Sie sind auf Seite 1von 6

raum&zeit-Essay

Globalisierung und Neofaschismus


sind keine Gegensätze
raum&zeit-Essay von Uwe Habricht (M.A.), Berlin.

Der Autor vertritt die provokante These, dass die gnadenlose, kon- theoretischer Ansatz etwa im Sin-
ne Parsons’ hinsichtlich der Orga-
zerngesteuerte Globalisierung eine der wesentlichen Ursachen für nisationsebenen einer komple-
den wachsenden Rechtsradikalismus ist. Zurzeit versuchen die po- xen Gesellschaft oder Gouldners
im Sinne von Symmetrie, Gleich-
litischen Kräfte, die die Globalisierung zur Staatsdoktrin erhoben gewicht und Macht zugrunde.
haben, sich mit „Aktionen gegen Rechts“ besonders demokratisch Dieser Aufsatz ist provokant und
zu geben. Dabei dürfte längst klar geworden sein, dass Globalisie- deshalb (manchmal) zuspitzend.
Es geht mir darum, den Neofa-
rung und Demokratie Gegensätze sind. (Siehe hierzu auch „War- schismus auf der einen Seite als
um die WTO so gefährlich ist” in dieser Ausgabe). Diejenigen, die Symptom einer zunehmend fa-
schistoiden globalisierten Sozial-
also Verursacher des Neofaschismus sind, versuchen mit solchen struktur zu identifizieren und auf
Aktionen die Systemursachen zu verschleiern. Denn in Wahrheit der anderen Seite als Funktion ei-
nes globalen Turbo-Kapitalismus
sind Globalisierung und Neofaschismus keine Gegensätze, sondern zu überführen.
zwei Seiten ein und desselben Prinzips. Beide sind radikale Ent- Psychopolitische Überlegungen
wicklungsrichtungen, die letztlich auf die Entmündigung und Un- wie etwa zur Psychologie der
„patriachalen Destruktivität“,
terwerfung des Menschen hinaus laufen. Eine hochinteressante zur „sexuellen Zwangsmoral“,
Analyse der gegenwärtigen weltweiten Entwicklung, die zu hefti- zur „spirituellen Entzauberung
der Welt“ oder historische As-
gem Nachdenken anregen sollte. Denn noch ist diese verhängnis- pekte zum Erbe der „autoritären
volle Entwicklung aufzuhalten. Familie“ können im Rahmen
dieses Aufsatzes nicht behandelt
besten wird der Begriff verstan- land ganz konkrete gesellschaftli- werden. Gleichwohl will damit

G lobalisierung, Demo-
kratie, Toleranz etc.
sind vielgebrauchte
Begriffe und von erschlagender
Argumentationskraft. In einer
den, wenn man sich die Welt oh-
ne Grenzen zwischen den Völ-
kern vorstellt, in und zwischen
denen dann alles möglich sei.
Was für eine Vision!
che Bedingungen hat, sowie
Symptom und Funktion des ge-
genwärtigen gesellschaftspoliti-
schen euro-amerikanischen Sy-
stems ist.
der Horizont dieses komplexen
Themas eingeräumt werden,
dem hier nicht Rechnung getra-
gen werden kann. Unterstellt
wird jedoch, dass die gegenwär-
Welt, die diese Attribute für Garnicht zu verstehen scheinen Die Analyse des Faschismus auf tige kapital-globalisierende Ent-
sich beansprucht, deutet sich dagegen radikale Tendenzen zu politisch-ideologischer und sozi- wicklung einen soziologisch zu
das Phänomen des zunehmen- sein, die Globalisierung als Ge- al-struktureller Ebene ist theore- deutenden gesellschaftlichen
den Rechtsradikalismus wie ein fahr oder Angriff auf ihre Kultur tisch und beansprucht keine em- Antagonismus erzeugt, dessen
Fremdkörper in einer ach so sau- und ihre nationalen Interessen pirische Sicherheit. Eher liegt den „Geschwür“ und Symptome
beren Welt voller gutmeinender, sehen und sich der neuen „Viel- Ausführungen hier ein system- nicht mehr zu übersehen sind.
demokratischer Politiker und ih- falt” in den Weg stellen.
rer (!) Völker an. Der folgende Aufsatz unterstellt
Globalisierung soll zunächst in der sich entwickelnden Form I. Das Symptom „Neofaschismus“
meinen, dass die Völker der Er- des Neofaschismus vor allem in
de in friedlicher Verständigung Europa einen Zusammenhang (struktureller Aspekt)
einander näher kommen, wirt- zwischen Globalisierungsdoktrin
schaftliche Beziehungen ausbau- und nationalistischen Konzen- Faschismus ist nach Marxisti- des Faschismus. Von ihrem An-
en, sich in ihren Kulturen und trationen. Der anwachsende scher Auffassung Ausdruck und satz her waren faschistische Be-
Religionen akzeptieren. Weiter- Neofaschismus in Deutschland angewandte Form (bürgerli- wegungen in Europa antimarxi-
hin ist damit gemeint, dass die ist hier exemplarischer Focus cher) Herrschaft in kapitalis- stisch, antikapitalistisch und
Welt nicht nur grenzenlose Res- für eine globale Polarisierung tischen Industriestaaten bei antiliberal; mündeten dann in
sourcen zu erschöpfen hat, son- zwischen nationalistischen, fun- sozialer, wirtschaftlicher und po- Rassismus, Chauvinismus und
dern grenzenlos Kommunika- damentalistischen und wirt- litischer Krisenlage. Dimitrow Diskriminierung von Minder-
tion, Transparenz, kulturellen schaftsoligopol-zentralistischen betonte in seiner Definition den heiten. Als „Neofaschismus“
Austausch, Vielfalt und Chan- Bewegungen. Zentrale These ist, aggressiven, imperialistischen wird im engeren Sinne eine poli-
cengleichheit ermöglicht. Am dass der Faschismus in Deutsch- und chauvinistischen Charakter tische Bewegung in Italien nach
raum&zeit 113/2001 75
Mussolinis Sturz gemeint (Movi- durchaus begrenzte Zuwande- Kapitalismus finden so gut wie rückgreift, wie man sie zu den ri-
mento Sociale Italiano); ist aber rung in seine Überlegungen ein- keinen Platz in der „Ursachen- gidesten Propaganda-Zeiten der
im weiteren und aktuellen Sinne zubeziehen, dann gilt er als „aus- analyse“. Gleichwohl werden alle DDR nicht erlebt hat. Auf der
ein Sammelbegriff für „rechtsra- länderfeindlich“. Die Liste der politischen Strömungen mit dem anderen Seite fragt man sich,
dikale“ Bewegungen, die in ihrer Pervertierungen in der Auslän- Symptom beschäftigt, als sei es was die westliche „Demokratie“
Ideologie an die Epoche des Fa- derfrage ließe sich fortsetzen. ein unerklärliches Geschwür, ohne totalitären „Feind“ noch
schismus anknüpfen. Obwohl Es ist bei dem emotionalisierten welches zu „bekämpfen“ sei. für Definitions- und Legitimati-
sich faschistische Bewegungen und moralisierten Klima der onsinhalte hätte. Die Negativ-
ursprünglich antikapitalistisch öffentlichen „Zuwanderungsdis- Stets „im Kampf gegen“ etwas Bestimmung „gegen“ ersetzt ei-
gaben, wurden sie ökonomisch kussion“ im Grunde eine Frage In der „Ursachenforschung“ der ne Positiv-Bestimmung „für“.
von Monopol-Industrie, Kirche der Zeit, bis sich mangelnde Staatspropaganda findet man Und das scheint dem Parlamen-
und Finanzkapital getragen. An- Sachlichkeit und Kommunikati- hier und da Thesen über den au- tarismus zu nutzen, denn über
hänger (größtenteils der Mittel- on in Gewalt ausdrücken und toritären Charakter der DDR welche emanzipatorischen Stan-
stand) und Finanzierer des Fa- symptomatisieren. Ich habe bis und ihrem „autoritärem Erbe“, dards könnte sie sich noch po-
schismus waren die Kräfte, die heute nicht eine einzige gleich- welches nun als Ursache aus- sitiv definieren? Die Symbiose
sich in Status und Existenz durch wertige Diskussion mit Vertre- gemacht scheint; wodurch die unserer Politiker mit den „unde-
ein Anwachsen der Arbeiterbe- tern einer sensiblen Einwande- Ostdeutschen nicht gelernt hät- mokratischen Rechten“ scheint
wegung durch zunehmende so- rungspolitik erlebt, in der diese ten, mit „Freiheit“ und „Demo- offensichtlich. Sie bedient ein
ziale und wirtschaftliche Kon- nicht nach den ersten Minuten als kratie“ umzugehen. Im Westen Vakuum an emanzipatorischen
flikte (damals im Zuge der „Ausländerfeind“ geächtet wur- seien es „verirrte Jugendli- Standards, das ohne „Kampf ge-
Industrialisierung) bedroht sa- den. Deshalb wage ich die Be- che“ oder einige wirre „Verrück- gen Rechts“ nur allzu offensicht-
hen. hauptung, dass „Globalisierung“ te“, von denen man sich die lich wäre.


und „multikulturelle Gesell- „Demokratie nicht kaputt ma- Die Spaltung des Volkes in
1. Zur ideologischen schaft“ weder demokratisch er- chen lasse“. Gegenwartsbezoge- plumpe Kategorien „Ausländer-
Abspaltung des strittene Modelle sind, noch eine ne Strukturbedingungen für die- freunde“ und „Ausländerfein-
Faschistoiden konkrete staatstragende Volks- ses Phänomen sind in der de“ oder „Linke“ und „Rechte“
Rechtsradikale Aggressionen meinung repräsentieren. Im All- „öffentlichen Debatte“ nicht aus- macht einen sachlichen Diskurs
mehren sich und angebliche zu- gemeinen werden Schlagworte zumachen. fast völlig unmöglich. „Gegen
nehmende „latente Ausländer- wie „Vielfalt“ und „Toleranz“ als Der Rechtsradikalismus, der Nazis“ zu sein hat was – wofür
feindlichkeit“ in der deutschen moralische Keulen durch die Me- aus der „Sommerloch-Propagan- man dann ist, ist so ziemlich egal.
Bevölkerung macht den Politi- dien geschwungen, so als ob der da“ 2000 zum „Staatsfeind Nr.1“ „Für Ausländer“ zu sein demon-
kern „Sorgen“. In der Tat ist die Pöbel noch lernen müsse, was avanciert ist, hält uns nun fest striert dann zusätzliche „Tole-
Entwicklung hinsichtlich Quan- „menschlich“ ist. Die Frage der in seinen staatsideologischen ranz und Anstand“. Allerdings
tität und Qualität des Neofa- Einwanderung kreist in den eta- Klammern. Dabei gehört es nun- fragt kaum noch jemand danach,
schismus Besorgnis erregend. blierten politischen Kreisen um mehr zum guten Ton eines jeden welche konkreten Bedingungen
Jüngstens war eine Debatte im die Frage wirtschaftlicher Nütz- engagierten Bürgers, in den „Toleranz und Menschenwürde“
Bundestag zu verfolgen, in dem lichkeit von Einwanderern, die „Kampf gegen Rechts“ mit ein- brauchen, um in der Gesellschaft
sich die Parteien-Politiker im von der linksliberalen Fraktion zustimmen und sich so (nicht im- nicht nur moralische Geltung,
Wettstreit ergingen, welche Par- als „Verletzung des demo- mer) ideologisch und moralisch sondern konkrete Umsetzung zu
tei am ehesten die Auffassung kratischen Menschenbildes“ zu profilieren. Die ideologische erfahren. Die ideologisch ge-
vertritt, Deutschland hätte „zu bekämpft wird. Das Thesenpa- Reaktion und Agitation auf die steuerte Entwicklung beinhaltet
viele Ausländer“. Dabei wurde pier der PDS „Kein Sommer- Rechtsradikalismusproblematik verschiedene Gefahren und ist
„Ausländerfreundlichkeit“ dann loch“ (Berlin, 2000) beschwört führt aber offenbar nicht zu ei- damit eine wesentliche Bedin-
identifiziert, wenn jemand der die Gleichberechtigung von Ein- ner effektiven Eindämmung die- gung für die Verschärfung des
Meinung war, Deutschland kön- wanderern, die nicht anhand ih- ses Problems, sondern im Ge- Konflikts: Zum einen schafft die
ne Zuwanderung weiterhin gut rer wirtschaftlichen Potenz, son- genteil; sie verstärkt diese „Kampf gegen Rechts“-Propa-
gebrauchen. „Ausländerfeind- dern auf Grund ihres Beitrages gefährliche Entwicklung. ganda einen attraktiven Opposi-
lichkeit“ hingegen war indiziert, zur kulturellen Vielfalt und ihrer Die Propaganda „Kampf gegen tionskanal.
wenn jemand die Auffassung wirtschaftlichen Not integriert Rechts“ spielt sich hauptsächlich Zum Zweiten zerfällt der Demo-
vertrat, dass die Immigration an werden sollten. Auch hier be- auf moralischer Ebene ab und kratiebegriff als geltender Wert
ihre sozialverträglichen Grenzen schränkt sich der „Kampf gegen verhindert dabei – beabsichtigt nicht etwa, weil in diesem Land
stoße. Welche Farce! Rechts“ auf die Legalisierung oder nicht – jede kausalanalyti- keine Demokratie mehr herrscht
Die Ausländer oder Migranten von Asylsuchenden, der Stär- sche Aufarbeitung dieses The- (Demokratie, lat. = Volksherr-
werden mittlerweile auf das per- kung ihrer Rechte und Bekämp- mas. Noch bedenklicher stellt schaft), sondern weil die be-
verseste benutzt, um das Volk in fung rechtsradikaler Gesinnung sich die Tatsache dar, dass der stehende Wirtschaftsdiktatur
plumpe Kategorien zu spalten. durch Gesetze, Repression, Äch- „Kampf gegen Rechts“ sozusa- indoktrinär als Demokratie ge-
Ausländerfreundlich ist für mich tung und Schreckensmahnungen gen den entscheidenden gesell- priesen wird. So wird die Demo-
am ehesten jemand, der nach aus dem Holocaust. Die Globali- schaftlichen Prozess einer ehr- kratie als Begriff und Anspruch
den Bedingungen fragt, unter sierung, die Demontage nationa- lichen Diskussion um radikale ideologisch demontiert.
welchen Migranten erfolgreich ler Souveränität, wirtschaftsglo- Tendenzen blockiert. Es zeigt Zum Dritten verhindert und er-
in eine Gesellschaft integriert bale Gleichschaltung kultureller sich immer aggressiver, dass setzt die aggressive Staats-Ideo-
werden können. Und wenn je- und sozioökonomischer Verhält- unsere mittlerweile „Kampf ge- logie jeden ehrlichen Diskurs.
mand wagt, diese Bedingungen nisse als strukturelle Bedingun- gen“-Politik immer stärker auf Dies stellt u.a. Johannes Hein-
durch eine ausgewogene und gen eines globalisierten Turbo- Feindbilder jeglicher Art zu- richs in seinem Buch „Gast-
76 raum&zeit 113/2001
Am 20.6.1998 formierten sich
mehr als 10.000 Menschen aus
ganz Deutschland (aufgrund
von Aufrufen von Friedensor-
ganisationen, Gewerkschaften
und Initiativen gegen Auslän-
derfeindlichkeit) auf dem
Beliner Alexanderplatz zu einer
Protestkundgebung für einen
Politikwechsel in Deuschland.

freundschaft der Kulturen: multi- Lichterketten, Apelle, „Aufstän- Die Polarisierungen, die sich monetären Potenz. Respekt, Ge-
kulturelle Gesellschaft und deut- de der Anständigen“ sind sicher durch ökonomische Chancenun- sundheit, Recht, Selbstentfal-
sche Identität“ (Essen 1994) sehr gut gemeinte Aktionen, die noch gleichheiten ergeben, sind im tung sind so gut wie aus-
pointiert fest. Der „Verlust des nie die Bedingungen der Proble- Wesentlichen (karikierend dar- schließlich vom Funktionieren in
Denkens“, an dessen Stelle irra- me gelöst haben. Ideologisch gestellt): „schmarotzende“ So- Kapitalverwertungsstrukturen
tionaler und emotionalisierter werten solche Aktionen die radi- zialhilfeempfänger vs. arbeitende abhängig. Daraus ergibt sich
„Multi-Kulti -Rummel“ tritt, ver- kalen Kräfte deshalb auf, weil Menschen; arbeitender „Depp“ eine so starke strukturelle Re-
hindert jedes Wachsen eines dis- diese in ihrer Out-Law-Identität vs. „cleverer“ Anleger; Besitzen- pression und Gewalt für die
kursiv getragenen multikulturel- bestätigt werden; sie werden so der vs. Besitzloser; „Haupt- (immer mehr werdenden) Be-
len Gesellschaftsmodells. In in ihrer Opposition bestätigt. schulassi“ vs. Abiturient; Kassen- troffenen, dass sie geradezu ge-
seiner Schrift werden die Vor- „Bekehren“ lassen sich Agenten Patient vs. Privat-Patient; setzmäßig aus ihrer Subtilität in
aussetzungen einer funktionie- einer Ideologie nicht von ihren „erfolgreicher“ Wessi vs. die offene Aggression über-
renden multikulturellen Gesell- Feinden. Eher werden sie durch „meckernder“ Ossi, Arbeitgeber gehen muss. Die plutokrati-
schaft zur Diskussion gestellt, die diese „Moral- und Kampferklä- vs. Arbeitnehmer, „Rechter“ vs. sche Über-Unter-Menschen-
in der öffentlichen Debatte syste- rungen“ mobilisiert. „Linker“, usw. Die Liste ließe sich Sozialstruktur schafft dadurch
matisch ausgeblendet werden. fortsetzen. Schemata unterschiedlicher
In immer schnellerem Tempo ist
zu beobachten, wie die ideologi- ❙ 2. Die sozialstrukturelle
Ebene
Die Menschenwürde ist – gerade
wenn es um existenzielle Fragen
Wertigkeit von Menschenleben
überhaupt. Die Schemata „le-
sche Staatsführung in symbioti- a. Die sozioökonomischen Be- geht – nicht mehr antastbar, sie benswert-lebensunwert“ oder
schen Verstrickungen mit „Fein- dingungen ist tretbar. Die Art, wie mit be- auch „nützlich-unnützlich“ sind
den der Demokratie“ versumpft. Unsere Gesellschaft weist in dürftigen Menschen auf dem So- geradezu ein Nährboden für de-
Symbiotische Verstrickungen zei- ihrer Sozialstruktur zunehmen- zialamt, Wohnungsamt und auch ren Übertragung auf Ebenen
gen allgemein Defizite der Co- de Polarisierungen auf. Der Arbeitsamt umgegangen wird, von Minderheiten, Fremden,
Abhängigen an. Es stellt sich ursprüngliche (theoretische) ist geradezu faschistoid. Der Kulturen usw.
dann die Frage: Was wäre, wenn Grundsatz von der Gleichheit Wohlfahrtsstaat versteht es, sei- Das oft angeführte Argument in
es die „Rechten“ nicht gäbe? der Menschen ist das Papier ne „Hilfesysteme“ so zu mainstream-Debatten, dass Ar-
Wenn es all die erklärten Negativ- kaum noch wert, auf dem er ge- organisieren, dass alle Bedürfti- mut nicht zu fremdenfeind-
Bestimmungen der Politik nicht schrieben ist. Analog zu frag- gen so empfindlich an ihrer lichen Übergriffen berechtige,
gäbe? Was bleibt dann übrig von würdigen Leistungskriterien eta- Würde verletzt werden, dass die ist sicher richtig. Aber sie bildet
einer Politik, die es in wachsen- blieren sich Über- und Unter- Schamschwelle für die Inan- eine Bedingung dafür, und
dem Maße nötig hat, sich zu per- menschen-Bilder. Es wäre spruchnahme eines Almosens zwar nicht wegen der Armut
sonalisieren und die Affären aller müßig, an dieser Stelle die sozia- immer höherschwelliger wird. schlechthin, sondern wegen der
möglichen Korruptionen über das le Wertigkeit des Menschen in Die unterschiedliche Wertig- Diskriminierung von Armut po-
Volk auszugießen? Welche Sach- Abhängigkeit zu seiner finanzi- keit der Menschen ergibt sich tenzieren sich Diskriminie-
themen soll sie verhindern? ellen Potenz aufzuzeigen. fast ausschließlich aus ihrer rungsmuster.
raum&zeit 113/2001 77
Die legitimierte Diskriminie- Wirkung leugnet. Empfindlich In einem Wertechaos, wie es zusammen. Die Artikulations-
rung durch die unterschiedliche wird nach rechtsradikalem Ge- zurzeit herrscht, können sich formen des ideologisch gesteu-
Teilhabe an der Gesellschaft dankengut gefahndet, um Heranwachsende weder identi- erten sozialen Identifizierungs-
wird leidenschaftlich von V. die Menschenwürde zu wah- fizieren, noch abgrenzen; es sei bedürfnisses sind indessen
Forrester in ihrem Buch „Der ren. Aber mediale Beziehungs- denn, gegen das Chaos selbst. unterschiedlich. Auf der Suche
Terror der Ökonomie“ (Wien, perversionen, menschenveracht- Das Pendant zum pseudolibera- nach gemeinsam geteilten Wer-
1997) beschrieben. Die soziale ende Musik (aus der amerikani- len Chaos ist die hierarchische ten reichen sie von radikal-kol-
Härte aus ökonomischen Struk- schen und pseudoamerikani- Ordnung. Das heißt, eine nicht lektiven Gruppenbildungen bis
turen, die nur deshalb nicht als schen Szene) verletzen perma- identifizierbare Wertewelt zur Uniform des „Andersseins“
Verletzung der Menschenwürde nent die Menschenwürde. Ge- schafft ein Bedürfnispotential mit teilweise fragwürdigen und
deklariert wird, weil dann das schickt wird in den Texten mit an Überidentifizierung. Wer al- dekadenten konsumtionisti-
System als solches in Frage zu Drogenmissbrauch, Frauenver- so gegen eine chaotische und schen Stigmen.
stellen wäre, ist Ausdruck einer achtung u. Ä. kokettiert. Texte zunehmend dekadente „Werte- Kann der Mensch Individuum
faschistoiden Hierarchie der wie: „Lutsch mein Schwanz“, Vielfalt“ opponieren möchte, sein in einer Ideologie, die das
Menschenwürde im eigenen „bleib fett, jeder kennt seinen hat fast nur diese Alternative. Einzigartigsein (Anderssein) zur
Volk. Und diesen Betroffenen, Dealer, Mann“, sind nur zwei Die „Rechten“ bieten mit Wer- Norm erklärt? Findet sich in die-
die selber Integrationsprobleme Beispiele aus einer Reihe tekonservatismus, Hierarchie, ser Ideologie nicht die dissonan-
in ihrer Gesellschaft haben, wird von Texten freikäuflicher „an- Ordnung, Spiritualität und po- te Form der menschlichen kol-
dann zugemutet, für ein „offe- gesagter“ CDs in den Kauf- sitivem Wir-Gefühl genau diese lektiven Sozialität wieder (das
nes grenzenloses Europa“ ein- häusern. Die deklarierte Viel- Möglichkeit. gemeinsame Ziel: Anderssein)?
zustehen, in dem der Vertei- falt der Kultur ist einzig Ein nur anscheinend paradoxes Der gegenwärtige Pseudo-Indi-
lungskampf dann noch härter Makulatur einer subtilen kultu- Phänomen liegt in der Reaktion vidualismus ermöglicht als Kul-
wird. rellen Zersetzung der Menschen des Individuums auf verschie- turform der Lebensweise und als
„Rassismus und Fremdenfeind- und gerade auch der Heran- dene ideologische Vorgaben Konstitutionsmoment eines ge-
lichkeit … können dazu beitra- wachsenden. zur gesellschaftlichen Integrati- sellschaftlichen Charaktertyps
gen, vom wahrem Problem, Die Abschaffung nationaler on. Während in kollektivisti- die Kultivierung abgrenzenden
nämlich dem Elend und der Not, Identitäten wird mit allen mög- schen Ideologien des ehemali- und egoistischen Verhaltens, da
abzulenken. Das Problem des lichen Hohlwörtern versucht zu gen sozialistischen Ostblocks in dieser Kultur das soziale Mo-
‘Ausgeschlossenen’ wird auf intellektualisieren, indem etwa die Menschen gerade ihre Ein- ment der Solidarität und Identi-
Fragen der unterschiedlichen Dahrendorf von einer „Bür- zigartigkeit erleben durften, fikation mit gemeinsamen Wer-
Hautfarbe, Nationalität, Religi- gernation“ (statt Volksnation) wird im propagierten Individu- ten und Traditionen fast nur
on oder Kultur reduziert, die an- spricht, die Vielfalt auszuhalten alismus echte Individualität da- über die Befriedigung des Mark-
geblich nichts mit dem Gesetz habe; oder Habermas’ „Verfas- durch erschwert, dass sie im Er- tes möglich ist.
des Marktes zu tun haben sollen. sungspatriotismus“ die Liebe gebnis Normanpassung an die Im gewissen Sinne aber ist
Dabei sind die Ausgeschlosse- zu den „Grundrechten“ fordert Norm des „Andersseins“ ist. der propagierte Individualismus
nen doch – wie immer – die Ar- als zur eigenen kulturell ge- Das heißt, positive Individua- auch eine Form der menschli-
men. Massenhaft.“ (dies., ebd., wachsenen Nation. Zu erleben lität kann nur das Ergebnis po- chen Sozialität. Indem alle an-
S.84) ist, wie nationale Kultur zum ei- sitiver Sozialisation sein. Sozia- ders sein wollen, ist wieder ein
nen als Überbleibsel eines kon- lisation funktioniert aber nicht gemeinsames Identifizierungs-
b. Die kulturelle Ebene: Indivi- servativen Verständnisses deg- – oder ist bestenfalls „negative“ merkmal gefunden, indem sich
dualismus vs. Kollektivismus radiert wird und andererseits Sozialisation – wenn ihr ideolo- genau die kollektive Sozialität
Ganz richtig beschreibt Drewer- deren „Vielfalt“ heroisiert gischer Inhalt das Diktat des zeigt, der jeder zu entfliehen
mann in „Arm und Reich oder wird; letztlich der Egalisierbar- „Andersseins“, des „Abgren- versucht. So wird ideologisch
die Folgen der Globalisierung“ keit überführt wird. Übrig zens“ ist. die kollektive Sozialität geleug-
(SFB 2000) das Kulturtötende bleibt eine ahistorische Kultur, Im gegenwärtigen Ego-Individu- net, der soziokulturell in Form
eines Systems, in dem einzig Exi- die Beliebigkeit als „Vielfalt“ alismus wird die Sozialität als individualistischer und konsum-
stenzberechtigung hat, was Geld versteht und durch das pseudo- disponiertes Grundbedürfnis des tionistischer Symbole und Stig-
macht. Die absolute Kommer- kulturelle Politikum des Be- Menschen lediglich manipuliert mata nachgestrebt wird – um
zialisierung von so genannter kenntnisses zu den „europäi- – sie ist trotzdem da. Denn jeder den Preis ihrer pervertierten
Kultur ist nicht nur primitiv und schen Werten“ gleichgeschaltet Mensch braucht eine Identität und radikalen Form. Eine radi-
dekadent, sie ist gefährlich. ist. Der ideale „kulturelle“ (lat.-griech.: derselbe sein wie...) kale Ego-Kultur schafft damit
Denn die Identifikationsfunkti- Freibrief auf perverse Egoma- und die setzt sich auch in bürger- ihr antagonistisches Gegen-
on, die Kultur immer hatte, nie und destruktiven Individua- lichen Identitätskonzepten aus stück: eine radikale Wir-Ideolo-
greift auch dann, wenn man ihre lismus. dem Wir-Gefühl und dem ICH gie.

II. Die Totalität der Grenzenlosigkeit Verteilung von Errungenschaf- lichen Menschen. Die Realität
ten. Nun – von einer ausglei- stellt sich anders dar. Zuneh-
Weltoffenheit, Toleranz, Viel- könnte meinen, diese würde da- chenden Ressourcenverteilung mend zeigt die Staatsideologie
falt. Werte oder Schlagworte? durch von polaren Lebensqua- ist nichts zu bemerken, ebenso ihren totalitären Anspruch:
Interesse an der „Welt“? Wer litäten zunehmend befreit. Glo- wenig von einer „Demokratisie- Nicht das „Abendland“ scheint
kann da widersprechen. Natür- balisierung verspricht im Worte rung der Welt“. Globalisierung ein Teil der Welt, sondern die
lich interessieren sich „Kosmo- schon eine Art „Glück für alle“, wird als Ziel erklärt, als Vision Welt wird als Teil der westlichen
politen“ für die Welt und man Chancenausgleich und gerechte des modernen und fortschritt- Supermacht behandelt.
78 raum&zeit 113/2001
Je mehr „Welt“ durch einen im Keim erstickt. Sie braucht Grenzen mehr „tolerieren“ darf, Europa greift „im Namen der
Menschen bzw. ein System zu eine eigene Moral und einen er- ohne dabei als „Rechts“ geäch- Menschenrechte“ ein, wo gera-
„seiner“ Welt erklärt wird, um- klärten Feind dieser Moral. Ei- tet zu werden. Wer Maß fordert, de strategische Interessen herr-
so mehr wird sie von eben die- ne Moral, die jeden Fragestel- ist ein „ewig Gestriger“, der sich schen. Das funktioniert, solan-
sem Subjekt mit sein
ihrem Wertesy- ler, der Maß fordert, moralisch dem „Fortschritt“ in den Weg ge die „Neonazi-Diskussion“
stem in Anspruch genommen. abstempelt und zum Feind er- stellt. Die Illusion der Teilhabe streng auf moralischer Ebene
Es ist also nicht wichtig, was läuft.
Globalisierung auch immer für Der Deutsche beispielsweise
Bedeutungen haben kann, son- muss immer mehr in hochauto-
dern wer sie für sich bean- ritären Strukturen funktionie-
sprucht. Der, der Begriffe für ren, soll aber „tolerant“ und
sich beansprucht, hat die Defini- „flexibel“ sein; er wird selbst in
tionshoheit über ihren Inhalt. So seiner Identität permanent ver-
bedeutet „Globalisierung“ ent- unsichert (was System hat), soll-
sprechend der gegenwärtigen te sich aber für andere Kulturen
Staatsideologie eine zentralisti- interessieren. Sonst droht die
sche Koordination der „Men- Moralkeule.
schenrechte und Demokratie“; Das momentane ideologische
„Toleranz“ bedeutet Grenzen- Diktat der Grenzenlosigkeit ist
losigkeit im Namen der „Viel- Lichterkette gegen totalitär und faschistoid. Die To-
falt“; „Freiheit“ bedeutet Chan- Fremdenhass am talität der Grenzenlosigkeit pro-
cen nach dem Gesetz des 6.12.1992 in München voziert so die Totalität der Ab-
Stärkeren und „Leistungsfähi- grenzung.
geren“, „Pluralität“ bedeutet Die Menschen sind nach wie vor
„alles ist möglich“, etc. klärt. Das Ziel: Die totale Kon- durch eine Flut von Informatio- auf überschaubare Strukturen
Globalisierung als Definition trolle. nen und Infomüll schafft ein per- angewiesen, um eine gesunde
der Welt ist aber nicht nur eine Das Reizthema „Neonazis“ oder manentes schlechtes Gewissen. Identität entwickeln zu können.
imperialistische, sie ist eine tota- „Rechte“ ist nicht zufällig in die Man hat sich für die Konflikte Wo dem Menschen alle iden-
litäre Ideologie. Sie erhebt einen gegenwärtige Staatspropaganda anderer Völker zu „interessie- titätsstiftenden Strukturen ge-
globalen Anspruch an die Welt, integriert. Jeder, der sich dem fa- ren“, sonst gilt man als „nicht nommen werden, wird er krank.
ohne die globalen Zusammen- schistoiden Gedanken des per- weltoffen“ und als „Ignorant“. Die Symptome sind immer deut-
hänge und Folgen der Ressour- fekten, flexiblen, benutzbaren Jede Intervention ist dann mora- licher zu erkennen, und werden
cenausbeutung zu berücksichti- „Weltmenschen“ in den Weg lisch gerechtfertigt: Der Igno- umso hartnäckiger als „Krank-
gen. Dieser Anspruch schneidet stellt, muss in die Kategorie des rant ist ein „latent Rechter“ und heitsursache“ umgedeutet.
tiefe Furchen und Wunden in Feindes einer Globalideologie
die Natur, je nach Profitausbeu- passen.
te, ohne die gesamten ökologi- Der europäische „Weltmensch“ III. Systemgleichgewicht und Systemre-
schen Folgen einzurechnen. Die leidet nicht an echter Armut, er
grenzenlose Welt war immer lebt in einer schizophrenen Dik- organisation (funktionaler Aspekt)
auch schon römisch-imperiale, tatur der Grenzenlosigkeit! Er
kommunistische und faschisti- wird im Namen der Weltoffen- „Demokratie“ heißt „Volks- veränität der Völker und ent-
sche Vision. Sie war immer an heit und leistungsbezogenen herrschaft“. Es ist zu beobach- zieht dem letzten Rest vielleicht
die imperialen Absichten des „Fortschrittlichkeit“ mit ideolo- ten, dass das Wort „Volk“ noch vorhandener Demokratie-
Anspruchstellers von Grenzen- gischen Ansprüchen konfron- beharrlich in öffentlichen De- Strukturen ihre Basis. Vor eini-
losigkeit gekoppelt. Grenzen- tiert, die moralisch „Gleichheit“ batten vermieden wird. Anstelle ger Zeit hörte ich den Satz: „Der
losigkeit ist das wesentlichste fordern und mit der Wirklich- dieses, ein aktiv handelndes Rechtsradikalismus ist gewollt,
Kriterium, an dem sich Mensch keit einer faschistoiden Sozial- Subjekt beschreibenden Wortes, sonst gäbe es ihn nicht!“ In der
und Tier unterscheiden. Aller- struktur nichts zu tun haben. tritt das eher administrative, ob- Tat deutet diese Aussage einen
dings nicht im emanzipatori- „Verantwortung“ soll der jektbeschreibende Wort „Bevöl- interessanten Zusammenhang
schen Sinne, denn der zyklische „Weltmensch“ übernehmen, oh- kerung“, „Bürger“ oder „Zivil- an.
Charakter der Natur, die kein ne echte Teilhabe; Informatio- gesellschaft“. So gesehen müsste Die „Kunst“ der Machterhal-
„grenzenloses (exponentiales) nen soll er konsumieren, ohne ein neuer Begriff unsere Gesell- tung eines Systems besteht näm-
Wachstum“ und keine „gren- das Geringste in den gegenwär- schaftsverfassung beschreiben. lich auch darin, das Symptom
zenlosen Möglichkeiten“ kennt, tigen hochautoritären Struktu- Vielleicht „Bevölkerungsherr- seiner Widersprüche so weit zu
ignoriert nur der (machtbesesse- ren beeinflussen zu können. In- schaft“? Klar ist, ohne Volk funktionalisieren, dass die Ener-
ne) Mensch. Grenzenlosigkeit formationen einer so genannten kann es keine Demokratie ge- gie des Symptoms wieder der
impliziert völlige Verfügbarkeit „pluralistischen“ Gesellschaft ben und ich werde den Eindruck Systemerhaltung zugeführt wird.
und Benutzbarkeit von Mensch täuschen Teilhabe vor, wo Ohn- nicht los, dass dies die Intention Das heißt, ein Symptom wird
und Natur. macht ist und sie täuschen Er- einer postmodernen Ameri- so hartnäckig umgedeutet,
Ein System mit solch einem kenntnis vor, wo Ideologie in- ka-Eurokratie ist. Die „neue“ dass sich Widersprüche mit dem
Anspruch braucht eine Ideolo- doktriniert. imperialistische Machtzentrali- Symptom als Ursache erklären
gie, die mit moralischen Keulen Die Folge ist ein völlig verfügba- sation, die für sich das Wort lassen, anstatt es als Folge be-
jede kausalanalytische Betrach- rer Weltmensch, der nicht mehr „Demokratie“ beansprucht, de- stimmter Verhältnisse zu sehen.
tung von Ursache und Wirkung „nein“ sagen darf, der keine montiert systematisch die Sou- Diese Funktionshypothese wirft
raum&zeit 113/2001 79
die Frage auf, inwieweit der Neo- gesehen eine weitere politische Systemursachen zu verschleiern. noch mehr Verunsicherung zu
faschismus eine machterhaltende „Prozessfunktion“, wenn man die Die Linke muss auch lernen, dass „bekämpfen“ ist. Das geschieht
Funktion für das bestehende funktionale Betrachtung um die eine kranke Identität nicht mit meines Erachtens zu wenig.
Wirtschaftssystem haben kann. historische Dimension erweitert.
Naiv betrachtet bewirkt die Der Faschismus und Neofaschis-
Propaganda „gegen rechts“ mus hat – wenn es stimmt, was am IV. Ausblick
zunächst die Aufwertung einer Anfang dieses Aufsatzes über das
vordergründigen Ideologie, die Wesen des Kapitalismus skizziert Die Ideologie der „Grenzenlo- gang mit den ökologischen
sich gegen den Faschismus wen- wurde – die Funktion zur Bewäl- sigkeit“, die die Globalisierungs- Ressourcen so wichtig ist, steht
det und für die Gleichheit aller tigung der zyklischen Krisen des doktrin expliziert, will nationale dem exponentialen el Vermeh-
Menschen eintritt. Ein Staat mit Monopolkapitalismus. Wenn das und kulturelle Grenzen in glo- rungs- und Ausbeutungsprinzip
dieser Ideologie kann sich an- Währungs-, Wirtschafts- und So- bal-faschistoide Polarisierun- des Kapitals im Wege.
hand zunehmender rechtsradika- zialgefüge (zum Beispiel in Euro- gen transformieren. Wem nützt Von dieser Seite her gesehen
ler Gesinnung sehr gut als pa) eskaliert und bis dahin dies? sollte man über die Formel
tolerant und förderativ darstel- ein „undemokratischer Sünden- Bei der Debatte um „Leitkultur“ „Kampf gegen Rechts“ neu
len. Hierin liegt eine besondere bock“ gefunden ist, könnte sich und „Nationalstaaten“ geht es nachdenken, denn sie bedeutet
Funktion des Rechtsradikalis- das gegenwärtige pseudode- nicht mehr um die Frage der Ge- konsequent gedacht „Recht auf
mus für das Staatssystem und sei- mokratische politische System fahr nationaler Hegemonie. Es demokratische und diskursive
ne ideologisch-politischen und rehabilitieren. Während dann geht vielmehr darum, die Men- Meinungsbildung, kulturelle
moralischen Legitimation. Ohne diejenigen am Faschismus pro- schen in ihrer nationalen und Identität und anerkannte Gren-
„schlechtere“ bekämpfenswerte fitieren, die heute schon für kulturellen Identität zu verunsi- zen“. Die aggressive Staats-Ideo-
Ideologie könnte der globa- dessen Voraussetzungen verant- chern, ja ihnen diese zu rauben. logie der Grenzenlosigkeit nützt
le Monopolkapitalismus kaum wortlich sind, werden die glei- Denn nie war die Hegemonie allein dem globalen Profitstreben
noch einen rationalen und chen später als „Demokraten“ ihr des global agierenden Oligoka- und produziert gleichzeitig seine
emanzipatorischen Anspruch wirtschaftsliberales System reor- pitals so durch nationale und kul- komplementäre Radikale, den
regenerieren. Die Negativ-Be- ganisieren. Vor dem Hintergrund turelle Interessen behindert, ja Faschismus. Die Lösung könnte
stimmung „Kampf gegen“ er- dieser Hypothese ließe sich po- gefährdet, wie gegenwärtig. zwischen „Linker“ und „Rech-
setzt emanzipatorische Positiv- stulieren: Orientierungslose und entwur- ter“ „Ausschließlichkeit“ liegen,
Bestimmungen „für“. In einer Die Entwicklung des Neofaschis- zelte „Weltmenschen“ hingegen sicher aber nicht in dem gegen-
kapitalistischen Wirtschaftsver- mus wird systematisch (politisch funktionieren in einer weltweiten wärtigen Verständnis von „Mit-
fassung des „Geld- und Profit- und ideologisch) in die Gesamt- „Nützlichkeitsideologie“, in der te“.
machens“ würde evident, dass entwicklung des europäischen sie verzweifelt versuchen, ihre Kulturen, die in einem langen
die Ideologie des grenzenlosen und globalen Monopolkapitalis- Identität in Kapitalverwertungs- historischen Prozess gewachsen
Wirtschaftswachstums alles an- mus integriert. Die faschistoide strukturen zu finden und letztlich sind, lassen sich nicht durch ein
dere als die einer modernen und Struktur einer impliziten Nütz- doch nur als kulturelles Neutrum Effizienzschema nivellieren. Die
fortschrittlichen Gesellschaft ist. lichkeitsideologie innerhalb der der Profitmaximierung dienen. politische Linke darf nicht jeden
So integriert die gegenwärti- eigenen Gesellschaft und der Globalisierung und Rechtsradi- Anspruch an eine kulturelle
ge Staats-Ideologie mit ihren gleichzeitige „Appell an Toleranz kalismus sind keine Gegensätze! Heimat als Fremdkörper elimi-
„Bündnissen gegen Rechts“ und und Gleichheit“ innerhalb eines Sie sind zwei Seiten ein und des- nieren, denn soziale Gerechtig-
„Aktionen“ und „Appellen“ die „grenzenlosen“ Europas schafft selben Prinzips. Sie bedingen keit und Liebe zur eigenen na-
Rechtsradikalen als Feindbild, einen (gezielten) ideologisch inte- einander und stellen die Funk- tionalen Kultur schließen sich
um im „Kampf“ gegen sie ihre ei- grierten Widerspruch und die tion des jeweils anderen dar. nicht aus, sondern ergänzen sich.
gene Faschistoidität zu verschlei- Grundlage für die Entstehung des Beides sind radikale Entwick- Internationalismus ist die posi-
ern. Diese Funktion könnte man Neofaschismus. Diese Annahme lungsrichtungen, die als Zyklen tive Form der Globalisierung,
mit dem Begriff der „ideologi- unterstellt eine gesteuerte zykli- zwischen faschistoidem Libera- der Imperialismus die destrukti-
schen Abspaltung“ zusammen- sche Entwicklung zwischen Fa- lismus und faschistischem Natio- ve Form. Demokratie ist über-
fassen. schismus und globalem Wirt- nalismus die Kapitalverwertung haupt nur möglich, wenn die
Nun haben Widersprüche die schaftsliberalismus, die als und Kapitalreorganisation steu- Menschen ihre Kultur und
Angewohnheit, Systeme zu de- politischer Zyklus parallel zum ern. Denn der postbürgerliche Heimat lieben und durch ein
stabilisieren. Auch wenn polit- wirtschaftlichen Krisenzyklus des Liberalismus meint ebenso we- plebiszitäres Entscheidungs-
strategisch das Symptom umge- Kapitalismus verläuft. nig die Freiheit des Menschen, recht Einfluss auf alle wichtigen
deutet wird, heißt das nicht, dass Dieser „Teufelskreis“ kann ge- wie der Neonationalismus die gesellschaftspolitischen Ent-
Widersprüche nicht ab einem be- rade auch dadurch gebrochen kulturelle Integration meint. scheidungen haben. Lenin wies
stimmten Spannungsniveau es- werden, indem die sich organisie- Echte Völkerverständigung, u.a. auf den Unterschied zwi-
kalieren. Die machterhaltende rende Linke sich nicht auf einen auch globale (!), setzt nicht die schen Heimatliebe, Standort-
Strategie der herrschenden Mo- ausschließlichen Kampf gegen Nivellierung und Neutralisie- pragmatismus und Chauvinis-
nopole und des Finanzkapitals das Symptom des Global-Kapita- rung von Kultur unter dem Mul- mus hin. Auch in humanistischer
könnte nun weiterhin darin be- lismus einlässt. Der „Kampf ge- ti-Kulti-Etikett voraus, sondern Literatur wird das immer wieder
stehen, das gesamte gesellschaft- gen Rechts“ gehört mittlerweile ihre souveräne und gleichbe- deutlich. Heimat- und Kultur-
liche Wirtschaftsgefüge gezielt zu leider zur Identität der Linkslibe- rechtigte Abgrenzung. Denn das verbundenheit ist die erste Vor-
destabilisieren, um seine Reorga- ralen. Die Fraktion des Kapitals Anerkennen von Grenzen, die as aussetzung für eine gesunde
nisation vorzubereiten. Der versucht gezielt, die Linke mit für das friedliche Zusammenle- nationale Identität, echte De-
Aspekt einer ideologischen syste- den gesellschaftlichen Sympto- ben aller Völker Voraussetzung mokratie und Völkerverständi-
merhaltenden Symbiose hätte so men zu „beschäftigen“, um die ist und für den maßvollen Um- gung. ■

80 raum&zeit 113/2001

Das könnte Ihnen auch gefallen