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2021
Einführung
Perspektive des Arbeits- und Forschungsgebiets DaZ
• Wie können für migrationsresultierend zwei- und mehrsprachige Kinder, Jugendliche und
Erwachsene Nachteile, erwachsend aus der Dominanz des Deutschen, reduziert werden?
→ z.B. durch Nutzung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit
→ methodisch-didaktische Vorgehensweisen zur Verwendung und Nutzung der Migrations- bzw.
Minderheitensprachen im Unterricht ausarbeiten bzw. reflektieren.
• Untersuchung unterschiedlicher Lebens-, Bildungs- und Arbeitsbereiche
• Entwicklung und Evaluierung von Modellen der Unterstützung der Aneignung des Deutschen
• Untersuchung linguistischer Grundlagen und Rahmenbedingungen (z.B. Sprachwandel in der
Migrationsgesellschaft, …)
• Machttheoretische Wissenschaftstraditionen herangezogen und adaptiert, um soziale bzw.
subjektivierende Effekte der vorgeschlagenen Maßnahmen zu beachten
• Sprache kann nie losgelöst von politischen, kulturellen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen betrachtet werden
• Sprache zur Regulierung von Zugehörigkeit → Verknüpfungen mit z.B. Rassismuskritik
Spielräume DaZ
➔ Unterscheidung nach Alter, Aufenthaltsdauer im amtlich deutschsprachigen Raum,
Kompetenzen in der deutschen Sprache:
Beginn von DaZ vor dem Schulalter
Beginn von DaZ unmittelbar davor od. während des Schulalters
Beginn DaZ während der 2.-4. Klasse
Beginn DaZ während der Sekundarstufe
Seiteneinsteiger*innen: (nicht-)alphabetisierte Seiteneinsteiger*innen
Differenzwahrnehmung – Anerkennung
• Migrationspädagogik: Zugehörigkeitsordnungen und die Macht der Unterscheidung – unter
welchen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen und von diesen vermittelten
Voraussetzungen, Individuen sich selbst als einem Kontext zugehörig verstehen, erkennen und
achten können
• Doppelte Praxis der Migrationspädagogik: Analyse der lokalen Hervorbringung von
Unterschieden + Analyse allgemeiner diskursiver Praxen, (bildungs-)politischer Regelungen, sozio-
ökonomische Verhältnisse
• Sprache als soziale Praxis: = ein glückender Sprechakt → bei performativen Äußerungen wichtig,
ob sie glücken oder nicht glücken
• Sprachkompetenz des idealisierten Sprechens (nach Chomsky) muss um die gesellschaftlichen
Voraussetzungen, Möglichkeiten und Restriktionen konkreter sprachlicher
Produktionssituationen und konkreter Sprecherinnen ergänzt werden
Konstruktive Wendung
Die Auseinandersetzung mit der facetten- und spannungsreichen Macht der Sprache, der erforderlichen
Anerkennung lingualer Disposition einerseits und der Anerkennung des lingualen ‚Standards‘ andererseits
kann Lehrerinnen dabei ermutigen und unterstützen, diese Spannung nicht nur auszuhalten, sondern
pädagogisch konstruktiv zu wenden.
Themenfelder
• Relevanz
• Schule & Bildungsgerechtigkeit
• Sprachstandsdiagnostik
• Spracherwerbstheorie & Normreflexion
• Bildungssprache
• Modelle der Sprachbildung & Sprachförderung
• DaZ Fördermodelle & Methoden
• Umgang mit Mehrsprachigkeit
• Rassismus und Diskrimierung
1
Angleichen einer Gesellschaftsgruppe an eine andere (z.B. Ausländer sollen so sein wie Österreicher)
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Spracherwerbstheorien
Spracherwerb
Sprachbezogene Faktoren:
• Sprachliche Wissensbestände der LernerInnen (L1, L2, L3…) und Grad der typologischen
Unterschiede zwischen den beteiligten Sprachen
Interne Faktoren:
• Motivation, Einstellung, altersgemäße Sprachfähigkeit, etc.
Externe Faktoren:
• Handlungsabsichten und –alternativen (z.B. Aufenthaltsstatus, Dauer der Niederlassung etc.),
Bildungserfahrung in der Familie, Wohnsituation, Netzwerke und Kontakte mit der Zielsprache
Gezielte Fördermaßnahmen:
• Zeitpunkt des Kontakts zum Deutschen
• Dauer des Kontakts zum Deutschen
• Intensität des Kontakts zum Deutschen
• Qualität des Inputs zum Deutschen
• Deutschförderung und deren Qualität
• Kinder werden aufgrund ihrer akzentfreien Aussprache überschätzt, was zu einer Überbewertung
ihrer sprachlichen Fähigkeiten führen kann
dass die Programme Zeit wegnehmen für das Erlernen der Mehrheitssprache. Eine der sichersten
Erkenntnisse aus der internationalen Forschung besagt, dass gut implementierte bilinguale
Programme die sprachlichen und fachlichen Kenntnisse in einer Minderheitensprache ohne jeden
negativen Effekt auf die Entwicklung der Mehrheitssprache fördern. In Europa werden in dem
belgischen Programm Foyer in der Grundschule die mündlichen und schriftlichen Fähigkeiten in
drei Sprachen gefördert (Muttersprache, Niederländisch und Französisch), hier zeigen sich sehr
deutlich die Vorteile zweisprachiger und dreisprachiger Erziehung.“
Zweitspracherwerbstheorien – Überblick
Kontrastivhypothese
• „Der Erwerb der Zweitsprache wird durch die Strukturen der bereits erlernten Sprache
bestimmt.”
• ähnliche Struktur → „positiver Transfer”
andere Struktur → „Interferenz” (negative Ergebnisse)
• Behavioristische Grundlage: beobachtbares, äußeres Sprachverhalten
• Ähnliche Sprachen lassen sich leichter erlernen als verschiedene → Fehler bei der Aneignung
aufgrund des Kontrasts der Sprachen
Identitätshypothese
• „Der Zweitspracherwerb verläuft im Wesentlichen wie der Erstspracherwerb”
• Der Erwerb verschiedener Sprachen folgt den gleichen Gesetzmäßigkeiten: Da alle Sprachen auf
der Basis angeborener Strukturen und Prozesse gelernt werden (Chomsky), spielt es kaum eine
Rolle, ob bereits eine Sprache gelernt wurde oder nicht. Die zu erlernende Sprache wird
nachkonstruiert, indem die lernende Person Hypothesen bildet, überprüft und revidiert.
• Fehlleistungen = produktive Zwischenschritte
Interlanguage-Hypothese
• „L2-Erwerb erfolgt über systematischen Aufbau von Lernervarietäten”
Die Lernenden entwickeln beim Fremd- oder Zweitspracherwerb verschiedene „LernerInnensprachen“
(interlanguages). Folgende Prinzipien beschreiben den Aufbau:
• Übertragung aus der Erstsprache: In Anlehnung an die Kontrastivhypothese wird angenommen,
dass Strukturähnlichkeiten von Sprachen eine Rolle spielen.
• Übungstransfer: Hier werden Muster, die mit Hilfe von Übungsmaterial erworben wurden,
erprobt, z.B. wenn LernerInnen eine Regel in verschiedenen Übungssätzen anwenden müssen.
• Strategien des Sprachenlernens: Bei diesen von LernerInnen entwickelten Strategien werden
Regeln zur Hypothesenbildung und -überprüfung angewendet, z.B. findet ein Lerner unbewusst
die Regel, dass im deutschen Hauptsatz das Prädikat nach dem Subjekt steht. Mit dieser Strategie
ist er in sehr vielen Fällen erfolgreich (ich gehe nach Hause), scheitert aber, wenn z. B. ein
Adverbial an der ersten Satzposition steht (Dann ich gehe nach Hause).
• Kommunikationsstrategien: = Verhaltensweisen, die in konkreten Kommunikationssituationen
Hilfestellung bieten. Dazu gehören funktionelle Reduktionsstrategien wie Themenvermeidung,
Codewechsel, Entlehnung, Wortneubildung, Umstrukturierung, Gestik, Mimik und
diskursbezogene Strategien.
• Übergeneralisierung: Regeln, die korrekt erworben wurden, werden auf Bereiche übertragen, in
denen sie keine Gültigkeit besitzen, z. B. wenn die Konjugation der regelmäßigen Verben auf
unregelmäßige Verben übertragen wird („Ich bin gegeht.“).
Schwellenniveau-Hypothese
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• „kognitive Entwicklung und Bildungserfolg sind von einem schriftkulturellen Ausbau beider
Sprachen abhängig“
• gelingender Zweitspracherwerb nur nach dem Erreichen einer bestimmten Schwelle im
Erstspracherwerb möglich
• Argument für „muttersprachlichen Unterricht“ → Kinder lernen die Zweitsprache nur dann gut,
wenn sie eine sehr gut ausgebaute Basis der Erstsprache haben.
• Gegenthese – Lebensweltliche Zweisprachigkeit: Kinder lernen die Sprachen in der Form und in
dem Ausmaß, wie sie ihnen begegnen und wie sie in ihren Handlungs- und
Lebenszusammenhängen Sinn machen.
• Interdepedenz-Hypothese: Entwicklung verläuft in beiden Sprachen in Abhängigkeit voneinander
→ Förderung der Erstsprache wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Zweitsprache aus, da
sprachenübergreifende Konzepte von einer Sprache auf die andere übertragbar sind (z.B.
Vergangenheit wird morphosyntaktisch auf eine spezielle Weise ausgedrückt)
Spracherwerbstheorien – Konsequenz
• Werden Normabweichungen im Zweitspracherwerb als legitime Zwischenstufen betrachtet, wie
in der Interlanguage-Hypothese vorgeschlagen, hat dies didaktische Konsequenzen: In
schulischen Kontexten ist die Lehrkraft aufgefordert, mögliche Fehlbildungen der Kinder als
Merkmal ihrer Lernersprache zu akzeptieren.
• Nicht nur Betrachtung von psycholinguistischem System, sondern dem gesamte Lernerverhalten
→ Fähigkeit, in der Zweitsprache zu kommunizieren. Lernende setzen Kommunikationsstrategien
ein, um das begrenzte zur Verfügung stehende Wissen der Zielsprache möglichst effektiv zu
nutzen. Hierzu gehören, je nach Alter und Lernkontext, auch Bezüge zu den bereits gelernten
Sprachen
• Frage, inwieweit Erwerbsverläufe so beschrieben werden können, dass Phasenmodelle
entstehen, an denen sich die Lehrkraft orientieren kann
Phonische Basisqualifikationen:
• Differenzierung und Produktion von Lauten
• Grundlage zur Differenzierung von Wörtern
• bei Zweitspracherwerb Vorteil für Kinder bis ca. 6 Jahre
Pragmatische Basisqualifikationen:
• Handlungsziele erkennen
• angemessener Einsatz
Semantische Basisqualifikationen:
• Wortschatzerwerb
• Verständnis von Wörtern
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• Wortbildungsmöglichkeiten
• Bildung Ober-/ Unterbegriffe
• Metaphern
Diskursive Basisqualifikationen:
• Erzählfähigkeiten
• Sprecherwechsel
• Fähigkeit zum komplexen zweckgerichteten sprachlichen Handeln
Literale Basisqualifikationen:
• Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen
• Orthographie
• Textualität
• Sprachbewusstheit
Sozialwissenschaftliche Zugänge
• Spracherwerb innerhalb gesellschaftlicher Vorstellungen von Legitimität und Illegitimität
• Kinder eignen sich nicht nur Wissen über Sprachen an, sondern auch ein Wissen darüber, wann
welche Sprache/welcher Code verwendet werden kann
• „Die Sprachkompetenz, die ausreicht, um Sätze zu bilden, kann völlig unzureichend sein, um Sätze
zu bilden, auf die gehört wird und in allen Situationen als rezipierbar anerkannt werden. Sprecher
ohne legitime Sprachkompetenz sind in Wirklichkeit von sozialen Welten, in denen diese
Kompetenz vorausgesetzt wird, ausgeschlossen oder zum Schweigen verurteilt“.
Sprachstandsdiagnostik
• Viele neue Verfahren zur Sprachstandsfeststellung von SchülerInnen mit DaZ in den letzten J.
• Bei Verfahren wird unterschieden zwischen:
Alter
Sprache (meistens nur für Erfassung von Deutsch, kaum für Erstsprache)
Ziele (zuweisungs- oder förderdiagnostisch)
Aspekte der sprachlichen Kommunikationsbefähigung
8 Sprachliche Basisqualifikationen
1. Rezeptive und produktive phonische Qualifikation
2. Pragmatische Qualifikation I
3. Semantische Qualifikation
4. Morphologisch-syntaktische Qualifikation
5. Diskursive Qualifikation
6. Pragmatische Qualifikation II
7. Literale Qualifikation I
8. Literale Qualifikation II
Verfahrenstypen
Testende Verfahren
z.B. C-Test, Lesetest, CITO-Test
= Erhebung spezifischer Informationen über den erreichten Aneignungsstand in einem oder mehreren
sprachlichen Teilbereich(-en) anhand von Testaufgaben
= quantitative Beschreibung von Kompetenzstufen
Vorteile: präzise Messung, Standardisierbarkeit, Normierbarkeit, Effizienz, niedrige Anforderungen an
AnwenderInnen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Nachteile: konkrete Fähigkeiten und Probleme oft nicht sichtbar, keine Kompetenzprofile, geringe
Verwertbarkeit für Optimierung von individueller Förderung
C-Test
• 4-5 kurze Texte
• Tilgung (Auslassen) jedes 2. od. 3. Wortes
• Eindeutige Zuordbarkeit der einzusetzenden Wörter
• Testung von: semantischer, morphologisch-syntaktischer und orthographischer Angemessenheit
Profilanalysen
z.B. FörMig Tulpenbeet, HAVAS 5
= Analyse von Sprech- oder Schreibproben zur Gewinnung spezifischer Informationen über den
erreichten Spracherwerbsstand in verschiedenen sprachlichen Qualifikationsbereichen
HAVAS 5
• Mündliches Erzählen einer Bildgeschichte → Gespräch wird aufgezeichnet
• Auswertung der Bereiche: Aufgabenbewältigung, Kommunikatives Handeln, Grammatik, Lexikon
Beobachtungsverfahren
z.B. USB-DaZ, Niveaubeschreibungen DaZ
= Erhebung spezifischer Informationen über den erreichten Aneignungsstand durch Beobachtung.
→ Anknüpfung an Unterrichtsbeobachtung, aber systematisch und kriteriengeleitet in der (alltäglichen)
Interaktion
Vorteile: umfassende Kompetenzprofile, sehr gute Verwertbarkeit für Optimierung von individueller
Unterstützung, beliebig viele Erhebungszeitpunkte, Wiederholbarkeit
Nachteile: erfordert ausgeprägte linguistische Kenntnisse und analytische Fähigkeiten von
AnwenderInnen, keine Feinanalyse
USB-DaZ
• Auftrag durch BMBF
• Zwei Teile:
Beobachtungsbogen (Beschreibungen der Aneignungsstufen)
Ergebnisdokumentationsbogen (Ergebnisse ankreuzen)
• Pro Kind ein eigener Ergebnisdokumentationsbogen
• Qualifikationen werden mithilfe von Indikatoren erfasst:
Schätzverfahren
z.B. Europäisches Sprachenportfolio
= Verfahren der Selbst- und Fremdeinschätzung, die anhand von Skalen vorgenommen werden
Vorteile: zeitökonomisch, Stärkung der Selbsteinschätzung, Förderung der Reflexion von Sprache und
Lernfortschritt, positive Auswirkung auf Motivation
Nachteile: Frage nach Zuverlässigkeit, da die Bedeutung der Skalenwerte vage ist und die Zuordnung von
Sprachwahrnehmungen zu den Skalenwerten auf subjektiven Urteilen beruht
Deskriptive Normen
• Grammatiken/Wörterbücher
• Genetiv verschwindet immer mehr
• Hauptsatz nach „weil“ im mündlichen Sprachgebrauch
• Neue Wörter entstehen (z.B. cloud, Migrationshintergrund, Integrationskurs, …)
Analysenschritte
In allen Fächern, nicht nur Deutschunterricht!
1. Fehleridentifikation
2. Fehlerebenen und Fehlerklassifizierung
3. Fehlerursache
4. Fehlerbewertung
5. Fehlerkorrektur möglichst immer mit dem Ziel der Selbstkorrektur
a. Mündlich in Phasen des Unterrichts, bei denen Sprachformen im Zentrum stehen
b. In mitteilungsbezogenen Unterrichtsphasen nur dann, wenn Äußerungen unverständlich
sind
c. In schriftlichen Texten nach einem transparenten Vorgehen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Konsequenz
Die Zone der nächsten Entwicklung
• Was kann das Kind?
• Was muss es noch lernen?
• Was muss es als nächstes lernen?
• Ressourcenorientiertes Korrigieren
Leistungsbewertung
• Soziale Bezugsnorm
• Individuelle Bezugsnorm
• Kriterienorientierte Bezugsnorm
Didaktische Hinweise
• „Fehler“ als wichtiger Hinweis auf „Zone der nächsten Entwicklung“, das heißt:
o Fehlerfreundliches Klima
o Ermutigung, Sprache auszuprobieren
o Fordernde Aufgaben
o Lob
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• Ähnliche Eigenschaften
• Hoch verdichtete, kognitiv anspruchsvolle Informationen in kontaktarmen Konstellationen
• Gemeinsame SprecherInnengruppe
• Ähnliches Vorwissen
Bildungssprache
• „academic discourse“ – „academic language“
• Hoch verdichtete, kognitiv anspruchsvolle Informationen in kontaktarmen Konstellationen
• Für Schulerfolg relevant (in Lehrmaterialien, in Prüfungssituationen)
• Formelles Sachregister, das für den Erfolg in der Schule und in der Bildung notwendig ist
• Orte: anspruchsvolle Presseorgane, akademische und politische Vorträge, Bücher, …
• Unterricht: Bildungssprache und fachsprachliche Redewendungen
• Aneignung NICHT selbstverständlich, sondern im formalen Kontext → in der Schule
• Konsequenzen im Unterricht ähnlich zwischen Bildungs- und Fachsprache
• Die Verwendung von Bildungssprache muss angemessen sein. Manchmal kann zur Verständigung
über Neues oder beim Experimentieren alltagssprachlich gesprochen werden. Bildungs- und
Alltagssprache sind auf ein Kontinuum.
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Stolpersteine
• Lautsprache: Bach [baχ] oder ich [ɪç],
Konsonantenhäufungen: („Herbst“, „ängstlich“, „hüpfst“),
Bedeutungsunterscheidung: durch Länge bzw. Kürze in „Miete — Mitte“, „Hüte – Hütte“ oder
Diphtonge, Umlaute, Pausensetzung, Tonhöhen
• Lexik: terminologische und nicht-terminologische Fachwörter
• Grammatik: Nominalisierungen, Passiv, „man“ (Erhöhung der Informationsdichte,
Agensvermeidung, Objektivierung)
• Syntax: erweiterte Attribute
• Textebene: Personalpronomina, deiktische Ausdrücke
DaZ Fördermodelle
Additives Modell
• Lehrgänge wie beim Fremdsprachenunterricht, aber auf Deutsch in der Schule und
migrationsgesellschaftsbezogen
• Fachsensibler Sprachunterricht
• Parallel zum Unterricht
• Vorübergehend und ergänzend
• V.a. für SeiteneinsteigerInnen
• In Vorbereitungsklassen/Sprachlernklassen/Willkommensklassen
• Einige Monate vor Einmündung in den regulären Unterricht
Integratives Modell
• Durchführung des Regelunterrichts unter Berücksichtigung von DaZ
• Ziel: einzelnen Kindern/speziellen Gruppen Hilfestellungen bei der Bewältigung bestimmter
sprachlicher Aneignungsaufgaben geben
• SchülerInnen setzten z.B. Material ein, das im additiven D-FÖ erarbeitet wurde
• Lehrkraft hat z.B. die im Unterricht verwendeten Texte im Hinblick auf bildungssprachliche
Elemente mit den SchülerInnen vorbereitet
• Durchführung des Unterrichts unter Berücksichtigung von DaZ
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Exklusives Modell
= Vorbereitungsklassen ohne Besuch der Regelklasse
Hören/Hörverstehen
• Sprachfluss hören
• Hörübungen an verschiedenen Textsorten
• Lautdiskriminierung durch Vergleich von Wortpaaren
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Sprechen
• Freies und dialogisches Sprechen
• Ausspracheübungen
• Sprechtraining
• Adäquate und angemessene Reaktion
• Vorbereitung von Sprechtexten
• Ausbildung von „bildungssprachlichen“ Textsorten
Lesen
• Antizipierende Verfahren (Aktivieren von Vorwissen & Kontext, Schlüsselwörter, Überschriften,
Strukturierungen, ergänzende Quellen, …)
• Texterschließende Verfahren (Grobverstehen, Beziehungen im Text)
• Textscherende und -vertiefende Verfahren (globales Lesen, Perspektiven des Textes,
unterstützende/widersprechende Texte, selektives Lesen: suchen relevanter Informationen)
Schreiben
• Planende/schreibvorbereitende Verfahren
• Versprachlichende/formulierende/textproduzierende Verfahren
• Revision/Kontrolle/Korrektur/Redigieren/Überarbeiten
Scaffolding
scaffolding (engl.) = Baugerüst
• Temporäre Hilfestellung, um Lernende zu ihrer „Zone der nächsten Entwicklung“ (Vigotsky, 1978)
hinzuführen
• Genaue Planung, abgestimmt auf Bedarfe der LernerInnen
• Sequenzierung der Lernaufgaben von anschaulich nach abstrakt UND von alltagssprachlich nach
fachsprachlich
• Modellierende Interaktion zwischen Lehrkraft und SuS
• Hinführung zu bildungssprachlich reichem Input statt Vereinfachung von Inhalten und Texten
• Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe aller Fächer
• Sprachsensibler Fachunterricht
• Stammt ursprünglich aus der Erstspracherwerbsforschung, später konzeptioniert für Unterricht in
sprachlich heterogenen Klassen
• Möglichkeit, Unterrichtsstunden ausgehend von alltagssprachlichen hin zu bildungssprachlichen
Kompetenzen zu gestalten
2) Lernstandsanalyse Makro-Scaffolding
3) Unterrichtsplanung
4) Unterrichtsintervention
building modeling joint independent
Mikro-Scaffolding the field the genre/ construction writing
register
1) Bedarfsanalyse
Ermittlung des Sprachbedarfs des geplanten Themas
• Durchsicht des vorhandenen Materials (Lehrbuch)
• Welche Texte müssen gelesen/geschrieben werden?
• Welche Fachtermini sind neu?
• Gibt es bildungssprachliche Phänomene, die als schwierig einzustufen sind?
• Gibt es grammatische Phänomene, die gehäuft auftreten?
• Planungsrahmen
2) Lernstandsanalyse
Vergleich des Sprachstands der LernerInnen mit den sprachlichen Anforderungen des Themas
• Wer braucht wo Unterstützung?
• Austausch mit anderen LehrerInnen dieser Klasse sinnvoll
• Unterrichtsbegleitende Sprachstandsdiagnostik als Grundlage
3) Unterrichtsplanung
• Berücksichtigung der (fach-)sprachlichen Perspektive bei der Planung
• Zu Beginn: Aktivierung des Vorwissens, Bezugnahme auf alltagssprachlichen Wortschatz
• Einsatz von geeignetem Zusatzmaterial, das auf das Thema hinführt
• Geeignete Sequenzierung der Lernaufgaben:
o Fachlich: von der konkreten Anschauung zu einer abstrakteren Ebene
o Sprachlich: von konzeptuell mündlichen zu konzeptuell schriftlichen Sprachhandlungen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• Bsp.:
4) Unterrichtsinteraktion – Mikroscaffolding
Phasenübergreifende Methoden
(1&2)
x) Problemlösen in Partnerarbeit
x) Progressives Brainstorming
Bildungssprachförderliche Unterrichtsinteraktion
• „Sprechen im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Themas und des jeweiligen Faches zu
ermöglichen“
• Entwicklung einer Diskurskultur in der Klasse = wenn Kinder es gewohnt sind, die
Gesprächsinitiative und den Raum für längere Äußerungen zu erhalten, sich gegenseitig
zuzuhören, zu fragen und auch bei sprachlichen Herausforderungen zu unterstützen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Durchgängige Sprachbildung
„Für Bildungserfolg entscheidend ist, dass die Kinder in der Schule lernen, auf die
Unterschiede zwischen alltäglicher Sprache und Bildungssprache zu achten und diese
Unterschiede auch aktiv einsetzen in ihrem Sprachverhalten, aber auch in ihrem
Sprachverstehen.
Durchgängige Sprachbildung ist ein Konzept, das Kindern dazu verhelfen will, die
Unterschiede zwischen Alltagssprache, dem alltäglichen Kommunizieren und dem,
was bildungssprachlich verlangt ist, beherrschen zu lernen.“
2 Grundelemente:
• Durchgängigkeit (bezogen auf die Umsetzung → WIE wird es umgesetzt?)
• Bildungssprache (bezogen auf den Gegenstand → WAS wird umgesetzt?)
Zielgruppe:
• Alle Kinder und Jugendlichen (mit besonderer Berücksichtigung von DaZ)
Ziele:
• Kumulativer Aufbau von bildungssprachlichen Fähigkeiten
• Reduzierung von Ungleichstellungen zwischen ein- und mehrsprachigen SuS bzw.
Reduzierung von Ungleichstellungen zwischen solchen SuS, die bereits hohe bildungssprachliche
Kompetenzen mitbringen und solchen, die diese im Rahmen der schulischen Ausbildung
erwerben müssen
Ort von Sprachbildung:
• Unterricht in allen Ausprägungen
Sprachförderung
= besondere Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, einzelnen Kindern oder speziellen Gruppen
Hilfestellungen bei der Bewältigung bestimmter sprachlicher Aneignungsaufgaben zu geben
Zielgruppe:
• Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf in bestimmten Bereichen
Ziel:
• Förderung in bestimmten sprachlichen Bereichen
• Heranführen an (z.B. altersgemäße) Normen
Ort von Sprachbildung:
• Parallel oder zusätzlich zum Regelunterricht, auch integrativ
Beispiele:
• Treffen von Lehrkräften unterschiedlicher
Schultypen
• Institutionenübergreifende Hospitationen
• Besuche der Kinder in aufnehmenden Schulen
• Information über Arbeitsweise in abgebenden
Institutionen
Beispiele:
• Treffen von LehrerInnen unterschiedlicher Fächer
• Austausch von Ideen und Materialien
• Verankerung der Sprachbildung in Schulprofilen
• Pädagogische Diagnostik sprachlicher Fähigkeiten, auf die die Förderung in allen
Lernbereichen aufbauen kann
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Beispiele:
• Einbindung von Eltern in den Unterricht/Projekte
• Besondere Informationsangebote für Eltern
• Workshops und Kurse mit und von außerschulischen Bildungseinrichtungen (Vereine, …)
• Kooperation mit LehrerInnen des muttersprachlichen/herkunftssprachlichen Unterrichts
(auch außerschulisch)
• Koordinierte mehrsprachige Alphabetisierung
• Lese- oder SprachpatInnen
• Kooperation mit der Nachmittagsbetreuung, Lerninstituten, NachhilfelehrerInnen
• Kooperation mit Bibliotheken
Qualitätsmerkmale
• Netzwerk hat klare Struktur
• Netzwerk verfügt über eine eigene Infrastruktur
• Sprachbildungsnetzwerk hat Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Eltern
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Beispiele:
• Lernplakate zu Bildungssprache
• Reformulierungsaufgaben für Aufgabenstellungen
• Explizitmachen des sprachlichen Ziels der Einheit (im Unterschied zum inhaltlichen Ziel),
z.B.: „Heute beschreiben wir ein Experiment. Dabei werden wir besonders auf Konditionalsätze
achten.“
Merkmal 3
Lehrkräfte stellen allgemeinsprachliche und bildungssprachliche Mittel bereit und modellieren diese.
• Wortfeldarbeit
• Lehrkräfte als sprachliche Vorbilder
• Erschließen sprachlicher Mittel über Lesestrategien
• Unterstützung der Sprachproduktion durch Formulierungshilfen, Verbalisierung von
Visualisierungen
• Bedeutungskonstruktion im Unterrichtsgespräch (Micro-Scaffolding)
• Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Operatoren
Merkmal 4
SuS erhalten viele Gelegenheiten, allgemeinsprachliche und bildungssprachliche Fähigkeiten zu erwerben,
aktiv einzusetzen und zu entwickeln.
• Schaffen eines Klimas, in dem sich SuS als kompetent im Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören
erfahren können
• Einbezug von L1-Kenntnissen, z.B. zur Aktivierung von Vorwissen, in Gruppenarbeitsphasen, …
• Gelegenheiten, sich über Gehörtes auszutauschen
• Hoher SprecherInnenanteil der SuS im Unterricht
• Zeit zur Konstruktion von Redebeiträgen
• Schreibintensiver Unterricht
Merkmal 5
Lehrkräfte unterstützen die SuS in ihren individuellen Sprachbildungsprozessen.
• Differenzierte Aufgabenstellungen, unterschiedliche Hilfsmittel
• „Überangebot sprachlicher Mittel“, z.B. Wortlisten, Überschriften als Textgliederung,
Bildmaterial, …
Merkmal 6
Lehrkräfte und SuS überprüfen und bewerten die Ergebnisse der sprachlichen Bildung
• Konstruktive Haltung Fehlern gegenüber – kompetenzorientiertes Korrekturverhalten
• Kriterienorientierte Erfassung und Bewertung sprachlicher Leistungen
• Bewusstmachung von Fortschritten
• Möglichkeit zur Selbstkorrektur und SuS-Korrektur
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Berufliche Ausbildung
Erfolgreiche Bewerbung um einen Ausbildungsplatz in der betrieblichen Bildung in Deutschland
(2012/14):
Gründe:
• Vorbehalte!
• nicht wegen unzureichender Bildungsorientierung oder einer weniger intensiven
Ausbildungsplatzsuche!
• Linguizismus
• Monolingualer Habitus
• Rassismus
• Klassizismus
Monolingualer Habitus
Monolinguale Schule
• Unterricht ausschließlich auf Deutsch
• „Hier wird Deutsch gesprochen.“
• Elternabende, Informationsblätter, etc. selbstverständlich auf Deutsch ohne Übersetzung
• Testung/Bewertung nur auf Grundlage der deutschen Sprache
• Sprachmischungen = „Fehlleistung“
• Stigmatisierung von Mehrsprachigkeit als Problem
Habitus
„Die Wahrnehmungsschemata, welche die alltägliche Wahrnehmung der sozialen
Welt strukturieren, die Denkschemata, zu denen (a) die „Alltagstheorien“ und
Klassifikationsmuster zu rechnen sind, mit deren Hilfe die Akteure die soziale Welt
interpretieren und kognitiv ordnen, (b) ihre impliziten ethischen Normen zur
Beurteilung gesellschaftlicher Handlungen […] und (c) ihre ästhetischen Maßstäbe zur
Bewertung kultureller Objekte und Praktiken, kurz ihr „Geschmack“ sowie die
Handlungsschemata, welche die (individuellen oder kollektiven) Praktiken
hervorbringen.“ (Schwingel 2005:62 – Habitusbegriff von Bourdieu)
Die monolinguale Orientierung der Lehrenden als eine habituelle Praxisform zu begreifen, ermöglicht es,
Geschehen besser zu verstehen, das bei isolierter Betrachtung einzelner Aspekte – Einstellungen,
Wissensbestände, Handlungsbedingungen – eher unerklärlich bleibt, weil es in sich selbst so
widersprüchliche Züge zeigt. (Gogolin, 2008)
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Diskriminierung am Arbeitsmarkt
Folgen:
BewerberInnen mit Migrationshintergrund anstelle in der gewünschten
Ausbildung häufiger in alternativen – oft nicht abschlussbezogenen –
Bildungsgängen (32% gegenüber 21%) oder außerhalb des
Bildungssystems (23% gegenüber 18%)
Anteil Erwerbstätiger mit Abschluss einer Höheren Schule oder Universität nach beruflicher Tätigkeit
und Geburtsland:
Armutsgefährdung
= in Deutschland Menschen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60% des mittleren Einkommens
beträgt
• Mikrozensus 2012: Armutsgefährdungsquote bei Personen mit Migrationshoch mit 26,8% mehr
als doppelt so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund mit 12,3%
• Bildungsstand hat kaum Auswirkung auf die Armutsgefährdungsquote: Quote bleibt bei Personen
mit Migrationshintergrund auch dann hoch, wenn sie über die Reifeprüfung verfügen. Sie liegt
mit 20,1% mehr als doppelt so hoch wie bei Personen ohne Migrationshintergrund und Matura
mit 8,9%.
• Armutsgefährdungsquote bei Personen mit Migrationshintergrund und Reifeprüfung mit 20,1%
deutlich höher als bei Personen ohne Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss mit 14,9%.
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Gerechtigkeit
Gerechtigkeitsmodelle
Begabungsgerechtigkeit
• Neoliberale Argumentationsfigur: „Verschwendung von Begabungsreserven“
• Bildungsgerechtigkeit-Diskussion: beschränkt sich auf quantitativ messbare (PISA, …), mit einer
verkürzten ökonomischen Rationalität kompatible Maßnahmen der Umverteilung von
Ressourcen in der Form von finanziellen Mitteln und Lehreinheiten
• Forderung an Kinder: „konsequente Akkulturation“ – wird als „Bringschuld“ angesehen, die als
„Schlüssel zur Realisierung von Bildungsgerechtigkeit“ identifiziert wird. Nur dann können sie ihre
„Begabungsreserven“ der Wirtschaft zu Verfügung stellen.
➔ Konsequentes Sprechen der deutschen Sprache
Mehrsprachigkeit
• Innere & äußere Mehrsprachigkeit
• Leibliche Dimension (Sprache als leiblich-emotionale Geste zwischen dem ICH und DU
→ Zwischenleiblichkeit
• Emotionale Dimension:
o Sprache als Ausdrucksmöglichkeit von Emotionen
o Sprache als Grund für Scham/Freude
• Historisch-politische Dimension: Sprachideologie, Legitimität von Sprache
Spracherwerbstheoretische Grundlagen
• Bestimmend für die Aneignung des Deutschen:
o Zeitpunkt des Beginns des Deutscherwerbs (Kontaktdauer)
o Kontaktintensität zum Deutschen
o Menge des Inputs
o Qualität des Inputs
• Mischen der Sprachen: kennzeichnend für Sprachgebrauch von migrationsbedingt mehrsprachig
aufwachsenden Kindern/Jugendlichen im familiären und außerfamiliären Bereich
• Normative Vorstellungen von „gutem/schlechtem“ Sprechen sowie normgeleitete Beurteilungen
von Sprachproduktion beeinflussen zwar Aneignung von Sprach(n), können aber
migrationsbedingte Neuformationen von Sprachen nicht verhindern.
• Je früher der Beginn des Deutscherwerbs, desto weniger unterscheidet sich der Deutscherwerb
von dem der monolingual deutschsprachig aufwachsenden Kindern in qualitativer Hinsicht
• Mögliche Stolpersteine, wo Deutsch im privaten Umfeld nicht alleinige und wichtigste Sprache
• Je später: Migrationssprache aufgrund der bereits erfolgten schulischen Sozialisation eine
wichtige Ressource darstellt, auf die in den Bildungsprozessen zurückgegriffen werden sollte
• Gegenseitige Beeinflussung der Sprachen:
o Jedoch nicht in einer kausalen Reihenfolge des „richtigen“ Erwerbs der Sprachen zu
denken
o Weiterentwickelte Kommunikationsfähigkeiten einer Sprache als „Motor“ für die
Entwicklung der anderen
o Spezifische pädagogische Aktivitäten können in Übertragungsprozessen zwischen den
Sprachen unterstützen, die Sprachen füreinander „fruchtbar zu machen“
Jedoch:
• Forderung wird im Hinblick auf ein als ‚türkisch‘ geltendes Kind, das zu Hause Kurdisch, Deutsch
und Türkisch in verschiedenen Mischungen spricht, bedeutungslos
• Welche Sprache ist seine ‚Muttersprache‘? Warum kann Deutsch nicht auch als seine
‚Muttersprache‘ verstanden werden, wenn es seit seiner frühesten Kindheit auch Deutsch spricht,
wenn auch anders als von Kindern, die nur Deutsch sprechen?
• Normalitätsannahmen, mit denen sprachliche Verhältnisse (v)erkannt, beschrieben und erklärt
werden, halten den Tatsachen der Sprachverhältnisse nicht Stand, die für migrationsbedingt
mehrsprachig aufwachsende Kinder gegeben sind.
• nationale Sprachenstandards spielen eine enorme Rolle in der Sprachentwicklung von Kindern
spielen – aber nicht die einzige
• Mono-, bi- und plurilinguale SchülerInnen erleben die Sprachen ihrer Lebensräume koordiniert im
Unterrichtsgeschehen und erkennen, dass es möglich ist, mit Sprachen zu spielen und aus den
Sprachen herauszutreten.
Erfolgversprechende Gestaltungsmerkmale
• Fachsensible Deutschförderung
• isolierte Sprachförderung ist wenig Erfolg versprechend
• Verzahnung von Sprach- und Fachunterricht
• Gestaltung der Deutschförderung mit Bezügen zu den verschiedenen Unterrichtsfächern
• Sprachsensibler Fachunterricht
• in jedem Unterrichtsfach spielt Sprache eine zentrale Rolle spielt
• sprachförderliche Gestaltung jeder Unterrichtsstunde aller Fächer
• Berücksichtigung von verschiedenen Zugängen zum Deutschen
• Diagnosegestützte Sprachförderung
in Anlehnung an die Lerntheorie
Migrationssprachen im Regelunterricht
• Diskurs zum Einbezug von Migrationssprachen in den Regelunterrichtunterliegt dem Konzept der
monolingualen (deutschen) Schule
• bisher vor allem einzelne Projekte
Ziele
• Bildung in den Migrationssprachen
• Sprachbewusstheit
• Freude an Sprachen und sprachlichem Lernen
• Wertschätzung von Sprachen der Schüler*innen
• Stärkung der ‚Identität’ von Schüler*innen mit Migrationshintergrund
• Beitrag zum ‚Interkulturellen Lernen‘
• Förderung der Mehrsprachigkeit Europas
Ergebnisse der bisherigen Studien
• Effekte der durchgeführten Maßnahmen selten evaluiert
• wenn, dann Effekte des Einbezugs der Mehrsprachigkeit auf die Deutschkompetenz
• Migrationssprachen oft Unterstützungsfunktion für die Aneignung des Deutschen
• Mehrsprachigkeit und ‚Kultur‘ Phänomene werden als zusammengehörig wahrgenommen
• sogar fachliche Inhalte in den Unterrichtskonzepten zu Gunsten von als kulturell
wahrgenommenen Inhalten in den Hintergrund gedrängt werden
• einen eher folkloristisch-untergeordneten, keinen, der für den Schulerfolg wichtig wäre
• ein Instrument für die Bearbeitung kultureller Andersheit zu sein
Ergebnisse
• Konzept der monolingualen Schule resistent
• notwendig: Migrationssprachen bekommen ‚wichtigen‘ Funktionen wie die Vermittlung
mathematischer Inhalte
• Migrationssprachen als Medium der Vermittlung von Fachinhalten
• z.B. KOALA oder Hamburger Schulversuchs Bilinguale Grundschule
• Entwicklung & Forschung möglich:
o Was heißt ‚Bildungssprache‘ im Arabischen, Polnischen, Serbischen, ...?
o Wie kann bilinguales Scaffolding mit Russisch und Deutsch durchgeführt werden (vgl.
Roth o.J.)?
o Wodurch ist die Sprache der Mathematik im Türkischen, Serbischen, ... gekennzeichnet?
o Wie können Biologie-Studierende mit Türkischkenntnissen in der Anwendung der
türkischen Fachsprache der Biologie ausgebildet werden?
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Rassismus 1
= komplexer Begriff, der stark politisiert ist
= „System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse
legitimieren und reproduzieren“ (Rommelspacher, 2009)
= „Markierung von Unterschieden, die man dazu braucht, um sich gegenüber anderen abzugrenzen,
vorausgesetzt diese Markierungen dienen dazu, soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen zu
begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen
ausschließen und dadurch der ausschließenden Gruppe einen privilegierten Zugang sichern. Entscheidend
ist dabei, dass die Gruppen aufgrund willkürlich gewählter Kriterien gebildet werden (wie z.B. Herkunft
oder Hautfarbe) und dass mit diesen Einteilungen eine bestimmte Zielsetzung verfolgt wird.“ (Hall)
• Grenze, ob Rassismus oder nicht ist oft problematisch
Internalisierte Rassismen
• Rassismen tief in alltägliche Handlungen und Denkmuster integriert
• Beeinflussen politische und gesellschaftliche Positionierungen
• Willkürlich gewählte Kriterien, die Rassismen (re-)produzieren, werden benutzt, um Hierarchien
innerhalb der Gesellschaft zu bilden und diese zu legitimieren
Abgrenzungen
• Rassismus wird z.B. mit Fremdenfeindlichkeit, Alltagsrassismus oder Rechtsextremismus
verbunden
• Alle Begriffe beschreiben eine Ablehnung/Abwertung von anders gelesenen Menschen(-gruppen)
• Je nach Kontext sind diese Neigungen unterschiedlich stark ausgeprägt und kommen in
unterschiedlichen Formen zum Ausdruck:
Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie)
• = feindselige Haltung gegenüber Menschen(-gruppen), die als fremd wahrgenommen und
mit sozialen, kulturellen, sprachlichen, u. ä. Differenzen begründet werden
• Nicht gesetzlich verboten, nicht strafbar
Alltagsrassismus
• = spezielle Form des Rassismus
Rechtsextremismus
• Vertretung einer Ideologie, die auf Unwertigkeitsvorstellungen basiert
• Kennzeichen: übersteigertes Nationalgefühl mit gleichzeitiger Fremdabwertung
• Insb. im deutschsprachigen Raum aufgrund des historischen Hintergrunds oft im
Zusammenhang mit Rassismus genannt
• Beschränkung von Rassismus auf rechtsextremes Gedankengut ist nicht möglich
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Institutioneller Rassismus
• In Gesetzen, Erlassen, Praxis der MitarbeiterInnen von Behörden, staatlichen und privaten
Institutionen und Organisationen
• Soll verdeutlichen,
„dass rassistische Denk- und Handlungsweisen nicht Sache der persönlichen Einstellungen von
Individuen, sondern in der Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders verortet sind, welche
die Angehörigen der eigenen Gruppe systematische gegenüber den Nicht-Dazugehörigen
privilegiert“ (Osterkamp)
Individueller Rassismus/Alltagsrassismus
• Auf interpersoneller Ebene
Hanau
• Rassistisch motivierte Verbrechen machen auch keineswegs an Ländergrenzen halt
• Am 19. Februar 2020 verübte ein Rechtsterrorist in Hanau/Deutschland neun Morde an
Menschen mit unterschiedlichen Migrationsbiografien
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• Täter forschte hierzu nachweislich im Vorfeld Treffpunkte aus, die stark von Migrant*innen
frequentiert wurden
• Mehr als ein Jahr nach der Tat bleiben immer noch zahlreiche Fragen ungeklärt: Angehörige der
Todesopfer müssen die Ermittlungen durch Eigeninitiativen, wie selbstständige Nachforschungen
und Einbringen von Anzeigen, forcieren
• Rassistisch motivierte Verbrechen und damit verbundene verhältnismäßig schwache behördliche
Investigationen haben System: das zeigen ähnliche Taten, zu denen es auch in der Vergangenheit
mehrfach kam
Racial Profiling
= Polizisten/Kontrolleure sprechen direkt Menschen bewusst an
People of Color
= Menschen, die nicht weiß oder schwarz sind; z.B. Türkisch
Bipoc
= Black, Indigenous and People of Color
2
Sonderpädagogischer Förderbedarf
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Rassismus 2
• = Praxis der Unterscheidung von Menschen
• Konstruiert Menschen als erkennbar different (racialisation)
• Differenzen im Rassismus = Unterschiede der Abstammung kulturell-territorialen Zugehörigkeit
• Kolonialismus: v.a. biologisch-genetischer Rassismus; Heute: v.a. kultureller Rassismus
• Bestimmten Gruppen werden bestimmte gedachte Fähigkeiten, Eigenschaften u. Charaktere
zugewiesen
• Bewertet „Mentalitäten“ der „Anderen“ negativ im Sinne von Minderwertigkeit bzw. Nicht-
Zugehörigkeit, …
• Bewertet die eigenen „Mentalitäten“ positiv im Sinne von Höherwertigkeit bzw. „fragloser“
Zugehörigkeit
• Entfaltet sich erst vollständig, wenn Mittel zum Wirksamwerden der Unterschiedskonstruktionen
verfügbar sind
• Rassismus = Vorurteil + Macht
Rassekonstruktionen
• Rassen ≠ „natürliche“ Gegebenheiten
• Rassen = diskursive Konstruktionen
• Konstruktionsvorgang ist v.a. von administrativen u. politischen Interessen abhängig
Alltagsrassismus
• Alltägliche primäre und sekundäre Rassismuserfahrungen
• „so war es ja gar nicht gemeint“
• „Na, du bist ja anders“
• Oft subtil und schwer erkennbar; individuell praktiziert; in alltäglichen Diskursen und Strukturen
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Institutioneller Rassismus
• Praxis in Behörden, staatlichen und privaten Institutionen/Organisationen
• Habitus, mit ausgrenzenden Folgen
• MacPherson-Report (1999): „The collective failure of an organisation to provide an appropriate
and professional service to people because of their colour, culture or ethnic origin.“
Kultureller Rassismus
• Auch: Neo-Rassismus
• „Rassismus ohne Rassen“
• Begriff der Kultur ersetzt jenen der Rasse (Bsp.: Migrations- u. Immigrationsbewegungen)
• Kulturelle Kollektive: Lebensweise von Personen, die „kulturell anders“ sind, als unvereinbar mit
Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft betrachtet
4 Distanzierungsmuster
1. Skandalisierung („Oh mein Gott, ich würde sowas nie tun“)
2. Verlagerung in den Rechtsextremismus
3. Historisierung
4. Kulturalisierung („Nein, das entspricht einfach ihrer Kultur“)
➔ Kulturalismus
➔ Ethnisierung
➔ Naturalismus
Rassismuskritik
• = zum Thema machen, in welcher Weise, unter welchen Bedingungen und mit welchen
Konsequenzen Selbstverständnisse und Handlungsweisen von Individuen, Gruppen, Institutionen
und Strukturen durch Rassismen vermittelt sind und Rassismen stärken
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
Linguizismus
= Rassismus in der Sprache
• = spezielle Form des Rassismus, die in Vorurteilen und Sanktionen gegenüber Menschen, die eine
bestimmte Sprache bzw. eine Sprache in einer durch ihre Herkunft beeinflussten spezifischen Art
und Weise verwenden, zum Ausdruck kommt
• Minderheitensprachen
• Mehrheitssprachen
• (Nationale) Varietäten
• Dialekte, Soziolekte, Ethnolekte, …
„Rasse“
Beispiel:
Ein Grundschüler wird von seinen MitschülerInnen immer wieder aufgrund seiner äußeren Merkmale
beleidigt, in Streitereien beziehen sich Beschimpfungen bei ihm immer auf seine Hautfarbe. Mal steckt er
das gut weg, in der Tendenz geht es ihm aber immer schlechter in der Schule. Er schläft schlecht und will
nicht mehr in die Schule gehen. Als die Mutter eines Tages selber hört, wie ein Mitschüler zu ihrem Sohn
ruft, »Hau doch ab! Geh dahin, wo Menschen mit so einer dreckigen Hautfarbe wie du herkommen!« und
sieht, dass LehrerInnen dies mitbekommen, aber nichts unternehmen, spricht sie das Problem an.
Zunächst bei der Klassenlehrerin, dann bei den Eltern der MitschülerInnen, dann bei der Schulleitung. Das
führt jedoch dazu, dass nicht die rassistischen Beleidigungen als Problem gesehen werden, sondern die
Mutter selbst.
In einem Elternbrief wird beispielsweise formuliert »Wir sind übereingekommen, dass neunjährige Kinder
keine rassistischen Einstellungen haben und ihre Äußerungen gegenüber anderen daher nicht als
rassistisch bezeichnet werden können.« Die Mutter wird beschuldigt, Unfrieden in die Schule zu bringen.
Gleichzeitig berichtet der Sohn, dass er bestraft wird, wenn er sich gegen die Beleidigung wehrt. […]
➔ Institutioneller Rassismus
sowohl die österreichische Gesellschaft als auch die globale Politik und hat Auswirkungen auf
vielen Ebenen, z.B. Wirtschaft, Medien und Bewegungsfreiheit.
• Rassismus prägt unsere Sozialisation, die Art und Weise, wie wir uns selbst und die Welt
betrachten sowie unseren Handlungsspielraum, den wir persönlich und gesellschaftlich haben.
Wir haben verinnerlicht, ob wir von Rassismus profitieren oder diskriminiert werden und das hat
auch Auswirkungen auf unser Verhalten. Gelegentliche Diskriminierungserfahrungen von Weißen
heben weder ihre privilegierte soziale Positionierung noch ihre erlernten Verhaltensweisen auf.
• Rassismuserfahrungen zu machen bedeutet, (potentiell) auf zwischenmenschlicher (z.B. in
Begegnungen), gesellschaftlicher (z.B. in Medien) und institutioneller Ebene (z.B. im
Bildungssystem) rassistisch diskriminiert zu werden. Die verschiedenen Ebenen beeinflussen sich
gegenseitig und müssen gemeinsam betrachtet werden.
• Weiße können zwar situativ diskriminiert werden, befinden sich aber sowohl in Österreich als
auch global gesehen trotzdem in einer gesellschaftlichen Machtposition.
• Weiße können sich in der Regel aussuchen, wann sie sich an einen Ort begeben, an dem sie nicht
die Definitionsmacht besitzen und wann sie ihn wieder verlassen. Sie sind nicht gezwungen, sich
in Strukturen zu begeben oder Medien zu konsumieren, in denen Weiße diskriminiert werden.
• Auf der Position zu beharren, dass Weiße Rassismuserfahrungen machen, bedeutet eine
Relativierung und Verharmlosung von Rassismuserfahrungen von PoC (Person of Color).
Subjektivierungskritik
Beispiel:
„ich spräche sehr gut deutsch, wie lange ich schon gast sei, zwei oder drei jahre? ich bin hier
aufgewachsen, antworte ich. und trotzdem, ruft sie aus, trotzdem sprechen sie so gut deutsch, allerdings,
allerdings höre sie einen akzent. […] beugt sich zu meinem mund, fixiert die lippen, während ich spreche,
aber im großen und ganzen sehr gut, fortgeschrittene, nicht wahr? und mit einem lächeln deutet sie auf
ein plakat, deutsch für ausländer.“ (Ann Kim)
„Macht kann nur über »freie Subjekte« ausgeübt werden, insofern sie »frei« sind –
und damit seien hier individuelle oder kollektive Subjekte gemeint, die jeweils über
mehrere Verhaltens-, Reaktions-oder Handlungsmöglichkeiten verfügen. Wo die
Bedingungen des Handelns vollständig determiniert sind, kann es keine
Machtbeziehung geben. […] In diesem Verhältnis ist Freiheit die Voraussetzung für
Macht […].“ (Foucault 1982, S. 287)
„Das Hauptziel ist heute nicht herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind.
Wir müssen uns vorstellen und konstruieren, was wir sein könnten, wenn wir uns dem
doppelten Zwang entziehen wollen, der in der gleichzeitigen Individualisierung und
Totalisierung der modernen Machtstrukturen liegt.“ (Foucault 1982, S. 280)
Diskriminierungslinien
„Diese Art der Grenzziehung funktioniert reibungslos nur bei eindeutigen Menschen,
vieldeutige und vielgedeutete widerstehen dieser Form von Eingrenzung, indem ihre
Existenz die Grenzziehung selbst infrage stellt, denn sie sind nichts anderes als
Personifikationen einer Entgrenzung.“ (Anna Kim, 2011, S. 94)
"Wenn wir meinen, eine einheitliche Identität von der Geburt bis zum Tod zu haben,
dann bloß, weil wir eine tröstliche Geschichte oder 'Erzählung unseres Ich' über uns
selbst konstruieren." (Hall, 1994, S.183)
• Wir müssen positioniert sein, um etwas sagen zu können, selbst wenn wir eine Position nur
vorläufig einnehmen, um sie später wieder aufzugeben
VO, Beatrice Müller 5.10.2021
• Das Einnehmen einer Subjektposition erfordert nicht nur, dass das Subjekt innerhalb eines
Diskurses in die Subjektposition hineingerufen wird, sondern dass es auch in die Position
investiert
• Dies kann durch ein einfaches Sich-Hineinfügen geschehen, aber auch durch eine kreative
Ausgestaltung oder Veränderung der Position bzw. durch einen anhaltenden Kampf gegen die
Position