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EINFÜHRUNG IN DIE SOZIOLONIGUISTIK
Sprachwissenschaft in gesellschaftlichem Kontext
• Soziolinguistik betrachtet Sprachgebrauch eingebettet in die Gesellschaft →
betrachtet Sprache als gesellschaftliches Phänomen
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Es gibt keine Gesellschaft / „Kultur“ ohne (sprachliche) Kommunikation und keine
(sprachliche) Kommunikation ohne Gesellschaft / „Kultur“
➢ Wechselwirkung Gesellschaft – Sprache
➢ Es gibt nichts Soziales ohne Kommunikation – Jeder Mensch ist Produkt der
Kommunikation und braucht Kommunikation
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3 FUNKTIONEN NATÜRLICHER SPRACHEN
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o von der Werbung genutzt: Werbung für Bio meist im Dialekt (Verknüpfung: vom
Land, vom Bauern, natürlich, gesund) - Parfum hingegen meist mit franz. Akzent
(Verknüpfung: Erotik, Eleganz…)
o Soziale Bedeutung der Sprache ist ein Zeichenprozess (Sprache ist ein
indexikalisches Zeichen) – ist also konventionell (es hängt von der sozialen
Gruppe ab, was damit verknüpft wird)
z.B. Die soziale Bedeutung von Russisch ist in Österreich eine andere als in Italien
o Soziale Bedeutung setzt sich immer aus positiven (Prestige) und negativen
(Stigma) Seiten zusammen
1) Heterogenität (Variation)
o Nicht in allen Sprachen gleich ausgeprägt
z.B. Deutsch = stark heterogen – Es gibt sehr viele dialektale Varietäten des
Deutschen
o Wie definiert man diese Variation? Variation = Tatsache, dass die Sprachen für
eine sprachliche Funktion (z.B. Bedeutung oder Aussprache) mehrere
Möglichkeiten (Varianten) zur Verfügung haben
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z.B. Junger männlicher Mensch – mehrere Lexeme (Wörter) zur Verfügung: Junge,
Bub, Bursche…
z.B. Bub – mehrere Varianten in Bezug auf die Aussprache – standardsprachlich /
dialektal aussprechen: Bub, Bua, Bui…
→ Man hat auf allen Ebenen des Sprachsystems mehrere Möglichkeiten /
Varianten zur Verfügung
o Einzelsprache kann als Gesamtmenge verschiedener sprachlicher
Erscheinungsformen (Dialekte, Jugendsprache, Fachsprache, Standardsprache…)
gesehen werden = komplexe KOEXISTENZ verschiedener Erscheinungsformen
(Varietäten) innerhalb einer natürlichen Sprache
o INTERAKTION der verschiedenen Erscheinungsformen einer Einzelsprache – sind
nicht deutlich voneinander abgrenzbar
2) Dynamik (Sprachwandel)
o Alle natürlichen Sprachen verändern sich ununterbrochen, da natürliche Sprachen
und Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind (Es gibt keine
Gesellschaft ohne sprachbasierte Kommunikation und umgekehrt)
→ So wie sich die Gesellschaft ununterbrochen verändert, verändert sich auch die
Sprache ununterbrochen und umgekehrt: Gesellschaftlicher Wandel – Sprachwandel
o Sprachwandel betrifft nicht alle Erscheinungsformen gleichermaßen
z.B. verändert sich in einer best. Phase ein Dialekt schneller und ein anderer langsamer;
oder Standardsprache in einer Region verändert sich langsam und Dialekte schnell
oder umgekehrt
o Nur tote Sprachen bleiben statisch
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WIE KOMMT ES ZUR VARIATION NATÜRLICHER SPRACHEN?
• Konzeption/Medium (gesprochen/geschrieben)
o ob Sprache mündlich oder schriftlich verwendet wird (Medium) ist
entscheidender Faktor, in welcher Erscheinungsform die Sprache im Bewusstsein
steht – gesprochene Sprache unterscheidet sich in vielen Merkmalen von
geschriebener
o Konzept, also das Bewusstsein, dass ich spreche oder schreibe spielt dabei eine
größere Rolle als das Medium (Luft – Papier)
Sprechen: Kommunikationspartner ist präsent – Sprache ist in Interaktion
eingebettet, wo Kommunikationspartner zum selben Zeitpunkt räumlich und
zeitlich präsent sind: Man kann nachfragen, wiederholen, sich ausbessern, Gestik
und Mimik verwenden…
Schreiben: Rezipient ist nicht anwesend, man muss also eine Vielzahl an
Informationen mitliefern, also mit sprachlichen Mitteln kontextualisieren
o Moderne Medien: Mischform (=geschriebene Mündlichkeit) → Konzeption ist
mündlich, Medium ist aber schriftlich
z.B. chatten: Es wird geschrieben, es fühlt sich aber an als ob man sprechen
würde und der Partner präsent wäre – Oft wird dabei auch im Dialekt
geschrieben
• Geografischer Raum / Mobilität
o Man verknüpft best. sprachliche Formen mit best. Regionen (=Dialekt in unserem
Bewusstsein)
• Soziale Gruppen, Rollen
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o Man verknüpft best. sprachliche Phänomene mit best. sprachlichen Gruppen
(=Unterschicht, Oberschicht, Jugendliche, Gebildete…) oder mit Rollen, die man in
einer Gesellschaft einnimmt
• Alter, Geschlecht
o Alter oder Geschlecht der Menschen, die die Sprache verwenden, werden
korreliert mit sprachlichen Phänomenen
• Kommunikationssituation / -atmosphäre
o Erscheinungsform der Sprache ist bei formeller Kommunikation (meist
Standardsprache) anders als bei informeller (meist Dialekt)
• Schematisierung der Heterogenität der deutschen Sprache in Bezug auf die versch.
Varietäten
• Keine natürliche Sprache ist homogen, da es keine homogenen Gesellschaften gibt
• Deutsch ist besonders heterogen
• Löffler nennt Großteil der Varietäten „Lekte“ (Lekt = Varietät – DiaLEKT kennt jeder,
deshalb verwendet er auch für die anderen Varietäten den Begriff „Lekt“)
• Typen der Varietäten:
o Dialekte: geographisches Areal
o Soziolekte: soziale Gruppenbildung in der Gesellschaft
o Genderlekte: Geschlecht
o Situolekte / Stile / Textsorten: Situation
o Funktiolekte: sprachliche Funktion
o Mediolekte: Übertragungsmedium (Luft, Speichermedium)
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o Idiolekte: Individueller Sprachgebrauch
… wird korreliert mit best. sprachlichen Phänomenen
• Wirrwarr einzelner Linien, überschneiden sich → verschiedene Varietäten können
nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden; Es kann nicht definiert werden, wie
viele „Lekte“ eine Einzelsprache haben muss, wie viele sprachliche Merkmale eine
Varietät haben muss, wie viele Menschen die Varietät verwenden müssen…
→ Lekte sind keine unabhängig von unserem Bewusstsein existierenden Objekte,
sondern sind ein soziales Konstrukt
→ Sprache und versch. Erscheinungsformen sind soziale Konstrukte, sie werden in
der Gesellschaft erzeugt!
• Es wird unterschieden zwischen gesprochen und geschrieben (Es geht ums Konzept,
s.o.)
• Fokussiert wird auf Merkmale, die besonders auffällig sind (Saliente Merkmale)
z.B. Wir hören Speck (hartes k) – Dieses fängt unsere Aufmerksamkeit und wir
bemerken zuerst die geographische Region und verknüpfen das k sofort mit Tirol –
andere Faktoren sind in dem Moment nicht so wichtig (z.B. dass unser
Kommunikationspartner ein Jugendlicher ist)
→ Wahrnehmung einer best. Varietät resultiert aus einem Selektionsprozess in unserem
Bewusstsein
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FOKUSSIERTE PERSPEKTIVE 2
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DYNAMIK / EVOLUTION: WAHRNEHMUNG UND BEWERTUNG (Emische Perspektive)
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ZWEI PARADIGMEN DER SOZIOLINGUISTIK
Ältere Perspektive: KLASSISCH KORRELATIVE SOZIOLINGUISTIK
entstehen durch
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Moderne Perspektive: INTERAKTIONALE SOZIOLINGUISTIK
Man versteht die Werbung nur als Insider (als Wiener) → Ist speziell für die Wiener
Aschenbecher spricht wie ein Mensch, der jemanden um eine Zigarette bittet – Wie ein
Obdachloser (Humor)
Bild 2: „Wo samma daham?“, „Bau keinen Mist“ Wienerisch und Standarddeutsch =
Bricolage
Dialekt ist auffällig, mit Augenzwinkern, indirekte Aufforderung an die Wiener
„Wo samma daham“ = Was soll das? – Hausmeister spricht
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Bild 3: Wahlwerbung – Nur ein Wort in Wienerisch „warad“
Abgebildet: damaliger Bürgermeister von Wien und Kandidat
Konjunktiv 2 drückt im Wienerischen Höflichkeit aus – Gehen sie bitte wählen (höflich
formulierter Befehl)
Bild 4: „Bedasü“ = Petersilie und „Da komm ich her“ → Österreichkarte und Fahne von Wien
Wiener Petersilie – Lebensmittel sehr gern mit Dialekt beworben (regional, gesund,
natürlich)
Bild 5: „Nimma Wurscht“ Dialekt, Standarddeutsch und Englisch „Veggie“ → Bricolage
Nicht mehr „Wurscht“ = egal und Wurst → Wortspiel
Bild 6: Inszenierung von Fachsprache
Erfundene Fachsprache → Vorstellung einer Fachsprache wird evoziert (Lift + H20 → Chemie
→ wissenschaftlich geprüft)
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SEMIOTISCHE GRUNDLAGEN
• Niklas Luhmann: Kommunikation konstruiert soziale Systeme, nur in sozialen
Systemen ist Kommunikation möglich (Autopoiesis)
• Charles S. Peirce: Kommunikation basiert auf der Erzeugung und Verwendung von
Zeichen (=Voraussetzung)
Prozess, bei dem Zeichen konstruiert werden und als Zeichen fungieren, wird als
Semiose bezeichnet
• Nähe zwischen Semiosebegriff von Peirce und dem Kommunikationsbegriff von
Luhmann – Kommunikationsbegriff kann durch Semiosebegriff ersetzt werden
• Sprachliche Zeichen (verbale Zeichen) machen bei der Kommunikation nur einen Teil
des gesamten Zeichenspektrums aus, daneben gibt es auch paraverbale (hängen in
irgendeiner Weise noch mit Sprachproduktion zusammen – z.B. Stimme,
Lautstärke…) und nonverbale (von der Sprachproduktion entkoppelt – z.B. Mimik,
Gestik…) Zeichen – Diese sind manchmal wichtiger und entscheidender als verbale
Zeichen!
• Sprachliche Zeichen sind aber besonders leistungsfähig und sind Voraussetzung für
besonders leistungsfähige soziale Systeme
• Es gibt aber auch andere soziale Systeme in der Tierwelt oder Pflanzenwelt!
SEMIOTIK
interpretant
• Interpretant nicht verwechseln mit Person, die das Zeichen benützt → Es ist ein
Effekt im Bewusstsein
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• Determinieren sich gegenseitig → Zeichen ist Vermittler zwischen dem Objekt und
dem Effekt im Bewusstsein des Zeichenbenützers
• Gibt grundlegende Definition der Struktur des Zeichens (Es geht ihm nicht nur um
sprachliche Zeichen) = Universelles Zeichenmodell → Alles sinnlich Wahrnehmbare
(hören, sehen, fühlen…) kann als Zeichenträger fungieren und alles in unserer
Wahrnehmungswelt kann als Objekt fungieren
• Rolle des Interpretanten ist entscheidend → stellt sicher, dass das sinnlich
Wahrnehmbare als Komponente eines Zeichenprozesses wirksam wird → Erst wenn
im Bewusstsein die Relation zwischen dem Objekt und dem Zeichenträger als
zeichenhaft identifiziert worden ist, wird das Zeichen wirksam – Geschieht in der
Realität im Sekundenbruchteil
ALLES kann als Zeichenträger fungieren! Wir sind von unzähligen Zeichen umgeben!
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DAS SPRACHLICHE ZEICHEN (SAUSSURE)
= Binäre Struktur des sprachlichen Zeichens
(Strukturalismus)
Signifié: Bezeichnetes – Zeicheninhalt –
Vorstellung (concept)
Signifiant: Bezeichnendes – Zeichenausdruck –
Lautbild (image acoustique)
➢ Arbitrarität (Willkürlichkeit oder
Zufälligkeit) / Konventionalität der Verbindung zwischen Bezeichnetem und
Bezeichnendem (ist nicht logisch)
• z.B. Peter Bichsel: Ein Tisch ist ein Tisch → Mann beginnt, Dinge anders zu benennen
(löst Verbindung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem) – zahlt Preis dafür: Es
kann ihn niemand mehr verstehen – Er hat die Konvention aufgelöst
• Klassifikation von Zeichen als verbal, paraverbal und nonverbal ist eine Klassifikation,
die aus einer rein linguistischen Perspektive heraus erfolgt (Studienbuch Linguistik S.
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• Zeichenbenützer ist in diesem Modell nicht berücksichtigt – „Das Zeichen ist sich
selbst genug“
• Durch den Zeichenbenützer wird die Referenz auf das Objekt hergestellt
• Das Objekt ist nicht zu verwechseln mit dem Bezeichneten im Sinne dessen, was man
im Bewusstsein hat, wenn das Bezeichnende genannt wird → Das Bezeichnende
evoziert im Bewusstsein eine entsprechende Vorstellung und das kann man dann auf
ein ganz konkretes Objekt beziehen → Der Zeichenbenützer stellt Referenzen her
• Zeichen werden von den Zeichenbenützern erzeugt und verwendet!
• Zeichenbenützer ist nicht derselbe wie der Interpretant (Peirce)! → Interpretant ist
im Zeichen selbst inkludiert (Er ist der Effekt im Bewusstsein, der den Zeichenprozess
komplett macht) – Zeichenbenützer ist außerhalb und er ist dafür verantwortlich,
dass das Zeichen benützt wird, um damit Referenz zu einem Objekt in der Realität
(außerhalb der Sphäre des Zeichens) herzustellen
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UNTERSCHEIDENDE MERKMALE VON ZEICHEN (Studienbuch Linguistik S. 26 und 27)
Virtualität (type): Jedes Zeichen ist virtuell im kollektiven Bewusstsein einer bestimmten
Gruppe verankert → Peirce nennt dies „type“
Aktualität (token): Wenn ein Zeichen tatsächlich verwendet wird, spricht man von „token“ =
Realisierung eines virtuellen Zeichens
MODERNE SOZIOLINGUISTIK
Semiotizität:
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• Wir verknüpfen alles als sprachlich Wahrnehmbare mit best. außersprachlichen
Sinneseindrücken → roter Wechselwirkungspfeil
• z.B. Wenn man in Österreich sozialisiert wird, weiß man, dass jemand, der Speck sagt,
tirolerisch redet → Laut „ck“ wird mit außersprachlichen Phänomenen verknüpft
• Konzepte von Einzelsprachen resultieren aus der Korrelation (Verknüpfung) von
sprachlichen mit außersprachlichen Phänomenen
• Kookkurrenz: Beide Dimensionen treten gleichzeitig ins Bewusstsein
• = Basis von Semiotizität von Sprache als Zeichen
Semantizität:
• Moderne Soziolinguistik beschäftigt sich mit dieser sozialen Bedeutung von Sprache
(= Bedeutung von Sprache als Zeichen)
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Handlungsbezogene Funktionalität: Die soziale Bedeutung von Sprache als Zeichen steuert
potenziell unser Handeln
z.B. Man spricht bestimmten Dialekt, der eine negative soziale Bedeutung hat (Stigma) – und
man merkt dies, dann versucht man, den Dialekt zu unterdrücken → beeinflusst das Handeln
Permanente Kontextualisierung: Auf Basis der sozialen Bedeutung von Sprache werden
Kontexte erzeugt
Frame (Rahmung) einer Situation wird erzeugt: Eine Komponente eines in unserem
Bewusstsein verankerten Zusammenhanges an versch. Stereotypen… wird aktiviert und das
bildet einen Kontext, der wesentlich für den tatsächlichen Sinn einer Äußerung ist → Kontext
bestimmt, wie man den Sinn einer Äußerung versteht
Werbung: soziale Bedeutung von Sprache wird gezielt eingesetzt, um bestimmte Kontexte zu
erzeugen und das Kaufverhalten zu beeinflussen (z.B. Bio Lebensmittel im Dialekt beworben
– Dialekt → echt, authentisch, vom Land…)
➢ Sprache ist als indexikalisches Zeichen auch konventionell!
➢ Indexikalisches Zeichen: löst Folge-Relation aus
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LINGUISTISCHE LEITTHEORIEN DES 20. JAHRHUNDERTS
(wissenschaftsgeschichtliche / wissenschaftsphilosophische
Kontextualisierung)
Wissenschaftsgeschichte/Wissenschaftsphilosophie = Metapositionierung /
Wissenschaftsrichtung, die sich mit den Wissenschaften als Gegenstand beschäftigt
LINGUISTISCHE LEITTHEORIEN
1. Hälfte des 20. Jahrhunderts: STRUKTURALISMUS (Ausgangspunkt: Ferdinande de
Saussure)
2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: GENERATIVISMUS (Ausgangspunkt: Noam Chomsky)
→ Diese beiden Leittheorien wirken fort bis zum heutigen Tag
• Entwicklung der Soziolinguistik kann man nur verstehen, wenn man bedenkt, dass sie
eine Abgrenzung/Weiterentwicklung ist, die vor dem Hintergrund jener beiden
mächtigen Theorien steht
• Soziolinguistik (ab 1960er) soll also als Gegenbewegung/Abgrenzung dieser beiden
Theorien gesehen werden
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SPRACHE ALS „SYSTEM“
• Mit dem Strukturalismus kam Vorstellung in die SpraWi → Sprache ist als System zu
untersuchen
• Problem: Vorstellung von System (= Systematizitätsvorstellung), die Saussure in
Bezug auf die Sprache in seiner Theorie vertritt, ist aus heutiger Sicht veraltet aber in
der Linguistik heute immer noch sehr wirkungsmächtig!
• Begriff Systemlinguistik bildete sich im Strukturalismus heraus und man ging davon
aus, dass dies einen Kernbereich des Gegenstands Sprache ausmachte
• Dieser Kernbereich umfasst:
o Linguistische Semiotik → Sprachzeichen und Semantik → Bedeutung
o Grammatik (Morphologie → Ebene des Wortes und Syntax → Ebene des
Satzes)
PHILOLOGISCHE LINGUISTIKEN
• Erst seit dem Strukturalismus am Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es eine
Sprachwissenschaft als eigenständige Disziplin
• Ziel von Saussure: eine eigenständige sprachwissenschaftliche Disziplin - eine
allgemeine, grundlegende Sprachwissenschaft
• Im Laufe der Spezifizierung dieser allgemeinen Sprachwissenschaft bildeten sich die
Bindestrich-Linguistiken heraus und innerhalb der traditionellen Philologien
etablierten sich moderne linguistische Teilbereiche
• Die von Saussure entwickelte Konzeption von Sprache wurde nach seinem Tod im
Werk „Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft“ 1916 festgehalten
• Saussure differenzierte Sprache konzeptionell in drei unterschiedliche Richtungen:
o LANGAGE: Einem Menschen angeborene Fähigkeit, eine Sprache zu erwerben
o LANGUE: Sprache als semiotisches System
o PAROLE: Gebrauch der Sprache in der Kommunikation
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• Saussure definiert die Langue (abstraktes semiotisches System) als den eigentlichen
Gegenstand der SpraWi
• Langue ist empirisch nicht zugänglich → lässt sich nicht messen
= mentalistischer Ansatz = platonistischer Ansatz → Platon vertrat die Meinung,
dass sich die Philosophen nicht mit dem beschäftigen soll, was man sinnlich
wahrnehmen kann sondern mit dem, was dahinter ist (mit den Ideen)
• Man soll sich als Linguistik nicht mit der Parole (dem Wahrnehmbaren) beschäftigen,
sondern mit dem abstrakten semiotischen System dahinter – Parole ist nur ein
Mittel, um die Langue zu untersuchen
= LINGUISTISCHER PLATONISMUS
• Saussure konzipiert die Langue als Gegenstand der SpraWi methodisch als etwas
Statisches → Abkehr von der historischen Beschäftigung mit Sprache
= SYNCHRONE SPRACHWISSENSCHAFT: Man untersucht die Langue zu einem best.
Zeitpunkt ohne zu berücksichtigen, was vorher passiert ist und was nachher passiert
ist - Synchron bedeutet nicht gegenwartsbezogen, sondern zu einem bestimmten
definierten Abschnitt im Laufe der Geschichte! – Man stellt also künstlich Statik her
• DIACHRON hingegen: Mehrere solcher synchroner Untersuchungen werden
hintereinander verglichen
• KEINE PANCHRONIE: Man bezieht synchron und diachron aufeinander → Wie kommt
es zu den untersch. synchronen Ergebnissen? - Faktoren und Bedingungen der
Dynamik werden untersucht
• Bei Saussure wird aber einfach festgestellt, dass es Veränderungen gibt ohne auf die
Faktoren der Dynamik zu achten = „Panchronie-Verbot“
• In Wien bestimmte Aussprache von „l“ am Beginn von Wörtern = Meidlinger-L (Man
nimmt an, dass dies mit dem Kontakt von Tschechiern zusammenhängt)
• In der strukturalistischen Theorie ist das Meidlinger-L ein Allophon (= Lautvariante
eines Phonems = kleinste bedeutungsunterscheidende Merkmale)
• Laut Saussure unterscheiden Allophone nicht Bedeutungen – Aus soziolinguistischer
Sicht hingegen ist es in Bezug auf die soziale Bedeutung aber sehr wohl
bedeutungsunterscheidend! → Meidlinger-L assoziiert versch.
Vorstellungen/Stereotype und unterscheidet sich somit vom normalen L
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PARADIGMENWECHSEL: CHOMSKY’SCHER GENERATIVISMUS
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• Bei Saussure hingegen spielten Konzepte der Chemie mit (studierte auch Chemie) –
Langue wird in versch. Ebenen (lautlich, lexikalisch, syntaktisch…) unterteilt und auf
diesen Ebenen gibt es ein kleinstes (atomares) Element, welche sich wieder
molekular zu größeren Einheiten zusammensetzen können
Dies alles erinnert an das Strukturmodell der Materie vor der Quantentheorie
(19.Jhd.)
➢ Prestigewissenschaften spielen große Rolle bei der Entwicklung von linguistischen
Theorien
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SOZIOLINGUISTIK 1
VORSTUFEN, HERAUSBILDUNG UND ENTWICKLUNG
Die Soziolinguistik ist erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, in Abgrenzung
zu einer grundlegenden allgemeinen SpraWi (Ab Beginn des 20. Jahrhunderts)
15./16. Jhd.
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• Vorstellung, dass es eine gehobene Sprachform gibt, die sich von der Sprache der
unteren Schichten abgrenzt – Man kann nur in dieser gehobenen Sprache einer
geistigen Tätigkeit nachgehen (Diese Vorstellung geht bis in die Antike zurück)
• Grammatiker Johann Bödiker: interessiert sich explizit für unterschiedliche
Ausprägungen der deutschen Sprache (auch Dialekte) → Bewusstsein für die
Variation und Varietäten der Sprache – Er nennt die sprachl. Erscheinungsformen
„Idiotismen“ (griech. idios = eigen) = individuelle, historische, situative und
textsortenspezifische Ausprägungen einer Sprache
• Idiotismensammlungen entstehen (Dialekte werden aufgezeichnet →
Dialektwörterbücher), da man befürchtete, dass der „echte“ Dialekt bald
verschwindet – Diese Idee geht also weit zurück!
18. Jhd.
19.Jhd.
• Blick auf die deutsche Sprache weitet sich → Romantische Idealisierung der
Volkssprache
• Jahrhundert des Nationalismus und der Romantik – romantische Vorstellung vom
Brauchtum des einfachen Volkes beginnt, das wird auch auf die Sprache übertragen
→ Die Volkssprache wird idealisiert
• Abkehr von der elitistischen Vorstellung beginnt
• Johann Gottfried Herder: richtet Blick auf versch. Erscheinungsformen von Sprache
• Wilhelm von Humboldt: vertritt universelle als auch nationale (nationalistische)
Aspekte von Sprache
War Sprachphilosoph: Auffassung, dass die Wahrnehmung der Welt davon abhängt,
in welcher Sprache man sozialisiert wurde
20. Jhd.
• Erste Hälfte: Parallel zum Aufstieg des Strukturalismus Saussures blieb die
traditionelle (vorsoziolinguistische) sprachgeographisch-soziologische Dialektologie
(Grimm, Wenker…) im deutschen Sprachraum aktiv
• Empirische Sozialforschung gibt es noch nicht, die die „richtige“ Soziolinguistik ab den
1960ern auszeichnet
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• Produktion weiterer diverser Sprachatlanten
• Sprachinsel-Forschung ist besonders aktiv (= Gebiete außerhalb des
deutschsprachigen Raums, wo umgeben von einer anderen Sprache eine best.
Gruppe einen deutschen Dialekt spricht – viele in Südosteruopa)
• Nationalsozialistische Ideologie und Expansionspolitik: Wo Menschen Deutsch
sprechen, ist auch deutscher Kulturboden und das muss ins Reich geholt werden →
Blut und Boden Ideologie
• Sprachforscher dieser Zeit machten da sehr begeistert mit und arbeiteten mit dem
Regime zusammen (Umsiedlungsaktionen…) z.B. A. Bach, W. Kuhn, W. Mitzka
• NS-Regime förderte traditionelle Dialektforschung
• In den Sprachinseln gab es intensive kontaktsprachliche Situationen: Menschen
waren meist zweisprachig (Soziolinguistische Fragestellungen: Welche Sprache hat
mehr Prestige? Welche ist die Überdachungssprache/Standardsprache? Welche
Sprache wird offiziell verwendet? Welcher Religion gehören diese SprecherInnen an…
• Diese vorsoziolinguistische Dialektologie war völkisch fundiert –
Sprachträgergruppen werden rassisch definiert und der Siedlungsraum und die
Sprache sind völkische Komponenten → Verbindung zwischen Ethnie und Sprache
• z.B. Österreich – Bairische und alemannische Dialekte – geht zurück auf die
Germanenstämmen Bayern und Alemannen (Ist also in der Geschichte verankert) →
Deshalb stammen laut Ideologie diese Menschen auch ethnisch von diesen
Germanenstämmen ab (Ist Unsinn, da viele Österreicher von slawischsprachigen
Menschen abstammen)
Beispiel für die Verbindung der Dialektforschung mit dem Nazi-Regime
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1952
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DEFIZIT-HYPOTHESE (BERNSTEIN) UND SPRACHBARRIERE (Löffler S. 156/58 und
Studienbuch Linguistik S.340/41)
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• Gegenwärtig gibt es wieder so eine Sprachbarriere-Idee in den Schulen (Kinder mit
Migrationshintergrund) – Die pädagogischen Programme sind heute aber nicht mehr
Drill-Programme, die Grundidee ist aber dieselbe
• Beherrschung der Bildungssprache wird oft mit Intelligenz verwechselt!
• Mit der Kritik und dem Scheitern der Sprachbarriereforschung geht die Soziolinguistik
in die zweite Entwicklungsphase: US-Amerikaner William Labov kritisierte die
Defizithypothese aufgrund mangelnder empirischer Basis
• Er wies darauf hin, dass die Defizithypothese Denkprodukte der Mittelschicht sind
und die Bildungssprache (elaborierte Sprache) als Norm gesehen wird =
Mittelschichtsattitüde
• Sprache hängt nicht mit Intelligenz zusammen!!
• Die von Labov entwickelten Ansätze in der Ablehnung mit der Bernstein-Forschung
werden als Differenzhypothese bezeichnet
• Grundidee: Die untersch. Sprachcodes/Erscheinungsformen existieren, aber sie sind
nicht als besser oder schlechter zu klassifizieren, sondern einfach als Differenz →
Labov lehnt die Wertung ab
• Jede Sprachform ist eine regelhaft beschreibbare ebenbürtige Varietät
• Setzte sich v.a. mit dem „black english“ auseinander (urbanes non-standard Englisch
der schwarzen Bevölkerung in den USA) → dies ist aus seiner Sicht nicht ein
restringierter Sprachcode, man kann in ihr genauso gut denken wie in der
Bildungssprache
• Labovs Überlegungen bilden in der Folge der 1970er bis zum heutigen Tag die Basis
der Korrelativen Soziolinguistik → Diese ist bis in die 1990er tonangebend
(= Klassisch korrelative Linguistik)
• Methodisch steht dabei die quantitative Forschungsmethode im Zentrum (Es wird
mit statistischen Verfahren gearbeitet)
• Im Zuge des Siegeszuges der Korrelativen Soziolinguistik wurde die Soziolinguistik
zunehmend zu einer Varietätenlinguistik – Alle Erscheinungsformen von Sprache
sind gleichwertig = Kern – geht zurück auf Labovs Forschungen
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• Diese moderne Soziolinguistik kam im deutschen Sprachraum in den 1970ern in die
Dialektforschung = Moderne soziolinguistische Dialektforschung (In Abgrenzung zur
traditionellen völkischen)
• Es kam Kritik auf – die Mängel der quantitativen Methodik wurden von qualitativ
arbeitenden ForscherInnen aufgezeigt
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• Heterogenität/Variation wird zu einer kommunikativen (pragmatischen) Ressource
• Durch eine best. Varietät kann ein best. Kontext erzeugt werden – Dies kann man
einsetzen, um best. kommunikative Zwecke zu erreichen
• z.B. Dialektsprechen verbunden mit Nähe/Vertrautheit/informeller
Kommunikation – WEIL Dialekt gesprochen wird, entsteht diese Atmosphäre der
Vertrautheit… (aber zugleich auch umgekehrt! – Korrelative Soziolinguistik)
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Zusammengefasst: „EVOLUTIONS“-STUFEN DER SOZIOLINGUISTIK
Sprachliche Heterogenität ist…
1) Defizit (Bernstein)
2) Differenz (Labov)
3) Ressource (moderne Soziolinguistik)
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SOZIOLINGUISTIK 2
QUANTITIATIVES UND QUALITATIVES PARADIGMA
WISSENSCHAFTLICHES PARADIGMA
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• Das quantitative Paradigma repräsentiert
den Anspruch, die Struktur und
Regelhaftigkeit der Heterogenität
(Variation) von Sprache mit mathematisch-
statistischen Verfahren messbar zu
machen und zu analysieren → numerische
Darstellung empirischer sprachl.
Sachverhalte
• Verfahren kommen va. aus der
empirischen Sozialforschung (Soziologie,
Sozialpsychologie)
• Zentrale Ideen: Sprache kann man nur dann verstehen und wissenschaftlich
beschreiben, wenn man ihre Variabilität erkennt und darüber hinaus die im
Zusammenhang mit sprachl. Variation relevanten grundlegenden strukturierten
regelhaften Prozesse
• Variation auf allen Ebenen ist demnach kein Zufall, sondern eine geordnete,
strukturierte Heterogenität, die man mit numerischen Methoden beschreiben
kann
Die Realisierung einer best. sprachl. Variante ist kein Zufall, sondern es liegt eine
Regelhaftigkeit zugrunde
• Das bedeutet aber nicht, dass diese Variation den Sprechern bewusst ist!
• Sprachl. Variation wird von mehreren innersprachlichen und außersprachlichen
(sozialen) Faktoren bestimmt
• Sprachl. Variation reflektiert kein gramm. Defizit, sondern eine schillernde
Komplexität gramm. Systematizität
• Synchrone Variation von Sprache ist oftmals ein Indiz für diachronen Sprachwandel
→ Variation und Wandel stehen in Wechselwirkung zueinander und gehören
zusammen = grundlegender Gedanke des quantitativen Paradigmas der
Soziolinguistik
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PRINZIPIEN DER QUANTITATIVEN METHODIK
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Beispiel für die Untersuchung eines Variationsphänomens: Tilgung des auslautenden
Dentallautes -t bzw. -d im Englischen
Innersprachliche Faktoren:
• 1. Frage: Folgt auf diesen auslautenden
Dentallaut ein Vokal oder ein Konsonant?
• 2. Frage: Ist dieses t /d ein Teil des „past tense
morpheme“ oder nicht?
• “missed in” = Teil des past tense morpheme –
“mist in” = nicht past tense morpheme
→In beiden Fällen folgt ein Vokal (i)
• „missed by“ = past tense morpheme – “mist by”
= nicht past tense morpheme
→Es folgt ein Konsonant (b)
• Von der upper middle class tilgen bei „missed in“ 7% (unter den
Bedingungen, dass das auslautende d Teil des past tense morphems ist
und ein Vokal folgt) das t – Die Prozentwerte steigen immer weiter an, je
weiter man auf der Schichtenskala nach unten geht
• Lower working class tilgt das -t/d am häufigsten
“The speech community is not defined by any marked agreement in the use of language
elements, so much as by participation in a set of shared norms: these norms may be observed
in overt types of evaluative behavior, and by the uniformity of abstract patterns of variation
which are invariant in respect to particular levels of usage.”
Eine Sprachgemeinschaft ist nicht definiert durch besonders auffällige, markierte
Sprachgebrauchsphänomene sondern dadurch, dass sie sich durch best.
Konventionen/Normen auszeichnet. Diese Normen kann man einerseits an auffälligen
Verhaltensweisen beobachten, auf der anderen Seite zeigen sich aber oft im Hintergrund
abstrakte Variationsmuster, die die Sprachgemeinschaft als zusammengehörig ausweist.
(siehe Tabelle oben)
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• Demnach haben die Diskussionen des quantitativen Paradigmas und der gesamten
klassisch korrelativen Soziolinguistik immer eher das Sprachverhalten von Gruppen
betroffen hat als das von Individuen
• Das Individuum ist aber die einzig empirisch-beobachtbare Entität der Soziolinguistik
→ Sprechergruppen sind demnach nur ein statistisches Konstrukt
• Individuelle Unterschiede hängen meist mit gruppenspez. Unterschieden zusammen
(außersprachliches, soziales Sprachgebrauchsmuster spiegelt sich in diesen
individuellen Werten)
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DAS QUALITATIVE PARADIGMA
• Qualitativ = Sammelbegriff für recht untersch. Ansätze in einer Reihe von kultur-
gesellschafts- und humanwiss. Disziplinen –
• Qualitativ = verstehend-rekonstruierend → von der Beobachtung der Gegenstände
angeleitete Verfahren
• Dabei zielt man auf die Typik der Gegenstände ab und nicht auf statistische
Repräsentativität (im Gegensatz zu quantitativer Forschung) → Bei qualitativer
Forschung werden oft nur ganz wenige Personen untersucht – Einzelfälle sind
interessant
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• In der sozialen Sphäre selbst werden Beobachtungen gemacht durch teilnehmende
Beobachtungen – nicht in einem Labor / durch Experimente losgelöst von der
sozialen Umgebung
5) Typenbildung
• Zielt auf Repräsentanz (auf das Typische) ab, das dann etwas Allgemeines
widerspiegelt – es geht nicht um deduktive statistische Verfahren
6) Humanistic approach
• Lehnt sozialtechnologischen Zugang ab – Menschen sollen einen Nutzen von der
Forschung haben
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SPRACHWAHRNEHMUNGEN UND SPRACHEINSTELLUNGEN
EINSTELLUNGSFORSCHUNG
EINSTELLUNGEN – Definition
• Die Definitionen sind sehr verschieden und meist an die versch. Forschungsfelder
angepasst
• Psychologie: kurzfristige Denkeinstellungen & messbare Reaktionen auf bestimmte
Elemente
• Definitionsversuche:
o Allport 1935; Eagly/Chaiken 1993:
“Attitude is a psychological tendency that is expressed by evaluating a
particular entity with some degree of favour or disfavour.”
➢ Eine psychische Tendenz, die sich durch die Bewertung eines bestimmten
Objekts mit einem gewissen Grad an Zuneigung oder Abneigung ausdrückt
o Sozialpsychologe Fritz Hermanns:
„eine gelernte Bereitschaft zu einer bestimmten Reaktion auf etwas“
➢ Bereitschaft: Tendenz/Disposition/Vorbereitung, sich auf etwas
einzustellen = innerlicher Prozess
➢ Etwas: Ereignis/Person/Verhalten/Sprache… - löst Reaktion aus
➢ Reaktion: Man reagiert auf dieses Etwas insofern, da man dazu bestimmte
Meinungen und Gefühle hat
➢ Gelernt: Die Bereitschaft, dass ich auf dieses Etwas reagiere, ist erlernt -
Durch Erziehung, Gesellschaft und Kultur
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➢ Das heißt aber nicht, dass diese Bereitschaft, wie ich auf etwas reagiere,
nicht veränderbar ist – Kann verändert werden, indem ich älter werde,
einen anderen Freundeskreis habe… → Einstellungen sind dynamische
Prozesse
Reaktionsbereitschaft, wie ich auf best. Dinge reagiere, lässt sich auf verschiedenen Ebenen
nachweisen:
• in Überzeugungen, Ideologien und sonstigen verbalisierten Theorien der
EinstellungsträgerInnen
• in Gefühlsäußerungen
• in Handlungen: Auffassung, dass bestimmte Handlungen ausgeführt werden sollten
48
Probleme des Modells:
SPRACHEINSTELLUNGEN
Soziolinguistische Einstellungsforschung:
• 1950er Jahre: amerikanische Linguistik
• 1970er/80er Jahre: deutscher Sprachraum
49
Forschungsgegenstand der Spracheinstellungsforschung:
SPRACHEINSTELLUNGEN – ZUSAMMENFASSUNG
• Immer dann, wenn eine größere Anzahl von Personen dieselbe Sprache spricht,
kommt Variation zustande
• In Folge dieser Variation können Menschen anhand ihrer Herkunft lokalisiert und
eingeteilt werden (Mir fallen durch meine Reaktionsbereitschaft – mein
Hintergrundwissen – saliente Merkmale auf und durch mein Wissen kann ich diese
Person in der sprachl. Landschaft lokalisieren)
• Es findet auch immer ein Vergleich statt (Mir fallen saliente Merkmale auf und ich
setzte sie zueinander in Bezug)
Abgrenzung unterschiedlicher Sprechlagen: Standardvarietäten vs. Non-
Standardvarietäten
• Konzeptionellen Trennung von Standardsprache & Dialekt (europäischer
Kontext)
= Europäisches Konzept!
51
Standardvarietät:
„Standard einer Sprache“: 3 Parameter (Hill 2008)
o Historizität: Wenn eine gesellsch. Gruppe eine best. Varietät sprach und diese über
ein sehr hohes soziales Ansehen verfügte, ist es wahrscheinlich, dass diese Varietät
als Standardvarietät ausgewählt wird
o Korrektheit: durch Kodifizierungen
o Prestige: durch Legitimierung und Institutionalisierung: hoher sozioökonomischer
Status
Gegenteil = Stigma
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ERHEBUNGSMETHODEN DER SPRACHEINSTELLUNGSFORSCHUNG
EINSTELLUNGSUNTERSUCHUNGEN
53
SPRACHEINSTELLUNGSMESSUNG
Quantitativ:
Qualitativ:
• Einzelfallanalysen
• Gütekriterien sind nicht allgemein gültig wie bei quantitativen Methoden, da es
verschiedene Herangehensweisen gibt
o Nachvollziehbarkeit
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o Reflektierte Subjektivität – Forscher ist subjektiv, das muss in der
Theoriebildung reflektiert werden
o Kohärenz, Relevanz
o Regelgeleitetheit – Best. Regeln müssen trotz der Freiheiten befolgt werden
• Zuverlässigkeit der gewonnenen Daten wird oft kritisiert – Man muss sich sehr stark
auf die Intuition des Forschers verlassen muss
• Erhebungsmethoden: teilnehmende Beobachtung (z.B. einer
Kommunikationssituation), Tagebücher analysieren, Interviews (informell,
unstrukturiert)
• Geeigneter für Erhebung von Einstellungen: Weniger Störvariablen sind vorhanden,
die sich durch die Standardisierung ergeben
• Sind aber aufwändiger
ERHEBUNGSMETHODE INTERVIEW
Beobachtungsparadoxon
• Ziel des Interviews = Gewinnung einer wahren, unverfälschten Meinung
• Frage: äußert Person wirklich ihre wahre Meinung? – davon wird ausgegangen -
Problem
Paradoxon: “the aim of linguistic research in the community must be to find out how people
talk when they are not being systematically observed, yet we can only obtain this data by
systematic observation.” (Labov 1972: 209)
55
• Lösung: Interviewdaten mit anderen Daten (aus einem anderen Erhebungstyp, z.B.
schriftliche Fragebögen, Freundesgespräch) kombinieren
• Wechselwirkung zwischen natürlichen Daten und der Qualität der Aufnahme (gute
Aufnahmetechnik mit z.B. großen Mikros ist störend für die Person, hemmt sie in
ihrem Ausdruck…)
• Dekontextualierung & Rekontextualisierung (Briggs 2005) (Dekontextualisierung:
Interviews müssen transkribiert werden und Rekontextualisierung: Interviews
werden anschließend analysiert)
• Ungleichgewicht in der Kommunikation (Interviewer will Informationen von der
befragten Person, diese kennt die Intention nicht – Interviewer = aktiv, Person =
reagierend)
• SprecherInnen äußern Einstellungen nur dann, wenn sie keinen Imageverlust
erfahren (Befragte verhalten sich so, wie sie glauben, dass es in einem Interview von
ihnen erwartet wird)
HÖRERURTEILTESTS
Herangehensweisen:
1) Matched Guise Technique (Lambert et al. 1960)
• eine Person spricht mehrere guises in unterschiedlichen Varietäten / Sprachen /
Akzenten (derselbe Text)
• auf einer Skala sollen diese Beispiele bewertet werden
• InformantInnen ist NICHT bewusst, dass es sich immer um dieselbe Person handelt
• 3 Dimensionen: Kompetenz, Integrität, soziale Attraktivität
• subjektive Reaktionen auf unterschiedliche Sprechweisen sollen herausgearbeitet
werden
• dadurch, dass nur eine Person die Texte einspricht, gibt es keine weitere
Einflussfaktoren (Sprechgeschwindigkeit, Betonung…) → Nur die Sprache / Varietät
selbst wird bewertet
Nachteile MGT
• Künstlichkeit: kaum echte multidialektale Personen, Verfälschung der Resultate
(Imitation der Dialekte)
• Merkmale wie Kontext, Situation, Funktion, Domäne gehen verloren
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Vor- und Nachteile von Hörerurteilstests:
Vorteile:
• indirektere Erhebung von Einstellungen als z.B. durch direktes Nachfragen in
Interviews
• weniger sozial-erwünschte Antworten können erhoben werden → Person fühlt sich
weniger beobachtet
• Vergleichbarkeit – werden in vielen versch. Studien eingesetzt
Nachteile:
• Ermüdung & Übergenauigkeit – Probanden nehmen z.B. saliente Merkmale wahr, die
im Zuge der Studie gar nicht intendiert waren
• Authentizität der SprecherInnen (insb. matched guise)
• unterschiedliche Wahrnehmungen der Probanden
SKALEN
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Semantisches Differenzial (Osgood, Suci, Tannenbaum 1957)
• Indirekte Befragung
• bipolare Adjektivskalen mit gegensätzlichen Adjektivpaaren
• Antworten erfolgen sehr spontan
• drei Dimensionen, die sich besonders gut eignen, um sie im Zuge eines semantischen
Differenzials abzufragen (Zahn/Hopper 1985):
o „superiority“ z.B. korrekt - inkorrekt
o (social) „attractiveness“ z.B. freundlich – unfreundlich, nahbar -
unnahbar
o „dynamism“ z.B. energiegeladen – faul, enthusiastisch - zögernd
• Schwierigkeiten: Welche Adjektivpaare werden ausgewählt?
• Problem: Abstraktionsgrad und Bedeutung der Adjektive – Konnotation der Adjektive
kann individuell unterschiedlich sein
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AUSWERTUNG DER EINSTELLUNGSBEZOGENEN DATEN
Quantitative Methoden
• Erhebung: standardisierte Befragungen nach vorgegebenen Kategorien →
Messbarkeit (z.B. Skalen)
• Auswertung: quantifizierend, statistische Verfahren
Qualitative Methoden
• Erhebung: teilnehmende Beobachtung, natürliche Handlungen, Interaktionen
• Auswertung: Daten können nicht quantifizierend ausgewertete werden – keine
einheitliche Vorangehensweise: z.B. Zuordnung der Beobachtungen zu Typen,
Verstehensbeschreibungen machen, qualitativ distinktive Typen von Handlungen
bestimmen, Interaktionsweisen, Werte, Normen, etc. analysieren…
Transkriptionssysteme
o GAT (Selting et al. 1998; 2009) = Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem -
3 Stufen: Minimaltranskript, Basistranskript und Feintranskript
o HIAT (Ehlich & Rehbein 1976) = Halbinterpretative Arbeitstranskription –
transkribierende Person interpretiert schon
61
• Diskurs heute: Diskurs als modisches Label
„Der Kontext entscheidet über die Begriffsbedeutung“ (Schalk 1997: 104)
62
Diskursbegriff von Focault: - sehr zentral
Michel Foucault (1926-1984)
• Professor für „Geschichte der Denksysteme“ (Collège de France, Paris)
• Antrittsvorlesung 1970: Diskurs und seine Machtwirkungen
• Diskurs als ein Geflecht von Aussagen zu einem Thema, die in einer Gesellschaft zu
einem bestimmten historischen Zeitpunkt nach Maßgabe bestimmter
Ordnungsstrukturen getätigt werden (vgl. Bendel-Larcher 2015)
• Geflecht von Aussagen: eine VIELZAHL von Aussagen, nicht individuell
• Gesellschaft als Rahmenpunkt für eine Wirklichkeitskonstruktion
• Ordnungsstrukturen einer Gesellschaft als Instanz (meist implizit, also verdeckt) –
Man kann also best. Aussagen tätigen, andere nicht, weil die Ordnungsstrukturen
dies nicht erlauben (z.B. ob man eine Regierung ungefiltert kritisieren könnte)
• Historische Komponente: Gesellschaften sprechen zu versch. Zeitpunkten anders
über best. Dinge
Wichtigste Schriften:
• „Die Ordnung der Dinge“ (1966) → über best. Aspekte wird auf eine best. Art und
Weise gesprochen (manche sind tabuisiert, über manche kann man nur implizit
sprechen…)
Hist. Komponente und gesellsch. Kontext hängt damit zusammen → Ordnung der
Dinge ist nicht starr sondern verändert sich
• „Archäologie des Wissens“ (1969) → Wie sich die Ordnung der Dinge im Laufe der
Zeit ändert
Diese Aussagen, Diskurse, Ordnung der Dinge kann gespeichert und abgelegt werden
= bei Foucault diskursives Archiv (= heute Korpus)
• Wissen und Macht (z.B. 1975, 1977) → Wer über ein best. Thema die Diskursmacht
hat, ist zentral: starke Wechselwirkung zwischen Wissen und Macht
1) KRITISCHE DISKURSFORSCHUNG
Geschichtliche Aspekte:
• ab 1970er/80er Jahre
o Analyse von Sprache in spezifischen gesellschaftlichen Zusammenhängen;
Zusammenhang von diskursiven Praktiken und gesellschaftlichen Strukturen
→ Untersuchung von Sprache im Bereich der gerichtlichen Kommunikation
(Ruth Wodak)
o Ausgangspunkt: Arbeiten von Bernstein (restringierter und elaborierter Kode)
→ Unschärfe der Codes wurde kritisiert, bezog in ihr Modell weitere
Variablen mit ein
o Ideologiekritik und Kritik an der Manipulation durch massenmediale
Berichterstattungen
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o Entwicklung relevanter diskursanalytischer Untersuchungsmethoden und
Analysekategorien
o Triangulation und Methodenpluralismus – Multiperspektivität
• Etablierung der Kritischen Diskursanalyse in Wien (1993-1997)
o Ausweitung und Internationalisierung des gesellschaftskritischen Projekts
o erfolgreiche Verbreitung der Selbstbezeichnung als „Kritische Diskursanalyse“
o Wiener Ansatz wurde zu eigener Variante der kritischen Diskursanalyse
• Forschungsschwerpunkt „Diskurs, Politik, Identität“ (1997-2003)
o Forschungszentrum „Diskurs, Politik, Identität“ (DPI) in Wien:
Untersuchungen diverser Diskurse (Neutralität in Österreich, EU, Rassismus,
etc.)
• Wiener Kritische Diskursanalyse wird plurizentrisch – internationalisiert - (2004-
heute)
65
Diskurs und Kritik:
Kritik 3 Arten:
• textimmanente Kritik (zeigt Bruchstellen in Form von Widersprüchen im
Datenmaterial selbst auf, z.B. Widersprüche in Interviews) – kann durch eine
forschende Person alleine ausüben
• sozio-diagnostische Kritik (legt Effekte diskursiver Praktiken offen und zeigt
Verantwortlichkeiten auf – So werden sprachl. Strukturen und die diskursiven
Ereignisse in einen weiteren Rahmen von gesellsch. und pol. Verhältnissen und
Prozessen eingebettet)
• prospektive-praktische Kritik (sozialer gesellsch. Wandel wird angestrebt → aktive
Veränderungsvorschläge – Verbesserung von sozialen und kommunikativen
Verhältnissen wird angestrebt)
Forschungspraxis:
• es gibt keine standardisierte Herangehensweise, da sich die WKDA nicht als
Schule in strengem Sinn sieht
Forschungspraxis nach Reisigl 2011 (muss aber nicht immer so durchgeführt werden!)
1. Aktivierung des theoretischen Vorverständnisses zu einer bestimmten
Problemstellung
o Sich über das soziale Problem informieren/recherchieren und eine allgemeine
Fragestellung zur Thematik formulieren
2. Datenerhebung und Sammlung von Kontextinformationen
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o Meist qualitative Erhebung in Form von Einzelfällen
o Z.B. Interviews, Gruppendiskussionen, Quellen- oder Archivrecherche betreiben…
o Kontextinfos sammeln (Zeitpunkt…)
3. Materialaufbereitung
o Datenmaterial sichten und evtl. verschriften (Interviews)
4. Einengung des Themas und Hypothesenformulierung auf der Grundlage der
Aufbereitung der Daten
5. Qualitative Pilotanalyse und Erarbeitung spezifischer Analysekategorien
o Vorbereitung für 6
o Wichtige Ebenen (Mikroanalyse, Makroanalyse, Kontextanalyse) werden
erarbeitet/festgelegt
Alle drei Ebenen müssen immer gemeinsam betrachtet werden! – Zusammenwirkung
6. Detaillierte qualitative Analysen, Interpretation der Ergebnisse
o Mikroanalyse: Oberflächen und Tiefenanalyse auf Einzeltextebene –
Einzeltexte werden nacheinander analysiert
▪ Nomination: = Benennung - Wie sprachl. Mittel/Formen/Varietäten
von AkteurInnen benannt werden, z.B. Wienerisch
▪ Prädikation: Welche Eigenschaften den Sprachformen zugeschrieben
werden, z.B. schöner/hässlicher Dialekt
▪ Argumentation (mittels welcher Argumente werden die im Diskurs
vorgebbrachten Thesen, die Nominationen und Prädikationen
beinhalten, begründet oder in Frage gestellt, z.B. Ich finde, das ist
richtiges Deutsch, weil…)
▪ Perspektivierung (zeigt die Positionierung, kann Involviertheit bzw.
Distanz zu den im Diskurs genannten Argumentationen ausdrücken)
▪ Abschwächung bzw. Verstärkung best. Argumente (dadurch kann die
genaue Perspektive, die der Sprecher einnimmt, herausgefiltert
werden)
▪ Handlungs- und Prozesscharakterisierung: Welche Handlungen
werden mit den sozialen AkteurInnen sprachl. Verbunden bzw. welche
Prozesse werden dargestellt, z.B. welche sprachl. Räume mit best.
Sprachformen in Verbindung gesetzt werden
o Makroanalyse: Struktur und Musteranalyse versch. Einzeltexte –
Zusammenschau/Vergleich der Einzeltexte
▪ Z.B. immer wieder gleiche auftretende (übergreifende)
Themen/sprachl. Handlungsmuster
▪ Bestimmung von Diskurskonturen sprachlicher Handlungsmuster
(Einteilung des Diskurses in Segmente) bzw. funktionaler
Textabschnitte
▪ Analyse von Mustern der Argumentation (Topoi), Explikation,
Deskription, Narration, Instruktion, Rhetorik, Wortfrequenzen,
Metaphern Analyse (z.B. Flüchtlingswelle)
→ Mikro- und Makroanalyse sind sehr stark miteinander verwoben!
67
o Kontextanalyse: verbindet Ergebnisse der Mikro- (Einzeltextebene) &
Makroanalyse (textübergreifende Ebene) mit dem sprachlichen, sozialen und
politischen Kontext
▪ Erst durch die Kontextanalyse erfolgt die Interpretation der
Ergebnisse, bei Mikro- und Makroanalyse werden die Ergebnisse nur
dargestellt
7. Formulierung der Kritik
o Siehe 3 Arten der Kritik
8. Gesellschaftliche Verwertung der Forschungsergebnisse
o Z.B. Empfehlungen publizieren, Schulungen anbieten, Ausstellungen machen,
soziales Problem aufzeigen
2) DISKURSLINGUISTIK
68
DIMEAN – Modell: Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (Spitzmüller und Wanke)
1. Transtextuelle Ebene:
• Abstecken des Bereichs der diskursanalytischen Untersuchung
• diskursrelevante AkteurInnen werden aufgezeigt
• Setting und Kontext des Diskursfragmentes müssen genau beschrieben
werden!
• Analysekategorien: Intertextualität, Interdiskursivität, Frames, Topoi,
Historizität
2. Akteursebene:
• Diskurspositionen/Rollen der AkteurInnen (= handelnde/sprechende
Individuen, Netzwerke, Institutionen)
• Handlungsmuster sind zentral
• Medialität
• Interaktionsrollen
• Aspekte der Nomination, Prädikation…
o Kritik an der kritischen DKA: hat voreingenommene Sicht auf die Wirklichkeit –
soziales Problem wird festgestellt, bevor es überhaupt analysiert wird
+ Vermischung pol. Interessen mit wissensch. Analyse
o Kritik an der Diskurslinguistik: Dass sie nicht kritisiert und das Thema „Macht“
ausklammert
71
SPRACHKONTAKT UND SPRACHWANDEL (DIACHRONIE)
72
• Taxonomie – ursprüngliche Form spaltet sich in mehrere auf, durch einzelne Prozesse
verwandeln sich die einzelnen Formen
• Wie sind die Sprachen miteinander verwandt? → Rekonstruktionsphilologie: Man
schaute sich alte Sprachen an, verglich sie und versuchte, noch ältere, nicht belegte
Vorstufen davon zu rekonstruieren
z.B. Urgermanisches ist nicht überliefert – Alles was wir darüber wissen, wissen wir
nur über die Rekonstruktion, wir haben nämlich diverse altgermanische Sprachen, die
später belegt sind (Althochdeutsch, Altniederländisch, Anglofriesisch) → Wenn man
diese vergleicht, kann man diverse Rückschlüsse auf eine Vorstufe (Germanisch)
ziehen
• Man kann herausfinden, dass die Sprachen in Europa sehr eng miteinander verwandt
sind und stammen von einer Ursprache ab (=Urindogermanisch) → diese Sprache
dürfte ca. vor 5-6.000 Jahren gesprochen worden sein, bevor sie sich aufsplittete
→Das ist eine Darstellung davon, WAS passiert, aber nicht WARUM es passiert – nur
Endprodukt ist hier sichtbar
awiz, sō wullǭ ne habdē, sahw ehwanz, ainanǭ kurjanǭ wagną teuhandų, ainanǭ-uh mikilǭ
kuriþǭ, ainanǭ-uh gumanų sneumundô berandų. Awiz nu ehwamaz sagdē: hertô sairīþi mek,
sehwandē ehwanz akandų gumanų. Ehwōz sagdēdun: gahauzī, awi! hertô sairīþi uns
sehwandumiz: gumô, fadiz, uz awīz wullō wurkīþi siz warmą wastijǭ. Awiz-uh wullǭ ne
habaiþi. Þat hauzidaz awiz akrą flauh.
Ein Schaf, das keine Wolle hatte, sah Pferde, eines einen schweren Wagen fahrend, eines
eine große Last, eines einen Menschen schnell tragend. Das Schaf sprach: Das Herz wird mir
eng, wenn ich sehe, dass der Mensch die Pferde antreibt. Die Pferde sprachen: Höre Schaf,
das Herz wird uns eng, weil wir gesehen haben: Der Mensch, der Herr, macht die Wolle der
73
Schafe zu einem warmen Kleid für sich und die Schafe haben keine Wolle mehr. Als es dies
gehört hatte, floh das Schaf auf das Feld
Blau: halbwegs erahnbar/ erkennbar, dass sie mit unserer heutigen Sprache verwandt sind
Gelb: im Deutschen ausgestorben aber noch in best. Namen / Kontexten erhalten (mkilo =
Großbauern – Name Michlbeuern / berandu = tragend – engl. to bare, dt. gebären / sairifi =
schmerzen – (un)versehrt)
Rot: nicht nachvollziehbar, nicht erklärbar – aber lat. ovis – awiz (=Schaf) und lat. equus –
ehwus (=Pferd)
74
eine erneute Veränderung. Der Kontakt mit den Völkern anderer Galaxien, insbesondere mit
den Kartanin, findet durch Terraner und Arkoniden seinen Niederschlag in der Alltagssprache.
Gerade die besondere Vorliebe der beiden Völker für alles, was mit Katzen zu tun hat,
begünstigt diese Entwicklung. Je intensiver sich in den nächsten Jahrzehnten der Kontakt zu
anderen, fremden Völkern entwickelt, desto mehr wird das Interkosmo von entsprechenden
neuen Wörtern und Worteinflüssen berührt werden. So ist es durchaus möglich, daß in 1000
Jahren das heutige Interkosmo von uns nur noch schwer oder gar nicht mehr verstanden
wird.
(Auszug aus dem Eintrag „Interkosmo“ eines Glossars in einem Perry Rhodan - Fanzine)
→Sprachwandel durch Sprachkontakt wird hervorgehoben, aber Fokus auf neue Wörter und
Worteinflüsse
75
SPRACHKONTAKT
• Psycholinguistische Begriffsbestimmung (Weinreich 1953)
o Zwei oder mehrere Sprachen stehen miteinander in Kontakt, wenn sie von ein
und demselben Individuum abwechselnd gebraucht werden
o Fokus auf Mehrsprachigkeit des Individuums (Erst- und Zweitsprache, …)
• Soziolinguistische Begriffsbestimmung (Nelde 1983)
o Sprachen stehen in Kontakt miteinander, wenn sie in derselben Gruppe
gebraucht werden, z.B. in Südtirol Deutsch und Italienisch
o Nicht Sprachen an sich treten miteinander in Kontakt, sondern (soziale)
Gruppen von SprecherInnen
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Sprachbund: (Trubetzkoy 1930)
Sprachen, die eine große Ähnlichkeit in syntaktischer Hinsicht, eine Ähnlichkeit in den
Grundsätzen des morphologischen Baus aufweisen, und eine große Anzahl gemeinsamer
Kulturwörter bieten, manchmal auch äußere Ähnlichkeit im Bestande der Lautsysteme, –
dabei aber keine systematischen Lautentsprechungen, keine Übereinstimmungen in der
lautlichen Gestalt der morphologischen Elemente und keine gemeinsamen Elementarwörter
besitzen ...
→ Genetische Verwandtschaft (aus einer Ursprache) nicht notwendig, aber ein
Nachbarschaftsverhältnis!
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LAUTWANDEL UND SPRACHKONTAKT AM BEISPIEL DER 2.
LAUTVERSCHIEBUNG
78
ENTFALTUNGSTHEORIE (veraltet)
• Publiziert von Otto Höfler (1956)
• Besagt: (Genetisch) verwandte Sprachen gehen aufgrund ihrer „Erbanlagen“ auch
ohne Kontakt ähnliche Entwicklungspfade
• In ihrer weichen Lesart esoterisch, in ihrer harten Lesart auch rassistisch
• Gilt als empirisch widerlegt
FALLBEISPIEL 2. LAUTVERSCHIEBUNG
Junggrammatiker: Lautgesetz =
Naturgesetz = ausnahmslos
79
gleich vollzogen (z.B. hartes k in Tirol, in Wien aber nicht)
• Karte: Benrather Linie (maken-machen) und Appel-Apfel Linie (Lautwandel nicht
überall gleich vollzogen)
NORDEN
SÜDEN
Gründe dafür:
• Der dt. Süden (Alpenraum) war im
Frühmittelalter die unterentwickelte
Peripherie – meist gehen von solchen
Regionen nicht derartige Prozesse aus
• Die ersten Anzeichen für eine 2. LV (auf
Runen) sind nicht im süddeutschen Raum zu
finden sondern weiter nördlich im Zentrum des
fränkischen Reichs
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Alternative Theorie: DER DEUSCH-FRANZÖSISCHE KONTAKTBEREICH (Peter Schrijver)
• Westen des Fränkischen Reichs war französischsprachig → in Westmitteldeutschland
gibt es starken Kontaktbereich zwischen dem Deutschen (Fränkisch) und dem
Französischen
• Fränkisch als westgermanischer Dialekt + Altfranzösisch (entstanden aus dem späten
Vulgärlatein bzw. „Urgalloromanischen“)
Beispiel: Frappé
< Partizip von frz. frapper (schlagen, stoßen, klopfen …)
< entlehnt aus fränk. (germ.) hrappan (reißen, packen …)
Deutsches Kognat: raffen
81
→Phonotaktische Regularitäten von gallorom. *[ts, *kx, *pf] (→ /ss/, /xx/, /ff/;) und 2.
Lautverschiebung im Westmitteldeutschen
Die 2. LV als Folge von Sprachwechsel?
“The most plausible scenario that can be concocted from those ingredients is that speakers of
Late Latin who learned Germanic replaced its ‘foreign’ aspirated voiceless plosives [p h, th, kh]
with ‘native’ voiceless affricates [pfj, tsj, kxj] but only in those positions in the word in which
these affricates occurred in Late Latin. This Latinate type of Germanic survived to become
Rhineland Franconian”
→Altfranzösische (lateinische) Sprecher lernen Germanisch und ersetzten die behauchten
Plosive durch ihnen vertrautere Affrikaten
→Das Westmitteldeutsche bewahrt die alten phonotaktischen Restriktionen des
Gallogermanischen
“If the Franks continued to apply their policy of social mobility and ethnic engineering to
extending their power over the Alemannians and Bavarians down south, this might have
given the latter a strong incentive to ‘speak like a Frank’. That meant replacing one’s native
aspirated plosives with affricates. But the further away people lived from the Rhineland
model, the less accurate was the copying process. Apparently, the mountain men of the
Alpine south went the whole hog and replaced each and every [p h, th, kh] with [pf, ts, kx].”
→ Aufgrund der Entfernung zum Ursprungsgebiet der 2. LV wird im Süden „hyperkorrekt“
alles verschoben, um wie ein Franke zu klingen – deshalb ist die 2. LV im Süden viel stärker
82
Zusammengefasst: Der Weg (erfolgreichen) Sprachwandels
• Phase 1: Sprachkontakt (Franken (fränkischsprechende Germanen) kommen ins
Rheinland und treffen dort auf eine gallogermanisch/altfranzösisch sprechende
Bevölkerung)
• Phase 2: Mehrsprachigkeit (und Sprachwechsel?) Sprecher wechseln Sprache und
nehmen ihren Akzent mit
• Phase 3: Konsolidierung (der Features des ehemaligen Akzents – Fränkisch mit
gallogermanischem Akzent, diese Sprecher etablieren sich als Prestigesprecher)
• (Phase 4: Verbreitung von prestigeträchtigen Features)
→ Sprich wie ein Römer/Franke! (mit diesen neuen Affrikaten)
83
FALLBEISPIEL: PERFEKT IM DEUTSCHEN
Prämissen:
• Sprachwandel ist nicht nur beschreibbar, sondern auch erklärbar
• Sprachwandel erfolgt auf allen linguistischen Systemebenen (individuell) schrittweise
und abrupt, nicht fließend kontinuierlich
• Sprachwandel ist synchron nur durch die quantitativen Verhältnisse der einzelnen
Stufen beschreibbar (Empirie und Pragmatik)
• Sprachwandel ist nur insofern „natürlich“, als eine Sprechergemeinschaft aus
biologischen Entitäten besteht (ältere Sprecher sterben und neue, innovative
kommen dazu – nur das ist am Sprachwandel natürlich)
Wenn man die Entstehung eines haben-Perfekts auf die Desemantisierung des Vollverbs
zurückführt, wäre die Frage: Wie schauen die Zwischenstufen aus?
→Ich habe einen gepflanzten Baum > …? > Ich habe einen Baum gepflanzt
→keine Lösung
Verbalflexion im URINDOGERMANISCHEN
• 3 Aspekte (Achtung: keine Tempora, wie wir sie heute kennen!)
• Präsens (imperfektiv)
• Aorist (perfektiv)
• Perfekt (resultativ)
• 5 Tempora/Modi
• Gegenwart (indikativisch)
• Vergangenheit (indikativisch)
• Konjunktiv (Zukunft bzw. Absicht)
• Optativ (Wunsch, Möglichkeit)
• Imperativ
• 2 Genera Verbi
• Aktiv
• Medium (im Gotischen noch belegt)
• → Numerus und Person bleiben weitestgehend sprachgeschichtlich stabil
(Ausnahme: Dual)!
Verbalflexion im URGERMANISCHEN
• Aspekt?
• Abbau der idg. Aspektmarkierung
• Aufbau einer neuen Aspektoppisition (perfektiv – imperfektiv) mittels Präfix
*-ga?
85
• 2 Tempora →Kontakt mit dem Ostseefinnischen?
• Präsens (unmarkiert) (diese Sprachen kennen auch nur ein
• Präteritum (aus ehem. Perfekt) Präsens und ein Präteritum)
• 3 Modi
• Indikativ
• Optativ
• Imperativ
• 2 Genera Verbi
• Aktiv
• Medium (im Gotischen noch belegt)
Neuerungen im ALTHOCHDEUTSCHEN
• Entwicklung periphrastischer (mehrere Teile) Tempora (Perfekt, Plusquamperfekt,
werden-Konstruktionen usw.)
• Integration von gi- (< germ. *ga) in die neuen Paradigmen (Partizip II)
• Im ahd. wurde das Präfix gi- nicht nur im Partizip verwendet, sondern es konnte vor
jedes Verb gestellt werden, um eine abgeschlossene Verbalhandlung zu markieren!
Gihorta = habe gehört
→ gi = perfektiver Aspektmarker? → abgeschlossene Verbalhandlung
gi-Verben im Althochdeutschen:
Sie iz allaz thar irkantun, so thie engila in gizaltun, thes lobotun sie iogilicho, druhtin
guallicho. O I, 13, 23
Sie fanden alles dort (vor), wie die Engel ihnen gesagt hatten, und eben darum lobpriesen
sie immerfort den Herrn. → abgeschlossene Verbalhandlung
nu wird thu stummer sar, unz thu iz gisehes alawar. O I, 4, 66
Nun wirst du (ein) stumm(er) sofort, bis du es in Erfüllung siehst (/sehen wirst).
→ Zukunftsbedeutung
86
PROBLEM: Die Rechnung geht nicht immer auf:
Druhtines gheist chideda mih endi adum dhes almahtighin chiquihhida mih. See endi mih
deda got so selp so dhih (Isidor, 245)
„der Geist des Herrn erschuf mich und der Atem des Allmächtigen belebte mich. Sieh, mich
erschuf Gott so gleich wie dich!“
Übersetzung aus dem Lateinischen: einmal chideda und einmal deda verwendet!
→ Die gleiche lateinische Verbalform wird einmal präfigiert, einmal unpräfigiert übersetzt
87
PROBLEME DES TRADITIONELLEN GRAMMATIKALISIERUNGSPFADES DES PERFEKTS
→ Traditionelle Sichtweise: ge- markiert die Perfektivität des Perfekts, haben und sein haben
ihre Semantik abgebaut
ABER:
• Die doppeldeutige Struktur von haben + AO + Partizip ist in den altgermanischen
Sprachen kaum belegt, die eindeutig possessive Lesart überhaupt nicht
(Feigenbaumsatz ist der einzige, der beide Lesarten darstellt)
• Die primär perfektivierende Funktion von gi- konnte bislang nicht nachgewiesen
werden
88
• Die Lateiner hatten mindestens 700 Jahre vor dem germanischen einen haben-
Perfekt!
Westgermanisch *habbjan
• Belege von ahd. haben (< germ. *habjaną < idg. *keh₂p- ‘ergreifen’, ‘erlangen’ …):
• er hapet ouh mit uuortun himilriches portun (PL, 4)
‘Verfügungsgewalt haben über…’
• scaf haben ‘Schafe hüten’
• in giluste haben ‘verlangen nach’
• undersceit haben ‘eine Unterscheidung machen’
• wig haben ‘Krieg führen’
• …
→Markierung asymmetrischer Beziehungen zwischen zwei Entitäten (Agens und Patiens,
meist stark transitiv) – keine eindeutig possessive Lesart!
→Verb „haben“ wurde auf sehr viele unterschiedliche Arten verwendet!
89
2. Schritt 2 (6./7. Jhd.):
System mit dem gi- wurde im ahd. aufgegeben → gi- entwickelte sich zum Partizipialmarker
→Hyperpräfigierung und Reanalyse des gi-Präfixes im Deutschen (Partizipialmarker) +
Übernahme des französischen Auxiliarsystems (areale Nachbarschaft)
90
FALLBEISPIEL: LEXIK / SEMANTIK (PUT-VERBEN IM DEUTSCHEN)
• Das Standarddeutsche gilt in der Literatur als „putless language“ → verfügt über kein
put-Verb
BEWEGUNGSVERBEN
→Das Standarddeutsche hat viele Spezifizierungen für put-Handlungen, aber es gibt kein
Basisverb
• In den Non-Standardvarietäten finden wir dagegen auch Basisverben:
91
o tun → Salz in die Suppe tun (bis zum Frühneuhochdeutschen etabliertes
put-Verb, danach stigmatisiert. Gilt als umgangssprachlich laut
Duden 2015)
o geben → Salz in die Suppe geben (regionalsprachlich laut Duden 2015)
„Noch entschiedener tragen folgende Ausdrucksweisen den slawischen Typus an sich, die
ebenfalls meistentheils auch im Wiener Deutschen, ja auch in gedruckten Büchern hier und
da zu finden sind. […] „Geben“ für setzen, legen, stellen, stecken u. s. w., z. B. „gieb es auf den
Tisch, in die Tasche“ = dej na stul, do kapsy.““ (Schleicher 1851)
→Im Wiener Deutschen verwendet man das Verb „geben“ als put-Verb, wie im Slawischen
„Geben für stellen, setzen, legen, thun (dáti), z. B. gib‘s auf den Tisch––in die Tasche war als
Tschechismus schon Schleicher aufgefallen; es ist allgemein österreichisch; In der »Neuen
Freien Presse« habe ich als Recept für Kanonverfertigung gelesen: man nimmt ein Loch und
gibt Kupfer darum.“ (Schuchardt 1884)
→allgemein österreichisch
„Wo der Deutsche „setzen“, „legen“ oder „stellen“ gebraucht, da sagt der Deutsche in
Oesterreich „geben“, indem er das čechische dáti übersetzt, z. B. statt: Stelle das auf den
Tisch –– gib das u. s. w.: dej to na stůl. Auf dem Gymnasium hatte der Professor des
Lateinischen große Mühe uns auseinanderzusetzen, daß man ein so falsch gebrauchtes
„geben“ nicht mit dare, sondern mit ponere übersetzen müsse, welches Wort ja viel
anschaulicher und genauer ist.“ (Teweles 1884: 104)
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→in Tschechisch, Slowakisch und Slowenisch ist „geben“ das häufigste Verb zur Übersetzung
des put-Verbs: Das sind genau die Sprachen, die Österreich am nächsten stehen!
Bewertungsaufgabe, Junge Informantengruppe: Ein Satz wurde vorgelegt und gefragt, was
die „natürliche“ put-Variante sei
Die „Wenkersätze“
1. Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.
2. Es hört gleich auf zu schneien, dann wird das Wetter wieder besser.
3. Tu Kohlen in den Ofen, damit die Milch bald zu kochen anfängt.
4. Der gute alte Mann ist mit dem Pferd(e) auf dem Eis eingebrochen
und in das kalte Wasser gefallen.
…
40. Ich bin mit den Leuten da hinten über die Wiese ins Korn gefahren.
ZUSAMMENFASSUNG
• Terminologisches (Formen des Sprachkontakts, Theorien des Sprachwandels …)
• Fallbeispiel I (2. Lautverschiebung) → Phonetik/Phonologie
• Fallbeispiel II (Entstehung des Perfekts) → Syntax/Semantik
• Fallbeispiel III (put-Verben im Deutschen) → Lexik/Semantik
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