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VO, Beatrice Müller 5.10.

2021

Einführung
Perspektive des Arbeits- und Forschungsgebiets DaZ
• Wie können für migrationsresultierend zwei- und mehrsprachige Kinder, Jugendliche und
Erwachsene Nachteile, erwachsend aus der Dominanz des Deutschen, reduziert werden?
→ z.B. durch Nutzung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit
→ methodisch-didaktische Vorgehensweisen zur Verwendung und Nutzung der Migrations- bzw.
Minderheitensprachen im Unterricht ausarbeiten bzw. reflektieren.
• Untersuchung unterschiedlicher Lebens-, Bildungs- und Arbeitsbereiche
• Entwicklung und Evaluierung von Modellen der Unterstützung der Aneignung des Deutschen
• Untersuchung linguistischer Grundlagen und Rahmenbedingungen (z.B. Sprachwandel in der
Migrationsgesellschaft, …)
• Machttheoretische Wissenschaftstraditionen herangezogen und adaptiert, um soziale bzw.
subjektivierende Effekte der vorgeschlagenen Maßnahmen zu beachten
• Sprache kann nie losgelöst von politischen, kulturellen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen betrachtet werden
• Sprache zur Regulierung von Zugehörigkeit → Verknüpfungen mit z.B. Rassismuskritik

Spielräume DaZ
➔ Unterscheidung nach Alter, Aufenthaltsdauer im amtlich deutschsprachigen Raum,
Kompetenzen in der deutschen Sprache:
 Beginn von DaZ vor dem Schulalter
 Beginn von DaZ unmittelbar davor od. während des Schulalters
 Beginn DaZ während der 2.-4. Klasse
 Beginn DaZ während der Sekundarstufe
 Seiteneinsteiger*innen: (nicht-)alphabetisierte Seiteneinsteiger*innen

Anliegen der Migrationspädagogik


• Historischer Umgang mit Heterogenität in der Schule hatte bisher vor allem die Funktion,
Homogenität herzustellen
• Schule will „Gleichartigkeitsnormalität“ → Heterogenität als Störung → Ziel: Homogenität

Natio – ethno – kulturelle Zugehörigkeit


• Definition „Zugehörigkeit“ durch Nationalstaat, Nationalsprache, vermeintlich gemeinsame Kultur
Natio-ethno-kulturelle • … führen zu Ihr-Wir-Diskursen
Zugehörigkeits- • … dienen als Mittel zur Disziplinierung
ordnungen… • … bringen kulturelle politische Privilegien bzw. Benachteiligungen mit sich
• Rassistische Unterscheidungen dienen hegemonialer Selbstvergewisserungen, verhindern aber
die Partizipation der anderen
• Symbolisches Mitglied des Kontextes
• Habituelle Wirksamkeit
• Biografisierende Verbundenheit
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• Konzepte, die Mitgliedschaft, Wirksamkeit und Verbundenheit in einem Zugehörigkeitskontext


dominant regulieren, haben disziplinierende und subjektivierende Funktionen
• Zugehörigkeitsordnung = strukturiert und strukturierend → aus Individuen werden Subjekte, die
normativen Vorgaben des Sozialen unterworfen werden
• Mittel zur Disziplinierung, Habitualisierung und Bildung
Natio-ethno-kulturelle
• Dominanz durch kulturelle und politische Privilegien (Hegemonie)
Zugehörigkeitsordnungen
• Operierung mit Entweder-Oder-Logik (z.B. Wir – Nicht-Wir;
machtvoll, weil:
Österreicher – Serbe)

Umgang mit zugeschriebener natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit


• Ausländerpolitik: der/die Andere ist different zu uns – Defizitausgleich – Assimilation1
• Interkulturelle Pädagogik: Wir sind alle different im Verhältnis zueinander –
3 Paradigmen

Differenzwahrnehmung – Anerkennung
• Migrationspädagogik: Zugehörigkeitsordnungen und die Macht der Unterscheidung – unter
welchen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen und von diesen vermittelten
Voraussetzungen, Individuen sich selbst als einem Kontext zugehörig verstehen, erkennen und
achten können
• Doppelte Praxis der Migrationspädagogik: Analyse der lokalen Hervorbringung von
Unterschieden + Analyse allgemeiner diskursiver Praxen, (bildungs-)politischer Regelungen, sozio-
ökonomische Verhältnisse
• Sprache als soziale Praxis: = ein glückender Sprechakt → bei performativen Äußerungen wichtig,
ob sie glücken oder nicht glücken
• Sprachkompetenz des idealisierten Sprechens (nach Chomsky) muss um die gesellschaftlichen
Voraussetzungen, Möglichkeiten und Restriktionen konkreter sprachlicher
Produktionssituationen und konkreter Sprecherinnen ergänzt werden

Konstruktive Wendung
Die Auseinandersetzung mit der facetten- und spannungsreichen Macht der Sprache, der erforderlichen
Anerkennung lingualer Disposition einerseits und der Anerkennung des lingualen ‚Standards‘ andererseits
kann Lehrerinnen dabei ermutigen und unterstützen, diese Spannung nicht nur auszuhalten, sondern
pädagogisch konstruktiv zu wenden.

Ermöglichung von Bildungsräumen und Reduktion von lingualer Herrschaft


Eine migrationspädagogische Konsequenz aus dem Wissen um diese Zusammenhänge wird darin
bestehen, Bildungsräume und Lernorte zur Verfügung zu stellen, in denen es Menschen möglich ist, ein
(respektiertes) Deutsch zu sprechen.

Themenfelder
• Relevanz
• Schule & Bildungsgerechtigkeit
• Sprachstandsdiagnostik
• Spracherwerbstheorie & Normreflexion
• Bildungssprache
• Modelle der Sprachbildung & Sprachförderung
• DaZ Fördermodelle & Methoden
• Umgang mit Mehrsprachigkeit
• Rassismus und Diskrimierung

1
Angleichen einer Gesellschaftsgruppe an eine andere (z.B. Ausländer sollen so sein wie Österreicher)
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Spracherwerbstheorien
Spracherwerb

Einflussfaktoren auf den Spracherwerb DaZ


Faktoren des Sprachgebrauchs:
• Umfang und Art des Inputs, Verwendung der Sprache mit ErstsprachlerInnen, Verfahren der
Bedeutungssicherung im Diskurs und reparative Maßnahmen

Sprachbezogene Faktoren:
• Sprachliche Wissensbestände der LernerInnen (L1, L2, L3…) und Grad der typologischen
Unterschiede zwischen den beteiligten Sprachen

Interne Faktoren:
• Motivation, Einstellung, altersgemäße Sprachfähigkeit, etc.

Externe Faktoren:
• Handlungsabsichten und –alternativen (z.B. Aufenthaltsstatus, Dauer der Niederlassung etc.),
Bildungserfahrung in der Familie, Wohnsituation, Netzwerke und Kontakte mit der Zielsprache

Gezielte Fördermaßnahmen:
• Zeitpunkt des Kontakts zum Deutschen
• Dauer des Kontakts zum Deutschen
• Intensität des Kontakts zum Deutschen
• Qualität des Inputs zum Deutschen
• Deutschförderung und deren Qualität

Critical – Period – Hypothese


• je früher der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache beginnt, desto ähnlicher ist der DaZ-Erwerb
zum Erwerb des Deutschen als (alleinige) Erstsprache
• menschliches Gehirn ist weit über die Pubertät hinaus lernfähig
→ Jugendliche/Erwachsene besser bei: v. a. gesteuerten Situationen; Wortschatzlernen
→ Kinder besser bei: intuitiv ganzheitliche Vorgehensweisen; Erwerb der Aussprache
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• Kinder werden aufgrund ihrer akzentfreien Aussprache überschätzt, was zu einer Überbewertung
ihrer sprachlichen Fähigkeiten führen kann

„Zweispracherwerbstheorien“ – Dimensionen nach Cummins

BICS werden von allen


Kindern erworben und die
pädagogische
Herausforderung besteht
darin, die Kinder dabei zu
unterstützen, CALP-
Fähigkeiten auszubilden.

→ BICS kann innerhalb von ca. 2 Jahren erreicht werden


→ CALP braucht man in der Schule; Schulsprache; bildungsrelevante Sprache; in ca. 6-8 Jahren erreicht,
wobei Zeit gekürzt werden kann, wenn man gute Förderung hat, man kommt aber nicht unter 4 Jahre

„Zweispracherwerbstheorien“ – Mythen und Theorien


• Mehrsprachigkeit wird als Sonderfall betrachtet
• Theorien des Sprachverlustes
• Studie „Sprache und Integration“: Sprache ist der Schlüssel zu Integration, weshalb die
Förderung von migrantischer Mehrsprachigkeit, sich gar nicht auszahle. Er spricht den
migrantischen Familiensprachen die Rolle eine „Wellness-Faktors“ zu und fordert „Schluss mit
dem Placebo“.
• → Einsprachigkeit als Sonderfall: Alle sind mehrsprachig (im Alltag sind immer andere Sprachen)
• Aber: Welche Differenzierungen sind erforderlich? z.B. migrantische Mehrsprachigkeit und das
Sprechen kolonialer Fremdsprachen
• Statistik Austria: Muttersprache = jene Sprache, die man in der Familie, beim Einkaufen, mit
Freunden verwendet
• „Auch nicht-deutsche Eltern sollen mit ihren Kindern Deutsch sprechen.“
• „Zunächst muss ein Kind seine Muttersprache beherrschen, bevor es eine andere Sprache lernen
kann.“
• „Mehrsprachige Kinder lernen keine Sprache richtig.“
• These des Semilingualismus: Bei biografisch zu früh einsetzender Bilingualität werde weder die
eine noch die andere Sprache ausreichend erlernt. Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich
um ein fragwürdiges Konzept, da nicht geklärt werden kann, bis zu welchem Grad und zu
welchem Alter eine Sprache gelernt worden sein soll, um eine „gute“ Basis für den Erwerb einer
Zweitsprache zu bilden.
• BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) & CALP (Cognitive Academic Language
Proficiency):
„Zeit für muttersprachlichen Unterricht behindert nicht die Entwicklung von Sprache als
Werkzeug des Denkens (CALP) in der Mehrheitssprache. Einige Lehrkräfte und Eltern halten
zweisprachige Erziehung oder Unterricht in der Muttersprache für problematisch. Sie fürchten,
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dass die Programme Zeit wegnehmen für das Erlernen der Mehrheitssprache. Eine der sichersten
Erkenntnisse aus der internationalen Forschung besagt, dass gut implementierte bilinguale
Programme die sprachlichen und fachlichen Kenntnisse in einer Minderheitensprache ohne jeden
negativen Effekt auf die Entwicklung der Mehrheitssprache fördern. In Europa werden in dem
belgischen Programm Foyer in der Grundschule die mündlichen und schriftlichen Fähigkeiten in
drei Sprachen gefördert (Muttersprache, Niederländisch und Französisch), hier zeigen sich sehr
deutlich die Vorteile zweisprachiger und dreisprachiger Erziehung.“

Zweitspracherwerbstheorien – Überblick
Kontrastivhypothese
• „Der Erwerb der Zweitsprache wird durch die Strukturen der bereits erlernten Sprache
bestimmt.”
• ähnliche Struktur → „positiver Transfer”
andere Struktur → „Interferenz” (negative Ergebnisse)
• Behavioristische Grundlage: beobachtbares, äußeres Sprachverhalten
• Ähnliche Sprachen lassen sich leichter erlernen als verschiedene → Fehler bei der Aneignung
aufgrund des Kontrasts der Sprachen

Identitätshypothese
• „Der Zweitspracherwerb verläuft im Wesentlichen wie der Erstspracherwerb”
• Der Erwerb verschiedener Sprachen folgt den gleichen Gesetzmäßigkeiten: Da alle Sprachen auf
der Basis angeborener Strukturen und Prozesse gelernt werden (Chomsky), spielt es kaum eine
Rolle, ob bereits eine Sprache gelernt wurde oder nicht. Die zu erlernende Sprache wird
nachkonstruiert, indem die lernende Person Hypothesen bildet, überprüft und revidiert.
• Fehlleistungen = produktive Zwischenschritte

Interlanguage-Hypothese
• „L2-Erwerb erfolgt über systematischen Aufbau von Lernervarietäten”
Die Lernenden entwickeln beim Fremd- oder Zweitspracherwerb verschiedene „LernerInnensprachen“
(interlanguages). Folgende Prinzipien beschreiben den Aufbau:
• Übertragung aus der Erstsprache: In Anlehnung an die Kontrastivhypothese wird angenommen,
dass Strukturähnlichkeiten von Sprachen eine Rolle spielen.
• Übungstransfer: Hier werden Muster, die mit Hilfe von Übungsmaterial erworben wurden,
erprobt, z.B. wenn LernerInnen eine Regel in verschiedenen Übungssätzen anwenden müssen.
• Strategien des Sprachenlernens: Bei diesen von LernerInnen entwickelten Strategien werden
Regeln zur Hypothesenbildung und -überprüfung angewendet, z.B. findet ein Lerner unbewusst
die Regel, dass im deutschen Hauptsatz das Prädikat nach dem Subjekt steht. Mit dieser Strategie
ist er in sehr vielen Fällen erfolgreich (ich gehe nach Hause), scheitert aber, wenn z. B. ein
Adverbial an der ersten Satzposition steht (Dann ich gehe nach Hause).
• Kommunikationsstrategien: = Verhaltensweisen, die in konkreten Kommunikationssituationen
Hilfestellung bieten. Dazu gehören funktionelle Reduktionsstrategien wie Themenvermeidung,
Codewechsel, Entlehnung, Wortneubildung, Umstrukturierung, Gestik, Mimik und
diskursbezogene Strategien.
• Übergeneralisierung: Regeln, die korrekt erworben wurden, werden auf Bereiche übertragen, in
denen sie keine Gültigkeit besitzen, z. B. wenn die Konjugation der regelmäßigen Verben auf
unregelmäßige Verben übertragen wird („Ich bin gegeht.“).

Schwellenniveau-Hypothese
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• „kognitive Entwicklung und Bildungserfolg sind von einem schriftkulturellen Ausbau beider
Sprachen abhängig“
• gelingender Zweitspracherwerb nur nach dem Erreichen einer bestimmten Schwelle im
Erstspracherwerb möglich
• Argument für „muttersprachlichen Unterricht“ → Kinder lernen die Zweitsprache nur dann gut,
wenn sie eine sehr gut ausgebaute Basis der Erstsprache haben.
• Gegenthese – Lebensweltliche Zweisprachigkeit: Kinder lernen die Sprachen in der Form und in
dem Ausmaß, wie sie ihnen begegnen und wie sie in ihren Handlungs- und
Lebenszusammenhängen Sinn machen.
• Interdepedenz-Hypothese: Entwicklung verläuft in beiden Sprachen in Abhängigkeit voneinander
→ Förderung der Erstsprache wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Zweitsprache aus, da
sprachenübergreifende Konzepte von einer Sprache auf die andere übertragbar sind (z.B.
Vergangenheit wird morphosyntaktisch auf eine spezielle Weise ausgedrückt)

Spracherwerbstheorien – Konsequenz
• Werden Normabweichungen im Zweitspracherwerb als legitime Zwischenstufen betrachtet, wie
in der Interlanguage-Hypothese vorgeschlagen, hat dies didaktische Konsequenzen: In
schulischen Kontexten ist die Lehrkraft aufgefordert, mögliche Fehlbildungen der Kinder als
Merkmal ihrer Lernersprache zu akzeptieren.
• Nicht nur Betrachtung von psycholinguistischem System, sondern dem gesamte Lernerverhalten
→ Fähigkeit, in der Zweitsprache zu kommunizieren. Lernende setzen Kommunikationsstrategien
ein, um das begrenzte zur Verfügung stehende Wissen der Zielsprache möglichst effektiv zu
nutzen. Hierzu gehören, je nach Alter und Lernkontext, auch Bezüge zu den bereits gelernten
Sprachen
• Frage, inwieweit Erwerbsverläufe so beschrieben werden können, dass Phasenmodelle
entstehen, an denen sich die Lehrkraft orientieren kann

Sprachliche Qualifikationsbereiche nach Ehlich → Grundlage f. Diagnoseinstrumente für Ö.


• Qualifikationsfächer wird angeeignet und systematisch ausgebaut
• Prozesse der Aneignung geschehen korrelativ synchron → charakteristischen Übergänge
• „Zone der nächsten Entwicklung“
• Erwerb der literalen Qualifikation fällt mit Schulbeginn zusammen
• einzelne Qualifikationen erreichen Stufen des jeweils optimalen Angeeignetseins
• Stufe erreicht → Qualifikation dauerhaft
• charakteristische Entwicklungszeitfenster (Einsatz & Ausbildung)
• Überlagerung der Entwicklungszeitfenster (besonders in ersten Basisqualifikationen)
• wahrscheinlich Transfer (noch unklar)
• Rolle & Anteil nonverbaler Kommunikation & instrumentellen Handelns (Kooperation) unklar

Phonische Basisqualifikationen:
• Differenzierung und Produktion von Lauten
• Grundlage zur Differenzierung von Wörtern
• bei Zweitspracherwerb Vorteil für Kinder bis ca. 6 Jahre

Pragmatische Basisqualifikationen:
• Handlungsziele erkennen
• angemessener Einsatz

Semantische Basisqualifikationen:
• Wortschatzerwerb
• Verständnis von Wörtern
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• Wortbildungsmöglichkeiten
• Bildung Ober-/ Unterbegriffe
• Metaphern

Morphologisch – syntaktische Basisqualifikationen:


• Während der ersten 6 Jahre außer Passiv und Genetiv

Diskursive Basisqualifikationen:
• Erzählfähigkeiten
• Sprecherwechsel
• Fähigkeit zum komplexen zweckgerichteten sprachlichen Handeln

Literale Basisqualifikationen:
• Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen
• Orthographie
• Textualität
• Sprachbewusstheit

Phänomene des Sprachgebrauchs in der Migrationsgesellschaft


• Migrationsspezifische Register:
Kreativer Umgang mit Sprachen der Migration und Deutsch: Je nach Situation werden Sprachen
gemischt. Es entstehen neue Sprechweisen und Hybridisierungen.
„Türkischdeutsch“

 der Transfer türkischer Wörter und Äußerungsteile ins Deutsche


 syntaktische Veränderungen des umgangssprachlichen Standarddeutsch
 kurze und dicht aufeinanderfolgende (einander nachgestellte) Äußerungen
Beispiel

 der Einsatz einer bestimmten Satzmelodie


 Sprachalternation
• Code Switching:
absichtliches Mischen von Sprachen, um das pragmatische Anliegen besser zu erreichen
• Code Mixing:
gemischter Sprechstil mit alternierenden Sprachelementen, der nicht ein unmittelbares Anliegen
verfolgt
Bsp.: „Hast du ates?“, „Dann bin ich Gesamtschule rübergegangen.“, „Gib mir Linial!“
• Transfer:
bestimmte Begriffe sind zu aufwendig bei der Übersetzung und werden daher in der leichteren
Version übernommen (z.B. Wohnbauamt)

Sozialwissenschaftliche Zugänge
• Spracherwerb innerhalb gesellschaftlicher Vorstellungen von Legitimität und Illegitimität
• Kinder eignen sich nicht nur Wissen über Sprachen an, sondern auch ein Wissen darüber, wann
welche Sprache/welcher Code verwendet werden kann
• „Die Sprachkompetenz, die ausreicht, um Sätze zu bilden, kann völlig unzureichend sein, um Sätze
zu bilden, auf die gehört wird und in allen Situationen als rezipierbar anerkannt werden. Sprecher
ohne legitime Sprachkompetenz sind in Wirklichkeit von sozialen Welten, in denen diese
Kompetenz vorausgesetzt wird, ausgeschlossen oder zum Schweigen verurteilt“.

Reflexion zu den Spracherwerbsmodellen


• Derzeit keine passenden Modellierungen und Hypothesen für die Aneignung von Sprachen unter
Migrationsbedingungen und Sprachkontakten
• Hypothesen und Modellierungen stark an nationalstaatlichen Sprachmodellen orientiert
• Hybridisierungen werden nicht berücksichtigt
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• Einwirkung von Machtverhältnissen und anderen gesellschaftlichen Einflüssen wird nicht


einbezogen
• Eingeschränkte Aussagekraft

Sprachstandsdiagnostik
• Viele neue Verfahren zur Sprachstandsfeststellung von SchülerInnen mit DaZ in den letzten J.
• Bei Verfahren wird unterschieden zwischen:
 Alter
 Sprache (meistens nur für Erfassung von Deutsch, kaum für Erstsprache)
 Ziele (zuweisungs- oder förderdiagnostisch)
 Aspekte der sprachlichen Kommunikationsbefähigung

Warum & Wofür?


• Zuweisung von Ressourcen an Bildungseinrichtungen
• Evaluation von Programmen, Projekten, Fördermaßnahmen, Methoden, …
• Grundlage für individuelle Angebote und Fördermaßnahmen

Sprachaneignung & Sprachstand


„Die Frage, was unter Sprache verstanden wird und welche Aspekte der sprachlichen Kompetenzen in
einem Sprachstandfeststellungsverfahren erfasst werden, sind grundlegend für die Interpretation der
Ergebnisse und deren Konsequenzen.“
Sprachstand = komplexe, sich verändernde Größe → schwer zu erfassen
→ Deshalb wird versucht, auf einen individuellen Sprachstand zurückzuschließen, der für ein bestimmtes
Alter oder bestimmte Kontaktdauer als „normal“ angesehen wird.

8 Sprachliche Basisqualifikationen
1. Rezeptive und produktive phonische Qualifikation
2. Pragmatische Qualifikation I
3. Semantische Qualifikation
4. Morphologisch-syntaktische Qualifikation
5. Diskursive Qualifikation
6. Pragmatische Qualifikation II
7. Literale Qualifikation I
8. Literale Qualifikation II

Verfahrenstypen
Testende Verfahren
z.B. C-Test, Lesetest, CITO-Test
= Erhebung spezifischer Informationen über den erreichten Aneignungsstand in einem oder mehreren
sprachlichen Teilbereich(-en) anhand von Testaufgaben
= quantitative Beschreibung von Kompetenzstufen
Vorteile: präzise Messung, Standardisierbarkeit, Normierbarkeit, Effizienz, niedrige Anforderungen an
AnwenderInnen
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Nachteile: konkrete Fähigkeiten und Probleme oft nicht sichtbar, keine Kompetenzprofile, geringe
Verwertbarkeit für Optimierung von individueller Förderung

C-Test
• 4-5 kurze Texte
• Tilgung (Auslassen) jedes 2. od. 3. Wortes
• Eindeutige Zuordbarkeit der einzusetzenden Wörter
• Testung von: semantischer, morphologisch-syntaktischer und orthographischer Angemessenheit

Profilanalysen
z.B. FörMig Tulpenbeet, HAVAS 5
= Analyse von Sprech- oder Schreibproben zur Gewinnung spezifischer Informationen über den
erreichten Spracherwerbsstand in verschiedenen sprachlichen Qualifikationsbereichen

HAVAS 5
• Mündliches Erzählen einer Bildgeschichte → Gespräch wird aufgezeichnet
• Auswertung der Bereiche: Aufgabenbewältigung, Kommunikatives Handeln, Grammatik, Lexikon

Beobachtungsverfahren
z.B. USB-DaZ, Niveaubeschreibungen DaZ
= Erhebung spezifischer Informationen über den erreichten Aneignungsstand durch Beobachtung.
→ Anknüpfung an Unterrichtsbeobachtung, aber systematisch und kriteriengeleitet in der (alltäglichen)
Interaktion
Vorteile: umfassende Kompetenzprofile, sehr gute Verwertbarkeit für Optimierung von individueller
Unterstützung, beliebig viele Erhebungszeitpunkte, Wiederholbarkeit
Nachteile: erfordert ausgeprägte linguistische Kenntnisse und analytische Fähigkeiten von
AnwenderInnen, keine Feinanalyse

USB-DaZ
• Auftrag durch BMBF
• Zwei Teile:
 Beobachtungsbogen (Beschreibungen der Aneignungsstufen)
 Ergebnisdokumentationsbogen (Ergebnisse ankreuzen)
• Pro Kind ein eigener Ergebnisdokumentationsbogen
• Qualifikationen werden mithilfe von Indikatoren erfasst:

Pragmatische Fähigkeiten (Produktion & Rezeption)


• Mündliche Sprachhandlungsfähigkeit
• Strategien
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Lexikalisch-semantische Basisqualifikation (Produktion & Rezeption)


• Wortschatz: Primar-/Sekundarstufe I

Morphologisch-syntaktische Basisqualifikation (Produktion)


• Verbformen, Verbstellung in Aussagesätzen
• Realisierung von Subjekten und Objekten
• Aussageverbindungen

Literale Basisqualifikation (Produktion)


• Textkompetenz (schriftlich): Primar-/Sekundarstufe I
• Orthographie

Schätzverfahren
z.B. Europäisches Sprachenportfolio
= Verfahren der Selbst- und Fremdeinschätzung, die anhand von Skalen vorgenommen werden
Vorteile: zeitökonomisch, Stärkung der Selbsteinschätzung, Förderung der Reflexion von Sprache und
Lernfortschritt, positive Auswirkung auf Motivation
Nachteile: Frage nach Zuverlässigkeit, da die Bedeutung der Skalenwerte vage ist und die Zuordnung von
Sprachwahrnehmungen zu den Skalenwerten auf subjektiven Urteilen beruht

EXKURS: Skalen in der Beobachtung


Reduktiv schätzende Skala reduktiv deskriptive Skala

Konsequenzen für DaZ-Förderung


• Wird basierend auf Diagnose geplant
GEDULD! Effekte von DaZ-Förderung zeigen
• Erfolgt am individuellen Bedarf orientiert
sich erst nach ca. 6 Monaten
• Erfordert flexible Unterrichtsplanung:
 Binnendifferenzierung eines gemeinsamen Themas (z.B. Mitteilungsbereiche)
 SchülerInnen arbeiten an unterschiedlichen Themen
 SchülerInnen arbeiten mit individuellen Arbeitsplänen
 Ein Bedarf steht im Vordergrund: Thema so aufbereitet, dass die anderen SchülerInnen
mit der Aktivität andere Bereiche üben (z.B. Generatives Schreiben: Grammatikübung für
einen Bedarf, Wortschatzübung für alle)
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Normreflexionen und Bildungssprache


Normreflexivität
Fehler
Abweichung von einer vorgegebenen Norm, die bestimmt, was „richtig“ ist
• Was ist DIE Norm?
• Wer macht die Norm?
• Wie sinnvoll sind Normen und die Einhaltung von Normen im Kontext von mündlicher und
schriftlicher Sprachverwendung?

Normen sind veränderlich…


Präskriptive Normen
z.B. Rechtschreibreform 2006 (daß → dass; Schiffahrt → Schifffahrt)

Deskriptive Normen
• Grammatiken/Wörterbücher
• Genetiv verschwindet immer mehr
• Hauptsatz nach „weil“ im mündlichen Sprachgebrauch
• Neue Wörter entstehen (z.B. cloud, Migrationshintergrund, Integrationskurs, …)

Kriterien zur Bestimmung der Abweichungen


• Sprachliche Korrektheit in Bezug auf eine gesetzte Norm (z.B. kodifiziert durch Wörterbücher und
Grammatiken)
• Situative Angemessenheit: Wahl des zum Kontext passenden Sprachregisters – wird oft
„automatisch“ im Rahmen der Sozialisation gelernt – daher Herausforderung für DaZ, abhängig
auch von Region
• Verständlichkeit
• Die durch Unterricht und verwendete Lehrwerke etablierte curriculare Norm (auch dann, wenn
sie von der Norm abweicht, die von Lehrenden genutzt wird, wie „das Mail“/“die Mail“ oder
„weiters“/“weiter“

Analysenschritte
In allen Fächern, nicht nur Deutschunterricht!
1. Fehleridentifikation
2. Fehlerebenen und Fehlerklassifizierung
3. Fehlerursache
4. Fehlerbewertung
5. Fehlerkorrektur möglichst immer mit dem Ziel der Selbstkorrektur
a. Mündlich in Phasen des Unterrichts, bei denen Sprachformen im Zentrum stehen
b. In mitteilungsbezogenen Unterrichtsphasen nur dann, wenn Äußerungen unverständlich
sind
c. In schriftlichen Texten nach einem transparenten Vorgehen
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Analyse der Normabweichungen – Fehler ≠ Fehler


• Interferenzfehler: negativer Transfer von Regeln einer Erstsprache in die Zweisprache (z.B.
sensibel – sensible)
• Übergeneralisierung: Anwenden einer gelernten Regel auf Bereiche, wo es nicht passt (z.B. Nuss
– Nüsse, Kuss – Küsse, Lust – Lüste, Bus – Büsse)
• Simplifizierung: Einsatz von Grundformen der Adjektive und Substantive (z.B. Ich gehen.)
• Performanzfehler/Flüchtigkeitsfehler: Selbstkorrektur möglich
• Kompetenzfehler: sprachliches Phänomen ist LernerIn noch nicht bekannt oder nicht verstanden;
explizit benennbar
• Übergangsfehler/Interlanguage: Fehler als „Lernstationen“ oder „Meilensteine“

Fehler auf verschiedenen Sprachebenen


• Phonetische/phonologische Fehler
• Fehler in Orthographie und Zeichensetzung
• Morphosyntaktische Fehler (Fehler in Morphologie oder Syntax)
• Lexiko-semantische Fehler (Fehler in der Wortbedeutung)
• Pragmatische Fehler (Falsches Register)
• Inhaltliche/diskursbezogene Fehler (bezieht sich nicht auf sprachliche, sondern inhaltliche
Korrektheit)
Fehler Vs. Meilenstein

Konsequenz
Die Zone der nächsten Entwicklung
• Was kann das Kind?
• Was muss es noch lernen?
• Was muss es als nächstes lernen?
• Ressourcenorientiertes Korrigieren

Leistungsbewertung
• Soziale Bezugsnorm
• Individuelle Bezugsnorm
• Kriterienorientierte Bezugsnorm

Didaktische Hinweise
• „Fehler“ als wichtiger Hinweis auf „Zone der nächsten Entwicklung“, das heißt:
o Fehlerfreundliches Klima
o Ermutigung, Sprache auszuprobieren
o Fordernde Aufgaben
o Lob
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Bewusstsein für die Besonderheiten der Sprache


• Sprachbewusstheit (Sprachgefühl, metasprachliche Fähigkeiten)
• Minimalgrammatik der resistenten Bereiche:
o Deklination (auch in Norminalgruppen: Das große Fest)
o Konjugation (inklusive Zeitformen und Passiv)
o Wortarten und Wortbildung
o Satzmuster und Verbvalenzen (Verben verlangen bestimmte Satzglieder)
• Vgl. Stolpersteine nach Heidi Rösch (siehe Sitzung zur Bildungssprache)

Exkurs – „Native Speakerism“


• Erhebung einer naturalisierten Norm zur einzig legitimen
• Ideologische Form der Diskriminierung von Personen, denen zugeschrieben wird, sprachlich nicht
auf einem konstruierten „Niveau von ErstsprachlerInnen“ zu sein
• Zuschreibung ist mit Inferiorisierung verbunden

Reflexionsbeispiel zur Norm „Native Speaker“


Didaktisierungsvorschlag „Nachdenken, überlegen, reflektieren. Aktivität zu trennbaren und nicht-
trennbaren Verben (Klasse 7/8)“
Vorbemerkung/Lernziel: Anhand des folgenden Gedichts werden trennbare und nicht-trennbare Verben
thematisiert. Anschließend wird der Text gedeutet
• Auch ohne diesen Zwischenschritt konzentrieren sich die SchülerInnen nun auf das bis dahin
ausgesparte nicht-trennbare Verb aus dem Gedicht: unterlaufen. Sie bilden einen Satz (Mir
unterlaufen immer wieder Fehler.), ergänzen ein Modalverb, bilden das Perfekt und vergleichen
die Ergebnisse mit denen zu den trennbaren Verben. Um eine Analogiebildung zu erkennen,
experimentieren sie mit weiteren nicht-trennbaren Verben (wie den oben genannten).
Zur Wiederaufnahme des Gedichts erhalten die SchülerInnen folgenden Text: „Bevor ich meine Meinung
ausspreche, denke ich gründlich darüber nach. Wenn ich nachdenke, fallen mir Fehler auf. Wenn mir
Fehler auffallen, korrigiere ich sie. Wenn ich sie korrigiert habe, spreche ich meine Meinung sicher aus.“

Fach-, Berufs- und Bildungssprache


VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Ähnliche Eigenschaften
• Hoch verdichtete, kognitiv anspruchsvolle Informationen in kontaktarmen Konstellationen
• Gemeinsame SprecherInnengruppe
• Ähnliches Vorwissen

Bildungssprache
• „academic discourse“ – „academic language“
• Hoch verdichtete, kognitiv anspruchsvolle Informationen in kontaktarmen Konstellationen
• Für Schulerfolg relevant (in Lehrmaterialien, in Prüfungssituationen)
• Formelles Sachregister, das für den Erfolg in der Schule und in der Bildung notwendig ist
• Orte: anspruchsvolle Presseorgane, akademische und politische Vorträge, Bücher, …
• Unterricht: Bildungssprache und fachsprachliche Redewendungen
• Aneignung NICHT selbstverständlich, sondern im formalen Kontext → in der Schule
• Konsequenzen im Unterricht ähnlich zwischen Bildungs- und Fachsprache

• Die Verwendung von Bildungssprache muss angemessen sein. Manchmal kann zur Verständigung
über Neues oder beim Experimentieren alltagssprachlich gesprochen werden. Bildungs- und
Alltagssprache sind auf ein Kontinuum.
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Wofür wird Bildungssprache verwendet?


• Medium von Wissenstransfer
• Werkzeug des Denkens
• Eintritts- und Visitenkarte

Stolpersteine
• Lautsprache: Bach [baχ] oder ich [ɪç],
Konsonantenhäufungen: („Herbst“, „ängstlich“, „hüpfst“),
Bedeutungsunterscheidung: durch Länge bzw. Kürze in „Miete — Mitte“, „Hüte – Hütte“ oder
Diphtonge, Umlaute, Pausensetzung, Tonhöhen
• Lexik: terminologische und nicht-terminologische Fachwörter
• Grammatik: Nominalisierungen, Passiv, „man“ (Erhöhung der Informationsdichte,
Agensvermeidung, Objektivierung)
• Syntax: erweiterte Attribute
• Textebene: Personalpronomina, deiktische Ausdrücke

BICS & CALP


BICS – Basic Interpersonal Communicative Skills CALP – Cognitive Academic Language Proficiency
• Ca. 2 Jahre • 5-7 Jahre
• Basale konversationelle Fähigkeiten der • Für den schulischen Erfolg relevante
Zweitsprachlernenden in alltäglichen mündliche und schriftliche Sprachkompetenz
sozialen Konversationen
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DaZ – Förderung & Methoden


Rahmenbedingungen
• Hoher Zeitdruck für SeiteneinsteigerInnen – daher möglichst intensiver DaZ-Unterricht
• Heterogene Lerngruppen
• Spannungsfeld Kommunikation-Systematik (Alltagssprache und Bildungssprache müssen parallel
erworben werden)

DaZ Fördermodelle
Additives Modell
• Lehrgänge wie beim Fremdsprachenunterricht, aber auf Deutsch in der Schule und
migrationsgesellschaftsbezogen
• Fachsensibler Sprachunterricht
• Parallel zum Unterricht
• Vorübergehend und ergänzend
• V.a. für SeiteneinsteigerInnen
• In Vorbereitungsklassen/Sprachlernklassen/Willkommensklassen
• Einige Monate vor Einmündung in den regulären Unterricht

Integratives Modell
• Durchführung des Regelunterrichts unter Berücksichtigung von DaZ
• Ziel: einzelnen Kindern/speziellen Gruppen Hilfestellungen bei der Bewältigung bestimmter
sprachlicher Aneignungsaufgaben geben
• SchülerInnen setzten z.B. Material ein, das im additiven D-FÖ erarbeitet wurde
• Lehrkraft hat z.B. die im Unterricht verwendeten Texte im Hinblick auf bildungssprachliche
Elemente mit den SchülerInnen vorbereitet
• Durchführung des Unterrichts unter Berücksichtigung von DaZ
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→ Wirksamkeit der Fördermodelle

Exklusives Modell
= Vorbereitungsklassen ohne Besuch der Regelklasse

Prinzipien der DaZ-Förderung


1. Pädagogisches Prinzip: Orientierung an der Lernenden
• Kommunikationsbereitschaft wecken und aktives Lernen ermöglichen
• Interesse an der Sprache wecken durch Lernaufgaben, die die Lebenswelt der SuS
berücksichtigen → vertraute Namen und Lebenssituationen nutzen und schulische und
außerschulische Lebenssituation von Minderheiten differenziert und offen aufgreifen
• Lernvoraussetzung differenziert erheben (Diagnostik) und am individuellen Kenntnisstand
ansetzend fördern
• Kontinuierliche Beobachtung und Überprüfung der Entwicklung des Lernzuwachses
• Berücksichtigung der Erstsprache (vergleichend, Ressourcen nutzend) → Vergleich bezogen auf
Semantik, Pragmatik, Syntax und Phonetik
• Hegemoniekritische Reflexion der Kommunikation zwischen Erst- und ZweitsprachlerInnen
• Kinder nicht als RepräsentantInnen von Herkunftsländern sehen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

2. Didaktisches Prinzip: Mitteilungskompetenz stärken


• Vermittlung der sprachlichen Fertigkeiten (Hör- und Leseverstehen, Sprechen, Schreiben) und
die dafür notwendigen sprachlichen Mittel (Wortschatz, Redemittel, Syntax, Morphologie) mit
dem Ziel einer guten Sprachkompetenz
• Schematische Übungen zur Internalisierung korrekter Formen notwendig (zur Unterstützung
des mühsamen Prozesses der Automatisierung – kein Drill!)
• Schulung des kommunikativen Vermögens, sich sprachlich die Welt zu erschließen und
selbstbestimmt zu handeln
• Hinführung zu einem fächerübergreifenden Verstehen und Verwenden von Sprache
• Behandelte Themen sollten sich an den Fächern orientieren
• Sprachliche Fehler in Form von sprachentfaltenden Korrekturen aufgreifen, nicht (immer)
einfach stehen lassen

3. Methodisches Prinzip: Sprachreflexion anregen


• Vermittlung der sprachlichen Fertigkeiten (Hör- und Leseverstehen, Sprechen, Schreiben) und
die dafür notwendigen sprachlichen Mittel (Wortschatz, Redemittel, Syntax, Morphologie) mit
dem Ziel einer guten Sprachkompetenz
• SuS sollen angeregt werden, sprachliche Regularitäten selbst zu „entdecken“ (metasprachliche
Reflexionsfähigkeit)
• Lernen durch Lehren (Übergabe der Gruppenleitung, Spiele, Moderation)
• Sprache der Lehrkraft hat Vorbildfunktion, daher muss sie reflektiert eingesetzt werden
• Vermittlung von Lernstrategien und -techniken → Ziel: metasprachliche Reflexionsfähigkeit und
sprachlich orientierte Methodenkompetenz
• Korrekturverhalten – korrektives Feedback nicht nur durch Lehrende, auch durch
MitschülerInnen, bezogen immer nur auf bereits Gelerntes
• Raum für das offene Reflektieren eigener Sprachschwierigkeiten oder Unsicherheit

Methoden für DaZ


Methoden
= Gesamtheit von Regeln und Prinzipien, die zielbezogene und bedingungsangemessene Konzepte der
unterrichtlichen Tätigkeit (des Lehrens und Lernens) bestimmen.
= Konzepte für einen planvoll gestalteten Handlungsvollzug beim Lösen von Lernaufgaben
• Mehr als nur Technik → Methodenreflexion
• Probleme, Methoden und Lösungen stehen in gegenseitiger Abhängigkeit
• Aus der Fremdsprachen- und Deutschdidaktik
• Wir befinden uns im postmethodischen Zeitalter
• Methoden des autonomeren Sprachlernens:
o Methodenreflexion und Methodenentscheidung (Interdependenz von Inhalt & Methode)
o Projektmethode (kooperatives Erkunden eines Sprachbereichs)
o Portfolioarbeit (Europäischer Sprachenportfolio
http://www.oesz.at/OESZNEU/main_01.php?page=013&open=11)
o Sprachen-Tandem (Ergänzung des Sprachunterrichts)
Methoden zum Aufbau 4 sprachlicher Grundfertigkeiten:

Hören/Hörverstehen
• Sprachfluss hören
• Hörübungen an verschiedenen Textsorten
• Lautdiskriminierung durch Vergleich von Wortpaaren
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Ausführen von mündlichen Aufforderungen


• Themen erkennen und nennen
• Bildabfolge von gehörten Geschichten ordnen
• Inhaltliche und strukturelle Fragen zu Hörtexte/Filmszenen beantworten

Sprechen
• Freies und dialogisches Sprechen
• Ausspracheübungen
• Sprechtraining
• Adäquate und angemessene Reaktion
• Vorbereitung von Sprechtexten
• Ausbildung von „bildungssprachlichen“ Textsorten

Lesen
• Antizipierende Verfahren (Aktivieren von Vorwissen & Kontext, Schlüsselwörter, Überschriften,
Strukturierungen, ergänzende Quellen, …)
• Texterschließende Verfahren (Grobverstehen, Beziehungen im Text)
• Textscherende und -vertiefende Verfahren (globales Lesen, Perspektiven des Textes,
unterstützende/widersprechende Texte, selektives Lesen: suchen relevanter Informationen)

Schreiben
• Planende/schreibvorbereitende Verfahren
• Versprachlichende/formulierende/textproduzierende Verfahren
• Revision/Kontrolle/Korrektur/Redigieren/Überarbeiten

Scaffolding
scaffolding (engl.) = Baugerüst
• Temporäre Hilfestellung, um Lernende zu ihrer „Zone der nächsten Entwicklung“ (Vigotsky, 1978)
hinzuführen
• Genaue Planung, abgestimmt auf Bedarfe der LernerInnen
• Sequenzierung der Lernaufgaben von anschaulich nach abstrakt UND von alltagssprachlich nach
fachsprachlich
• Modellierende Interaktion zwischen Lehrkraft und SuS
• Hinführung zu bildungssprachlich reichem Input statt Vereinfachung von Inhalten und Texten
• Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe aller Fächer
• Sprachsensibler Fachunterricht
• Stammt ursprünglich aus der Erstspracherwerbsforschung, später konzeptioniert für Unterricht in
sprachlich heterogenen Klassen
• Möglichkeit, Unterrichtsstunden ausgehend von alltagssprachlichen hin zu bildungssprachlichen
Kompetenzen zu gestalten

Unterstützung beim Erwerb


Unterstützung beim Erwerb
bildungssprachlicher
Aneignung fachlicher Inhalte
Sprachkompetenzen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

4 Schritte des Scaffoldings


1) Bedarfsanalyse

2) Lernstandsanalyse Makro-Scaffolding

3) Unterrichtsplanung

4) Unterrichtsintervention
building modeling joint independent
Mikro-Scaffolding the field the genre/ construction writing
register

1) Bedarfsanalyse
Ermittlung des Sprachbedarfs des geplanten Themas
• Durchsicht des vorhandenen Materials (Lehrbuch)
• Welche Texte müssen gelesen/geschrieben werden?
• Welche Fachtermini sind neu?
• Gibt es bildungssprachliche Phänomene, die als schwierig einzustufen sind?
• Gibt es grammatische Phänomene, die gehäuft auftreten?
• Planungsrahmen

2) Lernstandsanalyse
Vergleich des Sprachstands der LernerInnen mit den sprachlichen Anforderungen des Themas
• Wer braucht wo Unterstützung?
• Austausch mit anderen LehrerInnen dieser Klasse sinnvoll
• Unterrichtsbegleitende Sprachstandsdiagnostik als Grundlage

3) Unterrichtsplanung
• Berücksichtigung der (fach-)sprachlichen Perspektive bei der Planung
• Zu Beginn: Aktivierung des Vorwissens, Bezugnahme auf alltagssprachlichen Wortschatz
• Einsatz von geeignetem Zusatzmaterial, das auf das Thema hinführt
• Geeignete Sequenzierung der Lernaufgaben:
o Fachlich: von der konkreten Anschauung zu einer abstrakteren Ebene
o Sprachlich: von konzeptuell mündlichen zu konzeptuell schriftlichen Sprachhandlungen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Bsp.:

4) Unterrichtsinteraktion – Mikroscaffolding

building modeling joint independent


the field the genre/ construction writing
register

• Sequenzierung von alltagssprachlichen hin zu bildungssprachlichen Handlungen



VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Sprachförderung – Mikroscaffolding – Methoden

Phase 1. Aktivitäten in Phase 2: Angeleitetes Phase 3: Textproduktion


Gruppenarbeit Berichten/Präsentieren x) Dictogloss
x) Experimentieren x) Stimmungsbarometer x) Schreiben im
x) Bilder sequenzieren x) Satzbaukasten Klassenverbund

Phasenübergreifende Methoden
(1&2)
x) Problemlösen in Partnerarbeit
x) Progressives Brainstorming

Was „macht“ das Scaffolding mit den Kindern?


Fokus: Unterrichtsinteraktion
• Ziel: mode shifting (von Alltagssprache hin zu Bildungssprache)
• macro mode-shifting über die gesamte Unterrichtseinheit
• micro mode-shifting in den Phasen 2 & 3 (modeling the genre/register & joint construction)
• Bsp.:

micro mode shifting


• Sprechen über das Sprechen
• Umformulierung durch die Lehrkraft (Re-Kodierung)
• Ermutigung zu längeren und/oder fachlichen Äußerungen
• Ausbrechen aus „Frage-Antwort-Schema“
• Verlangsamung der Lehrer-Schüler-Interaktion; Gewährung von mehr Planungszeit für SuS
• Variation der Interaktionsmuster
• Authentische Kommunikationssituationen mit Raum für komplexere Äußerungen (statt 1-Wort-
Antworten)
• Aktives Zuhören durch die Lehrkraft
• Verdeutlichung des angemessenen Fachworts bzw. einer angemessenen Wendung im jeweiligen
Kontext

Bildungssprachförderliche Unterrichtsinteraktion
• „Sprechen im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Themas und des jeweiligen Faches zu
ermöglichen“
• Entwicklung einer Diskurskultur in der Klasse = wenn Kinder es gewohnt sind, die
Gesprächsinitiative und den Raum für längere Äußerungen zu erhalten, sich gegenseitig
zuzuhören, zu fragen und auch bei sprachlichen Herausforderungen zu unterstützen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Durchgängige Sprachbildung
„Für Bildungserfolg entscheidend ist, dass die Kinder in der Schule lernen, auf die
Unterschiede zwischen alltäglicher Sprache und Bildungssprache zu achten und diese
Unterschiede auch aktiv einsetzen in ihrem Sprachverhalten, aber auch in ihrem
Sprachverstehen.
Durchgängige Sprachbildung ist ein Konzept, das Kindern dazu verhelfen will, die
Unterschiede zwischen Alltagssprache, dem alltäglichen Kommunizieren und dem,
was bildungssprachlich verlangt ist, beherrschen zu lernen.“

2 Grundelemente:
• Durchgängigkeit (bezogen auf die Umsetzung → WIE wird es umgesetzt?)
• Bildungssprache (bezogen auf den Gegenstand → WAS wird umgesetzt?)
Zielgruppe:
• Alle Kinder und Jugendlichen (mit besonderer Berücksichtigung von DaZ)
Ziele:
• Kumulativer Aufbau von bildungssprachlichen Fähigkeiten
• Reduzierung von Ungleichstellungen zwischen ein- und mehrsprachigen SuS bzw.
Reduzierung von Ungleichstellungen zwischen solchen SuS, die bereits hohe bildungssprachliche
Kompetenzen mitbringen und solchen, die diese im Rahmen der schulischen Ausbildung
erwerben müssen
Ort von Sprachbildung:
• Unterricht in allen Ausprägungen

Sprachförderung
= besondere Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, einzelnen Kindern oder speziellen Gruppen
Hilfestellungen bei der Bewältigung bestimmter sprachlicher Aneignungsaufgaben zu geben
Zielgruppe:
• Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf in bestimmten Bereichen
Ziel:
• Förderung in bestimmten sprachlichen Bereichen
• Heranführen an (z.B. altersgemäße) Normen
Ort von Sprachbildung:
• Parallel oder zusätzlich zum Regelunterricht, auch integrativ

➔ „Sprachförderung“ als Teilbereich von „Sprachbildung“

Ansatzpunkte für Gesamtkonzepte sprachlicher Bildung aus anderen Ländern


• Language across the curriculum (LAC):
Konzept zur Reduzierung der Nachteile von Kindern aus Familien mit niedrigem
sozioökonomischem Status; England
• Content and Language Integrated Learning (CLIL):
Verbindung von (Fremd-)Sprachenunterricht und Sachfachlernen, bilinguale Schulen;
Kanada, Kalifornien
• Language Awareness:
Förderung von Sprachgefühl und Sprachbewusstheit, Sprachvergleiche; England
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Durchgängige Sprachbildung und FÖRMIG


• Konzept der „Durchgängigen Sprachbildung“ im Rahmen des Modellprogramms „FÖRMIG“ (=
Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund)
• FÖRMIG: 2004 – 2009 in zehn deutschen Bundesländern durchgeführt und von der
wissenschaftlichen Evaluation als erfolgreich eingestuft
• Ziel: alle Kinder und Jugendlichen – mit einem besonderen Fokus auf mehrsprachige SuS – bei der
Aneignung der Bildungssprache unterstützen
• Zunächst „Durchgängige Sprachförderung“, dann „Durchgängige Sprachbildung“

Dimensionen durchgängiger Sprachbildung


1) Bildungsbiographische Dimension (Übergänge)
Vertikale Schnittstellen

Beispiele:
• Treffen von Lehrkräften unterschiedlicher
Schultypen
• Institutionenübergreifende Hospitationen
• Besuche der Kinder in aufnehmenden Schulen
• Information über Arbeitsweise in abgebenden
Institutionen

2) Situativ-thematische Dimension (Register)


Horizontale Schnittstellen I: Fächer und Lernbereiche

„Nur wenn die Beteiligten, z.B. die Lehrkräfte verschiedener Unterrichtsfächer,


voneinander wissen, was sie sprachlich fördern und fordern, sind sie imstande, in der
Sprachbildung an einem Strang zu ziehen“ (Lange/Gogolin, 2010)

Beispiele:
• Treffen von LehrerInnen unterschiedlicher Fächer
• Austausch von Ideen und Materialien
• Verankerung der Sprachbildung in Schulprofilen
• Pädagogische Diagnostik sprachlicher Fähigkeiten, auf die die Förderung in allen
Lernbereichen aufbauen kann
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

3) Sprachsozialisatorische Dimension: Verbindung schulisch – außerschulisch


Horizontale Schnittstellen II

Beispiele:
• Einbindung von Eltern in den Unterricht/Projekte
• Besondere Informationsangebote für Eltern
• Workshops und Kurse mit und von außerschulischen Bildungseinrichtungen (Vereine, …)
• Kooperation mit LehrerInnen des muttersprachlichen/herkunftssprachlichen Unterrichts
(auch außerschulisch)
• Koordinierte mehrsprachige Alphabetisierung
• Lese- oder SprachpatInnen
• Kooperation mit der Nachmittagsbetreuung, Lerninstituten, NachhilfelehrerInnen
• Kooperation mit Bibliotheken

Netzwerke für durchgängige Sprachbildung


• Zusammenarbeit mehrerer Bildungseinrichtungen (Schulen verschiedener Schularten,
Kindertageseinrichtungen)
• Unterstützung durch weitere PartnerInnen
• Einbindung in größere regionale Bildungsnetzwerke

Qualitätsmerkmale
• Netzwerk hat klare Struktur
• Netzwerk verfügt über eine eigene Infrastruktur
• Sprachbildungsnetzwerk hat Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Eltern
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Sprachbildungsnetzwerk stellt sich der Öffentlichkeit vor


• Netzwerkpartner teilen das Anliegen durchgängiger Sprachbildung
• Netzwerkpartner arbeiten gemeinsam an Zielen, überprüfen diese regelmäßig und
steuern evaluationsgestützt nach
• Netzwerkpartner gestalten das Sprachbildungsnetzwerk gemeinsam und bringen
unterschiedliche Kompetenzen ein, die gleichermaßen wertgeschätzt werden
• Netzwerkpartner qualifizieren sich kontinuierlich weiter
• Netzwerkpartner verankern Inhalte der durchgängigen Sprachbildung in ihrer Einrichtung

4) Interlinguale Dimension (Mehrsprachigkeit)


• DEUTSCHförderung ≠ umfassende Sprachbildung
• Gesamtsprachenkompetenzen
• Vorteile für die kognitive Entwicklung
• EU-Ziel der (mind.) Dreisprachigkeit
Beispiele:
• Kooperation mit dem muttersprachlichen Unterricht
• Mehrsprachige Alphabetisierung
• Kooperation mit Fremdsprachenunterricht
• Sprachvergleichendes und metasprachliches Arbeiten (Vorsicht vor der Zuschreibung
eines „ExpertInnenstatus“)

Qualitätsmerkmale bildungssprachlichen Unterrichts


Merkmal 1: Bildungssprache
Die Lehrkräfte gestalten den Unterricht mit Blick auf das Register Bildungssprache und stellen die
Verbindung von Allgemeinsprache und Bildungssprache explizit her.
• Lehrkräfte kennen Unterschiede zwischen verschiedenen sprachlichen Registern
• Lehrkräfte analysieren sprachliche Anforderungen des Unterrichts und der Materialien
• Lehrkräfte stellen im Unterricht explizit Verbindungen zwischen den Registern her
• Lehrkräfte machen Unterschiede zwischen sachlichen und sprachlichen Anforderungen

Beispiele:
• Lernplakate zu Bildungssprache
• Reformulierungsaufgaben für Aufgabenstellungen
• Explizitmachen des sprachlichen Ziels der Einheit (im Unterschied zum inhaltlichen Ziel),
z.B.: „Heute beschreiben wir ein Experiment. Dabei werden wir besonders auf Konditionalsätze
achten.“

Merkmal 2: Berücksichtigung sprachlicher Ressourcen


Lehrkräfte diagnostizieren die individuellen sprachlichen Voraussetzungen und Entwicklungsprozesse.
• Unterrichtsbeobachtungen
• Profilanalysen
• Tests
• Ratings
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Merkmal 3
Lehrkräfte stellen allgemeinsprachliche und bildungssprachliche Mittel bereit und modellieren diese.
• Wortfeldarbeit
• Lehrkräfte als sprachliche Vorbilder
• Erschließen sprachlicher Mittel über Lesestrategien
• Unterstützung der Sprachproduktion durch Formulierungshilfen, Verbalisierung von
Visualisierungen
• Bedeutungskonstruktion im Unterrichtsgespräch (Micro-Scaffolding)
• Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Operatoren

Merkmal 4
SuS erhalten viele Gelegenheiten, allgemeinsprachliche und bildungssprachliche Fähigkeiten zu erwerben,
aktiv einzusetzen und zu entwickeln.
• Schaffen eines Klimas, in dem sich SuS als kompetent im Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören
erfahren können
• Einbezug von L1-Kenntnissen, z.B. zur Aktivierung von Vorwissen, in Gruppenarbeitsphasen, …
• Gelegenheiten, sich über Gehörtes auszutauschen
• Hoher SprecherInnenanteil der SuS im Unterricht
• Zeit zur Konstruktion von Redebeiträgen
• Schreibintensiver Unterricht

Merkmal 5
Lehrkräfte unterstützen die SuS in ihren individuellen Sprachbildungsprozessen.
• Differenzierte Aufgabenstellungen, unterschiedliche Hilfsmittel
• „Überangebot sprachlicher Mittel“, z.B. Wortlisten, Überschriften als Textgliederung,
Bildmaterial, …

Merkmal 6
Lehrkräfte und SuS überprüfen und bewerten die Ergebnisse der sprachlichen Bildung
• Konstruktive Haltung Fehlern gegenüber – kompetenzorientiertes Korrekturverhalten
• Kriterienorientierte Erfassung und Bewertung sprachlicher Leistungen
• Bewusstmachung von Fortschritten
• Möglichkeit zur Selbstkorrektur und SuS-Korrektur
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Schule in der Migrationsgesellschaft


und Bildungsgerechtigkeit
Schule in der Migrationsgesellschaft
• Mehr als 𝟏⁄𝟓 der österreichischen Bevölkerung hat Migrationshintergrund (41% in Wien – 10% in
Kärnten)
• 𝟏⁄ der Kinder der 4. Schulstufe gehören österreichweit mindestens einer der drei sozialen
𝟑
Gruppen, die Ausschlüsse durch das Bildungssystem erfahren:
o Nichtdeutsche Alltagssprache
o Bildungsferner/bildungsentfernter Haushalt
o Niedriger Berufsstatus der Eltern
→ Städte: ca. Hälfte der Kinder; Land: 𝟏⁄𝟓
Kinder mit Migrationshintergrund in österreichischen Schulen:

SchülerInnen mit nichtdeutscher Umgangssprache im Schuljahr 2019/20:


VO, Beatrice Müller 5.10.2021

SchülerInnen der 4. Schulstufe nach Migrationshintergrund und Alltagssprache (2013):

Alltagssprachen der VS-SchülerInnen von 2006/07 bis 2013/14 (nach Sprachgruppen):

Anteile ausgewählter Sprachen der 8. Schulstufe in den Bundesländern (2012):


VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Anzahl der Kinderbücher zuhause nach Sprachgruppen in Österreich:

Sprachkenntnisse mehrsprachiger SchülerInnen nach Einwanderungsalter in Österreich/Deutschland:

Ausmaß des frühen Bildungsabbruchs abhängig von soziodemografischen Merkmalen (2012):


VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Berufliche Ausbildung
Erfolgreiche Bewerbung um einen Ausbildungsplatz in der betrieblichen Bildung in Deutschland
(2012/14):

Gründe:
• Vorbehalte!
• nicht wegen unzureichender Bildungsorientierung oder einer weniger intensiven
Ausbildungsplatzsuche!
• Linguizismus
• Monolingualer Habitus
• Rassismus
• Klassizismus

Monolingualer Habitus
Monolinguale Schule
• Unterricht ausschließlich auf Deutsch
• „Hier wird Deutsch gesprochen.“
• Elternabende, Informationsblätter, etc. selbstverständlich auf Deutsch ohne Übersetzung
• Testung/Bewertung nur auf Grundlage der deutschen Sprache
• Sprachmischungen = „Fehlleistung“
• Stigmatisierung von Mehrsprachigkeit als Problem
Habitus
„Die Wahrnehmungsschemata, welche die alltägliche Wahrnehmung der sozialen
Welt strukturieren, die Denkschemata, zu denen (a) die „Alltagstheorien“ und
Klassifikationsmuster zu rechnen sind, mit deren Hilfe die Akteure die soziale Welt
interpretieren und kognitiv ordnen, (b) ihre impliziten ethischen Normen zur
Beurteilung gesellschaftlicher Handlungen […] und (c) ihre ästhetischen Maßstäbe zur
Bewertung kultureller Objekte und Praktiken, kurz ihr „Geschmack“ sowie die
Handlungsschemata, welche die (individuellen oder kollektiven) Praktiken
hervorbringen.“ (Schwingel 2005:62 – Habitusbegriff von Bourdieu)

Die monolinguale Orientierung der Lehrenden als eine habituelle Praxisform zu begreifen, ermöglicht es,
Geschehen besser zu verstehen, das bei isolierter Betrachtung einzelner Aspekte – Einstellungen,
Wissensbestände, Handlungsbedingungen – eher unerklärlich bleibt, weil es in sich selbst so
widersprüchliche Züge zeigt. (Gogolin, 2008)
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Diskriminierung am Arbeitsmarkt
Folgen:
BewerberInnen mit Migrationshintergrund anstelle in der gewünschten
Ausbildung häufiger in alternativen – oft nicht abschlussbezogenen –
Bildungsgängen (32% gegenüber 21%) oder außerhalb des
Bildungssystems (23% gegenüber 18%)
Anteil Erwerbstätiger mit Abschluss einer Höheren Schule oder Universität nach beruflicher Tätigkeit
und Geburtsland:

Armutsgefährdung
= in Deutschland Menschen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60% des mittleren Einkommens
beträgt
• Mikrozensus 2012: Armutsgefährdungsquote bei Personen mit Migrationshoch mit 26,8% mehr
als doppelt so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund mit 12,3%
• Bildungsstand hat kaum Auswirkung auf die Armutsgefährdungsquote: Quote bleibt bei Personen
mit Migrationshintergrund auch dann hoch, wenn sie über die Reifeprüfung verfügen. Sie liegt
mit 20,1% mehr als doppelt so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund und Matura
mit 8,9%.
• Armutsgefährdungsquote bei Personen mit Migrationshintergrund und Reifeprüfung mit 20,1%
deutlich höher als bei Personen ohne Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss mit 14,9%.
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Gerechtigkeit
Gerechtigkeitsmodelle

Luck egalitarism: Alle Ungleichheiten sind ungerecht, für die der/die


Einzelne nicht vernünftigerweise für eigenverantwortlich gehalten
werden kann.
Das gilt damit auch für Talente und Gesundheit.
Verteilungsgerechtigkeit Kompensation von:
• Herkunftsgleichheit
• Gesundheit
• Begabung
Alle Gesellschaftsmitglieder sollen mit den gleichen Ressourcen für die
Verfolgung ihrer je eigenen Lebensziele ausgestattet werden.

Jedes Kind soll ungeachtet der ihm/ihr unterstellten Begabungen einen


„threshhold of capabilities“ durch Schulbildung erreichen, damit es zu
demokratisch-politischen Partizipation und generell zu einem Leben in
Würde befähigt wird.
„Grundlagen für ein wertvolles Leben“:
• Politische Mitgestaltung
• Kognitive Fähigkeiten
• Gefühlserfahrung
Teilhabegerechtigkeit • Ökologische Verbundenheit
• Sozialität
• Autonomie
• Vertrauen
• Leben
• Gesundheit
• Freizeitgestaltung
Alle Gesellschaftsmitglieder sollen über ein Minimum von
Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, um ein menschenwürdiges
Leben zu führen und die Gesellschaft politisch mitzugestalten.

Respekt-Egalitarismus: Das Prinzip des Respekts beinhaltet die


Anerkennung der uneingeschränkten Bildsamkeit jedes Individuums.
Die Anerkennung seines Potentials, immer neue Fähigkeiten und auch
neue Begabungen zu entwickeln, wenn diese Fähigkeiten und
Begabungen auf entsprechende Wertschätzung durch eine/n
signifikante/n Andere/n stoßen.

Anerkennungsgerechtigkeit „Moralische Gleichheit der Achtung aller Personen“:


• Qualität der Sozialbeziehung
• Erfahrungen von Liebe, Respekt, sozialer Wertschätzung
Es geht um einen Abbau sozialer Unterdrückung und Ausgrenzung um
eine Schaffung von Lebensformen, in denen sich die AkteurInnen
wechselseitig als Personen mit gleichem moralischem Wert achten.

Aus unserer Perspektive:


Adressierung/Subjektivierung – Anerkennung der Person
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Alle SuS werden gleichermaßen als sprachkundige Subjekte anerkannt.


Verschiedene Zugänge zu den Sprachen (Dialekte, Ethnolekte,
Soziolekte) werden als gleichwertig anerkannt.
Unterstützung/Förderung – Anerkennung des Kontexts
Das Register Bildungssprache kann als Teilhabebarriere wirken, wenn
sie nicht beherrscht wird. SuS werden mit ihren sprachlichen
Voraussetzungen wahrgenommen und an diesen wird Förderung
angesetzt, die ihnen Teilhabe ermöglicht.

Begabungsgerechtigkeit
• Neoliberale Argumentationsfigur: „Verschwendung von Begabungsreserven“
• Bildungsgerechtigkeit-Diskussion: beschränkt sich auf quantitativ messbare (PISA, …), mit einer
verkürzten ökonomischen Rationalität kompatible Maßnahmen der Umverteilung von
Ressourcen in der Form von finanziellen Mitteln und Lehreinheiten
• Forderung an Kinder: „konsequente Akkulturation“ – wird als „Bringschuld“ angesehen, die als
„Schlüssel zur Realisierung von Bildungsgerechtigkeit“ identifiziert wird. Nur dann können sie ihre
„Begabungsreserven“ der Wirtschaft zu Verfügung stellen.
➔ Konsequentes Sprechen der deutschen Sprache

Gleichberechtigung VS. Gerechtigkeit

Umgang mit verschiedenen Zugängen zur deutschen Sprache im


österreichischen Schulsystem
• Verleihung des Status der Außerordentlichkeit im österreichischen Bildungssystem:
Herstellung von Teilhabe- und Anerkennungsgerechtigkeit?
• Außerordentlicher Status: wird dann verliehen, wenn SchülerInnen nicht ausreichend
Deutsch können, die Schule kann Mittel für Sprachförderung beantragen und die/der
SchülerIn kann max. 2 Jahre lang Deutschförderung bekommen (kein Rechtsanspruch)
• Im außerordentlichen Status gehen SuS in die „Deutschförderklassen“ oder
„Deutschförderkurse“.
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Umgang mit Mehrsprachigkeit


• Problematik der monolingualen Konzeption des DU und der Schule
• Kinder machen Erfahrung, dass andere Sprachen ihres Sprachrepertoires in der Schule gar keine
oder kaum eine Rolle spielen
• Sprachen und Sprachgebrauch führen zu Diskriminierung

Mehrsprachigkeit
• Innere & äußere Mehrsprachigkeit
• Leibliche Dimension (Sprache als leiblich-emotionale Geste zwischen dem ICH und DU
→ Zwischenleiblichkeit
• Emotionale Dimension:
o Sprache als Ausdrucksmöglichkeit von Emotionen
o Sprache als Grund für Scham/Freude
• Historisch-politische Dimension: Sprachideologie, Legitimität von Sprache

Spracherwerbstheoretische Grundlagen
• Bestimmend für die Aneignung des Deutschen:
o Zeitpunkt des Beginns des Deutscherwerbs (Kontaktdauer)
o Kontaktintensität zum Deutschen
o Menge des Inputs
o Qualität des Inputs
• Mischen der Sprachen: kennzeichnend für Sprachgebrauch von migrationsbedingt mehrsprachig
aufwachsenden Kindern/Jugendlichen im familiären und außerfamiliären Bereich
• Normative Vorstellungen von „gutem/schlechtem“ Sprechen sowie normgeleitete Beurteilungen
von Sprachproduktion beeinflussen zwar Aneignung von Sprach(n), können aber
migrationsbedingte Neuformationen von Sprachen nicht verhindern.
• Je früher der Beginn des Deutscherwerbs, desto weniger unterscheidet sich der Deutscherwerb
von dem der monolingual deutschsprachig aufwachsenden Kindern in qualitativer Hinsicht
• Mögliche Stolpersteine, wo Deutsch im privaten Umfeld nicht alleinige und wichtigste Sprache
• Je später: Migrationssprache aufgrund der bereits erfolgten schulischen Sozialisation eine
wichtige Ressource darstellt, auf die in den Bildungsprozessen zurückgegriffen werden sollte
• Gegenseitige Beeinflussung der Sprachen:
o Jedoch nicht in einer kausalen Reihenfolge des „richtigen“ Erwerbs der Sprachen zu
denken
o Weiterentwickelte Kommunikationsfähigkeiten einer Sprache als „Motor“ für die
Entwicklung der anderen
o Spezifische pädagogische Aktivitäten können in Übertragungsprozessen zwischen den
Sprachen unterstützen, die Sprachen füreinander „fruchtbar zu machen“

Monolinguale Konzeption des (Deutsch-)Unterrichts/Schule


• Wahrnehmung der Mehrsprachigkeit und des sprachlichen Wandels als Problem findet vor allem
dann statt, wenn das Deutsche im Sprachrepertoire von Kindern und Jugendlichen nicht mit einer
solchen Qualität und Quantität greifbar ist, wie von der Schule erwartet
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Deutschunterricht geht in amtlich deutschsprachigen Regionen von Entfaltung


muttersprachlicher Fähigkeiten aus
o Funktionaler Sprachgebrauch mit Mitteln aus verschiedenen Sprachen und deren
alternierenden Einsatz wird als Abweichung verstanden
o wird als Bildungsmedium wenig genutzt
o wird als Bildungsinhalt kaum vermittelt
• Öffnung nur zaghaft
• trotz steigender Zahlen mehrsprachiger SchülerInnen mit unterschiedlichen Kompetenzen im
Deutschen und Ressourcen in anderen Sprachen
• Didaktiken des Deutschen als Muttersprache, Zweitsprache und Fremdsprache existieren
weitgehend unberührt nebeneinander her
• Völlig funktionaler Sprachgebrauch, der aus Mitteln verschiedener Sprachen und deren
alternierendem Einsatz besteht, wird durch Monolingualität der Schule zur Abweichung und wird
in seiner Entwicklung begrenzt, als Bildungsmedium wenig genutzt und als Bildungsinhalt kaum
vermittelt
• Folge: Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit wird durch monolinguale Schule, die auf
Beherrschung des bildungssprachlichen Deutsch angewiesen ist, um sprachlich reibungslos zu
funktionieren, zu Problem

Sprachstandmessung in von Migration geprägten Umgebung


Unter Berücksichtigung soziolinguistischer Forschungsergebnisse, die keinen normativen Zwängen folgen
müssen, zeigt sich, dass es gar nicht möglich ist, Vielfalt der Spracherwerbskonstellationen in der
Migrationsgesellschaft mit den gängigen Spracherwerbshypothesen, mit denen in pädagogischen
Kontexten gearbeitet wird, hinreichend zu erklären!
Folge: Ein typisches Urteil, das spracherwerbstheoretisch fundiert zu sein scheint, kommt in dem
folgenden Beispielsatz zum Ausdruck „Die Kinder müssen ja erst einmal ihre Muttersprache Türkisch
richtig lernen, wenn sie gut Deutsch lernen wollen.“

Jedoch:
• Forderung wird im Hinblick auf ein als ‚türkisch‘ geltendes Kind, das zu Hause Kurdisch, Deutsch
und Türkisch in verschiedenen Mischungen spricht, bedeutungslos
• Welche Sprache ist seine ‚Muttersprache‘? Warum kann Deutsch nicht auch als seine
‚Muttersprache‘ verstanden werden, wenn es seit seiner frühesten Kindheit auch Deutsch spricht,
wenn auch anders als von Kindern, die nur Deutsch sprechen?
• Normalitätsannahmen, mit denen sprachliche Verhältnisse (v)erkannt, beschrieben und erklärt
werden, halten den Tatsachen der Sprachverhältnisse nicht Stand, die für migrationsbedingt
mehrsprachig aufwachsende Kinder gegeben sind.
• nationale Sprachenstandards spielen eine enorme Rolle in der Sprachentwicklung von Kindern
spielen – aber nicht die einzige

Sprachgebrauch in der Migrationsgesellschaft


• migrationsspezifisches Register
• Codeswitching: Sprachwechsel auch bzgl. der Syntax
• Codemixing: Sprachwechsel nur auf Wortebene
• Transfer von einer Sprache in die andere und andersherum
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Kompetenzebenen von Sprachen


• funktionale und praktische Kommunikation
• Sprachwissen und kritische Sprachreflexion
• Sprachbewusstheit und Reflexion sprachlicher Welterfassung sowie sprachlicher Selbst- und
Welterfahrung
• Expressivität und Ästhetik
• Historizität von Sprache und philosophische Auseinandersetzung mit der Sprachlichkeit des
Menschen im Allgemeinen

Beispiele: Sprachliche Bildungsmodelle


• Monolinguale Modelle: zwei- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern am wenigsten
erfolgversprechend
• Nach einer Rezeption von Reich und Roth zeigen Studien aus den USA, dass bilinguale
Schulmodelle weitaus bessere Bedingungen für zweisprachig aufwachsende Kinder bieten als
monolinguale, was die sprachlichen Fortschritte und die schulischen Erfolge betrifft.
Gründe gegen bilinguale Schulmodelle
• Lehrkräfte können ihren Unterricht nicht in Migrationssprachen durchzuführen und zwar nicht
etwa nur deshalb, weil sie die betreffenden Sprachen nicht beherrschen
• Auch wenn Lehrkräfte migrationsbedingt mehrsprachig sind, ist die Frage der Gestaltung von
Unterrichtsangeboten der verschiedenen Fächer in diesen Sprachen, z.B. Mathematik, eine Frage
einer spezifischen sprachlichen und fachlichen Ausbildung, die derzeit kaum angeboten wird

KOALA-Konzept an Kölner Schulen


• Koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht
• „KOALA: ist ein Prinzip. ist kein fertiges Projekt, sondern eine didaktische Entscheidung. setzt
Sprachen in Beziehung.“
• koordinierte Verzahnung von Regelunterrichtes und Herkunftssprachenunterricht (HSU) durch
• Teamteaching von Regelschule mit HSU Lehrkräften
• Gemeinsame Planung des Unterrichts in Deutsch und in den Sachfächern
• Durchgehende Einbindung der HSU-Lehrkräfte in den schulischen Regelbetrieb
• HSU-Lehrer*innen koordinieren ihren Unterricht mit dem Regelunterricht
Durchführung
• zusätzlich zum regulären Stundenplan bis zu zwei Stunden als bilingualer Unterricht (KOALA)
• im Klassenverband KOALA-Themen werden zunächst im Regelunterricht und im HSU eingeführt
• anschließend im KOALA-Unterricht kontrastiv zusammengeführt
• Kooperierende Lehrkräfte kommen einmal wöchentlich zur Sichtung und Erstellung der KOALA-
Materialien zur Entwicklung von Unterrichtsreihen für den KOALA-Unterricht
• Unterrichtseinstieg, -durchführung und -ausstieg
• setzen relevante Wörter, Fachbegriffe und sprachliche
• Wendungen in beiden Sprachen
• formulieren Lehrerbeiträge in beiden Sprachen aus
Ziel
• bietet ein sprachliches und emotionales Gerüst zur Orientierung im Unterrichtsgeschehen
• findet im Klassenverband statt —> einsprachig aufwachsende Schüler*innen ziehen die
Herkunftssprache als lebendige Kontrastfolie zum Deutschen heran
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Mono-, bi- und plurilinguale SchülerInnen erleben die Sprachen ihrer Lebensräume koordiniert im
Unterrichtsgeschehen und erkennen, dass es möglich ist, mit Sprachen zu spielen und aus den
Sprachen herauszutreten.

Erfolgversprechende Gestaltungsmerkmale
• Fachsensible Deutschförderung
• isolierte Sprachförderung ist wenig Erfolg versprechend
• Verzahnung von Sprach- und Fachunterricht
• Gestaltung der Deutschförderung mit Bezügen zu den verschiedenen Unterrichtsfächern

• Sprachsensibler Fachunterricht
• in jedem Unterrichtsfach spielt Sprache eine zentrale Rolle spielt
• sprachförderliche Gestaltung jeder Unterrichtsstunde aller Fächer
• Berücksichtigung von verschiedenen Zugängen zum Deutschen

• Schullaufbahnübergreifende Unterstützung im Erwerb von DaZ


• Aneignung des Englischen als Zweitsprache in der Umgangssprache von Kindern und Jugendlichen
innerhalb kurzer Zeit (etwa 6 Monate bis 2 Jahre) auch ohne explizite Förderung
• Aneignung der ‚Bildungssprache’ allerdings ist ein mehrjähriger Prozess
• 5- bis 8-jährige Begleitung benötigen
• auch wenn diese Studien sich auf das Englische beziehen, ist naheliegend, dass die Lage bezogen
auf das Deutsche ähnlich sein wird.

• Bildungsangebote in den Migrationssprachen


• ‚gegenseitigen Fruchtbarmachung‘
• Nutzung von sprachlichen Zugängen zu den Fächern

• Nutzung der Migrationssprachen als Medium des Lernens


• Verzahnung der Angebote in den Migrationssprachen mit Angeboten der
Deutschförderung
• explizite Vergleiche von Sprachen in den Sprachenfächern im Sinne der Bewusstwerdung
sprachlichen Lernens zu ermöglichen (z.B. syntaktische Strukturen des Arabischen auf das
Deutsche)

• Diagnosegestützte Sprachförderung
in Anlehnung an die Lerntheorie

• Fokussierung der Bildungssprache


• Aneignung des Registers
• Förderprozesse an dem Register der Bildungssprache zu orientieren

Rechtliche Bestimmungen 26.11.2020


§ 8h (1) „Schülerinnen und Schülern von allgemeinbildenden Pflichtschulen sowie von mittleren und
höheren Schulen, die gemäß § 4 Abs. 2 lit. a oder Abs. 5 des Schulunterrichtsgesetzes wegen mangelnder
Kenntnis der Unterrichtssprache als außerordentliche Schülerinnen oder Schüler aufgenommen wurden,
sind nach Maßgabe der Testergebnisse gemäß den §§ 4 Abs. 2a und 18 Abs. 14 des
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Schulunterrichtsgesetzes in Deutschförderklassen und Deutschförderkursen jene Sprachkenntnisse zu


vermitteln, die sie befähigen, dem Unterricht der betreffenden Schulstufe zu folgen.“
• Recht auf Bildung in der ‚Muttersprache‘, das in Österreich den anerkannten Minderheiten mit
den Sprachen Burgenlandkroatisch, Romani, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Ungarisch
zusteht sowie der Minderheit, die die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) verwendet.
• ABER: Personen aus Migrationsfamilien haben hingegen kein Recht auf Unterricht in den
Migrationssprachen

Migrationssprachen im Regelunterricht
• Diskurs zum Einbezug von Migrationssprachen in den Regelunterrichtunterliegt dem Konzept der
monolingualen (deutschen) Schule
• bisher vor allem einzelne Projekte
Ziele
• Bildung in den Migrationssprachen
• Sprachbewusstheit
• Freude an Sprachen und sprachlichem Lernen
• Wertschätzung von Sprachen der Schüler*innen
• Stärkung der ‚Identität’ von Schüler*innen mit Migrationshintergrund
• Beitrag zum ‚Interkulturellen Lernen‘
• Förderung der Mehrsprachigkeit Europas
Ergebnisse der bisherigen Studien
• Effekte der durchgeführten Maßnahmen selten evaluiert
• wenn, dann Effekte des Einbezugs der Mehrsprachigkeit auf die Deutschkompetenz
• Migrationssprachen oft Unterstützungsfunktion für die Aneignung des Deutschen
• Mehrsprachigkeit und ‚Kultur‘ Phänomene werden als zusammengehörig wahrgenommen
• sogar fachliche Inhalte in den Unterrichtskonzepten zu Gunsten von als kulturell
wahrgenommenen Inhalten in den Hintergrund gedrängt werden
• einen eher folkloristisch-untergeordneten, keinen, der für den Schulerfolg wichtig wäre
• ein Instrument für die Bearbeitung kultureller Andersheit zu sein
Ergebnisse
• Konzept der monolingualen Schule resistent
• notwendig: Migrationssprachen bekommen ‚wichtigen‘ Funktionen wie die Vermittlung
mathematischer Inhalte
• Migrationssprachen als Medium der Vermittlung von Fachinhalten
• z.B. KOALA oder Hamburger Schulversuchs Bilinguale Grundschule
• Entwicklung & Forschung möglich:
o Was heißt ‚Bildungssprache‘ im Arabischen, Polnischen, Serbischen, ...?
o Wie kann bilinguales Scaffolding mit Russisch und Deutsch durchgeführt werden (vgl.
Roth o.J.)?
o Wodurch ist die Sprache der Mathematik im Türkischen, Serbischen, ... gekennzeichnet?
o Wie können Biologie-Studierende mit Türkischkenntnissen in der Anwendung der
türkischen Fachsprache der Biologie ausgebildet werden?
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Mehrsprachigkeit – Umgang in der Schule


Die unterschiedlichen Positionen, die dem Deutschen und den Migrationssprachen in den Schulen der
amtlich deutschsprachigen Regionen zukommen und die damit verbundenen Markierungen von inferiorer
Andersheit zeigen, dass sprachliche Bildung nicht nur auf fachliche bzw. sprachliche Wissenszuwächse hin
bewertet werden kann.
• Änderung und Entwicklung von Ausbildungsmöglichkeiten, Forschung und vielfältigen
Unterrichtsmodellen
• Gleichstellung der Sprachen und ihrer Sprecher*innen
• nur möglich zu erreichen, wenn Deutsch und Migrationssprachen gleichermaßen in Bezug auf ihr
‚identitätsstiftendes‘ Potenzial, ihre Rolle als Träger von ‚Kultur‘ und als Instrumente der
Vermittlung von fachlicher Bildung diskutiert, bearbeitet und angewandt werden.

Antwort offene Probefrage


• Critical-Period-Hypothese (→ nur abgegrenzte Phasen der frühen Kindheit begünstigen einfaches
Sprachenlernen) nach heutigem Wissensstand nicht haltbar
• Heutiger Forschungsstand: Menschliches Gehirn lange darüber hinaus lernfähig
• Differenzen im kindlichen vs. erwachsenen Erwerb; z.B.: Kinder → Vorteile beim Erwerb der
Phonetik; Erwachsene → Vorteile im gesteuerten Spracherwerbssetting (Lernstrategien)
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Rassismus 1
= komplexer Begriff, der stark politisiert ist
= „System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse
legitimieren und reproduzieren“ (Rommelspacher, 2009)
= „Markierung von Unterschieden, die man dazu braucht, um sich gegenüber anderen abzugrenzen,
vorausgesetzt diese Markierungen dienen dazu, soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen zu
begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen
ausschließen und dadurch der ausschließenden Gruppe einen privilegierten Zugang sichern. Entscheidend
ist dabei, dass die Gruppen aufgrund willkürlich gewählter Kriterien gebildet werden (wie z.B. Herkunft
oder Hautfarbe) und dass mit diesen Einteilungen eine bestimmte Zielsetzung verfolgt wird.“ (Hall)
• Grenze, ob Rassismus oder nicht ist oft problematisch

Internalisierte Rassismen
• Rassismen tief in alltägliche Handlungen und Denkmuster integriert
• Beeinflussen politische und gesellschaftliche Positionierungen
• Willkürlich gewählte Kriterien, die Rassismen (re-)produzieren, werden benutzt, um Hierarchien
innerhalb der Gesellschaft zu bilden und diese zu legitimieren

Abgrenzungen
• Rassismus wird z.B. mit Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus oder Rechtsextremismus
verbunden
• Alle Begriffe beschreiben eine Ablehnung/Abwertung von anders gelesenen Menschen(-gruppen)
• Je nach Kontext sind diese Neigungen unterschiedlich stark ausgeprägt und kommen in
unterschiedlichen Formen zum Ausdruck:

Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie)
• = feindselige Haltung gegenüber Menschen(-gruppen), die als fremd wahrgenommen und
mit sozialen, kulturellen, sprachlichen, u. ä. Differenzen begründet werden
• Nicht gesetzlich verboten, nicht strafbar

Alltagsrassismus
• = spezielle Form des Rassismus

Rechtsextremismus
• Vertretung einer Ideologie, die auf Unwertigkeitsvorstellungen basiert
• Kennzeichen: übersteigertes Nationalgefühl mit gleichzeitiger Fremdabwertung
• Insb. im deutschsprachigen Raum aufgrund des historischen Hintergrunds oft im
Zusammenhang mit Rassismus genannt
• Beschränkung von Rassismus auf rechtsextremes Gedankengut ist nicht möglich
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Formen von Rassismus


Struktureller Rassismus
• Verankerung rassistischer Denkmuster im öffentlichen Raum, bei denen Routinen und
Entscheidungsabläufe bestimmte Personen(-gruppen) (insb. People of Color) überproportional
benachteiligen
• Diese Handlungsweisen werden normalisiert und nicht als rassistische Strukturen
wahrgenommen und entsprechend problematisiert
• Hängt eng zusammen mit institutionellem Rassismus

Institutioneller Rassismus
• In Gesetzen, Erlassen, Praxis der MitarbeiterInnen von Behörden, staatlichen und privaten
Institutionen und Organisationen
• Soll verdeutlichen,
„dass rassistische Denk- und Handlungsweisen nicht Sache der persönlichen Einstellungen von
Individuen, sondern in der Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders verortet sind, welche
die Angehörigen der eigenen Gruppe systematische gegenüber den Nicht-Dazugehörigen
privilegiert“ (Osterkamp)

Individueller Rassismus/Alltagsrassismus
• Auf interpersoneller Ebene

Philomena Essed (1991)


• Mehrdimensionalen gesellschaftlichen Analyserahmen konzipiert
• Alltagsrassismus = beinhaltet auch Handlungspraxen in Institutionen, Strukturen und
Diskurse, die alltäglich sind

Rudolf Leiprecht (2001)


• Im deutschsprachigen
• Alltagsrassismus = individuell praktizierte, subtile, schwer erkennbare Form von Rassismus in
Alltagssituationen

Black Lives Matter


• Intentionale und auch nicht-intentionale Rassismen beeinflussen das Leben Betroffener
grundlegend
• Tod von schwarzem US-Bürger George Floyd am 25.5.2020 als Resultat übermäßiger
Polizeigewalt löste ausgehen von den USA weltweite Proteste gegen polizeiliche Gewalt und
strukturellen Rassismus aus
• Tod von George Floyd war nicht der einzige Vorfall, bei dem eine schwarze Person in den USA
infolge von rassistisch motivierter struktureller Gewalt getötet wurde
• Black-Lives-Matter-Demonstration am 4.6.2020 in Wien war mit 50.000 TeilnehmerInnen die
drittgrößte der letzten 20 Jahre

Hanau
• Rassistisch motivierte Verbrechen machen auch keineswegs an Ländergrenzen halt
• Am 19. Februar 2020 verübte ein Rechtsterrorist in Hanau/Deutschland neun Morde an
Menschen mit unterschiedlichen Migrationsbiografien
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Täter forschte hierzu nachweislich im Vorfeld Treffpunkte aus, die stark von Migrant*innen
frequentiert wurden
• Mehr als ein Jahr nach der Tat bleiben immer noch zahlreiche Fragen ungeklärt: Angehörige der
Todesopfer müssen die Ermittlungen durch Eigeninitiativen, wie selbstständige Nachforschungen
und Einbringen von Anzeigen, forcieren
• Rassistisch motivierte Verbrechen und damit verbundene verhältnismäßig schwache behördliche
Investigationen haben System: das zeigen ähnliche Taten, zu denen es auch in der Vergangenheit
mehrfach kam

Der „ganz normale“ Rassismus


(Dokumentarfilm: Im Brennpunkt, ORF, 2020)

Racial Profiling
= Polizisten/Kontrolleure sprechen direkt Menschen bewusst an

People of Color
= Menschen, die nicht weiß oder schwarz sind; z.B. Türkisch

Bipoc
= Black, Indigenous and People of Color

Wie kann man Rassismus bekämpfen?


• Bildung (Bewusstheit von Rassismus)
• Mund aufmachen und ansprechen → Rassismus nicht akzeptieren
• Wissen, dass wir alle rassistisch handeln können, deswegen: hinterfragen; offen sein für Kritik;
wahrnehmen, was andere Menschen erleben

Situation an österreichischen Schulen


• Diskriminierung ist grundlegend in der Bestimmung der Bildungslaufbahn und dem damit
verbundenen weiteren Lebensweg
• Ö. gehört zu den Ländern mit den selektivsten Schulsystemen:
o Mit 10 Jahren frühst mögliche Trennung der SuS nach Leistung in (auch räumlich)
unterschiedliche Schulen mit unterschiedlich bewerteten Lehrkräften
o Rückstufung, Klassenwiederholung, Sonderschulen
o Diese Selektionsinstrumente treffen SuS mit und ohne Migrationshintergrund in
unterschiedlicher Weise, was durch die Statistik nicht sichtbar wird: Rückstufungsquote
kann allgemein absinken, aber der zurückgestufte Anteil der SuS mit nicht-deutscher
Familiensprache kann gleichzeitig stark ansteigen
o Stark selektiver Charakter äußert sich nirgendwo so stark wie bei den Kindern
zugewanderter Familien, die eine schwache soziökonomische Position einnehmen:
▪ V.a. Familien aus Türkei, Kosovo, Mazedonien weisen die geringsten Anteile an
AHS-SuS und die höchsten Raten an Rückstufungen, RepetentInnen und SPF2-SuS
auf
▪ Familien aus Polen, Ägypten, Philippinen gelingt es besser, mit diesem System
umzugehen, was zum Teil am mittleren und höheren Bildungshintergrund der
Eltern liegt

2
Sonderpädagogischer Förderbedarf
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Rassismus 2
• = Praxis der Unterscheidung von Menschen
• Konstruiert Menschen als erkennbar different (racialisation)
• Differenzen im Rassismus = Unterschiede der Abstammung kulturell-territorialen Zugehörigkeit
• Kolonialismus: v.a. biologisch-genetischer Rassismus; Heute: v.a. kultureller Rassismus
• Bestimmten Gruppen werden bestimmte gedachte Fähigkeiten, Eigenschaften u. Charaktere
zugewiesen
• Bewertet „Mentalitäten“ der „Anderen“ negativ im Sinne von Minderwertigkeit bzw. Nicht-
Zugehörigkeit, …
• Bewertet die eigenen „Mentalitäten“ positiv im Sinne von Höherwertigkeit bzw. „fragloser“
Zugehörigkeit
• Entfaltet sich erst vollständig, wenn Mittel zum Wirksamwerden der Unterschiedskonstruktionen
verfügbar sind
• Rassismus = Vorurteil + Macht

Rassekonstruktionen
• Rassen ≠ „natürliche“ Gegebenheiten
• Rassen = diskursive Konstruktionen
• Konstruktionsvorgang ist v.a. von administrativen u. politischen Interessen abhängig

Rassismus und Moderne


• Europa im 18. Jhd.: Wiege des modernen Rassismus
• Entstehung der modernen Naturwissenschaften: Klassifizierung der Menschen förderlich zur
Durchsetzung des Rasse-Konzepts
• Herausbildung im Zuge der Herausbildung der modernen Nationalstaaten und der
Legitimationsdiskurse im Zuge des Kolonialismus:
Rassismus = Praxis + (Legitimations-)Diskurs
• Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – gelten nur für best. Menschen

Rassismus und Gegenwart


Neorassismus
• Wirkt häufig auf subtilere Weise als der moderne Rassismus
• Weist Rassismusvorwürfe meist zurück
• Unterscheidungsmerkmale: Kultur, Mentalität, religiöse Zugehörigkeit, Sprachigkeit
• Wertet best. Merkmale (z.B. „Mentalitäten“) nicht prinzipiell ab, sondern es wird behauptet, dass
z.B. diese Kultur „bei uns nicht am richtigen Ort“ sei

Alltagsrassismus
• Alltägliche primäre und sekundäre Rassismuserfahrungen
• „so war es ja gar nicht gemeint“
• „Na, du bist ja anders“
• Oft subtil und schwer erkennbar; individuell praktiziert; in alltäglichen Diskursen und Strukturen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

Institutioneller Rassismus
• Praxis in Behörden, staatlichen und privaten Institutionen/Organisationen
• Habitus, mit ausgrenzenden Folgen
• MacPherson-Report (1999): „The collective failure of an organisation to provide an appropriate
and professional service to people because of their colour, culture or ethnic origin.“

Kultureller Rassismus
• Auch: Neo-Rassismus
• „Rassismus ohne Rassen“
• Begriff der Kultur ersetzt jenen der Rasse (Bsp.: Migrations- u. Immigrationsbewegungen)
• Kulturelle Kollektive: Lebensweise von Personen, die „kulturell anders“ sind, als unvereinbar mit
Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft betrachtet

Die Schwierigkeit, über Rassismus zu sprechen


• In Demokratien gilt Rassismus – zumindest in öffentlichen Kontexten – als „schlecht“
• Als wissenschaftliche Analysekategorie ist „Rassismus“ anerkannt, wenn sie sich auf historische
Ereignisse bezieht
• Eignung zur Analyse gegenwärtiger Phänomene ist umstritten
o Wissenschaft: Rassismus nach und in Bezug auf den Holocaust
o Infragestellen privilegierter Positionierungen
o Gewahrwerden bzw. Herstellung inferiorer Positionierungen (= Machtstellungen deutlich
machen)
• Sprechen über Rassismus = Sprechen unter erschwerten Bedingungen
• Schweigen über Rassismus ≠ Vermeidung von Rassismus

Rassismus – wesentliche Aspekte


• Individuum als TrägerIn gesellschaftlicher Deutungsmuster
• Rassismus als Praxis der Unterscheidung
• Zuschreibung von „Mentalitäten“
• Dialekt der Ein- und Ausgrenzung
• Rassismus durch Machtmittel ermöglicht

4 Distanzierungsmuster
1. Skandalisierung („Oh mein Gott, ich würde sowas nie tun“)
2. Verlagerung in den Rechtsextremismus
3. Historisierung
4. Kulturalisierung („Nein, das entspricht einfach ihrer Kultur“)
➔ Kulturalismus
➔ Ethnisierung
➔ Naturalismus

Rassismuskritik
• = zum Thema machen, in welcher Weise, unter welchen Bedingungen und mit welchen
Konsequenzen Selbstverständnisse und Handlungsweisen von Individuen, Gruppen, Institutionen
und Strukturen durch Rassismen vermittelt sind und Rassismen stärken
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Zielt drauf ab, auf Rassekonstruktionen beruhende beeinträchtigende, disziplinierende und


gewaltvolle Unterscheidungen zu untersuchen, zu schwächen und alternative Unterscheidungen
deutlich zu machen
• Rassismuskritik ≠ Antirassismus

Linguizismus
= Rassismus in der Sprache
• = spezielle Form des Rassismus, die in Vorurteilen und Sanktionen gegenüber Menschen, die eine
bestimmte Sprache bzw. eine Sprache in einer durch ihre Herkunft beeinflussten spezifischen Art
und Weise verwenden, zum Ausdruck kommt
• Minderheitensprachen
• Mehrheitssprachen
• (Nationale) Varietäten
• Dialekte, Soziolekte, Ethnolekte, …

„Sprachliche Verhältnisse der Migrationsgesellschaft sind mit dem Differenzmerkmal


Sprache einhergehende hegemoniale Verhältnisse, in denen Menschen in
Machtgefügen aufgrund von bewusst linguistischen Vorgehensweisen,
sprachenbezogenen Regelungen, die sich auf bestimmte Gruppen als »institutionelle
Diskriminierung« (Gomolla/Radtke 2009) auswirken, sowie unbeabsichtigten
Ausgrenzung aufgrund habitueller Verstrickungen der Ausgrenzenden in historisch
gewachsene Normalitätsvorstellungen, etwa aufgrund eines »monolingualen
Habitus«, (Gogolin 2008) bestimmte – inferiore oder superiore – Positionen der
Gesellschaft zugewiesen werden." (Dirim 2016: 312)

„Rasse“
Beispiel:
Ein Grundschüler wird von seinen MitschülerInnen immer wieder aufgrund seiner äußeren Merkmale
beleidigt, in Streitereien beziehen sich Beschimpfungen bei ihm immer auf seine Hautfarbe. Mal steckt er
das gut weg, in der Tendenz geht es ihm aber immer schlechter in der Schule. Er schläft schlecht und will
nicht mehr in die Schule gehen. Als die Mutter eines Tages selber hört, wie ein Mitschüler zu ihrem Sohn
ruft, »Hau doch ab! Geh dahin, wo Menschen mit so einer dreckigen Hautfarbe wie du herkommen!« und
sieht, dass LehrerInnen dies mitbekommen, aber nichts unternehmen, spricht sie das Problem an.
Zunächst bei der Klassenlehrerin, dann bei den Eltern der MitschülerInnen, dann bei der Schulleitung. Das
führt jedoch dazu, dass nicht die rassistischen Beleidigungen als Problem gesehen werden, sondern die
Mutter selbst.
In einem Elternbrief wird beispielsweise formuliert »Wir sind übereingekommen, dass neunjährige Kinder
keine rassistischen Einstellungen haben und ihre Äußerungen gegenüber anderen daher nicht als
rassistisch bezeichnet werden können.« Die Mutter wird beschuldigt, Unfrieden in die Schule zu bringen.
Gleichzeitig berichtet der Sohn, dass er bestraft wird, wenn er sich gegen die Beleidigung wehrt. […]
➔ Institutioneller Rassismus

Exkurs: Warum es keinen „umgekehrten Rassismus“ gibt


• Rassismus ist historisch gewachsen und eng mit Kolonialismus, Versklavung, Erniedrigung und
Unterdrückung verwoben. Die Geschichte von Weißer Überlegenheit prägt auch heute noch
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

sowohl die österreichische Gesellschaft als auch die globale Politik und hat Auswirkungen auf
vielen Ebenen, z.B. Wirtschaft, Medien und Bewegungsfreiheit.
• Rassismus prägt unsere Sozialisation, die Art und Weise, wie wir uns selbst und die Welt
betrachten sowie unseren Handlungsspielraum, den wir persönlich und gesellschaftlich haben.
Wir haben verinnerlicht, ob wir von Rassismus profitieren oder diskriminiert werden und das hat
auch Auswirkungen auf unser Verhalten. Gelegentliche Diskriminierungserfahrungen von Weißen
heben weder ihre privilegierte soziale Positionierung noch ihre erlernten Verhaltensweisen auf.
• Rassismuserfahrungen zu machen bedeutet, (potentiell) auf zwischenmenschlicher (z.B. in
Begegnungen), gesellschaftlicher (z.B. in Medien) und institutioneller Ebene (z.B. im
Bildungssystem) rassistisch diskriminiert zu werden. Die verschiedenen Ebenen beeinflussen sich
gegenseitig und müssen gemeinsam betrachtet werden.
• Weiße können zwar situativ diskriminiert werden, befinden sich aber sowohl in Österreich als
auch global gesehen trotzdem in einer gesellschaftlichen Machtposition.
• Weiße können sich in der Regel aussuchen, wann sie sich an einen Ort begeben, an dem sie nicht
die Definitionsmacht besitzen und wann sie ihn wieder verlassen. Sie sind nicht gezwungen, sich
in Strukturen zu begeben oder Medien zu konsumieren, in denen Weiße diskriminiert werden.
• Auf der Position zu beharren, dass Weiße Rassismuserfahrungen machen, bedeutet eine
Relativierung und Verharmlosung von Rassismuserfahrungen von PoC (Person of Color).

Subjektivierungskritik
Beispiel:
„ich spräche sehr gut deutsch, wie lange ich schon gast sei, zwei oder drei jahre? ich bin hier
aufgewachsen, antworte ich. und trotzdem, ruft sie aus, trotzdem sprechen sie so gut deutsch, allerdings,
allerdings höre sie einen akzent. […] beugt sich zu meinem mund, fixiert die lippen, während ich spreche,
aber im großen und ganzen sehr gut, fortgeschrittene, nicht wahr? und mit einem lächeln deutet sie auf
ein plakat, deutsch für ausländer.“ (Ann Kim)

Subjektverständnis der Aufklärung nach Descartes


„Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen,
können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt;
dass wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir
können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein
Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe.
Deshalb ist die Erkenntnis: »Ich denke, also bin ich« (lat.: ego cogito, ergo sum) von
allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungsmäßigen Philosophieren
hervortritt.“ (Descartes, 1644)

Subjekt und Subjektivierung bei Michel Focault (1926-1984)


„Das Wort Subjekt hat zwei Bedeutungen: es bezeichnet das Subjekt, das der
Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es
bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene
Identität gebunden ist.“ (Foucault 1982, S. 275)

• Subicere (lat.) = unterwerfen


VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Assujettissement (frz.) = Subjektwerdung, Unterwerfung


• Subjektivierung durch diskursive Praktiken
• „Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht.“ (Foucault, 1984, S. 702f.)
Mögliche Fragen:
• Ist Widerstand möglich?
• Gibt es so etwas wie eine „Fesselung“ an die eigene Identität durch Selbsterkenntnis und Selbst-
„Normalisierung“

„Macht kann nur über »freie Subjekte« ausgeübt werden, insofern sie »frei« sind –
und damit seien hier individuelle oder kollektive Subjekte gemeint, die jeweils über
mehrere Verhaltens-, Reaktions-oder Handlungsmöglichkeiten verfügen. Wo die
Bedingungen des Handelns vollständig determiniert sind, kann es keine
Machtbeziehung geben. […] In diesem Verhältnis ist Freiheit die Voraussetzung für
Macht […].“ (Foucault 1982, S. 287)

„Das Hauptziel ist heute nicht herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind.
Wir müssen uns vorstellen und konstruieren, was wir sein könnten, wenn wir uns dem
doppelten Zwang entziehen wollen, der in der gleichzeitigen Individualisierung und
Totalisierung der modernen Machtstrukturen liegt.“ (Foucault 1982, S. 280)

Zsuzsanna Gahse: Instabile Texte zu zweit


„Er (wer auch immer) wurde in Hamburg geboren und lebte dann in München, er wurde in Hamburg
geboren, lebte dann zwei Jahre in Paris, später in Rom; ein Hamburger. Er war in Hamburg auf die Welt
gekommen, lebte jedoch in Kiew, später in Mělník, so dass er ein Tscheche war, er lebte eine Weile dort,
der Tscheche war ein Hamburger, einige Jahre danach war er in Rom angelangt. Dort traf er eines Abends
jenen Mann, der in Zürich auf die Welt gekommen war und in Genf lebte, der Genfer kam an, und es
wurde ein wichtiger Abend, für beide Römer.“

Diskriminierungslinien
„Diese Art der Grenzziehung funktioniert reibungslos nur bei eindeutigen Menschen,
vieldeutige und vielgedeutete widerstehen dieser Form von Eingrenzung, indem ihre
Existenz die Grenzziehung selbst infrage stellt, denn sie sind nichts anderes als
Personifikationen einer Entgrenzung.“ (Anna Kim, 2011, S. 94)

Subjektivierung und Handlungsmacht bei Hall


• Identifikation ist nie eindeutig und stabil, ist abhängig von den ständig im Fluss befindlichen
Diskursen

"Wenn wir meinen, eine einheitliche Identität von der Geburt bis zum Tod zu haben,
dann bloß, weil wir eine tröstliche Geschichte oder 'Erzählung unseres Ich' über uns
selbst konstruieren." (Hall, 1994, S.183)

• Wir müssen positioniert sein, um etwas sagen zu können, selbst wenn wir eine Position nur
vorläufig einnehmen, um sie später wieder aufzugeben
VO, Beatrice Müller 5.10.2021

• Das Einnehmen einer Subjektposition erfordert nicht nur, dass das Subjekt innerhalb eines
Diskurses in die Subjektposition hineingerufen wird, sondern dass es auch in die Position
investiert
• Dies kann durch ein einfaches Sich-Hineinfügen geschehen, aber auch durch eine kreative
Ausgestaltung oder Veränderung der Position bzw. durch einen anhaltenden Kampf gegen die
Position

„Unterschiedliche Subjektpositionen“ in der


Migrationsgesellschaft
• Angebot v.a. inferiorer Subjektpositionen für Menschen, die als „Andere“ bzw. „mit
Migrationshintergrund“ gelten
• Institutionelle Diskriminierung, Rassialisierungen und andere Praxen als
Subjektivierungspraxen, die den Zugang zu „hohen“ und „niedrigen“ Subjektpositionen für
verschiedene Gruppen in unterschiedlichem Umfang ermöglichen oder behindern

Positionierungen, die oft mit migrationsbedingter


Mehrsprachigkeit einhergehen
• Fehlzuschreibung: „Kinder zerrissen oder sich bewegend zwischen zwei Kulturen/Sprachen/
Identitäten“
• Identitätskonflikt als einseitige Anforderung an migrationsbedingt mehrsprachige Kinder
• Kinder/Jugendliche bewegen sich jedoch nicht zwischen zwei abgeschlossenen Entitäten, sondern
vereinen verschiedene Aspekte in ihrem Lebensalltag
• Es sollte in der pädagogischen Arbeit daher nicht um Identitäten gehen, die gewahrt werden
müssen, sondern um den Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in einer amtlich
deutschsprachigen Umgebung

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