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b) Kurze Einführungen
Althaus, Peter / Henne, Helmut / Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Lexikon der germanistischen
Linguistik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 1980. Kap. Sprache und
Gesellschaft, S. 347-395.
Clément, Daniele: Linguistisches Grundwissen. Eine Einführung für Deutschlehrer. Opladen:
Westdeutscher Verlag, 1996. Kap. 6, Sprache und Gesellschaft (Soziolinguistik), S. 227-238.
Černý, Jiří: Dějiny lingvistiky. Olomouc: Votobia, 1996. Kap. 18, Sociolingvistika a
etnolingvistika, S. 389-410.
Gross, Harro: Einführung in die germanistische Linguistik. 3., überarb. u. erw. Aufl.,
neubearb. v. Klaus Fischer. München: Iudizium. Kap. 9, Soziolinguistik, S. 167-190.
Helbig, Gerhard: Vývoj jazykovědy po roce 1970. Praha: Academia, 1991. Kap. 2.6,
Sociolingvistika, S. 215-244.
Hoffmanová, Jana: Stylistika a ..... Praha: Trizonia, 1997. Kap. Sociolingvistika, S. 137-142.
König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. 13., durchges. Aufl. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag, 2001. Kap. Sprachsoziologie, S. 132-137.
Linke, Angelika / Nussbaumer, Markus / Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5., erw.
Aufl. Tübingen: Niemeyer, 2004. Kap. 8, Soziolinguistik, S. 335-372.
Lyons, John: Die Sprache. 4. Aufl. München: Beck, 1992. Kap. 9, Sprache und Gesellschaft, S.
238-266.
c) Weitere Literatur
Ammon, Ulrich / Dittmar, Norbert / Mattheier, Klaus J. (Hrsg.): Soziolinguistik. Ein
internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. 2 Halbbde. Berlin;
New York: de Gruyter: 1987 / 1988. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft; Bd. 3)
Ammon, Ulrich: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das
Problem der nationalen Varietäten. Berlin; New York: de Gruyter, 1995.
Švejcer, A. D. / Nikolskij, L. B.: Úvod do sociolingvistiky. Praha: Svoboda, 1983.
1
Prüfungsthemen
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(1) BEGRIFFS- UND GEGENSTANDSBESTIMMUNG DER SOZIOLINGUISTIK
1.1. SOZIOLINGUISTIK
„das Studium der Sprache im sozialen Kontext“ (William Labov, vgl. Dittmar 1997: 20)
„Wissenschaft von den gesellschaftlichen Bedingungen der Sprache“ (Dittmar 1973: 389, zit.
nach Löffler 1994: 21).
„Die Soziolinguistik untersucht die Beziehungen zwischen der Sprache und der
gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeit von Sprechern/Hörern, man sagt auch: zwischen
Sprachstruktur und Sozialstruktur“ (Gross 1990: 156).
Die Soziolinguistik untersucht, welche Formen von Sprachhandeln für welche sozialen
Gruppen einer Sprachgemeinschaft typisch sind (vgl. Linke u.a. 1994: 294).
KE (Kommunikationsereignis)
S (Sender) →→→→→ ←←←←← E (Empfänger)
Informationsübertragung
K (Kode)
„Soziolinguistik ist die Untersuchung der Sprache in ihren sozial und funktional verschieden
ausgeprägten Spielarten, denen ein sprachliches, normatives und Handlungswissen jeweils
entspricht“ (Dittmar 1997: 2).
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1.2. DER GEGENSTAND DER SOZIOLINGUISTIK
„Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen
mit welchen Absichten und Konsequenzen?“ (Dittmar 1997: 25).
„Der Gegenstand der Soziolinguistik ist die soziale Bedeutung (von Varietäten) des
Sprachsystems und des Sprachgebrauchs“ (Dittmar 1997: 21).
Dimensionen des Sprachgebrauchs (vgl. Dittmar 1997: 25-26, 98-99):
(1) soziale Dimension
(2) sprachliche Dimension
(3) interaktive Dimension
(4) Kontextdimension
(5) evaluative Dimension
(6) historische Dimension
(7) biographische Dimension
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(2) ENTWICKLUNG DER SOZIOLINGUISTIK
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2. Anfänge der eigentlichen Soziolinguistik
Situation in der Sprachwissenschaft
Strukturalismus und Transformationsgrammatik
Eugenio Coseriu
(1) die Ebene der funktionellen Sprache
(2) die Ebene der Architektur der Sprache: (a) diatopische Unterschiede
(b) diastratische Unterschiede
(c) diaphasische Unterschiede
Franz Boas, Edward Sapir; Benjamin Lee Whorf (Sprachdeterminismus / sprachliches
Relativitätsprinzip)
Kenneth Pike: Sprache als eines der Handlungssysteme
John Rupert Firth und die Londoner Schule: Kontextualismus
Antoine Meilletts; André Martinet; Marcel Cohen
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Der restringierte Kode + statusorintiertes Kommunikationsverhalten
Der elaborierte Kode + personenorientiertes Kommunikationsverhalten
Vgl. die Begründung eines Verbots:
RK: „weil du das nicht sollst“ / „weil ich es dir verbiete“, ...
EK: „weil ich Kopfschmerzen habe und Lärm dann besonders schlimm für mich ist“
Beispiel für den elaborierten und den restringierten Kode: Gespräch zwischen der Mutter und
ihrem Kind (vgl. Gross 1998: 177)
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Unterschiede in (a) Explizitheit, (b) grammatischer Korrektheit, (c) logischer bzw.
argumentativer Strukturiertheit, (d) Vorhersagbarkeit.
Unterschiede als Mängel / Defizite → kompensatorische Spracherziehung
Eva Neuland: Zur Entwicklung von Bedeutungen und ihrer sozialen Variation (1976): ein
gemeinsames und ein jeweils spezifisches Repertoire
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(2) Dialekt als Sprachbarriere: soziale Dialektologie
Ulrich Ammon (1972): Dialekt und Standardsprache als Mittel der Selbstidentifikation, der
restringierte Kode und Dialekt im Vergleich u.a.
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B. Qualitative Richtungen
(3) Ethnographie der Kommunikation
Themen: kulturelle Verschiedenheit und Sprache (Werte und Normen ethnisch verschiedener
Gruppen, Gesprächstaktiken)
Harold C. Conklin, Dell Hymes, Frederick Erickson, Werner Kallmeyer
Zeitschriften: American Anthropologist; Language in Society
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(3) SOZIOLINGUISTIK ALS VARIETÄTENLINGUISTIK
3.1. Varietät
Verwendungs- / Erscheinungsform der Sprache
„eine Sprach(gebrauchs)form des Deutschen, die sich als Summe spezifischer sprachlicher
Charakteristika beschreiben lässt, die an eine durch außersprachliche Faktoren definierbare
Gruppe von Sprecherinnen und Sprechern angebunden ist (vgl. Linke u.a. 1994: 303-304)
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3.2. Klassifizierung der Varietäten
Kirsten Nabrings (1981):
Dimensionen des Varietätenraums: (1) diatopische,
(2) diastratische,
(3) diaphasische,
(4) diachrone.
Harro Gross (1998: 167):
Region: Dialekt/Mundart,
soziale Schicht: Schichtensprache/Kode,
Beruf: Fachsprache/Berufssprache,
Subkultur bzw. Randgruppe: Sondersprache,
politische / religiöse Gruppe: ideologische Sprache,
Geschlecht: Frauen- und Männersprache,
Alter: Jugendsprache, Generationensprache.
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6. Interaktionstypen bzw.
Situationen Situolekte;
Stile: monologisch,
dialogisch,
symmetrisch,
asymmetrisch;
Textsorten;
7. Idiolekte.
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Dialekte prestigebesetzter Weltsprachen außerhalb des
Mutterlandes
Repertoire der Sprachgemeinschaft
individuelles linguistisches Repertoire (+ kommunikative / panlektale Kompetenz)
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(4) IDIOLEKT
individuelle Realisierung eines sprachlichen Systems = Sprachbesitz und sprachliche
Verhaltensweisen eines Individuums:
Idiolektale Besonderheiten: soziale, professionelle, territoriale, psycho-physische
Sprachliche Verhaltensweisen:
(a) situationsbedingte: partnerspezifisch
rollenspezifisch
themenspezifisch
(b) permanente
+ Fähigkeit zum Kode-Wechsel
Rolle der Idiolekte in der Soziolinguistik
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(5) AREALE VARIETÄTEN bzw. DIALEKTE
5.1. Definition des Dialekts
horizontal und vertikal (vgl. Lewandowski 1994: 220-221);
Heinrich Löffler: 10 Dimensionen einer Dialektdefinition (vgl. Löffler 1983: 453-458, zit. nach
Dittmar 1997: 188):
(i) Vorkommensbereich;
(ii) Typologische Hierarchie;
(iii) Linguistischer Status;
(iv) Benutzerkreis;
(v) Verwendungsebene;
(vi) Kommunikative Leistungsfähigkeit;
(vii) Kommunikative Reichweite;
(viii) Einstellungen;
(ix) Standard vs. Nonstandard;
(x) Metasprachliche Ebene.
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5.2. Sozio-Dialektologie / kommunikative Dialektologie
Wer spricht wo welchen Dialekt / welche dialektale Form in welcher Häufigkeit?
(1) soziale Verbreitung der Dialekte und Ausmaß der Dialektalität
Dialektalität ↔ Sozialschicht (bzw. Beruf),
Alter
Geschlecht
Region
Situation
(2) kommunikative Funktionen der Dialekte
- Informationsübermittlung;
- Reichweite;
- eingeschränkter vs. differenzierter Wortschatz;
- Sprache der Nähe;
- dialektale Sprachbarriere.
(3) Einstellungen zu Dialekten
1. (a) mit linguistischer Vorinstruktion,
(b) ohne diese Vorinstruktion.
2. Selbsteinschätzung
Fremdeinschätzung → Beliebtheitsskalen
3. Art der Fragestellung: Nennung,
Liste zur Auswahl,
Sprachproben vorgespielt, z.B.:
Dialekt-Erkennungstest
matched-guise-Verfahren (Technik der Verschleierung
durch Montage; Wallace E. Lambert)
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König, Werner: Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Bd. 1-2. Ismaning 1989.
Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Stuttgart 1987. [bzw. Berlin 2000.
(= Digitale Bibliothek, 36)]
1) Sie tendiert dazu, Wörter zu verkürzen, also Silben auszusparen. Dies äußert sich in erster
Linie im Weglassen von Vokalen, was am häufigsten bei unbestimmten Artikeln (Bsp. eine >
'ne, ein > 'n), vereinzelt aber auch bei anderen Wörtern vorkommt. Darüber hinaus werden auch
gerne einzelne Konsonanten beim Aussprechen verschluckt.
2) Sie wandelt häufig den st-Laut des Standarddeutschen in einen sch-Laut um. Bsp. günstigt >
günschtig.
3) Sie läßt gerne das Subjekt weg, sofern ein konjugiertes Verb folgt, was häufig im
Zusammenhang mit Merkmal 2) vorkommt. Bsp. Weißt Du? > Weisch?
... Und nicht zu vergessen sind typische Floskeln: Bsp. nicht mehr > nimmer, nicht wahr? >
gell?, nichts > nix, tatsächlich? > echt?
A: Was darf ich Dir denn für 'n Wein zum Essen anbieten?
B: I s mir egal, was passt denn dazu?
A: Mmh, da wir 'ne kräftige Speise ham, würd ' ich ' n kräftig ' n Wein empfehlen.
B: Ach, da gibt 's Regeln?
A: Ja, man empfiehlt zum Beispiel bei ' ner leichten Speise ' n fruchtig frischen Wein.
Bei 'ner kräftigen Sauce dagegen eher ' n kräftig'n Wein.
B: Echt?
A: Wie sieht's aus, hasch Luscht auf'n Burgunder?
B: Ha sch auch 'n Moscht da, mir i s eher nach Traubensaft.
A: Ja klar, hab' ich, aber zum Nachtisch trink sch schon 'n Eiswein mit?
B: Is des der Wein, für den man Trauben bei etwa -7 Grad erntet?
A: Ja genau. Und der i s sehr teuer. So 'ne günschtige Gelegenheit an Eiswein zu
kommen krieg sch nimmer so schnell!
B: _Weiß nich!
A: Ach komm, na gibt 's nix zu überlegen! Wie sagt ma in Baden? 'Ne Mahlzeit ohne
Wein i s wie 'n Tag ohne Regen!
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(6) ZUM GEBRAUCH VON STANDARDVARIETÄT UND DIALEKTEN IN DEN
DEUTSCHSPRACHIGEN LÄNDERN
(I) Dialektschwund
(II) Dialekt-Standard-Kontinuum
(III) Diglossie
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6.2. Die Sprachsituation in Österreich
Dialektgeographische Gliederung:
(a) Bairisch-Österreichisch:
- Mittelbairisch (Niederösterreich, Wien, Oberösterreich, Burgenland, Teile Salzburgs und
der Steiermark),
- Südbairisch (Tirol, Kärnten, Teile Salzburgs und der Steiermark);
(b) Alemannisch (Vorarlberg).
ad (a)
„Sprachschichten“, z.B. im niederösterreichischen Weinviertel (vgl. Wiesinger 1988: 18-22)
Heute Abend kommt mein Bruder nach Hause.
(1) Basisdialekt: Heint af d’Nocht kimmt mein Bruider hoam.
(2) Verkehrsdialekt: Heit auf d’Nocht kummt mein Bruader ham.
(3) Umgangssprache: Heit åb’nd kommt mein Bruder z’Haus.
(4) Standardsprache: Heut åb’nd kommt mein Bruder nåch Haus.
!!! gesprochene Standardsprache vs. „Hochlautung“
Die Wahl der Varietät ist sozial und situativ bedingt. → Symbolwert der Varietät und sein
Einfluss auf den Sprachgebrauch
ad (b) Diglossie
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6.3. Die Sprachsituation in der Schweiz
6.3.1. Diglossie
das Repertoire der Sprachgemeinschaft
Typologien von Sprachgemeinschaften
Charles Ferguson
Diglossie bezeichnet eine relativ stabile Sprachsituation mit einem primären regionalen Dialekt,
der L-Varietät (Low-Variety, d.h. niedere Varietät), und einer überlagernden Sprachvarietät, der
H-Varietät (High-Variety, d.h. gehobene Varietät). Diese zwei sprachlich unterscheidbare
Varietäten können auf alternative Situationstypen, Domänen bezogen werden.
= funktionale Zweisprachigkeit
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Kode-Wechsel (Code-switching) = angemessener situationsspezifischer Gebrauch von
Varietäten / Sprachen
John Gumperz
(1) situationsabhängiger Wechsel (situational switching) - bedingt durch die Faktoren:
(a) Ort bzw. soziales Umfeld (setting, z.B. Marktplatz),
(b) Situation (situation, bestimmt durch interagierende Personen, z.B. Einkäufe von Frauen,
politische Diskussionen von Männern),
(c) Ereignis (event, bestimmt durch Themen, z.B. bei Einkäufen: Verhandlung der Preise, ein
privater Schwatz).
(2) situationsunabhängiger, stilistischer Wechsel (metaphorical switching, z.B. Dialektformen
als Mittel der Vertraulichkeit (vgl. Schlieben-Lange 1991: 44-45).
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Stabile Diglossie: L-Varietät für die Kommunikation mit den Einheimischen verwendet, die
H-Varietät für die Kommunikation mit den Fremden (z.B. die H- und L-Varietät des Norfolk-
Island-Englischen).
Instabile Diglossie: in einer Domäne wird z.B. der Gebrauch von L zugunsten von H
aufgegeben (z.B. in der Diglossie Gascognisch-Standardfranzösisch).
Polyglossie: eine bzw. mehrere H-Varietäten und eine bzw. mehrere L-Varietäten (z.B. das
Varietätenrepertoire der einst in englischer Sprache erzogenen Chinesen in Malaysia).
6.3.2. Die Besonderheiten der Diglossie in der deutschsprachigen Schweiz (vgl. Ammon
1995: 286-300):
(1) Die verhältnismäßig große linguistische Distanz zwischen Dialekt und Standardvarietät
(dem Schweizerhochdeutschen)
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(2) Die verhältnismäßig große Ähnlichkeit der verschiedenen Dialekte untereinander.
(3) Das strenge strukturelle Auseinanderhalten von Dialekt und Standardvarietät („Dialekt-
Purismus“)
Ausnahme: „Papiermundart“ in vorgefertigten Reden, sog. Großrats- / Bundeshausjuristen-
deutsch
(4) Die ziemlich konsequente funktionale Trennung von Dialekt und Standardvarietät nach
ihrem Gebrauch in den Domänen (v.a. „monovarietätische“ Domänen; mediale Diglossie:
mündlich/schriftlich)
(5) Die durchgängige Verwendung des Dialekts in allen Sozialschichten der Bevölkerung.
(6) Die Verwendung des Dialekts auch in gewissen öffentlichen Domänen (Schulunterricht,
v.a. in der Sekundarstufe; Seminare an den Hochschulen; Kantonsparlamente, bestimmte
Radio- und Fernsehsendungen, Kirchen).
(7) Die Verwendung des Dialekts für Gesprächsthemen jeglicher Art (Ausbaudialekt).
(8) Die weitgehende Erhaltung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten und
das Fehlen eines einheitlichen, überregionalen Schwyzertütsch. (Aber: „Züritütsch“.)
(9) Die Rolle des Dialekts als Nationalsymbol und seine Bewertung als Nationalsprache (vgl.
Gegenargumente).
(10) Die verbreitete Vorstellung von der Fremdsprachlichkeit oder zumindest Exonormativität
der Standardvarietät
6.3.3. Zusammenfassung: Dialekte nach ihrer Geltung (vgl. Dittmar 1997: 185):
(1) Dialekt als Relikt;
(2) Dialekt als soziales Symbol;
(3) Dialekt als Hauptvarietät.
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(7) DIE STANDARDVARIETÄT
Hauptkriterium: normative Korrektheit
7.1. Sprachnorm
(soziale) Normen: Festsetzungen zur Regulierung menschlichen Handelns im gesellschaftlichen
Leben.
(1) statuierte Normen (Normschöpfung oder Institutionalisierung),
(2) subsistente Normen.
Sprachnormen = explizite Festsetzungen und normative Erwartungen, die auf die Bildung,
Anwendung und Verwendungsabsicht sprachlicher Einheiten bezogen sind (vgl. Gloy 1980:
364).
„Ein bestimmter ... Inhalt und die Form seiner Äußerung sind nach dem Willen einer Instanz A
für einen Personenkreis B unter den Situationsbedingungen C in Bezug auf einen Zweck D mit
der Begründung E eine Norm, d.h. sie sind erlaubt, geboten oder verboten“ (vgl. Gloy 1987: 121,
zit. nach Dittmar 1997: 165-166).
Sprachnormen i.w.S. / situative Normen / soziolinguistische Normen / Kommunikationsnormen
= „Erwartungshaltung gegenüber bestimmten Formen des Sprachverhaltens, die in einer
gegebenen Kommunikationssituation bzw. gegenüber einem bestimmten Gesprächspartner als
angemessen gelten“ (Linke u.a. 1994: 309).
Beispiele:
(a) die Konversationsmaximen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität von H. P. Grice
(vgl. Linke u.a. 1994: 198-200),
(b) Regelungen des Sprecherwechsels (vgl. Linke u.a. 1994: 264-275),
(c) Textsortennormen (Linke u.a. 1994: 248-255, vgl. Bsp. in der Deutschen Grammatik von U.
Engel).
Sprachnormen i.e.S. / linguistische (grammatische und stilistische) Sprachnormen
Differenzierung der Normen nach Adressaten
(a) nach Alter („ein altkluges Kind“),
(b) nach Geschlecht („die spricht so maskulin“),
(c) nach sozialer Position („der redet wie’n Studierter“),
(d) nach Funktionsbereichen (unterschiedliche Fachsprachen),
(e) regional verbreitete Normen (Dialekte)
(f) Sprachnormierungen auf nationaler Ebene (Schriftreform, Einführung einer offiziellen
Mehrsprachigkeit u.a., vgl. Gloy 1980: 366).
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(d) die integrierende Leistung sprachlicher Erscheinungen, die zur nationalen Einheit
beitragen;
(e) Zweckmäßigkeit in Bezug auf Verständlichkeit (sog. funktionale Normauffassung);
(f) der tatsächliche Sprachgebrauch „jedermanns“ (Normauffassung des „bürgerlichen
Liberalismus“);
(g) die größere Auftretenshäufigkeit einer Variante gegenüber anderen Varianten;
(h) die Strukturgemäßheit einer sprachlichen Erscheinung im Sprachsystem;
(i) die soziale (insbesondere Situations-)Angemessenheit;
(j) die Adäquatheit der Umsetzung von Kommunikationsintentionen (sog. funktionale
Normauffassung);
(k) die „Angemessenheit“ des Gegenstandsbezugs, die Sicherung gesellschaftlich etablierter
Deutungsschemata;
(l) die kognitiven und/oder emotionalen Konsequenzen bestimmter Sprachverwendungen
(als Grundlage der Intelligenz und/oder der Sittlichkeit eines Menschen).
Kriterien für die Bestimmung des Standardisierungsgrads (vgl. Garvin 1964: 522, zit. nach
Dittmar 1997: 201-202):
(1) linguistischen Eigenschaften;
(2) Funktionen in der Sprachgemeinschaft (einigende F., separierende F., Prestigefunktion,
Korrektheitsnormen;
(3) die Einstellungen der Sprachgemeinschaft (Sprachtreue, Sprachstolz, Normbewusstsein).
Der Prozess der Standardisierung (vgl. Haugen 1972: 110, zit. nach Dittmar 1997: 202-203):
(a) Selektion,
(b) Kodifizierung,
(c) Ausbau der Funktionen,
(d) Übernahme durch die Gemeinschaft (vgl. Haugen 1972: 110, zit. nach Dittmar 1997: 202-
203):
Soziale Kräfte, die bei der Festlegung der Standardvarietät mitwirken (vgl. Ammon 1995: 73-
82):
(a) Modellsprecher/Modellschreiber,
(b) Kodifizierer,
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(c) Sprachexperten,
(d) Normautoritäten.
(indirekt:) die ganze Sprachgemeinschaft
Rolle der staatlichen Instanzen
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österreichische Varietät (Österreich + Südtirol): Kriterium (1) - Marille
schweizerische Varietät (Schweiz + Liechtenstein): Kriterium (1) - „Versteigerung“
deutsche Varietät (BRD + Luxemburg + Ostbelgien): Kriterium (2) Aprikose + „Steigerung“
!!! Benennungen für Sachspezifika einer Nation, z.B. Eisbein mit Sauerkraut (Deutschland) oder
Powidltascherln (Österreich) = Konstanten.
Zentren einer Sprache
(1) nach der Art der Kodifizierung: Vollzentren und Halbzentren
(2) nach der Herkunft der Modelltexte: endonormative und exonormative Zentren
Literatur:
Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das
Problem der nationalen Varietäten. Berlin; New York: de Gruyter.
Ammon, Ulrich u.a. (2004): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in
Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und
Südtirol. Berlin; New York: de Gruyter.
Ebner, Jakob (1998): Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des Österreichischen Deutsch. 3.,
vollst. überarb. Aufl. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag.
Meyer, Kurt (1989): Wie sagt man in der Schweiz? Wörterbuch der schweizerischen
Besonderheiten. Mannheim; Wien; Zürich: Dudenverlag.
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(8) SOZIOLEKTE
Begriffsbestimmung
außersprachliche Faktoren der Gruppenbildung
Funktion der Gruppensprachen
vertikale Bewertungsdimension („besser/schlechter als“)
1. Soziolekt = Varietät
2. Soziolekt = Varietät sozialer (nicht primär geographisch bestimmter) Gruppen
2.1. Schichtenspezifische Varietät (ggf. mit negativen Konnotationen)
2.2. Varietät anderer sozialer Gruppen als Schicht: Sondersprache
2.2.1. Sondersprache i.w.S.: auch geschlechts- und altersspezifische Varietäten
2.2.2. Sondersprache i.e.S.:
(a) nicht geschlechtsspezifische Varietäten (liegen quer zur diastratischen /
diatopischen Variation)
(b) nicht altersspezifische Varietäten (wie bei (a))
(c) nicht Fachsprachen
(d) verschiedene Kombinationen von (a), (b) (c)
2.2.3. Sondersprache im engsten Sinne:
Anti- / Kontra-Sprache = Geheimsprache
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die Gruppenbildung nicht primär geographisch bedingt ist (Schülersprache, Studentensprache,
Berufs- und Fachsprachen, Jugendsprache, Sportjargon, Jägersprache usw., vgl. Lewandowski
1994: 978 -979).
(2.2.1.) Sondersprachen im weiteren Sinne = alle von der Standardsprache abweichenden
Sprachvarietäten, wie sie von sozial-, geschlechts-, altersspezifisch bedingten, berufs- und
fachwissenschaftlich begründeten Sondergruppierungen herrühren; alle Berufs-, Fach-, Standes-
und Sondersprachen (vgl. Bußmann 1990: 690).
Sondersprachen i.w.S. = alle sprachlichen Sonderformen, die gruppenspezifischen, berufs- und
fachspezifischen sowie altersspezifischen Sprachvarietäten (vgl. Lewandowski 1994: 975).
Soziolekt = eine grammatisch-lexikalisch-intonatorische Varietät als sprachliches
Erkennungssymbol einer nach sozialen, beruflichen, fachlichen, status- und ansehensbedingten
Merkmalen gekennzeichneter Gruppe (vgl. Löffler 1994: 126).
v.a. Sonderwortschatz (Jäger, Fischer, Bergleute, Weinbauern, Drucker, Studenten, Bettler und
Gauner, vgl. Bußmann 1990: 690).
Untergliederung der Sondersprachen i.w.S.:
(a) sozialgebundene Sondersprachen: Gruppen-, Standes- oder Berufssprachen / -varietäten;
(b) sachgebundene Sondersprachen: Fachsprachen (Funktiolekte)
Z.B. brünstig in der Gemeinsprache = in der Fachsprache des Bauern: läufig (Kuh), bockig
(Ziege, Schaf), rüsslig (Schwein), rossig (Pferd), streichig (Hündin), die Katze rammelt.
Fließende Übergänge zwischen Sondersprachen und Fachsprachen: z.B. militärische
Fachsprache vs. Soldatensprache(n) (traditionelle Soldatensprachen, Bundessoldatendeutsch),
vgl. Blindgänger – ursprünglich „nicht explodierte Granate“, dann: (salopp:) „Versager;
Gulaschkanone „Feldküche“ (vgl. König 1991: 133).
Die Standessprache = die Gesamtheit der technischen Termini und Formeln eines bestimmten
Berufs (O. Jespersen); der auf einen bestimmten Sachbereich bezogene Wortschatz, der je nach
dem Beruf mit einem bestimmten Kollektiv (einer bestimmten Gruppierung) zusammenhängt
(A. Dauzat).
z.B. Jägersprache: die Löffel = die Ohren des Hasen, der Spiegel = der hintere weiße Fleck des
Rehs, die Läufe = seine Beine, der Schweiß = sein Blut.
Handout – viz až s. 38
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Vgl.:
Jargon (fr. „unverständliches Gemurmel“, vgl. Bußmann 1990: 360)
1) Gesamtheit der Wörter und Wendungen, mit welchen Menschen, die eine gemeinsame
berufliche oder außerberufliche Betätigung ausüben, die gewöhnlichen Ausdrücke ersetzen.
Funktion: a) das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe,
b) eine gewisse Absonderung zu den übrigen Teilen der Gesellschaft (nicht
Abschließung nach außen, vgl. Domaschnew 1987: 313).
2) „Sondersprache bestimmter sozialer Gruppen als Kunst- oder Zwecksprache, die der
Abschirmung nach außen („Eingeweihte“) und der Bindung bzw. Kohäsion nach innen dient.“
(a) Sonderwortschatz sozialer Gruppen als Ausdruck einer Sonder- oder Subkultur,
(b) Fachwortschatz bestimmter Berufe und Berufsgruppen im Sinne eines Fachjargons (vgl.
Lewandowski 1994: 502).
3) (a) der Wortschatz einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer Berufsgruppe bzw. die
Verwendungsweisen des Wortschatzes durch diese Gruppen (vgl. Čermák 1994: 242)
(b) durch einen speziellen gruppen- oder fachspezifischen Wortschatz gekennzeichnete
Sprachform, der es an Allgemeinverständlichkeit mangelt (vgl. Bußmann 1990: 360).
(c) „sozial bedingte Sondersprachen, die durch auffällige Bezeichnungen für alltägliche Dinge,
bildliche Ausdrucksweise, emotional gefärbte oder spielerische Verwendung des
standardsprachlichen Wortschatzes gekennzeichnet sind“ (vgl. Bußmann 1990: 360-361).
Slang = der spezielle und gewöhnlich nicht offizielle Wortschatz v.a. einer Berufs- oder
Interessengruppe bzw. die Verwendungsweisen des Wortschatzes, die diese Gruppe
charakterisieren (vgl. Čermák 1994: 230).
„gruppenspezifische Routinesprache“ (vgl. Dittmar 1997: 221).
ein in einer bestimmten sozialen Gruppe gemeinsamer Wortschatz für diejenigen Dinge, zu
denen die Gruppe in einem emotionalen Verhältnis steht (vgl. Lewandowski 1994: 973).
(i.e.S.:) der spezifische Wortschatz großstädtischer Jugend
(i.w.S.:) „unkonventionelle Sprache mit neuer, lebendig-vitaler und kraftvoll-farbiger, manchmal
exzentrisch-humorvoller Wortprägung bzw. Bedeutungsverleihung und Metaphorik“
(Lewandowski 1994: 973), Sprache im Entstehen, experimentelle gesprochene Sprache, die
instabil und auf semantische, v.a. konnotative Veränderung der lexikalischen Einheiten
konzentriert ist (vgl. Dittmar 1997: 220).
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(2.2.2.a) ALTERSSPEZIFISCHE VARIETÄTEN (Gerontolekte, transitorische Soziolekte)
soziales Alter
(1) Kindersprache
(2) Schüler- und Jugendsprache
(3) Erwachsenensprache
(4) Seniorensprache
Beispiel (Quelle: Jugend und Schule: Junge Welten, Berliner Zeitung 21. 1. 2008): ALI & Babsi
erklären die Welt
Babsi: Diese wohl klingende Lautfolge ist ein Begriff, der aus dem Lateinischen stammt - der
Sprache des antiken Roms, Sprache der Denker, Sprache, die ich liebe, lingua, qua amo.
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Servilität bezeichnet ein gewisses Verhalten. Benimmt sich eine Person auffallend kriecherisch
oder unterwürfig, so bezeichnet man sie als servil. Es ist eine Art Selbsterniedrigung damit
verbunden, die der Mensch, der sich servil verhält, freiwillig in Kauf nimmt. Er stellt sich einer
anderen Person wie ein Knecht zur Verfügung und gibt viel - wenn nicht alles - von seiner
Eigenständigkeit auf. Nicht immer muss er dieses Verhalten jedoch aus einem inneren Drang
heraus erfüllen, oftmals kann er auch bewusst so handeln, um etwas Bestimmtes mit seinem
Verhalten zu erreichen.
Ali: Yo Babsen, hör endlich auf, so rumzunietzschen! Das ist doch alles ganz easy abgecheckt,
da gibt's nullinger Probleme beim Erklären: Wenn dieser Honk, der in der Schule neben mir sitzt,
einfach keine street-tauglichen Props bekommt, dann kommt er zu mir an und will, dass ich sein
Image ein bisschen aufpoliere. Ich soll dann diesen Plastikgangster in einen Turboburner
umswitchen. Ey, allein wenn die Pussylette in meiner Nähe ist, braucht er schon keine Angst
mehr vor Fameverlust zu haben, denn in meinem Glanz sehen alle gut aus. Aber damit ich halt
auf ihn klarkomme, ist der Junge endnett zu mir und labert alles nach, was ich rülpse. Der würde
sich sogar meine Popelteppiche, in die ich meinen Schnupfen verfrachte, zu Hause an die Wand
hängen. Alder, was geht? So kommt der nie zu ordentlichen Props auf der Straße des Lebens.
Mannomann, ich bin ja ein richtiger Philosoph, was meinst du Babsen? (Laura Wurth, 17 Jahre)
(Ad 4) Seniorensprache
Grundfragen der gerontologischen Linguistik: Kommunikationssituationen im Alter, Modelle
altersspezifischer Kommunikation, sprachliche und kommunikative Altersmerkmale (in
mündlicher sowie schriftlicher Kommunikation), interaktive Konstruktion vom Alter im
Gespräch, Einfluss von Stereotypen auf die Kommunikation mit Älteren, „patronisierende“
Kommunikation in Pflegekontexten, pathologische altersbezogene Veränderungen in Sprache
und Kommunikation, Kommunikation über Alte.
Vgl. Fiehler, Reinhard / Thimm, Caja (Hrsg.) (2003): Sprache und Kommunikation im Alter.
Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. Zugänglich auch unter WWW: <http://www.verlag-
gespraechsforschung.de/2004/alter/alter.pdf>.
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(3) kooperatives und konsensorientiertes weibliches Interaktionsverhalten vs. leistungs- und
konfliktorientiertes männliches Verhalten
Situationsadäquatheit als das funktional richtige Maßstab für das Sprachverhalten
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Jenisch Deutsch interlinear Deutsch
Am verholchten Schai isch mir Am gestrigen Tag ist mir die Gestern ist mir die
de Laschischmadori muli Kaffeemaschine kaputt Kaffeemaschine kaputt
tschant, gegangen, gegangen,
selber linstne ne zgwand selber schaute ihn ganz zu ich versuchte, sie selbst zu
zmenge, machen, reparieren,
isch me abe gehochlt lori, ist mir aber gelungen nicht, aber es gelang mir nicht,
Vgl.:
Hochdeutsch1
Meines Buben Hosentasche
Eine alte Kapselpistole,
ein Geldbeutel, natürlich leer
Ein Bleistift und ein Stückchen Kohle
Ein Taschentuch, das gern sauber wär
Ein schimmlig-grünes Stück Kandiszucker,
Ein Kleeblatt, vierblättrig und verblüht
Ein Messer und eine Handvoll Murmeln
Ein Los, das sicher nicht mehr zieht
Streichhölzer und eine Waldreben-Ranke
Eine Eintrittskarte auf den Münsterturm
Eine Lupe und eine Mundharmonika
Und zuunterst noch ein Regenwurm
1
Das Original, in Baseldeutsch, wurde aus dem Buch „Schweizer Dialekte“, Robert Christ, Birkhäuser Verlag,
1965, ausgewählt. Übertragen von U. Roos, Hedingen, ZH.
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Was so ein Knirps - s' ist fast ein Wunder
nicht alles mit sich herumträgt!
Eine Tasche voll Krimskrams, Dreck und Plunder?
Eine Tasche voll Buben-Seligkeit!
Stadt-Berndeutsch2
Mim Bueb si Hosesack3
En alti Chäpslipischtole
Es Portemonnaie, natürlech läär
Es Bleischtift und nes Stückli Chole
Es Nastuech, wo gärn suber wär
E vergrauets Stück Kandiszucker
Chlee, vierbletterig u verblüeit
Es Mässer und e Hand voll Märmeli
Es Loos, wo sicher niemer me zieht
Zündhölzli und e Niele
Es Billiee für uf ds Münschter
Es Vergrösserigsglas und es Muugygeli
U ds underscht no ne Rägewurm
Was so ne Chnopf, es isch fasch es Wunder
Nid alles mit sich umetreit
E Sack voll Gräbel, Dräck und Plunder
E Sack voll Buebe-Seeligkeit
Mattedialekt / Mattebärndütsch4
Mim Gieu si Gschtöössack
En auti Chäpsli-Pischtere
E Pörtner, natuder läär
Es Blofi u ne Ligu Chole
Es Pööggenaubum, wo gärn suber wär
E schimmlig grüene Stigg Kandiszucker
E Chlee, vierbletterig u verdorret
E Hegu u ne Chlööpe vou Grädle
E Lösu wo sicher niemer me zieht
Funi u ne Niele
Es Billie für uf ds Münschter
E Lupe u ne Schnuregyge
U ds ungerscht no ne Rägewürmu
Was so nes Gieutschi – es isch fasch es Wunder -
Nid aus mit sech umetreit
E Sack vou Gräbu, Dräck u Plunder?
E Sack vou Giele-Seeligkeit!
2
Das Stadt-Bärndütsch - nach Ansicht des alten Regimes (Patrizier) das einzig richtige und schöne Bärndütsch.
3
In die Varianten des Berndeutschen von Peter Hafen, Präsidenten des Matteänglisch Clubs, übertragen.
4
Matte = Quartier der Stadt Bern
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Matteänglisch (Geheimsprache)5
Imme Iuge ise issgschte-Ickse
Ine iutie Ipsliche-Ischterepe
E Irtnerpe, ine-iderte irle
Es Ifible u ine Igule Ileche
Es Iggepe-Iue-imbe, iwe irnge iberse irwe
E immligsche ienegre Iggste Indiske-Ickerze
E ichle, ierve itterigble u irve-irretde
E Iguhe u ine Ipechle iuve Idlegre
E Isule iwe icherse iemerne ime ietze
Inife u ine Ielene
Ise Illiebe irfe ife ds Intscherme
E Ipele u ine Ireschne-Igege
U ds ingerschte ine ine Igere-Irmuwe
Iswe inesse Ieutschige -ise ische ischfe ise Inderwe-
Idne iuse itme ichse imee-iittre
E Ickse iuve Ibugre, Ickdre u Inderple?
E Ickse iuve Ielege- Iligse-itke!
5
Basis: Mattedialekt.
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(9) SITUATIONSSPEZIFISCHE / DIAPHASISCHE VARIETÄTEN bzw. SITUOLEKTE
Domänen = soziale Situationen, in denen Interaktionspartner je nach ihren sozialen Rollen in
einem spezifischen sozialen Umfeld in privater oder geschäftlicher Beziehung interagieren.
9.1. Soziale Rollen
soziale Rolle = Menge kulturell definierter gegenseitiger Rechte und Verpflichtungen / Menge all
derjenigen Erwartungen, die sich an das Verhalten der betreffenden Person in einer gegebenen
Interaktionssituation richten
Rollentypen: (1) Feste (permanente) soziale Rollen
(2) Institutionelle bzw. organisatorische Rollen
(3) Akzidentelle funktionale Rollen
Rollenhandeln (verbal + nonverbal)
Normverstoß – negativ oder positiv bewertet
Rollendistanzierung bei rollenkonformem Handeln (Ironiesignale, Übertreibung)
Konflikte: innerhalb ein und derselben Rolle
zwischen zwei Rollen
Rollenwechsel
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Register = „Kongruenz zwischen einer situativen Ausprägung (Parameter auf einem
Kontinuum), einem Diskursmodus (Medium der Kommunikation), einer Befindlichkeitsebene
(„Tenor“) und in die Kommunikation involvierten sozialen Rollen (institutionelle und
gruppenspezifische Rollenbeziehungen). Auf linguistischer Ebene ist die Kongruenz zwischen
den vier Parametern über sprachliche Mittel (vor allem lexiko-grammatische) zu denken“
(Dittmar 1997: 209).
Bsp. (c): das Register des Cellolehrers (L) im Transkriptionsausschnitt aus einer Cellostunde an
der Musikhochschule (nach Dittmar 1997: 10-11).
Erklärungen: L = Lehrer
S = Studentin
(sp) = spielt/spielen
[...] = Kommentare
Großbuchstaben = laut gesprochen
kursiv = nachdrücklich, hervorgehoben
isses = ist es, kommste = kommst du, kumma = guck mal usw.
S Ja hm (sp)
L Ja so isses, so, wenn du jetzt so hier kommst, kommste dahin, da musste aber wieder
umkehren, sonst gehste wieder weg, ja? Kumma, gesenkte Spitze (sp) jetzt raus mit’m
Arm! Raus mit’m Arm! (L sp) soo isses und da hab ich gern den Daumen drauf, ohne
Rutscher (sp) wenn de ihn schön vibrierst so isses
S Und dann weiter auch so, wieder den Daumen
L Natürlich!
S Ja, ja
L Weißte, das war das erste schöne Vibrato und das war das zweite schöne Vibrato, die da
oben meckern ein bisschen (S sp) Lass den Daumen ruhig los beim Vibrieren sooo-o
(beide sp)
L So, jetzt will ich dir auch mal ein Bild geben, wat da los ist, da is ein to-o-osender Sturm
und ein Wasserfall bllllll! so-o, und irgendwelche gro-o-ßen Rufe, ja, in in irgendeiner
zackigen – Felslandschaft, könn’sich irgendetwas vorstellen, ja?
S [lacht] j-ja
L Sowas is das un nu-un wird’s weich, lieblich, ja bis dahin muss man es wirklich
rausstemmen aus dem Cello, ja?
S Ja, ja
L DA-TAM-PA-DI! Da ist eine Überlietung, oder gehen se da rüber jetzt (sp)
[Fingersatzproblem: a- oder d-Saite?]
S (sp) hm?
L Was sinds denn? Sinds immer Sechzehntel sinds immer Achtel? Wat sinds denn?
S Sechzehntel sinds imma
L Und der letzte auch?
S Ja
L [singt] Ooch noch?
S Ja
L dann kommen Achtel das a is dann ‘n Achtel.
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Register vs. Stil (Dell Hymes)
Varietäten = größere „Sprechstile“, die an soziale Gruppen gebunden sind
Register = Sprechstile, die an rekurrente Situationstypen gebunden sind
personale, situative und Genrestile = Sprechstile, die an Personen, spezielle Situationen oder
Genres gebunden sind (vgl. Hymes 1979: 177, zit. nach Linke u.a. 1994: 306)
Stil = individuelle (unbewusste, aber auch bewusste) Variationsmöglichkeiten innerhalb einer
bestimmten Varietät bei der Durchführung einer sprachlichen Handlung (z.B. eine feierlich-
ernste oder eine launig-fröhliche Rede, ein sachlich-nüchterner oder ein emotionaler und
aggressiver Beschwerdebrief), d.h. Stil als Marker der Förmlichkeit einer Situation im
Registerbegriff (vgl. Dittmar 1997: 232)
Stile vermitteln Sprecherinformationen – Register sprachgebrauchbezogene Informationen
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(10) MEDIALE VARIETÄTEN bzw. MEDIOLEKTE
gesprochene Sprache (GS)
geschriebene Sprache (GSCHS)
Mischformen in der elektronischen Kommunikation
Hauptunterschiede: Funktion
kontextuelle Situierung
Inventar sprachlicher Merkmale
Weiter: Werkzeuge und Organen ihrer Hervorbringung
materielle Träger
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- häufigere Verwendung von dialektalen und umgangssprachlichen sowie soziolektalen
Merkmalen: (a) lautlich-intonatorische Merkmale („mit Akzent sprechen“), (b) grammatische
Eigentümlichkeiten (wegen + Dat., Zusammenziehung von Präposition und Artikel), (c)
kurzlebige regionale und gruppensprachliche Wörter und Wendungen.
Typologie des Geschriebenen (vgl. Löffler 1994: 102-103, Linke u.a. 1994: 248-251) –
Kriterien für die Klassifikation der Textsorten in der Textlinguistik:
(a) textinterne Kriterien:
Textoberfläche (graphische Ebene – z.B. Handschrift vs. Maschinenschrift vs. Druck;
Wortwahl; Art und Häufigkeit von Satzbaumustern);
Texttiefenstruktur (Thema, Themenbindung, Themenverlauf, Textstrukturmuster);
(b) textexterne Kriterien:
Textfunktion (Darstellung, Appell, Ausdruck bzw. repräsentativ, direktiv, kommissiv,
expressiv, deklarativ; objektive od. subjektive Behandlung...),
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Kommunikationsmedium/Trägermedium (vgl. z.B. Brief vs. Telegramm; literarische
Gattungen des Lyrischen, Epischen und Dramatischen),
Kommunikationssituation (Öffentlichkeitscharakter, der soziale Status,
Bekanntheitsgrad und das Vorwissen der Kommunikationspartner usw.)
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(11) FUNKTIONALE VARIETÄTEN bzw. FUNKTIOLEKTE
Funktion
(I) das Organonmodell von Karl Bühler
Darstellungsfunktion (Zeichen ↔ Gegenstände und Sachverhalte)
Ausdrucksfunktion (Zeichen ↔ Sender)
Appellfunktion (Zeichen ↔ Empfänger)
(II) Funktionen der Sprache nach Roman Jakobson: referentiell (= Darstellung),
emotiv (= Ausdruck),
konativ (= Appell),
phatisch,
metasprachlich,
poetisch.
(III) Kommunikationsbereiche und Funktionalstile
(1) Alltagsverkehr u. die Alltagssprache („Umgangssprache“);
(2) Belletristik / künstlerische Literatur u. die Literatursprache ;
(3) Wissenschaft u. die Wissenschafts- / Fachsprache – Sachprosa;
Subvarietäten: (1) Theoriesprache;
(2) fachliche Umgangssprache;
(3) Lehrbuchsprache;
(4) Unterrichtssprache;
(5) Außen- / Verteilersprache.
(4) Amtsverkehr / Verwaltung / Direktive u. die Sprache des öffentlichen Verkehrs /
Instruktionssprache;
Subvarietäten in den Bereichen: Verwaltung; Wirtschaft und Handel; Rechtwesen.
(5) Presse und Publizistik u. die Pressesprache bzw. Sprache der Massenmedien.
Textsorten: informierend, meinungsbetont, kontaktorientiert, auffordernd u.a.
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(12) KONTAKTVARIETÄTEN
Sprachkontakt = „Sprachberührung oder gegenseitiges Aufeinanderwirken von Sprachen
aufgrund kommunikativer Interaktionen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen unter
besonderen geographischen, historisch-politischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten, mit
erkennbaren Einflüssen von Sprachen aufeinander, die als Sprechgewohnheiten und u. U.
bleibende Sprachveränderungen manifest werden“ (Lewandowski 1994: 1026-1027).
politische, wirtschaftliche, kulturelle usw. Macht als der bestimmende Faktor
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(3) Sätze mit Subjekt: Mann Koffer tragen;
(4) Pronominalisierungen: Du tragen Koffer;
(5) Komplexere Formen: Du tragen langen Balken fort;
(6) Adverbialsätze, Kopula, Modalverb usw.;
(7) Hilfsverben, Verbergänzungen, Attributsätze usw.
Fossilierung von Lernervarietäten
Soziale Faktoren der Erlernung einer S2: Kontakt in der Freizeit, Alter bei der Einreise, Kontakt
am Arbeitsplatz, Ausbildungsqualität in der Heimat, Ausbildungsdauer, Aufenthaltsdauer in
Deutschland (vgl. Löffler 1994: 54-55).
Forschungsschwerpunkte
Ethnolekte = Varietäten oder Sprechstile, die von Sprechern einer ethnischen Minderheit
verwendet und als typisch für sie eingestuft werden.
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(13) SOZIOLINGUISTIK ALS WISSENSCHAFT: SOZIOLINGUISTISCHE UNTER-
SUCHUNG, METHODEN.
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1. quantitative Methoden (Vorteile: Repräsentativität, Reliabilität; Nachteile: oberflächlich,
Validität gefährdet)
→ large scale-Untersuchungen
→ korrelative Forschungsfragen
Teilnehmende Beobachtung
= langfristiges Teilnehmen an sozialen Aktivitäten natürlicher Gruppen
Feldarbeit als das Kernstück der ethnographischen Methodologie
Doppelrolle des Forschers als Teilnehmer an der Interaktion und als ihr Beobachter
Gefahr: (a) zu wenig Interaktion - Innenperspektive bleibt verborgen;
(b) zu viel Identifizierung (going native) – Beobachtung nicht mehr möglich
Befragung
Einstellungsuntersuchungen
Klassifizierung [Medium der Befragung (schriftlich/mündlich) + Grad der Standardisierung
(geschlossen/offen) als Kriterien]
(a) schriftliche Befragungen mit geschlossenen und offenen Fragen (indirekte Befragung, mittels
Fragebogen)
(b) mündliche Interviews mit hohem oder niedrigem Standardisierungsgrad (direkte Befragung
oder kombiniert - Verwendung des Fragebogens in Interviewtechnik, gezieltes Interview,
Interview nach Leitfaden)
Beispiele:
offene Interviews (sog. Intensiv- oder Tiefeninterviews), u.a. das narrative Interview
(Repräsentativität aufgrund der Wiederholung (Rekurrenz) von Argumenten und Stereotypen)
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Maus
Sehr Sehr
Etwas Etwas
Weder/noch
bzw.
Beides
beängstigend
beruhigend
gefährlich ungefährlich
aktiv passiv
hässlich schön
furchtlos ängstlich
50
historische Soziolinguistik: Longitudinalstudien
Erschließung von Quellenserien
51
52