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Forum

Perspektiven künftiger Oppositionsforschung –


ein Beitrag zur Diskussion 1

Bernd Florath/Bernd Gehrke/Renate Hürtgen/Thomas Klein, Potsdam

Für das Deutschland Archiv ist die Debatte um die Die durch das Papier der Expertenkommission aus-
Empfehlungen der sogenannten »Sabrow-Kommis- gelösten Debatten um den Stellenwert und die Art
sion« beendet. Tatsächlich scheinen die Argumente und Weise der Aufarbeitung von DDR-Geschich-
ausgetauscht und einige Standpunkte müssen als ge- te fungieren zudem als Anregung, über den aktu-
gensätzlich akzeptiert werden. Die zukünftige Arbeit ellen Stand der Forschung kritisch nachzudenken.
der Zeithistoriker wird letztlich entscheiden, welches So müssten verwendete Begriffe überprüft und der
Konzept oder welche Herangehensweise geeigneter eigene Forschungsansatz präzisiert werden. In die-
ist, jüngste Geschichte zu beschreiben. sem Sinne versteht sich auch der vorliegende Text als
konzeptionelle Annäherung an einen notwendigen
Einen durchaus belebenden Nebeneffekt brachten
Neuansatz der Erforschung politischer Gegnerschaft
diese auch in der medialen Öffentlichkeit geführten
nicht nur in der DDR, sondern in allen Diktaturen
Kontroversen insofern mit sich, als dass nunmehr
sowjetischen Typs.
wieder außerhalb der Fachwissenschaft über DDR-
Geschichte diskutiert wird. Der dabei entstandene Die Darstellung der Geschichte von Opposition und
Streit, etwa um den Stellenwert der Alltagsgeschichte Widerstand in der DDR nimmt seit 1989 einen wich-
für die DDR-Forschung, hat alte Kontroversen um tigen Platz in der zeitgeschichtlichen Forschung ein.
eine entweder einseitig politikorientierte oder eine Das Gros bisheriger Arbeiten zur DDR-Opposition
entpolitisierte Geschichtsbetrachtung neu aufleben war – in den ersten Jahren nach dem Untergang der
lassen und zugleich kenntlich gemacht, dass (Zeit-) SED-Diktatur kaum verwunderlich – ereignisge-
Geschichte immer auch Kampf um politische Deu- schichtlich orientiert. Es konzentrierte sich thematisch
tungen ist. Wir meinen, dass die Alltagsgeschichte auf die Erforschung der Wechselwirkungen von staat-
als wissenschaftliche Perspektive ihrem Gegenstand lich organisierter Herrschaft und den verschiedenen
keineswegs einen entpolitisierten Zugang aufnötigt Formen oppositioneller Bestrebungen. Angesichts des
und wie die Sozialgeschichte auch den politischen repressiven Charakters des in der DDR errichteten
Charakter gesellschaftlicher Beziehungen aufzuklä- Regimes war diese Herangehensweise durchaus ge-
ren helfen kann. Alltags- und Sozialgeschichte er- eignet, die Realität der Unterdrückung auch in ihrer
weitern vielmehr den Blick auf soziale und mentale
Bedingungen der Diktatur und schärfen – vorausge-
setzt, Macht- und Herrschaftsbeziehungen werden 1 Dieser Beitrag entstand während der Arbeit an der kon-
nicht auf die politische Sphäre reduziert – den Blick zeptionellen Neuausrichtung der Projektgruppe »Opposi-
tionsforschung« am Zentrum für Zeithistorische Forschung
für alltägliche Unterdrückung. (ZZF) ab 2008. Gegenwärtig scheint nicht entschieden, ob
diese Forschungsrichtung am ZZF ihren Ort finden wird.
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historischen Veränderung abzubilden und den engen Im Folgenden werden einige Elemente einer Oppo-
Zusammenhang von staatlichem und oppositionellem sitionsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte benannt:
Handeln herauszuarbeiten. Eine Reihe von wichtigen
1. Über die Untersuchung der Konfrontationsfelder
Forschungsergebnissen sind in dieser Weise im Laufe
mit den Organen staatlicher Repression hinaus sol-
der letzten 15 Jahre publiziert worden, die auch für
len auch die (kontroversen oder kooperativen) Inter-
zukünftige Forschungen ihren Wert behalten werden.2
aktionsfelder zwischen Vertretern widersetzlicher
Nicht zuletzt die Diskussionen über die Art und Milieus bzw. oppositioneller Gegenöffentlichkeiten
Weise, wie DDR-Geschichte betrieben werden sollte, und anderer gewachsenen gesellschaftlichen Struk-
aber auch unsere eigenen bisherigen Forschungen ha- turen untersucht werden. Opposition und Widerstand
ben uns jedoch die Notwendigkeit vor Augen geführt, werden so weiter gefasst als nur auf Repression rea-
dieses Herangehen an die Geschichte der DDR-Op- gierende bzw. Repressionen auslösende Handlungen.
position zu überprüfen. Denn bei allem Gewinn eines Der Forschungsgegenstand erweitert sich damit um
Forschungsansatzes, der sich bevorzugt im Kontext all jene Handlungsweisen und Verhältnisse, welche
einer politischen Repressionsgeschichtsschreibung ihrerseits die Entstehungsbedingungen politischer
verortet, sind mit ihm auch Grenzen gesetzt, welche Gegnerschaft sind. Auf diese Weise kann auch die
mit Hilfe eines – hier »Oppositionsgeschichte als Vielfalt politischer Gegnerschaft differenzierter er-
Gesellschaftsgeschichte« genannten – Zugriffs auf fasst werden.
das Phänomen überwunden werden sollten.3 2. Eine solche gesellschaftsgeschichtliche Einbettung
von politischer Gegnerschaft bringt dabei auch Ele-
Was heißt: »Gesellschafts­ mente einer »alternativen Gesellschaftsgeschichte«
geschichte der Opposition«? hervor, in welcher die herrschende Geschichtsschrei-
bung mit einer »Geschichte von unten« kontrastiert
Oppositionsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte be-
wird: Die Analyse von Geschichtsbildern der Antago-
deutet, Herrschende und ihre Gegner in den Kontext
nisten staatlich organisierter Herrschaft ist unverzicht-
sowohl der politischen als auch der wirtschaftlichen,
bar, um Brüche und Widersprüche gesellschaftlicher
kulturellen und sozialen Prozesse jener Gesellschaften
Entwicklungen aufzudecken, die aus der Sicht des
zu stellen, von deren Entwicklung sie geformt werden.
herrschenden Diskurses gar nicht erfassbar sind. Die
So wird es möglich, staatliches und oppositionelles
Geschichte der alternativen Vorstellungen vom Wer-
Handeln aus seiner ausschließlichen gegenseitigen
den, dem Zustand und von der Zukunft einer Gesell-
Bedingtheit herauszuführen und die Zustände von
schaft ist selbst Teil von Oppositionsgeschichte. Wie
Herrschaft und deren Gegnerschaft aus dem gemein-
die Opposition müssen auch deren Geschichtsbilder
samen gesellschaftlichen Kontext zu erklären. Dabei
Gegenstand kritischer Historisierung sein.
spielen die Beziehungen zwischen den Akteuren bzw.
3. Die Geschichte oppositioneller Gegenentwürfe
Strukturen der Macht und der Opposition weiterhin
wiederum kann nicht allein als Theorie- oder Ideen-
eine entscheidende Rolle, sind jedoch nicht der allei-
geschichte solcher Alternativen, sondern muss auch
nige Begründungszusammenhang für die Erklärung
als Sozialgeschichte oppositioneller Alternativbestre-
eines solchen Verhältnisses. Mit einer Analyse von
Opposition als Teil der Gesellschaft, also auch ihrer
gesellschaftlichen Bindungen und ebenso ihrer Eman- 2 Vgl. die entsprechenden Forschungsberichte von Karl Wil-
helm Fricke, Ilko-Sascha Kowalczuk, Rainer Eckert, Robert
zipation von Herrschaftsprägungen im Gesellschafts- Grünbaum, Erhart Neubert, Detlef Pollack und Eckhard Jes-
gefüge, ließe sich zudem eine stark selbstreflexive Be- se in: Rainer Eppelmann u. a. (Hg.), Bilanz und Perspektiven
schränktheit von Oppositionsgeschichte überwinden. der DDR-Forschung, Paderborn u. a. 2003, S. 153 – 202.
Hierzu ist es notwendig, die Sozialstruktur, Milieus, 3 Eine Reihe von Zeithistorikern, die sich insb. mit den Herr-
die sozialen und kulturellen Identitäten oppositioneller schaftsstrukturen in der DDR beschäftigt, befindet sich of-
fensichtlich in einem vergleichbaren Diskussionsprozess.
Strömungen zu analysieren und sie in Beziehung zur Siehe Jens Gieseke (Hg.), Staatssicherheit und Gesellschaft.
»übrigen« Gesellschaft zu setzen. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Berlin (i. Ersch.).
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bungen geschrieben werden. Dabei gilt es, Theorie feld, ohne deren Hilfe keine Gesellschaftsgeschichte
und Praxis politischer Gegnerschaft als Entwick- der Opposition denkbar ist.
lungsprodukt innergesellschaftlicher Transformati-
onsprozesse, als Reaktion auf herrschaftsgeleitete
Forschungsdefizite,
Modernisierungsverläufe der Entwicklung des Ge-
neue Forschungsfelder
sellschaftssystems oder seiner Stagnation zu erken-
und Forschungsfragen
nen. Denn die verschiedenen politischen, kulturellen
und sozialen Praxen von Opposition und Widerstand Die Opposition in der Sowjetischen Besatzungs­zone
sowie die repressiven Strategien der Herrschenden zu und der frühen DDR fand inzwischen einen erheb-
ihrer Bekämpfung sind selbst geprägt vom Wandel lichen Niederschlag in der Forschung. Der Juni-Auf-
der gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer stand 1953 gehört heute sogar zu den am besten ana-
die Antagonisten agieren. lysierten Ereignissen der deutschen Nachkriegsge-
4. Die Untersuchungen politischer Gegnerschaft in schichte. Auch die Bürgerbewegungen des Herbstes
Diktaturen sowjetischen Typs erfordern synchrone 1989 und zum Teil die sozialethischen bzw. politisch-
und diachrone Vergleiche. Über diese vergleichende alternativen Gruppen der 80er-Jahre erfreuen sich
Perspektive hinaus können die Analysen erweitert lebhaften Forschungsinteresses. Dagegen fehlen trotz
werden durch vergleichsgeschichtliche Fragestellungen einzelner Gesamtdarstellungen zur DDR-Opposi­
zur politischen Gegnerschaft in Diktaturen anderen tion und trotz der Darstellung einzelner Aspekte bis
Typs und durch beziehungsgeschichtliche Fragestel- heute weitgehend systematische Untersuchungen der
lungen zu Transferleistungen, wechselseitigen Wahr- Opposition in den 60er- und 70er-Jahren. Hier wird
nehmungen und Beeinflussungen gesellschaftlicher jedoch nicht nur ein zeitliches, sondern auch ein in-
und politischer Gegenbewegungen in Ost und West. haltliches Forschungsdefizit offenbar: Das erweiterte
zeitliche Forschungsfeld macht auch eine präzisere
Die thematischen Ausweitungen erfordern auch me-
inhaltliche Bestimmung dessen, was politische Geg-
thodisch vielfältige Ansätze. Oppositionsgeschichte
nerschaft meint, nötig. Noch schwieriger wird es, die
ist Teil der Politikgeschichte, indem sie die nicht rea-
»Ränder« zu präzisieren und die Stellung von vorpo-
lisierten Alternativen zum leitenden Moment macht.
litischen Formen des Verhaltens auszumachen sowie
Sie ist Teil der Sozial- und Alltagsgeschichte, indem
den Umschlag von Konflikten ins Politische. Eine
sie sowohl die sozialen Bedingungen, die Opposition
der ersten Aufgaben der von uns intendierten Op-
und Widerstand generieren, hinterfragt als auch die
positionsforschung wird darin bestehen, ihren Ge-
sozialen Bedingungen, unter denen politische Gegner-
genstand im gesellschaftsgeschichtlichen Kontext
schaft existieren kann. Sie ist Teil der Ideen­geschichte,
zu präzisieren – etwa, indem sie überlieferte Fremd-
indem sie nach den nicht vorherrschenden geistigen
und Selbstzuschreibungen von Opposition aus dieser
Strömungen fragt, deren Kontingenzen und Brüche
Perspektive hinterfragt.
markiert. Daher gilt es, neben politik- und kultur-
geschichtlichen Methoden, verstärkt auf die metho- Oppositionsforschung wurde bislang eher neben
dischen Bestände der Sozial- und Alltagsgeschichte, statt im Verbund mit Kultur- und Sozialgeschich-
der Kultur- und Diskursgeschichte zurückzugreifen. te betrieben. Bestenfalls wurde dieser Verbund auf
Der gewachsene Bedarf nach einer weiter gefassten ausgewählte Begegnungen beschränkt, wie etwa mit
Forschung zur Opposition, welche Herrschaft und der Jugendkulturforschung, ohne indes systematische
Alltag durch sozialhistorische, diskursanalytische Konsequenzen für den eigenen Gegenstand zu zeiti-
und milieutheoretische Analysen verbindet, wird gen. So ist die in den letzten Jahren im Kontext der
die bisher weitgehend einseitige Orientierung auf DDR-Forschung geführte Debatte über »Herrschaft
einen nur politikgeschichtlichen Ansatz verhindern. und Eigensinn« an der Oppositionsforschung spur-
Desgleichen rücken nun auch die Methoden und Er- los vorbeigegangen, anstatt sie als Aufforderung zu
gebnisse anderer Wissenschaftsdisziplinen, etwa der begreifen, die Untersuchungen von Opposition und
Soziologie oder Wirtschaftswissenschaft, ins Blick- Widerstand um Analysen der Spezifika von Konsens-
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und Dissensstrukturen in der DDR, um die Erfor- oder geschlechterspezifischen Erscheinungsformen


schung des Zusammenhangs zwischen systemstabili- und Entstehungszusammenhänge verstanden, so wird
sierenden Formen des Eigensinns und der Entstehung die Geschichte politischer Gegnerschaft einen plu-
von Devianz bis hin zur politischen Gegnerschaft zu ralen, in sich widersprüchlichen, im Einzelnen sich
erweitern. Ähnlich verhält es sich mit der Erschlie- widersprechenden Ausschnitt der Gesellschaft ab-
ßung von Potentialen des Forschungsansatzes »Herr- bilden müssen, der kein einheitliches, geschlossenes
schaft als soziale Praxis«. Bild von Gegnerschaft ergibt. Damit ließe sich der
Gefahr entgehen, die Opposition auf einen Idealtyp
Mit einer stärkeren Bindung zukünftiger Oppositi-
zu reduzieren, was zwangsläufig eine Verengung be-
onsforschung an die Gesellschaftsgeschichte werden
deuten und dazu führen würde, die Vielfalt vormaliger
die aus politischer Unterdrückung resultierenden Ge-
politischer Gegnerschaft auf die bloße Vorgeschichte
gensätze und Konflikte nicht etwa ausgeblendet und
»postrevolutionärer« Normalität einzugrenzen. Denn
vernachlässigt, sondern im Gegenteil durch ihre Ein-
eines der gravierendsten Probleme zeitgenössischer
bettung in kultur- und sozialgeschichtliche Konflikte
Oppositionsforschung entspringt außerwissenschaft-
erklärbar gemacht. So wird Opposition aber nicht nur
lichen Quellen – durchaus typisch für jede nachrevolu-
als Teil von Gesellschaft begreifbar, sondern eben
tionäre4 Konstellation: Die historische Kontingenz im
auch in ihrer Differenz zur Mehrheitsgesellschaft. Da-
Fluss der Meistererzählung herrschender Geschichts-
mit hören »Anpassung« und »Abweichung« auf, nur
bilder produziert eine »Normalgeschichte«, in der sich
normative Begriffe zu sein, und beginnen, Ausdruck
die Wirklichkeit der jeweiligen politischen Regime als
gesellschaftsgeschichtlich zu erklärender Werte-, In-
»natürliche« Fortschritts- oder Erfolgsgeschichte des
teressen- und Diskursstrukturen zu werden.
herrschenden Paradigmas darstellt. In ihr sind folglich
Die Vielfalt der Formen von Gegnerschaft, die als Umbrüche nicht erklärbar, ja nicht einmal darstellbar;
Opposition, Widerstand, Resistenz, Protest, Wider- schon gar nicht Brüche des eigenen Systems. Ande-
spruch oder ziviler Ungehorsam bezeichnet werden, rerseits ist die postrevolutionäre Geschichte wider-
ihre gesellschaftliche Wirkung, die sich nicht nur ständiger oder oppositioneller Alternativen, auf die
in politischen, sondern auch sozialen oder kulturel- Erklärung solcher Brüche zielend, mitunter selbst auf
len Bezügen äußern konnte, dementiert das oft stra- Kontingenz aus – jetzt auf die des postrevolutionären
pazierte Bild von einer »stillgelegten« Gesellschaft Regimes. Diese immer wieder durchbrechende oder
ausschließlich angepasster Untertanen. Doch das durchscheinende Tendenz zeitgenössischer Opposi-
ändert nichts an dem Befund einer vorwiegend iso- tionsgeschichtsschreibung produziert Debatten über
lierten Existenz politisch aktiver Gegner des Regimes den scheinbaren oder tatsächlichen Gegensatz von
und ihres absoluten Minderheitenstatus innerhalb der Totalopposition und systemimmanentem Reformis-
Mehrheitsgesellschaft. Und schließlich erweist sich mus.5 Diese Debatten spiegeln den Kampf um die
politische Gegnerschaft innerhalb dieser Spannweite
als Ensemble pluraler, widersprüchlicher und sogar
konkurrierender Positionen und Handlungen, die in 4 Angesichts der mitunter heftig geführten Debatte über den
ihrer Mannigfaltigkeit und Differenziertheit begrif- Charakter des Herbstes 1989 in der DDR (vgl. z. B. den
Forschungsbereicht von Eckhard Jesse, in: Eppelmann
fen werden sollte. Ein solcher Befund widerspricht u. a. [Anm. 2], S. 196 f, und die Debatte zwischen Martin
einer normativen Oppositionsgeschichtsschreibung. Jander/Klaus Schroeder, Zwei Bewegungen, keine Revo-
Nicht einer »neuen Beliebigkeit« wird hier das Wort lution, in: Zs. d. Forschungsverbundes SED-Staat, 4/1997,
S. 43 – 59, einerseits u. Manfred Wilke, »Friedliche Revolu-
geredet, sondern einer historischen Analyse des ge- tion«. Interview, ebd., S. 146 – 150, andererseits; vgl. auch
sellschaftlichen Kontextes verschiedener Formen die frühe Interpretation bei Jürgen Kocka, Revolution und
politischer Gegnerschaft. Nation 1989. Zur historischen Einordnung der gegenwär-
tigen Ereignisse, in: Tel Aviver Jb. f. Deutsche Geschichte,
Wird Oppositionsgeschichte als Darstellung der 19 [1990], S. 479 – 499) vertreten wir die Auffassung, dass
es sich beim Sturz der Diktatur sowjetischen Typs unter
Gesamtheit alternativer Politiken und alternativen Honecker/Krenz um eine demokratische Revolution ge-
Verhaltens, einschließlich ihrer sozialen, kulturellen handelt hat.
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Hegemonie nach dem Sturz des ancien régime, nicht genstandes bleibt allerdings die Forschung auch zur
aber die Realität vergangener pluraler Opposition. politischen Gegnerschaft in der DDR eine, die Min-
In ihr wird vielmehr versucht, die vorherrschende derheiten in der Gesellschaft betrachtet. Doch lassen
Richtung als der obsiegenden in der Konkurrenz ver- sich, wenn die Fragen auf die beschriebene Weise
schiedener früherer Oppositionsrichtungen gegen die gestellt werden und die Antworten im gesellschafts-
anderen normativ aufzuwerten, indem vordergründig historischen Kontext erfolgen, Ergebnisse erwarten,
oder unterschwellig deren oppositioneller Charakter die weiteren Aufschluss über den Charakter dieser
negiert und ihnen affirmative Nähe zum ancien ré- Gesellschaft, über ihren Bestand und ihren Untergang
gime unterstellt wird. geben, zu welchem man im Rahmen einer noch so
differenzierten Darstellung des Verhältnisses von
Sowenig es also eine einheitliche, geschlossene
Repression und Opposition nicht gelangen könnte.
Opposition gab, so aufschlussreich dürften die Ergeb-
nisse einer Analyse des Verhältnisses der »Mehrheits-
Spezifische Problemlagen
gesellschaft« zu den verschiedenen Ausprägungen
der DDR-Oppositionsforschung
politischer Gegnerschaft sein. Die Analyse dieses
Verhältnisses fehlt bisher weitgehend. Die gemein- Ausgehend von den Ergebnissen bisheriger DDR-
samen Kennzeichen diktatorischer Regimes (etwa Oppositionsforschung ist die Perspektive auf die Ge-
ihre geringe Fähigkeit zur Integration selbst vorpo- schichte der ostmitteleuropäischen Opposition sowohl
litischer Abweichungen ins Gesamtsystem und die in analytischer als auch vergleichender Richtung zu
deshalb hohe Zwangsläufigkeit der Politisierung auch erweitern. Eine solche Herangehensweise an DDR-
vorpolitischer Formen von Protest) haben jedoch kei- Oppositionsgeschichte kann dann – was oft konsta-
ne hinreichende Schlüsselfunktion für solche Unter- tiert, aber wenig berücksichtigt wurde – im Syste-
suchungen: So wird sich im Vergleich der DDR mit matischen nicht länger ignorieren, dass DDR- und
osteuropäischen Gesellschaften vor 1989 rasch zeigen, damit auch ihre Oppositionsgeschichte Teil nicht
dass trotz analoger Staatsformen der gesellschaftliche nur gesamtdeutscher, sondern auch transnationaler
Alltag sehr verschiedene Widerstandsformen und Geschichte war.6 Das heißt jedoch nicht, dass sich
oppositionelle Praxen hervorgebracht hat, welche DDR-Geschichte und insbesondere die Geschichte
sich allein aus dem Verhältnis der oppositionellen
Akteure zum Staat und seiner repressiven Funktion
nie erklären ließen. Andererseits weisen trotz der 5 Bezogen auf die SBZ und die DDR wurden solche Gegen-
grundsätzlich andersartigen Staatsformen im We- sätze hinsichtlich ihrer begrifflichen Substanz oder der Er-
sten systemkritische Strömungen oder alternative kenntnisleistung bisher zwar kaum diskutiert, umso mehr
aber mit ideologischen Zuschreibungen versehen. So gilt
Handlungen in Ost und West Gemeinsamkeiten auf, der antikommunistische Charakter der »Fundamentalop-
die anscheinend nicht in erster Linie aus dem Ver- position in den Nachkriegsjahren« wie der sozialistische
hältnis zum jeweiligen Staat, sondern aus ähnlichen der »Reformopposition der 80er-Jahre« als ausgemacht.
Eine Extremvariante normativer Geschichtskonstruktion
Herausforderungen und Konfliktlagen gesellschaft- wird allerdings erreicht, wenn den politisch alternativen
licher Modernisierungsprozesse herrühren. Richtig ist, Gruppen der 80er-Jahre wegen ihres »Antifaschismus«
dass bei einem solchen Vergleich nicht die politische und ihrer »sozialistischen Ideologie« sogar »SED-Nähe«
zugeschrieben wird.
Herrschaft zur alleinigen Bestimmung von Oppositi-
6 Die primär internen Quellen der deutschen Forschungs-
on, sondern ein ganzes Bündel tradierter und aktueller förderung brachten jedoch ein hohes Maß der Abkopplung
gesellschaftlicher Faktoren in ihrem Einfluss auf die der DDR-Forschung von der Kommunismus- und Transfor-
Herausbildung von Devianz und politischer Gegner- mationsforschung in Ostmitteleuropa mit sich. International
geförderte Wissenschaftsprogramme deckten primär den
schaft herangezogen werden muss. Damit wären zu- dortigen Bedarf, was die Isolierung der DDR-Forschung
gleich die Beschränkung auf eine Innensicht und die trotz allenthalben erhobener Forderungen, »über den Teller-
bereits erwähnte Tendenz selbstreflexiver Bezüglich- rand zu blicken«, nicht verringerte. Eine gemeinsame Arbeit
nicht allein der Wissenschaftler in ihren Themenstellungen,
keit in der DDR-Oppositionsforschung überwindbar. sondern auch der fördernden Einrichtungen, muss diese
Distanz erst wieder überbrücken.
Selbst in Anwendung eines sehr weit gefassten Ge-
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ihrer Opposition in geschichtsvoluntaristischen Ab­ aus den Forschungen zum Widerstand gegen den
straktionen »europäischer« oder »gesamtdeutscher« Nationalsozialismus bekannte Niveau von Differen-
Historiografie auflösen lassen. DDR-Geschichte muss ziertheit erreichen. Dann ergeben sich für die For-
erkennbar bleiben. schung fruchtbare Perspektiven aus einem diachronen
Vergleich sowie aus den Fragen nach Kontinuitäten,
Die Doppelnatur der DDR sowohl als deutsche Teil-
personellen wie programmatischen Tradierungen,
gesellschaft als auch als Bestandteil des politischen
aber auch aus den Fragen nach den Ursachen und
Osteuropas und des internationalen Kommunismus
Wirkungen von Brüchen, von zerstörten respektive
ist gerade die besondere Herausforderung für eine
verlorenen Zusammenhängen. Schließlich und endlich
langfristige DDR-Forschung und die Erforschung der
ist DDR-Forschung wie DDR-Oppositionsforschung
besonderen Gestalt ihrer Opposition. Um die Bestim-
auch unverzichtbarer Bestandteil einer Zeitgeschichte,
mung dieser besonderen Gestalt geht es und nicht um
die noch nicht zu Ende ist, wie uns die »orangene«
deren Heroisierung oder Unterschätzung. Als Teil der
in der Ukraine oder die »Rosenrevolution« in Ge-
doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte bleibt die
orgien gezeigt haben: die Geschichte »friedlicher
DDR-Forschung ein wichtiger Anknüpfungspunkt für
Revolutionen.«7
Vergleiche moderner Diktaturen und diese ihrerseits
eine Voraussetzung für die Erforschung von vergan-
genen wie gegenwärtigen Tendenzen hin zum Über-
wachungsstaat und zu Menschenrechtsverletzungen.
7 Vgl. das aktuelle »Projekt on ›Civil Resistance and Power
Andererseits muss die Erforschung politischer Geg- Politics‹« an der Universität Oxford, http://www.sant.ox.ac.
nerschaft – gerade auch der DDR – erst noch das uk/esc/CRO100107.pdf (20.2. 2007).

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