein Sein als seiniges zu sein hat“
bestimmte. (sz 12)
Wenn wir uns einbilden, Fragen wie die von Kant oder Heidegger nach dem Sein
oder Nietzsches Frage nach Wahrheit und Lüge sowie nach der Genealogie der
Moral rein abtrennen zu können und wenn wir demgemäß schließen, dass Nietz-
sche viel zum Thema Moralität oder Kultur, aber wenig oder nichts zu der Frage
des Erkennens, der Wahrheit oder gar der Wissenschaftstheorie beizutragen hat,
dann verstehen wir nicht einmal seine Morallehre. Wie ich das sehe, trifft das-
selbe auf Heidegger zu – womöglich noch mehr als auf Nietzsche.
Wir benötigen sowohl Nietzsche als auch Heidegger, um die Rolle der modernen
Technik innerhalb der modernen Wissenschaften zu begreifen, vor allem, wenn
wir so etwas wie eine philosophische Kritik zu liefern gedenken. Vielleicht aber
und wohl jenseits der Seinsfrage bedürfen wir einer erneuerten philosophischen
Kritik oder einer heideggerischen Fassung des Fragens, welche im Stande sein
könnte, wie Nietzsche es einst sagte,

die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens
… (gt ii).

Dies zu schaffen wäre wohl Erweis einer Kunst des philosophischen Fragens,
angesiedelt auf dem allzu ontischen Boden der technischen modernen Wissen-
schaften; dies aber würde heute heißen: eine Kunst des Denkens um des Lebens
willen, das heißt und schließt ein: um willen der Menschen, Tieren und Pflanzen,
sowie der Erde im Ganzen, und sonst gar nichts.

201
VII. Heideggers Wille zur Macht…

Anmerkungen:
1 Heidegger, Nietzsche I, S. 12. Doch wie Heidegger selber betont, hat Nietzsche jede (oder fast jede)
Zeile selbst geschrieben, doch „auch der Grundriß des Planes, in den diese Bruchstücke eingeorndet
sind, die Einteilung in vier Bücher und die Titel dieser vier Bücher stammen von Nietzsche selbst.“
S. 15. Siehe dazu Thomas Brobjers anders gesinntes Buch Nietzsche’s Magnum Opus. Doch Brobjer
nimmt Heideggers Nietzsche-Vorlesungen nicht zur Kenntnis. Siehe dazu die Beiträge zu Denker und
Zaborowski (Hgg.), Heideggers Jahrbuch 2: Heidegger und Nietzsche.
2 Heidegger, Nietzsche I, S. 15.
3 Heidegger, Nietzsche I, S. 4.
4 Ausführlicher in: Babich, „Heidegger’s Will to Power“, Journal of the British Society for Pheno-
menology, 38/1 (2007): S. 37–60.
5 Für einen Überblick, siehe Dallmayrs Heidegger on Macht and Machenschaft. Ebenfalls sei hingewie-
sen auf die Reflexionen Reiner Schürmanns zum Thema ‚double binds’ und das ‚Mönströse’ in Bezug
auf die Beiträge. „A Brutal Awakening to the Tragic Condition of Being“.
6 Lord Solly Zuckerman liefert den Titel für Winfried Georg Sebalds The Natural History of Destruction
in Bezug auf Zuckermans zwingend verlockendes Verspechen, Rechenschaft über seine Erfahrung der
Folgen der Bombardements abzugeben – verlockend umso mehr, als er einer der kreativsten briti-
schen Architekten ist. Abgesehen vom Einfluss des Titels wurde dieses Projekt niemals realisiert.
7 So wie oben, referiere ich auch hier Sebalds The Natural History of Destruction und betone die affek-
tive Differenz zwischen dem Englischen Titel Sebalds The Natural History of Destruction (die franzö-
sische Übersetzung De la destruction comme élément de l’histoire naturelle hat denselben Wortlaut)
und dem deutschen Titel, Luftkrieg und Literatur. Dieser Unterschied ist beeindruckend und dürfte
von Sebald selbst herrühren, obwohl ich nicht über die Quellen verfüge, um hier gänzlich sicher zu
sein. Ich will nur bemerken, dass zwar viele Kritiker Sebald für einen tief bewegenden Schriftsteller
halten, andererseits aber auch viel Widerstand gegenüber seiner zentralen These existiert: eine
Reaktion, die, berechtigt oder nicht, mit den Hauptsätzen von Sebalds These übereinstimmt, welche
unsere Aufmerksamkeit auf einen durchgängigen, massiven Widerstand richten, die deutsche
Nachkriegserfahrung zu artikulieren oder auch nur zu dokumentieren.
8 So scheinen maschinenschriftliche Versionen der Beiträge unter Heideggers Studenten und An-
hängern ebenso bekannt und wohl verbreitet gewesen zu sein wie die Kopien von Joan Stambaughs
alternativer Übersetzung von Sein und Zeit. So besaß zum Beispiel Dominique Janicaud eine solche
Kopie, wie das auch für viele andere zutraf. Bezüglich der Wirkungsgeschichte von Heideggers zeit-
lich nahem Essay Der Ursprung des Kunstwerkes wenden wir uns an keinen geringeren Zeugen als
Hans-Georg Gadamer selbst, der uns in seiner Schrift Die Wahrheit des Kunstwerkes (1960), erklärt,
wenn Heideggers Essay Der Ursprung des Kunstwerkes zehn Jahre früher erschienen wäre: „so hätte
ihre [sc. nicht unähnlich der Beiträge B. B.] Wirkung doch schon viel früher begonnen. Denn es war
seit langem so, daß Heideggers Vorlesungen und Vorträge überall auf ein gespanntes Interesse stie-
ßen und in Abschriften und Berichten eine weite Verbreitung fanden, die ihn schnell in das von ihm
selbst so grimmig karikierte Gerede brachte.“ S. 252.
9 Es ist schwer, derartige Behauptungen zu bewerten, da so ziemlich alles, was Heidegger gesagt hat,
analysiert und weitergegeben, erzählt und wieder erzählt wurde. Wir wissen, dass Heidegger seinen
eigenen Text immer wieder durchgelesen hat, und zwar nicht nur aufgrund seiner eigenen margina-
len Bemerkungen oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (es gibt keinen Akademiker, dem diese
Neigung zur Relektüre abgeht), sondern weil Heidegger in einem Briefwechsel Jaspers (oder Löwith)
mitteilte, dass er für einen Text, der ihm zugesandt worden war, keinen Kommentar abgeben konn-
te, weil er damit beschäftigt war, seinen eigenen Text zu korrigieren. Wie gesagt, Apocrypha umran-
ken wie Efeu solche Aussagen und hinterlassen in uns den Eindruck von einem Mann, der nur seine
eigenen Texte und die Griechen gelesen hat. Vielleicht war dies auch so.
10 Otto Pöggeler schreibt die Beiträge einer meditativen Aufarbeitung der Ereignisse des Jahres 1933
zu – „Als er sich auf seine philosophische Arbeit zurückgeworfen sah, schrieb Heidegger in den
Jahren 1936-1938 sein zweites Hauptwerk.” Neue Wege mit Heidegger, S. 11. Pöggeler legt als ers-
ter den Kern der Beiträge frei – und in diesem Zusammenhang kann gesagt werden, dass er gleich-
zeitig eine offensichtlich öffentliche Kampagne beginnt, mit dem Ziel, einen Überblick zur Rolle der

202
Anmerkungen

Beiträge in Heideggers Gedankenwelt in Umlauf zu bringen – in dem durchaus passend betitelten


Text: Sein als Ereignis. Gelehrte wie Elizabeth Hirsch und andere beziehen sich auf die Beiträge und
Pöggelers Darstellung ihres Aussagekerns, besonders im Hinblick auf die entsprechende Diskussion
in seinem Buch Der Denkweg Martin Heideggers, S. 115.
11 Siehe Pöggelers Sein als Ereignis. Dieser Text wurde übersetzt als Being as Appropriation in Philosophy
Today.
12 Heidegger nannte bekanntermaßen dieselben unveröffentlichten Quellen den Ort für Nietzsches
„wahre“ Philosophie. Siehe Heidegger, Nietzsche, mit vielfältigen Verweisen, besonders in Band 1.
13 Siehe Fußnoten 3, 5, und 6 oben. Siehe Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, S. 143ff.
14 Heidegger schreibt: „Eine der wesentlichen Formeln zur Kennzeichnung des Ereignisses des
Nihilismus lautet: ‚Gott ist tot’“. Heidegger, Nietzsche I, S. 158. „Mit Nihilismus meint Nietzsche die
geschichtliche Tatsache, d. h. das Ereignis, daß die obersten Werte sich entwerten, daß alle Ziele ver-
nichtet sind und alle Wertschätzungen sich gegeneinander kehren.“ (S. 157). Und was Pöggeler
bereits für die deutschen „eingeweihten“ Wissenschaftler getan hatte, nahm David Farrell Krell als
Übersetzer in viel milderer Form mit einem seiner Kommentare für den Text in Angriff. Krell weist
darauf hin, dass Heideggers Anrufung des „‚Ereignisses’ des Nihilismus“, die im nämlichen und in
den folgenden Abschnitten viermal zitiert wird, möglicherweise die erste‚ terminologische
„Erwähnung des Wortes Ereignis in Heideggers publizierten Schriften darstellt.” Krell schließt ab mit
dem, was ich als Leserin als einen von Heidegger gegebenen und 1969 publizierten Hinweis auf die
Beiträge interpretiere. Krell bezieht sich auf das Protokoll von Alfredo Guzzoni zu dem Vortrag „Zeit
und Sein“, datiert 11.–13. September 1962. Siehe Zur Sache des Denkens, S. 46; dieses Protokoll ist
auch übersetzt in On Time and Being von Joan Stambaugh. Siehe den vorherigen Hinweis auf den
Kontext für diesen Nachweis in Der Humanismusbrief und Identität und Differenz, S. 36. Krell äußert
sich folgendermaßen: „Die Beziehungen und Kontexte, die die essentielle Struktur von Ereignis aus-
machen, sind zwischen 1936 und 1938 ausgearbeitet worden, was bedeutet, genau zeitgleich mit
den beiden ersten Nietzsche Vorlesungs-Veranstaltungen.“ Heidegger, Nietzsche Volume 1 (übersetzt
von Krell), S. 156. Krells hilfreiche Glosse entspricht ganz seinem intervenierenden Stil in dem
gesamten Heidegger Text, und im Zusammenhang mit den hier vorgenommenen Überlegungen zu
den Akteuren in der Paläographie eines jeden Werkes ist es bemerkenswert, dass Krells Notizen (und
Kommentare im Anhang) genügend umfangreich waren, dass er dem Verleger dadurch, dass er aus
zwei Bänden vier machte, den Dienst eines Buchverkäufers leistete.
15 So ist also eine Hinterfragung von Heideggers umwerfender Begegnung mit Nietzsches Stil gleich-
zeitig eine Evokation der Problematik von Heideggers eigenem Stil. Heidegger-Forscher haben es
tunlich vermieden, die Stilfrage in Heideggers Schriften aufzuwerfen, als ob die Sprache irgendwie
dazu befähigt sei, den Weg zum Gedanken freizulegen. Und wenn Heideggers Beiträge landläufig im
Ruf stehen, ein stilistisch schwieriger Text zu sein (was zumindest bedeuten würde, dass er übliche
Herangehensweisen an ein Lesen von Heidegger infrage stellt, selbst für Kenner seiner Werke), dann
sind sie auch gleichzeitig ein Text, in dem Heidegger die Frage nach dem Stil an sich anspricht.
16 Siehe dazu eine veröffentlichte Transkription aus dem Jahre 1996, in der Gadamer einen ausführli-
cheren Kontext dafür bietet. Zitiert in Kapitel I, Note 4.
17 Otto selbst war seit 1933 Mitglied des Vorstands gewesen und lud 1935 Heidegger sowie Hans
Heyse und Max Oehler ein. Für einen schematischen Überblick in sein Involviertsein, siehe David
Marc Hoffman, Zur Geschichte des Nietzsche-Archivs, S. 115.
18 Wir lesen bei Hoffman: „Auf Vorschlag Richard Oehlers wird Dr. Günther Lutz in den Vorstand der
Stiftung Nietzsche-Archiv gewählt.“ Bedeutsam ist hier gerade die politische Bedeutung dieser
Berufung, die sich aus den Titeln ergibt, so wie sie Hoffman im einzelnen darstellt: „Lutz ist Son-
derbeauftragter des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Wissen-
schaftsreferent im Propagandaministerium, Einsatzstab des Reichsforschungsrats.“ Hoffman, Zur Ge-
schichte des Nietzsche-Archivs, S. 119. Danach teilt Heidegger in einem Brief an Richard Leuthesser
seinen Rücktritt von der Herausgebergruppe der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe mit, ohne eine
Erklärung dafür abzugeben (S. 119). Darüber hinaus ist Edler offensichtlich unentwegt bemüht, die
komplexen arkanen Einzelheiten weiterer Aspekte dieses Vorfalls über Nietzsche hinaus aufzufinden
– welche Edler mit der Komplexität eines Krimis beschreibt, die aber von Heideggers aggressiveren

203
VII. Heideggers Wille zur Macht…

Antagonisten anders ausgelegt werden. Man kann die ganze Angelegenheit recht direkt angehen,
wie das Hans Sluga getan hat (wenn auch nicht erschöpfend, wie Edler nachweist), nämlich auf der
Basis von Ottos (und anderen) historischen Berichten zu Heidegger in genau diesem Kontext. Eine
gezielte Diskussion zu den Umständen bezüglich der Vielfalt der Editionen zu Nietzsches Nachlass
ist auch in Hoffmans Darstellung der Geschichte des Nietzsche Archivs in Weimar zu finden. Vgl.
dazu Edlers dritten und abschließenden Teil seiner Diskussion von Heidegger und Alfred Baeumler
in Nazi-Deutschland. Letzterer Text ist offensichtlich aus Edlers Verärgerung über Tom Rockmores
vorteilhafte (aus offensichtlich denunziantischer Absicht) Ungenauigkeit hinsichtlich historischer
Behauptungen entstanden. Im Gegensatz dazu ist Edler um die Präzision einer philologischen
Geschichtsschreibung bemüht.
19 Zusätzlich zu Der Wille zur Macht selbst wurden andere editorische Produkte von Nietzsches
Entwürfen und Notizen oder anderweitig unveröffentlichten Aphorismen publiziert, manchmal als
eine Art „Blick” (so verwendete Erich Podachs Sammlung den Ausdruck: Ein Blick in Notizbücher
Nietzsches) in die Werkstatt von Nietzsches Ideen, zuweilen als einfach „zeitgemäße“ Sammlungen,
die manchmal sogar die Bezeichnung „Brevier“ erhielten. Derartige Zusammenstellungen von
Nietzsches Notizen bleiben bis heute beliebt, ganz besonders in Deutschland, aber sie sind auch in
englischsprachigen Ausgaben zu finden.
20 Siehe besonders: Heidegger, Nietzsche, Band II, § 21 und folgende.
21 Siehe Nietzsche, Der Wille zur Macht: Versuch einer Umwertung aller Werte (1901) als Band XV der
Großoktavausgabe von Nietzsches Werken, die auf Initiative seiner Schwester Elisabeth Förster-
Nietzsche 1894 veröffentlicht wurde. Der Band, den wir heute als Der Wille zur Macht kennen, rührt
nicht von dieser ersten Ausgabe her, die nur aus 483 Abschnitten bestand und deren Aphorismen
von Heinrich Köselitz, sowie Ernst und August Horneffer ausgewählt und ediert worden waren, son-
dern von der zweiten Ausgabe aus dem Jahre 1906, die von Köselitz ediert und auf 1067 Abschnitte
erweitert wurde, sowie von der dritten Ausgabe von 1911, von Otto Weiss ediert (aber im We-
sentlichen ohne Veränderungen zu der Version aus dem Jahre 1906).
22 Indem ich einen derartigen stilistischen Einfluss zwischen Nietzsche und Heidegger behaupte,
behaupte ich nicht gleichzeitig, dass Heideggers Kompositionsweise den nietzscheschen Stil wider-
spiegelt, der literarische Lesarten von Nietzsche inspiriert hat: von Georg Lukács’ eher kritischer
Reaktion auf das, was Lukács als Nietzsches proto-faschistischen Einfluss spezifisch auf der stilisti-
schen Ebene bezeichnete (gewissermaßen als ästhetische Politik), bis zu Gottfried Benns eher
zustimmender Reaktion auf denselben schwer greifbaren Stil. Siehe Gottfried Benns eigene Dar-
stellung „Nietzsche – nach 50 Jahren“. Und auch von einer philosophischen Perspektive her sollte
meine Behauptung hinsichtlich des Einflusses von Nietzsches Stil auf Heidegger nicht so verstanden
werden, als ob Heideggers Nietzsche der Nietzsche eines Hans Vaihinger oder sogar eines Karl
Löwith sei, und noch viel weniger, dass Heideggers Interpretation von Nietzsche den französischen
Lesarten von Nietzsche à la Derrida, Deleuze oder Kofman ähnlich sei.
23 Man mag das Gefühl haben, dass dieser Aspekt von Heideggers Verwicklung in Nietzsches Werk eine
Antwort auf Heideggers damals widersprüchliche Sorge hinsichtlich seiner eigenen Rezeption und
seines eigenen Einflusses war. Zu diesem Thema, siehe Ott und Safranski, aber auch Edler und
Schwann, Heidegger’s Beiträge zur Philosophie and Politics.
24 Silvio Vietta lenkt in seinem Buch Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik, S. 70
ff. tatsächlich unsere Aufmerksamkeit auf dieses faktische Detail, um sich Fragen der Datierung zuzu-
wenden; aber Vietta stellt nicht die Frage, die ich hier verfolge.
25 Von Herrmann erläutert das Folgende: „In der Reihung der acht Teile der Handschrift und dement-
sprechend in der Zählung der Abschnitte dieser Teile mit der Ordnungszahl folgt auf den ‚Vorblick’
‚Das Seyn’.“ Gemäß von Herrmann musste diese Reihenfolge neu geordnet werden, weil Heidegger
in einer auf den 8. Mai 1939 datierten Notiz schreibt: „’Das Seyn’ als Abschnitt II [Teil II] ist nicht
richtig eingereiht; als Versuch, das Ganze noch einmal zu fassen, gehört nicht an diese Stelle.” Von
Herrmann, „Nachwort des Herausgebers“, Beiträge zur Philosophie, S. 514. Von Herrmann interpre-
tiert das als eine Rechtfertigung der Neuanordnung des Manuskripts, in der „Das Seyn” an das Ende
des Manuskripts versetzt wird, und bemerkt, dass „[d]urch die Umstellung dieses Manuskriptteils,
wodurch dieser nun nicht mehr den zweiten, sondern den achten Teil bildet, verändert sich auch die

204
Anmerkungen

Ordnungszahl vom 50. Abschnitte an. Denn der ‚Vorblick’ zählt 49 Abschnitte, mit dem 50.
Abschnitte beginnt sowohl in der Handschrift wie in der Maschinenabschrift ‚Das Seyn’, während
nunmehr nach der vorgenommenen Umstellung mit dem 50. Abschnitte der erste Teil des ‚Auf-
risses’, der ‚Anklang’, einsetzt.“ (S. 514–515) Mit anderen Worten, der ganze Text ist von jetzt an
neu durchnummeriert: „Anklang” hätte Abschnitt 75 sein sollen und Abschnitt 74 folgen sollen, „Die
Sprache (Ihr Ursprung),“ ist jetzt als 281 nummeriert.
26 Die vom 5. Mai 1939 datierte handschriftliche Notiz befindet sich auf der „maschinenschriftlichen
Abschrift des ‚Inhaltsverzeichnisses’.“ (Von Herrmann, „Nachwort des Herausgebers“, S. 514) Ob-
wohl Heidegger hier zwar den fraglichen Teil „als Versuch, das Ganze noch einmal zu fassen“, deu-
tet und damit von Herrmanns Interpretation, dass er „ nicht an diese Stelle” gehört, bestätigt, ist
auch zu betonen, dass Heidegger selbst, weder im Manuskript bzw. Typoskript noch irgendwo an-
ders, uns die Entscheidung nicht zugetraut hat, wie der Abschnitt endgültig einzuordnen sei. Aber
wir wissen, dass Heidegger nicht nur häufig auf offensichtliche Dissonanzen in seiner Anordnung
hingewiesen hat, sondern dass er, in scholastischer Weise, über den ganzen Text hinweg (und nicht
nur am Ende) Zusammenfassungen (in rückwärts sowie vorwärts gerichtetem Blick) geboten hat.
Tatsächlich gibt es noch keine Studie über Heideggers besondere Weise, einen Text zu beenden.
27 Infolgedessen ist es nicht irrelevant, dass Heidegger über die vielen Jahre bis zu seinem Tode hin-
weg (und sogar als er selbst nicht nur die Anordnung der letzten Veröffentlichung seiner Werke
beaufsichtigte), die Notiz so stehen ließ und an dem Manuskript keine Veränderungen vornahm.
Jetzt wissen wir, dass er das Manuskript für die Beiträge nicht einfach ignorierte, denn Pöggeler hat
uns informiert, dass Heidegger selbst seine Darstellung als ein zweites Hauptwerk autorisierte – eine
Darstellung, die auch mit meiner eigenen Bewertung, aufbauend auf dem Modell oder Palimpsest
von Nietzsches Wille zur Macht, übereinstimmt.
28 von Herrmann, „Nachwort des Herausgebers“, S. 514. Wie schon angedeutet: von Herrmanns Trans-
position veränderte die ursprüngliche Anordnung (die von Heideggers einleitender Übersicht) zu
„Seyn“, dann zu „Anklang“ und so weiter verlief, und mit einem abschließenden Kapitel mit dem
Titel „Der letzte Gott“ endete. Jetzt steht „Der letzte Gott“ unmittelbar vor „Seyn“, das nun selbst
als der letzte Abschnitt des Manuskripts umfunktioniert wurde.
29 Pöggeler selbst zitierte den einleitenden „Überblick“ der Beiträge, wo Heidegger selbst die
Anordnung des Textes bietet. So beginnt Pöggelers Reihenfolge explizit mit „Seyn“.
30 Schließlich war Heidegger zu diesem Zeitpunkt mit der Arbeit an seinem Essay „Zum Ursprung des
Kunstwerks” beschäftigt, und da von Herrmann selbst der Autor eines substanziellen Kommentars
zu Heideggers Kunst-Werk Essay war (zusätzlich zu ständigen Seminar-Veranstaltungen zum selben
Thema über viele Jahre der jüngeren Vergangenheit hinweg), muss von Herrmann notgedrungen die
Ähnlichkeiten in Sprache und Anliegen zwischen den beiden Manuskripten festgestellt haben.
31 Heutige Philosophen und Soziologen der modernen Technik und Technologie sprechen zunehmend
von Technowissenschaft und bezeugen damit Heideggers vorrangiges Interesse an den spezifisch
modernen Ausdrucksformen von Wissenschaft und Technologie.
32 Heidegger, Zollikoner Seminare, S. 286.
33 Nietzsche, gt, Versuch einer Selbstkritik, § ii.
34 Heidegger, Nietzsche 1, S. 252.
35 Der Abschnitt, den Heidegger als das Herzstück der ganzen Vorlesungs-Veranstaltung bezeichnet,
bietet einen Zugang zu der Lektüre von Die Geburt der Tragödie, oder Griechenthum und Pessimismus.
36 Heidegger, Nietzsche I, S. 254.
37 Heidegger, Nietzsche I, S. 175.
38 Ibid.
39 Vgl., wie bereits in Fußnote 14 erwähnt, auch Heideggers Kommentar zum Ereignis; desgleichen,
wie auch bereits erwähnt, Krells Fußnoten-Glosse in Heidegger, Nietzsche, Volume 1, S. 156.
40 Heidegger, Nietzsche I, S. 183.
41 Eine längere Diskussion dieser Thematik könnte unter Hinweis auf Heideggers Reflexionen geführt
werden, wo Nietzsche als Überwindung und Höhepunkt der Geschichte der westlichen Philosophie
betrachtet wird; bezüglich der Gesamtheit der westlichen Philosophie in B § 93 und mit spezifischem
Hinweis auf den Deutschen Idealismus in B§ 102, 104 und den logischen Positivismus in B § 116, etc.

205
VII. Heideggers Wille zur Macht…

42 Platonismus sowie Positivismus sind für Heidegger eine Art kalkulativen Denkens, die eine über-
sinnlich, die andere empirisch, aber beiden liegt die Annahme zu Grunde: „Erkennen ist Angleichung
an das zu Erkennende.“ Nietzsche I, S. 178.
43 So sollte denn inzwischen hinreichend klar sein, dass fast keine der Bemühungen von Heideggers
Seite, die Bedeutsamkeit von Nietzsches Denken für sein eigenes Denkprojekt klarzustellen, irgend-
eine Konsequenz hatte angesichts der verhängnisvollen Kraft der Behauptung von Heidegger, dass
Nietzsches Opposition gegenüber der Metaphysik ihn unheilbar in die Metaphysik verstrickte. Diese
Entwicklung resultiert aus der Tatsache, dass Heideggers Nietzsche-Kommentare von Heidegger-
Forschern als eine Art Freifahrtschein dafür angesehen wurden, Nietzsche, vielleicht mehr als jeden
anderen Namen in der Geschichte der Philosophie, schlechthin zu ignorieren und ihn als den
„Hauptmissetäter“ in der Geschichte der westlichen Metaphysik zu betrachten. Dabei wurde beque-
merweise die Spannung zwischen dem Nahen und dem Fernen, dem Nächsten und dem Fernsten,
ignoriert und gleichzeitig gerade die Praxis des Hinterfragens verdunkelt (als ob dies je Heideggers
eigenen Wünschen entsprechen würde), die für Heidegger den einzigen Weg darstellte, bezüglich
der Aufgabe des Denkens, gerade am Ende Philosophie, weiter zu kommen.
44 Insofern als dieser Text unveröffentlicht ist, zeigt er einen „Widerstand“, der nichts mehr sein kann
als eine fanatisierte Substitution dafür. Bestenfalls handelt es sich hier um eine Art „geistiger Zu-
rückhaltung“ an Stelle von Handeln. In Heideggers Vorlesungen zu Hölderlin sowie in denen zu
Nietzsche finden wir doch klare und sogar parallele Aussagen, die als derartige Äußerungen von
Widerstand betrachtet werden können, was eben für diese Feststellungen nicht zutrifft.
45 Siehe Rudolf Arnheims phänomenologische Reflexionen zur sakralen Macht des übertragenen Lauts:
„Das rein physikalische Faktum, dass die normale Distanz zwischen Lautquelle und Mikrophon
beträchtlich ist, impliziert als eine Normalsituation der Feinkunst des Übertragens eine geistliche und
atmosphärische Nähe des Senders und des Hörers.” Arnheim, Radio, S. 77f. Für Arnheim, der eine
phänomenologische Analyse der auditiven Wahrnehmung bietet, ist es wichtig festzustellen, dass
das Hauptmerkmal des übertragenen Tons, einer übertragenen Stimme und übertragener Musik
gerade in der „Abwesenheit von Direktionalität“ liegt (S. 55–57). Später weist er darauf hin, dass es
nicht im Bereich der Möglichkeiten des Rundfunks liegt, eine „riesige Massenmenge mit
Enthusiasmus“ (S. 82) „anzufeuern”, obwohl der Gebrauch (oder wie Arnheim die Dinge sieht, der
Missbrauch) eines Lautsprechers dieser Aufgabe perfekt gerecht wird, insofern als die durch das
Mikrophon veranlasste Deformation sich somit explosivartig in eine auf den visuellen Aspekt des
Sprechers bezogene Intimität erweitert.
46 Eine empfehlenswerte Diskussion dieses Themas, also bezüglich des ambivalenten Ideals einer „halt-
baren Entwicklung samt favorisierenden Ökologie,“ ist in Davisons Technology and the Contested
Meanings of Sustainability zu finden. Im Zuge einer Kontextualisierung des Problemkreises mit
Hinweis auf Technologie-Entwicklung und Planung, Politik und Theorie von Nord-Süd und europäi-
scher (oder globaler) Wirtschaftslehre sowie politischer Praxis und Ermächtigung, bezieht sich
Davison auch auf eine Reihe relevanter Texte.
47 Für ein deutsches Ohr hat „und dennoch“ größere Resonanz als für ein französisches oder ein engli-
sches. Diese Phrase hat eine bedeutsame Geschichte in dem, was schließlich die Debatte zwischen
Hermeneutik und Dekonstruktion wurde; und Gadamer verwendete sie schließlich sogar im Titel sei-
ner Reflexionen in seinem Dialog mit Derrida. Siehe seine Antwort auf Derridas „Guter Wille zur
Macht: Drei Fragen an Hans-Georg Gadamer“ sowie Gadamer, Und dennoch.
48 Ibid, S. 142; cf. Beiträge § 5.
49 Diese tradierte Logik wäre nicht nur die der logischen Positivisten (also die Logik als solche, die
Rudolf Carnaps intellektuelles Kapital wurde), sondern sie entwickelte sich im Laufe der Zeit eine
breiter gefächerte und weniger rigorose Anhängerschaft; und zwar in der journalistischen Reflexion
und der ihr entsprechenden überzogenen Selbstsicherheit der Kritiker von Sein und Zeit, die
Heideggers Nachdenken in anderen Kontexten zu bittereren Reflexionen weiterführten. Ich beziehe
mich hier auf Heideggers Bemerkungen zum Tod und das, was er als die „journalistischen“ (und „phi-
listerhaften“) Interpretationen seines Werkes Sein und Zeit betrachtete, das, wenn es nicht als eine
Anthropologie dargestellt wurde (die sich in der Begriffswelt des Existentialismus entfaltete), doch
als eine Philosophie des Todes betrachtet worden ist. Siehe Beiträge, § 162, 163.

206
Anmerkungen

50 Heidegger, Zollikon Seminare, S. 18. Siehe Paul Valadiers Essay zum selben Thema: „Science as New
Religion“.
51 Wenn die heutige Wissenschaftsphilosophie nicht mehr von der scholastischen Philosophie
beherrscht wird oder wie zu Heideggers Zeiten von einem Neukantianismus, dann ist sie aber immer
noch beherrscht von einer weiterhin anhaltenden analytischen Herangehensweise an das grundsätz-
lich wissenschaftliche Problem der Wissenschaften auf der Basis eines modernen Weltbildes – genau
das meint Heidegger, wenn er von der „Wissenschaft als Weltbild“ spricht, das heißt, gegen die Idee
und das Ethos von Heideggers Vorstellung der Wissenschaft in den Beiträgen und an anderer Stelle.
Es ist auch bemerkenswert, dass Heidegger hier zwischen Wissenschaft und ihren äquivalenten
Vorläufern und der Modernisierung, die mit ihrer Reduktion auf oder Gleichsetzung mit einer natur-
wissenschaftlichen und technologischen Wissenschaft einhergeht, unterscheidet.
52 Heidegger, Nietzsche I, S. 254.
53 Ibid., S. 372. Später argumentiert er wieder: schon Jahrzehnte vor den Zollikoner Seminaren hatte
er in seinen Nietzsche-Vorlesungen mehrfach dargelegt, dass „die Wissenschaft nur wissenschaftlich
sein, als ,echtes Wissen’ gelten kann, insoweit sie ,metaphysisch denkt’, das heißt: nur so weit, als
die Wissenschaft sich auf die Philosophie besinnt.” S. 523.
54 Heidegger, Sein und Zeit, Int. I, (§ 3); siehe auch § I.1, S. 50; I.6, § 44, S. 212–230.
55 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, S. 152.
56 Aus diesem Grund befindet Schwan, dass eine präzise Interpretation der Beiträge (inklusive
Heideggers unerbittlicher und ausnahmsloser Ablehnung dessen, was er „Liberalismus“ nennt [oder
anthropomorphisches Denken oder Humanismus]) eine hieb- und stichfeste „Widerlegung“ von
Farìas’ Argument bietet, indem er zeigt, dass, was immer man vom erlösenden Wert der modernen
Wissenschaft und der liberalen Demokratie halten mag, hier Heideggers Überzeugung gegen die
Grundhaltung der modernen Wissenschaft und seine bis in die sechziger Jahre erhalten gebliebene
Skepsis gegenüber dem erlösenden Potential von Demokratie deutlich hervortrete: „Die Beiträge
bieten dementsprechend eine einzigartige Widerlegung von Viktor Farìas’ Unterstellung, dass
Heidegger in der Vergangenheit und weiterhin – auch im ideologischen Sinn, ein überzeugter Natio-
nalsozialist war.“ Schwann, Heidegger’s Beiträge zur Philosophie and Politics, S. 79.
57 Herbert Marcuse, „Some Social Implications of Modern Technology“, in Marcuse, Technology, War
and Fascism, S. 49 und folgend.
58 Zusätzlich zu der enthusiastisch-forschungsfreundlichen Einstellung der Wissenschaften und der
Politik des Nationalsozialismus müssen wir auch seine Abhängigkeit von und sein Engagement mit
der Demokratie einbeziehen (wir sollten nicht vergessen, dass der Nationalsozialismus eben gerade
eine Volks-„Bewegung“ mit breiter politischer, will sagen, demokratischer Unterstützung war; und
die Beliebtheit von Daniel Goldhagens kontroversem Buch spricht indirekt für diese Ansicht). Das ist
ein Punkt, den Peter Schneiders Essay „The Good Germans“ in The New York Times Sunday Magazine
(13. Februar 2000) vermittels seiner Darstellung der nichtheroischen, aber eben alltäglichen und
sehr kleinmaschigen Großzügigkeit der etwa 100 Deutschen, die ausschlaggebend waren für Konrad
Lattes Rettung über die ganze Nazizeit hinweg, herausarbeiten will. Aber wie bei allen nuancierten
Interpretationen impliziert seine Argumentation die „Problematik“, dass sie den perfekten Konturen
der politisch Korrekten und der Schwarzweißmalerei von Gut und Böse widerspricht.
59 Siehe Friedmann, The Lexus and the Olive Tree, und vergleiche dazu Barber, Jihad Versus Mcworld.
Aber siehe am besten dazu die immer noch aktuellen Beiträge von Ashis Nandy (Hg.), Science,
Hegemony, and Violence: A Requiem for Modernity sowie Shiv Visvanathan, „Cultural Encounters and
the Orient: A Study in the Poitics of Knowledge“.
60 Heideggers absichtlich undifferenzierter Punkt gegen die Vorstellung des „Un-möglichen“ an sich
(die unser eigenes Regime von Freiheit in gleichem Maße wie das Naziregime „haßt“ [Nr. 70; cf. Nr.
51, Nr. 58]), die er in den Beiträgen anklagte, ist in der einen globalen Welt exemplifiziert, die wir
alle „schon“ (zumindest vom Ideal her) geworden sind.
61 Dies ist Heideggers Hauptpunkt in seinem Die Frage nach der Technik, S. 11.
62 Siehe Žižek, „Willkommen in der Wüste des Realen“; Jean Baudrillard, L’esprit du terrorisme, und
Virilio, Ce qui arrive.

207
VII. Heideggers Wille zur Macht…

63 Jacques Lacan schreibt: „Die Götter gehören zum Bereich des Realen.” Lacan, “Of the Network of
Signifiers” in: The Four Fundamental Concepts of Psychoanalysis, S. 45. Dieses Epigraph findet sich
nicht in der deutschen Übersetzung von Norbert Haas, der Anlass dafür wird jedoch in Lacans
Erklärung sichtbar, das Reelle sei das, „was stets an derselben Stelle wiederkehrt — an der Stelle, wo
das Subjekt als denkend oder als res cogitans ihm nicht begegnet.“ „Vom Netz der Signifikanten“, S.
56. Er schließt mit einem Hinweis auf den Unterschied zwischen den Aristotelischen Begriffen Tyché
und Automaton als dem, „was für uns die Begegnung mit dem Reellen ist.“ So führt er seinen
Gedankengang in der Abhandlung zur „Tyché und Automaton“ auf eine andeutungsweise theologi-
sche, manchmal negative Art fort: „es geht um ein Rendez-vous mit dem Reellen, zu dem wir stets
gerufen sind, das sich jedoch entzieht.“, S. 59, in: Lacan, Das Seminar. Buch XI. Die Vier Grundbegriffe
der Psychoanalyse.
64 Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, S. 144.
65 Hölderlins Empedokles war auf ähnliche Weise für Nietzsches Zarathustra bedeutsam. Das ist ein
komplexer Bezugspunkt und eine komplexe Verbindung, die ich in Kapitel IV weiter ausführe. Siehe
auch Allisons damit verbundene Diskussion von Zarathustra in: Reading the New Nietzsche. Zu
beachten wäre auch B § 43, wo Heidegger Nietzsches Götzendämmerung zitiert: „Der Wille zum
System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.”
66 Siehe Bertaux, Hölderlin und die Französische Revolution, im Blick auf eine Behandlung der
Bedeutung dieses Ereignisses zum Verständnis von Hölderlins Lebensgeschichte (ganz besonders,
und hoch brisant, Hölderlins Wahnsinn); für ein Verständnis dieser Allusion, siehe ebenfalls eine
ganze Anzahl vorhandener historischer Abhandlungen zur politischen Involviertheit von Hölderlins
Schriften. Ich behandle dieses Thema zum Teil in Kapitel IV.
67 In den Zollikoner Seminaren hatte Heidegger mit einem gewissen ironischen Humor gegen den
reduktiven Anspruch einer kybernetischen Definition des Menschen argumentiert, wie sie von
Norbert Wiener geboten worden war: „Von der Methode des Zuganges als einer Naturwissenschaft
her bestimmt sich, was der mensch ist”, S. 119. Zitiert nach Wiener, Mensch und Menschmaschine
68 Heidegger, Die Frage nach der Technik, S. 11.

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Hölderlinturm am Neckarufer

Tübingen, August 2007; Foto: Verfasserin

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