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SOZIOLINGUISTIK: HANDOUTS ZUR VORLESUNG

Grundliteratur zur Soziolinguistik


a) Standardwerke
Dittmar, Norbert: Grundlagen der Soziolinguistik: Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Tübingen:
Niemeyer, 1997.
Löffler, Heinrich: Germanistische Soziolinguistik. 4., neu bearb. Aufl. Berlin: Schmidt, 2010.
Schlieben-Lange, Brigitte: Soziolinguistik. Eine Einführung. 3., überarb. u. erw. Aufl.
Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer, 1991.
Veith, Werner H.: Soziolinguistik. Ein Arbeitsbuch mit 100 Abbildungen sowie Kontrollfragen
und Antworten. Tübingen: Narr, 2002.

b) Kurze Einführungen
Althaus, Peter / Henne, Helmut / Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Lexikon der germanistischen
Linguistik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 1980. Kap. Sprache und
Gesellschaft, S. 347-395.
Clément, Daniele: Linguistisches Grundwissen. Eine Einführung für Deutschlehrer. Opladen:
Westdeutscher Verlag, 1996. Kap. 6, Sprache und Gesellschaft (Soziolinguistik), S. 227-238.
Černý, Jiří: Dějiny lingvistiky. Olomouc: Votobia, 1996. Kap. 18, Sociolingvistika a
etnolingvistika, S. 389-410.
Gross, Harro: Einführung in die germanistische Linguistik. 3., überarb. u. erw. Aufl.,
neubearb. v. Klaus Fischer. München: Iudizium. Kap. 9, Soziolinguistik, S. 167-190.
Helbig, Gerhard: Vývoj jazykovědy po roce 1970. Praha: Academia, 1991. Kap. 2.6,
Sociolingvistika, S. 215-244.
Hoffmanová, Jana: Stylistika a ..... Praha: Trizonia, 1997. Kap. Sociolingvistika, S. 137-142.
König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. 13., durchges. Aufl. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag, 2001. Kap. Sprachsoziologie, S. 132-137.
Linke, Angelika / Nussbaumer, Markus / Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5., erw.
Aufl. Tübingen: Niemeyer, 2004. Kap. 8, Soziolinguistik, S. 335-372.
Lyons, John: Die Sprache. 4. Aufl. München: Beck, 1992. Kap. 9, Sprache und Gesellschaft, S.
238-266.

c) Weitere Literatur
Ammon, Ulrich / Dittmar, Norbert / Mattheier, Klaus J. (Hrsg.): Soziolinguistik. Ein
internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. 2 Halbbde. Berlin;
New York: de Gruyter: 1987 / 1988. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft; Bd. 3)
Ammon, Ulrich: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das
Problem der nationalen Varietäten. Berlin; New York: de Gruyter, 1995.
Švejcer, A. D. / Nikolskij, L. B.: Úvod do sociolingvistiky. Praha: Svoboda, 1983.

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Prüfungsthemen

1. Begriffs- und Gegenstandsbestimmung der Soziolinguistik.


2. Die Entwicklung der Soziolinguistik.
3. Der Begriff der Sprachgemeinschaft.
4. Deutsch als plurizentrische Sprache. Die Sprachsituation in den deutschsprachigen
Ländern.
5. Der Einfluss der außersprachlichen Faktoren auf das Sprachverhalten.
6. Der Begriff der Varietät. Klassifizierung der Varietäten.
7. Sprachnormen und Wertungen.
8. Die Standardvarietät.
9. Die Defizit- und die Differenztheorie.
10. Sprachbarrieren.
11. Diglossie.
12. Areale Varietäten.
13. Soziolektale, d.h. gruppen- und schichtsspezifische Varietäten.
14. Geschlechtsspezifische Variation.
15. Altersspezifische Variation.
16. Funktionale Varietäten.
17. Situationale Varietäten.
18. Mediale Varietäten.
19. Sprachkontakte: Kontaktvarietäten.
20. Soziolinguistische Untersuchung.

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(1) BEGRIFFS- UND GEGENSTANDSBESTIMMUNG DER SOZIOLINGUISTIK

1.1. SOZIOLINGUISTIK

„Wissenschaftsdisziplin im Überschneidungsbereich von Linguistik und Soziologie, die sich


mit den wechselseitigen Beziehungen zwischen Sprache und Sozialstrukturen beschäftigt“
(Brockhaus-Enzyklopädie 22, 1993: 562, zit. nach Löffler 1994: 22).

„das Studium der Sprache im sozialen Kontext“ (William Labov, vgl. Dittmar 1997: 20)

„Wissenschaft von den gesellschaftlichen Bedingungen der Sprache“ (Dittmar 1973: 389, zit.
nach Löffler 1994: 21).

„Die Soziolinguistik untersucht die Beziehungen zwischen der Sprache und der
gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeit von Sprechern/Hörern, man sagt auch: zwischen
Sprachstruktur und Sozialstruktur“ (Gross 1990: 156).

Die Soziolinguistik untersucht, welche Formen von Sprachhandeln für welche sozialen
Gruppen einer Sprachgemeinschaft typisch sind (vgl. Linke u.a. 1994: 294).

Kommunikationsmodell (nach Löffler 1994: 34)

KE (Kommunikationsereignis)
S (Sender) →→→→→ ←←←←← E (Empfänger)
Informationsübertragung

K (Kode)

Sozialdaten der Sprachbenutzer:


(a) individuelle Merkmale
(b) Gruppenmerkmale und schichtenkennzeichnende Merkmale
Kommunikative Kompetenz der Sprachbenutzer:
1. Sprachliches Wissen
2. Normatives Wissen
3. Handlungswissen

„Soziolinguistik ist die Untersuchung der Sprache in ihren sozial und funktional verschieden
ausgeprägten Spielarten, denen ein sprachliches, normatives und Handlungswissen jeweils
entspricht“ (Dittmar 1997: 2).

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1.2. DER GEGENSTAND DER SOZIOLINGUISTIK
„Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen
mit welchen Absichten und Konsequenzen?“ (Dittmar 1997: 25).
„Der Gegenstand der Soziolinguistik ist die soziale Bedeutung (von Varietäten) des
Sprachsystems und des Sprachgebrauchs“ (Dittmar 1997: 21).
Dimensionen des Sprachgebrauchs (vgl. Dittmar 1997: 25-26, 98-99):
(1) soziale Dimension
(2) sprachliche Dimension
(3) interaktive Dimension
(4) Kontextdimension
(5) evaluative Dimension
(6) historische Dimension
(7) biographische Dimension

„‘Soziolinguistik’ versteht sich als eine empirisch orientierte Disziplin im ‘Zwischenbereich’


von Soziologie und Linguistik, die strukturelle Eigenschaften sowie Status und Funktion der
gesprochenen Sprache beschreibt, die wachsende Distanz zwischen theoretisch und empirisch
orientierter Sprachforschung abbauen und der Sprachtheorie neue Erklärungsdimensionen für
Sprachvariation und Sprachwandel bieten will“ (Dittmar 1997: 25).

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(2) ENTWICKLUNG DER SOZIOLINGUISTIK

Haver C. Currie 1949 / Southern Speech Journal (1952)


Periodisierung der (germanistischen) Soziolinguistik (vgl. Löffler 1994: 13-20)
1. vorsoziolinguistische Phase
2. allgemeine Soziolinguistik
3. germanistische Soziolinguistik

1. Die vorsoziolinguistische Phase


Martin Luther: (volksnahe) Alltagssprache in der Bibelübersetzung
Martin Opitz: Deutsch als poesiefähige Sprache
Justus Georg Schottel: Deutsch als Literatursprache über Dialekten
Gottlieb Wilhelm Leibniz: Deutsch als Bildungssprache
Johann Bödiker: „Idiotismen“ (1690)
Johann Christoph Gottsched: die Sprache des Hofes als Vorbild.
Johann Christoph Adelung: Sprache der oberen Klassen als Vorbild
Johann Gottfried Herder: Kultursprache und Volkssprache - „Jeder Sinn, jede Leidenschaft,
jedwedes Alter, jeder Stand, jede Gesellschaft haben ihre Sprache...“ (Herder 1800: 138, zit.
nach Löffler 1994: 28).
Wilhelm von Humboldt: Nationalsprache (Sprache, Nation und Kultur, Sprache und Weltansicht)
Hermann Paul: Sprachwandeltheorie; Sprachleben; Sprechtätigkeit
Georg von der Gabelentz: Gesellschaft und Sprachveränderung, Sprache und Klassen, Männer-
und Frauensprachen u.a.
Dialektgeographie: Sprachatlas des Deutschen Reiches
Philipp Wegener: Sprachunterschiede zwischen Stadt und Land, Gebildeten und Ungebildeten,
Arten des sprachlichen Umgangs (1880)
Ferdinand Wrede: Soziallinguistik vs. Individuallinguistik (1903)
Ferdinand de Saussure: Sprache ↔ Gesellschaft als Gegenstand der Sozialpsychologie
Friedrich Maurer: Volkssprache
Adolf Bach: Grundlagen der Sozialdialektologie (30er Jahre des 20. Jhs.)
Sprachinselforschung
Karl Bühler: Situationsgebundenheit des Sprechens (Darstellung, Ausdruck, Appell)
Prager Schule
Leo Weisgerber: sprachliche Zwischenwelt – Muttersprache als Mittel der Wahrnehmung und
der Gestaltung der Welt (Neohumboldtismus)

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2. Anfänge der eigentlichen Soziolinguistik
Situation in der Sprachwissenschaft
Strukturalismus und Transformationsgrammatik
Eugenio Coseriu
(1) die Ebene der funktionellen Sprache
(2) die Ebene der Architektur der Sprache: (a) diatopische Unterschiede
(b) diastratische Unterschiede
(c) diaphasische Unterschiede
Franz Boas, Edward Sapir; Benjamin Lee Whorf (Sprachdeterminismus / sprachliches
Relativitätsprinzip)
Kenneth Pike: Sprache als eines der Handlungssysteme
John Rupert Firth und die Londoner Schule: Kontextualismus
Antoine Meilletts; André Martinet; Marcel Cohen

Situation in der deutschen Gesellschaft


der Münchner Germanistentag von 1966 (Gegenwartssprache)
pragmatische Wende der Linguistik
„Student aufs Land“ und Sprachbarrieren

2.1. Defizithypothese / -theorie


Basil Bernstein: Sprechen als Teil des Sozialverhaltens ist schichtenspezifisch
Der elaborierte und der restringierte Kode (nach Gross 1998: 176)

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Der restringierte Kode + statusorintiertes Kommunikationsverhalten
Der elaborierte Kode + personenorientiertes Kommunikationsverhalten
Vgl. die Begründung eines Verbots:
RK: „weil du das nicht sollst“ / „weil ich es dir verbiete“, ...
EK: „weil ich Kopfschmerzen habe und Lärm dann besonders schlimm für mich ist“

Beispiel für den elaborierten und den restringierten Kode: Gespräch zwischen der Mutter und
ihrem Kind (vgl. Gross 1998: 177)

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Unterschiede in (a) Explizitheit, (b) grammatischer Korrektheit, (c) logischer bzw.
argumentativer Strukturiertheit, (d) Vorhersagbarkeit.
Unterschiede als Mängel / Defizite → kompensatorische Spracherziehung

2.2. Differenzhypothese / -theorie


William Labov
Unterschiede als Andersartigkeit – funktionale Gleichwertigkeit der Kodes → emanzipatorische
Spracherziehung: Kode-Wechsel (Code-switching)

3.1. Germanistische Soziolinguistik


(1) Verifizierung / Falsifizierung der Defizithypothese
Ulrich Oevermann: Sprache und soziale Herkunft (1970)
- die schichtenspezifischen Unterschiede weniger ausgeprägt
- Halo-Effekt
- die Kodes als „soziale Auswahlregeln“ (RK mehr situationsgebunden als EK)

Eva Neuland: Zur Entwicklung von Bedeutungen und ihrer sozialen Variation (1976): ein
gemeinsames und ein jeweils spezifisches Repertoire

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(2) Dialekt als Sprachbarriere: soziale Dialektologie
Ulrich Ammon (1972): Dialekt und Standardsprache als Mittel der Selbstidentifikation, der
restringierte Kode und Dialekt im Vergleich u.a.

(3) „Kommunikativ-pragmatische“ SL als Rahmen für Pragmatik, Semantik, Textlinguistik,


Gesprächsanalyse, Sprachgeschichte (historische Soziolinguistik)

(4) Varietätenlinguistik und Kontaktlinguistik

3.2. Internationale Soziolinguistik


Themen
Westeuropa: Dialekte und Minderheitensprachen
Nordamerika: Minderheitensprachen, Black English, Pidgin- und Kreolsprachen; Ethnographie
der Kommunikation (Gesprächsanalyse)
die ehemalige Sowjetunion: Sprachwandel, Sprachpflege und Sprachnormierung;
Nationalitätensprachen
Methoden: quantitative Methodologie
interpretative / qualitative Methodologie

Forschungsrichtungen (vgl. Dittmar 1997: 21ff.):


A. Einfluss von Uriel Weinreichs Languages in Contact (1953, dt. 1977) auf zwei quantitative
Richtungen
(1) Sprachsoziologie
Joshua A. Fishman: International Journal of the Sociology of Language
Ulrich Ammon, Klaus J. Mattheier, Peter H. Nelde: Sociolinguistica (seit 1987)
Themen: Mehrsprachigkeit, Typologie der Sprachgemeinschaften, Statustypen von
Sprachsystemen (z.B. Minderheitensprachen), Kommunikationsstile sozialer Schichten,
Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie, Sprachplanung (bes. Standardisierung einer
Varietät), Englisch als Weltsprache, internationale Stellung des Deutschen bzw. Deutsch als
plurizentrische Sprache (vgl. Dittmar 1997: 21-22, 45-46, 70-80).

(2) Soziale Dialektologie / Variationslinguistik


William Labov: The Social Stratification of English in New York City (1966)
Schriftenreihe des Center for Applied Linguistics in Washington
Zeitschriften: Language in Society (Dell Hymes; William Bright)
Linguistic Variation and Change (William Labov, David Sankoff)
Themen: Mehrsprachigkeit in den Städten, Sprachwandel, die Variation der gesprochenen
Sprache (vgl. Dittmar 1997: 22, 43-45, 54-70).

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B. Qualitative Richtungen
(3) Ethnographie der Kommunikation
Themen: kulturelle Verschiedenheit und Sprache (Werte und Normen ethnisch verschiedener
Gruppen, Gesprächstaktiken)
Harold C. Conklin, Dell Hymes, Frederick Erickson, Werner Kallmeyer
Zeitschriften: American Anthropologist; Language in Society

(4) Soziale und interaktionale Pragmatik bzw. interaktionale Soziolinguistik


Themen: soziale Bedeutung von verbaler Interaktion
= sog. Gesprächs- / Diskurs- / Konversationsanalyse (KA)
(a) formale KA: Organisation verbaler Interaktion, Typologie von Gesprächen, ...
Harvey Sachs, Emanuel Schegloff, Gail Jefferson, Jim Schenkein, Klaus Brinker, S. F. Sager;
(b) kognitive / interpretativ-ethnomethodologische KA: Prozesse der Bedeutungskonstitution und
Interpretation in verbalen Interaktionen
Aaron Cicourel, Bud Mehan, Don H. Zimmermann;
(c) ethnographische KA: soziale Bedeutung der Wahl sprachlicher Varianten bzw. Varietäten
(Kode-Wechsel), Kontextualisierungshinweise
John Gumperz
Zeitschriften: Language in Society; Journal of Pragmatics; Discourse Processes; Discourse and
Society

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(3) SOZIOLINGUISTIK ALS VARIETÄTENLINGUISTIK

3.1. Varietät
Verwendungs- / Erscheinungsform der Sprache

„neutraler Terminus zur Bezeichnung bestimmter mit außersprachlichen Bedingungen


variierenden Sprech- und Sprachgebrauchsstile“ (vgl. Dittmar 1997: 176)

„jede der verschiedenen Spielarten, in denen eine historisch-natürliche Sprache in Erscheinung


tritt, und zwar in Abhängigkeit von spezifischen sozialen Bedingungen wie Sprecher, Umstand,
Zeit und Ort“ (vgl. Berruto 1987: 263)

„eine Sprach(gebrauchs)form des Deutschen, die sich als Summe spezifischer sprachlicher
Charakteristika beschreiben lässt, die an eine durch außersprachliche Faktoren definierbare
Gruppe von Sprecherinnen und Sprechern angebunden ist (vgl. Linke u.a. 1994: 303-304)

„Menge sprachlicher Strukturen (Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Lexikon,


Pragmatik) [...], die relativ zu außersprachlichen Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gruppe,
Region, historische Periode, Stil etc.) in einem Varietätenraum geordnet sind“ (Dittmar 1997:
177)

„... gewisse Realisierungsformen des Sprachsystems [kookkurrieren] in vorhersehbarer Weise


mit gewissen sozialen und funktionalen Merkmalen der Sprachgebrauchssituationen [...]. Wenn
eine Menge von gewissen miteinander kongruierenden Werten von bestimmten sprachlichen
Variablen (d.h. gewisse Realisierungen gewisser Formen, die in der Gesamtheit der Sprache
mehr Realisierungen zulassen) zusammen mit einer gewissen Menge von Merkmalen auftreten,
die die Sprecher und/oder die Gebrauchssituation kennzeichnen, dann können wir eine solche
Menge von Werten als eine sprachliche Varietät bezeichnen“ (Berruto 1987: 264). Die
Varietäten werden charakterisiert „nicht durch An- und Abwesenheit von bestimmten Formen
oder Regeln, sondern vielmehr durch die Frequenz ihrer Anwendung“ (Berruto 1987: 266).

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3.2. Klassifizierung der Varietäten
Kirsten Nabrings (1981):
Dimensionen des Varietätenraums: (1) diatopische,
(2) diastratische,
(3) diaphasische,
(4) diachrone.
Harro Gross (1998: 167):
Region: Dialekt/Mundart,
soziale Schicht: Schichtensprache/Kode,
Beruf: Fachsprache/Berufssprache,
Subkultur bzw. Randgruppe: Sondersprache,
politische / religiöse Gruppe: ideologische Sprache,
Geschlecht: Frauen- und Männersprache,
Alter: Jugendsprache, Generationensprache.

Heinrich Löffler (1994: 86-88)


1. das Medium Mediolekte: gesprochene Sprache,
geschriebene Sprache;
2. die Funktion Funktiolekte / Funktionalstile:
Alltagssprache,
Fach- und Wissenschaftssprache,
Sprache des öffentlichen Verkehrs / Instruktionssprache /
Direktivstil,
Literatursprache,
Pressesprache;
3. die areale Verteilung Dialekte;
4. Sprechergruppen Soziolekte: Schichtensprachen,
Gruppensprachen,
[nicht berufsbedingte] Sondersprachen;
5. Alter und Geschlecht Alterssprachen: Kindersprache,
Jugendsprache,
Erwachsenensprache,
Seniorensprache;
Sexolekte: Männersprache,
Frauensprache;

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6. Interaktionstypen bzw.
Situationen Situolekte;
Stile: monologisch,
dialogisch,
symmetrisch,
asymmetrisch;
Textsorten;
7. Idiolekte.

Norbert Dittmar (1987: 179-180)


Ordnungsdimension (M = charakteristisches Merkmal; V = Varietät):
1. Person M: einmalige individuelle Identität
V: individuelles Repertoire (Idiolekt)
Lernervarietät (Lernerlekt)
2. Raum M: lokale Identität
V: lokal
regional (Dialekt)
städtisch (Urbanolekt)
überregional (Umgangssprache, Regiolekt)
3. Gruppe M: Wertekonflikt (gut / prestigebesetzt vs. schlecht / stigmatisiert)
V: schichtspezifisch (Soziolekt)
geschlechtsspezifisch (Sexolekt bzw. MW-Lekt)
altersspezifisch (Gerontolekt, Jugendsprache)
gruppenspezifisch (Argot, Rotwelsch, Slang, Obdachlosen-
sprache...)
4. Kodifizierung M: normative Korrektheit (schriftlicher, mündlicher Gebrauch)
V: Standardvarietät
standardnahe Umgangssprache
5. Situation M: Kontext- / Musterwissen
V: Register
Stile
Fachsprache (?)
6. Kontakt M: Macht (politische, militärische, wirtschaftliche, kulturelle)
V: Pidgin
Kreolsprachen

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Dialekte prestigebesetzter Weltsprachen außerhalb des
Mutterlandes
Repertoire der Sprachgemeinschaft
individuelles linguistisches Repertoire (+ kommunikative / panlektale Kompetenz)

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(4) IDIOLEKT
individuelle Realisierung eines sprachlichen Systems = Sprachbesitz und sprachliche
Verhaltensweisen eines Individuums:
Idiolektale Besonderheiten: soziale, professionelle, territoriale, psycho-physische
Sprachliche Verhaltensweisen:
(a) situationsbedingte: partnerspezifisch
rollenspezifisch
themenspezifisch
(b) permanente
+ Fähigkeit zum Kode-Wechsel
Rolle der Idiolekte in der Soziolinguistik

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(5) AREALE VARIETÄTEN bzw. DIALEKTE
5.1. Definition des Dialekts
horizontal und vertikal (vgl. Lewandowski 1994: 220-221);

Kriterien für die Bestimmung des Dialektbegriffs (Ammon 1995):


(1) linguistische Ähnlichkeit mit der Standardvarietät,
(2) Art der Überdachung,
(3) Zugehörigkeitsurteil der Sprecher,
(4) Kleinräumigkeit,
(5) Nichtnormiertheit (fehlende Standardisierung/Kodifizierung).

ad (1) linguistische Ähnlichkeit (Übereinstimmungsgrad): große oder mittlere Ä.


Heinrich Kloss: Abstandssprachen (z.B. Fremdsprachen)
Ausbausprachen (z.B. Dialekt und Standard)
ad (2) Art der Überdachung: Binnendialekte
Außendialekte: - an die Standardsprachgemeinschaft angrenzend
- Sprachinseln
ad (4) Größe der Räume: lokale Dialekte (kleinräumig),
Stadtdialekte (mittelräumig),
regionale Dialekte/ Regiolekte / Umgangssprachen (großräumig).
→ Substandard / Interdialekt

Heinrich Löffler: 10 Dimensionen einer Dialektdefinition (vgl. Löffler 1983: 453-458, zit. nach
Dittmar 1997: 188):
(i) Vorkommensbereich;
(ii) Typologische Hierarchie;
(iii) Linguistischer Status;
(iv) Benutzerkreis;
(v) Verwendungsebene;
(vi) Kommunikative Leistungsfähigkeit;
(vii) Kommunikative Reichweite;
(viii) Einstellungen;
(ix) Standard vs. Nonstandard;
(x) Metasprachliche Ebene.

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5.2. Sozio-Dialektologie / kommunikative Dialektologie
Wer spricht wo welchen Dialekt / welche dialektale Form in welcher Häufigkeit?
(1) soziale Verbreitung der Dialekte und Ausmaß der Dialektalität
Dialektalität ↔ Sozialschicht (bzw. Beruf),
Alter
Geschlecht
Region
Situation
(2) kommunikative Funktionen der Dialekte
- Informationsübermittlung;
- Reichweite;
- eingeschränkter vs. differenzierter Wortschatz;
- Sprache der Nähe;

- dialektale Sprachbarriere.
(3) Einstellungen zu Dialekten
1. (a) mit linguistischer Vorinstruktion,
(b) ohne diese Vorinstruktion.
2. Selbsteinschätzung
Fremdeinschätzung → Beliebtheitsskalen
3. Art der Fragestellung: Nennung,
Liste zur Auswahl,
Sprachproben vorgespielt, z.B.:
Dialekt-Erkennungstest
matched-guise-Verfahren (Technik der Verschleierung
durch Montage; Wallace E. Lambert)

5.3. Diatopisch sowie diastratisch bestimmte Varietäten („Mischsprachen“)


Stadtdialekte (Urbanolekte, Stadtsprachen) als Ausgleichsvarietäten (städtische Umgangs-
sprachen)
Industriesprachen (Betriebssoziolekte)
Umgangssprachen (Regiolekte)
1. Ausgleichsvarietäten zwischen der Standardsprache und den Dialekten,
2. diaphasische (situative) Varietät der gesprochenen Sprache
Jürgen Eichhoff : Wortatlas der deutschen Umgangssprachen. Bd. 1: Bern 1977. Bd. 2: Bern
1978. Bd. 3: München 1993. Bd. 4: München 2000. (vgl. http://www.degruyter.de/
files/pdf/9783907820483Prospekt.pdf)

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König, Werner: Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Bd. 1-2. Ismaning 1989.
Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Stuttgart 1987. [bzw. Berlin 2000.
(= Digitale Bibliothek, 36)]

Einige Merkmale: Verschmelzungen von Präposition und Artikel;


weil + Verbzweitstellung,
ausgegliederte Partikeln wie freilich oder also als modale Operatoren zum
Satz,
Extrapositionen (Links- und Rechtsherausstellung),
Ausrahmung,
Verbspitzenstellung,
Nonstandardmuster wie wem sein Hut ist das? (wessen Hut ist das?, vgl.
Dittmar 1997: 198-201).
Beispiel (vgl. http://www.germanistik.uni-freiburg.de/dafphil/internetprojekte/projekte6/mundart
/umgangssprache1.html): Die Umgangssprache im Freiburger Sprachraum zeichnet sich durch
die folgenden drei Merkmale aus:

1) Sie tendiert dazu, Wörter zu verkürzen, also Silben auszusparen. Dies äußert sich in erster
Linie im Weglassen von Vokalen, was am häufigsten bei unbestimmten Artikeln (Bsp. eine >
'ne, ein > 'n), vereinzelt aber auch bei anderen Wörtern vorkommt. Darüber hinaus werden auch
gerne einzelne Konsonanten beim Aussprechen verschluckt.
2) Sie wandelt häufig den st-Laut des Standarddeutschen in einen sch-Laut um. Bsp. günstigt >
günschtig.
3) Sie läßt gerne das Subjekt weg, sofern ein konjugiertes Verb folgt, was häufig im
Zusammenhang mit Merkmal 2) vorkommt. Bsp. Weißt Du? > Weisch?
... Und nicht zu vergessen sind typische Floskeln: Bsp. nicht mehr > nimmer, nicht wahr? >
gell?, nichts > nix, tatsächlich? > echt?

A: Was darf ich Dir denn für 'n Wein zum Essen anbieten?
B: I s mir egal, was passt denn dazu?
A: Mmh, da wir 'ne kräftige Speise ham, würd ' ich ' n kräftig ' n Wein empfehlen.
B: Ach, da gibt 's Regeln?
A: Ja, man empfiehlt zum Beispiel bei ' ner leichten Speise ' n fruchtig frischen Wein.
Bei 'ner kräftigen Sauce dagegen eher ' n kräftig'n Wein.
B: Echt?
A: Wie sieht's aus, hasch Luscht auf'n Burgunder?
B: Ha sch auch 'n Moscht da, mir i s eher nach Traubensaft.
A: Ja klar, hab' ich, aber zum Nachtisch trink sch schon 'n Eiswein mit?
B: Is des der Wein, für den man Trauben bei etwa -7 Grad erntet?
A: Ja genau. Und der i s sehr teuer. So 'ne günschtige Gelegenheit an Eiswein zu
kommen krieg sch nimmer so schnell!
B: _Weiß nich!
A: Ach komm, na gibt 's nix zu überlegen! Wie sagt ma in Baden? 'Ne Mahlzeit ohne
Wein i s wie 'n Tag ohne Regen!

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(6) ZUM GEBRAUCH VON STANDARDVARIETÄT UND DIALEKTEN IN DEN
DEUTSCHSPRACHIGEN LÄNDERN
(I) Dialektschwund
(II) Dialekt-Standard-Kontinuum
(III) Diglossie

6.1. Die Sprachsituation in Deutschland


Oberdeutsch, Mitteldeutsch, Niederdeutsch
linguistische Distanz zwischen den nördlichen und den südlichen Dialekten

(a) Das norddeutsche Gebiet des Dialektschwundes.


Vgl. Missingsch
- Lang mich mal die Kanne Milch (Lang mi mol de Melkkann) (Gib mir bitte die Milchkanne)
- Sitzen gehen schallst du erst, wenn de Vadder da is (Sitten gahn schallst du iers, wenn de
Vadder dor is.) (Hinsetzen sollst du dich erst, wenn der Vater da ist.)
- Der ist tot geblieben. (He is dood bleven.) (Er ist gestorben.)
- Ich tu dich blots ankucken, denn wirst du klar kriegen, was die Klock geslagen hat. (Ik do di
blots ankieken, denn schallst du klorkreegen, wat de Klock slaan hett.) (Ich schaue dich nur an,
dann weißt du, was die Stunde geschlagen hat.)
(Quelle: <http://de.wikipedia.org/wiki/Missingsch>)

(b) Das mittel- und süddeutsche Gebiet des Dialekt-Standard-Kontinuums (Gradualismus)


Beispiel: Abstufungsvielfalt zwischen dem schwäbischen Dialekt und der Standardvarietät (vgl.
Ammon 1995: 370):
(1) Des hao e gmacht.
(2) Des han e gmacht.
(3) Des hab e gmacht. / Des han i gmacht.
(4) Des hab i gmacht.
(5) Des hab ich gmacht. / Des hab i gemacht.
(6) Des hab ich gemacht. / Das hab ich gmacht.
(7) Das hab ich gemacht.
(8) Das habe ich gemacht.

Sozialsymbole / „Schibboleths“ der Sozialschichten


Abb. Varietätenspektren / Varietätenregister der Sozialschichten im Dialekt-Standard
Kontinuum im Vergleich zu Diglossie (nach Ammon 1995: 372).

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6.2. Die Sprachsituation in Österreich
Dialektgeographische Gliederung:
(a) Bairisch-Österreichisch:
- Mittelbairisch (Niederösterreich, Wien, Oberösterreich, Burgenland, Teile Salzburgs und
der Steiermark),
- Südbairisch (Tirol, Kärnten, Teile Salzburgs und der Steiermark);
(b) Alemannisch (Vorarlberg).
ad (a)
„Sprachschichten“, z.B. im niederösterreichischen Weinviertel (vgl. Wiesinger 1988: 18-22)
Heute Abend kommt mein Bruder nach Hause.
(1) Basisdialekt: Heint af d’Nocht kimmt mein Bruider hoam.
(2) Verkehrsdialekt: Heit auf d’Nocht kummt mein Bruader ham.
(3) Umgangssprache: Heit åb’nd kommt mein Bruder z’Haus.
(4) Standardsprache: Heut åb’nd kommt mein Bruder nåch Haus.
!!! gesprochene Standardsprache vs. „Hochlautung“
Die Wahl der Varietät ist sozial und situativ bedingt. → Symbolwert der Varietät und sein
Einfluss auf den Sprachgebrauch
ad (b) Diglossie

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6.3. Die Sprachsituation in der Schweiz
6.3.1. Diglossie
das Repertoire der Sprachgemeinschaft
Typologien von Sprachgemeinschaften
Charles Ferguson
Diglossie bezeichnet eine relativ stabile Sprachsituation mit einem primären regionalen Dialekt,
der L-Varietät (Low-Variety, d.h. niedere Varietät), und einer überlagernden Sprachvarietät, der
H-Varietät (High-Variety, d.h. gehobene Varietät). Diese zwei sprachlich unterscheidbare
Varietäten können auf alternative Situationstypen, Domänen bezogen werden.
= funktionale Zweisprachigkeit

Unterschiede in (a) Grammatik, (b) Lexikon und (c) Phonologie.

Bilinguismus/Bilingualismus und Diglossie:


(1) Diglossie und Bilinguismus (z.B. Schweiz)
(2) Diglossie ohne Bilinguismus (z.B. herrschende Eliten)
(3) Bilinguismus ohne Diglossie (die meisten Gesellschaften)
(4) weder Bilinguismus noch Diglossie (?)

22
Kode-Wechsel (Code-switching) = angemessener situationsspezifischer Gebrauch von
Varietäten / Sprachen
John Gumperz
(1) situationsabhängiger Wechsel (situational switching) - bedingt durch die Faktoren:
(a) Ort bzw. soziales Umfeld (setting, z.B. Marktplatz),
(b) Situation (situation, bestimmt durch interagierende Personen, z.B. Einkäufe von Frauen,
politische Diskussionen von Männern),
(c) Ereignis (event, bestimmt durch Themen, z.B. bei Einkäufen: Verhandlung der Preise, ein
privater Schwatz).
(2) situationsunabhängiger, stilistischer Wechsel (metaphorical switching, z.B. Dialektformen
als Mittel der Vertraulichkeit (vgl. Schlieben-Lange 1991: 44-45).

Bsp. für den bilingualen Kodewechsel:


Mutter: Na, wie war’s beim Fußbalspielen?
Sohn: Wir haben gewonnen. Unsere Seite war ganz toll. Ich war der goalie. I stopped
eigth goals. They were real hard ones. Was gibt’s zu essen?

Weiterentwicklung des Begriffs Diglossie (vgl. Dittmar 1997: 145-152):

Dinomie / Diethnie (z.B. die türkische Gemeinschaft in deutschen Großstädten)


Mikrodiglossie: eine V in wenigen Domänen gebraucht; eine Regionalvarietät fehlt, H und L
eindeutig funktional getrennt, L (Dialekte) sozial nicht differenziert.
Makrodiglossie: H und L über viele Domänen gleich verteilt, durch eine Regionalvarietät
begleitet, in funktional zweideutigen Texten überlappen sich, gemischtsprachliche Äußerungen
in der Alltagskommunikation, L (Dialekte) sozial stratifiziert (Soziolekte).
Breite Diglossie (vs. enge Diglossie):
(a) hochgeschätzte (prestigebesetzte) Bestandteile des linguistischen Repertoires später im
Unterricht erworben und für formale und öffentliche Situationen reserviert;
(b) weniger hochgeschätzte Bestandteile als Erstsprache erworben, mit den
hochgeschätzten sprachlich verwandt, in eher informellen und privaten Situationen
verwendet,
z.B. die doppelt überlappende Diglossie:
(a) die ehemalige Kolonialsprache als offizielle Verkehrssprache,
(b) eine einheimische Sprache (ba) als Regionalsprache,
(bb)gegenüber anderen einheimischen Sprachen
die übergeordnete nationale Varietät.
die doppelt eingebettete Diglossie:
(a) eine Prestigesprache (H, z.B. Hindi): (aa) formaler akademischer Stil
(ab) konversationeller Alltagsstil
(b) der lokale Dialekt (L): (ba) eine gehobene, feine Varietät
(bb) eine grobe, ungebildete Varietät.

23
Stabile Diglossie: L-Varietät für die Kommunikation mit den Einheimischen verwendet, die
H-Varietät für die Kommunikation mit den Fremden (z.B. die H- und L-Varietät des Norfolk-
Island-Englischen).
Instabile Diglossie: in einer Domäne wird z.B. der Gebrauch von L zugunsten von H
aufgegeben (z.B. in der Diglossie Gascognisch-Standardfranzösisch).

Polyglossie: eine bzw. mehrere H-Varietäten und eine bzw. mehrere L-Varietäten (z.B. das
Varietätenrepertoire der einst in englischer Sprache erzogenen Chinesen in Malaysia).

Gaetano Berruto (1995, vgl. Dittmar 1997: 150-152):


(1) Soziale Zweisprachigkeit: zwei elaborierte Kultursprachen ohne funktionale Unterordnung
(z.B. Französisch und Englisch in der Sprachgemeinschaft von Montréal, Kanada)
(2 – 4) mit hierarchischen Beziehungen zwischen den Kodes:
(2) Diglossie (s.o.)
(3) Dilalie: beträchtliche Unterschiede zwischen H und L, H auch in Alltagssituationen
genutzt (z.B. Italien, Deutschland – vgl. Bairisch vs. Plattdeutsch)
(4) Bi- / Polydialektalität: eine Standardvarietät und diverse regionale und soziale Varietäten,
alle V in der Alltagskonversation benutzt, strukturelle Ähnlichkeit von H und L verhindert den
Aufstieg von L zu H (z.B. England, Frankreich).
Kriterien:
(1) Koexistenz von zwei Sprachen (im Sinne von Abstandssprachen und Ausbausprachen, d.h.
Varietäten einer Sprache),
(2) beträchtliche Unterschiede zwischen H und L,
(3) Gebrauch beider Varietäten in Alltagskommunikation,
(4) klare funktionale Differenzierung zwischen den beiden Varietäten,
(5) Domänenüberlappung zwischen ihnen,
(6) Standardisierung der L-Varietät,
(7) soziale Markierung und/oder Stratifikation der L-Varietät,
(8) Existenz eines Kontinuums von Varietäten zwischen H und L,
(9) hohes Prestige der H-Varietät,
(10) beide Varietäten sind in der primären Sozialisation einschlägig,
(11) Möglichkeit, dass sich L-Varietät zu einer Alternative für H entwickelt,
(12) Häufigkeit des Kodewechsels und des gemischtsprachlichen Diskurses,
(13) Tradition, die L-Varietät auch literarisch zu nutzen.

6.3.2. Die Besonderheiten der Diglossie in der deutschsprachigen Schweiz (vgl. Ammon
1995: 286-300):
(1) Die verhältnismäßig große linguistische Distanz zwischen Dialekt und Standardvarietät
(dem Schweizerhochdeutschen)

24
(2) Die verhältnismäßig große Ähnlichkeit der verschiedenen Dialekte untereinander.
(3) Das strenge strukturelle Auseinanderhalten von Dialekt und Standardvarietät („Dialekt-
Purismus“)
Ausnahme: „Papiermundart“ in vorgefertigten Reden, sog. Großrats- / Bundeshausjuristen-
deutsch

De Bundesrat het geschter in seyner Sitzung beschlosse,


De Bundesrat het geschter i synere Sitzig bschlosse, (Dialekt)
Der Bundesrat hat gestern in seiner Sitzung beschlossen, (Standard)

vo de Ergäbnis vo dere Vernäämlassung


vo de Ergäbnis vo dere Vernäämlassig
von den Ergebnissen dieser Vernehmlassung

in zustimmendem Sinn Kenntnis z nää.


i zuestimmendem Sinn Kenntnis z nää.
in zustimmendem Sinn Kenntnis zu nehmen.

(4) Die ziemlich konsequente funktionale Trennung von Dialekt und Standardvarietät nach
ihrem Gebrauch in den Domänen (v.a. „monovarietätische“ Domänen; mediale Diglossie:
mündlich/schriftlich)
(5) Die durchgängige Verwendung des Dialekts in allen Sozialschichten der Bevölkerung.
(6) Die Verwendung des Dialekts auch in gewissen öffentlichen Domänen (Schulunterricht,
v.a. in der Sekundarstufe; Seminare an den Hochschulen; Kantonsparlamente, bestimmte
Radio- und Fernsehsendungen, Kirchen).
(7) Die Verwendung des Dialekts für Gesprächsthemen jeglicher Art (Ausbaudialekt).
(8) Die weitgehende Erhaltung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten und
das Fehlen eines einheitlichen, überregionalen Schwyzertütsch. (Aber: „Züritütsch“.)
(9) Die Rolle des Dialekts als Nationalsymbol und seine Bewertung als Nationalsprache (vgl.
Gegenargumente).
(10) Die verbreitete Vorstellung von der Fremdsprachlichkeit oder zumindest Exonormativität
der Standardvarietät

6.3.3. Zusammenfassung: Dialekte nach ihrer Geltung (vgl. Dittmar 1997: 185):
(1) Dialekt als Relikt;
(2) Dialekt als soziales Symbol;
(3) Dialekt als Hauptvarietät.

25
(7) DIE STANDARDVARIETÄT
Hauptkriterium: normative Korrektheit
7.1. Sprachnorm
(soziale) Normen: Festsetzungen zur Regulierung menschlichen Handelns im gesellschaftlichen
Leben.
(1) statuierte Normen (Normschöpfung oder Institutionalisierung),
(2) subsistente Normen.
Sprachnormen = explizite Festsetzungen und normative Erwartungen, die auf die Bildung,
Anwendung und Verwendungsabsicht sprachlicher Einheiten bezogen sind (vgl. Gloy 1980:
364).
„Ein bestimmter ... Inhalt und die Form seiner Äußerung sind nach dem Willen einer Instanz A
für einen Personenkreis B unter den Situationsbedingungen C in Bezug auf einen Zweck D mit
der Begründung E eine Norm, d.h. sie sind erlaubt, geboten oder verboten“ (vgl. Gloy 1987: 121,
zit. nach Dittmar 1997: 165-166).
Sprachnormen i.w.S. / situative Normen / soziolinguistische Normen / Kommunikationsnormen
= „Erwartungshaltung gegenüber bestimmten Formen des Sprachverhaltens, die in einer
gegebenen Kommunikationssituation bzw. gegenüber einem bestimmten Gesprächspartner als
angemessen gelten“ (Linke u.a. 1994: 309).
Beispiele:
(a) die Konversationsmaximen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität von H. P. Grice
(vgl. Linke u.a. 1994: 198-200),
(b) Regelungen des Sprecherwechsels (vgl. Linke u.a. 1994: 264-275),
(c) Textsortennormen (Linke u.a. 1994: 248-255, vgl. Bsp. in der Deutschen Grammatik von U.
Engel).
Sprachnormen i.e.S. / linguistische (grammatische und stilistische) Sprachnormen
Differenzierung der Normen nach Adressaten
(a) nach Alter („ein altkluges Kind“),
(b) nach Geschlecht („die spricht so maskulin“),
(c) nach sozialer Position („der redet wie’n Studierter“),
(d) nach Funktionsbereichen (unterschiedliche Fachsprachen),
(e) regional verbreitete Normen (Dialekte)
(f) Sprachnormierungen auf nationaler Ebene (Schriftreform, Einführung einer offiziellen
Mehrsprachigkeit u.a., vgl. Gloy 1980: 366).

Institutionalisierung (Legalisierung) ≠ Legitimierung der Normen


Legitimationskriterien für Sprachnormen (vgl. Gloy 1980: 366-367):
(a) der Sprachgebrauch kultureller Autoritäten;
(b) historisch gewachsene sprachliche Erscheinungen (sog. genetische Normauffassung);
(c) regionale Reichweite;

26
(d) die integrierende Leistung sprachlicher Erscheinungen, die zur nationalen Einheit
beitragen;
(e) Zweckmäßigkeit in Bezug auf Verständlichkeit (sog. funktionale Normauffassung);
(f) der tatsächliche Sprachgebrauch „jedermanns“ (Normauffassung des „bürgerlichen
Liberalismus“);
(g) die größere Auftretenshäufigkeit einer Variante gegenüber anderen Varianten;
(h) die Strukturgemäßheit einer sprachlichen Erscheinung im Sprachsystem;
(i) die soziale (insbesondere Situations-)Angemessenheit;
(j) die Adäquatheit der Umsetzung von Kommunikationsintentionen (sog. funktionale
Normauffassung);
(k) die „Angemessenheit“ des Gegenstandsbezugs, die Sicherung gesellschaftlich etablierter
Deutungsschemata;
(l) die kognitiven und/oder emotionalen Konsequenzen bestimmter Sprachverwendungen
(als Grundlage der Intelligenz und/oder der Sittlichkeit eines Menschen).

Soziale Funktionen der Normen (Ursachen, Zwecke, Folgen)


Positive und negative Aspekte der Normierung
Normen und Wertungen (Internalisierung der Normen / Selbstkontrolle; Selbst- und
Fremdeinschätzung: (Über- od. Unterbewertung, „covert prestige“, Peter Trudgill)

7.2. Die Standardvarietät und der Prozess der Standardisierung


Merkmale der Standardvarietät (vgl. Dittmar 1997: 201)

Kriterien für die Bestimmung des Standardisierungsgrads (vgl. Garvin 1964: 522, zit. nach
Dittmar 1997: 201-202):
(1) linguistischen Eigenschaften;
(2) Funktionen in der Sprachgemeinschaft (einigende F., separierende F., Prestigefunktion,
Korrektheitsnormen;
(3) die Einstellungen der Sprachgemeinschaft (Sprachtreue, Sprachstolz, Normbewusstsein).
Der Prozess der Standardisierung (vgl. Haugen 1972: 110, zit. nach Dittmar 1997: 202-203):
(a) Selektion,
(b) Kodifizierung,
(c) Ausbau der Funktionen,
(d) Übernahme durch die Gemeinschaft (vgl. Haugen 1972: 110, zit. nach Dittmar 1997: 202-
203):
Soziale Kräfte, die bei der Festlegung der Standardvarietät mitwirken (vgl. Ammon 1995: 73-
82):
(a) Modellsprecher/Modellschreiber,
(b) Kodifizierer,

27
(c) Sprachexperten,
(d) Normautoritäten.
(indirekt:) die ganze Sprachgemeinschaft
Rolle der staatlichen Instanzen

7. 3. Die Standard- bzw. Nationalvarietäten des Deutschen


Amtssprachregion des Deutschen
Deutsch als staatliche Amtssprache:
(1) auf nationaler Ebene
(a) solo-offiziell: in der BRD, in Österreich und Liechtenstein,
(b) ko-offiziell: in der Schweiz, in Luxemburg;
(2) auf regionaler Ebene als regionale Amtssprache: in Belgien, in der Provinz Bozen-Südtirol in
Italien.

Muttersprachregion des Deutschen


Sprachinseln (z.B. die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in Rumänien, die
Mennoniten in Kanada, Mexiko, Paraguay u.a., die Donauschwaben in Ungarn (vgl. Ammon
1995: 13-14, Löffler 1994: 72-76).
deutschsprachige Länder (die BRD, Österreich, die Schweiz, Liechtenstein).
Zentrum einer Sprache = eine Nation oder ein Staat mit einer spezifisch ausgeformten
Standardvarietät dieser Sprache.

Deutsch als plurizentrische Sprache (Tschechisch als unizentrische Sprache)


sprachliche Variablen (vs. Konstanten) und Varianten
onomasiologische Variable:
APRIKOSE: Aprikose (in Deutschland und in der Schweiz)
Marille (in Österreich).
semasiologische Variable:
STEIGERUNG: „Steigerung“ (in Deutschland und in Österreich)
1. „Steigerung“; 2. „Versteigerung“ (in der Schweiz).
Varietät als sprachliches System
(1) verfügt über wenigstens eine für sie spezifische Variante oder
(2) weist zumindest eine spezifische Kombination von Varianten auf.
nationale Varietät / Nationalvarietät = eine Standardvarietät, die mindestens eine der beiden
folgenden Bedingungen erfüllt: sie enthält (1) spezifische nationale Varianten oder (2) für eine
Nation spezifische Kombinationen von (auch unspezifischen) nationalen Varianten
spezifische Varianten = Austriazismen (A), Helvetismen (H), Teutonismen (T)

28
österreichische Varietät (Österreich + Südtirol): Kriterium (1) - Marille
schweizerische Varietät (Schweiz + Liechtenstein): Kriterium (1) - „Versteigerung“
deutsche Varietät (BRD + Luxemburg + Ostbelgien): Kriterium (2) Aprikose + „Steigerung“
!!! Benennungen für Sachspezifika einer Nation, z.B. Eisbein mit Sauerkraut (Deutschland) oder
Powidltascherln (Österreich) = Konstanten.
Zentren einer Sprache
(1) nach der Art der Kodifizierung: Vollzentren und Halbzentren
(2) nach der Herkunft der Modelltexte: endonormative und exonormative Zentren

Literatur:
Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das
Problem der nationalen Varietäten. Berlin; New York: de Gruyter.
Ammon, Ulrich u.a. (2004): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in
Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und
Südtirol. Berlin; New York: de Gruyter.
Ebner, Jakob (1998): Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des Österreichischen Deutsch. 3.,
vollst. überarb. Aufl. Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag.
Meyer, Kurt (1989): Wie sagt man in der Schweiz? Wörterbuch der schweizerischen
Besonderheiten. Mannheim; Wien; Zürich: Dudenverlag.

Österreichisches Wörterbuch. 39., neu bearb. Aufl. Wien: öbv, 2001.

29
(8) SOZIOLEKTE

Begriffsbestimmung
außersprachliche Faktoren der Gruppenbildung
Funktion der Gruppensprachen
vertikale Bewertungsdimension („besser/schlechter als“)

1. Soziolekt = Varietät
2. Soziolekt = Varietät sozialer (nicht primär geographisch bestimmter) Gruppen
2.1. Schichtenspezifische Varietät (ggf. mit negativen Konnotationen)
2.2. Varietät anderer sozialer Gruppen als Schicht: Sondersprache
2.2.1. Sondersprache i.w.S.: auch geschlechts- und altersspezifische Varietäten
2.2.2. Sondersprache i.e.S.:
(a) nicht geschlechtsspezifische Varietäten (liegen quer zur diastratischen /
diatopischen Variation)
(b) nicht altersspezifische Varietäten (wie bei (a))
(c) nicht Fachsprachen
(d) verschiedene Kombinationen von (a), (b) (c)
2.2.3. Sondersprache im engsten Sinne:
Anti- / Kontra-Sprache = Geheimsprache

(1) Soziolekt = Varietät


z.B. H. Gross: Dialekt, Schichtensprache/Kode, Fachsprache/Berufssprache, Sondersprache,
ideologische Sprache, Frauen- und Männersprache, Jugend- und Generationensprache (vgl.
Gross 1998: 167).
(2) Soziolekt / Gruppensprache = Varietät sozialer (nicht primär geographisch bestimmter)
Gruppen.
z.B. N. Dittmar: Schichtgruppen
Statusgruppen: Standes-, Berufs-, Fach- und Gruppenvarietäten (i. e. S.)
als Sondersprachen .

(2.1.) Schichtenspezifische Varietät (der elaborierte und restringierte Kode).


(2.2.) Varietät einer anderen sozialen Gruppe als Schicht (auch: Sondersprache).
Soziolekt (auch: Gruppensprache) = Bezeichnung einer Varietät, die für eine sozial definierte
Gruppe charakteristisch ist (vgl. Bußmann 1990: 692).
Soziolekt = Gruppensprache. Konventioneller, für eine Gruppe von Individuen einer
Sprachgemeinschaft charakteristischer Gebrauch des überindividuellen Sprachsystems (langue);
phonetisch die Gesamtheit aller Merkmale, die ein Individuum als zugehörig zu einer sozialen
Gruppe erkennen lassen. Vor allem lexikalisch spezifizierter Sprachbesitz einer Gruppe, soweit

30
die Gruppenbildung nicht primär geographisch bedingt ist (Schülersprache, Studentensprache,
Berufs- und Fachsprachen, Jugendsprache, Sportjargon, Jägersprache usw., vgl. Lewandowski
1994: 978 -979).
(2.2.1.) Sondersprachen im weiteren Sinne = alle von der Standardsprache abweichenden
Sprachvarietäten, wie sie von sozial-, geschlechts-, altersspezifisch bedingten, berufs- und
fachwissenschaftlich begründeten Sondergruppierungen herrühren; alle Berufs-, Fach-, Standes-
und Sondersprachen (vgl. Bußmann 1990: 690).
Sondersprachen i.w.S. = alle sprachlichen Sonderformen, die gruppenspezifischen, berufs- und
fachspezifischen sowie altersspezifischen Sprachvarietäten (vgl. Lewandowski 1994: 975).
Soziolekt = eine grammatisch-lexikalisch-intonatorische Varietät als sprachliches
Erkennungssymbol einer nach sozialen, beruflichen, fachlichen, status- und ansehensbedingten
Merkmalen gekennzeichneter Gruppe (vgl. Löffler 1994: 126).
v.a. Sonderwortschatz (Jäger, Fischer, Bergleute, Weinbauern, Drucker, Studenten, Bettler und
Gauner, vgl. Bußmann 1990: 690).
Untergliederung der Sondersprachen i.w.S.:
(a) sozialgebundene Sondersprachen: Gruppen-, Standes- oder Berufssprachen / -varietäten;
(b) sachgebundene Sondersprachen: Fachsprachen (Funktiolekte)
Z.B. brünstig in der Gemeinsprache = in der Fachsprache des Bauern: läufig (Kuh), bockig
(Ziege, Schaf), rüsslig (Schwein), rossig (Pferd), streichig (Hündin), die Katze rammelt.
Fließende Übergänge zwischen Sondersprachen und Fachsprachen: z.B. militärische
Fachsprache vs. Soldatensprache(n) (traditionelle Soldatensprachen, Bundessoldatendeutsch),
vgl. Blindgänger – ursprünglich „nicht explodierte Granate“, dann: (salopp:) „Versager;
Gulaschkanone „Feldküche“ (vgl. König 1991: 133).
Die Standessprache = die Gesamtheit der technischen Termini und Formeln eines bestimmten
Berufs (O. Jespersen); der auf einen bestimmten Sachbereich bezogene Wortschatz, der je nach
dem Beruf mit einem bestimmten Kollektiv (einer bestimmten Gruppierung) zusammenhängt
(A. Dauzat).
z.B. Jägersprache: die Löffel = die Ohren des Hasen, der Spiegel = der hintere weiße Fleck des
Rehs, die Läufe = seine Beine, der Schweiß = sein Blut.
Handout – viz až s. 38

(2.2.2.) Sondersprachen im engeren Sinne = Varietäten der nicht berufsbedingten Gruppen


(a) Transitorische Soziolekte = altersspezifische Varietäten
(b) Temporäre Soziolekte = Sprachen von Hobby-, Sport-, Freizeitgemeinschaften u.a.
(c) Habituelle Soziolekte = Varietäten dauernder gesellschaftlicher Gruppierungen:
(ca) geschlechtsspezifische Varietäten: Frauensprache und Männersprache,
(cb) Sondersprachen (im engsten Sinne), d.h. Varietäten dauernder
Sondergemeinschaften / Außenseitergruppierungen (= 2.2.3.)

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Vgl.:
Jargon (fr. „unverständliches Gemurmel“, vgl. Bußmann 1990: 360)
1) Gesamtheit der Wörter und Wendungen, mit welchen Menschen, die eine gemeinsame
berufliche oder außerberufliche Betätigung ausüben, die gewöhnlichen Ausdrücke ersetzen.
Funktion: a) das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe,
b) eine gewisse Absonderung zu den übrigen Teilen der Gesellschaft (nicht
Abschließung nach außen, vgl. Domaschnew 1987: 313).
2) „Sondersprache bestimmter sozialer Gruppen als Kunst- oder Zwecksprache, die der
Abschirmung nach außen („Eingeweihte“) und der Bindung bzw. Kohäsion nach innen dient.“
(a) Sonderwortschatz sozialer Gruppen als Ausdruck einer Sonder- oder Subkultur,
(b) Fachwortschatz bestimmter Berufe und Berufsgruppen im Sinne eines Fachjargons (vgl.
Lewandowski 1994: 502).
3) (a) der Wortschatz einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer Berufsgruppe bzw. die
Verwendungsweisen des Wortschatzes durch diese Gruppen (vgl. Čermák 1994: 242)
(b) durch einen speziellen gruppen- oder fachspezifischen Wortschatz gekennzeichnete
Sprachform, der es an Allgemeinverständlichkeit mangelt (vgl. Bußmann 1990: 360).
(c) „sozial bedingte Sondersprachen, die durch auffällige Bezeichnungen für alltägliche Dinge,
bildliche Ausdrucksweise, emotional gefärbte oder spielerische Verwendung des
standardsprachlichen Wortschatzes gekennzeichnet sind“ (vgl. Bußmann 1990: 360-361).

Slang = der spezielle und gewöhnlich nicht offizielle Wortschatz v.a. einer Berufs- oder
Interessengruppe bzw. die Verwendungsweisen des Wortschatzes, die diese Gruppe
charakterisieren (vgl. Čermák 1994: 230).
„gruppenspezifische Routinesprache“ (vgl. Dittmar 1997: 221).
ein in einer bestimmten sozialen Gruppe gemeinsamer Wortschatz für diejenigen Dinge, zu
denen die Gruppe in einem emotionalen Verhältnis steht (vgl. Lewandowski 1994: 973).
(i.e.S.:) der spezifische Wortschatz großstädtischer Jugend
(i.w.S.:) „unkonventionelle Sprache mit neuer, lebendig-vitaler und kraftvoll-farbiger, manchmal
exzentrisch-humorvoller Wortprägung bzw. Bedeutungsverleihung und Metaphorik“
(Lewandowski 1994: 973), Sprache im Entstehen, experimentelle gesprochene Sprache, die
instabil und auf semantische, v.a. konnotative Veränderung der lexikalischen Einheiten
konzentriert ist (vgl. Dittmar 1997: 220).

Vgl. Hubáček (1981: 11-16).


(a) berufsspezifische Soziolekte (Funktion des Wortschatzes: Ausdrucksökonomie,
Eindeutigkeit)
(b) Soziolekte verschiedener Interessengruppen wie der Studenten, Soldaten, Sportler, Kellner,
Jäger (Funktion: Sprachspiel)
(c) Argot als Soziolekt der gesellschaftlich isolierten Gruppen.
Slang 1. = b
2. = a + b + c

32
(2.2.2.a) ALTERSSPEZIFISCHE VARIETÄTEN (Gerontolekte, transitorische Soziolekte)
soziales Alter
(1) Kindersprache
(2) Schüler- und Jugendsprache
(3) Erwachsenensprache
(4) Seniorensprache

(Ad 3) Merkmale der Jugendsprache:


- Kreativität,
- farbige Metaphern, Redensarten, Hyperbolisierung (etw. haut längst keinen Piraten mehr vom
Holzbein),
- Anglo-Amerikanismen (cooles feeling),
- besondere Bezeichnungen für Personen (Tussis, Schnecken), besondere Ausdrücke in
jugendlich dominierten Sachbereichen wie Popmusik,
- eine Fülle von Partikeln, Empfindungs- und Emphasewörtern, Pausenfüllern (wau, eh),
- häufiger Gebrauch von Schablonen (Stereotypen),
- besondere Realisierung bestimmter Sprechhandlungen (Grüßen, Ablehnen, Drohen,
Bewundern, Staunen u.a.,
- Stil-Bastelei / Bricolage (vgl. Lewandowski 1994: 503 – 504; Neuland 2003).

Vgl. Slang = „der gruppenspezifische, burschikose, über-expressive und zugleich emotional


unterkühlte Wortschatz großstädtischer Jugend, in dem die Bereiche Geld, Mädchen, Sexualität,
Musik, Polizei, Angst, Drogen und Tod besondere Metaphorik zeigen“ (vgl. Lewandowski 1994:
973-974).
Vgl. Studentensprache: eine Mischung aus Fach-, Wissenschafts-, Berufs- und Jugendsprache;
„Akü-Sprache“ (Abkürzungen wie Info, Assi, Prof)

Bewertung: Sprachverarmung vs. Sprachvirtuosität


Kontrasprache vs. solidarisierende Sprache der sog. Peer-Groups (identitätsstiftende Funktion)
Jugendsprache(n) / Sprachstile der Jugendlichen → Sprache der Massenmedien (Musik, Mode
und Freizeitbeschäftigung) → Standardsprache

Beispiel (Quelle: Jugend und Schule: Junge Welten, Berliner Zeitung 21. 1. 2008): ALI & Babsi
erklären die Welt

HEUTE: Was bedeutet eigentlich Servilität?

Babsi: Diese wohl klingende Lautfolge ist ein Begriff, der aus dem Lateinischen stammt - der
Sprache des antiken Roms, Sprache der Denker, Sprache, die ich liebe, lingua, qua amo.

33
Servilität bezeichnet ein gewisses Verhalten. Benimmt sich eine Person auffallend kriecherisch
oder unterwürfig, so bezeichnet man sie als servil. Es ist eine Art Selbsterniedrigung damit
verbunden, die der Mensch, der sich servil verhält, freiwillig in Kauf nimmt. Er stellt sich einer
anderen Person wie ein Knecht zur Verfügung und gibt viel - wenn nicht alles - von seiner
Eigenständigkeit auf. Nicht immer muss er dieses Verhalten jedoch aus einem inneren Drang
heraus erfüllen, oftmals kann er auch bewusst so handeln, um etwas Bestimmtes mit seinem
Verhalten zu erreichen.

Ali: Yo Babsen, hör endlich auf, so rumzunietzschen! Das ist doch alles ganz easy abgecheckt,
da gibt's nullinger Probleme beim Erklären: Wenn dieser Honk, der in der Schule neben mir sitzt,
einfach keine street-tauglichen Props bekommt, dann kommt er zu mir an und will, dass ich sein
Image ein bisschen aufpoliere. Ich soll dann diesen Plastikgangster in einen Turboburner
umswitchen. Ey, allein wenn die Pussylette in meiner Nähe ist, braucht er schon keine Angst
mehr vor Fameverlust zu haben, denn in meinem Glanz sehen alle gut aus. Aber damit ich halt
auf ihn klarkomme, ist der Junge endnett zu mir und labert alles nach, was ich rülpse. Der würde
sich sogar meine Popelteppiche, in die ich meinen Schnupfen verfrachte, zu Hause an die Wand
hängen. Alder, was geht? So kommt der nie zu ordentlichen Props auf der Straße des Lebens.
Mannomann, ich bin ja ein richtiger Philosoph, was meinst du Babsen? (Laura Wurth, 17 Jahre)

(Ad 4) Seniorensprache
Grundfragen der gerontologischen Linguistik: Kommunikationssituationen im Alter, Modelle
altersspezifischer Kommunikation, sprachliche und kommunikative Altersmerkmale (in
mündlicher sowie schriftlicher Kommunikation), interaktive Konstruktion vom Alter im
Gespräch, Einfluss von Stereotypen auf die Kommunikation mit Älteren, „patronisierende“
Kommunikation in Pflegekontexten, pathologische altersbezogene Veränderungen in Sprache
und Kommunikation, Kommunikation über Alte.
Vgl. Fiehler, Reinhard / Thimm, Caja (Hrsg.) (2003): Sprache und Kommunikation im Alter.
Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. Zugänglich auch unter WWW: <http://www.verlag-
gespraechsforschung.de/2004/alter/alter.pdf>.

(2.2.2.c) GESCHLECHTSSPEZIFISCHE VARIETÄTEN (Genderlekte / MW-Lekte / fm-


Varietäten)

1. Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Kommunikations-verhalten


(vgl. Linke u.a. 1994: 319-320).
(a) Phonetik (Stimme, Aussprache, Intonation)
(b) Wortwahl und Lexikon
(c) Satzbau
(d) Interaktions- und Gesprächsverhalten

2. Interpretation des geschlechtsspezifischen Sprachverhaltens


(1) „defizitäre“ Interpretation: Frauensprache als „Sprache der Unterprivilegierten“
(2) geschlechtsspezifisch unterschiedliche Umwelt- bzw. Situationsinterpretation: Frauensprache
als „Sprache der Nähe“ (vs. „Sprache der Distanz“)

34
(3) kooperatives und konsensorientiertes weibliches Interaktionsverhalten vs. leistungs- und
konfliktorientiertes männliches Verhalten
Situationsadäquatheit als das funktional richtige Maßstab für das Sprachverhalten

(2.2.3.) SONDERSPRACHEN IM ENGSTEN SINNE : GEHEIMSPRACHEN


(a) Sprache der Drogenszene, der kommerziellen Prostitution (auch: Dirnensprache), der
Gefängnisse (Kiez-, Häftlingsjargon), der jugendlichen Antigruppen, der sexuellen Minderheiten
usw.
(b) Sprache der Nichtsesshaften, der Stadt- und Landstreicher, der Obdachlosen, der Fahrenden

Merkmale der Anti-Sprache / Kontrasprache:


- Überlexikalisierung relevanter Referenzobjekte (Unternehmungen, Täter, Opfer, Polizei, Straf-
und Vollzugsanstalten usw.) zum Zweck der Geheimhaltung,
- Expressivität (Vulgarismen),
- Originalität (Wortspiele),
- viele metaphorische Ausdrücke mit diffuser Bedeutung,
- besondere Körpersprache.
Funktion: Geheimhaltung, Abschirmung nach außen, Protest

Andere Bezeichnungen: Gaunersprache


Argot - urspr. die Sondersprache der französischen Bettler und Gauner des Mittelalters;
- i.w.S. jede Sondersprache (Geheimsprache) einer sozial abgegrenzten Gruppe, v.a.:
-- metaphorische Umdeutung von Wörtern der Gemeinsprache (z.B. Schnee für Kokain) -
- Entlehnung aus fremden Sprachen (zahlreiche Wörter jiddischen Ursprungs: besäbeln =
betrügen, Zores = Lärm, Wirrwarr (aus hebr. za:ro:th = Not, Bedrängnis), zocken =
(Glückspiele) spielen (vgl. Bußmann 1990: 96).
Rotwelsch [rôt = Bettler; welsch = urspr. romanisch, d.h. „unverständliche Sprache“] - i.e.S. eine
im 13. Jahrhundert entstandene Sondersprache/Geheimsprache der Gauner und Bettler.
Geheimwortschatz: Sonderbedeutungen bekannter Wörter, umgedeutete Anleihen aus dem
Jiddischen und aus Zigeunersprachen; besonders reich im Gebiet:
- des Geldes: Torf, Kies, Moos (aus hebr. taref/toref = Raub, Beute; kīß = Geldbeutel; ma´ōth =
Münze), Zaster (zigeunerisch: sáster = Eisen), Blech, Pulver, Zimt, Schotter, Linsen;
- der Polizei: Mischpoke, Schmiere (aus dem Hebr.), Polypen, Polente;
- des Gefängnisses: Kittchen, Knast (aus dem Hebr.).

Jenisch, Bsp. Schweizerisches Jenisch (<http://de.wikipedia.org/wiki/Jenische_Sprache>, vgl.


Löffler 1994: 137)

35
Jenisch Deutsch interlinear Deutsch

Am verholchten Schai isch mir Am gestrigen Tag ist mir die Gestern ist mir die
de Laschischmadori muli Kaffeemaschine kaputt Kaffeemaschine kaputt
tschant, gegangen, gegangen,

selber linstne ne zgwand selber schaute ihn ganz zu ich versuchte, sie selbst zu
zmenge, machen, reparieren,

isch me abe gehochlt lori, ist mir aber gelungen nicht, aber es gelang mir nicht,

darum brachte ich sie zu meinem


drum delt ne mim olmische zem Darum gab ihn meinem Vater
Vater, um sie reparieren zu
ne menge gwand. zum ihn machen ganz.
lassen.

Mattenenglisch (Mattenänglisch) = die Geheimsprache des Mattequartiers in Bern (zu


unterscheiden vom Mattendialekt, Matte-Bärndütsch)
Künstlicher Wortschatz – auch: I-E-Sprache (Bildung neuer Wörter: die Silben von bestehenden
Wörtern aus dem Mattendialekt umdreht und dann ein I an den Anfang und ein E an das Ende
gestellt: Fridu (Fritz) → Idufre, d’Mättu (die Matte) → d’Ittume; abcheibe (wegrennen) → ibe-
ibechei.)
Spezialwortschatz – viele Ausdrücke für essen, trinken, stehlen, betrügen, verstecken,
wegrennen; Geld.
Variation der Vokale in Wörtern (bladere / blädere / blodere / bludere) → schwer verständlich.

Vgl.:
Hochdeutsch1
Meines Buben Hosentasche
Eine alte Kapselpistole,
ein Geldbeutel, natürlich leer
Ein Bleistift und ein Stückchen Kohle
Ein Taschentuch, das gern sauber wär
Ein schimmlig-grünes Stück Kandiszucker,
Ein Kleeblatt, vierblättrig und verblüht
Ein Messer und eine Handvoll Murmeln
Ein Los, das sicher nicht mehr zieht
Streichhölzer und eine Waldreben-Ranke
Eine Eintrittskarte auf den Münsterturm
Eine Lupe und eine Mundharmonika
Und zuunterst noch ein Regenwurm

1
Das Original, in Baseldeutsch, wurde aus dem Buch „Schweizer Dialekte“, Robert Christ, Birkhäuser Verlag,
1965, ausgewählt. Übertragen von U. Roos, Hedingen, ZH.

36
Was so ein Knirps - s' ist fast ein Wunder
nicht alles mit sich herumträgt!
Eine Tasche voll Krimskrams, Dreck und Plunder?
Eine Tasche voll Buben-Seligkeit!

Stadt-Berndeutsch2
Mim Bueb si Hosesack3
En alti Chäpslipischtole
Es Portemonnaie, natürlech läär
Es Bleischtift und nes Stückli Chole
Es Nastuech, wo gärn suber wär
E vergrauets Stück Kandiszucker
Chlee, vierbletterig u verblüeit
Es Mässer und e Hand voll Märmeli
Es Loos, wo sicher niemer me zieht
Zündhölzli und e Niele
Es Billiee für uf ds Münschter
Es Vergrösserigsglas und es Muugygeli
U ds underscht no ne Rägewurm
Was so ne Chnopf, es isch fasch es Wunder
Nid alles mit sich umetreit
E Sack voll Gräbel, Dräck und Plunder
E Sack voll Buebe-Seeligkeit

Mattedialekt / Mattebärndütsch4
Mim Gieu si Gschtöössack
En auti Chäpsli-Pischtere
E Pörtner, natuder läär
Es Blofi u ne Ligu Chole
Es Pööggenaubum, wo gärn suber wär
E schimmlig grüene Stigg Kandiszucker
E Chlee, vierbletterig u verdorret
E Hegu u ne Chlööpe vou Grädle
E Lösu wo sicher niemer me zieht
Funi u ne Niele
Es Billie für uf ds Münschter
E Lupe u ne Schnuregyge
U ds ungerscht no ne Rägewürmu
Was so nes Gieutschi – es isch fasch es Wunder -
Nid aus mit sech umetreit
E Sack vou Gräbu, Dräck u Plunder?
E Sack vou Giele-Seeligkeit!
2
Das Stadt-Bärndütsch - nach Ansicht des alten Regimes (Patrizier) das einzig richtige und schöne Bärndütsch.
3
In die Varianten des Berndeutschen von Peter Hafen, Präsidenten des Matteänglisch Clubs, übertragen.
4
Matte = Quartier der Stadt Bern

37
Matteänglisch (Geheimsprache)5
Imme Iuge ise issgschte-Ickse
Ine iutie Ipsliche-Ischterepe
E Irtnerpe, ine-iderte irle
Es Ifible u ine Igule Ileche
Es Iggepe-Iue-imbe, iwe irnge iberse irwe
E immligsche ienegre Iggste Indiske-Ickerze
E ichle, ierve itterigble u irve-irretde
E Iguhe u ine Ipechle iuve Idlegre
E Isule iwe icherse iemerne ime ietze
Inife u ine Ielene
Ise Illiebe irfe ife ds Intscherme
E Ipele u ine Ireschne-Igege
U ds ingerschte ine ine Igere-Irmuwe
Iswe inesse Ieutschige -ise ische ischfe ise Inderwe-
Idne iuse itme ichse imee-iittre
E Ickse iuve Ibugre, Ickdre u Inderple?
E Ickse iuve Ielege- Iligse-itke!

(Quelle: <http://www.forums9.ch/sprachen/Rosetta.htm> bzw. <http://www.forums9.ch/


prachen/> → Stein von Rosetta) [Vgl. <http://www.matteaenglisch.ch>]

5
Basis: Mattedialekt.

38
(9) SITUATIONSSPEZIFISCHE / DIAPHASISCHE VARIETÄTEN bzw. SITUOLEKTE
Domänen = soziale Situationen, in denen Interaktionspartner je nach ihren sozialen Rollen in
einem spezifischen sozialen Umfeld in privater oder geschäftlicher Beziehung interagieren.
9.1. Soziale Rollen
soziale Rolle = Menge kulturell definierter gegenseitiger Rechte und Verpflichtungen / Menge all
derjenigen Erwartungen, die sich an das Verhalten der betreffenden Person in einer gegebenen
Interaktionssituation richten
Rollentypen: (1) Feste (permanente) soziale Rollen
(2) Institutionelle bzw. organisatorische Rollen
(3) Akzidentelle funktionale Rollen
Rollenhandeln (verbal + nonverbal)
Normverstoß – negativ oder positiv bewertet
Rollendistanzierung bei rollenkonformem Handeln (Ironiesignale, Übertreibung)
Konflikte: innerhalb ein und derselben Rolle
zwischen zwei Rollen
Rollenwechsel

9.2. Register und Stile


Situolekte: wer mit wem wie in welchem sozialen Kontext über was redet.
Register = Varietät des Sprachgebrauchs (die an wiederkehrende Situationstypen gebundenen
Sprachgebrauchsformen)
Kontext-/Musterwissen
Parameter des Registers nach Halliday:
(1) das diskursive Feld = das Thema;
(2) der Tenor / Diskursstil = Stilausprägung je nach den sozialen Rollen der Interaktionspartner
und je nach dem Grad der Formalität;
(3) der Diskursmodus = sprachliche Gestaltung des Diskurses je nach dem Medium und je nach
der kommunikativen Funktion der Mitteilung (referentiell, expressiv, konativ = persuasiv,
phatisch, poetisch, metasprachlich)
Beispiel: (a) das Register der Fernsehwerbung:
(1) Gerichtetheit auf ein bestimmtes (neues) Produkt oder auf einen bestimmten Dienst,
(2) informelles Herangehen der Autoren ans Publikum (es werden freundliche bis familiäre
Beziehungen simuliert),
(3) audio-visuelle Darstellung (mündlich und schriftlich und non-verbal: auch Musik und Bild),
(4) informative und persuasive Funktion, Appell (d.h. jn. zum Kauf bewegen, vgl. Hoffmanová
1997: 138).
Oder Bsp. (b) das Baby-Register (engl. Motherese) und das Fremdenregister (Xenolekt, engl.
Foreigner Talk, vgl. Dittmar 1997: 216-218).

39
Register = „Kongruenz zwischen einer situativen Ausprägung (Parameter auf einem
Kontinuum), einem Diskursmodus (Medium der Kommunikation), einer Befindlichkeitsebene
(„Tenor“) und in die Kommunikation involvierten sozialen Rollen (institutionelle und
gruppenspezifische Rollenbeziehungen). Auf linguistischer Ebene ist die Kongruenz zwischen
den vier Parametern über sprachliche Mittel (vor allem lexiko-grammatische) zu denken“
(Dittmar 1997: 209).
Bsp. (c): das Register des Cellolehrers (L) im Transkriptionsausschnitt aus einer Cellostunde an
der Musikhochschule (nach Dittmar 1997: 10-11).
Erklärungen: L = Lehrer
S = Studentin
(sp) = spielt/spielen
[...] = Kommentare
Großbuchstaben = laut gesprochen
kursiv = nachdrücklich, hervorgehoben
isses = ist es, kommste = kommst du, kumma = guck mal usw.
S Ja hm (sp)
L Ja so isses, so, wenn du jetzt so hier kommst, kommste dahin, da musste aber wieder
umkehren, sonst gehste wieder weg, ja? Kumma, gesenkte Spitze (sp) jetzt raus mit’m
Arm! Raus mit’m Arm! (L sp) soo isses und da hab ich gern den Daumen drauf, ohne
Rutscher (sp) wenn de ihn schön vibrierst so isses
S Und dann weiter auch so, wieder den Daumen
L Natürlich!
S Ja, ja
L Weißte, das war das erste schöne Vibrato und das war das zweite schöne Vibrato, die da
oben meckern ein bisschen (S sp) Lass den Daumen ruhig los beim Vibrieren sooo-o
(beide sp)
L So, jetzt will ich dir auch mal ein Bild geben, wat da los ist, da is ein to-o-osender Sturm
und ein Wasserfall bllllll! so-o, und irgendwelche gro-o-ßen Rufe, ja, in in irgendeiner
zackigen – Felslandschaft, könn’sich irgendetwas vorstellen, ja?
S [lacht] j-ja
L Sowas is das un nu-un wird’s weich, lieblich, ja bis dahin muss man es wirklich
rausstemmen aus dem Cello, ja?
S Ja, ja
L DA-TAM-PA-DI! Da ist eine Überlietung, oder gehen se da rüber jetzt (sp)
[Fingersatzproblem: a- oder d-Saite?]
S (sp) hm?
L Was sinds denn? Sinds immer Sechzehntel sinds immer Achtel? Wat sinds denn?
S Sechzehntel sinds imma
L Und der letzte auch?
S Ja
L [singt] Ooch noch?
S Ja
L dann kommen Achtel das a is dann ‘n Achtel.

40
Register vs. Stil (Dell Hymes)
Varietäten = größere „Sprechstile“, die an soziale Gruppen gebunden sind
Register = Sprechstile, die an rekurrente Situationstypen gebunden sind
personale, situative und Genrestile = Sprechstile, die an Personen, spezielle Situationen oder
Genres gebunden sind (vgl. Hymes 1979: 177, zit. nach Linke u.a. 1994: 306)
Stil = individuelle (unbewusste, aber auch bewusste) Variationsmöglichkeiten innerhalb einer
bestimmten Varietät bei der Durchführung einer sprachlichen Handlung (z.B. eine feierlich-
ernste oder eine launig-fröhliche Rede, ein sachlich-nüchterner oder ein emotionaler und
aggressiver Beschwerdebrief), d.h. Stil als Marker der Förmlichkeit einer Situation im
Registerbegriff (vgl. Dittmar 1997: 232)
Stile vermitteln Sprecherinformationen – Register sprachgebrauchbezogene Informationen

Die Stilauffassung von H. Löffler


Stile = Inventare sprachlicher Mittel für bestimmte Anlässe und Wirkungen.
Klassifizierung der Stile (vgl. Sanders 1973):
(a) in der klassischen Rhetorik: Unterschicht : vulgär-derb;
Mittelschicht : normal-, umgangssprachlich;
Oberschicht : gehoben-dichterisch.
(b) soziolektale Stilschichten: (1) einfacher Stil,
(2) normalsprachlich-entfalteter Stil,
(3) gewählt-gehobener Stil,
(4) dichterischer Stil.
+ Fähigkeit zum Rollenwechsel → z.B. Stilebenen /„Sprachorgeln“ / „Register-Repertoires“
bei einem Mittelschichtsprecher:
(1) erhaben (literarisch, poetisch, liturgisch, rituell - sonst „Normallage“ der Aristokratie);
(2) gehoben (förmlich, offiziell, institutionell – sonst Normallage des „Bildungsadels“);
(3) Normallage1 (öffentlich: höflich, wohl gesetzt, sprachbewusst – typisch für
Bildungsbürger);
(4) Normallage2 (privat: weniger kontrolliert, eingefärbt, umgangssprachlich);
(5) Unterniveau (lässig, salopp, jargonhaft – sonst Normallage der Unterschicht);
(6) ordinär (grob, obszön, deftige Kraftausdrücke... – Normallage der Asozialen).
bei einem Unterschichtsprecher:
(1) gehoben (Vermischung verschiedener Stilelemente);
(2) Normallage1 (öffentlich: freundlich, viele situationsspezifische Muster, eher wortkarg);
(3) Normallage2 (privat: beredt, gruppensprachlich festgelegt – soziodialektal,
umgangssprachlich; Eindruck von „restringiert“ – in Beziehung zur Mittelschichtnorm);
(4) Unterniveau (derb, Kraft- und Schimpfwörter, Metaphern, feste Muster);
(5) Tiefstufe (nur partiell sprachlich; Wortfetzen, Ausrufe; nonverbale Elemente).

41
(10) MEDIALE VARIETÄTEN bzw. MEDIOLEKTE
gesprochene Sprache (GS)
geschriebene Sprache (GSCHS)
Mischformen in der elektronischen Kommunikation

Hauptunterschiede: Funktion
kontextuelle Situierung
Inventar sprachlicher Merkmale
Weiter: Werkzeuge und Organen ihrer Hervorbringung
materielle Träger

10.1. Gesprochene Sprache


primär
Kommunikationsarten:
(a) direkte Kommunikation („face-to-face“)
(b) vermittelte mündliche Kommunikation (zeitgleich oder zeitverschoben; bi- oder oder uni-
direktional)
Sprecherkonstellationen
Speicherung (schriftlich: Transkriptionsschrift)

Sprachliche Merkmale (vgl. Löffler 1994: 93, Lewandowski 1994: 360-362):


- relativ einfach gebaute und kurze Sätze, elliptische Sätze;
- häufige Satzeinleitungen mit Und, Und dann, Und da;
- häufigere Parataxe, asyndetische Anschlüsse von Nebensätzen;
- nicht zu Ende geführte Sätze (Satzabbruch/Aposiopese);
- Satzbrüche bzw. Fehler in der Satzkonstruktion (Anakoluthe);
- häufige Ausklammerungen und Nachträge;
- Pausen und Wiederholungen;
- direkte Anreden zur Kontaktherstellung;
- viele Abtönungspartikeln;
- viele deiktische Elemente;
- reduzierter Wortschatz;
- phonetische Sprecherleichterungen und Verschleifungen;
- eher sprunghafte (nicht lineare) thematische Steuerung;
- nonverbale und paraverbale Mittel sind nicht nur unterstützend, sondern treten auch anstelle
der verbalen Äußerungen;

42
- häufigere Verwendung von dialektalen und umgangssprachlichen sowie soziolektalen
Merkmalen: (a) lautlich-intonatorische Merkmale („mit Akzent sprechen“), (b) grammatische
Eigentümlichkeiten (wegen + Dat., Zusammenziehung von Präposition und Artikel), (c)
kurzlebige regionale und gruppensprachliche Wörter und Wendungen.

Gesprächstypologie (vgl. Löffler 1994: 94-95, Linke u.a. 1994: 288-289).


Kriterien: Ort, Zeit, Öffentlichkeitsgrad, Teilnehmerzahl, Bekanntheitsgrad der Teilnehmer,
Rangverteilung, Privilegierungen, Sprecherintentionen, Grad der Vorbereitetheit einzelner
Gesprächsbeiträge, thematische Fixiertheit des Gesprächs usw.

10.2. Geschriebene Sprache


diachronisch sowie strukturell sekundär
Funktionen
Merkmale der Kommunikation
Schreiber-/Leser-Konstellationen:

Sprachliche Merkmale (vgl. Löffler 1994: 101):


- i.d.R. längere, deutlich gegeneinander abgegrenzte, grammatische Sätze (auch Satzgefüge);
- Nominalstil, komplexe Attributgruppen, erweiterte Infinitivkonstruktionen häufiger als im
Mündlichen;
- Wortstellung festgelegter, Verb-Endstellung in Nebensätzen wird eingehalten, Extraposition
von Satzteilen dient zur Hervorhebung;
- grammatische Variationsmöglichkeiten (Stil) werden bewusst gebraucht;
- typische Papierwörter werden verwendet (entzwei, senden, empfangen);
- Fachwörter und Verwaltungswörter kommen vor (Anschlussstelle für Autobahnausfahrt oder -
auffahrt, Banknote für Geldschein, Note);
- die Palette der möglichen Temporalformen wird ausgeschöpft;
- Konjunktive;
- eine Vielfalt an Konjunktionen.

Typologie des Geschriebenen (vgl. Löffler 1994: 102-103, Linke u.a. 1994: 248-251) –
Kriterien für die Klassifikation der Textsorten in der Textlinguistik:
(a) textinterne Kriterien:
Textoberfläche (graphische Ebene – z.B. Handschrift vs. Maschinenschrift vs. Druck;
Wortwahl; Art und Häufigkeit von Satzbaumustern);
Texttiefenstruktur (Thema, Themenbindung, Themenverlauf, Textstrukturmuster);
(b) textexterne Kriterien:
Textfunktion (Darstellung, Appell, Ausdruck bzw. repräsentativ, direktiv, kommissiv,
expressiv, deklarativ; objektive od. subjektive Behandlung...),

43
Kommunikationsmedium/Trägermedium (vgl. z.B. Brief vs. Telegramm; literarische
Gattungen des Lyrischen, Epischen und Dramatischen),
Kommunikationssituation (Öffentlichkeitscharakter, der soziale Status,
Bekanntheitsgrad und das Vorwissen der Kommunikationspartner usw.)

10.3. Elektronische Kommunikation (vgl. www.mediensprache.net/de)


10.3.1. Web-Sprache / PC-Verkehrssprache / computervermittelte Kommunikation /
Sprachgebrauch im Internet - deutliche Tendenzen zur Mündlichkeit
(a) E-Mail-Kommunikation
(b) das elektronische Gespräch (Chat):
Organisation
Merkmale:
- ein geschriebener Text,
- die Emphase durch Großbuchstaben oder multiplizierte Interpunktion ausgedrückt, Pausen
durch mehrere Punkte oder durch Bindestriche signalisiert u.Ä.,
- nonverbale Mittel: z.B. Emoticons (Smileys),
- das Stilniveau: meistens Umgangssprache, alltagssprachliche + computerspezifische
Anglizismen,
- der Gebrauch von Onomatopoetika, Interjektionen und Gesprächspartikeln,
- Verbstämme v.a. expressiv-emotiver Verben (wie in der Comic-Sprache),
- Tilgungen, Assimilationen und Reduktionen,
- teilweise phonetisch wiedergegebene Wörter,
- Kleinschreibung und Verzicht auf Interpunktion zwischen Wörtern und Teilsätzen,
(Hybridisierungen zwischen korrekter und inkorrekter Orthographie)
- syntaktische Merkmale der gesprochenen Alltagssprache: subjektlose Sätze, sog.
Adjazenzkonstruktionen (syntaktischer Anschluss an Vorgängersequenzen)

10.3.2. Handy-Sprache (SMS-Kommunikation)

44
(11) FUNKTIONALE VARIETÄTEN bzw. FUNKTIOLEKTE
Funktion
(I) das Organonmodell von Karl Bühler
Darstellungsfunktion (Zeichen ↔ Gegenstände und Sachverhalte)
Ausdrucksfunktion (Zeichen ↔ Sender)
Appellfunktion (Zeichen ↔ Empfänger)
(II) Funktionen der Sprache nach Roman Jakobson: referentiell (= Darstellung),
emotiv (= Ausdruck),
konativ (= Appell),
phatisch,
metasprachlich,
poetisch.
(III) Kommunikationsbereiche und Funktionalstile
(1) Alltagsverkehr u. die Alltagssprache („Umgangssprache“);
(2) Belletristik / künstlerische Literatur u. die Literatursprache ;
(3) Wissenschaft u. die Wissenschafts- / Fachsprache – Sachprosa;
Subvarietäten: (1) Theoriesprache;
(2) fachliche Umgangssprache;
(3) Lehrbuchsprache;
(4) Unterrichtssprache;
(5) Außen- / Verteilersprache.
(4) Amtsverkehr / Verwaltung / Direktive u. die Sprache des öffentlichen Verkehrs /
Instruktionssprache;
Subvarietäten in den Bereichen: Verwaltung; Wirtschaft und Handel; Rechtwesen.
(5) Presse und Publizistik u. die Pressesprache bzw. Sprache der Massenmedien.
Textsorten: informierend, meinungsbetont, kontaktorientiert, auffordernd u.a.

45
(12) KONTAKTVARIETÄTEN
Sprachkontakt = „Sprachberührung oder gegenseitiges Aufeinanderwirken von Sprachen
aufgrund kommunikativer Interaktionen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen unter
besonderen geographischen, historisch-politischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten, mit
erkennbaren Einflüssen von Sprachen aufeinander, die als Sprechgewohnheiten und u. U.
bleibende Sprachveränderungen manifest werden“ (Lewandowski 1994: 1026-1027).
politische, wirtschaftliche, kulturelle usw. Macht als der bestimmende Faktor

12.1. Pidgins (vgl. „business“)


Merkmale (vgl. Dittmar 1997: 239):
(1) niemandes ersterlernte Sprache;
(2) in speziellen Kontaktsituationen gesprochen (Kolonisation od. Handelsverkehr);
(3) Voraussetzung: eine ethnisch gemischte Sprachgemeinschaft;
(4) Ergebnis ungesteuerter Lernprozesse alltäglicher Kommunikationsnotwendigkeiten (sozialer
Druck, sich rasch und effizient zu verständigen);
(5) beschränkte inhaltliche und thematische Ausdrucksfunktionen (kommunikative
„Teilfunktionen“);
(6) systematische Vereinfachungen in Morphologie, Syntax und Semantik, ein sehr begrenztes
Lexikon;
(7) eigene Normen der Kommunikation (pragmatische Regeln, z.B. Verwendung von du und
Sie);
(8) von eingeschränkter Lebensdauer, instabil;
(9) von Angehörigen der unteren sozialen Schichten gesprochen.

12.2. Kreols / kreolische Varietäten


zur Muttersprache entwickelte Pidgin-Sprachen („Ausbausprachen“)
Lebenszyklus (Hymes): Pidginisierung → Pidgin → Entpidginisierung → Kreolisierung → Kreol
→ Entkreolisierung → Standardisierung → Standard

12.3. Lernervarietäten / Lernerlekte / Interimlekte


Idiolekte oder Soziolekte: gruppenspezifische Lernervarietäten – Resultat der Arbeitsmigration
Lernerlekte von Arbeitsmigranten als Untersuchungsgegenstand der Migrationslinguistik:
(a) Basilekt
(b) Mesolekt
(c) Akrolekt.

z.B. Pidgin-Deutsch der spanischen und italienischen Gastarbeiter in Deutschland.


(1) Nominale Einwortsätze: Mann – Bahnhof;
(2) Verbale Erweiterungen: Koffer – tragen;

46
(3) Sätze mit Subjekt: Mann Koffer tragen;
(4) Pronominalisierungen: Du tragen Koffer;
(5) Komplexere Formen: Du tragen langen Balken fort;
(6) Adverbialsätze, Kopula, Modalverb usw.;
(7) Hilfsverben, Verbergänzungen, Attributsätze usw.
Fossilierung von Lernervarietäten

Soziale Faktoren der Erlernung einer S2: Kontakt in der Freizeit, Alter bei der Einreise, Kontakt
am Arbeitsplatz, Ausbildungsqualität in der Heimat, Ausbildungsdauer, Aufenthaltsdauer in
Deutschland (vgl. Löffler 1994: 54-55).

Forschungsschwerpunkte

Lernervarietäten der ersten Migrantengeneration („Gastarbeiterdeutsch“, Pidgin-Deutsch) vs.


Varietäten der Migrantenjugendlichen (Androutsopoulos 2001): Türkendeutsch / Türkenslang /
Kanak-Sprak / Ausländerslang / Kiezdeutsch usw.

Ethnolekte = Varietäten oder Sprechstile, die von Sprechern einer ethnischen Minderheit
verwendet und als typisch für sie eingestuft werden.

12.4. Xenolekte / Fremdenregister - „muttersprachliche Jargons gegenüber Ausländern“

47
(13) SOZIOLINGUISTIK ALS WISSENSCHAFT: SOZIOLINGUISTISCHE UNTER-
SUCHUNG, METHODEN.

Die Soziolinguistik ist eine spekulative Wissenschaft auf empirischer Grundlage.


Methoden der empirischen Sprach- und Sozialforschung
13.1. Etappen der soziolinguistischen Untersuchung
(1) Vorbereitung und Planung:
(a) Festlegung des Forschungsziels und Aufgabenstellung,
(b) Entwicklung der Forschungskonzeption,
(c) Planung und Organisation der Untersuchung.
Voruntersuchung → Zwischenauswertung → Korrekturen und Präzisierungen.
(2) Durchführung der empirischen Untersuchung:
(a) Datenerhebung: (aa) Befragung,
(ab) Notation der sprachlichen und nichtsprachlichen Äußerungen,
(ac) Speicherung,
(b) Aufbereitungsstufe,
(c) Korrelations- oder Erklärungsstufe.

13.2. Soziolinguistische Methoden der Datenerhebung


Linguistische Tradition:
(a) Dialektologie: Einzelinterviews,
(b) nordamerikanische Strukturalismus (Bloomfield, Harris): Korpora linguistischer Daten.
Soziologische Tradition:
(a) Erstellung von Samples (Zufallsauswahl) - Problem der Repräsentativität,
(b) statistische Auswertung,
(c) Skalierungsverfahren.

Probleme der soziolinguistischen Datenerhebung:


(a) das Beobachterparadox (Lösung: Wahl von Themen, teilnehmende Beobachtung);
(b) Sprache als Objekt und als Instrument der Untersuchung.

Wahl der Methode und die Art von Daten:


(a) Sozialdaten der Beobachteten / Befragten (Alter, Bildung, Einkommenshöhe,
Konfessionszugehörigkeit usw.);
(b) Daten über Sprachverwendung (Sprachaufnahmen od. Protokoll über die Verwendung der
Varietäten / Sprachen in bestimmten Situationen) – Beobachtungen, Tests;
(c) Einstellungsdaten – Interviews.

48
1. quantitative Methoden (Vorteile: Repräsentativität, Reliabilität; Nachteile: oberflächlich,
Validität gefährdet)
→ large scale-Untersuchungen
→ korrelative Forschungsfragen

2. interpretative/qualitative Methoden (Vorteil: komplexes Bild der Situation)


→ Fallstudien (case studies) mit Vollständigkeitsanspruch
→ integrative Fragestellungen

Teilnehmende Beobachtung
= langfristiges Teilnehmen an sozialen Aktivitäten natürlicher Gruppen
Feldarbeit als das Kernstück der ethnographischen Methodologie
Doppelrolle des Forschers als Teilnehmer an der Interaktion und als ihr Beobachter
Gefahr: (a) zu wenig Interaktion - Innenperspektive bleibt verborgen;
(b) zu viel Identifizierung (going native) – Beobachtung nicht mehr möglich
Befragung
Einstellungsuntersuchungen
Klassifizierung [Medium der Befragung (schriftlich/mündlich) + Grad der Standardisierung
(geschlossen/offen) als Kriterien]
(a) schriftliche Befragungen mit geschlossenen und offenen Fragen (indirekte Befragung, mittels
Fragebogen)
(b) mündliche Interviews mit hohem oder niedrigem Standardisierungsgrad (direkte Befragung
oder kombiniert - Verwendung des Fragebogens in Interviewtechnik, gezieltes Interview,
Interview nach Leitfaden)
Beispiele:
offene Interviews (sog. Intensiv- oder Tiefeninterviews), u.a. das narrative Interview
(Repräsentativität aufgrund der Wiederholung (Rekurrenz) von Argumenten und Stereotypen)

standardisierte Befragungen: z.B. das semantische Differential in Form von Osgood-Skalen


(s.u.)

49
Maus
Sehr Sehr
Etwas Etwas

Weder/noch
bzw.
Beides


beängstigend
 beruhigend

stark  schwach

zielorientiert  verwirrt



gefährlich ungefährlich

verspannt  entspannt

leicht erregbar  ruhig

feindselig  freundlich



aktiv passiv



hässlich schön

kräftig  schmächtig

hart  weich

faul  tüchtig



furchtlos ängstlich

aggressiv  friedfertig

Experimente und Tests


Unterschied in der Komplexität der Versuchsanordnung
Experimente: z.B. die matched-guise Technik
Tests: z.B. Ermittlung der Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher, aktiver und
passiver Kompetenz
Nachteil: nicht-natürliche Sprachproben

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historische Soziolinguistik: Longitudinalstudien
Erschließung von Quellenserien

Notation (a) sprachlicher Äußerungen: normale Schrift


bestimmte Alphabete und Transkriptionssysteme
(b) nonverbaler Äußerungen: schriftliche Protokolle
Video-Aufzeichnung
→ partiturähnliche Transkripten
Speicherung: u.U. Sekundär-Kodierung notwendig
Speicherungsmittel: Tonband, Videotape, Protokoll, Lesebogen, Frage- und Antwortformulare,
Transliterationen, teilaufbereitete Korpora, die manuell, maschinell oder elektronisch bearbeitet
werden sollen
Vorteil: schnelle maschinelle Bearbeitung von umfangreichen Datenmengen
Nachteil: großer Kodierungsaufwand

13.3. Die Aufbereitungsstufe


Segmentierung und Klassifizierung des Materials nach inhaltlichen od. formalen Kriterien:
Sozialdaten → Schichten / soziale Gruppen
nonverbale Informationen → Situationstypen
sprachliche Äußerungen (z.B. Konjunktive, bestimmte Wörter, Satzmuster) → Sprechakte
qualitative / inhaltliche Aufbereitung der Daten als Vorstufe der Anwendung statistischer
Verfahren (Zweck: aufgrund von Stichproben Schlüsse auf die gesamte Population)

13.4. Die Korrelations- oder Erklärungsstufe


Aufgabe der theoretische Soziolinguistik: Deutung und Interpretation der Ergebnisse / der
Korrelationsbefunde als Aufdeckung von Ursachen und Zusammenhängen im Rahmen eines
soziolinguistischen Modells
Ein soziolinguistisches Modell simuliert mögliche Ergebnisse als Arbeitshypothesen – die
tatsächlichen Ergebnisse sind Verifikation oder Falsifikation der Hypothesen.

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