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MARTIN OPITZ: Briefwechsel und Lebenszeugnisse.

Kritische Edition mit


Übersetzung. An der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel hrsg.
von Klaus Conermann unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. 3 Bde. —
Berlin, New York: De Gruyter 2009. VI, 2024 S.; 34 Abb.

Wenn es um Gelehrte und Dichter der Frühen Neuzeit geht, sind verläss-
liche Lebenszeugnisse oftmals rar. Mag bei jenen noch das dürre Gerüst
einer akademischen Laufbahn zumindest Daten des offiziellen Lebens bereit
stellen, so ist bei diesen oftmals der mühselige Weg über ihr eigenes Werk,
über nicht selten verstreute Kasualdichtung und Leichpredigtsammlungen
einzuschlagen, um eine Biographie wenigstens reliefartig hervortreten zu
lassen. Ein nach modernen editorischen Standards vorgehendes Erschließen
der Korrespondenzen, das letztgültig Licht in so manchen Lebens- und
Werkzusammenhang bringen könnte, stellt sich meist aufgrund der großen
Anzahl von Briefen, der weiten Streuung der Überlieferung wie auch der
notorischen Mehrsprachigkeit in Humanismus und Barock als langwierige
und schwierige Aufgabe dar. Umso verdienstvoller, wo sie dennoch über-
nommen wird: in jüngerer Zeit etwa in der kritischen Ausgabe des Brief-
wechsels Abraham von Franckenbergs oder der seit 1995 in München
entstehenden Ausgabe Bayerischer Gelehrtenkorrespondenzen.1 Speziell im
Hinblick auf Briefwechsel unter Poeten war man bislang entweder auf
ältere, meist lateinischsprachige Ausgaben oder auf wenige Pioniereditionen
angewiesen, etwa die Ausgabe der Briefe Daniel Czepkos oder diejenige
der Werke und Briefe Sigmund von Birkens, die jeweils auch den näheren
Umkreis der Dichter (Bernegger und Harsdörffer und Greiffenberg) muster-
gültig erschließen.2

1
Abraham von Franckenberg: Briefwechsel. Eingeleitet und hrsg. von Joachim Telle.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1995; Bayerische Gelehrtenkorrespondenz. Hrsg. von Alois
Schmid [u.a.]. München 1995 ff. (bislang 3 Bde in 4 Teilbänden; zu Matthäus Rader
und Caspar Schoppe).
2
Zu ersteren gehören etwa die immer noch als Fundgrube zu betrachtenden Briefe G.
M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde Hrsg. und erläutert von Alexander
Reifferscheid. Heilbronn 1889 (= Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in
Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts 1). — Daniel von Czepko:
Sämtliche Werke. Bd. 6: Briefwechsel und Dokumente zu Leben und Werk. Bearb.
von Lothar Mundt und Ulrich Seelbach. Berlin, New York 1995 (= Ausgaben
deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 146); Sigmund von Birken:
Werke und Korrespondenz. Hrsg. von Klaus Garber [u.a.]. Tübingen, Berlin 1988
(= Neudrucke deutscher Literaturwerke. N.F.) [bislang 6 Bde. in 11 Teilbänden], hier
v. a. die Bde. 9, 10 und 12. Verwiesen sei auch auf die Neuausgabe des Zweibrücker
Hofrats Balthasar Venator: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Georg Burkard und Jo-
hannes Schöndorf. 2 Bde. Heidelberg 2001 (= Bibliotheca Neolatina 9), hier Bd. 2.

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In diesen Kreis reiht sich nun ein Großunternehmen ein: die von Klaus
Conermann und Harald Bollbuck über Jahre hinweg erarbeiteten drei Bände
Briefwechsel und Lebenszeugnisse des ‘Vaters der deutschen Dichtung’
Martin Opitz. Auf mehr als zweitausend Seiten können nun versierte
Forscher wie auch interessierte Laien, stets kundig geführt von den Her-
ausgebern, das Geflecht der Opitz’schen Beziehungen zwischen 1611 und
1639 erlesen, mithin eine, spätestens nach 1620, politisch und sozial höchst
instabile Phase der deutschen Territorialgeschichte, die sich nicht nur
indirekt in den hier versammelten Zeugnissen widerspiegelt. Um dies zu
belegen, genügt es etwa, den bereits bei Reifferscheid gedruckten, nun aber
übersetzten und eingehend kommentierten Brief beizuziehen, den Opitz
1625 aus Breslau an Balthasar Venator schrieb (I, 386-393): Zwar vermerkt
er stolz den Abschluss der Teutschen Poemata sowie die Krönung zum
poeta laureatus, spekuliert aber zugleich über das Für und Wider einer
englisch-niederländisch-siebenbürgischen Fronde gegen den Kaiser. Wenn
aber der gekrönte Dichter wohlgemut sein auskömmliches Dasein auf den
Landgütern schlesischer Mäzene andeutet, bleibt dies nicht ohne Pikanterie
angesichts des Umstandes, dass sein Adressat Venator sich zeitgleich als
Hauslehrer in Straßburg durchbringen musste, der ehemalige Bibliothekar
der Palatina Janus Gruter längst von den Kaiserlichen Truppen expropriiert
worden und der ehemalige kurpfälzische Militär-Auditor und Dichter Julius
Wilhelm Zincgref immer noch am Oberrhein ‘untergetaucht’ war; Opitz
selbst hingegen war den alten Heidelberger Freunden, die er am Schluss des
Briefes seine “Väter und Wohltäter” nennt, fünf Jahre zuvor buchstäblich
‘von der Fahne gegangen’!
Neben dem ambivalenten Ausklingen des Pfälzischen Späthumanismus
lassen sich an den hier versammelten Materialien zahlreiche weitere literar-
und geistesgeschichtliche Beobachtungen anstellen: Die Entstehung der
Poemata lässt sich ebenso verfolgen wie jene mannigfaltigen Kontakte zu
polnischen Adligen, die für Opitzens letzte Lebensphase in Thorn und
Danzig wichtig waren. Im Kleinen kann der Leser eine ganze Reihe von
Dichtungen auf den lateinischen Wahlspruch des Martin Opitz verfolgen;
im Großen kann er nun zum ersten Mal dessen anhaltende und produktive
Freundschaft mit dem schlesischen Landsmann Christoph Ko(e)hler (Cole-
rus) im vollen Umfang überblicken, dessen wichtige Gedenkschrift auf den
verstorbenen Opitz (1665) im dritten Band in Faksimile präsentiert wird,
supplementiert um die als Zeugnis der Opitz-Rezeption interessante Über-
setzung Kaspar Lindners (1740). Hieran lässt sich eine weitere Qualität der
vorliegenden Ausgabe ablesen, die bereits der zweigeteilte Titel nahe legt:
Es werden eben nicht nur Briefe von oder (im geringeren Umfang) an Opitz
dargeboten, sondern auch Eintragungen, etwa aus Stammbüchern, Dedika-
tionen (oftmals Gedichte) aus den Paratexten anderer Werke und schließlich
Berichte und Rezeptionszeugnisse über Opitz zusammengestellt: ohne

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