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Reihe

Germanistische
Linguistik 195

Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta


und Herbert Ernst Wiegand
Elke Hentschel

Negation und Interrogation


Studien zur Universalität ihrer Funktionen

Max Niemeyer Verlag


Tübingen 1998
Für Slobodan f

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnähme

Hentschel, Elke:
Negation und Interrogation : Studien zur Universalität ihrer Funktionen / Elke Hentschel.
- Tübingen : Niemeyer, 1998
(Reihe Germanistische Linguistik ; 195)

ISBN 3-484-31195-9 ISSN 0344-6778

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998


Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
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Printed in Germany.
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt
Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nadele, Nehren
Inhalt

Abkürzungs Verzeichnis IX

1 Einleitung l

2 Negation: Forschungsbericht; Überblick über die Bereiche;


Probleme 6

2.1 Das Phänomen der Negation 6


2.2 Was ist "Negation"? - Definition und Abgrenzung 8
2.3 Der Ausdruck der Negation 11
2.3.1 Negative Antwortpartikeln 12
2.3.2 Satzinterne Negation 14
2.3.2.1 Das negierte Prädikat 14
2.3.2.2 Negierte Indefinitpronomina 15
2.3.3 Jespersens Zirkel 17
2.4 Negation als Markiertheitsphänomen 18
2.4.1 Morphologische und syntaktische Markiertheit 18
2.4.2 Pragmatische Markiertheit 22
2.5 Der Bezug der Negation 24
2.5.1 Default Negation 25
2.5.2 Metalinguistische Negation 25
2.5.3 Expletive Negation 28
2.5.3.1 Expletive Negation: 'fürchten', 'vermeiden', 'zweifeln' 28
2.5.3.2 Negation in temporalen Konstruktionen 31
2.5.3.3 Andere Typen von expletiver Negation 32
2.5.4 "Negation modale" und "Negation de rejet" 33
2.6 Pfifferlinge und rote Heller 35

3 Lexikalische Negation 38

3.1 Lexikalische Negation im Deutschen 38


3.1.1 Infragekommende Morpheme 38
3.1.2 t/n-Wörter 41
3.1.2.1 Bildungsregeln, theoretisch 41
3.1.2.2 Empirischer Befund 42
3.1.2.2.1 Negierte Partizipien 44
3.1.2.2.2 Derivierte Adjektive 46
3.1.2.2.3 Die übrigen Adjektive 48
3.1.2.2.4 Die Substantive 49
3.1.2.2.4.1 Morpholgie 49
3.1.2.2.4.2 Semantische Funtkion der Negation 53
3.1.2.2.4.3 Anmerkungen zu -heit und -keit 55
VI

3.1.2.2.4.4 Zusammenfassendes zu den Substantiven 56


3.1.3 Interpretation der Ergebnisse 57
3.2 Die lexikalische Negation im Serbischen 59
3.2.1 Empirische Grundlage 59
3.2.2 Auswertung. Die Wortarten im einzelnen 65
3.2.2.1 Partizipien, Adjektive, Adverbien 66
3.2.2.2 Substantive 70
3.2.2.3 Verben 74
3.2.2.4 Anmerkungen zu den Substantiva auf -ost 77
3.2.3 Gegenprobe: eine andere empirische Grundlage 77
3.3 Die lexikalische Negation im Vergleich: serbisch-deutsch 80
3.4 Sprachübergreifende Regeln der lexikalischen Negation 82
3.5 Lexikalische Negation im Türkischen 92

4 Negation in der Syntax 97

4.1 Universalien der Stellung negierender Elemente 98


4.2 Corpusanalyse 108
4.2.1 Empirische Grundlage 108
4.2.2 Empirische Befunde I: Pronomina 111
4.2.2. l Die negierten Pronomina auf ni- 111
1.2.2.1.l nichts 112
4.2.2.1.2 niemand vs. keiner 113
4.2.2.1.3 nie(mals) 114
4.2.2.2 kein- 114
4.2.3 Empirische Befunde II: Negation mit nicht 121
4.2.3.1 Hauptsätze 121
4.2.3.1.1 Hauptsätze des Typs Assertionssatz 121
4.2.3.1.1.1 Die Vorfeldbesetzung bei rechtsstehendem nicht
Regeln zum Gebrauch von nicht ein vs. kein 122
4.2.3.1.1.2 nicht vor der rechten Klammer 131
4.2.3.1.1.3 nicht im Mittelfeld 132
4.2.3.1.1.4 nicht vor fokussierenden Elementen 133
4.2.3.1.1.4.1 Komparation 135
4.2.3.1.1.4.2 Fokuspartikeln 138
4.2.3. l. l .4.3 Intensivpartikeln und sonstige fokussierende Elemente 139
4.2.3.1.1.4.4 Quantoren 142
4.2.3.1.1.4.5 Zusammenfassung: fokussierende Elemente 144
4.2.3.1.1.5 Sonstiges 144
4.2.3.1.2 Andere Hauptsatztypen 145
4.2.3.2 Ellipsen 147
4.2.3.3 Nebensätze 148
4.3 Übersetzungsvergleich 149

5 Satzmodus 168

5.1 Definitionsprobleme 168


VII

5.2 Satzmodi und andere Bedeutungsebenen des Satzes 178


5.3 Sind Satzmodi Universalien? 181
5.4 Sekundäre Funktionen des Satzmodus "Interrogation"
(Entscheidungsfrage) 186
5.4.1 Interrogation als Konditionalsatz 186
5.4.1.1 Behandlung in deutschen Grammatiken 186
5.4.1.2 Der Zusammenhang zwischen Interrogation und
Kondition 189
5.4.1.3 Interrogation als Kondition in anderen Sprachen 191
5.4.1.3.1 Konditionale Interrogation im Serbischen 191
5.4.1.3.2 Verwendung des Interrogationsmodus im Türkischen 192
5.4.2 Weitere Verwendungen des interrogativen Satzmodus im
Serbischen 193
5.5 Exkurs: Formallogische Beschreibung natürlicher Sprache
am Beispiel des Konditionalsatzes 195
5.6 Funktionen des Satzmodus "Interrogation"
(Bestimmungsfrage) 200
5.7 Pragmatik 203

6 Das Problem der negierten Fragen 205

6. l Die Funktion von nicht in Interrogationssätzen


des Typs Entscheidungsfrage 205
6.1.1 Zum Satztyp 205
6.1.2 Empirische Untersuchung 208
6.1.3 Erklärung 220
6.2 Nicht in Interrogativsätzen des Typs W-Frage 224
6.2.1 Zum Satztyp 224
6.2.2 Empirische Untersuchung 226
6.2.3 Erklärung 232

7 Schluß 235

Literaturverzeichnis 237
Index 250
Abkürzungsverzeichnis

Abi Ablativ
ADV Adverb (auch Adjektivadverb)
Akk Akkusativ
AOR Aorist
ART Artikel
AUX Hilfsverb
Dat Dativ
DEM Demonstrativum
fern femininum
Gen Genetiv
HT Hiatustilger
Inst Instrumental
KLASS Klassifikator
KOND Konditional (Modus des Verbs)
KOP Kopula (Verb oder Partikel)
Lok Lokativ
mask maskulinum
NEC Necessitativ (Modus des Verbs)
NEG Negationspartikel oder Negationsaffix
NEG-KOP negierte Kopula aus Negationsmorphem und Kopula
NEGKOP negierte Kopula (ohne isolierbares Negationsmorphem)
neutr neutrum
Nom Nominativ
NUM Numerale
OBJ Objektmarkierung
Part Partikel; freies Morphem aus der Klasse der Synsemantika
PartPräs Partizip Präsens
PASS Passiv
Pl Plural
POSS Possessiv-Markierung
POT Potentialis (Modus des Verbs)
PRÄP Präposition
PRÄS Präsens
Pzp Partizip
REFL Reflexiv
REL Relativum
Sg Singular
TOP Topikalsierung
ugs umgangssprachlich
VN Verbalnomen (Gerundium, Gerundiv o.a.)
l Einleitung

Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit zwei Themengebieten: "Negation" und "Inter-
rogation". Da es sich bei diesen beiden Bereichen um außerordentlich große Ar-
beitsgebiete handelt, zu denen bereits eine Vielzahl von Publikationen vorliegt, wäre
der Versuch, sie jeweils vollständig bearbeiten zu wollen, von vornherein aus-
sichtslos; er soll daher gar nicht erst unternommen werden. Statt dessen wird eine
beschränkte Anzahl von besonders interessanten Problemen ausgewählt und bear-
beitet. Diese Probleme sind:
- die Negation im Lexikon
- die Negation in der Syntax
- der Status der Kategorie "Interrogation"
- die Interrelation von Negation und Interrogation.

Sämtliche Fragenkomplexe werden am Beispiel der deutschen Sprache untersucht.


Die Untersuchung beschränkt sich indessen nicht auf das Deutsche, sondern zieht
regelmäßig mindestens zwei, im Bereich der Interrelation von Negation und Inter-
rogation zusätzlich auch noch bis zu 50 weitere Sprachen zum Vergleich mit heran.
Bei den beiden Sprachen, die regelmäßig zum Vergleich herangezogen werden,
handelt es sich um das Serbokroatische resp. Serbische1 und das Türkische. Für die

Das Serbische gehört zur Familie der indogermanischen Sprachen, wo es zu den


Satem-Sprachen zählt. Als südslawische Sprache steht es dem Bulgarischen, Maze-
donischen und Slowenischen nahe; eine etwas entferntere Verwandtschaft verbin-
det es mit den westslawischen (z. B. Polnisch) und den ostslawischen Sprachen
(z. B. Russisch). Die Nähe zum Kroatischen ist außerordentlich groß, und es gibt
aus rein sprachwissenschaftlicher Sicht gute Gründe, die beiden Varianten unter
dem Begriff "Serbokroatisch" zusammenzufassen, wie dies seit dem sog. "Wiener
Abkommen" von 1850 üblich war (zu den Einzelheiten cf. z. B. Hamm 31981: 8).
Grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen den beiden Sprachen Serbisch
und Kroatisch lassen sich nicht feststellen. Auch der Grundwortschatz ist weitge-
hend identisch, so daß die mutuelle Verständlichkeit jederzeit gegeben ist; aller-
dings muß darauf hingewiesen werden, daß der kroatische Wortschatz in jüngerer
Zeit im Zuge von Maßnahmen der Sprachplanung und Spracherneuerung stark in
Bewegung geraten ist. Auch im Bosnischen als der dritten Sprache, die sich nach
dem politischen Zerfall des Sprachgebietes konstituiert hat und die zuvor ebenfalls
als "Serbokroatisch" bezeichnet wurde, zeichnen sich solche durch die offizielle
Sprachpolitik geförderten lexikalischen Veränderungen ab. Unterschiedlich ist
nicht die Existenz, wohl aber die Frequenz bestimmter grammatischer Konstruk-
tionen; so sind beispielsweise im Kroatischen häufig Infinitivkonstruktionen anzu-
treffen, während das Serbische an ihrer Stelle vollständige Nebensätze, also Kon-
struktionen mit einem Finitum, verwendet. Der eigentliche Grund, warum in der
vorliegenden Arbeit auf den zusammenfassenden Begriff "Serbokroatisch" ver-
zichtet wird, ist ein politischer: er berücksichtigt nicht zuletzt die Tatsache, daß die
Sprecher der kroatischen Dialekte das Kroatische in jüngerer Zeit nachdrücklich
als eigene Sprache verstanden sehen möchten und die Zusammenfassung mit den
serbischen Dialekten ablehnen.
Traditionell erfolgte die Einteilung der verschiedenen Dialekte nach den folgen-
den beiden Gesichtspunkten:
- nach der unterschiedlichen Realisierung des ursprünglichen (jat'), das entweder
zu (i)je, zu i oder zu e geworden ist; entsprechend: Jekavisch, Ikavisch, Ekavisch.
Wahl gerade dieser beiden Sprachen als Vergleichssprachen lassen sich eine Reihe
von unterschiedlichen Gründen anführen. Zum einen handelt es sich bei ihnen um
die beiden frequentesten Minderheitensprachen in Deutschland, da die Mehrheit der
in Deutschland lebenden Arbeitsimmigranten aus der Türkei und aus dem ehemali-
gen Jugoslawien stammt. Ergebnisse, die aus dem Vergleich dieser beiden Spra-
chen mit dem Deutschen hervorgehen, können daher stets als potentielle Hilfsmittel
für den Sprachunterricht im Bereich Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als
Zweitsprache angesehen werden und sind insofern eher nutzbar zu machen, als dies
etwa beim Vergleich mit Sprachen der Fall wäre, die in Deutschland nur sehr selten
gesprochen werden. Darüber hinaus bieten die beiden Sprachen aber auch eine unter
theoretischen Aspekten gut geeignete Vergleichsgruppe: das Serbokroatische oder
Serbische stellt als Vertreterin der Slavia und damit der Satem-Sprachen eine zwar
noch indoeuropäische, aber doch nicht mehr allzu nahe mit dem Deutschen ver-
wandte Sprache dar. Es handelt sich dabei zugleich um eine hochflektierende Spra-
che, die ein sehr reiches morphologisches System mit sieben Kasus und drei Ge-
nera, die auch im Plural und in allen kongruierenden Formen (Adjektive, Partizipien
zur Tempusbildung etc.) ausgedrückt werden müssen, Resten des Duals, zwei se-
mantisch wie morphologisch unterschiedliche Adjektivdeklinationstypen (bestimmt
und unbestimmt), diverse Verbalnomina sowie, je nach Zählweise, mindestens
sechs Tempora aufweist.2 Im Hinblick auf die Negation, die ja im Rahmen der vor-
liegenden Untersuchung von besonderem Interesse ist, gehört das Serbische zu
denjenigen Sprachen, die sie stets sowohl beim Verb als auch bei sämtlichen Indefi-
nitpronomina ausdrücken müssen, also im Unterschied zum Deutschen, das nur
entweder beim Verb (cf. z. B. Sie ist nicht gekommen) oder beim Pronomen (cf.
z. B. Niemand ist gekommen) negiert, eine "doppelte" Negation aufweisen (cf.
serbisch Niko nije dosao, wörtlich 'niemand nicht-ist gekommen'). Im Bereich der
Interrogation schließlich weist das Serbische, abermals im Unterschied zum Deut-
schen, eine spezielle Fragepartikel auf, mit der Fragesätze des Typs Ja-Nein-Frage
als solche markiert werden.

- nach der Realisierung des Interrogativpronomens 'was' als sto, da oder kaj; ent-
sprechend: stokavisch, Cakavisch, Kajkavisch.
Im Falle von sto, (a und kaj ist sto die am häufigsten anzutreffende Variante: "Die
stokavische Dialektgruppe nimmt etwas mehr als drei Viertel des srk. Sprachge-
bietes ein. Sie umfaßt die skr. Mundarten in Bosnien und Hercegovina und Mon-
tenegro, über zwei Drittel der Mundarten in Serbien und annähernd zwei Drittel
der Mundarten in Kroatien." (Ivic 1958: 93). Innerhalb der stokavischen Dialekte
gibt es sowohl jekavische als auch ikavische und ekavische Varianten. Häufig wird
vereinfachend das Jekavische mit dem Kroatischen und das Ekavische mit dem
Serbischen gleichgesetzt; diese Gleichung ist jedoch nicht ganz unproblematisch.
Der hercegovinische Dialekt, den Vuk Karadzic, der Begründer der serbischen
(und von ihm auch ausdrücklich als solche bezeichneten) Schriftsprache, als Basis
für die ersten Wörterbüchern dieser Sprache (1818 und 1852) verwendete, ist nicht
ekavisch, sondern jekavisch. Die modernen montenegrinischen Dialekte stellen
ebenso Varianten des Jekavischen dar wie die in Bosnien von allen drei Bevölke-
rungsgruppen gesprochenen Mundarten, während andererseits beispielsweise in
der Drina-Ebene ekavisch vorzufinden ist. Wie sich zeigt, ist eine Gleichsetzung
der Jekavischen und ekavischen Varianten mit ethnischen Gruppen nicht möglich.
Cf. Karadzic (1814), Hamm (31981), Stevanovic (1989a und b), Mrazovic/Vukadi-
novic (1990) und Leskien (1981).
Das Türkische gehört demgegenüber nicht zu den indoeuropäischen Sprachen,
sondern ist ein Mitglied der Familie der Altai-Sprachen. Damit gehört es zugleich
nicht nur einer ganz anderen Sprachfamilie, sondern auch einem anderen Sprach-
typus an: Es handelt sich um eine synthetisch agglutinierende Sprache, also eine
Sprache, die gebundene Morpheme zum Ausdruck grammatischer Relationen ver-
wendet.3 Zu den grundsätzlichen phonologischen Besonderheiten des Türkischen
gehört, daß es - wie viele andere synthetisch agglutinierende Sprachen auch - Vo-
kalharmonie aufweist, daß sich also der Wurzelvokal eines Suffixes nach dem
Vokal in der vorhergehenden Silbe richtet. Das Türkische kennt zwei Arten von
Vokalharmonie, die nach Anzahl der Vokale, die in der Endung alternieren, als
"kleine" und "große" (cf. z. B. Ersen-Rasch 1989: 328) oder "enge" und "weite"
Vokalharmonie (cf. z. B. Wendt 1985: 26) bezeichnet werden.4
Negationen werden im Türkischen wie im Deutschen nur einmal ausgedrückt,
jedoch wird im Unterschied zum Deutschen kein freies Morphem, sondern ein ver-
bales Infix zum Ausdruck der Negation verwendet. Ausnahmen von dieser Regel
bilden der negative Existenzmarker yok ('es gibt nicht') und die negative Kopula
degil 'ist nicht', die als nicht-verbale Prädikation Verwendung finden. Ja-Nein-Fra-
gen schließlich werden im Türkischen wie im Serbischen durch eine Fragepartikel
markiert.
Das folgende Kapitel 2 gibt einen kurzen Forschungsüberblick zum Bereich der
Negation und nimmt einige notwendige Definitionen vor. Dabei wird zuerst die
grundlegende Frage geklärt, welche Phänomene überhaupt dem Begriff "Negation"
zugeordnet werden können. Zur Klärung dieser Frage hat bereits Aristoteles beige-
tragen, auf den an dieser Stelle auch Bezug genommen wird. Auf der Grundlage
des definierten Begriffs wird dann untersucht, welche verbalen oder auch nonver-
balen Zeichen grundsätzlich zum Ausdruck der Negation zur Verfügung stehen. Im
Anschluß daran wird die damit zusammenhängende Frage diskutiert, ob es sich bei
der Negation um ein Markiertheitsphänomen handelt und schließlich werden ver-
schiedene Typen der Negation, die in der Forschungsliteratur unterschieden wer-
den, vorgestellt und analysiert.
Kapitel 3 wendet sich dann einem sehr speziellen Negationstyp zu, nämlich der
lexikalischen Negation. Bei der Negation auf der Ebene eines einzelnen Wortes liegt
zugleich der kleinste mögliche Skopus der Negation vor. Nach einer Festlegung
dessen, was auf der Grundlage der im vorigen Kapitel vorgenommenen Definition
des Begriffs "Negation" nunmehr unter lexikalischer Negation zu verstehen ist,

Natürlich gibt es erwartungsgemäß Ausnahmen von dieser Regel; so läßt sich etwa
der negierte Aorist des Türkischen nur als Flexionsendung beschreiben. Dennoch
ist das Türkische ein sehr gutes Beispiel für den synthetisch-agglutinierenden
Sprachtyp, da die überwiegende Mehrheit der Formen durch Aneinanderreihung
von Affixen gebildet wird, die jeweils eine einzelne grammatische Bedeutung wie
'Plural', 'Passiv', 'Konditional' etc. tragen.
Die Grundprinzipien der türkischen Vokalharmonie beschreibt Lewis (1991: 15)
folgendermaßen:
(a) If the first vowel of a word is a back vowel, any subsequent vowel is also a back
vowel; if the first is a front vowel, any subsequent vowel is also a front vowel.
(b) If the first vowel is unrounded, so too are subsequent vowels.
(c) If the first vowel is rounded, subsequent vowels are either rounded and closed
or unrounded and open." Im folgenden werden die vier Vokale der großen Vokal-
harmonie durch /, die zwei Vokale der kleinen hingegen durch A symbolisiert.
wird auf breiter empirischer Basis eine Analyse der entsprechenden sprachlichen
Phänomene vorgenommen. Für das Deutsche werden dabei sämtliche im Recht-
schreib-Duden enthaltenen Einträge auf un- zugrundegelegt. Der Analyse aller deut-
schen "t/h-Wörter" wird eine Untersuchung sämtlicher Einträge auf ne- gegenüber-
gestellt, die das sechsbändige serbische Wörterbuch der Matica Srpska enthält; um
auszuschließen, daß aufgrund der Tatsache, daß dieses Wörterbuch auch sehr un-
gewöhnliche und individuelle literarische Sprachschöpfungen berücksichtigt, feh-
lerhafte Ergebnisse entstehen, wird zusätzlich ein kleines Handwörterbuch mit her-
angezogen, das dem modernen Sprachgebrauch Rechnung trägt. Auf der Basis der
empirischen Analyse dieser zwei Sprachen wird eine Reihe von Regeln aufgestellt,
die für die lexikalische Negation in beiden Sprachen wirksam sind. Als dritter
Schritt schließlich wird diskutiert, welche Phänomene im Türkischen der lexikali-
schen Negation in den beiden untersuchten indoeuropäischen Sprachen entsprechen
könnten. Die Ergebnisse der Analyse in allen drei Sprachen werden miteinander
verglichen und interpretiert. Dabei wird gezeigt, daß sich hinter den scheinbar zu-
fälligen und miteinander unvereinbaren Möglichkeiten verschiedener Sprachen,
lexikalische Negationen zu bilden, in Wirklichkeit einheitliche Prinzipien verbergen.
Nach der Analyse des kleinstmöglichen Skopus der Negation, der nur ein einzel-
nes lexikalisches Element umfaßt und dabei zugleich selbst lexikalisiert wird, geht
es dann in Kapitel 4 um den größtmöglichen Skopus der Negation; die Negation des
ganzen Satzes. Dazu wird zunächst ein Überblick über die Forschungsergebnisse
zur Stellung der Negation im Satz gegeben, die sich in der Universalienforschung
finden lassen. Da diese Ergebnisse nicht ohne weiteres miteinander kompatibel
sind, werden sie neu analysiert und dann auf einer einheitlichen Basis zusammen-
fassend dargestellt. Im Anschluß daran wird der Gebrauch der Negation im Deut-
schen anhand eines Samples von ca. 1000 Belegsätzen untersucht, die verschiede-
nen Zeitungen und Zeitschriften entnommen wurden. Auch hier wird eine Reihe
von Regeln festgestellt, die mit der Thema-Rhema-Gliederung des Satzes sowie
weiteren semantischen Faktoren zusammenhängen und die beispielsweise die
Möglichkeiten des gleichzeitigen Gebrauchs von unbestimmten Artikel oder
Nullartikel und dem Negator nicht bestimmen, die bisher nicht befriedigend erklärt
werden konnten. Auch die angebliche deutsche "Sondernegation", also die An-
nahme eines eingeschränkten Skopus des Satznegators nicht, wird nochmals dis-
kutiert und als Thema-Rhema-Phänomen erklärt. Einige besonders interessante Bei-
spielsätze werden sodann mit Übersetzungen ins Serbische und Türkische vergli-
chen, die von jeweils zwei Muttersprachlern vorgenommen worden sind.
Mit Kapitel 5 wird sodann der zweite Themenkomplex der vorliegenden Arbeit
aufgegriffen, nämlich die Interrogation. Die grundsätzliche und in der Literatur bis-
her recht uneinheitlich beantwortete Frage, ob es Satzmodi gibt und wenn ja, wie
diese zu definieren sind, steht am Anfang dieses Abschnitts. Darüber hinaus wird
untersucht, welche Funktionen der hier im Vordergrund des Interesses stehende
Satzmodus "Interrogativsatz" im einzelnen übernehmen kann. Auch hier wird neben
dem Deutschen der Gebrauch von Interrogativsätzen im Serbischen und im Türki-
schen berücksichtigt.
In Kapitel 6 werden die beiden Themenkomplexe miteinander verknüpft, indem
das gleichzeitige Auftreten der beiden Phänomene Negation und Interrogation im
selben Satz behandelt wird. Das besonders Interessante daran ist, daß Negationen in
Interrogativsätzen unwirksam sein können oder paradoxerweise sogar positive
Erwartungen ausdrücken: Äußerungen wie Guck mal da drüben, ist das nicht Udo?
bedeuten eben nicht, daß die Sprecherin danach fragt, ob der Sachverhalt 'das ist
nicht Udo' zutrifft - sie sucht im Gegenteil eine Bestätigung für den positiven
Sachverhalt, also dafür, daß es sich sehr wohl um Udo handelt, und gibt zugleich
zu erkennen, daß sie dies für sehr wahrscheinlich hält. Sätze des Typs Was es nicht
alles gibt! wiederum, die zumindest ihrer Herkunft nach ebenfalls zur Klasse der
Interrogativsätze gehören, beziehen sich nicht darauf, was es alles NICHT gibt,
sondern darauf, was es alles gibt, und unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht
von gleichlautenden Sätzen ohne Negation (cf.: Was es alles gibt!). Diese Erschei-
nungen sind im Deutschen bereits mehrfach beschrieben worden, wobei ihre Inter-
pretation höchst umstritten ist; die meisten Erklärungsansätze gehen aber davon aus,
daß es sich um eine Besonderheit des Deutschen handelt. Daher wurde der Analyse
dieser beiden Äußerungstypen eine empirische Untersuchung zugrundegelegt, die
über die beiden Vergleichssprachen Serbisch und Türkisch hinaus den Gebrauch
von negierten Interrogativsätzen beider Typen in weiteren 50 Sprachen berücksich-
tigt, und die anschließende Erklärung des Phänomens bezieht die Ergebnisse dieser
Untersuchung mit ein.
Negation: Forschungsbericht; Überblick über die Bereiche;
Probleme

2.1 Das Phänomen der Negation

Bei der Negation handelt es sich naturgemäß um eine außerordentlich abstrakte


Konzeption: in der außersprachlichen Wirklichkeit existiert so etwas wie ein 'Nicht-
Sein' nicht. Ein Frosch als Objekt der realen Welt ist das, was er ist, und weist,
positivistisch gesehen, eine Reihe von Eigenschaften auf, die möglicherweise mit
den Mitteln der Sprache beschrieben werden können (oder anhand derer er mit be-
stimmten sprachlichen Kategorien erfaßt werden kann). Es gehört aber ganz sicher-
lich nicht primär zu seinem Wesen, daß er kein Baum, kein Computer, keine Ente
etc. ist - auch wenn alle diese negativen Zuschreibungen zweifellos richtig sind und
sich die Richtigkeit dieser Aussagen wiederum alleine darauf stützt, was in der
außersprachlichen Wirklichkeit vorfindlich ist, nämlich eben kein Baum, Computer
etc., sondern ein Frosch. Trotzdem ist der reale Frosch keine Negation des Baumes
oder der Ente.
Negation hat, wie dieses Beispiel verdeutlichen soll, wenig mit der außersprach-
lichen Wirklichkeit, dafür aber um so mehr mit der menschlichen Interpretation der-
selben resp. dem menschlichen Denken zu tun, denn, so eine vielzitierte Äußerung
Spinozas, "omnis determinatio est negatio."1 Wenig überraschend ist daher, daß die
Negation, das Nichtsein, eine so zentrale Rolle in der Philosophie spielt. Von Pla-
ton, in dessen "Sophist" der Gegensatz zwischen Seiendem und Nichtseiendem in
verschiedenen Variationen zur Illustration der "falschen Vorstellung" des Sophisten
dient, die nach der Auffassung des Fremden darin besteht, "(...) daß das nicht-
seiende irgendwie nicht sei (...) oder das auf keine Weise seiende doch irgendwie
sei", nach Ansicht Theaitetos hingegen "daß das Nichtseiende irgendwie sei"
(Platon, Sophist: 133f.), bis in die Moderne lassen sich zahllose Beispiele für die
Befassung mit der Negation des Seins finden. So spielt beispielsweise die Frage,
ob das Nichts dem Sein vorausgeht (oder umgekehrt das Sein dem Nichts) sowie
andererseits, ob das Nichts im phänomenologischen Sinne existiert oder ob es sich
dabei um eine rein gedachte Größe handelt, im ersten Teil von Jean-Paul Sartres
auch vom Titel her einschlägigen L'etre et le n'eant eine Rolle, der sich mit der
Definition, dem Ursprung und dem Ort des Nichts befaßt, das phänomenologisch
schließlich "im Herzen" des Seins (Sartre 1962: 61) verortet wird;2 und der
Poststrukturalismus erhebt das Abwesende, das "leere Feld" oder den "Nullpunkt"
zum Angelpunkt der Struktur (cf. z. B. Deleuze 1975: 292f.).

Versehen mit dem Hinweis, daß es sich bei zahlreichen Autoren, darunter insbe-
sondere bei Hegel, immer wieder finden lasse, steht dieses Zitat beispielsweise bei
Klaus/Buhr (1975: 854) oder bei Sartre (1962: 53).
"(...) wenn Nichts gegeben sein kann, so weder vor noch nach dem Sein und ganz
allgemein auch nicht außerhalb des Seins, sondern mitten im Sein selbst, in seinem
Herzen, wie ein Wurm." (ibd.).
Interessant ist in diesem allgemeinen Zusammenhang auch die Überlegung, ob
es sich bei der Fähigkeit zur Negation um eine dem Menschen vorbehaltene, da
hoch abstrakte Kategorie handelt, oder ob beispielsweise auch Tiere bis zu einem
gewissen Maße über die Möglichkeit der Negation verfügen. So stellte beispiels-
weise E. Lang (1994) in einer Vorlesung die interessante These auf, daß die Fähig-
keit zur Negation auf den Menschen beschränkt sei. Um die Frage nach einer even-
tuellen tierischen Negationsfähigkeit beantworten zu können, müßte allerdings zu-
nächst definiert werden, was überhaupt unter Negation verstanden werden soll (cf.
hierzu im folgenden). Wenn man die häufig benutzte "weite" Definition der Nega-
tion anwendet, die darin besteht, auch Begriffe wie 'leer' oder 'harmlos' als 'Ab-
wesenheit von etwas' oder gar Gegensätze wie 'schwarz'/'weiß' (cf. Hörn 1989:
268-273) mit zum Phänomen der Negation zu rechnen, wird die Antwort zugunsten
der tierischen Negationsfähigkeit ausfallen. Insbesondere Konzeptionen wie 'leer'
oder 'ungefährlich' können nämlich sehr wohl auch von Tieren kommunikativ ver-
mittelt werden. Hoch entwickelte Säugetiere können einander durchaus mitteilen,
daß von einem erschreckenden Wesen in Wirklichkeit keine Gefahr ausgeht, und
insbesondere Primaten, aber auch andere höhere Tiere können sich auch verstellen;
wenn sie etwas getan haben, wovon sie wissen, daß es von einem ranghöheren Tier
oder Menschen sanktioniert wird, versuchen manche zielstrebig, den Eindruck zu
erwecken, unschuldig zu sein, mit anderen Worten also: die Missetat nicht began-
gen zu haben. Dies ist mit Sicherheit eine Form der Negation im erwähnten weiteren
Sinne; aber möglicherweise kann man ein solches Verhalten sogar der Negation im
engeren Sinne (zur Definition cf. im folgenden unter Punkt 2.2) zurechnen, denn
die Intention besteht in diesen Fällen doch ganz offensichtlich darin, die Botschaft
'ich war es nicht' oder 'ich habe nichts getan1 zu übermitteln, was eindeutig eine
negierte Aussage ist.
Wie sich zeigt, ist es nicht ohne weiteres möglich, die Negation als Phänomen
einzig und allein dem Menschen vorzubehalten. Dies mag nicht zuletzt damit zu-
sammenhängen, daß Negation in einem abstrakten, strukturalistischen Sinne jeder
Form von kommunikativer Enkodierung zugrundeliegt. Schon die Erfindung einer
Ein-Wort-Sprache, die Einführung eines einzigen, allerersten digitalen Zeichens,
führt zu einer Einteilung der außersprachlichen Wirklichkeit in ein Plus und ein Mi-
nus. Man kann die Menge aller Katzen, die zur Erklärung zu Russells Paradoxon
der Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten, herangezogen wird
(Whitehead/Russell 1962; Watzlawick et al. 81990), auch als Illustration für dieses
Phänomen benutzen: in dem Moment, wo ein Begriff 'Katze' existiert, der auf eine
bestimmte Erscheinung der Wirklichkeit (eben z. B. auf alle Katzen dieser Welt)
angewandt werden kann, läßt sich die Welt vollständig in Katzen und nicht-Katzen
unterteilen; und nur dann, wenn es auch nicht-Katzen gibt (selbst wenn diese keinen
eigenen Namen haben), kann das Wort Katze sinnvoll angewendet werden. Auch in
einer angenommenen Ein-Wort-Sprache wäre ein Wort, das alle Katzen sowie alles,
was keine Katze ist, gleichermaßen umfaßt, kommunikativ sinnlos; 'Katze' müßte,
wenn schon nicht mit einem anderen Wort, dann zumindest mit der Abwesenheit
einer Äußerung kontrastieren, so daß sich eine minimale Einheit von "Äußerung" =
'Katze' und "keine Äußerung" = 'nicht-Katze' ergäbe.
Aufgrund dieser Tatsache finden sich denn auch philosophische oder psycholo-
gische Ansätze, die in der Negation den Ursprung des menschlichen Denkens und
8

insbesondere der Sprache sehen (wobei diese beiden Phänomene meist als untrenn-
bar miteinander verknüpft angesehen werden). Für die Psychoanalyse wie für den
bereits erwähnten Poststrukturalismus stehen der Mangel und das Begehren im
Mittelpunkt; das, was fehlt, wird zur Bedingung für das Symbolische. "Der Signi-
fikant [ist] (...) infolge seiner Natur nur das Symbol einer Abwesenheit" (Lacan
1975: 23), und: "In Wirklichkeit gibt es keine Struktur außerhalb dessen, was Spra-
che ist" (Deleuze 1975: 269).3
Spätestens an dieser Stelle müssen natürlich auch der dem Poststrukturalismus
notwendigerweise vorausgehende Strukturalismus und sein "Vater" Ferdinand de
Saussure Erwähnung finden, der zusammenfassend feststellt: "(...) dans la langue,
il n'y a que des differences sans termes positifs." (Saussure 1982: 166). Die Über-
legung, daß Sprachen nicht Sammlungen von Etiketten sind, mit denen die Objekte
der außersprachlichen Wirklichkeit nach Bedarf versehen werden können, sondern
Strukturen, die durch mehr oder minder willkürliche trennende Einschnitte in das
diffuse Denken ("une serie de subdivisions contigues dessinees (...) sur le plan
indefini des idees confuses"; ibd.: 156) entstehen, stellt den zentralen Gedanken des
Strukturalismus dar. Alle Strukturen werden nur durch Unterschiede gebildet, damit
aber stets zugleich durch Negation: ein sprachliches Zeichen unterscheidet sich vom
anderen eben gerade dadurch, was es im Unterschied zu diesem nicht ist, also ex
negativo.
In dem hier diskutierten Sinne ist Negation also jeder oder zumindest jeder digi-
talen Form von Kommunikation implizit inhärent. Es ist nur die explizite Negation,
die eine Sonderstellung einnimmt: das seinerseits explizit digitalisierte 'nicht' geht
einen Schritt weiter. Diese explizite Negation ist es, die im folgenden behandelt
werden soll.

2.2 Was ist "Negation"? - Definition und Abgrenzung

Um zu klären, was hier und im folgenden unter "Negation" verstanden werden soll,
und um dabei insbesondere einige naheliegenden und auch weitverbreiteten Ver-
wechslungen auszuschließen, sollen die "Kategorien" des Aristoteles als alte, je-
doch alles andere als veraltete Grundlage herangezogen werden.4 Die verschiedenen
Arten des "Entgegengesetzten" (l Ib), von denen dort die Rede ist, finden sich auch
in modernen Untersuchungen zur Negation immer wieder aufs neue, wobei aber die
säuberliche Trennung, die Aristoteles vorgenommen hat, oft nicht berücksichtigt
wird. Aristoteles nimmt die folgenden vier Typen von Gegensätzen an:
- Relation
- Kontrarietät

Interessanterweise nimmt Freud im Unterschied zu diesen moderneren Ansätzen -


wobei sich Lacan ja als Freudianer versteht - an, daß die "Urworte" die Negation
noch nicht kannten, sondern stets auch ihr Gegenteil implizierten (cf. Freud
1910/1982).
Hier und im folgenden zitiert nach der Übersetzung von Eugen Rolfes, die erst-
mals 1918 und 1925 (in zwei Bänden) erschienen ist und seither mehrfach unver-
ändert nachgedruckt wurde.
- Beraubung und Habitus
- Verneinung (ibd.)

Als Beispiel für den ersten Gegensatztyp, den der Relation, gibt Aristoteles die
Begriffe 'Halbes' und 'Doppeltes' an; hier handelt es sich also um einen Gegensatz,
der nur beim Vergleich zweier Phänomene im Verhältnis des einem zum anderen
existiert. Interessanterweise sieht er auch das Verhältnis der Wissenschaft zu ihrem
Gegenstand als ein relatives: "Was sie [i. e. die Wissenschaft] ist, ist sie im Verhält-
nis zum Intelligiblen; und ebenso ist das Intelligible, was es ist, im Verhältnis zu
dem anderen Gliede des Gegensatzes, der Wissenschaft. Denn das Intelligible wird
als intelligibel durch oder für etwas, die Wissenschaft, gedacht." (ibd.).
Während ein relatives Gegensatzpaar zugleich Gemeinsamkeit voraussetzt und
nur im Hinblick auf einen bestimmten Bezugspunkt besteht, existieren konträre
Gegensätze unabhängig von einem Vergleich miteinander. Beispielpaare, die Aristo-
teles angibt, sind: 'gut' und 'schlecht', 'gesund' und 'krank', 'schwarz' und 'weiß'
(12a). Je nachdem, ob die einander entgegengesetzten Eigenschaften, wie etwa die
Farben schwarz und weiß, gleichzeitig in einem und demselben Objekt auftreten
können, oder sich aber gegenseitig ausschließen, wie dies bei 'krank' versus
'gesund' der Fall ist, gibt es ein "Mittleres", das u. U. auch mit einem eigenen
sprachlichen Begriff gekennzeichnet werden kann. Letzteres gilt beispielsweise für
schwarz und weiß, deren "Mittleres" mit dem Wort grau bezeichnet wird.
In dem Gegensatztyp, den Beraubung versus Habitus bilden, sind Gegensatz-
paare wie 'sehend' vs. 'blind' aufgehoben. Aristoteles weist nachdrücklich darauf
hin, daß der Ausdruck einer Beraubung eine positive Erwartung voraussetzt: "Denn
wir nennen zahnlos nicht, was keine Zähne, und blind nicht, was kein Gesicht hat,
sondern was das Genannte nicht hat zur Zeit, wo es dasselbe naturgemäß haben
sollte." (ibd.). Der sprachliche Ausdruck, der diesem Gegensatztyp entspricht, kann
dabei verschiedene Formen annehmen: wie die deutsche Übersetzung des Aristoteli-
schen Beispiels 'sehend' vs. 'blind' zeigt, kann es sich dabei um eigenständige
Lexeme handeln, wobei das Deutsche in diesem Fall teilweise auf eine abgeleitete
Form (nämlich das Partizip Präsens Aktiv des Verbs sehen) zurückgreifen muß.
Typischer für den Ausdruck der Deprivation ist hingegen sicherlich die Verwen-
dung des Suffixes -los, wie sie im abgeführten Beispiel zahnlos auftritt. Dieses
Suffix erfüllt genau die semantische Funktion, die Abwesenheit eines an und für
sich zu erwartenden Phänomens auszudrücken. Außer dem Suffix -los kann in der-
selben Funktion auch die Präposition ohne verwendet werden. Der Unterschied
besteht darin, daß mit ohne auch die nur zeitweilige Abwesenheit einer Sache aus-
gedrückt werden kann, während durch die feste Verbindung, die -los mit dem Wort
eingeht, eine länger dauernde Deprivation zum Ausdruck gebracht wird (cf. zahn-
los/ohne Zähne). Im Deutschen ist das Suffix -los ausgesprochen produktiv und
kann an unzählige Substantive angehängt werden, wobei das sog. "Fugen- " als
zusätzliches Infix auftreten kann; cf.:
Arbeit —» arbeitslos
Bezug —* bezugslos
Charakter —» charakterlos
Fehler —> fehlerlos
etc.
10

Semantisch entspricht dem deutschen Suffix -los im Serbischen das Präfix bez-, das
mit der Präposition bez Ohne' lautlich wie auch etymologisch identisch ist. Durch
dieses Nebeneinander von Präposition und Affix und vor allem durch die Tatsache,
daß es sich bei bez- um ein Präfix handelt, ist das Affix nicht wie im Deutschen
allein schon dazu in der Lage, ein Adjektiv zu derivieren, sondern muß von einem
Derivationssuffix zur Adjektivierung begleitet werden, cf.:
posao —» bei posla/besposlen Ohne Arbeit'
veza —» bei veie/beiveian Ohne Bezug'
karakter —» bei karaktera/bezkarakteran Ohne Charakter'
greska —» bei greske/beigresan Ohne Fehler'

Im Türkischen wiederum liegen die Verhältnisse genau umgekehrt: hier existiert


keine Adposition Ohne', sondern nur ein Affix -slz, das die semantische Funktion
des Ausdrucks der Abwesenheit erfüllt; cf.:
if -» if siz 'arbeitslos'
ilgi —> ilgisii 'interesselos'
karakter —> karaktersn 'charakterlos'
kusur —» kmursui 'fehlerlos'

Diese Derivate können als Adjektive eingeordnet werden.5


Der vierte Gegensatztyp schließlich, der der Verneinung, unterscheidet sich
grundlegend von allen drei vorigen. "Was sich als Bejahung und Verneinung entge-
gengesetzt ist, ist sich alles offenbar in keiner der angegebenen Weisen entgegenge-
setzt." (13b; sie!). Der Unterschied, um den es hier geht, liegt in den unterschiedli-
chen Wahrheitswerten begründet, die den verschiedenen Gegensatztypen zukom-
men:

Der Satz: Sokrates ist gesund, ist ja doch dem Satz: Sokrates ist krank, konträr.
Gleichwohl aber ist auch von diesen beiden Sätzen der eine nicht notwendig im-
mer wahr und der andere nicht notwendig immer falsch. Wenn Sokrates ist, ja,
dann muß der eine Satz wahr und der andere falsch sein, wenn er aber nicht ist,
sind beide falsch. Denn es ist weder wahr, daß Sokrates krank, noch daß er gesund
ist, wenn Sokrates überhaupt nicht ist.
(13b)

Dasselbe gilt für Beraubung und Habitus, also etwa für das Gegensatzpaar 'sehend'
vs. 'blind'. Die Wahrheitswerte lassen sich in einer Tafel folgendermaßen festhal-
ten:6

Die Unterscheidung Adjektiv/Substantiv ist im Türkischen nicht ganz unproblema-


tisch (cf. z. B. Lewis 1991: 53). Im vorliegenden Fall ist durchweg eine sekundäre
Substantivierung durch -llk möglich, die bei aller Vorsicht den Rückschluß zuläßt,
daß es sich bei den Formen auf -slz um Adjektive handelt. Dies entspricht zugleich
ihrem semantischen Status, da 'Eigenschaft' eine Grundbedeutung der Wortart
Adjektiv ist; cf. z. B. Hentschel/Weydt (1995).
Cf. auch die auf konträre Beispiele beschränkte Wahrheitswerttabelle bei Hörn
(1989: 9).
11

Gegensatztyp mögliche Wahrheitswerte


Wenn Sokrates existiert Wenn Sokrates
nicht existiert
( 1 ) konträr:
(la) Sokrates ist krank. F W F
(Ib) Sokrates ist gesund. W F F
(2) deprivativ:
(2a) Sokrates ist blind. F W F
(2b) Sokrates ist sehend. W F F
(3) Negation:
(3a) Sokrates ist nicht krank. W F W
(3b) Sokrates ist nicht blind. W F W
Tabelle l

Wie sich zeigt, schließen die möglichen Wahrheitswerte für konträre oder depriva-
tive Aussagen ebenso wie für negierte im Fall, daß Sokrates existiert, sowohl
'wahr' als auch 'falsch' ein. Existiert Sokrates indessen nicht, so treten gänzlich
andere Wahrheitswerte auf: weder konträre noch deprivative (noch die hier nicht
eigens mit aufgeführten relationalen) Aussagen können dann wahr sein; sie sind
immer falsch, und zwar völlig unabhängig davon, welcher Bestandteil des Gegen-
satzpaares für die Aussage gewählt wird. Negierte Aussagen hingegen sind dann
notwendig immer wahr: wer gar nicht existiert, kann logischerweise auch nicht
krank oder blind sein.

2.3 Der Ausdruck der Negation

"(...) one can state with some confidence that Neg is a universal category." äußert
Dahl (1979: 80), wofür auch alle bisher angestellten Überlegungen sprechen. Nun
gehört aber zum Bereich der Negation eine sehr große und heterogene Gruppe von
sprachlichen und auch außersprachlichen Phänomenen, die im Zusammenhang der
vorliegenden Arbeit nicht alle im gleichen Umfang berücksichtigt werden können.
Da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Interrelation von Negation und
Satzmodus liegt, sollen zum Zwecke der Vereinfachung mit dem Begriff "Negation"
nur die Formen verstanden werden, die sich eines expliziten Negationselementes
bedienen. Als solche Elemente kommen Negationspartikel (vgl. z. B. deutsch
nicht, serbisch ne), gebundene Negationsmorpheme (vgl. serbisch ni-, türkisch
-mA-), negierte Kopulae und Existenzmarker (cf. türkisch degil, yok),
Negationsadverbien und negierte Pronomina (vgl. deutsch nichts, niemand, nie;
serbisch nista, niko, nikada; etc.) in Frage; auf ihre Einteilung und Abgrenzung soll
im folgenden noch ausführlicher eingegangen werden.
12

Ausgeschlossen sind damit eine ganze Reihe anderer Phänomene, Interjektionen


ebenso wie nonverbale Zeichen aus dem Bereich von Mimik und Gestik. Hierzu
gehören beispielsweise:
- nonverbale Negation, z. B. durch Kopf schütteln, das Hochwerfen des Kopfes,
Schwenken des Zeigefingers; alle drei gestischen Typen werden als negative
Antworten auf Fragen verwendet. Während das Kopfschütteln in Nord- und
Nordwest-Europa die Norm darstellt, wird in Südosteuropa, so etwa in Teilen
Serbiens, in Mazedonien oder Bulgarien der Kopf mit einer raschen Bewegung
in den Nacken geworfen, um eine Verneinung zum Ausdruck zu bringen, wäh-
rend Kopfschütteln hier die positive Antwort markiert. In derselben Gegend ist
auch eine Negationsgeste sehr verbreitet, bei der der erhobene Zeigefinger mehr-
fach quer zur Blickrichtung des Gesprächspartners hin und her bewegt wird. Es
handelt sich hier insofern um eine besondere Art von Gesten, als sie digital und
nicht analog funktionieren und somit von der Mehrheit der nonverbalen Kom-
munikationssignale deutlich abweicht. (Cf. hierzu auch Watzlawick et al. 1990:
61-68).
- negierende Interjektionen (z. B. mh-mh, Schnalzlaut). Unter den negierenden
Interjektionen, die nach Hentschel/Weydt (1995a: 40) zur Klasse der phatischen
Interjektionen zu zählen wären, ist in Nordeuropa vor allem ein häufig aspirier-
tes, mitunter von einem glottal stop begleitetes, meist doppelt artikuliertes, gele-
gentlich auch einfaches m verbreitet (cf. also: m-m, mh-mh, /m? - m?/, m),
während sich in der südlichen Hälfte häufig ein Schnalzlaut findet, bei dem die
Zunge gegen die Schneidezähne schlägt. Dieser Laut wird im Deutschen wie in
anderen Sprachen auch zur Äußerung von Mißbilligung oder moralisch-werten-
der Ablehnung verwendet; in Ermangelung adäquater Grapheme wird er meist
als ts-ts-ts oder ds-ds-ds geschrieben.7 Während der Schnalzlaut zum Ausdruck
der Mißbilligung mindestens einmal redupliziert werden muß, wird er bei Ver-
wendung als Negation nicht wiederholt, sondern nur einmalig geäußert, vgl.
serbisch Hoces lijos caja? - C! ('Willst du noch Tee? - Nein!' [unhöflich])

2.3.1 Negative Antwortpartikeln

Die Interjektionen und die beschriebenen gestischen Kodierungen stehen entweder


anstelle der oder parallel zu den jeweiligen Antwortpartikeln der Einzelsprachen,
wie sie z. B. deutsch nein, serbisch ne, türkisch hayir, ungarisch nem, Navajo
dooda etc. vorliegen. Diese Antwortpartikeln weisen ihrerseits in den meisten Fällen
eine sehr beschränkte Verwendung auf. Mehrheitlich können sie ausschließlich in
der Antwort gebraucht werden, sind also grundsätzlich anaphorisch.8 Wenn eine

7
Im Englischen findet sich auch die Schreibung tut-tut-tut.
8
In manchen Sprachen wird allerdings dieselbe Partikel sowohl für die negative
Antwort als auch für die satzinteme Negation verwendet; cf. serbisch ne, ungarisch
nem.
13

Sprache Antwortpartikeln aufweist,9 ist es naturgemäß immer möglich, sie als Ant-
wort auf Entscheidungsfragen zu verwenden. Aber es ist keineswegs in allen Fällen
möglich, sie darüber hinaus auch als Antwort auf Imperativsätze oder als Reaktion
auf Assertionssätze zu benutzen. Diese Möglichkeit besteht im Deutschen, cf.:
Hast du Hunger? - Nein.
Komm sofort her! - Nein!
Das da ist mein Buch. - Nein!

Eine solche Verwendung ist im Serbischen nicht möglich:


Jesi U gladan? - Ne./Jok./Nisam.^°
('Bist du hungrig? - Nein./Nein./Bin ich nicht.')
Dodji ovamo! — Necu!/*Ne!/*Jok!
('Komm mal her! - Werd ich nicht!/*Nein!/ *Nein!')
je moja knjiga. - Nije!/*Ne!/*Jok!
('Das ist mein Buch. - Ist es nicht!/*Nein!/ *Nein!')

Im Türkischen kann die Antwortpartikel hayir in allen drei Fällen verwendet wer-
den:
olur musun? — Hayir./Yok. ('Bist du hungrig? - Nein.')
Burdaya gel! - Hayir. (Komm her! - Nein.')
Bu kitabim. - Hayir. ('Das ist mein Buch. - Nein.')

Cf. hierzu auch das Englische:


Are you hungry? — No.
Come here! - No, I won't!
This is my book - No, it isn't.

Ebenso das Französische:


Est-ce que tu as faim? - Non.
Viens id! - Non.
£a, c'est mon livre. - Non.

9
Keineswegs alle Sprachen verfügen über derartige Partikeln. Sprachen, die ohne
'ja' und 'nein' auskommen, sind beispielsweise das Lateinische oder das Chinesi-
sche; zu weiteren Sprachen ohne Antwortpartikeln cf. die von Marina Yaguello
zusammengefaßten Diskussionsbeiträge in der Mailing-Liste Linguist List (Vol-7-
1008 und 7-1030). Im übrigen lassen sich Antwortpartikeln etymologisch in allen
bisher untersuchten Fällen auf andere sprachliche Phänomene zurückführen, so
etwa auf Äußerungen wie 'so (ist es)' (cf. hierzu auch Hentschel 1986a: 38-46).
1
° Die negative Antwort mit jok ist in vielen Teilen Serbiens verbreiteter als die mit
ne, welches in der alltäglichen mündlichen Kommunikation ohnehin eher selten
als Antwortpartikel verwendet wird; allerdings ist jok deutlich nachdrücklicher
(und auch familiärer) als die beiden anderen Negations-Varianten. Am häufigsten
wird einer negierten Verbform der Vorzug vor der reinen Partikel gegeben (in den
vorliegenden Beispielen neou 'ich will/werde nicht' und nije 'er/sie/es ist nicht').
14

2.3.2 Satzinterne Negation

2.3.2. l Das negierte Prädikat

Grundlegende Überlegungen dazu, wie die Negation in einer natürlichen Sprache


definiert werden könnte, stellt Dahl (1979) im Rahmen seiner typologischen Unter-
suchung der Negation an:
We have already pointed out that one can state with some confidence that Neg is a
universal category. In order to make this statement falsifiable, we must of course
decide what we mean by 'Neg'. Although the semantics of Neg is connected with
quite a few intricate problems, it still seems possible to give a relatively uncontro-
versial characterization of Neg in semantic terms. We thus formulate as a necessary
condition for something to be called Neg that it be a means for converting a sen-
tence Sj into another sentence 82 such that 82 is true whenever Sj is false, and vice
versa. This condition is necessary but not sufficient. It does not distinguish among
cases like the following in English:
(1) it is not raining.
(2) It is false that it is raining
(3) It is not the case that it is raining.
All these constructions seem to fulfil the condition. Yet, even though some philo-
sophers refer to (2-3) as 'external negation', most linguists would agree that only
(1) qualifies as a negated sentence in the proper sense. (...) However, the con-
structions labeld as 'sentence negation' in various languages usually are like the
English construction exemplified in (1) in that they do not exhibit any clear signs
of containing an embedded clause.
(Dahl 1979: 80)

Während derselbe Autor zwar in seinem späteren Aufsatz (Dahl 1993: 918) darauf
verweist, daß sich in einigen Sprachen doch subordinierende Negations-Konstruk-
tionen finden lassen, läßt sich dennoch insgesamt feststellen, daß sie offenbar eher
eine Ausnahme als die Regel darstellen. Die Mehrheit der natürlichen Sprachen
drückt die Negation auf derselben Ebene wie die zu negierende Prädikation aus, und
zwar gemeinhin durch Hinzufügen eines Morphems (cf. hierzu unter 2.4.1). Auch
wenn größere Aussagenkomplexe negiert werden sollen, also beispielsweise eine
Äußerung wie Gestern haben Kirsten und Maja Klavier gespielt und gesungen,
reicht es beispielsweise im Deutschen völlig aus, die Negation ein einziges Mal in-
mitten des Satzes zu plazieren, also: Gestern haben Kirsten und Maja nicht Klavier
gespielt und gesungen, um die Negierung des gesamten Komplexes zu erreichen.
Bei einer Darstellung mit den Mitteln der formalen Logik ist so etwas ausgeschlos-
sen; entweder muß die Negation zweimal geäußert oder aber übergeordnet werden,
also:
-•P i & -iP2
oder
- (Pi & P2)
Die natürlichsprachliche und die formal-logische Äußerung sind zwar in Bezug auf
den dargestellten Sachverhalt äquivalent, aber sie bedienen sich verschiedener Mit-
tel. Während der Geltungsbereich des formal-logischen Negators auf das direkt
15

rechts von ihm stehende Element beschränkt ist, scheint es eine solche Skopusbe-
schränkung in der natürlichsprachlichen Negation zunächst nicht zu geben - auch
wenn das vieldiskutierte Problem der "Satz-" vs. "Sondernegation" darauf verweist,
daß die Skopusverhältnisse auch in natürlichen Sprachen klärungsbedürftig sein
können. 11
Das Beispiel ->P\ & -Pi zeigt den in der Literatur kaum erwähnten Fall, daß die
formal-logische Darstellung zweimal negiert, während die natürlichsprachliche Ne-
gation - hier: im Deutschen - nur einmal erfolgt. Im Gegensatz hierzu finden sich
immer wieder Hinweise darauf, daß natürliche Sprachen doppelt negieren, wo die
Logik es nur einmal tun würde, weil sich in der Logik doppelte Negationen auf-
heben. Dies tun sie in natürlichen Sprachen nicht unbedingt, sondern vielmehr nur
einer Art Absprache zufolge: während der deutsche Satz Ich habe nicht niemanden
gesehen zumindest in der Standardvariante des Deutschen als 'ich habe jemanden
gesehen' verstanden wird, wird seine wortgetreue Übersetzung ins Serbische, Ni-
sam nikoga videla ('nicht-bin niemanden gesehene') als Entsprechung zum deut-
schen Ich habe niemanden gesehen verstanden. Sozusagen je nach Vereinbarung
werden indefinite Elemente in manchen Sprachen stets mit negiert (ein Phänomen,
das Wouden/Zwarts 1992 als "negative concord" zu beschreiben versuchen), in
anderen hingegen wird die Negation nur einmal gesetzt. In einer dritten Gruppe von
Sprachen schließlich, zu denen das Türkische zählt, besteht diese Alternative gar
nicht, da es keine negierten Indefinitpronomina gibt, die wahlweise als einzige Trä-
ger der Negation (wie im Deutschen) oder als "konkordierend" zur Negation (wie
im Serbischen) gebraucht werden könnten.
"It is not uncommon in natural language that negation seems to behave in an illo-
gical manner." kommentierten Wouden/Zwarts (1992: 317) die Erscheinungsfor-
men der Negation in natürlichen Sprachen. In der Tat: unter dem Aspekt formal-
logischer Beschreibungen benehmen sich natürlichsprachliche Negationen unlo-
gisch - aber dies ist eben nur der äußere Schein. Um kommunikationsadäquat zu
funktionieren, müssen Negationen auch in natürlichen Sprachen selbstverständlich
einer inneren Logik folgen; es handelt sich dabei einfach nur nicht um dieselbe, die
in der formalen Logik verwendet wird. Daß sie dennoch ihre Funktion erfüllen,
zeigt sich nicht zuletzt auch darin, daß natürlichsprachliche negierte Äußerungen
problemlos in formal-logische übersetzt werden können.

2.3.2.2 Negierte Indefinitpronomina

Auch wenn die einzelnen Sprachen in ihrer lexikalischen, morphologischen und


syntaktischen Ausformung der Negation weit voneinander entfernt sind, lassen sich
dennoch einige Hypothesen dazu entwickeln, wie die Negation sich im Bereich der
Pronomina im Lexikon niedergeschlagen haben könnte. Eine sehr naheliegende
Annahme ist dabei, daß sich Wörter wie 'niemand1, 'nichts', 'nie' etc. grundsätz-
lich aus der jeweils positiven Form'jemand', 'etwas', jemals' usw. ableiten las-
sen; und tatsächlich zeigt sich etwa bei der Betrachtung europäischer Sprachen -

11
Cf. hierzu z. B. die zusammenfassende Darstellung bei Adamzik (1987: 169-291)
sowie ausführlicher im folgenden, Kapitel 4.
16

aber keineswegs nur solcher - daß die negierten Pronomina in zahlreichen Sprachen
noch synchronisch nachvollziehbar, in vielen anderen etymologisch eindeutig
erkennbar aus dem positiven Pronomen und einem negierenden Element entstanden
sind (cf. hierzu auch Haspelmath 1993 sowie Lehmann 1995: 53f.). So läßt sich
deutsch niemand synchronisch noch (zumindest bis zu einem gewissen Grade)
nachvollziehbar aus einem negierenden Präfix ni- und dem als jemand vertrauten
Indefinitpronomen herleiten; bei kein ist die etymologische Herkunft hingegen
schon nicht mehr ohne weiteres erkennbar.12 Das Deutsche ist hier auf der Ebene
seines lexikalischen Angebotes an negierenden Elementen sehr viel undurchsichtiger
als etwa das Englische, wo die Etymologie von no-one, no-thing, no-where etc.
deutlich ins Auge springt, dafür aber wiederum verständlicher als das Französische,
das im Verlaufe der Entwicklung gemäß dem Jesperschen Zirkel (cf. hierzu unter
2.3.3) mit personne oder rien ursprünglich rein positive Begriffe ('Person', 'Sa-
che') ins Negative umgewandelt hat. Von den drei hier im Vordergrund des Interes-
ses stehenden Sprachen Deutsch, Serbisch und Türkisch ist allerdings das Deutsche
im Bereich der Negation die "undurchsichtigste". Serbisch niko, nigde, nikada etc.
sind deutlich sichtbar jeweils aus dem positiven Element (ko 'wer', gde 'wo', kada
'wann') und dem negierenden Präfix «i-13 zusammengesetzt. Das Türkische wie-
derum gehört zu denjenigen Sprachen, die Begriffe wie 'niemand', 'nichts' usw.
auch synchronisch nur durch 'jemand', 'etwas' (wörtlich: 'eine Sache') etc. plus
Negation im Prädikat ausdrücken können; negierte Pronomina existieren nicht. Al-
lerdings muß in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, daß das Türki-
sche über verschiedene Typen von Pronomina verfügt, die in unterschiedlichem

12
Cf. hierzu Grimm (Bd. 5, 1873: 457-492):
"1) Das nhd. kein bedeutete nicht nur nullus, sondern auch das gegentheil, ullus,
irgend ein: eine zweiheit der bedeutung in einem so wichtigen worte, die auf den
ersten blick höchst seltsam aussieht, als müszte damit alle Sicherheit der rede
wankdend werden, im gebrauch jedoch, unter mitwirkung der syntaktischen ge-
setze, verschwindet diese Unsicherheit; (...)
a) ahd. war nullus nihein, nihhein und nohein, nohhein, ullus aber dihein, dehein
und dohein, dohhein, auch dehein, dechein. jenes ist geworden aus nih-ein 'neque
unus'; nih ahd. zwar schon erloschen, aber goth. nih dem neque genau entspre-
chend (...), mit nih-ein war eig. hemeint 'ne unus quidem'. nohein sagt dasselbe,
denn auch nah, noch, ist neque, ne quidem. (...)
b) mhd. bestehen anfangs beide Wörter noch neben kein: dehein, dechein, dekein
und nehein, nechein, nehein, doch schon in der vermengung begriffen, dasz de-
kein auch nullus bedeutet, und ebenso inkein (d.i. nekein) sich auch für ullus fin-
det (...) Die kürzung zu kein vollzog sich bei beiden gegen ende des 12. jhd., wie
schon etwas früher kein für nehein erscheint: bei nekein wohl dadurch, dasz dabei
gewöhnlich noch die alte negation ne stand, dem verbum zugegeben, oder eine
andere Verneinung, so dasz man von nekein das ne als überflüssig wegliesz, in der
meinung, es sei die einfache negation. (...)
c) für die kürzung von kein aus dikein (...), dekein aber ist eine zwischenform
ikein, ekein anzunehmen (...)."
13
"Pored ne (...) postojao je vec u ie prajeziku oblik *nei, u kojem je zacijelo
deikticko jacanje negacije. Odatle sveslav. i praslav. ni- (...). ni ulazi kao pre-
fiks negativnih zamjenica, zamjenckih priloga i odatle izvedenih imenica." ('Neben
ne (...) exisiterte bereits in der indoeuropäischen Ursprache die Form *nei, in dem
/ sicher eine deiktische Verstärkung der Negation ist. Daher gemeinslavisch und
urslavisch ni- (...). Dieses ni tritt als Präfix negativer Pronomina, Proadverbien und
von dort ihnen abgeleiteter Substantive auf.') (Skok/Putanec 1973: 289).
17

Maße für den Gebrauch mit Negationen geeignet sind. So übernimmt kimse 'wer
auch immer', 'irgendwer' in Kombination mit dem Negations-infix die Funktion
von 'niemand'; 14 wahlweise kann es mit der aus dem Persischen übernommenen
Intensivpartikel hie - in der Ursprungssprache ein Negator - verstärkt werden. Die
Funktion von 'nichts' übernimmt entsprechend ( ) bir §ey (etwa: 'überhaupt eine
Sache'). Das diminuierte Personalpronomen kimsecik ('wer-Konditional-Diminu-
tiv') schließlich kann überhaupt nur in negierten Kontexten verwendet werden: cf.
z. B: Kimsecik yok 'es ist überhaupt keiner da'.

2.3.3 Jespersens Zirkel

Jespersen schreibt:
The history of negative expressions in various languages makes us witness the
following curious fluctuation: the original negative adverb is first weakened, then
found insufficient and therefore strengthened, generally through some additional
word, and this in its turn may be felt as the negative proper and may then in course
of time be subject to the same development as the original word.

Und:
The negative adverb very often is rather weakly stressed, because some other word
in the same sentence receives the strong stress of contrast - the chief use of a ne-
gative sentence being to contradict and to point to a contrast."
(Jespersen 1966: 4f.)

Diese Entwicklung ist unter dem Namen "Jespersens Zirkel" bekannt geworden,15
und sie läßt sich in der Tat für eine ganze Reihe von Sprachen nachweisen;
besonders auffällig ist der Befund natürlich im Französischen, wo sich die ur-
sprüngliche Bedeutung wie auch die Negations-verstärkende Wirkung von Wörtern
wie pas, personne oder rien noch ohne weiteres erkennen läßt, zumal der ursprüng-
licher Negator ne in einigen - wenn auch archaischen - Fällen durchaus noch ein-
zeln auftreten kann, während er umgekehrt in der modernen gesprochenen Sprache
weggelassen wird.
Aber auch im Deutschen hat die Entwicklung stattgefunden, die Jespersen als er-
ster beschrieben hat; die moderne Negationspartikel nicht ist ihrer Herkunft nach
ebenso ein verstärkendes Element wie pas, rien oder personne im Französischen,
allerdings mit dem Unterschied, daß sie den ursprünglichen Negator ni inkorporiert
hat und somit zumindest negativ markiert ist; dies ist bei pas, rien und personne,
deren positive Grundbedeutung noch immer vorhanden ist und auch genutzt werden
kann, nicht der Fall.
Im Gotischen als der ältesten nachgewiesenen Sprache, die mit dem Deutschen
nahe verwandt ist, wird die Negation im Satz durch ni, die negative Antwort durch

14
Zu beachten ist allerdings, daß kimse im Unterschied etwa zu englisch anybody
nicht auf negierte, fragende oder konditionale Kontexte beschränkt ist: cf. z. B.
Bir kimse sizi ariyordu 'jemand hat nach dir gesucht' (nach Lewis 1991: 78).
15
Bei Lehmann (1995: 23f.) wird sie unter dem Begriff "reinforcement" (genauer:
complex reinforcement) diskutiert; generell liegt eine Erscheinung vor, die kei-
neswegs auf die Negation beschränkt ist.
18

ne (+ Wiederholung des Verbs) und die tag-question durch niu?16 ausgedrückt (cf.
Braune/Ebbinghaus 1973: 124). Daneben treten aber auch bereits negierte Indefinit-
pronomina auf: neben dem häufigen ni ainshun 'niemand' (wörtlich 'nicht einer1),
auch in attributiver Funktion ('kein'), finden sich die selteneren ni mannahun 'nie-
mand', ni hvashun 'niemand' sowie ni hvanhun 'niemals'. Alle diese mit dem
Klitikum -hun gebildeten Ableitungen sind nur negiert gebräuchlich, die Pronomina
somit auf die Negation spezialisiert (cf. ibd.: 96).
Die im Neuhochdeutschen gebräuchliche Negationspartikel nicht hat sich bereits
im Althochdeutschen als ni eo wiht 'nicht (irgend) etwas' herausgebildet und stellt
somit ursprünglich ebenfalls ein negiertes Pronomen dar, wie es im Neuhochdeut-
schen in nichts vorliegt.

2.4 Negation als Markiertheitsphänomen

Bei den meisten Autoren herrscht Einigkeit darüber vor, daß es sich bei negierten
zugleich um in besonderem Maße markierte Äußerungen handelt, sowohl in mor-
phologischer resp. syntaktischer als auch in pragmatischer Hinsicht. Unter mor-
phologischer Markiertheit wäre hier zu verstehen, daß ein zusätzliches Morphem -
gebunden oder frei - in den positiven Satz eingefügt wird, um einen negativen zu
erhalten. Bei freien Negationsmorphemen kann man die Erscheinung auch dem
Bereich der Syntax zurechnen, und mit Sicherheit als syntaktische Phänomene sind
Umstellungsoperationen zu betrachten, die parallel zur Negation erfolgen oder
eventuell auch erst durch sie hervorgerufen werden, sowie Änderungen in der Ar-
gument-Struktur des Satzes, die mit der Negation einhergehen.

2.4. l Morphologische und syntaktische Markiertheit

Der Begriff der Markiertheit geht bekanntlich auf die Prager Schule zurück. Mitt-
lerweile hat er sich gut etabliert und wird nicht nur in den Bereichen verwendet, in
denen er ursprünglich von Jakobson und Trubetzkoy entwickelt wurde, i. e. auf
dem Gebiet der Phonologic (cf. Trubetzkoy 1939) oder der Flexion (etwa der Ka-
susendungen, cf. z. B. Jakobson 1939), sondern auch auf allen anderen Gebieten,
wobei es zu einer Reihe von theoretischen wie praktischen Weiterentwicklungen
gekommen ist.17
Intuitiv am überzeugendsten ist der Gedanke einer Markierung sicherlich dann,
wenn es sich um die Hinzufügung eines zusätzlichen Elements zu einem bereits
vorhandenen Phänomen handelt. So entsteht etwa aus einem stimmlosen ein stimm-
hafter Laut durch den zusätzlichen Einsatz der Stimmbänder. Im Bereich der Tem-
pusbildung wird durch das Hinzufügen des Suffixes -te- aus einem Präsens - das
16
Das Gotische hat eine klitische Fragepartikel -u, die sich hier, wie sich zeigt, mit
der Negationspartikel verbindet.
17
Cf. hierzu z. B. den Sammelband Tomic 1989, der einen Überblick über die An-
wendung der Markiertheitstheorie auf die unterschiedlichsten Untersuchungs-
bereiche bietet.
19

gemeinhin auch aus theoretischen Überlegungen heraus als nicht-markiertes oder


neutrales Tempus angesehen wird (cf. hierzu z. B. Hentschel/Weydt 1994: 92f.) -
ein schwaches Präteritum gebildet, cf. z. B. lachst -> lachtest. Allerdings darf
angesichts solcher Beispiele nicht vergessen werden, daß auch der umgekehrte Fall
vorliegen kann, auf den bereits Jakobson (1939) hinweist: daß die Wegnahme, die
Abwesenheit eines Merkmals das markierte Glied kennzeichnen kann. Dies ist etwa
bei den russischen Feminina der Fall, bei denen der Genetiv Plural gerade durch die
Abwesenheit der ansonsten stets vorhandenen Kasusendung markiert wird: supruga
'Gattin'; Genetiv Plural: suprug (Beispiel nach ibd.: 46). Die Verwendung von
Nullzeichen, wie Jakobson das Phänomen nennt, wäre somit so etwas wie eine
negative Markierung.
Im Bereich der Negation scheinen demgegenüber fast ausschließlich positive
Markierungen vorzuliegen; in allen Sprachen, die im Rahmen der vorliegenden Ar-
beit behandelt werden, werden zum Zwecke der Negierung eindeutig ein oder meh-
rere Elemente hinzugefügt. Dies scheint, wie man Untersuchungen wie Dahl (1979)
entnehmen kann, zugleich auch die von der überwältigenden Mehrheit der Sprachen
der Welt gewählte Methode zu sein, um Negation zum Ausdruck zu bringen.
Indessen, es ist nicht die einzig mögliche: "Prosodic modification (in the form of
tone change) is found in some African languages, together with affixation (...) or
alone, as in Mano (Niger-Congo (...))" (Dahl 1979: 82). Unterschiedliche Tonfüh-
rungen sind natürlich nicht per se ohne weiteres den Kategorien "markiert" vs.
"nicht markiert" zuzuordnen; hier müssen allgemein-theoretische Überlegungen zur
Hilfe genommen werden, wie sie im folgenden ("Pragmatische Markiertheit",
2.4.2) ausführlicher diskutiert werden sollen.
Unter den "additiven" Methoden der Negierung, also denjenigen Verfahren, die
eine positive Äußerung durch Hinzufügung weiterer Elemente in eine negative ver-
wandeln, lassen sich die folgenden Typen unterscheiden:

- Negation durch ein Affix


In zahlreichen Sprachen wird die Negation durch ein gebundenes Morphem reali-
siert. Bei diesem Morphem handelt es sich typischerweise um ein Verb-Affix, das
vor oder nach dem Verbstamm plaziert werden kann. Vor dem Verbstamm steht es
beispielsweise im Serbischen; der auch als selbständiges Morphem auftretende
Negator ne geht eine prosodische Einheit mit dem Verb ein, die allerdings nur in
einigen Fällen, so etwa beim Kopula- und Hilfsverb 'sein', beim (das Futur bilden-
den) Modal- und Hilfsverb 'wollen' sowie beim Verb 'haben', auch graphisch rea-
lisiert wird, cf.: nemam 'ich habe nicht', necu 'ich will/werde nicht'; im Falle von
nisam 'ich bin nicht' geht eine lautliche Veränderung (e > i) mit der Verschmelzung
einher, die mit der Entstehung der Form (cf. montenegrinisch nijesam) zu erklären
ist. Nicht als Präfix, sondern als Infix - oder, vom Stamm aus betrachtet, als Suf-
fix; allerdings steht es links von den übrigen verbalen Affixen - tritt der türkische
Negator -mA- auf, der ebenfalls zu dieser Gruppe gehört; cf. gelmedi 'er/sie ist
nicht gekommen'.
Im Gegensatz zum serbischen ne, das mehrere morphologisch-syntaktische
Funktionen erfüllen kann, ist türkisch -mA- auf den Gebrauch als verbales Affix be-
schränkt. Es handelt sich um ein Infix, das ausschließlich in Verbformen - fmiten
wie infiniten - auftreten kann; bei allen anderen Wortarten, so etwa auch bei der
20

klitischen Kopulapartikel -dir, müssen andere Formen der Negation gewählt wer-
den. Die negierte Form von -dir lautet degil; degil ist - im Gegensatz zur positiven
Kopula wie zum Verb-Negator -mA- nicht enklitisch und kann mit Personalendun-
gen verbunden werden, cf. z. B. Hasta degilim 'Ich bin nicht krank' (cf. z. B. Le-
wis 1991: 103f.).

- Negation durch eine Negationspartikel


Statt durch ein unselbständiges kann die Negation auch durch ein selbständiges,
also frei oder zumindest relativ frei bewegliches Morphem realisiert werden. Auf
das mit dieser Unterscheidung verbundene Problem, daß die Grenzen zwischen den
beiden Morphemtypen im Einzelfall fließend sein können, weist schon Dahl (1979:
82f.) hin. Ein gutes Beispiel für den fließenden Übergang zwischen selbständigem
und unselbständigem Morphem stellt der serbische Negator ne dar; er bildet eine in-
tonatorische Einheit mit dem Verb, die gelegentlich auch graphisch reflektiert wird,
wenn auch nur in einer Minderheit der Fälle;18 gleichzeitig kann er aber beispiels-
weise auch zum Zwecke der Negation nicht-verbaler Elemente verwendet werden;
cf. z. B. ne sedam, nego osam 'nicht sieben, sondern acht'; ne tu 'nicht du' etc.
Ein eindeutig selbständiges Morphem liegt demgegenüber in der deutschen Ne-
gationspartikel nicht vor. Tendenzen zum Übergang des Negators vom selbständi-
gen zum unselbständigen Morphem lassen sich hier nicht beobachten; wohl aber in
anderen, nah verwandten Sprachen wie beispielsweise im Englischen, und auch
hier bildet sich die Verschmelzung von Negator und Verb zunächst bei Hilfs-, Ko-
pula- und Modalverben heraus; cf. isn't, can't, haven't etc. In diesem Fall wäre das
absehbare Endergebnis des Grammatikalisierungsprozesses ein echtes Suffix, das
an die übrigen Verbendungen angehängt wird.

- Negationsauxiliare
Dahl (1979: 84f.) rechnet beispielsweise die Negation im Finnischen zur Gruppe
der "Neg auxiliaries", dem nach seinen Angaben zweithäufigsten Konstruktionstyp,
der in 40 von 240 der von ihm untersuchten Sprachen auftrat. Neg auxiliaries

18
Die prosodische Einheit von Negator und Verb führt aber dazu, daß bei zwangs-
freier Schreibweise, etwa unter den lockeren Bedingungen von Computer-vermit-
telter Kommunikation, häufig Zusammenschreibung zu beobachten ist. Besonders
häufig findet sie sich da, wo eine einsilbige Verbform vorliegt, so daß keine Ne-
benakzente auftreten; ein typisches, relativ regelmäßig auftretendes Beispiel hierfür
ist etwa neznam 'ich weiß nicht'. Aber auch bei mehrsilbigen Verben sind solche
Schreibweisen in informellen Kontexten anzutreffen; cf. hierzu die folgenden
Originalbelege aus persönlichen E-Mail-Briefen sowie IRC-Gesprächen (die Zu-
sammenschreibungen sind durch Unterstreichung hervorgehoben; alle Belege oh-
ne diakritische Zeichen, da auch im Original ohne):
-Mada... naravno... to neznaci nista, all ako nemozes da neradis to, onda (...)
(wörtlich: Obwohl... natürlich... das nicht-bedeutet nichts, äBer wenn du nicht-
kannst daß du nicht-tust das, dann (...)', sinngemäß: Obwohl... natürlich... das be-
deutet nichts, aber wenn du es nicht lassen kannst, dann (...)')
- (...) sto neznaci da ti trebas da mislis kako ja na tebe nemislim, (...) (wörtlich:
'(...) was nicnt-heißt daß du sollst daß du denkst wie ich an dich nicht-denke (...)';
sinngemäß: '(...) was nicht heißt, daß du jetzt glauben sollst, daß ich an dich nicht
denke (...)')
-Ma nesvetim se ja! (wörtlich: '[adversative Partikel] nicht-räche mich ich!';
sinngemäß: 'Ich räche mich doch nicht!')
21

zeichnen sich dadurch aus, daß sie Flektionsendungen übernehmen, die sonst das
Verb trägt; cf. z. B. (Beispiele nach ibd. 84):
luen 'ich lese' en tue 'ich lese nicht'
luet 'du liest' et lue 'du liest nicht'

Das Phänomen, daß Flexionsmorpheme zu logisch und syntaktisch übergeordneten


Elementen übergehen können, läßt sich auch im Deutschen beobachten, wo in eini-
gen Dialekten subordinierende Konjunktionen mit der Personalendung des Verbs
verbunden werden können (die dann allerdings auch beim Verb noch einmal auf-
tritt); cf. z. B. wennst. meinst. Es wäre also zu überlegen, ob man dem Negator nur
aufgrund der Tatsache, daß bestimmte Flexionsendungen mit ihm verbunden wer-
den können, die Rolle eines Hilfsverbs zuweisen möchte.19 Dahl (1993: 918) for-
muliert denn auch vorsichtig: "(...) the word expressing negation has at least some
verbal characteristics, the primary one being that it carries inflectional categories
such as tense, mood, aspect and argument marking." Unzweifelhafte Fälle von
"negative verbs" (so die neuere Terminologie nach ibd.) liegen dagegen in Sprachen
wie dem Tongan vor, in denen offenbar eine syntaktisch übergeordnete negierende
Konstruktion gebildet wird, von der dann eine subordinierte Konstruktion mit dem
Vollverb abhängig ist; allerdings scheint dieser Negationstyp nur sehr selten aufzu-
treten (cf. hierzu ibd. sowie die dort angeführte Literatur).
Aber außer dem Fall, daß ein Negator das Flexionsmorphem trägt und somit als
Verb eingestuft werden kann, gibt es auch den Fall, daß ein Negator und ein zu-
sätzliches Hilfsverb verwendet werden, um einen negierten Satz zu bilden. Hierfür
gibt das Englische ein gutes Beispiel ab: die Negation wird, falls nicht ohnehin
schon ein Hilfsverb vorliegt, durch die kombinierte Verwendung von not und dem
Hilfsverb to do gebildet; cf. / was reading (Hilfsverb to be) > I was not reading; I
read > I did not read. Dahl (1979: 85f.) nennt solche Fälle '"dummy auxiliary'
construction".

- Negative Kopulae und Existenzmarker


In einigen Sprachen treten Elemente mit Kopula-Funktion auf, "that are clearly not
verbs, and have quite distinct grammatical properties" (Schachter 1985: 55); das-
selbe gilt für Existenzmarker, die ja ihrerseits keineswegs in allen Sprachen mit der
Kopula identisch sind. Im Deutschen werden die Funktionen der Kopula wie des
Existenzmarkers durch das Verb sein vertreten;20 im Türkischen jedoch stehen hier-
für keine verbalen Elemente zur Verfügung, sondern der unflektierbare Prädikator
vor als Existenzmarker und das unselbständige Morphem -dir- als Kopula (cf.
z. B. Lewis 1991: 96-98). Diese beiden Elemente können nunmehr aber nicht
durch das verbale Negations-Affix -mA- negiert werden, da es sich bei ihnen eben
nicht um Verben handelt; als negierte Kopula und statt dessen stehen eigenständige
Lexikoneinträge als negierter Existenzmarker zur Verfügung. Yok markiert als

19
Zu allgemeinen Überlegungen zu solchen Problemen cf. auch Hentschel/Weydt
(1995).
20
In seiner Funktion als Existenzmarker wird das Verb sein im Deutschen
regelmäßig von einem Lokaladverb begleitet, cf.: Ist noch Wein da? oder Es ist
leider kein Brot mehr da. Daneben tritt regelmäßig das Verb geben sowie auch
(ugs., regional) haben als Existenzmarker auf: es gibt, es hat.
22

negatives Gegenstück zu vor die Nichtexistenz; es ist ebenso wie vor ein selbständi-
ges Morphem, und dasselbe gilt auch für die negative Kopula degil - ganz im
Gegensatz zu ihrem positiven Gegenstück -dir. Beispiele für den Gebrauch dieser
syntaktisch hoch spezialisierten Negatoren wären etwa:
Arabam yok Ich habe kein Auto' (wörtlich etwa: 'Mein Auto existiert nicht')
Hasta degil 'Er/sie ist nicht krank'

Da sich die gängigen typologischen Untersuchungen auf die Negation von Sätzen
mit Verben beschränken, wird dieser Typ von Negator etwa in den zitierten Unter-
suchungen von Dahl (1979 und 1993) gar nicht berücksichtigt. Es ist aber offen-
sichtlich, daß er zu keiner der bisher aufgezählten Kategorien gehört und daher ge-
sondert behandelt werden muß.
Unter den im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung im Vordergrund
stehenden Sprachen weist nur das Türkische diesen Negationstyp auf, der in den
indoeuropäischen Sprachen nicht vorzukommen scheint.

2.4.2 Pragmatische Markiertheit

Die Markiertheit der Negation wird in vielen Fällen als ikonischer Ausdruck ihres
theoretischen Status' angesehen, da sie als gegenüber der Affirmation "sekundärer"
Äußerungstyp angesehen wird. Hörn (1989), der die Vertreter dieser Ansicht als
"Asymmetristen" bezeichnet, faßt die verschiedenen Hypothesen zum sekundären
Status der Negation folgendermaßen zusammen:

a. Affirmation is logically prior, negation secondary.


b. Affirmation is ontologically prior, negation secondary.
c. Affirmation is epistemologically prior, negation secondary.
d. Affirmation is psychologically prior, negation secondary.
e. Affirmation is basic and simplex, negation complex.
f. Affirmation is essential, negation eliminable.
g. Affirmation is objective, negation subjective.
h. The affirmative sentence describes a fact about the world, the negative sentence
a fact about the affirmative,
i. In terms of information, the affirmative sentence is worth more, the negative
worth less (if not worthless).
(Horn 1989: 45f.)

Beim selben Autor findet sich auch eine übersichtliche Darstellung der verschiede-
nen Argumente, mit denen diese Thesen untermauert werden können, sowie ihrer
Befürworter und Gegner (Hörn 1989: 45-79). Im Zusammenhang der hier vorlie-
genden Arbeit soll auf diese eher philosophischen Aspekte des Negationsproblems
nicht weiter eingegangen werden, obgleich sie außerordentlich interessant sind und
obgleich der logisch, ontologisch oder psychologisch nachgeordnete Status der
Negation gegenüber der Affirmation natürlich zugleich die Begründung für die
Markiertheit der Negation auf der sprachlichen Ebene liefern könnte.21 Von beson-

21
Dazu, daß gelegentlich auch umgekehrt die Markiertheit auf der Ebene des
sprachlichen Ausdrucks als Begründung für die Annahme einer theoretischen
Priorität herhalten muß, cf. z. B. Hörn (1989: 50).
23

derer Bedeutung für die im folgenden noch näher zu behandelnden Fragen der lexi-
kalischen Negation sowie der Rolle der Negation in Interrogationen ist jedoch der
pragmatische Aspekt, der zumal für die Erklärung des Phänomens der negierten
Fragen des Typs Ist das nicht seltsam? immer wieder herangezogen wird (cf. z . B .
Meibauer 1990).
Die Vertreter der Pragmatik in der Linguistik gehören jedenfalls zu den oben
vorgestellten "Asymmetristen". In der Literatur scheint weitgehend Einigkeit dar-
über zu bestehen, daß negierte gegenüber positiven Äußerungen ein deutliches Mehr
an Präsupposition voraussetzen. So weist beispielsweise Givon - der von Hörn
(1989: 46) auch ausdrücklich zu den genannten Assymmetrie-Vertretern gerechnet
wird - auf die präsuppositionelle Markiertheit negierter Äußerungen hin: "(...)
negative speech acts (are) presuppositionally more marked than their corresponding
affirmatives." (Givon 1975: 70). Als Beispiele für die starke präsuppositionelle
Verankerung führt er negierte Sätze wie My wife 's not pregnant oder We didn 't see
a movie yesterday (ibd.: 81) an, die nicht ohne gewichtigen Kontext - also bei-
spielsweise nicht als Antwort auf die Frage Was gibt es Neues? - verwendet
werden können. Derartige Äußerungen sind nur dann möglich, wenn die
sprechende Person davon ausgeht, daß ihr Gegenüber den positiven Sachverhalt,
also den Kinobesuch oder das Bestehen einer Schwangerschaft, für gegeben hält
bzw. zumindest davon wußte, daß sie beabsichtigt waren. Ist dies nicht der Fall, so
führen solche Äußerungen notwendig zu verständnissichernden Aktivitäten des Hö-
rers, der die Präsupposition nachzuvollziehen versucht, um die negative Informa-
tion einordnen zu können, und dabei zugleich auf sein Wissensdefizit verweist.
Eine typische Reaktion wäre also beispielsweise eine Äußerung wie: Ach so - ich
wußte gar nicht, daß ihr ins Kino gehen wolltet! (cf. hierzu ibd.).
Ganz ähnlich äußert sich auch Ducrot (1973), der - unter Berufung auf die
"ecole d'Oxford" - zum selben Thema zusätzlich folgendes ausführt: "Une enoncia-
tion negative se presente en effet tres frequemment comme s'opposant ä une affir-
mation prealable - que celle-ci ait ete effectivement emise par le destinataire, ou
qu'on la lui prete, ou qu'on le soup9onne d'y souscire." In der Fußnote (ibd.) ver-
weist er auf die Ergebnisse eines Versuchs, diese Hypothese empirisch zu unter-
mauern:

Certains participants de notre groupe ont etudie systematiquement l'emploi de la


negation dans un manuel de geographic. Us se sont aperfus qu'elle avail tres sou-
vent une fonction contrastive. Us ont releve par exemple la phrase 'Les climats
temporos n'ont pas de vogetation luxuriante.' Elle implique que, dans un para-
graphe PRECEDENT, il ait et£ question des climats tropicaux. Mais la phrase po-
sitive 'Les climats tropicaux ont une vegotation luxuriante.' n'implique pas, eile,
qu'on a AUPARAVANT decrit les climats temperes.
(Ducrot 1973: 119)

Die empirische Absicherung gibt der Feststellung, daß negierte Äußerungen mehr
Präsupposition brauchen als schlichte Affirmationen, natürlich zusätzliche Überzeu-
gungskraft. Es ist einleuchtend, daß aus demselben Grund, aus dem die Äußerung
Mr sind gestern nicht ins Kino gegangen nicht ohne weiteres die Antwort auf eine
allgemeine Frage des Typs Und was habt ihr gestern so gemacht? in Frage kommen
kann, natürlich auch kein Satz wie Les climats temperes n'ont pas de vegetation
luxuriante ohne entsprechenden Kontext in einem Geographielehrbuch stehen kann.
24

Allerdings ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß eine Aussage wie


"Negationen sind im Hinblick auf die Präsupposition stärker markiert als Affirma-
tionen" in dieser absoluten Form nicht haltbar ist. Auch wenn es interessanterweise
eine negierte Äußerung ist, mit der Grice (1980: 111) den Begriff der "Implikatur"
exemplifiziert (... und bis jetzt war er noch nicht im Gefängnis), so muß doch fest-
gestellt werden, daß auch affirmative Sätze außerordentlich kontextbedürftig sein
können. Hörn (1989: 199) belegt diese Tatsache anhand der folgenden Beispiel-
sätze, die er einer früheren, unveröffentlichten Arbeit von Grice entnommen hat:
/ went to the meeting of my own free will.
I remember my own name.
Your wife is faithful.

Wie die Beispiele zeigen, lassen sich problemlos auch positive Sätze finden, die im
Hinblick auf Präsupposition und Implikatur in hohem Maße markiert sind. Die Hy-
pothesen von Ducrot müssen also insofern revidiert werden, als nicht JEDE negierte
Äußerung stärker präsuppositional markiert ist als JEDE affirmative Äußerung; man
kann aber sehr wohl festhalten, daß es zwar im Hinblick auf die präsuppositionale
Markiertheit neutrale Affirmationen, nicht aber ebensolche Negationen gibt. Die
grundsätzliche Regel muß also lauten:

Während Affirmationen im Hinblick auf die Präsupposition neutral


sein können, sind Negationen in dieser Hinsicht immer markiert.

2.5 Der Bezug der Negation

Die Frage, worauf sich die Negation in einem Satz jeweils bezieht, wird immer
wieder aufs neue gestellt; die Antworten sind unterschiedlich und führen im Ex-
tremfall zu der Annahme, daß es nicht nur verschiedene Geltungsbereiche der Ne-
gation gibt, sondern daß die Negation selbst polysem ist. So hat etwa Pierre Larri-
vee (1997) seinem Aufsatz zu verschiedenen Problemen der Negation im kanadi-
schen Französischen den Titel "La polysemie de la negation de proposition" gege-
ben. Er unterscheidet dabei folgende Typen der Negation:
- negation descriptive
- negation metalinguistique
- negation expletive
- negation modale
- negation de rejet

(cf. ibd.), wobei er ausdrücklich darauf hinweist, daß es weitere Negationsformen


wie die Negation "d'invitation (Pourquoi ne viendrez-vous pas manger avec
nous?)" und "de demande de confirmation (N'est-ilpas venu?)" (ibd.: 64) gebe, die
er aber zunächst außer Acht lasse. Anhand dieser Einteilung, die m. W. die größte
bisher vorgeschlagene Anzahl zu unterscheidender Negationstypen beinhaltet, soll
nun der Bezug der Negation im einzelnen betrachtet werden.
25

2.5.1 Default Negation

Larrivees "negation descriptive" wird meist als "propositionale Negation" (resp. auf
englisch als "prepositional negation") oder als "Satznegation" ("sentence negation")
bezeichnet und stellt sozusagen das dar, was in Computer-Kontexten als "default"
bezeichnet wird, also den unmarkierten Standardfall, der immer dann zur Anwen-
dung kommt, wenn keine anderweitigen Informationen oder Anweisungen vorlie-
gen. Aus diesem Grund wird hier der Begriff "Default Negation" gewählt, der nicht
bereits eine Interpretation des Bezugs voraussetzt, wie dies "propositionale Nega-
tion" und "Satznegation" tun, sondern eben nur den Standardfall bezeichnet. Er
besteht darin, daß zu einem beliebigen Satz eine Negation hinzugefügt wird, mit der
Folge, daß der gesamte Inhalt resp. die Proposition des Satzes (cf. hierzu ausführli-
cher auch Kapitel 5) als 'falsch' oder als 'nicht zutreffend', eben als negiert, mar-
kiert wird. Solche Fälle liegen beispielsweise vor in:
deutsch: Maja ist nicht gekommen.
serbisch: Maja nije dosla.
türkisch: Maya gelmedi.
etc.

Wenn es mehr als einen Negationstyp gibt, dann müssen nunmehr alle anderen
Fälle in jeweils spezifischer Weise von diesem Standardfall abweichen und auch
über diese Abweichung definierbar sein.

2.5.2 Metalinguistische Negation

Die metalinguistische Negation, die Larrivee in seinem Aufsatz als erste Form der
Negation - sogar noch vor der Default Negation (bei ihm: "negation descriptive") -
anführt, wird in zahlreichen Publikationen zum Thema Negation behandelt; so hat
ihr beispielsweise Hörn (1989) ein ganzes Kapitel seines Buches ("Metalinguistic
Negation", 362-444) gewidmet. Der Terminus kann allerdings insofern verschie-
dene Lesarten haben, als er entweder nur die metalinguistische Negation im engeren
Sinne (s.u.) oder aber zusätzlich auch das umfassen kann, was im Deutschen als
"Sondernegation" bezeichnet wird.
Metalinguistische Negation im engeren Sinne liegt dann vor, wenn sich die Ne-
gation auf den Sprachgebrauch als solchen bezieht, also z. B.
deutsch: Das heißt nicht "Kaktusse", das heißt "Kakteen"!
englisch: He didn't call the [polls], he called the [polls].
I didn 't manage to trap two mangeese — I managed to trap two mongooses.
(englische Beispiele nach Horn 1989: 371)
serbisch: Ne kaze se "vidu", nego "vide"!
('Man sagt nicht "vidu", sondern "vide" [sie sehen]')
etc.22

22
Entsprechendes Beispiel bei Larrivee (1997: 64): On ne dit pas des concertos,
mais des concerti.
26

In all diesen Beispielsätzen wird mit der Negation auf eine in den Augen der Spre-
chenden mißlungene sprachliche Form hingewiesen, die in der Folge verbessert
wird. Trotzdem unterscheiden sich die Beispiele untereinander: während in den
ersten beiden expressis verbis auf die fehlerhafte Sprechweise hingewiesen wird
(das heißt nicht/ne kaze se), wird in den beiden zitierten englischsprachigen Belegen
der gesamte Sachverhalt mitsamt dem mißlungenen sprachlichen Zeichen wieder-
holt. Dies ist insofern ein gewichtiger Unterschied, als dadurch unterschiedliche
Bezüge der Negation entstehen. Während das deutsche und das serbische Beispiel
grundsätzlich wahr sind, da sie ja explizit mit dem Zitat arbeiten und die Aussagen
'es heißt nicht Kaktusse' resp. 'ne kaze se vidu' die Wirklichkeit korrekt wider-
spiegeln, liegt die Sache bei He didn't call the [polis] oder / didn't manage to trap
two mangeese anders. Wenn der Hörer in der Lage ist, die fehlerhaften sprachlichen
Ausdrücke zu interpretieren - und man kann davon ausgehen, daß dies der Fall
ist -, dann sind diese Sätze, bezogen auf eine intendierte Beschreibung der außer-
sprachlichen Wirklichkeit, falsch. Entsprechendes gilt auch für die folgenden beiden
deutschen und serbischen Belege:
Sie züchtet keine Kaktusse, sondern Kakteen!
Nece da vidu, nego da vide!
('Sie werden nicht sehen [vidu], sondern sehen [vide]')23

Was ihren Wahrheitswert betrifft, sind die Äußerungen Sie züchtet keine Kaktusse
sowie Nece da vidu für sich alleine genommen unzweifelhaft falsch. Dennoch sind
derartige Sätze natürlich nicht nur völlig verständlich, sondern auch logisch stimmig
- nur daß sie formal-logisch etwas schwerer zu erfassen sind. Die Negation bezieht
sich auch hier ausschließlich auf die inkorrekte sprachliche Äußerungsform. Wie
sich zeigt, ist dies jederzeit auch möglich, ohne daß dieser metasprachliche Bezug
explizit deutlich gemacht werden muß; die korrekte Interpretation ist aufgrund von
Kontext und Weltwissen dennoch gewährleistet.
Ein solcher Gebrauch der Negation zeigt vor allem eines: daß die Negation un-
terschiedliche Ebenen einer Äußerung erfassen kann, ohne daß hierfür eine beson-
dere Markierung nötig wäre. Dies ist in Hinblick auf die im folgenden angestrebte
Interpretation der Negation in Äußerungen wie Guck mal dort, ist das nicht Udo?
und Was es nicht alles gibt! von großer Bedeutung (cf. Kapitel 6).
Neben den bisher angeführten klaren Fällen von metasprachlichem Negationsbe-
zug gibt es aber noch eine Reihe weiterer Sätze, die gelegentlich zu diesem Typ
gerechnet werden; hierzu gehören Beispiele wie:
The king of France is not bald — there is no king of France.
Je n'ais pas cesse de fume r, puisque je n'ai jamais fume.24

Das Problem, das in diesem Typ Satz auftritt, ist allerdings etwas anders gelagert:
hier geht es nicht um eine mehr oder weniger gelungene sprachliche Form, sondern
um die Präsupposition. Die entsprechenden positiven Sätze

23
Beispiel bei Larriv6e (1977: 65): Max n'est pas grand, mais immense.
24
Beispielsatz nach ibd.; das erstere Beispiel ist ein "Klassiker" und findet sich in der
Literatur immer wieder.
27

The king of France is bald.

und
Tu as cesse de fumer.

sind deshalb falsch, weil es in Frankreich keinen König gibt resp. weil der Hörer
nie Raucher war, weswegen die Voraussetzungen für königliche Kahlköpfigkeit
oder den Sieg über die schädliche Angewohnheit nicht gegeben sind: wer nicht exi-
stiert, kann auch nicht an Haarausfall leiden, und wer nie geraucht hat, kann auch
nicht mit dem Rauchen aufhören. Diesen Typ von Negation als "metasprachlich" zu
bezeichnen, ist aber insofern ungerechtfertigt, als es ja nicht um die Korrektheit des
sprachlichen Ausdrucks, sondern um das Vorhandensein der entsprechenden Vor-
aussetzungen in der außersprachlichen Wirklichkeit geht. Dennoch ist dieser defi-
nitorische Ansatz gerade im frankophonen Bereich sehr verbreitet; cf. z. B. die
Definition von "negation metalinguistique" bei Ducrot (1973: 240) als "un rejet
d'une affirmation prealable (implicite ou explicite)".
Das zugrundeliegende Problem ist indessen in diesen Fällen eher ein pragmati-
sches als ein metasprachliches. Denn die Aussagen:
- ( = 'der König von Frankreich ist kahl')
und
-i pi (p2 = 'ich habe aufgehört zu rauchen')

sind ja wahr; sie führen nur zu falschen Implikaturen und sind deshalb im Sinne
von Grice (1980) abzulehnen. Dasselbe gilt aber auch für nicht-negierte Äußerun-
gen, so etwa für die Fragen: Hat der König von Frankreich eine Glatze? und Hast
du aufgehört zu rauchen?, die ebenfalls von falschen Voraussetzungen ausgehen
und zu falschen Rückschlüssen führen. Dies ist im Hinblick auf die logische Be-
handlung solcher Äußerungen resp. auf die ihnen zuzuschreibenden Wahrheitswerte
insofern doppelt interessant, als Entscheidungsfragen ja keine Behauptungen auf-
stellen, sondern ihre Proposition gerade zur Disposition stellen; die Frage ist von
ihrem Wahrheitsgehalt unabhängig, oder, mit den Worten Freges (l 981 a: 143):
"Eine Satzfrage enthält die Aufforderung, einen Gedanken entweder als wahr anzu-
erkennen, oder als falsch zu verwerfen." Die Präsuppositionen, auf denen sie un-
weigerlich fußen, werden hiervon aber offenbar nicht berührt.
Frege ist es auch, der die komplexen (alltags)logischen Beziehungen, die natür-
lichsprachliche Negationen mit ihrer Umgebung eingehen, anhand des Beispiel-
satzes "Wenn der Angeklagte zur Zeit des Mordes nicht in Berlin gewesen ist, hat er
den Mord nicht begangen" illustriert, was für ihn eben nicht dasselbe ist wie "Wenn
es falsch ist, daß der Angeklagte zur Zeit des Mordes in Berlin gewesen ist, hat er
den Mord nicht begangen" (cf. ibd.: 153) - auch wenn die beiden Sätze unter for-
mal-logischen Gesichtspunkten übereinstimmen. Abermals läßt sich feststellen, daß
sich die Regeln der formalen Logik nicht ohne weiteres auf die natürliche Sprache
übertragen lassen.
Dennoch kann man die schlichte Umformung, die darin besteht, die Negation
aus dem negierten Satz zu entnehmen und in einen übergeordneten Satz oder auch
schlicht in eine vorangehende Äußerung des Typs "folgendes stimmt nicht:" zu in-
28

tegrieren, bis zu einem gewissen Maße als einfaches Testmittel benutzen, um zu


überprüfen, ob sich die Negation auf den ganzen Satz bezieht. Zwar zeigt der Bei-
spielsatz mit dem Mord, daß das Auftreten von Problemen bei dieser Umformung
noch nichts über den Bezug der Negation aussagen muß; umgekehrt ist es aber so,
daß das Funktionieren der Umformung als deutliches Indiz dafür genommen wer-
den kann, daß die Negation Satzbezug hat. Cf. z. B.:
Ich habe keinen Hunger, sondern Durst.
—> Es stimmt nicht, daß ich Hunger habe.
—> Folgendes trifft nicht zu: Ich habe Hunger.

Sie züchtet keine Kaktusse, sondern Kakteen.


* —> Es stimmt nicht, daß sie Kaktusse züchtet.
* —> Folgendes trifft nicht zu: Sie züchtet Kaktusse.

2.5.3 Expletive Negation

2.5.3.1 Expletive Negation: 'fürchten', 'vermeiden', 'zweifeln'

Ein interessantes Problem stellt die sog. expletive Negation dar; der Terminus "ne
expletif' ist in der frankophonen Linguistik verbreitet und stammt aus der gramma-
tischen Beschreibung der französischen Sprache, in der dieses Phänomen - dort
auch als "ne modal", "ne redundant" oder "ne abusif" bezeichnet - auftritt, das im
Deutschen nicht zu beobachten, dafür aber in der Romania ausgesprochen verbreitet
ist (cf. hierzu auch Espinal 1995). "Lorsque le locuteur sent dans le contexte une
idee de negation, il introduit parfois dans les propositions conjonctives un ne que
appelle expletif, ä la fois parce qu'il peut toujours etre omis et parce qu'il ne
correspond pas ä une negation objective." (Grevisse 1986: 1492, Hervorheb, i.O.).
Es handelt sich dabei um Sätze wie:
Je crains qu'on ne me trompe.
evitait quelle ne le touchät.
Doutez-vous que cela ne soit vrai?25
etc.

In diesen Sätzen bezieht sich die Furcht, das Vermeiden oder der Zweifel jeweils
nicht auf den negierten, sondern auf den positiven Sachverhalt; dieser Tatsache trägt
die verbale Realisierung in Sprachen wie dem Deutschen Rechnung, wo der be-
fürchtete, vermiedene oder bezweifelte Sachverhalt positiv ausgedrückt werden
muß, cf.:

25
Alle Beispielsätze nach Grevisse (1986: 1493f.). Es handelt sich z. T. um literari-
sche Zitate, für Nachweise cf. ibd., wo sich auch zahlreiche weitere Belege für ex-
pletive Negation finden. Beispiele aus dem Spanischen und aus dem Katalanischen
- cf. La policina impedi que les emprentes no desaparegessin ('Die Polizei verhin-
derte, daß die Fingerabdrücke [nicht] verschwanden') - finden sich bei Espinal
(1995: If.).
29

Ich fürchte, daß man mich betrügt.


Er vermied, daß sie ihn berührte.
Zweifeln Sie daran, daß das wahr ist?

Wie ist aber der Gebrauch der Negation in entsprechenden Konstruktionen in Spra-
chen wie dem Französischen zu erklären? "According to a line of thinking that leads
back at least as far as Paul (1886) and others, I fear that he may not come (meaning
fear that he comes1) is a contamination of I fear that he will come and I hope that
he will not come." schreibt Wouden (1994: 111); eine, wie er zu Recht anmerkt,
nicht so recht befriedigende Interpretation. Die Alternative hierzu wäre entweder die
Annahme einer negativen Subkategorisierung bei bestimmten Köpfen - "(...) some
verbs (etc.) might be subcategorized (...) for a (paratactically) negative complement
or for a negative complementizer" (ibd.)26 - oder aber, und diese Lösung favorisiert
Wouden selbst, die Interpretation als doppelte Negation, wie sie in den negierenden
Konstruktionen mancher Sprachen, so etwa im Serbischen, regelmäßig zu beobach-
ten ist: "Paratactic negation is non-local negative doubling, i. e. for a negative
polarity item licensed by an operator in a higher clause." (ibd.: 78).27 Somit
entspräche der Negator in Je crains qu'on ne me trompe dem Gebrauch negierter
Indefinitpronomina in Sätzen wie Nisam nikoga videla ('ich habe nicht niemanden
gesehen' = 'ich habe niemanden gesehen'). Allerdings scheint der Gebrauch der
Negation in subordinierten Konstruktionen nach entsprechenden Ausdrücken des
Befürchtens, Vermeidens etc. nicht mit dem doppelten Ausdruck der Negation in
einer Sprache zu korrelieren.
Daß die Lage kompliziert ist, weil in erster Linie semantische Faktoren für den
Gebrauch der Negation im subordinierten Satz verantwortlich sind, läßt sich gut am
Beispiel des Serbischen illustrieren. Hier ist der Gebrauch der Negation bei Verben
des Befürchtens (bojiti se, plasiti se) möglich,28 kann aber nur unter ganz bestimm-
ten Bedingungen erfolgen. Obgleich es sich um syntaktisch identische Konstruk-
tionen handelt, ist der Negator nur bei einem der beiden folgenden Sätze zulässig:
Bojim se da ce doci.
'ich fürchte, daß er kommen wird'
Bojim se da me nece prevariti.
'ich fürchte, daß er mich NEG betrügen wird'

Obgleich es sich in beiden Fällen darum handelt, daß der positive Sachverhalt zu-
gleich der befürchtete, unerwünschte ist, kann die Negation nur im Falle von 'daß
er mich betrügen wird' gebraucht werden. Setzt man sie im Falle von 'daß er

26
Gemeint ist wohl nicht Parataxe, sondern Hypotaxe, denn in der Parataxe - cf.
z. B.: 'ich fürchte: er kommt' - erschiene das Komplement positiv.
27
Der Begriff "negative polarity item" ist bei Wouden weiter gefaßt, als dies sonst
zumeist üblich ist, und umfaßt daher auch negierte Indefinitpronomina in Spra-
chen mit doppeltem Ausdruck der Negation; dies entspricht seinem theoretischen
Ansatz, der eine Reihe von Phänomenen im Umfeld der Negation - i.d. doppelte
Negation, negative Polarität und expletive Negation - als Ausdruck ein und des-
selben grundlegenden Prinzips, eben der negativen Polarität, deutet.
28
Bei Verben wie izbegavati 'vermeiden' oder sumljati 'bezweifeln' ist im Serbischen
- im Gegensatz zum Französischen - der Gebrauch der expletiven Negation nicht
zulässig.
30

kommt' ein, so erreicht man genau denselben semantischen Effekt, wie er auch im
Deutschen beim Gebrauch der Negation zustande kommt, cf.:
Bojim se da nece dooi.
'ich fürchte, daß er nicht kommen wird';
deutsch: Ich fürchte, daß er nicht kommt,

Nunmehr ist es der negierte Sachverhalt, der befürchtet wird und als unerwünscht
markiert werden soll. Dieses Ungleichgewicht zwischen den beiden Beispielsätzen
macht eines ganz deutlich: Subkategorisierungsmechanismen können als Erklärung
für das Phänomen der expletiven Negation nicht verwendet werden, denn die syn-
taktischen Bedingungen sind in beiden Sätzen identisch. Dies beweist, daß semanti-
sche Faktoren für die Verwendung der Negation ausschlaggebend sein müssen.
Das grundlegende Problem in solchen Fällen scheint im wesentlichen die Inter-
pretation der übergeordneten Phrase zu sein. Im Fall von 'fürchten1 oder Vermei-
den' enthält das übergeordnete Lexem beispielsweise das semantische Merkmal
'Annahme' oder 'Wunsch'; aber wie stark ist in dem Lexem bereits ausgedrückt,
daß es sich um einen negativen Wunsch handelt, daß es sich also bei dem subordi-
nierten Sachverhalt um etwas handelt, was NICHT geschehen soll? Je nach dem,
ob dieser semantische Gehalt als vollständig und in ausreichendem Maße zum Aus-
druck gebracht angesehen wird oder nicht, muß oder kann eine zusätzliche Negation
die Unerwünschtheit des Befürchteten resp. zu Vermeidenden (oder, wie im Falle
von franz. douter, die Unwahrscheinlichkeit des Bezweifelten) nochmals markie-
ren. In dieselbe Richtung läßt sich m. E. auch die Erklärung weiterdenken, die
Larrivee (1997: 67) für expletives ne und pas gibt: "L'expletif marque dans la sub-
ordonnee regie la valeur negative exprimee par le recteur ä l'endroit de cette sub-
ordonnee. (...) ne et pas expletifs ont relation d'association avec la valeur lexicale
negative du recteur de la subordonnee." Der lexikalische Gehalt des übergeordneten
Elements - bei dem es sich ja keineswegs notwendig um ein Verb handeln muß -
scheint in der Tat ausschlaggebend dafür zu sein, daß eine subordinierte Negation
gebraucht werden kann. Eine solche Interpretation erklärt auch die Tatsache, daß die
Negation der subordinierten Phrase fakultativ ist: "Ce ne est (...) facultatif, meme si
les grammairiens ont essaye de rendre son emploi plus rigide" (Grevisse 1986:
1492).
Warum aber ist es im Serbischen zwar im Falle von Bojim se da me nece preva-
rili ('ich fürchte, daß er mich NEG betrügen wird'), nicht aber im Falle von Bojim
se da ce doci ('ich fürchte, daß er kommen wird') möglich (und auch üblich), die
expletive Negation zu verwenden? Das übergeordnete Verb oder Substantiv29 ist
schließlich in beiden Fällen dasselbe. Offenbar wirken hier Desambiguisierungsbe-
strebungen auf den Gebrauch der Negation ein. Da mit Sicherheit recht außerge-
wöhnliche Kontextbedingungen vorliegen müssen, um eine Äußerung wie deutsch
Ich fürchte, daß man mich nicht betrügen wird - also die Angst vor dem nicht-Be-
trug - zu motivieren, ist die Kombination von '(negativer) Erwartung' und 'Be-
trug' normalerweise eindeutig. Daher kann die Negation problemlos auf die überge-
ordnete Phrase bezogen werden und ist somit für den Hörer ohne Ambiguitätspro-

29
Entsprechende Konstruktionen treten auch nach Substantiven auf, cf. strah me je
'ich habe Angst'.
31

bleme als zusätzliche Markierung des semantischen Faktors 'Negativität', der neben
'Erwartung1 in bojim se 'ich fürchte' ausgedrückt wird, zu deuten.
Anders liegt der Fall hingegen bei Bojim se da (ne) ce doci 'ich fürchte, daß er
(nicht) kommen wird'. Hier ist keineswegs von vornherein klar, ob die Erwartung
des positiven oder des negativen Ereignisses 'kommen' ausgedrückt werden soll;
die Äußerung wäre also beim Gebrauch der expletiven Negation ambig. Um dieser
potentiellen Ambiguität entgegenzuwirken, wird nunmehr in derartigen Kontexten
der Gebrauch der expletiven Negation ausgeschlossen; die Negation kann nur auf
die unmittelbare Umgebung bezogen werden und drückt somit nur 'kommen1 vs.
'nicht kommen' aus.
Zusammenfassend muß also festgestellt werden: Die Bedingungen, unter denen
der Gebrauch der expletiven Negation möglich und zulässig ist, sind nicht syntakti-
scher Art und stellen auch keine Subkategorisierungsphänomene dar, sondern hän-
gen ausschließlich von semantischen Faktoren ab. Es kann angenommen werden,
daß die im subordinierten Satz gebrauchte Negation eine zusätzliche Markierung des
in der übergeordneten Phrase enthaltenen semantischen Faktors 'Negativität' (etwa
im Sinne von 'nicht wünschen') darstellt, deren Gebrauch aber davon abhängig ist,
ob die gesamte Konstruktion in ausreichendem Maße desambiguiert werden kann
oder nicht.

2.5.3.2 Negation in temporalen Konstruktionen

Etwas anders stellt sich die Lage bei subordinierten temporalen Bezugspunkten des
Typs 'bis'/'bevor' dar, die im Französischen ebenfalls zur expletiven Negation ge-
rechnet werden. Im Falle von bevor kennt auch das Deutsche eine entsprechende
Negation:
Bevor du dich nicht entschuldigst, rede ich kein Wort mehr mit dir.

Für 'bis' ist eine solche Negation im kanadischen Französischen, aber auch im Ser-
bischen zu beobachten:

(7 revenir, cette question-la, jusqu'ä temps qu'elle soit pas re glee 2®


Öekala sam dok nije procitao pismo.
('Ich habe gewartet, bis er den Brief NEG gelesen hatte')

Das serbische Beispiel zeigt zugleich die Entstehung und Funktionsweise dieser
temporalen expletiven Negation: dok bedeutet nicht nur 'bis', sondern zunächst
einfach 'während', 'solange' und der Satz läßt sich wörtlich mit 'Ich habe gewartet,
solange er den Brief nicht gelesen hatte' übersetzen. Und in der Tat bezieht sich die
Wartezeit auf den Zeitraum des nicht-Lesens und ist in dem Moment beendet, wo
der Brief gelesen ist; die wörtliche Übersetzung ist im Deutschen zwar unidioma-
tisch, aber keineswegs unverständlich. Zugleich zeigt sie aber auch, daß das Pro-
blem in erster Linie mit dem Blickwinkel zu tun hat, unter dem Zeiträume sprachlich
erfaßt und ausgedrückt werden.

30
Radio-Canada, zitiert nach Larriv6e (1997: 66).
32

Dies läßt sich im Deutschen besonders gut am Vergleich zwischen negiertem und
nicht-negiertem bevor deutlich machen. Cf. z. B.:
Denke gut über alles nach, bevor du dich entscheidest.
Er wird wohl kaum mit dir reden, bevor du dich nicht entschuldigst.

Im Falle des nicht-negierten bevor wird der Zeitraum vor der Handlung im Neben-
satz - der Entschuldigung - zur Grundlage für die im subordinierten Satz ausge-
drückte Handlung gemacht, und das Verhältnis zwischen den beiden Sätzen läßt
sich auch paraphrasieren als: 'Wenn /sobald /nachdem du gut über alles nachgedacht
hast, entscheide dich.' Temporal liegt die Hauptsatzhandlung vor der des Nebensat-
zes, und die zeitliche Abfolge läßt sich verallgemeinernd als
'Zuerst <Hauptsatz>, dann <Nebensatz>'

beschreiben.
Im negierten Fall liegt das Verhältnis jedoch anders: die im subordinierten Teil
der Äußerung ausgedrückte Handlung ist zwar die Voraussetzung für die des
Hauptsatzes: 'Wenn du dich nicht entschuldigst, redet er nicht mit dir' - rein tem-
poral liegt jedoch Gleichzeitigkeit vor: 'Solange/für die Dauer des Zeitraums, in
dem/du dich nicht entschuldigst, redet er nicht mit dir' also:
'<Nebensatz> gleichzeitig mit <Hauptsatz>'3'

Die unterschiedliche Gewichtung der in bevor enthaltenen Temporalität wird im


Deutschen durch den Gebrauch der Negation markiert und somit desambiguisiert;
insofern liegt hier eine starke Konventionalisierung vor. Dennoch handelt es sich,
bei entsprechender Interpretation des temporalen Gehalts der Konjunktion, zugleich
um eine völlig logische Negation.
Wie die Beispiele zeigen, hängt der Gebrauch der Negation ausschließlich von
der Interpretation der semantischen Merkmale der Umgebung ab. So gesehen han-
delt es sich bei der expletiven Negation nicht wirklich um einen Sonderfall der Ne-
gation, sondern um ein semantisches Problem, das mit bestimmten Lexemen ver-
bunden ist.

2.5.3.3 Andere Typen von expletiver Negation

Espinal (1995) führt zwei weitere Beispiele für Konstruktionstypen an, die durch
die obigen beiden Kategorien "final" und "temporal" noch nicht abgedeckt sind. Es
handelt sich dabei um Sätze wie die folgenden:
spanisch: Preferiria salir con vosotros, que no estarme en casa todo elfin de semana.
(etwa: 'Ich würde lieber mit euch ausgehen, als das ganze Wochenende NEG
zu Hause zu bleiben')
französisch: Jean est plus grand que je ne le suis.

31
Cf. hierzu auch HentschelAVeydt (1995: 275f.).
33

Offenbar handelt es sich hier um die Verwendung der Negation in Kontexten, die
eine Komparation beinhalten, welche entweder vom Verb (spanisch preferir) oder
vom Adjektiv im Komparativ resp. Adjektiv mit Komparationspartikel (französisch
plus grand) getragen wird. Abermals zeigt eine einfache Paraphrase den Mechanis-
mus dieses Negationstyps auf:
Ich würde nicht so gerne zu Hause bleiben wie mit euch ausgehen.
So groß wie Jean bin ich nicht.

Wenn der Vergleich zwischen zwei Alternativen grundsätzlich auf eine Stufe gestellt
wird, und zwar auch dann, wenn der Unterschied durch den Gebrauch von Kompa-
rationsmarkern zusätzlich ausgedrückt wird, dann spricht in der Tat nichts dagegen,
im "abgewerteten" Teil der Vergleichskonstruktion eine Negation zu verwenden.
Die zugrundeliegende semantische Information läßt sich als:
Fa& -iFb
(z. B. mit F = 'Größe' und a = Jean, b = ich)

beschreiben. Je nachdem, in welchem Maße diese zugrundeliegenden Fakten bereits


in ausreichendem Maße in den syntaktisch übergeordneten Elementen enthalten sind
resp. als in ihnen enthalten interpretiert werden, entsteht das Bedürfnis, die Nega-
tion nochmals im subordinierten Teil der Konstruktion auszudrücken oder dies, wie
etwa im Deutschen, nicht zu tun. Der Gebrauch des Negators kann somit wiederum
auf die Semantik der Umgebung zurückgeführt werden.
Anders liegt der Fall indessen bei Beispielsätzen wie (Espinal 1995: 3):
spanisch: ;Que crimenes non habra cometido alguien asi!
(wörtlich: 'Was für Verbrechen NEG wird haben begangen so jemand!1)

Dieser Satztyp hat eine Entsprechung im Deutschen, cf.:


Was hat er nicht alles verbrochen!

und soll in Kapitel 6.2 ausführlich behandelt werden.

2.5.4 "Negation modale" und "Negation de rejet"

Zum Typ der "Negation modale" rechnet Larrivee (1997: 68f.) so verschiedene
Äußerungstypen wie:
Max, t'as pas une cigarette?
Qui Max. ne connait-il pas?!
Je me demande si Max a pas une cigarette.
Ce que Max fait pas comme betise!

Diese Äußerungen müssen jedoch unterschiedlich behandelt werden und gehören


nicht alle zur selben Gruppe. Bei:
34

Qui Max ne connait-il pas?!

handelt es sich eindeutig um eine rhetorische Frage (erwartete, mitverstandene Ant-


wort: 'niemand1, i. e. es gibt niemanden, den Max nicht kennen würde). Rhetori-
sche Fragen dieses Typs, sog. negativ-rhetorische Fragen (cf. Hentschel/Weydt
1994: 371) können sowohl in negierter als auch in nicht-negierter Form auftreten
und implizieren stets die Antwort, daß das erfragte Objekt nicht existiert. Die Nega-
tion hängt somit von der intendierten Semantik ab; cf.:
Wen kennt Max schon!?
(implizierte Antwort: Es gibt niemanden, den Max kennt)
Na und, wen kennt Max nicht!?
(Interpretation als rhetorische Frage kontextabhängig; implizierte Antwort:
Es gibt niemanden, den Max nicht kennt)

Das gemeinsame Merkmal der drei übrigen zitierten Äußerungen besteht demgegen-
über darin, daß sich die Negation in keinem Fall auf irgend einen sichtbaren Teil des
Satzes oder seines Kontextes beziehen läßt; Max wird nicht um keine, sondern um
eine Zigarette gebeten, und er stellt nicht keine, sondern alle Arten von Dummheiten
an. Dieser Äußerungstyp wird in Kapitel 6 ausführlich behandelt und soll deshalb
an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.
Einen "valeur de rejet" schließlich schreibt Larrivee (1997) dem letzten von ihm
angeführten Negationstyp zu. Er führt dafür Beispielsätze wie die folgenden an (cf.
ibd.: 70-72):
// a pas encore trouve im emploi de la negation!
Pas encore un emploi de la negation! Voyonsl/Allons bon!/Pas possible! etc.

Das Besondere an diesem Negationstyp besteht darin, daß ein positiver Tatbestand
durch eine negierte Äußerung kommentiert wird; die entsprechenden deutschen
Kommentare könnten etwa lauten:
Der hat doch nicht etwa noch einen Negationstyp gefunden!?
O nein! Nicht noch ein Negationstyp!
o. ä.

Insbesondere die elliptische zweite deutsche Äußerung - O nein! Nicht noch ein
Negationstyp! - entspricht recht genau dem französischen Vorbild Pas encore un
emploi de la negation! Aber an diesen Negationen ist nichts Ungewöhnliches; sie
drücken nur den - wenn auch kontrafaktischen, also irrealen - Wunsch der Spre-
cherin aus, der Autor möge NICHT noch einen weiteren Negationstyp gefunden
haben. Irreale Wünsche sind indessen ganz normale Bestandteile des Sprechens und
können sowohl positive als auch negative Tatbestände ausdrücken, cf.:
Wenn es doch nur schon Mitternacht wäre!
Wenn es doch nur noch nicht Mitternacht wäre!
35

Die in Äußerungen wie:


O nein! Nicht noch ein Negationstyp!

verwendete Negation ist somit semantisch völlig gerechtfertigt und entspricht dem
Wunsch der Sprecherin, es möge NICHT noch ein weiterer Negationstyp ge- oder
erfunden worden sein.

2.6 Pfifferlinge und rote Heller

Nun begründet Larrivee (1997) seine Annahme eines Negationstyps des "valeur de
rejet" u. a. damit, daß positive und negative Exklamationen unterschiedliche
Füllungen des Kontexts zulassen. So ist beispielsweise einleitendes tiens! nur bei
einer positiven Äußerung möglich (cf. Tiens! Encore un emploi de la negation! vs.
*Tiens! Pas encore un emploi de la negation!, ibd.: 72); das gleiche gilt für voilä.
Dieses Phänomen ist leicht zu erklären: auf das Nichtvorhandensein einer Sache
(hier: eines neuen Negationstyps) wird schon aus allgemeinen pragmatischen Grün-
den normalerweise nicht hingewiesen (cf. dt. ?Guck mal, kein neuer Negations-
typ!). Andererseits lassen sich mit etwas Phantasie durchaus Kontexte vorstellen, in
denen eine solche Äußerung dann doch möglich wäre, etwa bei einer entsprechen-
den Vorerwartung; cf. z. B. dt. Guck mal, kein einziger Druckfehler weit und
breit!
Die Erscheinung, daß positive und negative Kontexte unterschiedliche lexikali-
sche "Verträglichkeiten" evozieren, ist jedoch keineswegs ein auf ablehnende Äuße-
rungen des Typs Pas encore un emploi de la negation! beschränktes Phänomen,
sondern kann grundsätzlich bei allen Verwendungsweisen der Negation beobachtet
werden. Außer inkompatiblen oder unwahrscheinlichen Kontextelementen gibt es
insbesondere eine Reihe von lexikalischen Einheiten, die ausschließlich mit negati-
ven Kontexten kompatibel sind; bekannte Beispiele hierfür sind (kein) Pfifferling
und (kein) roter Heller in Kontexten wie:
Das ist keinen Pfifferling wert.
*Das ist einen Pfifferling wert.
Dafür gebe ich keinen roten Heller.
*Dafür gebe ich einen roten Heller.

Cf. auch serbisch:


ne vredi ni po lule duvana.
('Das ist keine halbe Pfeife Tabak wert')
*Ovo vredi po lule duvana.
('Das ist eine halbe Pfeife Tabak wert')

Cf. ferner türkisch:


Baklayi agztnda islatmaz.
('Eine Saubohne wird in seinem/ihrem Mund nicht naß'; i. e. 'er/sie kann kein Ge-
heimnis für sich behalten.')
*Baklayi agzinda islatmar.
('Eine Saubohne wird in seinem/ihrem Mund naß')
36

Dieses Phänomen wird als "negative Polarität" bezeichnet (cf. z. B. Bergen/Bergen


1993). Im Falle der hier angeführten Beispiele handelt es sich um sog. minimizer
(cf. hierzu Hörn 1989: 452f. sowie die dort angegebene Literatur), die zur Verstär-
kung der Negation benutzt werden und typischerweise in semantischen Kontexten
wie 'Wert1 auftreten, aber keineswegs auf solche beschränkt sein müssen. Minima-
lisierer diesen Typs stehen auch hinter den Neuentwicklungen von Negationsträgem
in Jespersens Zirkel - so ist z. B. das 'Ding' (wiht), das im Deutschen im Laufe
der historischen Entwicklung zu nicht/nichts geworden ist (cf. 2.3.3), im Engli-
schen noch als not a thing (neben: nothing) in der Funktion der Negationsverstär-
kung zu beobachten. Es kann angenommen werden, daß die meisten, wenn nicht
alle Sprachen solche negativen Polaritätselemente kennen.
Das Phänomen der negativen Polarität ist nicht auf die Tatsache beschränkt, daß
bestimmte "negative polarity items" als Lexeme nur in negierten Kontexten vor-
kommen können, sondern es betrifft auch solche Lexeme, die in positiven Kontex-
ten zwar möglich sind, dann aber eine ganz andere Lesart haben; cf. z. B.:
Ich bin ein bißchen müde.
Ich bin kein bißchen müde.

(cf. hierzu auch Bolinger 1972: 72 sowie Hom 1989: 399)


Wörtlich genauso serbisch:
Malo sam umorna. 'Ich bin ein bißchen müde'
Nisam ni malo umorna. 'Ich bin kein bißchen müde'32

Auch hier wird das zusätzliche Element - hier ein bißchen/malo - im negativen
Kontext als Minimalisierung verstanden; kein bißchen müde ist also sozusagen
'noch weniger müde' als nur nicht müde.
Demgegenüber findet diese Umdeutung im Türkischen nicht statt; cf. z. B. den
folgenden Fall eines negativen Polaritätselementes buz (wörtlich: 'Eis') in Kombi-
nation mit az 'wenig' in der Bedeutung 'gar nicht so wenig':
az buz ?ey degil 'keine geringe Sache'
Cf. auch:
Yol da az degil ib'!33 ('Der Weg ist gar nicht so gering1)

Aber neben den negativen Polaritäten scheint es auch positive zu geben, wie die
folgenden Beispiele belegen:

32
Im Unterschied zum Deutschen oder Englischen wird in diesen Fällen im Serbi-
schen der nunmehr als negatives Polaritätselement fungierende Ausdruck - hier
malo 'ein wenig' - zusätzlich nochmals negiert, und zwar mit dem additiven Nega-
tor ni 'und nicht', 'auch nicht'. Auch wird normalerweise die Wortstellung so wie im
gegebenen Beispielsatz verändert; das Beibehalten der Wortstellung des positiven
Satzes ist zwar möglich (cf. Ni malo nisam umorna), führt dann aber zur Rhemati-
sierung von ni malo, was normalerweise bestimmte vorangehende Äußerungen
voraussetzt; cf. entsprechend dt. Nicht ein bißchen müde bin ich!
33
Für diesen sowie weitere Originalbelege und Beispiele danke ich Ender Ate§man,
Universität Hacettepe, Ankara.
37

Ich bin ziemlich/etwas müde.


*Ich bin nicht ziemlich/etwas müde.

entsprechend serbisch:
Ja sam prilicno /nesto umorna.
*Nisam prilicno /nesto umorna.

Graduierende Elemente, wie dies die hier vorliegenden Intensivpartikeln sind, sind
mit Negationen nur dann verträglich, wenn es sich um metalinguistische Negation
handelt (cf. z.B. Er ist nicht 'ziemlich doof, er ist ein kompletter Trottel!). Bei nä-
herer Betrachtung zeigt sich schnell, daß dies semantisch begründet ist: Intensiv-
partikeln des Typs ziemlich, etwas bezeichnen ja das (positive) Vorliegen einer
Eigenschaft oder eines Vorgangs bis zu einem gewissen Grad; eine Eigenschaft
oder ein Vorgang kann aber nicht zugleich als bis zu einem bestimmten Grad vor-
handen bezeichnet und negiert werden.
3. Lexikalische Negation

3.1 Lexikalische Negation im Deutschen

3.1.1 Infragekommende Morpheme

Die am engsten begrenzte Verwendungsweise der Negation im weiten Spektrum der


Negationsmöglichkeiten besteht darin, nur ein einzelnes Lexem als unzutreffend zu
markieren. Durch Affigierung kann diese Form der Negierung schon im Lexikon
vollzogen werden; hierfür werden in den indogermanischen Sprachen gebundene
Morpheme wie deutsch/englisch un-, französisch in-, serbisch ne- etc. genutzt. In
den zahlreichen Untersuchungen zur Negation im Deutschen werden solche mor-
phologischen Negationsverfahren in sehr unterschiedlicher Weise berücksichtigt;
meist werden sie eher am Rande erwähnt. Jacobs (1982: 135) weist beispielsweise
darauf hin, daß im Deutschen eine Negation durch "Affixe wie un-, a- und -los"
erfolgen könne, und betrachtet diese Form der Negation als eine eigene Klasse
(zusätzlich zu den fünf weiteren Negationsklassen, die er annimmt) - allerdings, so
fährt er einschränkend fort, gelte dies nur, "wenn man diese Affixe auch zu den
Negationsträgern rechnen will", was also offenbar nicht unstrittig ist. Er selbst legt
sich in dieser Hinsicht nicht fest, bezieht sie allerdings teilweise in seine Untersu-
chung mit ein (ibd.: 188-192).
Nun liegen in un-, a- und -los drei Affixe vor, die nicht ohne weiteres gleich be-
handelt werden können. Bei a- und un- handelt es sich um präfigierende Elemente,
die Negationen auf der lexikalischen Ebene vornehmen, ohne die Wortartenzugehö-
rigkeit des Basislexems zu beeinflussen; das Derivationssuffix -los hingegen gehört
sowohl morphologisch als auch logisch und semantisch einer anderen Ebene an.
Das Suffix dient ebenso wie die Präposition ohne dazu, die Abwesenheit eines
konkreten oder abstrakten Phänomens zu bezeichnen, und dementsprechend kann
es sich ausschließlich mit Substantiven verbinden. Diese werden dabei zu Adjekti-
ven deriviert, wobei die Produktivität zwar groß, aber dennoch beschränkt ist; nicht
möglich sind z. B. Bildungen wie *schönheitslos, *vernunftlos oder *essenslos.
Die Untersuchung der Bedingungen, unter denen Derivationen auf -los möglich
bzw. ausgeschlossen sind, wäre mit Sicherheit ein interessantes Unterfangen; sie
wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht weiter verfolgt werden, denn
die Derivation auf -los betrifft, wie gesagt, ein logisch und semantisch von der Ne-
gation verschiedenes Verfahren. Wenn die beiden Affixe -los und un- zu einer
Klasse zusammengefaßt werden, wie dies nicht nur bei Jacobs (1982) der Fall ist,
dann bleibt dabei die grundlegende Tatsache unberücksichtigt, daß 'Abwesenheit'
und 'Negation' zwei unterschiedliche Phänomene sind. Die Abwesenheit eines Ob-
jektes ist ein Fall von Deprivation oder "Beraubung" (um den aristotelischen resp.
aus der Aristoteles-Übersetzung gebräuchlichen Begriff zu benutzen), und daß die-
ses Phänomen nicht auf derselben Ebene wie die "echte" Verneinung angesiedelt
werden darf, wurde bereits ausführlich begründet (cf. Punkt 2.2).
39

Bei den beiden anderen erwähnten Affixen (also a- und un-) liegen hingegen
echte Negationsmorpheme vor, wobei es sich im einen Fall um ein deutsches, im
anderen um ein Präfix griechischen Ursprungs handelt, das Fremdwörtern vorbe-
halten ist. Wenn Fremdwörter mit einbezogen werden sollen, müßte neben dem
griechischen allerdings der Vollständigkeit halber auch das lateinische Präfix in-
einschließlich seiner Nebenformen U-, im- und ir- genannt werden.
Ein Blick in verschiedene Untersuchungen zeigt, daß damit die Aufzählung der
als Negationsträger auf der Ebene des Lexikons in Frage kommenden Morpheme
noch nicht abgeschlossen ist. In seiner Übersicht über "Negationszeichen" führt
beispielsweise Heringer (1988:192) unter der Überschrift "Präfixe" die Beispiele
ungeeignet, desinteressiert, disfimktional an. Die Präfixe des- und dis- finden sich
neben a-, miß- und dem Suffix -los ebenso bei Helbig/Buscha (1994: 524), wäh-
rend der Duden (1995:519) darüber hinaus schein-, pseudo-, quasi- und semi- als
Träger einer "modifizierenden Negation" anführt. Auch Erben (1983: 96) rechnet
pseudo- zusammen mit un-, a(n)-, in- und dem bisher noch nicht genannten anti- zu
den negierenden Präfixen, ordnet aber das vom Duden als negierend betrachtete
quasi- nicht dem semantischen Bereich der Negation, sondern dem der Gradation
zu (cf. ibd.). Fleischer/Barz (1992: 204) erwähnen unter den negierenden
"Fremdpräfixen" zusätzlich zu a- und in- auch non-, und auf nicht- als Präfix geht
Zimmer (1964: 53f.) ein. Böhnke (1972: 184) faßt als "verneinende Präfixe" die
Morpheme un-, nicht-, miß-, a-, in- und non- (Reihenfolge nach ibd.) zusammen;
Lenz (1995: 7) beschreibt Formen auf un-, nicht-, miß-, ent-, -los und -frei.
Wünsch (in Vorbereitung) berücksichtigt darüber hinaus auch die Präfixe anti-,
contra-, quasi-, femer aber-, ent-, fehl-, gegen-, schein-, ver-, wider- sowie die
Suffixe -leerund -frei, und Schnerrer (1978: 28) führt auf ihrer Liste mit 25 Wort-
bildungsmitteln, die sie untersucht, zudem die Morpheme außer- und -widrig an.1
Zusammenfassend kommen somit folgende Affixe als Negationsträger in Frage:

Präfixe:
a- an- aber- anti-
äußer- contra- de- des-
dis- dys- ent- fehl-
frei- gegen- in- il-
im- ir- miß- nicht-
non- pseudo- quasi- schein-
semi- un- ver- wider-

Suffixe:
-frei -leer -los -widrig

Sie nimmt dabei folgende semantische Gruppen an: "Negationsmorpheme (un-,


in-, ill-, im-, irr-, nicht-, non-, a-, an-), "privative Wortbildungsmittel" (dis-, fehl-,
de-, des-, außer-, -los, -frei, -leer), "Wortbildungsmittel 'Kontra'" (gegen-, wider,
anti-, -widrig) und "pejorative Wortbildungsmittel" (miß-, dis-, fehl-, aber-); un-
wird auch diesen letzteren beiden Kategorien zugeordnet (ibd.).
40

Wie sich zeigt, ist eine Liste von 32 Morphemen entstanden, innerhalb derer aber
nur ein ganz kleiner Teil als negierend im Sinne der aristotelischen Definition ange-
sehen werden kann, während der große Rest zu anderen Klassen gehört. So sind
beispielsweise ent-, -frei, -leer und -los eindeutig privativ, während Präfixe wie
miß- und sein griechisches Gegenstück dys- ebenso wie bestimmte reflexive Ver-
wendungsweisen des polyfunktionalen gebundenen Morphems ver-2, deren Be-
deutung sich etwa mit 'schlecht' oder 'falsch' widergeben ließe (cf. z. B. Miß-
brauch 'schlechter/falscher Gebrauch1, sich verrechnen 'falsch rechnen' etc.), eine
abwertende Funktion haben. Semi-, quasi- und schein- nehmen demgegenüber
qualitative Veränderungen vor, indem sie eine Eigenschaft als nur zur Hafte oder
nur dem äußeren Schein nach vorliegend kennzeichnen. Aber-, contra- und wider-
schließlich (zu ergänzen wäre eventl. auch gegen-) zeigen einen Gegensatz an, der
schon in der Etymologie der Morpheme deutlich wird: Widerworte sind 'gegen' an-
dere Worte gerichtet, ein Contra richtet sich gegen ein Pro, und Aberwitziges steht
dem Sinnvollen gegenüber; mit anderen Worten handelt es sich hier um Vertreter
der bei Aristoteles als "Konträrietät" bezeichneten Kategorie.
Als wirklich negierende Morpheme bleiben damit nur a-, in- und eventuell - mit
Einschränkungen - dis-, femer un- und schließlich die nicht per se gebundenen
Morpheme nicht und non übrig. Da es im folgenden um die Untersuchung der lexi-
kalischen Negation im Deutschen geht, sollen Fremdwörter, die nach den Regeln
der jeweiligen fremden Sprache - hier also: Latein oder Griechisch - und mit deren
Mitteln negiert wurden, keine weitere Berücksichtigung finden. Somit fallen ne-
gierte Lexikoneinträge wie asozial, imperfektiv oder irreal aus der weiteren Unter-
suchung heraus, und es bleiben nur noch die Bildungen auf un- und nicht- übrig.
Bei Bildungen auf nicht- ist oft schwer zu entscheiden, ob man es mit einer
Wortbildung oder mit einem Syntagma zu tun hat. Diese Unsicherheit schlägt sich
schriftsprachlich nicht nur in der Frage nieder, ob bei nicht + Partizip oder Adjektiv
ein Bindestrich gesetzt werden soll oder nicht, sondern wird insbesondere auch
dadurch dokumentiert, daß die Zusammenschreibung, die sonst in der Standard-
orthographie auch für ad-hoc-Bildungen genutzt wird, hier nur ganz selten in Frage
kommt. Die Setzung des Bindestrichs resp. Zusammenschreibung zeigt gegenüber
der Nichtsetzung resp. Getrenntschreibung eine weitergehende Vereinigung und oft
auch einen Wechsel der Betonung auf den Negationsträger an. In manchen, jedoch
keineswegs in allen Fällen wird dadurch auch eine leichte semantische Verschie-
bung erreicht; dies ist z. B. der Fall bei nichtrostend vs. nicht rostend (Beispiel
nach Jespersen 1954: 78), wo die Zusammenschreibung eine dauerhafte Eigen-
schaft markiert, während bei Getrenntschreibung ein solcher Anspruch auf Fort-
dauer nicht unbedingt besteht. Dieser Unterschied ist indessen leicht zu erklären: er
beruht schlicht auf der Vereinigung der beiden Elemente und somit darauf, daß sich
Negation und Grundwort nicht mehr so leicht trennen lassen wie bei getrennter Art-
ikulation (und entsprechender Getrenntschreibung). "Wenn auch nicht mit Wörtern
zusammenrückt, maßgebend bleibt doch seine Hauptfunktion als Satzvemei-
nung (...): Es behält seine Beweglichkeit (...)" schreibt schon Weiss (1960: 336).

Gemeint sind hier Fälle wie sich vertun, sich verfahren, sich verschlucken, sich ver-
rechnen etc. Das Präfix ist in dieser Funktion produktiv, geht aber immer zugleich
mit Reflexivität einher.
41

Insgesamt sind die Grenzen zwischen Morphologie und Syntax bei nicht flie-
ßend; bei dem gebundenen Morphem un- hingegen kann es keinen Zweifel daran
geben, daß das Ergebnis in jedem Fall ein neues Wort ist. Daher sollen im folgen-
den die Bildungen mit un- als typische und unzweifelhafte Vertreter der lexikali-
schen Negation im Mittelpunkt des Interesses stehen.

3.1.2 C/n-Wörter

3.1.2.1 Bildungsregeln, theoretisch

Bei der lexikalischen Negation auf un- handelt es sich um ein produktives Verfah-
ren; allerdings lassen sich Formen auf un- im Deutschen nicht beliebig bilden, son-
dern unterliegen deutlich erkennbaren Einschränkungen. Wenn man beispielsweise
Adjektive wie alt, munter, kalt oder wirr mittels un- zu negieren versucht, erhält
man mit *unalt, *unmunter, *unkalt oder *unwirr abweichende Wortbildungen.
Auch weitere Ableitungen aus bereits vorliegenden negierten Lexemen sind nicht
immer möglich; so lassen sich zwar aus unsicher das Substantiv Unsicherheit und
aus unverschämt Unverschämtheit ableiten, nicht aber *Unschönheit aus unschön
oder *Unfeinheit aus unfein.
Die Beobachtung, daß die Negation in der Wortbildung offenbar bestimmten
Beschränkungen unterliegt, ist natürlich alles andere als neu. Wenn auch keines-
wegs alle, so weisen doch einige Grammatiken des Deutschen bei der Behandlung
der Adjektive oder der Wortbildung der Adjektive auf die Negationsmöglichkeit mit
un- sowie auf die Tatsache hin, daß sie nicht beliebig genutzt werden kann.3 Regeln
dafür, unter welchen Bedingungen ein Adjektiv oder ein anderes Wort für die lexi-
kalische Form der Negation auf un- in Frage kommt, werden allerdings nur spärlich
gegeben. Bei Helbig/Buscha (1994: 524) findet sich der Hinweis, daß "ursprüngli-
che Adjektive mit einem eindeutigen Antonym" nicht in dieser Weise negierbar
seien. Erben (1980: 181) beschreibt Bildungen auf «n- als "betonte Gegen Wörter zu
wertbezogenen positiven Adjektiven oder Substantiven", woraus sich immerhin
implizit die Regel ableiten ließe, daß nicht wertbezogene oder negative Adjektive
keine entsprechende Präfigierung zulassen. Brinkmann (1971), der die Präfigierung
mit un- der Bildung eines "Gegenwortes" (ibd.: 111) gleichsetzt, nimmt eine relativ
ausführliche Aufzählung von Adjektiv-Typen vor, die nicht dafür in Frage kom-
men, so z. B. "Adjektive, die über Herkunft, Stoff und Farbe Auskunft geben
(dänisch, seiden, rot) und deswegen kein polares Gegenwort haben können",
"Bildungen wie windig (...) und gestreift" sowie Adjektive, "die selber den Gegen-
pol bezeichnen (böse, faul, usw.)" (alle Zitate ibd.: 112).
Als wissenschaftliche Arbeiten, die sich speziell mit diesem Problem befassen,
wären zu nennen: Zimmer (1964), Guyrko (1972) und Funk (1986). Letzterer faßt
die am häufigsten angenommenen Regeln für die Negation mit un-, die er allerdings
zugleich als "highly debatable" bezeichnet, folgendermaßen zusammen:

3
Cf. z. B. Duden (1995: 518f.), Helbig/Buscha (1994: 524).
42

Adjectives are claimed to be excluded from negative prefication


(1) if they convey a meaning of 'negative evaluation'
(2) if they denote the 'absence' of something
(3) if they are matched by obvious simplex opposites.
(Funk 1986: 877)

Für alle drei Regeln führt er Gegenbeispiele an. So z. B. nennt er u. a. dt. uneigen-
nützig, unbesorgt, unschuldig als Belege gegen die erste Regel (ibd.); gegen die
zweite führt er die Negationsmöglichkeit von sauber (bei ihm interpretiert als 'Ab-
wesenheit von Schmutz1), rein, frei und richtig ('Abwesenheit von Fehlern') an
(ibd.: 878), und gegen Regel Nr. (3) klug, sanft, schön etc., zu denen einfache
Antony me existieren.
Böhnke (1972) nennt im Rahmen ihrer Untersuchung zu Antonymen sogar fünf
Regeln für Bildungsbeschränkungen, die sie aus unterschiedlichen Quellen zusam-
mengetragen hat:

Mit 'un-' werden nicht verbunden:


1) Im allgemeinen Partner von festen Gegensatzpaaren
2) Negative Pole von Antonymenpaaren
3) Adjektive mit 'negativem Sinn1 oder 'negativer Wertung1
4) Adjektive, die mehrere Gegensätze zulassen
5) Adjektive des Stoffes und der Farbe (seiden, rot), 'Attributive1, die kein Urteil
ausdrücken (ärztlich, städtisch), und zusammengesetzte Adjektive des vergleichen-
den Wertens (wertvoll, sehenswert (...))
Böhnke (1972: 185)

Wie später Funk, so nennt auch schon Böhnke (ibd.: 186-188) Gegenbeispiele, die
insbesondere gegen die uneingeschränkte Gültigkeit der ersten vier Regeln spre-
chen. Sie schließt aus der Existenz der Gegenbeispiele sowie aus der Tatsache, daß
andere Sprachen teilweise dort lexikalische Negation zulassen, wo sie im Deutschen
ausgeschlossen ist, daß es keine universellen Regeln gibt. Auch Funk folgert aus
seinem Befund, daß die angeführten Regeln bestenfalls partiell funktionieren; er
vermutet aber, daß zusätzlich andere Regeln wirksam sein müssen. Er benennt auch
eine von ihnen, die er als " (...) 'evaluative standard1 constraint" (Funk 1986: 884)
bezeichnet. Dies bedeutet, daß:

.. .the prefix is not attached to such bases when they denote an evaluatively nega-
tive property that is intrinsically associated with a corresponding positive one. This
may also explain why negatively evaluated terms are in general (and particularly
in German) more easily admitted to wn-prefixation if they are morphologically
complex; they are clearly less dependent on the oppositional relation (cf. G un-
gefährlich, unschädlich, unzweifelhaft than the great number of negatively evalua-
ted adjectives in both languages that are prefixed in order to constitute a pair of
opposites that is otherwise unavailable).
(ibd.: 885)

3.1.2.2 Empirischer Befund

Wenn einheitliche Antworten auf die Frage, welchen Regeln die Präfigierung mit
un- im Deutschen folgt, fehlen, so kann dies zwei Ursachen haben: entweder er-
folgt die Präfigierung unregelmäßig, und es gibt gar keine einheitliche(n) Regel(n),
43

oder aber die Prinzipien, die hier wirksam werden, sind zu komplex, um ohne
weiteres erkennbar zu sein. Um eine Antwort auf die Frage zu finden, welche die-
ser beiden Hypothesen zutrifft, wird im folgenden eine Liste der gängigsten Wörter
untersucht, die mithilfe von un- negiert sind. Zu diesem Zweck wurden zunächst
sämtliche Bildungen erfaßt, die in den Duden für Rechtschreibung von 1991 aufge-
nommen worden sind.4 Nachdem in einem ersten Schritt sämtliche Komposita aus-
sortiert wurden, die den jeweiligen negierten Lexikoneintrag nur als Determinans
nutzen (cf. z. B. Unglücksbote, Unglücksfahrer, Unglücksmaschine etc. zu Un-
glück),5 blieben 1239 Belege übrig. Unter diesen wiederum sind 318 auf den ersten
Blick auf Grund ihrer Endungen wie -heit und -keit als Entwicklungen aus anderen,
direkt daneben stehenden Lexikoneinträgen erkennbar;6 sie wurden zunächst eben-
falls aussortiert, so daß nunmehr insgesamt 941 Einträge übrig blieben. Dieses
Sample der verbleibenden 941 Wörterbucheinträge bildet die Grundlage der nach-
folgenden Analyse.7

Auf empirischer Grundlage haben auch Zimmer (1964), Böhnke (1972) und
Schnerrer (1978) gearbeitet. Zimmer hat sein Material, "about 425 adjectives in
un- in Makensen's Neues Deutsches Wörterbuch that could be interpreted as being
synchronic derivatives of adjectival bases." (ind.: 56) nur auf semantische Aus-
nahmen von der Regel untersucht, daß Adjektive auf un- eine negative Basis haben
(er fand 17 Belege, entsprechend 4%); Böhnke hingegen legt auch einige Zahlen
zur morphologischen Struktur ihres mit 800 Einträgen deutlich größeren Samples
vor (cf. hierzu im folgenden). Schnerrer schließlich hat in zehn verschiedenen
Wörterbüchern sämtliche Einträge auf un- gezählt, wobei die Ergebnisse eine
Spannweite von 118 Einträgen (Wörter und Wendungen, Wörterbuch zum deut-
schen Sprachgebrauch Leipzig 1970) bis zu 1604 Einträgen (Wörterbuch der
deutschen Gegenwartssprache, Berlin 1966) beträgt (cf. ibd. 29). Insgesamt zählt
sie 20878 Belege auf un- (ibd.: 28).
Eine Untersuchung von Lenz (1995) legt neben Formen auf nicht- miß-, ent-, -los
und -frei folgende Wortliste mit un-: 618 Nomina, 1661 Adjektive, 14 Adverbien
und Präpositionen, 164 "Idiosynkrasien", insgesamt also 2457 Wortformen zu-
grunde (cf. ibd.: 12).
Schnerrer (1978: 29), die im Mannheimer Duden 1188 Belege zählt, hat im Un-
terschied zum hier vorgeschlagenen Vorgehen sämtliche Eintragungen berück-
sichtigt. Das Problem bei einer solchen Vorgehensweise ist allerdings, daß damit
nicht nur die Produktivität von un-, sondern auch die von bereits mithilfe von un-
gebildeten Lexemen berücksichtigt wird; im Falle des o.a. Beispiels Unglück etwa
kommen dadurch 17 Lexikoneinträge hinzu, aus denen sich aber auf die Produk-
tivität und die Produktivitätsbedingungen von un- keinerlei Rückschlüsse ziehen
lassen.
Es handelt sich im einzelnen um 218 Substantivierungen auf -keit, 75 auf -heit,
drei auf -tat sowie eine auf -eß (Unfairneß); femer 18 Adverbialisierungen auf
-weise und zwei auf -maßen.
Böhnkes empirische Basis ist demgegenüber eine "Sammlung von 800 Bildungen
auf 'un-'", in der die Adjektive 72% ausmachen, somit also 28% Substantive ent-
halten sind. Über diese wird gesagt: "Fast alle der belegten Substantive auf 'un-'
sind Ableitungen von Adjektiven mithilfe der Suffixe '-heit', '-keif. " Dem stehen
in der nicht um die Ableitungen auf -heit und -keit bereinigten Wortliste des Du-
den 25,6% Substantive auf -heit und -keit sowie 6,8% andere, insgesamt also 32%
Substantive gegenüber (ibd.: 188).
Schnerrer (1978: 122) legt ihrer endgültigen Analyse 3497 Formen auf un- zu-
grunde, deren Herkunft allerdings unklar bleibt. Sie schreibt an anderer Stelle
(ibd.: 27): "Als Ergänzung zum Belegmaterial des WDG [i. e. Wörterbuch der
deutschen Gegenwartssprache; E.H.] und zu den anderen Wörterbüchern wurden
44

Um einen sinnvollen Überblick über die verschiedenen Wortarten und Bildungsty-


pen zu ermöglichen, die in der Liste vertreten sind, wurde das Corpus nunmehr
nach eben diesen Gesichtspunkten - Wortart und Bildungstyp - unterteilt. Dabei
ergibt sich zunächst das folgende Bild:

Wortart Anzahl in %
Negationen8 aus Perfekt-Partizipien 281 29,9
analog gebildete Adjektive 30 3,2
Partizipien Präsens 12 1,3
Adjektive auf -lieh 170 18,1
Adjektive auf -bar 121 12,9
Adjektive auf -ig 96 10,2
Adjektive auf -isch 39 4,1
Adjektive auf -sam 13 1,4
Adjektive auf -Haft 5 0,5
Adjektive auf -gemäß 2 0,2
sonstige derivierte Adjektive 13 1,4
Adjektive = Fremdwörter 27 2,9
restliche Adjektive 40 4,3
Substantive 86 9,1
Adverbien 6 0,6
SUMME 941 100,0

Tabelle l

3.1.2.2.1 Negierte Partizipien

Schon ein flüchtiger Blick auf Tabelle l macht deutlich, daß unter den vertretenen
Wortarten die Adjektive die überwältigende Mehrheit darstellen; insgesamt stellen
sie 849 von 941 Einträgen oder 90,2%. Unter den Adjektiven wiederum überwie-
gen diejenigen, die mehr oder weniger direkt auf Partizipien des Perfekts zurück-
geführt werden können. Aus "echten" Partizipien gebildete Formen (also Wörter

zusätzlich 3000 Belege durch eine gezielte Exzerption aus belletristischer Litera-
tur, Zeitschriften, Tageszeitungen gewonnen und für die Arbeit ausgewertet". Das
Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache enthält nach ihrer Auskunft 1604
Belege (ibd.: 29) und damit deutlich mehr als jedes andere Wörterbuch; es müßte
also angenommen werden, daß Schnerrer noch 1893 zusätzliche Wörter gefunden
hat, die dort nicht verzeichnet sind - eine beachtliche Zahl. Da weder das Zustan-
dekommen der Endmenge von 3497 Wörtern näher erklärt wird noch eine Liste
der ausgewerteten Wörter vorliegt, ist angesichts dieser doch sehr hohen Diskre-
panz allerdings auch nicht auszuschließen, daß möglicherweise ein Tipp- oder
Übertragungsfehler vorliegt.
Es handelt sich fast ausschließlich um Adjektive; in zwei Fällen aber - ungeachtet
und ungerechnet - haben sich die so gebildeten Formen zu Präpositionen weiter-
entwickelt.
45

wie unrasiert oder unverzollt) machen mit 281 Einträgen schon fast 30% der aufge-
führten Formen aus.9 Unter ihnen überwiegen die Partizipien des Passivs bei wei-
tem; den 266 Passiv-Formen (cf. z. B. ungefragt, ungesehen, unverstanden etc.)
stehen maximal 15 Aktiv-Partizipien (cf. z. B. unausgeschlafen, ungewollt, unver-
goren) gegenüber, wobei in einigen Fällen durchaus darüber diskutiert werden
könnte, ob die in diese Rubrik eingeordneten Partizipien nicht doch als passivisch
aufgefaßt werden müssen.10 Aber selbst, wenn man alle Zweifelsfälle, wie hier ge-
schehen, den Aktiv-Partizipien zurechnet, müssen 95% der Partizipien mit Sicher-
heit als passivisch angesehen werden.
Eine Reihe von weiteren Wörtern ist zwar in derselben Weise wie die Perfekt-
Partizipien gebildet, es fehlt aber das entsprechende Verb; diese Formen, die 3,2%
des Corpus ausmachen, wurden in Tabelle l als "analog gebildet" bezeichnet. Sol-
che Fälle liegen etwa in unbesorgt, uner'hört (vs. 'unerhört), unbehaart oder auch
untalentiert vor. Wie die Beispiele zeigen, wird in der Tat das Bildungsverfahren
für Partizipien auch dann genutzt, wenn das entsprechende Verb nie existiert hat,
und nicht nur dann, wenn es, wie etwa im Falle von besorgen, veraltet ist. 1 ' So ist
beispielsweise die Endung -ier(en) ein nach wie vor produktives Morphem für die
Derivation von Verben bei Fremdwörtern; die Bildung von Formen wie
(un)talentiert und (unproportioniert zeigt eindeutig, daß unter Auslassung des Zwi-
schenschritts, nämlich der Verben *proportionieren und *talentieren, Partizipien aus
den Substantiven Talent und Proportion abgeleitet wurden. In gleicher Weise setzt
das mit dem Verb-typischen transitivierenden Präfix be- gebildete Adjektiv
(un)behaart das nicht existente Verbum *behaaren als übersprungenen Zwischen-
schritt voraus. Die Bildung von "Schein-Partizipien" ist keineswegs auf den Be-
reich der lexikalischen Negation beschränkt; auch ausschließlich positiv gebräuchli-
che Wörter wie bestürzt oder verflixt haben die Form eines Partizips, ohne daß die
zugehörigen Verben *bestürzen und *verflixen indessen vorhanden wären. Bei den
analog zu Partizipien gebildeten negierten Adjektiven überwiegen passivische Be-
deutungen, wie sie auch in sämtlichen bisher diskutierten Beispielen vorliegen,
ebenfalls bei weitem.12
Neben den Partizipien des Perfekts und den analog zu ihnen gebildeten Formen
gibt es einige wenige Partizipien des Präsens Aktiv wie z. B. unbedeutend, unpas-

9
Böhnke (1972: 188) hat die Partizipialkonstruktionen in ihrer Sammlung nur auf
die Zahl der Adjektive, nicht auf das Gesamtsample bezogen; bei ihr machen sie
36% der Adjektive aus, also mehr als im vorliegenden Sample, wo ihr Anteil an
den Adjektiven 33,1% beträgt. Der Unterschied ist vermutlich darauf zurückzu-
führen, daß Böhnke die "analog gebildeten" Formen, die auf den ersten Blick ja in
der Tat wie Partizipien aussehen, nicht gesondert behandelt hat; nimmt man sie zu
den Partizipien hinzu, so ergeben sie zusammen mit den echten Partizipien auch
im vorliegenden Sample einen Anteil von 36,6% der Adjektive.
1
° Zwar nimmt man beispielsweise für Verben wie wollen an, daß sie nicht passivfähig
sind; dennoch können Bildungen wie ein ungewolltes Kind nur passivisch inter-
pretiert werden. Gleiches gilt für unbesonnen (cf. eine unbesonnenen Äußerung).
1
' Veraltet ist das Verb besorgen natürlich nur in der hier vorliegenden Bedeutung
'sich Sorgen machen'. Weitere Fälle von Partizipien, die nur noch etymologisch als
solche erkannt werden können, sind beispielsweise unbenommen, ungeschlacht u.
a.m.
12
So bedeutet beispielsweise talentiert 'mit Talent versehen', und das fehlende Verb
*talentieren müßte somit als transitiv angenommen werden.
46

send, unzutreffend; es handelt sich insgesamt um 12 Einträge (1,3%).13 Unter den


insgesamt 293 Partizipien (ohne die analog gebildeten Formen) finden sich somit
alles in allem nur 27 und damit weniger als ein Zehntel mit einer aktivischen Be-
deutung.

3.1.2.2.2 Derivierte Adjektive

Nicht nur die Partizipien, sondern auch die Mehrzahl aller anderen Wörter auf der
Liste wurde durch verschiedene morphologische Verfahren aus anderen Lexemen
abgeleitet, bevor das Negations-Präfix un- hinzugefügt wurde. Neben den Parti-
zipial-Endungen -en und -(e)t überwiegen am Wortende Derivations-Suffixe wie
-bar, -ig oder -lieh. Konkret finden sich die folgenden Anteile:14

Suffix Anzahl Anteil an den Adjektiven Gesamtanteil


-lieh 170 20,0% 18,1%
-bar 121 14,3% 12,9%
-ig 96 11,3% 10,2%
-isch 39 4,6% 4,1%
-sam 13 1,5% 1,4%
-haß 5 0,6% 0,5%
-gemäß 2 0,2% 0,2%
sonstige Derivationen 13 1,5% 1,4%
SUMME 459 54,1% 48,7%

Tabelle 2

13
Lenz (1995: 12) zählt 14 Partizipien des Präsens; sie begründet ihr seltenes Auf-
treten damit, daß "Partizipia I in der Regel verbale Formen sind"; "Partizipia II hin-
gegen können grundsätzlich neben der verbalen auch eine adjektivische Lesart ha-
ben." (ibd.: 12). Dieser eigenwilligen Begründung - beide Partizipientypen lassen
sich schließlich gleichermaßen attributiv, was ja wohl mit "adjektivischer Lesart"
gemeint ist, verwenden - kann hier nicht zugestimmt werden; cf. hierzu inbeson-
dere Punkt 3.3.
14
Die Ergebnisse von Böhnke (1972: 188) weisen wiederum nur den Anteil be-
stimmter Bildungen an den Adjektiven ihrer Sammlung aus. Erstaunlicherweise
ergeben sich dabei nur bei den Adjektiven auf -lieh eine Abweichung: sie ver-
zeichnet davon 27% (gegenüber 20% in der hier vorgelegten Untersuchung). Bei
denen auf -ig und -isch, die sie zusammenfaßt, erhält sie 17% (gegenüber 15,9%
in der hier vorgelegten Untersuchung), bei denen auf -bar 15% (gegenüber 14,3%
in der hier vorgelegten Untersuchung) - hier stimmen die Ergebnisse also weitge-
hend überein. Möglicherweise liegt in der Zahlenangabe für die Adjektive auf
-lieh ein Übertragungsfehler vor. Für Formen auf -sam, -mäßig und -haft schließ-
lich gibt sie keine Zahlen an, sondern vermerkt nur "nur ganz wenige Bildungen"
(ibd.).
47

Rechnet man die Partizipien hinzu, so ergibt sich, daß es sich bei 782 bzw. 83,1%
der aufgeführten Lexeme auf un- um Wörter handelt, die auf den ersten Blick als
derivierte Formen erkennbar sind - ein verblüffendes Ergebnis.15
Wenn man diese derivierten Adjektive nunmehr im einzelnen betrachtet, zeigt
sich, daß nicht nur bei den ursprünglichen Partizipien, sondern auch bei der Mehr-
zahl aller übrigen Formen Deverbativa vorliegen.
Bei den Bildungen auf -bar und -lieh handelt es sich um Formen, die in vielen
Grammatiken unter der Rubrik "Passiv-Periphrase mit modaler Komponente" auf-
geführt werden (cf. z. B. Helbig/Buscha 1994: 186).16 Im Falle von -bar ist eine
eindeutige Zuordnung möglich: bei sämtlichen 121 mit diesem Suffix gebildeten
Formen handelt es sich um Deverbativa, die in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl
auch eine passivische Bedeutung und die modale Komponente 'können' aufweisen
(cf. z. B.: unauffindbar 'kann nicht aufgefunden werden1; ungenießbar 'kann nicht
genossen werden', unüberbietbar 'kann nicht überboten werden' etc.). Bei zwei der
passivischen Formen liegt interessanterweise ein Dativ-Passiv zugrunde, das im
Deutschen sonst normalerweise nicht bildbar ist: unentrinnbar ('dem nicht entron-
nen werden kann') und unnahbar ('dem sich nicht genaht werden kann'). In beiden
Fällen ist die nicht-negierte Form (*entrinnbar, *nahbar) nicht gebräuchlich. Eben-
falls nicht gebräuchlich sind aber auch die aus transitiven Verben abgeleiteten posi-
tiven Grundformen *abdingbar, *antastbar, *ausrottbar, *austilgbar, *beugbar,
*einnehmbar, *entrinnbar, *leugbar, *rettbar, *schätzbar, *schlagbar, ^erkenn-
bar, *zerreißbar sowie **scheinbar^. Offensichtlich stellt die Bildung lexikalischer
Negationen einen selbständigen Prozeß dar, der nicht notwendig das Vorliegen
einer positiven Basis voraussetzt. Bei sechs der 121 Adjektive auf -bar läßt sich
keine passivische Bedeutungskomponente feststellen, cf.: undankbar, unfehlbar,
unfruchtbar, unscheinbar, unsinkbar und unversiegbar.
Unter den Adjektiven auf -lieh lassen sich mindestens 125 Einträge oder 73,5%
auf verbale Wurzeln zurückführen. Dabei wurden bewußt diejenigen Fälle deverba-
tiver Herkunft nicht mitgerechnet, die synchroniser! nicht mehr nachvollziehbar sind
(cf. z. B. unmöglich, unüblich, unwesentlich). Mit der Beschränkung auf synchro-
nisch nachvollziehbare, offen zutage liegende Wortbildungsverfahren wird zugleich
die Schwierigkeit umgangen, entscheiden zu müssen, ob ein Wortbildungsverfah-
ren zu dem Zeitpunkt, als die lexikalische Negation erstmals gebildet wurde, noch
synchronisch durchsichtig war oder nicht.
Der Anteil der Deverbativa ist bei den Adjektiven auf -ig geringer als bei den
beiden vorgenannten Typen; hier können zwei Drittel aller Einträge nicht oder je-
denfalls nicht unmittelbar auf Verben zurückgeführt werden. Unter den 13 Ablei-
tungen auf -sam ist demgegenüber nur eine (unwegsam) nicht verbalen Ursprungs,

15
Darüber hinaus bestätigen die Zahlen die Vermutung Zimmers (1964: 56), daß
"(...) it is probably with deverbal adjectives in -bar and -lieh and with past parti-
ciples that German un- finds its most productive use."
16
Hierzu gehört auch -fähig, das im vorliegenden Sample jedoch nur zweimal in
einer anderen Funktion enthalten war: einmal in unfähig und einmal in unzurech-
nungsfähig.
17
Durch den Doppel-Asterisk soll verdeutlicht werden, daß die Form zwar existiert,
unscheinbar jedoch nicht als Negation des Adjektivs scheinbar aufgefaßt werden
kann.
48

während wiederum vier der fünf Bildungen auf -haß als denominal interpretiert
werden können. Bei den 39 Adjektiven auf -isch schließlich handelt es sich mit vier
Ausnahmen (unirdisch, unkriegerisch, unkünstlerisch, unschöpferisch) um Fremd-
oder Lehnwörter.
Der Anteil der Deverbativa unter denjenigen derivierten Adjektiven, die nicht aus
Partizipien entstanden sind, beläuft sich somit selbst bei ausschließlicher Berück-
sichtigung synchronisch als deverbativ erkennbarer Formen auf 284 von 529 oder
53,7%. Rechnet man die aus Partizipien und die analog gebildeten Adjektive hinzu,
so erhält man insgesamt 607 Einträge. Damit sind auch bei vorsichtigster Herange-
hensweise und trotz des Ausschlusses zahlreicher Fälle, bei denen es sich etymolo-
gisch zweifelsfrei um Deverbativa handelt, 71,2% aller Adjektive auf der Liste oder
64,5% aller Einträge insgesamt als von Verben abgeleitet erkennbar.

3.1.2.2.3 Die übrigen Adjektive

Unter den verbleibenden Adjektiven, i. e. denjenigen, die nicht aus Partizipien oder
mittels Derivationsverfahren gebildet sind, findet sich mit 27 Einträgen (immerhin
2,9% des Gesamtsamples) ein relativ hoher Anteil an Fremdwörtern, die z. T. par-
allel zu den hier aufgeführten Formen auch noch in einer zweiten Variante mit dem
negierenden Präfix der jeweiligen Ursprungssprache vorliegen (cf. z. B. un-
real/irreal, unkorrekt/inkorrekt). In undiskutabel (wie auch in dem etwas üblicheren
indiskutabel) und unrentabel liegen Ableitungen vor, die strukturell den deutschen
Deverbativa auf -bar entsprechen; es handelt sich also um modal markierte Passiv-
Periphrasen. Die positiven Basisbegriffe zu den negierten Fremdwörtern sind, se-
mantisch grob sortiert, die folgenden:

positiv konnotiert:
fair, gallant, graziös, gustiös, interessant, kollegial, korrekt, populär, präzis(e), pro-
duktiv, professionell, rationell, reell, rentabel, seriös, solid(e), sozial, stabil

neutral:
diskutabel, egal, konventionell, normal, orthodox, sentimental, spektakulär (?), real

negativ konnotiert:
prätentiös

Wenn man die 40 übrigen Adjektive ebenfalls in grobe semantische Kategorien


einteilt, ergeben sich folgende Gruppen:
positiv konnotiert (im ästhetischen, ethischen oder praktischen Sinne):
dicht, eben, echt, edel, eins, ernst, fein, flott, frei, fromm, genau, gerade, gesund,
(ge)treu, gleich, gut, hold, keusch, klar, klug, lauter, lieb, *nütz, recht, reif, rein,
rund, sanft, sauber, schön, sicher, stet, wahr, wert, *wirsch
49

neutral oder negativ konnotiert:


bar, /er«18, gemein, längst, scharf, schwer, tief

Aus diachronischer Sicht liegen natürlich auch in den hier aufgeführten Formen
noch zahlreiche Derivate vor; nur können sie nicht mehr als synchroniser! nachvoll-
ziehbar betrachtet werden, und werden daher zusammen mit den "echten" primären
Adjektiven wie z. B. gut behandelt.19 Dadurch ist ausgeschlossen, daß im Einzel-
fall eine Motivation der lexikalischen Negation in der Morphologie angenommen
wird, obwohl diese zu dem Zeitpunkt, als die negative Präfigierung erfolgte, schon
nicht mehr durchsichtig war.
Wie sich zeigt, gibt es zwei Fälle, in denen die positive Entsprechung fehlt;
*nütz und *wirsch. Dasselbe Phänomen tritt auch bei den derivierten Adjektiven
(cf. *gestüm, *gefähr) sowie bei den Adverbien auf (*versehens) und war auch
weiter oben schon bei den Deverbativa auf -bar zu beobachten.

3.1.2.2.4 Die Substantive

3.1.2.2.4.1 Morphologie

Weniger als ein Zehntel der Eintragungen (86 Lexeme) auf der Liste sind Substan-
tive. Bei näherem Hinsehen ergibt sich allerdings, daß sie nicht alle zum semanti-
schen Bereich der Negation gehören. Schwierig ist zunächst die Einordnung des
Wortes Ungeld; das eher selten gebrauchte Lexem ist vermutlich aus Umgelt her-
vorgegangen, so daß im Präfix also gar keine Negation vorläge.20 In sieben weite-
ren Fällen liegen statt Negationen Augmentativa vor: ein Unmaß ist nach normalem
Sprachverständnis kein 'nicht-Maß', sondern ein 'Übermaß', eine Unsumme be-
zeichnet eine besonders große Summe etc. Diese Möglichkeit der Wortbildung bei
Substantiven ist im Deutschen nur ausgesprochen rudimentär vorhanden; in den
meisten Fällen werden anstelle regulärer Augmentativ-Bildungen lexikalische Mittel
der Umschreibung eingesetzt. Die sieben im Sample enthaltenen Bildungen Unko-
sten, Unmaß, Unmasse, Unmenge, Unsumme, Untiefe, Unzahl stellen vermutlich
auch schon den gesamten vorhandenen Vorrat an "echten" Augmentativa des Deut-

18
Unfern wird meist als Präposition mit Genetiv gebraucht, jedoch sind - im Unter-
schied zu unweit - gelegentlich auch attributive Verwendungen möglich (cf. z. B.
in unferner Zukunft); aus diesem Grund wird das Wort hier unter den Adjektiven
aufgeführt.
19
Die Grenze zwischen primären, einfachen und derivierten Formen ist gelegentlich
schwer zu ziehen und wird auch an unterschiedlichen Stellen gezogen; so hat z. B.
Zimmer (1964: 57) unter seinen "more or less simplex" Basis-Lexemen z. B. auch
gewandt und zufrieden aufgeführt.
20
Das Grimmsche Wörterbuch (Bd. 11, 1936: 732) nimmt demgegenüber an, daß es
sich bei Ungeld um eine Prallelbildung zu indebitum handle, wobei das Präfix im
Laufe der Zeit entwertet worden sei.
50

sehen dar, wobei die Untiefe zusätzlich auch als negierte Form (im Sinne einer
seichten Stelle im Wasser) aufgefaßt werden kann.21
Tatsächlich handelt es sich auch bei den Augmentativa auf un- ursprünglich um
negierte Formen. Augmentativa sind ebensowenig reine "Vergrößerungsformen",
wie Diminutiva keine einfachen "Verkleinerungsformen" sind: während Diminutiva
eine positive Konnotation aufweisen, gilt für Augmentativa das Gegenteil. Für Di-
minutiva läßt sich die positive Konnotation auch im Deutschen sehr leicht anhand
der Tatsache verdeutlichen, daß etwa bei negativ besetzten Tieren wie z.B. Ratten,
Hornissen oder Vogelspinnen auch zur Beschreibung sehr kleiner Exemplare keine
Diminutiv-Formen gebildet werden; eine kleine Ratte ist kein *Rättlein oder
*Rättchen, und auch *Hornißlein oder *Vogelspinnchen gibt es nicht.22 Der umge-
kehrte Fall, die negative Besetzung der Augmentativa, läßt sich am Beispiel des
Serbischen als einer Sprache aufzeigen, in der die Bildung von Augmentativa pro-
duktiv ist: die so gebildeten Formen haben selbst bei Bildungen wie rn.uskara.na,
dem Augmentativ von 'Mann' - also einem in der ausgesprochen patriarchalischen
Gesellschaftsordnung, in der die Sprache gesprochen wird, ausschließlich positiv
besetzten Begriff - einen merkwürdigen Beiklang.23 Wenn man diese Erscheinung
mit in Betracht zieht, wird verständlich, warum gerade lexikalisch negierte Formen
zu Augmentativa werden konnten. Man kann den zugrundeliegenden semantischen
Prozeß direkt veranschaulichen: so wie ein Unmensch kein richtiger Mensch mehr
ist, ist eine Unsumme schon gar keine richtige Summe mehr, eine Unzahl keine
richtige Zahl etc. Die Nutzung der lexikalischen Negation zur Bildung von Aug-
mentativa ist in anderen Sprachen ebenfalls zu beobachten, und zwar bemerkens-
werterweise sogar dann, wenn sie andere Bildungsweisen für Augmentativa ken-
nen; cf. z. B. serbisch nebroj 'Unzahl'.
Unter den 78 verbleibenden Substantiven lassen sich mindestens 29 synchro-
nisch nachvollziehbar als derivierte Formen erkennen. Dabei liegen unterschiedliche
Wortbildungsverfahren zugrunde. Um Deverbativa, z. T. schlicht um substanti-
vierte Infinitive, handelt es sich z. B. bei: Unbehagen, Unbildung, Unfall,
Ungenügen, Ungleichung, Unkenntnis, Unordnung, Untat, Unvermögen, Unver-

21
Böhnke (1972: 188) nimmt irrtümlich auch bei Unding, Ungewitter, Ungetüm
und Untat eine semantische "Verstärkung" statt einer Negation an; zur semanti-
schen und etymologischen Deutung dieser Wörter cf. im folgenden.
Schnerrer (1978) faßt unter ihrer Kategeorie "Intensivierung" nicht nur Substan-
tive wie Unmenge, Unzahl etc., sondern auch Adjektive wie unabsehbar, unaus-
denkbar, unaussprechlich, unausstehlich, unbändig, unbegreiflich u.v.a., deren
Bedeutung sie mit 'sehr' angibt (cf. ibd.: 164 und 415f.). In der Tat lassen sich
solche Adjektive graduierend verwenden (cf. z. B. unsagbar schön, unaus-
sprechlich gemein etc.); indessen ist dies eine Eigenschaft, die sie mit vielen
anderen negativ konnotierten Adjektiven wie fruchtbar, schrecklich, wahnsinnig,
irre etc. teilen (cf. schrecklich nett, wahnsinnig höflich) und die mit den
semantischen Funktionen von un- nichts zu tun hat.
22
Cf. hierzu ausführlicher Hentschel/Weydt (1994: 173-175).
23
Interessanterweise sind Augmentativa im Serbischen stets Feminina, und zwar un-
abhängig vom Genus des Substantivs, zu dem sie gebildet werden; demgegenüber
richten sich die positiv konnotierten Diminutiva im Genus nach dem Ausgangs-
wort; cf. z. B. golubio Täubchen1 (zu golub Taube'), kuaca 'Häuschen' (zu kuca
'Haus'), prasence 'Ferkelchen' (zu prase 'Ferkel').
51

stand, Unverständnis. Von Adjektiven abgeleitet sind Unannehmlichkeit,24 Unrei-


fe,25 Unruh(e),26 Unscharfe und Untreue, während bei Unentschieden, Ungestüm,
Ungeheuer, Ungehorsam und Untote2"7 einfache Substantivierungen von Adjekti-
ven vorliegen. Eine desubstantivische Derivation ist Ungewitter (<Wetter; cf. auch
Unwetter); Ungleichgewicht und Unwohlsein sind Fälle einer Zusammensetzung
aus verschiedenen Wortarten, wobei bei Gewicht wiederum ein ursprüngliches
Deverbativum zu wiegen vorliegt.
Bei manchen Formen ist die etymologische Herkunft nicht ganz so offensicht-
lich (so etwa bei Gunst < gönnen, Zucht < ziehen), und bei einigen liegt die Wort-
bildung so weit in der Vergangenheit, daß sie nicht mehr wahrgenommen wird (wie
z. B. bei Wetter < wehen, Stätte < Statt < stehen) und nicht als durchsichtig zum
Zeitpunkt der Negierung vorausgesetzt werden kann.
Nach synchronisehen Gesichtspunkten der Wortbildung lassen sich die Sub-
stantive somit folgendermaßen zusammenfassen:

Aus synchronisch erkennbaren Wortbildungsverfahren sind hervorgegangen:


Substantive auf -keit,26 -nis, -ung:
Annehmlichkeit, Bildung, Gleichung, Kenntnis, Ordnung, Verständnis

substantivierte Infinitive:
Behagen, Genügen, Vermögen, Wohlsein

andere Deverbativa:
Fall, Gebühr, Geduld, Geschick, Glaube, Gleichgewicht, Verstand, Wille

substantivierte Partizipien und Adjektive:

24
Da das zugrundeliegende Adjektiv nur in nicht-negierter Form existiert - cf.:
*'·unannehmlich vs. annehmlich (veraltet) - wurde das Wort Unannehmlichkeit
nicht wie die anderen Bildungen auf -heu und -keil ausgesondert.
25
Das Adjektiv reif ist seinerseits etymologisch aus einem Verb hervorgegangen;
diese Reihenfolge der Ableitung ist allerdings synchronisch nicht mehr erkennbar.
26
Die beiden bedeutungsverschiedenen, aber herkunfts- und ableitungsidentischen
Wörter Unruh(e) Teil eines Uhrwerks' und Unruhe 'Nervosität' wurden nicht ge-
trennt aufgenommen, obgleich der Bedeutungsunterschied, der sich hier entwik-
kelt hat, durchaus als Argument für eine getrennte Aufnahme geltend gemacht
werden könnte. Nähme man sie getrennt auf, so erhielte man 87 (statt 86) Sub-
stantive bei insgesamt 942 (statt 941) Wörtern. Beim prozentualen Anteil der Sub-
stantive am Gesamtsample hätte dies aber erst auf die zweite Stelle nach dem
Komma Einfluß (es ergäben sich 9,1295% gegenüber zuvor 9,1392%), so daß eine
andere Entscheidung bezüglich der Aufnahme von Unruh(e) vs. Unruhe am Ge-
samtergebnis nichts ändern würde.
27
Das Adjektiv (?) untot, das diesem Substantiv zugrundeliegt, ist nicht gebräuch-
lich. Obgleich der Duden von einem Pluraletantum ausgeht, kommen neuerdings
auch Singular-Verwendungen vor, cf. "Der Untote als V-Mann" (Spiegel 38/1994:
220, Bildunterschrift) und "Er spukt als Unerlöster und Untoter durchs kriminelle
Milieu." (ibd.: 223).
28
Zu dieser Gruppe würde auch die 318 Bildungen auf -heit und -keit gehören, die
eingangs ausgesondert wurden.
52

*Entschieden, *Geheuer, Gehorsam, *Gestüm, *Hold, Tote

deadjektivische Substantive auf -e (zu denen synchrone Adjektive existieren):


Reife, Ruhe, Schärfe, Treue

Daneben stehen die folgenden "sonstigen" Substantive:


Art, **Band29, *Bilden, *Bill, Dank, Ding, Ehre, Ernst, *Flat, Form, Frieden, Fug,
Geist, **Gemach*Q, *Gestüm, *Getüm, Gewitter, *Geziefer, Glück, Gnade, Gunst,
Heil, Kraut, Land, Lust, Mensch, Moral, Mut, Natur, Paar, Person, Rast, Rat, Recht,
*Schlitt, Schuld, Segen, Sinn, Sitte, Stätte, Stern, Tier, Tugend, Vernunft, Wert, We-
sen, Wetter, Wucht, Zeit, Zucht.

Es fällt auf, daß sich bei den nicht-negierten Basiswörtern Asterisk-Formen häufen.
Einige von ihnen lassen sich darauf zurückführen, daß es zwar kein positives Sub-
stantiv als Gegenstück zu dem negierten Wort gibt, wohl aber ein Adjektiv resp.
Partizip: entschieden, geheuer, hold und das veraltete gemach zeigen, daß hier zu-
nächst ein Adjektiv negiert wurde, und die so entstandenen negierten Formen wur-
den zu Unentschieden, Ungeheuer, Unhold und Ungemach substantiviert. Dies ist
keine Ausnahme. Ein Blick in die Sprachgeschichte zeigt auch für eine ganze Reihe
von anderen Wörtern, daß ihnen zunächst negierte Adjektive zugrundelagen. Dies
ist etwa der Fall bei Unbilden und Unbill (aus mhd. unbil 'unbillig'), Unpaar (cf.
mhd. pär 'gleich') oder Ungestüm (eine Substantivierung des negierten Adjektivs
ungestüm, verwandt mit nhd. stumm; zur sprachgeschichtlichen Entwicklung im
einzelnen cf. Grimm 1936: 877f.). Das seltene Wort Unschlitt rührt aus einem Par-
tizip,31 und auch hinter einer Reihe weiterer Wörter verbergen sich Verben als die
eigentlichen Grundformen. Die ursprünglichen Bedeutungen dieser Formen sind
jedoch im Laufe der Sprachgeschichte größtenteils verlorengegangen. So würde
heute beispielsweise niemand mehr das Wort Unart mit dem Ackerbau (resp. mit
einem nicht erfolgten Anbau) in Verbindung bringen, da längst auch die Bedeutung
von Art als 'Bestellung durch Pfügen' abgestorben ist, und auch bei dem histori-
schen Deverbativum Unfug32 ist - trotz des in der Redewendung mit Fug und
Recht in seiner alten Bedeutung erhaltenen Fug - die Bedeutung 'Unrecht' nicht
mehr vorhanden. Solche Ausflüge in die Sprachgeschichte zeigen indessen, daß die
lexikalische Negation von Anfang an nicht so sehr im Bereich des primären Wort-
schatzes als vielmehr bei derivierten Formen angesiedelt ist.33

29
Bei Unhand handelt es sich nicht um die Negation zum Substantiv Band, sondern
um eine aus einem Adjektiv (cf. unbändig) abgeleitete Substantivierung; dies wird
durch den Doppel-Asterisk markiert.
30
Der doppelte Asterisk muß gesetzt werden, da es sich bei Ungemach nicht um eine
Negation zum existierenden Substantiv Gemach 'Raum, Zimmer' handelt.
31
Abgeleitet von schlachten entsteht zunächst Geschlackt als Ausdruck für die be-
sten Stücke aus der Schlachtung; Ungeschlachte bezeichnet demnach zunächst das
Wertlose, i. e. den Talg. Cf. Grimm (1936: 1222).
32
Fug "gieng hervor aus dem praet. des verlernen goth. fagan praet fog" (Grimm
1878: 372); cf. nhd. fügen.
33
Die übrigen Sternchen-Formen erklären sich folgendermaßen: Unflat < mhd. vlat
'Sauberkeit', Ungetüm < mhd. tuom 'Macht', 'Würde', 'Stand', Ungeziefer < mhd.
ziber resp. zifer 'Opfertier'.
53

Unabhängig von ihrer etymologischen Herkunft handelt es sich bei den negier-
ten Substantiven mehrheitlich um Abstrakta, von denen wiederum die meisten von
vornherein mit einem positiven Wert konnotiert sind; cf.:
Annehmlichkeit, Behagen, Dank, Ehre, Frieden, Geist, Glaube, Glück, Gnade, Gunst,
Heil, Lust, Moral, Mut, Rat, Recht, Segen, Sinn, Sitte, Tugend, Wert.

An zweiter Stelle wären Abstrakta wie Art, Natur, Wesen sowie einige Konkreta
wie Mensch, Tier, Land, Kraut zu nennen, für die zumindest anteilige positive
Konnotationen angenommen werden können; dies gilt insbesondere dann, wenn
man eine bäuerliche Lebensweise als Hintergrund annimmt.34 Einige weitere
Begriffe wie Ding oder Stätte müssen synchron als neutral eingeschätzt werden; ein
Blick in die Sprachgeschichte zeigt allerdings, daß beispielsweise Unding "der
ursprünglich rechtlichen Bedeutung entsprechend" als "unrecht, übel, schaden"
(Grimm 1936: 439) interpretiert wurde und somit aus diachronischer Sicht abermals
einem positiv konnotierten Begriff ('Recht') gegenübersteht.
Unter diachronischen wie auch unter rein synchronischen Aspekten zeigt sich in
der ganzen Liste der Substantive nur ein einziger per se negativer Begriff. Der al-
lerdings ist ganz eindeutig negativ besetzt und wird durch die Hinzufügung des
Präfixes un- wieder ins Positive gekehrt: Schuld - Unschuld.^ Insgesamt zeichnet
sich also folgender Befund ab:
- morphologisch: die negierten Substantive gehören mit überwältigender Mehrheit
nicht dem primären Wortschatz an, sondern sind deriviert
- semantisch: vorwiegend werden positiv konnotierte Begriffe negiert, unter denen
wiederum Abstrakta die Mehrheit bilden.

3.1.2.2.4.2 Semantische Funktion der Negation

Neben den unterschiedlichen Konnotationen der zugrundeliegenden, nicht negierten


Substantive läßt sich auch eine unterschiedliche Auswirkung des negierenden Präfi-
xes auf diese beobachten. So ist zwar eine Unschuld mit einer 'Nicht-Schuld'
gleichzusetzen; aber bei einem Unwetter handelt es sich nicht um ein 'Nicht-Wet-
ter', sondern um eine bestimmte Sorte von Wetter, nämlich besonders schlechtes,36
und bei Unwucht handelt es sich nicht um eine nicht vorhandene Kraft (Wucht),
sondern um eine ungleich verteilte. Welches Prinzip ist hier wirksam?

34
Auf einen solchen bäuerlichen Hintergrund müssen ja, wie weiter oben gezeigt
wurde, sogar Substantive wie Art zurückgeführt werden, denen der agrikulturelle
Bedeutungsaspekt mittlerweile abhanden gekommen ist.
35
Auch dieses Substantiv ist ursprünglich ein Deverbativum (cf. nhd. sollen), das
ebenfalls dem rechtlichen Bereich entstammt und für das Mittelhochdeutsche von
Lexer (331972: 187) als "das Verhältnis dessen, der für etwas als urheber steht" um-
schrieben wird.
36
Gleiches gilt für die seltenere Nebenform Ungewitter, bei der es sich ja ganz of-
fensichtlich nicht um eine Negation zum modernen Begriff Gewitter handelt; ne-
giert wird statt dessen die alte Bedeutung des ursprünglichen Kollektivums Gewit-
ter; noch das mhd. gewitere hatte sowohl die Bedeutung 'Wetter' als auch die Be-
deutung 'Unwetter' (cf. Lexer 331972: 71).
54

Logisch betrachtet kann die Negation bestenfalls auf zwei Ebenen wirksam wer-
den:
- auf einer objektbezogenen oder referentiellen
- auf einer wörtlichen oder metasprachlichen.

Im ersteren Fall wird das Vorliegen eines Phänomens der außersprachlichen Wirk-
lichkeit in Abrede gestellt, im zweiten das Zutreffen eines sprachlichen Zeichens.
Im Normalfall sind diese Ebenen deckungsgleich. So kann eine Äußerung wie "Da
war weit und breit kein Baum (sondern nur ein Schachtelhalm)" mit 'In der außer-
sprachlichen Wirklichkeit befanden sich keine Objekte der Klasse 'Baum" um-
schrieben werden. Anders ausgedrückt: wenn man Fx als Prädikat für 'x ist ein
Baum' annimmt, entspräche die Negation -i(3x)Fx. Zugleich läßt sich die Äuße-
rung aber, beispielsweise im Hinblick auf die Paranthese, auch als: 'Das Wort
Baum trifft auf das zu beschreibende Objekt der außersprachlichen Wirklichkeit
nicht zu (sondern das Wort Schachtelhalm)' interpretieren. Prädikatenlogisch aus-
gedrückt entspräche dem: (3x)-<Fx. In beiden Fällen gab es in der außersprach-
lichen Wirklichkeit keinen Baum, und dieser Mangel wurde nur einmal mit
-i(3x)Fx als Nicht-Existenz von etwas, auf das das Prädikat "ist ein Baum" zutrifft,
zum anderen mit (3x)-iFx als Existenz von etwas, worauf die Prädikation "ist ein
Baum" nicht zutrifft, beschrieben. In Anlehnung an Russell (1940: 64), der aller-
dings schon -ip als "a sentence of the secondary language" beschrieben hat, wird
diese Art von Negation als "metalinguistische Negation" bezeichnet und hat zu vie-
len Untersuchungen und Auseinandersetzungen Anlaß gegeben (cf. hierzu z. B.
Hörn 1989: 362-444). Aber aus diesem Unterschied, so spannend er im einzelnen
sein mag, läßt sich die Bedeutung von Wörtern wie Unwetter nicht ableiten; ein
Unwetter ist eben nach wie vor ein Wetter und kein Schachtelhalm. Muß man das
Phänomen somit als unerklärlichen und lästigen, da unlogischen, Zufallseffekt bei
der Wortbildung abhaken?
Das muß man nicht, im Gegenteil: dieser Typ der Negation kommt im alltägli-
chen Sprachgebrauch häufig auch bei der syntaktischen Negation vor - es wird
etwas als unzutreffend charakterisiert, obgleich es objektiv gesehen völlig korrekt
ist. Als Beispiel könnte etwa die Äußerung: "Das ist doch keine Frisur! Das ist eine
Katastrophe!" als Kommentar zu einer neuen Haartracht verwendet werden. Natür-
lich weiß die Sprecherin, daß es sich bei der Katastrophe in Wirklichkeit durchaus
um eine Frisur handelt; aber sie spricht dem Objekt ihres Mißfallens die Berechti-
gung ab, sich zu dieser Klasse rechnen zu dürfen. Nicht die Referenz, sondern
bestimmte Konnotationen des Wortes sind es, die in Abrede gestellt werden; in dem
Beispiel mit der mißglückten Frisur könnte man diese Konnotationen etwa in Eigen-
schaften wie 'schmückend' oder 'ästhetisch befriedigend' vermuten. Ganz sicher ist
nicht, um welche Konnotationen es sich genau handelt, und das ist zum Verständ-
nis der Äußerung auch gar nicht nötig: die Sprecherin macht einfach nur deutlich,
daß bestimmte Grundanforderungen, die sie an ein Objekt der Klasse 'Frisur' stellt,
nicht erfüllt sind, und muß dabei nicht explizieren, um welche es sich genau han-
delt.
Genau dasselbe Verfahren liegt Wortbildungen wie Unland, Unmensch oder
Unzeit zugrunde. Auch ein Unmensch ist ein Mensch, aber er erfüllt bestimmte
Anforderungen aus der Konnotations-Kategorie 'Menschlichkeit' nicht, scheitert
55

also an den grundlegenden Bedingungen. Bei Unzeit hingegen ist nur eine gelegent-
liche Konnotation von Zeit betroffen, wie sie etwa in alles zu seiner Zeit positiv
aktualisiert wird. Dieses Prinzip, die mit einem Wort verbundenen positiven Er-
wartungen und nicht das Wort als solches mit seinem gesamten referentiellen Gehalt
zu negieren, soll im folgenden mit dem Begriff konnotative Negation bezeich-
net werden. Dieser Typ der Negation läßt sich mit formal-logischen Mitteln nicht
oder nur dann beschreiben, wenn man die Konnotationen eines Wortes ihrerseits
als logisches Prädikat darstellt. Dennoch kann er, wie gezeigt wurde, im Sinne
einer Alltagslogik des Sprachgebrauchs durchaus logisch erklärt werden, und es ist
keineswegs nötig, etwa mit Schnerrer (1978: 163) eine eigene semantische Kate-
gorie "Wertung" dafür anzusetzen.
Die Nutzung der konnotativen Negation, die als emphatischer motivierter Son-
derfall betrachtet werden kann, ist auf Substantive beschränkt und erwartungsge-
mäß auch unter den lexikalisch negierten Substantiven eher selten anzutreffen. Hi-
storisch gesehen neuere Bildungen wie Unstern werden bei Grimm bereits als
Lehnübersetzungen aufgefaßt ("scheint auf der grundlage des älteren unglückstem
zunächst dem franz. desastre nachgebildet zu sein"; Grimm 1936: 1425), und ältere
Bildungen dieses Typs sterben aus. Genau dasselbe Phänomen läßt sich auch in
anderen indoeuropäischen Sprachen beobachten, so z. B. auch im Serbischen, wo
einige archaische Formen wie nebog 'Ungott' noch erhalten sind; cf. hierzu aus-
führlicher im folgenden. Obgleich dieser Typ der Negationsverwendung weder im
Deutschen noch im Serbischen als besonders produktiv angesehen werden kann,
gibt es in jüngerer Zeit einige auffällige Ausnahmen; so stellt z. B. das Unwort, für
das die Gesellschaft für deutsche Sprache alljährlich nach einem aktuellen Vertreter
sucht, eine entsprechende moderne Bildung dar.

3.l.2.2.43 Anmerkungen zu -heit und -keit

Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Substantive sollen nun auch die an-
fangs ausgesonderten Bildungen auf -heit und -keit noch einmal kurz betrachtet
werden. Im einzelnen liegen dabei Entwicklungen folgender Basen vor:

-heit/-keit-Typ Anteil an allen Anteil am Anteil des Basistyps im


Bildungen auf entsprechenden Sample (ohne -heit-
-heit/-keit Typ im Sample und -fceJf-Formen)
Partizip 21,4% 22,4% 29,8%
Perfekt
-lieh 34,4% 59,4% 18,0%
-bar 16,3% 39,7% 12,8%
-ig 20,7% 63,5% 10,2%
-sam 3,1% 69,2% 1,4%
sonstige 4,1% 28,6% 4,5%

Tabelle 3
56

Aus Tabelle 3 läßt entnehmen, daß nur bei 21,4% aller Substantivierungen auf -heit
und -keit Partizipien zugrundeliegen, die im Gesamtsample (ohne Bildungen auf
-heit und -keif) mit 29,8% etwas häufiger vertreten sind; insgesamt wurden 22,4%
der vorhandenen Perfektpartizipien als Basis für Substantivierungen genutzt, was
zugleich den schwächsten Nutzungsgrad darstellt. Am stärksten ist die entspre-
chende Ausnutzung der Basisformen bei den Adjektiven auf -lieh erfolgt, von de-
nen immerhin fast 60% zu Substantiven entwickelt wurden. Dabei handelt es sich
zwar mehrheitlich, aber keineswegs ausschließlich um Deverbativa, und das Ver-
hältnis der Deverbativa zu den übrigen Formen ist mit 76% nur unwesentlich stär-
ker als beim zur Verfügung stehenden Basismaterial, in dem die Deverbativa 70%
ausmachen.
Damit ist viel, aber noch lange nicht alles erklärt. Denn auch wenn der größte
Teil der lexikalisch negierten Elemente offenbar aus morpholgischen Gründen für
diesen Typus der Negation geeignet ist und diese Vorbedingung sich als so stark
erweist, daß sie sogar für die weitere Ableitung von Formen auf -heit und -keit
Gültigkeit besitzt, bleibt aber immer noch zu erklären, unter welchen Bedingungen
nicht-verbale Derivate und außerdem insbesondere die Begriffe des "primären"
Wortschatzes ausgewählt werden, die ebenfalls mit lexikalischen Mitteln negiert
und, wie sich zeigt, auch weiter deriviert werden können; zu den zugrundeliegen-
den Prinzipien cf. im folgenden, 3.4. Bei den verbleibenden Basen handelt es sich
um:
Uneben-, Unecht-, Unfrei-, Unkeusch-, Unklar-, Unklug-, Unkorrekt-, Unrein-,
Unsauber-, Unsicher-, Unstet-, Unwahr-,

3.1.2.2.4.4 Zusammenfassendes zu den Substantiven

Jespersen (1954: 465) hat einige grundlegende Hypothesen zur lexikalischen Ne-
gation im Englischen aufgestellt, die häufig auch für die Beschreibung des Deut-
schen mit herangezogen werden. Er schreibt: "It is important to note that the proper
sphere of this prefix [i. e. un-, E.H.] is with adjs [i. e. adjectives, E.H.] and
advbs [i. e. adverbs, E.H.]. It is found frequently with sbs [i. e. substantives,
E.H.], but practically only such as are derived from adjs, e.g. unkindness, untruth,
unwisdom." Entsprechend dieser Voraussetzung führt der Autor auch Formen wie
unemployment auf ein zwar nicht nachweisbares, aber angenommenes
*unemployedment zurück (ibd.). Wenn man sich sehr große Mühe gibt, kann man
in der Tat auch für alle negierten deutschen Substantive der obigen Liste eine Her-
kunft aus Verb/Partizip oder Adjektiv nachweisen; allerdings muß man dabei mit-
unter schon sehr weit in der Sprachgeschichte zurückgehen. Die regelmäßige
Nachweisbarkeit eines nicht-substantivischen Ursprungs könnte dann als Bestäti-
gung von Jespersens Hypothesen aufgefaßt werden. Indessen kann die Tatsache,
daß sich auch Wörter wie Mensch (cf. männlich), Zeit (< idg. *da[i]- 'trennen')
oder Stern (< idg. *ster[d]- 'streuen'; cf. auch strahlen) auf derartige Wurzeln zu-
rückführen lassen, wohl kaum zugleich als Beweis dafür angesehen werden, daß
nur in solchen Fällen lexikalische Negation von Substantiven möglich ist. Wie bei-
spielsweise die sprachgeschichtlich relativ moderne Schöpfung des Wortes Unstern
zeigt, ist die Negation zumindest in einigen Fällen zu einem Zeitpunkt erfolgt, als
57

die möglicherweise verbale Herkunft des Wortes mit Sicherheit für die Sprechenden
nicht mehr nachvollziehbar war, so daß man wohl trotz allem annehmen muß, daß
hier schlicht ein als primär empfundenes Substantiv lexikalisch negiert wurde. In-
teressant ist dabei allerdings eine andere Feststellung: nämlich die, daß die etymolo-
gisch "undurchsichtigen" Wörter wie Unstern, Unzeit oder auch Unmensch offen-
bar alle zur selben semantischen Klasse gehören wie das moderne Unwort: es han-
delt sich in allen Fällen um konnotative Negationen.

3. l .3 Interpretation der Ergebnisse

Vor einer zusammenfassenden Wertung seien zunächst noch einmal die Ergebnisse
der morpholgischen Analysen in Bezug auf die Verteilung der Hauptwortarten zu-
sammengefaßt:

Wortart Einträge in%


Adjektive 849 90,2
davon deverbativ, min. 607 64,5
Adverbien 6 0,6
Substantive 86 9,1
Tabelle 4

Die Verteilung des lexikalischen Negations-Morphems un- auf den modernen deut-
schen Wortschatz zeigt, daß das historisch grundlegende Prinzip der lexikalischen
Negation, wie es bei Brugmann/Delbrück (1897) und Brugmann (1906) beschrie-
ben wird, im Grunde bis heute unverändert Gültigkeit besitzt. Im Grimmschen
Wörterbuch von 1936 wird dazu ausgeführt: "an das participium hat sich, wie Del-
brück vgl. Syntax 2 § 175 zeigt,37 die negation zuerst geheftet, am participium
wurde die ursprüngliche satznegation zur wortnegation, nachdem sie durch univer-
bisierung mit der nominalform des verbums zur begriffseinheit mit dem neuen wort
gelangt war, wobei sich sinn und function der wortnegation in die der späteren
privativen silbe verwandelte, vom part, dehnte sich die Verbindung auf die nächst-
verwandten participial-adjectiva und adjectiva aus." Im einzelnen kann die histori-
sche Entwicklung mit Brugmann und Delbrück folgendermaßen angesetzt werden:
1) Seit uridg. Zeit war *ne = ai na usw. Satznegation, das aus *ne nach l § 547,3
entstandene *# *nn = gr. a- -lat. in- usw. (l § 431, 2. 432,2) Wortnegation.
2) Nun ist die Form *ne einzelsprachlich auf zwei Wegen dazu gekommen, auch
Wortnegation zu werden:
a) Nach Univerbierung von *ne mit einem einzelnen Satzbestandteil kam Wort-
einung in der Weise hinzu, dass die Negation nicht mehr über den Begriff des mit
ihm zunächst verbundenen Wortes hinaus reichte. (...)

37
Der Verweis bezieht sich auf die folgende Stelle: "(...) scheint die privative Silbe
ursprünglich die einzige Negation der Partizipia gewesen zu sein." (Brugmann/
Delbrück 1897: 529); Fußnote E.H.
58

b) Die Negation der Partizipia war in uridg. Zeit entweder stets oder meist *nn, wie
noch im Ai. z. B. p^chami nu tvam avidvan 'ich, der es nicht weiß, frage dich nun.'
In den ausserar. Sprachen verband sich nun, je stärker das Partizip als Äquivalent
eines Nebensatzes dem Verbum finitum angenähert wurde, um so öfter mit ihm
*ne, beziehungsweise dessen einzelsprachlicher Ersatz (gr. ov, lat. non, nhd. nicht
usw.), und * n- zog sich auf den Gebrauch des Partizips als rein nominales Wort
zurück, wie gr. - [ ] 'unfreiwillig', lat. ne-sciens, got. un-witands 'unwis-
send'. Aber auch in diese Komposita drang *ne ein, und dieses kam durch
Vermittlung der Partizipia dann auch zu den wirklichen Adjektiven: lat. ne-scius
nach ne-sciens (zu ne-scio).
(Brugmann/Delbrück (1906: 105)

Brugmann/Delbrück fügen hinzu: "Nur ganz ausnahmsweise ist umgekehrt *#n


zum Verbum finitum gekommen." (ibd.: 106), und das Grimmsche Wörterbuch
erläutert die logischen Folgen der so beschriebenen etymologischen Verhältnisse für
die Häufigkeit, mit der sich die lexikalische Negation bei bestimmten Wortarten
finden läßt:
aus der historischen entwicklung der wn-composition ergibt sich als natürliche
folge, dasz substantiva weit weniger zahlreich sind als adjectiva, und unter den sub-
stantiven wieder concreta weniger zahlreich als abstracta; verneint doch un- im we-
sentlichen eine eigenschaft, keine thatsache, kein dasein, trotzdem sind subst.-
composita lebenskräftig entwickelt.
(Wörterbuch 1936: 9)

Bis heute hat sich an dieser Verteilung nichts geändert, und auch die Produktivität
ist nach wie vor in entsprechender Weise eingeschränkt.
Daß diese Prinzipien bis in die moderne Sprache hinein wirksam sind, bedeutet
aber zugleich, daß es sich bei der lexikalischen Negation nicht um ein primär se-
mantisch gesteuertes Phänomen handeln kann, wie die eingangs ziterten Autoren
von Zimmer bis Funk - mit Ausnahme von Gyurko - vermuten. Aber welche nicht-
semantischen Mechanismen können für diese Gestaltung des Wortschatzes verant-
wortlich sein? Oder ist es ein historischer Zufall, daß sich die lexikalische Negation
gerade in dieser Weise ausgeprägt und bis in die Gegenwart erhalten hat?
Bevor der Versuch unternommen wird, eine Antwort auf diese Fragen zu geben,
soll zunächst die zugrundeliegende Datenbasis erweitert werden, indem der Befund
für eine weitere indoeuropäische Sprache erhoben und mit dem im Deutschen ver-
glichen wird. Wenn die Hypothese zutrifft, daß in erster Linie morphologische
Kriterien für die lexikalische Negation ausschlaggebend sind, dann müßte es sich
bei den bisher aufgezeigten Regelmäßigkeiten zugleich um Regeln handeln, die
nicht nur für das Deutsche gültig sind. Damit wäre zugleich Funk (1986: 885) wi-
dersprochen, der seine Suche nach Regeln für die lexikalische Negation folgen-
dermaßen zusammenfaßt:
Whatever kind of constraints may be established for prefication by un-/un- in
English and German, it will at any rate be a language-specific constraint or, more
precisely, one that applies to specific morphological patterns used in certain lan-
guages. This is immediately evident from the (partly) different range of the nega-
tive pattern in some Slavic languages.
Funk (1986: 885)
59

Diesen Unterschied belegt er beispielsweise durch das polnische Wort niewielki


('ungroß1). Eine gleichartige, auch äußerlich erkennbar verwandte Bildung kennen
auch andere slawische Sprachen, so etwa das Serbische - cf. serbisch neveliki -,
dessen lexikalische Negation im folgenden näher untersucht werden soll. Die Ana-
lyse der lexikalischen Negation in dieser Satem-Sprache kann damit zugleich ein
weiterer Schritt auf dem Weg zur Antwort auf die Frage sein, ob einzelsprachliche
Regeln, übereinzelsprachliche Prinzipien oder eine Mischung aus beidem die lexi-
kalische Negation steuern.

3.2 Die lexikalische Negation im Serbischen

3.2.1 Empirische Grundlage

Im Serbischen kann man ganz genauso wie im Deutschen mithilfe eines Präfixes
(ne-) lexikalische Negationen bilden. Im Unterschied zum Deutschen handelt es
sich dabei um dasselbe Morphem, das auch bei der syntaktischen Negation und
darüber hinaus sogar als Antwortpartikel Verwendung findet: ne ist das einzige
Negationselement, das die Sprache kennt,38 und entsprechend kann sich der Un-
terschied zwischen lexikalischer und syntaktischer Negation nur in der Distribution
manifestieren. Hier tritt der Unterschied dann allerdings klar zutage: während die
syntaktische Negation immer am Verb markiert wird und auch beim Vorliegen eines
negierten Pronomens wie niko 'niemand', nigde 'nirgends' oder nikako 'auf keine
Weise' den zusätzlichen Gebrauch der Negationspartikel ne vor dem Finitum erfor-
derlich macht, steht die Negationspartikel beim Vorliegen einer lexikalischen Nega-
tion nicht beim Verb, sondern nur bei dem Lexem, mit dem sie zugleich zu einem
neuen Wort verschmolzen ist. Der zusätzliche Gebrauch eines ne beim Verb bewirkt
eine zusätzliche Negation des Satzes; cf. z. B. Sva sreca ne preti nevreme 'Zum
Glück droht kein Unwetter' (wörtlich: 'alles Glück nicht droht Unwetter').
Um einen repräsentativen Überblick über die wortartenspezifische Verteilung
des lexikalischen Negationstyps zu erhalten, wurde abermals ein Wörterbuch zu-
grundegelegt: das Recnik srpskohrvatskoga knjizevnog jezika ('Wörterbuch der
serbokroatischen Schriftsprache'), im folgenden kurz Recnik genannt. Dabei han-
delt es sich um ein 1969 in Novi Sad und Zagreb erschienenes, von der Matica
Srpska und der Matica Hrvastka gemeinsam herausgegebenes einsprachiges sechs-
bändiges Wörterbuch, von dem eine vollständige Version aber nur in kyrillischer
Schrift existiert. Das Recnik "was to be published by the Matica hrvatska in Latin
script and Matica srpska in Cyrilic (...). The group of Croatian linguists taking part
gave up, and the Latin script version ceased publication after the second volume.
The reason for their dissent was complex, but it boiled down to the claim that the
Croatian variant was not adequately represented through the lexicographical prin-
ciples." (Kalogjera 1989: 175). Für eine Beschreibung des Kroatischen könnte das

38
Bei Kontraktionen, etwa in Formen wie nisam 'bin nicht' oder niko 'niemand'
(wörtlich: 'nicht-wer'), wandelt sich der Trägervokal des Morphems unter be-
stimmten Bedingungen zu -i-. Dieser Wandel erfolgt keineswegs immer - cf. z. B.
necu 'will nicht', nemam 'habe nicht' -, und das Morphem selbst bleibt in seiner
Funktion davon unberührt.
60

Wörterbuch also nur noch unter großem Vorbehalt herangezogen werden; für den
Kontext der vorliegenden Arbeit gibt es hingegen keine prinzipiellen Bedenken.
Das Lexikon belegt seine Einträge, die nicht nur die ekavischen, sondern auch
sämtliche ijekavischen und ikavischen Varianten umfassen, mit literarischen Zitaten.
Auch der Wortschatz selbst orientiert sich an diesen literarischen Quellen; darüber
hinaus wurde er von sämtlichen vulgären oder obszönen Ausdrücken vollständig
gereinigt. So findet sich z. B. kein einziger der obszönen Begriffe, die Vuk Ka-
radzic anderthalb Jahrhunderte zuvor in seinem Wörterbuch noch sorgfältig ge-
sammelt und verzeichnet (und dabei noch nicht einmal als "obszön" oder "vulgär"
kenntlich gemacht) hat,39 und auch der umgangssprachliche Wortschatz ist nur sehr
beschränkt berücksichtigt. Dafür finden sich andererseits zahlreiche Einträge, die
nicht nur ungebräuchlich, sondern den modernen Sprechern auch nicht mehr geläu-
fig sind, und teilweise sind sogar eindeutig ideolektische Bildungen aufgenommen
worden, die nur ein einziges Mal bei einem einzigen Autor auftauchen. Insgesamt
läßt das Recnik srpskohrvatskoga knjizevnog jezika also einiges zu wünschen üb-
rig. Da es sich aber um das einzige existierende Wörterbuch dieses Umfangs han-
delt, wurde es dennoch zugrundegelegt.
Um einen Überblick über die lexikalische Negation im Serbischen zu erhalten,
wurden zunächst sämtliche Einträge auf ne- ausgewertet. Es ergab sich, daß in
2821 Fällen eine Negation vorlag.40 Diese auf den ersten Blick beeindruckende
Zahl - immerhin verzeichnet der Duden demgegenüber nur 1239 Einträge, also
weniger als die Hälfte - muß allerdings gleich relativiert werden, denn in diesen
Einträgen sind zahlreiche Dubletten enthalten (cf. hierzu im folgenden); neben allen
nur irgend möglichen Derivationen werden zusätzlich sogar die von Adjektiven ge-
bildeten Adverbien gesondert aufgeführt, wenn sich ein literarischer Beleg dafür
fand. Das führt im Einzelfall zu Wortlisten wie beispielsweise der folgenden, deren
27 Einträge und drei Untereinträge sich um den Begriff nevid/nevidljiv 'Unsicht-
bar(keit)' ranken:

39
Dies widerspricht dem Anspruch auf Vollständigkeit auch im Hinblick auf eine
rein literarisch gemeinte Vollständigkeit, da vulgäre oder obszöne Ausdrücke in
der serbischen Literatur durchaus ihren Platz haben. Sowohl in herkömmlichen
volkstümlichen Liedern und Texten, wie sie etwa Vuk Karadzic noch völlig unbe-
fangen gesammelt und veröffentlicht sowie im Rahmen seiner Arbeiten auch als
Beispiele herangezogen hat, als auch im modernen Sprachgebrauch vom Alltag
bis zur Literatursprache ist die Benennung der Sexualität völlig normal; die be-
ginnende Tabuisierung der entsprechenden Wörter ist regional- und schichtspezi-
fisch und muß als Folge äußerer Einflüsse gewertet werden.
Zur Illustration des ursprünglichen Umgangs mit diesem Tabubereich cf. z. B.
folgenden Beleg aus dem ersten Wörterbuch von Vuk Karadzic (1818):
Oj ti seko sekucala!
Je si U se jebucala?
Kako bi se jebucala,
Kad jos ni sam ni brucala.
Der sprachspielerische Text entzieht sich der genauen Übersetzung. Sehr grob läßt
sich der Inhalt des Zwiegesangs etwa folgendermaßen wiedergeben: Mädchen,
hast du Beischlaf gehabt? - Wie sollte ich denn Beischlaf gehabt haben, wenn mir
noch keine Schamhaare gewachsen sind.'
40
In den übrigen Fällen handelte es sich um zufällig mit ne- beginnende Wörter wie
nebo 'Himmel' oder nem 'stumm', um einige Präfixe mit unklarer Etymologie wie
in nenavideti 'beneiden' sowie um Fremdwörter auf neuro-.
61

nevid 'unsichtbare Umgebung, Finsternis1


nevidan 'unsichtbar'
nevidararc 'Unsichtbarer'
(u) nevidbog 'ans Ende der Welt'
nevidelica/nevidjelica 'Finsternis'
nevidelice/nevidjelice 'unsichtbar' (Adverb)
nevidelis 'Finsternis1
nevidelo/nevidjelo 'Finsternis'
nevidiv 'unsichtbar'
nevidivo 'unsichtbar' (Adverb)
nevidim 'unsichtbar' (archaisch)
nevidice 'unsichtbar' (Adverb)
nevidis 'Finsternis'
nevidljiv 'unsichtbar'
nevidljivac 'Unsichtbarer'
nevidljivo 'unsichtbar' (Adverb)
nevidljivost 'Unsichtbarkeit'
nevidnik 'Unsichtbarer'
nevidno 'unsichtbar' (Adverb)
nevidova 'Unsichtbarkeit'
nevidovan 'unsichtbar', 'unerwartet'
nevidovno 'unsichtbar1 (Adverb)
nevidovo Tod'
nevidom 'ungesehen', 'heimlich' (Adverb)
nevidjen 'ungesehen1
nevidjeno 'ungesehen' (Adverb)
nevidjenje 'Unsichtbarkeit', Trennung'

Das Beispiel zeigt nicht nur, daß auch individuelle Sprachschöpfungen einzelner
Autoren (cf. z. B. nevidnik, nevideliS) sowie archaische, nicht mehr gebräuchliche
Formen (cf. nevidim) aufgenommen worden sind; es zeigt auch, daß sämtliche
morphologischen Alternativen in der Wortbildung nebeneinandergestellt werden.
Ein typisches Beispiel hierfür ist das Nebeneinander der Adjektivendungen -iv und
-Ijiv, mittels derer Adjektive aus Verben und Substantiven, in selteneren Fällen auch
aus anderen Adjektiven, abgeleitet werden können. Ursprünglich handelt es sich
dabei um ein einziges Suffix -iv, vor dem zunächst unter bestimmten phonetischen
Bedingungen ein -(/'- eingeschoben wurde; in der Folge kam es auch dann, wenn
die lautliche Umgebung nicht den Bedingungen entsprach, zu zahlreichen Analo-
giebildungen. Daher sind die Regeln dafür, wann im modernen Serbischen welche
dieser beiden Derivationsendungen verwendet wird, sehr komplex und auch nicht
völlig einheitlich (cf. hierzu im einzelnen Stevanovic 1989a: 550-558). Der Unter-
schied zwischen den Formen wie nevidiv und nevidljiv aber entspricht ungefähr
dem deutschen Unterschied zwischen der phonetischen Realisation der Adjektiv-
endung -ig als [ic] im Norden oder als [ik] im Süden des Sprachgebietes: zwar alles
andere als unwichtig oder gleichgültig, aber ohne jede Auswirkung auf die sonsti-
gen Eigenschaften des betreffenden Wortes.
Im wesentlichen aus Dubletten besteht auch die folgende, kleinere negierte
Wortgruppe mit nur 17 Einträgen um das Substantiv sreccfi1 'Glück', an der sich

41
Ursprünglich handelt es sich auch bei dem Substantiv sreca um ein Deverbativum,
abgeleitet von sresti 'treffen'; aber diese etymologische Tatsache ist im modernen
Sprachempfinden nicht mehr lebendig, und das Substantiv wird als eigenständig
empfunden.
62

drei weitere Ursachen für den großen Umfang des erfaßten Wortschatzes aufzeigen
lassen:

nesrecan 'unglücklich'
nesreäiica 'Unglückliche'
nesrecnicki 'unglücklich'
nesrecnikovic 'Pechvogel'
nesrecnik 'Unglücklicher'
nesrecno 'unglücklich' (Adv.)
nesrecnost 'Unglück'
nesretan 'unglücklich'
nesretko 'Unglücklicher'
nesretluk 'Unglück'
nesretnica 'Unglückliche'
nesretnik 'Unglücklicher'
nesretnjakovic 'Pechvogel'
nesretnjak 'Unglücklicher'
nesretnji 'unglücklich'
nesretnjica 'Unglückliche'
nesretnjik 'Unglücklicher'
nesretno 'unglücklich' (Adv.)

Hier stehen sich zunächst die vollzogene und die nicht erfolgte Palatalisierung des
Stammauslauts (t vs. Palatalisierung zu c) gegenüber, wobei es sich bei den For-
men auf -t- um die im Kroatischen üblicheren Varianten handelt, die jedoch im Ser-
bischen vor allem in der Schriftsprache ebenfalls gebräuchlich sind. Solche Fälle, in
denen verschiedene lautliche Entwicklungen zu einem Nebeneinander von seman-
tisch ansonsten identischen Lexemen geführt haben, kommen im Sample öfter vor
(cf. z. B. netacan vs. netocan 'ungenau'). Ferner zeigt sich in der Liste eine Sub-
stantivierung auf -ost neben einer ebensolchen auf -luk. Beide Derivationssuffixe
entsprechen dem Deutschen '-heit'/'-keit', und sowohl nesrecnost als auch nesret-
luk bedeuten also wörtlich 'Unglücklichkeit1. Bei -ost, einem gemeinslavischen
Derivationssuffix zur Bildung deadjektivischer Substantive, handelt es sich dabei
um die häufigere Endung. In -luk liegt demgegenüber ein türkisches Derivati-
onssuffix vor, das ins Serbische übernommen wurde und dort lange Zeit relativ
produktiv war (cf. Stevanovic 1989a: 491). Im modernen Serbischen ist es aller-
dings im Gegensatz zu -ost nicht mehr produktiv, und die so gebildeten Formen
beginnen zu veralten. Besonders auffällig an der Wortgruppe um sreca ist schließ-
lich die Häufung von insgesamt neun Ableitungen zum Ausdruck weiblicher und
männlicher Unglücksraben (nesrecnica/nesretnjica//nesretnica, nesrecnik/ne-
sretnjik/nesretnik, nesretko, nesretnjak, nesrecnikovic/nesretnjakovic), wobei
allerdings nur fünf unterschiedliche Derivationsverfahren zugrundeliegen: Formen
auf -n(j)ik, -(j)ak und -ovic sowie das grammatische Neutrum nesretko bilden
männliche, Ableitungen auf -ica weibliche Pechvögel; die restlichen Unterschiede
sind auf unterschiedliche Palatalisierungsverhältnisse zurückzuführen. Abgesehen
von diesem letzteren zusätzlichen Faktor, der den Wortschatz aufbläst, kann anhand
dieser Beispiele vor allem verdeutlicht werden, daß das Serbische dazu neigt, Ad-
jektive bei substantivischem Gebrauch einem affigierenden Wortbildungsverfahren
zu unterziehen und sie nicht, wie das Deutsche dies tut, unverändert zu überneh-
men. Deutsche substantivierte Adjektive wie der Alte, die Arme, der Gläubige etc.
63

müssen im Serbischen allesamt durch derivierte Substantive - hier: starac, jadnica,


vernik - wiedergegeben werden.
Die Beispiele ließen sich, wie schon ein flüchtiger Blick in das Recnik zeigt, be-
liebig vermehren. Nun ist es aber im Rahmen der hier vorgelegten Untersuchung
sicherlich nicht sinnvoll, sämtliche Derivationen in allen ihren lautlichen Ausfor-
mungen einzeln aufzuführen und in die Statistik mit einzubeziehen. Gegen Dublet-
ten lautlicher Art spricht schon allein die Tatsache, daß sie nicht wirklich als pa-
rallele Bestandteile des Wortschatzes aufgefaßt werden können. Die unterschied-
lichen Realisierungen gehören zu verschiedenen Subsets der Sprache; so wenig,
wie eine Person mit deutscher Muttersprache ihr Brötchen im Laufe des Frühstücks
immer abwechselnd als Rundstück, Schrippe, Semmel und Weck bezeichnen
würde, werden die Dubletten aus dem serbischen Sample von denselben Personen
im selben Kontext gleichzeitig benutzt. Insgesamt wurden die folgenden Phäno-
mene nicht doppelt aufgenommen:
- ijekavische/ekavische/ikavische Varianten: Es wurde grundsätzlich nur die eka-
vische Variante berücksichtigt.
- Adjektive auf -ivl-ljiv: Es wurde die in der Vojvodina üblichere Variante aus-
gewählt.
- Derivierte Abstrakta auf -ost, -stvo oder -luk42: das Substantiv wurde, entspre-
chend dem Verfahren bei dt. -heit, -keit, nur dann aufgenommen, wenn das zu-
grundeliegende Adjektiv nicht schon im Sample enthalten war.
- Deverbativa auf -anje/-enje wurden ebenfalls nur dann aufgeführt, wenn kein
negiertes Partizip Passiv aus derselben Wurzel vorhanden war (also z. B. nicht
nevaspitanje 'Ungezogenheit', sondern nur nevaspitan 'ungezogen', aber ne-
manje 'Armut').
- Substantivierte Adjektive: da im Deutschen substantivierte Adjektive wie die
Glückliche oder der Schöne nicht gesondert aufgeführt wurden, werden, um die
Vergleichbarkeit der beiden Sample zu gewährleisten, auch die entsprechenden
serbischen Substantivierungen auf -ak (jak, njak), -nik (-njik), -ovic, -ica und
-tko, wie sie etwa in dem obigen Beispiel der Wortgruppe 'Unglück' auftreten,
nur dann berücksichtigt, wenn das zugrundeliegende Adjektiv nicht vorhanden
war.
- Diminutiva und Augmentativa blieben unberücksichtigt.
- Adjektivadverbien mit regelmäßiger Bildung auf -o oder -ski wurden nicht zu-
sätzlich zu den Adjektiven aufgenommen.

Allein die Ableitungen auf -ost machen 596 Einträge aus, wobei allerdings ange-
merkt werden muß, daß sich auch hierunter abermals noch Dubletten (cf. z. B. ne-
raskidivost/neraskidljivost/neraskidnost 'Unzerreißbarkeit') finden können. Die
entsprechenden deutschen Substantivierungen auf -heit und -keit, die ebenfalls aus-
gesondert worden waren, hatten mit 294 Einträgen einen Anteil von 23,8% am Ge-

42
Bei dem Derivationssuffix -luk handelt es sich um einen Turzismus; zugrunde
liegt das türkische Suffix -llk 'heit'/'keit', das der sog. großen Vokalharmonie folgt,
von der aber nur die Form auf -u- ins Serbische übernommen wurde. Das Suffix
ist zwar nicht mehr produktiv, findet sich aber nicht nur bei türkischen Lehnwör-
tern, sondern auch bei Wörtern slawischen Ursprungs, cf. z. B. bezobrazluk 'Unver-
schämtheit'. Cf. zu diesem Komplex auch Hentschel (1995).
64

Samtwortschatz; die serbischen Bildungen auf -ost machen mit 596 von insgesamt
2821 Einträgen 21,1% aller Lexeme aus.43 Mit anderen Worten: der Anteil dieses
Ableitungstyps am Gesamtwortschatz ist ungefähr gleich hoch, und es kann somit
angenommen werden, daß die jeweilige Aussonderung in beiden Sprachen diesel-
ben Auswirkungen auf das Ergebnis hat.
Adjektivadverbien auf -o und -ski, die offenbar nicht generell gesondert aufge-
führt sind, sondern nur dann, wenn sich in der durchgesehenen Literatur ein Beleg
für die jeweilige Form finden ließ, stehen mit 436 Einträgen an zweiter Stelle der
hier nicht weiter berücksichtigten Formen. Derivationen zur Bezeichnung von Per-
sonen wie z. B. sretnik 'der Glückliche' machen insgesamt 154 Wörter aus, wobei
es sich im einzelnen um Ableitungen auf -nik, -ica44, -ak,45 -ac, -tko und -ov resp.
-ovic handelt (zum jeweiligen zahlenmäßigen Anteil siehe nachstehende Tabelle 5).
Schließlich sind 24 Abstrakta nicht aufgenommen, die mittels der Endung -stvo
(vergleichbar dt. -turn) gebildet worden sind wie z. B. necoveStvo 'Unmenschen-
tum'. Der Rest der nicht aufgenommenen Lexeme verteilt sich auf einige andere,
z. T. nicht mehr produktive und oft auch ausgesprochen archaische Wortbildungs-
verfahren sowie auf einige rein kroatische Varianten wie z. B. kroatisch nebrijeme
'Unwetter' (zu serbisch nevreme). Allerdings wurden keineswegs alle Lexeme aus-
gesondert, die dem Kroatischen zugerechnet werden können; ein Blick in die Wort-
liste zeigt, daß im Gegenteil noch zahlreiche Wörter enthalten sind, die vornehmlich
oder auch ausschließlich im Kroatischen gebraucht werden. Nicht berücksichtigt
wurden nur diejenigen Formen, die eindeutig als (phonetische) Varianten schon
aufgenommener Lexeme einzuordnen waren. Da die Grenzen, innerhalb derer ein-
zelne Wörter gebräuchlich sind, oft sehr unterschiedlich und unregelmäßig verlau-
fen,46 sollte mit diesem Verfahren sichergestellt werden, daß die Eingriffe in das
vorgefundene Sample so geringfügig wie möglich bleiben. Dafür wurde in Kauf
genommen, daß sich der Wortschatz insgesamt etwas vergrößert; da man aber mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, daß er dies
unter den vorliegenden Bedingungen nicht einseitig bei einer bestimmten Wortart
tut, kann die statistische Auswertung hiervon nicht beeinflußt werden.
Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die im folgenden nicht be-
rücksichtigen Lexikoneinträge.

43
Hierbei ist zu bedenken, daß nicht nur in den Formen auf -ost, sondern auch in
den übrigen Einträgen noch sämtliche Dubletten enthalten sind, wobei mit einiger
Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß der Anteil dieser doppelt verzeichneten
Varianten jeweils gleich hoch ist.
44
Die restlichen 19 Wortbildungen mit dem Suffix -ica, die sich im Sample finden,
bezeichnen nicht Personen, sondern Abstrakta.
45
Die übrigen sechs Bildungen auf -ak sind keine Personenbezeichnungen.
46
Man denke nur beispielsweise an das "klassisch serbische" Wort hiljada 'tausend',
das in der Gegend um Dubrovnik statt des kroatischen tisuöa 'tausend' gebräuch-
lich ist.
65

Wortbildungstyp absolute Anteil am Anteil am


Zahl Gesamtsample unberücks. Teil
Abstrakta auf -ost 596 21,1% 35,2%
Adverbien auf -o 436 15,5% 25,8%
und -ski
Personenbezeichn. 154 5,5% 9,1%
* davon auf -nik * 50 * 1,8% * 3,0%
* davon auf -ica * 40 * 1,4% * 2,4%
* davon auf -ak * 23 * 0,8% * 1,4%
* davon auf -ac * 21 * 0,7% * 1,2%
* davon auf -ko * 13 * 0,5% * 0,8%
* davon auf -ov(ic) * 7 * 0,2% * 0,4%
Deverbativa auf -nje 28 1,0% 1,7%
Abstrakta auf -stvo 24 0,9% 1,4%
sonstige 454 16,1% 26,8%
Summe 1692 60,0% 100,0%

Tabelle 5

3.2.2 Auswertung. Die Wortarten im einzelnen

Die verbleibenden 1129 Wörterbucheinträge verteilen sich auf die folgenden mor-
phologischen Typen:47

47
In einigen Fällen ließe sich über die Zuordnung deverbativ/denominal möglicher-
weise diskutieren, so beispielsweise bei komplexen Adjektiven wie neznabozacki
'heidnisch' oder negostoljubiv 'ungastfreundlich'. Hier liegen Bildungen aus Verb
und Substantiv vor, cf.:
ne zna boz acki
Neg wiss- Gott- Derivationssuffix
ne gast o ljub iv
Neg Gast Derivationsinfix lieb- Derivationssuffix
Die Einordnung erfolgte jeweils nach dem am weitesten rechts stehenden Stamm-
bestandteil, so daß1 negostoljubiv 'ungastfreundlich' also den Deverbativa, nezna-
bozacki 'heidnisch hingegen den "sonstigen derivierten Adjektiven" zugerechnet
wurde.
Etwas häufiger tritt das Problem auf, daß einem Adjektiv sowohl ein Verb als auch
ein Substantiv zugrundeliegen. Das Adjektiv nenasit 'unersättlich' beispielsweise
geht in letzter Konsequenz auf ein Adjektiv sit 'satt' zurück, von dem der Weg zu
nenasit aber zuerst über das Verb nasititi 'sättigen' führt; daher ist das Wort trotz
seines adjektivischen Kerns bei den Deverbativa aufgeführt. In ähnlicher Weise er-
folgte die Entscheidung bei Wörtern wie nemocan Ohnmächtig' (eigentlich vom
Verb moä 'vermögen', aber über das deverbative Substantiv moc 'Macht' abgeleitet)
oder nenadan 'unverhofft' (cf. nadati se 'hofferi/nada 'Hoffnung').
Es ist in höchstem Maße unwahrscheinlich, daß eine andere als die hier vorge-
nommene Einordnung einiger diskutabler Einzelfälle etwas an den Gesamtver-
hältnissen ändern würde, die im hier untersuchten Zusammenhang von Interesse
66

Wortart und Wortbildungs- absolute Zahl Anteil in %


verfahren
deverbative Adjektive 538 47,7
(ohne Partizipien)
davon auf -iv 296 26,2
davon auf -an/-en 231 20,5
Partizipien Perfekt Passiv 202 17,9
Partizipien des Aktivs 5 0,5
Summe der deverbativen 746 66,1
Adjektive und Partizipien
sonst, derivierte Adjektive 120 10,6
Summe der derivierten Adjektive 866 76,7
Adjektive/Fremdwörter 50 4,4
sonstige Adjektive 35 3,1
Summe aller Adjektive 951 84,2
Substantive 144 12,8
Substantive/Fremdwörter 8 0,7
Adverbien 13 1,2
Verben 12 1,1
Summe 1129 100,0
Tabelle 6

3.2.2.1 Partizipien, Adjektive, Adverbien

Unter den Partizipien, die durch das negierende Präfix zu Adjektiven werden,
überwiegen bei weitem die Partizipien des Perfekt Passiv.48 Das ist insofern außer-
ordentlich interessant, als diese Partizipien ohne negierendes Präfix eine sehr viel
geringere Rolle spielen, als dies etwa die Passiv-Partizipien im Deutschen tun. Ins-
besondere das Passiv selbst wird normalerweise eher selten gebraucht. Dies wie-
derum führt zu der auf den ersten Blick paradox anmutenden Erscheinung, daß

sind. Daher wurde auch auf eine ausführliche Diskussion der Zweifelsfälle und
eine Begründung für die jeweiligen Zuordnung verzichtet.
48
Die deverbativen Adjektive auf -en und -an gleichen in ihrer äußeren Form voll-
ständig den Partizipien Perfekt Passiv; ein Unterschied ist von außen nicht erkenn-
bar. Erst der Vergleich mit den jeweils zugrundliegenden Verben macht deutlich,
ob ein deverbatives Adjektiv oder ein Partizip vorliegt. So handelt es sich bei-
spielsweise bei neiscrpan 'unerschöpflich' um ein vom Verb iscrpiti 'erschöpfen'
gebildetes Adjektiv, bei iscrpljen 'erschöpft' hingegen um das Partizip; cf. auch
cuti 'hören', Adjektiv: necujan 'unerhört', Partizip cuven 'ungehört' etc. In einzelnen
Fällen kann sich der Unterschied auch auf verschiedene Tonführung bei Partizip
und deverbativem Adjektiv beschränken, so etwa im Falle von dogledati 'absehen':
Adjektiv nedogledan 'unabsehbar', Partizip dögledan 'abgesehen' (vs. d^ogledan
'absehbar1, mit kurz-fallendem Akzent). Sämtliche hier behandelten Wortformen
auf -an/-en sind sozusagen "von Hand" sortiert und als Partizipien identifiziert
worden.
67

viele der Partizipien in ihrer negierten Form gebräuchlicher sind als in der positiven
Grundform.
Partizipien des Präsens Aktiv auf -ci, die zumindest nach den Regeln der prä-
skriptiven Grammatik nur in Ausnahmefallen attributiv verwendet werden können,
sind nicht nur in negierter Form, sondern auch generell eher selten. Hingegen wer-
den Partizipien im Perfekt Aktiv, die in der Liste der negierten Lexeme nur durch
vier Formen vertreten sind, zur Bildung von Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II
verwendet und stellen somit eine außerordentlich häufig gebrauchte Verbform dar.
Aus diesen Beobachtungen folgt, daß die Frequenz der jeweiligen Form ganz si-
cher nicht den Ausschlag dafür geben kann, welche Elemente durch Präfigierung
negiert werden und welche nicht. Offenbar spielen statt dessen strukturelle Eigen-
schaften eine Rolle, die nicht auf eine moderne Einzelsprache beschränkt sind, son-
dern auch sprachübergreifend Bedeutung haben. Daß passivische Formen offenbar
besonders gern lexikalisch negiert werden, wurde ja auch schon bei der Untersu-
chung des deutschen Wortschatzes festgestellt. Durch den Befund im Serbischen,
wo eine solch starke Vertretung von Passivformen als unerwartet angesehen wer-
den muß, da diese Sprache das Medium bevorzugt,49 wird der Eindruck bestärkt,
daß das Passiv grundsätzlich ideal für lexikalische Negationen geeignet ist. Auf die
Frage, warum dies so ist, wird im folgenden noch einzugehen sein.
Auch unter den Adjektiven, die nicht aus negierten Partizipien gebildet sind,
überwiegen bei weitem diejenigen, die durch Wortbildungsverfahren gewonnen
worden sind: insgesamt stellen die deverbativen und denominalen Adjektive 658
Einträge oder 58,3% des gesamten Corpus dar. Zusammen mit den Formen, die
aus Partizipien gebildet worden sind, sind somit 866 Einträge resp. 76,7% der
Lexeme auf der Liste Adjektive, die vor der Negierung durch verschiedene Deriva-
tionsverfahren aus anderen Wörtern abgeleitet worden sind. Dabei ist der Anteil der
Deverbativa außerordentlich hoch: er beläuft sich auf einen Anteil von 86,1% unter
allen abgeleiteten Adjektiven und macht 66,1% des Gesamtsamples aus. Unter den
Deverbativa auf -iv und -anJ-en wiederum überwiegen Formen mit passivischer
Bedeutung wie neispunljiv 'unerfüllbar' oder neizmeran 'unermeßlich' - auch hier
ein Befund also, der dem für das Deutsche festgestellten auffallend gleicht.
Auf "primäre" Adjektive, also diejenigen, die nicht - oder zumindest nicht nach
synchroniser! ohne weiteres erkennbaren Wortbildungsverfahren - abgeleitet sind,
gehen 35 Eintragungen oder 3,1% zurück; dabei liegen die in der folgenden Liste
aufgeführten nicht-negierten Adjektive zugrunde.

49
Als Medium wird hier die Form bezeichnet, die von den Grammatiken auch als
"se-Passiv" beschrieben wird (cf. z.B. Mrazoyic/Vukadinovic 1990: 133) und die
formal eine Reflexivkonstruktion darstellt. Ähnlich wie in vergleichbaren deut-
schen Konstruktionen nach dem Muster Das Buch verkauft sich gut referieren
Subjekt und Reflexivum nicht auf eine Entität in der außersprachlichen Wirklich-
keit, die gleichermaßen als Agens und Patiens der im Verb ausgedrückten Hand-
lung fungiert, wie dies bei "echten" Reflexivkonstruktionen (cf. Ich wasche mich)
der Fall ist. Das Subjekt des Satzes Das Buch verkauft sich gut hat im Unterschied
zu dem der Sätze Ich wasche mich und Ich verkaufe das Buch kein Agens-Rolle
und steht in gewisser Weise zwischen dem Passivsatz Das Buch wird verkauft und
dem Aktiv-Satz Ich verkaufe das Buch. Während das Deutsche nur einige wenige
Konstruktionen dieser Art zuläßt, können sie im Serbischen systematisch von je-
dem Handlungsverb gebildet werden; es liegt also nahe, hier von einem Medium
zu sprechen.
68

äst 'sauber' drag 'lieb1


dobar 'gut' jak 'stark1
golem 'riesig' kriv 'krumm, falsch'
jasan 'klar11 mali 'klein' 1
lep 'schön mnogi 'viele
mio 'lieb' posten 'ehrlich'
opasan 'gefährlich' prav 'recht1
pravi 'echt1 />rojf 'einfach'
pun 'voll' siguran 'sicher'
ravan 'eben' sit 'satt1
si>ofc 'breit1 spor 'langsam1
skroman Bescheiden1 uzak 'eng'
taöan 'genau' veseo 'fröhlich'
velik 'groß1 visok 'hoch'
vesf 'geschickt'1 (t) vin 'schuldig1
vrli lügenhaft zrdav 'gesund'
zzv 'lebendig1 *zgrapan

Nezgrapan 'plump', zu dem keine positive Entsprechung *zgrapan existiert, muß


als Sonderfall aus dem Sample herausgenommen werden. Die Etymologie des
Wortes ist nicht ganz klar, und es steht zu vermuten, daß es sich hier nicht um das
negierende Präfix ne- handelt.50
Auch unter diesen Adjektiven finden sich nach wie vor solche, die unter etymo-
logischen Gesichtspunkten als deriviert angesehen werden müßten, so etwa
opasan,51 poSten,52 ta&n,53 vr/z54 oder, unter anderen Gesichtspunkten, siguran55.
Auf das Aussortieren dieser Formen wurde jedoch hier wie an anderer Stelle be-
wußt verzichtet. Der Nachweis darüber, zu welchem Zeitpunkt die lexikalische Ne-
gation in jedem Einzelfall erfolgt ist, sowie insbesondere darüber, ob die entspre-
chenden Wörter zu diesem Zeitpunkt noch synchroniser! als Derivate erkennbar
waren, ist nur unter großem Aufwand oder auch gar nicht zu führen. Da bisher alles
darauf hindeutet, daß in erster Linie derivierte Wortformen und nicht solche des
primären Wortschatzes für die lexikalische Negation in Frage kommen, kann die
hier gewählte Vorgehensweise - nämlich Lexeme im Zweifelsfall nicht zu den deri-
vierten, sondern eher zu den primären zu rechnen - die Ergebnisse im übrigen

50
Skok/Putanec (1971: 632) führen das Wort auf das Verb grmjeti (ekavisch: grme-
ti) 'donnern' zurück: "Nejasni su prefiski ne-z- u pridevima koji bez sumnje idu
ovamo: (...) nezgrapan.." ('Unklar sind die Präfixe ne-z- in Adjektiven, die zwei-
fellos hierher [i. e. zu grmjeti, E.H.] gehören: (...) nezrapan (...)')
51
" (...) izveden s pomocu sufiksa -bn > -an öd apstraktuma opas m 'pomja, oprez',
koji danas ne postoji." ('(...) mithilfe des Suffixes bn >-an aus dem Abstraktum
opas 'Gefahr1 abgeleitet, das heute nicht mehr existiert1. Skok/Putanec 1972: 559).
52
" (...) da je posten po postanju stari particip perf. pasiva öd pocbtiti > postiti (...)" ('
(...) daß posten von der Entstehung her das alte Partizip Perfekt Passiv von pocbtiti
>postiti ist'; Skok/Putanec 1971: 298).
53
Aus (>*tatkti ); cf. Skok/Putanec (1973: 429).
54
Hier handelt es sich um ein Deverbativum von vrti ("Öd vr- s pomoou sufiksa -/
(...) odredjeni pridjev vr'o"; 'Von vr- mithilfe des Suffixes -/ (...) bestimmtes Ad-
jektiv vr'o'-; Skok/Putanec 1973: 622).
55
Hier liegt ursprünglich ein Fremdwort romanischen Ursprungs vor: securus (< se
euro Ohne Sorge').
69

höchstens zuungunsten der Hypothese: "Vorzugsweise wird derivierter Wortschatz


lexikalisch negiert" beeinflussen.
Bei der Betrachtung der verbleibenden Gruppe nicht oder nicht synchronisch
nachvollziehbar abgeleiteter Adjektive läßt sich feststellen, daß in ihr die Dimen-
sionsadjektive 'groß', 'hoch', 'klein', 'eng' und 'breit' enthalten sind. Diese Ad-
jektive gehören im Deutschen, wo nur die Dimensionsadjektive fern und weit, des-
sen negierte Form nicht als attributives Adjektiv verwendet werden kann,56 in die-
ser Weise negiert werden, nicht zur Klasse der lexikalisch negierbaren Wörter.
Offenbar sind an dieser Stelle in den beiden Sprachen jeweils unterschiedliche
Auswahlkriterien zur Anwendung gebracht worden. Ein in gleicher Weise vom
Deutschen (und Englischen) abweichender Befund für das Polnische, nämlich das
dem serbischen neveliki entsprechende poln. niewielki, veranlaßte Funk (1986:
885), wie bereits erwähnt, zu der Annahme, in verschiedenen Sprachen seien un-
terschiedliche Regeln ("pattern") für die Negation wirksam. Für das Serbische ist
nun zudem festzustellen, daß nicht nur die im Falle der Neutralisation genutzten
Adjektive 'groß' und 'breit', sondern auch die jeweiligen Antonyme 'klein' und
'eng' lexikalisch negiert werden können. Allerdings ist die Frequenz der nicht-neu-
tralisationsfähigen Formen nemali und neuzak in der modernen Alltagssprache
ausgesprochen gering. Während neuzak gänzlich ungebräuchlich ist, kommt nemali
gelegentlich vor; es beschreibt stets eine abstrakte, keine physische Größe: cf. ne-
mali problem (etwa: 'kein geringes Problem') vs. *nemalo drvo ('kein kleiner
Baum').57
Was die restlichen Adjektive betrifft, so liegen hier offenbar ganz genauso wie
schon im Deutschen in überwiegender Mehrheit positiv konnotierte Begriffe vor:
'eben1, 'echt', 'ehrlich', 'einfach', 'fröhlich', 'genau1, 'gesund', 'gut', 'klar', 'le-
bendig', 'lieb', 'lieb', 'recht', 'riesig', 'schön', 'sicher', 'stark', 'tugendhaft, satt 1 ,
'sauber1. Nicht in dieses Schema passen kriv 'schuld', opasan 'gefährlich' und
(t)vm 'schuldig1. Kriv hat als nicht-negiertes Adjektiv auch die Bedeutung
'krumm' (zugleich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes); die Negation bedeutet
jedoch ausschließlich 'unschuldig'. Opasan ist aus etymologischer Sicht ein deri-
viertes Adjektiv, das jedoch auf synchroner Ebene nicht als solches erkennbar ist;
es gehört zum normalen Alltagssprachgebrauch und hat eine eindeutig negative
Konnotation. Demgegenüber ist (t)vi«, wie durch das vorangestellte Symbol
kenntlich gemacht soll, kirchenslawisch und gehört nicht zum normalen Wortschatz
des Serbischen. Interessant ist im Falle von neopasan 'ungefährlich', daß die Ab-
wesenheit von Gefahr der bevorzugte Ausdruck für das ist, was etwa im Deut-
schen, Englischen oder Französischen zumindest synchronisch positiv als sicher,
secure, sure bezeichnet wird (cf. auch türkisch emin/eminyet). Der gebräuchlichste
serbische Ausdruck insbesondere für die objektive Sicherheit ist nicht siguran
('sicher'), sondern neopasan ('ungefährlich') oder auch bezopasan ('gefahrlos').
Siguran dient demgegenüber regelmäßig dem Ausdruck der subjektiven Sicherheit
(im Sinne von 'Gewißheit'); daneben kann das Wort allerdings auch für die objek-
56
Das entsprechende Dimensions-Adverb nedaleko 'unweit' existiert auch im Serbi-
schen.
57
So auch der literarische Beleg, der den Eintrag ins Reönik begleitet: "Starac s ne-
malim ponosom gledase na tu krajcaru" ('Der Alte blickte mit nicht geringem
Stolz auf diesen Kreuzer.'; Josip Kozarac).
70

tive Sicherheit (cf. z. B. siguran smeStaj 'ein sicherer Ort') verwendet werden. Da-
mit zeigt sich hier aber zugleich auf synchronischer Ebene ein Prozeß, der in ande-
ren indoeuropäischen Sprachen nur weiter zurück liegt: der Ausdruck der Sicherheit
als das nicht-Vorhandensein oder die Abwesenheit von Gefahr.58
Neben den Adjektiven gibt es noch eine kleine Gruppe von Adverbien, die nach
demselben Schema gebildet sind. Es handelt sich um:

nedaleko 'unweit1 nehotimice 'versehentlich'


nedavno 'unlängst' nemilice 'erbarmungslos'
nerado 'ungern' nestedimice 'schonungslos'
netremice 'unverwandt'
neosetice 'unfühlbar'59
neblagovoljno 'unfreiwillig'
neprodusno 'luftundurchlässig'

Bei den drei Einträgen in der linken Spalte liegen als positive Grundlage primäre,
i. e. nicht weiter reduzierbare Adverbien - genauer: zwei "echte" Adverbien (davno
und rado) und ein aus einem Adjektiv gebildetes Adverb (dalekd) - vor: die beiden
Dimensionsadverbien daleko 'weit' und davno 'vor langer Zeit' sowie das modale
Adverb rado 'gern'. Bei den Eintragungen auf der rechten Seite handelt es sich um
derivierte Formen, denen Verben zugrundeliegen (von hteti 'wollen', militi etwa:
'versüßen', Stediti 'schonen', treptati 'blinzeln', osetiti 'fühlen'); das benutzte
Derivationsverfahren ist aber nicht mehr produktiv. Ebenfalls von Verben sind ne-
blagovoljno und neproduSno60 abgeleitet; die Form neblagovoljno 'unfreiwillig'
wird auch vom Wörterbuch selbst als 'ungewöhnlich' ("neobiöno") markiert und
kann als völlig ungebräuchlich angesehen werden.

3.2.2.2 Substantive

Auch unter den Substantiven überwiegen die derivierten Formen. Dabei handelt es
sich z. T. um neuere, nach immer noch produktiven Prinzipien gebildete Ableitun-
gen, wie sie etwa in nepuSac 'Nichtraucher' oder nepostovanje 'Mißachtung' vor-
liegen, z. T. um nur noch historisch erklärbare Formen wie in nehatlnehaj 'Gleich-
gültigkeit' (zu [ne] najati '[nicht] beachten'61) oder nesreca 'Unglück' (cf. sreca
'Glück', etymologisch aus sresti 'begegnen'). Allein aufgrund der Endungen (-ac,
-ac, -ak, -anje, -ica, -ic, -ik, -ina, -osl) sind 27 der 140 (incl. Fremdwörter: 148)
Substantive auf den ersten Blick als deriviert zu erkennen; ein zweiter, etwas ge-

58
Cf. z. B. die Etymologie von dt. sicher, englisch secure/sure, französisch süre aus
lateinisch securus < se cura Ohne Sorge'.
59
Neosetice 'unfühlbar' ist eine seltene Nebenform zu neosetno (dem Adverb zu ne-
osetan 'unfühlbar 1 ).
60
Neprodusno geht auf produhati zurück, das eine Parallelform zu produvati dar-
stellt; das Verb bedeutet 'durchwehen', 'durchblasen'.
61
Dieses aus dem Türkischen entlehnte Verb (cf. türk. hayat 'Leben') kommt nur in
negierter Form vor und stellt damit den seltenen Fall negativer Polarität (cf. unter
2.6) bei einem Verb dar: ne hajam za (etwa: 'ich beachte nicht') dient als Aus-
druck der Gleichgültigkeit oder auch Verachtung.
71

nauerer Blick zeigt dann, daß es sich bei weit über der Hälfte aller Substantive um
Derivate handelt. Auffällig sind die Substantive nedostatak 'Mangel' und nestanak
'Verschwinden', die aus bereits negierten Verben (nedostati und nestati, cf. hierzu
im folgenden) abgeleitet sind und kein positives Gegenstück haben. Auch nedaca
'Unglück', das etymologisch ebenfalls auf ein Verb zurückgeführt werden kann, ist
ohne die positive Basis *daca gebildet.
Neben den zahlreichen Ableitungen sind natürlich vor allem diejenigen Substan-
tive von Interesse, denen primäre, nicht abgeleitete Formen zugrundeliegen. Ordnet
man sie nach semantischen Kriterien, so ergeben sich vier Gruppen, von denen die
am wenigsten erwartete - in dem Sinne, daß sie keine Entsprechung im Deutschen
hat - die der Verwandtschaftsbezeichnungen ist. Hierzu gehören die folgenden
Wörter (aufgeführt sind die positiven Begriffe):

brat 'Bruder'
kum 'Gevatter ('Pate'/'Trauzeuge')
majka 'Mutter'
mati 'Mutter'
otac 'Vater'
sin 'Sohn'
zet 'SchwiegersohnV'Mann der Schwester'

Im weiteren Sinne ließe sich ferner auch noch rod 'Geschlecht' und die Wurzel soj
(etwa: 'gute Herkunft') 62 zu dieser semantischen Gruppe rechnen. Von Interesse ist
diese sprachgeschichtlich sehr alte Negation von Verwandtschaftsbezeichnungen -
die im modernen Sprachgebrauch nur noch regional beschränkt gebräuchlich ist -
natürlich zunächst im Sprachvergleich, und zwar in mehrerlei Hinsicht. So kann
man Überlegungen darüber anstellen, ob aus der Tatsache, daß sie im Deutschen
nicht genutzt wird, in Ergänzung zu der Bobachtung, daß das Deutsche auch bei
"normalen", i. e. nicht-negierten Verwandtschaftsbezeichnungen weniger differen-
ziert ist als das Serbische,63 der Schluß gezogen werden kann, daß verwandtschaft-
liche Beziehungen in den entsprechenden Sprachgesellschaften unterschiedlich
große Rollen spielen - eine Frage, die vermutlich mit 'ja' zu beantworten ist. Dar-
über hinaus ist natürlich auch die Auswahl der Begriffe faszinierend, zu denen eine
lexikalische Negation gebildet wurde: handelt es sich doch neben der in zwei For-
men64 vertretenen 'Mutter' um fünf männliche Familienmitglieder, die offenbar die

62
Es handelt sich um einen Turzismus (türk. soy: soylu/soysuz)', nesoj bezeichnet die
Herkunft "nicht aus gutem Elternhaus".
63
Cf. z. B. die im Deutschen nicht gebräuchliche Feindifferenzierung bei den fol-
genden serbischen Verwandtschaftsbezeichnungen: stric 'Vaterbruder' (dazu:
strina 'Frau des Vaterbruders'), ujak 'Mutterbruder', (dazu: ujna 'Frau des Mutter-
bruders'), tetka 'Schwester des Vaters oder der Mutter' (dazu: teca 'Mann der tet-
kar), zet 'Schwiegersohn/Mann der Schwester', snaja 'Schwiegertochter', svekar
'Vater des Ehemannes' (dazu: svekrva 'Mutter des Ehemannes'), tast 'Vater der
Ehefrau' (dazu: tasta 'Mutter der Ehefrau'), jetrva 'Frau des Bruders des Eheman-
nes ', za(o)va 'Schwester des Ehemannes', dever 'Bruder des Ehemannes', svasüka
'Schwester der Ehefrau', surak 'Bruder der Ehefrau1 (dazu surnaja 'Frau des Bru-
ders der Ehefrau'), svojak 'Mann der Schwester der Ehefrau'.
64
Mati (und seine Nebenform mater) ist dabei das ältere, etwas archaischer klin-
gende Wort; es ist jedoch keineswegs veraltet, sondern durchaus noch gebräuch-
lich.
72

tragenden Säulen der Familie darstellen. Denn nur wenn diesen Stellungen inner-
halb der Familie wichtige Funktionen zukommen, macht es Sinn, jeweils eine nega-
tive Entsprechung zu bilden. Dabei ist zugleich das semantische Prinzip dieser Art
von Negation beachtenswert. Es handelt sich um dasselbe Verfahren, das schon in
deutschen Negationen wie Unwetter oder Unmensch beobachtet und als "konnota-
tive Negation" bezeichnet wurde (cf. 3.1.2.2.4.2), da es nicht die Referenz, son-
dern die Konnotationen des negierten Wortes betrifft: auch eine nemajka
('Rabenmutter') ist eine Mutter, nur eben eine, die den Konnotationen des Begriffs
'Mutter1 nicht gerecht wird.
Die übrigen Substantive65 können in die folgende drei semantischen Gruppen
aufgeteilt werden:

positiv konnotiert: neutral: negativ:


bog 'Gott' broj 'Zahl' (K?) rob 'Sklave' (K)
fast 'Ehre' briga 'Fürsorge'66
öovek 'Mensch' (K) an Tat'
drug 'Freund' (K) delo 'Werk' (A/K)
istina 'Wahrheit' doba 'Zeit'
junak 'Held' (K) mesto Ort1 (K)
ljubav 'Liebe' pogoda 'Wetter'
Ijudi 'Menschen' (K) priroda 'Natur1
mir 'Friede' rad 'Arbeit'
moc 'Macht1 svest 'Bewußtsein1
nada 'Hoffnung' san 'Schlaf 1
pamet 'Verstand' ukus "Geschmack
1
pravda 'Recht' vreme 'Zeit , 'Wetter'
prijatelj 'Freund' (K)
red Ordnung'
sloboda 'Freiheit'
sloga 'Einigkeit1
snaga 'Kraft '
sreoa 'Glück1 1
um 'Verstand
vera 'Glaube'

Zu den Wörtern im einzelnen lassen sich eine Reihe von Anmerkungen machen.
Dabei ist zunächst vor allem festzuhalten, daß sich abermals die Prognose bewahr-
heitet, daß vor allem Abstrakta dem Prinzip der lexikalischen Negation unterworfen

65
Um es nochmals deutlich zu machen: Betrachtet man diese Substantive unter ety-
mologischen Gesichtspunkten, so zeigt sich, daß auch hier noch zahlreiche deri-
vierte Formen vorliegen. Das Beispiel sreoa (von sreti) wurde bereits an anderer
Stelle angeführt; weitere Beispiele wären moc, nada, prijatelj, rod, sloga u. a.m.
Daß diese Substantive trotzdem unter den primären aufgeführt werden, kann im
Sinne der hier vertretenen These - daß nämlich einerseits nur in ganz marginalem
Umfang Teile des primären Wortschatzes lexikalisch negiert werden und daß an-
dererseits die grundlegenden Gesetze der Negation primärer Lexeme nur für sol-
che gelten - nur zu negativen, nicht aber zu positiven Verfälschungen des Ergeb-
nisses führen.
66
Das Wort briga kann auch die Bedeutung 'Sorge' im negativen Sinne haben; die
Bdeutung der negierten Form zeigt jedoch deutlich, daß hier der positiv konno-
tierte Begriff der 'Fürsorge' zugrundeliegt: nebriga ließe sich mit 'Mangel an Für-
sorge' oder 'Unachtsamkeit' übersetzen.
73

werden: nur maximal neun der insgesamt 35 Wörter können als Konkreta (markiert
mit "K") betrachtet werden, wobei aber beispielsweise schon die Zuordnung von
broj 'Zahl' zu den Konkreta nicht ganz unproblematisch ist. Ferner überwiegen die
positiv konnotierten Begriffe deutlich, und darüber hinaus weist auch eine Reihe
der hier als "neutral" eingestuften eine positive Lesart auf. Dies gilt beispielsweise
für ein Tat' und delo 'Werk', aber auch für priroda 'Natur', svest 'Bewußtsein'
oder rod 'Arbeit'. Das einzige negative Grundwort rob 'Sklave' läßt sicher auch
Rückschlüsse auf die historischen Verhältnisse zu, unter denen die Negation nerob
gebildet wurde - insofern ist es auch nicht verwunderlich, daß der Ausdruck mitt-
lerweile ungebräuchlich geworden ist. Dennoch bleibt festzuhalten, daß bei nerob
wie schon nekriv und nevin ('unschuldig') eine eindeutig negative Basis zugrunde-
liegt. Die These, daß das Vorliegen einer "negative evaluation" zumindest bei nicht
derivierten Formen eine lexikalische Negation verhindere (cf. Funk 1986: 877),
wird durch die Existenz solcher Formen auch für das Serbische widerlegt.
Bei der Mehrzahl der negierten Substantive des Serbischen handelt es sich auch
bei den deutschen Übersetzungen um Wörter, zu denen es eine lexikalische Nega-
tion gibt. Nicht der Fall ist dies bei: Gott, Freund, Ort, Hoffnung, Arbeit, Schlaf,
Kraft, Bewußtsein. Dieser Befund scheint nun wiederum die These von Funk
(1986: 885) zu bestätigen, daß in verschiedenen Sprachen eben unterschiedliche
Prinzipien der lexikalischen Negation wirksam sind.
Der Begriff 'Freund' ist in der Liste der Substantive mit drug und prijatelj gleich
zweimal vertreten. Die beiden Bildungen nedrug 'falscher Freund' und neprijatelj
'Feind' illustrieren besonders anschaulich die zwei prinzipiellen Möglichkeiten, wie
die lexikalische Negation semantisch interpretiert und damit für den Wortschatz
nutzbar gemacht werden kann. Die eine davon ist die Negation der Prädikation (also
eine Negation der Zuschreibung 'x ist ein Freund' oder '— Fx'). Um zu erklären,
warum der semantische Gehalt in sein Gegenteil verkehrt wird, so daß ein ersatz-
weises Antonym entsteht, obgleich der lexikalischen Negation ursprünglich nur
eine Aussage 'x ist nicht F' zugrundeliegt, muß man allerdings noch einen weiteren
Schritt tun und das allgemeine Weltwissen der Sprechenden berücksichtigen. Wenn
man eine duale Weltsicht unterstellt, die mit ihrer schlichten Aufteilung der außer-
sprachlichen Wirklichkeit in Antonyme wie schwarz/weiß oder yin/yan ja zu den
einfachsten und am weitesten verbreiteten Ansätzen für das Verständnis der Realität
gehört, dann kommt man relativ automatisch zu einer "antonymisierenden" semanti-
schen Auswirkung der lexikalischen Negation: was nicht gut ist, ist eben schlecht,
und wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind. Um so interessanter ist daher die
Beobachtung, daß sich diese Umdeutung der Negation zum Antonym keineswegs
immer vollzieht, sondern daß das semantische Potential der Negation umfassend
und vielseitig genutzt wird. Die Negation des Synonyms drug 'Freund' illustriert
die andere, die konnotative Möglichkeit der lexikalischen Negation: aus dem ne-
gierten 'Freund' wird hier kein Feind, sondern nur eben einer, der den Namen drug
nicht verdient hat: ein schlechter Freund.
Das Verfahren, den Begriff 'Feind' als Negation des Wortes prijatelj 'Freund'
(das sich übrigens seinerseits wiederum auf das Verb prijati 'wohltun' zurückfüh-
ren läßt) zu bilden, ist auch im Sprachvergleich von Interesse. Es ist dasselbe, das
auch den englischen und französischen Wörtern ennemi/ennemy zugrundeliegt, die
auf lat. in-amicus, inimicus 'Unfreund' zurückgeführt werden können. Im Deut-
74

sehen und Türkischen hingegen haben sich demgegenüber eigenständige Wörter für
den Begriff gebildet, die nicht auf Negationen beruhen: cf. dt. Feind67, türk.

Dasselbe semantische Verfahren wie bei nedrug 'falscher Freund' liegt bei ne-
bog 'falscher Gott' nedoba 'Unzeit', nemesto 'ungeeigneter Ort' etc. sowie bei
sämtlichen oben angeführten Verwandtschaftsbezeichnungen vor.69 Wie schon am
Beispiel der deutschen Formen Unmensch, Untier, Unzeit, Unstern oder des Neo-
logismus Unwort ausgeführt wurde, kennzeichnet die Negation in solchen Fällen
nur die mit der Wortwahl verbundenen Konnotationen, nicht die Wortbedeutung im
Hinblick auf ihre Referenz in der außersprachlichen Wirklichkeit als unzutreffend.

3.2.2.3 Verben

Eine sehr eigenständige, sprachspezifische Erscheinung liegt in den negierten Ver-


ben vor, die das Serbische - wenn auch nur in sehr beschränkter Zahl - im Gegen-
satz zum Deutschen aufweist. Dabei lassen sich zwei Typen unterscheiden:

Typl:
nedostajati 'fehlen' (zu dostajati 'ausreichen') .
negodovaü 'mißbilligen' (zu godovaü 'feiern', 'behagen'; cf. goditi)
nestati 'verschwinden' (zu stau 'stehenbleiben')
nemocati 'siechen', 'schwächen'
nemoci 'siechen'70
nesvestiti se Ohnmächtig werden'.

Diese Verben lassen sich in einem zweiten Schritt zusätzlich syntaktisch negieren,
cf. (das zusätzliche negierende Element ist unterstrichen):
Nüe mi nedostajao 'Er hat mir nicht gefehlt'
Nisam ja to negodovala 'Das habe nicht ich mißbilligt'
/e valjda sav novac nestao 'Es wird doch wohl nicht das ganze Geld weg sein?1
etc.

67
Cf. hierzu auch englisch fiend. Etymologisch handelt es sich um ein Deverbati-
vum, dem ein Verb mit der Bedeutung 'hassen' zugrundeliegt; schon im Mittel-
hochdeutschen war jedoch nur noch das Substantiv viant erhalten.
68
Das türkische Wort dü$man ist ein Lehnwort aus dem Persischen, dessen ursprüng-
liche Bedeutung etwa mit 'schlechter Mensch' wiedergegeben werden könnte. Der
aus der fremden Sprache geborgte 'Feind' wurde aus dem Türkischen weiter ins
Serbische entlehnt, wo neben neprijatelj die Wörter dusman und dusmanin den
'Feind1 bezeichnen - so daß der Begriff 'Feind' zugleich mit den Worten des Fein-
des gebildet wird.
69
Die lexikalischen Negationen 'Ungott', 'Unmutter' und 'Unvater' werden bei Grimm
(Wörterbuch 11,3/1936: 9) interessanterweise auch für das Altindische belegt.
70
Die beiden Verben nemocati und nemoci bilden ein Aspektpaar; sie sind hier nur
deshalb getrennt aufgeführt worden, weil das Recnik dem imperfektiven Verb eine
zusätzliche zweite Bedeutung zuschreibt, die mit "ciniti slabim, nemocim"
('schwach, kraftlos machen') angegeben wird; diese Bedeutung fehlt aber beim
perfektiven Verb.
75

Die Gebräuchlichkeit der sechs Verben ist unterschiedlich: während die drei in den
Beispielsätzen verwendeten Verben nedostati, negodovati und nestati durchaus ge-
bräuchlich sind (dabei ist nur negodovati 'mißbilligen' in der gesprochenen Sprache
etwas seltener anzutreffen), sind nemoci und nemocati 'siechen' sehr ungewöhn-
lich. Nesvestiü se 'in Ohnmacht fallen' wird normalerweise durch onesvesliti se
ersetzt, das aber aus demselben Substantiv nesvest Ohnmacht' (wörtlich eigentlich:
'Unbewußtsein') abgeleitet ist und nur ein zusätzliches Präfix trägt. Auch nemoci
und nemocati sind nicht aus dem Verb moci 'können' oder aus einem nicht exi-
stierenden Verb *mocati gebildet, sondern stellen Ableitungen aus dem Substantiv
nemoc Ohnmacht, Kraftlosigkeit' dar. Alle drei sind also nicht wirklich negierte
Verben in dem Sinne, daß bestehende Verben dem Prozeß der lexikalischen Nega-
tion unterzogen wurden, sondern sie sind aus bereits negierten Lexemen deriviert
worden. Anders liegt der Fall hingegen bei nedostati, negodovati und nestati; hier
sind wirklich die Verben dostati 'genug sein', godovati 'rühmen' und stati 'stehen'
negiert worden. Aus diesen negierten Verben lassen sich umgekehrt wiederum Sub-
stantive bilden: bei nestati und negodovati nur durch die normale, allen Verben
mögliche Substantivierung auf -anje/-enje (negodovanje 'die Mißbilligung', ne-
stajanje 'das Verschwinden') im Falle von nedostati zusätzlich auch auf -ak, eine
Bildung, die beim nicht-negierten Verb dostati ausgeschlossen ist; cf. nedostatak
'Mangel' (vs. *dostatak).
Zur zweiten Gruppe der negierten Verben gehört neben den (jeweils durch die l.
Person Singular Präsens repräsentierten) Verben necu 'will nicht' und nisam 'bin
nicht' auch der Infinitiv nemati ('nicht haben', zu imati 'haben'):
Typ 2:
neou 'ich will nicht'
nemati 'nicht haben'
nisam 'ich bin nicht'
Es handelt sich in allen drei Fällen um die einzig mögliche Negation des Verbs; 'ich
will nicht', 'ich bin nicht' oder 'ich habe nicht' können nicht durch die Vollfor-
men71 hocu/jesam bzw. durch imam und die Negationspartikel ne 'nicht' ausge-
drückt werden, die normalerweise beim Verb steht; cf.: idem 'ich gehe'/ne idem
'ich gehe nicht' vs. hocu 'ich will7*ne hocu; jesam 'ich bin'/*ne jesam; imam 'ich
habe'/*ne imam. Bei Synonymen dieser Verben tritt indessen kein Problem auf,
und es erfolgt eine ganz normale Negation; cf. z. B.: ne zelim ('ich wünsche
nicht') ne postojem ('ich existiere nicht') oder ne posedujem ('ich besitze nicht').
Abweichend von nemati 'nicht haben', das auch im Infinitiv die Kontraktion mit der
Negationspartikel aufweist, sind aber bei hteti 'wollen' und biti 'sein' die negierten
Infmitve nur analytisch bildbar: ne hteti, ne biti. Daß alle drei Verben dennoch eine
gemeinsame Gruppe bilden, die sich von den vorgenannten unterscheidet, zeigt sich
vor allem daran, daß die Negation im Partizip wieder aufgelöst wird. Cf.:

71
Die Verben hteti 'wollen' und (imperfektives) biti 'sein' verfügen über einen dop-
pelten Formenbestand: sie weisen zum einen die sogenannten "Vollformen" hoou,
hoces etc./jesam, jesi etc., zum anderen aber auch enklitische Formen auf: cu, ces
und sam, si. etc. Letztere sind unbetont und lehnen sich stets an ein vorhergehen-
des, Betonung tragendes Wort an.
76

nisam imala 'ich habe nicht gehabt'


nisam bila 'ich bin nicht gewesen'
nisam htela 'ich habe nicht gewollt'

aber:
nestala sam 'ich bin verschwunden'
negodovala sam 'ich habe mißbilligt'
nedostajala sam 'ich habe gefehlt'

Mit anderen Worten handelt es sich bei diesen drei Verben also nur um Fälle, in
denen die Negationspartikel mit dem negierten Verb unter bestimmten Bedingungen
kontrahiert wird. Durchgehend erfolgt die Kontraktion bei den fmiten Verbformen
des Indikativ Präsens, und im Falle von 'haben' erstreckt sie sich außerdem auf den
Imperativ und den Infinitiv (nicht aber auf die Partizipien); cf.:

Infintitiv: ne biti ne hteti nemati


'nicht sein' 'nicht wollen1 'nicht haben'
Präsens 1. Sing. nisam neau nemam
Präsens 2. Sing. nisi neoes nemas
Präsens 3. Sing. nije neoe nema
Präsens 1. Pl. nismo neoemo nemamo
Präsens 2. Pl. niste necete nemate
Präsens 3. Pl. nisu neoe nemaju
Perfekt72 nisam bila nisam htela nisam imala
Aorist ne bih ne htedoh ne imadoh
Imperfekt ne bejah ne hooah ne imadah
Plusquamperfekt ne bejah bila ne bejah htela ne bejah imala
Plusqpfkt, ugs. nisam bila htela nisam bila imala
Futur I necu biti etc. neou hteti neou imati
Futur II ne budem bila ne budem htela ne budem imala
Konditional ne bih bila ne bih htela ne bih imala
Imperativ Sing. ne budi! nemaj!

Einen Sonder- und Einzelfall stellt schließlich die Form nemoj dar: es handelt sich
dabei um eine Kontraktion aus dem negierten Imperativ ne mozi 'könne/dürfe
nicht',73 die in der modernen Sprache regelmäßig zur Bildung negierter Imperative
verwendet wird.

72
Die folgenden Tempora werden jeweils durch die 1. Person Singular vertreten;
ggf. wird die feminine Partizipialendung benutzt, also von einer Sprecherin ausge-
gangen.
73
"(...) nemoj, nemojte = nemo, nemomo (Dubrovnik, Kosmet) (takodjer bug) =
rusk, ne smjej. Taj imperativ sluzi u vezi s infmitivom kao prohibitiv: stcslav. ne
mozi pogubiti 'noli perdere' prema nemoj zadirkivati." ('(...) nemoj, nemojte =
nemo, nemomo (Dubrovnik, Kosmet) (ebenso bulgarisch) = russisch ne smjej. Die-
ser Imperativ dient in Verbindung mit dem Infinitiv als Prohibitiv; altkirchensla-
wisch ne mozi pogubiti 'noli perdere' gegenüber nemoj zadirkivati.' Skok/Putanec
1972: 446).
77

3.2.2.4 Anmerkungen zu den Substantiva auf -ost

Bei der Untersuchung des deutschen Wortschatzes wurde trotz der grundsätzlichen
Aussonderung der Derivationen auf -heu und -keit ein Blick auf die Wortbasen ge-
worfen, von denen diese Substantive abgeleitet sind. Dabei hatte sich gezeigt, daß
diejenigen Basen, die ihrerseits bereits deriviert sind, also beispielsweise Adjektive
auf -bar oder -lieh, bei weitem überwiegen. Da den deutschen Bildungen auf -heil
und -keit im Serbischen Substantivierungen auf -ost entsprechen, soll der Vollstän-
digkeit halber auch die morphologische Struktur der Grundlagen für diese Ablei-
tungen auf -ost kurz betrachtet werden. Es handelt sich dabei um insgesamt 596
Einträge (gegenüber 294 im Deutschen); dabei liegen im einzelnen 324 Derivationen
auf -an/-en14, 215 auf -iv und 57 sonstige vor, entsprechend also:

Basistyp Anzahl in Prozent


-onAen-Derivationen 324 54,4%
-i V 215 36,1%
sonstige 57 9,5%

Tabelle 7

Auch unter den "sonstigen" Basiswörtern finden sich überwiegend Deverbativa (cf.
z. B. nedorasl-, nedos(j)el-, nenasit-, neradoznal-, netaknut-, neumrl-, nezauzet-,
nezazit-), aber auch denominale Bildungen (cf. z. B. neistinit-, nerad-, nesan-,
neuk-) sowie Fremdwörter (nenormaln-, neregulam-, nesolidan- etc.). Einfache
Adjektive bilden die Basis in den folgenden Fällen: nemilost 'Unbarmherzigkeit',
nemimost, 'Unruhe', neravnost 'Unebenheit1, nesitost 'Unersättlichkeit',
neveselost 'Unfröhlichkeit', nevinost 'Unschuld1.

3.2.3 Gegenprobe: eine andere empirische Grundlage

Bevor die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit denen des deutschen Le-
xikons verglichen werden, soll noch auf zwei mögliche Einwände eingegangen
werden, die mit der Wortauswahl zu tun haben. Zum einen könnte man möglicher-
weise einwenden, daß bei der Auswertung der Lexikoneinträge aus dem Reanik,
bei der ja immerhin die Hälfte unberücksichtigt geblieben ist, möglicherweise doch
eine Beeinflussung durch das gewünschte Ergebnis erfolgt sei. Zum anderen
könnte man Bedenken gegen die Auswahl hegen, die das Reönik selbst vornimmt:
der Wortbestand ist oft archaisch und in der modernen Umgangssprache nicht nur
ungebräuchlich, sondern den Sprechern z. T. auch völlig unbekannt.75 Um diesen

74
Die Bildung des Substantivs erfolgt in vielen Fällen unter Ausfall des Vokals, so
daß im fertigen Wort nur das -n- erhalten ist; cf. z. B. neobavezan > neobaveznost
'Unverbindlichkeit', neprekidan > neprekidnost 'Ununterbrochenheit1 etc.
75
Dies ergab die Befragung von Muttersprachlern zu einigen Stichproben aus dem
Reinik. Die Befragten wurden dabei darum gebeten, mir als Nicht-Muttersprachle-
rin die Bedeutung eines Wortes zu erklären; sie bekundeten, dazu nicht in der
Lage zu sein, da sie das Wort noch nie gehört hätten.
78

Einwänden zu begegnen, die sich im Grunde beide auf das benutzte Wörterbuch
beziehen, wurde zusätzlich eine Auswertung eines zweiten Lexikons vorgenom-
men: die des serbisch-deutschen Standardwörterbuchs GrujicVZipar (1987). Dieses
Handlexikon enthält durchweg nur gebräuchliche Lexeme und verzichtet schon aus
Raumgründen auf seltene, archaische oder regional allzu begrenzte Varianten. Auch
hier wurden nunmehr sämtliche Lexikoneinträge mit dem negierenden Präfix ne-
entnommen; es handelt sich dabei um insgesamt 405 Wörter, also nur um etwa ein
Siebtel des entsprechenden Corpus aus dem viel größeren Reönik. Die folgende
Tabelle 8 zeigt das Ergebnis der Unterteilung nach morphologischen Kriterien:

Wortart und Bildungstyp absolute Zahl prozentualer Anteil


deverbative Adjektive 156 38,5%
Partizipien (Aktiv u. Passiv) 105 25,9%
sonstige deriv. Adjektive 56 13,8%
restliche Adjektive 17 4,2%
Summe Adjektive 343 84,7%
Substantive 47 11,6%
Adverbien 7 1,7%
Verben 6 1,5%
Fremdwörter (Adj. u. Subst.) 9 2,2%

Tabelle 8

Wie sich zeigt, überwiegen die negierten Partizipen und derivierten (hauptsächlich
deverbalen) Adjektive hier ganz genauso wie in den Einträgen des großen Lexikons;
insgesamt stellen die derivierten Adjektive 212 Einträge oder 52,3% auf der Liste.
Zusammen mit den Formen, die aus Partizipien gebildet worden sind, sind somit
317 Einträge resp. 78,3% der Lexeme auf der Liste Adjektive, die vor der Negie-
rung durch verschiedene Verfahren aus anderen Wörtern abgeleitet worden sind.
Dabei beläuft sich der Anteil der Deverbativa insgesamt auf 82,4% unter allen abge-
leiteten Adjektiven und macht 64,4% des Gesamtsamples aus.
Adjektive, die nicht oder zumindest nicht nach erkennbaren Wortbildungsver-
fahren abgeleitet sind, liegen in 17 Fällen und damit bei 4,2% aller Einträge vor. Sie
basieren auf den folgenden nicht-negierten Adjektiven:

jak 'stark' jasan 'klar'


lep 'schön' mio 'lieb'
opasan 'gefährlich' posten 'ehrlich'
prav 'recht' ravan 'eben1
siguran 'sicher' skroman 'bescheiden'
taöan 'genau' veseo 'fröhlich'
vest 'geschickt' (t)vin 'schuldig'
zdrav 'gesund' *zgrapan

Alle diese Adjektive sind bereits im Zusammenhang mit der Analyse des im Reönik
vorgefundenen Wortschatzes, in dem sie ebenfalls enthalten waren, diskutiert wor-
den. Auch die kleine Gruppe der Adverbien ist eine Teilmenge der im Reönik aufge-
fundenen, und sämtliche Substantive und Verben sind ebenfalls bereits aus dem
79

größeren Lexikon bekannt; auf die neuerliche Auflistung wird daher an dieser Stelle
verzichtet. Vergleicht man die prozentualen Anteile der Wortarten in den beiden
Wörterbüchern miteinander, so zeigt sich das folgende Bild:

Wortart und Bildungstyp großes Lexikon kleines Handwörterbuch


deverbative Adjektive 47,7% 38,5%
Partizipien (Passiv) 17,9% 25,4%
sonstige deriv. Adjektive 10,6% 13,8%
restliche Adjektive 3,1% 4,2%
Summe Adjektive 84,2% 82,5%
Substantive 12,8% 11,7%
Adverbien 1,2% 1,7%
Verben 1,1% 1,5%
Fremdwörter (Adj. u. Subst.) 5,3% 2,2%

Tabelle 9

Die Verschiebungen, die sich in den prozentualen Anteilen ergeben, werden sicher-
lich mit durch die unterschiedliche Grundgröße der beiden Corpora bewirkt. Das
kleinere Wörterbuch hat beispielsweise offensichtlich darauf verzichtet, Fremd-
wörter in größerem Umfang mit aufzunehmen. Da diese in der Alltagssprache auch
eine ausgesprochen untergeordnete Rolle spielen, spiegelt es damit den realen
Sprachgebrauch vermutlich treffender wieder als das große Reäiik. Aber das Gros
der Mehreinträge, die das größere Lexikon enthält, verteilt sich offenkundig
gleichmäßig über die Wortarten, und nur im Bereich der deverbativen Adjektive
liegt eine Verschiebung zuungunsten der Partizipien (und zugunsten der deverbati-
ven Adjektive) vor, die sich jedoch im Gesamtanteil der Adjektive am Sample wie-
derum nicht bemerkbar macht. Hieraus kann mit einiger Vorsicht der Schluß gezo-
gen werden, daß die negierten Partizipien zu den frequentesten Formen innerhalb
des negierten Wortschatzes gehören, weswegen sie im Rahmen der für ein kleineres
Wörterbuch nötigen Auswahl weniger leicht weglaßbar waren als andere Wörter.
Alles in allem läßt sich feststellen, daß die Ergebnisse der statischen Auswertung
des Handwörterbuchs von Grujic/Zipar (1987) die Ergebnisse der Analyse des
Recnik voll und ganz bestätigen.
80

3.3 Die lexikalische Negation im Vergleich: serbisch-deutsch

Vergleicht man die Ergebnisse im Serbischen mit den Berunden im Deutschen, so


ergibt sich folgende Tabelle:

Wortart und Bildungstyp Duden Recnik Grujic/Zipar


Partizipien des Passiv 28,3% 17,9% 25,4%
derivierte Adjektive 54,8% 57,4% 53,1%
deverbative Adjektive 64,5% 47,4% 64,4%
restliche Adjektive 4,3% 3,1% 4,2%
Summe Adjektive 90,2% 84,2% 84,7%
Substantive 9,1% 12,8% 11,6%
Adverbien 0,6% 1,2% 1,7%
Verben - 1,1% 1,5%

Tabelle 10

Wie sich zeigt, ist die Verteilung der vertretenen Wortarten völlig gleich gewichtet.
Leichte Verschiebungen ergeben sich im Gesamtanteil der Adjektive, der im deut-
schen Sample etwas höher liegt, sowie im Anteil der Passiv-Partizipien, die im Ser-
bischen -jedenfalls im Reönik - weniger stark vertreten sind als im Deutschen. Da
aber nicht-negierte Partizipien des Passiv, wie weiter oben ausgeführt, im Serbi-
schen nicht wie im Deutschen zum frequenten Standard-Repertoire des Sprechens
zählen, sondern im Gegenteil eher selten anzutreffen sind, ist auch schon ein Anteil
von 17,9% außerordentlich hoch. Noch bedeutsamer wird das Gewicht der Partizi-
pien aber, wenn nur die geläufigsten, mithin also frequentesten Wörter berücksich-
tigt werden, wie dies im Wörterbuch von Grujic/Zipar der Fall ist: nunmehr reicht
der Anteil der negierten Partizipien schon fast vollständig an den im Deutschen
heran, und der Unterschied ist auf knapp 3 Prozentpunkte geschrumpft. Überhaupt
fällt auf, daß die Ergebnisse der Analyse des kleinen Handwörterbuchs noch sehr
viel stärkere Ähnlichkeit mit den Verteilungen im Deutschen aufweisen. Dies be-
deutet aber zugleich, daß der moderne deutsche und der moderne, i. e. um seltene
und arachaische Formen bereinigte Wortschatz des Serbischen im Bereich der lexi-
kalischen Negation nahezu identische morphologische Strukturen aufweisen. Dies
kann durch die folgenden graphischen Darstellungen sinnfällig gemacht werden:
81

0,6% 2,2%

25,7%

66,1%

Deutscher Wortschatz auf «n-: Serbischer Wortschatz auf ne-


Deverbative Adjektive 64,5%, (Reaiik): Deverbativa Adjektive
sonstige Adjektive 25,7%, Sub- 66,1%, sonstige Adjektive 18,2%,
stantive 9,1%, sonstige 0,6% Substantive 13,6%, sonstige 2,2%

9,1% 0,6% 3,2%


12,1%

25,7%
20,2%

64,5% 64,4%

Deutscher Wortschatz auf un-: Serbischer Wortschatz auf ne-


Deverbative Adjektive 64,5%, (Grujic/Zipar): Deverbative Ad-
sonstige Adjektive 25,7%, Sub- jektive 64,4%, sonstige Adjektive
stantive 9,1%, sonstige 0,6% 20,2%, Substantive 12,1%, sonsti-
ge 3,2%
82

Dies ist ein verblüffendes Ergebnis und alles andere als selbstverständlich. Die bei-
den Sprachen gehören zwar zur selben Sprachfamilie, sind aber keineswegs so
nahe miteinander verwandt, daß ein derart paralleler Bau in diesem speziellen Be-
reich der Wortbildung ohne weiteres zu erwarten wäre; und bei Funk (1986: 885)
wurde ja auch explizit das Gegenteil erwartet. Was hier erfaßt worden ist, muß also
ein grundsätzliches Prinzip oder auch ein Set aus mehreren solchen Prinzipien sein,
das bei der Bildung lexikalischer Negationen in den indoeuropäischen Sprachen
wirksam wird.

3.4 Sprachübergreifende Regeln der lexikalischen Negation

Ein sprachübergreifend wirksames, grundlegendes Prinzip verbirgt sich ganz of-


fensichtlich in der morphologischen Struktur - Wortartenzugehörigkeit und Deriva-
tion - der zu negierenden Formen. Daß Adjektive die überwältigende Mehrheit der
betreffenden Formen ausmachen, war auch bisher schon vielfach beobachtet und
festgestellt worden. Was sich hier aber darüber hinaus in aller Deutlichkeit zeigt,
ist, daß es sich dabei mehrheitlich um derivierte Adjektive handelt, und hierbei wie-
derum mit klarem Übergewicht um solche, die von Verben abgeleitet worden sind.
Die erste sprachübergreifende Regel, die sich finden läßt, lautet somit:

Regel (1): Deverbativa sind leichter negierbar als andere Formen.

Dies bedeutet aber zugleich, daß es sich bei der lexikalischen Negation nicht um ein
primär semantisch gesteuertes Phänomen handeln kann, wie die eingangs zitierten
Autoren von Zimmer bis Funk - mit Ausnahme von Gyurko - vermuten.
Warum aber lassen sich Deverbativa besonders leicht lexikalisch negieren? Daß
von Verben abgeleitete Formen als Negationsträger besonders gut geeignet sind,
läßt sich leicht erklären: Verben sind in allen Sprachen die Hauptträger der Prädika-
tion, und der Standardfall der Negation wiederum, den alle Sprachen gleichermaßen
ausdrücken müssen, betrifft eben diese. Selbst der Sonderfall der skopusbegrenzten
Negation, wie er etwa in Nicht Kirsten ist gekommen (sondern Maja) vorliegt, läßt
sich auf eine prädikative Negation zurückführen. Aus dem angeführten Beispielsatz
Nicht Kirsten ist gekommen entnimmt der Hörer zwar aufgrund der Stellung der
Elemente und der daraus resultierenden Thema-Rhema-Verteilung im Satz, daß die
Aussage 'ist gekommen' auf eine andere Person als Kirsten zutrifft; ganz genauso
folgt aber aus derselben Äußerung auch, daß die Aussage 'Kirsten ist nicht ge-
kommen' richtig ist. Mit anderen Worten: auch in solchen Fällen ändert sich der
Wahrheitsgehalt der prädikativen Negation nicht, und es kommt nur eine zusätzliche
Implikation hinzu.76 Dies erklärt zugleich auch den empirischen Befund, daß die
Negation in einem Satz in der Mehrheit aller Sprachen entweder am Verb selbst,
direkt beim Verb oder um das Verb herum gruppiert ausgedrückt wird (cf. z . B .
Dahl 1993: 916f.); die Negation der Prädikation wird natürlicherweise am Prädika-

76
Nur bei Quantoren kann es zu Schwierigkeiten kommen, wenn man die Negation
auf die Prädikation bezieht; cf. Alle haben den Text nicht gelesen vs. Nicht alle
haben den Text gelesen. Cf. hierzu im folgenden, Punkt 4.2.
83

tionsträger markiert. Wenn man sich diese Gegebenheiten vor Augen hält, ist es
nicht verwunderlich, daß Partizipien, Gerundiva, Verbalnomina aller Art und an-
dere von Verben abgeleitete Formen auch für die lexikalische Negation besonders
gut geeignet sind. Diese Parallelität von Negation auf der Ebene der Syntax und
Negation auf der Ebene des Lexikons zeigt zugleich, daß die in der Syntax gültigen
Gesetze nicht unbedingt auch auf die Syntax beschränkt bleiben müssen, sondern
bis hin ins Lexikon wirksam werden können.
Aber nicht die Deverbativa alleine sind es, die unter den negierten Formen auf-
fallen. Unter den Deverbativa wiederum überwiegen in beiden Sprachen passivi-
sche Formen: Partizipien des Passivs sowie derivierte Adjektive mit modaler passi-
vischer Bedeutung ('kann nicht (...) werden') des Typs unbezahlbar, unverständ-
lich oder unbeugsam. Die passiven Partizipien machen 31,4% des deutschen und
17,9% (im Recnik) resp. 25,4% (im kleinen Handwörterbuch) des serbischen
Samples aus. Festzuhalten ist also: nicht alle Partizipien sind generell gleich gut für
die Negation mit un- oder ne- geeignet, sondern das Passiv scheint um einiges ne-
gationsfreundlicher zu sein als das Aktiv.77 Dies ist insbesondere im Serbischen,
wo Passiv-Partizipien schon allein aufgrund der Tatsache, daß Passiv-Konstruktio-
nen weitgehend vermieden und durch mediale Konstruktionen mit se ersetzt wer-
den, eine eher geringe Frequenz aufweisen, ein unerwartetes Ergebnis; da die hohe
Frequenz und Akzeptanz der Passiv-Formen nicht automatisch gegeben ist, muß sie
mit der Negation selbst zusammenhängen.
Der Zusammenhang zwischen Passivität und Negation läßt sich auch bei den üb-
rigen deverbativen Adjektiven aufzeigen. Bildungen auf -bar und -lieh werden tradi-
tionell als lexikalische Passiv-Paraphrasen mit modaler Komponente angesehen,
und bei den 121 Deverbativa auf -bar sowie bei 104 von 119 Deverbativa auf -lieh
des deutschen Samples handelt es sich in der Tat um genau dies: um modale Passiv-
Paraphrasen. Dies gilt, wie sich zeigen läßt, sogar dann, wenn das zugrundelie-
gende Verb wie etwa im Fall von gehen normalerweise gar nicht als transitiv ange-
sehen wird: ungangbar läßt sich dennoch mit der Transitivität voraussetzenden
Paraphrase 'kann nicht gegangen werden' umschreiben. Den deutschen Bildungen
auf -bar und -lieh entsprechen im Serbischen die Formen auf -iv und -an/-en, die
zusammen immerhin 47,8% des Samples aus dem Recnik ausmachen. Allerdings
sind nicht alle diese Formen passivisch; aktivische Lesarten wie beispielsweise bei
den von der alten Bedeutung des Verbs ljubiti 'lieben' (moderne Bedeutung: 'küs-
sen') abgeleiteten komplexen Bildungen auf -ljubiv (nedruzeljubiv 'ungesellig',
negostoljubiv 'nicht gastfreundlich1, nekoristoljubiv 'uneigennützig', nezaljubiv
'liebesunfähig1) liegen in etwa jedem 9. bis 10. Fall vor.78 Trotz des höheren An-

77
Curme (1922: 433) vermutet, daß ein Partizip, das "denotes an act", nicht so gut
für eine Negation mit un- geeignet sei, weswegen auf Bildungen mit nicht- ausge-
wichen werde müsse. Möglicherweise ist mit der unklaren Formulierung "denotes
an act" (das tut ja jedes Handlungsverb, Und folglich auch jedes passive Partizip) in
Wirklichkeit ein aktives Partizip gemeint; dies würde sich mit den hier vorgestell-
ten Beobachtungen decken.
78
Weitere aktive Bildungen sind: nebrizljiv, necuüjiv, nedosetljiv, nehajljiv, neiz-
birljiv, nemarljiv, neobazriv, neopa'ljiv, nepopustljiv, nepoverljiv, nepreduzimljiv,
nepresahnjiv, nepresusljiv, nepronicljiv, nepronikljiv, nepropadljiv, nesnalazljiv,
nesnosljiv, nestrpljiv, netrpeljiv, neupadljiv, neustrpljiv, neuvenjiv, neuverljiv, ne-
zdruziv, nezlobiv.
84

teils von Aktiv-Bedeutungen bei den Adjektiven auf -an/-en, nämlich etwa einem
Fünftel, überwiegt auch hier das Passiv bei weitem. Die passivischen Derivationen
sind somit insgesamt mit 26,8% im Deutschen und mit 39,8% (im Reinik) resp.
20,8% (im Handwörterbuch) im Serbischen vertreten. Damit trägt aber auf jeden
Fall deutlich mehr als die Hälfte aller untersuchten Wörter sowohl im Deutschen als
auch im Serbischen eine passivische Bedeutung.
Um festzustellen, ob dieser Zusammenhang zwischen Passiv und "Negations-
freundlichkeit" auch synchronisch noch nachweisbar ist, mit anderen Worten: ob er
Einfluß auf die Produktivität hat, soll nun der Befund für die sprachgeschichtlich
erste negierte Wortform, das Partizip Perfekt Passiv, noch einmal genauer unter-
sucht werden. Die Tatsache, daß sich Partizipien besonders leicht mit dem negie-
renden Präfix verbinden, ist insbesondere in der Forschung älteren Datums (cf.
z. B. die bereits angeführten Passagen bei Brugmann/Delbrück 1897 und 1906),
aber auch in einigen neueren Untersuchungen (cf. Zimmer 1964: 58) mehrfach fest-
gehalten worden; ein Hinweis auf die Bevorzugung des Passivs findet sich aber
nicht, und statt dessen wird beispielsweise vermutet, daß ein Partizip in die Klasse
der Adjektive übergegangen sein müsse, um die Präfigierung mit un- zuzulassen
(so z. B. Zimmer 1964: 60 unter Berufung auf Paul 1908). Die experimentelle ad-
hoc-Bildung neuer lexikalisch negierter Partizipien zeigt indessen, daß weder die
regelmäßige attributive Verwendung noch, als vorsichtigere Annahme, die prinzi-
piell gegebene Möglichkeit einer attributiven Verwendung allein ausschlaggebend
dafür sein kann, ob ein Partizip lexikalisch negierbar ist. Es läßt sich nur umgekehrt
feststellen, daß nicht attribuierbare Partizipien in der Tat grundsätzlich nicht für die
Präfigierung mit un- in Frage kommen (cf. gekommen/angekommen, erhal-
ten/*unerhalten etc.). Bei den attribuierbaren Partizipien hingegen zeigt sich ein sy-
stematischer Unterschied: praktisch alle Partizipien transitiver Verben sind auf diese
Weise negierbar,79 nicht jedoch die intransitiver Verben. Auch wenn die einzelnen
Bildungen keinen Eingang in die Sprachnorm - also etwa in das Verzeichnis des
Rechtschreib-Dudens oder das Recnik - gefunden haben, hebt sich die Akzeptabi-
lität von ad-hoc-Bildungen in diesem Bereich deutlich von anderen ab. Cf. z. B.
für das Deutsche bisher nicht übliche experimentelle Neubildungen aus Partizipien
wie besichtigt, gegossen, getrunken oder eingeholt:
(l a) Der Rest der Ausstellung blieb aus Zeitgründen unbesichtigt.
(2a) Und die Blumen sind natürlich auch mal wieder ungegossen!
(3a) Der Wein stand noch ungetrunken da.
(4a) Trotz aller Widrigkeiten erreichte die Läuferin uneingeholt das Ziel.

Demgegenüber sind ad-hoc-Bildungen zu aktiven Partizipien Perfekt auch dann,


wenn diese attributiv verwendbar sind - also bei den Partizipien perfektiver Verben
- durchweg deutlich weniger akzeptabel; cf. z. B. experimentelle Bildungen zu ab-
gereist, geplatzt, gesunken oder entflammt:

79
Auf die hohe Produktivität der wn-Präfigierung bei "Partizip " verweist auch
Lenz (1995), ohne indessen zwischen Aktiv und Passiv zu unterscheiden; die von
ihr aufgeführten Neubildungen aus verschiedenen Fachsprachen (ungemarkt, un-
gespundet, ungerebelt, ungewölbt, ungefilzt, ungezähnt und ungedopt; cf. ibd.
13) sind indessen sämtliche Partizipien des Passivs.
85

(5a) *Der Gast war nach wie vor unabgereist.


(6a) ^Glücklicherweise schwebte der Luftballon ungeplatzt an der Decke.
(7a) (?) Ungesunken lief das Schiff wieder in den Heimathafen ein.
(8a) *Die Liebe aber blieb unentflammt,

Dasselbe Experiment läßt sich auch im Serbischen durchführen. So sind etwa auch
im Recnik keine Negationen der den deutschen Beispielen (la) - (4a) entsprechen-
den Passiv-Partizipien pogledan 'besichtigt', zaliven 'gegossen', popijen 'getrun-
ken' oder dostignut 'erreicht' verzeichnet. Die folgenden Sätze mit den entspre-
chenden Neubildungen wurden indessen von Muttersprachlern als völlig akzeptabel
beurteilt:
(Ib) Zbog nedostatka vremena, ostatak izlozbe ostao je nepogledan.
(2b) A cvece je naravno opet nezaliveno!
(3b) Vino je ostalo nepopijeno.
(4b) Urpkos svemu, rekord je i dal je nedostignut.

Anders hingegen der Befund bei den aktivischen Partizipien, die sich im Serbischen
allerdings auch in der äußeren Form von den passivischen unterscheiden. Die den
obigen deutschen Sätzen (5a) - (8a) mit den negierten aktiven Partizipien (abgereist,
geplatzt, gesunken und entflammt) entsprechenden serbischen Übersetzungen wur-
den als ganz und gar inakzeptabel, ja sogar völlig unverständlich zurückgewiesen:
(5b) *Gost je i dalje bio neotputovao.
(6b) *Sva sreoa je nepukao balon lebdeo pod plafonom.
(7b) *Nepotonuo brod se vratio u svoju luku.
(8b) *Ljubav je, medjutim, ostala neprobudila.%0

Den inakzeptablen Sätzen (7b) und (8b) stehen die beiden akzeptablen Sätze (7c)
und (8c) gegenüber, die von den befragten Muttersprachlern in der hilfreichen Ab-
sicht, den als Versehen einer Nicht-Muttersprachlerin interpretierten Fehler zu ver-
bessern, spontan angeboten wurden:
(7c) Nepotonjen brod se vratio u svoju luku. ('Das unversenkte Schiff (...)')
(8c) Ljubav je, medjutim, ostala neprobudjena. ('unerweckt')

Mit anderen Worten: da, wo es möglich war, wurde spontan eine passivische Er-
satzform als akzeptable Lösung angeboten. Dabei ist zusätzlich anzumerken, daß
sich auch die Formen nepotonjen 'unversenkt' und neprobudjen 'unerweckt' nicht
im Wörterbuch finden; auch hier liegen also Neubildungen vor. Das Verfahren ist
somit als völlig produktiv anzusehen.
Hieraus läßt sich nunmehr die zweite sprachübergreifend gültige Regel ableiten:

Regel (2): Passivische Formen sind grundsätzlich negationsfreundli-


cher als aktive; dies gilt insbesondere für Passiv-Partizi-
pien, die durchweg lexikalisch negiert werden können.

Wenn aber der Faktor "Passivität" ausschlaggebend ist, stellt sich natürlich immer
noch die Frage: warum gerade er? Ist es einfach ein historischer Zufall, daß sich die

80
Aus Gründen der Idiomatik wurde hier anstelle einer wörtlichen Übersetzung das
im selben Kontext gebräuchliche Verb probuditi 'erwachen1 gewählt.
86

indoeuropäische Negationspartikel mit Vorliebe an solche Formen anfügt, oder gibt


es eine logische Erklärung dafür?
Schon beim Versuch der Erklärung der Tatsache, daß sich Deverbativa beson-
ders gut für die lexikalische Negation eignen, wurde auf die Ebene der Syntax zu-
rückgegriffen, wo sich die Negation ebenfalls vorzugsweise mit dem verbalen Teil
des Satzes verbindet. Wenn sich nunmehr in einem zweiten Schritt gezeigt hat, daß
insbesondere passivische Verbformen für die lexikalische Negation in Frage kom-
men, so liegt natürlich der Verdacht nahe, daß es abermals syntaktische Eigen-
schaften sind, die zu diesem Phänomen führen. Welche Eigenschaften aber hat das
Passiv, die es adhäsiv für Negationen machen?
Zu den syntaktischen Eigenschaften des Passivs, die als mögliche Ursachen für
seine Bevorzugung in der lexikalischen Negation in Betracht kommen, gehören vor
allem die folgenden:
- Passivbildung setzt das Vorhandensein eines Agens voraus, das aber im Nor-
malfall typischerweise nicht genannt wird
- das Verb wird ins Zentrum der Äußerung gestellt (cf. z. B. Hentschel/Weydt
1994: 117 sowie Hentschel/Weydt 1995b: 165f.)

Bevor die Verbindung zwischen diesen Eigenschaften des Passivs und der Negati-
onsfähigkeit passivischer Verbformen sichtbar gemacht werden kann, müssen noch
zwei weitere Faktoren berücksichtigt werden: die typologische Struktur der unter-
suchten Sprachen einerseits und der Skopus der Negation im Satz andererseits.
Typologisch gesehen gehören das Deutsche und das Serbische zu den Sub-
jektsprachen; um alle möglichen, im vorliegenden Zusammenhang aber nicht rele-
vanten Streitigkeiten zu umgehen, kann statt dessen auch von Nominativsprachen8'
gesprochen werden. Wenn man nunmehr das Handlungsverb als den häufigsten
Verbtyp und den Gebrauch des Aktivs als die (gegenüber dem Passiv) häufigere,
unmarkierte Genuswahl voraussetzt, dann folgt daraus, daß Subjekt und Agens,82
wenn auch keineswegs in jedem Fall, so doch in der Mehrheit aller Sätze identisch
sind.
Über den Skopus der Negation auf Satzebene ist viel diskutiert worden. Eine in
diesem Zusammenhang weit verbreitete Ansicht gibt Givon (1975: 89, Hervorheb.

81
Auf das Problem kann hier nur in aller Kürze eingegangen werden. Verwiesen sei
auf Comrie (1984), der vorgeschlagen hat, das einzige Argument klassischer
intransitiver Verben wie z. B. gehen oder zurückkommen "S" zu nennen, die beiden
Argumente transitiver Verben wie schlagen in Anlehnung an ihre semantischen
Standard-Rollen Agens und Patiens hingegen mit "A" und "P" zu bezeichnen. Legt
man diese Definition zugrunde, so kann man feststellen: Sprachen wie das Deut-
sche benutzen ein und denselben Kasus (Nominativ), um S und A zu kodieren,
hingegen einen anderen Kasus (Akkusativ), um P zu kodieren; man spricht dann
auch von "Nominativ-Sprachen". Sprachen wie Dyirbal benutzen ein und densel-
ben Kasus (Absolutiv), um S und P zu kodieren, und einen anderen (Ergativ), um
A zu kodieren; solche Sprachen werden gewöhnlich als "Ergativ-Sprachen" be-
zeichnet. Im Falle der Nominativsprachen herrscht relative Einigkeit darüber, daß
sie Subjekte haben; im Falle der Ergativsprachen wird das Vorhandensein von
Subjekten meist in Abrede gestellt (cf. aber Faarlund 1988).
82
Der "Agens"-Begriff, mit dem hier operiert wird, ist bewußt weit gefaßt: er umfaßt
sämtliche Aktiv-Subjekte von passiv-fähigen Verben, wobei nicht zwischen per-
sönlichem und unpersönlichem Passiv unterschieden wird.
87

i. O.) wieder: "While in logic one must often consider negation to be a sentential
operation, in the syntax of natural languages it is most often a predicate-phrase
operator, excluding the subject from its scope." Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis
kommt beispielsweise auch Ducrot (1973: 120-22), wenn er die "negation de
phrase et la negation de predicat" unterscheidet (wobei er "predicat" als "ce qui reste
de la phrase quand on en a retire le groupe-sujet" definiert; ibd.).
Nimmt man nun mit Givon, Ducrot und den anderen an, daß das Subjekt typi-
scherweise außerhalb des Skopus der Negation liegt, dann ist in der Tat eine passi-
vische Verbform geradezu ideal dazu geeignet, den zu negierenden Rest zusammen-
zufassen. Denn das Partizip kann dem Patiens, das ja ursprünglich einen Bestand-
teil des Prädikats in diesem erweiterten Sinne bildet, als Attribut zugeordnet wer-
den. Dasselbe gilt für die sog. modalen Passiv-Perpihrasen auf -bar und -lieh, die
das Agens ja ebenfalls aussparen: genießbar besagt nichts darüber, wer das zu ge-
nießende Objekt zu sich nimmt, und verständlich impliziert nur, daß es eine oder
mehrere Personen gibt, die das zu begreifende Objekt verstehen können.
Mit anderen Worten: Wenn die Hypothese über den Ausschluß des Subjekts zu-
trifft, dann kann es einen geeigneteren Kandidaten für lexikalische Negation als
passivische Wortformen gar nicht geben.
Aber auch dann, wenn man Givon nicht so weit folgen möchte, daß man das
Subjekt aus dem Geltungsbereich der Negation herauslöst, lassen sich plausible
Gründe für das Überwiegen des Passiv finden, indem man seine o.a. Eigenschaft
berücksichtigt, das Verb ins Zentrum der Äußerung zu stellen. Wenn einerseits
Verben die idealen Negationsträger im Satz sind, da die Negation normalerweise die
Prädikation betrifft, und andererseits das Passiv zugleich eine Verbform darstellt,
durch die das Verb selbst ins Zentrum der Äußerung gerückt wird, dann ist natür-
lich eine derartige auf das Verb hin zentrierende Form auch zugleich eine ideale
Basis für die lexikalische Negation. Dabei ist dann unerheblich, ob und in welchem
Maße man das im allgemeinen ohnehin eher thematische Subjekt in den Geltungsbe-
reich der Negation mit einbeziehen will.
Bisher wurden lexikalische Negationen bei verbalen oder de verbalen Elementen
beschrieben und erklärt. Aber auch wenn diese Lexeme den größten Teil des ne-
gierten Wortschatzes ausmachen, bleibt doch ein beachtlicher Rest von anderen
negierten Wörtern, die sich nicht auf Verben zurückführen lassen. Unter ihnen
überwiegen von der Wortartenzugehörigkeit her die Adjektive und vom Bildungs-
typ her die Derivationen; ihnen folgen mit einigem Abstand die Substantive (aber-
mals mehrheitlich deriviert) sowie einige wenige Adverbien und (im Serbischen)
Verben. Dieses Phänomen kann durch die folgende Regel erklärt werden:

Regel (3): Voraussetzung für die lexikalische Negierbarkeit ist die


Fähigkeit, eine Prädikation zu bilden.

Grundsätzlich negationsfähig ist somit alles, was auch eine Prädikation bilden kann;
hierzu gehören neben Verben auch und gerade Adjektive sowie in einem zweiten
Schritt Substantive. Eine ausführliche, sprachübergreifende Analyse dieser Fähig-
keit der einzelnen Wortklassen legt Hengeveld (1993) vor.
In der Bedingung für Negationen, daß das zu negierende Element eine Prädika-
tion bilden kann, liegt auch der eigentliche Grund, warum "Adjektive des Stoffes...
88

(seiden), 'Attributive', die kein Urteil ausdrücken (ärztlich, städtisch)" (Böhnke


1975: 185) oder relationale Adjektive wie heutig sich nicht für die lexikalische Ne-
gation eignen. Daß diese Adjektive nicht prädikatsfähig sind, zeigt sich schon
daran, daß sie nicht als Prädikativum gebraucht werden können; cf. *Der Stoff ist
wollen, *Der Tag ist heutig, *Sein Versagen ist ärztlich, (?)Der Park ist städtisch
etc. Natürlich hat diese fehlende Fähigkeit der entsprechenden Adjektive, als Prädi-
kativa zu fungieren, auch mit ihrer Semantik zu tun; sie stellen Zugehörigkeiten her
und ordnen zu. Zugehörigkeiten aber werden vermutlich in allen Sprachen der Welt
primär attributiv aufgefaßt und häufig dementsprechend morphologisch markiert:
diesem Zweck dient der Genetivus possessivus der indoeuropäischen Sprachen,
das Possessivadjektiv vieler slawischen Sprachen oder die Kombination aus pos-
sessivem Genetiv und Possessivmarkierung in Turksprachen. Solche Zuordnungen
können typischerweise keine Prädikate bilden; cf. dt. (?) Das Buch ist Kirstens,
serbisch *Knjiga je Slobodanova ('das Buch ist Slobodansch'); türkisch *Kitabi
Alisintir (aber: Alisin kitabi var: 'Ali hat ein Buch', wörtlich 'Alis Buch-sein Exi-
stenzmarker'). Wie zu erwarten ist, finden sich auch im Serbischen keine Negatio-
nen solcher relationaler Adjektive wie etwa *nedanaSni 'unheutig' oder *nevunjen
'unwollen'.
Damit ist zwar viel erklärt; noch nicht erklärt ist indessen, welche zusätzlichen
Bedingungen erfüllt sein müssen, um die lexikalische Negation von Adjektiven aus
dem primären Wortschatz zu ermöglichen. Wie sich gezeigt hat und wie auch in der
Literatur mehrfach festgestellt wurde, scheint die Negationsfähigkeit vor allem dann
gegeben zu sein, wenn es sich um ein positiv konnotiertes Lexem handelt. Aller-
dings werden auch neutrale sowie einige negativ konnotierte Adjektive auf dieselbe
Weise negiert; im Deutschen und Serbischen zusammengenommen sind dies:
deutsch: bar gemein scharf
fern tief schwer
serbisch: 'weit' 'eng' 'breit' 'hoch'
'klein1 'gefährlich' 'langsam' 'schuldig'

Die Frage danach, wieso sich gerade diese "Ausnahmen" neben all den anderen in
der Klasse der lexikalisch negierbaren Adjektive finden lassen, verstellt indessen
den Blick auf die viel grundsätzlichere Frage, warum die anderen, positiv konno-
tierten, dort aufgenommen worden sind. Schließlich sind ja auch nicht alle positiv
konnotierten Adjektive auf diese Weise negierbar; wenn aber auch hier schon ein
Auswahlverfahren vorliegt, so erhebt sich natürlich auch hier schon die Frage da-
nach, worin es bestehen könnte. Hinzu kommt dann eine weitere, noch grundsätzli-
chere Frage, nämlich die, aus welchem Grund sich überhaupt positiv konnotierte
Adjektive besser als andere für eine Negation eignen sollten.
Um die Antwort hierauf und damit eine grundsätzliche Erklärung des Phäno-
mens zu begründen, sei nochmals auf Autoren wie beispielsweise Givon (1975)
und die "Markiertheit" negierter Äußerungen hingewiesen: "(...) negative speech
acts" sind "presuppositionally more marked than their corresponding affirmatives."
(ibd: 70).83

83
Zur pragmatischen Markiertheit der Negation cf. ausführlicher im vorigen, Punkt
2.4.2.
89

Was läßt sich aus der These von der pragmatischen Markiertheit der Negation
für die lexikalische Negation ableiten? Wenn man als richtig voraussetzt, daß sich
die Negation gegen eine vorher geäußerte oder aber als bekannt vorausgesetzte
Präsupposition richtet, so wäre es naheliegend, sie im lexikalischen Bereich bei
solchen Eigenschaften zu erwarten, deren Vorliegen normalerweise vorausgesetzt
wird. Daß dies zunächst überwiegend positive Eigenschaften sind, folgt aus einer
ganz "normalen" Kommunikations-Strategie: Menschen machen, sofern sie nicht an
Paranoia erkrankt sind, vorzugsweise auf positive Eigenschaften ihrer (häufig ja
selbstgewählten und über weite Strecken auch selbstgestalteten) Umgebung auf-
merksam. Die Aufmerksamkeit des Hörers wird auf ein schönes Kleidungsstück,
ein gutes Buch, einen interessanten Film etc. gelenkt. Die Wahrscheinlichkeit, daß
eine Äußerung wie "Ach ja, auf diesen langweiligen Film wollte ich dich noch hin-
weisen" oder "Was ich dir noch sagen wollte: bei Firma X sind jetzt viele häßliche
Hemden im Angebot" fällt, tendiert hingegen vermutlich gegen Null. Trotzdem
haben umgekehrt auch manche negativen Äußerungen eine hohe Äußerungswahr-
scheinlichkeit; wenn beispielsweise eine Gefahr vorliegt, erwarten wir selbstver-
ständlich, von unseren Mitmenschen darauf hingewiesen zu werden, oder geben
diese Information unsererseits an andere weiter. Mit anderen Worten: mit bestimm-
ten Gegenständen und Situationen sind bestimmte Erwartungen verbunden, und
unser Äußerungsbedürfnis steht damit in Zusammenhang. Damit ergibt sich die
folgende Regel:

Regel (4): Lexikalische Negation setzt voraus, daß das positive Le-
xem im selben Kontext eine hohe Vorkommens-Wahr-
scheinlichkeit hat.

Um dies an einigen Beispielen zu verdeutlichen: Für das Adjektiv gesund lassen


sich eine Reihe von Kontexten finden, in denen es automatisch konnotiert oder zu-
mindest hochgradig erwartbar ist. Typische Verknüpfungen dieser Art wären bei-
spielsweise rote Wangen, sportliche Bewegung oder auch bestimmte Nahrungs-
mittel, die regelmäßig mit der Eigenschaft 'gesund' verbunden werden (cf. z. B.
Spazierengehen ist gesund, Müsli ist gesund, eine gesunde Gesichtsfarbe etc.).
Dieselbe selbstverständliche Konnotation der Eigenschaft 'gesund' ist hingegen
beispielsweise bei Lebewesen, ob Mensch oder Tier, nicht gegeben. (Wenn man so
will, hat man es hier mit nichts anderem als den Topoi des sog. "gesunden Men-
schenverstandes" zu tun, so wandelbar wie dieser). Daraus folgt nun nach den
weiter oben erhobenen Forderungen, daß sich die lexikalische Negation auf den
Geltungsbereich des Wortes erstrecken sollte, in dem sich auch die erwartbaren
Äußerungen bewegen, also nicht auf die Gesundheit von Lebewesen, sondern auf
die Verwendungen, in denen sich das Wort auch als 'gesundheitsfördernd' para-
phrasieren ließe. Und in der Tat: das Wort ungesund kann auf Emährungsgewohn-
heiten, Bewegungsarten oder die Gesichtsfarbe, nicht aber auf einen Menschen
oder ein Tier bezogen werden. Cf. z. B.: Zuviel Sport ist ungesund; so viel Eiweiß
ist ungesund; eine ungesunde Gesichtsfarbe etc. vs. *Peter war ungesund, *Der
ungesunde Hund jaulte.
Geht man der Hypothese weiter nach, daß neben "Prädikation" auch
"Erwartbarkeit des positiven Basiswortes" die Bedingung für die lexikalische Ne-
90

gation stellt, so zeigt sich schnell, daß sie in allen Fällen auch zugleich die Gründe
für Distributionsbeschränkungen der negierten Lexeme erklären kann. Es ist an und
für sich erstaunlich, daß lexikalisch negierte Adjektive in ihrer Distribution häufig
keineswegs der nicht negierten Basis (oder dem analytisch negierten Gegenpart)
entsprechen, sondern im Gegenteil deutlich eingeschränkte Geltungsbereiche auf-
weisen, wobei die Beschränkungen sowohl semantischer als auch syntaktischer
Natur sein können. So besteht beispielsweise die Distributionsbeschränkung bei
negiertem klug darin, daß nicht Menschen, sondern nur Handlungsweisen oder
Entscheidungen unklug sein können. Erklären läßt sich dies damit, das nur an letz-
tere die Erwartung geknüpft ist, durchdacht (und somit klug) zu sein. Solche se-
mantischen Einschränkungen, wie sie ja auch schon im Beispiel ungesund vorla-
gen, treten sehr häufig auf; sie spiegeln sich in einer allgemeinen Tendenz der
lexikalischen Negation zum abstrakten Gebrauch wider. Cf. eine unklare
Angelegenheit vs. *eine unklare Suppe; ein ungutes Gefühl vs. *ein unguter
Mensch; eine unschöne Geschichte vs. *ein unschöner Mann; unfeines Benehmen
vs. ^unfeine Stickerei; ein unsanfter Stoß vs. *ein unsanfter Mensch etc. Diese
Negationen beziehen sich mehr oder weniger direkt auf eine teilweise schon fast
idiomatisch zu nennende Verknüpfung im positiven Bereich, so etwa ein (kein)
gutes Gefühl haben, eine klare Sache, eine schöne Geschichte etc. Gelegentlich
treten auch semantische und syntaktische Einschränkungen gleichzeitig auf; so läßt
sich unschwer einerseits nicht attributiv gebrauchen und kann sich darüber hinaus
andererseits auch nur noch auf Abstrakta und nicht mehr auf ein konkretes Gewicht
beziehen; cf. z. B. schwer zu tragen/*unschwer zu tragen vs. schwer zu erkennen/
unschwer zu erkennen. Hier wird abermals sehr deutlich, worin die Distributions-
beschränkung in Wirklichkeit besteht: das Adjektivadverb ist in seinem Gebrauch
im wesentlichen an einige wenige Wendungen wie unschwer zu erkennen, un-
schwer zu erraten, eventuell auch noch unschwer zu verstehen/zu begreifen ge-
bunden, in denen normalerweise eine hohe Erwartung für das positive Gegenstück
besteht (schwer zu erkennen, schwer zu erraten, schwer zu verstehen). Außerhalb
dieser Fügungen ist unschwer nicht besonders gut verwendbar, cf. (?)Ich habe den
Weg unschwer gefunden; (?)Ich konnte die Aufgabe unschwer lösen etc. Auch weit
und z. T. auch fern verlieren in negierter Form ihre Fähigkeit, als kongruierende
Attribute aufzutreten (cf. z. B. ein weiter Weg/*ein unweiter Weg; in fernen Ge-
genden/* in unfernen Gegenden etc.); nur die Verbindung weit von hat ein ne-
gatives Gegenstück gefunden.
Die Verknüpfung der lexikalischen Negation mit einem sprachinternen Topos
wird bei näherer Betrachtung auch im Serbischen schnell sichtbar. So lassen sich
insbesondere seltene Formen wie nevelik, neuzak oder nesirok ausschließlich in
Kontexten nachweisen, in denen eine starke Hörererwartung für ihr jeweiliges po-
sitives Gegenstück vorliegt; dies gilt auch für sämtliche literarischen Belege, die das
Rednik für diese Wörter liefert. Dort ist die Rede von einem 'nicht-großen Schloß',
von einer 'nicht-großen Zahl Menschen', vom 'nicht-engen Graben' eines steil-
wandigen Tales oder von einer großen Menschenmenge, die sich um einen 'nicht-
breiten Hügel' herum versammelt.84

84
Die Originalbelege lauten im einzelnen: "Ukaza se (...) nevelik sljivarski dvorac."
('Es zeigt sich (...) ein nicht großes ländliches Schloß1; Leskovar Janko). "Sedeli su
91

Die Verwurzelung der lexikalischen Negation in den Konnotationen alltäglicher


Topoi bis hin zur Idiomatik einer Einzelsprache ist dann auch der Grund dafür,
warum neben so viel Übereinstimmung im Prinzip, die ja immer wieder den ver-
schiedensten Linguisten von Jespersen bis Zimmer aufgefallen ist, verwirrend viele
kleine Unterschiede im Detail auftreten. Obgleich nach übereinzelsprachlichen Prin-
zipien und Regeln gebildet, wird die lexikalische Negation auf der Ebene der Norm
einer Sprache (im Coseriuschen Sinne) fixiert. Insbesondere im Bereich des primä-
ren Wortschatzes, wo die lexikalische Negation nicht das Mittel der Wahl ist, spie-
len dann vermutlich auch durchaus historische Zufälle bei der Auswahl der Formen
mit eine Rolle.
Daß die lexikalische Negation in vielen Fällen auch da möglich ist, wo das posi-
tive Basiswort fehlt, wurde für das Deutsche in jüngerer Zeit ausführlich von Lenz
(1995: 98-104) gezeigt und läßt sich mühelos ebenso für das Serbische feststellen.
Diese auf den ersten Blick erstaunliche Tatsache - wieso kann ein Wort lexikalisch
negiert werden, wenn es in seiner positiven Form gar nicht existiert? - hat eine sehr
einfache Erklärung. Wie bereits ausgeführt wurde, ist Negation immer nur da mög-
lich, wo eine Prädikation vorliegt. Diese Prädikation ist es, die Formen wie unbe-
schreiblich (vs. *beschreiblich) zugrundeliegt und sie überhaupt erst ermöglicht:
nicht *beschreiblich, sondern die modale passivische Prädikation 'kann (...) be-
schrieben werden' bildet die Basis für die Negation. So gesehen, stellen gerade
diese Bildungen ohne positives Basiswort zugleich einen zusätzlichen Beweis für
die Richtigkeit der These dar, daß eben eine Prädikation und nicht nur ein Wort die
Grundlage jeglicher, auch der lexikalischen Negation bilden muß.
Durch die Regeln der Prädikation als Basis einerseits und der Erwartbarkeit an-
dererseits erklärt sich auch die Tatsache, daß lexikalisch negierte Substantive mehr-
heitlich nicht nur abgeleitet, sondern sogar überwiegend aus einem bereits negierten
Adjektiv deriviert sind. Substantive Prädikationen sind in ihrem Vorkommen relativ
beschränkt. Im typischen Fall handelt es sich bei ihnen um Zuordnungen zu Be-
rufsgruppen, Nationalitäten, generischen Begriffen, wie etwa in den folgenden
Sätzen: Maja ist Chirurgin. Erwin ist Österreicher. Die Maus ist ein Nagetier, also
allgemein gesprochen um Spezifikationen und Charakterisierungen (cf. hierzu Hen-
geveld 1993: 82f.). Solche Prädikate können natürlich sehr wohl negiert werden
(Maja ist nicht/keine Chirurgin. Erwin ist nicht/kein Österreicher. Die Flunder ist
kein Nagetier), aber die positive Zuordnung ist an bestimmte Kontexte geknüpft
und weder erwartbar noch gar konnotiert, und damit ist die zweite Bedingung zur
Bildung eines negierten Lexems durchweg nicht gegeben.

okolo ljudi i zene njih nevelik brqj." ('Ringsum saßen Männer und Frauen in nicht
großer Zahl'; Bogdan Oiplic). "Strmi dol (...) se sve dalje siri u neuski jarak." ('Das
steile Tal (...) verbreitert sich immer mehr in einen nicht engen Graben'; Dalski
Ksaver Sandor). Slegla se [svjetina] (...) oko nesirokog brezuljka. ('Die Menge
sammelte sich (...) um einen nicht breiten Hügel'; Stojan Novakovic).
92

3.5 Die lexikalische Negation im Türkischen

Wenn man nun in einem weiteren Schritt zum Vergleich zusätzlich das Türkische
heranzieht, ergibt sich ein völlig neues Bild. Sucht man nämlich beispielsweise in
einem zweisprachigen deutsch-türkischen Wörterbuch diejenigen Einträge heraus,
die sich als Übersetzungen für die deutschen Lexeme auf un- finden lassen, so stellt
man folgendes fest:
In der überwiegenden Mehrheit der Einträge liegen Wörter vor, die mithilfe des
Affixes -slz Ohne'/'-los' gebildet worden sind; cf. z. B. akilsiz 'unklug', duygu-
suz 'unempfindlich', yüzsüz 'unverschämt', zararsiz 'unschädlich' etc.85 Bei allen
diesen Wörtern handelt es sich um Adjektive, aus denen aber bei Bedarf unter Zu-
hilfenahme des Suffixes -llk (etwa: -'heit') Substantive abgeleitet werden können;
cf. z. B. haksizlik 'Unrecht', rahatsizhk 'Unbehagen1, sufsuzluk 'Unschuld' etc.
Auch die umgekehrte Reihenfolge der Suffixe -llk und -slz kommt gelegentlich vor;
cf. z. B. hazirhksiz 'unvorbereitet' (aus hazir 'bereit', hazirhk 'Bereitschaft';
wörtlich also: 'bereitschaftslos').
Grundlage für Wortbildungen auf -slz ist in jedem Fall ein Substantiv; das Ver-
fahren ist also insofern ganz vergleichbar mit der deutschen Wortbildung auf -los.
Ein wichtiger Unterschied besteht indessen darin, daß die deutsche Differenzierung
in ohne für syntaktische Verbindungen und -los für morphologische Verknüpfun-
gen im Türkischen keine Entsprechung hat; beide Funktionen werden durch das-
selbe gebundene Morphem wahrgenommen. Im Vergleich der drei Sprachen
Deutsch - Serbisch - Türkisch zeigt sich zugleich das ganze Spektrum der Mög-
lichkeiten: während das Deutsche ein gebundenes Morphem -los für die Wortbil-
dung und ein anderes, freies Morphem ohne für syntaktische Zwecke benutzt, ver-
wendet das Serbische ein und dasselbe Morphem bez sowohl als gebundenes Mor-
phem als auch als Präposition mit Genetivrektion. Das Türkische hingegen kennt
auch diesen Unterschied nicht, so daß man wahlweise zu dem Schluß kommen
muß, daß die Grenzen zwischen Wortbildung und Syntax hier nicht mehr klar ge-
zogen werden können, oder aber zu dem, daß das semantische Konzept Ohne' im
Türkischen nur auf der Ebene der Wortbildung ausgedrückt werden kann. Wie auch
immer man sich in dieser Frage entscheidet, im Sinne der an anderer Stelle ausführ-
licher dargestellten Aristotelischen Definition liegt hier keine Negation, sondern
Deprivation vor, so daß die entsprechenden Lexikoneinträge nur mit den Bildungen
auf -los und bez-, nicht aber mit denen auf un- und ne- verglichen werden könnten.
Neben den Wörtern auf -slz gibt es noch einen anderen Typ von Lexikoneinträ-
gen, auf den man bei der Suche nach türkischen Übersetzungen für lexikalische
Negationen des Deutschen stößt. Dabei handelt es sich sowohl um ein- als auch um
mehrgliedrige Ausdrücke, denen zweierlei gemeinsam ist: es liegen ihnen Verbfor-
men zugrunde, und diese Verbformen enthalten das negierende Infix -mA-. Die
folgende Liste zeigt die 32 Beispiele dieses Typs, die in dem aus Tekinay (1989)
gewonnenen Sample aller Übersetzungen deutscher Wörter auf un- enthalten wa-

85
So finden sich beispielsweise bei Tekinay (1989) in der Liste aller Übersetzungen,
die für deutsche Wörter auf un- verzeichnet sind, 181 solcher Bildungen.
93

ren. Um das morphologische Verfahren transparent zu machen, wurde jeweils eine


Interlinearversion beigefügt.86

anla§ilmaz 'unverständlich'
/ § il maz
versteh- PASS NEGPzp (AOR)
beklenmedik 'unerwartet'
bekle n me dik
erwart- PASS NEG Pzp (Vergangenheit)
bilinmez 'unergründlich'
bil in mez
wiss- PASS NEG-Pzp (AOR)
gekilmez 'unausstehlich'
ek il mez
ertrag- PASS NEG-Pzp (AOR)
dayamlmaz 'unausstehlich'
daya n ü maz
stütz- PASS PASS NEG-Pzp (AOR)
dokunulmaz 'unantastbar'
dokun ul maz
berühr- PASS NEG. AOR
durdurulamaz 'unaufhaltsam'
dur dur ul a maz
aufhalt- KAUS PASS POT NEG-Pzp (AOR)
durmadan 'unaufhörlich'
dur madan
anhält- NEGiertes Adverbialsuffix (Ohne zu1)
duyulmadik 'unerhört'
duy ul ma dik
hör- PASS NEG Pzp (Vergangenheit)
el degmemi§ 'unberührt1
el deg me mi§
Hand berühr- NEG Pzp (Vergangenheit)
ertelenemez 'unaufschiebbar1
ertele n e mez
aufschieb- PASS POT NEG-Pzp (AOR)
ge irmez 'undurchlässig'
§ ir mez
durchquer- KAUS NEG-Pzp (AOR)

86
Zur Vereinfachung seien die in den Interlinearversionen benutzten Abkürzungen
hier nochmals angeführt (cf. aber auch Abkürzungsverzeichnis): AOR = Aorist,
DAT = Dativ, HT = Hiatustilgung, KAUS = Kausativ, NEG = Negation, PASS =
Passiv, POSS = Possessivendung, POT = Potentialis, Pzp = Partizip.
94

Aosa gitmeyen 'unerfreulich1


Aos a git me y en
angenehm DAT geh- NEG HT Pzp (Gleichzeitigkeit)
ho§nut etmeyen 'unbefriedigend'
ho§nut et me y en
zufrieden mach- NEG HT Pzp (Gleichzeitigkeit)
iqinde oturulmayan 'unbewohnt'
if i n de
Inneres POSS. 3. Sg. Kasusgrenze Lokativ
otur ul ma y an
wohn- Passiv NEG HT Pzp (Gleichzeitigkeit)
i$e yaramaz 'unbrauchbar'
/§ e yara maz
Arbeit Dat taug- NEG-Pzp (AOR)
inamlmaz 'unglaublich', 'unglaubwürdig'
inan il maz
glaub- PASS NEG-Pzp (AOR)
inkar edilemez 'unbestreitbar'
inkär ed il e mez
Abrede mach- PASS POT NEG-Pzp (AOR)
istemeyerek 'unabsichtlich'
iste me y erek
woll- NEG HT Gerundium
iyilik bilmez 'undankbar'
iyilik bil mez
Güte wiss- NEG-Pzp (AOR)
kabul edilemez 'unannehmnbar'
kabul ed il e mez
Annahme mach- PASS POT NEG-Pzp (AOR)
ka n lmaz 'unausweichlich1
ka in il maz
flieh- Reflexiv PASS NEG-Pzp (AOR)
kasti olmayan 'unbeabsichtigt'
käst i öl ma y an
Vorsatz POSS 3. Sg sein- NEG HT Pzp (Gleichzeitigkeit)
y
katilmami§ 'unbeteiligt'
kat il ma mi§
eilig- PASS NEG Pzp (Vergangenheit)
katilmayan 'unbeteiligt'
kat il ma y an
beteilig- PASS NEG. HT Pzp (Gleichzeitigkeit)
kavramlmaz 'unbegreiflich'
kavra n il maz
begreif- PASS PASS NEG-Pzp (AOR)
95

rahatsiz edilmemi§ 'unbehelligt'


rahatsiz ed il me mi§
unwohl mach- PASS NEG Pzp (Vergangenheit)

rü§vet kabul etmez 'unbestechlich'


rü$vet kabul et mez
Bestechungsgeld Annahme mach- NEG-Pzp (AOR)

sevilmeyen 'unbeliebt'
sev il me y en
lieb- PASS NEG HT Pzp (Gleichzeitigkeit)

yaramaz 'ungezogen', 'ungeeignet'


yara maz
taug- NEG-Pzp (AOR)

yorulmaz 'unermüdlich'
yor ul maz
ermatt- PASS NEG-Pzp (AOR)

zarara ugramami§ 'unbeschädigt'


zarar a ugra ma mi§
Schaden Dat vorbeikomm- NEG Pzp (Vergangenheit)

Wie sich zeigt, liegen hier unterschiedliche verbale Bildungstypen zugrunde. Dabei
sind die folgenden Formen zu unterscheiden :
- Am häufigsten erscheinen Formen auf -mAz, also Bildungen wie bilinmez 'un-
ergründlich' oder yorulmaz 'unermüdlich', in der obigen Beispielsammlung.
Die Endung -mAz gehört zum Verbalparadigma und bildet die negierte 3. Person
Singular87 des Aorist (geni§ zaman), die auch als Verbalnomen fungieren
kann.88 Aus diesen Verbalnomina können auch Substantive abgeleitet werden:
cf. z. B. bilmezlik 'Unwissenheit' (aus bilmez 'unwissend').
- An zweiter Stelle nach Häufigkeit folgen Formen, die auf -An auslauten (cf.
z. B. katilmayan 'unbeteiligt', sevilmeyen 'unbeliebt'). Diese Endung dient zur
Bildung des Partizips Präsens im Aktiv wie im Passiv; eine Form wie sevil-
meyen bedeutet also wörtlich 'nicht geliebt werdend'.
- Bei den Formen auf -m/s. liegen wiederum Partizipien in beiden Genera vor, die
Vergangenheitsbedeutung haben; cf. z. B. katilmami§ 'unbeteiligt' (Passiv, ne-
ben dem Präsens-Partizip katilmayan), el degmemi§ (Aktiv; wörtlich etwa:
'keine Hand hat berührt').
- Bei den Einzelvorkommen der Endungen -dik, -madan und -erek handelt es sich
um:
-dik: Partizip der di-Vergangenheit
-madan: Gerundium mit der Bedeutung Ohne zu (...)'.89

87
Beim Aorist unterscheiden sich die negierten Formen auch in der Personenendung
von den nicht-negierten; zur Bildung der Formen im einzelnen cf. z. B. Lewis
(1991: 121).
88
Als Verbalnomen hat die Form Subjektbezug, falls ihr kein weiteres Nomen vor-
angestellt wird; in letzterem Fall bezieht sie sich auf das vorangestellte Nomen.
89
"The oldest recorded form of this suffix was -meti, the first syllable being pro-
bably the negative -me. With the addition of the instrumental -n this became
-metin" (Lewis 1991: 182, Anmerkung l).
96

-erek: Gerundium mit der Bedeutung 'Gleichzeitigkeit' und 'Vorzeitigkeit'.90

Daß die Passivformen in der vorliegenden Beispielsammlung überwiegen, könnte


mit der Tatsache zusammenhängen, daß das Passiv in den deutschen Wörtern, die
den Ausgangspunkt gebildet haben, gehäuft auftritt; für das Türkische ist dieser
Befund also nicht interpretierbar.
Die sich hieran anschließende Überlegung, wie repräsentativ wohl ein Sample
sein kann, das aus den Übersetzungen deutscher Wörter ins Türkische gewonnen
worden ist, führt zugleich zu der Frage, wie eigentlich ein repräsentatives türki-
sches Sample gewonnen werden könnte. Die Antwort lautet offensichtlich: man
müßte aus einem Standardwörterbuch des Türkischen alle diejenigen Formen ent-
nehmen, die das negierende Infix -mA- enthalten. Damit aber ist zugleich festgelegt,
daß man eine Sammlung ausschließlich verbaler Formen erstellen wird: man erhielte
eine Liste Verbnomina aller Art, Partizipien, Gerundien, wie sie bereits in der obi-
gen kleinen Sammlung aufgeführt worden sind. Diese wiederum sind zum Teil
stark genug konventionalisiert, um Eingang in einsprachige Wörterbücher zu finden
(cf. hierzu auch Kahramantürk, im Druck).
Unabhängig von der Frage, welche Bildungen Eingang ins Lexikon gefunden
haben und welche nicht, muß aber festgehalten werden, daß das zugrundeliegende
Verfahren 100% produktiv ist: es ist jederzeit möglich, zu allen bildbaren Verbal-
nomina eines Verbs auch das negierte Gegenstück zu bilden. Dies liegt natürlich
daran, daß es sich um ganz normale Formen des Verbalparadigmas handelt; die
Bildung erfolgt daher so regelmäßig, daß sie gar nicht weiter erklärungsbedürftig
ist.
Trotzdem ist dieser Befund im Vergleich zu dem im Deutschen und Serbischen
erhobenen interessant. Hier zeigt sich nämlich das Grundprinzip, das historisch
auch der lexikalischen Negation in den indoeuropäischen Sprachen zugrundeliegt:
negiert wird das Verb und seine Formen. Im Serbischen tritt dieses Prinzip auf-
grund der Verwendung desselben Morphems ne für die Negation des Finitums wie
der infiniten Verbformen im Bereich der Wortbildung noch deutlicher zutage; im
Deutschen zeigt synchronisch immerhin die Produktivität der Negation auf un- im
Bereich der passivischen Partizipien noch an, aus welcher Wurzel dieser Bildungs-
typ stammt. Im Türkischen aber verharrt die Negation an ihrem Ausgangspunkt,
dem Verb; da dieses grundsätzlich über einen sehr viel größeren Formenreichtum
verfügt und vielfältiger verwendet werden kann als die Verben der beiden indoeuro-
päischen Sprachen, die diesen Mangel durch Wortbildungsverfahren - allerdings
dann stets mit eingeschränkter Produktivität in dem Sinne, daß nicht jedes beliebige
Verb dem jeweiligen Wortbildungsverfahren unterworfen werden kann - ausglei-
chen, gibt es im Türkischen auch keinen zwingenden Grund, lexikalische Nega-
tionsmöglichkeiten für nicht verbale Teile des Wortschatzes entwickeln.

90
Das Gerundium "(...) denotes a single act or continued activity contemporaneous
with or slightly prior to the main verb." (Lewis 1991: 177).
4 Negation in der Syntax

Wie sich gezeigt hat, liegen der lexikalischen Negation Prinzipien zugrunde, die von
ihrer Natur her als syntaktisch eingestuft werden können: etwa die Fähigkeit, ein
Prädikat zu bilden, oder die Passivierung.1 Damit verringert sich der scheinbar rie-
sige Sprung vom Lexikon zur Syntax, der an dieser Stelle erfolgt, um einiges; es
geht nicht um die Untersuchung von zwei völlig verschiedenen Phänomenen, die
von einem gemeinsamen Nenner "Negation" nur locker zusammengehalten werden,
sondern es geht um Erscheinungsformen ein und desselben Grundprinzips auf ver-
schiedenen Ebenen der Sprache.
Im Gegensatz zur lexikalischen Negation, die bisher eher wenig wissenschaftli-
che Beachtung gefunden hat, weist die Liste der Arbeiten, die zum Thema der Ne-
gation im Deutschen vorliegen, eine beachtliche Länge auf und umfaßt einen großen
Zeitraum; zu den Fragen, die dabei von Anfang an im Zentrum des Interesses ste-
hen, gehört insbesondere die Stellung der Negationspartikel nicht im Satz und ihre
Auswirkungen auf den Skopus der Negation. Allerdings ist in früheren Arbeiten
meist nicht von Skopus und auch nicht von "Geltungsbereich" o. ä. die Rede; statt
dessen hat sich etwa seit den 70er Jahren eine Unterscheidung von "Satznegation"
einerseits und "Sondernegation"2 andererseits durchgesetzt, die sich mittlerweile in
den meisten modernen Grammatiken des Deutschen findet; cf. z. B. Duden (1995:
691), Götze/Hess-Lüttich (1989: 413)3, Helbig/Buscha (1994: 515) u. a. Der Un-
terschied wird dabei definiert als der zwischen einer Negation, die "die gesamte
Prädikation" umfaßt und folglich als "Satznegation" bezeichnet wird, und einer
"Sondernegation", die "niemals den ganzen Satz, sondern nur Teile des Satzes
(trifft) " (ibd.). Daß es indessen nicht ganz einfach ist, aus diesen beiden Negati-
onstypen Rückschlüsse auf die Stellung des Negators im Satz zu ziehen oder um-
gekehrt aus der Stellung der Negationspartikel zu entnehmen, ob es sich um eine
Satz- oder um eine Sondernegation handelt, zeigt sich beispielsweise bei Hel-
big/Buscha (ibd.: 516-521), wo zwar der Versuch einer solchen Zuordnung unter-
nommen wird, zugleich aber immer wieder der Hinweis darauf erfolgt, daß es stets
auch andere Stellungs- resp. Interpretationsmöglichkeiten gibt. Jacobs (1982: 155-
182 et passim) zeigt demgegenüber anhand zahlreicher Beispiele, daß sich die Ne-
gationspartikel nicht im Deutschen im Hinblick auf ihre Stellungseigenschaften ganz
genauso wie ein Adverb resp. wie eine Adverbialbestimmung (bei ihm "Adsential")
verhält.
Um die vieldiskutierten Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Stellung
des Negators im Deutschen ergeben, sinnvoll einordnen und beurteilen zu können,

Im Passiv liegt zwar einerseits eine Erscheinung des Verbalparadigmas vor; ande-
rerseits gehört es jedoch sowohl von seiner Funktion als auch von seinen Auswir-
kungen auf die Satzglieder her eindeutig in den Bereich der Syntax.
Zur historischen Entwicklung des Begriffs, der offenbar auf Weiß (1969) zurück-
geht, cf. Adamzik (1987: 9).
Die Autoren selbst bevorzugen allerdings den Ausdruck "Satzteilnegation"; cf. ibd.
98

ist es naheliegend, sie auf die Basis universeller Beobachtungen zu stellen. Dabei
müssen insbesondere folgende Fragen geklärt werden:
- Erstens: Nimmt das Deutsche im Hinblick auf die Stellung seines Negators eine
Sonderrolle ein? Um diese Frage zu beantworten, müssen Untersuchungen zu
den Universalien der Stellung von negierenden Elementen herangezogen werden.
- Zweitens: Ist die "Sondernegation" eine Besonderheit des Deutschen? Und, eng
damit zusammenhängend: wie können die Funktionen der "Sondernegation" in
anderen Sprachen ausgedrückt werden? Zur Klärung dieser Frage scheint es
sinnvoll, Übersetzungsvergleiche anzustellen, mit anderen Worten: authentische
Beispiele für die verschiedenen für das Deutsche angenommenen Negationstypen
in Sprachen zu übersetzen, die - wie das Serbische und das Türkische - eine fe-
ste Bindung des Negationsmorphems an das Verb aufweisen und somit keine
Umstellungen dieses Elementes vornehmen können.

Beide Wege sollen im folgenden beschritten werden.

4. l Universalien der Stellung negierender Elemente

Eine neuere Untersuchung zu den Universalien der Stellung des negierenden Ele-
ments hat Dryer (1988) auf der Basis der Untersuchung von nach seinen Angaben
immerhin 345 Sprachen (cf. ibd.: 93) vorgelegt. Im Unterschied zu Dahl (1979),
der seinerseits "approximately 240" (ibd.: 79) Sprachen berücksichtigt hat, unter-
scheidet er nicht zwischen selbständigen und unselbständigen Negationsmor-
phemen; diese Zusammenfassung begründet er einerseits mit ihrer gemeinsamen
semantischen Funktion sowie andererseits mit der Tatsache, daß eine strikte Tren-
nung zwischen "selbständig" und "unselbständig" in vielen Fällen ohnehin nur
unter großen Schwierigkeiten gezogen werden kann (cf. ibd.: 116, Anm. 2).
Die untersuchten Sprachen werden bei Dryer nach ihrer Basis-Wortstellung in
SVO-Sprachen (67 Sprachen im Sample), SOV-Sprachen (117 Sprachen), VSO-
Sprachen (zehn Sprachen) und VOS-Sprachen (acht Sprachen) unterteilt. Hinzu
kommt eine kleine Gruppe von elf Verb-initialen Sprachen, bei denen die nachfol-
gende Reihenfolge (SO oder OS) nicht genau zu bestimmen war; die Objekt-initialen
Sprachen wurden wegen ihres seltenen Vorkommens nicht weiter berücksichtigt.
Die im folgenden dargestellten Ergebnisse der Untersuchung wurden gegenüber
Dryer (1988: 94-97) im Interesse einer größeren Übersichtlichkeit um auf ganze
Zahlen gerundete Prozentangaben ergänzt (im Original ohne Hervorhebungen):
99

SVO-Sprachen:

Typ Sprachen in% Sprachfamilien


NegSVO 4 6 3
SNegVO 47 70 13
SVNegO 3 5 1
SVONeg 13 19 4
Summe 67 100 15
Tabelle l

SOV-Sprachen:

Typ Sprachen in% Sprachfamilien


NegSOV 8 7 5
SNegOV 6 5 3
SONegV 39 33 15
SOVNeg 64 55 18
Summe 117 100 23
Tabelle 2

VSO-Sprachen:

Typ Sprachen in% Sprachfamilien


NegVSO 34 100 10
VNegSO 0 0 0
VNegSO 0 0 0
VSONeg 0 0 0
Summe 34 100 10
Tabelle 3

VOS-Sprachen:

Typ Sprachen in% Sprachfamilien


NegVOS 8 100 6
VNegOS 0 0 0
VONegS 0 0 0
VOSNeg 0 0 0
Summe 8 100 6
Tabelle 4
100

V-initiale Sprachen mit unklarer Reihenfolge der Argumente S und O (bei Dryer
ohne Tabelle, cf.ibd.: 97):

Typ Sprachen in%


NegV(SO/OS) 10 90
VNeg(SO/OS) 1 9
V(S/O) Neg(S/O) 0 0
V(SO/OS) Neg 0 0
Summe 11 100
Tabelle 5

20 Sprachen in Dryers Sample verwenden nach seinen Angaben regelmäßig eine


doppelte Negationsmarkierung der Art, wie sie aus dem Französischen geläufig ist
(je ne sais pas 'Ich NEG weiß NEG'). Einige weitere lassen solche doppelten Mar-
kierungen unter bestimmten semantischen (Emphase) oder syntaktischen Bedingun-
gen zu, wobei Dryer die negative Markierung indefiniter Elemente zu dieser letzte-
ren Kategorie hinzurechnet.
So überzeugend die Untersuchung von Dryers zunächst ist, so birgt sie doch
auch eine Reihe von Problemen, die einerseits mit dem Auftreten unselbständiger
Negationsmorpheme und andererseits mit dem Phänomen der doppelten Negation
zusammenhängen. Da typische unselbständige Negationsmorpheme wie beispiels-
weise das türkische -ml- innerhalb einer komplexen Verbform stehen können, will
Dryer (1988: 113) unter "Verb" den Verbstamm verstehen. In der Tat wird es durch
eine solche Definition möglich, die Stellung des unselbständigen Negationsmor-
phems in Hinblick auf "V" zu definieren, und das Türkische, in dem das Negati-
onsmorphem stets auf den Verbstamm folgt, wird somit zum VNeg-Typ gezählt.
Daß die Festlegung von Verbstämmen als Basis der Untersuchung aber durchaus zu
Problemen führen kann, zeigt schon die Betrachtung des Deutschen. Sobald näm-
lich analytische Verbformen auftreten, ändert sich die Position des Negators im
Hinblick auf den Verbstamm grundlegend; sie ändert sich jedoch nicht im Hinblick
auf das Finitum, cf.:
ich will nicht S V Neg
ich habe nicht gewollt S Aux Neg V

Damit Dryers Ansatz handhabbar bleibt, muß man also nicht nur die Annahme "V =
Verbstamm" machen, sondern man muß sich darüber hinaus auf synthetische Verb-
formen beschränken, wenn man zu sinnvollen Ergebnissen kommen will.
Das zweite Problem steckt in den doppelten Negationen. Wenn es sich dabei um
den von Dryer als "syntaktisch" gekennzeichneten Typ handelt, bei dem alle indefi-
niten Elemente im Satz durch ein negierendes Morphem markiert werden, so läßt
sich leicht eine Lösung finden: nicht die negierten Indefinit-Formen, sondern der
zusätzlich gesetzte Satz-Negator wird berücksichtigt. Bei "emphatischen" Negatoren
wird es schon schwieriger, denn es kommt vor, daß der emphatische Negator al-
leine eine Negation ausdrücken kann; cf. etwa türkisch hif bir §ej 'nichts1 (aus dem
emphatischen Negator resp. eigentlich negationsverstärkenden Element hif und bir
§ej 'eine Sache'), wobei dieser Fall im Türkischen allerdings nur bei elliptischen
101

Äußerungen auftritt. Gänzlich unlösbar wird das Problem allerdings bei Sprachen
wie dem Französischen oder dem Navajo, die jeweils einen Negator vor und einen
nach das Verb stellen. Welchen soll man als primär bewerten? Den historisch gese-
hen primären? Oder den betonungsstärkeren (neuen)?
Aber selbst wenn diese Probleme ungelöst bleiben, bringt Dryers Untersuchung
einige fundamentale Ergebnisse hervor, die nicht in Frage gestellt werden können.
Wenn man nämlich die in den obigen Tabellen zusammengefaßten Ergebnisse näher
betrachtet, so kommt man zu der Erkenntnis, daß die Tendenzen hinsichtlich der
Stellung des negierenden Elements ganz offensichtlich mit der Stellung des Verbs
zusammenhängen. Der Negator sucht mit überwältigender Mehrheit die Nähe des
Verbs: in den SVO-Sprachen steht er in 70% der Fälle direkt davor, in 19% direkt
danach, also insgesamt in 89% der Sprachen unmittelbar neben dem Verb; in SOV-
Sprachen tritt der Negator in 55% der Fälle nach, in 33% vor dem Verb auf, und
steht damit insgesamt abermals in 88% der Sprachen direkt beim Verb. In den Verb-
initialen Sprachen schließlich ergibt sich eine 100% "Verbnähe" des Negators.
Diese Befunde sind leicht zu erklären: wenn ein Satz negiert werden soll, ist es am
einfachsten, die Prädikation zu negieren, die ja - ganz im wörtlichen Sinne des Ter-
minus - Trägerin der Aussage ist. Und da das Verb seinerseits in der Mehrheit der
Fälle4 der Träger der Prädikation ist, wird die Negation unmittelbar beim Verb mar-
kiert.
Die Verbnähe negierender Elemente wird auch durch die Untersuchung von Dahl
(1979) bestätigt: "(...) not only do Neg morphemes tend to be fixed as to their posi-
tion relative to the FE (i. e. finite element, E. H.), but they also tend to come as
close to the FE as possible." (ibd.: 92), aber in Bezug auf die Frage nach der Posi-
tion vor oder nach dem fmiten Verb kommt er zu völlig anderen Ergebnissen als
Dryer. Dahls Aussage: "The second most striking thing is the preference for prever-
bal positions." (ibd.: 91) läßt sich zwar noch mit Dryers Befunden in den SVO-
Sprachen vereinbaren, aber die nachfolgende Beobachtung Dahls weist in eine ganz
andere Richtung: "It may be noted that the tendency towards preverbal placement of
Neg is particularly strong in SOV languages." (ibd.: 94). Bei Dryer ist es genau
umgekehrt: während 70% der insgesamt 67 von ihm untersuchten SVO-Sprachen
präverbale Negation aufwiesen, waren es nur 33% der mit insgesamt 117 Sprachen
größten untersuchten Gruppe, der der SOV-Sprachen, von denen 55% postverbale
Negation aufwiesen.
Wie kann dieser Unterschied erklärt werden? Um überhaupt eine Basis für die
Vergleichbarkeit der beiden Samples zu schaffen, habe ich die Dänischen Gruppen
"S 12" ("uninflected particle added, the finite verb of the affirmative sentence is mo-
dified morphologically"; ibd.: 101) und "S21" ("uninflected particle added, no
change of the finite verb of the affirmative sentence"; ibd.) sowie "S22" ("inflected

Ausnahmen von dieser Regel sind naturgemäß die verblosen Prädikationen, die in
manchen Sprachen beobachtet werden können. Dazu gehören Prädikationen mit
einem nominalen Element ohne Kopula (cf. Z. B. russ. y MCHH MauiHHa 'bei mir
Auto' = 'Ich habe ein Auto', MauiHHa xopouia 'Auto gut' = 'Das Auto ist gut'), aber
auch solche mit nicht-verbaler Kopula und nicht-verbalem Existenzmarker, cf.
z. B. türk. arabam vor 'Auto-mein Existenzmarker1 = 'Ich habe ein Auto'; kitap iyi
degil 'Buch gut NEG-Kopula' = 'Das Buch ist nicht gut'. Zu Fragen der nicht-
verbalen Prädikation cf. ausführlicher Hengeveld (1993).
102

auxiliary added, the finite verb in the affirmative sentence is modified morphologi-
cally"; ibd.) zu einer gemeinsamen Kategorie "syntaktische Negation" zusammenge-
faßt. Bei den Sprachen mit morphologischer Negation wurde ganz im Sinne von
Dryers Ansatz die Stellung des Morphems im Verhältnis zum Verbstamm zugrun-
degelegt; es wurden also diejenigen Sprachen, die negierende Präfixe verwenden,
als NegV notiert, während Suffixe als VNeg eingeordnet wurden. Ferner wurde
angenommen, daß es sich bei den mit "verb in sentence-final position" charakteri-
sierten Sprachen um SOV-Sprachen und bei den mit "verb in sentence-second posi-
tion" charakterisierten um SVO-Sprachen handelt. Die Grundlage für diese An-
nahme bildet die Beobachtung, daß Objekt-initiale Sprachen offenbar ausgespro-
chenen Seltenheitswert haben (cf. Dryer 1988: 94 und die dort angeführte Litera-
tur), so daß eine durch diese Annahme möglicherweise entstehende Fehlerquote als
minimal angesehen werden kann. Umgekehrt wurden schließlich bei Dryer alle
Verb-initialen Sprachen zu einer Gruppe zusammengefaßt. Auf der Basis dieser
Überarbeitungen ergibt sich nun die folgende Gegenüberstellung:

SVO-Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in% Dahl in%


morph. syntakt.
NegSVO 4 6 - - - -
SNegVO 47 70 14 70 30 65
SVNegO 3 5 6 30 10 21
SVONeg 13 19 - - 7 15
Summe 67 100 20 100 47 100

Tabelle 6

SOV-Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in% Dahl in%


morph. syntakt.
NegSOV 8 7 - - 1 4
SNegOV 6 5 - - - -
SONegV 39 33 12 25 22 88
SOVNeg 64 55 36 75 2 8
Summe 117 100 48 100 25 100

Tabelle 7
103

V-initiale Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in% Dahl in%


morph. syntakt.
NegV(...) 43 98 3 75 16 100
VNeg(...) 1 2 1 25 - -
Summe 44 - 4 100 16 100

Tabelle 8

Angesichts der unterschiedlichen Samplegrößen sollen die Prozentzahlen zu einer


größeren Übersichtlichkeit verhelfen, auch wenn sie naturgemäß bei den teilweise
sehr kleinen Samplegrößen Dahls nur vorsichtig als allgemeine Anhaltspunkte für
eine sich möglicherweise abzeichnende Tendenz betrachtet werden können. Die
jeweils höchsten Werte sind in Fettdruck hervorgehoben
Wie sich zeigt, ergeben sich, was die relative Gewichtung der jeweiligen Be-
funde betrifft, nur in einem einzigen Punkt Abweichungen zwischen den beiden
Samples: in der Häufigkeit der Reihenfolge NegV resp. VNeg bei den SOV-Spra-
chen. Hier wiederum stimmen diejenigen Sprachen, die morphologische Mittel zur
Negation benutzen, in der Tendenz vollkommen mit dem Dryerschen Sample über-
ein; nur das mit 25 Sprachen eher kleine Sample Dahls mit syntaktischer Negation
tendiert mit deutlicher Mehrheit zur Reihenfolge SONegV.
Aus diesen Ergebnissen könnte man nun mit einiger Vorsicht den Schluß ziehen,
daß morphologische und syntaktische Mittel der Negation bei SOV-Sprachen dazu
neigen, sich im Hinblick auf die Stellung von Negator und Verb jeweils komple-
mentär zu verhalten. Aber eine solche Hypothese würde voraussetzen, daß sich
wirklich eine klare Trennungslinie zwischen morphologischer und syntaktischer
Negation ziehen läßt; dies ist jedoch, wie auch Dahl selbst zugesteht, keineswegs
der Fall. "The distinction between morphological and syntactic Neg is one case
where criteria given beforehand are lacking. In most cases, the choice is one
between analyzing a morpheme as an affix or as a particle. In some cases, this
appears to be an almost complete arbitrary decision." (Dahl 1979: 882f.) Dahl
illustriert dies am Beispiel des Polnischen und des Tschechischen. Das Problem,
daß ein und dasselbe Negationsmorphem in ein und derselben Sprache sich
einerseits wie ein freies, andererseits wie ein gebundenes Morphem verhalten kann,
läßt sich auch im Serbischen illustrieren. Dahl selbst verwendet die folgenden
Unterscheidungskriterien:

The following factors should favor a morphological treatment:


(a) portmanteau realization of Neg;
(b) prosodic unity of Neg und verb (viz. if they "share" one word stress);
(c) placement of Neg close to the root of the verb (i. e. between the root and
other inflectional morphemes);
(d) morphophonemic alternation in the Negation morpheme.
The following factors favor a syntactic treatment:
(a) movability of Neg;
104

(b) prosodic independence (e. g. the Neg morpheme carries a stress of its own);
(c) in written language: orthographic separation;
(d) if the Neg morpheme by itself carries inflectional affixes.
(ibd.: 83f.)

Aber diese Kriterien können, wie gesagt, auch innerhalb einer Sprache wechseln.
So läßt sich bei einer serbischen Form wie nisam to rekla 'Das habe ich nicht ge-
sagt' prosodische Einheit und eine morphologische Veränderung des Negations-
morphems konstatieren, während bei Ne kazem ja to 'Das sage ich nicht' ein un-
verändertes, prosodisch vom Verb deutlich getrenntes Morphem vorliegt. Somit
sprechen zwei Merkmale für morphologische, eines für syntaktische Negation; tra-
ditionell wird aber die Negation im Serbischen wie in den anderen slawischen Spra-
chen auch als syntaktisch aufgefaßt, und Dahl selbst rechnet das Polnische, in dem
ganz ähnliche Verhältnisse vorliegen, ebenfalls zu den syntaktisch negierenden
Sprachen (cf. ibd.: 101). Angesichts solcher Unstimmigkeiten scheint somit Dryers
Ansatz konsequenter, der auf eine Unterscheidung zwischen analytischer und syn-
thetischer Negation verzichtet und nur die Stellung des Negators im Hinblick auf
das einfache Verb sowie den Rest des Satzes bewertet. Allerdings muß der Voll-
ständigkeit wegen angemerkt werden, daß damit ein anderes, bisher noch nicht be-
sprochenes Problem weiterhin ungelöst bleibt: das Problem der Negation mithilfe
von Hilfs- oder "dummy"-Verben. Hier ist eine Reduktion auf eine einfache Kon-
struktion im Sinne einer synthetischen Verbform ausgeschlossen. Das Englische
kann als Beispiel dafür dienen, wie schwierig die Zuordnung "vor dem Verb "/"nach
dem Verb" angesichts solcher Negationsmittel wird: steht der englische Negator not
vor dem Verb - schließlich steht er stets vor dem Vollverb - oder nach dem Verb,
nämlich nach to do, das als Finitum gesetzt werden muß?
Nach der Zusammenfassung der syntaktischen und der morphologischen Nega-
tion können die Ergebnisse der beiden Untersuchungen folgendermaßen zusam-
mengefaßt werden:

SVO-Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in%


NegSVO 4 6 - -
SNegVO 47 70 44 66
SVNegO 3 5 16 24
SVONeg 13 19 7 10
Summe 67 100 67 100
Tabelle 9
105

SOV-Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in%


NegSOV 8 7 1 1
SNegOV 6 5 — —
SONegV 39 33 34 47
SOVNeg 64 55 38 52
Summe 117 100 73 100
Tabelle 10

V-initiale Sprachen:

Typ Dryer in% Dahl in%


NegV 43 98 19 95
VNeg 1 2 1 5
Summe 44 100 20 100
Tabelle 11

Nunmehr zeigt sich deutlich, daß die Unterschiede zwischen den beiden Untersu-
chungen minimal und die Tendenzen eindeutig dieselben sind: SVO-Sprachen und
V-initiale Sprachen bevorzugen mehrheitlich NegV, während SOV-Sprachen so-
wohl NegV als auch VNeg verwenden, mit einer leichten Vorliebe für letztere Rei-
henfolge.
Um nun das Deutsche in dieses universelle Bild einreihen zu können, muß aller-
dings noch ein weiteres Problem gelöst werden: es muß eine Antwort auf die Frage
gefunden werden, ob das Deutsche als SOV- oder als SVO-Sprache anzusehen ist.
Zwar wird diese Frage insbesondere innerhalb der generativen Linguistik bekann-
termaßen mit einer eindeutigen Einordnung als SOV-Sprache beantwortet; für eine
solche Annahme spricht neben der Wortstellung im syndetischen Nebensatz z . B .
auch die Tatsache, daß Objekte (wie auch Adverbialbestimmungen) ausschließlich
vor dem Infinitiv des Verbs stehen können (cf. z. B. jemandem etwas geben, ir-
gendwo wohnen etc.). Aber ganz so einfach sind die Verhältnisse denn doch nicht.
Immerhin darf nicht übersehen werden, daß der einfache, unmarkierte, nicht einge-
bettete Assertionssatz, wie er in universellen Untersuchungen wie den oben vorge-
stellten normalerweise zugrundegelegt wird, im Deutschen eindeutig die Reihen-
folge SVO aufweist; daneben ist OVS als markierte Reihenfolge zur Fokussierung
des Objekts zugelassen. Durch die mögliche Reihenfolge VSO (resp. VOS, mar-
kiert) wird eine Änderung des Satzmodus vorgenommen (selbständiger Interroga-
tivsatz oder uneingeleiteter Konditionalsatz; bei zusätzlicher Verbmodus-Verände-
rung und Hinzufügung einer Abtönungspartikel auch Optativsatz);5 SOV hingegen

5
Cf. Kommt Maja? - Kommt Maja, so (...) - Käme doch Maja!
106

ist im einfachen, nicht eingebetteten Assertionssatz schlicht und einfach ausge-


schlossen.6
In solchen einfachen Assertionssätzen des Deutschen steht der Negator im un-
markierten Fall notwendigerweise an letzter Stelle, nach dem/n Objekt/en; cf:
Maja gibt Peter das Buch nicht.
Eine Abweichung von dieser Stellungsregel scheint zunächst nur möglich, wenn ein
Anschluß mit sondern folgt, also eine deutliche Kontrastbetonung vorliegt:
Maja gibt Peter nicht das Buch, sondern das Heft.
Maja gibt nicht Peter das Buch, sondern Sascha.

Die unmarkierte Standardstellung der Elemente im uneingebetteten deutschen As-


sertionssatz lautet somit: SVONeg, und damit würde das Deutsche zu der Minder-
heit von SVO-Sprachen (19% bei Dryer, 15% bei Dahl) gehören, die die Negation
ans Ende des Satzes stellen, wobei es sich typologisch nur im Hinblick auf die all-
gemeine Reihenfolge "erst V, dann Neg" einordnen ließe:
Among the languages which place uninflected Neg particles after the FE, the bulk
is made up of two geographically well-defined groups. The first one includes a
number of germanic and Romance languages, all spoken in the north or west of
Europe. Almost all there place Neg immediately after the FE (disregarding cases
with enclitic pronouns). The second group consists of a number of West African
languages, mostly belonging to the Niger-Congo family, all with sentence final
Neg. As for the first group, it is noticable that the postverbal placement of Neg is a
relatively recent phenomenon, which has arisen through Jespersens' Cycle.
(Dahl 1979: 95)

In der Tat läßt sich Jespersens' Zyklus für das Deutsche recht gut nachweisen (cf.
Punkt 3.3.3). Nur: was heißt in diesem Zusammenhang "recent phenomenon"?
Wenn man Jespersens Beschreibung zugrundelegt, liegt ein unendlicher Kreislauf
vor, in dem sich Negationsmarker abschwächen und deshalb durch zusätzliche Ele-
mente verstärkt werden, die schließlich ihrerseits die Funktion des mittlerweile ver-
schwundenen Negationsmarkers übernehmen, schwächer werden, durch zusätzli-
che Elemente wieder verstärkt werden - etc. ad infinitum. Wenn man diesen Ansatz
ernst nimmt, kann doch wohl nur gemeint sein, daß sich die Sprache gerade in einer
Phase befindet, in der ein ehedem verstärkendes Element, das sich beispielsweise
aus einem Objekt entwickelt hat, nunmehr die Funktion des Negators übernimmt,
ohne seine Objektposition nach dem Verb verloren zu haben. Auch diese Erklärung
läßt sich auf das Deutsche anwenden, denn nicht ist tatsächlich aus einem negierten
Objekt mit der Bedeutung 'Ding, Wesen' entstanden; cf:

NICHT:
1) die ursprüngliche form des wortes ist zweifach, je nachdem wicht (wesen, ding)
mit nie (adh. neo) d. i. ni-eo (...) oder mit einfachem ni, ne (en) zusammengesetzt

Wohlgemerkt: für diesen Satztyp. Natürlich kommen selbständige Sätze mit Verb-
Endstellung vor, cf. Daß dich doch der Teufel hole! oder Wenn nur schon Freitag
wäre!; als einfache Assertionssätze können solche Konstruktionen jedoch mit Si-
cherheit nicht gewertet werden.
107

a) ahd. neowiht (ni-eo-wiht, nicht irgend ein ding, einem goth. ni aiv vaiht ent-
sprechend (...)
b) ahd. niwiht, newiht, niweht (goth. nicht componiert ni vaiht n. und nie vaiht f.
nicht ein ding, nicht etwas)
2) nhd. ist die schon mhd. gewöhnliche form niht in der md. Schreibung nicht ver-
blieben (...)
(Grimm/Grimm 1889: 690f.)

Allerdings liegt, wie sich zeigt, der Ursprung dieser Verstärkung im Deutschen
bereits recht weit in der Sprachgeschichte zurück, so daß die ursprünglichen Ob-
jekteigenschaften schon seit Jahrhunderten nicht mehr an der Oberfläche sichtbar
sind; sie können jedenfalls mit Sicherheit nicht mehr in einer Form vorausgesetzt
werden, die dem Zugriff durch das synchronische Sprachbewußtsein zugänglich
wäre. Man müßte daher annehmen, daß das Deutsche im Hinblick auf die Stellung
seines Negators eine besonders hohe Beharrlichkeit aufweist, indem es die in ferner
Vergangenheit durch die Objekteigenschaft des Negationsworts geschaffene Stel-
lungsregel bis in die Gegenwart hinein bewahrt hat.
Zu ganz anderen Ergebnissen kommt man, wenn man die Nebensatzstellung des
Deutschen resp. die grundsätzliche generative Annahme einer SOV-Stellung im
deutschen Satz zugrundelegt (cf. hierzu ausführlich z. B. Haegeman 1991: 520-
537). Auch unter dieser Annahme würde das Deutsche einer Minderheit von Spra-
chen innerhalb des Typs angehören, aber diesmal handelt es sich - mit 33% bei
Dryer und 47% bei Dahl - um eine recht bedeutende Minderheit. In Nebensätzen
desselben einfachen Satztyps, wie er oben bei Hauptsatzstellung verwendet worden
ist, steht der Negator nämlich vor dem Verb, liegt also SONegV vor; cf.:
daß Maja Peter das Buch nicht gibt.
Auch diese SONegV-Reihenfolge kann aus emphatischen Gründen, im Interesse
einer Kontrastierung, wiederum verändert werden; der Negator steht dann wie im
unabhängigen Assertionssatz vor dem Rhema des Satzes. Cf.:
daß Maja nicht Peter das Buch gibt, sondern Sascha.
daß Maja Peter nicht das Buch gibt, sondern das Heft.
Trotz ihrer relativ hohen Beweglichkeit im Satz kann die Negationspartikel weder
im Hauptsatz noch im Nebensatz über das finite Verb hinwegbewegt werden. Auch
wenn sich die Entfernungen vom Finitum verändern können, muß der Negator im
unabhängigen Assertionssatz stets nach dem Verbum finitum stehen, während er im
abhängigen nur vor demselben auftreten kann.
Wo steht die Negationspartikel im Deutschen nun wirklich?

Schon Adamzik (1987) hat nachzuweisen versucht, daß es eine allgemein gültige,
obligatorische Regel für die Stellung der Negationspartikel nicht im Deutschen nicht
gibt. Insbesondere die immer wieder angeführte Regel, daß nicht automatisch vor
bestimmte (im allgemeinen als besonders "verbnah" beschriebene) Satzteile tritt,
erweist sich anhand des von Adamzik aufgeführten Materials als nicht haltbar. Die
von ihr so genannte "allen Arbeiten gemeinsame Kernthese" (Adamzik 1987: 39)
der Forschung, die sie zu widerlegen angetreten ist, formuliert sie folgendermaßen:
108

"nicht steht am Satzende (Hauptsatz) bzw. unmittelbar vor dem Verb (Nebensatz),
und es tritt diesen Endplatz nur Elementen ab, die noch enger an das Verb gebunden
sind als das Negationsadverb selbst." (ibd.). Anhand authentischer Textbeispiele
zeigt Adamzik nun, daß
- nicht häufig erst nach dem Prädikativum steht (cf. ibd.: 54f.)
- Adverbialbestimmungen verschiedenster semantischer und morphologischer Art,
deren Stellung in dieser Position von den meisten Grammatiken ausgeschlossen
wird, durchaus vor das nicht treten können; dies gilt sogar für obligatorische
Adverbialbestimmungen (cf. ibd.: 59-61).

Aus diesen Befunden schließt sie:

(...) als Fazit ergibt sich in jedem Fall, daß eine möglichst differenzierte Auflistung
der Elemente bzw. Elementtypen, die obligatorisch hinter nicht treten sollen, nicht
ausreicht, um die Stellungsmöglichkeiten von nicht bei der Satznegation zu
erfassen. Vielmehr ist auch für die Beschreibung der Satznegation eine einge-
hendere Darstellung der Bezugsmöglichkeiten von nicht notwendig. Allen hier re-
ferierten Ansätzen gemeinsam ist, daß dabei v.a. die Berücksichtigung von Ele-
menten, die wie nicht selbst einen Bezugsbereich haben, gravierende Probleme
aufwirft, und in diesem Punkt erweist sich keines der dabei zugrundegelegten (und
oft auch kombinierten) Grammatikmodelle oder -theoreme - Rahmenstruktur des
deutschen Satzes, Valenztheorie, Aspects-Modell der Transformationsgrammatik -
als den anderen überlegen.
(ibd.: 81)

Um auf einer gesicherten Grundlage Aussagen über die Stellung der negierenden
Elemente im Deutschen vornehmen zu können, soll auf eine empirische Untersu-
chung Bezug genommen werden, die im folgenden ausführlich darzustellen sein
wird.

4.2 Corpusanalyse

4.2.1 Empirische Grundlage

Um die tatsächliche Verwendung und Verteilung der negierenden Elemente, die das
Deutsche per Lexikon zur Verfügung stellt, besser beurteilen zu können, bieten sich
empirische Untersuchungsverfahren an. Dabei kann man sowohl auf mündliche
(aufgenommene und transkribierte) als auch auf schriftliche Äußerungen zurück-
greifen. Mündliche Äußerungsformen haben den unbestreitbaren Vorteil, daß die
Intonation mit berücksichtigt werden kann, die u.U. einen wesentlichen Beitrag zur
Gesamtbedeutung ausmachen kann. Andererseits bergen mündliche Äußerungen
aber auch Nachteile. So muß stets berücksichtigt werden, daß sie
- möglicherweise Verwendungsweisen enthalten, die ausschließlich aufgrund
einer bestimmten Kontrastbetonung möglich sind; eine Bewertung ohne ent-
sprechende Berücksichtigung der Intonation wäre dann also nicht ohne weiteres
möglich;
109

- "ungrammatische" oder jedenfalls abweichende Bildungen enthalten können,


die, solange das Verständnis gesichert ist, nicht notwendigerweise korrigiert
werden;grundsätzlich sehr viel störanfälliger sind, etwa im Hinblick auf Ab-
lenkungen, Unterbrechungen, Störgeräusche etc.

Bei mündlicher Sprachproduktion kommt es in sehr viel höherem Ausmaß als bei
schriftlicher zu verschiedenen ungrammatischen Äußerungen, insbesondere Ana-
koluthen, ohne daß deshalb die Kommunikation gefährdet sein muß, denn situativer
Kontext und nonverbale Signale aller Art sichern die Verständigung zusätzlich ab.
Da bei schriftlichen Äußerungen normalerweise keine simultanen Kontrollmög-
lichkeiten bestehen und eine aktuelle Verständnissicherung naturgemäß nur in den
seltensten Fällen möglich ist,7 unterliegen sie anderen Produktionsbedingungen.
Sämtliche paralinguistischen Signale, die einen kommunikativen Akt normalerweise
begleiten, müssen entweder gesondert digitalisiert8 und entsprechend verbalisiert
werden, oder aber ihre Funktion wird jedenfalls teilweise durch eine entsprechend
klare, ausreichend redundante Ausdrucksweise ersetzt. Zur Darstellung supraseg-
mentaler Merkmale können u.U. auch bestimmte graphische Mittel zum Einsatz
kommen; so kann etwa eine Kontrastbetonung durch graphische Mittel der
Hervorhebung wie Unterstreichung, Sperrung oder Fettdruck gekennzeichnet wer-
den. Wenn die Kontrastbetonung zum Verständnis der Textsequenz erhalten bleiben
soll, i. e. wenn sie sich nicht automatisch aus der Thema-Rhema-Struktur ergibt,
die sich der Satzstellung entnehmen läßt (cf. z. B. Nicht Maja ist gekommen! -
grammatisch korrekt nur mit Kontrastbetonung auf Maja und der erwarteten
Fortsetzung sondern..., dann ist eine solche graphische Hervorhebung sogar
unumgänglich. In allen anderen Fällen ist davon auszugehen, daß der Text auch bei
einer angenommenen Standardbetonung verständlich ist - m.a.W., das zusätzliche
Verständigungsmittel der Intonation kann zunächst unberücksichtigt bleiben.9
Aus diesen Gründen wurde der vorliegenden Untersuchung eine schriftliche
Textprobe zugrundegelegt. Bei der Auswahl der Textsorte kamen literarische Texte
der Moderne als sprachliches Material nicht in Frage, da sie häufig bewußt zu idio-
synkratischen, stilistisch und grammatisch abweichenden Formulierungen greifen;
ältere literarische Texte hingegen wurden schon wegen ihrer mangelnden Aktualität
nicht berücksichtigt. Dagegen kann für Gebrauchstexte, etwa journalistische Stan-

In einigen Fällen, so etwa bei Internet-Kommunikation im IRC (Internet Relay


Chat) oder bei Kommunikation über die Funktion "Talk" (ebenfalls im Internet
oder auch innerhalb eines Universitäts-internen Kommunikationssystems), ist in
der Tat auch bei schriftlicher Kommunikation eine direkte Verständnissicherung
möglich.
"Digital" wird hier im Sinne von Watzlawick et al. (81993) benutzt, also im Sinne
einer Unterscheidung von paralinguistischen und rein verbalen Äußerungsmo-
dalitäten. "Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Mo-
dalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logi-
sche Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik.
Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potential, er-
mangeln aber die [sie] für die eindeutige Kommunikation erforderliche logische
Syntax." (ibd: 68).
Eine sehr detaillierte theoretische Analyse zum Verhältnis von Negation und Into-
nation, in der auch sehr schnell die mit einer solchen Untersuchung verbundenen
Schwierigkeiten sichtbar werden, hat Lieb (1982 und 1983) vorgelegt.
110

dardtexte in Zeitungen und Zeitschriften, angenommen werden, daß sie in erster


Linie auf Verständlichkeit und Zugänglichkeit ausgerichtet sind und daher einen
modernen alltäglichen, nicht übermäßig durch individuelle Besonderheiten gepräg-
ten (Schrift-) Sprachgebrauch widerspiegeln.
Da sich Zeitungen und Zeitschriften im Hinblick auf ihren jeweiligen Stil jedoch
durchaus nicht unwesentlich unterscheiden, wurde eine Stichprobe aus mehreren
unterschiedlichen Presseerzeugnissen zusammengestellt. Als Beispiel für einen eher
saloppen, der gesprochenen Umgangssprache nahestehenden Stil wurde die taz
ausgewählt; für einen eher konservativen, wenn auch nicht übermäßig elaborierten
Stil steht der Tagesspiegel. Die Frauenzeitschrift Brigitte dient als Beispiel für Stan-
dard-Illustriertenstil, und als Beleg für einen komplexeren, auch als eigenwillig
bekannten journalistischen Stil wurde schließlich der Spiegel herangezogen. Wäh-
rend von den drei erstgenannten Presseerzeugnissen jeweils eine Ausgabe vollstän-
dig ausgewertet wurde10, wurden beim Spiegel nur die ersten 100 Seiten eines Ex-
emplars abzüglich der Anzeigen sowie eines in ihnen enthaltenen auszugsweisen
Romanabdrucks berücksichtigt;11 auf diese Weise sollte zumindest ein grobes quan-
titatives Gleichgewicht in Bezug auf den Textumfang geschaffen werden.
Aus diesen Textproben wurden nunmehr sämtliche Textstellen entnommen, die
eine Negation mit einem der folgenden Elemente enthielten: nicht, kein-, nie,
nie(mals,) niemand, nirgend, nirgendwo. Dabei fanden sich im Spiegel, entspre-
chend der trotz der vorgenommenen Reduzierung größeren Textmenge, 321 Belege;
es folgte die Zeitschrift Brigitte mit 278, der Tagesspiegel mit 198 und die taz mit
157 Belegen. Insgesamt konnten somit 954 Belegstellen gefunden werden, die
eines oder mehrere der genannten negierenden Elemente enthielten.12
Was die Verteilung der Negationsträger betrifft, ergab sich dabei das folgende
Bild:

Negationsträger Anzahl Anteil in %


nicht 675 68,9
kein- 195 19,9
nichts 85 8,7
nie(mals) 15 1,5
niemand 8 0,8
nirgends 1 0,1
979 100
Tabelle 12

10
Der Tagesspiegel, 10.07.1993 (im folgenden zitiert als: ts) und taz, Berliner Aus-
gabe vom 8. Juli 1993 (im folgenden zitiert als: ta) sowie Brigitte 13/93 (im fol-
genden zitiert als: br).
1
' Der Spiegel 27/1993 (im folgenden zitiert als: sp).
12
Da einige Sätze aus Haupt- und Nebensätzen bestanden, die jeweils eine eigene
Negation enthielten, oder auch aus koordinierten negierten Hauptsätzen, ergibt
sich in der Folge eine höhere Zahl der absoluten Vorkommen, da diese Befunde
jeweils einzeln verwertet wurden. Insgesamt waren im untersuchten Corpus 979
Negationsträger (nicht, nichts, nie(mals), niemand, nirgends) enthalten.
Ill

Daß dieser Befund durchaus als repräsentativ betrachtet werden kann, zeigt sich
nicht zuletzt dann, wenn man die Anteile der jeweiligen Negationsträger am Ge-
samtbestand der Negation mit den entsprechenden Anteilen vergleicht, die sich aus
einer Untersuchung der Mannheimer Corpus ergeben. Es zeigen sich die folgenden
Frequenzen:13

Negation Corpus M/Literat. M/Wiss. M/Zeitung


E. H.
nicht 68,9% 68,5% 70,7% 66,8%
kein 19,9% 15,3% 16,2% 20,4%
nichts 8,7% 8,7% 5,3% 6,0%
nie(mals) 1,5% 7,1% 5,0% 3,9%
niemand 0,8% 1,6% 1,9% 2,0%
Tabelle 13

Auch wenn die Anteile von niemand und insbesondere von nie(mals) gegenüber
dem kleineren Sample erhöht sind, so ist doch nicht nur die Häufigkeitshierarchie in
allen vier Corpora völlig gleich, sondern auch die prozentuale Verteilung weist mehr
als deutliche Parallelen auf.
Insgesamt läßt sich mit Sicherheit für alle Textsorten feststellen: mindestens zwei
Drittel aller Negationen werden durch nicht ausgedrückt, während Negationen mit-
hilfe von kein- maximal ein gutes Fünftel erreichen. Die restlichen Negationen wer-
den durch nichts, nie(mals) und niemand vorgenommen; die Reihenfolge ihrer Auf-
zählung folgt ihrer relativen Häufigkeit.
Der Vergleich mit dem ungleich größeren Mannheimer Corpus zeigt, daß das
vorliegende Corpus mit gutem Grund als repräsentativ angesehen werden kann. Die
nun folgende Untersuchung basiert ausschließlich auf ihm; alle im folgenden ver-
wendeten Zahlen und Belege beziehen sich also auf das kleinere, zum Zwecke der
vorliegenden Untersuchung erhobene Corpus.

4.2.2 Empirische Befunde I: Pronomina

4.2.2.1 Die negierten Pronomina auf ni-

Überraschend ist die Tatsache, daß Belege für negierte Indefinitpronomina und
-proadverbien auf ni- relativ selten sind: alle Indefinitpronomina und -proadverbien
auf ni- haben zusammen nur 109 Vorkommen und machen damit nur 11,1% der ge-
sammelten Belege aus. Dabei hat nichts mit 8,7% den größten Anteil, wie wohl
auch nach spontanem Sprachgefühl zu erwarten war, während die übrigen mit 1,5%
(nie und niemals), 0,8% (niemand) und unter 0,1% (nirgends) geradezu zu ver-
nachlässigen sind.

13
M/Lit. = Mannheimer Corpus, Literatur; M/Wiss. = Mannheimer Corpus, Wissen-
schaft; M/Zeitung = Mannheimer Corpus, Zeitungstexte.
112

4.2.2. l nichts

Bei der Zählung der Vorkommen von nichts im Rahmen der Auswertung der Zei-
tungs- und Zeitschriftentexte blieb das (ausgesprochen seltene) substantivierte
Vorkommen von Nichts unberücksichtigt; das Nichts in dem Satz: Sie warten, daß
der Krieg zu Ende geht. Ein Warten auf ein Nichts, (ta: II) 1 4 wurde also nicht mit-
gezählt.
Unter den syntaktischen Funktionen, die das Pronomen nichts wahrnimmt,
überwiegt die des Akkusativobjektes bei weitem; sie liegt in 59 Fällen, also bei
69,4% der Belege, vor und scheint somit so etwas wie die Standardrolle dieses
negierten Pronomens zu sein. Dem stehen 14 Subjekte (16%) gegenüber, die aller-
dings nur bei acht verschiedenen Verben stehen. Unter diesen acht Verben befinden
sich interessanterweise nur zwei Handlungsverben im Aktiv. Im einzelnen handelt
es sich um die folgenden Verben: passieren (4mal), sein (4mal) sich ändern (2mal)
sowie je einmal scheinen, halten, kommen im Aktiv; bestimmen sowie sagen treten
im Passiv auf. Insbesondere in einer Agens-Position (wobei der Begriff "Agens"
hier im weiteren Sinne, also als Subjekt eines Handlungsverbs resp. als Subjekt
eines zumindest potentiell intentionalen Verlaufs,15 zu verstehen ist) kommt nichts
somit nur ein einziges Mal vor: In Sete hält mich nichts (br: 176).16 In der Rede-
wendung Von nichts kommt nichts steht nichts zwar ebenfalls bei einem Verb, das
seinem Subjekt normalerweise eine Agensrolle zuweist; aber schon die Paraphra-
sierbarkeit des Idioms durch nichts passiert grundlos zeigt, daß eine solche Deutung
hier ausgeschlossen ist, da es sich um ein prozeßhaftes Geschehen handelt. Auch
die Vorkommen von sich ändern müssen prozessual interpretiert werden: In der
Praxis hat sich aber nichts geändert (ta: 11) und Und seit exakt einer Woche hat sich
am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen (fast) nichts geändert (ta: 4). Eine prototypi-
sche Subjektrolle wird somit in keinem Fall durch nichts besetzt.
In fünf weiteren Sätzen (5,9%) erfüllte nichts die Funktion des Prädikativums.
Diese Verteilung der Satzteilfunktionen legt den Schluß nahe, daß nichts für be-
stimmte thematische Rollen besser geeignet ist als für andere. Allerdings ist das
nicht besonders überraschend, wenn man berücksichtigt, daß es sich um ein Indefi-
nitpronomen im Neutrum handelt. Das Neutrum fungiert in diesem Falle sozusagen
als "natürliches" Geschlecht: nichts steht für Geschlechtsloses, da Unbelebtes, und

14
ta = taz, Berliner Ausgabe vom 8. Juli 1993.
15
Mit dieser Formulierung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß man-
che Vorgangsverben intentionale Lesarten aufweisen, die dann zu einem agentivi-
schen Subjekt führen und in der Folge auch Passivfähigkeit erzeugen. Als Beispiel
hierfür kann etwa das Verb schlafen dienen, das normalerweise einen Vorgang be-
zeichnet; wenn dieser Vorgang jedoch als willentlich herbeigeführt aufgefaßt wird,
kann das Verb sowohl mit dem intentionalen Modalverb wollen verbunden als
auch signifikanterweise im Passiv gebraucht werden, cf. Ich will jetzt schlafen/Jetzt
wird aber endlich geschlafen! Daß dies nicht bei jedem Vorgangsverb möglich ist,
zeigen Gegenbeispiele wie z. B. frieren oder ermüden: cf. *Ich will jetzt frieren
*Ich will jetzt ermüden/*Jetzt wird gefroren! *Jetzt wird ermüdet! Zur
Abhängigkeit der Passivierbarkeit von der Agentivität des Subjekts im Aktiv cf.
z. B. Hentschel/Weydt (1995b).
16
Der Gebrauch von halten kann in diesem Kontext als hochgradig idiomatisch
angesehen werden; als Subjekte scheint er neben nichts vor allem das Interrogati-
vum was (cf. Was hält dich dort?) zu bevorzugen.
113

Unbelebtes ist ein denkbar schlechter Kandidat für die Agens-Rolle, wie sie die
Mehrheit der Verben in der Subjektposition vorsieht.
Bei den Objekten ist der Anteil an Konstruktionen mit nichts ... haben und
einem Infinitiv mit zu interessant: 14 Belege (16,5%) sind so konstruiert, wobei in
11 Fällen eine Kombination mit dem Verb tun vorliegt. Die Folge nichts mit ...zu
tun haben und ihr entsprechendes positives Gegenstück etwas mit ...zu tun haben
kann aufgrund der hohen Fixiertheit des Ausdrucks und insbesondere aufgrund der
nicht vorhandenen Austauschbarkeit des Infinitivs tun mit dem Synonym machen11
durchaus als idiomatische Wendung angesehen werden; neben der idiomatischen
gibt es eine zweite, sozusagen wörtliche modale Lesart: nichts zu tun haben im
Sinne von 'keine Arbeit haben'. Eine solche idiomatische oder zumindest deutlich
idiomatisierte Wendung liegt auch in sieben weiteren Fällen vor. 18 Generell zeigt
sich ein verhältnismäßig hoher Anteil von weitgehend konventionalisierten, um
nicht zu sagen fixierten Formulierungen unter den mc/ite-Sätzen; auch die Kombi-
nation nichts zu machen + sein (cf. Ohne Erlaubnisschein sei nichts zu machen, ta:
3) kann beispielsweise zu dieser Klasse gerechnet werden.
Die Kombination von nichts mit einem substantivierten Adjektiv oder dem Inde-
finitpronomen ander- (nichts anderes) schließlich fand sich insgesamt 14 mal

4.2.2. l .2 niemand vs. keiner

Unter den acht Vorkommen von niemand finden sich fünf Subjekte, die neben zwei
Akkusativobjekten und einem Dativobjekt stehen. Die Subjekte stehen in Aktivsät-
zen mit den Prädikaten vermag zu sagen (sp: 90), interessierte sich (sp: 97), be-
gehrte Asyl (sp: 19), kommt (sp: 26) und hatte eine Ahnung gehabt (sp: 30). Dabei
ist zum einen interessant, daß sämtliche Belege für niemand - auch die drei mit Ob-
jektfunktion - aus dem Spiegel stammen; die Überlegung liegt also nahe, ob nicht
stilistische Gründe bei der Wahl dieses Pronomens eine Rolle spielen, ein Gedanke,
der ja auch durch die Wortwahl der Umgebungssätze gestützt wird: Verben wie
begehren oder vermögen gehören mit Sicherheit nicht zum umgangssprachlichen
Sprachgebrauch. Es läßt sich beobachten, daß das Pronomen keiner in allen Formen
der Umgangssprache bis hin zu der Standard-Umgangssprache, die auch schrift-
sprachlich Verwendung findet, entschieden bevorzugt wird: statt niemand vermag

17
Es ist nur die eingeschränkte Austauschbarkeit mit dem Verb schaffen gegeben.
18
(...) so ändert das natürlich nichts am Recht der Anwohner (...) (ts: 7) -Das
ändert jedoch nichts daran, daß (...) (ts: 18) — Nein, davon wußte er nichts, (ts:
16)- Die Gegendarstellungen (...) besagen nichts darüber, ob (...) (sp: 3) - Zwar
(...), aber es nützt nichts, (ts: 2) - Butkus dachte sich nichts dabei (...) (ts: 16) -
(...) macht es mancher Frau nichts aus (...) (br : 72) - Kuala Lumpur hat nichts
gemein mit den bürgerlichen und alternativen Idyllen Berlin-Charlottenburgs. (ta:
20).
19
Dabei folgte in zehn Fällen (12%) ein Adjektiv auf nichts: nichts Besonderes
(zweimal), nichts Offizielles, nichts Neues, nichts Anstößiges, nichts Derartiges,
nichts Einzigartiges, nichts Besseres, und viermal (5%) lag die Verbindung nichts
anderes vor. In Kombination mit mehr schließlich trat nichts sechsmal (7%) in
Erscheinung.
114

zu sagen wäre beispielsweise keiner kann sagen zu erwarten, statt niemand begehrte
Asyl etwa keiner hat Asyl beantragt etc. Dabei handelt es sich keineswegs eine neue
Entwicklung; schon das Grimmsche Wörterbuch stellt unter dem Eintrag kein fest:
"(...) rein substantivisch, keiner gleich niemand, vor dem es jedoch eine gewisse
kraft voraus hat (das volk gebraucht entschieden lieber keiner als niemand, wie ei-
ner statt jemand (...)" (Grimm/Grimm 1873: 471). Tatsächlich lassen sich auch im
Sample sechs Belege finden, in denen das zu erwartende Pronomen durch keiner
ersetzt wurde:
Noch aber ist keiner benannt (sp: 89)
Da kümmert sich keiner drum, (ts: 3)
(...) obwohl keiner mit mir gesprochen oder mich gesehen hat. (ts: 13)
(...) warum, weiß keiner so genau, (ts: 14)
(...) und in Japan guckt keiner hin. (ta: 7)
Keiner unterstützt mich, (br: 116)

Diese sechs fcezner-Belege bilden zwar einerseits nur 3% aller Belege mit kein- ins-
gesamt, aber wenn man andererseits berücksichtigt, daß das gesamte Sample über-
haupt nur acht niemand-Belege aufweist, dann ist dieser Befund doch bemer-
kenswert. Zusammenfassend läßt sich daher feststellen: negierte personale Indefi-
nitpronomina kommen insgesamt selten vor, aber wenn sie vorkommen, werden sie
nahezu mit gleicher Häufigkeit durch keiner wie durch niemand bezeichnet.

4.2.2.1.3 nie(mals)

Es finden sich insgesamt immerhin 15 Belege für das negierte lokale Indefinitadverb
nie(mals), davon 13 Belege für die Kurzform nie und zwei für die Langform nie-
mals; das heißt, für nie(mals) findet sich ein Beleg mehr als für die beiden negierten
Personalpronomina niemand und keiner zusammengenommen. Der Grund dafür
mag u. a. auch darin liegen, daß sich nie(mals) als emphatische Verstärkung an
Stelle von nicht verwenden läßt, indem es die Gültigkeit der Negation zeitlich sozu-
sagen ins Unendliche ausdehnt. Gegenüber einer Äußerung wie beispielsweise Das
habe ich nicht gesagt! trägt Das habe ich nie gesagt!, das in bestimmten Kontexten
ja völlig gleichwertig gebraucht werden kann, deutlich emphatische Züge.
Nie(mals) ist dreimal in der Kombination aus nie(mals) und wieder vertreten
(zweimal niemals wieder, einmal nie wieder). Die syntaktische Funktion der Form
ist, da es sich um ein nicht attribuierbares Adverb handelt, naturgemäß stets die ei-
ner Adverbialbestimmung.20

4.2.2.2 kein-

Daß Negationen mit kein- weniger als ein Sechstel - und auch in den zu Ver-
gleichszwecken herangezogenen Texten des Mannheimer Corpus maximal ein
20
Normalerweise können lokale und temporale Adverbien durchaus attribuiert wer-
den; sie werden dann nachgestellt (cf. z. B. die Fete gestern oder das Haus dort
drüben). Nie(mals) ist zwar ein temporales Adverb, seine Attribuierung ist jedoch
ausgeschlossen; cf. *die Fete nie(mals).
115

Fünftel - aller Belege ausmachen, ist sicherlich noch um einiges überraschender als
die relative Seltenheit der negierten Indefinitpronomina. Üblicherweise werden für
die Verwendung von kein- die folgenden Regeln angenommen:
Als Negation steht immer kein, wenn in dem nicht-verneinten Satz der unbe-
stimmte Artikel steht.
und:
Als Negation steht in folgenden Fällen kein, wenn bei einem nicht-verneinten Sub-
stantiv der Nullartikel steht: (1) im Plural, wenn im Singular der unbestimmte
Artikel steht (...), (2) bei Stoffnamen im Singular, die eine unbestimmte Menge
eines Stoffes bezeichnen, sowie bei Substantiven auf -zeug, -werk u. a. (...), (3) in
einigen festen Verbindungen (...), (4) in Listen (Aufzählungen) (...).
(Helbig/Buscha 1994: 390f.)

Auch die Ausnahmen zu diesen Regeln werden angeführt:

Als Negation steht in folgenden Fällen nicht, wenn in dem nicht verneinten Satz
der Nullartikel steht: (1) In einigen festen Verbindungen von Verb und Akku-
sativ ohne Objektcharakter, die nicht durch ein Verb ersetzt werden können: Er
kann Auto fahren. —> Er kann nicht Auto fahren. (...) (2) bei geographischen
Namen (...) (3) bei Berufsbezeichnungen nach einem Verb und als (...) (4) als
Negation steht in folgenden Fällen kein oder nicht, wenn im nicht-verneinten
Satz der Nullartikel steht: (1) In Sätzen vom Typ Nominativ/es + sein/werden +
Nominativ (...) bei Präpositionalgruppen (nicht steht vor der Präposition, kein
zwischen Präposition und Substantiv) (...) (3) in einigen passivfähigen Funk-
tionsverbgefügen von nehmen + Akkusativ.
(ibd.: 391f.)

Ein genauerer Blick in das Sample zeigt, daß diese Regeln offenbar nicht hinrei-
chend sind. So fanden sich allein 57 Belege für ein gleichzeitiges Vorkommen von
nicht und ein, wobei unbestimmte Artikel in Attributen, also beispielsweise Sätze
wie (...) daß sich das aus elitärem Dünkel gespeiste rechte Unbehagen an der Mo-
derne nicht immer mit dem Ästhetizismus eines Strauß begnügen muß (sp: 72,
Hervorheb. E. H.) nicht berücksichtigt wurden. In vier Fällen ließ sich ein als
Numerale deuten, und in drei weiteren hatte es pronominale Funktion (so ein, solch
ein, eines), cf.:
Wer (...), sollte zumindest eine Schutzmaßnahme nicht vergessen, (ta: 17)
In Ostdeutschland darf nicht ein Unternehmen untertariflich zahlen (ts: 1)
So, nur eines geht nicht, (...) (br: 129)
(...) erreiche sie (...) "nicht mal ein Prozent der Bevölkerung", (br: 153)
(...) entschlossen, aber auch nicht einen Strahl zu verpassen, (ts: 15)
Und wenn es bei einer Bank nicht klappt, gehe ich eben zu einer anderen, (br: 129)
Bei so einer Sache kann ich doch nicht vorher mit dem Portier oder einem Herr
Kracht darüber reden (...) (sp: 91)
Außerdem, warum denken Sie bei einer solchen Umstellung der Altersversorgung
nicht an die Beamten? (sp: 36)

In allen anderen Fällen aber handelt es sich eindeutig um den unbestimmten Artikel,
der im selben Satz zusammen mit der Negation auftritt. Daß die Negation ohne Ein-
fluß auf ihn blieb, läßt sich bei zwei Sätzen sehr einfach dadurch erklären, daß sich
die Negation auf ein Attribut bezieht, cf.:
116

Ich suche ein geräumiges, helles Zimmer in lebendiger, aber nicht chaotischer WG.
(ta: 15; Hervorheb. E. H.)
Der Verlust der imperialen Identität sollte durch ein Anknüpfen an positive, nicht
imperialistische Traditionen aufgefangen werden, (ta: 9; Hervorheb. E. H.)

In zwölf Belegsätzen mit nicht und dem unbestimmten Artikel finden sich zusätzlich
fokussierende Elemente; cf.:
mehr:
Eine
~ ~ humane Unterbringung (...) ist nicht mehr gewährleistet, (sp: 20; Hervorheb.
(...), dann wird auch einer lückenlosen Aufklärung nicht mehr geglaubt, (sp: 29;
Hervorheb. E. H.)
Aber es ist wohl nicht mehr gewesen als eine Abkehr in allerletzter Minute (...) (sp: 77;
Hervorheb. E. H!)

nur:
Eine potentielle Kundin sollte sich im Pigmentier-Institut wenigstens nicht nur Fotos
von Arbeiten zeigen lassen, sondern (...) (br: 72; Hervorheb. E. H.)
Das ist nicht nur eine Wetterfrage, (ts: 3; Hervorheb. E. H.)

sonstige:
Und an einer Fachhochschule, wo die Studenten nach Dötners Meinung nicht für die
Zukunft vorbereitet würden, schon gar nicht, (ts: 17; Hervorheb. E. H.)
Ein Auftrag sei das zwar nicht geraJe~ gewesen, erklärte Vogel (...) (sp: 83;
Hervorheb. E. H.)

Kombination nicht einmal:


Obwohl die Indizien klar waren, brachten sie nicht einmal ein Geständnis (...) über
die Lippen, (sp: 88; Hervorheb. E. H.)
Dazu bedarf es nicht einmal eines besonderen Jagdeifers, (ta: 10; Hervorheb. E. H.)
Ab einer bestimmten Edelklasse ist das nicht mal mehr eine Frauenfrage, (br: 124;
Hervorheb. E. H.)
Wie (...) wenn der spröde Spanier nicht einmal ein " ?" über die Lippen bringt?
(ts: 13; Hervorheb. E. H.)

Auch wenn man Annahmen machen kann wie die, daß ein fokussierendes Element
die Negation sozusagen auf sich zieht - was insofern plausibel wäre, als die Nega-
tion mit Sicherheit ganz genauso wie die Fokuspartikel zum rhematischen Teil einer
Äußerung gehört - hätte man damit nur einen Teil der Befunde erklärt, und auch
den nicht vollständig, denn es ist festzuhalten, daß auch kein in Sätzen mit graduie-
renden und fokussierenden Elementen auftritt; cf.:
Grams (...) habe keinen großartigen Fluchtversuch mehr gemacht, (sp: 27;
Hervorheb. E. H.)
DerDödel ist gar kein Dödel! (ta: 13; Hervorheb. E. H.)
Allein der Name ist noch kein Garant für einen reaktionsschnellen Helden (...) (ta: 14;
Hervorheb. E. H.)
(...) setzen wir jedenfalls keine allzu großen Hoffnungen, (br: 152; Hervorheb. E. H.)
Man kriegt nicht einmal Kinder davon, und Aids schon gar keins. (ta: 13; Hervorheb.
E.H.)
117

Nur die Kombination nicht einmal schließt den Gebrauch von kein- aus. Es handelt
sich dabei um eine feste Wendung, die zur Negation von sogar verwendet wird (cf.
sogar Harald/nicht einmal Harald). Sogar ist eine Fokuspartikel, die ihrerseits nicht
den Fokus der Negation tragen kann, und ihre Negation mit nicht einmal kann als
Teil des Lexikons der deutschen Sprache aufgefaßt werden (cf. Polakova, in Vor-
bereitung).
Welche Erklärungen aber lassen sich für Sätze wie beispielsweise die folgenden
finden? Cf.:
Eine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich nicht finden, (ts: 7)
Eine vorzeitige Rückgabe ist nicht möglich, (br: 131)
Eine Frau hat es doch gar nicht nötig, (...) (br: 129)
(...) ein Angebot (...), das ein Mann bei Strafe seines Untergangs nicht ablehnen
kann, (ta: 12)
(...) zeigt (...) daß eine Partnerschaft nicht darunter leiden muß, wenn (...) (br: 126)

Hier wie in insgesamt 15 Sätzen steht ein beim Subjekt, das in seiner "klassischen"
Position im Vorfeld des Hauptsatzes bzw. direkt nach den satzeinleitenden Ele-
menten (Konjunktion, Relativpronomen) des Nebensatzes steht. Aber auch bei Sub-
jekten in Stellungen nach dem Verbum finitum des Hauptsatzes kann in Sätzen mit
nicht der unbestimmte Artikel vorkommen, cf. die beiden folgenden Belege:
(...) vorausgesetzt, es wurde nicht irrtümlich auch ein "inländischer Teil der Bevölke-
rung" abgefackelt, (ta: 10)
Doch auch mit Edelzähnen (...) ist ein Vampir nicht vor Niederlagen gefeit, (ta: 16)

Beispiele für Objekte mit dem unbestimmten Artikel im Vorfeld wären:


(...) und einen Bart hattest du damals auch nicht, (ts: 16)
Ein Mindestalter gibt es nicht, (sp: 20)
Ja, ja, einen alten Baum verpflanze man nicht (...) (br: 86)

In der typischeren Position nach dem Verbum finitum des Hauptsatzes bzw. nach
dem Subjekt des Nebensatzes treten 12 Objekte mit unbestimmten Artikel auf, cf.
z. B.:
Objekte im Akkusativ:
(...) die Bedeutung seines Amtes läßt eine lang anhaltende Diskussion um seine
Amtsführung nicht zu. (ta: 2)
(...) sieht in den "Alkoholtaten nicht ein zufälliges Ausrasten", (sp: 79)
(...) hieß es (...) daß man eine Favoritenrolle Sydneys nicht bestätigen könne, (ts: 7)
Ich hoffe nur, daß der "Schmalspur-Faschismus" der Regierung nicht eine neue
Phase dieser Entwicklung in Australien darstellt, (ta: 14)
In einer Erklärung droht das Innenministerium allen Frauen mit harten Strafen, die
nicht einen knöchellangen Tschador oder zumindest einen Mantel sowie das obliga-
torische Kopftuch tragen, (sp: 99)

im Dativ:
(...) weil sie einem Partner nicht zumuten wollen, (...) (br: 146)

Präpositionalobjekt:
Wer (...) will, kommt um einen Parlamentarischen Untersuchungsausscluß nicht
herum, (...) (sp: 32)
118

Es geht hier nicht um einen Wechsel von der repräsentativen zur plebiszitären De-
mokratie, sondern (...) (sp: 38)

2. Grades:
Solche Frauen sind für einen Mann nicht begehrenswert und werden am Ende be-
straft, (br: 125)

Auch bei Adverbialbestimmungen kommt der unbestimmte Artikel in negierten Sät-


zen vor:
Natürlich wird die Einbürgerung nicht auf einen Schlag alle Probleme lösen, (br: 78)
(...) Taten, die nicht offensichtlich von einer terroristischen Vereinigung begangen
wurden, (...) (sp: 82)

Um die Gründe für den gleichzeitigen Gebrauch von nicht und dem unbestimmten
Artikel feststellen und beurteilen zu können, kann als heuristisches Verfahren der
Versuch gemacht werden, die entsprechenden Sätze so umzuformen, daß sie statt
dessen ein kein- enthalten. Dabei zeigt sich für die im Vorfeld stehenden Subjekte
mit unbestimmten Artikel in einigen Fällen, daß eine entsprechende Umformung nur
möglich ist, wenn man den Satz verändert; cf. z. B.:
Eine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich nicht finden, (ts: 7)
—> *Keine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich finden.
—> Es lasse sich wahrscheinlich keine generelle Lösung finden.
Eine vorzeitige Rückgabe ist nicht möglich, (br: 131)
—> *Keine vorzeitige Rückgabe ist möglich.
—» Es ist keine vorzeitige Rückgabe möglich.

Der Gebrauch von kein- resp. nicht plus ein- ist also ganz offensichtlich an die
Thema-Rhema-Struktur im Satz gebunden; in den vorliegenden Fällen handelt es
sich beim Subjekt zugleich um das Rhema des Satzes. Wenn es sich in der für ein
Rhema ungewöhnlichen - allerdings für ein Subjekt zu erwartenden - Position links
im Satz befindet, kann es offensichtlich nicht zugleich die Negationsmarkierung
tragen. Eine solche Markierung des rhematischen Vorfeld-Subjekts ist erstaunli-
cherweise und wider alle Erwartung aber dann zulässig, wenn die Lesart keine =
'nicht eine einzige' möglich ist, wie die Umformung des folgenden Beispielsatzes
zeigt:
Eine Frau hat es doch gar nicht nötig (...) (br: 129)
-> Keine Frau hat es nötig (...) ('nicht eine einzige Frau')21

Dasselbe gilt auch für den Nebensatz:


(...) daß eine Partnerschaft nicht darunter leiden muß (...) (br: 126)
—> (...) daß keine Partnerschaft darunter leiden muß (...)
('nicht eine einzige Partnerschaft')

21
Die Umformung des Satzes führt zu Schwierigkeiten bei der Partikelverwendung,
da das die Negation verstärkende gar direkt beim Negator stehen muß; es müßte
also ggf. beispielsweise durch überhaupt ersetzt werden (cf. keine Frau hat es
doch überhaupt nötig (...), oder aber der Satz müßte in Das hat doch gar keine
Frau nötig umgeformt werden. Da dieses Problem jedoch nichts mit dem Ge-
brauch von kein resp. nicht ein zu tun hat, wurde die Partikel hier übergangen.
119

Dieser Befund ist schon deshalb überraschend, weil es ja als allgemein anerkannte
Regel gilt, daß das Numerale ein- im Gegensatz zum unbestimmten Artikel nicht mit
dem Negator fusioniert.22
Daß das Auftreten der Kombination von nicht und ein- indessen nicht daran ge-
bunden ist, daß ein Thematisches Subjekt im Vorfeld steht, wurde bereits an zwei
Belegsätzen aufgezeigt. Auch hier ergeben sich bei der Umformung dieselben
Schwierigkeiten; cf.:
(...) vorausgesetzt, es wurde nicht irrtümlich auch ein "inländischer Teil der Bevölke-
rung" abgefackelt, (ta: 10)
—> (*) (...) es wurde irrtümlich <*auch> kein "inländischer Teil der Bevölkerung"
abgefackelt.
-^ (...) es wurde kein "inländischer Teil der Bevölkerung" irrtümlich mit abgefackelt.

Hier zeigt sich, daß das Auftreten der additiven Fokuspartikel auch eine Fusion von
nicht und ein im Geltungsbereich ihres Fokus ausschließt. Eine solche Fusion ist
nur dann möglich, wenn die semantische Funktion des Additiven nicht von der Fo-
kuspartikel auch, sondern von der insbesondere in der Umgangssprache als verba-
les Präfix oder Adverb gebräuchlichen Konjunktion mit übernommen und somit am
Verb ausgedrückt wird. Abermals muß also geschlossen werden, daß es die Thema-
Rhema-Verhältnisse im Satz sind, die für den Gebrauch von kein- resp. den von
nicht und ein- ausschlaggebend sind.
Ohne weiteres möglich ist demgegenüber die Ersetzung von nicht ein- durch
kein- in den folgenden Fällen beim direkten Objekt:
(...) läßt eine lang anhaltende Diskussion um seine Amtsführung nicht zu. (ta: 2)
—> läßt keine lang anhaltende Diskussion um seine Amtsführung zu.
(...) sieht in den "Alkoholtaten nicht ein zufälliges Ausrasten", (sp: 79)
—> sieht in den "Alkoholtaten kein zufälliges Ausrasten"
(...) daß der "Schmalspur-Faschismus" (...) nicht eine neue Phase dieser Entwicklung
(...) darstellt, (ta: 14)
—» (...) daß der "Schmalspur-Faschismus" (...) keine neue Phase dieser Entwicklung
(...) darstellt.
(...) die nicht einen knöchellangen Tschador (...) tragen, (sp: 99)
—> (...) die keinen knöchellangen Tschador (...) tragen.

Nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres möglich ist eine solche Ersetzung bei den
direkten Objekten nur in einem Fall:
(...) daß man eine Favoritenrolle Sydneys nicht bestätigen könne, (ts: 7)
—» (?) daß man keine Favoritenrolle Sydneys bestätigen könne.

An diesem Satz ist bemerkenswert, daß sich der unbestimmte Artikel ohne weiteres
durch den bestimmten ersetzen ließe, cf.:
(...) daß man die angebliche Favoritenrolle Sydneys nicht bestätigen könne.

22
Cf. hierzu z. B. die bei Helbig/Buscha (1994: 390) gegebene Interpretationsregel:
"Wenn ein Satz mit ein durch nicht verneint wird, liegt eine Verstärkung der Nega-
tion vor. Die Form ein ist nicht als bestimmter Artikel, sondern als Zahladjektiv
aufzufassen."
120

Der unbestimmte Artikel beim Dativobjekt im folgenden Belegsatz läßt wiederum


nur dann eine Fusion zu kein- zu, wenn man eine Lesart 'nicht einem einzigen (von
mehreren)' annimmt; cf.:
(...) weil sie einem Partner nicht zumuten wollen, (...) (br: 146)
—»(...) weil sie keinem Partner zumuten wollen, (...)

Dasselbe gilt auch für die folgenden Objekte:


(...) kommt um einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß nicht herum, (...)
(sp: 32)
—» (...) kommt um keinen Parlamentarischen Untersuchungsausscluß herum, (...)
('nicht einen {von mehreren}')
Solche Frauen sind für einen Mann nicht begehrenswert (...) (br: 125)
—> Solche Frauen sindför keinen Mann begehrenswert (...) ('nicht für einen einzi-
gen')

während im folgenden Fall eine Fusion möglich ist:


Es geht hier nicht um einen Wechsel (...) (sp: 38)
-» Es geht hier um keinen Wechsel (...)

Auf die Frage, unter welchen Bedingungen eine Fusion nicht + em/Nullartikel >
kein wirklich möglich ist, wird im folgenden noch einzugehen sein (cf. Punkt
4.2.3.1.1.1).
Zum Gebrauch von kein- kann zusammenfassend zunächst festgestellt werden:
In 24,8% der Hauptsätze und in 19,6% der Nebensätze des Samples, im Durch-
schnitt also in 20,4% aller erfaßten Sätze, war die Negation durch kein- realisiert. In
27 von 163 Hauptsätzen mit kein-, also in 16,6% der entsprechenden Vorkommen,
stand kein- beim Subjekt des Satzes, wobei es einmal eine pronominale Funktion
wahrnahm (Keine der drei Kriegsparteien erfüllt bis heute die Zusage, (...) ta: 3).
Nur fünf der negierten Subjekte standen im Vorfeld. Semantisch nahmen die Sub-
jekte mehrheitlich keine Agens-Funktion wahr. Selbst wenn man den Begriff
"Agens" im weitesten Sinne faßt, also etwa definiert als: Subjekt eines Handlungs-
verbs, und somit auch instrumentale Agentien wie in dagegen hilft kein Opponieren
(ta: 13) zuläßt, lassen sich nicht mehr als maximal 11 Subjekte mit Agens-Funktion
ausmachen, denen 16 Subjekte gegenüberstehen, denen eine solche Funktion auf
keinen Fall zugeschrieben werden kann, da
- der Satz im Passiv steht (z. B. In dem (...) RAF-Schreiben -werden keine Ver-
geltungsaktionen oder Terroranschläge angekündigt; ts: l; Für Aktien werden
keine Zinsen gezahlt, (...); br: 135)
- das Prädikat von einem Zustandsverb gebildet wird (z. B. Kurzum, es besteht
im Prinzip kein Grund, (...); ts: 11; Es blieb kein Raum für Gespräche (...); br:
118)
- das Prädikat von einem Vorgangsverb gebildet wird (z. B.: An einer Allergie
gegen Bienen- und Wespenstiche müßte kein Mensch mehr sterbe; ts: 21)

Bei den Nebensätzen sind vier resp. 12,5% der Subjekte Träger des Negations-
merkmals kein-, die Häufigkeit ist also sehr ähnlich verteilt. In zwei Fällen steht das
Nebensatzsubjekt direkt nach der satzeinleitenden Konjunktion (weil kein Taler da
war, br: 123; obwohl keiner mit mir gesprochen oder mich gesehen hat, ts: 13), in
121

den anderen zwei Sätzen gehen andere Satzteile voraus (daß aus seinem Haus kein
nennenswerter Betrag zu erwarten sei; sp: 16; daß eine Woche nach dem Zwischen-
fall noch immer keine formellen Vernehmungen protokolliert sein sollen; ta: 10).
Als Agens läßt sich nur eines der Subjekte auffassen (obwohl keiner mit mir ge-
sprochen (...) hat).
Der dem Subjekt sozusagen spiegelbildlich gegenüberstehende Satzteil, das Prä-
dikativum, ist unter den Nebensätzen mit kein- nur einmal vertreten. Es steht dabei
zwar ohne das entsprechende Beziehungswort, die Konstruktion ist im vorliegen-
den Fall aber eher als elliptisch denn als pronominal aufzufassen: (...) auf Pisten zu
landen, die keine sind (br: 100).

4.2.3 Empirische Befunde : Negation mit nicht

4.2.3.1 Hauptsätze

4.2.3.1.1 Hauptsätze des Typs Assertionssatz

Die folgende Übersicht zeigt die Stellung von nicht innerhalb von Hauptsätzen des
Typs Assertionssatz, wobei hier zunächst nur diejenigen erfaßt werden, die keiner-
lei graduierende oder fokussierende Elemente im Anschluß an die Negation enthiel-
ten, also keinen Komparativ und auch keine Fokuspartikeln wie z. B. nur. Insge-
samt liegen 354 solche Belege vor. In der Tabelle wird auch die Stellung der übri-
gen Satzglieder berücksichtigt sowie die Tatsache, ob es sich bei den Elementen in
Nominalphrasenpositionen, also bei den Subjekten und Objekten, um Nomina oder
Pronomina handelt.
122

in %
Anzahl insgesamt anteilig * anteilig **
Stellung rechts am Satzende 152 42,9 # #
* davon Vorfeld = Subjekt 92 # 60,5 #
** Subjekt = Pronomen 31 # # 33,7
** Subjekt = Nomen 56 # # 60,9
* Vorfeld = Objekt 38 # 25,0 #
** Objekt = Pronomen23 9 # # 23,7
** Objekt = Nomen 17 # # 44,7
** Objekt = Satz 11 # # 28,9
* Vorfeld = Adv. Best. 17 # 11,2 #
* Vorfeld = Prädikativ 5 # # 3,3
Stellung rechts bei nachfol- 24 6,8 # #
gendem Nebensatz/Infinitiv
nicht steht rechts, aber vor 52 14,7 # #
Prädikativum,
Rechtsstellung gesamt 228 64,4 # #
Stellung vor 100 28,2 # #
Mittelfeld-Elementen
- davor vor AdvB 56 # 56 #
sonstiges 26 7,3 # #

Tabelle 14

Zur Erläuterung: Die Tabelle zeigt nicht nur Gesamtwerte, sondern auch Anteile an
der jeweiligen Bezugsgröße an. Die Angaben sind dabei auf die jeweils übergeord-
nete Größe zu beziehen, die mit * oder ** markiert ist; eine Zeile wie "** Objekt =
Pronomen" mit 9 Vorkommen und einer anteiligen Größe von 23,7% ist daher
folgendermaßen zu lesen: in 9 von insgesamt 152 Fällen, in denen nicht am rechten
Satzende stand, besetzte ein pronominales Objekt das Vorfeld; dies waren zugleich
23,7% alles Fälle von Objekten im Vorfeld bei rechtsstehendem nicht.

4.2.3.1.1.1 Die Vorfeldbesetzung bei rechtsstehendem nicht


Regeln zum Gebrauch von nicht ein vs. kein

Unter den Subjekten, die das Vorfeld bei rechts stehender Negation besetzten, wa-
ren mit 31 Pronomina ein gutes Drittel deiktischer Natur, wobei es sich fast aus-
schließlich um anaphorische Deiktika und damit um eindeutig thematische Elemente
handelte. Bei den Pronomina insgesamt handelte es sich bei 12 (39%) um Personal-
pronomina mit einer direkten Referenz auf Personen oder Objekte der außersprach-
lichen Wirklichkeit.24 Von den insgesamt neun (32% der Pronomina) Demonstra-

23
In einem weiteren Fall liegt eine elliptische Konstruktion vor, bei der ein Prono-
men zu ergänzen wäre: (...) einen tadelnden Blick auf die Schuhe und sagt: "Hast
du schon wieder nicht geputzt, Karlheinz." (br: 168). Dieser Satz wurde aber nicht
hier, sondern unter der Kategorie "Ellipsen" aufgenommen.
24
Fünfmal erschien ich, viermal sie (Sing.), einmal er und einmal wir.
123

tiva wiesen drei eine Referenz auf eine Person auf;25 bei den restlichen sieben
schließlich handelte es sich um Vorkommen von das, davon einmal als Korrelat
eines Nebensatzes. Dreimal trat ferner das Pronomen es auf (10%), davon einmal
als Korrelat eines nachfolgenden Nebensatzes und einmal mit Bezug auf einen nach-
folgenden Hauptsatz (also in gewisser Hinsicht auch als Korrelat interpretierbar).
Das dritte es war nicht kataphorisch, sondern anaphorisch, und hätte auch durch das
an anderer Stelle in derselben Funktion auftretende Demonstrativum das ersetzt
werden können; cf.: Es muß jetzt auch nicht sein, (br: 124) vs. Das muß alles nicht
sein, (ta: 11). In weiteren drei Fällen war das Pronomen ausgefallen, so daß es sich
hier um elliptische Konstruktionen handelt; in der Annahme, daß es sich hier um
das im Deutschen nur ausgesprochen rudimentär vorhandene Phänomen des pro-
drop handelt, wurden diese Sätze jedoch nicht bei den Ellipsen, sondern unter den
pronominalen Subjekten eingeordnet. Als Subjekt muß jeweils ein Pronomen er-
gänzt werden; cf.: Sät Zweifel, läßt sich nicht abschütteln, (br: 113); Und konnte es
nicht fassen, daß (...) (br: 124) Stimmt nicht, (sp: 30). Schließlich gab es auch drei
Fälle, in denen ein Indefinitpronomen das Vorfeld besetzte: eines, man und vieles
lauteten die entsprechenden Subjekte.
Nomina bildeten in 56 Fällen (60,7%) und damit also mit deutlicher Mehrheit
das Vorfeld-Subjekt. Von diesen Nomina waren 15 (entsprechend 26,8% aller No-
mina) sowohl von einem Artikel als auch von einem Attribut begleitet. Nebensätze
besetzten in drei Fällen als Subjekte das Vorfeld. In einem Fall handelte es sich bei
dem Subjekt um eine metasprachliche Äußerung: Aber hätte, hätte und nochmals
hätte interessiert mich nicht, (ts: 14).
Zehn der nominalen Vorfeld-Subjekte (17,9%) waren einfache Nomina ohne
Artikel und auch ohne Attribut. Vier hiervon waren Eigennamen,26 die in der
Schriftsprache ja ohnehin nicht mit Artikel gebraucht werden; bei weiteren vier han-
delte es sich um Substantive im Plural, und zweimal trat der Nullartikel auch im
Singular auf:

Pluralbelege:
Menschen seien nicht verletzt worden, (ts: 4)
Bordstewards ahnen nicht, was sie servieren dürfen, (sp: 89)
Besuche seien nicht erlaubt, (ta: 3)
Alleinerziehende (...) können vom Ehegatten-Splitting nicht profitieren, (br: 133)

Singularbelege:
Privatleben ist mit meinem Beruf nicht zu vereinbaren, (br: 145)
"Frrreeiheet is nich immer gutt." (br: 90)

25
Zweimal lag das Pronomen die vor, das einmal den Singular, einmal den Plural be-
zeichnete; der dritte Beleg enthält das Pronomen er, das einen vorausgehenden
Relativsatz korrelierend wieder aufnimmt.
26
Dabei handelte es sich um die folgenden Belege:
Uwe schaffte es nicht, flieht nach drei Monaten zurück nach Dortmund, (ta: 11)
Schewardnadse werde Suchumi nicht verlassen (...) (ts: 1)
Niedersachsen stimmte dem Kompromiß (...) nicht zu. (ts: 18)
Berlin darf diese Provokation der Rechtsextremen nicht hinnehmen, (ta: 19)
124

Ein Umformungsversuch zeigt, daß der Gebrauch von kein- hier, wenn überhaupt,
dann nur unter Vornahme zusätzlicher Veränderungen im Satz möglich wäre,27 cf.:
Menschen seien nicht verletzt worden.
—> *Keine Menschen seien verletzt worden.
—> Es seien keine Menschen verletzt worden.
Besuche seien nicht erlaubt.
—» *Keine Besuche seien erlaubt.^
—» Es seien keine Besuche erlaubt.
Privatleben ist mit meinem Beruf nicht zu vereinbaren.
—> ?Kein Privatleben ist mit meinem Beruf zu vereinbaren.
-> Mit meinem Beruf ist kein Privatkeben zu vereinbaren.

aber:
Bordstewards ahnen nicht, was (...)
—> J|'Keine Bordstewards ahnen, was (...)
—l· *Es ahnen keine Bordstewards, was (...)
Alleinerziehende (...) können vom Ehegatten-Splitting nicht profitieren
—» *Keine Alleinerziehenden (...) können vom Ehegatten-Splitting profitieren.
—» ??Es können keine Alleinerziehenden vom Ehegatten-Splitting profitieren.

Bei der Suche nach dem Grund dafür, warum in den beiden letzten Sätzen der Ge-
brauch von kein- weder im Vorfeld noch im Mittelfeld möglich ist, drängt sich die
Beobachtung auf, daß der Nullartikel in diesen Sätzen u.U. sogar durch einen be-
stimmten Artikel ersetzt werden könnte. So wird z. B. in Bordstewards ahnen
nicht, was (...) eine bestimmte, festgelegte Situation beschrieben, in der es nur eine
spezifische Gruppe von Bordstewards gegeben hat - ein klassischer Fall für den
Gebrauch des bestimmten Artikels. Auf die Frage, was diese besondere Eigenschaft
des Artikels, eben 'spezifisch', mit der Negation durch kein- resp. nicht zu tun hat,
wird im folgenden noch einzugehen sein (cf. weiter unten im vorliegenden Kapitel).
Ebenfalls artikellos, aber dafür mit einem Attribut erschienen sechs der Nomina im
Vorfeld, dreimal im Plural, dreimal im Singular, wobei es sich in einem Fall um
einen Eigennamen mit nachfolgender Apposition handelte:
Doch direkte Gefahr für Gesundheit oder Leben besteht nicht, (ts: 11)
Rechtsextremes Gedankengut hat (...) seine virulente Wirkung nicht verloren, (sp: 78)
(...) feste Zinsen werden aber nicht garantiert, (br: 136)
Mehrere Angebote (...) hätten den Ansprüchen der Firma nicht genügt, (ts: 8)
Irgendwelche Strafverfahren gegen Linksextremisten an der Saar hat es jedoch in den
letzten 15 Jahren nicht gegeben, (ta: 5)
Goeudevert, verantwortlich für die Marke Volkswagen, gab nicht auf. (sp: 84)

Wie sich zeigt, liegen hier in vier Fällen Konstruktionen vor, die einen Artikelge-
brauch gar nicht zulassen - so können die Indefinitpronomina irgendweich- und
mehrer- nicht mit Artikel verbunden werden, und auch der Eigenname Goeudevert
27
Auf den Versuch einer Umformung des Dialekt-Satzes Frrreeiheet is nich immer
gutt. wird hier aufgrund mangelnder dialektaler Kompetenz verzichtet.
28
Möglicherweise wäre dieser Gebrauch im Kontext einer Aufzählung möglich
(?Keine Besuche seien erlaubt, kein Essen werde gereicht (...)); aber auch in die-
sem Fall läge einer Veränderung der Satzstruktur vor, da der Satz teil einer Para-
taxe würde.
125

läßt zumindest im schriftsprachlichen Gebrauch einen Artikelgebrauch nicht zu.


Ganz anders hingegen sieht der als erstes angeführte Beleg aus:
Doch direkte Gefahr för Gesundheit oder Leben besteht nicht.

Hier wäre zwar auch ein Gebrauch des unbestimmten Artikels möglich, nicht aber
der des Negators kein- bei gleichbleibender Satzstellung, cf.:
—»Docft eine direkte Gefahr für Gesundheit oder Leben besteht nicht.
-» *Doch keine direkte Gefahr für Gesundheit oder Leben besteht.
—> Doch es besteht keine direkte Gefahr für Gesundheit oder Leben.

Bei dem Satz:


Rechtsextremes Gedankengut hat (...) seine virulente Wirkung nicht verloren.

hingegen wäre eine Negation mit kein- nur dann möglich, wenn man eine Bedeu-
tung 'keine Art von', 'keinerlei', also im Grunde eben wiederum die Lesart 'nicht
ein einziges' zugrundelegen würde, was nur bedingt akzeptabel ist:
?Kein rechtsextremes Gedankengut hat (...) seine virulente Wirkung verloren.

25 Nomina in Subjektfunktion waren von Artikeln oder Possessivpronomina be-


gleitet (44,6%, wobei in 17 Fällen der bestimmte Artikel und in vier Fällen ein Pos-
sessivum stand); hier ist eine Negation mit kein- von vornherein ausgeschlossen.
Interessant sind demgegenüber naturgemäß die vier Fälle mit unbestimmtem Artikel:
Ein Polizeibeamter habe (...) Grams (...) in Schach gehalten, aber nicht geschossen.
(sp: 28)
Eine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich nicht finden, (ts: 7)
Eine Weisung muß es ja nicht gewesen sein, (sp: 32)
(...) eine fehlerhafte Arbeitsweise sei daher nicht erkennbar, (ta: 17)

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß hier unterschiedliche Funktionen des unbe-
stimmten Artikels vorliegen. Um hier genauer unterscheiden und damit ggf. fest-
stellen zu können, welche Artikelbedeutungen welche Auswirkungen auf die Ne-
gation haben, soll daher im folgenden zunächst noch einmal ganz kurz die Funktion
des nicht-negierten Artikels im Deutschen betrachtet werden.

Für das Deutsche läßt sich die folgende Struktur der Artikelbedeutung aufzeigen:29

spezifisch: nicht spezifisch:


identifizierbar: bestimmter Artikel Nullartikel
nicht identifizierbar: unbestimmter Artikel

(nach Hentschel/Weydt 1995: 206)

29
Die Darstellung in der Tabelle bezieht sich auf den Singular, wo eine Dreiteilung
vorgenommen werden kann; im Plural fallen Nullartikel und unbestimmter Artikel
bekanntlich zusammen, so daß der Nullartikel hier die Funktionen des unbe-
stimmten mit übernimmt.
126

Mit 'identifizierbar' ist hier gemeint, daß die Sprecherin bei diesem Artikelgebrauch
unterstellt, daß der Hörer das Gemeinte entweder aufgrund seines allgemeinen
Weltwissens oder anhand von vorausgegangenen Informationen identifizieren kann.
Allgemeines Weltwissen wäre etwa die Bedingung dafür, den Ausdruck die Sonne
auf den Fixstern zu beziehen, um den die Erde kreist; vorausgegangene Informatio-
nen ermöglichen es, beispielsweise in Das Mädchen wurde Rotkäppchen genannt
einen Bezug zum zuvor eingeführten Referenzobjekt Mädchen herzustellen. In bei-
den Fällen handelt es sich um ein spezifisches Objekt, also um eine begrenzte, kon-
kret existierende Entität. Identifizierbar, nicht aber spezifisch sind demgegenüber
beispielsweise Materialbezeichnungen oder Abstrakta: Wenn Dagobert Duck sein
Lieblingslied Gold und Silber lieb' ich sehr anstimmt, so meint er damit identifizier-
bare, aber nicht spezifische Objekte; was er damit sagen will, ist, daß er sie ganz all-
gemein liebt, unabhängig von ihrer konkreten Erscheinungsform (als Barren, als
Münzen oder als Metallstaub), Menge, Ort etc.
Nicht identifizierbar sind alle diejenigen Objekte, die bisher noch in keiner Weise
in das gemeinsame univers du discours des Hörers und der Sprecherin eingeführt
wurden. Der Unterschied zwischen der Spezifität resp. Nicht-Spezifität ist hier nicht
lexikalisiert. Daß er dennoch existiert, kann man sich leicht anhand von Beispielen
wie dem folgenden vergegenwärtigen:
Es war einmal eine Fee (- eine spezifische, konkret existierende)
Ich würde gerne einmal einer Fee begegnen. (= einer beliebigen)
Tritt nunmehr eine Negation hinzu, so läßt sich zunächst folgendes feststellen:30

- der Nullartikel kann mit der Negation zu kein fusionieren, cf.:


Donald mag keinen Pastinakenpudding.
muß aber nicht:
Donald mag Pastinakenpudding nicht.

cf. auch:
Pastinakenpudding mag Donald nicht.

- Der unbestimmte Artikel fusioniert in der Mehrheit der Fälle mit nicht, wenn die
Bedeutung als 'nicht identifizierbar, nicht spezifisch' angegeben werden kann;
cf.:
Ich habe kein rotes Käppchen
*Ich habe ein rotes Käppchen nicht',

cf. aber auch:


Ein rotes Käppchen habe ich nicht.

30
Der bestimmte Artikel bleibt von der Negation bekanntlich völlig unbeeinflußt
(cf.: Das kleine Mädchen wurde nicht Rotkäppchen genannt.) und wird daher hier
nicht weiter berücksichtigt.
127

Diese letztere Umformung zeigt sehr deutlich, daß es sich in der Tat um die Funk-
tion 'nicht identifizierbar, nicht spezifisch' handelt.
Ganz anders liegt der Fall, wenn es sich um ein nicht identifizierbares, aber spe-
zifisches Referenzobjekt handelt. Dies ist beispielsweise der Fall in dem Belegsatz:
Ein Polizeibeamter habe (...) Grams (...) in Schach gehalten, aber nicht geschossen.

(i. e. ein spezifischer, für den Rezipienten des Textes derzeit aber nicht identifizier-
barer Polizeibeamter).
Eine Negation mit kein- ist in solchen Fällen ausgeschlossen, denn sie würde zu
einer völlig anderen Bedeutung des Artikels führen, cf.:
Kein Polizeibeamter habe (...) geschossen.

Allerdings ist bei diesem Beispielsatz zu beachten, daß sich die Negation nur auf
das zweite Prädikat bezieht, während das erste ja positiv ist; auch der Satz
Ein Polizeibeamter habe (...) nicht geschossen.

beinhaltet eine deutliche BedeutungsVeränderung gegenüber dem Originalbeleg, da


das ein nunmehr als Numerale interpretiert würde.
Aber auch schon bei dem Nullartikel-Beleg
Bordstewards ahnen nicht, was sie servieren dürfen, (sp: 89)

hatte sich bereits ein Zusammenhang zwischen Artikelfunktion und Negation ge-
zeigt. Auch hier handelt es sich um spezifische, für die Rezipientin des Textes im
gegebenen Moment jedoch als nicht identifizierbar markierte Referenzobjekte; eine
Negation mit kein- ist nicht möglich.
Schließlich zeigt auch die probeweise Negation von Standardbeispielen für diese
Artikelfunktion, daß hier grundsätzliche Schwierigkeiten vorliegen:
Es war einmal eine Fee.
—> *Es war einmal keine Fee.
—> *Es war einmal nicht eine Fee.
Die Existenz-Setzung, die dieser Satz vornimmt, läßt keine Negation zu, da sie hier
absurd wäre; dies hat mit der pragmatischen Funktion der Negation zu tun, wie sie
in Punkt 2.4.2 der vorliegenden Arbeit erläutert wurde. Wenn überhaupt eine Ne-
gation in Zusammenhang mit dieser Artikelfunktion auftritt, dann bleibt die Exi-
stenzsetzung von ihr unberührt, und zur Verdeutlichung dieser Tatsache findet auch
keine Fusion der Negation zu kein statt; cf. z. B.:
Eine Fee wußte einst nicht, wem sie drei Wünsche erfüllen sollte.
—> **Keine Fee wußte einst, wem (...)

Dieser letztere Satz ist zwar grammatisch korrekt und wohlgeformt, er stellt jedoch
nicht die Negation von Eine Fee wußte einst nicht, wem (...) dar. Eine grund-
sätzliche Regel für die Negation mit kein- muß also lauten:

Nur der unbestimmte Artikel mit der Bedeutung 'unspezifisch'


kann mit der Negation verschmelzen und als kein- erscheinen.
128

Dabei ist in aller Form festzuhalten: mit Fokus und Skopus der Negation hat dieses
Phänomen nichts zu tun. Der Unterschied zwischen
Eine Fee wußte einst nicht, wem (...)
Keine Fee wußte einst, wem (...)

läßt sich sehr einfach damit umschreiben, daß in einem Fall (Eine Fee wußte einst
nicht, wem (...) von einer einzelnen Fee, im anderen jedoch von mehreren die Rede
ist. Die Existenz von Feen, und zwar von mehreren, wird dabei in beiden Fällen
vorausgesetzt; der Gebrauch des unbestimmten Artikels ist aufgrund seiner semanti-
schen Eigenschaften überhaupt nur möglich, wenn es in der außersprachlichen
Wirklichkeit mehr als ein potentielles Referenzobjekt gibt. Mit anderen Worten: der
positive Satz zu
Eine Fee wußte einst nicht, wem (...)

lautet:
Eine Fee wußte einst, wem (...)

während der zu
Keine Fee wußte einst, wem (...)

mit
(Die) Feen wußten einst, wem (...)

angegeben werden kann.


Fokus und Skopus der Negation sind in den beiden Sätzen identisch; der logi-
sche Unterschied bezieht sich ausschließlich auf die existentiellen Grundannahmen
und kann wiedergegeben werden mit:
Eine Fee wußte einst nicht (...):

(3 x) --FX
(wobei für Fee, F für die Funktion 'wissen' steht)
Keine Fee wußte einst (...):

(V x) -^Fx

oder aber:

-. (3 x) Fx

Damit wäre eines der Probleme im Zusammenhang mit der Negation durch fein-
gelöst. Das zweite Problem dagegen hat offenkundig nicht mit der Artikelfunktion,
sondern mit den Thema-Rhema-Verhältnissen im Satz zu tun. Bei den Belegen mit
nicht (...) ein (nicht-spezifisch) zeigt sich, daß eine Negation mit kein- Veränderun-
gen der Satzstruktur erforderlich macht; cf.:
129

Eine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich nicht finden.


—> *Keine generelle Lösung lasse sich wahrscheinlich finden.
—> Es lasse sich wahrscheinlich keine generelle Lösung finden.
Eine Weisung muß es ja nicht gewesen sein.
—» *Keine Weisung muß es ja gewesen sein.
—> Es muß ja keine Weisung gewesen sein.
(...) eine fehlerhafte Arbeitsweise sei daher nicht erkennbar.
-**(...) keine fehlerhafte Arbeitsweise sei daher erkennbar.
—> f...) es sei daher keine fehlerhafte Arbeitsweise erkennbar.

Der Zusammenhang zwischen der Thema-Rhema-Struktur des Satzes und der Ver-
wendung der negierenden Elemente ist offensichtlich, und die in Frage kommende
Regel lautet:

Rhematische Elemente des Satzes, die im Vorfeld stehen, können


nicht mit dem Negationsträger kein- verbunden werden.

Wenn es sich dabei um eine allgemeingültige Regel handeln soll, darf sie nicht nur
für Subjekte gelten, sondern muß beispielsweise auch für Objekte Gültigkeit haben.
Objekte standen weitaus seltener als Subjekte im Vorfeld; unter ihnen fanden sich
vier Fälle mit einem unbestimmten Artikel im Akkusativ:
(...) und einen Bart hattest du damals auch nicht (ts: 16)
Ein Mindestalter gibt es nicht, (sp: 20)
Eine Faustregel gibt es nicht, (br: 131)
Ja, ja, einen alten Baum verpflanze man nicht (...) (br: 86)

Der Umwandlungstest zeigt, daß hier in der Tat dieselben Verhältnisse herrschen
wie bei den Subjekten; cf.:
(...) und einen Bart hattest du damals auch nicht.
—» * (...) keinen Bart hattest du damals auch.
-*(...) und du hattest damals auch keinen Bart.
Ein Mindestalter gibt es nicht.
—> * Kein Mindestalter gibt es.
—» Es gibt kein Mindestalter.
(...) einen alten Baum verpflanze man nicht.
—> * Keinen alten Baum verpflanze man.
—> Man verpflanze keinen alten Baum.
Eine Faustregel gibt es nicht.
—» * Keine Faustregel gibt es.
—» Es gibt keine Faustregel.

Die Erkenntnis, daß rhematische Vorfeld-Elemente nicht mit kein- verbunden wer-
den können, wirft auch ein neues Licht auf die vieldiskutierte Frage nach Skopus
und Fokus der Negation im Deutschen. Sie ist zwar Gegenstand zahlreicher Unter-
suchungen gewesen ist (cf. z. B. Weiß 1961, Härtung 1966, Heibig 1971 und
1985, Ulvestad 1975, Jacobs 1982, Lieb 1983, Nußbaumer/Sitta 1986, Eroms
1992); es fällt jedoch auf, daß die Zusammenhänge zwischen dem Gebrauch von
kein- vs. nicht und der Thema-Rhema-Struktur des Satzes dabei bisher nicht be-
rücksichtigt worden sind. Während einige Autoren - so etwa Stickel (1970: 15) -
130

sogar so weit gehen, die Zugehörigkeit der unterschiedlichen Negationsträger zu


einer gemeinsamen "grammatischen Klasse" in Abrede zu stellen, lassen andere eine
derartige funktionell oder semantisch fundierte Einheit zwar gelten, beschränken
sich aber auf Beschreibungen, die nicht über die alte Definition "kein = Negation +
Geleitwort (Zahlwort, unbestimmtes Pronomen, unbestimmter Artikel)" (so Weiß
1961: 130) hinausgehen. Verschiedentlich finden sich immerhin Hinweise darauf,
daß die Fusion von nicht + ein zu kein auch Ausnahmen kennt; so nimmt etwa
Härtung (1971: 249) an, daß diese Fusion (bei ihm: "Verschmelzung") fakultativ
ist, sobald "Sondernegation" vorliegt. Daß diese Annahme nicht stimmen kann,
haben die obigen Beispiele bereits mit aller Deutlichkeit gezeigt. Darauf, daß die
noch weitergehende Annahme, das Vorliegen einer "Sondernegation" blockiere den
Gebrauch der fusionierten Negationsträger (neben kein- auch niemand, nichts etc.),
nicht zutrifft, verweist bereits Adamzik (1987: 127). Und in der Tat: mit der sog.
"Sondernegation" hat das Phänomen ganz offensichtlich nichts zu tun; es handelt
sich ausschließlich um eine Reflexion der grundsätzlichen (Negations-unabhängi-
gen) Thema-Rhema-Verhältnisse im Satz.
Dieses grundsätzliche Problem wird auch bei der Darstellung der Son-
dernegation bei Jacobs (1982: 271; bei ihm: "kontrastierende Negation") deutlich.
Er gibt folgende Beispiele für kontrastierende Negation:
Nicht Peter bewundert Luise heimlich.
Peter bewundert nicht Luise heimlich,
Peter bewundert Luise nicht heimlich.
Peter bewundert Luise heimlich nicht.

und erläutert: "In all diesen Sätzen kann das nicht kontrastierend interpretiert wer-
den, wie die Tatsache zeigt, daß sie alle durch Sondern-Phrasen ergänzt werden
können: (...)" (ibd.).
Die nähere Betrachtung dieser Beispiele führt nun allerdings zu der Erkenntnis,
daß die Negation in Sätzen wie diesem offenbar gar keine andere Wahl hat, als stets
zumindest potentiell kontrastierend zu sein, denn mit den vier Beispielsätzen sind
zugleich auch sämtliche überhaupt existierenden Stellungsmöglichkeiten für die
Negationspartikel nicht erschöpft. Die Unterscheidung zwischen kontrastierender
und nicht-kontrastierender Negation ist damit zumindest für die Schriftsprache, in
der ja keine zusätzlichen prosodischen Informationen zur Verfügung stehen, äußerst
problematisch, und der einzige einigermaßen unstrittige Fall scheint der quasi-attri-
butive Gebrauch der Negationspartikel im Falle von Nicht Peter (...) zu sein.
Darauf, daß das nicht in nicht Peter entgegen allgemeiner Annahmen nicht als
Attribut zu Peter interpretiert werden kann, verweist allerdings auch Jacobs (1982:
275) bereits: wenn die Negationspartikel wirklich attributiv gebraucht wäre, müßte
sie zusammen mit ihrem Bezugswort beweglich sein; dies ist aber eindeutig nicht
der Fall, wie beispielsweise eine Umformung ins Passiv zeigt: *Luise wird von
nicht Peter bewundert (bei Jacobs: *Peter wird von nicht Luise bewundert). Jacobs
nimmt daher an, "daß null- bis dreistellige Verbalphrasen den syntaktischen Bereich
von KN-nicht bilden können, wobei der Negationsträger als Attribut funktioniert."
(ibd.). Dies heißt aber nichts anderes, als daß auch die kontrastierende Negation auf
das Prädikat bezogen werden muß.
131

Kontrastierende Negation ist somit, wie nicht anders zu erwarten, abermals als
Thema-Rhema-Phänomen und nicht als eigene, negationsspezifische Erscheinung
zu werten. Die Stellung des Negators zeigt dabei wie auch die Stellung einer Abtö-
nungspartikel oder auch in vielen Fällen die Stellung des Adverbs die Grenze zwi-
schen Thema und Rhema an. So wie man die Thema-Rhema-Verteilung im nicht-
negierten Satz durch den Anschluß von und nicht -Sätzen zeigen kann (cf. Hent-
schel 1986: 207-230), kann man im negierten Satz mit dem Anschluß von sondern-
Sätzen operieren.
Thema-Rhema-Phänomene spiegeln auch die restlichen noch aufzuführenden Er-
gebnisse aus der Untersuchung des Samples negierter Sätze wider. Objekte standen
weitaus seltener als Subjekte an erster Stelle im Satz; sie besetzten in 25,0% der
Sätze mit rechts stehender Negation das Vorfeld (gegenüber 60,5% Fällen, in denen
Subjekte im Vorfeld standen). Von diesen Objekten waren neun Pronomina
(23,7%) und 18 Nomina (44,7%), und von diesen trugen drei einen unbestimmten
Artikel: (...) und einen Bart hattest du damals auch nicht (ts: 16); Ein Mindestalter
gibt es nicht, (sp: 20) und Eine Faustregel gibt es nicht, (br: 131). In elf Fällen
stand ein Objektsatz im Vorfeld (das entspricht 28,9% aller Objekte im Vorfeld).
Schließlich war eine Auslassung des Objekts zu verzeichnen; bei dem zu ergänzen-
den Objekt in dem Belegsatz (...) einen tadelnden Blick auf die Schuhe und sagt:
"Hastdu schon wieder nicht geputzt, Karlheinz." (br: 168) handelt es sich um ein
Pronomen, vorzugsweise das Demonstrativum (cf: Die hast du schon wieder nicht
geputzt). Da der Satz indessen eindeutig elliptisch ist, wurde er nicht hier, sondern
unter der Rubrik "Ellipsen" verbucht.
Adverbialbestimmungen standen in 17 Fällen im Vorfeld (11,2% aller Neg-
rechts-Belege), und das Prädikativum erschien fünf Mal (3,3%) in dieser Position;
cf.:
Rosig sind die Aussichten nicht, aber (...) (ta: 5)
Unhöflich ist sie nicht, eher hilflos, (br: 90)
Doch ganz so einfach ist es nicht, (br: 90)
Spannend sind diese Veröffentlichungen nicht, (sp: 35)
(...) und Verteidigungsminister wollte er auch nicht werden, (sp: 52)

Ferner gibt es einen Fall, in dem zwei vom Modalverb abhängige Infinitive, einer
davon sogar mit angeschlossenem Objekt, das Vorfeld besetzen:
Rauchen und Alkohol trinken dürfen sie nicht, nicht fernsehen und nicht "Unzucht
treiben." (br: 85)

4.2.3. l. l .2 nicht vor der rechten Klammer

Prädikativa können zwar, wie die obigen Beispiele zeigen, auch ins Vorfeld gestellt
werden; ihre "normale", i. e. unmarkierte und zugleich häufigste Stellung ist jedoch
die in der rechten Satzklammer. Normalerweise werden Prädikativa also, was die
Satzstellung betrifft, genauso wie Verbkonstituenten behandelt. Dies ist auch in 52
Belegsätzen der Fall; nicht steht hier vor dem Prädikativum, das die rechte Klammer
besetzt (das entspricht 14,7% aller Belege für Assertionssätze ohne graduierendes
oder fokussierendes Element im Anschluß an die Negation). Die rechte Satzklam-
mer wird in 24 Fällen (6,8%) von einem Nebensatz gebildet, vor dem die Negation
132

steht; Dabei waren die Objektsätze mit 17 Vertretern deutlich in der Überzahl; hinzu
kamen zwei erweiterte Infinitive in Objektfunktion und ein erweiterter Infinitiv in
adverbialer Funktion.31

4.2.3. l. l .3 nicht im Mittelfeld

Vor Mittelfeld-Elementen steht nicht in 100 Belegen, also in 28,2% aller Asserti-
onssätze ohne Fokussierung. Im häufigsten Fall steht es dabei vor Adverbialbe-
stimmungen und prädikativen Attributen (56 Sätze resp. 56% aller Mittelfeld-Be-
lege). In drei Fällen handelt es sich um den Teil eines Funktionsverbgefüges; daher
käme hier auch eine Zuordnung zur Gruppe "vor der rechten Satzklammer" in
Frage. Im Mittelfeld vor dem Objekt stand die Negation 34mal (34% aller Mittel-
feld-Belege); dabei lagen 26 präpositionale Objekte (entsprechend 76,5% aller Ob-
jekte), sechs Akkusativobjekte (17,6% aller Objekte), ein Dativobjekt und ein prä-
positionales Objekt 2. Grades vor. Ferner stand nicht in einem Fall vor dem Sub-
jekt, das ins Mittelfeld gestellt war, cf.: Den Differenzbetrag von über 11000 DM
habe jedoch nicht (...) der Mieter gezahlt, sondern (...) (ts: 6).
Vor dem Attribut (mit Ausnahme prädikativer Attribute) stand die Negation in
sechs Fällen:
Zweitens müssen wir nun (...) sorgfältig zwischen den inländischen und - wie soll das
nun heißen? - nicht inländischen Teilen der Bevölkerung unterscheiden, (ta: 10)
Ich suche ein geräumiges, helles Zimmer in lebendiger, aber nicht chaotischer WG.
(ta: 15; Kleinanzeige)
Die Zeitung beruft sich auf namentlich nicht genannte HVA-Offiziere (...) (sp: 75)

31
-Subjektsätze:
Das heißt nicht, daß (...) (br: 114) - Uns will nicht in den Kopf (...), daß (...) (sp:
44) - Es sei nicht einzusehen, sagt der Saarländer, warum (...) (sp: 23) - Wenn
mir die Arbeit an diesem Buch Spaß macht, muß das nicht heißen, daß (...) (br:
126) - Es kann nicht sein, daß (...) (sp: 40)
- Objektsätze:
(...) ich will nicht, daß man das sieht, (br: 168) —Und viele von ihnen können
nicht verstehen, daß (...) (ta: 3) -Ich weiß nicht, wann (...) (ts: 21) - Allerdings
sehen die übenden Kosmetikerinnen ihre Modelle nach solchen Kursen in der
Regel niemals wieder, wissen also überhaupt nicht, ob ihre Arbeit wirklich
gelungen ist. (br: 72) -Die Mediziner wußten nicht, daß (...) (br: 107) - Ich
verstehe nicht, warum (...) (br: 114) -Sie merken nicht, daß (...) (br: 116) - Das
bedeutet allerdings nicht, daß (...) (br: 108) - Ich begreife nicht, warum das nicht
geht, (br: 123) -Ich hätte nicht gedacht, daß (...) (ts: 13)- Der Berliner
Kulturetat (...) sagt noch nicht, daß (...) (ts: 15) -Die stolzen Verfassungsschützer
ahnten allerdings nicht, daß (...) (sp: 32) - Wir erwarten ganz bestimmt nicht (...),
daß (...) (sp: 87) - Vergessen Sie nicht, daß (...) (ts: 3) -Der Wähler erfährt
daraus nicht, wieviel Geld nebenher verdient wird (...) (sp: 35) - (...) Schröder
konnte sich in der vorigen Woche nicht vorstellen, daß (...) (sp: 22)
- erweiterter Infinitiv in Objektrunktion:
Man wagt es nicht, hier laut zu sprechen (...) (sp: 76) - Weil die Terroristen der
dritten Generation keinerlei verwertbare Spuren hinterließen, gelang es der Polizei
nicht, die Verbrechen einzelnen Personen zuzuordnen, (sp: 29)
- erweiterter Infinitiv in adverbialer Funktion:
Ich bin schließlich nicht gewählt worden, um (...) (sp: 40).
133

(...) dann hat er eine Million (Dollar, nicht Lire) verdient, (br: 100)
Der Verlust der imperialen Identität sollte durch ein Anknüpfen an positive, nicht
imperialistische Traditionen aufgefangen werden, (ta: 9)
(...) herrschte der nicht völlig unbegründete Eindruck vor (...) (ts: 3)

Hier kann nun in einem gewissen Sinne in der Tat von Sondernegation gesprochen
werden - die Negation bezieht sich nämlich mit Sicherheit nicht auf den gesamten
Satz, sondern nur auf das Attribut. Wie mit dieser Art von Negation umzugehen ist,
soll nach dem Übersetzungsvergleich (cf. Punkt 4.3) genauer erörtert werden.
Insgesamt läßt sich zwar feststellen, daß die Negation mehrheitlich rechts resp.
vor der rechten Klammer steht; irgendeine allgemeingültige Stellungsregel ist damit
aber natürlich nicht gegeben. Was die Besetzung des Vorfeldes betrifft, so scheinen
die hier vorgefundenen Ergebnisse keine Besonderheiten aufzuweisen, die sie etwa
von nicht-negierten Sätzen unterscheiden würden; ein genauer Vergleich ist insofern
nicht möglich, als m. W. keine statistischen Auswertungen der Vorfeld-Besetzung
bei nicht-negierten Sätzen vorliegt. So gibt beispielsweise Altmann (1981: 163-
165) zwar viele Möglichkeiten der Vorfeldbesetzung an, macht aber zur Standard-
Ausfüllung dieser Position im Satz keine Angaben außer dem zuvor schon
gegebenen Hinweis: "Die konkrete Anordnung in den Stellungsfeldern wird primär
gesteuert durch die Thema-Rhema-Struktur (...)" (ibd.: 162). Die von Benes (1971:
167) angeführten Beispiele für sog. "kontextfreie Sätze" haben entweder Subjekt
oder Adverbialbestimmungen im Vorfeld; Mrazovic (1982) macht zwar keine
Angaben über die Vorfeldbesetzung als solche, stellt jedoch eine "Grundfolge" der
Satzteile auf, die das Subjekt an erster Stelle, das Objekt an zweiter Stelle
vorsieht.32 Alles in allem ergeben sich aus der vorliegenden Literatur keine
Anhaltspunkte für die Annahme, daß die im untersuchten Corpus vorgefundene
Verteilung der Satzteile auf die Satzpositionen in irgendeiner Weise von einer
anzunehmenden "Normalverteilung" abweichen würde.

4.2.3 . l .4 nicht vor fokussierenden Elementen

Da alle Fälle, in denen nicht vor einem - im weitesten Sinne - fokussierenden


Element steht, zugleich als mögliche Fälle von Sondernegation in Betracht gezogen
werden müssen, werden sie im folgenden getrennt von den anderen zusammenge-
faßt und untersucht. Als "fokussierende Elemente", i. e. also als Elemente, deren
Skopus den Fokus des Satzes bildet, wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit
die folgenden Formen eingestuft:
- Fokuspartikeln, z. B. nur, [nicht] einmal etc.33
- Intensivpartikeln (z. B. ganz, so)34

32
Die genaue Reihenfolge berücksichtigt dabei zusätzlich, ob es sich um definite
oder indefinite Substantive oder aber um Personalpronomina handelt; cf. ibd. 85.
33
Bei (nicht) einmal handelt es sich um einen Ausdruck der negativen Polarität, der
das Gegenstück zu sogar bildet.
34
In Kombination mit bestimmten Intensivpartikeln wie ziemlich oder etwas tritt der
Negator aufgrund semantischer Unverträglichkeiten nicht auf. Im vorliegenden
134

- quantifizierende Elemente (Aliquanter, Numerale)


- selbst, selber
- Komparation
-zu + Adjektiv

Wie sich zeigt, wurde der Begriff "fokussierend" also bewußt sehr weit gefaßt. Das
untersuchte Sample wies dabei die folgenden Befunde (insgesamt 130) auf, die
nach ihrer Frequenz geordnet in der nachstehenden Tabelle aufgeführt sind:

fokussierendes Anzahl der fokussierendes Anzahl der


Element Vorkommen Element Vorkommen
Komparativ,
Superlativ 53 ganz 4
nur 29 gerade 3
nicht einmal 17 selbst/selber 2
so 9 ein (Num.) 1
zu + Adjektiv 5 erst 1
alle 4 genug 1
sogar 1
Tabelle 15

Das "Anhängsel" sogar stellt auf den ersten Blick eine Überraschung dar: den Re-
geln zufolge ist ein gemeinsames Vorkommen von sogar und Negator ausgeschlos-
sen, da hierfür die ersatzweise Konstruktion mit nicht einmal zur Verfügung steht
(cf. hierzu z. B. Heibig 1988: 218), die im vorliegenden Sample ja auch das zweit-
häufigste Vorkommen aufweist und insgesamt 17mal gebraucht wurde.35 Es han-
delt sich bei dem sogar-Vorkommen um den Satz:

Und haben die Japaner nicht sogar ihren Respekt vor dem amerikanischen Präsi-
denten verloren? (ta: 7)

Offenbar handelt es sich hier nicht um eine Negation der Proposition, i. e. es wird
nicht danach gefragt, ob die Japaner den Respekt vor dem amerikanischen Präsi-
denten nicht verloren haben, sondern es wird im Gegenteil die Bestätigung dafür
eingefordert, daß der positive Sachverhalt - also der, daß die Japaner den Respekt
verloren haben - zutrifft. Solche Besonderheiten, die bei der Kombination von Ne-
gation und Interrogation auftreten, werden im Kapitel 6 behandelt; dort wird auch
die Erklärung dafür gegeben, warum die "ungrammatische" Kombination von nicht
und sogar in Fällen wie dem vorliegenden möglich ist.

Sample kam die Partikel sehr, die eine solche Kombination ansonsten zuläßt, zu-
fälligerweise kein einziges Mal vor.
35
Zum Gebrauch von sogar/nicht einmal cf. auch Poljakova (in Vorbereitung).
135

4.2.3.1.1.4.1 Komparation

Die Komparation stellt unter den hier erfaßten fokussierenden Elementen den häu-
figsten Fall dar; allein Fälle von Komparativ und Superlativ treten insgesamt 53mal
auf. Darüber hinaus könnten auch die im folgenden getrennt aufgeführten Formen
mit zu und Adjektiv als Formen von "Übersteigerung" zum semantischen Phäno-
men der Komparation gerechnet werden. Die meist als "Elativ" (cf. z. B. Duden
1995: 299) gewertete Kombination aus sehr plus Adjektiv trat im vorliegenden
Sample nicht auf.
Unter den Komparativen und Superlativen, die rechts vom Negator auftraten,36
stellt wiederum der Komparativ mit 48 Vorkommen die überwältigende Mehrheit
dar; daneben steht nur das viermalige Vorkommen des erstarrten adverbialen Su-
perlativs zuletzt sowie das einmalig aufgetretene im entferntesten. Letzteres kann im
gegebenen Kontext eindeutig als Mittel zur emphatischen Verstärkung der Negation
interpretiert werden; cf.:
ihren Anteil (27,5%) habe sie nicht im entferntesten genutzt, unternehmenspolitisch
mitzureden, (sp: 49)

Nicht im entferntesten ist hier synonym zu überhaupt nicht oder ganz und gar nicht
gebraucht und ließe sich auch ohne weiteres durch eine dieser beiden Wendungen
ersetzen. Daß es sich um ein negatives Polaritätselement (cf. unter 2.6) handelt,
zeigt die Tatsache, daß die Verwendung im positiven Satz (*Ihren Anteil hat sie im
entferntesten genutzt) ausgeschlossen ist.
Wahrscheinlichere Kandidaten für die Kategorie "Sondernegation" stellen, zu-
mindest auf den ersten Blick, demgegenüber die zuletzt-Vorkommen dar; cf.:
Der Praßt (...) habe nicht zuletzt in der Information gelegen, daß (...) (sp: 33)
Nicht zuletzt aus diesem Grund stockte er gleich nach dem Tod des Vaters den Anteil
an der Löwenbräu AG von 15 auf inzwischen 95 Prozent auf. (sp: 93)
(...) das zeigen nicht zuletzt die mit subtiler Meisterschaft ins Bild gesetzen Blumen-
Portraits, die (...) (ta: 13)
Elisabeth Lingner besitzt diese Sensibilität - wohl nicht zuletzt wegen ihres unge-
wöhnlichen und auch schwierigen Lebenswegs, (br: 146)

Der Unterschied, der hier gegenüber anderen Fällen von Negation und Adverbialbe-
stimmung besteht, liegt darin, daß die Kombination nicht zuletzt nicht als Summe
der Bedeutung von Negation und 'zuletzt' (im Sinne eines temporalen Adverbs)
gedeutet werden kann; dies zeigt sich auch bei der Übersetzung (cf. Punkt 4.3).
Läßt man die Negation weg, so entstehen, wenn sich überhaupt akzeptable Sätze
ergeben, Bedeutungsveränderungen (durch doppelten Asterisk gekennzeichnet); cf.:
** Der Profit (...) habe zuletzt in der Information gelegen, daß (...)
* Zuletzt aus diesem Grund stockte er (...) auf
** (...) das zeigen zuletzt die mit subtiler Meisterschaß ins Bild gesetzen B lumen-
Portraits, die (...)
* Elisabeth Lingner besitzt diese Sensibilität - wohl zuletzt wegen ihres ungewöhnli-
chen und auch schwierigen Lebenswegs.

36
Ein weiterer Komparativ trat links von der Negation als Teil einer Adverbialbe-
stimmung auf: (...) die Türkin sei längere Zeit nicht im Hause gesehen worden (ta:
17).
136

Dieser Befund macht deutlich, daß es sich bei zuletzt in Kombination mit nicht
abermals um ein negatives Polaritätselement handelt, allerdings um eines, das nicht
der emphatischen Verstärkung der Negation dient. Vielmehr handelt es sich um eine
rhetorische Figur, bei der die Einordnung eines Sachverhaltes als letztem in einer
Reihe von Argumenten gleichzeitig vorgenommen und negiert wird, semantisch
paraphrasierbar mit: 'dies ist nicht der letzte/unwichtigste in einer Reihe von Grün-
den'.
Unter den Komparativen stellt der Komparativ von viel, also mehr, mit 40 Vor-
kommen eine überraschend große Mehrheit dar. Auch hier liegt ein negatives Pola-
ritätselement vor; läßt man den Negator weg, um einen entsprechenden positiven
Satz zu erhalten, so ergibt sich entweder eine semantisch abweichende oder aber in
den meisten Fällen sogar eine ungrammatische Konstruktion; cf. z. B.:
(...) dann kann es nicht mehr um 20 oder 30 Kinozuschauerinnen gehen, (ta: 13)
—> *dann kann es mehr um 20 oder 30 Kinozuschauerinnen gehen.
Die Architektur der Debatte stimmte nicht mehr, (sp: 34)
—> *Die Architektur der Debatte stimmte mehr.
Nach Auffassung von Gertrud Koch aber funktioniert die Trennung von Öffentlichkeit
und Privatsphäre längst nicht mehr im klassisch Habermasschen Sinne, (ta: 13)
—> Nach Auffassung von Gertrud Koch aber funktioniert die Trennung von Öffent-
lichkeit und Privatsphäre längst mehr im klassisch Habermasschen Sinne.

Unter den Beispielen ist nur eines, bei dem der Satz ohne nicht überhaupt möglich
wäre: Nach Auffassung von Gertrud Koch aber funktioniert die Trennung von
Öffentlichkeit und Privatsphäre längst mehr im klassisch Habermasschen Sinne ist
ein zumindest in der modernen Umgangssprache möglicher Satz, in dem mehr als
eine Art Heckenausdruck (cf. Lakoff 1973) fungiert; mehr schränkt die Gültigkeit
der Adverbialbestimmung im klassisch Habermasschen Sinne wieder ein Stück weit
ein. In den anderen Fällen hingegen - und ganz genauso in der überwältigenden
Mehrheit der hier nicht zusätzlich aufgeführten - ist der Satz ohne Negator schlicht
ungrammatisch.
Eine ungrammatische positive Äußerung ergibt sich auch dann, wenn die Kom-
bination von nicht und mehr im Attribut auftritt, wie dies einmal der Fall ist; cf.:
der letzte prominente Vertreter des real nicht mehr existierenden Sozialismus (...) (sp:
51)
—> *der letzte prominente Vertreter des real mehr existierenden Sozialismus (...)

Abermals also ganz eindeutig ein Sonderfall - nicht aber eine Sondernegation. Die
Bedeutung von nicht mehr ist schwer zu paraphrasieren; der Zusatz von mehr stellt
die Negation in einen temporalen Zusammenhang in dem Sinne, daß der positiven
Aussage des Satzes Gültigkeit in einem vor dem Sprechzeitpunkt liegenden Zeit-
raum eingeräumt wird. Dies ist mit Sicherheit eine wichtige zusätzliche Information,
und daß dies so ist, spiegelt sich ja auch in der Häufigkeit des Auftretens von nicht
mehr. Der Bezug der Negation als solcher aber ist derselbe, wie er es auch in einem
Satz ohne mehr wäre, der sich ja vom nicht-mehr-Satz nur durch den fehlenden
temporalen Aspekt unterscheidet; cf. z. B.:
Die Architektur der Debatte stimmte nicht mehr, (sp: 34)
(Implikatur: Zu einem früheren Zeitpunkt stimmte sie)
137

—> Die Architektur der Debatte stimmte nicht.


(Keine Implikatur über Stimmigkeit zu anderen Zeitpunkten)

Als weitere Vertreter der Gattung "Komparative" waren fünf Vorkommen von we-
niger sowie zwei von länger zu verzeichnen; daneben stand einmal der Komparativ
gnadenloser, cf.:

weniger:
Doch Schröder achtet nicht weniger als Lafontaine auf Distanz zu dem neuen Macht-
haber, (sp: 23)
Nach der zweitägigen Dressur und vor dem heutigen Geländeritt liegen nicht weniger
als zehn deutsche Reiter in Front, (ts: 14)
Gerade in schwierigen Zeiten gilt es nicht weniger, (...) (sp: 38)
Beide sind stolz auf ihre Herkunft (...) Landowski nicht weniger als der promovierte
Historiker Staffelt, (sp: 41/43)
Das sei zwar nicht viel weniger als zu Beginn des Jahres, räumte Schröter ein. (ta: 19)

länger.
Sie (...) können (...) auf die versprochenen konjunkturbelebenden Impulse nicht län-
ger warten, (ts: 18)
Asyl (...) ist seit dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung am 1. Juli nicht länger
der Schlüssel für den freien Eintritt in die reiche Welt, (sp: 18)

sonstige:
Mit ehemaligen Stützen des DDR-Regimes sollten wir nicht gnadenloser umgehen als
mit Straftätern, (sp: 49)

Die versuchsweise Umformung dieser Sätze durch Weglassen von nicht in entspre-
chende positive Konstruktionen ergibt, daß es sich bei nicht länger offensichtlich
um ein potentielles Synonym zu nicht mehr handelt. Während der Satz:
Sie (...) können (...) auf die versprochenen konjunkturbelebenden Impulse länger
warten.

zwar eigenartig klingt, aber noch möglich ist, gilt dies nicht für:
*Asyl (...) ist seit dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung am 1. Juli länger der
Schlüssel für den freien Eintritt in die reiche Welt.

Wohl möglich ist hier aber eine Paraphrase mit Asyl (...) ist (...) nicht mehr der
Schlüssel für den freien Eintritt in die reiche Welt. Aus diesem Befund läßt sich
schließen, daß auch länger dabei ist, sich zu einem negativen Polaritätselement zu
entwickeln.
Der Komparativ weniger hingegen gehört nicht in diese Kategorie. Nicht zuletzt
die Tatsache, daß hier regelmäßig - mit einer Ausnahme - mit Hilfe der Kompara-
tivpartikel als ein Vergleichselement angeschlossen ist, zeigt deutlich, daß hier eine
wirkliche Komparation vorliegt, auch wenn die gesamte Konstruktion mit nicht
weniger als natürlich eine stark rhetorische Färbung aufweist. Daß die Negation
sich hier auf die gesamte Prädikation bezieht, läßt sich mittels einfacher Umformun-
gen des Typs Es stimmt nicht, daß <positiver Satz> feststellen. Diese Umformung
ist das allereinfachste Mittel, um die Negation aus dem Satzzusammenhang zu neh-
138

men und auf eine höhere Ebene zu stellen,37 und führt im vorliegenden Fall zu: Es
stimmt nicht, daß Schröder weniger als Lafontaine auf Distanz zu dem neuen
Machthaber achtet. Wie sich zeigt, liegt kein Grund vor, hier eine Sondernegation
anzunehmen.

4.2.3.1.1.4.2 Fokuspartikeln

Nach der Gruppe der Komparative und Superlative stellt die Kombination von Ne-
gator und nur mit 29 Belegen die zweitgrößte dar.38 Dabei folgte dem nicht nur in
11 Fällen ein sondern, und dieses sondern war wiederum in 9 Fällen von einem
auch gefolgt; die Abfolge nicht nur - sondern auch stellt also einen alles andere als
kleinen Teil der nur-Vorkommen, ist aber nicht die einzige Möglichkeit und bildet
auch nicht die Mehrheit.
Belege für nicht nur - sondern auch sind beispielsweise:
Es seien nicht nur Aktionen der RAF, sondern auch anderer Linksextremisten zu be-
fürchten, (ts: 1)
Dort trainieren nicht nur Deutsche für den Krieg, sondern auch Engländer (...) (br:
86)

Die beiden Belege für nicht nur - sondern (ohne auch) sind:
Sie verblassen nicht nur, sondern dunkle Töne können nach und nach rötlich oder
pink werden, (br: 72)
Eine potentielle Kundin sollte sich im Pigmentier-Institut wenigstens nicht nur Fotos
von Arbeiten zeigen lassen, sondern mit Frauen sprechen, die dort behandelt worden
sind, (br: 72)

Belege für Vorkommen von nicht nur (ohne sondern/sondern auch) sind beispiels-
weise:
Das anstehende Aus für Bischofferode liegt nicht nur in der betriebswirtschaftlichen
Situation des Werks begründet, (ts: 19)
Tatsächlich ist auch dem Unions-Mann die neue schwarz-rote Harmonie nicht nur
angenehm gewesen, (sp: 41)
Und nicht nur Obdachlose denken so. (br: 88)

Auch in allen diesen Fällen zeigt sich durch den einfachen Test der Ausklammerung
der Negation aus dem unmittelbaren Kontext, daß sich die Negation auf die gesamte
Proposition und keineswegs nur auf die Fokuspartikel bezieht; cf. z. B.:
Es trifft nicht zu, daß das anstehende Aus für Bischofferode nur in der betriebswirt-
schaftlichen Situation des Werks begründet liegt.

37
"Elle (= la n6gation globale, E.H.) porte, comme son nom l'indique, sur tout le
contenu propositionnel: une maniere de mettre en lumiere ce fait est d'utiliser une
glose du type 'Es trifft nicht zu, daß p', qui permet, en integrant la nogation dans
un 'prefixe metapropositionnel' de montrer que le contenu propositionnel peut
etre interprete comme etant sous la dominance d'une negation." (Confais 1992:
57). Cf. hierzu auch unter 2.5.2.
38
In einem weiteren, 30. Fall stand das nur links vom Negator: So, nur eines geht
nicht (...) (br: 129).
139

Obgleich "le test classique utilise pour prouver la negation partielle est la suite par
sondern" (Confais 1992: 59), ändert sich nichts an der Tatsache, daß auch in diesen
Fällen eine "negation dans un 'prefixe metapropositionnel"' (ibd.: 57) möglich ist.
Die dritthäufigste Gruppe wird durch die Kombination nicht einmal gebildet, die
17mal im Sample auftritt. Einmal stellt in Kombination mit nicht ein negatives Pola-
ritätselement dar; es handelt sich um ein stark skalarisierendes Element, das einen
Extremwert auf einer Skala zuordnet (cf. z. B. Heibig 1988: 218). Die Kombi-
nation nicht einmal ersetzt das im Deutschen in den meisten Fällen ungrammatische
gemeinsame Auftreten von nicht und sogar (cf. hierzu Poljakova, in Vorbereitung).
Beispiele für Sätze mit nicht einmal sind:
Man kriegt nicht einmal Kinder davon, (...) (ta: 13)
Der Kaukasus (...) ist nicht einmal so groß wie die Bundesrepublik, (ts: 3)

Um hier positive Vergleichssätze bilden zu können, muß einmal naturgemäß durch


sogar ersetzt werden; cf. z. B. Man kriegt sogar Kinder davon oder Der Kaukasus
ist sogar so groß wie die Bundesrepublik.

4.2.3. l .1.4.3 Intensivpartikeln und sonstige fokussierende Elemente

Die häufigste Intensivpartikel im untersuchten Corpus war so, das insgesamt neun-
mal aufgetreten ist.39 Verblüffenderweise ergibt sich auch hier, daß die nicht-ne-
gierten Sätze nicht immer im selben Maße akzeptabel sind wie die negierten -
zumindest nach schrift- oder standardsprachlichen Maßstäben beurteilt. Die An-
wendung solcher Maßstäbe ist sinnvoll, denn es handelt sich hier ja um standard-
sprachliche Ausgangstexte, die sich mit Ausnahme der taz-Belege auch um die Er-
füllung der an Schriftsprache gestellten Erwartungen bemühen. Cf. z. B.:
Für richtige Sammler erwiesen sich die Geldstücke als nicht so interessant (...) (ts: 7)

39
In drei weiteren Fällen stand dabei stand ein so links vom Negator:
So lange, meint er wohl, wird Clinton sich nicht halten, (sp: 87)
Doch ganz so einfach ist es nicht, (br: 90)
(...) aber das schien mir bei so viel Noblesse nicht üblich zu sein, (br: 124)
Wie sich zeigt, handelt es sich bei der Konstruktion aus so plus Adjektiv in einem
Fall um den Teil einer Adverbialbestimmung (bei so viel Noblesse), die auch bei
Umstellung des Satzes nicht rechts vom Negator stehen kann; in den anderen bei-
den Sätzen hingegen ist diese Möglichkeit gegeben, und sowohl die Adverbialbe-
stimmung so lange als auch das Prädikativum ganz so einfach können nach rechts
bewegt werden, cf.:
So lange, meint er wohl, wird Clinton sich nicht halten.
—> Clinton, meint er wohl, wird sich nicht so lange halten.
Doch ganz so einfach ist es nicht.
—> Doch es ist nicht ganz so einfach .
(...) aber das schien mir bei so viel Noblesse nicht üblich zu sein.
-* *das schien mir nicht üblich bei so viel Noblesse zu sein.
Offenbar ist es nicht die syntaktische Funktion, die über die Stellungsmöglichkei-
ten entscheidet, sondern die Funktion innerhalb der Informationsstruktur des Sat-
zes - also ganz im Sinne dessen, was schon Fourquet (1971: 151) beschreibt: "Es
handelt sich hier um syntaktische Semantik, d. h. um sinnvolle Verbindung
sprachlicher Einheiten, als Darstellung von Beziehungen zwischen Elementen einer
(außersprachlichen) Situation."
140

-» (?) Für richtige Sammler erwiesen sich die Geldstücke als so interessant (...) Dann
käme sie sich wenigstens nicht so schäbig vor. (br: 113)
—» (?) Dann käme sie sich wenigstens so schäbig vor.
Ist ja nicht so gemeint, (sp: 40)
—> (?) Ist ja so gemeint.
Ohne tätige Mithilfe der Berliner Behörde wäre Greiner nicht so hoch gestiegen - und
so tief gestürzt, (sp: 96)
—> (?) Ohne tätige Mithilfe der Berliner Behörde wäre Greiner so hoch gestiegen -
und so tief gestürzt.

Sämtliche nicht-negierten Äußerungen sind nur im mündlichen Diskurs und mit


entsprechender Betonung auf so (gedehntes sooooo) oder nonverbaler Dlustration
(etwa durch Ausbreiten der Arme) denkbar. Offenbar liegt in so, wenn schon nicht
direkt ein negatives Polaritätselement, so doch eine Intensivpartikel vor, die vor-
zugsweise in negierten Kontexten auftritt. Der Vergleichsbezugspunkt, den die Par-
tikel voraussetzt, wird bei negativen Äußerungen offenbar präsuppositioniert und
kann dann etwa als 'im selben Maße wie im vorliegenden' paraphrasiert werden,
während er bei positiver Umgebung explizit gemacht werden muß; cf. daher z. B.:
(...) dann würde ich Ihnen nicht so antworten wie jetzt, (br: 129)
—> (...) dann würde ich Ihnen so antworten wie jetzt.

Der Satz enthält mit wie jetzt einen expliziten Bezugspunkt, so daß die nicht-negierte
Äußerung auch schriftsprachlich akzeptabel ist.
Beim Auftreten von so plus Negator liegt somit einer der seltenen Fälle vor, in
denen die negierte Äußerung weniger Kontext braucht als die nicht-negierte; wobei
allerdings zu betonen ist, daß auch die negierte Äußerung nicht ohne den Be-
zugspunkt für den Vergleich auskommt, nur daß sie ihn im Gegensatz zu positiven
nicht explizit verbalisieren muß, sondern in Form von Kenntnissen der gegebenen
Umstände voraussetzt.
Schließlich traten als fokussierende Elemente die Intensivpartikeln ganz
(viermal), gerade (zweimal) und genug (einmal) sowie das intensivierende Prono-
men selbst/selber (zweimal) auf. Die Extraktion der Negation, durch die, wie sich
gezeigt hat, nicht nur eine eventuell vorliegende Sondernegation, sondern auch die
negative Polarität sichtbar gemacht werden kann, da der sich dabei ergebende posi-
tive Satz dann ungrammatisch wird, ergibt folgendes; cf. z. B.:

ganz:
Wenn Sie nicht ganz sicher sind, ob (...) (br: 131)
—> Wenn es nicht so ist, daß sie ganz sicher sind (...)

gerade:
Ein Auftrag sei das zwar nicht gerade gewesen, erklärte Vogel (...) (sp: 83)
—> (?) Es stimme zwar nicht, daß das gerade ein Auftrag gewesen sei, erklärte Vogel
(...)
genug:
Doch als die Aktion beginnt (...) sind nicht genug schußsichere Westen parat, (sp: 27)
-> Es stimmt nicht, daß genug schußsichere Westen parat sind, als (...)
141

selbst/selber:
Wer 110 000 Mark für einen Wagen hinblättert, wird ihn nicht selbst reparieren müs-
sen, (br: 124)
—> Es stimmt nicht, daß, wer 110 000 Mark für einen Wagen hinblättert, ihn selbst
wird reparieren müssen.
Nur rechnen sich die Extremisten die Schande nicht selber zu, sondern (...) (sp: 80)
—> Nur stimmt es nicht, daß sich die Extremisten die Schande selber zurechnen (...)

Abweichend wird der positive Satz im Falle von gerade (und zwar unabhängig von
der vorgeschalteten Negation); offenbar liegt hier also abermals ein Fall von negati-
ver Polarität vor. Gerade - ursprünglich ein aus dem lokalen Adjektiv entwickeltes
temporales Adverb - weist ohnehin starke Tendenzen auf, in Richtung auf sehr
spezifische synsemantische Verwendungen grammatikalisiert zu werden: cf. z. B.
den regelmäßigen Gebrauch von gerade zusammen mit mal bei Aufforderungen des
Typs Kannst du mir mal grade/grade mal helfen? (cf. z. B. Weydt et al. 1983: 96).
Daneben treten identifikatorische fokussierende Funktionen auf wie etwa in: Gerade
du sagst das?, die auch in negativen Kontexten häufig sind, cf. z.B: Gerade du hast
nun wirklich keinen Grund, dich zu beklagen! etc.
Die Kombination aus zu und Adjektiv, die insgesamt fünfmal auftrat, könnte
auch dem Bereich der Komparation (im weitesten Sinne) zugerechnet werden, da es
sich zumindest semantisch um einen Fall von Steigerung, sozusagen von Überstei-
gerung, der Wortbedeutung handelt. Unter den Fällen von nicht zu + Adjektiv fin-
det sich eine Interrogation, in der die Negation eindeutig nicht auf die Proposition
bezogen werden kann; cf.:
Hat der Filmboß die hochbegabte Loren nicht zu lange als Sexsymbol in kommerziell
erfolgreichen, aber belanglosen Filmen spielen lassen, statt ihr große Charakterrollen
anzuvertrauen? (br: 100)

Hier wird nicht danach gefragt, ob der Filmboß die Loren 'nicht zu lange' - also
angemessen lang - in belanglosen Filmen spielen ließ, sondern es wird um eine
Bestätigung der Annahme gebeten, daß die positive Aussage - nämlich daß der
Filmboß die Loren zu lange in solchen Filmen spielen ließ - zutrifft. Dieser Typ von
negierter Interrogation wird in Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit ausführlich behan-
delt.
Bei den übrigen vier Sätzen ergibt sich wiederum anhand der Extraktion der
Negation, daß sich selbige auf die gesamte Proposition bezieht; cf.:
Letztlich war sich der Wirtschaftsfachmann auch nicht zu schade, (...) (ts: 6)
—-> Es stimmt nicht, daß sich der Wirtschaftsfachmann letztlich auch zu schade war,
(...)
Nur, leider, gibt's nicht allzuviel Konsens, (ta: 15)
—> Es stimmt nicht, daß es allzuviel Konsens gibt.
Wahrscheinlich hatten wir auch nicht zuwenig Geld, sondern ich hatte einfach zu viele
Wünsche, (br: 123)
—> Es stimmt wahrscheinlich auch nicht, daß wir zuwenig Geld hatten (...)
142

(...) muß sie sie deshalb noch lange nicht zu billig verkaufen, (br: 126)
-> Es stimmt deshalb noch lange nicht, daß sie sie zu billig verkaufen muß.40

Ein ursprünglich temporal skalierendes oder genauer gesagt numerales Element liegt
schließlich erst vor, das zweimal aufgetreten ist:
Der Termin stand ja nicht erst gestern fest, (br: 80)
Durch raffinierte Einschränkungen (...) sollen unerwünschte Gäste gar nicht erst ins
Land gelangen, (sp: 18)

Die beiden Sätze spiegeln zugleich zwei mögliche Funktionen von erst im negierten
Kontext wider: während es sich im ersten Fall um das Temporaladverb handelt (cf.
den positiven Satz Der Termin stand ja erst gestern fest), liegt im zweiten ein nega-
tives Polaritätselement vor, das im nicht-negierten Kontext zu einem Satz führt, der
zumindest unter dem Gesichtspunkt der semantischen Äquivalenz mit dem negierten
Satz problematisch ist: (?) Durch raffinierte Einschränkungen (...) sollen uner-
wünschte Gäste erst ins Land gelangen.

4.2.3.1.1.4.4 Quantoren

Der Aliquanter alle kam-in dieser, i. e. der Pluralform - viermal im Sample vor.
In allen Fällen stand der Negator direkt vor dem Quantor; mit einer Ausnahme (Er
wolle nicht alle Heime schließen (...), ts: 7) steht er zudem in attributiver Position,
indem er einen Teil des Vorfeldes bildet, cf.:
Doch nicht alle Hausbesitzer werden so schnell Millionen für die Sanierung (...) auf
den Tisch legen können, (ts: 6)
Nicht alle Aussiedler sprechen Deutsch (...) (br: 88)
Aber nicht alle Ideen lassen sich tatsächlich auch verwirklichen, (br: 212)

Attributiv gestellte Negation legt natürlich die Annahme, daß es sich hier um Son-
dernegation handelt, mehr als nahe. Indessen - der Versuch, die Negation aus dem
Satz herauszunehmen und in eine übergeordnete Position zu bringen, führt keines-
wegs zu semantisch abweichenden Ergebnissen, cf.:
Doch nicht alle Hausbesitzer werden so schnell Millionen für die Sanierung (...) auf
den Tisch legen können.
-» Es stimmt nicht, daß alle Hausbesitzer so schnell Millionen für die Sanierung (...)
auf den Tisch werden legen können.
Nicht alle Aussiedler sprechen Deutsch (...)
—> Es stimmt nicht, daß alle Aussiedler Deutsch sprechen (...)
Aber nicht alle Ideen lassen sich tatsächlich auch verwirklichen.
—> Es stimmt nicht, daß sich alle Ideen tatsächlich auch verwirklichen lassen.

Wie sich zeigt, hat die atttributive Stellung des Negators also überraschenderweise
überhaupt keinen Einfluß auf die Wirksamkeit dieser Art von Umformung. Dagegen

40
Auch in noch lange liegt offenbar ein negatives Polaritätselement vor; dies zeigt
sich nicht zuletzt daran, daß es zusammen mit der Negation extrahiert werden
kann, aber auch daran, daß es im positiven Kontext zu einer abweichenden Äuße-
rung führt; cf.: * (...) muß sie sie deshalb noch lange zu billig verkaufen.
143

läßt sich zeigen, daß sich auch der einzige alle-Satz des Samples, in dem der Nega-
tor im Mittelfeld stand - wobei allerdings auch der Aliquanter in dieser Position
auftrat -, ohne Probleme in einen Satz mit attributivem nicht im Vorfeld umformen
läßt, cf.:
Er wolle nicht alle Heime schließen (...)
—» Nicht alle Heime wolle er schließen (...)

Der Allquantor scheint also eine gewisse Anziehungskraft auf den Negator auszu-
üben, die dazu führt, daß nicht in der Mehrheit der Fälle direkt vor alle auftritt.
Auswirkungen auf den Bezug der Negation hat diese Stellung nicht; in allen Fällen
handelt es sich um:

-n (Vx) (Fx (u) Gx)

(z. B. für F = "ist Aussiedler" und G = "spricht Deutsch" oder F = "ist eine Idee"
und G = "läßt sich verwirklichen" etc.), während der in der Literatur vieldiskutierte
Fall von:

(Vx) (Fx (=>) -, Gx)

(also beispielsweise Alle Aussiedler sprechen kein Deutsch im Sinne von 'Kein
Aussiedler spricht Deutsch') in der Stellungsvariante, die hier vorliegt - also mit
einem rechts vom Negator stehenden Allquantor - nicht aufgetreten ist. Dieser letzt-
genannte Fall liegt indessen in den folgenden Vorkommen des Allquantors im Neu-
trum sowie zusätzlichem Artikelgebrauch (das alles) vor, wobei die Form sich links
vom Negator zeigt:
Das muß alles nicht sein, (ta: 11)
Die Patienten scheint das alles nicht zu irritieren, (br: 107)

Der Artikel ist hier offenbar ein wichtiger zusätzlicher Hinweis darauf, daß die Ne-
gation hier in der Tat als intern, also beschreibbar mit einer Formel wie (Vx)
(Fx (=>) -i Gx) interpretiert werden muß, nämlich im Sinne von 'nichts davon muß
sein', 'nichts davon irritiert'. Mit einiger Vorsicht könnte aus diesem Vorkommen
geschlossen werden, daß der 'für alle gilt, daß nicht'-Fall in der natürlichen Sprache
zusätzlicher Markierungen - hier: des Artikelgebrauchs - bedarf, um interpretierbar
zu sein. Damit wäre aber zugleich der unmarkierte (artikellose) Fall, der sich mit
—i (Vx) (Fx (z>) Gx) wiedergeben läßt, als Default-Variante zu betrachten.
Als quantifizierendes Element kann auch das Numerale ein(s) angesehen wer-
den, das einmal aufgetreten ist: 41
In Ostdeutschland darf nicht ein Unternehmen untertariflich zahlen, (ts: 1)

41
Ferner trat einmal links vom Negator das Indefinitpronomen viele auf, das eventl.
ebenfalls als quantifizierend interpretiert werden könnte: Und viele von ihnen
können nicht verstehen, daß (...) (ta: 3).
144

Man könnte sicher argumentieren, daß die Verwendung von nicht ein anstelle von
kein hier in erster Linie der Emphase dient.42 Für die Probe mit extrahierter Nega-
tion ergeben sich keinerlei Besonderheiten, cf.:
Es stimmt nicht, daß ein Unternehmen in Ostdeutschland untertariflich zahlen darf.

4.2.3.1.1.4.5 Zusammenfassung: fokussierende Elemente

Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen:


- Der Negator steht mehrheitlich direkt vor dem fokussierenden Element
- Häufiger als erwartet stellte sich heraus, daß es sich bei der jeweiligen Fokus-
oder Intensivpartikel resp. bei der Komparationsform um ein negatives Polari-
tätselement handelte. Man kann annehmen, daß diese Gruppe sehr viel umfas-
sender ist, als bisher angenommen wird, und daß hier ständige Grammatikalisie-
rungsprozesse ablaufen.
- Nur in sehr wenigen Ausnahmefällen gibt es wirklich Anlaß zu der Annahme,
daß sich die Negation nicht auf die gesamte Proposition, sondern tatsächlich nur
auf einen Teil derselben bezieht.

4.2.3.1.1.5 Sonstiges

Besondere Fälle stellten schließlich noch die folgenden Belege dar, in denen nicht
zweimal im Vorfeld, zweimal vor dem ausgeklammerten Subjekt und einmal vor
aber auftrat:
Im Vorfeld:
Noch nicht geklärt ist der Verdacht, ob (...) (ta: 5)
Nicht die Lautstärke zählt, (...) (br: 153)

Wie sich zeigt, liegt einmal ein ins Vorfeld gestelltes Prädikativum, einmal ein Sub-
jekt vor; die Stellung von nicht kann als attributiv interpretiert werden. In noch liegt
zusätzlich ein negatives Polaritätselement vor, wie die Unzulässigkeit des entspre-
chenden positiven Satzes zeigt (cf. *Noch geklärt ist der Verdacht). Noch nicht
stellt das negative Gegenstück zum temporalen Adverb schon dar; cf. z. B.:
Sie ist schon da.
*Sie ist nicht schon da,
Sie ist noch nicht da.

Eine Umstellung des Negators ist möglich, ohne den Inhalt der Sätze zu verändern,
cf.: «

42
Bei veränderten Kontextbedingungen, etwa einem nachfolgenden (...) während ein
anderer sich an den Tarif halten muß, wäre natürlich auch eine andere Interpreta-
tion möglich; eine solche Weiterführung liegt hier jedoch nicht vor.
43
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, daß Umstellungen selbstver-
ständlich immer zu Verschiebungen der Thema-Rhema-Gewichtung im Satz füh-
ren; damit ändert sich bei einer sehr engen Definition von "Bedeutung" natürlich
auch die Bedeutung eines Satzes. Wenn daher hier die Rede davon ist, daß sich der
145

Der Verdacht, ob (...), ist noch nicht geklärt.


Die Lautstärke zählt nicht (...)

Vor dem nachgestellten zweiten resp. dritten Subjekt des Satzes steht das nicht in
den folgenden beiden Sätzen:
Für Greiners Geldschiebereien interessierte sich trotzdem niemand, keine staatliche
Instanz und auch nicht die Treuhand, (sp: 97)
Gemessen wird der alles ordnende Erfolg, nicht der Einsatz der Politiker, (sp: 36)

Der Grund der Stellungsbesonderheit ist in diesen beiden Sätzen schnell zu erken-
nen: im ersten Satz stehen drei Subjekte, bei denen die Negation aus grammatischen
Gründen in jeweils verschiedener Weise ausgedrückt werden muß: *nicht jemand
wird zu niemand und *nicht eine staatliche Instanz zu keine staatliche Instanz, wäh-
rend bei der mit dem bestimmten Artikel versehenen Treuhand der Negator nicht
steht. Im Falle von Gemessen wird der alles ordnende Erfolg, nicht der Einsatz der
Politiker handelt es sich um eine Kombination aus einem positiven und einem ne-
gierten Prädikat, wobei das Verb von beiden Prädikaten geteilt wird.
Ein ähnlicher Fall liegt im folgenden Satz vor, in dem nicht vor aber steht; hier
gibt es ein gemeinsames übergeordnetes Modalverb, von dem ein positiver und ein
negierter Infinitiv abhängen:
(...) er kann (...) gefeuert werden, nicht aber zurücktreten, (sp: 29).

Die Stellung von nicht vor aber läßt sich ohne Sinnverlust aufgeben; cf.:
(...) er kann (...) gefeuert werden, aber nicht zurücktreten.

4.2.3.1.2 Andere Hauptsatztypen

Neben den Hauptsätzen, die Assertionssätze waren, traten 16 Interrogativsätze,


zwei elliptische Frageformen und fünf Imperativsätze auf. Zwei der Interrogativ-
sätze wurden bereits im Zusammenhang mit der Kombination von fokussierenden
Elementen und Negation behandelt; es handelt sich in beiden Fällen um sog.
"Vergewisserungsfragen" (cf. hierzu im einzelnen unter 6.1):
Hat der Filmboß die hochbegabte Loren nicht zu lange als Sexsymbol in kommerziell
erfolgreichen, aber belanglosen Filmen spielen lassen, statt ihr große Charakterrollen
anzuvertrauen? (br: 100)
Und haben die Japaner nicht sogar ihren Respekt vor dem amerikanischen Prä-
sidenten verloren? (ta: 7)

Die übrigen Interrogativsätze waren:

Entscheidungsfragen,44 in denen sich die Negation auf die Proposition bezieht:

Sinn des Satzes nicht ändert, ist damit die Basisbedeutung (cf. hierzu im folgen-
den, 5.2) gemeint, die unabhängig von den Thema-Rhema-Verhältnissen im Satz
stets dieselbe bleibt.
44
Zum Satzmodus der Interrogation des Typs "Entscheidungsfrage" cf. unter 5.4.
146

Will Markus Wolf das Selbstbild des ehemaligen "Top-Spions" (...) nicht beschädi-
gen? (sp: 75)
Hat er die Rede des Präsidenten nicht verstanden? (ta: 7)
Hatten Sie nie Angst, auch vor den Verhandlungen mit Daimler-Benz nicht? (br: 129)
Wußte der Mann nicht, was er empfiehlt? Doch, (ta: 7)

Entscheidungsfragen, in denen sich die Negation nicht auf die Proposition bezieht:
Ist es nicht wunderbar, daß (...)? (br: 168)
Aber hat nicht der Westen, also wir, die Waffen für viele dieser Kriege geliefert? (sp:
9)
Dürfen die Altparteien länger mauern? Müssen sie nicht auf ihre Ausstrahlungsrechte
im Fernsehen verzichten? (sp: 80)
Waren das, bis auf wenige Ausnahmen, nicht hauptsächlich halbgefloppte Action-
kracher der zweiten Kategorie? (br: 152)
Und gibt es da nicht Gerüchte über ein neues Projekt mit "Boot"-Regisseur Wolf gang
Peter sen? (br: 152)
Betrachten wir nicht unsere Musentempel als verfügbare Goldreserve, als Spar-
schwein, das (...) (ts: 15)
Haben wir nicht unsere Stellvertreterkriege in Afrika, Asien und Lateinamerika aus-
gefochten? (sp: 9)

ebenso, elliptisch:
(...) ein Erfolg für die UNO gewesen, nicht wahr? (br: 100)

Bestimmungsfragen:45
Warum kannst du es nicht? (br: 168)
Außerdem, warum denken Sie bei einer solchen Umstellung der Altersversorgung
nicht an die Beamten? (sp: 36)
Warum wagen Sie nicht den großen Wurf? (sp: 36)

ebenso, elliptisch:
Man kann im Leben nicht nur Spaß haben! - Warum nicht? (br: 123)

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß sich bei sieben der hinzugekommenen Inter-
rogativsätzen des Typs Entscheidungsfrage die Negation nicht auf die Proposition
bezieht: Ist es nicht wunderbar, daß (...) fragt nicht danach, ob etwas nicht wun-
derbar ist; Aber hat nicht der Westen, also wir, die Waffen für viele dieser Kriege
geliefert? ist keine Frage danach, ob der Westen die Waffen nicht geliefert hat,
Und gibt es nicht Gerüchte (...)? fragt nicht nach der Nicht-Existenz von Gerüch-
ten, etc. Demgegenüber fragen Sätze wie Hat er die Rede des Präsidenten nicht ver-
standen? oder Hatten Sie nie Angst, (...)? eindeutig nach dem negativen Sachver-
halt, also nach 'nicht verstehen' und 'keine Angst haben1. Es bleibt festzuhalten,
daß der "rhetorische" oder nicht-propositionale (cf. Brauße 1994: 120f. und die dort
angegebene Literatur sowie ausführlicher unter Punkt 6.1) Gebrauch der Negation
in Interrogativsätzen offenbar alles andere als selten ist; denn von insgesamt 13 In-
terrogativsätzen des Typs Entscheidungsfrage - der Satzmodus scheint, zumindest
in schriftsprachlichen Texten, nicht übermäßig häufig zu sein - sind immerhin
neun, also mehr als zwei Drittel, Vergewisserungsfragen.

45
Zum Satzmodus der Interrogation des Typs "Bestimmungsfrage" cf. unter 5.6.
147

Zu den elliptischen Konstruktionen ist zu sagen, daß es sich im Falle von nicht
wahr? um eine klassische und in hohem Grade idiomatische tag-question handelt,
die nur noch eingeschränkt als Ellipse zu Ist es nicht wahr? o. ä. aufgefaßt werden
kann, auch wenn es sich diachronisch mit Sicherheit um die Verkürzung einer sol-
chen Frage handelt. Warum nicht? hingegen stellt einen außerordentlich typischen
Fall von Ellipse dar: die fehlenden Bestandteile des zu ergänzenden Satzes Warum
kann man im Leben nicht nur Spaß haben? sind unmittelbar davor bereits geäußert
worden, so daß eine Wiederholung unnötig ist und die elliptische Konstruktion der
Sprechökonomie dient.
Von der Stellung her tendiert der Negator offenbar auch in den Interrogativsät-
zen nach rechts - mit Ausnahme allerdings der Vergewisserungsfragen, in denen
das nicht bereits weiter links im Satz auftritt.
Bei den fünf Imperativsätzen, die im Sample auftraten, steht das nicht hingegen
erwartungsgemäß überwiegend so weit rechts wie möglich:
(...) und verdrängen Sie Ihre Probleme lieber nicht (...) (br: 212)
Vergessen Sie es nicht (...) (sp: 83)
(...) fragen Sie nicht, wie (...) (ta: 12)

Eindeutig um eine Ausklammerung handelt es sich hingegen in:


Überfordern Sie andere Menschen nicht mit Ihren hohen Ansprüchen! (br: 212)

Nur im Falle von:


Lasset aber die Kinderlein bitte nicht mehr zu mir kommen (...) (ta: 12)

liegt tatsächlich eine andere Stellung vor: die Negationspartikel steht vor dem fo-
kussierenden Element.

4.2.3.2 Ellipsen

In insgesamt 21 weiteren Fällen war nicht Teil einer elliptischen Konstruktion. Da


sich infolge der Auslassungen ein Vergleich der Stellung mit derjenigen in den an-
deren Sätzen verbietet, werden diese Sätze resp. Satzreste hier nicht im einzelnen
diskutiert. Zwei der Ellipsen traten in Frageform auf (cf. hierzu im vorigen,
4.2.3.1.2). Irgendwelche Stellungsbesonderheiten waren nicht zu beobachten.
148

4.2.3.3 Nebensätze

Stellung Anzahl Anteil an Sätzen Anteil an allen


ohne Nebensätzen
Fokuspartikeln in%
in%
vor dem Verbalkomplex 59 44,7 34,1
vor dem Prädikativum 11 8,3 6,4
vor Adverbialbestimmungen 44 33,3 25,4
vor Objekten 18 13,6 10,4
vor fokussierenden Elementen 25 - 14,5
vor Quantoren 3 — 1,7
elliptische Konstruktionen 7 — 4,0
sonstige 1 - 0,6
Tabelle 16

Auch bei den Nebensätzen überwiegt, wie sich zeigt, die Stellung rechts im Satz; da
die am weitesten rechts stehende Position aufgrund der Stellungsregeln des Deut-
schen hier stets durch das Verb - entweder nur durch das Verbum finitum oder
durch einen Verbalkomplex mit dem finitum - besetzt wird, kommt hierfür nur die
Stellung vor dem Verbalkomplex in Frage; sie wird in 44,7% aller Fälle eingenom-
men. Rechnet man das Prädikativum zum Verbalkomplex hinzu, so ergeben sich
sogar in 53% Fälle von Rechtsstellung des Negators.
Häufiger als in den Hauptsätzen stand nicht in den Nebensätzen vor Adverbial-
bestimmungen (33,3% gegenüber 15,8%), was damit zusammenhängen könnte,
daß es in Nebensätzen nicht die Möglichkeit der Vorfeldstellung für die Adverbial-
bestimmung gibt. Von den Hauptsätzen mit rechts stehender Negation waren im-
merhin 11,2% im Vorfeld mit einer Adverbialbestimmung besetzt. Vor Objekten
schließlich stand der Negator in Hauptsätzen in 15,3%, in Nebensätzen in 13,6%
aller Fälle.
Alles in allem läßt sich also feststellen, daß sich keinerlei Anhaltspunkte dafür
ergeben, daß die Stellung des Negators in Nebensätzen in signifikanter Weise von
der in Hauptsätzen abweicht.
Auch die fokussierenden Elemente zeigen dasselbe Verhalten, das schon bei den
Hauptsätzen zu beobachten war: mehr, nur und so waren die häufigsten Vertreter
dieser Klasse, und der Negator stand in den Nebensätzen ausschließlich unmittelbar
vor ihnen.

Als Quantoren kamen jede-, all- und das Numerale ein vor:
Daraus folgt, daß nicht jede Mark (...) als Bundesdrucksache veröffentlicht wird, (sp:
36)
(...) Aktionsplan, den nicht alle, die (...), mit der gleichen Begeisterung betrachten.
(ts: 2)
Herden Erwachsener (...) stürzen ins Freie, entschlossen, aber auch nicht einen Strahl
zu verpassen, (ts: 15)
149

Der Bezug der Negation läßt sich auch hier mit dem default-Fall:

-n (Vx) (Fx (=>) Gx)46


wiedergeben.
Einen interessanten Fall stellt die Stellung des Negators direkt im Anschluß an
die Konjunktion dar; diese Stellungsvariante ist genau einmal aufgetreten, cf.:
Ob nicht homöopathisch dosierte Kamille die Schmerzen bewältigen hilft (...) (br:
108)

Offensichtlich wird der Bezug des Negators auf den gesamten indirekten Fragesatz
hier schon in der Stellung des nicht zum Ausdruck gebracht, das auch an anderer
Stelle im Satz stehen könnte, nämlich vor dem Objekt oder vor dem Verbalkomplex,
cf.:
—> Ob homöopathisch dosierte Kamille nicht die Schmerzen bewältigen hilft.
—> Ob homöopathisch dosierte Kamille die Schmerzen nicht bewältigen hilft.

Eine unterschiedliche Bedeutung - abgesehen von leichten Thema-Rhema-Ver-


schiebungen - ergibt sich aus diesen Umstellungen jedoch nicht; bei den beiden
Varianten "Stellung nach der Konjunktion" und "Stellung vor dem Verbalkomplex"
scheint sogar eine weitgehende Gleichgewichtung der Satzteile gegeben zu sein. Der
indirekte Fragesatz gehört im übrigen semantisch zu dem Typ, in dem sich die Ne-
gation nicht auf die Proposition bezieht, denn hier wird nicht nach der Unwirksam-
keit, sondern nach der potentiellen Wirksamkeit der Kamille gefragt.

4.3 Übersetzungsvergleich

Im folgenden soll nun ein Querschnitt von Beispielen aus dem untersuchten
Sample, die im vorigen besprochen wurden, einem Übersetzungsvergleich unterzo-
gen werden. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 18 Sätze resp. Syntagmen, die
verschiedenen Typen zuzuordnen sind, mit der Bitte um Übersetzung jeweils zwei
Personen mit serbischer resp. türkischer Muttersprache sowie sehr guter Kompe-
tenz des Deutschen vorgelegt. Den Übersetzungen werden zum besseren Verständ-
nis jeweils Interlinearversionen beigefügt.

(1) Der deutsche Satz enthält die Kombination nicht plus ein, ein Ersatz durch kein
ist nicht möglich:
(...) vorausgesetzt, es wurde nicht irrtümlich auch ein "inländischer Teil der Bevölke-
rung" abgefackelt, (ta: 10)

Serbische Übersetzung:

(a) (...) pod uslovom, da nije nehotimice i jedan "domaci" deo stanovnista zapaljen.

46
Für F = Mark und G = "wird als Bundesdrucksache veröffentlicht" oder F = Inhalt
des Relativsatzes, G = "betrachten mit der gleichen Begeisterung".
150

pod uslovom, da nije nehotimice


unter Bedingung-Instr-Sg daß NEG-KOP-3.-Sg ungewollt
i jedan "domaa"
und/auch ein-mask-Nom-Sg einheimisch-mask-Nom-Sg
deo stanovnista zapaljen.
Teil-Nom-Sg Bevolkerung-Gen-Sg angeziindet-mask-Nom-Sg
( b ) ( . . . ) pod prestavkom da greskom neoe biti i jedan deo "stanovnista u zemlji"
spaljen.
pod prestavkom da greskom
unter Vorstellung-InstR-Sg daß Fehler-InstR-Sg
nece biti i jedan deo
NEG-wird sein und/auch ein (NUM) Teil-Nom-Sg
"stanovnista u zemlji" spaljen.
Bevolkerung-Gen-Sg in Land-Lok-Sg verbrannt-mask-Nom-Sg

Wie sich zeigt, ist die Negation ganz normal unmittelbar beim resp. in diesem Fall
im Verb ausgedrückt (nije 'nicht-ist'/m're biti 'nicht-wird sein'). Interessant ist aber,
daß hier in einem Fall ein Numerale auftritt (jedan "domaa" deo stanovnista), ob-
gleich der deutsche Satz eindeutig kein Numerale, sondern nur einen unbestimmten
Artikel enthält. Dazu ist anzumerken, daß das Numerale jedan in einigen Fällen auch
im Serbischen Artikelfunktionen übernehmen kann (cf. hierzu z. B. Ivic 1971),
und zwar immer dann, wenn der Artikel eine besonders wichtige Funktion im
Textzusammenhang erfüllt, etwa bei der Einführung einer neuen Person in das
univers du discours. So lautet beispielsweise der klassische erste Satz eines Mär-
chens, 'Es war einmal ein König', auf Serbisch: Bio jednom jedan kralj, wörtlich:
'Gewesener einmal ein [NUM] König' - er enthält also das Numeral in Artikel-
funktion.
Im Sprachvergleich ist es nunmehr besonders interessant, zu sehen, daß das Nu-
merale in Artikelfunktion im Serbischen genau dann steht, wenn im Deutschen eine
Fusion des Artikels mit der Negation ausgeschlossen ist. Ganz anders lautet hinge-
gen die Übersetzung beim deutschen Satz (...) läßt eine lang anhaltende Diskussion
um seine Amtsführung nicht zu., bei dem eine solche Fusion grundsätzlich durch-
aus möglich ist (cf. weiter unten).

Türkische Übersetzung:
(a) (...) "yerli halkin" bir bölmünü yamlgiyla yakmi§ olmamak §artiyla.
"yerli halkin" bir bölmünü
einheimisch Bevölkerung-Gen ein Teil-POSS-Akk
yamlgiyla yakmi§ olmamak 47 sartiyla.
Irrtum-mit angezündet sein-NEG Bedingung-mit
(b)f..J diyelim ki "toplumun yerli bir kismida" yanlislikla yakilip harcanmadi.

47
Es handelt sich um das mij-Partizip des kausativen Verbs yakmak 'brennen ma-
chen' und den substantivierten Infinitiv des Verbs 'sein'.
151

diyelim ki "toplumun
sagen-OPT-l.Pers.Pl Partikel Gesellschaft-Gen
yerli bir kismida" yanliglikla
einheimisch ein Stück-POSS-Lok Fehler-mit
yakilip harcanmadi.
anzünden-und- 48 beseitigen-NEG-Vergangenheit

Auch die beiden türkischen Übersetzungen haben zum Gebrauch des unbestimmten
Artikels (bir) gegriffen, um den deutschen Satz wiederzugeben. Obgleich der unbe-
stimmte Artikel im Türkischen häufiger zu beobachten ist als im Serbischen, wo er
in der Tat nur ganz rudimentär vorhanden ist, so ist seine Frequenz dennoch bei
weitem nicht mit der des deutschen unbestimmten Artikels identisch. Auch hier
kann der Gebrauch des Artikels in der Übersetzung also als signifikant angesehen
werden.

(2) Der deutsche Satz enthält die Kombination nicht plus ein, ein Ersatz durch kein
ist möglich:
(...) läßt eine lang anhaltende Diskussion um seine Amtsführung nicht zu. (ta: 2)

Serbische Übersetzung:
(a) (...) ne dozvoljava dugu diskusiju o svom vodjenju sluzbe.
ne dozvoljava dugu diskusiju
NEG erlaubt-3.Sg lange-fem-Akk-Sg Diskussion-Akk-Sg
o svom vodjenju sluzbe.
über sein(RefL) -neutr-Lok-Sg Führung-Lok-Sg Dienst-Gen-Sg
(b)(...) ne dopusta dugotrajnu diskusiju oko njegovog vodjenja sluzbe.
ne dopusta dugolrajnu diskusiju
NEG zuläßt-3.Sg langdauernd-fem-Akk-Sg Diskussion-Akk-Sg
oko njegovog49 vodjenja sluzbe.
um sein-neutr-Gen-Sg Führung-Gen-Sg Dienst-Gen-Sg

Der Gebrauch des Numerale jedem in Artikelfunktion ist in diesem Satz ausge-
schlossen; *ne dozvoljava jednu dugu diskusiju o njegovom vodjenju sluzbe bzw.
*ne dopusta jednu dugotrajnu diskusiju oko njegovog vodjenja sluzbe wäre nicht
nur unidiomatisch, sondern stellt sogar eine ungrammatische Äußerung dar. Die
Fusionsmöglichkeiten des Deutschen verlaufen also ganz eindeutig parallel zur
Möglichkeit des Serbischen, das Numerale in Artikelfunktion zu verwenden, und

48
Die Endung -ip, die hier vorliegt, dient dazu, zwei Verben zu koordinieren, ohne
zweimal dieselben Suffixe zu verwenden; die Suffixe des zweiten Verbs gelten
dabei auch für das erste, verkürzt1 mit -ip suffigierte Verb. Diese Funktion wird in
der Interlinearversion durch 'und nur sehr ansatzweise wiedergegeben.
49
Während die erste Übersetzung von einem Bezug des Possessivums auf das Subjekt
des Satzes ausgeht und daher das reflexive svoj wählt, interpretiert die zweite ent-
weder den Bezug von dt. sein auf eine 3. Person und drückt dies mit dem nicht re-
flexiven njegov aus, oder aber sie folgt einer in der Alltagssprache zu beobachten-
den Tendenz, njegov auch in der Funktion von svoj, also reflexiv, zu verwenden.
152

müssen somit als eindeutig semantisch bedingt, nämlich den Thema-Rhema-Ver-


hältnissen im Satz geschuldet, angesehen werden. Diese Erkenntnis stimmt mit den
bereits bei den innersprachlich für das Deutsche gewonnenen Regeln für den Ge-
brauch von kein vs. nicht ein überein (cf. hierzu im vorigen, Punkt 4.2.2.2).

Türkische Übersetzung:
(a) (...) kendi makami hakkmda uzun süren tarti§maya izin vermiyor.

kendi makami hakkmda uzun


selbst Amt-POSS-3.Ps betreffend50 lang
süren tartifmaya izin vermiyor.
dauernd Diskussion-Dat Erlaubnis geb-NEG-Pras-3.PS
(b)(...) görevi ile ilgili uzun sürecek bir tarti§mayi caiz kilmiyor.
görevi ile ilgili uzun sürecek
Funktion-POSS mit Interesse-mit lang dauern-FUT
bir tarti§mayi caiz kilmiyor.
ein Diskussion-Akk zulässig machen-NEG-PRÄS-3.Pers.

Bemerkenswert ist, daß hier nur in einem Fall, nämlich in der Übersetzung (b), der
unbestimmte Artikel bir gesetzt wurde; die Übersetzung (a) kommt demgegenüber
ohne ihn aus.

(3) In den beiden folgenden deutschen Teilsätzen steht der Negator beim Attribut:
(3-1) (...) durch ein Anknüpfen an positive, nicht imperialistische Traditionen (...) (ta:
9)

Serbische Übersetzung:
(a) (...) kroz povezivanje na pozitivne, a ne impenalisticke tradicije (...)
kroz povezivanje na pozitivne, a
durch Anbindung auf positiv-fem-Akk-Pl und/aber
ne impenalisticke tradicije
NEG imperialistisch-fem-Akk-Pl Traditionen-Akk-Pl
...J nadovezujuä se na pozitivne, ne impenalisticke tradicije (...)
nadovezujuoi se na pozitivne, ne
anbindend sich auf positive-fem-Akk-Pl NEG
imperijalisticke tradicije
imperialistische-fem-Akk-Pl Tradition-Akk-Pl

50
Hier wie im folgenden ist nicht jede Form bei der Interlinearversion bis ins Detail
analysiert, da beispielsweise die Auflösung von hakkinda in hak(k)-in-da 'Hin-
sicht-Poss.3.Ps-Lok' für die Frage nach dem Ausdruck der Negation nicht von Be-
deutung ist und eine Übersetzung mit 'betreffend1 den Sinn ausreichend wieder-
gibt.
153

Türkische Übersetzung:
(a) (...) pozitif, emperyalist olmayan gelenekler baglammda (...)
pozitif, emperyalist olmayan
positiv imperialistisch sein-NEG-PartizipPräsens
gelenekler baglaminda
Tradition-Pl anbind-POSS-Lok

(b) (...) emperyalist olmayan, müspet bir gelenege bagh kalarak (...)
emperyalist olmayan, müspet
imperialistisch sein-NEG-PartizipPräsens positiv
bir gelenege bagli kalarak
ein Tradition-Dat gebunden bleiben-Gerundium
(3-2) (...) dann hat er eine Million (Dollar, nicht Lire) verdient, (br: 100)

Serbische Übersetzung:
(a) (...) tada je milion Dolara a ne Lira zaradio.
tada je milion Dolara a
dann AUX-3.Sg Million-Akk-Sg Dollar-Gen-Pl und/aber
ne Lira zaradio.
NEG Lira-Gen-Pl verdient-mask-Sing
(b) (...) tada je on milion (Dolara, ne Lira) zaradio.
tada je on milion (Dolara, ne
dann AUX-3.Sg er Million-Akk-Sg Dollar-Gen-P NEG
Lira) zaradio.
Lire-Gen-Pl verdient-mask-Sg

Türkische Übersetzung:
(a) (...) daha sonra bir milyon (Dolar, Lire degil) kazandi.
daha sonra bir milyon
Komparativpartikel nach ein Million
(Dolar, Lire degil) kazandi.
Dollar Lire NEG-KOP verdien-Vergangenheit
(b) (...) sonra bir milyon (lira degil, dolar) kazandi.
sonra bir milyon (lira degil, dolar)
nach ein Million Lira NEG-KOP Dollar
kazandi.
verdien-Vergangenheit

Wie sich zeigt, macht das Serbische hier in allen Fällen von seinem Standard-Ne-
gator ne Gebrauch - "Standard-Negator" deshalb, weil er sowohl 'nicht' als auch
'nein' abdeckt. Interessant ist im Zusammenhang mit solchen Sätzen die Beobach-
tung, daß eine typische Interferenz serbischer Muttersprachler beim Erlernen des
Deutschen darin besteht, daß sie derartige Konstruktionen mit nein zu bilden versu-
154

eben, cf.: nein Dinar, Mark!51 Derartige Fehler zeigen eine gewisse Hartnäckigkeit,
i. e. sie treten auch nach dem erfolgreichen Erwerb von nicht als Satznegator noch
auf und könnten ein Indiz dafür sein, daß die Struktur intuitiv als leicht abweichend
erkannt wird und das Fehlen des Verbs den satz-externen Negator elizitiert. Den-
noch liegt auch solchen Sätzen natürlich semantisch eine Prädikation zugrunde -
nämlich die Aussagen 'die Traditionen sind nicht imperialistisch1 und 'die Währung
ist nicht Lire'.
Die türkischen Übersetzungen machen von zwei verschiedenen Möglichkeiten
zum Ausdruck der Negation Gebrauch: einmal wird das Verb olmak, das bei Bedarf
Kopulafunktionen übernehmen kann, in Form eines negierten Partizips Präsens ein-
gefügt (olmayan 'nicht seiend') - aus dem 'nicht imperialistisch' der deutschen
Vorlage wird also ein 'nicht imperialistisch seiend1. Im zweiten Fall wird von der
negierten Kopulapartikel degil Gebrauch gemacht; Lire degil 'es sind nicht Lire' ist
abermals eine vollständige Äußerung. Hier zeigt sich deutlich, daß auch dieser Art
von Negation stets eine Prädikation zugrundeliegt, die im Türkischen auch explizit
ausgedrückt werden muß, entweder unter Zuhilfenahme eines Verbs oder aber mit-
hilfe der Kopulapartikel.

(4) Nicht steht im Vorfeld des Satzes:


Nicht die Lautstärke zählt, (...) (br: 153)

Serbische Übersetzung:
(a) Ne racuna se jacina zvuka (...)
Ne racuna se jacina zvuka
NEG rechnet-3.Sg. sich Stärke-Nom-Sg Ton-Gen-Sg
(b)Nije vazna jacina glasa (...)
Nije vazna jacina glasa
NEG-KOP-3.Sg wichtig-fem-Nom-Sg Stärke-Nom-Sg Stimme-Gen-Sg

Hier wurde im Serbischen von beiden Übersetzern das negierte Verb an den Satzan-
fang gestellt, wodurch das nachfolgende Subjekt Thematisiert wird. Der kommuni-
kative resp. funktionale Effekt ist somit genau derselbe wie im Deutschen, und die
Satzbedeutung ist völlig gleich, obgleich das Negationszeichen nicht vom Verb ge-
trennt werden kann.

Türkische Übersetzung:
(a) Önemli olan ses oklulugu degil, (...)
Önemli olan ses coklulugu degil
wichtig sein-PartPräs Ton Fülle-POSS NEGKOP
(b) olan ses tonunun yüksekligi degil, (...)

51
Diese Feststellung basiert auf eigenen langjährigen Beobachtungen serbischer
Muttersprachler beim Erwerb des Deutschen.
155

Geqerli olan ses tonunun yüksekligi degil


gültig sein-PartPräs Ton Klang-Gen Lautstärke-POSS NEG-KOP

Die türkischen Übersetzungen machen von der negierten Kopula Gebrauch, ob-
gleich beide Male das Verb olmak im Satz auftritt, das als Träger für den Negator
fungieren könnte. Der türkische Satz kann grob als 'Wichtig seiend Tonfülle nicht-
ist' ins Deutsche übertragen werden. Durch diese Konstruktion wird der Begriff
Tonfülle1 stark Thematisiert, und die Thema-Rhema-Struktur verläuft damit ganz
parallel zur deutschen Vorlage.

(5) Nicht steht vor dem zweiten Subjekt:


Gemessen wird der (...) Erfolg, nicht der Einsatz der Politiker, (sp: 36)

Serbische Übersetzung:
(a) Meri se uspeh, a ne zalaganje politicara.
Men se uspeh, a ne
Mißt sich Erfolg-Nom-Sg und/aber NEG
zalaganje politicara.
Einsatz-Nom-Sg Politiker-Gen-Pl
(b) Men se uspeh, a ne angazovanje politicara.
Meri se uspeh, a ne
Mißt sich Erfolg-Nom-Sg und/aber NEG
angazovanje politicara.
Engagement-Nom-S g Politiker-Gen-Pl

Beide Übersetzungen waren bis auf die Wortwahl angazovanje/zalaganje identisch.


Es tritt wiederum ein einzeln stehendes ne ohne zugehöriges Finitum auf, wie dies
bereits bei den attributiven Fällen des Negationsbezugs in Dollar, nicht Lire oder
positive, nicht imperialistische Traditionen zu beobachten war. Auch hier liegt na-
türlich eine Prädikation, nämlich die des ersten Satzes ('wird nicht gemessen')
zugrunde, die aber nicht nochmals ausgedrückt wird. Die Konstruktion ist als ellip-
tisch zu interpretieren, und der Negator bezieht sich auf das nicht noch einmal wie-
derholte Verb.

Türkische Übersetzung:
(a) Politikacilarm etkinlikleri degil ba§anlari ölcülür.
Politikacdarm etkinlikleri degil ba§arüari
Politiker-Pl-Gen Tätigkeit-Pl-POSS NEGKOP Erfolg-Pl-POSS
ölgülür.
messen-PASS-AOR
(b) Politikacilarm ugra§lan degil ba§arilar ölfektir.
Politikacilarm ugra§lan degil ba§ardar
Politiker-Pl-Gen Tätigkeit-Pl-POSS NEGKOP Erfolg-Pl
156

ölgektir.
Maß-KOP

Der türkische Satz enthält jeweils zwei Prädikationen; im Deutschen könnte die
Konstruktion grob wiedergegeben werden mit 'Es ist nicht die Tätigkeit der Politi-
ker - ihr/der Erfolg wird gemessen.' Hier zeigt sich abermals das türkische Stan-
dardverfahren, eine Konstruktion des 'nicht dies, sondern das'-Typs zu bilden,
indem die nicht gültige Aussage mit degil verbunden wird. Entsprechend der SOV-
Wortstellung des Türkischen ist degil, bei dem es sich ja um ein Prädikat handelt,
dem zu negierenden Sachverhalt stets nachgestellt.

(6) Das Prädikativum steht im Vorfeld, eine 'sondern'-Ergänzung folgt:


Unhöflich ist sie nicht, eher hilflos, (br: 90)

Serbische Übersetzung:
(a) Nije neljubazna, pre 6e biti da je bespomocna.
Nije neljubazna, pre ce
NEG-KOP-3.Sg unhöflich-fem-Nom-Sg eher AUX-FUT-3.Sg
biti da je bespomocna.
seindaß KOP-3.-Sg hilflos-fem-Nom-Sg
(b) Ona nije neuljudna, pre je bespomocna.
Ona nije neuljudna, pre
Sie NEG-KOP-3.Sg unhöflich-fem-Nom-Sg eher
je bespomocna.
KOP-3.Sg hilflos-fem-Nom-Sg

Die "Korrektur", die hier im Deutschen nicht mithilfe von sondern, sondern durch
einen Anschluß mit eher vorgenommen wird, kann auch im Serbischen in genau
dieser Weise erfolgen (pre 'zuvor', 'eher'), wobei in einem Fall idiomatischerweise
ein ce biti (3. Person Futur von biti 'sein') hinzugefügt wird, das die Vermutung
kennzeichnet. Neben nije neljubazna stünde auch die Stellungsmöglichkeit ne-
ljubazna nije zur Verfügung; diese Stellung würde aber veränderte Betonung erfor-
derlich machen und wurde auf Nachfrage als "schlechtere Übersetzung" qualifi-
ziert.52

Türkische Übersetzung:
(a) Saygisiz degil daha cok yardima muhta(.
Saygisiz degil daha ok
Rücksicht-ohne NEGKOP Komparativpartikel viel

52
Der Gebrauch von ona in der zweiten Übersetzung, der bei einer pro-drop-Spra-
che wie dem Serbischen eine starke Betonung darstellt, ist vermutlich eher als par-
tielle Interferenz aus dem Deutschen zu erklären, als daß sich ein Zusammenhang
mit dem Skopus der Negation herstellen ließe.
157

yardima muhtag.
Hilfe-Dat bedürftig

(b) Kaba degil daha ziyade qaresiz.


Kaba degil daha ziyade
unhöflich NEGKOP Komparativpartikel viel
faresiz.
hilflos

Abermals liegt eine degi/-Konstruktion vor, wobei in diesem Satz das Prädikat der
zweiten Prädikation, die positive Kopula, nicht ausgedrückt wird; daß die Kopula in
der 3. Person nicht erscheint, ist indessen eine häufige Erscheinung, die nichts mit
der vorausgehenden Negation zu tun hat.

(7) Nicht steht vor fokussierenden Elementen:

(7-1) nicht mehr:


Die Architektur der Debatte stimmte nicht mehr, (sp: 34)

Serbische Übersetzung:
(a) Arhitektura debate nije vise stimala.
Arhitektura debate nije
Architektur-Nom-Sg Debatte-Gen-Sg NEG-AUX-3.-Sg
vise stimala.
mehr gestimmt-fem-Nom-Sg

(b) Arhitektura debate nije vise bila u redu.


Arhitektura debate nije
Architektur-Nom-Sg Debatte-Gen-Sg NEG-AUX-3.-Sg
vise bila u redu.
mehr gewesen-fem-Sg in Ordnung-Lok-Sg

Obgleich das Serbische die Stellung vise nije ('mehr nicht-ist') prinzipiell zuläßt,
wurde hier die der deutschen Vorlage entsprechende Reihenfolge nije vise ('nicht-ist
mehr') auch auf Nachfrage bevorzugt. Die Übersetzung entspricht damit wörtlich
dem Original; auch im Serbischen drückt die Kombination aus Negator und 'mehr'
einen temporalen Sachverhalt aus.

Türkische Übersetzung:
(a) Tarti§ma ana konusundan sapmi§ti.
a ana konusundan sapmi§ti.
Debatte Basis hinsichtlich abweich-Plusquamperfekt
(b) Tarti§mamn mimari yapisi uygun degildi.
Tarti§manm mimari yapisi
Debatte-Gen Architektur Gefüge-POSS
158

uygun degildi.
entsprechend NEGKOP-Vergangenheit

Da es sich bei dem deutschen nicht mehr, wie bereits weiter oben erörtert (cf. unter
4.2.3.1.1.4.1) um eine temporale Konstruktion handelt, muß die Übersetzung diese
Temporalität berücksichtigen; sie wird im Türkischen in der Tempusform des Verbs
zum Ausdruck gebracht. Die Kombination aus mi§ und U in Übersetzung (a) bildet
das Plusquamperfekt; eine Negation ist nicht nötig, da der semantische Gehalt von
'die Architektur stimmte nicht mehr' durch 'war von der Basis abgewichen' ausge-
drückt wird. In (b) wird eine Negation durch die negierte Kopula vorgenommen, an
die das Vergangenheitsmorphem di angehängt wurde; die durch 'mehr' zusätzlich
hinzukommende Information geht bei dieser Übersetzung verloren.

(7-2) nicht nur:


Das ist nicht nur eine Wetterfrage, (ts: 3)

Serbische Übersetzung:
(a) To nije samo pitanje vremena.
(b) To nije samo pitanje vremena.
To nije samo pitanje vremena.
DEM NEG-KOP-3.-Sg nur Frage-Nom-Sg Wetter-Gen-Sg

Abermals sind die Übersetzungen identisch. Im Serbischen kann die Fokussierung


wie im Deutschen durch den Gebrauch von 'nur' (serbisch: samo 'nur', 'allein')
ausgedrückt werden; Wortstellung und Wortgebrauch sind also völlig parallel. Ein
Artikel wird nicht gesetzt und wäre auch ungrammatisch (*To nije samo jedno
pitanje vremena) - im Deutschen wäre ein Gebrauch von kein- in diesem Satz nur
möglich, wenn keine Fokuspartikel stünde.

Türkische Übersetzung:
(a) Bu bu kadar basit bir sorun degil.
Bu bu kadar basit bir sorun degil.
DEM DEM so einfach ein Frage NEGKOP
(b) Bu sadece hava durumu ilgilendiren bir sorun degil.
Bu sadece hava durumu
DEM nur Wetter Sache-POSS
ilgilendiren bir sorun degil.
betreffen-PartizipPräs ein Frage NEGKOP

Die türkischen Übersetzungen gebrauchen einmal (kadar) basit '(so) einfach', ein-
mal sadece 'nur'. In beiden Fällen wird die Fokussierung vor die zu fokussierenden
Teile des Satzes ('eine Wetterfrage') gestellt. Auf die Negation hat die Fokussierung
keinen Einfluß, und sie sucht auch nicht ihre Nähe: die in beiden Übersetzungen ge-
brauchte negierte Kopula degil steht erwartungsgemäß am Ende des Satzes, von den
fokussierenden Elementen weit entfernt.
159

(7-3) nicht mehr im Attribut:


der letzte prominente Vertreter des real nicht mehr existierenden Sozialismus (sp: 51)

Serbische Übersetzung:
(a) poslednji poznati pretstavnik socializma koji realno vise ne postoji
poslednji poznati pretstavnik
letzt-mask-Nom-Sg bekannt-mask-Nom-Sg Vertreter-Nom-Sg
socializma koji vise
Sozialismus-Gen-Sg REL-mask-Nom-Sg mehr
ne postoji
NEG besteht
(b) posledniji prominentni pretstavnik realnog, vise ne postojeceg socijalizma
posledniji prominentni
letzt-mask-Nom-Sg prominent-mask-Nom-Sg
pretstavnik realnog, vise ne
Vertreter-Nom-Sg real-mask-Gen-Sg mehr NEG
postojeceg socijalizma
bestehend-mask-Gen-Sg Sozialismus-Gen-Sg

Der Satz (b) enthält einen Übersetzungsfehler: statt des real nicht mehr existierenden
Sozialismus wird 'des realen, nicht mehr existierenden Sozialismus' übersetzt.
Auch kann der Gebrauch des Partizips Präsens postojeceg in Übersetzung (b) als
Merkmal eines Einflusses des Deutschen gedeutet werden, da attributive Partizipien
dieses Typs im Serbischen aufgrund des nachhaltigen Einflusses präskriptiver
Grammatiken gewöhnlich gemieden werden. Insofern ist auch die zum attributiven
Partizip gestellte Negation nicht unbedingt als besonders repräsentativer Konstruk-
tionstyp des Serbischen zu werten. Typisch ist demgegenüber die Konstruktion in
Übersetzung (a), die einen Nebensatz (Relativsatz) benutzt, um die entsprechenden
semantischen Bezüge zum Ausdruck zu bring en.

Türkische Übersetzung:
(a) ge^ek hayatta artik varolmayan sosyalizmin son tanmmi§ temsilcisi
gercek hayatta artik varolmayan
wirklich Leben-Lok übrig existier-NEG-PartizipPräsens
sosyalizmin son tamnmi§
Sozialismus-Gen Ende kennenlern-PAS-mif-Partizip
temsilcisi
Vertreter-POSS
(b)ger(ek olarak artik var olmayan sosyalizmin se^kin son temsilcisi
gercek olarak artik var
wirklich sein-Gerundium übrig Existenzmarker
olmayan sosyalizmin sefkin
sein-NEG-PartizipPräs Sozialismus-Gen prominent
160

son temsilcisi
Ende Verteter-POSS

Das deutsche Partizip Präsens existierend wird auch im Türkischen jeweils durch
Partizipien wiedergegeben, wobei diese Partizpien als Verbformen dann auch die
Negation enthalten: varolmayan 'nicht-existierend', olmayan 'nicht-seiend1.

(8) Aliquanter:
(8-1) im Skopus des Negators:
(8-1-1) Er wolle nicht alle Heime schließen (...) (ts: 7)

Serbische Übersetzung:
(a) (Rekao je da) nece sve dotnove da zatvori.
(Rekao je da) nece sve domove
(Er sagte daß) NEG-will-3.Sg alle-mask-Akk-Pl Heime-Akk-Pl
da zatvori.
daß schließ-3.Sg-Präs
(b) On ne bi zeleo da zatvori sve domove.
On ne bi zeleo da
Er NEG KOND gewünscht-mask-Sg daß
zatvori sve domove.
schließt-3.Sg-Präs alle-mask-Akk-Pl Heime-Akk-Pl

Die Negation steht einmal beim Verb hteti 'wollen', einmal beim Verb zeleti 'wün-
schen', wobei sie im ersteren Fall mit dem Verb fusioniert, im zweiten getrennt
bleibt: nece 'nicht-will' ne bi zelio 'nicht KOND gewünscht'. Der Aliquanter steht
getrennt davon beim Objekt, zu dem er gehört, wobei dieses Objekt einmal in der
mit da eingeleiteten Konstruktion seinen Platz findet, einmal außerhalb dieser Kon-
struktion steht, von der es jedoch regiert wird. Solche Extraktionen sind für das
Serbische typisch; einen Einfluß auf den Bezug der Negation hat diese Stellung
jedoch nicht, wie sich nicht zuletzt daran zeigt, daß nur eine der beiden Übersetzun-
gen zu diesem Stilmittel gegriffen hat.

Türkische Übersetzung:
(a) Bütün yurtlan kapatmak istemiyormu§ (...)
(b)Bütün yurtlari kapatmak istemiyormu§(...)
Bütün yurtlari kapatmak istemiyor
alle Heim-Pl-Akk schließen will-NEG-Präs

Die beiden türkischen Sätze sind identisch; die Negation steht im Verb istemek
'wollen1 am Ende des Satzes, während der Aliquanter den Satz einleitet, der kein
explizites Subjekt hat und daher mit dem Objekt beginnt, zu dem bütün gehört.
(8-1-2) Nicht alle Aussiedler sprechen Deutsch (...) (br: 88)
161

Serbische Übersetzung:
(a) Ne govore svi povratnici nemacki.
Ne govore svi povratnici
NEG sprechen alle-mask-Nom-Pl Rückkehrer-Nom-Pl
nemadki.
Deutsch
(b) Ne govore svi iseljenici nemadki.
Ne govore svi iseljenici
NEG sprechen alle-mask-Nom-Pl Aussiedler-Nom-Pl
nemacki.
Deutsch

Beide Übersetzungen, die sich im übrigen ja nur durch eine verschiedene Wortwahl
zur Wiedergabe von dt. Aussiedler unterscheiden, stellen Negation und Verb an die
erste Stelle im Satz.

Türkische Übersetzung:
(a) Tüm gocmenler almanca konu§amiyorlar.
Tüm göfmenler almanca
Gesamtheit Migrant-Pl Deutsch
konufamiyorlar.
sprechen-POT-NEG-Präs-3.Pers.-Pl
(b) Tüm göfmenler almanca konu§amiyor.
Tüm göfmenler almanca konu§amiyor.
Gesamtheit Migrant-Pl Deutsch sprechen-POT-NEG-Präs-3.Pers.

Auch die beiden türkischen Übersetzungen sind fast identisch; sie unterscheiden
sich nur dadurch, daß in (a) ein zusätzliches Pluralmorphem im Verb gesetzt wurde.
Wortstellung und Negation weisen keinerlei Besonderheiten auf.

(8-2) außerhalb des Skopus des Negators:


Das muß alles nicht sein, (ta: 11)

Serbische Übersetzung:
(a) To ne mora sve biti.
To ne mora
DEM-neutr-Nom-Sg NEG muß-3.Sg-Präs
sve biti.
alles-neutr-Nom-Sg sein
(b) To sve ne mora biti.
To sve ne
DEM-neutr-Nom-Sg alles-neutr-Nom-Sg NEG
162

mora biti.
muß-3.Sg-Präs sein

Bei der Übersetzung ins Serbische sind zwei Interpretationen des deutschen Satzes
entstanden; einmal ist er im Sinne von '(nicht alles) (muß sein)', also mit dem All-
quantor im Skopus der Negation, aufgefaßt worden (Übersetzung a), einmal als
'(alles das) (muß nicht sein)' (Übersetzung b). Die Interpretationsprobleme der
Übersetzenden sind vermutlich nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß der deut-
sche Satz neben dem Aliquanter ein Modalverb enthält, und der Bezug der Negation
bei Modalverben stellt ein nicht unerhebliches zusätzliches Problem dar (cf. hierzu
Hentschel/Weydt 1994: 74).

Türkische Übersetzung:
(a) Bunlar ashnda hig olmamali.
Bunlar ashnda olmamali.
DEM-P1 eigentlich Part sein-NEG-NEC
(b) Illede hepsi olacak degil.
Illede hepsi olacak degil.
unbedingt alles sein-FUT-Partizip NEGKOP

Im Gegensatz zu den beiden serbischen Übersetzungen, die das Demonstrativum to


zusätzlich zum Allquantor sve benutzen, macht das Türkische in einem Fall sogar
ausschließlich vom Demonstrativum bunlar und nicht vom Allquantor bütün Ge-
brauch. Die Modalität des 'müssen' wird nur in der Übersetzung (a) mit ausge-
drückt, die keinen Allquantor verwendet; (b) setzt den Allquantor, verzichtet aber
auf den Nezessitiv und setzt statt dessen ein Partizip des Futur ein, so daß eine In-
terpretation im Sinne von 'all dies wird nicht stattfinden' entsteht. Damit steht der
Allquantor aber wieder im Skopus der Negation.
Die Ergebnisse dieses Übersetzungsversuchs lassen - bei aller gebotenen Vor-
sicht - zusammen mit den empirischen Befunden aus den deutschen Texten die
Vermutung zu, daß der Allquantor innerhalb des Skopus der Negation die "default"
Variante darstellt, während andere Lesarten nicht nur deutlich seltener, sondern
auch schwieriger interpretierbar sind und damit leichter zu Mißverständnissen
führen.

(8-3) ein (Numerale):


In Ostdeutschland darf nicht ein Unternehmen untertariflich zahlen, (ts: 1)

Serbische Übersetzung:
(a) U istocnoj Nemackoj ni jedan poslodavac ne sme ispod tarife da placa.
U istocnoj Nemackoj ni
In östlich-fem-Lok-Sg Deutschland-Lok-Sg NEG-und
jedan poslodavac ne
ein(NUM)-mask-Nom-Sg Arbeitgeber-Nom-Sg NEG
sme ispod tarife da placa.
darf-3.Sg.-PRÄS unter Tarif-Gen-Sg daß zahlt-3.Sg.PRÄS.
163

(b) U istocnoj Nemackoj nijedno preduzece ne sme placati ispod tarife.


U istocnoj Nemackoj ni
In ostlich-fem-Lok-Sg Deutschland-Lok-Sg NEG-und
jedno preduzece ne
ein(NUM)-neutr-Nom-Sg Unternehmen-Nom-Sg NEG
sme placati ispod tarife.
darf-3.Sg-PRÄS zahlen unter Tarif-Gen-Sg

In beiden Übersetzungen wird die Kombination ni jedan 'und/auch nicht ein' ge-
wählt, i. e. es wird durch die Setzung eines zusätzlichen, betonten negierenden Ele-
ments, eben der Konjunktion ni, sehr stark auf das Numerale fokussiert. Die
Thema-Rhema-Gliederung entspricht damit völlig der des deutschen Satzes.

Türkische Übersetzung:
(a) Dogu Almanya'da bir §irltet asgari ücretin altmda ücret ödeyemez.
Dogu Almanya'da bir §irket asgari
Osten Deutschland-Lok ein Gesellschaft mindest
ücretin altmda ücret ödeyemez.
Lohn-Gen unter Lohn zahlen-POT-NEG-AOR

(b) Dogu Almanya'da bir i§letme anla$manin altmda ücret veremez.^


Dogu Almanya'da bir i§letme
Osten Deutschland-Lok ein Betrieb
anla§mamn altmda ücret veremez.
Abkommen-Gen unter Lohn geben-POT-NEG-AOR

Im Türkischen sind keine Versuche zu erkennen, von der üblichen Wortfolge ab-
zuweichen; nach der einleitend gesetzten Adverbialbestimmung steht in beiden
Übersetzungen das vom Zahlwort resp. unbestimmten Artikel begleitete Subjekt am
Kopf des Satzes. Die jeweils mit negiertem Potentialis und Aorist wiedergegebene
Negation hat Skopus über den ganzen Satz.

(9) Nicht steht vor der Konjunktion aber:


(...) er kann (...) gefeuert werden, nicht aber zurücktreten, (sp: 29)

Serbische Übersetzung:
(a) (...) on maze biti izbacen, ali ne i da da ostavku.
on maze biti izbacen, ali ne
er kann-3.Sg sein hinausgeworfen-Pass-mask-Sg aber NEG
i da da ostavku
und/auch daß gibt Kündigung-Akk-Sg 54

53
Ein dritter befragter Muttersprachler übersetzte mit Dogu Almanya'da hifbir
i§letme, ucuza § calihtirmamali, wörtlich: Osten Deutschland-Lok Partikel-ein
Betrieb billig Arbeiter arbeiten-Kausativ-NEG-NEC.
164

(b) (...) maze bin opusten, ali se ne maze povuci.


moze biti opusten, ali se
kann- 3. S g sein entlassen-Pass-mask-Sg aber sich
ne moze povua.
NEG kann-3.Sg zurückziehen

Im Serbischen wird in Übersetzung (a) von derselben Möglichkeit Gebrauch ge-


macht, die auch im Deutschen vorliegt: die Negation wird direkt an die Konjunktion
gestellt, der restliche Satz bleibt positiv, wird aber als Nebensatz mit der Konjunk-
tion da 'daß' realisiert, damit die Negation auf ihn einwirken kann. Der Bezug liegt
somit auf dem Verb des übergeordneten Satzes (etwa: 'Er kann entlassen werden,
aber [er kann] nicht kündigen1). In (b) hingegen wird die Negation vor das Verb
des zweiten, hier koordinierten Satzes gestellt.

Türkische Übersetzung:
(a) (...) if ten atilabilir, ama istifa edemez.
igten atilabilir, ama istifa
Arbeit-Abi werfen-PASS-POT-AOR-3.Pers aber Rücktritt
edemez.
machen-POT-NEG-AOR-3.Pers
(b)f...J kovulabilir, fakat istafa etmez.
kovulabilir, fakat istafa etmez.
vertreiben-PASS-POT-3.Pers. aber Rücktritt machen-NEG-AOR

Beide türkischen Übersetzungen negieren erwartungsgemäß das Verb im zweiten


Satz; ein einzelner Negator, der sich zu ama oder fakat 'aber' stellen ließe, ist im
Lexikon der Sprache nicht enthalten.

(10) Diskontinierliche Fokussierung und Negation:


(10-1) So, nur eines geht nicht, (...) (br: 129)

Serbische Übersetzung:
(a) Tako, samo jedno ne ide (...)
Tako, samo jedno ne ide
So, nur ein-neutr-Nom-Sg NEG geht-3.-Sg
(b) Tako da samo jedno ne ide (...)
Tako da samo jedno ne ide
So daß nur ein-neutr-Nom-Sg NEG geht-3.-Sg

54
Die beiden serbischen Wörter otkaz und ostavka geben jeweils die beiden ver-
schiedenen möglichen Richtungen einer Kündigung wieder: otkaz ist die Kündi-
gung, die die übergeordnete Instanz ausspricht, ostavka hingegen die Kündigung
des Arbeitnehmers oder Amtsinhabers.
165

Wortstellung und Wortgebrauch der serbischen Übersetzungen entsprechen völlig


der deutschen Vorlage, mit der einen Ausnahme, daß Übersetzung (b) ein zusätzli-
ches subordinierendes Element da 'daß' setzt. Tako da entspricht dem deutschen so
daß; möglicherweise liegt hier ein Lesefehler vor.

Türkische Übersetzung:
(a) Yolunda olmayan sadece bir §ey var (...)
Yolunda olmayan sadece bir
Weg-POSS-Lok sein-NEG-Partizip bloß ein
§ey var
Sache Existenzmarker
(b) Ama, sadece bir §ey imkansiz (...)
Ama, sadece bir §ey imkansiz
Aber nur ein Sache Möglichkeit-ohne

Übersetzung (a) benutzt ein negiertes Partizip, das an den Anfang des Satzes gestellt
wird, wodurch bir §ey 'eines' deutlich Thematisiert wird; der Satz bedeutet etwa: 'Es
gibt eine Sache, die nicht geht'. Übersetzung (b) hingegen benutzt keine Negation,
sondern das Suffix -siz Ohne', um das deutsche Syntagma wiederzugeben.
(10-2) Doch ganz so einfach ist es nicht, (br: 90)

Serbische Übersetzung:
(a) Bas nije tako sasvim jednostavno.
Bas nije tako sasvim jednostavno.
Gerade NEG-KOP-3.-Sg so ganz einfach-neutr-Nom-Sg
(b) Ipak to nije tako sasvim jednostavno.
Ipak to nije tako sasvim
Doch DEM-neutr-Nom-Sg NEG-KOP-3.-Sg so ganz
jednostavno.
einfach-neutr-Nom-Sg

In beiden Fällen wird die Kombination tako sasvim jednostavno 'so ganz einfach'
benutzt, die aber nicht wie im Deutschen am Anfang des Satzes, sondern am Ende
desselben steht. Das bas vor dem negierten Kopulaverb in Übersetzung (a) ist eine
stark fokussierende Partikel, die im Deutschen mit 'gerade' nur ansatzweise wie-
dergegeben werden kann. Übersetzung (b) fokussiert statt dessen mit ipak 'den-
noch' und setzt das Demonstrativum to 'das'.
Türkische Übersetzung:
(a) Ama aslinda bu kadar basit de degil.
Ama aslinda bu kadar basit de degil.
aber eigentlich DEM so einfach auch NEGKOP
166

(b) Fakat o kadar da basit degil.


Fakat kadar da basit degil.
aber DEM so auch einfach NEGKOP

Demonstrativa benutzen auch die beiden türkischen Übersetzungen (bu resp. ).;
die Negation wird in beiden Fällen durch die negative Kopula degil ausgedrückt.
Das 'so' steht wie im Serbischen und im Deutschen weit von der Negation entfernt.
(10-3) So lange, meint er wohl, wird Clinton sich nicht halten, (sp: 87)

Serbische Übersetzung:
(a) Tako dugo, misli, nece se Klinton drzati.
Tako dugo, misli, nece se
So lange-Adv denkt NEG-wird-3.Sg sich
Klinton drzati.
Clinton halten
(b) Tako dugo se, njegovo je misljenje, Klinton nece odrzati.
Tako dugo se, njegovo je
So lange-ADV sich sein-neutr-Nom-Sg AUX-3.Pers
misljenje, Klinton nece odrzati.
Denken-Nom-Sg Clinton NEG-wird-3.Pers halten

Auch hier gilt, daß die Negation und das 'so' ganz entsprechend dem deutschen
Vorbild weit voneinander getrennt stehen: tako 'so' steht ganz zu Beginn des Sat-
zes, während die im Hilfsverb nece enthaltene Negation in Satz (a) direkt nach der
Paranthese, in Satz (b) sogar erst ganz rechts vor dem Vollverb steht.

Türkische Übersetzung:
(a) Herhalde Clinton 'un bu kadar uzun süre tutunamayacagmi dü§ünüyor olmah.
Herhalde Clinton'un bu kadar uzun
wahrscheinlich Clinton-Gen DEM so lang
süre tutunamayacagmi
Zeit halten-REFL-POT-NEG-FUT-POSS-Akk
düsünüyor olmah.
denken-PRÄS-3 .Pers sein-NEC-3 .Pers
(b) Bu kadar zaman Clinton tutunamaz diye dü$ünüyor herhalde.
Bu kadar zaman Clinton tutunamaz
DEM so Zeit Clinton halten-NEG-POT-Aortist-3.Pers
diye dü§ünüyor herhalde.
Partikel55 denken-PRÄS-3.Pers wahrscheinlich

55
Die Partikel diye ist aus dem Verb demek 'sagen' abgeleitet und dient dazu, das
Ende der zitierten Rede zu markieren.
167

Auch der türkische Satz (b) stellt das 'so lange' an den Satzanfang, während Über-
setzung (a) mit 'wahrscheinlich' einsetzt; die Negation steckt in beiden Fällen im
Verb, das entsprechend der verschiedenen Konstruktion von unterschiedlicher
Komplexheit ist.
Zusammenfassend läßt sich feststellen: für das Deutsche, wo die Negationspar-
tikel ein frei bewegliches, selbständiges Morphem ist, gilt wohl weitgehend, was
Jacobs (1982: 155-182 et passim) bereits anhand zahlreicher Beispiele zu zeigen
versucht hat, nämlich daß sich die Negationspartikel im Hinblick auf ihre Stel-
lungseigenschaften wie ein Adverb resp. wie eine Adverbialbestimmung verhält.
Das heißt aber mit anderen Worten nichts anderes als: die Negation richtet sich nach
den Thema-Rhema-Verhältnissen im Satz, die bereits unabhängig von ihr bestehen.
Daß es wirklich diese Thema-Rhema-Verhältnisse sind, die ganz unabhängig
von den Stellungsmöglichkeiten des Negators den Ausschlag geben, zeigt späte-
stens der Übersetzungsvergleich. Somit ist Bertrand (1991) zuzustimmen, wenn er
schreibt:
II n'est pas necessaire de distinguer entre negation partielle et negation globale. II
n'y a qu'une nogation de toute la proposition: la solidarito des constituants aboutit
ä ce que le refus d'un seul amene ä refuser la totalito de l'assertion. On ne peut
admettre la responsabilito d'un 616ment et l'innocence des autres: la responsabilito
est collective, la partie contamine le tout.

und fortfährt:
Non seulement la distinction entre deux negations n'est pas nocessaire, mais eile
n'est pas utile. Elle masque la solidariti des constituants de la proposition et eile
complique la description de la place de 'nicht'.
Bertrand (1991: 43f.)

Das Phänomen, das den scheinbar unterschiedlichen Negationstypen zugrundeliegt,


wird von Fourquet (1971: 151) folgendermaßen kommentiert: "Es handelt sich hier
um syntaktische Semantik, d. h. um sinnvolle Verbindung sprachlicher Einheiten,
als Darstellung von Beziehungen zwischen Elementen einer (außersprachlichen)
Situation.", und Mrazovic (1982: 85) schreibt: "Die Negationsangaben unterliegen,
wie die meisten Angaben, bei ihrer Anordnung der Gesetzmäßigkeit der Determi-
nation; semantische Faktoren bedingen also ihre Stellung im Satz." Beiden Autoren
kann zugestimmt werden.
Was wirklich vorliegt, ist also die vollständige, funktional gegliederte Bedeu-
tung eines fertigen Satzes, zu der sich dann die Negation gesellt. Sofern die mor-
phologisch-syntaktische Struktur der jeweiligen Sprache dies erlaubt, wird das ne-
gierende Elemente dabei an das Rhema angefügt. Unterschiedliche logische Bezüge
lassen sich daher, wenn überhaupt, so nur in seltenen Ausnahmefällen feststellen.
5 Satzmodus

Im folgenden Kapitel werden die für eine Untersuchung des Zusammenwirkens von
Negation und Interrogation notwendigen Voraussetzungen nunmehr auch auf der
Seite der Interrogation geschaffen. Bevor die beiden Phänomene gemeinsam
betrachtet werden können, müssen sie einzeln analysiert und definiert werden. Für
die Negation ist eine solche Definition in Kapitel 2 erfolgt, und einzelne Fragen
wurden in den beiden Folgekapiteln vertieft; die entsprechenden Untersuchungen
und Festlegungen für die Interrogation werden im folgenden vorgenommen.

5.1 Defmitionsprobleme

Der Weg zur Definition des Begriffes "Satzmodus" und insbesondere zu seiner
Unterscheidung vom eng mit ihm verwandten Phänomen der Illokution ist ausge-
sprochen dornig und gleicht streckenweise dem Versuch, sich durch die Hinder-
nisse und Fallen eines Computerspiels der schwierigeren Art den Weg zum obersten
Level zu bahnen. Mißverständnisse sind geradezu vorprogrammiert,1 und beim
Versuch der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ebenen von Äußerungs-
bedeutungen - sofern eine solche Unterscheidung überhaupt vorgenommen wird:
"Die Vermischung von Form und Funktion ist die Hauptsünde der Modusbehand-
lung in den traditionellen Grammatiken" (GrewendorfyZaefferer 1991: 274, Her-
vorheb, i. O.) - entsteht oftmals ein Replikat der Laokoon-Gruppe: Linguistinnen
in der Rolle Laokoons und seiner Söhne kämpfen mit der Schlange der Bedeu-
tungsebenen. Es besteht offenbar die dringende Notwendigkeit, den Unterschied
zwischen Sprechakt und wörtlicher Bedeutung, zwischen Illokution und Satzmodus
detailliert zu erörtern, bevor er als Grundlage für weitere Untersuchungen und
Überlegungen dienen kann.
Nun ist der Versuch, die verschiedenen Bedeutungsebenen einer Äußerung zu
differenzieren und zu definieren, bereits mehr als einmal unternommen worden, so
daß der erste Schritt notwendigerweise darin bestehen muß, die aktuelle For-
schungslage zumindest grob zu umreißen und dabei vor allem die terminologischen
Gegeben- und Gepflogenheiten zu skizzieren.
"Der Begriff'Modus' ist denkbar vieldeutig", klagt Altmann (1993: 1006), und
dies mag dann wohl auch der Grund dafür sein, daß der Begriff "Satzmodus" von
einigen Autoren abgelehnt und durch andere Termini ersetzt wird, obgleich er neue-
ren Datums ist und seinerseits gerade aus dem Bedürfnis heraus entstand, klare

1
"It appears", kommentiert beispielsweise Meibauer (1991: 454) meinen Aufsatz
von 1986, "that Hentschel confuses the level of literal meaning with the level of
illocutionary meaning." Da im zitierten Text gerade die unterschiedliche Bewer-
tung dieser beiden Ebenen postuliert wird, ist dies ein verblüffender Vorwurf; aber
er kann als guter Beleg für die Verständigungsschwierigkeiten dienen, die auf die-
sem Gebiet offenkundig herrschen.
169

begriffliche Abgrenzungen vorzunehmen.2 Unter den Termini zur Bezeichnung des


Satzmodus und seiner Gegenspielerin, der Illokution, finden sich neben den her-
kömmlichen Begriffen "Satzart" und "Satztyp" des weiteren solche wie "Formtyp"
und "Funktionstyp" (Grewendorf/Zaefferer 1991: 274, Altmann 1993: 1009/1007),
"Strukturbedeutung" (ibd.: 1007), "Positionstyp" (Wunderlich 1976: 73-75),
"wörtliche Bedeutung (eines Satzes)" (ibd.: 100) oder "grammatischer Modus"
(ibd.: 135), "syntaktischer" und "semantischer Modus" (Grewendorf/Zaefferer
1991: 274) oder "kognitive Einstellung" (Bierwisch 1979: 118 et passim) - um nur
einige zu nennen. Um die terminologische Vielfalt komplett zu machen, sind auch
diese Begriffe z. T. nicht nur unterschiedlich, sondern sogar konträr definiert; was
mit den angeführten Bezeichnungen im einzelnen gemeint ist, hängt daher auch bei
scheinbar gut eingeführten Termini wie "Satztyp" oder "Satzart" jeweils völlig vom
Autor ab.
Die Problematik der zugrundeliegenden Unterscheidung soll zunächst an einem
sehr schlichten außersprachlichen Beispiel illustriert werden: Ein Mensch streift
durch die Wildnis und trägt am Gürtel eine Axt, auf dem Rücken ein Gewehr und in
der Hand ein Messer. Normalerweise dient die Axt dazu, Feuerholz zu schlagen,
das Gewehr wird für die Jagd verwendet, und das Messer schneidet Früchte oder
bahnt einen Weg durch das Dickicht. Alle drei Gegenstände können jedoch
selbstverständlich auch dazu verwendet werden, unliebsame Mitmenschen vom
Leben zum Tode zu befördern, und mit etwas Phantasie lassen sich noch unzählige
weitere Verwendungsmöglichkeiten finden: mit dem Messer kann man Figuren
schnitzen oder ein Herz in die Rinde eines Urwaldbaumes schneiden, mit der Axt
kann man Kokosnüsse knacken, die man zuvor mit dem Gewehr von der Palme ge-
schossen hat (...)
Auf die Ebene der Sprache bezogen, entsprächen den verschiedenen Werkzeu-
gen die Satzmodi. Was man mit ihnen tun kann, ist so vielfältig wie das, was die
Werkzeuge im Urwald ausrichten können. Dennoch gibt es zugleich eine primäre,
sozusagen ursprünglich vorgesehene Verwendungsweise für Sätze wie für Werk-
zeuge, und es gibt naheliegende sekundäre Verwendungsmöglichkeiten (wie z . B .
schnitzen) und weniger naheliegende (wie z. B. Herzen in die Baumrinde schnei-
den) für einzelne Werkzeugtypen resp. Satzmodi. Das einzige, was im Bereich der
Werkzeuge mit Sicherheit ausgeschlossen ist, das ist eine versehentliche Identifi-
zierung des Werkzeugs mit der damit ausgeführten Handlung.
Ordnet man die oben angeführten Begriffe entsprechend diesem einfachen Bei-
spiel danach ein, ob sie (zumindest bei der überwiegenden Zahl der Autoren, die sie
verwenden - wie bereits erwähnt, herrscht in der Terminologie leider alles andere
als Einheitlichkeit) eine Beschreibung des Werkzeugs oder eine Beschreibung der

Meibauer (1987: 2) vermutet diesbezüglich: "Daß man neuerdings von Satzmodus


redet und sich dadurch begrifflich von dem traditionellen Terminus Satzart distan-
ziert, ist meinem Eindruck nach gerade auf die Erkenntnis zurückzuführen, daß
der Zusammenhang von Satzarten, Verbmodus und anderen Trägern von Modali-
tät (als Ausdrucksmittel) mit den durch sie ausgedrückten Einstellungstypen und
Sprechakttypen nur zu erforschen ist, indem man versucht, zwischen den verschie-
denen grammatischen und pragmatischen Beschreibungsebenen scharf zu tren-
nen."
170

mit dem Werkzeug ausgeführten Handlung vornehmen, so ergibt sich folgendes


Bild:

Werkzeug: Verwendung:
Satzmodus Illokution
wörtliche Bedeutung Sprechhandlung
Formtyp Funktionstyp
Strukturtyp Handlungstyp
Satztyp Illokutionstyp
sentence type speech act
grammatischer Modus illokutiver Typ
syntaktischer Modus semantischer Modus
Satzart -
ontische Bedeutung -
illokutionäre Rolle
Tabelle l

Eines der Probleme bei der Behandlung dieses Gebietes mag sicherlich auch darin
bestehen, daß es lange Zeit pragmatische Fragestellungen waren, die im Vorder-
grund des Interesses standen. Die Frage nach der Anzahl und der Einzelbestimmung
von Sprechakten überlagerte die nach den Satzmodi, die entweder implizit als
selbstverständlich vorausgesetzt oder aber gänzlich ignoriert wurden. Hinzu
kommt, daß Form und Funktion im idealtypischen Fall sozusagen deckungsgleich
übereinander liegen, i. e. daß das Werkzeug, um im obigen Beispiel zu bleiben,
seinem ursprünglichen Verwendungszweck entsprechend eingesetzt wird:
typischerweise dient beispielsweise ein Satz mit dem Satzmodus "Interrogativsatz"
dazu, den Sprechakt einer Frage zu realisieren.
Nun ist diese Korrespondenz zweier oder mehrerer ganz verschiedener Ebenen
nicht unbedingt ein ungewöhnliches Phänomen, das nur im Grenzbereich zwischen
Satzmodus und Illokution aufträte. Im Gegenteil: es kommt auch in allen anderen
Bereichen der Sprache und ihrer Beschreibung regelmäßig vor, daß ein und dieselbe
sprachliche Erscheinung auf mehreren Beschreibungsebenen erfaßt werden kann.
So kann die lateinische Form 'geh!' je nach Blickwinkel zugleich als Phon, als
Phonem, als Morphem, als Wort, als finite Verbform, als Satz (incl. Modus), als
Sprechhandlung, als abgeschlossene Äußerung und schließlich als Text betrachtet
werden - so etwa in der bekannten und viel zitierten Anekdote von den beiden Rö-
mern,
die eine Wette darüber abgeschlossen hatten, wer den kürzesten Brief verfassen
könne. Der eine schrieb eo rus (ich gehe aufs Land), der andere antwortete i!
(geh!) und hatte gewonnen. Das minimale Element i im Lateinischen kann
nämlich als 2. Pers. Singular des Imperativs Präsens des Verbs eo (ire) alle
höheren Ebenen bis hin zum Text vertreten.
(Coseriu 1981: 28; cf. hierzu auch Weydt 1979: 365)

Aber die Unterscheidung der Ebenen scheint offenbar gerade dort besonders
schwierig zu sein, wo die eine im Grunde existiert, um die andere zu ermöglichen;
171

wenn also beispielsweise der primäre Daseinszweck des Satzmodus des Interroga-
tivsatzes darin besteht, den Vollzug der Sprechhandlung des Fragens möglich zu
machen. Genau aus dieser stellenweisen, sozusagen funktionalen Deckungsgleich-
heit speist sich auch die herkömmliche Definition des Satzmodus, wie sie etwa Sa-
dock/Zwicky (1985: 155) geben: "(...) a coincidence of grammatical structure and
conventional conversational use we call sentence type." (Hervorheb, i. O.).
Damit wäre eine mögliche Definition des Satzmodus gegeben: seine Erfassung
als eine bestimmte, einzelsprachlich mit spezifischen Merkmalen versehene sprachli-
che Form (z. B.: Interrogativsatz), deren primäre Funktion darin besteht, eine be-
stimmte kommunikative Aufgabe (z. B. die der Frage) zu erfüllen. Mit einer sol-
chen, ihrem Wesen nach semantischen Definition scheinen sich jedoch viele nicht
recht anfreunden zu können, und es gibt zahlreiche Versuche, auf andere Kriterien
auszuweichen. "Die unscharfen Grenzen des Formtypbegriffs bilden die nächste
Schwierigkeit.", schreiben Grewendorf/Zaefferer (1991: 274, Hervorheb, i. O.),
und weiter:
Zwar herrscht Einigkeit darüber, daß zur Definition eines Formtyps nur struktu-
rell-grammatische Eigenschaften wie Stellung der Konstituenten, ihre syntakti-
schen Kategorien und Funktionen sowie ihre morphosyntaktischen Eigenschaften,
das Vorkommen von Strukturwörtern und schließlich die Intonation herangezogen
werden dürfen (...), oder negativ und kürzer, daß lexikalische Information (im
Sinne der Stammbedeutung von Wörtern der Hauptkategorien) ausgeschlossen
bleiben muß. Auf der anderen Seite weiß man aber, daß die Grenze zwischen
Funktions- und Inhaltswort und damit zwischen grammatischer und lexikalischer
Bedeutung fließend ist.
(ibd.)

Nun ist m. W. bisher allerdings noch niemand auf den Fehler verfallen, beispiels-
weise eine explizit performative Äußerung wie Hiermit frage ich dich nach der ge-
nauen Uhrzeit als Interrogativsatz oder Hiermit fordere ich dich auf, den Raum zu
verlassen als Imperativsatz im Sinne eines Satzmodus zu interpretieren; insofern
scheint zumindest diese Warnung vor den fließenden Grenzen eher allgemein-ab-
strakter als praktischer Natur zu sein. Viel interessanter als das in Zusammenhang
mit der Beschreibung von Satzmodi denn möglicherweise doch etwas seltener auf-
tretende Problem der Unterscheidung von Autosemantika und Synsemantika ist die
Frage danach, ob die von den Autoren geforderte Beschränkung auf rein formale
Eigenschaften, über deren strukturell-grammatischen Status Einigkeit besteht, Ge-
währ für eine stringente Definition und Beschreibung von Satzmodi bieten kann.
Auf den ersten Blick scheint es natürlich ideal, die Satzmodi einfach an das Vorhan-
densein bestimmter materieller Charakteristika zu knüpfen. Bei genauerem Hinse-
hen verbirgt sich allerdings hinter diesem Ansatz die Schwierigkeit, daß auch eine
ausschließliche Berücksichtigung unstrittiger Funktionsträger insofern keine Lö-
sung des Problems sein kann, als sie ihrerseits bereits eine Definition der Satzmodi
voraussetzt. Mit anderen Worten: bevor man die formalen Mittel beschreiben kann,
die für einen Satzmodus in einer bestimmten Einzelsprache konstitutiv sind, muß
man den Satzmodus als solchen erkannt haben. Da man ihn somit nicht an seinen
erst noch zu beschreibenden einzelsprachlichen Merkmalen erkennen kann: woran
erkennt man dann einen Satzmodus?
172

Einen Weg aus diesem Dilemma suchen Grewendorf und Zaefferer (1991)
darin, die Satzmodi an Wahrheitsbedingungen zu knüpfen. Da es naturgemäß etwas
schwierig ist, die Wahrheitsbedingungen für Interrogativsätze oder Imperativsätze
zu beschreiben, greifen sie auf Nebensätze zurück: "Als wichtigster Schlüssel zur
Semantik der Nicht-Deklarative hat sich die Tatsache erwiesen, daß einige von
ihnen eingebettete Entsprechungen haben (z. B. die Interrogative die sogenannten
indirekten Fragesätze). Deren Semantik, soweit WB-relevant, läßt sich nämlich
dadurch ermitteln, daß sie in wahrheitsfähige Matrixsätze eingebettet werden."
(ibd.: 275). Ist damit das nicht erst seit Frege (cf. 1918a: 143 u. 146f.; 1918b: 62)
immer wieder thematisierte Problem der fehlenden Wahrheitswerte von
Interrogativsätzen gelöst?
Es handelt sich bei dem Vorschlag von Grewendorf und Zaefferer (1991) um
einen auf den ersten Blick möglicherweise interessanten Ansatz, vor allem, wenn
man Sprachen wie das Deutsche oder auch andere indoeuropäische Sprachen
zugrundelegt. Schwieriger wird es indessen, wenn derselbe Ansatz auch auf Spra-
chen angewandt werden soll, die keine Satzeinbettung im Sinne der
indoeuropäischen Sprachen kennen, wie dies etwa im Türkischen der Fall ist. Im
Türkischen können keine indirekten Fragesätze gebildet werden - es sei denn, man
weitet den Satzbegriff so weit aus, daß er auch noch Konstruktionen mit
Verbalnomina wie beispielsweise Kim oldugumu sordu ('Er/sie fragte, wer ich sei1;
wörtlich etwa: 'Mein Wer-Sein erfragte'3) umfaßt. Eine solche Satzauffassung ist
zwar grundsätzlich möglich; sie führt indessen schon im Türkischen zu einer ganzen
Reihe von Problemen und zeitigt zudem spätestens dann höchst unerfreuliche
Konsequenzen, wenn man sie umgekehrt auch auf Sprachen wie das Deutsche
anwenden will. Im Deutschen müßten dann nämlich Sätze wie Das Wandern ist des
Müllers Lust oder Kommende Woche ist Weihnachten nunmehr in Haupt- und
Nebensätze (eingebettete Sätze: das Wandern, kommende) zerlegt werden, und es
wäre dringend zu klären, ob und unter welchen Bedingungen andere deverbative
Nominalisierungen wie z. B. Flug, Lüge oder Verwunderung ebenfalls als
satzwertig anzusehen sind. Angesichts solcher Probleme ist es sicher überzeugend,
den Terminus "Nebensatz" sinnvollerweise zunächst auf finite Konstruktionen zu
beschränken. Damit soll die Möglichkeit, Grenzfälle mit infiniten Konstruktionen -
klassisches Beispiel: der erweiterte Infinitiv - als satzwertig aufzufassen,
keineswegs völlig ausgeschlossen werden. Aber Ausnahmen setzen Regeln voraus,
und Grenzfälle sind nur solche in Bezug auf Fälle, die sich ihrerseits unzweifelhaft
innerhalb bestimmter Grenzen befinden. Solche unzweifelhaften Fälle, die ein
Verbum finitum enthalten, liegen in allen indoeuropäischen Sprachen vor, während
das Vorkommen von erweiterten Infinitiven durchaus nicht in allen Sprachen der
Familie zu beobachten ist. So können beispielsweise Sprachen, die keinen Infinitiv
kennen, wie dies etwa im Makedonischen der Fall ist, natürlich auch keine
Infinitivkonstruktionen bilden; aber auch Sprachen, die über einen Infinitiv und
damit über die materielle Voraussetzung für diese Art von Konstruktion verfügen,

Genauer:
Kimol-dug-um-u sor-du
Wer sein-VN-POSS. 1. Sing.-AKK frag-Vergangenheit, 3. Pers.
173

lassen sie nicht automatisch zu.4 Kurz: der "normale" Nebensatz, den die
indoeuropäischen Sprachen benutzen, enthält ein Verbum finitum; und von diesem
Konstruktionstyp machen wiederum andere Sprachen wie das Türkische grund-
sätzlich keinen Gebrauch. Damit gilt: selbst wenn es grundsätzlich möglich sein
sollte, Satzmodi anhand der Wahrheitswerte von wahrheitsfähigen Matrixsätzen zu
definieren, denen die entsprechenden eingebetteten Sätze untergeordnet werden, so
ist diese Möglichkeit nicht in allen Sprachen gegeben. Wenn nun aber das Verfahren
in Sprachen wie dem Türkischen nicht anwendbar ist - wie kann man dann
Satzmodi in solchen Sprachen erkennen und beschreiben?5
Festzuhalten ist dabei allerdings in aller Deutlichkeit: was theoretisch unter die-
sem Ansatz - und nicht nur unter diesem - ein großes Problem sein mag, ist in der
Praxis natürlich keines. Die mit der Fragepartikel -ml- markierten Interrogativsätze
des Türkischen sind schon anhand der Partikel leicht als solche zu erkennen; und
wie in anderen Sprachen auch, können sie nicht nur Fragen, sondern auch eine
Reihe von anderen Sprechhandlungen ausdrücken. Es scheint eben, wie eingangs
bereits angedeutet, zu den grundsätzlichen Eigenschaften menschlichen Sprechens
zu gehören, daß "(...) any sentence with a conventionally indicated force can be put
to uses other than, or in addition to, the one to which it is conventionally suited
(...)" (Sadock/Zwicky 1985: 155). Nur ist das Definitionsproblem der Interrogative
damit natürlich nicht gelöst.
Profundes Mißtrauen gegenüber der Verwendung von formalen, äußerlichen De-
finitionskriterien wie dem Auftreten bestimmter Morpheme, Wortstellung, Intona-
tion etc. äußern Brandt et al. (1992), wenn sie darauf hinweisen "(...) daß die Ober-
flächenkriterien Verbstellung, Verbmodus, Füllung des Vorfelds durch eine XP-
Phrase (±w-Phrase) eine merkwürdige Klassifizierung ergeben (...)" (ibd.: 4). Fer-
ner "(...) kann man auch nicht durch Hinzunahme des Tonmusters eine eindeutige
und überzeugende Klassifizierung erhalten." (ibd.: 5), und schließlich: "Auch die
Distribution der Modalpartikeln ist kein zuverlässiges Kriterium, weil es sich nur
um eine hohe, aber keine absolute Korrelation zwischen Satztyp und Modalpartikel-

Cf. z. B. deutsche Konstruktionen wie:


Ichi werde versuchen, PROi dir das Buch mitzubringen.
Ich möchte dichi bitten, PROi mir das Buch mitzubringen.
Es ist meinei(?) Pflicht, PROi das zu tun.
die im Serbischen keine Entsprechung finden, cf.:
*Pokusaou ti doneti knjigu.
*Molim te mi doneti knjigu.
?Duznost mi je to uraditi.
aber, mit finitum:
Pokusaou da ti donesem knjigu. ('Ich werde versuchen, daß ich dir das Buch
bringe')
Molim te da mi doneses knjigu. ('Ich bitte dich, daß du mir das Buch bringst')
Duznost mije da to uradim. ('Es ist mir Pflicht, daß ich das tue')
Zu den Folgerungen, die sich aus ähnlichen Befunden im Ungarischen für das
Problem der Kontrolle von PRO und seinem Verhältnis zu pro ableiten lassen, cf.
Brdar Szabo/Brdar (1992). Zu universellen Phänomenen im Zusammenhang mit
dem Gebrauch infiniter statt finiter Verbformen - dort "deranking" genannt - cf.
außerdem auch die Untersuchung von Stassen (1985).
Darüber hinaus wäre auch zu diskutieren, ob und inwieweit die Erfassung und Be-
schreibung indirekter Fragesätze überhaupt mit der direkter Interrogativsätze
gleichgesetzt werden kann.
174

Selektion handelt und die Modalpartikeln darüber hinaus nur selten obligatorisch
sind." (ibd.) Die Autorinnen postulieren statt der Berücksichtigung solcher formaler
Kriterien eine strikte Trennung zwischen einem "grammatischen" und einem
"pragmatischen Modul", die "durch je eigenständige Kenntnissysteme gekennzeich-
net sind, die sich nicht auf die Prinzipien, Einheiten und Regeln des jeweils anderen
Moduls reduzieren lassen." (ibd.: 34) Im einzelnen geben sie beispielsweise die se-
mantische Form des Deklarativsatzes folgendermaßen an:

Be [e INST p]

wobei "e INST p" als "e instantiiert p" zu lesen ist, und 3e die "virtuelle Existenz
des Sachverhalts oder Faktizität" ausdrückt und "nichts mit dem Wahrheitswert des
Satzes zu tun [hat]" (ibd.: 35). Die Formel steht für "wahrheitsfähige Einheiten, die
auf mögliche Welten beziehbar sind." (ibd.: 36). Interrogativsätzen des Typs Ent-
scheidungsfrage, als " -Interrogativsatz" (ibd.: 38) bezeichnet, wird sodann ebenso
wie Interrogativsätzen des Typs Pronominalfrage, die als "w-Interrogativsätze"
(ibd.: 39) bezeichnet werden, ein Merkmal +w zugeordnet, das in der Position von
1° resp. C° auftritt. Daneben wird ein in beiden Intenrogativsatztypen enthaltener
Funktor OFFEN postuliert, "i. e. ein einstelliger propositionaler Funktor wie
NEG." (ibd.: 38). In Anlehnung an die Darstellung bei Brandt et al. müßte ein In-
terrogativsatz des Typs Entscheidungsfrage dementsprechend mit einer Formel wie:

OFFEN [3e [e INST p]]

beschreibbar sein. Eine Pronominalfrage wäre demgegenüber durch die folgende


Formalisierung darzustellen:

[OFFEN x] [3e [e INST p]]

Im Rahmen ihrer Behandlung der Pronominalfrage legen die Autorinnen darüber


hinaus Wert auf die Feststellung, daß bei der Beschreibung von w-Phrasen generell
die Tatsache berücksichtigt werden muß, daß diese nicht nur als Interrogativa,
sondern auch als Indefinitpronomina, Definitpronomina oder Relativpronomina fun-
gieren können (ibd.: 41). Es ist sicher intuitiv einsichtig, daß diese lexikalischen
Mehrfachfunktionen, die durch die Sätze:
Wer schläft?
In der hinteren Reihe schläft wer.
Wer da hinten wieder schläft!
Wer schläft, lügt nicht, (ibd.: 42)

illustriert werden, nicht zufällig sind. Dennoch wäre zu fragen, was diese Beob-
achtung für die Definition des Satzmodus zur Folge hat.6
Die Möglichkeit des Gebrauchs von Interrogativa als Relativa ist auf den deikti-
schen, genauer gesagt kataphorischen semantischen Gehalt dieser Wortart zurück-
zuführen. In der Frage verweist das Interrogativum auf eine vorausgesetzte, vor-

Zudem handelt es sich hier auch keineswegs um Universalien in dem Sinne, daß
jede Sprache einen solchen Gebrauch der Interrogativa zuließe; cf. hierzu im fol-
genden.
175

handene, im gegebenen Kontext aber nicht autosemantisch benennbare (da derzeit


unbekannte) Größe; als Relativum verweist es nur noch auf die vorhandene Entität
zurück.
Grundsätzlich sind Interrogativa aus naheliegenden semantischen Gründen auch
gut dafür geeignet, als Indefinitpronomina Verwendung zu finden; hier liegt die
semantische Gemeinsamkeit darin, daß beide Proformen-Typen eine zwar nicht
genau bekannte, aber als gegeben vorausgesetzte Größe im Satz repräsentieren.
Dennoch kann man es sicher zugleich nicht als Zufall abtun, daß die meisten Spra-
chen zusätzliche Markierungen verwenden, um Indefinitpronomina von Interroga-
tiva zu unterscheiden; cf. z. B.:
deutsch:
wer/irgendwer
was/etwas
wie/irgendwie
wo/irgendwo
etc.
serbisch:
ko 'wer'/rttf/to 'jemand'
sto 'v/as'/nesto 'etwas'
kako 'wie'/nekako 'irgendwie'
gde 'wo'/negde 'irgendwo'
kuda 'woh'm'/nekuda 'irgendwohin'
odakle 'woher'lodnekle 'irgendwoher'
etc.7

türkisch:
kirn 'werV&mtse 'jemand'
ne 'was'/(&/> §ey 'etwas')
nasil 'v/'\e7(herhangi bir §ekilde 'irgendwie')
nerede 'wo'/(herhangi bir yerde 'irgendwo')
etc.8

Während das Deutsche zumindest in der Umgangssprache den Gebrauch von un-
markierten Interrogativa als Indefinitpronomina zuläßt, ist dies im Serbischen9
ebenso wie im Türkischen ausgeschlossen. Insofern ist auch der sprachliche Be-

Neben den Formen auf ne- existieren in einigen - nicht in allen - Fällen auch
solche auf /-; cf. iko, igde 'irgendwer' 'irgendwo' (vergleichbar engl. any-).
Wie sich zeigt, verwendet das Türkische recht durchgehend andere Formen und
Wendungen für Indefinitpronomina und -adverbien als für Interrogativa; nur im
Falle von kirn 'wer' läßt sich eine mit dem Konditional-Suffix gebildete Ableitung
kimse 'irgendwer' beobachten.
Ausführliche Listen mit den verschiedenen Formen von Interrogativa und Indefi-
nitpronomina in mehreren europäischen Sprachen finden sich bei Haspelmath
(1994); hier zeigt sich die Markierung des indefiniten gegenüber dem interrogati-
ven Gebrauch sehr systematisch.
Möglich ist in bestimmten Kontexten im Serbischen hingegen der Gebrauch als
attributives Indefinitpronomen beim (ebenfalls attributiven) Interrogativum koji
'welcher', das auch als Relativum fungiert: Dosao je koji tip 'Da ist so ein Typ ge-
kommen'; cf. hingegen den selbständigen Gebrauch des Pronomens als Relativum:
Tip koji je dosao 'Der Typ, der gekommen ist'.
176

fund nicht unbedingt oder schon gar nicht in der postulierten Eindeutigkeit dazu
geeignet, die von Brandt et al. (1992) geforderte Gleichbehandlung von Interroga-
tiva und Indefinitpronomina zu rechtfertigen. Auf der Suche nach einer adäquaten
Erfassung des Satzmodus führt dieser Weg jedenfalls nicht weiter.
Unter Bezugnahme auf die von Brandt et al. (1992) vorgelegte Notation mit dem
Operator OFFEN entwickelt Rehbock (1992: 176) Vorschläge für die Beschreibung
eines "nicht-einstellungsbezogenen Interrogativsatzmodus". Er hält eine Notation
3/-i 3e für angemessen, da sie die gleichzeitige Möglichkeit des Zutreffens wie
auch des Nichtzutreffens der in der Interrogation enthaltenen Proposition, die in
dieser Notation als "e" erscheint, darstellt (cf. ibd.: 176). Allerdings wird bei einer
solchen Darstellung nunmehr erklärungsbedürftig, wie dann negierte Interrogatio-
nen zu interpretieren sind, bei denen sich die Negation auf die Proposition bezieht,
also etwa Fragen wie Bist du immer noch nicht satt? (cf. hierzu unter Punkt 6. l).
Aber die Frage, die m. E. zuallererst geklärt werden muß, ist eine ganz andere.
Sie lautet: Welchem methodischen Verfahren sind z. B. Brandt et al. oder Rehbock
gefolgt, um zu ihrem Ergebnis zu kommen? Sind sie induktiv vorgegangen, haben
sie also eine Anzahl von Sätzen gesammelt und aus ihnen diese semantische Form
abgeleitet? Falls ja: nach welchen Kriterien wurden die Sätze ausgewählt, die in die
Beispielsammlung Eingang fanden? Woher wußten sie beispielsweise, daß es sich
bei den Sätzen, die sie als Gegenbeispiele für die von anderen aufgestellten Regeln
angeführt haben, um Interrogativsätze handelt? Oder sind sie umgekehrt, also de-
duktiv, vorgegangen und haben eine Theorie des Interrogativsatzes entwickelt, an-
hand derer man dann feststellen kann, ob er in einer Einzelsprache vorkommt und
mit welchen Mitteln er dann realisiert wird? Ein Indiz gegen eine solche Vorgehens-
weise stellt indessen schon die Tatsache dar, daß die Autorinnen sich sehr stark an
ihrem Beispielmaterial orientieren, das zugleich als Beweismaterial dient. Explizit
gemacht wird jedenfalls weder das eine noch das andere methodische Verfahren,
und die sehr triviale, aber doch auch grundliegende Frage, wie der Gegenstand der
Untersuchung überhaupt erkannt und von anderen Gegenständen isoliert wurde,
bleibt unbeantwortet.
Es ist es bemerkenswert, daß ein sprachliches Phänomen, das derartig unzuver-
lässig ist, daß man es an keinerlei äußeren Merkmalen festmachen kann, zugleich
mit hoher Präzision erfaßt und logisch genau beschrieben werden kann. Die Sicher-
heit und Selbstverständlichkeit, mit der Linguistinnen und Linguisten nicht nur In-
terrogativsätze als solche erkennen, sondern auch metasprachliche Beschreibungen
wie "In Sprache Z werden Fragesätze durch die Fragepartikel xy markiert" äußern
und verstehen können, steht im krassen Gegensatz zu den Problemen bei dem
Versuch, den so beschriebenen Satztyp abstrakt zu definieren. Vielleicht waren es
solche Überlegungen, die Gethin (1990) dazu brachten, in seinem bitteren Rund-
umschlag gegen die moderne Lingustik in Bezug auf formalisierte Beschreibungs-
ansätze folgendes zu schreiben: "In other words, all these systems, whether it is
phrase structure grammar, or transformational grammar, or anything else, are
nothing more-than codes that they [i. e. the linguists, E.H.] want to translate, or
rather force, language into. One code is better than another if it 'accounts for', that
is, provides signs for, is able to codify, more aspects of a language. But these
codes do not tell us anything or about anything we didn't know before; they explain
nothing and get us nowhere." (ibd.: 26).
177

Doch zurück zum Definitionsproblem. Ansätze wie der von Brandt et al. gehen
offensichtlich von zwei Voraussetzungen aus: erstens davon, daß sich der Satzmo-
dus unabhängig von der Sprecherintention beschreiben läßt, und zweitens davon,
daß eine Berücksichtigung des Kontexts dabei nicht nötig ist. Nun findet sich die
Forderung, sprachliche Phänomene unabhängig von ihrem aktuellen Kontext zu
beschreiben, in der Linguistik häufiger und spielte insbesondere beim Versuch,
formale Regelapparate zur Generierung und Erkennung von natürlichsprachlichen
Texten zu finden, eine bedeutende Rolle ("kontextfreie Regeln" und "kontextfreien
Grammatiken" lauten die entsprechenden Stichwörter). Die Forderung nach dem
"Nullkontext" wurde von Katz (1977) erhoben; er spielt - gelegentlich auch als
"neutraler Kontext" (so etwa Bierwisch 1979) bezeichnet - auch bei zahlreichen
anderen Autoren eine Rolle, während wieder andere ihn strikt ablehnen, wobei die
Diskussion darüber gelegentlich skurille Züge annimmt. So macht etwa Meibauer
(1986a: 20) gegen die Konkretisierung der Annahme einer kontextfreien Äußerung
in Form eines anonymen Briefes, wie sie Katz (1977) vorgeschlagen hat, als ersten
von insgesamt fünf Punkten den folgenden Einwand: allein schon das Wissen "Der
Satz S gehört zu einer Sprache L" sei ein Stück Kontext, und damit sei eine kontext-
freie Interpretation der Bedeutung nicht mehr möglich. Wenn man erst einmal so
weit gekommen ist, muß man aber auch noch einen Schritt weiter gehen, denn es
gilt zu bedenken: die Tatsache, daß jeder Satz von einem materiellen Medium getra-
gen wird, seien es Luft und Schallwellen oder beispielsweise - wie im Falle des
anonymen Briefes - ein Blatt Papier und die darauf befindliche Spur einer chemi-
schen Verbindung wie z. B. von Tinte, gehört ebenfalls zum Kontext - und dies
möglicherweise sogar noch in weit stärkerem Maße, als es die Zuordnung zu einer
Sprache tut. Der Rezipient einer sprachlichen Äußerung muß nicht notwendig in der
Lage sein, eine bewußte Zuordnung von S zu einer bestimmten Sprache L vorzu-
nehmen; es kann z. B. sein, daß er als Bilingualer in wechselnden Sprachen kom-
muniziert (und im Nachhinein nur den Inhalt wiedergeben könnte, ohne sich daran
zu erinnern, in welcher Sprache die Mitteilung erfolgt ist), so daß das entsprechende
sprachliche Wissen statt mit "Der Satz S gehört zur Sprache L" besser mit "Dieses
akustische/graphische Phänomen ist eine mir verständliche sprachliche Äußerung"
angesetzt werden könnte. Aber unabhängig von diesen Einwänden: wenn man den
Begriff "Kontext" in einem derartig weit gefaßten Sinne interpretiert, dann existiert
im gesamten Weltall kein einziges kontextfreies Elektron, geschweige denn eine
kontextfreie sprachliche Äußerung, und damit hätte der Begriff jeglichen Sinn verlo-
ren.
Wenn "kontextfrei" ein anwendbarer Begriff sein soll, dann muß er offensicht-
lich anders definiert werden. Eine solche Definition könnte etwa folgendermaßen
lauten: "'Kontextfrei' bedeutet, daß nur die unabdingbar notwendigen Vorausset-
zungen für die Produktion einer sprachlichen Äußerung vorhanden sind: ein mate-
rieller Träger, ggf. ein graphischer Code sowie eine oder mehrere Sprachen, zu der
die geäußerten Elemente gehören."
Erst bei einer solchen Defintion von "kontextfrei" wird auch deutlich, warum
dieser Begriff für die Bestimmung von Satzmodi eine Rolle spielt. Während näm-
lich Sprechhandlungen ohne Kontext nicht unbedingt interpretierbar sind, kann ein
Satzmodus auch dann, wenn jeder weitere Kontext fehlt, als solcher erkannt wer-
den. Daß ein Satz wie 'Wo bist du?' (im Serbischen: Gde si?) u. U. dem Ausdruck
178

der freudigen Überraschung beim Wiedersehen dient oder daß - um ein Beispiel
von Bartha (1995: 86) zu zitieren - die Äußerung Haben Sie Feuer? möglicherweise
eine Aufforderung ist, dem Sprecher Streichhölzer oder ein Feuerzeug zur Verfü-
gung zu stellen, kann nur mithilfe des Kontextes interpretiert werden, der in diesen
beiden Fällen auch Kenntnisse des allgemeinen kulturellen Hintergrundes impliziert.
Aber daß es bei beiden Sätzen vom Satzmodus her Interrogationen vorliegen, das
läßt sich in der Tat ohne weitere Kontextinformationen feststellen. Ein anderes Bei-
spiel: der Satz Imas U olovku? 'Hast du einen Stift?' kann eine Aufforderung sein,
wenn die sprechende Person nämlich gerade vergeblich nach einem Schreibwerk-
zeug gesucht hat, aber ganz genauso eine schlichte Frage, beispielsweise wenn sie
jemandem etwas am Telefon diktieren will.10 Abermals gilt unabhängig von
Kontext und Sprechhandlungsintention, daß es sich um eine Interrogation des Tpys
"Entscheidungsfrage" handelt.

5.2 Satzmodi und andere Bedeutungsebenen des Satzes

Um zu einer handhabbaren Definition von "Satzmodus" zu gelangen, sollen nun-


mehr zunächst die folgenden drei Bedeutungsebenen (oder -typen) unterschieden
werden:
- die propositionale Bedeutung oder Proposition. Sie setzt sich aus dem syntak-
tisch strukturierten Ganzen1! der lexikalischen Elemente eines Satzes zusammen
und bleibt beispielsweise in den drei Sätzen Maja kommt/Kommt Maja?/Maja,
komm! identisch.
- der Satzmodus. In den obigen drei Beispielsätzen Maja kommt/Kommt
Maja?/Maja, komm! liegen drei verschiedene Satzmodi vor: Assertion,
Interrogation, Imperativ.
- die illokutive Bedeutung; hier beispielsweise Behauptung, Frage und Aufforde-
rung.

Unter Proposition soll also durchaus das verstanden werden, was auch Searle
(1965/1972) als solche definiert hat: eine Ebene der Satzbedeutung, die unabhängig
von Satzmodus und Illokution besteht (cf. ibd.: 158 f.), also hier beispielsweise die
Zuordnung einer handelnden Person (Maja) und einer Handlung (kommen) zuein-
ander. Daß eine solche Ebene der Proposition gibt, ist im Grunde unstrittig, auch
wenn die Bezeichnung und die Art der Beschreibung mitunter voneinander abwei-
chen.12 Ausgesprochen strittig ist hingegen die Unterscheidung von Satzmodus und

10
Im Deutschen würde eine Aufforderung dieses Typs meistens durch Hinzufügung
der Partikel mal markiert (cf. Hast du mal 'nen Stift?); cf. hierzu auch Hentschel
(1991). Unter bestimmten Bedingungen, wenn etwa bereits ähnliche Aufforderun-
gen vorausgegangen sind, lassen sich aber auch im Deutschen Aufforderungen des
Typs Hast du 'nen Stift? beobachten.
1!
Bewußt wird hier nicht von der "Summe" der lexikalischen Einheiten gesprochen,
denn die Proposition wird nicht von ihrer summarischen Anreihung, sondern
durch die Beziehungen hergestellt, die die Wörter untereinander eingehen; dies
soll durch den Zusatz "syntaktisch strukturiert" zum Ausdruck gebracht werden.
12
Beispielsweise hat Wunderlich (1976) einen Begriff von Proposition, der sich nicht
mit dem von Searle deckt: für ihn weisen z. B. nur bestimmte Deklarativsätze eine
179

Illokution, die ja zudem, wie bereits erwähnt, sehr eng miteinander zusammenhän-
gen. Besonders deutlich wahrnehmbar wird der Unterschied zwischen den beiden
Ebenen aber naturgemäß gerade dann, wenn Satzmodus und Illokution auseinan-
derklaffen. Ein solcher Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn Interrogationen als
Aufforderungen benutzt werden, also etwa in Äußerungen wie "Würdest du bitte
das Fenster schließen?". Dieses Phänomen ist bei Searle (1990) unter der Bezeich-
nung "indirekter Sprechakt" beschrieben worden; das "Indirekte" daran ist aber nur,
daß der Satzmodus nicht für seine primäre Funktion im Bereich der Illokution (im
vorliegenden Beispiel: als Frage) verwendet wird.
Die grundlegende und sehr wichtige Unterteilung in drei Bedeutungsebenen soll
nochmals verdeutlicht werden. Daß nicht alle Interrogativsätze dieselbe propositio-
nale Bedeutung haben, daß also beispielsweise Hast du dieses Buch gelesen? kei-
neswegs dasselbe bedeutet wie Hast du schon zu Mittag gegessen?, steht außer
Zweifel. Daß diese beiden Sätze wiederum auch nicht mit Lies dieses Buch! oder Iß
zu Mittag! identisch sind, kann sicherlich ebenfalls als unstrittig angenommen
werden. Damit wären aber notwendigerweise bereits zwei Bedeutungsebenen
festzustellen: die propositionale Bedeutung und eine weitere, die den Interrogativ-
und den Imperativsatz unterscheiden. Diese zweite Bedeutungsebene wird oft vor-
schnell bereits auf der Ebene der Pragmatik angesiedelt, da ja in der Tat die primäre
Funktion etwa des Satzmodus Interrogation darin besteht, zum Ausdruck des
Spechaktes der Frage verwendet zu werden. Es ist aber keineswegs so, daß alle
Interrogativsätze zugleich auch der Sprechhandlung der Frage Gestalt verleihen
müssen - man kann mit formalen Interrogationen wie: Gibst du mir ein Bonbon ab?
den illokutionären Akt der Aufforderung vollziehen. Daher verbietet sich eine Iden-
tifizierung von Satzmodus und Illokution, es sei denn, man erklärt die äußere Form
eines illokutiven Aktes für beliebig und irrelevant, vertritt also eine Sichtweise, die
sich verkürzt etwa als: "Illokution hängt vom Kontext ab; äußere Form ist dabei
völlig gleichgültig und äußert sich höchstens in einer gewissen statistischen Bevor-
zugung bestimmter Formen - etwa Verb-Erststellung im Deutschen - für bestimmte
Sprechakte" wiedergeben läßt. Aber ein derartiger Ansatz stößt auf das Problem,
daß es generell möglich ist, auf die Ebene des Satzmodus statt auf die der Illokution
zu reagieren. Warum ist es möglich, die Äußerung Kannst du mir sagen, wie spät
es ist? böswilligerweise mit Ja! und Schweigen zu beantworten? Festzuhalten ist da-
bei, daß eine solche "falsche" Interpretation der Äußerung an den Satzmodus ge-
bunden ist; mit anderen Worten: erst der vorliegende Satzmodus der Interrogation
macht es möglich, den Sprechakt der Frage zu unterstellen, der ja die pragmatische
Standardfunktion eines Interrogativsatzes darstellt, und dann wie auf eine Frage zu
reagieren. Eine solche Reaktion ist zwar nicht situationsadäquat, aber in sich lo-
gisch, da sie sich auf den Satzmodus bezieht. Demgegenüber sind aber Kommen-
tare wie beispielsweise "Das siehst du ganz richtig" oder "Genau!" ausgeschlossen,
da sie eine Interpretation der Äußerung als Assertion voraussetzen würden; dieser
Satzmodus liegt jedoch nicht vor. Eine derartige Reaktion ist aber sehr wohl mög-
lich, sobald die Bitte um das Benennen der Uhrzeit als Assertion geäußert wird. Ein

Proposition auf, W-Interrogativsätze hingegen haben sog. "Prädikatsbegriffe", Im-


perativsätze eine "offene Proposition" etc. Cf. hierzu Wunderlich (1976: 70).
180

entsprechender Dialog könnte etwa lauten: A: "Du könntest mir sagen, wie spät es
ist." B: "Das siehst du ganz richtig'V'Ganz recht, das könnte ich (...)" o. ä.
Ein weiteres Beispiel für die unterschiedliche Wahrnehmungsebene für Satzmo-
dus und Sprechakt stellt das folgende (authentische) interkulturelle Mißverständnis
dar, das einer Ratgeber-Sendung des BBC entnommen wurde: eine ausländische
Haushaltshilfe antwortete mit 'nein' auf das "Would you like to make the salad
now?" der britischen Hausherrin. Das Hausmädchen interpretierte would you like
? ganz wörtlich als die Frage nach einem Wunsch oder einer Neigung, da ihr das
Kontext-Wissen fehlte, auf Grund dessen sie entscheiden könnte, daß es sich hier
um eine übliche Form der höflichen Aufforderung handelt. Einmal als solche er-
kannt, sind die Mechanismen, die diesen speziellen Sprechakt bestimmen, natürlich
leicht zu erklären: es handelt sich um eine ritulisierte Form des face-keeping. Da
Befehle, die man anderen erteilt, gesichtsbedrohende Akte sind, gehört es zur
grundsätzlichen Technik des Sprechens, diesen direkten Affront zu vermeiden;
diese Technik kann sich in einzelnen Sprachen dann allerdings unterschiedlicher
konkreter Mittel bedienen. Für das zitierte englische Beispiel besteht die Umgehung
der Gesichtsbedrohung darin, daß die geforderte Handlung als Wunsch der Person
dargestellt wird, die sie ausführen soll. Wenn sie nun nach diesem angeblichen
Wunsch gefragt wird, kann sie die geforderte Handlung ihrerseits ohne Gesichts-
verlust ausführen: sie macht sozusagen deshalb Salat, weil sie es selbst gerne
möchte, und nicht etwa, weil man ihr den Befehl dazu erteilt hat.13 Aber die hier im
Englischen angewandte Strategie, die Gesichtsbedrohung zu minimieren, ist nicht in
allen Sprachen gleichermaßen geläufig. Da die Muttersprache der Hausangestellten
offenbar andere Strategien benutzt, konnte sie den an sie gerichteten Sprechakt nicht
identifizieren - wohl aber die wörtliche Bedeutung dessen, was man zu ihr gesagt
hatte: sie erkannte den Satzmodus Interrogation und ordnete ihm automatisch seine
primäre Funktion, die der Frage, zu.
Für die Definition des Satzmodus bedeutet dies, daß man um eine semantische
Bestimmung nicht herumkommt: Satzmodi sind sprachliche Markierungen auf Satz-
ebene, die zwischen der Proposition und der Illokution vermitteln, indem sie für
bestimmte grundlegende illokutive Akte standardisierte Ausdrucksformen zur Ver-
fügung stellen.
Mit den drei hier definierten Ebenen der Satzbedeutung sind natürlich noch lange
nicht alle Unterscheidungsmöglichkeiten erfaßt. Was beispielsweise noch nicht be-
rücksichtigt ist, aber in der Praxis eine ungeheuer große Rolle spielt, ist - wie ja
auch die in 4.3 vorgestellten Untersuchungen gezeigt haben - die Thema-Rhema-
Relation im Satz. Sie wird sozusagen im nächsten Schritt wirksam, nachdem die
propositionale Bedeutung und der Satzmodus hergestellt sind. Da es Sätze ohne
Thema-Rhema-Relation in Wirklichkeit nicht gibt, ist eine hiervon abstrahierte
Ebene natürlich nur ein theoretisches Konstrukt. Dennoch kann man eine solche
präfunktionale oder strukturelle Ebene, die hier als Basisbedeutung bezeichnet
werden soll, zu Erklärungszwecken annehmen. Es bedarf einer propositionalen wie
auch einer satzmodalen Bedeutung, um die darauf wirksam werdende funktionale
Satzbedeutung beschreiben zu können, genauso wie man eine propositionale Be-
13
Eine ausführliche Auflistung solcher Höflichkeitsregeln, mittels derer der drohende
Gesichtsverlust des Gegenübers abgewendet werden kann, findet sich bei
Brown/Levinson (1988).
181

deutung annehmen muß, um dann den zugehörigen Satzmodus zu beschreiben. Der


Ausdruck der Thema-Rhema-Perspektive im Satz muß in vielen Sprachen schon aus
formalen Gründen auf die Basisbedeutung aus Proposition und Satzmodus auf-
bauen, da beispielsweise im Deutschen auf allen drei Ebenen die Wortstellung als
Ausdrucksmittel Verwendung findet. Dabei ist der Ausdruck der synaktischen Re-
lationen oder Theta-Rollen, die für den Aufbau einer Proposition notwendig sind,
offenkundig vorrangig, wie verkürzte Äußerungen des Typs Mann biß Hund vs.
Hund biß Mann zeigen. Auch als Ausdrucksmittel des Satzmodus ist die Wortstel-
lung in nicht morphologisch markierten Sätzen zulässig; cf. Biß Hund Mann? vs.
Biß Mann Hund? Spielraum für das bei morphologischer Markierung der Kasus
mögliche Mittel der Umstellung zum Ausdruck der Thema-Rhema-Relation (cf. Den
Hund biß der Mann) gibt es hingegen in solchen Sätzen nicht; die Sicherung der
beiden ersten Bedeutungsebenen, die deshalb hier als Basisbedeutung bezeichnet
werden, erscheint damit in der sprachinternen Hierarchie als der funktionalen
Satzperspektive übergeordnet.
Aber damit sind noch nicht alle Beschreibungsebenen einer Äußerung erfaßt.
Auch die Ebene der Pragmatik ist mit der einfachen Beschreibung des ausgeführten
Sprechaktes noch lange nicht erschöpfend beschrieben. Indem man einen bestimm-
ten Sprechakt ausführt, definiert, festigt oder verändert man stets auch zugleich die
eigene Position und Einstellung gegenüber dem Gesprächspartner. Eine Frage nach
dem Befinden kann beispielsweise über den Sprechakt des Fragens hinaus, den sie
zweifellos darstellt, ein Akt der Höflichkeit sein, sie kann eine phatische Funktion
erfüllen, oder sie kann beispielsweise Anteilnahme, Interesse und Mitgefühl der
Sprecherin ausdrücken. Diese Ebene der Bedeutung könnte man als Facilokution
bezeichnen (im Sinne eines 'Verhaltens angesichts des anderen1). Das Typische an
pragmatischen Funktionen ist, daß sie sich sämtliche anderen Ebenen zunutze ma-
chen, und dies gilt für die Facilokution sicher in besonderem Maße: von der Wahl
der Lexeme über den Satzmodus bis hin zu paralinguistischen und nonverbalen
Signalen wird hier der gesamte Kommunikationsakt interpretiert. So spielt bei-
spielsweise das Hinzufügen (oder Weglassen) von Abtönungspartikeln eine ganz
wesentliche Rolle, deren Semantik oft überhaupt erst auf der Ebene der Facilokution
wirksam wird (cf. z. B. Hentschel/Weydt 1983). Bei der Äußerung einer Aufforde-
rung können Abtönungspartikeln, Konjunktiv, Modalverb, der Interrogativmodus -
also z. B. Könnten Sie vielleicht mal (...)? (cf. hierzu auch Weydt 1983), ferner
eine eher geringe Lautstärke und ein freundliches Lächeln zusammenwirken; all dies
zusammen macht aus der Aufforderung eine höfliche Bitte.

5.3 Sind Satzmodi Uni versahen?

"It is in some respects a surprising fact that most languages are similar in presenting
three basic sentence types with similar functions and often strikingly similar forms.
These are the declarative, interrogative, and imperative." schreiben Sadock/Zwicky
(1985: 160). Dabei ist hervorzuheben, daß sie von "most languages" und nicht etwa
von allen Sprachen sprechen. Dies ruft naturgemäß die folgenden Fragen hervor:
- Verfügen manche Sprachen über weniger als diese drei Satzmodi?
182

Hieran schließt sich die Frage an:


Haben manche Sprachen gar keine Satzmodi?

- Gibt es Sprachen, die mehr als drei Modi haben?


Hieran schließt sich die Frage an:
Wieviele Satzmodi kann es maximal geben?

Eine empirische Untersuchung zu diesen Problemen existiert m. W. bisher nicht


und kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nicht geleistet werden. Dennoch
lassen sich hier einige grundsätzliche Überlegungen anstellen:
Man kann annehmen, daß es Sprachen gibt, die ohne Satzmodi auskommen
resp. besser: sich auf einen beschränken, ganz genauso, wie es Sprachen zu geben
scheint, die ihren Bestand an kategorematischen Wortarten auf eine einzige, nämlich
das Verb, begrenzen (cf. Bußmann 1990: 355). Bei den Wortarten kann man von
einer nur in einer Richtung gültige Implikationsreihe ausgehen: Wenn eine Sprache
Adjektive (PO hat, so hat sie auch Substantive (P2); wenn eine Sprache Substantive
hat, so hat sie auch Verben (Q), also PI z> ?2 ^> Q (nicht aber Q z> P2 ^> PI). Es ist
anzunehmen, daß sich dieses Prinzip auf die Satzmodi übertragen läßt; der
grundlegenden Rolle des Verbs bei den Wortarten entspräche hier dann die des As-
sertionssatzes, und vieles spricht dafür, daß der Imperativsatz etwa die Stellung des
Adjektivs einnimmt. So gibt es Sprachen, die den diesem Satzmodus zugrundelie-
genden verbalen Modus Imperativ gar nicht kennen, beispielsweise das Apache.14
Wenn somit A für Assertion, I für Interrogation und Im für Imperativsatz steht, so
ergäbe sich:

I m =) I => A.

Auch für die zweite Frage, die nach der maximal möglichen Anzahl der Satzmodi,
läßt sich der Vergleich mit den Wortarten heranziehen. Die Zahl aller Wortarten ei-
ner Sprache, kategorematische, synkategorematische und deiktische, ist zwar nicht
im eigentlichen Sinne auf eine Maximalgröße begrenzt - hier sind keine präzisen
Voraussagen möglich, und gerade Synkategorematika können bei analytischem
Sprachbau sehr zahlreich werden -; dennoch handelt es sich mit Sicherheit um eine
eher kleine Zahl. Sprachen mit hunderten von Wortarten sind auch bei viel
Phantasie schlecht vorstellbar. Wenn man die Frage nach der Anzahl der möglichen
Wortarten auf Kategorematika beschränkt, fällt die Antwort noch deutlicher aus:
Verben, Substantive, Adjektive, eventuell noch Adverbien - aber darüber hinaus?
Offenbar gibt es maximal vier kategorematische Wortarten (cf. hierzu auch
Hentschel/Weydt 1995). Überträgt man diese Feststellung auf die Satzmodi, so
ergibt sich: zur Basis-Trias Assertion, Interrogation, Imperativsatz können Wunsch-
oder Optativsätze (cf. z. B. Wenn nur schon alles vorbei wäre!) sowie
Exklamativsätze (cf. z. B. Was du nicht sagst!) hinzutreten. So wie Adverbien in
vielen Sprachen - das Deutsche, das Serbische und das Türkische bilden hier keine
Ausnahme - eine sehr beschränkte Wortart darstellen, deren syntaktische Funktion
durch Adjektive mit morphologischer Markierung (wie im Serbischen) oder auch

14
Mündliche Auskunft von M.-L. Liebe-Harkort, Berlin.
183

ohne eine solche (wie im Deutschen und Türkischen) erfüllt werden kann, scheint
auch der Bereich der Exklamativ- und Optativsätze dazu zu tendieren, von anderen
Satzmodi mit ausgedrückt zu werden. Insbesondere im Hinblick auf Exklamationen
scheint eine universelle Möglichkeit darin zu bestehen, hierfür Interrogative des
Typs Bestimmungsfrage zu verwenden, cf. z. B.:
englisch: What a day!
französisch: Quelle idee!
russisch: Kakaja krasata! ('Wie schön!')
serbisch: Kakva priöa! ('Was für eine Geschichte!')
türkisch: Ne enteresan! ('Wie interssant!')
etc.; cf. hierzu im folgenden (Punkt 6.2).

Bei den Wortarten gilt, daß die Funktion "fehlender" Wortarten - wobei sich das
"Fehlen" ja nur im Hinblick auf andere Sprachen ergibt - einfach durch eine andere
Wortart, die vorhanden ist, mit übernommen wird. Wenn es keine Adjektive im
traditionellen Sinne gibt, wird ihre Funktion häufig durch Substantive übernom-
men. Dafür, daß die Trennungslinie zwischen Adjektiv und Substantiv undeutlich
sein kann, ist das Türkische ein gutes Beispiel. Grundsätzlich kongruieren attributiv
gebrauchte Adjektive im Türkischen weder im Kasus noch im Numerus mit ihrem
Beziehungswort; Kongruenz im Genus ist ohnehin ausgeschlossen, da das Türki-
sche keine grammatischen Genera kennt. Adjektive können jederzeit - ohne eine
zusätzliche Markierung im Sinne einer "Substantivierung" - als Substantive ver-
wendet werden und tragen dann dieselben Affixe wie Substantive. Auch die Kom-
paration wird nicht am Adjektiv markiert, sondern durch einen Ablativ des Ver-
gleichwortes (cf. z. B. kur§undan agir 'Blei-Ablativ schwer' = 'schwerer als Blei')
bzw. durch den zusätzlichen Gebrauch von daha 'mehr' (daha agir 'mehr schwer',
'schwerer') und im Superlativ durch den Gebrauch der Partikel en 'am meisten'
ausgedrückt.
So wie die Grenzen zwischen Adjektiven und Substantiven verwischen können,
kann auch die Trennungslinie zwischen Assertionssatz und Interrogativsatz in ein-
zelnen Sprachen unscharf werden. Wenn etwa für das moderne gesprochene Fran-
zösische beobachtet wird, daß zunehmend Assertionen, sog. Intonationsfragen, die
Funktion von Interrogativsätzen übernehmen, dann läge hier ein solcher Fall vor.
Entsprechend ist beispielsweise bei Kerbrat-Orecchioni (1992) von einem
"Kontinuum" der französischen Satztypen die Rede, das Interrogation und Asser-
tion umfaßt (cf. hierzu auch Weydt 1985).
Gerade das Französische mit seiner Tendenz zur Intonationsfrage ist ein sehr
gutes Beispiel für das Phänomen, daß die Grenzen sich verwischen können. Wenn
zunächst der Anschein entsteht, daß die syntaktische oder lexikalische Markierung
der Interrogation, also die Frontstellung des Verbs (cf. Auriez-vous un moment?)
oder die Verwendung von est-ce que, durch den Einsatz eines suprasegmentiellen
Merkmals, eben der Intonationskurve mit ansteigender Tonhöhe, ersetzt wird, so
zeigt sich bei näherer Betrachtung:
184

Une intonation ascendante est certes plus froquente - mais 1'intonation ascendante
est employoe aussi sur bon nombre d'6nonc6s qui ne sont pas des questions. Les
conclusions inoluctables sont que 1'intonation montante n'est pas une marque
indispensable dans la question totale, et qu'il n'y a pas d'intonation propre ä
l'interrogation.
(Fontaney 1991: 116)

Wenn es aber letztendlich keine Markierung mehr gibt, dann hat auch der
Satzmodus zu existieren aufgehört.
Damit ist natürlich keineswegs gesagt, daß die Hörer nunmehr keine Unter-
scheidungen bezüglich des Gemeinten mehr treffen können; sie treffen sie nur auf
einer anderen Ebene. Fontaney berichtet: "Un test auditif, utilisant des enonces ex-
traits de ces conversations et soumis ä une jury de quinze personnes, a revele l'im-
portance du contexte situationel pour I'identification d'une question." (ibd.: 116)
Die Kontextfaktoren, die dabei eine Rolle spielen, werden von Kerbrat-Orecchioni
(1991) aufgeführt. Dabei handelt es sich um "facteurs qui sont moins des 'mar-
queurs' ä proprement parier que les indices du fait que selon toute vraisemblance,
l'enonce est ä interpreter comme une question, meme s'il n'en a en rien l'appa-
rence." (ibd.: 91). Ein solches Indiz kann beispielsweise in der Prädikation liegen;
Kerbrat-Orecchioni unterscheidet dabei "auto-kognitive" Prädikationen, die das
Wissen der Sprecherin betreffen, von "hetero-kognitiven", die dem Hörer bekannt
sind (ibd.: 92). Tatsächlich zeigt sich schnell, daß selbst unvollständige und im
Hinblick auf den Satzmodus gänzlich unmarkierte Äußerungen wie beispielsweise:
ich - hungrig vs. du - hungrig
ich - müde aussehen vs. du - müde aussehen

auch ohne konkreten Kontext allein aufgrund des allgemeinen Weltwissens als Fra-
gen resp. Aussagen eingeordnet werden können. Nur die sprechende Person weiß
normalerweise, ob sie hungrig ist oder ob ihr Gegenüber traurig wirkt; folglich wird
es sich bei den Äußerungen ich - hungrig und du - müde aussehen aller Wahr-
scheinlichkeit nach um Aussagen handeln. Umgekehrt weiß normalerweise nur die
angesprochene Person, ob sie hungrig ist oder ob die Sprecherin traurig aussieht;
folgerichtig können solche Äußerungen wie du - hungrig und ich - müde aussehen
als Fragen angesehen werden. Selbstverständlich können sämtliche Äußerungen
unter komplexeren Kontextvorgaben auch andere Funktionen haben; ein mit Blick
auf den Spiegel geäußertes ich - müde aussehen wird beispielsweise nicht als
Frage, sondern als Aussage zu interpretieren sein.15
Auf diesem Hintergrund muß wohl auch die Tatsache interpretiert werden, daß
neueren Untersuchungen zufolge auch im Deutschen weder die klassische Frage
noch die Intonationsfrage mit einer steigenden Intonation verbunden ist (cf. Alt-
mann 1989 sowie Najar 1995). Vermutlich ist eine solche starke intonatorische
Markierung schlicht nicht notwendig: entweder der durch die Wortstellung ausge-
drückte Satzmodus übernimmt die Markierung, oder aber Kontext und Weltwissen

15
Die Unterscheidung zwischen "wir-Fakten" und "ich-Fakten" spielt in sprachlichen
Äußerungen generell eine große Rolle und wird im Deutschen beispielsweise in
einigen Fällen durch unterschiedlichen Partikelgebrauch markiert; cf. hierzu Hent-
schel/Weydt (1983).
185

lassen keinen anderen Schluß zu als den, daß die formal als Assertion getätigte
Äußerung als Frage gedeutet werden muß. Letzteres ist vermutlich die Vorkom-
mensbedingung für den Satztyp "Intonationsfrage" im Deutschen. Ebenso wie bei
Aufforderungen des Typs Haste mal 'ne Mark?, in denen vom Satzmodus her eine
Interrogation und nur als Sprechhandlung eine Aufforderung vorliegt, handelt es
sich diesen Befunden zufolge - wenn also keine eigene Intonation vorliegen sollte -
bei "Intonationsfragen" nicht um einen eigenen Satzmodus, sondern um einen illo-
kutiven Akt der Frage, der mithilfe des Satzmodus Assertion vollzogen wird.
Es kann angenommen werden, daß bei Befolgung der Grice'schen Ge-
sprächsmaximen (cf. Grice 1980) alleine schon das Weltwissen in den meisten Fäl-
len völlig ausreicht, um die Funktion einer Äußerung richtig interpretieren zu kön-
nen. Eine Ausdifferenzierung auf der Ebene des Satzmodus ist nicht unbedingt nö-
tig - so wie auch eine Differenzierung der kategorematischen Wortarten nicht unab-
dingbar ist. Dennoch nehmen viele Sprachen beide Typen von Unterscheidungen
(i. e. Wortartenunterscheidungen und Unterscheidung von Satzmodi) vor. Als
Grund hierfür kann angenommen werden, daß die Markierung von Modi oder
Wortarten kommunikationsunterstützend fungiert, indem sie die Dekodierung der
syntaktischen Bezüge oder der pragmatischen Funktion des Satzes erleichtert. Wenn
der propositionale Gehalt einer Äußerung und der Satzmodus feststehen, muß der
Hörer nur noch die pragmatische Funktion überprüfen, die im Standardfall der
Zuordnung Assertion = Aussage, Interrogation = Frage, Imperativsatz = Aufforde-
rung, also den primären Funktionen der Satzmodi entspricht; mit anderen Worten,
es muß nur darauf geachtet werden, ob zusätzlich zu oder anstelle der
Primärfunktion, die als Voreinstellung fungiert, noch weitere Funktionen durch den
Satz erfüllt werden.
Wenn bisher vom Satzmodus 'Interrogation' die Rede war, so ging es unausge-
sprochenerweise stets um den Typ 'Entscheidungsfrage'. Dies ist aber nicht der
einzige Interrogationstyp; daneben steht die sog. 'Bestimmungsfrage'. 16 Im Unter-
schied zur Entscheidungsfrage muß die Bestimmungsfrage in jeder Sprache lexika-
lisch markiert werden, da sie ja gerade dadurch definiert wird, daß mittels eines in-
terrogativen Pronomens (cf. z. B. deutsch wer? serbisch ko, türkisch kirn) oder
Proadverbs (cf. z. B. deutsch wo, serbisch gde, türkisch nerede)^ nach einem
fehlenden Stück Information gefragt wird; mit den Worten Freges (1918b: 62): "In
einer Wortfrage sprechen wir einen unvollständigen Satz aus, der erst durch die
Ergänzung, zu der wir auffordern, einen wahren Sinn erhalten soll."18 Da es sich
hier vermutlich um ein universales lexikalisches Phänomen handelt, ist die Frage,
wie es mit dem Status von Bestimmungsfragen im Rahmen der Satzmodus-Defini-
tion steht, einfacher zu beantworten als die nach dem Status von Entscheidungsfra-
gen: im Gegensatz zu Entscheidungsfragen sind Bestimmungsfragen immer mar-

16
Neben dem Terminus "Entscheidungsfrage" stehen auch andere wie "Ja-Nein-
Frage", "Globalfrage" oder "Satzfrage"; statt von "Bestimmungsfrage" ist auch oft
von "W-Frage", "Satzteilfrage", "Ergänzungsfrage" etc. die Rede; cf. hierzu Hent-
schel/Weydt (1994: 370f.).
17
In türkisch nerede liegt natürlich nicht im eigentlichen Sinne ein Proadverb vor, da
es sich um einen aus ne 'was' abgeleiteten Lokativ handelt.
18
Wie sich zeigt, nimmt Frege hier die pragmatische Funktion des Satztyps
("Ergänzung, zu der wir auffordern") zu seiner Definition hinzu.
186

kiert (eben durch den Gebrauch des Interrogativums), und wenn man die Existenz
von Satzmodi nicht grundsätzlich ablehnt, dann sind sie ideale Kandidaten für die
Rolle eines interrogativen Satzmodus. Dies mag zugleich auch der Grund dafür
sein, warum Bestimmungsfragen in der lebhaft geführten Diskussion um den inter-
rogativen Satztyp so gut wie keine Rolle spielen.

5.4 Sekundäre Funktionen des Satzmodus "Interrogation"


(Entscheidungsfrage)

Wenn es in einer Sprache Satzmodi gibt, dann können sie eine recht große Eigen-
ständigkeit entwickeln: ihre Grundbedeutung kann fruchtbar gemacht werden, um
andere als die ursprüngliche Aufgaben zu erfüllen. Dies zeigt sich insbesondere
beim Satzmodus Interrogation, der in vielen Sprachen - so auch im Deutschen - als
Konditionalsatz genutzt werden kann. Die Tatsache, daß dies so ist, und vor allem:
daß dies sprachübergreifend der Fall ist - kann zugleich umgekehrt als deutlicher
Beweis dafür angesehen werden, daß Satzmodi tatsächlich eigenständige Bedeutun-
gen tragen.

5.4.1 Interrogation als Konditionalsatz

5.4.1.1 Behandlung in deutschen Grammatiken

Die "uneingeleiteten" oder "asyndetischen" Konditionalsätze des Deutschen (cf.


z. B. Solltest du Maja treffen, grüße sie von mir) stellen ein nach wie vor produkti-
ves sprachliches Verfahren dar, i. e. es können jederzeit neue Konditionalsätze
nach diesem Muster gebildet werden. Daher wird dieser Satztyp in sämtlichen
Grammatiken des Deutschen aufgeführt; seine Verwandtschaft mit dem Interroga-
tivsatz hingegen findet kaum irgendwo Erwähnung, nicht einmal als Hinweis auf
eine möglicherweise rein zufällige äußerliche Ähnlichkeit. Im einzelnen ergibt sich
folgendes Bild:
Admoni (1982: 281) erwähnt diesen Satztyp nur ganz am Rande, neben der in-
direkten Rede, als Verwendungsmöglichkeit für einen uneingeleiteten Nebensatz. Er
stellt damit trotz der deutlich unterschiedlichen Wortstellung und trotz der unter-
schiedlichen Satzteilfunktion - Objekt vs. Adverbialbestimmung resp. Ergänzung
vs. Angabe - eine Parallele zwischen Sätzen wie Sie sagte, sie müsse jetzt gehen
und Solltest du Maja treffen, grüße sie von mir her, die ausschließlich auf der Tat-
sache beruht, daß beide Satztypen nicht durch subordinierende Elemente eingeleitet
werden. In der Duden-Grammatik finden sich an zwei Stellen Hinweise auf die in
Frage stehende Konstruktion. Zum einen wird sie unter dem Stich wort
"Konditionalsätze" aufgeführt: "Konditionales Verhältnis im Satzgefüge kann in
unterschiedlicher Weise angezeigt werden: durch die Konjunktionen wenn, wofern,
sofern und falls; durch komplexere Fügungen, die sich der Möglichkeiten des In-
haltssatzanschlusses bedienen, wie im Fall, daß; unter der Voraussetzung, daß; un-
ter der Bedingung, daß; vorausgesetzt, daß; gesetzt den Fall, daß; schließlich auch
187

durch einen uneingeleiteten Nebensatz mit Finitum in Spitzenstellung. Als Korrelat


im Hauptsatz kann dann oder so stehen." (Duden 1995: 771). Ein zweites Mal fin-
det dieser Satztyp bei der Behandlung der verschiedenen Satzstellungstypen Erwäh-
nung. Hier heißt es:
Sätze mit dem Finitum an erster Stelle nennt man Stirnsätze. Sie können sein:
- Entscheidungsfragesätze (...): Kommt ihr morgen? Liebt sie dich?,
- Ausrufesätze (...): Wird der Augen machen! War das eine Hetze!
- Aufforderungssätze (...): Schweigen Sie! (...);
- Irreale Wunschsätzte (...): Käme er doch! Hätten sie doch länger gelebt!
- Uneingeleitete Nebensätze (...): Versagen die Bremsen, dann (...) Ist es auch
dunkel, wir (...)"
Duden (1995: 785)

Eisenberg (31994) behandelt asyndetische Konditionalsätze ebenso wie Admoni


zusammen mit der indirekten Rede, wenn er schreibt: "Wenn ähnelt (...) der (...)
Konjunktion daß. Sätze mit diesen beiden Konjunktionen sind vielfach durch kon-
junktionslose Sätze ersetzbar, und zwar daß durch einen Kernsatz, wenn durch
einen Stirnsatz." (ibd.: 354f.). Auch für ihn steht also das Fehlen eines subordinie-
renden Elementes als Kriterium für die Zuordnung im Vordergrund.
Engel (1988: 269, 273f., 279) unterscheidet zwischen uneingeleiteten Neben-
sätzen mit Verb-Erststellung in kausaler, konditionaler und konzessiver Funktion.
Als Kausalsätze wertet er dabei Sätze wie: Er kam gern in die Stadt zurück, war ihm
doch aus seiner Studentenzeit jede Straße um den Alten Markt vertraut (Beispiel
ibd.: 269) und kommentiert: "Uneingeleitete Kausalsätze nennen einen Grund, der
entweder allgemein akzeptiert ist oder den jeder akzeptieren sollte" (ebenda). Dieser
Satztyp findet in den anderen Grammatiken keine Erwähnung; wegen seiner forma-
len Übereinstimmung mit dem asyndetischen Konditionalsatz im Hinblick auf die
Wortstellung soll hier aber kurz darauf eingegangen werden. Bei näherer Betrach-
tung zeigt sich, daß die beiden folgenden wichtigen Unterschiede bestehen:
Erstens: im Unterschied zum asyndetischen Konditionalsatz, der stets am An-
fang des Satzgefüges stehen kann (und eher selten nachgestellt wird), müssen Sätze
des Typs (...) war ihm doch jede Straße vertraut ausnahmslos nachgestellt werden.
Dadurch läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob das Verb hier wirklich die erste
Stelle besetzt; zumindest theoretisch wäre auch denkbar, daß der vorangegangene
Satz als Füllung des Vorfeldes interpretiert wird. Cf. z. B.:
Sie fand sich gut im Dunkeln zurecht, kannte sie doch jeden Winkel des Hauses.

vs.
*Kannte sie doch jeden Winkel des Hauses, fand sie sich gut im Dunkeln zurecht,

Zweitens: der Gebrauch der Partikel doch ist zwingend, ohne sie ist der Satz
ungrammatisch; cf.:
*Sie fand sich gut im Dunkeln zurecht, kannte sie jeden Winkel des Hauses.

Die Partikel doch findet sich auch an einer anderen Stelle im System des Deutschen
ebenfalls als ausschlaggebend für die Satzbedeutung wieder: bei der Umwandlung
von Konditionalsätzen in Wunschsätze. Cf.:
188

Wenn ich mehr Zeit hätte, könnten wir zusammen gehen.

vs.
Wenn ich doch/doch nur/bloß mehr Zeit hätte!

vs.
*Wenn ich mehr Zeit hätte!

Das letztere Beispiel zeigt, daß den Abtönungspartikeln im Deutschen eine zentrale
Funktion nicht nur im Hinblick auf die Satzbedeutung, sondern auch auf die
Grammatikalität von Sätzen zukommen können; insofern stellen die von Engel so
genannten "kausalen uneingeleiteten Nebensätze" keinen Sonderfall dar. Die nicht
weglaßbare, unbetonte Partikel doch ist jedoch zugleich ein Indiz dafür, daß es sich
hier zumindest nicht primär um Interrogativsätze handelt, denn unbetontes doch ist
mit Interrogativsätzen des Typs Entscheidungsfrage inkompatibel (cf. z. B. Hent-
schel 1986: 130, Heibig 1988: 115). Eben deshalb ist unbetontes doch auch bei un-
eingeleiteten Konditionalsätzen ausgeschlossen, cf.:
Solltest du Maja sehen, grüße sie von mir.

vs.
^Solltest du doch Maja sehen, grüße sie von mir.

Für eine befriedigende Antwort auf die Frage, wie der von Engel beschriebene kau-
sale Satztyp zustandegekommen ist und erklärt werden kann, sind offensichtlich
noch weitere Überlegungen nötig; im Zusammenhang der hier vorgelegten Untersu-
chung kann aber auf eine solche Analyse verzichtet werden, da es sich offensicht-
lich nicht um denselben Typ handelt, der beim Konditionalsatz vorliegt.
Bei der Behandlung der uneingeleiteten Konditionalsätze geht Engel (1988:
273f.) vor allem auf die Unterscheidbarkeit nach der Wahrscheinlichkeit ein, mit der
die im Satz ausgedrückte Bedingung erfüllt werden kann. Dabei geht es ihm um den
Gebrauch des Konjunktivs (Ist sie krank (...) Wäre sie krank (...) ibd.: 274) und
des Modalverbs sollen (Sollte sie unterschreiben (...)); von letzterem nimmt der
Autor an, daß es eine besondere Unsicherheit des Sprechers zum Ausdruck bringt
("Ist die Erfüllung der Bedingung für den Sprecher besonders unklar, so wird oft
die s0//te-Umschreibung gewählt."; ibd.). Schließlich führt Engel asyndetische
"Konzessivsätze" mit der Partikel auch (Und war sie auch noch so krank, (...) ibd.:
279) an, daneben aber auch solche, die nur durch die koordinierende Konjunktion
und eingeleitet sind: Und wäre sie krank gewesen, sie hätte doch aussagen müssen
(ibd.). Zu der Frage nach dem semantischen Zusammenhang dieser Satztypen
äußert sich Engel allerdings nicht. In letzterem Fall handelt es sich eindeutig nicht
um eine konzessive, sondern um eine konditionale Konstruktion im Irrealis; die
Fälle mit auch, ganz parallel zu den Sätzen mit wenn auch, verweisen jedoch
abermals den großen Einfluß der Abtönungspartikeln im Bereich der Satzbedeutung
sowie im vorliegenden Fall auf den Zusammenhang von Konditional- und
Konzessivkonstruktion. Der Gegengrund, der wirkungslos bleibt, wird sozusagen
als negative Geltungsbedingung in den Satz integriert. Auch dieser Zusammenhang
189

läßt sich über das Deutsche hinaus nachweisen und zeigt sich beispielsweise in der
Wortbildung der serbischen Konjunktion iako Obwohl' aus i 'und' und ako 'falls',
ebenso wie in der Etymologie der deutschen Konjunktionen obwohl, obzwar,
ob schon, obgleich etc. als Kombinationen aus dem Marker für indirekte
Entscheidungsfragen, was wiederum auf die Interrogation zurückverweist, und
einem zusätzlichen einräumenden Element.
Bei Götze/Hess-Lüttich (1989) werden asyndetische Konditionalsätze fol-
gendermaßen dargestellt: "Nach der Art der Einleitung des Konditionalsatzes unter-
scheiden wir den uneingeleiteten Satz als Vordersatz (...)" (ibd.: 361) und: "Im ein-
geleiteten Nebensatz steht das finite Verb am Satzende (Spannsatz), im uneinge-
leiteten Nebensatz bei Nachstellung des Nebensatzes an zweiter Stelle (Kernsatz),
bei Voranstellung an erster Stelle (Stirnsatz)." (ibd.: 342).19 Weitere Kommentare
werden nicht gegeben.
Ausführlicher beschreiben demgegenüber Helbig/Buscha (1994: 644f.) das
Phänomen. Außer auf Konditionalsätze gehen sie auch auf die schon bei Engel er-
wähnten Konzessivsätze in Form uneingeleiteter Nebensätze mit Verb-Erststellung
und der Partikel auch ein, wie sie etwa in War die Arbeit auch schwer, sie mußte
doch geschafft werden (Beispiel nach ibd.: 644) vorliegen. Sowohl in Bezug auf
Konditional- als auch auf Konzessivsätze dieses Typs nennen sie außerdem Regeln
für den Gebrauch der Modalverben (cf. Sollte die Sonne scheinen (...) Mochte das
Wetter auch schlecht sein (...) ibd.: 645).
Zwar werden die uneingeleiteten Konditionalsätze auch in den Grundzügen
(1981: 798) eher stiefmütterlich behandelt - innerhalb einer viereinhalbseitigen,
ausführlichen Darstellung der semantischen Verhältnisse in Konditionalgefügen
werden ihnen ganze drei erläuternde Sätze und ein Beispielsatz zugebilligt. Indessen
findet sich hier immerhin erstmals der Hinweis darauf, daß ein Zusammenhang
zwischen diesem Satztyp und der Entscheidungsfrage besteht: "Statt des konjunk-
tional eingeleiteten Endstellungssatzes kann ein Spitzenstellungssatz ohne Konjunk-
tion stehen (der formal und historisch - aber nicht funktional - dem Fragesatz der
Entscheidungsfrage entspricht)." (Grundzüge 1981: 798).
Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die Lektüre von sieben Standard-Gram-
matiken des Deutschen bringt zwar immerhin in zwei Fällen einen Hinweis darauf,
daß es sich historisch gesehen bei uneingeleiteten Konditionalsätzen um Interroga-
tivsätze handelt; eine Erklärung für diesen auf den ersten Blick doch eher verblüf-
fenden Sachverhalt findet sich jedoch nirgends.

5.4.1.2 Der Zusammenhang zwischen Interrogation und Kondition

Darauf, daß zwischen Fragesätzen und Konditionalsätzen vielleicht nicht nur ein
zufälliger formaler, sondern ein möglicherweise semantisch begründeter Zusam-
menhang besteht, wird zwar nicht in den Grammatiken des Deutschen, aber dafür

19
Diese Beschreibung ist natürlich insofern unrichtig, als auch vorangestellte Neben-
sätze - im Sinne eines Satzes, der in einem anderen Satz eine Satzteilfunktion er-
füllt, also etwa im Sinne der Nebensätze der indirekten Rede bei Admoni oder
Eisenberg - mit Verb-Zweitstellung möglich sind; cf. z. B.: Er könne leider nicht
mitkommen, murmelte er bedauernd.
190

an anderer Stelle in der Forschungsliteratur gelegentlich hingewiesen. So nähert


sich beispielsweise Zaefferer (1987) der Frage nach diesem Zusammenhang zwi-
schen Konditional- und Interrogativsätzen unter dem höchst vorsichtig formulierten
Titel "Satztypen, Satzarten, Satzmodi - was konditionale (auch) mit Interrogativen
zu tun haben". Er stützt sich dabei auf die Ergebnisse einer Untersuchung von Eli-
sabeth Traugott (1985), die unter den Quellen der Konditional-Marker in verschie-
denen Sprachen neben beispielsweise temporalen Elementen (cf. dt. wenn) u . a .
auch Fragepartikeln ausgemacht hat. Für das Deutsche erläutert Zaefferer (1987:
262) formale Interrogativsätze in der Funktion konditionaler Nebensätze nur kurz
anhand des Beispielsatzes Gibt man dem Teufel den kleinen Finger, (so) nimmt er
die ganze Hand folgendermaßen: "Hier haben wir historisch einen Polaritätsfrage-
hauptsatz vor uns, der aber als Nebensatz seine Interrogativfunktion verloren hat".
Als Fazit findet sich der Hinweis:
Was also auch immer Konditionale im Einzelnen [sie!] mit Interrogativen zu tun
haben, es scheint doch mehr zu sein, als man auf Anhieb zu sehen geneigt ist, und
es könnte sich lohnen, genauer herauszuarbeiten, wie das Verhältnis der beiden
Satztypen nun genauer aussieht.
(Zaefferer 1987: 262)

Mit diesen vorsichtigen Äußerungen bleibt Zaefferer weit hinter Elisabeth Traugott
(1985) und ihrem sehr gut recherchierten Aufsatz zur morphologischen Herkunft
der Markierungen für Konditionalsätze in verschiedenen Sprachen zurück, auf den
er sich doch eigentlich bezieht. Traugott weist nämlich nicht nur die deutlich er-
kennbare morphologische Verwandtschaft der Konditional-Marker mit den Interro-
gativ-Markern in so unterschiedlichen und weit voneinander entfernten Sprachen
wie Hua und Russisch nach, sondern gibt auch eine Erklärung dafür ab, warum
Interrogative für diese Funktion genutzt werden können:

Interrogatives such as whether ask about truth in ways that can be answered by yes
or no. They therefore ask about alternative possible worlds, and are questions
about the epistemic status of a proposition.
und:
The interrogative 1is only one way of marking overtly the fact that a conditional is
a 'given' or 'frame for the consequent.
(ibd.: 294f.)

Dabei bezieht sich Traugott ihrerseits auf eine ältere Untersuchung von Haiman
(1978), bei dem Hua-Beispiele sinngemäß folgendermaßen interpretiert werden
(Haiman 1978, zitiert nach Traugott 1985: 294):
A: Is he coming?
B: Yes.
A: Well then, I'll stay.

Bevor der zugrundeliegende semantische Mechanismus im einzelnen nachvollzogen


werden soll, sollen im folgenden noch einmal in Anlehnung an und in Ergänzung zu
Traugott (1985) Beispiele für dieses Verfahren in den im Zusammenhang der vor-
liegenden Arbeit untersuchten drei Sprachen Deutsch, Serbisch und Türkisch ge-
geben werden. Für das Deutsche wurde bereits gezeigt, daß es Konditionalsätze in
191

der äußeren Gestalt von Interrogativsätzen gibt. Weitere Standardbeispiele hierfür


wären etwa:
Hast du was, dann bist du was.
Hättest du nicht so viel gegessen, dann wäre dir jetzt nicht schlecht.
Wärst du gleich mit der Wahrheit herausgerückt, hättest du viel Zeit gespart.
etc.

Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch der folgende Beleg:
Fernsehkummer? — Jägernummer ß^

5.4.1.3 Interrogation als Konditionalsatz in anderen Sprachen

Das Verfahren, das hier vorliegt, ist auch in den Nachbarsprachen des Deutschen
wie etwa dem Englischen oder dem Französischen geläufig; cf. z. B.:
englisch:
Had I known, I would not have gone.
(Beispiel nach Quirk/Greenbaum 1984: 325)

französisch:
Le jurerait-il, je ne le croirais pas.21
etc.

Auch für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit im Vordergrund des Interesses
stehenden Sprachen Serbisch und Türkisch läßt sich der konditionale Einsatz des
interrogativen Satzmodus nachweisen.

5.4.1.3.1 Konditionale Interrogation im Serbischen

Darauf, daß Russisch ecjin aus dem verkürzten ecrh JIH entstanden ist, verweist,
wie bereits erwähnt, schon Traugott (1985), und auch Zaefferer (1987: 265) zitiert
diesen Sachverhalt. Ecnx bedeutet wörtlich 'ist es?' oder 'gibt es?'. Versucht man,
die russische Konditional-Konstruktion nachzubilden, dann ergibt sich bei-
spielsweise ein Satz wie: 'Ist es [so, daß] du kommst, [so] gehen wir spazieren'.
Im Serbischen, der südslawischen Schwestersprache des Russischen, erfüllt die
Kombination aus Kopula und Fragepartikel, je U demgegenüber die Funktion einer
tag question und läßt sich als solche am treffendsten mit 'nicht wahr?' wiedergeben.
Nur die Fragepartikel alleine steht dagegen in konditionalen Nebensätzen wie den
folgenden:

20
Werbeformel einer Berliner Firma namens Jäger, die Fernsehreparaturen beim
Kunden zu Hause anbietet.
21
Ebenso: N'etaient les hirondelles qui chantent, on n'entendrait rien. (Loti, Vers
Ispahan, p. 58; zitiert nac/i Grevisse 1986: 1300) sowie: Cela depasse notre
pouvoir, ne s'agirait-il que de nous-memes. (Fr. Mauriac, Vie de J. Racine, p. 8;
zitiert nach ibd.).
192

Ne budem li stigao na vreme,


NEG AUX-l.Pers Fragepartikel angekommen rechtzeitig,
sami jedite.
alleine eßt 'Wenn ich nicht rechtzeitig kommen sollte, eßt alleine.'

oder:
Ne stignem U na vreme,
NEG ankomme-l.Pers. Fragepartikel rechtzeitig,
sami jedite,
alleine eßt. 'Wenn ich nicht rechtzeitig komme, eßt alleine.'

Wie sich zeigt, lassen sich also im Serbischen ganz genauso wie im Deutschen,
Englischen oder Französischen konditionale Nebensätze bilden, indem man die
äußere Gestalt eines Interrogativsatzes vom Typ Entscheidungsfrage verwendet. Im
Falle des Deutschen wie auch des Französischen oder Englischen handelt es sich bei
Konditionalsätzen dieser Art um Sätze, die anhand ihrer Wortstellung als Interroga-
tivsätze identifizierbar sind; im Serbischen wird der Unterschied von Interrogativ-
und Assertionssatz demgegenüber nicht durch die Wortstellung, sondern durch den
Gebrauch der enklitischen Frage-Partikel li markiert.

5.4.1.3.2 Verwendung des Interrogationsmodus im Türkischen

Auch im Türkischen besteht die Möglichkeit, Fragesätze als Konditionalsätze zu


verwenden. Das ist insbesondere insofern nicht nur bemerkenswert, sondern sogar
überraschend, als diese Sprache einen speziellen Verbmodus zur Bildung von Kon-
ditionalen zur Verfügung stellt und somit eigentlich keinen Grund hat, den Interro-
gativmodus für solche Zwecke zu verwenden. Dennoch ist diese Konstruktion so
verbreitet, daß sie sogar in modernen Grammatiken des Türkischen (cf. z. B.
Lewis 1991: 267) erwähnt wird. Es handelt sich dabei um Konditionalgefüge wie
die z. B. die folgenden, cf.:

Kitabt okudun mu, bana ver.


Buch-Akk du hast gelesen Fragepartikel mir gib.
'Wenn du das Buch gelesen hast, gib es mir.'
Ay§e faymi mi,
Ayse Tee-POSS.3.Pers.-Akk hat getrunken Fragepartikel
gideriz.
wir gehen 'Wenn Ayse ihren Tee getrunken hat, gehen wir.'

Im Unterschied zum Deutschen handelt es sich um eine eher umgangssprachliche


als um eine schriftsprachliche Variante. Wie schon die anderen Beispiele, so zeigt
auch der Fall des türkischen konditionalen Gebrauchs von Interrogativen, daß das
Verfahren als universale Möglichkeit zum Ausdruck von Konditionalität zur
Verfügung steht und auch produktiv ist. Dies wiederum bedeutet, daß es etwas
Grundlegendes geben muß, was der Interrogation universal zu eigen ist und sie für
193

die Bildung von Konditionalsätzen prädestiniert. Dieses Gemeinsame muß in der


Bedeutung des Satzmodus liegen, dessen Anwendung die Gültigkeitsbedingungen
der Proposition auch dann verändert, wenn er nicht für den illokutiven Akt der
Frage verwendet wird.

5.4.2 Weitere Verwendungen des interrogativen Satzmodus im Serbischen

Die den interrogativen Satzmodus markierende Partikel U wird normalenveise direkt


an das Verb angeschlossen, das wiederum an den Anfang der Interrogation gestellt
wird. 22 Um so interessanter ist daher, daß dennoch auch im Serbischen die Wort-
stellung nicht ohne Auswirkungen bleibt. Abweichungen von der Standard-Wort-
stellung im Interrogativsatz, wie sie ganz genauso auch in den oben beschriebenen
Konditionalsätzen vorliegt, können nämlich dazu führen, daß der Interrogativsatz
nicht als Frage verstanden, sondern anderen illokutiven Funktionen zugeordnet
wird. Selbständige Sätze mit U in Position nach anderen Wortarten als dem Verbum
fmitum können beispielsweise als rhetorische Fragen oder als emotionale
Äußerungen, etwa als Ausdruck des Erstaunens oder des Vorwurfs fungieren, cf.
z. B.:
Ti U to rede?!
du Fragepartikel das sagen-AOR-2.Pers.Sg
'Das sagst ausgerechnet du?!'
(Beispiel nach Mrazovic 1990: 432)

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang auch die hochkonventionali-


sierte Verwendung von H zum Ausdruck des Erstaunens, wie sie in den folgenden
Beispielen vorliegt:
Divnih U ruza!
herrlich-GEN-Pl Fragepartikel Rosen-GEN-Pl
'Was für herrliche Rosen!'
Strasnog U dogadjaja!
schrecklich-GEN-Sg Fragepartikel Ereignis-GEN-Sg
'Was für ein schreckliches Ereignis!'
(Beispiele nach ibd.)

Die Struktur solcher Äußerungen ist genau festgelegt: ein Adjektiv (oder, seltener,
Partizip) als Attribut wird durch die Fragepartikel von seinem Beziehungswort ge-
trennt, wobei die Nominalphrase als ganze im Genetiv steht. Beim Versuch, eine

22
Zu den Regeln im einzelnen vgl. z. B. Stevanovic (1989b: 12): "Kada se pita
prostim glagolskim oblikom, onda taj oblik dolazi na pocetku recenice s upitnom
reccom U neposredno iza njega: Secate U me se? (L. Lazarecic) (...)" bzw.:
"Najcesci oblik upitne recenice sä slozenim glagolskim oblicima u predikatu i s
imenskim ili priloskim predikatom jeste upitna reöenica s oblikom pomocnog
glagola jest na pocetku i upitnom reöcom // neposredno iza njega: Je U se ladja jos
kad ovako zdravo zadocnila? (L. Lazarevic) (...)" (ibd.: 13).
194

plausible Erklärung für diese auf den ersten Blick recht eigenartige äußere Form und
ihre Funktion zu finden, stellen sich folgende Fragen:
- Warum schiebt sich die Fragepartikel zwischen Attribut und Beziehungswort?
- Warum steht die Nominalgruppe im Genetiv, oder anders gefragt: welche Gene-
tiv-Funktion liegt dieser Konstruktion zugrunde?
- Können aus dem Vergleich mit der Übersetzung solcher Äußerungen in andere
Sprachen, also beispielsweise ins Deutsche, zusätzliche Hinweise gewonnen
werden?

Li gehört ebenso wie die Kurzformen der obliquen Personalpronomina oder die der
Hilfsverben biti 'sein' und hteti 'wollen' zur einer Klasse von Enklitika, die im Ser-
bischen besondere Stellungseigenschaften aufweisen. In älteren Texten, aber auch
im modernen Serbischen (dann stilistisch markiert) stehen diese Enklitika stets an
zweiter Stelle, i. e. sie folgen ohne Rücksicht auf die syntaktische Konstruktion
dem ersten betonten Wort des Satzes. Diese Stellungsbesonderheit erlaubt es den
Enklitika nicht nur, Verbindungen wie die zwischen Attribut und Beziehungswort
aufzubrechen, sondern macht dies auf einer bestimmten Stilebene sogar erforder-
lich.23 Cf.:
N jene su oci zelene.
ihre sind Augen grün.
'Ihre Augen sind grün.'

Die Stellung der Partikel H zwischen Attribut und Beziehungswort könnte also ein
Hinweis darauf sein, daß es sich um ein überliefertes und genau in dieser Stellung
bis heute tradiertes Konstruktionsprinzip handelt; dies wiederum ließe sich als Hin-
weis auf die hohe Konventionalisierung solcher Ausdrücke deuten. Allerdings: in
seiner Funktion als Marker für den Satzmodus ist das Klitikum U schon sehr früh
ebenso wie das (proklitische) Negationsklitikum ne an das Verbum fmitum als zen-
tralen Träger der Prädikation gebunden worden und unterliegt damit nicht mehr der
Stellungsregel "Unbetontes steht im Anschluß an die erste betonte Silbe". Da es
aber im Falle von Äußerungen wie StraSnog H dogadjaja! kein verbales Prädikat gibt
(Kopula oder Existenzmarker werden typischerweise nicht gesetzt), kann man an-
nehmen, daß statt des syntaktisch-semantischen Stellungskriteriums "Interrogation
wird an der Prädikation markiert" nun wieder das rein prosodische in Kraft tritt.
Die Frage danach, welche Art von Genetiv hier vorliegt, ist noch schwieriger zu
beantworten, denn ein Genetivus "interrogativus" ist nicht vorgesehen. In Frage
kämen der Genetivus partitivus und der mit diesem im Grunde eng verwandte Ge-
netivus negationis. Beide sind in Zusammenhang mit Existenz-Aussagen (positiv
wie negativ) gebräuchlich, cf. z. B.:
Hleba je bilo
Brot-Gen AUX gewesen (neutr. Sing.)

'Brot gab es.'

23
Der Gebrauch der Enklitika in solchen Positionen ist keineswegs auf literarische
Kontexte beschränkt, sondern läßt sich sehr häufig in der alltäglichen Umgangs-
sprache beobachten.
195

Mesa nema.
Fleisch-Gen NEG-hat
'Es gibt kein Fleisch.'

Man kann also annehmen, daß der Genetivgebrauch in erstaunten Ausrufen mit U im
Zusammenhang mit seinem regelmäßigen Auftreten in Existenz-Aussagen gesehen
werden muß. Auch in einem Ausruf wie 'Was für ein schreckliches Ereignis!' oder
'Was für herrliche Rosen!' geht es ja um die Existenz der jeweils bestaunten Ob-
jekte; man staunt darüber, daß es ein solch schreckliches Ereignis resp. so herrliche
Rosen überhaupt gibt.
Was die Übersetzung betrifft, so zeigt sich, daß im Deutschen (oder Englischen
oder Französischen) Bestimmungsfragen mit was für ein an die Stelle der serbi-
schen //-Konstruktion treten. Auch hier werden also interrogative Formen gewählt,
wenngleich es sich um einen anderen Typ (Bestimmungsfragen) handelt. Während
dieser Satztyp in den Beispielsätzen im Deutschen nach der Art resp. dem Ausmaß
der Herrlichkeit/Schrecklichkeit zu fragen vorgibt (Was für herrliche Rosen!/Was
für ein schreckliches Ereignis!; cf. hierzu ausführlicher unter 5.6), stellt die
serbische Konstruktion sozusagen die Existenz des gesamten von der Nominalphra-
se bezeichneten Denotats in Frage, um auf diese Weise Erstaunen auszudrücken.

5.5 Exkurs: Formallogische Beschreibung natürlicher Sprache am


Beispiel des Konditionalsatzes

Es gibt eine weit verbreitete Tendenz, in linguistischen Untersuchungen Zuflucht zu


den Beschreibungsmitteln und Verfahrensweisen der formalen Logik zu nehmen.
So haben beispielsweise Wahrheitswerte ihren festen (wenngleich keineswegs un-
umstrittenen) Platz in der Semantik gefunden, und bei der Beschreibung so unter-
schiedlicher Phänomene wie Partikeln und Sprechereinstellungen (cf. z. B. Jacobs
1982, Doherty 1983) einerseits oder der Chomskyschen Universalgrammatik ande-
rerseits wird auf formale Beschreibungen zurückgegriffen. Daß auch bei der
Beschreibung des Satzmodus Zuflucht bei formalen Beschreibungen gesucht wird,
wurde in diesem Kapitel bereits deutlich. Es bietet sich also an, einen kurzen Blick
auf diese Beschreibungsmöglichkeit zu werfen.
Gerade Konditionale gehören zu den klassischen, wohlvertrauten Grundformen
logischer Verknüpfung. Auf den ersten Blick scheint also nichts näher zu liegen, als
diese Beschreibungsform auch in der vorliegenden Untersuchung fruchtbar zu
machen - und damit möglicherweise rückwirkend Erkenntnisse für die Be-
schreibung des Satzmodus 'Interrogation' zu gewinnen.
Zur Erinnerung: die 'wenn-dann'-Relation wird in der formalen Logik gemein-
hin durch das Zeichen D dargestellt,24 so daß der Satz

24
Die Notationen der formalen Logik sind nicht immer einheitlich, und besonders
im deutschsprachigen Raum findet sich häufig ein rechtsgericheter Pfeil ( - » ) an-
stelle des hier verwendeten Symbols "^>". Aus Gründen der Einheitlichkeit der
Darstellung wird aber im folgenden auch bei der Wiedergabe von Autoren, die den
Pfeil benutzen, ein "D" eingesetzt.
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch erwähnt, daß im folgenden in
196

(a) Wenn alle Vernunft annehmen, hat die Energieverschwendung ein Ende.

mit

poq

und der Satz


(b) Nur wenn alle Vernunft annehmen, hat die Energieverschwendung ein Ende.

mit

qop

wiedergegeben werden können.25


Darauf, daß diese Art der Darstellung von und des Umgangs mit natürlich-
sprachlichen Konditionalgefügen alles andere als befriedigend ist, verweisen ver-
schiedene Autoren. Comrie (1986: 60) führt den Beispielsatz If Paris is the capital
of France, two is an even number an, der zwar logisch korrekt, aber - gelinde ge-
sagt - etwas eigenartig ist, und reklamiert für natürliche Sprachen "a stronger link
between protasis and apodosis", als dies in der Logik gegeben ist.
Das Problem, um das es dabei geht, kann anhand der folgenden Beispielsätze
überzeugend veranschaulicht werden:
Falls Schmidt den Job bekommt, kündigt Maier nächste Woche.
Falls Maier stirbt, bekommt Schmidt den Job.
Daraus folgt: Falls Maier stirbt, kündigt er nächste Woche.
Wenn du dich ausschlafen würdest, wärst du nicht müde.
Daraus folgt: Wenn du müde wärst, würdest du dich nicht ausschlafen.
Wenn man mit einem Zündholz über eine rauhe Oberfläche streicht, entzündet es sich.
Folglich gilt: wenn man ein Zündholz über Nacht gut einweicht und wenn man mit
ihm über eine rauhe Oberfläche streicht, entzündet es sich.26

Obgleich derartige Argumente normalerweise von jeder Sprecherin der natürlichen


Sprache, in der sie gemacht werden, als unsinnig zurückgewiesen werden würden,

gleicher Weise die Konjunktion "&" (anstelle des ebenfalls gebräuchlichen " ")
sowie das Negationszeichen "—>" (anstelle von "-" o. ä.) verwendet wird.
25
Der Vollständigkeit halber seien die entsprechenden Wahrheitswert-Tabellen hier
aufgeführt:
für P z> Q: für Q o P:
P : O P Ou P
W W W W W W
W F F W F F
F W W F W W
F F W F F W
Mit anderen Worten: Satz (a) ist falsch, wenn alle Vernunft annehmen, ohne daß
die Energieverschwendung aufhört, und Satz (b) ist falsch, wenn die Energiever-
schwendung ein Ende hat, ohne daß alle Vernunft angenommen hätten.
26
Die Beispiele wurden sinngemäß bei Guttenplan 1986: 160f. und Stalnaker 1981:
48 entnommen; sie wurden hier aus Anschaulichkeits- und Übersetzungsgründen
leicht abgeändert.
197

ist nichts an ihnen auszusetzen, wenn man sie in logische Aussagen des Typs
P r> Q übersetzt. Dies sei hier zu Verdeutlichung nochmals gezeigt:

Falls Schmidt den Job bekommt, kündigt Maier nächste Woche:


P^Q1
Falls Maier stirbt, bekommt Schmidt den Job:
222_P
Falls Maier stirbt, kündigt er nächste Woche:
Q2=>Ql
Wenn du dich ausschlafen würdest, wärst du nicht müde:
PiD-,Q
Wenn du müde wärst, würdest du dich nicht ausschlafen:
Q=>-,P
Wenn man mit einem Zündholz über eine rauhe Oberfläche streicht, entzündet es sich:
Pl=>Q
Wenn man ein Zündholz über Nacht gut einweicht und wenn man mit ihm über eine
rauhe Oberfläche streicht, entzündet es sich:
?2 & P! => Q

Es ist offensichtlich, daß natürlichsprachliche konditionale Verknüpfungen mit ein-


fachen logischen Mitteln nicht oder nur sehr unzureichend beschrieben werden kön-
nen. Ob Sprecherinnen sie als "richtig" oder "falsch" beurteilen, hängt nicht oder
jedenfalls nicht ausschließlich von den Wahrheitswerten ab, die Protatsis und Apo-
dosis zugeordnet werden können. Anders ausgedrückt: "(...) the material con-
ditional is a poor translation of the Natural language conditional." (Guttenplan 1986:
161) -wobei hinzugefügt werden könnte, daß "a poor translation" noch ausge-
sprochen milde ausgedrückt ist. Genau genommen stellt er überhaupt keine auch
nur im geringsten angemessene Übersetzung dar, sondern verwirrt wegen seiner
Ähnlichkeit eher.
Die Frage lautet also: wenn P z> Q eine inadäquate "Übersetzung" natürlich-
sprachlicher Konditionalsätze ist und wenn es in der natürlichen Sprache nicht ein-
fach um die Wahrheitswerte von P und Q geht - worum geht es dann? Wie werden
konditionale Gefüge interpretiert, auf welcher Grundlage werden ihnen Wahrheits-
werte zugeordnet? Oder spielen Wahrheitswerte hier überhaupt keine Rolle?
Wir sind uns alle sicher, daß der Satz: Falls Meier stirbt, kündigt er nächste Wo-
che (der oben aus: Falls Schmidt den Job bekommt, kündigt Maier nächste Woche
und: Falls Maier stirbt, bekommt Schmidt den Job abgeleitet wurde) "falsch" ist,
und bleiben auch dann halsstarrig bei dieser Überzeugung, wenn uns anhand der
Wahrheitswerte bewiesen wird, daß er unter formal-logischen Gesichtspunkten
völlig richtig ist. Die Erklärung, warum wir uns dessen so sicher sind, daß der logi-
sche Zusammenhang nicht stimmt, ist einfach: wir verlassen den engen Rahmen der
eigentlichen Argumente und beziehen unser Weltwissen mit ein. Dieses Weltwissen
beinhaltet neben vielem anderem die Regel, daß verstorbene Kollegen nicht mehr
kündigen können; genauer gesagt enthält es die allgemeinere Regel, daß Tote zu
keinerlei Handlungen fähig sind, woraus folgt, daß ihnen auch keine Kündigungen
möglich sind. Aufgrund dieses Wissens wird die konditionale Fügung Falls Meier
198

stirbt, kündigt er nächste Woche als kontrafaktisch im Sinne von 'wider die gene-
relle Regel1 eingeordnet und demzufolge als falsch bewertet.
Nun wäre es aber andererseits durchaus möglich, sich eine Firma vorzustellen,
in der alle Beschäftigten fest davon überzeugt sind, daß Verstorbene sehr wohl die
Möglichkeit haben, sich mit den Lebenden in Verbindung zu setzen. In dieser Firma
werden die Ansichten und Ratschläge verstorbener Firmenmitglieder, die nach wie
vor als Angestellte betrachtet werden, allwöchentlich in gemeinsamen spiritistischen
Sitzungen eingeholt und spielen eine große Rolle bei Zukunftsplanungen und Ent-
scheidungen. In diesem - zugegebenermaßen etwas skurillen, aber keineswegs
unvorstellbaren - Rahmen stünde das Argument Falls Meier stirbt, kündigt er näch-
ste Woche dann aber nicht mehr im Widerspruch zum Weltwissen und könnte somit
ohne weiteres als richtig akzeptiert werden.
Solche und ähnliche Überlegungen haben dazu geführt, daß die Diskussion um
das Weltwissen schon früh Eingang in die Diskussion um natürlichsprachliche
Konditionale gefunden hat. Ein grundlegender und vieldiskutierter Ansatz zur Er-
fassung dieses Problems findet sich in dem 1931 postum veröffentlichten Aufsatz
"General Propositions and Causality" von Frank P. Ramsey (wieder abgedruckt in
und im folgenden zitiert als: Ramsey 1978). Ramsey spricht den Konditionalsätzen
der natürlichen Sprache die Eigenschaft ab, Proposition auszudrücken, und fordert
statt dessen die Betrachtung der "cognitive attitudes" (ibd.: 135). Seiner Meinung
nach wird "wenn p, dann q" in natürlichsprachlicher Umgebung so behandelt, daß
die Sprecher "p" zum individuellen Weltwissen oder in Ramseys Worten zum
"stock of believes" hinzufügen und dann überprüfen, ob q als glaubwürdig angese-
hen werden kann: "We can say that they are fixing their degrees of belief in q given
p." (ibd.: 143, Fußnote l). Es wird also unter der Bedingung, daß p gegeben ist,
über q reflektiert oder diskutiert. Wenn die an diesen Überlegungen Beteiligten von
vornherein davon ausgehen, daß —> P, erscheint ihnen die Diskussion irrelevant
resp. von rein akademischem Interesse. Wenn sich -. P als wahr herausstellt, "these
degrees of belief (in q given p, E.H.) are rendered void", (ibd., Hervorheb, i. O.).
"If p, then q" can in no sense be true unless the material implication p ^> q is true;
but it generally means that p ID q is not only true but deducible or discoverable in
some particular way not explicitly stated. This is always evident when 'If p, then q'
'because p, q' (because is merely a variant on if, when p is known to be true) is
thought worth stating even when it is already known either that p is false or that q
is true. In general we can say with Mill that 'If p, then q' means that q is inferrible
from p, that is, of course, from p together with certain facts and laws not stated but
in some way indicated by the context.
(ibd.: 144)

Ramseys Interpretation, derzufolge "wenn p, dann q" im natürlichsprachlichen


Kontext so behandelt wird, daß die Wahrscheinlichkeit von q bei gegebenem p er-
wogen wird, ist in der Folge als "test for evaluating the acceptability of hypothetical
statements" (Harper 1981: 4) oder kurz als "Ramsey's test" bezeichnet worden.27

27
Ob Ramsey dieses (immerhin nur in einer Fußnote vorgestellte) Verfahren wirklich
als generellen Akzeptabilitätstest vorschlagen wollte oder ob er nur eine Beschrei-
bung des gewöhnlichen Verlaufs der Evaluierung solcher Argumente beabsich-
tigte, sei hier dahingestellt.
199

1968 nahm Stalnaker den Ramseyschen Ansatz in seinem vielzitierten Aufsatz


"A Theory of Conditionals" wieder auf.28 Er versuchte seinerseits, eine angemesse-
ne Beschreibung natürlichsprachlicher Konditionalgefüge vorzulegen und dabei im
Anschluß an Ramsey insbesondere "from belief conditions to truth conditions" zu
gelangen (Stalnaker 1968/1981: 45). Konsequentenveise geht er davon aus, daß
Konditionalgefüge in der Tat Propositionen miteinander verknüpfen (was Ramsey
verneint hatte); er sieht die "conditional logic as an extension of modal logic." (ibd.:
46). Stalnaker verlagert die Evaluierung des Konditionalgefüges vom Bereich des
Weltwissens auf ein Modell möglicher Welten, zu dem auch eine zur Evaluierung
kontrafaktischer Konditionalgefüge notwendige "absurde" Welt gehört.29 So wie
Ramsey nur die kleinste mögliche Veränderung des "stock of beliefs" vornehmen
wollte, die nötig ist, um das Antezedens ins Weltwissen aufzunehmen, soll sich
auch die mögliche Welt bei Stalnaker von der realen so wenig wie möglich abwei-
chen ("differ minimally", ibd.: 46): die gedachte Welt W2 wird sich von der realen
Welt W] nur um soviel unterscheiden, wie nötig ist, damit A in W2 wahr ist.
Um dem bereits ausführlich dargestellten Problem zu begegnen, daß formallogi-
sche und natürlichsprachliche Konditionalverknüpfungen einander nicht entspre-
chen, schlägt Stalnaker ferner ein geändertes formales Notationssystem vor, das
den Gegebenheiten der natürlichen Sprache Rechnung tragen soll. Der natürlich-
sprachliche Konditional wird nicht durch das Symbol "z>" für hinreichende Bedin-
gungen wiedergegeben, sondern durch das Zeichen ">" ("corner") symbolisiert; im
Unterschied zu "z>" ist ">" nicht transitiv. Da somit aus A > B und B > C nicht auf
A > C geschlossen werden kann, tritt das oben angeführte logische Problem des
Kollegen, der nach seinem eigenen Tode die Kündigung einreicht, nicht mehr auf.
Auch Erweiterungen (aus A > B folgt (A & C) > B) wie im Falle des eingeweichten

28
Der Aufsatz wurde in Harper/Stalnaker/Pearce (1981) unverändert wieder abge-
druckt; die Seitenangaben beziehen sich im folgenden auf den als Stalnaker
(1968/1981) zitierten Neuabdruck.
Stalnaker kritisiert an Ramseys Ansatz, daß dessen Verfahren nur dann
anwendbar sei, wenn man keine oder eine positive Meinung über das Zutreffen des
Antecendens habe. Für den Fall, daß "you know or believe the antecendent to be
false", könne man es nicht zum eigenen Weltwissen hinzufügen, ohne einen
Widerspruch hervorzurufen. Wie das obige Zitat zeigt, hat Ramsey diesen Punkt
indessen durchaus bedacht. Allerdings geht Ramsey auf das Problem der
"kontrafaktischen" Konditionale nur am Rande ein: "The sort of thing that makes
one want to take a realistic view of causality is this. Suppose the human race for no
reason always supposed strawberries would give them stomach-ache and so never
ate them; then all their beliefs, strictly so called, e.g. that if I eat strawberries I shall
have a pain, would be true; but would there not really be something wrong? Is it
not a fact that if they had eaten them they wouldn't have had a pain?
No, it is not a fact (...) If we regard the unfulfilled conditional as a fact we
should have to suppose that any such statement as 'if he had shuffled the cards, he
would have dealt himself the ace' has a clear sense true or false, which is absurd."
(Ramsey 1978: 48f.).
29
Das Modell hat die Struktur M (K, R, 1), wobei K die Menge aller möglichen
Welten und R ihre Relation untereinander bezeichnet. Wenn a und b mögliche
Welten sind, dann bedeutet aRb "b ist im Verhältnis zu a möglich, l schließlich ist
ein Element von K; es bezeichnet die "absurde Welt", also diejenige, "in which
contradictions and all their consequences are true". (Stalnaker 1981: 45).
200

Streichholzes und der negative Umkehrschluß (aus A > B folgt -, B > -> A)30 sind
nicht mehr zulässig (cf. ibd.: 48f.).
Ein grundsätzliches Problem der "Übersetzung" natürlichsprachlicher Konditio-
nalgefüge in formallogische Darstellungen besteht für Stalnaker in der "pragmati-
schen Ambiguität" natürlichsprachlicher Äußerungen. Gemeint ist damit der in un-
terschiedlichem Maße feststehende oder fixierbare Bezug von sprachlichen Zeichen
zu Objekten der außersprachlichen Wirklichkeit: "Any sentence involving pronouns,
tensed verbs, articles or quantifiers is pragmatically ambiguous." (ibd.: 51) In der
Praxis führt diese Ambiguität dazu, daß einer natürlichsprachlichen Äußerung meh-
rere formallogische Entsprechungen gegenüberstehen. Aber abgesehen von dieser
speziellen Schwierigkeit lassen sich auf der Grundlage der obigen Modifizierungen
durchaus Wahrheitsbedingungen für natürlichsprachliche Konditionale formulieren:
A > B ist dann und nur dann wahr, wenn in einer möglichen Welt w, in der A wahr
ist, auch B wahr ist.31
Dennoch: die eigentliche Funktion und Bedeutung natürlichsprachlicher Kondi-
tionale ist auch damit nicht vollständig erfaßt, denn sie implizieren außer den Wahr-
heitswerten stets auch einen engen inneren Zusammenhang der beiden so ver-
knüpften Propositionen: A ist Ursache oder zumindest Anlaß für B. Diese Verhält-
nisse werden durch die Etymologie der entsprechenden sprachlichen Ausdrücke
vielfach besser verdeutlicht als durch ihre Umsetzung in logische Notationen. So
spiegelt die weitverbreitete temporale Wurzel konditionaler Konjunktionen bei-
spielsweise das post hoc, ergo propter hoc der Alltagslogik wider, und die zum
konditionalen Nebensatz grammatikalisierte Interrogation sagt nichts anderes, als
daß die Frage beantwortet werden muß, bevor die Gültigkeit der daran anschließen-
den Aussage beurteilt werden kann.32

5.6 Funktionen des Satzmodus "Interrogation" (Bestimmungsfrage)

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß neben den Interrogativsätzen des Typs
Entscheidungsfrage die des Typs W-Frage (Bestimmungsfrage, Pronominalfrage,
Ergänzungsfrage, Satzteilfrage (...) ) ein eher unbeachtetes Dasein führen. Aber
auch dieser Satzmodus kann als selbständiger Satz33 nicht nur in seiner ur-

30
Stalnaker möchte im letzteren Fall allerdings den Modus ponens weiterhin gelten
lassen, so daß aus A > B und -i B auf -. A geschlossen werden kann; cf. ibd.: 55,
31
Anmerkung 10.
Stalnaker nimmt eine Selektionsfunktion f (A, w) für aus Auswahl der möglichen
Welt an, so daß in dieser Notation A > B dann und nur dann wahr ist, wenn B in
32
f (A, w) wahr ist (cf. ibd. 46).
Angesichts solcher Befunde gewinnt die These Yngves (1996), daß die seiner
Ansicht nach auf die Stoiker zurückzuführende falsche Zuordnung der Sprache
zum Bereich der Logik zu einer unzulässigen Vermischung der Ebenen und daher
33
zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, einiges an Überzeugungskraft.
Als unselbständige Sätze können Sätze mit einleitendem Interrogativum die un-
terschiedlichsten syntaktischen und semantischen Funktionen wahrnehmen. Als in-
direkte Fragesätze stehen sie in Subjekt- oder Objekt-Position; als Relativsätze
bilden sie Attribute, als konzessive Konditionalsätze (unter obligatorischem Zusatz
von auch und/oder immer, cf. was du auch sagst/was auch immer du sagst/was
immer du sagst) Adverbialbestimmungen.
201

sprünglichen Funktion als Interrogation benutzt werden, sondern kann auch eine
ganz andere Aufgabe wahrnehmen; cf. z. B.:
Wie kalt es ist!
Was bist du heute wieder eklig gelaunt!
etc.

Diese Verwendungsweise tritt alles andere als selten auf und kann dabei unter-
schiedliche Formen aufweisen; so unterscheidet beispielsweise Näf (1987: 143) 14
verschiedene Typen von W-Exklamationssätzen, die ich folgendermaßen systema-
tisch zusammenfassen möchte:
Es ergeben sich sieben Satztypen, die jeweils entweder mit Zweitstellung oder
mit Endstellung des finiten Verbs (bei Näf: "Personalform") auftreten können. Un-
ter ihnen sind zunächst drei Typen mit einleitendem wie, und zwar (Beispielsätze in
Klammern nach Näf 1987: 143):
wie mit Verb:
Wie bist du gewachsen/Wie du gewachsen bist!

wie mit prädikativem Adjektiv:


Wie bist du groß geworden/Wie du groß geworden bist!

wie mit direkt nachfolgendem Adjektiv:


Wie groß bist du geworden/Wie groß du geworden bist!

Ferner existieren zwei Typen mit einleitendem was:


was mit Verb:
Was hast du dich verändert/Was du dich verändert hast!

was mit prädikativem Adjektiv:


Was bist du groß geworden.'/Was du groß geworden bist!

sowie zwei weitere mit wasför ein:


- mit Aufspaltung der Wortfolge von was für ein:
Was ist das für ein riesiger Kerl!/Was dasfiir ein riesiger Kerl ist!

- ohne Aufspaltung der Wortfolge von was für ein:


Was für ein riesiger Kerl ist das/Was für ein riesiger Kerl das ist!

Mit den 14 Typen von W-Exklamationen, die Näf gefunden hat, ist die Aufzählung
der entsprechenden Äußerungstypen im Deutschen aber noch lange nicht vollstän-
dig. Zunächst muß sie um die Verwendung von welch- und welch ein wie in Sätzen
wie:
Welche Schönheit! Welche Pracht!
Welch ein Zufall!

ergänzt werden, die zwar zugegebenermaßen archaisch wirken, da welch- und


welch ein in der modernen Standard-Umgangssprache durch was für ein ersetzt
202

werden, die aber dennoch nach wie vor gebildet werden können und deren Ver-
ständlichkeit ohnehin außer Frage steht. Wichtig ist ferner der bereits an den obigen
beiden Beispielsätzen belegbare Hinweis, daß Exklamationen des wie-, was für ein-
und welch- Typs besonders häufig elliptisch geäußert werden; cf. auch:
Was für ein Mistwetter!
Wie nett!

Neben den Zuordnungen zu Verb, attributivem und prädikativem Adjektiv müssen


also auch ellipitsche Verwendungen angegeben werden.
Zu Recht weist Näf (1987: 147f.) auf die Übereinstimmung von was mit wie im
Hinblick auf Funktion und Bedeutung in Exklamationssätzen hin. Daß dies aber
nicht notwendig immer der Fall ist und daß es zudem noch weitere Typen von W-
Exklamativen gibt, zeigen Beispielsätze wie die folgenden:
Was du alles weißt!
Wer alles gekommen ist!
Wen die so kennt!
Wo du schon überall warst!

Rosengren (1992: 281) schließt aus solchen Beispielen, daß "alle w-Phrasentypen
vorzukommen (scheinen)",34 wobei "bestimmte w-Phrasen (...) in der Regel
zusammen mit alles (wie, was, wer, wo, womit) auf(treten)." (ibd.)
Interessant ist der Nachweis, daß die Zweitstellung des Finitums in dem von
Näf untersuchten Corpus, den Grimmschen Kinder- und Hausmärchen, gegenüber
der Endstellung eindeutig überwiegt. Insofern scheint es sich bei der Endstellung
also um eine neuere Entwicklung zu handeln. Da sie eindeutig fakultativ ist, kann
sie zumindest nicht zur zentralen Grundlage der Interpretation von exklamativen W-
Sätzen gemacht werden. Wenn ein Satz wahlweise mit Verb-Zweit-Stellung oder
mit Verb-Letzt-Stellung geäußert werden kann, ohne daß sich an seiner Bedeutung
oder an seiner Akzeptabilität etwas ändern würde, so kann dies nur bedeuten, daß
wir uns in einer sprachlichen Umbruchsituation befinden, also ein Fall von
Diachronie in der Synchronie vorliegt; es gibt eine Tendenz zur Desambiguierung
dieses Satztyps durch die Wortstellung, die sich vermutlich langfristig durchsetzen
wird, die jedoch im Augenblick noch nicht die Norm darstellt.
Aber dieser spezielle Satzmodus scheint über das Deutsche hinaus auch generell
besonders gut dafür geeignet zu sein, Erstaunen auszudrücken, cf. z. B. das fol-
gende vielsprachige Staunen über Schönheit:
deutsch: Wie schön du bist!
englisch: How beautiful you are!
französisch: Quelle jolie femme U a epouseefi5
russisch: Kakaja krasata!
serbisch: Staje lepa!
türkisch: Ne güzel!
etc.

34
Problematisch ist dabei allerdings die Auffassung, auch bei den Sätzen Warum der
immer so früh aufsteht! und Wieso der immer zu spät kommt! handle es sich um
Exklamationen.
35
Beispiel nach Grevisse (1986: 665).
203

Auch dies ist bereits ein sehr interessantes Phänomen, denn offenbar kann man die
Erklärung für die Bevorzugung dieses Satztyps zum Ausdruck des Staunens nicht
einzelsprachlich und auch nicht auf indoeuropäische Sprachen beschränkt geben,
sondern es muß sich um ein universales Phänomen handeln. Es scheint so zu sein,
daß die Verwunderung über die Eigenschaften eines Objektes sozusagen die Frage
nach eben diesen Eigenschaften hervorrufen - daß also sozusagen etwas Ähnliches
wie das Wort unbeschreiblich auf Satzebene geäußert wird.

5.7 Pragmatik

Wie eingangs erklärt wurde, muß zwischen dem Satzmodus und seiner Verwen-
dung klar unterschieden werden. Darauf nimmt auch Fernandez-Bravo (1993) Be-
zug, wenn sie schreibt:
Etant donne la difference entre:
- l'acte de poser une question a quelqu'un (question comme type d'enonce)
et
- le fait d'utiliser en situation un 6nonce interrogatif dans un certain but (demande
de renseignement, de confirmation, demande d'agir (...))
nous nous demandons, en nous pla£ant du cöt6 du docodage, comment nous pou-
vons attribuer une valeur illocutoire ä la question, quelle est sä pertinence com-
municative, vu l'infinie variote des situations concretes dans lesquelles eile apparait.
(Fernandez-Bravo 1993: 31)

Die Beobachtung, daß Satzmodus und Illokution eben gerade nicht identisch sind,
wurde bereits ausführlich diskutiert (cf. Punkt 5.2 der vorliegenden Arbeit). Inter-
rogativsätze des Typs Entscheidungsfrage werden typischerweise außer für Fragen
- was ja ihre Grundfunktion darstellt - für die pragmatischen Funktionen
"Aufforderung" und "Bitte" verwendet. Der naheliegende Grund hierfür ist natür-
lich darin zu suchen, daß es weniger gesichtsbedrohend ist, eine Aufforderung nicht
in direkter Form zu äußern, sondern sie in die Form einer Frage zu kleiden (cf.
Brown/Levinson 1988). Entsprechend sind bestimmte höfliche Formen der Auffor-
derung im Deutschen nahezu ausschließlich im Interrogativmodus denkbar;36 cf.
z. B.:
Könnten Sie mir bitte mal das Salz geben?

vs.
(?) Geben Sie mir bitte mal das Salz!

Aber auch Aufforderungen können im Interrogativmodus geäußert werden, wenn


sie damit höflich abgeschwächt werden können; so ist etwa die Frage nach der Er-
laubnis im folgenden Beispielsatz eine Aufforderung:
Dürfte ich Sie bitten, das Fenster zu schließen?

36
Wobei selbstverständlich zusätzliche Markierungen in Form von Modalverben und
Konjunktiv sowie durch den Einsatz von bitte, vielleicht etc. erfolgen.
204

Dem stünde ein


(?) Ich bitte Sie hiermit, das Fenster zu schließen.

gegenüber, was zwar eine grammatisch korrekte und mögliche Äußerung der deut-
schen Sprache darstellt, was aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nicht geäußert würde; selbst wenn man das performative hiermit aus dem Satz
streicht, entsteht eine eher unidiomatische und unhöflichere Aufforderung.
Solche "Idiomatisierungen" von Illokution und Facilokution sind in hohem
Maße einzelsprachspezifisch, was ihre konkrete Ausformung angeht; so würde etwa
die wörtliche Übersetzung von Dürfte ich Sie bitten, das Fenster zu schließen auf
Serbisch eher unidiomatisch und ungewöhnlich klingen (cf.: (?) Da U bih smela da
vas zamolim da zatvorite prozor?). Dennoch handelt es sich bei dem grundlegenden
Verfahren um ein übereinzelsprachlich gültiges Prinzip, und es sind nur die
konkreten Ausführungs- und Anwendungsbedingungen, die sich von Sprache zu
Sprache unterscheiden. Dies läßt sich nicht zuletzt am Beispiel des Apache
illustrieren, das keinen Imperativ als Verbalmodus kennt und statt dessen grundsätz-
lich den Satzmodus Interrogation verwendet, um Aufforderungen zum Ausdruck zu
bringen.37
Neben diesen pragmatischen Funktionen - also der Verwendung als Aufforde-
rung oder Bitte - stehen auch noch rhetorische Einsatzmöglichkeiten für Fragen zur
Verfügung. Diese werden im Deutschen gewöhnlich durch den Gebrauch von
Partikeln wie etwa schon, wohl oder auch gekennzeichnet: vorzugsweise werden
sie aus Bestimmungsfragen gebildet:
Wer soll das schon gewesen sein ?
Na wer wohl?
(cf. hierzu auch Weydt et al 1983: 93f.)

Entscheidungsfragen mit auch bilden demgegenüber Vergewisserungsfragen, also


nicht im engeren Sinne rhetorische Fragen, auch wenn die Antwort vorerwartet ist
und ihre Äußerung ritualisiert sein kann, wie dies etwa bei der berühmten Kasperle-
Theater-Frage der Fall ist, cf.:
Seid ihr auch alle da? - Ja!

37
Mündliche Auskunft der Athapaskanistin M.-L. Liebe-Harkort, Berlin.
6 Das Problem der negierten Fragen

Im folgenden soll es um das auch in der Vergangenheit in der Literatur bereits


mehrfach diskutierte Problem gehen, wie die Tatsache zu erklären ist, daß ausge-
rechnet negierte Interrogativsätze zum Ausdruck einer positiven Antworterwartung
benutzt werden. Warum sagt man: Guck mal da drüben, ist das nicht Udo? wenn
man gerade meint, daß es sich höchstwahrscheinlich tatsächlich um Udo handelt -
und eben nicht, wenn man eher vermutet, daß der negierte Sachverhalt zutrifft, also
daß er es nicht ist? Dieser weitverbreitete Äußerungstyp wird aufgrund seiner
Funktion häufig als "Vergewisserungsfrage" bezeichnet (cf. Hentschel 1986b).
In engem Zusammenhang mit diesem Problem steht die zweite im folgenden zu
behandelnde Frage, bei der es darum geht, warum die äußere Form einer negierten
Pronominal- oder W-Interrogation zum Ausdruck des positiven Erstaunens ver-
wendet werden kann. Warum also sagt man: Was es nicht alles gibt! wenn man
darüber staunt, was es alles gibt - und eben gerade nicht, wenn man darüber
staunt, was es alles nicht gibt?
Das nicht, das in diesen beiden sehr unterschiedlichen Interrogationssatztypen
auftritt - wobei es sich ja nur im ersteren Fall wirklich auch um eine Frage im Sinne
einer Illokution handelt - wird mehrheitlich als eine Modalpartikel aufgefaßt. Dies
ist auch in den neuesten Publikationen zu diesem Thema der Fall, so etwa in Ursula
Braußes Buch zur lexikalischen Funktion von Synsemantika (Brauße 1994). Die
dort angeführte auszugsweise Liste der Vertreterinnen und Vertreter dieser Auffas-
sung (Blanken 1983, Heibig 1988, Thurmair 1989; cf. ibd.: 120) läßt sich mit
Leichtigkeit erweitem, muß allerdings auch um eine Angabe gekürzt werden, näm-
lich um Hentschel (1986). Hier liegt leider ein Mißverständnis vor, denn in dem
zitierten Aufsatz wird die Auffassung von nicht als Modalpartikel nicht unterstützt.
Wie sich die Negation statt dessen erklären läßt, soll im folgenden erklärt werden.

6. l Die Funktion von nicht in Interrogations Sätzen des Typs


Entscheidungsfrage

6.1.1 Zum Satztyp

Im Zusammenhang mit dem Gebrauch von nicht in Vergewisserungsfragen läßt


sich eine Reihe von Besonderheiten beobachten, die die Auffassung, es handle sich
bei nicht in dieser Art von Äußerungen um eine Abtönungspartikel, auf den ersten
Blick zu untermauern scheinen. Um diese Besonderheiten genau erfassen und
werten zu können, muß auch die Umgebung, in der sie auftreten, mit analysiert
werden.
Zunächst muß zwischen negierten Interrogativsätzen, die eine positive Erwar-
tung ausdrücken, und solchen, die nach dem Zutreffen einer negierten Proposition
fragen, unterschieden werden. Cf. z. B.:
positive Erwartung:
206

Ist das nicht Udo?


Ist er nicht süß?

negierte Proposition:
Kommst du nicht mit ins Kino ?
Bist du immer noch nicht satt?

Der Unterschied zwischen diesen beiden "Wirkungstypen" wird häufig als der zwi-
schen "propositionalem" und "nicht-propositionalem" nicht bezeichnet, und diese
Formulierung soll hier der Einfachheit halber gleich beibehalten werden, um die
auffindbaren Unterschiede zu beschreiben.
Als äußeres Unterscheidungsmerkmal wird im Deutschen gemeinhin vor allem
die Betonung des propositionalen nicht genannt (cf. Brauße 1994: 122f. sowie die
dort angegebene Literatur). Dieser Beobachtung kann allerdings nur eingeschränkt
zugestimmt werden: propositionales nicht ist zwar in der Mehrzahl der Fälle betont,
aber es kommen durchaus abweichende Betonungen vor, ohne daß sich am propo-
sitionalen Bezug der Negation etwas ändern würde; cf. z. B. die folgenden Sätze
(Betonung durch Versalien markiert):
Kommst du NICHT mit ins Kino ?

vs. mögliche Betonung als:


Kommst DU nicht mit ins Kino?
Kommst du nicht MIT ins Kino ?

Insbesondere müssen Fälle wie die folgenden berücksichtigt werden:


Kommst du WIRKLICH nicht mit ins Kino?
Wirst du das auch BESTIMMT nicht vergessen?
Bist du IMMER noch nicht satt?
etc.

wo die Betonung auf nicht nicht fakultativ, sondern sogar obligatorisch auf einem
anderen Element als dem nicht liegt.
Die Betonung von nicht ist also keine notwendige Bedingung und somit kein
regelmäßig anwendbares Kriterium für das Vorliegen einer propositionalen Nega-
tion. Nur die umgekehrte Regel, daß nicht-propositionales nicht nicht betont wer-
den kann, gilt offenbar ohne Ausnahme. Diese Unfähigkeit, die Betonung auf sich
zu ziehen, wird indessen als typisches Merkmal von Abtönungspartikeln abgese-
hen, die klassischerweise als unbetonte Homonym zu anderen, betonten Elementen
aufgefaßt werden (cf. z. B. Weydt 1969, Hentschel 1986); insofern könnte man im
Betonungsverhalten des Negators also durchaus ein Indiz dafür sehen, daß es sich
bei nicht-propositionalem nicht um eine Abtönungspartikel handelt.
Die Unbetontheit von nicht-propositionalem nicht kann natürlich sehr einfach
damit erklärt werden, daß nicht-propositionales nicht niemals den Fokus des Satzes
bilden kann, die Betonungsverhältnisse im Satz aber an die Thema-Rhema-Struktur
gebunden sind. Sehr viel interessanter als die Betonung ist daher die m. W. bisher
unbeachtet gebliebene Tatsache, daß die grammatischen Regeln für die Ersetzung
von nicht und unbestimmtem Artikel oder Nullartikel durch kein- bei nicht-proposi-
207

tionaler Negation nicht wirksam werden. Dadurch werden in diesen Fällen Kon-
struktionen möglich, die in jedem anderen Satztyp ungrammatisch wären. Cf. z. B.
die folgenden Sätze:
Ich habe keine Lust.
*Ich habe nicht Lust.
Wieso kommst du nicht mit ins Kino? Hast du keine Lust?
*Hast du nicht Lust?

vs.
Hast du nicht Lust, mit ins Kino zu kommen?

Die Konstruktion Hast du nicht Lust (...)? läßt sich nur als Vergewisserungsfrage
verwenden. Cf. ebenso:
Ich habe kein Auto.
*Ich habe nicht ein Auto.
Hast du kein Auto?

vs.
Hast du nicht ein Auto? (Nur Vergewisserungsfrage)
etc.

Auch die Kontraktionen der Negation mit einem indefiniten Element, wie sie in
nie(mals), nirgends, nirgendwo, niemand vorliegen, werden in Vergewisserungs-
fragen nicht vollzogen. Dies illustrieren z. B. die folgenden Sätze, die Minimal-
paare darstellen, wobei jeweils der erste eine propositionale Negation enthält, wäh-
rend der zweite eine Vergewisserungsfrage darstellt:
Hast du nie(mals) geraucht?
Hast du nicht mal geraucht?
Wachsen hier nirgends Pilze?
Wachsen hier nicht irgendwo Pilze?
Hat niemand angerufen?
Hat nicht jemand angerufen?

Ebenso ist in diesem Satztyp die normalerweise ungrammatische Kombination von


nicht und sogar zulässig, die gewöhnlich durch nicht einmal ersetzt werden muß
(cf. Poljakova, in Vorbereitung); cf. hierzu z. B. den folgenden Belegsatz aus dem
in Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit vorgestellten Sample:
Und haben die Japaner nicht sogar ihren Respekt vor dem amerikanischen Präsi-
denten verloren? (ta: 7)

Dieser eigenartige grammatische Befund spricht in der Tat für die bisher in erster
Linie durch die Semantik gestützte Annahme, daß hier keine propositionale Ver-
wendung der Negation vorliegt. Mit der Tatsache, daß die Negation außerhalb der
Proposition und damit nicht auf derselben Ebene wie die die Proposition bildenden
Elemente steht, kann nämlich dann erklärt werden, warum die normalen Regeln der
Verschmelzung in diesen Fällen nicht greifen können. Außerhalb der Proposition
stehen aber auch Abtönungspartikeln, die als Metakommentare über der jeweiligen
Äußerung operieren (cf. Hentschel 1986). Liegt also doch eine Abtönungspartikel
vor?
208

Wie bereits erwähnt, ist die Auffassung, daß der Negator in solchen Kontexten
die Funktion einer Abtönungspartikel oder Modalpartikel erfüllt, sehr weit ver-
breitet. Da bekannt ist, daß sich die relativ spezifischen Funktionen von Abtö-
nungspartikeln in der Tat aus unterschiedlichen sprachlichen Elementen, vorzugs-
weise Deiktika (cf. ibd.), entwickeln können, kann nicht von vornherein ausge-
schlossen werden, daß sich im Deutschen die Negationspartikel ebenfalls zu einer
Abtönungspartikel weiterentwickelt hat. Die ersten Bedenken entstehen jedoch,
wenn sich bei der Beobachtung von Nachbarsprachen wie beispielsweise dem
Englischen zeigt, daß dasselbe Verfahren auch hier gebräuchlich ist. Ist das ein
Zufall? Ein Einfluß des Deutschen? Oder handelt es sich um ein sprachübergreifend
gebräuchliches Phänomen?

6. l .2 Empirische Untersuchung

Um sprachliches Material für die Beantwortung der Frage zu finden, in welchen


geographischen Grenzen oder im Rahmen welcher Sprachfamilien die nicht-propo-
sitionale Negation auftritt, wurde eine Datensammlung begonnen, die bisher 52
Sprachen umfaßt, davon 28 indoeuropäische (von Albanisch über Bengali bis
Ukrainisch) und 24 nicht-indoeuropäische aus Europa, Nord- und Südamerika,
Afrika und verschiedenen Teilen Asiens. Im einzelnen handelt es sich dabei um
folgende Sprachen und Sprachfamilien resp. regionale Gruppen:

Indoeuropäische Sprachen:
Germanische Sprachen: Slawische Sprachen
Afrikaans Bulgarisch
Dänisch Makedonisch
Deutsch Polnisch
Englisch Russisch
Isländisch Serbisch
Niederländisch Slowenisch
Norwegisch Tschechisch
Schwedisch Ukrainisch

Romanische Sprachen:
Französisch
Italienisch
Katalanisch
Kreolisch (keine Ortsangabe)
Portugiesisch
Rumänisch
Spanisch
209

sonstige indoeuropäische Sprachen:


Albanisch Griechisch
Bengali Singhalesisch
Farsi

nicht-indoeuropäische Sprachen, regional geordnet:

Nordafrika und Vorderasien: Südamerika:


Arabisch Maya
Hebräisch Quechua
Türkisch
Asien:
übriges Afrika: Chinesisch
Liele (Gurunsi) Japanisch
Meekakan (Mandingo; Senegal): Koreanisch
Mina (Togo) Uzbekisch
Moore (Burkina Faso)
Yorübä (Kwa-Sprache, Nigeria) Europa:
Baskisch
Nordamerika: Finnisch
Apache Georgisch
Navajo Tatarisch
Inuktikut Ungarisch

Indonesien:
Indonesisch
Tagalog

Da die Grammatiken der Einzelsprachen, soweit solche zur Verfügung stehen,


keine Informationen über die Verwendungsmöglichkeit der nicht-propositionalen
Negation enthalten, wurden die benötigten Daten in persönlichen Interviews sowie
mit Hilfe von Fragebögen erhoben. Der Fragebogen beinhaltete u. a. die Aufforde-
rung, den Satz Guck mal, dort drüben! Ist das nicht Udo?} so in die eigene Mutter-
sprache zu übersetzen, daß das Ergebnis möglichst natürlich klingt. Anschließend
sollte eine Wort-für-Wort-Rückübersetzung in die Befragungssprache (meist
Deutsch, gelegentlich Englisch; die Befragungen mehrerer ungarischer Informanten
wurden auf Serbisch, die des Mina-Informanten auf Französisch vorgenommen)
angefertigt werden. Das Ergebnis der Befragung wird im folgenden wiedergegeben;
die Schreibweise folgt dabei der Schreibweise, die von den Informanten gewählt
wurde, und mag in Einzelfällen daher durchaus kritisierbar sein. Dasselbe gilt für
die Interlinearversionen, die ebenfalls ausschließlich den Angaben der Informanten
folgen und mit Sicherheit eine Reihe von Schwächen beinhalten, da es sich bei den
Befragten schließlich nicht um Linguisten handelte. Für das hier vorgegebene Un-
tersuchungsziel, nämlich die Feststellung, ob eine Negation in der Frage verwendet

1
In einigen Fällen wurde zusätzlich ein zweiter Satz, nämlich: Karl May (...) warte
mal (...) hat der nicht "Winnetou" geschrieben? zum Übersetzen vorgegeben.
210

wird, sind diese Probleme aber von untergeordneter Bedeutung. Wirklich wichtig
war nur, festzustellen, ob die Äußerung einen Negationsträger enthält und ob es
sich um eine Interrogation handelt; wenn diese Informationen nicht mit absoluter
Sicherheit aus den Antworten zu entnehmen waren, wurde nachgefragt, während
die übrigen Angaben nicht nochmals überprüft wurden.
Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt; die unter-
suchten Sprachen sind dabei nur alphabetisch und nicht nach regionalen Gesichts-
punkten oder unter dem Aspekt der Verwandtschaft geordnet. Sämtliche Abkürzun-
gen sind im Abkürzungsverzeichnis aufgeführt; die wichtigsten in den Interlinear-
versionen gebrauchten Abkürzungen seien hier aber der Einfachheit halber noch-
mals wiederholt:
Abi Ablativ
Akk Akkusativ
AUX Hilfsverb
Dat Dativ
DEM Demonstrativum
Fragepart Fragepartikel
Gen Genetiv
KOND Konditional
KOP Kopula (Verb oder Partikel)
Lok Lokativ
NEG Negationspartikel oder Negationsaffix
NEG-KOP negierte Kopula aus Negationsmorphem und Kopula
NEGKOP negierte Kopula (ohne isolierbares Negationsmorphem)
Part Partikel; freies Morphem aus der Klasse der Synsemantika
Pl Plural
PRÄP Präposition
Sg Singular

Es sei nochmals ausdrücklich darauf hingeweisen, daß es sich bei den folgenden
Angaben um unbereinigte authentische Daten handelt.

Afrikaans:
Kyk daar, is dit nie Jan nie?
Guck da, KOP DEM NEG Jan NEG?

Albanisch:
Shiko! A nuk eshte Beni ai atje?
Guck mal! Fragepart NEG KOP Ben DEM dort?

Apache:
Apache läßt keine negierten Interrogationen mit nicht-propositionaler Bedeutung
zu.2

Arabisch:
aleißa hatha Udol
Fragepart-NEGKOP DEM Udo?

2
Mündliche Auskunft der Athapaskanistin M.-L. Liebe-Harkort, Berlin.
211

a lam jaktub "Winnetou"!


Fragepart NEG schrieb "Winnetou"?

Baskisch:
Begiratu, ez al da Jon?
Look, NEG Fragepart AUX(abs) Jon?

Bengali:
A kay? Jawn noi kee?
That who? John NEG what?

Bulgarisch:
¢ Â Ç X, ea T3M-
mal sieh, he dort -
rosa we e ÐÇ Õ no?
DEM NEG KOP Fragepart Udo?
Kapji Man, ¢
Karl May, mal warte
we ejtfe JIH ôïð nanncan "BHHery"?
NEG KOP-Pr t Fragepart DEM geschrieben "Winnetou"?

Chinesisch:
Íá bu she Udo ma?
Dort NEG KOP Udo Fragepart?
Íá Bu Shi Wuduo Ìá?
Das NEG KOP Udo Fragepart?
La bo shi Udo ma ?
DEM NEG KOP Udo Fragepart?
Ta bu she ehe "W. " de ren m ?
DEM NEG KOP geschrieben "W." von Mensch Fragepart?
Zhe Bu Shi Tai Guo Fen Le Ma?
Das NEG KOP bertreiben Vergangenheit Fragepart?
('Das ist doch wohl bertrieben!')

D nisch:
Er det ikke Udo ?
KOP DEMNEG Udo?
Er det ikke harn, der har skrivet "Winnetou"?
KOP DEM NEG er REL AUX geschrieben "Winnetou"?

Englisch:
That's Udo, isn't it?
Isn't that Udo? (British)
Isn't that the one who wrote "Winnetou"?
Hasn't he written "Winnetou"? (British)
212

Farsi:
In Udo nist?
Das Udo NEG-KOP?
Aia u "Winnetou" ra nanewtschteh st?
Fragepart er "Winnetou" Pr position NEG-geschrieben KOP?
aja u Udo nist?
Fragepart er Udo NEG-KOP?
aja u "winnetou" ra nanvesteh st?
Fragepart er "winnetou" Objekt-Part NEG-geschrieben KOP?
Finnisch:
eik se olekin Udo ?
NEG-Fragepart DEM KOP-Best tigungssuffix Udo?

Franz sisch:
N'est-ce pas Udo?
NEG-KOP-DEM NEG Udo?
(ne) serait paj Udo?
DEM NEG KOP-KOND NEG Udo?
n'est pas Udo?
DEM NEG-KOP NEG Udo?
Ne serait-ce pas ß/ß/Ï?
NEG KOP-KOND-DEM NEG Udo?
C'est pas Udo?
DEM-KOP NEG Udo?
N'a-t-il pas ecrit "Winnetou"?
NEG-AUX-er NEG geschrieben "Winnetou"?
C'est pas lui qui á ecrit "Winnetou"?
DEM-KOP NEG DEM REL hat geschrieben "Winnetou"?

Georgisch:
Es Udo ar ans?
Dieser Udo NEG KOP?
Magan "Winnetou" ar dazera?
DEM "Winnetou" NEG geschrieben-hat?

Griechisch:
AVT'OS äåí åéõáé ï Ï'õíôï?
dieser NEG KOP DEM Udo?
Äåí åéõáé aur'os 0 Ï'õíôï?
NEG KOP DEM DEM Udo?
AVT'OS äåí 'Ýãñáöå TO "Winnetou"?
Dieser NEG hat geschrieben das "Winnetou"?
213

Gulmanuma (Burkina Faso):


diidi no, Udo kaa?
schau mal Udo NEGKOP?
Karl My, gundi no (...) wani ka diani "Winnetou"?
Karl May, warte mal (...) er NEG geschrieben "Winnetou"?

Hebräisch:
tireh schamah - se lo Udo ?
schau dort - DEM NEG Udo?
Karl May - chake rega — se lo se schekatar "Winetu"?
Kalr May - warte mal - DEM NEG DEM schrieb "Winnetou"?

Indonesisch:
(keine näheren Angaben; Glossen unklar)
Bukan kahitu Udo?
(Glosse: 'es ist nicht Udo?')
Unggu dulu tidakkah dia menulis "Winnetou"?
(Glosse: 'warte vorher es ist nicht er schreibt "Winnetou"?')

Inuktikut (kanadische Ost-Arktik):


nur propositionaler Bezug der Negation möglich.3

Isländisch:
Er petto ekki Udo?
KOP DEM NEG Udo?
Vor fra ekki kann sen skrifaSi "Winnetou"?
War DEM neutr. NEG er REL schrieb Winnetou?

Italienisch:
Non e Udo?
NEG KOP Udo?
Quelle non e Udo ?
DEM NEG KOP Udo?
Non e Udo quellol
NEG KOP Udo DEM?
Non ha scritto "Winnetou"?
NEG AUX geschrieben "Winnetou"?
Non e quello ehe ha scritto "Winnetou " ?
Neg KOP DEM REL AUX geschrieben "Winnetou"?

Japanisch:
Kare Udo ja nai ka?
DEM Udo KOP NEG Fragepart?

Persönliche Auskunft der Inuktikut-Spezialistin Elke Nowak, Universität Stuttgart.


214

"vinetou1 o kaita n ja nakattakke?


"W." Objektmarkierung schrieb NEG KOP NEG-Vergangenheit-
Satzschlußpart?
Kare "Winnetou" o kaita ja nai ka ?
DEM "Winnetou" Objektmarkierung schrieb KOP NEG Fragepart?

Katalanisch:
^No es ese Udo?
NEG KOP DEM Udo?
iNo ha escrito el "Winnetou"?
NEG hat geschrieben er "Winnetou"?

Koreanisch:
Udo aniya?
Da Udo KOP-NEG?
Udo a ni ni?
Udo KOP-NEG-Fragepart?
39 sarami Udo-ga aninja ?
DEM Mann-SUBJ Udo-SUBJ NEG-KOP?

gü "Winnetou" ssün saram aniya?


DEM "Winnetou" geschrieben-habend Mensch-KOP-NEG?
guga "Winnetou" rül ssüji anadni?
er "Winnetou"-OBJ schreib- NEG-getan?

Kreolisch (keine Ortsangabe):


Get ene kaut läbas — pa Udo ?
(Guck mal dort) NEG Udo DEM?
(...) pa U ki fin ekrir "Winnetou"?
(...) NEG DEM REL hat schreiben "Winnetou"?

Liele (Gurunsi):
Moba de Udo yeer
er NEG Udo Fragepart?
e-de n mie n ke "Winnetou" seere yee?
NEG er Vei
Verbpartikel schreib- "Winnetou" Buch-POSS Fragepart.

Mazedonisch:
Ogledni tamu, zarem toj ne e Pero*
Guck dort Part DEM NEG KOP Peter?
Karl Maj, hmmm, toj ne go napisal " Vine tu " ?
Karl May, hmm, DEM NEG ihn geschriebener "Winnetou"?

4
Die lateinische Schreibung ist darauf zurückzuführen, daß die Befragung der
Muttersprachlerin in diesem Fall über das Internet erfolgte.
215

Meekakan (Mandingo; Senegal):


Udo te raa ?
Udo NEG Fokus-Fragepart?

Mina (Togo):
Kpo! Mu Udo yerjua?
Tiens! NEG Udo dort-KOP?

Moore (Burkina Faso):


Fese, pa a Udo?
guck NEG KLASS Udo?
Pa a Udo la wato ?
NEG KLASS Udo KOP DEM?
Pa yendä n gvls a "Winnetou" sebnä?
NEG er(betont) Verbmark. schreib- KLASS "W." Buch-POSS?
Karl May, jaase, pa he n gvL·se "Winnetou" wä?
Karl May, warte, NEG er RELpart schireib- "Winnetou" DEM?

Navajo:
"Navajo does not employ that technique. A question such as Doosh Kintahgoo
nisiniya, didn't you go to town, would be answerable affirmatively "Ouu"',
meaning "yes, I didn't go to town". Navajo would say Kintahgoo nisiniyaa ya'
You went to town, didn't you? Answer: Ouu', yes (I did), or ndaga' (no, I
didn't). "5

Niederländisch:
Is dat Udo niet?
KOP DEM Udo NEG?
Heefi die niet "Winnetou" geschreven ?
AUX DEM NEG "Winnetou" geschrieben?
heefi die "Winnetou" nict geschrevenl
AUX DEM "Winnetou" NEG geschrieben?

Norwegisch (Norsk):
Er ikke det Udo?
KOP NEg DEM Udo?
Har ikke han skrivet "Winnetou"?
AUX NEG er geschrieben "Winnetou"?

Polnisch:
(Popain tylko tarn -/Zobacz tylko tarn po drugiej stronie - )
nie jest to Udo?
NEG KOP DEM Udo?

5
Personal communication from Robert W. Young, University of New Mexico.
216

Czy to nie jest Udol


Fragepart DEM NEG KOP Udo?
(...) nie jest to ten, ktory napisai "Winnetou"?
NEG KOP DEM DEM, REL geschrieben "Winnetou"?

Karl May? (...) to nie ten, ktory napisai "Winnetou"?


Karl May (...) DEM NEG DEM, REL geschrieben "Winnetou"?
Czy to nie ten napisai "Winnetou"!
Fragepart das NEG DEM geschrieben "Winnetou"?

Portugiesisch:
Olha, acola — n o e o Udo?
Guck, da dr ben NEG KOP DEM Udo?
Karl May (...) espera la (...) ele nao esreven "Winnetou"?
Karl May (...) warte dort (...) er NEG schrieb "Winnetou"?

Quechua:
Mana-ku Udu taqee-qa?
NEG-Fragepart Udo DEM-Topikalisierungspartikel?
Udu tsu-ma-chi.
Udo NEG+SUBJ/OBJ-Relation+Suffix zum Ausdruck der Vermutung.
Mana-ku "Winnetou" '-ta pee-qa killqa-shqa?
NEG-Fragepart "Winnetou"-OBJ Pronomen-TOP geschrieben?
W.-ta-tsu-ma-chi pee-qa killqa-shqa?
W.-OBJ-NEG-SUBJ/OBJ-Relation-Vermutung Pron.-TOP. geschrieben?

Rum nisch:
la te vita, pe parted cealala - oarte nu-i Udo ?
Guck mal, auf der anderen Seite - vielleicht NEG-KOP Udo?
Karl May (...) stai putin (...)
Karl May (.··) warte ein wenig (...)
nu-i cel care-a scris "Winnetou"?
NEG-KOP DEM REL-AUX geschrieben "Winnetou"?
n-a scris el rom nul "Winnetou"?
NEG-AUX geschrieben er Roman-ART "Winnetou"?

Russisch:
(Passe) 3TO we Yno?
(Etwa ) DEM NEG Udo?
3ôï ne Õ no?
DEM zuf llig NEG Udo?
3ôï He OH nanncaji "ÂÇÇâôã"?
Das NEG er geschrieben(mask.) "Winnetou"?
He nanu can OH "BHHery"?
NEG geschrieben(mask.) Fragepart er "Winnetou"?
217

Schwedisch:
Ar inte det V do?
KOP nicht DEM Udo?
Ar det inte Udo?
KOP DEM NEG Udo?
Har inte han skrivet "Winnetou"?
AUX NEG er geschrieben "Winnetou"?
Har han inte skrivet "Winnetou"?
AUX er NEG geschrieben "Winnetou"?

Serbisch:6
Nije U to Udo?
NEG-KOP Fragepart das Udo?
Nije // taj napisao "Vinetu"?
NEG-KOP Fragepart dieser geschrieben "Winnetou?"

Singhalesisch:
e: Udo: ne weyi äa ?
dies/dort Udo NEG-KOP-Fragepart?
eya: neweyiäd " Winnetou " liwwe: ?
er/der NEG-KOP-Fragepart "Winnetou" geschrieben?

Slowenisch:
Poglej no ke, a m to Udo?
Guck mal dorthin, Partikel NEG das Udo?
Karl May, pocak, a ni ta napisal Vinetuja?
Karl May, warte, Partikel NEG DEM geschrieben Winnetou?

Spanisch:
Mira, alia enfrente, l no es acaso Udo?
Guck, dort drüben, NEG KOP vielleicht Udo?
^No es Udo?
NEG KOP Udo?
j,Aquel no es Udo?
DEM NEG KOP Udo?
iKarl May? (...) espera un momenta (...)
Karl May? (...) warte einen Moment (...)
ino es el quien escribio "Winnetou"?
NEG KOP DEM REL schrieb "Winnetou"?

6
Dieselben Äußerungen sind auch im Bosnischen und im Kroatischen möglich;
diese beiden neu etablierten Sprachen werden hier nicht eigens aufgeführt. Cf.
hierzu auch Kapitel 1.
218

Tagalog:
Hindi ba i yan si Udo?
NEG Fragepart DEM DET Udo?
Hindi ba niya isinulatang "Winnetou"?
NEG Fragepart DEM geschrieben "Winnetou"?
Tatarisch:
ãç Vao ryrejj ne?
er Udo NEGKOP Fragepart?
ãç "BHHHery" MU?
er Winnetou" schreib-NEG- Vergangenheit Fragepart?

T rkisch:
Bak sana,
o Udo degil mi?
DEM Udo NEGKOP Fragepart?
?u Udo degil mi?
DEM Udo NEGKOP Fragepart?
Karl May? (...) bir dakika (..
o " Winnetou"'y u yazmadimi ?
DEM "Winnetou"-Akk. schreib-NEG-(dO-Fragepart?
"Winnetou'"yu yazan degilmi?
DEM "Winnetou"-Akk. schreibende NEG-Fragepart?
o "Winnetou" 'yu yazmami§ miydi ?
DEM "Winnetou"-Akk. schreib-NEG-(wif»-Fragepart-(<f/)?7

Ukrainisch:
Tau w ôï He Õ no e?
Dort Fragepart DEM NEG Udo KOP?
Kapn Man (...) nexan (...)
Karl May (...) warte (...)
HU TO H6 BUH "BHHH6Ty"
Fragepart DEM NEG er "Winnetou" geschrieben?

Ungarisch:
Er nem Udo?
DEM NEG Udo?
Nem Udo ar?
NEG Udo DEM?
(Hat) Nem szegen ez?
(Part) NEG Schande DEM?
Nem Meier aszrony az ott?
NEG Meier Herr DEM dort?

In -mi$ und -di liegen Affixe mit temporaler (Vergangenheitstempus) und - im


Falle von -mi$ - zus tzlich auch modaler Funktion vor.
219

Hat nem igy van?


Partikel NEG so DEM?
Nem gondolod te is?
NEG denkst du auch?
nem ö irta a "Winnetou"?
NEG er schrieb ART "Winnetou"?

Uzbekisch:
Tujfun dalada emasmi?
Tujfun Feld-LOK NEG-KOP-Fragepart?

Yorübä (Kwa-Sprache, Nigeria):


njf Udo kp un?
Fragepart Udo Fragepart Präsens?
§e ko l ti kowe si "Winnetou"?
Fragepart NEG Vergangenheit schreib- Präp "Winntou"?

Wie sich zeigt, waren unter den 52 untersuchten Sprachen nur drei, die eine solche
Verwendung der Negationspartikel nicht zuließen. Dabei handelte es sich zum einen
um Apache und Navajo; dies sind zwei nahe verwandte polysynthetische Sprachen
aus der athapaskischen Sprachfamilie. Inuktikut, die dritte Sprache, die keine ne-
gierten Vergewisserungsfragen zuläßt, gehört ebenfalls zur Gruppe der polysynthe-
tischen Sprachen; damit schließen alle drei Vertreter dieses Sprachtyps, die über-
haupt im Sample enthalten sind, den nicht-propositionalen Gebrauch des Negators
aus. In diesen Sprachen würde nach Auskunft meiner Informanten eine negierte
Frage stets und ausschließlich "wörtlich" verstanden werden, also etwa so, wie dies
im Deutschen durch die Betonung der Negationspartikel in Ist das NICHT Udo?
bewirkt werden kann. Aber in allen anderen bisher untersuchten Sprachen, nämlich
100% der indoeuropäischen und 88% der äußer-indoeuropäischen (insgesamt also
in 94% sämtlicher bisher erfaßten Sprachen) funktioniert das Verfahren, und der
Gebrauch der Negation in einer Interrogation kann zur Kennzeichnung dessen
verwendet werden, daß es sich um eine Vergewisserungsfrage handelt und eine
positive Antwort als wahrscheinlich angenommen wird.
Nun wirkt eine solche Aufzählung schon beeindruckend genug; aber wie signi-
fikant ist ein solches Ergebnis? Bisher ist ja trotz allem erst eine relativ kleine Zahl
von Sprachen untersucht worden. Statistisch gesehen läßt sich das Ergebnis fol-
gendermaßen bewerten:
Die Verwendung der negierten Frage zum Zwecke des Ausdrucks einer positi-
ven Erwartung soll im folgenden als F bezeichnet werden. Wenn man nun eine
einzelne Sprache, betrachtet, so hat sie genau zwei Möglichkeiten: entweder, sie
macht von F Gebrauch oder nicht. Falls nur der reine Zufall darüber entscheidet, so
kann die Wahrscheinlichkeit mit der eines Münzwurfs verglichen werden: Kopf
oder Zahl, F oder -ip. Unter Zufallsbedingungen kann also die Wahrscheinlichkeit
für eine einzelne Sprache S mit:
220

p (F) = 1/2

angenommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß (F) in zwei Sprachen vorzufin-


den ist, muß entsprechend berechnet werden als:
p (F in Si und S2) = p (F in S^ * p (F in S2) = 1/2 * 1/2 = 1/4

Für drei Sprachen gilt:


p (F in Si und S2 und S3) = p (F in Si) * p (F in S2) * p (F in S3)
= 1/2 * 1/2 * 1/2 = 1/8

Bei einer Zahl von 49 Sprachen mit positivem Ergebnis betrüge somit die Wahr-
scheinlichkeit, daß in allen eine nach dem Zufallsprinzip erfolgte Entscheidung für
F gefallen ist:
P (F in Si bis S49) = p (F in S)49= (1/2)49 = 1,8189894 (...)E-12
= 0,0000000000018189894 (...)

Wenn es sich um eine Zufallserscheinung handeln würde, dann läge die Wahr-
scheinlichkeit, daß dasselbe Ereignis in 49 Sprachen gleichzeitig auftreten würde,
folglich bei weniger als l zu 200 Milliarden - mit anderen Worten: sie wäre ver-
schwindend gering.
Diese Zahlen belegen deutlich, daß der Gebrauch der Negation in einer Frage
zum Ausdruck einer positiven Erwartung kein Produkt des Zufalls sein kann. Aber
wenn er das nicht ist, dann muß es eine logische Erklärung dafür geben, warum die
Negation so verwendet werden kann.

6.1.3 Erklärung

Um eine solche Erklärung geben zu können, muß nunmehr auf die in Kapitel 5
vorgestellten Unterscheidungen zurückgegriffen werden. Dabei geht es um die fol-
genden drei Bedeutungsebenen, die zur Verdeutlichung noch einmal kurz zusam-
mengefaßt werden sollen:
- die propositionale Bedeutung oder Proposition, die sich aus den lexikalischen
Elementen eines Satzes sowie aus ihren syntaktischen Funktionen zusammen-
setzt und die in Maja kommt/KommtMaja';'/Maja, komm! etc. identisch bleibt.
- der Satzmodus; in den obigen drei Beispielsätzen liegen drei verschiedene
Satzmodi vor (Assertion, Interrogation, Imperativ).
- die illokutive Bedeutung, die häufig, aber keineswegs immer mit der Grund-
funktion des Satzmodus übereinstimmt; keine Übereinstimmung zwischen
Satzmodus und Illokution liegt beispielsweise dann vor, wenn Interrogationen
als Aufforderungen benutzt werden.

Daß sich die Negation nicht auf den propositionalen Gehalt des Satzes beziehen
läßt, kann wohl als unumstritten angesehen werden. Worauf aber bezieht sie sich
dann? Es stehen noch der Satzmodus und die illokutive Bedeutung zur Auswahl.
Daß sich die Negation auf den Sprechakt bezieht, ist wenig wahrscheinlich, denn
auch eine Vergewisserungsfrage ist eine Frage, nur daß sie eben eine dezidiert po-
221

sitive Antworterwartung impliziert (cf. hierzu auch im folgenden). Wenn aber auch
die Illokution nicht der Bezugspunkt des Negators ist, kann sich eine logische Er-
klärung für die Funktionsweise negierter Interrogationen also nur aus dem Zu-
sammenwirken der Bedeutung des Satzmodus und der Negation ergeben.
Um zu zeigen, was geschieht, wenn die Negation auf den Satzmodus bezogen
wird, sollen im folgenden die Abkürzungen NEG für Negation, INTERR für den
Satzmodus der Interrogation und p für die Proposition verwendet werden. Damit
läßt sich die Funktionsweise der propositionalen und der nicht-propositionalen Ne-
gation folgendermaßen darstellen:
Im Falle der propositionalen Negation wird zunächst die Proposition negiert,
also
NEG p

Diese negierte Proposition wird dann "in Frage gestellt", indem der Satzmodus der
Interrogation darauf angewendet wird; das Ergebnis ist also:
INTERR (NEG p)

Im Ergebnis kann diese Konstruktion nunmehr als Frage nach einem negierten,
i. e. nicht-zutreffenden Sachverhalt verwendet werden, paraphrasierbar etwa mit:
"Trifft es zu, daß nicht p?"
Ganz anders im Falle der nicht-propositionalen Negation. Wenn der Negator auf
die Interrogation einwirkt, so entsteht zunächst einmal:
NEG INTERR

Der solchermaßen negierte Modus wird dann auf die Proposition bezogen:
(NEG INTERR) p

Worin besteht nun die positive Wirkung dieser Konstruktion? Wenn eine Proposi-
tion in die Form einer Interrogation gekleidet wird, sind unter neutralen Bedingun-
gen die Anworten "Ja" und "Nein", also das Zutreffen und das Nicht-Zutreffen der
Proposition, gleichermaßen möglich. Die Wahrscheinlichkeit, mit der eine positive
Antwort auf eine Standard-Interrogation des Typs Entscheidungsfrage zu
erwarteten steht, ist umstritten; einige Autoren wie z. B. Doherty (1985: 19) gehen
davon aus, daß die Wahrscheinlichkeit für eine positive Antwort wesentlich größer
ist als für eine negative. Das Problem bei der Bewertung der Wahrscheinlichkeit des
Zutreffens von Interrogativ-Propositionen ist allerdings komplexer, als es auf den
ersten Blick aussieht: es muß nämlich immer zugleich auch berücksichtigt werden,
unter welchen pragmatischen Bedingungen - ganz im Sinne der Grice'schen
Gesprächsmaximen -eine Frage überhaupt geäußert wird. So ist z. B. für die
Frage Ist Konrad verreist? (Beispiel nach ibd.) Konrads physische Abwesenheit
zum Zeitpunkt der Äußerung eine notwendige Bedingung; bei der Proposition
handelt es sich um eine Hypothese, die diese Abwesenheit erklären könnte und nun
überprüft werden soll. Mehr oder weniger suggestive äußere Anzeichen, die auf die
Richtigkeit der zugrundeliegenden Proposition schließen lassen, mögen zwar häufig
der Anlaß dafür sein, daß eine entsprechende Frage gestellt wird; sie sind aber
222

keineswegs die Bedingung dafür, daß ein Interrogativsatz gebildet werden kann. Es
lassen sich mit Leichtigkeit Interrogativsätze (und mit ihnen gebildete Fragen)
finden, bei denen die Erwartungen der sprechenden Person, daß die geäußerte
Proposition zutrifft, unter umgekehrten Vorzeichen stehen; cf. z. B. Haben Sie
schon gegessen? als Auftakt zu einer Essenseinladung oder Haben Sie schon
gehört? als Einleitung zu einer Mitteilung.8
Aber unabhängig davon, wie hoch man die Wahrscheinlichkeit für das Zutreffen
der Proposition in einem Interrogativsatz ansetzt: in jedem Fall erfährt die Proposi-
tion durch den Interrogativmodus eine starke Einschränkung ihrer Wahrheits- oder,
da es hier nicht um formale Logik geht, vielleicht besser: Gültigkeitsbedingungen.
Es ist für die folgenden Überlegungen nicht wichtig, ob man annimmt, daß die
Proposition bei der Interrogation mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% oder nur
von 50% zutrifft. Sie liegt in jedem Fall unter der eines Assertionssatzes mit dersel-
ben Proposition, und nur darauf kommt es an. Es läßt sich mit Sicherheit sagen,
daß die Verwendung des Interrogativmodus zu einer Verminderung der Wahr-
scheinlichkeit führt, mit der eine Proposition zutrifft.
Nun kommt eine Negation hinzu, die nicht auf die Proposition, sondern auf den
Satzmodus bezogen wird, also genau auf den Faktor, der die Zutreffenswahr-
scheinlichkeit für die Proposition vermindert. Wenn dieser Modus negiert wird,
dann wird auch die durch ihn hervorgerufene beschränkte Einschränkung der Gül-
tigkeitsbedingungen negiert. Die Funktion ließe sich vielleicht ansatzweise mit 'ich
verneine, daß dies hier vielleicht nicht gilt' umschreiben. Wenn es sich um eine
logische Operation handelte, dann würde die Negation die durch den Modus her-
vorgerufene Gültigkeitsbeschränkung schlicht aufheben und die 100%ige Gültigkeit
der Assertion wiederherstellen. Dies ist aber nicht der Fall: obgleich negierte Ver-
gewisserungsfragen eine deutlich positive Tendenz haben, ist die Wahrscheinlich-
keit, mit der ihre Proposition zutrifft, im Vergleich zur Assertion abgeschwächt.
Dies liegt daran, daß in natürlichsprachlichen Äußerungen alles, was gesagt wird,
automatisch auch als relevant interpretiert wird - auch wenn es negiert wird. Ein
bekanntes Beispiel für dieses Phänomen ist die Interpretation negierter Assertions-
sätze wie z. B. Mein Nachbar ist zur Zeit nicht im Gefängnis (cf. Grice 1980). Die-
ser Satz ist rein formal betrachtet auch dann richtig, wenn mein Nachbar zu keinem
anderen Zeitpunkt, also überhaupt noch nie, im Gefängnis war und es auch keinen
Grund zu der Annahme gibt, daß er sich derzeit dort aufhalten sollte. Unter konver-
sationslogischen Gesichtspunkten hingegen ist er in diesem Fall aber falsch, denn
allein die Erwähnung des Gefängnisaufenthaltes, auch wenn er zugleich negiert
wird, führt zu konversationellen Implikaturen. Die Tatsache, daß ein einmal herauf-
beschworenes Bild durch seine Negation keineswegs wieder verlorengeht, sondern
weiter wirkt, wird in der Poesie nutzbar gemacht; hierfür gibt Jakobson (1979: 383)
ein sehr schönes Beispiel:
He CH3U cneiancH -
opaiubi BO MHCTOM none cte)K3ancfl (...)

Ähnlich auch der nahezu rhetorische Auftakt zum Witzerzählen Kennen Sie den
schon?, bei dem die Erwartung einer negativen Antwort so stark ist, daß sie meist
gar nicht erst abgewartet wird.
223

'Nicht zwei blaue Adler zusammenflogen -


zwei leibliche Brüder im weiten Feld zusammenritten (...)'

Etwas im Grunde ganz Ähnliches läßt sich auch für die nicht-propositionale Nega-
tion feststellen: die Negation hebt die Wirkung der Interrogation zwar einerseits auf,
aber der einmal geäußerte Satzmodus steht nun im Raum und führt dazu, daß die
Interrogation trotz ihrer Negierung noch weiter wirkt und daher mit interpretiert
wird.
Zugleich zeigt sich, daß es im Gegensatz zu den Annahmen Meibauers nicht
sinnvoll ist, die Funktion der Negation auf die pragmatische Ebene zu beziehen.
Pragmatisch gesehen ist eine Äußerung wie Ist das nicht Udo? sehr wohl eine
Frage; sie verlangt vom Gegenüber eine Antwort. Auch wenn sie sehr deutlich im-
pliziert, daß eine positive Antwort erwartet wird, handelt es sich nicht etwa um eine
rhetorische Frage in dem Sinne, daß die Antwort sich erübrigt, sondern - worauf
ja auch schon mehrfach in der Literatur hingewiesen worden ist - um eine sog.
Vergewisserungsfrage. Es wird eine Antwort erwartet, und diese Antwort ist für
die fragende Person wichtig, um ihre Annahme zu bestätigen oder aber auch zu
falsifizieren. Auch wenn es richtig ist, daß die Entscheidung über die propositiona-
le resp. nicht-propositionale Zuordnung der Negation in Einzelfällen aufgrund prag-
matischer Gegebenheiten gefallt werden muß, wie Meibauer (1990: 463) ausführt,
ist damit ja nichts über die Funktionsweise dieses geradezu universellen Konstruk-
tionstyps ausgesagt. Das gelegentliche Auftreten von Ambiguitäten gibt weder eine
Antwort auf die Frage, warum zur Markierung von Fragen mit positiver Tendenz
ausgerechnet die Negation verwendet wird, noch kann es als Hinweis auf einen wie
auch immer gearteten Bezug der Negation auf die Illokution gewertet werden.
Ein Bezug auf die Ebene des Satzmodus hingegen würde es sogar erlauben, die
abweichenden Befunde im Apache, Navajo und Inuktikut zu erklären. Alle drei
Sprachen gehören zur Kategorie der polysynthetischen Sprachen, die dafür bekannt
sind, daß zumindest einige von ihnen von den anderen Sprachtypen sehr weit
abweichen. In der Frage der Wortartenbestimmung dienen polysynthetische
Sprachen regelmäßig als Lehrbuchbeispiele für die mögliche Restriktion auf eine
einzige Wortart "Verb" (cf. z. B. Bußmann 1990); aber auch in syntaktischer Hin-
sicht verhalten sich zumindest einige von ihnen nicht wie andere Sprachen. Nowak
(im Druck) weist darauf hin, daß das Inuktitut keine strukturellen syntaktischen
Strukturen im herkömmlichen Sinne aufweist; es läßt keine Subordination auf der
Satzebene zu und kennt auch keine (syntaktischen) Argumentstellen, die im Zuge
der Koordination gefüllt werden können. "Im Fall von Inuktikut ist unter Syntax im
wesentlichen eine Abfolge (Kette) von komplexen, morphologisch ausbuchsta-
bierten Propositionen zu verstehen, die morphologisch vernetzt sind und durch
oblique (direktionale, lokative) Angaben ergänzt werden können - nicht die syn-
taktische Fügung von Satzgliedern zu einer Proposition." (ibd.: 49). Wenn dies
zutreffen sollte, wäre anzunehmen, daß auch die klassische Unterscheidung in
Satzmodi, die ja über fertigen syntaktischen Fügungen operieren, in solchen Spra-
chen nicht notwendigerweise vorhanden sein muß. Ohne Satzmodus aber kann die
nicht-propositionale Negation nicht wirksam werden.
Im Apache verweist beispielsweise schon die Abwesenheit eines Verbalmodus
"Imperativ", der ja normalerweise die Basis für den Satzmodus "Imperativsatz"
224

darstellt, darauf, daß dieser Satzmodus nicht vorhanden ist; die pragmatische Funk-
tion der Aufforderung, für die dieser Satzmodus in anderen Sprachen zur Verfü-
gung steht, muß somit mit anderen Mitteln ausgedrückt werden. Als potentielle
Satzmodi bleiben damit nur Assertion und Interrogation übrig, aber es ist nichts
darüber ausgesagt, daß es sie auch wirklich gibt. Wenn man berücksichtigt, daß es
in polysynthetischen Sprachen möglich ist, auch kategorematische Entitäten, die
aufgrund ihres semantischen Gehalts für die Klasse der Nomina prädestiniert zu
sein scheinen, in den Verbalkomplex zu integrieren (cf. hierzu auch Hent-
schel/Weydt 1995a), erscheint es durchaus naheliegend, daß dieselbe Art von Inte-
gration in ein einziges, allem zugrundeliegendes einheitliches Grundmuster auch für
den Bereich der Satzmodi angenommen werden kann. Aber wenn es entweder gar
keine Satzmodi oder aber zumindest keine deutliche Trennung der Satzmodi gibt,
dann kann die Negation natürlich auch nicht auf die Ebene des Satzmodus bezogen
werden, und eine nicht-propositionale Negation des interrogativen Modus ist somit
logischerweise ausgeschlossen.

6.2 Nicht in Interrogativsätzen des Typs W-Frage (W-Exklamationen)

6.2.1 Zum Satztyp

Auf die Tatsache, daß Interrogativsätze des Typs "W-Frage" (auch: "Bestim-
mungsfrage", "Pronominalfrage", "Ergänzungsfrage", "Satzteilfrage") als selb-
ständige Sätze nicht nur zum Zwecke der Interrogation, sondern auch zum Zwecke
der Exklamation benutzt werden können, cf. z. B.:
Wie eiskalt ist dies Händchen!

wurde bereits in Kapitel 5.5 der vorliegenden Arbeit ausführlich eingegangen. Dort
wurde auch darauf hingewiesen, daß es sich dabei keineswegs um ein auf das
Deutsche beschränktes Phänomen handelt, sondern daß dieser Satzmodus geradezu
dazu prädestiniert ist, für Ausrufe benutzt zu werden, wobei sich in einigen
Sprachen auch zusätzliche eigenständige Merkmale entwickeln können, die W-
Exklamationen von W-Interrogationen formal unterscheidbar und damit zu eigenen
Satzmodi machen. Das Phänomen ist in gewisser Weise dem ebenfalls sprach-
übergreifend beobachtbaren Verfahren zur Verwendung von Adjektivadverbien als
Adverbialbestimmungen vergleichbar: Adjektivadverbien werden entweder mittels
morphologischer Markierungen aus Adjektiven abgeleitet, so etwa im Serbischen
oder auch im Englischen und Französischen, oder aber es werden unveränderte
Adjektive in der Funktion von Adverbialbestimmungen im Satz eingesetzt, wie dies
beispielsweise im Deutschen oder Türkischen der Fall ist. Während das Deutsche
auf der Ebene von Morphologie und Syntax keine formale Markierung für
Adjektive vorsieht, die als Adverbialbestimmungen eingesetzt werden, kennt es auf
der Ebene des Satzmodus die Möglichkeit, W-Exklamationen durch die Wortstel-
lung zu kennzeichnen: das Finitium wird dann an letzter statt an zweiter Stelle ge-
setzt (cf. z. B. Wie heiß es heute ist!). Diese Stellung ist zwar nicht zwingend not-
wendig, kann aber als die häufigere und zugleich auch als die produktivere und
modernere angesehen werden.
225

Als Erklärung dafür, warum W-Interrogationen besonders gut dafür geeignet


sind, die Rolle von Exklamativsätzen mit zu übernehmen, wurde angenommen, daß
die sprechende Person mit der Wahl des Interrogativums die 'Unbeschreiblichkeit'
oder das Fehlen geeigneter Worte zum Ausdruck bringt, daß also Wie schön! mit
'ich kann gar nicht beschreiben, wie schön' übersetzt werden könnte. Warum aber
ist es möglich, solche Äußerungen zu negieren, ohne daß damit ein negativer Sach-
verhalt, eine negierte Proposition zum Ausdruck gebracht würde? Cf.:
Was es nicht alles gibt!
Was du nicht alles erlebt hast!

Im allgemeinen wird angenommen, daß sich solche W-Exklamationen im Deut-


schen in ihrer Satzstellung stets von echten Interrogationen unterscheiden, indem
sie ausschließlich Endstellung des Finitums aufweisen (cf. hierzu z. B. Brauße
1994: 189 sowie die dort angegebene Literatur). Da sie außerdem typischerweise,
wie auch in den obigen Beispielen, mit dem Aliquanter all- auftreten, sind eine
ganze Reihe von Autorinnen und Autoren darüber hinaus zu der Annahme verführt
worden, daß dies eine zwingende Bedingung für diese Art von Negation sei, die
sozusagen an den Aliquanter gebunden werde. Eine solche Verknüpfung postuliert
beispielsweise Meibauer(1991: 463), wenn er behauptet: "In wh-exclamatory sen-
tences nicht is bound to alles". Zwar keine direkte Bindung der Negation an den
Allquantor, aber ein notwendiges gemeinsames Auftreten von alles und nicht nimmt
demgegenüber Brauße (1994: 121) an, wenn sie schreibt: "Für diesen Typ ist das
Vorkommen von alles nach nicht obligatorisch"; eine ähnliche Annahme findet sich
auch bei Thurmair (1989: 160), die sich allerdings nicht auf einen bestimmten All-
quantor festlegt, sondern nur allgemein sagt: "In den Exklamativsätzen ist nicht
immer mit einem allquantifizierenden Ausdruck wie alles verbunden (...)"
Die Kombination von nicht und alles tritt bei diesem Äußerungstyp in der Tat
ausgesprochen häufig auf; sie ist indessen nicht zwingend notwendig, wie etwa die
folgenden Beispielsätze zeigen:
Was du nicht sagst!
In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!

Der gegen die Regel, daß eine Kombination von alles und nichts in diesen Fällen
obligatorisch ist, sprechende Satz Was du nicht sagst! wurde von Meibauer (1990:
461) als ausschließlich ironische Bemerkung abgetan sowie mit dem Hinweis dar-
auf, daß das positive Gegenstück Was du sagst! nicht möglich sei, von der weiteren
Betrachtung ausgeschlossen. Warum der Satz ausschließlich ironisch gebraucht
werden kann, ist m. E. nicht ersichtlich; er kann durchaus auch verwendet werden,
um schlicht Erstaunen über etwas ausdrücken, was das Gegenüber gesagt hat.
Allerdings ist die Beobachtung richtig, daß es sich um eine hochgradig kon-
ventionalisierte Wendung handelt, deren positives Gegenstück Was du sagst! nicht
gebräuchlich ist. Handelt es sich also wirklich nur um eine Ausnahme?
Wohl nicht, wie die bereits oben angeführte Liedzeile In wieviel Not hat nicht
der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet! aus dem Choral "Lobet den Herren"
zeigt. Dieser Satz klingt zwar etwas altmodisch, ist aber synchron noch ohne jedes
Problem verständlich; ein Allquantor aber ist hier nicht nur nicht vorhanden, son-
dern kann auch gar nicht eingesetzt werden. Was diesen Belegsatz darüber hinaus
226

zusätzlich interessant macht, ist die Tatsache, daß er keine Stellungsunterschiede


gegenüber einer echten W-Interrogation aufweist, i. e. daß das Verb hier an zweiter
Stelle steht. Auch die Annahme, daß nicht-propositionale Negation in W-Exklama-
tionen des Deutschen an Verb-Endstellung geknüpft ist, kann daher nicht aufrecht-
erhalten werden.

6.2.2 Empirische Untersuchung

Angesichts der im vorigen vorgestellten Untersuchung ist die Frage danach nahelie-
gend, wie solche Äußerungen in anderen Sprachen funktionieren. Auch für diesen
Äußerungstyp wurden daher weitere indoeuropäische wie außerindoeuropäische
Sprachen zum Vergleich herangezogen, allerdings in geringerem Umfang als beim
Interrogationstyp Entscheidungsfrage. Die geringere Anzahl von Belegen ist vor
allem auf Erhebungs-Schwierigkeiten zurückzuführen. Es hat sich als nicht sinnvoll
herausgestellt, deutsche Sätze zum Übersetzen vorzulegen, denn es kann sein, daß
es zwar für einen deutschen Satz wie Was es nicht alles gibt! keine gleichartig kon-
struierte Entsprechung gibt, daß das Verfahren als solches jedoch trotzdem in der
jeweiligen Sprache gebräuchlich ist und sich in umgekehrt im Deutschen nicht zu-
lässigen Äußerungen wie etwa 'Wie schön ist das nicht!' manifestiert. Um dieses
Problem zu umgehen, wurde der Fragebogen so umformuliert, daß Beispiele aus
drei Sprachen gegeben wurden und allgemein gefragt wurde, ob ähnliche Sätze
auch in der Muttersprache der Befragten vorkommen. Auf diese Weise ließ sich für
einige Sprachen, die zuvor durch das Raster gefallen waren, in einer zweiten Er-
hebung zeigen, daß der Konstruktionstyp doch existiert.
Nachweisen ließ sich bisher ein ganz genauso wie im Deutschen strukturiertes,
von Quantoren durchweg offenbar völlig unabhängiges Verfahren zum Ausdruck
des Erstaunens über einen positiven Sachverhalt mithilfe einer negierten W-Frage in
den folgenden Sprachen:

Afrikaans:
Wat daar nie alles was nie!
Was dort NEG alles KOP-Präteritum NEG!

Albanisch:
C'nuk pashe!
Was-NEG sah-ich!

Arabisch (ägyptische Variante):


ma tqulsch!
ma(...) seh: NEG, tqul = 'du sagst'!

Bengali:
Kee misti swad naa!
Was süß Geschmack NEG!
227

Bulgarisch:
Êáêâï çÇ na ôïá CBHT!
was Fragepartikel NEG-gibt auf dieser Welt!
KaKBO JIH »ana no CBfjra!
was Fragepartikel NEG-gibt auf der Welt!

Chinesisch:
keine Entsprechung, aber folgende Angaben:
bu yao tai paioliang! bu yao tai hao!
not want too beautiful not want too good
1
'Don't be too beautiful (good)! (im Sinne von: 'sehr sch n/gut')

D nisch:
Det siger du ikke!
Das sagst du NEG!
Hvor dejligt er der ikke i Danmark, nar skoven star gron og fuglene synger!
Wie sch n KOP DEM NEG in D nemark (...)

Englisch:
What I didn't do to get that report finished on time!
What that guy won't do to get ahead!
The things they won't try, to get your money!
You don't say!

Farsi:
Tsche tschizha keh to nemigonie\
Welche Dinge, die du NEG-erzahlst!
Tsche tschizha keh peida nemisc
Welche Dinge, die man NEG-f

Franz sisch:
Qu'est-ce qu on fait pas!
Was-KOP-DEM REL-man tut NEG!
Qu'est-ce qu'on ne trouve (pas)!
Was-KOP-DEM REL-man NEG findet NEG!
Qu'est-ce quon n'a pas fait ensemble!
Was-KOP-DEM REL-man NEG-AUX NEG gemacht zusammen!
Qu'est-ce que je n aurais pas
Was-KOP-DEM REL ich NEG-AUX-Konditional NEG
9
fait pour te faire plaisir!
getan um dir eine Freude zu machen!

Georgisch:
Sehen ras ar itkuri!
Du was NEG sagst!

9
Beispielsatz von D. Estival, Genf.
228

Raz ar aris!
Was NEG ist!

Isländisch:

sen hann porsteinn veit sä ekki!


DEM RELer Thorstein weiß so NEG!

Italienisch:
Cosa non dici\
Was NEG sagst!
Cosa non c'e\
Was NEG gibt!
Cosa non e sucesso, quel giorno!
Was NEG ist passiert, jenen Tag!
Cosa non si farebbe per la carriera!
Was NEG REFL tun-KOND für die Karriere!

Katalanisch:
Quant no haure de patir fins aconseguir-ho!
Wieviel NEG habe zu leiden damit ich das erreiche!

Mazedonisch:
UlTO ce
Was alles NEG-hat!
ce He aoMHBea !
Was alles NEG erlebt-mask-Sg!
Ko ce we
Wer alles Neg kommt!

Niederländisch:
Je raodt nooit, wat je daar allemaal niet kunt studeren!
Du errätst nie, was du da alles NEG kannst studieren!
Wat daar allemaal wel niet kunt krijgen!
Was du da alles schon NEG kannst kriegen!
Wat «s hei niet leuk om zomers naar het strand te gaan!
Was KOP DEM NEG schön, im Sommer an den Strand zu gehen!
heefi hij niet een eilende veroorzaakt!
Was AUX er NEG ein Durcheinander verursacht!
Wat hij niet allemaal verteld!
Was AUX er NEG alles erzählt!

Norwegisch:
- Nynorsk:
Kor trxytt er han ikkje!
Wie müde KOP er NEG!
229

- Bokmaal:
Hvor kaldt er det oppe!
Wie kalt KOP DEM NEG dort oben!
Hva kan man ikke finne mellom himmel og jord (...)
Was kann man NEG finden zwischen Himmel und Erde (...)
Del mener du ikke!
DEM meinst du NEG!

Polnisch:
Co ty nie powteszl
Was du NEG sagst!
Czego tez nie mal
Was Partikel NEG gibt!

Quechua:
Ima (ta) ni-ma-y-tsu!
Was (dir.Obj.) sag-Subj.Obj.Rel.-Imperativ-NEG!
Ima-raq kee-choo mana kan, aw?
Was-noch hier-Lok NEG KOP 3.Pers. tag-question?

Rumänisch:
- keine Entsprechung -
(?) Eine Probandin gibt Ce nu spui! (Was Neg sagst) an.

Russisch:
Hero TonbKo ne obieae
Was-Gen nur NEG ist!
Hero ronbKo Her!
Was-Gen nur dort NEG!
Hero TOJ7bKO sjjecb Her!
Was-Gen nur hier NEG!
HTO ronbKO He CKaeweuib !
Was nur NEG sagst!

Schwedisch:
Vad allt har jag inte varit med om!
Was alles AUX ich NEG durchgemacht!
Vad allt har inte jag varit med om!
Was alles AUX NEG ich durchgemacht!

Serbisch:10
$ta sve nema!
Was alles NEG-hat!

10
Dieselben Verhältnisse liegen auch im Bosnischen und im Kroatischen vor, für die
hier nicht noch einmal eigens Belege angeführt werden.
230

$ta nisam sve doziveo!


Was NEG-AUX-l.Sg. alles erlebt-mask-Sg

Singhalesisch:
me: monawa: kiyandwa
Partikel was sag- Fragepartikel!
ehe: monawada nsette:!
dort was-Fragepartikel NEG-hab-!
e: gollanta monawade naeffe:!
für diese Leute was-Fragepartikel NEG-hab-!
ehe: dsyakin aduwak nsehae!
dort etwas Sache-von mangeln nicht!
e: gollanta kisima äayakin aduwak rnehze!
für diese Leute etwas Sache-von mangeln nicht!
Slowenisch:
Key ne pores!
Was NEG sagst!
Öesa vse mV
Wessen alles NEG!

Spanisch:
jCuanto no tendr que sufrir hasta conseguirlo!
Wieviel NEG habe daß leiden, bis ich es bekomme!11

/A cuantas personas no enganaria en su juventad!


Kasusmarker wieviel Personen NEG betrügen+COND in ihrer Jugend!
(Beispiel nach Espinal, im Druck)
jNo me digas!
NEG mir sage! ('Sag bloß!')12

n Das Beispiel wird hier in derselben Form, i. e. ohne Akzente, wiedergegeben, in


der es mir per E-Mail übermittelt wurde.
12 Nachdem ursprünglich mehrere befragte Muttersprachler des Spanischen angege-
ben hatten, daß dieser Konstruktionstyp im Spanischen nicht möglich sei, stellte
sich in der Folge heraus, daß er doch vorkommt. Für Hinweise danke ich u. a.
Elena Lopez Palma, die den Konstruktionstyp fürs Spanische sehr detailliert fol-
gendermaßen beschreibt:
"Those kind of constructions do indeed exist in Spanish. They seem very pro-
ductive. These are just a few examples.
1. Given that the polarity is shifted in those exclamations, the value you described
(WhP (...) no = all/much) doesn't take place if the Neg has to license a Neg Q:
(1) a. Quien sabe que no ha leido Juan! (meaning:
"no se sabe quien sabe lo mucho que ha leido Juan",
"cualquiera sabe lo mucho que ha leido Juan")
b. Quien no sabe que no ha leido Juan (todos (...) todo)
(2) a. Quien no ha visto algo igual! (yes)
b. Quien no ha visno nada igual! (no)
231

Tatarisch:
Hopcc ÃÈÇÏ MpHfla »ê !
Was doch hier NEG(Existenzmarker)
HH 6apMaraH anna!
Was geh-NEG-Vergangenheit dort!
('Was dort nicht alles gegangen ist!')

Tschechisch:
Co ty tady vsecko nemas!
was du dort alles NEG-hast!
Co ten mi toho nenapovidal!
was das mir dessen NEG-erz hlt-mask-Sg!

Ukrainisch:
Horo ôúðÂêï ryr ÇèÌ3å!
Wessen nur da NEG-hat!

Ungarisch:
Hogy miket nem mondasz!
wie/da was-Akk-Pl NEG sagst!
Mit nem mondasz!
Was nicht sagst!
Hogy meg mik nincsenek!
Wie noch was-Pl NEGsind!

2. It's easy to get that meaning with modal verbs, future, conditional and past with
a contrafactual value:
(3) a. Que no podra haber leido yes)
b. Que no podria haber leido (yes)
c. Que podria no haber leido (no)
(4) Como no voy a saber a quien invitar
(5) Cuanto no daria yo por saberlo
3. Embedded:
(6) a. No me imagine quien no ha visto la pelicula (no)
b. no me imagino quien ha podido no ver la pelicula (yes)
c. no me imagino quien no ha podido ver la pelicula (no)
4. Multiple WhP:
a) if there is absorption you may get that value
b) if you question a complex relation variable, you won't:
(7) a. Quien no ha consultado a quien (no)
b. Quien no sabe a quien consultar (yes)
(meaning "es que acaso hay alguien que no sepa a quien consultar?")
Neg in the embedded clause does not have the meaning "all".
c. quien no sabe a quien no consultar (nadie (...) alguien)
d. quien no sabe consultar a quien (no)
5. With corno plus INF. But no with a finite verb:
(8) a. como saber a quien no invitar (yes)
b. como no saber a quien no invitar (yes)
c. como no sabes a quien no invitar (no)
d. como sabes a quien no invitar (no)."
(E-Mail-Mitteilung, daher ohne diakritische Zeichen).
232

Miket nem tudsz!


Was -Akk-Pl NEC kennst!

Yoruba:
Bawo ni 'efc'p* ko §e dara to?
Wie Präp Ausbildung NEG Fragepartikel gut?
'Wie gut ist nicht die Ausbildung!1
Bawo ni ile yli kö ti dava to!
Wie Präp Haus hier NEG schön!
'Wie schön ist nicht dieses Haus hier!'

Aus dieser unvollständigen kleinen Sammlung von Beispielsprachen lassen sich


zwei Rückschlüsse ziehen: Erstens scheint es sich um ein Verfahren zu handeln,
das in den indoeuropäischen Sprachen recht weit verbreitet ist; möglicherweise
stand es allen diesen Sprachen zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Ge-
schichte zur Verfügung. Und zweitens zeigen die von drei verschiedenen Konti-
nenten stammenden vier nicht-indoeuropäischen Beispielsprachen, daß es sich
darüber hinaus um ein Verfahren handeln muß, das unabhängig von der Einzel-
sprache und Sprachfamilie als grundsätzlicher Konstruktionstyp zur Verfügung
steht, auch wenn es dann nicht von jeder realisiert wird. Dieser Befund aber be-
deutet, daß es sich abermals um ein mit logischen Mitteln erklärbares allgemeines
Verfahren handeln muß. Obgleich die Kombination von W-Ausdruck und Nega-
tion, die im folgenden W genannt werden soll, nicht so häufig aufgetreten ist wie
die negierte Entscheidungsfrage, liegt sie doch deutlich über der Wahrscheinlichkeit
p (W): bei angenommen gleich großen Chancen für die Nutzung wie für das
Ignorieren dieser sprachlichen Möglichkeit wäre p (W) ja genau gleich wie p (F).
Der Zufall ist also abermals auszuschließen; wie aber läßt sich die Verwendung
negierter W-Fragen zum Ausdruck des positiven Erstaunens erklären?

6.2.3 Erklärung

Abermals läßt sich das Zusammenwirken von Interrogation und Negation durchaus
logisch erklären. Dabei ist es wichtig, zu beachten, daß W-Interrogationen andere
Wahrheits- oder Geltungsbedingungen als Interrogationen des Typs Ent-
scheidungsfrage haben. Während im letzteren Fall die Gültigkeit der gesamten Pro-
position zur Disposition gestellt wird, wird in ersterem nur ein einzelnes Element
innerhalb einer als gültig vorausgesetzten Proposition als offene Variable gesetzt
(cf. hierzu auch Marillier 1995: 54). Diese Setzung einer offenen Variablen erklärt
auch, warum dieser Satztyp sprachübergreifend dazu benutzt werden kann, Erstau-
nen zum Ausdruck zu bringen, typischerweise etwa solches über die qualitative
Beschaffenheit eines Objektes (cf. dt. was für ein in Was hat der denn für einen
Bart! oder wie in Wie nett du bist! etc.). Die Nicht-Benennung der qualitativen
Beschaffenheit ergibt sich dann aus dem Erstaunen selbst und ist zugleich Ausdruck
desselben: die jeweilige Qualität (also z. B. die Eigenschaften des Bartes oder das
Ausmaß der Nettigkeit) ist so schwer benennbar, daß die Sprecherin keinen pas-
senden sprachlichen Ausdruck finden kann und statt dessen auf das Interrogativum
ausweicht, das den entsprechenden Punkt offen läßt. Dasselbe Verfahren läßt sich
233

auch explizit verbalisiert beobachten, etwa in Äußerungen wie Ich kann dir gar nicht
sagen, wie dankbar ich dir bin oder Ich finde gar keine Worte dafür, wie gut mir
das gefällt o. ä.
Wenn die Negation nun bei W-Interrogationen mit Ausruffunktion genauso wie
im Fall der Ja-Nein-Fragen auf den Satzmodus bezogen wird, wird schnell klar,
warum der Unterschied zwischen der negierten und der nicht-negierten Interroga-
tion bei diesen nicht dieselbe Rolle spielt wie bei jenen. Die Wahrscheinlichkeit, mit
der die Proposition zutrifft, wird durch den Satzmodus nicht verändert, da dieser ja
nur eine bestimmte Variable als Unbekannte setzt. Negiert man nun, daß diese
Setzung erfolgt ist, so wird dadurch markiert, daß es sich nicht um eine W-Interro-
gation handelt - ein an sich naheliegendes Vorgehen, denn in der Tat ist die ent-
sprechende Variable ja nicht wirklich unbekannt. An den Wahrheitswerten ändert
sich dadurch logischerweise aber nichts, so daß die Wirkung der Negation sich
darauf beschränkt, die nicht-Interrogativität des Satzes zu markieren. Dies ist zu-
gleich die Erklärung dafür, warum die Setzung einer Negation in diesen Fällen fa-
kultativ ist: das Verfahren, eine offene Variable zum Ausdruck des Erstaunens zu
nutzen, kann auch ohne diese zusätzliche Markierung korrekt interpretiert werden,
und der Negator wird zum Stilelement.
Diese sozusagen aufs Stilistische reduzierte Wirkung des Negators kann dann
auch erklären, warum die empirischen Befunde so uneinheitlich sind. Interessant ist
nämlich, daß die Möglichkeit einer Verwendung negierter W-Interrogationen weder
von der Sprachfamilien-Zugehörigkeit noch von regionalen Faktoren abzuhängen
scheint: was z. B. im Französischen, Spanischen und Italienischen möglich ist,
läßt das Rumänische nicht zu. Im Ungarischen sind negierte W-Fragen dieses Typs
möglich, nicht aber im Finnischen; und während das Tartarische diese Konstruktion
kennt, ist sie im Türkei-Türkischen ausgeschlossen. Wenn man aber die Angaben
einiger Informanten berücksichtigt, denen zufolge negierte Exklamationen etwa im
Dänischen oder Norwegischen "mostly by older speakers"13 getaugt werden, und
dabei zugleich im Auge behält, daß das Vorhandensein oder Fehlen der Negation in
diesem speziellen Satztyp keinen Bedeutungsunterschied bewirkt, so liegt die Über-
legung nahe, daß es sich bei den unterschiedlichen Befunden in nahe verwandten
Sprachen um die Auswirkung eines diachronischen Phänomens handelt. Es steht zu
vermuten, daß die meisten Sprachen diese Konstruktion strukturell im Prinzip
zulassen. Ob aber von der Möglichkeit der Markierung durch eine Negation
Gebrauch gemacht wird oder nicht, ist historischen Schwankungen unterworfen,
die möglicherweise ganz ähnlich verlaufen wie die verschiedenen Markierungen der
Negation selbst in Jespersens Zirkel (cf. Jespersen 1966).14 Zu den Gründen, die
zum Nicht-Setzen des Negators führen, gehört sicher die Tatsache, daß in dem
Maße, in dem die W-Interrogation bereits durch andere Mittel - im Deutschen etwa
durch die Endstellung des Verbs - als Ausruf kenntlich gemacht ist, auch die Not-
wendigkeit abnimmt, eine zusätzliche Markierung durch den Negator vorzunehmen.

13
Persönliche Auskunft von G. Andersen (Gisle.Andersen@eng.uib.no).
14
Hierfür spricht auch die Tatsache, daß sich gelegentlich auch für Sprachen, in
denen die Mehrheit der Befragten bisher das Vorhandensein negierter Exklama-
tionen ausgeschlossen hat, einzelne Äußerungen finden lassen, die diesem Schema
doch entsprechen; cf. z. B., englisch: What I didn't do to get that report finished
on time! (für diesen Hinweis danke ich K. Stanley, Piedmont).
234

Im Falle der W-Interrogation wäre es natürlich prinzipiell möglich, die Negation


auf die Ebene der Pragmatik zu beziehen, denn im Unterschied zu den negierten Ja-
Nein-Fragen liegen hier ja nicht wirklich Fragehandlungen, sondern eben Ausrufe
vor. Ein solcher pragmatischer Ansatz hat dabei allerdings nicht nur den eher mar-
ginalen Schönheitsfehler, daß er sich trotz ihrer offenkundigen Ähnlichkeit nur auf
eines der beiden hier behandelten Phänomene anwenden läßt, sondern er kann auch
keine Erklärung für die zu beobachtenden Sprachwandelphänomene anbieten. Da
der Bezug der Negation auf die Ebene des Satzmodus nicht nur eine einheitliche
Erfassung beider Interrogationstypen möglich macht, sondern darüber hinaus auch
eine Erklärung der auf den ersten Blick so uneinheitlichen empirischen Befunde
möglich macht, ist ihm eindeutig der Vorzug zu geben.
7 Schluß

In der vorgelegten Untersuchung wurden verschiedene ausgewählte Aspekte aus


den Themenbereichen "Interrogation" und "Negation" sowie die Interrelation dieser
beiden Phänomene behandelt. Nach einer Skizzierung der grammatischen Struktur
der beiden regelmäßig zum Vergleich mit herangezogenen, in Deutschland als Min-
derheitensprachen an erster Stelle stehenden Sprachen Serbisch (stellvertretend für
Serbokroatisch) und Türkisch wurde im 2. Kapitel zunächst die grundsätzliche
Frage geklärt, was unter "Negation" zu verstehen ist, und dabei zugleich ein kurzer
Überblick über die Forschung gegeben, die in diesem Fall ja bis in die Antike zu-
rückreicht. Dabei wurde unter Berufung auf Aristoteles eine Abgrenzung der Nega-
tion von anderen, verwandten Phänomenen wie z. B. Deprivation vorgenommen.
Darüber hinaus wurden verschiedene in der Literatur angenommene Typen der
Negation, wie beispielsweise die expletive Negation oder die metalinguistische
Negation, vorgestellt und diskutiert.
Auf der Grundlage der nunmehr vorliegenden Definition des Begriffs
"Negation" konnte dann im folgenden 3. Kapitel eine vergleichende Untersuchung
der lexikalischen Negation im Deutschen, Serbischen und Türkischen vorgenom-
men werden. Bei dieser Analyse, die sich auf eine breite empirische Basis stützte,
konnte eine Reihe von neuen Erkenntnissen zum den in allen drei Sprachen produk-
tiven Verfahren der lexikalischen Negierung gewonnen werden; es konnte nämlich
gezeigt werden, daß dieses Wortbildungsverfahren nicht nur eng an verbale Wur-
zeln geknüpft ist, sondern darüber hinaus auch eine Affinität zum Passiv aufweist;
darüber hinaus spielen aber auch eine Reihe von semantischen Prinzipien, die mit
dem Weltwissen und der Vorerwartung der Sprechenden zu tun haben, eine Rolle.
Besonders der Vergleich des negierten Wortschatzes in den beiden indoeuropäi-
schen Sprachen zeigte zudem, daß hinter den auf den ersten Blick sichtbaren Unter-
schieden, auf die in der Literatur bisher vorwiegend hingewiesen wurde, eine
außerordentlich ähnliche morphologische Grundstruktur vorliegt. Das Türkische
kennt eine den beiden indoeuropäischen Sprachen vergleichbare Form der lexika-
lischen Negation nicht, sondern bildet die entsprechenden Übersetzungsäquivalente
aus Verbalnomina; damit spiegelt es zugleich ein Verfahren wider, das den beiden
anderen Sprachen historisch ebenfalls zugrundeliegt, deren lexikalische Negation
sich aus der Negation von Partizipien entwickelt hat.
An die Untersuchung der lexikalischen Negation schließt sich in Kapitel 4 eine
Analyse der Negation in der Syntax an. Zunächst wurden dabei die vorliegenden
Ergebnisse sprach vergleichender Untersuchungen zusammengetragen und neu ge-
wertet, um einen Überblick über die Stellung der Negation in den Sprachen der
Welt zu erhalten. Nach diesem typologischen Teil wurde eine Untersuchung der
Stellung der Negation im modernen Deutschen auf breiter empirischer Basis vor-
gelegt; es wurden sowohl quantitative als auch qualitative Analysen vorgenommen.
Dabei konnte gezeigt werden, daß nicht nur die Stellung des Negators, sondern
auch der Gebrauch von kein- versus nicht von den Thema-Rhema-Verhältnissen im
Satz abhängig ist; bei letzteren ließ sich zusätzlich nachweisen, daß die beiden
236

unterschiedlichen Bedeutungen des unbestimmten Artikels, [+indefmit +spezifisch]


und [+indefinit -spezifisch] von ausschlaggebender Bedeutung für den Gebrauch
von kein- resp. nicht ein sind. Im dritten Teil des Kapitels zur Negation in der
Syntax wurde schließlich ein Übersetzungsvergleich vorgelegt, bei dem aus-
gewählte Belege aus dem Sample jeweils zwei Muttersprachlern des Serbischen und
des Türkischen, die fließend Deutsch sprechen, mit der Bitte um Übersetzung
vorgelegt wurde. Die Ergebnisse dieser Übersetzungen, die insbesondere Fälle mit
problematischem Bezug der Negation, also Kandidaten für die "Sondernegation"
betraf, wurden ebenfalls analysiert. Dabei konnte abermals gezeigt werden, daß die
Thema-Rhema-Struktur des Satzes für Skopus und Fokus der Negation ausschlag-
gebend ist, und daß diese Regel auch in Sprachen gilt, die keine freie Stellung der
Negation zulassen, wie dies im Serbischen (der Negator steht immer vor dem Verb)
und im Türkischen (der Negator ist ein verbales Infix) der Fall ist.
Um die Frage nach dem Zusammenwirken von Negation und Interroagtion
angemessen beantworten zu können, wurde im 5. Kapitel zunächst das Problem des
Status von Satzmodi behandelt. Da diese Ebene der Bedeutung ist in der Literatur
höchst umstritten ist, wurden zunächst die wichtigsten modernen Beschreibungs-
ansätze zu diesem Problemkreis vorgestellt und diskutiert. Auf dieser Grundlage
wurde dann eine grundsätzliche Unterscheidung von Proposition, Satzmodus, Ba-
sisbedeutung, Sprechakt und Facilokution vorgenommen, wobei sich in erster Linie
die Unterscheidung zwischen pragmatischer, Satzmodus- und propositionaler Be-
deutung als für die weitere Analyse notwendig erwies.
Im 6. und letzten Kapitel schließlich wurde die Interrelation von Interrogation
und Negation in beiden Typen von Interrogativsätzen thematisiert. Dabei wurden
die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt, die insgesamt 52 Sprachen, darunter
26 nicht-indoeuropäische, umfaßte. Es zeigte sich, daß Vergewisserungsfragen wie
Guck mal, da drüben, ist das nicht Udo? nur in den drei der erfaßten Sprachen nicht
gestellt werden können, die alle drei dem polysynthetischen Sprachtyp angehören;
in allen anderen untersuchten Sprachen waren sie hingegen möglich. Die Funktions-
weise dieses Äußerungstyps wurde dadurch erklärt, daß die Negation nicht auf die
Proposition, sondern auf den Satzmodus bezogen wurde. Negierte W-Exklama-
tionen wie Was es nicht alles gibt! ließen sich demgegenüber seltener nachweisen,
traten aber dennoch in den verschiedensten, keineswegs miteinander verwandten
Sprachen auf. Auch in diesem Falle wurde die Negation auf den Satzmodus bezo-
gen, wobei die Tatsache, daß der interrogative Modus in diesen Fällen ohnehin
schon sehr stark geschwächt ist, gleichzeitig als Erklärung dafür angeführt wurde,
warum die Negation hier gewöhnlich fakultativ ist. Zugleich wurde aufgrund der
Tatsache, daß die Negation von W-Exklamationen in einigen Sprachen gerade in
eine höhere, leicht archaische Stilebene überzugehen oder auch ganz zu veralten
scheint, auf die Notwendigkeit hingewiesen, auch bei sprachvergleichenden
Untersuchungen diachronische Aspekte mit zu berücksichtigen.
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Index

Abtönungspartikel, nicht als.. 205ff. Stellung des Negators,


Aliquanter 225ff. Universalienforschung.... 98ff.
Aristoteles 6ff. Temporalsätze, Negation in.. 31 ff.
Artikel 125, Thema-Rhema-Gliederung... 229f.
127'f. Universalien der Stellung des
Basisbedeutung 180 Negators 98ff.
Beraubung 9, 11
Bestimmungsfrage 185ff„
200ff.
Deverbativa 82ff.
Entscheidungsfrage. 172ff.,
205ff.
Exklamation 183f.
expletive Negation 28ff.
Facilokution 181
Fokuspartikeln 138ff.
Illokution 170ff.
Interrogation als
Konditionalsatz 189ff.
Jeserpesens Zirkel 17ff.
kein- 114ff.
keiner (Indefinitpronomen).. 113f.
Konditionale (formale Logik) 195ff.
Konditonalsätze 186ff.
konnotative Negation 44ff.
Konträrietät 9,11,
40
Kopula, negative 21f.
Markiertheit,
morphologische 19f.
pragmatische 22ff.
syntaktische 18f., 20
metalinguistische Negation... 25ff.
Modalpartikel, nicht als 205ff.
Modus 168ff.
nichts 112f.
nie(mals) 114
niemand 113f.
Partizipien 44ff.
Passiv 85ff.
Polarität, negative 35ff.
Präfixe 39ff.
Quantoren 142ff.
Relation
(Aristotelische Kategorie). 9,11
Rhema 129ff.
Satzmodus, Definition 180
Satztyp 170ff.

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