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Was Heißt - Sich Im Denken Orientiren
Was Heißt - Sich Im Denken Orientiren
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Wir mögen unsre Begriffe noch so hoch anlegen und dabei noch
so
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sehr von der Sinnlichkeit abstrahiren, so hängen ihnen doch noch immer
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bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die
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sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zum Erfahrungsgebrauche
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tauglich zu machen. Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen
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Sinn und Bedeutung verschaffen, wenn ihnen nicht irgend eine
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Anschauung (welche zuletzt immer ein Beispiel aus irgend einer möglichen
08
Erfahrung sein muß) untergelegt würde? Wenn wir hernach von dieser
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concreten Verstandeshandlung die Beimischung des Bildes, zuerst der
zufälligen
10
Wahrnehmung durch Sinne, dann sogar die reine sinnliche Anschauung
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überhaupt weglassen: so bleibt jener reine Verstandesbegriff
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übrig, dessen Umfang nun erweitert ist und eine Regel des Denkens überhaupt
13
enthält. Auf solche Weise ist selbst die allgemeine Logik zu Stande
14
gekommen; und manche heuristische Methode zu denken liegt in dem
15
Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes und der Vernunft vielleicht noch
16
verborgen, welche, wenn wir sie behutsam aus jener Erfahrung herauszuziehen
17
verständen, die Philosophie wohl mit mancher nützlichen Maxime
18
selbst im abstracten Denken bereichern könnte.
19
Von dieser Art ist der Grundsatz, zu dem der sel. Mendelssohn, so
20
viel ich weiß, nur in seinen letzten Schriften (den Morgenstunden
21
S. 164 - 65 und dem Briefe an Lessings Freunde S. 33 und 67) sich
22
ausdrücklich bekannte; nämlich die Maxime der Nothwendigkeit, im
speculativen
23
Gebrauche der Vernunft (welchem er sonst in Ansehung der Erkenntniß
24
übersinnlicher Gegenstände sehr viel, sogar bis zur Evidenz der
25
Demonstration, zutraute) durch ein gewisses Leitungsmittel, welches er
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bald den Gemeinsinn (Morgenstunden), bald die gesunde Vernunft,
27
bald den schlichten Menschenverstand (an Lessings Freunde) nannte,
28
sich zu orientiren. Wer hätte denken sollen, daß dieses Geständniß nicht
29
allein seiner vortheilhaften Meinung von der Macht des speculativen
30
Vernunftgebrauchs in Sachen der Theologie so verderblich werden sollte
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(welches in der That unvermeidlich war); sondern daß selbst die gemeine
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gesunde Vernunft bei der Zweideutigkeit, worin er die Ausübung
dieses
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Vermögens im Gegensatze mit der Speculation ließ, in Gefahr gerathen
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würde, zum Grundsatze der Schwärmerei und der gänzlichen Entthronung
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der Vernunft zu dienen? Und doch geschah dieses in der Mendelssohn
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und Jacobi'schen Streitigkeit vornehmlich durch die nicht unbedeutenden
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Schlüsse des scharfsinnigen Verfassers der Resultate*); wiewohl ich
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keinem von beiden die Absicht, eine so verderbliche Denkungsart in Gang
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zu bringen, beilegen will, sondern des letzteren Unternehmung lieber als
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argumentum ad hominem ansehe, dessen man sich zur bloßen Gegenwehr
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zu bedienen wohl berechtigt ist, um die Blöße, die der Gegner giebt, zu
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dessen Nachtheil zu benutzen. Andererseits werde ich zeigen: daß es in der
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That bloß die Vernunft, nicht ein vorgeblicher geheimer Wahrheitssinn,
13
keine überschwengliche Anschauung unter dem Namen des Glaubens,
14
worauf Tradition oder Offenbarung ohne Einstimmung der Vernunft gepfropft
15
werden kann, sondern, wie Mendelssohn standhaft und mit gerechtem
16
Eifer behauptete, bloß die eigentliche reine Menschenvernunft sei, wodurch
17
er es nöthig fand und anpries, sich zu orientiren; obzwar freilich hiebei
18
der hohe Anspruch des speculativen Vermögens derselben, vornehmlich ihr
19
allein gebietendes Ansehen (durch Demonstration) wegfallen und ihr, so
20
fern sie speculativ ist, nichts weiter als das Geschäft der Reinigung des
21
gemeinen Vernunftbegriffs von Widersprüchen und die Vertheidigung
22
gegen ihre eigenen sophistischen Angriffe auf die Maximen einer gesunden
23
Vernunft übrig gelassen werden muß. - Der erweiterte und genauer
24
bestimmte Begriff des Sichorientirens kann uns behülflich sein,
25
die Maxime der gesunden Vernunft in ihren Bearbeitungen zur Erkenntniß
26
übersinnlicher Gegenstände deutlich darzustellen.
27
Sich orientiren heißt in der eigentlichen Bedeutung des Worts:
28
aus einer gegebenen Weltgegend (in deren vier wir den Horizont eintheilen)
29
die übrigen, namentlich den Aufgang zu finden. Sehe ich nun die Sonne
30
am Himmel und weiß, daß es nun die Mittagszeit ist, so weiß ich Süden,
31
Westen, Norden und Osten zu finden. Zu diesem Behuf bedarf ich aber
32
durchaus das Gefühl eines Unterschiedes an meinem eigenen Subject,
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nämlich der rechten und linken Hand. Ich nenne es ein Gefühl: weil
*) Jacobi, Briefe über die Lehre des Spinoza. Breslau 1785. - Jacobi wider
Mendelssohns Beschuldigung betreffend die Briefe über die Lehre des
Spinoza. Leipzig 1786. - Die Resultate der Jacobischen und
Mendelssohnschen Philosophie, kritisch untersucht von einem Freiwilligen.
Ebendas.
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diese zwei Seiten äußerlich in der Anschauung keinen merklichen
Unterschied
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zeigen. Ohne dieses Vermögen: in der Beschreibung eines Cirkels,
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ohne an ihm irgend eine Verschiedenheit der Gegenstände zu bedürfen,
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doch die Bewegung von der Linken zur Rechten von der in entgegengesetzter
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Richtung zu unterscheiden und dadurch eine Verschiedenheit in der
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Lage der Gegenstände a priori zu bestimmen, würde ich nicht wissen, ob
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ich Westen dem Südpunkte des Horizonts zur Rechten oder zur Linken
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setzen und so den Kreis durch Norden und Osten bis wieder zu Süden
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vollenden sollte. Also orientire ich mich geographisch bei allen objectiven
10
Datis am Himmel doch nur durch einen subjectiven Unterscheidungsgrund;
11
und wenn in einem Tage durch ein Wunder alle Sternbilder
12
zwar übrigens dieselbe Gestalt und eben dieselbe Stellung gegen
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einander behielten, nur daß die Richtung derselben, die sonst östlich war,
14
jetzt westlich geworden wäre, so würde in der nächsten sternhellen Nacht
15
zwar kein menschliches Auge die geringste Veränderung bemerken, und
16
selbst der Astronom, wenn er bloß auf das, was er sieht, und nicht zugleich,
17
was er fühlt, Acht gäbe, würde sich unvermeidlich desorientiren.
18
So aber kommt ihm ganz natürlich das zwar durch die Natur angelegte,
19
aber durch öftere Ausübung gewohnte Unterscheidungsvermögen durchs
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Gefühl der rechten und linken Hand zu Hülfe; und er wird, wenn er nur den
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Polarstern ins Auge nimmt, nicht allein die vorgegangene Veränderung
22
bemerken, sondern sich auch ungeachtet derselben orientiren können.
23
Diesen geographischen Begriff des Verfahrens sich zu orientiren kann
24
ich nun erweitern und darunter verstehen: sich in einem gegebenen Raum
25
überhaupt, mithin bloß mathematisch orientiren. Im Finstern orientire
26
ich mich in einem mir bekannten Zimmer, wenn ich nur einen einzigen
27
Gegenstand, dessen Stelle ich im Gedächtniß habe, anfassen kann. Aber
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hier hilft mir offenbar nichts als das Bestimmungsvermögen der Lagen
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nach einem subjectiven Unterscheidungsgrunde: denn die Objecte, deren
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Stelle ich finden soll, sehe ich gar nicht; und hätte jemand mir zum Spaße
31
alle Gegenstände zwar in derselben Ordnung unter einander, aber links
32
gesetzt, was vorher rechts war, so würde ich mich in einem Zimmer, wo
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sonst alle Wände ganz gleich wären, gar nicht finden können. So aber
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orientire ich mich bald durch das bloße Gefühl eines Unterschiedes meiner
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zwei Seiten, der rechten und der linken. Eben das geschieht, wenn ich zur
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Nachtzeit auf mir sonst bekannten Straßen, in denen ich jetzt kein Haus
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unterscheide, gehen und mich gehörig wenden soll.
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Endlich kann ich diesen Begriff noch mehr erweitern, da er denn
in
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dem Vermögen bestände, sich nicht bloß im Raume, d. i. mathematisch,
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sondern überhaupt im Denken, d. i. logisch, zu orientiren. Man kann
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nach der Analogie leicht errathen, daß dieses ein Geschäft der reinen Vernunft
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sein werde, ihren Gebrauch zu lenken, wenn sie, von bekannten
06
Gegenständen (der Erfahrung) ausgehend, sich über alle Grenzen der
Erfahrung
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erweitern will und ganz und gar kein Object der Anschauung,
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sondern bloß Raum für dieselbe findet; da sie alsdann gar nicht mehr im
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Stande ist, nach objectiven Gründen der Erkenntniß, sondern lediglich
10
nach einem subjectiven Unterscheidungsgrunde in der Bestimmung ihres
11
eigenen Urtheilsvermögens ihre Urtheile unter eine bestimmte Maxime
12
zu bringen ). Dies subjective Mittel, das alsdann noch übrig bleibt, ist
*
13
kein anderes, als das Gefühl des der Vernunft eigenen Bedürfnisses.
14
Man kann vor allem Irrthum gesichert bleiben, wenn man sich da nicht
15
unterfängt zu urtheilen, wo man nicht so viel weiß, als zu einem
bestimmenden
16
Urtheile erforderlich ist. Also ist Unwissenheit an sich die
17
Ursache zwar der Schranken, aber nicht der Irrthümer in unserer Erkenntniß.
18
Aber wo es nicht so willkürlich ist, ob man über etwas bestimmt
19
urtheilen wolle oder nicht, wo ein wirkliches Bedürfniß und wohl gar
20
ein solches, welches der Vernunft an sich selbst anhängt, das Urtheilen
21
nothwendig macht, und gleichwohl Mangel des Wissens in Ansehung der
22
zum Urtheil erforderlichen Stücke uns einschränkt: da ist eine Maxime
23
nöthig, wornach wir unser Urtheil fällen; denn die Vernunft will einmal
24
befriedigt sein. Wenn denn vorher schon ausgemacht ist, daß es hier keine
25
Anschauung vom Objecte, nicht einmal etwas mit diesem Gleichartiges
26
geben könne, wodurch wir unseren erweiterten Begriffen den ihnen
angemessenen
27
Gegenstand darstellen und diese also ihrer realen Möglichkeit
28
wegen sichern könnten: so wird für uns nichts weiter zu thun übrig
29
sein, als zuerst den Begriff, mit welchem wir uns über alle mögliche Erfahrung
30
hinaus wagen wollen, wohl zu prüfen, ob er auch von Widersprüchen
31
frei sei; und dann wenigstens das Verhältniß des Gegenstandes
32
zu den Gegenständen der Erfahrung unter reine Verstandesbegriffe
33
zu bringen, wodurch wir ihn noch gar nicht versinnlichen, aber doch
34
etwas Übersinnliches wenigstens tauglich zum Erfahrungsgebrauche
*) Sich im Denken überhaupt orientiren, heißt also: sich bei der
Unzulänglichkeit der objectiven Principien der Vernunft im Fürwahrhalten
nach einem subjectiven Princip derselben bestimmen.
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unserer Vernunft denken; denn ohne diese Vorsicht würden wir
von einem
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solchen Begriffe gar keinen Gebrauch machen können, sondern schwärmen,
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anstatt zu denken.
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Allein hiedurch, nämlich durch den bloßen Begriff, ist doch noch nichts
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in Ansehung der Existenz dieses Gegenstandes und der wirklichen
Verknüpfung
06
desselben mit der Welt (dem Inbegriffe aller Gegenstände möglicher
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Erfahrung) ausgerichtet. Nun aber tritt das Recht des Bedürfnisses
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der Vernunft ein, als eines subjectiven Grundes etwas
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vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objective Gründe zu wissen
10
sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im Unermeßlichen
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und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Übersinnlichen, lediglich
12
durch ihr eigenes Bedürfniß zu orientiren.
13
Es läßt sich manches Übersinnliche denken (denn Gegenstände der
14
Sinne füllen doch nicht das ganze Feld aller Möglichkeit aus), wo die
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Vernunft gleichwohl kein Bedürfniß fühlt, sich bis zu demselben zu erweitern,
16
viel weniger dessen Dasein anzunehmen. Die Vernunft findet an
17
den Ursachen in der Welt, welche sich den Sinnen offenbaren (oder
wenigstens
18
von derselben Art sind, als die, so sich ihnen offenbaren), Beschäftigung
19
genug, um nicht den Einfluß reiner geistiger Naturwesen zu deren Behuf
20
nöthig zu haben, deren Annehmung vielmehr ihrem Gebrauche nachtheilig
21
sein würde. Denn da wir von den Gesetzen, nach welchen solche Wesen
22
wirken mögen, nichts, von jenen aber, nämlich den Gegenständen der
23
Sinne, vieles wissen, wenigstens noch zu erfahren hoffen können: so würde
24
durch solche Voraussetzung dem Gebrauche der Vernunft vielmehr Abbruch
25
geschehen. Es ist also gar kein Bedürfniß, es ist vielmehr bloßer Vorwitz,
26
der auf nichts als Träumerei ausläuft, darnach zu forschen, oder mit
Hirngespinsten
27
der Art zu spielen. Ganz anders ist es mit dem Begriffe von
28
einem ersten Urwesen, als oberster Intelligenz und zugleich als dem
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höchsten Gute, bewandt. Denn nicht allein, daß unsere Vernunft schon
30
ein Bedürfniß fühlt, den Begriff des Uneingeschränkten dem Begriffe
31
alles Eingeschränkten, mithin aller anderen Dinge ) zum Grunde zu
*
32
*) Da die Vernunft zur Möglichkeit aller Dinge Realität als gegeben
vorauszusetzen
bedarf und die Verschiedenheit der Dinge durch ihnen anhängende Negationen
nur als Schranken betrachtet: so sieht sie sich genöthigt, eine einzige
Möglichkeit, nämlich die des uneingeschränkten Wesens, als ursprünglich zum
Grunde zu legen, alle anderen aber als abgeleitet zu betrachten. Da auch die
durchgängige Möglichkeit eines jeden Dinges durchaus im Ganzen aller
Existenz angetroffen [Seitenumbruch] werden muß, wenigstens der Grundsatz der
durchgängigen Bestimmung die Unterscheidung des Möglichen vom
Wirklichen unserer Vernunft nur auf solche Art möglich macht: so finden wir
einen subjectiven Grund der Nothwendigkeit, d. i. ein Bedürfniß unserer
Vernunft selbst, aller Möglichkeit das Dasein eines allerrealsten (höchsten)
Wesens zum Grunde zu legen. So entspringt nun der cartesianische Beweis
vom Dasein Gottes, indem subjective Gründe etwas für den Gebrauch der
Vernunft (der im Grunde immer nur ein Erfahrungsgebrauch bleibt) voraus zu
setzen für objectiv - mithin Bedürfniß für Einsicht - gehalten werden. So ist es
mit diesem, so ist es mit allen Beweisen des würdigen Mendelssohn in seinen
Morgenstunden bewandt. Sie leisten nichts zum Behuf einer Demonstration.
Darum sind sie aber keinesweges unnütz. Denn nicht zu erwähnen, welchen
schönen Anlaß diese überaus scharfsinnigen Entwickelungen der subjectiven
Bedingungen des Gebrauchs unserer Vernunft zu der vollständigen Erkenntniß
dieses unsers Vermögens geben, als zu welchem Behuf sie bleibende Beispiele
sind: so ist das Fürwahrhalten aus subjectiven Gründen des Gebrauchs der
Vernunft, wenn uns objective mangeln und wir dennoch zu Urtheilen
genöthigt sind, immer noch von großer Wichtigkeit; nur müssen wir das, was
nur abgenöthigte Voraussetzung ist, nicht für freie Einsicht ausgeben, um dem
Gegner, mit dem wir uns aufs Dogmatisiren eingelassen haben, nicht ohne
Noth Schwächen darzubieten, deren er sich zu unserem Nachtheil bedienen
kann. Mendelssohn dachte wohl nicht daran, daß das Dogmatisiren mit der
reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der gerade Weg zur
philosophischen Schwärmerei sei, und daß nur Kritik eben desselben
Vernunftvermögens diesem Übel gründlich abhelfen könne. Zwar kann die
Disciplin der scholastischen Methode (der Wolffischen z. B., die er darum
auch anrieth), da alle Begriffe durch Definitionen bestimmt und alle Schritte
durch Grundsätze gerechtfertigt werden müssen, diesen Unfug wirklich eine
Zeit lang hemmen, aber keinesweges gänzlich abhalten. Denn mit welchem
Rechte will man der Vernunft, der es einmal in jenem Felde seinem eigenen
Geständnisse nach so wohl gelungen ist, verwehren, in eben demselben noch
weiter zu gehen? Und wo ist dann die Gränze, wo sie stehen bleiben muß?
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legen; so geht dieses Bedürfniß auch auf die Voraussetzung des
Daseins
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desselben, ohne welche sie sich von der Zufälligkeit der Existenz der Dinge
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in der Welt, am wenigsten aber von der Zweckmäßigkeit und Ordnung,
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die man in so bewunderungswürdigem Grade (im Kleinen, weil es uns
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nahe ist, noch mehr wie im Großen) allenthalben antrifft, gar keinen
befriedigenden
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Grund angeben kann. Ohne einen verständigen Urheber anzunehmen,
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läßt sich, ohne in lauter Ungereimtheiten zu verfallen, wenigstens
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kein verständlicher Grund davon angeben; und ob wir gleich die
Unmöglichkeit
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einer solchen Zweckmäßigkeit ohne eine erste verständige
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Ursache nicht beweisen können (denn alsdann hätten wir hinreichende
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objective Gründe dieser Behauptung und bedürften es nicht, uns auf den
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subjectiven zu berufen): so bleibt bei diesem Mangel der Einsicht
doch ein
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genugsamer subjectiver Grund der Annehmung derselben darin, da
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die Vernunft es bedarf: etwas, was ihr verständlich ist, voraus zu setzen,
04
um diese gegebene Erscheinung daraus zu erklären, da alles, womit sie
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sonst nur einen Begriff verbinden kann, diesem Bedürfnisse nicht abhilft.
06
Man kann aber das Bedürfniß der Vernunft als zwiefach ansehen:
07
erstlich in ihrem theoretischen, zweitens in ihrem praktischen
08
Gebrauch. Das erste Bedürfniß habe ich eben angeführt; aber man sieht
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wohl, daß es nur bedingt sei, d. i. wir müssen die Existenz Gottes annehmen,
10
wenn wir über die ersten Ursachen alles Zufälligen vornehmlich
11
in der Ordnung der wirklich in der Welt gelegten Zwecke urtheilen
12
wollen. Weit wichtiger ist das Bedürfniß der Vernunft in ihrem
13
praktischen Gebrauche, weil es unbedingt ist, und wir die Existenz
14
Gottes voraus zu setzen nicht bloß alsdann genöthigt werden, wenn wir
15
urtheilen wollen, sondern weil wir urtheilen müssen. Denn der reine
16
praktische Gebrauch der Vernunft besteht in der Vorschrift der moralischen
17
Gesetze. Sie führen aber alle auf die Idee des höchsten Gutes,
18
was in der Welt möglich ist, so fern es allein durch Freiheit möglich ist:
19
die Sittlichkeit; von der anderen Seite auch auf das, was nicht bloß
20
auf menschliche Freiheit, sondern auch auf die Natur ankommt, nämlich
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auf die größte Glückseligkeit, so fern sie in Proportion der ersten ausgetheilt
22
ist. Nun bedarf die Vernunft, ein solches abhängiges höchste
23
Gut und zum Behuf desselben eine oberste Intelligenz als höchstes
unabhängiges
24
Gut anzunehmen: zwar nicht um davon das verbindende
25
Ansehen der moralischen Gesetze, oder die Triebfeder zu ihrer Beobachtung
26
abzuleiten (denn sie würden keinen moralischen Werth haben, wenn ihr
27
Bewegungsgrund von etwas anderem, als von dem Gesetz allein, das für
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sich apodiktisch gewiß ist, abgeleitet würde); sondern nur um dem Begriffe
29
vom höchsten Gut objective Realität zu geben, d. i. zu verhindern,
30
daß es zusammt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal
31
gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existirte, dessen Idee die Moralität
32
unzertrennlich begleitet.
33
Es ist also nicht Erkenntniß, sondern gefühltes*) Bedürfniß
34
der Vernunft, wodurch sich Mendelssohn (ohne sein Wissen) im speculativen
35
Denken orientirte. Und da dieses Leitungsmittel nicht ein objectives
*) Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein und wirkt durch den
Erkenntnißtrieb das Gefühl des Bedürfnisses. Es ist hiemit, wie mit dem
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Princip der Vernunft, ein Grundsatz der Einsichten, sondern ein
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bloß subjectives (d. i. eine Maxime) des ihr durch ihre Schranken allein
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erlaubten Gebrauchs, ein Folgesatz des Bedürfnisses, ist und für sich
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allein den ganzen Bestimmungsgrund unsers Urtheils über das Dasein des
05
höchsten Wesens ausmacht, von dem es nur ein zufälliger Gebrauch ist
06
sich in den speculativen Versuchen über denselben Gegenstand zu orientiren:
07
so fehlte er hierin allerdings, daß er dieser Speculation dennoch so viel
08
Vermögen zutraute, für sich allein auf dem Wege der Demonstration alles
09
auszurichten. Die Nothwendigkeit des ersteren Mittels konnte nur Statt
10
finden, wenn die Unzulänglichkeit des letzteren völlig zugestanden war:
11
ein Geständniß, zu welchem ihn seine Scharfsinnigkeit doch zuletzt würde
12
gebracht haben, wenn mit einer längeren Lebensdauer ihm auch die den
13
Jugendjahren mehr eigene Gewandtheit des Geistes, alte, gewohnte
14
Denkungsart nach Veränderung des Zustandes der Wissenschaften leicht
15
umzuändern, wäre vergönnt gewesen. Indessen bleibt ihm doch das Verdienst,
16
daß er darauf bestand: den letzten Probirstein der Zulässigkeit
17
eines Urtheils hier wie allerwärts nirgend, als allein in der Vernunft
18
zu suchen, sie mochte nun durch Einsicht oder bloßes Bedürfniß
19
und die Maxime ihrer eigenen Zuträglichkeit in der Wahl ihrer Sätze geleitet
20
werden. Er nannte die Vernunft in ihrem letzteren Gebrauche die
21
gemeine Menschenvernunft; denn dieser ist ihr eigenes Interesse jederzeit
22
zuerst vor Augen, indeß man aus dem natürlichen Geleise schon muß getreten
23
sein, um jenes zu vergessen und müßig unter Begriffen in objectiver Rücksicht
24
zu spähen, um bloß sein Wissen, es mag nöthig sein oder nicht, zu erweitern.
25
Da aber der Ausdruck: Ausspruch der gesunden Vernunft,
26
in vorliegender Frage immer noch zweideutig ist und entweder, wie ihn
27
selbst Mendelssohn mißverstand, für ein Urtheil aus Vernunfteinsicht,
28
oder, wie ihn der Verfasser der Resultate zu nehmen scheint, ein Urtheil
29
aus Vernunfteingebung genommen werden kann: so wird nöthig
30
sein, dieser Quelle der Beurtheilung eine andere Benennung zu geben,
31
und keine ist ihr angemessener, als die eines Vernunftglaubens.
32
Ein jeder Glaube, selbst der historische muß zwar vernünftig sein (denn
33
der letzte Probirstein der Wahrheit ist immer die Vernunft); allein ein
moralischen Gefühl bewandt, welches kein moralisches Gesetz verursacht,
denn dieses entspringt gänzlich aus der Vernunft; sondern durch moralische
Gesetze, mithin durch die Vernunft verursacht oder gewirkt wird, indem der
rege und doch freie Wille bestimmter Gründe bedarf.
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Vernunftglaube ist der, welcher sich auf keine andere Data
gründet als
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die, so in der reinen Vernunft enthalten sind. Aller Glaube ist nun
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ein subjectiv zureichendes, objectiv aber mit Bewußtsein unzureichendes
04
Fürwahrhalten; also wird er dem Wissen entgegengesetzt. Andrerseits,
05
wenn aus objectiven, obzwar mit Bewußtsein unzureichenden, Gründen
06
etwas für wahr gehalten, mithin bloß gemeint wird: so kann dieses
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Meinen doch durch allmählige Ergänzung in derselben Art von Gründen
08
endlich ein Wissen werden. Dagegen wenn die Gründe des Fürwahrhaltens
09
ihrer Art nach gar nicht objectiv gültig sind, so kann der Glaube
10
durch keinen Gebrauch der Vernunft jemals ein Wissen werden. Der
11
historische Glaube z. B. von dem Tode eines großen Mannes, den einige
12
Briefe berichten, kann ein Wissen werden, wenn die Obrigkeit des
13
Orts denselben, sein Begräbniß, Testament etc. meldet. Daß daher
14
etwas historisch bloß auf Zeugnisse für wahr gehalten, d. i. geglaubt
15
wird, z. B. daß eine Stadt Rom in der Welt sei, und doch derjenige, der
16
niemals da gewesen, sagen kann: ich weiß, und nicht bloß: ich
17
glaube, es existire ein Rom, das steht ganz wohl beisammen. Dagegen
18
kann der reine Vernunftglaube durch alle natürliche Data
19
der Vernunft und Erfahrung niemals in ein Wissen verwandelt
20
werden, weil der Grund des Fürwahrhaltens hier bloß subjectiv,
21
nämlich ein nothwendiges Bedürfniß der Vernunft, ist (und, so lange
22
wir Menschen sind, immer bleiben wird), das Dasein eines höchsten
23
Wesens nur vorauszusetzen, nicht zu demonstriren. Dieses Bedürfniß
24
der Vernunft zu ihrem sie befriedigenden theoretischen Gebrauche
25
würde nichts anders als reine Vernunfthypothese sein, d. i. eine
26
Meinung, die aus subjectiven Gründen zum Fürwahrhalten zureichend
27
wäre: darum, weil man gegebene Wirkungen zu erklären niemals
28
einen andern als diesen Grund erwarten kann, und die Vernunft doch einen
29
Erklärungsgrund bedarf. Dagegen der Vernunftglaube, der auf
30
dem Bedürfniß ihres Gebrauchs in praktischer Absicht beruht, ein
31
Postulat der Vernunft heißen könnte: nicht als ob es eine Einsicht wäre,
32
welche aller logischen Forderung zur Gewißheit Genüge thäte, sondern
33
weil dieses Fürwahrhalten (wenn in dem Menschen alles nur moralisch
34
gut bestellt ist) dem Grade nach keinem Wissen nachsteht*), ob es gleich
35
der Art nach davon völlig unterschieden ist.
*) Zur Festigkeit des Glaubens gehört das Bewußtsein seiner
Unveränderlichkeit. nun kann ich völlig gewiß sein, daß mir niemand den
Satz: [Seitenumbruch] Es ist ein Gott, werde widerlegen können; denn wo will er
diese Einsicht hernehmen? Also ist es mit dem Vernunftglauben nicht so, wie
mit dem historischen bewandt, bei dem es immer noch möglich ist, daß
Beweise zum Gegentheil aufgefunden würden, und wo man sich immer noch
vorbehalten muß, seine Meinung zu ändern, wenn sich unsere Kenntniß der
Sachen erweitern sollte.
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Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Compaß,
wodurch
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der speculative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde
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übersinnlicher Gegenstände orientiren, der Mensch von gemeiner, doch
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(moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg sowohl in theoretischer als
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praktischer Absicht dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig
angemessen
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vorzeichnen kann; und dieser Vernunftglaube ist es auch, der
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jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung zum Grunde gelegt
08
werden muß.
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Der Begriff von Gott und selbst die Überzeugung von seinem
10
Dasein kann nur allein in der Vernunft angetroffen werden, von ihr
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allein ausgehen und weder durch Eingebung, noch durch eine ertheilte
12
Nachricht von noch so großer Autorität zuerst in uns kommen. Widerfährt
13
mir eine unmittelbare Anschauung von einer solchen Art, als sie mir
14
die Natur, so weit ich sie kenne, gar nicht liefern kann: so muß doch ein
15
Begriff von Gott zur Richtschnur dienen, ob diese Erscheinung auch mit
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allem dem übereinstimme, was zu dem Charakteristischen einer Gottheit
erforderlich
17
ist. Ob ich gleich nun gar nicht einsehe, wie es möglich sei, da
18
irgend eine Erscheinung dasjenige auch nur der Qualität nach darstelle,
19
was sich immer nur denken, niemals aber anschauen läßt: so ist doch
20
wenigstens so viel klar, daß, um nur zu urtheilen, ob das Gott sei, was
21
mir erscheint, was auf mein Gefühl innerlich oder äußerlich wirkt, ich ihn
22
an meinen Vernunftbegriff von Gott halten und darnach prüfen müsse,
23
nicht ob er diesem adäquat sei, sondern bloß ob er ihm nicht widerspreche.
24
Eben so: wenn auch bei allem, wodurch er sich mir unmittelbar entdeckte,
25
nichts angetroffen würde, was jenem Begriffe widerspräche: so würde
26
dennoch diese Erscheinung, Anschauung, unmittelbare Offenbarung, oder
27
wie man sonst eine solche Darstellung nennen will, das Dasein eines
28
Wesens niemals beweisen, dessen Begriff (wenn er nicht unsicher bestimmt
29
und daher der Beimischung alles möglichen Wahnes unterworfen werden
30
soll) Unendlichkeit der Größe nach zur Unterscheidung von allem Geschöpfe
31
fordert, welchem Begriffe aber gar keine Erfahrung oder Anschauung
32
adäquat sein, mithin auch niemals das Dasein eines solchen Wesens
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unzweideutig beweisen kann. Vom Dasein des höchsten Wesens
kann also
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niemand durch irgend eine Anschauung zuerst überzeugt werden; der
03
Vernunftglaube muß vorhergehen, und alsdann könnten allenfalls gewisse
04
Erscheinungen oder Eröffnungen Anlaß zur Untersuchung geben, ob wir
05
das, was zu uns spricht oder sich uns darstellt, wohl befugt sind für eine
06
Gottheit zu halten, und nach befinden jenen Glauben bestätigen.
07
Wenn also der Vernunft in Sachen, welche übersinnliche Gegenstände
08
betreffen, als das Dasein Gottes und die künftige Welt, das ihr zustehende
09
Recht zuerst zu sprechen bestritten wird: so ist aller Schwärmerei,
Aberglauben,
10
ja selbst der Atheisterei eine weite Pforte geöffnet. Und doch
11
scheint in der jacobischen und mendelssohnischen Streitigkeit alles auf
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diesen Umsturz, ich weiß nicht recht, ob bloß der Vernunfteinsicht und
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des Wissens (durch vermeinte Stärke in der Speculation), oder auch sogar
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des Vernunftglaubens, und dagegen auf die Errichtung eines
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andern Glaubens, den sich ein jeder nach seinem Belieben machen kann,
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angelegt. Man sollte beinahe auf das letztere schließen, wenn man den
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spinozistischen Begriff von Gott als den einzigen mit allen Grundsätzen
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der Vernunft stimmigen*) und dennoch verwerflichen Begriff aufgestellt
*) Es ist kaum zu begreifen, wie gedachte Gelehrte in der Kritik der reinen
Vernunft Vorschub zum Spinozism finden konnten. Die Kritik beschneidet
dem Dogmatism gänzlich die Flügel in Ansehung der Erkenntniß
übersinnlicher Gegenstände, und der Spinozism ist hierin so dogmatisch, daß
er sogar mit dem Mathematiker in Ansehung der Strenge des Beweises
wetteifert. Die Kritik beweiset: daß die Tafel der reinen Verstandesbegriffe
alle Materialien des reinen Denkens enthalten müsse; der Spinozism spricht
von Gedanken, die doch selbst denken, und also von einem Accidens, das doch
zugleich für sich als Subject existiert: ein Begriff, der sich im menschlichen
Verstande gar nicht findet und sich auch in ihn nicht bringen läßt. Die Kritik
zeigt: es reiche noch lange nicht zur Behauptung der Möglichkeit eines selbst
gedachten Wesens zu, daß in seinem Begriffe nichts Widersprechendes sei
(wiewohl es alsdann nöthigenfalls allerdings erlaubt bleibt, diese Möglichkeit
anzunehmen); der Spinozism giebt aber vor, die Unmöglichkeit eines Wesens
einzusehen, dessen Idee aus lauter reinen Verstandesbegriffen besteht, wovon
man nur alle Bedingungen der Sinnlichkeit abgesondert hat, worin also
niemals ein Widerspruch angetroffen werden kann, und vermag doch diese
über alle Gränzen gehende Anmaßung durch gar nichts zu unterstützen. Eben
um dieser Willen führt der Spinozism gerade zur Schwärmerei. Dagegen giebt
es kein einziges sicheres Mittel alle Schwärmerei mit der Wurzel auszurotten,
als jene Gränzbestimmung des reinen Vernunftvermögens. Eben so findet ein
anderer Gelehrter in der Kritik d. r. Vernunft eine Skepsis, obgleich die Kritik
eben darauf hinausgeht, etwas Gewisses und Bestimmtes [Seitenumbruch] in
Ansehung des Umfanges unserer Erkenntniß a priori fest zu setzen. Imgleichen
eine Dialektik in den kritischen Untersuchungen, welche doch darauf angelegt
sind, die unvermeidliche Dialektik, womit die allerwärts dogmatisch geführte
reine Vernunft sich selbst verfängt und verwickelt, aufzulösen und auf immer
zu vertilgen. Die Neuplatoniker, die sich Eklektiker nannten, weil sie ihre
eigenen Grillen allenthalben in älteren Autoren zu finden wußten, wenn sie
solche vorher hineingetragen hatten, verfuhren gerade eben so; es geschieht
also in so fern nichts Neues unter der Sonne.
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sieht. Denn ob es sich gleich mit dem Vernunftglauben ganz
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verträgt, einzuräumen: daß speculative Vernunft selbst nicht einmal die
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Möglichkeit eines Wesens, wie wir Gott denken müssen, einzusehen
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im Stande sei: so kann es doch mit gar keinem Glauben und überall
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mit keinem Fürwahrhalten eines Daseins zusammen bestehen, da
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Vernunft gar die Unmöglichkeit eines Gegenstandes einsehen und
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dennoch aus anderen Quellen die Wirklichkeit desselben erkennen könnte.
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Männer von Geistesfähigkeiten und von erweiterten Gesinnungen!
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Ich verehre eure Talente und liebe euer Menschengefühl. Aber habt
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ihr auch wohl überlegt, was ihr thut, und wo es mit euren Angriffen
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auf die Vernunft hinaus will? Ohne Zweifel wollt ihr, daß Freiheit
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zu denken ungekränkt erhalten werde; denn ohne diese würde es selbst
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mit euren freien Schwüngen des Genies bald ein Ende haben. Wir
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wollen sehen, was aus dieser Denkfreiheit natürlicher Weise werden müsse,
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wenn ein solches Verfahren, als Ihr beginnt, überhand nimmt.
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Der Freiheit zu denken ist erstlich der bürgerliche Zwang entgegengesetzt.
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Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen oder zu schreiben
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könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken
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durch sie gar nicht genommen werden. Allein wie viel und mit welcher
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Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in
Gemeinschaft
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mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mittheilen,
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dächten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige äußere
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Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken öffentlich mitzutheilen,
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den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu denken nehme: das
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einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt,
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und wodurch allein wider alle Übel dieses Zustandes noch Rath geschafft
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werden kann.
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Zweitens wird die Freiheit zu denken auch in der Bedeutung genommen,
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daß ihr der Gewissenszwang entgegengesetzt ist; wo ohne
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