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EDMUND HUSSERL

PHANTASIE, BILD BEWUSSTSEIN,


ERINNERUNG

ZUR PHANOMENOLOGIE
DER
ANSCHAULICHEN VERGEGENWARTIGUNGEN
TEXTE AUS DEM NACHLASS
( 1898--1925)

HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD MARBACH

• 1980

MARTINUS NIJHOFF PUBLISHERS


THE HAGUE I BOSTON I LONDON
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Husserl, Edmund, 1859-1938.


Husserliana.

Vol. 6- : "In Gemeinschaft mit dem Husserl-Archiv an der Uni-


versität Köln."
Includes earlier editions of some volumes.
1. Philosophy - Collected works. I. Title. B3279.H9 1950,
Bd. 1, etc. 193 51-9993

ISBN 90-247-2119-9

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INHALT

EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS • • • . • . • • • . XXV

PHANTASIE, BILDBEWUSSTSEIN, ERINNERUNG


Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen

Nr. 1. PHANTASIE UND BILDBEWUSSTSEIN (Drittes Haupt-


stück der Vorlesungen aus dem Wintersemester
1904/05 über "Hauptstücke aus der Phänomeno-
logie und Theorie der Erkenntnis") ..... .

1. KAPITEL: Frage nach der Phantasievorstellung gegenüber


der Wahrnehmungsvorstellung. . . . . . . . . . . .
§ 1. Vieldeutigkeit des Begriffs der Phantasie in der ge-
wöhnlichen Rede -Das Phantasieerlebnis als Funda-
ment phänomenologischer Wesensanalyse und Be-
griffsbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 2. Die Aufgabe der Gewinnung eines wesentlich einheit-
lichen Begriffs der Phantasievorstellung als Phan-
tasieauffassung - Charakterisierung der Wahrneh-
mungsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . 5
§ 3. Versagen der zeitgenössischen psychologischen For-
schung in der Frage nach dem Verhältnis von Wahr-
nehmungs- und Phantasievorstellung. Fehlen des Be-
griffs der objektivierenden Auffassung . . . . .~. 6
§ 4: Kurze Darstellung und Kritik von Brentanos Lehre
vom "Vorstellen" . . . . . . . . . . . . . . . 8
§ 5. Die Frage nach dem Unterschied von Wahmeh-
mungs- und Phantasievorstellung und das besondere
Problem der Unterscheidung der entsprechenden
Auffassungsinhalte, Empfindung und Phantasma.. 10
§ 6. Kritische Erörterung der von den Psychologen vor-
gebrachten Unterschiede von Wahrnehmung und
Phantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
VI INHALT

2. KAPITEL: Interpretation der Phantasievorstellung als Bild-


lichkeitsvorstel1ung (Imagination) wie die physisch-bild-
liehe Vorstellung. . . . . . . . . . . . . . .• 15
§ 7. Verwandte Unterschiede innerhalb der Wahrneh-
mungs- bzw. Phantasieauffassung . . • . . . . . 15
§ 8. Die Phantasievorstellung als Verbildlichung. Beginn
der Wesensbestimmung des bildlichen Vorstellens.. 16
§ 9. Die physische Imagination als Parallelfall der Phan-
tasievorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 18
§ 10. Wesensgemeinsamkeit der physischen Imagination
und der gewöhnlichen Phantasievorstellung bezüg-
lich der "geistigen Bilder" . . . . . • . . . . . 21
§ 11. Die Beziehung auf das Bildsujet, bzw. die zwei auf-
einandergebauten Auffassungen in der Phantasievor-
stellung - Hinweis auf ein genaues Analogon: Wort-
erscheinung als Träger einer zweiten Auffassung als
Zeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
§ 12. Voraussetzung der ganzen bisherigen Betrachtung:
die doppelte Gegenständlichkeit bei der Phantasie-
vorstellung und bei der physischen Bildauffassung 25
§ 13. Die zwei Auffassungen, die zur Konstitution der ima-
ginativen Vorstellung wesentlich gehören . . . . . 27
§ 14. Wiederholung und neue Darstellung: Das Ineinan-
der der beiden Auffassungen, die das Bewusstsein der
Bildlichkeit konstituieren, und Ähnlichkeitsdeckung
bzw. Auseinandertreten der Objekte dieser Auffas-
sungen. Die Gegebenheit der bewussten Beziehung
auf das Bildsujet durch das Bewusstsein der Verge-
genwärtigung eines Nichterscheinenden im Erschei-
nenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3. KAPITEL: Bildlichkeitsbewusstsein in immanenter Funk-


tion und in symbolischer Funktion - Zur ästhetischen
Bildbetrachtung - Frage nach dem Verhältnis der fundie-
renden Auffassung beim Phantasie- und Bildbewusstsein
zur Wahrnehmungsauffassung . . . . . • . • . .• 34

§ 15. Gemeinsamkeit und Unterschied von bildlicher und


symbolischer Auffassung . . . . . . . . . . . . 34
§ 16. Einführung der Unterscheidung zwischen innerer
(immanenter) und äusserer (symbolischer) Bildlich-
keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 35
§ 17. Das Interesse am Wie der Verbildlichung des Bildob-
jekts bei der ästhetischen Bildbetrachtung im Gegen-
satz zur ausschliesslichen Interessenrichtung auf das
INHALT VII

Bildsujet bei der gewöhnlichen Phantasie- und Erin-


nerungsvorstellung • • • • . • . . . . . . . . 36
§ 18. Möglichkeit des Wechsels in der Richtung der mei-
nenden Intention und entsprechender Wechsel des
Gegenstandes. Beschreibung der Erscheinungsweise
des Bildobjekts z.B. in psychologischem Interesse.. 38
§ 19. Selbständigkeit und Unselbständigkeit der zwei sich
durchdringenden Auffassungen und Frage nach dem
'Verhältnis der fundierenden Auffassung zur Wahr-
nehmungsauffassung im Falle der durch physische
Bilder vermittelten Imagination. Wegfallen des Bild-
lichkeitsbewusstseins bei Täuschungen a la Panopti-
kum, Panorama etc. und ästhetischer Schein. . . . 39
§ 20. Ob die fundierende Auffassung bei der Phantasie im
gewöhnlichen Sinn und der Erinnerung den Charak-
ter einer Wahrnehmungsauffassung habe. Wegfallen
des Bildlichkeitsbewusstseins bei der Vision u1l.d Hal-
luzination. Waches Träumen und Bewusstsein des
Scheins der Phantasiegestaltungen . • • . . . . . 41

4. KAPITEL: Unterschiede zwischen gewöhnlicher Bildvorstel-


lung und PhantasievOYstellung. . . . . . . . . . . . 43

§ 21. Die zugrundeliegenden Auffassungen bei der physi-


schen Bildvorstellung, Frage nach der Identität bzw.
Verschiedenheit der Auffassungsinhalte . . . . . , 43
§ 22. Die Erscheinung des Bildobjekts und ihr Charakter
der Unwirklichkeit, des Widerstreits mit dem Gegen-
wart konstituierenden Blickfeld der Wahrnehmung. 45
§ 23. Das Verhältnis von wirklich Gegenwärtigem und
biossem Fiktum im Widerstreit zweier Wahmeh-
mungsauffassungen bei den Fällen des Sinnenscheins. 48
§ 24. Vorblick auf die Sachlage bei der Phantasie: völlige
Trennung von Phantasiefeld und Wahrnehmungs-
feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
§ 25. Rekapitulation: Die doppelte Art der Repräsentation
durch Ähnlichkeit, 1) die innere Bildlichkeit als das
eigentlich imaginative Bewusstsein; die veranschau-
lichenden Momente bei der Bildobjekterscheinung als
Träger des Bewusstseins der inneren Repräsentation
und die übrigen Momente; der doppelte Widerstreits-
charakter der Bildobjekterscheinung, 2) die äussere
Bildlichkeit als Weise des symbolischen Bewusstseins 50
VIII INHALT

5. KAPITEL: Die Pkantasieerscheinung im Kontrast zurpky-


sisck-bildlichen Erscheinung und zur Wakrnekmungser-
scheinung . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . 54
§ 26. Das Fiktum und die Frage nach der Erscheinungs-
weise des "Phantasiebildes" • . . . . . . . . . . 54
§ 27. Die Phantasieerscheinung: Grade und Stufen der An-
gemessenheit der Vorstellung an ihr Objekt im Fall
der physischen Bildlichkeit und bei der Phantasie 56
§ 28. Das Proteusartige der Phantasieerscheinung : der
Wechsel der Fülle, Kraft und Lebendigkeit und der
damit zusammenhängende Wechsel in der Angemes-
senheit der Repräsentation . . . . . . . . . . . 58
§ 29. Kontinuität und Diskontinuität bei Wahrnehmungs-
erscheinung, physisch bildlicher Erscheinung und
Phantasieerscheinung . . . . . . . . . . . . . 60

6. KAPITEL: Rekapitulierende Darstellung der Ansicht, dass


Phantasievorstellung sich als Bildlichkeitsvorstellung in-
terpretieren lasse . . • . . . . . . . . . . . . . . 63
§ 30. Parallelismus zwischen gewöhnlicher Imagination
und Phantasieimagination . . . . . . . . . . . . 63
§ 31. Starke und fIiessende Unterschiede zwischen der ge-
wöhnlichen Imagination und der Phantasie 64
§ 32. Das Widerstreitsverhältnis von Phantasie- (bzw.
Erinnerungs-)feld und Wahrnehmungsfeld und das
Fiktum der Phantasie in den Fällen der klaren Phan-
tasie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
§ 33. Die Fälle der unklaren Phantasien und die Frage, ob
hier überhaupt Bildobjekt und Bildsujet unterschie-
den werden darf. Hinweis auf analoge Erscheinungen
in der Wahrnehmungssphäre: Doppelbilder und
Wettstreit der Sehfelder beim Schielen 70

7. KAPITEL: Versuck, zwischen Pkantasievorstellung und


Bildlichkeitsvorstellung einen wesentlichen Unterschied zu
etablieren . . . . . . •........• .. 71
§ 34. Der Zusammenhang des Blickfeldes des Wahrneh-
mungsbewusstseins und sein Fundament in den Zu-
sammenhängen der Empfindungen in den Empfin-
dungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . " 71
§ 35. Das Verhältnis der Phantasmen und Phantasieer-
scheinungen zu den Zusammenhängen des Wahr-
nehmungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . " 73
§ 36. Vertiefte Erörterung der Frage nach Koexistenz bzw.
INHALT IX

Widerstreit von Wahrnehmungs- und Phantasiefeld


am Beispiel einzelner Sinnesfelder . . . . . . . . 75
§ 37. Ob nicht Wahrnehmung einen ursprünglichen Vorzug
haben müsse, da Empfindungen allein Begründer von
Gegenwartsrealität sind. Schwierigkeit bezüglich der
irrealen Phantasmen als gegenwärtiger sinnlicher In-
halte. Versuch einer Antwort: imaginative Auffas-
sung der Phantasmen unmittelbar ein Vergegenwär-
tigungsbewusstsein konstituierend; Möglichkeit
nachträglicher Einordnung der Phantasieerscheinung
und der fundierenden Phantasmen in die Gegenwart. 77
§ 38. Kennzeichnung des Unterschiedes der Phantasieauf-
fassung gegenüber der perzeptiv-imaginativen durch
das Fehlen des Bewusstseins eines Gegenwärtigen,
das erst als Träger eines Bildlichkeitsbewusstseins
zu fungieren hätte . . . . . . . . . . . . . . , 79
§ 39: Kodsequenz der versuchten Auffassung: kein direk-
tes imaginatives Bewusstsein innerhalb der Sphäre
der Wahrnehmung und Etablierung eines ursprüng-
lichen phänomenologischen Unterschieds zwischen
Empfindungen und Phantasmen. Hinweis auf den
Glaubenscharakter und die Einteilung der Phanta-
sievorstellungen in blosse Vorstellungen und Erinne-
rungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 80

8. KAPITEL: Ergebnisse und Vorblick auf die Analysen des


Zeitbewusstseins . . . • . . . . . . . . • .. 82
§ 40. Bestimmung des wesentlichen Unterschiedes zwi-
schen der Imagination im eigentlichen Sinn (perzep-
tiver Imagination) und Imagination als Phantasie 82
§ 41. Unterscheidung der schlichten Phantasievorstellung
, und der bildlich sich vermittelnden; schlichte Phan-
tasievorstellung als Voraussetzung der echten imagi-
nativen Funktion in der Phantasie . . . . . . . . 84
§ 42. Umgrenzung des Begriffs der schlichten Phantasie-
vorstellung als Vollzug von reinem Vergegenwärti-
gungsbewusstsein ; immanentes Bildbewusstsein als
Phantasiebewusstsein. Terminologische Festlegung
,der Gegensätze Wahrnehmung - Phantasie oder Ge-
genwärtigung (Präsentation) - Vergegenwärtigung
(Repräsentation). . . . . . . . . . . . . . . . 85
§ 43. Die Sachlage bei den unklaren Phantasien: die
schlichte Phantasievorstellung jedenfalls vorausge-
setzt. Abschliessende Übersicht über die in den Ana-
lysen hervortretenden Vorstellungsmodi . , . . . 87
§ 44. Absonderung eines neuen Begriffs von Erscheinung
x INHALT

mit Rücksicht auf den Bewusstseinscharakter der


Gegenwärtigung bzw. Vergegenwärtigung als dem
Unterscheidenden zwischen Wahrnehmung und Phan-
tasie. Anzeige des Übergangs in die Analysen des Zeit-
bewusstseins zur genaueren Unterscheidung der Dif-
ferenzen im Wahrnehmungs- und Phantasiebewusst-
sein . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

9. KAPITEL: Die Frage nach dem phänomenologischen Un-


terschied zwischen Empfindung und Phantasma und die
Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Phan-
tasie . . . . . . . . . . . . • . . • . . . . . . 92
§ 45. Anknüpfung an Brentanos Stellungnahme: keine we-
sentlichen Unterschiede zwischen den Auffassungs-
inhalten : Empfindung und Phantasma . . . . . . 92
§,46. Ansetzung des Unterschiedes zwischen Empfindung
und Phantasma in den Auffassungsweisen. Diskus-
sion eines Ungenügens dieser Theorie bei Brentano
und anderen: die Interpretation der Humeschen
vivacity als Intensität. . . . . . . . . . . . . . 94
§ 47. Die Schwierigkeit zu verstehen, wie der Unterschied
zwischen Phantasie eines psychischen Aktes und ak-
tuellem Vollzug dieses Aktes möglich ist. Das Mo-
ment des belief und die Uneigentlichkeit des Vor-
stellens . . . . . . . . . . • . . • . . . . . 96
§ 48. Auflösung der Schwierigkeit: Begründung des Unter-
schieds zwischen Wahrnehmungs- und Phantasie-
auffassung durch Hinzunahme der Bewusstseinscha-
rakterisierung als "gegenwärtig" bzw. "vergegenwär-
tigt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
§ 49. Neue Schwierigkeiten bezüglich der aktuell gegen-
wärtigen Akte und der Frage des inneren Wahrge-
nommenseins bzw. der Modifikation der diskreditie-
renden Phantasievergegenwärtigung . . . . . . . 102
§ 50. Fälle, wo erinnerte und aktuelle psychische Akte auf
dieselbe Vorstellungsgrundlage bezogen sind . . . . 104
§ 51. Zur Aufklärung der Gesamtauffassung der Wahrneh-
mung gegenüber der Phantasie: entweder Ansatz der
Repräsentation als modifizierenden Charakter und
der Präsentation als das entsprechend U nmodifizierte. 106
§ 52. Oder Ansatz von zwei gleichberechtigten Auffassun-
gen, Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, und
entsprechend von zwei in sich verschiedenen Auffas-
sungsinhalten, Empfindung und Phantasma . . . . 107

! ~II
INHALT XI

BEILAGE 1. Phantasie und bildliehe Vorstellung. Zum Verhältnis


zwischen Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung (3.-4. Sep-
tember bis 3. Oktober 1898). . . . . . . . • . . . . . . . 108
§ t. Die Phantasievorstellungen als bildliche Vorstellungen
wie die gewöhnlichen Bildvorstellungen. Was liegt im
" Vergegenwärtigen im Bilde"? . . . . . . . . . . . 108
§ 2. Herausstellung von zwei Richtungen der Vergegenständ-
lichung in der Phantasievorstellung am Leitfaden der ge-
wöhnlichen Bildvorstellung . . . . . . . . . . . . . 111
§ 3. Akt der Präsentation des Bildes als Fundament für das
Bewusstsein der bildlichen Repräsentation in Phanta-
sievorstellung und gewöhnlicher Bildvorstellung 113
§ 4. Analogie und Differenzen zwischen dem Gegensatz von
Präsentation und Repräsentation innerhalb eines kon-
kreten Aktes der Repräsentation und der indirekten Prä-
sentation bei der Wahrnehmungsvorstellung . . . 115
§ 5. Vieldeutigkeit der Termini Phantasievorstellung und
Phantasieobjekt. Analoge Unterscheidungen bei den
physisch-bildlichen Vorstellungen. . . . . . . . . , 117
§ 6. Verschiedenartigkeit der Vorstellungen durch Phanta-
siebilder und der Vorstellungen durch physisch vermit-
telte Bilder: kompliziertere Auffassungsgrundlage bei
den letzteren; physisches Bild, Bildobjekt, Bildsujet im
Wechsel der Betrachtungsrichtung; Beteiligung an der
Auffassungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . , 120
§ 7. Innere Gleichartigkeit des Aktcharakters bildlicher Re-
präsentation, jedoch äussere Unterschiede bei beiden
Vorstellungsarten. Desiderat einer Aufklärung der inne-
ren Unterschiede zwischen den sinnlichen Inhalten:
Empfindungen und Phantasmen . . . . . . . . . . 123
§ 8. Wahrnehmungsvorstellung von einer auf denselben Ge-
genstand gerichteten Phantasie- oder physisch-bildlichen
Vorstellung unterschieden als Präsentation gegenüber
Repräsentation. - Frage: Wie unterscheidet sich die
Wahrnehmungsvorstellung eines Gegenstandes von der
Vorstellung "desselben" Gegenstandes als Phantasieob-
jekts unter der Annahme, dass das Phantasieobjekt nicht
repräsentativ fungiert? . . . . . . . . . . . . . . 124
§ 9. Der allgemeine Charakter der Präsentation: einen Ge-
genstand zur Erscheinung zu bringen. - Die Beantwor-
tung der Frage nach dem Unterschied zwischen Phanta-
sieerscheinungen und Wahrnehmungserscheinungen zu-
rückführend auf die Aufklärung des Unterschiedes zwi-
schen den präsentierenden Inhalten . . . . . . . . . 126
§ 10. Innere und äussere Unterschiede, Klassenunterschiede
XII INHALT

und Unterschiede einander paarweise entsprechender Er-


scheinungen der Wahrnehmung und Phantasie 127
§ 11. Zur systematischen Beantwortung der Frage nach dem
Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Phantasie-
erscheinungen bei identischem Gegenstand: Möglichkeit
der Unterscheidbarkeit bei völligem Mangel an wesent-
lichen inneren Unterschieden durch äussere Unterschiede
der Funktion 130
§ 12. Heranziehung der physisch-bildlichen Vorstellungen mit
ihren Differenzen zwischen Bild und Original zur genau-
eren Aufklärung der verschiedenen Erscheinungen . 131
§ 13. Anwendung der bei den physisch-bildlichen Vorstellun-
gen erörterten Möglichkeit der Unterscheidung von den
Wahrnehmungserscheinungen bzw. der Möglichkeit der
Täuschung auf die Phantasiebilder . 133
§ 14. Stetigkeit bzw. intermittierende Flüchtigkeit als ge-
wöhnlich aufgeführtes Unterscheidungsmerkmal der
Phantasiebilder von den Wahrnehmungserscheinungen . 134
§ 15. Das Merkmal der Fülle. Die Frage nach dem Intensitäts-
unterschied als Übergang zur Erörterung der inneren U n-
terschiede. Ob auch bei Phantasiebildern von psychi-
schen Akten von Intensität zu reden sei. 135
§ 16. Deskriptive Einteilung der Vorstellungen nach dem Ge-
sichtspunkt direkter und indirekter (bildlicher) Anschau-
lichkeit und Position 136

BEILAGE Ir. Trotz meinender Zuwendung zum Bildding bleibt die


erregte Erscheinung des repräsentierenden Bildes mitbemerkt
(wohl 1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 137

BEILAGE II!. Bild - Bildobjekt - Sache. Ähnlichkeit als Grund-


lage der Abbildlichkeit (wohl um 1904/05). . . . . . . . . . 138

BEILAGE IV. Eigentliche Vorstellung - uneigentliehe Vorstellung


(wohI1904/05) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

BEILAGE V. Bildvorstellungen (bildliehe - symbolische). Über-


gang vom Bildbewusstsein zum Bewusstsein analogischer Re-
präsentation (Symbolbewusstsein). Klare empirisch zusammen-
hängende Phantasievorstellungen (WOhl um 1905) . . . . . . 141

BEILAGE VI. Warum die Natur, eine Landschaft als "Bild" wirkt
- Ästhetik; Interesse an der Erscheinung. Dingerscheinungen
drücken immer von innen her etwas aus für die Betrachtung
der Kunst (wohl 1906). . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

BEILAGE VII. Widerstreit als Fundament der Bildlichkeitsvorstel-


INHALT XIII

lung. Widerstreit zwischen dem Erscheinenden und dem empi-


risch Geforderten: logisch vermittelter, nicht bloss sinnlicher
Schein. Widerspruchslos Erscheinendes "ist", gilt (wohl um
September 1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

BEILAGE VIII. Frage nach den Arten des Widerstreits bei den Fik-
ta der Phantasie und der Erinnerung - Widerstandsleistung
der Erfahrung (wohl 1906) . . . . • . . . . . . . . . . . 148

BEILAGE IX. Ob Phantasievorstellung bildliche Vorstellung sei -


Mehrfache Bildlichkeit: uneigentliche Vorstellung durch mehr
oder minder vollkommene Abbilder gegenüber eigentlicher Vor-
stellung des im ästhetischen Bildbewusstsein Gemeinten (Er-
füllung der Bildintention) ; Richtung des Interesses auf das
im BIldobjekt Sich-darstellen des Objekts - Note: Kein Ge-
fuhl der Uneigentlichkeit hinsichtlich des Dargestellten beim
künstlerischen Bild; Stufen der Ähnlichkeit beim Bild-, Sym-
bol- und Zeichenbewusstsein : Sollenscharakter des Hinweisens
- Betrachtung des Fechnerbildes - Mehrfältige Bildlichkeit
in bildender Kunst und Musik: zur Frage des adäquaten Bildes,
Vergleich der Darstellung mit dem Ideal: 'Vieldeutigkeit der
ästhetischen Apperzeption (wohl 1905) . . . . . . . . . . . 149

BEILAGE X. Klare und unklare Phantasie im Unterschied zur phy-


sischen Bildlichkeit (wohl 1905) . . . . . . . . . . . . " 160

BEILAGE XI.' Schwanken, ob Phantasie oder Wahrnehmung (um


1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

BEILAGE XII. Empfindung - Phantasma und die ihnen wesent-


lichen "Auffassungen" (wohl 1904/05) . . . , ..... 163

BEILAGE XIII. Phantasmen und Empfindungen als Wahrneh-


mungsobjekte und als Auffassungsinhalte von Wahrnehmungen
(bzw. von Bildvorstellungen und von Phantasievorstellungen,
Erinnerungen) (Abschrift und nähere Ausführung einiger No-
tizen aus 1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Nr. 2. 'vON DER THEORIE DER REPRÄSENTATION BEI PHAN-


TASIE UND ERINNERUNG ZUR EINFÜHRUNG DER
LEHRE VON DER REPRODUKTION BZW. DOPPELTEN
VERGEGENWÄRTIGUNG (Texte von etwa 1904 bis et-
I wa 1909, evtl. 1912) . . . . . . . . . . . . . . 170

a) Aporie. Doppelte Auffassung derselben Erscheinung: als


Phantasie der Wahrnehmungserscheinung in Beziehung
XIV INHALT

auf das aktuelle Ich bzw. als Wahrnehmungserscheinung


in Beziehung auf das Phantasie-Ich. Ob nicht zum Wesen
jeder Phantasie- und Erinnerungsvorstellung gehört, eine
Erscheinung im Bewusstsein der Repräsentation darzu-
stellen. Reflexion auf das Phantasie-Vorstellen (wohl
I904). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. 170
b) Aktuelle Vorstellung "von" und Vorstellung in der Ein-
bildung, Erinnerung (imaginatives Gegenbild); Reflexion
inder Phantasie (umI90S) . . . • . . . . . . . . 179
c) Reflexion und Phänomenologische Reduktion in der Phan-
tasie(wohII90S) . . . . . . . . . . . . . • . . . 184
d) Zweierlei Wahrnehmung - zweierlei Phantasie (wohl
I907/o8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
e) Doppelte Vergegenwärtigung:"Reproduktion von etwas"
im Gegensatz zu "Phantasie von etwas" = Phantasievor-
stellung (woh1I908) . . . . . . . . . . . . • . . 189
f) Wahrnehmung von einer Phantasie (Reflexion) und
Phantasie von einer Phantasie (wohl frühestens I909:
evtl. I9IZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
g) Ob die Folge von Modifikationen "Wahrnehmungser-
scheinung - Phantasieerscheinung - Phantasieerschei-
nung in einer Phantasie" eine Reihe iteriener M odifika-
tionen sei (wohl frühestens I909; evtl. I9IZ) . . . 192

BEILAGE XIV. a) Erinnerung und Wahrgenommenhaben (etwa


1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
b) Implikation der Erinnerung an die frühere Wahrnehmung bei
der Erinnerung - Keine Wahrnehmung ohne wahrnehmendes
Subjekt (etwa 1898). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

BEILAGE XV. Unmittelbarkeit der Erinnerungs- und Phantasie-


vorstellung im Unterschied zur Bildapperzeption (wohl 1904) . 201

BEILAGE XVI. Die Erinnerungserscheinung mitsamt ihrem Gehalt


an sinnlichen Inhalten als Vergegenwärtigung der früheren
Wahrnehmungserscheinung - Beirrung durch die falsche
Theorie der Repräsentation (1904). . . . . . . . . . . . . 202

BEILAGE XVII. Erinnerung: Es genügt nicht, dass Wahrnehmung


sich in Repräsentation des Wahrgenommenen modifiziert; der
Wahrnehmung muss eine wirkliche oder mögliche Erinnerung
dieser Wahrnehmung entsprechen (1904) . . . . . . . 204

BEILAGE XVIII. Kompliziertere bildliche Vorstellungen (wohl


1898) . . . 205

BEILAGE XIX. Phantasie in der Phantasie (um 1905) 206


INHALT XV

BEILAGE XX. Immanente Imaginationen (wohl frühestens 1909;


evtl. 1912) . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . 207

BEILAGE XXI. Reflexion in der Phantasie ist selbst Phantasie


(wohl Herbst 1909) . . . . . . • . . . . . . . . . . . . 208
BEILAGE XXII. "Reproduktion von" gegenüber "Phantasievor-
stellung von" als objektivierendem Akt (wohl 1909) . . . . . 209
BEILAGE XXIII. Was macht den Unterschied zwischen originä-
rem und nicht originärem Erlebnis? Möglichkeit einer doppel-
ten Reflexion (1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Nr. 3. PHANTASIE UND VERGEGENWÄRTIGUNG (ERINNE-


RUNG). FRAGE NACH DEM VERHÄLTNIS VON APPRE-
HENSION UND GLAUBENsgUALITÄT (Abschrift, wohl
1905/06, mit Ergänzung wohl aus 1909) . . . . . 212
Nr. 4. GLAUBE ALS IMPRESSION. INTERPRETATION DER GE-
GENSÄTZE ZWISCHEN WAHRNEHMUNG UND PHANTA-
SIE, DER VERHÄLTNISSE ZWISCHEN ERINNERUNG UND
PHANTASIE, DER ILLUSION, BILDVORSTELLUNG, LEER-
VORSTELLUNG (11. Oktober 1908) . . . . . . . . 218
Nr.5. ERINNERUNG UND ITERATIONEN DER ERINNERUNG.
MODALE CHARAKTERE UND APPARENZEN (wohl 1909) 229
BEILAGE XXIV. Die Erscheinung entweder Wahrnehmungs- oder
Phantasieerscheinung als Materie der Setzung und der Zeitauf-
fassung (wohl 1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
BEILAGE XXV. In Erinnerung, Erwartung, freier Phantasie ein
Identisches als Kern, als Erscheinung sich abhebend; Frage
nach einem Terminus dafür (vor 1900, modifizierte Abschrift
wohl um 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
BEILAGE XXVI. Noten. Problemata. Der "Überschuss aber die
Erscheinung" zur Vnterscheidung bei den nichtperzeptiven Er-
scheinungen (woh11909) . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
BEILAGE XXVII. Die Möglichkeit der abstraktiven Scheidung von
Auffassung (Erscheinung) und qualitativem Modus (wohl ,1909
oder 1910) . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
BEILAGE XXVIII. Bildapparenz. Phantasieapparenz und die Fra-
ge der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung"
(wohl 1912 oder etwas später) . . . . . . • . . . . . . . 238
XVI INHALT

Nr.6. ERINNERUNG UND PHANTASIE. GLAUBENSMODIFIKA-


TION GRUNDVERSCHIEDEN VON MODIFIKATION DER
IMPRESSION IN REPRODUKTION. APORIEN: WAS DENN
ERINNERUNG FÜR EINE MODIFIKATION ERFAHRE
DURCH ÜBERGANG IN DIE "BLOSSE PHANTASIE" (wohl
erste Hälfte 1909) . . . . . . . . . . . . . . 241
Nr.7. WAHRNEHMUNG, ERINNERUNG, PHANTASIE UND DIE
ZEITLICHEN ZUSAMMENHANGSINTENTIONEN (wohl
1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
BEILAGE XXIX. Zur Unterscheidung von Erinnerung und blosser
Phantasie: Zusammenhangsintentionen sind nicht wegzuschnei-
den; der Charakter der Aktualität bzw. Inaktualität als das
Unterscheidende (wohl etwa Ende Februar 1910) . . . . . . 262

Nr. 8. PHANTASIE ALS "DURCH UND DURCH MODIFIKA-


TION". ZUR REVISION DES INHALTS-AUFFASSUNGS-
SCHEMAS (Abschrift und Verbesserung wohl Sommer
oder Anfang Herbst 1909) . . . . . . . . . 265
Nr.9. IMMANENTE UND INNERE PHANTASIE (IN DOPPEL-
TEM SINNE). PHANTASIE UND WAHRNEHMUNG. WAHR-
NEHMUNG ALS VORSTELLUNG, PHANTASIE ALS MODI-
FIKATION VON VORSTELLUNG (September 1909) 270
Nr. 10. DIE GLAUBENSMODIFIKATIONEN: GLAUBE (GEWISS-
HEIT), NEIGUNG, ZWEIFEL ETC. IN DER SPHÄRE DER
SCHLICHTEN INTUITION. ÜBERTRAGUNG IN DER IMA-
GINATIVEN MODIFIKATION AUF DIE PHANTASIE(wohl
Herbst 1909). . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Nr. 11. ERINNERUNG ALS "WIEDER"BEWUSSTSEIN GEGEN-
ÜBER WAHRNEHMUNG UND PURER PHANTASIE (wohl
1909 oder Anfang 1910) . . . . . . . . . . . . 287

Nr. 12. "EMPFINDUNG", ERINNERUNG, ERWARTUNG UND


PHANTASIE ALS MODI DES ZEITBEWUSSTSEINS. BE-
WUSSTSEIN ALS ZUSAMMENHANG (wohl Anfang 1910) 289
Nr. 13. WAHRNEHMUNGSREIHE, ERINNERUNGSMODIFIKA-
TION, PHANTASIEMODIFIKATION. GEGENWÄRTIGUNG
INHALT XVII

- VERGEGENWÄRTIGUNG, AKTUALITÄT UN'D INAK-


TUALITÄT ALS SICH KREUZENDE UNTERSCHIEDE.
ZWEI FUNDAMENTAL VERSCHIEDENE BEGRIFFE VON
PHANTASIE 1) INAKTUALITÄT 2) VERGEGENWÄRTI-
1910; teils 15.
GUNG (teils Abschrift, wohl Februar
Februar 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . 294

Nr. 14. LEBENDIGKEIT UND ANGEMESSENHEIT IN DER VER-


GEGENWÄRTIGUNG; LEERVERGEGENWÄRTIGUNG. IN-
NERES BEWUSSTSEIN, INNERE REFLEXION. PRÄG-
NANTER BEGRIFF DER REPRODUKTION (wohl 1911
oder Anfang 1912). . . . . . . . . . . . . . . 301
BEILAGE XXX. Erinnerung, Vergegenwärtigung von absoluten
sinnlichen Daten und von sinnlichen Gestalten (wohl 1909) . . 263
BEILAGE XXXI. Wahrnehmungserscheinung und quasi-Erschei-
nung nicht Glied der räumlich-zeitlichen Objektivität. Möglich-
keit ontischer und phansischer Interpretation der Erscheinung
(wohl 1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
BEILAGE XXXII. Lebendigkeit, Unlebendigkeit, Leere bei Verge-
genwärtigungen und Retentionen. Auftreten und Abklingen der
Vergegenwärtigungen (wohl 1911 oder Anfang 1912) . . . . • 314
BEILAGE XXXIII. Unterscheidungen in der Sphäre des inneren Be-
wusstseins (des Zeitbewusstseins)(wohI1911/12) . . . . . . 315
BEILAGE XXXIV. Schlichtes und synthetisches Meinen in Bezie-
hung auf Klarheit und Deutlichkeit der Erscheinungen und Fra-
ge nach der Erscheinungseinheit. Bestimmtheit und Unbe-
stimmtheit der Erinnerung und Phantasie. Leere Erscheinungen
(woh11911 oder Anfang 1912) . . . . • • . . . • . . . . 316
BEILAGE XXXV. Zur Einteilung der Erlebnisse in Impressionen
und Reproduktionen (Texte wohl zwischen 1910 und 1912) 320·

Nr. 15. MODI DER REPRODUKTION UND PHANTASIE. BILD-


BEWUSSTSEIN (auch in Beziehung auf die Stellung-
nahmen) (März-April 1912) • • . . • • . . . . . 329
a) Terminologische Vorerwägungen bezüglich der herauszu-
stellenden Unterscheidungen von "ursprünglichen" und
"reproduzierenden" Erlebnissen bzw. "ursprünglich" und
"reproduktiv" bewussten individuellen Gegenständen
(ZI. März I9IZ) • • . . . . . • . • . . . • . • . 329
XVIII
INHALT
b)
~rinnerung und Einfühlung als Reproduktion~weier­
lei Wirklichkeitscharakterisierungen bezuglieh des ."Ge-
ffenständlichen" eines reproduzierten Aktes, Möglichkeit
<les Fortfallens dieser Charakterisierungen (Stellungnah-
lJten) - Vollziehen von Reproduktion und Vollziehen in
<ler Reproduktion (Darinleben, Aufmerksamsein) am Bei-
~Piel des Phantasierens - Gedankenhaftes Verhalten im
t>-erhältnis zum phantasierenden Verhalten (22. März
c) l'9I2). . . • . . . . . . . . . . . . . . . • . . 335
t>-ollzug und Aktualität bei Impression, Reproduktion und
~eproduktion höherer Stufe - Vieldeutigkeit des Aus-
rtYucks "in der Reproduktion wirklich vollziehen". Das
~roblem der "Zuwendung" bei dem in der Reproduktion
d) IÖbenden bzw. beim aktuellen Ich (6. April I9I2) . . . . 346
tt.ras für eine Modifikation verwandelt Reproduktion ohne
~tuelle Stellungnahme in eine solche mit dergleichen? -
~eproduktion in verschiedenem Sinn "aktuelle Stellung-
~ahme" in sich tragend - Bekanntheitscharakter der
~hantasierten (reproduzierten) Intentionalien - Stel-
l~ngscharaktere, die nicht aus der Reproduktion selbst
~tammen - Zum Versuch, jedes intentionale Erlebnis
e,~tweder als stellungnehmendes oder nichtstellungnehmen-
e) qes zu betrachten (7. April I9I2) 353
~b im Falle schlichter Anschauungen ein "biosses" Auf-
~erken auf das als wirklich etc. Charakterisierte möglich
~ei, ohne die entsprechende Stellungnahme und ein bIosses
.. •Denken" zu vollziehen - Gegen die A ufmerksamkeits-
~Jteorie - Vielfältiger Sinn von "Nichtvollzug" in der im-
~ressionalen Sphäre, Andeutung der Probleme für die
-::Sphäre der Reproduktion bzw. Phantasie (8. und 9. April
f) ~9I2). 364
'""1npassung bzw. Nichtanpassung von Urteils- und Ge-
~ütsakten an eine zugrunde liegende vollzogene Phantasie.
~hantasie (Erinnerung mitbefassend) kann fundieren
~) wirkliche Stellungnahmen, z) wirkliche, aber modifi-
~erte Stellungnahmen, 3) wirkliche "Ansätze" von Stel-
~14ngnahmen, blosse "Denk"modifikationen (9. April
~) ~9I2)...................... 373
-<Jiskussion von Beispielen. Lesen oder Erfinden eines
-4tärchens. Nota: Durch die perzeptive Sachlage motivier-
~es Gefühl, wesensmässig vorgezeichnete Möglichkeit von
~xplikation, Urteil etc. im Verhältnis zu entsprechender
1) ~hantasie(Io.ApriII9I2) 379
~sthetisches Bewusstsein wesentlich zusammenhängend
~it dem Unterschied zwischen Bewusstsein eines Gegen-
"S:tandes überhaupt und Erscheinungsweise des Gegenstan-
~es. Reflexion auf die Erscheinungsweise und ästhetische
INHALT XIX

Bedeutung des Inhalts des Gegenstandes - Existenzset-


zung für das ästhetische Bewusstsein nicht fundierend -
Natur ästhetisch betrachten - Verwandtschaft des theore-
tischen Interesses mit dem ästhetischen Gefallen - Nach-
trag: impressives ästhetisches Gefühl bei impressiver Er-
scheinung, reproduziertes ästhetisches Gefühl bei reprodu-
zierter Erscheinung und gleichstimmiges aktuelles ästhe-
tisches Gefühl (wohl Frühjahr I9IZ) • . . . . • • • • 386
i) Ergebnis der bisherigen Untersuchung: Allgemein sind
zu scheiden: I) wirkliche, durch die Phantasieunterlage
modifizierte Stellungnahmen, z) Modifikation aller Stel-
lungnahmen in Ansätze (und) in ein Sich-denken - Fra-
ge, wie Ansätze zu sonsttgen Stellungnahmen stehen -
Einbildung gegenüber Erfahrung - Leitgedanken für die
vertiefende Fortführung: Wahrnehmung als doxischer
Akt, reproduktive doxische Akte, völlig freie Phantasie
und die Phänomene des Zusammenstimmens und Wider-
streits in der Einheit einer Erscheinung bzw. im intentio-
nalen Zusammenhang - Kontrast einer Wahrnehmung
mit einer Illusion (IZ. April I9IZ). . . . . • . . . . 394
j) Schlichtes ungehemmtes Wahrnehmen als ,doxisches Ur-
phänomen in der Sphäre der schlichten Anschauungen;
hier kann "Glaube" nicht in biosses "Sich-denken" verwan-
delt werden; Glaube als Perzeption im Urmodus bzw. als
Modus des ungehemmten Vollzugs auch bei synthetischen
Akten - Hineinphantasieren in den Zusammenhang der
Wahrnehmungsmannigfaltigkeit als Weg zur qua s i-
Bestreitung der Wahrnehmung - Modale Abwandlungen
der Wahrnehmung selbst im Zusammenhangsbewusstsein
- Schwierigkeit für die Durchführung der vorgetragenen
Auffassung bei den Phantasien (IZ. April I9IZ) . . . . 401
k) Revision der Terminologie. Unterschied zwischen Impres-.
sion und Reproduktion sich kreuzend mit dem Unterschied
zwischen einer beliebigen Intention und ihrer "gedanken-
haften Modifikation" - Bedenken bezüglich des Aus-
drucks "Stellungnahme" für jeden gedankenhaft nicht mo-
difizierten Akt - Homogene einstimmige Setzungen bzw.
Nichtsetzungen und inhomogene Durcheinandersetzungen
(Einbildung in Erinnerung, Erinnerungsobjekte in Ein-
bildungszusammenhänge) innerhalb der Sphäre schlichter
Anschauungen - Ansetzen nicht ein Drittes neben Set-
zung und Nichtsetzung, sondern ins Reich der Setzung
gehörig - Hereinziehen von Gefühlen, Begehrungen,
Wollungen in die Sphäre der Anschaulichkeit (I6. April
I9IZ). . . . . . . . . . . • • . . . . . . . 409

BEILAGE XXXVI. Zur Tenninologie (wohl März-April 1912) 422


xx INHALT

BEILAGE XXXVII. Zur Analyse der Erinnerung. Charaktebsie-


rung der inneren Erinnerung und Charakterisierung aus dem
späteren Zusammenhang. Fortfallen und Hinzutreten von Stel-
lungnahmen (März 1912) . • . . . . . . . . . . . . . . 423
BEILAGE XXXVIII. Einfühlung eines Urteils als "Vergegenwärti-
gung" mit bestimmter Aktualität (wohl März-April 1912) . . . 431
BEILAGE XXXIX. Wiedererkennen, Erkennen und Erinnerung
(Texte wohl aus den neunziger Jahren) . . . . . . . . . . • 431
BEILAGE XL. Vollzug- Unterbindung des Vollzugs. Das Erschei-
nende bloss betrachten in der Wahrnehmung und in den repro-
duktiven Bewusstseinsarten : Ausschalten der Stellungnahme.
Ästhetische Betrachtung (wohl März-April 1912) . . . . . . 439
BEILAGE XLI. Den "Gegenstand", den Sachverhalt bloss betrach-
ten, ohne Stellung zu nehmen - Annahme, blosser Gedanke,
blosse Vorstellung sei dem allgemeinen Wesen nach überall das-
selbe und das Allgemeine sei "blosse Aufmerksamkeit" (wohl
Anfang 1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
BEILAGE XLII. Urteile aufgrund repräsentierender Phantasie und
parallel Urteile aufgrund von Bildern (wohl um 1911/12) . . . 448
BEILAGE XLIII. Gemisch von Wirklichkeit und Einbildung bei un-
mittelbarer und eikonischer Phantasie (Märchen, Theater, Por-
trät) und die verschiedenen durch die Unterlage und die doxi-
sehen Zusammenhangscharaktere bestimmten Aussagen als,
wirkliche Akte (wohl Frühjahr 1912) . . . . . . . . . . . 450
BEILAGE XLIV. Problem: Kann Wahrgenommenes in den Zusam-
menhang eines Phantasierten eintreten? Wie kann Aktualität
und Phantasie sich verbinden? Hineinphantasieren in die Wahr-
nehmung u. dg1. (wohl 1908) . . . . . . . . . . . . . . . 453
BEILAGE XLV. Mischung von Phantasie und Erfahrungswirklich-
keit - Unterschied zwischen rein immanenter Phantasie und
Phantasie von Naturvorgängen (wohl um 1912) . . . . . . . 455
BEILAGE XLVI. Sache der Auffassung bei sinnlichen Anschauun-
gen - Sache der spontanen Erfassung, Explikation, Synthesis
(wohlAprilI912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
BEILAGE XLVII. Modalitäten der Positionalität nicht zu verwech-
seln mit den Urteilsmodalitäten und den Modalitäten aller ande-
ren Stellungnahmen - Position verborgener Glaube, verborge-
ne Vernunft (wohl April 1912) . . . . . . . . . . . . . . . 458

BEILAGE XLVIII. Stellungnahmen als Spontaneitäten (Osterfe-


rien 1912) . . 459
INHALT XXI

N r. 16. REPRODUKTION UND BILDBEWUSSTSEIN . TRENNUNG


VON BILDOBJEKTAUFFASSUNG UND BEWUSSTSEIN
EINES PERZEPTIVEN SCHEINES. VERALLGEMEINE-
RUNG DES BEGRIFFS DER PHANTASIE (VERGEGENWÄR-
TIGUNG): 1) REPRODUKTIVE 2) PERZEPTIVE, D.H.
VERGEGENWÄRTIGUNG IM BILD, IN BILDLICHER DAR-
STELLUNG (wohl Frühjahr 1912). . . . . . . . . 464
BEILAGE XLIX. Schwierigkeiten bezüglich reproduktivmodifizier-
ter und aufgehobener Qualitäten sinnlicher Erscheinungen
(wohl Frühjahr 1912) . . . . • . . . . . . . . . . . . . 477
\

BEILAGE L. Zu Imagination. Die Phänomene der Deckung und


Durchsetzung von Anschauungen in Beziehung auf den Boden
der Erfahrung oder \ Imagination, auf dem das Spiel der An-
schauungen erfolgt - Bildauffassung als Imagination; zum Un-
terschied zwischen Fiktum und Bild '(wohl Frühjahr 1912 oder
etwas später) . . . . . . ' . . . . . . . . . . . . . . . 479
BEILAGE LI. Meditation: "Über die eventuelle Möglichkeit, blosse
Imagination anzusehen als "glatt aufgehobene" perzeptive
Setzung (wohl Frühjahr ,1912 oder etwas später) . . . . . . . 482

Nr. 17. ZUR LEHRE VOM BILDBEWUSSTSEIN UND FIKTUM-


BEWUSSTSEIN (Texte wohl von 1912) . . . . . . . 486
a) Bildanschauung (Abgrenzung gegen das Illusionsbewusst-
sein) . . . . • . . . . • . . . . . . . . . . . . 486
b) Bild und Orientierung des Bildobjekts. Bildsubstrat und
berufenes Bilri. Symbolische Inhalte in jeder Bilddarstel-
lung . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . 491
c) Ad BÜderscheinung ("Eine Vorstellung sich von etwas
machen, nach einer Beschreibung". Frage nach dem Ver-
hältnis von Bild und Widerstreit) . . . . . . . . . . 493
BEILAGE LU. Unmöglichkeit, einen Empfindungsinhalt (Farbe,
Ton etc. ) zu malen (zu einer Bemerkung W. Schapps): Be-
wusstsein adäquater Gegebenheit lässt keinen Raum für Wider-
streit offen (wohl 1910). . . . . . . . . . . .'. . . . . . 494
BEILAGE LUI. Wahrnehmen im Bewusstsein der Bildlichkeit, das
Wahrnehmen im Spiegelbilde (wohl 1912 oder etwas später) . . 495
BEILAGE LIV. Anschauliche Vorstellung als "Bild" des Gegenstan-
des nach einer Beschreibung (1917 oder 1918) . . . . . . . . .. 496
BEILAGE LV. Das deskriptive "Bild" des deskribierten Gegenstan-
des und das Bild im gewöhnlichen Sinn (1917 oder 1918) 496
XXII INHALT

Nr. 18. ZUR LEHRE VON DEN ANSCHAUUNGEN UND IHREN


MODls'(Texte wohl aus 1918) . . . . • . . 498
a) Gebendes Bewusstsein und Phantasie; Akte, in denen In-
dividuen bewusst sind . . . . . . . . . . . . . . . 498
b) Ästhetisch künstlerische Darstellung und perzeptive P han-
tasie. Objektive Wahrheit in der Phantasiesphäre und in
der Erfahrungssphäre. Revision der früheren Theorie des
Bildbewusstseins als Abbildlichkeit; näher ausgeführt am
Schauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . • . 514

BEILAGE LVI. Ob vom selben Gegenstand, der einmal Wirklich-


keit ist und das andere Mal nicht existiert, demselben, der jetzt
ist, aber ebensogut in irgendeiner beliebigen Zeit Dasein und
Anfang und Ende seines Daseins haben könnte, zu sprechen sei
- Fiktum und Möglichkeit - Apriorische Sätze über Erfahrun-
gen und Phantasien (wohl 1918) . . . . . . . . . . . . . 524

BEILAGE LVII. Phantasie. Sich auf den Boden der Erfahrung bzw.
der Phantasie stellen; die Welt der Erfahrung- die Welten der
Phantasie (wohl 1917) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

BEILAGE LVIII. Zur Lehre von der Abbildung: Fikta als ideale
Gegenstände. Weiterhin auch zur Lehre von den Gegenständen
ästhetischer Wertung. Erscheinungen als Gegenstände (wohl
1917) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536

BEILAGE LIX. Zur Kunsttheorie. Gegebene Welt und Zeit als voll
bestimmte - "es war einmal", irgendwo, irgendwann: alle
Kunst sich zwischen diesen beiden Extremen bewegend - Re-
alistische - idealistische Kunst (wohl 1916 oder 1918) . . . . 540

BEILAGE LX. Objektivierung der Fikta und der künstlerischen


Fikta als Kunstwerke. Einfühlung und Objektivierung der gei-
stigen Gegenstände (wohl 1926) . . . . . . . . . . . . . . 542

Nr. 19. REINE MÖGLICHKEIT UND PHANTASIE (Texte wohl


von 1922/23) . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
a) Reine Möglichkeiten sich ausschliesslich durch phanta-
sierende quasi-Erfahrung konstituierend - Möglich-
keit als Gegenstand, als dieselbe wiederholt und evident
erfassbar in wiederholtem quasi-Erfahren - Dass
Phantasie eigentlich kein Individuum als solches wieder-
geben kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
b) Ob nicht reproduktive Gegebenheiten, anschauliche Verge-
genwärtigungen wesensmässig etwas Fliessendes haben.
INHALT XXIII

Kenntnisnahme in der Wiedererinnerung - Idee der


Wirklichkeit und thetisch unmodifiziertes Bewusstsein;
im Gegensatz dazu das phantasiemässig modifizierte Be-
wusstsein und Frage nach der konstitutiven Leistung der
Phantasie. Rolle des freien Ansatzes für die Konstitution
einer Gegenstandsmöglichkeit und Erfüllung dieses A n-
satzes in A bhebung von der Erinnerung. Modifikation des
Als-ob hat ihre konstitutive Vernunft, deren Korrelat:
reine Möglichkeit - Die Unbestimmtheit in der Phanta-
sie und das Sich-Bestimmen - Das Sein der Phantasie-
gegenständlichkeiten "erfahrbares" Sein . . . . . 553

BEILAGE LXI. Fikta als Gegenstände, Seiendes (wohl 1922/23) 565

BEILAGE LXII. Wirkliche originäre Konstitution - Wirklichkeit;


quasi-Konstitution als wirkliche Konstitution von Möglich-
keiten (wohl um 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

BEILAGE LXVIII. Wichtige Möglichkeitsfragen. Reine Möglich-


keit undenkbar, es sei denn als Korrelat eines phantasierenden
und daraus Möglichkeiten gestaltenden Subjekts - Einzelsub-
Jektlve Phantasien und intersubjektive Phantasien - Ansetzen
emes einstimmigen Phantasierten als Möglichkeitsbewusstsein ?
- Die logische Bedeutung dieser Meditation (wohl 1920/21) 566

Nr. 20. PHANTASIE-NEUTRALITÄT(1921/1924) • . . . . 571


a) Aktleben in der EpocM, phantasierend - Leben in Posi-
tionen, in Geltung setzend. Doppelte EpocM bzw. Neu-
tralität,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
b) Begriff der Phantasie gegenüber dem allgemeinen der
Neutralität. Das blosse Vorstellen. Bezugnahme auf Ari-
stoteles, H ume, Brentano sowie auf die Log i s ehe n U n-
tersuchungen und die Ideen. . . . . . . . . . 575
c) Intentionale Erlebnisse sind entweder positionale oder
neutrale; gemischte Erlebnisse. Zur Lehre von den "per-
zeptiven Fikta" der I d e e n. . . . . . . . . . . . . 578
d) Sich-hineindenken als-ob (Vollzug eines M~glichkeitsbe­
wusstseins) und das Phantasieren. Die willkürliche Ent-
haltung gegenüber der positionalen Einstellung. Der ab-
bildende Akt entweder thematisch in Richtung auf das Ab-
gebildete oder ästhetische Einstellung; beschränkte synthe-
tische Einheit beim ästhetischen Objekt, der Horizont ein
anderer als für das Ding schlechthin. . . . . . . . . 581
e) Ichakte - passiv verlaufende Erlebnisse; Ichakte als po-
sitionale und neutrale; jedem Erlebnis i d e a I i t er eine
Phantasie (Vergegenwärtigung) entsprechend . . . . . 588
XXIV INHALT

BEILAGE LXIV. Bedenken bezüglich des Ausdrucks "Neutrali-


tätsmodifikation" mit Beziehung auf die Phantasie (wohl 1921
oder 1924) . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

BEILAGE LXV. Phantasien und Vergegenwärtigungen(wohl gegen


Mitte zwanziger Jahre) . . . . . • . . . . . • . . • . . . 592

TEXTKRITISCHER ANHANG

ZUR TEXTGESTALTUNG 597


TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 613

NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN 722


NAMENREGISTER 724
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Im vorliegenden Band der Ausgabe von Edmund Husserls Ge-


sammelten Werken werden Husserls nachgelassene Manuskripte
über "Phantasie; Bildbewusstsein, Erinnerung" in möglichst um-
fassender Auswahl und chronologischer Anordnung erstmals ver-
öffentlicht.! Die ·ältesten in diesen Band aufgenommenen Ma-
nuskripte stammen aus Husserls Hallenser Zeit, insbesondere aus
den Jahren der Vorbereitung der 1900/01 erschienenen Logi-
schen Untersuchungen. Die jüngsten Manuskripte gehören ins er-
ste Jahrzehnt von Husserls Freiburger Zeit, sie reichen bis in die
Mitte der zwanziger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt scheint Husserl
einen gewissen Abschluss in der Analyse von Phantasie, Bildbe-
wusstsein, Erinnerung erreicht zu haben, die er hauptsächlich
I

während der Göttinger Zeit zwischen den Logischen U ntersu-


suchungen und dem Erscheinen der Ideen zu einer reinen Phäno-
menologie und phänomenologischen Philosophie (1913) durchgeführt
hatte. Manuskripte aus späterer Zeit, in denen auf diese Be-
wusstseinsarten Bezug genommen wird, rücken sie in grosse sy-
stematische Zusammenhänge der phänomenologischen Theorie
der transzendentalen Subjektivität, die in den hier veröffentlich-
ten Texten der Freiburger Jahre teils schon berührt werden ..
Deren vollständige Berücksichtigung hätte -den Rahmen dieses
Bandes jedoch gesprengt.2
In den hier vorgelegten Texten bringt Husserl, allgemein ge-
sprochen, Grundformen des Bewusstseins, spezifische Weisen der
Intention, Modifikationen in den Aktcharakteren bzw. in den
Charakteren der gegenständlichen Korrelate von Bewusstseins-

1 Vgl. den Abschnitt "Zur Textgestaltung" im Textkritischen Anhang, unten


S.597ff.
2 Vgl. unten "TextgeschichtHches", S. XXXIXff. und "Zur Problementwick-
lung der Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen", S. LXXIff.
XXVI EINLEITUNG DES HERAUSGE~RS

erlebnissen zu wechselseitiger Abhebung. Es handelt sich somit


um Texte, in denen die von früh an zentrale Husserlsche Thema-
tik der typisch phänomenologischen Bestimmung "wesent-
Hch verschiedener ,Weisen des Bewusstseins', nämlich der inten-
tionalen Beziehung auf Gegenständliches"!, für bestimmte Be-
wusstseinsarten in concreto durchgeführt wird. Des näheren geht
es darum, innerhalb der Erlebnisklasse der Vorst eH ungen-
in Abhebung von Urteilen und Gefühlen - die spezifisch ver-
schiedenen Charaktere der Intention der ans c hau 1ich e n Vor-
stellungen gegenüber denjenigen der begrifflichen Vorstellungen
zu bestimmen. Während bei den begrifflichen Vorstellungen ein
Gegenstand oder Sachverhalt gern ein t ist, ist es nach Husserl
für die anschaulichen Vorstellungen allgemein kennzeichnend,
dass in ihnen "ein Gegenstand erscheint, und dieser ist ent-
weder der vorgestellte Gegenstand se 1b s t, oder ein Bild des-
selben".2 Eine der Hauptaufgaben der Analyse des Gebietes der
anschaulichen Akte besteht dann darin, die von der schlichten
Grundform unmittelbaren anschaulichen Bewusstseins, der
Wahrnehmung oder Gegenwärtigung, hinsichtlich ihrer inten-
tionalen Eigentümlichkeiten sich radikal unterscheidenden
Weisen anschaulichen Ver g e gen w ä r ti gen s herauszustellen.
Aus Husserls Gesamtwerk diese "Zur Phänomenologie der an-
schaulichen Vergegenwärtigungen" gehörigen Manuskripte ge-
schlossen vorzulegen, war die Aufgabe, die der Herausgeber
dieses Bandes sich stellte. Ausgenommen sind dabei jene Texte,
die der "erst nachträglich und für sich" zu behandelnden "Ein-
fühlung" gelten. 3
S ach li c h gesehen hat der vorliegende Band einerseits enge
Beziehung zu einem in Vorbereitung befindlichen Band der
H usserliana über Phänomenologie der Wahrnehmung sowie zu
dem in dieser Ausgabe bereits vorliegenden Band X, Zur Phäno-
menologie des inneren Zeitbewusstseins (I893-I9I7). Wie noch des
näheren auszuführen sein wird, haben die Analysen dieses Bandes
andererseits unter dem Gesichtspunkt der Fundierung Beziehung
auf die Untersuchungen zur " Urteilstheorie", die ebenfalls zur
V eröffentlichung in dieser Ausgabe vorgesehen sind.
1 V. Logische Untersuchung, § 14, S. 364 der!. Auflage, 1901.
2 Ms.FI 19/174a, wohl 1894.
3 Vg!. unten S. 468.- Die Manuskripte zur "Einfühlung" sind in dieser Ausgabe in
den Banden XIII-XV, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität, hrsg. von
1. Kern, veröffentlicht.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXVII

Diese sachlichen Zusammenhänge kommen in eiller der


Husserl-Forschung gut bekannten persönlichen Aufzeichnung
Husserls vom 25. September 1906 zur Geltung. 1 Im Anschluss an
eine Lektüre manchefl Teile seiner früheren Veröffentlichungen
und eine Durchsicht und Ordnung seiner Manuskripte, die er
während des Monats September vorgenommen hatte, fragt
Husserl dort: "Was habe ich für literarische Aufgaben zu
bewältigen? Und welche Probleme?" Diese Besinnung steht im
Zeichen einer "Kritik der Vernunft", die Husserl sich als
"allgemeine Aufgabe" stellt. Er hält fest, dass er "zunächst über
die allgemeinsten Gesichtspunkte klar werden" müsse. Weiter be-
dürfe es aber auch der "wirklichen Durchführung". "Wir müssen
Schritt für Schritt die einzelnen Probleme lösen. Da ist vor allem
also nötig eine Behandlung der Phänomenologie der Ver-
n unft, Schritt für Schritt, und auf ihrem Grunde wirkliche
Aufklärung der logischen und ethischen Vernunft in Form der
beiderseitigen Prinzipien und Grundbegriffe." Diesbezüglich no-
tiert er dann, was in unserem Zusammenhang vor allem von
Interesse ist: "Da stehen an er s t erStelle die Probleme einer
Phänomenologie der Wahrnehmung, der Phantasie, der Zeit, des
Dinges".2 Im weiteten Verlauf der Aufzeichnung hält er für "am
meisten vorbereitet" i nach einem "Werk zur Einleitung in die
Kritik der Vernunft, in Sonderheit der theoretischen", ,,2. ein
sehr umfassendes ,Werk über Wahrnehm ung, Phan t asie,
Z e i t". Nicht so klar sei er sich darüber, "ob die Anfänge einer
Phänomenologie der' Dingvorstellung da hineingehören" , wie es
ihm allerdings scheine. "Die Phänomenologie der Aufmerksam-
keit (mindestens innerhalb der intuitiven und sinnlichen Sphäre)
wird dazu zu rechnen sein. Das wird, scheint es, ein grosses Werk
und muss möglichst bald zu Ende kommen". Einige Zeilen später, .
im Verband mit Plänen zur "Durchführung einer Urteilstheorie",
trägt er nach: "Zur Lehre vom belief schon in 2."3
Als Vorbereitung für das grosse Werk hätte Husserl offenbar
zum Zeitpunkt dieser Tagebucheintragung nur auf seine vier-
teiligen Vorlesungen über "Hauptstücke aus der Phänomenolo-

1 Edmund Husserl, "Persönliche Aufzeichnungen", hrsg. von W. Biemel, Philoso-


phy and Phenomenolog~cal Research, r6 (1956) S. 294--300.
2 A.a.O., S. 297f., Hervorhebung vom Unterzeichneten.
3 A.a.O., S. 299.
XXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBE~

gie und Theorie der Erkenntnis" vom Wintersemester 1904/05


zurückgreifen können, von denen er sagt, dass sie "erste höchst
unvollkommene Entwürfe für eine systematische Behandlung"
einer Phänomenologie der Wahrnehmung, der Phantasie, der Zeit,
des Dinges bildeten. Allerdings erwähnt er ebendort "schon ver-
meintlich druckfertige, jedenfalls rein ausgearbeitete Abhand-
lungen aus dem Jahre 1898", die seinen Vorlesungen zugrunde la-
gen, bemerkt aber einschränkend dazu:"Was davon tauglich ist,
muss herausgehoben, das übrige verworfen und fortgeworfen
werden". Schliesslich notiert er noch "Dazu eine Menge Bei-
blätter, oft Schwierigkeiten behandelnd".! Andere, irgendwie
weiter 'in Richtung auf eine S y s t e m a t i k dieser Themen bear-
beitete Manuskripte jener Jahre finden sich tatsächlich nicht im
Nachlass. Über Husserls Vorstellungen von der genaueren Gestalt
des 1906 geplanten Werkes über "Wahrnehmung, Phantasie,
Zeit" lässt sich daher nichts mehr ausmachen.
Unzweifelhaft entsprechen die genannten Problemtitel jedoch
in Husserls Auffassung einer inneren, systematischen Einheit.
So schrieb er schon während der Weihnachtsferien des Winter-
semesters 1904/05 an Franz Brentano, dass er in seinen Vorle-
sungen "Anfänge einer s y s t e m at i s c h e n P h ä n 0 m e n 0 log i e
der Intuition (der Wahrnehmung und Phantasie, der Zeit-
vorstellung u.dgl.) zu entwerfen versuchte".2 Zu Beginn des
letzten Hauptstückes dieser Vorlesungen selbst, das über "Phä-
nomenologie der Zeit" handelte, heisst es im ursprünglichen
Manuskript: " ... Dass ein inniger Zusammenhang zwischen in-
tuitiven Akten und Zeitbewusstsein besteht, dass eine Analyse
des Wahrnehmungsbewusstseins, des Phantasie-, Erinnerungs-,
Erwartungsbewusstseins nicht vollendet ist, solange die Zeitlich-
keit nicht mit in die Analyse hineingezogen ist, und dass umge-
kehrt eine Analyse des Zeitbewusstseins in weitem Ausmass die-
jenige der genannten Akte voraussetzt, das liegt ganz auf der
Hand".3 Und als E. Stein als Husserls Assistentin mehr als ein
Jahrzehnt später seine Manuskripte über "Wahrnehmung und
Vergegenwärtigung; Stellungnahmen", darunter auch das dritte

1 A.a.O., S. 298.
2 Brief vom 3.1.1905; Kopie im Husserl-Archiv in Leuven.
3 H ussel'hana X, hrsg. von R. Boehm, S. 394.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXIX

Hauptstück, "Phantasie und Bildbewusstsein", von 1904/05, in


einem Sammelkonvolut vereinigte, notierte Husserl dazu: "Vgl.
auch die Zeit-Manuskripte! ! wo alles neu bearbeitet ist. Also
zu sam m e n durcharbeiten".1
Wenn so an der systematischen Zusammengehörigkeit all die-
ser Manuskripte über "Wahrnehmung, Phantasie, Zeit", die zum
Zeitpunkt der Mitarbeit E. Steins in den Jahren 1916 bis 1918
weit über den um 1906 vorhanden gewesenen Bestand hinausge-
wachsen waren, nicht gezweifelt werden kann, ist andererseits zu
sagen, dass beim Mangel einer von Husserl selbst besorgten sy-
stematischen Durcharbeitung und Anordnung dieser Manuskripte
eine Nachlassveröffentlichung sich eine solche systematisch ver-
einheitliche Präsentation der Manuskripte nicht zum Ziele setzen
konnte. Anzustreben war hingegen, Husserls Untersuchungen zu
den von ihm zusammengesehenen und doch auch wieder getrenn-
ter Analyse unterworfenen Themenbereichen in einer für sein Ge-
samtwerk möglichst repräsentativen Form sozusagen als "Mate-
rial" für eine editorisch nicht zu leistende systematische Durch-
dringung bereitzustellen. Angesichts der Fülle der Manuskripte
zu den fraglichen Problembereichen legte sich eine Aufteilung der
Manuskriptbestände in mehrere Bände dieser Ausgabe von selbst
nahe. Ferner war aber auch einer thematischen Aufteilung der
Manuskripte nach den einzelnen Sachgebieten von Wahrneh-
mung, Phantasie, Zeit gegenüber einer rein chronologischen Ge-
samtdarstellung der Vorzug zu geben, da eine Gesamtdarstellung
vor oft unüberwindliche Probleme der Textanordnung geführt
hätte. Somit sind nun neben den bereits in Band X dieser Ausga-
be vorliegenden "Zeit-Manuskripten" die Manuskripte über
"Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung" zugänglich, während
die Veröffentlichung der Manuskripte über "Wahrnehmung" -
unter Einbeziehung jener über "Aufmerksamkeit" - in weitge-
hender chronologischer Parallele zu den Texten dieses Bandes in
Vorbereitung steht.
An dieser Stelle ist ein Wort zum Hau p t t i tel dieses Bandes
angebracht. Mehrfach war oben von Husserls Plan für ein Werk
über "Wahrnehmung, Phantasie, Zeit" die Rede, während im
Titel vorliegenden Bandes "Phantasie, Bildbewusstsein, Erinne-

1 v gl. den Abschnitt "Zur Textgestaltung" , unten S. 601f.


xxx EINLEITUNG DES HERAUSGEBE:R's

rting" genannt werden. 1 Eine weiter unten folgende inhaltliche


Skizze zur Problementwicklung in den hier veröffentlichten Ma-
nuskripten wird vollends deutlich machen, dass gute Gründe be~
standen, den Husserlschen Problemtitel "Phantasie" sozusagen
erläuternd auszuschreiben. Die Zusammenhänge sind kurz gesagt
die folgenden: Gegenüber der Wahrnehmung oder Gegenwärti-
gung ist "Phantasie das als Ver g e gen w ä r ti gun g charakte-
risierte Bewusstsein"2; der Unterschied zwischen Wahrnehmung
(Gegenwärtigung) und Phantasie (Vergegenwärtigung) wurzelt
letzten Endes im inneren Zeit bewusstsein ; von daher der Zusam-
menhang der drei Problemtitel bei Husserl. Anschauliche Verge-
genwärtigung, für sich betrachtet, zerfällt, unter Einbeziehung
des belief-Charakters, in setzende und nichtsetzende Vergegen-
wärtigung: Erinnerung und Erwartung - und pure Phantasie.
Anschauliche Vergegenwärtigung kann ferner sein entweder rein
vergegenwärtigende (Reproduktion) oder bildlich vermittelte,
d.i. Bildbewusstsein. - Diese engen sachlichen Zusammenhänge,
die in den konkreten Analysen auch beständig zur Sprache kom-
men, legten es nahe, als Haupttitel dieses Bandes alle drei Pro-
blemtitel, Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung, zu wählen.
Der Titel "Erwartung" konnte wegfallen, da Husserl dieser
Form anschaulichen Vergegenwärtigens kaum eigens Beachtung
schenkte und seine Analysen setzender Vergegenwärtigung mit
Vorliebe am Beispiel der Erinnerung durchführte.3 Was anderer-
seits die Manuskripte über Bildbewusstsein und vereinzelt auch
über reproduktive Phantasie betrifft, finden sich darunter Texte,

1 Vgl. die "Vorbemerkung des Herausgebers", M. Heidegger, in der Jahrbuch-Aus-


gabe der "Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins" von 1928, wo als The-
men der Vorlesungen von 1904/05 die "zuunterst liegenden intellektiven Akte:
Wahrnehmung, Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung, Zeitanschau-
ung" genannt werden (wiederabgedruckt in Husserliana X, S. XXIVf.), Hervor-
hebung vom Unterzeichneten.
2 Husserliana X, § 19, S. 45, ursprünglicher Text von 1905.
3 Zu "Erwartung" vgl. z.B. unten Nr. 12, Nr. 13. - Unter dem Titel "Erwartung"
unterscheidet Husserl in einer Reihe von Manuskripten, die zu den "Studien zur
Struktur des Bewusstseins" (Ms.-Gruppe M III 3 III 3 II) gehören, ,,1) die in tel-
lekti ve Erwartung, gleichstehend der Erinnerung, also das Vorblicken in die
Zukunft; 2) die Erwart ung als Spann ung, was da kommen wird, oder Span-
nung auf das Kommende" (vgl. Ms. M III 3 In 3 II, s. 70a). Es gehört zu die-
ser zweiten Bedeutungsrichtung, wenn Husserl sagt: "Tendenz geht im inneren
Bewusstsein immer auf Künftiges, auch wenn ich in der Erinnerung zurückgehe,
einer Tendenz folgend" (a.a.O., S. 75a). - Zum Themenbereich des vorliegenden
Bandes wurden Analysen zur "intellektiven Erwartung" gehören.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXI

die über den erkenntnistheoretischen Zusammenhang der Ana-


lyse der Grundformen anschaulicher Vergegenwärtigung hinaus-
führen und in den ästhetisch-künstlerischen Bereich
gehören; solche Texte sind in den vorliegenden Band mit aufge-
nommen worden.

Im Folgenden sollen Hinweise gegeben werden auf Tex t g e-


schich tliches, insofern es über die in-den Textkritischen An-
merkungen gegebenen Manuskriptbeschreibungen hinausführt,
ferner auf den historischen Ursprung der Phänomenologie
der anschaulichen Vergegenwärtigungen in Husserls Philoso-
phieren sowie lauf Husserls eigene Pro b I e m e nt w i c k I u n g,
wie sie sich in den hier veröffentlichten Texten darstellt.

Textgeschichtliches
Allgemein ist zu erinnern, dass Husserl immer wieder mehr oder
weniger ausgereifte systematische Pläne hegte,! auf die hin er
entweder Manuskripte verfasste oder ältere Manuskripte aufs
neue durchsah und evtl. "zur Ausarbeitung" bestimmte. Oft wur-
den solche Manuskriptzusammenstellungen wieder aufgelöst
bzw. in neue Zusammenhänge eingegliedert und dann auch wie-
der aufgelöst, so dass vielfach einst vorhandene Einheiten nicht
mehr rekonstruierbar sind. Zweideutigkeit, ja Vieldeutigkeit be-
züglich genauer Zuordnungen vieler Manuskripte dürfte ihren
Grund allerdings' nicht nur in unserer teils spärlichen Informa-
tion über deren Entstehungsgeschichte haben, sondern Ausdruck
einer Husserl selbst begleitenden Unentschiedenheit bezüglich der
systematischen Verwertung seiner vielen Einzeluntersuchungen
sein. Kennzeichnend für diese Situation ist folgende Ausserung
Husserls an P. Natorp aus dem Jahre 1922:"kh bin in weit
schlimmerer Lage als Sie, da der gtösst e Teil meiner Arbei t
i n me i n e n Man u s k r i p t e n steckt. Fast verwünsche ich meine
Un fähigkeit, mich zu verendlichen, und dass mir erst so
spät, z.T. erst jetzt, die universalen systematischen
G e dan k e n zuteil werden, die, durch alle meine bisherigen

1 Vgl. z.B. die Einleitung des Herausgebers, K. Schuhmann, in Husserliana IIlII


und die Einleitungen des Herausgebers, 1. Kern, in H usserliana XIII-XV.
XXXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERs

Sonderuntersuchungen gefordert, nun auch zwingen, sie alle um-


zuarbeiten. Alles im Stadium der Umkristallisierung! Vielleicht
arbeite ich, mit aller menschlich, möglichen Anspannung der
Kräfte, nur für meinen Nachlass".1 Husserls Schwierigkeiten mit
der Systematisierung hinwiederum haben ihren Grund teils in den
komplexen Beziehungen der von ihm thematisierten Sachen
selbst. So äusserte er z.B. bereits in den Vorlesungen über "Ur-
teilstheorie" während <les Sommersemesters 1905: ,,' .. So wird
in praxi Phänomenologie des Urteils und der Erkenntnis und
Erkenntnistheorie, wie überhaupt Phänomenologie und Kritik
der theoretischen, praktischen und wertenden Vernunft in e i n-
ander ü bergehen".2 Teils aber auch waren seine Schwierig-
keiten die Kehrseite seiner eigentlichen Stärke, der sozusagen
"unendlichen" Verfolgung eines Problems in seine analytischen
Komponenten.3 Bekannt sind die oft wiederholten, die Eigenheit
der phänomenologischen Methodik der Einzeluntersuchungen
betreffenden Aussagen, jeder Schritt vorwärts ergebe neue Ge-
sichtspunkte, von denen aus das schon Gefundene in neuen
Beleuchtungen erscheine. 4

Die erste Textgruppe des Bandes, bestehend aus dem Haupt-


text Nr. 1 und den Beilagen I bis XIII,o steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem oben erwähnten Plan für ein "sehr um-
fassendes Werk über Wahrnehmung, Phantasie, Zeit" vom Sep-
tember 1906, unter Beschränkung auf die den Problemtitel
"Phantasie" betreffenden Texte. Diese Gruppe fusst nämlich auf
jenen Vorarbeiten, auf die Husserllaut Tagebucheintragung hätte
zurückgreifen können (s.o.): Der als Nr. I veröffentlichte Text
"Phantasie und Bildbewusstsein" bringt das vollständige dritte
Hauptstück der vierteiligen Vorlesungen aus dem Winterseme-
ster 1904/05 über , ,Hauptstücke aus der Phänomenologie und
Theorie der Erkenntnis". Als Beilage I, "Phantasie und bildliche

1 Brief vom 1. Februar 1922; Hervorhebung vom Unterzeichneten. Eine Photoko-


pie des Briefes befindet sich im Husserl- Archiv zu Leuven. Der Brief wird auch
in der Einleitung zu Husserliana XIV, S. XIX zitiert.
2 Ms. F 127, S. 33a, Hervorhebung vom Unterzeichneten.
3 VgL die von I. Kern in der Einleitung zu Husserliana XIII gegebene Charakte-
ristik von Husserls Arbeit an den sog. "Forschungsmanuskripten" , S. XVIIIff.
4 V gL z.B. unten S. 18 und H usserliana X, S. XVI.
5 Bezüglich der allgemeinen Gesichtspunkte der Textanordnung vgL den Ab-
schnitt "Zur Textgestaltung" , unten S. 599f.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXIII

Vorstellung", folgen die nöch erhaltenen Fragmente"der Abhand-


lung aus dem Jahre 1898, auf der das dritte Hauptstück der Vor-
lesungen - teils fast wörtlich - fusste. Und die Manuskripte,
die in den Beilagen II bis XIII wiedergegeben werden, zusammen
mit jenen, die aus inhaltlichen Überlegungen dem Haupttext
Nr. 2 als Beilagen XV bis XIX zugeordnet wurden - allesamt in
den Zeitraum zwischen 1898 und 1906 fallend - , dürften weit-
gehend zu der von Husserl erwähnten , ,Menge Beiblätter, oft
Schwierigkeiten behandelnd", gehört haben. Mit den Texten die-
ser Gruppe dürften somit die zum Zeitpunkt des Projektes von
1906 vorhanden gewesenen Manuskripte zum Problemtitel
"Phantasie", soweit Husserl sie nicht fortwarf (s.o.), praktisch
vollständig vorliegen.
In jenem Projekt stufte Husserl, wie oben bereits gesagt, die in
diesen Texten erörterten Probleme als solche ein, die in einer
"Phänomenologie der Vernunft" "an erster Stelle" zu
behandeln seien. Die Vorlesungen von 1904/05 selbst stehen unter
dem Titel "Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theorie
der Erkenntnis", der unmittelbar an den Titel des Zweiten Ban-
des der Logischen Untersuchungen anklingt. Dieser lautet be-
kanntlich: "Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie
der Erkenntnis", und auf dem Vorlageblatt der 1. Auflage dieses
Bandes von 1901 stand noch der Vermerk ,,1. Reihe". Manche
Hinweisel deuten darauf, dass Husserl in einer "II. Reihe" eine
Fortführung geboten hätte, in der höherstufige, spezifisch logi-
sche, evtl. urteils- und wissenschaftstheoretische Probleme, die
in der 1. Reihe und auch in den Prolegomena noch offen geblieben
waren, zur Sprache gekommen wären. Dieser Sphäre sich zuzu-
wenden, war jedenfalls auch seine ursprüngliche Absicht für die
Vorlesungen von 1904/05. In der einleitenden Stunde berichtete
Husserl dazu: " Als Thema der Vorlesungen, die ich hiermit er-
öffne, habe ich ,Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theo-
rie der Erkenntnis' angekündigt. Ursprünglich hatte ich dabei
nur die höheren intellektiven Akte ins Auge gefasst, die Sphäre
der sogenannten,Ur teil s t h e 0 ri e' ".2 Doch dann sieht Husserl

1 VgL v.a. Husserls Brief an Alexius Meinong vom 5. April 1902 in Philosophen-
bnefe, aus der wissenschaftlichen KOfrespondeng von Alexius Meinong, hrsg. von
R Kindinger, Graz 1965, S. 105.
2 Vgl. Husserliana X, Ein!. d. Hrsg., Rudolf Boehm, S. XV, Hervorhebung vom
XXXIV EINLEITUNG DES HERAUSG~ERS

von diesem Plan ab. Der Grund, den er dafür anführt, ist unmittel-
bar von Bedeutung hinsichtlich grösserer systematischer bzw.
textgeschichtlicher Zusammenhänge nicht nur dieser ersten Text-
gruppe des vorliegenden Bandes, sondern auch mehrerer der spä-
teren Texte (s.u.). Husserl führt in jener Vorlesungseinleitung
aus :"Bei der vorbereitenden Durcharbeitung der einschlägigen
Materien sah ich aber bald ein, dass nicht, bloss pädagogische,
sondern vor allem s ach I ich e G r ü n d e eine ausführliche Be-
handlung der schlichten, zuunterst liegenden intellektiven Akte
erfordern. Ich meine hier natürlich jene Phänomene, die unter
den etwas vagen Titeln Wahrnehmung, Empfindung,
Phantasievorstellung, Bildvorstellung, Erinne-
run g, <gestr. :" Erwartung" > allbekannt und doch wissenschaft-
lich noch viel zu wenig durchforscht sind.... Und dabei handelt
es sich um eine Arbeit, die im ernstesten Sinn fundamental ge-
nannt werden muss, für die Erkenntniskritik auf der einen und
für die Psychologie auf der anderen Seite."l
Anstatt der Urteilstheorie widmete Husserl also seine Aufmerk-
samkeit den in seinen Augen für eine Urteils theorie fun d a m e n-
talen sinnlichen, anschaulichen Akten des Bewusstseins - eine
"Urteilstheorie" trug er dann im darauffolgenden Sommerse-
mester vor - , und er wies auf den zweiten Band der Logischen
Untersuchungen zurück, wo er "einige, noch recht unvollständige
Versuche zur Behandlung der hierher gehörigen Probleme
. .. mitgeteilt"2 habe. Wie wir wissen, konnte Husserl aber
in den Vorlesungen über jene Versuche der Logischen Untersu-
chungen hinaus vor allem auf seine "vermeintlich druckfertigen,
jedenfalls rein ausgearbeiteten Abhandlungen aus dem Jahre
1898" zurückgreifen, die er dadurch in einen hier nicht näher er-
läuterten Fundierungszusammenhang mit der in Aussicht ge-
nommenen Urteilstheorie rückte.
Von' Interesse ist, dass Husserl bereits im Frühjahr 1904 aus
der Reihe dieser Abhandlungen insbesondere die Manuskripte,
die hier als Beilage I, "Phantasie und bildliche Vorstellung", ab-
gedruckt sind, als Unterlage öffentlicher Darlegungen benutzte,
Unterzeichneten; Husserls Charakteristik der Absicht seiner Vorlesungen wird
dort S. XV-XVII ausführlich wiedergegeben. - Ferner HusserUana III, Ideen I,
Einl. des Hrsg., K. Schuhmann, bes. S. XVI - XVIII und S. XXVIII - XXX.
1 HusserUana X, S. XV
a A.a.O. S. XV.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS xxxv

nämlich anlässlich eines Abends in dem unter Führung von A.


pfänder und J. Daubert gebildeten "Psychologischen Verein"·
von Schülern Theodor Lipps' in München. I In der ersten Zeit sei-
ner Vorlesungen vom Wintersemester 1904/05, wohl in Erinne-
rung an seine Ausführungen in München, schrieb Husserl dann
an J. Daubert:"Es ist freilich schade, dass aus dem Münchener
jungen Philosophenkreise niemand nach Göttingen gekommen
ist, da ich doch für die Erwarteten, oder in erster Linie für sie,
mein 4-stündiges Kolleg über Phänomenologie der Erkenntnis
angekündigt hatte .... Ich mühe mich, über das Ideengebiet der
Logischen Untersuchungen hinauszukommen. Begonnen habe ich,
wie es bei der gegebenen Sachlage als notwendig erschien, mit
der Phänomenologie der W a h r ne h m u n g. Besondere Ausführ-
lichkeit ist zunächst beabsichtigt für die Behandlung der P ha n-
t asie vors tell ung und der Zei t."2
Es legt sich in diesem Zusammenhang bezüglich der Entste-
hungsgeschichte der "vermeintlich druckfertigen" Abhandlungen
von 1898, auf die Husserl in München und in den Vorlesungen von
1904/05 zurückgriff, folgende Vermutung nahe: Sie dürften ge-
genüber dem "Weg" über die Probleme von Ausdruck und Be-
deutung, "auf delll die Logischen Untersuchungen in die Phäno-
menologie einzudringen strebten", zu jenem" zwei ten Weg von
der Gegenseite her, nämlich vonseiten der Erfahrung
und de r sinnlichen Gegebenheit en" gehört haben, von
dem H usserl in einer Anmerkung in den Ideen berichtet und dazu
sagt, dass er ihn "seit Anfang der 90er Jahre ebenfalls verfolgte",
dass er aber in den Logischen Untersuchungen "nicht zu vollem
Ausdrucke" gekommen sei. s
Indem Husserl 1904/05 sich wiederum diesem Weg zuwandte
und ausführliche Analysen über Wahrnehmung, Phantasie, Zeit
durchführte, kam er tatsächlich über das h;n Werk von 1900/01
explizit behandelte "Ideengebiet" hinaus; er erweiterte es in
Richtung der Fundierung der "höheren intellektiven Akte"

1 Vgl. die gen auen historischen Nachweise zu Husserls Besuch in München während
der Pfingstwoche 1904 in K. Schuhmann, Hussel'l über Pfander, Den Haag 1973,
S.19-23.
2 Vgl. Brief Husserls an Johannes Daubert vom 17.XI.1904 - Originalim Husserl-
Archiv in Leuven. Hervorhebung vom Unterzeichneten.
3 A.a.O., § 124, S. 258 und S. 258 Anm., ]ahrbuch-Paginierungi Hervorhebung vom
Unterzeichneten.
XXXVI EINLEITUNG DES HERAUSGJmERS

des Bedeutens und Urteilens in den "schlichten, zuunterst liegen-


den intellektiven Akten".1
Vermutlich spiegelt sich dieser Zusammenhang auch in jener
Tagebuchaufzeichnung vom September 1906 über die "Schritt
für Schritt" zu erledigenden Probleme einer Phänomenologie der
Vernunft, wenn Husserl im Anschluss an die "an erster Stelle" zu
behandelnden Themen von Wahrnehmung, Phantasie, Zeit, wo-
mit zusammenhängend er auch Versuche über , ,Phänomenologie
der Aufmerksamkeit" gemacht habe, alsbald fortfährt :"Weiter
bedürfte es einer systematischen Ausführung einer Phänomeno-
logie der Bedeutungen. Das Fundament dazu meine Logischen
Untersuchungen ... Im Zusammenhang damit eine Phänomeno-
logie der leeren Intentionen und der symbolischen Vorstellungen.
Weiter eine Urteilstheorie, das grosse Desiderat, wofür ich
schon so viel gearbeitet habe".2
Husserls Rückgriff auf die Analysen über anschauliche Vor-
stellungen von 1898 zur Fundierung der für 1904/05 zunächst ge-
planten Urteilstheorie lässt auch an die zweite der bereits 1894
erschienenen "Psychologischen Studien zur elementaren Logik"3
denken. Diese war betitelt:"Ueber Anschauungen und Reprä-
sentationen". In einem "Exkurs über die psychologische und lo-
gische Bedeutung der beiden Funktionen Anschauungen und Re-
präsentationen und die Wichtigkeit ihrer Erforschung" hält
Husserl dort fest: "Für die ganze Psychologie und im besonderen
für die Psychologie der Erkenntnis und Logik scheint mir die Er-
forschung der in Rede stehenden psychologischen Funktionen,
zumal der so überaus merkwürdigen Repräsentation, von funda-
mentaler Bedeutung. ... Im besonderen glaube ich behaupten
zu dürfen, dass keine Urteilstheorie den Tatsachen gerecht
zu werden vermag, die sich nicht auf ein tieferes Stu-
di um der deskriptiven und genetischen Verhältnisse von An-

1 5.0.5. XXXIV.- Bei dieser Nähe zu dem weiträumig konzipierten Ideenge-


biet der Logischen Untersuchungen, welche die Analysen der anschaulichen Vor-
stellungen (Wahrnehmung, Phantasie) aufweisen, ist auch nicht auszuschliessen,
dass Husserl einst für die "II. Reihe" der Logischen U ntcfsuchungen geradezu jene
Ausarbeitungen von 1898 vorgesehen hatte. Einige Dokumente legen eine solche
Annahme jedenfalls nahe (vgl. Husscl'l-Chronik, 5. 63f.).
a Edmund Husserl, "Persönliche Aufzeichnungen", 5. 298, Hervorhebung vom
Unterzeichneten.
3 Husserliana XXII, Aufsätze und Rezensionen I890-I9IO, hrsg. von B. Rang,
5.101ff.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXVII

schauungen und Repräsentationen stützt".l Bei aller


um 1894 noch bestehenden, wohl von Brentano (s.u.) beeinfluss-
ten Einschränkung des Begriffs der Anschauung, praktisch auf
die innere Wahrnehmung, spricht Husserl doch hier schon sach-
liche Verhältnisse an, die ihn bis ins Spätwerk der Formalen und
Transzendentalen Logik (1929) in Atem hielten. Sie spielen auch
in der aufgrund Husserlscher Manuskripte von L. Landgrebe
redigierten Schrift Erfahrung und Urteil, Untersuchungen zur
Genealogie der Logik (1939) eine zentrale Rolle. Von L. Landgrebe
stammt schliesslich auch ein Zeugnis, das die Abhandlungen von
1898 ganz in diesen sachlichen Fundierungszusammenhang von
anschaulichen Bewusstseinsakten und Urteilstheorie rückt. Er
berichtet in seinem Aufsatz von 1939 über "Husserls Phäno-
menologie und die Motive zu ihrer Umbildung", wie Husserl in
den Logischen Untersuchungen den Unterschied von sinnlicher
und kategorialer Anschauung ausgearbeitet habe. Bei der sinn-
lichen Anschauung Hätte es sich "um die Frage nach der Struktur
derjenigen vorstellig machenden Akte (später die doxischen be-
nannt)" gehandelt, "die die Grundlage für die logischen Opera-
tionen, für' die Bildung allgemeinerer Begriffe und das allge-
meine Urteilen abgeben. Das nächstliegende Beispiel sinnlicher,
Individuelles gebender Anschauung ist die äussere Wahrneh-
m ung; sie mit ihren Modifikationen der Erinnerung, Phan-
ta sie vor s tell u n g u s w. bildete daher das nächste Thema
von Husserls Forschungen. Schon zur Zeit des Erscheinens der
Logischen Untersuchungen hatte er es in umfangreichen Untersu-
chungen bearbeitet, die er ursprünglich gleich im Anschluss an die
Logischen Untersuchungen veröffentlichen wollte. Dazu kam es
nicht, aber diese Themen wurden in den Vorlesungen der ersten
Göttinger Jahre immer wieder erneut behandelt und vertieft
"2

Diese Fundierungszusammenhänge zwischen der Analyse der


anschaulichen und der spezifisch logischen Bewusstseinsarten
sind von Husserl selbst mehrfach bezeugt zu Zeiten, aus denen
ausser der ersten Textgruppe noch manche der hier veröffent-
lichten Texte stammen.

1 A.a.O., S. 120, Hervorhebung vom Unterzeichneten.


2 Revue Internationale de PhilOSOPhie (1939), I, S. 290, HervorhebWlg vom Unter-
zeichneten. - Vgl. Husserls Vorlesungen von 1902/03, Ms. F I 26, S. 101ff. und
von 1904/05 (dazu unten Nr. 1).
XXXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

So dürfte insbesondere die grosse Textgruppe vom März-April


1912, die im Haupttext Nr. 15 und in den Beilagen XXXVI bis
XLVIII wiedergegeben ist, urs p r ü n g 1ich in einem umfassen-
den, "für den Druck" vorgesehenen urteilstheoretischen Zusam-
menhang entstanden sein. 1 Vergleichbar der Situation von 1904/
05 (s.o.) kündigte Husserl als Vorlesung für das Sommersemester
1912 eine "Urteilstheorie" an, für die er sich auf die in Gang be-
findlichen Forschungen zu stützen gedachte; doch bei Vorlesungs-
beginn änderte er sein Vorhaben wiederum ab. Er berichtet:"Zur
Zeit der Ankündigung gedachte ich eine Zusammenfassung mei-
ner langjährigen Untersuchungen zur Phänomenologie des
urteilenden Bewusstseins zu geben, die ich zugleich für
eine Veröffentlichung vorbereitete. Nachträglich aber kamen
mir Bedenken. Bei den innigen Verflechtungen der höhe.ren theo-
retischen Bewusstseinsgestaltungen mit den niederen und bei
dem Umstand, dass das Moment des ,Glaubens', der Für-wirklich-
Haltung durch alle, auch die niedersten Bewusstseinsschichten
hindurchgeht und in ihnen allen geklärt sein muss,2 wenn man
das Kardinalproblem des Verhältnisses von Glaube und Urteil
lösen will - ist es nicht möglich, eine Urteilstheorie darzustellen,
ohne weitgehende Kenntnisse in betreff gewisser allgemeiner
Bewusstseinsgestaltungen vorauszusetzen, auf die ich hier nur
durch einige grob bezeichnende Titel wie äussere und innere
Wahrnehmung, Erlebnis- und Zeitbewusstsein, Erinnerung, Er-
wartung, Aufmerksamkeit, Erfassung, Explikation und dgl. hin-
deuten kann".3 In Analysen solcher, die U rt eilstheorie fun-
dierenden Phänomene scheint Husserl sich in den Manuskrip-
ten, denen die Textgruppe der Nr. 15 mit Beilagen zweifellos zu-
zurechnen ist, im Winter und Frühjahr 1912 in einer Art ver-
strickt zu haben, die ihm einen Abschluss der geplanten "Phäno-
menologie des urteilenden Bewusstseins", der für den Vortrag
und gar für eine Veröffentlichung geeignet gewesen wäre, aus
dem Griff entschwinden liess. 4

1 Vgl. K. Schuhmanns Einleitung zu Husserliana HI/l, bes. S. XXVII-XXX und


Husserl-Chronik, S. 169.
a Vgl. oben, S. XXVII den Nachtrag zur Frage des "belief" im Plan von 1906.
3 Ms. F I 4, S. 4; die Stelle wird auch in der Einleitung zu Husserliana III/l zitiert,
S. XXIX.
4 Manche in diesen Manuskripten vom Frühjahr 1912 erörterten Gedanken fanden
Niederschlag im Abschnitt III der Ideen I von 1913, bes. in den §§ 99-114.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXIX

Beinahe zehn Jahre später, im Sommer 1921, brachte Husserl


die meisten Manuskripte der Textgruppe der N r. 15 und der zuge-
hörigen Beilagen, zusammen mit jenen, die der Nr. 16 und deren
Beilagen XLIX-LI zugrunde liegen, unter den thematischen Ge-
sichtspunkt, der für den vorliegenden Band massgebend war.!
Er legte für diese Manuskripte, die er offenbar der von E. Stein
besorgten Manuskriptsammlung (s.o.) entnahm, ein mit dem Si-
gel "R" (=Reproduktion) versehenes Konvolut an. 2 Auf dem
Gesamtumschlag, der von einem Briefumschlag mit dem Postda-
turn 29.7.21 gebildet wird, finden sich u.a. folgende Aufschriften:
"Wichtig ... Modi der Reproduktion und Phantasie, Bild-
bewusstsein". Diese Aufschriften entstanden mit grösster Wahr-
scheinlichkeit im Hinblick auf oder während Husserls Aufenthalt
in St. Märgen zwischen 31. Juli und 26. Oktober 1921. 3 Bedeut-
sam an der Heraushebung der Manuskripte von 1912 ist der Um-
stand, dass Husserl ihnen im Sommer oder Herbst 1921, wie es
scheint, Wichtigkeit im Verband mit Vorbereitungen für ein
s y s t e m a t i s c h es G run d wer k seiner Phänomenologie zu-
mass. 4 Sicherlich ist nämlich die folgende Aussage Husserls an
Roman Ingarden auch auf die Manuskripte dieser Textgruppe
zu beziehen: "Ich arbeite jetzt seit einigen Monaten meine allzu
grossen Manuskripte durch und plane ein grosses systematisches
Werk, das von unten aufbauend als Grundwerk der Phänomeno-
logie dienen könnte".5 Genaueres über die mutmassliche Ver-
wertung der Manuskripte von 1912 in diesem Grundwerk, das
nicht zustande kam, ist allerdings nicht zu ermitteln.
Die Konzeption dieses "Grundwerkes der Phänomenologie"
selbst scheint übrigens nicht ohne Zusammenhang mit Husserls
vertieftem Nachdenken über die letzten Voraussetzungen logisch-
urteilstheoretischer Untersuchungen gewesen zu sein, die er seit
seinen Bernauer Aufenthalten von 1917 und insbesondere 1918
zu erforschen begann. 6 Er stiess dabei auf das Problem der In d i-

1 Diesem Umkreis dürfen auch die im Haupttext Nr. 17 veröffentlichten Texte von
1912 zugerechnet werden.
2 Vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. 15, unten S. 675ff.,
bes. S. 677f.
3 Husserl-Ch,cmik, S. 250.
4 Vgl. zu diesem Plan I. Kerns Einleitung zu H usse,liana XIV, S. XVIItt.
5 Husserl Edmund, B,ie!ean Roman Ingarden, Den Haag 1968, S. 22.
6 Vgl. Manuskript-Hinweise in Husserl-Chronik, bes. S. 22Off.; Husserliana XIV,
EInleitung des Hrsg., I. Kern, S. XVIII. - Im Wintersemester 1917/18 führte
XL EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

vi du at ion, der Konstitution individuellen Seins, und im Ver-


band damit neuerlich auf die Lehre von den Individuelles geben-
den Anschauungen und ihren Modis.! Einige Hinweise über die
weitausgreifenden sachlichen Zusammenhänge seiner Untersu-
chungen jener Zeit gibt Husserl in einem Brief vom 5. Apri11918
an Roman Ingarden:"Ich bin eben daran, den grossen, von Frl.
Stein geordneten Konvolut über Ur te i Ist h e 0 ri e ... durchzu-
sehen, der zum grossen Teil dieses Problem <seil. der Wahr-
heit> und, als sein Fundament, das Problem des ,Sinnes' der
verschiedenen Stufen objektivierender Erlebnisse (A n s c h a u-
ungen: und zwar Sinn der Wahrnehm ung, der erfahrenden
Akte überhaupt - Sinn der P h an t a sie (Neutralitätsmodifi-
kationen), dann Sinn der prädikati ven Akte - der unmo-
difizierten und modifizierten (positionalen - neutralen) usw.)
behandelt. In der Hauptsache bin ich damals, lang vor der Zeit
der Ideen, zu den entscheidenden Einsichten vorgedrungen ...
Aber von da aus führt die letzte Klärung in die tiefsten
konstitu ti ven Probleme, deren Beziehung zum ursprüng-
lichen Z e i t b e w u s s t sei n Ihnen nicht verborgen sind. Um die
aber handelt es sich mir jetzt. Denn nicht an einer biossen Phäno-
menologie der Zeit arbeite ich - die sich nicht rein für sich ablö-
senlässt-, sondern an dem ganzen ungeheuren Pro blem
der Individuation, der Konstitution individuellen (also
,tatsächlichen') Seins .überhaupt und nach seinen wesentlichen
Grundgestaltungen. Also um eine zentrale oder radikale Phäno-
menologie handelt es sich jetzt."2 Und im Wintersemester
1920/21 hielt Husserl eine Vorlesung über Logik, über die er
wiederum an R. Ingarden schreibt, sie sei "in Wahrheit tran-
szendentale Logik, allgemeinste The orie der Konstit u-
ti 0 n, an fan gen d von einer Theorie des ursprünglichen Z e i t-
bewusstseins, Urteilstheorie etc."3 Im Manuskript die-

Husserl auch ein Seminar über "Grundprobleme der Urteilstheorie" durch


(cf. Husserl-Chronik, S. 217).
1 Die sog. "Bernauer Manuskripte" zu dieser Problematik der Individuation und
ihrer Beziehung zum ursprünglichen Zeitbewusstsein sind in Vorbereitung für
die Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
2 Husserl, Edmund, Briefe an Roman Ingarden, S. 9f.; Hervorhebung vom Unter-
zeichneten.
8 A.a.O., S. 17; zitiert in I. Kerns Einleitung zu Hussel'liana XIV, S. XVIII. Her-
vorhebung vom Unterzeichneten.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLI

ser Vorlesung bringt Husserl auch wiederum deutlich den Fun-


dierungszusammenhang zwischen dem spezifisch logischen und
dem anschaulichen Bewusstsein zum Ausdruck. Er führt aus:
N ach unserer Methode lassen wir die Idee der Logik und ihre
~otwendige Problematik in uns natürlich werden und wachsen,
und zwar dadurch, dass wir sie selbst ins y s te m at i s c h g e-
ordneten Grundstücken aufbauen .... Die WJLh_rneh-
mung und ihre parallelen Bewusstseinsweisen der
Anscha uung sind aber die ersten Grundgestalten
des Bewusstseins, die für den Aufbau des spezifisch logi-
schen Bewusstseins' in Frage kommen, sie sind erste Grund-
lagen im log1schen Bau, die gelegt und verstanden werden
.. " 1
mussen .
In diese grossen transzendentallogischen Zusammenhänge, die
Husserl in den Freiburger Jahren anzielte, gehört, entstehungsge-
schichtlichgesehen, die Gruppe der HaupttexteNr. 18und Nr. 19
sowie der Beilagen LVI und LXI-LXIII in vorliegendem Bande.
Schwieriger ist es, über die Entstehungsgeschichte der übrigen
hier veröffentlichten Texte zu berichten. So gibt es zwar für die
Zeit von 1909{1O, aus'welcher die Haupttexte Nr. 5 bis Nr. 13 so-
wie die Beilagen XX bis XXX (mit Ausnahme von Beilage
XXVIII) stammen,2 briefliche Ausserungen Husserls, er befinde
sich , ,in einer Zeit des Zusammenschlusses und Abschlusses viel-
jähriger Arbeiten"3, er habe "einen Herbst und Winter intensiv-
ster Arbeit" hinter sich und nähere sich "endlich dem gedankli-
chen Abschluss"4. Es ist indessen wenig klar, woraufhin Husserl
des genaueren arbeitete, es sei denn auf die am 18. März 1909 in
einem Brief an P. Natorp in Aussicht gestellte "Reihe grösserer
Schriften zu einer ... wesentlich neuen Ver nun ft k ri t i k",
von der er sagt, er dürfe "ernstlich an Abschlu~s denken".5 Die

1 Husserliana XI, Analysen lIur passiven Synthesis, hrsg. von M. Fleischer, wo


Teile dieser Vorlesung veröffentlicht sind; das Zitat S. 319, Anm.; Hervorhebung
vom Unterzeichneten.
2 Auch Teile des Haupttextes Nr. 2 stammen evtl. aus 1909/10; Haupttext Nr. 3
wurde wohl 1909 ergänzt; den Haupttext Nr. 4 hat Husserl im Jahre 1910 "ge-
lesen" und für "gut" befunden; den Text der Beilage XIV hat er im Sommer 1909
"durchgesehen" und dazu bemerkt "sehr zu beachten".
3 Brief an Rickert, 25. 1. 1910, vgl. Husserl-Chronik, S. 137.
4 Brief an Natorp, 22. II. 1910, vgl. Husserl-Chronik, S. 130.
5 Vgl. Husserl-Chronik, S. 124.
XLII EINLEITUNG DES HERAUSGEB~
Problembereiche von Wahrnehmung, Phantasie, Erinnerung,
Zeit und dann auch der Urteilstheorie, die in Husserls Verstande
zu einer Phänomenologie der Vernunft gehören (s.o.), sind jeden-
falls im Zentrum von Husserls Forschungsinteresse um 1909/10.1
In "Meditationen über den richtigen Weg der Ausführung meiner
Untersuchungen" ,2 die mit grösster Wahrscheinlichkeit auf
1909/10 anzusetzen sind und die in manchem an die oben bespro-
chene Aufzeichnung vom September 1906 erinnern, stellt Husserl
dann auch fest: "Ich will doch eine Reihe von Untersuchungen
führen, die sich auf die Sphäre des In tellekts, auf das.nie-
dere Erkenntnisvermögen' beziehen. '" Mein Hauptabsehen
~lt den" Pro blemen der Vern unft, und demgemäss bietet
die Idee der Vernunft eine Art Leitung . . . Zunächst abgesehen
ist es auf Probleme der theoretischen Vernunft und darin wieder
der erfahrungslogischen Vernunft ... "3 Und zuvor führte er aus:
"Zunächst allgemeine Behandlung der ,niederen Schicht', das
Allgemeine über Wahrnehmung ... Phantasie, Erinne-
rung, Leervorstellung. Ers(ßann nähere Erwägung der
Dingkonstitution '" Es handelt sich bei der jetzigen Situation
der Wissenschaft um einen emporleitenden Weg ... Wird es
überhaupt einen anderen Weg geben können? Ist ein Unterschied
zwischen der sozusagen pädagogischen Emporleitung und einer
rein aus den Sachen selbst geschöpften systematischen Darstel-
lung?"4 Schliesslich weist Husserl noch darauf hin, "dass es vor
allen Klassifikationsfragen noch Untersuchungen wird geben
können, die sich auf die allgemeine Sphäre der cogitationes be-
ziehen. Ich hätte nämlich vorher die Frage zu erwägen, ob nicht
Unterscheidungen wie die zwischen Impression, Idee, Leer-
be w u s s t sei n an der Spitze stehen müssen: eine Lehre von
den allgemeinen Modifikationen, die durch die ganze Sphäre der
cogitationes hindurchgehen. Indessen, es ist das sicher, dass hier
nächste Zusammenhänge mit der Lehre von Wahrnehmung,

1 Zu "Wahrnehmung" vgl. den in Vorbereitung befindlichen Band in dieser Aus-


gabe; zu "Phantasie, Erinnerung" s. u. Nr. 5ff.; zu "Zeit" vgl. Husserliana X,
Teil B, die Abschnitte IV und V; zu "Urteilstheorie" vgl. v. a. Ms. A VI 5, Ms. A VI
11 II/21-35, Ms. A VIII 1/9-16, Ms. LI 1/2 + 6-8, Ms. AI 11/126b-129, Ms. K I
26/16. - Vgl. auch Ms. - Hinweise in Hussel'l-Chronik, S. 128ff.
2 Ms. L II 14, S. 5-7.
3 A.a.O., S. 7a und b.
4 A.a.O., S. 5-6; Hervorhebung vom Unterzeichneten.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLIII

Ph an t asie, Leerin ten tion bestehen".! Es steht zu vermu-


ten, dass die in vorliegendem Bande veröffentlichten Texte aus
der Zeit von 1909/10 mehr oder weniger enge Beziehung zu den
Husserl in diesen "Meditationen" vorschwebenden Untersu-
chungen hatten. 2 Im Hinblick insbesondere auf die Fragen von
Impression, Idee (Reproduktion), Leerbewusstsein fügt sich
zwanglos auch der Haupttext Nr. 14 aus 1911 oder Anfang 1912
mit den zugehörigen Beilagen XXXI-XXXV in den Problem-
bereich dieser "Meditationen" ein.
Schliesslich scheinen auch die Textstücke der Nr. 20, den kon-
kreteren Vorstellungen Husserls von der Theorie der transzen-
dentalen Subjektivität in den zwanziger Jahren angemessen, in
den Kreis umfangreicher Untersuchungen "Zur a11 gern ein e n
Lehre von der Intentionalität"3 gehört zu haben, wo wiederum,
nun aber unter Einbeziehung der genetischen Betrachtungs-
weise, von den "allgemeinen Modifikationen, die durch die
ganze Sphäre ,der cogitationes hindurchgehen"(s.o.), die
Rede war. Es ist allerdings schwierig, genauere textgeschichtliche
Zusammenhänge anzugeben. Husserls Hinweise rücken die Auf-
zeichnungen über "Phantasie - Neutralität" einerseits in den
Zusammenhang von Arbeiten über "Epoche als Aktenthaltung" .4
Andererseits merkt Husserl an, es seien zu diesen Manuskripten
"die sehr umfassenden Untersuchungen über Intentionalität in
den Konvoluten über Zeitigung" zu vergleichen, womit sie offen-
bar in Beziehung zu den "Bernauer Manuskripten" aus 1917/18
(s.o.) gesetzt werden.

Historischer Ursprung der Phänomenologie der Anschauungen


,
In der ersten Stunde zu seinen Vorlesungen über "Hauptstücke
aus der Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis" vom Win-
tersemester 1904/05, dessen drittes Hauptstück der hier als Nr. 1
wiedergegebene Text bildete, sagte Husserl mit Beziehung auf die
"Phänomene, die unter den etwas vagen Titeln Wahrnehmung,

1 Ms. L II 14, S. 7a.


2 Vgl. bes. untenNr. 10
3 Vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. 20, unten S. 717.
4 Vgl. auch Husserliana VIII, Erste Philosophie (I923!24), hrsg. von R. Boehm, bes.
ab 41. Votlesung.
~r-lV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Eotpfindung, Phantasievorstellung, Bildvorstellung, Erinnerung


allbekannt und doch wissenschaftlich noch viel zu wenig durch-
forscht sind" (s.o.):"Die ersten Anregungen zur Beschäf-
tigUng mit denselben verdanke ich meinem genialen Lehrer
13rentano, der schon in der Mitte der achtziger Jahre an der
",iener Universität ein mir unvergessliches Kolleg über ,Ausge-
wlil1lte psychologische und ästhetische Fragen' las, welches sich
(ill wöchentlich zwei Stunden) nahezu ausschliesslich um die ana-
lytische Klärung der Phantasievorstellungen im Vergleich mit
dell Wahrnehmungsvorstellungen mühte".1 Und zu Beginn des
dritten Hauptstückes selbst bemerkte Husserl:"Die Frage nach
dem Verhältnis von Wahrnehmungsvorstellung und Phantasie-
vorstellung ist das Objekt vieler ernster Bemühungen gewesen.
111 der Literatur ist sie zwar nur ausnahmsweise in eigenen Schrif-
teIl behandelt worden, und da gerade nur in ziemlich oberfläch-
licher Art. Aber in verschiedenen Zusammenhängen haben be-
deutende Männer an sie gerührt und in einer Weise, die zeigt,
dps sie sie für keine eben leichte gehalten haben. Doch viel Tie-
feres als die Literatur bieten mitunter Vorlesungen, und hier
denke ich an die überaus scharfsinnige Art, wie die Frage in eige-
nen Vorlesungen B ren ta nos behandelt worden ist. Auch eine
feine Behandlung S t u m p f s in seinen Vorlesungen über Psycho-
logieragt weit über das, was die Literatur bietet, hinaus."2
}3edauerlicherweise findet sich Husserls Nachschrift von
J3ren!anos Vorlesungen "Ausgewählte Fragen aus Psychologie
uud Asthetik" (1885/86)3 nicht im Nachlass und scheint als ver-
loren gelten zu müssen. Hingegen hat sich Husserls Nachschrift
der "Vorlesungen über Psychologie von Professor earl Stumpf,
liane, Wintersemester 1886/87"4 erhalten. Darin ist ein grosser
;\bSchnitt der "Untersuchung der Phantasievorstellungen" gewid-

----
) Vgl. H usserliana X, wo die Stelle in der Einleitung R. Boehms zitiert wird, S. XVf.
I Siehe unten Nr. 1, S. 6f.
! Brentanos Vorlesungen wurden aufgrund zweier Fassungen in gekiIrzter und
redigierter Form von F. Mayer-Hillebrand aus dem Nachlass herausgegeben in
Franz Brentano, Grundzüge der Ästhetik, Bern 1959, S. 3-87; vgl. auch die An-
lIlerkungen der Herausgeberin S. 225-236 und ihr Vorwort, S. XIVf.
I Aufbewahrt im Husserl-Archiv Leuven unter der Signatur Q 1 I/I und 11. -
~ach Studien bei F. Brentano in Wien von 1884-86 kam Husserl im Herbst 1886,
\'On Brentano empfohlen, zur Habilitation nach Halle und hörte Vorlesungen bei
Co Stumpf (vgl. H usserl-Chronik, S. 17ff.).
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLV

met. Das ,,2. Kapitel, Phantasievorstellungen von Sinnesinhal-


ten" weist Spuren späterer Durchsicht von Husserls Hand auf,
die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang entwe-
der der Abhandlungen vOn 1898 (s.o.) oder der Vorlesungen von
1904/05 entstanden. Stumpf diskutiert ausführlich zwei innere
Hauptunterschiede zwischen Empfindungen und Phantasievor-
stellungen : I) bezüglich der äusserst geringen In te n s it ä t des
Vorgestellten, 2) bezüglich der geringen Fülle immanenter und
begleitender Merkmale bei Vorstellungen gegenüber den gleich-
namigen Empfindungen.l~Danach zwei mit der Entstehungs-
weise zusammenhängende innere Unterschiede: I} bezüglich der
geringeren Dauerhaftigkeit, bzw. der Flüchtigkeit und Veränder-
lichkeit der Vorstellungen, 2) bezüglich der willkürlichen Er-
gänzbarkeit oder Veränderbarkeit, besonders in räumlicher Hin-
sicht, ohne jede körperliche Bewegung. Und endlich zwei Unter-
schiede in Hinsicht auf die psychologischen Folgeerscheinungen:
1) dass Vorgestelltes vom Erwachsenen meist nur auf Gründe hin
für wirklich gehalten werde, Empfundenes dagegen unmittelbar,
2) dass Vorstellungen in gewöhnlichen Fällen schwächere Gefühle
mit sich führen als Empfindungen gleichen 1nhaltes. 2 Manche
dieser auch schon ·von Brentano erörterten Unterscheidungen
wurden auch von Husserl in der Abhandlung "Phantasie und
bildliche Vorstellung" von 1898 (unten Beilage 13 ) bzw. in den
Vorlesungen von 1904/05 diskutiert (unten Nr. I, bes. I. Kapitel
§6; 5. Kapitel, teils 6. Kapitel und 9. Kapitel).
Erwähnt sei, dass auch eine von Frau Malvine Husserl besorg-
te Abschrift einer Nachschrift der Vorlesungen über "Genetische
Psychologie", die der Brentano-Schüler Anton Marty im Som-
mersemester 1889 in Prag hielt, in Husserls Nachlass vorliegt.4.
Marty erörtert darin ausführlich auch die Phantasievorstellun-
gen, offenbar teils unter beinahe wörtlicher Anknüpfung an
Brentanos Vorlesungen von 1885/86. 5
Diese Vorlesungen A. Martys und vor allen Dingen die Vorle-

1 Ms. Q 11/1 S. 238ff.


2 Ms. Q 11/1 S. 288ft.
3 v gl. auch die Textkritischen Anmerkungen, bes. S. 632ff.
4 Aufbewahrt im Husserl-Archiv Leuven unter der Signatur Q 10.
5 HusseTI hat sich nachweislich auf diese Vorlesungsnachschrift zur Diskussion
Brentanoscher Lehren gestützt; vgI. Hussel'liana X, Nr. 14, S. 171ft.
\
XLVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

sungen von Brentano selbst, wie sie in Grundzüge der Ästhetik zu-
gänglich sind, zeigen, dass Brentano bei der "analytischen Klä-
rung der Phantasievorstellungen im Vergleich mit den Wahrneh-
mungsvorsteIlungen" (s.o.) im Wesentlichen auf seine Unter-
scheidung zwischen ei gen t li c h e nun dun ei gen t 1i c h e n
Vorstellungen zurückgriff, die er auch in seinen "Vorlesun-
gen über elementare Logik" im Wintersemester zuvor zur Geltung
gebracht hatte. 1 Er führte die Analyse der Phantasie im Zusam-
menhang der Ästhetik ein, wies aber sogleich auf weitere zur
Behandlung der Phantasie gehörige Zusammenhänge hin:"Von
grösster Bedeutung für die Ästhetik ist die der Psychologie ange-
hörende Lehre von der Phantasie. Es wird aber unmöglich sein,
sie zu behandeln, ohne auch auf anderes, wie auf den U n t e r-
schied der begrifflichen und anschaulichen Vor-
stellungen und insbesondere auf die Empfindungen, ein-
zugehen, von welchen die Phantasie wesentlich bedingt ist. Es ist
dies alles nicht nur von grösster Wichtigkeit für die Ästhetik, son-
dern hat eine weiter reichende praktische Bedeutung für das Le-
ben des Künstlers wie auch des Forschers (selbst des Mathema-
tikers), ja für das Leben eines jeden. Und dementsprechend ge-
hört die U n t er s u c h u n g des Vor s tell u n g sIe ben s zu den
wichtigsten Aufgaben der Psychologie".2
In seinen "Erinnerungen an Franz Brentano"3 preist Husserl
jene Vorlesungen Brentanos als "ganz besonders anregend, weil
sie die Probleme im Fluss der Untersuchung zeigten".4 Im Kon-
trast zu Husserls ahistorischem, reflexiv-eidetischem Stil philo-
sophischer Begriffsbildung ist bei Brentanos Untersuchung auf-
fällig, wie er sich in beständiger Auseinandersetzung mit der phi-
losophischen Tradition sozusagen ,in Begriffen bewegt'. Brentano
führte in jenen Vorlesungen aus:"Die Aufgabe, die uns nunmehr
zu beschäftigen hat, ist eine Un tersuch ung über die Phan-
ta sie. ... Vor allem wird es notwendig sein, den Beg r i f f der
Phantasie zu bestimmen. Die Methode der Begriffsbestimmung
ist eine wesentlich andere, wenn es sich um Neueinführung eines

1 VgI. Edmund HusserI, "Erinnerungen an Franz Brentano" in O. Kraus, Franz


Brentano, Mlinchen 1919, S. 153 und S. 157.
2 Grundzüge der Ästhetik, S. 36; Hervorhebung teils vom Unterzeichneten.
8 Vgl. oben, Anm. 1.
, A.a.O., S. 157f.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLVII

Terminus, als wenn es sich um Bestimmung eines überlieferten


Terminus handelt." Nach Brentano ist "beim überlieferten Ter-
minus die Tradition zu berücksichtigen". I,Es handelt sich nicht
bloss darum, zu sagen, was verstehe ich, sondern was versteht
man unter dem Terminus."l Angesichts dieser Lage hält Bren-
tano es für nützlich, vorzugehen, "wie Aristoteles (und vor ihm
Sokrates und Platon) lehrte" :,,<x) Eine Zusammenstellung von
verschiedenen Fällen der Anwendung. ß) Die Untersuchung, was
das ihnen Gemeinsame ist. y) Eine Zusammenstellung und Unter-
suchung anderer Ansichten. a) Ein Vergleich der Resultate".2
Zunächst betont Brentano dann noch, dass "die Forderung nach
Berücksichtigung der Überlieferung nicht unbedingtes Festhal-
ten an ihr verlangt, sondern nur, dass man nicht leichtsinnig und
willkürlich von ihr abweiche. ... Auch bei der Philosophie, die
noch heute als junge Wissepschaft zu bezeichnen ist (und insbe-
sondere bei der Psychologie), ist dieser Teil der Aufgabe jeder
Begriffsbestimmung, nämlich die übernommene Terminologie zu
prüfen, sehr zu beachten" .3
N ach ausführlicher Diskussion des Begriffs der Phantasie in der
philosophischen Tradition von Aristoteles über die Scholastik zu
Wolff und Kant und vor allem von Humes Unterscheidung zwi-
schen impressions und ideas zu Reid, J.Mill, A. Bain und
J. St. Mill, schliesslich zu den neueren Denkern im deutschen
Sprachbereich, Herbart, Lotze, Fechner, Wundt, gelangte Bren-
tano zusammenfassend zu folgenden Überlegungen:"Wir fan-
den, dass dem überlieferten Begriff nach die Phantasievorstel-
lungen zwar keine Wahrnehmungsvorstellungen sind, aber doch
ihnen ähnlich sein sollen. Je grösser die Ähnlichkeit ist, um so
eher spricht man von Phantasievorstellungen. Doch ergab sich,
dass der Name oft in einem Umfang angewendet wurde, der'
diesem ,Begriff nicht entspricht .... Was sollen wir nun bei
solcher Sachlage tun, wie den Namen Phantasievorstellung ge-
brauchen? ... Besser ist es wohl, in der Weise vorzugehen,
dass man diejenigen Gruppen allein heranzieht, welche die
verbreitetsten und allgemein anerkanntesten sind. Wir kämen

1 A.a.O., S. 4Of.
a A.a.O., S. 41.
8 A,a.O., S. 42.
XLVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

dann zu folgender Bestimmung: Phan t asievorstell ungen


sind unanschauliche oder uneigentliche Vorstel-
lungen, die sich anschaulichen Vorstellungen an-
nähern. '" Die Grenze ist freilich verschwommen".l
Die Annäherung an die anschaulichen Wahrnehmungsvorstel-
lungen gründet nach Brentano darin, dass "die Phantasievor-
stellungen sozusagen einen anschaulichen Kern enthalten"2, die
gewöhnlichen Phantasievorstellungen seien aber tatsächlich
"nicht Anschauungen, sondern Begriffe mit anschaulichem
Kern".3 Am Schluss des Vorlesungsstückes sagt Brentano:"Aus
unseren Untersuchungen folgt, dass es keine eigene Lehre
über die Phantasievorstellungen gibt. Nach unserer Definition
fallen sie teilweise in das Gebiet der Anschauungen, teilweise in
das der Begriffe. Für beides gilt, dass wir die Erscheinungen zu-
nächst möglichst genau zu beschreiben haben (deskriptive Be-
trachtung), sodann aber versuchen müssen, ihre Entstehung und
ihren Ablauf zu ergründen (genetische Betrachtung)". 4
Es besteht kein Zweifel, dass Husserl von diesen Vorlesungen
Brentanos wichtigste sachliche Anregungen und auch philoso-
phiegeschichtliche Hinweise, insbesondere auf Hume und die eng-
lischen Empiristen des 19. Jahrhunderts, empfing. Wie in der
Skizze zur Problementwicklung anzuzeigen sein wird (s.u.), muss
vor allem Brentanos Herausstellung verschiedener Weisen unei-
gen t li c h e n Vorstellens, als welches er auch die Phantasie an-
sprach, Husserls Denken aufs fruchtbarste betroffen und zu kri-
tischer Vertiefung herausgefordert haben. Schon in der Philoso-
phie der Arithmetik von 1891 bemerkte Husserl, er verdanke
Franz Brentano "das tiefere Verständnis der e mi n e n te n B e-
deu tung des uneigentlichen ... Vorstellens für
unser ganzes psychisches Leben", die vor Brentano
niemand voll erfasst habe. 5 In der ersten Vorlesungsstunde von
1904/05 berichtete er im Anschluss an den Hinweis auf die "ana-

1 A.a.O., S. 84-86, Hervorhebung teils vom Unterzeichneten. - Vgl. Husserls


Bezugnahme auf Brentanos Begriffsbestimmung der Phantasie unten Nr.l, § 45,
S.92ff.
Z A.a.O., S. 84.
3 A.a.O., S. 83.
4 A.a.O., S. 87f.
5 Hussef'liana XII, hrsg. von L. Eley, S. 193, Anm. 1, Hervorhebung vom Unter-
zeichneten. - VgI. zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen Eigentlichkeit
und Uneigentlichkeit des Vorstellens in Husserls Frühwerk die Einleitung von
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLIX

lytische Klärung der Phantasievorstellungen im Vergleich mit


den Wahrnehmungsvorstellungen" , die Brentano in seinem Kol-
leg von 1885/86 durchgeführt hatte:"Meine eigenen Studien, in
die ich mich zumal ein Jahrzehnt später immer mehr verwickelte,
führten mich freilich in wesentlichen Punkten andere
Weg e, und vor allem lehrten sie mich, dass die Pro b I e m e noch
sehr viel verwickelter und schwieriger liegen, als
Brentano sie damals geschaut hatte".l Husserl dürfte hierbei
seine "Psychologischen Studien zur elementaren Logik" von 1894
sowie die Abhandlungen von 1898 (s.o.) im Auge gehabt haben
und bezüglich der Sachen selbst seine rein deskriptiven D i f f e-
renzierungen im Begriff des Vorstellens, die ihn in
der scharfen Gegenüberstellung von begrifflichen und anschau-
lichen Vorstellungen zu feinen Unterscheidungen innerhalb der
ans ch a ulichen Vorstellungen selbst führte (s.u.).
In jener ersten Vorlesung von 1904/05 fügte Husserl mit dem
Blick auf seine Arbeiten der neunziger Jahre sogleich bei:"Eine
systematische, vollständige Erledigung dieser Probleme konnte
mir damals aber noch nicht gelingen. Es hängt mit der innigen
Verflechtung und wohl auch mit der Eigenart der phänomenolo-
gischen Probleme zusammen, dass sie nicht isoliert zur Lösung
kommen können ... "2 Dann erwähnt er, dass da:Qlals "die ganze
Sphäre der Erinnerung und damit auch die gesamten Pro-
bleme einer Phänomenologie der originären Zeitan-
sc hau u n g ... sozusagen totgeschwiegen" wurden. 3 Genau
diese Einbeziehung des ursprünglichen Zeitbewusstseins zur ver-
tieften Aufklärung der Differenzierungen innerhalb der an-
schaulichen Vorstellungen fand dann aber in Anfängen in den
Vorlesungen von 1904/05 statt. 4 Nach diesem Wintersemester
konnte Husserl an Franz Brentano schreiben: "Besonders durch
meine Vorlesungen, in denen ich seit den Weihnachtsferien die
deskriptive Psychologie der P h a n t a sie und der Z e i t behan-

:' B. Rang zu Husserliana XXII, Aufsätze und Rezensionen, bes. S. XXXVff. und
S. XXXV, Anm. 2.
1 Husserliana X, Zitat in R. Boehms Einleitung, S. XVI, Hervorhebung vom Un-
terzeichneten.
2 A.a.O.,S. XVI.
3 A.a.O., S. XVI.
4 S. u. Nr. 1, § 44, bes. S. 92, und in Husserliana X, "Die Vorlesungen über das
innere Zeitbewusstsein aus dem Jahre 1905", S. 3ff.
L EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

delte, ward ich arg bedrängt. Doch fehlte es inzwischel1 nicht an


einem nahen geistigen Kontakt mit Ihnen. Meine alten Hefte
über Ihre wundervollen Wiener Vorlesungen aus dem Jahre
1885/861 hatte ich mir herausgesucht, manche Partien daraus
auch meinen Schülern vorgelesen und zu Quellpunkten weiterer
Analysen gemacht. Unvollkommen genug war, was ich selbst zu
bieten vermochte zur Behandlung dieser allersubtilsten und bis
zur Verzweiflung schwierigen Probleme".2

Zur Problementwicklung der Phänomenologie ier anschaulichen


Vergegenwärtigungen
In seinen Vorlesungen über "Erste Philosophie" vom Winter-
semester 1923/24, also etwa zur Zeit der spätesten hier veröffent-
lichten Texte, führte Husserl mit Beziehung auf die "Akte der
reproduktiven Phantasie" in Abhebung von den "Akten des
Bildbewusstseins" aus:"So sehr wir auch hier von ,Bildern' der
Phantasie sprechen, rechtmässig kann dabei von so etwas wie
bildlicher Darstellung, mit einer Scheidung zwischen Abbilden-
dem und Abgebildetem oder Bild und sujet, gar keine Rede
sein. Freilich, im einen und im anderen Fall ist in einem gegen-
wärtigen Erlebnis ein nicht Gegenwärtiges bewusst .... Phanta-
sie ist nicht selbst eine gegenwärtigende, sondern eine ve rgegen-
wärtigende Vorstellung. Darin gleicht sie der Erinnerung. Aber
zur Erinnerung gehört der Seinsglaube an das Erinnerte, während
das Fingierte nur bewusst ist im Charakter, ,als ob' es wäre und
so wäre. Zugleich ist es klar, dass, was mir, wenn ich phantasiere,
vorschwebt im Charakter des ,als ob', mir nicht etwa bewusst ist
und gilt als Darstellung für ein Anderes, darin wieder gleichend
der Erinnerung, wo das mir jetzt als vergangen Vorstellige nichts
weniger als ein Bild bietet, in dem sich ein Anderes abbildet".3
N ach einigen näheren intentionalanalytischen Ausführungen zu
diesen anschaulichen Akttypen erklärte Husserl, dass es ihm dar-
um gehe, "die wundersam ineinander gefloch tene In-
te n t ion al i t ä taufzuweisen", 4 "an Haupttypen von Akten,

1 Husserl schrieb irrtumJich" 1884/85".


2 Brief vom 27.3.1905; Kopie im Husserl-Archiv Leuven.
3 Husserliana VIII, hrsg. von R. Boehm, S. 112f.
4 A.a.O., S. 128, Hervorhebung vom Unterzeichneten.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LI

die sich als vergegenwärtigende gaben - wie die wiedererin-


nernden, die erwartenden, die abbildenden, die Akte der reproduk-
tiven Phantasie - , durch phänomenologische Analyse zu zeigen,
dass ihre intentionale Beziehung nicht eine schlichte ist, wie sie
im ersten Moment erscheint und wie sie sich auszudrücken pflegt.
Scheinbar ist in der Erinnerung eine erinnerte Vergangenheit,
in der Erwartung eine erwartete Zukunft, in der Abbildung
ein abgebildetes Objekt, in der Phantasie ein Fiktum ebenso
schlicht vergegenwärtigt, wie in einer Wahrnehmung ein Wahr-
genommenes. So ist es aber in Wahrheit nicht":l
Husserls Erörterung der anschaulichen Vergegenwärtigungen
in diesen späten Vorlesungen hat in unserem Zusammenhang un-
mittelbar ein doppeltes Interesse. Zum einen mutet sie wie eine
Selbstkritik an, die seinen eigenen Weg in der Bestimmung des
Wesens anschaulichen Vergegenwärtigens spiegelt. In der Tat do-
kumentieren die Texte, die in vorliegendem Bande zur Veröffent-
lichung gelangen, eindringlich Husserls Weg von der Lehre der
Phantasie bzw. Erinnerung als einer Form von Bildbewusstsein
über die Kritik dieser am gewöhnlichen Sprachgebrauch sich
orientierenden "Bildertheorie" und den Ansatz der schlichten
Vergegenwärtigung zur Theorie der intentional komplexen Re-
produktion von Akten, die in Verbindung mit den Setzungsmo-
dalitäten (Aktualität, belief - Inaktualität, Neutralität) zu
studieren ist. Zum anderen zeigt der Zusammenhang in den Vor-
lesungen von 1923/24 an, dass das Studium der anschaulichen
Vergegenwärtigungen von grösster Bedeutung für die Theorie der
transzendentalen Subjektivität wurde, wie Husserl sie in den Frei-
burger Jahren systematischer und zugleich konkreter auszuar-
beiten begann. Der zweite Teil dieser Vorlesungen galt der "Theo-
rie der phänomenologischen Reduktion". Im Anschluss an deh
"ersten, den cartesianischen Weg zum transzendentalen ego"
wandte Husserl sich - "damit das ego cogito nicht ein leeres
Wort für uns bleibe" - daran, "die transzendentale Subjek-
tivität nach den einzelnen GestaItungen und Gestalttypen ihres
transzendentalen Lebens kennenzulernen" , "damit zugleich
einen neuen Weg zum ego cogito ... schrittweise" aufbauend. 2

1 A.a.O., S. 130.
2 A.a.O., S. 126.
\
LU EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

An den Akten anschaulicher Vergegenwärtigung, einzelsrlbjek-


tiver und intersubjektiver, stellt er das Phänomen der in t e n-
tionalen Implikationen heraus, das sich für die Er-
schliessung der reinen transzendentalen Subjektivität als fun-
damental erweist: nämlich, dass in der Intentionalität des aktuel-
len Erlebnisvollzuges eigene und dann auch fremde Erlebnisse
impliziert sind, und dies evtl. in aufeinandergestuften Wieder-
holungen als It e rat ion e n. l Was sich in den Göttinger Texten
wie ein Spezialproblem phänomenologischer Aktanalyse aus-
nimmt, auf dessen Lösung Husserl jahrelang immer wieder seine
Bemühungen wandte, lässt ihn schliesslich unvermutete Tiefen-
dimensionen und Zusammenhänge des intentionalen Bewusst-
seinslebens erschauen. So sagt er in den Vorlesungen von 1923/24
prägnant: "Beachten wir doch, wie t r ans zen den tal e S u b-
jektivität überhaupt in Stufen der relativen Unmit-
telbarkeit und Mittelbarkeit gegeben ist und nur ist,
indem sie in solchen Stufen, Stufen einer intentionalen
Implikation gegeben ist".2
Werfen wir im Folgenden etwas Licht auf die Bewegung von
Husserls Denken in der phänomenologischen Analyse der an-
schaulichen Vergegenwärtigungen, wie sie sich in den hier vorge-
legten Texten widerspiegelt !3.,Es kann sich an dieser Stelle jedoch
bloss um eine orien tierende Ü b~rsich t für den Gebrauch
dieses Bandes handeln. Angesichts der soeben angesprochenen
radikalen Änderungen von Husserls' Stellungnahmen in der Be-
stimmung des Wesens anschaulichen Vergegenwärtigens, die in
den hier veröffentlichten Texten ihren Niederschlag fanden,
scheint es nützlich, eingangs an folgende briefliche Äusserung
Husserls an Franz Brentano vom Oktober 1904 zu erinnern: "Ich
bin im voraus sicher, dass ein grosser Teil dessen, was ich ge-
schrieben, irrig ist; aber ebenso sicher, dass es Irrtümer waren,
die einmal versucht, gewagt werden mussten. Sichere Wahrheit

1 A.a.O., vor allem 44. Vorlesung und folgende.


2 A.a.O.,S.175.
3 Manche Aspekte der phänomenologischen Aufklärung der anschaulichen Verge-
genwärtigungen kommen an verschiedenen Stellen anderer Werke zur Geltung.
Vgl. vor allem die V. und VI. der Logischen Untersuchungen; Husserliana X,
Texte aus den neunziger Jahren bis 1917; Husserliana III, bes. §§ 43, 99-117,
136ff.; Husserliana XIII, Nr. 6 und vor allem Nr. 10 (1914 oder 1915); Erfahrung
und Urteil, bes. §§ 38-41 (1917/18); HusserUana XI, Anfang zwanziger Jahre;
Husserliana XV, Beilagen XXXII, XLI und L (dreissiger Jahre).
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LUI

werden wir in den Fundamenten nicht gewinnen, ohne alle Mög-


lichkeiten ernst durchdacht zu haben. Ganz ernst denkt eine
Möglichkeit aber nur· derjenige durch, der an sie glaubt".1 Mit
diesem für Husserls' Denkstil'typischen Erproben von Möglich-
keiten hängen auch die häufigen Schwankungen in seiner Ter-
minologie zusammen.

*
Das Problem der, Une i gen t li c h k e i t von Vorstellungen
wurde Husserl zweifellos, wie oben angezeigt, durch Brentanos
Vorlesungen zum Bewusstsein gebracht. Dessen nähere Bestim-
mung der Uneigentlichkeit der Phantasievorstellungen, die sich
an der psychologischen Tatsache der Mischung von Anschauung
und Begriff orientiert, hat Husserl sich jedoch nicht zu eigen
gemacht.
In seinen Vorlesungen vom Wintersemester 1904/05 hält
Husserl Brentano ganz allgemein vor, dass es nach ihm "im Akt-
charakter des Vorstellens selbst gar keine Differenzierungen"
gebe, dass Vorstellen sich "nur nach den Inhalten" differenziere.
"Was ist es dann aber", fragt er Brentano, "mit den Unterschie-
den zwischen Wahrnehmungsvorstellung, Phantasievorstellung,
symbolischer Vorstellung, zwischen anschaulicher und unan-
schaulicher, kategorialer und sinnlicher usw.? Wie soll sich das
auf Unterschiede:des blassen Inhalts reduzieren?"2 Husserl ist
hier der Meinung, die Lösung des traditionellen Problems der Un-
terscheidung zwischen Wahrnehmungsvorstellung und Phanta-
sievorstellung sei bis anhin deshalb nicht gelungen, weil es "am
Begriff der Q.bjektivierenden Auffassung und an den
zugehörigen Unterscheidungen zwischen Auffassungsinhalten, .
Auffassungssinn, Auffassungsform fehlte" (S. 7, vgl. S. 10). An
späterer Stelle qer Vorlesungen schildert er Brentanos Bestim-
mung des Verhältnisses von Wahrnehmung und Phantasie sowie

1 Brief an F. Brentano vom 11. und 15. Oktober 1904, Kopie im Husserl-Archiv in
Leuven.
2 S.u. Nr. I, § 4, S. 9. - Um eine Anhäufung von Anmerkungen im Folgenden zu
vermeiden, wird bei Stellennachweisen mit Bezug auf vorliegenden Band einfach
die Seitenzahl zwischen Klammern oben im Text angegeben. Hervorhebungen
vom Unterzeichneten werden dabei nicht eigens als solche vermerkt.
LIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

des phänomenologischen Unterschiedes zwischen Empfindungen


und Phantasmen als deren Inhalten. Brentano habe "wesent-
liche Unterschiede zwischen Empfindungen und Phantasmen ab-
gelehnt .... Alle hier vorkommenden Unterschiede sind vielmehr
s t e t i g ver mit tel t e. Der Hauptsache nach sind es Intensi-
tätsunterschiede" (S. 92f.). Und was den Unterschied der Auffas-
sungen anbelangt, "so liegt er nach Brentano darin, dass die
Wahrnehmungen eigentliche Vorstellungen sind, die Phantasie-
vorstellungen aber uneigen tliche, und das heisst bei ihm
indirekte, durch Beziehungen, durch Begriffe ver-
mit tel t e Vor s tell u n gen. Eine tieferdringende Phänomeno-
logie der beiderseitigen Auffassungen hat Brentano aber nicht
durchgeführt, obschon in dem bIossen Gedanken, dass die Apper-
zeptionsweise beiderseits eine verschiedene ist, ein wichtiger
Fortschritt liegt. (Merkwürdigerweise leugnet er dabei jeden Un-
terschied in der Weise des Vorstellens.)" (S. 93).
Husserl fasst Phantasievorstellungen als si n n 1ich ans c h a u-
li c h e, d.i. als individuelle Gegenstände zur Er s ehe i nun g
bringende Akte. Begrifflich oder kategorial sich vollziehendes
Phantasieren bzw. uneigentliches Vorstellen als bIosses "Sich-
denken", "blosses propositionales Vorstellen" von Sachverhalten
behandelt er ausführlich in explizit urteilstheoretischen Zusam-
menhängen. I
. Die "Uneigentlichkeit" der anschaulichen Phantasievorstel-
lungen wie auch der Erinnerungs- bzw. Erwartungsvorstellungen,
kurz der anschaulichen Vergegenwärtigungen, gegenüber der Ei-
gentlichkeit der Wahrnehmungsvorstellungen versuchte Husserl
zunächst durch den spezifischen Aktcharakter der Bildlich-
kei t zu umgrenzen (vgl. Beilage I, 1898). Diese Auffassung blieb
jahrelang in Kraft. Sie kam auch deutlich im Zweiten Band der
Logischen Untersuchungen (1901) zum Ausdruck. Erinnert sei hier
bloss an die Anmerkung im wichtigen § 14 der V. Untersuchung,

1 Bisweilen greift Husserl in hier veröffentlichten Texten im Gang der Reflexion


in dieses eIgentlich urteilstheoretische Gebiet hinuber, was angesichts seiner Ge-
samtkonzeption vom Fundierungszusammenhang der Urteilstheorie und der sinn-
lichen anschaulichen Akte (s.o. den Abschnitt "Textgeschichtliches", S. XXXIII
ft) nicht weiter uberraschend sein kann (vgI. besonders Haupttext Nr. 15 und zu-
gehörige Beilagen). In der Regel widmet er den Problemen der Sachverhalts-
vorstellung, der "gedankenhaften Modifikation" aber eigene Untersuchungen,
die nicht in diesen Band aufgenommen wurden.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LV

wo Husserl schreibt:"Der vielverhandelte Streit über das Ver-


hältnis zwischen Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung
konnte bei dem Mangel einer' gehörig vorbereiteten phänome-
nologischen Unterlage und dem daraus folgenden Mangel an kla-
ren Begriffen und Fragestellungen zu keinem rechten Ergebnis
führen. Dass die Akt eh ara k te r e beiderseits verschieden sind,
dass mit der Bildlichkeit eine wesentlich neue Weise der
Intention Erlebnis wird, glaube ich zweifellos nachweisen zu kön-
nen .... "1 Und noch in den Vorlesungen über "Phantasie und
Bildbewusstsein" von 1904/05 geht Husserl von der bereits in den
neunziger Jahren zur Geltung gebrachten Auffassung aus. In
einer Randbemerkung an früher Stelle im Vorlesungsmanuskript
notiert er: "Wir wollen versuchen, den Gesichtspunkt der
Imagination und die Ansicht, dass Phantasievorstellung
sich als Bil dlichkei tsvors tell ung interpretieren lasse, so
weit durchzuführen als möglich. Obschon es an Bedenken nicht
fehlt", später hinzufügend: "die nachträglich sich als berechtigt
erweisen" (S. 16).
Der strittige Punkt dieser frühen Lehre, den Husserl selbst in
den Vorlesungen 1904/05 kritisch zu untersuchen und als Voraus-
setzung des Ansatzes der Bildlichkeitsauffassung im Falle der
Phantasie und Erinnerung herauszustellen unternimmt, beruht
auf der Annahme einer doppelten Gegenständlichkeit
aufgrund zweier sIch durchdringender Auffassungen bei der
Phantasie- und Erinnerungsvorstellung, wie sie bei der Bildlich-
keitsvorstellung im gewöhnlichen Sinn der Auffassung von Ge-
mälden, Photographien, Statuen etc. vorliegt.2 Die Wahr-
nehmungsvorstellungen stellen "ihren Gegenstand als ihnen
selbstgegenwärtigen" (S. 109) "direkt" (S. 112) vor, so
dass wir hier '"e in e n aufgefassten Gegenstand" haben (S. 112).
Die Phantasievorstellungen hingegen vergegenwärtigen sich ihn
"indirekt" (S. 112), "im Phantasiebilde, wie die gewöhnlichen
Bildvorstellungen e~ im physischen Bilde tun" (S. 109), SO dass
wir hier "zwei aufgefasste Gegenstände" haben, "das Phantasie-
bild und das hierdurch vorstellig gemachte Bildsujet : gemeint,

1 A.a.O., S. 364, 1. Auflage von 1901.


2 S.u. Beilage I, S. 111ft.; Nr. I, §§ 12ft. bis 7. Kapitel, S. 71ft. prinzipiell noch wie
1898.
LVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

im eigentlichen Sinn vorgestellt, ist aber nur das letztere"


(S. 112).
N ach dieser Lehre stellt die Phantasievorstellung "ihren Ge-
genstand so vor, dass sie zunächst einen anderen, ihm ähnlichen
Gegenstand zur Erscheinung bringt, durch den sie ihn bildlich
auffasst und meint" (S. 112). Die Phantasievorstellung wird
somit als ein "Vergegenwärtigen im Bilde", ein "bildliches Vor-
stellen" verstanden, bei dem geradeso wie bei den gewöhnlichen
Bildvorstellungen zwischen Bi I d und S ach e als zwei Gegen-
ständen zu unterscheiden ist. Husserl setzt eine i nn e r e GI e i c h-
artig kei t des Aktcharakters dieser beiden Vorstellungs-
arten an: Sie sind bildliche Repräsentationen (S. 114, S. 123f.).
Als einen starken ä u s s e ren Unterschied der "unverkennbar
verschiedenartigen und nie zu verwechselnden Erlebnisse"
(S. 120) hebt er vor allem den folgenden Sachverhalt hervor:
"Das P h a n ta siebild ist ausser allem Zusammenhang mit der
,Wirklichkeit', das ist mit dem Blickfeld möglicher Wahr-
nehmung. Hingegen ist das physisch dargestellte Bild in den
Wirklichkeitszusammenhang in gewisser Weise einbezogen, ob-
schon es darin nicht selbst als Wirkliches gilt. Ferner: Bei der
physisch-bildlichen Vorstellung fungiert ein zum Blickfeld der
Wahrnehmung gehöriger, wirklicher Gegenstand, nämlich das
physische Bild, als Er r e ger der bildlichen Auffassung, seine
Wahrnehmung ist der Ausgangs- und Durchgangspunkt für die
Entwicklung der bildlichen Vorstellung. Bei der Phantasievor-
stellung fehlt diese eigenartige Anknüpfung an eine bestimmte
Erscheinung im Blickfelde der Wahrnehmung, sie hat keinen
Erreger" (S. 123; vgl. S. 54ff.). Und als möglichen inneren
Unterschied der beiden Arten bildlicher Repräsentation bringt er
"die präsentierenden sinnlichen InhaJte", Empfindungen bei den
gewöhnlichen Bildvorste11ungen, Phantasmen bei den Phantasie-
vorstellungen, in Anschla~ (S. 124).
In der Abhandlung von 1898 schreibt Husserl bezüglich Bild
und Sache bei den Phantasievorstellungen:"Es ist sehr wichtig,
sich klar vor Augen zu halten, dass hier eine doppelte Gegen-
ständlichkeit für die Phantasievorstellung selbst, als
Er leb n i s wie es ist, in Betracht kommt und dass es sich nicht
etwa um einen begrifflichen Unterschied handelt, der erst nach-
träglich in der Reflexion über das Verhältnis dieses Erlebnisses
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LVII

zur Wirklichkeit erwächst. Es ist nicht ein Unterschied der Art,


wie wir ihn bei der Wahrnehmung zwischen dem erscheinenden
Ding ... und dem Ding an sich machen, wo ja in der Erscheinung
nicht zwei Dinge, ... sondern nur das eine" erscheint (S. 112).
Im Hauptstück über "Phantasie und Bildbewusstsein" der Vor-
lesungen von 1904/05 kommt Husserl hingegen schliesslich zu
folgender Einsicht: "Wenn unsere Phantasie sich spielend mit
Engeln und Teufeln, mit Zwergen und Nixen beschäftigt oder
wenn unsere Erinnerung uns in die Vergangenheit hineinversetzt,
die in anschaulichen Gestaltungen vor unserem Geist voruber-
zieht, so gelten die erscheinenden Gegenständlichkeiten nicht
als Bi I d 0 b j e k t e, als blosse Repräsentanten, Analoga, Bilder
für andere: ... Das Wort, Imagination', die Rede von Phantasie-
bildern u.dgl. darf uns hier so wenig täuschen wie bei der Wahr-
nehmung die Rede von ,Wahrnehmungs-Bildern'. Diese Reden
stammen aus der Reflexion, die die Erscheinungen der Phantasie
gegenübersetzt den mögli:chen Wahrnehmungen derselben Gegen-
ständlichkeit, und wieder die Wahrnehmungen den nicht wahr-
nehmungsmässig zu gebenden ,Dingen an sich'" (S. 85; vgl.
S. 150).
Der Weg, auf dem Husserl von der Auffassung der Phantasie
bzw. Erinnerung ais Bildlichkeitsvorstellung zur Herausstellung
ihrer scharfen Unterschiedenheit gelangte, wurde im Gang des
Vorlesungsstückes selbst abgeschritten. Die entscheidende Wen-
de ergab sich aus ,der vertieften Analyse des Verhältnisses von
Koexistenz und Widerstreit zwischen dem Gegenwart konstitu-
ierenden Blickfeld der Wahrnehmung und dem Blickfeld der
Phantasie, bei dem sich, im Unterschied von der gewöhnlichen
Bildvorstellung, kein Bildobjekt konstituiert, "das im Zusam-
menhang des Blickfeldes der Wahrnehmung erschiene" (S. 72)".
Husserl stellt heraus, wie die entsprechenden Raumfelder der
Wahrnehmung und Phantasie "sich gar nicht zusammenschauen
la ssen", vielmehr "abwechseln" und so "die Möglichkeit der Ein-
heit einer Erscheinung ausschliessen" (S. 75ff.). Er spricht der
Wahrnehmung einen "ursprünglichen Vorzug" zu und versucht,
"in den sinnlichen Inhalten" der beiderseitigen Vorstellungen
einen, ,ursprünglichen phänomenologischen Unterschied" anzu-
setzen (S. 81; vgl. S. 77). "Zu den Empfindungen gehört wesent-
lich die Wahrnehmungsauffassung. In erster Linie werden sie als
LVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

selbstgegenwärtig gefasst ... Zu den P ha nt a sm e n aber ge-


hören imaginative Auffassungen. Diese imaginativen Auffassun-
gen sind nicht fundiert in direkten Auffassungen perzeptiver Art,
welche den sinnlichen Inhalt erst einmal als Gegenwärtiges an-
setzen und dann als Bild eines anderen nehmen, sondern ver-
möge ihrer mehr oder minder entfernten Ähnlichkeit fundieren
sie unmittelbar ein immanentes Ver gegen wärti-
gun g sb e w u s s t sei n, ein modifiziertes Bewusstsein ... " (S. 78
et passim). Husserl gelangt so zu folgender Kennzeichnung des
Unterschiedes der Phantasieauffassung. gegenüber der ge-
wöhnlichen Bildvorstellung : "Bei ... der gemeinen Bildauf-
fassung dient ein in der Weise der Wahrnehmung Erscheinendes,
also ein phänomenal Gegenwärtiges ... als Repräsentant eines
anderen .... Bei der Phantasie haben wir kein ,Gegenwärtiges'
und in diesem Sinn kein Bildobjekt. ... Die Beziehung auf die
Gegenwart fehlt in der Erscheinung selbst ganz und gar" (S. 79).
"Die Phantasieerscheinung ... bezieht sich ebenso ein f ä lt i g
auf den Gegenstand wie die Wahrnehmung" (S. 85). Es gilt, dass
sich bei den Phantasien "auf Grund der Phantasmen und der sie
objektivierenden Auffassung ein re i n e s Vergegenwärtigungs-
bewusstsein vollzieht. ... das Erscheinende ist unmittelbar das
Nichtgegenwärtige .,. ans ich sei b s t enthält die Phantasie-
vorstellung keine mehrfältige In ten tion, Vergegen-
wärtigung ist ein letzter Modus intuitiver Vorstellung, genauso
wie Wahrnehmungsvorstellung, wie Gegenwärtigung" (S. 8Sf.).
Im Falle der "Imagination im eigentlichen Sinn", der "Vor-
stellung mittels eines Bild es" hingegen "durchdringen sich
mehrfach Auffassungen". Es wird "in ein als gegenwärtig er-
scheinendes Bildobjekt, ... das sich als G li e d der B 1i c k f e I d-
gegenständlichkei t gebärdetp das Sujet hineingeschaut,
oder äusserlich durch ein solches das Sujet abgebildet, oder ...
nach entfernter Ähnlichkeit symbolisiert".! "Dieselben sinn-
lichen Inhalte, dieselben Empfindungen werden zugleich aufge-
fasst als das Bildobjekt und zugleich dienen sie ganz wie Phantas-
men als Träger oder wenigstens einem Kern nach als Träger eines
Phantasiebewusstseins" (S. 86).

1 S. 82f. et passim. Zum Verhältnis von eigentlicher Bildlichkeit zu symbolisieren-


der Darstellung vgl. auch Kapitel 3 und Beilagen V und IX.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LIX

Husserl kann nun eine innere Verwandtschaft und· dennoch


scharfe Unterschiedenheit von Phantasie und Bildbewusstsein
wie folgt auf den Begriff bringen: "Bildbewusstsein ist P h a n-
ta sie bewusstsein, d.h. unterscheidet sich von einem ent-
sprechenden Phantasiebewusstsein in sich betrachtet gar nicht".
- Das meint jetzt, es ist V er gegen wärt igungsbewusstsein in
dem präzisierten Sinn. - "Aber es dur c h d r i n g t sich hier mit ei-
nem präsentativen Bewusstsein" (S. 86), es ist somit nicht reines,
schlichtes Vergegenwärtigungsbewusstsein. Das ins Bild hinein-
geschaute, in ihm erscheinende Nichtgegenwärtige ist vielmehr
"ein perzeptiv Erscheinendes" (vgl. S. 79). Husserls genauere
Beschreibung des perzeptiv fundierten Bildbewusstseins - nicht
nur in den frühen Te1cten von 1898 und 1904/05, sondern in allen
über den Band verteilten einschlägigen Texten - stellt die
Ä h n 1ich k e i t zwischen dem erscheinenden Bildobjekt und dem
abgebildeten Bildsujet sowie verschiedenartige W i der s t re i t e
(zwischen dem physischen Bildding und dem Bildobjekt, dem
Bildobjekt und Bildsujet sowie mit Bezug auf die Wahrneh-
mungs- oder quasi-Wahrnehmungsumgebung, später auch inner-
halb des Bildobjekts selbst) als Fundamente der Bildlich-
k e i t heraus.
Mit Bezug auf das Ausgangsproblem der Bestimmung der
"U n e i gen t li eh k e it" der anschaulichen Vergegenwärtigun-
gen hält Husserl jetzt in den Vorlesungen von 1904/05 fest, es sei
"doch wohl am angemessensten, von ,Bildlichkeit', ,bildlicher
Auffassung' nur da.zu sprechen, wo wirklich ein Bild erscheint,
das erst seinerseits für ein Abgebildetes als repräsentierendes
Objekt fungiert"" Bei der schlichten Phantasie bedürfe es "an-
derer Terminologie". "Entweder wir gebrauchen das Wort
,Ph a n t asie' selbst, oder wir gebrauchen das Wort ,Ver gegen.:
w ä r t i gun g'. Der Wahrnehmung steht also gegenüber die
Phantasie, ode~ der Gegenwärtigung, der Präsentation, die Ver-
gegenwärtigung, die Repräsentation". Anschauliches Vergegen-
wärtigen wird nicht mehr überhaupt als "uneigentliches" Vor-
stellen eingestuft, vielmehr betrachtet Husserl jetzt Phantasie,
Erinnerung und analog Erwartung als ei gen t 1i c he s Vorstel-
len, ohne das stets ausdrücklich zu sagen. "Wo irgendeine Ver-
wechslung mit der bildlichen und der signitiven Vorstellung
möglich ist, muss man genau sagen: eigen tliche Vergegen-
LX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

wärtigung, schlichte, im Gegensatz zur bildlichen, sym-


bolischen, signitiven, uneigentlichen" (S. 87; vgl. S. 89).1
Der Fortschritt in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen
Wahrnehmung und Phantasie (Gegenwärtigung und Vergegen-
wärtigung) sowie des Wesens anschaulicher Vergegenwärtigungen
überhaupt, den Husserl im dritten Hauptstück der Vorlesungen
von 1904/05 erzielte, fand im vierten, der "Analyse des Zeitbe-
wusstseins" gewidmeten Hauptstück eine vertiefende Fortfüh-
rung. 2 Zugleich ergaben sich Husserl bei dieser Analyse grösste
Schwierigkeiten bezüglich des "Inhalts-Auffassungs-Schemas"
(Empfindungen-Phantasmen und ihnen entsprechende Auffas-
sungen), das für seine bisherige Bestimmung des Verhältnisses
zwischen Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung leitend war.3
Kritische Bemerkungen zu mehreren hier veröffentlichten Tex-
ten aus der Zeit um 1905/06 deuten darauf hin, dass Husserl An-
stoss zu nehmen begann an seiner bis anhin vertretenen Lehre von
den Phantasmen als "Inhalten, die als gegenwärtig er-
scheinen", aber "die Apperzeption zu einem Nicht-Selbstda"
erfahren sollen. 4 Der Rückgang auf das ursprüngliche Zeitbe-
wusstsein lehrte ihn zu verstehen, dass die "Empfindungen" und
"Phantasmen", die "hyletischen Daten", wie er in den Ideen
(1913) sagen wird, nicht einfach sozusagen fertige Gegenstände,
"eine Art Sächelchen"5 sind, aus denen sich das Bewusstseins-
leben aufbaut. Vielmehr sind die sogenannten Auffassungs-
inhalte selbst schon eine bewusstseinsmässige Gegeben-
heit, "Empfindung ist gar nichts anderes als ursprüngliches
immanentes Zeitbewusstsein" (S. 251; 1909).6 Husserl
arbeitete in den "Zeitvorlesungen" von 1905 den Unterschied

1 Vgl. Husserls Anmerkung im § 43 der Ideen I von 1913 (S. 79,'Jahrbuch-Paginie-


rung) bezüglich seines in den Göttinger Vorlesungen erzielten Fortschrittes hin-
sichtlich des "Verhaltnisses zwischen den schlichten und fundierten Anschau-
ungen"; die Zeitangabe "seit dem Sommersemester 1904" ware vermutlich in
Wintersemester 1904/05 zu verändern!
2 VgL Band X dieser Ausgabe, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins.
3 V gL H usserliana X, die Einleitung des Hrsg., R. Boehm.
4 VgL vor allem Beilage XIII, S. 166ff.; Beilage XII, S. 163ff.; Nr. 1, § 51, S. 107,
Anm. 1; § 52, S. 107, Anm. 2; Nr. 2c, S. 187, Anm. 1; Beilage XVI, S. 202ff.
5 Ideen, § 112, S. 227 (Jahrbuch-Paginierung).
6 Vgl. auch z.B. Nr. 8, S. 266, Anm. 2: " ... der ,Inhalt' als ,Bestandstück des Be-
wusstseins' ist eine Einhei t, die sich erst im Fluss der letzten FI uen ten kon-
stituiert; er ist nicht absolut, sondern Bewusstsein von ihm, und das nennen
wir Empfindung von ihm"; Nr. 12, S. 289.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXI

zwischen dem originären impressionalen Zeit bewusstsein (proten-


tional - urimpressional - ,retentional strukturiert) und den
reproduktiven Modis dieser originären Form der Impression oder
Gegenwärtigung heraus. Dies erlaubte ihm, Brentanos Bestim-
mung des Verhältnisses von Wahrnehmung und Phantasie ent-
gegenzuhalten, dass" von einem s te t i gen Übergang von Wahr-
nehmung in Phantasie, von Impression in Reproduktion keine
Rede" sei. Während das impressionale Zeitbewusstsein in seiner
zeitlichen Strukturierung eine kontinuierliche, stetige Einheit im
stetigen übergang bilde, sei der Unterschied zwischen Impression
und Reproduktion. ein "d i s k r e t e r".l
Die Analyse insbesondere des Phänomens der "ursprünglichen
zeitlichen Zurückschiebung" scheint Husserl auf die Schwächen
seiner "Repräsentationstheorie, die mit erlebten ,Inhalten' (z.B.
sinnlichen Inhalten) operierte und sie je nachdem als so oder so
aufgefasst ansah", aufmerksam gemacht zu haben. 2 In einer un-
ten als Haupttext Nr. 8 wiedergegebenen Aufzeichnug, die auf
1909 anzusetzen ist, erreicht Husserl folgende Revision seines In- .
halts-Auffassungs-Schemas. Er fragt :"Was ist die Quelle der im-
mer aufs neue wiederholten lund immer wieder misslingenden
Versuche zu einer Aufklärung des Verhältnisses von Wahrneh-
m ung und Phan tasie oder vielmehr die Quelle des Misslin-
gens dieser Versuche?" Und die Antwort lautet: "Ich denke
dies I Ich habe nicht gesehen (und man hat überhaupt nicht
gesehen), dass z.B. bei der Phantasie einer Farbe nicht etwas Ge-
genwärtiges, nicht ein Erlebnis Farbe gegeben ist, das dann für
die wirkliche Farbe repräsentiert. Wonach Empfindungsfarbe
und Phantasmafarbe in sich ein und dasselbe wäre, nur mit ver-
schiedener Funktion behaftet. Ich hatte das Schema Auffassungs-
inhalt und Auffassung, und gewiss hat das einen guten Sinn.
Aber nicht haben wir, zunächst im Fall der Wahrnehmung, in ihr
als dem konkreten Erlebnis, eine Farbe als Auffassungsinhalt und
dann den Charakter der Auffassung, der die Erscheinung macht.
Und ebenso haben wir im Fall der Phantasie nicht wieder eine
Farbe als Auffassungsinhalt und dann eine geänderte Auffassung,

1 Husserhana X, § 19, S. 47.


2 Vgl. Husserliana X, Nr. 48" vom Hrsg. auf zwischen. 1907 un.d 1908 datiert,
S. 31St.; vgl. auch die Einleitung R. Boehms, S. XXXIXf.
LXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

diejenige, die die Phantasieerscheinung macht. Vielmehr:


,Bewusstsein' besteh t durch und durch aus Bewusst-
sein, und schon Empfindung so wie Phantasma ist
,B e w u s s t sei n'. Und da haben wir zunächst Wahrnehmung als
im p res s ion ale s (originäres) Gegenwartsbewusstsein, Selbst-
da-Bewusstsein u.dgl. und Phantasie (in dem Sinn, in dem Wahr-
nehmung der Gegensatz ist!) als das reproduktiv modifi-
zierte Gegenwartsbewusstsein, Bewusstsein des gleich-
sam Selbstda, des gleichsam Gegenwärtig, der Gegenwarts-
phantasie" (S. 265f.; vgl. Nr. 9).
Von dieser Einsicht geleitet konnte Husserl dann auch in sei-
nem Handexemplar der Logischen Untersuchungen zu der oben
herangezogenen Anmerkung auf S. 364 im § 14 der V. Untersu-
chung, wo vom "vielverhandelten Streit über das Verhältnis zwi-
schen Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung" die Rede ist
(oben S. LIVf.), eingrossesFragezeichensetzen und auf demeinge-
schossenen Blatt zu den Ausführungen auf S. 364 schreiben:, ,Da-
. bei ist aber sogleich zu bemerken, <dass> nicht jeder Akt in
diesem Sinn Apperzeption eines immanenten ... ,Inhalts' ist,
vielmehr gilt dieses Schema präsentierender Inhalt und beseelen-
de Auffassung nur für gewisse Akte. Schon bei der P h a n t a sie
vers agt es, sofern wir (und so bei jeder Vergegen wärti-
gun g) hier einen Phantasierepräsentanten und eine Phantasie-
auffassung zwar unterscheiden müssen, aber beides ni c h t re e 11
erlebte, sondern ver g e gen w ä r t i g t e Bewusstseinsinhalte
sind. Das reell Erlebte ist das Phantasieerscheinen, das
selbst völlig leer ist VQn sinnlichen Präsentanten
und von Auffassungen dieser Präsentanten. Erst
recht gilt das von den leeren Intentionen unanschaulicher Art, in
denen weder etwas ,wirklich' noch etwas ,quasi', gleichsam,
phantasiemässig erscheint."
Die Revision des empiristisch-sensualistischen Inhalts-Auffas-
sungs-Schemas zugunsten der Einsicht in den Sachverhalt, dass
Bewusstsein durch und durch aus Bewusstsein be-
steht, die sich in den Texten ab Sommer/Herbst 1909 klar durch-
zusetzen beginnt,l darf füglieh als für Husserls phänomenologi-

1 Vgl. auch die zeitlich entsprechenden Texte in H usserliana X. Ferner z.B. Ideen I.
§ 112. - Husserls Arbeitsphase während seines Aufenthaltes im Engadin (Schweiz)
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXIII

sche Bewusstseinstheorie fundamental angesprochen werden. l


In einem wohl 1918 entstandenen Text spricht Husserl sehr
klar aus, was er sich ein Jahrzehnt zuvor allmählich erarbeitet
hatte:"Im engsten Sinn Auffassen aber ist ein ursprünglich ge-
bendes Bewusstsein, ein wahrnehmendes ... Offenbar ist k ein
ins ich seI b s t (seinem eigenen intentionalen Wesen nach)
modifizi eren des Bewusstsein hinsichtlich seines Modifi-
kates ein auffassendes ... Es war falsch, die Phantasie als
ein eigentümliches Auffassen anzusehen, dessen Auffassungsin-
halte die ,Phantasmen' seien. Phantasie ist eine Modifikation der
entsprechenden Wahrnehmung, die Phantasieinhalte sind Modi-
fikate entsprechender' Empfindungsdaten, sie sind nicht selbst
Empfindungsdaten, nur anders aufgefasst. Ebenso ist eine
Retention, eine Wiedererinnerung, Vorerinnerung kein Auffassen,
sondern bestenfalls Modifikation eines Auffassens. Wie ein
phantasiertes Haus, ein gewesenes, künftiges Haus kein Haus ist
(nämlich keine gegenwärtige Wirklichkeit), so ist ein Phantasie-
ren, ein Erinnern, Erwarten kein Auffassen, aber eine Modifi-
kation davon. Diese höchst merkwürdige Intentionali-
t ä t der ,Mo di fika tionen' ist schon in den Ideen hervorge-
treten (sie wurde schon eine Reihe von Jahren früher in Vor-
lesungen ausführlich zur Klärung verschiedener Grundarten der
Modifikation wie aller Arten der ,Vergegenwärtigung' heran-
gezogen)" .2
Ein beredtes Zeugnis für die im Fluss begriffene phänomeno-
logische Aufklärung der "höchst merkwürdigen Intentionalität
der ,Modifikationen' " legen die hier vorgelegten Texte aus der
Zeit von 1908 bis 1912 ab, die sachlich wohl die gewichtigsten des
vorliegenden Bandes darstellen.3 Die Vielfalt der erörterten Pro-

im August-Anfang September 1909 (vgl. Husserl-Chronik, S_ 128) scheint die ent-


scheidende Wende gebracht zu haben.
1 Vgl. auch Ideen I den wichtigen § 86.
2 Ms. LI 19, S. 9b, Hervorhebung vom Unterzeichneten. Vgl. auch unten Nr. 10,
S. 276f. - Husserl dürfte beim Hinweis auf Vorlesungen die "Grundprobleme
der Phanomenologie" von 1910/11 (vgl. Husse1'liana XIII, Nr. 6) und evtl. auch
dle "Emfuhrung in die Phänomenologie der Erkenntnis" vom Sommersemester
1909 (vgl. Ms. F I 17; ein Teil ist in Husse1'Uana X, Nr. 51 veröffentlicht) im
Auge gehabt haben.
3 Zum chronologisch weitgespannten Haupttext Nr. 2 in vorliegendem Band vgl.
die Textkritischen Anmerkungen, S. 645ff. Diese Textstücke illustrieren ein-
drücklich die Aporien der Repräsentationstheorie und den Keim ihrer Überwin-
dung durch die Lehre von der Reproduktion der Akte.
LXIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

bleme und oft nur aporetischen Darlegungen kann an dieser Stelle


nicht im einzelnen zur Sprache kommen. Zur allgemeinen Cha-
rakteristik der Texte kann aber wohl folgendes gesagt werden:
Beherrschte in den frühen Texten die Problematik der Bildlich-
keit sowie die Lehre von den sinnlichen Inhalten und ihnen ent-
sprechenden wesensverschiedenen Auffa~sungen die Analyse der
anschaulichen Vergegenwärtigungen, müht Husserl sich jetzt um
die konkrete Ausarbeitung der Lehre von den Modifikationen,
die zum Bewusstsein "i n si c h sei b s t", "seinem eigenen inten-
tionalen Wesen nach" gehören (s.o.). Er kreist in diesen Texten
um die Frage, ob zur Etablierung des Unterschiedes zwischen
Gegenwärtigung und den verschiedenen Weisen der anschauli-
chen Vergegenwärtigung mit ei TI e r fundamentalen Modifika-
tion auszukommen sei, oder ob z w e i Modifikationen ins Spiel
gebracht werden müssen. Diese Frage hängt zusammen mit der
"Frage, wie es mit dem Zusammenhang zwischen modalen
Charakteren und Apparenzen steht", d.i. ob Auffassung (Er-
scheinung, Apparenz) und qualitativer Modus relativ zu scheiden
seien oder nicht. 1 .
Unter dem Ansatz, ein e fundamentale Modifikation genüge,
erörtert Husserl das Verhältnis von Erinnerung und Phantasie
zueinander. Er diskutiert folgende beiden Möglichkeiten: 1) Der
Wahrnehmung steht gegenüber die schlichte pure Phantasie; Er-
innerung wäre als ein in "blosser Phantasie" fundierter Akt zu
fassen, der z.B. das zunächst phantasierte Ding als vergangenes,
als "wieder gegeben" vergegenwärtigtes in Beziehung zur aktuel-
len Gegenwart setzt. 2 2) "Eine fundamentale Modifikation ver-
wandelt die Wahrnehmung in Erinnerung" (S. 245); Phantasie
wäre als der "Modus der ,aufgehobenen' Erinnerung" zu fassen. 3
"Es gäbe danach nicht eine ursprüngliche und primitive Modifi-
kation ,Phantasie'. Die Erinnerung wäre etwas Einfaches und die
Phantasie nicht etwa ein Einfacheres" (S. 247). Symptomatisch
für die tastenden übetleglUlgen in diesen Texten ist Husserls
schliessliche Feststellung:"Es ist nicht leicht, sich zu entschei-
den" (S. 248) !

1 S.U. Nr. 5, bes. S. 230ff. und Beilagen XXIV-XXVIII.


2 VgI. die wohl 1909 entstandene Ergänzung in Nr. 3, S. 215ff. - Nr. 4, vor allem
S. 224ff.; Nr. 6, Erste bis dritte Ansicht, 5. 242ff.
8 Vgl. Nr. 6, Vierte Ansicht, S. 245ff.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXV

Schliesslich kritisiert Husserl das Konstruktive seiner Erwä-


gungen 1 , und er setzt an:"Es wird also wohl nichts übrigbleiben,
als jeder Impression gegenüberzustellen einmal die Wiedererin-
nerung und das zweite Mal die blasse Phantasie, beide unter-
schieden durch den Glaubensmodus" (S. 262). Den wesentlichen
Fortschritt scheint 'das-;Studium der Zusammenhangsin-
te n t ion e n der Erlebnisse nach Koexistenz und Sukzession
gebracht zu haben. 2 Husserl kommt Anfang 1910 zu folgender
Feststellung: "Vielmehr scheint es, dass wir sagen müssen: Der
originären Reihe, der Wahrnehmungsreihe entspricht als die ei-
ne :\1odifikation 1) die Erinnerungsmodifikation (bzw. noch ana-
log die Erwartungsreihe), wobei alles durch und durch modifiziert
i'3t. 2) Und wieder die Phantasiemodifikation als blasse Phan-
tasie" (S. 297). Und in einer nachträglich eingefügten Randbe-
merkung im selben Text steht: "Ich habe ja zwei Modifika-
t ion e n für nötig befunden und bleibe dabei. Einmal die blasse
Phantasiemodifikation und das andere Mal die Erinnerungs-
modifikation. Sie unterscheiden sich als Aktualität und Inaktua-
lität" (S. 294, Anm. 1).
Was Husserl jetzt im Auge hat, ist"kurz gesagt dies: Er nimmt
nicht mehr an, "dass wir zunächst einen Phantasiezusammen-
hang haben und da z u einmal Gewissheit als aktuelle Gewissheit,
das andere Mal Einbildung von Gewissheit". Er schreibt: "Belief
ist ... nicht ein Hinzutretendes, .. ' sondern nichts
weiter als der modale Charakter der Gewissheit gegenüber den
Charakteren der Anmutung, Vermutung ... und lässt wie alle
diese Charaktere imaginative (Inaktualitäts-) Modifikation zu"
(S. 297 und S. 297, Anm.). Und dies heisst nicht, dass dann in der
Phantasie, im Unterschied zur Wahrnehmungs-, Erinnerungs-,.
Erwartungsreihe, "kein Modus" gegeben wäre, Phantasie hat
vielmehr "d e n sei ben Mo du s wie die entsprechende Erin-
nerung, nur ist der Modus wie das ganze Phänomen ,blasse
Phantasie' ",3 d.i. Inaktualität, Neutralität.
Eine konkretere Ausarbeitung des intentional komplexen We-
sens der Vergegenwärtigungsmodifikation, ihrer allgemeinen

1 Vgl. z.B. s. 253, S. 263, Schluss von Beilage XXIX; S. 225, Anm. I; vgl. S. 396f.
: Vgl. Nr. 11, Nr. 12, Beilage XXIX.
Vgl. S. 298 und S. 298, Anm. I; S. 299; S. 248, Anm. 2
LXVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Struktur intentionaler Modifikation oder Implikation, gelingt


Husserl in Anfängen schliesslich durch die "Lehre vom in n e ren
Bewusstsein", die zu einem "prägnanten Begriff der Repro-
duktion" führt (Nr. 14). Sie kommt deutlich ab 1911/12 zum
Durchbruch. 1 Auf die Frage, "was heisst das, Vergegenwärti-
gungsmodifikation?" (S. 305), lautet die Antwort nun: "Ver-
gegenwärtigung ist ... selbst ein Ereignis des inneren Bewusst-
seins"2, d.i. des Zeitbewusstseins (S. 316). "Was wir Erlebnis
nennen, was wir Akt des Urteils, der Freude, der äusseren
Wahrnehmung nennen, auch Akt des Hinsehens auf einen Akt
... , das alles sind Einheiten des Zeitbewusstseins, sind also
Wahrgenommenheiten. Nun, jeder solchen Einheit entspricht
eine Modifikation: genauer, der originären Zeitkonstitution, dem
Wahrnehmen, entspricht ein Reproduzieren, und dem Wahrge-
nommenen ein Vergegenwärtigtes .... Die äussere Wahrnehmung
ist Wahrnehmung. Und wenn nun die Modifikation der Wahr-
nehmung eine entsprechende Erinnerung ist, so haben wir hier
das Merkwürdige, dass die entsprechende Erinnerung nicht nur
Erinnerung von der Wahrnehmung ist, sondern dass die Modifi-
kation der Wahrnehmung auch Erinnerung an das Wahrgenom-
mene ist" (S. 308). Äusseres Wahrnehmen ist selbst "inneres
Bewusstsein", und ihm "entspricht die reproduktive Modifi-
kation, die innere Erinnerung. Jede innere Reproduktion (um
welchen Akt es sich immer handeln mag) ist Reproduktion ,von'
der entsprechenden inneren Wahrnehmung, eben ihre Modifi-
kation. Aber zum Wesen des Verhältnisses von Reproduktion und
Wahrnehmung gehört, dass wie die Wahrnehmung gegenwärtigt,
nämlich das in ihr Wahrgenommene, so die Reproduktion ver-
gegenwärtigt. Und demnach entspricht dem originären Akt, dem
,erlebten', d.i. dem im inneren Bewusstsein wahrgenommenen,
ein vergegenwärtigter. Aber ein vergegenwärtigter Akt ist im
inneren Bewusstsein nichts Reelles" (S. 309). Husserl kann die
Phänomene der Vergegenwärtigung eines Gegenstandes und der
Reproduktion des ursprünglich diesen Gegenstand konstituieren-
den impressionalen Bewusstseins nun als dieselben bestimmen
und als "Wesensgesetz" in einer übersichtlichen ,Formel' zusam-

1 Vgl. auch Hussel'Uana X, Nr. 53 und Nr. 54.


a Husserliana X, S. 368.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXVII

menfassen; es gilt: "R(Wa) = V 3'" d.h. die Reproduktion der


Wahrnehmung z.B. eines Hauses (R(Wa)) und die Vergegen-
wärtigung des Hauses (Va) zeigen dieselben Phänomene. "Zu
studieren bleiben dann aber die genauen Verhältnisse, wenn wir
die verschiedenen Sorten von Reproduktionen bzw. Vergegen-
wärtigungen in Rechnung ziehen" (S. 311).
Einen guten Einblick in die vertiefte Analyse der Vergegenwär-
tigungsmodifikation, die vom erreichten Standpunkt der Lehre
von der inneren Reproduktion der Akte ermöglicht wurde, geben
umfangreiche Untersuchungen vom März-April 1912, die in den
Haupttexten Nr. 15 und Nr. 16 sowie deren Beilagen abgedruckt
sind. 1 Was Husserl jetzt neu zur Geltung bringt, ist vor allem in
Folgendem zu sehen: Er stellt klar die im Wesen der Reproduk-
tion als Reproduktion von Impression beschlossene
D 0 P P el h e i t im vergegenwärtigenden Bewusstsein selbst bzw.
in der gegenständlichen Beziehung heraus (S. 330f. et passim) und
erkennt, dass die Analyse der "Modi der Reproduktion" auch
die Phänomene der Stellungnahmen (vgl. S. 329ff.) mit
einzubeziehen hat, die als solche eine Bedeutung haben, welche
über den Bereich der anschaulichen Vergegenwärtigungen
hinaus- und insbesondere in das Gebiet der Urteilstheorie hinein-
führt. 2 Husserl untersucht jetzt die Phänomene der modalen
Charakterisierung der inneren Reproduktion (des Erlebens
selbst) und der Charakterisierung aus dem späteren Zusammen-

1 In einer "planartigen" Notiz von Februar 1912 kommen einige Hauptlinien dieser
Untersuchungen zur Geltung; Husserl reflektiert auf "Themata für höchst wich-
tige Studien": "Sie gruppieren sich um die Unterscheidung von Impression und
Reproduktion und Aktualität und Inaktualitätsmodifikation überhaupt ... An-
knupfung an Humes Unterscheidung zwischen Impression und Idee. Also I) die
Unterscheidungen Impression und Reproduktion, Aktualität und Inaktualität,
Aber brauche ich nicht, um die durchzufuhren, ein Stück Wahmehmungsanalyse
und darin die Erkenntnis des Wesens kontinuierlichen Einheitsbewusstseins ?
< Vgl. diesbezüglich die "Ausarbeitungen zur Schrift, über Wahrnehmung'" wohl
von 1911/12, s.u. S. 610f. bzw. den in Vorbereitung befindlichen Band über
"Wahrnehmung".> 2) Unterscheidungen von Aufmerksamkeit, Gerichtetsein
auf, Meinen in einem spezifischen Sinn und Stellungnahmen und die Modifikati-
onen der Stellungnahmen. 3) Der Unterschied zwischen schlicht kontinuierli-
chem Einheitsbewusstsein und synthetischen Diskretionen, Explikation, Prädi-
kation. 4) Der Unterschied zwischen Stellungnahmen des Gemüts und Stellung-
nahmen des Verstandes, ferner zwischen Gemütsmomenten überhaupt, auch
Gemutssinnlichkeit und Verstandessinnlichkeit, Gemütsauffassung und Ver-
standesauffassung" (Ms. A VI 8 Ir, S. 112a; das Blatt ist eine Drucksache vom
7. Februar 1912). ,
2 Vgl. oben "Textgeschichtliches",S. XXXVIIIff. Zur Sache vgl. auch Nr. 1,§§47ff.,
LXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

hang, die Möglichkeiten des Hinzutretens und Fortfallens von


Stellungnahmen (vgl. Beilage XXXVII, S. 423ff.; S. 33Sff.), die
sich auf das Erleben selbst oder auf die intentionalen Gegenstän-
de des Erlebens beziehen können (S. 337 et passim). Ferner erör-
tert er die Phänomene des Vollziehens von Reproduktionen und
des Vollziehens in den Reproduktionen (des Darinlebens, Auf-
merksamseins) (S. 339ff. et passim). Damit hängen zusammen die
Fragen nach den Verhältnissen zwischen den verschiedenen
Modis des Vollziehens (primäres, eigentliches Vollziehen, im
Hintergrund auftauchendes Vorstellen etc., Nochvollziehen,
Sichenthalten, Nichtvollziehen) . Andererseits sind davon zu unter-
scheiden, wie Husserl teils selbstkritisch feststellen muss (z.B.
S. 363, Anm. 4), die Phänomene der Aktualität und Inaktualität.
Er studiert in diesen Texten insbesondere die zur "Eigentümlich-
keit des inneren Bewusstseins" gehörende "mehrfache In akt u a-
li t ä t sm 0 d i fi kat ion" (die Nichtsetzung) im Bereich der
Impression1 wie der Reproduktion. Hierbei kreist er um die
schwierig zu bestimmenden Verhältnisse zwischen Phantasie- und
Neutralitätsmodifikation2 einerseits, Phantasie, Neutralität und
Ansatz (Annahme) andererseits. Im § 111 in den Ideen, "Neutra-
litätsmodifikation und Phantasie", hatte Husserl gewiss seine
eigenen Denkerfahrungen, die sich in den Texten vom Frühjahr
1912 niederschlugen, im Auge, als er bezüglich der Möglichkeit
der Verwechslung zwischen Neutralität und Phantasie schrieb:
"Das Verwirrende und wirklich nicht leicht Auseinanderzuwir-
rende liegt hier darin, dass die Phantasie selbst in der Tat eine
NButralitätsmodifikation ist, dass sie trotz der Besonderheit ihres
Types von universeller Bedeutung ist, anwendbar auf all e Erleb-
nisse, dass sie bei den meisten Gestaltungen des Sich-denkens
auch ihre Rolle spielt und dabei doch von der allg-emeinen Neu-

wo Husserl das Phänomen der Stellungnahmen bei Vergegenwartigungen zur


Sprache bringt, noch ohne über die Lehre von der im inneren Bewusstsein be-
gnindeten Reproduktion von Akten zu verfügen.
1 Bemerkenswert ist, dass Husserl in diesen Texten im Fluss der Reflexionen mehr-
fach die Ansicht äussert, dass es "beim schlichten perzeptiven Glauben" des im-
pressionalen Bewusstseins "kein Ausschalten und kein Sich-denken" gibt (vgl.
S. 366, Anm. 1; Nr. 15j), was er nachträglich wieder ubersieht, so dass er, wie in
den Ideen deutlich wird, die Neutralitätsmodifikation als "allgemeine Bewusst-
seinsmodifikation" bezeichnen kann (Ideen I, § 109; § 111).
2 In den Texten vom Frühjahr 1912 gebraucht Husserl ursprünglich meist "In-
axiose", "Anaxiose" oder einfach "Inaktualität" für "Neutralität".
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXIX

tralitätsmodifikation mit ihren mannigfaltigen, allen Setzungs-


arten folgenden Gestaltungen unterschieden werden muss".
Was die Neutralität oder Nichtsetzung im Bereich der Im-
pr e s si 0 n des näheren betrifft, erläutert Husserl sie in den Auf-
zeichnungen vom Frühjahr 1912 wie schon in früheren und auch
späteren Texten mit Vorliebe am Beispiel des Bildobjektbe-
w u s s t sei n s, das er als eine "reine setzungslose Perzeption"
anzusprechen versucht. 1 Andererseits dringt er in denselben Auf-
zeichnungen zu einer radikalen Infragestellung dieser Auffassung
durch. Bezüglich der Bildobjekte sagt er: "Mein Beispiel der
Raffaelschen Theologie ... Sehen wir aber näher zu, so bietet
sich folgende Ansicht der Sachlage dar: Die kleinen Figürchen
sind schon dargestellte Objekte" (S. 473), und er verändert
"dargestellte" in "bloss vorgestellte" und ergänzt: "es sind nicht
Sc he i n e, d.h. nicht erscheinende in einer setzenden Perzeption,
nur herabgesetzt modal" (S. 473, Anm. 4). Kurz darauf heisst es:
"Also zusammengefasst: 1) Wir müssen t ren n e n Bildobjekt-
auffassung und Bewusstsein eines perzeptiven Scheines .... 2)
Mit der Bildobjektauffassung haben wir in ein s die Dar s te l-
lu n g" (S. 474). Im Weiteren stellt Husserl heraus, dass "Dar-
stellung als solche Gemeinsamkeiten mit der Re pro du k ti 0 n"
hat, "nämlich eben dies, dass wir in jeder Komponente der
Darstellung (der eigentlichen Darstellung) eine Beziehung auf
,Entsprechendes' haben" (S. 475).
Vor allem in den Texten aus 1912 stellt Husserl auch klar
heraus, dass es sich beim Schein- oder Unwirklichkeitsbewusst-
sein im Falle eines Bildes nicht um ein eigentliches Fiktum-
bewusstsein im Sinne einer 111 u s ion handeln kann. "Das Bild
ist keine Illusion" (S. 486). Das Entscheidende ist dies: Das
eigentliche Fiktum einer Illusion erscheint direkt in der Einheit·
einer Wirklichkeit, es ist eine Erscheinung mit dem Charakter der
Setzung, der nun in Widerstreit gerät mit anderen Set zungen, so
dass das Fiktum sich im Widerstreit der Setzungen als Illusion,
als blasser Schein 'herausstellt (vgl. Husserls oft gebrauchtes
Beispiel von Wachspuppe-Mensch). Demgegenüber ist der Cha-
rakter der Unwirklichkeit beim Bilde nicht das Resultat eines

1 Vgl. Nr. 16, S. 467ff.; ferner z.B. Nr. 4, S. 222f.; Beilage LI, S. 482ff., Nr. 18b,
S. 514ff., Nr. 20d, S. 581ff.
LXX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Streites verschiedener Glaubenstendenzen, sondern beruht dar-


auf, dass in ein perzeptiv Erscheinendes etwas hineinphantasiert
wird, das unmittelbar gar nicht gegenwärtig ist: Das Bild "er-
scheint" eigentlich nicht in der Einheit der Wirkiichkeit, "son-
dern in einem eigenen Raum, der an sich keine direkte Beziehung
hat zum wirklichen". Das Bildfiktum erscheint, "ohne den
Charakter der Wirklichkeit zu haben, ohne ,Anspruch' auf Wirk-
lichkeit zu erheben, ein Anspruch, der erst vernichtet werden
müsste" (v.a. Beilage L, S. 480; Nr. 17a). •
Zum Abschluss seiner Überlegungen über "Modi der Repro-
duktion, Phantasie, Bildbewusstsein" unter Einbeziehung der
Phänomene des Stellungnehmens und Sich-der-Stellungnahmen-
Enthaltens hält Husserl bündig fest: "Wir müssen also den Be-
griff der Phantasie (sagen wir Vergegenwärtigung) verallgemei-
nern. Es gibt zwei Grundformen der Vergegen wär-
tigung: I) die reproduktive, 2) die perzeptive, d.h. die
Vergegenwärtigung im Bild, in bildlicher Darstellung. .,.
Scheiden muss man diese Modifikationen von denjenigen, die
Setzung in Nichtsetzung verwandeln. (Kreuzung der beiderlei
Unterschiede.) Ferner muss man nicht verwechseln nichtsetzende
Perzeptionen mit bildlich darstellenden Erlebnissen: also mit
Vergegenwärtigungen" (S. 47Sf.).
Zu diesem Zeitpunkt, kurz vor Erscheinen der Ideen, verfügte
Husserldeutlich über die Einsicht in die "eigen t ümliche Mi t-
tel bar k e i t"1 anschaulicher Vergegenwärtigungen, die weder
einfach als "Bildlichkeit" auszulegen ist, noch aber auch als
"schlichte, einfältige" intentionale Beziehung begriffen werden
'kann. Er wusste darum, wie er in der oben herangezogenen Auf-
zeichnung von 1918 prägnant festhalten wird, dass "jede ,Modi-
fi kat ion' dadurch charakterisiert ist, dass in ihr sei b s t die
B e z i e h u n gau f ein an der es Be w u s s t sei n, von dem sie
Modifikation heisst, beschlossen ist, ein Bewusstsein,
das in ihr nicht wirklich enthalten und doch für eine passend ge-
richtete Reflexion fassbar ist .. ,. Und damit hängen dann noch
eigentümliche Reflexionen auf die entsprechenden Aktkorrelate
zusammen" .2

1 Vgl. Husse,l1ana VIII, S. 116.


2 Ms. L I 19, S. 10a; vgl. oben S. LXIII.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXI

In den bisher beleuchteten Texten aus der Göttinger Zeit stand


die eigentlich noetische Akt- oder Erle bnisstrukt ur
der ein z eIn e n Art e n anschaulicher Vergegenwärtigung deut-
lich im Vordergrund. Die Texte aus der Freiburger Zeit (Nr. 18-
Nr. 20 und Beilagen), deren entstehungsgeschichtliche Zusam-
menhänge oben angezeigt wurden (So XXXIXff.), bringen dar-
über hinaus hauptsächlich in zwei Hinsichten neue Gesichts-
punkte zur Geltung. Diese lassen sich, in Anlehnung an Husserls
Ausdrucksweise in den Ideen, als Untersuchungen nach der
"objektiv-orientierten" und nach der "subjektiv-orientierten
Seite" im Wesen der Erlebnissphäre kennzeichnen.!
Zunächst zur objektiv-orientierten, no e m at i s c h e n Seite der
Intentionalanalyse, die in den Ideen explizit eingeführt wurde
und die unten auch im Haupttext Nr. 15 vom Frühjahr 1912 viel-
fach greifbar ist: Husserl behandelt die anschaulichen Bewusst-
seinsakte jetzt unter ausdrücklicher Einbeziehung von K 0 r-
relat-Charakterisierungen als "Anschauungen von Indi-
viduen" (So 498), als Individuelles gebendes oder quasi gebendes
Bewusstsein (S. 499ft.). Mit dieser objektiv-orientierten Be-
schreibung hängt die jetzt auftretende Thematisierung der
Sinnes-Probleme und des "Wie der Erfüllung" und Be-
kräftigung als in tu i t i v e r 2 bei den verschiedenen Arten an-
schaulicher Vergegenwärtigung zusammen. 3 "Das,A n s c hau e n'
ist ein allgemeiner Titel für positionale und neutrale Akte, die
Individuelles in erfüllter Weise bewusst machen. Sie sind ent-
weder ,wirklich' anschauende oder ,quasi' anschauende, und
beiderseits ist Inhalt geformt. Aber einmal ist das Individuelle
bewusst als Wirklichkeit, das andere Mal als Fiktum" (S. 504,
Anm. 1). In dieser Interessenrichtung kommt Husserl ausdrück-
lich auf die Problematik der "k 0 n s t it u t i ve n Ver nun ft"
(vgl. S. 559) zu sprechen. Er untersucht insbesondere die "kon-
stitutive Leistung der Phantasie", die besondere Weise ihrer
"Erfüllung" im Vergleich mit der Erinnerung (vor allem Nr. 19).
, ,Bei der Erinnerung erfüllt sich die Intention auf das Selbst in

1 A a.O., § 80, S. 1-61 (Ja1l,.buc1l-Paginierung).


2 Vgl. Ideen I, Vlerter Abschrutt, §§ 136ff.
3 VgI. unten Nr. 3, wo das Problem der "Erfullung" vom bloss noetischen Ge-
slchtspunkt angeschnitten wird.
LXXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

einem ,geglaubten', in einem von sich aus als wirklich sich geben-
den Selbst, und soweit es ei.nen Sinn hat, der noch unerfüllt ist,
geht die Intention weiter und erfüllt sich in immer neuer Wirk-
lichkeit. Da bin ich in einem Zusammenhang der ,Wirklichkeit',
die ich nicht ,erfinde', die ich mir nicht (als Wirklichkeit) einbilde,
sondern ,vorfinde' ... , Wir sind also nach Motivanten und
Motivaten in einem Glaubenssystem" (S. 559). "Mit der Idee der
W irklichkei t stehen wir im System der thetisch unmo difi-
zierten Intentionalität, in der Intentionalität der Doxa, des
Glaubens. Der Glaube ist ... das unmodifizierte Bewusstsein
selbst. Es steht unter Gesetzen der Vernunft, ... Wesensgesetzen
der Setzung von Gegenständen als Identitäten undurchbrech-
barer Bewährung, die an sich ,sein' können gegenüber dem wech-
selnden (unmodifizierten) Bewusstsein. Konstitution von seien-
den Gegenständen einer seienden Welt ist die Vernunftleistung"
(S.557f.).
In der reinen Phantasie dagegen gilt:"Soweit Glaube noch da
ist, ,entbindet' die Phantasieeinstellung von ihm, sie nimmt den
wirklichen Glauben, ,als ob' es Glauben wäre, das Wirklich-sein
wird zu einem Sein-als-ob (als ob es Wirklichkeit wäre) ... ' Die
Modifikation des Als-ob ist eine eigene Dimension von Modifika-
tionen ... Und diese Modifikation, wie jede andere, ist B e-
wusstsein-von und hat ihre konsti tu ti ve Vern unft. Ihr
Korrelat ist die reine Möglichkeit" (S. 559).
Charakteristisch für die Texte aus der Freiburger Zeit gegen-
über der früheren Erörterung der intentionalen Wesenseigen-
tümlichkeiten der einzelnen Erlebnistypen sind die Ansätze zur
'phänomenologischen Aufklärung der Konstitution der "W el t
der E rf a h run g", der Positionalität, gegenüber den "We I t e n
der Phantasie", der Unwirklichkeit, und deren Verhältnis
zueinander.1 Von zentraler Bedeutung sind dabei die verschiede-
nen Weisen der Aufwicklung, Explikation der inten-
tionalen Horizonte in den "erfahrenden" bzw. "bloss vor-
stellenden" oder "quasi erfahrenden" Akten (S. 510 et passim).
Von der Welt der Erfahrung gilt, dass sie "ein festes, sich im-
merfort von selbst, aber in gebundener Weise erweiterndes

1 VgI. vor allem Nr. 18 und Beilagen, Nr. 19. - Siehe auch Erfahrung und Urteil,
bes. §§ 38-41 aus der Zeit von 1917fl8.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXIII

System" mit einer nur "kleinen und in eigener Art umgrenzten


Sphäre der Freiheit und damit der willkürlichen Veränderlich-
keit" (S. 535) ist. Diese Welt der Erfahrung ist "eine Welt, und
sie ist die eine und selbe Welt für jeden Erfahrenden"
(S. 522). Demgegenüber "sind der Phan tasiewel ten unend-
lich viele" (S. 523), sie sind "durchaus freie Welten". Ihr
"Unbestimmtheitshorizont ist kein durch bestimmte Erfahrungs-
analyse explikabler.... Das Eigene der Phantasie ist ihre B e-
li e b i g k e i t. Und daher ideal gesprochen ihre unbedingte W i ll-
kürlichkeit" (S. 535; S. 551f.). Husserl weist auf die Möglich-
keit hin, eine Welt zu "schaffen", d.h. "sich in der Phantasie auf
den Boden einer quasi.Wirklichkeit" zu stellen, diese hinzuneh-
men und festzuhalten und "die Beliebigkeit des weiteren Phan-
tasierens durch die ständige Intention auf Einstimmig-
k e i t < zu > beschränken" (S. 535). "Die quasi-Welt ... ist auch
unendlich vielfältig unbestimmt, insofern genauso wie die wirk-
liche Welt aussethalb meiner aktuellen Erfahrung. Aber was sie
allein näher bestimmen kann, die ... Phantasie ist ungebunden,
sie ist frei und nUr soweit gebunden, als sie dem Wesensstil eines
Welthorizontes entsprechen muss .... Das ist auf unendlich viel-
fältige Weise und be li e b i g möglich: Jeder neue Schritt be-
schränkt und eröffnet wieder im selben Stil unbeschränkte Mög-
lichkeiten" (S. 535f.)'. Husserl diskutiert diese Möglichkeiten des
eine quasi-Welt schaffenden Phantasierens vor allem mit dem
Blick auf die künstlerische Phantasie (s.u. S. LXXVIIff.).
Das allgemeine Problem der Konstitution von Gegenständlich-
keiten in der phantasierenden quasi-Erfahrung führt Husserl
auch zu Überlegungen bezüglich des Ver h ä I t n iss e s zwischen
Wirklichkeit und Phantasie bzw. reiner Möglichkeit. Er
erörtert Fragen zur I den t i t ä t der Gegenstände in Wirklichkeit
(Erfahrung) und Phantasie und kommt zum Ergebnis, dass bei
einer Synthese von Erfahrung und Phantasie die "Möglichkeit
der vollen Identifikation" der beiderseitigen Individuen, "dem
Individuum schlechthin im ,wirklichen' Sinn" und dem "Indivi-
duum in der Fiktion, im Fiktionssinn" (S. 528), aus g e s chI 0 s-
sen ist. "Im strengen Sinn darf keine Rede davon sein, dass ein
Phantasiegegenstand identisch sei mit einem Erfahrungsgegen-
stand - wie wir andererseits sehr wohl strenge Identität zwischen
einem Wahrnehmungsgegenstand und einem Erinnerungsgegen-
LXXIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

stand haben können" (S. 528). In weiterer Vertiefung in die


Fragen nach der Konstitution in den quasi erfahrenden An-
schauungen kommt Husserl zu dem "eigentlich merkwürdigen"
Ergebnis, dass "ein Individuum sich eigentlich nicht voll
und ganz fingieren lässt" (vgl. S. 552). "Jede individuelle
Möglichkeit ist radikal unbestimmt, wesensmässig, und die Un-
bestimmtheit ist keine vollkommene, und sei es auch phantasie-
mässige quasi-Bestimmbarkeit" (S. 552). Der "Charakter des
lebendig Daseins, das, was allererst konkret-individuell macht,
lässt sich nicht erfinden, und wenn eine Phantasie dergleichen
wie ein gegenwärtiges Leben vergegenwärtigt, so schafft sie quasi-
Anschauungen, aber in einer Weise der Umgebung mit unbe-
stimmtem Horizont, dass dieser dabei nur fungiert als Index für
beliebige Möglichkeiten der Erfüllung der Form der Zeitkonstitu-
tion" (S. 552).
Des weiteren stösst Husserl in diesen Texten auf die schwieri-
gen Fragen nach den Verhältnissen von Fiktum und Mög-
lichkei P, "reiner Möglichkeit und Phantasie" (Nr. 19) und die
Rolle des freien Ans atz e s für die Konstitution einer Gegen-
standsmöglichkeit. Die Aufzeichnungen kreisen um die Probleme,
ob Phantasiegegenständlichkeiten erfahrbares Sein seien, ob
Fikta als Gegenstände reine Möglichkeiten seien bzw. ob Phanta-
siegegenstände mögliche Gegenstände seien; ferner um die Fragen
der Rückbeziehung der phantasierten bzw. möglichen Gegen-
ständlichkeiten auf die quasi konstituierende Subjektivität und
Intersubjektivität. 2 Husserl scheint anfänglich die Tendenz zu
haben, Möglichkeit und Phantasie zu identifizieren. 3 In einer
Randbemerkung zu einem Text wohl von 1920/21 notiert er aber:
"Im voraus gesagt, man gerät in Unklarheiten, wenn man
Phantasien ohne weiteres für Möglichkeiten nimmt" (S. 567,
Anm. 2). Und in einer kurzen Aufzeichnung wohl von 1922/23
fragt er mit Bezug auf die in Nr. 18 und Nr. 19 abgedruckten
Texte: "Habe ich in diesen Manuskripten schon festgestellt, dass
Einstellung des Als-ob in Phantasieverlorenheit, dass Einstellung
auf reine Möglichkeiten, und endlich Einstellung auf Fikta zu

1 Vgl. S. 506ft., S. 529ff.; Nr. 19 und Beilagen.


a Bezuglich der Intersubjektivitat vgl. vor allem Beilage LXIII und Nr. 19b,
S.564.
3 Vgl. Nr. 18a, bes. S. 506f.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXV

unterscheiden sind?" (S. 565). In den letzten unten abgedruckten


Textstücken, wohl aus 1924, scheint Husserl dann die verschiede-
nen Erlebnisvollzüge zu trennen: "Vollzug eines Möglichkeits-
bewusstseins <ist> nicht ein Phantasieren oder gar Annehmen".1
In den schliesslich im Haupttext Nr. 20 wiedergegebenen
Textstücken aus der ersten Hälfte der zwanziger Jahre kommt
als wohl wichtigste Neuheit die oben angezeigte "s u b j e k ti v-
o r i e n t i e r t e" Überschreitung der bIossen Er leb n i ssphäre
zum Zuge. 2 Es finden sich hier nämlich Ansätze einer im Hus-
serlschen Sinne genetischen Betrachtungsweise der an-
schaulichen Vergegenwärtigungsmodifikationen. 3 Charakteri-
stisch dafür ist, dass es Husserl dabei nicht mehr bloss um die
"statische" Analyse einzelner Erlebnistypen nach noetisch-
noematischen Mannigfaltigkeiten geht, sondern dass er die
Weisen der "A p per z e p ti 0 n" studiert. Apperzeptionen haben
ihre W esensg e s chi eh te im transzendentalen Leben des pe r-
so n ale n Ich. Unter diesem Gesichtspunkt kann Husserl z.B.
sagen, "Wahrnehmung als Apperzeption ist selbst eine Sonderart
von ,Erinnerung'" (S. 582).4 Die Apperzeptionen entstammen
Urstiftungen des vollziehenden Subjekts. Es sind hier zu unter-
suchen die "Phänomene der Fortgeltung aus ursprünglicher
Stiftung", "wo keine Hemmung eingetreten ist", unter Betei-
ligung des "alten Ich" (S. 582), bzw. die Phänomene des Auf-
tretens von "Unstimmigkeiten zu diesen Fortgeltungen", der
vielfältigen Mo d alisie rungen de r Posi t i on ali t ä t (in
Anmutlichkeiten, Möglichkeiten, Zumutungen, Fraglichkeiten,

1 Vgl. S. 583; S. 579.


2 Von Interesse ist auch, dass Husserl sich in diesen Textstücken rückblickend,
obzwar nur in knappen Hinweisen, auf Aristoteles, Hume, Brentano sowie 1}uf
seine Logischen Untersuchungen und Ideen I bezieht.
3 In Manuskrtpten der zwanziger und dreissiger Jahre nimmt Husserl insbesondere
im Zusammenhang der Analysen zur Horizon tstrukt ur und zur ursprüng-
lIchen Zeitigung (der lebendigen Gegenwart nach impressionalen, reprO-
duktiven Feldern) Bezug auf die anschaulichen Vergegenwärtigungen. Vgl. et-
wa die folgenden Manuskripte: B III 9, D 2, D 3 (wo Husserl im Verband mit
Problemen der Dingkonstitution die "mö,gliche Wahrnehmung" als "einen
eigenen Typus von Vergegenwartigung", "die nicht Erinnerung ist", anzusetzen
versucht), C 3, C 4, eil, C 13 und C 16.
4 Vgl. z.B. Ms. A VII 12, "Der Titel Apperzeption bezeichnet das Gesetz der
Erf ahrungs bild ung überha upt und damit das allgemeine Gesetz der Kon-
stitutIOn von Seienden aller Arten und Stufen. Apperzeption <ist> ... zunächst
die Weise, wie eine Erfahrung hinsichtlich ihres Erfahrenen Mit-Erfahrungen
ImpliZIert ... " (S. 34a, 12. Februar 1932).
LXXVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Nichtigkeiten).1 Husserl erörtert insbesondere auch das Verhält-


nis von Erinnerung und blosser Phantasie (Nr. 20d), ferner die
"Modifikation der Enthaltung (der Willkür oder Unwi1lkür)"
(vgl. S. 585, S. 717), d.h. "Allgemeinstes über ,Epoche' als Akt-
enthaltung in Beziehung auf die Idee der Neutralität".2 Damit
zusammenhängend kommt mehrfach das Verhältnis von "Phan-
tasie - Neutralität" zur Sprache. Husserl unterscheidet die
"Enthaltungen" von der "reproduktiven Phantasiemodifika-
tion", erachtet sie aber doch als "wesensverwandt".3 Er be-
zeichnet die Ph an t asie als "re pro d uk t i ve Neu t r ali t ä t"
in Abhebung von der "Neutralität überhaupt" (vgl. S. 717).
Er stellt hier, was wiederum mit seiner genetischen, das Leben
des personalen Ich thematisierenden Betrachtungsweise zusam-
menhängt, auch heraus, dass "Neutralität in verschiedener Weise
motiviert sein kann" (5. 577), dass sie von der "psychischen
Gesamtsituation" hervorgetrieben wird (5. 578). Als Beispiele
führt er an:"Sie kann als ,Einfall' auftreten, als ,Bildobjektbe-
wusstsein' in einer Abbildung, als freies Spiel sich durchsetzender
und dabei positional entwertender Reproduktionen, aber auch
als willkürliche Enthaltung von aller Position. Die Rede von
Phantasie wird nur auf die letzteren Fälle angewandt, und zwar
darum, weil das Wort in der üblichen Rede ein geistiges Tun be-
zeichnet, das nicht dem Zweck dient, für die bewusste Welt ir-
gendwelche Entscheidungen zu treffen. .. Die Phantasie ist das
Reich der Zwecklosigkeit, des Spieles. .., Das Spiel .,. kann
sich Regeln unterwerfen, z.B. ästhetischen. Dann ist die Bildge-
staltung Phantasie, die ästhetische Thematik aber nicht Phanta-
sie" (5.577).

*
Zum Schluss dieser Skizze der Problementwicklung der Phäno-
menologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen seien noch ein

1 Vgl. vor allem Nr. 20d und Nr. 20c.


2 S. 571, Anm. I; vgl. auch Husserliana VIII, Erste Philosophie (I9Z3/Z4)1I, bes.
ab 41. Vorlesung.
3 Vgl. S. 590; S. 58lff.; S. 578. Im Text der Beilage LXIV äussert Husserl Beden·
ken ilber den Ausdruck "Neutralitatsmodifikation" mit Beziehung auf die Phan-
tasie (S. 591).
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXVII

paar Hinweise auf die Texte gegeben, die in einem engeren Sinn
zu ästhetisch-künstlerischen Aspekten des Bildbewusst-
seins bzw. der Phantasie Stellung nehmen. l
Vornehmlich drei Problembereiche kommen in diesen Texten
zur Sprache: I) die ästhetische Einstellung, 2) die Frage der Ab-
bildlichkeit beim künstlerischen Bild, 3) die Tätigkeit des schöp-
ferischen Künstlers und die Werke der Kunst als Erzeugnis der
objektivierenden Fiktion.
Die ästhetische Einstellung bestimmt Husserl, sich
Kants Lehre nahe wissend, ganz allgemein als "Interesse an
der Er s c h ein 11> n g" in Abhebung vom "Interesse an der
Sache" (S. 145). Das ästhetische Interesse oder Gefallen an der
Erscheinung ist aber, bei aller Verwandtschaft als '&ewp(oc,2 zu
unterscheiden vom theoretischen (z.B. psychologischen, er-
kenntnistheoretischen; S. 114, S. 117) Interesse an der Er-
scheinung (S. 145). Des näheren erörtert er vor allem die re-
fl e x i v e Struktur des ästhetischen Bewusstseins, in welchem
"der Gegenstand ... , wie immer er in sich selbst missfällig sein
mag, wie immer ich ihn negativ bewerten mag, eine ästhetische
Färbung um der Erscheinungsweise willen" erhält;3
ferner die eventuelle ästhetische Bedeutung des Gegenstandes
(S. 390), die Frage der "Unempfindlichkeit gegen Sein und
Nichtsein" (S. 390ff; S. 586), auch im Falle der ästhetischen Be-
trachtung der Na t ur, der Wirklichkeit. 4 In einem späten Text
spricht Husserl in Abhebung vom normalen doxischen Glauben
vom "ästhetischen Glauben" der ästhetischen Einstellung. Er
führt aus, dass' "zwar meine Apperzeption des ästhetischen Ge-
genstandes auch ihren antizipierenden Glauben hat und eme

1 Es kommen diesbezüglich vor allem folgende Texte in Betracht: Beilage VI,


Beilage IX, Nr. 15h, Nr. 17, Nr. 18b, Beilagen LVII-LX, Nr. 20d. Ferner: Bei-
lage I, § 6 ein Hinweis auf "Hildebrand", wohl der Kunsthistoriker Adolf von
Hlldebrand gemeint, dessen Hauptwerk Das Problem der Form in der bildenden
Kunst 1893 erstmals erschien; Nr. 1, §§ 1 und 16f., Beilagen XVIII und XIX, Nr.
15g, Beilage XL, bes. S. 441ft., Beilage XLIII, Nr. 16, Beilage LV, Nr. 20b, Bei-
lage LXIV.
2 Vgl. S. 541; S. 392, S. sn, S. 591. - Vgl. auch Husserls Brief an Hugo von
Hofmannsthai über phänomenologisches und ästhetisches Schauen vom 12. Ja-
nuar 1907 in R. Hirsch, "Edmund Husserl und Hugo von Hofmannsthal", ver-
öffentlicht in Sprache und Politik. Festgabe für Doll Sternberger zum sechzigsten
Geburtstag, Heidelberg 1968, S. 111-114.
3 V gl. S. 389; S. 585ff., S. 36ft., S. 154ft.
4 Vgl. S. 39lf., S. 587f., S. 591; S. 144.
LXXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Glaubenseinheit ist; aber der Horizont, die Mannigfaltigkeit ist


eine andere als für das Ding schlechthin. . .. Mein ästhetischer
Glaube ... beschränkt mich auf die optische Erscheinungsreihe,
die ich von hier ., . aus gewinne und die darin optisch konstitu-
ierte Einheit, als etwas für sich Identifizierbares und Erkennba-
res. Der unendliche Horizont darüber hinaus ... ist abgeschnit-
ten, insofern er nicht Horizont der thematischen Geltung ist, die
ich jetzt vollziehe. Diese beschränkte synthetische Einheit, und
so wie sie da anschaulich ist, ist mein ästhetisches Objekt .
. .. Ebenso in einer Erzählung, einer Novelle und dergleichen"
(S. 587f.). In einer kurzen Aufzeichnung aus den zwanziger Jahren
hält Husserl fest:"Das Wesentliche ist für die ästhetische Ein-
stellung ... nicht die Phantasie, sondern die Einstellung auf
das, was ästhetisch interessiert, Gegenständlichkeit im Wie" (S.
591).
Was die Frage der Ab bildlichkei t beimkünstlerischen
Bild betrifft, hat Husserl bereits in einem frühen Text ein deut-
liches Bewusstsein von der Besonderheit dieser bildlichen "Dar-
stellung", die er sonst lange Zeit nicht eigens hervorhebt. Bei den
Darstellungen der gewöhnlichen Bilder spricht er von einer unei-
gentliehen Vorstellung des Bildsujets "durch mehr oder minder
unvollkommene Abbilder", wobei "eine andere, direktere, eigent-
lichere Vorstellung" vom Sujet möglich wäre. Dagegen fragt er:
"Ist Ti z i ans Wer kein Ab bild-Sein, und durch Abbildung
Vorstelligmachen ? ... ist das ,Sujet' ein Gegenstand, der durch
das Bild als Ab b i I d repräsentiert ist und das als Fundament für
eine auf ihn bezügliche uneigentliehe Vorstellung dienen soll?
Gibt eine andere Anschauung eine eigentlichere Vorstellung des
im ästhetischen Bildbewusstsein Gemeinten? Hätte ich eine
eigentlichere Vorstellung, wenn ich mir das Objekt als Gegen-
stand allseitig und selbst vorstellte ... ? Von dem Objekt ja,
aber eine Erfüllung der Bildintention wäre das nicht. Das Interes-
se geht hier ... auf das im Bildobjekt Sich-darstellen des Ob-
jekts.... Tizians Bild stellt mir die himmlische und irdische
Liebe vor. Von einem bestimmten Standpunkt aus. Für diesen
Standpunkt gibt es eine solche Vorstellung, dass ein Gefühl der
Uneigentlichkeit hinsichtlich des Dargestellten gar nicht auf-
kommt. Was mich dabei interessiert, das ist da, das ist nicht
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXIX

indirekt vorgestellt" (S. 154f.).1 Husserl diskutiert in diesem


Zusammenhang auch die Phänomene ."mehrfältiger Bild-
li c h k e i t" in der bildenden Kunst und Musik. Er überlegt die
Verhältnisse von Original und Reproduktion eines Bildes ("Das
Original ist die Madonna in Dresden"; S. 158) bzw. "die Repro-
duktion einer Sonate -von seiten des Klavierspielers und die
Sonate selbst. Das Original die Sonate, so wie sie Beethoven
meinte. Oder vielmehr so, wie derjenige sie als die von Beethoven
gemeinte apperzipiert, der dieses Bildbewusstsein vollzieht" (S.
158). Dies führt zur Frage des "adäquaten Bildes" und dem da-
mit zusammenhängenden "Vergleich der Darstellung mit dem
Ideal (,wie Beethoven sich die Sonate gedacht hat', oder wie sie
gespielt werden ,soll')" (S. 158f.). Aus diesen überlegungen
schliesst Husserl: ,,1 n si c h ist jede ästhetische Apperzeption
eine vieldeutige" (S. 159).
Mehr als ein Jahrzehnt später stellt Husserl seine früher, mit
Ausnahme des eben besprochenen Textes, allgemein gefasste Leh-
re vom Bildbewusstsein als Ab bild li c h k e i t im Falle der
Kunst in Frage (Nr. 18b). Es ist "eine zu erwägende Frage, in-
wiefern diese Abbildlichkeit seIbst ästhetische Funktion hat"
(S. 515). "Es kann nicht'gesagt werden, dass die Kunst sich not-
wendig in der Sphäre der Anschaulichkeit bewegen muss. Ich
habe früher gemeint, dass es zum Wesen der bildenden Kunst
gehöre, im Bild darzustellen, und habe dieses Darstellen als Ab-
bilden verstanden. Aber näher besehen ist das 'nicht richtig"
(S. 514). Am Beispiel des Scha uspiels, der "schauspielerischen
Darstellung"2 versucht Husserl zu zeigen, dass "in er s t e r Linie
. " sicher nicht die Abbildlichkeit, sondern die Bildlichkeit im
Sinn der perzeptiven Phantasie als unmi t tel bare 1 m agina-.
ti 0 n" ästhetische Funktion hat, und das meint vor allem in
einer "von Anfang an" vollzogenen Einstellung der Neu t r a li-
t ä t (S. 515ff.). Verallgemeinernd folgert Husserl aus seinen Be-
trachtungen: "So bietet uns also in der Tat die Kunst eine unend-
liche Fülle von perzepti ven Fiktionen, und zwar auch von
rein perzeptiven Fiktionen dar, ebenso wie von rein reprodukti-
ven" (S. 519). In einem anderen Text jener Zeit spricht er von den

1 Vgl. auch Nr. 17b über "Orientierung des Bildobjekts".


2 Vgl.auchNr.17a,S.490f.
LXXX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

"heiden Extremen", zwischen denen sich alle Kunst bewegt: der


so voll bestimmten Welt, wie es unsere Umwelt ist, und dem "es
war einmal, irgendwo ... in irgendeiner Welt" (S. 540). Er unter-
scheidet dort "A) Bildkunst : im Bilde darstellend, abbildend,
durch Bildbewusstsein vennittelnd. B) Rein phantastische
Kunst, Phantasiegestaltungen in blosser Neutralitätsmodifika-
tion erzeugend. Mindestens keine konkrete Bildlichkeit erzeu-
gend" (S. 540). Ferner kennzeichnet er "realistische Kunst"
gegenüber "idealistischer" (S. 540ft).
Schliesslich sind in den Texten aus der Freiburger Zeit die Ge-
danken über die schöpferische Tätigkeit des Künstlers und die
Objektivierung der künstlerischen Fikta als Ku n s t wer k e her-
vorzuheben.! Hierhin gehören Erörterungen einerseits über die
"freie künstlerische Fiktion" und deren Bindung an "ästhetische
Ideale"2, andererseits über den Sachverhalt, dass die Phantasien
beim Betrachter oder Kunstgeniessenden "nicht frei vollzogen"
sind, sondern "uns vorgeschrieben, uns aufgenötigt ... sind, als
etwas, das wir hinnehmen müssen", und wo ich auch in der phan-
tasierenden "Fortbildung (selbstverständlich im Stil der Ein-
stimmigkeit mit der Vorzeichnung) ... gebunden" bin, "sonst
dichte ich weiter und bin nicht in der Dichtung des Künstlers"
(S. 588; vgl. S. 543, Anm. 1; S. 519). An anderer Stelle heisst es:
"Nicht der Dichter, sondern die Dichtung wird nachverstanden.
Das sind eigentümliche Verhältnisse, die wissenschaftlich gefasst
werden müssen" (S. 540f.). Husserl stellt diesbezüglich insbeson-
dere die 0 b j e k t i v i t ä t und dann auch die "intersubjektive
,Existenz'" der Phantasien im Reich der Kunst bzw. der Fikta
selbst, kurz, den Werk charakter heraus (S. 519; S. 542ft). "Das-
selbe schöne Gebilde ist nicht das Phantasierte als solches, ver-
standen als Korrelat des momentanen Phantasierens. Auch nicht
ein abstrahiertes allgemeines Wesen ... Es ist eine i n d iv i d u e l-
I e ,objektive' Idee. Sie hat ihre Z e i t li c h k e i t, nämlich die ihrer
Ursprungsstiftung durch den Künstler, und zwar im sprachlichen
Ausdruck, der ein Ideales allein intersubjektiv zugänglich und
identifizierbar macht. Somit ist jede solche objektive Idee und
speziell jede, die in eins mit einem Ausdruck ein an sich Schönes,

1 Vgl. vor allem Nr. 18b, bes. S. 519ff.; Be1lagen LVII, LVIII und LX.
I Vgl. S. 524, S. 519; S. 535f., S. 540ff.,; vgl. S. 577.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXXXI

ein objektives Wertvolles sein soll, objektiv ein Werk" (S. 543f.).
Husserl spricht von der "Schöpfung einer Verkörperung der
Fikta, die eine Zumutung für jedermann (der nachverstehen
kann) schafft, das Nachphantasierte als ,dasselbe' Fiktum zu
übernehmen, das der Künstler erzeugt hat in der Absicht auf
solche Übernahme" (S. 543, Anm. 1).
Es gilt dann auch, dass unsere "beschreibenden Aussagen, die
Urteile über die Charaktere, über die zu erwartende Entwicklung
usw." bei einem Roman, Schauspiel etc. ,,eine Art 0 b j e k t i ver
Wahrhei t <haben>, obschon sie sich auf Fikta beziehen" und
daher einen "Als-ob-Charakter" haben (S. 520). AlsTa tsachen-
urteile, die Beziehung auf den in den quasi-Erfahrungen zur
Gegebenheit gebrachten Ausschnitt der phantasierten quasi-
Welt haben, sind sie, sofern sie "in diesem Ausschnitt aus-
reichende Anhaltspunkte der Verifikation finden, .. , als Wahr-
heiten und Falschheiten auswertbar" . Anders ist es bei den
"Wesensurteilen, die des quasi-Faktums dieser Welt nicht bedür-
fen und ihre verifizierbare Wahrheit und Falschheit haben von
ihr abgesehen - eben auf Grund von Fiktionen, wenn auch nicht
denen dieser Welt" (S. 521). Die Verifikation der Tatsachenur-
teile geschieht dadurch, dass "das Ku n s t wer k sei b s t heran-
gezogen und als wie ein Rückgang auf wiederholte Erfahrung des-
selben Dinges als Mass der Objektivität benützt wird"
(S.521).

***
Es ist mir eine Freude, bei Fertigstellung des vorliegenden Ban-
des in Dankbarkeit an die vielfältige Förderung und Unterstü.t-
zung zurückzudenken, die ich während der Jahre meiner Tätig-
keit am Husserl-Archiv in Leuven von den Leitern dieser Ausga-
be, dem vorzeitig verstorbenen Professor Dr. Pater H. L. Van
Breda, Professor Dr. S. IJsseling und Professor Dr. R. Boehm,
sowie von meinen Kollegen erfahren durfte. Insbesondere gebührt
mein Dank Dr. Iso Kern, der mir die Anregung zur editorischen
Bearbeitung von Husserls Thematik der "Phantasie" gab und
mir dann bis zum Abschluss der Arbeiten sein fachmännisches
Wissen aufs grosszügigste zur Verfügung stellte. Ich danke auch
Dr. Rudolf Bernet und Herrn Reto Parpan für die ausführlichen
LXXXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Gespräche über die in den hier veröffentlichten Texten sich' stel-


lenden Probleme. Schliesslich danke ich aufs herzlichste Frau
Marianne Ryckeboer-Gieffers für ihre stets sorgfältige und auf-
merksame Mithilfe beim Kollationieren aller Texte, bei der Her-
stellung des Druckermanuskriptes und bei der Korrektur sämt-
licher Druckproben.
Eduard Marbach
Nr. 1

PHANTASIE UND BILDBEWUSSTSEIN


(Drittes Hauptstück der Vorlesungen aus dem
Wintersemester 1904/05-
5 über "Hauptstücke aus der Phänomenologie und
Theorie der Erkenntnis")

d. KAPITEL
Frage nach der Pllantasiev.orstellung
gegenüber der Wahrnehmungsvorstellung>

10 Wir haben uns bisher mit der Phänomenologie der Wahr-


nehmungen beschäftigt.1 In völlig zureichender Weise kann eine
solche Phänomenologie nicht versucht und für sich abgeschlossen
werden ohne Rücksichtnahme auf die ihnen nah verwandten
Phänomene, und so wird denn, was wir bisher gelernt haben,
15 noch manche neue Beleuchtung, manche Ergänzung und Be-
reicherung erfahren durch die Analysen, zu denen wir jetzt
übergehen. Unser nächstes Ziel ist die Phänomenologie der
Phan t asien.

<§ 1. Vieldeutigkeit des Begriffs der Phantasie in der


20 gewöhnlichen Rede - Das Phantasieerlebnis als Fundament
phänomenologischer Wesensanalyse und Begriffsbildung>

Einen gewissen Begriff von Phantasie, Phantasieerscheinung,


Phantasievorstellung bringen wir alle aus dem gewöhnlichen
Leben mit, und es ist, wie fast alle aus dem gemeinen Leben
25 stammenden Klassenbegriffe von psychischen Phänomenen, ein
vager und vieldeutiger. So ist es offenbar, dass man unter dem

1 10.1.1905.
2 TEXT NR. 1 (1904[05)

Titel Phantasie bald eine gewisse Geistesanlage oder Begabung


versteht und bald wieder gewisse aktuelle Erlebnisse, Tätigkeiten
oder Tätigkeitsergebnisse, welche aus der Anlage hervorgehen
oder die Begabung dokumentieren. Manchmal stellt man ja auch
5 in differenzierter Bedeutung ausdrücklich gegenüber Phantasie,
Betätigung der Phantasie, Werk der Phantasie. So wie man Ver-
stand, Verstandestätigkeiten und Werke des Verstandes sondert.
Phantasie meint dann also eine gewisse Geistesanlage, ein Ver-
mögen, wie wenn wir sagen, ein Mann von starker oder schwa-
10 cher Phantasie, oder übertreibend, ein phantasieloser Mensch.
Andererseits sprechen wir aber auch von den Phantasien eines
Künstlers und haben hierbei gewisse psychische Erlebnisse im
Auge, die er in sich vollzieht oder die er durch seine Werke in uns
erweckt. Diese Werke, ich meine: die äusserlich sichtlichen Wer-
tS ke, werden wir im allgemeinen nicht Phantasien nennen, wohl
aber die Gestalten, die mittels ihrer zur Erscheinung gebracht
werden: die Menschen oder Fabelwesen, die Handlungen, Leiden-
schaften, Situationen usw., die der Dichter uns fingiert. Auch
diese Gestaltungen werden als Werke der Phantasie (der Phan-
20 tasie im ersten Sinn) bezeichnet, und Werke in diesem Sinn
nennt man auch mit Vorlieben selbst Phantasien.
Die Phantasie als Vermögen liegt ausserhalb des Rahmens
unserer Interessen, desgleichen auch die Phantasietätigkeit, so-
fern wir sie als einen in der seelischen Objektivität vonstatten
25 gehenden! kausalen Vorgang betrachten, als eine Tätigkeit im
echten Sinn, als eine seelische Handlung; und natürlich gilt das-
selbe vom Handlungsergebnis, vom Werke der Phantasie als
solchem. Was uns interessiert sind phänomenologische Daten,
als Fundamente einer vorzunehmenden Wesensanalyse, hier
30 speziell also gewisse intentionale oder besser objektivierende
Erlebnisse, die unter dem zweideutigen Titel Phantasietätigkeit
ebenfalls befasst zu werden pflegen, sogenannte Phantasievor-
stellungen, oft auch kurzweg Vorstellungen genannt; z.B. die
Erlebnisse, in denen der Künstler seine Phantasiegestalten
35 schaut, und zwar jenes eigentümliche innere Schauen selbst oder
sich zur Anschauung Bringen von Zentauren, von heroischen
Heldengestalten, von Landschaften usw., die wir dem äusseren

1 Später eingefugt: "realen und". - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 1 (1904/05) 3

Schauen, dem der Wahrnehmung, entgegensetzen. Dem äusseren


als gegenwärtig Erscheinen steht da gegenüber das sich innerlich
Vergegenwärtigen, das "Vorschweben in der Phantasie". Die
Anlage, das Vermögen, dieser Komplex, sei es ursprünglicher,
5 sei es erworbener Dispositionen, ist ja nichts Phänomenologisches.
Die phänomenologische Sphäre ist die des wahrhaft Gegebenen,
des adäquat Vorfindlichen, und die seiner reellen Bestandstücke.
Disposition ist aber ein Begriff, der objektivierend über die
echte immanente Sphäre hinausgeht. Es ist ein wichtiger Metho-
10 denbegriff der Psychologie, geht uns aber nichts an. Dagegen ist
das Phantasieerlebnis, die sogenannte Phantasievorstellung, ein
phänomenologisches Datum. Offenbar gehört es in die Sphäre
der objektivierenden, Erlebnisse; Objektivitäten werden im
Phantasieren zur Erscheinung gebracht und werden evtl. ge-
lS meint und geglaubt. Diese Objektivitäten selbst, z.B. die er-
scheinenden Zentauren, sind nichts Phänomenologisches, genauso
wie die erscheinenden' Gegenstände der Dingwahrnehmung es
nicht sind, I gleichwohl kommen sie für uns in gewisser Weise sehr
in Betracht, sofern das objektivierende Erlebnis, hier das Phanta-
20 sieerlebnis, die immanente Eigenheit zeigt, gerade dieses so und so
erscheinende Objekt eben zur Erscheinung zu bringen und als
dieses da <zur Erscheinung zu bringen>. Es ist eine immanente
Bestimmtheit der Phantasievorstellung, eine Wesenseigentüm-
lichkeit, die durch evidente Analyse als rein inneres Moment
25 solcher Erlebnisse zu finden ist, und so gehört mit dem Erlebnis
selbst auch der Umstand, dass es sich auf Gegenständliches be-
zieht, dass es sich darauf in dieser'Art und Form bezieht, und als
was sich darin das Gegenständliche darstellt, zur phänomenolo-
gischen Analyse des Erlebnisses.
30 Der populäre Begriff der Phantasie bezieht sich aber nicht blass
auf die Sphäre der künstlerischen Phantasie, aus welcher unsere
Beispiele entnommen waren. Mindestens in naher Beziehung zu
dieser Sphäre steht, allerdings ~in sehr gewöhnlicher, engerer
Begriff von Phantasie, den die Psychologie unter dem Titel
35 produktive Phantasie, aufgenommen hat. Die produktive
Phantasie ist willkürlich gestaltende Phantasie; wie -sie eben
vorzüglich der Künstler zu üben hat. Doch müssen hier zwei Be-
griffe, ein weiterer und ein engerer Begriff, noch unterschieden
werden, je nachdem man die Willkürlichkeit des Gestaltens zu-
4 TEXT NR. 1 (1904/05)

gleich im Sinn des freien Erd ich t e n s (Fingierens) versteht


oder nicht. Produktive Phantasie, willkürlich gestaltende, übt
ja auch der Historiker. Aber er fingiert nicht. Er sucht mittels
der gestaltenden Phantasie auf Grund gesicherter Daten zusam-
5 menhängende Anschauung von Persönlichkeiten, Schicksalen,
Zeitaltern zu entwerfen, Anschauung von Wirklichkeiten, nicht
von Einbildungen.
Die gewöhnliche Rede gebraucht den Begriff der Phantasie
auch über die Sphäre der produktiven Phantasie hinaus. So wer-
10 den oft Halluzinationen, Illusionen, Traumerscheinungen als
Phantasien bezeichnet. Dagegen nicht Erinnerungs- und Er-
wartungsvorstellungen, in denen nichtgegenwärtige Gegenstände
in der Weise von Wirklichkeiten, als früher gewesene oder sicher
zu erwartende bewertet werden. Von der Hoffnung heisst es, dass
15 sie Phantasie beschwingt, aber was hier als Phantasie gilt, das
sind nicht bestimmte Erwartungen, sondern bloss Einbildungen.
Sicherlich spielt im gewöhnlichen Wortsinn der Phantasie ein
Moment seine Hauptrolle: Das Phantasieren ist gegenübergesetzt
dem Wahrnehmen und dem anschaulich Für-wahr-Ansetzen des
20 Vergangenen und Künftigen, kurz, allen Akten, die individuell
Konkretes als seiend ansetzen. Die Wahrnehmung lässt uns eine
gegenwärtige Wirklichkeit als gegenwärtig und als Wirklichkeit
erscheinen, die Erinnerung stellt uns eine abwesende Wirklich-
keit vor Augen, nicht zwar als selbst gegenwärtig, aber doch als
25 Wirklichkeit. Der P ha n ta sie hingegen fehlt das auf das Phan-
tasierte bezogene Wirklichkeitsbewusstsein. Ja noch mehr. Ge-
meiniglich drückt das Wort, zumal das parallele Wort "Einbil-
dung", die U n-Wir k li c h k e i t, die Vorspiegelung aus, das
Phantasierte ist bloss Einbildung, d.h. bloss Schein. Freilich
30 merken wir auch, dass nicht jeder Schein, auch nicht jeder sinn-
lich-anschauliche Schein als Einbildung, als Phantasieschein gilt.
Die Quelle des Scheins muss im Subjekt liegen, der Schein muss
dem Subjekt, seinen Tätigkeiten, seinen Funktionen, seinen
Dispositionen zugerechnet werden. Wird er physikalischen Grün-
35 den zugerechnet, gründet er in der äusseren Natur, wie der ge-
brochene Stab im Wasser, der wundermächtig aufgehende Mond
u.dgl., dann spricht man nicht von einer Phantasieerscheinung.
Das sind nun Wendungen des Begriffes, die manches Interesse
bieten mögen, aber phänomenologisch nicht eben bedeutsam
TEXT NR. 1 (1904/05) 5

sind. Phänomenologisch kommt es ja nur auf das Immanente an,


auf innere Charaktere der in reiner Adäquation erschauten Er-
lebnisse, auf ihr Wesentliches, d.h. auf das, was zu Wesensverall-
gemeinerungen Anlass gibt, somit zu Begriffsbildungen Anlass
5 gibt, die adäquate Realisation gestatten, indem wir das begriff-
liche Wesen in evidenter Generalisation direkt zu erschauen ver-
mögen.

<§ 2. Die Aufgabe der Gewinnung eines wesentlich


einheitlichen Begriffs der Phantasievorstellung als
10 Phantasieauffassung - Charakterisierung der
Wahrnehmungsauffassung>

Ob ein Vorstellen der Phantasie ein künstlerisches oder un-


künstlerisches, ein willentliches oder unwillentliches, ein fingie-
rendes oder nichtfingierendes ist, immer finden wir, neben den
15 wechselnden empirischen und psychologischen Zusammenhängen,
die uns nichts angehen, und auch neben wechselnden Bewusst-
seinscharakteren, die an sich phänomenologisch gegeben sind,
ein Gemeinsames, und dasselbe Gemeinsame finden wir im Fall
der Erinnerungen und Erwartungen: Wir finden eben das, was da
20 als Vor s tell u n g bezeichnet wird und im Gegensatz zur
Wahrnehmungsvorstellung in seiner geschlossenen Eigenart sich
abhebt. Dieses Gemeinsame finden wir aber nicht im Fall der
Halluzinationen, der Illusionen und der Traumerscheinungen.
Hier sind die Erscheinungen bzw. die ihnen unterliegenden Auf-
25 fassungen offenbar Wahrnehmungsauffassungen, und soweit sich
herausstellt, dass Phantasieauffassung nicht mit Wahrneh-
mungsauffassung zu identifizieren ist, müssen wir also die ge-
nannten Phänomene entgegen der gemeinen Redeweise aus-
"chliessen.
30 Abstrahieren wir bei den Wahrnehmungen (das Wort im ge-
wohnlichen Sinn genommen) vom Charakter der Qualität und
selbst Meinung, so gewinnen wir die Wahrnehmungsauf-
fa s s u n g, und halten wir uns an das Wesentliche, dann reicht
dieser Begriff so weit, als das markante Phänomen des als
35 selbst gegenwärtig Erscheinens reicht. Dieses Merk-
mal gibt einen wesentlich einheitlichen und phänomenologisch
6 TEXT NR. 1 (1904/05)

realisierten Begriff. Mit dieser Auffassung können sich dann ver-


schiedene intentionale Charaktere verbinden, ein Glauben, Zwei-
feln, Begehren usw., es entstehen komplexe Phänomene, die aber
verknüpft sind dadurch, dass ihnen eine und dieselbe Vorstel-
5lungsart, die "Wahrnehmungsvorstellung" oder "Wahrneh-
mungsauffassung" zugrunde liegt. Solche Vorstellungen finden
wir aber bei den sogenannten Halluzinationen und Illusionen,
ebenso wie bei den Fällen des physisch-natürlichen Scheins.
Imgleichen wird es uns jetzt nur darauf ankommen müssen,
10 einen wesentlich einheitlichen Begriff der Phantasievorstellung
als Phantasieauffassung zu gewinnen. Auch hier bemerken wir,
oder können wir uns zur Einsicht bringen, dass unter dem po-
pulären Titel Phantasie, aber auch unter anderen Titeln wie Er-
innerung und Erwartung, intentionale Erlebnisse stehen, die
15 neben wechselnden Bewusstseinscharakteren ein wesentlich Ge-
meinsames als Unterlage zeigen. Wie wir vorhin schon bemerkt
<haben>, sind es natürlich objektivierende Akte und setzen als
solche objektivierende Auffassung voraus, und diese Auffassung
ist im spezifischen Wesen die gleiche, ob wir es zu tun haben mit
20 frei aufsteigenden Phantasien oder mit produktiven Phantasien
oder aber mit anschaulichen Erwartungsvorstellungen oder an-
schaulichen Vergegenwärtigungen einer früheren Vergangenheit,
die wir selbst erlebt haben.
Unser Interesse geht also nicht auf Verschiedenheiten von kom-
25 plexen Erlebnissen, die der bald engere und< bald> weitere Be-
griff der Phantasie befasst, sondern auf diese ein h e i t li ehe
und wesentlich einheitliche Auffassungsart, die
wir als Phantasievorstellung bezeichnen wollen. Ob sie in der Tat
eine wesentlich eigentümliche Vorstellungsart und eine gegen-
30 über der Wahrnehmung neue bezeichnet, muss allerdings erst
untersucht werden.

<§ 3. Versagen der zeitgenössischen psychologischen Forschung


in der Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungs- und
Phantasievorstellung. Fehlen des Begriffs der
35 ob-jektivierenden Auffassung>

Die Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungsvorstellung


und Phantasievorstellung ist das Objekt vieler ernster Be-
TEXT NR. 1 (1904/05) 7

mühungen Igewesen. In der Literatur ist sie zwar nur ausnahms-


weise in eigenen Schriften behandelt worden, und da gerade nur
in ziemlich oberflächlicher Art. Aber in verschiedenen Zusam-
menhängen haben bedeutende Männer an sie gerührt und in
5 einer Weise, die zeigt, dass sie sie für keine eben leichte gehalten
haben. Doch viel Tieferes als die Literatur bieten mitunter Vor-
lesungen, und hier denke ich <an> die überaus scharfsinnige Art,
wie die Frage in eigenen Vorlesungen Brentanos behandelt wor-
den <ist>. Auch eine feine Behandlung Stumpfs in seinen Vor-
10 lesungen über Psychologie! ragt weit über das, was die Literatur
bietet, hinaus.
Was das Problem als so überaus schwierig erscheinen liess, und
was eine ernste Lösung desselben zur Unmöglichkeit machte, war
meines Erachtens der Umstand, dass es am Begriff der objekti-
15 vierenden Auff:1SSung und an den zugehörigen Unterscheidungen
zwischen Auffassungsinhalten, Auffassungssinn, Auffassungs-
form fehlte. Selbst die bedeutendsten Forscher verwechseln kon-
stant die sinnlichen Inhalte der Wahrnehmung und den Gegen-
stand der Wahrnehmung. Durch metaphysische Vorurteile ver-
20 wirrt wird als Gegem~tand der Wahrnehmung ein unanschauliches
Ding an sich gesetzt, während der wirklich angeschaute Gegen-
stand in der theoretischen Betrachtung übersehen und mit dem
Empfindungsinhalt identifiziert wird.
Genauso geht es mit den Phantasievorstellungen. Man ver-
25 wechselt den sinnlichen Inhalt, der in der Phantasievorstellung
erlebt ist und der als Repräsentant in der Phantasieauffassung
fungiert, mit dem Gegenstand der Phantasie, man identifiziert
beides. Infolgedessen übersieht man eigentlich die Phantasie-
auffassung als Weise der Objektivierung ganz und gar; ebenso
30 geschieht es ja bei der Wahrnehmung. Das für sie gerade Cha-
rakteristische, die Gegenwartsauffassung, wird nicht als phäno-
menologisches Charakteristikum erkannt. So erklärt sich auch
der Streit um den Unterschied zwischen Akt und Inhalt der an-
schaulichen Vorstellungen. Sehr viele Forscher sagen, wenn wir
35 eine Farbe, einen Ton vorstellen, ihn wahrnehmen oder in der
Phantasie vorstellen, so ist der Ton bewusst, Bewusstsein ist aber
nichts Eigenartiges, das gerade zu diesem Ton gehörte. Alle
1 Zu den hier gemeinten Vorlesungen Brentanos und Stumpfs vgl. die Einleitung
des Hrsg., S. XXV. - Anm. d. Hrsg.
8 TEXT NR. t (1904/05)

psychischen Erlebnisse haben eine indefinible Beziehung zum


reinen Ich, die aber nicht etwas Vorfindliches ist in dem Sinn
eines Inhaltes. Manche streichen das reine Ich noch weg und
sagen einfach: Inhalt ist alles Vorfindliehe. Das Vorfinden ist
5 nicht ein neuer Inhalt, der den Inhalten anhinge. Nehmen wir
wahr, so ist eben diese Farbe, jener Ton Erlebnis; ein Wahr-
nehmen als Sehen, Hören u.dgl. ist nicht ein neuer Inhalt, der
mit dem Ton- oder Farbinhalt gegeben wäre, ein zweites Erlebnis
neben der Farbe, dem Ton. Die sogenannten psychischen Akte,
10 wenn man darunter, wie etwa Brentano, Erlebnisse versteht,
unterschieden von den sogenannten "physischen Phänomenen",
von den Farben-, Tonphänomen usw., sind also Fiktionen.

<§ 4. Kurze Darstellung und Kritik von Brentanos


Lehre vom" Vorstellen")

15 Auf der anderen Seite steht die Brentano-Schule und andere


mit ihr darin übereinstimmende Denker. Für Brentano ist "Vor-
stellen" der Titel der ersten Grundklasse VQ.I1 "psychischen Phä-
nomenen", d.i. von intentionalen Erlebniss{(n. Er scheidet Vor-
stellung und Vorgestelltes: die Vorstellung der Akt, das Vor-
20 gestellte der I nh alt. Es ist höchst merkwürdig, dass ein For-
scher von so ausserordentlichem Scharfsinn die verschiedenen
Begriffe von Vorgestelltem oder von Inhalt nicht geschieden, die
zugehörigen deskriptiven Analysen nie vollzogen und die funda-
mentale Bedeutung dieser Unterscheidungen nicht gewürdigt
25 hat. Der Inhalt ist ihm gewöhnlich der Empfindungsinhalt der
Wahrnehmung. Davon nicht klar geschieden wird, oder wird
eigentlich überhaupt nicht geschieden, das, was wir, rein dem
Sinn der Wahrnehmung folgend, den Wahrnehmungsgegenstand
nennen, das uns vermeintlich Gegenüberstehende, vermeintlich
30 Selbsterschaute. Vom "Gegenstand" im Unterschied von einem
Inhalt spricht Brentano gelegentlich auch, aber das ist ihm der äus-
sere Gegenstand im absoluten, metaphysischen Sinn, den er mit
dem in der Wahrnehmung gemeinten verwechselt, offenbar über-
sehend, dass wir erst in der Reflexion, in der naturwissenschaft-
35 lichen und metaphysischen, dahin kommen, zu dem phänomena-
len Objekt als einem bloss erscheinenden in Beziehung zu setzen
TEXT NR. I (1904/05) 9

ein anderes, oder eine Komplexion anderer, die 'nicht, in die Er-
scheinung fallen, eine Komplexion von Atomen,,,von Äther-
schwingungen, von Energien und was immer man da annehmen
mag. Jedenfalls sind diese Entitäten nichts in den Rahmen der
5 Wahrnehmungsauffassung, sonderrrm den der wissenschaftlichen,
Theorien Fallendes, die sich auf die Wahrnehmung nur indirekt
und begrifflich beziehen. 1
Für Brentano gibt es, da er einerseits an dem Vorstellen als
Akt, als intentionalem Bewusstsein (teils auf Grund der inneren
10 Erfahrung, teils aus theoretischen Gründen) festhalten will und
andererseits das Wesen der Auffassung, der Wahrnehmungsvor-
stellung im echten Sinn, als objektivierende Deutung nicht er-
fasst, im Aktcharakter des VorsteIlens selbst gar keine Differen-
zierungen. Die einzige Differenzierungl ergibt der "Inhalt", das
15 Vorstellen ist so vielfältig bestimmt als es Inhalte gibt, auf die
es sich richtet. Dass. eine solche Ansicht unbefriedigend ist, dass
dieses Vorstellen 'vielen:\als ein sonderliches Ding, als eine zweck-
lose Form erscheint, -ist begreiflich, und begreiflich ist es auch,
dass Brentanos Darstellung auf gegnerischer Seite nur die Über-
20 zeugungen verstärkt,' Vorstellen sei eine leere Fiktion, es gäbe
nur Inhalte und dazu allenfalls die pointierende Funktion der
Aufmerksamkeit.
Natürlich verwickelt sich Brentano durch die Unvollständig-
keit seiner phänomenologischen Analyse in die grössten Schwie-
25 rigkeiten, Vorstellen' Soll etwas Differenzenloses sein, es differen-
ziert sich nur nach 'den Inhalten. Was ist es dann aber mit den
Unterschieden zwischen Wahrnehmungsvorstellung, Phantasie-
vorstellung, symbolischer Vorstellung, zwischen anschaulicher
und unanschaulicher, kategorialer und sinnlicher usw.? Wie soll.
30 sich das auf Unterschiede des bIossen Inhalts redUzieren? Bren-
tano hat es versucht und hat all seinen bewunderungswerten
Scharfsinn darauf verwendet, alle wesentlichen Unterschiede in
den Weisen des: VorsteIlens wegzuinterpretieren, wobei er ge-
legentlich doch fast bei dem Eingeständnis endet, dass in gewisser
35 Weise doch wieder' Modi des Vorstellens angenommen werden

1 Im Zusammenhang damit seine verwirrende Rede von intentionalen Objekten


als solchen im Gegensatz zu,den wirklichen: Der Inhalt der Wahrnehmung ist ihm das
intentionale Objekt, das wirkliche da,s Ding an sich. Als ob in der Wahrnehmung die
Empfindungen erschienen und gemeint wären statt des physischen Gegenstands.
10 TEXT NR. 1 (1904/05)

müssten: Er fühlt es, dass in den Analysen etwas fehle. Es ist


nichts anderes als der Unterschied zwischen Meinung, Qualität
und Auffassungscharakter und Auffassungsform. Gewiss: Das
blosse Vorstellen, gefasst als biosses Vorschwebenhaben, darauf
5 Hinblicken ohne jede Entscheidung, wenn man das unter Vor-
stellen versteht, so ist das ein einartiger Charakter, der keine
weitere Differenzierung zulässt, eine letzte Differenz in der Gat-
tung Akt. I
Versteht man unter Vorstellung aber die Auffassung, das,
10 was bei den intentionalen Akten das Erscheinen macht, unab-
hängig vom Glauben oder Nichtglauben, vom Zweifeln oder
Wünschen, also das, was identisch ist, wenn intellektive Unent-
schiedenheit in Entscheidung, Bejahung in Verneinung über-
geht, dann gibt es allerdings mancherlei Unterschiede. Die
15 Auffassung lässt gar sehr wichtige Analysen zu. Da diese fehlen
(und sie fehlen bei Brentano, aber ebensosehr bei den übrigen
Psychologen (wenn wir von geringen Anfängen absehen)), so
fehlt auch die Möglichkeit, die Streitfrage über das Verhältnis
von Wahrnehmungsvorstellung und Phantasievorstellung metho-
20 disch richtig anzufassen und die Teilprobleme zu scheiden, die
hier für uns offenbar bestehen.

<§ 5. Die Frage nach dem Unterschied von


Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung und das
besondere Problem der Unterscheidung der entsprechenden
25 Auffassungsinhalte, Empfindung und Phantasma>

Wahrnehmungserscheinung und Phantasieerscheinung sind


einander so nah verwandt, so ähnlich, dass sie den Gedanken an das
Verhältnis von Original und Bild sofort nahelegen. Beiderseits
haben wir objektivierende Auffassungen, und beiderseits kann
30 derselbe Gegenstand zur Erscheinung kommen, ,und sogar beider-
seits mit genau denselben in die Erscheinung fallenden Bestimmt-
heiten, von derselben Seite, kurz, beiderseits sind auch die Er-
scheinungen "dieselben", nur haben wir eben einmal Wahr-
nehmung und das andere Mal Phantasie .. Was kann für den
35 Unterschied aufkommen? Nun, offenbar zweierlei: die der Auf-
fassung dienenden Inhalte und die Auffassungscharaktere selbst.
TEXT NR. 1 (1904/05) 11

Für den, der so etwas wie Unterschiede der Auffassungscharak-


tere als phänomenologische Unterschiede nicht kennt, entfällt
dieses Fundament möglicher Aufklärung, und so kommt die
Verlegenheit und Verwechslung.
5 Zunächst, was die Inhalte anbelangt, die als Auffassungs-
inhalte fungieren, ist natürlich die Frage, was das für Inhalte
sind, ob bei Wahrnehmungen und Phantasien dieselben Inhalte
als Auffassungsinhalte fungieren oder nicht.
Den Wahrnehmungen liegen Empfindungen zugrunde, den
10 Phantasien die sinnlichen Phantasmen. Sind Sinnesphantasmen,
kann man nun aber fragen, nach Gattung identisch mit Sinnes-
empfindungen; natürlich deskriptiv, nicht genetisch gesprochen,
oder sind sie verschieden? Da grenzt sich ein Problem ab, das
von dem der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und
15 Phantasievorstellung gewöhnlich geschieden werden kann. Ob
die Empfindungen als Auffassungsinhalte der Wahrnehmung
dienen oder nicht, das sei uns jetzt einerlei. Der Auffassungsin-
halt für sich ist ja noch kerne wahrnehmende Deutung, die kommt
erst dazu. Und ebenso ist das Phantasma abgesehen von aller
20 Auffassung als Phantasie eines Zentauren,dnes Hauses usw. ein
sinnlicher Inhalt, der etwas tot a I anderes ist als die Phantasie.
Jedem sinnlichen Empfindungsinhalt, z.B. dem empfundenen
Rot, entspricht ein sinnliches Phantasma: das in der anschau-
lichen Vergegenwärtigung eines Roten mir akt u e 11 vor-
25 schwebende Röt.
Wie verhält es sich nun mit dem einen und dem anderen Rot?
Beides sind Roterlebnisse. Gattung und Spezies mag dieselbe
sein. Bestehen dann noch Wesensunterschiede? Oder handelt es
sich um einen Unterschied in neuer Dimension, derart, dass ein
30 Rot möglich ist als Empfindung und spezifisch genau dasselbe
Rot möglich ist als Phantasma, und dass diese Bezeichnung Emp-
findung und Phantasma nicht etwa zurückweist auf genetische
Unterschiede (ob aus peripheren Reizen stammend oder aus zen-
tralen), auch nicht zurückweist auf die Auffassungsfunktion, ob
35 derselbe Inhalt zwei verschiedene Auffassungen fundiert, sondern
dass es sich um einen inneren, einen Wesensunterschied handelt?
Da hätten wir also ein besonderes Problem. Verfügt das Auf-
fassen der Wahrnehmung und der Phantasie über zwei grund-
verschiedene Klassen von Auffassungsinhalten, die aber von
12 TEXT NR. I (1904/05)

vornherein in dem wunderbaren Verhältnis stehen, dass die eine


und die andere dieselben, Gattungen und Arten wiederholt; oder
ist das nicht der Fall? Wesentlich verschieden davon ist natür-
lich das an der e Pro b 1e m, das nach der Aufklärung der
5 Wahrnehmungs- und Phantasieauffassungen <fragt». Han-
delt es sich beiderseits um die sei ben Auffassungen, aber be-
gründet in einer ,angeblichen Wesensverschiedenheit von sinn-
lichen Inhalten als Empfindungen und Phantasmen, 0 de r 'han-
delt es sich um wesentlich verschieden art i g e Auffassungen ? Und
10 wenn dies, worin besteht das Eigenartige der Phantasieauffassung,
wie steht sie zu ihren Auffassungsinhalten, welche Modifikationen
kann sie annehmen, welche Gemeinsamkeiten bleiben erhalten
bei dem Wechsel der Auffassungsinhalte, und wie ist über-
haupt die Konstitution des ganzen Phänomens
15 einer Phantasievorstellung in sich und im vergleichen-
den Hinblick auf verwandte Phänomene zu verstehen?
Wer, mit sehr vielen Psychologen, nur die Inhalte sieht und
vor der Objektivierung, vor dem Unterschied zwischen dem
Inhalt, der erlebt <wird>, und dem Gegenstand, der erscheint,
20 die Augen verschliesst, kommt natürlich in die ärgsten Verlegen-
heiten, ob er nun zwischen Empfindung und Phantasma wesent-
liche Unterschiede statuiert oder nicht. Ist es ein wesentlicher
Unterschied, wie manche (mehr in der Hoffnung, den Verlegen-
heiten zu entgehen, als aus wirklicher Anmessung aufgrund
25 phänomenologischer Analyse) annehmen, so darf man nicht
fragen, warum in der Wahrnehmung ein Gegenstand als gegen-
wärtig dasteht und in der biossen Phantasie nicht. Man kann
doch nicht behaupten, gegenwärtig und nichtgegenwärtig sei ein
bloss ver baI e r Ausdruck für zwei Gattungen von Gegen-
30 ständen. Und Gegenstand soll doch dasselbe wie Inhalt sein. Sind
aber die Unterschiede zwischen Empfindung und Phantasma
bloss graduelle, so fragt <es> sich, ob dann der Unterschied
zwischen gegenwärtigem Gegenstand der Wahrnehmung und
bloss vergegenwärtigtem der Phantasie ein gradueller sei, ob die
35 graduelle Abstufung hier nicht Widersinn sei.'
TEXT NR. 1 (1904/05) 13

<§ 6. Kritische Erörterung der von den Psychologen


vorgebrachten Unterschiede von Wahrnehmung und
Phantasie>

Die einseitige Richtung des Interesses auf genetische Erklä-


5 rung, lange vor dem Anfang einer nach Wichtigkeit und Schwie-
rigkeit gar nicht gewürdigten Deskription, verbirgt vielen Psy-
chologen und psychologistisch tendierten Erkenntnistheoretikern
alle Probleme. Sie sind schnell fertig, indem sie einfach auf die
Verschiedenheit des Ursprungs hinweisen: Wahrnehmungsvor-
10 stellungen entstammen aus peripherer Reizung, Phantasievor-
stellungen nicht. Fragt man nach deskriptiven Unterschieden, so
weist man (der erste, der dies getan hat, war Aristoteles) auf die
grässere Lebhaftigkeit der Wahrnehmungsvorstellungen hin.
Hume begnügt sich mit diesem Unterschied allein. In neuer Zeit
15 hat man sich um neue Unterschiede gemüht. Nach dem Vorgang
Alexander Bain's wird das Merkmal der Fülle genannt. Phanta-
sievorstellungeri,sind im Vergleich mit den entsprechenden Wahr-
nehmungsvorstellungen lückenhafter, ärmer an Unterschieden,
Bestimmungen, Charakteren.
20 Ferner weist man hin auf das Merkmal der Dauerhaftigkeit
bzw. Flüchtigkeit. Eine Wahrnehmung (Empfindung) dauert in
unveränderter Fülle und Stärke so lange, als der verursachende
Reiz dauert. Bei flüchtigem Reiz wird die Empfindung auch
flüchtig sein. Aber im allgemeinen ist das nicht der Fall, im all-
25 gemeinen sind die Reize hinreichend standfest, und so haben die
Wahrnehmungen einen dauernden, gefestigten Charakter, die
Phantasmen sind aber flüchtig vorschwebend, bald auftauchend,
bald verschwindend, sie sind nicht standfest. Sie ändern sich auch
inhaltlich, sie halten die Farben, Formen nicht konstant fest usw.
30 Weiter wird als Charakter angeführt die willkürliche Variation,
welche die Phantasien zulassen, und zwar solcher, die nicht auf
willkürlichem Eingriff in die Aussenwelt beruht. Die Wahrneh-
mungen verschwinden nur, wenn wir die Augen schliessen, uns
fortbegeben usw. Tun wir das nicht, so bleiben sie, was sie sind,
35 und erfahren keine Änderung durch unsere blosse Willkür.
Mit solchen Unterschieden suchte man sich zu behelfen. Dazu
kamen dann neben den genetischen Unterschieden Unterschiede
14 TEXT NR. 1 (1904/05)

ihrer psychologischen Wirkungen, also wieder kausale und nicht


mehr phänomenologische Unterschiede.
Es ist leicht zu sehen! dass mit solchen Unterschieden der
K ern der Sache nicht getroffen ist. Und dass dabei in unklarer
5 Weise die Probleme der Unterscheidung zwischen Empfindung
und Phantasma und die der Analyse der beiderlei Auffassungen
durcheinander g~orfen sind. Das Merkmal der Intensität oder
Lebendigkeit gehört offenbar zu den Inhalten, nicht zu den
Auffassungen. Bei diesen ist von Intensität keine Rede. Allen-
10 falls mag das Interesse, das sich auf diese Auffassung gründet,
seine Grade haben. Aber die Objektivierung ist nichts, was sinn-
voll als stark oder schwach bezeichnet werden kann. Die Merk-
male der Fülle und Flüchtigkeit haben dagegen wesentliche Be-
ziehung zur Auffassung. Dasselbe Objekt ist einmal mit einer
15 grossen Fülle von Auffassungsinhalten, das andere Mal mit einer
kleinen und im flüchtigen Wechsel bald mit einer grösseren, bald
mit einer kleineren vorgestellt. Das kann natürlich keine wesent-
lichen Unterschiede begründen, da die Unterschiede innerhalb
der Phantasievorstellungen von demselben Objekt mindestens
20 ebenso gross sind als dieser aller zu den Wahrnehmungsvorstel-
lungen. Dieser ganze Punkt ist unklar, weil phänomenologisch
erst klargemacht werden müsste, was denn der Beziehungspunkt
der wechselnden Fülle, nämlich das sei b e vor g e s tell t e
Ob je k t, phänomenologisch besagt. Kommt man aber auf die
25 Auffassung, so müsste gefragt werden, was in der Wahrnehmung
und in der Phantasie die Vorstelligmachung desselben besagt und
ob diese Selbigkeit nicht zulässt eine Differenzierung, eine Ver-
schiedenartigkeit der Objektivierung, welche den wahren Unter-
schied zwischen Wahrnehmung und Phantasie ausmacht, einen
30 scharfen Unterschied und nicht einen bloss relativen Unterschied
wie den der Fülle und Flüchtigkeit, der ja auch innerhalb Jeder
der beiden Vorstellungsgattungen für sich seine Anwendung hat.
Natürlich hilft auch das letzte Merkmal, das der' willkürlichen
Vanation, nichts für eine deskriptive Unterscheidung: Was heisst
35 willkürlicher Eingriff in die "Aussenwelt" ? Subjektiv sind das
Wahrnehmungen. Haben wir Wahrnehmungen, und ohne Ver-
wechslung mit Phantasievorstellungen, so können wir vermeint-
liche Wahrnehmungen an ihnen messen. Aber die Frage ist nicht
die der Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit, son-
TEXT NR. 1 (1904/05) 15

dern die Frage nach dem verschiedenen Wesen von Wahrneh-


mung und Phantasie, und ob eine wesentliche Verschiedenheit
hier überhaupt besteht.
Meint man den Unterschied aber wohl als einen psychologisch
5 charakterisierenden Unterschied, so gehört er nicht mehr in die
phänomenologische Sphäre. Wir haben de facta zwei verschiedene
Vorstellungsarten, die wir praktisch leicht unterscheiden. Es ist
psychologisch interessant, zu sehen, wie sich diese Vorstellungen
auch verschieden verhalten in Relation zu unserem Willen u.dgl.
10 Das sind aber schon genetisch-kausale, es sind Probleme der
Psychologie.
So können wir also mit den gewöhnlichen Darstellungen der
Psychologen nicht viel anfangen, so viel psychologisch wertvolles
Material bei ihnen auch zusammengetragen ist. Unsere Analysen
15 der Wahrnehmung haben uns aber die wesentlichen Probleme so
klargelegt und bereits die roheren Unterschiede in der Konsti-
tution der Phantasievorstellung von vornherein hervortreten las-
sen, so dass wir uns ohne, weiteres in das Zen t rum der Sache
vertiefen können, manche Selbstverständlichkeiten übergehend
20 oder nur flüchtig berührend.

<2. KAPITEL
Interpretation der Phantasievorstellung
als Bildlichkei tsvorstellung (Imagination)
wie die physisch-bildliche Vorstellung>

25 <§ 7. Verwandte Unterschiede innerhalb der


Wahrnehmungs- bzw. Phantasieauffassung>

Als Evidenz können wir es bezeichnen, dass im Sinn idealer


Möglichkeit gesprochen zu jeder möglichen Wahrnehmungsvor-
stellung eine mögliche Phantasievorstellung gehört, die sich auf
30 denselben Gegenstand bezieht und in gewissem Sinn auch genau
in gleicher Weise.! Vergegenwärtigen wir eine Landschaft, so
entspricht ihr die Landschaft der Wahrnehmung, und dem
phantasierten Zimmer entspricht das wahrgenommene Zimmer.

1 Woher diese Evidenz? Ein eigenes Problem.


16 TEXT NR. 1 (1904/05)

Dabei ist es klar, dass fast a1l die Scheidungen, die wir bei der
Wahrnehmung gemacht hatten, auch bei der Phantasie An-
wendung finden. Es entsprechen sich wechselseitig, abgesehen
von dem Unterschied zwischen Auffassung und darauf gebauten
5 Charakteren der Meinung und der qualitativen Entscheidung
(Charakteren, die beiderseits offenbar genau dieselben sein kön-
nen), innerhallj der Auffassung beiderseits verwandte Unter-
schiede: Z.B. sehen wir ohne weiteres, dass ebenso wie bei der
Wahrnehmungsauffassung so bei der Phantasieauffassung zwi-
10 schen Auffassungsinhalten und Auffassungscharakteren zu unter-
scheiden ist, dass Gegenstand und Inhalt nicht zu verwechseln
ist, dass die gegenständliche Erscheinung den Gegenstand evtl.
nur von einer Seite zur Erscheinung bringe usw. Der Gegenstand
kann sogar in genau gleicher Erscheinung in der Phantasie vor-
15 schweben, als in welcher er wahrgenommen war, er erscheint von
derselben Seite, er erscheint als vom "selben Standpunkt aus ge-
sehen", in gleicher Beleuchtung, Färbung, Abschattung usw. Bei
all dem ist er einmal wahrgenommen, das andere Mal phanta-
siert.

20 <§ 8. Die Phantasievorstellung als Verbildlichung. Beginn der


Wesensbestimmung des bildlichen Vorstellens>

Die Wahrnehmung charakterisierten wir als einen Akt, in dem


uns das Gegenständliche als in eigener Person gleichsam, als
selbst gegenwärtig erscheint. In der Phantasie erscheint der
25 Gegenstand zwar insofern selbst, als eben er es ist, der da er-
scheint, aber er erscheint nicht als gegenwärtig, er ist nur ver-
gegenwärtigt, es ist gleichsam so, als wäre er da, aber nur gleich-
sam, er erscheint uns im Bild e. Die Lateiner sagen imaginatio.
Die Phantasievorstellung scheint einen neuen Charakter der
30 Auffassung für sich in Anspruch zu nehmen oder vorauszusetzen,
sie ist Verbildlichung. 1 Dass die bloss objektive Ähnlichkeit der
Phantasievorstellung mit einer entsprechenden Wahrnehmung,

1 Wir wollen versuchen, den Gesichtspunkt der Imagination und die Ansicht, dass
PhantasievQrstellung sich als Bildlichkeitsvorstellung interpre-
tieren lasse, so weit durchzuführen als möglich. Obschon es an Bedenken nicht fehlt,
die nachträglich sich als berechtigt erweisen.
TEXT NR. 1 (1904/05) 17

gleichgültig, ob sie die sinnliche Unterlage betrifft oder sonstiges


am Phänomen, dass das nicht ausreicht, um das festzulegen,
worauf es ankommt, brauchen wir nicht mehr zu lehren. Jeder-
mann weiss, was es heisst, sich einen Gegenstand vergegenwär-
5 tigen, sich ihn im inneren Bild vorführen, vorschweben machen,
jedermann gebraucht den Ausdruck einbilden und weiss so ge-
wissermassen das Wesentliche der Sache. Aber leider nur implizit.
Denn hier kommt es darauf an, explizit sich zu Bewusstsein zu
bringen, dass die Bildlichkeit erst Sinn hat durch ein eigenes Be-
10 wusstsein, dass einen ähnlichen Inhalt haben nicht soviel heisst
wie ein Bild auffassen, sondern dass Ähnliches für Ähnliches zum
Bild erst wird durch das eigenartige und schlechthin primitive
Bildlichkeitsbewusstsein, ein primitives und letztes so wie das
Wahrnehmungs- oder Gegenwartsbewusstsein. Natürlich schliesst
15 dies beiderseits nicht Möglichkeiten und Notwendigkeiten der
Analyse aus, die verschiedene Seiten dieser eigenartigen Phäno-
mene herauszuheben hat.
Indem wir also eine eigene Gattung von Vorstellung als Bild-
vorstellung, bildliche Auffassung festzulegen gedenken, müssen
20 wir natürlich diese' Sphäre soweit rechnen, als wirklich eine Auf-
fassung vorliegt, die ihren Gegenstand bildlich vergegenwärtigt,
und so wird uns sofort klar, dass wir in unsere Sphäre der Imagi-
nation nicht bloss die inneren Bildvorstellungen, die
der Ausdruck Phantasievorstellung normalerweise im Auge hat,
25 rechnen müssen, also die Vorstellungen durch geistige Bil-
der, sondern auch die Bildvorstellungen im gemeinen Wortsinn,
also jene merkwürdigen Vorstellungen, bei denen ein wahr-
genommener Gegenstand einen anderen durch Ähnlichkeit vor-
stellig zu machen bestimmt und befähigt ist, und zwar in der
30 bekannten Weise, in der das physische Bild das Original vorstellig
macht. Wie sich Imaginationen durch innere und durch äussere
Bilder unterscheiden, das wird natürlich ebenfalls erforscht wer-
den müssen.
Zunächst halten wir beiderlei Imaginationen möglichst zu-
35 sammen und suchen uns das Gemeinsame des bildlichen Vor-
stellens zur Klarheit zu bringen. Wir wollen schrittweise mit
möglichster Vorsicht zu Werke gehen. Denn so leicht die Ana-
lyse zunächst scheint, so gross sind die Schwierigkeiten, die nach-
träglich sich herausstellen und die schrittweise manche Modifi-
18 TEXT NR. 1 (1904/05)

kation im früher Angenommenen, manche neue Unterscheidung


im früher für einfach Gehaltenen fordern.
Das ist ja überhaupt die Eigenheit der phänomenologischen
Analyse. Jeder Schritt vorwärts gibt neue Gesichtspunkte, von
5 denen aus das schon Gefundene in neuen Beleuchtungen er-
scheint, so dass oft genug das als mehrfältig und unterschieden
sich darstellt, w,as ursprünglich als einfältig ungeschieden an-
genommen werden konnte.
Was besagt also, fragen wir, jenes Vergegenwärtigen im Bild,
10 kurzweg, was besagt das bildliche Vorstellen?
Wir unterscheiden bei jedem solchen Vorstellen Bild und
S ach e. Die Sache ist der von der Vorstellung gemeinte Gegen-
stand, und dieser ist in weiterer Folge und vermöge der mit-
verflochtenen qualitativen Charaktere (der intellektiven oder
15 Gemütscharaktere) der für seiend gehaltene (z.B. der erinnerte
oder erwartete) oder der für unwirklich gehaltene, wie in der be-
wussten Fiktion, oder der bezweifelte, erwünschte, erfragte, er-
hoffte, befürchtete Gegenstand usw. Von diesen Charakteren
sehen wir jetzt ab, nur das Me i n e n müssen wir festhalten.
20 Wenn das Berliner Schloss uns im Phan1asiebild vorschwebt, so
ist eben das Schloss zu Berlin die gemeinte, die vorgestellte
Sache. Davon unterscheiden wir aber das vorschwebende Bild,
das natürlich kein wirkliches Ding und nicht zu Berlin ist. Das
Bild macht die Sache vorstellig, ist aber nicht sie selbst: Wir
25 merken schon hier, dass dieses Bild in einem ganz anderen Sinn
erscheint als die Sache und dass, wenn beide als in der Phantasie
vorgestellt bezeichnet werden, eine bedenkliche Äquivokation
vorliegt.

<§ 9. Die Physische Imagination als Parallel/aU der


30 P hantasievorsteUung>

Doch blicken wir, ehe wir in genauere Analysen eingehen, auf


den Parallelfall des p h y s i s c h e n Bildes. Hier liegt die Sache
etwas komplizierter. Wenn hier zwischen Sache und Bild unter-
schieden wird, so merken wir bald, dass der Begriff des Bildes
35 hier ein doppelter ist. Der abgebildeten Sache steht nämlich ein
Doppeltes gegenüber: 1) Das Bild als, physisches Ding, als diese
TEXT NR. 1 (1904/05) 19

bemalte und eingerahmte Leinwand, als dieses bedruckte Papier


usw. In diesem Sinn sagen wir, das Bild ist verbogen, zerrissen,
oder das Bild hängt an der Wand usw. 2) Das Bild als das durch
die bestimmte Farben- und Formgebung so und so erscheinende
5 Bi I d 0 b j e k t. Darunter verstehen wir nicht das abgebildete
Objekt, das Bildsujet, sondern das genaue Analogon des
Phantasiebildes, nämlich das erscheinende Objekt, das für das
Bild s u jet Repräsentant ist. Z.B. eine Photographie liege vor
uns, ein Kind darstellend. Wie tut es das? Nun dadurch, dass es
10 primär ein Bild entwirft, das dem Kinde zwar im ganzen gleicht,
aber in Ansehung der erscheinenden Grösse, Färbung u.dgl. sehr
merklich von ihm abweicht. Dieses hier erscheinende Miniatur-
Kind in widerwärtig grauvioletter Färbung ist natürlich nicht
das gemeinte, das dargestellte Kind. Es ist nicht das Kind selbst,
15 sondern sein photographisches Bild.. Wenn wir so von Bild
sprechen, und wenn wir beurteilend sagen, das Bild sei misslungen,
es gleiche dem Original nur in dem oder jenem oder gleiche ihm
vollkommen, sO meinen wir natürlich nicht das physische Bild,
das Ding, das da auf dem Tisch liegt oder aB. der Wand hängt.
20 Die Photographie als Ding ist ein wirkliches Objekt und wird als
solches in der Wahrnehmung angenommen. Jenes Bild aber ist
ein Erscheinendes, das nie existiert hat und nie existieren wird,
das uns natürlich auch keinen Augenblick als Wirklichkeit gilt.
Vom physischen Bild unterscheiden wir also das repräsentierende
25 Bild, das erscheinende Objekt, das die abbildende Funktion hat,
und durch dasselbe wird abgebildet das Bildsujet.
Drei Objekte haben wir: 1) Das physische Bild, das Ding aus
Leinwand, aus Marmor usw. 2) Das repräsentierende oder abbil-
dende Objekt, und 3~ das repräsentierte oder abgebildete Objekt.
30 Für das letztere woUen wir am liebsten einfach Bildsuj et
sagen. Für das erste das physische Bild, für das zweite das
repräsentierende Bild oder Bildobjekt. Natürlich ist dieses nun,
das repräsentierende Bild, nicht etwa ein Teil oder eine Seite des
physischen Bilddinges. Das gilt wohl von den Farbenpigmenten,
35 die auf der Leinwand verteilt sind, von den Strichen der Zeich-
nung, die auf das Papier aufgetragen sind. Aber diese Farben,
diese Striche usw. sind nicht das repräsentierende Bild, das
eigentliche Bild der Imagination, das Scheinding, das aufgrund
der Farben-, Gestaltempfindungen usw. uns zur Erscheinung
20 TEXT NR. 1 (1904/05)

kommt. Uns erscheint ja ein dreidimensionaler Körper, mit


körperlicher Farbenverteilung, im Stich, etwa Kaiser Maximilian
zu Pferde, eine dreidimensional erscheinende Figur, visuell aber
aufgebaut aus Graunuancen und Umgrenzungen. Die ist natür-
5 lieh nicht identisch mit den Grauabschattungen, die auf dem
physischen Bild, auf dem Papierblatt reell sich finden und ihm
reell zugedeutet werden. Dieselben Farbenempfindungen, die wir
einmal als die objektive Farbenverteilung auf dem Papier, auf
der Leinwand deuten, deuten wir das andere Mal als den Bild-
10 Reiter, als das Bild-Kind usw. Diese Bildobjekte sind dann weiter
wohl zu sondern von den abgebildeten Objekten. Z.B. das wirk-
liche Kind hat rote Wangen, blondes Haar usw. Das photogra-
phisch erscheinende Kind zeigt von diesen Farben überhaupt
nichts, sondern photographische Farben. Das photographisch
15 Gefärbte der Erscheinung stellt etwas dar, das ganz anders ge-
färbt ist. Nicht nur, dass wir das aus der Reflexion wissen, son-
dern von vornherein gehört es zum Wesen der imaginativen Auf-
fassung, dass sie, während ihr dies violettlich-grau gefärbte
Objekt erscheint, sie nicht dieses Objekt, sondern ein anderes,
20 ihm nur ähnliches meint.
Die Differenzen zwischen repräsentierendem Bild und Bild-
sujet, zwischen dem eigentlich erscheinenden und dem dadurch
dargestellten und gemeinten Objekt, sind von Fall zu Fall und
sind vor allem je nach den Abbildungsarten sehr verschieden und
25 wechselnd. Immer aber sind solche Differenzen vorhanden. Wäre
das erscheinende Bild phänomenal absolut identisch mit dem
gemeinten Objekt, oder besser, unterschiede sich die Bilderschei-
nung in nichts von der Wahrnehmungserscheinung des Gegen-
standes selbst, so könnte es kaum noch zu einem Bildlichkeits-
30 bewusstsein kommen. Sicher: Ein Bewusstsein von Differenz
muss vorhanden sein, obschon das Sujet im eigentlichen Sinn
nicht erscheint. Es gilt eben das erscheinende Objekt nicht für
sich, sondern als Repräsentant für ein anderes, ihm gleiches oder
ähnliches.
TEXT NR. 1 (1904/05) 21

<§ 10. Wesensgemeinsamkeit der physischen Imagination


und der gewöhnlichen Phantasievorstellung bezüglich der
"geistigen Bilder" >

Die Sachlage ist nun zwar komplizierter im Fall der physischen


5 Imagination als in dem~der gewöhnlichen Phantasievorstellung,
aber im Wesen finden <wir> Gemeinsamkeit: Dort ist ein phy-
sischer Gegenstand vorausgesetzt, der die Funktion übt, ein
"geistiges Bild" zu wecken, in der Phantasievorstellung im ge-
wöhnlichen Sinn ist das geistige Bild da, ohne an einen solchen
10 physischen Erreget geknüpft zu sein. Beiderseits aber ist das
geistige Bild eben Bild, es repräsentiert ein Sujet.
Im einfacheren Fall der gewöhnlichen Phantasievorstellung
hatten wir unter den Titeln Bild und Sache zwei Gegenstände
unterschieden. Zwei Gegenstände vorstellig zu machen, bedarf
15 es aber zweier Objektivierungen, zweier Auffassungen, bzw. es
müssen in der Einheit der Phantasievorstellung phänomenolo-
gisch zwei Richtungen oder Komponenten der Auffassung sich
unterscheiden lassen. Die naive Interpretation ist freilich viel
einfacher. Im "Geiste" steckt das Bild, und "draussen" ist da
20 allenfalls noch ein Gegenstand. Handelt es sich aber um eine
blosse Fiktion, wie wenn wir einen Drachen phantasieren, so ist
eben nur das geistige Bild vorhanden, und weiter gibt es nichts
zu erklären. Natürlich würden wir entgegnen: Nichts weiter als
die Kleinigkeit, wie der Geist es anfängt, vorausgesetzt, dass in
25 ihm so etwas wie ein Bild ist, sich das Sujet, also etwas vom
Bild Verschiedenes, vorzustellen. Wenn ich ein Bild in eine
Schublade stecke, stellt diese sich etwas vor? Die naive Auf-
fassung irrt aber vor allem darin, dass sie das geistige Bild sich
als ein dem Geiste reell immanierendes Objekt denkt. Sie denkt
30 sich das Bild geradeso im Geiste vorhanden, wie in der Wirklich-
keit ein Ding. Im Geiste oder besser im Bewusstsein, phänomeno-
logisch, ist aber kein Bildding vorhanden. Der Fall ist genau der-
selbe bei der physisch bildlichen Repräsentation, wo der gemalte
Löwe zwar erscheint, aber nicht existiert, und bestenfalls ein
35 wirkliches Ding, einen gewissen Löwen der Wirklichkeit vorstellig
macht, der nun seinerseits existiert, aber im eigentlichen Sinn
nicht erscheint. In beiden Fällen sind die Bilder (verstanden als
22 TEXT NR. 1 (1904/05)

die erscheinenden, analogisch repräsentierenden Gegenstände) in


Wahrheit ein Nichts, die Rede von ihnen als Gegenständen hat
einen offenbar modifizierten Sinn, der auf ganz andere Existenzen
hinweist <als diejenigen>, als welche sie sich selbst ausgeben.
5 Wahrhaft existiert das Bildobjekt nicht, das heisst nicht nur, es
hat keine Existenz ausserhalb meines Bewusstseins, sondern
auch, es hat keine solche innerhalb meines Bewusstseins, es hat
überhaupt k~ine Existenz. Was da wirklich existiert, abgesehen
vom physischen Ding "Gemälde", von dem Stück Leinwand mit
10 seiner bestimmten Verteilung von Farbenpigmenten, ist eine
gewisse Komplexion von Empfindungen, die der Beschauer, das
Gemälde betrachtend, in sich erlebt, und die Auffassung und
Meinung, die er darauf baut, so dass sich für ihn das Bewusstsein
vom Bild einstellt. Ebenso existiert das Phantasiebild in Wahr-
15 heit überhaupt nicht, das Phantasiebild hat nicht etwa eine
psychologische Existenz. Vielmehr existiert eine gewisse Kom-
plexion von sinnlichen Inhalten, die Komplexion der Phantas-
men, und darauf beruht ein gewisses auffassendes Bewusstsein,
mit dem sich erst das Bildbewusstsein vollendet. Wie im einen
20 Fall die Farbenempfindungen und die sonstigen visuellen In-
halte in ihrer konkreten Komplexion noch nicht das Bild selbst
sind, wie sie z.B. noch nichts enthalten von der vollen drei-
dimensionalen Körperlichkeit, die dem erscheinenden Bild eignet,
so ist auch im anderen Fall, in dem der Phantasie, das Phantas-
25 ma, oder die Komplexion von Phantasmen, noch nicht das
Phantasiebild. Beiderseits kann das Fehlende selbstverständlich
nicht in dem bIossen Hinzutreten von neuen sinnlichen Inhalten
bestehen, als ob ein Mehr an sinnlichen Inhalten das machen
könnte, was wir das Bewusstsein einer objektiven Gegenständ-
30 lichkeit nennen. Empfindungen mit Empfindungen, sinnliche
Inhalte mit sinnlichen Inhalten kumuliert geben eben neue und
neue Komplexionen von erlebten sinnlichen Inhalten, sie ergeben
aber keinen erscheinenden Gegenstand. Was beiderseits hinzu-
kommt, ist natürlich das objektivierende Bewusstsein, es kommt
35 hinzu die Auffassung, die den Inhalt deutet, ihm gegenständ-
liche Beziehung verleiht, die aus dem blinden Dasein des Inhalts
das ihn als dies oder jenes gegenständlich Auffassen, mit ihm et-
was Vorstellen, das nicht ihn, sondern mittels seiner etwas Mein~n
zustande bringt. Dieses Auffassen erleben und den Gegenstand in
TEXT NR. 1 (1904/05) 23

der Vorstellung haben, ist einerlei. Aufgrund dieses Auffassens


ein Meinen vollziehen und sich in der Meinung auf den Gegen-
stand beziehen, ist wieder einerlei. Phänomenologisch, im em-
pirischen Fall psychisch real, existiert dabei der Auffassungs-
5 inhalt, der zugehörige Modus der Auffassung und die darin fun-
dierte Meinung, verknüpft evtl. noch mit den oder jenen höheren
intentionalen Charakteren, intellektiven oder emotionellen. Das
ist alles, was hier deskriptivaufweisbar, durch Analyse vor-
findbar ist. Was psychologisch sonst noch vorliegt, die zugehöri-
10 gen Dis posi tionen, sind natürlich keine deskriptiven, phäno-
menologisch vorfindbaren Fa k t a. Das ist also alles, was von der
angeblich immanenten Existenz des repräsentierenden Bild-
objekts übrig bleibt.

<§ 1 I. Die Beziehung auf das Bildsujet bzw. die zwei


15 aufeinandergebauten Auffassungen in der
Phantasievorsteltung'- Hinweis auf ein genaues Analogon:
Worterscheinung als Träger einer zweitert Auffassung als Zeichen>

Doch hi.er bedarf es der näheren Bestimmung und Begrenzung.


Die Auffassung der erlebten sinnlichen Inhalte, der Empfin-
20 dungen im Fall der Betrachtung eines physischen Bildes, der Phan-
tasmen im Fall der Phantasiebildlichkeit ergibt das erscheinende
Bild, das erscheinende repräsentierende Bildobjekt. Aber damit,
dass sich diese Erscheinung konstituiert hat, hat sich noch nicht die
Beziehung auf das Bild s u jet konstituiert. Mit einer schlichten
25 Auffassung hätten lwir also im eigentlichen Sinn noch gar kein
Bild, sondern höchstens den Gegenstand, der nachher als Bild
fungiert. Wie kommt er dazu, So <zu> fungieren? Wie soll es ver~
ständlich werden, dass, während uns das BiIdobjekt erscheint,
wir uns damit nicht genügen lassen, sondern mittels seiner ein
30 anderes Objekt meinen? Das Po r t rät gilt uns als Bild, d.h. den
zunächst <in>' Graunuancen erscheinenden Bildgegenstand, oder
den schon in Farben erscheinenden eines Gemäldes, meinen wir
nicht. Er gilt uns eben als Bild der und der Person. Aber ein
bIosses Meinen kann da nicht helfen. Es <muss> doch ein Vor-
35 stellen im Sinn eines Auffassens zugrunde liegen, eines Objekti-
vierens, das den neuen Gegenstand intentional konstituiert. Das
24 TEXT NR. 1 (1904/05)

Meinen setzt ein Gemeintes voraus. Wo keine Vorstellung, keine


objektivierende Auffassung vorhanden ist, da kann das Meinen
auf keinen Gegenstand zielen. (Ich fasse auch hier natürlich das
Meinen als etwas vom Auffassen Unterschiedenes, da wir uns da-
5 von überzeugt hatten, dass das Meinen eine pointierende Funk-
tion ist, die unter einer Mehrheit von aufgefassten Gegenständen
einen herausheben und ihn eben speziell meinen kann.) Sonach
sehen wir, dass die Phantasievorstellung, und zunächst die Phan-
tasieauffassung, ein komplizierteres Phänomen sein muss wie die
10 Wahrnehmungsvorstellung. In der letzteren haben wir einen
aufgefassten Gegenstand, und dieser ist in der vollständigen
Wahrnehmung der gemeinte.,In der Phantasie vorstellung haben
wir aber zwei Auffassungen aRfeinander gebaut, zwei Gegen-
stände konstituierend, nämlich das Phantasiebild, das erscheint,
15 und das bildlich dargestellte Objekt, das Bildsujet"welches durch
das Bild eben dargestellt ist. Zur vollständigen Phantasievor-
stellung gehört aber die Meinung, und diese richtet sich auf das
Bi I d s u jet. Ich stelle das Berliner Schloss vor, d.h. ich mache
mir es im Bild vorstellig, das Bild schwebt mir vor, ich meine
20 aber nicht das Bild. Vielmehr ist in der Bildauffassung eine
zweite Auffassung fundiert, die ihr einen neuen Charakter auf-
prägt und eine neue gegenständliche Beziehung gibt. Im Bild, das
selbst nicht das Schloss ist, schaue ich doch das Schloss an, das
Bild vergegenwärtigt, verähnlicht mir das Schloss, und das
25 Meinen richtet sich nun nicht nur auf das Bildobjekt für sich,
sondern auf das dadurch Repräsentierte, Analogisierte.
Und danach finden wir in der Phantasievorstellung
eine gewisse Mittelbarkeit des Vorstellens, die der
Wahrnehmungsvorstellung fehlt. Die Wahrnehmung stellt ihren
30 Gegenstand direkt vor: Ein Gegenstand erscheint, und der ist es,
der gemeint und für wirklich genommen ist. In der Phantasie-
vorstellung erscheint auch ein Gegenstand, aber dieser im pri-
mären und eigentlichen Sinn erscheinende ist nicht der vorge-
stellte. Die Phantasie stellt einen Gegenstand dadurch vor, dass
35 sie zunächst einen anderen, ihm ähnlichen Gegenstand zur Er-
scheinung bringt und ihn als Stellvertreter oder besser, das ein-
zige Wort ist hier doch Bild, ihn als Bild für den eigentlich ge-
meinten nimmt. Sie blickt auf das Bild hin, schaut aber im Bild
die Sache oder fasst die Sache durch das Bild auf. Das ist aber
TEXT NR. 1 (1904/05) 25

eine neue Auffassung, d.i. ein neuer Bewusstseinscharakter, ohne


den kein neuer Gegenstand gemeint sein könnte. Ein genaues
Analogon werden wir noch kennenlernen :1 Es ist so, wie beim
Lesen eines Wortes, etwa Integral, das Wort gesehen, aber nicht
5 gemeint ist. Neben der Worterscheinung haben wir, auf sie ge-
baut, eine zweite Auffassung (die keine Erscheinung ist): Das
Wort gilt als Zeichen, es bedeu t et ebenJ. Und wir meinen im
normalen Gebrauch des Wortes nicht das, was wir da sehen, was
uns da sinnlich erscheint, sondern das dadurch Symbolisierte.
10 Das Wort mutet sich ganz anders an wie ein beliebig sonstiger
Laut, wie ein sinnloses Schrift-, Klanggebilde. Dies ist nicht
Träger einer neuen Auffassung und kann daher gemeint sein,
nicht aber Träger eines über sich hinausweisenden Meinens sein.
So verhält es sich auch bei der Bildlichkeit. Das erscheinende
15 Objekt erscheint, aber gilt nicht für sich. Es gilt für ein anderes
und gilt so als analogiseher Repräsentant, als Bild.

<§ 12. Voraussetzung der ganzen bisherigen Betrachtung:


die doppelte Gegenständlichkeit bei der Phantasievorstellung
und bei der physischen Bildauffassung>

20 Es ist für diese ganze Betrachtung natürlich die Voraussetzung,


dass wirklich und mit Recht bei der Phantasievorstellung eine
doppelte Gegenständlichkeit in Betracht kommt, und zwar gleich-
sam als immanente, und dass nicht etwa ein bloss begrifflicher,
indirekt hineingetragener Unterschied vorliegt, hineingetragen
25 durch die Reflexion, die das Phantasieerlebnis zur Wirklichkeit
in Beziehung setzt. Es handelt sich nicht um einen Unterschied
der Art, wie wir ihn bei der Wahrnehmung öfter machen hören,_
zwischen dem erscheinenden Ding, dem Ding im gewöhnlichen,
empirischen Sinn, und dem Ding an sich. In diesem Fall gehören
30 zum Erlebnis selbst, zu seinem Auffassungssinn und seiner Mei-
nung, nicht diese zweierlei Dinge, das empirische Ding und das
Ding an sich, sondern nur das eine, das erstere. Das naive Be-
wusstsein nimmt wahr und weiss nichts von einem Ding an sich.
Die Beziehung auf dieses liegt nicht in der Wahrnehmung, son-

1 Symbolisierung.
26 TEXT NR. 1 (1904/05)

dern in metaphysischen Reflexionen. Ganz anders verhält es sich


mit den zwei Gegenständen der Phantasievorstellung. Jeder, der
phantasiert, hat ein Bilderlebnis. Ihm erscheint ein Gegenständ-
liches. Aber niemand hält diese Erscheinung für eine Selbst-
5 erscheinung des Gegenstandes. Diese schwankende, flüchtig bald
auftauchende, bald verschwindende, dabei sich inhaltlich so viel-
fältig ändernde, so matte Erscheinung hält doch niemand für die
Erscheinung des Gegenstandes, z.B. des Schlosses selbst, aber
wohl für die "Vorstellung" desselben, für eine Vergegenwärti-
10 gung, für eine Verbildlichung. Aber wohlgemerkt, die Erschei-
nung, so, wie sie wirklich gegeben ist, meint man dabei nicht;
man sieht sie sich nicht etwa an, wie sie ist und erscheint, und
sagt sich: Das ist ein Bild. Vielmehr lebt man ganz und gar in
dem auf die Erscheinung sich gründenden neuen Auffassen: im
15 Bilde schaut man die Sache an. Das Bildbewusstsein hat
ein~ Tinktion, die ihm eine über seinen primären Gegenstand
hinausweisende Bedeutung verleiht: den Charakter der Reprä-
sentation nach Ähnlichkeit.
So ist es auch bei der physischen Bildauffassung, und man er-
20 kennt aus dem Vergleich alsbald, dass der blosse Umstand, dass
in der Wahrnehmungsvorstellung sinnliche Empfindungen, in
der Phantasievorstellung aber Phantasmen zugrunde liegen,
nicht den Unterschied zwischen beiden erschöpfen kann. In der
imaginativen Vorstellung, wie sie sich in der Betrachtung des
25 Gemäldes vollzieht, haben wir ja auch Empfindungen als Auf-
fassungsinhalte. Aber das Resultat der Auffassung ist doch nicht
eine Wahrnehmung. Die Raffaelsche Madonna, die ich in einer
Photographie anschaue, ist natürlich nicht das photographisch
erscheinende Bildehen. Ich vollziehe also nicht eine blosse
30 Wahrnehmung; die Wahrnehmungserscheinung verbildlicht
einen nichtwahrgenommenen Gegenstand. Und das ist wieder
nicht ein begriffliches Wissen, und es besagt wieder nicht, dass
ich ein Unterscheiden und Beziehen vornehme, das erscheinende
Objekt in Beziehung setzend zu einem gedachten Opjekt, sondern
35 das Bild fühlt sich unmittelbar als Bild. Die auf sinnliche Emp-
findung gebaute Auffassung ist keine blosse Wahrnehmungs-
auffassung, sie hat einen geänderten Charakter, den Charakter
der Repräsentation durch Ähnlichkeit, den Charakter des
Schauens im Bild.
TEXT NR. 1 (1904/05) 27

<§ 13. Die zwei Auffassungen, die zur Konstitution aer


imaginativen Vorstellung wesentlich gehören>

Wenn wir von zwei Auffassungen sprechen, die zur Konsti-


tution der imaginativen Vorstellung wesentlich gehören, so han-
S delt es sich im Sinn des Ausgeführten natürlich nicht um zwei
gesonderte und gleichstufige Auffassungserlebnisse, die nur mit-
einander durch irgendein Band zusammengehalten wären. Wenn
der abgebildete Gegenstand durch einen Akt für sich und das
Bild durch einen davon getrennten zweiten Akt konstituiert
10 würde, so hätten wir ja weder Bild noch Abgebildetes. Wir hätten
hier den einen, dort den anderen Gegenstand vorgestellt, besten-
falls hätten wir noch durch Vergleichung ein Beziehungsbewusst-
sein : nämlich dass der eine Gegenstand dem anderen ähnlich sei.
So liegt die Sache hier aber nicht. Nicht zwei gesonderte Vor-
15 stellungen haben wir und vor allem ja nicht zwei gesonderte Er-
scheinungen: 1 Z.B. wenn wir ein Schloss vorstellen, gewisser-
massen zwei Schlosserscheinungen, derart, wie wir es etwa haben,
wenn wir zwei Bilder nebeneinander legen oder nacheinander
zwei Phantasievorstellungen vollziehen. Vielmehr sind hier zwei
20 Auffassungen ineinander geflochten. Da ist eine primäre Auf-
fassung, in ihr' haben wir eine Schlosserscheinung ; damit aber
stellen wir bildlich das Schloss in Berlin selbst vor, wir fassen das
Schloss als Ähnlichkeitsrepräsentanten auf. Ähnlich wie in der
Wahrnehmung die Empfindung erlebt ist, aber Fundament der
25 wahrnehmenden Deutung ist, die aber nicht darin besteht, die
Empfindung erst zum Inhalt für sich zu machen: So ist jetzt ein
ganzes Auffassungsbewusstsein vollzogen, aber das Gegenständ-:
liehe gilt nicht als Gegenstand für sich, es gründet sich darauf
eine Ähnlichkeitsrepräsentation als eine neue Auffassungsweise,
30 welche die Beziehung zum Bildsujet gibt.
Der eine Gegenstand gehört also mit zum Akte des einen. Die
Auffassung, die den Bildgegenstand konstituiert, ist zugleich
Grundlage für die Vorstellung, die mittels seiner den anderen
Gegenstand konstituiert, und auf diesen ist es in der normalen

1 Dle neue Auffassung keine neue Präsentation: Woher sollte sie auch ihre Auf-
fassungsinhalte nehmen? Alle vorhandenen sinnlichen Inhalte sind schon aufgebraucht
Zur Konstitution des Bildobjekts.
28 TEXT NR. 1 (1904/05)

Phantasie- und Bildvorstellung abgesehen, auf ihn allein richtet


sich das Meinen. Der zweite Gegenstand wird intentional in ganz
besonderer Weise. Ihm entspricht keine Erscheinung. Er steht
nicht gesondert da, in einer eigenen Anschauung da, er erscheint
5 nicht als ein zweites neben dem Bild. Er erscheint in und mit dem
Bild eben dadurch, dass die Bildrepräsentation erwächst. Sagen
wir, das Bild repräsentiert die Sache, so ist also nicht die Sache in
einer neuen Vorstellung intuitiv, sondern nur intuitiv in dem
Charakter, der die Erscheinung des als Bild fungierenden Gegen-
10 standes eben für unser Bewusstsein, für unser Zumutesein als
Bildrepräsentation fühlbar macht.
Allenfalls zu erwägen wäre nur, ob wir nicht sagen sollen: 1
dass hier zwei Sachlagen durch Wesenszusammenhänge zusam-
mengehören, nämlich: eine Auffassung, in der uns das Bild-
15 objekt efscheint mit dem anhängenden Charakter, dass es Re-
präsentant für etwas sei, wobei ein Meinen und Achten auf das
Bildobjekt geht und dazu auf ein darauf gebautes repräsentiertes
Objekt. Und eine andere Auffassungsart, die durch allzeit mög-
liche und wesentlich mögliche Verwandlung statthat, wobei das
20 Bildobjekt gar nicht gegenständlich ist, vielmehr ein modifiziertes
Auffassen derselben Inhalte, das eine neue einfache Auffassung
ergeben würde: das bildliehe Vergegenwärtigen.
Doch will es mir scheinen, dass hier im wesentlichen nur das ver-
schieden fungierende Meinen den Unterschied setzt und dass eine
25 Doppelheit der Auffassung immer vorliege. 2

<§ 14. Wiederholung und neue Darstellung: Das Ineinander der


beiden Auffassungen, die das Bewusstsein der Bildlichkeit
konstituieren, und Ähnlichkeitsdeckung bzw. Auseinandertreten der
Ob'j'ekte dieser Auffassungen. Die Gegebenheit der bewussten
30 Beziehung auf das Bildsujet durch das Bewusstsein der
Vergegenwärtigung eines Nichterscheinenden im Erscheinenden>3

Wir haben in der letzten Vorlesung den Versuch unternom-


men, die Phantasievorstellungen zusammen mit den physisch-

1 In der Vorlesung wurde das etwas näher ausgeführt.


11 Bis hier 12.1.1905.
8 17.1.1905.
TEXT NR. 1 (1904/05) 29

bildlichen Vorstellungen unter den einheitlichen Gesichtspunkt


der Im a gin a t ion zu befassen und die Eigentümlichkeiten der
gesamten unter diesen Gesichtspunkt fallenden Vorstellungen,
also der bildlichen Vorstellungen übe r hau p t, im Gegensatz
5 zu den bisher betrachteten Wahrnehmungsvorstellungen zu ana-
lytischer Klarheit zu bringen. Die Konstitution der bildlichen
Vorstellungen erwies sich als komplizierter als diejenige der
schlichten Wahrnehmungsvorstellungen. Mehrere wesentlich ver-
schiedene Auffassungen zeigten sich da aufeinander oder inein-
10 an der gebaut, entsprechend den ·mehrfachen Gegenständlichkei-
ten, die sich durchsetzten und je nach Wechsel der Aufmerksam-
keit für das bevorzugende Meinen hervortraten. Bei der phy-
sischen Bildlichkeit waren drei Gegenständlichkeiten, bei der
Phantasie zwei ineinander gewoben. Das Gemeinsame beider-
15 seits lag darin, dass jeweils eine erscheinende Gegenständlichkeit
nicht für sich galt, sondern für eine andere, nichterscheinende
bildmässig repräsentierte. Das physische Bild weckt das geistige
BIld, und dieses wieder stellt ein anderes; das Sujet vor. Das gei-
stige Bild ist eine erscheinende Gegenständlichkeit, z.B. die in
20 photographischen Farben erscheinende Person oder Landschaft,
die durch die Plastik erscheinende weisse Gestalt u.dgl. Das Sujet
aber ist die Landschaft selbst, die gemeint ist nicht in diesen
winzigen Dimensionen, nicht als grau-violett gefärbt wie die
photographische, sondern in ihren wirklichen Farben, Grössen
25 usf. Aber diese Landschaft erscheint nicht als ein zweites neben
der Bildlandschaft. Das vorhandene sinnliche Empfindungs-
material, das irgend als Auffassungsinhalt fungieren kann, ist
voll aufgebraucht, es kann sich nicht eine neue Erscheinung kon-
stituieren, sie hat keine verfügbaren Auffassungsinhalte.-
30 Ebenso, versuchten wir anzunehmen, verhält es sich bei der
Phantasie. In der Phantasieerscheinung erleben wir nicht das
Ding selbst, wie es ist, wir haben eine von der Wirklichkeit oft
sehr erheblich abweichende Erscheinung, sie ist dabei in ihren
inneren Bestimmtheiten zumeist sehr schwankend und wech-
35 selnd. Was uns da erscheint, ist ein Gegenständliches, aber nicht
so, wie es in der Tat erscheint, gilt es uns als phantasiertes Ob-
jekt. Phantasierend meinen wir ein anderes, für das dieses er-
scheinende und fühlbar von ihm verschiedene bildlich repräsen-
tiert. Auch hier ist das Suj et, das Gemeinte, nicht in einer
30 TEXT NR. 1 ([ 904/05)

zweiten Erscheinung gegenwärtig. Nur eine Erscheinung


haben wir, die des Bi I d 0 b je k t s. Aber wir haben tnehr als die
eine Auffassung (oder, wenn Sie wollen, die eine Objektivation), in
der sich uns dieses Bildobjekt konstituiert. Sonst könnte nichts
5 anderes als dieses Objekt gemeint sein. Im Bildobjekt verbildli-
chen wir uns die von ihm mehr oder minder verschiedene, wenn
auch ähnliche Sache: Ein zweiter objektivierender Charakter ist
da, eine neue Auffassung mit einem neuen Auffassungssinn, wel-
cher in der Auffassung des Bildobjekts fundiert ist und eben das
10 für das Bewusstsein zustande bringt, was wir mit den Worten aus-
drücken: "Mit dem erscheinenden Bild meinen wir die Sache".
Die neue Auffassung ist aber nicht etwas bloss äusserlich der
Bilderscheinung sich Anhängendes, nur von aussen her mit ihr
Verknüpftes. Die neue Auffassung durchdringt die alte und hat
15 sie in sich aufgenommen. Das erscheinende Bildding weckt nicht
eine n'eue Vorstellung, die sonst mit ihm nichts zu tun hätte. Es
weist nicht in der Weise eines biossen, sei es auch analogischen
Symbols oder eines willkürlichen Zeichens über sich hinaus auf
ein anderes, das mit dem Zeichen selbst nicht innerlich einheit-
20 lich bewusst wäre oder gar zu ihm keine innere Beziehung hätte.
Vielmehr veranschaulicht das Bildobjekt das mit ihm zwar nicht
Identische, aber ihm inhaltlich mehr oder minder Gleiche oder
Ähnliche. In den verwandten Zügen lebt etwas vom Bewusstsein
des intendierten Gegenstandes. In das Bild schauen wir den ge-
25 meinten Gegenstand hinein, oder aus ihm schaut er <zu> uns her.
Phänomenologisch liegt aber darin, dass das Bildobjekt nicht
bloss erscheint, sondern einen neuen Auffassungscharakter trägt,
der sich mit dem ursprünglichen in gewisser Weise durchdringt
und verschmilzt, der sozusagen nicht vom Inhalt des Erscheinen-
30 den einfach weg, sondern in ihn hineinweist oder durch diesen
Inhalt hindurch auf den eigentlich gemeinten Gegenstand hin-
weist. Was im Inhalt des Bildobjektes repräsentativ fungiert, das
ist in eigentümlicher Weise ausgezeichnet: Es stellt dar, es
vergegenwärtigt, verbildlicht, veranschaulicht. Das
35 Sujet blickt uns gleichsam durch diese Züge an. Diese Züge
treten erst in Einzelbeachtung hervor und scheiden sich erst in
ihr von den anderen Zügen des Bildobjekts: von Momenten,
Teilen, Bestimmtheiten, die entweder ausgeprägt den gegen-
sätzlichen Charakter, den des Widerstreits mit entsprechenden
TEXT NR. 1 (1904(05) 31

Bestimmtheiten des gemeinten Sujets, haben, oder denen weder


der eine noch der andere Charakter anhaftet. Solche charakter-
losen Züge verbildlichen nichts, es bleibt aber auch unbestimmt,
wie sich darin das wirkliche Objekt <dar->stellt. So wie es ge-
5 meint ist, lässt es die betreffenden Bestimmtheiten offen, die
Meinung bzw. die zugehörige Auffassung enthält in dieser Hin-
sicht Unbestimmtheiten. Was andererseits das Bewusstsein von
nichtpassenden, vom Sujet abweichenden Momenten des Bildes
anbelangt, so setzt es wesentlich voraus das Bewusstsein passen-
10 der, veranschaulichender Momente. Erst diese stellen ein Bild-
bewusstsein her. Wenn mit dem Bild nicht die bewusste Bezie-
hung auf' ein Abgebildetes gegeben ist, haben wir ja kein Bild.
Diese bewusste Beziehung aber ist gegeben durch jenes eigen-
tümliche Bewusstsein der Vergegenwärtigung eines Nicht-
15 erscheinenden im Erscheinenden, wonach das Erscheinende sich
vermöge gewisser seiner intuitiven Eigenheiten so gibt, als wäre
es das andere: wobei dann freilich in anderen Momenten ein
Widerstreit, oder, im Ähnlichkeitsabstand aller Momente, sich
ein Unterschied gegen das Sujet herausstellen kann. Wie der-
20 gleichen möglich ist, da doch nur das Bild und gar nicht das
Sujet in die Erscheinung fällt, wäre ein Wunder, oder wäre ein
Nonsens, wenn nicht zwei objektivierende Auffassungen inein-
ander geflochten wären. Das Veranschaulichen im Bild, das im
Bilderscheinen das Bewusstsein vom Bild s u jet hat, ist nicht
25 ein beliebiger Charakter, der dem Bild anhaftet; sondern die An-
schauung vom Bildobjekt weckt eben ein neues Bewusstsein, eine
Vorstellung von einem neuen Objekte, das mit dem Bildobjekt
als ganzem, und im einzelnen nach den oder jenen Punkten, in-
nere Verwandtschaft, Ähnlichkeit hat. Die neue Vorstellung,
30 sofern sie sich auf das neue Objekt mit den und den Bestimmt-
heiten bezieht, enthält natürlich durch ihren Auffassungssinn
Seiten, Komponenten, die diesen mannigfaltigen Objektseiten
entsprechen. Aber sie ist keine neUe Anschauung, die all das in
der Weise direkter und eigentlicher Erscheinung, also der Selbst-
35 erscheinung, enthielte. Diese neue Vorstellung liegt nun aber
nicht, neben der Vorstellung des Bildobjekts, sondern deckt
sich mit ihr, durchdringt sie und gibt ihr in dieser Durchdringung
den Charakter des Bildobjekts. Die Deckung bezieht sich auf die
Momente der Ähnlichkeit. Wir blicken in das Bildobjekt hinein,
32 TEXT NR. 1 (1904[05)

wir blicken auf das, WO dur c h es BiIdobjekt ist, auf diese Mo~
mente der Ähnlichkeit. Und in ihnen stellt sich uns das Sujet
dar, durch sie blicken wir in das Sujet hinein. Das Bewusstsein
des Sujets breitet sich durch das Bewusstsein vom Bildobjekt
5 nach seiten der analogisierenden Momente hindurch. Soweit sie
reichen, gibt das ein Identitätsbewusstsein, so dass wir in der Tat
in ihnen das Sujet erschauen. Bestände allseitige Gleichheit, so
bestände allseitige Deckung. Wir müssten dann ein Bewusstsein
haben, dass das abgebildete Objekt voll und ganz vergegen-
10 wärtigt ist. Uns müsste in ihm so zumute sein, als ob das Objekt
selbst, das ganze und volle Objekt, da wäre. Natürlich könnte es
zu einem solchen "als ob" nicht kommen, wenn nicht hinreichend
Momente für die Ermöglichung einer Verdoppelung des Bewusst-
seins als Bild- und Sujetbewusstsein beständen. Trotz voller in-
15 nerer Deckung brauchen solche Momente keineswegs zu fehlen.
Wir \werden dann natürlich auf äussere Momente hingewiesen.
Bei einem vollkommenen Porträt, das die Person nach allen Mo-
menten (die irgend Merkmale sein können) vollkommen darstellt,
ja schon bei einem Porträt, das dies in sehr ungenügender Weise
20 tut, ist uns so zumute, als wäre die Person selbst da. Aber die
Person selbst gehört einem anderen Zusammenhang an wie das
Bildobjekt. 1 Die wirkliche Person bewegt sich, spricht usw., die
Bildperson ist eine starre, stumme Figur. Dazu der Widerstreit
mit der physischen Bildwirklichkeit, der das Bildobjekt als sinn-
25 lichen Schein charakterisiert. Ebenso in der P ha n t a sie. Eine
vollkommen lebendige Phantasie, ein Auftauchen einer so klaren
Erinnerung, wie sie uns manchmal, bei frischen Sinnen, bei be-
sonders günstigen Dispositionen zuteil wird, lässt kaum das Be-
wusstsein aufkommen, das sei ein blosses Bild. Wir fühlen uns
30 dem Gegenstand so nah, als wären wir mit ihm in Wirklichkeit
eins, als stände er uns wirklich gegenüber. Ja gewiss: Er ist wahr-
haft vergegenwärtigt, wir schauen ihn "selbst". Im Bildbewusst-
sein lebend, ist uns wirklich so zumute wie in einer entsprechen-
den Wahrnehmung. Aber näher besehen ist das doch eine analo-
35 gische Rede, vom" wirklich so zumute sein", oder sie ist eine ganz
momentane Täuschung. Es ist immer nur Vergegenwärtigung
und nicht Gegenwärtigsein. Das Phantasiebild zerfliesst, es er-

1 Darüber in einer späteren Vorlesung mehr.


TEXT NR. t (1904/05) 33

hält nicht lange seine Frische, plötzlich drängen sich andere


Phantasiebilder dazwischen, vielleicht auch klare, aber sie unter-
brechen das unmittelbare Gegenstandsbewusstsein, sie setzen es
nicht fort, sie konstituieren nicht die Einheit einer gegenständ-
5 lichen Gegenwart, der das Phantasieobjekt einzuordnen wäre.
Wir werden über diese Diskontinuitäten noch sprechen. Hier
genügt der Hinweis auf die feste Einheit der Wahrnehmungs-
wirklichkeit, auf die festen Zusammenhänge der Objektivitäten
des Blickfeldes der Wahrnehmung, und auf der anderen Seite:
10 das sinnlose Durcheinander, mit dem Phantasien und selbst Er-
innerungen durcheinanderlaufen und uns so das Bewusstsein
geben von einer biossen Bildlichkeit. Ja gewiss, wir schauen die
Sachen bei klarer Phantasie, es ist uns ganz so zumute, als
wären sie es selbst, aber nur "ganz so, als ob": Die Erscheinung
15 hat noch einen Charakter,. der es hindert, sie für die Selbst-
erscheinung im eigentlichsten Sinn zu nehmen. Mindestens die
verschiedenen intentionalen Zusammenhänge, denen sie ein-
geordnet sind, bewirken eine Zwiespältigkeit des Bewusstseins,
sie hindern es, dass sich eine r schlichte, einfache Gegenstands-
20 intention konstituiert, sondern eine sich bestenfalls deckende
Doppelheit. Deckung in den Momenten differenzlos empfundener
Gleichheit, also in den Momenten genauer Bildlichkeit, besten-
falls in allen inneren Momenten, Scheidung aber in den mit Ver-
flochtenen intentionalen Charakteren, die dem Erscheinenden
25 und Gemeinten Ergänzung ZU verschiedenen geltenden Gegen-
ständlichkeiten zusprechen. l So wird das Erscheinende zum
Bildobjekt gewissermassen für <sich> selbst, nämlich für das-
selbe, als welches da erscheint, nur dass es woanders hingehört
und somit doch nicht in strenger Identität dasselbe, sondern nur
30 ein gleiches sein kann.
Im übrigen gibt es, wie bekannt, sehr verschieden vollkommene
Bilder, also sehr verschiedene Grade und Stufen des Bildbewusst-
seins. Nur im Grenzfalle geht die Deckung zwischen der direkten
gegenständlichen Auffassung" die dem Bildobjekt entspricht, und
35 der indirekten, die' dem Sujet zugehört, soweit, dass wir voll-
kommen im Bildobjekt das Bildsubjekt schauen, dass wir all
seine inneren Bestimmtheiten dem Sujet zurechnen; im allge-

1 Riemannsche Fläche., ,
34 TEXT NR. 1 (1904/05)

meinen treten die beiden Objekte auseinander, sich identifizie-


rend nach manchen Momenten, etwa nach seiten der plasti-
schen Form, sich voneinander abhebend nach anderen Bestimmt-
heiten, etwa hinsichtlich der Färbung, der Grösse usw. Die im
5 Bildobjekte vorhandenen Bestimmtheiten gelten in letzterer
Beziehung nicht für das Sujet, sie sind im Bild da, aber sie haben
keine Abbildungsfunktion.

<3. KAPITEL
Bildlichkeitsbewusstsein in immanenter
10 Funktion und in symbolischer Funktion-
Zur ästhetischen Bild betrach tung - Frage
nach dem Verhältnis der fundierenden
Auffassung beim Phantasie- und
Bildbewusstsein zur Wahrnehmungs auffassung>

15 <§ 15. Gemeinsamkeit und Unterschied von bildlicher und


symbolischer Auffassung>

Die eben angestellten Betrachtungen machen uns das Inein-


ander der beiden Auffassungen, die das Auffassungs-Bewusstsein
der Bildlichkeit konstituieren, einigermassen verständlich und
20 lassen nicht nur den Unterschied von der Wahrnehmungsauffas-
sung, sondern auch den von der symbolischen Auffassung
deutlich hervortreten. Was insbesondere den letzteren anbelangt,
so haben bildliche und symbolische Auffassung das miteinander
gemein, dass sie nicht schlichte Auffassungen sind. Bei d e
25 weisen in gewisser Art über sich hinaus. Aber die symbolische aus
sich hinaus, und die signitive noch dazu auf einen dem Erschei-
nenden innerlich fremden Gegenstand. Jedenfalls, sie weist nach
aussen. Die bildliche Auffassung weist auch auf einen anderen
Gegenstand, immer auf einen gleichgearteten, auf einen analogen,
30 sich im Bild darstellenden, und vor allem, sie weist auf den Ge-
genstand durch <sich> selbst hindurch. Der meinende
Blick wird bei der symbolischen Vorstellung von dem Symbol
hinweggewiesen; bei der bildlichen Vorstellung auf das Bild hin-
gewiesen. Um uns den Gegenstand vorstellig zu machen, sollen
35 wir uns in das Bild hineinschauen; in dem, was darin Träger der
TEXT NR. 1 (1904/05) 35

Bildfunktion ist, sollen wir den Gegenstand dargestellt finden, je


lebendiger wir dies erfassen, um so mehr ist uns 'das Sujet im
Bild lebendig, ist uns darin veranschaulicht, vergegenwärtigt.

<§ 16. Einführung der Unterscheidung zwischen innerer


5 (immanenter) und äusserer (symbolischer) Bildlichkeit>

Bei dieser Beschreibung wird uns zugleich klar, dass bei der
Re prä sen tat ion dur c h An al 0 g i e zwei Fälle wohl aus-
einanderzuhalten sind. Ein Bild kann in n e r I ich re prä s e n-
lOt at i v fungieren in der Weise immanenter Bildlichkeit; ein Bild
kann äusserlich repräsentativ fungieren, in einer Weise,
die im wesentlichen dem Bewusstsein symbolischer Repräsenta-
tion gleichkommt. Z.B. kann ein Holzschnitt der Raffaelschen
Madonna uns erinnern an das Original, das wir in der Dresdener
15 Galerie gesehen haben. Bilder können als analogische Erinne-
rungszeichen fungieren. Das tun Bilder in hohem Masse. Neuer-
dings gibt die Stuttgarter Verlagsanstalt Bände heraus, die voll-
ständige Serien der Werke von Dürer, Raffael etc. in kleinsten
Reproduktionen enthalten. Der Hauptzweck dieser Werke ist
20 nicht die Weckung innerer Bildlichkeit und der damit gegebene
ästhetische Genuss, sondern es handelt sich um bildliche Inhalts-
verzeichnisse der Werke jener grossen Künstler. Es sind Reper-
torien der Erinnerung. Es sind sozusagen ill u s t rat i v e
Schlagworte, Hilfen der Erinnerung. Sie wirken allerdings
25 noch bildlich, aber zudem auch als Erinnerungen, sie sollen zu-
gleich ass 0 z i a t i v fungieren und vollständigere Bildvorstellung
in der Erinnerung reproduzieren. Wer sich rein in ein Bild hinein-
schaut, der lebt in der Bildlichkeit, er hat im Bild selbst die Ver-
gegenwärtigung des Objekts. Wer sich des Bildes als Erinnerung
30 bedient, der sucht und findet evtl. eine andere Vergegenwärtigung
des Objekts, die ihm vielleicht eine reichere Vergegenwärtigung
desselben Objekts bieten mag.
Wir könnten also im symbolischen Vorstellen z w e i K las sen
unterscheiden. 1 Das symbolische im ursprünglichen, alten Wort-
35 sinn, das sich äusserlich Vorstelligmachen durch Bilder, Sym-

1 EIgentlich fraglich. Handelt es sich nicht um ein Gemisch bildlicher und sym-
bolischer Funktion?
36 TEXT NR. 1 (1904{05)

bole, Hieroglyphen. Sprache und Schrift haben ursprünglich


symbolischen bzw. hieroglyphischen Charakter. 1 Erst durch Ab-
schleifung und weiterhin durch Bildung von Kunstworten, von
algebraischen Zeichen usw. entsteht das signitive Vorstellen,
5 durch Zeichen, die zu den Sachen völlig beziehungslos sind,
mit ihnen innerlich nichts zu tun haben.
Zum ersteren gehören auch die meisten wissenschaftlichen
Bilder. Natürlich kommt hierbei auch noch anderes mit in Be-
tracht: die Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf die symbolisie-
10 renden Momente und ihre Isolation für die Aufmerksamkeit
durch ausschliessliche Heraushebung im Bild (eben in Form der
allein symbolisch fungierenden Bildelemente). 2.

<§ 17. Das Interesse am Wie der Verbildlichung des Bildobjekts bei
der ästhetischen Bildbetrachtung im Gegensatz zur ausschliesslichen
15 Interessenrichtung auf das Bildsujet bei der gewöhnlichen Phantasie-
und Erinnerungsvorstellung>

Von diesen Bi I der n, die als S y m bol e fungieren,3 und von


dem Bildbewusstsein, das in der symbolischen Funktion des Bil-
des vollzogen wird, haben wir zu unterscheiden das intuitive
20 Bildbewusstsein, das Bewusstsein der immanenten Bildlichkeit.
Dieses allein spielt für die ästhetische Bild betr ach tung
seine Rolle. Wir schauen uns dabei in das Bild hinein, ihm gehört
unser Interesse, in ihm schauen wir das Sujet; nicht hat etwa das
Bild die blosse Funktion, eine ihm äusserliche Vorstellung von
25 dem Gegenstand, eine neue Anschauung oder gar nur eine be-
griffliche Vorstellung zu erwecken. Natürlich will ich damit nicht
sagen, dass das Interesse und die Meinung des ästhetischen Bildes
ausschliesslich auf das Sujet geht, als ob es sich überhaupt nur
darum handle, dies zu einer anschaulichen Vorstellung zu brin-

1 Innere Bildlichkeit auch hier, aber dazu (neben der schon 'Vorhandenen Bild-
lichkeit) no c h eine Intention, eben eine symbolische, auf ein zweites, auf eine neue
Erscheinung, mit eigentlicher Repräsentation des Gemeinten. Die immanente Bild-
funktion: im Bild das Objekt erschauen, eine transeunte-symbolische Funktion: Man
hat schon das innere Bildbewusstsein, dazu eine neue Intention auf eine neue Er-
scheinung.
a Charakteristische Durchschnitte etc. Schematische Bilder.
8 Später eingefugt: "oder äusserlich erinnernd (ohne Konvention und Gewohn-
heit)". -Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904{05) 37

gen. Wo das Bild ästhetisch wirkt, da mag es ja sein, dass eine


neue Vorstellung das Sujet oder irgendwelche Bestandstücke des-
selben zu einer volleren Anschauung bringt, etwa zu ein~r an-
gemesseneren Farbigkeit. überhaupt mag das Spiel der Phanta-
5 sie in Bewegung gesetzt werden, so dass wir uns in die Welt des
Sujets hineinleben, wie wenn wir uns beim Anblick der Bilder
eines Paolo Veronese versetzt fühlen in das prächtig-üppige
Leben und Treiben der vornehmen Venetianer des 16. Jahrhun-
derts; oder in den gemütvollen Holzschnitten Dürers die Ver-
10 klärung der deutschen Landschaft und der deutschen Mensch-
heit ihrer Zeit erschauen. Aber wie wesentlich am Interesse das
Bildobjekt beteiligt ist, zeigt sich darin, dass die Phantasie nicht
diesen neuen Vorstellungen nachgeht, sondern das Interesse
immerfort zum Bildobjekt zurückkehrt und innerlich an ihm
15 hängt, in der Weise seiner Verbildlichung den Genuss findend.
Sehr wesentlich unterschieden von dieser Stellungnahme zum
Bildobjekt ist das Verhalten der gewöhnlichen Phantasie-
und Erinnerungsvorstellung, deren Interesse und Mei-
nen ausschliesslich auf das Bild s u jet geht. Auch in der Phantasie
20 ist das Bildlichkeitsbewusstsein ein rein innerliches, so wenig-
stens in der voll-lebendigen Phantasie, der wirklichen Phantasie-
intuition. Das Bildobjekt bedeutet nichts, nämlich nichts in der
Weise eines Symbols, es weist nicht von sich weg, aus sich heraus,
sei es auch auf ein Ähnliches, das als ein anderes gegenüber dem
25 schon bildlich Erscheinenden sich geben würde: als ob die In-
tention des Bildes und des Abgebildeten sich nebeneinanderlegen
und ein Hinweis des einen auf das andere erfolgen würde, sondern
in sich hinein. Ausnahmsweise kann man auch seine Phantasien
ästhetisch geniessen, und in dementsprechender Weise betrach-
30 ten. Dann blicken wir nicht bloss im Bildbewusstsein auf das
Sujet, sondern uns interessiert, wie das Sujet sich da darstellt,
welche bildliche Erscheinungsweise es zeigt, und vielleicht wie
ästhetisch gefällige. So wird der Künstler seine eigenen Phanta-
sien belauschen und belauern, um ihnen die ästhetisch schönsten
35 Posen abzusehen. 1 Oder er experimentiert geradezu in der Phan-

1 Das ist inkorrekt. Verwechslung zwischen Bildobjekterscheinung und Erschei-


nung des Sujets. Hier handelt es sich nicht um das Bild in dem hier fraglichen Sinn,
sondern um die "Erscheinung" des Phantasie sujets, darum, welche "Seite" die
asthetisch beste Wirkung gibt. Schon beim Wahrnehmungsobjekt kann ich
mIch fragen, von welcher Seite wirkt es am besten ästhetisch? So stelle ich mir in der
38 TEXT NR. 1 (1904105)

tasie. Er stellt sich ein Sujet mannigfaltig vor und sucht unter
den Erscheinungsweisen in der Phantasie (unter den Weisen der
Darstellung durch, ein so und so gestaltetes und erscheinendes
Bildobjekt) die ästhetisch schönste heraus. Das ist natürlich
5 nicht der Normalfall. Phantasierend leben wir in den phanta-
sierten Ereignissen, das Wie der innerlich bildlichen Darstellung
fällt ausserhalb des Bereichs unserer natürlichen Interessen.

<§ 18. Möglichkeit des Wechsels in der Richtung der


meinenden Intention und entsprechender Wechsel des
10 Gegenstandes. Beschreibung der Erscheinungsweise des
Bildobjekts z.B. in psychologischem Interesse>

Wir sehen, dass auf demselben Auffassungsgrund sich ver-


schiedene Vorstellungsakte aufbauen können. Es ist ein verschie-
dener vorstellender Habitus: das Bildsujet meinen, das Bild-
15 objekt meinen, und wieder das Bildobjekt als Bild des Sujets
meinen. Da wir bei der Rede von dem Objekte unserer Vor-
stellung normalerweise dasjenige Objekt bezeichnen, auf das
sich das vorstellende Meinen bezieht, so bedeutet' hier der
Wechsel in der Richtung der meinenden Intention auch einen
20 Wechsel des Gegenstandes.! Leben wir in freien Phantasien
oder in Erinnerungen, so geht das Meinen, die vorstellende
Intention auf das Bild s u jet. Wir können aber auch auf das
Bildobjekt achten und wieder auf die Weise seiner Erscheinung
achten, auf die konstitutiven Bestandstücke der Erscheinung,
25 auf die sinnlichen Phantasmen usw. Wir können das Bildobjekt
der Phantasie beschreiben: wie wenn wir z.B. sagen: Ich
erinnere mich jetzt des Botanischen Gartens, wie er zur

Phantasie das Objekt von verschiedenen Seiten vor und im Sujetbewusstsein lebend
frage ich mich, wie wirkt es am meisten ästhetisch? Auch beim physischen Bild:
Wesentlich ist, von welcher Seite das Objekt zur Darstellung kommt. Dazu auch das
Wie hinsichtlich dessen, was nicht Sache des Objekts ist, z.B. Marmor, Pinselführung,
Art der Farbenwirkung etc. Der Erscheinung, so wie sie in der Phantasie ist, wendet
nicht der Künstler, sondern nur der Psychologe seine Aufmerksamkeit zu.
1 Indem die Intention auf das Objekt geht, geht sie notwendig auf das Objekt in
irgendeiner "Erscheinung" (Seite). Also haben wir zu unterscheiden 1) das Phänomen
der primären Erscheinung (Bildobjekt-Erscheinung), 2) das Bewusstsein, das auf das
Sujet gerichtet ist, und zwar in einer seiner Erscheinungen aus der Synthesis. Es wird
durchaus notwendig sein, die Begriffe von Erscheinung zu differenzieren und ver-
schiedene Namen einzuführen.
TEXT NR. I (1904{05) 39

Sommerszeit war, voll rauschender Bäume, blühender Blumen,


schattiger Hänge. Aber die Farben wollen mir nicht kommen, ich
finde mehr die plastischen Formen, statt der Farben mehr ein
flüchtig wechselndes Grau u. dgl. Da achten wir auf die Erschei-
5 nung selbst und vergleichen ihren Inhalt mit dem intendierten
Sujet. Das Phänomen der normalen Phantasievorstellung und
der Vorstellung, die auf die Phantasieobjekte, überhaupt die
Bildobjekte, gerichtet ist, ist also offenbar verschieden. Es ist,
um noch ein Beispiel zu haben, offenbar verschieden, ob wir bei
10 der Lektüre einer, Reisebeschreibung in dem Phantasiebewusst-
sein als einem Bewusstsein der anschaulichen Vergegenwärtigung
der fremden Ländedeben oder ob wir, etwa durch ein psycholo-
gisch-deskriptives Interesse abgelenkt, unser Interesse und Mei-
nen auf die Phantasiebilder selbst hinlenken. Dabei kann die
15 Auffassungsgrundlage genau dieselbe sein. Es erscheinen die-
selben Bildobjekte.und <diese> begründen dieselbe Beziehung auf
die fernen Länder. Einmal sind aber die Bildobjekte, das andere
Mal die fernen Länder das Gemeinte und Interessierende.

<§ 19. Selbständigkeit und Unselbständigkeit der zwei sich


20 durchdringenden Auffassungen und Frage nach dem
Verhältnis der fundierenden Auffassung zur
Wahrnehmungsauffassung im Falle der durch Physische
Bilder vermittelten Imagination. Wegfallen des
Bildlichkeitsbewusstseins bei Täuschungen a la Panoptikum,
25 Panorama etc. und ästhetischer Schein>

Von den beiden Auffassungen, die sich im Bewusstsein der


Phantasiebildlichkeit und im immanenten Bildlichkeitsbewusst-
sein überhaupt durchdringen, ist die eine offenbar uns e 1b-
ständig, die andere selbständig. Die Erscheinung, die das
30 Bildobjekt uns vor Augen stellt, könnte so, wie sie im Bildlich-
keitsbewusstsein auftritt, auch ohne solche imaginative Funk-
tion erlebt seiu. Was hingegen die modifizierende Auffassung an-
belangt, durch welche das Bild erst zum Bild wird, so ist sie
evidentermassen gebunden an eine fundierende Erscheinung. Wo
35 keine Erscheinung, da ist auch nichts da, was als Bild dazu dienen
könnte, ein anderes zu vergegenwärtigen, ein Gegenstand muss
40 TEXT NR. 1 (1904{05)

uns vor Augen stehen, damit wir in ihm einen anderen vorstellig
machen können.
Wie verhält es sich nun mit dieser fundierenden Auffassung im
Verhältnis zur Wahrnehmungsauffassung? Wir können die Sach-
S lage in den Fällen studieren, in denen das Bildlichkeitsbewusst-
sein, das sich aufgrund einer primären Erscheinung konstituiert
hatte, wegfällt.
Zunächst kommen solche Fälle bei der physischen Bildauf-
fassung vor. Wir wollen voraussetzen, dass das physische Bild in
10 der Wahrnehmung gegeben ist. Hier <ist> es auch schon beim
Vorhandensein der Bildauffassung, von der wir ja leicht abstra-
hieren können, klar, dass die fundierende Bild-Objekterscheinung
an und für sich genommen den Charakter einer Wahrnehmungs-
erscheinung hat, einer gewöhnlichen Präsentation. Es ist natür-
15lich keine normale und volle Wahrnehmung, sofern das Erschei-
nende, z.B. die Bild-Person des Ölgemäldes, nicht als wirklich
gegenwärtig gilt, sie erscheint als gegenwärtig, wird aber nicht
für wirklich gehalten. Ein Glaubensbewusstsein mag vorhanden
sein, aber es bezieht sich nicht auf den Gegenstand der Wahr-
20 nehmungsauffassung, sondern auf denjenigen, der bildlich hin-
eingeschaut wird, auf die nichtgegenwärtige, aber im Gegen-
wärtigen zur Bildvorstellung kommende, auf die eben nur ver-
gegenwärtigte Person. Dass die Umwandlung eines Bildphäno-
mens durch Fortfallen der imaginativen Funktion eine gewöhn-
25liche Wahrnehmungsauftassung, evtl. sogar eine volle, mit dem
normalen Glauben ausgestattete Wahrnehmung hervorgehen
lässt, zeigen die schon öfters erwähnten Täuschungen a la Panop-
tikum, Panorama etc. Hier mag es zunächst sein, dass wir die
Puppe als Menschen sehen. Wir haben da eine, wenn auch nach-
30 träglich als Irrtum sich herausstellende normale Wahrnehmung.
Werden wir uns plötzlich der Täuschung bewusst, dann tritt das
Bildlichkeitsbewusstsein ein. Aber in diesen Fällen will es sich
nicht auf die Dauer durchsetzen. Die Wachsfigur gleicht mit
ihren wirklichen Kleidern, Haaren usw., ja selbst in den durch
35 mechanische Vorrichtung künstlich nachgeahmten Bewegungen
so sehr dem natürlichen Menschen, dass sich momentan immer
wieder das Wahrnehmungsbewusstsein durchsetzt. Die imagina-
tive Auffassung fällt weg. Wir "wissen" zwar, dass es Schein sei,
aber wir können uns nicht helfen, wir sehen einen Menschen. Das
TEXT NR. 1 (1904/05) 41

begleitende begriffliche Urteil, es handle sich um ein biosses


Bild, wird wirkungslos gegenüber dem Wahrnehmungsschein,
und die Neigung, ihn für die Wirklichkeit zu nehmen, ist so gross,
dass <wir> für Momente sogar glauben möchten. Die Zwiespältig-
5 keit, in die wir da versetzt werden, ist natürlich ein grober und
ganz unästhetischer Effekt. Wachsfiguren, aufs genaueste die
Wirklichkeit nachahmend, mit wirklichen Kleidern behängt, mit
echten Haaren ausgestattet usw. geben Wahrnehmungserschei-
nungen von Menschen, die sich mit den abgebildeten so voll-
10 kommen decken, dass die Momente der Differenz ein reinliches
und klares Differenzbew-usstsein, d.h. ein sicheres Bildlichkeits-
bewusstsein nicht erzeugen können. Dies aber ist das wesentliche
Fundament für die Möglichkeit ästhetischen Fühlens in der bil-
denden Kunst. Ohne Bild keine bildende Kunst. Und das Bild
15 muss sich k I ar von der Wirklichkeit scheiden, d.h. rein intuitiv,
ohne alle Beihilfe von indirekten Gedanken. Wir sollen aus der
empirischen Wirklichkeit herausgehoben und in die ebenfalls
intuitive Welt der Bildlichkeit emporgehoben werden. Der
ästhetische Schein ist nicht Sinnentrug, die Freude am plumpen
20 Reinfall oder am rohen Widerstreit zwischen Wirklichkeit und
Schein, wobei der Schein bald als Wirklichkeit, die Wirklichkeit
bald als Schein sich ausgibt, Wirklichkeit und Schein gleichsam
Verstecken miteinander spielen, das ist der äusserste Gegensatz
zum ästhetischen Wohlgefallen, das sich auf das friedliche und
25 klare Bildlichkeitsbewusstsein gründet. Ästhetische Effekte sind
nicht Jahrmarktseffekte.

<§ 20. Ob die fundierende Auffassung bei der Phantasie im


gewöhnlichen Sinn und der Erinnerung den Charakter einer
Wahrnehmungsauffassung habe. Wegfallen des
30 Bildlichkeitsbewusstseins bei der Vision und Halluzination.
Waches 'Träumen und Bewusstsein des Scheins der
Phantasiegestaltungen>

Wie steht es nun in der nicht durch physische Bilder vermittel-


ten Imagination, mit der Phantasie im gewöhnlichen Sinn, die'
35 Phänomene der Erinnerung mit eingeschlossen? Sollen wir auch
hier sagen, zum mindesten in den Fällen, wo eine klare und in-
42 TEXT NR. 1 (1904{05)

haltlich reiche Intuition der phantasierten Gegenständlichkeiten


vorhanden ist, dass die fundierende Auffassung den Charakter
einer Wahrnehmungs auffassung habe? Ist alles eigentliche Er-
scheinen ein und dasselbe, hat es überall denselben Charakter,
5 den der Präsentation? Auch hier kommt es vor, dass das Bild-
lichkeitsbewusstsein fortfällt, und wo dies statthat, da werden
wir allerdings annehmen müssen, dass das übrige bloss den
Charakter der Wahrnehmung habe. Ich erinnere hier an über-
gänge von Phantasie in Vi s ion. Die Phantasiegebilde schweben
10 nicht mehr als Bilder vor dem inneren Auge; die empirische
Wahrnehmung, die Wirklichkeit, in der der Visionär leiblich lebt,
ist ausgeschaltet und damit zugleich der Gegensatz zwischen die-
ser Wirklichkeit und der Phantasie-Bildlichkeit, die Bildlich-
keitsfunktion der Phantasiebilder entfällt, und der Visionär ist
15 nun im Trance-Zustand, die Welt der Phantasie ist nun seine
wirkliche Welt. Sie gilt ihm selbst als wirklich, d.h. seine An-
schauungen sind Wahrnehmungen, auch ausgestattet mit dem
Charakter des belief.
Ebenso werden wir es für den Fall des T rau m e sannehmen,
20 und nicht bloss im Schlaf-Träumen, sondern auch im wachen
Träumen. Mitunter geben wir uns dem Zuge der Phantasie so
sehr hin, dass wir auf die Phantasieerscheinungen in Handlungen
so zu reagieren beginnen, gleich als ob es sich um Wahr-
nehmungen handelte: Unsere Faust ballt sich, wir halten mit den
25 eingebildeten Personen laute Zwiegespräche usw. Freilich, eben
damit pflegt der Traum zu enden, die wirkliche Wahrnehmung
verscheucht die Einbildung. Der häufigere Fall ist aber wohl der,
dass zwar die wirkliche Welt vor unseren Blicken fa s t versinkt,
während wir den Phantasien nachgehen, dass sie aber ihr Dasein
30 uns doch noch ein wenig fühlen lässt, so dass ein leises Bewusst-
sein des Scheins die Phantasiegestaltungen immerfort färbt. 1
Solche Erfahrungen sprechen also wohl dafür, dass die Er-
scheinungen der Phantasie, vom Bildlichkeitsbewusstsein ab-
gesehen, prinzipiell nicht verschieden sind von denen der Wahr-
35 nehmung. Doch fragt es sich, ob das nur für Grenzfälle zutrifft,
ob nicht hier die Phantasieerscheinung eben in Halluzination, in
. eine Wahrnehmungserscheinung umschlägt, während an sich

1 N ietzsche.
TEXT NR. 1 (1904/05) 43

die Bildauffassung in der Phantasieerscheinung und Wahr-


nehmungserscheinung wesentlich unterschieden sind. Insbeson-
dere wird sich fragen, ob, wenn wir in der Weise der Auffassung,
die ein Bildobjekt, und derjenigen, die ein Wahrnehmungsobjekt
5 konstituiert, auch keine Unterschiede anzunehmen genötigt sein
werden, nicht wesentliche Unterschiede in den Auffassungsinhal-
ten zugestanden werden müssen.

<4. KAPITEL
Unterschiede zwischen gewöhnlicher
10 Bildvorstellung und Phantasievorstellung>

<§ 21'. Die zugrundeliegenden Auffassungen bei der


Physischen Bildvorstellung, Frage nach der Identität bzw.
Verschiedenheit der Auffassungsinhalte>

Ehe Wir auf diese Fragen, also zumal auf die Frage nach dem
15 Verhältnis zwischen Empfindung und Phantasma uns einlassen,
wollen wir einige interessante und wichtige Analysen absol-
vieren;! wir haben bisher zumeist das Gemeinsame der
Imaginationen aufgrund der Wahrnehmung und der Imagina-
tionen der Phantasie erörtert. Wir wollen jetzt die U n t er-
20 s chi e d e studieren und dabei zugleich etwas tiefer in ihr analy-
tisches Wesen einzudringen trachten.
Eine erhebliche Differenz scheint zunächst hinsichtlich der
zugrunde liegenden Auffassung stattzuhaben. Auf seiten der phy-
sischen Bildvorstellung ist sie, wie es scheint, komplizierter wie
25 auf seiten der Phantasievorstellung. Bei der letzteren ordnet sich
der ganze Komplex der zu ihrer Erlebniseinheit gehörigen sinn-
lichen Inhalte in eine einzige Erscheinung, nämlich in die des
Phantasiebildes. Bei der physischen Bildvorstellung verhält es
sich anders. Hier kommen phänomenal zwei Gegenstände in
30 Frage, es erscheint das physische Bild, und es erscheint abermals
das geistige Bild, das darstellende Bildobjekt. Auf jedes dieser
beiden Objekte kann ich achten, jedes kann ich vorstellend mei-
nen, und jedes 1st in Form einer direkten Erscheinung und nicht

1 Studium der Unterschiede zwischen Phantasie und perzeptiver Imagination.


44 TEXT NR. 1 (1904/05)

einer biossen Symbolisation, auch nicht in Form eines fundierten


Bildsujetbewusstseins, da, es erscheint eben im vollen und eigent-
lichen Sinn. Z.B. wenn ich das übdmeinem Schreibtisch hängen-
de Bild der Raffaelschen Theologie betrachte, so erscheint mir
5 dieses Bild als physisches Ding, als an der Wand hängendes, ich
achte darauf. Ich wechsle die Richtung meiner Betrachtung und
achte auf das Bildobjekt : Ein farbloses, bloss schwarzweiss ge-
töntes Frauenfigürchen, etwa 11 Spannen hoch, erscheint mir da:
umflattert von zwei erheblich kleineren, ebenso getönten Engel-
10 püppchen usw. In der normalen Bildbetrachtung lebe ich im
Bildlichkeitsbewusstsein, ich achte da auf etwas ganz anderes,
ich sehe da eine erhabene Frauengestalt, von übermenschlicher
Grösse, zwei derbe, grosse Engeljungen usf. Auch davon sage ich,
dass es "erscheint", aber das geschieht offenbar nicht im eigent-
15 lichen Sinn. Ich schaue das Sujet in das Bildobjekt hinein, dieses
ist das direkt und eigentlich Erscheinende. Seine erscheinende
Plastik und die erscheinenden Helligkeitsabstufungen verbild-
lichen mir das Sujet hinsichtlich seiner plastischen Form und
seiner wahren, im Bild nicht weiter zum Ausdruck kommenden
20 Farbigkeit.
Wie steht es nun mit dieser Erscheinung, mit der direkten Ob-
jektivierung, die der Bildlichkeitsauffassung zugrunde liegt? Ist
sie in der Erscheinung des physischen Bildobjekts fundiert?
Kommt das Bildlichkeitsbewusstsein hier also zustande dadurch,
25 dass zuunterst die sinnlichen Empfindungen eine Wahrnehmungs-
auffassung erfahren, wodurch das physische Bild sich konsti-
tuiert; dass in zweiter Stufe eine neue Wahrnehmungsauffassung
sich auf diese erste gründet, in ihr erschiene dann das Bildobjekt,
und hierin wäre dann schliesslich das repräsentative Bewusstsein,
30 das der Bildlichkeit, fundiert? So scheint es zu sein. Faktisch
steht uns doch, während wir uns das Sujet imaginieren, das Bild
als räumlich gegenwärtiges Ding und das Bild als Fiktum, als
Träger der Imagination, vor Augen. Und doch wird man zweifel-
haft, sowie die Frage nach den Auffassungsinhalten dieser beiden
35 Erscheinungen erhoben wird. Das Bildobjekt und das physische
Bild haben doch nicht getrennte und verschiedene Auffassungsin-
halte, sondern identisch dieselben. Dieselben Gesichtsempfin-
dungen werden gedeutet als Punkte und Linien auf dem Papier
und werden gedeutet als erscheinende plastische Gestalt. Die-
TEXT NR. 1 (1904/05) 45

selben Empfindungen werden gedeutet als Ding aus Gips


und werden gedeutet als weisse menschliche Gestalt.
Und bei der Identität der Empfindungsunterlage können die
bei den Auffassungen doch nicht auf einmal bestehen, sie können
5 nicht zugleich zwei Erscheinungen abheben. Abwechselnd
wohl, aber doch nicht auf einmal, also gesondert.

<§ 22. Die Erscheinung des Bildobjekts und ihr Charakter


der Unwirklichkeit, des Widerstreits mit dem Gegenwart
konstituierenden Blickfeld der Wahrnehmung>

10 Studieren wir die Sachlage etwas näher: Der Stich zeigt uns
eine Zeichnung. Wir fassen, den Intentionen des Malers und
Stechers hingegeben, nicht die Zeichnung als ein System von
Strichen und Verschattungen auf einer Papierfläche auf, sondern,
soweit die Zeichnung überhaupt reicht, soweit sehen wir nicht
15 Papier, sondern plastische Gestalten, und in ihnen oder durch
sie hindurch vollzieht sich eine Beziehung auf das Sujet. Der
Stich hat einen weissen Papierrand: Da sehen wir Papier. Das
Bild hat einen Rahmen, und der Rahmen hebt sich von der
Wand ab, auf der er mitsamt seinem Papier hängt; die Wand
20 gehört dem Zimmer an, von dem noch ein beträchtlicher Teil in
das Gesichtsfeld hineinreicht. Das alles ist nicht ohne Bedeutung.
Während wir in der Imagination des Sujets leben, verschwindet
nicht unser Blickfeld der Wahrnehmung. Im Gegenteil, wir haben,
wenn auch nicht in Form eines primären Meinens, die Wahr-
25 nehmung der Umgebung; und sie ist Umgebung des Bildes, ja in
gewisser Weise sogar des Sujets. Zunächst, was das Bild anbe-
langt, so gehört es, soweit die Zeichnung nicht reicht, mit in die
Einheit der Wahrnehmungsauffassung. Dagegen fehlt die nor-
male Wahrnehmungsauffassung für die Zeichnung selbst. We-
30 nigstens können wir hier nicht ohne weiteres sagen: Wir sehen
Papier. Die Bildauffassung verdrängt die Papierauffassung, so-
weit die Auffassungsinhalte sich decken. Oder noch besser: Das
Bildobjekt erscheint und ist Träger des Sujet-Bewusstseins. Die
Auffassungsinhalte sind für diese Erscheinung aufgebraucht.
35 Eine zweite Auffassung, die Papierauffassung, ist in gewisser
Weise auch da, sie hängt mit der kontinuierlich einheitlichen
46 TEXT NR. 1 (1904/05)

Blickfeld-Auffassung zusammen, sie wird durch sie er-


regt, aber während das übrige Blickfeld Erscheinung ist, ist sie
nicht Erscheinung, da ihr die Auffassungsinhalte geraubt sind.
Ihre Auffassungsinhalte fungieren jetzt als solche des Bildob-
5 jekts. Und doch gehört sie zu diesen Auffassungsinhalten:
Kurzum, es besteht W i der s t r e i t. Aber in eigener Art. Das
Bildobjekt siegt, sofern es zur Erscheinung kommt; die Auf-
fassungsinhalte durchdringen sich mit der Bildobjektauffassung,
sie verschmelzen zur Einheit der Erscheinung. Aber die andere
10 Auffassung ist noch da, hat ihren normalen, festen Zusammen-
hang mit der Umgebungserscheinung. Die Wahrnehmung gibt
den Charakter der gegenwärtigen Wirklichkeit. Die Umgebung
ist wirkliche Umgebung, auch das Papier ist wirkliche
Gegenwart; das Bild erscheint, aber es streitet mit der wirklichen
15 Gegenwart, es ist also bloss "Bild", es ist, wie sehr es erscheint,
ein Nichts.
Besonders zu beachten ist für diese Überlegung, dass sie in
Umschreibung, in indirekt begrifflichen Reden ausdrückt, was
ganz sichtlich zum Charakter des physischen Bildbewusstseins
20 gehört. Achten Sie vor allem darauf, dass faktisch die Um-
gebung des Bildes bewusst ist, dass faktisch das Bildobjekt in der
Weise eines Wahrnehmungsobjekts erscheint und mit ihm gleich-
sam das hineingedeutete Sujet. Und so haben wir lauter Wahr-
nehmungsauffassungen, die erfahrungsgernäss in Einheit treten.
25 Vi s u e 11 ordnet sich, entsprechend der Kontinuität der Sinnes-
inhalte im Gesichtsempfindungsfeld, die ganze erscheinende
Gegenständlichkeit, die' bildliehe und die der Bildumgebung, in
einen einzigen gegenständlichen Zusammenhang ein. Ein gegen-
ständlicher Zusammenhang, der sich aber nach Realitätswert in
30 zwei Zusammenhänge spaltet. Gehen wir vom Bild aus,
mit den darstellenden und dargestellten Figuren, Landschaften
usw. Diese ideelle Welt ist eine Welt für sich. Warum aber? Wo-
durch ist sie phänomenologisch als solche charakterisiert? Nun,
unser Gesichtsfeld reicht doch weiter als das Bildfeld, und was
35 darin vorkommt, hat seine Beziehung auch zum Bild. Da ist der
Rah m e n. Er umrahmt die Landschaft, die mythologische
Szene usw. Wir blicken durch den Rahmen gleichsam wie durch
ein Fenster in den Bildraum, in die Bild-Wirklichkeit hinein. Mit
diesen Worten ist offenbar am Phänomen etwas ausgedrückt.
TEXT NR. 1 (1904/05) 47

Die gesehenen Objekte und die quasi gesehenen, die Bildobjekte,


treten in Beziehung; Warum ergeben sie aber nicht in Wahrheit
einen gegenständlichen Zusammenhang, und näher einen Wahr-
nehmungszusammenhang? Eine einzige zusammenhängende
5 Gegen wart? Nun natürlich, die Umgebung bis an die Grenze
des Bildes hin, bis dahin, wo eben die Zeichnung und die Bild-
auffassung anfängt, ist wahrgenommen, es ist hier Wahrneh-
mungsauffassung ohne jedes Bildlichkeitsbewusstsein. Das Bild-
objekt aber ist gegeben in einer Wahrnehmungs auffassung, die
10 modifiziert ist durch den Charakter der Imagination. Aber das
genügt noch nicht. Die Erscheinung des Bildobjekts unterschei-
det sich in einem Punkt von der normalen Wahrnehmungs-
erscheinung, in einem wesentlichen Punkt, der es uns unmöglich
macht, sie als normale Wahrnehmung anzusehen: Sie trägt in
15 sich den Charakter der Unwirklichkeit, des Wider-
streits mit der aktuellen Gegenwart. Die Umgebungs-
wahrnehmung, die Wahrnehmung, in der sich uns aktuelle
Gegenwart konstituiert, setzt sich durch den Rahmen hindurch
fort und heisst dort "bedrucktes Papier" oder "bepinselte Lein-
20 wand". Das sehen wir im ei gen t li c he n Sinn nicht. Das
Empfindungsmaterial, das die Bildobjektauffassung für ihre Er-
scheinung in Anspruch genommen hat, kann in eigentlicher
Weise nicht ein zweites Mal zum Erscheinungskern werden. Das
ist evident unmöglich. Aber in uneigentlicher Weise, in der Art
25 "uneigentlicher Präsentation" ist die Papierwahrnehmung ein
Appendix der Umgebungswahrnehmung. Und so haben wir eine
Einheit der Wahrnehmung, die das ganze Gesichtsfeld, das ganze
Wahrnehmungsblickfeld ausfüllt. Das ist die Wahrnehmung, die
"Gegenwart", aktuell gegenwärtige Wirklichkeit, konstituiert.
30 Und damit deckt sich einem Teil nach eine zweite Wahrneh-
mung, oder. vielmehr nur Wahrnehmungsauffassung. Sie löscht
die Eigentlichkeit eines entsprechenden Teils der Jetzt-Wahr-
nehmung aus, sie deckt sich also mit einem Teil jener Wahr-
nehmung, der nur uneigentliche Erscheinung bietet. So haben
35 wir hier Erscheinung, sinnliche Anschauung und Vergegen-
ständlichung, aber in W i der s t r e i t mit einer erlebten Gegen-
wart; wir haben Erscheinung eines Nicht-Jetzt im Jetzt. Im
Jetzt, sofern das Bildobjekt inmitten der Wahrnehmungswirk-
lichkeit erscheint und den Anspruch gleichsam erhebt, mitten da-
48 TEXT NR. 1 (1904/05)

zwischen objektive Wirklichkeit zu haben. Im J' e t z t auch in~


sofern, als das Bildauffassen ein Zeitlich-] etzt ist. Andererseits
aber ein "N ich t-J etzt", sofern der Widerstreit das Bildobjekt
zu einem Ni c h t i gen macht, das zwar erscheint, aber nichts
5 ist, und das nur dazu dienen mag, ein Seiendes dar z u s tell e n.
Dies Dargestellte aber kann evidenterweise niemals das Jetzt,
mit dem es streitet, darstellen, es kann also nur ein anderes, ein
Nichtgegenwärtiges darstellen. Doch könnte dies allenfalls im
Blickfeld, nur ausserhalb des Bildgebietes liegen.

10 <§ 23. Das Verhältnis von wirklich Gegenwärtigem und


blassem Fiktum im Widerstreit zweier
Wahrnehmungsaullassungen bei den Fällen des Sinnenscheins>

Wo immer eine Wahrnehmungsauffassung mit einer zweiten


in Widerstreit tritt - was voraussetzt, dass sie im ganzen oder
15 einem Teil nach dieselbe Empfindungsunterlage haben - , da
bestimmt diejenige Auffassung, die mit der Einheit der gesamten
aktuellen Wahrnehmung sich zu einer umfassenden Gesamt-
wahrnehmung zusammenfügt und an der Kraft der sich wechsel-
seitig fundierenden Glaubensintentionen partizipiert, das wirk-
20lich Gegenwärtige. Die andere Auffassung aber, wofern sie sich
des sinnlichen Inhalts bemächtigt, irgendeines Ausschnittes aus
einem oder mehreren Sinnesfeldern, und eine Erscheinung ergibt,
konstituiert ein bIosses Fiktum, ein Scheinobjekt, ein
bIosses "B il d", wie man auch zu sagen pflegt, auch wo keine
25 Bildrepräsentation statthat.
Das ist also der Fall bei jedem "Sinnenschein".l Der ge-
brochene Stab im Wasser ist eine Fiktion, ein Scheinbild: Denn
die visuelle Auffassung ist in uneigentlicher Wahrnehmung er-
gänzt durch gewisse taktile Auffassungen. Das wirkliche Abtasten
30 und Greifen ergibt aber einen "geraden" Stab, der seinerseits
normalerweise eine andere visuelle Erscheinung verlangt. -
Oder nehmen wir unser Puppenbeispiel : Sehe ich in der Puppe
einen Menschen, so habe ich eine Wahrnehmungserscheinung. So-
wie ich der Täuschung inne bin, mag ich dieselbe Erscheinung

1 Spiegelbild im Wasser.
TEXT NR. 1 (1904/05) 49

noch haben, die sinnlichen Inhalte als Menschen noch weiter mir
erscheinen lassen, aber nun habe ich den Widerstreit gegen die
Wirklichkeit: Die aktuelle Ge gen war t ist hier bestimmt durch
die Umgebung und durch die gesehene, aber als Wa c h s pup p e
5 gesehene Figur, die mit ihr gegenständliche Einheit teilt. Inter-
pretiere ich anders, so fühle ich eben das "anders", ich fühle
den Widerstreit, ich habe die Erscheinung eines Ni c h t s. Dieser
:\Iensch ist ein Ni c h t s. Die Sachlage ändert sich aber wieder,
wenn die Figur vermöge ihrer Ähnlichkeit eine bekannte Person
10 darstellt. Die Person im Jetzt, in der Gegenwart, der sie sich
scheinbar, nämlich einerseits erscheinungsmässig und anderer-
seits mit Widerstreit einordnet, ist ni c h t s, aber sie stellt nun
ein ähnliches, aber nicht hier, nicht gegenwärtig Seiendes vor.

<§ 24. Vorblick auf die Sachlage bei der Phantasie:


15 völlige Trennung von Phantasiefeld und Wahrnehmungsfeld>

Ganz anders ist, wie wir bald sehen, die Sachlage im Fall der
Phan t asie (die Erinnerung inbegriffen). Die Auffassungs-
inhalte der Phantasie sind offenbar nicht zugleich Träger von
eigentlichen oder uneigentlichen Wahrnehmungsauffassungen.
20 Das Phantasiebild erscheint nicht im objektiven Zusammenhang
der gegenwärtigen Wirklichkeit, der Wirklichkeit, die sich in der
aktuellen Wahrnehmung, im aktuellen Blickfeld konstituiert. Der
Zentaur, der mir jetzt in der Phantasie vorschwebt, bedeckt
nicht scheinbar ein Stück meines Blickfelds, so wie der Zentaur
25 eines Böcklinschen Bildes, das ich wirklich sehe. Der wirkliche
Raum der Wahrnehmung hat nicht eine Partie, die sich so und so
umrahmt und zwischen sich einem fiktiven Raum Platz lässt für
meine Phantisien. Das Phantasiefeld ist völlig getrennt vom
Wahrnehmungsfeld. Wenn aber dies, warum scheiden wir beide
30 unter den Titeln Wahrnehmung und Phantasie? Etwa wegen der
Bildlichkeitsauffassung? Aber könnte es nicht sein, dass Phanta-
:,ieauffassungen ohne alle Bildlichkeit fungierten, und wären sie
dann nicht Wahrnehmungen? Könnten wir dann etwa zwei
Wahrnehmungsfelder, nur zwei getrennte, also mehrfache Ge-
35 sichtsfelder, mehrfache Tastfelder usw. haben? Und könnte nicht
50 TEXT NR. 1 (1904/05)

einmal das Phantasiefeld sich in Wahmehmungsfeld, das Wahr-


nehmungsfeld in Phantasiefeld verwandeln?

<§ 25. Rekapitulation: Die doppelte Art der Repräsentation durch


Ahnlichkeit, I) die innere Bildlichkeit als das eigentlich imaginative
5 Bewusstsein; die veranschaulichenden Momente bei der Bildobjekts-
erscheinung als Träger des Bewusstseins der inneren Repräsentation
und die übrigen Momente; der doppelte Widerstreitscharakter der
Bildobjekterscheinung, 2) die äussere Bildlichkeit als Weise des
symbolischen Bewusstseins>l

10 Wir waren in den letzten Vorlesungen bemüht, die Imagination


in ihren verschiedenen Gestaltungen zu studieren. Wir hatten zu-
erst versucht, die Phänomene der physischen Bildlichkeit und
die Phantasiephänomene (die Erinnerungsphänomene einbegrif-
fen) unter gleichem Gesichtspunkt zu behandeln. 2 Wir stiessen
15 auf eine Reihe höchst merkwürdiger Unterschiede. Innerhalb der
physischen Bildlichkeit trat als sehr wichtig hervor das Bewusst-
sein der immanenten Bildlichkeit im Unterschied von dem der
transeunten Bildlichkeit. Das letztere subsumierten wir einem
weiter gefassten Begriff der symbolischen Repräsentation. Eine
20 Bildrepräsentation kann also in doppelter und wesentlich ver-
schiedener Art statthaben. 3 Sie kann 1) den Charakter der inne-
ren Repräsentation haben. Wir schauen im Bild selbst das Sujet,
wir schauen das letztere in das erstere hinein, das Bild (genauer
gesprochen das Bildobjekt) bringt in <sich> selbst das Sujet zur
25 anschaulichen Vorstellung, und dies in grösserem oder geringerem
Ausrnass, nach einer grösseren oder geringeren Zahl von ver-
bildlichenden Momenten. Es zei.gt sich nämlich ein merkwürdiger
Unterschied hinsichtlich der verschiedenen Momente, aus denen
sich die Erscheinung des Bildes aufbaut. Die einen sind nämlich
30 die eigentlichen Träger des Bewusstseins der inneren Repräsen-
tation, die anderen haben diese Funktion nicht. In den einen
stellt uns das Bildobjekt das Sujet dar; auf sie hinblickend, sie
1 24.I.1905.
2 Der letzte Satz ist später wieder gestrichen worden. - Anm. d. Hrsg.
3 Den Punkt hat Husserl später in ein Komma verandert und den folgenden Text
eingefügt: "den Charakter der inneren und ausseren, der immanenten und transeunten
Bildlichkeit <haben>. Fuhren wir das rekapitulierend näher aus". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904/05) 51

im Bewusstsein sozusagen betonend, aber keineswegs in der


Weise ihrer Abstraktion,! schauen wir das Sujet, in ihnen ist es
im eigentlichen Sinn vergegenwärtigt. Vermöge dieser Aus-
zeichnung haben sie eine besondere Geltung, eben die Geltung als
5 veranschaulichende Momente. Dies betrifft z.B. bei einem Stahl-
stich oder bei einer Gipsbüste die plastische Form des Bild-
objekts, nicht aber die Schwarzweiss-Nuancen. Diese Momente,
also die ergänzende Gruppe der die Erscheinung des Bildes kon-
stituierenden Momente, entbehren der erwähnten Auszeichnung
10 oder Geltung. Sie sind im Bild da, sie gelten aber nicht. In ihnen
schauen wir das Sujet nicht an. Sie haben nicht einmal symbo-
lische Funktion, sie weisen nicht als Zeichen auf die entsprechen-
den, aber artders bestimmten Sujet-Momente hin. Sie haben zu
diesen überhaupt keine 2 Beziehung. Wohl aber haben die ver-
15 anschaulichenden Momente vermöge der Assoziation ihren in-
tentionalen Zusammenhang mit diesen Sujet-Momenten. Sowie
das Interesse auf diese Momente speziell geht, tritt das Wider-
streitbewusstsein hervor, das Bewusstsein des "Andersseins" des
gemeinten Objekts. Aber auch ohne dieses Interesse sind die zu-
20 gehörigen Bildmomente mit Widerstreitcharakter behaftet. Es
ist nicht das sich sozusagen logisch entfaltend-synthetische Wi-
derstreitbewusstsein, aber ein phänomenologischer Charakter, ein
Charakter sozusagen der Widerspannung, der Nichtigkeit u.dgl.
Und um seiner Einheit willen hat das ganze Bildobjekt, sowie wir
25 es als Ganzes nehmen und beachten, diesen Widerstreitcharakter.
Es hat überhaupt in doppeltem Sinn einen Widerstreit zu tragen.
Einmal a) den Widerstreit gegen die aktuelle Wahrnehmungs-
gegenwart. Das ist der Widerstreit zwischen Bild als Bildobjekt-
erscheinung und zwischen Bild als physischem Bildding ; b) das
30 andere Mal den Widerstreit zwischen der Bildobjekterscheinung .
und der sich damit verschlingenden oder vielmehr sich mit ihr
überschiebenden Vorstellung des Sujets. Je grässer der Um-
fang der Übereinstimmung zwischen Bildobjekt und Bildsujet
ist, und zwar, wie selbstverständlich, der bewussten überein-
35 stimmung, die sich eben im Bewusstsein der immanenten Bild-
lichkeit bekundet, um so vollkommener ist das Sujet im Bild
veranschaulicht, um so mehr fühlen wir, uns in das Bild hinein-
1 Nota bene.
2 Spater eingefügt: "intentionale". - Anm. d. Hrsg.
52 TEXT NR. 1 (1904/05)

schauend, das Objekt als vergegenwärtigt, und um so weniger


tritt die Widerspannung der übrigen, als Lückenbüsser fungie-
renden Momente gegen die Meinung des Sujets hervor. Doch kann
auch bei beträchtlicher Differenz die über das Bildobjekt hinaus-
5 gehende oder auf Ergänzung, auf reichere Anschauung gerichtete
Intention zurücktreten, wenn, wie es bei der ästhetischen Be-
trachtung der Fall ist, bei gleicher Auffassungsgrundlage die
Meinung eben nicht ausschliesslich auf das Sujet geht, vielmehr
ein Interesse, und zwar ein ästhetisches Gefühlsinteresse, am
loB il d 0 b j e k t hängt, und an ihm auch nach nichtanalogisieren-
den Momenten hängt. Ich erinnere, da ich früher darüber nicht
gesprochen habe, an die ästhetische Funktion der Reproduktions-
mittel und -materialien, z.B. die breite Pinselführung mancher
Meister, an die ästhetische Wirkung des Marmors usw. Das Bild-
15 sujetbewusstsein ist hier auch vorhanden und keineswegs un-
wesentlich, denn ohne das gibt es kein ästhetisches Bild, aber die
Meinungsweise, die Verteilung der meinenden Intentionen sowie
der Gefühlsintentionen ist eine ganz andere wie etwa bei der
Photographie, die wir nicht ästhetisch, sondern als Bild eines
20 Freundes, eines grossen Mannes u.dgl. anschauen. Hier können
wir nur durch das Bi I d als Medium die Person schauen.
Soviel über die innere Bildlichkeit, in der wir das eigentlich
imaginative Bewusstsein sehen. Wir unterscheiden davon aber
fürs zweite eine äussere, transeunte Bildlichkeit, eine andere
25 Weise der Repräsentation durch Ähnlichkeit, die in eine Reihe
gehört mit der Repräsentation durch Zeichen, oder die zum
mindesten das imaginative Bewusstsein mit dem signitiven
vermittelt. Eine Photographie, wenn sie zumal sehr gut ist, ver-
gegenwärtigt uns eine Person. Wir schauen uns in die Photo-
30 graphie hinein. Eine Photographie kann aber auch an die Person
in ähnlicher Weise er i n n ern wie ein Zeichen an das Bezeichnete.
Tut sie das, dann ist das Bild phänomenologisch charakterisiert
als das Erinnernde, die Person selbst aber, die uns in einer zwei-
ten, gesonderten, obschon angeknüpften Vorstellung intentional
35 ist, etwa in einer Phantasievorstellung (evtl. aber auch in einer
bloss leeren Intention), die Person, sage ich, erscheint dann als
das, woran das Bild erinnerte. Bilder können aber auch ganz wie
Symbole ins 0 f ern fungieren, als sie wie diese, konventionell
oder auf Grund einer willkürlichen eigenen Festsetzung, die Be-
TEXT NR. 1 (1904{05) 53

stimmung erhalten, in dieser Weise als "Erinnerungs-Motoren"


zu fungieren. In diesem Fall tragen die Bilder, so wie die Symbole,
einen eigenen phänomenologischen Charakter, sie sind mit einem
Soll e n behaftet, sie führen nicht nur die Vorstellung des be-
5 deuteten Objekts mit sich, sie weisen auch darauf hin als <auf>
das, was gemeint sein soll, sie lenken das Interesse von sich ab
und wollen es gleichsam ablenken. Ein illustratives Inhaltsver-
zeichnis l für eine Sammlung von Kunstwerken (die das eigent-
lich Gemeinte und Bezeichnete sind), eine Hieroglyphe,2 usw.
10 bieten die Beispiele.
Der Blick auf das, Bild führt natürlich eine gewisse primäre
Imagination, ein inneres Bildlichkeitsbewusstsein mit sich. Aber
dieses in der Regel unvollkommene Bewusstsein ist nur der An-
halt für ein daran angeknüpftes und nach aussen gerichtetes
15 Symbolbewusstsein. Das Ähnliche weist auf ein anderes, nicht
in ihm innerlich zu Schauendes, sondern in einer neuen Vorstel-
lung vorstellig zu Machendes hin. Das Ab bild ist nicht Ver-
anschaulichung oder nicht allein Veranschaulichung, sondern
ist wesentlich oder ist 3 zug 1eie h Z eie h e n, Symbol, des Ur-
20 bildes. "Zugleich", das darf natürlich nicht "zeitlich zugleich"
bedeuten. Denn die beiden Funktionen sind im N ach ein-
an der aufeinandergebaut, während sie in der Koexistenz sich
hemmen. Wer hineinschaut, schaut nicht hinaus, wer das Sujet
im Bi I d e sucht und sieht, der kann, während er dies tut, nicht
25 zugleich es auswärts sehen und suchen. 4 Aber wohl kann, wer im
Hineinschauen nicht befriedigt istrsich nach einem anderen, b~s­
seren Bild oder einer anderen anschaulichen Vorstellung umtun,
und wieder kann man im flüchtigen Erblicken der inneren Sujet-
Darstellung sich vom Bild abwenden, in einer äusserlich ange-
30 knüpften symbolischen Intention sich dem Symbolisierten und
evtl. anschaulich Vergegenwärtigten zuwenden.
Das alles haben wir in Hauptzügen schon früher kennen-
gelernt, ich habe es gerne wiederholt, da ich die Sachlage mit der
eben gegebenen Darstellung vielleicht noch klarer und prägnanter
I
1 Das physische Bild weist auf das physische <Bild> hin, das Fiktum ist Bild-
HInweis eines anderen Fiktums, die Bildauffassung Hinweis auf eine andere Bild-
auffassung.
2 Spater eingefügt: "Skizzen als Erinnerungsbilder". - Anm. d.IHrsg.
3 "wesentlich oder ist" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
4 Das 1st aber nur Sache der Aufmerksamkeit.
54 TEXT NR. 1 (1904/05)

darstellen konnte als früher. Jedenfalls muss man sie sich ganz
zu eigen machen, um sicher weiterbauen zu können.

<5. KAPITEL
Die Phan tasieerscheinung im Kontrast zur
5 physisch-bildlichen Erscheinung und zur
W ahrnehm ungserschein ung>

<§ 26. Das Fiktum und die Frage nach der


Erscheinungsweise des "Phantasiebildes">

Unser Absehen ging am Schluss der letzten Vorlesung auf die


10 Unterscheidung zwischen Phantasievorstellung und gewöhnlicher
Bildvorstellung. Die Bildvorstellung ist uns vollkommen klar ge-
worden. Die Phantasievorstellung zeigte noch ernste Schwierig-
keiten und Dunkelheiten. Ihre Betrachtung unter dem allge-
meinen Titel Imagination schien zu verlangen, sie ebenfalls als
15 bildliehe Vorstellung, und zwar als immanente Bildvorstellung
zu betrachten. Andererseits verliess uns nicht das Gefühl einer
gewissen Unbefriedigung. Wir fühlten, die Sachlage ist bei der
Phantasie vorstellung sicher nicht dieselbe wie bei der physischen
Bildvorstellung.
20 Eines ist ja von vornherein klar: Das "Bild" im physischen
Fall, nämlich das Bildobjekt, ist ein Fiktum, ein Wahrneh-
mungsobjekt, aber ein Scheinobjekt. Es erscheint in der Art wie
ein wirkliches physisches Ding, aber es erscheint mit Widerstreit
gegen die aktuelle, in widerstreitloser Wahrnehmung sich her-
25 stellende Gegenwart. Dieses Fiktum, oder vielmehr dieses Fik-
tionsbewusstsein durchdringt sich nun mit dem Bewusstsein der
Repräsentation. So erwächst hier das imaginative Bewusstsein.
Und es erwächst in dem neuen Widerstreit zwischen Fiktum
und Imaginatum.
30 Blicken wir andererseits auf die Phantasie hin, so fehlt hier
das F i k t u m. In diesem Sinn <ist> das "Phantasiebild" kein
Bild, das sich inmitten der aktuellen Gegenwarts-Wirklichkeit
festsetzte. Es erscheint nicht in Form einer Wahrnehmungsauf-
fassung, es konstituiert sich nicht als ein quasi Wirkliches zwi-
35 sehen den phänomenalen Wirklichkeiten des Blickfeldes, und es
TEXT NR. 1 (1904/05) 55

erweist sich nicht als Fiktum durch seinen Widerstreit gegen die
in sich unbestrittene Wirklichkeit des Gegenwärtigen. Wie er-
scheint es also? Erscheint es ,wirklich in der Weise eines Bildes?
Konstituiert sich wirklich in der Phantasie ein Bildobjekt, durch
5 das hindurch ein Bildsujet angeschaut wird? Ich muss gestehen,
dass ich hier immer wieder von ernstem Zweifel ergriffen wurde.
Ein Teil der Schwierigkeiten behob sich, nachdem die Unter-
schiede der äusseren und inneren Bildlichkeit auseinandertraten.
Normalerweise fungiert die Phantasieerscheinung sicher nicht
10 in der Weisel einer äusseren Bildlichkeit, sie repräsentiert nicht
nach aussen. Oder vielmehr, sie muss es nicht tun, aber sie k a n n
es tun: wie wenn wir uns nach einer Reisebeschreibung ein Bild
von einem Lande machen, natürlich mit dem vollen Bewusstsein,
dass es sich dabei nur um ein mehr oder minder entferntes
15 Analogon handle; oder wenn wir ein Musikwerk uns vorstellig
machen durch Themen, ein Stückchen Melodie, wo das Vor-
gestellte neben seiner inneren Bildlichkeit auch mit nach aussen
weisenden Intentionen behaftet ist, u.dgl. Aber auch da ist über-
all die innere Bildlichkeit das erste und das Hinausweisen auf ein
20 anderes, in anderen Vorstellungen zur Anschauung Kommendes
ein Darangeknüpftes. Lassen wir also die ä u s s e ren Inten-
tionen beiseite, da sie ohnehin innere voraussetzen, an die sie
erst angeknüpft sein müssen, so fragt es sich eben bezüglich dieser
inneren Intentionen, wie sie zu verstehen, und ob sie wirklich
25 auch als Bildintentionen zn verstehen sind. 2 Sind sie es, dann
konstituiert sich das Bildbewusstsein jedenfalls auf einem ande-
ren Fundament. Jener Widerstreit der aktuellen Gegenwart
gegen das sich als Fiktum Dazwischensetzende fehlt, aber muss
nicht dafür ein anderer Widerstreit suppo<nierb <werden>?
30 Würde nichts die Erscheinung bestreiten, müsste sie da nicht als
Wahrnehmung' gelten? Ist nicht die schlichte direkte Auffassung
dasjenige, was Erscheinung ausmacht, so dass Erscheinung in
primärem und echtem Sinn überall dieselbe Auffassungsweise be-
deutet?3 Was charakterisiert die eine Erscheinung als Erschei-
1 Später eingefügt: "eines Bildes im Sinne". - Anm. d. Hrsg.
2 "und ob" bis "sind" später verandert in "und ob sich wirklich ihre Auffassung
als Bildintentionen bis zum Ende durchführen lasst". - Anm. d. Hrsg.
3 Der letzte Satz wurde später verändert in: "Ist nicht die schlichte direkte Auf-
fassung, dasjenige, was Erscheinung ausmacht, überall dasselbe? So dass Erscheinung
In primarem und echtem Sinn überall dieselbe Weise der Vorstelligwerdung bedeutet?"
- Anm. d. Hrsg.
56 TEXT NR. 1 (1904/05)

nung eines Gegenwärtigen und eine andere als Erscheinung eines


Nichtgegenwärtigen ? Wir- begreifen es, dass im Fiktum ein Nicht-
gegenwärtiges erscheinen und in weiterer Folge bildlich darge-
stellt werden kann. Das Fiktum ist ja anders charakterisiert als
5 jede andere Gegenwartserscheinung, es trägt das Brandmal der
Nichtigkeit an sich, es ist Vorstellung einer Gegenständlichkeit,
aber der Widerstreit zeichnet sie als nichtgegenwärtige. Fehlte
der Widerstreit, wie könnte die Erscheinung etwas anderes' vor-
stellen als Gegenwärtiges?

10 <§ 27. Die Phantasieerscheinung: Grade und Stufen der


A ngemessenheit der Vorstellung an ihr Objekt im Falt der
physischen Bildlichkeit und bei der Phantasie>

Also sehen wir uns die Phantasieerscheinung näher an. Da


müssen wir zunächst verschiedene Grade und Stufen der An-
15 gemessenheit der Vorstellung an ihr Objekt unterscheiden. l Auch
in der Sphäre der physischen Bilder finden wir verschiedene
Stufen der Angemessenheit der Darstellung des Bildsujets durch
das Bildobjekt. Zunächst, was die Extensität, den Umfang
der verbildlichenden Momente anbelangt, können in die Ver-
20 bildlichung bald mehr, bald weniger Momente der Bilderschei-
nung hineingezogen sein. Der Umfang ist grösser beim Ölgemälde
oder Öldruck wie beim Stich oder der Tuschzeichnung. Aber
noch in einer anderen Weise kann grössere oder geringere An-
gemessenheit bestehen, nämlich in Hinsicht sozusagen auf die
25 In t e n s i t ä t der Bildlichkeit, nämlich auf den Stufengrad der
in Frage kommenden primitiven Ähnlichkeiten. Eine Zeichnung,
welche nur Umrisse andeutet, kann sie in vollkommener Ähn-
lichkeit geben und so in Hinsicht auf dieses ein e Moment ein
vollkommenes Bewusstsein innerer Bildlichkeit gewähren. Ein
30 Gipsabguss kann gut und schlecht sein, und zwar nicht objektiv,
sondern phänomenologisch geredet. Nämlich die plastische
Form kann uns ein vollkommenes Bild des Gegenstandes ge-
währen, wir schauen im Gips ohne das leiseste Widerstreit-
bewusstsein oder Abstandsbewusstsein die plastische Form des
1 Spater eingefugt : "Dasselbe Objekt lässt sich auf unendlich verschiedene Weisen
in der Phantasie vorstellen". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. t (t 904/05) 57

dargestellten Gegenstandes, etwa des Moses von Michelangelo.


Und das Umgekehrte kann der Fall sein. Wir fühlen den Ab-
stand. Ein Farbendruck kann die Form vollkommen wieder-
geben, die Färbung unvollkommen: Die Färbung wird hier als
5 Träger der Bildlichkeit genommen, aber die Analogisierung ist
eine für unser Bewusstsein unvollkommene: Die Darstellung ist
eine fühlbar unangemessene.
Diese graduellen Unterschiede im Fall der physischen Bildlich-
keit ändern aber nichts daran, dass das Fiktum uns in voller
10 Kraft und Fülle der Wahrnehmung erscheint. Mag der Farben-
druck, der Stich, die Zeichnung noch so schlecht sein, sie bringen
U:1S ein Bildobjekt zur Erscheinung mit derselben sinnlichen
Kraft und Fülle, wie dies nur irgendeine echte Wahrnehmung
tut. Abstrahieren wir von den begleitenden Aktcharakteren, in
15 denen uns Geltung oder Nichtgeltung, Angemessenheit oder
Nichtangemessenheit, repräsentative Bedeutung u.dgl. zum Er-
lebnis wird, dann ist zwischen einem gemalten und einem wirk-
lichen Ding prinzipiell kein Unterschied mehr. Oder besser viel-
mehr: zwischen der Dingerscheinung in dem einen und anderen
20 Fall.
\Vie steht es nun in diesen Beziehungen mit der P h an t a sie?
Sicherlich haben wir in der Phantasie Erscheinungen in demsel-
ben oder mindestens in ausserordentlich nah verwandtem Sinn
wie in der Wahrnehmung oder in der physischen Bildlichkeit.
25 Gegenstände, und oft dieselben Gegenstände wie in der Wahr-
nehmung und in der Abbildung, stehen uns in der Phantasie
gegenüber, und apriori können wir es als Evidenz in Anspruch
nehmen, dass jeder Gegenstand, der überhaupt in der einen Form
erscheinen kann, in jeder dieser Formen erscheinen kann, m~t
30 all den gleichen Unterschieden von eigentlicher und uneigent-
licher Präsentation, von erscheinender Seite und nichterschei-
nender Seite usw. Andererseits ist es aber sicher, dass im all-
gemeinen grosse Unterschiede bestehen. Und vor allem hin-
sichtlich des zuletzt besprochenen Punktes. Das erscheinende
35 Phantasieobjekt erscheint im allgemeinen nicht so, dass wir, wie
bei den physischen Bildobjekten, sagen könnten, es sei, von den
differenten Aktcharakteren abgesehen, prinzipiell kein Unter-
schied gegenüber der Wahrnehmungserscheinung. Nicht nur,
dass das Phantasieding nicht im Blickfeld der Wahrnehmung er-
58 TEXT NR. 1 (1904/05)

scheint, sondern sozusagen in einer ganz anderen Welt, die von


der Welt der aktuellen Gegenwart gänzlich getrennt ist; viel-
mehr auch in sich selbst besteht normalerweise ein Unterschied:
Das Phantasieding erscheint als ein Gestaltetes, Farbiges usw.,
5 und doch können wir es nicht erwarten, genau ein ebensolches
inmitten der Wahrnehmungsobjekte zu finden. Denken wir uns
den Charakter der Nichtigkeit und Bildlichkeit beim Bildobjekt
der physischen Bildlichkeit gestrichen, so haben wir ein Wahr-
nehmungsobjekt sogut wie irgendeines. Tun wir aber dasselbe
10 mit dem Phantasieding, so haben wir das nicht. Genau so ge-
nommen, wie es in der Phantasie erscheint, findet es sich in keiner
Wahrnehmung.

<§ 28. Das Proteusartige der Phantasieerscheinung:


der Wechsel der Fülle, Kratt und Lebendigkeit und der
15 damit zusammenhängende Wechsel in der Angemessenheit
der Repräsentation>

Indessen, ich sagte vorhin mit einiger Vorsicht: im allge-


meinen verhalte es sich so. Was für <eine> Einschränkung be-
sagt diese Allgemeinheit? Wir alle unterscheiden zwischen leb-
20 haften, klaren, festen Phantasien und blassen, unklaren, unfass-
bar flüchtigen, luftig-schattenhaften Phantasien.
Mitunter, bei den meisten Personen nur ganz ausnahmsweise,
treten die Phantasieerscheinungen in einer Weise auf, die sich
derjenigen der Wahrnehmungserscheinung annähert, ja bis zur
25 phänomenologischen Gleichheit anzunähern scheint. Ob es wirk-
lich Gleichheit ist und werden kann, das ist kaum zu entscheiden.
Genug, dass man sehr zweifelhaft werden kann, ob für gewisse
Klassen von Personen und Fällen überhaupt noch ein Unter-
schied besteht; aber in diesen Grenzfällen <ist> auch zweifelhaft,
30 ob dann nicht Halluzination oder eine darauf gegründete phy-
sische Bildauffassung die eigentliche Phantasieauffassung ab-
löst. Ausschliessen müssen wir natürlich diejenigen Fälle, wo
Halluzinationen sich in das Wahrnehmungsfeld hineindrängen
und sich darin behaupten wie echte Wahrnehmungserscheinun-
35 gen. Dann ist von Phantasie überhaupt nicht mehr die Rede.
Zum Wesen der Phantasie gehört das Nich tgegenwärtig-
TEXT NR. 1 (1904/05) 59

k e i t s-Bewusstsein.' Wir leben in einer Gegenwart, wir haben


ein Blickfeld der Wahrnehmung, aber daneben haben wir Er-
scheinungen, die gänzlich ausserhalb dieses Blickfeldes ein Nicht-
gegenwärtiges vorstellen.
5 Wie auch immer es mit der Annäherung an die Grenze der
pnnzipiellen Gleichartigkeit mit der Wahrnehmungserscheinung
<sich> verhalten mag (wir wollen das näher hier nicht diskutieren),
es gibt oft Fälle, wo sich Phantasieerscheinungen als kernige Ge-
staltung geben, wo sie scharf gezeichnete, plastische, farbensatte
10 Gegenstände zur Anschauung bringen. In unzähligen und den
meisten Fällen verhält es sich anders. Die Phantasieobjekte er-
scheinen wie leere Sc h e m e n, durchsichtig blass, mit ganz
ungesättigten Farben, mit mangelhafter Plastik, oft nur vagen
und schwankenden Konturen, ausgefüllt mit einem je ne sais
15 quai, oder eigentlich mit nichts ausgefüllt, mit nichts, was dem
Erscheinenden als begrenzende, so und so gefärbte Fläche zu-
gedeutet würde. Proteusartig ändert sich die Erscheinung, da
blitzt etwas wie Farbe und plastische Form auf, und schon ist es
wieder weg, und die Farbe, auch wo sie aufblitzt, hat etwas
20 eigentümlich Leeres, Ungesättigtes, Kraftloses; und ähnlich die
Form etwas so Vages, Schattenhaftes, dass uns nicht einfallen
konnte, dergleichen in die Sphäre aktueller Wahrnehmung und
Bildlichkeit hineinzusetzen. Das sind Unterschiede, die wir zwar
mit Ausdrücken aus dem Wahrnehmungsgebiet beschreiben und
25 doch nicht in ihm wiederfinden; es sind neue Unterschiede. 1
Ungesättigte Farben in der Wahrnehmung, das sind Farben, die
sich dem Grau nähern. Aber ein Grau kann etwas so Klares,
Festes Reelles sein wie nur irgendeine Farbe. Aber das Rot, das
in der Phantasie auftaucht, nähert sich nicht nur dem Grau an,
30 obschon es das gerne tun mag; denn wenn es das tut, so zeigt
doch das Grau der Phantasie selbst eine unsagbare Leere, der die
Fülle des wahrgenommenen Grau als Gegensatz gegenübersteht.
Es fehlt nicht ganz an Analoga im Wahrnehmungsgebiet: Ich
erinnere an die Erscheinungen, die wir in der Dämmerung, be-
35 sonders bei Nebel, oder im Halbdunkel haben; die Unterschiede

1 Genauer betrachtet sind es zwei Unterschiede. Zunächst 1) der Unterschied der


KraftlgkeIt und Unkraftigkeit, der Lebendigkeit, der Fulle und Leere und Leblosig·
kelt< ?>.
DIeser erste Unterschied bezieht sich auf die primitiven Momente der Darstellung:
dIeselben Momente können kräftiger, minder kraftig etc. <sein>.
60 TEXT NR. 1 (1904105)

der Fülle, welche die Erscheinungen je nach Wechsel der Beleuch-


tungshelligkeit besitzen. Und doch erscheint es wieder anders.
Während also bei der physischen Bildlichkeit die primären Er-
scheinungen, die der Bildobjekte, ganz und gar die Fülle und
5 Kraft der Wahrnehmung haben, eröffnet sich hier bei den
Phantasiebildern, den primären Phantasieerscheinungen, eine
Sphäre von Unterschieden und graduellen Abstufungen, welche
eben die Fülle, Lebendigkeit der Erscheinung betreffen, und sie
offenbar betreffen auf Grund entsprechender Unterschiede in den
10 Auffassungsinhalten, den Phantasmen. Offenbar hängt mit die-
sem Wechsel der Fülle und Lebendigkeit auch ein Wechsel in der
Angemessenheit der Repräsentation in der Phantasie zusammen.
Allgemein zu sagen ist es ja sicher, dass die Phantasievorstel-
lungen mit den Bildvorstellungen den Unterschied zwischen voll-
15 kommener und unvollkommener Darstellung gemein haben. Aber
ein gradueller Wechsel der Angemessenheit tut sich bei der Phanta-
sievorstellung auf, der bei der physischen Bildlichkeit fehlt. Und
zug 1 e ich werden wir aufmerksam, dass bei der letzteren das je-
weilige Bild ein festes Bild zu sein pflegt, das daher seine Stufe der
20 Angemessenheit ein für allemal hat. Hier aber ist das Bild etwas
Schwebendes, Schwankendes, sich Änderndes, bald an Fülle und
Kraft Zunehmendes, bald Abnehmendes, also in der Vollkommen-
heitsskala dadurch beständig immanent sich Änderndes. Doch
das gehört zugleich schon zu einem zweiten Punkt.

25 <§ 29. Kontinuität und Diskontinuität bei


Wahrnehmungserscheinung, physisch bildlicher
Erscheinung und Phantasieerscheinung>

Ein zweiter, bei den gemeinen Bildern fehlender Unterschied


liegt nämlich in der nicht nur das Moment der Lebendigkeit be-
30 treffenden Dis k 0 n tin u i t ä t der Erscheinungsfolge auf Grund
derselben, sich identisch erhaltenden Vorstellungsintention
gegenüber der Kontinuität im Fall der physischen Bilderschei-
nung, die sich darin genau so Wie bei der Wahrnehmung verhält.
Mit einem Wort: das Proteusartige der Phantasie.1
1 An dieser Stelle fügte Husserl ein auf ,,2.X.1898" datiertes Blatt in das Vor-
lesungsmanuskript von 1904/05 ein. Es trägt den oben S. 61, Zeile 1 bis S. 63, Zeile 5
wiedergegebenen Text; vgl. die Textkritischen Anmerkungen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904/05) 61

In der Einheit einer Wahrnehmung gibt es nur solche Än~


derungen der Erscheinungsgrundlage, welche Zusammengehöri-
ges in Zusammengehöriges ändern. Die Einheit der Synthesis des
Wahrnehmungszusammenhangs bzw. des Zusammenhangs in der
5 Auffassungsgrundlage ist eine fest geordnete. In dieser Ordnung
gehört ein jedes Glied in seinen bestimmten Zusammenhang.
Dasselbe gilt von der Einheit des repräsentativen Bildes in der
physischen Bildvorstellung. All die Änderungen, welche er~
wachsen, indem unser Blick über das Bild hinweggleitet, gehören
10 zusammen, in ihnen konstituiert sich die betreffende "Seite" des
Gegenstandes. Und wenn das Bild 'ein bewegliches ist, wie etwa
im Stroboskop,' im Kinematographen, so wird doch die Einheit
des präsentativen und dementsprechend des repräsentativen
Zusammenhangs (dem die Einheit des sich in ihm entfaltenden
15 Gegenstandes! entspricht) gewahrt.
Darin besteht die Stetigkeit und Konstanz der Erscheinung.
Wie immer die Erscheinung wechseln mag, wo eben die Auffas~
sungsgrundlage eine flüssige ist, da bewegt sich die Änderung in
den Grenzen, die ihr die synthetische Einheit des prä sen t a~
20 ti v e n Zusammenhangs vorschreibt. In allem Wechsel erscheint
ein und derselbe Bildgegenstand und durch ihn kommt der eine
und selbe abgebildete Gegenstand zur Vorstellung. Wir haben
hier also eine identische repräsentative Beziehung. Jedes reprä-
sentative Moment behält in aller Änderung seine repräsentative
25 Funktion, nämlich es gehört zur identischen Einheit des Bild~
gegenstandes, der sich in der wechselnden Erscheinung nur in
dieser oder jener Richtung entfaltet.
Demgegenüber steht das Proteusartige der Phanta~
sie e r s c h ein u n g: Es liegt darin, dass in der Einheit der Phan~
30 tasievorstellung die Ein h e i t des repräsentativen Bildes niclit
gewahrt bleibt. Der als Bild erscheinende Gegenstand bleibt in
der Einheit der bildlichen Vorstellung, in der identischen Einheit
der auf denselben ungeänderten Gegenstand gerichteten Inten-
tion, nicht ungeändert, sondern wechselt beständig. Und damit
35 wechselt Reichtum und Armut an repräsentativen. Momenten.
Das Bild ist jetzt ein getreuer Repräsentant des Gegenstands,
dann wieder ein weniger getreuer. Es ist jetzt eben ein Gegen~
1 "Gegenstandes" später verändert in "Bildobjekts und Bildsujets". - Anm. d.
Hrsg.
62 TEXT NR. 1 (1904{05)

stand zur Erscheinung gekommen, der aus dem vorigen sich


herausentwickelt haben mag, aber eben nicht mehr derselbe ist,
sondern ein anderer, mit weniger reichen repräsentativen Mo-
menten. Gewöhnlich liegt die Sache so, dass das erst gegebene
5 repräsentative Bild sich ändert, oft aber auch so, dass inner-
halb einer Phantasievorstellung verschiedene repräsentative
Gegenstände auftauchen, die in bezug aufeinander nicht als
Änderungen gelten können. So z.B.: Ich stelle mir Bismarck vor,
und zwar durch eines der bekannten Bilder in Kürassier Uni-
10 form. Dann taucht plötzlich ein anderes Bild .auf in Zivil etc.
Gleichwohl kann die Einheit des vorstellenden Bewusstseins be-
stehen bleiben, so dass wir von einer Phantasievorstellung mit
diskontinuierlicher Repräsentation sprechen können.
Sehen wir von diesen Diskontinuitäten ab, so kommen doch
15 auch andere in Betracht: nämlich das In t e r m i tt i e ren des
Bildes. Seine Flüchtigkeit, Verschwinden und Wiederkehren.
Was ferner die Variabilität des einzelnen anbelangt, das, solange
es nicht verschwindet, auch nicht ungeändert bleibt, so ist zu
beachten, dass die Ver ä n der u n g des Bild e s, die normaler-
20 weise während einer nicht allzu kurz dauernden Phantasievor-
stellung zu konstatieren ist, durchaus nicht zu verwechseln ist
mit den Veränderungen der Erscheinung, die sich innerhalb der
Synthesis des Erscheinungszusammenhangs bewegt. In dem
letzteren Fall ist das abbildende Objekt ungeändert, im-ersteren
25 Fall ist das abbildende Objekt geändert. Wenn mir ein lieber
Freund zunächst in farbensatter Lebendigkeit erscheint, und
dann, unter Erhaltung der Gestalt, die Farben in ein leeres Grau
verschweben, oder wenn die ganze Erscheinung so ähnlich und
doch ganz anders verfliesst wie die äusseren Wahrnehmungs-
30 erscheinungen im Eintritt der Dämmerung und Dunkelheit; so
sind das Änderungen, welche die Identität des abbildenden
Gegenstandes aufheben. Wenn hingegen die Phantasie sich be-
sonders lebhaft erhält (wir wollen einmal annehmen, in voller
Lebhaftigkeit, welche der Wahrnehmung nichts nachgibt) und
35 der Freund in der Vorstellung als sprechender, sich mannigfaltig
bewegender erscheint u.dgl., so sind das Änderungen, welche zur
identischen Einheit der repräsentativen Gegenständlichkeit ge-
hören. In der Phantasievorstellung kombinieren sich nun beider-
lei Veränderungen. Und die Einheit des repräsentativen Be-
TEXT NR. t (1904/05) 63

wusstseins setzt sich nicht bloss durch die Erscheinungsänderun-


gen hindurch, welche zu der Identität des abbildenden Gegen-
standes gehören, sondern auch durch die anderen Erscheinungs-
anderungen, in denen der erscheinende Gegenstand proteusartig
5 wechselt.

<6. KAPITEL
Rekapitulierende Darstellung der Ansicht,
dass Phan tasievorstellung sich als
Bildlichkeitsvorstellung interpretieren lasse>!

10 <§ 30. Parallelismus zwischen gewöhnlicher Imagination'


und Phantasieimagination>

Die Fragen, deren Behandlung wir in der letzten Vorlesung


begonnen haben, können wir so formulieren:
Wie verhält sich die Phantasie zur gewöhnlichen imaginativen
15 Funktion? Ist die Phantasie wirklich auch eine Imagination, und
wenn sie es ist, wie ist ihr Wesen im Vergleich mit dem von uns
aufgeklärten der gemeinen Imagination zum Verständnis zu
bringen?
In der physischen Imagination haben wir zu unterscheiden die
20 primäre Erscheinung, die Trägerin der Verbildlichung ist, von
dieser selbst. In der ersteren erscheint das Bildobjekt, in der
letzteren beziehen wir uns auf das Bildsujet. Die Darstellung des
Sujets durch das Bild hat dabei mannigfaltige Grade möglicher
Angemessenheit, sowohl was den Umfang, als was die innere
25 Steigerung der Verbildlichung in den einzelnen Momenten an-
belangt. Der parallele Unterschied der Phantasie ist der zwischen
der primären, direkten Erscheinung und der bewussten Beziehung
auf das phantasierte Objekt. Wir haben auch hier einen Unter-
schied zwischen Erscheinung und Sa'Che. und einen Unterschied,
30 der hier wie beim Fall gewöhnlicher Imagination nicht zu ver-
wechseln ist mit dem Unterschied zwischen Erscheinung und
Sache bei der Wahrnehmung: der letztere bezüglich auf das
Vorstelligwerden der Sache durch ihre verschiedenen Seiten der
Sache, der erstere aber schon zu einer einzigen Seite gehörig.

1 Nicht gehaltene Vorlesl1Ilg.


64 TEXT NR. 1 (1904/05)

Ferner stellt sich auch hier das phantasierte Objekt durch das
Medium der primären Erscheinung in verschiedenen Stufen der
Vollkommenheit dar, sowohl was den Umfang anbelangt, als
hinsichtlich des Grades in den primitiven Momenten der Ver-
5 ähnlichung.
Soweit also besteht Parallelismus zwischen der gewöhnlichen
und der zu studierenden Phantasieimagination, und selbst-
verständlich muss dieser Parallelismus bestehen, wenn bei der
Phantasie von Imagination die Rede sein soll. '

10 <§ 31. Starke und fliessende Unterschiede zwischen der


gewöhnlichen Imagination und der Phantasie>

An Unterschieden zwischen den beiden Fällen haben wir aus-


findig gemacht:
1) Die Phantasieerscheinung erscheint nicht innerhalb des
15 Blickfeldes der Wahrnehmung und ist daher kein Fiktum der
Wahrnehmung.
2) Im allgemeinen ist die Phantasieerscheinung (ich spreche
immer von der primären) gar nicht in das Blickfeld hineinzuver-
setzen, nicht in ihm annehmbar, denn sie hat einen auffällig an-
20 deren Charakter als jede Wahrnehmungserscheinung (und somit
auch als jede gewöhnliche Bildobjekterscheinung).
Es treten im allgemeinen hervor:
a) Innere Unterschiede hinsichtlich der darstellen~
den In hai te und parallel damit der in die Erscheinung fallen-
25 den Momente des primär erscheinenden Gegenstands. Es sind die
Unterschiede der Kräftigkeit, Lebendigkeit, Fülle.
b) Auf seiten der Phantasie der Mangel der Festigkeit, die
Flüchtigkeit und das beständige Variieren der darstellenden In~
halte, nicht nur hinsichtlich ihrer Fülle, sondern auch hinsicht-
30 lieh ihrer Qualität, ihrer inhaltlichen Eigenart überhaupt. 1
c) Mit dieser proteusartigen Veränderlichkeit der darstellen-
den Inhalte ändern sich parallel und eo ipso die gegenständlichen
Erscheinungen, und sie sind in der Regel nicht nur veränderlich,
sondern sie wechseln auch in ab r u p t erWeise. Ganz besonders

1 Dazu Mängel der Fülle darstellender Momente, Fülle im Bainschen SinD..


TEXT NR. 1 (1904/05) 65

war zu betonen, dass diese Veränderlichkeit und dieser Wechsel


nicht Erscheinungen ineinander überführt, die stetig zusammen-
hängen innerhalb der ideellen einheitlichen, zu dem einen Gegen-
stand gehörigen Synthesis. Der Synthesis des Wahrnehmungs-
5 zusammenhangs, in welcher sich das perzeptive Wesen des Gegen-
standes vollständig und allseitig entfaltet, entspricht ja auch
eine Synthesis eines möglichen intuitiven Zusammenhangs in der
Phantasie und Erinnerung. Gewöhnlich aber folgen die Erschei-
nungen nicht in dieser Ordnung in der Phantasie aufeinander.
10 Der Gegenstand stellt sich einmal von der Vorderseite dar, dann
plötzlich von der Hinterseite, er stellt sich einmal so dar, wie er
zu einer bestimmten Zeit erschien, und dann wieder, wie er zu
einer ganz anderen Zeit erschien, wobei die beiden Zeiten weit
getrennte sind. Aber genau besehen gilt das hinsichtlich der Dar-
15 stellung des phantasierten Objekts dur c h die primären Er-
scheinungen. Die Intention geht zwar auf denselben Gegenstand,
aber nicht nach Massgabe der Ordnung der intentionalen Zu-
sammenhänge der geordneten Synthesis. Dazu kommt aber die
Veränderlichkeit des darstellenden Materials und der primären
20 Erscheinungen selbst und endlich des Gegenständlichen, was in
ihnen primär erscheint. Im Grunde genommen konstituiert sich
in diesem proteusartigen Wechsel gar nicht immerfort ein ein-
ziger pr i m ä r e r Gegenstand in dem Sinn, wie wir bei der
physischen Bildlichkeit ein einziges festes Bildobjekt hatten. Das
25 Bildobjekt im Stahlstich erscheint nicht bald grau seiner
ganzen Ausdehnung nach, bald in einzelnen Flächenstücken rot,
bald grün usw. Es ändert nicht beständig seine Gestalt, es er-
scheint nicht bald ganz und bald einem Stück nach.
So ist es aber in der' Phantasie: Selbst bei Erhaltung der gegen-
30 ständlichen Intention ändert sich das primär erscheinende Ob-
jekt. Wir haben also doppelte Änderungen: innerhalb der Rich-
tung auf dasselbe empirische Objekt abrupt wechselnde Inten-
tionen, Zusammenhangslosigkeit innerhalb der Synthesis. Und
soweit stückweise dieser abrupte Wechsel nicht statthat, einen
35 Wechsel in der primären Erscheinung; also Wechsel und Zusam-
menhangslosigkeit im primären Objekte (dem Bildobjekt).
Das sind offenbar starke Unterschiede zwischen der Art, wie
in der Phantasie die Bildobjekterscheinungen sich konstituieren
und vonstatten gehen und wie mittels derselben <die> Beziehung
66 TEXT NR. 1 (1904/05)

auf das phantasierte Objekt zustande kommt, gegenüber der


Art, wie das Parallele in der gewöhnlichen Imagination er-
folgt.-
Andererseits sind aber diese Unterschiede f1 i e s sen d e. Es gibt
5 auch klare und feste Phantasien und insbesondere Erinnerungen,
welche die empirische Kontinuität der Erscheinung und des Er-
scheinenden in grossen Strecken innehalten und die auch, was
die darstellenden Inhalte anbelangt, sich durch Kräftigkeit, sinn-
liche Frische oder Fülle der Wahrnehmung so sehr annähern,
10 dass man mindestens zweifeln kann, und gezweifelt hat, ob über-
haupt noch Unterschiede bestehen. Unwillkürlich wird man hier
auch an die Fälle denken, wo tatsächlich die Erscheinungen so
beschaffen sind, dass man zwischen Wahrnehmungsauffassung
und Phantasieauffassung schwankt und sich aufgrund derselben
15 Erscheinung fragt: Ist das wirklich gehört, gesehen, oder ist das
bloss phantasiert? Das wären nun vereinzelte Fälle, die eine be-
sondere Diskussion erfordern würden. Im allgemeinen jedenfalls
besteht ein solcher Zweifel, auch in Fällen lebendigster Phanta-
sien, nicht. Warum nicht? Warum, müssen wir fragen, gelten uns
20 in allen Fällen von klaren und festen Erinnerungen oder Einbil-
dungen deren primäre Erscheinungen nicht als Wahrnehmungen?
Sie führen nicht das Seinsbewusstsein und näher das Bewusstsein
des Gegenwärtigseins mit sich. Im Gegenteil, so, wie sie dastehen,
gelten sie uns als nich tseiend. Lässt sich dafür ein Grund an-
25 geben?

<§ 32. Das Widerstreitsverhältnis von Phantasie- (bzw.


Erinnerungs-)/eld und Wahrnehmungs/eld und das Fiktum
der Phantasie in den Fällen der klaren Phantasie>

Würde sich eine derart klare und feste Erinnerungserscheinung


30 mitten in das Blickfeld der Wahrnehmung hineinsetzen und mit
seinen empirischen Forderungen streiten, dann wäre das Nichtig-
keitsbewusstsein erklärt. Denn dann hätten wir ein Fiktum der-
selben Art, wie es bei jedem gemeinen Bild sich findet. Hier aber
setzt sich die klare und feste Phantasieerscheinung ni c h t in das
35 Blickfeld der Wahrnehmung hinein, sie hat ihr eigenes Feld, ein
völlig von dem der Wahrnehmung getrenntes. Gesetzt, wir stell-
TEXT NR. 1 (1904/05) 67

ten uns auf den Standpunkt, es seien in diesen Fällen die dar-
stellenden Inhalte mit denen der Wahrnehmung zu identifizieren,
es bestehe also zwischen den klaren Phantasmen und den nor-
malen Empfindungen kein prinzipieller Unterschied, bliebe dann
5 noch irgend etwas übrig, was Phantasieerscheinung (die pri-
märe) und die Wahrnehmungserscheinung trennte? Nur im
Nacheinander, in der Form der Sukzession, kann Wahrgenom-
menes und Phantasiertes zur Einheit der Erscheinung kommen. 1
Und im allgemeinen ergibt der Übergang vom einen zum anderen
10 eine Diskontinuitä,t. Schliessen wir den Fall der frischen Er-
innerung aus, den Fall, wo Wahrnehmung sich kontinuierlich
umwandelt in Erinnerung und wo eine Kontinuität überführt
von dem Wahrnehmungsfeld zu einer Reihe von Erinnerungs-
feldern, so ist der Übergang von einer augenblicklich vollzogenen
15 Phantasievorstellung zu einer Wahrnehmungsvorstellung ein
Sprung, ein gewaltiger Abstand, im Kontrast gegen die
Wahrnehmung und in einer Art W i der s t r ei t gegen sie er-
weist sich die Phantasieerscheinung als blosse Fiktion. Es
ist auch hier I ein Widerstreitsverhältnis, nur ein solches ganz
20 anderer Art als inmitten des Blickfeldes. Hier streitet das ganze
Phantasiefeld mit dem ganzen Wahrnehmungsfeld und ohne
jede Durchdringung. Sind wir in die Phantasie ganz versunken,
so achten wir zwar auf die Wahrnehmungsobjekte nicht, aber sie
erscheinen immerfort, sie sind da und üben ihre Spannung gegen
25 das entsprechende Phantasiefeld. Die Spannung besteht zwischen
entsprechenden Sinnesfeldern der Wahrnehmung und Phantasie
und entsprechenden Teilen dieser Felder. So bestimmt auch hier,
wenn ich recht sehe, eine Art Widerstreit das Fiktum der
Phantasie. Das Phantasiebild konstituiert sich als Erscheinung,
30 die sich eine Zeitlang gegen das Blickfeld der Wahrnehmung be-
hauptet, aber in diesem Gegensatz das phänomenologische Cha-
rakteristikum erhält, das hervortritt, sowie wir zur Wahrneh-
mung und von ihr wieder zum Bild zurückkehren. Die Wahr-
nehmung, die widerstreitslose, weder von innen noch von aussen
35 (durch Erfahrungsintentionen) bestrittene, konstituiert Er-
s<:heinung der aktuellen Gege"lWart. Was gegen sie streitet, ist
11lcht gegenwärtig, als Einheit der Koexistenz mit dem Gegen-
• 1 Aber wenn ich etwas auf das weisse Papier hinphantasiere ? Ich habe dann doch,
\\enn auch fluchtig, ein Bild ..auf" dem Papier.
68 TEXT NR. 1 (1904;05)

wärtigen ist das Phantasieobjekt unmöglich, nicht bloss objektiv


unmöglich, sondern auch phänomenologisch als mit ihr unver-
träglich charakterisiert. Das phantasiemässig Erscheinende ist
also nichtgegenwärtig. Genau gesprochen: Das primäre Objekt
5 der Phantasie ist ein F i k turn, und somit steht nichts im Wege,
die Weise der Repräsentation, durch welche mittels dieses Ob-
jekts das phanta sie r te Objekt Zum Bewusstsein kommt, als
normale Imagination zu fassen.
Das Fiktum kann nun genauso wie bei der gewöhnlichen Biid-
lO lichkeit durch Verbildlichung etwas ihm Ähnliches repräsentie-
ren. Freilich wäre auch die Möglichkeit zu erwägen, dass es viel-
leicht gar nichts weiter repräsentiert, sondern eint ach genom-
men wird, wie es ist, nichts ausser sich darstellend. Beiderseits
dieselben sinnlichen Inhalte und dieselbe Auffassung angesetzt,
15 bliebe kein innerer Unterschied übrig. Aber äussere Unterschiede,
bestimmt durch den phänomenologischen Zusammenhang, könn-
ten ja noch da sein, welche die Anknüpfung verschiedener inten-
tionaler Charakterisierungen möglich und notwendig machten:
so wie per se betrachtet zwischen physischer Bilderscheinung und
20 Wahrnehmungserscheinung kein Unterschied besteht und doch
durch den Widerstreit gegen das gegebene Blickfeld ein Unter-
schied der Charakterisierung hervortritt: Das Bildobjekt wird
zum Fiktum. 1
Ist solch ein Unterschied also zu finden? Derselbe wie bei dem
25 gemeinen Bildobjekt kann es nach unserer Feststellung nicht
sein, vermöge der Trennung der Wahrnehmungs- und Phantasie-
felder. Aber gibt es nicht einen andersartigen und doch in ver-
wandter Weise fungierenden Unterschied?
Ich meine doch. Betrachten wir das Verhältnis der Phantasie-
30 felder zu den Wahrnehmungsfeldern. Das Blickfeld der Wahr-
nehmung ist eine assoziative Verflechtung von mehreren ge-
trennten Sinnesfeldern. Das Gesichtsfeld ist getrennt vom Tast-
feld usf. Andererseits sind sie miteinander in der Koexistenz nicht
etwa unverträglich, ja in Form der einheitlich erscheinenden
35 Wahrnehmungs-Gegenständlichkeiten durchflechten sie sich be-
ständig. Wenn wir auf Momente des Gesichtsfeldes ausschliess-
lieh achten, so werden wir auf das Tastfeld unaufmerksam, aber
1 Vorausgesetzt ist dabei, dass das Blickfeld seine Auszeichnung als Gegenwarts-
feld schon hat und sie festhält.
TEXT NR. 1 (1904[05) 69

es verschwindet nicht. Und wir können auf beide zugleich achten,


wie wenn wir zugleich auf die Hand hinsehen und auf ihren Druck
auf die Unterlage achten. Ebenso: Wir hären und sehen zugleich
und können die beiderlei Empfindungsinhalte in eine Apperzep-
5 tion verknüpfen, in welcher dann beide eine koexistierende Ein-
heit ergeben. Die Sonderung in verschiedene Felder entspricht
hier den Sonderungen der wesentlichen Inhaltsgattungen. Das
generisch und spezifisch Verwandte verschmilzt zur Einheit.
Über diese inhaltlichen Einheiten und ihre Sonderungen über-
10 greift dann die Einheit der gegenständlichen Apperzeption. Sie
nimmt Inhalte aus den verschiedenen Feldern (ohne sie aus ihnen
etwa herauszunehmen) und bildet aus ihnen die Einheiten der
Koexistenz.
Kann sie das aber auch tun bei Wahrnehmungsfeldern und
15 Phantasiefeldern ?
Es ist klar, dass ein Phantasiefeld sich zum Wahrnehmungs-
feld nicht so verhält, wie etwa Gesichtsfeld zu Gehörsfeld oder
WIe ein Teil des schon vergegenständlichten Blickfeldes zu einem
anderen Teil. Man sagt, die Phantasie ergänze vielfach die Wahr-
20 nehmung, aber in dem Sinn kann sie es nie tun, der hier in Frage
käme. Niemals kann man auf das Wahrnehmungsfeld hinblicken
und zugleich auf das Phantasiefeld hinbhcken. Sowie wir auf
Wahrnehmungsobjekte achten, ist das Phantasiefeld weg.
Man kann nicht etwa das Feld aktueller Gegenwart erweitern
25 um ein neues Stück, das sich ihm so anschmiegte wie etwa das
Tastfeld einer Hand an das übrige Tastfeld. Was zur Einheit des
Blickfeldes der Wahrnehmung gehört, das ist zugleich da,
ist gegenwärtig, und alles darin ist zugleich. Was zur Einheit
eines Erinnerungsfetdes, und eines Phantasiefeldes jeder Art, ge-
30 hört, ist auch zugleich, aber nicht findet die Rede vom Zu-
gleich eine Anwendung auf Wahrnehmungsfeld und Phanta-
siefeld in eins genommen, nota bene, wenn dieses Zugleich eben-
falls intuitiv gegeben sein soll.
70 TEXT NR. 1 (1904/05)

<§ 33. Die Fälle der unklaren Phantasien und die Frage,
ob hier überhaupt Bildobjekt und Bildsujet unterschieden
werden darf. Hinweis auf analoge Erscheinungen in der
Wahrnehmungssphäre: Doppelbilder und Wettstreit der
5 Sehfelder beim Schielen>

Wir haben es bisher mit den klaren Phantasien zu tun gehabt.


Betrachten wir die Fälle der Unklarheit. Was lässt hier ein Wahr-
nehmungsbewusstsein nicht aufkommen, was ist hier der Wid~r­
streit mit der aktuellen Gegenwart, der das Objektive der unmittel-
10 baren Erscheinung als nichts für sich Seiendes kennzeichnet und
damit seine Verwendung als Bild für ein anderes ermöglicht? Aus
unseren Beschreibungen der gewöhnlichen Phantasieerscheinun-
gen geht schon hervor, dass, selbst wenn prinzipiell genommen
<bezüglich> Auffassungsmaterial und Auffassungscharakter kein
15 Unterschied wäre gegenüber der normalen Wahrnehmung,
trotzdem gegenüber den normalen Wahrnehmungserscheinungen
Unterschiede blieben und somit auch gegenüber den normalen
Fiktionen im Umkreis der Wahrnehmung. Ich habe ja schon er-
wähnt: Das Fiktum innerhalb der aktuellen Gegenwart ist etwas
20 so Festes, klar Begrenztes wie ein wirkliches Ding. Bei der Phan-
tasie aber etwas Vages, Schwankendes, in seinem Inhalt und Ge-
samtcharakter so sehr verschieden von der normalen Wahr-
nehmungserscheinung, dass dergleichen in ihrem Kreis nicht
vorkommen konnte. Aber hier kommt ein Zweifel: Dürfen wir
25 überhaupt Bildobjekt und Bildsujet unterscheiden? In diesen
ganz vagen Erscheinungen, erscheint da zuerst ein Objekt, und
mittels dessen wird erst ein Sujet bewusst? Doch da hilft uns ein
Hinweis auf analoge Erscheinungen in der Sphäre des Blick-
feldes. Ich erinnere an die Doppelbilder und den Wettstreit der
30 Sehfelder beim Schielen. Durchsichtige Erscheinungen. Vage,
schwankende. Sie gelten dann als Schein, und zugleich als ana-
logische und symbolische Hinweise auf gewisse Wahrnehmungen.
Das Bildobjekt ist hier anders als ein normales. Es erscheint als
schattenhafter Schein, mit einer gewissen Hindeutung auf Sein.
35 Ein festes Objekt von sozusagen greifbarer Wirklichkeit er-
scheint da nicht, und doch, eine Objektivierung fehlt auch hier
nicht, und sie dient als Anhalt für eine Verbildlichung und Sym-
bolisierung.
TEXT NR. 1 (1904/05) 71

Ähnlich verhält, es sich bei den vagen Phantasien. Auch hier


wird man zunächst zweifeln, ob man diese leeren Schemen als
Objekte gelten lassen soll, ob hier also von Bildobjekten die Rede
sein kann. Indessen, wenn wir genau zusehen, so erscheint immer
5 etwas, etwa ein Umriss des Gegenstandes, ein Stück wenigstens da-
von, apperzipiert in ähnlicher Weise wie eine Zeichnung, oder
besser wie die vagen und durchbrochenen Konturen eines Dop-
pelbildes der Wahrnehmung, das nicht vollständig im Wettstreit
siegt. Die Deutung geht über das Empfundene und Anschauliche
10 hinaus, es findet eine gewisse, wenn auch unvollkommene Ob-
jektivierung statt, und erst auf sie baut sich die Sujetauffassung:
die Beziehung auf das Phantasierte, das allerdings hier in sehr
schlechter Weise veranschaulicht ist.
Bei genauer Betrachtung werden wir also die doppelten Ob-
15 Jckte auch hier finden und dann auch die wesentlich gleichartigen
Funktionen wie bei der gewöhnlichen Bildlichkeit.
Die Nichtigkeit des Bildes ergibt sich hier aus verschiedenen
Gründen. Teils jener Widerstreit gegen das Wahrnehmungsfeld,
dann der Widerstreit gegen die Erfahrung (analog bei physischen
120 Bildobjekten, was ich noch ergänzend ausführen müsste).!

<7. KAPITEL
Versuch, zwisohen Phantasievorstellung und
Bildlichkeitsvorstellung einen wesentlichen
U n t er s chi e d zu eta b I i e ren>

25 <§ 34. Der Zusammenhang des Blickfeldes des


Wahrnehmungsbewusstseins und sein Fundament in den
Zusammenhängen der Empfindungen in den
Empfindungsfeldern>

Wahrnehmung kann in Fiktion und in physische Bildlichkeit


30 übergehen, ohne dass die zugrunde liegende Wahrnehmungsauf-
fassung wesentlich sich ändern müsste, andererseits kann Wahr-
nehmung oft in phantasiemässige Einbildung in klarer Weise
übergehen. Hier ist der natürliche Ausgangspunkt die letzthin

1 Bis hier die nicht gehaltene Vorlesung.


72 TEXT NR. 1 (1904/05)

gemachte Bemerkung, dass der Phantasieauffassung kein Fik-


turn zugrunde liegt oder, korrekter gesprochen, sich in ihr kein
primäres nichtseiendes Bildobjekt in demselben Sinn konsti-
tuiert wie in der physischen Bildauffassung, nämlich kein Bild-
5 objekt, das im Zusammenhang des Blickfeldes der Wahrnehmung
erschiene.
Diese Bemerkung weist auf notwendige Analysen hin. In ihr
ist die Rede vom Zusammenhang des Blickfeldes. Halten wir uns
an das Blickfeld eines zeitlichen Moments, d.h., phänomenolo-
10 gisch gefasst, an das Blickfeld, in dem die Gegenständlichkeiten
nicht nacheinander, sondern zugleich erscheinen. Dem ent-
sprechen die mannigfaltigen Wahrnehmungen dieser Gegen-
ständlichkeiten bzw. die Wahrnehmungserscheinungen. Diese
sind ebenfalls zugleich und nicht nacheinander. Nun umfasst das
15 Blickfeld seinem Begriff nach alle in der Form des Zugleich ko-
existierenden Erscheinungen, und diese alle konstituieren einen
einzigen Zusammenhang: d.h. in ihnen erscheint ein gegen-
ständlicher Zusammenhang. Diese Koexistenz gehört zu einem
Querschnitt des Wahrnehmungsbewusstseins. In Wahrheit geht
20 der Zusammenhang kontinuierlich in der Sukzession fort: Die
wahrgenommene Gegenständlichkeit erstreckt sich durch die Zeit
hindurch. D.h. durch die Folge des Nacheinander, und zwar
stetig, wobei sie schon in jedem Querschnitt des Zugleich, der
Koexistenz, einen einheitlichen Zusammenhang bildet. Sie kann
25 ihn in der Sukzession nur bilden, indem sie ihn in jedem Punkt
der Koexistenz bildet.
Dieser Zusammenhang, der zwischen den Wahrnehmungen
waltet und als Einheit einer Apperzeption eine einheitliche Ge-
genständlichkeit zur Erscheinung bringt, hat sein Fundament in
30 den wesentlichen Zusammenhängen der Auffassungsinhalte, der
Empfindungen in den Empfindungsfeldern. Die Empfindungen
sind im Gesichtsfeld nicht isoliert, sondern kontinuierlich ein-
heitlich zusammenhängend, miteinander verschmolzen. Ebenso
die Tastinhalte im Tastfeld. Und ebenso wohl auch in den übrigen
35 Sinnesfeldern, obschon die Form der Räumlichkeit hier nicht die
verknüpfende ist. Zwischen den Sinnesfeldern ist es allerdings
erst der apperzeptive Zusammenhang, der Einheit darstellt, im
sinnlich erscheinenden Objekte, das zugleich gesehen und ge-
tastet ist, haben Gesichts- und Tastinhalte fühlbare Einheit, die
TEXT NR. 1 (1904/05) 73

Einheit der gegenständlichen Zusammengehörigkeit, der inten-


tionalen Deckung aufeinander hinweisender Faktoren.
Soweit die gleichzeitige Wahrnehmung reicht, soweit reicht
der intuitiv-einheitliche Zusammenhang phänomenaler Gegen-
5 ständlichkeit, die Einheit der intuitiven, aktuellen Gegenwart.
(Wobei die Rede von Gegenwart, wie wir noch hören werden,
dem strengeren oder loseren Gebrauch des Begriffes Gleichzeitig-
keit folgt.)
In diese Sphäre gehört auch der sinnliche Schein. Was als Ob-
10 jekt aufgefasst ist, und zwar durch Auffassung eines Ausschnittes
des Sinnesempfindungsfeldes, das hat auch seine Stellung im
Zusammenhang. Auch das Un-Ding erscheint, nur streitet es
gegen gewisse gegenständliche Forderungen der sonstigen
Wahrnehmung. An der Tatsache, dass es unter ihnen perzeptiv
15 erscheint, ändert dies nichts. Es hat seine räumliche Stellung als
wahrnehmungsmässig erscheinendes Objekt unter jenen Sinnes-
objekten: Der räumliche Zusammenhang ist aber die intuitive
Form dieser Zusammenhänge. Alles perzeptiv Erscheinende ist
räumlich erscheinend. Aber natürlich ist der Raum nicht als un-
20 endlicher Raum zu denken: Als perzeptiver Raum reicht er so-
weit, als die perzeptive Gegenständlichkeit reicht.

, <§ 35. Das Verhältnis der Phantasmen und


Phantasieerscheinungen zu den Zusammenhängen des
Wahrnehmungsfeldes>

25 Wie steht es nun mit den Phantasmen und Phantasieerschei-


nungen, wie verhalten sie sich zu diesen Zusammenhängen?
Warum scheiden sich die Phantasmen von den Empfindungen,
warum die Phantasieerscheinungen von den Wahrnehmungs-
erscheinungen, und darunter auch von den Wahrnehmungs-
30 fiktionen? Die Phantasmen sind auch Sinnesinhalte, und Sinnes-
inhalte von denselben Gattungen und Arten wie diejenigen, die
111 der Empfindung zu finden sind. Tonempfindung und Ton-
phantasma, Farbenempfindung und Farbenphantasma sind in-
haltlich begriffen jedenfalls Gleichartiges und nicht etwa bloss
35 indlrekt Zusammenhängendes wie ein willkürliches Zeichen und
BeL:cichnetes. Es ist ferner zweifellos, dass wir zugleich Empfin-
74 TEXT NR. 1 (1904/05)

dungen und Phantasmen erleben können, so z..B. wenn wir Noten


lesen und mit Tonphantasmen begleiten, oder wenn wir eine
Melodie phantasieren, während wir Gesichtswahrnehmungen
folgen usw. Wie verhalten sich nun die einen und anderen sinn-
5 lichen Inhalte? Greift die Wahrnehmungs apperzeption irgend-
welche aus den gleichzeitigen sinnlichen Inhalten heraus, wäh-
rend in diesen gar keine Auszeichnung vorgegeben ist? Von den
Empfindungen sagten wir, dass sie in den Sinnesfeldern eine
,sinnliche Einheit haben, eine phänomenologische Einheit. Greift
10 diese Einheit etwa weiter, und umfasst sie alle sinnlichen Inhalte
derselben Gattung überhaupt? Erleben wir etwa alle visuellen
Inhalte als eine Einheit, und macht nun die Wahrnehmung einen
Schnitt in dieser Einheit: Bilden all diese Inhalte ein einziges Ge-
sichtsfeld, von welchem das eine Stück wahrnehmungsmässig,
15 das andere phantasiemässig aufgefasst wird? Natürlich lautet
die Antwort verneinend. Auch die Phantasmen des sogenannten
Gesichtssinnes erscheinen in einem Gesichtsfeld, aber, allgemein
zu reden, haben diese nicht Einheit mit dem Wahrnehmungs-
gesichtsfeld. Und damit ist schon gesagt: Es fehlt die wesentliche
20 Einheit, das eine setzt sich nicht, und niemals wesentlich, in das
andere hinein. Eben fällt mir der Roons 1 ein, ich habe eine
Phantasieerscheinung vom Roons, wie er sich perzeptiv von
meinem Fenster aus ergeben hatte. Zu dieser Phantasieerschei-
nung gehört eine einheitliche Ausbreitung der visuellen Inhalte,
25 ein Phantasiesinnesfeld. Aber diese sinnlichen Inhalte und dieses
Feld entbehren phänomenologisch jedes Zusammenhanges mit
meinem jetzigen perzeptiven Sinnesfeld. Und dem entspricht es
dann auch, dass der Zusammenhang der Erscheinungen und der
phänomenalen Gegenstände kein einheitlicher ist, welche sich
30 auf der Grundlage der Empfindungen und Phantasmen auf-
bauen. Die phantasiemässig erscheinende Gegenständlichkeit ist
eine, und die wahrnehmungsmässig erscheinende ist eine andere,
beide mögen durch intentionale Bande verknüpft sein, aber sie
sind nicht verknüpft durch diejenigen Bande wechselseitiger in-
35 tentionaler Zusammengehörigkeit, welche eine Einheit der An-
schauung, eine einheitlich intuitive Gegenständlichkeit konsti-
tuiert: derart wie sie die Phantasie für sich und die Wahrneh-
mung für sich konstituiert.
1 Der Roons ist eine Anhöhe mit Restaurant bei Göttingen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904/05) 75

<§ 36. Vertiefte Erörterung der Frage nach KoexistenZ' ozw.


Widerstreit von Wahrnehmungs- und Phantasiefeld am
Beispiel einzelner Sinnesfelder>

Aber wie steht es nun mit diesen beiden Feldern?l Sind sie so
5 verträgliche Koexistenzen, wie es etwa die verschiedenen perzep-
tiven Felder sind, z.B. das Gesichts- und Tastfeld? Haben wir
also zugleich mehrere Gesichtsfelder, im Wesen gleichartig, sofern
sie Sinnesinhalte derselben Gattung und Stellenwertempfindun-
gen derselben Spezies enthalten, voreinander etwa nur dadurch
10 ausgezeichnet, dass sich auf dem einen eine sogenannte perzep-
tive Auffassung, auf dem anderen eine anders nuancierte, so-
genannte Phantasieauffassung aufbaut? Warum sollte es dann
nicht möglich l>;ein, dass sich einmal auf beiden imaginative oder
auf beiden perzeptive Auffassung baut?
15 Wir merken hier weitere Unterschiede. Das perzeptive Ge-
sichtsfeld und das perzeptive Tastfeld oder Gehörsfeld koexistie-
ren, die Empfindungsgruppen sind gesondert, aber sie sind zu-
sammen zu schauen, und sie schmelzen auch zusammen in in-
tuitiv-apperzeptiven Einheiten, es erscheinen Gegenstände, die
20 die zugehörigen Empfindungen, nur gedeutet, vereinigt enthalten
mögen. Anders verhält es sich, wenn wir Gesichtsfeld der Wahr-
nehmung 'und Gesichtsfeld der Phantasie nehmen. Diese lassen
sich gar nicht zusammenschauen. Blicken wir auf das eine hin,
so wird das andere gewissermassen hinuntergedrückt, und ebenso
25 umgekehrt. Es verhält sich ähnlich wie beim Wettstreit der Seh-
felder, und aus ähnlichen Gründen. Schauen wir auf das perzep-
tive Gesichtsfeld, achten wir auf seine Empfindungsinhalte oder
auf die Gegenstände der Wahrnehmung, so haben wir keine An-
schauung vom Roons'. Bricht aber diese Anschauung blitzartig
30 durch, und zwar als wirkliche Anschauung, haben wir nicht bloss
Leerintention, so ist das perzeptive Gesichtsfeld für den Augen-
blick unbebaut; ganz so, wie beim Durchbruch'eines Stücks des
rechten Gesichtsfeldes im ,stereoskopischen Wettstreit der Seh-
1 Sinnesfelder der Empfindung und Phantasie. Während die Sinnesfelder der
Empfindung im Verlauf des Bewusstseinslebens stetig erfüllt sind und sich gesetz-
massIg ändern, gilt dies nicht von den Sinnesfeldern der Phantasie. Sie ko=en und
verschwinden, und die verschiedenen, zu demselben Sinn gehörigen Felder der Phan-
tasie im Laufe der Zeit bilden keine kontinuierliche Einheit.
76 TEXT NR. 1 (1904[05)

felder das entsprechende Stück des linken verschwunden ist und


umgekehrt. Freilich ist auch die Differenz unverkennbar. Beim
letztgenannten Wettstreit entspringt immer ein einheitliches per-
zeptives Gesichtsfeld, evtL ein solches, in dem sich die Stücke der
5 streitenden beiden Felder durchsetzen. Hier aber ist das nicht
der Fall, obschon es manchmal scheint, als ob sich das Bild der
Phantasie in das Gesichtsfeld der Wahrnehmung hineinsetzte.
Das sich hineinsetzende Bild gibt sich doch niemals als perzeptiv€
Erscheinung, als Stück des Wahrnehmungsfeldes. Ich meine der
10 Erscheinung nach, abgesehen etwa von weiteren Auffassungen.
Dieser Widerstreit besteht auch hinsichtlich der Tastfelder in
Phantasie und Wahrnehmung, und beiderseits betrifft er ent-
sprechende Stücke der Felder. Dagegen stören sich gar nicht
Phantasiefeld des Gehörsinnes und Wahrnehmungsfeld des
15 Tastsinnes, und so überhaupt in Beziehung auf verschiedene
Sinnesgebiete. Der Widerstreit scheint auch nicht zu bestehen
innerhalb des Gehörsinnes. Er betrifft offenbar nur die Lok ali-
t ä t, die das Fundament der objektiv-phänomenalen Raum-
ordnung ist. Das perzeptive und das imaginative Gesichtsfeld
20 haben dieselben Ordnungswerte, dieselben phänomenologischen
Ortsanordnungen. Gleichzeitig können aber nicht zwei An-
schauungen zur Einheit einer Anschauung gebracht werden, in
denen die Lokalwerte sich wiederholen.
Natürlich gibt es im wahren Sinn kein Hineinphantasieren in
25 die Wahrnehmung, als ob da wahrlich eine Mischung entspringen
könnte. Phantasiere ich die weisse Kreide als rote Kreide, so
habe ich im Moment eine siegende Phantasie "rote Kreide", aber
alsbald sich abwechselnd mit der Perzeption "weisse Kreide":
beide zur Synthesis des Widerstreits gebracht. Die Synthesis
30 bringt die entsprechenden Teile der Felder zur synthetischen Ein-
heit, zur Einheit der Übereinstimmung oder zum Widerstreit,
aber diese Einheit im intellektiven Übergangsbewusstsein ist
nicht die Einheit der Erscheinung, die Einheit der perzeptiven
oder Einheit der imaginativen Anschauung.
TEXT NR. 1 (1904{05) 77

<§ 37. Ob nicht Wahrnehmung einen ursprünglichen Vorzug haben


müsse, da Empfindungen allein Begründer von Gegenwartsrealität
sind. Schwierigkeit bezüglich der irrealen Phantasmen als gegen-
wärtiger sinnlicher Inhalte. Versuch einer Antwort: imaginative
5 A ujjassung der Phantasmen unmittelbar ein Vergegenwärtigungs-
bewusstsein konstituierend,' Möglichkeit nachträglicher Einordnung
der Phantasieerscheinung und der fundierenden Phantasmen in die
Gegenwart>

Es ergibt sich nun aber eine weitere Frage. Es wechseln die ent-
10 sprechenden Raumfelder der Wahrnehmung und Phantasie ab,
sie schliessen die Möglichkeit der Einheit in einer Erscheinung
aus: Jetzt habe ich das Gesichtsfeld: dieses HäusL jetzt das
Gesichtsfeld: Hainberg und Roons. Aber warum ist das eine
Wahrnehmung des HäusIs, das andere Phantasievorstellung vom
15 Roons? Woran soll die verschiedene Auffassung ihren Anhalt
finden? Warum wechselt nicht auch die Auffassung, oder warum
wird nicht einmal dies und einmal jenes als aktuelle Gegenwart
genommen? Können wir mit bloss sekundären Merkmalen aus-
kommen? Angenommen, wir hätten schon Wahrnehmung aus-
20 gezeichnet. Nun wird sie durchbrochen durch eine Phantasie. Im
Übergang vom einen zum anderen erleben wir gegenständliche
Diskontinuität. Warum muss aber Kontinuität statt Diskontinui-
tä t gelten? Warum gilt das Durchbrechende als Phantasie?
Warum als nichtgegerlwärtig und evtl. nur durch einen möglichen
25 Wahrnehmungszusammenhang mit der aktuellen Wahrnehmung
zu Verbindendes?
Und jedenfalls, muss nicht Wahrnehmung einen ursprünglichen
Vorzug haben, der die Rückbeziehung aller Objektivität auf sie
ermöglicht? In der Tat scheint schon in den sinnlichen Inhalten
30 beiderseits ein phänomenologischer Unterschied stattzuhaben.
Die Empfindungen allein haben die echte Realität, und zwar
Gegenwartsrealität, und sind die Begründer echter Realität in
intentionalen Zusammenhängen. Ihnen gegenüber sind Phan-
tasmen wie Nichtigkeiten. Sie sind irreal, sie gelten nichts für
35 sich, sondern nur als Darsteller für anderes, das gegeben eben
wieder Empfindung wäre.
Aber da ergibt sich eine grosse Schwierigkeit. Die Evidenz der
78 TEXT NR. 1 (1904/05)

cogitatio lehrt mich doch, dass die Phantasien und demgemäss


auch die Phantasmen wirkliche Erlebnisse sind. Die Phantasmen
sind doch in Wahrheit ein Gegenwärtiges, gegenwärtige sinnliche
Inhalte, und als Teile von Realitäten selbst real.
5 Man könnte so antworten: Zu den Empfindungen gehört we-
sentlich die Wahrnehmungsauffassung. In erster Linie werden
sie als selbstgegenwärtig gefasst, und darauf bauen sicb die er-
weiternden empirischen Auffassungen, oder die modifizierenden,
die das transeunt Wahrgenommene konstituieren. Zu den
10 P ha n ta s m e n aber gehören imaginative Auffassungen. Diese
imaginativen Auffassungen sind nicht fundiert in direkten Auf-
fassungen perzeptiver Art, welche den sinnlichen Inhalt erst
<ein >mal als Gegenwärtiges ansetzen und dann als Bild eines
anderen nehmen, sondern vermöge ihrer mehr oder minder ent-
15 fernten Ähnlichkeit fundieren sie unmittelbar ein immanentes
Vergegenwärtigungsbewusstsein, ein modifiziertes Bewusstsein,
des Hineinschauens des Gemeinten in das Erlebte, ohne dass je-
doch das sinnlich Erlebte erst für es für sich, und zwar für ein
Gegenwärtiges, gelten würde. Nachträglich können wir aber von
20 diesem Charakter der Imagination abstrahieren, wir können die
konkrete Phantasieerscheinung, indem wir sie als gleichzeitig mit
einer Gegebenheit der Wahrnehmung erfassen, als ein Jetzt an-
setzen, z.B. eine visuelle Gesichtserscheinung als jetzt, als gleich-
zeitig erfassen mit einem Schrei, den wir hören, und dann in der
25 Komplexion der Phantasieerscheinung durch Analyse abtrennen
das Phantasma, das nun selbst, als Teil des Ganzen, ein Gegen-
wärtiges ist. Erst der mittelbare Prozess ergibt hier die Ein-
'ordnung in die Gegenwart, die schon durch Mittelbarkeiten ob-
jektivierte, nicht unmittelbar empfundene Gegenwart ist.
30 Halten wir uns aber an das Unmittelbare, so würde jedes
Phantasma eo ipso imaginative Auffassung erfahren und in wei-
terer Ausbildung eine transeunte imaginative Auffassung.
TEXT NR. 1 (1904/05) 79

<§ 38. Kennzeichnung des Unterschiedes der Phantasieauffassung


gegenüber der perzeptiv-imaginative1t durch das Fehlen des
Bewusstseins eines Gegenwärtigen, das erst als Träger eines
Bildlichkeitsbewusstseins zu fungieren hätte>

5 Damit würden wir auch den Unterschied der Phantasieauf-


fassung gegenüber der perzeptiv-imagina1!iven Auffassung ver-
stehen. Bei dieser, ich meine bei der gemeinen Bildauffassung,
dient ein in der Weise'der Wahrnehmung Erscheinendes, also
ein phänomenal Gegenwärtiges (sei es auch als Scheinobjekt
10 charakterisiert), als Repräsentant eines anderen. Allerdings
schauen wir, uns im Bewusstsein der immanenten Imagination
betätigend, das Nichtgegenwärtige in das Erscheinende hinein,
aber dieses ist ein in der \\-Teise eines Gegenwärtigen Erscheinen-
des, es ist ein perzeptiv Erscheinendes.
15 Bei der Phantasie haben wir kein "Gegenwärtiges" und in
diesem Sinn kein Bildobjekt. Bei der k I are n P h a n ta sie er-
leben wir Phantasmen und vergegenständlichende Auffassungen,
die kein als gegenwärtig Dastehendes konstituieren, das erst als
Träger eines Bildlichkeitsbewusstseins zu fungieren hätte. Die
20 Beziehung auf die Gegenwart fehlt in der Er<:.cheinung selbst
ganz und gar. Unmittelbar findet ein Schauen des Gemeinten im
Erscheinenden statt I Wir können nachträglich die Auffassung
vollziehen: Jetzt erscheint mir dies da, ich habe jetzt diese Er-
scheinung des Rathauses ete., und durch sie beziehe ich mich auf
25 das Rathaus "selbst". Aber im schlichten Phantasieerlebnis ist
mcht ein Auffassen einer "gegenwärtigen Rathauserscheinung",
eines gegenwärtig sich präsentierenden Bildobjekts vollzogen.
Was die unk I are n Phanta~en anbelangt, so scheinen sie
eine gewisse Vermittlung zu fordern. Denn wir können sagen, die
30 schwankend-unklare Erscheinung weist hin auf mögliche klare,
die ihr Steigerung des gegenständlichen Bewusstseins, eine Art
Erfüllung verleihen würde. Echte Erfüllung gäbe aber die ent-
sprechende Wahrnehmung. Indessen, im Erlebnis selbst, schlicht
genommen, und ohne die Objektivierungen, die die Reflexion
35 nachträglich vollzieht, vollzieht sich die imaginative In t e n t ion
auf Grund der Phantasmen so,' dass sie im Ähnlichen Bewusstsein
des Ähnlichen hat, und worin sie keine Verähnlichung hat, das ist
80 TEXT NR. 1 (1904/05)

sozusagen ein Leerstück der Intention. Auch hier ist die Mög-
lichkeit gegeben, das Phänomen, wie es gerade ist, zu fassen als
Phänomenierung eines gegenwärtig erscheinenden Bildobjekts,
das sehr verschieden ist vom Sujet. Aber das Bewusstsein eines
5 Gegenwärtig fehlt ganz und gar, und somit auch die Vermittlung.
Die verbildlichenden Momente tragen die Imagination, das
übrige sind nicht bestimmte und als bestimmt geltende Momente,
sondern "Unbestimmtheiten", und die streiten nicht immer mit
der Intention und geben somit kein sich abhebendes Bildobjekt-
10 bewusstsein. Andernfalls ist ein Bewusstsein eines Bildobjektes
wirklich vollzogen, nur erscheint das Bildobjekt nicht als gegen-
wärtig, sondern selbst schon als Bild. Genau so, wie bei der
Wahrnehmung ein perzeptives Bildobjekt fungiert, so hier ein
imaginatives Bildobjekt.

15 <§39. Konsequenz der versuchten Auffassung: kein direktes


imaginatives Bewusstsein innerhalb der Sphäre der Wahrnehmung
und Etablierung eines ursprünglichen phänomenologischen
Unterschieds zwischen Empfindungen und Phantasmen. Hinweis
auf den Glaubenscharakter und die Einteilung der
20 Phantasievorstellungen. in blasse Vorstellungen und Erinnerungen>

In der Konsequenz dieser eben versuchten Auffassung läge es,


dass es innerhalb der Sphäre der Wahrnehmung kein direktes
imaginatives Bewusstsein gäbe, von der Art, die wir eben bei der
Phantasie beschrieben haben. Wenn sich auf Grund von Empfin-
25 dungen überhaupt ein imaginatives Bewusstsein vollzieht, so ge-
schieht dies unter Vermittlung von perzeptiven Auffassungen,
die eine Gegenwart, ein als gegenwärtig dastehendes Bildobjekt
konstituieren. Fragen wir, woran das liegt, so würde die Antwort
lauten: Die Empfindung wehrt sich sozusagen gegen die Zumu-
30 tung, als biosses Bild für etwas zu gelten. Sie ist selbst Stempel
der Realität, an ihr misst sich alle Realität, sie ist primäre, ak-
tuelle Gegenwart. Aber während sie eine Gegenwart erscheinen
lässt, kann sie zugleich das Bewusstsein auf Analoges hinlenken
und gestattet es, zugleich ein anderes, Nichtgegenwärtiges hier
35 hineinzuschauen. Das P h an ta s m a hingegen, der sinnliche In-
halt der Phantasie, gibt sich als nichtgegenwärtig, es wehrt sich
TEXT NR. 1 (1904/05) 81

gegen die Zumutung, für gegenwärtig genommen zu werden, es


fuhrt von vornherein den Cha:raker der Irrealität mit sich, es hat
primär die Funktion, für etwas anderes zu gelten. Erst die indi-
rekte Reflexion verleiht ihm-eine akquirierte Gegenwart.
5 Wir kämen so auf die Etablierung eines ursprünglichen phä-
nomenologischen Unterschieds zwischen Empfindung und Phan-
tasma (Impression und Idee), und darauf baute sich ursprünglich
Wahrnehmung - ursprünglich Phantasievorstellung. Zur Emp-
findung gehörte wesentlich Wahrnehmung, und alle Ausbildung
10 transzendenter Wahrnehmungen behielte das Gemeinsame, dass
sie den Kern der Empfindung als. das Wahrnehmung Ermög-
lichende voraussetzte. Die Wahrnehmung gibt dabei die aktuelle
Gegenwart, die primäre, die angeschaute. Die angeschaute im
engsten Sinn bezieht sich auf adäquate Wahrnehmung. Die un-
IS bestrittene Wahrnehmung ist Glaube, und zwar ursprünglich in-
tuitiver Glaube, der das wirklich Gegenwärtige als solches phäno-
menal konstituiert. Die bestrittene Gegenwart, d.i. der Wider-
streit einer Gegenwartserscheinung gegen eine unbestrittene, er-
gibt den anschaulichen Schein, das vermeintlich uns als gegen-
20 wärtig erscheinende Unding.
Dass der Glaube nicht etwa das Auszeichnende der Wahr-
nehmung ausmacht, brauche ich kaum zu sagen. Die Phantasie-
vorstellungen zerfallen in blosse Vorstellungen und Erinnerun-
gen. Die letzten <sind> ebenfalls durch Glauben ausgezeichnet.
25 In der Erinnerung erscheint eine Gegenständlichkeit intuitiv,
aber von ihr ist im ,primären Sinn nichts gegeben. Die Gegen-
ständlichkeit erscheint von einer Seite, ebenso wie die gleiche in
der Wahrnehmung nur' von einer Seite erscheinen würde. Wäh-
rend aber hier die erscheinende Seite das aktuell Gegenwärtige
30 vom Ding ist, ist sie bei der Erinnerung nur das aktuell Erinnerte,
das Erinnerte im primären Sinn. Das übrige vom Gegenstand ist
beiderseits hinzu apprehendiert.
82 TEXT NR. I (1904/05)

<8. KAPITEL
Erge bnisse und Vorblick auf die Analysen
des Zei tbewusstseins>

<§ 40. Bestimmung des wesentlichen Unterschiedes zwischen


5 der Imagination im eigentlichen Sinn (perzeptiver Imagination)
und Imagination als Phantasie>l

Das Ergebnis unserer letzten Untersuchungen können wir so


rekapitulieren: Es besteht zwischen der Imagination im eigent-
lichen Sinn (z.B. physischer Bildlichkeit) und der Imagination
10 im Sinn der schlichten Phantasie ein wesentlicher Unterschied.
1) Imagination im eigentlichen Sinn, Vorstellung mittels eines
Bildes, besteht darin, dass ein erscheinender Gegenstand als
Abbild gilt für einen anderen, ihm gleichen oder ähnlichen Gegen-
stand. Im Fall eines physischen Bildes konstituiert sich der er-
15 scheinende Gegenstand in einer Wahrnehmung. Also ein als
gegenwärtig erscheinender Gegenstand fungiert als Bildrepräsen-
tant für einen nichtgegenwärtigen, genau, für einen anderen, in
diesem Akte nicht sich präsentierenden Gegenstand. Hier durch-
dringen sich mehrfach Auffassungen; ganz ähnlich wie im Fall
20 der signierenden bzw. symbolisierenden Funktion: Das Symbol
erscheint für sich, ist aber Träger einer Beziehung auf ein anderes,
darin Bezeichnetes. So ist auch bei der eigentlichen Bildfunktion
das "Bild" in einer eigenen gegenständlichen Auffassung konsti-
tuiert und Träger einer Beziehung auf das Abgebildete. Dabei
25·stellten sich freilich zwischen der symbolisierenden Funktion und
der im Bild darstellenden wichtige Unterschiede heraus. Die
symbolisierende Funktion ist eine äusserlich vorstellende, die
bildliehe eine innerlich darstellende, ins Bild die Sache hinein-
schauende. - In jeder Bildrepräsentation unterscheiden wir die
30 Träger des Bewusstseins der Verbildlichung von den Momenten,
die diesem Bewusstsein äusserlich bleiben. Unter allen Umstän-
den muss zu den Trägern einer dinglichen Verbildlichung die
plastische Form gehören, nicht aber die qualitativen Be-
stimmtheiten. Im reinen Bewusstsein der Verbildlichung wird

1 7.II.1905. Resümee.
TEXT NR. 1 (1904/05) 83

in das Bild hinsichtlich dieses tragenden K ern e s das S u jet


hineingeschaut und <es> identifiziert sich damit rein. Das Be-
wusstsein der Deckung kann aber auch unrein sein, d.h. der Ab-
stand zwischen der Sujetintention und der Bildobjekterscheinung
5 wird fühlbar, und zwar auch hinsichtlich der verbildlichenden
Momente. - Dies sind die Übergangsphänomene zum s y m-
bol i s c h fungierenden Bildbewusstsein. Das Bild weist nun
aus si c h her aus, es weist auf ein sich davon abhebendes an-
deres hin, an das es vermöge seiner Ähnlichkeit erinnert und das
10 es als Ähnlichkeitsrepräsentant abbildet. Diese äusserlich ab-
bildende Funktion haftet auch dem "getreuen" Bild an, sowie
die Achtsamkeit auf diejenigen Momente des Bildobjekts gerich-
tet ist, die hinsichtlich der Darstellung ein Manko darstellen:
nämlich die überhaupt nicht darstellen. Solcher Momente gibt es
15 immer: Das Bild ist nicht selbst das Original. Soviel über die
Imagination im eigentlichen Sinn, zunächst in der Form der phy-
sischen Imagination.
2) Die I mag i na t ion als P ha nt a sie. Sie ist von der
I eigentlichen Bildfunktion, gleichgültig ob in ihr das immanente
20 oder das transeunte Bildbewusstsein prävaliert, scharf geschieden
dadurch, dass es ihr an einem sich eigens konstituierenden
Bi 1dobjekt fehlt. Und nun gar ein als gegenwärtig erscheinendes
Bildobjekt. Hier wird also nicht wie in der physischen Bildlich-
keit in ein als gegenwärtig erscheinendes Bildobjekt, in ein Ob-
25 jekt, das sich als Glied der Blickfeldgegenständlichkeit gebärdet,
das Sujet hineingeschaut, oder äusserlich durch ein solches das
Sujet abgebildet, oder gar nach entfernter Ähnlichkeit symboli-
siert. In der Phantasievorstellung haben wir zwar eine Erschei-
nung von einem Gegenstand, aber keine Erscheinung von einem
30 Gegenwärtigen, mittels welcher Erscheinung von Nichtgegen-
wärtigem zustande käme. Wir werden gleich hören, dass es auch
an einem Bildobjekt in jedem anderen Sinn bei den schlichten
Phantasievorstellungen fehlt.
84 TEXT NR. 1 (1904/05)

<§ 41. Unterscheidung der schlichten Phantasievorsteltung


und der bildlich sich vermittelnden; schlichte Phantasievorstellung
als Voraussetzung der echten imaginativen Funktion in
der Phantasie>

5 Doch wir müssen der Klarheit halber nun zwei Fälle unter-
scheiden, 1) die schlichte Phantasievorstellung 2) die
bildlich sich vermittelnde. In der letzten bezieht sich
die Vorstellung mittelbar auf den Gegenstand, nämlich mittels
einer Bildvorstellung, so dass sich hier, analog wie bei der phy-
10 sischen Bildfunktion, ein Bildbewusstsein konstituiert. In der
schlichten Phantasievorstellung ist das nicht der Fall. In der
bildlichen sind zwei Vorstellungsfunktionen aufeinandergebaut
und durch Bildlichkeitsbeziehung aufeinander bezogen: Die fun-
dierende ist eine Phantasievorstellung. Sie konstituiert phanta-
15 siemässig ein Objekt, das nun seinerseits mit einer imaginativen
Funktion ausgestattet ist. So z.B. Wenn ein Geologe sich auf
Grund von einigen, durch Versteinerungen an die Hand gegebe-
nen Merkmalen eine anschauliche Vorstellung von einer vor-
weltlichen Tierart macht. 1
20 • Und so überhaupt,.2 wenn ein Phantasiebild eben als biosses
Bild für etwas dient, was im Bild nicht selbst als angeschaut ge-
nommen wird. Auch hier kann je nachdem das Hineinschauen
oder das Symbolisieren und Analogisieren überwiegen. Der Unter-
schied dieser echten und eigentlichen Bildfunktion in der Phan-
25 .t a sie gegenüber derselben Funktion im Fall der Bild li c h-
keit der Wahrnehmung ist klar: Das Bildobjekt ist in die-
sem Fall ein als gegenwärtig erscheinendes, in dem Phantasiefall
ein phantasiemässig erscheinendes, also nicht gegenwärtig er-
scheinendes. Andererseits aber hebt sich das Bewusstsein der
30 echten Bildlichkeit als ein Gemeinsames heraus. Ferner ist es
klar, dass die echte imaginative Funktion in der Phantasie vor-
aussetzt eine Phantasievorstellung, die nicht wieder imaginativ,
wenigstens dies nicht in demselben Sinn ist. Wir werden also
hingewiesen auf schlichte Phantasievorstellungen; wie die Wahr-
35 nehmungsbildlichkeit in Wahrnehmung fundiert ist, so ist die

1 Hier steckt ein Glaube, eine Vermutung. Also die Vorstellung keine "biosse".
2 Bekannt und unbekannt.
TEXT NR. 1 (1904/05) 85

Phantasiebildlichkeit fundiert in' Phantasie, die nicht selbst


schon Bildlichkeit ist.

<§ 42. Umgrenzung des Begriffs der schlichten


Phantasievorstellung als Vollzug von reinem
5 Vergegenwärligungsbewusstsein; immanentes Bildbewusstsein
als Phantasiebewusstsein. Terminologische F estlegung der
Gegensätze Wahrnehmung - Phantasie oder Gegenwärtigung
(Präsentation) - Vergegenwärtigung (Repräsentation»

Wie sind nun die schlichten Phantasievorstellungen zu ver-


10 stehen? Wenn unsere Phantasie sich spielend mit Engeln und
Teufeln, mit Zwergen und Nixen beschäftigt, oder wenn unsere
Erinnerung uns in die Vergangenheit hineinversetzt, die in an-
schaulichen Gestaltungen vor unserem Geist vorüberzieht, so
gelten die/ erscheinenden Gegenständlichkeiten nicht als Bild-
15 objekte, alts blosse Repräsentanten, Analoga, Bilder für andere:
I Während bei echten Bildern ein Hinausschauen, ein auf anderes
Hingewiesensein, möglich ist und statthat, hat dies hier genau
betrachtet gar keinen Sinn. Das Wort "Imagination", die Rede
von Phantasiebildern u.dgl. darf uns hier so wenig täuschen wie
20 bei der Wahrnehmung die Rede von "Wahrnehmungs-Bildern".
Diese Reden stammen aus der Reflexion, die die Erscheinungen
der Phantasie gegenübersetzt den möglichen Wahrnehmungen
derselben Gegenständlichkeit, und wieder die Wahrnehmungen
den nicht wahrnehmungsmässig zu gebenden "Dingen an sich" .
25 Die Phamasieerscheinung, die schlichte, mit keiner darauf-
gebauten Bildlichkeit beschwerte, bezieht sich ebenso ein f ä I t i g
auf den Gegenstand wie die Wahrnehmung. Doch müssen wir
hier abermals scheiden: die klaren, vollkommen angemessenen
Phantasien und die unklaren und schliesslich sogar völlig ver-
30 dunkelten Phantasien. Betrachten wir die k I are n P ha n t a-
sie n, z.B. die klaren Erinnerungen, und führen wir alles obige
zunächst durch, ohne uns um die unklaren Phantasien zu küm-
mern. Von den klaren Phantasien gilt nun, dass sich bei ihnen
auf Grund der Phantasmen und der sie objektivierenden Auf-
35 fassung ein reines Vergegenwärtigungsbewusstsein vollzieht. In-
dem die Phantasmen objektiviert werden, k 0 n s ti tu i e r t sich
86 TEXT NR. 1 (1904/05)

nich t vorher ein vorschwebendes und gar als gegenwärtig er-


scheinendes Bildobjekt, sondern das Erscheinende ist unmittel-
bar das Nichtgegenwärtige. Die gegenständliche Intention, ge-
richtet auf das phantasierte Objekt, hat ihre Fülle in den er-
5 lebten Phantasmen, genauso, wie die gegenständliche Intention
der Wahrnehmung ihre Fülle hat in den Empfindungen. Das
schliesst gar nicht aus, dass die Phantasie in gewisser Weise auf
Wahrnehmung wesentlich Beziehung hat, nämlich dass sie sich
im Fall der Identifizierung mit einer entsprechenden Wahr-
10 nehmung bekräftigt, reicher, tiefer erfülltl und dass das Be-
wusstsein erwächst: Das Phantasierte sei bloss Vergegenwärti-
gung dessen, was hier in der Wahrnehmung wirklich selbst ge-
geben ist, und in gewissem Sinn also, die Phantasie gebe ein blos-
ses Bild der Wahrnehmungsgegenständlichkeit, d.i. der Gegen-
15 ständlichkeit selbst. Aber an sich selbst enthält die Phantasie-
vorstellung keine mehrfältige Intention, Ver g e gen w ä r t i-
gung ist ein letzter Modus intuitiver Vorstellung,
genauso wie Wahrnehmungsvorstellung, wie Gegenwärtigung.
Was uns zeitweise gestört und beirrt hat, war die evidente in-
20 nere Verwandtschaft des immanenten, nach innen gewandten
Bildbewusstseins mit dem Phantasiebewusstsein. Tatsächlich ist
dl1s Bewusstsein im Wesen beiderseits dasselbe; nämlich mit
offenbarem Recht werden wir sagen müssen: Dieses immanente
Bildbewusstsein ist P h an ta siebewusstsein, d.h. unterscheidet
25 sich von einem entsprechenden Phantasiebewusstsein in sich be-
trachtet gar nicht. Aber es durchdringt sich hier mit einem prä-
sentativen Bewusstsein. Dieselben sinnlichen Inhalte, dieselben
Empfindungen werden zugleich aufgefasst als das Bildobjekt und
zugleich dienen sie ganz wie Phantasmen als Träger oder wenig-
30 stens einem Kern nach als Träger eines Phantasiebewusstseins. Auf
Wahrnehmung baut sich ein Phantasiebewusstsein, möglich ist
das aber nur vermöge der besprochenen Widerstreite, welche die
gegenwärtigende Funktion der Empfindungen aufheben. Fehlt
der Widerstreit, dann wird Empfindung immer zur Gegenwart
35 objektiviert und charakterisiert und schliesst damit evident das
"nichtgegenwärtig" der Phantasie aus. Obschon man in einem
gewissen guten Sinn von Bildlichkeit in der Phantasie spricht und

1 Bekraftigung nur bei Glaubens-, Vermutungsakten!


TEXT NR. 1 (1904/05) 87

obschon andererseits auch in der gemeinen Bildlichkeit die Phan-


tasie das wesentlichste Moment ausmacht, wie wir soeben er-
kannt haben, so scheint es doch wohl am Angemessensten, von
Bildlichkeit", "bildlicher Auffassung" nur da zu sprechen, wo
5 ~rklich ein Bild erscheint, das erst seinerseits für ein Abgebil-
detes als repräsentierendes Objekt fungiert. Bei der schlichten
Phantasie also, wo das nicht statthat (wie gross die Versuchung
auch ist, hier die gleiche Sachlage zu supponieren), tut man am
besten, einen anderen Terminus zu gebrauchen. Man muss hier
10 den Tatsachen schon sehr tief auf den Grund gehen, um zu er-
kennen, dass es zwar in gewissem Sinn selbstverständlich ist zu
sagen: Im gegenwärtigen Bewusstsein wird das Nichtgegenwär-
tige repräsentiert, die gegenwärtigen Phantasmen und Auffas-
sungen repräsentieren für die eigentlich intendierten, aber nicht
15 gegenwärtigen: und dass doch diese verwandten oder identischen
Ausdrücke hier eine ganz andere phänomenologische Bedeutung
haben. IsUman sich aber soweit klar, dann bedarf es anderer
Terminologie. Entweder wir gebrauchen das Wort "Phanta-
I sie" selbst, oder wir gebrauchen das Wort "Vergegenwär-
20 ti gun g". Der Wahrnehmung steht also gegenüber die Phanta-
sie, oder der Gegenwärtigung, der Präsentation, die Vergegen-
wärtigung, dieiRepräsentation. Wo irgendeine Verwechslung mit
der bildlichen und der signitiven Vorstellung möglich ist, muss
man genau sagen: eigentliche Vergegenwärtigung, schlichte, im
25 Gegensatz zur bildlichen, symbolischen, signitiven, uneigent-
lichen.

<§ 43. Die Sachlage bei den unklaren Phantasien:


die schlichte PhantasievorsteUung fedenfaUs vorausgesetzt.
Abschliessende Übersicht über die in den Analysen
30 hervortretenden Vorstellungsmodi >

Doch wir haben bisher nur von den "klaren Phantasien" ge-
sprochen. Nicht geringe Beunruhigung haben mir, wie ich ge-
stehen muss, gerade die unklaren gemacht. Hier weicht ja das
nicht bloss schwankende und flüchtige, sondern auch inhaltlich
35 sehr unangemessene "Bild" vom phantasierten Objekt weit ab.
Indessen bin ich schliesslich mit mir darin einig geworden, dass
88 TEXT NR. 1 (1904/05)

die Auffassung dieser Phänomene als eigentlicher Bildlichkeiten


nichts helfen würde. Wen n die unklaren Phantasien sich auf
Grund einer Bildlichkeit konstituieren, so ist das primäre Bild-
objekt schon ein Phantasieobjekt. Und so ist die reine und
5 schlichte Phantasiefunktion jedenfalls vorausgesetzt. Somit kann
unsere Analyse prinzipiell nichts N eues gewinnen. Es handelt
sich um eine blosse Tatsachenfrage. -
Ich möchte nun meinen, aufgrund vielfältiger Beobachtung
der allerdings nicht gut standhaltenden Phänomene, dass die
10 Vorstellung normalerweise keine mittelbare ist (was ja auch aus
genetischen Gründen schwer verständlich wäre). Die Intention
auf den Gegenstand hat, wenn die Phantasie wenigstens relativ
und partiell klar ist, in den repräsentierenden Zügen (entspre-
chend den verbildlichenden im mittelbaren Bildbewusstsein) einen
15 Anhalt, eine Fülle, die übrigen gelten nicht, sind ein Nichts. Die
Differenz zwischen gemeintem Objekt der Intention und dem,
was im Phantasma gegeben ist und Objektivierung erfährt, führt
zu keinem Widerstreitsbewusstsein und zu keiner Abhebung der
beiderlei Objekte. Beim p h Ys i s c h e n Bildobjekt setzt sich die
20 Empfindung überall durch; soweit Empfindung vorhanden
ist, soweit eine geschlossene Objektivierung, daher ein greifbar
und fest konstituiertes Bildobjekt. Hier aber konstituiert sich
zumeist das Bildobjekt nicht, trotz der Differenz. Freilich haben
wir dann aber auch keine eigentliche Anschauung vom Objekte.
25 Zwar, wir haben nicht eine bloss leere Intention, andererseits
aber auch keine volle Anschauung, sondern einen Ansatz von
"Anschauung, einen Schatten von Anschauung statt ihrer selbst.
Bei sehr dunklen Phantasien reduziert sich die Vergegenwärtigung
auf einen ganz dürftigen Rest, und fällt dieser ganz weg, wie beim
30 Intermittieren der Phantasmen, so bleibt die bestimmte, aber
leere Intention auf den Gegenstand übrig. Mit den dürftigen,
wieder auftauchenden Resten bekräftigt sie sich und füllt sie sich
nach den oder jenen Momenten. Aber zur wirklichen Anschauung
wird sie erst, wenn ein reichhaltiges Bild gegeben ist. Die Lücken,
35 die zerfliessenden Färbungen, die untertauchen in den Lichtstaub
des Phantasiegesichtsfeldes usw., dergleichen wird erst objekti-
viert, wenn wir wollen, wenn wir dies nach Analogie wirklicher
Gegenständlichkeit interpretieren wollen. Sonst bleibt es einfach
ohne gegenständliche Interpretation, und darum streitet es nicht
TEXT NR. 1 (1904{05) 89

und gibt keine doppelte Objektivität. Eine solche stellt sich aber
sofort ein, sowie ein klares und festes Bild der Phantasie auf-
taucht, welches sich mit der Phantasieintention partiell deckt,
aber nach gewissen Punkten von ihr klar abweicht. Evtl. mag
5 nachträglich die Erinnerung modifizierend auf die Intention
wirken und den Widerstreit hervorrufen. Z.B. ein klares Er-
innerungsbild gibt einer Intention auf einen Freund X Anschau-
lichkeit. Das Bild bringt aber zunächst einen schwarzen Vollbart,
ganz klar, und die Interttion, sich durch den Fluss der Erinnerung
10 eben modifizierend, verlangt einen braunen Vollbart. Dann wird
aber normalerweise das Bild nicht standhalten und sich ent-
sprechend anschaulich modifizieren.
Durch unsere Analysen treten als primitive Vorstellungsmodi
hervor 1) zwei schlichte Modi eigentlicher Vorstellung, die Wahr-
15 nehmung und die Repräsentation; 2) ein schlichter Modus un-
eigentlicher Vorstellung: die leeren Intentionen; 3) die fundierten
Vorstellungsmodi, auf die schlichten intuitiven oder leeren In-
tentionen gebaut. Die verschiedenen primitiven Fundierungs-
formen wären hier noch zu studieren. Es schieden sich uns schon:
20 die bildlichen Vorstellungen, die symbolischen durch Ähnlichkeit
und die symbolischen durch blosse Signifikation (ohne analogi-
sierende Beziehung). Genauer analysiert haben wir die bildlichen,
in welchen sich Wahrnehmung und Phantasie oder Phantasie und
Phantasie durchdringen und eine abbildende Intention fun-
25 dieren.

<§ 44. Absonderung eines neuen Begriffs von Erscheinung


mit Rücksicht auf den Bewusstseinscharakter der
Gegenwä1'tigung bzw. Vergegenwärtigung als dem
Unterscheidenden zwischen Wahrnehmung und Phantasie.
30 Anzeige des tJbergangs in die Analysen des Zeitbewusstseins
zur genaueren Unterscheidung der Differenzen im
Wahrnehmungs- und Phantasiebewusstsein>

Soweit dürfen wir uns also klarer Ergebnisse erfreuen. Es be-


darf nun der Fortführung, die uns sehr bald in die Sphäre der ge-
35 naueren Unterscheidung der verschiedenen Differenzen im Wahr-
90 TEXT NR. 1 (1904/05)

nehmungs- und Phantasiebewusstsein führen wird, und das


meint vor allem in die Formen des Zeitbewusstseins.
Eins müssen wir zunächst besprechen: Wenn wir uns einen
Gegenstand, einen Vorgang, kurz, irgendein Gegenständliches
5 überhaupt in der Phantasie vergegenwärtigen, so stellt es sich in
einer bestimmten Erscheinung dar, die genau entspricht einer
bestimmten Erscheinung einer möglichen Wahrnehmung. Die
Synthesis des möglichen Wahrnehmungszusammenhangs ent-
spricht genau der Synthesis eines möglichen Phantasiezusam-
10 menhangs, bezogen auf die Einheit desselben Gegenstandes. Der-
selbe Gegenstand stellt sich von derselben Seite mit denselben
phänomenalen Bestimmtheiten, mit denselben Farben, Hellig-
keitsabstufungen, perspektivischen Abschattungen usw., kurzum
mit "d e r sei ben Er sc h ein u n g" in präsentativer und reprä-
15 sentativer Weise dar. Diese selbe Erscheinung bedeutet in den
Erlebnissen natürlich ein Identisches; ebenso entspricht ein
Identisches dem intentionalen Bewusstsein, das beiderseits auf
denselben Ge gen s t an d gerichtet ist. Aber da und dort ist das
Identische nicht dasselbe. Die Beziehung auf den Gegenstand ist
20 Sache des Auffassungssinnes. Das, was hier aber unter dem Titel
"Erscheinung" als identisch genommen wurde, betrifft nicht den
biossen Auffassungssinn. Der wäre derselbe, wenn es sich beider-
seits nicht um die einander genau korrespondierenden Glieder
der gegenständlichen Synthesis handeln würde. Erscheinung im
25 jetzigen Sinn ist aber auch nicht ganz dasselbe als dasjenige, was
wir hinsichtlich der Wahrnehmung in früheren Vorlesungen und
ebenso in Logische Untersuchungen <S.> 554 1 als den reinen
Wahrnehmungsgehalt und wieder nicht dasselbe als dasje-
nige, was wir in einem anderen Sinn als Erscheinung bezeichnet
30 haben. Erst in der Identität, die hier zwischen Wahrnehmungs-
vorstellung und Phantasievorstellung hervortritt, sondert sich
der neue Begriff von Erscheinung ab. Erscheinung ist
nicht Wahrnehmungsvorstellung, d.i. die Wahrnehmung unter
Abstraktion vom belief-Moment, sie ist auch nicht die durch Ab-
35 straktion von den symbolischen Komponenten (und den evtl.

1 Vgl. in der VI. Untersuchung, ,,§ 23. Die Gewichtsverhältnisse zwischen intui-
tivem und signitivem Gehalt ein und desselben Aktes. Reine Intuition und reine
Signifikation. Wahrnehmungsinhalt und BIldinhalt, reine Wahrnehmung und reine
Imagination. Die Gradationen der FuIle." (1. Auflage 1901). - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904/05) 91

anhängenden imaginativen) übrigbleibende reine Wahmeh-


mungsvorstellung. Denn es handelt sich um etwas, das ebenso-
wohl als bei der Wahrnehmungsvorstellung auch bei der Phanta-
sievorsteIlung auftritt und beiderseits identisch ist oder identisch
5 sein kann. Es ist klar, wovon hier abstrahiert werden kann und
muss: einmal von demjenigen in der Auffassung, was die Er-
scheinung gerade als Gegenwärtigung, das andere Mal von dem-
jenigen, was sie als Vergegenwärtigung charakterisiert.
Es scheint also, dass wir uns die Konstitution der schlichten
10 eigentlichen Vorstelluug so denken müssen: Die sinnlichen In-
halte, die Auffassung erfahren, tun dies in einem Auffassungs-
sinn, der ihnen Beziehung gibt auf den jeweiligen Gegenstand.
Das geschieht aber so, dass bei gleichem Auffassungssinn mannig-
fache Möglichkeiten bestehen. Der Auffassungssinn ist ein Ab-
15 straktum, das sich'besondert in Form einer Erscheinung. In der
Erscheinung ist der Gegenstand nicht bloss als der so und so be-
stimmte anschaulich, sondern ist dies und kann dies nur sein da-
durch, dass diese oder jene Seite des Gegenstandes zur Erschei-
nung kommt, oder vielmehr der Gegenstand von dieser oder
20 jener Seite zur Erscheinung kommt. Die Erscheinung bedeutet
hier die bestimmte Besonderung des Auffassungssinnes in Ein-
heit mit den Auffassungsinhalten. Die Erscheinung endlich trägt
noch einen gewissen Bewusstseinscharakter, der erst das Unter-
scheidende zwischen Wahrnehmung und Phantasie ausmacht:
25 Die Erscheinung ist entweder gegenwärtigende oder vergegen-
wärtigende Erscheinung, d.i. sie erhält noch einen Charakter, der
sie als das eine oder andere auszeichnet.
Wir können auch sagen: Die Sachen stellen sich hier so dar,
dass eine Objektivation vollzogen wird in den schlichten intui-
30 tiven Akten, die zunächst von der Charakterisierung als gegen-
wärtig oder nichtgegenwärtig (phantasiert, vergangen, künftig
u.dgl.) nichts enthält, vielmehr tritt diese Charakterisierung erst
hinzu. Freilich ist diese erste Objektivierung nicht etwas, das für
sich sein kann, denn evidentermassen, was erscheint, ist entweder
35 phänomenal gegenwärtig oder nicht gegenwärtig.
Freilich, das Verhältnis von Gegenwärtigung und Vergegen-
Wärtigung und die Frage, ob es sich um gleichstehende Charak-
tere, sozusagen um zwei blosse Färbungen handelt, die nur spezi-
fisch unterschieden sind, bietet noch sehr merkwürdige Schwie-
92 TEXT NR. 1 (1904/05)

rigkeiten, wie wir hören werden. Aber jedenfalls ist mit unseren
Unterscheidungen eine erste Approximation vollzogen, die der
Wahrheit einen ersten und vorläufig anzunehmenden Ausdruck
verleiht. Die AUflösung der hier nur angezeigten Schwierigkeiten
5 wird ein Hauptstück der Analyse des. Zeitbewusstseins bilden
müssen.

<9. KAPITEL
Die Frage nach dem phänomenologischen
Unterschied zwischen Empfindung und
10 Phantasma und die Frage nach dem
Verhältnis von Wahrnehmung und Phantasie>

<§ 45. Anknüpfung an Brentanos Stellungnahme:


keine wesentlichen Unterschiede zwischen den
Auffassungsinhalten: Empfindung und Phantasma>

15 Ehe ich daran gehe, muss ich aber noch einiges hinzufügen,
was in die Sphäre der bisher behandelten Probleme näher herein-
gehört ; eine Lücke ist in unseren Darstellungen geblieben, wir
sind auf die Frage nach dem phänomenologischen Unterschied
zwischen Empfindung und Phantasma nicht gründlich eingegan-
20 gen. Die hier von verschiedenen Forschern angestellten Unter-
suchungen behandelten die Frage immer vermengt mit der Frage
nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Phantasie. Aber so
innig eins und das andere zusammenhängen, so ist doch klare
Scheidung die Vorbedingung für erfolgreiche Behandlung dieser
25 Probleme. Eine sehr ausführliche Erörterung der erstgenannten
Frage, die ausführlichste, die mir überhaupt bekannt ist, hat
Brentano in seinen Vorlesungen1 gegeben. Und sie endet damit,
dass wesentliche Unterschiede zwischen Empfindungen und
Phantasmen abgelehnt werden. Es sind beiderseits im Wesen
30 dieselben sinnlichen Inhalte, durch keine Abgründe geschieden,
nicht getrennt durch irgendein Moment von grundwesentlich
verschiedener Gattung. Alle hier vorkommenden Unterschiede
sind vielmehr stetig vermittelte. Der Hauptsache nach sind es
1 Zu diesen Vorlesungen F. Brentanos vgl. oben die Einleitung des Hrsg. S. XXV.-
Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 1 (1904/05) 93

Intensitätsunterschiede : Die Phantasmen sind sinnliche Inhalte


von ausserordentlich niedriger Intensität im Vergleich mit den
normalen Empfindungen. Ausser der Intensität kommen noch
andere relative Unterschiede in Betracht, so besonders die
5 Flüchtigkeit, die willkürliche Veränderlichkeit u.dg!. Diese
Unterschiede in ihrer Komplexion, in der Art ihrer Verknüpfung
geben hinreichende empirische Anhaltsgründe für die Anknüp-
fung der unterschiedenen Auffassungen und hindern es, dass
wir nach Belieben zwischen Wahrnehmungsauffassung und
10 Phantasieauffassung wechseln. Was den Unterschied dieser Auf-
fassung selbst anbelangt, so liegt er nach Brentano darin, dass
die Wahrnehmungen eigentliche Vorstellungen sind, die Phan-
tasievorstellungen aber uneigentliehe, und das heisst bei ihm
indirekte, durch Beziehungen, durch Begriffe vermittelte Vor-
15 stellungen. Eine tieferdringende Phänomenologie der beider-
seitigen Auffassungen hat Brentano aber nicht durchgeführt, ob-
schon in dem bIossen Gedanken, dass die Apperzeptionsweise
beiderseits eine verschiedene ist, ein wichtiger Fortschritt liegt.1
(Merkwürdigerweise leugnet er dabei jeden Unterschied in der
20 Weise des Vorstellens.) Die Hauptgründe für seine Stellung-
nahme findet Brentano darin, dass die Lebhaftigkeit der Phan-
tasmen sich steigert, bis sie in Empfindungen übergehen und zu
Wahrnehmungstäuschungen überführen. Und dass umgekehrt
Empfindu1ngen so schwach werden können, dass wir ins Schwan-
25 ken geraten, ob wir noch empfinden oder vielmehr bloss phanta-
sieren. Z.B. wenn wir in später Abendstunde mit gespannter Er-
wartung auf den Glockenschlag der Turmuhr lauschen und, durch
voreilende Erwartung getäuscht, zu hören glauben und doch
wieder zweifeln, ob wir hören usw. Ticken der Taschenuhr.
30 Methodisch wird man hier jedenfalls soviel behaupten
dürfen, dass, solange ein Auskommen ist ohne Inanspruchnahme
eines grundwesentlichen Unterschieds zwischen Empfindung und
Phantasma, man von einer solchen auch Abstand nehmen muss;
denn die direkte Vergleichung zwischen beiden, obschon sie uns
35 in jedem Augenblick offensteht, versagt. Bei der Flüchtigkeit und
Veränderlichkeit der Phantasmen und bei der Schwierigkeit, von
den Apperzeptionen zu abstrahieren, die ihnen und den Empfin-

1 9.II.1905.
94 TEXT NR. 1 (1904/05)

dungen Bedeutung geben, kommt man zu keinem festen Resul-


tat. Wenigstens will es niemandem so recht glücken, und eine
übereinstimmung der Beobachter fehlt erst recht.

<§ 46. Ansetzung des Unterschiedes zwischen Empfindung


5 und Phantasma in den Auffassungsweisen. Diskussion eines
Ungenügens dieser Theorie bei Brentano und anderen:
die Interpretation der Humeschen vivacity als Intensität>

Nun haben wir in der Tat in der verschiedenen Apperzep-


tionsweise, in den von uns studierten phänomenologischen Cha-
10 rakteren, die sich auf den sinnlichen Inhalten aufbauen, aller-
dings ein Mittel der Unterscheidung. Der eigentliche Unterschied
läge danach in den Auffassungsweisen, nicht aber in den Auf-
fassungsinhalten. Je nach Umständen könnte also derselbe In-
halt einmal Empfindung und einmal Phantasma heissen. Em-
15 pirisch psychologische Gründe hätten also dafür aufzukommen,
warum jeweils ein bestimmter Modus der Auffassung zustande
kommt und ein entgegengesetzter unmöglich ist. Allenfalls
könnte zugestanden werden, dass die sinnlichen Inhalte im gros-
sen und ganzen in zwei Gruppen zerfallen, die einen relativ sehr
20 lebhaft, sehr intensiv, die anderen in Hinsicht auf Intensität in
weitem Abstand von ihnen getrennt, die einen in weitem Um-
fang der Willkür nicht unterworfen, die anderen ihr unterworfen
usw. An Inhalten, die hinsichtlich der Intensität, Flüchtigkeit
etc. vermitteln, fehlt es zwar nicht, dann aber helfen mitver-
25 flochtene Momente zumeist, um einen bestimmten Apperzeptions-
modus festzunageln, so das's faktisch nur ein sehr kleines Gebiet
von Fällen übrigbleibt, die Zweifel und Auffassungswechsel er-
möglichen.
Ganz in diesem Sinn habe ich mich selbst mit Vorliebe ent-
30 schieden, und auch die systematischen Untersuchungen über
Phänomenologie der Anschauungen haben mich darin nicht
wankend gemacht. In jüngster Zeit bin ich öfter wankend gewor-
den, aber vielleicht nur darum, weil die Art der Durchführung
dieser Auffassung noch Schwierigkeiten bietet und jedenfalls die
35 ganze Theorie nicht genug ausgedacht ist. Bei Brentano und an-
deren Neueren gefällt mir nicht die Interpretation der Hume-
TEXT NR. 1 (1904/05) 95

sehen vivacity, Lebendigkeit, als In t e n s i t ä t. Gewiss surrogie~


ren sehr oft ausserordentlich· leise und schwache Empfindungen
für laute, intensive Empfindungen. Eine bestimmte Melodie kann
eine laute bildlich vorstellend sein, während sie faktisch sehr
5 leise Töne zur Grundlage hat. Das hindert das Identitätsbewusst~
sein nicht, sofern das Gewebe der ineinander geschmolzenen Ton~
und Intensitätsverhältnisse, die Einheit der Melodie, faktisch
identisch ist. Fraglich ist es mir, ob nach diesem Schema auch
das Phantasieren einer Melodie zu verstehen ist, zumal da,
10 wo wir es mit zugleich klaren und vollebendigen Phantasien zu
tun haben. Ganz so sicher wie früher kann ich mich jetzt auf den
Brcntanoschen Standpunkt nicht stellen. Ich möchte dem indi-
rekt surrogierenden Denken jedenfalls nicht eine solche Rolle
einräumen, wie Brentano es genötigt ist. Und bei manchen Sin-
15 nesgebieten, schon im Farbengebiet, müssten wir eigene Theorien
der Intensität aufstellen. Denn was ist im Farbengebiet Intensi-
tät? Doch nicht Helligkeit. Wir müssten hier gerade die eigen-
tümlich wechselnde Kraft und Lebendigkeit der Phantasmen als
Intensität definieren.
20 (Und was ist beim Geschmacksgebiet Intensität? Ein brennen-
der Geschmack ist doch wohl sehr intensiv, solange er noch
Brennen ist. Stelle ich das Brennen unter Umständen nicht ganz
anschaulich und nicht genau als intensives Brennen vor, sollte da
ein weit davon abstehendes Analogon, was gar nicht mehr Bren-
25 nen ist, als Ersatz eintreten? Und zwar in den flüchtigen Mo-
menten, wo eine lebendige Vorstellung glückt?)
Und nun erst recht die Phantasievorstellungen von
psychischen Phänomenen. So wie wir physische Dinge
einmal wahrnehmen und einmal phantasieren, so können wir
30 auch psychische Zustände, Intentionen, Urteile, Zweifelsschwan-
kungen, Fragen, Wollungen usw. einmal innerlich wahrnehmen
und wirklich erleben, das andere Mal bloss phantasieren. Was
macht hier denl Unterschied aus? Auch hier müssen wir doch
zwischen Auffassungsinhalten und Auffassungsakten unterschei-
35 den, und es muss dieselbe innere Erscheinung sich einmal als
gegenwärtig, das andere Mal als nichtgegenwärtig, als eingebildet,
vergangen usw. darstellen. Nun ist es offenbar, dass der allge-
meine Unterschied beiderseits derselbe.ist. Ein wirklich gefälltes
Urteil mutet sich "lebhafter" an als ein bloss eingebildetes, ein
96 TEXT NR. 1 (1904/05)

wirklich empfundenes Gefallen intensiver als ein bloss vorgestell-


tes, USW. Bei manchen dieser Phänomene ist von einer Intensität
in demselben Sinn wie bei den Empfindungen gar keine Rede.
So zum Beispiel beim. Urteil. Was ist ein intensiveres Urteil?
5 Doch nicht eine lebhaftere überzeugung? Dann wäre ja ein
phantasiert es Urteil eine wenig lebhafte Überzeugung. Aber bin
ich, wenn ich mir ein Urteil vorstelle, dem ich gar nicht zustim-
me, von ihm in geringerem Grade doch überzeugt? überzeti-
gungsgrade haben offenbar mit dem Unterschied von aktuellem
10 Erlebnis und blosser Phantasie nichts zu tun. Das weiss Brentano
natürlich so gut wie ich. Aber andererseits kann ich mich doch
nicht zufrieden geben, dass bloss Uneigentlichkeiten des Vor-
stellens helfen sollen: Wir können doch ein Urteil voll anschau-
lich vorstellen, und doch urteilen wir dabei nicht selbst, wie zum
15 Beispiel, wenn wir es für falsch halten. Ebenso fragt es sich:
Können wir ein Wollen nicht vorstellen, und zwar anschaulich,
also in demselben Sinn, wie wir ein Rot und Blau anschaulich
vorstellen, während doch von einem aktuellen Wollen gar keine
Rede ist? Oder von einem Imaginieren des Zweifelns, wo wir gar
20 nicht zweifeln usw.? Bei den sinnlichen Inhalten hängen an der
Entscheidung nicht so prinzipielle Probleme wie hier bei den Akten,
den intentionalen Inhalten. Bei den sinnlichen Inhalten reicht
man wohl mit der Intensität nicht aus, wie sie in verschiedenen
Empfindungsgebieten auftritt. Vielleicht kommt ein anderer
25 Unterschied in Betracht, der ein Analogon der Intensität ist, so-
'fern man wohl wird zugestehen müssen, dass die Phantasmen in
Empfindungen stetig übergehen. Man kann diesen Unterschied
auch Intensität nennen, aber es gäbe dann bei aller Analogie
doch verschiedene Arten oder Dimensionen von Intensität.

30 <§ 47. Die Schwierigkeit, zu verstehen, wie der Unterschied


zwischen Phantasie eines psychischen Aktes und aktuellem
V ollzug dieses Aktes möglich ist. Das Moment des belief
und die Uneigentlichkeit des Vorstellens>

Wenn man zwischen Empfindung und Phantasma abgrund-


35 tiefe Unterschiede sucht und immer wieder gesucht hat, so liegt
es an einem Gefühl, dass man einen durchgreilenden Unterschied
TEXT NR. 1 (1904/05) 97

zwischen Wahrnehmung und Phantasie herschaffen muss, für


den sich am nächsten ein durchgreifender Unterschied zwischen
den Auffassungsinhalten empfiehlt. Und irgendwie hofft man so,
den grossen Schwierigkeiten bei den intentionalen Phänomenen
5 zu entgehen. In Wahrheit entgeht man diesen Schwierigkeiten
durch Statuierung von irgendwelchen Unterschieden in den Auf-
fassungsinhalten gar nicht. Für diese Schwierigkeiten ist es
gleichgültig, ob man graduell abstuft oder Abgründe ansetzt.
Aber was sind denn das für Schwierigkeiten, werden Sie fragen?
10 Wenn ich eine Farbe phantasiere, wir nehmen eine klare Phanta-
sie, so finden wir im Vergleich des Farbenphantasmas und der
erlebten Farbe Gleichartigkeit. Beiderseits Farbe. Was für Unter-
schiede sonst vorhanden seien, Ähnliches wird durch Ähnliches,
und zwar gattungsmässig Gleiches durch Gleiches repräsentiert.
15 Nun nehmen wir psychische Akte. Ich stelle ein Urteil vor,
einen Willen vor. Wenn ich es anschaulich tun kann, dann habe
ich ein Urteilsphantasma, ein Willensphantasma, das der Urteils-
empfindung, der Willensempfindung (d.h. dem aktuell voll-
zogenen Urteilen und Wollen) jedenfalls doch entspricht als ein
20 gattungsmässig Gleiches einem gattungsmässig Gleichen. 1 Also
das Qualitative, was Urteil als Urteil charakterisiert, sowie den
ganzen reell erlebten Urteilsinhalt finde ich im Phantasma, finde
ich in der Einbildung eines Urteils vor. Also urteilen wir wirklich,
wenn wir ein Urteil vorstellen? Wollen wir wirklich, wenn wir
25 ein Wollen bloss imaginieren? Heisst denn Urteilen nicht soviel,
wie ein psychisches Erlebnis der und der Gattung, aufgebaut aus
den und den Bestimmtheiten, die eben der Begriff des Urteils zu-
sammenfasst, im Bewusstsein haben? Und haben wir das nicht?
Ist es nicht im Zusammenhang des Phantasiebewusstseins reell
30 da?
Die grosse Schwierigkeit ist es also, zu verstehen, wie der
Unterschied zwischen Phantasie eines Urteils und aktuellem
Vollzug eines Urteils möglich ist, ein Unterschied, der doch
so greifbar und evident ist, dass niemand seine Existenz je an-
35 Zweifeln könnte.
Diese Evidenz sagt uns doch mit absoluter Klarheit: Ein Urteil
~llziehen, aktuell wollen, wirklich wünschen, wirklich zornig
. 1 Z.~. anschauliche Erinnerung an frühere Wollungen, Urteile etc., während wir
Jetzt lllcht urteilen, ete.
98 TEXT NR. 1 (1904/05)

sein u.dgl. ist etwas anderes als einen Zorn vorstellen, einen
Wunsch, ein Wollen, ein Urteilen vorstellen. Und diese letzteren
Erlebnisse sind nicht etwa Komplexionen, welche die ersteren in
sich schliessen. Ein Urteil vorstellen ist nicht urteilen und noch
5 etwas dazu. Ein Wollen vorstellen ist nicht wollen und noch etwas
dazu. Wie ist das aber wieder möglich, wenn die Vorstellung
gleichsam ein Bi I d ist, das den ganzen Inhalt des früheren Zu-
standes repräsentiert, somit in allen inneren Bestimmtheiten 'mit
ihm stimmt, ebenso wie die Farbe in der Phantasie doch auch
10 Farbe ist.
Dass hier weder graduelle Unterschiede noch abgrundtiefe et-
was helfen können, ist klar. Wenn wir uns in der Phantasie einen
längst berichtigten Irrtum vergegenwärtigen, so irren wir Jetzt
nicht, auch nicht im schwächsten Grade. Sagt man, es handelt
15 sich nicht um Grösse des Irrtums, sondern um eine phänomeno-
logische Abstufung, die ein Analogon der Intensität darstelle,
um Grade der Kräftigkeit oder Lebendigkeit, so antworten wir
natürlich: Ob das Urteil lebhaft oder weniger lebhaft, an Fülle
reicher oder ärmer ist, ist es überhaupt Urteil, dann glauben wir,
20 und somit irrten wir wirklich, so oft wir uns einen Irrtum in
der Phantasie vorstellten. In Wahrheit irren wir aber, wenn wir
des früheren Irrtums uns erinnern, nur dann, wenn wir nicht
bloss erinnern, sondern den betreffenden Sachverhalt jetzt noch
glauben, während wir, inzwischen eines Besseren belehrt, zwar
25 noch die Vergegenwärtigung vollziehen und die Erinnerung, aber
nicht mehr den Glauben. In diesem Beispiel tritt der Unterschied
mit besonderer Klarheit hervor. Enthielte die Erinnerung an den
früheren Glauben, dadurch dass sie ihn anschaulich vergegen-
wärtigte, diesen Glauben selbst, wäre das Glaubens-Phantasma,
30 als inhaltlich gleichartiges mit der Glaubens-Empfindung, einem
aktuellen Glauben gleichzurechnen, dann hätte der zur Abhebung
gekommene Unterschied keinen Sinn: zwischen Erinnerung an
einen Glauben mit aktuellem Glauben und Erinnerung an ihn,
ohne ihn zu teilen.
35 Die vorhandene Schwierigkeit wird aber auch nicht beseitigt,
wenn wir zwischen den Auffassungsinhalten der Wahrnehmung
und Phantasie sozusagen einen abgrundtiefen Unterschied an-
nehmen. Dieser könnte ja nur besagen, dass irgendein Moment
des Erlebnisses auf der einen Seite in ein total anderes auf der
TEXT NR. 1 (1904/05) 99

anderen umschlägt, oder auf der einen Seite vorhanden ist,


auf der anderen fehlt, während doch die inhaltliche Verwandt-
schaft bestehen muss, welche der Rede von einem Phantasiebild
ihren Anhalt gibt. Das Urteil nach allen seinen wesentlichen Be-
5 standstücken, vor allem hinsichtlich seines belief-Moments und
seiner Beziehung auf den betreffenden Sachverhalt, muss doch
im Phantasiebild wiederkehren, sonst ist das Bild kein Bild dieses
Urteils. Gegenüber deräusseren Wahrnehmungundäusseren Phan-
tasie besteht hier nur der Unterschied, dass, während bei diesen der
10 Auffassungsinhalt und der aufgefasste Gegenstand verschieden
sind, sie hier, in der Wahrnehmung und Phantasie von Akten,
sich decken. Ich blicke innerlich wahrnehmend auf ein gefälltes
Urteil einfach hin, und in der Phantasie schwebt es mir vor, und
ich nehme es auch da einfach als Vergegenwärtigung, ohne
15 irgendeine transzendierende Deutung. Die Empfindung und der
wahrgenommene Gegenstand sind hier einerlei, es ist das a k-
tue 11 e Urteil, das Phantasma und der phantasierte Gegenstand
ist dagegen wohl versohieden, aber nach allem Wesentlichen
stimmen sie doch überein. Wenn mir in klarer Vergegenwärtigung
20 ein Urteil vorschwebt, ist da nicht das Moment des belief durch
ein Moment des belief abgebildet? Wodurch sollte es auch sonst
abgebildet sein? Nur wenn man gerade hinsichtlich dieses Mo-
ments Une i gen flic h k ei t des Vorstellens statuieren wollte,
käme man um die Schwierigkeit herum. Aber dann wäre die Ver-
25 gegenwärtigung ,keine klare und wirklich anschauliche, wir
müssten dann leugnen, dass sich ein Urteil voll und ganz ver-
gegenwärtigen lasse,! in dem Sinn wie sich ein Ding, oder die
Farbe eines Dinges, wie sich ein Ton, eine Melodie wirklich ver-
gegenwärtigen lässt, nach allen gattungsmässigen Momenten,
30 höchstens von graduelleI1 Abstufungen abgesehen, die sich aber
innerhalb der Gattung bewegen.
Darum soll es natürlich nicht geleugnet sein, dass Uneigent-
hchkeiten hier eine grosse Rolle spielen. Sie tun es ja schon in
der Wahrnehmung. Ich kann einen Zorn wahrnehmen, ohne im
35 geringsten zornig zu sein. Nämlich den Zorn eines Anderen. Ich
sehe ihm seinen Zorn am Gesicht, an seinen Reden und Hand-
lungen an. Dieses Sehen des Zornigen, ebenso des Heiteren,

1 und ebenso ein Begehren, ein Zweifeln etc.


100 TEXT NR. 1 (1904/05)

Schwermütigen usw. als solchen ist natürlich ein uneigentliches


Sehen, ein Sehen derselben Art wie es überhaupt hinsichtlich
anderer, nicht in die Erscheinung fallenden Bestimmtheiten der
betreffenden Person statthat. Eigentlich gesehen sind die Mo-
5 mente der physischen Erscheinung, das Wort Erscheinung im
engsten Sinn genommen. Alle psychischen Momente, alles, was
zur Persönlichkeit als solcher gehört, ist indirekt eingelegt, zu-
meist durch leere, in die Einheit der Wahrnehmung eingeschmol-
zene Intentionen. Wir werden aber doch nicht sagen, nur durch
10 leere Intentionen liessen sich Akte vergegenwärtigen, es gebe von
ihnen eine eigentliche Anschauung in Form einer angemessenen
Vergegenwärtigung ni c h t.

<§ 48. Auflösung der Schwierigkeit: Begründung des


Unterschieds zwischen Wahrnehmungs- und
15 Phantasieaulfassung durch Hinzunahme der
Bewusstseinscharakterisierung als "gegenwärtig"
bzw. "vergegenwärtigt">

Diesen Schwierigkeiten zu entgehen, hat man vermöge unserer


Analysen nur folgenden Ausweg, der wohl überhaupt der einzig
20 denkbare ist. Der Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und
Phantasieauffassung ist kein blosser Unterschied zweier Gattun-
gen oder Klassen von Inhalten und kann es nicht sein. Denn:
Alles Gattungsmässige und sich Differenzierende bis in die letzte
Differenz kann in der Weise der Wahrnehmung und der Phanta-
25 sie vorliegen. Es sind Unterschiede des Bewusstseins. Der Unter-
schied liegt aber nicht in der beiderseits ja gemeinsamen Objek-
tivierung, in der sich die "Erscheinung" des Gegenstandes voll-
zieht, sondern in jener eh ara k te r i sie run g, die die Differenz
zwischen gegenwärtig und vergegenwärtigt konstituiert. Nun
30 sind zwei Fälle denkbar: Der Unterschied der charakterisierten
Auffassung hat keine wesentliche Beziehung zu den Inhalten
per se, das hiesse, dass gen au derselbe Erlebnisinhalt, prinzi-
pie 11 gesprochen, die eine und andere Auffassung erfahren
könnte, und dass die faktische Auffassung durch keine phäno-
35 menologischen Züge, sondern nur durch psychologische Gründe
TEXT NR. t (t904/05) 101

bestimmt wäre. Die Möglichkeit einer Willkür im Wechsel der


Auffassung wäre damit nicht behauptet.
Oder, als zweite Möglichkeit: Im phänomenologischen Wesen
eines Erlebnisses ist vorgezekhnet seine charakterisierte Auf-
S fassung als eines Gegenwärtigen oder Präsentanten eines Gegen-
wärtigen, und als Nicht-Gegenwärtig<en> oder Präsentanten
eines Nicht-Gegenwärtigen.
Unter Voraussetzung des ersten Falles würden wir sagen
müssen: Das aktuelle Urteil, das wir innerlich wahrnehmen, und
10 dasselbe Urteil, dessen wir uns erinnern oder das wir bloss ein-
bilden, unterscheiden sich durch die Charakterisierung. Im all-
gemeinen werden auch sonst Unterschiede bestehen, aber solche
müssen nicht bestehen, und im Grenzfall einer wirklich vollen
und klaren Vergegenwärtigung bestehen solche Unterschiede,
15 wenigstens relevante, nicht. Gleichwohl sagen wir im Fall
der Phantasie nicht, wir urteilten wirklich. Das blosse Dasein
eines Erlebnisses von den und den Bestimmtheiten, die wir zum
eigentümlichen' Wesen des Urteils rechnen, macht noch nicht
I voll das aus, was wir aktuelles Urteilen nennen. Sollen wir von
20 einem Gegenwärtigen, von einem aktuell Daseienden sprechen, so
muss das betreffende Gegenständliche, und hier der betreffende
psychische Inhalt im Gegenwartsbewusstsein erlebt und nicht
im Phantasiebewusstsein gleichsam verbildlicht sein. Das eine
Bewusstsein gibt, dem Inhalt den Kredit des aktuellen, das an-
25 dere raubt ihm diesen Kredit und gibt ihm den Charakter des
nicht aktuellen, bloss vergegenwärtigten. Da dies für Inhalte
und Erscheinungen jeder Art gilt, so heben wir dies sonst nicht
eigens hervor. Zum begrifflichen Wesen eines Gegenstandes
rechnen wir diese Charakterisierungen nicht. Also auch zum
30 begrifflichen Wesen eines Urteils gehört jene Charakterisierung
nicht, denn unter diesem begrifflichen Wesen befassen wir all das,
was einem Gegenständlichen der Art Urteil generell ei gen t ü m-
li c h ist. Die Gegenständlichkeit konstituiert sich aber in der Er-
scheinung unabhängig von der Charakterisierung. Dieses
35 Wesentliche haben Wahrnehmung und klare Phantasie gemein-
sam. Aber nun ist es wichtig, zu beachten, dass nicht etwa jedes
Erlebnis, das alle Momente dieses Wesentlichen in sich schliesst,
schon Urteil ist. Denn Urteil, schlechthin gesprochen, meint
akt u eIl e s Ur t eil, vollzogenes, gegenwärtiges im betreffen-
102 TEXT NR. 1 (1904/05)

den Bewusstsein. Es darf also nicht der modifizierende Charakter


"nichtgegenwärtig" dasein und, jenen wesentlichen Momenten
Konkretion verleihend, ihre Aktualität diskreditieren. Das
hiesse also: Zur vollen Konkretion eines Bewusstseins, das Reali-
5 tät gibt, gehört mehr als das begriffliche Wesen, es gehört dazu
auch die Charakterisierung des Bewusstseins, die das reale
Gegenwärtigsein herstellt, oder es muss die modifizierende Cha-
rakterisierung als nichtgegenwärtig bestehen, und das Erschei-
nende ist dann irreal.

10 <§ 49. Neue Schwierigkeiten bezüglich der aktuell


gegenwärtigen Akte und der Frage des inneren
Wahrgenommenseins bzw. der Modifikation der
diskreditierenden Phantasievergegenwärtigung>

So scheint sich die Sache zunächst darzustellen. Aber nun


15 kommen wir in eine arge Schwierigkeit. Ist die Charakterisierung
als gegenwärtig nicht selbst ein Bewusstseinsmoment und das
durch sie hergestellte Konkretum nicht selbst wieder ein Gegen-
wärtiges? Also kämen wir auf eine Charakterisierung zweiter
Stufe und damit natürlich auf einen unendlichen Regress?
20 Nah verwandt damit ist die folgende Schwierigkeit: Wir
setzten doch gegenüber aktuelles Urteilen und Phantasieren
des Urteils. Ebenso aktuelles Wahrnehmen und sich ein Wahr-
nehmen in der Phantasie Vorstellen usw. Statt dessen behandelten
wir aber den Unterschied zwischen einer W a h r n e h m u n g des
25 Urteils und Phantasieren des Urteils; wir fassten also, scheint es,
stillschweigend die aktuell gegenwärtigen psychischen Akte als
innerlich wahrgenommene. Uns gilt ja die Wahrnehmung als das
Bewusstsein, zu dem das "Gegenwärtig" wesentlich gehört.
Aber Wahrnehmungen selbst sind Akte, und gegenwärtige Akte.
30 Sind sie etwa auch nur gegenwärtig auf Grund eines Wahr-
nehmens zweiter Stufe? Und so in infinitum. Da sind wir in einer
argen Zwickmühle.
Die Schwierigkeiten würden verschwinden, wenn wir uns ent-
schlössen zu sagen: Die Gegenwart konstituiert sich intuitiv im
35 Wahrnehmen, als primär und aktuell gegebene Gegenwart. Aber
die ideale Möglichkeit der Wahrnehmungsauffassung reicht weit
TEXT NR. 1 (1904/05) 103

über die wirkliche Wahrnehmungsauffassung, sie reicht soweit


als das Bewusstsein. Jedes konkrete Erlebnis ist eo ipso gegen-
wärtig, d.h. nach idealer Möglichkeit gesprochen kann es wahr-
genommen werden. Aber nach idealer Möglichkeit gesprochen
5 kann jedes konkrete Erlebnis auch eine Modifikation erfahren,l
in einem Auffassen, das es als Vergegenwärtigung fasst. Dadurch
wird es gleichsam diskreditiert, es gilt nicht mehr für sich als
gegenwärtig, sondern als Vergegenwärtigung von anderem. Die
Vergegenwärtigung selbst ist dann wieder ein Gegenwärtiges; das
10 Erlebnis, in dem ein Inhalt den modifizierenden Charakter der
Vergegenwärtigung erhält, müsste seinerseits erst einen auf
<sich> selbst bezogenen Charakter der Modifikation tragen, wenn
es als bloss Vorgestelltes gelten sollte.
Urteilen wir, so bezieht sich ein Urteilsbewusstsein auf einen
15 Sachverhalt. Von diesem Urteilsbewusstsein haben wir nicht
vermöge einer darauf bezogenen Aktion eine innere Wahrneh-
mung, aber wir können eine solche haben, und das geschieht aus-
nahmsweise, in der "Reflexion". Wir urteilen wirklich, solange
nichts weiter statthat als jenes schlichte Glaubensbewusstsein.
20 Wir urteilen noch, wenn wir wahrnehmend auf dieses Bewusst-
sein hinblicken: Das Wahrnehmen modifiziert nicht, im Gegen-
teil, in ihm konstituiert sich intuitiv das aktuelle "Dasein". So-
wie wir aber uns phantasierend verhalten, sowie wir das Urteils-
bewusstsein als Repräsentanten für ein gleiches Urteilsbewusst-
25 sein nehmen, sowie wir, statt das Urteil schlicht zu vollziehen
oder auch schlicht darauf hinzublicken, vielmehr mit ihm ein
anderes vorstellig machen in der Weise des schlichten Phantasie-
bewusstseins, ist das Urteil nicht mehr "aktuelles" Urteil, son-
dern Urteilsrepräsentant.
1 Kann je des? Und nur empirisch psychologische Gründe schliessen es aus oder
bestimmen welches? ! Nein. Die vollen und wirklichen Erlebnisse können nie modi·
flziert aufgefasst werden, die wirkliche Vorstellung, das wirkliche Urteil etc. wird
nicht nUr nicht modifiziert, sondern kann nicht modifiziert werden, es sei denn in der
Weise perzeptiver Bildlichkeit. Also mus s ein ursprünglicher Unterschied bestehen.
Ich darf also nur sagen: Nach idealer Möglichkeit gesprochen korrespondiert jedem
konkreten Erlebnis eine Modifikation; es ist "im Wesen" dasselbe, aber hat den
"Charakter" der Vergegenwärtigunga. Wir haben aber nicht den "Inhalt" A und
dazu den "Charakter der Vergegenwartigung" als ein neues Erlebnis, sondern "Ver-
gegenwartigung von A", im "Wesen" A übereinstimmend mit Gegenwärtignng von
A. Das Erlebnis Vergegenwärtigung von A bat selbst den Charakter einer Gegen-
wartigung von Vergegenwärtigung von A.
a Kann das aber etwas anderes heissen als: in der Reflexion ist das Erlebnis nur
auffassbar als Phantasie, als Vergegenwärtigung von etwas?
104 TEXT NR. 1 (1904/05)

Dagegen, das Phantasieren eines Urfeils, das wir jetzt voll-


ziehen, ist wiedemm ein Gegenwärtiges, und zwar ein solches,
welches ein Urteilsbewusstsein als Phantasma einschliesst; dieses
Phantasma als solches, als Repräsentant, ist selbst wieder ein
5 Gegenwärtiges, aber ein mit dem Charakter der Diskreditierung
verknüpftes. Es ist gegenwärtig in Verein mit diesem Bewusst-
sein.
Natürlich würde dasselbe für alle Phantasien gelten, und ·für
alle Verhältnisse von Empfindung und Phantasma. Was ist der
10 Unterschied zwischen empfundenem und Phantasie-Rot? Ein
empfundenes Rot ist entweder ein Rot, das schlicht erlebt oder
das zugleich erlebt und wahrgenommen ist; oder endlich, das als
präsentierender Inhalt in einer äusseren Wahrnehmung, z.B. der
Wahrnehmung eines roten Hauses, auftritt. Denn in all diesen
15 Komplexionen bleibt das Rot sozusagen ungeschoren. Sowie
aber das Rot eine Phantasiecharakterisiemng erfährt, sowie sich
mit ihm das Bewusstsein eines vergegenwärtigten Rot konsti-
tuiert, gilt es nicht mehr als selbst, es ist nun modifiziert, dis-
kreditiert. Aber vorausgesetzt ist dabei das Vergegenwärtigungs-
20 Bewusstsein der Phantasie!l Würde ein Rot in eigentlicher, und
zwar perzeptiver Bildlichkeit ein anderes darstellen, dann wäre
es nicht diskreditiert; weil es ja gleichzeitig einer Wahrnehmungs-
auffassung angehörte, die seinen Kredit aufrecht erhielte.
In genetischer Hinsicht ist eine solche Diskreditiemng ausser-
25 ordentlich bedeutsam. Ein Phantasiewille, ein diskreditierter,
löst keine Handlungen aus, ein Phantasieurteillöst keine Wollun-
gen äus, usw. Zum Teil gehören zu diesen Unterschieden Wesens-
zusammenhänge, auf die hier nicht eingegangen werden kann.

<§ 50. Fälle, wo erinnerte und aktuelle psychische Akte


30 auf dieselbe Vorstellungsgrundlage bezogen sind>

Fragt man, wie es mit den Fällen steht, wo wir uns einer ver-
gangenen Freude erinnern und uns zugleich über dasselbe aktuell
1 Aber, wird denn ein "anderes" dargestellt in der Phantasie, es sei denn, dass ich
mir eine Sache in der Phantasie vorstelhg machen will, wo die Phantasie eben noch
die Intention auf diese angenommene oder im Glauben gesetzte Sache erhalt. In der
schlichten Phantasie stellt das Geschaute nichts anderes vor, sondern <sich> selbst:
aber modifiziert.
TEXT NR. 1 (1904/05) 105

freuen, uns eines vergangenen Urteils erinnern und die über-


zeugung jetzt noch teilen, uns eines vergangenen Willens er-
innern und zugleich jetzt dasselbe wollen (den Willensentschluss
aufnehmen), so wäre etwa zu sagen: Es handle sich um Doppel-
5 phänomene, die sich decken, aber doch nicht anders denn als
doppelte zu verstehen seien. Nehmen wir die entgegengesetzten
Fälle: Wir erinnern uns unserer vergangenen Freude über den
Sieg einer Partei, den wir jet z t vielmehr bedauern, wir er-
innern uns einer vergangenen überzeugung, die wir jetzt nicht
10 mehr teilen usw. Dann verknüpft sich mit dem modifizierten Be-
wusstsein der Freude das aktuelle Bewusstsein einer Unfreude,
mit dem modifizierten Bewusstsein eines Glaubens der aktuelle
Unglaube. Immer bezogen auf dieselbe Vorstellungsgrundlage.
Handelte es sich um lauter unmodifizierte Erlebnisse, so wären
15 solche Verbindungen nicht herstellbar (und zwar wohl aufgrund
von Wesensgesetzen).l Eine Freude über A und eine Unfreude
über A, über denselben Gegenstand, in derselben Hinsicht,
schliessen sich aus. Die Überzeugung, es sei A, und die über-
zeugung, es sei A nicht,. beide überzeugungen festgehalten in
2Q einem und demselben Akte, schliessen sich aus.
Hingegen stört sich die Modifikation eines Aktes mit dem ak-
tuellen Vollzuge des unmodifizierten entgegengesetzten gar
nicht. Beide liegen sozusagen in verschiedenen Dimensionen.
Ebenso ist es unausdenkbar, dass ein und derselbe Sachverhalt
25 in einem Akte doppelt geglaubt werden könnte, doppelt gewollt,
doppelt gefallen <könnte> usw. Das ist evident unmöglich. Wir
werden daran erinnert, dass im Blickfeld jede Stelle nur einmal
erscheinen kann. Daher die totale Deckung der Gesichtsfelder
bei der Augen hinsichtlich ihrer identischen Partien. Den korre- .
30 spondierenden Stellen beider Gesichtsfelder entsprechen dieselben
unmodifizierten Erlebnisse, daher bilden sie eben ein und nicht
zwei Erlebnisse. Sowie aber die modifizierende Phantasie in
Aktion tritt, schafft sie auch schon eine neue Dimension. Die
begrifflich identischen Phänomene geben zwar kein anschau-
35 lieh es Aussereinander und Nebeneinander , aber sie geben ver-
möge der Differenz der Auffassungen eine Doppelheit in der
deckenden überschiebung. Die aktuelle Freude über den Sieg

1 Zu uberlegen.
106 TEXT NR. 1 (1904/05)

einer guten Sache deckt sich hinsichtlich des begrifflichen We-


sens mit der Erinnerung an die früher empfundene Freude, und
doch bleibt eine Doppelheit: Wir erinnern uns der Freude über
den Sieg und freuen uns seiner noch. Und ebenso beim Urteil:
5 Wir erinnern uns, dass wir an ein X geglaubt haben, und glauben
dasselbe noch.

<§ 51. Zur Aufklärung der Gesamtauffassung der


Wahrnehmung gegenüber der Phantasie: Entweder Ansatz
der Repräsentation als modifizierenden Charakter und der
10 Präsentation als das entsprechend Unmodijizierte>

An unserer Gesamtauffassung der Wahrnehmung gegenüber


der Phantasie wäre damit offenbar nichts geändert. Wir schrie-
ben jeder vorläufig einen Charakter zu. Gegenwärtigung und
Vergegenwärtigung, sagten wir, ist der fundamentale Unter-
15 schied. Aber über die Natur dieses Unterschiedes, sofern er auf
Bewusstseinscharakterisierung beruht, waren die Akten nicht
geschlossen. Im Gegenteil haben wir schon gelegentlich darauf hin-
gewiesen, dass hier Probleme übrigbleiben. Wir können bei der jetzt
versuchten Auffassung' noch immer sagen: Es ist ein letzter und
20 fühlbarer Unterschied zwischen Präsentation und Repräsentation.
Wir klären ihn aber jetzt so auf, dass wir in der Repräsentation
einen modifizierenden Charakter sehen und in der Präsentation das
entsprechend Unmodifizierte. Die Wahrnehmung nimmt das
Erscheinende <als> Selbstsein, d.i. eben, sie modifiziert nicht, sie
25 imaginiert damit nichts, sie nimmt es eben als selbst. Dieselbe
Erscheinung kann einem Vergegenwärtigungsbewusstsein zu-
grundeliegen, das ist die Modifikation. Das darf aber nicht so
verstanden werden, als ob das Erscheinende erst un-modifiziert
gegeben <sei> und dann erst die Modifikation auftritt, das gegen-
30 wärtig Gegebene in ein Nichtgegebenes bildlich umdeutend. Das
ginge nicht. Das ist durch unsere Analysen der Phantasie aus-
geschlossen. Das Phantasma ist ein Erlebnis, aber nicht ein erst
als gegenwärtig, als selbst genommenes und dann für ein anderes
genommenes. Nehmen wir das Phantasma für ein Gegenwärtiges,
35 so tun wir es nur, weil es Bestandstück ist der Phantasievorstel-
lung, die ihrerseits ein Gegenwärtiges ist. Unmodifiziert heisst
TEXT NR. 1 (1904/05) 107

hier alles, was nicht in Funktion eines Phantasma in einer Phan~


tasie fungiert. 1

<§ 52. Oder Ansatz von zwei gleichberechtigten Auffassungen,


Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, und entsprechend
5 von zwei in sich verschiedenen Auffassungsinhalten,
EmPfindung und Phantasma>

Die andere Weise, sich die Verhältnisse hier zurechtzulegen,


besteht darin, dass man zwei gleichberechtigte Auffassungen
oder charakterisierende Weisen als Gegenwärtigung und Ver-
10 gegenwärtigung statuiert und ihnen entsprechend ausserdem
zwei Weisen, wie\gattungsmässig gleiche Inhalte im Bewusstsein
realisiert sein können. Empfindung und entsprechendes Phantas-
ma sind, abgesehen von den verschiedenen Auffassungsweisen,
in sich schon verschieden charakterisiert, unbeschadet der in-
15 haltlichen Gemeinsamkeiten. Es gehört dann zum Wesen des
Phantasma, dass es nur repräsentativ fungieren kann. 2
Wenn wir urteilen, so ist das Urteilen im allgemeinen nicht
wahrgenommen. Aber empfunden ist es. Wenn wir ein Urteil
einbilden, so ist das Urteilserlebnis nicht Empfindung, sondern
20 Phantasma. Urteilsempfindung und Urteilsphantasma unter-
scheiden sich in demselben wesentlichen Moment, das Empfin-
dung und Phantasma überhaupt trennt. Ebenso, wenn wir wahr-
nehmen, so nehmen wir nicht wieder das Wahrnehmen wahr.
Aber das Wahrnehmen ist ein Erlebnis, und zwar Empfindungs-
25 erlebnis. Stellen wir uns aber in der Phantasie ein Wahrnehmen
vor, so ist das gegenwärtige "Bild" davon Phantasma eines
1 Dann ware also das Phantasma in Wahrheit ein Gegenwärtiges, das Phantasma
Rot em gegenwartiges Rot, das Phantasma Ton ein gegenwärtiger Ton, wenn auch
m immanenter Objektivation (phänomenologisch). Das Phantasma Wunsch, Glaube,
etc. ware reell da, nur mit einem anhängenden neuen Charakter ausgestattet, ge-
nannt diskreditierende Modifikation. Aber möge dies sich auch so nennen, der Glaube,
der Wunsch ware reell gegeben.
Das alles ist offenbar falsch.
2 Es gehört zum Wesen der Empfindung, dass sie unmittelbar unbedingt präsenta-
tIv aufgefasst werden muss (und nur mittelbar, in der Weise der Bildlichkeit, reprä-
sentativ). Andererseits gehört es zum Wesen des Phantasma, dass es unmittelbar nur
reprasentativ aufgefasst werden kann, d.h. in einer modifizierten Auffassung, z.B. als
Vergegenwartigung von Rot, als Vergegenwärtigung eines Toten Hauses, u.dgl. Die
modIfizierte Auffassung selbst, die den Charakter eines Phantasma einer Auffassung
hat, hat aber Empfindungscharakter.
108 BEILAGE I

Wahrnehmens, nicht Empfindungserlebnis eines Wahrnehmens.


Kann man diese Ansicht durchführen?
Wie verhält es sich, wenn wir ein Phantasieerlebnis selbst als
gegenwärtig nehmen? Die Phantasie müsste charakterisiert sein
5 als Empfindung, und somit würde das Phantasieren Gegenstand
einer möglichen Wahrnehmung sein. Es erschiene darin als gegen-
wärtig. Aber kann das Phantasma, das darin auftritt, nicht doch
auch wahrgenommen werden und als gegenwärtig erscheinen,·
wenn auch im Zusammenhang dieser Phantasieerscheinung?l
10 (Im Sinn der anderen Theorie erklärt sich aber alles: Das
Phantasma erscheint als modifiziert, wenn als Träger einer
Phantasieauffassung. Abstrahieren wir von dieser und betrachten
wir das Phantasma als Teil des Ganzen der Phantasieauffassung,
so ist es ein Gegenwärtiges. Als Phantasma bleibt es aber aus-
15 gezeichnet darum, weil wir von der Phantasieauffassung zwar
abstrahieren, aber sie nicht beliebig beseitigen können. Und erst
recht gilt das von den Erscheinungen, die sich durch transeunte
Deutung der Sinnesinhalte ergeben. Wir können nicht willkürlich
das Erscheinende als gegenwärtig nehmen, nämlich wir können
20 nicht infreierWillkür an Stelle der Phantasieauffassung,die nun ei n-
mal da ist, eine entsprechende unmodifizierte Auffassung setzen.)

BEILAGE I
PHANTASIE UND BILDLICHE VORSTELLUNG
<ZUM VERHÄLTNIS ZWISCHEN W AHRNEHMUNGS- UND
25 PHANTASIEVORSTELLUNG>
(3.-4. September bis 3. Oktober 1898)

<§ 1. Die Phantasievorstellungen als bildliche Vorstellungen


wie die gewöhnlichen Bildvorstellungen. Was liegt im
"Vergegenwärtigen im Bilde"? >

30 Den Unterschied <der Phantasievorstellungen> gegen die Wahr-


nehmungsvorstellungen zu bestimmen, heben wir zunächst hervor,
was an der Oberfläche liegt und durch die Bezeichnung bildliche Vor-
1 Das widerspräche aber der jetzigen Theorie, die es ja ausschliessen würde, dass
ein Phantasma auch mal als Präsentant einer Wahrnehmung dienen könnte. Oder
sollen wir sagen, es geschehe nur mittelbar, unmittelbar könne nur die Empfindung
als Präsentant einer Wahrnehmung fungieren, das Phantasma aber unmittelbar nur
als Präsentant einer Phantasie?
BEILAGE I 109

stellung ausgedrückt ist: Wahrnehmungsvorstellungen stellen ihren


Gegenstand als ihnen selbstgegenwärtigen vor; Phantasievorstellun~
gen hingegen vergegenwärtigen sich ihn im Phantasiebilde, wie die
gewöhnlichen Bildvorstellungen es im physischen Bilde tun.
S Was liegt nun in diesem "Vergegenwärtigen im Bilde" oder kurz-
weg im bildlichen Vorstellen?
Bei jedem solchen Vorstellen unterscheiden wir Bild und Sache.
Die Sache ist der von der bezüglichen ,Vorstellung im eigentlichen
Sinne gemeinte Gegenstand und ist als solcher zugleich der für seiend
10 gehaltene, spezieller etwa der erinnerte oder erwartete, und wieder der
bezweifelte, erfragte, erwünschte, befürchtete Gegenstand, wenn diese
Vorstellung einem Für-seiend-Halten, etwa einem Erinnern oder Er-
warten, und wieder einem Zweifeln, Fragen, Wünschen, Fürchten
u.dgl. zu Grunde liegt. Wenn mir das Berliner Schloss "im Phantasie-
15 bild vorschwebt", so ist das Schloss selbst die vorgestellte Sache. Da-
von unterscheiden -wir aber als einen zweiten Gegenstand das vor-
schwebende Bild. In täuschender Äquivokation heisst auch dieses in
der Phantasievorstellung vorgestellt. Etwas komplizierter gestaltet
sich die Sachlage im Falle physischer Bilder. Hier ist, wie leicht
20 übersehen wird, die Rede vom Bilde zweideutig. Der abgebildeten
Sache steht Doppeltes gegenüber: 1) das Bild als physisches Ding, als
diese bemalte und eingerahmte Leinwand, als dieses bedruckte Papier
u. dgl. In diesem Sinne sagen wir: Das Bild hängt schief, ist zerrissen
u.ä. 2) Das Bild als durch die bestimmte Farben- und Formengebung
25 so und so erscheinendes Bildobjekt, also nicht das abgebildete
Objekt, das Bildsujet, sondern das Analogon des Phantasiebildes. Wir
können der Deutlichkeit halber terminologisch unterscheiden: das
repräsentierende oder abbildende und das repräsentierte oder abge-
bildete Bildobjekt. Von beiden ist wieder unterschieden das physische
30 Bild. Die schlichte Rede vom Bilde ist aber zweideutig, sofern neben
dem physischen Bilde auch das repräsentierende Bildobjekt als Bild
bezeichnet wird. Ein Beispiel wird dies klarmachen. Z.B. diese Photo-
graphie stellt mein Kind vor. Zunächst entwirft es aber ein Bild, das
dem Kinde zwar im ganzen gleicht, aber in Ansehung der erscheinen-
35 den Grösse, der Färbung u. dgt: gar sehr merklich von ihm abweicht.
Dieses hier erscheinender Miniaturkind in widerwärtig grau-violetter
Färbung meine ich nicht, wenn ich "in" diesem Bilde mir mein Kind
vorstelle. Es ist eben nicht das Kind, sondern nur sein B i1 d. Und
wenn ich so vom Bilde spreche~ oder auch sage, das Bild sei misslungen,
40 o~er gleiche dem Original, so meine ich natürlich nicht das physische
~11d, das Ding, das da an der Wand hängt. Das letztere ist ein wirk-
lIches Ding, jenes aber ein bloss erscheinendes, das nie existiert hat
und nie existieren wird. Somit ist natürlich dies Bild im zweiten Sinn,
d~s repräsentierende Bildobjekt, nicht Teil oder Seite des physischen
45 Blld:s, ~tw~ die so und so verteilte Färbung auf dem Papiere. Das
Schemdmg 1st ein dreidimensionaler Körper mit körperlicher Farben-
110 BEILAGE I

verteilung, es ist nicht identisch mit der Papierfläche und ihren Far-
benabschattungen. Dieselben Farbenempfindungen, die wir einmal als
diese objektive Farbenverteilung auf dem Papier deuten, deuten wir
das andere Mal als das Bild-Kind, aber nicht als das wirkliche Kind;
5 diesem schreiben wir ganz andere Farben zu, Farben, die uns im Bilde
überhaupt nicht erscheinen. Solcher, nach Bildern und Bildarten
wechselnder Differenzen gibt es bei jedem Bilde, sonst könnte es zur
Bildvorstellung überhaupt nicht kommen.
Bevorzugen wir nun für den Augenblick den einfacheren Fall der
10 Phantasievorstellungen. Sind bei ihnen Bild und Sache als z vi ei
Gegenstände zu unterscheiden, so müssen auch zwei objektivierende
Akte oder zum mindesten zwei Richtungen oder Komponenten der
vergegenständlichenden Auffassung vorhanden sein. Das naive Den-
ken fasst die Sache freilich einfacher. Im "Geiste" steckt das Bild,
15 und "draussen" ist allenfalls der Gegenstand; und existiert dieser
nicht, wie wenn ich einen Drachen phantasiere, so ist eben nur das
geistige Bild vorhanden, und weiter gibt es nichts zu erklären. Nichts
weiter als die Kleinigkeit, wie der Geist es anfängt, mit dem Bilde in
sich einen Gegenstand, der vom Bilde verschieden ist, vorzustellen.
20 Wenn ich ein Bild in die Schublade stecke, stellt sie sich nun den
Gegenstand vor? Die naive Auffassung irrt aber vor allem, indem sie
im Geiste, oder wenig verfeinert: im Bewusstsein so das Bild sein lässt,
wie in der Wirklichkeit ein Ding. Wenn ich mir in der Phantasie einen
Löwen "ausmale", so verhält sich dieses Bild zum wirklichen Löwen
25 analog, wie sich zu ihm etwa ein physisch gemalter oder photographi-
scher Löwe verhält. In beiden Fällen sind die! Bildgegenstände wahr-
haft ein Nichts, und die Rede von ihnen hat einen modifizierten Sinn,
der auf ganz andere Existenzen hinweist, als welche sie selbst sich
ausgeben. Das photographische Bildobjekt (nicht der photographierte
30 Gegenstand) existiert wahrhaft nicht. Wahrhaft, das besagt nicht:
ausser meinem Bewusstsein, sondern überhaupt nicht, auch nicht
in ihm. Was wirklich existiert, das ist die bestimmte Farbenverteilung
auf dem Papier und desgleichen eine entsprechende Komplexion von
Empfindungen, die ich, die Photographie betrachtend, erlebe. Ebenso
35 existiert das Phantasiebild wahrhaft überhaupt nicht, aber es existiert
eine ihm entsprechende Komplexion von sinnlichen Phantasieinhalten
im Erlebnis der Phantasievorstellung. Und wie dort die Farben-
empfindungen in ihrer konkreten Komplexion nicht selbst das Bild
sind (man wird doch, um nur eins zu nennen, die objektiv-volle drei-
40 dimensionale Körperlichkeit nicht der Empfindungskomplexion
unterschieben), vielmehr durch einen auffassenden, deutenden Akt
erst den Bildcharakter gewinnen, so gilt dasselbe auch hier bei der
Komplexion von Phantasieinhalten. Der auffassende Akt fügt nicht
etwa neue sinnliche Inhalte hinzu, als ob ein Mehr an Inhalten das
45 machen könnte, ohne welches überhaupt die Gegenständlichkeit für
1 Später eiugefligt: "repräsentierenden". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE I 111

den Vorstellenden nichts wäre; sondern er bringt die "Bewusstseins-


weise" hinzu, die den Inhalt deutet, ihm gegenständliche Beziehung
unterlegt, die aus dem blinden Dasein des Inhalts das mit ihm etwas
Vorstellen, nicht ihn, sondern durch ihn etwas Meinen zustande
5 bringt.1 Dieses Meinen 2 erleben und den Gegenstand vorstellen 3 ist
ein und dasselbe. Und real existiert im Bewusstsein nichts als der In-
halt, und zwar in dieser Tinktion der Auffassung und Meinung4 •
Die überdies noch bestehenden Dispositionen, welche hier eine
wichtige genetisch-psychologische Rolle spielen, gehen uns jetzt
10 nichts an. Dispositionen sind keine Bewusstseinsdaten, sie sind keine
Erlebnisse, die deskriptivaufweisbar wären. Also im Erlebnis existiert
in der Tat und eigentlich gesprochen weder das photographische Bild
(unterschieden vom photographierten Gegenstand und von der Photo-
graphie als Ding) noch das Phantasiebild.

15 <§ 2. Herausstellung von zwei Richtungen der


Vergegenständlichung in der Phantasievorstellung am
Leitfaden der gewöhnlichen Bildvorstellung>

Die Vergegenständllchung, die wir bisher betrachtet haben, schafft


das abbildende 5 Bild, nicht die abgebildete Sache: Genauer besehen
20 schafft sie nicht einmal das Bild, sondern nur den Gegenstand, der
als Bild erst fungieren soll. (Ich gestatte mir die bequemen Uneigent-
lichkeiten der Rede, welche die vorgestellten Gegenstände wie in der
Vorstellung seiende behandeln.) Dies wird alsbald hervortreten, wenn
wir uns dem Vorstellen zuwenden, das uns die vorgestellte Sache
25 liefert. Es muss von dem Vorstellen verschieden sein, in dem das 6
Bildobjekt erwächst. Die Objekte sind ja verschieden. In der Phanta-
sievorstellung ist zwar das Bild in gewisser 'Weise vorgestelltes Objekt,
aber das in ihr eigentlich gemeinte ist ein anderes, eine von ihr ver-
schiedene Sache. Das Berliner Schloss ist nicht mein Phantasiebild
30 vom Berliner Schloss. Den letzteren Gegenstand7 in der Vorstellung
haben, heisst noch nicht, durch ihn einen anderen und8 durch ihn ab-

1 Den SatzteIl "die aus dem blinden Dasein ... " bis zum Ende des Satzes hat Hus·
serl spater WIe folgt verändert und ergänzt: "die aus dem blinden Dasein des Inhalts
das Ihn als etwas Auffassen, <mit> ihm etwas Vorstellen, das nicht ihn, aber durch
Ihn etwas gegenstandlich Haben zustande bringt". - Anm. d. Hrsg.
2 ,,'lIemen" spater verändert in "Auffassen". - Anm. d. Hrsg.
3 Ubec "vorstellen" später eingefügt: "in der Erscheinung haben". - Anm. d.
Hrsg.
4 "und Memung" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
5 Spdter emgefugt: "repräsentierende". - Anm. d. Hrsg.
6 Spdter emgefugt: "repräsentierende". - Anm. d. Hrsg.
7 "Den letzteren Gegenstand" hat HusserI später eingeklammert und dafür ein-
gefugt· "Das BIld, den reprasentierenden Bildgegenstand". - Anm. d. Hrsg.
8 Spater emgefugt: "zwar als einen". - Anm. d. Hrsg.

I I
112 BEILAGE I

gebildeten meinen. Es ist! sehr wichtig, sich klar vor Augen zu halten,
dass hier eine doppelte Gegenständlichkeit für die Phantasievorstel-
lung selbst, als Erlebnis wie es ist, in Betracht kommt und dass es
sich nicht etwa um einen nur begrifflichen Unterschied handelt, der
5 erst nachträglich in der Reflexion über das Verhältnis dieses Erleb-
nisses zur Wirklichkeit erwächst. Es ist nicht ein Unterschied der Art,
wie wir ihn bei der Wahrnehmung zwischen dem erscheinenden Ding
(dem Ding im gewöhnlichen empirischen Sinne) und dem Ding an sich
machen, wo ja in der Erscheinung nicht zwei Dinge, das empirische
10 und das an sich seiende Ding erscheinen, sondern nur das eine, das erstere.
Die vergegenständlichende Auffassung der Phantasieinhalte, wodurch
der äussere Gegenstand (im Beispiel das Berliner Schloss) zur Vor-
stellung kommt, ist keine bIosse Präsentation, wie sie der Wahrneh-
mung oder Wahrnehmungsvorstellung zu Grunde liegt. In der Präsenta-
15 tion erscheint uns der Gegenstand "selbst"; aber das Phantasiebild
mutet sich anders an wie der Gegenstand "selbst", es ist eben nicht der
Gegenstand, sondern stellt ihn nur als Bild vor. Und diese Rede drückt
offenbar einen Unterschied aus, der in den Erlebnissen selbst liegt. Man
darf nicht etwa glauben, es sei ihm durch den Umstand vollauf Genüge
20 geschehen, dass die Wahrnehmungsvorstellung Empfindungen verge-
genständliche, die Phantasievorstellung aber Phantasmen. Eben in die-
ser Hinsicht erweist sich das bis nun arg vernachlässigte Studium der ge-
meinen Bildvorstellungen überaus lehrreich. Denn das Bild ist hier
die "Vergegenständlichung" von Sinnesinhalten, und doch ist diese
25 Vergegenständlichung keine Wahrnehmungsvorstellung. Nicht der
repräsentierende Gegenstand, das "geistige" Bild, ist das Gemeinte,
sondern der abgebildete Gegenstand, das Bildsujet ; nicht dieses klein-
winzige, in photographischen Farben erscheinende Figürchen, sondern
das "wirkliche" Kind. Und so meinen wir auch nicht das schwankende
30 und flüchtige, bald auftauchende und wieder verschwindende, dabei
sich inhaltlich mannigfach ändernde Phantasiebild, wenn wir einen
Gegenstand in der :phantasie uns vergegenwärtigen, wir meinen das
Bild nur, wenn wir es als Psychologen darauf abgesehen haben. In der
Wahrnehmungsvorstellung haben wir einen aufgefassten Gegen-
35 stand, und dieser ist auch der gemeinte. In der Phantasievorstellung
haben wir zwei aufgefasste Gegenstände, nämlich das Phantasiebild
und das hierdurch vorstellig gemachte Bildsujet : gemeint, im eigent-
lichen Sinn vorgestellt, ist aber nur das letztere. Die Wahrnehmungs-
vorstellung stellt ihren Gegenstand direkt vor, die Phantasievorstel-
40 lung indirekt: sie stellt ihren Gegenstand so vor, dass sie zunächst
einen anderen, ihm ähnlichen Gegenstand zur Erscheinung bringt,
dur c h den sie ihn bildlich auffasst und meint.
Es war also nicht voreilig, wenn wir oben von zwei Akten oder
zwei Richtungen der Vergegenständlichung sprachen. Die Auffassung,
45 welche die erlebten Phantasieinhalte zum erscheinenden Bilde ver-
1 Spater eingefügt: "hier". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE I 113

gegenständlicht, kann nicht identisch mit der Vorstellung sein, welche


dIe abgebildete Sache und sie als das in der einheitlichen Phantasie-
vorstellung einzig Gemeinte vorstellt. Natürlich kann es sich hier nicht
um zwei konkret gesonderte Akte handeln, die etwa nur gleichzeitig
5 da waren. Wenn der abgebildete Gegenstand durch einen Akt für sich
und das Bild durch einen davon getrennten, zweiten Akt konstituiert
wurde, so hätten wir ja überhaupt weder Bild noch abgebildeten
Gegenstand. Der ei~.e Gegenstand· wird zum Bilde dadurch, dass er
den anderen 1 durch Ahnlichlreit repräsentiert, und so wird dieser auch
10 erst zum abgebildeten Gegenstand. Dies setzt aber voraus, dass der
eine Gegenstand zugleich zum Akte des anderen gehöre, dass die Auf-
fassung, die den einen Gegenstand konstituiert 2 , Grundlage ist für die
Vorstellung, die mittels seiner den anderen Gegenstand konstituiert 3 •
Ich habe hier nicht ohne Bedacht die Ausdrucke differenziert, ich
15 sagte4 Auffassung im einen, Vorstellung im zweiten Falle. In der Tat
können hier nicht zwei ineinander gewobene Vorstellungen vorliegen,
wofern dieses Wort' beiderseits (wie es seine häufige Intention ist)
einen auf den Gegenstand absehenden, ihn meinenden Akt bedeutet.
In der Phantasievorstellung erscheint das Bildobjekt, es ist aber
20 durchaus nicht gemeint, sondern gemeint ist nur der abgebildete
Gegenstand. Jedenfalls liegt hier ein streng einheitlicher konkreter
Akt vor, in dem wir nur abstraktiv (aber streng deskriptiv) zwei Akt-
momente, zwei Richtungen der Vergegenständlichung unterscheiden.

<§ 3. Akt der Präsentation des Bildes als Fundament für


25 das Bewusstsein der bildlichen Repräsentation in
Phantasievorsteilung und gewöhnlicher Bildvorstellung>
Wir verweilen noch bei der bevorzugenden Betrachtung der Phan-
tasievorstellungen, um einige wichtigere Punkte in helleres Licht zu
stellen. Zwei Gegenstände und ihnen entsprechend zwei Akte der5
30 Auffassung -unterscheiden wir. Betrachten wir den ersteren etwas ge-
nauer, der uns das Bild liefert. Abstrahieren wir von seiner abbildenden
Funktion, so ist das Bild ein erscheinendes Objekt sogut wie irgendein
Objekt in der Wahrnehmung. Und so ist denn der Akt, dem wir das
Objekt verdanken, seinem Aktcharakter nach sicherlich nichts anderes
35 als ein Akt der Präsentation.6 Alle Unterschiede, die wir früher hin-
1 Spdter emgefugt: "und zwar". - Anm. d. Hrsg.
2 Uber "konstituIert" später eingefügt: "vorstellig macht". - Anm. d. Hrsg.
3 "konstitUlert" später wellenförmig gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
4 Etwas nachtraglich eingefügt: "nur um nicht dasselbe Wort benützen zu müs-
sen". - Anm. d. Hrsg.
5 "Akte der" spater gestrichen. _ Anm. d. Hrsg.
6 Der]( tz te Satz wurde später wie folgt veriindert': "In der Tat ist die Auffassung,
der WIr dIeses erscheinende Objekt verdanken, ihrem wesentlichen Charakter nach
slCherhch mcht wesentlich verschieden von der Auffassung in der Wahrnehmung." -
Anm d. Hrsg.
114 BEILAGE I

sichtlich der Präsentation gemacht haben, finden wir auch hier vor:
die Unterschiede von direkter und indirekter, primärer und sekun-
därer, einfacher und zusammengesetzter Präsentation. Auch der
Unterschied zwischen der Einzelpräsentation und der synthetischen
5 Präsentationsreihe, in der sich ein Gegenstand oder ein Zusammen-
hang von Gegenständen schrittweise von verschiedenen Seiten aus
zeigt und inhaltlich entfaltet, fehlt hier nicht. Die Präsentation steht
hier freilich in einem ganz anderen Erlebniszusammenhang, sie erfüllt
in dem umfassenderen Aktganzen der Phantasievorstellung eine we-
10 sentlich verschiedene Funktion wie in der Wahrnehmung (und den
gleichgeordneten Akten), so dass ihr Charakter erheblich modifiziert
erscheint. Wir betonten schon, dass sie jetzt nicht mehr "Grundlage"
ist einer meinenden Zuwendung, wodurch ihr Gegenstand als der im
Gesamtakt intendierte dasteht; wir erwähnten auch, dass solche auf
15 sie gegründete Zuwendung zwar möglich ist, aber nur dann statthat,
wenn ein eigenes Interesse auf das Bild gerichtet ist. Dadurch aber
erwächst ein neues Erlebnis, das der Bi I d b e t r ach tun g, welches
von der normalen Phantasievorstellung wohl unterschieden ist. Die
meinende Zuwendung, die bei der letzteren den Vorstellungsoharakter
20 komplettiert, ist zwar an die Bildpräsentation innigst angeknüpft,
aber sie hat einen ganz anderen Gegenstand, statt des Bildes das Bild-
sujet. Dazu ist aber natürlich erfordert, dass dieses Sujet der Vorstel-
lung irgendwie gegeben sei, d.h. dass ihr eine Auffassung zu Grunde
liegt, die ihr ihn konstituiert. Wie in den bisher analysierten Fällen, so
25 müssen wir auch hier die das Objekt bereitstellende Auffassung und
die meinende- Zuwendung zu deren Objekt unterscheiden. Die neue
Auffassung ist aber keine neue Präsentation. Wo sollte sie auch den
präsentativen. Inhalt hernehmen? Alle Phantasmen (so nennen wir
kurzweg die sinnlichen, erlebten Inhalte der Phantasie) sind zur Prä-
30 sentation des Bildes voll aufgebraucht; ausser ihnen findet sich aber
im Erlebnis der Phantasievorstellung nichts anderes wie der Kom-
plex der Aktcharaktere. So kann die neue Auffassung, statt neue
sinnliche Inhalte zu objektivieren, nur die erste Auffassung zum Fun-
dament einer neuen Objektivierung machen. Hier liegt eine wesentlich
35 verschiedene Auffassungsart vor, die wir nach ihrem allgemeinen
Charakter als Re prä sen tat ion, und nach dem besonderen, hier
massgebenden, als bildliche Repräsentation bezeichnen werden.
Repräsentation setzt notwendig Präsentation voraus. Ein präsentier-
ter Gegenstand ist Repräsentant für den repräsentierten Gegenstand.
40 In der Präsentation ist es ein erlebter Inhalt, welcher der deutenden
Auffassung unterliegt, und zwar ein Inhalt, welcher als das, was er ist,
zwar erlebt, aber für uns nicht gegenständlich ist. Erst wenn wir auf
ihn, z.B. in psychologischem Interesse, "reflektieren", wenn die "in-
nere Wahrnehmung" sich seiner bemächtigt, wird er für uns Gegen-
45 stand; aber nun ist auch das ganze Erlebnis ein anderes, die ursprüng-
liche Präsentation hat einer neuen Platz gemacht. Dagegen ist der
BEILAGE I 115

Repräsentant (also das, was in der Repräsentation der Auffassung,


Deutung unterliegt) immer schon ein Gegenstand für uns. Das Phan-
tasiebild "erscheint", es steht als Gegenstand vor uns. Der repräsen-
tierende Gegenstand dient uns als Repräsentant - das kann aber
5 nichts anderes heissen, als dass die Präsentation, in der er erscheint,
in eigenartiger Weise Grundlage ist für einen neuen psychischen Akt,
in dem sich das Neue der repräsentierenden Funktion konstituiert.
Das Hinzutreten dieses neuen Aktcharakters macht (für unser Er-
lebnis) den Unterschied zwischen der schlichten Auffassung eines A
10 und der komplizierteren Auffassung, wo das A nun zum Repräsentan-
ten eines B wird. So erhält ,also auch in der Phantasievorstellung das
präsentierte Objekt durch das "Bewusstsein" der bildlichen Repräsen-
tation seinen Bildcharakter. Natürlich ist dieser nicht als eine an dem
Phantasieobjekt erscheinende, dessen Bestimmtheitsgehalt erweitern-
15 de Eigenschaft zu missverstehen, Keine Inhaltsbereicherung kann das
ausmachen, wodurch Bilder, Zeichen, überhaupt Objekte, die etwas
"repräsentieren" (für etwas gelten, es darstellen, vergegenwärtigen,
abbilden, bezeichnen, bedeuten usw.), von solchen <sich> unterschei-
den, die es nicht tun. Ohne einen Akt, der Geltung verleiht, hat das
20 für etwas Gelten, etwas Darstellen, Vergegenwärtigen u. dgl. keinen
Sinn. Andererseits hindert natürlich nichts, dass wir einem Gegen-
stande, in Reflexion auf die repräsentierende Funktion, die er zu tra-
gen pflegt, den Bild- oder Zeichencharakter in der Weise einer Be-
schaffenheit beilegen. Daraus erst entspringt die Versuchung, diese
25 äussere mit einer inneren und bereichernden Eigenschaft zu ver-
wechseln und demgemäss zu meinen, ein Gegenstand sei in sich selbst
ein Bild oder ein Zeichen. I

<§ 4. Analogie und Dz"fferenzen zwischen dem Gegensatz


von Präsentation und Repräsentation innerhalb eines
30 konkreten Aktes der Repräsentation und der indirekten
Präsentation bei der Wahrnehmungsvorstellung>

Die Funktion der Repräsentation hat offenbare Analogie zur in-


direkten Präsentation, die wir oben beschrieben haben. Der Gegensatz
v~n direkter und indirekter! Präsentation lag darin, dass gewisse Be-
35 shmmtheiten eines präsentierten Gegenstandes in einem gewissen
engsten Sinne in die Erscheinung traten, aber durch einen auf sie be-
zogenen Aktcharakter die weitere Funktion übernahmen, die übrigen
Bcstimmtheiten, die in diesem engsten Sinne ausserhalb der Er-
scheinung blieben, doch in den Bereich der präsentierenden Gesamt-
40 auffassung zu ziehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Gegensatz von
Präsentation und Repräsentation innerhalb eines konkreten Aktes der
1 Eigentlicher und uneigentlicher.
116 BEILAGE I

Repräsentation. Der repräsentierende Gegenstand erscheint' im Sinne


der Präsentation, in dem normalen Sinne also, in dem wir auch vom
äusserlich wahrgenommenen Gegenstande sagen, dass er erscheine.
Halten wir diesen Sinn fest, so dürfen wir den repräsentierten Gegen-
5 stand nicht mehr als erscheinenden bezeichnen. Wenn ich mir das
Berliner Schloss in der Phantasie vorstelle,' so ist das Phantasiebild
eine echte Erscheinung. Wenn ich aber, dieses Bild vor Augen, doch
nicht dies Bild, sondern das Schloss selbst vorstellend meine, so ist im
komplexen Akte zwar ein zweiter Gegenstand intentional gegeben,
10 aber nicht in Form einer zweiten Erscheinung gegeben. Ferner: Wie
oben die selbst nicht in die Erscheinung fallenden Bestimmtheiten
durch die in dieser engsten Erscheinungsweise aufgefassten Bestimmt-
heiten zu mittelbarer Auffassung kamen, so ist auch hier der letztlich
intendierte und nicht erscheinende Gegenstand indirekt aufgefasst,
15 nämlich mittelst des zunächst aufgefassten und erscheinenden Gegen-
standes.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die beiderseitigen Gegensätze,
wofern wir auf die letzten Elementarakte der vorliegenden Aktkompli-
kationen zurückgehen, auf Gleichartigkeit beruhen. Aber freilich sind,
20 wenn wir näher zusehen, auch die Differenzen unverkennbar. Das
Bild repräsentiert ein Original. Vergegenwärtigen wir uns irgendein
Beispiel von Erfüllung einer Bildrepräsentation, so wird es evident,
dass bei dieser Repräsentationsweise notwendig zwischen Repräsen-
tant und Repräsentiertem ein Verhältnis (bildlicher) Ähnlichkeit be-
25 stehe. Ganz anders im Falle indirekter Präsentation von Bestimmt-
heiten in der Einheit eines konkreten Aktes der Präsentation. Zwar
können wir, wohlberechtigt, das Verhältnis zwischen den direkt und
indirekt präsentierten Bestimmtheiten als ein solches zwischen Re-
präsentanten und Repräsentierten fassen: aber die Repräsentation
30 ist hier offenbar keine bildliche:1 Ihre Leistung besteht in der Wahr-
nehmungsvorstellung nicht darin, die repräsentierten Bestimmt-
heiten bildlich zu. vergegenwärtigen, vielmehr darin: die mit den
erscheinenden Bestimmtheiten zur Einheit des Gegenstandes ge-
hörigen und mit ihnen diese Einheit konstituierenden Bestimmtheiten
35 zur Einheit der Auffassung zu bringen. Der Repräsentant fasst hier
das sachlich mit zu ihm Gehörige als solches auf, daher tritt er zu-
sammen mit dem so repräsentierten in das meinende Bewusstsein;
beide in ihrer Einheit konstituieren den einen gemeinten Gegenstand.
Der Repräsentant opfert sich selbst nicht auf, um den Gegenpart in
40 den Lichtkreis des meinenden Aktes zu ziehen; indem er dem anderen
zur Geltung verhilft, will er selbst Geltung behalten. 2 Der konkrete
Akt der meinenden Präsentation - wohlgemerkt, in dem Typus,
welcher der ä u s s e ren Wahrnehmung entspricht - ist also ein

1 Nota bene.
2 Das gilt für die symbolische Repräsentation (Kontiguität in der Wahrnehmung).
Gilt es auch für die analogische Repräsentation?
BEILAGE I 117

komplexes Gebilde, in welchem Präsentationen, ohne sich je zu blossen


Repräsentanten herabzuwürdigen, doch repräsentativ fungieren, und
zwar in der Weise der auffassenden Ergänzung und Bereicherung
der durch sie direkt gegebenen um die sachlich mitzugehörigen Be-
S stimmtheiten. Und das Ergebnis dieser Verschmelzung von Teilakten
ist das scheinbar einfache Bewusstsein der Wahrnehmungsvorstel-
lung, worin wie mit einem Schlage der Gegenstand selbst erscheint,
während uns freilich schon die nächste Besinnung lehrt, dass "eigent-
lich" doch nur die eine "Seite" des Gegenstandes anschaulich in die
10 Erscheinung tritt.

<§ 5. Vieldeutigkeit der Termini Phantasievorstellung und


Phantasieobjekt. Analoge Unterscheidungen bei den
physisch-bildlichen Vorstellungen>

Einen wichtigen Unterschied, der uns in der Erörterung des letzten


lS Paragraphen aufstiess,l müssen wir, nebst einigen verwandten, jetzt
in die genauere Erwägung ziehen. Wir erwähnten die Möglichkeit
einer betrachtenden Zuwendung zum primär erscheinenden Phantasie-
bild, anstatt, wie es in der normalen Phantasievorstellung geschieht,
zu dem abgebildeten Gegenstand. Aequivoce heisst das eine wie das
20 andere das phantasierte Objekt; und wieder heisst die dem einen wie
dem anderen Objekt zugewendete Vorstellung eine Phantasievor-
stellung. Ja, der letztere Terminus umfasst, die Verwirrung voll zu
machen, noch drei wesentlich unterschiedene Begriffe: die präsen-
tat i v e Auffassung, in welcher das Phantasieobjekt zur Erscheinung
2S kommt, und zwar vor oder abgesehen von aller meinenden Zuwen-
dung; die in gleicher Weise von der Zuwendung zu scheidende re-
prä sen tat i v e Auffassung der Phantasie, welche den abgebildeten
Gegenstand gibt, endlich das P h a n t a s m a, d.i. den präsentierenden
sinnlichen Inhalt, dessen deutende Auffassung das Bild erscheinen
30 lässt. Fassen wir die beiden zuerst unterschiedenen Bedeutungen
näher ins Auge, bei welchen es sich um zugleich meinende und auf-·
fassende Akte handelt, so wird ihnen noch eine weitere anzureihen
sein. Wir verstehen unter Phantasieobjekten die in der Phantasie er-
scheinenden und gewöhnlich als Bilder fungierenden Objekte und
35 sondern:
. 1) P h an t asie vorstell ungen 2 als Akte bildlich-repräsenta-
üv.er und zugleich meinender Auffassung, in welchen ein Phantasie-
~bl~kt als Bildrepräsentant fungiert. Ich erwähne sogleich, dass der
l~sslge.' aber bequeme Ausdruck "meinende Auffassung" im Sinne der
40 bishengen Analysen überall einen komplexen Akt bezeichnet, in

1 Vgl. in vorliegender Textgliederung den § 3. - Anm. d. Hrsg.


2 Im normalen Sinn.
118 BEILAGE I

welchem ein meinender Akt, dessen Spezies aus dem jeweiligen Zu-
sammenhang zu ersehen ist, sich auf den Gegenstand einer ihm zu
Grunde liegenden Auffassung bezieht.
2) Vorstellungen von Phantasieobjekten1 als Akte
5 präsentativer und meinender Auffassung von Phantasieobjekten. 2
3) Vorstellungen von Phantasiebilder'n als ebensolche
Akte wie die eben bestimmten, nur mit dem Unterschiede, dass wir
jetzt die Phantasieobjekte ausdrücklich als Bilder bezeichnen, also
mit repräsentativer Funktion behaftet denken.
10 Der Unterschied der ersten mit den beiden folgenden Vorstellungs-
arten ist unverkennbar und bedarf nach dem früher Erörterten keiner
neuen Analyse. Es ist beispielsweise ein sichtlich verschiedenes Er-
lebnis, ob wir uns ein fernes Land in Phantasiebildern vergegenwärti-
gen (z.B. bei der Lektüre einer Reisebeschreibung), oder ob wir unser
15 Interesse den Phantasiebildern selbst zuwenden (z.B. aus psycholo-
gischem Interesse). Die Auffassungsgrundlage kann beiderseits die-
selbe sein, aber die meinende Vorstellung richtet sich einmal auf die
abgebildeten Gegenstände und dann nicht auf die Bilder, das andere
Mal auf die Bilder und dann nicht auf die abgebildeten Gegenstände.
20 Aber auch der feinere Unterschied zwischen den beiden letzten Vor-
stellungen ist hervorzuheben, weil es sich offenbar um verschiedene
Erlebnisse handelt, je nachdem die in der Phantasie erscheinenden
Objekte als Bilder fungieren oder nicht. Freilich könnte es zweifelhaft
erscheinen, ob nicht alle Phantasieobjekte co ipso mit dem Charakter
25 der Bildlichkeit auftreten, auch wo wir auf sie und ihn nicht achten
und uns ausschliesslich mit dem primär erscheinenden Objekte be-
schäftigen. Wenn wir von der Phantasievorstellung des fremden Lan-
des zur Vorstellung der es repräsentierenden Bilder übergehen, sind
zwei Fälle möglich. Ihre Bildlichkeit kann einerseits selbst mitgehören
30 zu dem Kreise unserer Interessen. So z.B. wenn wir in einer anzu-
knüpfenden begrifflichen überlegung das Verhältnis von Bild und
Abgebildetem erwägen wollen. Hier geht dem begrifflichen Denken
ein kompliziertes Erlebnis anschaulicher Vorstellung vorher und liegt
ihm zu Grunde, in welchem das Bild nicht bloss als Bild fungiert, son-
35 dem zugleich als Träger des Bildcharakters aufgefasst und gemeint
ist. (Dies setzt eine Reflexion auf die repräsentative Funktion voraus.)
Andererseits ist aber auch der Fall möglich, dass die Bildlichkeit ganz
ausserhalb des Rahmens liegt, in dem sich das Interesse bewegt. Das
Bild interessiert uns nicht als Bild von irgend etwas, sondern für sich,
40 als das so und so erscheinende Phantasieobjekt. Dies hindert aber
nicht, dass das Bild im Erlebnis fortfährt, Bild zu sein; dass es also
fortfährt, als Träger einer repräsentativen Auffassung zu fungieren,
nur dass weder ihr noch ihrem Gegenstand die Gunst besonderer Be-
achtung zuteil wird. Die Vorstellung ist jetzt nicht mehr als repräsen-

1 Phantasievorstellungen im modifizierten Sinn.


2 1) und 2) Phantasievorstellung im weiteren Sinn.
BEILAGE I 119

tative zu bezeichnen, weil der repräsentative Faktor ihrer weiteren


Auffassungsgrundlage für sie nicht speziell grundlegend ist. Der Cha-
rakter der Vorstellung ist nur zu bestimmen durch den Teil der Auf-
fassungseinheit, dessen Gegenstand sie ins meinende Bewusstsein er-
5 hebt. Die Frage ist nun, ob die Sache überall so liegt, wie in diesen
Fällen. Jedenfalls ist es doch denkbar, dass in anderen die repräsenta-
tive Funktion überhaupt nicht in Aktion tritt. In der Tat gibt es
Fälle, die man in diesem Sinne sehr wohl interpretieren kann. Wenn
wir uns dem Reize lebendig erregter Phantasie ganz hingeben, uns in
10 eine phantasierte Welt so recht einleben, wobei die Phantasien durch
ihren sinnvollen Zusammenhang, durch die ausnehmende Lebendig-
keit, individualisierte Fülle, durch Stetigkeit und Selbständigkeit den
Erscheinungen der normalen Wahrnehmung kaum nachstehen; da ist
von einer repräsentativen Funktion der Erscheinungen, von einem
15 ihnen anhaftenden Bildcharakter nichts zu merken. Er tritt erst auf,
wenn die umgebende Wirklichkeit das Interesse auf sich zurücklenkt
und wir uns nun sagen: Es ist blosse Einbildung.
Analoge Unterscheidungen gelten, wie nicht weiter ausgeführt
werden muss, für die andere Gruppe bildlicher Vorstellungen, welche
20 auf sinnlicher Empfindung beruhen. Die physisch-bildliche Vorstel-
lung geht auf das Sujet. Ein ganz anderes Erlebnis ist die Vorstellung
des Bildes 'Selbst als des erscheinenden Bildrepräsentanten. Auch hier
kann möglicherweise das Bewusstsein der Bildlichkeit ganz entfallen,
wodurch aber eine gewöhnliche Wahrnehmungsvorstellung resultieren
25 würde. Dies Bewusstsein im rein anschaulichen Verhalten von vorn-
herein nicht aufkommen zu lassen, ist die Leistung der den Wirklich-
keitsschein vortäuschenden Bilder, von der Art der Panoptikumsbil-
der u.dgl.l Obzwar wir in solchen Fällen ein begriffliches Wissen davon
haben, dass die Erscheinungen bloss .bildliche sind, so fehlt doch im
30 anschaulichen Erlebnis selbst das sonst innig darin verwobene reprä-
sentative Moment. Das aber ist das für die anschauliche Bildvorstel-
lung Entscheidende. Wir haben in jenen Fällen echte Wahrnehmungs-
vorstellungen, von dem Gedanken begleitet, dass ihre Gegenstände
blosse Bilder seien; die Erscheinung selbst gibt sich aber als Erschei-
35 nung eines gegenwärtigen Objekts und nicht als Bild. Ja sie erzwingt
sich, in naiver Betrachtung, das anschauliche Wahrnehmungsurteil.
Darin täuscht sie. In Wahrheit gibt es vielleicht ein anderes (nicht
erscheinendes) Objekt, zum erscheinenden im Verhältnis des Originals
zum Bilde stehend. Das alles wissen wir, und doch bleibt der Schein
40 bestehen, weil die Erscheinung so ganz den Charakter der normalen
\yahrnehmungsvorstellung hat, dass sie sich die Degradation zu
ellle~ biossen Repräsentanten nicht gefallen lässt. Das begleitende
UrteIl, es sei ein biosses Bild, prägt der Erscheinung selbst den Bild-
charakter eben nicht ein.
120 BEILAGE I

<§ 6. Verschiedenartigkeit der Vorstellungen durch


Phantasiebilder und der Vorst'ellungen durch Physisch
vermittelte Bilder: kompliziertere Auffassungsgrundlage bei den
letzteren; Physisches Bild, Bildobjekt, Bildsujet im
5 Wechsel der Betrachtungsrichtung; Beteiligung an der
Auffassungsgrundlage>

Unser besonderes Interesse galt bisher den gemeinsamen Eigen-


tümlichkeiten der beiden Arten bildlicher Vorstellungen. Auch wo wir
streckenweise die Erörterung der einen bevorzugten, war die Über-
10 tragung der gewonnenen Ergebnisse auf die andere ohne weiteres
zu vollziehen. Es ist nun an der Zeit, auch die beiderseitigen Unter-
schiede zu erforschen. Vorstellungen durch Phantasiebilder und Vor-
stellungen durch physisch vermittelte Bilder sind unverkennbar ver-
schiedenartige uud nie zu verwechselnde Erlebnisse. Es muss möglich
15 sein, die Unterschiede zu begrifflicher Klarheit zu bringen.
Eine erhebliche Differenz scheint zunächst hinsichtlich der zu
Grunde liegenden Auffassung stattzuhaben. Auf seiten der physischen
Bildvorstellung ist sie, wie es scheint, komplizierter wie auf seiten
der Phantasievorstellung. Bei der letzteren ordnet sich der ganze
20 Komplex der zu ihrer Erlebniseinheit gehörigen sinnlichen Inhalte in
ein e Prä sen tat ion, wodurch sich das Phantasiebild konstituiert.
Bei der physischen Bildvorstellung ist dies ni c h t der Fall. Hier
haben wir ja nicht zwei, sondern drei Gegenstände zu unterscheiden,
welche bei einem sukzessiven Wechsel der Betrachtungsrichtung auch
25 als einzeln gemeinte hervortreten: nämlich das physische Bild, das
dargestellte geistige Bild (das erscheinende und repräsentierende Bild-
objekt) und endlich das Bildsujet (das repräsentierte Bildobjekt). Z.B.
ich betrachte soeben den Stich der Raffaelschen Theologie, der hier
an der Wand hängt. Zunächst als dieses physische Ding. Ich wechsle
30 nun die Betrachtungsweise, ich achte nicht auf das an der Wand
Hängende, sondern auf das Sujet des Bildes: eine erhabene Frauen-
gestalt, auf einer Wolke thronend, von zwei derben Engeljungen um-
flattert usw. Ich ändere abermals die Betrachtungsweise und wende
~ mich von dem vorgestellten Bildobjekt auf das es vorstellig machende
35 Bild, im Sinne des repräsentierenden Bildobjekts. Es ist eine ziemlich
kleine Frauenpuppe mit zwei erheblich kleineren Engelpüppchen, in
bIossen Graunuancen objektiv gefärbt.
Die beiden ersten Betrachtungsweisen sind die im gewöhnlichen
Leben herrschenden, die dritte ist das besondere Interesse des Künst-
40 lers und des Psychologen. Im Übergang von der einen zur anderen
findet ein Wechsel in der meinenden Beziehung statt, wodurch aus
der, wie es scheint, überall gleichen Auffassungseinheit immer ein
anderer Gegenstand hervortritt. Die zweite ist die normale Bild-
BEILAGE I 121

betrachtung, das, was wir hier als die physische Bildvorstellung be-
zeichnen. Zu ihrem Auffassungsgrunde tragen alle drei Gegenstände
mit bei. Sind wir in die Betrachtung des Bildes versunken, d.h. der
bildlichen Repräsentation des Sujets zugewendet; so haben wir den
5 abbildenden Gegenstand vor Augen; nur dadurch, dass er erscheint,
kann er das "selbst" nicht erscheinende Sujet vergegenwärtigen. An-
dererseits ist er nicht das Gemeinte, das im eigentlichen Sinne hier
Vorgestellte, dazu wird er n1!r in einer eigenen Betrachtung, die oben
als die dritte angereiht war. Ahnlieh wie mit diesem repräsentierenden
10 Bilde, welches wir oben mit dem Phantasiebilde parallelisiert haben,
scheint es sich mit dem physischen Bilde zu verhalten. Es ist einerseits
in der bildlichen Vorstellung nicht vorgestellt, geschweige denn, dass
es (im richtigen Sinn) wahrgenommen wäre. Wenn wir sie vollziehen,
also dem Sujet zugewendet sind, meinen wir ja nur dieses, ganz und
15 gar nicht das physische Bild, das eingerahmte und bedruckte Papier.
Dazu bedarf es eines eigenen Aktes der Vorstellung bzw. Wahrneh-
mung, d.i. der Betrachtungsart, die wir oben an erster Stelle erwähnt
haben. Andererseits wird man sagen müssen, dass, wenn auch nicht
die volle Wahrnehmung, so doch die ihren Gegenstand bereitstellende
20 Auffassung auch im jetzigen Erlebnis zu Grunde liege. Während wir
auf das Sujet achten und in seiner bildlichen Vorstellung aufgehen,
haben wir doch das physische Bild, das Eingerahmte an der Wand
vor Augen, es steht als dies Ding vor uns. - Genauer besehen ist diese
Vorstellung nicht ganz korrekt. Dass im häufigen Wechsel der Vor-
25 stellungsrichtung, den die psychologische Erfahrung bezeugt, auch
die Wahrnehmung und' mit ihr die Auffassung des physischen Bildes
als des physischen zur Geltung kommt, ist sicher. Bezweifeln kann
man aber, ob wirklich bei der normalen Bildbetrachtung, die auf das
Sujet gerichtet ist, auch das physische Bild zur Auffassungsgrundlage
30 gehöre, In der Tat ist dies nicht der Fall. Nur einem Teile nach tritt
es in die Auffassung ein. Es ist nämlich zu bemerken, dass sich in die
Auffassung des abgebildeten Gegenstandes nicht bloss die Farben
und Formen der Zeichnung, sondern auch die Umrahmung und selbst
die weitere räumliche Umgebung organisch einfügt: Das Bild springt,
35 sagen wir, aus dem Rahmen, bzw. wir blicken durch ihn, gleichsam
durch ein Fenster, in den Raum seiner Objekte hinein u.dgl. 1 In ein-
heitlicher Auffassung wird also der abgebildete Gegenstand mit der
umrahmenden Gegenständlichkeit in ein e m gegenständlichen Zu-
sammenhang aufgefasst, das Abgebildete in der Weise des besonders
40 Be,achteten hervorgehoben, das Umrahmende in der Weise des "neben-
bel Beachteten" zurückgestellt.
Genauer gesprochen sind wir, je nach Umständen, Verschiedenem
zugewendet. Öfters achten wir auf die Umrahmung gar nicht, viel-
m~,hr ausschliesslich auf das Sujet: Sie ist dann aufgefasst, aber im
45 pragnanten Sinne nicht wahrgenommen und nicht vorgestellt. In an-

1 <Adolf von) Hildebrand.


122 BEILAGE I

deren Fällen erstreckt sich die Sphäre der meinenden Zuwendung


über den ganzen aufgefassten Zusammenhang, wie wenn wir (z.B. in
Reden der oben herangezogenen Art) das vorgestellte Sujet in eine
ausdrückliche Beziehung zur Umrahmung bringen, es also auch in
5 dieser Beziehung meinen. In der Regel wird wohl das eine mit dem
anderen abwechseln: Während das Interesse auf das Sujet konzen-
triert ist, drängt sich die Umrahmung, ohne jenen Hauptzug des
Interesses ernstlich abzulenken, zu momentanem Bemerken durch.
In jedem Falle leistet das physische Bild zu der umfassenderen Ein-
10 heit gegenständlicher Auffassung, aus welcher die eine oder andere
Vorstellung schöpft, zwar seinen Beitrag. Aber wir bemerken, dass
nicht das ganze Bild, sondern nur gewisse Bestandstücke desselben
(die Umrahmung) in die einheitliche Umgebung des abgebildeten
Gegenstandes hineinverwoben und mit ihr zu gegenständlicher Auf-
15 fassung gebracht werden. Fassen wir die bildlich vorgestellten Objekte
als aus dem Rahmen heraustretende auf, oder erscheint er uns als ein
Fenster, durch welches wir in ihren Raum (in die gemalte Landschaft
u.dgl.) hineinsehen, so ist innerhalb dieses einheitlichen Zusammen-
hanges zwischen Wirklichkeit und Bildlichkeit für das physische
20 Bild-Ding offenbar kein Platz, sondern eben nur für seinen Rahmen.
Was vom Bilde fehlt, das ist jener Teil, dessen präsentierende Inhalte
eine ganz andersartige Auffassung erfahren, als welche das Bild-Ding
verlangt, nämlich diejenige, in welcher die repräsentierende und re-
präsentierte Gegenständlichkeit gegeben ist.
25 Bemerkenswert ist hier noch, dass, wie weit oder enge sich das mei-
nende Bewusstsein über die aufgefasste Gegenständlichkeit erstrecken
mag, doch die bildliehe Repräsentation an jener Rahmenauffassung
keine Stütze findet. Der Rahmen übt keine repräsentierende Funktion.
Beschränken wir, wie es am natürlichsten ist, die Rede von der bild-
30 lichen Vorstellung auf den Akt meinender Zuwendung zu einem reprä-
sentierten Gegenstande, so kommt die eben beschriebene partielle Be-
teiligung des physischen Bilddinges an der bildlichen Vorstellung! gar
nicht in Betracht. 2 Zu ihr gehört nur, was eben repräsentativ fungiert,
oder für das Repräsentierende konstitutiv ist. Erstreckt sich die
35 meinende Beziehung mit auf die wahrgenommene Bildumgebung, so
haben wir ein aus Wahrnehmung und Bildvorstellung komponiertes

1 Später eingefügt: "unmittelbar". - Anm. d. Hrsg.


2 Wir werden überhaupt bei den meinenden Akten unterscheiden müssen zwischen
der A uff ass un gsgrundl age im engeren Sinn, als der Auffassung, die aus-
schliesslich ihren gemeinten Gegenstand konstituiert, und der Auffassungsgrundlage
im w e i t e ren Si n n, als der gesamten, sehr viel weiter reichenden Auffassungs-
komplexion, in welcher sich eine mannigfaltige Gegenständlichkeit konstituiert, aber
nur zu kleinerem Teil in das meinende Bewusstsein tritt. Es besteht eben jeweils ein
ganzes Blickfeld für das meinende Verhalten. Viele Gegenstände sind schon aufge-
fasst, sie stehen so zu unserer Verfilgung; aber nur auf diesen oder jenen blicken wir
besonders hin und machen ihn zum Gegenstand eines meinenden Aktes.
BEILAGE I 123

Erlebnis, wie dergleichen Mischungen von Erlebnissen verschiedener


Typen so vielfältig vorkommen.!

<§ 7. Innere Gleichartigkeit des Aktcharakters bildlicher


Repräsentation, iedoch äussere Unterschiede bei heiden
5 Vorstellungsarten. Desiderat einer A utklärung der inneren
Unterschiede zwischen den sinnlichen Inhalten:
Empfindungen und Phantasmen>

In der Richtung, die wir jetzt durchforscht haben, zeigte sich kein
erheblicher innerer Unterschied zwischen Phantasievorstellung und
10 physischer Bildvorstellung. Die Möglichkeit, bei der letzteren neben
dem abgebildeten Gegenstande noch zwei Gegenstände zu unter-
scheiden, bedeutete ja nicht, dass diese zweifache Gegenständlichkeit
(womöglich noch in ganz einzigartiger Weise) zum repräsentativen
Grunde der Vorstellung gehöre. Auch bei der physisch-bildlichen Vor-
15 stellung war die repräsentative Funktion nur an einen Gegenstand
gebunden, an das repräsentierende Bild. Immerhin zeigt sich darin ein
Unterschied, dass der Repräsentant beiderseits aus einem verschieden
gebauten Auffassungsgrunde herausgehoben ist. Das Phantasie-
bild ist ausser allem Zusammenhang mit der "Wirklichkeit", das ist
20 mit dem Blickfeld möglicher Wahrnehmung. Hingegen ist das phy-
sisch dargestellte Bild in den Wirklichkeitszusammenhang in gewisser
Weise einbezogen, obschon es darin nicht selbst als Wirkliches gilt.
Ferner: Bei der physisch-bildlichen Vorstellung fungiert ein zum
Blickfeld der Wahrnehmung gehöriger, wirklicher Gegenstand, näm-
25 lieh das physische Bild, als Er r e ger der bildlichen Auffassung, seine
Wahrnehmung ist der Ausgangs- und Durchgangspunkt für die Ent-
wicklung der bildlichen Vorstellung. Bei der Phantasievorstellung
fehlt diese eigenartige Anknüpfung an eine bestimmte Erscheinung
in;. Blickfelde der Wahrnehmung, sie hat keinen Erreger. Da jeweils
30 die Möglichkeit besteht, von der physisch-bildlichen Vorstellung zur
Betrachtung dieses Erregers (des physischen Bildes als äusseren
Dinges) überzugehen, so liegt schon hierin ein stark hervortretender
äusserer Unterschied zwischen den beiderlei Vorstellungen. 2
Aber auch ein innerer, nicht auf die weiteren Auffassungszusam-
1 Im ubrigen ist auch in der Phantasie der Umfang der meinenden (für sich be-
achtenden) Vorstellung enger als derjenige der zu Grunde liegenden Auffassung. Das
phantaSierte Ding hat ebenfalls seinen phantasi{lrten Hintergrund, seinen gegen-
standhchen Zusammenhang, der da, aber nicht allseitig beachtet ist. Blickfeld der
Phantasie.
2 An dieser Stelle verweist Husserl mit Bleistift auf "Beilage M". Es handelt sich
um ein Blatt, datiert auf 2. Oktober 1898, das er später dem Vorlesungsmanuskript
von 1904/05 eingefügt hat (vgl. oben Nr. 1, §29 und die entspreChenden Textkritischen
Anmerkungen). - Anm. d. Hrsg.
124 BEILAGE I

menhänge und Auffassungsmöglichkeiten, sondern auf den engsten


Akt der bildliehen Repräsentation bezogener Unterschied bietet sich
dar. Das Phantasiebild und das physisch dargestellte Bild sind inner-
lich gleichartig, was die Aktcharaktere anbelangt:1 Beiderseits sind es
5 eben bildliche Repräsentationen: Sie differieren aber durch die präsen-
tierenden sinnlichen Inhalte. Es sind auf der einen Seite Phantasmen
auf der anderen Empfindungen. '
Wir stossen hier auf die heikle deskriptive Frage nach dem U nt e r-
schied zwischen Empfindungen und Phantasmen. Ihre
10 Beantwortung berührt aber nicht bloss die abschliessende Erkenntnis
der zuletzt erörterten Unterscheidungen, auch andere, im folgenden
zu erörternde Unterschiede werden von ihr wesentlich betroffen. 2

<§ 8. Wahrnehmungsvorstellung von einer auf denselben


Gegenstand gerichteten Phantasie- oder Physisch-bildlichen
15 Vorstellung unterschieden als Präsentation gegenüber
Repräsentation. - Frage: Wie unterscheidet sich die
Wahrnehmungsvorstellung eines Gegenstandes von der
Vorstellung "desselben" Gegenstandes als Phantasieobiekts
unter der Annahme, dass das Phantasieobiekt nicht
20 repräsmtativ fungiert.? >

Wir haben bisher eine Mannigfaltigkeit von Auffassungs- und Vor-


stellungstypen unterschieden: die Präsentationen der Wahrnehmungs-
vorstellungen, der Phantasievorstellungen, der physisch-bildlichen
Vorstellungen; in den beiden letzten Fällen unter Anknüpfung des
25 Charakters bildlieher Repräsentation; dann die bezüglichen Vorstel-
lungen selbst; dazu auch die Vorstellungen von Phantasieobjekten und
Phantasiebildern, endlich von physisch vermittelten Bildern. Die
Konstitution dieser verschiedenen Erlebnisse haben wir, zumal was
die dabei beteiligten Aktcharaktere anbelangt, studiert. Aber noch
30 bleibt einiges übrig, um die Unterschiede derselben zu abschliessender
Klarheit zu bringen. Sie hängen so innig zusammen, dass sie nicht alle
so eingehender Erörterung bedürfen, wie wir sie bereits dem Unter-
schiede der beiden Arten bildlieher Vorstellungen gewidmet haben.

1 Denken wir uns auch beiderseits die gegenständliche Beziehung identisch, denken
wir uns nämlich, es sei derselbe Gegenstand beiderseits vorgestellt, ja er sei sogar
beiderseits von derselben Seite, durch dieselben in die Erscheinung tretenden Be·
stimmtheiten vorgestellt, so bleibt nur ein Unterschied: vgl. S. 125, Zeile 21 11.
S Ausser den klargelegten Unterschieden kommen ubrigens in unserem Fall auch
noch all die Unterschiede in Betracht, welche zwischen Erscheinungen der Phantasie
und denen möglicher Wahrnehmung angenommen werden. Denn dass die physisch
vermittelten Erscheinungen und die Wahrnehmungserscheinungen ganz gleichartig
sind, werden wir alsbald erkennen.
BEILAGE I 125

Wir heben z.B. die Fragen heraus: Wie unterscheidet sich


eine Wahrnehmungsvorstellung von einer auf den-
selben Gegenstand gerichteten1 Phantasievorstel-
lu n g, und wieder: von einer auf denselben Gegenstand gerichteten
5 Vors tell ung d uroh ein physisches Bild? Hier bedarf es
keiner weiteren Überlegungen: Die der Wahrnehmungsvorstellung
(im engeren Sinne) zu Grunde liegende Auffassung hat den Charakter
der 2 Präsentation, auf den Gegenseiten aber den Charakter der bild-
lichen Repräsentation. Wie sich dann die Repräsentation differen-
10 ZIert, je nachdem es sich um Phantasiebilder oder physische Bilder
handelt, ist oben vollständig erörtert worden - bis auf3 den Unter-
schied zwischen Empfindungen und Phantasmen.
Umfassendere Betrachtung fordert hingegen die Frage: Wie unter-
scheidet sich die Wahrnehmungsvorstellung eines Gegenstandes von
15 der Vorstellung "desselben" Gegenstandes als Phantasieobjektes ? Die
letztere Vorstellung soll also keine4 Phantasievorstellung des Gegen-
standes (in dem oben präzisierten normalen Sinne) sein. Aus einer
solchen mag sie etwa erwachsen, indem das Interesse sich auf das
Bildobjekt, so wie es erscheint, zurückwendet; der Bildcharakter mag
20 dann unbemerkt bleiben oder überhaupt verschwinden.
Wir bezeichnen das Wahrnehmungsobjekt und das Phantasieobjekt
als "dasselbe", weil die sie konstituierenden Bestimmtheiten beider-
seits "dieselben" sind. Darum brauchen aber nicht auch die primär
präsentierten von ihnen hier und dort dieselben <zu> sein. Das Phanta-
25 sie ding kann uns von einer anderen Seite erscheinen wie das gesehene
Ding. Denken wir uns auch in dieser Hinsicht die volle Gleichheit her-
gestellt, so fragt es sich, worin der Unterschied der beiden Vorstellun-
gen noch bestehen soll. Beides sind Vorstellungen desselben Objekts.
Sie sind gleich hinsichtlich des meinenden Charakters; abermals gleich
30 hinsichtlich des Charakters der zu Grunde liegenden Auffassungen: Es
sind Präsentationen, dazu Präsentationen desselben Gegenstandes,
also nicht bloss der Auffassungsgattung, sondern auch der Differen-,
zierung nach gleich. Überdies soll der Gegenstand sich in beiden von
derselben Seite darstellen, also Gleichheit bis auf die feinsten Ver-
35 zweigungen innerer Unterschiede, in gegenseitig-eindeutiger Korre-
spondenz. Ist das Phantasieobjekt mit repräsentativer Funktion be-
haf~et, obschon nicht 'als Bild gemeint, so liegt darin schon ein Unter-
schIed. Er begründet ja für uns auch die Möglichkeit, den Bildcharak-
ter jeweils ins meinende Bewusstsein zu erheben, und dies wäre schon
40 genul?' ~m zwischen gesehenem und phantasiertem Ding (mindestens
als blldhchem) urteilend zu unterscheiden. Aber wie, wenn das
Phantasieobjekt einmal gar nicht repräsentativ fun-
~ Spdter elllgefugt: ,,(normalen)". - Anm. d. Rrsg.
3 Spdter e~ngefugt: "bIossen". - Anm. d. Rrsg.
d Spater emgefugt: "die Unterschi~de, welche die Erscheinungen unabhängig von
e~ Reprasentation betreffen". _ Anm. d. Rrsg.
Spater eingefugt: "normale". - Anm. d. Rrsg.
126 BEILAGE I

giert? Ist es dann ein Wahrnehmungsobjekt, bzw. ist


seine Auffassung eine Wahrnehmungsauffassung? Man wird natürlich
antworten: Abgesehen davon, dass die Wendung der Auffassung zur
Repräsentation bei jedem Phantasieobjekt vermöge dispositioneller
5 Beziehungen möglich sein wird, so besteht doch in jedem Falle noch
ein weiterer Unterschied, der in den präsentierenden Inhalten liegt.
Mögen ihre inneren Unterschiede nach Gattungen und Arten einander
noch so genau entsprechen, es sind doch auf einer Seite empfundene
Inhalte, auf der anderen phantasierte (Phantasmen).

*
10 <§ 9. Der allgemeine Charakter der Präsentation:
einen Gegenstand zur Erscheinung zu bri1tgen. -
Die Beantwortung der Frage nach dem Unterschied
zwischen Phantasieerscheinungen und
Wahrnehmungserscheinungen Zttrückführend auf die
15 Aufklärung des Unterschiedes zwischen den
präsentierenden Inhalten>

SOl stossen wir überall auf denselben Unterschied und aus leicht be-
greiflichen Gründen. Wir haben in den oben aufgezählten Akt-Erleb-
nissen mit Komplikationen zu tun; allen gemeinsam ist der Umstand,
20 dass in ihnen' ein Gegenstand erscheint, m.a.W. allen liegt eine Prä-
sentation zu Grunde (denn eben dies ist der prägnante Sinn des Wortes
Erscheinung). Der allgemeine Charakter der Präsentation ist: einen
Gegenstand zur Erscheinung <zu> bringen. Je nach dem Gegenstande
bestimmt sich der besondere Charakter der Präsentation, und wieder
25 nach einer anderen Richtung bestimmt er sich näher je nach der er-
scheinenden Seite, d.i. je nach den zur direkten Erscheinung kommen-
den Bestimmtheiten. In allen jenen mannigfaltigen Akten kann, prin-
zipiell gesprochen, derselbe Gegenstand von derselben Seite erschei-
nen; aber selbst wenn dies der Fall ist, scheint noch ein Unterschied
30 übrig zu bleiben, dem wir Rechnung tragen durch die Gegenüber-
stellung von Phantasie-Erscheinungen und Wahrnehmungs-Erschei-
nungen. Unter Phantasie-Erscheinungen verstehen wir natürlich
Erscheinungen, wie sie Phantasievorstellungen, gleichgültig ob nor-
maler oder modifizierter Art, zu Grunde liegen, unter Wahrnehmungs-
35 Erscheinungen solche, die Wahrnehmungen oder auch Wahrnehmungs-
vorstellungen und allen gleichgeordneten Erlebnissen zu Grunde lie-

1 Der Text von hier bis unten, S. 130,28 ersetzt in der Folioausarbeitung einen mit
Deleatur-Zeichen und dem Vermerk "ausgeschiedene Blatter" versehenen Text, der
in den Textkritischen Anmerkungen wiedergegeben wird (S. 631 ff). - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE I 127

gen. Und so ergibt sich die Frage, was unterscheidet Phantasie-


Erscheinungen und Wahrnehmungs-Erscheinungen.
Für uns gibt es nur eine Antwort: Wenn überhaupt ein Unterschied
besteht, so kann er nur noch in den präsentierenden Inhalten liegen.
5 Denn denken wir uns, wie es oben wiederholt geschehen, die Akt-
Bestimmtheit beiderseits völlig gleich (denselben Gegenstand von der-
t:.elben Seite erscheinend), so kann doch nur dies übrig bleiben: Es be-
steht ein Unterschied zwischen den Inhalten, der auf den Akt-Charak-
ter ganz ohne Einfluss ist. Diese lassen sich ausschliesslich bestimmen
10 durch die Arten und Gattungen der Inhalte und Inhaltsmomente bis
auf eine einzige, welche eben den Unterschied zwischen Empfindungen
und Phantasmen ausmacht.

*
Der Unterschied zwischen Empfindung und Phantasie erwies sich
durch die letzte Betrachtung als bestimmend für den Unterschied
15 zwischen Wahrnehmungserscheinung und Phantasieerscheinung. Es
ist hier aber auf den Sinn unserer unterscheidenden Absicht wohl zu
achten. Es handelt sich bei ihr ausschliesslich um innere Unterschiede
der bezüglichen Erscheinung. Wir fragen nicht, ob sie als blosse Prä-
sentation gegeben ist oder zugleich in repräsentativer Funktion, wir
20 fragen nicht nach den meinenden Akten, die sich auf diese Auffassun-
gen gründen, und endlich auch nicht nach den umfassenden Zusam-
menhängen von Erlebnissen und Dispositionen, zu welchen die ver-
glichenen Erscheinungen oder die in ihnen gründenden höheren Akte
gehören. Wir nehmen die Erscheinuug rein für sich und fragen, was
25 sie in dieser gedanklichen Isolierung unterscheidet.

<§ 10. Innere und äussere Unterschiede, Klassenunterschiede


~tndUnterschiede einander paarweise entsprechender
Erscheinungen der Wahrnehmung und Phantasie>

Die Frage nach dem Unterschied zwischen Erscheinungen der


30 Wahrnehmung und Phantasie differenziert sich aber noch weiter,
wenn wir folgende Erwägung anstellen.
A) Innere Unterschiede
I) Klassenunterschiede
1) Wesentliche Gattungsunterschiede der Inhalte eo ipso scharfe.
35 Also w. es e n tl ich e Klassenunterschiede der Erscheinung.
Der mnere Unterschied der beiderseitigen Erscheinungen wird ein
scharfer sein, wenn es <ein> Unterschied ihrer präsentierenden Inhalte,

tT ~
r:..usseL- At.
rc:,uv
4-
128 BEILAGE I

also zwischen Empfindungen und Phantasmen, ist. Es bestehen hier


mehrere Möglichkeiten. Zwischen Empfindungen und Phantasmen
könnte ein grundwesentlicher Unterschied sein, er könnte auf dem
Unterschied der Gattung im strengartigsten Sinn beruhen, so wie er
5 etwa zwischen Qualität und Intensität besteht. Dementsprechend
wären dann auch die Erscheinung der Wahrnehmung und Phantasie
auf zwei wes e n t 1i c h verschiedene Klassen verteilt.
2) Scharfer, aber nicht wesentlicher <Unterschied>.
Empfindungen und Phantasmen könnten aber noch scharf unter-
10 schieden sein, ohne auf dem strengen Gattungsunterschied zu be-
ruhen. So wäre es, wenn sich die Differenzen einer Gattung so ver-
teilen würden, dass die einen nur als präsentierende Inhalte von Wahr-
nehmungserscheinungen, die anderen nur als präsentierende Inhalte
von Phantasieerscheinungen auftreten könnten. Beruhte z.B. der
15 Unterschied auf dem Momente der Intensität, oder einem Analogon
davon, so könnten Intensitäten unterhalb eines gewissen Wertes aus-
schliesslich der Phantasie, die Intensitäten oberhalb eines gewissen
Wertes ausschliesslich der Wahrnehmung reserviert sein. Der Voraus-
setzung scharfer Unterschiedenheit könnte dadurch genügt sein, dass
20 nicht ein Grenzpunkt, sondern ein Zwischengebiet möglicher Intensi-
täten bestände, welche aber niemals realisiert würden. Es fände also
beim Übergang von Wahrnehmung zu Phantasie ein Bruch der In-
tensität statt.
3) Fliessend<er> <Unterschied>
25 Daran knüpft sich alsbald die zweite Möglichkeit. Dass der Über-
gang ein kontinuierlicher, der Unterschied also ein fliessender wäre,
in dem Sinn, wie wir zwischen hohen und tiefen, zwischen starken und
schwachen Tönen unterscheiden.
Dementsprechend bestände immer noch ein Klassenunterschied
30 zwischen den Erscheinungen, und zwar im einen Fall ein scharfer, im
anderen ein fliessender.
II) Kein Klassenunterschied, nur ein Unterschied der en t-
s p r e c h end e n Erscheinungen.
Wäre keine dieser Möglichkeiten realisiert, so wäre von einer Klas-
35 senunterscheidung der Inhalte und Erscheinung keine Rede mehr.
Immerhin bliebe dann noch die Möglichkeit übrig, dass zwischen jeder
Wahrnehmungserscheinung und der ihr entsprechenden Phantasie-
erscheinung ein gewisser inhaltlicher Unterschied bestände, sofern
eine gewisse Wahrnehmungserscheinung beim übergang in die ent-
40 sprechende <Phantasieerscheinung> allzeit gewisse inhaltliche Modi-
fikationen erführe, die andererseits aber bei Wahrnehmungserschei-
nungen von an der enGegenständen genauso auftreten könnten. So
verhielte es sich z.B., wenn alle Intensitäten der Wahrnehmung beim
Übergang in die Phantasie eine konstante Intensitätsverminderung
45 erführen, während es nicht ausgeschlossen wäre, dass die verminderten
Intensitäten auch in Wahrnehmungen von anderen Gegenständen

• <
BEILAGE I 129

auftreten würden. Diese letzteren Wahrnehmungen würden dann


ihrerseits beim Übergang in die ihnen entsprechenden Phantasie-
erscheinungen eine inhaltliche Modifikation um den gleichen Betrag
oder von der gleichen Art erfahren.
5 Es ist klar, dass in diesem Fall eine für sich genommene Wahr-
nehmungserscheinung' oder Phantasieerscheinung als solche nicht
charakterisiert wäre; nicht nämlich das Zusammen-Gegebensein ent-
sprechender Erscheinungen würde genügen, vielmehr müsste der
Unterschied durch ä ussere Momente sich als Unterschied von
10 Wahrnehmung und Phantasie kennzeichnen. Trotzdem würden wir
auch in diesem Fall sagen müssen, dass ein innerer Unterschied
zwischen den e n t s p re c h end e n Erlebnissen der Wahrnehmung
und Phantasie bestehe. Es wäre nur nicht ein solcher, der zur Unter-
scheidung ausreichte.
15 B) Äussere Unterschiede
Besteht keinerlei innerer Unterschied, so ist die Möglichkeit der
Unterscheidung zwischen den Erscheinungen der Wahrnehmung und
Phantasie nicht aufgehoben. Die Unterscheidung könnte hinreichen-
den Anhalt an den äusseren Unterschieden haben, an den Aktcharak-
20 teren und den umfassenderen Zusammenhängen.
Nehmen wir all das zusammen, so resultieren verschiedene Fragen:
In Beziehung auf die für sich genommenen präsentierenden Inhalte die
Fragen: Ob Empfindung und Phantasma überhaupt als Inhalte ver-
schIedener Klassen gelten können oder nicht. Im ersteren Fall könnten
25 die Klassen wesentlich verschieden sein, nämlich auf der Verschieden-
heit Aristotelischer Gattung beruhen (z.B. wenn in der konkreten In-
haltseinheit sich ein von ihr unablösbares Moment fände, das inner-
halb einer umfassenderen' Gattung im einen und anderen Fall gattungs-
verschieden wäre). Es könnten ferner die Unterschiede auf kontinuier-
30 licher Differenzierung nur beruhen und zu einer scharfen oder fliessen-
den Klassenscheidung Anlass geben, je nachdem ein Bruch der Kon-
tinuität statthat oder nicht.
In Beziehung auf die Erscheinung aber die Fragen: Ob zwischen
Wahrnehmung und Phantasie bloss äussere oder auch innere Unter-
35 schiede bestehen. Im letzteren Fall, ob es Klassenunterschiede sind
(je nachdem: wesentliche und ausserwesentliche, scharfe und fliessen-
de) oder ob die Unterschiede bloss die Paare einander entsprechender
Erscheinungen betreffen.

*
130 BEILAGE I

<§ 11. Zur systematischen Beantwortu1~g der Frage


nach dem Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und
Phantasieerscheinungen bei identischem Gegenstand:
Möglichkeit der Unterscheidbarkeit bei völligem Mangel.
5 an wesentlichen inneren Unterschieden durch äussere
Unterschiede der Funktion>

Es ist für die Klarheit der Untersuchung sehr förderlich, diese ver-
schiedenen Fragen und Möglichkeiten auseinanderzuhalten. In der
üblichen Behandlungsweise des Stoffes, die unter den vieldeutigen
10 Titeln "Unterschied der Wahrnehmungsvorstellung und Phantasie-
vorstellung" oder schlichtweg "Unterschied zwischen Wahrnehmung
und Phantasie" erfolgte, ist dies nicht geschehen und konnte dies nicht
geschehen, da bei der mangelhaften Analyse die Begriffe Empfindung
und Wahrnehmungserscheinung, Wahrnehmung, und Wahrnehmungs-
15 vorstellung, und wieder die Begriffe Phantasma, Phantasieerschei-
nung, Phantasievorstellung und Vorstellung von Phantasieobjekten
durcheinandergingen. So finden wir in den gewöhnlichen Darlegungen
ein unklares Durcheinander. Bald handelt es sich um die Unter-
scheidung der Empfindungen und Phantasmen als Inhalten, bald
20 wieder um eine Unterscheidung der in ihnen gründenden Wahrneh-
mungserscheinungen und Phantasieerscheinungen. Dabei wird zwi-
schen inneren und äusseren Unterschieden, zwischen Klassenunter-
schieden und Unterschieden einander paarweise entsprechender Er-
scheinungen kein Unterschied gemacht. Worauf man gewöhnlich aus-
25 geht, ist die Frage: Woran kann man Erscheinungen der beiden Arten
voneinander unterscheiden? Sie umfasst offenbar alle aufgeworfenen
Fragen und ist als Ausgangsfrage recht wohl brauchbar. In systema-
tischer Beantwortung wäre etwa so vorzugehen:!
Stellen wir vorerst die Frage nach den Anhaltspunkten für die
30 urteilsmässige Unterscheidung der beiderseitigen Erscheinungen bei
identischem Gegenstande, so kann nur zweierlei in Betracht kommen:
der (sc. präsentierende) Inhalt der Erscheinungen und ihre Funktion. 2
1 Inhalt - innere Unterschiede
Funktion - äussere Unterschiede
a) Erörterung der äusseren Unterschiede. Die gewöhnlichen Merkmale Fülle, Intensi-
tät etc.
b) Erörterung der inneren. Aus unserer Untersuchung geht hervor, dass bei völligem
Mangel innerer Unterschiede doch die äusseren völlig hinreichen wurden, um einen
verschiedenen Charakter der Erlebnisse zu erklären.
Ob doch innere Unterschiede anzunehmen sind? Sie sind jedenfalls nicht scharf.
Sonst wären Verwechsluugen nicht möglich. Andererseits aber ist es die Frage, ob die
Intensität das brauchbare Merkmal ist. Haben denn alle Inhalte Intensität? Oder hat
jeder konkrete Inhaltskomplex ein Moment der Intensität? Wie ist es bei Phantasie-
vorstellungen von psychischen Akten?
2 Das eine ergibt die inneren, das andere die äusseren Unterschiede.
BEILAGE I 131

Was das erste anbelangt, so heissen die Inhalte von Erscheinungen


möglicher Wahrnehmung Empfindungen und die Inhalte der Er-
scheinungen von Phantasievorstellungen (im normalen oder modifi-
zierten Sinn) Phantasmen. Es geht hier also die Frage auf die deskrip-
5 tiven Unterschiede zwischen Empfindungen und Phantasmen. Wir
stellen sie vorläufig zurück. Was andererseits die Funktionl an-
belangt, so bietet sie mannigfaltige Anhaltspunkte für die urteils-
mässige Unterscheidung. Mehr oder minder deutlich und direkt be-
ziehen sich auf sie die' sämtlichen gewöhnlich aufgeführten Unter-
10 scheidungsmerkmale zwischen "Wahrnehmungsvorstellungen und
Phantasievorstellungen" .
Wir verfolgen eine kleine Unterlösung. Es werde eine Wahrneh-
mungserscheinung mit einer Phantasieerscheinung verglichen. Die
beiden Erscheinungen sind einander jedenfalls gleich als Erscheinun-
15 gen; was auf die präsentative Funktion hinweist. Nehmen wir einmal
an, sie wären einander auch· gleich, und völlig, in Beziehung auf die
präsentierenden Inhalte, es beständen also hier und dort zwischen
Empfindungen und Phantasmen überhaupt keine inneren Unter-
schiede, so könnten Unterschiede doch noch bestehen, es könnte
20 beiderseits durch die identischen Inhalte eine verschiedene Gegen-
ständlichkeit aufgefasst sein. D.h. die auffassenden Akte wären zwar
beide Präsentationen, aber trotz des gleichen präsentierenden Inhalts
verschieden charakterisiert. (Natürlich gehörten sie auch in dispo-
sitioneller Richtung zu verschiedenen Präsentationszusammenhängen,
25 die den verschiedenen Gegenständen entsprächen und sie aktualisiert
zur "allseitigen" Erscheinung brächten.) Denken wir uns nun auch
in dieser Hinsicht vollkommene Gleichheit, so sind die ganzen Er-
scheinungen durchaus gleich - und doch nicht ununterscheidbar. Noch
bietet ja die verschiedenartige Einknüpfung in umfassendere Aktge-
30 bilde und die Verfügbarkeit der entsprechend verschiedenartigen dis-
positionellen Zusammenhänge reichhaltige Möglichkeiten für die Bei-
stellung von unterscheidenden, wenn auch äusseren Merkmalen. Bei
dem Mangel streng deskriptiver Analysen, zumal der einschlägigen
Phä,nomene, ist es begreiflich, dass die bisherige Psychologie in diesen
35 BeZIehungen zur Klarheit nicht durchgedrungen ist.

<§ 12, Heranziehung der Physisch-btldlichen Vorstellungen


mit ihren Differenzen zwischen Bild und Original zur
genaueren AUfklärung der verschiedenen Erscheinungen>

40 h"Eine ,genauere Erforschung der physisch-bildlichen Vorstellungen


atte ~ler lehren können, wie in sich betrachtet völlig gleichartige
Erschelllungen durch die angeknüpften Akte einen geänderten eha-
1 r\ussere Unterschiede.
132 BEILAGE I

rakter erhalten und durch die mit diesen verbundenen Dispositionen


in ganz andere Erscheinungsordnungen (sozusagen Welten) eingereiht
erscheinen können. Die durch ein physisches Bild erregte bildliche
Erscheinung (die repräsentativ fungierende, nicht die des physischen
5 Bildes als Dinges) ist an und für sich betrachtet von ganz gleicher Art
wie Erscheinungen (wirklicher oder möglicher) Wahrnehmung. Möge
die in der Photographie erscheinende (nicht die abgebildete) Person
in Hinsicht auf Grösse, Färbung u.ä. auch ungleich sein der durch sie
darzustellenden, "wirklichen", an sich selbst erscheint sie wie ein
10 Wahrnehmungsobjekt, und demgemäss wäre es prinzipiell denkbar,
dass es ein "wirkliches" Ding gäbe, das "ganz so ist", wie diese Photo-
graphie es darstellt.! Aber das photographische Bildobjekt hat den
Charakter der biossen Bildlichkeit, es fungiert als Bildrepräsentant,
und so mutet es sich freilich ganz anders an wie ein "wirkliches", d.i.
15 ein Wahrnehmungsobjekt. Dazu kommen dann weiter die oben er-
wähnten dispositionellen2 Zusammenhänge, vermöge deren das Bild-
objekt in diesen Zusammenhang der "wirklichen" Welt nicht ein-
geordnet werden kann als ein wirkliches Ding, sondern nur als ein
durch ein Bild-Ding natürlich erregter Schein. Offenbar sind es die
20 normalerweise nie fehlenden Differenzen zwischen Bild und Original,
welche die unterscheidenden Aktcharaktere und Dispositionen3 her-
vortreten lassen bzw. erregen und so auch das urteilende Unterschei-
den ermöglichen. Man achte wohl, es sind dies nicht Differenzen (oder
müssen es nicht sein), die einen wesentlichen K las sen unterschied
25 der Erscheinungen begründen. Dass Menschen, so, wie sie photogra-
phisch erscheinen, in aller Wirklichkeit (d.i. im Bereiche möglicher
Erfahrung) nicht zu finden sind, reicht schon hin, um die Anknüpfung
des verschiedenen Aktcharakters zu fordern. Täuschung und Sinnen-
schein nach" Art der Panoramabilder, der Kinematographen u. dgl.
30 beruhen darauf, dass die erscheinenden Objekte in ihrem ganzen er-
scheinenden Habitus von den in normaler Wahrnehmung erscheinen-
den wenig oder unmerklich unterschieden sind. Man kann hier wissen,
dass es blosse Bildobjekte sind, aber nicht lebendig empfinden. Der
Charakter der Wahrnehmung - in Beziehung auf das Objekt der Da-
35 seinscharakter - streitet mit dem Charakter blasser Bildlichkeit,
welcher das Nichtdasein des Abgebildeten (sc. im Akte), die Unter-
schiedenheit des daseienden Bildes und der Sache voraussetzt. Bei
Photographien ist die sachliche Differenz erheblich, und so kommt es
(aus nicht sehr fernliegenden genetisch-psychologischen Gründen) zur
40 wirklichen anschaulich-einheitlichen Anknüpfung des Charakters der
Repräsentation.
Für das Urteil kommt hier besonders in Betracht, dass die Erschei-
nungen nicht isoliert, sondern allzeit im Zusammenhange mit wirk-

1 Widerstreitcharakter!
2 "dispositionellen" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
3 "und Dispositionen" später zwischen Klammern gesetzt. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE I 133

lichen und möglichen Wahrnehmungen auftreten. Eine momentane


Täuschung ist sofort wieder korrigietj:, wenn die geringste Umgebungs-
änderung nicht von der gewohnten Anderung der Erscheinung beglei-
tet ist, wie sie nach Massgabe ihres erscheinenden Verhältnisses zur
5 Umgebung erfolgen müsste. Aus der Wahrnehmung wird so Einbil-
dung, aus dem wirklichen Ding wird ein bloss gemaltes, eingebildetes,
es ist nur blosser Schein, Phantasmagorie, usw.

<§ 13. Anwendung der bei den physisch-bildUchen


Vorstellungen erörterten M ögUchkeit der Unterscheidung
10 von den Wahrnehmungserscheinungen bzw. der
Möglichkeit der Täuschung auf die Phantasiebilder>

All das findet nun auch auf die Phantasiebilder Anwendung.


Ge set z t, es wären die präsentierenden Inhalte von denen der ent-
sprechenden Wahrnehmung absolut ununterscheidbar, so verhält sich
15 das Phantasiebild zur Wahrnehmungserscheinung genau so wie ein ihr
durch Hilfsmittel der Malerei, des stereoskopischen Sehens u. dgl. bis
zur Möglichkeit der Täuschung angenähertes Bild. Auch jetzt be-
stände die Möglichkeit der Unterscheidung, aber in sehr grossem Aus-
mass auch die Möglichkeit der Täuschung. Bei den gewöhnlichen
20 Phantasieerscheinungen verhält es sich bekanntlich ganz anders. Die
inhaltlichen Unterschiede sind unverkennbar, die Möglichkeit der
Verwechslung ist (ich wiederhole" in normalen Fällen) ausgeschlossen.
Geben wir also die obige Fiktion auf, lassen wir nun auch Inhaltsunter-
schiede zu, so könnten wir sie zunächst ganz von gleicher Art anneh-
25 men, wie sie zwischen den normalen Bildern (im gewöhnlichen Sinn
des Wortes) und den normalen Wahrnehmungserscheinungen statt-
haben.l De.s gewöhnliche Bild (das Gemälde, die Photographie u. dgl.)
täuscht uns nicht, obschon die präsentierenden Inhalte sich von denen
der Wahrnehmung gattungsmässig nicht unterscheiden und somit auch .
1 Ja, da haben wir aber den Widerstreit zwischen physischem Bild und Bild-
objekt, Bei Halluzinationen, die in das Blickfeld der Wahrnehmung sich hinein-
<;et/cn, haben wir den Widerstreitz wischen <dem> Tastfeld der aktuellen und dem
Ta,tfelcl, das bei der Wahrnehmungsauffassung hinzuapprehendiert ist. Oder die
HalluzinatIOn weicht nach dem Inhalt des erscheinenden Objekts von dem üblichen
ab, es WIrd durch die Erfahrung aufgehoben. "Halbe Menschen gibt es nicht." Hier
hdben wir Widerstreit zwischen dem, was das Erscheinende an Ergänzungen oder
\!omcnten fordert, und dem, was es wirklich erscheinungsmässig bietet. Ferner: Ein
Toter erscheint, Ein Abwesender, in Australien Lebender, ist da in der Erscheinung.
Das 1,t unmoglich, Die Erscheinung fordert einen ergänzenden Wahrnehmung!'.-
Lusammenhang, der mit dem gegebenen streitet.
In der alten Darstellung habe ich nur auf die Momente letzterer Art Rücksicht ge-
nommen, :-licht auf den Widerstreit, der zum physischen Bild in sich gehört.
134 BEILAGE I

die entsprechenden Erscheinungen keinerlei wesentliche Unterschiede


zeigen. Die Phantasiebilder könnten also in genau demselben Sinn von
den Erscheinungen der Wahrnehmung abweichen wie <die> gemalten.
Bei der Verschiedenheit der psychischen Zusammenhänge wäre darum
5 doch nicht eine Verwechslung der einen und anderen Bilder zu be-
fürchten.
Tatsächlich geht der Unterschied der Phantasiebilder von den
Wahrnehmungserscheinungen viel weiter. Es ist hier der Ort, auf die
gewöhnlich aufgeführten Unterscheidungsmerkmale mit einigen Wor-
10 ten einzugehen. Wir beharren dabei immer noch auf dem Stande, zu-
zusehen, wieweit wir mit bloss äusseren Unterschieden reichen. Wir
versuchen also immer noch, Empfindungen und Phantasmen als völlig
gleichartige, nur durch die Funktion unterschiedene Inhalte zu fassen.

<§ 14. Stetigkeit bzw. intermittierende Flüchtigkeit als


15 gewöhnlich aufgeführtes Unterscheidungsmerkmal der
Phantasiebilder von den Wahrnehmungserscheinungen>

Hier ist der Ort, um das unterscheidende Merkmal der Stetigkeit


bzw. intermittierenden Flüchtigkeit zu besprechen. Die äussere Er-
scheinung der Wahrnehmung ist stetig, sie erfüllt den Akt kontinuier-
20 lich aus. Die Phantasieerscheinung ist eben da und schon wieder ver-
schwunden, sie taucht plötzlich wieder auf und so in freiem Spiel.
Sonderbar genug scheint sich die einheitliche Aktintention, trotz des
intermittierenden Inhalts, durch die Lücken hindurch fortzusetzen.
Mit dieser intermittierenden Flüchtigkeit pflegt sich in der Regel auch
25 eine grosse Variabilität der Phantasiebilder zu verbinden. All das ist
aber blosse Eigenheit der Erscheinung, und nicht die des vorgestellten
Gegenstandes. Von diesem Wechsel rechnet ihm die Vorstellung nichts
zu. Das Bild ändert sich mit unfassbarer Flüchtigkeit und meint fort-
gesetzt die ungeänderte Sache. Ähnliche Verhältnisse finden sich ge-
30 legentlich auch in Gebieten der Wahrnehmung. Dasselbe ungeänderte
Objekt bietet bei intermittierender und wechselnder Beleuchtung auch
intermittierende und wechselnde Erscheinungen innerhalb einer, wie
es scheint, einheitlichen, durch all die Unterbrechungen stetigen Akt-
intention. Und in ihr wird er fortgesetzt als ungeändert wahrgenom-
35 men (beurteilt). Diese Analogie zeigt wieder, dass diese Unterschiede
sich nicht als Klassenunterschiede zwischen den Erscheinungen der
Wahrnehmung und Phantasie ausgeben können, soudern dass sie nur
kor r e I a t e Erscheinungen empirisch voneinander sondern, indem
sie eine besondere Anknüpfung für die repräsentativen Aktcharaktere
40 und die mitverbundenen Dispositionen bieten. Die intermittierende
BEILAGE I 135

Flüchtigkeit, die eigenartige Beweglichkeit und Inhaltsarmut, das


sind Merkmale, die sich einzeln'und den Elementen nach betrachtet
auch bei Wahrnehmungserscheinungen finden; aber so, wie sie im ge-
gebenen Fall bei einem P?antasiebild au!treten, bestimmen sie einen
5 hinreichend grossen sachhchen UnterschIed desselben von dem en t-
5 prec hen den Gegenstand möglicher Wahrnehmung. Solche Unter-
schiede, obschon sie sekundärer Natur sind, reichen doch hin, die ge-
wohnheitsmässige Anknüpfung des repräsentativen Charakters und
die Möglichkeit wesentlich geänderter Beurteilung zu gewährleisten.

10 <§ 15. Das Merkmal der Fülle. Die Frage nach dem
Intensitätsunterschied als Obergang zur Erörterung der
inneren Unterschiede. Ob auch bei Phantasiebildern von
psychischen Akten von Intensität zu reden sei>

Analoge Durchführung für das Merkmal der Fülle. Cf. die


15 früher ausgeschiedenen Blätter. 1 Verschwommenheit. Auch ein In-
te n s i t ä t s unterschied kann in gleichem Sinn fungieren.
Aber die Intensität scheint auch als absolutes Merkmal in Frage zu
kommen.
Dies führt uns zur Erörterung der inneren Unterschiede. Eigent-
20 lich ist schon bei der ganzen vorgängigen Erörterung die Frage zu er-
wagen, ob wir es nicht mit inneren, aber ausserwesentlichen Unter-
'ichieden zu tun haben. Kann genau dieselbe Erscheinung als Phanta-
sieerscheinung und ein ander Mal' als Wahrnehmungserscheinung
fun~ieren? Man wird sagen müssen: In Grenzfällen ist es möglich. Im
25 allgemeinen nicht.
Jedenfalls hat sich gezeigt', dass die Unterscheidbarkeit nicht aus-
geschlossen ist bei völligem Mangel an inneren Unterschieden, min-
destens an wesentlichen.
Es fragt sich nun, ob in den Inhalten selbst ein scharfer oder"
30 starker Unterschied anzunehmen ist. Intensität: Hat jeder konkrete
Inhalt eine Intensität?
~ei den psychischen Akten wird sie geleugnet. Aber auch von psy-
chIschen Akten habeniwir Phantasiebilder.

**
*

1 Vgl dazu die Textkritischen Anmerkungen, S. 631 ff. - Anm. d. Hrsg.


136 BEILAGE I

<§ 16. Deskriptive Einteilung der Vorstellungen nach dem


Gesichtspunkt direkter und indirekter (bildlicher)
Anschaulichkeit und Position>

Nach diesen Betrachtungen haben wir folgende, rein deskriptive


5 Einteilungen der Vorstellungen gewonnen: Nehmen wir als gegeben
den erst späterhin zu erforschenden Unterschied der anschaulichen
und begrifflichen (intuitiven und konzeptiven) Vorstellungen, so schei-
den sich bei den anschaulichen zwei Klassen voneinander: die Wahr-
nehmungsvorstellungen und die bildlichen Vorstellungen. Beiden ge-
10 meinsam ist, dass ein präsenter Inhalt gegenständlich aufgefasst wird,
oder wie wir auch sagen können, dass, während ein Inhalt erlebt wird,
durch ihn ein Gegenstand zur Erscheinung kommt. Aber in beiden
verbindet sich mit der gegenständlichen Auffassung eine verschiedene
Weise des Vorstellens - des Vorstellens im Sinne des auf etwas
15 Achten, damit Beschäftigtsein, es darauf abgesehen haben, es Meinen
(womit aber kein urteilendes Meinen verstanden werde). In der Wahr-
nehmungsvorstellung ist der erscheinende Gegenstand selbst gemeint,
und so stellt sie ihren Gegenstand als ihr gegebenen, als "selbst" er-
fassten vor. In der bildlichen Vorstellung hingegen ist nicht der er-
20 scheinende Gegenstand, sondern ein anderer gemeint, für den er als
Ähnlichkeitsrepräsentant fungiert. Die bildliche Vorstellung hat also
eine indirekte Art, sich auf ihren Gegenstand zu beziehen. Unmittel-
bar erscheint in ihr, leibhaft, das Bild: Es erscheint, wird aber im
prägnanten Sinn nicht vorgestellt, sondern veranschaulicht nur den
25 vorgestellten, aber "selbst" nicht erscheinenden Gegenstand. Wir
können hier unterscheidend von di r e k t ans c hau li c he n und von
indirekt anschaulichen Vorstellungen oder auch von anschau-
enden und veranschaulichenden Vorstellungen sprechen. Die Wahr-
nehmungen vermeinen ja, den Gegenstand anzuschauen, die bildlichen
30 Vorstellungen veranschaulichen ihn bloss im Bilde. 1
Mit allen diesen Vorstellungen können sich nun in nicht-aussagender
Weise Fürwahrhaltungen verbinden. Dürften wir den Ausdruck Wahr-
nehmung erweitern, so fände er passende Anwendung auf diese ganze
Klasse. Doch ist es besser, den ohnehin hinreichend vieldeutigen Aus-
35 druck nicht mit neuen Begriffen zu beschweren, die kaum auf all-
gemeine Annahme rechnen könnten. Wir wollen lieber von ans c h a u-
lichen Setzungen (Positionen) sprechen, indem wir unter
einer Setzung jede Art nichtprädikativer Seinserfassung verstehen,
also jede Art, in der ohne Prädikation von Existenz das Sein eines
40 Gegenstandes (Vorganges usw.) auf Grund irgendwe1cher Vorstellun-
gen angenommen wird. Die ans c hau I ich e n Setzungen bilden dann
diejenige Klasse, für welche anschauliche Vorstellungen die Grund-
1 Präsentierende und repräsentierende.
BEILAGE II 137

lage bilden. Sie zerfällt, gemäss unserer Einteilung der anschaulichen


Vorstellungen, in die Klasse der direkt anschaulichen Positionen, d.i.
der Wahrnehmungen, und in die Klasse der indirekt oder bildlich an-
schaulichen Positionen. Zu diesen letzteren gehören die Erinnerungen
5 und Erwartungen, soweit sie nicht konzeptiv vermittelt sind. Wieder
gehört zu ihnen jede setzende Auffassung eines im physischen Bilde
vorgestellten 'Gegenstandes. Dass es solche gibt, ist unzweifelhaft.
Z.B. ich blicke auf das Bild einer mir bekannten Person. Sie steht mir
im Bilde nicht nur einfach gegenüber, sondern ist zugleich vom Be-
10 wusstsein ihres Wirklichseins getragen. (Die natürliche Rede spricht
in diesen Fällen ebenfalls von "Erinnerung". Das Bild erinnert mich
an die Person, wobei allerdings auch an die Erregung von Erinnerun-
gen im anderen Sinne, die sich ja leicht anknüpfen werden, gedacht
sein kann.)

15 BEILAGE Ir (zu § 9)
<TROTZ MEINENDER ZUWENDUNG ZUM BILDDING
BLEIBT DIE ERREGTE ERSCHEINUNG DES
REPRÄSENTIERENDEN BILDES MITBEMERKT>
<wohl 1898>

20 \V enn wir uns einem als Bild fungierenden Gegenstand zu wen den,
so hört er darum nicht auf, Bild zu sein, wir achten aber vielleicht
nicht auf seine Repräsentation. Die Auffassung reicht weiter als die
Meinung. Ebenso verhält es sich, wenn wir uns einem physischen
Bild zuwenden (dem Erreger des repräsentierenden Bildes).
25 Wenn ich dieses an der Wand hängende Bild betrachte, aber nicht
als Bild, sondern eben als an der Wand hängendes Ding, so er-
sc h ein t doch das dargestellte Bild und es stellt vor ein gewisses
Sujet. Aber darauf achte ich nicht besonders.
Aber allerdings: Gar nicht die erregte Erscheinung zu bemerken, ist
30 unmöglich. Sehe ich das physische Bild, so sehe ich auch die erregte
Erscheinung. Aber es ist ein anderes, speziell auf das erregte Bild
achten, speziell in der Vorstellung des Sujets aufzugehen, und speziell
auf das physische Bild achten. Zum physischen Bild gehört Z.B. die
ra.uhe Papierfläche dieses Kupferstiches (China-Papier). Diese Be-
35 shmmtheit streitet mit der auf der Fläche erscheinenden Frauen-
gestalt. Das dargestellte Bild ordnet sich in eine Räumlichkeit, die
~nverträglich ist mit der im physischen Bild erscheinenden Räum-
lIchkeit. Und so gibt es Differenzen sonst.
138

BEILAGE III'(ZU § 14)


BILD - BILDOBJEKT - SACHE.
<ÄHNLICHKEIT ALS GRUNDLAGE DER ABBILDLICHKEIT>
<wohl um 1904/05>

5 Welches Verhältnis besteht zwischen Bild und Sache?


Welches Verhältnis besteht zwischen Bildobjekt und Sache?

1) Jedes "Bild" muss Träger eines sinnlichen Scheines sein,


es muss ein von ihm verschiedenes, mit ihm auf derselben Präsenta-
tionsgrundlage gebautes, also mit ihm in partiellem Widerstreit
10 stehendes "Bildobjekt" zur Anschauung bringen. 1
2) Darf das Bildobjekt der "Sache" vollkommen gleich sein? Darf
es auch nur einer "Seite" der Sache voll gleich sein? Abbildlichkeit
setzt selbstverständlich Ähnlichkeit voraus, ja sogar Gleichheit. Das
muss der Ausgangspunkt sein.
15 Aber a) Die Gleichheit muss das Anschauliche betreffen, die Er-
scheinung der Sache, nicht die unanschaulichen Bestimmungen al-
lein. b) Kann die Erscheinung des Bildobjekts dieselbe wie die der
Sache, völlig gleich mit ihr sein? Nein und ja, wie man es nimmt.
Würde die Bildobjekterscheinung wirklich völlig gleich sein, nicht nur
20 als momentane Erscheinung,sondern als zeitlich kontinuierliche Erschei-
nung, mit einer Sache, dann hätten wir normale Wahrnehmung und
kein Widerstreitsbewusstsein, keine Bildobjekterscheinung. Aber die
Bildobjekterscheinung kann vollkommen gleich sein einem Teil der
synthetischen Erscheinung und erst mit anderen Teilen streiten. Aber,
25 sowie nur ein' Teil, so haben wir einen anderen Widerstreit: Bild-
bewusstsein und Wahrnehmungsbewusstsein stören sich. Aber immer-
hin theoretisch möglich ist Bildbewusstsein hier. Nicht völlige Gleich-
heit, sondern Ähnlichkeit gehört zum rein sich abscheidenden, nicht
durch Rückfall in Wahrnehmungsbewusstsein der Sache gestörten
30 Bildbewusstsein.
3) Was für Ähnlichkeit? Worin besteht die Ähnlichkeit der
gemalten Plastik und der wahrgenommenen Plastik? Dass Drei-
dimensionales nicht empfunden hier, empfunden dort? Ein Teil der
Lokalzeichen fehlt und streitet mit anderen Lokalzeichen. Die!Zeich-
35 nung ist e ben, die Plastik ist dreidimensional.
Auch die Farbe ist eine verschiedene. Ich sehe aber, das Bild
(Photographie) grau, das Sujet erscheint nicht als gefärbt. Was das
Sujet in Hinsicht auf Farbe ist, das kommt nicht zum Bildbewusst-
sein. Hingegen "sehe" ich im Bild Plastik. Was macht den Unter-

1 Grund, warum es nur Gesichts- und Tastbilder geben kann. Während andere
Sinne für sich keine Bildlichkeit haben können. Aber die Kirchenglocke tönt im
Theater etc.
BEILAGE IV 139

schied aus? Die Graunuancen in ihren Helligkeitsabstufungen sehe


ich, ebenso die Abstände in der "Ebene". Ich empfinde grau und
Ebenes und deute die plastische Erscheinung hinein. Aber doch nicht
bloss symbolisch. (Auch die ferne Landschaft fasse ich plastisch auf,
5 ohne die Tiefenunterschiede zu sehen.) Es ist wohl analog wie die
Rückseite etc. symbolisch, aber lebendig zugehörig, in gesteigerter
Weise vielleicht sogar hier gelegentlich Halluzinationen, d.h. sinn-
liche Reproduktionen <hin>eingetragen in den Zusammenhang der
Empfindungs-Wahrnehmung. Aber wohl nicht dauernd, jedenfalls
10 wäre Widerstreit mit Empfindungs-Gegebenem. Natürlich, die Farbe
hat nicht diesen innigen Zusammenhang mit der Raumform, daher
wird sie nicht so "anschaulich" hineingedeutet. Schliesslich: Wie ge-
ring ist das Tiefen-Empfinden bei den meisten Wahrnehmungen. Die
Plastik ist also gegeben; aber in einer Weise gegeben, dass ein Teil der
15 hilfreichen Empfindungen, die sonst vorhanden sind und dem pla-
stischen Bewusstsein mehr Fülle geben, mehr "Kraft und Lebendig-
keif', fehlen und durch ihnen widerstreitende ersetzt sind. Die Farbe
der Sache ist nicht gegeben, die Plastik aber ist wenigstens im grossen
und ganzen gegeben. -
20 Die Sache stände anders, wenn Tiefe wirklich ursprünglich wäre,
gleichstände mit Länge und Breite, oder wenn Tiefe nur durch Be-
ziehung auf gewisse Tiefenzeichen venriittelt wäre. So wirkt vieles in
gleicher Tendenz und gibt in gleichem Sinn "Anschauung" von Tiefe.
Es fehlt hier nur einiges - näher auszuführen.

25
I
BEILAGE IV (zu § 15f.)
<EIGENTLICHE VORSTELLUNG - UNEIGENTLICHE
VORSTELLUNG>
<wohl 1904/05>

1) Eigentliche Vorstellung (Auffassung), unmittelbare An-


30 schauung.
1. Mit Präs e n t a,ti on (eigentliche präsentative Vorstellungen).
~as Jetzt im Jetzt. Das Objekt der Vorstellung jetzt, der Akt auch
Jetzt, beide "gegenwärtig":
Ir. Mit Repräsen ta tiOll (Vergegenwärtigung) (eigentliche <re->
35 präsentative Vostellungen).
Phantasie- und Erinnerungsvorstellungen: besser Erinnerungsvor-
stellungen im weiteren Sinn.
D~r Akt gegenwärtig, der Gegenstand nichtgegenwärtig. Im Jetzt das
Nlcht-J etzt vergegenwärtigt.
40 2) Yneigentliche Vorstellung.
1. I?1~ bildlichen, Vorstellungen (im,wahren Sinn bildliche, imagi-
natw 1m strengen Sinn)
140 BEILAGE IV

1) durch präsentative Bilder: auf dem Grund von Wahrnehmungen.


2) durch repräsentative: auf dem Grund von Phantasievorstel-
lungen ; sich in der Phantasie ein Bild von etwas machen, dessen man
sich nicht erinnert.
5 II. Symbolische Auffassung.
Man könnte den Titel 2) auch als symbolische <Vorstellung> im
weiteren Sinn bezeichnen.
Wie hängt diese Scheidung mit derjenigen zwischen direkten und
indirekten Vorstellungen zusammen?
10 Indirekte Vorstellungen, die ihre Gegenstände als Gegenstände
anderer Vorstellungen oder zu so vorgestellten Gegenständen in Be-
ziehung stehend vorstellen. Logische Untersuchungen <S.> 543. 1
Bildliehe Vorstellung: den Gegenstand als Analogon des durch
die Bildvorstellung vorgestellten Gegenstandes vorstellend.
15 Symbolische Vorstellung: den Gegenstand als Bezeichnetes, als das,
worauf das Zeichen hinweist <, vorstellend>. Aber in dem Sinn von
<S.> 543 ist das nicht. Die Erfüllung ist nicht eine mittelbare, und die
Vorstellung enthält nicht eine Vorstellung als Objekt. Die Bildvor-
stellung stellt ihren Gegenstand als Analogon des Bildobjekts vor.
20 Dieses steht erscheinungsmässig da, seine Vorstellung geht uns nichts
an, und dieser Gegenstand steht charakterisiert als Ähnlichkeits-
repräsentant : eine ähnliche Charakteristik, wie sie das Symbol hat, nur
dass der Gehalt des Symbols uns gleichgültig, der des Ähnlichkeitsreprä-
sentanten uns wichtig ist. Der repräsentativ fungierende Gehalt (nicht
25 der ganze Gehalt des Bildobjekts braucht den Charakter des repräsen-
tativen zu haben) gilt als Verähnlichung des Gemeinten. Etwas der
Art, ein x, das so und so geartet ist, das ist das Gemeinte. Oder über-
haupt das dem Ähnliche, das Dargestellte. Natürlich nicht durch
Vermittlung solcher Gedanken. Nichts von diesen kategorialen For-
30 men. Ebenso wie beim Symbol. Wir stellen nicht vor: das durch ,,7t"
Bezeichnete, sondern wir verstehen 7t; es bedeutet uns dies und das,
das uns in der Weise einer leeren Intention "bewusst" ist. So ver-
stehen wir das Bild, wir schauen uns hinein, wir gehen in eigentüm-
licher Weise über das Bildobjektbewusstsein hinaus, während wir
35 doch auch darin leben, und tritt eine lebendige und reichere Phantasie-
vorstellung des Abgebildeten ein, so steht damit das Sujet vor Augen,
die Intention erfüllend, wobei das Analogisierende des Bildobjekts mit
dem Bildsujet zur "Deckung", zum einheitlichen Gleichheitsbewusst-
sein kommt. Der Bildinhalt ist hier bei der Erfüllung wesentlich be-
40 teiligt. Und zugleich sieht man, dass von "begrifflichen" Elementen,
von allem Beiwerk "höherer" intellektueller Funktion hier nichts
vorhanden ist. Denn das müsste sich in der Erfüllung zeigen, auch das
Kategoriale bedarf der Erfüllung.

1 VgI. VI. Untersuchung, § 18, S. 542 f. (1901). - Anm. d. Hrsg.


141

BEILAGE V (ZU §§ 15f., § 25 und § 'Zl)


BILDVORSTELLUNGEN (BILDLICHE - SYMBOLISCHE).
<ÜBERGANG VOM BILDBEWUSSTSEIN ZUM BEWUSSTSEIN
ANALOGISCHER REPRÄSENTATION (SYMBOLBEWUSSTSEIN».

5 KLARE EMPIRISCH ZUSAMMENHÄNGENDE


PHANTASIEVORSTELLUNGEN
<wohl um 1905>

Physische Bildobjekte. Kann ich einen Zwilling als Bild für einen
anderen nehmen? Ich kann den einen als Bild-Symbol für den anderen
10 nehmen: Ich stelle z.B. vor: ein anderer, mit ihm bis auf geringe
Unterschiede gleicher, gleich erscheinender Mensch. Das Ölbild eines
Menschen, den ich nicht kenne: "jemand, der durch dieses Bild dar-
gestellt wird".
a) Das im Bild innerlich Vergegenwärtigtsein hinsichtlich der ana-
15 logen Momente.
b) Das über das Bild Hinausweisen durch die nichtanalogen Mo-
mente.
Würde ich das Bildobjekt nehmen, so wie es erscheint, so hätte ich
kein Bildobjekt. Ich würde das Bildobjekt betrachten wie irgend-
20 einen sinnlichen Schein sonst. Wie irgendein erscheinendes Objekt,
das mit einem Widerstreit behaftet ist.
Weisse Büste: Weisser Kopf (zugehörig psychische Phänomene
etc.). Weiter in umgekehrter Linie aber nichtweiss. Natürliche Ge-
sichtsfarhe. Kleiner Kopf - grosser Kopf.
25 Verschiedene Auffassungen sich durchdringend. Erfassungszusam-
men~ang. Was heisst das, im Bild die'Sache vergegenwärtigt haben?
Im Ahnlichkeitsbewusstsein leben und Verschmelzung der ähnlichen
Momente mit den nicht-analogisierten, aber mitintendierten, durch
Angrenzung zugehörigen. Ferner: Analogie dieses Ganzen mit dem
30 Intendierten (Änderung der Grösse, Ergänzung in entsprechende
Grösse, Perspektive etc.). Hat also nicht jedes Bild äussere Bezie-
hung notwendig in sich?
Dem Bildobjekt hängen nicht einfach äussere Intentionen durch
blosse Angrenzung an, so wie dem gewöhnlichen Zeichen, sondern das
35 BII.dobjekt vergegenwärtigt in sich durch analogisierende Züge das
SUJet, aber diese sind mit anderen Sujet-Intentionen verflochten, die
mIt den zum Bildobjekt gehörigen und erscheinenden streiten. Inso-
fern geht das Sujetbewusstsein durch das Bildobjektbewusstsein hin-
durch und daruber hinaus, und tatsächlich ist etwas anderes gemeint,
40 a~s w~s erscheint, etwas anderes, und doch im Erscheinenden (hin-
sIc~tl~ch der ähnlichen Züge) Vergegenwärtigtes. Erfüllung findet die
SUJetlI~tention durch ein Original. Eine vorläufige durch eine an-
schaulIch vollkommene Phantasievorstellung : Da wird gewonnen,
142 BEILAGE V

aber auch verloren. Denn die ähnlichen Züge im Bildobjekt geben


mehr als die entsprechenden im Phantasiebild. Nur dass die Phantasie
mit einem Schlage gibt, einheitlich, oder nach allen Erscheinungs-
momenten gibt, ohne Widerstreit in sich.
5 Hier decken sich also Sujet- und 'Bildobjektintentionen nach
seiten des Analogisierenden. Anstatt reiner Decknng (Gleichheits-
bewusstsein, ja Identitätsbewusstsein : Man schaut darin das Sujet,
es erscheint darin so, wie es wirklich ist) ist aber auch möglich un-
reine, unvollkommene Deckung. Neigung zur Deckung, Deckungs-
10 beziehung, die aber doch keine wirkliche Deckung ergibt. Das ist der
Fall der mehr oder minder vollkommenen Ähnlichkeit.
Ähnliches erinnert nicht nur an Ähnliches, sondern hat auch die
Neigung, sich mit dem Ähnlichen zu überschieben, zu decken. Z.B. die
plastische Form kann als die des Objekts selbst gelten, so ist es wirk-
15lich. Darin sehen wir, ..wie es ist. Vergegenwärtigung. Sie kann aber
auch gelten als blosse Ahnlichkeit. Schlechte Reproduktion. Deckung
und dabei Abstandsbewusstsein in verschiedenen Graden. Die Kontur
der Madonna "ungefähr". Und doch anders. Und so in allem. Hier
schauen wir nicht im Ähnlichen das Ähnliche, sondern wir haben
20 während wir dem Ähnlichen des Objekts zugewt;.ndet sind, das Sujet~
bewusstsein verworren sich deckend mit dem Ahnlichen, aber doch
ein Bewusstsein des Anders. Ohne dass die beiden etwa nebenein-
ander wären. Sie scheiden sich nicht, bilden keine Zweiheit der Er-
scheinung. Die Erscheinung ist nur eine, die des Bildobjekts (so er-
25 scheint ja auch nicht das "anders" der Farbe und wird doch gefühlt).
Die Erscheinung siegt natürlich. Aber die Beziehung auf das Sujet
ist da, ist partiell in Deckungsintention, aber mit Abstand. Ganz
anders wie bei den übrigen Momenten, wo nicht Ähnlichkeit mit Un-
ähnlichkeit sich mischt, sondern reiner Widerstreit, nichts von Ähn-
30 lichkeitsbewusstsein <vorliegt>.
Wir haben hier noch Darstellung des Sujets im Bildobjekt, aber
unreine Darstellung, wir haben nicht Selbstvergegenwärtigung in den
gleichen Zügen, sondern unreine Darstellung, eine fälschende
Unterscheidung des Ähnlichen (mit Tendenz zur Verschmelzung),
35 eine blosse Verähnlichung, die das Bewusstsein vom Sujet lebendig
macht, aber nicht als eine Vergegenwärtigung desselben im Erschei-
nenden gelten kann. Je unreiner die Darstellung ist, um so mehr geht
das Bildbewusstsein über in das Bewusstsein der "Erinnerung" des
Erscheinenden an ein anderes, in dem und jenem Ähnliches. Das
40 Bildbewusstsein geht über in das Symbolbewusstsein
(im engeren Sinn) oder besser in das Bewusstsein an a log i s c her
Re prä sen tat ion. Bildbewusstsein und Symbolbewu~stsein sit~d
miteinander also so stetig vermittelt wie Gleichheit und Ahn~ichkelt.
Identitätsbewusstsein und Verschiedenheitsbewusstsein als Ahnlich-
45 keitsbewusstsein, das Bewusstsein eines Abstandes itnplizierend.
Andererseits aber ist doch wieder ein stärkerer Schnitt. Denn das
BEILAGE V 143

e c h t e Bildbewusstsein sieht eben wahrhaftig im Gleichen das


Gleiche, es ist charakterisiert durch das Bewusstsein der reinen Ver-
gegenwärtigung. Und das ~st ~twas völlig ?hänome~ologisch Char~­
terisiertes. Nur das "unreme Bewusstsem hat seme Grade. Es 1st
5 noch Bi I d bewusstsein, solange wir im erscheinenden Objekt ein
Bildobjekt haben, indem wir das Sujet wenigstens nach gewissen Mo~
men ten (das Räumliche muss es sein, die Farbe genügt nicht: warum?)
vergegenwärtigt finden.! Sobald wir die Unreinheit fühlen, können
wir im Objekt das Sujet nicht mehr sehen, gleich als wäre es selbst da;
10 es ist dann also nicht mehr eigentliches Bewusstsein der Vergegen-
wärtigung hinsichtlich des Gleichen. Es ist ~insichtlich der analo-
gischen Momente nur eine Darstellung durch Ahnlichkeit und nimmt
schon den Charakter des "Erinnerungs"bewusstseins an (T e r m i n 0-
log i e!). Oder es streitet Vergegenwärtigung mit "Erinnerung": Wir
15 haben den Gegenstand vor uns, und doch ist er es wieder nicht, es ist
ein Widerstreit in dem Verähnlichenden selbst. Ist der Abstand sehr
gross, dann vollzieht sich nicht mehr eine Tendenz auf de!?kende Iden-
tifizierung, sondern es ist blasse Hieroglyphe, biosses Ahnlichkeits-
zeichen, wobei wir im Inhalt des Zeichens die Meinung finden an das
20 Ähnliche, oder durch Hineinblicken in den Inhalt uns gleichsam ge-
nähert fühlen dem Sujet, ohne dass beide ineinanderflössen und ein
Bewusstsein 'der Vergegenwärtigung, gestört durch Abweichung von
der Linie der Gleichheit, zustandekäme.
Eine grobe Silhouette kann noch als Bild, und zwar ganz rein emp-
25 funden werden, wenn wir eben unser Interesse auf das konzentrieren,
was hier zur Darstellung kommt. Geht es weiter, so überwiegt schon
die "Erinnerung". Weicht sie aber sehr weit ab, wie eine Kinder-
zeichnung eines Menschen, dann meint das einen Menschen, wir er-
kennen dies, wir werden daran gemahnt und wissen, dass das einen
30 Menschen darstellen soll, aber wir schauen es doch nicht mehr hinein.
Oder "ielleicht doch noch ein wenig. Wir haben den Menschen in
Deckung, die beiden überschieben sich, aber geben weit klaffende
Unterschiede. Der Unterschied ist so grass, dass wir nicht mehr uns
gestört fühlen durch das Bewusstsein der Verfälschung bei der Neigung
35 zur Identifizierung, sondern es fehlt die Neigung zur Identifizierung,
und. bei dem grossen Abstand finden wir die Darstellung lächerlich.
Indranerzeichnungen, hieroglyphische Zeichen.
Also einmal reine Identifizierung, d.i. unterschiedlose Deckung,
K?ngruenz, das andere Mal eine überschiebung zweier Intentionen
40 mIt dem Bewusstsein: dasselbe sei gemeint. Sie sind in Beziehung ge-
ü tzt , .zur. synthetischen Einheit gebracht. Sie geben ein gewisses
~eremstJmmungsbewusstsein, .!Lber nicht Kongruenz, vielmehr a)
Naherungs-Gleichheit, nämlich Ahnlichkeit, in der eins in das andere
",~erfliesst und doch wieder als anders empfunden wird, b) rohe Ähn-
45 hchkeit, die jedes Verfliessen ausschliesst, innerhalb einer allgemeinen

1 Warum mus s die Plastik das Fundament des Bildbewusstseins ausmachen?


144 BEILAGE VI

Ähnlichkeit (übereinstimmung) und Synthesis der intentionalen Iden-


tität, starker Widerstreit.
Dabei: Das eine erinnert an das andere und soll, will es darstellen
(Symbolcharakter), das macht die Aufeinanderbeziehung, nämlich
5 das Erinnern und durch Ähnlichkeit Erinnern: im einen einen Nach-
klang, ein Analogon des anderen finden. Und beim Symbol: oe mein t
A, im einen soll das andere dargestellt sein. Aber es ist nicht dar-
gestellt, es ist ein blosser Hinweis, eine biosse Meinung.

BEILAGE VI (zu § 17)


10 <WARUM DIE NATUR, EINE LANDSCHAFT ALS
"BILD" WIRKT - ÄSTHETIK: INTERESSE AN DER
ERSCHEINUNG. DINGERSCHEINUNGEN DRÜCKEN
IMMER VON INNEN HER ETWAS AUS FÜR DIE
BETRACHTUNG DER KUNST>
15 <wohl 1906>

Historische Bilder durch Überschriften als solche bezeichnet. Das


Sujet erst bezeichnet und dann bildlich dargestellt. Musik durch
überschriften als darstellende Musik bezeichnet. Symphonie Pastorale.

20 Warum wirkt die Natur, eine Landschaft! als "Bild"? Ein fernes
Dorf. Die Häuser "kleine Häuser". Diese kleinen Häuser haben a) eine
geänderte Grösse gegenüber den Häusern, wie wir sie gewöhnlich
sehen, b) eine geringere Stereoskopie, geänderte Färbungen etc. Sie
werden ähnlich 2 als Bilder aufgefasst wie Spielzeughäuser. Ebenso
25 Menschen: Puppen.3
Wir fassen sie in der Bildbetrachtung als nichtgegenwärtig : als
Bilder.4 Gegenwärtig"'unsere nächste Umgebung, das, was wir "sehen,
so wie es ist". Wir nehmen die Erscheinungen des Dorfes, der kleinen
Menschen etc. als Bilder für die nichtgegenwärtige mögliche Gegen-
30 wart, für Erscheinungen, die wir haben würden, wenn etc. 5

1 In der Abschrift eingefugt : "mitunter" - Anm. d. Hrsg.


a "ähnlich" fehlt in der Abschrift. - Anm. d. Hrsg.
3 "Puppen" in der Abschrift verändert in "kleine Püppchen". - Anm. d. Hrsg.
4 "als nichtgegenwilrtig: als Bilder" in der Abschrift verandert in "nicht als gegen-
wärtig: eben als Bilder". - Anm. d. Hrsg.
5 Der letzte Satz in der Abschrift verändert in: "Wir nehmen die Erscheinungen
des Dorfes, der kleinen Menschen etc. als Bilder: für die nicht aktuell mögliche
'Gegenwart' (die nichtgegenwärtige Gegenwart, wie wir paradox sagen könnten), für
ErSCheinungen, die wir haben würden etc." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE VI 145

Ästhetik

Wir unterscheiden: Interesse an, der Erscheinung (dessen, was


wirklich "Anschauung" ist, aber Anschauung doch von der Sache).
Interesse an der Sache.
5 Ästhetisch kommt die Erscheinung in Frage. Ist jedes Interesse an
der Erscheinung ästhetisch? Gewiss nicht. Das psychologische nicht.
Das rein "sinnliche" Interesse? Das Interesse an der Erscheinung, so
wie sie eben ist, und nicht zu theoretischen Zwecken, zu erkenntnis-
theoretischen, zu psychologischen etc. "Die Freude an der Wahr-
10 nehmung", aber vielmehr Freude an der Erscheinung. Verschiedene
Erscheinungen desselben Gegenstandes nicht gleichwertig in dieser
Gefuhlsrichtung. Aufstellung von Vasen, Aschenbechern etc. im Salon.
"Welche Stellung macht sich am schönsten?"l
Schon das ist also ästhetisch. Da ist die günstigste Erscheinung aus-
IS gewählt. a) In sich das Maximum sinnlicher Momente und Komplexion
enthalten, die in dieser Komplexion Wohlgefallen erwecken. b) Klare
Weckung des Gegenstandsbewusstseins, obwohl das Interesse nicht
den Gegenstand als Glied der ,wirklichen Welt betrifft, nach seinen
gegenstandlichen Eigenschaften, Relationen etc., sondern eben nur
20 die Erscheinung. Aber da nun einmal die gegenständliche Auffassung
da und natürlich unvermeidlich ist, da die Funktion des Gegen-
standes, seine Zwecke etc. miterregt sind, so sollen sie es in klarer
Weise. Der Gegenstand, selbst, seinem Zweck angemessen, sonst
Widerstreit zwischen der Form des Gegenstandes und seiner Funktion.
2S Ein Missfälliges eingemengt. Die Form, zugleich die Funktion in klarer
Weise ausprägend, ausdrückend, in gewisser Weise abbildend, näm-
lich möglichst analogisierend, (möglicJ?st anschaulich).
So auch bei Menschendarstellung. Gruppe. Kein Haufen von
Me>lschengliedern, bei denen man nicht recht weiss, wohin sie gehören.
30 Zu welchem Kopf gehören diese Beine, diese Arme etc.? Was tut die,
wo steht er? Charakteristische Stellung. Momentphotographie : Unter
den unzähligen sonderbaren Stellungen, die wirklich vorkommen,
welche ist die "gesehene", und unter den gesehenen, welche ist die .
"beste". Jeder Nerv, jeder Muskel auf die Handlung abgestimmt.

1 Eine Hauptsache ist hier nicht erwogen: In der psychologischen Einstellung ist
die ErschelIlung Ge ge n s t a,n d j in der ästhetischen Einstellung betrachte ich nicht
die Erschemung und mache sie nicht zum theoretischen Gegenstand j ich betrachte
wahrnehmend den Gegenstand oder ih der Bildbetrachtung den abgebildeten durch
das MedIUm des BIldes, und doch bin ich nicht in theoretischer Einstellung, in der
Ich auf das "Sein" (wahrhafte Sein) gerichtet bin, etwa es zu bestimmen oder auch,
In praktl,cher Emstellung, es umzugestalten, es mir zuzueignen, es zu begehren, mich
~aran als W,rkhchkeit zu freuen. Es ist ein Gefallen, das die Existenz ausser Spiel
asst und wesentlIch bestImmt ist durch die Erscheinungsweise. Ist es ein Gebrauchs-
~egenstand, so 1st nicht die Existenz als Gebrauchsgegenstand in Frage, sondern wie
er Gebrauchsgegenstand als solcher sich darstellt etc.; und so manches andere -
Siehe Text und Kants Lehre.
146 BEILAGE VII

Nichts Gleichgültiges, Zufälliges. Etc. Möglichst viel Ausdruck, d.i.:


möglichst kräftige und möglichst erscheinungsmässige, anschauliche
Erregung des Gegenstandsbewusstseins, und zwar nicht des Dinges
Mensch, sondern des Menschen in seiner Funktion, in seiner Tätigkeit
5 (Ringkämpfer), in seinem Tun und Leiden, was eben Gegenstand der
Darstellung sein soll. Und möglichst Einheitlichkeit. Der Ringkämpfer
kann ja gleichzeitig Bauchweh haben, und das Bauchgrimmen kann
sich im Gesicht ausdrücken. Aber das wäre ein schönes ästhetisches
Objekt: Ein Ringkämpfer oder Diskuswerfer, der gleichzeitig Bauch-
10 weh hat. 1

BEILAGE VII (zu §§ 22, 24-26 und 32)


WIDERSTREIT ALS FUNDAMENT DER BILDLICHKElTSVORSTELLUNG
<WIDERSTREIT ZWISCHEN DEM ERSCHEINENDEN UND
DEM~PIRISCH GEFORDERTEN: LOGISCH VERMITTELTER,
15 NICH~LOSS SINNLICHER SCHEIN. WIDERSPRUCHSLOS
ERSCHEINENDES "IST", GILT>
<wohl um September 1906>

Der Hinblick auf meine alten Darstellungen macht mich aufmerk-


sam, dass ich in den Vorlesungen nur <auf> eine spezielle Klasse von
20 empirischen Widerstreitsmotiven Rücksicht genommen habe, gerade
auf die Klasse, die ich früher übersehen hatte.
Die Art, wie das Bildobjekt in der physischen Bildlichkeit sich als
Scheinobjekt charakterisiert, der empirische Widerstreit zwischen er-
scheinendem Bildobjekt und physischem Objekt ist nicht die einzige
25 Art von empirischem Widerstreit. Zunächst bei den physischen Bil-
dern selbst eine andere Art von Widerstreit: die grau erscheinenden
Menschen: Solche gibt es nicht. Die Menschenerscheinung fordert die
und die Farben, die und die Grössen, die und die Bewegungen, die und
die Veränderungen bei der Bewegung des Blickes usw.
30 Ferner. Bildobjekte dieser Art sind ja nicht die einzigen Schein-
objekte. Z.B. Halluzinationen inmitten des Gesichtsfeldes. Nicolais
halbe Menschen etc. Auch da haben wir empirischen Widerstreit,
aber nicht gegen ein physisches Bild und auch nicht gegen die Um-
gebung, sondern Momente der Erscheinung fordern empirisch gewi~e
35 andere Momente, gewisse Ergänzungen, die hier fehlen etc. Widerstreit

1 Die "Dinge", d.i. die Dingerscheinungen drücken immer etwas aus, bedeuten
etwas, stellen etwas dar, nämlich für die Betrachtung der Kunst. Ästhetische Er-
scheinungen sind ausschliesslich Erscheinungen, die eben etwas ausdrücken, dar-
stellen, und dies nicht in der Weise eines leeren Zeichens. Sie drücken i=er von
innen her aus, durch ihre Momente, durch Momente der Analogie, und dann erst
kommt der asthetische Unterschied des "schöner" und "minder schön", des "schön"
und "hässlich" in Betracht. Was nichts ausdrückt, ist das ästhetische &aL~CPOPOV.
BEILAGE VII 147

also zwischen dem Erscheirlenden und dem empirisch


Geforderten. Die empirische Forderung kann sich beziehen auf
den Inhalt des Gegenstandes, also auf den inneren Zusammenhang
möglicher Erscheinungen, d~r zu deI?- einen und selb~n Objekt ge-
5 hört und gehören "kann". SIe kann sIch aber auch beZIehen auf den
äusseren Zusammenhang des Objekts mit anderen Objekten in der
Einheit der Wirklichkeit (der "Natur"). Da kommt aber nicht nur der
unmittelbare intuitive Zusammenhang mit der Umgebung (intuitive
Gegenwart) in Betracht, sondern auch der Umkreis der Erinnerungen,
10 die "denkende Bearbeitung" der Erfahrung, die Ergänzung der eige-
nen Erfahrung durch Mitteilung Anderer usw.
Das Objekt erscheint als A, aber es zeigt da Eigenschaften, die un-
seren Kenntnissen widerstreiten und unseren allgemeinen Kenntnissen,
unseren Erfahrungsgesetzen. Unsere Kenntnisse bestimmen Erwar-
15 tungen, die sich nicht erfüllen, fordern Eigenschaften, die sich nicht
vorfinden. Ist das Urteil fest, so kann A nicht sein, oder nicht so sein
etc. Das ist also ein logisch (intellektuell) vermittelter
Schein, nicht ein bloss sinnlicher Schein.
Das widerspruchslos und direkt Erscheinende, auch durch keine
20 äusseren Intentionen <Be>strittene (also nicht die Rede von Bild-
lichem und Symbolischem), "ist", es gilt. Was mit widerspruchslos
Erscheinendem (Gegebenem) streitet, ist nicht.
Das in der Erinnerung bildlich Erscheinende (wofern es keinen Wi-
derspruch mit dem Gegenwärtigen zeigt), also unbestrittene Erinne-
25 rung, gilt ohne weiteres als gewesen. Was erwartet wird, das "wird
sein". Phantasiertes gilt überhaupt nicht; lässt es sich einordnen in
den Zusammenhang eines Erinnerungsfeldes, so war es, wenn in den
Zusammenhang eines Erwartungsfeldes, so wird es sein. Streitet es,
so ist es nicht.
30 . Kann es nicht erscheinen, und sich a) ~irgends einordnen lassen, in
kein Feld des zeitlichen Seins, b) erscheinen und doch nicht wider-
streiten mit irgendeinem Feld des zeitlichen Seins? b) ist Unsinn.
Hineingesetzt in ein Feld, passt es hinein oder streitet damit. Eins
oder das andere. Also a) und b) ist dasselbe. Alles zu Phantasierende
35 zerfällt in solches, das einem Feld angehört oder nicht angehört. Im
:rsten Fall ist es (in der Zeit), im anderen Fall ist es nicht (nicht
Jetz~, n~cht gewesen, nicht künftig). Hier"" ist freilich nicht zwischen
subjektiver und objektiver Zeit unterschieden. Nun aber: Alle Zeit-
felder <bilden> den einen Zusammenhang den kontinuierlichen der
40 Zeit usw. . ,
I.n ~ewisser Weise ist b) aber doch kein Unsinn. Nämlich, ein Phan-
tasleblld kann erscheinen in einem Phantasiefeld und daher ohne
~.viderstreit mit irgendeinem Erinnerungsfeld. Dann fehlt der Er-
45 ;nerun~s- und belief-Charakter. Inwiefern sagen wir, es-':sei blosse
hantasle, und nichts Wirkliches? Es erscheint nicht als;wirklich,
als gegenwärtig, vergangen, künftig. Aber darum noch nicht ohne
148 BEILAGE VIII

weiteres als unwirklich. Die Möglichkeit der Einordnung, in eine


Wirklichkeit kann ja bestehen. (Wirklich ist ja das Gegenwärtige, Ver-
gangene oder Künftige.) a) Was nicht in Wahrnehmung, Erinnerung
und Erwartung gegeben ist, aber durch "Verknüpfung" mit dieser
5 Urwirklichkeit als gegenwärtig (obschon nicht wahrgenommen), ver-
gangen (obschon nicht erinnert)', künftig (obschon nicht erwartet)
gilt und gelten muss! und dazu das Soll in all diesen Fällen, das "ob-
jektiv gültig". b) Was die Möglichkeit von vornherein ausschliesst und
die blosse~.ti?n ch~rakterisiert. Zentauren h~t man nicht gefunden:
10 Es besteh kemerlei Erfahrungsgrund für Ihre Annahme. Leere,
"grundlos " Einbildungen.
I

BEILAGE VIII (zu §§ 22, 24-26 und 32)


<FRAGE NACH DEN ARTEN DES WIDERSTREITS BEI DEN
FIKTA DER PHANTASIE UND DER ERINNERUNG -
15 WIDERSTANDSLEISTUNG DER ERFAHRUNG>
<wohl 1906>2

Ein Fiktum haben wir bei der physischen Bildlichkeit aus doppelten
Gründen:
1) Widerstreit durch Hineinsetzung in die Umgebung der "Wirklich-
20 keit"
2) Empirischer Widerstreit (Menschen in photographischen
Farben gibt es nicht).
Ebenso die Fikta der Phantasie? Sie gelten nicht als wirk-
lich, weil sie durch ihnen anhaftende Erfahrungsforderungen bestritten
25 werden? Das würde auch gelten für ihre Flüchtigkeit, ihren Wechsel,
ihr Intermittieren. Immerfort werden dadurch empirische Forderun-
gen verletzt. Andererseits sind sie nicht so, wie sie da erscheinen, ge-
meint, sondern ein Gegenstand ist in ihnen analogisiert. Also wirklich
Bildlichkeit.
30 Nicht ein festes Bildobjekt repräsentiert die Sache, sondern flüch-
tige und mannigfaltige Erscheinungen, wechselnde, schwankende
Bildobjekte ergebend, tragen das Bildlichkeitsbewusstsein.
Dazu ein anderer Widerstreit: derjenige gegen die Wahrnehmung;
das ist aber ein ganz andersartiger als der der physischen Fikta.
35 Auch bei klaren und festen Erinnerungen und Phantasien nicht
anders: Die Sachen stehen selbst da und doch wieder nicht da. Nicht
nur die Wahrnehmung sträubt sich gegen sie, sofern sie, auch wenn
wir nicht in ihr leben, eine Kraft des Widerstandes behält, sondern
auch die Erfahrung leistet Widerstand. Wenn wir auch die Un-
1 "und gelten muss" wohl schon zur Zeit der Niederschrift gestrichen. - Anm. d.
Hrsg.
9 Abschrift. Die Auffassung ist nicht festgehalten worden.
BEILAGE IX 149

angemessenheit der Fülle nicht deutlich merken, so finden wir' Ähn-


liches wie beim physischen Fiktum. Gemalte Farben sind nicht ganz
so wie wirkliche. Die Differenz k' a n n wahrgenommen werden. J eden-
falls auch ohne aktuelles Widerstreitsbewusstsein doch ein' Bewusst-
5 seinscharakter, der mitwirkt.

BEILAGE IX (zu §I 17, § 25 und zum 6. Kapitel)


<OB PHANTASIEVORSTELLUNG BILDLICHE VORSTELLUNG SEI -
MEHRFACHE BILDLICHKElT: UNEIGENTLICHE VORSTELLUNG
DURCH MEHR ODER MINDER VOLLKOMMENE ABBILDER

10 GEGENÜBER EIGENTLICHER VORSTELLUNG DES IM


ÄSTHETISCHEN BILDBEWUSSTSEIN GEMEINTEN
(ERFÜLLUNG DER BILDINTENTION); RICHTUNG DES INTERESSES
AUF DAS IM BILDOBJ'EKT SICH-DARSTELLEN DES OBJEKTS-
NOTE : KEIN GEFÜHL DER UNEIGENTLICHKElT HINSICHTLICH
15 DES DARGESTELLTEN BEIM KÜNSTLERISCHEN BILD;
STUFEN DER ÄHNLICHKEIT BEIM BILD-, SYMBOL- UND
ZEIGHENBEWUSSTSEIN: SOLLENSCHARAKTER DES
HINWEISENS -I BETRACHTUNG DES FECHNERBILDES -
::VIEHRFÄLTIGE BILDLICHKElT IN BILDENDER KUNST UND
20 MUSIK: ZUR FRAGE D,ES ADÄQUATEN BILDES, VERGLEICH
DER DARSTELLUNG MIT DEM IDEAL: VIELDEUTIGKEIT DER
ÄSTHETISCHEN APPERZEPTION>!
<wohl 1905> '

Ist die Auffassung der Phantasievorstellung als Bild vor s t e 1-


25 1u n g nun wirklich berechtigt?
Das Bedenken, das sich hier aufdrängt, betrifft die angeblich erste
Auffassung, die das Bild aber noch nicht als Bild liefert. Bei Gemälde,
Büste usw. ist die Sache klar. Da sehe ich zunächst eine weisse Ge-
stalt, kleinwinzig etc., das ist die "Himmlische Liebe". Ich sehe den
30 "Hintergrund", eine graue Landschaft, fernen Kirchtum, Schafherde,
etc. Freilich, ich nehme das nicht als" wirklich". Es ist nicht. Es wider-
st:.eite~ ja dem Wirklichen der Umgebung. Aber es erscheint gegen-
standhch. Nun stellt es ,aber etwas vor.
Hier könnte ich sagen: Es stellt Tizians Bild vor. Was würde
35 darin liegen? Es weist als Ähnlichkeitsrepräsentant hin auf das Ge-
l Dipse Blatter enthalten neben. der allgemeinen ErörterUIlg (ob Phantasievorstel-
lung blldlJche Vorstellung ist) sehr wichtige Ausführungen über bildliche Vorstel-
lunge~, inSbesondere über bildlich symbolische VorstellUIlgen auf der einen Seite und
aS~hetlsche Bildvorstellung (im Bildobjekt das Sujet immanent erfassen) anderer-
seits,
150 BEILAGE IX

mälde, in dem dieselben Gegenstände "in anderen Dimensionen" und


vor allem farbig erscheinen. Die Phantasie bringt es mir vielleicht ent-
gegen: Das ist es, was das Bild darstellt, dessen photographische Re-
produktion dies da ist. Hier haben wir also das Wesen der Bildreprä-
5 sentation klar. Wir haben ein Bedeutungsbewusstsein aufgrund der
Analogie. Das Bild weist über sich hinaus auf ein anderes hin, das
selbst erscheint in einem anderen Akt, mit dem Identifikation sich her-
stellen soll und kann. Der bietet Erfüllung. Ist nun das Phantasiebild
selbst wiedteild in diesem Sinn? Weist es über sich hinaus?
10 Die weis~e Gestalt ~teht da und gilt f~r et~as a~deres. Ähnlich wie
das Wortb d, das vIsuelle und akustische m semer Verknüpfung,
dasteht und das Bedeutungsbewusstsein ihm Bedeutung für etwas
anderes gibt, das gegenwärtig sein kann (oder vergegenwärtigt) oder
nicht. (Ja, weil hier das Bild als Abbild für ein anderes Bild fungiert.)
15 Wie ist es in der P ha n t a sie? Haben wir da auch ein Über-sich-
Hinausweisen, ein Dastehen in der sei es auch schwankenden und
schwebenden Erscheinung, das aber nicht für sich gilt, sondern für
etwas anderes gilt?
Ist die Rede von Bildlichkeit nicht in die Phantasie hineingetragen,
20 auf Grund des Wissens von der Differenz zwischen Erscheinung und
"Wirklichkeit"? In der Phantasie lebend, z.B. wenn ich mich zurück-
versetze in der Erinnerung, wenn ich an den Wolfgangsee zurück-
denke, an ein Bad, an die Fahrt im Kahn, an den Gellow, an den
Schmied und sein Hämmern, usw. Wenn ich, sage ich, in der Phan-
25 ta sie leb e, so merke ich gar nichts von einem repräsentativen Be-
wusstsein, ich sehe nicht eine Erscheinung vor mir und fasse sie als
Repräsentant für etwas anderes, sondern ich sehe die Sache, die Vor-
gänge usw.
Dann träume ich. Das Phantasieren als Schlaf- oder Wachträu-
30 men ist kein repräsentatives Bewusstsein. Gelegentlich schimmert das
Bewusstsein des "Scheins" hindurch: Ich wache wieder, d.h. ich er-
lebe den Widerstreit gegen die oder <den> Abstand von der Wahr-
nehmungs-Gegenwart, ich erlebe das Nicht-Jetzt, Nicht-Hier. Was
freilich ernstlich zu erforschen wäre. Ist das Widerstreit? Das kann
35 man doch nicht sagen. Übergang von dem Nicht-Jetzt in das Jetzt,
von der Schattenwelt in die Welt der Wirklichkeit oder aktuellen
Wahrnehmung. Der Wettstreit zwischen dem, was mein Wahrneh-
mungsblickfeld wirklich erfüllt, und dem, was die Phantasieblick-
felder bieten: I Warum gilt da das Wahrgenommene als Wirklichkeit?
1 Wo wir dem einen uns zuwenden, flieht das andere. Ähnlich wie im Wettstreit
der Sehfelder. Ist das aber Widerstreit? Widerstreit liegt in den In t e n t ion e n, in
den anschaulichen Akten. Aber die streiten miteinander nicht, es sei denn, dass ich
ein Phantasiebild in das Blickfeld der Wahrnehmung hineindeuten will. Phantasiere
ich eine Linie in dieses Papier hinein, so erlebe ich den empirischen Widerstreit. Die
Linie ist nicht darin, das Papier ist unbeschrieben. Stelle ich aber das Kinderzi=er
vor, so streitet diese Vorstellung nicht mit der Wahrnehmung, obwohl ich beide nicht
zugleich in wirklich anschaulicher Lebendigkeit halten kann. Doch geht schon daraus
hervor, dass es sich nicht um einen ernstlichen Widerstreit handelt, da ich akustische
BEILAGE IX 151

Irgendein Unterschied muss also ausgeprägt sein. Das Phantasie-


"bild" verschwindet,! sowie ich der Wahrnehmungswirklichkeit be-
wusst werde. In gewissem "Grade" bewusst bin ich dieser immerfort,
und daher das Scheinbewusstsein, das, mehr oder minder deutlich
5 ausgeprägt, durchschlägt. Ich lebe in der Erinnerung an meinen Som-
mer bei Brentano am Wolfgangsee, und nun setzt sich die Wirklichkeit
der Gegenwart einen Augenblick durch, das Papier, auf das ich
schreibe, der rollende Wagen. Das Phantasiebild schwebt zurück, ver-
liert sich im Nebel, oder verschwindet ganz, um dann lebhaft zurück-
10 zukehren. Dann lebe ich wieder darin, und es wird klarer, eine Strecke
ist es fast wie wirkliches Leben, dann plötzlich Bruch, ein anderes
Phantasiebild, dann wieder ein anderes usw. Die "Zusammenhangs-
losigkeit der Ideenassoziation", das heisst ja nichts anderes als Zu-
sammenhangslosigkeit in der Phantasie. Was ist Zusammenhang (na-
15 türlich sachlicher Zusammenhang, aber was ist das), und was ist Zu-
sammenhangslosigkeit? Das wird die Frage sein müssen. Vorher blei-
ben wir aber noch stehen bei unserer Frage. Haben wir ein Bild-
be w u s s t sei n? Haben wir Unwirklichkeitsbewusstsein und Wider-
streitsbewusstsein im selben Sinn wie beim gemeinen Bildbewusstsein ?
20 Das "Bild" einen: Platz beanspruchend: aber der Platz in der Wirk-
lichkeit besetzt? Der Bildraum hineingesetzt in den "wirklichen"
Raum der W~ehmung, aber in diesen Raum nicht hineinpassend.
Streitend?
Das Bild unwirklich, aber repräsentierend die Sache: die nicht-
25 gegenwärtige Sache. Die nichtgegenwärtige : Das physische Bild er-
scheint als gegenwärtig. Freilich mit Widerstreit. Das Figürchen aus
Bronze: Es wird ein menschliches supponiert, es wird so aufgefasst
(ähnlich wie Kinder Puppen auffassen), es erscheint als da, aber es ist
nur das Ding aus Bronze in Wirklichkeit da, und das Bildobjekt be-
30 deutet etwas anderes. '
(J a, gehört die Bildobjektauffassung überhaupt wesentlich zum
Bildbewusstsein ? Kann ich nicht sagen: Das Empfindungsmaterial
wird da unmittelbar aufgefasst als die Sache repräsentierend? Nein,
das geht nicht.)
35 Also das "nichtgegenwärtig" des Bildobjekts bedeutet: Es erscheint
als gegenwärtig, ist aber Schein, es verträgt sich nicht mit dem

Phantasiebilder doch beständig im inneren Sprechen habe, ohne dass diese sich mit
dem aktuell Gehörten stören. Und schliesslich verschwindet auch die Wahrnehmung
des GeSIChtsfeldes nicht, während ich mir irgendein Gemälde etc. vorstelle. Aber ver-
senken kann Ich mich nicht in beide zugleich und beide in gleicher Anschauung halten.
Und Jedenfalls die Intentionen kann ich auf beides ungestört festhalten wie ich es bei
der VergleIChung tue. Die sind nicht unverträglich, sondern verträglich. Dagegen ist
~Je Intention auf den gebrochenen Stab unverträglich mit der Wahrnehmungsauf-
.assung der Wirklichkeit. Die Intention auf den Strich auf dem Papier unvertraglich
mit eier Papierwahrnehmung etc. Das Nichtgegenwärtige ist mit dem Gegenwärtigen
un~ertraglich, wenn es eben gegenwärtig sein will.
Aber doch nur zumeist.
152 BEILAGE IX

wirklich Gegenwärtigen: Es durchsetzt sich mit diesem, es ist ein


Widerspruchsvolles (Widerstreitvolles).
Aber beim "Phantasiebild" haben wir keine erscheinende Gegen-
wart, keinen Widerspruch daher mit der aktuellen Gegenwart. Die
5 Phantasie mischt sich nicht in die Wirklichkeit, sondern bildet ein
Reich für sich, das Reich der Schatten. Ich verlasse den Boden der
gegebenen Tatsache und schwinge mich in das Reich der Lüfte, ver-
setze mich in die "Welt der Phantasien", der Erinnerungen, der Ein-
bildungen'iF:e' physischen Bild habe ich eine Ineinanderwirkung
10 von zwei W ehmungsauffassungen, eine Durchdringung mit Wi-
derstreit. cht so beim Phantasiebild. Hier haben wir nichts von
Durchdringung, nicht dasselbe Empfindungsmaterial, das mehrfache
Auffassung, erfährt,l nicht ein Hineinerscheinen in die feste Gegen-
wartswelt. (Physische Bildobjekte sind Scheindinge, ganz von der-
15 selben Art wie der sinnliche Schein, gebrochener Stab etc., ebenso
Spiegelbilder, soweit bei letzteren überhaupt Widerstreitsbewusstsein,
und zwar sinnlich-a k tue 11 e s vorhanden ist.) Die Empfindungs- und
Wahrnehmungswirklichkeit, die aktuelle Gegenwart ist eins, und die
Phantasiewelt ist ein anderes. Sowie ich mich dieser zuwende, ist jene
20 schon weg, verflüchtigt, bis auf leere Intentionen oder leise verschwe-
bende Schattenbilder. Aber eins ist sicher, ein Widerstreit im echten
Sinn ist da nicht vorhanden. Und ich wiederhole: Schwierigkeiten des
gleichzeitigen Wahrnehmens oder Achtens auf wahrgenommene Ob-
jekte und gleichzeitigen Phantasierens finde ich zumal auf dem Feld
25 des Gesichtssinnes, nicht auf dem des Gehörsinnes. Ich stelle mir
einen Walzer vor, und gleichzeitig höre ich das Ticken der Uhr,
Stimmen aus dem Nachbarzimmer usw.
Auch beim Tastsinn finde ich keine erhebliche Schwierigkeit. Doch
wären Beispiele genau zu fixieren. Übrigens bei der gewöhnlichen
30 äusseren Wahrnehmung: Ich ergänze das Gesehene, oft durch Phan-
tasien, die auf die nichtgesehenen Seiten des Gegenstandes sich be-
ziehen, und auch durch Tastphantasien etc. Ich glaube allerdings, dass
genauer besehen die gen au entsprechenden Tastfelder nicht gleich-
zeitig als Empfindungs- und Phantasiefelder ausgefüllt sein können:
35 es sei denn im bewussten Nacheinander. Ebenso wie beim Gesichts-
feld. 2 Achte ich auf eine Stelle des deutlichen Sehens und halte ich
gleichzeitig eine Phantasie, die zu dieser Stelle gehört, fest, dann kann
ich nicht anders als das Phantasiebild im Wettstreit und <in> über-

1 Wo dasselbe Empfindungsmaterial mehrfache Auffassung erfährt, da ergeben


die sich durchdringenden Wahrnehmnngen notwendig Widerstreit, nur den Fall
ausgenommen, dass die entsprechenden Gegenstände im Verhältnis von Ganzem und
Teil, und überhaupt in einem Teilverhältnis (Überschiebung), stehen. Haben beide
Wahrnehmungen ein sich deckendes und total deckendes Empfindungsmaterial, so
findet notwendig Widerstreit statt.
2 Viei1eicht Ähnliches auf dem Gehörfeld. Eine Melodie bildet ein Partialfeld. Da
kann ich nichts Widerstreitendes gleichzeitig vorstellen. Aber daneben kann ich ein
Geräusch vorstellen etc.
BEILAGE IX 153

schiebung zu finden. Also' das ist zu beachten. Man muss die ertt-
sprechenden Teile der Sinnesfelder nehmen. Nur in der Form des
Nacheinander ist Gegenwart und Nichtgegenwart hier zu vereinigen.
Doch überlassen wir das weiterer Erforschung, so ist das sicher: Das
5 physische Bild ist ein Wahrnehmungsobjekt, steht in Reih und Glied
mit den anderen Wahrnehmungsobjekten, es gehört dem Wahrneh-
mungsblickfeld an. Es wird zum Bild durch Widerstreit, durch doppel-
te Wahrnehmungsauffassung derselben Empfindungsunterlage, wobei
die eine Auffassung der Einheit der Wahrnehmungsauffassung des Ge-
10 samtblickfeldes angehört, die andere mit ihr streitet. Das physische
Bild ferner repräsentiert, es ist ein als gegenwärtig Erscheinendes,
repräsentiert aber ein Nicht-Jetzt, es erregt es oft auch, dieses wird
vorstellig eben durch eine andersartige Vorstellung, die dem Gegen-
stand den Charakter des Nicht-Jetzt gibt, Nicht-aktuell-da. Das
15 "Phantasiebild" gehört aber in eine andere Welt.
Zu beachten ist: Es gibt auch echte Bildvorstellungen in der
P h a n t a sie. Z.B. ich mache mir ein Bild von Cäsar etc. Das ist keine
eigentliche Vorstellung von Cäsar, kein direktes Gegenstandsbewusst-
sein von ihm als einem Nichtgegenwärtigen. Keine "Erinnerung" von
20 ihm. l Sondern es ist eine Phantasievorstellung (Vorstellung eines
Nichtgegenwärtigen), die einen Gegenstand (einen nichtgegenwärti-
gen) vorstellig macht, der seinerseits Cäsar "vorstellt", ein Bild von
ihm entwirft. Das ist eine ech te Bildvorstellung. Ich "weiss", dass
Jas nicht Cäsar ist, sondern dass es den Cäsar mir nur vorstellt, als ein
25 mehr oder minder' gutes Analogon, nicht ganz unbestimmt freilich,
wiev,reit und worin die Vorstellung dem Gegenstand gleicht (etwa
nach Bildern, die ich gesehert habe. Dann sind diese physischen Bild-
momente diejenigen, die mir dienen).2

*
Hier haben wir eine mehrfache Bildlichkeit. 3
30 1) Nehme ich die "Himmlische Liebe" (ein hübsches kleines Re-
klamebildchen für "Meisterwerke" liegt vor mir) als Bild für die grosse
~eproduktion in den "Meisterwerken", die ja selbst Reproduktion
1st <VOll> Tizians Bild. Es soll mir eine "Vorstellung" gegeben werden
für die treffliche Reproduktion in den "Meisterwerken". Hier ist ein
35 Bild Bild für ein anderes, dabei nicht das Bild in individuo, und nicht
das physische Bild für ein anderes physisches Bild in individuo. Hier
haben wir wohl Bildlichkeit: Das physische Bild allgemein als so und
--- 1 Oder der Kunstler entwirft sich in der Phantasie im voraus sein Bild: Er stellt
SIch den Tod C;isars vor _.
D 2 Erinnerung an unsere Photographie der Madonna - und die Erinnerung an die
resdener Madonna selbst.
d 3 Der folgende Text bezieht sich auf den oben wiedergegebenen Absatz der mit
Zen Worten beginnt: "Hier könnte ich sagen: Es stellt Tizians Bild vo.;, (S. 149,
elle 34). Vgl. die Textkritischen Anmerkungen, S. 641. - Anm. d. Hrsg.
154 BEILAGE IX

so geartetes, ein solches und solches Bildobjekt- und Bildsnjet-


bewusstsein bietend, repräsentiert mir für ein physisches Bild im all-
gemeinen mit einem anderen Bildobjekt und Bildbewusstsein. Und
das letztere ist dann das Sujet. Ebenso: Bild von Tizians Bild (direkt),
5 dann ist Tizians Bild das Objekt.
2) Ich sehe mich in die himmlische Liebe hinein und "denke" gar
nicht an Tizians Bild (das Original), sondern verhalte mich dazu, als
wäre der Tizian selbst da. Dann ist das Sujet eben die himmlische
Liebe, diese überirdische herrliche Frauengestalt etc. Hier haben wir
10 ein ganz al)defes Bewusstsein wie vorhin sub l.
Bei 1))1aben wir äussere Repräsentation neben der inneren. Eigent-
lich wird gefordert, wir sollen uns eine Vorstellung (nach Analogie der
gegebenen Bildanschauung) machen von dem Nichtgegenwärtigen.
Wir werden auf eine andere Vorstellung, eine andere Anschauung hin-
t5 gewiesen, die das eigentlich Gemeinte ist. Wir haben eine "verkleiner-
te" Abbildung, eine farblose "statt" einer farbigen, eine Photographie
statt eines Gemäldes oder einer Marmorplastik etc. Würden wir nach
dieser Anweisung ein Phantasiebild entwerfen, so würden wir dies als
eigentlichere Vorstellung von der Sache fassen. Wir haben hier ein
20 Bild derselben Art wie etwa die Abbildung eines merkwürdigen
Feuersteinbeils oder einer Stadt usw. Auch jede Photographie eines
Menschen gehört hierher.
Es sind uneigentliche Vorstellungen, aber aufgrnnd
von Bildern. Das Bildlichkeitsbewusstsein ist verknüpft mit In-
25 tentionen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, der von dem im
Bildobjekt erscheinenden verschieden ist und zu ihm in den oder jenen
charakteristischen Relationen steht, die dazu dienen können, eine
andere, direktere, eigentlichere Vorstellung zu vermitteln. Wir sagen
am besten Abbildungen, Vorstellung durch mehr oder minder
30 unvollkommene Abbilder oder Abbildungen. (Dahin gehören also auch
Abbilder von Bildern.)
Wie ist es bei 2)? Ist Tizians Werk ein Ab b i I d-Sein, nnd durch
Abbildung Vorstelligmachen? Zwischen Bild und Sujet unterscheiden
wir. Aber ist das "Sujet" ein Gegenstand, der durch das Bild als A b-
35 bild repräsentiert ist und <das als> Fundament für eine auf ihn be-
zügliche uneigentliche Vorstellung dienen soll? Gibt eine andere An-
schauung eine eigentlichere Vorstellung des im ästhetischen Bild-
bewusstsein Gemeinten? Hätte ich eine eigentlichere Vorstellung,
wenn ich mir das Objekt als Gegenstand allseitig und selbst vorstellte,
40 ... ? Von dem Obj ekt ja, aber eine Erfüllung der Bildintention
wäre das nicht. Das Interesse geht hier nicht auf das Objekt über-
haupt, auf seine Vorstelligmachung überhaupt, sondern auf das im
Bildobjekt Sich-darstellen des Objekts. Auf das Bild-
objekt, sofern und soweit und so wie es das Sujet zur Anschauung
45 bringt. Im Bildobjekt schaue ich das Sujet, in seinen analogisierenden
Zügen lebend, habe ich eine Anschauung, ein analogisches Bewusst-
BEILAGE IX 155

sein vom Objekt, und so,' wie ich es da habe, genau so, wie es da
erscheint", sich darstellt, interessiert es mich. Die Darstellung des
Öbjekts und nicht das Objekt ist mein Interesse. Jede Abbildung ent-
hält ein Bildbewusstsein, eine Darstellung, in der ich analogisches Be-
5 wusstsein vom Objekt habe, aber diese Darstellung dient als Funda-
ment für ein indirektes Vorstellen.

*
Note l
I
Tizians Bild stellt mir die himmlische und irdische Liebe vor. Von
einem bestimmten Standpunkt aus. Für diesen Standpunkt gibt es
10 eine solche Vorstellung, dass ein Gefühl der Uneigentlichkeit hin-
sichtlich des Dargestellten gar nicht aufkommt. Was mich dabei in-
teressiert, das ist da, das ist nicht indirekt vorgestellt.
Das Bild hat nicht die Funktion, etwas "anderes" vorstellig zu
machen. Was heisst das? Es soll nicht "an ein anderes erinnern", durch
15 Ähnlichkeit und durch andere Relationen es indirekt vorstellig
machen. Auch das genügt noch nicht zur Klarheit!
J edenfalls ~scht sich im Bild Bewusstsein der Übereinstimmung
und des Widerstreites. Im Ähnlichen ist das Ähnliche vergegen-
wärtigt, ist es dasselbe, im Unähnlichen ist es ein anderes. Ist die
20 Ähnlichkeit eine entfernte, genügend, um an das Ähnliche zu erinnern,
aber nicht, um in ihm das Ähnliche zu schauen, so wirkt das Bild ganz
als Symbol. Die Meinung geht auf das andere; es erinnert, und das,
woran es erinnert, ist das Gemeinte. Auch der Name erinnert an die
Person, so wie eine rohe und nicht getreue Silhouette. Und dies
25 letztere kann auch als Symbol dienen (Hieroglyphe), evtL auf Grund
einer Vereinbarung, einer willkürlichen Festsetzung (ich will es als
hieroglyphisches Zeichen verwenden, als Merkzeichen der Ähnlich-
keit, als Erinnerungszeichen durch Ähnlichkeit). Dann hängt dem
Zeichen der Charakter des Hinweises an, es soll nicht das Zeichen,
30 sondern das Bezeichnete gemeint sein. Das Meinen geht nicht nur auf
das Bezeichnete, sondern das Zeichen hat auch fühlbar die Tendenz,
die Meinung von sich abzustossen und auf das Bezeichnete hinzu-
stossen. Also phänomenologisch hängt dem Zeichen auch etwas an;
wenn wir darauf achten, so merken wir: Es hat die Funktion des
35 Zeichens, es soll als Träger einer Intention fungieren, eines auf-
merkenden Meinens. das auf das andere geht, es soll nicht für sich
gelten.
A~ch ein Ähnlichkeitssymbol hat diese Eigenschaft. Nicht das Er-
schemende ist gemeint, sondern ein anderes, dieses soll gemeint sein,
40 das "Bild" hat fühlbar den Charakter des Zeichens. Durch Ähnlich-
I Der Text dieser Note (bis S. 157,23) bezieht sich auf die Ausführungen von S.
153,29 bIS S. 155,6. Vgl. die Textkritischen Anmerkungen, S. 641. - Anm. d. Hrsg.
156 BEILAGE IX

keit und durch mitverflochtene andere Relationen soll es ein anderes


vorstellig machen, als was in ihm selbst erscheint (Bildobjekt). Die
Meinung geht auf das andere, das erregte Ähnlichkeitsbewusstsein
soll das andere bezeichnen. Das Ähnliche weist als Zeichen auf das
5 Ähnliche hin. Ich blicke auf diese kleine Reklamereproduktion der
Pieta von Fra Bartolomeo, ich erfasse mit einem Blick das Bild. Das
übereinstimmungsbewusstsein erfüllt mich nicht, ich lebe nicht in
dem Bild, sondern ich fühle den Zug nach aussen, ich erlebe das Bild
als Zeichen)ür das Original, das ich früher einmal gesehen habe. Die
10 Meinung11egt nicht im Bild, sondern in einem zweiten, auf dem Bild-
bewu%tsein sich gründenden Meinungsbewusstsein, das mit dem
Bildbewusstsein so verkn~pft ist wie Symbol und darüber hinaus-
weisende Intention. Das Ahnlichkeitsbewusstsein kann dabei ganz
untergeordnet sein. So z.B. bei einer roh-andeutenden Silhouette, z.B.
15 im Katalog eines Bilderunternehmens (Nonny). Die Ähnlichkeit wirkt
hier nur symbolisc~, nur bezeichnend. Ebenso onomatopoetische
Worte. Solange die Ahnlichkeit noch gefühlt ist.
Anders ist es, 1 wenn die übereinstimmung eine tiefgehende ist und
das Bewusstsein davon herrschend ist. Je mehr wir uns in das Bild
20 (Bildobjekt) hineinsehen und dabei auf die Momente der überein-
stimmung, die analogisierenden Momente achten, um so weniger ist
die Beziehung auf den Gegenstand eine äussere, vom Bildobjekt weg-
weisende. Die symbolische Beziehung weist vom Symbol-Objekt weg
auf das Symbolisierte. Eine neue Intention ist da, oft eine leere, die
25 sich aber auch oft in eine erfüllte verwandelt, wir haben dann neben
der Symbolvorstellung eine zweite, die des Symbolisierten, in dem
Zusammenhang, dass das Symbolobjekt auf das nun in der Erschei-
nung gegebene Symbolisierte hinweist. So ist es auch bei symbolisch
fungierenden Bildern. Das immanente Bildbewusstsein, d.h. dasjenige,
30 in welchem das Bild ni c h t als Symbol, nicht als äussere (transeunte)
Vorstellung, sondern als immanente Vorstellung des Objekts fungiert,
ist dadurch charakterisiert, dass die Vorstellung des Sujets nicht eine
zweite ist neben der des Bildobjekts, mit ihr durch symbolische Ver-
knüpfung verknüpft, sondern eine sich mit ihr durchdringende und
35 sich mit ihr partiell deckende. Wo das Sujet innerlich mit dem Bild-
objekt sich nich t deckt, da kommt ja das Verschiedenheitsbewusst-
sein vor, es verschwindet aber, wo das Interesse in den Übereinstim-
mungsmomenten lebt. In ihnen schauen wir das Sujet an, in ihnen
haben wir eine "Vorstellung", eine anschauliche Darstellung des
40 Sujets. Das Differente stellt im Objekt nichts dar, es bezeichnet es
auch nicht. Das Ähnliche, während es darstellt, mag zugleich und
wird zugleich Intentionen äusserlicher Art auf das mit ihnen Ver-
bundene, aber nicht Dargestellte enthalten. Eben diese streiten mit
dem anschaulich im Bildobjekt Erscheinenden. Aber eben damit ist
45 Bezeichnung usw. ausgeschlossen.
1 Besser als im Kolleg.
BEILAGE IX 157

Warum fühlen wir so oft den Widerstreit nicht? In der Regel sogar
tritt er nicht hervor.
Das Stahlstichbild hat einen doppelten Widerstreit: den Widerstreit
mit der physischen Gegenwart und, den mit dem Sujet. Beides kann
5 hervortreten, wenn wir mit eigenen Intentionen die betreffenden Auf-
fassungen verknüpfen. Sonst wird der Widerstreit als das "anders"
nicht empfunden. Geht unser Interesse speziell auf die Farbe, oder auf
die Farbe mi t, so fühlen wir die Farblosigkeit des Stichs als Mangel.
Die Farben in das Bild hineintragen können wir nicht, da es die Er-
10 scheinung einer sinnlichen Gegenwart bietet. Wir können nur eine
neue Erscheinung in der Phantasie bilden, eine Reproduktion des
Sujets erzeugen: Wir müssen also nach aus sen gehen, wir müssen
das Bild verlassen. Solange wir im immanenten Bildbewusstsein leben,
solange leben wir in der Anschauung des Bildobjekts, aber nicht so,
15 als ob es nichts sonst bedeutete, sondern so, dass wir die verähnlichen-
den Züge als solche, als darstellende erleben, und in ihnen das Sujet
schauen, während die·übrigen Momente des Bildes (Bildobjekts) zwar
erscheinen, aber nicht für das Bildsnjet gelten.
Verflicht sich die Bildfunktion mit der abbildenden und äusserlich
20 indirekt vorstellenden, so geht eben das Bewusstsein nach innen und
dann wieder nach aussen. Das Bild veranschaulicht, repräsentiert das
Objekt, und dann wieder steht es als Hinweis auf das Objekt, auf das
anderwärtig Vorstelligzumachende da.

Betrachtung des- Fechnerbildes.

25 Schaue ich mich hinein, so sehe ich in diesem Bild Fechner (nach
den! dargestellten Büstenteil), Die Photographienuancen sehe ich,
aber während ich in der plastischen Form Fechner selbst nach seiner
Gestalt sehe, sehe ich nicht in den Photographienuancen Fechner. Ich
bin immer der Person, der dargestellten, zugewendet. Das Weiss gilt
30 mir als Weiss des Haares, das Gesicht aber gilt mir seiner Färbung
nach nicht, die Brillengläser geiten mir als Brillengläser, ich schaue in
da~ .Empfundene etwas anderes hinein. Ja, eigentlich kann ich das
frellIch nicht. Es kommt nicht zur Phantasierung. Es ist aber ge-
meint, es drängt sich im Widerstreit gegen die falschen Farben auf,
35 als eine Widerstreitintention, oder als eine Intention, die dies da nicht
gelte.n lässt als analogische Darstellung, während die plastische Form
u~mlttelbar "gilt". Wir haben hier also eine innere Re'präsenta-
tl 0 n gegenüber der äusseren, die nach aussen drängt, auf eine andere
~arstellung, auf eine andere Erscheinung, so wie es in der Regel bei
40 emem schlechten Bild oder einem zum Symbol bestimmten und als
Syu:bo~. fungierenden statthat. Das Bild kann nach aussen e ri nn ern,
an em Ahnliches, evtI.. an das.Objekt nach dem dargestellten Teil, evtl.
158 BEILAGE IX

an das ganze Objekt, an die ganzen Situationen, in die es hineingehört,


das Bild kann habituell oder konventionell die Funktion haben (und
für uns dann fühlbar mit der Funktion behaftet sein), dies zu leisten.
Es kann auch zufällig so wirken, und phänomenologisch erscheint dann
5 auch das Bild als das Erinnernde; das ist aber nicht die immanente
Repräsentation, die mit der transeunten verflochten sein kann, aber
nicht sein muss. Bis zu einem gewissen Grade ist auch beim schlech-
testen Bild etwas immanente Repräsentation da, auch wo es behaftet
ist mit einer Intention nach aussen, mit einer transeunten Repräsen-
10 tati~n, .ein~ymbolische~, aber analogisc?en. .
Fur Jede lITImanente Bildbetrachtung gilt, dass etwaIge Phantasie-
bilder zur Erklärung dienen, ein Bewusstsein "das ist es" erzeugen,
oder "so ist es", aber die Betrachtung immer wieder zum Bild zu-
rückkehrt.
15 Die Intention geht auf Fechner: darum, wo etwas von ihm in
voller Anschauung (Farbe, StinlITIe, Bewegung, ganze Gestalt) er-
scheint, alsbald das Erfüllungsbewusstsein gegeben ist. Aber soweit
das Bild ihn wirklich angemessen (oder für mein Empfinden ange-
messen) darstellt, soweit schaue ich ihn im Bild; soweit nicht, soweit
20 genügt das Bild freilich nicht, werde ich über das im Bild Erscheinende
hinausgewiesen. Aber da geht die Intention auf Ersatz, auf Ergänzung,
oder auf Hebung und entsprechende Modifikation der Bildmomente
unter Festhaltung des übrigen. Es sind Momente. Bei einer transeunten
Bildfunktion weist mich das ganze Bild auf ein anderes, auf ein "Phan-
25 tasiebild", eine vollere Phantasieanschauung, eine Erinnerung, in der
ich nun ein angemesseneres intuitives Bewusstsein vom Gegenstand
hätte.
*
Mehrtältige Bildlichkeit

1) Der Stich als Bild des Originals: Das Original ist die Madonna
30 in Dresden.
2) Der Stich als Bild: Ich schaue mich hinein und habe das Bild
der Madonna. Original = Madonna.
1) Ebenso die Reproduktion einer Sonate von seiten des Klavier-
spielers und die Sonate selbst. Das Original die Sonate, so wie sie
35 Beethoven meinte. Oder vielmehr so, wie derjenige sie als die von
Beethoven gemeinte apperzipiert, der dieses Bildbewusstsein voll-
zieht.
2) Die Sonate als Ausdruck der und der Gefühle, Stimmungen
(Musik als Ausdruck).
40 Jeder hat seinen idealen Beethoven. Jeder Künstler fasst ihn anders
auf. Der eine die Auffassung des anderen vernehmend, fasst sie als
gutes oder schlechtes, als adäquates oder inadäquates Bild seines
Beethoven, seiner eigenen Auffassung. Evtl. wird er bei eigener Dar-
BEILAGE IX 159

stellung hinter seiner Auffassung zurückbleiben. Er bringt diese oder


jene Stelle nicht so heraus, wie er sie intendiert.
A d ä qua t es Bild, d.h. bei Bildern von Bildern ein Bild, das eine
vollkommene Kopie des Urbildes ist; so dass die Bildauffassung
5 überhaupt keine Doppelheit mehr fühlen, also keine Bildauffassung
mehr statthaben konnte.
:Nun werden wir aber, durch die Erfahrung des Widerstreites von
Darstellungen mit dem Urbild oder durch Erkenntnis (gewonnen
durch Studium), dass hinter dem Werke mehr steckt etc., an jede
10 Darstellung den Massstab legen: Wir haben eine durch jede solche
Darstellung erregte Intention, also wir fassen jede als Intention auf
das Original. Diese Intention kann durch die Darstellung vollkommen
erfüllt werden: W a h r n e h m u n g des Originals, oder nicht. Blasse
Bildintention, blasse Darstellung, diesmal schlechte Darstellung etc.
15 Hier besteht Wunsch und Erwartung, daher Enttäuschung und Wider-
streit.
Bei Gemälden: Die Bilder von Gemälden können adäquat sein,
wenn das Bild nur für die plastische Gestalt etwa Bild sein will. In
dieser Hinsicht haben wir Wahrnehmung, haben wir Erfüllung der
20 Intention. Oder wir haben keine auf die Plastik bezügliche Intention,
die unerfüllt bliebe. Trotzdem haben wir nur Bild: weil das Grau zwar
nicht Bild sein 'will (keine analogisierende Funktion hat), anderer-
seits aber doch eine Intention auf das Original. Nämlich: dahin ge-
hören Farben, "gewisse". Also so schauen wir im Bild das Original
25 nach einer Seite, ein Schauen, Haben von erfüllten Intentionen, aber
kein Wahrnehmen, weil es sich um Momente handelt, die mit anderen
verflochten sind, denen die Gunst der Erfüllung nicht zuteil ist.
Vergleich der Darstellung mit dem Ideal ("wie Beethoven sich die
Sonate gedacht hat", oder wie sie gespielt werden "soll").
30 Ideal: Ich studiere die Sonate: Forderungen, die die Teile des
ästhetisc!len Ganzen gegeneinander üben, das würde entsprechen der
Erkenntnis des Sujets des Werkes und seiner ästhetischen Darstellung
in diesen Tongestalten. Wie bei jedem Kunstwerk gehört "Vertiefung"
dazu, um die ihm angemessene Apperzeption zu erzeugen. Was wollte
35 der Künstler darstellen, und wie wollte er darstellen? Welche Gefühle
:-:ollte .er erregen etc.? Aber nicht abstrakte Reflexion. In sich ist jede
asthensche Apperzeption eine vieldeutige. Welche Deutung ist die
an~emessene? Welche Stellung zum Bild, welche Stimmung etc.? Das
erglbt Verständnis des Bildes.
40 l\nde:erseits Wiedergaben des Bildes, das ist eine andere Mannig-
falhgkel~ verschiedener, mehr oder minder treuer Wiedergaben. In
der MUSlk: Die Wiedergabe, das Wiederspielen und Wiederspielen.
Und d.as richtige Spielen, dem Verständnis entsprechend. Dann die
verschledenen Arten der Wiedergabe, angemessenere oder minder an-
45 gemessene (den verschiedenen Reproduktionsarten von Bildern ent-
sprechend). Vergleich mit der Idee: Wird der Name "Sonate x" ge-
160 BEILAGE X

nannt, oder <werden> gar die ersten Takte' gehört, so ist die Idee ge-
weckt (Intention auf die Sonate im Sinn meines durch Studium er-
worbenen Verständnisses), und damit wird die Reproduktion ver-
glichen: ähnlich wie ein Holzschnitt mit der Idee des Bildes selbst.
5 Deckung und Widerstreit.

BEILAGE X (zu §§ 42f.)


<KLAI>EiJND UNKLARE PHANTASIE IM UNTERSCHIED ZUR
PHYSISCHEN BILDUCHKEIT>
<wohl 1905>

10 Und doch1 ist es ganz anders wie bei der gemeinen Bildbetrachtung.2
Bei dieser betrachten wir das Bildobjekt, und dieses gilt erst als dar-
stellend, als Bild für etwas anderes.3 Dieses andere ist dispositioneIl
erregt und drängt sich, wenn wir es kennen, auch oft hervor in Form
von Phantasievorstellungen, evtl. nur nach Momenten: Dieses Haar
15 ist blond (das erscheinende Grau vertritt das Blond, usw.).
In der Phantasie aber gilt das Erscheinende nicht für etwas anderes.
Nicht erst etwas erscheinend und dann Geltung, die darauf sich
gründete.
In der Phantasie haben wir nicht ein Bildobjekt konstituiert" das,
20 unterschieden für das intentionale Erlebnis von dem Gemeinten, dieses
darstellte. 4 In der gemeinen Bildlichkeit betrachten wir das Bild, ein
volles phänomenales Objekt, das auch gemeint, obschon nicht als
Endziel gemeint ist. Es ist gemeint, sofern es darstellt. Es ist gemeint,
sofern es eben Abbild sein soll.
25 In der Phantasie aber ist es anders. Wir haben hier verschiedene
Fälle.
1) Die Phantasieerscheinung ist eine klare, voll ausgearbeitete.
Z.B. ich denke an den Ratskeller oder an die Laube unseres Rathauses,
"ich sehe sie vor mir". Und ich sehe sie an. Hier habe ich kein Be-
30 wusstsein der Art: Ich betrachte das "Bild", und es gilt mir als Bild
für etwas anderes. Sondern: Das ist die Sache. Die Erscheinung
bringt mir die Sache selbst zum Bewusstsein, nur ist die Sache keine
gegenwärtige. I)
1 Der Text dieses und der folgenden beiden Absätze sowie der zugehörigen An-
merkungen wurde später kreuzweise gestrichen; vermutlich sollte erst der darauf-
folgende Text ausgearbeitet werden. - Anm. d. Hrsg.
Z Etwas nachträglich über der Zeile eingefügt: "in der Abbild-Auffassung".-
Anm. d. Hrsg.
3 Das gilt nur für die abbildliche, symbolische Funktion. .
4 Ja, wenn die Phantasievorstellung eine vollkommene ist! Sonst haben \'VII
dann ein Bildbewusstsein, das seines Unterschiedes gegenüber dem gemeinten Gegen-
stand bewusst ist oder es sein kann.
sUnd ausserdem Bewusstsein der Deckung (der angemessenen Deckung) der In-
tention, das Bild kann klar sein und doch kein solches Bewusstsein.
BEILAGE X 161

2) Ist die Phantasieerscheinung unvollkommen, lückenhaft um-


rissen mit einer Ausfüllung "man weiss nicht was", flüchtig, die Far-
ben auftauchend und wieder verschwindend, oder man weiss nicht
recht was für eine Farbe, nur einzelne Teile mit zugehöriger Farbe etc.,
5 dann geht die Intention doch auf einen Gegenstand in einer direkten
Weise. Man betrachtet nicht das Bild als ein für sich konstituiertes
Objekt, das man als so seiend nimmt und dann als Bild gelten lässt.
Vielmehr, durch dies sonderbar Flüchtige hindurch geht die Intention
auf die Sache, ähnlich wie man die unklare Wahrnehmung im Däm-
10 merschein nicht für sich nimmt und zum Bild macht, sondern in ihm
den Gegenstand fasst. 1 Wir können die Erscheinung beachten, wir
können ein Bildobjekt konstituieren und sagen, jetzt erscheint das
Ding so und jetzt anders, und diese Erscheinung stellt mir die Sache
vor. Darum die Rede von dem Phantasiebild. (übrigens reden wir
15 auch vom Wahrnehmungsbild, wenn wir die erscheinende Seite und
die einzelne Erscheinung in Beziehung setzen zur identischen Sache.
Das sind aber nur indirekte und analogische Reden.) Im Erlebnis
selbst haben wir aber nicht eine doppelte Gegenständlichkeit konsti-
tuiert und ein Meinen auf ein anderes gebaut, ein Auffassen auf ein
20 anderes. 2 In der physischen Bildlichkeit erscheint ein graues Ding,
das ein farbiges darstellt.3 Ich schaue das graue Ding, an, ich sehe
gleichsam ein graues. Das Bildobjekt ist grau, hat sich mit dem Grau
konstituiert. 4
In der Phantasie5 mag grau dasein. Aber es erscheint kein graues
25 Ding. Das Grau breitet sich innerhalb der Konturen aus (wofern die
Konturen nicht unfassbar flüchtig sind). Aber dieses Grau ist nicht
objektiviert zu einem grauen Ding, das ich betrachten würde. 6 Es ist
ein unklarer Hintergrund, durch den die Kontur durchscheint, der
aber nicht objektiviert wird. 7 Die Phanfasiemeinung geht auf die
30 S ach e, und das Vorüberflatternde ist Anhalt für sie, Ähnlichkeits-
anhalt, im Ähnlichen wird das Ähnliche erfasst. Es ist schwer, hier
1 Im letzten Satz beginnt bei "nicht für sich nimmt und zum Bild macht" die
RLickseite im Originalmanuskript; Husserl setzte oben an der Seite später einen ab-
wartsgerichteten Pfeil und bemerkte: "Der Text ist beachtenswert und gut beob-
ach tet. Die Seitenanmerkungen scheinen nicht sehr triftig". Diese Seitenanmerkungen
werden hIer in Fussnoten wiedergegeben. Vgl. auch die Textkritischen Anmerkungen.
- Anm. d. Hrsg. , '
2 (reprasentierendes Auffassen; .Repräsentant, Abbild, Symbol sein).
3 (Ja, wenn ich die Abbild-Auffassung vollziehe, die ich ja immer vollziehen
kann. Wenn ich aber im Bildbewusstsein lebe, einfach hineinschauend, wenn ich in
der eIgentlichen Imagination lebe und nicht in einer darauf gegründeten Repräsenta-
tlO.n, dIe evtl. .auf eine neue Imagination hinleitet, dann verhält es sich anders.)
5 (und reprasentlert nun als Abbild).
. So auch schon im rein imaginativen Bewusstsein im Hineinschauen in das phy-
Sische Bild. '
t 6 Ich lebe rein in der Intention auf das Objekt. Bei der ästhetischen Bildbetrach-
s~e~~ geht das Interesse aber auf das Bildobjekt selbst, so wie es das Bildsujet dar-
7 K .
s h . emerlei vorstellendes Meinen auf das Erscheinende gerichtet, so wie es er-
c emt, Sondern nUr auf das gemeinte Sujet.
162 BEILAGE XI

Aussagen zu' machen. Ich denke an unseren Besuchsraum. Das Bild


von BrentanoI , die Kunstblätter, die aufgestellt sind. Nun, sie habe
ich im Auge. Nicht andere Sachen, die auf sie erst Bedeutungs-
be z i e h u n g haben, sei es auch in der Weise der Bi I d repräsentation,
S der Darstellung.

Ja, das ist noch ein gewisser Unterschied. Bei der physischen Bild-
betr.~ch)Jm~ haben. wir ja ~iderst:eit im B~ckfeld der W~hrnehmung.
Da u:berschieben sIch zweI IntentIOnen. Bel der PhantasIe haben wir
10 entw'eder volle Anschauung: Dann haben wir kein eigentliches Bild-
bewusstsein, sondern ein direktes Gegenstandsbewusstsein, aber von
"Nicht-Gegenwärtigem". Oder wir haben die Intention auf das Objekt
und jene "Schatten", die nicht fes t e Bildobjekte herstellen, die etwa
ein abbildliches oder ein mit Widerstreit gemischtes intuitives Bild-
15 bewusstsein herstellen. Nur unter Umständen, wenn wir zwar volle
Phantasieerscheinungen haben, aber nicht wissen, ob der Mensch
blond ist oder nicht, also Unbestimmtheitsintentionen.
Wie fungieren nun jene "Schatten"? Es sind "unklar" wandelbare,
flüchtige, sich vielfach ändernde Erscheinungen, vielfach unbestimmt,
20 unbestimmt nach Färbung etc. In ihnen erscheint der Gegenstand, nur
schattenhaft, "unvollkommen", "unbestimmt". Wie durch einen
Schleier, einen Nebel hindurch, durch die Dämmerung hindurch. Beim
physischen Bild ist das Nicht-Analogisierende fest und klar. Daher
drängt sich das Bildobjekt einheitlich auf, wenigstens leicht. Eigent-
25 lich konstituiert sich das Bildobjekt auch nur bei darauf gerichtetem
Interesse. Hier kann sich keine feste Einheit bilden. Durch die analo-
gischen Momente hindurch läuft die Objektintention. Das Bildobjekt
konstituiert sich nicht als klare feste Einheit.

BEILAGE XI (zu § 45)


30 <SCHWANKEN, OB PHANTASIE ODER WAHRNEHMUNG>
<um 1905>

Das Blickfeld der Wahrnehmung ist ein Zusammenhang, ihm ent-


spricht der Zusammenhang des Empfindungsblickfeldes, des Feldes
der sinnlichen Empfindungen. Was in diesem Zusammenhang des
35 Wahrnehmungsblickfeldes ist, das ist, seinem Auffassungsinhalt nach,
Empfindung, aufgefasst Wahrnehmung. Nun kommt aber ein
Schwanken, ob Phantasie oder Wahrnehmung, nicht
selten vor. Und zwar bei schwachen Empfindungen. Hier haben wir
,
1 Franz Brentano malte, gemeinsam mit seiner Frau, im Jahre 1886 ein Porträt
von Husserl, das später in Husserls Wohnung hing. Vgl. Herbert Spiegelberg: "The
lost Portrait of Edmund Husserl by Franz and Ida Brentano" in Philomates, Gedenk-
band für Philip Merlan, Den Haag 1971, S. 341 ff. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XII 163

Intermittieren. Das Blickfeld schwankt seinem Inhalt nach. Schwanke


ich, ob der Glockenschlag gehört oder eingebildet ist, so schwanke ich,
ob er ein "wirklicher" oder eingebildeter ist. Hier haben wir im Emp-
findungsfeld den Auffassungsinhalt, wie bei einer Halluzination. Wir
5 haben nicht ein Phantasma, ein vom Zusammenhang der Empfin-
dungen Gesondertes (und als Phantasma notwendig Gesondertes).
Ja aber, könnte man sagen: Bei sehr schwachen Empfindungen ist
es eben möglich, die Empfindung vom Empfindungsfeld abzulösen
(sie ordnet sich nicht mit Sicherheit ein) und sie ist einer Phantasie
10 zuzuweisen. Umgekehrt, bei gewissen Phantasmen ist es möglich, sie
in das Empfindungsfeld einzuordnen. Normalerweise haben wir
Trennung, aber in gewissen Grenzfällen partielle Deckung. Ein Ton
erklingt: Höre ich ihn noch (Ticken der Uhr)? Ähnliche Sachlagen
haben wir auch in der Phantasie: das Intermittieren der "Bilder" und
15 der Zweifel: Habe ich, das Phantasiebild noch? Die Intention auf den
Gegenstand ist immerfort da, das Bild schwankt auf und ab. Eben
glauben wir, es noch zu haben. Aber ganz sicher sind wir nicht. ,,,Bilde
ich mir nur ein, das Phantasiebild noch zu haben?" Dieses Ein-
bilden ist aber natürlich, nicht Phantasieren. Das ist sehr zu beachten.
20 Gehen wir zurück zum Fall des erklingenden Tones. Höre ich ihn
noch? Hier ist es zweifelhaft, ob wir überhaupt noch etwas haben, sei
es Empfindung, sei es Phantasma. Beim Intermittieren der Empfin-
dung verbleibt die Intention. Aber wenn die Empfindung entfällt,
können wir doch nicht sagen, dass an ihre Stelle ein Phantasma getre-
25 ten sei.
Wenn wir einen Schlag der Uhr zu hören gl au ben, so haben wir
Empfindung und Wahrnehmung. Wenn wir plötzlich zweifeln, so
können wir darum ganz wohl die Empfindung weiter haben, denselben
sinnlichen Inhalt. Wir zweifeln aber, ob es nicht eine subjektive Er-
30 scheinung ist (eine Halluzin,ation), der objektiv nichts entspricht.

BEILAGE XII (zu § 37 und §§ 51f.)


<EMPFINDUNG - PHANTASMA UND DIE IHNEN
WESENTLICHEN "AUFFASSUNGEN">l
<wohl 1904/05>

35 Als ge gen w ä r t i g auffassen können wir die Phantasmen und die


Phantasievorstellungen auch. Jetzt schwebt mir der Roons vor, die
Phantasievorstellung nehme ich wahr, die Phantasieinhalte sind auch
gegenwärtig, aber natürlich nicht die phantasierten.
o U D~s Phantasie-Urteil ist gegenwärtig, nur ist es nicht ein aktuelles
4 rtell. Ich "glaube nicht wirklich", ich stelle einen Glauben vor.
Nehmen wir einen ursprünglichen Unterschied
1 (~ur zu aporetischer Darstellung).
164 BEILAGE XII

zwischen Empfindung und Phantasma an, so macht nicht


die Auffassung als nichtgegenwärtig die Modifikation erst aus, sondern
der Inhalt selbst ist ein "modifizierter". Bei der gemeinen äusseren
Bildlichkeit dienen unmodifizierte Inhalte in Phantasiefunktion, sie
5 werden dabei allerdings doppelt genommen, einmal in Wahrnehmungs-
funktion, da erscheint in ihnen ein Gegenwärtiges, und zugleich in
Phantasiefunktion, es ist etwas Nichtgegenwärtiges vergegenwärtigt:
im äusser~ild veranschaulicht. Bei der Phantasiebildlichkeit auf
Grund vjJn Ph~ntas~en, also der eigentlich~n Phantas~e, dienen die
10 Phantasmen nIcht In WahrnehmungsfunktIon. Aber SIe können es
doch auch insofern, als das Phantasma als ein gegenwär-
tiges angesehen werden kann l . Dabei ist aber notwendig das
Phantasma zugleich als nichtgegenwärtiges aufgefasst, seine Phanta-
siefunktion ist da, die Phantasie ist gegenwärtig, in demselben Sinn
15 wie die Wahrnehmung, das aktuelle Urteil, wie jedes aktuelle psy-
chische Erlebnis. Die Phantasievorstellung ist nicht selbst ein Phan-
tasma. Dieses ist aber ein Teil der Vorstellung. Ist es ein selbständiger
Teil? Kann das Phantasma sein, ohne eine Phantasievorstellung zu
begründen? Man könnte ebenso fragen: Kann die Empfindung sein,
20 ohne Wahrnehmungsauffassung zu begründen?
Wenn eine Empfindung aufgefasst ist, so ist sie notwendig auf-
gefasst in Form einer Wahrnehmungsauffassung, sie kann dann
höchstens noch eine Phantasieauffassung in Form einer mittelbaren
Bildlichkeit tragen (einer durchdringenden). - Wenn ein Phan-
25 tasma aufgefasst ist, so ist es notwendig aufgefasst in Form einer
Phantasieauffassung, es kann dann höchstens noch eine Wahrneh-
mungsauffassung tragen, nämlich die des Phantasmas als eines im
Phantasiebewusstsein gegenwärtigen. Dort dient das Wahrnehmungs-
bewusstsein als Fundament für ein Phantasiebewusstsein, hier das
30 Phantasiebewusstsein <als> Fundament für ein Wahrnehmungsbe-
wusstsein. Beiderseits bestehen Mittelbarkeiten. Das konkrete Wahr-
nehmungsbewusstsein, die Wahrnehmungsauffassung, konstituiert
ein Wahrnehmungsobjekt, das als Bild dient, das geschieht aber so,
dass die sinnlichen Empfindungen, die wesentlich eine Wahrneh-
35 mungsfunktion tragen, zugleich und ausserwesentlich eine Phantasie-
funktion tragen. Das setzt aber voraus, dass die Wahrnehmungs-
auffassung schon vollzogen ist. Andererseits: Dieselben sinnlichen
Inhalte, die eine Phantasiefunktion wesentlich tragen, tragen zu-
gleich und ausserwesentlich eine Wahrnehmungsfunktion: Sie setzt
40 voraus, dass die Phantasieauffassung vollzogen und als Ganzes als
gegenwärtige genommen ist.
Oder: Sinnliche Empfindungen können auch modifiziert sein, kön-
nen phantasiemässig gefasst sein. Als "Phantasierepräsentanter(
können sie aber nur gefasst sein in einem Bewusstseinsganzen, das SIe
45 erst als Empfindung fasst, als Wahrnehmungsrepräsentanten. Ihr als

1 Da ist der Haken.


BEILAGE XII 165

nichtgegenwärtig Gelten setzt ein als gegenwärtig Gelten voraus. Das


als gegenwärtig Gelten der Phan tasmen setzt aber ein als nicht-
gegenwärtig Gelten voraus.
Das sind also wesentliche Unterschiede zwischen Empfindungen
5 und Phantasmen. Empfindungen können nur eine Art u n mit t e 1-
bar e r Auffassung und Charakterisierung erfahren: die als Gegen-
wartigkeiten. Phantasmen können nur eine Art unmittelbarer Auf-
fassung und Charakterisierung erfahren: die als Nichtgegenwärtig-
keiten. Zum Wesen des "Wirklichen" (der Empfindung) gehört es,
10 dass es dazu berufen ist, in erster Linie für sich zu gelten, zu sein, und
dann erst allenfalls anderes darzustellen.
Zum Wesen des phantasiemässigen Inhalts gehört es, dass es be-
rufen ist, in erster Linie für anderes zu gelten, und dann kann es aber
auch als etwas für sich, das nun aber mit der Darstellungsfunktion
15 behaftet ist, gelten.
Zu erwägen wäre, ob nicht Phantasmen nicht nur die Möglichkeit
begrunden, als Phantasieauffassungsinhalte zu fungieren, sondern ob
sie nicht notwendig diese immer mit sich tragen. Während das Analoge
bei der Wahrnehmung nicht der Fall ist (es s'ei denn vielleicht bei der
20 sinnlichen Empfindung).
Oder soll man sagen: 1 Alle Inhalte sind bewusst, alle sind "Be-
wusstseinsinhalte". Dazu gehört aber nicht das Bewusstsein im Sinn
des "M ein e n s", des primären, des Hintergrund-Meinens usw. Dann
wären alle Auffassungen und Meinungen "bewusst",. aber das hiesse
25 nicht, dass sie selbst gemeint wären. Das schlichte Bewusstsein eines
Inhalts wäre kein meinendes Auffassen. Aber soll man sagen, jeder
Inhalt ist als er selbst oder als anderes aufgefasst, und dem folgt das
Meinen? I
Was ist das "bewusst"? Ist es ein Charakter, dann fragen wir, ist
30 dieser Charakter selbst wieder,bewusst, also abermals Träger des "Be-
wusstseins" charakters und so in infinitum?

*
Die Ansicht von der wesentlichen Sonderung von Empfindungen
u~d Ph.antasmen und zugleich der Sonderung der beiden Bewusst-
semswelsen, der Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung. Empfin-
35 dungen können nur die eine, Phantasmen nur die andere Auffassung
erfahren.
Da für spricht ein Argument, das mir letzthin noch nicht auf-
~estossen war. Wenn es nur an zufälligen psychologischen Gründen
lage, was als Empfindung und was als Phantasma fungiert, d.h. in der
40 ~unktion einer Präsentation und einer Repräsentation steht, während
m den so fungierenden Inhalten kein wesen tlicher Anhalt für

1 Der Text dIeses und des folgenden Absatzes wurde später in eckige Klammern
gesetzt und dIagonal durchgestrichen. - Anm. d. Hrsg.
166 BEILAGE XIII

die eine und andere Auffassung läge, dann wäre ,es ja auch nur Zu-
fall, etwa Unserer "psychischen Organisation", dass die aktuellen
Erlebnisse, die unsere Bewusstseinseinheit ausmachen, Gegenwärtig-
keiten, also Realitäten sind.
5 Es wäre denkbar, dass alle Inhalte überhaupt in einem Bewusstsein
als Phantasmen aufgefasst würden, es wäre ein nicht wahrnehmendes
und nur~ha tasierendes Bewusstsein denkbar ... Ob nicht darin
auch Unz äglichkeiten lägen?
Alles, as reell erlebt ist, was die Bewusstseinseinheit ausmacht,
10 kann also nicht anders aufgefasst werden seinem Wesen nach, denn
als Gegebenheit, als GegenwärtigkeiU
Wie steht es dann aber mit den sogenannten "Phantasmen", mit
den modifizierten Erlebnissen, den Sinnesphantasmen, den Modifi-
kationen von Urteilen, Gefühlen usf.? Gehören sie nicht auch zur
15 Bewusstseinseinheit ? Ja, in ihren Modifikationen.

BEILAGE XIII (zu § 37 und zum 9. Kapitel)


<PHANTASMEN UND EMPFINDUNGEN ALS
WAHRNEHMUNGSOBJEKTE UND ALS AUFFASSUNGSINHALTE
VON WAHRNEHMUNGEN (BZW. VON BILDVORSTELLUNGEN
20 UND VON PHANTASIEVORSTELLUNGEN, ERINNERUNGEN) >2 3
(Abschrift und nähere Ausführung einiger Notizen
aus 1905)

Frage: Sind Phantasmen Inhalte, die als gegenwärtig erscheinen?


Eine sonderbare Frage.
Können sie als gegenwärtig erscheinen? Wenn das Phantasierte
nicht als gegenwärtig erscheint, erscheint nicht das Phantasma eben-
25 falls als nichtgegenwärtig ?4
Wie verhält es sich im Fall der Wahrnehmung in dieser Hinsicht?
Die Empfindung erscheint als jetzt, das Wahrnehmungsobjekt auch.
Ferner bei der Bildvorstellung: z.B. beim Photographiebild, in dem
ein Nicht-Jetzt, eine frühere Situation dargestellt ist. Hier sind die
30 Auffassungsinhalte wieder Empfindungen, sie konstituieren ein Bild-
objekt, das als gegenwärtig erscheint, und dieses stellt dar das Nicht-
gegenwärtige, hier das Vergangene. Es "erinnert daran". In der Pha~­
tasie konstituiert sich kein gegenwärtiges Bildobjekt, in der PhantasIe
1 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Alles, was reell erlebt ist, was
die Bewusstseinseinheit ausmacht, muss seinem Wesen nach auffassbar sein als Ge-
gebenheit, als Gegenwärtigkeit." - Anm. d. Hrsg.
2 Handelt auch über Bildvorstellung und Phantasievorstellung.
S Gute Darstellung der älteren Auffassung, die das Phantasma als ein Erlebtes, das
die Apperzeption zu einem Nicht-Selbstda erfährt, ansieht. Sachlich offenbar unhalt-
bar.
4 Offenbar.
BEILAGE XIII 167

ist nichts gegenwärtig, das an ein Nichtgegenwärtiges "erinnert."


Natürlich gilt das von ,Phantasie im weitesten Sinn, inkL der Erin-
nerungsvorstellung. Steht in einer Erinnerungsvorstellung ein Gegen-
wärtiges vor Augen (erscheint ein Gegenwärtiges), das an ein Nicht-
S gegenwärtiges "erinnert"?
Doch ist hier genauer auszuführen:
Vollziehe ich eine Bild auffassung (immer im eigentlichen Sinn:
physisches Bild), so schaue ich .mich in die ähnliche.n Zü~e hine!n, i.ch
lebe im Gegenstandsbewusstsem, ohne dass das BIldob]ekt mIch 1m
10 eigentlichen Sinn an den Geg~nstand (Sujet) "erinnerte", somit als
Ähnlichkeitsrepräsentant, als Ahnlichkeitszeichen fungierte. So näm-
lich bei der immanenten Betrachtung. Erst für die Reflexion und
transiente Betrachtung stellt sich Bildobjekt und Bildsujet gegen-
über, und jenes "erinnert': an dieses, od~.r stellt es, wo von Erinnerung
15 keine Rede ist (fremdes Objekt), als Ahnlichkeitsrepräsentant dar.
Insbesondere wenn die Differenzen gering sind, schaue ich im Bild-
objekt, nach allem, was es in <sich> selbst, abgesehen von äusseren
Verhältnissen, erscheinungsmässig bietet, das Sujet, schaue durch das
Bild die Sache. Andererseits schaue icli imaginativ, im Bildbewusst-
20 sein, das ermöglicht ist durch Differenzen, -mindestens die Differenzen
des gesamten gegenständlichen Zusammenhanges der Gegenwärtig-
ke~_ I
Wir können auch sagen: Wir leben einmal im Symbolbewusstsein
(Bedeutungsbewusstsein), das unexpliziert ist, der Ähnlichkeitsreprä-
25 sentant ist Ähnlichkeitsrepräsentant, aber das, wofür er repräsen-
tiert, ist nicht vergegenwärtigt, und kein explizierter Akt der Be-
ziehung auf den gemeinten und in der Phantasievorstellung vergegen-
wärtigten IGegenstand ist vorhanden, und in der transienten Be-
trachtung ist er vorhanden.! Bei der Bildvorstellung ist das Bild-
30 objekt etwas als gegenwärtig Erscheinendes, das Bildsujet also ist in
ihm vergegenwärtigt., .
Wie aber in der Phantasievorstellung? Hier ist nicht ein
Gegenwärtiges, das ein Nichtgegenwärtiges vergegenwärtigt, niemals
haben wir hier ein als gegenwärtig Erscheinendes (in der Funktion des
35 Bildobj ektes), ein als ,.selbstda" Erscheinendes. Hier ist nichts zu
e~plizieren (mindestens, wenn wir ein gutes, vollkommenes Phantasie-
b~ld nehmen), denn das Explizierende wäre wieder eine Beziehung auf
em Phantasiebild.
Und weist das nicht auf einen ursprünglichen Unterschied zwischen
40 Empfindungen und Phantasmen hin?
D~s Phantasma <hat> den ursprünglichen Charakter der "Repro-
du~tlOn" oder den Charakter der "Nichtursprünglichkeit" , des
"NIcht-da" (verglichen mit der Empfindung).

1 Also ganz wie beim signitiven Vorstellen: expliziert und nichtexpliziert.


168 BEILAGE XIII

Empfindung und Phantasma. Gedenwart des' Phantasmas

Aber ist die Phantasievorstellung nicht ein Gegenwärtiges, ein als


gegenwärtig Erscheinendes die Phantasievorstellung als ganzes, als
Gegenstand der inneren Wahrnehmung? Und ist darin nicht das
5 Phantas~ doch wieder ein Jetzt, ein Gegenwärtiges?1 Sollen wir
sagen: Wi rd eine Empfindung (ein phänomenologischer Inhalt mit
dem Cha akter der Ursprünglichkeit, eben der Empfindung) gegen-
ständlich-(linglich2 apperzipiert, apperzipiert als "äussere Erschei-
nung", so konstituiert sich ein Gegenstand, der als gegenwärtig er-
10 scheint, ein Wahrnehmungsgegenstand oder ein gegenwärtiger Gegen-
stand, ein Selbstda (evtl. geleugnet). Wird ein Phantasma apperzi-
piert, und zwar als Ding3 apperzipiert, so wird es notwendig als nicht-
gegenwärtiges Ding apperzipiert, nicht-da, nicht in eigener Person,
sondern "vorgestellt", durchaus nach allem, "was es ist".4
15 Findet aber phänomenologische Apperzeption statt, so ist das
Phantasma sognt als eine Empfindung ein Dies, ein Moment des "Be-
wusstseins".5 Ein reelles Moment (im Gegensatz zum symbolischen
oder transeunten), und findet psychologische Apperzeption statt, so
gehört die Wahrnehmung, die Vorstellung, auch die Dies-Auffassung
20 etc. zu mir, dem empirischen Ich, und jedes reelle Dies ist ein Psy-
chologisch-Gegenwärtiges, eingeordnet in das individuelle Bewusstsein
und dadurch in die objektive Zeit. In der objektiven Zeit ist die Emp-
findung und das Phantasma: nämlich als ein objektiv zeitlich dann
und dann Seiendes eines individuellen Bewusstseins, eines Ich. Aber
25 die Empfindung sowenig als das Phantasma hat seine Stellung in der
dinglichen = physischen Natur, darin ist es nicht "da", weder
wirklich noch vermeintlich, in wirklicher Erscheinung.
Vielleicht muss man auch das hinzufügen: Das Phantasma ist ein
Unselbständiges, es trägt6 notwendig den Apperzeptionscharakter des
30 Nichtursprünglichen, die Empfindung ist ein Unselbständiges, sie
trägt notwendig den Apperzeptionscharakter des Ursprünglichen,
Gegenwärtigen. Nämlich jeder primäre Inhalt wird nach ursprüng-
licher Notwendigkeit dinglich apperzipiert (wenn auch zunächst nichts
gesagt ist über Transzendenz durch Kontiguität). Das Bewusstsein
35 aber, zu dem diese Apperzeption gehört, erfährt, sowie es zurri Gegen-
stand eines neuen Bewusstseins gemacht wird (das gehört zum Wesen

1 Da ist der Fehler.


S ,,-dinglich" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
3 "Ding" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
4 Der Grundfehler ist, dass "Phantasma" als ein Gegenwärtiges genommen wird,
das nur als Repräsentant "charakterisiert" ist, wogegen doch schon die Ausführungen
der vorigen Seite sprechen.
5 So liegt es freilich nahe, zu sagen, da ist die grosse Versuchung, aber das ist eben
unhaltbar. Das Dies ist eine Vergegenwärtigung von einem Dies.
e Es "trägt"?
BEILAGE XIII 169

des Bewusstseins), eine neue Apperzeption, die "innere" Apperzep-


tion, und dieses Bewusstsein hat den Charakter einer Impression.
Das Phantasma als Auffassungsinhalt der ersten Apperzeption (der
auf ihn oder auf einen "äusseren Gegenstand" gerichteten Vorstellung)
5 hat den Charakter des Nicht-jetzt, Nicht-Selbstda. 1 Diesen Charakter
gibt ihm diese Apperzeption. 2 Und diesen Charakter hat er notwendig
in der Welt, die sich durch diese Apperzeption "konstituiert".
Das Phantasma aber als Bestandstück solcher Apperzeption hat in
den neuen inneren Apperzeptionen so wie die ganzen Wahrnehmungen
10 und Vorstellungen und Erinnerungen etc. den Charakter "innerer
Gegenwart", "inneren jetzt- und Selbstda-seins". Und nun erwächst
in der logischen Zusammenbeziehung der beiderlei Apperzeptionen,
in ihrer logischen Bearbeitung: eine einzige Welt, die physische Welt
und die mit ihr einheitliche geistige Welt, Leib und Seele, etc. Und
15 nun haben in ihr weder Empfindungen noch Phantasmen eine Stelle
als physische Gegenstände, vielmehr haben solche Stelle die durch sie
sich konstituierenden physischen Dinge. Dagegen haben Empfin-
dungen und Phantasmen nun ihre Stelle in der geistigen Ergänzung,
in der Welt des Psychologischen als Bes,tandstücke bzw. Fundamente
20 der Apperzeptionen und weiter der Akte des Wahmehmens, VorsteI-
lens etc.

-- 1
2
SPäter
w· eingefügt·
."" der Idee" . _ Anm.d.Hrsg ..
'1 Je kann eIne Apperzeption einem Erlebten den Charakter des Nicht·Selbstda
er t el en?
Nr.2

<VON DER THEORIE DER REPRÄSENTATION


BEI PHANTASIE UND ERINNERUNG ZUR
EINFÜHRUNG DER LEHRE VON DER
5 REPRODUKTION BZW. DOPPELTEN
VERGEGENWÄRTIGUNG>
<Texte von etwa 1904 bis etwa 1909, evtl. 1912>

<a» Aporie. <Doppelte Auffassung derselben Erscheinung: als


Phantasie der Wahrnehmungserscheinung in Beziehung auf das
10 aktuelle Ich bzw. als Wahrnehmungserscheinung in Beziehung auf
das Phantasie-Ich. Ob nicht zum Wesen feder Phantasie- und
Erinnerungsvorstellung gehört, eine Erscheinung im Bewusstsein
der Repräsentation darzustellen. Reflexion auf das Phantasie-
Vorstellen>
15 <wohl 1904>

Ich versetze mich in der Phantasie ins Herero-Land. Ich


träume, von den wasserlosen Wüsten etc. Es sind Phantasien, ich
habe keine angemessenen Beschreibungen davon, allenfalls un-
vollkommene, die mich in meinen Einbildungen leiten.
20 Die Phantasieerscheinungen habe ich jetzt: Ich habe Akte der
Einbildung. Zugleich aber "versetze ich mich da hinein", in das
Herero-Land, ich "sehe" den Busch, ich sehe die weiten wasser-
losen Wüsten, ... Ich "sehe"; die Gegenstände, die Vorgänge
erscheinen nicht als hier und jetzt im wirklichen Sinn, ich habe
25 jetzt keine Wahrnehmungen. Ich habe die Vorstellungen. Habe
ich damit nicht auch die Vorstellungen der Wahrneh-
mungen? Die Vorgänge erscheinen als nicht jetzt, indem die
Erscheinungen als Inhalte von Wahrnehmungserlebnissen ge-
TEXT NR. 2 (1904-1909) 171

fasst sind, aber als <von> Wahrnehmungserlebnissen, die ich


nicht jetzt habe, sondern in die ich mich eben "hineinversetze".
Es ist selbstverständlich, dass zum Wesen der "Vorstellung"
nicht gehören kann, dc1SS ich mir vorstelle, ich nehme wahr, also
5 zum Wesen der Vorstellung eines A die Vorstellung, dass ich A
wahrnehme. Denn dann käme der unendliche Regress.
Wenn ich A wahrnehme, z.B. ich sitze im Ratskeller und sehe
meinen Freund Schwarz, so muss ich nicht auch wahrnehmen,
dass ich ihn wahrnehme. Ich werde zwar wie alle äusseren Ob-
10 jekte so auch meinen Freundin Beziehung zu mir apperzipieren,
ich werde ihn also als mir gegenübersitzend, mit mir sprechend
usw. wahrnehmen. Mindestens die räumliche Lage jedes äusseren
Objekts zu mir, zu meinem Körper, zu meinem Kopf gehört! mit
zur Auffassung des Objekts. Aber darin liegt nicht, dass ich not-
15 wendig mich als Wahrnehmenden, also die Wahrnehmung Voll-
ziehenden auffasse. Ich kann es jedetzeit tun, ich "weiss", dass
ich die Augen pffen habe, ich kann aussagen, ich sehe Freund S.
Er kann mir g~genübersitzen, ohne dass ich ihn sehe. Wenn ich
die Augen geschlossen habe, wenn es finster ist usw. Ich sehe ihn,
20 ich habe die Wahrnehmung des mir gegenübersitzenden Freun-
des, ich erlebe das Wahrnehmen, sein wahrnehmendes-Erschei-
nen, er steht selbst vor mir, dieses selbst-jetzt Dastehen ist ein
Erleben, das ist und ist mein Erleben, es ist etwas, das zu meinen
Erlebnissen, zu meinem geistigen Ich gerechnet wird. Aber all
25 das in neuen Wahrnehmungen und in der Wahrnehmung voll-
zogenen Beziehungen. Nehme ich wahr, so bin ich dem Objekte
zugewendet, dem Freund, der meinem Körper gegenübersteht,
und es ist evident, dass, wo dies Erlebnis ist, auch die Möglich-
keit jener Reflexion und Beziehungen besteht.
30 Wenn ich nun eine Vorstellung habe, eine Erscheinung in der
Phantasie oder eine intuitive Erinnerung (Vergegenwärtigung),
so schaue ich in gewisser Weise auch, z.B. dass mein Freund mir
gegemibersitzt, zu mir spricht. Bei der Vorstellung ist es nicht
ander" wie bei der Wahrnehmung: Die Erscheinung ·des äusseren
35 Objekts ist in Beziehung gesetzt zur Erscheinung meines Körpers,
der dann bei aller äusseren Phantasie irgendwie, mehr oder min-
der klar mitvorgestellt ist. (Speziell für das Sehen: Hauptsäch-

1 Spater eingefugt "normalerweise". _ Anm.. d. Hrsg.


172 TEXT NR. 2 (1904-1909)

lich das sehende Auge, aber nicht als Objekt, das man selbst
sieht, sondern repräsentiert durch die Muskelempfindung der
geöffneten Augen, Akkomodationsempfindungen u.dgl. Ge-
sichtsbild der in das Sehfeld hineinragenden Nase etc.) Meine
5 Hände sehe ich auch: Auch sie werden in Beziehung gesetzt zu
meinem Kopf, zum körperlichen Sehzentrum.
Dieses Zentrum der physischen Sehbeziehung wird aber nicht
selbst wieder in dieser Weise vorgestellt. Allerdings, wende ich
darauf die Aufmerksamkeit, so stelle ich mir meinen Kopf und
10 vielleicht mich selbst ganz vor, etwa wie ich "mich" vom Spiegel
her kenne, wodurch dann die sonderbare Beziehung des Seh-
zentrums wieder auf ein anderes erfolgt.
Nun gut. Wenn ich jetzt zurückdenke an die belebte Stunde
mit Schwarz im Ratskeller, und speziell wie ich ihm gegenüber-
15 sass, im bestimmten Moment, der bestimmten Situation, da
habe ich eine "Phantasie"-Vorstellung von der ganzen Situation,
speziell eine solche von "mir". Und sogut ich einen Tisch, den
ich sehe, identifizieren kann mit einem Tisch, dessen ich mich
in einer Phantasieerscheinung erinnere (die Lage, das Aussehen
20 mag übrigens geändert sein), so kann ich die Erinnerung an das
Ich identifizieren mit dem jetzt empfundenen oder wahrgenom-
menen Ich. Also me i ne mIch 1 steht in der Phantasie das Ob-
jekt gegenüber (meinem Ich in einer gewissen phantasierten Si-
tuation, Stellung). Natürlich wird das Wahrnehmen dabei nicht
25 phantasiert, und doch kann ich wieder sagen: Das Objekt er-
scheint dem Ich, und zwar so, dass das Ich das Objekt wahrnimmt,
es hat die Augen offen, blickt auf das Objekt so und so hin usw.
Nun wenn ich auf den Akt des Phantasierens reflektiere, stehe
ich in der Gegenwart. Dieser Akt ordnet sich ein meinem aktu-
30 ellen Ich: Er wird wahrgenommen. Das so und so Erscheinen, das
Vorschweben des Bildes etc., das ist ein aktuell Wahrgenom-
menes und gehört zur Sphäre der "Seele". Soeben schwebt mir
das "Bild" der Situation im Ratskeller, Eugen Schwarz ete. vor.
Ich kann aber auch die Erscheinung beziehen auf das phanta-
35 sierte, nicht bloss körperliche, sondern auch geistige Ich. Lebe
ich in der Phantasie, so lebe ich in dem Bildbewusstsein, welches
jenes Phantasie-Ich und jenes Phantasieobjekt, jene Phantasie-

1 "Ich" später verändert in "Phantasie-Ich". - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 2 (1904-1909) 173

situation intentional umfasst. Zum' Phantasie-Ich gehört auch


ein Phantasiebewusstsein mit seelischen Erlebnissen, und zu
diesen gehört auch das Erscheinen des ihm gegenüberstehenden
Objekts, das ihm Gegenüberstehen, das für es selbst Dasein.
5 Beziehe ich die Phantasieerscheinung "mein Freund S." auf
mein wahrgenommenes Ich, so habe ich eben eine Phan-
t a sie erscheinung, dem wahrgenommenen Ich schwebt der
Freund vor, es hat ein Erlebnis der Anschauung des Freundes,
aber einer Anschauung,' die nicht "wirklich selbst Dasein des
10 Freundes", nicht "jetzt selbst Gegenüberstehen", nicht selbst Ge-
genwärtigsein desselben, nicht -wahrgenommenes Sein ist. Be-
ziehe ich die Erscheinung aber auf mein p ha n ta sie r t e sIe h,
so ist sie ein psychisches Erlebnis dieses Ich, d.h. dieses Ich kann
aufgefasst werden als diese Erscheinung habend. Freilich, die
15 jetzige Erscheinung, identisch dieselbe, kann nicht das
phantasierte Ich haben. "Das phantasierte Ich hat die Er-
scheinung", d.h. zum Phantasieren jener Situation gehört die
mit beschlossene Möglichkeit, dass phantasiemässig gilt (als impli-
zierte Annahme): "dann muss zum phantasierten geistigen Ich
20 das Haben der Erscheinung gehören". Das Phantasie-Ich ist
aber nicht das aktuelle Ich l , es ist zwar mit diesem identifiziert,
aber nicht in dem Sinn, als ob seine Phantasieerlebnisse jetzt ak-
tuelle sein könnten. Ich kann mich "so wie ich bin" hineinphanta-
sieren in das Mohrenland, aber z ga n z so, wie ich bin, nicht.
25 Nämlich meine Wahrnehmungsumgebung kann ich nicht fest-
halten. Sie widerstreitet ja mit der Phantasieumgebung. Mein
jetziges Gesichtsfeld ist unverträglich mit dem phantasierten
usw. Das betrifft alle Teile des Bewusstseinsinhaltes, die gerade
nur phantasiemässig angenommen, aber jetzt nie h t vorhanden
30 sind. Wohl nur dadurch ist das Bewusstsein der Repräsentation
möglich.
Die Erscheinung nun, die ich jetzt Phantasieerscheinung nenne
und <die> mein jetziges Ich in dieser Weise hat, hat die auch das
eingebildete Ich in der Weise einer Phantasieerscheinung? Stelle

1 Das Ich, das phantasiemässig erscheint, wird also zu einem Nicht·Jetzt, was ich
ihm vom Jetzt zudeute, wird zum Bild dessen, was jenes Ich hat. Der Widerstreit
~ennt ~ozusagen aktuelles und phantasiertes Ich. Und so wird auch die jetzt erlebte
I rhschemun g zum Repräsentanten, Bild der "Erscheinung", die dem phantasierten
c ZUgemutet wird.
2 Spater eingefugt "eigentlich". _ Anm. d. Hrsg.
174 TEXT NR. 2 (1904-1909)

ich mir vor, ich sass Freund S. gegenüber, so liegt darin "impli-
zite", dass ich mir vorstelle: ich hätte die Wahrnehmungs-
erscheinung des gegenübersitzenden Freundes. Die Selbst-
erscheinung des Freundes, das Gegenübersitzen seI b s t wird
5 dem Phantasie-Ich eingelegt. Dem aktuellen jetzigen Ich wird
eingelegt die Erscheinung, die nicht als Wahrnehmungserschei-
nung genommen, sondern als Vergegenwärtigung verstanden
wird. Dieselbe Erscheinung wird doppelt aufgefasst. In Beziehung
auf das Phantasie-Ich ist es Wahrnehmungserscheinung: Ich
10 phantasiere: "ich, in der und der Situation seiend, nehme das
und das wahr", d.h. in der Phantasie wird die Erscheinung dem
Phantasie-Ich als Wahrnehmung eingelegt. In Beziehung auf
das jetzige Ich ist es Phantasie der Wahrnehmungserscheinung,
aber als Phantasie dem gegenwärtigen Ich aktuell eingelegt in
15 eins mit der Phantasie des Ich in jener Situation.
Gehört nicht zum Wesen jeder Phantasievorstellung, dass sie
eine Erscheinung im Bewusstsein der Repräsentation darstellt?
In diesem Bewusstsein leben, d.i. den Gegenstand, Freund S.,
sich "in der Phantasie vorführen". Auf dieses Bewusstsein re-
20 flektieren heisst, darauf hinblicken, es wahrnehmen, dass diese
Vorstellung bestehe, diese Phantasie. Wie nun der erscheinende
Gegenstand der phantasierte ist, vermöge des Repräsenta-
tionsbewusstseins (der vergegenwärtigte), und wie dabei die er-
lebten primären Inhalte, die Farben etc. Repräsentanten sind
25 für dieselben nicht erlebten, so kann notwendig auch die E r-
sc he i nun g als Repräsentation einer Wahrnehmungserschei-
nung gefasst werden. "Freund Schwarz" vorstellen heisst nicht,
die Wahrnehmung des Freundes Schwarz vorstellen. Aber wenn
ich Freund Schwarz vorstelle, so kann ich die Vorstellung, d.i.
30 die Erscheinung, die ich jetzt habe, als Bild einer entsprechenden
Wahrnehmungserscheinung desselben auffassen.
Sich X vorstellen = sich den Gegenstand X vorstellen C'V sich
vorstellen, dass X da, gegenwärtig sei C'V sich vorstellen, dass X
wahrgenommen sei, dass X in der Weise der Wahrnehmung er-
35 scheine C'V sich vorstellen, dass in der jetzigen Erscheinung die
Wahrnehmungserscheinung desselben Gegenstandes repräsen-
tiert sei.
Man kann auch so sagen: Ein A (das Rathaus, Freund Schwarz)
phantasieren heisst, sich diesen Gegenstand vorschweben lassen,
TEXT NR. 2 (1904-1909) 175

d.i. ihn als selbst daseienden1 erscheinen lassen (ihn erscheinen


bssen, vorschweben lassen und als selbst daseienden <erschei-
nen lassen> ist einerlei). Freilich nicht als jetzt seienden, als da
in meiner jetzigen Umgebung seienden! Das ist wieder etwas an-
S deres. Ich kann mir auch ein Nichtseiendes oder jetzt Nichtseien-
des im Zeitpunkt des Jetzt (in der Gegenwart, im jetzigen Zeit-
ablauf seiend) und in der jetzigen Umgebung in diesem Zimmer
usw. vorstellen. Hier erlebe ich das aktuelle Jetzt und die aktu-
elle Umgebung und phantasiere in sie hinein, im bewussten
10 W i der s t r e i t zu dem und jenem aktuell Erlebten. In der
Phantasievorstellung eines A. das nicht in dieser Art hinein-
phantasiert ist, lebend, stelle ich ein Jetzt, eine Umgebung usw.
vor, ohne Mischung mit der aktuell erlebten. Ein Gegenstand,
ein Selbsterscheinendes wird vorgestellt: Ich lebe im Bewusstsein
15 der Repräsentation, das verschieden ist vom Bewusstsein des
aktuellen Jetzt, vom wirklich Selbstgegebensein, Selbsterschei-
nen. Der Gegenstand ist gl ei c h sam selbst da. Er ist es in der
und der Erscheinung, von der und der Seite etc. Diese Erschei-
nung ist nicht Wahrnehmungserscheinung, sondern Repräsen-
20 tant derselben. Das Bewusstsein der Phantasie ist nicht Wahr-
nehmung, sondern gleichsam Wahrnehmung. 2 Das ganze Be-
wusstsein ist vergegenwärtigt und ist Repräsentant. 3
Ich habe, nicht nur Empfindungen wie bei den Wahrnehmun-
gen, die Empfindungen aufgefasst als denselben Gegenstand
25 <darstellend>, gestaltet zu gleicher Erscheinung. Und der Unter-
schied besteht nicht blass darin, dass einmal ein unsagbarer
Charakter "der Wahrnehmung", das andere Mal ein korrelater
Charakter "Phantasie" da ist,4 sondern ich habe einerseits den
Charakter der Selbsterscheinung, auf die reflektiert werden kann,

1 "Ihn als selbst daseienden" später verändert in "ihn selbst (daseienden)". _


Anm. d. Hrsg
2 (Der Gegenstand erscheint, er selbst, aber als nicht jetzt gegenwärtig, in Wider-
streit mit der Gegenwart"sein Erscheinen fallt in die Gegenwart, aber er selbst ist
charaktenslert als mchtgegenwärtig, oder in einer "Seinsbestimmtheit", die mit der
der Gegenwart streitet. Er ist im aktUiellen Jetzt nicht, sein "gegenwärtig" ist ein
a ~ der e s, andere Zeitbestimmtheit, und Zeit gibt Indiv<idualitäb.)
N Spater emgefugt: "d.h. erscheint, wenn wir darauf achten, in der Weise des
I~ht-Jetzt". - Anm. d. Hrsg.
Das 1st missverständlich: höchstens so: Unsagbar ist der Charakter nicht. Es ist
~~n;nal das .aktuell Gegenwärtig. Die aktuell gegebene "Wirklichkeit". Das andere
• a . das Nlcht-Gegenwartig, das Nicht-Jetzt.
176 TEXT NR. 2 (1904-1909)

so dass gefunden wird: Es steht da, es ist direkt erfasst. Aber die
Phantasie bringt nun eine Modifikation: Das ist nicht "wirklich"
da, nicht jetzt gegenwärtig, nicht aktuell jetzt und gegenwärtig,
es ist bloss "Repräsentation". Das Rathaus erscheint nur als
5 gegenwärtig,1 es schwebt mir nur vor. Ich habe die Vorstellung
vom Rathaus: Ich habe ein Bewusstsein von einem mir selbst
Gegenüberstehen des Rathauses. Aber es ist doch nicht aktuell
gegenwärtig, es erscheint anders wie Wahrnehmungsobjekte, es
erscheint in der Weise der Repräsentation. Das Bewusstsein des
10 Selbst ist jetzt nur Gleichnis, nur Repräsentant: Wenn ich darauf
achte, merke ich es. "Ich stelle mir in der Phantasie vor, dass ich
das Rathaus wahrnehme", also das Wahrnehmen des Rathauses
stelle ich mir vor, d.h. gewöhnlich nichts anderes <als> ich stelle
mir das Rathaus vor und wie ich ihm gegenüberstehe. Dann kann
15 ich aber auf das Wahrnehmen reflektieren und nehme es als
Repräsentant oder finde es als Repräsentant. Im strengen Sinn
das Wahrnehmen vorstellen hiesse: "Ich stelle mir vor: ich nehme
wahr". Dann gehört dazu das Bewusstsein vom Wahrnehmen des
Wahrnehmens. Ich stelle mir mein Wahrnehmen des Rathauses
20 vor, ich versetze mich in das Wahrnehmen des Rathauses, stelle mir
vor, dass ich darauf reflektierte, also von meinem Wahrnehmen
ein Wahrnehmen hätte. Aber a11 das nur repräsentativ. All das
erscheint aber in der Charakterisierung: nicht jetzt, nicht aktuell
gegenwärtig.
25 Sehe ich von aller Reflexion ab: Ich stelle vor (aber denke nicht
daran, dass ich es tue): "Das Rathaus steht vor mir, ich sehe es".
Die Anführungszeichen deuten das modifizierende Bewusstsein an.
Auf das "Wahrnehmen", das "Sehen", das "vor mir Stehen" kann
reflektiert werden, dann erfasse ich "in der Phantasie" das Wahr-
30 nehmen, das vor mir Stehen etc. Aber das ist wieder modifiziert. Es
gilt nur als Repräsentant. Dann kann ich all das im Bewusstsein der
Repräsentation mir als ein Gegenwärtiges zum Bewusstsein brin-
gen: Ich habe jetzt die Erscheinung des vor mir Stehens, die Vor-
stellung, dass mir das Rathaus gegenüberstand, dass ich es in der
35 Phantasie anschaute. Der ganze Spuk wird als Repräsentation, als
Modifikation in Beziehung gebracht zum jetzigen aktuellen Wahr-
nehmungsbewusstsein und dem reell eingeordnet als Akt.

1 Später eingefügt: "so, wie wenn es wäre". - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 2 (1904-1909) 177

Ist es Vorstellung der Wahrnehmung? Nein, es ist Vorstellung


des Gegenstandes. Wenn ich mir nun aber die Wahrnehmung, das
Bewusstsein vom Se1bstgegenw~rtigsein des Gegenstandes vor-
stellen will? Das Bewusstsein der Repräsentation, das Vorstel-
5 lung (der Phantasie) vom Gegenstand heisst, ist nicht Vorstellung
vom Bewusstsein vom Selbst dasein des Gegenstandes, sondern
Vorstellung vom SeIbstdasein. Reflektiere ich auf das Bewusst-
sein der Repräsentation, auf das Phantasievorstellen, so ist das
ein aktuell Wahrgenommenes, ein Jetzt.
10 Achte ich auf die Phantasieerscheinung des Rathauses, so ist
diese Erscheinung ein Jetzt. Ich kann sie aber auch auffassen als
Erscheinung einer Erscheinung, die ich früher gehabt habe oder
die ich jetzt nicht habe, aber in die ich mich hineinphantasiere, als
Repräsentant der aktuellen Selbsterscheinung des Gegenstandes.
15 Sich die Wahrnehmung vorstellen = die Erschei-
nung des Gegenstandes, die in der Phantasie besteht, als Reprä-
sentanten (für die Wahrnehmungserscheinung, die aber nicht
noch einmal ~orgestellt ist) nehmen und ebenso die Phantasie-
setzung (die modIfizierte) als Repräsentanten nehmen für die
20 wirkliche Setzung. 1
Zum Wesen der Wahrnehmung gehört die Möglichkeit der Re-
flexion: Statt auf den Gegenstand zu achten, kann ich auf <das>
Wahrnehmen des Gegenstandes, auf sein Selbsterscheinen und
als daseiend Genommensein und Geglaubtsein achten. Zum We-
25 sen der Phantasie gehört die Möglichkeit, statt auf den Gegen-
stand zu achten, auf sein Erscheinen, auf sein als daseiend Phan-
tasiertsein, auf sein ;,Geglaubtsein in der Phantasie" <zu> achten.
Die Erscheinung habe ich in der Phantasie ebenso wie in der
Wahrnehmung (im wesentlichen wohl ebenso, mindestens in der
30 voll anschaulichen, sehr ;,klaren" Phantasie), aber ihre "Weise"
ist eine andere, das Bewusstsein ist modifiziert.
Schwebt mir das Rathaus vor, so habe ich "Wahrnehmung",
das Rathaus steht da, und das Rathaus steht da von der und der
S:ite, in der und der Erscheinung. Aber die "Wahrnehmung" ist
35 lllcht wirklich Wahrnehmung, "sie stellt Wahrnehmung vor".

E ~ Vorstellung einer Wahrnehmung, Vorstellting einer Einbildung, einer früheren


. nnnerung etc. Und ebenso kann diese vorgestellte Erinnerung wieder eine Er-
Innerung an eine Wahrnehmung, an eine Vorstellung etc_ sein_
178 TEXT NR. 2 (1904-1909)

Das ganze Bewusstsein, das fast so ist wie bei wirklicher Wahr-
nehmung, repräsentiert das Bewusstsein wirklicher Wahrneh-
mung. 1
Das alles überträgt sich auf die Erinnerung. Ich meine hier
5 nicht die direkte Erinnerung, die primäre, sondern die Wie d e r-
erinnerung, die repräsentative.
In der Phantasie, das Wort im weitesten Sinn genommen, fin-
den wir auch die Wiedererinnerung. In der Phantasie im engeren
Sinn fehlt der Glaubenscharakter, sei es ganz, sei es für das phan-
10 tasierte Ganze. Ein Zeitbewusstsein ist überall mi t-
be s chi 0 s sen. Auch wenn ich einen geharnischten Ritter, mit
einem Drachen in Kampf, oder einen Wagenkampf auf dem Meer
phantasiere, habe ich Zeitvorstellung. Stelle ich den Vorgang
nicht in der Vergangenheit vor, oder hineinphantasiert in die
15 umgebende Gegenwart, so stelle ich doch Dauer, Vorgang vor,
ich "versetze mich in die Wahrnehmung" dieser Dinge und phan-
tasiere ihr Jetzt, ihre zeitliche Gegenwart, ob ich nun auch auf sie
nicht achte. In der "objektiven Zeit", d.i. in der Zeit der wirk-
lichen Dinge und Vorgänge kommen diese Dinge nicht vor, weil
20 sie überhaupt nicht gelten. Sie sind Fiktionen, ihre Zeit ist eben-
falls Fiktion.
In der Erinnerung setze ich das Phantasierte glaubend in die
Vergangenheit, in der Wiedererinnerung repräsentiert das Nicht-
Jetzt (das in -aller Phantasie liegt) ein Vergangen.
25 Fragen kann man hier allerdings: Wie kommt es zur Repräsen-
tation der Vergangenheit? Vergangenheit erlebe ich in der Wahr-
nehmung einer Sukzession, Vergangenheit habe ich anschaulich
vorgestellt in der Wiedererinnerung einer Sukzession. Wenn
ich aber an eine Situation, z.B. meinen Besuch in der
30 Münchener Pinakothek, "zurückdenke", an eine einzelne Situa-
tion, an das Schauen eines bestimmten Bildes, da schaue ich kein
Vergangenheits-Sein an2 • Soll man da die Assoziation verant-
wortlich machen und sagen: A geht über in Be - dabei ändert

1 Das ist "Wahrnehmung" im Verhältnis zur "Erinnerung": Ich stelle mir jet~t
vor, wie ich im Ratskeller sass und die und die "Phantasien und Erinnerungen"
vorschwebten, und wie ich dann wieder auf die "wahrgenommene" Umgebung auf-
=
merksam wurde etc.
• 2 Später eingefügt: "sondern ein 'Jetzt' ". Wohl gleichzeitig bemerkte HusserI am
Rande: "Die jetzige Erinnerung wird als Vergangenheitsbewusstsein vollzogen" . -
Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 179

sich A, es erlebt die "Zurückschiebung" in die Vergangenheit, es


erhält dadurch den Charakter des Vergangen. Taucht A wieder
auf, so erregt es die Sukzessionsreihe, zu der es gehört, und vor
allem das Vergangen.
5 Befriedigend ist das nicht. Denn der ganze Vorgang, soweit ich
ihn verfolge, hat Vergangenheitscharakter, auch das anschau-
liche Vergangene, das da auftritt. Freilich auch das Vergangene
wird im aktuellen Erleben ein Vergangenes, jeder, auch der Ver-
gangenheitscharakter, schiebt sich zurück. Und daran liegt es
10 wohl.

<b) Aktuelle Vorstellung "von" und V orstellung in der


Einbildung, Erinnerung (imaginatives Gegenbild);
Reflexion in der Phantasie>
<um 1905>

15 Wir haben zU unterscheiden


I) Vorstellung von einem Urteil, von einem Willen, einem
Gefühl, auch Vorstellung von einer Vorstellung, Vorstellung von
einer Vorstellungsvorstellung usw., Wahrnehmung von, anschau-
liche Vorstellung von; symbolische Vorstellung von einer Wahr-
20 nehmung, desgleichen etc., anschauliche Vorstellung von einer
anschaulichen Vorstellung, usw.
2) Das imaginative Gegenbild, die Modifikation eines
Urteils, eines Gefühls, eines Willens. Das sich in ein Urteil etc.
Einleben. Wir leben uns in die Personen eines Romans, eines
25 Schauspiels etc. ein, urteilen, fühlen, wollen mit ihnen, abgesehen
davon, ob wir ihr Urteilen etc. zum Gegenstand des Vorstellens,
Wahrnehmens, Einbildens etc. machen. 1 Ich lebe in der Erin-
nerung: Ich lebe mich' in die vergangene Situation hinein, z.B.
in Halle in ein Gespräch'mit Fitting etc., in die vergangenen Ur-
30 teile, Wünsche ete. Ich wünsche nicht wirklich, ich urteile nicht
wirklich, sofern ich mich bloss einlebe. Ich kann jetzt wirklich
urteilen über die Ta!tsachen der Erinnerung, ich kann mich jetzt
wirklich ärgern: während ich damals so nicht geurteilt, so mich
---
V 1 Ist aber nIcht zu unterscheiden zwischen dem inneren AnteiInehmen bzw. dem
t ollzJehen der Akte als motivierter im Phantasiegrund gegenilber dem bIossen Phan-
aSleren ohne Motivation? Ja aber gibt es Phantasieakte ohne Phantasiemotivation?
180 TEXT NR. 2 (1904-1909)

nicht geärgert habe etc., d.h. besser: während diese Urteile, Ge~
fühle nicht in den Bereich der Erinnerung' (in die ich mich ein~
lebe) gehören. Ich kann auch in das Urteil in der Erinnerung
mich einleben und jetzt zugleich ebenso urteilen, zugleich ebenso
5 fühlen etc. 1
Klar ist jedenfalls der Unterschied der Vorstellung von einem
Urteil, in dem das Urteil gegenständlich ist, der Vorstellung Von
einem Willen, in dem der Wille gegenständlich ist, von dem ima~
ginativen Urteil, dem imaginativen Willen etc. 0 der ni c h t ?
10 Ist nicht ein Unterschied zwischen der Vorstellung eines Ur~
teils und dem Urteil, dem wirklichen oder eingefühlten ? Zwischen
der Vorstellung einer Freude und dem Sich~freuen, und dem
Sich~einfühlen in die Freude? Klare Beispiele!
Ich stelle mir vor, wie ich jüngst zornig war. Da stelle ich mir
15 doch den Zorn und die ganzen Vorgänge vor. Ist da ein Unter~
schied gegenüber dem "Einleben"? Wird nicht in der Phantasie
all e s gegenständlich? Das Beispiel ist wohl etwas zu kompli~
ziert.
Im aktuellen Erlebnis der Freude bin ich dem Erfreuenden zu~
20 gewendet, "empfinde" aber die Freude. Im aktuellen Erlebnis des
Urteilens bin ich den Sachen zugewendet, S! ist - P, diese
Tinte ist bläulich. Im aktuellen Wunsch: Möge ich mit diesen
Schwierigkeiten fertig werden! Oder im aktuellen Willen (mein
Absehen geht ,auf die Lösung der mich jetzt beherrschenden
25 Probleme) bin ich den Sachen zugewendet, ich will, ich achte
nicht auf den Willen, mache ihn nicht zum Gegenstand. Ist ein
Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wahrnehmung der
Wahrnehmung, zwischen Urteil und Wahrnehmung des Urteils,
zwischen Wunsch und Wahrnehmung des Wunsches? So frage ich.
30 Bin ich da nicht den Sachen zugewendet? Oder der Frage? Ich bin
niedergeschlagen, ich bekomme nichts heraus, bin ich da dem
Unmut zugewendet und nicht der Sache?
Ebenso in der Erinnerung und in der "Phantasie". Ich stelle
mir vor: ich frage, ich bin unmutig,2 dass es nicht weiter geht.
35 Ich urteile, ich will, ich nehme wahr, ich erinnere mich.

1 Zu unterscheiden: Das Reproduzieren und durch Nachfühlen, Einfühlen in dem


Sinn, dass ich die Motivation wieder vollziehe. Darin steckt mehr.
2 "ich frage, ich bin unmutig" später verändert in: "dass ich frage, dass ich un-
mutig bin". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 181

Jedenfalls in demselben Sinn bestehen die Unterschiede. Die


aktuelle Frage - die Frage in der Einbildung, das aktuelle Ur-
teil, das Urteil in der Einbildu~g, der aktuelle Wunsch, der
Wunsch in der Eirtbildung. Statt Einbildung auch Erinnerung.
5 Beiderseits kann ich die "Akte" zu Gegenständen worüber
machen. Da ist doch sicher ein Unterschied. Also zu einem Dies,
zu dem Genannten, von dem etwas zu gelten hat, das Gegen-
stand ist, worauf sich dann ein Fragen bezieht, ein Wünschen
bezieht. Jedenfalls halte ich das fest: Der Wunsch ist nicht
10 Gegenstand worüber, wenn ich wünsche, das Urteil nicht Gegen-
stand worüber, .wenn ich urteile. 1
Wie kann ioh-denn eine Wahrnehmung imaginativ
vor s tell e n, zum Gegenstand machen?
1) Wahrnehmung von A 2) Gegenbild: Imagination von A
15 1') Wahrnehmung von der Wahrnehmung A
oc} Wahrnehmung der Imagination von A
I " ß) Imagination der Wahrnehmung von A
\ ,. y) Imagination der Imagination von A
Das sind sämtliche vier Möglichkeiten (1 3)2+
20 IX) Natürlich kann die Imagination von A, zum Beispiel das
Heranspringen eines. Zentauren, in dessen Imagination ich ge-
rade lebe, objektiviert werden. Es ist zweierlei: die Einbildung
des Zentau~en vollziehen: Er steht phantasiemässig da, und die
Einbildung zum Gegenstand einer Wahrnehmung machen.
25 ß) Was heisst das, Imagination der Wahrnehmung
von A?
Natürlich nicht imaginatives Gegenbild der Wahrnehmung von
A. Das ist einfach das imaginative Bewusstsein von A. Gemeint
ist, wie rechts überall, das "von": Wahrnehmung von, Imagina-
30 tion von (gegenständlich machend). Also ich imaginiere und
mache dabei gegenständlich: die Wahrnehmung von A. Hab e
ich die Wahrnehmung A. so kann ich sie nicht zum Gegenstand
einer Imagination machen, sondern nur zum Gegenstand einer
:"ahrnehmung oder eines sonstigen impressionalen Aktes? Kann
35 Ich mir nicht einbilden, dass ich dieses nicht wahrnehme? Ja,

1 An dieser Stelle fehlt vom ursprünglichen Textzus~menhang ein Blatt. _


.\nm. d. H"g.
2 Geordneter so: Wahrnehmung von 1), Phantasievorstellung von 1), Wahrneh-
m~ng von 2), Phantasievorste1lung von 2). Phantasie von ist nicht zu verwech-
sc n mit ;1,10 difi kation.
182 TEXT NR. 2 (1904-1909)

ich kann mir einbilden, dass ich alles sonst wahrnehme, aber
dieses nicht. Ich kann mir auch einbilden, dass ich diese Wahr-
nehmung habe (die ich jetzt aktuell habe). Natürlich ist das eine
Einbildung, in die diese Wahrnehmung nicht aktuell eintritt,
5 sondern ich schliesse etwa die Augen und bilde mir nun ein, dass
ich dieses (das ich soeben wahrgenommen habe) wahrnehme. Ich
kann mir denken, dass ich das alles phantasiere, aber, die Wahr-
nehmung festhaltend, kann ich keine aktuelle Einbildung von
ihrem Inhalt vollziehen. Impression und Idee schliessen
lOsich in der Aktualität aus. Aber sehen wir jetzt von dem
Fall ab, dass die Wahrnehmung aktuell vollzogen sei, die ich da
einbilden soll. Wie sieht die Einbildung von einer Wahrneh-
mung aus?
Ich bilde mir ein, dass ich wahrnehme das A.
15 Ich phantasiere mich in das Wahrnehmen ein: Nnn, dann
steht einfach in der Phantasie der Gegenstand da. Das Sich-
einleben in das Wahrnehmen des Gegenstandes A = das Phanta-
sieren, nämlich des Gegenstandes A. Hier ist aber A und nicht
die Wahrnehmung Gegenstand.
20 Mache ich diese Einbildung zum Gegenstand, so habe ich die
Wahrnehmung der Phantasie von A. Ist nun wahrnehmen, dass
man A phantasiert, dasselbe wie (eine Phantasievorstellung da-
von haben, dass man A wahrnimmt? oder, da der Ausdruck
schlecht ist) eine Phantasievorstellung von der Wahrnehmung
25 des A haben?1 Aber das erstere ist ja eine Wahrnehmung, das
letztere eine Phantasievorstellung ! Uberdenken wir noch einmal:
Einmal nehme ich wahr: die Phantasieerscheinung des A, das
andere Mal phantasiere ich die Wahrnehmung A. Darin soll ein
Unterschied liegen. Phantasieren der Wahrnehmung A soll aber
30 nicht heissen A phantasieren, sondern die Wahrnehmung von A
phantasieren. Die Wahrnehmung von A ist Gegenstand in der
Wahrnehmung von der Wahrnehmung des A. Das entsprechende
Gegenbild ist Phantasie von der Wahrnehmung des A.
Ich vollziehe die Phantasie von A = die quasi-Wahrnehmung
35 von A. Ich vollziehe dann aber nicht die aktuelle Reflexion auf
diese quasi-Wahrnehmung, das wäre Wahrnehmung von der

1 Den Text innerhalb der Klammer hat Husserl, wohl wenig später, wellenförmig
durchgestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 183

quasi-Wahrnehmung oder1 Einbildung des A, sondern ich voll-


ziehe die Reflexion "in der Phantasie"2, d.h. ich bilde
mir nicht nur A ein, sondern ich bilde mir auch ein, dass ich das
Bewusstsein von A gegenständlich mache. Ich bilde mir den
5 Gegenstand Wahrnehmung von A (gebendes Bewusstsein von A)
ein. Ich phantasiere ein Haus. Ich mache das Phantasieren des
Hauses zum Gegenstand: Das ist der Gegenstand, den ich eben
Phantasieren des Hauses nenne. Ich kann aber auch, während
ich das modifizierte Bewusstsein vom Haus vollziehe, in mo d i-
10 fizierter Weise reflektieren. Im modifizierenden Tun
kann ich alle Akte überhaupt vollziehen, Grundakte, beziehende,
vergleichende, unterscheidende, reflektierende Akte etc., und die
sind dann durchaus und in allem modifizierte Akte. Also der
aktuellen 3 "Reflexion" entspricht modifizierte, und das ist das
15 Bewusstsein "Phantasie von Wahrnehmung des A". Und wenn
ich darauf wieder aktuell reflektiere, so erwächst die Wahrneh-
mung dieseq Phantasie, die eben ihren begrifflichen Ausdruck
findet in der ~ ennung: Phantasie der Wahrnehmung des A.
y) Imagination, die auf eine Imagination von A
20 geh t. Roh ausgedrückt: Ich bilde mir ein, dass ich mir A ein-
bilde.
Ich kann wahrnehmen, dass ich mir A einbilde (Wahrnehmung
einer Einbildung von A). Ich kann diese Wahrnehmung wie jede
Wahrnehmung modifizieren.
25 Eine Einbildung von A kann ich nicht modifizieren. Aber die
Wahrnehmung der Einbildung. Ich lebe in der Einbildung eines
Zentauren. Ich bilde mir ein, dass ich diese Einbildung vollziehe.
Z.B. ich phantasiere mich in eine Situation ein, ich reise in Afrika,
ich ruhe vom Marsch aus und gebe mich meinen Phantasien dabei
30 hin, ich denke an Zentauren und Nixen der griechischen Götter-
welt usw. Diese Phantasien gelten nicht als jetzige, sondern als
Phantasien, die selbst phantasiert sind. Innerhalb der Phantasie
wird wieder unterschieden zwischen Wirklichkeit und Traum
(Phantasie) .
35 SoweIt ist alles in Ordnung. Aber wenn wir diese Sachlage er-

~ Etwas spater eingefügt "von der". - Anm. d. Hrsg.


3="zu "Reflexion 'in der Phantasie'" vermerkte Husserl später am Rande: "vgl.
~ ,d 1 unten Nr. 20. - Anm. d. Hrsg.
Uber "aktuellen" etwas später eingefügt "wirklichen". - Anm. d. Hrsg.
184 TEXT NR. 2 (1904-1909)

wägen, widerspricht sie nicht der bisherigen Annahme, dass


Phantasien-Phantasien (zweiter Modifikation) nicht möglich
sind? Träume ich mich in die Situation hinein, in der ich mich
träumend träume, oder deutlicher, in der ich träume, dass ich
5 träume, müssen da die geträumten Träume gegenständlich wer-
den? Es scheint doch nicht. (Ebensowenig wie bei der Bild-
funktion die Bilder in Bildern von Bildern.) Das ist noch zu
überlegen.

*
Nicht! zu verwechseln ist Imagination von der Imagination
10 von A mit 2 Modifikation der Imagination von A.
Im ersteren Fall eine Phantasievorstellung, die zum Objekt
hat die Phantasievorstellung von A, im zweiten Fall eine Modifi-
kation der Phantasievorstellung von A, welche zu ihr in demsel-
ben Verhältnis steht wie die schlichte Phantasie A zu der schlich-
15 ten Wahrnehmung A.

<c» Reflexion <und phänomenologische Reduktion>


in der Phantasie
<wohl 1905>

Zunächst sehen wir uns in der allgemeineren Sphäre der Phan-


20 tasie um. Wenn ich mir das Haus gegenüber (das ich jetzt na-
türlich nicht sehe) in der Phantasie vergegenwärtige, so sehe ich
es "gleichsam", mein Blick schweift auf und ab, ich gehe "in der
Phantasie" um das Haus herum und sehe es allseitig. Aber das
Sehen ist kein Sehen, es ist so, "als ob" ich sähe. Das Haus ist
25 nicht wirklich gegenwärtig und erscheint nicht "wirklich" als das,
und doch ist es "gleichsam gegenwärtig". Das gleichsam Gegen-
wärtig ist das modifizierte Gegenwärtig, das Vergegenwärtigt.
So auch in einer ganz freien Phantasie.3
Ich lebe in der quasi-Wahrnehmung und den quasi-Wahr-

1 Der Text dieses und des folgenden Absatzes wurde spater, wohl 1908/09, beige-
fügt. - Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefugt "imaginativer". - Anm. d. Hrsg.
8 Das ist nicht Sache der Qualität.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 185

nehmungs-Urteilen und d.i. im Vollziehen von Phantasievorstel-


lungen des Hauses. Indem ich das ausgesagt habe, habe ich nun
phantasiert und auf das ·Phantasieren reflektiert und es mit dem
Wahrnehmen, dem echten und eigentlichen Wahrnehmen ver-
S glichen. Aber nun ist zu beachten: Jetzt und hier stelle ich das
Halls vis-a-vis vor. Auf diesen lebendigen Akt der Vergegen-
wärtigung kann ich reflektieren, ihn analysieren. Und ich finde
darin, dass ich "in der Phantasie" den Blick auf- und abschweifen
lasse, dass Ich "in der Phantasie" bald das und bald jenes Stück
10 des Hauses, bald dieses und bald jenes Merkmal desselben sähe.
Darin liegt aber ein Mehr, das noch nicht beschrieben ist. Das
nichtgegenwärtigel Haus konstituiert sich als ver gegenwärtigt,
als phantasiert, in Akten und Auffassungen, die sich als Ver-
gegenwärtigungen von Wahrnehmungen und Gegenwärtigungen
15 geben. Das Haus steht gleichsam da, es schwebt im Charakter
der Phantasie vor. Blicke ich aber auf den konstituierenden Akt,
so finde ich auch ein Vorschweben des Sehens, des dies und
jenes vom Haus1Wahrnehmens, und dieses wird mir in der Re-
flexion gegenständlich. 1
20 Ich kann "in der Phantasie" reflektieren! D.h.
ni c h t: Reflektiere ich wirklich auf das aktuell gegenwärtige
Phantasieren, so finde ich, dass die Aktmomente und Auffas-
sungen und Meinungen selbst wieder I den Charakter von Ver-
gegenwärtigungen für die aktuellen Momente und Auffassungen
25 der entsprechenden Wahrnehmung besitzen. Ich kann in der
Phantasie reflektieren und tue es normalerweise immer so: dass
ich gar nicht an das aktuelle, jet z i g e Phantasieren denke,
nämlich es in wirklicher Reflexion zum Gegenstand mache.
Aber wie ist das zu verstehen, dieses in der Phantasie Reflek-
30 tieren, und droht da nicht ein unendlicher Regress?2 Vergegen-
wärtigung vom Haus, d.h. Phantasievorstellung vom Hau s.
Das Haus ist gegenständlich und in der Weise der Phantasie.
Wären nun die Aktmomente des Phantasierens in diesem

1 Da 1St noch zu erganzen: Unter Sehen ist da befasst ,


D 1) das um das Haus Herumgehen, das den Blick auf und ab Schweifenlassen u. dgl.
B as gehort In das physische Gebiet ebenso wie der gegenständliche Hintergrund des
auses, der auch als mit vergegenwärtigt dasteht,
2) das Gcgenwartigen, der Akt, das meinende Achten (während auf den Hinter-
gr~nd nIcht geachtet ist), aber "in der Phantasie".
In der Phantasie reflektieren..
186 TEXT NR. 2 (1904-1909)

Si n n Vergegenwärtigungen, SO hiesse das, der Akt der Phantasie


ist nicht nur ein Vorstellen des Hauses, sondern zugleich ein Vor-
stellen des Wahrnehmens des Hauses, und beiderseits im selben
Sinn, das Sehen wäre darin Gegenstand, das Wahrnehmen des
5 Hauses überhaupt. Und das Vorstellen des Hauses wäre nur
m Ö gl ich durch das Vorstellen des Wahrnehmens des Hauses ,
es bestände geradezu darin. Nun ist es aber klar, dass diese Auf-
fassung, die übrigens auf einen unendlichen Regress führte, nicht
den Tatsachen entspricht. Das Ha u.s ist mein Gegenstand im
10 Phantasieren, und nicht das Sehen des Hauses. Aber das Phan-
tasieren vollzieht sich als ein Auffassen, das eine Modifikation des
Gegen wärtigens ist (und in diesem Sinn Wahrnehmens ist),
und zwar eine solche Modifikation, dass die evidente Berechti-
gung besteht, in sie eine Vergegenwärtigung des Wahrnehmens
15 des Hauses hineinzusehen (und zwar des zum aktuellen Gegeben-
sein des Hauses korrelativen). Aber ist sie es nicht wirklich? Nun:
Das Haus mir phantasierend, stelle ich eben gegenständlich das
Haus vor, und nicht mein Sehen des Hauses. Ich stelle das Haus
mir vor, und nicht mir vor, dass ich es sehe. 1 Und doch konsti-
20 tuiert sich das Phantasieren des Hauses in Auffassungen,· die
solche Modifikationen von Wahrnehmungen sind, dass ich so-
gleich aus ihnen Vorstellungen von den Wahrnehmungen machen
kann, von den Wahrnehmungen, die ich haben würde, wenn ich
dieses Haus in genau parallelen unmodifizierten Akten wahr-
25 nähme, und die mir, wenn ich in unmodifizierter innerer Wahr-
nehmung auf diese Akte reflektierte, aktuell vor dem inneren
Auge ständen.
So ist es ja auch mit der Erinnerung. Ich erinnere mich
eines Vorganges: Er steht in der "Phantasie" und zugleich im
30 erinnernden Glauben als gewesener da. Aber nicht nur das: Ich
habe ihn wahrgenommen, das ist evident. Die gegenwärtige -Er-
innerung ist Vergegenwärtigung des Vorgangs, aber die Vergegen-
wärtigung besteht aus Akten, die in der Reflexion den Charakter
1 Stelle ich mein Be w u s s t sei n des Sehens gegenständlich vor, phantasierend
natürlich, das Bewusstsein des Gegenwärtighabens eines Hauses, dann allerdings kon-
stituiert sich dieser phantasierte Gegenstand in einem Akte, der wieder aufgefasst
werden kann als "Vergegenwärtigung" einer Wahrnehmung, nämlich einer "inneren"
Wahrnehmung. So wie ich mich auch an eine Wahrnehmung erinnere (daran, dass ich
eine Wahrnehmung hatte, ein Bewusstsein des Gegenwärtighabens hatte), indem ich
mich darin einfühle, dass ich auf die Wahrnehmung hinsehe: also "Vorstellung" von
der inneren Wahrnehmung.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 187

von Vergegenwärtigungen früherer Wahrnehmungen haben. Ich


erinnere mich in der Erinnerung des Vorganges nicht der Wahr- ~.

nehmungen, in denen er mir gegeben war, aber war der Gegen-


stand gegeben, so war er es in Wahrnehmungen, und die Modifi-
5 kationen, die ich jetzt habe, gewinnen Vorstellungsbeziehung zu
diesen Wahrnehmungen, stellen sie dar, obschon nicht als Er-
innerungen in demselben Sinn, wie der Vorgang erinnert ist.
Wie ich "in der Phantasie reflektieren" kann, so
auch in de,r Phantasie phänomenologisch red u-
10 zieren, ich kann auf den "Inhalt" der Phantasieerscheinung
hinblicken, finde: darin die quasi gegebenen Farbeninhalte etc.,
und diese erscheinen mir nun als "Vergegenwärtigungen" der-
jenigen Farbeninhalte, die in der entsprechenden Wahrnehmung
präsentativ zu fungieren hätten, also die repräsentativen! In-
15 halte der Phantasie geben sich jetzt als Vergegenwärtigungen von
präsentativen Inhalten einer entsprechenden Wahrnehmung,
derjenigen, die als ganzes in der gegenwärtigen Phantasievorstel-
lung als gan~er ihre "Vergegenwärtigung" findet.
Und wieder bedeutet diese Vergegenwärtigung der präsenta-
20 tiven Inhalte in den repräsentativen, und der ganzen Wahr-
nehmung in der ganzen Phantasie, nicht, dass in der gegenwär-
tigen Phantasie wirklich Wahrnehmung, Auffassung, präsente
Inhalte, gesamtes Wahrnehmungsphänomen gegenständlich vor-
gestellt und in der Art des Hauses vergegenwärtigt wären.

25 <d) Zweierlei Wahrnehmung - zweierlei Phantasie>


<wohl 1907/08>

Genauer zugesehen merken wir, dass hier zweierlei Phan-


tasie in Frage ist. z Oder: Ich habe wie zweierlei "Wahrneh-
mung", so zweierlei ,.,Phantasie".
1 Die Repräsentanten der Phantasie: Das sind aber nicht reelle Inhalte des Phan-
.. tasieerlebnisses, die in ihm wirkliche Auffassung erfahren, sondern phantasierte In-
halte, die eben phantasierte Auffassung "erfahren".
2. Ein mal das modifizierte Bewusstsein, das die Hauserscheinung in der Phan-
taslebetrachtung des Ha ll;ses zeigt: Diese Phantasiebetrachtung des Hauses, dieses
"IC~ stelle mir in der Phantasie das Haus vor", impliziert eine "Vergegenwärtigung"
(gleichsam Gegenwärtigung) der Hauserscheinung (die Erscheinung nicht
Gegenstand), nämlich derjenigen, die aktuell Erscheinung wäre, wenn ich wahrnähme,
und In der Wahrnehmung dann enthalten wäre.
2) Etwas anderes als Phantasiemodifikation im Sinn dieser "Vergegenwärtigung"
188 TEXT NR. 2 (1904-1909)

1) Zweierlei Wahrnehmung sagte ich: Nämlich a) wenn ich ein


Haus wahrnehme, so habe ich in dieser Wahrnehmung beschlos-
sen die "aktuelle" Erscheinung! des Hauses. Diese Erscheinung
ist "Wahrnehmung", nämlich Wahrnehm ungserschei-
5 nung vom Haus (das ist der Sinn a». b) Und andererseits ist es
eine aktuelle Erscheinung, ein wirkliches Erlebnis, und ein origi-
näres, keine "Modifikation" von einem anderen. Impression
oder "Wahrnehmung"2 als Weise, wie Hauserscheinung bewusst
ist als Originäres (keine "Kopie" für etwas anderes),S und an-
10 dererseits Wahrnehmung in dem Sinn, wie das Haus wahrgenom-
men ist, oder wie die Hauserscheinung in einem immanenten
Wahrnehmen wahrgenommen ist.
2) Ebenso bei der Phantasie.
a') Einmal haben wir Phantasie als das Phantasiebewusstsein
15 von dem Haus.
b') I n diesem Phantasiebewusstsein reell enthalten finden wir
aber eine Phantasieerscheinung vom Haus. Diese Phantasie-
erscheinung ist ein Bewusstsein von der Er sc h ein u n g des
Hauses, aber andererseits kein solches, wie ich es habe, wenn ich
20 in "innerer Phantasie" die Erscheinung des Hauses (die ver-
gegenwärtigte Wahrnehmungserscheinung) betrachte. Diese in-
nere Phantasie ist die Modifikation der inneren Wahrnehmung,
also ein modifizierter Akt, der sich auf die Erscheinung richtet.
Die blosse Phantasieerscheinung aber, wie ich sie in jeder Phan-
25 tasie des Hauses vollziehe, ist zwar eine Modifikation der Wahr-
nehmungserscheinung, aber natürlich keine Modifikation der
immanenten Wahrnehmung der Wahrnehmungs erscheinung.
Kurzum, wir haben einen Unterschied zwischen der schlichten
Phantasiemodifikation "Phantasieerscheinung vom Haus" (die
30 "Idee" zur Wahrnehmungs-Erscheinung desselben) und der in-

ist jene Reflexion in der Phantasie, jene innere Phantasie, welche die Phantasie von
der Wahrnehmungserscheinung in einem anderen Sinn ist. Diese innere
Phantasie nimmt die Erscheinung des Hauses "gleichsam wahr", so wie die innere
Wahrnehmung diese Erscheinung aktuell wahrnimmt.
In der aktuellen Wahrnehmung der Erscheinung ist die Erscheinung Gegenstand,
und zwar ist die aktuelle Wahrnehmung ein auf Erscheinung gerichteter Akt. Ebenso
ist in der inneren Phantasie der Erscheinung die Erscheinung Gegenstand, und zwar
Gegenstand eines eigenen Phantasieaktes, eines vorstellenden.
1 Erscheinung als Impression.
Z "oder 'Wahrnehmung'" wohl nachträglich in eckige Klammern gesetzt. - Anm.
d. Hrsg.
3 Aber keine Kopie sein, ist das hier etwas Positives?
TEXT NR. 2 (1904-1909) 189

neren Phantasie, welche die Erscheinung vom Haus zum Gegen-


stand hat (die Idee zur immanenten Wahrnehmung von der
Wahrnehmungs erscheinung des Hauses).
Auf der anderen Seite haben wir das un-modifizierte Bewusst-
5 sein: Wahrnehmungs erscheinung vom Haus (die Wahrnehmungs-
erscheinung ist ein originäres Erlebnis), und andererseits: die im-
manente Wahrnehmung (wieder ein originärer Akt), welche sich
auf die Wahrnehmungserscheinung (als Gegenstand) richtet.
Das Aufmerken setzt einen unmodifizierten oder modifizierten
10 Akt, näher einen objektivierenden, voraus. Das Aufmerken geht
durch die Phantasieerscheinung vom Haus, die ich bloss erlebe
(das Phantasiebewusstsein), .hindurch auf das Haus. Das Auf-
merken kann ferner durch die innere Phantasie hindurchgehen.
Andererseits kann ich, die Wahrnehmung erlebend, auf das
15 Haus achten. Und wieder kann ich auf die Wahrnehmungs-
erscheinung wahrnehmend mich beziehen und in diesem Wahr-
nehmen auf sie achten.

<e) Doppelte Vergegenwärtigung: "Reproduktion von etwas"


im Gegensatz zu "Phantasie von etwas" =
20 Phantasievorstellung>
<wohll908~

Die Darstellung! ist sehr schwierig, weil wir die d 0 P P e I te


Vergegen wärtigung zU scheiden haben.
Etwa so: Reproduktion nennen wir das der Impres-
25 sion entgegengesetzte Bewusstsein, und zwar: 1) Wenn ich eine
\Vahrnehmung habe, etwa die eines Hauses, so nennen wir sie
als Ganzes so wie alle ihre reellen Teile "Impressionen". Z.B. die
Empfindung, in der die Farbe und der sonstige sinnliche Gehalt
der Wahrnehmung so "bewusst'·' ist, dass wir dann darauf adä-
30 quate Wahrnehmungssetzungen und Meinungen vollziehen kön-
.. nen. Ferner die Auffassungen, in denen sich gegenständliche
}lomente des Hauses darstellen, die Einheitsformen der Auf-
fassungen usw.
Das ist also ein Bau von Impressionen, und "in ihm lebt" ein
1 Nachtraglieh fugte Husserl über der Zeile ein: ,,3- bis 6-"; dieser Hinweis trifft
hier dle Texte Nr. 2c), Nr. 2d) und Nr. 2f). - Anm. d. Hrsg.
190 TEXT NR. 2 (1904-1909)

Intendieren auf den aufgefassten Gegenstand Haus!. Die Im-


pressionen sind bewusst, das Haus ist gewusst, gemeint, in-
tendiert (im Glaubensmodus : Glaube oder Nicht-Glaube etc.).
Es kann sich nun dieser Bau von Impressionen überbauen durch
5 eine neue Impression, die ihn oder seine Teile "auffasst", also
die neue Impression ist die neue Auffassung, und nun kann sie
"Trägerin" einer Intention sein, in der die unterliegende Im-
pression die gemeinte ist. Diese ist jetzt in der "Stellung des Ob-
jekts". Das als Objekt Stellen ist aber das Werk einer neuen Im-
10 pression, die ihrerseits "bewusst" ist.
Nehmen wir nun wieder die schlichte Wahrnehmung, so ent-
spricht ihr eine schlichte Phantasie.
2) Wir nennen nun Reproduktionen die Modifikationen der
Impressionen: Jede Reproduktion ist Reproduktion "von"
15 einer Impression. Die ganze Phantasie ist aber Reproduktion,
Reproduktion der Gesamtimpression. Reproduziert ist darin not-
wendig auch das, was die Richtung auf den Gegenstand Haus
ausmacht, eben die Einheitlichkeit, Form der Gesamtauffassung
und der intentionale Modus, etwa gegenüber der normalen setzen-
20 den Wahrnehmung, die Modifikation: die Reproduktion der
Setzung. Ebenso müssten wir das für alle Partialauffassungen
<an>nehmen, die doch auch ihre Setzungscharaktere haben wer-
den. Das Haus ist nun quasi gewusst: Es ist das im ganzen Ge-
meinte: quasi"Gemeinte. Die Aufmerksamkeit geht aber zugleich
25 aktuell und unmodifiziert auf das phantasierte Haus. Phanta-
siert also (vergegenwärtigt) in dem Sinn 1) wie es das Hau s ist
und 2) in dem Sinn, wie die Hausauffassungen <es> sind, das ist
etwas Verschiedenes.
Im Fall der Wahrnehmung vom Haus ist jede Impression "be-
30 wusst", im Fall der Phantasie, Phantasievorstellung, haben wir
"quasi-Bewusstsein" von diesen Impressionen, und dieses quasi-
Bewusstsein, das ist das Vergegenwärtigungsbewusstsein im Sinn
der Reproduktion. Der Gegenstand aber ist nicht repro-
duz i e r t, sondern p ha n ta sie r t: vergegenwärtigtes repräsen-
35 tiertes Objekt.

1 Doch das heisst nicht mehr als dies: Die Impressionen bilden eine gewisse itll-
pressionale Gesamteinheit Auffassung vom Haus, und diese hat eo ipso einen inten-
tionalen Charakter (Glaubensmodus) und einen Aufmerksatllkeitsmodus, speziell ge-
meint oder nebenbei gemeint.
TEXT NR. 2 (1904-1909) 191

Ich kann schlicht phantasieren: Ich habe Vergegenwärtigung


im Sinn der Reproduktion der entsprechenden Wahrnehmung
und all ihrer impressionalen Bestandstücke, und ich "meine"
das Objekt, das Objekt ist das quasi Wahrgenommene, nämlich
5 dasjenige, worauf die reproduzierte Wahrnehmung gerichtet ist
(eine Richtung, die selbst reproduziert ist), und in der Richtungs-
Reproduktion "lebe ich", d.h. die Aufmerksamkeit geht auf das
Objekt.
Ich kann aber'meine Aufmerksamkeit auch auf die reprodu-
10 zierten Impressionen richten: Wie ich, das Haus wahrnehmend,
auf Momente der Wahrnehmung meine Aufmerksamkeit lenken
kann, wozu eine Wahrnehmung der Wahrnehmung gehöI;t (eine
neue Auffassung), so kann ich eine Reproduktion dieser Wahr-
nehmung zweiter Stufe erzeugen, auf die reproduzierte Wahr-
15 nehmung hinblicken, die reproduzierte Impression zum Objekt
machen. Sie ist aber notwendig phantasiertes Objekt, da die
Reflexion, die' ich vollziehe, keine wirkliche Reflexion, sondern
die Reprodukt\on der Wahrnehmung von der Wahrnehmung ist
(Reproduktion also einer Reflexion), und das ist "i n der P h a n-
20 t a sie re f lek t i e ren". Ich kann dann wieder auf diese Repro-
duktion reflektieren, wieder in der Phantasie in neuer Stufe re-
flektieren, Modifikation einer Wahrnehmung einer Reflexion
(oder Wahrnehmung dritter Stufe) usw.'

d) Wahrnehmung 'IJOn einer Phantasie (Reflexion) und


25 Phantasie von einer Phantasie>
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912>

Ich lebe in der Phantasie eines "Bajazzo". Ich nehme diese


~hantasie wahr. Sie ist in der Wahrnehmung so "enthalten", wie
Jedes Erlebnis, auf das ich reflektiere, in dieser Reflexion ent-
30 halten ist. Ich kann mir auch einbilden dass ich mir einen Ba-
.. jazzo vorphantasiere. Statt diese Phant~ie wahrzunehmen bilde
ich mir sie ein. Also ich phantasiere, dass ich einen B~jazzo
phantasiere (ich bilde mir ein, dass mir ein Bajazzo vorschwebt).
Das ist eine Phantasie von einer Phantasie. Wie nun ist in
35 dieser P h an ta sie von der Bajazzo-Phantasie die Bajazzo-
Phantasie enthalten?
192 TEXT NR. 2 (1904-1909)

Nehmen wir eine Erinnerung an eine gehabte Phantasie. Diese


Erinnerung ist ein Jetzt. Und ich frage: Ist in ihr die geh abt e
Phantasie enthalten? Doch nicht. In ihr ist eine inhalts gleiche
Phantasie enthalten, die mir die gehabte wieder vergegenwärtigt?
5 Haben wir also ein Bi I d bewusstsein? Aber ist denn diese Erin-
nerung anders geartet als jede andere Erinnerung, und können
wir sagen, in der Erinnerung an einen gestrigen äusseren Vor-
gang sei ein inhaltsgleicher jetziger Vorgang reell da und dann
als Bild? Das wäre doch Unsinn. Ich habe eine Modifikation des
10 Vorgangs. Und eine Phantasiemodifikation. Also doch wohl auch,
müsste man sagen, im anderen Fall. Die Phantasie ist in der Er-
innerung an sie Objekt der Wiedervergegenwärtigung, und das
wiedervergegenwärtigende Phänomen ist Phantasie von Phan-
tasie.
15 Die Modifikation der Wahrnehmung von einer Phantasie
scheint analog wie die Modifikation der Wahrnehmung einer emp-
fundenen Farbe zu verlangen, dass so, wie bei dieser Modifikation
sich die Wahrnehmung in Phantasie verwandelt und dabei die
empfundene Farbe (die erlebte) in Phantasmafarbe (Reproduk-
20 tion), sich dort Wahrnehmung in Phantasie und empfundene
Phantasie in eine Modifikation in Phantasie-Phantasie verwan-
delt. Mus s es also nicht Phantasie zweiter Stufe geben?

<g) Ob die Folge von Modifikationen " Wahrnehmungserscheinung


- Phantasieerscheinung - Phantasieerscheinung in einer
25 Phantasie" eine Reihe iterierter Modifikationen sei>
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912>

Frage: Kann man wirklich diese Folge von Modifika-


tionen
30 Wahrnehmungserscheinung Phantasieerscheinung
Phantasieerscheinung in einer Phantasie ...
als eine Reihe i terierter Modifikationen beschreiben?
Die Phantasieerscheinung in einer Phantasie soll in dieser
Folge den Wert haben Phantasiemodifikation von einer Phan-
tasieerscheinung. Aber das Phänomen eines in der Phantasie
35 Phantasierens e n t hält doch reell die Phantasieerscheinung,
die da Modifikation erfahren sollte. Die angeblich phantasie-
BEILAGE XIV 193

mässig modifizierte Phantasie ist, scheint es, genau vom selben


inneren Gehalt und Charakter wie eine schlichte Phantasie, nur
dass eine Charakteristik da zukommt.
Wenn ich von der Wahrnehmung ausgehe zu ihrer Modifi-
5 kation, so liegt in dieser Modifikation von der Wahrnehmung
nicht wieder eine Wahrnehmung darin, nur weiter charakteri-
siert.
Das spricht also dagegen, dass es sich um eine iterierte
Modifikationsreihe handelt. Man beachte auch die Modifikation
10 von der Empfindung aus:
Empfindung Phantasma dann müsste es ein Phantas-
ma zweiter Stufe geben. Etc.

BEILAGE XIV
<a) ERINNERUNG UND WAHRGENOMMENHABEN>
15 <etwa 1898",

Problem!

Ich habe jet z tein Erinnemngsphänomen: Ein früher Vergangenes


taucht auf und erscheint mir jetzt in dem eigentümlichen Charakter
"erinnert". Z.B. es steigt das Bild des Berliner Tiergartens auf oder
20 das Brandenburger Tor mit dem Charakter der Erinnemng. In der
Erinnerung betrachte ich es und all das, was in der erinnerten Um-
gebung vergangen ist. All das ist in bestimmter Weise charakterisiert.
Die primäre Aufmerksamkeit ruht aber auf diesen vergangenen Vor-
gängen.
25 Wenn nun gegenwärtig nur das "Bild" ist, das in eigener Weise als
Erinnerungsbild charakterisiert ist! mit welchem Rechte sage ich aus,
dass ich das Erscheinende erlebt habe? Wie kann ich es als Evidenz
bea~spruchen, dass wenn:ich den Inhalt meiner Erinnemng beschrei-
be, l:h sagen darf, ich war dabei, ich habe es damals wahrgenommen?
30. Die Antwort, die darauf weiter unten gegeben wird, lautet: Die Er-
mn~~ungsauffassung reicht weiter als der erinnerte Vorgang. 2 Zu ihr
gehort notwendig auch das frühere Wahrnehmen und jedenfalls noch
.. mancherlei sonst, was ich zu meinem Ich rechne. Und all das steht
1 Zelt. •
d • "Ennnert" ist nur der erihüerte Vorgang. Er ist aber nur dadurch erinnert, dass
das fruhere \Vahrnehmungsbewusstsein "vergegenwärtigt", "reproduziert" ist. Auf
leses kann aber "lll der Erinnerung" reflektiert werden, und dann steht es auch als
gewpsenes, aber lllcht als "gegenwärtig gewesenes" da. Ich reflektiere jetzt in der Er-
~nerung. Damals habe ich nicht reflektiert und das. Bewusstsein zum gemeinten
egenstand gemacht.
194 BEILAGE XIV

ebenfalls "bildlich", mit dem Charakter der Erinnerung vor meinen


Augen.
Mit Beziehung auf die jetzige Erinnerung ist in mehrfacher Weise
von Bild die Rede: Das Erscheinende ist Bild des Gegenstandes
5 und die Erscheinung (die Erinnerungs-Erscheinung) ist Bild de;
Wahmehmungserscheinung. Und das gilt für alles durch Erinnerung
vergegenwärtigte Gegenständliche und seine Erscheinungsformen.
Die Antwort aber beruht darauf, dass ich unter meinem vergangenen
Ich dem Kern nach nichts anderes verstehe als erinnerte (als vergan-
10 gen intuitiv bewusste) Akte und deren reelle Inhalte und dass unter
Supposition der Wahrhaftigkeit meiner Erinnerung dann evident ist,
dass ich damals existiert haben muss, weil zum Bereich des Ich eben
sicher die erinnerten Akte gehört haben. Es wurde dabei ferner Ge-
brauch gemacht vom Unterschied zwischen Reproduziertem (Er-
15 innertem) und Gemeintem sowie Reproduziertem und Nicht-Gemein-
tem.

Ausführung

Das Problem, das uns die Erinnerung hier stellt, lautet kurz: Wie
erklärt sich die Evidenz, dass die Aussagen: "Ich habe die
20 Erinnerung an A" und "Ich habe A früher wahrgenommen" in dem
Sinn "Ich erinnere mich, A früher gesehen zu haben" einander äqui-
valent sind?
Lösung. Zunächst ist zu bemerken, dass das Ich, das wir in diese
Aussagen urteilend hereinziehen, weder bei der Erinnerung noch bei
25 der früheren Wahmehmung beachtet (gemeint) sein muSS. In der
Wahrnehmung steht mir der Gegenstand zwar gegenüber, mir, dem
empirischen Ich, auf das ich alles Gegenständliche zu beziehen pflege
und das selbst ein Gegenständliches ist; aber in der Regel achte ich
bloss auf den wahrgenommenen Gegenstand. So wie meine Um g e-
30 b u n g gegenständlich aufgefasst ist (in der Weise der perzeptiven
Auffassung), so auch das Ich, das als Gegenpunkt zu dieser Um-
gebung gehört. Ich me i n e aber nur das wahrgenommene A.
Ebenso in der Erinnerung. Das vergangene Ich und die vergangene
Umgebung ist mit dem erinnerten A zugleich aufgefasst,! aber "er-
35 innere ich mich" an A, so meine ich eben A. Das A mit seiner Um-
gebung und seinem Ich kann jedenfalls nicht erinnert sein mit B~­
ziehung auf ein weiter zurückliegendes Ich, was ja auf einen unendh-
ehen Regress führen würde. 2 • .
Wir fragten nun, wie jene eben bezeichnete Evidenz möglich sel,
40 worin sie gründe.
Wenn wir uns an A erinnern, so haben wir eine "Phantasie"-
1 ist aufgefasst = es erscheint. _
2 Den Satzteil "mit Beziehung auf ... " bis zum Satzende hat HusserI spa~er
zwischen eckige Klammern gesetzt und vor dem Klammeranfang einen Punkt em-
gefügt. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XIV 195

erscheinung von A, d.i. nach .. meiner Darstellung eine "bildliche"


Erscheinung, die also bei aller Ahnlichkeit mit einer Wahrnehmungs-
erscheinung von dieser durch den Charakter der "Bildlichkeit"! unter-
schieden ist. Diesen Charakter hat A ebensowohl wie seine Umgebung. 2
5 Aber die Weise der Auffassung ist hier nicht die blosse einer Phanta-
sievorstellung.
Aufgefasst wird das bildlich Erscheinende als Vergangenes, und zwar
als ein (mir) gegenwärtig Gewesenes. Die bildliche Auffassung des In-
halts liefert den erscheinenden Gegenstand oder vielmehr die bild-
10 liehe Erscheinung des Gegenstandes. Diese Erscheinung ist aber die
Grundlage der Zeitauffassung, durch welche der Gegenstand den Cha-
rakter des Gewesenen, und zwar in dieser Erscheinungsweise "gegen-
wärtig gewesen" erhält. Dieser Zeitauffassung unterliegt aber nicht
bloss das A, auf das ich hinblicke, sondern ebenso die ganze Bewusst-
15 seinseinheit3 und insbesondere auch das reproduzierte Ich und die
reproduzierte Wahrnehmung des A. Die Erscheinung des gemeinten
A ist Teil einer umfassenderen Erscheinung, in welcher die vergangene
Wahrnehmung und ihr Ich erscheint. Ich habe also zugleich eine
"bildlic:he" Repräsentation der früheren Wahrnehmung und sonach
20 nicht bloss das Bild des vergangenen Gegenstandes, sondern auch das
Bild der früheren Wahrnehmung dieses Gegenstandes; wodurch ge-
geben ist, dass nicht bloss der Gegenstand verbildlicht da ist, sondern
dass seine Erscheinung Bild der früheren Wahrnehmungserscheinung
ist. Die Erscheinung ist Gegenstand eines bildlich4 auffassenden Be-
25 wusstseins und mit der Erscheinung der reproduzierte Wahrneh-
mungscharakter. Und dieses Ganze hat den zeitlichen Charakter.
Meinend blicke ich aber bloss auf den Gegenstand A und auf seine
zeitliche Bestimmtheit hin. Ich kann ebensogut auf die Wahrnehmung
reflektieren und ihren identischen zeitlichen Charakter beachten. Zu-
30 gleich besteht die Notwendigkeitsbeziehung: Erinnert kann ein
Gegenstand nur dadurch sein~ dass seine frühere Wahrnehmung bild-
lich gegenwärtig5 ist, also implicite ebenfalls erinnert ist, der Unter-
schied besteht nur darin, dass zum Begriff der Erinnerung gewöhnlich
mitgehört der meinende Hinblick auf das Erinnerte. Besser aus-
35 gedrückt:
. Wir müssen unterscheiden: Erinnerungen im Sinne von anschau-
h:hen Vergegenwärtigungen von Vergangenem und Erinnerungen im
Sl!:n. von meinenden und zwar setzenden Akten von so Vergegen-
warbgtem. Jene anschaulichen Vergegenwärtigungen sind entweder

" 1 Freilich keine Bildlichkeit im eigentlichen Sinn. Daher der Ausdruck falsch.
2 Die A·Erscheinung oder vielmehr die Erscheinung von A in: seiner Umgebung.
: "Bewusstseinseinheit" später verändert in "Blickfeldeinheit" • - Anm. d. Hrsg.
5 "b~jdl:Ch" spater verändert in "imaginativ". - Anm. d. Hrsg.
"blldhch gegenwä.rtig" später verändert in ,,'gegenwärtig'''; wohl gleichzeitig be·
mledTkj te Husserl am Rande: "selbst oder+) repräsentativ (nicht im eigentlichen Sinn
b 1 lCh)".
+) "oder" wohl etwas nachträglich verändert in "aber". - Anm. d. Hrsg.
196 BEILAGE XIV

komplete oder inkomplete. Zur kompleten Vergegenwärtigung (Er-


innerung) gehört, dass irgendein Objekt mit seiner Objekt-Umgebung
Objekt eines erinner t e n Ich ist, und als solches vergegenwärtigt ist.
Jedes anschaulich als vergangen Vergegenwärtigte ist notwendig
5 Objekt einesl Ich 2 • Also was immer wir als vergegenwärtigt bezeich-
nen, ist entweder Objekt oder Objekt mit seinem Ich. Inkomplete
Vergegenwärtigung ist also nur ein Teil einer Gesamtvergegenwär-
tigung.
Die Erinnerung ist eine meinende Beziehung, die sich entweder auf
10 einen Teil der kompleten Vergegenwärtigung richtet oder auf das
Ganze. Notwendig gehört aber zu jeder Erinnerung die Möglichkeit der
Reflexion auf die Gesamtvergegenwärtigung, so dass der Satz "ich er-
innere mich an das Objekt (den Vorgang etc.) A" äquivalent ist, und
zwar evident äquivalent, mit dem Satz: Ich erinnere mich, dass ich A
15 wahrgenommen habe, während dieser Satz keine solche Umformung
mehr zulässt.
Nach dieser Auffassung, die sicherlich richtig ist, ist also im Falle
der Erinnerung nicht nur das erinnerte Objekt, der erinnerte Vorgang,
als vergangen erscheinend, sondern, ob wir es uns nun zu besonderem
20 Bewusstsein bringen oder nicht, es gilt dasselbe auch von der ent-
sprechenden früheren Wahrnehmungserscheinung, wofür die gegen-
wärtige Erinnerungserscheinung Bild, und zwar Wiedervergegen-
wärtigung ist. Und dasselbe gilt von den wiedervergegenwärtigten Ob-
jekten der Umgebung jenes Vorgangs und den zugehörigen ehemaligen
25 Wahrnehmungen, endlich von dem ganzen sonstigen mehr oder min-
der klar wiedervergegenwärtigten Bewusstsein. In diesem besteht nur
phänomenal das frühere Ich, soweit der Körper ausser Spiel bleibt
(das vermeintlich frühere - falsche Interpretationen mögen ja mit-
laufen). So wie das "gegenwärtige Ich" - phänomenal- die Einheit
30 der gegenwärtigen und als gegenwärtig charakterisierten Akte und
ihrer reellen Bestandstücke ist, so ordnet sich in das Phänomen "mein
vergangenes Ich" (sc. eines bestimmten, wenn auch objektiv logisch
nicht fest bestimmten Zeitpunktes bzw. Zeitteils) der Gesamtinbegriff
von erinnerten (vergegenwärtigten und in der betreffenden Zeitbe-
35 stimmtheit aufgefassten) Akten (und reellen Inhalten derselben) ein,
die in gegenwärtigen Erinnerungsakten erscheinen, also in Akten, die
zum gegenwärtigen Ich gehören.
Sehr vieles, was zum gegenwärtigen Ich gehört, ist nicht besonders
wahrgenommen - ebenso vieles nicht besonders erinnert, was zum
40 vergangenen Ich gehört. Und doch hat jedes seinen Zeitcharakter, der
eben alles durchdringt, ob es expliziert ist oder nicht.
Das vergangene Ich ist das frühere gegenwärtige Ich, das erinnerte
Ich gibt sich als das früher als gegenwärtig wahrgenommene.
Wir haben die Evidenz, dass wenn die Erinnerung an A triftig ist,

1 Später eingefügt: "des sich erinnernden". - Anm. d. Hrsg.


2 Gemeint ist: des Erinnerten.
BEILAGE XIV 197

auch sicher ist, dass wir das A wahrgenommen haben, dass 'es um,
gegenwärtig war. Unter meinem "vergangenen Ich" verstehe ich
(und als solches schaue ich an) dasjenige, in das die erinnerten Akte,
konkret genommen, insgesamt gehören, und wie sehr ich mich in dieser
5 Hinsicht täuschen mag, sowie ich irgendeinen noch so kleinen Bereich
von erinnerten Akten setze, habe ich damit eo ipso mein vergangenes
Ich gesetzt.

<bl IMPLIKATION DER ERINNERUNG AN DIE FRÜHERE


WAHRNEHMUNG BEI DER ERINNERUNG - KEINE

10 WAHRNEHMUNG OHNE WAHRNEHMENDES SUBJEKT>


<etwa 1898>

Es ist ein evidenter Satz: Jede Erinnerung eines A ist zugleich Er-
innerung an eine frühere Wahrnehmung des A.
Ich erinnere mich an einen Vorgang: Darin liegt, wird jeder sagen,
15 ich habe ihn erlebt, wahrgenommen. Ich erinnere mich an eine Melo-
die: Ich habe sie dereinst gehört; ich erinnere mich an einen Fackel-
zug: Ich habe ihn dereinst gesehen. Ich erinnere mich an einen Lehr-
satz: Ich habe ihn dereinst kennengelernt. Usw.
Die beiderseitigen Sätze sind nicht etwa gleichbedeutend, sie sind
20 nicht äquivalent als Ausdrücke identischer objektiver Sachverhalte.
Ich kann einen Vorgang erlebt und doch keine Erinnerung daran
haben. Sie sind auch nicht gleichbedeutend im Munde des Sprechen-
den. Ich kann überzeugt sein, dass ich ,den Vorgang miterlebt habe
und brauche doch keine Erinnerung daran zu haben. Aber sicher ist:
25 Wenn ich Erinnerung an einen Vorgang habe, so "impliziert" sie evi-
dent die Überzeugung, dass ich den Vorgang wahrgenommen habe:
Die Erinnerung an einen Vorgang impliziert evidentermassen die
Erinnerung an die frühere Wahrnehmung dieses Vorganges.
Wie ist diese Implikation zu verstehen?
30 Ein Vorgang wird erinnert, d.i. es ist eine anschauliche Vorstellung
des Vorganges Erlebnis, und zwar eine Erinnerungsvorstellung. Diese
V.orstellung ist nun "Abbild" der früheren Wahrnehmung, genauer
dIe Erscheinung des Vorganges in der Erinnerung ist ein "Bild" der
Erscheinung desselben Vorgangs in der früheren Wahrnehmung.
35 Aber in demselben Sinne kann doch nicht die Erinnerung an den
...vorgang auch Erinnerung an die Wahrnehmung des Vorganges sein.
Sons~ .wäre die Erinnerung an die Wahrnehmung wieder Erinnerung
an ~le \<\Tahrnehmung der Wahrnehmung usw.
. Em A wahrnehmen heisst ein A als selbst gegenwärtig erfassen, an
40 elll ,A. sich erinnern heisst ein A als gegenwärtig gewesen erfassenl •

1 "erfassen" spater verändert in: "anschaulich vorstellen und glauben". - Anm•


d . Hrsg.
198 BEILAGE XIV

Das "Gegenwärtig-Sein" eines A "impliziert" evidenterweise das1


Gegenwärtigsein der Wahrnehmung des A, d.h. 2 ist das A mir (irgend-
einem Wahrnehmenden) gegenwärtig, so ist mir auch implicite die
Wahrnehmung gegenwärtig, d.h. es besteht für mich die Möglichkeit
5 die Wahrnehmung des A wahrzunehmen. '
Wieder: Erinnere ich mich an A, steht mir das A als gegenwärtig
gewesen gegenüber, so ist damit implicite auch das vergangene Wahr-
nehmen des A vergegenwärtigt, d.h. es besteht für mich die evidente
Möglichkeit einer "Erinnerung" an die vergangene Wahrnehmung
10 des A. Aktuell ist die Wahrnehmung eines A nicht Wahrnehmung
der Wahrnehmung. Aktuell ist die Erinnerung an ein A nicht Erin-
nerung an die frühere Wahrnehmung.
In der Erinnerung3 an ein A habe ich eine Erscheinung von diesem
A, welche die frühere Wahrnehmungserscheinung wiedervergegen-
15 wärtigt. Ja die Erinnerung als ein Ganzes, der ganze konkrete Akt, ist
eine Wiedervergegenwärtigung der ganzen früheren Wahrnehmung.
In diesem Charakter der Wiedervergegenwärtigung haben wir aber
eine doppelte Beziehung zu unterscheiden; nämlich:
1) die Beziehung des wiedervergegenwärtigenden Erlebnisses (1)
20 (der Erinnerung) zu dem vergegenwärtigten Erlebnis (der Wahr-
nehmung)
2) die Beziehung desselben (1) zu dem intentionalen Gegenstand
des Erlebnisses, der früher wahrgenommen und jetzt erinnert war
undhiess.
25 Die letztere Beziehung gehört zum eigentlichen Sinn der beziehen-
den Rede von Erinnerung: Ich erinnere mich im eigentlichen Sinn an
den (früher wahrgenommenen) Fackelzug; aber das Erinnern selbst ist
ein "Wiedervergegenwärtigen" des früheren Wahrnehmens und
heisst im uneigentlichen Sinn auch Erinnerung von diesem Wahr-
30 nehmen.
Wenn ich eine Erinnerung habe, so habe ich eine Erscheinung.
Diese Erscheinung stellt einen Gegenstand vor. Die Erscheinung hat
den Erinnerungscharakter, und an ihm liegt es, dass der Gegenstand,
und zwar so, wie er hier erscheint (von dieser Seite usw.), als gegen-
35 wärtig gewesener erscheint. Die Aussagen "der Gegenstand erscheint
mir so als gegenwärtig gewesener" und "ich habe die intuitive Gewiss-
heit, dass ich diesen Gegenstand in dieser Weise früher wahrgenom-
men habe" sind gleichwertig. Aber "erinnert" ist die Wahrnehmung
nicht in demselben Sinn wie der Gegenstand. Die Wahrnehmung er-

1 Später eingefügt: "Selbst". - Anm. d. Hrsg.


2 Den letzten Satz bis hierher strich Husserl nachträglich und bemerkte am Rande:
"So kann man sich nicht ausdrücken! Was beisst das Gegenwärtigsein in Anführung~­
zeichen? Doch das als Selbst, als Jetzt Erfasstsejn, und natürlich impliziert das die
Möglichkeit, die Erfassung selbst wahrzunehmen und als selbst gegenwärtig anzu-
setzen". - Anm. d. Hrsg.
8 "Erinnerung" später verändert in: "Wiedererinnerung" . - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XIV 199

scheint nicht als gegenwärtig' gewesen, obwohl sie objektiv gesprochen


gleichzeitig mit dem Wahrgenommenen war. 1

"Kein6 Wahrnehmung ohne wahrnehmendes Subjekt"2

Meine Überlegungen betreffs der Erinnerung verlangen entsprechen-


5 de Ergänzungen in betreff der Wahrnehmung.3
Die Wahrnehmung ist ein Akt, der eine Einzelheit ist in einem um-
fassenden Gesamtbewusstsein, und kein Gesamtbewusstsein besteht
aus einem biossen Wahrnehmungsakt und sonst nichts. Es ist auch
eine Tatsache, dass keine Wahrnehmung von uns vollzogen wird,
10 ohne auf das Subjekt bezogen zu werden. Nicht bloss, dass wir im

1 Der Text dieser Anmerkung fusst auf der leicht veränderten Abschrift einer
nachträglichen Einfügung in der Ausarbeitung. Der ursprüngliche Text der Ein-
fugung trägt den Vermerk "M. Abgeschrieben" und ist durchgestrichen; er wird in
den Textkritischen Anmerkungen vollständig wiedergegeben. -
"Mir schwebt in der Erinnerung das Rathaus vor. Diese Erscheinung, die mir da
vorschwebt, ist charakterisiert als vergangene Erscheinung. In dieser Erscheinung
(eigentlich in der gegenwärtigen Modifikation dieser Erscheinung, der früheren
Wahrnehmungserscheinung, die jetzt akt uell erlebt ist) kann ich leben, ich achte
auf ihren Gegenstand: Das Rathaus erscheint als gegenwärtig gewesen.
Ich kann auch auf die Erscheinung achten, also auf das Erschienensein, bzw. auf
das mir Erscheinen, auf das Wahrgenommenhaben. Der Erinnerungsakt = Be-
wusstsein vom Gegenstand als Gegenstand einer früheren Wahrnehmung (die mir
,vorschwebt').

1) Ich kann auf den Gegenstand achten (der damals wahrgenommen war, den er-
innerten Gegenstand).
2) Ich kann auf die Erscheinung des Gegenstandes achten, auf die damalige Wahr-
nehmungserscheinung. i

3) Ich kann auf die gegenwärtige Erscheinung, auf die gegenwärtige Erinnerung
achten, namlich ich nehme jetzt wahr, dass ich die und die Erinnerung habe.
,Reproduziert' ist das damalige Bewusstsein, es schwebt mir jetzt als ein
Nicht-Jetzt vor, es schwebt mir im ETinnerungsbild vor. Ich lebe im vergegenwär-
tigten Wahrnehmen, ich achte nicht auf dieses Wahrnehmen (das frühere Wahr-
nehmen), im ,Erinnerungsbild' schwebt es vor, und ich lebe darin so, dass sein
Gegenstand das Gemeinte ist. Gegenwärtig ist die ,Reproduktion' der früheren
Wahrnehmung, also eine Modifika tion derselben, in ilir lebe ich, und das heisst,
ich bin ihrem Gegenstand zugewendet. Ich kann aber auch auf die reproduzierte
Wahrnehmung achten. Ich reflektiere also nicht auf die Modifikation der Wahr-
nehmung, die ich jetzt habe, also nicht so, dass ich sie meine, so wie ich sie jetzt er-
lebe, sondern dass ich sie als Repräsentanten für die Wahrnehmung auffasse.
Lebe ich im ,reproduzierten früheren Bewusstsein', so habe ich die modifizierten
Akte und bin deren Gegenständen zugewendet: den vergangenen, als vergangen
Charakterisierten Objekten.
".~ch bin aber auch befähigt zur ,Reflexion in der Erinnerung'. Die Gegen-
stande waren damals in Akten gegeben, die jetzt ebenfalls wiedervergegenwärtigt
smd. Ihre \Viedervergegenwärtigung macht ja das modifizierte Bewusstsein der
Gegenstande möglich. Ich achte aber auf die Wiedervergegenwärtigung als ~olche,
Ich achte auf das Nicht-Jetzt im Jetzt, auf das ,Wahrnehmen', in dem der Gegen-
stand der erinnerte ist." _ Anm. d. Hrsg.
A: Ebenso für jeden psychischen Akt. Die ganze Betrachtung gilt für psychische
te uberhaupt im Verhältnis zum Ich.
3 Der letzte Satz wurde später kreuzweise gestric hen. _ Anm. d. Hrsg.
200 BEILAGE XIV

Ausdruck diese Beziehung mit ausdrücken müssen, also sagen: Ich


sehe, ich höre usw. - Allerdings setzt ein Ausdruck dieser Form
einen Hinblick voraus auf das Ich und diese Beziehung, so dass wir
dabei nicht bloss A wahrnehmen, sondern auch das Ich in dieser Be-
5 ziehung zu A. Es ist aber sicher, dass nicht jede Wahrnehmung wirk-
lich voraussetzt die wahrnehmende Reflexion auf das Ich. Versunken
in die Betrachtung des Objekts achten wir nicht auf das Ich. Anderer-
seits ist es nicht minder gewiss, dass, so wie bei der noch so intensiven
Versenkung in das Objekt nicht die räumliche Umgebung desselben
10 für das auffassende Bewusstsein verschwunden ist, so auch nicht die
Beziehung auf das Ich. Gegenständlich aufgefasst ist sehr viel mehr
als aufmerksam betrachtet und speziell gemeint. Vielerlei ist nebenbei
bemerkt, oder eigentlich gar nicht beachtet, aber doch für uns da.
Dazu gehört aber vor allem und überall, wo es nicht beachteter Gegen-
15 stand ist, das Ich. Insofern also sicher keine Wahrnehmung ohne wahr-
nehmendes Subjekt.
Die Frage ist aber: Gilt es apriori, als einsichtige Not-
wendigkeit, dass keine Wahrnehmung möglich ist ohne das (mit
der Wahrnehmung nicht identische) Ich? Da ist nun zu bemerken,
20 dass in dieser allgemeinen Beziehung auf das Ich unter Ich das e m-
pi r i sc he Ich, die menschliche Persönlichkeit gemeint ist. Ihr zen-
traler Kern, an den sich alles sonst zu ihr Gehörige knüpft, ist der
Leib. In ihm erscheinen alle "seelischen", "inneren" Erlebnisse lokali-
siert, die Wünsche in die Brust, die Schmerzen in die verschiedenen
25 Glieder und Organe usw. Nun kommt sehr nachträglich der Philosoph
und bildet, indem er den Leib nur als äusseres, physisches Objekt
gelten lässt, den Begriff der reinen Bewusstseinseinheit,
den des rein geistigen Ich. (Auch die populäre Vorstellung
pflegt reflektierend den "Leib", mit Rücksicht auf Traum, Tod, Un-
30 sterblichkeit, von der "Seele" zu trennen; aber die Seele wird dann
mit dem Schattenbild des Leibes als einem neuen Leib ausgestattet,
welcher in Beziehung auf die psychischen Erlebnisse dieselbe Rolle
spielt wie der wirkliche physische Leib.) Entschieden leugnen muss
ich nun, dass dieses rein geistige Ich im wirklichen anschaulichen Vor-
35 stellen die geringste Rolle spiele, dass dieses Ich also den phänome-
nalen Beziehungspunkt für irgendeine Wahrnehmung <ausmache>.
Und ebenso muss ich die philosophische Fiktion des reinen Ich be-
kämpfen; die rein aus der Wortanalyse"von "Bewusstsein" erwach-
sen ist.
40 Doch wie immer, fixieren wir den Begriff des Ich als den der reinen
Bewusstseinseinheit, nämlich als der Einheit der Erlebnisse eines
Individuums und im Gegensatz zur Mannigfaltigkeit wahrgenommener
oder supponierter äusserer Objekte; dann hiesse die Behauptu~g:
"keine Wahrnehmung ohne wahrnehmendes Ich" soviel wie: Keme
45 Wahrnehmung ist denkbar ohne eine umfassendere Einheit ~on
psychischen Erlebnissen (dass die Wahrnehmung und das Ich mcht
BEILAGE XV 201

ein und dasselbe sei, wird ja als selbstverständlich vorausgesetzt),


mit denen es in der Weise zeitlich eins ist, die wir als Bewusstseins-
einheit bezeichnen. Eine solche Evidenz kann ich aber nicht finden.
Es handelt sich um eine blosse allgemeine Tatsache der Reflexion. l
5 Weist man auf die evidente Möglichkeit hin, eine Wahrnehmung wie-
der wahrzunehmen, und darauf, dass sie evidentermassen mögliche
Grundlage von Gefühlen usw. bilde, so leugne ich diese Evidenzen
nicht. Aber diese Möglichkeiten sind nicht reelle, sondern ideale, die
kein wirkliches Bewusstsein umfassender Art (existential) voraus-
10 setzen, sondern nur ein mögliches. Jedes reale Sein, das ist evident, ist
möglicherweise als gegenwärtig wahrzunehmen von einem möglichen
Wahrnehmenden. Ist ein A in einem Jetzt, so muss eine Wahrnehmung
möglich sein, die das A als jetzt seiend setzt. Bestände ideal gesprochen
diese Möglichkeit nicht, so existierte auch der Gegenstand in diesem
15 Zeitpunkte nicht.

BEILAGE XV
<UNMITTELBARKEIT DER ERINNERUNGS- UND
PHANTASIEVORSTELLUi}<G IM UNTERSCHIED ZUR
BILDAPPERZEPTION>
20 <woh11904>

Reid meint, dass die Erinnerungsvorstellung eine unmittelbare sei.


1st nicht in der Tat ein grosser Unterschied zwischen einer bewusst
bildlichen Vorstellung wie durch echte Bilder (wirkliche Bildapper-
zeption) und den Vorstellungen durch Phan tasie- und Erinne-
2;:' rungsbilder?
Sicher ist, dass die Phantasievorstellung in diesem Punkt nicht
unterschieden ist von der Erinnerungsvorstellung. Dass in der Weise
des Bewusstseins zwischen Phantasievorstellung und Wahrnehmungs-
vorstellung ein Unterschied besteht, ist sicher. Das Selbst-dastehen
30 in. der Wahrnehmung, das Unmittelbar- und Selbst-erfasstsein, be-
zeIchnen wir als Charakter der Wahrnehmung. Auch in der Erinnerung
steh~ mir das Objekt selbst da? Auf das Objekt selbst geht die In-
t~ntlOn. Das ist sicher. Z.B. ich "vergegenwärtige" mir das Speise-
ZImmer, in dem ich vorhin eine Mahlzeit genommen habe. Ich ver-
35 gegenwärtige mir, wie Freund Schmidt eintritt, mit welchem Hallo
Co: begrüsst wird usw. Ich vergegenwärtige mir das Sofa mit dem per-
SIschen Teppich, den Geschirr- und Gläserschrank, der darin steht, die
Borde an den Wänden, die rote Tapete, das Fenster mit seinen Vor-
,~

:1 Da kann ich nicht mit. Mir scheint doch, dass jede Wahrnehmung, das Wort im
vo en Sinn, ein herausgreifender Akt ist und als solcher einen Bewusstseinszusam-
menhang apriori voraussetzt.
202 BEILAGE XVI

hängen und dem Jugendstilmuster. Das Bismarckbild an der Wand _


ich gleite mit den Augen an den Wänden entlang.
Ich "sehe" das Verschiedene in verschiedener "Frische" und "Leb-
haftigkeit", in verschiedener "Fülle" oder "Lückenhaftigkeit", meist
5 ähnlich wie durch eine Art unklaren Nebel; es ist oft so, als würde ich
durch das Gesichtsfeld der Wahrnehmung (die Akkomodation ist da-
bei entspannt, die Augen stellen sich parallel, daher unklare Doppel-
bilder) hindurchsehen, ohne dass doch das Phantasierte als hinter dem
Gesehenen lokalisiert würde. Mitunter erscheint das Phantasiebild als
10 leicht getönte Silhouette auf dem Gesichtsfeld der Wahrnehmung, ja
sogar "auf dem Teppich, auf der Wand" usw.

BEILAGE XVI
<DIE ERINNERUNGSERSCHEINUNG MITSAMT IHREM GEHALT
AN SINNLICHEN INHALTEN ALS VERGEGENWÄRTIGUNG DER
15 FRÜHEREN WAHRNEHMUNGSERSCHEINUNG - BEIRRUNG
DURCH DIE FALSCHE THEORIE DER REPRÄSENTATION>
(1904)

Ein gegenwärtiges Rot als Zeichen für ein gewesenes? Ne i n.


Ein gegenwärtiges Rot, das wäre ein wahrgenommenes. Das Rot wird
20 aber doch nicht wahrgenommen, es ist nicht als gegenwärtig charak-
terisiert. Aber enthält der Bewusstseinszustand, den ich das "Rot-
Vorstellen", "eine Phantasieerscheinung dieses Roten Haben", und
zwar jetzt Haben, <nenne>, enthält dieser Zustand nicht wirklich
ein Rotmoment'? Jet z t ist der Phantasiezustand : Ich blicke darauf
25 hin, ich finde ihn vor. Dieses "innere Wahrnehmen" gibt
ihm die Jetzt-Bestimmtheit. Gehört diese nicht jedem Teil, jedem
Moment, das darin reell enthalten ist? Also jetzt schwebt mir das Rot
vor, und darin ist ein Rot da. Also ich nehme ein Rot wahr, nämlich
im Zusammenhang der "Erinnerung an ein Rot".
30 Nun wollen wir die Sache einmal naiv ansehen. Ich erinnere mich
jetzt lebhaft an das Manövergelände. Ich habe die Farbe des Himmels,
das sich abschattende Grün der Wiesen, der Bäume, das Grau der
Hardenbergruine, das Rot der Dächer lebhaft in Erinnerung. Oder
Erinnerung an das freundliche Grün des neuen Teppichs, an das Rot
35 des alten, an das Braun des Sofas, usw. Diese Farben sind gewesene
Farben, nämlich Farben von Gegenständen, deren ich mich eben er-
innere, die aber mitsamt allen ihren Bestimmtheiten eben nicht als
jetzt gegenwärtige dastehen. Sind im Erinnerungsphänomen (jetzt er-
innere ich mich) andere Farben? Nein, die, die da erlebt sind, werde.n
40 dem Vergangenen zugerechnet. 1 Ich schaue in der Erinnerung dle
1 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Soll man sagen: Die, die da
erlebt sind, werden dem Vergangenen zugerechnet?" Am Rande bemerkte Husserl,
BEILAGE XVI 203

Dächer vom Dorf Nörten1 und ihr Rot. Die aktuell erlebten sinnlichen
Inhalte scheinen sich zu den erinnerten genau so zu verhalten wie im
Fall der Wahrnehmung die aktuell erlebten Empfindungen zu den
Eigenschaften des Gegenstandes. 2 Bei der aktuellen Wahmehmung
S gelten die empfundenen Farben als zur selben Zeitstelle gehörig wie
die wahrgenommenen. Bei der Erinnerung analog.3 Die Erinnerungs-
erscheinung mitsamt ihrem Gehalt an sinnlichen Inhalten (die
selbst in die Erscheinung fallen) gilt als Vergegenwärtigung der
früheren Wahrnehmungser,schein ung4 , somit gilt die empfun-
10 dene 5 Farbe ebenso als gewesen wie die erinnerte Farbe. Die Er-
scheinung wird auf das frühere Ich bezogen, als "damalige" Wahr-
nehmungserscheinung desselben, die zeitlich koinzidiert mit dem Ob-
jekt, das da erscheint oder vielmehr damals erschien.
Indem ich mich aber jetzt erinnere, ist die Erscheinung jetzt.
IS Lebe ich in der Erinnerung, so erscheint mir "die frühere Erscheinung"
und durch sie das erinnerte Objekt. Oder es "lebt auf", es ist "repro-
duziert" die frühere Wahrnehmung, und in ihr lebend steht mir
gegenüber das Objekt. Ich nehme es gleichsam "wieder" wahr, ich
schaue es gleichsam, ich schaue es "in der Erinnerung". "Ich bin ver-
20 setzt in die Vergangenheit." ,
Sage ich: Ich erinnere mich, so beziehe ich mich auf das Jetzt, in
dem ich dies hnd jenes wahrnehme; gleichzeitig, also jetzt, ist die
Erinnerung als konkretes Phänomen. Zu dessen Gehalt gehört die
"reproduzierte" frühere Erscheinung. Darin aber liegt, dass diese
2S Erscheinung im Charakter der "Wiedervergegenwärtigung" gegeben
ist. 6 Zumeist wird sie nicht konstant bleiben. Sie verschwindet, sie
blasst ab, sie wird "verdrängt" durch die gegenwärtigen Wahrneh-
mungserscheinungen (nach Art des Wettstreites), sie lebt wieder auf,
ich habe innerhalb' der erhaltenen Erinnerungsintention eine zweite
30 intuitive Erinnerung', evtl. mehrere nacheinander, also in verschie-

wohl zur Zeit dieser Veränderung: "Aber nein. Was heisst das, die Farben, die da
er leb t sind? Also selbst da?" - Anm. d. Hrsg.
1 Nörten-Hardenberg ist ein Dorf nördlich von Göttingen. - Anm. d. Rrsg.
2 Zu Beginn des letzten Satzes fugte Husserl später ein: "Soll man auch sagen:"
und veranderte den Punkt in ein Fragezeichen. Wohl zur Zeit dieser Veränderung
fugte er am Ende des letzten Satzes ein: "Nein, auch das wäre grundfalsch." Und am
Rande bemerkte er: "Die falsche Theorie der Repräsentation beirrte mich". -
Anm. d. Rrsg.
3 Spater eingefügt: "Sind deun Farben da empfunden? Die erinnerten Farben-
,phantasmen gehoren natürlich zur selben Zeitstelle wie die erinnerte Farbe des Ob-
)ekts". - Anm. d. Rrsg.
4 Falsch. Habe ich denn eine Erscheinung, und diese Erscheinung gilt für etwas?
DIe Erscheinung ist doch nicht eine Bilderscheinung wie beim gewöhnlichen Bilde
w.o ICh wirklich eine Erscheinung (also eine Wahmehmungserscheinung) habe und
dIese verbildlicht.
: "empfundene" später verändert in "erlebte". - Anm. d. Hrsg.
Nem. DIese Erscheinung ist selbst wiedervergegenwärtigte Erscheinung und
~lCht gegebene Erscheinung, die für etwas anderes repräsentiert und einen Charakter
er Reprdsentation, der Vergegenwärtigung hat.
204 BEILAGE XVII

denen Zeitpunkten "jetzt", aber fortgesetzt im kontinuierlichen Iden-


titätsbewusstsein.
Reflektierend vergleiche ich die verschiedenen Erscheinungen, d.h.
ieh erinnere mich an die Erinnerungen selbst. Lassen wir diese jetzt
5 beiseite. 1
Also ich habe jetzt eine Erscheinung, aber sie trägt einen anderen
Charakter, ich nenne den den Charakter "des schon dagewesen", des
früher erschienen u.dgl. Im Gegensatz zur Wahrnehmungserscheinung,
die den Charakter nicht hat. Ich kann zwei ähnliche Dinge 2 , ja das-
10 selbe Ding, und sogar völlig gleiche Wahrnehmung schon gehabt ha-
ben, das Objekt hat in einem anderen Sinn auch den Charakter des
schon erschienen gewesen, schon gesehen etc., aber nicht den Charak-
ter der Wiedererkennung meinen wir da, sondern einen anderen Cha-
rakter, eben den der "Wiedervergegenwärtigung", der unterschieden
15 ist vom "selbst da", so wie die Wahrnehmung dem jetzigen Ich an-
gehört, so die vergegenwärtigte Erscheinung dem vergangenen.

BEILAGE XVII
<ERINNERUNG: ES GENÜGT NICHT, DASS WAHRNEHMUNG
SICH IN REPRÄSENTATION DES WAHRGENOMMENEN
20 MODIFIZIERT; DER WAHRNEHMUNG MUSS EINE
WIRKLICHE ODER MÖGLICHE ERINNERUNG DIESER
WAHRNEHMUNG ENTSPRECHEN>
<1904>

Erinnerung: Vorhin war ich im Ratskeller. Ich fand die Räume neu
25 renoviert. Die gemütliche Gesellschaft bestand aus Schwarz, Mors-
bach, Kohn, Andres. Ich blickte beim Rückweg zurück auf das Rat-
haus, blickte mit Gefallen auf die alte Laube sowie auf den modernen
zierlichen Brunnen, die Gänseliesel darstellend.

Da ist die Rede vom Ich, das dies und jenes wahrgenommen, er-
30 lebt, gefühlt usw. hat. Also dem Sinn der Erinnerung entsprechend
müssen wir sagen: Damals bestanden diese und jene Erlebnisse, in
denen diese und jene Inhalte vorgestellt, beurteilt, geschätzt usw.
wurden, und diese Erlebnisse wurden als solche auf mein "Ich" be-
zogen, das seinerseits wieder in gewissen Erlebnissen erschien. Diese
35 letzteren freilich wurden im allgemeinen nicht auf "Ich" bezogen. In-
1 Später fügte Husserl ein: "Das muss besonders besprochen werden", und er
setzte den Absatz in eckige Klammern. - Anm. d. Hrsg.
2 Nach "Ich kann zwei" später eingefügt: "eine Wahroehmungserscheinung jet~~
haben und"; im Sinne dieser Einfügung ware dann das Zeichen fur "zwei" als "zwar
aufzufassen und zu lesen: "Ich kann zwar eine Wahroehmungserscheinung jetzt ha-
ben und ähnliche Dinge, •.. ". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XVIII 205

dem ich den Brunnen mit Wohlgefallen betrachtete, bezog ich das
Betrachten auf das Ich, aber das Erlebnis des Ich nicht wieder auf
das Ich.
Ich "betrachtete den Brunnen", ich "sah" ihn. Bedeutet dieses Be-
5 trachten, dieses Wahrnehmen, dieses Erleben, bedeutet dies, frage ich,
das Apperzipieren, als ob ich statt auf die Gegenstände auch auf ihre
Erscheinungen und auf die Aktformen geachtet hätte? Das wäre die
Frage. Es bedürfte hier zunächst einer Analyse, was das bedeutet:
Ich sehe hier eine Lampe, einen Menschen usw. Man könnte ja die An-
tO sicht vertreten, dass hierbei Gegenstand und Ich beide als körperliche
Objekte im räumlichen Verhältnis zueinander vorgestellt werden etc.
Doch das als selbst gegenwärtig Erscheinen der Lampe etc. ist doch
mit der Ausdrucksweise gemeint. Und gemein t ist doch auch nicht
das bloss körperliche Ich.
t5 Besteht aber eine wesentlich-notwendige Beziehung alles Wahr-
genommenen auf das Ich? Eine in diesem Sinn ursprüngliche? Nichts
kann, könnte man sagen, als Ge gen stand gegenüberstehen, ohne
mir, einem Ich gegenüberzustehen. Notwendige Korrelativität!
Aber wenn auf einen Schmerz geachtet wird, auf ein Unbehagen, auf
20 ein Lustgefühl etc., bedürfte es da, wie bei Aussendingen, einer solchen
Korrelation?
Angenommen also, wahrnehmen setzte nicht notwendig Beziehung
auf das Ich voraus. Wo es geschieht, wo auf das Wahrnehmen selbst
reflektiert, dieses also selbst wahrgenommen ist, da wird auch das
25 Erinnern Erinnern des Vorgangs und Erinnern der Wahrnehmung
des Vorgangs sein. Wo aber nicht, da nicht. Wie komme ich dann
aber zur Behauptung: Das, wessen ich mich jetzt erinnere, das habe
ich im damaligen Jetzt wahrgenommen? Wie komme ich zur Behaup-
tung, das Vergangene war gegen wärtig? Vergangen = jetzt-
30 gewesen oder gegenwärtig-gewesen. Es genügt nicht, dass Wahr-
nehmung sich irgendwie modifiziert in Repräsentation des Wahrge-
nommenen, sondern, wie der wahrgenommene Vorgang, Gegenstand
im Erinnerungsbewusstsein zum vergangenen selben Gegenstand
wird, so muss auch der Wahrnehmung des Vorgangs entsprechen eine
35 (wirkliche oder mögliche) Erinnerung dieser Wahrnehmung.

BEILAGE XVIII
KOMPLIZIERTERE BILDLICHE VORSTELLUNGEN
<woh11898>

.1) Physische Bilder höherer Stufe (Bilder von Bildern). Ein


40 ~lld.A, das. ein Bild B darstellt. Im Bilde etwa wieder ein Bild C. Bil-
er III zweiter und dritter Stufe. Z.B. Gemälde eines Zimmers, in
206 BEILAGE XIX

welchem ein Bild an der Wand hängt. Dieses Bild stellt etwa eine
Gemäldegalerie dar, in welcher also wieder Bilder erscheinen.
1) Das physische Bild A,
2) das dadurch dargestellte Bild,
53) der durch 2 vorgestellte Gegenstand.
Zu ihm gehört ein physisches Bild, welches jetzt also bildlich vor-
gestellt ist. Dazu gehört aber:
1) die bildliche Vorstellung des physischen Bildes,
2) die bildliche Vorstellung des dargestellten Bildes, } all das in
10 3) die bildliche Vorstellung seines Sujets. zweiter Stufe
Nämlich: Es erscheint mir in der Tat ein repräsentierendes Bild, der
Einfachheit halber ein Mann zu Pferd. Aber dieses repräsentierende
Bild gehört nicht zu einem wahrnehmbaren physischen Gegenstand,
sondern zu einem im Bild vorgestellten. Und dies beeinflusst auch so-
15 zusagen den Wert des repräsentierenden Bildes. Dieses Erschei-
ne n deist nicht das repräsentierende Bild jenes gemalten Bildes,
sondern nur ein Bild davon. Die Erscheinung, die ich hätte, wenn ich
das Bild selbst sähe, ich meine die in diesem Bild zum Erscheinen
kommende, habe ich jetzt nicht, sondern nur eben ein Bild davon.
20 Und dieser Bildlichkeit sind wir uns auch bewusst.
Ebenso ist das im gemalten Bild Vorgestellte (deutlicher: in dem
durch das Gemälde zur Erscheinung gebrachten anderen Gemälde) nicht
so zur Vorstellung gebracht wie der Gegenstand eines Gemäldes erster
Stufe. Es ist zur Vorstellung gebracht durch eine bildliche Vorstellung
25 von einer bildlichen Vorstellung und somit Gegenstand zweiter Stufe.
Wir könnten von anschaulichen Vorstellungen erster,
zweiter, dritter Stufe sprechen (ähnlich: Spiegelbilder von
Spiegelbildern) .
2) Phantasiebilder von physischen Bildern. Z.B. ich stelle mir die
30 "Theologia" in der Phantasie vor. Hier haben wir ganz analoge Kom-
plikationen wie vorher, nur dass das Phantasiebild selbst keinen Er-
reger hat.
3) Gibt es auch physische Bilder von Phantasiebildern ? Z.B. Ge-
mälde eines Traumgebildes. Doch wird man derartige Darstellungen
35 nicht als rein anschauliche gelten lassen. Konzeptiv-gedankliche Ver-
mittlung. Grillparzers "Der Traum ein Leben".

BEILAGE XIX
PHANTASIE IN DER PHANTASIE
<um 1905>

40 1) Erinnerung in einer biossen Phantasie


2) Phantasie in einer Erinnerung
3) Erinnerung in einer Erinnerung
4) Phantasie in einer Phantasie
BEILAGE XX 207

Ich phantasiere: Ich fahre auf der Eisenbahn und versinke in


Träume (Phantasien) und weile träumend in der Erinnerung an meine
jugendzeit, wie mir mein Vaterhaus vorschwebt. Wie ich in den alt-
vertrauten teuren Räumen als Kind spiele etc. Hier haben wir eine
5 phantasierte Erin~erung,. eine modifi~ierte Erinnerung, .müsste. ~ch
deutlicher sagen, eme ErInnerung In der PhantasIe. Freilich
habe ich diesen konstruierten Fall nicht jetzt erlebt, ich habe das hier
Ausgesagte nur im indirekten Vorstellen vollzogen. Anschaulich stelle
ich mir eine Eisenbahnfahrt (etwa eine Erinnerung) vor. Die andere
10 Erinnerung an meine Kinderzeit beziehe ich dabei symbolisch auf das
symbolisch vorgestellte Träumen. Aber ist das nicht möglich in
eigentlicher Form?
Leichter ist es, eine Phantasie in einer Erinnerung und
eine Phantasie Ln einer Phantasie (oder in einem Gemisch
15 von Phantasie und Erinnerung, wie bei den meisten Phantasien) zu
bilden. Natürlich kommt auch der vierte mögliche Fall vor: Erin-
nerung in einer Erinnerung.
Beim Lesen eines Romans, wo der Held phantasiert, träumt, sich
erinnert. Die Roman-Erzählung: Aber es ist nicht eine aktuelle Er-
20 zählung, sondern stellt eine solche nur vor. Das ist ein Bild bewusst-
sein. Ist hier ni<j:ht die Phantasie im übrigen Phantasie in der Phan-
tasie, falls Ansclilaulichkeit vorhanden? (Aber wie, wenn ich nur sym-
bolisch verstehe?) Der Traum wird hier gegenständlich, durch "Ur-
teil" wird der Traum (Urteil auf Phantasiegrundlage) dem phanta-
25 sierten Helden als träumendem eingelegt; wird dem Urteil aber
"Folge gegeben", so resultiert das anschauliche Bewusstsein vom
Träumen des Helden. Der Leser "starker Phantasie" wird das wohl
leisten können. •
Wie bringt uns ein Dichter dazu, wirklich Erinnerung in einer
30 Phantasie zu vollziehen? Doch, so, dass wir mit dem Helden gewisse
Vorgänge anschaulich miterleben und er in späteren Teilen der Dich-
tung sich dieser Vorgänge erinnert. Wir erinnern uns nun mit ihm.
Das Beispiel bedarf aber näherer Analyse.

BEILAGE XX
35 IMMANENTE IMAGINATIONEN
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912>

.~:; gibt nicht nur transiente Bildvorstellungen, sondern auch imma-


nente.!

da' Welche Farbe h~t da.nn der Hintergrund ~es Tizianschen Bildes? Nun, ich will
SJe mdlen. Dann 1st dIe gemalte gegenwärtIge Farbe doch "Bild" für die abwe-
~ende. Aber freIlich, in der gemalten kann ich die abwesende nicht sehen da
1%e pben gegenständliche Farbe und ohne Gegenstand nicht zu sehen ist. Was hier
gemalt 1st, 1st eben notwendig zugleich ein anderer Gegenstand (ein Klecks etc.).
208 BEILAGE XXI

So insbesondere dienen sie bei der Einfühlung. Ich kann z.B.


~ttels der Wahrne~m~ng, die ich selbst hab:, mir die Wahrnehmung
emes Anderen verbildlichen, und ebenso mIttels der Phantasievor-
stellung, die ich selbst habe, mir "eine Vorstellung machen", d.i. mir
5 verbildlichen die eines Anderen.
Frage: Kann man "die Phantasie in der Phantasie" inter-
pretieren als eine Verbildlichung?
Ich kann natürlich eine Phantasie, wie wir oben sahen, als Bild ver-
wenden. Kann ich aber sagen, dass, wenn ich mich erinnere, dass ich
10 gestern ein A phantasiert habe, z.B. einen Bajazzo (und ich erinnere
mich dessen jetzt wirklich), dass ich da eine jetzige Bajazzo-Vorstel-
lung als Bild verwende?
Nun ist es sicherlich möglich, evtl. eine analogische Vorstellung
(eben eine Bildvorstellung) von etwas zu bilden, was wir selbst früher
15 erinnert hatten; aber wo wir uns einfach erinnern, dass wir gestern uns
den Bajazzo vorgestellt hatten, da leben wir einfach in der Vergangen-
heit und im vergangenen Phantasieren, genau wie wir sonst in der Ver-
gangenheit leben: nur dass wir jederzeit die leichte Modifikation voll-
ziehen können, welche aus der vergangenen Phantasie, aus der Er-
20 innerungsmodifikation der Phantasie, eine gegenwärtige Phantasie
machen <würde>.

BEILAGE XXI
REFLEXION IN DER PHANTASIE IST SELBST PHANTASIE
<wohl Herbst 1909>

25 Fordert die Möglichkeit der Reflexion in der Phantasie (des "Hin-


sehens" auf das Erscheinungs-Phantasma bzw. auch des Hinsehens
auf das "Wahrnehmen des Gegenstandes") die Annahme, dass die un-
modifizierten Erlebnisse, die "impressionalen" schon Inhalte eines
Bewusstseins, eines impressionalen sind? Also ein in n e res B e-
30 w u s s t sei n, dessen Modifikation das Phantasma als Phantasma-
bewusstsein sei? Indessen, dann müssten wir für j e des Erlebnis ein
inneres Bewusstsein annehmen und sagen, alle Erlebnisse sind be-
wusst. Wir kämen auf einen unendlichen Regress. Das geht nicht. 1
Das mag freilich so sein, dass psychologisch jedes Erlebnis "Spuren"
35 zurücklässt und dass Wiedererinnerungen und damit phantastische
Modifikationen von ihm auftauchen. Aber Modifikation besagt nicht,
dass das, was modifiziert heisst, schon früher da war, nur eben un-
modifiziert.
Eine Schwierigkeit finde ich darin wohl, dass ein Hinblick auf das
40 Objekt eines Phantasma (= einer Reproduktion) möglich ist. Erlebe
1 "Das geht nicht" später unterstrichelt ; am Rande steht zum folgenden ein grosses
Fragezeichen. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXII 209

ich ein Phantasma; so kann ich auf sein Objekt hin< sehen>. Dieses
Hinsehen stellt sich heraus als ein reproduktiv modifiziertes Hin-
sehen: als Hinsehens-Phantasma. Taucht eine Erinnerung auf, so kann
ich auf das Erinnerte hinsehen, und dieses Hinsehen ist selbst ein
5 modifiziertes, ein "Phantasma", auch wenn ich es nicht immer selbst
als Erinnerungs-Modifikation bezeichnen kann. So, wenn ich in der
Erinnerung phänomenologisch reduziere. Ich achte in der Erinnerung
auf die "Erscheinungsfarbe", auf die Erscheinungsform etc. Sie ge-
hörten zur erinnerten Erscheinung, die eine "in der Erinnerung"
10 konstituierte Einheit war, die ich vielleicht nie zum gemeinten Objekt
gemacht hatte. Ich sehe aber jetzt"mich jetzt erinnernd, auf sie hin.
Und doch ist dieses Hinsehen als Beschäftigung mit der Phantasie-Er-
scheinung (Erscheinungs-Phantasma) Beschäftigung mit einem nicht
selbst Gegebenen, sie ist eine Beschäftigung "in der Phantasie". Sie ist
15 selbst vom Charakter des Phantasma. Waslich jetzt meine Beschäfti-
gung mit dem Erinnerungsobjekt bzw. Phantasieobjekt und seiner Er-
scheinung nenne, ist in Wahrheit ein Phantasiebewusstsein, das den
Charakter von Phantasie von Beschäftigung mit dem Erinnerten hat.
Mit reproduktiven Erscheinungen, nicht gegenwärtigen, sondern ge-
20 wesenen, kann ich mich im eigentlichen Sinn nicht beschäftigen.
I

BEILAGE XXII
<"REPRODUKTION VON" GEGENÜBER
"PHANTASIEVORSTELLUNG VON" ALS
OBJEKTIVIERENDEl'fI AKT>
25 <wohl 1909>

Es gibt Originale, die· nicht wieder Darstellung sind, und es gibt


Darstellungen.
Reproduktion ist also Reproduktion von (Phantasie von).
Wunschreprodaktion ist also Reproduktion von Wunsch.
30 Was. besagt hier aber das "v 0 n"? Nicht dasselbe, das ich meine,
we~n lch sage, ich habe eine Phantasievorstellung von,! einen
ob J e ~ t i v i e ren den Akt. Phantasievorstellung von einem Haus,
von emem Wunsch etc., das ist ein Akt, der das Haus, den Wunsch,
~um Gegenstande hat., Blosse Reproduktion ist aber kein ob-
35 J~ktivierender Akt, keine Vorstellung von. Z.B. wenn ich eine Phanta-
s~vorstellung von einem' Haus. habe, so ist das Haus Objekt. Hiebei
~?er t~eten als "repräsentierende Inhalte" Phantasmen auf. Die sind
ler mcht Vorstellungen von. (Wenigstens ist das eine Anschauung
40 ~~n d.er ~achlage, die sehr bedenklich erscheint. Sollen wir sagen:
le smnhchen Inhalte sind Gegenstände von Phantasie vor s t e l-

----
I ungen?)

1 Etwas nachträglich eingefügt:,,= Richtung auf". _ Anm. d. Hrsg.


210 BEILAGE XXIII

Ebenso wie ich in der W a h r n e h m u n g erst reflektieren muss, um


die Empfindungsinhalte in ObjektsteIlung zu' bringen, wie also zu den
Empfindungen ideal mögliche Umwendungen in immanente Wahr-
nehmungen gehören, die ich mir erst verschaffen muss, so auch hier.
5 Ich muss "in der Phantasie reflektieren", demnach ist im Wunsch-
Phantasma keine Wunschvorstellung gegeben, der Wunsch ist dabei
nicht Objekt einer Vorstellung, und ebenso im aktuellen Wunsch
keine Wunschwahrnehmung. Ich wünsche etwa, ohne meinen Wunsch
zum Wahrnehmungsobjekt zu machen, und ebenso mögen sich
10 Wunschreproduktionen regen und Erlebnis sein, ohne dass <ich> Vor-
stellungen im objektivierenden Sinn habe. So überall.
Aber jede Impression begründet die Möglichkeit einer Wahrneh-
mung, und jeder Reproduktion, jedem Phantasma entspricht nach
idealer Möglichkeit eine Phantasievorstellung, speziell z.B. Urteil -
15 Wahrnehmung vom Urteil, propositionale Vorstellung - Phantasie-
vorsteIlung vom Urteil.!
Nun muss man aber, wie es scheint, einen Schritt weiter machen:
Wie jeder Impression eine Reproduktion (Phantasie) entspricht, so
in weiterer Folge auch ein leeres Bewusstsein. 2
20 Empfindung - Phantasma - leeres, dunkles Bewusstsein.
Und wieder entspricht jedem leeren Bewusstsein eine Gestaltung
von objektivierenden Akten.
Jedem leeren Bewusstsein entspricht eine 1e e r e Vor s t e 11 u n g
von (als objektivierender Akt).

25 BEILAGE XXIII
WAS MACHT DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN ORIGINÄREM
UND NICHT ORIGINÄREM ERLEBNIS? <MÖGLICHKEIT
EINER DOPPELTEN REFLEXION>
(1910)

30 Zum nicht originären gehört das "gleichsam", und das ist wohl ein
sehr allgemeiner Charakterzug (das Gleichsam ist aber doppelsinnig,
da wir auch bei der Inaktualität von gleichsam sprechen können).
Jedenfalls gehört dazu, dass nicht originäre Erlebnisse eine doppel-
te Reflexion zulassen, eine originäre und eine nicht originäre.
35 Z.B. die Vergegenwärtigung eines Zornes lässt 1) eine Reflexion z~,
in der der meinende Blick sich auf das vergegenwärtigte Zornerlebllls
richtet, 2) eine Reflexion, welche sich auf das aktuelle Bewusstsein
vom als nichtgegenwärtig Dastehen des Zornes richtet. Hier also
offenbar auf 1).3 (Freilich kann man hier noch sagen: Verworren
I "propositIOnale" bIS" Urteil" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
2 Oder sollen wir sagen, Reproduktion sei voll oder leer?
3 VgI. aber das Beispiel der Hausphwtasie weiter unten.
BEILAGE XXIII 211

auftauchende Gedanken, Gefühle, etc. können den inneren Blick auf


sich lenken, ehe ein Blick durch sie hindurch auf den intentionalen
Gegenstand sich richtet.)
Jedenfalls kann man sagen: Allgemein lässt jedes Erlebnis eine
5 Umwandlung in eine Wahrnehmung zu, die es zu seinem immanenten
Objekt macht. (Das natürlich nach idealer Möglichkeit gesprochen.)
] edes ni c h tor i gin ä re Erlebnis lässt aber eine immanente Erfas-
sung (wir sagen da nicht Wahrnehmung) des in ihr immanent Vergegen-
wärtigten zu (dessen, wovon sie immanente Vergegenwärtigung ist)
10 und ausserdem eine Verwandlung in eine immanente Wahrneh-
mung zu, die es selbst als Vergegenwärtigung erfasst.
Habe ich z.B. eine Phantasie von einem Haus, so kann ich das Er-
lebnis verwandeln in eine immanente Phantasiemeinung, gerichtet
nicht auf das Haus, sondern auf die Haus-Apparenz, auf die "Er-
15 scheinung in der Phantasie". Andererseits aber kann ich eine imma-
nente Wahrnehmung von der Phantasie des Hauses bilden.
Nr.3

PHANTASIE UND VERGEGENWÄRTIGUNG


(ERINNERUNG). <FRAGE NACH DEM )
VERHÄLTNIS VON APPREHENSION UND
5 GLAUBENSQUALITÄT>
(Abschrift <wohl 1905/06, mit Ergänzung wohl aus 1909»

Schematische Überlegungen:
Gewisse Inhalte "Empfindungen" ; ihre Auffassung als Roons:
Wahrnehmungs apperzeption ; Glaubensqualität.
10 Andere Inhalte, "modifizierte derselben Gattungen", "Phan-
tasmen"; Auffassung als R.: Phantasieapperzeption (Erinnerung,
Vergegenwärtigung); Glaubensqualität.
Fall der Wahrnehmung des R. Die abgewandte Seite des
Gegenstandes sei anschaulich in der Phantasie vergegenwärtigt.
15 Sie hat natürlich Glaubenscharakte,. Diese Phantasie ist nicht
bloss neben der Wahrnehmung der Vorderseite bzw. des R.
"von vorne gesehen"; sie ist mit der Wahrnehmung geeinigt
durch Identifikation und durch Einigung der beiderseitigen
transzendenten Intentionen. Andererseits hat die Phantasievor-
20 stellung bzw. Phantasiesetzung auch "Intention" auf die en t-
sprechende Wahrnehmung (sc. des Roons von demselben
Standpunkt gesehen, als von welchem aus ihn die Phantasie-
vorstellung "sieht"). Wir unterscheiden
a) die" Vergegenwärtigung" der abgewandten Seite des Gegen-
25 standes, die "Intention" der erscheinenden Seite gerichtet auf
die abgewandte. 1
Diese Vergegenwärtigung findet statt in der Wahrnehmung,

1 Die Intention auf die ab gewandte Seite ist nicht zu verwechseln mit Intention
auf ein Wahrnehmungsbild oder Phantasiebild der abgewandten Seite, das ja nicht
Selte selbst ist. Die ab gewandte Seite kommt zur Erscheinung in einer Kontinuitat
von neuen Wahrnehmungen, deren jede, wenn sie kommt, Erfüllung bringt.
TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 213

sie macht es, dass der ganze Gegenstand vermeintlich dasteht.


Diese Vergegenwärtigung findet nicht minder statt, modifiziert,
in der Phantasie: Auch in der Phantasie steht der ganze Gegen-
stand (eben in der Phantasie-Weise) uns vor Augen. Diese Ver-
S gegenwärtigung ist demnach selbstverständlich nicht selbst wie-
der Phantasie. Hier erfüllt ja die evtl. nachkommende stetige
Mannigfaltigkeit von Phantasien der erscheinenden Rückseite
die Intention, die also etwas von jeder dieser Phantasien Ver-
schiedenes ist. Innerhalb der Wahrnehmung erfüllt Wahrneh-
10 mung, innerhalb der Erinnerung Erinnerung. Innerhalb der Mo-
difikation Phantasie, modifiziert, wieder Phantasie.
b) Die Vergegenwärtigung, die das Wesen der Erinnerung aus-
macht, die jetzt Seiendes vergegenwärtigt. Die "Intention" der
Phantasieerscheinung, der erinnerungsmässig gesetzten, auf eine
15 Wahrnehmungs erscheinung von derselben Seite, die ihrerseits be-
haftet ist mit den gleichen Intentionen auf die abgewandte Seite. I

1)2 Wahrnehmungsglaube WIW2 ... W n ... W 2W 1 =
Wahrnehmungszusammenhang
Erscheinungen E1wIE2w En EI
~~~
20 verbunden durch Identitätseinheit.
Pfeile = Infention a) innerhalb der Kontinuität des Wahrneh-
mungszusammenhangs in stetiger Identifizierung.
= apprehensive "Intention" durch Ähnlichkeit und Kon-
tiguität.
25 II) Ennnerungsg1aube (ich meine reproduktiver)3
PhI ... Ph n ... PhI
E1Ph vergegenwäl:'tigt E 1w4 EIPh -+ EnPh -+ E1Ph
U 'J J.L
E1w Enw E1w
30 ~ Der Pfeil bedeutet jetzt die Vergegenwärtigungsintention b).

" 1 N achtraghch eingefugt und später gestrichen: "Das ist inkorrekt, Phantasie, und
,dbst meht Ennnerung, hat nichts weniger als ohne weiteres eine Intention auf die
Lnt'prechende Wahrnehmung." - Anm. d. Hrsg.
2 Der unter I) und II) wiedergegebene Text mit den schematischen Darstellungen
SO\\ le den zugeh6rigen Anmerkungen wurde später kreuzweise gestrichen und mit
emer Nul! versehen. -'Anm. d. Hrsg.
3 Ph bedeutet hier Erinnerung. Inkorrekt, cf. vorige Seite Anfang <d.i. der Beginn
der AUfzeichnung>
4 A .
d ' nstel!e d,eser unrichtigen Illustration wäre zu setzen die eigenartige Beziehung
er Lrmnf>rung auf den Erinnerungszusammenhang bis zum aktuellen Jetzt.
214 TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909)

Aber jetzt erhebt sich die Frage nach dem Ver hält ni s Von
Apprehension und Quali tä t.
Wie ist die Qualität an Intention - Erfüllung beteiligt?
Nehmen wir eine blosse Phantasie: Ritter im Mondschein; er
5 wendet sein Pferd. Es erscheint die Rückseite, als zur Einheit
des Gegenstandes gehörig: "Erfüllung". Die Vorderseite "inten-
diert" die Rückseite. Bringt die Phantasie eine Rückseite, so fin-
det identHizierende "Erfüllung" statt.
Diese Intention ist "modifizierte Intention" und ihre Erfüllung
10 "modifizierte" Erfüllung. Die erste Intention war schon auf
einen ganzen Gegenstand "Ritter etc." gerichtet, aber diese kom-
plexe Intention <war> nur mit der Vorderseite "belegt"; als In-
tention auf den ganzen Gegenstand ist sie erfüllt durch das Ge-
gebene der Vorderseite. Auch diese Erfüllung ist natürlich eine
15 "modifizierte". Es gibt leere, ganz unerfüllte Intentionen. Hier
haben wir eine intuitive, also partiell volle, erfüllte Intention.
Partiell ist sie leer, sie geht auf weitere Erfüllung, sie findet sie
in neuen partiell erfüllten Intentionen, die freilich panieIl wieder
entleert sind.
20 Im Gegensatz dazu ist die Wahrnehmung ein Komplex von
unmodifizierten Intentionen, von Glaubensintentionen. Diese
sind nicht leere Qualitäten und dazu, damit irgend zusammen-
gebunden, die Apprehension des Gegenstandes, sondern sie sind
Glaubensapprehensionen ; die Bestimmtheit der Beziehung auf
25 den Gegenstand, d.i. die Bestimmtheit dieser Apprehension, das
sie Differenzierende, das, was den bestimmten Glauben,
die bestimmte Wahrnehmung macht.
Natürlich ist die Bestimmtheit des Glaubens nicht dasselbe wie
der Gehalt an Empfindung.
30 Nehmen wir jetzt die blosse Phantasie, so bleibt alles be-
stehen, nur ist alles "modifiziert" ins quasi, d.h. imaginativ. Im
Vergleich des Modifizierten und Unmodifizierten ein identisches
Wesen in abstracto: 1 "dieselbe" gegenständliche Auffassung, Er-

1 Aber wie, wenn ich eine Wahrnehmung nehme und eine Illusion desselben Auf-
fassungsgehalts ? Bei der letzteren statt des Glaubens eine durch Widerstreit mit
konkurrierenden Wahrnehmungen oder Erfahrungen auf blosse Glaubenstendenz
herabgesetzte Qualität, eine Glaubenstendenz, die kein Glaube mehr ist. Was is~ hie~
modifiziert? Doch nur die Qualitat. Die Sachlage ist doch eine ganz andere Wle bel
einer Phantasie gleichen Inhalts. Man wird vielleicht einwenden: Diese Modifika-
tion ist eine ganz andere als die Modifikation in eine Phantasie.·
,"

TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 215

scheinung, dieselbe Vorderseite ("derselbe" Gegenstand von der-


selben Seite erscheinend) etc. Das ist Identität der' "Materie" als
des Sinnes 71
Aber das scheint doch nur die "biosse" Phantasievorstellung
5 zu betreffen. Es kann aber auch mit der Phantasie Glauben ver-
knüpft sein.
Wie ist also das Verhältnis von Glauben zu Apprehension und
Glauben zu Intention besser und genauer zu verstehen?

1ch2 würde antworten: Was die Erinnerung anlangt, so ist


10 sie ein in "blosser Phantasie" fundierter, nicht imaginativer,
sondern impressionaler Akt. Der schlichten äusseren Wahrneh-
mung, etwa eines Dinges, steht gegenüber die schlichte pure
Phantasie dieses j,selben", d.h. eines inhaltsgleichen Dinges (eine
Phantasie von'demselben Erscheinungswesen). Ihr ist nicht als
15 gleichberechtigt an die Seite zu stellen eine Erinnerung an dieses
Ding, sofern die Erinnerung eine neue Auffassung bringt, welche
das Ding, da$ zunächst phantasierte, als vergangenes, und zwar
als "wieder gegeben" vergegenwärtigtes setzt in Beziehung zur
aktuellen Gegenwart.
20 Nun ist aber'21u überlegen. Ist auch die in der Wahrnehmung
gelegene G'ewis'sheitssetzung nicht bezogen auf einen Zu-
sammenhang und damit auf eine das Erscheinende in einen weite-
ren Zusammenhang hineinsetzende Allffassung? Die Wahrneh-
mung hat ihre Erfüllung in übergängen von neuen zu neuen
25 Wahrnehmungen und dabei:" nicht bloss von Darstellungen des-
selben Gegenstandes, sondern auch von Umgebungswahrneh-
mungen. Das Ding gehört zur Raumwelt, die eine räumliche

Ja, aber in der Phantasie kann doch Glaube bestehen, oder auch nicht bestehen.
ElUe blosse Phantasie mag mit jener Halluzination "denselben Inhalt" haben. Was
macht dann den Unterschied aus? Nun, einmal Wahrnehmungserscheinung, das an-
d~re Mal Phantasieerscheinung.
• Der letzte Satz wurde nachträglich wie folgt verandert: "Man wird richtig ein-
~ enden:. Die s e Modüikation, als Glaubensmodifikation, ist eine ganz andere als
~ e ImaglUahve, als die Modifikation in eine Phantasie." - Anm. d. Hrsg.
1 Es I,t zu beachten, dass das "Wesen" identisch ist, aber nicht die Erscheinung,
die elUmal Wahrnehmungserscheinung, das andere Mal Phantasieerscheinung ist, das
ClUe Mal impressionale, das andere Mal imaginativ modifizierte Materie. Ich kann
auch mcht eigentlich von demselben (individuellen) Gegenstand sprechen, sondern
~1U Gegenstand genau desselben Inhalts oder Wesens, ebenso wie die Erscheinung
e~derseIts"im "Wesen" dieselbe ist.
Von hier biS ans Ende der Nr. 3 wurde die Aufzeichnung, wohl im Jahre 1909,
erganzt. - Anm. d. Hrsg.
216 TEXT NR. 3 (1905:06 UND 1909)

Einheit ist und hinsichtlich der Zeit eine dauernde bei aller in-
haltlichen Veränderung.
Die Erinnerung versetzt aber ein Phantasiertes (quasi Wahr-
genommenes) in die Vergangenheit und ordnet sie derselben Welt,
5 hinsichtlich ihrer Vergangenheit eben, ein. Die Art ihrer Aus-
weisung fordert Übergänge von "Phantasie" zu Phantasie, die
aber immer wieder in gleicher Weise als Erinnerung charakteri-
siert ist. Gehören also nicht äussere (transiente) Wahrnehmung
und äussere Erinnerung in eine Parallele? Haben wir nicht bei-
10 derseits einfach: Wahrnehmungserscheinung im Modus der Ge-
wissheitssetzung, wieder: Phantasieerscheinung im Modus der
Gewissheitssetzung. Wahrnehmungserscheinung ist aber zu ver-
stehen als das auszeichnende Erscheinende und Gemeinte mit-
samt seinem Hintergrund in der bestimmten Auffassung. Ebenso
15 Phantasieerscheinung ist wieder gemeint mit ihrem Hintergrund,
zu dem aber nicht nur der dingliche Hintergrund gehört (in der
quasi-Koexistenz), sondern auch der zeitliche Hintergrund in der
Folge der Ereignisse bis zum Jetzt. Genauer betrachtet wäre
demnach die Erinnerung, oder vielmehr die die Erinnerung ein-
20 lösende Erinnerungsreihe, das genaue Gegenbild nicht der Wahr-
nehmung überhaupt, sondern der von dem damaligen Jetzt bis
zum jetzigen Jetzt laufenden Wahrnehmungsreihe, die ja ein
einheitliches Wahrnehmungsbewusstsein von Aufeinanderfolge
von Dauern und Veränderungen ausmacht.
25 Jede Wahrnehmung ist aber eigentlich schon ein solches Be-
wusstsein, sie ist ja Wahrnehmung von Dauerndem, oder Wahr-
nehmung von Vorgängen etc. Nehmen wir die Wahrnehmung als
Vor g a n g s w a h r n e h m u n gl, so entspricht ihr die Erinnerung
als Wiederbewusstsein (Vergegenwärtigung2), etwa das ich am
30 End e des Vorgangs evtl. vom Anfang habe. Es ist nicht nur
Phantasie des Anfangs, sondern eben Erinnerung, d.i. Wieder-
bewusstsein des Anfangs '11it der Intention bis zum Jetzt, das
wahrnehmungsmässig immer fortschreitet. Zum Wiederbewussc-
sein gehört wesentlich diese Intention.
35 Wahrnehmungssetzung hat das System der zur Idee der
Räumlichkeit gehörigen Ausweisungen, die sämtlich wieder
Wahrnehmungssetzung sind. Erinnerungssetzung hat das System
1 Später eingefugt : "Retention". - Anm. d. Hrsg.
2 Später eingefügt: "nicht Retention". - Anm. d. Hrsg.
! •••

TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 217

der zur Idee der Zeitlichkeit gehörigen Ausweisungen, die sämt-


lich wieder den Charakter von Erinnerungssetzung haben ..
Blosse Phantasie (Wahrnehmungsphantasie) ist imaginative
Modifikation l der Wahrnehmungssetzung (mit ihrem intentio-
5 nalen System). Sie ist Phantasievorstellung von einem Jetzt, von
einer dauernden oder sich verändernden Gegenständlichkeit etc.
Erinnerungsphantasie ist Phantasievorstellung von einem Ver-
gangenen in Beziehung auf ein Jetzt.
I st es das aktuelle Jetzt, so führt die "Setzung" dieser Phan-
10 tasie alsbald wirkliche Erinnerung herbei. Ist es ein phantasiert es
Jetzt, so erfordert die Setzung die Setzung des phantasierten
Jetzt, und das ist riur möglich als ein erinnertes Jetzt, also als ein
Vergangensein. '
Wie kann ein Phantasiegebilde gesetzt werden 2 ? Nur als ein
15 Jetzt, Vergangen oder Künftig. In Beziehung auf aktuelle Wirk-
lichkeit und damit zum Jetzt der aktuellen Wahrnehmung.
Grosse und schwere Probleme! Alle Setzung von Individuellem
ist Setzung ,in Raum'und Zeit und mit Beziehung auf das Hier
und das Jetzt. I

20 Blosse Vorstellung kann nur sein: eine Wahrnehmung, aber


eine absolut nicht'eingeordnete, es fehlt irgend etwas an der Be-
ziehung zum "hier", es fehlt der Glaube.
Blosse Vorstellung kann andererseits sein reine Phantasie; sie
entbehrt der Beziehung auf das Hier und Jetzt. Es fehlt der
25 Glaube.

1Spater eingefügt: "Inaktualitäts-Vergegenwärtigung". _ Anm. d. Hrsg.


2Spater eingefügt: "inaktuelle Vergegenwärtigung in aktuelle verwandelt werden".
- Anm. d. Hrsg.
Nr. 4

GLAUBE ALS IMPRESSION. <INTERPRETATION


DER GEGENSÄTZE ZWISCHEN WAHRNEHMUNG
UND PHANTASIE, DER VERHÄLTNISSE ZWISCHEN
5 ERINNERUNG UND PHANTASIE, DER ILLUSION,
BILDVORSTELLUNG, LEERVORSTELLUNG>l
(11. Oktober 1908)

Versuchen wir den Glauben als einen impressionalen Charakter


zu fassen (nicht überhaupt als den impressionalen Charakter),
10 so dass jeweils die gegenüberstehende "blosse Vorstellung" als
Modifikation zu gelten hätte, z.B. die dem prädikativen Urteil
gegenüberstehende blosse propositionale Vorstellung, und zwar
genau in dem Sinn, in dem der Empfindung das Phantas-
m a gegenübersteht, so wäre die Frage, wie sich die Gegensätze
15 zwischen äusserer Wahrnehmung und entsprechender blosser
Phantasie, die Verhältnisse zwischen Erinnerung und Phantasie,
und die Phänomene der Illusion, der entlarvten Halluzination,
dei Bildvorstellung (bzw. bildlich setzenden Vorstellung), der
Leervorstellung (und setzenden Leerintention) interpretieren las-
20 sen.
Insbesondere bestehen hier die Schwierigkeiten des Verhält-
nisses zwischen "Auffassung" und "Glauben" und des Verhält-
nisses zwischen "Glauben" und seinen verschiedenen Modifika-
tionen, Glaubensneigung, "aufgehobener Glaube", Zweifel etc. 2
25 Wie ist es z.B. bei der Wahrnehmung? Haben wir da eine
eigene Wahrnehmungs auffassung, charakterisiert im Modus der
Glaubensimpression, derart, dass diese Charakterisierung ein
hinzukommendes zweites Moment ist? Etwas Abtrennbares, nur
mit sich Verflechtendes? Oder ist der Glaube ein zur Auffassung
1 Cf. darin <So 222f.> über impressionales Bildbewusstsein.
2 Glaube natürlich nicht so viel wie Entscheidung, Behauptung u. dgl.
TEXT NR. 4 (1908) 219

gehöriger und unabtrennbarer modaler Charakter, und zwar so,


dass es verschiedene impressionale Modi der Auffassung gibt,
und impressionale Auffassung> eo ipso impressionale Auffassung
von dem und jenem Modus ist, und nun sollen diesen impressio-
5 nalen Auffassungen gegenüberstehen die entsprechenden phan-
tastischen Modifikationen? Wenn wir aber von derselben Auf-
fassung in verschiedenen Modis sprechen, so wäre das Gemein-
same ein abstraktes Wesen. Mit Unterschieden noch: in-
tuitives Wesen (intuitive Auffassung) oder leeres Wesen. An-
tO dererseits beruhre ich gleich die Schwierigkeit, was als Modifi-
kation bei "gleicher Auffassung" zu gelten hat. Z.B. wenn ich
eine Wahrnehmung modifiziere und annehme, dass zwei Mo-
mente vorhanden sind: Auffassung und Glaube, so kann ich
jedes für sich modifizieren. Also die Auffassung kann impres-
15 sional sein und das Glaubensmoment entweder Glaube als Im-
pression oder entsprechende Glaubensmodifikation. Wie wenn
man z.B. sagte: Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und
Illusion von demselben Erscheinungsgehalt (Auffassungsgehalt)
bestehe darin! dass dort' impressionaler Glaube, hier Glaubens-
20 modifikation verwoben sei mit derselben impressionalen Er-
scheinung. Ebenso bestehe der Unterschied zwischen Erinnerung
und Phantasie von gleichem "Erscheinungsgehalt" darin, dass
mit derselben modifizierten' Erscheinung verbunden sei einmal
aktueller Glaube, das andere Mal Glaubensmodifikation. Die
25 Phänomene lassen sich, besonders wenn man nicht tiefer forscht,
ja verschieden interpretieren; z.B. dass der Glaube bei gleichem
Erscheinungsgehalt ganz wegfallen kann, ohne Ersatz durch
einen anderen Modus, oder dass schon in den Auffassungen die
Unterschiede liegen, sofern dieselben Empfindungen einmal im-
30 pressionale Auffassung, das andere <Mal> Phantasieauffassung
erfahren möchten, oder dass mit gleichen Auffassungskernen
(gleichen Erscheinungen) verbunden wären neue Auffassungs-
momente usw. ,
""Ich will nun zu begründen versuchen die Ansicht, welche den
35 Glauben nicht als ein eigenes charakterisierendes Moment, son-
~em als die Impressionalität der "Auffassung" selbst interpre-
~rt, wobei aber dascWort Auffassung weit genug greifen muss. 1
~ Den letzten Satz veränderte HusserI nachträglich wie folgt: "Ich will nun zu be-
grunden versuchen die Ansicht, welche den Glauben nicht als ein hinzukommendes
220 TEXT NR. 4 (1908)

Betrachten wir nun noch das Verhältnis der normalen ä u s s e-


ren Wahrnehmung zur genau' entsprechenden puren
P h a nt a sie. Hier ist das letztere Phänomen durch und durch
modifiziert, nämlich Modifikation des ersteren Phänomens.
5 Was spricht für die einfachere Ansicht, die hier'ver-
sucht ist durchzuführen, nämlich, dass kein eigenes Moment des
Glaubens anzunehmen ist, und dass somit keine Komplexion
von Auffassung bzw. (wenn wir die sinnliche Unterlage mit-
nehmen) von Erscheinung und Glaube (oder Glaubensmodifi-
10 kation) anzunehmen ist? , '"
a) Bei der Komplexions-Auffassung würde man sagen,: Die
Wahrnehmungs-Erscheinung hat ihre Imagination in ,der genau
entsprechenden Phantasie-Erscheinung. Und beiderseits kann
Glaube statthaben oder auch nicht.
15 b) Dagegen könnte man sagen: Wenn ich in der Phantasie
keinen Glauben habe, also pure Phantasie vollziehe, besitze ich
damit nicht eo ipso Modifikation des Glaubens? Also schon-die
volle imaginative Modifikation der ganzen Wahrnehmung 'mi t
ihrem Glauben? In der puren Phantasie lebend! ist es mir so" ·als
20 ob ich das Ding, den Vorgang sähe, als ob er die und die:Be-

charakterisierendes Moment, sondern als eine gewisse impressionale Auffassung selbst


interpretiert, wobei aber das Wort Auffassung weit genug greifen muss. Doch das ist
wohl nicht gut ausgedrückt." Es folgt ein wohl zur Zeit der wiedergegebenen Verän-
derung eingefügter Passus, der wieder gestrichen bzw. auf einem eingelegten Blatt
wohl im Sommer 1909 etwas verändert abgeschrieben wurde; der im folgenden wieder-
gegebene Text fusst auf dieser Abschrift, während der ursprünglich eingefügte Passus
in den Textkritischen Anmerkungen vollständig abgedruckt wird: "Die zwei ,An-
sichten: Glaube als ein eigenes, abtrennbares Moment, Glaube als ein Modus. -
Glaube ist nicht ein eigenes 'Gefuhl', überhaupt ein eigenes Phänomen, das zu
einer 'biossen Vorstellung' als einem zweiten Phänomen hinzutrete. Das volle kon-
krete Phänomen eines Glaubens des und des Inhalts ist nicht etwas im impressiona-
len" Sinn doppelt zu Modüizierendes (nach Glaubensmoment und unterliegender
Vorstellung). Vielmehr: Unter den impressionalen Erlebnissen finden wir eine
Klasse, die objektivierenden, und unter diesen objektivierenden wieder eine Art, die
Glaubensphänomene. Also nicht jedes objektivierende Erlebnis ist
eoipso, wofern es Impression (unmodifiziert) ist, schon ein 'A,kt des
GI a u ben s'. So ist eine Glaubensneigung eine Impression, aber nicht Glaube. Eben-
so eine Voraussetzung. Ferner, in der unteren Schicht: ein Phänomen der Bildvor-
stellung, eine Illusion. Glaube ist objektivierende Ge w iss he i t (Gewissheits-
Setzung). Dabei scheiden wir Glaubensqualitat und Glaubensinhalt (Materie). Diese
Materie ist aber ein abstraktes Wesen. Die Qualität ist zu ändern in Glaubensneigung,
Zweifel etc. Das sind lauter Impressionen, und jede hat also ihre impressionaIe" Mo-
difikation. "
• "impressionalen" und ..impressionale" nachträglich verändert in "reproduk-
tiven" bzw. "reproduktive". - Anm. d. Hrsg.
1 "In der puren Phantasie lebend" hat Husser! später kritisch angestrichelt und
am Rande bemerkt: "Ja, ich in der Phantasie lebend". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 221

stimmtheiten hätte etc. Was ist das anderes als Erscheinung im


modifizierten 'Bewusstsein des Glaubens?l
Also es liegt nur ein Einfaches vor. Die Empfindung ist modi-
fiziert zum Phantasma (quasi-Empfindung), die Auffassung2 mo-
5 difiziert zur imaginativen Auffassung,3 und das ist 4 schon Modi-
fikation des Glaubens, wie andererseits der aktuelle Glaube in
der impressionalen Auffassung liegt.
Nun kann ich auch Glauben "auf Grund der Phantasie" haben.
Nämlich es ist hier das der Auffassung Zugrundeliegende nicht
10 Empfindungsmaterial, sondern ein modifiziertes Material, ein
Komplex von Phantasmen. 5 Die Auf f ass u n g selbst kann ein-
mal eine impressionale sein und andererseits ebensogut eine
nichtimpressionale, und je nachdem habe ich Erinnerung oder
pure Phantasie.
15 Zu beachten: Glaube, heisst es, ist nicht ein abtrennbares Mo-
ment, aber Glaube ist nicht Auffassung-als. Wenn etwa Emp-
findung Grundlage für die Auffassung als Ding ist, so kann diese
Auffassung sehr wohl modifiziert werden für sich. Sie ist nicht
Glaube, sond~rn eben Auffassung, die mo d a I bald Glaube, bald
20 Nichtigkeitsbewusstsein ist etc.
Das scheint alles gut zu stimmen.
Nun ist aber zu überlegen, was ich in meinen Vorlesungen
wiederholt auseinandergesetzt habe, dflSs, wenn auf Grund von
Phantasmen, sei es in Form purer Phantasie, sei es in Form der
25 Erinnerung (setzender Phantasie, wie ich es im Sinn der anderen
Ansicht nannte), Auffassung vollzogen ist, diese durchaus den
Charakter des Gleichsam hat und damit, wie es scheint,
imaginativen Charakter. Zuunterst: Ich habe gleichsam Empfin-
dungen, Das ist das ,Bewusstsein "Phantasma". Aber auch wei-
30 ter: Auf Grund derselben sehe ich gleichsam die phantasierte
oder erinnerte Situation und finde mich gleichsam in ihr6 • Und
bevorzugen wir jetzt die Erinnerung, so sagt das weiter:

,,' Spater eingefugt: "Die ich aber sehe!". - Anm. d. Hrsg.


2 Nachtraglich eingefügt: "konkret gesprochen, die Erscheinung". - Anm. d.
Hrsg.
a Nachträglich eingefügt: "Erscheinung". _ Anm. d. Hrsg.
: Spater ~ber der Zeile eingefügt: "nein". - Anm. d. Hrsg.
Zu BegInn des folgenden Satzes nachträglich eingefügt: "UDid nun möchte man
sagen:", - Anm. d. Hrsg.
6 "finde mich gleichsam in ihr" bat Husserl später krltisch angestrichelt. - Anm .
d . Hrsg,
222 TEXT NR. 4 (1908)

Ich glaube gleichsam, ich nehme gleichsam wahr, prädiziere auf


Grund dessen gleichsam etc. Ich glaube gleichsam - aber ich
glaube auch jetzt wirklich!
Kann man also mit Recht ansetzen: Phantasmen können eine
5 impressionale Auffassung erfahren, und sie können ebensogut
eine imaginative Auffassung (eine Auffassungs-Imagination) er-
fahren? Und dem Entsprechendes dann auf der anderen Seite:
Empfindungen bald in einer Auffassungs-Impression, bald in
einer Auffassungs-Imagination?
10 Es ist zweifellos, dass das nich t geh t.
Wir werden feststellen müssen: Empfindung kann u n mit t e 1-
bar nur im pr e s s ion ale Auffassung erfahren. Es gibt aber!
nicht nur die eine impressionale Auffassung, nämlich diejenige,
die wir im engsten Sinn "Wahrnehmung"2 nennen. Nehmen wir
15 das jeweilige Empfindungsfeld, so erfährt es immer auch
Wahrnehmungsauffassungen. Aber es können Wahrnehmungs-
auffassungen miteinander in Widerstreit treten. Dazu gehören die
impressionalen Phänomene des Schwankens, des Zweifels bzw.
der auf eine Auffassung jeweils bezogenen Neigung. Ebenso Ent-
20 scheidung des Zweifels.3
Aber auch andere Phänomene kommen vor, sind möglich.
Eine Wahmehmungsauffassung streitet mit den Wahrnehmungs-
auffassungen der "Umgebung", diese halten als impressionale
Wahrnehmungen stand und jene Wahrnehmungsauffassung wird
25 "aufgehoben". Oder wir finden ohne einen besonderen Prozess
des Schwankens, des Streitens etc. im Zusammenhang mit
Wahrnehmungs-Gewissheiten (impressionaler Glaube) eine ,,auf-
gehobene" Wahrnehmung, die ein neues impressionales Phäno-
men ist, nicht etwa "blosse Vorstellung", sondern Schein-
30 Wahrnehmung. Es erscheint darin nicht etwas in einem gewissen
engsten Sinn, sondern es steht etwas da als Schein. Bezogen
auf die aufhebenden Wahrnehmungen steht es da als "nichts",
als nichtig. In sich steht es da "ohne Glaube", es ist aber keines-
wegs eine Phantasie. Es ist ein biosses "Bild", 4 wobei aber an

1 Nachtraglich eingefügt: "dem Modus nach". - Anm. d. Hrsg.


a Nachtraglich eingefügt: "und uberhaupt Glaube". - Anm. d. Hrsg. .
3 Es sind nicht etwa verschiedene Auffassungen, sondern es sind verschiedene Modi
der Auffassung darin. Urauffassungs-Grundmodus = Glaube.
4 Nachträglich eingefügt: "d.i. ein Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 223

keine symbolische, bildlich darstellende Funktion zu denken ist.


In dem echten impressionalen Bildbewusstsein
haben wir einerseits als Unterlage die Funktion, in der das "Bild-
objekt" erscheint, das ist genau das, was wir soeben als Bild! be-
5 zeichnet haben, und eine symbolisierende, und zwar analogisch
symbolisierende Funktion, die die eigentliche Bildlichkeit konsti-
tuiert. (Auch das ein impressionales Bewusstsein.)
Es ist zu beachten, dass Bildlichkeitsbewusstsein im einen und
anderen Sinn (i 11 u s ion ä r e S2 Bewusstsein, könnten wir sagen,
10 und eigen tliches Bildbewusstsein) zweifellos, wie ich es eben
schon sagte, impressionale3 Akte sind. Bildlichkeit setzt voraus
eine Wahrnehmungsumgebung. Und Bildlichkeit kann ebensogut
phantasiemässig vollzogen sein wie impressional:4 Der Wahr-
nehmungsumgebung der impressionalen Bildlichkeit entspricht
15 dann eine Phantasieumgebung, die als quasi-Wahrnehmungs-
umgebung fungiert. Es ist dann alles imaginativ umgewandelt.
Das "Aufgehobensein" durch "Widerstreit", das Analogisieren
etc. Es ist also Isicher, dass die illusionäres Auffassung nicht etwa
Phantasieauffassung6 von Empfindungen ist und dass Empfin-
20 dungen unmittelbar in der Tat nur impressionale Auffassungen,
deren es vielerlei gibt, erfahren können. 7 Wir nennen sie alle im-
pression ale Auffassungen, weil ihnen allen in gleicher Weise die
eine einzige Modifikationsweise gegenübersteht, die wir "Phan-
tasie" nennen.8
25 Wie sehen nun die· mittelbaren Auffassungen aus?
Achte ich auf die Dinge am Rand meines Gesichtsfeldes, so
"wecken" sie die Vorstellungen der Dinge, die in der Ordnung der
Umgebung folgen und die ich sehen würde, wenn ich mich um-
drehte, dann so und so weiterginge, und so immer weiter in der
30 umgebenden Welt.
------
1 Nachtraglieh eingefügt: "Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
2 Nachtraghch eingefugt: "Schein". - Anm. d. Hrsg.
: Spater ~lngefugt: ,,(gemischte!)". - Anm. d. Hrsg.
kIlle Bezlehung auf das Abgebildete kann aber phantasiemässig sein ohne Glauben
cf. eS. 226>. '
: Nachtragl~ch ei.ngefügt: "Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
Nachtraghch emgefügt: ,,(impressional modifizierte Auffassung)". - Anm. d.
H rsg.
7 Spater wleder gestrichene Randbemerkung: "Phantasmen ebenso können un-
~Jttelbar nUr phantastische Auffassungen (quasi-Auffassungen) erfahren, und erst
a~n lffipressionale Auffassungen." - Anm. d. Hrsg.
Nachtraglich eingefügt: ,,(Reproduktion)". - Anm. d. Hrsg.
224 TEXT NR. 4 (1908)

Es ist klar, dass die Intentionen, die von den ins Auge gefassten
Dingen sozusagen in das Ungesehene hinausstrahlen, impres-
sional und nicht-anschaulich sind.

Verhältnis von blosser Phantasievorstellung und Erinnerung


5 nach dieser Theorie

Wenn dann "Phantasievorstellungen" auftauchen, so


gilt das mir da Vorschwebende als wirklich seiend. Offenbar habe
ich nicht die puren Phantasievorstellungen, sondern Motivationen
(das sind impressionale Auffassungs-Strahlen, ausgehend von dem
10 Wahrgenommenen), die jene Phantasievorstellungen selbst be-
stimmen in ihrem Charakter. Und dieser Charakter, was ist er
anderes als eine in der Phantasieerscheinung fundierte Auffassung
impressionaler Art? Das Phantasierte erhält dadurch Beziehung
zur Akt u a li t ä t, wird in dieser Beziehung aufgefasst, und die
15 Auffassung hat den impressionalen Modus des Glaubens. 1
Und so ist dann überhaupt Erinnerung, in ihren verschie-
denen Formen (im Sinn des von mir hier sehr allgemein gefassten
Terminus), eine fundierte impressionale Auffassung,
und zwar vom Modus des Glaubens. 2 Das sagt: Überall ist
20 Erinnerung mehr als blosse Phantasie und ein Phänomen höherer,
fundierter Stufe. Blosse Phantasie ist die Modifikation der Wahr-
nehmung (im prägnanten Sinn), schlichte Phantasie ist imagina-
tive Modifikation der schlichten Wahrnehmung. Und zwar ist
hier zu beachten, dass bIo s S e3 Phantasie nichts von Impressio-
25 nalem enthält, ebenso wie blosse Wahrnehmung nichts von Ima-
ginativem. Bei der imaginativen Modifikation habe ich also in der
entsprechenden Wahrnehmung alles und jedes, auch ihren Zu-
sammenhang des hic et nunc, modifiziert zu denken.
Andererseits im Fall der Erinnerung habe ich als Unterlage
30 Phantasie, aber darüber hinaus eine neue impression ale
Auffassung, die dem Phantasierten Akt u a li t ä t, d.i. die in-

1 Das geht nicht. Die Phantasieerscheinung hat hier selbst den Charakter der Ak-
tualität, so wie eine Wahrnehmung abgesehen von den Intentionen der Umgebung
Aktualitätscharakter hat.
Z Das habe ich wieder aufgegeben.
8 Blosse = pure
TEXT NR. 4 (1908) 225

tentionale Beziehung auf das hic ct nunc verleiht!: auf mein je-
weiliges Jetzt, sei es, dass das Phantasierte "gesetzt" ist auch als
jetzt, oder als früher (in Beziehung auf das aktuelle Jetzt früher)
gewesen. Die neue' impressionale Auffassung hat den modalen
5 Charakter des Glallbens (natürlich können hier auch entsprechen-
de an der e Mo d i, und evtl. höherer Stufe auftreten: Erinne-
rungs-Neigung, Zweife!; Entscheidung). Diese impressionale Auf-
fassung hat ihre imaginative Modifikation. Ich stelle mir bloss
vor, dass etwas jetzt sei oder gewesen sei, und dabei haben wir
10 die volle und reine imaginative Modifikation, wenn wir 2 das Jetzt
gar nicht setzen, dann ist ein imaginatives Jetzt als Beziehungs-
punkt natürlich I vorausgesetzt. Das ist z.B. der Fall, wenn ich,
ausgehend von einer'quasi-Wahrnehmung (also einer schlichten
Phantasie), mich hineinphantasiere in ein Erinnern.3 Daneben
15 gibt es hier und überhaupt gemischte Phänomene. So wie
ich in die wahrgenommene Umgebung hineinphantasieren kann
etwas, was darin nicht ist (Widerstreit mit dem Gegebenen, ich
muss es ja anstelle eines wahrgenommenen Objekts setzen)4, so
kann ich auch in Beziehung auf das mit der Wahrnehmung sich
20 konstituierende hic et nunc etwas als jetzt seiend phantasieren
(was mit gar keinem Rechtsgrund als seiend zu setzen ist und
wofür auch gar kein Rechtsgrund vor;gegeben ist, es ist ja eben
Phantasie und nicht Glaube) oder etwas als gewesen seiend oder
künftig seiend phantasieren. Das Phänomen ist hier ein kom-
25 plexes, sofern die AUffassung imaginativ ist, aber auf einem ge-
wissen impressionalen Grund. ö Das Phantasie-Jetzt wird, wenn

1 Da steckt der Irr t u m. Wir haben doch nicht 1) pure Phantasie mit ihrem
Phantasiezusammenhang, räumlich und zeitlich, 2) eine dazutretende neue, impres-
sionale Auffassung, sondern die Erinnerung ist durch und durch Reproduktion, und
diese hat den Charakter reproduktiver Akt uali tä t (evtl. haben wir auch Mischun-
gen,.emzelnes ist in aktuell, offen gelassen, blosse Phantasie). Der Charakter der Ak-
t~ahtat und der der Impression ist ZU unterscheiden. Dass jede Erinnerung selbst
~,eder reproduzierbar ist, ist nichts, was dagegen spricht, und dass die aktuelle Er-
mnerung Zusammenhang mit dem aktuellen Jetzt hat, auch nicht.
,; Nachtraglieh eingefugt: "auch". - Anm. d. Hrsg.
.3 Doch ist das nicht als Ansetzen ZU verstehen. "Ich lebe in der Phantasie" und
ennnere mich "in der" Phantasie. '
• Ansetzen dieses Papiers als rot, während es weiss· ist. Das ist natürlich keine
bl~sse Phantasie, sondern ein neuer impressionaler Modus des "Auffassens".
Die Rede von Phantasie-Phänomen ist hier bedenklich. Das Ganze ist doch ei-
~:nthch k~ine Phantasie in dem jetzigen Sinn, da es ja vermöge des Ansetzens und in
,.e ~lrkhchkeit Hineinsetzens modal ein Bewnsstsein von Nichtigkeit ist. Nennen
Wl~ Jede~ komplexe Phänomen, in dem Erscheinungen auftreten, die aus Phantasmen
ge aut smd, Phantasiephänomen, so ist das etwas anderes.
226 TEXT NR. 4 (1908)

ich etwas als jetzt seiend einbilde (das Phantasie-Jetzt, das ZUr
puren Phantasie als Modifikation einer Wahrnehmung mit ihrem
aktuellen Jetzt gehört), mit dem Jetzt des impressionalen Wahr-
nehmungsbewusstseins, das mich zugleich mit der Phantasie er-
5 füllt, identifiziert, genau so wie bei der Erinnerungssetzung einer
Gegenwart (einer unwahrgenommenen)l.
Ähnlich wie die Erinnerung in ihren verschiedenen Formen, so
ist auch die s y m bol i s c h e2 Auffassung, die intuitive und signi-
tive, eine fundierte. Und hier ist wiederum der Falls der Impres-
10 sion und der der Imagination klar unterschieden. Nehmen wir
z.B. eine echte Bildauffassung, das Porträt-Bewusstsein. Zu-
unterst liegt ein Illusionsbewusstsein als aufgehobene Wahr-
nehmung. Also ein impressionaler Akt der beschriebenen Art. 4
Aber das Scheinobjekt ist Bild, und Bild für eine "wirkliche
15 Sache". Also hier ist die Auffassung eine impressionale5 , sie for-
dert ja und lässt zu Erfüllung, Begründung, Bestätigung: was
alles nur Sinn6 hat für impressionale5 Akte (und diese neuen Akte
sind selbst wieder Impressionen7).8
Andererseits haben wir auch eine9 imaginative Modifikation:
20 Das Bildobjekt wird als Bild aufgefasst, aber "ohne Glaube", d.i.
in blosser "Phantasie". Wie bei vielen Kunstwerken.
Ebenso wenn ich mir fingiere die Hinterseite eines mir unbe-
kannten Dinges. Auf sie sind unbestimmte Intentionen (impres-
sionale10) gerichtet, es ist natürlich die Rückseite eine solche, wie
25 sie zu einem körperlichen Ding gehört im dreidimensionalen
Raum, irgendwie sinnlich auffassbar etc. Imaginiere ich mir aber
etwas Bestimmtes, so ist das im ganzen genommen "Phantasie",

1 Nachträglich eingefügt: "nur dass diese Identitätsauffassung vom Modus des


'Ansetzens' ist und bei der Erinnerungssetzung vom Modus des Glaubens-Setzens".-
Anm. d. Hrsg.
2 Symbolisch in meinem erweiterten Sinn!
3 Später über der Zeile eingefügt: "einerseits der Aktualität und der der InaktuaJi-
tät, andererseits". - Anm. d. Hrsg.
4 = inaktuelle Impression, wofern wir, wie das korrekter ist, Impression als Gegen-
satz zu Reproduktion fassen.
5 "impressionaJe" später verändert in "aktuelle". - Anm. d. Hrsg.
6 Später eingefügt: ,,(im objektivierenden Aktgebiet)". - Anm. d. Hrsg.
7 "Impressionen" später verändert in "aktuelJ". - Anm. d. Hrsg.
8 Nachträglich eingefügt: "So beim Porträt!" - Anm. d. Hrsg.
D Später eingefügt: "inaktuelle, und das ist hier eine". - Anm. d. Hrsg.
10 "impressionale" später verändert in "aktuelJe" und am Rande bemerkt: "Es
sind unbestimmte leere aktuelle Intentionen, diese kann man nicht als ImpreSSIonen
ansehen". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 227

andererseits doch' ein Gemisch vdn impressionalen: und Phanta-


sieauffassungEm. Soweit sich das Phantasierte als Rückseite der
Vorderseite einstimmig anpassen muss, soweit habe ich einen im-
pressionalen 'Rahmen. Alles übrige ist blosse Phantasie. Die
5 blasse Phantasie ist hier Einfüllung in einen impressionalen
Rahmen. Einerseits motivierende intentionale Strahlen, aus-
strahlend von 'dem aktuellen: soweit Motiviertes und somit im-
pressional ausgezeichnet. Alles übrige unmotiviert, blosse Phan-
tasie.
101m Sinn der bisherigen Analysen ist zu sagen, dass wir nicht
ohne weiteres ansetzen dürfen Glaube = impressionale 1 Objekti-
vation. Denn zu, den, objektivierenden Akten rechnen wir doch
wohl auch Vermutungen, Neigungen etc. Glaube ist entschie-
den e impressionale1 , Objektivation, (impressionale2 Gewiss-
15 heit 3 ). Ferner ist gar nicht daran gerüttelt, dass wir gegenüber
der Reihe impressionaler Unterschiede, Gewissheit, Anmutung,
Vermutung, Zweifel etc.,.auch aufrecht halten müssen die Unter-
schiede der M at er i e, des Was der Auffassungs-Modi. Wir kön-
nen ruhig sprechen von qualitativen Unterschieden (Unterschie-
20 den der Auffassungsmodi) und Unterschieden des "Inhalts", der
Materie.
Wir können bei den intuitiv einfac~eren4 Akten auch von Er-
scheinungen sprechen und von Modus der Wirklichkeitsauffas-
sung5 (modale Unterschiede), aber grosSe Vorsicht ist am Platz,
25 um nicht das Wesen de.r Sachlage zu verkennen. Sinnliches Ma-
terial wird z.B. aufgefasst: eine Erscheinung, das ist sinnliches
Material so und so aufgefasst. Das Gesamtbewusstsein ist, wenn
die Auffassung schlicht ist, notwendig impressionales Bewusst-
sein, wenn Empfindung zugrunde liegt, und imaginativ, wenn
30 nicht. 6
In höherer Stufe gründen sich darauf höhere Auffassungs-
~haraktere, und das Ganze, das da durch Fundierung erwächst,
1st verschieden als Impression oder Nicht-Impression zu bilden.
1 ,,!mpressionale" später verändert in "aktuelle". - Anm. d. Hrsg.
2 "lffipressionale" später verändert in "objektivierende". - Anm. d. Hrsg.
h 3 ,;,achträglich über dem Ausdruck in Klammern eingefügt: "Urteilsentschieden-
elt . - Anm. d. Hrsg.
4 "intuitiv einfacheren" nachträglich verändert in "intuitiven. _ Anm. d. Hrsg.
: Später eingefügt: ,,(objektivierenden Intention)". - Anm. d. Hrsg.
b Den letzten Satz hat Husserl später am Rande kritisch angestrichelt und dazu
emerkt: "Da noch nachzudenken". - Anm. d. Hrsg.
228 TEXT NR. 4 (1908)

Die höheren Auffassungscharaktere können imaginativ sein, und


so erhält das Ganze seinen Stempel. Oder es kann alles durch und
durch imaginativ sein etc.
(Was die prädika ti ven Akte anbelangt, so haben wir bei
5 ihnen analoge Unterscheidungen wie bei einer Unterstufe. Prädi-
kative Urteilsimpresssionen - prädikative Urteilsmodifika-
tionen = prädikative blosse Vorstellungen. 1 Doch ist zu beach-
ten, dass eine prädikative blosse Vorstellung (propositionale Vor-
stellung) phänomenologisch genommen nur Modifikation des Ur-
10 teils ist, das eben ganz genau von demselben phänomenologischen
Wesen ist in dem Sinn, wie nicht jedes Phantasma einer gewissen
Rotqualität Modifikation ist zu dem hier vorliegenden Rot der-
selben Qualität, während doch jedes Phantasma Modifikation
und jede Empfindung Impression ist. Die blosse Vorstellung "S
15 ist P" ist kein Akt, sondern eine Aktmodifikation (ein Aktphan-
tasma).)
Die freie, ungehemmte Objektivation, die Urobjektivation
(auch ungehemmte "Auffassung") = Glaube. Hemmungen, Wi-
derstreit mit anderen Objektivationen, oder Hemmungen von
20 Objektivationstendenzen mit <anderen Objektivationem, das <er-
gibt die neuen Modi der Objektivation.
Z.B. der Scheinwahrnehmung entspricht das Scheinurteil (z.B.
Urteil auf dem Theater, das zum Ganzen der bildlichen Situation
passt), der widerstreitenden Wahrnehmung in Hinblick auf Ge-
25 gebenes, also der zur Wahrnehmungstendenz herabgesetzten, die
Urteilstendenz etc. Das Scheinurteil ist natürlich Impression.

1 Vor dem Gleichheitszeichen eröffnete Husserl später eine eckige Klammer und
bemerkte am Ende des Satzes: "Durch die weiteren Untersuchungen widerlegt, eben-
so das Weitere". - Anm. d. Hrsg.

I, ,... • t I 1 I~
Nr.5

<ERINNERUNG UND ITERATIONEN DER


ERINNERUNG. MODALE CHARAKTERE
UND APPARENZEN>
5 <wohl 1909>

Überlegen wir jetzt das Bewusstsein Erinnerung. Es ist


als unmodifiziertes Bewusstsein "Empfindung" oder, was das-
selbe, Impression. Oder deutlicher: Es mag Phantasmen ent-
halten, aber es selbst ist- nicht phantastische Modifikation zu
10 einem anderen Bewusstsein als entsprechender Empfindung. Es
ist darin aber enthalten eine Apparenz. Ich erinnere mich
eines Vorganges: In der Erinnerung ist die Phantasie-Apparenz
des Vorganges enthalten, de'r mit einem apparierenden Hinter-
grund erscheint, zu dem jedenfalls ich-selbst gehöre. Diese ge-
lS samte Apparenz hat den Charakter einer Phantasie-Apparenz.
Aber einen Glaubensmodus, der die Erinnerung charakterisiert.
Wir können dann Erinnerung selbst in die Phantasie setzen:
Erinnerung ir. der Phantasie und dann weiter Erinnerung in der
Erinnerung: Ich lebe in einer Erinnerung, und es taucht die
20 Erinnerung auch auf, "dass ich mich an das und das erinnert
habe". Ebenso Erinnerung in Phantasie, ich phantasiere, dass
ich mich erinnere. Dabei finden wir zwar das Modale der Erin-
nerung in entsprechendes Phantasma verwandelt, aber die Ma-
tE'de der Erinnerung, die Erinnerungs-Apparenz ist selbst nicht
25 weiter modifiziert, sowenig sich die in ihr enthaltenen Phantas-
men weiter modifiziert haben. Ein Phantasma zweiter
S t u f e gib t es nie h t. Und die ganze, die Materie der Erin-
nerung ausmachende Erinnerungs-Apparenz ist Phantasma und
erfährt auch weiter keine Modifikation.
230 TEXT NR. 5 (1909)

Habe ich dann weiter eine Erinnerung an eine Erinnerung, so


taucht im Zusammenhang eines Erinnerungsprozesses, d.h. eines
Bewusstseins, in dem Phantasie-Apparenzen im qualitativen
Modus der Erinnerung dastehen und ablaufen, eine "modifi-
5 zierte" Erinnerung auf. Dabei ist im wesentlichen dasselbe zu
sagen wie vorhin. Der qualitative Modus der schlichten Erinne-
rung ist ersetzt durch "Erinnerung an Erinnerung", d.h. ich
habe ein Erinnerungsphantasma im qualitativen Modus der Er-
innerung (in eins gehend mit dem des ganzen Erinnerungspro-
lO zesses). Aber das Erinnerungsphantasma ist Erinnerungscha-
rakter von, gegründet auf eine Phantasie-Apparenz. Und diese
ist bei der schlichten Erinnerungs-Erinnerung identisch die-
selbe.
Sagt man, es sei das Charakteristische der Erinnerung gegen-
15 über all dem, was ihren Inhalt ausmacht, dies, dass eine Auffas-
sung da sei, welche dem Beziehung gebe zur aktuellen Wahr-
nehmungswirklichkeit, so steckt darin jedenfalls Richtiges; aber
das ändert nichts an dem Gesagten. Dann haben wir bei dieser
Auffassung selbst zu unterscheiden Inhalt und Glaubensmodus.
20 Die Auffassung ist natürlich bei der schlichten Erinnerung; die
ich etwa jetzt habe, und der Erinnerungs-Erinnerun~, welche die
erinnerte Erinnerung auf ein erinnertes Jetzt als Aktualitäts-
punkt bezieht, eine verschiedene. Aber die Hauptsache ist hier,
dass die Apparenzen (die wir ganz intuitiv nehmen, eben als Er-
25 scheinungen) keine Modifikation erfahren können. Und dasselbe
wird gelten vom Inhalt der Erinnerungsauffassungen, die den
Apparenzen Beziehung auf das Jetzt geben: die natürlich nicht
voll anschaulich sein werden.
Soweit dürfte alles in Ordnung sein.
30 Nun aber die Frage, wie es mit dem Zusammenhang
zwischen modalen Charakteren und Apparenzen
steht. Bei der Erinnerung sehen wir, dass z.B. der Modus des
"Glaubens", der die Erinnerungs-Apparenz charakterisieren soll,
nicht ein leeres Moment "Setzung" ist. Es gehört doch zum We-
35 sen der apparierenden Vorgänge oder Dinge als Erinnerungs-
vorgängen, dass sie einen Hintergrund haben, auf den sich der
Glaube bezieht, und dass der Glaube den speziell als erinnert be-
zeichneten und erscheinenden Vorgang auf das aktuelle Jetzt
bezieht, als Relationspunkt für die Vergangenheit. Wir könnten
TEXT NR. 5 (1909) 231

sagen, das Aktualitätsbewusstsein, dessen Ausstrahlungspünkt


das Jetztbewusstsein ist, ist in gewisser Weise einig mit dem Er-
innerungsbewusstsein, bildlich gesprochen: Es strahlen von dem
Jetzt zu dem Vorgang und umgekehrt Intentionen hin und her
5 und stützen' sich. Und ist ohne das Erinnerung als solche mög-
lieh? Nun ist nicht jedes Erinnerungsbewusstsein (im weitesten
Sinn) Vergangenheitsbewusstsein. Ich erinnere mich an den
Roons: der Roons, der als jetzt seiend, aber bloss vergegen-
wärtigt dasteht. Aber den Zusammenhang haben wir auch hier.
10 Sollte es ein Setzungsbewusstsein aufgrund einer Phantasie-Ap-
parenz geben, ohne solchen Zusammenhang? Ich kann natürlich
eine unbestimmte Erinnerung haben, sofern ich die Erscheinung
nicht in vertrauter Weise einordnen kann, in unbestimmter Weise
da" blosse Bewusstsein "gewesen" haben. Ebenso kann ich das
15 blosse Bewusstsein "bekannt" haben, als Bewusstsein, dass ein
Gegebenes etwa der Wahrnehmung zugleich in unbestimmter
Weise Erinnertes ist, also dasselbe wie ein Gewesenes (Wieder-
erkennen). K~nn auch ein auftauchendes Phantasiebild den blos-
sen Charakter "bekannt" haben? Natürlich. Ich phantasiere vor
20 dem Schlafengehen, allerlei bald klare, bald schattenhafte Ge-
sichter erscheinen, und nun erkenne ich eins als einen Seemann,
den ich in Helgoland einmal sah; und den anderen als einen
Kopf, den ich von einem Bild lier kenne. Ja sogar, dessen ich
mich erinnere: den ich schon wiederholt phantasiert hatte.
25 Aber immer ist es nicht eine leere Setzung, sondern es ist eine
Auffassung, die das "Bild" als Glied einer raumzeitlichen Um-
gebung fasst und dies in bestimmter oder unbestimmter Weise
der "Welt" einordnet. Aber freilich mag man sagen: Es ist eine
Auffassung, die die Auffassung der ausgezeichneten Apparenz
30 umspannt, ihr den Modus des Glaubens gibt, und dieser Glaube
mit diesem Auffassungsgehalt, und seiner jeweiligen Bestimmt-
heit und Unbestimmtheit, fordert, wenn er gültig sein soll, eine
Ausweisung, und diese Ausweisung führt dann dem Wesen des
Phänomens gemäss auf die eine "Welt" und Wirklichkeit, und
35 jedenfalls auf das Jetzt und Ich. Ist aber nicht jederzeit eine ver-
borgene, verworrene Einheit der Erinnerungssetzung mit der
Aktualitätssetzung des Ich vorhanden? Und nicht doch notwen-
dig vorhanden?
Nun muss man aber einen Zweifel erwägen.
232 TEXT NR. 5 (1909)

W~r haben Empfindung und Phantasma gegenübergestellt,


und jedes Bewusstsein ist Empfindung, und jedes hat seine Modi-
fikation in Phantasma. Aber das Pharttasiebewusstsein wie das
Erinnerungsbewusstsein etc. ist doch selbst ein gegenwärtiges
5 Bewusstsein, ist doch selbst Empfindung, kann innerlich wahr-
genommen, kann zeitlich eingeordnet, als im Jetzt erlebt be-
zeichnet werden etc. Es kann ferner auch erinnert werden, auch
phantasiert werden: Ich phantasiere eben, dass ich phantasiere.
In jeder Erinnerung einer Erinnerung haben wir ja' zugleich
10 Phantasie in der Phantasie. Ebenso in Erinnerung an eine Phan-
tasie. Ich erinnere mich eben an den vorhin phantasierten See-
mannskopf bzw. an die vorhin gehabte Kopfphantasie. Und die
Apparenz "Kopf" ist dabei immer wieder dieselbe. Ich habe
jetzt mein Wahrnehmungsbewusstsein und im Zusammenhang
15 desselben die Kopfphantasie. Sie ist ein Bewusstsein, wenn auch
ein modifiziertes, ein Phantasiebewusstsein, und gehört in den
Zusammenhang des Gesamtbewusstseins im Jetzt.
Ich erinnere mich später: Das frühere Gesamtbewusstsein
(mehr oder minder unklar) ist jetzt in modifizierter Weise als
20 Phantasma, und im Charakter der Erinnerung etwa, da (wenn
nicht als blosse Phantasie), und in dessen Zusammenhang tritt
nun die frühere Apparenz auf, das frühere Phantasiebewusstsein,
aber nicht so, dass jetzt alles in einer Reihe stände. Das Phanta-
siebewusstsein, des Kopfes dasselbe und das Aktualitätsbewusst-
25 sein, in das es sich einordnet, modifiziert in Phantasie. (Dann ge-
hörte der Kopf in die frühere akt u e 11 e Wirklichkeit!) Das
Phantasiebewusstsein ist selbst wieder modifiziert, 0 b s c h 0 n
nach der Modifikation wieder eine Phantasie-Apparenz in ihm ge-
geben ist. Wie ist das zu verstehen?
30 Sollen wir sagen: Zu jedem Bewusstsein gehört als lebendigem
Bewusstsein (Erlebnis) Einordnung in das Gesamtbewusstsein
mit seinem Jetzt? Diese Einordnung ist etwas Reelles und das be-
treffende Bewusstsein (den betreffenden "Akt", hier den Phanta-
sieakt) charakterisierend. In der Wiedererinnerung haben wir
35 das Ganze "wiedererinnert", und mag jetzt alles da den Phanta-
siecharakter haben, so ist der Zusammenhang einer, und in ihm
bezieht sich die Erinnerung auf das Phantasiebewusstsein des
Kopfes vom Seemann in dieser Einordnung. Was die anderen
Glieder anlangt, auf das Wahrnehmungsbewusstsein, Urteils-
40 bewusstsein etc.
BEILAGE XXIV 233

Wie kann ich mich aber unterschiedlich erinnern an eine Wahr'-


nehmung und an eine gleichzeitige Phantasie, da, wenn ich jetzt
Erinnerung vollziehe, die Wahrnehmung selbst modifiziert ist
und die Phantasie auch, aber die Wahrnehmung ist jetzt ver-
S treten durch eine Phantasie, die Phantasie aber ist schon ohnehin
Phantasie gewesen; was kann sie jetzt anderes sein? Also habe
ich jetzt keinen'Unterschied: beiderseits Phantasie.
Es ist klar, dass sich die Phantasie auch modifiziert, und genau
in dem Sinn wie die Wahrnehmung. Und doch: Sind phanta-
10 sierte Phantasien nicht eben wieder Phantasien?

BEILAGE XXIV
<DIE ERSCHEINUNG ENTWEDER WAHRNEHMUNGS-
ODER PHANTASIEERSCHEINUNG ALS MATERIE DER
SETZUNG UND DER ZEITAUFFASSUNG>
15 <wohl 1908>

Der Wahrnehmung l wird gegenübergestellt die Phantasie2, doch


haben wir hier eine Fülle von schwierigen Modifikationen.
Die lebendige Wahrnehmung mit ihren in die Tiefen des unmittel-
baren Vergangenheitsbewusstseins zurücksinkenden Phasen. Das
20 "frische", primäre Erinnerungsbewusstsein, das sich an die Wahr-
nehmung (die just vorüber ist) anschliesst. Die wieder vergegen-
wärtigende Erinnerung (reproduktive mit ihren reproduzierten Ver-
gangenheitsphasen).3 Die vergegenwärtigende Vorstellung eines
dauernd Seienden und .als zur Mitgegenwart gehörig Vorgestellten
25 (z.B. die Vorstellung des Roons, nicht die Erinnerung an den gewe-
senen). Die abbildende Vorstellung eines gegenwärtig oder vergangen
Seienden, oder künftig Seinwerdenden. Die einfache Phantasievor-
stellung usw. 4
Durch alle diese Modifikationen und Darstellungen5 geht hindurch
30 das darauf gebaute Wesensbewusstsein.
Aber scheiden wir das Wechselnde gegenüber <dem> für die Wesens-

1 Von hier bis "Wesensbewusstsein" (unten, Zeile 30) wurde der Text später kreuz-
'><"lSe durChgestrichen. _ Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefugt: "zu Zwecken der 'Wesens'erfassung". - Anm. d. Hrsg.
3 Z.B." Wiederholung" eines eben gehörten und noch "erinnerten" Taktes .
.4 ."Die einfache Phantasievorstellung usw." nachträglich gestrichen; wohl gleich-
~lhg mit dieser Streichung fügte Husser! ein: "Und alle zugehörigen Modifikationen.
t nd alle diese Wahrnehmungen, Erinnerungen, Verbildlichungen bzw. ihre phanta-
~~schen MOdifikationen können Wahrnehmungen, Erinnerungen etc. von demselben
e
5 ,en' sein, von derselben Materie der 'Erscheinung' ". - Anm. d. Hrsg.
"Darstellungen" nachträglich verändert in "Impressionen". - Anm. d. Hrsg.
234 BEILAGE XXIV

schauung allein in Frage Kommenden, so bleibt doch nur übrig die


"Erscheinung"l. Die Erscheinung ist entweder Wahrnehmungs_
erscheinung oder Phan tasieerscheinung (falls man mit den
zwei ausreicht) 2. Z.B. in der Wahrnehmung, in der Halluzination und
5 Illusion, in der Bildvorstellung3 finden wir Wahrnehmungserschei_
nungen, in der "biossen" Phantasie, in der Erinnerung, Erwartung,
vergegenwärtigenden Vorstellung jeder Art, die nicht aktuell verbild-
lichende ist, Phantasieerscheinungen als Materie der Setzung und
auch der Zeitauffassung.
10 Schliesslich kommen wir also auf Erscheinungen und diesen Grund-
unterschied der Erscheinungen zurück. In ihnen erscheint der Gegen-
stand als der und der, und der so erscheinende Gegenstand ist eben
der4 so und so geartete, wir können auf das Wesen blicken unter Ab-
sehen von Existenz oder Nicht-Existenz und von Zeitlichkeit, ebenso
15 auch von der Stelle in der Räumlichkeit (wirklicher Raum).
Dann kann aber auch die Wesensbetrachtung sich richten auf die
Dauer, auf den Gegenstand in und mit seiner Dauer, auf die Zeitgestalt
bei zeitlich sich mannigfach gestaltenden Objekten (Vorgängen), auf
die räumliche Konfiguration etc.
20 Dann kommt wieder in Frage die Erscheinung des dauernden Gegen-
standes (Gegenstand in seiner Dauer, Gegenstand in seiner Zeitgestalt
etc.). Und die Akte sind: Wahrnehmung der zeitlichen Gegenständ-
lichkeit in ihrer Zeitgestalt, Erinnerung, Abbildung, Halluzination,
biosse Phantasie.
25 Was sind diese "Erscheinungen"? Z.B. die dauernde Wahr-
nehmungserscheinung (bzw. das dauernde Erscheinen dieses Baumes
in der Wahrnehmung) stellt mir den so und so erscheinenden Baum
als solchen dar. Die dauernde Bilderscheinung eines völlig gleichen
Baumes enthält- "dieselbe Erscheinung". 5
30 a)6 Ein Wesen, ein phänomenologisches Aktwesen ist beiderseits
gemein, obschon einmal die Erscheinung (das Erscheinen) im Modus
der unbestrittenen Wahrnehmungsintention, der unbestrittenen Glau-
bensintention erlebt ist, das andere Mal im Modus der bestrittenen7
Glaubensintention, auf die sich, wenn ich "den Baum" für wirklich
35 halte, noch ein Bildlichkeitsbewusstsein, eine verbildlichende Inten-

1 über "Erscheinung" später eingefügt: "Apparenz". - Anm. d. Hrsg.


a Nach "ausreicht" etwas nachträglich ein Fragezeichen eingefügt und nach der
Klammer: "Man könnte nämlich sagen:" - Anm. d. Hrsg.
3 Vor in der Bildvorstellung" hat Husserl etwas ausradiert, nach "in der Bild·
vorstelIu::g" etwas nachträglich ein Komma und das Wort "andererseits" ein~efügt.
Diese Einfügung dürfte aber keinen Sinn geben; "andererseits" wäre wohl richtIg erst
nach "Wahrnehmungserscheinungen" einzufügen. - Anm. d. Hrsg.
4 Etwas nachträglich eingefügt: "intuitiv". - Anm. d. Hrsg.
5 Dazu das Wesen" das dasselbe ist unabhängig von der Zeit· und RaumsteIle.
6 Zu Begin~'dieses Absatzes etwas nachträglich eingefügt: "Phansisch". - Amll.
d. Hrsg.
7 Später eingefügt: ,,(fingierenden)". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXV 235

tion richtet. Das Scheinbaum-Bild "des" wirklichen Baumes. In dem


Scheinbaum schaue ich den wirklichen, sein Original an.
Der illusionäre Akt und der schlichte Wahrnehmungsakt ist von
gleichem Wesen - worin? Nun darin, dass sich dasselbe von derselben
5 Seite darstellt, nur einmal unbestritten, das andere Mal "aufgehoben".
b) Die Erscheinung im ?bjektive~l ~inn, der objektive Sinn: das
Erscheinende als solches, mcht als eXIstierendes, sondern als das Iden-
tisch Gemeinte als solches.
Nehmen wir dazu eine Phantasie (eine schlichte Modifikation der
10 Wahrnehmung) oder eine Erinnerung, so kann das Gemeinte als solches
dasselbe sein, also das Wes endes "intentionalen Gegenstandes".

BEILAGE XXV
<IN ERINNERUNG, ERWARTUNG, FREIER PHANTASIE
EIN IDENTISCHES ALS KERN, ALS ERSCHEINUNG SICH
15 ABHEBEND; FRAGE NACH EINEM TERMINUS DAFÜR>
(vor 1900, <modifizierte> Abschrift <wohl um 1909»
,
a
Die Ver g n gen 11 e i t kann ich im gewöhnlichen Wortsinn e r-
innern, ich kann mir auch von ihr eine bildliche Vorstellung
machen, nämlich nach einer Beschreibung mir von ihr eine Vor-
20 stellung machen, ferner nach Skeletten etc. Ich mache mir nach einer
Beschreibung eine Vorstellung von dem Attentat auf die Königin
Elisabeth. Diese letztere Vorstellung ist in Beziehung auf die Ver-
gangenheit in eine Linie zu stellen mit der Vorstellung, die ich mir von
einer Gegenwart, einem gegenwärtigen Ding und Vorgang, dessen ich
25 mich nicht erinnere, nach einer Beschreibung mache.
Die Erinnerung ist di.rekte Vorstellung vom Vergangenen, ähn-
lich wie die Wahrnehmung direkte Vorstellung von Gegenwärtigem
ist. Direkte. Was heisst das? Das geht doch nicht beiderseits in glei-
:hem Masse zu messen: Wahrnehmung ist Impression. Die Erscheinung
30 1st unmodifizierte Erscheinung. Darin liegt wohl schon, dass auch der
Glaube, da ist, unmodifiziert ("Hinweis" auf den Zusammenhang). In
der Ennnerung ist die Erscheinung modifizierte Erscheinung, der
G,laube modifizierter Glaube, das ganze Phänomen Modifikation. Aber
dIese Modifikation ist nicht diejenige, die wir als blosse Vorstellung zu
35 bezeichnen pflegen.
" Freilich, hier bedarf es immer wieder der Beispiele und der Analyse
an lebendigen Anschauungen. Was ich gewöhnlich als "blosse Vor-
~tellung" finde, das sind Erscheinungen im Zusammenhang von Er-
4 I~nerungserscheinungen, z,B. ich denke mir, wie gut es wäre, wenn ich
o dIe und die Veränderung an, meinem Schreibtisch machen liesse. Ich
1 Etwas nachträglich eingefügt: "ontisch<en>". - Anm.. d. Hrsg.
236 BEILAGE XXVI

stelle mir das vor, wie Tischler' hereinkommen, das Möbelstück um-
legen etc. Da habe ich mein erinnertes Zimmer und im Zusammenhang
dieser Erinnerungsanschauung nur eine Erscheinung, die "nicht hin-
eingehört" , die mit der Erinnerung streitet, mit dieser und mit dem
5 zeitlichen Zusammenhang, in dem mein Zimmer seit Bau des Hauses
sich auseinanderlegt. Also ganz so wie beim perzeptiven
Bilde. Wo sind nun Beispiele von absolut freien Phantasien? Steckt
nicht mindestens mein Ich dabei? Und dieses Ich hat doch zu-
gleich seinen Erinnerungs- und Wahmehmungszusammenhang und
10 somit überall dieselbe Sachlage. Komme ich also wieder darauf zu-
ruck, dass alle Vorstellung bildliche ist?
Oder vielmehr, kommen wir nicht auf den Unterschied zurück: Im-
pression und Idee, sowohl bei den Empfindungen wie bei den Auf-
fassungen, kurz bei den Erscheinungen, dann wieder bei den Auf-
15 fassungen im neuen Sinn, l dem als Bild Fungieren ... ? Also wir haben
zu revidieren.
Jedenfalls scheint sich in Erinnerung, Erwartung, freier Phantasie
(Phantasie innerhalb eines Erinnerungshintergrundes und angeblich
absolut freie Phantasie) ein Identisches als Kern, als Erschei-
20 n ung abzuheben. Dieselbe Erscheinung erinnerungsmässig, phan-
tasiemässig etc. Diese Erscheinung kann aber nicht P h a nt a s i e-
erscheinung heissen, warum nicht 2 Erinnerungserscheinung ? Eins und
das andere ist gleichberechtigt. Also brauchen wir einen neuen Ter-
minus.

25 BEILAGE XXVI
NOTEN. PROBLEMATA. <DER "ÜBERSCHUSS ÜBER DIE
ERSCHEINUNG" ZUR UNTERSCHEIDUNG BEI DEN
NICHTPERZEPTIVEN ERSCHEINUNGEN>
<wohl 1909>

30 1) "Sinnliche Anschauungen". Was soll das Charakteristische sein ?


Ich habe in den Göttinger Vorlesungen unterschieden t r ans i e n t e
(transzendente) und immanente Anschauungen. Kreuzt sich eine Ein-
teilung der Anschauungen in sinnliche und nichtsinnliche mit dieser?
Also immanente Anschauungen "sinnliche" (Ton: immanent genom-
35 men) und nichtsinnlich : immanente Anschauung eines "Aktes".
In den Logischen Untersuchungen hatte ich die Unterscheidung der
Inhalte" in primäre und Aktcharaktere, aber das alles,;>bedarf
11
neuer Untersuchung aus dem letzten Grund. Was ist ,,Inhalt' . .
2) Das Problem des Verhältnisses zwischen perzeptivem Erlebms
40 (darin perzeptiver Erscheinung) und imaginativer Erscheinung (blos-
1 Später eingefügt: "d.h.". - Aum. d. Hrsg.
2 Später eingefügt: "ebeusogut". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXVII 237

ser Phantasieerscheinung) und weiter Erinnerungserscheinung. Auen


Erwartungserscheinung. Die Erscheinung, könnte man sagen, sei bei
allen nichtperzeptiven Erscheinungen (Anschauungen) dieselbe. Der
Unterschied liegt in einer anderen Dimension, in etwas, was über die
5 Erscheinung hinausgeht.
3) Die Probleme, welche den "Überschuss über die Erscheinung"
betreffen. Zunächst der Charakter der "Setzung" und die parallelen
Charaktere, die unter dem Titel Nichtsetzung stehen. Oder ist Setzung
ein allgemeiner Charakter, der Glaube, Unglaube, Zweifel, Anmutung
10 etc. betreffen müsste, und daneben die zu ihnen allen gehörigen Modi-
fikationen: Impression - Idee?
I'

BEILAGE XXVII
<DIE MÖGLICHKEIT DER ABSTRAKTIVEN SCHEIDUNG VON
AUFFASSUNG (ERSCHEINUNG) UND QUALITATIVEM MODUS>
15 <wohl 1909 oder 1910>

Ergänzend i!~t noch folgendes anzumerken.! Man nennt oft Erin-


nerung eine Pl;lantasie, auch spricht man davon, dass man sich hinein-
phantasiere in das Zimmer einen Zentauren, man kann sich in die ge-
gebene Wirklichkeit "alles mögliche" hineinphantasieren. Man nennt
20 andererseits auch ein Bild, eine Illusion ein "Gebilde der Phantasie".
Zunächst mit Vorliebe spricht man von Phantasie da, wo eine aus
Phantasmen gebaute "Phantasie-Erscheinung" gegeben ist. Eine Er-
innerungserscheinung mag Bewussfsein "wirklicher" Vergangenheit
sein, zunächst ist sie "Phantasieerscheinung" . Ein Bewusstsein des
25 gleichsam Daseienden, eine Modifikation einer Wahrnehmung, und
zwar einer sinnlichen Wahrnehmung liegt vor. Nun bedenken wir:
Wir können vom modalen Charakter abstrahieren. Wir können dem
Illusionären, also dem Nichtigkeitsbewusstsein entgegen und darum
unbekümmert bei einem Bild von einer "Wahrnehmung", Wahrneh-
30 mungserscheinung sprechen: Es ist eine impressionale Auffassung auf-
grund von Empfindungen, vom Glaubensmodus abgesehen, und von
evtl. darauf gebauten weiteren Intentionen. In abstracto können wir
also Erscheinung (Auffassung) und Modus, nämlich den qualitativen
~odus, scheiden. Und nun Wahrnehmungserscheinungen und Phanta-
35 sIeerscheinungen gegenüberstellen. Wie ist nun die "Phantasieerschei-
nlt'ng" .imaginative Modifikation der Wahrnehmungserscheinung?
Doch mcht nach seiten der qualitativen Momente, die ja hier nicht in
Frag.e. sin~. Andererseits, muss nicht hier von einer durchgehenden
ModlllkatlOn gesprochen werden? Den Empfindungen entsprechen
1 Der Text dieser Beilage bis" ... so ginge der doch diese imaginative Modifika-
hon filchts an" (unten, S. 238,5) ist im Manuskript kreuzweise gestrichen. - Anm .
d . Hrsg.
238 BEILAGE XXVIII

Phantasmen, aber auch die Auffassungen sind beiderseits in demsel-


ben Verhältnis modifiziert, abgesehen vom Glaubens-Modus.
Angenommen nun, es wäre auch so, dass Erscheinung in diesem
Sinn notwendig einen qualitativen Modus verlangte, so ginge der doch
5 diese imaginative Modifikation nichts an.
Nun wird man weiter einwenden können: Wenn wir nun Modi da-
zunehmen, so können die freilich auch phantasiemässig modifizierte
sein. Jeden Modus des Glaubens, Zweifels, der Neigung etc. kann ich
mir in der Phantasie mit den entsprechenden Motivationsstrahlen da-
to zu vorstellen. Aber das macht nicht die Phantasieerscheinung als sol-
che aus, die vielmehr identisch dieselbe bleiben kann, wie immer diese
Sachen dazu laufen mögen. Und sollte nicht eine pure Phan-
tasie möglich sein als pure Phantasieerscheinung
ohne j edel Glaubensmodi? Vor allem, geht nicht daraus her-
t5 vor, dass sich ein Ding imaginieren nicht so viel heisst wie quasi wahr-
nehmen im Sinn von quasi glauben? Vielmehr von quasi wahrnehmen
im Sinn <von> die Modifikation einer impressionalen "Erscheinung"
haben,2 wie ich es ja im Bild habe ohne Glauben.3 Also ist nicht immer
der Glaube mitimaginiert und ebensowenig ein bestimmter anderer
20 Modus. 4 Sich ein Haus einbilden heisst nicht, sich implizite die Wahr-
nehmung eines Hauses einbilden. Wenn Wahrnehmung eben der
Glaubensakt ist. Anders ist es wohl in der Erinnerung, die in der Tat
nicht nur die Einbildung und einen aktuellen Glauben dazu bietet,
sondern die Wahrnehmung im vollen Sinn imaginativ bietet und dazu
25 jene Glaubensintentionen, die zum aktuellen Jetzt hinführen.
Somit muss ich noch einmal alles durchdenken und sehe wieder
die andere Möglichkeit bevorzugt, wonach wir "Auffassung" (Er-
scheinung) und Modus als relativ zu Sonderndes ansehen müssen.

BEILAGE XXVIII
30 BILDAPPARENZ <PHANTASIEAPPARENZ UND DIE FRAGE
DER "EINORDNUNG IN DEN ZUSAMMENHANG
DER ERFAHRUNG">
<wohl 1912 oder etwas später>

Diese Apparenz besteht aus einem einstimmigen intenti?nalen


35 Komplex. Umgebungsintentionen. Diese in Widerstreit nut der
übrigen Wahrnehmung. Die Apparenz, die die Bilderscheinung aus-
1 Etwas nachträglich eingefügt: "sei es unmodifizierten oder modifizierten". -
Anm. d. Hrsg. .
2 So wie eben eine "Dingwahrnehmung" (Impression) (als impressionale Erschel-
nung verstanden) haben nicht heisst, es wirklich wahrnehmen.
8 Der Satzteil "wie ich es" bis " Glauben" etwas nachträglich gestrichen. - Anm.
d. Hrsg.
4 Aber doch wohl irgendeiner !
BEILAGE XXVIII 239

macht, bleibt in sich einstimmig; aber sie mit ihrem Bildraum erhäit
den Charakter des Nichtigen. Evtl. stellt die Bildapparenz vermöge
symbolischer Intentionen einen anderen Gegenstand dar. Diese In-
tention kann den modalen Charakter des Glaubens etc. haben, oder
5 auch der biossen Vorstellung.
Kann nicht eine Bildapparenz genau so, wie sie ist, ohne jeden
Widerstreit auftreten? Oder vielmehr, dann ist sie ja keine Bild-
apparenz. Also sagen wir besser, eine perzeptive l Apparenz hat den
Charakter eben der Perzeption, und das ist modal der Charakter des
10 Glaubens" (Wahrnehmung). Und damit hat die Apparenz auch ihre
Glaubensumgebung, das Erscheinende seine Einordnung in die Wahr-
nehmungswelt (vom Wahrnehmungsgegebenen allseitig sich fort-
erstreckend). Eine illusionäre Apparenz hat in diese selbe Welt ihre
Einordnung durch Widerstreit. Aber ist nicht eine Apparenz denkbar,
15 die gar keine Einordnung in die Welterscheinung hat, die keinen
Modus des Glaubens oder der Illusion oder auch des Zweifels hat, etwa
im "Wettstreit" mit einer anderen Apparenz usw. ?2Z.B. wenn wir im
Dunkeln willkürlich eine visuelle Halluzination erzeugen könnten und
wenn dabei alle anderen Sinnesauffassungen des in den anderen Sinnes-
20 feldern Empfundenen zu dem fIalluzinierten ohne intuitive Beziehung
wären. Derart, /dass eine "Erscheinung" vorschwebte ohne jedes Be-
wusstsein der einordnenden Wirklichkeit, ebenso aber auch ohne
Bewusstsein der durch Widerstreit mit der Wirklichkeit doch auf sie
bezogenen Nichtigkeit, ebenso jeder andere Modus des Glaubens, der
25 ihr Stellung gäbe zur Welt und dem Ich. Dem nähern wir uns an,
wenn wir irgendeine impressionale Apparenz etwa im Stereoskop
sehen, aber ohne zu beachten, was z,ur Kastenwahrnehmung etc. ge-
hört.
Oder wenn wir uns sonst ein visuelles Bild denken, das das ganze
30 visuelle Gesichtsfeld ausfüllt, während wir, im visuellen Wahrneh-
men ganz lebend, auf die übrigen Sinnesfelder nicht achten. Aber
freilich da bleibt doch immer so viel übrig, dass eine Nichtigkeits-
charakterisierung hängen bleibt.
Dass es Empfindungskomplexe ohne jede Einordnung geben kann,
35 ohne Auffassung als Apparenz, die Einordnung vollzieht, das erweist
m~in Erlebnis ("Finger - im Mund"), das ist eine Gegebenheit, die
k~me "Wirklichkeit" ist und keine repräsentiert. Aber wichtiger ist
dIe Frage, ob nicht eine Apparenz gegeben sein kann in der beschrie-
benen Weise, also in genauer Analogie zu einer "reinen Phantasie".
40 .~I'. der reinen Phantasie haben wir auch eine Apparenz, eine
Phantasieapparenz, ohne jede Beziehung zur Aktuali tä t. Ich bin
~atürlich da und habe meine Einordnung in die Wirklichkeit, die ich
]~ auch fo~tdauernd wahrnehme, nur ohne auf sie gerade zu achten.
Aoer zugleIch habe ich das "Bild", die Phantasieapparenz, und diese

~ Spdter emgefügt: "impressionale". - Anm. d. Hrsg.


Aber trifft das nicht ohne weiteres für das ästhetische Bild ein?
240 BEILAGE XXVIII

ist gegeben ohne jeden Widerstreit mit der Wahrnehmungsapparenz


die den Boden der Aktualität liefert, ohne jede Beziehung zu ihr durch
irgendwelche verbindende Intentionen und Glaubensmodi. Auch das
Bild erscheint nicht positiv als nichtig (als illnsionär, als streitend), es
5 fehlt jeder Charakter der Setzung (der sich ausznweisen hätte durch
Erinnerungszusammenhänge bzw. analoge Setzungszusammenhänge
endend in aktneller Wahrnehmung). '
Bei einer pnren Phantasie ist keine Rede davon, dass irgendeine
Beziehung zur Erinnerungswelt vorliegen müsste, also das Phantasie-
10 erscheinende, das Geträumte eine negative Setzung erfahren müsste.
Allerdings können wir da jederzeit sagen, das ist blosse Einbildung.
Genan besehen aber fehlt nur der letzte Grund, dergleichen für seiend
oder gewesen seiend zu halten. Positiv könnten wir nur eine vage
Überschau über unser Leben vollziehen und sagen, im ganzen Feld
15 meiner Erinnerung, soweit ich es zur Überschan bringen kann, finde
ich nichts dergleichen vor. es ist nirgends einzuordnen.

Scheinobiekte ohne intuitiven Widerstreit: Glaubensenthaltung1


Und weiter nehmen wir an, dass wir aus einem völlig verdnnkelten
Raum in ein Stereoskop sehen und ausser der Scheinobjektwelt nichts
20 von der wirklichen Welt sehen, und dass die Aufmerksamkeit von den
anderen Sinnesfeldern, besonders dem Tastfeld, abgelenkt ist, dass
jedenfalls nichts da ist, was diese Bilder da als Trugbilder visuell,
wahrnehmungsmässig ausweisen könnte. 2 Nur leise Regungen mög-
lich. Übrige bliebe etwa ein Wissen, indirekte Intentionen, es handle
25 sich hier um eine Darbietung von "Bildern".3 Haben wir dann nicht
ein volles Analogon von reinen Phantasievorgängen, reinen Phantasie-
gestaltungen? Jene erscheinen im Jetzt, als Gegenwärtigkeiten. Diese
aber erscheinen als Nichtgegenwärtigkeiten. Und wie verhält es sich
dabei mit den Intentionen? Sie sind da, aber modifiziert. Es fehlt
30 etwas an der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung".

J '

1 Oder Glaube durch Wissen aufgehoben. . .


2 NB: Es sollen nicht Bilder von wirklichen Objekten, sondern reine SchembIider
gezeigt werden.
S (aber nicht abbildenden von Landschaften der Wirklichkeit).
Nr.6

ERINNERUNG UND PHANTASIE.


<GLAUBENSMODIFIKATION GRUNDVERSCHIEDEN
VON MODIFIKATION DER IMPRESSION IN
5 REPRODUKTION. APORIEN: WAS DENN
ERINNERUNG FüR EINE MODIFIKATION
ERFAHRE DURCH üBERGANG IN DIE
"BLOSSE PHANTASIE" >
<wohl erste Hälfte> (1909)

10 Wahrnehmung eines Dinges, Bilderscheinung (Scheinbild-


bewusstsein), aber hierher gehört auch das Schwanken, die Zwei-
felsnehmung "Bild oder Mensch".
Hier ist es klar: Der Unterschied zwischen Wahrnehm ung
und F i k t ion besteht nicht darin, dass wir dieselbe Empfindung
15 beiderseits haben und denselben Auffassungssinn, aber so, dass
die Auffassung derselben Empfindung einmal impressionale Auf-
fassung und das andere ,Mal modifizierte wäre im phantastischen
Sinn. Man möchte ja freilich sagen: Bei der Fiktion habe ich nur
eine Phantasie, das Objekt ist nur ein Phantasieobjekt, und das
20 erklärt sich so, dass ich zwar Empfindung als Unterlage habe,
aber sie phantasiemässig auffasse, als etwas nicht Gegenwärtiges,
sondern gleichsam Gegenwärtiges. l
...Denn: Das Objekt steht in der Tat als gegenwärtig da, selbst
und aktuell da, sogut wie bei der Wahrnehmung. Die Erschei-
25 nllng ist eine Gegenwartserscheinung, eine Wahrnehmungs-
erscheinung, genauso wie bei der normalen Wahrnehmung.
Also beiderseits ist, die, Erscheinung eine Impression. Aber ein-

1 Spater eingefügt: "Das ist nicht richtig:" - Anm. d. Hrsg


242 TEXT NR. 6 (1909)

mal ist die Auffassungsintention ungehindert, einstimmig im


System der aufeinander bezogenen Intentionen, und so hat die
Impression den Charakter der Einstimmigkeit.
Das andere Mal sind die Auffassungsintentionen gehemmt, auf-
5 gehoben, und in diesem Sinn modifiziert, und danach haben wir
den Charakter des Fiktums oder den Charakter des Widerstreits
zwischen zwei Auffassungsmöglichkeiten, Puppe oder Mensch
etc.
Also diese Modifikationen, welche Glauben (d.h. die Einstim-
10 migkeitscharaktere) in Unglauben, Zweifel verwandeln, sind
g run d ver s chi e den von den Modifikationen, durch die sich
Impression in Reproduktion verwandelt. Alle die ersteren Modi-
fikationen verlaufen innerhalb der Impression; normale Wahr-
nehmung, illusionäres Bildbewusstsein als Fiktion, schwanken-
15 des Wahrnehmungsbewusstsein sind Impressionen.
Wie steht es dann mit dem eigentlichen Bildbewusstsein,
nicht dem illusionären, sondern dem auf einem solchen sich auf-
bauenden dar s tell end e n Bewusstsein?
Po r t rät. Im Bildbewusstsein repräsentiert sich mir ein Ori-
20 ginal, im Fiktum, durch dasselbe vergegenwärtige ich mir ein
anderes, Nichterscheinendes. Wir haben hier aber noch einen
zweiten Fall, oder deutlicher, wir haben zwei Fälle: Das Dar-
gestellte gilt als wirklich Seiendes oder wirklich Gewesenes (evtl.
auch Seinwerdendes) oder es ist eine "blosse Phantasie". Wie ist
25 das phänomenologisch zu beschreiben?
SoUen wir sagen, es gründet sich auf das Fiktumbewusstsein
ceinma:l eine weitere Intention vom Charakter der Erinnerung
(oder einem analogen Charakter) und das andere Mal eine Modi-
fikation derselben? Aber was für eine Modifikation? Es wird sich
30 da'erst fragen, was denn Erinnerung für eine'Modifi-
kation erfahre durch Übergang in die "blosse
P h a n t a sie" .

Erste Ansicht

Offenbar kann man nicht damit auskommen zu sagen: Es liegt


35 da zugrunde eine Phantasieerscheinung, nur einmal ist ein Mo-
ment des belief da und das andere Mal nicht. Sowenig wie man
etwa das illusionäre Bewusstsein von einem Fiktum gegenüber
TEXT NR. 6 (1909) 243

der Wahrnehmung damit beschreiben könnte, dass 'einmal Glaube


fehle und das ,andere Mal vorhanden sei.

Zweite Ansicht

Auch das geht nicht, dass man sagt: Die Phantasmen erfahren
5 einmal eine impressionale Auffassung und das andere Mal eine
reproduktiv modifizierte. (Und ebenso im anderen Fall: Die
Empfindungen erfahren einmal eine impressionale Auffassung,
das andere Mal eine modifizierte.)
Kann man I'überhaupt so sinnliches Material und Auffassung
10 trennen, dass sich jedes für sich phantasiemässig modifizieren
könnte? ,"
Man könnte da auf die Fälle hinweisen, wo wir etwa in eine
gegebene Erscheinung eine andere hinein phantasieren. Wie wenn
ich fiktiv die Hausauffassung ändere, aber so, dass das Empfin-
15 dungsmaterial unangetastet bleibt. Ich stelle mir etwa vor, da
sei nicht wirklich/das Haus, sondern eine Theaterkulisse u.dgl.
Da hätten wir mindestens einen Teil der Auffassungskomponen-
ten derart modifiziert, dass wir ihnen phantasiemässige unter-
geschoben hätten: Was das Unterschieben freilich heisst und wie
20 das ganze Beispiel näher zu analysieren ist, das ist noch die
Frage.

Dritte Ansicht

Es ist offenbar, dass wenn wir Erinnerung und Phantasie ver-


gleichen, wir vorsichtig in der Wahl der Beispiele sein müssen
25 und nicht als gleich behandeln, was nicht ganz gleich ist.
Z.B. Erinnerung eines auffliegenden Vogels und Phantasie
"desselben" = inhaltsgleichen Vogels in einer inhaltsgleichen
Phantasieumgebung. 1 Da haben wir beiderseits diesdben Er-
scheinungen (Einheit derselben Erscheinung, Hintergrund dazu-
30 gerechnet) und doclt nicht volle Gleichheit, derart, dass wir sagen
könnten, es komme einmal hinzu das Moment des belief und das
anderE' Mal fehle es oder sei es phantasiemässig modifiziert. Denn
wenn das eine Mal Erinnerung vorliegt, vermöge deren der Vor-

1 ad 1.
244 TEXT NR. 6 (1909)

gang als vergangener gilt, so ist dabei offenbar zu unterscheiden


1) der gleichsam ablaufende Vorgang, der da phantasiemässig er-
scheint, und 2) dasjenige, was ihn zum "Repräsentanten", zu
einer Wiedervergegenwärtigung eines eben vergangenen Vor-
5 ganges macht.
Ist dieser Unterschied nicht ganz analog demjenigen zwischen
Scheinbewusstsein und Bildbewusstsein ? Der Schein, das Fiktum
"gilt nicht für sich", in ihm repräsentieren wir, schauen wir reprä-
sentativ an ein anderes, d.h. es ist eine neue Intention da, welche
10 den Charakter einer "repräsentierenden" hat. So ist auch das
Phantasieerscheinende, der betreffende gleichsam ablaufende
Vorgang, Repräsentant für einen vergangenen, d.h. ein fundiertes
Bewusstsein ist da, und zwar eine impressionale Intention) die
auf einen Zusammenhang von Intentionen verweist, durch die
15 sich die Beziehung zum aktuellen Jetzt herstellt.
Der "Glaube" ist nicht Glaube an das phantasiemässig Er-
scheinende, sondern das Einstimmigkeitsbewusstsein, das zu der
repräsentativen Auffassung gehört. Sie ist ungehemmte Inten-
tion. Und zwar impressionale. Was aber die pure Phantasie an-
20 langt, die hier Unterlage bildet, so ist das eine Modifikation,
"Phantasmen in der und der Auffassung", die ganze Erscheinung
und ihre Intentionen sind etwas Modifiziertes (Reproduktives,
Abgeleitetes). Das macht hier den Unterschied gegenüber dem
Fiktum im Fall, der Bildrepräsentation aus. Das Fiktum ist im-
25 pressional gegeben, und die Modifikation, die bei ihm bzw. bei
der Scheinwahrnehmung vorliegt, besteht in der Aufhebung,
welche die impressionalen Auffassungsstrahlen erfahren, also im
Unstimmigkeitsbewusstsein etc.
Es liegt nahe zu sagen: Empfindung (jede Impression) lässt
30 unmittelbar nur impressionale Auffassung zu, ebenso Phantasma
unmittelbar nur phantastische Auffassung.
Mittelbar aber, in Form der Repräsentation, in symbolisch in-
tuitiver und symbolisch leerer Auffassung (innerlich analogi-
sierend und äusserlich bezeichnend) kann es anders sein. Es kön-
35 nen da unmodifizierte und modifizierte Intentionen sich ein-
gliedern.
Doch ist der erste Satz fraglich.
Auch diese Intepretation der Erinnerung wird aber Be d e n-
k e n erregen. Also es soll da eine pure Phantasie zugrunde liegen
TEXT NR. 6 (1909) 245

und darauf gebaut erst Intentionen höherer Stufe? Aber wenn


ich mir jetzt etwa Sieber1 vergegenwärtige, finde ich da irgend-
eine Mittelbarkeit? Ich lebe jetzt in diesem Erscheinen, ich
mache den Gang über dem Dorf, blicke auf das Dorf und Tal
5 herab etc. Und alles ist da so wie bei der Wahrnehmung. Ich
nehme gleichsam wahr, es ist eine Modifikation. Aber ist das nicht
ebenso unmittelbar wie eineLWahrnehmung?

Vierte Ansicht

Man könnte 'sagen: Eine fundamentale Modifikation verwan-


10 delt die Wahrnehmung in Erinnerung, und zwar: Wahr-
nehmung ist impressionaler Erscheinungsglaube - Erinnerung
ist reproduktiver Erscheinungsglaube.
Impressionaler Erscheinungsglaube, . konkret genommen die
Wahrnehmung, kann durch Widerstreolt aufgehoben werden (und
15 zwar in verschie<;lener Weise. Bei Puppe-Mensch haben wir zu-
sammenhängende Bestandstücke der Erscheinung, die nicht auf-
gehoben werden (Kleider, Haare u.dgl., vor allem auch: wirk-
liches Ding, Körper). Dann haben wir a) ein eigentliches Trugob-
jekt. Evtl. Schwanken, ob das dies oder jenes Ding ist (falls eben
20 keine Entscheidung erfolgt, die das eine Glied, die eine Möglich-
keit als Trug erscheinen lässt). b) In anderen Fällen besteht durch
und durch Widerstreit, nämlich so, dass-kein Stück der Erschei-
nung gelten bleibt, und auch kein intentionaler Erscheinungs-
kern : Es ist gar kein Körper da, es ist nichts. 2 Bei aufgehobener
25 Intention bleibt die Erscheinung doch bestehen. Der Glaube ist
aufgehoben, die Erfahrungsintention, aber die Erscheinung er-
hält sich. Nun ja, wir haben eben ein Trugobjekt. Ein Nichtiges.)
I st aber das Bewusstsein in diesem Fall, wo vom Erscheinenden
nichts übrig bleibt, als reine Phantasie zu charakterisieren? D.h.
30 b e sag t r ein e P h an t a sie Ni c h t i g k e i t sb e w u s s t sei n ?
Aufgehobenes Be'1usstsein.' Im anderen Fall partieller Aufgeho-
?enheit, wodurch das Objekt nichtig ist, aber doch das Objekt
Ist, nur "anders" ist, haben wir partielle Phantasie? (Unglaube

~ Sicber is~ ein Ort bei Herzberg im Harz. - Anm. d. Hrsg.


\\' Spater eingefügt: "ein Geist". Gleichzeitig damit bemerkte Husserl am Rande:
" as streItet da gegen die Erscheinung? Etwa 'leerer Raum'?" - Anm. d. Hrsg.
246 TEXT NR. 6 (1909)

ist ja hier nicht negatives Urteil. So wie Glaube nicht affirma-


tives Urteil ist. Sondern es handelt sich um den Charakter der
Wahrnehmung, der intuitiven Setzung, oder wie man es nennen
will.l) Aufhebung der Setzung, der ganzen Setzung nicht bloss
5 als einem Ganzen, sondern nach allen Teilen, das gäbe Erschei-
nung eines Objekts, die gar nichts von Setzung enthielte: pure
Vorstellung (reines Nichts, reines Fiktum).
Dem entspräche in der Erinnerung I) der Fall des Gemisches
von Erinnerung und aufgehobener Erinnerung und 2) wieder der
10 Fall rein aufgehobener Erinnerung. D.h. all die Elemente des
Erscheinungsganzen mögen Erinnerungselemente sein, aber sie
heben sich auf, durch und durch, sie geben ein Erinnerungs-
Fiktum.
(Nun braucht man dabei unter Erinnerung nicht ein volles
15 Vergangenheitsbewusstsein <zu> verstehen. Wenn mir ein "Bild"
auftaucht mit dem Bewusstsein des Gewesen, oder im Seins-
bewusstsein der Erinnerung, so brauche ich gar nicht fähig zu
sein, es einzuordnen in den einen gültigen Erinnerungszusam-
menhang.)
20 Wie steht es nun mit der Durchführbarkeit dieser Auffassung?
Es sollen also Erinnerungen mit Erinnerungen streiten. Im vo-
rigen Fall stritten die elementaren Erfahrungsintentionen inner-
halb der Wahrnehmungssphäre miteinander und hoben sich
wechselseitig auf (was allerdings noch lange keine ernstliche Be-
25 schreibung ist). Jetzt hätten wir die Phantasiemodifikationen
("Erinnerungen") und auch hier den Streit der Erinnerungs-
intentionen und die volle Aufhebung im Fall der puren Erinne-
rung: Es ist nichts, reine Einbildung. (Oder andererseits, das war,
aber nicht so, wie es da erscheint, das und das an der Erscheinung
30 ist reine "Phantasie".) - Es scheint also wirklich zu gehen. Wir
hätten nur hinzuzufügen, dass Erinnerung hier zunächst nicht
Vergangenheitsbewusstsein zu besagen hätte, sondern gewisser-
massen das reproduktive Seinsbewusstsein, welche
näheren Ausgestaltungen immer es dann zulassen mag.
35 Danach hätten wir 1) Wahrnehmung, Scheinbewusstsein, und
zwar partielles und totales, pure Wahrnehmungsfiktion;

1 Der letzte Satz wurde spater teils wie folgt verändert: "Sondern es handelt si~?
um einen Charakter der Wahrnehmung selbst, <den> intuitiven Setzungscharakter .
- Anm, d. Hrsg,
TEXT NR. 6 (1909) 247

2) Erinnerung = Reproduktion; partielle Scheinerinnerung


und totale, letztere die pure Erinnerungsfiktion,l die "blosse
Phantasie" .
So bei den ausgeglichenen Akten der Wahrnehmung und Er-
5 innerung, nämlich ich sehe von den Fällen des Schwankens und
"Zweifelns" ab.
Es gäbe danach nicht eine ursprüngliche und
primitive Modifikation "Phantasie". Die Erinnerung
wire etwas Einfaches und die Phantasie nicht etwa ein Ein-
10 facheres. Phantasie wäre der Modus der "aufgehobenen" Erin-
nerung. 23
Nun hätten wir vonl diesem Standpunkt aus alle Modifika-
tionen durchzudenken. Also Erinnerung zweiter Stufe. Phantasie
zweiter Stufe. Bildrepräsentation etc. Was die Bildrepräsenta-
15 tion anlangt, so böte sie offenbar keine Schwierigkeiten. Ebenso-
wenig das signitive Vorstellen und Setzen. Nämlich soweit als
wir sagen könpen: Die gegebene Erscheinung ist Träger einer
neuen Intention.

Aber nun kommt doch eine Schwierigkeit. Wir haben doch bei
20 den 4 bildlichen und 'signitiven Vorstellungen und ebenso bei
den freien leeren Vorstellungen den Unterschied von Setzung und
Nichtsetzung.5 Ist auch hier die Nichtsetzung Aufhebung von
Setzung, Neutralisierung sozusagen? Oder soll man sagen: Es
gibt hier eine Nichts'etzung oder "blosse Vorstellung", die gar
25 nichts von solcher N eutralisierung enthält? Wie stimmte das
aber zu der versuchten Theorie, die, wie in der Wahrnehmungs-
sphäre so in der Phantasiesphäre, alles "blosse Vorstellen" redu-
ziert auf Modi der Glaubensintentionen ? Natürlich wäre es kein
ernstlicher Einwand gegen die versuchte Auffassung, zu sagen,
30 wir merkten nichts von den Spannungen, Gegensätzen, Auf-
hebungen der Intentionen in der Phantasie. Das merken wir auch
bei der impressirtnalen Fiktion nicht: solange wir nicht analy-
sieren und auf das einzelne Moment achten.

1 Das Komma wurde spater in ein Gleichheitszeichen verändert. - Anm. d. Hrsg.


2 Kurze DefmitIon der vierten Ansicht.
3 Am Rande folgende, wieder ausradierte, doch noch gut lesbare Bemerkung:
,,~aturhCh wIrd diese Theorie im weiteren widerlegt." -Anm. d. Hrsg.
Nachtraglich eingefügt: "Symbolvorstellungen als". - Anm. d. Hrsg.
5 Also nICht das Bildfiktum, sondern die Bildsujet-Vorstellung.
248 TEXT NR. 6 (1909)

Aber freilich, die Schwierigkeit selbst 'bleibt ungelöst. Man


wird doch nicht sagen wollen, dass diese repräsentativen Setzun-
gen und blassen Vorstellungen prinzipiell etwas Verschiedenes
seien von denen der ersten Sphäre?
5 Sowie wir aber sagen, es sei ein Faktum, dass blasse Vorstel-
lungen in der impressionalen und Erinnerungssphäre auf an-
gegebenem Wege entstehen, oder auch nur sagen, im Wesen der
Impressionen und Erinnerungen grunde es, dass blasse' Vorstel-
lungen hier so erwachsen,1 haben wir zugestanden, dass blasse
10 Vorstellungen nicht blasse Gebilde von anderen Intentionen sind,
sondern nur aus ihnen hervorgehen, und wir müssen sie als etwas
Eigenes zugestehen. Tun wir das, so haben wir dann eine eigene
Modifikation von Wahrnehmungen, die biossen Vorstellungen,
so wie wir eine eigene Modifikation von bildlichen Setzungen
15 haben, die "blossen" Bildvorstellungen. Es ist nicht leicht, sich
zu entscheiden.
Sollen wir sagen, die Porträterscheinung wecke in mir eine Er-
innerung (und zwar eine nichtaufgehobene oder sich in der An-
schauung nicht aufhebende), das blosse ästhetische Bild aber
20 eine aufgehobene Erinnerung, oder es werde nicht nur das Bild
als Fiktum aufgehoben, sondern auch das Bildsujet. Aber das
wäre doch recht bedenklich. Und doch wieder, warum soll es so
bedenklich sein? 2

'j

1 Später eingefügt: ,,(im Anschluss an sie als Leerintentionen)" . - Anm. d. Hrsg.


2 Bedenklich ist es aber gar sehr, nämlich: Jede Wahrnehmungserscheinung h~t
entweder den Modus des Glaubens wobei die inneren und äusseren Intentionen (dle
Umgebungsintentionen) zusamme~stimmen zu einer Einheit: Der Gegensta!,-d v?e
alle seine Umgebung steht in Wirklichkeitsweise da. Oder wir haben Unstl~m~g­
keiten, und der Modus der Erscheinung ist nun Glaubensneigung, Zweifel, NlChtlg-
keitsmodus etc. Ebenso in der Erinnerung reproduktiv. Aber zugleich an d~r
Erinnerung selbst. An der puren Phantasie aber finden wir dergleichen erst, wenn Wlr
sie zur "Wirklichkeit" in Beziehung setzen, Ansetimng machen u. dgl. An ihr selbst
finden wir keine solchen Modi.
.'

Nr. 7

<WAHRNEHMUNG, ERINNERUNG, PHANTASIE


UND DIE ZEITLICHEN
ZUSAMMENHANGSINTENTIONEN >
5 <wohl 1909>

Die "TendenlJen", die Intentionen, schaffen Auffassungsein-


heiten, und diesEJ Auffassungseinheiten enthalten teils Empfin-
dungen, teils elem.entare Erinnerungen und von beiden ausgehen-
de Intentionen, die sich vereinigen zu einer Gesamtintention
10 oder, was dasselbe ist, ·Gesamtauffassung. Das Ganze hat den
Charakter einer Erinnerungseinheit, wenn die Elemente Erinne-
rungen sind.
Wir müssen dann aber auch scheiden die Tendenzen, Inten-
tionen, die zu den Empfindungen gehörerrals unmodifizierte, und
15 diejenigen, die zu den elementaren Erinnerungen gehören als
modifizierte (eben erinnerungsmässige).
Wir hätten: den ursprünglichen (originären) Empfindungs-
fluss (Zeitfluss) und demgegenüber den derivierten, sekundären
Erinnerungsfluss (Erinnerungszeitfluss der Wiedererinnerung) .
20 Und hinsichtlich der Auffassungen: die originäre Auffassung
aufgrund des Empfindungsflusses: Wahrnehmung; die abgelei-
tete Auffassung. aufgrund des Wiedererinnerungsflusses : Erinne-
rung - beides : Eiftstimmigkeitsbewusstsein vorausgesetzt.
Dieselbe Modifikation, welche von Empfindung zurl
25 Reproduktion (hier immer verstanden als elementare Erinne-
rung) führt, führt von der Empfindungsintention (die
über das gegebene Empfindungsbewusstsein hinausführt und

1 Spater eingefügt: "aktuellen". - Anm. d. Hrsg.


202 BEILAGE XVI

hängen und dem Jugendstilmuster. Das Bismarckbild an der Wand _


ich gleite mit den Augen an den Wänden entlang.
Ich "sehe" das Verschiedene in verschiedener "Frische" und "Leb-
haftigkeit", in verschiedener "Fülle" oder "Lückenhaftigkeit", meist
5 ähnlich wie durch eine Art unklaren Nebel; es ist oft so, als würde ich
durch das Gesichtsfeld der Wahrnehmung (die Akkomodation ist da-
bei entspannt, die Augen stellen sich parallel, daher unklare Doppel-
bilder) hindurchsehen, ohne dass doch das Phantasierte als hinter dem
Gesehenen lokalisiert würde. Mitunter erscheint das Phantasiebild als
10 leicht getönte Silhouette auf dem Gesichtsfeld der Wahrnehmung, ja
sogar "auf dem Teppich, auf der Wand" usw.

BEILAGE XVI
<DIE ERINNERUNGSERSCHEINUNG MITSAMT IHREM GEHALT
AN SINNLICHEN INHALTEN ALS VERGEGENWÄRTIGUNG DER
15 FRÜHEREN WAHRNEHMUNGSERSCHEINUNG - BEIRRUNG
DURCH DIE FALSCHE THEORIE DER REPRÄSENTATION>
(1904)

Ein gegenwärtiges Rot als Zeichen für ein gewesenes? Ne i n.


Ein gegenwärtiges Rot, das wäre ein wahrgenommenes. Das Rot wird
20 aber doch nicht wahrgenommen, es ist nicht als gegenwärtig charak-
terisiert. Aber enthält der Bewusstseinszustand, den ich das "Rot-
Vorstellen", "eine Phantasieerscheinung dieses Roten Haben", und
zwar jetzt Haben, <nenne>, enthält dieser Zustand nicht wirklich
ein Rotmoment'? Jet z t ist der Phantasiezustand : Ich blicke darauf
25 hin, ich finde ihn vor. Dieses "innere Wahrnehmen" gibt
ihm die Jetzt-Bestimmtheit. Gehört diese nicht jedem Teil, jedem
Moment, das darin reell enthalten ist? Also jetzt schwebt mir das Rot
vor, und darin ist ein Rot da. Also ich nehme ein Rot wahr, nämlich
im Zusammenhang der "Erinnerung an ein Rot".
30 Nun wollen wir die Sache einmal naiv ansehen. Ich erinnere mich
jetzt lebhaft an das Manövergelände. Ich habe die Farbe des Himmels,
das sich abschattende Grün der Wiesen, der Bäume, das Grau der
Hardenbergruine, das Rot der Dächer lebhaft in Erinnerung. Oder
Erinnerung an das freundliche Grün des neuen Teppichs, an das Rot
35 des alten, an das Braun des Sofas, usw. Diese Farben sind gewesene
Farben, nämlich Farben von Gegenständen, deren ich mich eben er-
innere, die aber mitsamt allen ihren Bestimmtheiten eben nicht als
jetzt gegenwärtige dastehen. Sind im Erinnerungsphänomen (jetzt er-
innere ich mich) andere Farben? Nein, die, die da erlebt sind, werde.n
40 dem Vergangenen zugerechnet. 1 Ich schaue in der Erinnerung dle
1 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Soll man sagen: Die, die da
erlebt sind, werden dem Vergangenen zugerechnet?" Am Rande bemerkte Husserl,
BEILAGE XVI 203

Dächer vom Dorf Nörten1 und ihr Rot. Die aktuell erlebten sinnlichen
Inhalte scheinen sich zu den erinnerten genau so zu verhalten wie im
Fall der Wahrnehmung die aktuell erlebten Empfindungen zu den
Eigenschaften des Gegenstandes. 2 Bei der aktuellen Wahmehmung
S gelten die empfundenen Farben als zur selben Zeitstelle gehörig wie
die wahrgenommenen. Bei der Erinnerung analog.3 Die Erinnerungs-
erscheinung mitsamt ihrem Gehalt an sinnlichen Inhalten (die
selbst in die Erscheinung fallen) gilt als Vergegenwärtigung der
früheren Wahrnehmungser,schein ung4 , somit gilt die empfun-
10 dene 5 Farbe ebenso als gewesen wie die erinnerte Farbe. Die Er-
scheinung wird auf das frühere Ich bezogen, als "damalige" Wahr-
nehmungserscheinung desselben, die zeitlich koinzidiert mit dem Ob-
jekt, das da erscheint oder vielmehr damals erschien.
Indem ich mich aber jetzt erinnere, ist die Erscheinung jetzt.
IS Lebe ich in der Erinnerung, so erscheint mir "die frühere Erscheinung"
und durch sie das erinnerte Objekt. Oder es "lebt auf", es ist "repro-
duziert" die frühere Wahrnehmung, und in ihr lebend steht mir
gegenüber das Objekt. Ich nehme es gleichsam "wieder" wahr, ich
schaue es gleichsam, ich schaue es "in der Erinnerung". "Ich bin ver-
20 setzt in die Vergangenheit." ,
Sage ich: Ich erinnere mich, so beziehe ich mich auf das Jetzt, in
dem ich dies hnd jenes wahrnehme; gleichzeitig, also jetzt, ist die
Erinnerung als konkretes Phänomen. Zu dessen Gehalt gehört die
"reproduzierte" frühere Erscheinung. Darin aber liegt, dass diese
2S Erscheinung im Charakter der "Wiedervergegenwärtigung" gegeben
ist. 6 Zumeist wird sie nicht konstant bleiben. Sie verschwindet, sie
blasst ab, sie wird "verdrängt" durch die gegenwärtigen Wahrneh-
mungserscheinungen (nach Art des Wettstreites), sie lebt wieder auf,
ich habe innerhalb' der erhaltenen Erinnerungsintention eine zweite
30 intuitive Erinnerung', evtl. mehrere nacheinander, also in verschie-

wohl zur Zeit dieser Veränderung: "Aber nein. Was heisst das, die Farben, die da
er leb t sind? Also selbst da?" - Anm. d. Hrsg.
1 Nörten-Hardenberg ist ein Dorf nördlich von Göttingen. - Anm. d. Rrsg.
2 Zu Beginn des letzten Satzes fugte Husserl später ein: "Soll man auch sagen:"
und veranderte den Punkt in ein Fragezeichen. Wohl zur Zeit dieser Veränderung
fugte er am Ende des letzten Satzes ein: "Nein, auch das wäre grundfalsch." Und am
Rande bemerkte er: "Die falsche Theorie der Repräsentation beirrte mich". -
Anm. d. Rrsg.
3 Spater eingefügt: "Sind deun Farben da empfunden? Die erinnerten Farben-
,phantasmen gehoren natürlich zur selben Zeitstelle wie die erinnerte Farbe des Ob-
)ekts". - Anm. d. Rrsg.
4 Falsch. Habe ich denn eine Erscheinung, und diese Erscheinung gilt für etwas?
DIe Erscheinung ist doch nicht eine Bilderscheinung wie beim gewöhnlichen Bilde
w.o ICh wirklich eine Erscheinung (also eine Wahmehmungserscheinung) habe und
dIese verbildlicht.
: "empfundene" später verändert in "erlebte". - Anm. d. Hrsg.
Nem. DIese Erscheinung ist selbst wiedervergegenwärtigte Erscheinung und
~lCht gegebene Erscheinung, die für etwas anderes repräsentiert und einen Charakter
er Reprdsentation, der Vergegenwärtigung hat.
204 BEILAGE XVII

denen Zeitpunkten "jetzt", aber fortgesetzt im kontinuierlichen Iden-


titätsbewusstsein.
Reflektierend vergleiche ich die verschiedenen Erscheinungen, d.h.
ieh erinnere mich an die Erinnerungen selbst. Lassen wir diese jetzt
5 beiseite. 1
Also ich habe jetzt eine Erscheinung, aber sie trägt einen anderen
Charakter, ich nenne den den Charakter "des schon dagewesen", des
früher erschienen u.dgl. Im Gegensatz zur Wahrnehmungserscheinung,
die den Charakter nicht hat. Ich kann zwei ähnliche Dinge 2 , ja das-
10 selbe Ding, und sogar völlig gleiche Wahrnehmung schon gehabt ha-
ben, das Objekt hat in einem anderen Sinn auch den Charakter des
schon erschienen gewesen, schon gesehen etc., aber nicht den Charak-
ter der Wiedererkennung meinen wir da, sondern einen anderen Cha-
rakter, eben den der "Wiedervergegenwärtigung", der unterschieden
15 ist vom "selbst da", so wie die Wahrnehmung dem jetzigen Ich an-
gehört, so die vergegenwärtigte Erscheinung dem vergangenen.

BEILAGE XVII
<ERINNERUNG: ES GENÜGT NICHT, DASS WAHRNEHMUNG
SICH IN REPRÄSENTATION DES WAHRGENOMMENEN
20 MODIFIZIERT; DER WAHRNEHMUNG MUSS EINE
WIRKLICHE ODER MÖGLICHE ERINNERUNG DIESER
WAHRNEHMUNG ENTSPRECHEN>
<1904>

Erinnerung: Vorhin war ich im Ratskeller. Ich fand die Räume neu
25 renoviert. Die gemütliche Gesellschaft bestand aus Schwarz, Mors-
bach, Kohn, Andres. Ich blickte beim Rückweg zurück auf das Rat-
haus, blickte mit Gefallen auf die alte Laube sowie auf den modernen
zierlichen Brunnen, die Gänseliesel darstellend.

Da ist die Rede vom Ich, das dies und jenes wahrgenommen, er-
30 lebt, gefühlt usw. hat. Also dem Sinn der Erinnerung entsprechend
müssen wir sagen: Damals bestanden diese und jene Erlebnisse, in
denen diese und jene Inhalte vorgestellt, beurteilt, geschätzt usw.
wurden, und diese Erlebnisse wurden als solche auf mein "Ich" be-
zogen, das seinerseits wieder in gewissen Erlebnissen erschien. Diese
35 letzteren freilich wurden im allgemeinen nicht auf "Ich" bezogen. In-
1 Später fügte Husserl ein: "Das muss besonders besprochen werden", und er
setzte den Absatz in eckige Klammern. - Anm. d. Hrsg.
2 Nach "Ich kann zwei" später eingefügt: "eine Wahroehmungserscheinung jet~~
haben und"; im Sinne dieser Einfügung ware dann das Zeichen fur "zwei" als "zwar
aufzufassen und zu lesen: "Ich kann zwar eine Wahroehmungserscheinung jetzt ha-
ben und ähnliche Dinge, •.. ". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XVIII 205

dem ich den Brunnen mit Wohlgefallen betrachtete, bezog ich das
Betrachten auf das Ich, aber das Erlebnis des Ich nicht wieder auf
das Ich.
Ich "betrachtete den Brunnen", ich "sah" ihn. Bedeutet dieses Be-
5 trachten, dieses Wahrnehmen, dieses Erleben, bedeutet dies, frage ich,
das Apperzipieren, als ob ich statt auf die Gegenstände auch auf ihre
Erscheinungen und auf die Aktformen geachtet hätte? Das wäre die
Frage. Es bedürfte hier zunächst einer Analyse, was das bedeutet:
Ich sehe hier eine Lampe, einen Menschen usw. Man könnte ja die An-
tO sicht vertreten, dass hierbei Gegenstand und Ich beide als körperliche
Objekte im räumlichen Verhältnis zueinander vorgestellt werden etc.
Doch das als selbst gegenwärtig Erscheinen der Lampe etc. ist doch
mit der Ausdrucksweise gemeint. Und gemein t ist doch auch nicht
das bloss körperliche Ich.
t5 Besteht aber eine wesentlich-notwendige Beziehung alles Wahr-
genommenen auf das Ich? Eine in diesem Sinn ursprüngliche? Nichts
kann, könnte man sagen, als Ge gen stand gegenüberstehen, ohne
mir, einem Ich gegenüberzustehen. Notwendige Korrelativität!
Aber wenn auf einen Schmerz geachtet wird, auf ein Unbehagen, auf
20 ein Lustgefühl etc., bedürfte es da, wie bei Aussendingen, einer solchen
Korrelation?
Angenommen also, wahrnehmen setzte nicht notwendig Beziehung
auf das Ich voraus. Wo es geschieht, wo auf das Wahrnehmen selbst
reflektiert, dieses also selbst wahrgenommen ist, da wird auch das
25 Erinnern Erinnern des Vorgangs und Erinnern der Wahrnehmung
des Vorgangs sein. Wo aber nicht, da nicht. Wie komme ich dann
aber zur Behauptung: Das, wessen ich mich jetzt erinnere, das habe
ich im damaligen Jetzt wahrgenommen? Wie komme ich zur Behaup-
tung, das Vergangene war gegen wärtig? Vergangen = jetzt-
30 gewesen oder gegenwärtig-gewesen. Es genügt nicht, dass Wahr-
nehmung sich irgendwie modifiziert in Repräsentation des Wahrge-
nommenen, sondern, wie der wahrgenommene Vorgang, Gegenstand
im Erinnerungsbewusstsein zum vergangenen selben Gegenstand
wird, so muss auch der Wahrnehmung des Vorgangs entsprechen eine
35 (wirkliche oder mögliche) Erinnerung dieser Wahrnehmung.

BEILAGE XVIII
KOMPLIZIERTERE BILDLICHE VORSTELLUNGEN
<woh11898>

.1) Physische Bilder höherer Stufe (Bilder von Bildern). Ein


40 ~lld.A, das. ein Bild B darstellt. Im Bilde etwa wieder ein Bild C. Bil-
er III zweiter und dritter Stufe. Z.B. Gemälde eines Zimmers, in
206 BEILAGE XIX

welchem ein Bild an der Wand hängt. Dieses Bild stellt etwa eine
Gemäldegalerie dar, in welcher also wieder Bilder erscheinen.
1) Das physische Bild A,
2) das dadurch dargestellte Bild,
53) der durch 2 vorgestellte Gegenstand.
Zu ihm gehört ein physisches Bild, welches jetzt also bildlich vor-
gestellt ist. Dazu gehört aber:
1) die bildliche Vorstellung des physischen Bildes,
2) die bildliche Vorstellung des dargestellten Bildes, } all das in
10 3) die bildliche Vorstellung seines Sujets. zweiter Stufe
Nämlich: Es erscheint mir in der Tat ein repräsentierendes Bild, der
Einfachheit halber ein Mann zu Pferd. Aber dieses repräsentierende
Bild gehört nicht zu einem wahrnehmbaren physischen Gegenstand,
sondern zu einem im Bild vorgestellten. Und dies beeinflusst auch so-
15 zusagen den Wert des repräsentierenden Bildes. Dieses Erschei-
ne n deist nicht das repräsentierende Bild jenes gemalten Bildes,
sondern nur ein Bild davon. Die Erscheinung, die ich hätte, wenn ich
das Bild selbst sähe, ich meine die in diesem Bild zum Erscheinen
kommende, habe ich jetzt nicht, sondern nur eben ein Bild davon.
20 Und dieser Bildlichkeit sind wir uns auch bewusst.
Ebenso ist das im gemalten Bild Vorgestellte (deutlicher: in dem
durch das Gemälde zur Erscheinung gebrachten anderen Gemälde) nicht
so zur Vorstellung gebracht wie der Gegenstand eines Gemäldes erster
Stufe. Es ist zur Vorstellung gebracht durch eine bildliche Vorstellung
25 von einer bildlichen Vorstellung und somit Gegenstand zweiter Stufe.
Wir könnten von anschaulichen Vorstellungen erster,
zweiter, dritter Stufe sprechen (ähnlich: Spiegelbilder von
Spiegelbildern) .
2) Phantasiebilder von physischen Bildern. Z.B. ich stelle mir die
30 "Theologia" in der Phantasie vor. Hier haben wir ganz analoge Kom-
plikationen wie vorher, nur dass das Phantasiebild selbst keinen Er-
reger hat.
3) Gibt es auch physische Bilder von Phantasiebildern ? Z.B. Ge-
mälde eines Traumgebildes. Doch wird man derartige Darstellungen
35 nicht als rein anschauliche gelten lassen. Konzeptiv-gedankliche Ver-
mittlung. Grillparzers "Der Traum ein Leben".

BEILAGE XIX
PHANTASIE IN DER PHANTASIE
<um 1905>

40 1) Erinnerung in einer biossen Phantasie


2) Phantasie in einer Erinnerung
3) Erinnerung in einer Erinnerung
4) Phantasie in einer Phantasie
BEILAGE XX 207

Ich phantasiere: Ich fahre auf der Eisenbahn und versinke in


Träume (Phantasien) und weile träumend in der Erinnerung an meine
jugendzeit, wie mir mein Vaterhaus vorschwebt. Wie ich in den alt-
vertrauten teuren Räumen als Kind spiele etc. Hier haben wir eine
5 phantasierte Erin~erung,. eine modifi~ierte Erinnerung, .müsste. ~ch
deutlicher sagen, eme ErInnerung In der PhantasIe. Freilich
habe ich diesen konstruierten Fall nicht jetzt erlebt, ich habe das hier
Ausgesagte nur im indirekten Vorstellen vollzogen. Anschaulich stelle
ich mir eine Eisenbahnfahrt (etwa eine Erinnerung) vor. Die andere
10 Erinnerung an meine Kinderzeit beziehe ich dabei symbolisch auf das
symbolisch vorgestellte Träumen. Aber ist das nicht möglich in
eigentlicher Form?
Leichter ist es, eine Phantasie in einer Erinnerung und
eine Phantasie Ln einer Phantasie (oder in einem Gemisch
15 von Phantasie und Erinnerung, wie bei den meisten Phantasien) zu
bilden. Natürlich kommt auch der vierte mögliche Fall vor: Erin-
nerung in einer Erinnerung.
Beim Lesen eines Romans, wo der Held phantasiert, träumt, sich
erinnert. Die Roman-Erzählung: Aber es ist nicht eine aktuelle Er-
20 zählung, sondern stellt eine solche nur vor. Das ist ein Bild bewusst-
sein. Ist hier ni<j:ht die Phantasie im übrigen Phantasie in der Phan-
tasie, falls Ansclilaulichkeit vorhanden? (Aber wie, wenn ich nur sym-
bolisch verstehe?) Der Traum wird hier gegenständlich, durch "Ur-
teil" wird der Traum (Urteil auf Phantasiegrundlage) dem phanta-
25 sierten Helden als träumendem eingelegt; wird dem Urteil aber
"Folge gegeben", so resultiert das anschauliche Bewusstsein vom
Träumen des Helden. Der Leser "starker Phantasie" wird das wohl
leisten können. •
Wie bringt uns ein Dichter dazu, wirklich Erinnerung in einer
30 Phantasie zu vollziehen? Doch, so, dass wir mit dem Helden gewisse
Vorgänge anschaulich miterleben und er in späteren Teilen der Dich-
tung sich dieser Vorgänge erinnert. Wir erinnern uns nun mit ihm.
Das Beispiel bedarf aber näherer Analyse.

BEILAGE XX
35 IMMANENTE IMAGINATIONEN
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912>

.~:; gibt nicht nur transiente Bildvorstellungen, sondern auch imma-


nente.!

da' Welche Farbe h~t da.nn der Hintergrund ~es Tizianschen Bildes? Nun, ich will
SJe mdlen. Dann 1st dIe gemalte gegenwärtIge Farbe doch "Bild" für die abwe-
~ende. Aber freIlich, in der gemalten kann ich die abwesende nicht sehen da
1%e pben gegenständliche Farbe und ohne Gegenstand nicht zu sehen ist. Was hier
gemalt 1st, 1st eben notwendig zugleich ein anderer Gegenstand (ein Klecks etc.).
208 BEILAGE XXI

So insbesondere dienen sie bei der Einfühlung. Ich kann z.B.


~ttels der Wahrne~m~ng, die ich selbst hab:, mir die Wahrnehmung
emes Anderen verbildlichen, und ebenso mIttels der Phantasievor-
stellung, die ich selbst habe, mir "eine Vorstellung machen", d.i. mir
5 verbildlichen die eines Anderen.
Frage: Kann man "die Phantasie in der Phantasie" inter-
pretieren als eine Verbildlichung?
Ich kann natürlich eine Phantasie, wie wir oben sahen, als Bild ver-
wenden. Kann ich aber sagen, dass, wenn ich mich erinnere, dass ich
10 gestern ein A phantasiert habe, z.B. einen Bajazzo (und ich erinnere
mich dessen jetzt wirklich), dass ich da eine jetzige Bajazzo-Vorstel-
lung als Bild verwende?
Nun ist es sicherlich möglich, evtl. eine analogische Vorstellung
(eben eine Bildvorstellung) von etwas zu bilden, was wir selbst früher
15 erinnert hatten; aber wo wir uns einfach erinnern, dass wir gestern uns
den Bajazzo vorgestellt hatten, da leben wir einfach in der Vergangen-
heit und im vergangenen Phantasieren, genau wie wir sonst in der Ver-
gangenheit leben: nur dass wir jederzeit die leichte Modifikation voll-
ziehen können, welche aus der vergangenen Phantasie, aus der Er-
20 innerungsmodifikation der Phantasie, eine gegenwärtige Phantasie
machen <würde>.

BEILAGE XXI
REFLEXION IN DER PHANTASIE IST SELBST PHANTASIE
<wohl Herbst 1909>

25 Fordert die Möglichkeit der Reflexion in der Phantasie (des "Hin-


sehens" auf das Erscheinungs-Phantasma bzw. auch des Hinsehens
auf das "Wahrnehmen des Gegenstandes") die Annahme, dass die un-
modifizierten Erlebnisse, die "impressionalen" schon Inhalte eines
Bewusstseins, eines impressionalen sind? Also ein in n e res B e-
30 w u s s t sei n, dessen Modifikation das Phantasma als Phantasma-
bewusstsein sei? Indessen, dann müssten wir für j e des Erlebnis ein
inneres Bewusstsein annehmen und sagen, alle Erlebnisse sind be-
wusst. Wir kämen auf einen unendlichen Regress. Das geht nicht. 1
Das mag freilich so sein, dass psychologisch jedes Erlebnis "Spuren"
35 zurücklässt und dass Wiedererinnerungen und damit phantastische
Modifikationen von ihm auftauchen. Aber Modifikation besagt nicht,
dass das, was modifiziert heisst, schon früher da war, nur eben un-
modifiziert.
Eine Schwierigkeit finde ich darin wohl, dass ein Hinblick auf das
40 Objekt eines Phantasma (= einer Reproduktion) möglich ist. Erlebe
1 "Das geht nicht" später unterstrichelt ; am Rande steht zum folgenden ein grosses
Fragezeichen. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXII 209

ich ein Phantasma; so kann ich auf sein Objekt hin< sehen>. Dieses
Hinsehen stellt sich heraus als ein reproduktiv modifiziertes Hin-
sehen: als Hinsehens-Phantasma. Taucht eine Erinnerung auf, so kann
ich auf das Erinnerte hinsehen, und dieses Hinsehen ist selbst ein
5 modifiziertes, ein "Phantasma", auch wenn ich es nicht immer selbst
als Erinnerungs-Modifikation bezeichnen kann. So, wenn ich in der
Erinnerung phänomenologisch reduziere. Ich achte in der Erinnerung
auf die "Erscheinungsfarbe", auf die Erscheinungsform etc. Sie ge-
hörten zur erinnerten Erscheinung, die eine "in der Erinnerung"
10 konstituierte Einheit war, die ich vielleicht nie zum gemeinten Objekt
gemacht hatte. Ich sehe aber jetzt"mich jetzt erinnernd, auf sie hin.
Und doch ist dieses Hinsehen als Beschäftigung mit der Phantasie-Er-
scheinung (Erscheinungs-Phantasma) Beschäftigung mit einem nicht
selbst Gegebenen, sie ist eine Beschäftigung "in der Phantasie". Sie ist
15 selbst vom Charakter des Phantasma. Waslich jetzt meine Beschäfti-
gung mit dem Erinnerungsobjekt bzw. Phantasieobjekt und seiner Er-
scheinung nenne, ist in Wahrheit ein Phantasiebewusstsein, das den
Charakter von Phantasie von Beschäftigung mit dem Erinnerten hat.
Mit reproduktiven Erscheinungen, nicht gegenwärtigen, sondern ge-
20 wesenen, kann ich mich im eigentlichen Sinn nicht beschäftigen.
I

BEILAGE XXII
<"REPRODUKTION VON" GEGENÜBER
"PHANTASIEVORSTELLUNG VON" ALS
OBJEKTIVIERENDEl'fI AKT>
25 <wohl 1909>

Es gibt Originale, die· nicht wieder Darstellung sind, und es gibt


Darstellungen.
Reproduktion ist also Reproduktion von (Phantasie von).
Wunschreprodaktion ist also Reproduktion von Wunsch.
30 Was. besagt hier aber das "v 0 n"? Nicht dasselbe, das ich meine,
we~n lch sage, ich habe eine Phantasievorstellung von,! einen
ob J e ~ t i v i e ren den Akt. Phantasievorstellung von einem Haus,
von emem Wunsch etc., das ist ein Akt, der das Haus, den Wunsch,
~um Gegenstande hat., Blosse Reproduktion ist aber kein ob-
35 J~ktivierender Akt, keine Vorstellung von. Z.B. wenn ich eine Phanta-
s~vorstellung von einem' Haus. habe, so ist das Haus Objekt. Hiebei
~?er t~eten als "repräsentierende Inhalte" Phantasmen auf. Die sind
ler mcht Vorstellungen von. (Wenigstens ist das eine Anschauung
40 ~~n d.er ~achlage, die sehr bedenklich erscheint. Sollen wir sagen:
le smnhchen Inhalte sind Gegenstände von Phantasie vor s t e l-

----
I ungen?)

1 Etwas nachträglich eingefügt:,,= Richtung auf". _ Anm. d. Hrsg.


210 BEILAGE XXIII

Ebenso wie ich in der W a h r n e h m u n g erst reflektieren muss, um


die Empfindungsinhalte in ObjektsteIlung zu' bringen, wie also zu den
Empfindungen ideal mögliche Umwendungen in immanente Wahr-
nehmungen gehören, die ich mir erst verschaffen muss, so auch hier.
5 Ich muss "in der Phantasie reflektieren", demnach ist im Wunsch-
Phantasma keine Wunschvorstellung gegeben, der Wunsch ist dabei
nicht Objekt einer Vorstellung, und ebenso im aktuellen Wunsch
keine Wunschwahrnehmung. Ich wünsche etwa, ohne meinen Wunsch
zum Wahrnehmungsobjekt zu machen, und ebenso mögen sich
10 Wunschreproduktionen regen und Erlebnis sein, ohne dass <ich> Vor-
stellungen im objektivierenden Sinn habe. So überall.
Aber jede Impression begründet die Möglichkeit einer Wahrneh-
mung, und jeder Reproduktion, jedem Phantasma entspricht nach
idealer Möglichkeit eine Phantasievorstellung, speziell z.B. Urteil -
15 Wahrnehmung vom Urteil, propositionale Vorstellung - Phantasie-
vorsteIlung vom Urteil.!
Nun muss man aber, wie es scheint, einen Schritt weiter machen:
Wie jeder Impression eine Reproduktion (Phantasie) entspricht, so
in weiterer Folge auch ein leeres Bewusstsein. 2
20 Empfindung - Phantasma - leeres, dunkles Bewusstsein.
Und wieder entspricht jedem leeren Bewusstsein eine Gestaltung
von objektivierenden Akten.
Jedem leeren Bewusstsein entspricht eine 1e e r e Vor s t e 11 u n g
von (als objektivierender Akt).

25 BEILAGE XXIII
WAS MACHT DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN ORIGINÄREM
UND NICHT ORIGINÄREM ERLEBNIS? <MÖGLICHKEIT
EINER DOPPELTEN REFLEXION>
(1910)

30 Zum nicht originären gehört das "gleichsam", und das ist wohl ein
sehr allgemeiner Charakterzug (das Gleichsam ist aber doppelsinnig,
da wir auch bei der Inaktualität von gleichsam sprechen können).
Jedenfalls gehört dazu, dass nicht originäre Erlebnisse eine doppel-
te Reflexion zulassen, eine originäre und eine nicht originäre.
35 Z.B. die Vergegenwärtigung eines Zornes lässt 1) eine Reflexion z~,
in der der meinende Blick sich auf das vergegenwärtigte Zornerlebllls
richtet, 2) eine Reflexion, welche sich auf das aktuelle Bewusstsein
vom als nichtgegenwärtig Dastehen des Zornes richtet. Hier also
offenbar auf 1).3 (Freilich kann man hier noch sagen: Verworren
I "propositIOnale" bIS" Urteil" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
2 Oder sollen wir sagen, Reproduktion sei voll oder leer?
3 VgI. aber das Beispiel der Hausphwtasie weiter unten.
BEILAGE XXIII 211

auftauchende Gedanken, Gefühle, etc. können den inneren Blick auf


sich lenken, ehe ein Blick durch sie hindurch auf den intentionalen
Gegenstand sich richtet.)
Jedenfalls kann man sagen: Allgemein lässt jedes Erlebnis eine
5 Umwandlung in eine Wahrnehmung zu, die es zu seinem immanenten
Objekt macht. (Das natürlich nach idealer Möglichkeit gesprochen.)
] edes ni c h tor i gin ä re Erlebnis lässt aber eine immanente Erfas-
sung (wir sagen da nicht Wahrnehmung) des in ihr immanent Vergegen-
wärtigten zu (dessen, wovon sie immanente Vergegenwärtigung ist)
10 und ausserdem eine Verwandlung in eine immanente Wahrneh-
mung zu, die es selbst als Vergegenwärtigung erfasst.
Habe ich z.B. eine Phantasie von einem Haus, so kann ich das Er-
lebnis verwandeln in eine immanente Phantasiemeinung, gerichtet
nicht auf das Haus, sondern auf die Haus-Apparenz, auf die "Er-
15 scheinung in der Phantasie". Andererseits aber kann ich eine imma-
nente Wahrnehmung von der Phantasie des Hauses bilden.
Nr.3

PHANTASIE UND VERGEGENWÄRTIGUNG


(ERINNERUNG). <FRAGE NACH DEM )
VERHÄLTNIS VON APPREHENSION UND
5 GLAUBENSQUALITÄT>
(Abschrift <wohl 1905/06, mit Ergänzung wohl aus 1909»

Schematische Überlegungen:
Gewisse Inhalte "Empfindungen" ; ihre Auffassung als Roons:
Wahrnehmungs apperzeption ; Glaubensqualität.
10 Andere Inhalte, "modifizierte derselben Gattungen", "Phan-
tasmen"; Auffassung als R.: Phantasieapperzeption (Erinnerung,
Vergegenwärtigung); Glaubensqualität.
Fall der Wahrnehmung des R. Die abgewandte Seite des
Gegenstandes sei anschaulich in der Phantasie vergegenwärtigt.
15 Sie hat natürlich Glaubenscharakte,. Diese Phantasie ist nicht
bloss neben der Wahrnehmung der Vorderseite bzw. des R.
"von vorne gesehen"; sie ist mit der Wahrnehmung geeinigt
durch Identifikation und durch Einigung der beiderseitigen
transzendenten Intentionen. Andererseits hat die Phantasievor-
20 stellung bzw. Phantasiesetzung auch "Intention" auf die en t-
sprechende Wahrnehmung (sc. des Roons von demselben
Standpunkt gesehen, als von welchem aus ihn die Phantasie-
vorstellung "sieht"). Wir unterscheiden
a) die" Vergegenwärtigung" der abgewandten Seite des Gegen-
25 standes, die "Intention" der erscheinenden Seite gerichtet auf
die abgewandte. 1
Diese Vergegenwärtigung findet statt in der Wahrnehmung,

1 Die Intention auf die ab gewandte Seite ist nicht zu verwechseln mit Intention
auf ein Wahrnehmungsbild oder Phantasiebild der abgewandten Seite, das ja nicht
Selte selbst ist. Die ab gewandte Seite kommt zur Erscheinung in einer Kontinuitat
von neuen Wahrnehmungen, deren jede, wenn sie kommt, Erfüllung bringt.
TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 213

sie macht es, dass der ganze Gegenstand vermeintlich dasteht.


Diese Vergegenwärtigung findet nicht minder statt, modifiziert,
in der Phantasie: Auch in der Phantasie steht der ganze Gegen-
stand (eben in der Phantasie-Weise) uns vor Augen. Diese Ver-
S gegenwärtigung ist demnach selbstverständlich nicht selbst wie-
der Phantasie. Hier erfüllt ja die evtl. nachkommende stetige
Mannigfaltigkeit von Phantasien der erscheinenden Rückseite
die Intention, die also etwas von jeder dieser Phantasien Ver-
schiedenes ist. Innerhalb der Wahrnehmung erfüllt Wahrneh-
10 mung, innerhalb der Erinnerung Erinnerung. Innerhalb der Mo-
difikation Phantasie, modifiziert, wieder Phantasie.
b) Die Vergegenwärtigung, die das Wesen der Erinnerung aus-
macht, die jetzt Seiendes vergegenwärtigt. Die "Intention" der
Phantasieerscheinung, der erinnerungsmässig gesetzten, auf eine
15 Wahrnehmungs erscheinung von derselben Seite, die ihrerseits be-
haftet ist mit den gleichen Intentionen auf die abgewandte Seite. I

1)2 Wahrnehmungsglaube WIW2 ... W n ... W 2W 1 =
Wahrnehmungszusammenhang
Erscheinungen E1wIE2w En EI
~~~
20 verbunden durch Identitätseinheit.
Pfeile = Infention a) innerhalb der Kontinuität des Wahrneh-
mungszusammenhangs in stetiger Identifizierung.
= apprehensive "Intention" durch Ähnlichkeit und Kon-
tiguität.
25 II) Ennnerungsg1aube (ich meine reproduktiver)3
PhI ... Ph n ... PhI
E1Ph vergegenwäl:'tigt E 1w4 EIPh -+ EnPh -+ E1Ph
U 'J J.L
E1w Enw E1w
30 ~ Der Pfeil bedeutet jetzt die Vergegenwärtigungsintention b).

" 1 N achtraghch eingefugt und später gestrichen: "Das ist inkorrekt, Phantasie, und
,dbst meht Ennnerung, hat nichts weniger als ohne weiteres eine Intention auf die
Lnt'prechende Wahrnehmung." - Anm. d. Hrsg.
2 Der unter I) und II) wiedergegebene Text mit den schematischen Darstellungen
SO\\ le den zugeh6rigen Anmerkungen wurde später kreuzweise gestrichen und mit
emer Nul! versehen. -'Anm. d. Hrsg.
3 Ph bedeutet hier Erinnerung. Inkorrekt, cf. vorige Seite Anfang <d.i. der Beginn
der AUfzeichnung>
4 A .
d ' nstel!e d,eser unrichtigen Illustration wäre zu setzen die eigenartige Beziehung
er Lrmnf>rung auf den Erinnerungszusammenhang bis zum aktuellen Jetzt.
214 TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909)

Aber jetzt erhebt sich die Frage nach dem Ver hält ni s Von
Apprehension und Quali tä t.
Wie ist die Qualität an Intention - Erfüllung beteiligt?
Nehmen wir eine blosse Phantasie: Ritter im Mondschein; er
5 wendet sein Pferd. Es erscheint die Rückseite, als zur Einheit
des Gegenstandes gehörig: "Erfüllung". Die Vorderseite "inten-
diert" die Rückseite. Bringt die Phantasie eine Rückseite, so fin-
det identHizierende "Erfüllung" statt.
Diese Intention ist "modifizierte Intention" und ihre Erfüllung
10 "modifizierte" Erfüllung. Die erste Intention war schon auf
einen ganzen Gegenstand "Ritter etc." gerichtet, aber diese kom-
plexe Intention <war> nur mit der Vorderseite "belegt"; als In-
tention auf den ganzen Gegenstand ist sie erfüllt durch das Ge-
gebene der Vorderseite. Auch diese Erfüllung ist natürlich eine
15 "modifizierte". Es gibt leere, ganz unerfüllte Intentionen. Hier
haben wir eine intuitive, also partiell volle, erfüllte Intention.
Partiell ist sie leer, sie geht auf weitere Erfüllung, sie findet sie
in neuen partiell erfüllten Intentionen, die freilich panieIl wieder
entleert sind.
20 Im Gegensatz dazu ist die Wahrnehmung ein Komplex von
unmodifizierten Intentionen, von Glaubensintentionen. Diese
sind nicht leere Qualitäten und dazu, damit irgend zusammen-
gebunden, die Apprehension des Gegenstandes, sondern sie sind
Glaubensapprehensionen ; die Bestimmtheit der Beziehung auf
25 den Gegenstand, d.i. die Bestimmtheit dieser Apprehension, das
sie Differenzierende, das, was den bestimmten Glauben,
die bestimmte Wahrnehmung macht.
Natürlich ist die Bestimmtheit des Glaubens nicht dasselbe wie
der Gehalt an Empfindung.
30 Nehmen wir jetzt die blosse Phantasie, so bleibt alles be-
stehen, nur ist alles "modifiziert" ins quasi, d.h. imaginativ. Im
Vergleich des Modifizierten und Unmodifizierten ein identisches
Wesen in abstracto: 1 "dieselbe" gegenständliche Auffassung, Er-

1 Aber wie, wenn ich eine Wahrnehmung nehme und eine Illusion desselben Auf-
fassungsgehalts ? Bei der letzteren statt des Glaubens eine durch Widerstreit mit
konkurrierenden Wahrnehmungen oder Erfahrungen auf blosse Glaubenstendenz
herabgesetzte Qualität, eine Glaubenstendenz, die kein Glaube mehr ist. Was is~ hie~
modifiziert? Doch nur die Qualitat. Die Sachlage ist doch eine ganz andere Wle bel
einer Phantasie gleichen Inhalts. Man wird vielleicht einwenden: Diese Modifika-
tion ist eine ganz andere als die Modifikation in eine Phantasie.·
,"

TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 215

scheinung, dieselbe Vorderseite ("derselbe" Gegenstand von der-


selben Seite erscheinend) etc. Das ist Identität der' "Materie" als
des Sinnes 71
Aber das scheint doch nur die "biosse" Phantasievorstellung
5 zu betreffen. Es kann aber auch mit der Phantasie Glauben ver-
knüpft sein.
Wie ist also das Verhältnis von Glauben zu Apprehension und
Glauben zu Intention besser und genauer zu verstehen?

1ch2 würde antworten: Was die Erinnerung anlangt, so ist


10 sie ein in "blosser Phantasie" fundierter, nicht imaginativer,
sondern impressionaler Akt. Der schlichten äusseren Wahrneh-
mung, etwa eines Dinges, steht gegenüber die schlichte pure
Phantasie dieses j,selben", d.h. eines inhaltsgleichen Dinges (eine
Phantasie von'demselben Erscheinungswesen). Ihr ist nicht als
15 gleichberechtigt an die Seite zu stellen eine Erinnerung an dieses
Ding, sofern die Erinnerung eine neue Auffassung bringt, welche
das Ding, da$ zunächst phantasierte, als vergangenes, und zwar
als "wieder gegeben" vergegenwärtigtes setzt in Beziehung zur
aktuellen Gegenwart.
20 Nun ist aber'21u überlegen. Ist auch die in der Wahrnehmung
gelegene G'ewis'sheitssetzung nicht bezogen auf einen Zu-
sammenhang und damit auf eine das Erscheinende in einen weite-
ren Zusammenhang hineinsetzende Allffassung? Die Wahrneh-
mung hat ihre Erfüllung in übergängen von neuen zu neuen
25 Wahrnehmungen und dabei:" nicht bloss von Darstellungen des-
selben Gegenstandes, sondern auch von Umgebungswahrneh-
mungen. Das Ding gehört zur Raumwelt, die eine räumliche

Ja, aber in der Phantasie kann doch Glaube bestehen, oder auch nicht bestehen.
ElUe blosse Phantasie mag mit jener Halluzination "denselben Inhalt" haben. Was
macht dann den Unterschied aus? Nun, einmal Wahrnehmungserscheinung, das an-
d~re Mal Phantasieerscheinung.
• Der letzte Satz wurde nachträglich wie folgt verandert: "Man wird richtig ein-
~ enden:. Die s e Modüikation, als Glaubensmodifikation, ist eine ganz andere als
~ e ImaglUahve, als die Modifikation in eine Phantasie." - Anm. d. Hrsg.
1 Es I,t zu beachten, dass das "Wesen" identisch ist, aber nicht die Erscheinung,
die elUmal Wahrnehmungserscheinung, das andere Mal Phantasieerscheinung ist, das
ClUe Mal impressionale, das andere Mal imaginativ modifizierte Materie. Ich kann
auch mcht eigentlich von demselben (individuellen) Gegenstand sprechen, sondern
~1U Gegenstand genau desselben Inhalts oder Wesens, ebenso wie die Erscheinung
e~derseIts"im "Wesen" dieselbe ist.
Von hier biS ans Ende der Nr. 3 wurde die Aufzeichnung, wohl im Jahre 1909,
erganzt. - Anm. d. Hrsg.
216 TEXT NR. 3 (1905:06 UND 1909)

Einheit ist und hinsichtlich der Zeit eine dauernde bei aller in-
haltlichen Veränderung.
Die Erinnerung versetzt aber ein Phantasiertes (quasi Wahr-
genommenes) in die Vergangenheit und ordnet sie derselben Welt,
5 hinsichtlich ihrer Vergangenheit eben, ein. Die Art ihrer Aus-
weisung fordert Übergänge von "Phantasie" zu Phantasie, die
aber immer wieder in gleicher Weise als Erinnerung charakteri-
siert ist. Gehören also nicht äussere (transiente) Wahrnehmung
und äussere Erinnerung in eine Parallele? Haben wir nicht bei-
10 derseits einfach: Wahrnehmungserscheinung im Modus der Ge-
wissheitssetzung, wieder: Phantasieerscheinung im Modus der
Gewissheitssetzung. Wahrnehmungserscheinung ist aber zu ver-
stehen als das auszeichnende Erscheinende und Gemeinte mit-
samt seinem Hintergrund in der bestimmten Auffassung. Ebenso
15 Phantasieerscheinung ist wieder gemeint mit ihrem Hintergrund,
zu dem aber nicht nur der dingliche Hintergrund gehört (in der
quasi-Koexistenz), sondern auch der zeitliche Hintergrund in der
Folge der Ereignisse bis zum Jetzt. Genauer betrachtet wäre
demnach die Erinnerung, oder vielmehr die die Erinnerung ein-
20 lösende Erinnerungsreihe, das genaue Gegenbild nicht der Wahr-
nehmung überhaupt, sondern der von dem damaligen Jetzt bis
zum jetzigen Jetzt laufenden Wahrnehmungsreihe, die ja ein
einheitliches Wahrnehmungsbewusstsein von Aufeinanderfolge
von Dauern und Veränderungen ausmacht.
25 Jede Wahrnehmung ist aber eigentlich schon ein solches Be-
wusstsein, sie ist ja Wahrnehmung von Dauerndem, oder Wahr-
nehmung von Vorgängen etc. Nehmen wir die Wahrnehmung als
Vor g a n g s w a h r n e h m u n gl, so entspricht ihr die Erinnerung
als Wiederbewusstsein (Vergegenwärtigung2), etwa das ich am
30 End e des Vorgangs evtl. vom Anfang habe. Es ist nicht nur
Phantasie des Anfangs, sondern eben Erinnerung, d.i. Wieder-
bewusstsein des Anfangs '11it der Intention bis zum Jetzt, das
wahrnehmungsmässig immer fortschreitet. Zum Wiederbewussc-
sein gehört wesentlich diese Intention.
35 Wahrnehmungssetzung hat das System der zur Idee der
Räumlichkeit gehörigen Ausweisungen, die sämtlich wieder
Wahrnehmungssetzung sind. Erinnerungssetzung hat das System
1 Später eingefugt : "Retention". - Anm. d. Hrsg.
2 Später eingefügt: "nicht Retention". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 3 (1905/06 UND 1909) 217

der zur Idee der Zeitlichkeit gehörigen Ausweisungen, die sämt-


lich wieder den Charakter von Erinnerungssetzung haben ..
Blosse Phantasie (Wahrnehmungsphantasie) ist imaginative
Modifikation l der Wahrnehmungssetzung (mit ihrem intentio-
5 nalen System). Sie ist Phantasievorstellung von einem Jetzt, von
einer dauernden oder sich verändernden Gegenständlichkeit etc.
Erinnerungsphantasie ist Phantasievorstellung von einem Ver-
gangenen in Beziehung auf ein Jetzt.
I st es das aktuelle Jetzt, so führt die "Setzung" dieser Phan-
10 tasie alsbald wirkliche Erinnerung herbei. Ist es ein phantasiert es
Jetzt, so erfordert die Setzung die Setzung des phantasierten
Jetzt, und das ist nur möglich als ein erinnertes Jetzt, also als ein
Vergangensein. '
Wie kann ein Phantasiegebilde gesetzt werden 2 ? Nur als ein
15 Jetzt, Vergangen oder Künftig. In Beziehung auf aktuelle Wirk-
lichkeit und damit zum Jetzt der aktuellen Wahrnehmung.
Grosse und schwere Probleme! Alle Setzung von Individuellem
ist Setzung ,in Raum'und Zeit und mit Beziehung auf das Hier
und das Jetzt. I

20 Blosse Vorstellung kann nur sein: eine Wahrnehmung, aber


eine absolut nicht'eingeordnete, es fehlt irgend etwas an der Be-
ziehung zum "hier", es fehlt der Glaube.
Blosse Vorstellung kann andererseits sein reine Phantasie; sie
entbehrt der Beziehung auf das Hier und Jetzt. Es fehlt der
25 Glaube.

1Spater eingefügt: "Inaktualitäts-Vergegenwärtigung". _ Anm. d. Hrsg.


2Spater eingefügt: "inaktuelle Vergegenwärtigung in aktuelle verwandelt werden".
- Anm. d. Hrsg.
Nr. 4

GLAUBE ALS IMPRESSION. <INTERPRETATION


DER GEGENSÄTZE ZWISCHEN WAHRNEHMUNG
UND PHANTASIE, DER VERHÄLTNISSE ZWISCHEN
5 ERINNERUNG UND PHANTASIE, DER ILLUSION,
BILDVORSTELLUNG, LEERVORSTELLUNG>l
(11. Oktober 1908)

Versuchen wir den Glauben als einen impressionalen Charakter


zu fassen (nicht überhaupt als den impressionalen Charakter),
10 so dass jeweils die gegenüberstehende "blosse Vorstellung" als
Modifikation zu gelten hätte, z.B. die dem prädikativen Urteil
gegenüberstehende blosse propositionale Vorstellung, und zwar
genau in dem Sinn, in dem der Empfindung das Phantas-
m a gegenübersteht, so wäre die Frage, wie sich die Gegensätze
15 zwischen äusserer Wahrnehmung und entsprechender blosser
Phantasie, die Verhältnisse zwischen Erinnerung und Phantasie,
und die Phänomene der Illusion, der entlarvten Halluzination,
dei Bildvorstellung (bzw. bildlich setzenden Vorstellung), der
Leervorstellung (und setzenden Leerintention) interpretieren las-
20 sen.
Insbesondere bestehen hier die Schwierigkeiten des Verhält-
nisses zwischen "Auffassung" und "Glauben" und des Verhält-
nisses zwischen "Glauben" und seinen verschiedenen Modifika-
tionen, Glaubensneigung, "aufgehobener Glaube", Zweifel etc. 2
25 Wie ist es z.B. bei der Wahrnehmung? Haben wir da eine
eigene Wahrnehmungs auffassung, charakterisiert im Modus der
Glaubensimpression, derart, dass diese Charakterisierung ein
hinzukommendes zweites Moment ist? Etwas Abtrennbares, nur
mit sich Verflechtendes? Oder ist der Glaube ein zur Auffassung
1 Cf. darin <So 222f.> über impressionales Bildbewusstsein.
2 Glaube natürlich nicht so viel wie Entscheidung, Behauptung u. dgl.
TEXT NR. 4 (1908) 219

gehöriger und unabtrennbarer modaler Charakter, und zwar so,


dass es verschiedene impressionale Modi der Auffassung gibt,
und impressionale Auffassung> eo ipso impressionale Auffassung
von dem und jenem Modus ist, und nun sollen diesen impressio-
5 nalen Auffassungen gegenüberstehen die entsprechenden phan-
tastischen Modifikationen? Wenn wir aber von derselben Auf-
fassung in verschiedenen Modis sprechen, so wäre das Gemein-
same ein abstraktes Wesen. Mit Unterschieden noch: in-
tuitives Wesen (intuitive Auffassung) oder leeres Wesen. An-
tO dererseits beruhre ich gleich die Schwierigkeit, was als Modifi-
kation bei "gleicher Auffassung" zu gelten hat. Z.B. wenn ich
eine Wahrnehmung modifiziere und annehme, dass zwei Mo-
mente vorhanden sind: Auffassung und Glaube, so kann ich
jedes für sich modifizieren. Also die Auffassung kann impres-
15 sional sein und das Glaubensmoment entweder Glaube als Im-
pression oder entsprechende Glaubensmodifikation. Wie wenn
man z.B. sagte: Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und
Illusion von demselben Erscheinungsgehalt (Auffassungsgehalt)
bestehe darin! dass dort' impressionaler Glaube, hier Glaubens-
20 modifikation verwoben sei mit derselben impressionalen Er-
scheinung. Ebenso bestehe der Unterschied zwischen Erinnerung
und Phantasie von gleichem "Erscheinungsgehalt" darin, dass
mit derselben modifizierten' Erscheinung verbunden sei einmal
aktueller Glaube, das andere Mal Glaubensmodifikation. Die
25 Phänomene lassen sich, besonders wenn man nicht tiefer forscht,
ja verschieden interpretieren; z.B. dass der Glaube bei gleichem
Erscheinungsgehalt ganz wegfallen kann, ohne Ersatz durch
einen anderen Modus, oder dass schon in den Auffassungen die
Unterschiede liegen, sofern dieselben Empfindungen einmal im-
30 pressionale Auffassung, das andere <Mal> Phantasieauffassung
erfahren möchten, oder dass mit gleichen Auffassungskernen
(gleichen Erscheinungen) verbunden wären neue Auffassungs-
momente usw. ,
""Ich will nun zu begründen versuchen die Ansicht, welche den
35 Glauben nicht als ein eigenes charakterisierendes Moment, son-
~em als die Impressionalität der "Auffassung" selbst interpre-
~rt, wobei aber dascWort Auffassung weit genug greifen muss. 1
~ Den letzten Satz veränderte HusserI nachträglich wie folgt: "Ich will nun zu be-
grunden versuchen die Ansicht, welche den Glauben nicht als ein hinzukommendes
220 TEXT NR. 4 (1908)

Betrachten wir nun noch das Verhältnis der normalen ä u s s e-


ren Wahrnehmung zur genau' entsprechenden puren
P h a nt a sie. Hier ist das letztere Phänomen durch und durch
modifiziert, nämlich Modifikation des ersteren Phänomens.
5 Was spricht für die einfachere Ansicht, die hier'ver-
sucht ist durchzuführen, nämlich, dass kein eigenes Moment des
Glaubens anzunehmen ist, und dass somit keine Komplexion
von Auffassung bzw. (wenn wir die sinnliche Unterlage mit-
nehmen) von Erscheinung und Glaube (oder Glaubensmodifi-
10 kation) anzunehmen ist? , '"
a) Bei der Komplexions-Auffassung würde man sagen,: Die
Wahrnehmungs-Erscheinung hat ihre Imagination in ,der genau
entsprechenden Phantasie-Erscheinung. Und beiderseits kann
Glaube statthaben oder auch nicht.
15 b) Dagegen könnte man sagen: Wenn ich in der Phantasie
keinen Glauben habe, also pure Phantasie vollziehe, besitze ich
damit nicht eo ipso Modifikation des Glaubens? Also schon-die
volle imaginative Modifikation der ganzen Wahrnehmung 'mi t
ihrem Glauben? In der puren Phantasie lebend! ist es mir so" ·als
20 ob ich das Ding, den Vorgang sähe, als ob er die und die:Be-

charakterisierendes Moment, sondern als eine gewisse impressionale Auffassung selbst


interpretiert, wobei aber das Wort Auffassung weit genug greifen muss. Doch das ist
wohl nicht gut ausgedrückt." Es folgt ein wohl zur Zeit der wiedergegebenen Verän-
derung eingefügter Passus, der wieder gestrichen bzw. auf einem eingelegten Blatt
wohl im Sommer 1909 etwas verändert abgeschrieben wurde; der im folgenden wieder-
gegebene Text fusst auf dieser Abschrift, während der ursprünglich eingefügte Passus
in den Textkritischen Anmerkungen vollständig abgedruckt wird: "Die zwei ,An-
sichten: Glaube als ein eigenes, abtrennbares Moment, Glaube als ein Modus. -
Glaube ist nicht ein eigenes 'Gefuhl', überhaupt ein eigenes Phänomen, das zu
einer 'biossen Vorstellung' als einem zweiten Phänomen hinzutrete. Das volle kon-
krete Phänomen eines Glaubens des und des Inhalts ist nicht etwas im impressiona-
len" Sinn doppelt zu Modüizierendes (nach Glaubensmoment und unterliegender
Vorstellung). Vielmehr: Unter den impressionalen Erlebnissen finden wir eine
Klasse, die objektivierenden, und unter diesen objektivierenden wieder eine Art, die
Glaubensphänomene. Also nicht jedes objektivierende Erlebnis ist
eoipso, wofern es Impression (unmodifiziert) ist, schon ein 'A,kt des
GI a u ben s'. So ist eine Glaubensneigung eine Impression, aber nicht Glaube. Eben-
so eine Voraussetzung. Ferner, in der unteren Schicht: ein Phänomen der Bildvor-
stellung, eine Illusion. Glaube ist objektivierende Ge w iss he i t (Gewissheits-
Setzung). Dabei scheiden wir Glaubensqualitat und Glaubensinhalt (Materie). Diese
Materie ist aber ein abstraktes Wesen. Die Qualität ist zu ändern in Glaubensneigung,
Zweifel etc. Das sind lauter Impressionen, und jede hat also ihre impressionaIe" Mo-
difikation. "
• "impressionalen" und ..impressionale" nachträglich verändert in "reproduk-
tiven" bzw. "reproduktive". - Anm. d. Hrsg.
1 "In der puren Phantasie lebend" hat Husser! später kritisch angestrichelt und
am Rande bemerkt: "Ja, ich in der Phantasie lebend". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 221

stimmtheiten hätte etc. Was ist das anderes als Erscheinung im


modifizierten 'Bewusstsein des Glaubens?l
Also es liegt nur ein Einfaches vor. Die Empfindung ist modi-
fiziert zum Phantasma (quasi-Empfindung), die Auffassung2 mo-
5 difiziert zur imaginativen Auffassung,3 und das ist 4 schon Modi-
fikation des Glaubens, wie andererseits der aktuelle Glaube in
der impressionalen Auffassung liegt.
Nun kann ich auch Glauben "auf Grund der Phantasie" haben.
Nämlich es ist hier das der Auffassung Zugrundeliegende nicht
10 Empfindungsmaterial, sondern ein modifiziertes Material, ein
Komplex von Phantasmen. 5 Die Auf f ass u n g selbst kann ein-
mal eine impressionale sein und andererseits ebensogut eine
nichtimpressionale, und je nachdem habe ich Erinnerung oder
pure Phantasie.
15 Zu beachten: Glaube, heisst es, ist nicht ein abtrennbares Mo-
ment, aber Glaube ist nicht Auffassung-als. Wenn etwa Emp-
findung Grundlage für die Auffassung als Ding ist, so kann diese
Auffassung sehr wohl modifiziert werden für sich. Sie ist nicht
Glaube, sond~rn eben Auffassung, die mo d a I bald Glaube, bald
20 Nichtigkeitsbewusstsein ist etc.
Das scheint alles gut zu stimmen.
Nun ist aber zu überlegen, was ich in meinen Vorlesungen
wiederholt auseinandergesetzt habe, dflSs, wenn auf Grund von
Phantasmen, sei es in Form purer Phantasie, sei es in Form der
25 Erinnerung (setzender Phantasie, wie ich es im Sinn der anderen
Ansicht nannte), Auffassung vollzogen ist, diese durchaus den
Charakter des Gleichsam hat und damit, wie es scheint,
imaginativen Charakter. Zuunterst: Ich habe gleichsam Empfin-
dungen, Das ist das ,Bewusstsein "Phantasma". Aber auch wei-
30 ter: Auf Grund derselben sehe ich gleichsam die phantasierte
oder erinnerte Situation und finde mich gleichsam in ihr6 • Und
bevorzugen wir jetzt die Erinnerung, so sagt das weiter:

,,' Spater eingefugt: "Die ich aber sehe!". - Anm. d. Hrsg.


2 Nachtraglich eingefügt: "konkret gesprochen, die Erscheinung". - Anm. d.
Hrsg.
a Nachträglich eingefügt: "Erscheinung". _ Anm. d. Hrsg.
: Spater ~ber der Zeile eingefügt: "nein". - Anm. d. Hrsg.
Zu BegInn des folgenden Satzes nachträglich eingefügt: "UDid nun möchte man
sagen:", - Anm. d. Hrsg.
6 "finde mich gleichsam in ihr" bat Husserl später krltisch angestrichelt. - Anm .
d . Hrsg,
222 TEXT NR. 4 (1908)

Ich glaube gleichsam, ich nehme gleichsam wahr, prädiziere auf


Grund dessen gleichsam etc. Ich glaube gleichsam - aber ich
glaube auch jetzt wirklich!
Kann man also mit Recht ansetzen: Phantasmen können eine
5 impressionale Auffassung erfahren, und sie können ebensogut
eine imaginative Auffassung (eine Auffassungs-Imagination) er-
fahren? Und dem Entsprechendes dann auf der anderen Seite:
Empfindungen bald in einer Auffassungs-Impression, bald in
einer Auffassungs-Imagination?
10 Es ist zweifellos, dass das nich t geh t.
Wir werden feststellen müssen: Empfindung kann u n mit t e 1-
bar nur im pr e s s ion ale Auffassung erfahren. Es gibt aber!
nicht nur die eine impressionale Auffassung, nämlich diejenige,
die wir im engsten Sinn "Wahrnehmung"2 nennen. Nehmen wir
15 das jeweilige Empfindungsfeld, so erfährt es immer auch
Wahrnehmungsauffassungen. Aber es können Wahrnehmungs-
auffassungen miteinander in Widerstreit treten. Dazu gehören die
impressionalen Phänomene des Schwankens, des Zweifels bzw.
der auf eine Auffassung jeweils bezogenen Neigung. Ebenso Ent-
20 scheidung des Zweifels.3
Aber auch andere Phänomene kommen vor, sind möglich.
Eine Wahmehmungsauffassung streitet mit den Wahrnehmungs-
auffassungen der "Umgebung", diese halten als impressionale
Wahrnehmungen stand und jene Wahrnehmungsauffassung wird
25 "aufgehoben". Oder wir finden ohne einen besonderen Prozess
des Schwankens, des Streitens etc. im Zusammenhang mit
Wahrnehmungs-Gewissheiten (impressionaler Glaube) eine ,,auf-
gehobene" Wahrnehmung, die ein neues impressionales Phäno-
men ist, nicht etwa "blosse Vorstellung", sondern Schein-
30 Wahrnehmung. Es erscheint darin nicht etwas in einem gewissen
engsten Sinn, sondern es steht etwas da als Schein. Bezogen
auf die aufhebenden Wahrnehmungen steht es da als "nichts",
als nichtig. In sich steht es da "ohne Glaube", es ist aber keines-
wegs eine Phantasie. Es ist ein biosses "Bild", 4 wobei aber an

1 Nachtraglich eingefügt: "dem Modus nach". - Anm. d. Hrsg.


a Nachtraglich eingefügt: "und uberhaupt Glaube". - Anm. d. Hrsg. .
3 Es sind nicht etwa verschiedene Auffassungen, sondern es sind verschiedene Modi
der Auffassung darin. Urauffassungs-Grundmodus = Glaube.
4 Nachträglich eingefügt: "d.i. ein Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 223

keine symbolische, bildlich darstellende Funktion zu denken ist.


In dem echten impressionalen Bildbewusstsein
haben wir einerseits als Unterlage die Funktion, in der das "Bild-
objekt" erscheint, das ist genau das, was wir soeben als Bild! be-
5 zeichnet haben, und eine symbolisierende, und zwar analogisch
symbolisierende Funktion, die die eigentliche Bildlichkeit konsti-
tuiert. (Auch das ein impressionales Bewusstsein.)
Es ist zu beachten, dass Bildlichkeitsbewusstsein im einen und
anderen Sinn (i 11 u s ion ä r e S2 Bewusstsein, könnten wir sagen,
10 und eigen tliches Bildbewusstsein) zweifellos, wie ich es eben
schon sagte, impressionale3 Akte sind. Bildlichkeit setzt voraus
eine Wahrnehmungsumgebung. Und Bildlichkeit kann ebensogut
phantasiemässig vollzogen sein wie impressional:4 Der Wahr-
nehmungsumgebung der impressionalen Bildlichkeit entspricht
15 dann eine Phantasieumgebung, die als quasi-Wahrnehmungs-
umgebung fungiert. Es ist dann alles imaginativ umgewandelt.
Das "Aufgehobensein" durch "Widerstreit", das Analogisieren
etc. Es ist also Isicher, dass die illusionäres Auffassung nicht etwa
Phantasieauffassung6 von Empfindungen ist und dass Empfin-
20 dungen unmittelbar in der Tat nur impressionale Auffassungen,
deren es vielerlei gibt, erfahren können. 7 Wir nennen sie alle im-
pression ale Auffassungen, weil ihnen allen in gleicher Weise die
eine einzige Modifikationsweise gegenübersteht, die wir "Phan-
tasie" nennen.8
25 Wie sehen nun die· mittelbaren Auffassungen aus?
Achte ich auf die Dinge am Rand meines Gesichtsfeldes, so
"wecken" sie die Vorstellungen der Dinge, die in der Ordnung der
Umgebung folgen und die ich sehen würde, wenn ich mich um-
drehte, dann so und so weiterginge, und so immer weiter in der
30 umgebenden Welt.
------
1 Nachtraglieh eingefügt: "Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
2 Nachtraghch eingefugt: "Schein". - Anm. d. Hrsg.
: Spater ~lngefugt: ,,(gemischte!)". - Anm. d. Hrsg.
kIlle Bezlehung auf das Abgebildete kann aber phantasiemässig sein ohne Glauben
cf. eS. 226>. '
: Nachtragl~ch ei.ngefügt: "Fiktum". - Anm. d. Hrsg.
Nachtraghch emgefügt: ,,(impressional modifizierte Auffassung)". - Anm. d.
H rsg.
7 Spater wleder gestrichene Randbemerkung: "Phantasmen ebenso können un-
~Jttelbar nUr phantastische Auffassungen (quasi-Auffassungen) erfahren, und erst
a~n lffipressionale Auffassungen." - Anm. d. Hrsg.
Nachtraglich eingefügt: ,,(Reproduktion)". - Anm. d. Hrsg.
224 TEXT NR. 4 (1908)

Es ist klar, dass die Intentionen, die von den ins Auge gefassten
Dingen sozusagen in das Ungesehene hinausstrahlen, impres-
sional und nicht-anschaulich sind.

Verhältnis von blosser Phantasievorstellung und Erinnerung


5 nach dieser Theorie

Wenn dann "Phantasievorstellungen" auftauchen, so


gilt das mir da Vorschwebende als wirklich seiend. Offenbar habe
ich nicht die puren Phantasievorstellungen, sondern Motivationen
(das sind impressionale Auffassungs-Strahlen, ausgehend von dem
10 Wahrgenommenen), die jene Phantasievorstellungen selbst be-
stimmen in ihrem Charakter. Und dieser Charakter, was ist er
anderes als eine in der Phantasieerscheinung fundierte Auffassung
impressionaler Art? Das Phantasierte erhält dadurch Beziehung
zur Akt u a li t ä t, wird in dieser Beziehung aufgefasst, und die
15 Auffassung hat den impressionalen Modus des Glaubens. 1
Und so ist dann überhaupt Erinnerung, in ihren verschie-
denen Formen (im Sinn des von mir hier sehr allgemein gefassten
Terminus), eine fundierte impressionale Auffassung,
und zwar vom Modus des Glaubens. 2 Das sagt: Überall ist
20 Erinnerung mehr als blosse Phantasie und ein Phänomen höherer,
fundierter Stufe. Blosse Phantasie ist die Modifikation der Wahr-
nehmung (im prägnanten Sinn), schlichte Phantasie ist imagina-
tive Modifikation der schlichten Wahrnehmung. Und zwar ist
hier zu beachten, dass bIo s S e3 Phantasie nichts von Impressio-
25 nalem enthält, ebenso wie blosse Wahrnehmung nichts von Ima-
ginativem. Bei der imaginativen Modifikation habe ich also in der
entsprechenden Wahrnehmung alles und jedes, auch ihren Zu-
sammenhang des hic et nunc, modifiziert zu denken.
Andererseits im Fall der Erinnerung habe ich als Unterlage
30 Phantasie, aber darüber hinaus eine neue impression ale
Auffassung, die dem Phantasierten Akt u a li t ä t, d.i. die in-

1 Das geht nicht. Die Phantasieerscheinung hat hier selbst den Charakter der Ak-
tualität, so wie eine Wahrnehmung abgesehen von den Intentionen der Umgebung
Aktualitätscharakter hat.
Z Das habe ich wieder aufgegeben.
8 Blosse = pure
TEXT NR. 4 (1908) 225

tentionale Beziehung auf das hic ct nunc verleiht!: auf mein je-
weiliges Jetzt, sei es, dass das Phantasierte "gesetzt" ist auch als
jetzt, oder als früher (in Beziehung auf das aktuelle Jetzt früher)
gewesen. Die neue' impressionale Auffassung hat den modalen
5 Charakter des Glallbens (natürlich können hier auch entsprechen-
de an der e Mo d i, und evtl. höherer Stufe auftreten: Erinne-
rungs-Neigung, Zweife!; Entscheidung). Diese impressionale Auf-
fassung hat ihre imaginative Modifikation. Ich stelle mir bloss
vor, dass etwas jetzt sei oder gewesen sei, und dabei haben wir
10 die volle und reine imaginative Modifikation, wenn wir 2 das Jetzt
gar nicht setzen, dann ist ein imaginatives Jetzt als Beziehungs-
punkt natürlich I vorausgesetzt. Das ist z.B. der Fall, wenn ich,
ausgehend von einer'quasi-Wahrnehmung (also einer schlichten
Phantasie), mich hineinphantasiere in ein Erinnern.3 Daneben
15 gibt es hier und überhaupt gemischte Phänomene. So wie
ich in die wahrgenommene Umgebung hineinphantasieren kann
etwas, was darin nicht ist (Widerstreit mit dem Gegebenen, ich
muss es ja anstelle eines wahrgenommenen Objekts setzen)4, so
kann ich auch in Beziehung auf das mit der Wahrnehmung sich
20 konstituierende hic et nunc etwas als jetzt seiend phantasieren
(was mit gar keinem Rechtsgrund als seiend zu setzen ist und
wofür auch gar kein Rechtsgrund vor;gegeben ist, es ist ja eben
Phantasie und nicht Glaube) oder etwas als gewesen seiend oder
künftig seiend phantasieren. Das Phänomen ist hier ein kom-
25 plexes, sofern die AUffassung imaginativ ist, aber auf einem ge-
wissen impressionalen Grund. ö Das Phantasie-Jetzt wird, wenn

1 Da steckt der Irr t u m. Wir haben doch nicht 1) pure Phantasie mit ihrem
Phantasiezusammenhang, räumlich und zeitlich, 2) eine dazutretende neue, impres-
sionale Auffassung, sondern die Erinnerung ist durch und durch Reproduktion, und
diese hat den Charakter reproduktiver Akt uali tä t (evtl. haben wir auch Mischun-
gen,.emzelnes ist in aktuell, offen gelassen, blosse Phantasie). Der Charakter der Ak-
t~ahtat und der der Impression ist ZU unterscheiden. Dass jede Erinnerung selbst
~,eder reproduzierbar ist, ist nichts, was dagegen spricht, und dass die aktuelle Er-
mnerung Zusammenhang mit dem aktuellen Jetzt hat, auch nicht.
,; Nachtraglieh eingefugt: "auch". - Anm. d. Hrsg.
.3 Doch ist das nicht als Ansetzen ZU verstehen. "Ich lebe in der Phantasie" und
ennnere mich "in der" Phantasie. '
• Ansetzen dieses Papiers als rot, während es weiss· ist. Das ist natürlich keine
bl~sse Phantasie, sondern ein neuer impressionaler Modus des "Auffassens".
Die Rede von Phantasie-Phänomen ist hier bedenklich. Das Ganze ist doch ei-
~:nthch k~ine Phantasie in dem jetzigen Sinn, da es ja vermöge des Ansetzens und in
,.e ~lrkhchkeit Hineinsetzens modal ein Bewnsstsein von Nichtigkeit ist. Nennen
Wl~ Jede~ komplexe Phänomen, in dem Erscheinungen auftreten, die aus Phantasmen
ge aut smd, Phantasiephänomen, so ist das etwas anderes.
226 TEXT NR. 4 (1908)

ich etwas als jetzt seiend einbilde (das Phantasie-Jetzt, das ZUr
puren Phantasie als Modifikation einer Wahrnehmung mit ihrem
aktuellen Jetzt gehört), mit dem Jetzt des impressionalen Wahr-
nehmungsbewusstseins, das mich zugleich mit der Phantasie er-
5 füllt, identifiziert, genau so wie bei der Erinnerungssetzung einer
Gegenwart (einer unwahrgenommenen)l.
Ähnlich wie die Erinnerung in ihren verschiedenen Formen, so
ist auch die s y m bol i s c h e2 Auffassung, die intuitive und signi-
tive, eine fundierte. Und hier ist wiederum der Falls der Impres-
10 sion und der der Imagination klar unterschieden. Nehmen wir
z.B. eine echte Bildauffassung, das Porträt-Bewusstsein. Zu-
unterst liegt ein Illusionsbewusstsein als aufgehobene Wahr-
nehmung. Also ein impressionaler Akt der beschriebenen Art. 4
Aber das Scheinobjekt ist Bild, und Bild für eine "wirkliche
15 Sache". Also hier ist die Auffassung eine impressionale5 , sie for-
dert ja und lässt zu Erfüllung, Begründung, Bestätigung: was
alles nur Sinn6 hat für impressionale5 Akte (und diese neuen Akte
sind selbst wieder Impressionen7).8
Andererseits haben wir auch eine9 imaginative Modifikation:
20 Das Bildobjekt wird als Bild aufgefasst, aber "ohne Glaube", d.i.
in blosser "Phantasie". Wie bei vielen Kunstwerken.
Ebenso wenn ich mir fingiere die Hinterseite eines mir unbe-
kannten Dinges. Auf sie sind unbestimmte Intentionen (impres-
sionale10) gerichtet, es ist natürlich die Rückseite eine solche, wie
25 sie zu einem körperlichen Ding gehört im dreidimensionalen
Raum, irgendwie sinnlich auffassbar etc. Imaginiere ich mir aber
etwas Bestimmtes, so ist das im ganzen genommen "Phantasie",

1 Nachträglich eingefügt: "nur dass diese Identitätsauffassung vom Modus des


'Ansetzens' ist und bei der Erinnerungssetzung vom Modus des Glaubens-Setzens".-
Anm. d. Hrsg.
2 Symbolisch in meinem erweiterten Sinn!
3 Später über der Zeile eingefügt: "einerseits der Aktualität und der der InaktuaJi-
tät, andererseits". - Anm. d. Hrsg.
4 = inaktuelle Impression, wofern wir, wie das korrekter ist, Impression als Gegen-
satz zu Reproduktion fassen.
5 "impressionaJe" später verändert in "aktuelle". - Anm. d. Hrsg.
6 Später eingefügt: ,,(im objektivierenden Aktgebiet)". - Anm. d. Hrsg.
7 "Impressionen" später verändert in "aktuelJ". - Anm. d. Hrsg.
8 Nachträglich eingefügt: "So beim Porträt!" - Anm. d. Hrsg.
D Später eingefügt: "inaktuelle, und das ist hier eine". - Anm. d. Hrsg.
10 "impressionale" später verändert in "aktuelJe" und am Rande bemerkt: "Es
sind unbestimmte leere aktuelle Intentionen, diese kann man nicht als ImpreSSIonen
ansehen". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 4 (1908) 227

andererseits doch' ein Gemisch vdn impressionalen: und Phanta-


sieauffassungEm. Soweit sich das Phantasierte als Rückseite der
Vorderseite einstimmig anpassen muss, soweit habe ich einen im-
pressionalen 'Rahmen. Alles übrige ist blosse Phantasie. Die
5 blasse Phantasie ist hier Einfüllung in einen impressionalen
Rahmen. Einerseits motivierende intentionale Strahlen, aus-
strahlend von 'dem aktuellen: soweit Motiviertes und somit im-
pressional ausgezeichnet. Alles übrige unmotiviert, blosse Phan-
tasie.
101m Sinn der bisherigen Analysen ist zu sagen, dass wir nicht
ohne weiteres ansetzen dürfen Glaube = impressionale 1 Objekti-
vation. Denn zu, den, objektivierenden Akten rechnen wir doch
wohl auch Vermutungen, Neigungen etc. Glaube ist entschie-
den e impressionale1 , Objektivation, (impressionale2 Gewiss-
15 heit 3 ). Ferner ist gar nicht daran gerüttelt, dass wir gegenüber
der Reihe impressionaler Unterschiede, Gewissheit, Anmutung,
Vermutung, Zweifel etc.,.auch aufrecht halten müssen die Unter-
schiede der M at er i e, des Was der Auffassungs-Modi. Wir kön-
nen ruhig sprechen von qualitativen Unterschieden (Unterschie-
20 den der Auffassungsmodi) und Unterschieden des "Inhalts", der
Materie.
Wir können bei den intuitiv einfac~eren4 Akten auch von Er-
scheinungen sprechen und von Modus der Wirklichkeitsauffas-
sung5 (modale Unterschiede), aber grosSe Vorsicht ist am Platz,
25 um nicht das Wesen de.r Sachlage zu verkennen. Sinnliches Ma-
terial wird z.B. aufgefasst: eine Erscheinung, das ist sinnliches
Material so und so aufgefasst. Das Gesamtbewusstsein ist, wenn
die Auffassung schlicht ist, notwendig impressionales Bewusst-
sein, wenn Empfindung zugrunde liegt, und imaginativ, wenn
30 nicht. 6
In höherer Stufe gründen sich darauf höhere Auffassungs-
~haraktere, und das Ganze, das da durch Fundierung erwächst,
1st verschieden als Impression oder Nicht-Impression zu bilden.
1 ,,!mpressionale" später verändert in "aktuelle". - Anm. d. Hrsg.
2 "lffipressionale" später verändert in "objektivierende". - Anm. d. Hrsg.
h 3 ,;,achträglich über dem Ausdruck in Klammern eingefügt: "Urteilsentschieden-
elt . - Anm. d. Hrsg.
4 "intuitiv einfacheren" nachträglich verändert in "intuitiven. _ Anm. d. Hrsg.
: Später eingefügt: ,,(objektivierenden Intention)". - Anm. d. Hrsg.
b Den letzten Satz hat Husserl später am Rande kritisch angestrichelt und dazu
emerkt: "Da noch nachzudenken". - Anm. d. Hrsg.
228 TEXT NR. 4 (1908)

Die höheren Auffassungscharaktere können imaginativ sein, und


so erhält das Ganze seinen Stempel. Oder es kann alles durch und
durch imaginativ sein etc.
(Was die prädika ti ven Akte anbelangt, so haben wir bei
5 ihnen analoge Unterscheidungen wie bei einer Unterstufe. Prädi-
kative Urteilsimpresssionen - prädikative Urteilsmodifika-
tionen = prädikative blosse Vorstellungen. 1 Doch ist zu beach-
ten, dass eine prädikative blosse Vorstellung (propositionale Vor-
stellung) phänomenologisch genommen nur Modifikation des Ur-
10 teils ist, das eben ganz genau von demselben phänomenologischen
Wesen ist in dem Sinn, wie nicht jedes Phantasma einer gewissen
Rotqualität Modifikation ist zu dem hier vorliegenden Rot der-
selben Qualität, während doch jedes Phantasma Modifikation
und jede Empfindung Impression ist. Die blosse Vorstellung "S
15 ist P" ist kein Akt, sondern eine Aktmodifikation (ein Aktphan-
tasma).)
Die freie, ungehemmte Objektivation, die Urobjektivation
(auch ungehemmte "Auffassung") = Glaube. Hemmungen, Wi-
derstreit mit anderen Objektivationen, oder Hemmungen von
20 Objektivationstendenzen mit <anderen Objektivationem, das <er-
gibt die neuen Modi der Objektivation.
Z.B. der Scheinwahrnehmung entspricht das Scheinurteil (z.B.
Urteil auf dem Theater, das zum Ganzen der bildlichen Situation
passt), der widerstreitenden Wahrnehmung in Hinblick auf Ge-
25 gebenes, also der zur Wahrnehmungstendenz herabgesetzten, die
Urteilstendenz etc. Das Scheinurteil ist natürlich Impression.

1 Vor dem Gleichheitszeichen eröffnete Husserl später eine eckige Klammer und
bemerkte am Ende des Satzes: "Durch die weiteren Untersuchungen widerlegt, eben-
so das Weitere". - Anm. d. Hrsg.
Nr.5

<ERINNERUNG UND ITERATIONEN DER


ERINNERUNG. MODALE CHARAKTERE
UND APPARENZEN>
5 <wohl 1909>

Überlegen wir jetzt das Bewusstsein Erinnerung. Es ist


als unmodifiziertes Bewusstsein "Empfindung" oder, was das-
selbe, Impression. Oder deutlicher: Es mag Phantasmen ent-
halten, aber es selbst ist- nicht phantastische Modifikation zu
10 einem anderen Bewusstsein als entsprechender Empfindung. Es
ist darin aber enthalten eine Apparenz. Ich erinnere mich
eines Vorganges: In der Erinnerung ist die Phantasie-Apparenz
des Vorganges enthalten, de'r mit einem apparierenden Hinter-
grund erscheint, zu dem jedenfalls ich-selbst gehöre. Diese ge-
lS samte Apparenz hat den Charakter einer Phantasie-Apparenz.
Aber einen Glaubensmodus, der die Erinnerung charakterisiert.
Wir können dann Erinnerung selbst in die Phantasie setzen:
Erinnerung ir. der Phantasie und dann weiter Erinnerung in der
Erinnerung: Ich lebe in einer Erinnerung, und es taucht die
20 Erinnerung auch auf, "dass ich mich an das und das erinnert
habe". Ebenso Erinnerung in Phantasie, ich phantasiere, dass
ich mich erinnere. Dabei finden wir zwar das Modale der Erin-
nerung in entsprechendes Phantasma verwandelt, aber die Ma-
tE'de der Erinnerung, die Erinnerungs-Apparenz ist selbst nicht
25 weiter modifiziert, sowenig sich die in ihr enthaltenen Phantas-
men weiter modifiziert haben. Ein Phantasma zweiter
S t u f e gib t es nie h t. Und die ganze, die Materie der Erin-
nerung ausmachende Erinnerungs-Apparenz ist Phantasma und
erfährt auch weiter keine Modifikation.
230 TEXT NR. 5 (1909)

Habe ich dann weiter eine Erinnerung an eine Erinnerung, so


taucht im Zusammenhang eines Erinnerungsprozesses, d.h. eines
Bewusstseins, in dem Phantasie-Apparenzen im qualitativen
Modus der Erinnerung dastehen und ablaufen, eine "modifi-
5 zierte" Erinnerung auf. Dabei ist im wesentlichen dasselbe zu
sagen wie vorhin. Der qualitative Modus der schlichten Erinne-
rung ist ersetzt durch "Erinnerung an Erinnerung", d.h. ich
habe ein Erinnerungsphantasma im qualitativen Modus der Er-
innerung (in eins gehend mit dem des ganzen Erinnerungspro-
lO zesses). Aber das Erinnerungsphantasma ist Erinnerungscha-
rakter von, gegründet auf eine Phantasie-Apparenz. Und diese
ist bei der schlichten Erinnerungs-Erinnerung identisch die-
selbe.
Sagt man, es sei das Charakteristische der Erinnerung gegen-
15 über all dem, was ihren Inhalt ausmacht, dies, dass eine Auffas-
sung da sei, welche dem Beziehung gebe zur aktuellen Wahr-
nehmungswirklichkeit, so steckt darin jedenfalls Richtiges; aber
das ändert nichts an dem Gesagten. Dann haben wir bei dieser
Auffassung selbst zu unterscheiden Inhalt und Glaubensmodus.
20 Die Auffassung ist natürlich bei der schlichten Erinnerung; die
ich etwa jetzt habe, und der Erinnerungs-Erinnerun~, welche die
erinnerte Erinnerung auf ein erinnertes Jetzt als Aktualitäts-
punkt bezieht, eine verschiedene. Aber die Hauptsache ist hier,
dass die Apparenzen (die wir ganz intuitiv nehmen, eben als Er-
25 scheinungen) keine Modifikation erfahren können. Und dasselbe
wird gelten vom Inhalt der Erinnerungsauffassungen, die den
Apparenzen Beziehung auf das Jetzt geben: die natürlich nicht
voll anschaulich sein werden.
Soweit dürfte alles in Ordnung sein.
30 Nun aber die Frage, wie es mit dem Zusammenhang
zwischen modalen Charakteren und Apparenzen
steht. Bei der Erinnerung sehen wir, dass z.B. der Modus des
"Glaubens", der die Erinnerungs-Apparenz charakterisieren soll,
nicht ein leeres Moment "Setzung" ist. Es gehört doch zum We-
35 sen der apparierenden Vorgänge oder Dinge als Erinnerungs-
vorgängen, dass sie einen Hintergrund haben, auf den sich der
Glaube bezieht, und dass der Glaube den speziell als erinnert be-
zeichneten und erscheinenden Vorgang auf das aktuelle Jetzt
bezieht, als Relationspunkt für die Vergangenheit. Wir könnten
TEXT NR. 5 (1909) 231

sagen, das Aktualitätsbewusstsein, dessen Ausstrahlungspünkt


das Jetztbewusstsein ist, ist in gewisser Weise einig mit dem Er-
innerungsbewusstsein, bildlich gesprochen: Es strahlen von dem
Jetzt zu dem Vorgang und umgekehrt Intentionen hin und her
5 und stützen' sich. Und ist ohne das Erinnerung als solche mög-
lieh? Nun ist nicht jedes Erinnerungsbewusstsein (im weitesten
Sinn) Vergangenheitsbewusstsein. Ich erinnere mich an den
Roons: der Roons, der als jetzt seiend, aber bloss vergegen-
wärtigt dasteht. Aber den Zusammenhang haben wir auch hier.
10 Sollte es ein Setzungsbewusstsein aufgrund einer Phantasie-Ap-
parenz geben, ohne solchen Zusammenhang? Ich kann natürlich
eine unbestimmte Erinnerung haben, sofern ich die Erscheinung
nicht in vertrauter Weise einordnen kann, in unbestimmter Weise
da" blosse Bewusstsein "gewesen" haben. Ebenso kann ich das
15 blosse Bewusstsein "bekannt" haben, als Bewusstsein, dass ein
Gegebenes etwa der Wahrnehmung zugleich in unbestimmter
Weise Erinnertes ist, also dasselbe wie ein Gewesenes (Wieder-
erkennen). K~nn auch ein auftauchendes Phantasiebild den blos-
sen Charakter "bekannt" haben? Natürlich. Ich phantasiere vor
20 dem Schlafengehen, allerlei bald klare, bald schattenhafte Ge-
sichter erscheinen, und nun erkenne ich eins als einen Seemann,
den ich in Helgoland einmal sah; und den anderen als einen
Kopf, den ich von einem Bild lier kenne. Ja sogar, dessen ich
mich erinnere: den ich schon wiederholt phantasiert hatte.
25 Aber immer ist es nicht eine leere Setzung, sondern es ist eine
Auffassung, die das "Bild" als Glied einer raumzeitlichen Um-
gebung fasst und dies in bestimmter oder unbestimmter Weise
der "Welt" einordnet. Aber freilich mag man sagen: Es ist eine
Auffassung, die die Auffassung der ausgezeichneten Apparenz
30 umspannt, ihr den Modus des Glaubens gibt, und dieser Glaube
mit diesem Auffassungsgehalt, und seiner jeweiligen Bestimmt-
heit und Unbestimmtheit, fordert, wenn er gültig sein soll, eine
Ausweisung, und diese Ausweisung führt dann dem Wesen des
Phänomens gemäss auf die eine "Welt" und Wirklichkeit, und
35 jedenfalls auf das Jetzt und Ich. Ist aber nicht jederzeit eine ver-
borgene, verworrene Einheit der Erinnerungssetzung mit der
Aktualitätssetzung des Ich vorhanden? Und nicht doch notwen-
dig vorhanden?
Nun muss man aber einen Zweifel erwägen.
232 TEXT NR. 5 (1909)

W~r haben Empfindung und Phantasma gegenübergestellt,


und jedes Bewusstsein ist Empfindung, und jedes hat seine Modi-
fikation in Phantasma. Aber das Pharttasiebewusstsein wie das
Erinnerungsbewusstsein etc. ist doch selbst ein gegenwärtiges
5 Bewusstsein, ist doch selbst Empfindung, kann innerlich wahr-
genommen, kann zeitlich eingeordnet, als im Jetzt erlebt be-
zeichnet werden etc. Es kann ferner auch erinnert werden, auch
phantasiert werden: Ich phantasiere eben, dass ich phantasiere.
In jeder Erinnerung einer Erinnerung haben wir ja' zugleich
10 Phantasie in der Phantasie. Ebenso in Erinnerung an eine Phan-
tasie. Ich erinnere mich eben an den vorhin phantasierten See-
mannskopf bzw. an die vorhin gehabte Kopfphantasie. Und die
Apparenz "Kopf" ist dabei immer wieder dieselbe. Ich habe
jetzt mein Wahrnehmungsbewusstsein und im Zusammenhang
15 desselben die Kopfphantasie. Sie ist ein Bewusstsein, wenn auch
ein modifiziertes, ein Phantasiebewusstsein, und gehört in den
Zusammenhang des Gesamtbewusstseins im Jetzt.
Ich erinnere mich später: Das frühere Gesamtbewusstsein
(mehr oder minder unklar) ist jetzt in modifizierter Weise als
20 Phantasma, und im Charakter der Erinnerung etwa, da (wenn
nicht als blosse Phantasie), und in dessen Zusammenhang tritt
nun die frühere Apparenz auf, das frühere Phantasiebewusstsein,
aber nicht so, dass jetzt alles in einer Reihe stände. Das Phanta-
siebewusstsein, des Kopfes dasselbe und das Aktualitätsbewusst-
25 sein, in das es sich einordnet, modifiziert in Phantasie. (Dann ge-
hörte der Kopf in die frühere akt u e 11 e Wirklichkeit!) Das
Phantasiebewusstsein ist selbst wieder modifiziert, 0 b s c h 0 n
nach der Modifikation wieder eine Phantasie-Apparenz in ihm ge-
geben ist. Wie ist das zu verstehen?
30 Sollen wir sagen: Zu jedem Bewusstsein gehört als lebendigem
Bewusstsein (Erlebnis) Einordnung in das Gesamtbewusstsein
mit seinem Jetzt? Diese Einordnung ist etwas Reelles und das be-
treffende Bewusstsein (den betreffenden "Akt", hier den Phanta-
sieakt) charakterisierend. In der Wiedererinnerung haben wir
35 das Ganze "wiedererinnert", und mag jetzt alles da den Phanta-
siecharakter haben, so ist der Zusammenhang einer, und in ihm
bezieht sich die Erinnerung auf das Phantasiebewusstsein des
Kopfes vom Seemann in dieser Einordnung. Was die anderen
Glieder anlangt, auf das Wahrnehmungsbewusstsein, Urteils-
40 bewusstsein etc.
BEILAGE XXIV 233

Wie kann ich mich aber unterschiedlich erinnern an eine Wahr'-


nehmung und an eine gleichzeitige Phantasie, da, wenn ich jetzt
Erinnerung vollziehe, die Wahrnehmung selbst modifiziert ist
und die Phantasie auch, aber die Wahrnehmung ist jetzt ver-
S treten durch eine Phantasie, die Phantasie aber ist schon ohnehin
Phantasie gewesen; was kann sie jetzt anderes sein? Also habe
ich jetzt keinen'Unterschied: beiderseits Phantasie.
Es ist klar, dass sich die Phantasie auch modifiziert, und genau
in dem Sinn wie die Wahrnehmung. Und doch: Sind phanta-
10 sierte Phantasien nicht eben wieder Phantasien?

BEILAGE XXIV
<DIE ERSCHEINUNG ENTWEDER WAHRNEHMUNGS-
ODER PHANTASIEERSCHEINUNG ALS MATERIE DER
SETZUNG UND DER ZEITAUFFASSUNG>
15 <wohl 1908>

Der Wahrnehmung l wird gegenübergestellt die Phantasie2, doch


haben wir hier eine Fülle von schwierigen Modifikationen.
Die lebendige Wahrnehmung mit ihren in die Tiefen des unmittel-
baren Vergangenheitsbewusstseins zurücksinkenden Phasen. Das
20 "frische", primäre Erinnerungsbewusstsein, das sich an die Wahr-
nehmung (die just vorüber ist) anschliesst. Die wieder vergegen-
wärtigende Erinnerung (reproduktive mit ihren reproduzierten Ver-
gangenheitsphasen).3 Die vergegenwärtigende Vorstellung eines
dauernd Seienden und .als zur Mitgegenwart gehörig Vorgestellten
25 (z.B. die Vorstellung des Roons, nicht die Erinnerung an den gewe-
senen). Die abbildende Vorstellung eines gegenwärtig oder vergangen
Seienden, oder künftig Seinwerdenden. Die einfache Phantasievor-
stellung usw. 4
Durch alle diese Modifikationen und Darstellungen5 geht hindurch
30 das darauf gebaute Wesensbewusstsein.
Aber scheiden wir das Wechselnde gegenüber <dem> für die Wesens-

1 Von hier bis "Wesensbewusstsein" (unten, Zeile 30) wurde der Text später kreuz-
'><"lSe durChgestrichen. _ Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefugt: "zu Zwecken der 'Wesens'erfassung". - Anm. d. Hrsg.
3 Z.B." Wiederholung" eines eben gehörten und noch "erinnerten" Taktes .
.4 ."Die einfache Phantasievorstellung usw." nachträglich gestrichen; wohl gleich-
~lhg mit dieser Streichung fügte Husser! ein: "Und alle zugehörigen Modifikationen.
t nd alle diese Wahrnehmungen, Erinnerungen, Verbildlichungen bzw. ihre phanta-
~~schen MOdifikationen können Wahrnehmungen, Erinnerungen etc. von demselben
e
5 ,en' sein, von derselben Materie der 'Erscheinung' ". - Anm. d. Hrsg.
"Darstellungen" nachträglich verändert in "Impressionen". - Anm. d. Hrsg.
234 BEILAGE XXIV

schauung allein in Frage Kommenden, so bleibt doch nur übrig die


"Erscheinung"l. Die Erscheinung ist entweder Wahrnehmungs_
erscheinung oder Phan tasieerscheinung (falls man mit den
zwei ausreicht) 2. Z.B. in der Wahrnehmung, in der Halluzination und
5 Illusion, in der Bildvorstellung3 finden wir Wahrnehmungserschei_
nungen, in der "biossen" Phantasie, in der Erinnerung, Erwartung,
vergegenwärtigenden Vorstellung jeder Art, die nicht aktuell verbild-
lichende ist, Phantasieerscheinungen als Materie der Setzung und
auch der Zeitauffassung.
10 Schliesslich kommen wir also auf Erscheinungen und diesen Grund-
unterschied der Erscheinungen zurück. In ihnen erscheint der Gegen-
stand als der und der, und der so erscheinende Gegenstand ist eben
der4 so und so geartete, wir können auf das Wesen blicken unter Ab-
sehen von Existenz oder Nicht-Existenz und von Zeitlichkeit, ebenso
15 auch von der Stelle in der Räumlichkeit (wirklicher Raum).
Dann kann aber auch die Wesensbetrachtung sich richten auf die
Dauer, auf den Gegenstand in und mit seiner Dauer, auf die Zeitgestalt
bei zeitlich sich mannigfach gestaltenden Objekten (Vorgängen), auf
die räumliche Konfiguration etc.
20 Dann kommt wieder in Frage die Erscheinung des dauernden Gegen-
standes (Gegenstand in seiner Dauer, Gegenstand in seiner Zeitgestalt
etc.). Und die Akte sind: Wahrnehmung der zeitlichen Gegenständ-
lichkeit in ihrer Zeitgestalt, Erinnerung, Abbildung, Halluzination,
biosse Phantasie.
25 Was sind diese "Erscheinungen"? Z.B. die dauernde Wahr-
nehmungserscheinung (bzw. das dauernde Erscheinen dieses Baumes
in der Wahrnehmung) stellt mir den so und so erscheinenden Baum
als solchen dar. Die dauernde Bilderscheinung eines völlig gleichen
Baumes enthält- "dieselbe Erscheinung". 5
30 a)6 Ein Wesen, ein phänomenologisches Aktwesen ist beiderseits
gemein, obschon einmal die Erscheinung (das Erscheinen) im Modus
der unbestrittenen Wahrnehmungsintention, der unbestrittenen Glau-
bensintention erlebt ist, das andere Mal im Modus der bestrittenen7
Glaubensintention, auf die sich, wenn ich "den Baum" für wirklich
35 halte, noch ein Bildlichkeitsbewusstsein, eine verbildlichende Inten-

1 über "Erscheinung" später eingefügt: "Apparenz". - Anm. d. Hrsg.


a Nach "ausreicht" etwas nachträglich ein Fragezeichen eingefügt und nach der
Klammer: "Man könnte nämlich sagen:" - Anm. d. Hrsg.
3 Vor in der Bildvorstellung" hat Husserl etwas ausradiert, nach "in der Bild·
vorstelIu::g" etwas nachträglich ein Komma und das Wort "andererseits" ein~efügt.
Diese Einfügung dürfte aber keinen Sinn geben; "andererseits" wäre wohl richtIg erst
nach "Wahrnehmungserscheinungen" einzufügen. - Anm. d. Hrsg.
4 Etwas nachträglich eingefügt: "intuitiv". - Anm. d. Hrsg.
5 Dazu das Wesen" das dasselbe ist unabhängig von der Zeit· und RaumsteIle.
6 Zu Begin~'dieses Absatzes etwas nachträglich eingefügt: "Phansisch". - Amll.
d. Hrsg.
7 Später eingefügt: ,,(fingierenden)". - Anm. d. Hrsg.
., lf

BEILAGE XXV 235

tion richtet. Das Scheinbaum-Bild "des" wirklichen Baumes. In dem


Scheinbaum schaue ich den wirklichen, sein Original an.
Der illusionäre Akt und der schlichte Wahrnehmungsakt ist von
gleichem Wesen - worin? Nun darin, dass sich dasselbe von derselben
5 Seite darstellt, nur einmal unbestritten, das andere Mal "aufgehoben".
b) Die Erscheinung im ?bjektive~l ~inn, der objektive Sinn: das
Erscheinende als solches, mcht als eXIstierendes, sondern als das Iden-
tisch Gemeinte als solches.
Nehmen wir dazu eine Phantasie (eine schlichte Modifikation der
10 Wahrnehmung) oder eine Erinnerung, so kann das Gemeinte als solches
dasselbe sein, also das Wes endes "intentionalen Gegenstandes".

BEILAGE XXV
<IN ERINNERUNG, ERWARTUNG, FREIER PHANTASIE
EIN IDENTISCHES ALS KERN, ALS ERSCHEINUNG SICH
15 ABHEBEND; FRAGE NACH EINEM TERMINUS DAFÜR>
(vor 1900, <modifizierte> Abschrift <wohl um 1909»
,
a
Die Ver g n gen 11 e i t kann ich im gewöhnlichen Wortsinn e r-
innern, ich kann mir auch von ihr eine bildliche Vorstellung
machen, nämlich nach einer Beschreibung mir von ihr eine Vor-
20 stellung machen, ferner nach Skeletten etc. Ich mache mir nach einer
Beschreibung eine Vorstellung von dem Attentat auf die Königin
Elisabeth. Diese letztere Vorstellung ist in Beziehung auf die Ver-
gangenheit in eine Linie zu stellen mit der Vorstellung, die ich mir von
einer Gegenwart, einem gegenwärtigen Ding und Vorgang, dessen ich
25 mich nicht erinnere, nach einer Beschreibung mache.
Die Erinnerung ist di.rekte Vorstellung vom Vergangenen, ähn-
lich wie die Wahrnehmung direkte Vorstellung von Gegenwärtigem
ist. Direkte. Was heisst das? Das geht doch nicht beiderseits in glei-
:hem Masse zu messen: Wahrnehmung ist Impression. Die Erscheinung
30 1st unmodifizierte Erscheinung. Darin liegt wohl schon, dass auch der
Glaube, da ist, unmodifiziert ("Hinweis" auf den Zusammenhang). In
der Ennnerung ist die Erscheinung modifizierte Erscheinung, der
G,laube modifizierter Glaube, das ganze Phänomen Modifikation. Aber
dIese Modifikation ist nicht diejenige, die wir als blosse Vorstellung zu
35 bezeichnen pflegen.
" Freilich, hier bedarf es immer wieder der Beispiele und der Analyse
an lebendigen Anschauungen. Was ich gewöhnlich als "blosse Vor-
~tellung" finde, das sind Erscheinungen im Zusammenhang von Er-
4 I~nerungserscheinungen, z,B. ich denke mir, wie gut es wäre, wenn ich
o dIe und die Veränderung an, meinem Schreibtisch machen liesse. Ich
1 Etwas nachträglich eingefügt: "ontisch<en>". - Anm.. d. Hrsg.
236 BEILAGE XXVI

stelle mir das vor, wie Tischler' hereinkommen, das Möbelstück um-
legen etc. Da habe ich mein erinnertes Zimmer und im Zusammenhang
dieser Erinnerungsanschauung nur eine Erscheinung, die "nicht hin-
eingehört" , die mit der Erinnerung streitet, mit dieser und mit dem
5 zeitlichen Zusammenhang, in dem mein Zimmer seit Bau des Hauses
sich auseinanderlegt. Also ganz so wie beim perzeptiven
Bilde. Wo sind nun Beispiele von absolut freien Phantasien? Steckt
nicht mindestens mein Ich dabei? Und dieses Ich hat doch zu-
gleich seinen Erinnerungs- und Wahmehmungszusammenhang und
10 somit überall dieselbe Sachlage. Komme ich also wieder darauf zu-
ruck, dass alle Vorstellung bildliche ist?
Oder vielmehr, kommen wir nicht auf den Unterschied zurück: Im-
pression und Idee, sowohl bei den Empfindungen wie bei den Auf-
fassungen, kurz bei den Erscheinungen, dann wieder bei den Auf-
15 fassungen im neuen Sinn, l dem als Bild Fungieren ... ? Also wir haben
zu revidieren.
Jedenfalls scheint sich in Erinnerung, Erwartung, freier Phantasie
(Phantasie innerhalb eines Erinnerungshintergrundes und angeblich
absolut freie Phantasie) ein Identisches als Kern, als Erschei-
20 n ung abzuheben. Dieselbe Erscheinung erinnerungsmässig, phan-
tasiemässig etc. Diese Erscheinung kann aber nicht P h a nt a s i e-
erscheinung heissen, warum nicht 2 Erinnerungserscheinung ? Eins und
das andere ist gleichberechtigt. Also brauchen wir einen neuen Ter-
minus.

25 BEILAGE XXVI
NOTEN. PROBLEMATA. <DER "ÜBERSCHUSS ÜBER DIE
ERSCHEINUNG" ZUR UNTERSCHEIDUNG BEI DEN
NICHTPERZEPTIVEN ERSCHEINUNGEN>
<wohl 1909>

30 1) "Sinnliche Anschauungen". Was soll das Charakteristische sein ?


Ich habe in den Göttinger Vorlesungen unterschieden t r ans i e n t e
(transzendente) und immanente Anschauungen. Kreuzt sich eine Ein-
teilung der Anschauungen in sinnliche und nichtsinnliche mit dieser?
Also immanente Anschauungen "sinnliche" (Ton: immanent genom-
35 men) und nichtsinnlich : immanente Anschauung eines "Aktes".
In den Logischen Untersuchungen hatte ich die Unterscheidung der
Inhalte" in primäre und Aktcharaktere, aber das alles,;>bedarf
11
neuer Untersuchung aus dem letzten Grund. Was ist ,,Inhalt' . .
2) Das Problem des Verhältnisses zwischen perzeptivem Erlebms
40 (darin perzeptiver Erscheinung) und imaginativer Erscheinung (blos-
1 Später eingefügt: "d.h.". - Aum. d. Hrsg.
2 Später eingefügt: "ebeusogut". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXVII 237

ser Phantasieerscheinung) und weiter Erinnerungserscheinung. Auen


Erwartungserscheinung. Die Erscheinung, könnte man sagen, sei bei
allen nichtperzeptiven Erscheinungen (Anschauungen) dieselbe. Der
Unterschied liegt in einer anderen Dimension, in etwas, was über die
5 Erscheinung hinausgeht.
3) Die Probleme, welche den "Überschuss über die Erscheinung"
betreffen. Zunächst der Charakter der "Setzung" und die parallelen
Charaktere, die unter dem Titel Nichtsetzung stehen. Oder ist Setzung
ein allgemeiner Charakter, der Glaube, Unglaube, Zweifel, Anmutung
10 etc. betreffen müsste, und daneben die zu ihnen allen gehörigen Modi-
fikationen: Impression - Idee?
I'

BEILAGE XXVII
<DIE MÖGLICHKEIT DER ABSTRAKTIVEN SCHEIDUNG VON
AUFFASSUNG (ERSCHEINUNG) UND QUALITATIVEM MODUS>
15 <wohl 1909 oder 1910>

Ergänzend i!~t noch folgendes anzumerken.! Man nennt oft Erin-


nerung eine Pl;lantasie, auch spricht man davon, dass man sich hinein-
phantasiere in das Zimmer einen Zentauren, man kann sich in die ge-
gebene Wirklichkeit "alles mögliche" hineinphantasieren. Man nennt
20 andererseits auch ein Bild, eine Illusion ein "Gebilde der Phantasie".
Zunächst mit Vorliebe spricht man von Phantasie da, wo eine aus
Phantasmen gebaute "Phantasie-Erscheinung" gegeben ist. Eine Er-
innerungserscheinung mag Bewussfsein "wirklicher" Vergangenheit
sein, zunächst ist sie "Phantasieerscheinung" . Ein Bewusstsein des
25 gleichsam Daseienden, eine Modifikation einer Wahrnehmung, und
zwar einer sinnlichen Wahrnehmung liegt vor. Nun bedenken wir:
Wir können vom modalen Charakter abstrahieren. Wir können dem
Illusionären, also dem Nichtigkeitsbewusstsein entgegen und darum
unbekümmert bei einem Bild von einer "Wahrnehmung", Wahrneh-
30 mungserscheinung sprechen: Es ist eine impressionale Auffassung auf-
grund von Empfindungen, vom Glaubensmodus abgesehen, und von
evtl. darauf gebauten weiteren Intentionen. In abstracto können wir
also Erscheinung (Auffassung) und Modus, nämlich den qualitativen
~odus, scheiden. Und nun Wahrnehmungserscheinungen und Phanta-
35 sIeerscheinungen gegenüberstellen. Wie ist nun die "Phantasieerschei-
nlt'ng" .imaginative Modifikation der Wahrnehmungserscheinung?
Doch mcht nach seiten der qualitativen Momente, die ja hier nicht in
Frag.e. sin~. Andererseits, muss nicht hier von einer durchgehenden
ModlllkatlOn gesprochen werden? Den Empfindungen entsprechen
1 Der Text dieser Beilage bis" ... so ginge der doch diese imaginative Modifika-
hon filchts an" (unten, S. 238,5) ist im Manuskript kreuzweise gestrichen. - Anm .
d . Hrsg.
238 BEILAGE XXVIII

Phantasmen, aber auch die Auffassungen sind beiderseits in demsel-


ben Verhältnis modifiziert, abgesehen vom Glaubens-Modus.
Angenommen nun, es wäre auch so, dass Erscheinung in diesem
Sinn notwendig einen qualitativen Modus verlangte, so ginge der doch
5 diese imaginative Modifikation nichts an.
Nun wird man weiter einwenden können: Wenn wir nun Modi da-
zunehmen, so können die freilich auch phantasiemässig modifizierte
sein. Jeden Modus des Glaubens, Zweifels, der Neigung etc. kann ich
mir in der Phantasie mit den entsprechenden Motivationsstrahlen da-
to zu vorstellen. Aber das macht nicht die Phantasieerscheinung als sol-
che aus, die vielmehr identisch dieselbe bleiben kann, wie immer diese
Sachen dazu laufen mögen. Und sollte nicht eine pure Phan-
tasie möglich sein als pure Phantasieerscheinung
ohne j edel Glaubensmodi? Vor allem, geht nicht daraus her-
t5 vor, dass sich ein Ding imaginieren nicht so viel heisst wie quasi wahr-
nehmen im Sinn von quasi glauben? Vielmehr von quasi wahrnehmen
im Sinn <von> die Modifikation einer impressionalen "Erscheinung"
haben,2 wie ich es ja im Bild habe ohne Glauben.3 Also ist nicht immer
der Glaube mitimaginiert und ebensowenig ein bestimmter anderer
20 Modus. 4 Sich ein Haus einbilden heisst nicht, sich implizite die Wahr-
nehmung eines Hauses einbilden. Wenn Wahrnehmung eben der
Glaubensakt ist. Anders ist es wohl in der Erinnerung, die in der Tat
nicht nur die Einbildung und einen aktuellen Glauben dazu bietet,
sondern die Wahrnehmung im vollen Sinn imaginativ bietet und dazu
25 jene Glaubensintentionen, die zum aktuellen Jetzt hinführen.
Somit muss ich noch einmal alles durchdenken und sehe wieder
die andere Möglichkeit bevorzugt, wonach wir "Auffassung" (Er-
scheinung) und Modus als relativ zu Sonderndes ansehen müssen.

BEILAGE XXVIII
30 BILDAPPARENZ <PHANTASIEAPPARENZ UND DIE FRAGE
DER "EINORDNUNG IN DEN ZUSAMMENHANG
DER ERFAHRUNG">
<wohl 1912 oder etwas später>

Diese Apparenz besteht aus einem einstimmigen intenti?nalen


35 Komplex. Umgebungsintentionen. Diese in Widerstreit nut der
übrigen Wahrnehmung. Die Apparenz, die die Bilderscheinung aus-
1 Etwas nachträglich eingefügt: "sei es unmodifizierten oder modifizierten". -
Anm. d. Hrsg. .
2 So wie eben eine "Dingwahrnehmung" (Impression) (als impressionale Erschel-
nung verstanden) haben nicht heisst, es wirklich wahrnehmen.
8 Der Satzteil "wie ich es" bis " Glauben" etwas nachträglich gestrichen. - Anm.
d. Hrsg.
4 Aber doch wohl irgendeiner !
BEILAGE XXVIII 239

macht, bleibt in sich einstimmig; aber sie mit ihrem Bildraum erhäit
den Charakter des Nichtigen. Evtl. stellt die Bildapparenz vermöge
symbolischer Intentionen einen anderen Gegenstand dar. Diese In-
tention kann den modalen Charakter des Glaubens etc. haben, oder
5 auch der biossen Vorstellung.
Kann nicht eine Bildapparenz genau so, wie sie ist, ohne jeden
Widerstreit auftreten? Oder vielmehr, dann ist sie ja keine Bild-
apparenz. Also sagen wir besser, eine perzeptive l Apparenz hat den
Charakter eben der Perzeption, und das ist modal der Charakter des
10 Glaubens" (Wahrnehmung). Und damit hat die Apparenz auch ihre
Glaubensumgebung, das Erscheinende seine Einordnung in die Wahr-
nehmungswelt (vom Wahrnehmungsgegebenen allseitig sich fort-
erstreckend). Eine illusionäre Apparenz hat in diese selbe Welt ihre
Einordnung durch Widerstreit. Aber ist nicht eine Apparenz denkbar,
15 die gar keine Einordnung in die Welterscheinung hat, die keinen
Modus des Glaubens oder der Illusion oder auch des Zweifels hat, etwa
im "Wettstreit" mit einer anderen Apparenz usw. ?2Z.B. wenn wir im
Dunkeln willkürlich eine visuelle Halluzination erzeugen könnten und
wenn dabei alle anderen Sinnesauffassungen des in den anderen Sinnes-
20 feldern Empfundenen zu dem fIalluzinierten ohne intuitive Beziehung
wären. Derart, /dass eine "Erscheinung" vorschwebte ohne jedes Be-
wusstsein der einordnenden Wirklichkeit, ebenso aber auch ohne
Bewusstsein der durch Widerstreit mit der Wirklichkeit doch auf sie
bezogenen Nichtigkeit, ebenso jeder andere Modus des Glaubens, der
25 ihr Stellung gäbe zur Welt und dem Ich. Dem nähern wir uns an,
wenn wir irgendeine impressionale Apparenz etwa im Stereoskop
sehen, aber ohne zu beachten, was z,ur Kastenwahrnehmung etc. ge-
hört.
Oder wenn wir uns sonst ein visuelles Bild denken, das das ganze
30 visuelle Gesichtsfeld ausfüllt, während wir, im visuellen Wahrneh-
men ganz lebend, auf die übrigen Sinnesfelder nicht achten. Aber
freilich da bleibt doch immer so viel übrig, dass eine Nichtigkeits-
charakterisierung hängen bleibt.
Dass es Empfindungskomplexe ohne jede Einordnung geben kann,
35 ohne Auffassung als Apparenz, die Einordnung vollzieht, das erweist
m~in Erlebnis ("Finger - im Mund"), das ist eine Gegebenheit, die
k~me "Wirklichkeit" ist und keine repräsentiert. Aber wichtiger ist
dIe Frage, ob nicht eine Apparenz gegeben sein kann in der beschrie-
benen Weise, also in genauer Analogie zu einer "reinen Phantasie".
40 .~I'. der reinen Phantasie haben wir auch eine Apparenz, eine
Phantasieapparenz, ohne jede Beziehung zur Aktuali tä t. Ich bin
~atürlich da und habe meine Einordnung in die Wirklichkeit, die ich
]~ auch fo~tdauernd wahrnehme, nur ohne auf sie gerade zu achten.
Aoer zugleIch habe ich das "Bild", die Phantasieapparenz, und diese

~ Spdter emgefügt: "impressionale". - Anm. d. Hrsg.


Aber trifft das nicht ohne weiteres für das ästhetische Bild ein?
240 BEILAGE XXVIII

ist gegeben ohne jeden Widerstreit mit der Wahrnehmungsapparenz


die den Boden der Aktualität liefert, ohne jede Beziehung zu ihr durch
irgendwelche verbindende Intentionen und Glaubensmodi. Auch das
Bild erscheint nicht positiv als nichtig (als illnsionär, als streitend), es
5 fehlt jeder Charakter der Setzung (der sich ausznweisen hätte durch
Erinnerungszusammenhänge bzw. analoge Setzungszusammenhänge
endend in aktneller Wahrnehmung). '
Bei einer pnren Phantasie ist keine Rede davon, dass irgendeine
Beziehung zur Erinnerungswelt vorliegen müsste, also das Phantasie-
10 erscheinende, das Geträumte eine negative Setzung erfahren müsste.
Allerdings können wir da jederzeit sagen, das ist blosse Einbildung.
Genan besehen aber fehlt nur der letzte Grund, dergleichen für seiend
oder gewesen seiend zu halten. Positiv könnten wir nur eine vage
Überschau über unser Leben vollziehen und sagen, im ganzen Feld
15 meiner Erinnerung, soweit ich es zur Überschan bringen kann, finde
ich nichts dergleichen vor. es ist nirgends einzuordnen.

Scheinobiekte ohne intuitiven Widerstreit: Glaubensenthaltung1


Und weiter nehmen wir an, dass wir aus einem völlig verdnnkelten
Raum in ein Stereoskop sehen und ausser der Scheinobjektwelt nichts
20 von der wirklichen Welt sehen, und dass die Aufmerksamkeit von den
anderen Sinnesfeldern, besonders dem Tastfeld, abgelenkt ist, dass
jedenfalls nichts da ist, was diese Bilder da als Trugbilder visuell,
wahrnehmungsmässig ausweisen könnte. 2 Nur leise Regungen mög-
lich. Übrige bliebe etwa ein Wissen, indirekte Intentionen, es handle
25 sich hier um eine Darbietung von "Bildern".3 Haben wir dann nicht
ein volles Analogon von reinen Phantasievorgängen, reinen Phantasie-
gestaltungen? Jene erscheinen im Jetzt, als Gegenwärtigkeiten. Diese
aber erscheinen als Nichtgegenwärtigkeiten. Und wie verhält es sich
dabei mit den Intentionen? Sie sind da, aber modifiziert. Es fehlt
30 etwas an der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung".

J '

1 Oder Glaube durch Wissen aufgehoben. . .


2 NB: Es sollen nicht Bilder von wirklichen Objekten, sondern reine SchembIider
gezeigt werden.
S (aber nicht abbildenden von Landschaften der Wirklichkeit).
Nr.6

ERINNERUNG UND PHANTASIE.


<GLAUBENSMODIFIKATION GRUNDVERSCHIEDEN
VON MODIFIKATION DER IMPRESSION IN
5 REPRODUKTION. APORIEN: WAS DENN
ERINNERUNG FüR EINE MODIFIKATION
ERFAHRE DURCH üBERGANG IN DIE
"BLOSSE PHANTASIE" >
<wohl erste Hälfte> (1909)

10 Wahrnehmung eines Dinges, Bilderscheinung (Scheinbild-


bewusstsein), aber hierher gehört auch das Schwanken, die Zwei-
felsnehmung "Bild oder Mensch".
Hier ist es klar: Der Unterschied zwischen Wahrnehm ung
und F i k t ion besteht nicht darin, dass wir dieselbe Empfindung
15 beiderseits haben und denselben Auffassungssinn, aber so, dass
die Auffassung derselben Empfindung einmal impressionale Auf-
fassung und das andere ,Mal modifizierte wäre im phantastischen
Sinn. Man möchte ja freilich sagen: Bei der Fiktion habe ich nur
eine Phantasie, das Objekt ist nur ein Phantasieobjekt, und das
20 erklärt sich so, dass ich zwar Empfindung als Unterlage habe,
aber sie phantasiemässig auffasse, als etwas nicht Gegenwärtiges,
sondern gleichsam Gegenwärtiges. l
...Denn: Das Objekt steht in der Tat als gegenwärtig da, selbst
und aktuell da, sogut wie bei der Wahrnehmung. Die Erschei-
25 nllng ist eine Gegenwartserscheinung, eine Wahrnehmungs-
erscheinung, genauso wie bei der normalen Wahrnehmung.
Also beiderseits ist, die, Erscheinung eine Impression. Aber ein-

1 Spater eingefügt: "Das ist nicht richtig:" - Anm. d. Hrsg


242 TEXT NR. 6 (1909)

mal ist die Auffassungsintention ungehindert, einstimmig im


System der aufeinander bezogenen Intentionen, und so hat die
Impression den Charakter der Einstimmigkeit.
Das andere Mal sind die Auffassungsintentionen gehemmt, auf-
5 gehoben, und in diesem Sinn modifiziert, und danach haben wir
den Charakter des Fiktums oder den Charakter des Widerstreits
zwischen zwei Auffassungsmöglichkeiten, Puppe oder Mensch
etc.
Also diese Modifikationen, welche Glauben (d.h. die Einstim-
10 migkeitscharaktere) in Unglauben, Zweifel verwandeln, sind
g run d ver s chi e den von den Modifikationen, durch die sich
Impression in Reproduktion verwandelt. Alle die ersteren Modi-
fikationen verlaufen innerhalb der Impression; normale Wahr-
nehmung, illusionäres Bildbewusstsein als Fiktion, schwanken-
15 des Wahrnehmungsbewusstsein sind Impressionen.
Wie steht es dann mit dem eigentlichen Bildbewusstsein,
nicht dem illusionären, sondern dem auf einem solchen sich auf-
bauenden dar s tell end e n Bewusstsein?
Po r t rät. Im Bildbewusstsein repräsentiert sich mir ein Ori-
20 ginal, im Fiktum, durch dasselbe vergegenwärtige ich mir ein
anderes, Nichterscheinendes. Wir haben hier aber noch einen
zweiten Fall, oder deutlicher, wir haben zwei Fälle: Das Dar-
gestellte gilt als wirklich Seiendes oder wirklich Gewesenes (evtl.
auch Seinwerdendes) oder es ist eine "blosse Phantasie". Wie ist
25 das phänomenologisch zu beschreiben?
SoUen wir sagen, es gründet sich auf das Fiktumbewusstsein
ceinma:l eine weitere Intention vom Charakter der Erinnerung
(oder einem analogen Charakter) und das andere Mal eine Modi-
fikation derselben? Aber was für eine Modifikation? Es wird sich
30 da'erst fragen, was denn Erinnerung für eine'Modifi-
kation erfahre durch Übergang in die "blosse
P h a n t a sie" .

Erste Ansicht

Offenbar kann man nicht damit auskommen zu sagen: Es liegt


35 da zugrunde eine Phantasieerscheinung, nur einmal ist ein Mo-
ment des belief da und das andere Mal nicht. Sowenig wie man
etwa das illusionäre Bewusstsein von einem Fiktum gegenüber
TEXT NR. 6 (1909) 243

der Wahrnehmung damit beschreiben könnte, dass 'einmal Glaube


fehle und das ,andere Mal vorhanden sei.

Zweite Ansicht

Auch das geht nicht, dass man sagt: Die Phantasmen erfahren
5 einmal eine impressionale Auffassung und das andere Mal eine
reproduktiv modifizierte. (Und ebenso im anderen Fall: Die
Empfindungen erfahren einmal eine impressionale Auffassung,
das andere Mal eine modifizierte.)
Kann man I'überhaupt so sinnliches Material und Auffassung
10 trennen, dass sich jedes für sich phantasiemässig modifizieren
könnte? ,"
Man könnte da auf die Fälle hinweisen, wo wir etwa in eine
gegebene Erscheinung eine andere hinein phantasieren. Wie wenn
ich fiktiv die Hausauffassung ändere, aber so, dass das Empfin-
15 dungsmaterial unangetastet bleibt. Ich stelle mir etwa vor, da
sei nicht wirklich/das Haus, sondern eine Theaterkulisse u.dgl.
Da hätten wir mindestens einen Teil der Auffassungskomponen-
ten derart modifiziert, dass wir ihnen phantasiemässige unter-
geschoben hätten: Was das Unterschieben freilich heisst und wie
20 das ganze Beispiel näher zu analysieren ist, das ist noch die
Frage.

Dritte Ansicht

Es ist offenbar, dass wenn wir Erinnerung und Phantasie ver-


gleichen, wir vorsichtig in der Wahl der Beispiele sein müssen
25 und nicht als gleich behandeln, was nicht ganz gleich ist.
Z.B. Erinnerung eines auffliegenden Vogels und Phantasie
"desselben" = inhaltsgleichen Vogels in einer inhaltsgleichen
Phantasieumgebung. 1 Da haben wir beiderseits diesdben Er-
scheinungen (Einheit derselben Erscheinung, Hintergrund dazu-
30 gerechnet) und doclt nicht volle Gleichheit, derart, dass wir sagen
könnten, es komme einmal hinzu das Moment des belief und das
anderE' Mal fehle es oder sei es phantasiemässig modifiziert. Denn
wenn das eine Mal Erinnerung vorliegt, vermöge deren der Vor-

1 ad 1.
244 TEXT NR. 6 (1909)

gang als vergangener gilt, so ist dabei offenbar zu unterscheiden


1) der gleichsam ablaufende Vorgang, der da phantasiemässig er-
scheint, und 2) dasjenige, was ihn zum "Repräsentanten", zu
einer Wiedervergegenwärtigung eines eben vergangenen Vor-
5 ganges macht.
Ist dieser Unterschied nicht ganz analog demjenigen zwischen
Scheinbewusstsein und Bildbewusstsein ? Der Schein, das Fiktum
"gilt nicht für sich", in ihm repräsentieren wir, schauen wir reprä-
sentativ an ein anderes, d.h. es ist eine neue Intention da, welche
10 den Charakter einer "repräsentierenden" hat. So ist auch das
Phantasieerscheinende, der betreffende gleichsam ablaufende
Vorgang, Repräsentant für einen vergangenen, d.h. ein fundiertes
Bewusstsein ist da, und zwar eine impressionale Intention) die
auf einen Zusammenhang von Intentionen verweist, durch die
15 sich die Beziehung zum aktuellen Jetzt herstellt.
Der "Glaube" ist nicht Glaube an das phantasiemässig Er-
scheinende, sondern das Einstimmigkeitsbewusstsein, das zu der
repräsentativen Auffassung gehört. Sie ist ungehemmte Inten-
tion. Und zwar impressionale. Was aber die pure Phantasie an-
20 langt, die hier Unterlage bildet, so ist das eine Modifikation,
"Phantasmen in der und der Auffassung", die ganze Erscheinung
und ihre Intentionen sind etwas Modifiziertes (Reproduktives,
Abgeleitetes). Das macht hier den Unterschied gegenüber dem
Fiktum im Fall, der Bildrepräsentation aus. Das Fiktum ist im-
25 pressional gegeben, und die Modifikation, die bei ihm bzw. bei
der Scheinwahrnehmung vorliegt, besteht in der Aufhebung,
welche die impressionalen Auffassungsstrahlen erfahren, also im
Unstimmigkeitsbewusstsein etc.
Es liegt nahe zu sagen: Empfindung (jede Impression) lässt
30 unmittelbar nur impressionale Auffassung zu, ebenso Phantasma
unmittelbar nur phantastische Auffassung.
Mittelbar aber, in Form der Repräsentation, in symbolisch in-
tuitiver und symbolisch leerer Auffassung (innerlich analogi-
sierend und äusserlich bezeichnend) kann es anders sein. Es kön-
35 nen da unmodifizierte und modifizierte Intentionen sich ein-
gliedern.
Doch ist der erste Satz fraglich.
Auch diese Intepretation der Erinnerung wird aber Be d e n-
k e n erregen. Also es soll da eine pure Phantasie zugrunde liegen
TEXT NR. 6 (1909) 245

und darauf gebaut erst Intentionen höherer Stufe? Aber wenn


ich mir jetzt etwa Sieber1 vergegenwärtige, finde ich da irgend-
eine Mittelbarkeit? Ich lebe jetzt in diesem Erscheinen, ich
mache den Gang über dem Dorf, blicke auf das Dorf und Tal
5 herab etc. Und alles ist da so wie bei der Wahrnehmung. Ich
nehme gleichsam wahr, es ist eine Modifikation. Aber ist das nicht
ebenso unmittelbar wie eineLWahrnehmung?

Vierte Ansicht

Man könnte 'sagen: Eine fundamentale Modifikation verwan-


10 delt die Wahrnehmung in Erinnerung, und zwar: Wahr-
nehmung ist impressionaler Erscheinungsglaube - Erinnerung
ist reproduktiver Erscheinungsglaube.
Impressionaler Erscheinungsglaube, . konkret genommen die
Wahrnehmung, kann durch Widerstreolt aufgehoben werden (und
15 zwar in verschie<;lener Weise. Bei Puppe-Mensch haben wir zu-
sammenhängende Bestandstücke der Erscheinung, die nicht auf-
gehoben werden (Kleider, Haare u.dgl., vor allem auch: wirk-
liches Ding, Körper). Dann haben wir a) ein eigentliches Trugob-
jekt. Evtl. Schwanken, ob das dies oder jenes Ding ist (falls eben
20 keine Entscheidung erfolgt, die das eine Glied, die eine Möglich-
keit als Trug erscheinen lässt). b) In anderen Fällen besteht durch
und durch Widerstreit, nämlich so, dass-kein Stück der Erschei-
nung gelten bleibt, und auch kein intentionaler Erscheinungs-
kern : Es ist gar kein Körper da, es ist nichts. 2 Bei aufgehobener
25 Intention bleibt die Erscheinung doch bestehen. Der Glaube ist
aufgehoben, die Erfahrungsintention, aber die Erscheinung er-
hält sich. Nun ja, wir haben eben ein Trugobjekt. Ein Nichtiges.)
I st aber das Bewusstsein in diesem Fall, wo vom Erscheinenden
nichts übrig bleibt, als reine Phantasie zu charakterisieren? D.h.
30 b e sag t r ein e P h an t a sie Ni c h t i g k e i t sb e w u s s t sei n ?
Aufgehobenes Be'1usstsein.' Im anderen Fall partieller Aufgeho-
?enheit, wodurch das Objekt nichtig ist, aber doch das Objekt
Ist, nur "anders" ist, haben wir partielle Phantasie? (Unglaube

~ Sicber is~ ein Ort bei Herzberg im Harz. - Anm. d. Hrsg.


\\' Spater eingefügt: "ein Geist". Gleichzeitig damit bemerkte Husserl am Rande:
" as streItet da gegen die Erscheinung? Etwa 'leerer Raum'?" - Anm. d. Hrsg.
246 TEXT NR. 6 (1909)

ist ja hier nicht negatives Urteil. So wie Glaube nicht affirma-


tives Urteil ist. Sondern es handelt sich um den Charakter der
Wahrnehmung, der intuitiven Setzung, oder wie man es nennen
will.l) Aufhebung der Setzung, der ganzen Setzung nicht bloss
5 als einem Ganzen, sondern nach allen Teilen, das gäbe Erschei-
nung eines Objekts, die gar nichts von Setzung enthielte: pure
Vorstellung (reines Nichts, reines Fiktum).
Dem entspräche in der Erinnerung I) der Fall des Gemisches
von Erinnerung und aufgehobener Erinnerung und 2) wieder der
10 Fall rein aufgehobener Erinnerung. D.h. all die Elemente des
Erscheinungsganzen mögen Erinnerungselemente sein, aber sie
heben sich auf, durch und durch, sie geben ein Erinnerungs-
Fiktum.
(Nun braucht man dabei unter Erinnerung nicht ein volles
15 Vergangenheitsbewusstsein <zu> verstehen. Wenn mir ein "Bild"
auftaucht mit dem Bewusstsein des Gewesen, oder im Seins-
bewusstsein der Erinnerung, so brauche ich gar nicht fähig zu
sein, es einzuordnen in den einen gültigen Erinnerungszusam-
menhang.)
20 Wie steht es nun mit der Durchführbarkeit dieser Auffassung?
Es sollen also Erinnerungen mit Erinnerungen streiten. Im vo-
rigen Fall stritten die elementaren Erfahrungsintentionen inner-
halb der Wahrnehmungssphäre miteinander und hoben sich
wechselseitig auf (was allerdings noch lange keine ernstliche Be-
25 schreibung ist). Jetzt hätten wir die Phantasiemodifikationen
("Erinnerungen") und auch hier den Streit der Erinnerungs-
intentionen und die volle Aufhebung im Fall der puren Erinne-
rung: Es ist nichts, reine Einbildung. (Oder andererseits, das war,
aber nicht so, wie es da erscheint, das und das an der Erscheinung
30 ist reine "Phantasie".) - Es scheint also wirklich zu gehen. Wir
hätten nur hinzuzufügen, dass Erinnerung hier zunächst nicht
Vergangenheitsbewusstsein zu besagen hätte, sondern gewisser-
massen das reproduktive Seinsbewusstsein, welche
näheren Ausgestaltungen immer es dann zulassen mag.
35 Danach hätten wir 1) Wahrnehmung, Scheinbewusstsein, und
zwar partielles und totales, pure Wahrnehmungsfiktion;

1 Der letzte Satz wurde spater teils wie folgt verändert: "Sondern es handelt si~?
um einen Charakter der Wahrnehmung selbst, <den> intuitiven Setzungscharakter .
- Anm, d. Hrsg,
TEXT NR. 6 (1909) 247

2) Erinnerung = Reproduktion; partielle Scheinerinnerung


und totale, letztere die pure Erinnerungsfiktion,l die "blosse
Phantasie" .
So bei den ausgeglichenen Akten der Wahrnehmung und Er-
5 innerung, nämlich ich sehe von den Fällen des Schwankens und
"Zweifelns" ab.
Es gäbe danach nicht eine ursprüngliche und
primitive Modifikation "Phantasie". Die Erinnerung
wire etwas Einfaches und die Phantasie nicht etwa ein Ein-
10 facheres. Phantasie wäre der Modus der "aufgehobenen" Erin-
nerung. 23
Nun hätten wir vonl diesem Standpunkt aus alle Modifika-
tionen durchzudenken. Also Erinnerung zweiter Stufe. Phantasie
zweiter Stufe. Bildrepräsentation etc. Was die Bildrepräsenta-
15 tion anlangt, so böte sie offenbar keine Schwierigkeiten. Ebenso-
wenig das signitive Vorstellen und Setzen. Nämlich soweit als
wir sagen könpen: Die gegebene Erscheinung ist Träger einer
neuen Intention.

Aber nun kommt doch eine Schwierigkeit. Wir haben doch bei
20 den 4 bildlichen und 'signitiven Vorstellungen und ebenso bei
den freien leeren Vorstellungen den Unterschied von Setzung und
Nichtsetzung.5 Ist auch hier die Nichtsetzung Aufhebung von
Setzung, Neutralisierung sozusagen? Oder soll man sagen: Es
gibt hier eine Nichts'etzung oder "blosse Vorstellung", die gar
25 nichts von solcher N eutralisierung enthält? Wie stimmte das
aber zu der versuchten Theorie, die, wie in der Wahrnehmungs-
sphäre so in der Phantasiesphäre, alles "blosse Vorstellen" redu-
ziert auf Modi der Glaubensintentionen ? Natürlich wäre es kein
ernstlicher Einwand gegen die versuchte Auffassung, zu sagen,
30 wir merkten nichts von den Spannungen, Gegensätzen, Auf-
hebungen der Intentionen in der Phantasie. Das merken wir auch
bei der impressirtnalen Fiktion nicht: solange wir nicht analy-
sieren und auf das einzelne Moment achten.

1 Das Komma wurde spater in ein Gleichheitszeichen verändert. - Anm. d. Hrsg.


2 Kurze DefmitIon der vierten Ansicht.
3 Am Rande folgende, wieder ausradierte, doch noch gut lesbare Bemerkung:
,,~aturhCh wIrd diese Theorie im weiteren widerlegt." -Anm. d. Hrsg.
Nachtraglich eingefügt: "Symbolvorstellungen als". - Anm. d. Hrsg.
5 Also nICht das Bildfiktum, sondern die Bildsujet-Vorstellung.
248 TEXT NR. 6 (1909)

Aber freilich, die Schwierigkeit selbst 'bleibt ungelöst. Man


wird doch nicht sagen wollen, dass diese repräsentativen Setzun-
gen und blassen Vorstellungen prinzipiell etwas Verschiedenes
seien von denen der ersten Sphäre?
5 Sowie wir aber sagen, es sei ein Faktum, dass blasse Vorstel-
lungen in der impressionalen und Erinnerungssphäre auf an-
gegebenem Wege entstehen, oder auch nur sagen, im Wesen der
Impressionen und Erinnerungen grunde es, dass blasse' Vorstel-
lungen hier so erwachsen,1 haben wir zugestanden, dass blasse
10 Vorstellungen nicht blasse Gebilde von anderen Intentionen sind,
sondern nur aus ihnen hervorgehen, und wir müssen sie als etwas
Eigenes zugestehen. Tun wir das, so haben wir dann eine eigene
Modifikation von Wahrnehmungen, die biossen Vorstellungen,
so wie wir eine eigene Modifikation von bildlichen Setzungen
15 haben, die "blossen" Bildvorstellungen. Es ist nicht leicht, sich
zu entscheiden.
Sollen wir sagen, die Porträterscheinung wecke in mir eine Er-
innerung (und zwar eine nichtaufgehobene oder sich in der An-
schauung nicht aufhebende), das blosse ästhetische Bild aber
20 eine aufgehobene Erinnerung, oder es werde nicht nur das Bild
als Fiktum aufgehoben, sondern auch das Bildsujet. Aber das
wäre doch recht bedenklich. Und doch wieder, warum soll es so
bedenklich sein? 2

'j

1 Später eingefügt: ,,(im Anschluss an sie als Leerintentionen)" . - Anm. d. Hrsg.


2 Bedenklich ist es aber gar sehr, nämlich: Jede Wahrnehmungserscheinung h~t
entweder den Modus des Glaubens wobei die inneren und äusseren Intentionen (dle
Umgebungsintentionen) zusamme~stimmen zu einer Einheit: Der Gegensta!,-d v?e
alle seine Umgebung steht in Wirklichkeitsweise da. Oder wir haben Unstl~m~g­
keiten, und der Modus der Erscheinung ist nun Glaubensneigung, Zweifel, NlChtlg-
keitsmodus etc. Ebenso in der Erinnerung reproduktiv. Aber zugleich an d~r
Erinnerung selbst. An der puren Phantasie aber finden wir dergleichen erst, wenn Wlr
sie zur "Wirklichkeit" in Beziehung setzen, Ansetimng machen u. dgl. An ihr selbst
finden wir keine solchen Modi.
Nr. 7

<WAHRNEHMUNG, ERINNERUNG, PHANTASIE


UND DIE ZEITLICHEN
ZUSAMMENHANGSINTENTIONEN >
5 <wohl 1909>

Die "TendenlJen", die Intentionen, schaffen Auffassungsein-


heiten, und diesEJ Auffassungseinheiten enthalten teils Empfin-
dungen, teils elem.entare Erinnerungen und von beiden ausgehen-
de Intentionen, die sich vereinigen zu einer Gesamtintention
10 oder, was dasselbe ist, ·Gesamtauffassung. Das Ganze hat den
Charakter einer Erinnerungseinheit, wenn die Elemente Erinne-
rungen sind.
Wir müssen dann aber auch scheiden die Tendenzen, Inten-
tionen, die zu den Empfindungen gehörerrals unmodifizierte, und
15 diejenigen, die zu den elementaren Erinnerungen gehören als
modifizierte (eben erinnerungsmässige).
Wir hätten: den ursprünglichen (originären) Empfindungs-
fluss (Zeitfluss) und demgegenüber den derivierten, sekundären
Erinnerungsfluss (Erinnerungszeitfluss der Wiedererinnerung) .
20 Und hinsichtlich der Auffassungen: die originäre Auffassung
aufgrund des Empfindungsflusses: Wahrnehmung; die abgelei-
tete Auffassung. aufgrund des Wiedererinnerungsflusses : Erinne-
rung - beides : Eiftstimmigkeitsbewusstsein vorausgesetzt.
Dieselbe Modifikation, welche von Empfindung zurl
25 Reproduktion (hier immer verstanden als elementare Erinne-
rung) führt, führt von der Empfindungsintention (die
über das gegebene Empfindungsbewusstsein hinausführt und

1 Spater eingefügt: "aktuellen". - Anm. d. Hrsg.


250 TEXT NR. 7 (1909)

sich darin gründet) zur Erinnerungsin ten tion und von


der gesamten Empfindungsauffassung, d.i. der originären Er-
scheinung (Empfindungserscheinung, Wahrnehmungserschei_
nung), zur Erinnerungserscheinung (reproduktiven Erscheinung).
5 Nun aber können auch Wahrnehmungsintentionen mit Wahr-
nehmungsintentionen, Wahrnehmungs auffassungen mit Wahr-
nehmungsauffassungen, vermöge sie verbindender Intentionen
in Widerstreit treten, sich teils schwächen, teils stärken etc. Das
Einstimmigkeitsbewusstsein ist nur ein Fall. Es gibt koordinierte
10 Fälle.
So das "S c h e i n"bewusstsein, das fingierende, dessen Gegen-
stand als Fiktum bewusst ist, eben als Schein. Hier, im reinen
Scheinbewusstsein, haben wir einen einheitlichen Komplex in
sich einstimmiger Intentionen, einheitlich in Form einer Wahr-
15 nehmungserscheinung, aber in der Synthesis des Widerstreits
verbunden mit den Umgebungsintentionen bzw. mit einstim-
migen und, was den Glaubensmodus anlangt, gewissen Wahr-
nehmungen. Das letztere kann nur heissen: Die letzteren inten-
tionalen und dabei impressionalen Komplexe bleiben "unge-
20 brachen", "halten stand", und durch den Widerstreit mit solchen
"standhaltenden" Intentionen werden die anderen umgebrochen,
sie erhalten den modalen Charakter des Nichtigkeitsbewusstseins.
Das Parallele in der Erinnerungssphäre ist dann (nach der hier
durchgeführten. Ansicht) die P h an t a sie fi k t ion. Darunter
25 die pure "biosse" Phantasie. Die Elemen te sind noch Er-
in n e run g seI e m e n t e. Aber das intentionale Ganze ist cha-
rakterisiert als "freie Erfindung", aufgehoben durch den Wider-
streit mit gewisser Erinnerung und Wahrnehmung. Freilich habe
ich Bedenken gehabt, das Bewusstsein der Phantasie als ein
30 Fiktumbewusstsein aufzufassen. Aber im wesentlichen darum,
weil ich zum Vergleich nur hinblickte auf das Scheinbewusstsein
im gewöhnlichen Sinn, wo innerhalb der festen Wahrnehmungs-
welt ein Scheinobjekt dasteht als Fiktum. Indessen, ist nicht der
Fall auch auf impressionaler Seite möglich, dass die gesamte
35 visuelle Wahrnehmung zum Schein wird und nicht innerhalb
der visuell gegebenen Welt ein Fiktum sich hineinsetzt? Im Fall
der Phantasie haben wir Analogien zum Scheinbewusstsein :
nämlich den Erinnerungsschein hineingesetzt in die Erjnnerungs~
welt als gewisse und feste Welt, bzw. in die vergangene Wirklich~
TEXT NR. 7 (1909) 251

keit und überhaupt in die erinnerte Wirklichkeit, die anschaulich


dasteht und gegen die ein "Bild" streitet. Pure Phantasie steht
aber in einer ;,Phantasiewelt", die selbst ganz und gar mit aller
gewissen Wirklichkeit streitet.
5 Ist nun diese Auffassung durchführbar? Kann man sagen:
Jede freie Phantasie, jede Phantasie überhaupt löst
~ich in Erinnerungen auf!, in elementare Erinnerungen
und in erinnerungsmässig modifizierte Intentionen, aber so, dass
die intentionale Einheit, die da hergestellt ist, keine Erinnerungs-
10 einheit ist, keine ihrem intentionalen Bestand nach "ungebroche-
ne". Sondern die aufbauenden Intentionen und Umgebungsinten-
tionen, alles und jedes streitet so ziemlich miteinander. Das er-
scheinende GanZJe ist ein Nichtiges, ein pures Nichts.
Es scheint anfangs, dass hier alles in Ordnung ist. Näher be-
lS sehen aber werden wir anders entscheiden müssen.
Gehen wir doch, obschon sonst im Allgemeinen verbleibend, in
eine Betrachtdng des Elementaren ein. Wir kommen auf Emp-
findungen und primitive Reproduktionen der Empfindung,
welche ich elementare Erinnerungen nannte, andererseits auf
20 Empfindungsintentionen (als den Empfindungen anhaftenden
transienten Intentionen) und auf ihre Modifikationen, also Er-
innerungsintentionen. •
Die Wahrnehmtmg besteht aus Empfindungskomplexen, die
Träger sind von Wahrnehmungsintentionen, das wären unmodi-
25 fizierte. Die transiente Erinnerung besteht aus Komplexen von
elementaren Empfindungsmodifikationen (also elementaren Er-
innerungen), die behaftet sind mit den parallelen Modifikationen
der Wahrnehmungsintentionen, also den Erinnerungsintentionen.
Überlegen wir nun, was ist Empfindung? Ein rein im-
30 manentes Bewusstsein eines sinnlichen Inhaltes. In ihm steckt
nichts von räumlicher Gegenwart. Aber wesentlich von zeitlicher
Gegenwart (wenn auch tticht punktuell), denn Empfindung ist
gar nichts and~es als ursprüngliches immanentes
Z ei t b e wuss tsein.
35 \Vie steht es nun mit der entsprechenden sogenannten "Er-
innerung"?2 Sie soll die pure Modifikation der Empfindung sein.
Dann haben wir, scheint es, rein immanente Erinnerung. Aber
1 NelU.
2 W1derlegung dieser Seite in Beilage ~l,S <d.i:'Beilage XXIX>.
252 TEXT NR. 7 (1909)

gehört zur Erinnerung, wenn das Wort anwendbar sein soll


<nicht> das Bewusstsein von Vergangenheit, und impliziert d~
nicht eine Beziehung zum aktuellen Jetzt? Deuten sich damit
nicht intentionale Zusammenhänge an, die von dem Reprodu-
5 zierten, von dem in modifizierter Weise anschaulich Vorschwe-
benden zum Jetzt hinführen und für ihre Erfüllung gewisse nicht
gegebene Kontinuitäten weiterer Erinnerungen fordern? Ist es
nicht evident, dass wir scheiden müssen zwischen dem teinen
Gegenbild der Empfindung, in der ein Empfundenes einheitlich
o in einer Zeit ausbreitung dasteht, so dass dieses Gegenbild eben
die blosse Modifikation davon ist: der modifizierte zeitlich so
und so ausgebreitete oder vielmehr quasi ausgebreitete Inhalt;
andererseits dem Bewusstsein der intentionalen Beziehung zum
Jetzt, dem aktuellen Jetzt der jeweiligen Wahrnehmungen? Also
15 was da Erinnerungen hiess, elementare Modifikationen (nicht
der Wahrnehmung, sondern) ihres Empfindungsbestandes unter
völligem Ausschluss aller transienten Intentionen, das waren gar
nicht Erinnerungen, sondern eben P h a n ta sm e n. Im Phan-
tasma ist ein Inhalt als quasi immanent gegeben bewusst, ein
20 Inhalt in einer Zeit erstreckung quasi gegeben, und nichts weiter.
Ebenso: Wenn wir das Gegenbild der Wahrnehmung nehmen,
und der vollen Wahrnehmung mit ihrem gesamten Wahrneh-
mungshintergrund, so entsprechen auch allen Wahrnehmungs-
intentionen modifizierte Intentionen. Auch die sind dann nicht
25 Erinnerungen im eigentlichen Sinn, sondern Phantasiemodifika-
tionen, und genauso können wir alles sonstige Bewusstsein modi-
fiziert denken, z.B. auch echte Erinnerungen, voll und ganz ge-
nommen mit ihrer Anknüpfung an aktuelle Wahrnehmung.
Nun ist es klar, dass "Erinnerungsintentionen" in dem hier
30 erwogenen Sinn gar keine Intentionen sind, sondern Reproduk-
tionen von Intentionen: Wirkliche Intentionen, wie sie den Emp-
findungen anhängen als Zeichenintentionen oder als Wahr-
nehmungsintentionen, die streiten miteinander und verstärken
sich, hemmen sich etc. Auch echte Erinnerungsintentionen sind
35 Intentionen, sind aber auch dafür nicht Reproduktionen! von
Intentionen. Dagegen solche Reproduktionen! stärken sich nicht
und streiten nicht miteinander, vielmehr gehören zu ihnen wieder
nur Reproduktionen! von Widerstreit und Einigkeit.
1 Später über der Zeile eingefügt: "Phantasie-". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 7 (1909) 253

Immer wieder ist zu beachten, dass blosse Reproduktion! einer


Empfindung keine Erinnerung ist, sondern dass zur Erinnerung
wesentlich gehört eine aktuelle Intention, die in gewisser
Wei'3e das reproduktive Bewusstsein mit dem Bewusstsein der
5 Akt u al i t ä t verbindet. 2 Jede anschauliche Erinnerung schliesst
Reproduktion 3 ein,·ist aber mehr als blosse Reproduktion, sie ist
ein auf Reproduktion gegründeter Akt (eine "Impression").
Nun könnte es ja sOisein, dass pure Phantasie aus Impressionen
der Erinnerung als Elementen hervorginge, nämlich durch voll-
10 ständige Hemmung von Erinnerungsintentionen, und es könnte
sein, dass jede pure Phantasie in <sich> selbst aus solchen
Hemmungen besteht. Und das war es, was ich wohl eigentlich im
Auge hatte.
Aber freilich ist das eine Konstruktion. Wir finden vor Wahr-
15 nehmungen und in ihrem Zusammenhang Empfindungen mit
ihren Auffassungsintentionen. Wir finden auch vor Scheinwahr-
nehmungen, Brwusstsein von sensuellen Nichtigkeiten. Ferner
finden wir vor wirkliche Erinnerungen mit ihrem Bewusstsein
von Vergangenheiten, die ihre Beziehung zum Jetzt haben. Wir
20 finden abermals vor ,Fiktionen innerhalb der Erinnerungssphäre.
Wieder freie Phantasien und in ihnen Phantasmen. Im4 Phantasie-
bewusstsein lebend haben wir ein Bewusstsein des gleichsamJ etzt,
des gleichsam gegebenen DingeS, Vorganges etc. In ihm lebend
haben wir kein Bewusstsein von Nichtigkeit, aber wohl, sowie wir
25 unseren Blick auf das Jetzt und die aktuelle Wirklichkeit über-
haupt lenken und dem Phantasierten eine Beziehung dazu geben.
Dann ist es nichtig, es ist nirgends, in keinem Raum, in keiner Zeit
etc. Vergleichen wir Erinnerungen (anschauliclle) und reine Phan-
tasien, so finden wir denselben, prinzipiell einen gleichen Er-
30 scheinungsgehalt in verschiedenem Charakter, wir finden Phan-
t.asmen und Auffassung der Phantasmen zu einer Gegenständ-
lIchkeit, die den Charakter der gleichsam gegenwärtigen hat,
und wir finden a1!dererseits ein Bewusstsein des Vergangen, das

~ Spater uber der Zeile eingefügt: "Phantasie-". - Anm. d. Hrsg. .


f Immer wieder ist aber einzuwenden, was auf ßl,a <d.i. Beilage XXIX> ausge-
kUhrt 1st. Aktualität ist nicht etwas, was sich mit blosser Phantasie verbinden
tann, sondern diese ist Modifikation durch und durch, aus den inaktuellen Inten-
Ionen werden aktuelle
: Spater uber der Zeile eingefügt: "bIosse Phantasie-". - Anm. d. Hrsg.
Spat er eingefügt: "bIossen". - Anm. d. Hrsg.
254 TEXT NR. 7 (1909)

dieser Gegenwart den Charakter einer gewesenen, zum aktuellen


Jetzt in bestimmter Beziehung stehenden verleiht, und zwar in
der Weise einer Setzung. 1 Die blosse Phantasie in sich
ist das blosse modifizierte Bewusstsein (ich deute das immer
5 durch das "gleichsam" an). Es setzt nichts: es "stellt bloss vor".
Handelt es sich um eine Phantasiegegenständlichkeit, die ich auf
die erinnerte Strasse versetze, auf den Hohen Weg, so hat sie
den Charakter des Fiktums. Die erinnerte Strasse fordert, die
Forderungen, die sie stellt, beziehen sich auf mögliche Natur-
10 gegenstände, oder vermutliche, und somit ist ein Mensch mit
sechs Köpfen ausgeschlossen. Aber ein beliebiger Maskenzug, der
dort fährt, ist zwar möglich, aber wenn ich eine bestimmte Er-
innerung nehme, so ist die Forderung, die diese stellt, dass kein
Maskenzug, sondern die und die Vorgänge und keine anderen
15 sich auf der Strasse abspielen usw. In solchen Fällen habe ich
also nicht pure Phantasie, sondern ein Bewusstsein des Wider-
streits. Wie ist das aber möglich? Die Hineinversetzung
des Phantasierten in die Erfahrungswirklichkeit streitet mit der
zugehörigen thetischen Setzung. Freie Phantasie als solche ent-
20 hält gar keinen Setzungsmodus. Nota bene, völlig freie Phantasie,
wenn man dergleichen zugesteht. Setzungsmodus ist aber nicht
ein Annex, ebenso wie Modus Annahme, Ansetzung!!
Phantasiere ich rein spielerisch und "frei", dass ich auf der
Friedrichstrasse wandle, dort den Goethe treffe, der mich freund-
25lich anspricht usw., "träume" ich, so bestehen hier Wirklich-
keitssetzungen. Es ist die Friedrichstrasse etc., aber was da hin-
zuphantasiert ist, das wird nicht aufgehoben. Und doch, bin ich
nicht dabei, ich, der ich jetzt hier bin und niemals so was er-
lebt habe? Hier habe ich doch keine Ansetzung und Hinein-
30 setzung, sondern lIes fällt mir so ein" und spielend gehe ich den
"Einfällen" nach. Es ist alles "nicht wahr", es ist "nichts". Also
ohne besonderes Annehmen, Ansetzen etc. kann doch Wider-
streitbewusstsein und Aufhebung erfolgen. Das Verbleibende
sind Setzungen. Die gesetzte Friedrichstrasse2 mit dem gesetzten
35 Ich, das dort spazieren geht, und bevölkert mit den und den
1 Man kann aber ein wen den: Blosse Phantasie verbindet sich nicht mIt
Setzung, lässt sich gar nicht damit verbinden. Sondern was hier Setzung heisst, ist
die Modifikation der Aktualität!
2 Natürlich keine eigene "Setzung" hinzutretend zu "Friedrichstrasse". sondern
einfach Erinnerung.
TEXT NR. 7 (1909) 255

Menschenrnassen, besitzt mit den Phantasievorgängen, Phanta-


siegestaltungen, diese Einheit, die partiell Erfahrungssetzung
enthält, partiell Phantasie ist und als Ganzes Phantasie, streitet
mit der gesamten Erfahrung, in die diese Setzungen einzu-
5 ordnen sind. Die Verbindung von Phantasiertem mit Gesetztem
gibt dem Phantasierten aUch so etwas von Setzungscharakter,
einen Anspruch auf Realität, auf Wirklichkeit, der durch die
gewiss gesetzte Wirklichkeit aufgehoben wird.
In all diesen Komplexionen finden wir nun einen Bestand an
10 Phantasieerschein~ng als Materie von Erinnerungssetzungen (Er-
fahrungssetzungen) im weitesten Sinn, und das sind nicht blosse
"Färbungen" der Phantasieerscheinung, sondern es ist ein Be-
wusstsein, das die betreffende erscheinende Gegenständlichkeit
als in der und der, Beziehung zur wirklichen Welt stehende
15 setzt. 1 Das führt auf intentionale Zusammenhänge, die "ak-
t i v e" Intentionen miteinander verbinden, wirkliche und mög-
liche. Bestimmt(f Erfüllungswege (und Wegarten), immer in ak-
tuellen Intenti@nen laufende, sind vorgezeichnet. Ausserdem
haben wir einen Bestand. an Phantasieerscheinung nicht als
20 ~l1aterie von Erinnerungssetzung, vielmehr in Verbindung mit
den Erinnerungsauffassungen, in Verwebung damit und dadurch
auch charakterisiert und als Nichtigkeitsbewusstsein degradiert.
Gibt es nun, Phan tasieerschein ung ohne jede
Setzungsmodi?2 So darf man natürlich nicht sagen: Die
25 Elemente, das Rot z.B., waren schon in unzähligen Situationen
und Verbindungen gegeben, keine ist bevorzugt, da jede die an-
dere aufhebt u. dgl. Oder sie waren in jeder einzelnen Verbin-
dung, die im vorliegenden Phantasma vorkommt, schon gegeben,
aber niemals in dieser Komplexion, und indem jede Verbindung
30 Intention auf Verbindung mit anderen Verbindungen hat, als sie
hier vorkommen, so hebt sich alles auf. Denn das ist sicher: Auf-
hebung im Sinn der wechselseitigen Hemmung ergibt keine
Nichtigkeit, vielm.hr ist erfordert Aufhebung durch den Felsen
v?n gegebener Gewissheit: durch Wahrnehmung, Erinnerung etc.
35 N ur so können wir denken, dass, psychologisch genommen,

h 1 Das 1st WIeder unklar. Die Erinnerung ist Erinnerung an die Gegenständlich-
ert, und cl 1. ;,Ie setzen. Was aber die Erscheinung der Gegenständlichkeit anlangt,
~ 1st SIe konkret genommen die Erinnernng selbst, sonst aber das Wes e n, das
r~nnerung und blasse Phantasie identisch gemein haben können.
Spater eIngefugt : "Nattirlich:"_ - Anm. d. Hrsg.
256 TEXT NR. 7 (1909)

die Dispositionen sich hemmen, welche zur möglichen Aktuali-


sierung von gewissen wirklichen Intentionen gehören, so dass es
also gar nicht zur betreffenden Auffassung kommt. Dann hem-
men sich nicht Auffassungen, sondern Auffassungsdispositionen,
5 und die Auffassung ist überhaupt nicht da, somit auch kein
Streit und keine Aufhebung von Auffassungen. Aufhebung als
positives Aktvorkommnis ist nicht zu verwechseln mit der Auf-
hebung von Dispositionen, die Sache psychologisch-konstruktiver
Erklärung, aber nicht phänomenologischer Analyse ist.
10 Ein Fall solcher dispositioneller Aufhebung, die in der Emp-
findungssphäre keine Empfindungs-Auffassung aufkommen lässt,
wäre mein Erlebnis "Finger im Mund", wo ich Empfindung hatte,
aber keine bestimmte Einordnung dieser Empfindungsgruppe als
gegenständliche Auffassung in eine Ich- und Weltauffassung. 1
15 Das wäre ein Ausnahmsfall reiner Empfindungsgegebenheit, und
natürlich war der Empfindungsinhalt hier nicht als Scheinobjekt
charakterisiert. Ein Schein- oder Trugobjekt ist eingeordnet in
die Erfahrungswelt.
Ich versuchte oben (S. 249f.) zu sagen: Dieselbe Modifikation,
20 welche von Empfindung zu primitiver Reproduktion = sinnlich
immanenter Erinnerung führt, führt von transienter Emp-
findungsintention zu entsprechender Erinnerungsintention.
Ich stelle also zunächst gegenüber Empfindung und Repro-
duktion als Erinnerung. (Also nicht Empfindung und bIo s ses
25 "Phantasma" .)2
überlegen wir. Eine Erinnerung, das reproduktive Vergangen-
heitsbewusstsein weist auf Zusammenhänge hin. Zunächst haben
wir originär: Ein gewisser Ablauf von Impressionen, sagen wir
eine Tonfolge, laufe ab. Das Zeit bewusstsein haben wir schon
30 studiert. Also das gibt einen ganz bestimmten Fluss, in dem sich
die originäre Tonfolge als wahrgenommene3 konstituiert.
Nun habe ich eine Wiedererinnerung dieser Tonfolge. Sie
läuft noch einmal ab, aber "modifiziert".
1) Jeder Ton, phänomenologisch der ganze ihm entsprechen~e
35 Fluss, hat die Modifikation der "Repräsentation"4, der Ton 1st
1 Allerdings, sollte da gar keine unbestimmte Einordnung doch mitgespielt haben?
2 Auch zur Lehre vom Dingbewusstsein und Zeitbewusstsein.
3 "wahrgenommene" später verändert in "gegenwärtige Einheit". - Anm. d.
Hrsg.
4 Später eingefügt: "Reproduktion". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 7 (1909) 257

kein jetzt seiender, sondern er repräsentiert, es steht etwas


gleichsam da (gleichsam Wahrnehmung), das Jetzt ist gleichsam
Jetzt, die Dauer ist gleichsam Dauer, die Tonqualität gleichsam
Tonqualität etc.
5 2) Die Erfahrungsintentionen, das, was es macht, dass das
Jetzt, das erscheint (das gleichsam Jetzt), Vergangenes, ein ak-
tuell Gewesenes repräsentiert. l Ich werde, der Erfüllung dieser
Intentionen nachgehend, geführt auf einen Zusammenhang von
Erinnerungen (ebenso charakterisierte Komplexe, mit eben-
10 solchen Repräsentationen und Intentionen, die schliesslich in das
akt u elle Wahrnehmungsjetzt "münden" und sich damit ein-
stimmig einigen).
Es ist vielleicht auch auf folgendes hinzuweisen: Hat nicht
jede Empfindung ihre Intentionen, die vom Jetzt auf ein neues
15 Jetzt und so weiter führen? Die Intention auf die Zukunft. Und
andererseits die Intention auf die Vergangenheit. Was anderer-
seits die Erinn~rung anlangt, so hat sie auch ihre erinnerungs-
mässigen Zukunftsintentionen. Diese sind völlig bestimmte, in-
sofern als die Erfüllung dieser Intentionen (wofern sie überhaupt
20 zu Gebote steht) in bestimmter Richtung läuft und inhaltlich
völlig bestimmt ist" während im Fall der Wahrnehmung die
Zukunftsintentionen im allgemeit;J.en der Materie nach unbestimmt
"ind und sich erst durch die faktische weitere Wahrnehmung be-
stimmen. (Bestimmt ist nur, dass überhaupt etwas kommen
25 wird.) Was die Vergangenheitsintentionen anlangt, so sind sie
andererseits in der Wahrnehmung ganz bestimmte, aber sozu-
sagen verkehrte. D.h. es besteht ein bestimmter Zusammen-
hang zwischen der jeweiligen Wahrnehmung und der Kette der
Erinnerungen, aber so, dass die Erinnerungsintentionen (als ein-
30 seitig gerichtete) in ihr terminieren. Diese Erinnerungen sind nun
selbstverständlich nur Möglichkeiten, sie sind nur ausnahms-
weise oder einige von ihnen aktuell mitgegeben mit der Wahr-
nehmung. Andehrseits aber ist es doch so, dass die Wahrneh-
mung begabt ist mit entsprechenden Vergangenheitsintentionen,
35 aber leeren, jenen Erinnerungen oder Erinnerungszusammen-
hängen entsprechend. Einerseits das leere Soeben-vergangen, das
seine Richtung hat auf das aktuelle Jetzt; weiter aber auch, wie
I 1 Ja, aber was ich leugne, ist, dass man das trennen kann. Es ist völlig unlös-
Ich, und modal ist das Tonphanbasma wesentlich charakterisiert.
258 TEXT NR. 7 (1909)

man wohl sagen darf, vage Leerintentionen, die das weiter Zu-
rückgehende betreffen. Sämtlich gerichtet auf das Jetzt. Diese
Intentionen werden aktualisiert, bzw. kommen zur Erfüllung
dadurch, dass wir sozusagen sprungweise uns in die Vergangen-
5 heit durch Wiedererinnerung zurückversetzen und nun intuitiv
die Vergangenheit uns wiedervergegenwärtigen im Fortschritt
bis auf das Jetzt.
Das ist also die Kette der einseitig gerichteten zeit-
lichen In t en tion en (von dem Vor-Jetzt auf das Jetzt und
10 vom Jetzt auf das Künftig).
(Die pur e P ha n ta sie hat in ihrer Art modifizierte zeitliche
Intentionen, keine Wirklichkeit setzende und demgemäss nicht
wirklich zu erfüllende.)
Was also die Erfahrungsintentionen anlangt, die es machen,
15 dass das gleichsam Wahrgenommene, gleichsam Jetzt-Seiende
und Soeben-gewesene der Erinnerung ein Vergangenes repräsen-
tiert, so gehören sie jenen "zeitlichen Intentionen" an.
Aber wie ist dies zu denken?
Da ist zunächst wohl ein sehr wichtiger Punkt nachzuholen.
20 Ich sagte oben: Jede Wahrnehmung sei begabt mit zeitlichen In-
tentionen. Was da beschrieben wurde, waren in der Tat nur Er-
fahrungsintentionen eigener Art. Ich könnte so sagen. Die Gegen-
wart war immer aus der Vergangenheit geboren, natürlich eine
bestimmte Gegenwart aus einer bestimmten Vergangenheit.
25 Oder besser: Ein bestimmter Fluss spielt sich immer ab, das ak-
tuelle Jetzt sinkt und geht über in ein neues Jetzt usw. Mag es
eine Notwendigkeit apriorischer Art sein, so bedingt es doch
eine "Assoziation", d.h. erfahrungsmässig bestimmt ist der ver-
gangene Zusammenhang und wieder, "dass irgend etwas' kom-
30 men wird". Aber nun werden wir doch von diesem Sekundären
(dem Komplex der vorhin zeitlich genannten Erfahrungsinten-
tionen) zu dem Originären geführt, und das besteht in nichts an-
derem als eben in dem Übergang vom jeweiligen Jetzt auf das
neue Jetzt. Das gehört zum Wesen der Wahrnehmung,
35 dass sie nicht nur ein punktuelles Jetzt im Blick hat und
nicht nur ein Eben-gewesen aus ihrem Blick entlässt und in der
eigentümlichen Weise des "eben gewesen" nun doch "noch be-
wusst" hat (primäre Erinnerung), sondern dass sie von Jet z t
zu Jet z t übe r geh t und ihm blickend entgegengeht. Das
TEXT NR. 7 (1909) 259

wache Bewusstsein, das wache,Leben ist ein Entgegenleben, ein


Leben von jetzt dem neuen Jetzt entgegen. Dabei ist nicht blass
und nicht in erster Linie an Aufmerksamkeit gedacht, vielmehr
möchte es mir scheinen, dass unabhängig von dem Modus der
5 Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeit im engeren und weiteren
Sinn) eine originäre Intention von Jetzt zu Jetzt geht, sich ver-
bindend mit den bald unbestimmten, bald mehr oder minder be-
stimmten Erfahrungsintentionen, die aus der vergangenen Er-
fahrung entstammen. Diese zeichnen ja wohl die Li nie n der
10 Verbindung vor. Der'Blick des Jetzt auf das neue Jetzt, dieser
Übergang, isf aber etwas'Originäres, das künftigen Erfahrungs-
intentionen erst den Weg ebnet.
Ich sagte, das gehöre zum Wesen der Wahrnehmung. Ich sage
besser, es gehöre zum Wesen der Impression. Denn
15 zur Wahrnehmung rechnen wir auch das Hinblicken im Sinn der
Aufmerksamkeit. Nun soll keineswegs gesagt sein, dass jedes ak-
tuelle Erlebnis in diesem Sinn eine Impression seLl Aber wohl soll
es z.B. gesagt werden von jedem "primären Inhalt", von jeder
Empfindung. Ein Bewusstsein ist auf den Empfindungsinhalt
20 (den primären Inhalt) gerichtet und ist ihm von Jetzt zu Jetzt
entgegengerichtet. 2 Jeder primäre Inhalt konstituiert sich im
ursprünglich impressionalen Bewusstsein als Einheit der Dauer
und Veränderung. (Dagegen soll nicht dasselbe gesagt sein bei-
spielsweise von diesem Bewusstsein selbst.) Leben wir nun in
25 diesem Einheits'bewus~tsein, so haben wir Aufmerksamkeit.
(Bleibt die Frage der Abgrenzungen der sinnlichen Inhalte.)
"Phantasma", zunächst primärer Erinnerungsinhalt,
smnlicher, besagt die Modifikation: d.h. das entsprechende Be-
wusstsein der Repräsentation. Also auch hier ein Bewusstsein
30 von (ein "Blick auf")3; das zeitliche Einheit konstituiert. Aber es
ist ein "gleichsam Bewusstsein".4
Aber wenn es wirklich Erinnerung sein soll, so gehört zu diesem

1 Den letzten Satz setzte Husserl später in Klammern und bemerkte dazu' siehe
untcn". - Anm. d. Hrsg. ."
2 Das geh art zur Konstitution der Einheit des Bewusstseinsinhaltes, dass eine
cInhelthche Intention von Jetzt zu Jetzt ubergeht.
: ,,(eIn 'Bhck auf')" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
kbtwas nachtraghch eingefugt: ,,(Nota bene ein aktuelles.) Wichtig zu be-
mer en 1st hIer, dass notwendig zu dieser aktuellen Reproduktion gehört, dass sie
~n~weder Erinnerung oder Erwartungl ist oder sonstwie ihre UmgebungsintentioD
a , zelthche und evtl. zeitlich-räumliche." - Anm. d. Hrsg.
260 TEXT NR. 7 (1909)

Gleichsam-Bewusstsein ein Mehr. Die Einordnung in die Ver-


gangenheit. Die Erinnerungsmodifikation besteht darin', dass das
gesamte originäre Bewusstsein des betreffenden Momentes voll
und ganz seine Modifikation erhält, also die zeitlichen Intentio-
5 nen, in deren Zusammenhang der impression ale Blick gehört,
ganz und gar, und so überhaupt der ganze intentionale Zu-
sammenhang, in den sich jene originäre Impression einfügte und
der ihr mit Charakter verleiht. (Also wir müssten sagen, nicht
nur im Übergang von Jetzt zu Jetzt, sondern auch in jedem
10 Jetzt besteht Einheit, und die jeweilige Gesamteinheit ist reprodu-
ziert: nämlich dem Reproduzierten haftet, wie Intention auf
das Kommende, so auf das Gleichzeitige und Gewesene an. Der
Charakter der Erinnerung ist diese volle Modifikation.)
Damit ist auch gesagt, wie Erinnerungsmodifikation einer
15 Dingwahrnehmung aussieht. Ich müsste sagen Ding-Erscheinung
(natürlich impressional). Sie unterscheidet sich von einer Im-
pression von der Art der Empfindung dadurch, dass Empfindung
verbunden ist mit gewissen näher zu charakterisierenden inten-
tionalen Komplexen. Zu den Empfindungen rechnen wir nur das
20 Bewusstsein, das Einheit der Dauer und Veränderung der sinn-
lichen Inhalte konstituiert. Mit diesem verwoben finden wir aber
nicht nur diejenigen Intentionen, welche der Erinnerungssphäre
im spezifischen Sinn angehören und sich auf das Früher und
Nachher dieser Empfindungsgegebenheit und ebenso auf das
25 Zugleich derselben beziehen, sondern es kommen auch die Kom-
plexe motivierter Intentionen in Betracht, welche sich auf die
"Wahrnehmungsmöglichkeiten" (auf motivierte Möglichkeiten
zeitlicher Zusammenhänge von Empfindungen und zugehörigen
Intentionen) beziehen. All das nun repräsentativ modifiziert er-
30 gibt nicht nur das gleichsam Wahrnehmen (gleichsam Erschei-
nen) des Dinges, sondern auch das Gleichsam für die Intentionen,
welche sich auf den Zeitflusszusammenhang (und sachlichen
Zeitzusammenhang) bis zum Jetzt beziehen, also das volle Er-
innerungsmässige. 1
35 (Also einerseits: Ich sehe gleichsam das Ding: Und all die In-
1 All das ist richtig. Die Modifikation ist akt u e 11 e Vergegenwärtigung = Wie-
derbewusstsein, und zwar, dem Fall der Gewissheit bei der Wahrnehmung e~t­
sprechend, Gewissheitsmodus in der Wiedererinnerung. Blosse Phantasi~ ab~r Ist
eben dasselbe (mit allen möglichen Modis) in Inaktualität. Und damIt stImmt
auch alles im Sinn der Beilage ßl und ßz <d.i. Beilage XXIX>.
,I.
~

TEXT NR. 7 (1909) 261

tentionen sind reproduktiv mit den Gleichsam-Empfindungen


da, die auf die motivierten Wahrnehmungsmöglichkeiten dieses
Dinges sich beziehen. Andererseits: Das Ding gehört in den Ab-
lauf des erinnerten Geschehens hinein. Ich habe es gesehen, in-
S dem ich damals darauf zugegangen bin, vorher war ich in der
Stadt, und dann ging ich hin etc. Und weiter, nachdem ich es ge-
sehen, habe ich das und das getan, die und die Dinge und Vor-
gänge sind erscheinungsn1ässig abgelaufen: bis zum Jetzt.)
Diese Modifikation ist also die des "W i e der be w u s s t-
10 sei n s", eben der Wiedererinnerung. Diese Wiederbewusstseins-
Intentionen, die reproduktiven im eigentlichen Sinn, erfahren nun
Modifikationen in einem ganz anderen Sinn, die "qualitativen"
Modifikationen (belief-Modifikationen). Sie werden herabgesetzt
zU ~ eigungen, sie treten in Streit miteinander, sie erfahren Stär-
15 kung und Hemmung etc. Die "blosse Phantasie" soll jetzt! eine
Art Hemmung, und zwar "Aufhebung" dieser Intentionen sein.
Ein bestimmtes Vorkommnis in dieser Reihe. Z.B. eine blosse
Phantasie eines dauernden Dinges. Das, was zur allgemeinen
Dingform gehört, das hat intentionalen Zusammenhang. Aber
20 gerade diesen Zusammenhang habe ich nie erlebt. Er fügt sich
in keine Zeitreihe ein, und das nicht als Fiktum bloss, sondern
es fehlen ihm die belief-Intentionen, d.h. die in dieser Hinsicht
unmodifizierten Intentionen, deren Erfüllung den übergang zum
Jetzt fordert.
25 Aber freilich, wie sind' sie zur Modifikation gekommen, oder
vielmehr, wie wäre diese Aufhebung genauer zu charakterisieren?
Das i'St ja leicht, mit dem Fall fertig zu werden, wo in einen Er-
fahrungszusammenhang hineinphantasiert wird, wodurch ein
Fiktum erwächst, aufgehoben durch standhaltende Erinnerung.
30 (Ich stelle mir vor, dass vorhin das Haus vis-a-vis in Flammen
gestanden habe etc.) Aber wirklich fertig? Wir haben da in die-
<,em Fiktum ein Gemisch von Erinnerung und etwas anderem.
Das brennende 'l-Iaus: Ja, wodurch ist dieses andere charak-
t:risiert? Hat es selbst einen Charakter, der sagt: Das gehört zu
35 emer anderen Erinnerung und nicht zu dieser? Und das will-
~ürliche Zusammenbilden von Elementen aus verschiedenen Er-
lllnerungen?

1 Nach der probeweise versuohten obigen, aber schon widerlegten Theorie.


262 BEILAGE XXIX

Es wird also wohl nichts übrigbleiben; 'als jeder Impression


gegenüberzustellen einmal die Wiedererinnerung und das zweite
Mal die blosse Phantasie, beide unterschieden durch den Glau-
bensmodus. 1

5 BEILAGE XXIX (zu S. 251,35-252,28)


<ZUR UNTERSCHEIDUNG VON ERINNERUNG UND BLOSSER
PHANTASIE: ZUSAMMENHANGSINTENTIONEN SIND NICHT
WEGZUSCHNEIDEN; DER CHARAKTER DER AKTUALITÄT BZW.
INAKTUALITÄT ALS DAS UNTERSCHEIDENDE>
10 <wohl etwa Ende Februar 1910>

Die Ausführungen dieser Seite lassen eine widerlegende Kritik zu.


Das zur Erinnerung gehörige Sich-beziehen auf ein aktuelles Jetzt ist
allerdings etwas höchst Wichtiges und Merkwürdiges. Es hat ein offen-
bares Analogon zur Beziehung jeder Wahrnehmung zu einem aktu-
15 ellen Hier. Ebenso wie ferner jede Erinnerung auf einen unendlichen
Erinnerungszusammenhang hinweist (auch auf den früheren), so
weist jede Wahrnehmung auf einen unendlichen Wahrnehmungszu-
sammenhang (und auf eine mehrfältige Unendlichkeit) zurück. (Das
Hier ist dabei nicht wahrnehmbar, das Jetzt ist nicht erinnerbar, d.h.
20 in der Erinnerung selbst nicht gegeben.) Wir können nun auch eine
Wahrnehmung rein für sich nehmen: ausser Zusammenhang. Aber
der Zusammenhang, wenn er auch nicht reell da wäre als Zusammen-
hang der Wahrnehmung mit weiteren Wahrnehmungen, liegt doch
"potentiell" in der Intention. D.h. nehmen wir die volle Wahrneh-
25 mung jedes Augenblickes, so hat sie noch immer Zusammenhang in der
Form, dass zu ihr ein Komplex von bestimmten oder unbestimmten
Intentionen gehört, der weiterführt und in der Ausbreitung sich er-
füllt in weiteren Wahrnehmungen. Diese Zusammenhangs-
in ten tionen sind nich t wegzuschneiden. Was die einzelne
30 Empfindung anlangt, so ist sie in Wahrheit nichts Einzelnes. D.h. die
primären Inhalte sind überall Träger von Auffassungsstrahlen, und
ohne solche treten sie nicht auf, mögen sie noch so unbestimmt sein.
1 Spater eingefügt: "Die blosse Phantasie hat nicht den Modus der Ge~iss­
heit, nicht den der Neigung, der Aufhebung einer Setzung, kurz, sie hat gar keUle
Set z u n gs m 0 d i. Aber alle Setzungsmodi können selbst in der Phantasie vorkom-
men, eben im Phantasiemodus. Da die Akte hier objektivierende sind, so bildet na-
ttirlich 'Glaubensmodus' den Unterschied zwischen aktueller Vergegenwärtigung und
blosser Phantasie. Denn Glaubensmodus ist gar nichts anderes als objektivierender
Modus als Aktualität verstanden, und die Phantasiemodifikation des G.laubens-
modus, die zum Wesen der objektivierenden biossen Phantasie gehört, ist mchts an-
deres als dieser Modus in aktuell." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXX 263

Ebenso ist es in der' Erinnerung. Sie hat in sicH ihren ;,Zusam-


menhang", d.h. als Erinne1rung hat sie ihre Form, die Wir be-
schreiben als vorwärts und rückwärts geric,htete inten-
ti 0 n ale Mo m e n t e: aber ohne solche kann sie nicht sein. Ihre Er-
5 füllung fordert Reihen von Erinnerungen, die im aktuellen Jetzt
münden. Es ist nicht richtig, dass wir scheiden können die Erinnerung
für sich, abgesehen von den Intentionen, die sie mit anderen verbin-
den, und diese Intentionen selbst. Die Erinnerung für sich, die an-
gebliche blosse Phantasie, hat schon diese Intentionen. Sagt man
10 aber: Die Erinnerung ist doch Erinnerung an ein früheres Jetzt, eine
qucsi-Wahrnehmung, so und so einen zeitlichen Ablauf zum Wieder-
bewusstsein bringend, warum sollte man aber nicht das ganze Phäno-
men festhalten und die eigentlichen Erinnerungsintentionen beider-
seits wegschneiden können: Was wäre da zu antworten? Vielleicht so:
15 Die Wahrnehmung selbst, der "originäre" Akt, hat nicht nur seine
R ä u m I ich kei t s zusamm en häng e (auf Raumkonstitution be-
zügliche), sondern auch seine Zeitlichkeitszusammenhänge.
Jede Wahrnehmung hat ihren retentionalen Hof und ihren
protentionalen. Auch die Modifikation der Wahrnehmung muss
20 in Modifikations')'eise diesen doppelten Hof enthalten, und was
die "bIosse" phan t asie von der Erinnerung un terscheidet,
ist, dass einmal dieser ganze intentionale Komplex den Charakter der
Aktualität hat, das andere Mal der Inaktualität.
Damit wird allen phänomenologischen Anforderungen Rechnung
25 getragen und werden alle Verlegenheiten beseitigt. Also nur als
Apo r i e ist das im Text Gesagte verwendbar. Offenbar überträgt sich
das Gesagte auch auf die Elemente der Phantasien und Erinnerungen
bzw. auf die Empfindungselemente der Wahrnehmungen. Auch da
ist der Hof unerlässlich.
30 Die Theorie, welche übrigens die blosse Phantasie in aufgehobene
Erinnerung verwandeln will, wird sich gar nicht begründen lassen.
Nach Durchsicht der weiteren Blätter finde ich, dass die neuere Auf-
fassung, die ich in diesem Beiblatt ausführte, in der Tat völlig aus-
reicht.

35 BEILAGE XXX
ERINNERUN~, VERGEGENWÄRTIGUNG VON ABSOLUTEN
:;'INNLICHEN DATEN UND VON SINNLICHEN GESTALTEN
<wohl 1909>

V"enn ich mich einer Melodie erinnere, hat da nicht auch jeder ein-
40 zeIne Ton mit seiner Qualität und Intensität Erinnerungscharakter,
also den Charakter der thetischen Vergegenwärtigung?
Wenn aber beliebig ein Anfangstakt der Melodie in beliebig ver-
264 BEILAGE XXX

schobener Tonhöhe'(etwa trIO Tonhöhe) angeschlagen wird, und nun


rollt die Erinnerung der Melodie ab, dann hat das Ganze den Charakter
der Erinnerung, und der Charakter geht durch alles hindurch.
Liegt darin wirklich, dass ich meinen muss, das sinnliche Material
5 in seinem qualitativen und intensiven Charakter schon gehabt zu
haben? Ich kann ja willkürlich hier verschiedene Tonhöhen wählen
und Erinnerungen in verschiedener Höhenlage erzeugen. Immer sage
ich ja, es ist dieselbe Melodie, und ich erinnere mich ihrer.
Vgl. dazu Humes Selbsteinwand gegen die Lehre, dass jede Idee
10 auf eine Impression zurückweise: Qualitäten als Ergänzungen in kon-
tinuierlichen Übergängen etc.
Jedenfalls liegen hier Pro b 1e m e.
, I
Nr. 8
, \

<PH-ANTASIE ALS "DURCH UND DURCH


MODIFIKATION". ZUR REVISION DES
INHALTS-AUFFASSUNGS-SCHEMAS>
5 (Abschrift und Verbesserung <wohl Sommer oder Anfang
Herbst 1909»

Was ist die Quelle/der immer aufs neue wiederholten und im-
mer wieder misslingenden Versuche zu einer Aufklärung des
Verhaltnisses von Wahrnehmung und Phantasie, oder
10 vielmehr die Quelle des Mi s s 1i n gen s dieser Versuche?
Ich denke dies! Ich habe nicht gesehen (und man hat über-
haupt nicht gesehen), dass z.B. bei der Phantasie einer Farbe
nicht etwas Gegenwärtiges, nicht ein Erlebnis Farbe gegeben ist,
das dann für die wirkliche Farbe repräsentiert. Wonach Empfin-
15 dung'ifarbe und Phantasmafarbe,in sich ein und dasselbe wäre,
nur mit verschiedener Funktion behaftet. Ich hatte das Schema
Auffa 'isungsinhalt und Auffassung, und gewiss hat das einen guten
Sinn. Aber nicht haben wir, zunächst im Fall der Wahrnehmung,
in ihr als dem konkreten Erlebnis, eine Farbe als Auffassungs-
20 inhalt und dann den Charakter der Auffassung, der die Erschei-
nung macht. Und ebenso haben wir im Fall der Phantasie nicht
wieder eine Farbe als 'Auffassungsinhalt und dann eine geänderte
Auffa'i'iung, diejeni§e, die die Phantasieerscheinung macht.
Viel m eh r: "B ewuss ts ein" besteht d urc hund
25 durch aus Bewu.sstsein, und schon Empfindung
so wi e Ph an t asma is t "B ewuss ts ein".
Und da haben wir zunächst Wahrnehmung als impressio-
n ~ 1e s (originäres) Gegenwartsbewusstsein, Selbstda-Bewusst-
sem u.dgl. und Phantasie (in dem Sinn, in dem Wahrnehmung
266 TEXT NR. 8 (1909)

der Gegensatz ist!) als das reproduktiv modifizierte


Gegenwartsbewusstsein, Bewusstsein des gleichsam
Selbstda, des gleichsam Gegenwärtig, der Gegenwartsphantasie.
(Gegenwärtig ist ein Individuum, es ist jetzt und dauert seine
5 Weile etc.) Wir können nun Wahrnehmung, wenn es transiente,
äussere Wahrnehmung ist, analysieren und finden in ihr "Emp-
findung von Farbe"; wir finden dann ein Bewusstsein, das in der
Einstellung, die wir jetzt haben, Wahrnehmung (Meinung) Von
"Farbe" ist, ein Bewusstsein, in dem der und der Farbeninhalt
10 da, gegenwärtig (mir gegenüber) ist. Ich schrieb "Farbe" und
sagte auch Farbeninhalt. Denn das ist nicht gegenständliche
Farbe, Eigenschaft eines Dinges, sondern ein "Inhalt", in dem
sich vermöge der Funktion die Eigenschaft Farbe "abschattet".
Immerhin, mag auch, wie evident ist, dieses Moment Farben-
15 abschattung etwas anderes sein als Farbe, so ist es doch ein
Selbstda1 , in der vollen Wahrnehmung, die wir jetzt üben, als
Gegenstand ein Gesetztes. In der Empfindung haben wir ein "Be-
wusstsein" von dieser Abschattung, aber nicht eine Wahrneh-
mung. Aber immerhin haben wir auch hier zu sagen: Es ist nicht
20 die Abschattung selbst ein Bestandstück der äusseren Wahr-
nehmung, sondern eben die Empfindung, d.h. ein Bewusstsein
von dieser Abschattung. 2 Es ist nicht volle WahrnehmungS,
aber im Kern mit ihr verwandt, es ist Bewusstsein von, ob-
schon nicht ein als Objekt Sich-gegenübersetzen.
25 Die Empfindung ist Unterlage für das Bewusstsein "Auffas-
sung als", "Erscheinung von" einem Haus, das farbig ist. Dieses
Auffassungsbewusstsein und das ganze Erscheinungs-Bewusst-
sein ist wieder ein impressionales, ein unmodifiziertes.
Wir können vielleicht sagen: Wenn mir das Haus dasteht,
30 aber ich nicht darauf achte, dann ist das Bewusstsein der Wahr-
nehmungserscheinung so vollzogen, wie vorhin die Empfindung
(z.B. innerhalb der normalen Wahrnehmung). Zur normalen und
vollen Wahrnehmung pflegen wir zu rechnen das im eigentlichen

1 Später eingefügt: "Selbstgegenwärtig (zeitlich)". - Anm. d. Hrsg.


2 Das darf aber nicht missverstanden werden. Die Abschattung, der "Inhalt" als
"Bestandstück des Bewusstseins" ist eine Ein h e i t, die sich erst im Fluss der let:z;ten
Fluenten konstituiert; er ist nicht absolut, sondern Bewusstsein von ihm,
und das nennen wir Empfindung von ihm. . .
3 "vVahrnehmung" später in Anfuhrungszeichen gesetzt und über der Zelle em-
gefügt: "Meinung". - Anm. d. Hrsg.
Illt

TEXT NR. 8 (1909) 267

Sinn zum Objekt Haben, diesem Zugewendetsein, es als


Subjekt für Prädikate Ansetzen usw. 1 Danach gebe ich also die
Identifikation von Empfindung und Empfindungsinhalt (die ich
in den Logischen Untersuchungen vollzogen, habe) wieder auf
5 und kehre ich zu der Ansicht zurück, dass Empfindung lind
Wahrnehmung prinzipiell auf einer Stufe stehen, dass jede
Empfindung Wahrnehmung' ist, nur nicht volle Wahrnehmung. 2
Oder dass wir bloss unterscheiden müssen das noch nicht "wirk-
lieh objektivierende" impressionale Bewusstsein von, und zwar
10 Bewusstsein des Selbstda3, und das objektivierende4, in dem sich
ein Aufmerken und Subjektsetzen noch vollzieht.
Dem allem steht nun die reproduktive Modifikation
gegenüber. Der Empfindung steht gegenüber das Phantasma. In
dem letzteren steht die Farbenabschattung "gleichsam" da. Der
15 Dingwahrnehmung steht gegenüber die Dingphantasie als das
Bewusstsein des gleichsam SelbstdaS des Dinges.
So wie wir in,der Wahrnehmung den Auffassungsinhalt Farben-
abschattung hatten für die objektive Farbe (dingliche), so haben
wir in der Phantasie den Auffassungsinhalt Farbenabschattung
20 für die objektive Farbe'. 'Dasselbe beiderseits. Aber der Auffas-
sungsinhalt ist einmal empfindungsmässig ("wirklich"), das an-
dere Mal phantasiemässig ("gleichsam") bewusst. Und was die
Auffassung anlangt, so ist sie einmal wirkliche perzeptive Auf-

1 Vor "es als Subjekt für, Prädikate Ansetzen usw." hat Husserl später eingefügt:
"darauf gnindet sich,evtl." und diesen ganzen Satzteil in Klammern gesetzt. - Anm.
d. Hrsg.
2 Der letzte Satz wurde, wohl schon kurz nach der Niederschrift, wie folgt verän-
dert: "Danach gebe ich also die Identifikation von Empfindung und Empfindungs-
inhalt (die ich in den Logischen Untersuchungen vollzogen habe) wieder auf? In
gewisser Weise ja. Muss ich damit zu der Ansicht zurückkehren, dass Empfindung
und Wahrnehmung prinzipiell auf einer Stufe stehen, dass jede Empfindung Wahr-
nehmung ist, nur nicht volle Wahrnehmung, sofern Aufmerken oder Meinen fehlt?"
Wohl gleichzeitig mit dieser Veränderung ergänzte Husserl den Text am Rande wie
folgt, strIch die Erganzung aber später wieder durch: "Das scheint aber noch keines-
wegs gefordert. Ob das, 1tas die Einheit des Inhalts konstituiert, so etwas wie Apper-
zeption ist, ja ob man Überhaupt sagen kann, jeder Inhalt sei als ein Inhalt bewusst,
auch wenn er nicht wahrgenommen wird? Das ist sicher, dass die Erscheinung inner-
halb der normalen Wahrnehmung und all ihre Komponenten, die Farbenabschattung
e~c. wirklich als Einheiten dastehen, wenn auch in ihnen das allein gemeinte tran-
sle.nte ~bjekt erscheint. Ist nicht ebenso ein Gefühl, eine Trauer, ein Wunsch, ein
iillle , eme Prädikation etc. eine Einheit? Und gibt es dann eine Grenze ?". - Anm. d.
rsg. ,
3 "Selbstda" später in "Selbstgegenwärtig" verändert. - Anm. d. Hrsg.
• Spater eingefügt: "meinende". - Anm. d. Hrsg.
268 TEXT NR. 8 (1909)

fassung, das andere Mal quasi perzeptive Auffassung (die repro-


duktive Modifikation). Auffassung ist hier verstanden als das
Auffassen. Oben sagte ich ausdrücklich Auffassungsbewusstsein
Bewusstsein von Erscheinung. Nämlich es scheint, dass wir sage~
5 müssen: So wie der Empfindung der Empfindungsinhalt ent-
spricht, so dem Auffassen die Auffassung, dem Bewusstsein der
Erscheinung die Erscheinung. Die Wahrnehmung wäre danach
Empfindungsbewusstsein hinsichtlich der Erscheinung. In der
Tat kann ich wie den Inhalt "Farbenabschattung" so die Er-
10 scheinung zum Objekt machen.
Im Fall der Phantasie habe ich das modifizierte Bewusstsein
(Phantasma) von Erscheinung, Auffassung. Daher finde 'ioh in
der Analyse Auffassungsinhalte und Auffassung (Erscheinung)
als phantasierte, als gleichsam daseiende.
15 Die Auffassung der Phantasie ist dieselbe wie die Auffassung
der Wahrnehmung. D.h. im Wesen ist Wahrnehmungs auf-
fassung und Phantasieauffassung dieselbe, genauso wie wahr-
genommene Farbe und phantasierte Farbe.
Darin liegt, Wahrnehmungs- und Phantasiebewusstsein fun-
20 dieren hier ein Identitätsbewusstsein (und zwar ein evidentes).
Natürlich kann ich vom Phantasiebewusstsein1 selbst wieder
eine Wahrnehmung haben, es zum Gegenstand machen; es steht
dann als gegenwärtiges Erlebnis da.
Analysiere ich Phantasiebewusstsein (ein Phantasma), so finde
25 ich nicht eine Farbe und sonst dergleichen, sondern ich finde
wieder Phantasiebewusstsein. Genauso wie ich beim Wahrneh-
mungsbewusstsein analysierend immer wieder Wahrnehmungs-
bewusstsein finde. Phan t asie is t eben durch und durch
Modifikation, und anderes als Modifikation kann
30 sie nicht enthalten. Diese Modifikation ist als
solche Erlebnis, ist Wahrnehmbares, und die Wahr-
nehmung dieses Erlebnisses hat dann selbst wieder ihre Mödifi-
kation.
Phantasie ist durch und durch Modifikation: Sie ist Phantasie
35 von Farbe, von Auffassung. Bei inadäquaten 2 Phantasien: ein
verblasstes, lückenhaft schwankendes Rot mit fliessenden For-

1 Nachträglich eingeftigt: "besser Phantasma (als einheitlicher Inhalt)". - Antll.


d. Hrsg.
2 "inadäquaten" später verändert in "transienten". - Anm. d. Hrsg.
.,.

TEXT NR. 8 (1909) 269

men etc. Aber all das ist auch Phantasie, die fliessenden Formen
phantasierte Formen etc. Genauso wie, wenn ein verwaschen,
unklar etc. sich darstellendes Wahrnehmungsobjekt wahrgenom-
men ist, die Wahrnehmung durch und durch Wahrnehmung ist:
5 Freilich, da stellen sich Wahrgenommenheiten dar, die nicht dem
Gegenstand selbst "zugedeutet" werden, aber durch sie hindurch
"meinen wir" wahrnehmend (und ebenso im parallelen Fall
phantasierend) das Nicht-Verwaschene, Nicht-Schwankende etc.
Nicht zu verwechseln:! Blosse Phantasie und Vergegenwärti-
10 gung. Wahrnehmung - Phantasie ist nicht der Gegensatz von
Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, denn Vergegenwärti-
gung ist ein impressionaler Akt, der wieder seine Modifikation hat.
Phantasie ist gleichsam Gegenwärtigung; Vergegenwärtigung,
das sind die verschiedene,n Formen der Erinnerung, die wieder
15 ihre Modifikationen haben. Gleichsam erinnern, ebenso gleich-
sam bildlich vorstellen.
Das 2 Gleic/hsam ist der Charakter der Reproduktion.
Gleichsam Wahrnehmu.ng der Charakter der Phantasie im
engeren Sinn. Doch kann man sagen, dass "Phantasie" gewöhn-
20 lich ein weiterer Begriff ist = intuitive Reproduktion.

1 Der Text dieses Absatzes wurde später mehrfach durchgestrichen und am Rande
mI; emem Deleaturzeichen versehen. _ Anm. d. Hrsg.
d Der Text dIeses Absatzes steht in Längsrichtung am Rande der Mannskriptseite
un Wurde wohl etwas nachträglich eingefügt. - Anm. d. Hrsg.
Nr.9

IMMANENTE UND INNERE PHANTASIE


(IN DOPPELTEM SINNE). PHANTASIE UND
WAHRNEHMUNG. <WAHRNEHMUNG ALS
5 VORSTELLUNG, PHANTASIE ALS
MODIFIKATION VON VORSTELLUNG>
(September 1909)

Bei der immanenten Analyse kommen wir darauf zu sagen,


dass das "immanente Rot", der immanente Ton ein absolut Ge-
10 gebenes sei. Gehen wir dann auf den Zeitfluss zurück, so werden
wir zu sagen genötigt sein, der dem immanenten Ton entsprechen-
de F I u s s sei ab sol u t, sei Bewusstseins-Sein. Und zwar, wenn
wir auf den Ton nicht hinblicken und ihn nicht immanent
setzen, so sei nichts anderes als dieser Fluss und darin sei das
15 Jetzt-Moment des Tones selbst absolutes Sein, während hinsicht-
lich der zu demselben Jetzt gehörigen Vergangenheitsphasen eine
Art von Darstellung, ein Bewusstsein von, das Absolute sei.
Stellen wir nun folgende Überlegung an. Wenn wir P h a n t a-
sie (immanente) von dem Ton vollziehen, so steht gleichsam da
20 dieser Ton. Was wir wirklich gegeben haben oder uns zu wirk-
licher Gegebenheit bringen können, ist Phantasie von dem Ton.
Während in der immanenten Wahrnehmung der Ton selbst Er-
lebnis ist (genauer, das Ton-Jetzt), ist in der immanenten Phan-
tasie nicht der Ton, sondern das Tonphantasma, die Tonmodifi-
25 kation Erlebnis (bzw. das entsprechende Toninhaltsmoment im
phantasierten Jetzt).
Nun finden wir aber das Merkwürdige, dass wir hier noch
eine zweite immanente Phantasie haben: Nämlich
während die Phantasie vom Ton als immanente Modifikation
TEXT NR. 9 (1909) 271

vom Ton ist, ist sie zugleich Modifikation von der Wahrnehmung
des Tones.
Wie kann eine und dieselbe immanente Phantasie zugleich
Phantasie vom Ton und Phantasie von der Wahrnehmung des
5 Tones sein? Aber das ist ein blosser Reinfall. Dieses Inein-
ander gilt nur bei transienten Phantasien, als Modifika-
tIOnen von t r ans i e nt e n Wahrnehmungen.
Das Eigentümliche der transienten Wahrnehmungen ist, dass
SIe sich auf ihre Gegenstände durch Erscheinungen beziehen. Die
10 Erscheinung in sich selbst ist selbst Darstellung eines Gegen-
standes, der von ihr verschieden, nur durch sie abgeschattet, dar-
ge"tellt ist. Diese Wahrnehmungserscheinung ist Erlebnis und
stellt dar, bezieht sich auf den transienten Gegenstand, ob wir
auf sie hinsehen oder nicht. Also vor dem Hinsehen haben wir
15 schon zweierlei, Erscheinung und (intentionales) Objekt. An-
dererseits, wenn wir von der immanenten Wahrnehmung, etwa
der eines Tones, ausgehen, so haben wir hier nicht vermittelnd
eine Tonerschefuung, die schon vor dem immanenten Wahr-
nehmen Erlebnis sein könnte. Der immanente Ton und die Ton-
20 erscheinung ist hier einerlei.
(Auch ist das Problem, ob denn nicht auch die immanenten
Objekte, sei es überhaupt, sei es in gewissem Umfange, schon
konstituierte "Objekte" sind, nur nicht gemeinte Objekte. Wir
hatten dann etwa immanente Auffassungen (Erscheinungen) und
25 transiente zu unterscheiden. Und zu sagen: Bei der transienten
Wahrnehmung vermittelten zwei Erscheinungen, nämlich die
I

transiente Erscheinung sei immanent erscheinende und zugleich


als transiente auf das Objekt bezogene, und im Fall normaler
Wahrnehmung gehe die Meinung durch diese transiente Er-
30 scheinung hindurch.)
Jedenfalls ist der Unterschied klar: Die immanente Wahrneh-
mung 1st schlichte Richtung auf das immanente Objekt. Die
tranSIente Wahrnehmung ist eine Meinung, die sich gründet auf
eme transiente Etscheinung und "durch sie hindurchgeht", aber
35 nIcht auf sie selbst hingeht. Bei der Modifikation haben wir dann:
Phanta'oie von der Richtung auf das Objekt, Phantasma des
Tones und des den Ton Meinens durch das Phantasma hindurch.
Und Phantasie des das Haus Meinens == Phantasiemodifikation
de.., zugrundeliegenden Erscheinens und des transienten Durch-
272 TEXT NR. 9 (1909)

gehens der Meinung. Sehen wir aber von der Richtung ab, so
haben wir Phantasiemodifikation vom Ton (d.i. Phantasiemodi-
fikation des den Ton konstituierenden Bewusstseinsflusses) und
andererseits Phantasiemodifikation von der Hauserscheinung
5 (die selbst wieder sich konstituiert in einem Bewusstseinsfluss).
Die Hauserscheinung ist "Hauswahrnehmung" in einem Sinn:
nämlich abgesehen von der Meinung. 1

*
Aber wenn ich auf das Tonphantasma hin blicke, so ist
dies doch Phantasiemodifikation des auf den Ton wahrnehmungs-
10 mässig Hinblickens : wie die Reflexion herausstellt. Auf den
"Ton der Phantasie" hinblicken, ihn in einer Phantasievorstel-
lung als Objekt vorstellen, das ist doch ihn gleichsam hören. Das
Hinblicken gibt sich als nicht wirkliches, sondern selbst als Phan-
tasie-Hinblicken.
15 Ebenso auf das Haus in der Phantasie hinblicken, d.h. das
Haus zum 0 b j e k t einer Phantasievorstellung machen, das ist
Phantasiemodifikation von dem das Haus Wahrnehmen im vollen
Sinn: wie ebenso die Reflexion herausstellt. 2 Es ist eben "gleich-
sam das Haus sehen". Das Hinblicken auf das Haus, das sich als
20 Phantasievorstellung vom Haus konstituiert, gibt sich nicht als
wirkliches, sondern als Phantasie-Hinblicken. Nur dass ich hier
die Hauserscheinung vorfinde, als quasi-Hauserscheinung, näm-
lich Modifikation (Erscheinungs-Phantasma), oben aber finde ich
den Ton vor, als quasi-Ton, als Tonmodifikation (Tonphantasma).
25 Also habe ich bei der immanenten Phantasievorstellung fol-
gendes: Immanente Reproduktion (Phantasiemodifikation ohne
Meinung) ist nichts Doppeltes. Es ist einfach Phantasma (im-
manentes Tonerscheinungs-Phantasma). Aber immanente Phan-
tasievorstellung als Rich t ung auf das Phantasie-Objekt hat
30 den Charakter einer (immanenten) Reproduktion der immanenten
Wahrnehmung des betreffenden Objekts (Ton).3

1 Hauswahrnehmung = impressionale Erscheinung oder, wie ich auch sagen'kann:


Erscheinungs-Impression.
2 Hauswahrnehmung im zweiten Sinn.
S Offenbar wird dadurch der Begriff der "inneren Phantasie" und Reflexion in der
Phantasie doppeldeutig. I) Phantasie-Hinblick auf die Hauserscheinung (Wahr-
nehmung im ersten Sinn), 2} auf die Wahrnehmung als volle Meinung.
TEXT NR. 9 (1909) 273

Transiente Reproduktion (d.h. Reproduktion einer transienten


Erscheinung ohne Meinung, die auf sie oder ihr Objekt gerichtet
\v:ire) = transientes Erscheinungs-Phantasma ist in sich Repro-
duktion einer Wahrnehmungserscheinung, d.h. einer solchen Er-
5 scheinung, wie sie der transienten Wahrnehmung zugrundeliegt.
Da~s zu ihrem Wesen ferner gehört, Erscheinung von einem
transienten Objekt zu sein, ist ein zweites (beides stellt anschlies-
sendes Urteil fest). Die Richtung auf das erscheinende Ob-
jekt, die gegeben ist als Phantasievorstellung vom Erscheinen-
10 den (Haus), hat nun wieder das Eigentümliche, dass sie Repro-
duktion der Wahrnehmungs-Meinung, Wahrnehmungs-Richtung
auf das transzendente Objekt ist.
K un ist es noch wichtig, phänomenologisch klar zu bestimmen,
was die Meinung ist gegenüber Erscheinung.
15 Ist es richtig, das Sich-konstituieren des immanenten Objekts
(des dauernden Tones) im Fluss der immanenten Zeitlichkeiten,
ab g e s ehe n von der Meinung, durch die erst der Gegenstand
zum Ge gen stande wird, auf eine Stufe zu stellen oder als der
Hauptsache nach analog aufzufassen mit dem Sich-konstituieren
20 des äusseren (transienten) Objekts im Flusse der Erscheinungen
im gewöhnlichen Sinn, wiederum ab g e se h e n von der Meinung
des Objekts; s6 haben wir bei jeder Wahrnehmung zu unter-
scheiden Erscheinung und Meinung, bei der immanenten schlicht,
bei der transzendenten fundiert: Eine immanente Erscheinung
25 hat ein Objekt, das zugleich Erscheinung eines transzendenten
Objekts <ist> (differenzierend könnte man sagen, ein immanent
konstituierter Inhalt, ein Phänomen, ist Erscheinung für ein
transientes Objekt. Die Momente. des Flusses würden wir nicht
Phänomene, sondern Fluenten nennen). Nun ist aber das Pro-
30 blem, ob 1\1 ein u n g nur ein hin<zu>tretendes Moment ist oder
eine eigentümliche Beseelung, kurzum, was das ist und leistet
und zumal, wie das zum Urteil, belief sich verhält. Und ebenso
bei der Phantasie, wo die Meinung modifizierte Meinung ist und
doch Trägerin ~on Urteilen, deren Charakter dann in Frage ist.
35 \\'ie wäre es, gegenüberzustellen Impression und Phantasma?
Impreosion als das immanent objektivierte (aber nicht gemeinte}
Erlebnis, der Akt als Phänomen. Phantasma seine Phantasie-
modifikation : also Phantasie von ihm. Auch als Phänomen ge-
nommen. Wille = Willensimpression - Willensphantasma, etc.
274 TEXT NR. 9 (1909)

Angeblich immanente Auffassung, Erscheinung.


Phantasieerscheinung keine Erscheinung, Phantasievorstellung
keine Vorstellung, wenn Wahrnehmungsvorstellung Vorstellung
von ihrem Gegenstand ist

5 Es tut doch nicht gut, von immanenter neben transienter Er-


scheinung oder gar Auffassung zu sprechen.
Wir sprechen von Inhalten, die Auffassung erfahren, und Von
Inhalten in und mit ihrer Auffassung, und das mache die Er-
scheinung aus. Statt Auffassung sagte ich auch Repräsentation,
10 Apperzeption, das alles sind missdeutliche Ausdrücke. Be-
halten wir mal Apperzeption bei, so ist doch zu beachten, dass
Apperzeption (diese "Auffassung") noch nicht Meinung in sich
schliesst, dasjenige, wodurch ein Gegenstand als Gegenstand
(worüber) dasteht. Und ebenso die konkrete Erscheinung.
15 Inhalte erfahren Auffassung (Apperzeption): Inhalte sind da
schon konstituierte, individuelle Einheiten. Z.B. eine gewisse so
und so dauernde Farbenabschattung, ein Toninhalt in der und
der Qualität und Intensität dauernd oder sich verändernd etc.
Und die Auffassung, die sie erfahren, ist etwas zu den Inhalten
20 (wenn auch nicht äusserlich) Hinzukommendes, evtl. Wechseln-
des: selbst wieder ein Inhalt, eine Einheit in dem angegebenen
Sinn, nur von ganz anderer Artung.
Wie soll nun von "immanenter Auffassung" und
"E r sc h ein u n g" geredet werden?
25 Wenn ich auf einen immanenten Inhalt hinsehe und ihn als
Gegenstand setze, so ist vor allem das Hinsehen und Setzen
auszuschliessen, da wir es auch dort bei der transienten Erschei-
nung und Apperzeption ausgeschlossen hatten. Haben wir hier
nun wieder Inhalt und Auffassung vor der Meinung (dem
30 Hinsehen)? Da ist also ein radikaler Unterschied. Transiente
Auffassung und Erscheinung ist Inhalt, beseelt durch Auffas-
sung, die ein neuer Inhalt ist. Bei "immanenter Erscheinung"
finden wir keinen Inhalt und beseelenden Charakter abgesehen
von der Meinung. Inhalt und Erscheinung ist da einerlei, d.h.
35 aber nicht, dass hier auch so etwas wie Apperzeption, Auffassung
vorkommt.
Ist! bei im man e n t er Wahrnehmung von Auffassung keine
1 Später bemerkte Husserl zum Text dieses und des folgenden Absatzes am Rande:
"Zur Darstellung". - Anm. d. Hrsg.
,i

TEXT NR. 9 (1909) 275

Rede (oder, was also dasselbe ist, von Apperzeption), so ist gleich
hinzuzufügen, dass auch bei immanenter Phantasie davon keine
Rede ist. Innerhalb der Phantasie ist von Apperzeption nur die
Rede im modifizierten Sinn, nämlich als modifizierte Auffassung
5 (z.B. Phantasieauffassung von Haus).
Grundverkehrt wäre es natürlich, bei einer Phantasievor-
stellung von immanentem Rot, also in Beziehung auf
Rotphantasma, von Auffassung zu sprechen, etwa gar
so, als ob ein Modus der Auffassung eines Rotinhaltes Wahr-
10 nehmung von Rot (Wahrnehmungsauffassung von Rot) ergäbe
und ein anderer Modus desselben Inhaltes Phantasieauffassung.
Man darf immer nicht verwechseln Auffassung und Meinung
und <muss> daran denken, dass ein erlebter Inhalt natürlich
nur in immanenter Wahrnehmung gemeint und in Form transien-
15 ter Wahrnehmung, oder besser Erscheinung, aufgefasst werden
kann. Dagegen nicht aufgefasst werden kann in Form im-
manenter Phantasie (was keinen Sinn gibt) oder transienter
Phantasie. Dar alles gibt keinen Sinn. Denn, wird ein Inhalt
als etwas aufgefasst (apperzipiert), so ist der Auffassungs-
20 charakter ein neuer Inhalt, und das Ganze aus beiden ist kein
Phantasma. Ein Phantasma ist nicht ein Charakter, der sich
an ein Nicht-Phantasma anschliesst, ein dazutretender weiterer
Inhalt, sondern Phantasma ist Mo d i f i kat ion von, und es
ist zu sagen: dass jedes Phantasma durch und durch Phantasma
25 ist. Phantasieauffassung is nicht Auffassung, sondern Phantasie.
Oder wenn wir deutlicher sprechen: Auffassungs-Phantasma
ist nicht Auffassung, sondern Phantasma. Oder Phantasma
von Auffassung. So ist auch Rotphantasma nicht Rot und
etwas dazu, sondern ganz und gar nicht Rot, sondern etwas,
30 das Rot "vorstellt". Dieses Vorstellen darf man aber nicht
zusammenwerfen mit dem Vorstellen in dem Sinn, in dem etwa
eine Wahrnehmungserscheinung Erscheinung von einem Haus
ist und das Haus vorstellt. Nennt man letzteres Vorstellung, so
ist das Rot-Vor~ellen im Sinn der Phantasie kein Vorstellen,
35 sondern eben Modifikation von Vorstellen, Phantasma davon.
So darf man also nicht Phantasievorstellung und Wahrnehmungs-
vorstellung auf gleicher Stufe behandeln. Ist Wahrnehmungs-
vorstellung Erscheinung, so ist "Phantasievorstellung" quasi-
Erscheinung, gleichsam Erscheinung etc.
Nr. 10

DIE GLAUBENSMODIFIKATIONEN : GLAUBE


(GEWISSHEIT), NEIGUNG, ZWEIFEL ETC. IN
DER SPHÄRE DER SCHLICHTEN INTUITION.
5 <ÜBERTRAGUNG IN DER IMAGINATIVEN
MODIFIKATION AUF DIE PHANTASIE>1
<wohl Herbst 1909>

In den Vorlesungen 2 habe ich studiert das Verhältnis zwischen


Phantasievorstellung, Wahrnehmung, Bildvorstellung als illusio-
10 närer Vorstellung, bildlich-symbolischer Vorstellung.
Auf die "qualitativen Momente", auf die Modi des
Glaubens, Zweifelns, etc. habe ich dabei keine Rücksicht genom-
men, obschon diese doch eine wichtige Rolle spielen. Allgemein
habe ich schon in den Logischen Untersuchungen zu scheiden ge-
lS sucht zwischen "qualitativer Modifikation" und "imaginativer
Modifikation".3 Der letztere Titel erweist sich als unpassend, da
ich zu erkennen meinte, dass Phantasieauffassung und eigent-
liche Bildauffassung wesentlich zu scheiden seien. Inzwischen
habe ich erhebliche Fortschritte gemacht, habe erkannt, dass
20 Phantasieauffassung keine eigentliche Auffas-
sung ist, sondern einfach die Modifikation der ent-
sprechenden Wahrnehmungsauffassung, dass Bild-
auffassung als Illusion durch Streit aufgehobene Wahrneh-

1 Eng Zugehöriges in (MA), welches in der Manuskriptgruppe der Strukturen des


Bewusstseins liegt <vgl. unten Nr. 15 sowie die zugeh6rigen Textkritischen An-
Illerkungen>. .
2 Husserl durfte sich hier auf den oben als Nr. 1 wiedergegebenen Vorlesungstell
aus dem Wintersemester 1904/05 beziehen. - Anm. d. Hrsg.
3 Vgl. Logische Untersuchungen, 2. Teil, V. Untersuchung, §§ 39 und 40. - Anm. d.
Hrsg.
TEXT NR. 10 (1909) 277

mungsauffassung ist, wobei das "Aufheben" Sache der Qualifi-


zierung ist und voraussetzt "Wettstreit" oder "Sich-durchdrin-
gen" von einfachen .kuffassungen, d.h. von Dingauffassungen.
Das alles werde ich neu studieren müssen, obschon das Wesent-
5 liehe wohl schon gewonnen ist, nur dass es sorgfältiger Darstel-
lung und Präzisierung bedarf.
Ich werde zunächst behandeln müssen Wahrnehmung
und P h a n ta sie. Ich muss von vornherein diese Gegenüber-
stellung machen, weil ja Erinnerung, Erwartung Phantasie-
10 erscheinungen enthalten. Ebenso muss von vornherein die sym-
bolische Auffassung als leere und als verbildlichende herangezo-
gen und <müssen> vereinzelte leere Intentionen beschrieben
werden. Es wird in eine Reihe gestellt werden müssen normale
Wahrnehmung, Illusion, Wahrnehmung im Modus der Neigung
15 und des Zweifels, Anmutung und Vermutung. Symbolisch fun-
gierende Illusion (Bildvorstellung) und als äusserliches Zeichen
fungierende Wahrnehmung oder Illusion. Die Reihe von Modifi-
kationen, welche das gemein haben, dass sie "Wahrnehmungs-
erscheinungen" enthalten.
20 Dann die Reihe von Modifikationen, welche Phantasieerschei-
nungen enthalten. Doch über die Ordnung der Darstellung wird
es elgener Überlegungen bedürfen.

W a h r ne h m u n gen und intuitiv schlichte Akte, die Wahr-


nehmungserscheinungen enthalten. -
25 1) Die normale W3.hrnehmung. Dn-bestritten. Modus der Ge-
wissheit.
2) Zweifelnde Auffassung. Ist das Freund Hans oder jemand
anderer? Ist das ein Hund oder ein Fuchs? Zwei Wahrnehmungs-
auffa -,sungen: aber nicht normale Wahrnehmungen. Im Ver-
30 gleich mit der normalen Wahrnehmung haben sie beide eine ge-
wisse ::\Iodifikation: nämlich hinsichtlich des belief-Modus. Der
ZweIfel SE'tzt voraus einen "Widerstreit sich durchdringender
Auffac,sungen", dabei aber gemeinsame Wahrnehmungsmomen-
te, einen geme1nsamen Empfindungsbestand und einen gewissen
35 gemeinc,amen Wahrnehmungsbestand in der Auffassung. Schon
hm-,ichtlieh der Dingform. Ebenso kann streiten eine Wahrneh-
rnunge.,auffassung mit einer bildlichen (abbildenden) Auffassung:
So der Streit Puppe oder Mensch, Puppe ist Bild eines Menschen.
Zl8 TEXT NR. 10 (1909)

Hier haben wir also "Sich-durchdringen" von Auffassungen.


Hinsichtlich der Glaubensmodi eine "Glaubensneigung" , eine
Anmutung für jede Seite. Verschiedene Stärke der Anmutung.
Evtl. eine Gewissheitsentscheidung für die eine Seite, trotzdem
5 für die andere eine A~mutung verbleibt. Oder blosse Vermutung
für die eine Seite, Überwiegen der Anmutung und ihr Nach-
geben, nicht in Gewissheit, sondern in Vermutung. Es kann aber
ein unausgeglichener Zweifel, und zwar als Bewusstsein des "das
oder das?" verbleiben. Die Zweifelsfrage.
10 Wir haben also hier zu beachten a) einmal das Vorkommnis
der sich "durchdringenden" Wahrnehmungserscheinungen, Wahr-
nehmungserscheinungen im Wettstreit.
b) Andererseits die qualitativen Modifikationen. Jede der Er-
scheinungen mindestens als "Möglichkeit" dastehend (An-
15 mutung), dazu aber die verschiedenen Gewichte, die zu den
Möglichkeiten gehören (verschiedene Stärke der Anmutungen),
weiter die Entscheidungsphänomene, das Sich-entscheiden nach
Schwanken oder Zweifeln, und das "zweifellos" erfolgende Ent-
schiedensein : Phänomen der Gewissheit mit verschieden starken
20 Gegenanmutungen (sachlichen Gegenmöglichkeiten), Phänomen
der Vermutung, wo die Gegenmöglichkeiten festgehalten, nicht
abgelehnt, nicht beiseite geschoben werden. l Das spielt auch
seine Rolle bei der Entscheidung: Ich lehne die Gegenmöglich-
keiten, obschon sie Möglichkeiten verbleiben, Korrelate von An-
25 mutungen, ab, ich "lasse sie nicht gelten", oder ich lasse sie gel-
ten, "halte sie fest" und vollziehe danach blosse Vermutung.
Das alles eine Fülle von intuitiven Phänomenen, die auf Grund
der Intuition des Wettstreites, des Sich-durchdringens und dabei
Aufhebens der Erscheinungen statthaben können und darin fun-
30 diert sind. Die Zwiespältigkeit der Erscheinung, die so geartet
ist, dass die eine und die andere nicht zugleich, sondern nur nach-
einander gegeben sein kann, dass die Gegebenheit der einen die
der anderen ausschliesst (doch da ist schon ont<isch> gespro-
chen: das kann ich nun ja sagen: Das Sein der Erscheinung im
350nt<ischen> Sinn (nicht des Dinges) hebt das Sein der Gegen-
Erscheinung auf und umgekehrt: so wie dann weiter das Sein des

1 Überzeugung: mehr, starkere Zeugen sprechen dafur. Ein Glaube mit uberwie-
genden "Grunden" oder dafur sprechenden "Mögllchkeiten". Die Gegentendenzen
gering und vielleicht bewusst "beiseite geschoben", nicht gelten gelassen.
"

TEXT NR. 10 (1909) 279

erscheinenden Dinges das Sein des in der Gegenerscheinung er-


scheinenden aufhebt).
3) Illusion, z.B. Geistererscheinung. Sieist "nichts" oder "Bild-
objekt". Auch hier haben wir Widerstreit in den Erscheinungen.
5 Aber keinen Wettstreit, wenn es eben als Illusion charakterisiert
ist. Das erscheinende "Bild" ist nicht als Möglichkeit charak-
terisiert, ihm gilt keine Glaubensneigung (Anmutung). Hier ist
kein Schwanken, Zweifeln, Sich-entscheiden. Auch setzt sich
vielleicht das Scheinobjekt, wie im Fall des Geistes, nicht anstelle
10 eines anderen visuell erscheinenden Objekts, mit ihm sich durch-
dringend: Denn es setzt sich an die Stelle der Luft, und Luft
"sieht" man nicht. Der Fall ist also im ganzen nicht wesentlich
vom vorigen unterschieden.
Ich kann ein Scheinobjekt betrachten, ohne mich an den
15 Unglauben zu kehren; etwa der Person auf der Bühne, ich folge
ihren Handlungen etc. Oder den Bewegungen des Geistes, seinen
meinenden Gebärden etc. Dieses Betrachten ist nicht Glaube
oder Unglaub~ oder sonstiger Glaubensmodus, auf Sein des
Dinges bezogen: Es ist Betrachtung des erscheinenden Objekts
20 als solchen, ein setzender Akt, der nicht die Wirklichkeit setzt,
sondern eben das "Erscheinende als solches" setzt (also nicht
etwa blosse Vorstellung im Sinn einer Phantasie ist u. dgl.).
Hier wird das Perzeptionale entnommen und auf Grund des-
selben Synthesis, etwa auch Prädikation vollzogen, es ist eine
25 Prädikation von modifiziertem Sinn, sofern eine modifizierte
"Auffassung" hier vorliegt.
Was ist D ahinges t eH t seinlass en? Im Fall des Zweifels
kann ich Entscheidung anstreben oder mich solchen Strebens
auch enthalten. Mag es sein wie immer: Ich entscheide mich
30 nicht glaubend (in Gewissheit) für dies und nicht für jenes, ich
bevorzuge keine der Möglichkeiten, "gebe keiner nach". Ich ver-
mute auch nicht: Ich lasse unentschieden. Stellungnahme = sich
auf den Boden einer der Anmutungen (Möglichkeiten) stellen,
und das kann entweder heissen, ihr nachgeben, oder annehmen,
35 vorau-,sctzen, was n!türlich wieder ein Neues ist.
'Venn wir die kategoriale Analysis und Synthesis hereinziehen,
SOWIe evtl. die prädikative Begriffsauffassung, so ergeben sich
mancherlei höchst wichtige Vorkommnisse, die dann des näheren
zu studieren sind.
280 TEXT NR. 10 (1909)

Es erscheint das Objekt S (und wird evtl. als S begrifflich er-


kannt) und wird in Wirklichkeitsweise gesetzt. An ihm erscheint
p (das auch als p, nun ein Prädikat bezeichnend, begrifflich er-
kannt sein kann), und S wird als p gesetzt. Zugleich wird ein p'
5 dem S zugemutet, mag es sich auch nicht anmuten. Es wird S
als p' zugleich "angesetzt", das p' streitet mit dem p und das p/_
Sein mit dem p-Sein.
Widerstreit der vorstelligen Sachverhalte (der Propositio-
naHen), begründet im andersartigen Widerstreit der Bestimmun-
10 gen.
Ich könnte übrigens das S zugleich ansetzen als p' und als pli,
wobei wieder p' und pli in ihrer Beziehung auf S einander auf-
heben. Ist aber geurteilt S ist pt, so steht dieser Sachverhalt als
wahrer da, und durch ihn aufgehoben ist das Angesetzte, die
15 Ansetzung (ontisch) "S! ist p'''. Nun das negative Urteil:
(S ist p') unwahr.
Andererseits S! steht da in Wahrheit als p, dieses p-Sein hebt
das angesetzte p'-Sein auf: S! ist nicht p' = S! (ist p')
nich t.

20 Noch ein Phänomen muss beschrieben werden, nämlich das


der freien Möglichkeiten, nämlich der durch Gegen-
möglichkeiten nicht gehemmten.
Ich sehe z.B. eine unbekannte Schachtel. Die Rückseite ist
mitaufgefasst, aber unbestimmt hinsichtlich Farbe und Gestalt.
25 Nun taucht die Vorstellung auf, die diese Rückseite als rot oder
als grün gefärbt denkt. Aber nichts spricht für das eine und das
andere. Das sind hier freie Möglichkeiten. Sie bestimmen die
Unbestimmtheit in einer Weise, die nicht vorgezeichnet ist durch
eine bestimmte Neigung oder Forderung. Andererseits sind es
30 doch "Möglichkeiten". Es ist ungenau, wenn soeben gesagt war,
nichts spricht für das eine und nichts für das andere. Sondern
nichts spricht mehr für das eine als für das andere. Indem et-
was und sogar Gewissheit für "e i n e Farbe" spricht, spricht es für
jede Farbe, aber hier für jede in gleicher Weise. Aber freilich die
35 Wahrnehmungsauffassung selbst enthält keine eigenen intentio-
nalen Strahlen, die auf die oder jene bestimmten Farben gerichtet
sind, sondern nur die eine unbestimmte Intention "eine Farbe". Es
handelt sich also um ein Wesensverhältnis, dass die Gewissheits-
-,

TEXT NR. 10 (1909) 281

auffassung, dieser in der Wahrnehmung wirklich enthaltene in-


tentionale Strahl, die vorzustellenden bestimmten Farben als
,)Iöglichkeiten" motiviert, und diese Vorstellungen der Möglich-
keiten sind nicht etwa "blosse Phantasievorstellungen", sondern
5 haben einen bestimmten (impressionalen) Glaubens-Modus, unter
den Begriff Anmutung gehörig.

*
Alle Vorkommnisse im Gebiet der Wahrnehmung, alle Auf-
fassungen, die sich auf Empfindung bauen und mit dieser Er-
scheinung konstituieren, mit allen qualitativen Modifikationen
10 übertragen sich in der imaginativen Modifikation
auf die P h a n-t a sie. Sie treten "in der Phantasie" auf. Also
auch alle Zusammenstimmungen und Widerstreite.
Überlegen wir den Fall: In einer Phantasieumgebung, in einem
Phantasie-Milieu erscheint ein Geist. Er hat den Charakter der
15 ~ichtigkeit: Er stteitet gegen die Phantasiedinglichkeit mit
ihren imaginativ modifizierten Glaubenstendenzen.
Wir können aber auch folgenden Fall überlegen: Ich habe
eine Phantasiegegenständlichkeit, und nun stelle ich mir <von,
dass ein Stein gegen das mitphantasierte Fenster derselben fliegt
20 und, ohne es zu zerbrechen, hindurchgeht. Auch da tritt ein
Widerstreit auf. Dieser Durchgang des-Steins durch das Fenster
fügt sich zwar in die Einheit der Phantasie ein, es wird phanta-
siert, aber "er will sich nicht einfügen". So wie ich ja andererseits
auch mir phantasieren kann, dass die Rückseite dieses Tisches
25 grün sei, aber es wird das alsbald als nichtig charakterisiert.
Oder mir anschaulich vorstellen kann, es gehe der Stein durch
diesC3 wirkliche Fenster, aber es ist "bIosse" Einbildung. Aber
während ich hier aktuelle Wahrnehmung habe mit ihrem aktuel-
len Glauben, habe ich dort Phantasie, und zu ihr gehört die phan-
30 ta'iiemässige :ßiodifikation des Wahrnehmungsglaubens. Die
Wirklichkeit ist eI1iijJirische Wirklichkeit mit den empirischen
Eigerhchaften, die einer Wirklichkeit "zukommen", aber die
Wir1dichkeit ist quasi-Wirklichkeit, das Zukommen ein quasi-
Zukommen. Dagegen streitet nun das Durchgehen des Steins
35 durch das Fenster. Geht er durch, so ist die empirische Wirklich-
kcit nicht mehr empirische Wirklichkeit. Die Anschauung des
282 TEXT NR. 10 (1909)

Durchgehens hebt die Auffassung der empirischen Wirklichkeit


auf, modifiziert sie nachträglich. Das alles ist aber Phantasie.
Trotzdem, die modifizierte Auffassung ist da und ist, solange der
neue Vorgang nicht abgelaufen ist ("in der Phantasie"), nach
5 ihrem Sinn identisch erhalten, und gegen diesen Sinn bzw.
gegen die quasi-Setzung der Gegenständlichkeit eines solchen
Sinnes streitet die quasi-Setzung der Gegenständlichkeit des
Steinfliegens etc. und hebt sie auf. Es verhält sich hier also eben-
so, wie wenn in der Wahrnehmungssphäre eine normale empi-
10 rische Auffassung, z.B. eines laufenden Dinges als Hund, im
Fortgang der Wahrnehmung modifiziert wird: Es ist kein Hund,
sondern ein Hase. So müsste es hier heissen, es ist in Wirklichkeit
kein Naturobjekt, sondern etwas davon Verschiedenes. Aber ist
denn hier die Rede von einem "ist"? Natürlich, ich phantasiere
15 und, in der Phantasie lebend, sehe ich gleichsam ein Ding, ich
habe gleichsam ein Seiendes, von dem ich das und das gleichsam
aussagen kann. Sowie ich das tue, habe ich nicht wirkliche Aus-
sagen, sondern quasi-Aussagen, und wirkliche gewinne ich nur,
wenn ich entweder annehme, oder wenn ich das Phantasierte als
20 solches nicht nur festhalte, sondern setze, und das ist dann eine
eigene Auffassungs- und Setzungsweise, nämlich nicht des wirk-
lichen Dings, sondern des Phantasiedings als solchen. Wie das
oben schon ausgeführt worden.
Lebe ich in der Phantasie und halte ich das Phantasierte in
25 seiner Einheit fest, so können in der Phantasiesituation Motive
der Anmutung, Vermutung, des Zweifels, der Entscheidung er-
wachsen: alles modifiziert. Ich mag in der Phantasie also "kor-
rekt" vermuten, urteilen, Aussagen machen, so dass all diese
Akte selbst mitgehören in die Einheit der Gesamtphantasie. Aus-
30 sagen in der Phantasie sind dabei zu unterscheiden von Aussagen
ausserhalb der Phantasie, die aber dem Phantasierten Ausdruck
verleihen: Ich phantasiere mich etwa hinein in einen Spazier-
gang in der Umgebung von Florenz. Ich begegne zwei wilden, ver-
dächtig aussehenden Männern, ich vermute, dass sie mir etwas
35 anhaben wollen etc. Phantasierend druckte ich dabei das aus,
was ich da an Phantasievorgängen erlebte, aber diese phanta-
sierenden Urteile und Ausdrücke sind nicht Urteile, die zur
phantasierten Situation insofern gehören, als ob sie ebenfal~s
in der Phantasie von mir erlebt worden wären. Genau so, Wle
TEXT NR. 10 (1909) 283

wenn ich eine Erinnerung von all dergleichen hätte und aus-
drückte, während die Meinung nicht ist, dass ich "damals" so
gesprochen und ausgedrückt hätte. In diesem Falle habe ich Er-
innerungsaussagen, im anderen aber blosse Ausdrücke von
5 Phantasieerscheinungen, von Phantasieerlebnissen, die freilich
auch der Funktion der Mitteilung dienen und <in>sofern in ano-
maler Weise andere und wirkliche Urteile vertreten. Ich kann
auch, rein der Phantasie hingegeben und ohne Absicht auf Mit-
teilung an Andere, gelegentlich meine Phantasien mit ausdrücken-
10 den Worten begleiten. Dann werden die Ausdrücke, wenn es sich
vorausgesetztermassen nicht um ein Reden inder Phantasie
handelt, zur aktuellen Welt des Phantasierens und nicht des
Phantasierten gehören, ebenso wie Gefühle u. dgl., die sich daran
knüpfen. Z.B. "ist das ein hässliches Gesicht!" (im inneren
15 Sprechen natürlich ausgerufen), "benimmt der sich da sonder-
bar!" u. dgl. Lauter wirkliche und nicht etwa phantasiemässig
modifizierte AIge, aber auf Grund der Phantasie und dadurch
in eigener Weise modifiziert.
Natürlich machen wir dabei keine hypothetischen Annahmen,
20 keine eigentlichen Ass<umptionen>, auch nichts Verwandtes.
Das Festhalten in der Phantasie ist kein eigener Akt, das Er-
scheinende hält sich selbst durch, nämlich in der Weise, dass es
eben als einheitlich dauerndes Ding etc. dasteht. Anders ist es,
wenn ich etwa das Fenster als Fenster in der Weise festhalte,
25 dass ich, wenn der Stein dagegen fliegt, nicht Modifikation der
empirischen Auffassung vollziehe, sondern sie eben durchhalte
und nun in der Phantasie das Durchgehen des Steins als Fiktion,
als Illusion ciegradiere. Dann habe ich eben das neue Bewusst-
sein: die und die Umgebung. Ein Stein fliegt gegen das Fenster,
30 und es besteht die Illusion des Durchgehens, ohne zu zerbrechen.
Ich setze nicht voraus, dass das Fenster ein wirkliches Fenster
'>ei oder sein soll, ich nehme es eben dauernd als wirkliches
Fenc,ter und konstituiere das Scheinbewusstsein in der Phantasie.
Ich phantasiere eih Tier, und es steht in dauernder Phantasie-
35 emheit da, und nun kann ich auf Grund dieser Phantasie über-
Z~UgL sein, vermuten, zweifeln, ob es ein Säugetier sei, ob es
dl.es er oder jener Tierklasse angehöre etc. Ist es ein pferdeartiges
T~er, so werde ich überzeugt sein, dass es ein Säugetier sei. Aber
WIe kann ich zweifeln oder vermuten? Doch nur die zur Auffas-
284 TEXT NR. 10 (1909)

sung gehörigen Merkmale kommen in Betracht, und nun ist die


Frage, gehören sie zu denjenigen, welche charakteristisch sind
für ein Säugetier etc. Ich habe dabei einen vag e n Begriff von
Säugetier und muss erst die begriffliche Vorstellung auseinander-
5 legen; oder ich habe das Wort und eine sehr vage Wort bedeutung
mit dem Annex, Säugetier ist so etwas, das Nähere steht in jedem
Lehrbuch der Zoologie.

Merkwürdig ist, dass jede Wahrnehmung in einem Wahrneh-


10 mungszusammenhang auftritt. Zu diesem gehören alle Zusam-
menstimmungen und Widerstreite, alle Anmutungen und Ver-
mutungen, alle Zweifel und Entscheidungen. Immer ist schon
Wahrnehmungserscheinung einer Wirklichkeit und Wahr-
nehmungsglaube als Fundament für alles andere da, und in
15 diesem ständig wechselnden Zusammenhang treten neue Er-
scheinungen auf, bald mit festen Glaubensmodis, die durch schon
vorhandene, mit ihnen stimmende sich stützen, bald werden vor-
handene Glaubensmodi gegebener Erscheinungen entwertet, sie
erfahren durch Widerstreit, der zugleich die Auffassungen in-
20 einanderflicht und gegeneinanderbringt (Wettstreit u. dgl.), Auf-
hebung usw.
(Und in all dem haben wir als Kern, der mit verschiedenen
"Qualifikationen" ausgestattet ist, Wahrnehmungserscheinungen,
und in diese wieder gehen Empfindungen ein, von denen man
25 fragen kann, ob sie nicht in ihrer Weise Glaubensmomente tra-
gen: als ob Empfindungen schon allerschlichteste Wahrneh-
mungen wären.)
Im übrigen bleibe ich bei der Ansicht: Wir haben Auffassungen
(in der intuitiven Sphäre), Erscheinungen, so und so qualifiziert.
30 Der qualitative Modus ist ein blosser Modus, der immer eine Auf-
fassungsmaterie, in der intuitiven Sphäre die blosse Erscheinung,
voraussetzt. Aber blosse Erscheinung ist nichts ohne Qualifi-
zierung. Bei gleicher Materie können die Qualifizierungen sich
ändern, wobei zu beachten ist, dass dabei der Zusammenhang
35 der Wahrnehmungen, Erinnerungen, kurz der ganzen Phäno-
mene, es sein wird, der für das vorgelegte Phänomen, das in dem
Zusammenhang ist und das seine Materie erhalten soll, die quali-
tativen Änderungen mit sich führen wird. Das ergibt dann hin-
sichtlich des Zusammenhangs Änderung der Auffassungen. So
TEXT NR. 10 (1909) 285

wenn eine Wahrnehmung in eine Illusion übergeht u. dgl. Eine


andere l\Iodifikationsrichtung ist die von Wahrnehmung in
Phantasie, wobei das Wes en der Erscheinung erhalten bleiben
mag. Die imaginative Modifikation, sie betrifft alle Vorkommnis-
5 se, Erscheinungen, überhaupt Auffassungsmaterien wie ihre
Oualitäten. Das Merkwürdige ist, dass dann blosse Phantasie
i~ Erinnerung übergehen kann, derart, dass die Phantasieer-
scheinung mit ihrer Phantasiesetzung verbleibt und ein Ganzes
erwächst, das impressionalen Charakter hat: Das impression ale
10 Zeitbewusstsein setzt eine Phantasieerscheinung voraus.! Ebenso
setzt ein Urteilen auf Grund der Phantasie eben Phantasie vor-
aus und ist doch ein impressionaler, also wirklicher Akt und keine
Aktmodifikation im Sinn einer Imagination2 • Akt e also, fun-
diert in einem Phantasiebewusstsein, und das Phantasierte er-
15 hält den Charakter des Gewesen, der ein aktueller Charakter
ist und nicht ein quasi-Charakter.

--~ ImpresslOnal he isst also Akt u ali t ä ts bewusstsein.


Spater emgefugt: ,,= Inaktualität". - Anm. d. Hrsg.
Nr. 11

<ERINNERUNG ALS "WIEDER"BEWUSSTSEIN


GEGENÜBER WAHRNEHMUNG UND
PURER PHANTASIE>
5 <wohl 1909 oder anfangs 1910>

W a h r n e h m u n gis t Sei n s b e w u s s t sei n, Bewusstsein


vom seienden Gegenstand, und zwar vom jetzt seienden, jetzt
dauernden, so und so (zu mir) orientierten, "hier" seienden. Das
liegt im Wahrgenommensein, Gegenstand in einer Wahrneh-
10 mungserscheinung erscheinend und in einer Wahrnehmungs-
setzung gesetzt.
Die entsprechende Erinnerung ist gleichsam Wahrneh-
mung. Sie ist Bewusstsein nicht nur vom vergangenen Gegen-
stand, sondern Bewusstsein von so vergangenern, dass ich sagen
15 kann: von wahrgenommen gewesenem, von mir wahrgenommen
gewesenem, in meinem vergangenen Hier und Jetzt gegeben ge-
wesenem. Den Sonnenuntergang, dessen ich mich erinnere,
"sehe" ich; ich habe jetzt die Erinnerung: ihn wahrgenom-
menzuhaben. Ich habe einen'gegenwärtigen Glaubensakt und in
20 gewisser Weise bezogen auf einen nichtgegenwärtigen, auf "mei-
nen" vergangenen Glaubensakt. Den Mausberg1 sehe ich gewis-
sermassen vor mir, indem ich mich seiner und des Spaziergangs
zu ihm hin erinnere; ich sehe ihn aber "nicht wirklich", ich fühle
mich ins Sehen "zurückversetzt". Die Erinnerung ist eine eigen-
25 tümliche Modifikation der Wahrnehmung. Die letztere eine
Wahrnehmungserscheinung (originäre Erscheinung) im Mo d u s
des Glaubens (auch originär); auf seiten der Erinnerung: ent-

1 Der Mausberg befindet sich in der Nähe von Göttingen. - Anm. d. Hrsg,
TEXT NR., 11 (1909 ODER 1910) 287

sprechende Phantasieerscheinung mit dem P h an ta sie glauben:


Ich war auf dem Mausberg mit den Kindern, ein herrlicher Son-
nenuntergang. Beleuchtung der Stadt durch das Abendlicht.
Die von der Sonne erleuchteten Dampfwolken einer Lokomotive.
5 Das Kartoffelfeld mit den langen schwachen Schatten. Der tief
rotbraun leuchtende Acker. Heimkehr. Die Maus im Vogelkäfig.
Das alles steht nicht nur da als Phantasie. Ich sehe es wieder
vor mir. Es ist "gesehen" und "wieder"gesehen, wenn auch mit
Unterbrechungen. Bald wie durch Schleier verdeckt, dann den
10 Nebel durchbrechend. Es ist wiedergesehen, gibt sich als ver-
gangen.
Pur e P h a n ta sie hat nicht diesen Charakter. Sie ist zwar
"gleichsam" Wahrnehmung, ich sehe gleichsam "ein Objekt in
einem Hier und Jetzt", aber das Sehen ist nicht Wieder-sehen
15 und Schon-gesehen-Haben, und das Objekt ist nicht "vergangen"
und als das gesetzt, mit einem vergangenen Hier und Jetzt.
Die "Erscheinung" mag im _Wesen dieselbe sein für Wahr-
nehmung und ~rinnerung,. aber einmal ~ine impressionale, das
andere Mal eine modifizierte Erscheinung. 1 Und beide in einem
20 verschiedenen Bewusstseinscharakter. Zunächst die zeitliche Mo-
difikation. Das Erscheinende ist nicht jetzt, sondern gewesen,
und zwar wahrgenommen gewesen. Der Glaube hängt nicht ein-
fach an der imaginativen Erscheinung, sondern er "repräsen-
tiert" den vergangenen Glauben, nämlich in dem Sinn, er ver-
25 gegenwärtigt ihn wieder. Aber was heisst das? Was ich habe,
ist eine Phantasieerscheinung (also eine quasi-Erscheinung), die
als solche einen beliet-Modus haben muss, und zwar hat sie den
Modus "Glaube", aber natürlich "in der Phantasie", also einen
Phantasieglauben; ganz so, wie die Phantasie als blosse Phanta-
30 sie, und andererseits doch wieder nicht ganz so. Es ist nicht etwa
zweierlei vorhanden, die blosse Phantasie (nach "Erscheinung"
und Glaubensmodus) und dazu noch eine Setzung, sondern eine
andere Färbung, eine das Wesen nicht ändernde Modifikation,
und das ist das Bewvsstsein als "Wieder"bewusstsein. Mit an-
35 deren Worten,2esistder Charakter der Aktualität: Also

1 Deutlicher: Einmal Aktualität (das sagt hier Impression) und einmal Inaktuali-
tat.
2 Von hier bis ans Ende die~es Absatzes ist der Text etwas nachträglich eingefügt.
- Anrn. d. Hrsg. .
288 TEXT NR. 11 (1909 ODER 1910}

Erinnerung und blosse Phantasie sind sozusagen dasselbe, nur


das eine Aktualität, das andere Inaktualität, sich zueinander ver-
haltend wie wirkliche Prädikation zu blosser propositionaler Vor-
stellung.
5 Und die zeitliche Einordnung? Ich habe hier doch Unterschie-
de. Ich kann das Wiederbewusstsein haben, wie wenn ich an den
Roons denke und ihn zugleich als gegenwärtige Wirklichkeit
setze. (In gewisser Weise kann ich es auch haben, wenn ich etwas
wahrnehme und, es wahrnehmend, zugleich das Bewusstsein der
10 Bekanntheit habe: Identifikation des Wahrgenommenen und in
eventueller Leererinnerung Erinnerten.)
Hier! besteht also eine wesentliche Lücke. Dieselbe blosse
Phantasie, könnte man sagen (Roonsphantasie), kann modifi-
ziert werden einmal zur Erinnerung im gewöhnlichen Sinn2 , das
15 andere Mal zur erinnerungsmässigen3 Gegenwartssetzung des
Roons. Was macht den Unterschied aus? Aktualitätsbewusstsein
ist beides. Es ist also das Studium der Zu sam m e n h ä n g e
nötig, wie ja wohl denkbar ist, dass "dieselbe" Wahrnehmung je
nach dem "Zusammenhang" Wahrnehmung eines nahen kleinen
20 oder eines grossen fernen Körpers ist u. dg1. 4

1 Der Text dieses letzten Absatzes scheint etwas nachträglich eingefügt worden zu
sein. - Anm. d. Hrsg. ...." d
2 Spater eingefügt: "aktuellen Vergangenheltsvergegenwarbgung . - Anm. .
Hrsg.
3 Später eingefügt: "aktuell vergegenwärtigenden". - Anm. d. Hrsg.
4 Spater eingefügt: "Die Sache ist doch nicht schwierig". - Anm. d. Hrsg.
Nr. 12

<"EMPFINDUNG", ERINNERUNG, ERWARTUNG


UND PHANTASIE ALS MODI DES
ZEITBEWUSSTSEINS. BEWUSSTSEIN ALS
5 ZUSAMMENHANG>
<wohl Anfang 1910>

Nun habe ic~ bis jetzt die P h an t a sie m 0 d i f i kat ion noch
nicht näher 1fetrachtet. Und ebenso <ist für> die Empfindung
manches nachzutragen. Es heisst also, jedem Empfinden ent-
10 spreche ein Phantasieren. Empfindung! ist dabei entweder Emp-
findung von Farbe oder Ton. Oder Empfindung von Lust und
Schmerz, oder Etnpfindung von Wunsch und Wille. Auch Emp-
findung von äusserer Erscheinung, oder Bewusstsein von innerem
Zustande. Empfindung von meinenderWahmehmung etc.
15 Jedenfalls haben wie im Was, im Empfundenen fundamen-
tale Unterschiede, "primäre Inhalte" des Empfindens und "Re-
flexionsinhalte" , wie ich in den Logischen Untersuchungen sagte. 2
Und die letzteren 'haben den Charakter von "Bewusstsein von".
Das Empfinden sehen wir an als das ursprüngliche Zeitbe-
20 wusstsein: In ihm konstituiert sich die immanente Einheit
Farbe oder Ton, die immanente Einheit Wunsch, Gefallen etc.
Das P h an ta sie ren ist also die Modifikation dieses Zeit-
bewusstseins, es ist Vergegen wärtigung. In ihm konsti-
tmert sich verg~nwärtigte Farbe, vergegenwärtigter Wunsch
25 ete.
Vergegenwärtigung kann aber sein Erinnerung, Erwartung
---
1 Empfindung im weitesten Sinn genommen.
2 Vgl Logtsehe Untersuchungen, 2. Teil, VI. Untersuchung, § 58. - Anm. d. Hrsg.
290 TEXT NR. 12 (1910)

u. dgl. Oder auch "blosse Phantasie". So dass nicht von einer


Modifikation der Empfindung gesprochen werden kann. Emp-
findung ist gegenwärtigendes Zeit bewusstsein. Auch die Ver-
gegenwärtigung ist empfunden, ist gegenwärtig, konstituiert sich
5 als Einheit im gegenwärtigenden Zeitbewusstsein.
Haben wir auch Modi im gegenwärtigenden Be-
wusstsein? Hier kämen nur die Unterschiede in Betracht
zwischen J etzt-Gegenwärtigung und Soeben-Gegenwärtigung,
die zur Einheit des konkreten Gegenwärtigungsbewusstseins mit-
10 gehören. Ferner der Unterschied zwischen Gegenwärtigung, die
in sich ihre Jetzt-Gegenwärtigungsphase hat, und der selb-
ständigen Retention, die zwar Beziehung zum aktuellen Jetzt
einer Wahrnehmung hat, aber selbst nicht einen Jetzt-Gegen-
wärtigungspunkt in sich enthält. Z.B. das Bewusstsein eines eben
15 verklungenen Tones. '
Wir haben somit als wesentliche Modi des Zeitbewusstseins
"Empfindung" als Gegenwärtigung, die mit ihr wesentlich ver-
flochtene, aber auch doch zur Selbständigkeit kommende Re-
tention und die Vergegenwärtigung, welche in "setzender" Weise
20 Wiedervergegenwärtigung (Erinnerung), Mitvergegenwärtigung
und Vorvergegenwärtigung (Erwartung) sein kann. Dann die
nichtsetzende Vergegenwärtigung: die pure Phantasie in ihren
verschiedenen parallelen Modifikationen.
Die Erwartung ist dabei aber besser als Pro t e n t ion der
25 Retention gleichzustellen, sofern jede Wahrnehmung sie ent-
hält und wir doch nicht werden Protention und Erinnerung,
Phantasie ernstlich gleichstellen wollen.
Somit haben wir in der 1) originären Sphäre im weiteren Sinn
die unselbständigen Modi der Retention, der Präsentation und
30 Protention (mit den Möglichkeiten der Selbständigkeit für Re-
tention und Protention). 2) Dann Wiedervergegenwärtigung, in
der alle diese Modi im "Wiederbewusstsein" auftreten. 3) Dann
die Phantasievergegenwärtigung als pure Phantasie, in der alle
dieselben Modi im biossen Phantasiebewusstsein auftreten.
35 Fraglich ist, ob noch weitere Modifikationen aufzuführen sind.
Z.B. Phantasie verbunden mit dem Bewusstsein, dass das Phan-
tasierte, so wie es da "erscheint", künftig eintreten werde. (Ich
male mir ein erwartetes Ereignis aus.) Freilich hier haben wir es
nicht mit beliebigen Ereignissen zu tun, sondern mit Modifika-
TEXT NR. 12 (1910) 291

tionen der "Empfindung" bzw. jedes Erlebnisses. Doch wie


immer.
Wie steht es mit dem analogisierenden Bewusstsein, dem bild-
lichen? Und wie mit dem symbolischen? Ferner mit der von mir
5 ziemlich vernachlässigten Einfühlung?
Man könnte dooh sagen: Jedes Bewusstsein kann leer "inten-
dierend" sein (gleichgültig, ob wir Meinen hineinlegen oder nicht:
aber nicht eigentlich intendierendl ), und jedes kann analogi-
sierend sein. Und jedes Bewusstsein hat seine Einfühlungsmodi-
10 fikation. Aber freilich, handelt es sich da nicht um Komplexio-
nen? Aber welche?
Ist es nicht zum mindesten durchaus notwendig, die Leer-
modifikation, Leervergegenwärtigung beizufügen, oder bei der
Vergegenwärtigung den Unterschied zwischen voll und leer zu
15 machen?2

*
Die symbolische Modifikation ist gehörig zu den Zusammen-
hängen. Ich habe ein Symbolbewusstsein und etwas, was daran
geknüpft ist: ein Bewusstsein, das damit in Verbindung steht.
Es sind also zuerst die Modifikationen, die das einzelne Be-
20 wusstsein betreffen, und zwar die zur Zeitlichkeit gehörigen, zu
erwägen, und dann die Formen der Komplexionen.
Bewusstsein ist immer Zusammenhang und not-
wendig Zusammenhang. Wir haben den originären
Zusammenhang, den des ursprünglichen Zeitbewusstseins, und
25 in diesem haben wir, die Mannigfaltigkeit der impressionalen In-
halte (der Nicht-Vergegenwärtigungen), und zu diesen gehörig
die Sinnesfelder und diese als Träger der sinnlichen Wahrneh-
mungen 3 . Dann der sonstigen impressionalen Akte, derjenigen,
die rein auf die sinnlichen Impressionen und sinnlichen Wahr-
30 nehmungen sich gründen, und solchen, die Vergegenwärtigungen
schon hereinziehen (wobei aber zu bemerken ist, dass schon in
~

~ "aber nicht eigentlich intendierend" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.


. .Doch fragt es sich, ob das "voll" und "leer" (der Unterschied der Lebendigkeit
IU diesem Sinn) nicht zu jedem Bewusstsein gehört.
3 Spater uber der Zeile eingefügt: "Erscheinungen". - Anm. d. Hrsg.
292 TEXT NR. 12 (1910)

den sinnlichen Wahrnehmungen, wenn auch nicht Phantasien,


so doch Leerintentionen stecken).
Wichtig sind die Fragen, was der Zusammenhang für die
Modifikationen im Fluss notwendig nach sich zieht. Im F I u s s
5 der empfundenen Zeit und im Fluss der Fluenten, da haben wir
notwendige Abhängigkeiten, die ein notwendiges Folgen, ein
notwendiges sich in bestimmter Art Modifizieren aussagen; was
wieder Notwendigkeiten der "Koexistenz" nach sich zieht. Die
ganze Urkonstitution des Zeitbewusstseins besteht ja aus solchen
10 Notwendigkeiten.
Welche Rolle spielt der Zusammenhang für die Verfassung des
Erinnerungsbewusstseins ? Ja schon früher, für die Verfassung
des Wahrnehmungsbewusstseins, für die "isolierte"! und doch
gar nicht isolierte Retention, für die Erwartung? Für das Wieder-
15 bewusstsein (Wiedererinnerung) ?
Und dann weiter für die Phantasie?
Kann es pure Empfindung ohne jede Auffassung, ohne re-
präsentative Funktion für die äussere Wahrnehmung geben: es
sei denn durch wechselseitiges Sich-aufheben von Tendenzen?
20 Kann es pure Wahrnehmung ohne jeden Zusammenhang ge-
ben, und wie steht es mit dem eigentlichen Wahrnehmungshinter-
grund und andererseits dem Mitsetzungs-Hintergrund?
Kann Erinnerung zur bIossen Phantasie nur werden dadurch,
dass Erinnerungstendenzen sich wechselseitig aufheben? Und
25 ist jede blosse Phantasie so zu deuten? Ist jede Glied von Zu-
sammenhängen, oder kreuzen sich in jeder Zusammenhänge;
sind Zusammenhänge überhaupt nicht entweder Zusammen-
hänge der Einstimmigkeit und solche der Widerstimmigkeit etc. ?

Zusammenhänge der Empfindungen (der Impressionen 2),


30 also Bau des originären Zeitbewusstseins. Darin
haben die Bestandstücke ihre bestimmte intentionale Form!
Bau des Wie der bewusstseins, des sekundären. Einerseits das,
was zu seiner Konstitution gehört, sofern es Mitglied des origi-
nären Bewusstseins ist als empfundenes, gegenwärtiges. Anderer-
35 seits sein eigener Bau, Charakter.

1 Später eingefügt: ,,'selbständige'''. - Aum. d. Hrsg. . ,'t'


a "Impressionen" später verändert in "impressionale Erlebmsse"; glelchzel Ig
"Empfindungen" mit Anführungszeichen versehen, - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 12 (1910) 293

Aber da lässt sich durch immanente Analyse allerdings öfters


finden, dass in einer "bIossen Phantasie", wenn wir auf einzelne
~lomente achten, ein Durcheinander von verschiedenen Erinne-
rungen vorliegt, zu denen verschiedene Zeitzusammenhänge ge-
5 hören, aber das Wesensgesetz kann man nicht aussprechen, dass
jede Phantasie der Aufhebung von sich störenden Erinnerungen
entspringt.
Übrigens was ist das für eine "Psychologie", welche hier solche
hypothetischen Konstruktionen macht? Gibt es eine Psychologie,
10 welche gar nicht mit physischer Natur operiert, gar nicht Natur-
wissenschaft ist, und doch nicht apriori als Wesenslehre ver-
fährt? 1 Sie würde von Gegebenheiten der phänomenologischen
"Erfahrung" ausgehen, sie würde sich in der Sphäre der "imma-
nenten" Zeit bewegen, aber nicht in der rein intuitiven Sphäre.
15 Es würde eine' unendliche Zeit angenommen, darin eingeordnet
die Bewusstseinserlebnisse (meine, aber ohne Rücksicht auf mei-
nen Leib, es sei denn, dass dieser Anzeige gibt für gewisse Wahr-
nehmungszusammenhänge}, es würden angenommen, neben den
aktuell gegenwärtigen und konstatierbaren Erlebnissen der Er-
20 fahrung, "unbewusste" Erlebnisse. Und diese benützt, um den
Bau des, ,aktuellen Bewusstseins" zu "rekonstruieren". Auch As-
soziation, Disposition etc. gehören hieher .

. 1 pSYChologie als immanente, nicht naturwissenschaftliche Psychologie, und doch


meht als phänomenologische Wesenslehre.
Nr. 13

<WAHRNEHMUNGSREIHE, ERINNERUNGS-
MODIFIKATION, PHANTASIEMODIFIKATION.
GEGENWÄRTIGUNG - VERGEGENWÄRTIGUNG,
5 AKTUALITÄT UND INAKTUALITÄT ALS SICH
KREUZENDE UNTERSCHIEDE. ZWEI
FUNDAMENTAL VERSCHIEDENE BEGRIFFE
VON PHANTASIE 1) INAKTUALITÄT
2) VERGEGENWÄRTIGUNG>
10 <teils Abschrift, wohl Februar 1910; teils 15. Februar 1910>

Geht daraus hervor, dass wir wirklich nicht mit einer! Mo-
difikation auskommen? Und dass nicht alles Unterscheidende
in der Art der Komplexion liegen könne? 2
"Erscheinung": Das weist auf einen Komplex hin, der ent-
15 weder un-modifiziert ist, also Impression, dann haben wir Wahr-
nehmungserscheinung; oder durch und durch modifiziert, und dann
haben wir Phantasieerscheinung.
Auf Phantasieerscheinungen können sich nun gründen Er-
innerungen, durch Zuzug neuer Momente. Das Erscheinende
20 wird zum Vergangenen. Wodurch? Durch gewisse Beziehungen
zur aktuellen Gegenwart. Z.B., ich bin vorhin spazieren gegangen.
Nehme ich da eine Erinnerung heraus, so habe ich nicht bloss das
Phantasiebild, sondern gewisse ihm zugehörige "subjektive"
Zeiteinordnungen. Die Phantasieerscheinung ordnet sich in einen
25 Erinnerungszusammenhang ein, durchlaufe ich ihn, so habe ich:

1 Ich habe ja zwei Modifikationen für nötig befunden und bleibe dabei. Einmal d!e
blosse Phantasiemodifikation und das andere Mal die Erinnerungsmodifikation. Sie
unterscheiden sich als Aktualität und Inaktualität.
S Das Grundlegende auf den folgenden Seiten. Diese Seite wohl unbrauchbar <bis
S.295,18>.
TEXT NR. 13 (1910) 295

So<eben> ging ich weg, und dann durchlaufe ich die Reihe der
Erscheinungen "bis'zu meiner Rückkunft" und bis zum aktuellen
Jetzt. Das alles ist schön. Nun, die "Intentionen" sind impres-
sional, und sie zeichnen jede Erscheinung dieser Reihe aus und
5 geben jeder ein über sich Hinausweisen bis zum Jetzt. Aber diese
Intentionen können nun wieder nichts Angehängtes sein. Jede
Phantasieerscheiuung hat ihre erscheinende Phantasiedauer und
alle in Ordnung gebracht schliessen sich zu einer phantasierten
Ereignisreihe zusammen, es ist aber nicht bloss phantasierte, es
10 ist erinnerte. Kann man da anders sagen, als dass in jeder Er-
scheinung eine setzende Intention waltet, eine impressionale,
eine Glaubensintention, welche das phantasiemässig Erscheinen-
de, also gleichsam Gegebene setzt und vermöge der Tran-
szendenz, die zum Wesen dieser Intentionen ge-
15 hört und die ihnen bestimmte Erfüllungsreihen zuweist, ihm
eine Stelle gibt in der Ordnung des gleichsam Gegebenen bis zum
Jetzt? Es sind" vergegenwärtigende" Intentionen und Zeitstellen
in der Zeit mityergegenwärtigende, in Relation zum Jetzt.
Es ist also die Frage, wie stehen diese Intentionen zu der
20 Phantasieerscheinung ? Sind sie etwas zu ihr Hinzutretendes? 1
Vergleichen wir eine Erinnerung und eine Erwartung.
Ich erinnere mich an den Gesang der Lorelei, den ich "damals"
hörte. Ich erwarte den Gesang. Ich erinnere mich an ein Leier-
kastenstück und erwarte es. Es kann sein, dass ich es gen au im
25 voraus vorstelle, dass ich es gen au kenne. Das Kennen ist nicht
ohne weiteres ein Erinnern. Ich kenne das Stück und erwarte es,
versetze es damit in die Zukunft: Ich werde es hören. Das Er-
innern ist aber das Bewusstsein als Wiederbewusstsein des
Gehörthabenden. Wobei wir in der Vergangenheit stehen. Dabei
30 die Unterschiede der vagen Erinnerung und Erwartung und der
expliziten, in der das Vergangene "noch einmal abläuft", in
einem Wiedernachleben, oder das Künftige im voraus abläuft in
einem voraus VJ)rerleben.
Erinnerung versetzt das Erinnerte in einen Erinnerungs-
35 zusammenhang, d.h. das Erinnerte steht als gegeben gewesen da
und gehört in einen bestimmten Zusammenhang gegebener Ge-
wesenheit. Die Erinnerung selbst in einen Zusammenhang von

1 Das Folgende beigefügt 15. Februar 1910.


296 TEXT NR. 13 (1910)

Erinnerungen mit einer Ordnung, terminierend im aktuellen


Wahrnehmungsjetzt. Wie das nun? Zum Wesen des Erinnerungs_
bewusstseins gehört es, dass sie vorwärts weist, nicht als ob sie
das Vorwärts vorstellte. Die Erinnerung stellt ihr Erinnertes
5 voraus. Aber die Erinnerungserscheinungen in ihrem Erinne-
rungscharakter haben einen "Zusammenhang" und weisen auf-
einander in bestimmter Folge hin, d.h. zu jeder Erinnerung ge-
hören Zusammenhangsintentionen. Müssen wir nicht sagen: Jede
Erinnerung tendiert abzufliessen, und .dieser Abfluss ist selbst
10 Erinnerung, nämlich Erinnerung des "früheren Wahrnehmungs-
ablaufs" ? Jede Erinnerung, die besonders bewusst ist, ist bevor-
zugtes Glied einer vagen umfassenden Erinnerung, eines Erinne-
rungshintergrundes. Jede Erinnerung tendiert nach vorwärts, sie
ist aber auch Endpunkt von Tendenzen. Sie hat selbst einen Ver-
15 gangenheitshintergrund, Vergangenheit relativ zu ihrem Jetzt.
Erinnerung ist also nicht blosse Phantasieer-
schein ung und ein leerer Glaube, oder eine belie-
bi'ge B ewuss tseinscharakterisierung mit dieser
M at erie "Phan t asieerschein ung". Es ist ein bestimmtes
20 Bewusstsein, zu dessen Wesen diese Zusammenhänge gehören,
so wie zum Wesen der äusseren Wahrnehmung (der räumlichen
Wahrnehmung) die räumlichen Zusammenhänge gehören als Zu-
sammenhänge der Koexistenz.
Und bei der Erwartung haben wir wieder Phantasieerscheinung
25 in einem Bewusstsein, und dieses Bewusstsein hat wieder einen
neuen Charakter, zu dem neue Bewusstseinszusammenhänge ge-
hören. Jede bestimmte Erwartung ist in einem Erwartungs-
zusammenhang, wie jede bestimmte Erinnerung in einem Er-
innerungszusammenhang ist, aber intentional. Jede bestimmte
30 Erwartung ist begabt mit Zusammenhangsintentionen, die, auf
Erwartungszusammenhänge hinweisen oder vielmehr zurück-
weisen, deren Zielpunkt sie ist.
Wir haben überall, wo Phantasieerscheinung zugrunde liegt,
nicht blosse Phantasieerscheinung und einen Modus des Glau-
35 bens, sondern Phantasieerscheinung ist ein ausge-
zeichneter Auffassungskern, der von weiteren
A uffassungss trahlen umflossen is t. 1 Einerseits solche,
1 An den Rand dieses Satzes setzte Husserl später ein Fragezeichen und bemerkte:
"siehe folgende Seite das Richtige", d.i. wohl unten S. 297,3lff. Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 13 (1910) 297

die in Zusammenhänge der' Koexistenz hinüberleiten, die Er-


scheinung ist Erscheinung von einer räumlichen Gegenständlich-
keit etwa, die in -Zusammenhänge der Koexistenz hineingehört,
die ihre Rückseite hat, ihr Inneres, ihre Umgebung, ihre Möglich-
5 keiten der Wahrnehmung von verschiedenen Standpunkten aus
etc. Sie ist Erscheinung des Gegenstandes in der bestimmten
Orientierung, die in eine Mannigfaltigkeit möglicher Orientie-
rungen hineingehört etc. (zu demselben Moment gehörig). An-
dererseits die Zusammenhänge der Erinnerungsauffassung (bzw.
10 Erwartungsauffassung), welche die Stellung in der Zeit und
dabei ihr die-Zeitgegebenheit verleihen. Die Erscheinung ordnet
sich in die Erscheinungsreihe ein, die Gegebenheitsreihe der Zeit-
lichkeiten ist, die zu dem aktuellen Ich gehören. Das alles nun
ist die volle M a t erie des belief, der Wahrnehmungsgewissheit,
15 der Erinnerungs- und Erwartungsgewissheit. Der belief ist
aber nicht ein Hinzutretendes, nicht eine neue
Intention, sondern nichts weiter als der modale
Charakter 9:'er Gewissheit gegenüber den Charak-
teren der ~nmutung, Vermutung, damit zusammen-
20 hängend des Zweifels, und lässt wie alle diese Charaktere imagi-
native 1 Modifikation zu. D.h. der ganze Auffassungszusammen-
hang mit seinem modalen Gewissheitscharakter lässt imaginative
Modifikation zu. Das wäre also Phantasiemodifikation einer Er-
innerung (oder einer Erwartung). Da haben wir also Phantasie
25 in Phantasiezusammenhängen von gewissen intentionalen Ver-
bindungen, die .Erinnerung ,oder Erwartung charakterisieren,
einmal im Modus der Gewissheit, das andere Mal imaginativ
modifiziert. Aber wie das? Doch nicht so, dass wir zunächst
einen Phantasiezusammenhang haben und dazu ejnmal Gewiss-
30 heit als aktuelle Gewissheit, das andere Mal Einbildung von Ge-
wissheit. Vielmehr scheint es, dass wir sagen müssen: Der origi-
nären Reihe, der Wahrnehmungsreihe entspricht als die eine
j\~odifikation 1) e~e Erinnerungsmodifikation (bzw. noch analog,
ehe EI wartungsreihe) , wobei alles durch und durch modifiziert
35 j-;t. 2) Und wieder die Phantasiemodifikation als blosse Phantasie.
Nun haben wir aber in der Wahrnehmungsreihe Empfindungs-
material, in der Erinnerungs- und Erwartungsreihe Phantasie-

1 Spater eingefügt: "Inaktualitäts-". _ Anm. d. Hrsg.


298 TEXT NR. 13 (1910)

material, und auch die verflechtenden Intentionen haben in der


Wahrnehmungsreihe Empfindungscharakter, originären, in der
Erinnerungs- und Erwartungsreihe nichtoriginären Charakter.
Trotzdem aber den Modus der Gewissheit. In der Phantasiereihe
5 alles ebenfalls nichtoriginären Charakter, aber doch keinen Mo-
dus. Da steht wieder das Rätsel.l Aber das "nicht originär" be-
sagt einmal akt u e 11 e Vergegenwärtigung (Wiedervergegen-
wärtigung, Vorvergegenwärtigung, Mitvergegenwärtigung in der
Koexistenz), das andere Mal In akt u al i t ä t 2 : blosse Vorstel-
lolung.
Quasi-Wahrnehmung, quasi-Jetzterfassung; akt u elle Ver-
gegenwärtigung wäre als Parallele eine vergegenwärtigende Jetzt-
setzung, zu deren Wesen gehörte ein gewisses aktuelles Zusam-
menhangsgebiet mit dem jetzt Wahrgenommenen. Quasi-Erin-
15 nerung, quasi-Bewusstsein des Wahrgenommenhabens von Ver-
gangenem: das entsprechende Aktuelle die Erinnerung. Quasi-
Erwartung, <das entsprechende Aktuelle> Erwartung.
Ein Gemeinsames ist überall: Aktuelle Vergegenwärtigung und
quasi-Vergegenwärtigung sind von verwandtem Wesen und
20 stehen zueinander wie Aktualität und Inaktualität.

Gegenwärtigung - Vergegenwärtigung, Aktualität und


Inaktualität als sich kreuzende Unterschiede

Das betrifft die ganzen Phänomene. Also auch P ha n t a s m a


und Empfindung. Phantasma wäre der allgemeine Name für
25 die Vergegenwärtigung, die der Empfindung entspricht, und
auch da hätten wir den Unterschied zwischen Aktualität
und In akt u al i t äthinsichtlieh der Vergegenwärtigung. Die
Unterschiede gehen der spezifischen "Meinung" vorher.
Andererseits aber Empfindung, Wahrnehmung stand
30 unter dem allgemeinen Gesichtspunkt Ge gen w ä r t i gun g.
Muss es dann nicht auch hier den Unterschied zwischen Aktu-
alität und Inaktualität geben? Zunächst, Empfindung in <sich>
selbst, wird man sagen, ist Aktualität. Ist nur zur Ver gegen-

1 Ja, wenn wir falsch reden. Keinen Modus?! Nein, denselben Mod us wie die
entsprechende Erinnerung, nur ist der Modus wie das ganze Phänomen "blosse Phan-
tasie" .
2 Später eingefügt: "der Vergegenwärtigung". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 13 (1910) 299

wärtigung als quasi-Empfindung der Unterschied zwischen ak-


tuell und inaktuell gehörig?12
\V a h r n eh m u n g.3 Soll man sagen, hier haben wir den Unter-
schied in der Form der reinen Bildbetrachtung? Es ist
5 ja richtig, dass hier Widerstreite aufweisbar sind. Aber wenn wir
in der Bildwelt leben und gar nicht auf die aktuelle Welt gerichtet
sind, so ist auch kein Bewusstsein eines Widerstreits da. Es mag
ja der Übergang in die Bildwelt den Widerstreitscharakter her-
vortreten lassen, und, es mag damit zusammenhängen, dass das
10 Bild nicht als Wirklichkeit gesetzt wird. Aber leben wir eben
ganz in der Bildwelt und gar nicht in der Wirklichkeitswelt, so
wird das modifizierte Wahrnehmungsbewusstsein allein voll-
zogen: Es ist "Phantasie", das heisst jetzt, es ist In akt u al i-
t ci t s bewusstsein. 4 Es ist quasi-Wahrnehmungsbewusstsein, aber
15 nicht wirkliches. Wir sehen gleichsam. Aber es ist kein vergegen-
wärtigendes Bewusstsein, sondern ein ge gen w ä r ti gen des.
Ein gegenwärtigendes,. aber Gleichsam-Bewusstsein. In der ver-
gegenwärtigendin Phantasie-(Phantasie im anderen Sinn) haben
wir nicht bloss gleichsam Wahrnehmung, sondern das Phänomen
20 hat vergegenwärtigenden Charakter. Es stellt Wahrnehmung
dar, während hier im Bildbewusstsein nicht Wahrnehmung
dargestellt ist, sondern in inaktueller Weise vollzogen
ist. Die Unterlage sind hier Empfindungen als Gegenwärtigungen,
dort Phantasmen als Vergegenwärtigungen.
25 Man könnte übrigens auch die Ansicht vertreten, dass auch im
Gebiete der Vergegenwärtigung bei der Inaktualität zugleich
Nichtigkeitsbewusstsein jederzeit möglich sei und eine
analoge Rolle spiele. Gehe ichS in die Phantasie über, so habe ich
das Bewusstsein des Übergangs in eine nichtige Welt.
30 Was vergegenwärtigt ist, ist nicht: weder jetzt, noch gewesen,
noch sein werdend.
Bei Phantasien, die sich, wie es gewöhnlich der Fall ist, an die

1 Den fundamentalen Gesichtspunkt der Aktualität und Inaktualität habe ich


ab: r dann d,;,rchzufuhren gesucht durch die ganze Phänomenologie der Akte.
3 Spater emgefugt: ,,(Nein)". - Anm. d. Hrsg.
"Wahrnehmung." ergänzte Husserl später zur Frage: "Wie bei der Wahrneh-
mung?". - Anm. d. Hrsg. .
4 ZweI fundamental verschiedene Begriffe von Phantasie 1) Inaktualität, 2) Ver-
gegen warÜgung.
5 Spater eingefugt: "aus der Wahrnehmung". - Anm.d. Hrsg.
300 TEXT NR. 13 (1910)

wirkliche Welt der Wahrnehmung und aktuellen Vergegenwärti_


gung anschliessen, ist das ohne weiteres klar. Leben wir in der
Phantasie, so stört uns das nicht. Wir vollziehen nicht beständig
das Für-nichtig-Erklären. Wir "träumen". Das Träumen l ist das
5 inaktuelle Vergegenwärtigungsbewusstsein, bzw. verbunden mit
inaktuellem Wahrnehmungsbewusstsein, wenn wir in die
Wahrnehmungswelt hineinphantasieren. Denn man wird wohl
sagen müssen, dass durch Hineinphantasierung die
Wahrnehmungsgegebenheit 2 Modifikationen erhält, die sie in
10 einen Komplex der Inaktualität verwandeln (Bestands tücke von
impressionaler, gegenwärtigender Inaktualität und vergegen-
wärtigender). Ebenso erhält auch eine aktuelle Vergegenwärti-
gung durch Mischung mit Phantasie den Traumcharakter.
Was Phantasien anlangt, die keine bestimmte Beziehung auf
15 die aktuelle Welt haben, so haben sie doch eine unbestimmte
Einordnung in eine "sagenhafte" Vergangenheit oder in eine
"Wirklichkeitsferne" , die eine unbestimmte räumlich-zeitliche
Ferne ist. Auch da besteht Nichtigkeit: sowie wir auf die aktuelle
Welt achten und die Phantasie in Beziehung zu ihr setzen. Man
20 könnte auch sagen: In der Vergegenwärtigung sind wir gegen-
ständlich mit dabei, und wir können jederzeit das Bewusstsein
haben, dass wir nicht dabei waren. Wie viel ist aber noch zu stu-
dieren, um eine solche Auffassung in entscheidender Weise durch-
zuführen!
25 Ein Bild vergegenwärtigend ein Original: eine inaktuelle Ge-
genwärtigung3 verbunden mit einer Vergegenwärtigung ähn-
lichen Inhalts (desselben Wesens), analogisierend. Ebenso ein
Ding oder ein "Bild" als Zeichen "erinnert" an ein Bezeichnetes
etc.

1 Später eingefugt : "in diesem Sinn". - Anm. d. Hrsg.


2 Spater eingefugt: ,,(Hineinziehen von InaktnelIem)". - Anm. d. Hrsg.
3 Spater eingefugt: ,,(Bildobjekt)". - Anm. d. Hrsg.
Nr. 14

<LEBENDIGKEIT UND ANGEMESSENHEIT IN


DER VERGEGENWÄRTIGUNG;
LEERVERGEGENWÄRTIGUNG. INNERES
5 BEWUSSTSEIN, INNERE REFLEXION.
PRÄGNANTER BEGRIFF DER REPRODUKTION>
<wohl 1911 oder Anfang 1912>

Wir gehen ~wa aus von-der W a h r ne h m u n g und scheiden


das eventuelte Meinen, den "setzenden Akt" aus und halten fest
10 die schlichte Wahrnehmung. Das ist der als Substrat fungierende
Akt, in dem der spezifisch theoretische Akt, das theoretische
Meinen fundiert ist. Wir haben da freilich kein rechtes Wort da-
für. Denn Wahrrtehmungserscheinung besagt doch das gemein-
"ame Wesen, das bei verschiedener Qualifizierung vorhanden sein
15 kann, und die Qualifizierung ist nicht die theoretische, die viel-
mehr zum fundierten Akte gehört, die zum "theoretischen Mei-
nen", zum V er gegenständlichen gehört, zu dem den Gegenstand
Wahr-nehmen und auf dem Grund dieses Nehmens und Setzens
neue Setzungen fundierter Art Vollziehen, in verschiedenen Stu-
20 fen, die durchaus' theoretisch sind. Das Wort "perzipieren", wie
das Wort wahrnehmen, drückt nun gerade das theoretische Setzen
aus. Wenn Leibniz Perzeption und Apperzeption gegenüber-
stellt, so schlies,t aber das "bloss" der Perzeption das, was das
Wort primär andeutet, aus, und das "App<erzeption>" ist es, das
25 ec., erst hereinbringt. Mein Ausdruck Auffassung, Apperzeption
ancererseits ging auf ganz anderes, gerade auf die blosse Perzep-
tion und ihre Besonderheiten. Also da ist man in einer schwierigen
SItuation. Sagen ,wir etwa "der bloss apparenziale Akt",
der Akt des Erscheinens, und zwar des perzeptiven (aber nicht
302 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

im prägnanten Sinn perzipierenden, fassenden) Erscheinens.


Dem Akt schlichten perzeptiven Erscheinens steht gegenüber
die Vergegenwärtigungsmodifika tion, d.i. Erinnerung
im weitesten Sinn (wir bewegen uns natürlich innerhalb der
5 Sphäre der Aktualität), und zu dieser gehören verschiedene
Grade der Lebendigkeit und Angemessenheit (in letzterer Hin-
sicht, sofern einzelne Momente der wiedererscheinenden Objekte,
der vergegenwärtigten, nicht als darstellende, als Selbsterschei-
nungen der gegenständlichen Eigenschaften charakterisiert sind.
10 Es kann dabei das gegenständliche Moment "unbestimmt"
durch das Moment der "Erscheinung" "repräsentiert" sein).
Durch Abnahme der Lebendigkeit, die alles Darstellungsmaterial
und repräsentative Material (Erscheinungsmaterial) betrifft,
kann schliesslich die Lebendigkeit null sein; was sagt das? Es
15 sagt, eine Vergegenwärtigung ist möglich, die eine Leerver-
gegenwärtigung ist, es schwebt mir etwas vor, aber ich habe
keine merkliche "Erscheinung" davon, und doch ist das Vor-
schwebende bewusst, evtL sogar theoretisch gesetzt, objektiviert,
und ich kann sagen, von welcher Seite es trotz der Leere "be-
20 wusst" ist, in welchen Formen usw. Freilich all das im allge-
meinen nicht so deutlich und bestimmt wie im Fall klarer Er-
scheinung, die übrigens auch schwankend etc. sein kann.
Wir haben also hier Unterschiede zwischen klarer und
dunkler Erscheinung, bzw. zwischen vergegenwärtigenden
25 Akten von verschiedener Klarheit und Dunkelheit in der Art
des zur Erscheinung Bringens. Dunkle Akte (in dunkler
Weise vergegen wärtigende), das wäre ein Begriff von
Leere.
In dieser Weise leer oder dunkel sind mir die Gegenstände im
30 dunklen Zimmer, meines wohlbekannten, bewusst, wenn ich
einem Gegenstand desselben zugewendet bin und seine Umge-
bung mit lebendig ist, während ich doch keinerlei "Anschauung",
keine klare Erinnerungsvorstellung von all dem habe, vielleicht
nicht einmal von dem Gegenstand, und nicht im mindesten, dem
35 ich zugewendet bin, nach dem ich etwa greife etc.
Ferner, von dieser Art ist auch die Vergegenwärtigung, die in
gewissem Sinn durch "Zeichen" statthat, nämlich, derart,
dass mir irgend etwas in einer klaren, mehr oder minder klaren
Anschauung (einer gegenwärtigenden oder vergegenwärtigenden)
TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912) 303

vorschwebt, das mich an' ein anderes, nicht zu 'seiner "Umge-


bung" gehöriges Objekt oder auch zu ihr gehöriges, "erinnert",
wobei aber das letztere gar nicht zu einer "anschaulichen Vor-
1

stellung" kommt. Ob da im "Dunkeln" Leervorstellungen wieder


5 an Leervorstellungen erinnern und wie weit da die Verflechtun-
gen gehen, das bleibe dahingestellt. Jedenfalls kann da Ange-
regtes sein, auf das sich der meinende Blick des theoretischen Be-
wusstseins richten und das er fassen kann, ohne dass es darum
zur Anschauung käme.

10
Leere Vergegenwärtigung und die sogenannte Leervorstellung
der Rückseite als Apprehension

Ferner ist hiebei ein bedeutsamer Unterschied hervorzuheben:


Wenn ich mich' im Dunkeln auf einen Gegenstand meinend
fIxiere, so ist er mit einer Weise der Erscheinung, wenn auch
15 Dunkel-Erscheinung, gemeint, und danach hat auch die erregte
"Umgebung" -eine gewisse/Dunkel-Erscheinungsweise. Aller-
dings hätten wir geItauer schon zu sagen: Gewisse geschlossene
Erscheinungskreise, nämlich die ich in entsprechender Perzeption
hätte, wenn ich von meinem ruhenden Standpunkt die Gegen-
20 stände mit den Blicken betra-chtete, über sie mit den Augen hin-
und wiedersähe, sind bevorzugt, und evtl. ist eine bestimmte Er-
scheinungsreihe davon "erregt", im Dunkel bewusst. Ist mein
Standpunkt aber nicht ruhend, so ist in dunkler Weise ein ent-
sprechender Ausschnitt aus den möglichen Erscheinungsreihen
25 bevorzugt. Freilich ziemlich "unbestimmt". Aber evident ist die
Möglichkeit, dass eine ganz best.immte Leererscheinung oder
Leererscheinungsreihe bewusst,ist. Ähnlich kann es sich verhal-
ten hinsichtlich der "leer vorgestellten" Rückseite der jetzt be-
trachteten Schachtel. Ich durchlaufe die klar erscheinende, und
30 zwar perzeptiv erscheinende, mit den Augen, und evtl., wenn ich
beim gesehenGtil Rand der Schachtel angelangt bin, gleitet der
Blick in der Vergegenwärtigung über den Rand hinaus: Ich ver-
falle in eine Vergegenwärtigung: als ob ich meinen Kopf wendete
und mit dem Blick eine Linie durchliefe, und so ist eine vergegen-
35 wartigte Erscheinungsreihe relativ bestimmter Art bewusst,
aber bald ein wenig klarer, bald dunkel beWusst. Andererseits,
während ich mit dem Blick rein haften bleibe an der sich wirk-
304 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

lich darstellenden Seite der Schachtel, ist mir das Ganze, auch
das Nichtgesehene, in mehr oder minder unbestimmter Weise be-
wusst: Jetzt kann ich nicht sagen, dass irgendeine der möglichen
Vergegenwärtigungen der Rückseite oder irgendwelche bestimm-
5 ten Abläufe derselben dunkel bewusst, "erregt" seien. Und doch
habe ich eine Leervorstellung davon und ist es eine Vorstellung,
die in gegenständlicher Hinsicht ihren Bestimmtheits- (Bedeu-
tungs-)Gehalt hat, in mancher Hinsicht reicher bestimmt, und
eine Bestimmtheit, die in der Leervorstellung, im Leerstück der
10 Wahrnehmung steckt. Sowie wir uns meinend dem Unsichtigen
zuwenden, finden wir freilich irgendwe1che Erscheinungen bevor-
zugt, aber nicht so, dass nicht im Wechsel andere aus der "Grup-
pe" eintreten und sich für andere setzen könnten.
Man wird sich versucht fühlen, zu' sagen:
15 Wenn wir der Vorderseite der Schachtel zugewendet sind, so
sei immer eine bestimmte Erscheinung oder Erscheinungsreihe,
die zu den anderen Seiten gehöre, lebendig; aber für das meinende
und auf das Vorderseiten-Betrachten eingeschränkte theoretische
Bewusstsein ändere sich darin nichts "Wesentliches" und nichts
20 hinsichtlich der apparenzialen Unterlage Merkliches. Indessen
merken wir ein Aufblitzen von bestimmten Erscheinungen der
Rückseite sehr wohl, aber abgesehen davon ist folgendes zu be-
achten: Ist irgendeine Erscheinung, sei es auch als dunkle, be-
wusst, so ist sie doch Erscheinung-von, es gehört also auch zum
25 Erscheinenden eine Rückseite, und so haben wir auch innerhalb
der Lee r vergegenwärtigung, dem Bewusstsein dunkler Er-
scheinung, einen Unterschied zwischen Vorderseitenerscheinung
und der "miterscheinenden" Rückseite. Also hätten wir da so-
zusagen eine Leererscheinung zweiter Stufe. Aber was soll das
30 besagen, wenn Leererscheinung soviel wie Dunkelerscheinung
besagt? Gibt es im Dunkel wieder ein Hell und Dunkel? Unter-
schiede der Lebendigkeit, das gibt doch jetzt keinen Sinn mehr.
Und dazu ergeben sich unendliche Regresse, da die Rückseite
der in Dunkelerscheinung erscheinenden Dinglichkeit wieder in
35 einer Dunkelerscheinung bewusst wäre, die selbst wieder eine
Rückseite zur Erscheinung brächte, und so in infinitum.
Also ist der stringente Beweis geführt, dass Leer-Vergegen-
wärtigung als Dunkel-Modifikation einer klar.en
Vergegenwärtigung etwas prinzipiell anderes 1st
TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912) 305

a h das in jeder transienten "Erscheinung" als beständige Kom-


ponente enthaltene "Rückseitenbewusstsein", das Be-
wus s t s ein der Apprehension des erscheinenden Gegen-
ständlichen, soweit es nicht durch Empfindung oder Phantasma
5 zur Selbstdarstellung kommt. Ich sprach immer von "Mitge-
meintheit", aber es ist zu beachten, dass Mitmeinen (wenn ich
z.B. den Gegenstand meine) Apprehension voraussetzt. Wir kön-
nen in jeder Erscheinung eine Sphäre der Prehension und
eine der biossen Apprehension unterscheiden. Der ganze
10 a p par e n z i ale Akt hat nun seine Leervergegenwärtigung
(seinen Dunkelakt), und ins Dunkel tritt sowohl jede Prehension
als jede blosse Apprehension. Und beide sind ja untrennbar mit-
einander verflochten.

*
Wir haben uns bisher in sehr engem Kreis bewegt, im Kreis der
15 apparenzialen Akte.
Müssen wir nun nicht sagen, dass zu jedem Akte eine Vergegen-
wärtigungsmodifikation gehört?
Da fragt es sich zunächst, was heisst das, Ver ge gen w ä r-
t igu ngs m 0 difika tion? Die der apparenzialen Wahrneh-
20 mung entsprechende ,.Erinnerung" ist die Vorlage für unsere Be-
griffsbildung. (Eigentlich handelt es sich um eine Serie von Mo-
difikationen. Es kann sich um ein Vergangenheitsbewusstsein
handeln, aber auch um ein Vergegenwärtigungsbewusstsein, in
dem ein nichtgegenwärtiges Jetzt vergegenwärtigt ist. So, wenn
25 ich im Dunkeln die Umgebung als eine vergegenwärtigte Gegen-
wart bewusst habe und nicht als ein Vergangenes.) Das sind ver-
schiedene Weisen der "R e pro du k t ion", der Vergegenwärti-
gung. Wir sagen normal Vergegenwärtigung mit Beziehung auf
G e gen s t ä nd 1ich e s. Es handelt sich hier aber um eine Modi-
30 fikation d~f apparenzialen Wahrnehmung, und zwar <um> eine
solche, die, so wie die Wahrnehmung leibhafte Gegenwart erfasst
oder erscheinen lässt, so die Reproduktion evtl. dasselbe Gegen-
<;Hinclliche oder ein Gleiches, das nicht leibhaft dasteht, sondern
"vergegenWärtigt" ist.
35 Die Er i n n er u n g ist eine reproduktive Modifikation der
Wahrnehmung, sie hat aber die merkwürdige Eigentümlichkeit,
306 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

dass sie auch Vergegenwärtigung der Wahrnehmung ist, und


nicht nur Vergegenwärtigung des Wahrgenommenen. Ich er-
innere mich des Mittagessens. Darin "liegt" aber auch Erin-
nerung der Wahrnehmung des Mittagessens (einmal abgesehen
5 von der Richtung der Meinung).
Dagegen gilt das nicht von allen Reproduktionen. Die Repro-
duktion meiner Umgebung (die ich jetzt nicht sehe) vergegen-
wärtigt diese Umgebung. Aber vergegenwärtigt sie auch die
Wahrnehmung? Es scheint doch so. Aber die Wahrnehmung (die
10 bestimmte "Erscheinung") ist nicht als ein Gewesenes bewusst.
Und ist sie etwa als ein Jetzt bewusst? Als eine "nichtgegen-
wärtige Wahrnehmungs-Erscheinung"? Das ist schwer ver-
ständlich. 1
Aber andererseits kann man es leugnen, dass eine Vergegen-
15 wärtigung der Wahrnehmungs erscheinung bewusst ist und doch
nicht in der Weise einer Fiktion! Den vergegenwärtigten Roons
setze ich als gegenwärtige Realität. Wie setze ich diese Wahr-
nehmung, wenn ich auf sie hinsehe?2 Doch nicht als eine psy-
chische Realität, so wie ich andererseits die Erinnerungs-Wahr-
20 nehmung 3 mir, meinem Bewusstsein als ein gewesenes psychisches
Reales zuschreiben kann. Ich kann für die vergegenwärtigte
Jetzt-Wahrnehmung nur sagen: sie hat ihre bestimmte Moti-
vation. Sie "ist", sofern sie so gesetzt ist, dass der Gegenstand
"wirklich in meiner Umgebung ist". Also das sind schon Schwie-
25 rigkeiten.
Denken wir sie voll geklärt. Dann haben wir also jeder Wahr-
nehmung entsprechende reproduktive Modifikationen, welche
Vergegenwärtigungen ihres Gegenstandes4 und in gewisser Weise
auch solche von ihr selbst ausmachen.
30 Was kann das nun heissen, zu jedem Akte könne es reproduk-
tive Modifikation geben, zu jedem Erlebnis? Ist denn jedes Er-
lebnis eine Wahrnehmung? Jedes Erlebnis ist wahrnehmbar. Das

1 Später setzte Husserl an den Rand ein Fragezeichen und bemerkte: "Das ist
keine Argumentation. Beilage". Vgl. Beilage XXXI, S. 313f. - Anm. d. J:Irsg. .
a Der letzte Satz wurde später zunachst teils wie folgt verändert: "Wie setze ich
diese Vergegenwärtigung der Wahrnehmungserscheinung, ... ", danach folgender-
massen : "Wie setze ich diese vergegenwärtigte Wahrnehmungserscheinung, ... ". -
Anm. d. Hrsg. .
8 Später eingefügt: "die in der Erinnerung im gewöhnlichen Sinn durch RefleXion
vorfindliche 'quasi-Wahrnehmung' ". - Anm. d. Hrsg.
4 Später eingefügt: "und ilirer ontischen Erscheinungen". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912) 307

scheint einfach. Ein neuer Akt der Wahrnehmung richtet sich


eben auf das betreffende Erlebnis, falls es noch fortdauert na-
türlich. Aber wie kann so eine Wahrnehmung aussehen, was
bringt sie N eues herein? Wir können da nichts anderes finden als
5 eine Hinwendung des meinenden Blickes auf das noch dauernde
oder retentional zurücksinkende Objekt.

Zur Lehre vom inneren Bewusstsein und der inneren Reflexion

Aber der meinende Blick, die Setzung, das zum Gegenstand


Machen, setzt doch schon voraus, dass ein Akt da ist, der das
10 Gegenständliche, worauf sich der Blick richten soll, in sich "ver-
borgen" hat. Dass das Meinen sich auf die "Gegenstände" der
Akte richtet, wundert uns nicht, aber wie soll es sich auf die Akte
selbst richten, wenn sie nicht Gegenstände von anderen Akten
sind?
15 Müssen wir nicht sagen: Jeder Akt ist Bewusstsein von etwas.
Aber jeder Akt ist auch bewusst. Jedes Erlebnis ist "empfunden",
ist immanent wahrgenommen! (inneres Bewusstsein), wenn auch
natürlich nicht gesetzt, gemeint.
Jeder Akt kann reproduziert werden, zu jedem "inneren" Be-
20 wusstsein vom Akte als einem Wahrnehmen gehört ein mög-
liches reproduktives Bewusstsein, eine mögliche Wiedererinne-
rung zum Beispiel (wobei die Frage dsb, ob noch anderes repro-
duktives Bewusstsein möglich ist). Freilich scheint das auf einen
unendlichen Regress zurückzuführen. Denn ist nun nicht wieder
25 das innere Bewusstsein, das Wahrnehmen vom Akt (vom Ur-
teiien, vom äusserlich Wahrnehmen, vom Sich-freuen etc.) ein
Akt und daher selbst wieder innerlich wahrgenommen etc. ?
Nun kann man etwa so ausweichen: Jedes "Erlebnis" im präg-
nanten Sinn ist innerlich wahrgenommen. Aber das innere Wahr-
30 nehmen ist nicht im selben Sinn ein "Erlebnis". Es ist nicht
selbst wieder innerlich wahrgenommen.
,F erner wird man auch argumentieren:
Jedes Erlebnis, das der Blick treffen kann, gibt sich als ein
dauerndes, dahinfliessendes, sich so und so veränderndes. Und

1 " W dhrgenommen" später in Anführungszeichen gesetzt und am Rande bemerkt:


"Wah, nehmen heisst hier nich t meinend Zugewendetsein und Erfassen!" -Anm.
d. Hrsg.
308 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

das macht nicht der meinende Blick, er blickt nur darauf hin.
Nun, dieses gegenwärtige jetzige, dauernde Erlebnis ist schon,
wie wir durch Blickänderung finden können, eine "Einheit des
Bewusstseins", des Zeitbewusstseins, und das ist eben Wahr-
5 nehmungsbewusstsein. "Wahrnehmen"!, das ist nichts anderes
als das zeitkonstituierende Bewusstsein mit seinen Phasen der
fliessenden Retentionen und Protentionen. Hinter diesem Wahr-
nehmen steht aber nicht wieder ein Wahrnehmen, als ob dieser
Fluss selbst wieder Einheit in einem Fluss wäre. Was wir Er-
10 lebnis nennen, was wir Akt des Urteils, der Freude, der äusseren
Wahrnehmung nennen, auch Akt des Hinsehens auf einen Akt
(was eine setzende Meinung ist), das alles sind Einheiten des Zeit-
bewusstseins, sind also Wahrgenommenheiten. Nun, jeder solchen
Einheit entspricht eine Modifikation: genauer, der originären
15 Zeitkonstitution, dem Wahrnehmen, entspricht ein Reprodu-
zieren, und dem Wahrgenommenen ein Vergegenwärtigtes.
Dahin gehört also auch die äussere Wahrnehmung (das appa-
renziale Wahrnehmen), es ist eine konstituierte Einheit. Ich sehe
z.B. dieses Papier, dieses dort stehende Tintenfass etc. Diese
20 dauernde "Erscheinung".
Nun, diese ist ein Gegenwärtiges (also innerlich Wahrgenom-
menes), und ihr entspricht eine mögliche reproduktive Modifi-
kation als ein Phantasiertes, Wiedererinnertes etc.
Genau so wie einer aktuellen Freude entspricht die Erinnerung
25 an die Freude, die Freudenreproduktion irgendeiner Art. (Gibt es
denn mehrere?)
Aber hier besteht der grosse Unterschied: Die äussere Wahr-
nehmung ist Wahrnehmung. Und wenn nun die Modifikation der
Wahrnehmung eine entsprechende Erinnerung ist, so haben wir
30 hier das Merkwürdige, dass die entsprechende Erinnerung nicht
nur Erinnerung von der Wahrnehmung ist, sondern dass die
Modifikation der Wahrnehmung auch Erinnerung an das Wahr-
genommene ist. Das muss ich deutlicher machen. Eine ä u s s e r e
Wahrnehmung (eine apparenziale Perzeption oder Pre-
35 hension 2) ist als Einheit des Bewusstseins, als Einheit der im-

1 In diesen Blattern heisst Wahrnehmen soviel wie Haben der Wahrnelunung -


s
erscheinung, aber nicht das Zugewendetsein mit dem Setzen! Das ist immer zu be-
achten.
2 "oder Prehension" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912) 309

manenten Dauer selbst ein: Wahrgenommenes, und dieser inneren


Wahrnehmung (dem inneren Bewusstsein) entspricht die repro-
duktive Modifikation, die innere Erinnerung. Jede innere Repro-
duktion (um welchen Akt es sich immer handeln mag) ist Repro-
5 duktion "von" der entsprechenden inneren Wahrnehmung,
eben ihre Modifikation. Aber zum Wesen des Verhältnisses von
Reproduktion und Wahrnehmung gehört, dass wie die Wahr-
nehmung gegenwärtigt, nämlich das in ihr Wahrgenommene, so
die Reproduktion vergegenwärtigt. Und demnach entspricht dem
10 originären Akt, dem "erlebten", d.i. dem im inneren Be-
wusstsein wahrgenommenen, ein vergegenwärtigter. Aber ein
vergegenwärtigter Akt ist im inneren Bewusstsein nichts Reelles.
Wir setzen aber jetzt nebeneinander den originären Akt
und seine Vergegen wärtigung.
15 Also wir haben folgende Sachlage:
Sei irgendein Akt, der im inneren Bewusstsein bewusst ist
(sieh in ihm adäquat konstituiert hat), A. So haben wir, wenn Wi
das innere Bewusstsein ist, Wi(A). Davon sei etwa eine Wieder-
erinnerung, eine Vergegenwärtigung überhaupt: Vi (A). Diese
20 Wiedererinnerung ist dann aber ein innerlich Bewusstes
Wi[Vi(A)].
In ne r hai b des inneren Bewusstseins und all seinen "Er-
lebnissen" haben wir also zwei einander entsprechende Arten von
Vorkommnissen: A und Vi(A).
25 Die ganze Phänomenologie, die ich in den Logischen U nter-
suchungen im Auge hatte, war eine Phänomenologie der Erleb-
nisse im Sinn der Gegebenheiten des inneren Bewusstseins,
u1J.d das ist jedenfalls ein geschlossenes Gebiet.
Gehen wir weiter. Das A kann Verschiedenes sein, ein sinn-
30 lieh er Inhalt, etwa empfundenes Rot. Was ist die Empfindung?
Empfindung ist nichts anderes als das innere Bewusstsein des
Empfindungsinhalts.
Also Empfindung Rot (als Empfinden von Rot) = Wi(rot) und
P~antasma von Rot == Vi (rot) , das aber sein Bewusstseinsdasein
35 hat = Wi(Vi(rot».
So versteht es sich, warum ich in den Logischen Untersuchungen
Empfmden und Empfindungsinhalt identifizieren konnte. Be-
wegte ich mich im Rahmen des inneren Bewusstseins, so gab es
dort natürlich kein Empfinden, sondern nur Empfundenes.
310 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

Es war dann auch korrekt, Akte (intentionale Erlebnisse des in-


neren Bewusstseins) und Nicht-Akte gegenüberzustellen. Das
letzte war eben die Gesamtheit der "primären", der sinnlichen
Inhalte.
5 Was dagegen die "Phantasmen" anlangt, so war von ihnen
(im Rahmen des inneren Bewusstseins) natürlich fa I s c h zu
sagen, dass sie "Erlebnisse" seien; denn Erlebnis war gleich:
"Gegebenheit des inneren Bewusstseins, innerliche Wahrgenom-
menheit". Wir haben da zu scheiden die vergegenwärtigten Emp-
10 findungsinhalte, die phantasierten sinnlichen Inhalte etwa, und
die Vergegenwärtigungen derselben, die Vi(S), und das sind na-
türlich Akte, in den Rahmen des inneren Bewusstseins hinein-
gehörig.
Betrachten wir nun den Fall, wo das A eine "äussere" Wahr-
15 nehmung <ist>. Sie ist natürlich Einheit des inneren Bewusst-
seins. Und im inneren Bewusstsein gibt es von ihr eine Vergegen-
wärtigung wie von jedem Akt und Erlebnis. Also Wa(g) als
Wi(Wa(g)) hat sein Vi(Wa(g)). Nun gehört aber zum Wesen der
Wahrnehmung als solcher, dass ihr eine parallele Vergegenwär-
20 tigung in dem Sinn entspricht, dass diese dasselbe vergegenwär-
tigt, was die Wahrnehmung wahrnimmt.

Definition eines prägnanten Begriffes von Reproduktionl

"Reproduktion" ist die Vergegenwärtigung des in n er e n


Bewusstseins. Das 2 ist ein irreführender, ja falscher Ausdruck,
25 sofern er die Ansicht in sich birgt, dass das originäre Erlebnis des
früheren inneren Bewusstseins jetzt noch einmal produziert
wird, als ob ein, wenn auch schwacher Nachhall, Abglanz, Nach-
bild des früheren wiederkehre. In Wahrheit ist es eine Vergegen-
wärtigung, und Vergegenwärtigung ist ein neuartiger Akt. Im-
30 merhin brauchen wir ein besonderes Wort für die besondere Ver-
gegenwärtigung des inneren Bewusstseins, und die mag Repro-
du k t ion heissen. Die Vergegenwärtigung eines dinglichen Vor-
gangs darf dann nicht Reproduktion heissen. Bei ihm passt ja

1 Warum fuhre ich nicht die passende Terminologie ein: Alle Gegenstände des in-
neren Bewusstseins, die keine Reproduktionen sind = Impressionen; alle Gegen-
stände innerer Vergegenwärtigung = Reproduktionen.
2 Später eingefugt : "freilich". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912) 311

schon gar nicht das Wort; das Naturereignis wird nicht noch ein-
mal produziert, es wird erinnert, es steht in der Weise des Ver-
gegenwärtigten vor dem Bewusstsein.
Betrachten wir nun das merkwürdige Verhältnis der beiden
5 hier zu vergleichenden und offenbar an sich voneinander ver-
schiedenen Vergegenwärtigungen.
1) Dem A == W a steht gegenüber Vi(Wa ) oder, wie wir jetzt
schreiben können, R(Wa), Reproduktion von ihr.
2) Dem W a steht als Wahrnehmung des äusseren Gegen-
10 standes a, W(a), gegenüber die Va, d.h. die V(a), die Vergegen-
wärtigung von a.
Wie steht die Reproduktion der Wahrnehmung eines Hauses
z.B. zur Vergegenwärtigung des Hauses?
Schliessen wir immer die mitzuverflechtenden Akte des Me i-
15 nens (des vergegenständlichenden Setzens) und die Unter-
schiede der Aufmerksamkeit aus, so müssen wir wohl sagen, dass
die beiderseitig~u-Phänomene dieselben sind, dass hier ein We-
sensgesetz besteht, wonach
R(Wa) = Va,
20 und das gilt für jede Wahrnehmung, die nicht inneres Bewusst-
sein ist (aber natürlich auch für diese als tautologischer Grenz-
fall).
Zu studieren bleiben dann aber die genauen Verhältnisse,
wenn wir die verschiedenen Sorten von Reproduktionen bzw.
25 Vergegenwärtigungen in Rechnung ziehen. Und dahin gehören
auch die "Einfühlungen".
Jedenfalls kann jede Reproduktion und jede V (Vergegen-
wäri.igung) Unterschiede der "Lebendigkeit" haben, sie kann
dann auch dunkel und in diesem Sinn leer sein. Und ebenso kann
30 sie die früher beschriebenen Modi haben, sie kann den Charakter
der Inaktualität haben (blosse Phantasie) und den Charakter der
Ungewissheit und verschiedener Modi der Ungewissheit, neben
dem Charakter der Gewissheit.
Ir: diesem Sinn haben wir also für jeden Akt einen leeren Akt.
35 Und da auch das innere Bewusstsein seine Leermodifikation als
~eere Reproduktion hat, so gibt es auch zu jedem Empfindungs-
mhalt (sinnlichen Inhalt) ein leeres Phantasma, nämlich eine
leere Reproduktion von ihm.
312 TEXT NR. 14 (1911 ODER 1912)

Innere Reflexion (innere, Wahrnehmung)

Ferner können wir jetzt sagen: Das im spezifischen Sinn "ob-


jektivierende Meinen", theoretische Meinen kann 1) den Cha-
rakter der "inneren Wahrnehmung", der "inneren Reflexion" als
5 "setzender Meinung des! innerlich Bewussten" haben. Das Mei-
nen kann sich in das Bewusstsein hineinleben, kann das innere
Bewusstsein als Substrat nehmen, dann kommen der Möglich-
keit nach alle im inneren Bewusstsein als solchen implizite vor-
handenen Gegenständlichkeiten zur Gegebenheit, sie werden zu
10 "Gegenständen". In dieser Art werden zu Gegenständen die
Empfindungen, verstanden als die sinnlichen Inhalte. Und an-
dererseits alle im inneren Bewusstsein als Einheiten konstituier-
ten Akte, Akt-cogitationes, die intentionalen Erlebnisse des in-
neren Bewusstseins.
15 2) Im inneren Bewusstsein haben wir als Einheiten also auch
"intentionale Erlebnisse", als da sind apparenziale Wahrneh-
mungen, Urteile, Gefühle, Begehrungen etc. Diese Einheiten
können als Substrate fungieren. Statt sie in der "inneren Re-
flexion", d.i. der meinenden inneren Wahrnehmung, zu setzen
20 und zu vergegenständlichen, lebt sich ein Meinen in ihre Inten-
tionalität ein, und so "entnimmt" das Meinen ihnen die in ihnen
"implizite" intendierten Gegenstände und macht sie zu inten-
dierten im prägnanten Sinn der objektivierenden Setzung. Dabei
kann der Akt, der als Substrat fungiert, ein leer vergegenwär-
25 tigender sein. Es kann natürlich die Erinnerung an eine Freude,
an einen Wunsch etc. auftauchen und sich das Meinen dahin
richten, auf das erfreulich Gewesene, Erwünschte als solches,
ohne dass "lebendige Vorstellung" dabei waltet. Das wird man
doch wohl nicht leugnen können, sowenig wie bei den leeren sinn-
30 lichen Vergegenwärtigungen (dinglichen) als bei den sonstigen
Akten und ihren Vergegenwärtigungen.

1 "des" später verändert in "auf Grund des". - Anm. d. Hrsg.


313

BEILAGE XXXI (ZU S. 306)


<WAHRNEHMUNGSERSCHEINUNG UND QUASI-ERSCHEINUNG
NICHT GLIED DER RÄUMLICH-ZEITLICHEN OBJEKTIVITÄT.
MÖGLICHKEIT ONTISCHER UND PHANSISCHER
5 INTERPRETATION DER ERSCHEINUNG>
<wohl 1912>

Dazu ist zu sagen:


Wahrnehmungserscheinung, Erscheinung kann entweder ontisch
oder phansisch interpretiert werden. Die Wahrnehmungserscheinung
10 hat den Charakter des Jetzt: des Aktuellen, "Ursprünglichen". Aber
genau beseh:n-is~ sie gar nicht 9lie~ der rä~m1ich-~eitlichen <?bjekti~­
tat. Sie hat Ihr eIgenes "Jetzt . DIe quas~-Erschelllung hat Ihr quasz-
Jetzt, und handelt es sich um eine echte Erinnerungs- (Gedächtnis-)
Erscheinung, so hat sie ihre Einordnung in die Zeit als vergangen,
15 wobei dieses Vergangen zu dem des Erscheinenden eine analoge Stel-
lung hat wie das "gegenwärtig" der Wahrnehmungserscheinung zu
dem des Wahrgenommenen. Ist es keine Gedächtniserscheinung, so
hat sie den Charakter des quasi-Jetzt, und nichts weiter? Überlegen
wir, beim Gedächtniserscheinen haben wir hinsichtlich der Erschei-
20 nung und des Erscheinenden ein Doppeltes: das quasi-Jetzt und die
Charakteristik als (w i r kli c h, und nicht quasi) vergangen. Das quasi-
Jetzt kann aber auch verbunden sein mit der Charakteristik eines
Jetzt. Und zwar unterscheidet sich ja zweierlei Jetzt: das aktuelle
Jetzt, aktuell konstituiert in der Wahrnehmungssphäre, und das in-
25 aktuelle Jetzt, das durch Vergegenwärtigungs-Setzung gesetzte und
objektiv zu identifizierende mit dem aktuellen als "gleichzeitig".
Auch das Vergangen kann ja doppelt bewusst sein, als aktuell be-
wusstes so e ben gewesen und als inaktuell bewusstes vergangen in
der "Wieder" -Erinnerung.
30 Erscheinung kann aber auch phansisch interpretiert werden. Dann
haben wir das "psychische" Erscheinen, und zu ihm gehören ontische
Erscheinungen als "immanente Inhalte". Erscheinung ohne Erschei-
n,en ist undenkbar. Also Vergegenwärtigung einer Erscheinung ist
eme solche Vergegenwärtigungsmodifikation des Bewusstseins, das
35 wir wahrnehmen (mit einem Wahrnehmungsinhalt, einer Wahrneh-
mungserscheinung, und zwar ,,derselben") können, da dem Wahr-
~ehmen eben das quasi-Wahrnehmen entspricht, das in der "Reflexion
m d~ r Vergegenwärtigung" erfasst werden kann.! Diese Vergegen-
warhgung der Wahrnehmung ist in der Wiedererinnerung an das
1 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Also Vergegenwärtigung eines
Erschemens 1st eine Vergegenwärtigungsmodifikation desjenigen Bewusstseins, das
WIr 'wahrnehmen' (mit einem Wahrnehmungsinhalt, einer Wahrnehmungserschei-
nung, und zwar 'derselben') können, das in der 'Reflexion in der Vergegenwartigung'
erfasst ",erden kann". - Anm. d. Hrsg.
314 BEILAGE XXXII

Wahrgenommene (bzw. auch an die ontische Wahrnehmungserschei_


nung) charakterisiert als ein gewesenes Psychisches: ein vergegen-
wärtigtes Wahrnehmen und als das ein vergegenwärtigtes Jetzt, aber
nicht gesetzt als "wirklich" jetzt, sondern als "wirklich vergangen" in
5 Beziehung auf das aktuelle Jetzt, auf das Jetzt der Aktualität. Die
quasi-Wahrnehmung (genau die, die in der Erinnerung vorkommt) ist
vergangenes psychisches Erlebnis.
Handelt es sich aber nicht um eine Gedächtniserinnerung, so hat
di~ quasi-Wah~ehmun? nicht ~en Charakter des vergangenen psy-
10 chlschen Erlebmsses. Sie hat emen Jetzt-Charakter und Beziehung
auf das aktuelle Jetzt, aber nicht den Charakter als "gegenwärtiges"
psychisches Erlebnis, nämlich jetzt seiendes und durch das Mittel der
Vergegenwärtigung gesetzt.
Also das Merkwürdige ist: Einerseits Psychisches, und doch nicht
15 mein wirklich Psychisches, und doch mit dem ,,]etzt"-Charakter. 1
Man könnte hier auf folgendes hinweisen: Wenn ich jetzt das Ding,
diesen Tisch, diese Feder wahrnehme, so ist die Wahrnehmung ein
aktuell Psychisches. Aber wenn ich in der "Phantasie" herumdrehe,
mir die Rückseite in der oder jener Erscheinung "vorstelle", so sind
20 das Vergegenwärtigungen, die mir das "jetzt Seiende von anderen
Seiten" vorstellig machen, und die in <sich> selbst den Charakter von
quasi-Wahrnehmungen haben und <VOll> einem quasi-Jetzt, das an-
dererseits doch nicht bloss quasi-Jetzt ist. Ebenso wenn ich eine
Wiedererinnerung habe, eine bestimmte Gedächtnisvorstellung einer
25 Situation "genau in der Weise, wie ich sie erlebt habe", und ich ändere
"in der Phantasie" meinen Standpunkt u. dgl.
Ich sprach in dieser Hinsicht von Motivationen. Es sind eigentüm-
liche Setzungen, die sich verwandeln lassen in eigentümliche hypo-
thetische Setzungen: Wenn ich meinen Kopf so drehen würde, würde
30 ich die Erscheinung haben bzw. ein so geartetes Wahrnehmen voll-
ziehen usw.

BEILAGE XXXII (zu S. 308,33 ff.)


<LEBENDIGKEIT, UNLEBENDIGKEIT, LEERE BEI
VERGEGENWÄRTIGUNGEN UND RETENTIONEN. AUFTRETEN
35 UND ABKLINGEN DER VERGEGENWÄRTIGUNG>
<wohl 1911 oder Anfang 1912>

Ich habe bei den Vergegenwärtigungen von "lebendigen"


und unlebendigen, "dunklen" gesprochen. Man wird nun sagen, das-

1 Der Satz wurde später wie folgt verändert: "Einerseits Psychisches und gesetz~,
und doch nicht als mein jetzt wirklich Psychisches gesetzt, und doch mit dem 'Jetzt·
Charakter und gesetzt." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXXIII 315

selbe gilt von den Reten tionen, in die sich alle W ahrnehm Un-
gen nach ihrem "Aufhören" verwandeln. Das gehört zum Wesen der
Wahrnehmung, wie sich auch an jede Wahrnehmungsphase ein reten-
tionaler Schwanz anschliesst. Jede Wahrnehmung nimmt, sowie sie
5 aufgehört hat, an Lebendigkeit ab, d.i. sie hört nicht plötzlich auf,l
das Jetztbewusstsein.wandeIt sich durch Abklingen in das stetige re-
tentionale Bewusstsein, und die Unlebendigkeit geht in Leere
über. Natürlich gehört zu jedem Erlebnis innerhalb des inneren Be-
wusstseins diese Retention und ein Hintergrund leerer Retention.
10 Gehen wir nun zu den Vergegenwärtigungen zurück, so haben wir
auch bei ihnen zu unterscheiden das "Auftreten" der Vergegenwärti-
gung, ihr Anfangen, das ein Vergegenwärtigen eines früheren inneren
Wahrnehmens des entsprechenden Erlebnisses ist, bzw. ein Vergegen-
wärtigen des früheren Eintretens ins Jetzt; daran schliesst sich eine
15 retention ale Reihe, ein Abklingen des Vergegenwärtigens, worin zu-
gleich sich das Abklingen der früheren Wahrnehmung vergegen-
wärtigt. Und wenn die ganze Erinnerung abgelaufen ist, so verbleibt
noch eine Retention, nämlich genauer gesprochen eine Reproduktion
der Retention, die sich an die "abgelaufene" Wahrnehmung an-
20 schloss. Wir haben-auch hier zu unterscheiden: die Leer-Vergegen-
wärtigung mit ihrem Verlauf und ihrer Retention und die reproduzierte
leere Retention usw.

BEILAGE XXXIII
<UNTERSCHEIDUNGEN IN DER SPHÄRE DES INNEREN
25 BEWUSSTSEINS (DES ZEITBEWUSSTSEINS»
<wohlI911/12>~

Es scheiden sich in der Sphäre des inneren Bewusstseins


1) I III P res si 0 n e n im weiteren Sinn als Erlebnisse, in denen sich
eine originäre Präsenz, ein originäres Jetzt konstituiert, oder ein origi-
30 näres Soeben-gewesen und Zukünftig, und zwar schliessen wir Re-
produktionen aus als Erlebnisse, in denen sich zwar dergleichen kon-
stituiert, aber so, dass das Konstituierte zugleich Vergegenwärtigung
Von einem Jetzt, Soeben-vergangen, Künftig ist.
Innerhalb der Impressionen im weiteren Sinn scheiden wir
35 Im p res s ion e n im prägnanten Sinn, impressionale Erlebnisse,
a~s denen ein Meinen, wenn es sich darin etabliert, eine Gegenwart,
em Jetzt, ein Nacheinander als aktuellen Vorgang usw. entnimmt.
. Re t e n t ion e n als N achgegenwärtigungen, als konkrete Erlebnisse,
m denen ein Soeben-vergangen und kein Jetzt bewusst ist.
40 Pro t e n t ion e n, Vorgegenwärtigungen, in denen ein Künftig,
aber kein Jetzt oder Soeben-vergangen bewusst ist.
1 Spater eingefügt: "obschon als Wahrnehmung". - Anm. d. Hrsg.
316 BEILAGE XXXIV

Ich brauche also die "Reproduktionen", um die Impressionen zu


definieren.
Freilich zeigt es sich, dass jede Impression im prägnanten Sinn,
jedes Phänomen ursprünglicher Gegenwärtigung auch Komponenten
5 der Nachgegenwärtigung und Vorgegenwärtigung impliziert, ebenso,
dass keine N achgegenwärtigung und Vorgegenwärtigung möglich ist
ohne dass das innere Be"wusstsein auch Gegenwärtigungen vOllzöge:
Das sind aber Sachen des Zeitbewusstseins, und inneres Bewusstsein
ist eben Zeitbewusstsein.

10 BEILAGE XXXIV
<SCHLICHTES UND SYNTHETISCHES MEINEN IN
BEZIEHUNG AUF KLARHEIT UND DEUTLICHKEIT DER
ERSCHEINUNGEN UND FRAGE NACH DER
ERSCHEINUNGSEINHEIT • BESTIMMTHEIT UND
15 UNBESTIMMTHEIT DER ERINNERUNG UND PHANTASIE.
LEERE ERSCHEINUNGEN>
<wohl 1911 oder Anfang 1912>

Das setzende Meinen das, das schlichte und das synthetische.


Das erregte Leererscheinen. Leere sinnliche Erscheinungen. Leere
20 unsinnliche Erscheinungen.
Setzendes Meinen auf voll Erscheinendes gerichtet. Setzendes Mei-
nen auf leer Erscheinendes gerichtet.
Das Leere, die Sphäre des verworrenen Bewusstseins. Explizites
Meinen, explizite Denksynthesis auf Grund verworrener Erschei-
25 nungen, leerer. Denkgebilde, die sich nicht "einlösen" lassen. 1
1) Die im Wesen des "Denkens" überhaupt (meinenden Setzens)
liegenden Formen möglicher Denksynthesis.
2) Zum Wesen der klaren Erscheinungen gehören vorgezeichnete
Möglichkeiten der Synthesis: nämlich nicht der Verknüpfung und Be-
30 ziehung der Erscheinungen, wie sie sind, sondern der Neubildung von
solchen Synthesen und Analysen, welche aus den einheitlichen Er-
scheinungen Teilerscheinungen herauslösen mit Teilsetzungen, und
die ganzen Setzungen mit den Teilmeinungen in Synthesis gebrac~t
usw. Im Expliziten treten also neue Stoffe (Kerne) auf. Also Exph-
35 kation des in vorgegebenen Erscheinungen Verborge-
nen.
Gilt aber nicht dasselbe von der Explikation leerer Erscheinungen?

1 Darüber im weiteren.
BEILAGE XXXIV 317

Klarheit, Deutlichkeit
,
3) Wir müssten sagen: Es ist zu unterscheiden zwischen vollkom-
men klaren Erscheinungen und Erscheinungen niederer Klarheits-
stufe, endlich den völlig leeren Erscheinungen, in denen gar nichts
5 lebendig ist}
Jede Verdeutlichung, d.h. jedes Herausmeinen setzt voraus ein
Lebendigwerden, und je- grösser die Bestimmtheit ist, um so grösser
<die> Lebendigkeit. .
Aber kann das richtig sein? Wenn ich im Dunkeln die Gegenstände
10 des Zimmers der Reihe nach herausmeine, heisst das, <dass> ich sie
anschaulich vergegenwärtigt haben muss? Kann ich also nicht heraus-
meinen ohne Klarheit? Das scheint doch ganz sicher zu sein. Also
mUss man fragen, was hat denn Klarheit für einen Vor-
zug?

15 Bestimmtheit und Unbestimmtheit der Erinnerung

Innerhalb der "Klarheit" geht aue h nicht alles mit rechten Dingen
zu. Beschränken~L uns auf individuelle Erscheinungen von Dingen.
Es schwebt mir etwas,in der Erinnerung vor. Aber "näher be-
sehen" haftet an der bestimmten Farbe keine bestimmte Erinnerung.
20 Oder die Farbe wandelt sich, ist unbehaglich "unbestimmt", es blitzt
bald die, bald jene Farbe auf: Aber in ihr habe ich kein Bewusstsein
der "Wiedergegebenheit", wie ich es hinsichtlich der Form habe. An
Farbe überhaupt haftet Aktualität, aber nicht an der bestimmten
Farbe. Nach einer Weile "finde" ich die bestimmte Farbe "wieder",
25 ich sehe sie wieder. Aber ist dergleichen ohne ein lebendiges Wieder-
sehen möglich? Und andererseits, wie gesagt, macht es Klarheit
allein nicht. Es kommt auf die Art an, wie der Erinnerungscharakter
das Phänomen, die Erscheinung überdeckt und auf weiche Momente
er sich wesentlich bezieht. Und da wird man sagen: Genauso kann es
30 auch mit der Leererinnerung sein. Im allgemeinen freilich herrscht
grössere Bestirrlmtheit auf, seiten der Klarheit. Aber was das wieder
heisst: Klarhei t und.Bestimm thei tunterscheiden? Was ist das
fü.r eine wunderbare Sache: Ich habe eine Erscheinung, eine in ge-
wl~ser Weise lebendige Erscheinung, also doch eine klare, und doch
35 keIne Bestimmtheit. Ich stelle mir das Kinderzimmer vor, und es
steht vor meinen Augen der Fussteppich, rot mit einem Muster. Aber
gen au sehe ich das Muster nicht. Und ein tiefes Blau blitzt auf. Aber
n~r für einen Moment ist es "klar", und sogleich heisst es, das ist es
mcht. Das ist zu blau. Auch ist es unfassbar, wie es geformt ist, so
40 w~s Ungefähres der Form habe ich, etwas Längliches, Trapezdör-
mlges>, aber unsagbar, wie ausgefüllt. Oder ich stelle mir den Salon
vor, blaue Tapete, persischer Teppich, aber das Sofa, wie unsagbar
1 :'Iluss man nicht "deutlich" und "klar" unterscheiden?
318 BEILAGE XXXIV

ist das vorstellig. Schon "anschaulich", und doch nicht klar, ich sehe
nicht klar das Muster des Teppichs. Ein "geometrisches Muster"
kleine Quadrate, einzelne in regelmässiger Folge in Goldfarbe, ander~
in Purpur. Jetzt vom anderen Teppich ganz lebendig das Grün, aber
5 die Musterung, in der weiss was für <eine> Rolle das Grün da näher
spielt, unklar, einen Moment hatte ich das Bild, aber ehe ich noch
gliedern und im einzelnen Punkt für Punkt durchlaufen konnte. Aber
es ist schon "lebendig". In diesem Fluktuieren aber innnerfort eine
gewisse Einheit der "Intention". Ich meine bestimmte Gegenstände
10 in bestimmter Erscheinungsweise. Es durchsetzen sich auch in diese~
Fluktuieren evtl. merklich verschiedene Erinnerungen, gehen inein-
ander über etc. Wenn ich nun mannigfaltige Erscheinungen habe, ge-
einigt in einer Meinung, so fragt sich, was das heissen soll.
Wie, wenn ich dem Sofa zugewendet bin und nun vom ganzen Zim-
15 mer eine gewisse, doch auch fluktuierende Erscheinung habe? Was
gibt dem Fluktus, wo ich mit dem Meinen dem Sofa zugewendet bin,
dieses betrachte und setze, eine Erscheinungseinheit ? Ist da nicht die
Rede von Meinung doppelsinnig?
Man könnte sagen: Das sind wiederauflebende Meinungen oder
20 Meinungen, die nicht "aktuelle" Meinungen sind, nicht Akte, die
setzen, sondern Abwandlungen von Setzungen, wonach Ergebnisse
von vereinheitlichenden Meinungen im Hintergrund auftreten in
einem Modus blosser Erscheinung, und nun evtl. aktualisiert werden.
Ich wende mich hin und vollziehe durch den Fluktus eine wirkliche
25 Setzung.
Wenn ich einen Gegenstand betrachte, so gehe ich um ihn mit Auge
und Leib herum, habe immer neue Erscheinungen und Einheit der
Meinung. Aber die Einheit der Meinung richtet sich doch nach der zu
den Erscheinungen selbst gehörigen "Einheit". Sie gehen ineinander
30 als Erscheinungen von ein e m. Also mannigfache Erscheinungen
können kontinuierliche Einheit haben und können auch ungemeint
in Einigkeit übergehen. Was nun die Hintergrunderscheinungen mit
ihrem Fluktus anlangt, so wäre hier die Sache dieselbe, wenn die Er-
scheinungen wirklich ebenso zusammengehörige Erscheinungen wä-
35 ren, etwa gar genau dieselben. So ist es mit dem Hintergrund-Sehen.
Wie aber mit dem Hintergrund-Vergegenwärtigen? Da ist aber zu
beachten, dass die verschiedenen Vergegenwärtigungen als Vergegen-
wärtigungen Einheit haben. Und dass wir dabei unterscheiden müssen.

40 Klarheit, Verschleierung etc. in Erinnerung und Phantasie


Die Vergegenwärtigungen können Erinnerungen sein. D~s Ganze
hat den Charakter der Erinnerung, aber der Charakter der Ennnerung
überdeckt nicht alle Erscheinungsmomente. 1 Die Erinnerungen gehen
1 Das Ganze hat den Charakter der Erinnerung, aber "näher besehen" haben
nicht alle Momente diesen Charakter ernstlich an sich, er bleibt ihnen nicht treu, er
gehört nicht zu ihnen, er strahlt nur zu ihnen über etc. Lückenbüsser.
BEILAGE XXXIV 319

als Erinnerungen eines und desselben ineinander über, sie haben ihre
Einheit. Soweit sie Erinnerungen sind, stimmen sie mit entsprechen-
den möglichen Wahrnehmungen, soweit nicht, fallen sie evtl. ganz aus
der Einheit heraus. Es fragt sich, was das besagen soll. Wir haben zu
5 unterscheiden die ,allgemeinen Unklarheitsmodifikationen, das Ver-
schleiertsein (oder wie man es nennen mag), das allgemein alle Ver-
gegenwärtigungen erfahren können, von den Modifikationen, welche
die Erscheinungen nach ihrem ganzen Gehalt, insbesondere nach
dem Gehalt an sinnlichen Daten, erfahren können. Bei den letzteren
10 ist als Hauptstück zu' beschreiben das Sich-durchsetzen der Erinne-
rungen, das Übergehen von Erinnerungen in Erinnerungen unter
Widerstreit. Störung UsW. Ich stelle mir jetzt ein Schokoladengeschäft
in der Berliner Münzstrasse vor, in dessen Auslage (vor 30 Jahren
etwa!) ein Schwan aus Zucker stand. Er steht wieder vor mir. Der
15 Schnabel gelb. Oder nicht doch schwarz? Aber da schiebt sich ein
schwarzer Schwan aus dem zoologischen Garten dazwischen. Oder ich
habe jetzt in Erinnerung: Heinrich im grauen Anzug in Ischl, Strümpfe
schwarz-braun? S<rhwarzbraune Schuhe?
Dabei ist auch, das Phänomen des willkürlichen Veränderns des
I

20 Phantasiebildes zu erwähnen. Und zu beschreiben. Die ganze Gestalt


bleibt: Ich stelle mir die Strümpfe schwarz vor. Allerdings jetzt fühle
ich dabei ein Bewusstsein des Nicht. Oder ich sehe sie jetzt grün. (Da-
bei steht ein solcher Tiroler, auf dem Schild gemalt mit grünen
Strümpfen, vor mir.) Ete. Dieses ganze Gebiet muss genau beschrieben
25 werden.
Dabei aber, wenn ich mir nicht klar, sehr klar mache, "wie es war"
und den Erinnerungszusammenhängen evtl. nachgehe, habe ich Er-
scheinungen mit dem Charakter der Erinnerung als Gesamtcharakter,
während Erscheinungsmomente darin auftreten, die "näher besehen"
30 nicht Erinnerungen sind. Oder es decken sich im Ineinander-über-
gehen Erscheinungen, die als Erscheinungen von einem bewusst
sind, in einem Einheitsbewusstsein, während sich "näher besehen"
zeIgt, dass sie zum Teil, nach Bestandstücken, aus Erscheinungsreihen
verschiedener Gegenstände herstammen.
35 Wie nun, wenn es sich nicht um Erinnerungen, sondern um Phan-
ta sie n handelt? Schwebt mir ein Zentaur vor, und ich vollziehe eine
setzende Meinung, so richtet sich die Setzung nach der Erscheinung,
das Erscheinende wird "gesetzt", und gesetzt, wie solches Erschei-
nende nur gesetzt werden kann als in einem Raum in einer raum-
40 dinglichen Umgebung seiend. 1 Nun mag da vielerle{ fluktuieren, im
E~schemungshintergrund, evtl. als völlig leerer oder schattenhafter
Hmtergrund, aber auch im Vordergrund. Dann kann es sein, dass sich
verschiedene "Bilder" durcheinanderschieben, bald sehe ich einen

~ \Vas heisst Setzung? Blickhinwendung? Da kann ich von einer Phantasie in eine
a~ ere hmemgleiten, ohne Einheit durchzuhalten. Oder aber ich setze an ich nehme
a s em und dasselbe. '
320 BEILAGE XXXV

weissbärtigen und weisshaarigen Zentauren, bald einen flachsgelb-


haarigen, bald einen dicken, die Anne emporschwingenden und dann
ohne Einheitlichkeit, einen ganz anderen, nicht dicken, sonde~
mageren, schlaff die Anne herabhängend habenden Zentauren etc.
5 Und natürlich wechseln auch die Hintergründe. Oder ich halte die
Meinung der ersten Erscheinung, ein weisshaariger mächtiger Zentaur
fest; nun, dann ist eine Leererscheinung festgehalten, allerdings ohn~
volle Bestimmtheit, wie denn überhaupt in dieser vagen Sphäre so
viel Unbestimmtheit der Erscheinung vorhanden ist. Es kann dann
10 sein, dass alsbald das ursprüngliche Bild wieder auflebt, oder ein
anderes Bild, das die Einheit des Gegenstandes erfüllend durchhält,
dass dann eine zusammenhängende gegenständliche Situation in Er-
scheinungsreihen sich abspielt, dann aber wieder durch Unstimmiges
durchbrochen wird, das eben dann als nicht Hierhergehöriges cha-
15 rakterisiert ist, auch in den zusammengehörigen Erscheinungen kann
ein Unstimmiges auftreten usw. Natürlich nur in der "Deckungsein-
heit", in der Einheit der Zusammenstimmung steht ein Gegenstand,
ein ruhender, sich so und so bewegender, da.
Das Unstimmige ist nichts, das sich Hereindrängende ist nicht in der
20 Einheit, die Meinungseinheit ist gesetzt.

BEILAGE XXXV
<ZUR EINTEILUNG DER ERLEBNISSE IN IMPRESSIONEN
UND REPRODUKTIONEN>
<Texte wohl zwischen 1910 und 1912>

25 Angebliche Einteilung aller Erlebnisse in Impressionen und Ideen

Man kann natürlich nicht sagen, jedes Erlebnis ist entweder eine
Phantasie oder eine Impression, wofern man das im Auge hat, was da
Impression eigentlich bedeuten soll. Aber vielleicht kann man so
sagen:
30 Zunächst jedes Erlebnis als Einheit ist Einheit eines "inneren Be-
wusstseins". Insofern heisst jedes Erlebnis relativ: Impression.
Zu jedem Erlebnis gibt es nun Modifikationen. Und zwar ist Modi-
fikation gegenüber Impression dadurch charakterisiert, dass sie ~en
Charakter eines quasi-Bewusstseins-von hat, gegenüber dem "wrrk-
35 lichen Bewusstsein". Bewusstsein-von: Das setzt voraus die Unter-
scheidung von biossem Bewusstsein und Aufmerksamkeit (Meinung im
spezifischen Sinn). Quasi-Bewusstsein ist biosse Phantasie-von, blosse
Wiedererinnerung, Leervergegenwärtigung,l Analogisierung, usw.
Ein Erlebnis ist natürlich wirkliches Erlebnis, es ist erlebtes, b~-
40 wusstes, und ihm gegenüber heisst jedes reproduktive Bewusstsem

1 Spater eingefugt: "auch". - Anm. d. Hrsg.


BEILAGE XXXV 321

von ihm nicht Erlebnis, sondern Gleichsam-Erlebnis, nicht Bewusst-


sein, sondern quasi-Bewusstsein.
] edes Erlebnis nun, das nicht selbst .zur Klasse der. Modifikatio~en
gehört, nicht den Charakter des quasz-Bewusstsems hat, hel~st
S Impression. ?~d ~ heiss~ so auch d~n, ~enn es ~omen~:, T:ile
enthalt, die ModIfIkationen smd, ebenso Wle em Erlebms ModifIkatIon
heisst, auch wenn es Teile enthält, die Impressionen sind. (Z.B. Bild-
bewusstsein keine Impression, impressionales Wahrnehmungsbewusst-
sein keine Modifikation.)

*
10 Nicht verwechseln darf man also folgende Begriffe von "Impres-
sion" :
1) "Impression" als "a k tue 11 e s" Bewusstsein,! als "wirkliches"
Bewusstsein, "wirklicher" Akt: also wirklich wahrnehmen, wirklich
erinnern und erwarten, wirklich Leermeinung haben, wirklich vor-
1S aussetzen und als Folge setzen, wirklich prädizieren, wirklich schlies-
sen, wirklich wünSchen, wirklich Gefallen haben, wirklich wollen
im Ge gen s atz zu "gleichsam"2 wahrnehmen, gleichsam 2 erinnern
und erwarten, gleichsam3 voraussetzen und Folge setzen, gleichsam
schliessen, gleichsam wünschen und wollen. Sich-denken oder hin e i n-
20 den k e n: nicht urteilen, sondern sich den Sachverhalt denken, nicht
wahrnehmen, sondern sich ins Wahrnehmen hineindenken (und im
BIld leben, nicht aber setzend), nicht erinnern, sondern sich ins Er-
innern hineindenken, nicht wünschen, sondern sich ins Wünschen
hineindenken.
25 Also Gegensatz zwischen Aktualität und Inaktualität.
2) Ein aktuelles Bewusstsein ist das Empfinden im weitesten Sinn
des alle Erlebniseinheiten konstituierenden Urbewusstseins. Diese
Einheiten sind die immanenten "Erlebnisse" im gewöhnlichen Sinn.
Sie sind in diesem Empfinden aktuelle Gegebenheiten. Alles so Ge-
30 gebene 4 als solches kann als Impression bezeichnet werden: Dann
heisst eme Impression haben soviel wie ein Er leb n i s hab e n. Das
Gegenteil ist eine Reproduktion haben. Eine Reproduktion ist
~elbst ~in Erlebnis, in dem ein Erlebnis reproduktiv "vergegenwärtigt"
1st. Wir kommen da auf den Unterschied zwischen Erlebnissen und
35 Erlebnisreproduktionen : Das ist ein relativer Unterschied, und er
fuhrt auf einen absoluten: Erlebnisse, die ni c h t selbst den Charakter
Von Erlebnisreproduktionen haben, und solchen, die es haben. Unter
---
1 D,e s e Termmologie ist aber nicht die, <die> ich festhalten werde. _ Von I m-
pr e,,, 1 0 n oder Gegenwärtigung werde ich wmer sprechen im Gegensatz zu Repro-
du;tIon (v crgegenwartigung).
3 "gl( Ichsam" etwas nachträglich verändert in "inaktuell". - Anm. d. Rrsg.
"gleIchsam" hIer und an den folgenden Stellen dieses Satzes, gleichzeitig mit der
vo:,gen Veranderung von "gleichsam" in "inaktuell" , gestrichen. - Anm. d. Rrsg.
Et"as nachtraglich eingefugt: "immanent Erlebte". - Anm. d. Rrsg.
322 BEILAGE XXXV

dem Titel Reproduktion steht dann aber noch Verschiedenes: nämlich


mit Rücksicht auf 1) aktuelle Reproduktion oder inaktuelle. Das ist
der Unterschied der originären Erlebnisse im Gegensatz zu ihren Re-
produktionen, und originär ist ein Erlebnis, das eben nicht Repro-
5 duktion eines anderen ist (mag es auch Reproduktionen von anderen
enthalten).
Das originäre Erlebnis = Impression, das reproduzierende = "Idee".
3) Jede Impression im zweiten Sinn kann übergeführt werden in
eine Wahrnehmung als meinenden Akt, und jede Wahrnehmung
10 ist selbst Impression in diesem Sinn. Jede Reproduktion kann über-
geführt werden in eine Erinnerung, überhaupt in einen meinenden Akt
der Vergegenwärtigung, der selbst eine Reproduktion ist (denn auch
das "Meinen" dabei ist Reproduktion von einem Meinen).
Ich kann also auch sagen, wofern eine Impression oder Reproduk-
15 tion nicht Grundlage eines Meinens ist, kann sich darin ein Meinen
etablieren, und es können so Wahrnehmungen und vergegenwärtigen-
de Vorstellungen erwachsen. Auch da spricht man von Impression
und Idee: Und man darf diese Reden nicht ohne weiteres identifizieren
mit denen sub 2). Jede Wahrnehmung also eine Impression und jede
20 reproduktive "Vorstellung" eine "Idee". Dabei kann auch das Wahr-
genommene als solches evtl. Impression heissen. Eine Impression
von einem Gegenstand haben = eine Wahrnehmung davon haben.
4) Evtl. heissen nur die sinnlichen Empfindungsinhalte Impres-
sionen und die Phantasiereproduktionen derselben Ideen.

25 Zu beachten ist,l dass biosses Phan tasieren nicht etwa die


Inaktualitätsmodifikation von W a h r n e h m e n ist. Sondern inaktu-
elles Wahrnehmen wäre Wahrnehmen ohne "Setzung", etwa im Bilde
(im Wahrnehmungsbilde) Leben, aber ohne jedes Bewusstsein der
Aktualität (Setzung). Ebenso ist das inaktuelle Erinnern
eben nicht mehr eigentlich Erinnern, sondern biosses Phanta-
30 sie ren. Natürlich hat nur j e der Akt eine solche Modifikation.
Ein primärer Inhalt hat keine Inaktualitätsmodifi-
kation. Sie bezieht sich ja immer auf ein Bewusstsein-von, auf in-
tentionale Beziehung. Andererseits bezieht sich die reproduktive
Modifikation nich t darauf, dass z.B. ein Akt, auf den wir sie an-
35 wenden, eben Akt, in ten tionales Erlebnis ist, sondern nur darauf,
dass er Er leb n i s2 ist. Zuletzt geht die s e Modifikation zurück auf
das absolute Bewusstsein und seine Momente des Erlebens. Das Er-
leben ist Erleben. Unter dem Erlebten aber kann es vorkommen, dass
ein Vergegenwärtigen auftritt, das selbst ein Erleben vergegenwärtigt.
40 Das hat freilich einige Schwierigkeiten.

*
1 Der Text dieses Absatzes wurde etwas nachträglich beigefügt. - Anm. d. Hrsg.
2 Erlebnis = Empfundenes im weitesten Sinn.
...
BEILAGE XXXV 323

Unter den Erlebnissen finden wir zweierlei


1) solche, die cogitationes, Bewusstsein-von sind
2) solche, die es nicht sind.
Die cogitationes zerfallen in verschiedene Klassen, und dabei lassen
5 alle cogitationes gewisse Modifikationen zu. Uns interessiert hier eine,
die nicht nur für cogitierende Erlebnisse, sondern für alle Erlebnisse
besteht.
I) Jedem Erlebnis entspricht nach idealer Möglichkeit ein repro-
duktives. Das "ein" ist richtig zu verstehen. Es gibt andere Modifi-
10 kationen, die jedes,Erlebnis in Reihen von Erlebnissen hineinzustellen
gestatten (immer nach idealer, nach Wesensmöglichkeit), derart dass
wir von "demselben Erlebnis" sprechen, nur in verschiedenem Modus.
Z.B. Aufmerksamkeit, auch Klarheit des Bewusstseins. So gibt es nun
vermöge solcher Modifikationen viele Reproduktionen zu einem Er-
15 lebnis, das selbst wieder vermöge solche,Modifikationen in eine Viel-
heit übergeht. Also z.B. "eine" Reproduktion kann mehr oder minder
klare Reproduktion sein u, dgl. Worauf es uns ankommt, das ist,
dass, wenn wir zJ~. eine Wahrnehmung eines Hauses haben, es da-
zu eine "genau eIl(tsprechende" Reproduktion "gibt", ebenso zu je-
20 dem Urteil eine genau entsprechende Urteilsreproduktion usw. Auch
zu jedem Empfindungserlebnis, z.B. einem empfundenen Ton, gibt es
eine genau entsprechende Reproduktion.
Jedes reproduktive,Erlebnis ist ein intentionales (eine cogitatio),
und es hat zu seinem intentionalen Gegenstand das originäre Erlebnis,
25 von dem es die Reproduktion ist. Wir nennen am besten jedes Er-
lebnis, das keine Reproduktion ist, ein ursprüngliches Erlebnis
(oder Empfindungen in weitestem Sinn: 1 so dass die Empfindungen
zerfallen in nichtintentionale (nichtcogitierende) und intentionale
Empfindungen (cogitierende), wobei die Bildung intentionale Emp-
30 findung so zu verstehen ist wie intentionales Erlebnis).
Wir würden also dann sprechen von Urteilsempfindungen, Willens-
empfindungen, auch Wahrnehmungsempfindungen 2 (gegenüber Ur-
teilsreproduktionen, Willensreproduktionen, Wahmehmungsrepro-
duktionen). Dann auch von Empfindungen in Urteils-, Willenszusam-
35 menhängen, von Empfindungen in Wahrnehmungen, z.B. von dar-
s~el1enden Empfindungen. Urteile schlechthin, Wollungen schlecht-
hl~, Wahrnehmungen< schlechthin wären Empfindungen. Die Be-
zelch~1Ung als Empfindung weist aber auf den Gegensatz zu Repro-
d~ktlOn hin. Doch ist es bedenklich, eine solche Terminologie zu
40 wahlen. Kommt man nicht damit aus, dass man unterscheidet zwi-
scheri Reproduktionen oder reproduzierenden Erlebnissen
und eben nichtreproduzierenden? (Das ist deutlich und
kostet SOzusagen nichts. Schön ist es freilich auch nicht.) Dann hat

Br' "Empfindungen in weitestem Sinn" hat Husserl später unterstrichelt. - Anm. d.


'ig.
2 Oder sollen wir sagen Impressionen, absolute Impressionen?
324 BEILAGE XXXV

man weiter zu scheiden die reproduzierenden in solche, die Erlebnis-


reproduktionen, und solche, die Reproduktionen von anderem Indivi-
duellen sind (innere und transiente). Und weiter kommt dann der Satz
dass jede transiente Reproduktion zugleich innere ist. '
5 Endlich1 ist noch zu erwägen, ob ich, wenn ich von Empfindungen
Empfindungs-Erlebnissen spreche, nicht als Gegensatz sagen soll
imaginierende Erlebnisse oder Phantasieerlebnisse. Aber da stört die
Begrenzung der Reden von Imagination und Phantasie auf die Sphäre
der Anschaulichkeit (Klarheit). Und bei Imagination die Beziehung
10 auf die Bildlichkeit. Das Wort Bildlichkeit ist aber selbst nur ein
bildliches, und es spielt als Etymologie hier ein Bild mit, das gerade
sehr schädlich ist. Also ziehe ich jetzt reproduktiv vor, das freilich auch
nur ein Wort und nicht ein aus seinem gewöhnlichen und etymologi-
schen Sinn geschöpfter Begriff sein darf.
15 II) Innerlich reproduzierende Erlebnisse haben eine intentionale
Beziehung auf die entsprechenden nichtreproduzierenden. Sind diese
selbst intentionale Erlebnisse, so haben die Reproduktionen eine dop-
pelte gegenständliche Beziehung, nicht nur auf die ursprünglichen Er-
lebnisse, sondern auch auf deren Gegenstände.

*
20 Impression - Reproduktion

Jedes Erlebnis des inneren Bewusstseins ist in diesem bewusst als


dauerndes Sein in der "inneren" Zeit.
Jedes Erlebnis ist entweder Reproduktion oder Nicht-Reproduk-
tion.
25 Die Reproduktion ist Reproduktion eines relativ zU ihr originären
Erlebnisses, z.B. die Reproduktion ist Urteilsreproduktion, d.i. Re-
produktion von einem Urteil, oder Wahrnehmungsreproduktion,
Wunschreproduktion, evtl. Reproduktion von einer Reproduktion etc.
Nennen wir das originäre Erlebnis, von dem die Reproduktion ein
30 eigentümliches "Bewusstsein" ist (oder das es "reproduziert"), relativ
zu ihr impressives Erlebnis, so werden wir von dem relativen zu einem
absoluten Unterschied geführt. Sagen wir schlechthin origi-
näres impressives Erlebnis, so meinen wir ein Erlebni~, das
keine Reproduktion ist. üb übrigens Iterationen von ReproduktIOnen
35 möglich sind, muss besonders untersucht werden. Wenn wir je.tzt ~on
einstufigen Reproduktionen sprechen, so meinen wir solche, die mcht
Reproduktionen von Reproduktionen sind. .
Unter den impressiven Erlebnissen finden wir nun ein~ mer~rdige
Art, deren intentionale Gegenstände selbst wieder als lmpressIV: cha-
40 rakterisiert sind. Besser: Unter den impressiven Erlebnissen fmden

1 Den Text dieses Absatzes hat Husserl später diagonal durchgestrichen. - Amn.
d. Hrsg.
, ..
BEILAGE XXXV 325

wir solche, deren Gegenstände selbst wieder individuell sind und in


ihnen ganz ähnlich bewusst, die Gegenstandskorrelate ähnlich cha-
rakterisiert, wie die impressiven Erlebnisse selbst es sind im inneren
Bewusst-Sein, im Erleben., "
5 Diese Erlebnisse nennen wir Perzeptionen. Das innere Be-
wusstsein bietet die Erlebnisse in ähnlicher Weise wie eine Perzeption
dar, und somit spricht man von innerer Perzeption (auch Wahrneh-
mung. wenn der Blick der Aufmerksamkeit auf das Erlebnis gerichtet
ist). Aber dabei ist zu betonen, dass die innere Perzeption vorläufig
10 nur ein Wort ist, und keineswegs ein Erlebnis: Es ist das Erleben von
Erlebnissen, aber nicht selbst Erlebnis.
Im Erleben können die Erlebnisse in verschiedener "Klarheit und
Deutlichkeit" bewusst sein. Nicht nur, dass einzelne diejenigen sind,
in denen das "Ich" lebt, von denen es heisst, ich nehme wahr, ich ,ur-
15 teile ete., derart dass das Ich in lebensvoller Weise Zuwendung, Er-
fassung u.dgl. übt, wodurch die Erlebnisse einen ganz besonderen
Modus haben, eine Auszeichnung; auch andere Erlebnisse, die diese
Auszeichnung nicht haben, können ausgezeichnet sein in anderer
Weise, in der de~ Sich-Empordrängens, des mehr oder minder Ab-
20 gehobenseins, In-Bereitschaft-Seins für die Modifikation der Auf-
merksamkeit usw. Also das sind allgemeine Modi der inneren Per-
zeption, mit denen aber auch das "Perzipierte", die Erlebnisse sich
modifizieren. Die Erlebnisse nun, die selbst Perzeptionen sind, haben
auch diese Unterschiede, diese Modifikation, wodurch ebenfalls
25 deren Gegenstände, die "äusserlich" perzipierten, bald klar, bald
unklar, bald in Zuwendung als aufgemerkt, bald als ungemerkt be-
wusst sind (was freilich hier nicht sagt, dass die Gegenstände selbst
sich modifizieren).
Nehmen wir nun Reproduktionen von Erlebnissen, die selbst Per-
30 zeptionen sind. Die Reproduktionen selbst sind Erlebnisse und kön-
nen verschiedene Modi der Klarheit, bis zur Leere, der Aufmerksam-
keit iiSW. haben, und damit verbindet sich, dass das Reproduzierte
selbst f'in Erlebnis verschiedenen solchen Modus' sein kann. So z.B.
kann reproduziert sein ein aufgemerktes Erlebnis und reproduziert
35 ein nichtaufgemerktes. Im ersteren Fall gehört der Modus der Auf-
merksamkeit zum Erlebnis selbst, das reproduziert ist. Also jeden-
falls haben wir da nach beiden Seiten liegende merkwürdige Unter""
schiede.
Unter allen Umständen aber ist es ein wichtiger und allgemeiner
40 l!nt.prschied: die Weise der intentionalen Gegebenheit von reprodu-
ZIerten Erlebnissen (also im Erlebnis, das wir Reproduktion nennen)
u~d, wenn reproduziert Wahrnehmungen bzw. Perzeptionen sind,
d.le Weise, wie in der Reproduktion die Gegenstände der reprodu-
ZIerten Perzeption bewusst sind. (Und erst recht, wenn es sich um
45 Gege?stände von Reproduktionen zweiter Stufe hiebei handelt.)
WIr tun gut, den Ausdruck reproduziert nur auf Erlebnisse anzu-
326 BEILAGE XXXV

wenden und die Gegenstände reproduzierter Perzeptionen als phanta-


siert zu bezeichnen. (Und bei jedem in verschiedener Stufe.) Also ich
phantasiere mir etwa vor Häuser, Bäume, Tiere und Menschen. (So-
fern die Wahrnehmung von Menschen "Mitwahrnehmung" ihres
5 Zo:nes, Mutes e.tc. besagt, h~isst aU:h der Mens:h mit seinen psy-
chischen Erlebrussen phantaSIert.) Em reproduktives Erlebnis heisst
reproduziert mit Beziehung auf eine Reproduktion, die unmittelbar
Reproduktion von ihm ist und unter Ausschluss von Reproduktionen
von Erlebnissen, die sich ihrerseits auf das betreffende Erlebnis erst
10 beziehen.
Endlich ist noch zu beachten, dass der Ausdruck phantasiert kaum
anwendbar ist, um Gegenstände reproduzierter cogitationes, die nicht
Perzeptionen (oder in höherer Stufe schon Reproduktionen von- Per-
zeptionen) sind, zu bezeichnen.
15 Jedenfalls ist allgemein zu beachten, dass die Beziehung der Repro-
duktion auf das entsprechende impressive Erlebnis eine wesentlich
andere ist als die Beziehung derselben auf die eventuellen Gegen-
ständlichkeiten der Erlebnisse. Wir sagen etwa, im Medium der Re-
produktion bewusst, allenfalls reproduktiv-intentional, und ebenso
20 für alle Korrelate.

*
1) Das innere Bewusstsein, das Erleben,
2) das Erleb n i s,
3) der intentionale Ge gen s ta n d des Erlebnisses.
Gehen wir nun zur reproduktiven Modifikation über, so haben wir:
25 1') die reproduktive Modifikation des Erlebens, das gleichsam Er-
leben, das Reproduzieren, in welchem das originäre Erle ben im
Modus des Gleichsam bewusst ist. Das gleichsam Erleben "reprodu-
ziert" das Erleben, das gleichsam Urteilen reproduziert Urteilen etc.
2') Im Reproduzieren ist konstituiert die Erle bnis-Repro-
30 duktion als einheitliches Erlebnis, z.B. das Erlebnis der
Wahrnehmungs-Reproduktion, das Erlebnis "Wahrnehmung vom
Haus", Gleichsam-Wahrnehmung. Das gibt einen bestimmten Be-
griff von reproduziert: Die Erlebnis-Reproduktion reproduziert das
Erlebnis, die Wahrnehmungsreproduktion die Wahrnehmung. usw.
35 Wir können auch die Beziehung herstellen: Das gleichsam Erleben
(nach 1) reproduziert das Erlebnis. Das sind verschiedene Begriffe von
reproduziert, es sind verschiedene Beziehungen, die man auseinander-
halten muss.
3') Der Gegenstand des reproduzierten Erlebnisses, wofern dieses
40 ein intentionales ist, ist wieder in anderer Weise bewusst: p h a n t a-
siert, wenn er ein individueller Gegenstand ist und das Erlebni~ ein
schlichtes Perzipieren in einem weitesten Sinn. Sonst haben wir keUlen
Namen dafür.
Es ist aber sehr wichtig, scharf zu unterscheiden die Beziehung
BEILAGE XXXV 327

zwischen Erlebnisreproduktion und Erlebnis, die Beziehung zwischen


Erlebnisreproduktion und Gegenstand des Erlebnisses.
Abgesehen von den sonstigen Beziehungen zwischen Wiedererleben,
quasi Erleben und Erlebnis (origin~r~n~), zwische~ Wiedererleben,
5 quasi Erleben und Gegenstand des ongmaren Erlebmsses.

*
Erlebnis und Erlebnis-Reproduktion betrachten wir als
wesentlich zusammengehörig. l
Das Wesen jedes Erlebnisses kann entnommen werden aus der Re-
flexion auf das Erlebnis selbst, so wie es im inneren originären Be-
10 wusstsein gegeben ist, aber auch aus irgendeiner Reproduktion von
ihm. Andererseits haben aber ein Erlebnis und die Erlebnisreproduk-
tion selbst kein gemeinsames Wesen. 2 So Wunsch und Wunschrepr0-
duktion, Urteil und Urteilsreproduktion, auch Rotempfindung und
Rotphantasma.
15 Die beiderseitigen Wesen entsprechen einander, aber in der Weise
eigentümlicher ~odifikation. Jedem Erlebniswesen entspricht also
ein Ge gen wes e n als Wesen Erlebnisreproduktion. Das ist beson-
ders zu beachten bei sinnlicher Empfindung und sinnlichem Phantas-
ma, die keineswegs von selbem Wesen sind. Das betrifft natürlich
20 auch alle Kor re 1a t e von Erlebnissen im Vergleich mit den Korre-
laten von Reproduktionen von Erlebnissen.3
Gilt nicht Analoges von Erlebnis und Erlebnis-Gedanke in den
Schranken, in denen die gedankenhafte Modifikation gilt? Also sagen
wir besser stellungnehmendes Erlebnis und gedankenhafte Modifika-
25 tion? Z.B. Urteil und blosser propositionaler Gedanke, Wunsch und
Wunschgedanke etc.
Urteil und Urteilsreproduktion haben das "gemein", dass dasselbe
Wesen, das im Urteil Erlebniswirklichkeit hat, in der Reproduktion
reproduziert ist (Wesen reproduzierter Wirklichkeit ist).
30 Urteil und entsprechender blosser propositionaler Gedanke, S ist pI
und "S ist p", haben das gemein, dass "dasselbe", was das Urteil
glaubt und als wahr setzt, im biossen Gedanken gedacht ist.
Die Wesen Urteil und entsprechender blosser Gedanke sind ver-

1 Origmare Erlebnisse zerfallen in Gattung und Arten, aber alle Reproduk-


tIonen von Erlebnissen bilden eigentlich eine Gattung mit Arten, die Gegen-
bl!("r sllld von denen auf der anderen Seite. Doch müssten wir dann sagen, alle
"orig!Daren Erlebnisse" bilden eine Gattung, eben "originäres Erlebnis".
2 Beldcf'eIts "dasselbe" und doch durch und durch modifiziert, SO dass nichts von
wIrklicher Identität übrig bleibt. Demnach auch nichts von Gleichheit und echter
Annllchkclt.
3 J'\aturlich kann man nicht einmal sagen, dass Wesen und Gegenwesen zur selben
Wes e n s g a t tun g gehören. Jeder hierher gehörigen Wesensgattung entspricht eine
Gegen Gattung, jedem Verhältnis zwischen Erlebnissen bzw. Erlebniswesen ent-
spncht ein Gegenverhältnis etc.

Bussert-Arc~iv
328 BEILAGE XXXV

schiedene Wesen. Klassifiziere ich Urteile, so erhalte ich das System


der Urteilsarten. Klassüiziere ich Gedanken, so erhalte ich das System
der Gedankenarten. Beide entsprechen sich genau: Jeder "Urteils-
form" entspricht eine "Gedankenform".
5 Aber muss man hier nicht sagen, dass zwischen Urteil und "Urteils-
inhalt" , Gedanke und Gedankeninhalt abstraktiv zu unterscheiden
<ist> und dass Urteil und entsprechender Gedanke, aber ebenso auch
Urteil und entsprechende Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit etc. wirk-
lich ein Wesen gemeinsam haben, nämlich eben den entsprechenden
10 "Inhalt" als puren unqualifizierten Inhalt?
Hier scheint mir die Sachlage also anders zu sein als oben im Fall
der Reproduktion. Ein Wesensmoment individualisiert sich im Urtei-
len und individualisiert sich im entsprechenden bIossen Denken. Aber
nicht im Urteilen und in der entsprechenden Reproduktion vom Ur-
15 teilen. Aus der Urteilsreproduktion kann ich das Wesen "entnehmen",
aber es liegt beiderseits total anders darin. Das sind jedenfalls merk-
würdige phänomenologische Verhältnisse.
~r. 15

MODI DER REPRODUKTION UND PHANTASIE


BILDBEWUSSTSEIN
(Auch in Beziehung auf die Stellungnahmen)
5 (März-April 1912)

<a) Terihinologische Vorerwägungen bezüglich der


herauszustellenden Unterscheidungen von "ursprünglichen"
und "reproduzierten" Erlebnissen bzw. "ursprünglich" und
"reproduktiv" bewussten individuellen Gegenständen>
10 (21. März 1912)

Innerhalb! der inneren Impression vollziehe ich ein a p p aren-


z i ale s Bewusstsein, ein äusseres "Perzipieren" , ein Dingerschei-
nen , Vorgangserscheinen. Vollziehe ich es innerhalb der inneren
Reproduktion, so ist das Erscheinen also reproduktiv bewusst.
15 Aber nun ist das Erscheinende selbst reproduktiv bewusst, wie
es im anderen Fall impressiv bewusst ist.
Im Erscheinen erscheint ein Zeitliches, die äussere Zeitlich-
keit. Das Erscheinen selbst ist ein zeitliches, es erscheint selbst
im inneren Bewusstsein.
20 Nehmen wir aber· jetzt ein anderes Erlebnis, impressiv oder
reproduktiv im inneren Bewusstsein konstituiert. Ein Urteil, und
zwar ein Urteil. etwa, das auf Ideales geht, auf Unzeitliches, oder
einen' Wunsch, einen Willen usw.
Das Urteilen hat einen ganz anderen "Sinn", hat ganz andere
25 Korrelate wie ein Erscheinen von Individuellem. Es hat andere

1 Am Anfang der Zeile später eingefügt: "Angenommen". - Anm. d. Hrsg.


330 TEXT Nr. 15 (1912)

gegenständliche Beziehung: Es geht nicht auf Zeitliches. Und


ebenso überall.
Wie steht es mit dem reproduktiven Urteil, Wunsch"etc. hin-
sichtlich seiner Beziehung auf "Gegenständlichkeit"? Reprodu-
5 ziert ist das Gegenständliche nicht, es ist nicht vergegenwärtigt.
Es ist eben kein Zeitliches.
Wir haben also zu sagen: Unterl den Erlebnissen gibt es zwei-
erlei: intentionale Erlebnisse, d.i. Erlebnisse, die den Charakter
haben "Bewusstsein von" (cogitationes), und nichtintentionale:
10 die primären, die sinnlichen Erlebnisse (sensuellen). Die cogita-
tiones wieder zerfallen in zwei Klassen. Vorstellungen und Nicht-
Vorstellungen, die Vorstellungen, die apparenzialen cogitationes
haben das Eigentümliche, dass sie, wenn sie impressive Erleb-
nisse sind, Impressionen-von sind, und wenn reproduktive, Re-
15.produktionen-von sind. 2
Das gilt aber nicht für die übrigen cogitationes.
Aber was ist das für ein Fund der Weisheit? Ist es nicht eine
blosse Nomenklatur?
Wir müssen so sagen: Jedes Erlebnis lässt eine fundamentale
20 Modifikation zu. 3 Sie heisst die re pro du k t i v e Modifikation,
und das unmodifizierte Erlebnis selbst heisst in Beziehung darauf
impressives. Wir haben nun zwei Fälle. Entweder das Er-
lebnis (das selbst ein individuelles ist und als individuelles be-
wusst ist) ist ein vorstellendes, d.h. ist ein Bewusstsein, in dem
25 ein Individuelles "erscheint", sich "darstellt".4 Oder es ist ein
anderes Erlebnis, und speziell ein Bewusstsein von einem Gegen-
ständlichen, das nicht als Zeitliches bewusst ist.
Nun gehören aber zu jeder Reproduktion zweierlei gegenständ-
liche Beziehungen, die beide nicht in gleicher Weise, aber durch
30 verschiedene Einstellung erfassbar sind. 1) Die Reproduktion ist
Reproduktion von der entsprechenden Impression: Das kann ich
in ihr selbst finden. 2) Die Reproduktion hat Beziehung zum

1 Vor "Unter" später eingefügt: "Zunächst". - Anm. d. Hrsg.


2 Später eingefügt: "Aber sie sind eben Impression und Reproduktion". - Anm.
d. Hrsg.
3 Das innere Bewusstsein ist in Beziehung auf jedes Erlebnis Impression: je~es
ist impressiv. Jede reproduktive Modifikation ist Reproduktion eines innerlich "lID-
pressiv bewussten" Erlebnisses, die Reproduktion selbst ist impressiv bewusst. .
4 Später eingefügt: "Dann ist es selbst Impression von etwas bzw. ReproduktiOn
von etwas, und letzteres doppelt". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 331

Gegenständlichen, das in der entsprechenden Impression aktuell


Gegenständliches wäre.
Die Reproduktion eines Erlebnisses (z.B. eines Urteilens, eines
äusseren Wahrnehmens) ist einerseits Reproduktion von diesem
5 Erlebnis, also ich kann hinblicken auf das reproduktiv bewusste
Wahrnehmen, Urteilen:. Andererseits kann ich hinblicken auf das
"Wahrgenommene", "Geurteilte", das aber hier reproduktiv be-
wus::,t ist. Nun ist die Weise, wie das eine und andere bewusst ist,
eine sehr verschiedene.
10 Die eine! Weise ist die der Bewusstseinsbeziehung auf In-
dividuelles, und das macht doch im Wesen des Bewusstseins et-
was Gehöriges aus. Die andere Weise ist nun die, der das repro-
duzierte Erlebnis als cogitatio vorschwebt. Und da ist es eben das
::Uerkwürdige, dass eine cogt'tatio nicht nur impressiv mit Bezie-
15 hung auf das innere Bewusstsein, sondern selbst wieder Impression
von <ebwas sein l{ann, das seinerseits wieder ein Individuelles ist,
ein zeitliches Sein. Darin liegt: Die zweite gegenständliche Be-
ziehung kann in dieser Hinsicht gleichartig sein (nämlich was die
Artung des Gegenständlichen als "Individuum" anlangt), kann
20 aber auch ungleichartig (in dieser Hinsicht) sein.
Haben wir uns das zu eigen gemacht, so verstehen wir folgen-
des: Die Termini Impression und Reproduktion können
verschiedenen Sinn gewinnen. Nehmen wir zunächst den Ter-
minus Impression.
25 Impression kann I) Name sein für das Erleben, für das
innere Bewusstsein, in dem sich das Erlebnis als Individuum
konstituiert, bzw. Reproduktion dann Name für die Modifi-
kation der Erlebnis vergegen wärtigung. 2
Damit ist eine Eigentümlichkeit des inneren Bewusstseins fest-
30 gestellt, und zwar als Bewusstseins von Individuellem. Das Indi-
viduelle ist hier das Erlebnis, das charakterisiert ist als impressiv
oder reproduktiv. "

~ Spater eingefugt: "erste". - Anm. d. Hrsg.


()I un brauchen wir einen Namen für Erlebnisse, die nicht selbst Erlebnisvergegen.
wartlgungen sind, und eine Möglichkeit der Nomenklatur besteht darin, dass man
~afur selbst Impression sagt, wie ich es früher tat! Impression das aktuelle Er.
eben, das nicht Reproduktion eines Erlebens ist. Dann ist die innere Reproduktion
selbst aktuell erlebt. *)
* Aber keine Impression.
332 TEXT Nr. 15 (1912)

2) Erlebnisse selbst können, sagten wir, Bewusstsein von Indi-


viduellem und von analoger Art sein wie dieses innere Bewusst-
sein, also impressiv oder reproduktiv. 1 2
Nehmen wir jederlei Bewusstsein, sofern es impressiv oder re-
5 produktiv charakterisierendes von In d i v i d u e 11 e m ist, in
eins zusammen, so gewinnen die Begriffe Impression und Repro-
duktion einen allgemeinen Sinn, eben den der "Vorstellung" er-
füllend. Nehmen wir den allgemeinen Bewusstseinsunterschied
der Anschaulichkeit (Klarheit, Eigentlichkeit, ob das dasselbe
10 ist, weiss ich momentan nicht) hinzu, so haben wir speziell Per-
zeption und Phantasie (Imagination) als besondere Gegensätze
innerhalb der Anschaulichkeit.
3) Wird der Begriff der Impression bzw. Reproduktion so be-
grenzt, so scheiden sich die Impressionen z.B. in innere Impres-
15 sionen und in Impressionen, die innerlich impressiv bewusst und
(nicht wie die inneren Impressionen als "Gegenstände" Erleb-
nisse haben, sondern) die selbst Erlebnisse sind und als Gegen-
stände nicht Erlebnisse haben.
Das in einem Erlebnis, das selbst nicht Impression von Indi-
20 viduellemist, Bewusste ist dann nicht impressiv bewusst. In einem
Urteil ist der Sachverhalt nicht impressiv bewusst. Ein Wert, ein
sittliches· Gebot. Ebenso für die Reproduktion. Das in einem re-
produzierten Erlebnis Bewusste, das selbst kein Vorstellungs-
erlebnis ist, heisst dann nicht reproduziert, ist nicht reproduktiv
25 bewusst.
Das reproduzierte Erlebnis ist selbst reproduktiv charakteri-
siert, aber es ist nicht Reproduktion von etwas.
4) Dann braucht man aber ein Paar Namen, um die Unter-
schiede der Bewusstseinsweise auszudrücken, welche innere Im-
30 pressionen und innere Reproduktionen nicht hinsichtlich ihrer
Gegenstände, der impressiven und reproduktiven Erlebnisse,
haben, sondern die sie für diese Erlebnisse vorschreiben hinsicht-
lich der enGegenständen.

1 Am Rande folgende, jedoch wohl schon zur Zeit der Niederschrift wieder durch-
gestrichene Bemerkung: "erlebende Impression, die kein Erlebnis ist". - Anm. d.
Hrsg.
2 Der letzte Absatz später welJenförmig durchgestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 333

5) Wie muss nun die Terminologie gewählt werden? Hat man


einmal erkannt, dass der zunächst gesehene Unterschied zwischen
Erlebnissen, die "ursprüngliche" Erlebnisse, und solchen, die
"reproduzierte" sind, sich unterordnet dem allgemeinen Unter-
S schied zwischen individuellen Gegenständen überhaupt, die be-
wusst sind einmal "ursprünglich", das andere Mal "reproduktiv",
so k a n n man nicht anders, als die allgemeinen Ausdrücke dem-
entsprechend wählen, also zu unterscheiden zwischen Impres-
sion und Reproduktion, wie wir es oben taten (ebenso die Be-
10 griffe" Vorstellung", Perzeption, Phantasie wählen), und dann die
Besonderungen anzugeben, z.B. innere und äussere Reproduktion
etc. Also da haben wir keine Wahl.
Andererseits ist damit vorgeschrieben, was reproduziert und
imprimiert heisst. Imprimiert ist das individuell Gegenständliche
15 des Bewusstseins, ebenso reproduziert, und phänomenologisch
haben wir dann ~as Gegenstandskorrelat charakterisiert als im-
pressiv und reproduktiv.
Also ein reproduziertes Urteilen besagt ein Urteilen, das eben
im inneren Reproduzieren (im inneren Bewusstsein Reproduk-
20 tion) individuell gegenständliches ist. Dagegen ist der "Sach-
verhalt" nicht reproduziert.
Ebenso wenn ich im inneren Bewusstsein eine Wunschrepro-
duktion habe, so ist eben der Wunsch reproduziert, das Er-
wünschte aber nicht. Wie sollen wir nun solche Gegenständlich-
25 keiten reproduktiv bewusster Erlebnisse (soweit sie nicht Vor-
stellungserlebnisse sind) nennen? Der Terminus muss so gewählt
sein, dass er in seiner allgemeinen Bedeutung auch das Repro-
duziertsein umspannt. Denn reproduzierte Gegenstände sind ja
au c h Gegenstände von reproduktiv bewussten Erlebnissen.
30 Vielleicht ist es da am besten, den Ausdruck vor s eh web e n
zu gebrauchen. Der passt dann auch auf alles an intentionalem
Gehalt, das wir in den reproduktiven Akten finden können, z.B.
den Korrelaten, die ja keine Gegenstände sind und die doch in
andel-er Weise "bewusst" sind als Gegenstände. Und in anderer
35 in reproduktiven Akten als impressiven.
~ber wir brauchen auch einen Namen für die Gegenständlich-
kelten (und Korrelate) impressiver Erlebnisse ("Akte", cogitatio-
nes). Wir können etwa sagen aktuell bewusst (Spezialfall bei
Vorstellungen: aktuell vorgestellt, wenn es eine Perzeption ist,
334 TEXT Nr. 15 (1912)

näher leibhaft). Wir haben also den Unterschied von aktuell


und inaktuell (vorschwebend bewusst).
Reprod ukti v bewusst,
re pro d uziert passt für reproduktiv bewusste Erlebnis-
5 se. Kann man sagen, das Bellen des Hundes sei reproduziert, "ich
reproduziere mir das Bellen des Hundes"? Das sagt man aller-
dings auch: Ich vergegenwärtige mir das Bellen des Hundes. Ich
vergegenwärtige mir ein UrteiL
I m p res s i v bewusst ist jedes Erlebnis.
10 Ein Urteil, das ich erlebe, ist impressiv (impressional) bewusst.
Erlebtes Urteil, erlebter Wille, erlebtes Gefühl, auch erlebte Re-
produktion eines Urteils etc.
Erlebe ich ein Urteil, so ist der Sachverhalt nicht erlebt. Er-
lebe ich ein Vermuten, so ist die Wahrscheinlichkeit (Vermutlich-
15 keit) nicht erlebt. Das ist aber ganz anders bewusst, wie wenn ich
eine Urteilsreproduktion erlebe und damit ein reproduktives
Bewusstsein vom Sachverhalte habe. Das Urteilsbewusstsein ist
reproduziert, der Sachverhalt ist damit nicht reproduziert.
Sollen wir sagen: Impressional bewusst (erlebt) ist das Urteil,
20 das ich erlebe, überhaupt das Erlebnis, impressiv bewusst ist der
Gegenstand des Erlebnisses?
Reproduktional bewusst, reproduziert ist das Erlebnis, repro-
duktiv bewusst das Gegenständliche des Erlebnisses. 1
Aber wie steht es mit der Gleichartigkeit zwischen Erleben und
25 äusserem Wahrnehmen, Reproduzieren und äusserem Vorstellen
(Phantasieren)? Ist das eine Gleichartigkeit?
Das Selbst, Anschaulich, Wirklich. Das Originär. Ja?
Ich erlebe ein Urteil, einen Wunsch.

1 Erlebnisse, Erlebnisreproduktionen, ursprüngliche Erlebnis-Reproduktionen.


Reproduktionen immer Reproduktionen von Erlebnissen.
TEXT Nr. 15 (1912) 335

<b» Erinnerung und Einfühlung! <als Reproduktion.


Zweierlei Wirklichkeitscharakterisierungen bezüglich des
"Gegenständlichen" eines reproduzierten Aktes,
Möglichkeit des Fortfallens dieser Charakterisierungen
5 (Stellungnahmen) - Vollziehen von Reproduktion und
Vollziehen in der Reproduktion (Darinleben, Aufmerksamsein)
am Beispiel des Phantasierens - Gedankenhaftes Verhalten
im Verhältnis 'zum phantasierenden Verhalten>
(22. März 1912)

10 Ich höre jemanden reden, er urteilt. Das Urteil als individuel-


les F akt u mist "mitwahrgenommen" : Er urteilt. Aber ich
urteile nicht. Aber ist das Urteil nicht "vergegenwärtigt" und
"er" selbst mit seinem ganzen Geistesleben, er als Geist?
Ist das Impress\on? Nun, es ist eine Reproduktion (eine "Er-
15 innerung"), durch Idie ein Strahl von Daseinssetzung hindurch-
geht. Die Reproduktion selbst ist ja auch ein "Erlebnis", ein
Jetzt, ein impressiv Bewusstes, und damit ist "verschmolzen"
der Strahl der Wirklichkeitscharakterisierung, der hindurchgeht.
Ebenso wie bei jeder "Erinnerung" im gewöhnlichen Sinn.
20 Ich erinnere mich meines früheren Urteils, ich "erinnere"
"mir" (Einfühlung) das fremde Urteil. Der Strahl der Wirklich-
keitscharakterisierung geht auf das Urteil als individuelles zeit-
liche<; Sein und reales Sein in seinem Realitätszusammenhang.
Erinnere ich mich meines gestrigen Wahrnehmens, so haben wir
25 ebenso den Strahl der Wirklichkeitscharakterisierung, bezogen
eben auf das Wahrnehmen. Wie aber mit dem Wahrgenommenen?
Das \Vahrnehmen kann ich als Faktum in der Erinnerung fin-
den. Jetzt kann ich aber überzeugt sein, es war eine Halluzina-
tion, eine Trugwahrnehmung. Ich habe bestimmte Gründe dazu.
30 Habe ich sie nicht, so wird, sowie der Blick auf das Wahrgenom-
mene geht, dies auch seine Wirklichkeitscharakterisierung ha-
ben. 2 Aber welche? Die zur reproduzierten Wahrnehmung ge-

1 Bezughch "Emfuhlung" vgl. auch den vermutlich etwas nachtraglich in die vor-
hegende AufzeIchnung eingefugten Text, der als Beilage XXXVIII (S. 431) wieder-
gegeben wIrd. - Anm. d. Hrsg.
2 Offenbar 1st dieser Wirklichkeitscharakter von vornherein da und hat nur das
Elgentumhche, dass er durch eine zweite, kritische Stellungnahme "entwertet" wer-
den kann.
336 TEXT Nr. 15 (1912)

hörige? Die hat es unter allen Umständen, nämlich auch, wenn


ich jetzt das Ganze für "Trug" halte. Es ist klar, dass, wenn
ich die Gegenstände vergangener Wahrnehmungen für gewesene
Wirklichkeiten nehme, ein neuer, impressionaler, aktueller
5 Strahl der "Wirklichkeitssetzung" auf das reproduktiv Bewusste
geht. Sich vergangener Dinge und dinglicher Vorgänge erin-
nern, setzt also zweierlei aktuelle (impressionale, zum reellen Be-
stand des Erinnerungserlebnisses selbst gehörige und nicht etwa
bloss reproduktive) Wirklichkeitscharakterisierungen voraus.
10 1) Den Charakter als wirklich hat das reproduzierte Erscheinen,
das reproduzierte Wahrnehmen, 2) einen nicht notwendig
da mit ver k n ü p f te n zweiten Charakter als wirklich das
Wahrgenommene. 1
Es ist also 2 genau so, wie Erinnerung an vergangene Ur teil e
15 sehr oft, aber <nicht> immer, verbunden ist mit jetzt aktueller
Wahrheitscharakterisierung des damals Geurteilten.3 Ich erinnere
mich des Urteils als Erlebnisfaktums. Das ist die eine Wirklich-
keitscharakterisierung. Ich urteile jetzt wieder so, ich "stimme
dem früher Geurteilten zu", oder unabgesetzt, ich urteile mit,
20 das' ist die zweite Wirklichkeitscharakterisierung. Es ist aber
nicht Charakterisierung als wirklich im gewöhnlichen Sinn, da
das Wort Beziehung hat auf Individuelles. Hier spricht man auch
nicht ohne weiteres von "Erinnerung" des Sachverhalts.4
Erinnerung ist ein Terminus, der sich meist auf Indi vi-
25 duelles bezieht, und zwar heisst erinnert entweder ein eigenes
innerlich reproduziertes Erlebnis, auf das sich eine "Wirklich-
keitscharakteristik" bezieht (auf das sich ein Glaube bezieht,

1 Das "nicht notwendig" sagt: Eine kritische Stellungnahme kann hinzutreten und
Entwertung vollziehen.
2 Später eingefügt: "fast". - Anm. d. Hrsg. . .
3 Es fragt sich, ob auch hier das Erinnerte, das Urteil, nicht nur reproduzIert Ist,
sondern mit der Reproduktion auch seine aktuelle Stellungnahme erhält und ~ehält,
solange nicht eine Entwertung sich einstellt. (Ich habe inzwischen etwa UrteIle ~e­
fällt, die die Falschheit solchen Urteils implizieren, es tauchen aufhebende ~rteIl~­
motive auf ete.) Aber hat das Spätere einfach recht? Doch nicht. Also hier ISt dIe
Sache nicht so einfach.
4 Doch. Ich erinnere mich des Pythagoräischen Lehrsatzes und dessen, ~as er
sagt. Ich erinnere mich, dass die Engländer die Buren besiegt haben. Ich ~rl~nere
mich noch daran, dass nicht alle algebraischen Gleichungen lösbar sind. PrIma~ er-
innert ist die frühere Kenntnisnahme übertragen: ihre Gegenständlichkeit. SehlIess-
lieh heisst jede Gegenständlichkeit ei~er im ersten Sinn erinnerten (nämlich im Gla,u-
ben reproduzierten) K e n n t n i s nah m e selbst erinnert, wofern ich die KenntnIS-
nahme selbst noch auf rech t erhalte.
TEXT Nr. 15 (1912) 337

der ihm diesen Charakter verleiht), oder eine individuelle Ding-


lichkeit, die Gegenstand eines im vorigen Sinn erinnerten Wahr-
nehmens ist, oder auch des Einfühlens, wofern sie jetzt
noch als wirklich gesetzt wird, oder etc. Ich erinnere mich, dass
5 er zornig war (ich habe ihm den Zorn angesehen, er hat getobt,
oder die Wut habe ich ihm im Gesicht angesehen), ich erinnere
mich, dass er so urteilte (er hat es gesagt).
Wie ist es mit Wünschen u.dgl.? Ich erinnere mich des
Wünschens und des Wunsches (dass der Wunsch damals von mir
10 gewünschter war). Ich kann nun aber einen Strahl der "Wunsch-
setzung" hineinsenden, ich erinnere mich, und zugleich
w ü n s c h e ich. Das "Erwünschte" ist einmal reproduktiv be-
wusst als erwünscht im reproduktiven Charakter (oder im Sinn mei-
ner vorigen Ausführungen: Das Erwünschte schwebt mir vor im
15 Charakter erwünscht, der nun "vorschwebender" ist). Dazu aber
tritt der aktuelle Charakter erwünscht. Wir haben also eine Dop-
pelheit. Ganz also wie beim reproduzierten Urteilen ein doppeltes
belief, der vorschwebende Glaube, der zum Erinnerten gehört,
und der aktuelle Glaube. .
20 Ebenso Erinnerung an einen Entschluss und aktuelle Ent-
schlussetzung. Und so überall beim Begehren etc.
Alle diese aktuellen! "Setzungen" , "Stellungnahmen" zum
"Gegenständlichen" eines erinnerten Aktes, eines Wahrnehmens,
Urteilens, Fühlens, Wollens, das erinnert ist, können fortfallen 2 3,
25 und schliesslich kann auch die Wirklichkeitssetzung, die sich
auf die Akte selbst bezieht, fortfallen. Dann haben wir also keine
Erinnerung mehr, in innerer Phantasie (innerer Reproduktion)
schwebt irgendein Cogitieren vor (es ist phantasiert) und schwebt
das Cagitierte vor.
30 Wie ist es im Fall der Impression? Die aktuellen Erlebnisse
haben den Charakter wirklich, der ist ihnen nicht wegzunehmen,
das belz'el gehört wesentlich zum Gehalt des gesamten inneren
(aktuellen) Bewusstseins. Was nun die cogitationes4 anlangt, so

1 Spater ein gefugt : "wirklich' erlebten". - Anm. d. Hrsg.


2 "Fortfallen einer wirklichen Stellungnahme".
3 "Aktuelle Stellungnahmen" sagt hier überall: Zum wirklichen (impressiven}
Bestand des Erlebnisses selbst gehörige und nicht bloss aktuell reproduzierte, ge-
SChWclge denn in aktuell reproduzierte Stellungnahmen.
4 Spater eingefügt: "die als Erlebnisse Gegenstände des inneren Bewusstseins
sind", - Anm. d. Hrsg.
338 TEXT Nr. 15 (1912)

haben wir zunächst die Perzeptionen. Die 'können den l Glauben


verlieren, wir haben dann das blosse ästhetische Bewusstsein, wie
in der blossen Bild-objekt-Perzeption. Ebenso können die belief-
Charaktere modal sich wandeln. Und ebenso die Wunschcharak-
5 tere, Gefühlscharaktere etc. 2
Sehen wir also vom inneren Bewusstsein ab mit seinem not-
wendigen belief und mit seinen evtl. anderen notwendigen paral-
lelen Stellungnahmen des inneren Bewusstseins (Fühlen etc.), so
gibt es innerhalb der Sphäre der Erlebnisse, und zwar der
10 cogitationes, solche, die ihren "Gegenständen" nicht wirkliche
(unmodifizierte, aus Impression stammende) axiontische Cha-
raktere erteilen, sie nicht wirklich bewerten, und zwar nach keiner
der möglichen Arten von "Stellungnahmen". (Freilich, Zuwen-
dung, und was damit verwandt ist, gehört zwar zum Begriff von
15 Stellungnahme nicht.) So insbesondere: Es gibt pure "Perzep-
ti 0 ne n" ohne einen doxischen Modus der Stellungnahme (wirk-
licher, nicht reproduktiver) und ohne eine der weiteren Arten
möglicher wirklicher Stellungnahme. Und ebenso pure Phan-
tasien. Ferner auch: Wirkliche Wahrnehmungen, Urteile,
20 Wünsche etc. sind Stellungnahmen (enthalten wirkliche Stel-
lungnahmen) .
Reproduzierte Wahrnehmungen, Urteile etc. sind bewusst
durch innere Reproduktionen, und diese inneren Reproduktionen
sind selbst Erlebnisse, und zwar von der Art der Phantasieerleb-
25 nisse. 3 Auch diese Phantasien können pure sein, ohne jede
wirkliche Stellungnahme; es kommen nur Phantasie-Stellung-
nahmen darin vor. Bei reproduzierten Wahrnehmungen ist das
selbstverständlich. Denn pure Phantasien sind ja eo ipso pure
Phantasien von Wahrnehmungen, mit Gegenständen evtl., die
30 selbst wieder individuell Erscheinendes sind ohne Stellungnahme.
Und reproduzierte Wahrnehmungen liegen bei allen Reproduk-
tionen von Erlebnissen eo ipso mit vor: Eben weil das Wesen der
Reproduktion darin besteht, Reproduktion von Impression zu
1 Später eingefügt: "aktuellen". - Anm. d. Hrsg. •
2 Erstes belief, notwendiges im inneren Bewusstsein, im Erleben. Sein Korrelat
der WirkIichkeitscharakter jedes Erlebnisses. Zweites belief im Erlebnis, wenn
dieses etwa ein Wahrnehmen, Urteilen ist, sein Korrelat der Wirklichkeitscharakter
im Wahrgenommenen. Das zweite belief ist dann wie das ganze Erlebnis charakten-
siert als wirklich und leibhaft. .
3 Die wirklichen Stellungnahmen gehören zum wirklichen Erlebnis, die phantaSIer-
ten Stellungnahmen sind nicht wirkliche.
TEXT Nr. 15 (1912) 339

sein: von innerer Impression, die immer "Wahrnehmung" ist,


nämlich den belief enthält, freilich nicht die Zuwendung etc.
I *
Vollziehen von Reproduktion und Vollziehen in der Reproduktion

Nehmen wir nun ein reprodumertes Urteil. Es kann ohne jede


5 Stellungnahme (ohne wirkliche, gegenwärtige) bewusst sein, we-
der <in Beziehung> auf das Urteilen als Erlebnis, was aber uns
<nicht?> interessiert, noch auf das Geurteilte. Dann schwebt
der Sachverhalt bloss vor, blicken wir auf ihn hin, so kann
man sprachüblich sagen: Wir "denken" ihn bloss (natürlich auch
10 ohne Voraussetzen, Annehmen etc.).
Ist das das "sich blass denken", in dem Sinn, in dem wir dem
Urteil gegenüberstellen das Sich-bloss-denken, etwa blosse Sätze
verstehen, sich den~n ,,2·2 = S"? Darauf bin ich sehr oft hin-
eingefallen, aber bedenke doch immer wieder das folgende: Wenn
15 ich in der Ph an t a:s ie spi elen d imagini ere: "Ich sitze
im Eisenbahnwagen und 'erlebe' das Auf und Ab kommender
Reisender. Ich unterhalte' mich mit den Mitreisenden, erzähle
ihnen das und jenes etc.", dann blicke ich in der Phan-
ta sie auf die Sachverhalte meiner mitteilenden Urteile (bzw.
20 die mitgeteilten "Tatsachen") hin. Ich mache gleichsam die Aus-
sagen, und wie ich beim wirklichen Aussagen den ausgesagten
Sachen zugewendet bin, so im gleichsam Aussagen den gleichsam
ausgesagten.
Offenbar ist dies e Zuwendung zum Sachverhalte, dieses Auf-
25 merksamsein-auf, Erfassen des Subjekts, dieses beziehende Setzen
etc., in dem beständig Hinwendung auf die sich konstituierenden
Sachverhalte gegeben ist, offenbar ist all das gar keine ak-
tue 11 e, sondern selbst phantasierte Zuwendung. Es ist eben das
quasi-Vollziehen der Urteile, die als beziehende Akte all der-
30 gleichen Aktkomponenten voraussetzen. Und dieses Vollziehen
ist eü Vollziehen "in" der Phan tasie, d.i. eben "repro-
duziert". Das gilt für das Urteilen wie für alle noch so lebendigen
Gefühle, Wallungen etc. in der Phantasie, wobei ich auch, sie
"vollziehend", zugewendet bin den Wunschinhalten, den Ent-
35 schlüssen, den Handlungen etc.
Nun ist das Phantasieren selbst ein wirkliches Erlebnis, ich
bin mit dabei als aktuelles Ich, und "es geht zugleich
340 TEXT Nr. 15 (1912)

ein Strahl aktueller Zuwendung durch all die Phantasiezuwen_


dungen" . Genauer gesprochen; Eine Phantasie kann auftauchen
aber "unlebendig", ohne dass ich sie "vollziehe". All die etw~
im "Dunkel" oder relativ dunkel auftauchenden Phantasiezuwen-
5 dungen "entbehren des Strahls der Aktualität" , des "Vollzuges" ;
anders, wenn ich "in der Phantasie lebe", wenn ich sie vollziehe'
in der Phantasie lebend nehme ich wahr, stelle ich phantasie~
mässig vor, urteile, begehre, will ich, und in lebendiger, lebens-
vollerWeise. Darin liegt, könnte man nun sagen, von mir
10 als aktuellem lebensvollen Ich geht ein Lebendiges in die Phan-
tasie hinein, ich bin auch jetzt als Lebender mit all dem Phanta-
sierten beschäftigt.
Doch heisst es da vorsichtig sein. Gerade wenn ich lebendig
phantasiere, ganz in der Phantasie aufgehe, bin ich "selbstverges-
15 sen". Ich bin dann.das Phantasie-Ich, und all die Zuwendung,
all meine vollzogenen Akte sind dann Phantasie-Reproduk-
tionen.! Mein "Leben" besteht dann im reinen Reproduzieren,
mein "aktuelles Vollziehen" ist Vollziehen dieser Re pro d u k-
tionen, und es hat Vollkommenheitsgrade, die der "Eigentlich-
20 keit". Ich lebe mich immer tiefer ein, verwandle immer in wirk-
liches Leben (eigentliches-uneigentliches Reproduzieren), ich
bringe mir "das Phantasierte immer näher heran", ich vollziehe
es eben im einzelnen, statt im Ramsch. Ist nicht dieses V 0 11-
ziehen der Reproduktion eo ipso nicht nur überhaupt
25 Zuwendung in der Phantasie, sondern aktuelle Zuwendung,
in gewissem Sinn; in der eigentümlichen Art, dass ich aktuell
phantasierend eben auf das alles hinsehe, mit dem allen beschäf-
tigt bin, es gleichsam lebendig vollziehe, es so erlebe, dass ich
zuwendend urteile und so wie wirklich urteile etc? Alles im
30 Gleichsam und doch zugleich so, dass dieses Gleichsam eine Ak-
tualität ausdrückt. Eine vage Hintergrundreproduktion des
früheren Erlebens bzw. eine vage Hintergrundphantasie 2 birgt
auch Zuwendungen, aber in gewisser Weise inaktuelle, ich 1e be
nicht in der Phantasie, im Phantasie-urteilen etc.

*
1 "Phantasie-Reproduktionen" später verändert in "Phantasie, ReprodUktionen".
- Anm. d. Hrsg.
a "bzw. eine vage Hintergrundphantasie" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 341

Eine Reproduktion von einer Wahrnehmung ist in Hinsicht


auf das "Wahrgenommene" eine Phantasie. Wir nennen eine
Phantasie wirklich vollzogen, wenn sie aktuelle, wirkliche Zu-
wendung zum Phantasierten ist.
5 Eine Zuwendung zum Phantasierten ist "wirkliche" Zuwen-
dung, das ist genau so 'zu verstehen, wie wenn wir von einem
sonstigen Erlebnis! etwa einer Wahrnehmung, einem Wahr-
nehmungsurteil, einem Wunsch etc. sagen, wir lebten darin, wir
seien in und mit diesen Stellungnahmen oder Inaxiosen dem
10 Wahrgenommenen, dem beurteilten Sachverhalt etc. zugewen-
det.
Die Reproduktionen von intentionalen Erlebnissen lassen, da
sie eben einerseits Reproduktionen von Erlebnissen, andererseits
Phantasien von Gegenständlichkeiten dieser Erlebnisse sind,
15 eine verschiedene Art des Darinlebens zu. Und es kommt uns
auf das Leben in dir Phantasiebeziehung an. Wir vollziehen die
Phantasie, wenn wir in" aktuell zuwendender Weise gleichsam
wahrnehmen etc. Es scheiden sich dabei die reproduzierten Zu-
wendungen von diesen wirklichen Zuwendungen, die reprodu-
20 zierten Stellungnahmen von den wirklichen Stellungnahmen, die
wir üben und die wir auch in Beziehung auf das Phantasierte
üben können.
(Es ist noch zu bemerken, dass der Ausdruck "in der Phantasie
wirklich gerichtet sein" nicht brauchbar, nämlich vieldeutig ist.
25 Denn die beiden Worte "wirklich" und "Phantasie" fungieren
wie Vorzeichen, und das Vorzeichen "wirklich" kann unter dem
Vorzeichen "Phantasie" stehen und kann auch so gemeint sein,
dass es nicht darunter steht. Am besten ist es zu sagen, aktuell
zugewendet sein zu einem Phantasierten, und, eine Phantasie
30 aktuell vollziehen.)
Wie steht es nun mit den Akten, die sich auf Phantasiert es
richten? Die Phantasie'sei vollziehende, ich bin dem Phantasier-
ten ~ ktuell zugewendet. Ich kann dabei ganz in der Phantasie
leben, so wie ich wahrnehmend, handelnd etc,. ganz im Wahr-
35 nehmen, ganz im Handeln lebe. Tue ich das in der Phantasie, so
vollziehe ich aktuell dieses oder jenes quasi Wahrnehmen, quasi
Urteilen, quasi Unterscheiden und Vergleichen, quasi Wünschen,
Wollen etc. In all diesen Vollzügen bin ich aufmerksam "in" der
Phantasie. Ich bin quasi aufmerksam, sofern ich quasi wahrneh-
342 TEXT Nr. 15 (1912)

mend dem Wahrgenommenen quasi zugewendet bin und weiter


dazu so und so Stellung nehme etc.
Nun kann ich aber auch zugleich wirkliche Stellungnahmen
zum quasi Gegebenen, zum Phantasierten (im weitesten Sinn)
5 vollziehen. Da ist es zunächst zu bemerken, dass hier eine Ver-
suchung besteht, die leicht auf Abwege führt (und mich verführt
hat, die ursprünglich gute Ausarbeitung dieser Fragen zu ver-
derben). Insbesondere handelt es sich um eine gefährliche Miss-
deutung der Aufmerksamkeit.
10 In der Phantasie lebend, und mit aktueller Zuwendung, bin
ich quasi aufmeYksam, nämlich in den aktuell vollzogenen Phan-
tasieakten ist Aufmerksamkeit reproduktiv bewusst. In der Phan-
tasie bin ich als quasi-Ich, in der Erinnerung als das erinnerte
Ich, das quasi wahrnimmt, quasi urteilt ete.
15 Nun ist es doch, möchte man sagen, etwas ganz anderes, wenn
ich mir selbst als aktuelles Ich bewusst bin und als aktuelles Ich
dem Phantasierten zugewendet bin, zu ihm evtL Stellung neh-
mend (aktuell Stellung nehmend) oder auch nicht, und dann
darauf bloss aufmerksam. Wirklich betätige ich mich auch, wenn
20 ich mir das Phantasierte näher bringe, es mir klarer mache, auch
"Reflexionen in der Phantasie" vollziehe usw. Das alles tue ich
als wirkliches Ich in wirklichen Akten, die sich aber auf die phan-
tasierte Welt beziehen. Das ist ja schön. Aber beachten wir fol-
gende überlegung.
25 Betrachten wir das Parallele in der impressionalen Sphäre.
Angenommen, ich habe ein intentionales Erlebnis, etwa eine
Wahrnehmung. Dann kann ich in der Wahrnehmung leben, sie
vollziehen. Ein anderes ist das Bewusstsein: Ich habe die Wahr-
nehmung, ich nehme wahr, und ich verhalte mich wahrnehmend
30 zum Wahrgenommenen. Da bewege ich mich nicht nur in der
Wahrnehmung, sondern im Zusammenhang der wirklichen Welt
und sage zudem Ich. Ich lebe in der Reproduktion, ich vollziehe
das quasi Wahrnehmen, das quasi Urteilen ete. Ein anderes ist
das Bewusstsein, "ich habe diese Phantasie", "ich vollziehe
35 dieses quasi Wahrnehmen etc." Da bewege ich mich innerhalb
der wirklichen Welt und sage Ieh: im aktuellen Sinn.
Die Dinge sind aber diffizil, und man geht leicht in die Irr~.
Das in der Reproduktion Leben ist ebenso etwas Aktuelles WIe
das in der aktuellen Wahrnehmung Leben, und wenn ich nun
TEXT Nr. 15 (1912) 343

Selbstbewusstsein habe oder zugleich oder im festhalt enden


Übergang aktuell wahrnehme und in aktuelle Reproduktion
tibergehe und aktuell auf phantasierte Gestaltungen gerichtet bin,
so besagt das nur eine Komplexion innerhalb der Sphäre der Ak-
5 tualität. Und ebenso ist es eine weitere Komplexion, wenn ich
s y m p a t h e t i sc h e Stellungnahmen vollziehe, gleichstimmige
oder ungleichstimmige mit den reproduktiven, den phantasierten
Gestaltungen zugewendet. Dann deckt sich in gewisser Weise
f'ine Schicht aktuellen Glaubens etwa mit einer Schicht aktuellen
10 Reproduzierens von Glauben, eine Schicht aktuellen Wollens mit
einer Schicht aktuellen Reproduzierens von Wollen usw. Oder
einfacher gesprochen: Glaube und Glaubensreproduktion, Urteil
und Urteilsreproduktion, Wunsch und Wunschreproduktion
d eck e n sich derart, dass das phantasierte Substrat beiden
15 Stellungnahme-Ch~kteren, der originären und reproduktiven,
identisch zugehört. Das ist ein fundamentales Phänomen einer
"Deckung". Nun ist aber zu sagen, dass ein Hineinziehen des
Selbstbewusstseins überflüssig ist. Denn sympathetisch
mich betätigen kann ich, ohne auf mich zu reflektieren, ebenso
20 wie ich sonst Akte vollziehen kann, ohne das zu tun (z.B. Wahr-
nehmungen, Urteile etc.). Ob ich nun von mir ein eigenes "Selbst-
bewusstsein" habe und etwa Ich sage oder nicht, sicher ist es, dass
zum Bereich des' "aktuellen Ich" eben alle aktuellen Akte, alle,
in denen "ich lebe", gehören. Und das "ich lebe in einem Akte"
25 besagt nicht, ich vollziehe eine Reflexion auf mein Ich, son-
dern eben Vollzug des Aktes selbst, mit der zugehörigen idealen
Möglichkeit als zu seinem Wesen gehörig, den Ich-Strahl, eine
Ich-Beziehung finden zu können.
Und so ist denn das aktuelle Phantasieren, die aktuelle Zuwen-
30 dung zum Phantasierten, die wir aktuellen Vollzug eines quasi
Wahrnehmens, quasi Urteilens etc. nennen, etwas genauso zum
aktuellen Ich Gehöriges wie ein Wahrnehmen schlechthin, in
dem 1-::h lebe. Und wie die Aufmerksamkeit im letzteren Fall ak-
tuelle Aufmerksamkeit ist, so ist auch die aktuelle Beziehung
35 zum quasi Wahrgenommenen aktuelle Aufmerksamkeit: Ob ich
dabei rein im Phantasieren lebe oder auch noch Akte der nicht
phantasierenden Impression vollziehe und etwa gar auf mich
selbst reflektiere, ist dabei gleichgültig.
Die Aktualität des Phantasierens ist Aufmerksamkeit (ak-
344 TEXT Nr. 15 (1912)

tuelle Aufmerksamkeit) auf das Phantasierte. Und wenn wir


unterscheiden phantasierte Aufmerksamkeit oder vielmehr re-
produzierte (zur phantasierten würde sie erst durch Reflexion in
der Phantasie) und aktuelle Aufmerksamkeit, so sagt das genau
5 dasselbe wie der Unterschied zwischen aktueller Urteilsphantasie,
Aktphantasie etc. und phantasiertem Sachverhalt, bzw. reprodu-
ziertem Urteil, reproduziertem Akt.
Die aktuelle Aufmerksamkeit ist nicht ein Strahl, der
irgend geheimnisvoll hineinleuchtet in die unwirkliche Welt des
10 Phantasierten, es ist auch nicht ein Akt, ein eigenes Erlebnis, das
sich mit der Phantasie verbindet, und es ist auch nicht neben
dem aktuellen Phantasieren, in dem wir ganz ausschliesslich
leben, als ein zweites ein aktuelles Aufmerken des aktuellen Ich
auf die Gegenstände der aktuellen Phantasie anzunehmen: Viel-
15 mehr ist aktuelles Phantasieren selbst nichts anderes als aktuelles
Aufmerken auf das Phantasierte und ist es, ob wir ausschliesslich
in der Phantasie leben oder nicht, ob wir an das aktuelle Ich re-
flektierend denken oder nicht. Phantasieren ist ein Akt, ein in-
tentionales Erlebnis, und bei jedem intentionalen Erlebnis ist der
20 Modus des Darinlebens ausgezeichnet, und er besagt aktuelle
Aufmerksamkeit auf das Gegenständliche dieses Erlebnisses. Das
Beziehen des reflektiv erfassten Ich zum Gegenstand eines inten-
tionalen Erlebnisses ist etwas Neues gegenüber dem schlichten
Aufmerken auf den intentionalen Gegenstand, und ist selbst ein
25 vollzogener Akt und ein neues Aufmerken in ihm.
Ist also Aufmerken gar nichts anderes als ein Ausdruck für
"Vollzug" eines intentionalen Erlebnisses (dieses Aufmerken,
als Gerichtetsein, Zugewendetsein), so hat Aufmerksamkeit auf
Phantasiertes oder Vollzug einer Phantasie nur die merkwürdige
30 Eigentümlichkeit, dass sie Vollzug eines Erlebnisses ist, dessen
Wesen es ist, einen Vollzug zu reproduzieren. 1
Nun ist aber das neue Ereignis möglich: Nicht nur voll-
ziehe ich aktuell die Phantasien, ich vollziehe auch Stellungnah-
men, aktuelle Stellungnahmen zum Phantasierten, bin einstim-
35 mend mit den reproduzierten Stellungnahmen (den Phantasie-
Stellungnahmen, wie ich auch sage) oder nicht. Solche Stellung-

1 (Im ursprünglichen Blatt 4 sagte ich richtig, das sind wichtige Aufkläru~gen:
Und doch habe ich mich wieder in Verwirrung führen und zur Annahme drangen
lassen, es gabe so etwas wie "reine Aufmerksamkeit".)
TEXT Nr. 15 (1912) 345

nahmen gehören nicht notwendig zum Vollzug der Phantasien.


Und es können natürlich Stellungnahmen aller Arten sein,
schlichte und fundierte. Eine grössere Komplikation liegt hier
unter allen Umständen eben dadurch vor, dass eben Reproduk-
5 tion zugrunde liegt, und in den Fällen, die wir besonders im Auge
haben, Phantasie von äusseren Gegenständlichkeiten, die in sich
nicht so einfach ist und mehr Unterschiede zulässt wie ent-
sprechende Impression.
Man wird wohl auch sagen müssen, dass ich, wie bei allen fun-
10 dierten Stellungnahmen, hier unterscheiden kann zwischen Nicht-
vollziehen und Vollziehen, d.h., eS'können schon Stellungnahmen
mit den vollzogenen Phantasien sich decken, aber ohne dass ich
vollziehend Stellung nehme, sie bleiben als Regungen im Be-
wusstseinshintergrund; oder nicht. Es regt sich etwa ein Miss-
15 fallen am Phantasier~ti, ich lebe aber nicht im Missfallen, es regt
sich eine Ablehnung des phantasierten Sachverhaltes, ich voll-
ziehe aber nicht die Negation, lebe nicht im Ablehnen etc.

*
Nun wieder zurück zum gedankenhaften Verhalten im Ver-
hältnis zum phantasierenden Verhalten. 1 Was immer in der
20 Phantasie an Gegenständlichkeiten, an Sachverhalten, Wunsch-
verhalten, Handlungen etc. vorkommt;vollziehe ich die Phanta-
sie, lebe ich in ihr, so bin ich auf sie aktuell und in der Phantasie
eingestellt. Handelt es sich um "pure" Phantasie, so habe ich
jetzt kein wirkliches, impressionales Stellungnehmen zum phan-
25 tasiemässig Vorschwebenden.
Nun pflegt man freilich nicht zu sagen, ich phantasiere mir vor,
dass 2 X 2 = 5 ist. Man wird sagen: Ich phantasiere mir vor,
dass ich urteile, dass 2 X 2 = 5 ist. Phantasiert nennen wir im
gewöhnlichen nicht die Gegenständlichkeiten der Akte über-
30 haupt., die reproduktiv bewusst sind, es sei denn, dass sie indivi-
duelle Gegenständlichkeiten sind (Häuser etc.): Phantasie ist uns
gewöhnlich die reproduktive Modifikation von W a h r ne h-
m u n g. Aber das ändert nichts daran, dass die Bewusstseinsweise
dieses Sachverhaltes 2 X 2 = 5 die ist, dass es durch einen re-

1 Dle,es Blatt ist unausgereift.


346 TEXT Nr. 15 (1912)

produktiven Bewusstseinsakt bewusst ist (ebenso wie ein Phan-


tasie-Haus, nur dass der reproduktive Akt hier keine reproduk-
tive Perzeption ist. Und wir gebrauchen den Ausdruck phanta-
siert in diesem allgemeinen Sinne). Kann ich nun sagen, bloss
5 ge da c h t ist das 2 X 2 = 5, in dem Sinn des blassen gedanken-
haften Vorstellens ? Man könnte antworten: nein. Denn Sich-
denken ist ein aktueller lebhafter Akt und nicht ein biosses Re-
produzieren. Das Sich-denken steht völlig gleich dem Voraus-
setzen, dem Folgesetzen, dem Ansetzen als u. dgl., aber auch dem
10 Urteilen etc.
Ganz recht. Aber hier liegt nicht ein "biosses" Reproduzieren
vor, sondern ein phantasierendes Zugewendetsein, ein aktuelles
Phantasieren. Und vielleicht ist gerade diese Akt u a 1i t ä t des
Phantasierens <es>, die das "blosse Vorstellen" als Sich-denken
15 ausmacht. Damit braucht nicht gesagt zu sein, dass jedes Sich-
bloss-Denken ein aktuelles Phantasieren ist.
Würde man das Sich-denken ähnlich wie das Urteilen und an-
dere Akte so allgemein verstehen, dass unterschieden werden
könnte zwischen Vollzug eines Sich-denkens (wie Vollzug eines
20 Urteilens etc.) und Nichtvollzug, Nicht-Darinleben, so wäre aller-
dings zu sagen, dass jedes bIo s s e Phantasieren, d.h. jedes Phan-
tasieren, das nicht verbunden ist mit einem wirklichen Stellung-
nehmen (sei es vollzogenem oder nicht vollzogenem), ein bIosses
Sich-denken sei. Ein Akt (ein Vollzug) eines Sich-denkens dann
25 ein Akt des Phantasierens (einer biossen Phantasie-Zuwendung).
Die Akte aber, in denen zu einem Phantasierten Stellung ge-
nommen ist (Akte im prägnanten Sinn von Vollzügen), wären
fundierte Akte, fundiert als Axiosen, sofern zuunterst ein
"biosses Vorstellen" läge und darauf gegründet eine Zuwendung
30 in und mit den aktuellen Stellungnahmen.

<c» Vollzug und Aktualität <bei Impression, Reproduktion


und Reproduktion höherer Stute - Vieldeutigkeit des
Ausdrucks "in der Reproduktion wirklich vollziehen".
Das Problem der "Zuwendung" bei dem in der
35 Reproduktion lebenden bzw. beim aktuellen Ich>
(6. April 1912)

Bei Reproduktionen haben wir folgende Unterschiede in


Erwägung.
TEXT Nr. 15 (1912) 347

1) Reproduktion selbst ist ein wirkliches Erlebnis, in welchem


elll nichtwirkliches, eben ein 'reproduziertes, reproduziert ist. 1
2) Bei den intentionalen Impressionen (intentionalen Erleb-
nissen, die nicht Reproduktionen sind) kennen wir den Unter-
S schied zwischen latent intentionalen und patent intentionalen. Ich
spreche auch von 2 vollzogen und nicht vollzogen. Das ist ein
bestimmter Begriff von Vollzug. Gemeint ist der Unterschied
von Erlebnissen, in denen ich lebe, ich urteile, ich stelle vor, ich
fühle, ich will. Ich bin lebensvoll dabei, und darin. Im Gegensatz
10 zU einem Vorschweben (ein vieldeutiges Wort), ich lebe nicht
darin, es kommt ein Fühlen, Wollen heran, ohne dass ich es "voll-
ziehe". Und ist das nicht der Unterschied zwischen zuständlichen
und spezifischen Akterlebnissen: Jedem Akt, der ein Vollzug ist,
entspricht die mögliche Verwandlung in eine Zuständlichkeit? Da
15 kommt aber no~ein zweites in Frage. Der Unterschied zwischen
aktueller Zuwendung und3 Vollzug der im Akte liegenden, ihn
aU'imachenden Intentionalität. Ich bin einem Sachverhalt, den
lch soeben explizit geurteilt habe, zugewendet. Ich urteile noch,
das Urteil ist jetzt Zuständlichkeit, aber ich bin aktuell zugewen-
20 det ohne expliziten4 Vollzug des Urteils5 .
Alle diese Unterschiede kehren nun wieder in der Reprod uk-
tion.
Zunächst in folgender Weise: Ich "lebe in der Reproduktion"
und vollziehe 6 Phantasien: Vorstellungen, Wahrnehmungen, Ur-
25 teile, Gefühle etc. Ich vollziehe sie explizit 6, sie gehen dann "in"
der Reproduktion über in Zuständlichkeiten, sie rücken in den
"Bewusstseinshintergrund" oder, während ich in der Phanta-
sie die und die Urteile, Wünsche etc. vollziehe, tauchen andere
im Hintergrund' auf, in latenter Form. Aber immer "in" der
30 Phantasie etc.
Es ist also vom Standpunkt des Er leb n iss es der Repro-
duktion gesprochen ein Unterschied, ob ich ein Wahrnehmen,

1 Das wIrkhche Erlebnis der Reproduktion mag ein anderes Erlebnis als seiend,
als wlrkhch setzen, aber das gesetzte ist nicht wirkliches Erlebnis.
2 "latent" bIS "von" später gestrichen. - Anm. d. Rrsg.
: Spater eillgefugt: "energetischem oder besser eigentlichem". - Anm. d. Rrsg.
5 Spater eillgefugt: "energetischen = eigentlichen". - Anm. d. Rrsg.
6 Spater eillgefugt: ,,(der Thesis}". - Anm. d. Rrsg.
Spater eillgefugt: "energetisch, eigentlich". - Anm. d. Rrsg.
348 TEXT Nr. 15 (1912)

Urteilen etc. in der Reproduktion wirklich vollziehe!, und


zwar wirklich nach seinem intentionalen Gehalt expliziert
(eigentlich) vollziehe, oder ob ich es uneigentlich vollziehe und
bloss in der Reproduktion auf das Wahrgenommene, Geurteilte
5 etc. in einem Blick hinsehe (während das Urteil eine verworrene
Zuständlichkeit ist), oder ob ich dergleichen Erlebnisse ohne Zu-
wendung in der Reproduktion bewusst habe, in keiner Weise voll-
zogen.
3) Nun gibt es aber Reproduktionen höherer Stufe: Also eine
10 Reproduktion davon, dass ich ein Wahrnehmen, ein Urteilen
etc. wirklich vollziehe, oder dass ich es unvollzogen reproduktiv
vorschweben habe.
"In der Reproduktion wirklich vollziehen" wird also vieldeutig.
4) Wir sagen: Ich leb e in einer Reproduktion, ich vollziehe
15 eine Reproduktion 2 , wenn wir nicht nur überhaupt reproduzieren,
sondern im ersten Sinn in der Reproduktion zugewendet sind, in
ihr wahrnehmen, urteilen, (auch bloss vorstellen), uns etwas
denken usw. Und wir sagen, wir leben in der Reproduktion und
vollziehen in der Reproduktion3 Zu wen dun gen, S tell u n g-
20 nahmen, Enthaltungen von Stellungnahmen etc: wenn wir
eben dieses wirkliche Erlebnis haben, in dem wir "gleichsam" all
das vollziehen, etc. Das Wunderbare ist, dass all die Zuwen-
dungen, Vollzüge der Stellungnahmen etc. reproduzierte sind,
genauso wie sie im Fall nichtreproduktiver gleicher Erlebnisse
25 imprimierte sind: wirkliche Erlebnisse, also Einheiten des inneren
Bewusstseins. Andererseits drückt diese Art der Reproduktion
eine Originarität der Reproduktion aus. Im wirklichen Erlebnis
der Reproduktion und dieser vollziehenden Reproduktion ist
jeder Schritt der Zuwendung und Stellungnahme "genau so"
30 vollzogen wie in der Impression, nur eben das alles in der durch-
gehenden Modifikation der Reproduktion, wodurch alles eben
Reproduktion von etwas wird. 4 Alles Vollziehen ist gleichsam

1 Besser, ob ich die Phantasie wirklich vollziehe (die Reproduktion


vollziehen wäre innerlich reflektieren).
2 Später eingefügt: ,,(eine der Reproduktion entsprechende Phantasie)". -
Anm. d. Hrsg.
8 Später eingefügt: "phantasierend". - Anm. d. Hrsg. .
4 Ich habe hier verbunden folgendes: 1) Das "eigentliche", explizite Vollziehen,
2) Reproduktionen von Akten, 3) nichtsetzende Reproduktionen. Voll·
zogen werden die in ihnen liegenden Phantasien von Sachverhalten etc.
TEXT Nr. 15 (1912) 349

Vollziehen, und dabei hat doch die Reproduktion selbst als


wirkliches Erlebnis den Charakter eines wirklichen Vollziehens,
nämlich im Vergleich mit der Art, wie eine Reproduktion vor-
schweben kann, "im Hintergrund meiner Seele", in der ich nicht
5 lebensvoll beteiligt bin, in der ich nicht als lebensvolles Phanta-
sie-Ich alles das phantasiehaft vollziehe. Das "lebensvoll" be-
sagt hier eine Eigentümlichkeit, die aus der Art der Reproduk-
tion, aus diesem vollziehenden lebendigen Reproduzieren ent-
springt. Im Zusammenhang dieses lebendigen Reproduzierens
10 taucht nun allerlei Hintergrund-Vorstellen, -Urteilen etc. auf;
das ist in der Reproduktion nicht wirklich "vollzogen"l und ist
ähnlich bewusst, wie wenn ich gar nicht vollziehend lebendig re-
produziere, vielmehr etwa jetzt der wirklichen Welt hic et nunc
um mich herum zugewendet bin und dabei Reproduktionen von
15 ähnlichen Vorstellungen, Urteilen etc. auftauchen. Nur der Zu-
sammenhangscharakter im Bewusstsein ist ein anderer.
5) Lebendigkeit kann auch Anschaulichkeit, Klarheit sein.
Darauf kommt es nicht an. Ein schwieriges Problem ist nun aber
die Zu wen dun g, die Richtung-auf, und zwar einerseits als
20 Aufmerksamkett, andererseits als evtl. wirkliche Stellungnahme,
die auf das Phantasierte gerichtet ist. Genauer gesprochen:
Lebe ich im Reproduzieren, so vollziehe ich beständig Zuwen-
dungen zu Gegenständlichkeiten, zu denen ich so oder so Stellung
nehme oder die ich mir "bloss denke". Aber das alles gehört zur
25 Welt der Phantasie. Nun besteht zwischen dieser Welt und der
wirklichen Welt vermöge des Umstandes, dass die Reproduktion
eben wirkliches Erlebnis ist, eine mögliche Verbindung.
Ich phantasiere, ich vollziehe Erinnerung, sofern ich die Re-
produktion in vollziehender Weise erlebe: Das kann aber auch
30 so verstanden sein, dass das' aktuelle, nämlich in den aktuellen .
Impressionen seiner selbst bewusste Ich sich mit dem Phantasie-
Ich eins weiss und dass nun vom impressionalen, wirklichen Ich
Strahlen der Aufmerksamkeit, Richtungen der Stellungnahme
ausgehen. Lebe ich in der Phantasie, so ist das Ich, das da wahr-
35 nimmt, urteilt, handelt, das Phantasie-Ich, also ein Reprodu-
ziertes (Gegenstand einer Reproduktion), ebensogut wie die Akte,
Von denen da die Rede ist. Lebe ich aber zugleich in der Wirklich-

1 Das "eigentlich" besagt wieder anderes.


350 TEXT Nr. 15 (1912)

keit und der Phantasie, so ist abstraktiv gesprochen ein d 0 P P e 1-


te s Ich da, das wirkliche Ich und das reproduktive: beide frei-
lich in gewisser Weise (wie, das ist Sache näherer Untersuchung)
in eins gesetzt. Vom Phantasie-Ich geht die Phantasie-Aufmerk_
5 samkeit (die phantasierte), die phantasierte Stellungnahme jeder
Art aus. Vom wirklichen Ich geht die wirkliche Aufmerksamkeit,
wirkliche Stellungnahme aus.
Und da ist es das Merkwürdige, dass die wirkliche A uf-
merksamkei t zusammengehen kann mit der phan-
10 tasierten und dass eine wirkliche Stellungnahme sich in
wirklicher Aufmerksamkeit richten kann auf das phantasierte
Gegenständliche, sich decken kann mit der Phantasiestellung-
nahme oder auch gegen sie stimmen kann etc. Das sind funda-
mentale Tatsachen. Und auf sie ist überall Rücksicht zu neh-
15 men.
Ich kann also, in der Phantasie, in der Reproduktion lebend,
all die Akte (reproduktiv) vollziehen, die ich in der Impression
vollziehe. Ich kann in der Reproduktion wahrnehmen, kann in
ihr urteilen, fühlen, ich kann in ihr auf das Wahrnehmen, auf das
20 Glauben im Wahrnehmen etc. reflektieren, kann ib ihr ein biosses
Phantasieren vollziehen, kann in ihr ein biosses Betrachten üben,
etwa eines Bildes, usw. Das alles, während ich in der Reproduk-
tion lebe.! Ich kann aber auch als aktuelles, leibhaftiges Ich
mich mit dem Phantasierten beschäftigen, ich kann Stellung dazu
25 nehmen: wirkliche Stellung, oder kann Stellungnahme "unter-
lassen". Ich kann auch als wirkliches Ich in der Phantasie-Wahr-
nehmung eine Reflexion üben oder die Phantasie-Überzeugung
ausschalten, ein Phantasiegefühl ausschalten und auf den Sach-
verhalt, der ihr Inhalt war, bloss achten: Dann ist das Achten
30 ein wirkliches Achten, ein wirkliches biosses Vorstellen (biosses
Betrachten), aber freilich zugleich ein Phantasie-Vorstellen (ein
Vorstellen in der Phantasie, ebenso wie das Ausschalten zugleich
ein Ausschalten in der Phantasie ist).2
1 D.h., ich vollziehe in eigentlicher (expliziter) Weise die Eriebnisreproduk~ionen
(die nichtsetzenden oder setzenden Phantasien), die WahrnehmungsreproduktIOnen,
die Urteilsreproduktionen, die Gefuhlsreproduktionen etc.
2 Da ist so geredet, als handelte es sich um setzungslose Phantasie. Es i~t z~ be-
achten: Was wirklich erinnert ist und was ich durch solche Operationen herembrmg e ,
evtl. auf grund von Phantasien, die setzungslos sind, aber ZU Ansetzungen werde~, ~d
wieder, was erste und festgehaltene Phantasie ist und was neue Operation hmem-
bringt.
TEXT Nr. 15 (1912) 351

Und nehme ich als aktuelles Ich Stellung, so mag es sein, dass
ich als Phantasie-Ich etwa ein Phantasieurteil ausspreche: etwa
5 X 5 = 25 (ich rechrte in der Reproduktion), und dass ich als
aktuelles Ich in eins damit ebenso urteile. Der Strahl der Zu-
5 wendung und ihre Schritte (die Partialstrahlen) ist ein Strahl' ,~
wirklicher Zuwendung und zugleich in Einheit damit ein Strahl
der Phantasiezuwendung, und ebenso für die Stellungnahme: Bei
gleicher Aufmerksamkeit (in ,Doppelheit) kann ich aber (wie z.B.
im Fall 2 X 2 = 5) dagegen Stellung nehmen, ich habe dannl die
10 Phantasie-Stellurtgnahme ' urtd, die wirkliche Gegen-Stellung-
nahme. l Die letztere nun deutlich gesondert von der reproduk-
tiven. Deutlich ist eine andere Welt in die wirkliche Welt, in die
Sphäre der Impressionalität hineingehörig. Ich kann diese Gegen-
Stellungnahme lebendig vollziehen, ich kann sie auch zurück-
15 drängen, ich vollziehe das Phantasieurteil, bin aber als aktuelles
Ich gerichtet in einem wirklichen Richtungsstrahl auf das Ge-
urteilte oder auf das Wahrgenommene etc. Ich sehe mir die Phan-
ta:oiegestalten, die Phantasie-A'11sgesagtheiten (die Urteile, die da
gefällte sind) u. dgl. an. Als wirkliches Ich verhalte ich mich bloss
20 betrachtend, als Phantasie-Ich nehme ich wahr, urteile ich.etc.
Schalte 2 ich auch die Phantasie-Stellungnahme aus, indem ich in
der Phantasie die <zu>gehörige Modifikation ausführe, so habe
ich in der Phantasie eine blosse Betrachtung. Aber dann sind die
Gegenstände verschieden. Aktuell _bin ich gerichtet, rein be-
25 trachtend, auf das 'Phantasierte, also auf das "Wahrgenommene",
"Geurteilte" , auf das "Erwünschte", "Getane", auf die in der
Phantasie gefällten Urteile, gehegten oder ausgesprochenen
Wünsche, auf die ausgeführten Handlungen. Im anderen Fall
bin ich gerichtet auf das blosse "S ist p", das einmal Geurteiltes,
30 da<; andere Mal Erwünschtes ist, das dritte Mal Inhalt einer Wil"" .
lensenbcheidung etc. Ich kann aber auch wirklich auf das
blo'3'3e "S ist p" gerichtet sein, dann mus s ich aberin der Phan-
tasie die Ausschaltung der "Stellungnahme" vollziehen.
Volfziehe ich "aufgrund der Phantasie" eine I d e a t ion bei-

1 Also WIr haben auf dem Grund der setzenden oder nichtsetzenden Reproduk-
t,onPIl von Erlebnissen und in diesen Reproduktionen fundiert neue, eigentümlich
,nI; Ihnen sleh deckende Akte, und zwar setzende oder nichtsetzende.
K Der Text von "Schalte" bis "vollziehen" (Zeile 33) später zwischen eckige
A lammern gesetzt und diagonal durchgestrichen, am Rande ein Fragezeichen. -
nm. d. Hrsg.
352 TEXT Nr. 15 (1912)

derseits, SO gewinne ich einmal die Idee Urteil (nicht Urteilen),


Wunsch (nicht Wünschen), das andere Mal die Idee propositio-
naler Inhalt (Satz-Inhalt). Alle diese Unterschiede müssen wir
völlig beherrschen lernen! Und natürlich ist es auch zweierlei
5 eine Ideation inder Phantasie vollziehen und eine wirklich~
Ideation (eine solche wirklich) vollziehen. Offenbar bestehen auch
wesensgesetzliche Zusammenhänge der Notwendigkeit: adäquate
Ideation, adäquate Erfassung, Erkenntnis jeder Art in der Phan-
tasie, und ebenso jede "adäquate Stellungnahme" überhaupt, ist
10 notwendig sogleich wir k li ehe gleichstimmige Stellungnahme,
sowie ich das aktuelle Ich ins Spiel bringe.

Ergänzung

übersehen habe ich folgendes. Wirkliche Stellung-


nahme zu Reproduziertem kann besagen, ich habe ak-
tS tuelles Selbstbewusstsein, bin in der aktuellen Welt mit meinem
Reproduzieren, und zwar bin <ich> dessen inne, und nun geht ein
Strahl der Aktualität aus dieser wirklichen in die Phantasiewelt,
von mir aus, meinem rein aktuellen Ich zum Reproduzierten.
Andererseits aber, obschon objektives dabei bleibt, dass das
20 Erlebnis der Reproduktion zur Sphäre der Aktualität des Ich,
des aktuellen Ich gehört, und alle Aktualität, also auch die auf
das Reproduzierte bezogene, im reinen Ich gründet, so kann das
doch ideale Möglichkeiten der Reflexion ausdrucken. Es kann so
sein und ist meist so: In der Erinnerung lebend, "weiss" ich
25 nichts von der wirklichen Welt und von meinem wirklichen Ich,
nämlich von der aktuellen Gegenwartswelt. Ich weiss nur von
dem Erinnerten, von dem, was mir da erscheint, und seiner
nächsten Zeitumgebung. Aber das Reproduzierte ist in sich als
"aktuell", als eigentümlich "seiend" bewusst: ein Sein, das frei-
30 lich sich näher besehen herausstellt als "Gewesensein"l.

1 Später eingefügt: "etc. Es kann die Reproduktion auch in der Einfühlung fun-
gieren". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 353

<d) Was für eine Modifikation verwandelt Reproduktion


ohne aktuelle Stellungnahme in eine solche mit dergleichen?
- Reproduktion in verschiedenem Sinn "aktuelle
Stellungnahme" in sich tragend - Bekanntheitscharakter
5 der phantasierten (reproduzierten) Intentionalien -
Stellungscharaktere, die nicht aus der Reproduktion selbst
stammen - Zum Versuch, jedes intentionale Erlebnis
entweder als stellungnehmendes oder nichtsteIlungnehmendes
zu betrachten>
10 (7. April 1912)

Es kommt jetzt darauf an, sich darüber klar zu werden, was


für eine Modifikation es ist, die eine "R e pro d u k ti 0 n" 0 h ne
aktuelle Stelhingnahme1 verwandelt in eine solche mit
dergleichen. Ka~ man sich die Sachlage so vorstellen, dass die
15 pure Reproduktion eine Sache für sich ist und dass sich nur mit
ihr verknüpft, als ein zweites Dazutretendes, "ein Strahl aktuel-
ler Aufmerksamkeit" und evtl. damit verflochtene "Schichten"
aktueller Stellungnahme?2
Zunächst ist es notwendig, folgenden Unterschied zu beachten.
20 Eine Reproduktion kann in verschiedenem Sinn "aktuelle Stel-
lungnahme" in sich tragen. 1) Insofern sie Erinnerung ist.
Nämlich die Reproduktion als solche is(Reproduktion einer Im-
pression, und in dieser Hinsicht kann sie aktuell setzend sein. So
wie das Erlebnis einer äusseren Perzeption unter gewissen Um-
25 ständen (sie heisst dann Wahrnehmung) aktuell setzend ist hin-
sichtlich des Wahrgenommenen, so ist das Erlebnis Reproduk-
tion in gewissen Fällen aktuell setzend hinsichtlich des Reprodu-
zierten. Reproduktion in unserer Redeweise ist Reproduktion
nicht eines "Äusseren", sondern eines "Inneren". Primärist jede
30 Reproduktion (unmittelbar) Reproduktion einer Impression,
nämlich eines Erlebnisses, das im aktuellen inneren Zeitbewusst-
sein als Einheit konstituiert ist, Reproduktion ist Reproduktion
einer Wahrnehmung (als Einheit), eines Urteils, eines Gefühls

1 Ich sage Reproduktion ohne aktuelle Stellungnahme: Reproduktion, die kein


~em setzt und so, dass auch auf das Phantasierte keine modalisierte Setzung und
eme Gemu tssetzung bezogen ist.
2 Das Spatere sehr wichtig.
354 TEXT Nr. 15 (1912)

etc. Und wie in der setzenden Perzeption der individuelle äussere


Gegenstand, der da perzipierter ist, als wirklich bewusst ist, so
in der setzenden Reproduktion der individuelle innere Gegen-
stand: also das Urteil, das Gefühl, die Wahrnehmung etc., die
5 jeweils reproduziert ist. Was wir nun leben in Reproduktionen
nennen, ist aber eigentlich nicht ein Leben darin in dem Sinn
wie wir in einem Wahrnehmen oder sonstigen intentionalen Er~
lebnis leben: nämlich Gerichtetsein auf den intentionalen Gegen-
stand. Vielmehr sind wir, eine "Reproduktion vollziehend", ge-
10 richtet auf das Gegenständliche der reproduzierten intentionalen
Erlebnisse: Wir nehmen gleichsam wahr, wir urteilen gleichsam
(wir urteilen "in" der Phantasie) usw. Nennen wir die Beziehung
auf diese Gegenstände die reproduktiv-intentionale oder Phan-
tasie-Beziehung, so leben wir also in dieser, wir vollziehen also,
15 genauer gesprochen, die Phantasie, das Phantasie-Urteilen, das
Phantasie-Wahrnehmen usw.
Dabei ist scharf darauf zu achten, dass wir unter Phantasie-
Urteilen nicht verstehen die Urteile, die phantasiert sind, sondern
die Phantasien von diesen Urteilen, überhaupt unter Phanta-
20 si e-cogitationes nicht die cogitationes, die phantasiert sind, son-
dern die Phantasien von ihnen. Diese vollziehen, das ist ein be-
sonderer aktueller Modus des wirklichen Erlebnisses der Repro-
duktion.
Also darf ich nicht weiter sprechen von Vollziehen' der
25 Reprod uktionen, wo gemeint ist, im Reproduzieren gleich-
sam urteilen und dabei darin aktuell mich so betätigen, dass das
Beurteilte im Blick ist. Ich vollziehe "d i e der Re pro d u k-
tion entsprechende Phantasie". Der Begriff der Phan-
tasie ist dabei so weit gefasst, dass phantasiert nicht nur Indi-
30 viduelles heisst, sondern Intentionales jeder Art. (Was gewöhn-
lich Phantasie heisst, ist anschauliche Reproduktion: Schliess-
lieh wird das Wort wirklich genau ebensoweit gebraucht, wie
hier!) Nun können wir weitergehen und feststellen:
Eine Reproduktion kann aktuell setzende sein (die Reproduk-
35 tion! als solche). Leben wir nun in der entsprechenden Phantasie,
so haben die phantasierten Intentionalien einen allgemein~n
Charakter, der davon unabhängig ist, ob es sich um Phantas~e­
Urteile Phantasie-Gefühle etc. handelt. Dieser Charakter 1st
nichts ~nderes als der B ekann thei tscharakter. Erist also
,,.

TEXT Nr. 15 (1912) 355

Index bzw. Korrelat des "ich habe das mal schon geurteilt, habe
das mal schon wahrgenommen, es mal schon als gefällig gefunden,
diese Handlung mal vollzogen etc.". Es ist hier der be s tim m te
Bekanntheitscharakter. Dem steht gegenüber der allgemeine und
5 analogische :1 Etwas Ähnliches habe ich schon einmal wahrge-
nommen etc. 2 Ähnliches "erinnert" an Ähnliches, analogisiert
mir, verbildlicht mir. Dieses Grundstück des Bildbewusstseins
(wo man in einem Fiktum ein anderes sich verbildlicht) ist also
etwas Allgemeineres (in einem Beliebigen, auch Wirklichen etc.,
10 das wie immer bewusst ist, verähnlicht sich ein anderes, das be-
kannt ist, und nach dem Ähnlichen ist auch das Analogisierende
"bekannt", im Fall begrifflicher Fassung von bekannter Art).
2) Ganz anders steht es mit den Stellungscharakteren, die
nich taus der Reproduktion selbst und als solcher
15 stammen, vielm~ von aktuellen Stellungnahmen herstammen,
die auf das entsprechende Phantasierte (und evtl. "Bekannte")
gerichtet sind. Durch die ersteren wurde das Phantasierte bloss
kenntlich (bekannt), durch dieneuen wird es selbst (und eigent-
lich erst) zu Gegenstand bzw. Inhalt von Stellungnahmen, und
20 zwar so, dass es zugleich Inhalt phantasiert er Stellungnahmen
ist (die Phantasie eben Stellungnahmen phantasiert, und nicht
etwa Stellungsfreiheit) und zugleich Gegenstand aktueller Stel-
lungnahmen. Also ich erinnere mich, geurteilt zu haben (Repro-
duktion, setzend) "das Urteil selbst ist charakterisiert als bekannt.
25 Ich nehme aber in eins mit der Erinnerung Stellung dazu: Ich
halte das Urteil noch aufrecht, ich urteile zugleich wirklich und
in gleichem Sinn. Oder aber ich verwerfe aktuell.
Hier handelt eS sich ganz offenbar um abi ö s bar e, gegen-
über der Reproduktion neue, aber in ihr fundierte (oder auf sie
30 <ge>baute) Stellungnahmen, die vollständig wegfallen können,
deren Wesensbedingungen übrigens erforscht werden müssen. Es
ist auch zu sagen, dass solche Stellungnahmen möglich sind, so-
Wohl wen.;t die Reproduktion eine erinnernde, oder wenn sie eine
bloss phantasierende war (gemischt oder rein), dass aber, je nach-
35 dem, die Stellungnahmen einen verschiedenen Modus annehmen.

1AnaloglSlerung (Darstellung) .
• 2Also gememt ist: Erinnerung ist nicht anaIogisierende Darstellung, Erinnerung
1st dIrekte Imagination, der gegenilbersteht die analogisch darstellende, und dieser
entspncht dIe zweite Form der Bekanntheit.
356 TEXT Nr. 15 (1912)

Es sind doxische, gefühIsmässige, voluntäre Zustimmungen


(Billigungen) oder Ablehnungen (Missbilligungen), evtl. in ver-
schiedenen Gewissheitsmodis. Insbesondere ist zu beachten, dass
auch, ohne dass setzende Phantasie zugrundeliegt, eine gewisse
5 GefühIszustimmung möglich ist. So, wenn ich eine Handlungs-
weise phantasiere und sie in eins damit mit Verurteilung begleite
oder mir eine Freude über etwas vorphantasiere und mit dieser
Freude sympathisiere (man könnte hier überhaupt von sym-
pa thetischen Stellungnahmen sprechen). Während diese
10 sympathetischen Stellungnahmen in Reproduktionen bloss ge-
gründet sind, eine übergelagerte höhere Schicht zu denselben aus-
machen, gehören die eigentlichen Erinnerungsstellungnahmen
zum Wesensbestand der Reproduktion selbst (als Erlebnis na-
türlich). Ähnlich gehört zum Wesensbestand des Urteils der
15 Glaube, oder auch zum Wesensbestand eines Wahrnehmungs-
erlebnisses das Gewahren.
Ich habe versucht, die Lehre durchzuführen, dass jedes inten-
tionale Erlebnis entweder stellungnehmendes ist (axiontisch)
oder nichtstellungnehmend,l anaxiontisch. Oder vielmehr, zu
20 jeder Stellungnahme soll gehören eine " Inaktualitätsmodifi-
kation"2. Das aber ist zweideutig. Nicht wirklich Stellung neh-
men, das kann heissen, eine Reproduktion einer Stellungnahme
ohne sympathetische Stellungnahme haben: Und'das haben wir
hier nicht im Auge. Am besten, wir halten den Terminus anaxi-
25 ontisch, Anaxiose3 fest und definieren ihn eben durch die Fakta.
Dem Urteilen entspricht das Sich-bloss-Denken "S ist p"4, dem
Vermuten das Sich-ins-Vermuten-Hineindenken5 , nicht Ver-
muten als Stellung-nehmen, aber Sich-ins-Vermuten-"Hinein-
verstehen", und so überall. Wir verstehen also unter einer Anaxi-
30 ose ein bestimmtes positives Phänomen, eine positive Modifi-
kation zu einer entsprechenden Axiose. Dies vorausgesetzt, wird

1 "axiontisch" und "nichtstellungnehmend" später verändert in ,,= setzend, po'


sitional" bzw. in "neutral = nichtsetzend". Gleichzeitig bemerkte Husser1: "Das
Wort Stel1ungnahme passt nicht. Axiontisch besagt soviel wie setzend, da hler
überall das schlichte belief darunter befasst ist." - Anm. d. Hrsg.
2 Über "Inaktualitätsmodifikation" später eingefugt : "eine nichtsetzende" . -
Anm. d. Hrsg.
8 "anaxiontisch, Anaxiose" später verändert in "neutral". - Anm. d. Hrsg.
4 (Nichtsetzuug).
5 über "Sich.ins.Vermuten.Hineindenkeu" später eingefügt: "nichtsetzendes
Vermuten". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 357

es richtig sein, in diese Reihe hereinzubringen die nichtsetzende


Reproduktion, die nicht erinnernde. (Natürlich die reine Repro-
duktion ohne Sympathien.) Wir würden dann sagen, es! ist ein
doxisches Stellung-nehmen (das ja auch Gewissheitsmodi haben
5 kann). Ist die Erinnerung (die erinnernde Reproduktiön) eine ge-
wisse, so ist sie ein analoger Akt wie eine äussere Wahrnehmung
(im Modus Gewissheit). So wie wir dieser als anaxiontische Modi-
fikation gegenüberstellen wUrden ein reines "Schein"bewusst-
sein 2, in dem nichts von axiontischer Stellungnahme3 vollzogen
10 (oder unvollzogen) ist, so würden wir der erinnernden Repro-
duktion gegenübersetzen die reine phantasierende Reproduktion.
Dabei aber fehlt noch etwas.
Wir scheiden die Stellungnahmen in vollzogene und unvoll-
zogene, in solche, "in denen wir leben" und "in denen wir nicht
15 leben". Ich weiss noch nicht, ob ich sagen darf: aktuene und
potentielle. Damit verbindet sich der Unterschied zwischen
"eigentlich" vollzogenen, explizit vollzogenen und uneigentlich
vollzogenen, implizit, verworren vollzogenen.
Darf man nun behaupten?: Auch die anaxiontischen :Erl@-
20 nisse bzw. die Momente der Anaxiose können vollzogen und
unvollzogen, und können eigentlich, explizit vollzogen sein oder
implizit. Ich kann den Gedanken, dass 2 X 2 = 5 ist, vorschwe-
bend haben, ohne Vollzug, geschweige denn eigentlichen Vollzug.
Ich kann dem Sachverhalt schon zugewendet sein, ein Grund-
25 stück des Vollzuges, aber ohne dass ich in dem "Sich-denken"
lebe.
Ich fühle hier noch Zweideutigkeiten. 4 1) Denke ich mir etwas
und wende mich einem anderen zu, so ist dieses Denken "noch
bewusst", aber ich lebe darin nicht mehr. Das ist eins. Das
30 kommt für jeden Akt in Frage. 2) Ein anderes ist es aber, einen
Akt "ausser Vollzug setzen", die Stellungnahme (und nur für die
Stellungnahmen gilt das) "ausschalten", sie "unterbinden", sich
"enthalten". Das ist offenbar etwas Neues. Es ist eine bestimmte
der allgemeine'l, Modifikationen der Stellungnahmen: Jeder

1 "es" spater verändert in "die Erinnerung". - Anm. d. Hrsg.


2 ~ setzungslose Perzeption.
3 Uber "axiontischer" später eingefügt: "Setzung". - Anm. d. Hrsg.
4 Von hIer prekär.
358 TEXT Nr. 15 (1912)

Stellungnahme entspricht eine unterbundene Stellung_


nahme. 1
a)2 Also wir scheiden das Nicht-im-Akte-Leben, wie es z.B.
auftritt, wenn wir theoretisch mit einer Sache beschäftigt sind,
5 aber zugleich Gefallen an ihm haben, aber darin nicht leben.
Dieses "Nichtvollziehen" gegenüber dem Vollziehen (Darinleben),
wobei das Vollziehen wieder verschiedene Modi haben kann, auf-
merksam vollziehen (primär vollziehen), noch im Vollzuge halten
(im Beweis) u. dgl.
10 b) Das Sich-enthalten, das Ausschalten, Nicht-zur-Geltung-
kommen-Lassen (das Gefühl ist, wenn ich darin nicht lebe, keines-
wegs ausgeschaltet). Wenn ich nun ein Urteil als solches aus-
schalte, habe ich damit den Sachverhalt "bloss vorgestellt"?
Aber in gewisser Weise hätte ich das auch, wenn ich ein Ver-
15 muten ausschalte etc. und auf den Sachverhalt "hinsehe".3 Und
es kann doch auch sein, dass ich
c) überhaupt gar keine Stellung zu einer Sache genommen
habe, dass also gar nichts da ist, was auszuschalten wäre. Ein
blosser Einfall, ein Phantasie-Urteil ohne sympathetischeJStel-
20 lungnahme etc. Gibt es also nicht stellungsfreie, völlig stellungs-
freie Erlebnisse?4 Evtl. auch in der perzeptiven Sphäre. Es fragt
sich nun, was diese Stellungsfreiheit besagt. Nicht-Stellung-
nahme. Das gewiss. Und es besagt auch, dass nicht erst eine
Stellungnahme da ist, die unterbunden wird, also dass&.e "Nicht-
25 Stellungnahme" nicht die Bedeutung haben soll von "unter-
bundener Stellungnahme" ("Enthaltung" einer Stellungnahme).
Das Unterbinden ist dabei auch nicht zu verwechseln mit ge-
hemmter Intention, mit dem Herabsetzen einer Urteilsintention,
einer Glaubensintention zu einer Anmutung u. dgl. durch gegen-
30 wirkende Intentionen als Gegenmotive.
Zum Sich-hineindenken5 gehört in der gewöhnlichen Rede das

1 Da bin ich bedenklich, was das eigentlich ist. .


2 Hier beginnt im Manuskript die Ruckseite. Später setzte Husserl oben rechts em
grosses Fragezeichen zu dieser Seite. - Anm. d. Hrsg. .
8 Ich bin zweifelhaft, was das eigentlich sein soll. Das musste völlig neu studiert
werden.
4 Ni c h t setzend ist nicht eine Privation, und "Stellungnahme" ist nicht etwas zu
einem Akt Hinzutretendes, wenn es, wie hier bisher i=er, als "Setzung" verstanden
ist.
5 Der Text dieses Absatzes, mit dem die mit dem Fragezeichen versehene Manu'
skriptseite endet, wurde spater gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 359

auf das Gedachte Hinblicken, ebenso wie zum vollziehenden


Stellungnehmen, wenn es ein Stellungnehmen im prägnanten
Sinn eines sich stellungnehmend Zuwendens sein soll, die Auf-
merksamkeit gehört. Dieses Hinblicken haben wir mäglicher-
5 weise auch bei der stellungsfreien Reproduktion. Aber das Hin-
blicken können wir ausschalten als etwas Ausserwesentliches und
überall Mögliches.
Aber die Rede von ,.Nicht-Stellungnahme" birgt ihre Schwie-
rigkeiten. Keine Stellungnahme zu einer Sache soll doch besagen
10 zu einer "bewussten" Sache. Und da ist sorgfältig auseinander-
zuhalten:
Eine Sache ist reproduktiv bewusst, genauer gesprochen, sie
ist phan tasierte Sache. "Ich nehme keine Stellung zu ihr"
sagt, es besteht keine aktuelle Stellungnahme, die in der Repro-
15 duktion vom Bewusstsein dieser Sache gründet. Die Stellungs-
freiheit besagt hier eine Pri va tion. Die Reproduktion selbst
ist ein aktuelles Erlebnis, und jede Reproduktion kann wie je des
akt u eIl e Erlebnis entweder stellungnehmend sein oder anaxi-
ontisch.! Eine Stellungnahme kann nur wirklich fortfallen, wenn
20 sie fun die r te ist. Ganz ohne Stellungnahmen kann kein in-
tentionales Erlebnis sein: 2 Genauer,3 unterste Stellungnahmen
können nur in dem Sinn fortfallen, dass sie durch entsprechende
anaxiontische Momente ersetzt werden. Eine Reproduktion muss
notwendig entweder axiontisch oder anaxiontisch sein. Und bloss
25 phantasierende Reproduktion besagt nicht, dass die Reproduk-
tion selbst kein axiontisches Moment 4 hat. Sondern nur, dass sie
ein anaxiontisches hat. Dagegen die in den Reproduktionen fun-
dierten sympathetischen Stellungnahmen können wie hinzu-
treten so abtreten, und wieder, sie können statt abtreten auch
30 eine entsprechende anaxiontische Modifikation erfahren, also
die Komplexion und Fundierung erhalten bleiben.
1 "stellungnehmend" und "anaxiontisch" später verändert in "setzend" bzw.
"mchtsetzend". - Anm. d. Hrsg.
2 Der Satz bIS zum Doppelpunkt später verändert in: "Ohne Setzung oder quasi-
Setzung = Nlchtsetzung kann kein intentionales Erlebnis sein". Gleichzeitig bemerkte
H usserl am Rande: "Besser: Jedes intentionale Erlebnis ist entweder fundiert oder
~Icht. Ist es lllcht fundiert, so ist es schlichte 'Vorstellung', d.h., da hat es bloss den
I harakter Setzung oder Nichtsetzung. Ist es aber fundiert, so treten neu die ei gen t-
Ich wertenden Charaktere auf, in denen aber ein neues Setzen bzw. Nichtsetzen
auftntt." - Anm. d. Hrsg.
3 "Genauer" spater gestrichen. _ Anm. d. Hrsg.
• Ubcr "kein axiontisches" später eingefügt: "ja Setzung". - Anm. d. Hrsg.
360 TEXT Nr. 15 (1912)

Wir werden doch nicht behaupten woUen, dass wenn ich über-
haupt reproduziere, ich notwendig Stellung nehmen muss zum
Reproduzierten. Lebe ich ganz in der reproduktiven Phantasie
ist die Aktualität ganz ausgeschaltet, SO wird alles Sympathisie~
5 ren fortfallen. Wenigstens ist das möglich. Sowie ich aber mit
meiner Aktualität, ich als lebendiges Ich, dabei bin, werde ich
alsbald mich zu dem Phantasierten so oder so verhalten, werde
Stellung nehmen, oder mich der Stellungnahme enthalten oder
auch "bloss denken", bloss verstehen, kurzum, die anaxiontische
10 Stellung einnehmen.
So versteht es sich, dass in blosser Phantasie leben, oder bloss
phantasieren, ohne Stellung zu nehmen, noch nicht besagt "an-
nehmen", sich-denken u. dgl. Die Hauptsache ist, dass jeder
Stellungnahme eine anaxiontische Modifikation entspricht und
15 dass jede Stellungnahme unterbunden werden kann,! dass sie,
wenn sie unterste ist, nicht fortfallen, sondern nur in einem dieser
Modi dasein kann. Ferner wird es richtig sein, dass blosse Repro-
duktion (nicht Erinnerung) die anaxiontische Modifikation ist.
Endlich wäre noch zu notieren, dass gleichzeitig Unterbindung 2
20 einer Stellungnahme und anaxiontische Stellungnahme verträg-
lich ist, während sonst3 zwei wirkliche Stellungnahmen einer
Gattung nicht verträglich sind. Doch das ist missdeutlich. Eine
Anaxiose ist ein intentionales Erlebnis und im weitesten Sinn
selbst Axiose. Es ist ein "Aktcharakter" , und zu jeder obersten
25 Gattung von Aktcharakteren gehört diese Paarung zwischen
Axiose und Anaxiose. Jeder Axiose entspricht eine Anaxiose.
Und in dieser wie in jener kann ich leben, sie vollziehen.
Wie steht es aber mit der "Unterbindung"? Ist das etwa etwas
grundwesentlich Neues, und der Anaxiose Gegenüberzustellen-
30 des? Nein. Sie ist selbst Anaxiose, ich enthalte mich des Urteils,
das ist eine Art, sich zu denken ,,5 ist p". Anaxiose kann eben in
zwei Formen statthaben: Entweder es ist keine Axiose "im Ver-
borgenen", "latent" da, und dann notwendig unterbunden, oder
sie ist in unterbundener Form da. Müssen wir nicht sagen, Axiose

1 "dass jede Stellungnahme unterbunden werden kann" später gestrichen. - Amn.


d. Hrsg. . ..
2 "Unterbindung" ist mir etwas ganz Fragliches, es sei denn, dass ich IDlr nnmer
Gegenmotive hinzuphantasieren kann und dann zu jeder Setzung welchen Gehalts
immer eine Nichtsetzung konstruieren kann.
a "sonst" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 361

und entsprechende Anaxiose sind im Vollzug ebenfalls mitein-


ander unverträglich so wie zwei Axiosen derselben Gattung sonst.
Aber das Eigentümliche gilt, dass eine Axiose in eine Anaxiose
verwandelt wetden kann dadurch, dass sie zur Latenz gebracht
5 und bei Erhaltung des Aufmerksamkeitsstrahls durch eine
Anaxiose ersetzt werden kann.

*
Noch sehe ich, habe ich einem Unterschied nicht Rechnung ge-
tragen:
1) Ein Sachverhalt steht als nichtig da, ich unterbinde aber
10 das Nichtigkeitsbewusstsein (oder als vermutlich, ich unterbinde
das Vermuten ete.). Es kann nun sein, dass ich dabei-bloss
den Sachverhalt denke, ihn wiederholt in bIossem Sich-denken
"vollziehe" .
Ebenso, es ist etwas als Fiktum, als nichtiger Schein bewusst
15 oder bewusst als zweifelhaft u. dgl. Ich schalte aber diese Stel-
lungnahme aus, ich lebe nicht im Vollziehen der Nichtigkeit,
sondern denke mir das bloss, das heisst hier, ich betrachte es
bloss l .
2) Statt dessen kann ich die Inaxiose 2 der Vermutung, der Ne-
20 gation etc. vollziehen. Das Sich-ins-Vermuten-Hineindenken, das
Sich-ins-Negieren-Hineindenken. Da ist es nun problematisch, ob
diese Modifikation in gleicher Weise statthat wie die vorige. Man
kann hier docH sagen :3 Vermute ich, dass schönes Wetter heute
kommen wird, so kann ich wohl die Vermutung ausschalten, das
25 besagt dann aber das Sich-denken "schönes Wetter wird kom-
men". Aber wie soll ich das Vermuten ausschalten und mich
bloss ins Vermuten hineindenken?
Wie soll dergleichen überhaupt statthaben? Soll ich etwa zu-
nächst mir bloss denken "S ist p" und dann ein Vermuten hinein-
30 phantasieren? Da ist noch immer nicht alles vollkommen ge-
klärt. Setzt alles Sich-hineindenken hier eine reproduktive Mo-
difikation voraus, eine nichtsetzende Reproduktion, und ich bin
gerichtet auf das Reproduzierte (Phantasierte), aber nicht bloss

1 "das heisst" bis "blass" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.


2 "Inaxiose" später verändert in "NeutraIisderung>". - Anm. d. Hrsg.
3 CL folgende Seite <d.i. S. 362,8 ff.>.
362 TEXT Nr. 15 (1912)

phantasierend, sondern in einem aktuellen Ansetzen, Sich-denken


des "vermutlioh"? Aber wozu bedarf ,ich dann der Phantasie?
Ich habe zunächst 'das Nichtigkeitsbewusstsein. Ein- Fiktum
steht vor Augen. Dann kann ich den Blick der Erfassung richten
5 auf das Nichtigsein und dann wieder diese Setzung modifizieren,
und nun denke ich mir das Nichtigsein. Das sind sehr problema-
tische Dinge.

Es ist folgendes ,zu trennen:


1) Gibt es zu jeder "Axiose" idealiter eine Inaxiose?l
10 2) Kann ich, wenn ich die betreffende Axiose, den betreffen-
den setzenden Akt, sei es einen schlicht anschauenden, sei es einen
im fundierten Sinn stellungnehmenden vollziehe bzw. erlebe, den
entsprechenden nichtsetzenden, die Inaxiose, willkürlich erzeu-
gen, konstruieren? Und dient dem die Operation des "Enthal-
15 tens", "Unterbindens", und worin besteht diese evtl. Operation?
3) Wie steht es mit dem Verhältnis von Inaxiose und Imagi-
nation, und zwar als reproduktive Imagination oder bildliche
Darstellung (Analogisierung) ?

*
a) Das aktuelle Urteil hat seine re pro d u k t iv e Modifi-
20 kation, die Urteilsphantasie (die klare und dunkle), und diese Ur-
teilsphantasie kann aktuell oder inaktuell sein. So haDen wir zu
jedem Urteil als inaktuellen parallelen Akt die "bIosse" Urteils-
phantasie. Andererseits hat aber
b) jedes Urteil seine direkte Inaktualitätsmodifikation. Das
25 Sich-denken "S ist p", das kein Phantasieren ist. Es ist genau so,
wie eine Wahrnehmung, etwa die Wahrnehmung einer Land-
schaft, einerseits als Inaktualitätsmodifikation hat die blosse
Phantasie "genau derselben" Landschaft und andererseits die
direkte Inaktualitätsmodifikation: Fehlen (oder Ausschalten)
30 aller Aktualität bei Erhaltung des gesamten perzeptiven Gehal-
tes.
Meine Lehre geht nun dahin, dass jede Gattung von cogitationes
unter dem Unterschied von Aktualität und Inaktualität steht,
1 Über" 'Axiose' "und "Inaxiose" später eingefügt: "Posit<ion>" bzw. "Neutr<aIi-
sierung>". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 363

dass Aktualitätin je,der G'attung soviel besagt wie


Stell ungnahm e (wirkliche Stellungnahme)! und dass es'über-
all gibt das sich der Stellungnahme Enthalten, sie Ausschalteri,
kurzum, die Modifikation der Inaktualität. 2
5 Die Sachen sind nur so überaus schwierig, weil jedes Erlebnis
als solches innerlich,,, vorgestelltes", innerlich bewusstes ist, und
Vorstellung überhaupt ist eine Grundgattung von Erlebnissen
neben anderen. Und weiter kommt dazu, dass jedes Erlebnis
Unterlage für Vorstellungen sein kann und für darauf gebaute
10 Urteile: so dass es überaus schwierig wird, jeweils sich reflektiv
klar zu werden; t ob man Modifikationen innerhalb der Vorstel-
lungssphäre vollzogen hat auf dem Grund der Akte oder inner-
halb der Akte selbst: zumal man ja beständig zu Zwecken der
Analyse vorstellend, reflektierend sich mit den Akten und ihren
15 Inhalten und Korrelaten beschäftigt. -
Not a: Ich höre und verstehe jemanden, der ein Urteil aus-
spricht. Was ist mein Erlebnis dabei? Einfühlung ist ein eigener
schwieriger Punkt.
E s3 dürfte null' richtig sein zu sagen,' dass Inaktualität in den
20 Art mit Aktualität verträglich ist, dass prinzipiell die letztere
sich in erstere bei gleichem Erscheinungsgehalt "verwandeln"
lässt, Und das nennen wir "Ausschaltung der Stellungnahmen".
Jede Erinnerung kann durch solche Ausschaltung in blosse Phan-
tasie verwandelt werden. 4
25 Ebenso haben' wir innerhalb der Sphäre der impressiven An-
schauungen Aktualität und Inaktualität. Die Aktualität besteht
dann in dem impressiven Anschauen schlechthin in seinen
doxischen Modis, in Gewissheit, Zweifel, Anmutung, Nichtig-
keit etc. Die Inaktualität besteht im Analogon der puren Phan-
1 Ja, wie hier das Wort Stellungnahme immer gebraucht wird, ist es eben nichts
anderes als Aktualität des intentionalen Erlebnisses, "Setzung".
2 "der Inaktualität" später verändert in "des Ausser-Vollzug-Setzens und Unter-
bindens (Enthaltens), oder auch den Fall der Nicht-Stellungnahme (etwas Positives!)
ohne Unterbinden. Beides aber ist 'Inaktualität' oder besser: Anaxiose". - Anm. d.
Hrsg,
3 Von hier bis "Aktualität macht einen Begriff von Originarität aus" (unten, S. 364,7)
Wurden der Text und die beiden dazugehörigen Anmerkungen später gestrichen. _
Anm, d, Hrsg.
4 Nieht verwandeln! Das Erinnerte behält immer seinen Seinscharakter. Aber in
g~wi,sser Weise unterbunden: Ich kann ilIll Kenntnisnehmen leben oder nicht, genau
wie III der Wahrnehmung. Also wird hier verwechselt der Unterschied zwischen
Aktualität und Inaktualität mit dem Unterschied des Vollzuges und Nichtvollzuges
(Unterbinden). ,
364 TEXT Nr. 15 (1912)

täsie (und macht einen Begriff von Einbildung aus,


sofern eben blosse Einbildung eben das U n te r bin den der
Aktualität ausdrückt). Also gehört hierher alles ästhetische
Bildbewusstsein (Bildobjektbewusstsein), wofern reine Bild-
S betrachtung vollzogen wird.
Jedes Urteil nun hat seine Inaktualitätsmodifikation. Aktuali-
tät macht einen Begriff von Originarität aus. l
Das Urteil im originären und eigentlichen Sinn ist der aktuelle
Urteilsakt. Seine inaktuelle Modifikation ist das Sich-bloss-
10 Denken "S ist p". Das kann ich auch, wenn ich überzeugt bin,
aber nur in der Form: Ich ziehe mich aus der Aktualität heraus,
ich schiebe das Urteil zurück und etabliere auf demselben Inhalt
den biossen Gedanken.

*
Durch die Eigentümlichkeit des inneren Bewusstseins, dem
15 jeder Akt angehört, und dadurch, dass dieses Bewusstsein vor-
stellendes, imprimierendes ist und als solches seine reproduktive
Modifikation hat, erwächst zu jedem Akt (jedem cogitativen Er-
lebnis) eine mehrfache Inaktualitätsmodifikation. 2

<e) Ob im Falle schlichter Anschauungen ein "blosses"


20 Aufmerken auf das als wirklich etc. Charakterisierte möglich
sei, ohne die entsprechende Stellungnahme und ein blosses
"Denken" zu vollziehen - gegen die A ujmerksamkeitstheorie
- Vielfältiger Sinn von "Nichtvollzug" in der impressionalen
Sphäre, Andeutung der Probleme jür die Sphäre der
25 Reproduktion bzw. Phantasie>
(8. und 9. April 1912)

Es heisst da: 3 Ein Erscheinendes kann charakterisiert sein als


wirklich seiend, als vermutlich, nichtig seiend, als gefällig, schön

1 1) Das blosse Verstehen, das blosse Denken ohne aktuelle Stellun~ahme,


gleichgültig, ob vollzogen oder unvollzogen. 2) Das Sich-denken bei Unterbmdung
einer vorhandenen Stellungnahme.
Beiderseits gemeinsam das aktuelle Gerichtetsein auf den Sachverhalt.
2 Das nichtsetzende Bewusstsein.
S Husserl bezieht sich auf ein Blatt "Mo", das in vorliegendem Band als Beilage
XLI, S. 446f. abgedruckt wird. - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 365

etc. Ich kann meine Aufmerksamkeit aber auf das Erscheinende


richten, ohne mich in einen dieser Charaktere einzuleben, ohne
die entsprechenden Stellungnahmen zu vollziehen. Ich "betrach-
te bloss den Gegenstand".

5 ad 1) Hier ist nebeneinander gestellt Charakterisierung I) 1) als


wirklich, vermutlich, 2) nichtig etc. und II} als gefällig etc.
Kann ich a) im Fall schlichter charakterisierender An-
schauung "bloss" aufmerken auf das als wirklich, vermut-
lich, nichtig Charakterisierte, ,,0 h n e mich in einen dieser Ch~-
10 raktere einzuleben" und 0 h ne - als etwas Neues, das mehr ais
"bloss" aufmerken ist - , sei es ein Erfassen des Inhalts (der nun
zu einem Gegenstand wird) <zu> vollziehen, oder ein biosses
"Denken", verwandt mit dem Ansetzen, Annehmen, zu voll-
ziehen?l
15 Sicher gibt es im Fall fundierter Stellungnahmen, etwa
Freude, Trauer etc., diesen Unterschied: Ich kann in der Trauer,
in der Freude, im Gefallen leben, oder ich kann mit dem Gegen-
stand wahrnehmend, denkend, urteilend beschäftigt sein und uas
Gefühl zwar "im Hintergrund" erleben, ohne aber "darin" zu
20 leben. Und das bedeutet für die Gefühlscharakterisierung, die in
beiden Fällen bewusst ist, einen offenbaren Unterschied. Die
Gefühls-Richtung (wenn ich im Gefühl lebe) geht durch den
Charakter, im anderen Fall fehlt sie--eben, da geht durch diesen
Charakter nichts. Also das ist sicher. Hier haben wir aber einen
25 unterliegenden Akt; mit unterliegenden Stellungnahmen, in de-
nen wir leben. Gibt es aber auch ein "Nicht-Leben" in Stellung-
nahmen, die keine unter sich haben?
Da ist aber wieder die Frage zu spalten. 2
Wir können entweder, da es sich jetzt nur um doxische Stel-
30 lungnahmen handeln kann, eine ungehemmte Stellungnahme ha-
ben. 1) Dann haben wir den sclrlichtesten Glauben. Nicht
eine Glaubensentscheidung den eventuellen Gegentendenzen zu
Trotz, sondern einen ungehemmten Vollzug der Auffassungsten-
denz, der eben den schlichtesten Glauben' charakterisiert. Wie

1 Gegen die Aufmerksamkeitstheorie. Vgl. die ausgeschiedenen Blätter in einem


Umschlag. - Im weiteren noch einiges Bemerkenswerte. Cf. f<olgende> S<eiten>.
2 Spater eingefugt: "Stehen sich denn die 'doxischen Stellungnahmen', könnte
man fragen, gleich?". _ Anm. d. Hrsg.
366 TEXT Nr. 15 (1912)

steht es da mit der Möglichkeit eines "bIossen" Aufmerkens?


Kann hier die Stellungnahme irgend abgetan werden, unvollzogen
bleiben? Nämlich, wenn Aufmerksamkeit auf den Gegenstand
statthaben soll.
5 Kann hier aber nicht ein biosses Sich-denken desselben Gegen-
ständlichen <sich> etablieren, ebenso wie in den Urteilen, die das
schlicht Geglaubte nach seinen Beschaffenheiten auseinander-
legen, <denen> doch blosse propositionale Gedanken entsprechen
können? Was sind das für Gedanken? Ein Sich-denken, es sei
10 dieses Papier weiss (ich sehe es in schlichtestem Glauben): heisst
das, den Glauben "nicht vollziehen" und bloss aufmerken auf
"dieses Papier ist weiss" ?1
2} Wie dann weiter, wenn wir keinen schlichten Glauben mehr
haben, sondern ein Gegenspiel von Tendenzen und Gegenten-
15 denzen, ein Sich-anmuten (die Gegentendenzen sind nicht klar
konsolidiert in einer Gegenerscheinung) ; ein Gegenüber Von
mehreren anschaulichen Möglichkeiten, und auf dem Boden der
einen Stehen, während die andere dagegen "streitet"? Ein Ne-
gieren: ein Ansetzen, es sei dieses Papier rot, und dagegen der
20 gewisse Glaube, dass es weiss ist, den Ansatz negierend.
Ist dieses Ansetzen bei der Negation nicht eben ein Sich-
denken, also offenbar ein Akt, der von derselben Art ist wie das
Glauben, auch ein "Aktcharakter" , aber offenbar nicht etwa
blosse Aufmerksamkeit? Aber hier ist das "Rot" reproduktiv be-
25 wusst.
Wenn ich zweifle, und zwar perzeptiv zweifle: So kann ich
mich auf den Boden der einen Möglichkeit stellen, aber nicht in
der Möglichkeit leben und die Gegenmöglichkeit "unvollzogen"
lassen, sondern ich setze das an, ich denke mir das. Ist es nicht
30 klar, dass das nicht "blosse Aufmerksamkeit" ist, sondern eben
ein eigener Modus? Und wenn ich ein Fiktum habe und mich
nicht um die Nichtigkeit kümmere, bloss betrachte: Ist das nicht
ein eigener Modus, parallel dem Aktcharakter der Axiose?
Wo mehrere Auffassungen miteinander streiten, sich partiell
35 durchsetzen, sich hemmen, jede mit ihren Tendenzen (gehemmten
Glaubenstendenzen : Jede Auffassungstendenz ist Glaubensten-
denz und ist ungehemmt reine Gewissheit, gehemmt ein anderer,
1 Cf.a < dJ. Nr. 15j». Beim schlichten perzeptiven Glauben gibt es kein Ausschal-
ten und kein Sich-denken.
TEXT Nr. 15 (1912) 367

schon komplexer Modus), da kann ich mich in jede dieser Auf-


fassungen hineinleben, ich kann in jede gewissermassen hinein-
gehen und die andere sozusagen nicht zu Wort kommen lassen.
Aber wie das? In der Bildobjektbetrachtung dieses Michelange-
5 loschen Tondos, sehe ich da den weissen oder grauen Jungen,
Leib, und das sagt, begeisteter Leib? Es hat den eigentümlichen
Charakter der Bestrittenheit, es steht ja die Marmorauffassung
(und im Grunde genommen die Gipsauffassung: Schon die Mar-
morauffassung ist bildlich, wir haben eine Bildlichkeit zweiter
10 Stufe!) dahinter, latent.l !
Der Charakter der Bestrittenheit ist hier Charakter der ie-
strittenheit durch die Wirklichkeit, und das Bildobjekt steht als
nichtig da. Aber voll eigentlich ist es als nichtig charakterisiert,
d.h. ich vollziehe das Nichtigkeitsbewusstsein in
15 voll eigentlicher Weise, wenn ich vom Wirklichkeits-
zum Bildobjekt-Bewusstsein übergehe und eben in der "Ver-
nichtung", der "Aufhebung" der Auffassungstendenz des letz-
teren Bewusstseins lebe. Nur dann, nur in diesem Übergangs-
bewusstsein gewinnt das Bildobjekt den "eigentlichen" Cha.:-ak-
20 ter des Nichtig. 2 (Ebenso wie im einstimmigen Übergang zusam-
mengehöriger Perzeptionen, und dabei nicht im latenten Hinter-
grund bestrittener, das Bewusstsein des "stimmt", der3 Wirk-
lichkeit lebendig ist und eigentlich expliziert ist.) Das Nichtig
hat seinen Genossen im Zweifelhaft, das seinerseits auch wieder
25 nur im Übergangsbewusstsein, nicht von Wirklichkeitsauffassung
zu unstimmiger Auffassung, sondern von gehemmter zu ge-
hemmter erwächst. Im vorigen Fall haben wir eine Einstimmig-
keit der Umgebung mit der einen der widerstimmig streitenden
Anschauungen. 4 Dadurch wird sie zur stimmenden; die andere,
30 streitet gegen das einheitliche Gefestigte des "stimmt". Gegen

1 Latent. "Eigentlicher", uneigentlicher Vollzug (entfaltender, entwickelter, un-


entwickelter).
2 Bejahung, Verneinung, Zweifel etc. sind Zusammenhangscharaktere, konti-
nUlerhch synthetisch im Übergang hervortretend.
J Spater eingefügt: "bejahenden". - Anm. d. Hrsg.
4 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert und der Text ergänzt: "Im
VOrIgen Fall der Nichtigkeit haben wir eine Einstimmigkeit der unbestrittenen Um-
gebung mit der einen der widerstimmig miteinander streitenden Anschauungen. Das
Ist also em besonderes Vorkommnis: Eine Auffassung ist nicht schlichter Glaube,
Sondern durch schlichten Glauben 'gefordert', Gegenauffassungen zu Trotz. Die
GegenaUffassungen sind durchgestrichen, die geforderte Auffassung ist die wirkliche,
stimmende gegenüber der durchstrichenen". - Anm. d. Hrsg.
368 TEXT Nr. 15 (1912)

die Gewissheit. Im anderen Fall haben wir für die beiden wider-
stimmigen Anschauungen keinen Vorzug. Jede stimmt mit der
Umgebung in gleichem Grade der "Vollkommenheit". Jede zieht
aus dem Medium der Stimmigkeit die gleiche Kraft. Jede ist durch
5 den Gegensatz "herabgestimmt" zur biossen "Möglichkeit" .
Auch da muss ich in Zusammenhänge eintreten. Auch da kann
ich mich bloss ill die eine Auffassung einleben, und alles übrige
wird "latent", und dann hat das Erscheinende einen uneigent-
lichen Charakter der Möglichkeit, und di~ Gegenmöglichkeiten
10 können sogar ganz dunkel sein. Ich habe ein "Gefühl der Un-
stimmigkeit", des "es könnte anders sein" usw. 1
Nun kann ich aber nicht nur die Gegenauffassungen zur
Latenz bringen, ich kann sie in dem Sinn ausschalten, dass ich
mich um sie weiter nicht kümmere und, somit um das Unstim-
15 migkeitsbewusstsein unbekümmert, mir das Erscheinende, so
wie es sich mir in dieser Auffassung gibt, "ansehe". Nun freilich,
ansehen tue ich es mir auch, wenn ich die Unstimmigkeit fühle
und in ihr lebe (also sozusagen die verborgenen Gegentendenzen
in der Verborgenheit zum Wort kommen lasse). Ich bin aufmerk-
20 sam, ich bin in Zuwendung. Aber hier handelt es sich um mehr.
Ohne mich zu entscheiden und ohne die Stellungnahme zu "voll-
ziehen" (das ist eben in ihr, etwa im Zweifelsbewusstsein oder
Nichtigkeitsbewusstsein zu leben), nehme ich das Erscheinende
hin, ich sehe mir es an, ich betrachte es, ja ich beschreibe es. Das
25 sagt, es ist ein modifiziertes Bewusstsein, das alle Stellungnahme,
die da ist, a usser Aktion setzt (daher im Fall der Willkür-
lichkeit von "Enthaltung" die Rede ist). Dieses Ausser-Aktion-
Setzen, das ist nicht blosse La t en z im vorigen Sinn, d.h. nicht
"uneigentliches", nicht unexpliziertes, nicht bloss nicht in ge-
30 forderte Zusammenhänge übergehendes Stellungnehmen ; son-
dern es ist die echte Aus s c hai tun g des Stellungnehmens, die
Enthaltung, die zugleich besagt den Vollzug eines Aktes: eines
Aktes, der eben Enthaltung von Stellungnahme in sich birgt. Ich
"stelle bloss vor", aber nehme nicht Stellung, und in diesem
35 Vollzug einer An a x i 0 s e 2 kann ich auch Aussagen machen,

1 Wir haben aber verschiedene Fälle. Widerstreit und Einigkeit im Koexistenz'


zusammenhang, Widerstreit und Einigkeit im Zusa=enhang der Erscheinung von
Sukzession.
2 über "Anaxiose" später eingefügt: "Neutralisierung". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 369

Explikationen, Prädikationen, Beziehungen vollziehen etc. Das


alles sind anaxiontisch modifizierte Akte (evtl. anaxiontisch mo-
difizierte "Evidenzen" , die passend verwandelt in wirkliche Evi-
denzen, axiontische, übergehen und wesensmässig müssen über-
s gehen können. Es ist zu überlegen, inwiefern auch anaxiontische
Akte der Kritik und Norm unterliegen).
Einen vielfältigen Sinn von "Nichtvollzug" beobachten wir also.
I)() Der eine Sinn betrifft die Inaxiose: Sie gibt sich in der
Sphäre, in der wir hierl nach Massgabe unserer Beispielestehep.
10 als "Enthaltung" von vorhandenen Stellungnahmen (Enthalttlng
von Entscheidungen wäre eigentlich etwas anderes), und das be-
sagt einen eigenen Aktcharakter, bezogen auf die Substrate
dieser Stellungnahmen. Das scheint mir hier völlig zweifellos.
Und ich finde hier auch keinen Raum für eine blosse Aufmerk-
15 samkeit, gewissermassen die Isolation der Aufmerksamkeit auf
das Substrat, während die Stellungnahmen ausgeschaltet würden
durch Nichtvollzug : als ob die Ausschaltung irgendeine blosse
Ausser-Spiel-Setzung der Stellungnahmen besagte und nun
blasse Aufmerksamkeit übrigbliebe. Es zeigt sich aber, dass hier
20 eigentlich eine Modifikation der Stellungnahmen statthat, die
einen eigenen Aktcharakter in Beziehung auf dasselbe Substrat
mit sich führt. Ein Aktcharakter, der aber nicht selbst Stellung-
nahme ist.
Es ist hier scharf zu überlegen: Kümmere ich mich nicht um
25 die Nichtigkeit oder Zweifelhaftigkeit und sehe ich mir das Er-
scheinende an, beschreibe es etc., so haben wir in der Tat zwei-
er lei: eine Art "Ausschaltung", wie ich immer sagte, eine Art des
nicht im Negieren, im Zweifeln Lebens; andererseits aber ein zwei--
tes, eben das Betrachten, das auf das Substrat in neuer Weise Bezo-- _
30 gensein, in der Weise der "bIossen Vorstellung" als Inaxiose. 23.
1 Spater eingefügt: ,,(nicht überall!)". ~ Anm .d. Hrsg.
2 Wichtige Nota; Etabliert sich ein ästhetisches Bewusstsein, das seiner Natur nach,
nicht in doxischen Stellungnahmen wurzelt, sind aber solche zunächst da, so besorgt
das asthetische Bewusstsein selbst das Ausschalten: Es bedarf nicht erst einer Aktion
der AUSschaltung. Besorgt nicht die Etablierung des Aktes der Inaxiose in Beziehun~
auf das Substrat einer Stellungnahme eo ipso die Ausschaltung derselben?* Ist Aus-
schaltun~ also nicht bloss Etablierung des biossen Sich-denkens, wodurch eo ipso.
wc n n Stellungnahme da ist, diese aus der Funktion des I n-ihr-Lebens verdrängt
wild? Wir können nicht zugleich in dem Sich-denken leben und im Stellungnehmen.
An der mit * bezeichneten Stelle bemerkte Husserl später: "Nein". Die ganze Nota-
Wurde mehrfach gestrichen; vgl. die textkritischen Anmerkungen, S. 684. - Anm •.
d. Hr'g.
3 Spater eingefügt: ,,(Neutralisierung)". _ Anm. d. Hrsg.
370 TEXT Nr. 15 (1912)

~) Das Nichtvollziehen, nicht in der Stellungnahme Leben be-


sagte soeben ein nicht im Negieren, im Zweifeln, in und mit
ihm Zugewendetsein. Und es besagte zugleich ein Ausser-
Aktion-Setzen in der Weise, die das positive Gegenstück hatte
5 im "blossen" Vorstellen, in der Inaxiose.
Wir können nun auch vom Leben in einer Stellungnahme (in
und mit ihr Zugewendetsein) zu einem Nicht-Vollzug, Nicht-
Leben in und mit ihr übergehen, ohne eine Inaxiose zu
vollziehen (in der wir ihrerseits auch wieder leben). So ist es ja,
10 wenn wir auch die Aufmerksamkeit abwenden, uns einem ande-
ren Gegenstand zuwenden, und so ist es auch, wenn wir von der
Einstellung auf das Bildobjekt zu der Einstellung auf das Ding
aus Gips übergehen. Leben wir im Bildobjekt, so vollziehen wir
die Bildobjektauffassung in ihrer Hemmungscharakteristik, wir
15 vollziehen nicht die Gipsobjektauffassung in ihrer Charakteristik
der Wirklichkeit (des "es stimmt"): Und diese Charakteristiken
sind Stellungnahmen. Auf die Substrate der nichtvollzogenen
Akte sind wir nicht gerichtet, und da ist von Inaxiosen 1 keine
Rede. Die nichtvollzogenen Akte 2 sind "latent" da, aber es sind
20 keine Inaxiosen da. Es findet im "Hintergrund" der Latenz auch
nichts dergleichen wie "Enthaltung", "Ausschaltung" statt.
Wir haben also einen zweiten Begriff von Nichtvall-
zug. <Nichtvollzug> besteht also in der La te n z, oder vielleicht
besser, wir sehen, dass eine gewisse Latenz in unseren Beispielen
25 ihre Rolle spielte, nämlich das Vorhandensein "verborgener"
Auffassungen, Mitstellungnahmen, aber in dem Akt, in dem wir
lebten, hatten wir auch eine Stellungnahme, und diese hing mit
den verborgenen zusammen, und sie wurde mit ihren Zusammen-
hängen "ausgeschaltet" dadurch3 , dass auf dasselbe Substrat
30 sich "ein biosses Betrachten", eine Inaxiose bezog, Wir hatten
dann einen Vollzug desselben Substratbewusstseins, aber4 nicht
isoliert, sondern mit einem Ersatz für die Stellungnahme. Sie
war ausgeschaltet noch da, aber darin lag, dass wir in ihr nicht
zugewendet waren, während wir doch ihrem Substrat zugewendet

1 Über "Inaxiosen" später eingefügt: "Neutralisierungen". - Anm. d. Hrsg.


a Über "Akte" später eingefügt: "Auffassung und Stellungnahme". - AUlu. d.
Hrsg.
3 Später setzte Husserl über das Wort "dadurch" ein Fragezeichen. - Amn. d.
Hrsg.
4 Später eingefügt: "dieses". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 371

waren. Statt dessen hat sich in der Funktion der Zuwendung an


ihre Stelle gesetzt die Inaxiose1 , in und mit welcher wir dem
Substrat zugewendet waren.
Wir sehen auch, es ist ein grosser Unterschied zwischen der
5 Zurücksetzung, welche etwa das "zweifelhaft"', "nichtig" im .kkt,
den wir zur Inaxiose modifizieren, erfährt, und die darin besteht,
dass die Stellungnahme aus der Funktion der Zuwendung ver-
drängt wird bei Erhaltung der Aufmerksamkeit auf' das Substrat,
und dem Nicht-Vollzug, den der latente Akt besagt. So kann ich
10 auch Gefallen an einem Obj'ekte haben, auf das ich aufmerk§arti
bin, aber nicht indem Gefallen mich zuwenden; ich kann aber
auch einen latenten Akt, der ein Gefallen enthält, als Erlebnis
haben, wobei von einem Sich-zuwenden (Aufmerksamsein) zum
Objekt in keiner Weise die Rede ist. So z.B. wenn ich mit je-
15 mandem in der Gesellschaft über gleichgültige Objekte spreche,
während mein Bewusstsein wesentlich bestimmt ist durch die
Anwesenheit einer geliebten Person, die ich vielleicht sogar
"sehe", und mit Wohlgefallen, aber ohne Aufmerksamkeit und
Zuwendung.
20 Wir müssen also den Begriff der La t e n z streng fassen. Das
Gefühl, das Gefallen an einer Sache, der wir aufmerksam zuge-
wendet sind in irgendwelchem Akte (aber nicht im Gefallen
selbst), ist nicht "vollzogen", aber darum nicht latent. Jedenfalls
ist der Unterschied zU beachten. Ebenso wie der Unterschied des
25 primären Vollzuges und Noch-Vollzuges als Festhalten im Über-
gang zum neuen Vollzug.
Am besten sagen wir "Vollzug" für jede Art des Im-Akte-
Lebens, und Vollzug der Stellungnahme: in und mit ihr Zuge-
wendetsein, Gerichtetsein (sei es auch im Dunkeln, wie beim
30 Noch-Vollzug). Und das bestimmt die Rede von Nichtvollzug..
Dagegen für die "Enthaltung" bzw. "Ausschaltung" sagen wir
eben Ausschaltung mit Inaxiose. 2
b) Nun haben wir bisher nur eine beschränkte Beispielssphäre
behandelt, Eigentlich nur Per z e pt ion e n und Axiosen, die
35 unmittelbar mit Perzeptionen verflochten sind:

1 Spater eingefügt: "Neutralisierung". _ Anm. d. Hrsg.


2 Spater eingefugt: ,,(besser durch Inaxiose)". Wohl zu anderem Zeitpunkt im
ursprunglichen Text mit" gestrichen und über Inaxiose" eingefügt· Neutrali-
Slerung". - Anm. d. Hrsg. " . "
372 TEXT Nr. 15 (1912)

Wir hatten hier nicht den Einfall, von perzeptiven Erscheinun_


gen schlechthin ohne Stellungnahmen zu sprechen bzw. hier nicht
von Inaxiosen, die nicht mit Ausschaltung von Axiosen verfloch-
ten waren. Lässt sich Inaxiose von solcher Ausschaltung ab-
5 trennen? NB: hier in der perzeptiven Sphäre. Ist eine perzep-
tive Auffassung möglich, die weder Tendenz, freie, noch gehemm-
te Tendenz ist, ein purer Schein und doch kein Fiktum ... Das ist
natürlich unsinnig.
Es kann sein, dass ein Bild visuell mit nichts streitet (z.B.
10 Stereoskopbild), dass perzeptiv-visuell nichts da ist, was weder
dagegen stimmt, noch auch dafür stimmt. Aber ist das sinnvoll
möglich?l
Gehen wir nun in die Sphäre der Reproduktion bzw.
Phan t asie über. 23
15 Da haben wir Reproduktionen von Akten mit Stellungnahmen
und von allen Vorkommnissen, die die impressionale Sphäre ge-
währt. Und da haben wir dasjenige Vollziehen von Reproduk-
tionen, das darin liegt, dass wir die reproduzierten Akte und
Stellungnahmen nicht nur reproduziert haben, sondern gleich-
20 sam vollziehen, und das als eine Aktualität verstanden: das
lebensvolle Phantasieren, wobei wir phantasierend "tätig" sind,
wahrnehmen, urteilen etc., aber doch nur gleichsam. Hier finden
wir nun den Unterschied, dass wir einmal phantasierend "tätig"
sind, Phantasie vollziehen, aber ganz in der Phantasiewelt leben,
25 und das andere Mal aktuell, in der aktuellen Welt lebend und als
aktuelles Ich mit dabei, auf die Phantasiewelt bezogen, ihr ak-
tuell zugewendet sind in aktuellen Stellungnahmen oder diesen
entsprechenden Inaxiosen.
In dieser aktuellen Zuwendung können wir sympathetisch oder
30 antipathisch, zustimmend, ablehnend uns zu den Substraten der
reproduzierten <Zuwendungen> verhalten, zu ihnen Stellung neh-

1 Es kann sein" bis möglich?" etwas nachträglich verändert in: "Kann es seIn,
dass'~in Bild visuell mit' nichts streitet (z.B. Stereoskopbild), dass perzeptiv-vi~uell
nichts da ist, was weder dagegen stimmt, noch auch dafür stimmt - aber ist das smn-
voll möglich?" und wie folgt ergänzt: "Ein Bild, das mit nichts streitet? Das ware
eine volle Wahrnehmung, das ware eine frei sich auslebende Wahrnehmungstendenz.
Also das ist in der Tat Unsinn". - Anm. d. Hrsg.
2 (und zwar der unmittelbaren, also nicht der eikonischen und symbolischen). .
3 Zum Weiteren ist zu bemerken dass wir bisher zwar vom Fiktum-BewusstseIn,
darunter Bildobjektbewusstsein, aber nicht vom eigentlichen Bildlichkeitsbewusst -
sein (eikonischen) sprachen.
TEXT Nr. 15 (1912) 373

men, so dass wir hiebei immer Doppeltes haben: die impressive


(nämlich sympathetische) und die reproduzierte Zuwendung bzw.
Stellungnahme. Auch die Aufmerksamkeit ist in diesem Sinn
doppelt, aktuell - reproduziert. Sie ist ja der Modus des "Le-
5 bens".! Nun kann aber bei solchem sympathetischen Verhalten
und bei sympathetischen Vollzügen von Akten, von Zuwen-
dungen doch sympathetische St ell ungnahme fehlen. Ich, ich
das aktuelle Ich, amüsiere mich damit, das Spiel der Phantasie
zu verfolgen. Das Phantasieren amüsiert mich, im übrigen aber
10 zum Phantasierten nehme ich keine Stellung. Vor allem nicht
nach Sein oder Nichtsein:
Die Frage ist, was liegt hier vor?2

d) Anpassung bzw. Nichtanpassung von Urteils- und


Gemütsakten an eine zugrundeliegende vollzogene Phantasie.
15 Phantasie (Ertnnerung mitbefassend) kann fundieren
I) wirkliche Stellungnahmen, 2) wirkliche, aber modifizierte
Stelltmgnahmen, 3)'w~'rkliche "Ansätze" von Stellungnahmen, t
blosse "Denk"modifikationen>
(9. April 1912)

20 Erinnerungen oder freie Phantasien aktuell vollziehen ist eins,


und ein anderes ist es, aufgrund dieser vollzogenen Phantasien
Explikationen, Kollokationen, Vergleichungen, Unterscheidun-
gen, beziehende Akte jeder Art vollziehen. Es ist offenbar etwas
anderes, Phantasien von dergleichen vollziehen, oder speziell
25 Erinnerungen an dergleichen, und etwas anderes, diese Akte eben
als wirkliche Akte aufgtund von Phantasien (die nicht diese Ver-
gleichungen phantasieren, nicht Erinnerungen an solche beziehen-
de Erlebnisse und ihre Gegenstände, ihre Sachverhalte sind). Also
auch prädikative Urteile aufgrund von Phantasien, und zum
30 prädikativen Ausdruck, vorher zur explikativen und prädika-
tiven Entfaltung bringende Urteile vollziehen, das heisst nicht
Reproduktionen von Urteilen, Phantasie-Urteile vollziehen.
Das ist also wichtig' zu beachten. Als Parallele kann man her- '

1 An elen Rand des bisherigen Textes dieses Absatzes setzte Husserl später ein
grosses Fragezeichen. - Aum. d. Hrsg.
2 Cf. 7.4.1912 (rot signiert) <d.i. Nr. 15d> und 10.4. <d.i. Nr. 15g>.
374 TEXT Nr. 15 (1912)

anziehen, dass Explikationen, Kollokationen, beziehende Akte


aufgrund eines Bildlichkeitsbewusstseins nicht selbst Akte "in"
der Bildlichkeit, verbildlichte sind. 1
Ich erinnere mich an das Sprechzimmer der Universität in
5 Halle. Ich vollziehe Zählungen der Reihe zugehöriger Zimmer.
Ich vergleiche ihre Grösse und Gestalt etc. Jedem Schritt liegt
ein Sondervollzug der Phantasie zugrunde, aber in jedem kommt
ein neuer Akt dazu, der nicht reproduktiver Akt ist. 2
Wir können aufgrund einer vollzogenen Phantasie (mag sie
10 auch nichts von Erinnerung in sich enthalten) ein blosses Aus-
drücken, ein blosses Explizieren, Beziehen, begriffliches Fassen,
Prädizieren vollziehen. Dabei können wir eine doppelte Einstel-
lung haben: 1) Wir urteilen unmodifiziert über das Phantasierte
als solches. 3 Wir haben das Fiktum der Phantasie und seines
15 Korrelates vor Augen, machen es gegenständlich und sagen aus:
dass dieses Korrelat sich angemessen so ausdrücke. Z.B.: Was ich
da phantasiere, ist: Ein Bajazzo, der seine Zunge heraussteckt.
Der Ausdruck ist passender Ausdruck des Phantasierten als sol-
chen und hat einen modifizierten Sinn, wie auch, wenn ich sage:
20 Das ist ein Bajazzo, er steckt die Zunge heraus etc. Die Sätze
stehen in Anführungszeichen.
2) Ich kann aber auch in der Phantasie leben und nun einfach
ausdrücken bzw. die vollzogene Phantasie mit angemessenen
Ausdrücken (Explikationen etc.) begleiten, ohne dass ich die
25 Phantasie und das Phantasierte als solches als Gegenstand setze.
In diesem Fall habe ich Modifikationen von Explikationen und
Prädikationen vollzogen, Modifikationen, die nicht den Charakter
von Phantasien haben. Und es sind wirklich vollzogene Akt e
aufgrund der Phantasie, die selbst wirklich vollzogener Akt ist.
30 Das wäre nicht ein Sich-denken; das Urteil "Der Bajazzo
steckt die Zunge heraus" ist freilich kein wirkliches Urteilen,4

1 (Das Bildlichkeitsbewusstsein (nicht das Bildobjektbewusstsein) ist ja als Bild-


sujetbewusstsein selbst ein Akt der Phantasie im weitesten Sinn.)
a Wir können aber auch unbekümmert um "Stellungnahmen", um axiontisch.e
Charaktere ein perzeptiv Erscheinendes, ein Bildobjekt, etc. beschreiben, vergIel:
chende Urteile fällen etc. Und ebenso in der Erinnerung (Zweifelserinnerungen etwa.
unbekümmert um den Zweifel).
3 Später eingefügt: "auch Perzipierte als solches". - Anm. d. Hrsg. . ..
4 wirkliches Urteilen" etwas nachträglich verändert in "Wirklichkeits-Urtell~n
und ~ie folgt ergänzt: "kein 'normales', auf 'Wirklichkeit' bezogenes, 'WirklichkeIts-
wert beanspruchendes' Urteilen". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 375

sondern ein modifiziertes Urteilen, und· ganz sicher kein Urteils-


Phantasieren, sondern ein impressionales Urteilen. Denn das
Urteil in der Phantasie haben und die Urteilsphantasie vollziehen
ist etwas offenbar anderes. Es ,ist ein voll intuitiv vollzogenes
5 Denken (aktuelle, aber modifizierte Prädikation), "evident" an-
gepasst einer unterliegenden vollzogenen Phantasie. Das ist wie-
der eine wichtige Feststellung.!
Nun sehen wir zu, ob nicht ähnliches auch für andere Aktarten
möglich ist, für Gern ü t s akt e etwa. Ich lebe in der Phantasie,
10 und in ihr erscheint mir ein Urwald; ein Mann sitzt am Bod~
und sucht Käfer, da tritt plötzlich ein gewaltiger Löwe heraiis,
und der Mann lachtl vergnügt. Indem ich mir das vorstelle, diese
Reihe Phantasien abläuft, empfinde ich Erstaunen, vielleicht auch
Angst. Das ist nicht. Angst oder Erstaunen im gewöhnlichen
15 Sinn. Es sind zwar nicht reproduktive (Phantasieakte), sondern '
wirkliche Akte, gegründet in der wirklich vollzogenen Phantasie.
Aber es ist andererseits nicht "wirkliches Erstaunen", "wirk-
liche Angst", sondern modifizierte Akte. 2 Sie "passen" zum
Phantasierten, "stimmen" dazu, ähnlich wie die modifizierte
20 Prädikation, und sie sind im selben Sinn modifiziert wie diese.
Ebenso modifizierte Wünsche: Ich male mir in der Phantasie ein
schönes Weib und begehre nach ihrer Liebe. Ich phantasiere
mich nicht selbst und mein Begehren, ich fühle aktuell dieses
"Begehren". Aber ich kann doch nicht "wirklich" begehren, dass
25 dieses Weib, das gar nicht ist, mich liebt. 3 Es ist wieder eine
Modifikation, und wieder in "Anpassung" an die Phantasie.
Wirklich und unmodifiziert'begehren kann ich, dass dieses Weib
wirklich sei und dass es mir in Wirklichkeit angehöre etc.
Kann ich nicht anstatt solcher harmonisch "passender"
30 Aktmodifikationen auch unpassende vollziehen? Also etwa im'
Löwen-Beispiel: Ich sehe in der Phantasie den mächtigen gelben
Löwen und "denke" mir: Dies' ist ein kleiner Tiger. Ich kann
auch das anschaulich vollziehen: Das wäre eine neue Phantasie
vollziehen, der der neue Ausdruck angepasst ist, aber so, dass die
, ,
1H'Pher gehört also jede aktuelle Beschreibung einer Phantasiegegenständlichkeit,
wenn ich davon absehe, dass sie benützt wird, um das Phantasieerlebnis zu charak-
tensieren.
2 Das heisst aber: nicht auf Wirklichkeit, sondern auf eine phantasierte Welt be-
zogene.
3 (nIcht in Wirklichkeits-Begehren).
376 TEXT Nr. 15 (1912)

alte "festgehalten" und im "dies" der Löwe der alten gefasst und
gesetzt bleibt. Und nun wird das Dies, "angesetzt" als identisch
mit dem kleinen Tiger der neuen. Es springt der Widerspruch
des angesetzten Identischen mit dem eigentlichen Bewusstsein
5 "verschieden" hervor, oder vielmehr: das Nicht-passen des Iden-
tischen zu dem erlebten Widerstreit (der überschiebung der Ver-
schiedenheit).l Hier erwächst notwendig ein Bewusstsein des "es
stimmt nicht", des Unglaubens; aber es ist ein modifizierter Un-
glaube.
10 Andererseits kann ich doch den Ansatz machen, wenn auch
nicht einstimmig anschaulich machen, dieser grosse Löwe ist ein
kleiner Tiger, 2 und das ist abermals ein wirklicher Akt und eine
Urteilsmodifikation, nur nicht mehr eine solche, die evidente
Anpassung hat und selbst noch Urteil wäre!3 Und ähnlich wird
15 es auch mit Wünschen und anderen Akten in Modifikation und in
Ansatz sein. Ich setze an: Ich wünsche, dass der Löwe den fried-
lichen Käfersammler frisst. Angenommen, ich phantasiere das
Fressen, so "stimmt" dazu mein Bedauern, und bevor es quasi
eintritt, das negative Wünschen. Ich setze nun aber an - u n-
20 stimmig - das positive Wünschen. (Das kann ich nicht "an-
schaulich" haben, heisst nichts anderes als, ich kann es nicht
aufgrund der Phantasieanschauung in der Weise des Passens,
Stimmens als wirkliches Wünschen haben: wozu mögliche evi-
dente Urteile gehören.) Dieses Ansetzen 4 , dieses sich ins Wün-
25 sehen Hineindenken ist kein Reproduzieren eines Wünschens
dieses Inhalts: Denn eigentlich kann ich das ja gar nicht reprodu-
zieren, reproduzieren kann ich nur den Ansatz eines solchen un-
stimmigen Wünschens. Man könnte allenfalls so versuchen: 5 Ich
phantasiere mir einen anderen Wunsch, erfasse aufgrund dessen,
30 das A ist erwünscht, und nun setze ich in der Urteilsmodifikation

1 Ich bringe den Löwen und den kleinen Tiger zur Überschiebung, aber ich "denke"
sie als identisch. Die Identität bringe ich zur Überschiebung mit der gegebenen Nic~t­
identität = Verschiedenheit. Also ich halte einen Grundansatz, den der PhantaSie,
fest, und daraufhin ergeben sich Widerstreite, die also abhängige sind.
2 Einfacher: dieser Löwe ist grün.
3 Es ist eine Ansatzmodifikation und modifiziert in zweiter und dritter Stufe.
1) Phantasie - festgehalten in ihrer modifizierten Auffassung. Das ist ein intuiti·
ver Ansatz unterster Stufe. Zu dieser modifizierten Intention sti=t dann (erste
Modifikation des Stimmens unter Ansatz) der Wunsch wirklich. Und dem gegenüber
ein Wunschansatz in zweiter Modifikation.
4 Auch dieses Ansetzen ist ein modifizierter Akt.
5 Das "erwünscht" lässt sich so überschieben wie das "grün".
TEXT Nr. 15 (1912) 377

an, das Fressen des Mannes sei erwünscht. Aber es scheint doch
offenbar, dass das nicht die Sachlage ist, wenn ich mir denke,
mich hineindenke, ich erwünschte das Fressen. Ebenso kann ich
mich in ein Fragen hineindenken, ohne dass ich wirklich etwas
5 fraglich finde, ja wo etwas unfraglich, etwa aufgrund einer Phan-
tasie, vor mir steht., wo zum Inhalt der Phantasie das "unfrag-
lieh" passt.
Wir ersehen also, welch merkwürdige Unterschiede hier be-
stehen. Wir finden bei den aufgrund der Phantasie zu vollziehen-
10 den wirklichen Akten folgende Modifikationen: die Phantasß--
(die in unserem weiteren Sprachgebrauch jede Erinnerung mit-
befasst) kann fundieren 1) wirkliche und unmodifizierte1 Stel-
lungnahmen, ein wirkliches Urteilen, ein wirkliches Vermuten,
Fragen, Wünschen etc. Also dann muss die Phantasie von vorn-
15 herein mehr als "biosse" Phantasie sein, sie muss mindestens von
unmittelbaren doxischen Stellungnahmen (aktuellen) begleitet
sein: zu ihr stimmend.
2) Wirkliche, aber modifizierte Stellungnahmen, zu der Phan-
tasie stimmend, sich ihr "evident" anpassend. Dazu gehören dann
20 durch leichte Modifikationen evidente Urteile. 2
3) Wirkliche, modifizierte Stellungnahmen? Da muss ich bes-
ser beschreiben: 3 Wirkliche "A n sät z e" von Stellungnahmen;
blosse "Denk"-modifikationen. 4
Nämlich: Bei 2) sympa thisier-e ich wirklich, ich vollziehe
25 Stellungnahmen des Urteils, der Frage, des Wunsches, aber sie
sind modifiziert. Wir müssen hier sagen: Es sind noch wirkliche
Stellungnahmen, es sind noch wirkliche Urteile, Wünsche etc.,
aber durch diese Gattungen von Axiosen geht selbst hindurch
eine :\fodifikation, die bestimmt ist durch die Art der Unterlage,

1 "und unrnodifizierte" etwas nachträglich gestrichen und am Ende des Satzes


eingefugt: "Unrnodifiziert in einem vollkommenen Sinn: Glauben schlechthin ist
Fur-wirklich-halten, Aussagen schlechthin ist Für-wahr-halten, und das setzt voraus,
dass die Untersetzungen eben Wirklichkeitssetzungen sind. Wünschen schlechthin
1st Fur-erwunscht-halten und bezieht sich auf Wirklichkeit. Und so alle Akte als auf
Wirklichkeit bezogene". - Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefügt: "Ebenso aber wirkliche, aber modifizierte Stellungnahmen zu
Fikta". - Anm. d. Hrsg. .
3 "Wirkliche" (Zeile 21} bis "beschreiben" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg•
• 4 Wohl gleichzeitig mit der in Anm. 3 erwähnten Streichung eingefügt: "Und auch
dlese können unrnodifiziert sein, wenn sie sich auf Wirklichkeitsgrund bewegen, oder
modifiziert, wenn nicht: Dann bringen sie Modifikationen zweiter und höherer Stufe
zustande". - Anrn. d. Hrsg.
378 TEXT Nr. 15 (1912)

auf die sie sich aufbauen. Die Unterlage kann in Axiosen bestehen
also bei fundierten, synthetischen Akten können die letztfundie~
renden Akte Axiosen sein oder Anaxiosen1 (hier blosse Phanta-
sien ohne Sympathien). Und das ist nicht ein Unterschied neben
5 anderen, sondern, je nachdem in diesen letzten Unterlagen die
Stellungnahmen fortfallen oder hinzutreten, ändert sich auch der
Charakter aller übergebauten Stellungnahmen, sie erfahren Mo-
difikation. Das prädikative Urteilen, das zugehörige Vergleichen,
Unterscheiden, Beziehen ist kein normales, kein wirkliches (auf
10 Wirklichkeit bezogenes), sondern ein quasi Urteilen, ein in der
Luft schwebendes, ein solches, das keine absolute Wahrheit als
Korrelat hat. Und ebenso steht es mit allen anderen Arten von
Stellungnahmen.
Demgegenüber steht nun das blosse Sich-hineindenken, das
15 nicht ein modifiziertes Stellungnehmen, sondern überhaupt kein
Stellungnehmen ist, vielmehr eine Modifikation, die dem Stel-
lungnehmen den Charakter der Stellungnahme (der Axiose)
nimmt und doch zu jeder Stellungnahme eine genau "ent-
sprechende" Modifikation schafft.
20 Es ist nun aber weiter folgendes zu beachten. Das biosse Sich-
denken ist nicht 2 ein Sich-denken zu Trotz irgendwelcher An-
passung; wir haben solche Beispiele nur um des Kontrastes willen
vorhin verwendet. Vielmehr kann das Sich-denken auch anschau-
lich sein und jedenfalls ohne Unstimmigkeit.
25 Wir haben zu unterscheiden: 1) Ich habe eine blosse Phantasie,
vollziehe sie und vollziehe auf ihrem Grund Urteile, Gefühls-
stellungnahmen etc. Oder ich habe eine Erinnerung und voll-
ziehe desgleichen. 2) Ich denke mir anschaulich "ein Löwe stürzt
aus dem Gebüsch etc.". Da habe ich in gewisser Weise das an-
30 gepasste Urteil, aber ich lebe nicht im Vollzug des Urteilens, ich
vollziehe einen biossen (anschaulichen) Gedanken als "Ansatz".
In der Erinnerung schwebt mir mein schwarzer Schreibtisch vor,
ich lebe aber nicht im Urteil, ich denke mir bloss, ich setze an,
mein Schreibtisch ist schwarz.

1 Der letzte Satz bis hierher später wie folgt verändert: "Die Unterlage kann in
Urakten wirklichen und modifizierten Intentionen, bestehen, also bei fundierten,
syntheti~chen Akten können die letztfundierenden Akte Wahrnehmungen, do:,ische
Urakte sein oder Phantasien" ; am Rande des ganzen Satzes zwei grosse FragezeIchen.
- Anm. d. Hrsg.
2 Später eingefugt : "notwendig". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 379

<g) > Diskussion vOn Beispielen <Lesen oder Erfinden eines


Märchens. Nota: Durch die perzeptive Sachlage motiviertes
Gefühl, wesensmässig vorgezeichnete Möglichkeit von
Explikation, Urteil etc. im Verhältnis zu entsprechender
5 Phantasie>
(10. April 1912)

Es erscheint eine wissenschaftliche Abhandlung mit völlig


nenen Sätzen und Theorien. Ich kann das nicht beurteilen, dazu
bin ich nicht vorbereitet. Ich lese die Sätze, verstehe sie. Ich voll-
10 ziehe sie aber nicht als Urteile. Das sind weder Urteile aufgrund
der Phantasie, noch Urteile in der Phantasie, es sind aber aktu-
elle Erlebnisse, ich vollziehe ein "biosses propositionales Vor-
stellen" .
Nehmen wir dagegen Märchen-Iesen. 1 Hierbei vollziehe
15 ich in der Tat Phantasien, und mit den Phantasien decken sich
beschreibende Ausdrücke, beschreibende Aussagen. Beim Lesen
habe ich erst die Ausdrücke, die sich in passende Anschauu~gen
übersetzen, beim Erzählen, ähnlich wie beim Berichten von Er-
innerungen, erst die Vorstellungen und dann die passenden Aus-
20 sagen. Bei der Erzählung eines Erinnerten sind die Ausdrücke
Urteilsausdrücke und als wirkliche Urteile vollzogen: wirkliche
Urteile über wirklich Gewesenes. Beschreibe ich eine blosse Phan-
tasie, so sind es wieder Urteile, ich vollziehe wirkliche Beschrei-
bungen, Beziehungen etc., wirkliche Unterordnungen unter Be-
25 griffe, wirkliche Prädikationen, aber modifiziert dadurch, dass
sie nicht anf Wirklichkeiten gehen, dass sie zum Ausdruck, zur
Explikation etc. bringen, was nur als Phantasie, als quasi-Wirk-
lichkeit bewusst ist. Von dieser Urteilsmodifikation versuchte
ich eine andere zu unterscheiden, die eines "biossen Sich-
30 denkens". In dem Sinn eines ebenfalls vollziehenden anschau-
lichen oder unanschaulichen Ansetzens. Da ist aber einiges noch
einmal zu überlegen. 2 Ich verstehe Gelesenes, ohne zu urteilen.
Was soll und kann das besagen? Es kann 1) unanschaulich blei-

1 Hier Fortsetzung vom 9. April.


: Etwas nachträglich eingefügt: "Die Modifikation des Sich-denkens dachte ich
mIr fruher immer am Beispiel des 'biossen Verstehens', ohne selbst Stellung zu neh-
men. Ist das dasselbe wie das Ansetzen?" - Anm. d. Hrsg.
380 TEXT Nr. 15 (1912)

ben. 2) Es wird anschaulich vollzogen, z.B. "an einer Strasse


steht ein Haus", "am Hohen Weg steht ein Turm". Ich setze in
die erinnerungsmässig vor Augen stehende Strasse den Phanta-
sie-Turm hinein; das Phantasiegebilde, das so entsteht, findet
5 seinen prädikativen Ausdruck: Es ist teils normale Setzung, teils
modifizierte. (Ist nicht überall in den Bestandstücken etwas Von
normaler Setzung? Es war einmal: Irgendwo in der Welt, im
Raum, in der Zeit war das und das. Setze ich einen beliebigen
mathematischen Satz an, so sind die einzelnen Zahlen schliess-
10 lich als mathematische Wirklichkeiten gesetzt. Gibt es eigentlich
solche Ansätze ohne Elemente wirklicher Setzung? Wie ist es,
wenn ich in einer reinen Phantasie lebe und gar keine Beziehun-
gen zur Aktualität lebendig sind? Da könnten doch wohl alle
Wirklichkeitssetzungen ausbleiben.)
15 Jedenfalls haben wir hier, wo Anschauungen der Phantasie
unterliegen und es zu wirklichem Ausdruck kommt, Akte der
Explikation, Kollokation, Unterscheidung, Beziehung usw. und
schliesslich alle Prädikationen, aber modifiziert.! Ich sehe nicht,
dass das anschauliche Sich-denken "ohne zu urteilen" zweierlei
20 sein kann, es ist Urteilen in modifizierter Form, und die Modi-
fikation besteht darin, dass insgesamt "biosse" Phantasie, zu der
kein sympathetischer Glaube Stellung genommen hat, unterliegt,
die Akte, die sich darauf bauen, sind Explikationen, Beziehungen,
etc., auch begriffliche Fassungen, eine Reihe zusammengehöriger
25 Akte intellektiver Formung und dazu die Akte des spezifischen
Ausdrucks: insgesamt Akte, die hinsichtlich ihres "Glaubens-
modus" durchaus abhängen von den Unterlagen. Sind diese
Glaubensgewissheiten, so auch die höheren Bildungen, sind es
Vermutungen, sind es Zweifel, so infiziert jede ihrer Modifika-
30 tionen auch die höhere Bildung. Fehlt jeder Glaubensmodus,
jeder aktuelle Modus eines sympathisierenden Glaubens, so fehlt
es auch dem Ganzen. Andererseits ist das Ganze ein lebendiger
Akt von demselben Gattungscharakter in jedem Fall, von der-
selben Bildungsform, es ist Explikation, Subjektsetzung, be-
35 ziehende Darauf-Setzung etc., aber "ohne Glaubensmodus" .
Dieses "ohne" hat freilich sein Problem: Ob es ein wirkliches
ohne gibt, ob es sich nicht um eine Modifikation handelt, ob
1 Etwas nachträglich eingefügt: "Jemand könnte danach einwenden:" - Anm. d.
Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 381

nicht immer ein Glaubensmodus, evtl. eine Negation da ist, aber


jede eine "Ausschaltung" erfahren kann, wodurch das "blosse
Vorstellen" erwächst. Das sind die Hauptfragen. Lassen wir das
vorläufig dahingestellt.!
5 Betrachten wir ergänzende Fälle. Anstatt eine Anschauung
zU haben und diese nun zu explizieren, auf ihrem Grunde syn-
thetisch-intellektive Akte' (prädikative) zu vollziehen, kann es
sein, dass ich Aussagen habe und diese begleitet von entsprechen-
den Anschauungen: Jedoch nicht so, dass dabei all die Explika-
10 tionen etc., all die Schritte, die der "eigentliche" explizite
Vollzug erfordert, wirklich vollzogen würden ("eigentlich" ent-
faltet), und wieder kann es sein, dass eine vollkommene An-
schauung als Unterlage, eine vollständige, fehlt, und schliesslich,
dass jede klare Anschauung fehlt.2. Die Anschauung kann erst da
15 sein, und es kann eigentlicher schrittweiser Vollzug erfolgen,
dann kann die Aussage wiederholt und schrittweise verstanden,
vollzogen werden ohne Anschauung. Das Phänomen ändert sich,
aber es behält seinen, Charakter: Es ist entweder wirkliches Ur-
teil mit seinem Glaubensmodus, oder es ist blosser Gedanke: der
20 doxische Modus "fehlt".3

1 Der Text des letzten Absatzes wurde nachträglich in eckige Klammern, gesetzt;
gleichzeitig bemerkte Husserl dazu in einer Seitennotiz: "Was hier ausgeführt ist, ist
richtig, beweist aber nichts. Auf folgendes ist zu achten: Eine biosse, wenn auch ge-
mischte Phantasie haben und auf ihrem Grunde wirklich passende Aussagen zu
machen (mit allen zugehörigen Akten), ist eins, sich den entsprechenden bIossen
Gedanken machen das andere. Genauso wie auf dem Grund einer Erinnerung oder
ebensogut einer Wahrnehmung eine anpassende Aussage machen eins ist und den
entsprechenden bIossen Gedanken bilden ein anderes. Aus dem wirklichen Aussagen
wird da durch eine (Ausschaltungs-) Modifikation das biosse Sich-denken: Es kann
aber von vornherein dasein und anschaulich passend dasein." Am Ende des einge-
klammerten po bsatzes bemerkte Husserl, wohl zu einem anderen Zeitpunkt: "Die
Hauptsache steht in der Seitennotiz!". - Anm. d. Hrsg.
2 Ich kann doch auch widersinnige Aussagen verstehen wie "diese Pyramide ist
ein Kegel""
3 Der Satzteil "Es ist entweder" bis ,,'fehlt'" wurde nachträglich wie folgt er-
ganzt: "Aber genau besehen kann, es doppeltes Phänomen sein oder dreifaches. Es ist
entweder 1) wirkliches Urteil mit seinem Glaubensmodus, 2} wirkliches, aber modifi-
ziertes lCrteil mit seinem modifizierten Glaubensmodus, oder 3} es ist blosser Ge-
danke: der doxische Modus. 'fehlt' ". Gleichzeitig mit dieser Ergänzung fügte Hus-
ser! am Rande der folgenden Seite folgenden Text ein: "Näher ausgeführt: Ich lese
e t w a ein M are h e n, aber obschon ich alles wohl verstehe, alle Aussagen voll-
ZIehe, habe ich doch keine klaren Anschauungen, da und dort blitzt etwas auf, das
ubnge bleibt im Dunkel. Man wird hier sagen: Ich lebe in der Märchenwelt. Ja wohl,
obschon ich sie nicht mit dem anschauenden Phantasieauge sehe. Aber die Aussagen
selbst, die Ich da vollziehe, sind Audrücke der Phantasie und nicht selbst Aussagen in
der Phantasie. Dieses Lesen und Verstehen der Aussagen entsprioht, meine ioh, dem
modifiziel ten (aber uneigentlichen) Urteilen. Und ebenso verhält es sich, wenn ich
382 TEXT Nr. 15 (1912)

Wieder kann es sein, dass ich eine Anschauung habe, sie im


Wiederholen festhalte, aber "nicht zu ihr stimmende" Aussagen
an sie heranbringe, sie zu unstimmigem Ausdruck bringend. Ich
schalte aber den Widerstreit aus, in dem Sinn, dass ich mich
5 darum nicht kümmere und ansetze, es sei das so, es mir blos s
denke. Ich phantasiere den gelben Löwen und "denke" mir
"dieser Löwe ist grün". Was ist das für ein Denken? Nun, wi;
scheiden das explizite und dabei eigentliche von dem expliziten
und uneigentliehen (und das explizite von dem nichtexpliziten)
10 Denken. Es ist ebenso wie wenn ich auf dem Grund einer Wahr-
nehmung ein widerstimmiges Ansetzen vollziehe. Ich setze das
Papier als grün an, ich denke mir, das Papier ist grün: Ich erlebe
den Widerstreit und erlebe das Nichtigkeitsbewusstsein, aber
lebe nicht darin, ich vollziehe es nicht, ich vollziehe das Sich-
15 denken. Es ist ein modifiziertes Denken, nicht ein modifiziertes
Aussagen, das noch Aussagen wäre. Beim normal urteilenden
Aussagen habe ich Glauben und lebe ich im Glauben, ich voll-
ziehe ein Glaubensaussagen. Hier vollziehe ich unter Ausschal-
tung des Unglaubens ein Sich-denken. (Lebe ich im Ungla u-
20 ben, so habe ich auch in einem gewissen Sinn Modifikation einer
Aussage. Denn die ursprüngliche, unmodifizierte Aussage ist die
im Glauben, im Bewusstsein des "es stimmt", und zwar in dop-
peltem Sinn: zur unterliegenden Vorstellung, die da Explikation
zu erfahren hätte, und dann das Stimmen, das zu dieser selbst
25 gehört als Wirkliches konstituierende Vorstellung. Der Unglaube
ist ein Index der Unstimmigkeit in der einen oder anderen Hin-
sicht, und das ist zu unterscheiden! "Der Ausdruck kann falsch
sein", die Aussage kann unpassend sein, und sie kann auch auf
Nichtiges sich passend beziehen. Das Nicht-passen gehört zur
30 biossen Phantasie und biossen Fiktion ebenso wie zur Wahr-
nehmung.)
Jedenfalls das Sich-bloss-denken ist eine Modifikation überall

die Reden eines Anderen verstehe, ohne dass ich selbst sympathetisch Stellung nehme
zu seinen Urteilen etwa. Hier haben wir nebeneinander das modifizierte Urteilen und
das unmodifizierte, aber freilich noch weitere Implikationen (wieder andere aber
auch beim Märchenlesen). Das Verstehen wäre also modifiziertes Ur-
teilen ebenso bei Wunschsatzen modifiziertes Wünschen etc. Aber etwas anderes
ist es, sieh zu denken im Sinn des An 5 atz e 5, wobei ebensogUt das Urteilen 5e,l~st,
das Wünschen selbst als Ursprünglichkeit wie das modüizierte 'ausgeschaltet ~st.
Sich dem Märchen hingeben, es erzählend oder lesend (hörend), das ist nicht das 'lch
denke mir', 'ich setze an', es war einmal. Und so überall." - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 383

von derselben allgemeinen Art, eine Modifikation, die den doxi-


schen Charakter angeht. Ob ein Glaubensmodus (oder Verstehens-
modus) schon da ist oder nicht, er kann ausser Aktion gesetzt
und blasses Denken angesetzt werden.

5 Xehmen wir wieder das Lesen (oder Erfinden) eines Märchens.


Wir haben Phantasien, die wir vollziehen. Wir vollziehen prädi-
zierende Akte (mit all den' zu ihnen gehörigen Akten) als Urteils-
modifikationen. Wir vollziehen auch andere Akte. Wir sympathi-
sieren im Gefühl mit den Personen des Märchens, wir freuen uns
10 und betrüben uns, wir erleben Furcht und Mitleid usw.
Das sind wirkliche Gemütsakte, in denen wir leben, mit denen
wir aktuell reagieren. Sie sind genauso modifiziert wie die Prädi-
kationen. Sie entsprechen den Prädikationen, in denen wir uns
nach dem Phantasie-Angeschauten wirklich "richten", ihm wirk-
15lich anpassen: nicht aber solchen Prädikationen, die bloss leere
Gedanken sind. Prädikationen können uneigentlich insofern sein,
ale; ",ie nicht eigentlich-explizite, schrittweise vollzogene Akte
sind. Wir lesen das Märchen und haben dürftige oder gar keine
Anschauungen. Ebenso kann sich in unexpliziter Weise ein Ge-
20 fühl, ein Gemütsakt anfügen, ohne die volle Explikation, die zu
seiner "Eigentlichkeit" gehören würde. (Die Uneigentlichkeit
wird schon darin liegen, dass eben die eigentliche Anschauung
fehlt.) Im übrigen kann das Gefühl ausgedrückt sein, wie wenn es
heisst, "unglücklicherweise kam gerade der Wolf etc.", oder es
25 können sich im Lesen unausgesprochene Gefühle regen.

Eikonische Phantasie

Andere Beispiele: perzeptive Bildlichkeit, und zwar ei k o-


ni s c h e. Ich folge den Aufführungen eines Theaterstückes, oder
ich betrachte ein Gemälde. Hier unterscheiden sich, ähnlich wie
30 ~ei der reproduktiven Phantasie, die im Bilde dargestellten (bild-
hch produzierten) Vorstellungen, Wahrnehmungen, Urteile, Ge-
fühle, etc. von den in mir, dem Zuschauer, erregten und aktuel-
len. Aktuell ist die Darstellung selbst. So wie ich die reproduktive
Phantasie vollziehe, in ihr lebend, so vollziehe ich,die eikonische
35 I~agination, das Bildbewusstsein, das perzeptive. Im perzep-
tIVen Fiktum wird mir perzeptiv versinnlicht und verbildlicht
384 TEXT Nr. 15 (1912)

ein Nichtgegenwärtiges (etwas, das sonst anschaulich und selbst


vorstellig würde in einer Reproduktion, oder in einer anderen
Perzeption). Das Fiktum verdeckt mir die vergegenwärtigende
(reproduktive) Vorstellung, deckt sich mit ihr, das Vergegen-
5 wärtigte schlüpft in das Gegenwärtige, das so zum Darstellenden
wird, hinein. Und wieder kann ich im Vollzug dieser Darstellung
leben und somit im Vollzug dieser merkwürdigen Art von Ver-
gegenwärtigung (von Phantasie im allerweitesten Sinn) und kann
das Vergegenwärtigte als "Bekanntes" bewusst haben oder nicht.
10 Die Bekanntheit kann herstammen vom wiederholten Vollzug
der Phantasie selbst (so bei der reproduktiven Phantasie, wie bei
der eikonischen: wie wir am besten sagen). Ein anderes Be-
kanntsein ist das Kennen eines einmal schon als wirklich Ge-
setzten, eines schon einmal Wahrgenommenen, dem wir in der
15 Vergegenwärtigung zustimmen.!
Ich kann das eikonisch Vergegenwärtigte aktuell setzen, es ist
mir bewusst in einem aktuellen Glaubensmodus (Gewissheit ete.),
oder es fehlt dieser Modus (er kann auch, wenn er da war, fort-
fallen). Ich habe blosse Phantasie (blosse eikonische Phantasie).
20 In beiden Fällen können sich weitere Stellungnahmen auf-
bauen: Also einerseits, ich beschreibe das Sujet des Ölgemäldes,
ich vollziehe Explikationen, Vergleichungen ete., wirkliche
"Urteils-Akte", wirkliche Akte, aber modifiziert, weil ich eben
keinen Glauben habe. Ich kann aber auch die Dinge, Menschen
25 etc. der eikonischen Phantasie2 beurteilen, mich über sie ärgern,
freuen, Mitleid und Furcht empfinden etc.: alles modifiziert,
wenn es blosse Phantasie ist. Wobei aber diese Akte nicht selbst
Phantasien sind.
Das Bild kann in künstlerisch freier Weise eben ein Bild von
30 wirklichen Vorkommnissen, wirklichen und für wirklich gehal-
tenen Schlachten etc. geben, ebenso gut wie es eine blosse Photo-
graphie sein kann. Und wieder, es kann eine freie Phantasie sein,
es wird gar kein aktuelles Wirklichkeitsbewusstsein erweckt, i~h
nehme das bildlich Vergegenwärtigte für "bIosse" PhantaSIe.
35 Dann vollziehe ich gar keine Stellungnahme. Zu bemerken ist,

1 Wir haben also drei Fälle: Wiederbewusstsein" eines früher Gesetzten, Wieder-
bewusstsein eines fruher nicht" Gesetzten, Wiederbewusstsein mit Zustimmung ZU
dem fruher Gesetzten.
2 Spater eingefügt: "sonstwie". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 385

dass ich hier nicht etwa erst ein Nichtigkeitsbewusstsein aus-


schalten muss. Als nichtig bewusst ist das "Bild" selbst, das
Bildobjekt, in dem sich das Nichtgegenwärtige vergegenwärtigt.
Dieses Nichtigkeitsbewusstsein kommt zum Vollzug, wenn ich
5 mich diesem Objekt zuwende. Im eikonischen Bewusstsein le-
bend, gilt mir das Bild aber weder für seiend noch für nicht-
seiend, es gilt mir (natürlich ohne zum Gegenstand zu werden)
nur als Darstellung für ein anderes: In ihm veranschauliche ich
es, aber setze das, was ich da "meine", in keiner Weise, weder
10 positiv noch negativ. Es fehlt jede Stellungnahme. Ich kann
mich also wohl dem Bildobjekt zuwenden. Ich kann auch den
Unglauben, das Bewusstsein der Nichtigkeit vollziehen, ich kann
dieses auch wieder ausschalten: und das Bildobjekt damit dem
Widerstreit zum Trotz ansetzen. Aber das Sujet geht das gar
15 nichts an, das ist in der freien eikonischen Darstellung von
vornherein ohne Stellungnahme bewusst.
Also auch bei dieser Form der Phantasie (der eikonischen) ha- .
ben wir: schlichte doxische Stellungnahmen als sympathetische
Reaktionen, die dasein oder nicht dasein können, und dannin
20 höherer Stufe weitere sympathetische Akte: Gefühle etc. Damit
kreuzt sich die' Aktivität der Explikation, Prädikation etc., die
Getriebe der analytischen Synthesis, eine Aktivität, die nicht als
Sympathie bezeichnet werden kann, die vielmehr durch alle In-
tentionalitäten hindurchgeht. 1

*
25 Not a. An einer Stelle habe ich folgendes Hierhergehörige be-
merkt. 2 Wenn durch den phänomenologischen Gehalt einer Er-
scheinung motiviert ist ein Gefühl, etwa ein ästhetisches Gefallen
u. dgl., so muss in einer Phantasie, in der diese Erscheinung re-
produktiv bewusst ist, auch das Gefühl reproduktiv bewusst sein
30 können. Würde das Gefühl notwendig zugehörig <sein>, so
müsste es auch mit dasein.
Aber dann ist es ein Wesensgesetz, dass, wenn die Phantasie
aktuell vollzogen wird, auch ein aktuelles Gefühl gleichstimmiger

-
Art motiviert ist: Ist es ein ästhetisches Gefühl gewesen, so ist
~ BeIlage D <d.i. Beilage XLIII, S. 450ft.)
Vgl. unten S. 393. - Anm. d. Hrsg.
386 TEXT Nr. 15 (1912)

es jetzt wieder ein ästhetisches Gefühl, und ein solches ist in


keiner doxischen Stellungnahme fundiert. Also es tritt ohne Mo-
difikation auf. Ist es ein Existentialgefühl, eine Freude, etc., so
ist die erregte Freude natürlich eine modifizierte, wenn die Phan-
5 tasie blosse Phantasie ist.
Ebenso ist es aber überhaupt: Wenn durch eine perzeptive
Sachlage wesensmässig die Möglichkeit gewisser eigentlicher Ex-
plikationen, Beziehungen, begrifflicher Fassungen etc., gewisser
Ausdrücke, Urteile, vorgezeichnet ist, so gehören dieselben auch
10 zu jeder entsprechenden Phantasie: Natürlich, das sagt ja das
wesensmässig: Eine Phantasie ist möglich, die dergleichen phan-
tasiert, aber auch eine wirkliche, wenn auch modifizierte Expli-
kation, Prädikation ist möglich, die denselben Inhalt hat.

*
Wo ein ästhetisches Bewusstsein sich auf doxisch charakteri-
15 sierter Anschauung, auf Wahrnehmung von Natur etc. gründet,
da gründet das Gefühl nicht im doxischen Stellungnehmen : in
diesem le ben wir nicht, wenn wir uns ästhetisch verhalten. Wir
leben nicht in den doxischen, sondern in den wertenden Inten-
tionen. Ebenso in der Erinnerung.!

20 <h» Ästhetisches Bewusstsein <wesentlich zusammenhängend mit


dem Unterschied zwischen Bewusstsein eines Gegenstandes über-
haupt und Erscheinungsweise des Gegenstandes. Reflexion auf die
Erscheinungsweise und ästhetische Bedeutung des Inhalts des
Gegenstandes - Existenzsetzung für das ästhetische Bewusstsein
25 nicht fundierend - Natur ästhetisch betrachten - Verwandtschaft
des theoretischen Interesses mit dem ästhetischen Gefallen -
Nachtrag: impressives ästhetisches Gefühl bei impressiver Erschei-
nung, reproduziertes ästhetisches Gefühl bei reproduzierter Erschei-
nung und gleichstimmiges aktuelles ästhetisches Gefühl>
30 <wohl Frühjahr 1912>

Überlegen wir das näher: Wir leben in einem ästhetischen B:-


wusstsein. In ihm sind uns keine Fragen nach Sein und Nichtsem
1 Cf. Ae Fortsetzung <d.i. Nr. 6h»
TEXT Nr. 15 (1912) 387

des direkt oder im Bild Erscheinenden gestellt. Mit dem Sein des
Vorgestellten mag es sich wie immer verhalten. Wir können äs-
thetisches Bewusstsein vollziehen aufgrund der äusseren Wahr-
nehmung, wir betrachten die gesehenen, gehörten Gegenstände
5 asthetisch. Wir können solches Bewusstsein vollziehen at1fgrund
unmittelbarer Phantasie: Wir betrachten die phantasierten, etwa
quasi wahrgenommenen Gegenstände und Vorgänge ästhetisch.
Oder wir verhalten uns ästhetisch in der bildenden Kunst, wir
betrachten die im Bild sich darstellenden Gegenständlichkeiten
10 asthetisch, endlich in der symbolisch vorstellenden Kunst: Wir
betrachten die sprachlich oder sonst symbolisch sich vorstellen-
den Gegenständlichkeiten ästhetisch.
Das Gegenstandsbewusstsein, das vorstellende, ist je nachdem
doxisches (Glaubens-) Bewusstsein oder bloss reproduktive Modi-
15 fikation davon, dder genauer, blasse Phantasie im weitesten
Sinn, bIosse: d.i. keine aktuelle sympathetische (doxische)
Stellungnahme ist zum Phantasierten vollzogen (oder gemischt).
Wir können uns wahrnehmend, erfahrend verhalten, die Dinge
stehen da, die Vorgänge laufen ab, die Menschen sprechen zu uns
20 und untereinanderetc. Wir können in Beziehung auf diese erfahre-
nen Gegenständlichkeiten mancherlei explizieren, beziehende, prä-
dizierende Akte vollziehen und in Zusammenhang damit mancher-
lei Stellungnahmen beziehen, auf sie als erfahrene, nämlich auf
sie als Gegenstände, die uns als Wirklichkeiten bewusst sind. Wir
25 freuen uns, wir sind betrübt, wir wünschen, wir hegen Hoffnungen
etc. 'Vir können in der Erinnerung leben, in der erfahrenden Ver-
gegenwärtigung. Die Gegenständlichkeiten stehen als nichtgegen-
wärtige "Wirklichkeiten" vor uns, sind also glaubensmässig,
doxisch charakterisierte, und wir können nun weitere Stellung-
30 nahmen vollziehen, schlicht oder nach Vollzug von explizieren-
den, beziehenden, ausdrückenden Akten usw. Das aber wieder
so, dass alles Stellungnehmen und alle synthetischen Akte ge-
richtet sind auf die Erinnerungswirklichkeiten.
Ebenso steht es mit den 'eikonischen Akten: Wenn ich das
35 Bild einer Person vor Augen habe, so kann ich Urteile fällen über
ihren Charakter, über ihre Geistes- und Gemütsart, über ihre
Weise, sich zu kleiden etc. Ich nehme das Bild eben als Vergegen-
Wärtigung der Person, ich setze diese als Wirklichkeit und urteile
über die wirkliche Person. Ebenso beurteile ich sie durch Ge-
388 TEXT Nr. 15 (1912)

mütsprädikate, ich verhalte mich vor deren Ausdruck gefallend,


missfallend, ethisch wertend etc.
Endlich ebenso im symbolischen Vorstellen und Denken. Ich
höre eine Aussage über eine Person: Ich nehme sie objektiv als
5 Wahrheit und verurteile das darin ausgedrückte Verhalten der
Person: ohne dass ich Anschauung hätte.
Jetzt schliessen wir das Wirklichkeitsbewusst_
sei n aus: Es handle sich um blosse schlichte Phantasie oder
blosse eikonische Phantasie, oder biosses symbolisches Vorstellen
10 und Denken.
Nun, dann kann ich mich auch rein sachlich verhalten, näm-
lich ich vollziehe all die Akte in modifizierter Weise. In der Phan-
tasie stehe mir ein Mensch vor Augen, der einen anderen mordet:
Ich reagiere darauf mit einer Stellungnahme des Abscheus u. dgl.
15 Es ist aber ein modifizierter Akt. Ob wir nun Wirklichkeitsbe-
wusstsein vollziehen, die Stellungnahme des Glaubens (in irgend-
einem Modus), oder ob wir blosses Phantasiebewusstsein, volles
und leeres vollziehen: Die aktuellen Stellungnahmen, die synthe-
tischen oder schlicht thetischen, die wir dabei vollziehen auf dem
20 Grund des einen oder anderen Bewusstseins, sind keine ästheti-
schen.
Die Stellungnahmen sind hier sachliche, sie gehen auf die er-
fahrenen oder phantasierten Gegenstände und bleiben dieselben,
solange die Gegenstände und ihre gegenständlichen Zusammen-
25 hänge dieselben bleiben für das Bewusstsein.
Dieselben Gegenstände sind aber je nachdem in verschiedener
Erscheinungsweise, Vorstellungsweise bewusst. Ob der Gegen-
stand in der oder jener Orientierung erscheint, das ist für die
sachliche Stellungnahme, für die auf ihn, diesen identischen
30 Gegenstand, gerichtete, ihn "wertende" einerlei. Es ist aber
nicht ästhetisch einerlei. Ästhetische Wertung hängt wesentlich
zusammen mit dem Unterschied zwischen Bewusstsein eines
Gegenstandes überhaupt und Erscheinungsweise des Ge-
genstandes. Jeder Gegenstand, indem er bewusst ist, ist in einer
35 Erscheinungsweise bewusst, und die Erscheinungsweise kann ~s
nun sein, die ein ästhetisches Verhalten bestimmt, die eine em
ästhetisches Gefallen die andere ein ästhetisches Missfallen usw.
Es fragt sich nun' im besonderen Fall, welche Erscheinungs-
weise in Frage ist, wobei es nicht auf den isolierten Gegenstand,
TEXT Nr. 15 (1912) 389

~ondern eben den Gegenstand in dem Zusammenhang von Gegen-


ständen, in dem er bewusst ist, und den Erscheinungsweisen
dieses Zusammenhangs mitankommen wird. Und Erscheinungs-
weise besagt nicht nur die Weise der Darstellung bei äusseren
5 Gegenständen, und alle ähnlichen Unterschiede bei anderen
Gegenständen, sondern auch Unterschiede der Klarheit und Un-
klarheit, der Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, der Weise des
symbolischen Bewusstseins als bildlichen und nichtbildlichen
symbolischen Bewusstseins, der Weise der direkten Phantasie-
10 anschauung und der indirekten bildlichen Anschauung usw.
Ist nun der kardinale Unterschied der Gefühlsstellungnahmen,
die durch die Erscheinungsweisen durchaus bestimmt und durch
sie gar nicht bestimmt sind, festgelegt, so ergeben sich Fragen.
Einmal, trifft dieser Unterschied nur Gefühle? So haben wir doch
15 auch ein Hinsehen und Setzen von Gegenstand in seiner Er-
scheinungsweise. Gehört das hieher? Ferner: Wir haben nicht
nur die Gefühle des ästhetischen Wertens, sondern auch die in
uns als "Reaktion" geweckten Gefühle (oder quasi-Gefühle),
Furcht und Mitleid etc., die durch die Erscheinungsweise und
20 die durch dieselbe zunächst bestimmten Gefühle mitbeeinflusst
werden. Kurz, da gibt es noch Verschiedenes.
Vor allem aber die Frage: Worauf ist das ästhetische
Bewusstsein gerichtet? In ihm leben ist doch
Stellung nehmen, ästhetisch werten. Wenn ich ein
25 Drama lese, muss ich doch den dargestellten Personen, Hand-
lungen etc. zugewendet sein. Das gewiss. Aber verhielte ich mich
blo~s zu ihnen betrachtend und Stellung nehmend (wenn auch
modifiziert), so wäre das eben nicht mehr als eine beliebige andere
Phantasie. Die Erscheinungsweise ist aber Trägerin
30 von ästhetischen Gefühlscharakteren. In diesen lebe
ich nicht, die Gefühle vollziehe ich nicht, wenn ich nicht auf die
Erscheinungsweise reflektiere. Die Erscheinung ist Erscheinung
Vom Gegenstand, der Gegenstand Gegenstand in der Erscheinung.
Vom Leben im Erscheinen muss ich zurückgehen auf die Erschei-
35 nungund umgekehrt, und dann wird das Gefühl lebendig: Der Ge-
genstanderhält, wie immer erin sich selbst missfällig sein mag, wie
Immer ich ihn negativ bewerten mag, eine ästhetische Färbung um
der E r ~ c h ein u n g s we i se will e n, und die Rückwendung auf
die Erscheinung bringt das Ursprnngsgefühl zum Leben.
390 TEXT Nr. 15 (1912)

Das reicht aber noch nicht aus. Der Inhalt des Gegen-
standes selbst ist nicht ästhetisch bedeutungslos.
Es ist nicht gleich, ob es ein Kaiser ist oder nicht, ob ein bedeu-
tendes Schicksal oder ein alltägliches etc. Handelt es sich da um
5 ein Anklingen von Gemütswirkungen (Ehrfurcht, Ergebenheit)?
Aber auch anderes: Jede Gegenständlichkeit, die existentiale
Freude motiviert, oder, phantasiert, quasi-Freude. In sich ist
diese Freude nicht ästhetisch. Aber das ästhetische Gefallen, das
an der Erscheinungsweise hängt, kann sich mit dieser Freude (als
10 einer Aktualität) verbinden, und das Ganze hat den Charakter
einer erhöhten ästhetischen Freude. Stilleben. Das Wechselspiel
aktueller Freuden oder quasi-Freuden (an der Natur: Freude
über die fruchttragenden Obstbäume, Felder etc.) und Leiden
und sonstigen aktuellen Stellungnahmen ist aber selbst ein
15 Hauptstück wirklich ästhetischer Freude. Also auch das gehört
zur "Erscheinungsweise" . Dieser Titel befasst nicht bloss die
Weise der Darstellungen, sondern alle Weisen, wie die Gegen-
ständlichkeiten bewusst sind, sofern diese verschiedenen Weisen
eigene Gefühle, eigene Stellungnahmen begründen, die dann Ge-
20 fühle an den Gegenständlichkeiten sind um dieser Bewusstseins-
weisen willen.
Wir haben verschiedene Bewusstseinsweisen, in denen Gegen-
ständliches sich konstituiert, in denen es gegeben (und quasi ge-
geben) ist. Und wir haben Stellungnahmen zu diesem Gegebenen.
25 Wir haben aber auch die Bewusstseinsweisen und diese Stellung-
nahmen selbst: Sie bestimmen ihrerseits wieder mögliche Stel-
lungnahmen und bestimmen Gefühle und sonstige Akte, die zu
ihnen gehören. Und da erwachsen wieder Stellungnahmen zU den
Gegenständen, sofern sie in diesen oder jenen Weisen erscheinen
30 oder irgend in Bewusstsein verflochten sind.
Wie steht es nun mit dem ästhetischen Bewusst-
sein hinsichtlich seiner Unempfindlichkeit gegen
Sein und Nichtsein? Das Porträt dient mir als Vergegen-
wärtigung der Person: deren Beschreibung ist auch unempfind-
35 lieh gegen Sein und Nichtsein. Sie lautet gleich, ob die Person
eine wirkliche oder fingierte ist. Kümmere ich mich nicht um
Sein, vollziehe ich nicht die Seinssetzung, frage ich gar nicht da-
nach, so lebe ich in der biossen Vergegenwärtigung (ich schalte
die unmittelbare oder evtl. entgegenkommende Stellungnahme
TEXT Nr. 15 (1912) 391

aktuellen Glaubens aus), und ich vollziehe nun eine modifizierte


aktuelle Beschreibung. Das ist an sich kein ästhetischer Akt.
Und es ist auch nicht richtig, dass das ästhetische Bewusstsein \
auf das Erscheinende und so zu Beschreibende unangesehen von
5 Sein und Nichtsein gerichtet ist, sondern es ist darauf in der be-
treffenden "Erscheinungsweise" gerichtet. Nur die ist ästhetisch.
~ un ist es dafür freilich irre!evant, ob ich die Person als Wirklich-
keit nehme, wie wenn es sich um ein Porträt im eigentlichen Sinn
handelt, oder nicht. Das 'sagt, dass ich beim Leben im
10 äs th et ischen Bewuss ts ein nicht in der betreffen-
den Existenisetzung lebe, sie fundiert nicht das
ästhetische Bewusstsein, wie es das tut, wo es sich um
Freude, Liebe u. dgl. handelt. Also nicht das macht den Unter-
schied ästhetischer Gefühle von anderen, dass dieselben auf
J 5 bIo S S Vor ge s teilt es gerichtet sind, die anderen auf für
wirklich Gehal tenes.
Werte ich ästhetisch ein Wirklichkeitsbewusstsein, betrachte
ich z.B. die Na t u r ästhetisch, so bleibt sie für mich diese be-
stimmte Wirklichkeit. Ich lebe nicht im Wirklichkeits-
20 bewusstsein, das sagt nicht, ich schalte es aus durch übergang in
eine entsprechende "blosse Vorstellung", sondern es sagt, ich
lebe in Gefühlen, die durch die Erscheinungsweise, ausserdem
durch die oder' jene Bewusstseinsweise der Natur bestimmt sind
und in Hinblick auf diese "subjektiven" Gegebenheitsweisen und
25 im Übergang von der Objekt-Einstellung auf diese reflektive und
umgekehrt als Gefühlsbestimmtheiten des Gegenständlichen
selbst bewusst werden. Es kann dabei sein, dass der Wirklich-
keitsglaube selbst ästhetisch mitbestimmend ist: Aber es ist dann
der grosse Unterschied zu beachten: Liebe, Freude u. dgl. Gegen-
30 stands- (Wirklichkeits-) Gefühle gehen auf die Gegenstände, die'
wirklich sind, und derSeinsglaube fundiert das Gefühl. Er ist nicht
Objekt des Gefühls, trägt nicht zum primären Gefühlsobjekt als
bestimmendes Moment bei. Anders bei ästhetischen Gefühlen. Da
können Stellungnahmen verflochten mit Darstellungsweisen u. dgl.
35 in ein<; zu Objekten des Gefühls werden. Die Erscheinungsweise ge-
fällt, die Art und Weise, das Bewusstsein in einem Zusammenhang
Von kontrastierenden oder harmonierenden Stellungnahmen zu be-
wegen, gefällt oder missfällt, und das Gegenständliche dieser
Stellungnahmen dann nur "um dessen willen". So geht jedes
392 TEXT Nr. 15 (1912)

Wirklichkeitsgefühl auf einen erscheinenden Gegenstand durch


die Erscheinung hindurch, aber es ist etwas total anderes beim
ästhetischen Gefühl, das nicht durch die Erscheinung
hindurch, sondern auf sie hin geht und auf den
5 Gegenstand nur "um der Erscheinung willen".
Verwandt mit dem ästhetischen Gefallen ist das
theoretische Interesse. Die Freude an der Erkenntnis
etwa der mathematischen Erkenntnis: um der Schönheit de;
mathematischen Verhältnisse, Beweise, Theorien willen.
10 Es kommt aber noch folgendes in Betracht. Ich kann in der
Wahrnehmung als Kenntnisnahme leben, in der Beobachtung
etc., und dabei können schon die Erscheinungsweisen ihre Ge-
fühle erregt haben. Ich lebe aber nicht im ästhetischen Gefühl.
Bin ich in der ästhetischen Einstellung, so verlasse ich sie nicht,
15 wenn ich in das Wirklichkeitsbewusstsein der Natur übergehe,
da und dort neue Wirklichkeiten konstatiere, im durchlaufenden
Blick den unbestimmten Rahmen des Gesehenen mit Bestimmt-
heiten erfülle.
Das im Gefühl Leb e n ist doppeldeutig. Einmal besagt es die
20 Zuwendung. Hier die Zuwendung zur Erscheinungswelse im
ästhetischen Gefühl, das dadurch einen ausgezeichneten Modus
gewinnt. Das andere Mal besagt es die thematische Bevor-
zugung. Betrachte ich dü}' Natur und nehme ich von ihr fort-
schreitend Kenntnis, so kann darum doch das ästhetische Be-
25 wusstsein (obschon ich in ihm nicht zugewendet bin im ersten
Sinn) die thematische Bevorzugung haben. Die Wirklichkeit ist
nicht mein Bewusstseinsthema, sondern die Schönheit ihrer Er-
scheinungsweise, oder sie in der Schönheit ihrer Erscheinungs-
weise. Die Wirklichkeitserfassung, die Kenntnisnahme ist nicht
30 als solche thematischer Akt. Nur sofern sie durch Erscheinungs-
reihen hindurchführt, die ich in ihrer ästhetischen Wirkung ver-
koste. Die Erscheinungsreihen haben hiebei eine gewisse Aus-
zeichnung mitsamt ihren Gefühlen, ohne dass ich diesen Erschei-
nungsreihen immerfort aufmerksam und in Gefühlszuwendung
35 zugewendet wäre.
TEXT Nr. 15 (1912) 393

Nachtragt

Ich habe folgendes früher schon einmal bemerkt" aber dann


wieder ausgeschaltet: Man könnte ausführen: Wenn ein Gefühl
durch eine Erscheinungsweise, eine Darstellungsweise z.B. be-
5 stimmt ist, so ist das Gefühl impressiv da, wenn ich die Erschei-
nungsweise impressiv bewusst habe, etwa wenn ich wahrnehme
und das Objekt in der ästhetisch gefallenden Erscheinungsweise
perzeptiv bewusst ist. Lebe ich in einer parallelen Reproduktion,
so muss die reproduzierte Erscheinung auch das reproduktive
10 ästhetische Gefühl tragen. Aber nun gilt das Gesetz, dass ich
dann auch ein gleichstimmiges akt u elle s ästhetisches Gefühl
erlebe. Ich habe nicht nur die Reproduktion eines Gefallens an
dieser Erscheinung (der reproduzierten) bzw. am Phantasie-
gegenstand als so erscheinendem, sondern ein wirkliches ästhe-
15 tisches Gefallen wieder an dem phantasierten Gegenstand als I
phantasiehaft so erscheinendem.
Dieses ästhetische Gefallen ist aber modifiziert, wird man
sagen, und gehört in die Reihe der modifizierten und d 0 c h a k-
tue 11 enGefühle, die <die> Phantasie erregt als Parallelen der
20 Gefühle, die <die> Wahrnehmung, Impression erregt.
Indessen 2 scheint es hier sich doch noch anders zu verhalten.
Die ästhetische Freude als die am phantasierten Gegenstand, so-
fern er in der phantasierten Erscheinung erscheint, ist modifi-
ziert. Aber ist die Phantasie selbst nicht auch etwas in die Er-
25 scheinungsweise Hineinzuziehendes, und ist nicht eine Phantasie
als Phantasie von einem ,in schöner Erscheinung Erscheinenden
etwas Gefälliges? Indessen, das ist doch nicht mehr ästhetische
Freude, sondern aktuelle Freude an der Phantasie als Erlebnis
solchen Inhaltes. Geht nicht auch eine modifizierte Freude an
30 einer Phantasieherrlichkeit in eine wirkliche Freude über wenn
ich den Genuss dieser modifizierten Freude nehme? Das Erleben
modifizierter Freude ist selbst ein aktuelles Vergnügen.

1 Vgl. oben, S. 385f. _ Anm. d. Hrsg.


2 Der Text dIeses Absatzes wurde von. Husserl, vielleicht schon zur Zeit der Nieder-
schnft, gestnchen. - Anm. d. Hrsg.
394 TEXT Nr. 15 (1912)

<i) Ergebnis der bisherigen Untersuchung: Allgemein sind zu schei-


den: I) wirkliche, durch die Phantasieunterlage modifizierte Stel-
lungnahmen, 2) Modifikation aller Stellungnahmen in Ansätze
(und) in ein Sich-denken - Frage, wie Ansätze zu sonstigen
5 Stellungnahmen stehen - Einbildung gegenüber Erfahrung _
Leitgedanken für die vertiefende F ortführung: Wahrnehmung als
doxischer Akt, reproduktive doxische Akte, völlig freie Phantasie
und die Phänomene des Zusammenstimmens und Widerstreits in
der Einheit einer Erscheinung bzw. im intentionalen Zusammen-
10 hang - Kontrast einer Wahrnehmung mit einer Illusion>
(12. April 1912)

Das Ergebnis der Untersuchung vom 9. April 1912 hat mich


zu einem Neuen geführt. Ich muss es jetzt als gesichert zuge-
stehen, dass wir allgemein scheiden müssen:
15 1) Die Modifikationen von stellungnehmenden Akten, die sich
auf dem Grund einer blossen Phantasie bewegen oder einer be-
liebig fingierenden (auch eikonischen) Phantasie; im letzteren
Fall, wenn die negative Stellungnahme ausser Ansatz bleibt.!
Das sind wirkliche Stellungnahmen, aber durch die Phantasie-
20 unterlage modifizierte.
2) Die Modifikationen, die alle Stellungnahmen erfahren kön-
nen in Ans ätz e 2 , in ein Sie h-d e n k e n. Das Ansetzen hat die
Eigentümlichkeit, dass es zu etablieren ist auf dem Grund ak-
tueller Stellungnahmen (modifizierter oder unmodifizierter), aber
25 ebensogut auf dem Grund (Boden) eines Vollzugs von puren
Phantasien, aber doch wieder nicht puren.3 Auch jeder Ansatz,
der sich rein in der Phantasie hält (auf sie bezieht), ist Modifi-
ka tion eines Ansatzes, wie bei allen Akten. Aber jede reine
Phantasie lässt sich in B e z i e h u n g set zen zur Wirklichkeit.
30 Angenommen, dieser Zentaur existierte etc., da versetze ich den
Zentauren in den Zusammenhang der Wirklichkeit, ich phanta-
siere in <die> Wirklichkeit hinein (sei es in die Wahrnehmungs-
wirklichkeit oder in die Erinnerungswirklichkeit). Das ist ein
1 Aber dann auch bei jedem Fiktumbewusstsein selbst, Scheinbewusstsein an-
schaulicher Art bei Ausschaltung der Stellungnahme.
2 Spater eingefugt: "und". - Anm. d. Hrsg. "
3 "aber doch wieder nicht puren" später verändert in "in Relation dazu . -
Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 395

Grundfaktum, dass sich jede beliebige Phantasie in jede beliebige


Wirklichkeitsanschauung hineinsetzen und zu einer mit Wider-
streit behafteten Anschauung verbinden lässt. Sowie wir der- \
gleichen Mischungen haben, können beziehende Stellungnahmen,
5 die nun nicht mehr modifizierte sind, zwischen Wirklichem und
Phantasiertem Brücken schlagen. Ich kann vergleichen, unter-
scheiden, ich kann beziehend werten, ich kann auch beziehend
ansetzen.
3) Es ist jetzt zu erforschen, wie Ansätze zu sonstigen Stellung-
10 nahmen stehen. Offenbar haben Ansätze eine eigene Position in
jeder Klasse von Akten. Ansetzen, Sich-denken ist nicht im spe-
zifischen Sinn Stellung-nehmen. Ich hatte also, wenn ich gegen-
überstellte Axiosen und lnaxiosen, Ansätze im Auge. l Wir sehen
aus dem Vorigen, dass die Modifika tion, welche der Vollzug
15 von Akten erfährt, wenn als Untergrund blosse Phantasie dient,
in gleicher Weise Axiosen und Inaxiosen 2 trifft. Und da ist schon
zu sehen, dass das Wesen der biossen Phantasie3 nicht in der
Inaxiose4 in dem jetzt geklärten Sinn bestehen kann. Und ebenso,
dass der Unterschied der biossen Phantasie zu allen Formen des
20 reproduktiven Wirklichkeitsbewusstseins (erfahrende-nichter-
fahrende Phantasie) nicht im Hinzutreten von Stellungnahmen
be"tehen kann. Jede blosse Beziehung von aktuellen Stellung-
nahmen auf bloss Phantasiert es schafft modifizierte Stellung-
nahmen. Wir können allgemeiner von erfahrenden5 und
25 nie h t er f a h ren d e n 5 Stellungnahmen sprechen und so die
Modifikation bezeichnen. Nur vorläufig, da der Ausdruck seine
Bedenken hat.
4) Demnach ist die Frage zunächst in der untersten Stufe, was
das Erfahren6 vom Nichterfahren unterscheidet, was das
30 in unterster Stufe für eine Modifikation ist, die eine "Erinnerung".

1 Der letzte Satz wurde spater wie folgt verändert: ,,(Ich hatte also, wenn ich
gegenuberstellte Axiosen und Inaxiosen. Neutralisierung im Auge??)". Wohl gleich-
zeitig bemerkte HusserI am Rande: "Neutralitat und Ansatz ist zu sondern". -
Anm. d. Hrsg. I

2 "InaxlOsen" später verandert in "Ansatze". - Anm. d. fIrsg.


3 Spater emgefugt: "und setzungslosen Anschauung uberhaupt". - Anm. d.
Brsg.
4 "InaxlOse" spater verandert in" Ansatz". - Anm. d. Hrsg.
o lJber "erfahrenden" und "nichterfahrenden" später eingefugt: "positionalen"
bzw. "mchtposlhonalen". - Anm. d. Hrsg.
6 Erfahren = positionales Anschauen, Vorstellen.
396 TEXT Nr. 15 (1912)

in eine "blasse Phantasie" verwandelt. (Wobei wir nicht an MöO"-


b
lichkeiten wirklicher Verwandlung denken.)
Ich komme zum Resultat, dass blosse Phantasie eine letzte und
ganz ursprüngliche Modifikation ist. Also es besteht nach idealer
5 Möglichkeit zu jedem erfahrenden! Akte eine solche Modifikation.
Aber soviel ich sehe nur einseitig. Erfahrende Akte sind entweder
Wahrnehmungen oder auf Wahrnehmungen gebaute Akte (Stel-
lungnahmen oder Inaxiosen) höherer Stufe. Jeder solche hat sein
ideales Gegenstück in einem Phantasie-Erfahren, deutlicher 2 , in
10 einer erfahrenden Phantasie, einer Erinnerung im weitesten Sinn
und mit verschiedenen möglichen Modis. Nur jede erfahrende
Phantasie hat ihr Gegenstück in nicht-erfahrender. Bei Wahr-
nehmungen sehe ich keine Möglichkeit, Erfahrung in Nicht-
erfahrung zu verwandeln. 3

15 Einbildung gegenüber Erfahrung

Wohl zu beachten ist: 4 Eine blosse Phantasie5 kann


nicht etwa zu einer erfahrenden dadurch werden,
dass eine Stellungnahme hinzutritt. Stellungnah-
men, die zum Phantasierten (bloss Phantasierten)6 hinzu-
20 treten - man gestatte diesen schiefen Ausdruck - ergeben
immer wieder nur modifizierte Akte, nicht erfahrende im weiteren
Sinn, niemals aber ein Erfahren. Schon nicht das schlichteste Er-
fahren etwa der Erinnerung. Die Erinnerung ist nicht blasse
Phantasie +
Stellungnahme. 7 Schlichtes Erfahren ist eben etwas
25 Eigenes, Letztes, Einfaches, und näher, schlichtes reproduktives
Erfahren, und ebenso ist in der Sphäre der Reproduktion dies
ein Letztes, dass dem schlichten Erfahren das schlichte "Phanta-

1 Über "erfahrenden" später eingefügt: "positionalen". - Anm. d. Hrsg.


2 "Phantasie-Erfahren, deutlicher" spater gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
3 Später eingefilgt: "Aber wohl nur aus Ungeschicklichkeit". - Anm. d. Hr~g.
4 Etwas nachträglich eingefugt: "Nennen wir blosse Imagination jeden nicht-
erfahrenden Akt in der Sphäre der schlichten Anschauung (also = blasse reproduk-
tive Imagination + blosse perzeptive Imagination: ersteres nennen wir Phantasie als
bloss~ Phantasie)". -:- Anm. d. Hrsg. _. ... ., " d.
5 Uber "PhantasIe" etwas nachtraghch emgefugt: "ImagmatIOn . - Anm.
Hrsg. ..
6 Über "bloss Phantasierten" etwas nachträglich eingefügt: "bloss Imaginierten
- Anm. d. Hrsg. _. .. ., neh-
7 Über dem letzten Satz etwas nachtraghch emgefügt: "Ebenso 1St dIe Wahr
mung nicht blosse Perzeption + Stellungnahme". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 397

sieren" als biosses Phantasieren <gegenübensteht, das als solches


aber kein Fingieren im' Sinn eines Nichtigkeitsbewusstseins ist.
Erst wenn wir das Phantasma auf die Wirklichkeit beziehen,
ansetzen als Glied der Wirklichkeit, wird es zur Fiktion in
5 die sem Nichtigkeitssinn. Ebenso wird eine perzeptive Imagi-
nation, ein imaginativer Schein, der keine aktuelle Erfahrungs-
tendenz hat, wie ein gewöhnliches Bildfiktum, erst durch ein
Ansetzen zum Nichtigen. 1
5) Alle auf schlicht erfahrende sich gründenden Stellungnah-
10 men sind selbst erfahtende 2, sind selbst Intentionen, sind selbst
gegenstandskonstituierend, und das Erfahren, das ist3 Glauben',
Gewiss-sein, Anmutung-empfinden, Vermuten etc. "Glaube" ist
nichts weiter als erfahrende Intention. 4
In einer anderen Linie liegt die zu jeder Stufe der wirklichen
15 Intention, des wirklichen Erfahrens im weitesten Sinn gehörige
Möglichkeit von Explikation, Kollokation, Relation, Ausdruck,
Prädikation etc. Alle Akte sind eben5 objektivierende6 • Anderer-
seits, Objektivation im besonderen Sinn ist die Spontaneität des
Spiels von Erfassungen, Verknüpfungen, Beziehungen usw., ein
20 Gebiet von spontan sich erzeugenden Formen für die Akte, die
eine eigene Stellung haben als intellektive.

*
Wir müssen nun aber unsere Untersuchung weiter fortführen
und vertiefen.
Lei t g e dan k e n. 1) Wahrnehmung ist ein doxischer Akt. Was
25 sagt das? Es ist eine Einheit der "Intention", die selbst wieder
ein Gewebe von "Intentionen" ist. 7 Etwa die die Dinge konsti-
tuierenden Intentionen. Die Intentionen sind frei sich ausleben- .
de, in ihrem intentionalen Zusammenhang einstimmig zusam-
1 Er f a h rUn g ist aber kein brauchbarer Ausdruck für die unmodifizierten Akte,
fur das Gegenstuck zu Einbildungsakten im weitesten Sinn. Und Einbildung ist auch
bedenkhch.
NQctlsch - anoetisch.
2 Spater eingefugt: "positlonale". - Anm. d. Hrsg.
3 Spater emgefugt: "implicite". - Anm. d. Hrsg.
4 Spater eingefugt: ,,(Glaube als Urteil ist aber spontane Erfassung, Beziehung
etc.)". - Anm. d. Hrsg.
5 Spater eingefugt: "in gewissem Sinn". - Anm. d. Hrsg.
6 Spater emgefugt: ,,(Gegenstand konstituierende)". - Anm. d. Hrsg.
7 Ellle Emheit positionaler und ursprünglich passiver Intention.
398 TEXT Nr. 15 (1912)

mengehende, oder sie erfahren Hemmung, Widerstreit. Und der


Widerstreit kann innerhalb der Einheit einer Erscheinung liegen
(die unter sich eine widerstreitende hat), oder er kann im Fort-
gang des vVahrnelunungszusammenhangs hervortreten: Es fin-
5 det eine Umwertung der früheren Wahrnehmung bzw. Auffassung
statt. In der Erinnerung erhält sie den Charakter der Unstimmig-
keit. Damit kommen wir schon zur Erinnerung.
2) Die reproduktiven Akte, diejenigen, die ebenfalls "doxische"
sind, auf "Wirklichkeit" bewusstseinsmässig bezogene, sind re-
1D produktive Intentionen! (ein besonders prägnanter Ausdruck,
wie er hier verstanden ist 2). Die reproduktiven Intentionen sind
natürlich nicht die reproduzierten. Reproduziert sind evtl. alle
möglichen Vorkommnisse der Impression. Die reproduktiven In-
tentionen können wieder in ihrem Zusammenhang stimmen. In
15 der Einheit eines Komplexes, einer "erfahrenden" Phantasie,
können Zusammenstimmungen statthaben, und es können Wi-
derstreite im Fortgang der Reproduktionen, etwa in der Reihe
von Erinnerungen, erfolgen. Es können aber auch innere Un-
stimmigkeiten stattfinden: Z.B. ich phantasiere mir einen Zen-
20 tauren in die Erinnerungslandschaft (die ich heute begangen
habe), oder ich phantasiere mir da hinein eine bekannte Person
aus einem anderen Zusammenhang. Also Analogien mit Hinein-
phantasieren von Vergegenwärtigungen oder biossen Phantasien
in eine wirklich wahrgenommene Umgebung, oder Fälle des Fik-
25 turns. Widerstreit zwischen Bildobjekt und Marmor. Wieder
analoge Fälle: widerstreitende Kombination von Wahrnehmun-
gen Puppe-Mensch, oder ein von mir zu wenig berücksichtigter
Fall: "Doppelbilder", jedes als Wirklichkeit eines Dinges be-
wusst, aber streitend mit Hintergrund etc.
30 3) Völlig freie Phantasie - in sich einstimmig - und daneben
in sich völlig einstimmige Erinnerung und ebenso einstimmig mit
aller Umgebung, die zur Anschauung "gehört". Die einstimmige
Erinnerung hat ihre Zeitumgebung ; durchlaufend, die Zeitinten-
tionen zur Erfüllung bringend, stimmt alles. Ebenso wie eine ein-
35 stimmige Wahrnehmung stimmt, wenn ich die "Zusammenhänge
der Koexistenz" zur Einlösung bringe.
Ist aber eine blosse Phantasie, eine "freie", ein F i k tu m?
1 Über "Intentionen" später eingefugt: "Positionalitäten", - Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefugt: ,,= erfahrende". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 399

Eine erfahrende Phantasie gibt dem Erfahrenen den Charakter


der Bekanntschaft. Der stammt aus der inneren Reproduktion \
mit ihrem inneren Zusammenhang. Eine wiederholte Phantasie
hat auch Bekanntheitscharakter. Aber hier gehört der Bekannt-
5 heitscharakter zum Phantasieerlebnis, er stammt nicht aus der
inneren Reproduktion der Wahrnehmung des Phantasierten,
sondern aus der inneren Reproduktion der Wahrnehmung der
Phantasie. Also der Zentaur, den ich wiederholt phantasierte, ist
im anderen Sinn bekannt, nicht eigentlich er, sondern sein,
10 "Phantasiebild" ist bekannt. Ein mittelbarer Charakter der Be-
kanntheit eignet aber wieder in anderer Weise dem Gegenständ-
lichen der Einfühlungs-Reproduktion. Die blosse Phantasie gibt
dem Phantasierten unmittelbar nichts von Bekanntheit. Blosse
Phantasie ist eben keine "Intention"l, sondern Gegenstück von
15 Intention, quasi-Intention (und das ist nicht zu verwechseln mit
Modifikation des Ansetzens, der Inaktualität2). Und merkwürdig
wäre es, dass diese quasi-Intention, die nichterfahrende, nur ein
Gegenstück zur erfahrenden Reproduktion ist. Das ist aber nicht
der Fall. Jedes echte Bild, 'perzeptives Bild, ist quasi-Auffas-
20 sung und nicht etwa Intention, nur herabgedrückt.

*
Kontrastiere ich' eine Wahrnehmung mit einer Illusion, so
tritt hervor der Unterschied zwischen "seiend" und "nicht-
seiend" , und es hebt sich zugleich ab der als "seiend" charakteri-
sierte Gegenstandsinhalt, der "Gegenstand" und dieser Charakter
25 selbst. W::ts heisst das nun, es hebt sich ab? Was heisst das, ich
sehe nun bald auf den "Gegenstand" hin und bald auf das
Seiend? Was ist das für ein "Hinsehen"? Es ist doch ein anderes -
Bewusstsein, einfach wahrzunehmen und den seienden Gegen-
stand, den Gegenstand schlechthin <zu> erfassen, und ein anderes,
30 auf den "Gegenstand" unterscheidend <zu> achten und an ihm
den Charakter "seiend" zu erfassen. Es liegt nahe zu sagen: In-
dem ich auf den Gegenstand hinsehe, vollziehe ich nicht das
Wahrnehmen, sondern ich "stelle mir den Gegenstand bloss
vor", 3 das ist die Modifikation des Glaubens; indessen, ich er-
1 Uber "keme Intention" später eingefugt: "nicht positional". - Anm. d. Hrsg.
2 "der Inaktuahtat" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
3 Ferner: Was soll das bloose Vorstellen denn da leisten?
400 TEXT Nr. 15 (1912)

fasse hier doch den "Gegenstand" und erfasse die ihm zukom-
mende Charakterisierung "seiend" oder "mchtseiend" u. dgl. und
sage etwa aus: Dieser Gegenstand ist wirklich, dieser Gegenstand
ist nicht.
5 Ist es daher nicht notwendig zuzugestehen: Ein neues, mit dem
Wahrnehmen verwandtes Erfassen, eine' neue Intention richtet
sich auf den Inhalt, der da Gegenstand in Anführungszeichen
heisst, eine "Reflexion" auf den Inhalt, auf den "Gegenstand",
und dieser wird zum Subjekt eines axiontischen Prädikats? Den
10 "Gegenstand", das Vermeinte kann ich analysieren nach dem,
was er enthält, ich kann ihm aber auch einen "Wert" erteilen,
wodurch all diese explizierenden Urteile Wertung erfahren.
Ode r sollen wir sagen: Sich-denken ist von vornherein dieses
Erfassen, den Blick auf den blassen Inhalt unter Ausschluss des
15 Wertcharakters richten? Dieses Blick-richten ist nicht ein wirk-
liches Erfassen, wirkliches Wahrnehmen oder Analoges, sondern
ein quasi-Erfassen, wie auch alle Explikationen quasi-Explika-
tionen sind, alle Prädikationen quasi-Prädikationen, und das
Eigentümliche dieses quasi ist, dass nun all dem der "Stempel der
20 Gültigkeit" erteilt werden kann oder der. Stempel der Ungültig-
keit etc. Vom Nichtvollzug der Wertung oder vom modifizierten
Vollzug gehe ich in den unmodifizierten über, und in der Deckung
erhält das modifizierte Korrelat den umwertenden oder vielmehr
eigentlich erst wertenden Charakter des "seiend", des "wahr".

25 Das ist unklar: Ich vollziehe ein Erinnern des Inhalts A: Ich
vollziehe die setzende Erscheinung. Ich vollziehe ein bIosses Vor-
stellen des Inhalts A, d.i. ich vollziehe das setzungslose Erschei-
nen. Beiderseits bin ich auf den Inhalt A gerichtet und vollziehe
das charakterisierende Setzen oder quasi-Setzen. Dagegen re-
30 flektiere ich, indem ich das A zum Gegenstand mache (womit ich
ein ideierendes Setzen vollziehe).
TEXT Nr. 15 (1912) 401

<j) Schlichtes ungehemmtes Wahrnehmen als doxisches U rphäno-


men in der Sphäre der schlichten Anschauungen; hier kann "Glaube"
nicht in blosses "Sich-denken" verwandelt werden; Glaube als Per-
zeptwn im Urmodus bzw. als Modus des ungehemmten Vollzugs
5 auch bei synthetischen Akten - Ht'neinphantasieren in den Zu-
sammenhang der Wahrnehmungsmannigfaltigkeit als Weg zur
quasi-BestreItung der Wahrnehmung - Modale Abwandlungen
der Wahrnehmung selbst im Zusammenhangsbewusstsein -
Schwterigkeit für die Durchführung der vorgetragenen Auffassung
10 bei den: Phantasien>
I , (12. April 1912)1

Das schlichte Wahrnehmen bietet sich nicht 2 als ein


geschichtetes Phänomen; in dem wir scheiden könnten ein Phä.:
nomen des Stellungnehmens und ein Phänomen, in dem sich das
15 konstituiert, wozu Stellung genommen ist.3 Stellen wir das Wahr-
nehmen gegenüber dem Bewusstsein eines Scheins oder dem Be-
wusstsem eines perzeptiven Zweifelns, Schwankens zwischen zwei
Auffassungen, oder der Entscheidung für ein Glied solcher Zwie-
spältigkeit sich aufhebender Auffassungen, so sagen wir uns:
20 "Dieselbe Erscheinung", die einmal im Modus des ungehemmten
Glaubens bewusst ist, ist das andere Mal im Modus der Zweifel-
haftigkeit, der Nichtigkeit u. dgl. beWUsst. Aber wir finden doch
einen wesentlichen Unterschied in der Weise, wie die Charaktere
beiderseits auftreten. Im Fall der/Wahrnehmung haben wir nicht
25 einen sich abhebenden eigenen Charakter wie im Fall der Zweifel-
haftigkeit, die sich "expliziert" als ein Zusammenhangscharakter
eigener Art, oder der Nichtigkeit. Im letzteren Fall tritt zu der
Erscheinung etwas hinzu, etwas, das ihr was antut, was um-
wertet, entwertet. Die Erscheinung ist dieselbe wie im Fall der
30 Wahrnehmung, und das Wahrnehmungsmässige. hat sie eigent-

1 IntentIon he ISSt in diesen Blättern Positionalität! Gegenüber Neutralität.


2 Etwas nachtraghch eingefugt: "ebenso". - Anm. d. Hrsg.
3 Etwas nachtraghch eingefugt: "wie etwa im Fall einer Gemütsstellungnahme, ja
schon elUer modahslerenden Stellungnahme. Allerdings, verstehen wir unter Wallr-
nehmen das spontane Slch-z u wen den, das spontane den in Semsweise erscheinen-
den Gegenstand E rf ass e n (in der' AUfmerksamkeit'), so haben wir naturlich zu
unterSCheiden, obschon nicht als eine Verbindung von zwei zusammenkommenden
Sachen, Zuwendung und Materie der Zuwendung, das Was der Zuwendung, Seins-
elfassung und Materie der Seinserfassung". - Anm. d. Hrsg.
402 TEXT NI. 15 (1912)

lieh noch: nur alteriert, umgewertet. Das ist sehr schwer auszu-
drücken. Man kann vielleicht sagen, die Erscheinung als Gegen-
wärtigungserscheinung von dem und dem1lässt in diesen Gegen-
überstellungen einen abstrakten Charakter wohl hervortreten
5 dessen Alteration ein Wesen 2 ungeändert lassen kann. Dieser ab~
strakte Charakter3 gehört zu ihrem Wesen unabtrennbar: nur
dass er in gewissen Zusammenhängen des Bewusstseins etwas er-
leiden kann, ein Bestrittenwerden, ein sich dagegen Entscheiden
oder dafür Entscheiden usw.
10 Tritt4 die perzipierende Auffassung in solch einen Zusammen-
hang und erfährt sie da etwa "Hemmung", so gewinnt sie die
Charakter-Modifikation, aber zugleich ist offen oder im Dunkeln
etwas da, wovon diese Umwertung oder Bewertung ausgeht: Die
Modifikation ist als Modifikation gekennzeichnet, und gekenn-
15 zeichnet als Modifikation, die von dem oder jenem "Motiv" aus-
geht. Der Wahrnehmungsglaube in der schlichten Wahrnehmung
ist andererseits nicht seinerseits wieder charakterisiert als von etwas
ausgehend, durch etwas motiviert und gar als Modifikation von
etwas. (Drückt sich das nicht auch aus sprachlich, dass wir im
20 schlichten Glauben urteilend einfach ausdrücken, während wir
besondere Ausdrücke haben, und kombinierte, "vermutlich ist",
"zweifelhaft ist", etc. ?) Im Wahrnehmen erscheint etwas schlecht-
hin, es steht als seiend da, heisst nicht, dass es durch irgend etwas
als Seinsmeinung motiviert ist. Im perzeptiven Vermuten steht
25 etwas als vermutlich seiend, ebenso als möglich seiend, zweifelhaft
seiend da. Die kombinierten Ausdrücke weisen alle hin auf den
Normalfall des schlichten Glaubens.
Es stellt sich auch bald heraus, dass der Fall der ursprüng-
lichen Wahrnehmung, der schlichtesten ungehemmten Wahr-
30 nehmung auch insofern der fundamentale ist, als jedes andere
perzeptive Bewusstsein in seinem Zusammenhang Glaubens-
1 Etwas nachträglich eingefugt: ,,·Wirklichen"'. - Anm. d. Hrsg.
2 Etwas nachtraglich eingefugt: ,,(die 'Materie')". - Anm. d. Hrsg.
3 Etwas nachträglich eingefugt : ,,(Wirklichkeitssetzung, Position)". - Anm. d.
RIsg.
4 Nota. Die grosse Schwierigkeit ist hier, in klarer Weise Rechnung zu tragen dem
Unterschied zwischen spontanen Stellungnahmen und den zuständlich~n Cha-
rakteren die in gewisser Weise schon vor der Spontaneitat dem Phanomen eIgen selD
können ~nd auch je nach der Stufe der Spontaneitat auch noch zustandliche Färbun-
gen verbleiben, wahrend schon Spontaneitat vollzogen ist. Ich bin schon zugewendet,
ich nehme aber nicht als gewisse Wirklichkeit, ich bin nicht ganz sicher, ohne dass
ich explizierend das Pro und Kontra auseinanderlegen wUrde ete.
TEXT Nr. 15 (1912) 403

bewusstsein voraussetzt, als den Boden, von dem alle Wertung und
Abwertung ausgeht. I

Den Glauben müssen wir darum doch als Axiose bezeichnen,


es ist die Uraxiose, auf die alle anderen als Hemmungen, Um-
S wertungen, Modifikationen bezogen sind.
1\1it seiner Sonderstellung hängt auch folgendes zusammen:
Die Auffassung, die Erscheinung ändert bei all den Modifikati-
onen ihr Wesen nicht: nur ihren axiontischen Charakter, der
nichts Danebenliegendes, sondern ein Modus der Auffassungs-
10 intention ist.
Handelt es sich nun 'nicht um den Fall des ursprünglichen, frei
sich auslebenden, ungehemmten' Glaubens, vielmehr um einen
der anderen Fälle, so kann es etwa sein, dass die Auffassung, die
zunächst Auffassung eines Dinges als Wurst war, sich wandelt
15 in Auffassung als Martipan. Die Auffassung des Dinges als
"Wurst" ist "durchgestrichen", entwertet durch die Auffassung
als Marzipan, für die ich mich "entscheide". Ich kann nun die
Marzipan-Auffassung "ausschalten", ich sehe von ihr ab und be-
trachte die erscheinende Wurst und' denke mich ganz in diese
20 Auffassung hinein: Das',,~usschalten" besagt nicht bloss das die
Wurst Betrachten: Schalte ich nicht aus, halte ich die Marzipan-
Auffassung fest, so habe ich das lebendige Bewusstsein der Nich-
tigkeit, die Wurst ist durchstrichen. Und der Strich ist ein leben-
dig vollzogener. Schalte ich aber aus, so ist damit der Strich in
25 gewisser Weise ausgeschaltet. Ich habe also gleichsam die Wahr-
nehmung einer Wurst: als ob die Gegeninstanz nicht entwertete.
Aber freilich nur gleichsam. Denn die Ausschaltung ist nicht
eine wirklIche Beseitigung. Der Strich ist noch da, ich tue nur so,
als ob er nicht da wäre, ich nehme auf ihn keine Rücksicht. Ich
30 vollziehe also ein quasi-Wahrnehmen, ein eigenes, in diesem Zu-
sammenhang mögliches Bewusstsein. Ich nehme das als Wurst
hin, ich habe nicht ein wirkliches Wahrnehmen, ich glaube nicht
ernstlich. Aufgehoben bleibt aufgehoben. Aber ich denke mir das.
Natürlich kann ich dasselbe tun, wo ein Zweifel vorliegt zwischen
35 zwei Möglichkeiten. Und so, wie immer die Glaubensintention
durch dergleichen Tendenzen gehemmt sein mag. Ich lebe nicht
in der Hemmung, sondern ich schalte das Hemmende aus und
vo!lziehe nun eine Modifikation der Glaubensauffassung : ein Be-
wusst~ein, das weder Glauben ist, noch herabgestimmtes oder
404 TEXT Nr. 15 (1912)

durchstrichenes Glauben, sondern ein Sich-denken. Ich kann


mich den Gegentendenzen zu Trotz unter näher zu beschreiben_
den Umständen für die eine Seite entscheiden.!
Also bei einem schlichten Glauben, hier bei einem schlichten
5 Wahrnehmen gibt es das nicht. 2 Den Glauben, der nicht bestrit-
ten ist, kann ich nicht in diesem Sinne umwandeln.
Aber freilich kann ich in den Zusammenhang der Wahrneh-
mungsmannigfaltigkeit, in den Umgebungszusammenhang aller-
lei hineinphantasieren und eine Einheit der Anschauung
10 bilden, welche die gegebene Wahrnehmung mit den umphanta-
sierten Bestandstücken der Umgebungswahrnehmungen zu-
sammenfasst. 3 Und auf diesem Wege kann die Wahrneh-
mung quasi bestritten werden bzw. das Sein des Wahrgenom-
menen oder das Sosein, das weisses Papier Sein u. dgl. Wir kön-
15 nen sicherlich sagen, dass jede Wahrnehmung, als begrenzte
Wahrnehmung, mit ihrem eigenen phänomenalen Gehalt so ein-
gewoben sein kann in Zusammenhänge, dass "ein Sich-denken",
ein modifiziertes Wahrnehmen genau dieses Erscheinungsgehaltes
apriori möglich ist. (Das genügt jedenfalls, um die Möglichkeit
20 von prädikativen Gedanken jeder Art zu begründen, die sich auf
schlichte Anschauungen schliesslich zurückführen müssen.)
Aber wenn wir eine ursprünglich ungehemmte Wahrnehmung
nehmen, in ihrem mit ihr durchaus einstimmigen Umgebungs-
zusammenhang, genau so, wie sie ist, abgesehen von Klarheits-
25 unterschieden, dann können wir, ohne das Anschauungsmaterial

1 Der Text wurde unter Anknüpfung an den letzten Satz etwas nachträglich wie
folgt ergänzt: "Es ist hier ergänzend zu bemerken: Ich kann mich den Gegentenden-
zen zu Trotz unter näher zu beschreibenden Umständen für die eine Seite entscheiden.
Nun glaube ich wieder, ich glaube nicht schlicht, sondern in der Weise der E n t-
scheid ung für. Dann wird der Gegencharakter in anderer Weise ausgeschaltet. Er
wird entwertet, wird als nicht-gultig verworfen, nicht als wertender zugelassen. DIese
Fälle scheiden wir hier aus. Es soll sich ni c h t um ein zustimmendes Entscheiden,
Parteinehmen-fur handeln, und nicht um ein wirkliches Zu-Kratt-Kommen der ge-
hemmten Glaubenstendenzen durch Entwertung der Gegenhemmung; diese .blel~t
vielmehr, was sie war, ohne Entwertung, ohne Preisgabe. Ich tue nur so, als ware SIe
nicht wirksam, ich abstrahiere von ihr, und, mich in das Durchstrichene einlebend,
tue ich demgemäss, als glaubte ich: Ich denke mich ins Glauben hinein, ich glaute
nicht, das da sei, ich halte es nicht für wirklich seiend, ich nehme es hin, als ware es
seiend. Ich denke es bloss, steHe es bloss vor. Ich kann mir auch denken: An~e~,om­
men, die Gegeninstanzen beständen nicht, ich durchstreiche sie ausnahmswelse
Anm. d. Rrsg. "
a Etwas nachträglich eingefügt: "was hier als Sich-denken beschrieben wurde . -
Anm. d. Rrsg.
a Genau dasselbe gilt von der schlichten "Erinnerung".
TEXT Nr. 15 (1912) 405

zU ändern, nicht den "Glauben" in bIosses "Sich..denken" ver-


wandeln. Die freie Spontaneität kann mancherlei auf dem Grund
der Passivität der Anschauungen bzw. der "Vorstellungen" lei-
sten. Eine solche Leistung ist im Fall der Durchsetzung und
5 Hemmung von Vorstellungen das Ausschalten und sich in das
eine Glied als quasi-Glaube Hineindenken. Eben solche Glaubens-
modifikationen können aber, nicht begründet werden, wo das
Vorstellungsmaterial eine einzige schlichte Einstimmung der An-
schauungen ist.
101m übrigen ist der Ausdruck S tell u n g nahme für alle diese
Fälle nicht gut. Wir haben es mit Anschauungen' und ihren
axiontischen Charakteren zu tun, die vor aller Spontaneität da
sind, oder angelegt sind.1 Sagen wir also Axiosen und Anaxiosen,
und zwar doxische. z, e

15 Also 3 schlichte Wahrnehmung ist in der Tat das allerschlichte-


ste. Es ist das doxische Urphänomen in der Sphäre der schlichten
Anschauungen,' es ist nicht das umgewertete, abgewertete, im
Wert herabgedrückte Phänomen, und jeder "Wert" ist entweder
Urwert oder modifizierter Wert. Auch die Modifikation der In-
20 axiose ist Modifikation: nur eben nicht mehr Axiose. Das sagt,
es ist gar kein "Werten" mehr, sondern quasi- Werten.
Glaube ist also hier der Urmodus in der Reihe der Phänomene
der "Auffassung", die wir perzeptive Erscheinung eines Dinges
u. dgl. nennen. Glaube ist nichts neben der Perzeption, sondern
25 Perzeption im Urmodus. Leben wir in der Perzeption, die keine
Hemmung erfahren hat, so nehmen wir wahr, vollziehen wir
Wahrnehmung und damit einen Glauben.
Wenn wir nun aufgrund der Wahrnehmungen kolligieren, ex-
plizieren, beziehende und ausdrückende Akte vollziehen und uns.
30 dabei "getreu" an die' Anschauungsunterlage halten, so ist jeder
solche Gesamt-Akt wieder "ein Glaube", jeder hat denselben
Modus wie die ihm unterliegende Wahrnehmung, und auch hier
ist Glaube gar nichts anderes als der Modus des ungehemmten
Vallzugs : Er hat evtl. neben sich analoge Akte, die in entspre-
35 chender Weise Hemmung ihrer, ,Intention" erfahren. Jeder solche

1 Und ist der schlichte Glaube als "Stellungnehmen" zu bezeichnen und gleich-
zustelIen mit dem Durchstreichen der übrigen Charaktere?
2 Der letzte Satz scheint später durchgestrichen worden zu sein. - Anm. d. Hrsg.
3 Zum Folgenden vgl. Beilage XLVI, S. 456f. - Anm. d. Hrsg.
406 TEXT' Nr. 15 (1912)

Akt, in seiner Komplexion die Wahrnehmungen mitumfassend,


ist ein "objektivierendes Bewusstsein", und dabei ein viel-
fältiges, weil die Teile auch "objektivieren". Im Ganzen Leben
ist auf die sich konstituierende Objektität Gerichtetsein, und im
5 Falle der ungehemmten, sich "frei auslebenden" Intention ist das
ganze, hier spontane Gebilde ein synthetischer Akt im Modus des
Glaubens, ein glaubendes Kolligieren, Beziehen, Prädizieren etc.
Aber nehmen wir jetzt auch die modalen Abwandlun-
gen der Wahrnehmung selbst und nehmen wir das
10 Zusammenhangsbewusstsein, in dem solche er-
wachsen. Etwa das Nichtigkeitsbewusstsein. Ich schwanke
zwischen Puppe oder Mensch, und nun sehe ich es: eine blasse
Puppe! Die Puppen-Auffassung war gehemmter Glaube, aber
nun ist die Hemmung "überwunden" in Form der Entschieden-
15 heit, es ist wieder Glaube in Form der Entscheidung, der Ent-
wertung des Hemmenden. Die Auffassung "Mensch" anderer-
seits ist "durchgestrichen". Damit haben wir nicht nur über-
haupt neue Vorkommnisse, sondern neue "Auffassungen" (neue
Gegenstände konstituierend), obschon höherer Stufe. Das Er-
20 scheinende ist auf der einen Seite mit dem Wertstempel "nichtig"
versehen, auf der anderen Seite mit dem Stempel des "ja", des
"ganz entschieden", des "das ist wahr und wirklich", den es als
schlichtes Glaubens-Objekt nicht haben würde. Im Bewusstsein
der Negation und <der> entsprechenden positiven Entscheidung,
25 der Affirmation, lebend, ist mir diese neue Gegenständlichkeit
bewusst. Und auch dieses Bewusstsein kann ungehemmt sein
oder Hemmung erfahren. Und so kann ich wiederum sagen: Ob
das nichtig ist, wird mir zweifelhaft oder ist zweifelhaft, und auch
das "nichtig" kann wieder seine Durchstreichung oder Affir-
30 mation erfahren, und so die modalen Charaktere überhaupt. Ich
hatte mich soeben für die Puppe entschieden. Aber nun hafte ich
an einigen Erscheinungsmomenten, die sehr kräftig, ja über-
wiegend "dafür sprechen", dass es doch <nicht> eine Puppe sei.
Ich werde schwankend, das Nichtig kommt ins Schwanken, es
35 wird zweifelhaft und wird evtl. wieder durchgestrichen. Wir
haben eine "doppelte Negation". Und eben damit hängt es zu-
sammen, dass wir für die explizierenden und prädizierend~n
Urteile dieselben Modi haben. Zuerst hatten wir schlichte Urteile
über einen Menschen, über eine Puppe. Dann haben wir Urteile
"
TEXT Nr. 15 (1912) 407

mit Modalitäten: wieder gewisse Glaubensakte: die das Wahr-


scheinlich oder Möglich, Zweifelhaft enthalten. Und so weiter.
Und jeder übergang ist damit vermittelt, dass die Urteilsgewiss-.
heiten (die Urteile schlechthin) ihre Modalitäten als Glaubens- \
5 modi verändern, wir urteilen zuerst, dann werden wir schwankend
in dem Aussagen (das sich nach dem Schwanken der Anschauung
orientiert), wir vollziehen Nichtigkeitsbewusstsein, der ausgesag-
te Sachverhalt, so wie er da ausgesagt ist, steht als durchstrichen
da, dann vollziehen wir neue Explikation und Prädikation, wir
10 erfassen diesen Charakter für sich, fassen ihn unter dem Begriff
und Ausdruck "durchstrichen", d.h. falsch, und sagen dann, dass
S p ist, ist falsch, es ist nicht so. Oder es ist vermutlich so, etc.
So verhält es sich mit jederlei Intentionalität, mit jedem Be-
wusstsein. 1 Jedes neu auftretende, zu schon vollzogenem Be-
lS wusstsein hinzutretende und in ihm fundierte konstituiert ~ine
neue Gegenständlichkeit, das sagt, es ist "Glaube" oder ein
durch Hemmung erwa.chsener Glaubensmodus. Dieser "Glaube"
ist nicht irgendeine ,Grundklasse von Bewusstsein,2 sondern ein
allgemeiner Bewusstseinsmodus. Zum Wesen des Bewusstseins
20 überhaupt gehören gewisse doxische Modi und gehört die ideale
Möglichkeit, gewisse Formen der Spontaneität zu üben, die
selbst wieder keine Grundklassen ausmachen (wir meinen na-
türlich das Kolligieren, das Beziehen, das Ausdrücken), sondern
sie sind Gruppen von Bewusstseinsmodi, die spontaner Gestal-
25 tung unterliegen, aber ihren Inhalt aus den verschiedenen echten
Grundbestimmungen des Bewusstseins, aus den Grundformen der
Intentionalität und der intentionalen Stoffe ziehen.3 Das sind
also leitende Gedanken.
*
I Dass das Sich·denken eine gewisse Modifikation (nicht Alteration) des Glaube~s
Ist, vertragt sich daher vollkommen damit, dass zu jedem Bewusstsein eine "Denk"-
modifIkatIOn gehört. Jedes ist eben auch Glaube.
2 Etwas nachträglich eingefügt: "wie das andererseits vom urteilenden Glauben,
dem erfassenden, beziehenden etc. gilt". - Anm. d. Hrsg.
3 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich wie folgt verandert und ergänzt:
"Zum Wesen des Bewusstseins uberhaupt gehören gewisse positionale Modi und ge-
hort die Ideale Möglichkeit, gewisse Formen der Spontaneität zu uben, die selbst
Wieder verschiedene Grundklassen ausmachen (wir meinen natürlich einerseits das
Urteilen: das Erfassen, das Kolligieren, das Beziehen mit den Urteilsmodalitaten,
und andererseits die Gemüts- und Willensstellungnahmen und ihre Synthesen), <sie>
Sind GI uppen von Bewusstseinsmodi, die spontaner Gestaltung unterliegen, aber
Ihren Inhalt aus den verschiedenen Grundbestimmungen des Bewusstseins, aus den
Grundarten von Materien der Intentionalität und der intentionalen Stoffe ziehen." -
Anm. d. Hrsg.
408 TEXT Nr. 15 (1912)

Uns kommt es hier aber mehr auf anderes an. Die grosse
Schwierigkeit macht eben auch für die Durchführung der Vor-
getragenen Auffassung die Re pro d u k ti 0 n. Wir hätten keine
Schwierigkeit, wenn wir es bloss mit der Erinnerung zu tun
5 hätten. Erinnerung im weitesten Sinn, sozusagen die doxische1
Reproduktion. Alle Vorkommnisse der perzeptiven Sphäre keh-
ren hier wieder. Wir haben gegenüber der perzeptiven Intention
als ihr Gegenbild die reproduktive Intention. Ungehemmte: dann
haben wir den Erinnerungsglauben, gehemmte, den Erinnerungs-
10 zweifel etc. Soweit wäre alles, scheint es, in Ordnung.
Aber nun die pure Phantasie. Schon wenn wir ein will-
kürliches Phantasieobjekt in eine Erinnerungsumgebung hinein-
phantasieren, ist die Sachlage eine andere als die im Fall eines
perzeptiven Scheins. Ein perzeptives Fiktum2 ist eben immer
15 Fiktum, d.i. es ist selbst Perzeptivum, es ist durchstrichene Auf-
fassungsintention, aber doch Auffassungs in te n ti 0 n.3 Würde
das Durchstreichende passend modifiziert werden, so würde der
Strich fortfallen, und es wäre ungehemmte Intention. So ist es
aber nicht in der fingierenden Phantasie. Das Phantasma hat
20 freilich seinen Streit mit der Erinnerung, z.B. der fingierte Zen-
taur, von dem ich mir phantasiere, dass er mich gestern auf der
bekannten Strasse getroffen habe, steht da, wo nichts stand,
verdeckt ein Stück Erinnerungsboden, Erinnerungslauf etc., wo
nichts verdeckt war, usw. Aber das ist ein anderes Streiten als
25 dasjenige, das in der Erinnerung zwischen zwei Erinnerungsauf-
fassungen statthat: das Analogon des Streitens in der perzeptiven
Sphäre. Die fingierende Phantasie ist in sich keine Intention4 , sie
hat keineS "Glaubens" -Modi, weil sie keine Intention ist, und sie
ist selbst nicht ein Glaubensmodus :6 das wäre Modus der Erin-
30 nerung. Ich kann, wo Erinnerung mit Erinnerung streitet, die
eine Erinnerung in einen Ansatz, in ein Sich-denken verwandeln,
1 ,doxische" etwas nachträglich verändert in "positionale" . - Anm. d. Hrsg.
a Etwas nachträglich über "Ein perzeptives Fiktum" eingefügt: "ein illusion ares
Objekt". - Anm. d. Hrsg. ., d
3 Das gilt doch nur fur die Illusionen, nicht aber für normale BIldobjekte un
35 bildlich dargestellte Objekte, die in einem farbigen Gemälde doch perzeptiv d~steh~~
und doch nicht durchgestrichen sind. Also auch hier keine eigentlichen "IntentIOnen .
4 Über "Intention" etwas nachträglich eingefugt: "Positionalität". - Amn. d.
Hrsg.
5 Etwas nachträglich eingefügt: "positionale" . - Anm. d. Hrsg. "
6 Über "Glaubensmodus" etwas nachträglich eingefugt : "positionaJer Urmodus . -
Anm. d. Hrsg.
I1II1

TEXT Nr. 15 (1912) 409

dann habe ich Ausschaltung eirter Gegentendenz und Sich-hinein-


denken: es wäre so gewesen, oder, sei so. Das ist aber kein Fall
purer Phantasie, bei der ich gar nichts auszuschalten habe, da
sie von vornherein nichts von wirklicher Intention und Gegen-
5 intention mit sich führt. Natürlich alle Vorkommnisse möglicher
Erinnerung sind auch Vorkommnisse möglicher purer Phantasie,
auch das Ansetzen, aber dann'ist eben alles ins bloss Phantasie-
hafte modifiziert. Aber nun ist mit all dem nicht gesagt, dass
jene .Modifikation des Sich-denkens etwas prinzipiell Verschie-
10 denes sei als die Phantasiemodifikation. Wenigstens in einem \
Wesentlichen beide übereinstimmen. Es könnte doch sein, dass
jede Phantasie ein Fall der Inaxiose sei und doch nicht jeder
Fall der Inaxiose Phantasie. Soll man sagen, dass!

<k) Revision der Terminologie. Unterschied zwischen Impression


15 und Reproduktion sich kreuzend mit dem Unterschied zwischen
einer beliebigen I ntention und -ihrer "gedankenhaften Modifikation"
- Bedenken bezüglich des Ausdrucks "Stellungnahme" für ieden
gedankenhaft nicht modifizierten Akt - Homogene einstimmige
Setzungen bzw. Nichtsetzungen und inhomogene Durcheinander-
20 setzungen (Einbildung in Erinnerung, Erinnerungsobiekte in Ein-
bildttngszusammenhänge) innerhalb der Sphäre schlichter Anschau-
ungen - Ansetzen nicht ein Drittes neben Setzung und Nicht-
setzung, sondern ins Reich der Setzung gehörig - Hereinziehen
von Gefühlen, Begehrungen, Wallungen in die Sphäre der Anschau-
25 Uckkeit>
(16. April 1912)

Jede Verschiebung der Auffassung der Struktur intentionaler'


Erlebnisse zwingt leider zur Revision der Te r m i n 010 gi e.
1) Wir haben den Unterschied zwischen Impression und Re-
30 produktion.
Phantasie sollte die Beziehung auf die Gegenstände reprodu-
zierter intentionaler Erlebnisse besagen. Also hätten wir setzen-
de 2 und nichtsetzende Phantasie. Erstere: Erinnerung.

1Text bricht ab. - Anm. d. Hrsg. '


• 2F~r setzend sage ich jetzt besser position.al, während ich unter Setzung
Jetzt die spontane Erfassung, ein Urteilsphänomen verstehe.
410 TEXT Nr. 15 (1912)

2) Mit dem ersten Unterschied kreuzt sich der zwischen einer


beliebigen Intention und ihrer "gedankenhaften Modifikation".
Soll ich dabei bleiben zu sagen: setzend - nichtsetzend1 ?
3) Ich versuchte, den Ausdruck Stellungnahme zu gebrauchen.
5 Kann man aber die "Setzung" eines jeden gedankenhaft nicht
modifizierten Aktes als Stellungnahme bezeichnen?2
ad b)3 Es ist doch ein wesentlicher Unterschied: das schlich-
te Wahrnehmungs- oder Erinnerungsbewusstsein, in dem das
Erscheinende schlicht als gegenwärtiges oder vergangenes Sein
10 bewusst ist, und ein dazu Stellungnehmen, wenn es als schön und
hässlich, als gut und schlecht bewertet wird, wenn es gefällt oder
missfällt. Wünschen geht aber nicht auf das schlichte Sein, das
erscheint. Es ist darum doch Stellung-nehmen.
Wie steht es mit Folgendem: Das Gesehene oder Erinnerte er-
15 regt eine Vermutung, oder im Zusammenhang des Perzipierten
oder Reproduzierten etabliert sich ein Zweifel, ein Für-möglich-
Halten, ein Fragen? Der Zweifel wird entschieden, es erfolgt Zu-
stimmung, Bejahung des Seins oder Verneinung des Seins. Wir
haben da verschiedene Reihen von Vorkommnissen:
20 1) das schlichte Seinsbewusstsein, in schlichter Einstimmig-
keit,
2) das Vorkommnis der Nichteinstimmigkeit, oder die ver-
schiedenen Typen solcher Vorkommnisse. Die Intentionen für
die eine Seite haben den Charakter der Bestrittenheit, der Hem-
25 mung durch Gegenintentionen.
Die eine Seite kann den Charakter der Bestrittenheit haben,
aber zugleich den der Einstimmigkeit mit dem Komplex der
unbestrittenen Zusammenhangsintentionen und des zu ihr und
für sie Stimmens. Also es zerlegt sich der intentionale Komplex
30 in den Komplex bestrittener Intentionen und in den Umgebungs-
komplex unbestrittener, und der erstere erhält einen neuen Cha-
rakter, den des "für sie Stimmens", "für sie Sprechens", der der
anderen Seite mangelt, ja evtl. gegen sie spricht. Es kann auch
sein, dass beide Seiten das Ihre haben, was von den Umgebungs-

1 (besser positional)
2 Nein. a) Stellungnahme als Spontaneität einer Art Zuwendung, b) Stellungnahm~
in einem noch engeren Sinn: zu etwas, das schon als seiend dasteht, oder quas~­
seiend, Stellung nehmen.
8 "ad b)" gleichzeitig mit der als Anmerkung 2) wiedergegebenen Randbemerkung
eingefügt. - Anm. d. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 411

intentionen für sie spricht usw. Wir haben also verschiedene Cha-
raktere der bejahenden Wirklichkeit, der Nichtigkeit, der gleich-
stehenden Möglichkeiten (Zweifelhaftigkeiten).
Ist es nicht ,etwas Neues: Ich entscheide mich für die eine
5 Seite, ich nehme für sie Partei, ich erkenne sie bejahend an, ich
verwerfe verneinend, ich erkenne die eine Seite als überwiegend,
als wahrscheinlich an etc.? Offenbar.
Und wie steht es mit diesen Charakteren und eventuellen
"Stellungnahmen"" stehen sie auf gleicher Stufe? Sind sie von
10 demselben gattungsmässigen Wesen "Stellungnahme" wie die
"Stellungnahmen" der Freude oder Trauer? Das scheint doch in
einer ganz anderen Linie zu liegen.
3) Jedes intentionale Erlebnis ist, wenn es als Ganzes genom-
men nicht gedankenhaft modifiziert ist, Setzung oder zu Setzung
15 geschickt (es ist eben Intention in unmodifiziertem Sinn). Diese
Setzung, das ist das, Schlechte an dem Wort, ist kein Tun, es ist
ein Grundcharakter. Ein intentionales Erlebnis vollziehen,
das ist in diesem Fall ein Setzen vollziehen, und dem "Gesetzten"
zugewendet sein, und das sagt, in jedem solchen Bewusstsein ist
20 uns ein "Gegenständliches" in der Weise des "Glaubens" als
seiend bewusst, und das Seiend ist ein allgemeiner Charakter des
Gegenständlichen,!

1 Der Text von "Offe~bar'; (oben, Zeile 7) bis ,;Charakter des Gegenständlichen"
wurde etwas nachträglich wie folgt ergänzt und verändert: "Offenbar. Das ist das
urteilende Stellungnehmen. Und wie steht es mit jenen Charakteren und diesen
'Stellungnahmen', stehen si~ auf gleicher Stufe? Offenbar haben wir sie zunächst zu
scheiden. Ferner, sind letztere von demselben gattungsmässigen Wesen 'Stellung-
nahme' wie die 'Stellungnahmen' der Freude oder Trauer? In einem Sinn offenbar.
Andererseits scheint doch das Stellungnehmen des Gemüts und Willens in einer ganz
anderen Linie zu liegen als ein Verhalten zu Sachen. Also ist es notwendig, den ge-
meInsamen Terminus zunä~hst zu vermeiden.
3) Jedes intentionale Erlebnis ist, wenn es als Ganzes genommen nicht gedanken-
haft modifiZiert ist, positional. Setzung oder zu Setzung geschickt (es ist eben
Intention in unmodifiziertem Sinn). Dieser positionale Setzungscharakter ist kein
Tun, e, ist eIn Grundcharak ter. Ein intentionales Erlebnis vollziehen, das ist in
dlesem Fall ein positionales Bewusstsein vollziehen, aber nicht dem 'Gesetzten' zu-
gewendet sein, und das sagt. in jedem solchen Bewusstsein ist uns ein 'Gegenständ-
hches' In der Weise des patenten oder latenten 'Glaubens' als seiend bewusst, und das
Selend 1st ein allgemeiner Charakter des Gegenständlichen. Das ist aber sehr miss-
deutlich. Der positionale Charakter ist nicht ein stellungnehmender
eh ara k t e r. Zugewendet kann ich aber nur in einer Stellungnahme sein, die ent-
weder urteilende (erfassende, beziehende etc.) oder eine andere ist. Position al be-
sagt eIgentlich den Charakter, der schlichte erfassende Setzung (primitive doxische
S:ellungnahme) ermöglicht. Aktuelle,Setzung ist ,immer Erfassung eines als
WIrklIch Charakterisierten." _ Anm. d. Hrsg.
412 TEXT Nr. 15 (1912)

Aber da haben wir verschiedene Stufen.


Im schlichten ans c hau e'n den Setzen (im schlichten be-
lief)l, sei es der Wahrnehmung oder Erinnerung, steht etwa ein
Dingliches "in Seinsweise da", und das: sagt, es ist einfach 2 Ge-
5 setztes. Wir sprechen auch vom schlichten Seinscharakter. Dieser
Charakter (der der Gesetztheit 3 ykommt zur Abhebung durch den
Kontrast mit Fällen der Nichtsetzung4 , mit Fällen einer an-
schaulichen Phantasie als einer schlichten quasi-Wahrnehmung
oder mit Fällen eines echten Bildlichkeitsbewusstseins (zusam-
10 menfassend Fällen der Einbildung in einem weitesten Sinn~ wenn
wir das Wort trennen von Reproduktion und von Phantasie!).5
Diese griechische Landschaft, in die ich mich hineinsehe, steht
doch anders da als diese Bücher auf meinem Schreibtisoh, die ich
als Wirklichkeiten vor Augen habe in echtem Wahrnehmen. Und
15 in diesem Kontrast hebt sich mir ab das Seiend det schlichten
Gesetztheit vom quasi-Seiend der Nichtgesetztheit. Beides sind
Tinktionen des Gesamtphänomens und nicht etwa hinzutretende
Charaktere zu etwas, das, so wie es ist, einmal erst ohne diese
Charaktere sein könnte. Nehmen wir nun den Fall der Setzung. 6
20 Wenn sich dann aber Unstimmigkeiten einstellen und der ein-
stimmige intentionale Zusammenhang sich in einen unstimmigen
verwandelt, dann erwachsen in gewisser Weise mehrfältige Cha-
raktere: Der Gegenstand erscheint als möglicherweise-seiend, als
wirklich-seiend (ja wirklich), als nicht-seiend etc. Ebenso kann
25 es sein, dass ich Gründe bekomme, es zu glauben, dass diese ge-
malte Landschaft etwas Wirkliches sei. Dann "sehe" ich sie nicht

I Etwas nachträglich eingefügt: ,,= erfassende Stellungnahme zum Ange·


schauten". - Anm. d. Hrsg.
a Etwas nachträglich eingefügt: "in urteilender Stellungnahme, im Erfassen", -
Anm. d. Hrsg.
3 "Gesetztheit" später verändert in "Positionalität". - Anm. d. Hrsg.
4 Über "Nichtsetzung" später eingefügt: "Nichtpositionalität". - Anm. d. Hrsg.
5 Da ist die Sache noch nicht in Ordnung. Habe ich nicht zweierlei, das Erfas,sen
und andererseits den doppelten Modus des belief und quasi-belief? Ich erfasse WIrk-
liches, ich erfasse Fiktives.
8 Scheinbar haben wir das Phänomen und dann eine hinzutretende Setzung, als
wie etwas Zugetanes; näher besehen aber haben wir einmal die Gegenstandsauffassun~
ohne Vollzug das andere Mal in der Weise des hervortretenden Vollzugs, und dabeI
erfassen wir ~nd setzen wir das Seiende als solches, indem wir dem Sti=en nach-
gehen und dias "es stimmt" vollziehen, das sich auf das innerlich einstimmige Voll-
ziehen bezieht. Das verworrene Sinnliche geht über in vollziehend Gegebenes und er-
fährt im Übergang der Erfüllung Zusti=ung, Erfassung im "es sti=t", Stellung-
nahme.
TEXT Nr. 15 (1912) 413

in Wirklichkeits-Weise unmittelbar, es tritt vielmehr aus den in-


direkten Zusammenhängen, in die das Einbildungsbewusstsein
verwoben ist, ein neuer Charakter hinzu. Das ist so zu verstehen.
Das Eingebildete ist charakterisiert als quasi seiend und behält
5 diesen Charakter. Aber Einbildung kann mit anderen Erlebnissen
in Einheit treten, zur Einheit eines intentionalen Erlebnisses.
Das ist der Fall zunächst in Form möglicher Verbindung von
Wahrnehmungen oder Erinnerungen mit Einbildungen zur Ein-
heit einer gemischten Anschauung: Ich phantasiere mir etwa in
10 eine Erinnerungs- oder Wahrnehmungsumgebung etwas hinein,
bilde mir es da hinein. In sich ist es und bleibt es Eingebildetes,
es erhebt in sich nicht auf mehr Anspruch: Seine Ansprüche sind
ja nur quasi-Ansprüche, eigentlich also überhaupt keine An-
sprüche. In diesem Zusammenhang aber hat es eine gewisse Mo-
lS difikation erfahren, es wird zu einem Ansatz. Schwebt mir
ein "Bild" vor, während ich dieses Ding da sehe, so hat es darum
mit den Wahrnehmungen keine Einheit, möge es auch "vor mir"
erscheinen. Ebenso wie ein gemaltes Bild, die gemalte Land-
schaft eigentlich keine.Einheit hat mit den Dingen ausserhalb des
20 Rahmens. Ich kann es aber auch ,;1>0 sehen", das s es Einheit
hat. D.i. ich, <nehme es als Einheit, das phantasiehaft oder
überhaupt einbildungsmässig Bewusste wird angesetzt, wird ge-
nommen als da dazwischen seiend, und das ist eine gewisse Ak-
tualität, die dem in sich Eingebildeten phänomenal einen sozu-
25 sagen bewertenden Charakter verleiht: Es wird zu einer Art "In-
tention", die nun sofort von den einstimmigen setzenden Inten-
tionen in Angriff genommen und mit dem Charakter der Durch-
streichung, des Nicht, versehen wird. Es kann aber auch sein,
dass ich eine sehr unbestimmte Erinnerung habe, die mich nur
30 bindet nach gewissen allgemeinen Momenten, die allein den be-
stimmten Setzungscharakter haben. Z.B. ich erinnere mich eines
Menschen: Die Haarfarbe ist unbestimmt, und nun kann ich sie
willkürlich blond oder schwarz vorstellen. Dann ist jeder dieser
Ansätze möglich, nur sind es leere Möglichkeiten~ Sofort wird die
35 Sache anders, wenn "Gründe" für das eine und andere bewusst
werden, das gibt dann neue sekundäre Charaktere, neue Be-
wertungscharaktere. ,
Schalten wir die reinen Nichtsetzungen und ihre Verbindungen
aus, da sich in dieser .sphäre alles in der Modifikation der Nicht-
414 TEXT Nr. 15 (1912)

setzung wiederholt, was die Setzungssphäre bieten kann, so er-


wachsen, wie wir sehen, in der Sphäre der Anschauungen, der
passiven Anschauungen vor aller Spontaneität, immer neue Vor-
kommnisse, die sich offenbar auch in der höheren Stufe wieder
5 modifizieren lassen, und alle diese Vorkommnisse haben etwas
Gemeinsames.
Immer wieder "erscheint etwas", immer wieder ist etwas ge-
setzt. Das muss deutlicher gemacht werden. Wenn schlichte ein-
stimmige Setzung eine Durchstreichung erfährt,l so ist wieder
10 eine "Setzung" geänderten Inhalts da (eine mögliche Setzung),
es "erscheint" ein Nichtsein, "es erscheint" sagt hier, es ist nicht
"Gesetztes", sondern Setzbares. 2 Die ursprüngliche Gesetztheit
ist modifiziert, ist durchstrichen, aber der Strich ist wieder
etwas, das gesehen werden kann, und das Durchstrichene ist
15 wieder ein "Seiendes" , ist als das charakterisiert: ich kann darauf
hinsehen. Ebenso der anschauliche Ansatz (Hineinsetzung einer
Phantasie oder Phantasiemodifikation innerhalb einer Erinne-
rung) ist entweder ungehemmte Möglichkeit oder durchstrichene
Möglichkeit, oder bevorzugte Möglichkeit (Vermutlichkeit) u.dgl.
20 Auch das ist wieder Gesetztes. 3
Jede Setzung hat aber die Eigenschaft, dass sie durch Motive
des Zusammenhangs die gleichen möglichen Modifikationen er-
fahren kann, wodurch also in höherer Stufe neue Setzungen er-
wachsen mit geändertem Setzungssubstrat. Und all das kann
25 dann sozusagen transkribiert werden in die Nichtsetzung. Dem-
nach bleibt doch wieder der absolute Gegensatz zwischen, Setzung
und Nichtsetzung immer bestehen, obschon jede Setzung in
Modifikation geraten, jede die Modifikation der Vernichtung, der
Herabsetzung zu Möglichkeit etc. erfahren, jede sich mit Ein-
30 bildungen verknüpfen, mit ihnen neue Ansätze, neue Möglich-
keiten und Aufgehobenheit bilden kann. Sowie sich also eine
Einbildung zwischen Gesetztem fest hineinsetzt, so ist dieses
Hineinsetzen schon-nicht mehr die blosse Setzungslosigkeit, son-
dern ein Ansetzen, das ein Setzen voraussetzt und dem Angesetz-
35 ten einen gewissen Zwischencharakter, aber jedenfalls im weiteren

1 Etwas nachträglich eingefügt: "Eine AbI e h nun g ist dann die Stellungnahme."
- Anm. d. Hrsg.
2 Wohl etwas nachtraglich eingefugt: "Positionales". - Anm. d. Hrsg.
8 Etwas nachträglich eingefügt: "positional charakterisiert". - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 415

Sinn einen Setzungscharakter verleiht. Aber geht daraus nicht


hervor, dass wir hier mehr als bisher scheiden müssen?
Innerhalb der Sphäre schlichter Anschauungen haben wir nicht
nur zu scheiden setzende und nichtsetzende Anschauungen, son-
s dern versuchsweise: ho m 0 gen e einstimmige Setzungen, homo-
gene einstimmige Nichtsetzungen. 1 Dazu Übergang von Setzun-
gen zu Setzungen in Einstimmigkeit, ganz homogen, ebenso von
Xichtsetzurtg in Nichtsetzung.
I n h 0 m 0 gen e Durcheinandersetzungen , "zwischen" ein-
10 stimmigen Setzungen Nichtsetzungen (Einbildung in Erinne-
rung) und zwischen einstimmigen Einbildungen Setzungen
(Erinnerungsobjekte in Einbildungszusammenhänge hineinge-
setzt) , und zwar zur Einheit gebracht. Dadurch erfahren die
Setzungen (bzw. Nichtsetzungen) gewisse Modifikationen. Die
1S Nichtsetzungen, in die Erinnerung hineinschneidend und darin zur
Einheit einer Anschauung gebracht, erhalten den Charakter eines
Ansatzes, der sie zu einer Art von "Intention" macht, die
Setzungen, in die Phantasie hineingesetzt, erfahren den Charak-
ter einer Herabsetzung, etwas Einbildungsmässiges.
20 Weiter inhomogene Durcheinandersetzungen und Einheits-
bildungen (Uneinigkeitsbildungen) von Setzungen mit Setzungen,
wodurch aus Setzungen schlichter Art wiederum modifizierte
Setzungen durchstrichen etc. werden. Und von Nichtsetzungen
mit Nichtsetzungen, endlich von gemischten Setzungen von sol-
25 cher Art, dass ebenfalls sei es wirkliche Hemmungscharaktere
oder nichtsetzungsmässige erwachsen.
Dabei ist zu bemerken.
Jede Ansetzung eines Einbildungsobjektes in eine gesetzte
Umgebung, die sich unbestritten einfügen lässt, kurzum jede
30 Ansetzung, "die sich frei ausleben kann" (die eben nicht bestrit-
ten wird), ist selbst wieder ein "Glaube", eine Setzung, nämlich

1 Setzung = Positionalität. Also entweder aktualisiert oder aktuaIisierbar. Das


AktuahsIeren, das 1st Übergang in den Modus des Lebens, und der fuhrt ein standiges
"es shmrnt" mit sich. In diesem Prozess ist ein Identisches als Stimmendes, als
SeIendes bewusst, und dieses AktualisIeren ist das Seinssetzen, Seinserfassen, die
nIederste dOxIsche positive "Stellungnahme". Stosse ich bei Naherkommen auf Un-
Shrnnllgkett, so dass ich gegen positive Stellungnahmen verstosse, so lehne ich ab:
~Iederste negahve Stellungnahme. So in verschiedener Stufe der Eigen t lichkei t.
Zuwendung 1m Glauben, glaubende Stellungnahme ist mindestens der Anfang solcher
AktuahsIerung oder Ent-Aktualisierung.
416 TEXT Nr. 15 {1912}

solche Ansetzung ist identisch mit dem, was wir auch! als Für-
möglich-Halten bezeichnen, Möglichkeit = Denkbarkeit, und das
Sich-denken, d.i. dieses Ansetzen, Sich-denken-können, das ist
das unbestrittene, das ungehemmte Ansetzen. Und dabei sehen
5 wir von allen sonstigen intentionalen Charakteren ab, die dem
Angesetzten (abgesehen von Gegenstreit) zuwachsen könnten.
Also ist nicht etwa das Ans etzen in diesem Sinne
einer unbestrittenen Einheit der Anschauung, gebildet aus setzen-
den und setzungslosen Anschauungen, ein D ri t t es, Gleich-
10 berechtigtes neben Setzung und Nichtsetzung. Es gehört viel-
mehr in das Reich der Setzung. Das Gebilde ist wieder ein "Akt"
(das ist eben Setzung), konstitutiv für eine neue Gegenständlich-
keit, genannt "Möglichkeit eines WPh" (die Möglichkeit etwa,
dass dieser Tisch da rückwärts einen Fleck hat, worüber ich
15 nichts weiss, was ich mir aber "vorstellen kann") etc. Diese
Möglichkeit ist verschieden von der nichtexistentialen Möglich-
keit: Was ich mir überhaupt phantasieren kann, ist möglich:
an und für sich. Hier liegt in der Möglichkeit die Unbestritten-
heit durch den Bestandteil der Setzung, die Einträchtigkeit in der
20 gemischten Anschauung.
Ebenso wie die Einheit der gemischten Anschauung als eine
neue Form der Anschauung gelten muss, in der eine neue Gegen-
ständlichkeit bewusst wird, so gilt es von der Einheit einer strei-
tenden Anschauung: Sie ist nicht Einheit im Sinn <VOll> Ein-
25 stimmigkeit, aber Einheit im Sinn von Unstimmigkeit, und Un-
stimmigkeit hat wieder ihren Gegenstand je nach der Art dieser
Einheit: etwa eins von beiden ist möglich: A oder B. Oder es
konstituiert sich das A non b, das A mit dem durchstrichenen b.
Usw. Dabei haben wir zu scheiden, was Sache schlichter, unexpli-
30 ziert er Anschauung ist, und was Sache der Explikation etc. ist,
und wieder, was Sache des intuitiven Bewusstseins unabhängig
von der "Richtung der Aufmerksamkeit" ist, und was Sache eben
dieser Richtung ist. Wir haben es hier mit intentionalen Kom-
plexionen zu tun, und je nachdem können wir "die Strahlen der
35 Aufmerksamkeit durch diese oder jene Teile hindurch richten":
was aber ein im Grunde schlechtes Bild ist. Je nachdem können
wir die betreffenden Intentionen lebensvoll voll-

1 Später eingefügt: "oft". - Anm. d. Hrsg.


TEXT Nr. 15 (1912) 417

ziehen und die übergänge vollziehen und zugleich


die intentionalen Umwertungen höherer Stufe
vollziehen, durch welche die schlichten Setzungen
(setzenden Zuwendungen, wenn wir sie eigens vollziehen und sie
5 im Vollzug halten) etwa zu, durchgestrichenen Setzun-
gen werden, wobei, wenn wir das Durchstreichen vollziehen,
wir eben damit das positionale Bewusstsein des durchstrichenen
Gegenständlichen, des Gegenständlichen als nichtig haben usw. 1
Es findet <nicht etwa> ein besonderes Setzen, ein besonderer
10 Akt statt, wenn wir der Zweifelhaftigkeit oder Nichtigkeit inne
sind, im Zweifeln oder Negieren leben, sondern das Darinleben
ist das Bewusstsein des Nichtigen als solchen. Ich habe nicht ein
besonderes "Glauben" aufgrund des Negierens oder Zweifelns zu
"etablieren", der Glaube ist immer da, ich habe ihn zu voll-
15 ziehen: 2 Das ist aber, ich "achte" auf den Charakter des Nichtig,
oder auf das ganze inexplizierte Phänomen mit diesem Charakter.
Denn um den Charakter für sich abzuheben, bedarf es einer Ex-
plikation. Ich habe nicht auf das "Negieren" zu reflektieren (auf
einen Aktcharakter, auf mein Negieren etwa, was immer das be-
20 sagen mag), sondern der Gegenstand, der da bewusst ist, steht
nicht einfach da, sondern durchstrichen da, und auf den Strich
sehe ich hin.
Wir haben also immer neue Stufen von "Anschauungen" und
"angeschauten" Gegenständlichkeiten vor uns. Alles spielt sich
25 in der Sphäre der "Klarheit" ab, alles ist gesehen. Wenn wir aus-
gehen von schlichten sinnlichen Anschauungen, etwa von Dingan-
schauungen, so liegt ihre Schlichtheit in der homogenen unzerglie-
derten Einstimmigkeit ineinander "geschmolzener" intentionaler

1 Etwas nachträglich eingefügt: "Das Durchstreichen vollziehen ist ablehnend ge-


gen das Erscheinende gerichtet sein, das ist eine negierende Stellungnahme. Aber sie
konstituiert eine neue Gegenständlichkeit. Das negierende Stellungnehmen ist selbst
WIeder ein positionales Bew\liSstsein, ich kann Position üben, ich kann das Nichtige
als solches erfassen." - Anm. d. Hrsg.
2 Der Text des Absatzes bis zum Doppelpunkt wurde nachträglich wie. folgt ver-
andert: "Es fiudet also wohl ein besonderes Setzen, ein besonderer erfassender Akt
:,tatt, wenn wir der Zweifelhaftigkeit oder Nichtigkeit gegenständlich inn e sind; das
1st aber nicht im Zweifeln oder Negieren leben, das Darinleben ist das Bewusstsein
~es Nichtigen. in der Weise des Ablehnens, aber nicht in der Weise des positiven
Zetz~",s des NlCht. Ich habe ein besonderes "Glauben" aufgrund des Negierens oder
Zweifeins zu "etablieren" als stelJungnehmendes Glauben, wenn ich das Nicht, das
k:elfelhaft objektiv haben will. Andererseits, der Glaube ist i=er da als Möglich-
1t, Ihn zu vollziehen:" _ Anm. d. Hrsg.
418 TEXT Nr. 15 (1912)

Komponenten, und in dieser homogenen Einstimmigkeit erscheint


ist gesetzt und angeschaut 1 ein Gegenstand, ein Ding, sich abhebend
von einem dinglichen Hintergrund, wenn wir in dem betreffenden
Sonderkomplex leben. In den höheren Stufen ändert sich die
5 Gegenständlichkeit, es ist nicht "daseiendes Ding", sondern
nicht-seiendes, obschon erscheinendes Ding, und nicht-seiendes
Ding ist selbst wieder erscheinendes in zweiter Stufe und ange-
schautes, gesetztes. 2 Es kommen Charakterisierungen neuer
Stufe, "Modi", modale Abwandlungen von Urcharakteren her-
10 ein, und sie werden gegenständlich: nämlich, wenn wir in den be-
treffenden Akten, d.i. Setzungen leben. 3 Das sind also nicht sinn-
liche Anschauungen, sondern durch Umbildungen aus sinnlichen
Anschauungen gewonnene Komplexe, die selbst wieder Anschau-
ungen sind: "Kategoriale" Anschauungen, ist das ein passendes
15 Wort? Sollen wir sagen modalisierte Anschauungen oder modale
Anschauungen ?4
Nun ist auf ein Neues Rücksicht zu ziehen: auf das Explizieren,
Synthetisieren, etwa Kolligieren, auf das Beziehen, und dazu das
wieder andersartige unter Ideen Bringen: Subsumieren, und auf
20 Ideen Bringen: das Ausdrücken. 5 Es handelt sich beim-Kolligie-
ren, Beziehen etc. um S p 0 n t an ei t ä t e n eines gewissen mög-
lichen Systems von spontanen Formen (beim Ausdrücken kann
man wohl nicht von Spontaneität sprechen), und diese sind aber-
mals gegenstandskonstituierend, sind Setzungen höherer Stufe,
25 synthetische Setzungen, die dann wieder wie alle Setzungen mo-
dale Abwandlungen haben, dann für die Gegenstände dieser

1 Etwas nachträglich eingefügt: ,,(im Fall der Spontaneität der Erfassung und
Explikation)". - Anm. d. Hrsg.
2 Etwas nachträglich eingefügt: "wenn wir, anstatt das negierende Ablehnen zu
vollziehen, uns positiv dem Negativum zuwenden. Was besagt es, dass jede neue
Stellungnahme, jedes Negieren etc. neue Gegenständlichkeit konstituiert? ~ ach~em
es ursprünglich vollzogen ist, ist es selbst wieder eine Intention, eine PosltlOnahtat,
aus der das neue Gegenstandliehe positiv setzend entnommen werden kann. Es kann
aber auch diese Intention uns von vornherein als Zuständlichkeit entgegentreten.
Dann können wir Doppeltes: Negation vollziehen oder Position vou Negativität voll·
ziehen." - Anm. d. Hrsg.
3 nämlich" bis lebeu" etwas nachträglich verändert in: "nämlich nicht, wenn
wir i~ den betreffenden Akten, sondern in den mit ihnen sich erzeugenden poten tieUen
Setzuugeuleben." - Anm. d. Hrsg. . d
4 Der letzte Satz wurde etwas uachträglich durch folgenden ersetzt: "Es Sill
durch ueue Stellungnahme erzeugte, produzierte Auschauuugen." - Anm. d. Hrsg.
5 = apophantische Syuthesen und Formen.
TEXT Nr. 15 (1912) 419

neuen Setzungen wieder synthetische Gebilde ermöglichen der-


selben Formen usw.
Wir haben bisher unseren Ausgang genommen von Mannig-
faltigkeiten, und systematisch überschaubaren, von Gegenständ-
Slichkeiten bzw. sie "konstituierenden" Akten, Setzungen, In-
tentionen, die ihr ursprüngliches Bildungsmaterial haben in den
schlichten sinnlichen Anschauungen. Wir sehen zunächst von den
weiteren Abwandlungen ab, die sich ergeben, wenn wir die
Sphäre der "Klarheit" verlassen und in die der Verworrenheitl
10 übergehen. Bleiben wir also in der Sphäre der Klarheit, d.i.der
Anschaulichkeit und Anschauung in immer mehr sich erweitern-
dem Sinn. Wir nehmen entweder ursprüngliche Setzungen (nicht-
modalisierte)' oder modalisierte, schliessen dabei apophantische
Synthesen und Ausdrucke, die ihnen folgen, zunächst aus, dafür
15 führen wir Ge'fühle, Begehrungen, Woll ungen ein.
Ein Wahrgenommenes gefällt oder missfällt, ein anschaulich
als in bestimmter Weise sich veränderndes nicht Wahrgenom-
menes, sondern ,Angesetztes steht als etwas, das gefällig, erfreu-
lich sein "würde", da, sein Wirklichsein wird vermisst, es wird
20 danach gelangt,' ,begehrt usw. Zunächst ist allgemein zu sagen:
Wo sich auf eine' Setzung, sagen wir eine Wahrnehmungs- oder
Erinnerungssetzung sinnlicher Art (es gilt aber allgemein) ein Ge-
fühl gründet, da konstituiert sich mit dem Gefühl ein neuer Ge-
genstand, ähnlich, wie bei den modalen Abwandlungen der Set-
25 zung. Das sagt, aber, das Fühlen vollziehen, das ist setzen, und
zwar setzen eines neuen Gegenständlichen: des gesetzten Gegen-
standes als GefÜhlsgegenstandes. 2 Deutlicher: Die Dinginten-
tion vollziehen, das ist das Ding setzen. Das ist die erste Setzung.
Das Gefühl, nämlich das Gefallen, das Vergnügen am Gegen-
30 stand schafft 3 eine neue, auf die Dingintention gebaute Inten-
tion, und diese vollziehen in eins mit der unterliegenden Auffas-
sungsintention ist sich des wirklichen Gegenstandes in seiner Er-
,
1 "Verworrenheit" etwas nachträglich verändert in: "Dunkelheit, Leerheit". -
Anm. d. Hrsg.
2 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich wie folgt verändert~ "Das sagt aber, das
Fuhlen vollziehen, das ist ein neues positionales Erlebnis erzeugen und mögliches
Setzen eines neuen Gegenständlichen: des Gefühlsgegenstandes." - Anm. d. Hrsg .
. 3 Schafft _ ist aber nicht. Das lebendige Gefallen ist nicht eine "Intention", ist
mcht eine "Vorstellung" höherer Stufe, sondern erzeugt eine, geht in eine solche
uber.
420 TEXT Nr. 15 (1912)

freulichkeit bewusst sein und dieses Ganze s6tzen. Hier haben wir
zwei Aufmerksamkeitskomponenten, da wir zwei Setzungen ha-
ben, zwei Zuwendungen, die eine geht auf den Gegenstand (die
Sache), die andere auf den "Gefühlswert". Aber das ist nicht etwa
5 eine Explikation, die Zweiheit ist eine Einheit, weil die Richtung
auf den Wert Richtung auf den Wert des Gegenstandes ist. Es
erfordert die Aufmerksamkeit auf den Wert auch Aufmerksam-
keit auf die Sache: aber dienende Aufmerksamkeit. Jedenfalls aber
kann ich nicht ganz gleich auf beides aufmerksam sein, wie im-
10 mer, wo mehrere intentionale Zuwendungen vorliegen: Wie Auf-
merksamkeiten zueinander stehen, miteinander abwechseln, strei-
ten, das ist ein eigenes Studium.
Der "Glaube" an das Sein des Wertes ist nicht etwa ein "neuer
Akt", der sich auf diesem Fundamente neu etabliert, sondern
15 hier wie überall das im Akte, in der betreffenden Intention
"Leben", in ihm Zugewendetsein.1
Denken wir uns statt der Unterlage setzender, also unmodifi-
ziert er Intentionen "Einbildungs"modifikationen (nichtsetzen-
de), so erfahren sowohl alle modalen Abwandlungen das Vor-
20 zeichen der "Einbildung", als auch alle sonstigen fundierten In-
tentionen, wie die Gefühle. So wie Dinganschauungen eben Ding-
anschauungen sind, ob sie setzende sind oder nicht, so sind die
Gefühle, und näher die "Gefühlsanschauungen" , von denen wir
hier reden, eben Gefühlsanschauungen, ob setzende oder nicht.
25 Es sind nicht etwa phantasierte Gefühle. Das gibt es natürlich
auch, aber Reproduktionen bzw. setzungslose Phantasien von
Gefühlen ist etwas anderes als setzungslose Gefühle selbst. Es ist
ein "Anschauen" von Erfreulichkeit etc., aber kein "wirklich"
Erfreulich- oder Traurigsein, evtl. ein Anschauen von Erwünscht-
30 sein, aber nicht ein wirkliches Erwünschtsein.

1 Der letzte Satz wurde etwas nachtraglich wie folgt verändert und der Text er·
gänzt: "Der 'Glaube' an das Sein des Wertes ist ein 'neuer Akt', der sich auf diesem
Fundamente neu etabliert, ist wie iIberall nicht das im Akt e der neuen St~"ung­
nahme Zugewendetsein. Jede Stellungnahme, die sich in einem Vorstellen.grun?et,
erzeugt ein neues Vorstellen: So können wir es auch ausdrücken. Gefühle smd nIcht
Vorstellungen, sind nicht Anschauungen oder unanschauliche Vorstellungen,. aber sie
sind lebendige Erzeugungen von Vorstellungen, die, 'nachdem' sie erzeugt smd, also
in einer Art Reflexion, sich als Vorstellungen behandeln lassen. Aber was sagt das?
Sagt das nicht, dass eben wesensmassig jede Stellungnahme sich als Vorstellen voll-
ziehen lässt? Im Gefallen zugewendet sein ist nicht vor~tellen. Aber das Ge.fa\l~n
'erteilt' dem Gegenstand den Wert des Gefalligen, und notwendig, so dass Ich 1ll
diesem Vorstellen leben kann." - Anm. d. Hrsg.
TEXT Nr. 15 (1912) 421

~atür1ich ist dieses nicht setzende Wünschen etc. zu unter-


scheiden von dem Wünschen im Bilde. In Wirklichkeit sehe ich
jemanden zornig, wünschend etc. Im Bild kann ich auch jeman-
den wünschend sehen. DiESes setzende Einfühlen in <das> Wün-
5 sehen hat sein Gegenstück im nichtsetzenden des Bildes. Dagegen
hat das Vollziehen eines Wunsches selbst, als setzendes Wün-
schen, sein Gegenstück im nichtsetzenden Wünschen.! 2

*
Ich weiss nicht, ob das, was ich vorige Seite am Rande <d.i.
S. 420, Anm. 1» gesagt habe, erheblich weiter führt.
10 Was sind Anschauungen vor der Erfassung, Zuwendung des
Angeschauten? Eben keine Anschauungen. Sollen wir sagen po-
tentielle Anschauungen, die sich aktualisieren lassen, und ge-
schieht das, so haben wir bestimmte doxische Akte niederster
Stufe, die keine Stellungnahmen enthalten, es sei denn doxische,
15 und im einfachsten Fall blosse Zuwendungen, blosse Erfassun- (
gen? ~
Wie ist es nun bei stellungnehmenden Akten, schon bei Zwei-
feln, Entscheidungen von Zweifeln etc. und dann bei Gefühls-
akten (Missfallen, Sich-freuen), begehrenden Akten und Willens-'
20 akten? Wenn sie auf schlichten Anschauungen (unmodifizierten
oder modifizierten: Phantasien) gegründet sind, so sind sie "An-
schauungen höherer Stufe", kategoriale Anschauungen, besser
Wertanschauungen. Warum sträuben wir uns, das gelten zu las-
sen? Nun natürlich: Es sind keine doxischen Zuwendungen, viel-
25 mehr muss ich erst eine andere Stellung nehmen, und dann kann
ich aufgrund einer beliebigen Stellungnahme (die passend fun-
diert i!',t) eine Anschauung etablieren. Und allgemein bei jeder(
beliebigen Stellungnahme eine Vorstellung im Sinn einer Objek-
tivierung oder eines Urteils. Nun steht offenbar jedes intentionale
30 Erlebnis, das nicht objektivierendes, Verstandeserlebnis ist, sich
gleich, also das sinnliche Bewusstsein mit einem beliebigen stel-,
lungnehmenden Bewusstsein: Jedes kann zum Substrat von Ob-
jektivationen werden. Wir dürfen also nicht sagen, das sinnliche

1 Gnd das ist nicht ohne weiteres Wünschen im Bilde.


2 Spatervermerkte Husserl: "Cf. MA".Dieser Hinweis bezieht sich wohlaufdenText,
der 1I1 vorliegendem Bande als Beilage XLVIII, S.459ff. abgedruckt ist.-Anm. d. Hrsg.
422 BEILAGE XXXVI

Auffassen selbst sei Vorstellen oder Urteilen, es erfahre nur in der


Objektivation seinen Vollzug, sei unvollzogen aber auch schon
Vorstellen, sondern dieses Vollziehen ist erst das, was Objekti-
vation macht und ist ein allgemeiner Modus, dem sich jedes Er-
5 lebnis unterwerfen lässt. Sonst müssten wir sagen, jedes intentio-
nale Erlebnis, etwa jedes Begehren etc. sei nur unvollzogenes
Vorstellen. Also haben wir als Grundklassenunterschiede : Sinn-
lichkeit (Passivität) und die Reihe von spontanen Aktivitäten.
Sinnlichkeit ebenso wie Verstand und Vernunft sind alle "Auf-
10 fassungen", sind alle Positionalitäten, Intentionalitäten.

BEILAGE XXXVI (zu Nr. ISa)


ZUR TERMINOLOGIE
<wohl März-April 1912>

Stellungnahmen1 (mögen sie vollzogene oder nichtvollzogene, in


15 diesem Sinn aktuelle oder inaktuelle sein) sind entweder im p r e s-
si ve, wenn sie znm Bestand des "erlebten", "wirklichen" Erlebnisses
gehören, oder re pro d u k t i v e, wenn sie zum Bestcl.lld eines in diesem
erlebten Erlebnis reproduzierten Erlebnisses gehören. Statt impressiv
kann ich also auch sagen erle b t e Stellungnahme oder wir k 1ich e
20 Stellungnahme. Ist eine Stellungnahme reproduziert, so kann sich im
Erlebnis der Reproduktion mit der Reproduktion von ihr verbinden
eine gleichsinnige erlebte Stellungnahme oder eine ungleichsinnige,
verwerfende etwa etc.
Für das Gegenständliche erlebter Stellungnahmen ge-
25 brauchen wir das Wort "wirklich" hinsichtlich ihrer Stellungscha-
raktere, also das Gegenständliche eines erlebten Glaubens ist wirklich
Geglaubtes, das Gegenständliche eines erlebten Urteilens ist wirklich
Beurteiltes; ebenso sprechen wir von wirklich gewünscht, erfragt ete.
Für das Gegenständliche des reproduzierten Glaubens, Wünschens
30 etc. gebrauchen wir den Ausdruck, es schwebt als geglaubt, erwünscht
etc. vor. (Geglaubt "in der" Reproduktion, aber nicht wirklich ge-
glaubt etc.) .
Vom Gegenstand einer wirklichen Stellungnahme sagen WIr, dass
er bewertet sei als wirklich seiend, als wirklich so und so beschaffen,
35 als wirklich gegenwärtig, als wirklich gefällig etc. .
Vom Gegenstand einer reproduktiven Stellungnahme sagen WIr,
dass er reproduktiv (phantasiemässig, "in" der Phantasie) bewusst
sei als seiend usw.
1 "Stellungnahmen" später mit Wellenlinie gestrichen und dazu bemerkt: "Was
heisst Stellungnahme". - Anm. d. Hrsg.
423

BEILAGE XXXVII (ZU Nr. 15b)


ZUR ANALYSE DER ERINNERUNG.
<CHARAI{TERISIERUNG DER INNEREN ERl'NNERUNG UND
CHARAKTERISIERUNG AUS DEM SPÄTEREN
ZUSAMMENHANG>
5
FORTFALLEN UND HINZUTRETEN VON STELLUNGNAHMENl
<März 1912>

Ich erinnere mich, dass ich morgen eine Partie machen wollte.
Ich nehme den Willen auf. Evtl. tritt die Erinnerung gleich in der
10 Form auf, dass l nicht nur das Wollen erinnert ist, sondern auch das
aktuell setzende "ich will" mit da ist. Es ist nicht gen au dasselbe: in-
haltlich. 2 Denn das "hlOrgen" war im Erinnerungsakte nicht morgen,
sondern etwa "übermorgen", und das Ich des "ich will" ist beiderseits
zwar personal dasselbe, aber eben das Ich von gestern und das von
15 heute. /

*
Erinnerung
a) Charakterisierung der inneren Erinnerung
b) und Charakterisierung aus dem späteren Zusammenhang

Ich erinnere mich der Szene im Berliner Panoptikum: Wie ich


20 erschrak, als mir die allzu liebenswürdige "Dame" auf der Treppe zu-
winkte. Aber wie ich ,nach einiger Fassung plötzlich erkannte, dass
es eine der "Puppen" war, auf Täuschung berechnet.
Hier habe ich jetzt, wo ich das erzähle, eine klare Erinnerung.
Die Reproduktion ist aktuell setzend, nämlich gesetzt ist das Repro-
25 duzierte. Dem bin ich zugewendet: Ich "vollziehe" diese Reproduk-
tion von der Dame. Und die "Dame" hat einen Charakter "erinnert"
wie die ganze zeitlich-räumlich-dingliche Situation: ob ich hinterher
mich überzeugt hatte, dass es Illusion war oder nicht, bzw. ob ich jetzt
so Stellung nehme oder anders. Was ist das für ein Charakter "er-
30 innert"?
Nun, ich kann sicher in der Erinnerung reflektieren, ich finde die
reproduzierte Setzung und Erscheinung, und diese ist charakterisiert
als gewesen, ich sehe gleichsam wieder, es läuft der zeitliche Vorgang
ab, und ich finde das Erscheinen und das Setzen als gleichsam gegeben
35 vor, und das hat den Charakter setzender Reproduktion: Das Jetzt
und Früher des "inneren Bewusstseins", das ist ein Wirkliches als
Korrelat eben der setzenden Reproduktion. Wie ist es nun mit der
--
1
2
Cf dabei auch p. <425,38ff.> "Durchstreichen" von Stellungnahmen.
Spater eingefügt: ,,(der Zeitpunkt ist derselbe)". - Anm. d. Hrsg.
424 BEILAGE XXXVII

"Dame" selbst? Auch sie hat doch den Charakter "erinnert", und
diesen finde ich, ohne erst zu reflektieren.
Wir können hier nur sagen: Dadurch dass die Reproduktion der
Damen-Wahrnehmung unmodifizierte ist, den setzenden Charakter
5 hat, ist in deren Vollzug die "Dame" selbst mit einem aktuellen Cha-
rakter begabt, der eben das Korrelat einer solchen Setzung ist.
Jede aktuell setzende Reproduktion verleiht dem Gegenständlichen
der Zuwendung einen bestimmten Charakter, der wesentlich ZUsam-
mengehört mit dem Wesen aktuell setzender Reproduktion, so dass
10 er nicht etwa dasein kann bei anderen Reproduktionen. Dieser Cha-
rakter ist aber nicht Wirklichkeitscharakter für das Gegenständliche.
Die Damen-Erscheinung ist, wie die Reflexion auf sie zeigt, charak-
terisiert als "wirklich", d.h. sie ist charakterisiert als "wirklich" in
Anführungszeichen und zugleich charakterisiert als aktuell reprodu-
15 ziert, als erinnert. Aber die Reproduktion der Damen-Erscheinung
bzw. der Wahrnehmung der Dame, die vollzogen das Bewusstsein ist:
vergegenwärtigende Vorstellung der Dame, kann noch einen neuen
Modus haben, den der aktuellen Setzung dieser vorgestellten Dame
als wirklich gewesener. Woher stammt der? Die eine Aktuali-
20 tät der Setzung gehört zum inneren Bewusstsein. Wir haben ur-
sprünglich die Impression, das innere impressionale Bewusstsein vom
Erlebnis, das da äussere Wahrnehmung heisst, wozu die Empfin-
dungsinhalte gehören, die Auffassungen, die aktuellen Erscheinungen.
Wenn ich nun jetzt Reproduktion davon habe, so ist die Reproduktion
25 ein aktuelles Erlebnis des aktuellen inneren Bewusstseins, und im
Vollzug dieser Reproduktion habe ich Aktualität der verschiedenen
reproduktiven Intentionen, derjenigen, die reproduktive Erscheinung
(mit reproduktivem Wahrnehmungscharakter) ergeben, ebenso der-
jenigen, die sich auf die Umgebung, auf die räumlich-zeitlich-dinglich-
30 inhaltliche beziehen. Aber all das als zugehörig zum inneren Bewusst-
sein.
Andererseits haben wir aber die Intentionen des äusseren Bewusst-
seins im inneren Bewusstsein. Versuchen wir uns darüber klar zu
werden.
35 Impressional habe ich jetzt eine Wahrnehmungsintention. Ic~
habe die Aktualität der inneren Setzung, die Wahmehmungsersche:-
nung ist impressiv, das innere Bewusstsein vom Haben der ErscheI-
nung ist aktuell setzendes. Aktuell gesetzt ist da die Wahrnehmung,
die selbst Setzung und Erscheinung von ist.
40 Im Fluss des inneren Zeitbewusstseins folgt hier Wahrnehmung auf
Wahrnehmung, Erfüllung und Enttäuschung, immer ist, was d~ kom-
men mag, innerlich gesetzt. Und ist selbst Setzung, Setzung m ver-
schiedenen Modis. In der Erinnerung können wir diesem Zusammen-
hang nachgehen. Jedes ist da reproduziert, ich habe die, Reihe der
45 inneren Reproduktionen, und jede herausgegriffen hat den, Chara~ter
der setzenden Reproduktion, die aber ihrem Wesen nach vorwarts
BEILAGE XXXVII 425

und rückwärts auf Zusammenhänge hinweist, in denen sich die Ulll-


gebungsintentionen erfüllen würden. Und da würden etwa auftreten
Reproduktionen von immer neuen Wahrnehmungen, aber auch Re-
produktionen von Enttäuschungen dieser Wahrnehmungen, wodurch
5 sich die früheren Wahrnehmungen als Scheinwahrnehmungen heraus-
stellen würden etc.
Angenommen, das letztere sei der Fall. Dann gewinnt die Wahr-
nehmungsintention in der erneuten Reproduktion, im Rückgang in der
Erinnerung zu ihr, den Charakter der falschen, der aufgehobenen. Sie
10 selbst bleibt als Wirklichkeit des inneren Bewusstseins charakteri-
siert: Es war das Wahrnehmen, aber das Wahrnehmen bzw. seine
Stellungnahme hat sich als ungültig herausgestellt, hat im weiteren
Erfahrungszusammenhang Aufhebung erfahren, und gehe ich bis ins
Jetzt, dann bleibt die Aufhebung unangefochten, nicht etwa wieder
15 umgestossen, und so bleibt es dabei, das Wahrnehmen setzt etwas als
wirklich, und das Wirklich ist durchgestrichen, es ist unwirklich.
Was das innere Reproduzieren anlangt,/so kann es aber auch sein,
dass ich im Fortgang bzw. Rückgang im Zusammenhang der Erin-
nerung darauf stosse, dass das innerlich Reproduzierte, die Wahr-
20 nehmung, die ich als erinnerte gesetzt hatte, nicht so war, dass nicht
diese Erscheinung, son~ern eine andere war; ja dass das Ganze nicht
war. "
(Aber gibt es dafür Beispiele? Ich hatte etwa einen zusammen-
hängenden Traum. Ich erinnere mich des ganzen Zusammenhangs.
25 Dann ist aber das Ganze wirklich erinnert, was die Erscheinungen an-
langt. Nur ist die ganze Gegenständlichkeit "nichts", wie sich durch
Ruckgang in den umfassenden Zusammenhang herausstellt.
Wie soll sich die Ungültigkeit einer Erinnerung herausstellen, wenn
nicht im Zusammenhang von Erinnerungen und Wahrnehmungen,
30 und kann Enttäuschung da eintreten ohne einen Boden? Ich habe eine
falsche Erinnerung, ich glaubte, das war damals, das war einmal in
meinem Leben: Also gegebene Erinnerung habe ich und ein Wider-
streiten mit ihm gegeben. Nun da kann es aber sein, dass ein Erin-
nerungsgebilde überhaupt nicht war, dem Zusammenhang nicht ein-
35 zupassen ist.)
Wir haben zweierlei Zusammenhänge von Intentionen und Erfül-
lungen 1) die im inneren Bewusstsein, 2) die im äusseren Bewusstsein.
Eine Reproduktion als setzende Reproduktion kann aufgehoben
werden.
40 a) Die innere Reproduktion, und jede Reproduktion ist in voller
Konkretion genommen auch innere Reproduktion: Die äussere Phan-
tasie ist zugleich Bestandstück einer inneren Reproduktion.
Aufgehoben kann die Setzung der inneren Erinnerung werden im
Zusammenhang der inneren Erinnerung bis zum aktuellen Jetzt der
45 Wahrnehmung: meiner Wahrnehmung. Evtl. können auch Zusam-
menhänge der Einfühlung ihre Rolle spielen. Ich komme durch Zeugen-
426 BEILAGE XXXVII

aussagen zur Überzeugung, dass ich das in Wirklichkeit nie erlebt


habe, obschon ich die Erinnerung habe: Der Erinnerungscharakter er-
fährt nun einen Stempel "Täuschung".
b) Die äussere Reproduktion: Ich sehe das Ding, den Vorgang
5 wirklich. (Die Erinnerung des Sehens wird nicht angefochten.) Aber
das Sehen selbst war täuschend. Im Zusammenhang der äusseren
Reproduktionen und der äusseren setzenden Anschauungen über-
haupt hält sich die Einheit des Gegenstandes nicht durch. Die äussere
Reproduktion, d.i. die reproduktiv bewusste und als "erinnert" be-
10 wusste äussere Wahrnehmung war eine Falschnehmung. Der Gegen-
s t a n d erfährt die Charakteristik "n ich t i g", aber in sich selbst
steht er da als wahrgenommen, hat sein "wirklich", aber dieses Wirk-
lich ist eben durchgestrichen.
Ich sprach von Aufhebung, das sagt, es war die Setzung da, sie
15 wird aber durchgestrichen, sie erhält den Charakter des Ni eh t.
Sie hat damit einen Doppelcharakter: einen ursprünglichen, den
Erinnerungscharakter, und den kri tischen, den Durchstreichungs-
charakter. Es braucht auch nicht der Charakter des Nichtig schlecht-
hin zu sein. Es tritt etwa aus der Erinnerung ein Bild auf als "Erin-
20 nerungsbild", es mutet sich als "wirklich" gewesen an, aber streitet
mit dem ersten Erinnerten, und nun erscheint dieses als "einiger-
massen zweifelhaft", als "angefochten". Das ist wieder ein kritischer
Charakter.
Wie sieht nun der Urcharakter aus? Es ist "erinnert" im Modus
25 gewiss, es kann aber auch von vornherein erinnert sein und dastehen
als Anmutung: Es mutet sich als gewesen an, als erinnert. Es steht
aber nicht fest und sicher da. Und dann könnte man gleich weiter
gehen und sagen: Ohne Zuzug neuer Erinnerungen steht es als zweifel-
haft da oder nichtig da oder springt von Gewissheit in Zweifelhaftig-
30 keit und Nichtigkeit um. Aber sind das nicht eben kritische Cha-
raktere, die auf Mitweckung dunkler Erinnerungen eines weiteren
Umkreises beruhen?
Es ist auch zu beachten, dass verschiedene Seiten einer und der-
selben Erscheinung sich verschieden verhalten, das eine trägt (in der
35 Analyse) den Charakter erinnert, gewiss und schlicht, das andere den
Charakter des Anmutlieh, aber nicht den Gewissheitscharakter er-
innert, evtl. hat dieser Charakter in seiner qualitativen Bestimmtheit
gar nicht den Charakter erinnert, es ist ein Lückenbüsser, es füllt den
Rahmen aus als blosse Möglichkeit, als eine der AnmutIichkeit~n,
40 neben der andere offen bleiben. Evtl. hat eine solche Möglichkeit eme
AnmutIichkeit von besonderer Kraft. überwiegend gegenüber paral-
lelen. Evtl. kommt ein Durchstreichen gerade dieses Charakters. Was
sind dann die Charaktere des Ganzen? Das Ganze ist rein erinnert,
durchaus gewiss, es ist erinnert, aber getrübt durch allerlei Anmutlich-
45 keiten. Oder das Ganze ist erinnert, aber an irgendwelchen Stellen
durchgestrichen.
! .,

BEILAGE XXXVII 427

Evtl. habe ich einfach das Bewusstsein der Erinnerung, ein Bild
schwebt vor. Und nun kommt ein Fortgang im Erinnerungszusam-
menhang und dann ein Rückgang zum alten: Das stimmt etwa nicht.
Das kann betreffen die Erinnerung selbst. Aber auch das Objekt der
5 erinnerten Wahrnehmung. Die frühere Erinnerung wird umgewandelt,
das Bild anders ausgemalt: Ich hatte mir Herrn X als blond vorge-
stellt, Vollbart. Nein, er hat ja keinen Vollbart, seitwärts ausrasiert
etc. Das Blond ist auch nicht blond, sondern hellbraun. Dabei kann
das "Bild" unklar sein. Aber auch klar, und dann wird ein klar "Er-
10 innertes" durchgestrichen.
Es wird aber evtl. die ganze Erscheinungsweise (die eigentliche Er-
scheinung) festgehalten und nur die Auffassung durchgestrichen. Wie
im Puppenbeispiel.
Die Fälle sind aber verschieden. 1) Einmal handelt es sich darum:
15 Was habe ich damals wirklich erlebt? Das betrifft also das Erleben,
die innere Erinnerung. Das andere Mal handelt es sich darum: 2) Was
kann ich von der damaligen Wahrnehmung noch festhalten? Was
muss durchgestrichen werden, nicht als Erinnerung, sondern an der
in der Erinnerung gesetzten Setzung der Wahrnehmung?
20 Müssen wir nicht sagen: Erinnerung, das ist aktuelle Repro-
duktion: setzende im weitesten Sinn? Und zwar entweder
schlicht setzende (und homogen setzende), dann ist es Gewissheit, oder
es mengt sich Inhomogenität hinein. Erinnerung hat im me reinen
Betrag von Gewissheit. Jede Erinnerung hat Zusammenhang mit der
25 aktuellen Wahrnehmung: Das Erinnerte ist "vergangen", und ein
Bereich Vergangenheitssetzung ist mit der aktuellen Wahrnehmung
da. Und das Erinnerte ist in diese Vergangenheit versetzt. Nun hat
also Erinnerung ihren Zusammenhang und durch die-
sen Zusammenhang einen Bestand an Setzung. Aber
30 ins ich, abgesehen vom Zusammenhang, hat es au c h seine Setzung.
Ich erinnere mich des vorhin gemachten Spazierganges: Ich habe da
den Setzungsstrahl vom Jetzt aus. Aber das Erinnerungsbild in sich
hat seine Setzung (es könnte ja auch Erwartungsbild sein. Der Inhalt
könnte gleich sein, aber der Zusammenhang zum Hier und Jetzt ist
35 dann verschieden. Der Hof). «
Diese Setzung kann 'einfach sein, Gewissheit oder Anmutung. Und
reine Gewissheit und Gewissheit nach einem Allgemeinen, aber An-
mutung nach Teilen.
Sie kann aber auch von Kritik begleitet sein. Gewissheit wird
40 durchgestrichen, oder es schiebt sich eine fremde Erinnerung hinein,
die in sich gewiss ist~ Aber als Teil dieses Zusammenhangs wird sie
durchgestrichen.
Was ich gerne verstehen möchte, ist das verschiedene Durch-
streichen.
45 1) Das der Erinnerung selbst oder von Komponenten der Erinne-
rung: Z.B. ich erinnere mich, beim Spaziergang letzthin Willigsen ge-

Eusser 1l-Archiv
111 (-I
428 BEILAGE XXXVII

troffen zu haben. Und nun schiebt sich die Erinnerung auseinander


zerfällt in zwei nicht zusammenhängende Erinnerungen, der Spazier~
gang letzthin ist ein anderer als derjenige, in dem ich Willigsen traf.
Oder ich habe die Erinnerung an Herrn X mit einem Vollbart : also
5 die Erinnerung an eine gewisse Erscheinungsweise. Aber nun habe ich
eine neue Erinnerung, und besser, klarer: X hat gar keinen Vollbart
und ich bestreite nun die Erinnerungserscheinung selbst. Sie modifi~
ziert sich: Ja, so sehe ich ihn.
2) Ich halte die Erinnerung aufrecht, sie gilt mir. Ich habe einfach
10 die Erinnerung, aber die damalige Wahrnehmung war
falsch. 1 Weiter, die damalige Wahrnehmung bleibt unangefoch-
ten. Oder sie wird angefochten und erhält den Wert einer Vermutung,
sie wird zweifelhaft - was geschieht da mit der Wahruehmung, die
doch in <sich> selbst erinnerte bleibt? In sich selbst ihren Charakter
15 behält, erinnerte zu sein? Und gewiss zu sein, denn damals habe ich
gar nicht geschwankt und fest geglaubt.
Muss ich nicht sagen: Die erinnerte Setzung bleibt, was sie ist. Aber
ein neuer Strahl der Setzung geht auf das Gesetzte? Und wie das? So,
dass er die erinnerte Setzung entwertet. Also hat sie doch einen Wert.
20 Gehört es also zum Wesen der schlichten Erinnerung, dass sie als
Setzung "der früheren Wahrnehmung" eben auch Setzung des in ihr
Gesetzten ist: Ich vollziehe die Reproduktion, ich vollziehe die Wahr-
nehmung im Modus des Gleichsam, und das "Wahrgenommene" ist
gesetzt? Diese Setzung gehört zum Vollzug der ganzen Reproduktion.
25 Sie ist durch und durch Setzung. Alles in ihr ist als seiend charakteri-
siert. Erst die nachkommende Kritik kann entwerten, was ur-
sprünglich wertet.
Jede Erinnerung unterliegt aber der Kritik. Sie "prätendiert"
ihrem Wesen nach, in Zusammenhang zu gehören. Und zwar die Er-
30 innerung als solche dem inneren Zeitzusammenhang und die erinnerte
Wahrnehmung, das erinnerte Urteil, der erinnerte Wunsch hat wieder
seine Prätentionen. Die erinnerten Erfahrungen haben die Prätention,
die ihre Erfüllung findet in der Einheit der Erfahrung, die ihre Weise
hat, zu entwerten oder zu bestätigen. Die erinnerten Urteile: Die Ur-
35 teile mochte ich gefällt haben, es stand in ihnen der und jener Sach-
verhalt als wahr da. Das bleibt unangefochten, wenn nichts dagegen
aus dem Zusammenhang des inneren Erinnerns spricht. Aber nun
muss sich ein Urteil auch bestätigen lassen, es kann etwas gegen das
Urteil nachträglich sprechen: neue einsichtige Urteile z.B., die sich
40 auf denselben Sachverhalt beziehen. Es gibt so etwas wie Beziehu~g
von Erlebnissen verschiedenen nacheinander kommenden Erlebms-
sen (in wiederhoiten Erinnerungen zu erinnernden) auf dasselbe Cogi-
tierte. Ebenso haben Wertungen ihre Weise der Auswertung und Ent-
wertung.
45 Ist aber nicht die Sachlage für die verschiedenen Gattungen von

1 Später eingefügt: "sie wird jetzt angefochten". - Anm. d. Hrsg.

'I
BEILAGE XXXVII 429

cogitationes doch verschieden? Insbesondere für die erfahrenden Akte


gegenüber den wertenden?
Man könnte sagen: Alle Erfahrungsakte gehören zur Einheit der
Natur, oder sie sind falsch. Jede Erinnerung an eine Wahrnehmung
5 ist Setzung eines gewesenen Seins, undd as gewesene Sein ist ein Sein
im Zusammenhang der Natur, in der ich jetzt noch stehe.
Wie steht es aber mit Wertungen? Eine Erinnerung an eine Wahr-
nehmung einfach vollziehen, das ist für mich soviel: Das war damals
(solange es unbestritten bleibt). Eine Erinnerung an ein Urteil von
10 damals aber sagt nicht, das war damals, sondern ich meinte das da-
mals. Ich brauche jetzt gar nicht einer Durchstreichung. Ich urteile
einfach nicht. Aber was soll das heissen? Ich denke es bloss? Ich habe
das und das leidenschaftlich begehrt. Jetzt erinnere ich mich daran.
Aber ich begehre das gar nicht mehr. Es lässt mich jetzt kalt.
15 Gehört es zum Wesen einer äusseren1 Erinnerung, dass das Gegen-
ständliche (das wahrgenommen Gewesene) solange gesetzt bleibt (in
seiner Zeitbestimmtheit), als es unbestritten bleibt, als nicht beson-
dere Erfahrungsmotive es aufheben, dagegen zum Wesen einer Er-
innerung an frühere Urteile, Wertschätzungen, Wollungen, dass sie
20 nicht "ohne weiteres" bestehen bleiben?

*
Erinnerung
Wir haben bei einem beliebigen stellungnehmenden Erlebnis zu
unterscheiden:
1) Das Erlebnis als solches ist ge set z t im inneren Bewusstsein.
25 So z.B. mein äusseres Wahrnehmen, mein Urteilen, Wünschen ete. sind
in der inneren Zeit als Wirklichkeiten bewusst. Diese Setzung ist not-
wendig.
2) Die Erlebnisse (die Gegenstände der Setzung des-inneren Be-
wusstseins) haben nun als stellungnehmende ihre eigenen positionalen
30 Momente, also z.B. die äussere Wahrnehmung ist Wirklichkeits-
setzung eines Dinglichen, das Urteil Setzung eines Sachverhalts, der
'Yunsch Wunschsetzung eines Mögens, das Wollen Willenssetzung
ellles zu Tuenden. All diese setzenden Erlebnisse können in ent-
sprechende set z u n g s los e übergehen: innerhalb des inneren Be-
35 wusstseins.
Nehmen wir nun entsprechende Erinnerungen. ,
, ~enn ich mich z.B. eines früheren Wahrnehmens erinnere, so habe
Ich Jetzt eine setzende Reproduktion, und zwar habe ich nun wieder
Doppeltes:
40 .1) pie reproduktive Modifikation der "inneren Wahrnehmung"
mit Ihrer Stellungnahme. Diese Reproduktion ist setzende, wenn
1 Spat er eingefügt: "wie einer inneren". - Anm. d. Hrsg.
430 BEILAGE XXXVII

eben Erinnerung statthat: Gesetzt ist die innere Wahrnehmung mit


ihrem ganzen Gehalt bzw. auch ihrem immanenten Gegenstand,
dieser ist die äussere Wahrnehmung.
2) Die reproduktive Modifikation der äusseren Wahrnehmung;
5 diese ist, wenn wir von Erinnerung an Dinge oder Vorgänge sprechen,
ebenfalls setzende; aber sie muss nicht setzend <sein>. Ich kann
mich erinnern, das Erlebnis des Wahrnehmens gehabt zu haben, aber
jetzt "glaube ich nicht", die Reproduktion der Wahrnehmungs-
erscheinung ist jetzt nicht in derselben Stellungnahme bewusst, und
10 vielleicht ohne jede Stellungnahme: (evtl. auch willkürlich). Natür-
lich habe ich keine Erinnerung mehr, wenn die erste Stellungnahme
fehlt. Diese ist das Wesentliche der Erinnerung. Und sie kann fehlen,
während ich die zweite Stellungnahme vollziehe. Ich kann eine setzen-
de reproduktive Erscheinung eines Dinges haben, ohne zu glauben,
15 dass ich es wahrgenommen habe: So wenn ich aufgrund von Mitteilun-
gen und Beschreibungen eines Anderen mir eine Vorstellung von einer
Sache mache, die ich für Wirklichkeit nehme.
Sehr zu beachten ist nun für den Begriff und das Wesen der Erin-
nerung diese Doppelheit und der Umstand, dass wir sehr oft das
20 Wort Erinnerung gebrauchen, wo beide Stellungnahmen vorliegen,
ja ganz gewöhnlich in der Sphäre individueller Anschauungen. Aber
man fühlt dabei doch die Übertragung, und jedenfalls ist es nötig, den
prägnanten Begriff von Erinnerung so einzuschränken, dass er nur die
erste Stellungnahme (Setzung) impliziert.
25 Ich erinnere mich eines Beweises, z.B. des Beweises zum Pythago-
ras. Ich erinnere mich nicht nur des Beweisens, sondern des Beweises
selbst. Ich erinnere mich nicht nur meiner früheren Kenntnisnahme
eines mathematischen Lehrsatzes, sondern ich sage auch vom Satz,
dass ich mich seiner erinnere, und weiter auch vom Sachverhalt selbst:
30 Er ist mir bekannt, ich erinnere mich seiner.!
Ich erinnere mich, dass die Engländer die Buren besiegt haben. (Ich
habe davon seinerzeit gehört.) Ich erinnere mich nicht nur eigener Er-
lebnisse, sondern fremder, so komisch das klingen mag: Ich erinnere
mich, dass Franz zornig war: Nämlich ich habe ihn gesehen, habe ihm
35 den Zorn angesehen, und nun heisst der Zorn selbst erinnert. Ich habe
ihn sprechen gehört, er machte eine Aussage, und ich sage: Ich er-
innere mich des vom Anderen ausgesprochenen Urteils.

1 Jede Gegenstandlichkeit einer im eigentlichen Sinn "erinnerten" Ke~ntnisnahme


(d i einer setzenden Reproduktion des inneren Bewusstseins) heisst in Übertragu~g
erin:nert. Aber nur Kenntnisnahme. Nicht etwa auch andere Setzungsweisen. DIe
Kenntnisnahme muss dabei eine gewisse gewesen sein (als das in der Erinnerung
bewusst sein).
j,

431

BEILAGE XXXVIII (ZU Nr. ISb)


<EINFÜHLUNG EINES URTEILS ALS "VERGEGENWÄRTIGUNG"
MIT BESTIMMTER AKTUALITÄT>
<wohl März-April 1912>

5 Bei der Einfühlung eines Urteils, z.B. jemand macht eine Aus~
sage, "verstehe" ich die Aussage, ich brauche sie aber nicht selbst zu
urteilen. Ich habe überhaupt vielleicht kein Urteil darüber, und dass
der Andere so urteilt, braucht für mich gar kein Motiv zu sein. Ist es ( I
das, so habe ich die entsprechende Anmutung. Folge ich ihm als Au~
10 torität, so habe ich das entsprechende Urteil, sonst habe ich, wenn
ich mich rein in den Sinn des Gesagten hineindenke, eben einen biossen
Gedanken. (Nämlich wenn ich mich eben hineindenke.)l
Andererseits aber steht der Andere für mich perzeptiv da und als
so urteilend. Hier werde ich wohl nicht anders sagen können, als dass
15 mir eine "Vergegenwärtigung" dient, die mit den gehörten Worten
eins ist. Die Vergegenwärtigung ist aber nicht reproduktiv, obschon
sie Vergegenwärtigung, Darstellung ist, sie ist also nicht Phantasie,
geschweige denn "blosse Phantasie", sondern hat ihre Aktualität.
Ihre bestimmte Aktualität. Denn der Fall ist hier anders, als wenn ich
20 mir selbst in der Erinnerung das Urteil zuschreibe. Das Urteil des
Anderen ist sein gegenwärtiges Erlebnis: Es ist also durch das Me-
dium einer Vergegenwärtigung eine ,Gegenwart gesetzt. (Gegenwart
"äusserer" Dinge kann ich ja überhaupt durch Reproduktion oder
perzeptive Imagination, und zwar durch aktuelle, bewusst haben.
25 Hier ist das "Äussere" aber ein Psychisches, und das Äussere besagt,
dass eine transiente Setzung vollzogen ist.) Und ich setze diese Gegen-
wart in Zusammenhang mit der Wahrhehmungsgegenwart, der perzi-
pierten des fremden Leibes und unserer gemeinsamen Dingumgebung. 1
Doch fehlt hier noch manches zur Analyse.

30 BEILAGE XXXIX (zu Nr. lSd)


WIEDERERKENNEN, ERKENNEN UND ERINNERUNG
<Texte wohl aus den neunziger Jahren>

Kennen, Erkennen, Wiedererkennen und' Erinnerung-

1. Das individuelle' Erkennen und Erinnern


35 Ein Erinnerungsbild, an eine nahestehende Person (meine Elli)
b 1 So wie ich jedem äusseren Bildbewusstsein, das ja ein darstellendes ist, ein
~osses BIldobjekt entnehmen kann und dann ein perzeptives, aber nichtsetzendes
B mg-erschemen habe, so kann ich hier in der Vergegenwärtigung der Einfühlung das
.ewusstsem des biossen Denkens bilden, ein impressives Urteils-Bewusstsein, aber
nicht setzendes.
432 BEILAGE XXXIX

taucht auf. Ich erkenne es. D.h. das Bild ist Bild der bekannten
Person, es ist ja Erinnerungsbild.
Erinnerung bestimmt bzw. unbestimmt.
a) Erinnerung an den Gegenstand, der Gegenstand ist mir bekannt
5 (Korrelat), es ist das bestimmte identische Objekt, das personal
dauernde und in gleichen Veränderungen dieseibige. Indem ich den
Gegenstand erkenne, mich an ihn erinnere, braucht doch1 nicht die
Erinnerung bestimmt zu sein bezüglich der früheren Wahrnehmung
und des früheren Wahrnehmungszusammenhanges. Dasselbe Objekt
10 kann in verschiedenen Wahrnehmungszusammenhängen gegeben sein
und in verschiedenen gegenständlichen Zusammenhängen gewesen
sein. Ich habe eine bestinlmte Erinnerung, d.h. dann, ich erinnere
mich auch an einen bestimmten Zusammenhang, in dem das Objekt
zu Anderen und zu mir erschienen war, wahrgenommen war, also
15 b) das Objekt ist mir nicht nur bekannt, sondern ich habe auch
eine bestimmte Erinnerungsvorstellung von seiner ehemaligen Wahr-
nehmung in seinem Zusammenhang mit meinem damaligen Ich und
meiner damaligen Umgebung. Einordnung also in den bestimmten
Erinnerungszusammenhang, evtl. mit genauer Fortführung bis zur
20 jetzigen Wahrnehmung. Bekannt ist mir nicht nur der Gegenstand,
sondern die bestimmte Wahrnehmungserscheinung oder Wahrneh-
mungsreihe, in der mir der Gegenstand gegeben war, in ihrem zeit-
lichen Zusammenhang.
Es kann mir der Gegenstand bekannt sein, ohne dass ich es auf eine
25 bestimmte zeitliche Einordnung abgesehen habe. Es taucht bald diese,
bald jene Gelegenheit vielleicht auf, in der ich den Gegenstand ge-
sehen hatte. Ich habe dann verschiedene Erinnerungsvorstellungen,
Identifizierung nach seiten ihres Gegenstandes (und meines Ich). Was
ich aber als "der Gegenstand ist mir wohlbekannt" bezeichne, ist
30 nicht 2 in diesen Erinnerungsvorstellungen gegeben. Es braucht gar
keine bestimmte aufzutauchen3 • Die Vorstellung hat einen eigenen
Bekanntheitscharakter (der sich natürlich auf den Gegenstanc:! be-
zieht: Dieser ist das Bekannte), und dieser Charakter ist ein Aqui-
valent dafür, dass überhaupt Erinne'rungsvorstellungen möglich sind,
35 dass der Gegenstand einmal wahrgenommen war. Woher diese Bezie-
hung? Die allgemeine Bekanntheit hat eine unbestimmte Beziehung
auf dergleichen Erinnerungen, in ihnen erfüllt sie sich, bestimmt sie sich
näher. Es ist also nicht blosse Assozia tion, was beidesin Beziehung
bringt. (Der Bekanntheitscharakter ist nicht das mir bekannt Vor-
40 kommen, das sich auf die Art bezieht, sondern das Wiedererkennen,
das sich auf dieses bestimmte Gegenständliche in individuo bezieht.)
Ist die Erinnerung u n be stimm t, so kann ich mich an das Ob-

1 "doch" später verändert in "aber". - Anm. d. Hrsg.


2 Später eingefügt: "gerade". - Anm. d. Hrsg. nHr
8 Später eingefugt: ,,(während der Gegenstand in der Wahrnehmung vor
steht)". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXXIX 433

jekt bestimmt erinnern, aber unbestimmt kartn (ga.nz oder teilweise)


dIe Gelegenheit bleiben, wo ich es gesehen habe. Oder es ist auch das
Objekt nicht völlig bestimmt. Die Vorstellung schliesst Unbestimmt-
heiten ein, die aber vielleicht nicht so gross sind, dass ich beim Wieder-
5 fmden das Objekt nicht als das erinnerte wiedererkennen könnte.
Soviel liber das individuelle Erkennen und Erinnern. (Jetzt das
An-e t was-Erinnern.)
H. Das analogische Erkennen des Gegenstandes nach seiner Ähn-
hchkeit mit früher gegebenen Objekten
10 IX) "Dieses Ding erinnert mich an etwas, ich weiss noch nicht was.
Was 1st es nur? Ich kenne es selbst nicht, aber es ist einem Gegenstand
ähnlich, den ich früher gesehen habe."
~) "Gegenstände dieser Art habe ich schon gesehen", Gegenstände
ähnlicher Art (Bäume von einem ähnlichen Typus) gibt es auch in
15 meiner Heimat. ""
y) Ein Gegenstand A, der in der Wahrnehmung vor mir steht, er-
mnert mich an einen Gegenstand B, der in einer Gedächtnisvorstellung
mir vorschwebt. Ebenso ein Gegenstand A, den ich in der Phantasie
oder im Bild oder in einer Erinnerungsvorste1lung gegeben habe, er-
20 innert mich an einen Gegenstand B, der in einer anderen Vorstellung
gegeben ist. Der Gegenstand A ist dem Gegenstand ~ in seinem all-
gemeinen Charakter ähnlich. Aber es ist nicht bloss Ahnlichkeit, wie
wenn objektive Ähnlichkeit bestände und ich sie nun bemerkte.
Sondern A erinnert an B. A hat einen eigentümlichen psychischen
25 Charakter, und B, wenn seine Vorstellung eintritt, hat einen gewissen
korrelaten Charakter. Die Vorstellung von A erregt eine gewisse In-
tention, die in B ihre Erfüllung findet. Die Vorstellung von A stellt
eben A vor, aber überdies weist sie durch Ähnlichkeit auf B, und das
Fundament der Beziehung sind gewisse allgemeine Züge.
30 In IX) ist diese Intention! an A angeknüpft, ohne dass die Vor-
stellung von B gegenwärtig war. In y) ist beides gegeben, B mit dem
Charakter des diese Intention Erfüllenden. Evtl. ist Zllllächst V(A)
und dann V(B) da. Und so gewinnen sie durch das Verhältnis von In-
tention und Erfüllung ihre Zusammengehörigkeit. Erlebbare Zusam-
35 mengehörigkeit beruht überhaupt nur auf einem derartigen Verhält-
nis.
Wie ist es bei ß)?
Eine Vorstellung A sei gegeben. Sie erinnert mich an Gegenstände
40 der ~rt GA; mir sei jetzt zugleich mit der V(A), auch eine Vorstellung
V' emes GA gegeben. Offenbar habe ich wieder nicht einfach zwei Vor-

1 "IntentlOn" 1st hier nicht "Vorstellung von", es ist etwas anderes. Es ist das
Verh;JJtms, das Zeichen und Bezeichnetes verbindet. Das Zeichen erinnert auch an
BezeIChnetes, es soll aber auch daran erinnern. Es hat eine Funktion. Hier haben
Wir dbcr eine Erinnerungsbeziehung durch Ähnlichkeit, die nicht zum Zeichen ge-
hOl t. I> Ist aber auch nicht Bild beziehung. Das Bild erinnert nicht nur an das
Ollglilal, sondern stellt es vor, repräsentiert es durch Ähnlichkeit.
434 BEILAGE XXXIX

stellungen nebeneinander, mit der Erkenntnis, dass die Gegenstände


ähnlich sind oder einer Gattung sind. Sondern V(A) ist mit einer
In t e n t ion behaftet, die in GA ihre Erfüllung findet. Was heisst
das? Sie findet nicht ihre Erfüllung in dem gegenwärtigen 0 b j e k t e
5 dieser Gattung, das mir durch die Vorstellung V' gegeben ist. A er~
innert mich nicht gerade an dieses Objekt als dieses, obschon die
Erinnerung in gewissem Sinn tatsächlich vollzogen und durch A an~
geregt wurde. A erinnert an gewisse allgemeine Züge, an die G a t~
tun g, und eS erinnert an sie vermöge eines gewissen in ihm eingebet~
10 teten und verwandten Gattungsmässigen (z.B. "die" Lärche erinnert
an "die" Tanne).
Die Intention ist also an die Vorstellung V(A) derart angeknüpft,
dass sie an dem bezüglichen Gattungsmässigen haftet. Das tut sie
aber auch im anderen Fall. Jedoch geht die Intention jetzt nicht auf
15 ein in d i v i d u e 11 bestimmtes Objekt, sondern auf ein anderes
gattungsmässiges, und so findet sie Erfüllung, wo immer diese in con~
creto auftritt. Also der Charakter der Erfüllung haftet jetzt anders an.
An B nicht als Ganzem, sondern nur an dem bezüglichen Allgemeinen
in ihm. An B werden wir nur erinnert, sofern es Träger des G ist. Und
20 wenn mehrere B auftauchen, hat keines einen Vorzug, wir werden an
G's als solche erinnert.
Und so kann die allgemeine Intention an eine allgemeine Intention
erinnern, der intentionale Charakter der Erinnerung kann auf Allge-
meines gehen, das den Charakter des Bekannten hat, des von mir in
25 einzelnen Fällen wiederholt Erlebten.
III. Allgemeines Erkennen. Allgemeine Intention (Vorstellung)
Ich kenne die Tanne, die Fichte, ich kenne den Apfel und viele
andere Bäume und Früchte. Ich habe z.B. die Phantasievorstellung
einer Tanne, aber nicht einer "individuell bestimmten" Tanne. Was
30 heisst das? Wie kann die Phantasievorstellung anders wie individuell
bestimmt sein? Ja, das Phantasma ist ein Individuum, ebenso die
Vorstellung. Aber Vorstellung braucht keine Vorstellung von indivi~
duell Bestimmtem zu sein. Ihre Intention ist eben eine allgemeine. In
einfacheren Fällen mag ein Abstraktum enthalten sein für diese all~
35 gemeine Vorstellungs-Intention. Z.B. ich stelle das allgemeine Rot vor
und habe in der Phantasie ein Rotes. Oder nehme ein solches wahr.
Ich meine aber nicht dieses Rot, sondern das Rot überhaupt.
Die allgemeine Intention findet ihre Erfüllung in jedem Einzel-
fall, der das Abstrakte bietet, und zwar nicht in dem individuellen
40 Gegenstand, sondern nur in dem allgemeinen Zuge desselben. IndeJ?
wiederholte Fälle des Allgemeinen vorgefunden werden, während die
Intention auf das Allgemeine gerichtet ist, findet Identifikation nach
seiten des Allgemeinen statt: Das Allgemeine ist dasselbe. Die all~
gemeinen Intentionen sind selbst "dieselben". Gehe ich von einem
45 zum anderen über, so erkenne ich es als dasselbe. Ich erkenne das All-
gemeine wieder.
BEILAGE XXXIX 435

Wieder anders l , aber innig damit znsammenhängend ist die Vor-


stellung "ein A" (immer anschaulich, und ohne Vermittlung von
Symbolen). Die Intention geht hier auf den Gegenstand in unbe-
stimmter Weise, aber auf ihn nur, sofern er Träger eines Allgemeinen
5 ist. Das Allgemeine ist nicht für sich gemeint, ausschliessend, sondern
seine Auffassung ist untergeordnet einer Meinung, die auf das einzelne
geht, aber nicht auf dieses nach seiner individuellen Fülle, sondern
nur auf dieses, soweit es ein A ist. Ich habe, wenn ich "ein A" vorstelle,
natürlich ein Bestimmtes in der Vorstellung, aber ich meine nicht
10 dieses, sondern eben "ein A".
Was heisst das, X als ein A erkennen? Ich stelle X vor, dieses,
erfasse in ihm die allgemeinen Züge A, die ich als allgemeine erfasse.
Und ich fasse dabei aber das X als ein A auf.,Also erst das X als dieses
und dann in unbestimmter Weise als ein A, und nun erwächst die
15 eigentümliche und neue Synthesis (denn es ist nicht bloss ein Nach-
einander): dieselbe Erscheinung als Grnndlage einer doppelten Auf-
fassung und Meinung, und beide in eins gesetzt.

*
Erkennen und A uttassung

Wenn ein Erkennen neu eintritt, so findet damit vielfach auch eine
20 neue Auffassung statt. So im Beispiel der Bank, die seltsam geformt
ist und erst nachträglich ihrer Bestimmung nach als Bank erkannt
wird. Auch wenn ich eine herankommende Person erkenne, so mag es
~:,in, dass ich erst den Gegenstand auffasse und dann in der stetigen
Anderung der Auffassung auch jene Seite hervortritt, die ihn als
25 meinen Freund kennzeichnet. Dazu dann etwa die Überraschung, in-
mitten dieser fremden Personen eine mir bekannte, werte (durch be-
stimmte Gefühle bevorzugte) zu finden.
Man wird aber nicht sagen können, dass das Erkennen in der biossen
Er~eiterung der Auffassung bestehe. Man sieht das aus folgendem:
30 Ahnlich wie bei einem Bild zu unterscheiden ist zwischen Bild und
abgebildetem Gegenstand, so ist beim Wiedererkennen zu unterschei-
den der gegenwärtige Gegenstand und das, als was er wiedererkannt
wird. Er wird als "er selbst" wiedererkannt. Darin liegt eine Be-
ziehung zu einer früheren Erscheinung derselben Person, aber jeden-
35 falls auch inhaltlich verschieden. Ich erkenne ihn wieder: Ich "erinne-
re" mich seiner noch.
•l\Etunter 2 erinnert mich ein Gegenstand an etwas, ohne dass ich ihn
WIedererkenne. Er erinnert mich an etwas anderes, ihm ähnliches, im
anderen Fall erinnert er mich an <sich> selbst, ich hatte ihn schon
40 früher wahrgenommen. Nun muss man beachten, dass dieses Erinnern

1 Vgl. "Unbesti=theit".
• Siehe ein eigenes Blatt darüber (p) <d.i. oben, S. 433,6ff.>.
436 BEILAGE XXXIX

an anderes keineswegs so sein muss, dass dieses andere in Form einer


zweiten bildlichen Vorstellung gegeben ist. Noch bevor sie eintritt
(vielleicht tritt es überhaupt nicht ein), mag das unbestimmte, ja be-
stimmte Erinnern da sein.
5 Ebenso bei dem Erinnern an <sich> selbst, dem Wiedererkennen.
Es kann sein, dass eine Erinnerung an eine frühere Situation, in wel-
cher der Gegenstand gegeben war (mit ihm selbst natürlich und ihn
bevorzugend), in einer Erinnerungsvorstellung auftritt (bildlich). Es
kann auch sein, dass ein solches Phantasiebild nicht auftritt, genauer
10 zu reden, nicht bemerkt wird. Was wir nicht vorfinden, können wir
auch nicht beschreiben. Jedenfalls hat die gegenwärtige Erscheinung
einen neuen Charakter, und zwar einen neuen meinenden Akt. Die
bildliche Vorstellung meint den abgebildeten Gegenstand; die Wieder-
erkennung meint den gegenwärtigen Gegenstand, aber als mit einer
15 gewissen identischen Person identischen.
Das Wiedererkennen kann betreffen das Erkennen dieses erschei-
nenden Gegenstandes als mit einem früher einmal wahrgenommenen
identischen, oder auch das Erkennen desselben als mit einem bei sehr
verschiedenen früheren Gelegenheiten wahrgenommenen identischen.
20 Als identischen mit "dem" Individuum X, wo das Individuum der
identische Gegenstand ist, der in mannigfaltigen voneinander ab-
weichenden Erscheinungen sich konstituierte. (Die fortgesetzte Er-
fahrung bereichert den Gegenstand, obschon es verschiedene Syn-
thesen sind. In einer Synthesis ist alles auf den Gegenstand Bezügliche
25 mir niemals gegeben.) Es ist überhaupt dieser Prozess der Be-
reicherung desGegenstandes auf dem Wege des Wieder-
er k e n n e n s zu beschreiben. Der eine Gegenstand, das setzt schon
mannigfaches Wiedererkennen voraus.
Die meinende Beziehung richtet sich auf diesen Gegenstand hier,
30 aber als das identische Individuum X, das mir von den verschieden-
sten Gelegenheiten her bekannt ist.
Ebenso, wenn es sich um Erkennen des Gegenstandes als eines A
handelt (als Gegenstand einer bekannten Art).

*
Wiedererkennen und Erinnerung 1

35 Ein Gedächtnisbild in verschiedenen Phasen seiner Dauer. "D a s-


seI b e" Gedächtnisbild jetzt und früher. Bis auf den zeitlichen Unter-
schied. Cornelius will wohl auch Identitätserkenntnis mitbefassen, wo
es sich nicht um verschiedene Phasen einer Dauer handelt, sondern
um die Erkenntnis, dass das Gedächtnisbild, das ich jetzt habe, das-
40 selbe ist wie dasjenige, das ich früher hatte.
Überhaupt wären hier zwei Fälle zu unterscheiden: I) In einem um-
1 <Hans> CorneJius <Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Leipzig, 1897> S. 28.
BEILAGE XXXIX 437

fassenden Erinnerungsakte a) dauert ein Erinnerungsbild, und es wird


in verschiedenen Phasen der Dauer als identisch dasselbe erkannt,
b) taucht "dasselbe" Erinnerungsbild öfter auf und unter. 2) Ich habe
jetzt eine Erinnerung und erinnere mich dann auch, dass ich "die-
5 selbe" Erinnerung früher, etwa gestern, hatte.
Im letzteren Fall - z.B. ich höre ein Lied und erinnere mich, gestern
dasselbe Lied; und zwar genau so, von derselben Stimme, gehört zu
haben - habe ich neben einer Erinnerung auch eine Erinnerung an
eine Erinnerung, und zwar erkenne ich, dass beide: die Erinnerung A
10 und die Erinnerung an die Erinnerung A', beide etwas Gemeinsames
haben: Es sind Erinnerungen an denselben Gegenstand und mittels
gleicher Erinnerungsbilder ("genau so").
Im ersteren Fall: Beispiel: Ich erinnere mich an ein Haus, und es
taucht während der Erinnerung bald unter tlnd bald wieder auf. Hier
15 haben wir ein kontinuierliches Erinnerongsbewusstsein, wir
stellen denselben Gegenstand vor und evtl. mittels ähnlicher Erin-
nerungsbilder. Wir stellen ihn fortgesetzt auf gleiche Weise vor, wenn
wir dieselbe Seite des Gegenstandes intendieren. Aber es gehört ein
neuer Akt der Erkenntnis dazu, um die Identität der Erinnerungs-
20 bilder (falls dergleichen möglich ist) zu erkennen. Evtl. richtet sich
ein neuer Akt der Vergleichung oder Unterscheidung auf beide Bilder
oder die Erinnerungen (das sondert Cornelius nicht), und dann habe
ich natürlich von der Erinnerung eine Erinnerung.

*
Verständnis, Erkennen, Wiedererkennen

25 Ich verstehe die Bedeutung eines Zeichens, eines Wortes, Satzes,


einer Folge von Sätzen. 1
Ich er k e n n e eine Farbe als rot, einen Gegenstand als einen Baum,
einen Baum als eine Linde. 2
Eine Farbe erkenne ich wieder als die, die ich jüngst an einem
30 Gegenstand gesehen, einen Baum erkenne ich wieder als diesen be-
stimmten. 3
Wie "erkenne" ich eine Farbe als rot? Bloss dadurch, dass der
N am e reproduziert wird? Das wäre die rohe Auffassung von Leh-
mann. 4
35 Ist das Erkennen ein vollständiges, d.h. derart, dass der Name Rot
gegenwärtig ist, dann haben wir:

I Verstandnis.
2 Erkennen.
3 WIedererkennen.
a) vollstandig, mit fester Erinnerungsbestimmtheit, bestimmte Erinnerung, b) un-
vollstandig, mIt Unbestimmtem in Ansehung von Zeit und Zusammenhang, unbe-
sttmmte Ennnerung. ,
4 Husserls Hinweis konnte nicht identifiziert werden. - Anm. d. Hrsg.
438 BEILAGE XXXIX

1) Zeichen und erregte Disposition von Röte


2) Bezeichnetes: diese Röte
3) Beide in ihrer Beziehung zueinander, d.h. die Sache als das, was
das Zeichen meint, die Sache als Erfüllung, "übereinstimmung zwi-
5 schen Vorstellung und Sache" (Bejahung).!
Ist das Erkennen unvollständig, d.h. derart, dass die "Vor-
stellung", d.h. die Repräsentation unvollkommen gegeben ist, dann
fehlt der Name und überhaupt eine eigentliche Vorstellung (eine Ap-
prehension) des Symbols. Gleichwohl ist die entsprechende Disposi-
10 tion 2 unbewusst erregt, und der Akt der Repräsentation ist da. Ich
erkenne die Farbe als die im unausgesl?rochenen und als mangelnd ge-
fühlten Worte gemeinte. Auch hier Ubereinstimmung zwischen der
unvollkommenen" Vorstellung" und der Sache. Mitunter findet keine
Beurteilung statt, wir betrachten die Farbe, und sie mutet uns ver-
15 traut an. Das Erkennen ist ein abgegrenzter Akt, die Vertrautheit ein
ruhender psychischer Charakter, der uns dann -als indirektes An-
zeichen davon dient, dass der betreffende (Inhalt oder) Gegenstand
zum Bereich unserer Erkenntnis gehört.

Wiedererkennen

20 a) Vollständig. Ich erkenne wieder die Linde vor dem Tore, ich
erkenne sie an und für sich wieder, indem Schritt für Schritt die In-
tentionen, die erregt sind, erfüllt werden. So wird jeder einzelne Teil
in seinem Zusammenhang mit den übrigen erkannt und wieder wird
der Gesamteindruck im übergang zu den Teilen und von den Teilen
25 erkannt; endlich kann das Wiedererkennen auch vollzogen sein durch
den Ausdruck "unsere Linde vor dem Tore" oder durch Übergang von
der vertrauten Umgebung zu dem Baum.
Wieder mache ich einen Unterschied, ob ich ein dauerndes Gefühl
der Vertrautheit empfinde, indem ich die Linde ansehe, und ob ich
30 abgegrenzte Akte des Wiedererkennens habe, obschon in der Regel
eins ins andere übergeht bzw. zugleich da ist. Das Wiedererken-
nen sehe ich nur im Akte der "übereinstimmung", die
Vertrautheit ist aber ein dauernder Bewusstseinszu-
stand. Die Vertrautheit ist ein dauerndes Gefühl, das sich über den

1 Hier ist übersehen, dass die VorstelJung eine allgemeine ist in "Anwendung
auf einen Einzelfall". Die allgemeine Auffassung, die intuitiv oder symbolisch oder
zugleich intuitiv und symbolisch vermittelt.
Die Sache wird als Intention des Zeichens erkannt, d.h. nicht, es wird geurteilt:
Dies heisst rot; denn letzteres enthält unter anderem den komplizierten Ge-'
danken, dass die Menschen den Namen Rot fur diese Farbe zu verwenden pflegen
oder einen ähnlichen. Unmittelbar haben wir aber gar kein Bewusstsein, keine Vor-
stellung von "Namen", von Menschen, vom Sprechen usw. Wir haben unmittelbar
bloss das Symbol und fühlen seine Beziehung zum Gegenstand.
2 Was für Disposition? Die vom Namen oder die von Röte, so wie ich sie früher
erlebt habe?
Natürlich die für den Namen.
BEILAGE XL 439

ganzen Umkreis der bekannten Gegenstände einheitlich erstreckt; der


Wiedererkennungsakte sind aber viele. Ich blicke auf und sehe das
Bild eines Freundes. Sofort erkenne ich ihn wieder, ohne dass ich das
Bewusstsein von Identifizierungen hätte. Da ist wohl nur das Gefühl
5 der Vertrautheit erregt. Unter anderen Umständen aber mag das Bild
Zeichen für die Sache sein, die "Gedanken" werden auf die Person ge-
lenkt, was zu ihr gehört, ist lebhaft erregt, ein Verständnisakt wird al-
so ausgelöst, der die Bildvorstellung mit der vorgestellten Sache in
Identität bringt. Die letztere ist freilich nicht explizit apprehendiert.
10 b) Unvollständig. Ich erkenne nur einzelne Momente wieder,
aber das Gefühl der Vertrautheit, das sich über das Ganze erstreckt,
dient mir als Anhalt für das uneigentliche Wiedererkennungsurteil.
Liegt in jedem Verständnisakt schon eine Erkenntnis vor?
Ich sage z.B. mit Verständnis "Löwe". Hier 'erkenne ich das Wort,
15 aber nicht das allein. Ich habe eine Erkenntnis seiner Bedeutung;
diese ist zwar nur unbewusst erregt, aber sie führt das Bewusstsein
von Übereinstimmung mit sich, das wir auch bei expliziten Identifi-
kationen vorfinden. Tritt die Bedeutungsvorstellung explizit auf, dann
tritt, wenn vorher schon ein vollständiges Verständnis da war, wohl
20 nicht noch eine zweite Bejahung ein. Nur wenn es nicht vollkommen
war, finden wit eine abermalige Bejahung: ja, das ist's! Die nach-
trägliche Bejahung, wenn der Bedeutungsinhalt eintritt, kommt jeden-
falls davon her, dass bei der Selbstbeobachtung eine Intention, ein
Begehren auf den Eintritt des Inhalts gerichtet ist; tritt er wirklich
25 ein, dann wird er als der intendierte natürlich anerkannt, als der be-
gehrte, erwartete.

BEILAGE XL (zu Nr. 1Sc und d)


VOLLZUG - UNTERBINDUNG DES VOLLZUGS
<DAS ERSCHEINENDE BLOSS BETRACHTEN IN DER
30 WAHRNEHMUNG UND IN DEN REPRODUKTIVEN
BEWUSSTSEINSARTEN : AUSSCHALTEN DER STELLUNGNAHME.
ÄSTHETISCHE BETRACHTUNG>
<wohl März-April 1912>

1) Kann ich, mich nicht jedes "belief" und jeder "Stellungnahme"


35 en thalten?
Ich nehme etwas wahr. Das Wahrgenommene ist charakterisiert als
"seiend". Ich vollziehe eine Illusion. Das perzeptiv Erscheinende ist
c1:arakterisiert als nichtig. Ich schwanke perzipierend, ob das Perzi-
pIerte eine Puppe oder ein Mensch ist. "Puppe" hat den Charakter der
40 Anmutlichkeit, aber der "bestrittenen" durch die Anmutlichkeit von
"Mensch", und beides "streitet" eben.
Kann ich nicht alle diese Stellungnahmen ausschalt~n: Ich betrachte
440 BEILAGE XL

bloss das Wahrgenommene, das Illusionäre, ich betrachte bloss


das Erscheinende, ich sehe mir die "Puppe" an und den "Men-
schen" au, als was das gegeben ist. Ebenso in der Erinnerung, in den
reproduktiven Bewusstseinsarten. Ich schalte den Glauben, die Stel-
5 lungnahme aus. Was ist das Ausschalten, was kann es besagen, und
was soll dieses "Betrachten" sein?l
Die Charaktere der "Wirklichkeit", Anmutlichkeit etc. sind nicht
verschwunden. Ist die Sachlage zu beschreiben damit, dass ich einen
neuen Akt des "biossen Sich-denkens" vollziehe, der mit den vorigen
10 den "Inhalt" gemein hat?
Dasselbe gilt für alle cogitationes. Wir können die Stellungnahme
ausschalten und das Cogitierte als solches "betrachten", ins Auge fas-
sen. Man wird versuchen zu sagen
2) natürlich ein Wahrnehmen im gewöhnlichen Sinn ist das nicht;
15 aber ist es nicht eine neue cogitatio, und zwar eine solche, die selbst
wieder ihre Gegenständlichkeit hat, und eine eigenartige Gegenständ-
lichkeit, und wobei diese Gegenständlichkeit im Charakter des belief
bewusst ist. Also ist es nicht selbst wieder ein "stellungnehmender
Akt" ?
20 Ist es nicht ein gebendes Bewusstsein (nämlich für die eigen-
artigen Gegenständlichkeiten, die es sich gegenüber hat und erfasst,
diejenigen, die wir als phänomenologische besonders lieben, die Per-
zeptionalien, Propositionalien, die Wesenskorrelate) ? Das Erfassen und
Betrachten der in der cogitatio stehenden Cogitate ist ein Analogon des
25 Wahrnehmens, des Gewahrens (in jedem Wahrnehmen im gewöhn-
lichen Sinn steckt ja auch ein Betrachten und Erfassen, nämlich der
individuellen Gegenstände, der Töne, Dinge etc.), und zu jeder mög-
lichen Gegenständlichkeit gehört die Möglichkeit des Erfassens, des
Betrachtens = Konspizierens.
30 S02 kann ich auch einen Gedanken erfassen. Das Sich-denken aber
soll die cogitatio sein, in der sich der Gedanke konstituiert, so wie das
Wünschen die cogitatio ist, in der der Wunsch" bewusst" ist, gleichgültig,
ob zu ihm ein Konspizieren, ein gewahrender Akt hinzutritt, der das
Gegenständliche "entnimmt", erfasst, oder wie das Phantasieren die
35 cogitatio ist, in der das Phantasierte sich konstituiert.
Wie konstituiert sich aber das Phantasierte? Erfassen kann ich
doch nur, was "da ist". Das Phantasierte ist doch nur da in der Weise
des "Phantasierten als solchen", und ebenso ist das Gedachte (der
Gedanke) nur als "Gedachtes als solches". Das Sich-denken, wie das

1 Etwas nachträglich eingefügt: "Deutlicher: Wir haben folgende Möglichkeiten:


1) Ich lebe im Vollzug der Anschauung, mag der doxische Modus welcher imn;er
sein, ich durchlaufe das Erscheinende. 2) Ich kann auf das 'wirklich', das 'nichtig'
achten und aussagenevtl. 'das ist wirklich', das ist 'nichtig' etc.3) Gibt es noch
ein Drittes? Das sich 'Enthalten' der Stellungnahme und sich den Gegenstand bloss
Denken? Nehmen wir an, dieses Dritte sei gewährleistet". - Anm. d. Hrsg. .,
2 Der Text dieses und der beiden folgenden Absätze (bis S. 441,5) wurde spater
kreuzweise gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XL 441

blosse Phantasieren, ist kein "setzender" Akt bzw. enthält nichts von
Setzung.
Jedenfalls dürfen wir nicht vermengen: Das blosse "Sich-denken",
sich "Hineindenken", und das Sich-hinwenden auf etwas, es Erfassen,
5 das als "Korrelat" Akten entnommen ist.
3) Aber nun ist das Pro b 1e m: Muss jenes blosse Betrachten als
ein gewahrender, konspizierender Akt angesehen werden? Es war doch
davon die Rede, dass wir uns jeder Stellungnahme enthalten
könnten. Das sagt doch nicht, dass wir, etwa uns eines Urteils enthal-
10 tend, "das" Urteil (das Geurteilte als solches; oder den geurteilten
Sachverhalt als solchen) entnehmen und zum Gegenstand einer Set-
zung, eines neuen "Glaubens", zum Thema etwa logischer Erwägung
m:lchen. \Vir können den Wunschinhalt als',solchen "betrachten", in
dem Sinn, dass wir eben diese Gegenständlichkeit entnehmen und er-
15 fassen, setzen, um darüber Urteile zu fällen. Aber ist das "sich in das
\Ylinschen bloss hineindenken", also die aktuell wünschende Stellung-
nahme ausschalten (mich des Wunsches enthalten) und doch dem
"Erwünschten" zugewendet sein?
Kann ich miCh nicht auch der in der äusseren Wahrnehmung liegen-
20 den Stellungnahme des Glaubens en thaI ten und mich in das blosse
Erscheinen hineinleben und das Erscheinende als solches "bloss be-
trachten", d'j. seine Erscheinungsbeschaffenheiten durchlaufen?
Das ist doch etwas ganz anderes als die phänomenologischen Korre-
late zu Gegenständen machen und sie erfassend als Gegenstände set-
25 zen, zu Subjekten theoretischer Urteile machen etc.
4) Nehmen wir etwa die doch wohl hieher gehörigCl äst h e ti s c h e
Be t r ach tun g. Hier ist "die Stellungnahme in Beziehung auf Sein
oder Nichtsein ausgeschaltet. Auf sie kommt es nicht an". Ich voll-
ziehe sicherlich auch keine Setzung des Aktkorrelats. Ich durchlaufe
30 das Erscheinende als solches (das sagt nicht, ich setze das Korrelat
"Erscheinendes als solches"), das Erscheinende, wie es erscheint. Ich
lebe im Erscheinen, "vollziehe' es". Aber ich vollziehe keine Stellung-
nahme zum Erscheinenden, es sei denn die ästhetische Stellungnahme
des Gemüts. Es kann dabei sein, dass mir ein Bild dient. Es hat den
35 Charakter eines Fiktums, aber "darauf kommt es nicht an". Es
kann aber auch sein, dass ich die Natur selbst, "die Dinge, die ich
wirklich sehe", sinnlich-ästhetisch betrachte. "Die Wirk-
lichkeitssetzung fällt ausserhalb des ästhetischen
Rah m e n s: wo es auf die bloss sinnliche Schönheit, Schönheit der
40 Erscheinung ankommt."l Problem: Was liegt hier vor? Sagt man eine
In akt u al i t ä t s modifikation der Wahrnehmung, so ist das ein
Name. Was liegt hier vor? Und erfährt denn wirklich die Wahrneh-
mung selbst irgend so etwas wie eine Modifikation, etwa in ein "blosses
Vorstellen" ?

1 V gl. die gründlicheren Blätter über ästhetische :E:instellung in Ae 1-4 <d.i. Nr. 6h,
oben, S. 386ff.>
442 BEILAGE XL

Es ist auch zu beachten, dass die Sache hier doch so liegen kann und
wohl liegen wird, dass die Wirklichkeitsstellungnahme in gewisser
Weise da ist: Das Erscheinende ist immerfort als wir k li c h charak-
terisiert. Aber jetzt "erfasse" ich nicht die Wirklichkeit, ich "setze"
5 sie nicht. Ich "lebe nicht im Glauben" , ich vollziehe keine "Glaubens-
zuwendung". Das ästhetische Werten, das vollziehe ich, mit ihm
wende ich mich dem Erscheinenden zu, und dieses macht gewisser-
massen nur Gebrauch von dem Erscheinenden als solchen, aber nicht
von seiner Wirklichkeits-Charakteristik. Man wird auch sagen: Das
10 Erscheinende steht im Wertcharakter da, es kann das auch tun, ohne
dass ich im Werten lebe, "mich wertend zuwende". Ich lebe etwa im
Wirklichkeitsglauben, ich urteile theoretisch über das Dasein in der
Natur. Nun steht das Erscheinende "vermöge seiner Erscheinungs-
weise" als schön zwar da, aber ich vollziehe nicht die wertende
15 Stellungnahme. Also handelt es sich hier um "Urteilsenthaltung" im
gewöhnlichen Sinn? Es handelt sich um jene Zuwendung, die wir
"im Akte leben" oder vielmehr den Akt des Urteilens, den Akt
des Wertens "vollziehen" nennen, in welchem Fall wir dem
Geurteilten, dem Gewerteten zugewendet, als Urteilende, als Wertende
20 zugewendet sind, aber natürlich nicht Phänomenologen sind, die da
Korrelate entnehmen. Wir haben den Unterschied des Akte Voll-
ziehens, Urteil-Vollziehens, Werten-Vollziehens und Akte Nichtvoll-
ziehens ; nämlich so, dass immer noch etwas erscheint, etwas bewusst
ist und die betreffenden "Charaktere" hat, aber in "unlebendiger"
25 Weise.
Das Objekt steht als glaubhaft, als wirklich da, aber ich glaube
nicht, ein Glauben ist "leblos" im Bewusstsein, aber wenn wir nor-
malerweise von Glauben sprechen, meinen wir das "Vollziehen", wo-
bei auch der Glaubhaftigkeitscharakter des Objekts eine andere
30 "Lebendigkeit" hat.
Aber inwiefern ist demgegenüber Ur t eil sen t haI tun g etwas
eigenes? Sicherlich, ich vollziehe nicht das Urteil (das ist das Gemein-
same), während ich es soeben vollzogen hatte. Urteilsenthaltung unter-
liegt der Willkür: Willkürlich ziehe ich mich vom Urteilsvollzug zu-
35 rück. Dieses willkürliche Verhalten rechnet man normalerweise zum
Wesen der "Urteilsenthaltung", bei dem natürlichen Sinn des Wortes,
dazu. Aber das reicht noch nicht aus. Wir sehen natürlich davon ab,
<dass> ich mich des Ausspruchs, des Vollzugs der Rede, der Aussage
enthalte: Während ich das Urteil doch innerlich vollziehe. Es kann
40 dann noch gemeint sein, dass ich eine Frage vollziehe, ob das S p ~st,
dass <ich> überlege, welche Gründe dafür sprechen usw., kurz dass Ich
in Absicht auf Beg r ü n dun g oder Pr ü fun g neue Stellungnahmen
vollziehe und in diesem Zusammenhang es Willkür unterläge, das Ur-
teil selbst zu vollziehen. Ist dies geklärt, so können wir zu unserem
45 Ausgangspunkt zurückgehen.
überlegen wir noch einmal die ästhetische Betrach-
BEILAGE XL 443

tun g. Wir vollziehen die ästhetische Stellungnahme. Wir vollziehen


aber nicht Urteile über das Erscheinende, die es als Wirklichkeiten
setzen. Es mag aber als wirklich charakterisiert sein. Nun ist ab e r
doch das Erscheinen, obschon nicht das Urteilen,
5 seinerseits in gewisser Weise "vollzogen". Wir durch-
1auf e n, indem wir immer neue Erscheinungen vollziehen. Welche
Rolle spielen dabei die Wirklichkeitscharaktere ?
Sind sie nicht doch ausgeschaltet, eben nicht in den Vollzug auf-
genommen? Und was bleibt übrig? Ist nicht als Unterlage des ästhe-
10 hschen Wertens ein gewisses modifiziertes Gegenstandsbewusstsein
(und doch perzeptives Bewusstsein?) voll\Zogen?
Ebenso der andere Fall: Ich vollziehe reprod,ukti v ein anschau-
liches Phantasieren, es ist Fiktion, darauf kommt es nicht an, ich
fingiere mir etwa eine Veränderung der Fassade des Kölner Doms und
15 werte sie. Ich kann aber eine pure Phantasie von vornherein
haben, die nichts von l doxischen Charakteren in sich birgt. Das ist
doch möglich, und möglich, dass ich das Phantasierte in gar keine Be-
ziehung zur wirklichen Welt bringe und daher nichts von "Fiktion",
"Nichtigkeit" vorfinde. Jedenfalls ich vollziehe keine negativen Ur-
20 teile. Aber ich "vollziehe" doch die Phantasieakte, die Repro-
d uktionen.
Im obigen anderen Fall vollzogen wir "Perzeptionen", aber ohne
Glauben. Jetzt Reproduktionen. Ebenso vollziehen wir im urteilenden
Sich-bloss-denken (im prädikativen) eben die "Urteile", aber ohne
25 den Glauben zu vollziehen, im wünschenden Sich-denken die Wünsche,
ohne das Wünschen als solches zu vollziehen. Dabei kann es sein, dass
<das> Was des Urteils in der Tat charakterisiert ist als wahr, dass wir
also in der Tat urteilen (nur nicht das Urteil vollziehen)2, dass wir in
der Tat wünschen, der Charakter als erwünscht ist da, aber nicht den
30 Wunsch vollziehen.
Es kann aber auch sein, dass wir uns in ein Urteil hineindenken,
ohne dass wir (ohne Vollzug) überzeugt sind. Dass wir uns in einen
Wunsch hineindenken, ohne dass wir (ohne Vollzug) für erwünscht
halten. (Es fehlt hier der rechte Ausdruck.)3
35
Das sind also die zu deutenden Fakta.
Es fragt sich da wieder, wie es sich mit dem verschiedenen
Voll z i ehe n verhält. 1) Ist das Vollziehen und Nichtvollziehen der
Stellungnahmen im Wesen dasselbe wie 2) das "Vollziehen" der
40 blossen Erscheinungsakte unter "Ausschaltung" von den Stellung-
nahmen (ohne jeden aktuellen Vollzug von solchen)? Was ist hier das
Nichtvollziehen ? Nun, ich bin dem Erscheinenden nicht zugewendet,

1 Später eingefügt: "aktuellen". - Anm. d. Hrsg.


2 Ich denke mir nur,,2 X 2 = 4" (des Urteils "enthalte ich mich").
3 Z.B. ich denke mir 2 X 2 = 5, ich denke mich in den Wunsch, den jemand
ausspricht, hinein, ohne ihn zu "teilen" = sympathisierend.
444 BEILAGE XL

durchlaufe es nicht etc. Handelt es sich im anderen Fall nicht eben um


anderes, "ich glaube", "ich glaube nicht" im Sinn "ich lebe im Glau-
ben"?l
Ferner: Was ist es mit dem biossen Durchlaufen einer Wahrneh-
5 mungserschein ung, was liegt da vor?
Haben 2 wir etwa zu sagen: Empfindungsinhalte können impres-
sional aufgefasst sein, sie können aber auch reproduktiv aufgefasst
sein. Nämlich es können mit den Empfindungsinhalten verflochten
sein Auffassungsintentionen, die echt impressiv sind, und das sind
10 Glaubensintentionen, oder reproduktiv, und das sind quasi-Glaubens-
intentionen. Dass das verkehrt ist, habe ich schon längst erkannt.
Ich sehe dieses Haus, und es ist dieses in seinem Sinn, ich kenne es;
nun kann ich mir doch die erscheinende Seite so ansehen, als ob das
Haus hinten ganz anders wäre, ein grosses tiefes Gebäude, während es
15 ein seichtes ist etc. Dann habe ich eine Bildobjektauffassung. Ähnlich
wie ich im Panorama vorne wirkliche Dinge sehe und in die Schein-
landschaft hineinziehe, so habe ich jetzt die wirkliche Vorderwand und
das Vorderdach des Hauses als Wirklichkeit: aber hineingezogen in
eine Schein-Auffassung, als Bestandstück eines Scheinhauses. Was ist
20 das für eine Auffassung? Es ist eine modifizierte, gegenüber der per-
zeptiven Auffassung, die noch da ist, im Widerstreit. Die ursprüng-
liche Auffassung hat den Wirklichkeitscharakter, die neue hat den
Nichtigkeitscharakter: Sie ist aufgehoben durch das "wirklich" der
widerstehenden.
25 Nehmen wir noch folgenden Fall. Es sei ein unbekanntes Haus. Ich
sehe die Fassade, aber was sonst dazugehört, ist unbestimmt. Nun
mache ich mir eine bestimmte Vorstellung von dem Haus, mehrere
voneinander verschiedene, miteinander "unverträgliche" Vorstellun-
gen; immer die Fassade benützend und den Rahmen der Hausauf-
30 fassung innehaltend. Kann ich, wenn mir das Vereinheitlichen der
Auffassung wirklich gelingt, anders sagen, als dass mir das jedesmalige
Objekt lei b h a f t er s c h ein t; nur je nachdem als verschieden cha-
rakterisiert, als nichtig, als offene Möglichkeit (innerhalb des allge-
meinen Rahmens) oder als Vermutlichkeit?
35 Es ist genauso bei der B ildo b j ekta uff assung, das Bildobjekt
ist als nichtig charakterisiert (ich vollziehe nur nicht das negative
Glauben, lebe nicht darin), aber es ist, wie ich immer sagte, impressiv
charakterisiert. Leibhaftigkeit besagt ja Anschaulichkeit und Im-
pression. So interpretierte ich immer.
40 Was liegt also vor, wenn ich rein das Bildobjekt "betrachte", und

1 Etwas nachträglich eingefügt: "Nun ganz offenbar. Nun fragt es sich, wie dann
die zu den Erscheinungen gehörigen oder evtl. gehörigen Stellungnahmen •ausge-
schaltet' sind. Wenn ich in einer puren Phantasie lebe und das Phantasierte durch-
laufe, so vollziehe ich die quasi-Stellungnahmen innerhalb der Reproduktion, und das
andere Vollziehen ist das Durchlaufen". - Anm. d. Hrsg.
2 Der Text dieses Absatzes wurde später kreuzweise durchgestrichen. - AIIro. d.
Hrsg.
BEILAGE XL 445

so überhaupt ein Leibhaftes betrachte, ohne irgendeine der Stellung-


nahmen zu vollziehen? Kann man da anderes finden als den "biossen"
Strahl der Zuwendung, der "biossen" Explikation, evtl. der beziehen-
den Auffassung, evtl. begriffliche Fassung, biossen sprachlichen Aus-
5 druck: Die Blösse besagt, es ist keine "Stellungnahme" vollzogen,
und was vollzogen ist: diese Zuwendung bzw. Erfassung, Sonder-
erfassung, beziehendes Setzen (in Beziehung Setzen), Vergleichen,
Unterscheiden, Kolligieren und was irgend sonst: Das ist in einem
eigenen Modus vollzogen, und den hatte ich eben im Auge, wenn ich
10 von In akt u a I i t ä t sprach. l Es handelt sich da nicht um ein repro-
duktives Gewahren, es sind impressive Akte, in der Tat Akte, aber
nicht "im Glauben". Aber seien wir etwas vorsichtiger. Man kann ja
sagen, dass so wie ich ausdrücke und aussage, dieses Aussagen zwar
nicht auf das im Glauben genommene Ding geht und selbst nicht im
15 Glauben, nämlich im Vollzug der Dinggläubigkeit, die sonst für das
Aussagen ihre Rolle spielt, statthat, dass aber doch noch etwas von
Glauben, der Ausdruck Glaube, der zur Anpassung gehört, vorhanden
ist. Beschränken wir uns also: Ein Blick der Zuwendung, ein Akt der
gliedernden Teilerfassung, der in eine Kette von Akten der Explika-
20 tion usw. übergeht, bewegt sich im Rahmen der biossen Erscheinung.
"Stellungnahmen spielen nicht mit", "die Charakterisierungen der
Erscheinungsobjektität spielen auch nicht mit".
Ebenso kann es sein, dass ich irgendwelche mathematischen etc.
Urteile fälle. Dann kann ich das der Erscheinung Entsprechende nen-
25 nen den "biossen Urteilsinhalt". Ich kann nun wieder so verfahren:
Ich vollziehe jetzt nicht das Urteil,2 sondern "vertiefe\mich in seinen
blassen Sinn", aber ohne logisch ihn zum Gegenstand zu machen.
Ich schalte die Stellungnahme aus,3 ich lebe im biossen "Urteils-
inhalt"4. Es kann auch sein, dass ich im Unglauben einen Satz höre,
30 dass ich aber, statt im Unglauben zu leben, mich rein in den "biossen
Satz" einlebe 5• Ich schalte die Stellungnahme aus, enthalte mich. 6
Es kann aber auch sein, dass ich gar keine Stellung habe, ich "weiss
gar nichts darüber", ich vollziehe das biosse Satzverständnis, bin dem
"Sachverhalt" bloss zugewendet 7• Es ist fraglich, ob das Analogon

1 Im Hmtergrund sind die Stellungnahmen doch, aber unvollzogen' = wir leben


lllcht m Ihnen. Die blosse Zuwendung besagt aber, dass ich einen modifizierten
ALt, (Li. em "inaktuelles" Urteilen, ein Sich-denken vollziehe, d.i. in ihm lebe, was
SIch mIt den evtl. nichtvollzogenen Stellungnahmen im Hintergrund verträgt.
2 Spater eingefügt: "in ihm lebe ich nicht". - Anm. d. Hrsg.
3 Spater eingefügt: "ich schiebe sie in den Hintergrund". - Anm. d. Hrsg.
4 Spater eingefilgt: ,,:aber ist das richtig ausgedrückt? Ich lebe im bio s sen
Den k endesselben Inhalts, der auch Urteilsinhalt sein kanu". - Anm. d. Hrsg.
5 "in den 'biossen Satz' einlebe" später verändert in: "in ,das 'blosse Satz'-Ver-
stehen emlebe". - Anm. d. Hrsg.
6 Spater eingefügt: ,,:aber ich vollziehe das blosse Denken der Modifikation". -
Anm. d. Hrsg.
7 ,,'Sachverhalt' bloss zugewendet" später verändert in: ,,'Sachverhalt' zuge-
wendet: bloss mir das denkend". - Anm. d. Hrsg.
446 BEILAGE XLI

auch bei sinnlichen Erscheinungen vorkommt, und zwar bei perzep-


tiven. Ein rein Vorschwebendes, aber gleichwohl Gesehenes, und doch
gar keine Stellungnahme und keine korrelate Charakterisierung.
Wie bei Gemütsakten ? Ich bin entschlossen, das und das zu tun.
5 Ich durchlaufe, betrachte die Handlung, und zwar als Entschlossenes
als solches, ohne den Entschluss jetzt zu vollziehen. Ich schiebe ihn
zurück, enthalte mich.
Ist also zu sagen: Jede stellungnehmende cogitatio hat eine Modifi-
kation, die dadurch erwächst!, dass die Stellungnahme "ausgeschaltet"
10 wird. Jede Stellungnahme ist ein "aktuelles" Vollziehen, und jedes
Vollziehen kann "unterlassen" werden, man kann sich seiner "ent-
halten".2 Die Akte der Zuwendung und alle Formen der Explikation,
Relation, Kollektion können sich nun betätigen entweder im Stel-
lungnehmen oder in der Enthaltung, d.i. "ohne" Stellung-
15 nehmen. Es kann auch sein, dass Stellungnehmen "fehlt" und nicht
erst ausgeschaltet wird durch Enthaltung. Die Reihe der Akte, die ich
unter Explikation etc. beschrieben habe, sind Akte in anderem Sinn
als Stellungnahmen, sie selbst sind nicht Stellungnahmen. Stellungs-
freies Bewusstsein ist Bewusstsein der "Inaktualität".3

BEILAGE XLI (zu Nr. 15e)


20
<DEN "GEGENSTAND", DEN SACHVERHALT BLOSS BETRACHTEN,
OHNE STELLUNG ZU NEHMEN - ANNAHME, BLOSSER
GEDANKE" BLOSSE VORSTELLUNG SEI DEM ALLGEMEINEN
WESEN NACH ÜBERALL DASSELBE UND DAS ALLGEMEINE
25 SEI "BLOSSE AUFMERKSAMKEIT">
<wohl Anfang 1912>

1) Ein Erscheinendes kann charakterisiert sein als wirklich, nichtig,


als gefällig etc. 4 Ich richte meine Aufmerksamkeit aber auf das Er-
scheinende, ohne in einen dieser Charaktere mich einzuleben, ohne die
30 entsprechenden Stellungnahmen zu vollziehen. Ich nehme nicht Stel-
lung für oder gegen. "Ich betrachte bloss den 'Gegenstand'''.
2) Aber wo immer ein Gegenstand "konstituiert" ist, kann ich mich
ebenso rein betrachtend <verhalten>, mir den Gegenstand (den biossen
Inhalt) ansehen, ohne irgendeine Stellungnahme5 zu ihm <zu> voll-

1 "erwächst" später verändert in: ..erwachsen kann". - Anm. d. Hrsg. .


2 Das Enthalten ist hier also das Zurückschieben in den Hintergrund, das sem
Leben daraus Zurückziehen.
3 "der 'Inaktualität' "etwas nachträglich verändert in "des Sich-denkens". - Anm.
d. Hrsg. .
4 Ja steht sich da "wirklich" und .. nichtig" gleich, faUs das Wirklich nicht eme
Entscheidung, sondern die sc h li c h t e Seinssetzung ausdrück~?! . . e
~ Ja, aber was heisst SteUungnahme? Ist am Ende der schlIch te behe/ keIll
SteUungnahme?
BEILAGE XLI 447

ziehen. Er mag dann axiontische Charaktere haben, aber sie bleiben


tote Charaktere". Also wenn impressional oder in der Einbildung ein
Ürteil vollzogen ist, dann kann ich, statt wirklich zu urteilen oder
quasi zu urteilen (Urteilsvollzug), mir den Sachverhalt "bloss an-
S sehen", in genau der begrifflichen Fassung des Urteils. Dann habe ich
doch den biossen propositionalen Gedanken. 1
Ist das korrekt? Sind das nicht völlig gleichstehende Sachen: 1) und
2)? Derselbe Sachverhalt oder vielmehr derselbe propositionale In-
halt kann charakterisiert sein als wirklich, d.h. als wahr (als Urteil)
10 oder als nichtig, als möglich, vermutlich - das kann sagen, ich lebe
im Für-wahr-Halten, Für-möglich-, Für-vermutlich-Halten, ich ur-
teile eben, vermute etc., ich vollziehe Stellungnahme. Oder nicht. Ich
betrachte bloss den Sachverhalt. 1
1
Sehen wir näher zu, so gibt es hier noch andere Möglichkeiten. Ich
15 vollziehe zuerst die Vermutung, es möchte S P sein, und dann be-
trachte ich "ohne Stellungnahme" das "S ist vermutlich P", ich be-
trachte den Wahrscheinlichkeitsinhalt, ohne selbst Stellung zu neh-
men. Ebenso ich betrachte den Möglichkeitsinhalt "S ist möglicher-
weise P", ohne Stellung zu nehmen. Ich kann erst im Unglauben
20 Stellung nehmen dagegen, dass S p ist, und dann kann ich einerseits
das "S ist p" betrachten, ohne Stellung zu nehmen, aber nicht minder
auch die Nichtigkeit des S ist p.
Je des stellungnehmende Bewusstsein (und ebenso jedes imagina-
tiv, bildlich etc. modifizierte quasi stellungnehmende) lässt diese Re-
25 flexion zu, und zwar entweder als stellungnehmende Reflexion, welche
das ursprüngliche Substrat mit dem axiontischen Charakter als seiend
setzt, also ein do:xisches Bewusstsein ist, oder als stellungsfreie Re-
flexion, als blosser Hinblick-auf, auf die Einheit von Substrat und
axiontischem Charakter, evtl. als blosse "Sachverhalts-Vorstellung",
30 dass S p ist, ist, oder dass A ist, ist wirklich, so, ist vermutlich, ist zwei-
felhaft, ist schön, gut etc. Diese blosse Sachverhaltsvorstellung ist das
blosse Substratbewusstsein für die genannte doxische Reflexion.
Werden wir, solchen Überlegungen nachgehend, nicht gezwungen
zur Annahme, dass blosser Gedanke, blosse Vorstellung immer und
35 überall seinem allgemeinen Wesen. <nach> dasselbe sei, so wie Glaube
oder Vermutung etc. immer und überall dasselbe ist, auf welchem
Untergrund es sich auch aufbaut, und wie Stellungnahme überall das-
selbe ist. Das Allgemeine aber ist "biosse Aufmerksamkeit", und die
wohnt einerseits jedem stellungnehmenden (oder quasi..) Erlebnis ein,
40 aber dann eben nicht als "biosse" Aufmerksamkeit, oder sie erwächst
aus einem solchen dadurch, dass Stellungnahme aus dem Modus des
Vollzugs (gleichgültig ob quasi-Vollzug oder impressionaler) in den
des Unvollzugs verwandelt und bloss die Aufmerksamkeit eben voll-
zogen wird. Aufmerksamkeit aber differenziert sich nicht, während
45 Stellungnahme sich differenziert., ,
---
1 Am Rande des letzten Satzes später ein. Fragezeichen: gesetzt. - Anm. d. Hrsg.
448

BEILAGE XLII (ZU Nr. ISf)


URTEILE AUFGRUND REPRÄSENTIERENDER PHANTASIE UND
PARALLEL URTEILE AUFGRUND VON BILDERN
<wohl um 1911/12>

5 Wenn ich den Markttunn phantasiere, so steht er von der bestimm-


ten Seite da, in der und der Erscheinung, so und soweit entfernt etc.
Ich bin also mit dabei, der Wahrnehmende und sein Standpunkt ist
mitphantasiert, meine Erscheinung, mein Wahrnehmen.
Andererseits, wenn ich mir "eine Vorstellung" von Achill und dgl.
10 "mache"l, so stelle ich mir das alte oder mythologische Griechenland
allerdings notwendig mit mir vor: ich darin umherwandelnd und be-
trachtend. Aber andererseits: Indem ich mir <eine> bIosse Vorstellung
von diesen sagenhaften Gestalten oder von diesen antiken Land-
schaften machen will, meine ich mich nicht mit dabei. Ich fingiere
15 nicht, dass ich bei der Schlacht von Marathon dabei war, obwohl ich
es gewesen sein müsste, um diesen Anblick (den ich mir phantasiere)
gehabt haben zu können. Nun ist die Vorstellung offenbar eine B il d-
vorstellung; so mag es ausgesehen haben oder so ähnlich muss es aus-
gesehen haben, nämlich für irgend jemanden, der sehen mochte. Also
20 mein Sehen, oder quasi-Sehen, ist Bildrepräsentant für irgendein Sehen,
und ich selbst, mein Phantasie-Ich in dieser Phantasiewelt als Träger
dieses quasi-Sehens (und unmittelbar phantasieren kann ich nur mein
quasi-Sehen und mein Ich) bin Repräsentant für irgendeine Person.

Urteile autgrund repräsentierender Phantasiebilder

25 Wenn ich aufgrund solcher" Vorstellungen, die ich mir mache", also
repräsentierender Bilder, Urteile fälle über das alte Griechenland
u. dgl., so ist zunächst zu beachten, dass diese Bilder Bilder für ge-
wesene Wirklichkeiten sein sollen, also das Bildbewusstsein ein setzen-
des ist. Die Urteile nun, als angepasst an die repräsentierenden Phan-
30 tasieerscheinungen, haben, kann man sagen, einerseits den Charakter
von Urteilen, die ich, der in das "alte Griechenland" hineinphanta-
sierte, in diese Phantasiewelt hineinphantasierte, fälle: Ich bin gleich-
sam dort und fälle dort die Urteile. Und andererseits sind diese Urteile
wieder Repräsentanten für Urteile irgend jemandes überhaupt, der
35 all das wirklich hätte erleben und darüber so hätte urteilen können.
Aber urteile ich nicht jetzt, und gilt nicht das Urteil, die Aussage
für die bildlich vorgestellte griechische Vergangenheit?
Natürlich urteile ich jetzt. Aber was heisst das? Ich vollziehe e~en
eine Aussage, die sich anpasst diesen repräsentierenden PhantasIen
40 und Setzungen und sich so anpasst, dass sie für das bildlich so Geset~te
gemeint ist. Nun ist die Frage, ob hier anderes vorliegt als eine Urteils-
1 Sich eiue Vorstellung vom Altertum, von antiken Personen machen etc.
BEILAGE XLII 44~

phantasie, die bildmässig repräsentiert für ein mögliches Urteil. Aber


was heisst Repräsentant für ein mögliches Urteil? Und was heisst vor-
her schon: Repräsentant für Erscheinungen als damals mögliche Er-
scheinungen?
5 Kann ich anderes sagen als dies, dass Phantasien mit dem Charakter
setzender Repräsentation (bildmässiger) vollzogen sind und dass zu
diesen inhaltlich so gearteten Sätzen bestimmte Möglichkeiten der
Verknüpfung und einstimmigen Erfüllung bestehen, welche eine
Ordnung der Zeitreihe der repräsentierten Fiktci ergeben und eine
10 Einknüpfung in den Zusammenhang der durch Wahrnehmung, Er-
innerung, durch indirekte Analogisierung vermöge Anderer Berichte
etc. sich konstituierenden einen Natur?
Und die Urteile passen sich diesen analogisierenden Setzungen an.
Sie sind Aussagen, die in dieser Anpassung angemessene Ausdrücke
15 dessen sind, was da gesetzt ist, und die gelten, wenn der Erfahrungs~
zusammenhang sie bzw. die einstimmigen Setzungen ermöglicht, also
bestätigt. Die Urteile gehören zu dem Gesetzten. Die Urteilsakte sind
als zu objektivierende Ereignisse naturhaft eins und verbunden mit
den jetzigen Erlebnissen des Urteilenden. Was sie aber sagen, ihr Was,
20 der Sachverhalt bezieht sich auf das Repräsentierte.' Indem die Ur-
teiJsakte sich den repräsentierenden Akten, dem Bildbewusstsein an-
messen, tun sie es so, dass die Bilderscheinung, die eine gleichsam
gegenwärtige Erscheinung ist (also keine wirklich gegenwärtige),
quasi bewusst ist und durch sie das Bildobjekt als quasi-Objekt. Dieses
25 wird "beschrieben" (hinsichtlich der Seiten, die repräsentierenden,
bildmässigen Charakter haben sollen). Das Beschreiben ist ein quasi-
Beschreiben, es hat natürlich modifizierte Charaktere. Und so haben
wir in der Tat ein repräsentierendes Urteil. So wie das Phantasieobjekt
kein selbstgesetztes Objekt ist, sondern ein Objekt, durch das hin-
30 durch, bildmässig, wir das Gesetzte anschauen, und so, wie dem-
gemäss das Phantasieren des Objektes kein selbstfassendes und kein
selbstdarstellendes Anschauen (kein Wahrnehmen, aber auch kein
Wiederbewussthaben, Erinnern) des Objektes ist, sondern ein analogi-
sierendes, abbildendes Anschauen: so ist der Sachverhalt, den das
35 Urteil an der abbildenden Phantasie unmittelbar erfasst, Darstellung
des abgebildeten Sachverhaltes, die kategorialen Formungen, die auf-
grund dieser Abbildung vollzogen sind, haben abbildenden Charakter,
darstellenden; somit steckt auch im Urteil eine Abbildfunktion. Aber
wie die bildliche schlichte Setzung das Abgebildete setzt, so setzt die
40 Urteilssetzung den auf das Abgebildete bezüglichen Sachverhalt. Die
Meinung, die Urteilsmeinung ist, dass die dreihundert Tapferen bei
<den> Thermopylen den Heldentod gestorben sind. Also müssen wir
doch sagen: Das Urteil über diese Tapferen selbst ist kein abbildendes,
aber hier, wo es sich auf bildlicher Unterlage aufbaut, vollzieht es sich
45 durch das Medium einer abbildenden Urteilssetzung.
Betrachten wir Urteile, die aufgrund von impressionalen Bildern
450 BEILAGE XLIII

gefällt werden. Ich betrachte die Photographie eines Zeppelinschiffes


und konstatiere aufgrund dessen die und die mir auffallenden Eigen-
tümlichkeiten desselben. Da haben wir wieder bildliche Darstellung,
und zwar Setzung. Meine Beschreibung bewegt sich im Bildraum, in
5 dieser Bildwelt. Sie hat Urteilscharakter hinsichtlich der abgebildeten
Sache. Aber sie drückt zunächst aus die Bildsache (freilich nur hin-
sichtlich der darstellenden Momente. Die Farbe nicht mitgenommen
etc.). Da haben wir wieder eine gewisse Mittelbarkeit. Denn eine quasi-
Setzung, ein quasi-Urteil habe ich, das sich an der gegebenen Erschei-
10 nung orientiert, das aber nur vermittelndes, repräsentierendes Ur-
teilsbewusstsein ist für das eigentlich auf den bildlich dargestellten
Sachverhalt Bezügliche.
Hier überall spreche ich also, und wohl nicht mit Unrecht, von
bildlicher Darstellung eines Sachverhaltes, von Phantasie
15 eines Sachverhaltes, also mit nicht minderem Recht von Wahr-
nehmung eines Sachverhaltes.!
Eine schlichte Wahrnehmung, kategoriale Gliederung, eigentlich
vollzogen: Wahrnehmung des Sachverhaltes;
20 eine schlichte blosse Phantasie, kategoriale Gliederung, eigentlich
vollzogen: blosse Phantasie des Sachverhaltes;
eine Bildvorstellung, Bildsetzung (sei es eine impressionale oder nicht)
<kategoriale Gliederung, eigentlich vollzogen:> bildliehe Darstellung
des Sachverhaltes.

25 BEILAGE XLIII (zu Nr. 15g)


<GEMISCH VON WIRKLICHKEIT UND EINBILDUNG BEI
UNMITTELBARER UND EIKONISCHER PHANTASIE
(MÄRCHEN, THEATER, PORTRÄT) UND DIE VERSCHIEDENEN
DURCH DIE UNTERLAGE UND DIE DOXISCHEN
30 ZUSAMMENHANGSCHARAKTERE BESTIMMTEN AUSSAGEN ALS
WIRKLICHE AKTE>
<wohl Frühjahr 1912>

Sowohl im Fall der unmittelbaren als der eikonischen Phan tasie


muss ich die möglichen Fälle genauer differenzieren.
35 1. 1) Ich kann Erinnerungsanschauung an, 2) ich kann eine Märch~n­
anschauung haben, aber so, dass das Märchen Wirklichkeit un~ Em-
bildung mi s c h t, wie wenn es z.B. heisst: In Strassbu;g lebte emmal
ein Ritter etc. So ist es ja bei den meisten Märchen. Hier besteht also
das Bewusstsein der Ni c h t i g k e i t.

1 Aber doch uneigentlich.


BEILAGE XLIII

H. Wir haben eine pure Phantasie, in deren Zusammenhang


gar nichts von aktueller Wirklichkeit vorkommt. Allerdings, das "es
war einmal" und die ganze Redeweise der Vergangenheit birgt schon
eine unbestimmte Wirklichkeitssetzung. Es fragt sich also erst, ob
5 man all dergleichen wirklich ausscheiden und alle Beziehung zur
Aktualität wegschneiden kann.
Ebenso ist es bei der eikonischen Phantasie. Dargestellt ist Wallen-
stein. Aber ich weiss, dass d~Dargestellte keine Darstellung histo-
r i s c her Fakta ist, sondern ein Gemisch von Wirklichkeit und Ein-
10 bildung. Anders im Fall eines wirklichen Porträts. Die Explikationen,
beziehenden Akte, Prädikationen gewinnen, wenn sie auf Grund sol-
cher Anschauungen vollzogen werden, von ihren Wirklichkeits- oder
Einbildungsbestandstücken, auch Nichtigkeitsbestandsrucken etc.
ihren Wert. Beschreibe ich das Erinnerte (oder das, was mir ein an-
15 derer berichtet hat und ich als Wirklichkeit übernommen habe), oder
beschreibe ich ein Porträt, u.dgl., so sind meine Urteile, meine Aus-
sagen normale: Es sind "Prädikationen über Wirkliches". Schlechthin
Aussagen machen, das heisst solche Aussagen machen. Jeder versteht
Aussagen, wenn nicht ausdrücklich oder selbstverständlich eine Be-
20 ziehung auf Fiktion vorliegt, in diesem Sinn, genauer noch: 1 Wenn ich
aber derartige Akte vollziehe auf dem Grund einer Erinnerungsgewiss-
heit, eines Glaubens im engeren Sinn, dann habe ich normale Aussagen.
Bin ich unsicher, vermute ich bloss, ohne mich entschieden zu haben,
so sage ich nicht, es war so, es ist so, sondern, ich vermute, oder ich
25 glaube mich zu erinnern, es mutet sich mir so an, etc. Dann sage ich
wieder aus, was gewiss ist.
Im Fall eines Bildes, das mir einen Charakterzug andeutet, der aber
nicht sichere Anzeige ist, vollziehe ich die betreffende Partialauffas-
sung in vermutender Weise: Das dürfte ein böser Mann sein u.dgl. Er
30 scheint eine kleine Hand zu haben (die Darstellung ist nicht in dieser
Hinsicht klar). Genauso wie ich bei unklarer Erinnerung sage: Es ist
mir so, als ob er eine kleine Hand hätte etc. Die Aussagen, die ich hier
mache, sind selbst wieder gewiss, aber nicht Ausdrücke des Er-
scheinenden, sondern des Erscheinenden mit seinem Ungewissheits-,
35 Vermutungsmodus u.dgl.
Es sind hier aber verschiedene Aussagen zu unterscheiden: Die
ganze Anschauung gil t mir, sie ist Erinnerung. Aber sie hat ihre
Unklarheiten, sie ist so geartet, dass ich bestimmte Aussagen nur über
das aussagen kann, was sie bestimmt bietet, für das übrige aber nur
40 unbestimmte. Hinsichtlich der Unbestimmtheit kann aber die Sach-
lage die sein, dass rein auf Grund dieser Erinnerung zwar verschiedene
!VIöglichkeiten offenstehen, aber die eine als wahrscheinliche bevorzugt
1st. Ebenso wenn ich das Bild als treues Bild hinnehme.

1 Der letzte Satz wurde wohl etwas nachträglich wie folgt verändert und ergänzt:
"Jeder versteht Aussagen, wenn nicht selbstverständlich eine Beziehung auf Fiktion
vorllegt, in diesem Sinn. Z.B. wir unterhalten uns im Zaubertheater über die Geister.
Aber dIe Aussagen sind dann Enthymeme." - Anm. d. Hrsg.
452 BEILAGE XUII

Ich kann aber auch eine Vermutung haben, die zwar Anhalt am
Dargestellten besitzt, aber nicht durch dk Darstellung selbst und aus-
schliesslich begründet ist.
Nun kann ich aber auch den Fall haben, dass ich eine relativ klare
5 Erinnerung habe, und doch wird sie bestritten, sei es durch andere
Erfahrungszusammenhänge, sei es durch Berichte Anderer. Oder ich
habe ein Bild und sehe die Gegenständlichkeit in bestimmter Dar-
stellung. Aber ich habe anderweitige Anschauungen von dem Gegen-
ständlichen, aufgrund deren ich sage, das Bild ist schlecht. Die Hand
10 erscheint als klein, er hat aber grosse Hände. Der Maler gibt dem Ge-
sicht fast etwas Hinterhältiges, der Mann aber ist ein durchaus klarer
offener Charakter etc. Wir haben hier also 1) Aussagen, die das An-
geschaute auseinanderlegen nach dem, was in ihm dargestellt ist, was
darin <als> "zweifellos" gewiss-dargestellt ist, was darin als Möglich-
15 keit offen ist, was darin nicht ganz gewiss, aber als-wahrscheinlich-so-
seiend dargestellt ist. 2) Aussagen, welche sich nicht auf das Darge-
stellte als solches, sondern auf dasselbe, in Zusammenhang mit meiner
sonstigen Erfahrung gebracht, beziehen.
Aber auch I') Aussagen, die im Fall des Sich-durchsetzens und wi-
20 derstreitenden Durchsetzens von Anschauungen, sei es von Anschau-
ungen, die in sich doxisch charakterisiert sind, oder solchen, die es
nicht sind, der Einheit einer Anschauung folgen und die widerstreiten-
de ausser Betracht lassen. Endlich Aussagen, die einer Erscheinung
nachgehen, die gar keine Wirklichkeitscharaktere hat.
25 Wie immer ich nun Aussagen machen möge, es sind wirkliche Akte;
ob ich pure Phantasie irgendwelcher Art oder fingierende Phantasie in
Gemisch mit Erinnerung habe oder reine Erinnerung usw.: Im m e r
ist die Aussage bestimmt durch die Unterlage und die Zusammen-
hangscharaktere doxischer Art. Was wir Ur t eil sc h I e c h t hin
30 nennen, das ist hier ein ausgezeichneter Fall, nämlich der, wo die Ex-
plikation, Beziehung, Prädikation auf als "wirklich" Charakterisiertes
geht und diese Wirklichkeitscharakteristik mit in das Urteil eingeht.
Dabei kann das" wirklich" auch am "vermutlich", "gewiss", "zweifel-
haft" hängen u.dgl. D.h., ist die Erscheinung, die Anschauung selbst
35 eine im schlichten Glaubenscharakter vollzogene, steht also die er-
scheinende Gegenständlichkeit als seiend da, so ist die explizierende,
beschreibende Aussage ein Urteil schlechthin. Erscheint eine Gegen-
ständlichkeit, aber ist sie bestritten, steht sie als zweifelhaft seiend da,
so ist das sie beschreibende Urteil kein Urteil schlechthin; dafür aber
40 das Urteil, es ist zweifelhaft, ob hier das und das ist. Oder auch das
Urteil, diese Erscheinung ist Erscheinung von dem und dem usw. Aus-
gezeichnet ist immer nur der Fall der Gewissheit, und keines~egs
stehen die anderen doxischen Modifikationen mit diesem Fall gleich.
Das Ur t eil: Das ist der Titel für die Akt e im spezifischen Sinn,
45 für die Stellungnahmen als Spontaneitäten, und zwar eben fü.r Ur-
teilsspontaneitäten. Schon die schlichteste Erfassung gehört hierher
BEILAG~ XLIV

als Spontaneität der "Znwendung im Glauben", und dann weiter das


Spiel von Erfassungen, die auf Erfassungen gegründet sind, kollektive
Erfassung, die Erfassung von Teilen im Ganzen, das beziehende Bei-
legen etc. Dann die Vorkommnisse der wählenden Entscheidung für
5 und gegen. Auch ist zu erwähnen, dass der spontanen Erfassung die
spontane Ablehnung entspricht, und zwar die schlichte, nicht be-
zIehende, obschon die Unterlage dann eine andere ist als im Fall der
schlichten Position. /
Die Urteilsspontaneitäten setzen Rezeptivitäten (Zuständlichkei-
loten) voraus, und schon "vor" dem spontanen Erfassen ist ein zuständ-
licher "Glaube" da und zuständliche Vorkommnisse, die den "eigent-
lichen" "expliziten" (spezieller "anschaulichen") Vollzug der Spon-
taneitäten begründen. Die Spontaneität "belebt" nicht nur, als ob
sie nichts konstituierend leistete, sie hat neue Leistung, sie konsti-
15 tuiert Schritt für Schritt neue Gegenständlichkeiten, sie ist das eigent-
lich A x ion ti sc h e. Aber durch alle intentionalen Erlebnisse, zu-
standliehe und spontane, hindurch geht der Unterschied zwischen Ak-
tualität und Inaktualität: positionale (nicht setzende, sondern Setzung
ermöglichende) und nichtpositionale (quasi).

20 BEILAGE XLIV (zu Nr. 15g)


PROBLEM: KANN WAHRGENOMMENES IN DEN
ZUSAMMENHANG EINES PHANTASIERTEN EINTRETEN?
WIE KANN AKTUALITÄT UND PHANTASIE SICH VERBINDEN?
HINEINPHANTASIEREN IN DIE WAHRNEHMUNG U. DGL.
25 <wohl 1908>

Es liege vor ein phantasierter Wunsch, der zugleich aktueller


Wunsch ist. Ich phantasiere: Dass mein Schüler Neuhaus bei mir sitzt
und ich ihm meinen Wunsch ausspreche, die Einleitung seiner Arbeit
noch einmal umzuarbeiten. Ich wünsche das jetzt aber auch aktuell.
30 Der Wunsch gehört zum phantasierten Vorgang, als sein Teil. Der
phantasierte Wunsch ist Teil, die Phantasie vom Wunsch ist ihrer-
seits Teil in der Gesamtphantasie vom Vorgang.
WIe kann der aktuelle Wunsch zugleich Teil eines phantasierten
Vorganges sein? Ist zugleich mit dem aktuellen Wunsch no c h eine
35 Phantasie vom Wunsch da, oder ist der aktuelle Wunsch zugleich
Bestandstück der Phantasie vom Vorgang, die den phantasierten
Wunsch einschliesst?
Die Frage kann bei jedem Erlebnis aufgeworfen werden. Nehmen
wir eine Wahrnehmung. Kann ich aktuell wahrnehmen und die Wahr-
40 nehmung in einen phantasierten Zusammenhang hineinphantasieren ?
Nehmen wir das verwandte Problem, in dem Phantasie sich mit
biossem "Gedanken" vertauscht, so ist es sicher: Ich kann aktuell
454 BEILAGE XLIV

wahrnehmen und zugleich das Wahrgenommene in einen gedank-


lichen Zusammenhang hineinsetzen, unterschieden von einem wahr-
genommenen Zusammenhang. Und auch die Wahrnehmung selbst (die
ich jetzt zum Objekt einer "inneren" Wahrnehmung mache) kann ich
5 in dieser Weise in einen gedanklichen Zusammenhang hineinsetzen.
Ich denke mir, ich wäre als junger Student einmal nach Göttingen
gekommen, wäre diese Strasse heraufgekommen und wäre vor d i e-
sem (wahrgenommenen, jetzt aktuell wahrgenommenen) Haus ge-
standen und hätte gesagt: Wie glücklich, der solch ein Haus bewohnt
10 etc. Ich hätte es dabei wahrgenommen (hier das Wahrnehmungsob-
jekt) usw.
Das kann ich mir auch in der Phantasie ausmalen, und jetzt tue ich
es wirklich. 1 Aber ich kann die Phantasie nur bis zu dem Punkt
ausmalen, wo dieses Haus hereinkommt. Während ich
15 das Haus jetzt aktuell wahrnehme, kann ich nicht
eine vollständige Phantasie haben, in der diese Haus-
Wahrnehmung, wie ich sie gerade habe, als Bestand-
s t ü c k fun g i e r t. Da besteht eine Spannung, ein Sich-ausschliessen.
Ich muss etwa wegblicken: Natürlich, während ich wahrnehme, kann
20 ich träumen, mit offenen Augen träumen. Die Phantasiebilder ge-
hören einer anderen Welt an, und diese Wahrnehmungswelt versinkt
in gewisser Weise. Nun, sie verschwindet nicht wirklich, aber ich
"lebe" nicht in dieser, sondern in der Phantasiewelt : Ich kann auch
vergleichen, obschon ich nicht zugleich mit wirklicher Kla:cheit
25 ein Wahrnehmungsbild und ein Phantasiebild haben kann. Eins
frisst gewissermassen das andere: Aber im Nacheinander geht es und
wohl auch in gewisser Weise im Miteinander. Ich phantasiere mir leb-
haft ein Buch, etwa jetzt das Buch von Chamfort mit dem farbigen
Umschlag, und blicke durch das Phantasma hindurch auf dieses Pa-
30 pier: So etwas wie ein Schatten davon bleibt und verschwindet sofort.
Aber jedenfalls ist Phantasie und Wahrnehmung nicht eins. In die
Phantasie kann ich nicht die Wahrnehmung selbst hineinbringen,
da supponiert der "Gedanke".
Und ebenso, ich kann im phantasierten Vorgang einen Wunsch
35 phantasiert haben. Aber dieser phantasierte Wunsch ist nicht iden-
tisch mit einem noch einmal während des Phantasierens vorhandenen
aktuellen Wunsch, sondern wird ein zweites sein müssen. Das Aktuelle
wird verdrängt durch Phantasie und umgekehrt. Und doch in gewisser
Weise ist beides da in einem Verhältnis der Identitätsdeckung.

1 Aber wie: Jetzt stelle ich mir einen schauderhaften Teufel mit Hörnern vor,
riesengross, der dieses Haus auffrisst, und eine Riesenfaust, die dieses Haus wie eine
kleine Schachtel zusammenbricht. Oder ich phantasiere, wie mein Finger sich .auf
diese Fläche legt. Es sind ja freilich nur Schatten, aber es sind doch Phantasl~n,
und sie halten nicht stand, sie streiten mit der Wahrnehmung, aber sie verbinden SIch
doch und schaffen etwas, eine Phantasiemodifikation des Wahrgenommenen. Also
wohl falsch.
f "

455

BEILAGE XLV (ZU Nr. 15g)


<MISCHUNG VON PHANTASIE UND ERFAHRUNGSWIRKLICHKEIT
- UNTERSCHIED ZWISCHEN REIN IMMANENTER PHANTASIE
UND PHANTASIE VON NATURVORGÄNGEN>
5 <wohl um 1912>

Ein wichtiges Thema für meine Analysen ist der Fall der Mi-
schung von Phantasie und Erfahrungswirklichkeit, so-
wie der Unterschied zwischen rein immanen ter Phan tasie und
Phantasie von Naturvorgängen u. dgl. Ich stelle mir z.B.
10 vor, ein geworfener Stein zertrümmere ein Haus. Ein faustgrosser
Stein. Lassen wir alle Prädikation aus dem Spiel. Der Sachverhalt als
ein einheitlicher Vorgang wird anschaulich vorgestellt. Das Haus
kann dabei das Haus vis--a-vis sein, es kann aber auch ein beliebig fin-
giertes Haus sein. Und ebenso beim Stein, dieser' Stein hier etc. In
15 jedem Fall habe ich mehr als pure, d.i freie Phantasie. In dem
f i n g i er t e n S te i n steckt ein Moment von Erfahrungssetzung: Es
ist ein Stein, ein Ding der Gattung von Naturobjekten, die wir alle
kennen, natürlich, ohne dass an Gattung oder an uns alle irgendwie
gedacht wäre.
20 Man wird hier sagen können, indem ich den Stein vorstelle, stelle
ich ein Ding, und zwar ein Ding mit gewissen Bestimmtheiten vor,
inneren und äusseren, darunter auch gewissen Wirkungsbestimmt-
heiten, und zwar Fähigkei ten. Das gehört zur Dingapperzeption
und speziell zur Stein apperzeption. Dazu brauche ich keine empirische
25 Setzung zu vollziehen. Indessen, die Analyse muss weiter gehen. Die
Frage ist gerade,. wie stelle ich diese Fähigkeiten vor? Doch so, dass
dazu die zu der betreffenden Apperzeption gehörige Möglichkeit ge-
wisser entfaltender Vorstellungen gehört, und das sagt: Wenn dasselbe
unter solchen Umständen U gegeben wäre, würde es sich so, wenn es
30 unter den und den Umständen U ' <gegeben wäre>, würde es sich an-
ders, und jeweils in bestimmt zu beschreibender Art, verhalten.
Und das gehört zu jeder Dingvorstellung. Ding ist, was es ist, nur
in einer umfassenden Natur, und wir haben hier einen allgemeinen
Relativismus von realen Beziehungen, die der Natur des jeweiligen-
35 Dings, sofern es das in der und der Bestimmtheit aufgefasste sein soll,
Regeln vorschreiben. Wenn ich nun den immer nur in vager Weise
vorgestellten Stein (anschaulich vorgestellt etwa nur nach seiten der
und der Form und Farbenerfüllung u.dgl.) in Beziehung zum Haus
vorstelle, und zwar als es umwerfend, so habe ich einen Widerstreit.
40 Die Natur des Steins umspannt die Fähigkeit zu solchen und solchen
Leistungen und nicht die zum Umwerfen eines Hauses. Eine ,Ding-
phantasie, die Phantasie des Seins und Sich-verhaltens eines Dinges
zu anderen Dingen, ist also eine ganz andere und eigentümliche Sache
gegenüber der Phantasie eines biossen Tones, einer biossen Farbe,
456 BEILAGE XLVI

eines blossen Geruchs. Schon wenn ich ein geometrisches Gebilde, einen
"geometrischen Körper" nehme (sinnlich erfüllter Raum), habe ich
ein System von Möglichkeiten vorgezeichnet. Ich werde in ein System
von Motivationen hineingeführt, die zum Wesen eines solchen
5 "Transzendenten" gehören. Und erst recht bei einem Ding und ding-
lichen Vorgängen: Hier habe ich ein empirisches "Wesen", eine eigene
bestimmte Natur.
Sobald ich eine Farbe oder einen puren Ton vorstelle, habe ich zwar
auch ein System von Möglichkeiten vorgezeichnet für die Vorgänge,
10 an denen dergleichen soll teilhaben können. Aber da handelt es sich um
blosse Zeitdauer und andererseits um immanente apriorische Ver-
änderungen, die im Wesen der Gattung vorgezeichnet sind.
Wenn ich aber ein Ding sich verändern und im Zusammenhang eines
Vorganges auftreten lasse, habe ich etwas ganz anderes. Das Ding ist
15 Raumding, das gehört zu seinem apriorischen Wesen, es unterliegt
überhaupt den ontologischen Bestimmungen und Gesetzen. Aber als
bestimmtes Ding hat es seine "empirische Natur", die an empirische
Gesetze gebunden ist, empirische Gesetze, die seine Individualität
mitbestimmen als die, die ich da meine.

20 BEILAGE XLVI (zu Nr. 15j, S. 405,15-406,7)


<SACHE DER AUFFASSUNG BEI SINNLICHEN ANSCHAUUNGEN-
SACHE DER SPONTANEN ERFASSUNG, EXPLIKATION, SYNTHESIS>
<wohl April 1912>

Das alles ist richtig, aber es bedarf einer klareren Unterscheidung zwi-
25 sehen dem, was Sache der Auffassung ist ,der ungehemmten undgehemm-
ten, und was Sache der spon tanenErfassungen und Erfassungs-
synthesen ist. Die Sachen sind so kompliziert, weil jeder Schritt der
Spontaneität eben selbst wieder neue "Auffassung" erzeugt, und das
sagt: neue Gegenständlichkeit konstituiert. Ursprünglich hatten wir
30 sinnliche Anschauungen, und zwar nahmen wir an positionale. Sie wer-
den zu s p 0 n t an e n Anschauungen durch die Spontaneität der E r fa s-
s u n g und dann weiter fortschreitender Explikation, Beziehung, Ver-
knüpfung: Das sind lauter Akte von gleicher gattungsmässiger Art
wie die Erfassung. Die Anschauungen waren sinnliche Auffassungen,
35 und zwar konnten es sein ungehemmte Auffassungen, in sich und in
der Auffassungsumgebung einstimmig. Das ist zuständlicher Glaube
des Aufgefassten: durch Zuwendung, die hier Erfassung ist, sich w~n­
delnd in schlichte Wirklichkeitssetzung, Wirklichkeitserfassung. Smd
es aber gehemmte Auffassungen, Auffassungen durch andere Auf-
40 fassungen gehemmt, so haben wir komplizierte und geänderte Phäno-
mene. Das Gesamtphänomen wie der Teil sind selbst wieder positional,
und es bieten sich verschiedenelMöglichkeiten der spontanen Zuwen-
dung, spontan sich zuwendender Akte, schlichter und vermöge der
BEILAGE XLVI 457

Komplikation synthetischer Akte. Es können wieder Erfassungen


vollzogen werden, das sind "objektivierende" Akte niederster Stufe,
oder auf Erfassungen gegründete explizierende und beziehende Er-
fassungen oder auf Erfassungen gegründete Ablehnungen oder auch
5 schlichte Ablehnungen usw. Im weitesten Sinn ist das die Einstel-
lung der Objektivierung (± Urteilstätigkeiten). Alles aber liefert
neue intentionale Erlebnisse, neue Gegenständlichkeiten konsti-
tuierend, und neue positionale Erlebnisse. Das gibt also wieder die
Möglichkeit neuer Erfassungen und eines neuen Spiels ebensolcher
10 Urteilstätigkeiten. Alle positionalen Erlebnisse, sofern sie, wie kom-
plex sie immer sind, eine Gegenständlichkeit einheitlich konstituieren,
lassen die Wesensmöglichkeit ein e s Strahles der Erfassung dieser
Gegenständlichkeit zu. Andererseits sind sie evtl. Zuwendungen zu
intentionalen Gegenständlichkeiten, die nicht die Gesamtgegenständ-
15 lichkeiten sind, die sie konstituieren, und die Zuwendungen sind spon-
tane Aktvollzüge, die nicht ,Vollzüge von Akten der Erfassung sind.
Z.B. eine einheitliche "Ablehnung", eine einheitliche "Entscheidung"
fur etwas. Aber jeder solche Akt ist eben doch seinerseits wieder kon-
stituierend für eine Gegenständlichkeit und lässt eine Umwandlung in
20 eine entsprechende Erfassung und Auseinanderlegung seiner Gegen-
ständlichkeit zu: also in ein Urteilen.
Jedem positionalen Erlebnis entspricht die Möglichkeit von Mo-
dalisierungen, das liefert neue positionale Erlebnisse usw. Jedes posi-
tionale Erlebnis schlechthin heisst positional hinsichtlich der Gegen-
25 ständlichkeit, die es neu und vollständig "konstituiert". Es ist in
dieser Hinsicht sozusagen verborgene Setzung (d.i. verborgene Er-
fassung, Potentialität für eine Erfassung), aktueCer Glaube ist wirk-
liche Erfassung und wirkliche Explikation und Synthesis. Positionali-
tät ist aber ein Wesenscharakter, der die ideale Möglichkeit eines "ent-
30 sprechenden" Glaubens, eines aktuell setzenden in sich birgt. Der Po-
sitionalität entspricht ihre Modifikation, die Apositionalität: Allen
Glaubensakten entsprechen dann quasi-Glaubensakte: die apositiona-
len Modifikationen der positionalen Glaubensakte. Zur Positionalität
gehören die modalen Abwandlungen, die freilich neue Positionalitäten
35 sind. Und dem entsprechen neue Glaubensakte und zugleich modale
Abwandlungen dieser: die Glaubensmodi. Und damit hängt wieder
zusammen, dass jede Stellungnahme, die kein Glaube ist, ihre Modali-
täten hat (sie ist ja positional) und dass diesen Modalitäten entsprechen
gewisse Urteilsmodalitäten: die Möglichkeit eines urteilenden Ent-
40 nehmens und Explizierens und von Vollzug der Urteilsmodalitäten.
458

BEILAGE XLVII (ZU Nr. 15k)


<MODALITÄTEN DER POSITIONALITÄT NICHT ZU VERWECHSELN
MIT DEN URTEILSMODALITÄTEN UND DEN MODALITÄTEN
ALLER ANDEREN STELLUNGNAHMEN - POSITION VERBORGENER
5 GLAUBE, VERBORGENE VERNUNFT>
<wohl April 1912>

Danach scheint mir folgendes für richtig:


1) Intentionale Erlebnisse sind entweder rein zuständliche oder
sie sind "Akte", d.i. spontane Stellung-nahmen, die aber ihrerseits
10 Zuständlichkeiten voraussetzen.
2) Alle intentionalen Erlebnisse sind entweder positional oder apo-
sitional (quasi-positional). Die Positionalität ist ein Wesensmodus in-
tentionaler Erlebnisse, die auch den latenten belief ausmacht. Denn
der belief sollte etwas von Zuwendung oder Nichtzuwendung unab-
15 hängig zum Phänomen Gehöriges (ursprünglich bei Hume und Mill)
ausdrücken. Die Positionalität ist nicht ein Glaube im eigentlichen
Sinn. Denn das ist der Grundcharakter einer gewissen Grundklasse
von Stellungnahmen.
3) Dieser positionale Modus hat die Wesenseigentümlichkeit, ge-
20 wisse Modifikationen erfahren zu können, die modalen, die schon vor
aller Spontaneität das Erlebnis in bestimmter, von seinem sonstigen
Inhalt unabhängiger Weise modifizieren. Diese Modalitäten der Po-
sitionalität sind nicht zu verwechseln mit den Urteilsmodalitäten, die
auf sie zurückweisen, und ebenso die Modalitäten aller anderen Stel-
25Iung-nahmen, die sich in Urteilsmodalitäten umwenden lassen. Im
übrigen, jede modale Abwandlung liefert wieder eine Positionalität.
4) Diese Modalisierungen können auch so ausgedrückt werden: Je-
des positionale Erlebnis kann "Hemmung" erfahren, Störung durch
andere, wenn auch verdunkelte Erlebnisse, widerstreitende Deckung
30·mit ihnen, Aufhebung. Jedes kann aus dem Erlebniszusammenhang
Zuwachs an Kraft erfahren etc. Intentionale Erlebnisse sind eben In-
• tentionen im Spiel von Intentionen und Gegenintentionen. Intention
besagt hier aber nicht Spontaneität der Stellungnahme.
5) Es muss sich also auf diese Weisen aufhellen die wunderbare
35 Konstitution des Bewusstseins, die wunderbare Bevorzugung der ur-
teilenden Vernunft, die darin liegt, dass jede andere Vernunft in ur-
teilende umzuwenden" ist, und dieses verwirrende Ineinander von
"Auffass~ng", die sich immer wieder zu neuer Auffassung erwei.t~rt,
d.i. Position, die immer wieder Position wird, wobei zwischen POSItIon
40 und Inhalt zu scheiden ist. Und dieses Wunder, dass Position ver-
borgener Glaube, verborgene Vernunft ist. 1

1 Vgl. dafür und für alles weitere die ganz vorne liegenden drei Blätter MA <vgl.
Beilage XLVIII, S.459ff.>
459

BEILAGE XLVIII
STELLUNGNAHMEN ALS SPONTANEITÄTEN
(Osterferien 1912)1

1. Das Erfassen eines sinnlich erscheinenden Gegenstandes, das sich


5 ihm im Glauben Zu w en den, sich von ihm im Unglauben Ab w e n-
den, gegen ihn Wenden. Z.B. einen Schein als solchen ablehnen, ver-
werfen. Demgegenüber die Wirklichkeit anerkennen. Einen Teil
des Gegenstandes oder eine Eigenschaft erfassen, dem Gegenstand
eine Eigenschaft zuerkennen oder aberkennen (dagegen Stellung neh-
10 men). Sich im Zweifel nicht entscheiden, dann sich für das eine, nach
Behebung der Zweifelsmotive, entscheiden. Sich gegen das andere ent-
scheiden usw.
Wie steht dazu das schlichte Erfahren, das schlichte Wahr-
nehmen etc.? Das ist doch nicht anerkennen oder aberkennen etc.
15 Da haben wir die passive Einstimmigkeit und evtl. Widerstimmigkeit.
Aber zum Wesen der "schlicht" anschauenden (und evtl. sonstwie
vorstellenden) Erlebnisse gehört die ideale Möglichkeit gewisser Spon-
taneitäten: so und so spontan urteilen zu können. Urteil ist Spon-
taneität der Erfassung, der Setzung, beziehenden Setzung etc.
20 Setzung besagt hier aber nicht einen sinnlich-zu-
ständlichen Charakter, sondern eben eine Spontanei tä t.
Dies ist aber etwas neues und bereichert das Phänomen. Das Phä-
nomen, das von Spontaneität beseelt ist, geht dann wieder in eine
Zuständlichkeit über. Ferner, es erwachsen spontane Gebilde, die,
25 nachdem sie fertig sind, selbst wieder als Substrat für Spontaneitäten
fungieren können, so wie vordem die sinnlichen Erscheinungen als
Substrate für erste Spontaneitäten.
Alle diese Gebilde unterstehen aber natürlich dem Gesetz für alle
Erlebnisse, dass intentionale Erlebnisse überhaupt entweder u n m 0-
30 difizierte oder modifizierte (ich sagte aktuell - inaktuell,2
ich sagte auch setzend - nichtsetzend, lauter schlechte Namen!) sein
können, ebenso damit sich kreuzend impressiv oder reproduktivetc.
Alle Spontaneitäten des Urteils, die sich gründen in "setzenden"
Akten (Substrat-Akten), sind selbst wieder "setzend". Und das sind
35 "wirkliche"3 Stellungnahmen (und nicht quasi-Stellungnahmen).
Ir. Zur Sinnlichkeit gehören auch Gefühle und Stre bungen.
Das sind k ein e Spontaneitäten, und somit keine Stellungnahmen im
echten Sinn. Das sind nun fundierte Sinnlichkeiten und unterscheiden
sich von der schlichtesten Sinnlichkeit, derjenigen der ersten und
40 eigentlichen "Erfahrung". - Wieder gehören dazu, aber Spontanei-
täten .
. 1 .Höchst wichtig als Schutzwehr gegen manche grosse Verirrungen, die ich
1U dIesem Monat März-April 1912 begangen habe.
2 ~päter eingefügt: "positional- neutral". - Anm. d. Hrsg.
3 Über "WIrkliche" eingefügt: ,,nicht neutrale". - Anm. d. Hrsg.
460 BEILAGE XLVIII

Zu jedem intentionalen Erlebnis gehören mögliche Urteile, also


Stellungnahmen der ersten Hauptklasse. Also wie zu den primären
Erfahrungen, so auch zu den höheren Bildungen, und die Explikation
etc. führt hier auf Gefühlsprädikate. Die Speise schmeckt (gut). Der
5 Rosenduft ist herrlich. Entspricht aber nicht dem Annehmlichkeits-
gefühl eine positive Gefühlszuwendung, anderen Gefühlen
eine Gefühlsabwendung1 : Gefallen und Missfallen, wozu dann auch
Wahl und Entscheidung gehört, so wie zu den Glaubensspontanei-
täten. Sprechen wir von gut und schön, so liegen darin schon Spon-
10 taneitäten der Zuwendung ausgesprochen. Diese neuen Spontanei-
täten haben offenbar Verwandtschaft mit den Urteilsspontaneitäten,
ihrer Positivität und Negativität etc., andererseits sind sie offenbar
andersartige. Auch sie erzeugen neue intentionale Erlebnisse, mit de-
nen sich neue Objektitäten "konstituieren". Das sagt aber, dass sie
15 Grundlagen für explizierende etc. Urteile abgeben können. Ebenso wie
die Urteilsspontaneitäten selbst konstitutiv sind für neue Prädikate
wahr und falsch 2, desgleichen für die modalen zweifelhaft, möglich,
unmöglich etc., so die Gefühlsspontaneitäten für neue Prädikate gut
und schlecht etc.
20 Im Akte der Gefühlsstellungnahme (Gefallen-Missfallen) leben, das
ist vollziehend im Gefühl zugewendet sein (Gefühlsbeja-
hung 3) oder abgewendet (Gefühlsnegation), das Entsprechende von:
spontan urteilend zugewendet sein (positiv urteilen) oder abgewendet
sein (urteilend ablehnen, verwerfen). Das ist also im Urteilen (dem
25 spontanen Stellungnehmen) leben.
Aber da stimmt mir nicht alles gut zusammen. 4 Wie steht die Spon-
taneität des Kolligierens, des Beziehens, und was noch hieher gehören
mag, zur Spontaneität des Bejahens und Verneinens? Wir haben die
Spontaneitäten des Einzelerfassens, des Zusammenfassens, des Teil-
30 erfassens, des Beziehens (auch Spontaneitäten des Annehmens und
unter Annahme Setzens usw., doch das gehört nicht hieher). Da ist
doch von Bejahen und Verneinen keine Rede. 5 Oder sollen wir sagen,
das alles sind Modi innerhalb der einstimmigen Setzung. 6 Und dann
kommt das Vorkommnis der Unstimmigkeit, dazu die Spontaneitäten
35 der Entscheidung für und Entscheidung dagegen, der Zustimmung
oder Ablehnung. Jede schlichte Setzung lässt sich spontan verwan-
deln in eine spontane Anerkennung: der schlichten Erfassung kor-
respondierend. 7 Jeder schlichten Erfassung einer Durchstrichenheit
entspricht eine spontane Ablehnung etc.

1Später eingefugt: "als spontan". - Anm. d. Hrsg.


2"wahr und falsch" später verändert in: "seiend und nichtseiend" . - Anm. d. Hrsg.
3 ".bejahung" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
4 Der letzte Satz später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
S Später eingefugt: "Natürlich, weil das eine höhere Stufe ist". - Anm. d. Hrsg.
6 Später eingefugt: "Natürlich!". - Anm. d. Hrsg.
7 "der schlichten Erfassung korrespondierend" später gestrichen und dazu be-
merkt: "das ist unklar". - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XLVIII 461

Also besteht dann die Analogie wirklich? Das Gefühl als Gefallen
und Missfallen ist von vornherein Positivität und Negativität.
Oder sollen wir sagen, jede Erfassung und jede einstimmige Synthesis
ist von vornherein spontane Urteilspositivität, die ihr Gegenstück hat
5 in der Ablehnung, die freilich im Bau der unterliegenden Phänomene
ihre Voraussetzllngen hat. Urteilsnegation ist ja auch nicht Entschei-
dung gegen bei einer Wahl. Ich brauche nicht immer zu wählen. Und
so ist dann auch positives Urteilen nicht Entscheidung für. Das ge-
hört vielmehr in die besonderen Phänomene der Urteilswahl. Wir
10 durfen daher nicht sprechen von bejahendem und verneinendem,
sondern von positivem und ablehnendem Urteilen, von Erfassen und
Abweisen, Abtun. Und das Erfassen ist entweder schlichtes Erfassen
oder synthetisches Erfassen (positives Urteilen in verschiedener syn-
thetischer Stufe).
15 Das Analoge gilt aber auch für das Fühlen.!
Nun sagten wir, jedes Urteil in irgendeiner dieser synthetischen
Bildungen ist immer wieder ein "intentionales" Erlebnis. Es konsti-
tuiert eine Gegenständlichkeit. Was sagt das? Das schlichteste Urteil
ist schlichte Erfassung: schlichteste Spontaneität aus der Quelle einer
20 Re Ze p t i vi t ä t (Vorstellung vor der Zuwendung). Jede neue Stufe
ist spontan Setzung auf Setzung, synthetisch gegründet oder ver-
knüpft, und jedes synthetische Setzungs-Ganze ist wieder Ein h e i t
ein e s "belief", das ich öfters schlecht als setzendes Phänomen be-
zeichnete: Aktualität. Und darin liegt, es ist eine Einheit, die wieder
25 zum Substrat einer direkten Erfassung werden und damit zum Aus-
gangspunkt neuer Urteilssynthesen werden kann. Und darunter wie-
der Explikationen und Prädikationen, die den synthetischen Gegen-
stand betreffen, wie bei irgendeiner einfachen Setzung. Und dazu ist
jedes Urteil zu verwandeln in die Aussage über "Sein" des Sach-
30 verhalts, in die über, Wahrheit des Geurteilten als solchen (Urteil im
logischen Sinn).
Wie beim Gefühl und den -Gefühlssynthesen? Auch sie sind "in-
tentionale Erlebnisse"" auch sie konstituieren mit ihren Gefühlsspon-
taneltäten Gegenständlichkeiten, und das sagt auch, aus ihnen sind
35 Gegenständlichkeiten zu entnehmen, d.h. aus der Einstellung der Ge- -
fuhlszuwendung und -abwendung2 und der Gefühlssynthesis, die ich
vollZIehe, wie immer sie aussehen mag, kann ich übergehen in eine er-
fa:,sende und synthetisch urteilende Einstellung': Ich erfasse Ge-
falllgkeit und Missfälligkeit, Gefälligkeit um des oder jenes willen usw.
40 I eh lenke meine Aufmerksamkeit auf den "Inhalt" des Gefühlsaktes,
auf den Gegenstand, den er als Wertsache bewertet, und auf die Art
seines Wertes, der da im Akte" vermeint" ist. Auf m e r k e n ist hier

1 Spater eingefugt: "Aber das hat ausserdem in sich Unterschiede einer Positivität
und Negattvltat!" - Anm. d. Hrsg.
2 Spater eingefügt: ,,(der positiven. und negativen Gefühlsthesis)". - Anm. d.
Ihs~ j
462 BEILAGE XLVIII

das Erfassen. Jedes ein f ach e Erfassen eines schlicht vorgestellten


oder schon synthetisch konstituierten Gegenstandes ist Auf m e r k e n.
Also muss man auseinanderhalten: Die echte Stellungnahme
als Zuwendung von intentionalem Erlebnis überhaupt.
5 Jedes Erlebnis ist 1) position ales (setzendes)l oder nicht-
pos i ti 0 n ale s, das sagt, schon vor dem Status der Zuwendung bzw.
der aufmerkenden Erfassung des Gegenstandes ist es von einer Artung
die für die Urteilserfassung (spontane Glaubenszuwendung, spon~
tanen belief) prädestiniert. Oder das Gegenteil: für die bloss gedanken-
10 hafte Erfassung, Modifikation.
Das hat nahe Beziehung zum Unterschied zwischen Impression und
Reproduktion, fällt aber nicht damit zusammen.
2) Intentionale Erlebnisse sind Stellungnahmen oder Nicht-Stel-
lungnahmen. Wir beschränken uns auf positionale.
15 S tell u n g nah m e n sind positionale Erlebnisse, welche im weite-
sten Sinn eine Wer tun g vollziehen; eine Stellungnahme ist ent-
weder doxische oder Gefühlsstellungnahme oder im weitesten Sinn
praktische Stellungnahme2 •
3)3 Alle intentionalen Erlebnisse sind Gegenstand konstituierend.
20 0 b j e k t i v i e ren d nennen wir aber intentionale Erlebnisse nur so-
fern, als in ihnen ein Gegenständliches zur Erfassung kommt. Dann
bilden die schlichten Erfassungen und die synthetischen, kurzum die
Urteile, die Klasse der in ausgezeichnetem Sinn objektivierenden
Erlebnisse. 4
25 4) Jeder Stellungnahme, die nicht objektivierende ist, liegt
eine objektivierende (mindestens eine) zugrunde (wir nehmen jetzt
auch quasi-Stellungnahmen dazu).
5) Jedes intentionale Erlebnis, das nicht objektivierend ist, kann
die Grundlage für Urteile werden, die die in ihm konstituierte Gegen-
30 ständlichkeit entfalten und die spezifisch durch die Artung der Inten-
tionalität konstituierten axiontischen Prädikate herausstellen.
6) Vorher wäre zu sagen: In fundierten Stellungnahmen6 haben die
höheren eine dominierende, die niederen eine dienende Bedeutung.

1 ,,(setzendes)" etwas nachträglich gestrichen und am Rande folgende Bemerkung:


"Setzend, das ist ein Ausdruck, der das Setzen, also Spontaneität andeutet. Daher ist
dieser Ausdruck nicht brauchbar, um den allgemeinen belief unmodifizierter Erleb-
nisse vor der Erfassung auszudrücken. Ich sage daher jetzt positional." - Anm. d.
Hrsg.
2 Später eingefügt: ,,(i=er als Spontaneitilt verstanden)". - Anm. d. Hrsg.
3 Objektivierende Akte.
4 Etwas nachträglich eingefügt: "Also nur spontane Akte nennen wir dann
objektivierende. Genau geno=en sind nur die 'nominalen', einfachen Gegenstands-
erfassungen objektivierende Akte im prägnanten Sinn, die Synthesen aus solchen
sind eben rein aus Objektivationen erzeugte synthetische Gebilde, die aber durch
eine Wendung (Nominalisierung) in wirkliche Objektivationen natürlich verwandelt
werden können. Aber eine Einheit der Zuwendung ist da und ein 'Urteil', wesens-
verwandt mit schlichter Objektivation." - Anm. d. Hrsg.
5 Später eingefügt: "immer der schon spontanen" - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XLVIII 463

7) Sinnliche Anschauungen und sinnliche Vorstellungen überhaupt


sind keine objektivierenden Akte1, ebenso sinnliche Gefühle und
sinnliche Strebungen, und so der ganze Komplex der Sinnlichkeit -
solange nicht ein Strahl der "Aufmerksamkeit" hineinleuchtet und
5 sie in Erfassungen verwandelt. 2
8) A ufmerksamkei t und Zuwend ung 3 ist zu unterscheiden,
obschon mit jeder Zuwendung Aufmerksamkeit verflochten ist. Auf-
merksamkeit ist einfache Erfassung (und jedes synthetisch erzeugte,
synthetisch konstituierte Objekt, jedes Objekt überhaupt also, I ä s s t
10 eine einfache Erfassung zu). Aufmerksamkeit ist also eine objekti-
vierende Zuwendung, und in einem erweiterten Sinn sind wir auf-
merksam auf jedes Objekt einer Objektivation45 (Gegenstands-
bewusstsein ist dafür ein schlechtes Wort).
Zu wen dun g ist das Allgemeinere. Denn zugewendet sind wir
15 nicht bloss im Objektivieren, sondern auch im Fühlen und Wol-
l e n, in jeder Art von Spontaneität (Stellungnahme).
9) Nicht zugewendet sind wir in "nichtvollzogenenStellungnahmen",
das aber besagt, dass jede Spontaneität in Passivität zurücksinken
und so eine sozusagen sekundäre Sinnlichkeit bilden kann.
20 Ebenso kann auch eine solche sekundäre Sinnlichkeit "auftauchen"
und dann wieder in die entsprechende Aktivität verwandelt werden.
Das verworrene Urteilen, Fühlen, Wollen. Mischungen von Eigentlich-
keit und Uneigentlichkeit der Stellungnahmen (der VoHzogenheit und
Nichtvollzogenheit) .
25 All diese Dinge habe ich doch im Wesentlichen schon längst fest-
gestellt, und es ist sehr merkwürdig, fast unglaublich, dass ich jetzt
einen ganzen Monat lang mich quälen konnte und sie vollständig ver-
gessen hatte.

1 Später eingefügt: ,,(im prägnanten Sinn)". - Anm. d. Hrsg.


2 Etwas nachträglich eingefügt: "Der übergang vom verworren sinnlichen Be
wusstsein zum vollziehenden, in die Einstimmigkeit eindringenden (das 'es stimmt'
in der Explikation vollziehenden), das is t die erfassende Stellungnahme. Die Stel-
lungnahme des Glaubens, der Anerkennung." - Anm. d. Hrsg.
3 Über "Zuwendung" später eingefügt: ,,= Stellungnahme". - Anm. d. Hrsg.
4 "Objektivation" später verändert in: "Objektivations-Synthese". - Anm. d.
Hrsg.
5 Vgl. das tief Durchdachte über Aufmerksamkeit in Y o, Aufmerksamkeit als das
Betrachten, das im Substrat Leben. <Cf. die Textkritischen Anmerkungen, S. 676f.>
Nr. 16

<REPRODUKTION UND BILDBEWUSSTSEIN.


TRENNUNG VON BILDOBJEKTAUFFASSUNG UND
BEWUSSTSEIN EINES PERZEPTIVEN SCHEINES.
VERALLGEMEINERUNG DES BEGRIFFS DER
5 PHANTASIE (VERGEGENWÄRTIGUNG):
1) REPRODUKTIVE 2) PERZEPTIVE,
D.H. VERGEGENWÄRTIGUNG IM BILD,
IN BILDLICHER DARSTELLUNG>
<wohl Frühjahr 1912>

10 Ich nehme als Unterlage der Modalisierung nichtsetzende Akte.


Das wäre etwa, wenn ich in eine nichtsetzende Phantasie (blosse
Phantasie) in widerstimmiger Weise eine andere Phantasie hinein~
setzte, evtl. ein Stück aus einer Erinnerungswelt. Worin soll die
Unstimmigkeit bestehen? Nun, ich phantasiere mir einen Wider~
15 streit, eine Illusion, ich habe dann zwei miteinander streitende
Reproduktionen, miteinander verbunden, und diese sind eo ipso
Phantasie von einem Widerstreitenden. Aber was gibt den Vor~
zug für eine Seite, was gibt hier eine modalisierende Durch~
streichung?
20 Ich mache in der Phantasie einen Ansatz. Ich stelle mich auf
den Boden der einen Seite. Ich phantasiere eine Welt, ein Zen~
taurenland : Die Setzungslosigkeit ist quasi-Setzung, modifizierte
Setzung. Diese halte ich durch. Und nun phantasiere ich, ich
sähe einen Gegenstand, schwankte ob Puppe oder Mensch, es
25 stellt sich dann heraus, dass es eine Puppe ist etc. Die erste Phan~
tasie gibt mir die Phantasiewelt, die zweite konstituiert in die
Phantasiewelt widerstimmig hineingesetzt und in Beziehung auf
ihre quasi-Setzung "angesetzte" Dinglichkeit.
~
TEXT NR. 16 (1912) 465

Was die erste quasi-Setzung, d.i. quasi-Welt auffassung und


quasi-Weltwahrnehmung und quasi-Weltdenken ,,0 ff e n lässt",
das kann die zweite als Möglichkeit versinnlichen, was sie nicht
offen lässt, kann die zweite als Nichtigkeit hereinbringen, als et-
S was, das durch die quasi-Grundsetzung Durehstreichung erfährt
ete. Also immer ist zu beachten, dass die Einbildungsmodifika-
tion, die Nichtsetzung, so viel besagt wie quasi-Setzung. Wie
steht es nun mit dem Unterschied von Reproduktion und Nicht-
reproduktion dabei? Im ästhetischen Bilde habe ich als erste,
10 Bild wel t, eine Welt gesetzt: quasi gesetzt. Im Fall einer fin-
gierenden reproduktiven Phantasie kann ich mir die erste Welt
beliebig herstellen, obschon nicht immer. Mit einem Mal, ich
weiss nicht wie, ist eine Phantasiewelt da und zwingt sich mir
vielleicht auf, ohne darum für Wirklichkeit gehalten zu werden.
15 Andererseits gestalte ich als Künstler, wenn auch indirekt, die
scheinende, Clie Bildwelt, durch die Mittel der Farbe etc. er-
zwinge ich gewissermassen den Schein, ohne dass ich illusioniere.
Einen Widerstreit in die Bildwelt kann ich hineinbringen da-
durch, dass ich innerhalb der einheitlichen Bildwelt einen Bild-
20 gegenstand als zweideutiges Bild male, dann habe ich Zweifel im
Bild; oder vielmehr, das Bild ist mit Zweifelhaftigkeit behaftet,
evtl. auch kann der Zweifel entschieden werden, sofern im Bild
selbst Motive der Entscheidung liegen. Die Modalitäten sind hier
modifiziert: Das Zweifelhaft ist ein modifiziertes Zweifelhaft,
25 das Nichtig ein modifiziertes Nichtig. Mich in das Bildbewusst-
sein einlebend, es vollziehend, zweifle ich wirklich, verwerfe ich
wirklich, in dem Sinn, wie ich das Abgebildete wirklich sehe,
wirklich anschaue. Und die Zweifelhaftigkeit und Nichtigkeit ist
auch angeschaut, gegeben, ist quasi gesetzt.
30 Ebenso steht es mit den Gefühlen: Der elend Gepeinigte im
Bild erweckt mein Mitleiden. Ich habe wirklich ein Gefühl des
Mitleidens, so wie ich wirklich eine Dinganschauung, ja eine
Dingperzeption habe, aber es ist ein modifiziertes Gefühl, der
Bildkranke ist bedauernswert, er ist der "arme" Kranke, ihm
35 kommt das Armsein zu, so wie ihm die Krankheit zukommt, wie
ihm diese bildlich gesehene Kleidung zukommt etc. Das sind die
Setzungsmodifikationen. Sie betreffen eben nur diese Dimension.
Die "Wahrnehmung" (Perzeption) ist sonst wie jede Wahrneh-
mung, das Gefühl sonst wie jedes Gefühl. Wie jedes hilft es etwas
466 TEXT NR. 16 (1912)

am Sach-Gegenstand konstituieren, was ihm "anschaulich" an-


haftet.
Wodurch unterscheiden sich aber bi I d li c h dar g e s tell t e
oder reproduktiv vorgestellte Modalisierungen und Gefühle von
5 den hier fraglichen?
Die Erweckung der Tochter des Jairus. Christus, der mitleidet.
Denke ich mir bloss die Darstellung eines Kranken, und ich fühle
Mitleid, dann ist das Mitleid nicht selbst Dargestelltes, so wie es
die Krankheit ist, wie es die Kleider des Kranken sind etc.Also
10 darf ich doch mein Mil:leid nicht auf eine Stufe stellen mit der
Anschauung der Kleider. Das Mitleid Christi, das gehört zum
Bild.
Ebenso wenn mir eine traurige Situation in der Phantasie vor-
schwebt, so ist die Trauer entweder zur Phantasie gehörig, näm-
15 lich wenn ich mich selbst in den Phantasiezusammenhang hinein-
phantasiere, und als Trauernden (ich stehe etwa an der Bahre des
in der Phantasie als hingeschieden Vorgestellten und trauere),
oder ich phantasiere mich nicht mit hinein und meine Trauer und
phantasiere einen anderen Trauernden, dann ist seine Trauer
20 phantasiert, oder endlich, ich phantasiere gar keine Trauer und
"empfinde" wirklich Trauer aufgrund der Vorstellung. Im letzten
Fall kann ich sagen: Gesetzt, das wäre Wirklichkeit, so wäre das
traurig. Hier mache ich einen hypothetischen Ansatz, eine An-
nahme, und die fundiert das lIes würde traurig sein". Das kann ich
25 bei jeder solchen Modifikation tun, beim Bild etc.
Nun ist zu bedenken: Was den Fall der Bildvorstellung von
dem der Phantasie (Reproduktion) unterscheidet, ist, dass die
erstere, wenn wir uns an das Bildobjekt halten, eben Perzeption,
die letztere Reproduktion ist, das sagt, die letztere hat eine
30 eigene Modifikation, die der ersteren fehlt, neben der Setzungs-
Modifikation die reproduktive, die sie durch und durch tingiert.

Bildbewusstsein und symbolisch bildliches <Bewusstsein>l

Es ist weiter zu beachten, dass die Parallelisierung von B i1 d-


b ewuss ts ein und Phantasie b ewuss tsein richtig zu
35 verstehen ist. Die schlichte Reproduktion, sagen wir die "nicht-

1 Cf. aber p. 11 <d.i. unten, S. 471,19ft.>


TEXT NR. 16 (1912) 467

setzende" (quasi-setzende), hat ihr Gegenstück in der schlichten


Perzeption, und näher in der quasi-setzenden. Nun verbindet
sich damit zumeist (in der Abbildung) noch eine Leervorstellung
und evtl. übergehend in· eine diese erfüllende reproduktive Vor-
5 stellung.
Hier habe ich nun dem nicht hinreichend Rechnung getragen,
dass für die Möglichkeit eines "Bild"bewusstseins diese symboli-
sierende Funktion keineswegs unbedingt notwendig ist. Wenn
wir ein gutes farbiges Bild sehen, so können wir uns so hinein-
10 sehen und so im perzeptiv Dargestellten leben, dass wir in gar
keinem symbolisierenden Bewusstsein mehr leben, von keinem
berührt werden. Es braucht überhaupt nicht dazusein. Wo Bild
und Sache bewusstseinsmässig auseinandertreten, wo das Be-
wusstsein einer Abbildung lebendig sein muss, weil zwischen
15 Bild und Sache Diskrepanz statthat, da scheidet sich Bildobjekt
und Bildsujet, und wir können auf das Bildobjekt rein hinsehen,
statt im Bildsujet zu leben. Also jedenfalls durch Abscheidung
aller Symbolisierung und durch Abschneidung andererseits jeder
Vereinheitlichung mit der setzenden Wahrnehmung der "Bild-
20 umgebung" erhalten wir eine reine setzungslose Perzep-
tion.
Ich kann wohl auch mich in das Bild "hineinphantasieren" .
Das kann aber nur sagen, dass ich den Bildraum über mich und
meinen Umgebungsraum ausdehne und mich selbst unter Aus-
25 schluss der wirklichen Dinge, die ich sehe, mit ins Bild aufnehme,
wodurch ich meine Aktualität ausschalte; ich werde dann selbst
zum modifizierten Ich, zum setzungslosen. Dann ist meine Teil-
nahme die Teilnahme eines bildlichen Zuschauers (sie gehört zum
Bildobjekt), nicht eines sympathisierenden vor dem Bild.!
30 Ebenso kann ich eine Welt der Phantasie vorschweben haben,
und da diese ohnehin ein Auffassungszentrum voraussetzt, an
dem ich mich immer setze, so werde ich im allgemeinen und viel-
leicht notwendig selbst in der Phantasiewelt einen Platz haben
als phantasiert es Ich, die Phantasiewelt von seinem Standpunkt
35 aus quasi sehend. Aber dann haben wir eben zwei Ich, das der
Phantasiewelt und das aktuelle, dem das Reproduzieren selbst

1 Da die sinnliche Erscheinung eo ipso einen Ichstandpunkt voraussetzt, so bin ich


irgendwie immer als Bild-Ich im Bild.
468 TEXT NR. 16 (1912)

angehört. Und ebenso die Doppelheit der Icherlebnisse, diejeni-


gen, die bald dürftig, bald vielfältig und lebendig dem Phantasie-
Ich zugehören, und die<jenigeD>, <die> dem phantasierenden Ich
zugehören. Genauso wie im Fall der perzeptiven quasi-Setzung
5 der perzeptiven Anschauung (Bildanschauung).
Wie verhalten sich nun die Icherlebnisse (meine Icherleb-
nisse) im Bild, in der Phantasie, zu meinen Icherlebnissen vor
dem Bild, vor der Phantasie, d.h. meinen aktuellen mir als Bild-
vorstellendem, als Phantasierendem zugehörigen? Es bestehen
10 hier Schwierigkeiten. Gewisse Fälle sind zunächst auszuzeichnen.
Ich phantasiere mich in die Phantasiewelt oft so hinein, dass ich
mich wie einen Anderen hineinphantasiere. Denke ich an
meine Kinderzeit, so sehe ich mich als Kind, irgendein Kinder-
bild von meiner Leiblichkeit spielt mit, drängt sich vor und wird
15 zum Träger meiner Erlebnisse. Aber freilich zugleich damit habe
ich auch ein direktes Ichbewusstsein, zu dem die Leiblichkeit in
der direkten und bekannten Form gehört, in der ich mich auch
aktuell in der lebendigen Wirklichkeit als leibhabend vorfinde.
Scheiden wir also die indirekte Leibvorstellung aus mit der zu-
20 gehörigen Einfühlung von Geist, die erst in Beziehung gebracht
ist zur eigentlichen, direkten Selbstvorstellung.
Den Fall der Einfühlungserlebnisse müssen wir überhaupt erst
nachträglich und für sich behandeln. l
Dann fragt es sich also, wodurch unterscheidet sich das Phan-
25 tasiebewusstsein vom Ich und ebenso das Bildbewusstsein vom
Ich, und wie unterscheiden sich beide vom aktuellen setzenden
Ichbewusstsein?
Deutlicher: Wir haben ein perzeptives Ichbewusstsein und ein
reproduktives, wir haben ein aktuelles (setzendes) und nicht-
30 setzendes.
Das Erinnerungsbewusstsein, das Ich inder Erinnerung, ist
reproduktiv-setzend, mit all seinen Erlebnissen. Das Ich im Bild
(ich lebe ganz im Bild, etwa des Töchterleins des } airus , und
stehe mit dabei) ist, wenn ich das Bild nicht als Abbildung nehme,
35 sondern als Einbildung, perzeptives Ich, aber setzungslos.
Nun wenn ich wirklich in der Phantasie lebendig darin bin, so

1 Vgl. hierzu etwa Husse,liana XIII, Zu, Phänomenologie de, Inte,subjektivität,


Erster Teil, Nr. 10 (1914 oder 1915); Husse,liana XIV, Zu, Phänomenologie def' Inter-
subjektivität, Zweiter Teil, Beilage XXIV (um 1920). - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 16 (1912) 469

kann man nichts anderes sagen als folgendes: So wie die Erschei-
nungen der Phantasiedinge reproduktiv modifizierte Erschei-
nungen sind und im Fall der setzungslosen Phantasie setzungs-
lose, so sind auch die Icherlebnisse und alles, was zum Ich als
5 Phantasie-Ich gehört, reproduktive Erlebnisse und setzungslose.
In der Erinnerung ist nur der Unterschied der Setzung. Im
Fall der Wahrnehmung, des "ich nehme wahr und lebe in der
Wahrnehmungswelt, verhalte mich zu ihr aktuell so und so", ist
die Wahrnehmung eben wirkliche Perzeption und im inneren Be-
10 wusstsein in Setzung bewusst, ebenso wie sie selbst das Wahr-
genommene setzt. Also wir haben die Setzung des inneren Be-
wusstseins und die zur Wahrnehmung als Erlebnis, das etwas
wahrnimmt, gehörige Setzung. Und ebenso sind alle Erlebnisse
des Ich im inneren Bewusstsein aktuelle Gesetztheiten. Nur dass
15 wir nicht Reflexion üben und die Setzung "vollziehen müssen".
Im Fall des, aktuellen Verhaltens zum Bilderscheinenden ist das
Verhalten eben zum aktuellen (sich selbst setzenden) Ich gehörig,
im Fall des aktuellen Verhaltens zur Phantasiewelt gehört wieder
das aktuelle Mitleid etc. zum aktuellen Ich, es hat innere Setzung,
20 so wie das Phantasieren als Erlebnis. Die Phantasie als Phantasie
ist Gesetztes, aber sie ist nicht Setzendes. Das Setzen der Phan-
tasie gehört zum inneren Bewusstsein: das innere Perzeption,
innere Wahrnehmung vielmehr ist.
Schwieriger ist die Sache beim Hineinbilden des Ich in das
25 Bild, da hier das Ich perzipiertes Ich ist. Aber da wird man sofort
sagen: Das perzipierende nichtsetzende Erlebnis, das wir Bild-
bewusstsein nennen, ist natürlich im inneren Bewusstsein selbst
Gesetztes, also ist auch das Erlebnis, in dem das Ich als Glied der
Bildwelt in nichtsetzender Weise perzeptiv bewusst ist, seiner-
30 seits gesetztes Erlebnis.
Das modifizierte Perzipieren, das da setzungslos heisst (quasi
Perzipieren) ist das Gegenstück des unmodifizierten Perzipierens,
des setzenden, des Wahrnehmens, das da setzend ist hinsichtlich
seines, des äusseren Gegenstandes. Es ist andererseits gesetztes
35 im inneren Bewusstsein. Das modifizierte quasi-Setzen bezüglich
eines äusseren Gegenstandes ist seinerseits wiederum gesetztes
im inneren Bewusstsein.
Das gilt aber auch vom Bewusstsein vom Ich. Finde ich mich
selbst als Wirkliches in der Welt, die ich wahrnehme, so habe ich
470 TEXT NR. 16 (1912)

von mir eine Perzeption, und zwar eine setzende, eine Wahr-
nehmung, und dieses Wahrnehmen des Ich (des Gliedes der
Wirklichkeit) ist nicht ein inneres Bewusstsein, vielmehr ein in-
nerlich Bewusstes: Dieses Wahrnehmen, dieses sich selbst Wahr-
5 nehmen ist Erlebnis und als solches Gesetztes des inneren Be-
wusstseins. Ebenso ist das Sich-einbilden, sich in die Bildwelt
Hineinbilden ein Erlebnis und Gesetztes des inneren Bewusst-
seins.
Also ist nicht etwa, wie man denken könnte, durch die Setzung
10 des inneren Bewusstseins das Selbst-perzipieren eo ipso ein sich
selbst als Wirklichkeit Setzen.
Wie steht es nun mit dem "ich freue mich", "ich bin betrübt"
etc? Ich, das selbstwahrgenommene Ich, habe alle Erlebnisse, die
durch das innere Bewusstsein ihre Setzung erfahren haben. Ich
15 erfahre, ich nehme wahr (ich habe das Wahrnehmungserlebnis),
ich phantasiere (ich habe das Phantasieerlebnis), ich freue mich
über das Wahrgenommene; ich freue mich (ich als das wirkliche
Ich) endlich am Phantasierten: Das letztere sagt, ich .habe die
modifizierte Freude, diese Freudenmodifikation gehört zu mei-
20 nem aktuellen Ich. Ebenso ich als Betrachter des Gemäldes fühle
Mitgefühl mit dem bildlich dargestellten Elend: Ich habe das
modifizierte ("setzungslose") Mitgefühl. Das modifizierte Ge-
fühl ist Gesetztes des inneren Bewusstseins und ist als solches Er-
lebnis des aktuell gesetzten Ich. Auch das Erlebnis der Selbst-
25 wahrnehmung wird (sonderbarerweise) auf das Ich, das selbst-
wahrgenommene, bezogen: Ich vollziehe Selbstwahrnehmung.
Die Beziehung des Ich durch ein intentionales Erlebnis auf ein
Gegenständliches ist nicht zu verwechseln mit der Beziehung des
intentionalen Erlebnisses selbst auf sein Gegenständliches.

*
30 Das Erlebnis des Sich-freuens, des Wahrnehmens etc. ist Ge-
setztes des inneren Bewusstseins. Ist es Freude an einem bloss
Phantasierten, so ist es setzungslose (besser: nichtsetzende)
Freude: Die Setzung, die dieser setzungslosen (nichtsetzenden)
Freude zukommt als innerem Erlebnis, macht die Freude nicht
35 zu setzender Freude. Man darf nicht verwechseln die Setzung, die
die Freude selbst übt, und ebenso die quasi-Setzung, die sie eben
TEXT NR 16 (1912) 471

quasi übt, und die Setzung, die die Freude erfährt und die das
innere ,Bewusstsein übt. Also werden wir deutlicher sagen müssen
nichtsetze n d e Freude, aber gesetz t e.

*
Wenn eine Freude (oder Trauer) sich auf ein biosses Bildobjekt
5 richtet, so ist sie nichtsetzende Freude. Wie aber, wenn ich mich
dabeh;elbst sozusagen ins Bild hineinstelle, mich hinein einbilde?
Was unterscheidet die nichtsetzende Freude (oder Trauer) im
einen und anderen Fall (angesichts des Bildes - im Bild)? Bei-
derseits ist die nichtsetzende Freude innerlich perzipiert, so wie
10 die Bildperzeptionen innerlich perzipiert sind (impressiv). Zum
wirklichen Ich gehört also die nichtsetzende Freude und ebenso
der Gehalt des nichtsetzenden Bild-Erlebnisses immerfort. Aber
einmal baut die nichtsetzende Freude selbst mit das Bildbewusst-
sein auf und gehört zu seinem Bestande, im anderen Fall nicht.
15 Im ersteren Fall stellt sich in der nichtsetzenden Freude ebenso
eine Freude dar, wie sich in der nichtsetzenden Erscheinung der
Kranken eine Kranke darstellt. Im anderen Fall habe ich eine
modifizierte Freude, aber in ihr stellt sich nichts dar.

Nochmals das Btldbewusstsein1

20 Es .fragt sich, was das besagen kann.


Es wird jetzt entscheidend, wie wir das Bildbewusstsein
interpretieren. Müssen wir nicht sagen: Zum Wesen des Bild-
bewusstseins gehört "Darstellung", Bildbewusstsein ist nicht
einfach perzeptives Bewusstsein und allenfalls ein perzeptives
25 Bewusstsein, das noch mit einem reproduktiven verwoben 1st
(näm~ich einem Phantasiebewusstsein). Das ist nicht richtig.
Bildbewusstsein hat, das hat es zweifellos mit dem perzipierenden
Bewusstsein gemein, "Empfindungsinhalte" in sich impliziert,
die man darin finden, da entnehmen kann. Aber achten wir ge-
30 nau auf die Bilderscheinungen, in denen diese Bäume, diese
Menschen etc. als Bildmenschen, Bildbäume erscheinen, so finden
wir wie bei der reproduktiven Phantasie, dass die Erscheinungen

1 Cf. 8 <d.i. oben, S. 466,32ff.>


472 TEXT NR. 16 (1912)

nicht etwa bloss perzipierende Erscheinungen, sondern imagi-


nierende sind, d.h. in der Erscheinung stellt der Empfindungs_
inhalt etwas dar, und die Erscheinung selbst stellt Er-
scheinung dar, die Auffassung ist nicht einfach
5 Auffassung, sondern Darstellung von Auffassung.
Andererseits ist es nicht so, dass wir hier wirklich Doppeltes fin-
den, eine darstellende Auffassung und eine dargestellte; sondern
wir haben eine nur modifizierte Auffassung, modifizierte Er-
scheinung, eine Erscheinungs-Modifikation, sagen wir besser
10 deren Wesen es ist, Erscheinung darzustellen ("vorzustellen").~
Aber können wir nicht die Empfindung als Empfindung und
weiter die Auffassung als nichtdarstellende Auffassung nehmen:
eine Änderung des Bewusstseins vollziehen, die die Auffassung
also als perzeptive Auffassung voll z i e h t ?
15 Haben wir also nicht das soeben Gesagte zurückzunehmen und
hier zu scheiden 1) die perzeptive Auffassung mit dem perzep-
tiven Empfindungsgehalt, 2) die imaginative Auffassung mit dem
imaginativen Empfindungsgehalt ? Müssen wir nicht weiter sa-
gen: Die perzeptive Auffassung hat den Charakter eines Fik-
20 turns, es erscheint in ihr perzeptiv ein "Bildobjekt" , ein Schein,
"aufgehoben" oder als nichtig charakterisiert durch den perzep-
tiven Glaubenszusammenhang ?2
Dann aber fragt es sich, ob diese Auffassung wirkliches oder
mögliches Erlebnis ist, ob sie wirkliches, aber nicht im prägnanten
25 Sinn "vollzogenes" Erlebnis ist.3 Wir sind nicht dem Schein-
objekt4 zugewendet, aber es erscheint. Die andere Möglichkeit
ist 5 die: Es erscheint nicht, aber so geartet ist das Bildbewusst-

1 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich wie folgt verändert: "Andererseits ist
es zu fragen, <ob> wir hier wirklich Doppeltes finden, eine darstellende Auffassung
und eine dargestellte; oder haben wir nur eine, nur modifizierte Auffassung, eine
Erscheinungs-Modifikation, deren Wesen es ist, Erscheinung darzustellen ('vorzu-
steIlen')?" - Anm. d. Hrsg.
2 Der letzte Satz nach dem Doppelpunkt etwas nachträglich wie folgt verändert
und ergänzt: "Die perzeptive Auffassung hat den Charakter einer fingierenden, w~nn
wir sie ansetzend in den Zusammenhang der aktueIlen, unmodifizierten PerzeptIon
bringen. Es erscheint in ihr perzeptiv ein "Bildobjekt" , das im Falle des Ansatz~~
als nichtig charakterisiert erscheint durch ~en perzeptiven Glaubenszusammenhang.
- Anm. d. Hrsg.
3 Etwas nachträglich eingefügt: "Offenbar das letztere." - Anm. d. Hrsg.
4 "Scheinobjekt" etwas nachträglich verändert in "Bildobjekt" . - Anm. d. Hrsg.
6 "ist" etwas nachträglich verändert in "wäre". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 16 (1912) 473

sein, dass ich die Imagination ,in' eine Schein-Perzeption1 ver-


wandeln kann. 'Das sind folgenschwere Fragen.
Nicht beirren dürfen dabei die von mir studierten, aber viel-
leicht noch, nicht ganz exakt .gedeuteten Unterschiede. Unter
5 Bi 1d 0 b j e k t kann verstanden werden das wirklich perzipierte
(oder perzipierbare)2 Objekt gegenüber der Darstellungs-Objek-
tität. Sehen wir aber näher zu, so haben wir bei den Bildern
Unterschiede. Mein Beispiel der Raffaelschen Theologie3 : Die
kleinen grauen Engeljungen, die kleine Frauenfigur, das nannte
10 ich Bildobjekte, die kleinen Figürchen. Das Dargestellte, das
Sujet ist die erhabene Frauengestalt etc. Sehen wir aber näher
zu, so bietet sich folgende Ansicht der Sachlage dar: Die kleinen
Figürchen sind schon dargestellte 4 Objekte. Die ganz kleine
Photographiebüste Malvinens beachtend, muss ich doch nicht
15 das da Angeschaute als "Schein" nehmen. Es erscheint ein Ding
in Photographiefarben und sehr klein, aber es ist schon Dar-
gestelltes5 , es ist nicht Perzipiertes6 , es ist nicht charakterisiert
als Schein. Aber freilich möchte ich nicht sagen, dass das eigent-
liche Sujet des Bildes in solchem Fall in demselben Sinn dar-
20 gestellt ist, wie das Bildobjekt in der Unterstufe dargestellt ist.7
Nehmen wir daneben den Fall, wo ich ein farbiges und relativ
"vollkommenes" Bild habe. Die Vollkommenheit kann mancher-
lei besagen, hier wollen wir auf die eine Vollkommenheit achten:
Ich "sehe" im Bild eine Person, eine Landschaft derart, dass die
25 gesamte Bilderscheinung nach allen Erscheinungskomponenten
darst ellend ist für das Sujet. Hier stellt die Form Form, die
Farbe Farbe, und zwar "dieselbe" Farbe dar: natürlich für mein
Bewusstsein. Im "Erscheinenden" sehe ich das Sujet. Also im

1 "Schein-Perzeption" etwas nachträglich verändert in "quasi-Perzeption". -


Anm. d. Hrsg.
2 ,,(oder perzipierbare)" etwas nachträglich gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
3 Vgl. oben Nr. 1, § 21 - A'lm. d. Hrsg.
4 "dargestellte" etwas nachträglich verändert in "bloss vorgestellte"; gleichzeitig
damit wurde der Satz wie folgt ergänzt: ,,(es sind nicht Scheine, d.h. nicht erschei-
nende in einer setzenden Perzeption, nur herabgesetzt modal)". - Anm. d. Hrsg.
5 "Dargestelltes" etwas nachträglich verändert in "bloss Vorgestelltes". - Anm.
d. Hrsg.
6 "Perzipiertes" etwas nachträglich verändert in "perzeptional Gesetztes". -
Anm. d. Hrsg.
7 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich wie folgt verändert und der Text er-
gänzt: "Aber freilich möchte ich nicht sagen, dass das eigentliche Sujet des Bildes in
demselben Sinn bloss vorgesteUtist, wie das Bildobjekt in der Unterstufe vorgestellt ist.
Zwischen blosser Vorstellung und' Darstellung' ist zu unterscheiden." - Anm. d. Hrsg.
474 TEXT NR. 16 (1912)

Gegensatz zu den'vorigen Beispielen: wo ich die Figuren weiss


oder grau sehe und diese Farben nicht ,Darstellungen sind für
entsprechende Farben des Sujets. In dem photographischen Grau
stellt sich vom Sujet nichts dar. Es erscheint aber das graue
5 Objekt. Kann ich nun sagen, das Grau stellt ein Grau dar, das
Erscheinende ist Dargestelltes, eine Darstellung <ist> da, die das
graue Figürchen "darstellt"?l Muss ich nicht vielmehr sagen;.ich
kann mich hineindenken, dass ich solches bildlich bewusst hätte,
aber es ist nicht bildlich bewusst, vielmehr habe ich eine per-
10 zeptive Erscheinung, nicht als Schein charakterisiert darum, weil
sie nichtsetzende, sondern von vornherein modifizierte (nicht-
setzende) ist 2 und Schein erst wird, wenn sie unmodifizierte und
durch andere unmodifizierte Erscheinungen gehemmte Auffas-
sung ist, und dies ist nach allen Momenten oder nach gewissen
15 Trägern von "Darstellungen".3
Also zusammengefasst: 1) Wir müssen trennen Bildob-
jektauffassung und Bewusstsein eines perzeptiven Scheines. 4
Die erstere ist nichtsetzend, die letztere setzend.
2) Mit der Bildobjektauffassung haben wir in eins die Dar-
20 s tell u n g, und zwar kann das Dargestellte im erscheinenden
Bildobjekt nach seinem gesamten Erscheinungsgehalt dargestellt
sein oder nur nach einem Teil. Hiebei stellt sich auch in der
Bildobjekt-Erscheinung die Bildsujet-Erscheinung dar, und wie-
der "vollkommen" oder "unvollkommen" (nach allen oder nicht
25 allen Komponenten).
3) Die Darstellung ist oft eine mit der nichtsetzenden perzep-
tiven Erscheinung (des Bildobjekts) verbundene re pro du k-
ti v e P h a n t a sie oder einer solchen entsprechende Leervor-
stellung. Mit einer Darstellung kann auch (oder muss?) eine
30 Leervorstellung verknüpft sein und dann 5 haben wir eine Sym-
bolisierung, eine analogisierende Zeichenvorstellung, wenn die
Beziehung durch Ähnlichkeit statthat. Ebenso kann eine der-

1 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich wie folgt verändert: "Ich kann nun
nicht sagen, das Grau stellt ein G rau dar, das Erscheinende ist Dargestelltes, es ist
35 nicht eine Darstellung da, die das graue Figtirchen 'darstellt'." - Anm. d. Hrsg.
2 "nichtsetzende, sondern" (Zeile 11) bis "ist" etwas nachträglich verändert in
"nichtsetzende ist". - Anm. d. Hrsg.
3 Etwas nachträglich eingefügt: "Also im Wege eines Ansatzes erhält sie den
Nichtigkeitscharakter." - Anm. d. Hrsg.
4 Später eingefügt: ,,(Nichtiges)". - Anm. d. Hrsg.
5 "dann" etwas nachträglich verändert in "in dieser Hinsicht". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 16 (1912) 475

artige äussere Beziehung auf Erinnertes statthaben: Das Bild-


erscheinende wird identifiziert mit einem in bestimmtem Erinne-
rungszusammenhangrVorstelligen (dunkel oder klar). Sie ist dann
evtl. von vornherein setzende Darstellung.

*
5 Die Dar s tell u n g, die da gebunden ist an eine nichtsetzende
perzeptive Erscheinung, und das symbolische und speziell signi-
tive Bewnsstsein, das entweder mit Darstellung verflochten oder
auch ohne Darstellung an eine (setzende oder nichtsetzende)
perzeptive Erscheinung gebunden ist, überträgt sich in das repro-
10 duktive Gebiet: Wir haben dann Abbildung und Symbolisierung
in der Phantasie.
Nun hat aber die Darstellung als solche Gemein-
samkeiten mit der Reproduktion.
4) Zu bemerken ist, das Bildbewusstsein kann auch setzend
15 oder nichtsetzend sein. Das Sujet ist gesetzt. Aber gegeben als
seiend ist es nur durch Übergang in einen Erfahrungszusammen-
hang. Das weist doch darauf hin, dass wesentlich zu jeder Dar-
stellung die Möglichkeit eines Überganges in gebende Anschau-
ung gehört. Wir werden wohl sagen müssen, Intentionen darauf
20 stecken in der Darstellung, ähnlich wie in jeder Wahrnehmung
die möglichen Übergänge in Wahrnehmungszusammenhänge
stecken und wir der Wahrnehmung entsprechende "Intentionen"
auf mögliche Erfüllung zuschreiben müssen. Also das ist ein
Hauptpunkt, die Frage, was im Bildbewusstsein wesentlich steckt
25 als "Intention" in Relation zu möglicher Erfüllung.
5) Ich sagte, Darstellung hat Wesensgemeinschaft mitRepro-
duktion : nämlich eben dies, dass wir in jeder Komponente der
Darstellung (der eigentlichen Darstellung) eine Beziehung auf
"Entsprechendes" haben.
30 Es fällt uns auch auf, dass wir auch genau die Unterschiede
eigentlicher und uneigentlicher Darstellung wiederfinden in der
Phantasie als eigentliche und uneigentliche Reproduktion (z.B.
Erinnerung: Wir unterscheiden, was im "Erinnerungsbild"
eigentliche Erinnerung ist und was nur Lückenbüsser).
35 Wir müssen also den Begriff der Phantasie (sagen
wir V~rgegenwärtigung) verallgemeinern. Es gibt
476 TEXT NR. 16 (1912)

zwei Grundformen der Vergegenwärtigung:


1) die reproduktive
2) die perzeptive, d.h. die Vergegenwärtigung im Bild, in
bildlicher Darstellung. Da jedem Erlebnis wieder reproduktive
5 Modifikationen entsprechen, so geht dann die perzeptive Ver-
gegenwärtigung auch in die reproduktive ein, es erwächst ver-
bildlichende Vergegenwärtigung in der Phantasievergegenwär-
tigung (bzw. in der Erinnerung).
Scheiden muss man diese Modifikationen von denjenigen, die
10 Setzung in Nichtsetzung verwandeln. (Kreuzung der beiderlei
Unterschiede.) Ferner muss man nicht verwechseln nichtsetzende
Perzeptionen mit bildlich darstellenden Erlebnissen: also mit
Vergegenwärtigungen.

*
Darstellung von Gefühlen als Stimmungen im Bild (nicht als Personengefühle)

15 Eine Landschaft erweckt eine Stimmung. Eine Bildlandschaft


stellt Landschaft in einer Stimmung dar: Ich brauche im Ansehen
nicht wirklich in Stimmung <zu> kommen. Solche dargestellten
Stimmungen, Gefühle etc. setzen nicht voraus eine Mitdarstellung
des Beschauers, obschon er in eigener Weise in Aktion tritt. Ge-
20 nauer, sicher gehöre ich mit dieser Stimmung nicht ins Bild
hinein. Soll ich sagen, ich, nicht als empirischer Mensch, sondern
"rein als Korrelat der Stimmung"? Die Stimmung ist ein quasi
setzender Akt, der der Landschaft die ontische Stimmung erteilt.
Die Landschaft mit diesem ontischen Charakter ist dargestellte
25 Landschaft. In meiner quasi-Stimmung stellt sich Stimmung
dar.! In meinem quasi-Gestimmtsein bin ich mir der Land-
schaftsstimmung (als einer quasi-Stimmung) bewusst, und dies
stellt mir Landschaftsstimmung dar. 2 Die Kunstwerke stellen
überall nicht bloss Dinge dar und nicht bloss Personen dar, die
30 Gefühle haben, Gedanken etc., sondern sie stellen auch mannig-
fache Stimmungen, Gedanken etc. in einer Weise dar, dass wir
sagen müssen: Es sind Charaktere der dargestellten Dinge und

1 Der letzte Satz wurde etwas nachträglich gestrichen. - Anm. d. Hrsg.


a Das muss viel besser ausgeführt werden.
BEILAGE XLIX 477

selbst dargestellte Charaktere und andererseits nicht zugehörig


zu dargestellten Personen als ihre Erlebnisse, Gedanken etc. 1
Wir können auch so sagen: Sehe ich wahrnehmend eine Land-
schaft und macht sie mich traurig, so brauche ich nicht an mich
5 zu denken: Sie selbst steht in einer gewissen Stimmungs-Eigen-
schaft da. Freue ich mich über einen vor mir stehenden Menschen,
so steht er als erfreulich da. So haben also die Gegenstände ihre
Charaktere eben vermöge der setzenden Akte, die auf sie bezogen
sind, und co ipso. Das lässt sich reproduzieren (phantasieren),
10 das lässt sich aber auch bildlich darstellen, und es ist nun nicht
schwer, genau festzustellen, was dergleichen Phantasierung und
darunter bildliche Darstellung erfordert.

BEILAGE XLIX
<SCHWIERIGKEITEN BEZÜGLICH REPRODUKTIV
15 MODIFIZIERTER UND AUFGEHOBEN.ER QUALITÄTEN
SINNLICHER ERSCHEINUNGEN>
<wohl Frühjahr 1912>

Die "Qualität" sinnlicher Erscheinungen tritt in der Reproduktion


modifiziert auf, mit der Modüikation der biossen Erscheinungen
20 selbst. Aber die Reproduktion kann die Art "blosse Phantasie" oder
"Erinnerung" haben. In der biossen Phantasie habe ich Modifikation,
die mit keiner "aktuellen" unmodifizierten Qualität qualifiziert ist.
Nun ist das nicht ohne Schwierigkeit. In der Erinnerung soll ich
einerseits Vergegenwärtigung, Reproduktion, haben, also vergegen-
25 wärtigte qualifizierte Erscheinung, Vergegenwärtigungsmodifikation
der Wahrnehmung. Andererseits, gilt mir jetzt das Vergegenwärtigte
als seiend (sei es als jetzt seiend, sei es als gewesen seiend), "stimme"
ich etwa zu, vollziehe ich eine zustimmende "Setzung"?
Aber was sollte das heissen, wenn die Qualität eben "Qualität" einer
30 Materie ist? Einem Urteil kann ich zustimmen, indem ich mit einem
gehörtetLUrteilen eines Anderen gleichstimmig und in dem Bewusst-
sein der Gleichstimmigkeit urteile. Aber ich kann wohl jetzt wahr-
nehmen und dann mir bewusst werden der Gleichstimmigkeit mit
einem früheren Wahrnehmen, aber doch nicht das frühere Wahmeh-
35 men bewusst haben, also erinnernde Reproduktion haben und, ohne
selbst wahrzunehmen, einen gleichstimmigen Akt vollziehen?
Bleibt da anderes übrig, als zu sagen: Die reproduktive Modifika-

1 Später eingefügt: "Es brauchen gar keine Personen überhaupt dargestellt zu


sein". - Anm. d. Hrsg.
478 BEILAGE XLIX

tion, die rl:er ~ahrnehmu?g geg:~ü~ersteht, ist :ben von verschiede_


ner Art, die eme besteht m modifIzIerten Erschemungen (mit modif_
zierten Qualitäten), die selbst den Charakter von qualitativen E:-
scheinungen haben, von "aktuellen", "wirklichen", die anderen stehe
5 diesen gegenüber als inaktuelle, als biosse Phantasie, ihnen gena~
gleichend, aber der Aktualität entbehrend. Leere Schemen von Er-
scheinungen, quasi-Erscheinungen, eine ganz andersartige Modifika_
tion, als die von Gegenwärtigung zu Vergegenwärtigung überführt.
(Alles übrige Sache der wesensgesetzlichen Zusammenhänge, so: Be-
10 ziehung auf das hic et nunc.)
Wie nun, wenn ich mich einer früheren Wahrnehmung erinnere, aber
jetzt nicht mehr "glaube"? Z.B. an das Vorkommnis im Panoptikum
wo ich zuerst, ich erin~ere ~ich, w~hrnahm und d~nn die Täuschun~
erkannte. Nun aber, mIch Wlederennnernd, steht die Puppe nicht als
15 gewesene Wirklichkeit da. In solchen Fällen haben wir statt einer Erin-
nerung schlechthin eine "disqualifizierte" Erinnerung. Versenkeniwir
uns in das Erinnerungsbewusstsein, so steht die Puppe-Mensch,' der
"Mensch", als gewesen da, aber die qualifizierte Erscheinung hat den
Charakter der Unstimmigkeit, der hinweist auf den weiteren Erinne-
20 rungsgang, in dem die Qualität "Aufhebung" erfährt, d.i. nicht in
nichts, in keine Qualität übergeht, sondern die qualifizierte Erschei-
nung ihre Aufhebung erfährt im Widerstreit mit einer anderen, sich
mit ihr durchsetzenden qualifizierten Erscheinung und korrelativ das
Vergangensein der ersteren Erscheinung ihr "nicht", Vernichtung er-
25 fährt. Die eine Erscheinung bleibt ungeschoren, sie behält ihr Ver-
gangen, wie es war, ihre unvernichtete Qualität, sie hält stand, die
andere hat die vernichtete Qualität. Vernichtete Qualität ist eine mo-
difizierende Qualifizierung, eine sekundäre, und diese ist hier originär
vorhanden, die Erscheinung mit vernichteter Qualität setzt diesen
30 Zusammenhang voraus. Andererseits enthält die Erinnerung an die
ursprüngliche und noch unvernichtet qualifizierte Erscheinung die
"in Folge" des Fortgangs der "Erfahrung" sich einstellende Cha-
rakteristik der UnstinImigkeit, des Verworrenen nicht. Eine Modifi-
kation, die hinweist auf einen Zusammenhang der Vernichtung. Jede
35 solche Disqualifizierung eines Erinnerten setzt voraus, dass sich irgend-
ein Erscheinungszusammenhang "regt".
479

BEILAGE L
ZU IMAGINATION <DIE PHÄNOMENE DER DECKUNG UND
DURCHSETZUNG VON ANSCHAUUNGEN IN BEZIEHUNG AUF
DE)[ BODEN DER ERFAHRUNG ODER IMAGINATION, AUF
DEM DAS SPIEL DER ANSCHAUUNGEN ERFOLGT -
5
BILDAUFFASSUNG ALS IMAGINATION; ZUM UNTERSCHIED
ZWISCHEN FIKTUM UND BILD>
<wohl Frühjahr 1912 oder etwas später>

Die Phänomene der Deckung und Durchsetzung von An-


lOS c hau u n gen und die dazugehörigen Erlebnisse der Zusammen-
stimmung, des Widerstreites und der Modi der Stellungnahme müssen
im einzelnen studiert werden, da man leicht sonst in die Irre geht.

Von vornherein kommt es darauf an, wie es mit dem let z t e n


15 "B 0 den" steht, auf dem das Spiel der Anschauungen erfolgt, ob es
der Boden der Wirklichkeit ist, ob wir uns also in einem Zusammen-
hang von Anschauungen bewegen, die Erfahrungen sind: letztlich
schlichte Erfahrungen. Oder ob wir uns auf dem Boden der Imagi-
na tion bewegen (der quasi-Erfahrung. Die Erinnerung gehört na-
20 türlich zur Erfahrung).
Im Fall einer Negation, einer durch Widerstreit mit einstimmiger
Erfahrung vernichteten Erfahrungs-Tendenz können wir freilich "Aus-
schaltung" vollziehen und, uns auf den Boden des Vernichteten stel-
lend, daraus einen Boden der Phantasie, der Imagination machen.
25 Das bedarf eben der Ausschaltung. (Es handelt sich nicht um An-
setzung, denn Ansetzen, Annehmen, das ist ein imaginatives in den
Zusammenhang der Wirklichkeit Hineinstellen und es, ob es dazu
stimmen oder damit streiten mag, Ansetzen, Annehmen.) Ist es über-
haupt möglich, "Stellungnahmen", sagen wir! die Seinscharaktere,
30 die unmodifiziert da sind, auszuschalten, etwa dadurch, dass man,
den Inhalt der Erscheinung festhaltend, bald Einstimmigkeit, bald
Unstimmigkeit der Umgebung sich denkt, und nun zum "blossen
Imaginieren" desselben Inhalts überzugehen?
Das ist alles zu überlegen.
35 Wichtig ist aber der offenbare Unterschied
1) die Gruppe der Fälle, die exemplifiziert ist durch das Beispiel
Puppe-Mensch. Hier haben wir unmodifizierte Auffassungstenden-
zen, Glaubenstendenzen mit Glaubenstendenzen streitend.
2) Die Bildauffassungen, und zwar die gewöhnlichen ästhetischen
40 Bildauffassungen (nicht die Wachsfiguren-Auffassungen und ähnliche
"Reinfälle"). Da können wir nicht davon sprechen, dass wirkliche
Glaubenstendenzen mit Glaubenstendenzen streiten: Die Bildauffas-

1 ,,'Stellungnahmen', sagen wir" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.


480 BEILAGE L

sungs-Tendenzen sind nicht Auffassungstendenzen gen au wie die Auf-


fassungstendenzen gewöhnlicher Dinge. Vielmehr ist es genau so
wie wenn ich in die Wirklichkeit mir lebendig etwas hineinphanta~
siere. Der Unterschied besteht nur darin, dass das "Phantasiebild" ein
5 reproduktives, das gesehene Bild ein perzeptives ist. Beides ist
Imagination. Das ist nie zu vergessen und ist absolut sicher
Es war ganz richtig, wenn ich immer wieder versuchte, Bildauffassung
als Imagination anzusehen. Es ist Imagination. Das Bild wird zu
etwas Nichtigem erst durch den Zusammenhang mit der Wirklichkeit:
10 Sowie ich es in diesem Zusammenhang (oder als Zusammenhang ha-
bend nehme, etwa das Bildsujet, wo der Rahmen angeht, in Raum-
beziehung zum wirklichen Raum etc.) nehme, wie ich es so ansetze
wird es zum Nichtigen. Das ist der Un terschied zwischen Fik~
turn und Bi I d, dass das echte Fiktum in der Einheit der Wirklich-
15 keit direkt erscheint (Wachsfigur) , während das Bild eigentlich nicht
darin "erscheint", sondern in einem eigenen Raum, der an sich keine
direkte Beziehung hat zum wirklichen. Das eigentliche Fiktum, sagen
wir lieber der eigentliche Schein, wie die Wachsfigur im Wachs-
figurenkabinett oder das Panoramabild der "Reinfälle", ist Erschei-
20 nung eines Dinges, und zwar Wirklichkeitserscheinung,l das Wirk-
lichkeitsbewusstsein kann gehemmt sein durch Streit gegen anderes
Wirklichkeitsbewusstsein, aber es ist 2 Wirklichkeitsbewusstsein. Das
Scheinding steht da im Zusammenhang dieser Umgebungsdinglich-
keiten, im selben Raum, als Ding wie sie und als wirklich wie sie.
25 Die Wachsfigur hat wirkliche Haare, wirkliche Kleider, alles, was von
ihr erscheint und eigentlich erscheint, ist so wirklich erscheinend wie
bei anderen Dingen: oder nahezu alles. Erst wenn ich mich genau
umtue, kommen die Differenzen, das Schwanken etc.
Beim normalen Bild habe ich aber schon beim Bi I d 0 b j e k t, wo
30 es sich entschieden vom Bildsujet abhebt, gar kein Wirklichkeits-
bewusstseinS, und auch kein "gehemmtes". Ich habe gar keine Nei-
gung, das für wirklich zu nehmen, ich nehme es bloss für Vorschweben-
des, ich nehme es ähnlich wie ein reproduktives Phantasiebild, das
ich mir evtl. ziemlich lebendig hineinphantasiere in die Wirklichkeit,
35 wodurch es auch wirkliche Dinge, wenn auch in eigentümlicher Weise,
verdeckt. Das "erscheint" dann auch zwischen den Dingen und im
selben Raum und doch nicht in der Weise einer Wirklichkeit. So er-
scheint das Fiktum, ohne den Charakter einer Wirklichkeit zu haben,
ohne "Anspruch" auf Wirklichkeit zu erheben, ein Anspruch, der erst
40 vernichtet werden müsste.
Würde4 bei einem Schein, der zunächst als Wirklichkeit sich gibt,

1 Später eingefügt: "setzende Erscheinung". - Anm. d. Hrsg.


2 Später eingefügt: "setzendes". - Anm. d. Hrsg.
3 Später eingefügt: ,,(kein setzendes Bewusstsein, sondern quasi setzend)". -
Anm. d. Hrsg.
4 Der Text dieses Absatzes wurde etwas nachträglich gestrichen und am Rande
dazu vermerkt: "Später besser ausgeführt." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE L 481

Ansprüche erhebt, die zurückgewiesen werden, die Wirklichkeitsten-


denz fortfallen, der Setzungscharakter verschwinden, dann hätten wir
auch kein Nichtigkeitsbewusstsein mehr, das ja ein setzendes ist, und
es wäre kein "Schein", der dastände. Sehe ich schielend durch Kombi-
5 nation von passende~ "B~d~rn" eine fr~i im leeren. Raum ~ch~ebe~de
Pyramide, so werde Ich SIe 1m allgememen ohne Jede WrrkllchkeIts-
tendenz sehen, von vornherein als biosses "Bild", und doch nicht als
Bild im eigentlichen Sinn, die PyraInide ist nicht als "imaginativ"
Vorschwebendes, nämlich nicht als Dargestelltes bewusst. Es wäre
10 nicht ein imaginatives und doch perzeptives Phantom.
Es fragt sich aber, ob, wenn ein perzeptiver Streit von Erfahrungs-
intentionen zu einer glatten Erledigung kommt, durch völlig
gewisse und klare Entscheidung für die eine Seite, ob da nicht mit
der Entwertung der anderen Auffassung auch sogleich und notwendig
15 eine Verwandlung in eine "biosse" Imagination l erfolgt. Wenn wir
uns in sie hineinversetzen, so vollziehen wir nicht mehr ein Erfahrungs-
bewusstsein, sondern eine "biosse" Imagination 2 , die ebenso als nich-
tig dasteht wie jedes Hineinphantasierte als nichtig dasteht: Nämlich
wenn wir es als wirklich ansetzen, so wird sofort dieser Ansatz auf-
20 gehoben, der Ansatz ist nicht blosse Imagination, sondern ein Wirk-
lichkeitsmodus.

Der Sinn des oben Durchgestrichenen: Die Stereoskop-Pyramide


wird im allgemeinen ni c h tals Ni c h t i g e s und nicht als herab-
gesetzte "Intention", als Setzungsphänomen erscheinen, vielmehr als
25 bloss Vorschwebendes: setzungslos. Andererseits ist setzungsloses per-
zeptives Bewusstsein, wie man da sieht, noch nicht Bildbewusstsein :
Wir haben nicht Bewusstsein von einem Dargestellten, bildlich Er-
scheinenden. Die Darstellung ist eine "Imagination", obschon nicht
Reproduktion.
*
30 Es wird sehr viel ankommen auf eine korrekte Analyse des B i1 d-
bewusstseins, wie es mit der Scheidung von Bildobjekt und Bild-
sujet steht. Ich kann das Bildobjekt konstituieren und als Objekt im
gewöhnlichen Raum "sehen". Andererseits ist doch das Sujet im ech-
ten inneren Bildbewusstsein nicht reproduktiv bewusst, sondern "ge-
35 sehen". Es isfimaginiert, aber perzeptiv imaginiert. Ich kann zu einer
reproduktiven Imagination, beim Porträt zu einer Erinnerung der be-
kannten Person, übergehen. Aber dann habe ich ein zweites. Die Fälle
sind ja verschieden, je nachdem die Darstellung eine mehr oder minder
vollständige ist, je nachdem das Bild mehr oder minder enthält von
1 "Imagination" etwas nachträglich verändert in "Perzeption ohne Setzung". -
Anm. d. Hrsg.
a "eine 'blosse' Imagination" etwas nachträglich wie folgt verändert und ergänzt:
"ein 'blosses', d.h. nichtsetzendes Vorschwebungsbewusstsein, dessen Gegenstand
erst durch Ansetzung, und zwar Setzung". - Anm. d. Hrsg.
482 BEILAGE LI

solchem, was nicht eigentlich abbildet. Sehe ich die Photographie an,
so kann ich sagen: Da, dreissig Zentimeter von mir, an dieser be-
stimmten Raumstelle "erscheint das Bild". Aber sehe ich eigentlich
dort das Bildobjekt selbst? Und nicht vielmehr das Bildding, das Er-
5 scheinen macht? WeIcher Art ist dieses Sehen?
Und vor allem der entscheidende Beweis muss geführt werden, dass
das Sujet nicht bloss reproduktiv bewusst ist, sondern indem es im
Bildobjekt sich-darstellend, also imaginativ, erfasst ist, aber perzep-
tiv. Es wird die Frage sein, ob und in welchen Fällen Reproduktion
10 mit Perzeption sich verbindet. So z.B. wenn ich diese farbig dargestell-
te Landschaft sehe, ob da auch ein reproduktives Bewusstsein mit-
spielt, wie es im Porträt einer bekannten Person andererseits doch
der Fall ist.

BEILAGE LI
15 MEDITATION: ÜBER DIE EVENTUELLE MÖGLICHKEIT,
BLOSSE IMAGINATION ANZUSEHEN ALS "GLATT
AUFGEHOBENE" PERZEPTIVE SETZUNG
<wohl Frühjahr 1912 oder etwas später>

Wir haben folgende Vorkommnisse zu unterscheiden:


20 Mit einer konkreten Dingauffassung "deckt" sich eine zweite in
vollkommener Anderheit. Z.B. ich habe hier im Wahrnehmen die
Einheit der Wand. Aber die wahrgenommene Einheit ist in perzep-
tiver Hinsicht durchbrochen durch die perzeptive Einheit des Land-
schaftsbildes. Hier habe ich 1) die einstimmige Intention der Wahr-
25 nehmung, in der ich die Wand sehe, und von der Wand ist durch das
Bild etwas "verdeckt". Das Verdeckte ist in leerer Weise mitaufge-
fasst und einstimmig mitgesetzt. 2) Die Perzeption der Bildlandschaft.
Von dieser "sehe ich gleichsam" auch nur ein Stück, eben das durch
den Rahmen Begrenzte, das übrige ist auch mitgesetzt, aber nur mit-
30 quasi-gesetzt.
Wir haben zwei Räume mit verschiedener Fülle, die sich "decken",
und das Dingliche beiderseits hat gar nichts gemeinsam. Das sagt: Es
ist nicht so wie im Gegenfall einer 111 u s ion. Z.B. Puppe Mensch.
Da hat die Puppe Kleider, Haare, die zugleich Kleider und Haare des
35 Menschen wären. Ebenso sind gemeinsame Bestimmtheiten vielleicht
da in Form der oberflächlichen Bestimmtheiten der Hände, der Wan-
gen etc. Wie ist es im Fall einer Büste? Hier sind wohl die oberfläch-
lichen Formen partiell gemeinsam, aber kein konkretes Stück, keine
konkrete Dinglichkeit. Sonst wäre es wie im Panorama, und es wäre
40 wieder Illusion da.
1) Zwei Auffassungen können sich so decken oder verdecken, dass
identische Teilauffassungen (und volle Dingauffassungen) derart
gemeinsam sind, dass, wenn die eine wirkliche Auffassungsinten-
BEILAGE LI 483

tion ist, sie nach Art wirklicher Auffassungsintentionen den mitver-


flochtenen Mitsetzung verleiht. Dann streitet also Setzung und Setzung,
wir haben einen Boden der Setzung, der dem Verflochtenen Setzung
erteilt, und das Verflochtene ist ein Zweierlei, das sich deckt und dabei
5 verschieden ist, und das ist Aufhebung. Mitsetzung von sich decken-
dem Verschiedenem ist wechselseitige Hemmung der Setzung.
2) Dagegen, wo eine perzeptive Auffassung (und ihr Bestand an
Mitperzeption zugerechnet) eine perzeptive Auffassungsintention, die
die Kraft der Setzung hat, verdeckt, aber selbst nicht durch Verbin-
10 dung mit der gesetzten Auffassungskomplexion Zufluss und Kraft der
Setzung hat, da ist sie nicht gehemmte Setzung (da sie eben nichts von
Setzung hat), da ist sie das pure Nichts, pure "Einbildung". Sich
deckende, aber setzungslose Auffassung: ein leerer Schein, aber nicht
illusionärer im gewöhnlichen Sinn. Sie ist nicht "aufgehoben", nicht
15 Gegenmöglichkeit etc.
Wie kann ich da Einheit ansetzen? Ich vollziehe einerseits die nor-
male Wahrnehmung, nach wie vor sie als Setzung vollziehend. Und
zugleich (oder im Übergang die erstere festhaltend) "versuche" ich,
die Bildauffassung als Bildobjektauffassung, in ihrer Deckung also
20 mit der Wandauffassung, zu setzen. Aber hiesse das nicht, ich phan-
tasiere mich in ein Setzen hinein? Und kehrt nicht beim Hineinphanta-
sieren das Problem wieder?
Es fragt sich, ob wir nicht so sagen müssen:
1) Es gibt eine gla tt aufgehobene Setzung, nämlich in sich wäre
25 jede Perzeption Setzung, aber wir haben ein Feld unbestrittener Per-
zeption, d.i. ohne Deckung mit anderer Perzeption. Damit verbunden
ist nun ein Gebiet von Deckung "widerstreitender", miteinander "un-
verträglicher" Perzeptionen l , die konkret nichts miteinander gemein
haben. Die eine Perzeption erhält Kraft von dem Zusammenhang mit
30 jenem Feld, die andere nicht. Die letztere wird nun setzungslos. Denn
jede Deckung von unverträglichen Intentionen höbe ihre Setzungs-
kraft in sich auf. Sie sind wie ±. Es bleibt also nur die von aussen
kommende Kraftfülle, die der einen zugute kommt, der anderen nicht.
Wo aber, wie im Fall des perzeptiven Zweifels, die unverträglichen
35 Auffassungen gemeinsame konkrete Stücke haben, da vernichten sie
sich zwar in sich selbst ebenfalls, sowei t sie miteinander streiten.
Aber das Gemeinsame wird davon nicht betroffen (die Kleider der
Puppe etc.), und zugleich gewinnt durch die Einheit mit dem Gemein-
samen das Nichtgemeinsame Zusammenhangskraft und gewinnt auch
40 Zusammenhang und Zusammenhangskraft mit Beziehung auf die
weitere Umgebung.-A1so haben wir hier den Fall, dass keine glatte
Aufhebung erfolgen, sondern nur eins durch das andere bestritten
werden kann.
Also glatte Aufgehobenheit wäre das Setzungslose, zunächst in der
45 perzeptionalen Sphäre.

1 "Perzeptionen" spater verandert in "Auffassungen". - Anm. d. Hrsg.


484 BEILAGE LI

Aber da fragt es sich, was diese Aufgehobenheit besagt. Sie soll ja


doch etwas anderes sein als Bestrittenheit. Und wir haben doch schon
eine Welt der Setzung, durch die die Aufhebung erfolgt. Es wäre ge-
sagt, dass evtl. in der "normalen" gesetzten Welt etwas in Setzungs_
5 weise erscheint, mit dem ein anderes sich "deckt" und nichts von
Setzungsmodis hat, und umgekehrt, wenn etwas erscheinen soll, das
nichts von Setzungsmodis hat, es sich decken muss (ohne Gemeinsam_
keit) mit einem Gesetzten.
Wir hätten also das Phänomen des Sich-deckens: nicht das ge-
10 wöhnliche Sich-verdecken der Dinge der Anschauung: Die erscheinen
als räumlich verschieden, zu verschiedenen Teilen des Raumes ge-
hörig. Sondern im selben Raum erscheinen verschiedene Dinge,l zwei
Dinge im identischen oder partiell identischen Raum.
Nun möchte man fragen, kann nicht mit der ganzen Wahrnehmungs-
15 welt sich ein anderes decken? Und zwar der ganze visuelle Raum ist
von einem Schein erfüllt, "aufgehoben" wodurch, nun, durch die ge-
setzte Welt des Tastraumes.
Ferner könnte man sagen: Die ganze Weit einer" blossen Phantasie",
in der ich lebe, ist eine unendliche Raumwelt, die ist gl a t t aufgeho-
20 ben durch die, wenn auch im Hintergrund bewusste und gesetzte
wirkliche Welt. Setzungslosigkeit ist immer Aufgehobenheit. Wie
steht es aber mit der Er i n ne run g s welt? Ist nicht der Erinne-
rungsraum aufgehoben durch den Wahrnehmungsraum? Die Orien-
tierungen sind ja genau dieselben. Das weckt den Gedanken: So wie
25 in der visuellen Verdeckung von Dingerscheinungen "Raum" die Form
ist, durch welche das Aufgehobene durch Zusammenhangsformen neue
Setzung erhält, so ist die Z e i t die Form, durch die das zunächst glatt
Aufgehobene Möglichkeit der Setzung und Geltung gewinnt.
Die perzeptive Aufgehobenheit gewinnt Setzung in Form der Dar-
30 stellung: Das da ist eine "Vergegenwärtigung" von etwas einem ganz
anderen Zusammenhange Angehörigem. Ebenso die Erinnerung. Das
reproduktiv Erscheinende vergegenwärtigt ein "Gewesenes". Aber
freilich haben wir bei dem "Bild" ein Ding da, das intersubjektiv die
Funktion hat, immer wieder dasselbe Bild zu erwecken, was bei der
35 Erinnerung fehlt. Also könnten wir frei halluzinieren, hätten wir da-
mit Phantasien? Nämlich vorausgesetzt, dass die wirkliche Welt aus-
gezeichnet bleibt durch ihre Generalsetzung, während die Halluzina-
tion aufgehoben wäre. Wäre es denkbar, dass in voller sinnlicher
Lebendigkeit freie Phantasie und Erinnerung auftreten?
40 Ist eine Ansicht durchführbar, welche jeden we-
sentlichen Unterschied zwischen Phantasie (Repro-
duktion) und Perzeption leugnet? Lösen sich alle Un.ter-
schiede schliesslich auf: in Modi der Klarheit und in UnterschIede
zwischen aktueller Setzung (d.i. freier und primärer Intention) und

1 Später eingefügt: "so, dass ein Teil des Raumes doppelt belegt sein müsste". -
Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LI 485

Aufgehobenheit durch Setzung (durch schlichte primäre Auffassun-


gen), weiter in Unterschiede zwischen primärer Setzung und sekun-
dären Setzungen, die aus gewissen Zusammenhangsformen mit pri-
mären erwachsen? Was soll aber die Rede von Zusammenhangsformen
5 besagen? Stufenweise Bildung von Auffassungen höherer Stufe, die
selbst wieder setzende sind, aber in sich nichtsetzende (aufgehobene)
Auffassungen als Unterlagen und Elemente enthalten. Das sind un-
geheure Aufgaben, die sich da eröffnen. Zunächst muss aber die
Deskription vom direkt Gegebenen und Aufweisbaren ausgehen und
10 dann durch Auflösung in die Elemente und durch Rückgang auf die
Zusammenhänge weitere Aufklärungen zu geben versuchen. Und als
Leitproblem wird man all das gelten lassen müssen.
Man findet den Unterschied von Setzung und Nichtsetzung vor,
zunächst im Gebiet der schlichten Erscheinungen. Und dann findet
15 man bei der Nichtsetzung in einigen Fällen die "Aufgehobenheit" vor,
das Phänomen der Verdeckung etc. Dann sagt man sich bei der Er-
innerung und Phantasie: Schaue ich eine Phantasiegegenständlichkeit
an, so schaue ich eine Raumwelt an in bestimmter Orientierung. Ich
kann aber gleichzeitig den Blick richten auf die wahrgenommene
20 Raumwelt mit ihrer Orientierung. Tue ich das eine, so verschwindet
das andere: Und das Verschwinden ist nicht ein biosses Dunklerwer-
den, sondern ein Herabgedrücktwerden zu einer "leeren" Vorstellung.
Raum ist nur einmal anschaubar. Solche Sachen geben doch zu den-
ken. Raumanschauung "verdeckt" Raumanschauung. Etc. Aber wie
25 steht es mit dem Strom aktueller. Setzung? Es ist der Strom aktueller
Auffassungsintentionen, die sich immer wieder zu neuen organisieren,
allem Zusammenhangskraft erteilen, was sich in sie einfügt, und frei-
lich nichts ausser sich lassen. Denn nichts ist isoliert: Was sich isoliert
gibt wie eine Phantasie, verdeckt doch in Wahrheit etwas in der
30 Wirklichkeit. Aber ein Phantasieton ausserhalb der Erinnerung oder
Phantasiewelt ? Ist dergleichen Isoliertes nicht denkbar? Aber ist
denn überhaupt irgend etwas Isoliertes denkbar im Bewusstseinszu-
sammenhang ?
Wie steht es denn mit Setzung und Nichtsetzung im weitesten Be-
35 reich?'
Nr. 17

ZUR LEHRE VOM BILDBEWUSSTSEIN UND


FIKTUMBEWUSSTSEINI
<Texte wohl von 1912>

5 <a) > Bildanschauung <Abgrenzung gegen das


Illusionsbewusstsein>

Das Bild.
Bei der Photographie : Die Räumlichkeit (Relief) ist nur eine
angenäherte, unvollkommene, analogische. Das weist darauf hin,
10 dass die zur Konstitution der Räumlichkeit gehörigen Motiva-
tionen an 0 mal sind. Schon für die okulomotorische Einheit
und erst recht für die Doppelbilder ete. und gar für die Drehung
und Wendung, kurz für die Orientierungsveränderungen. 2
Das "Bild" wird räumlich aufgefasst, ich habe eine räumliche
15 Darstellung, aber ein Widerstreit liegt vor zwischen den gefor-
derten und den wirklichen Orientierungsempfindungen. Ausser-
dem aber auch ein Widerstreit des Bildraumes mit dem wirk-
lichen Raum, nämlich der eine verdrängt den anderen aus der
Anschauung. Andererseits aber, der Bildraum wird nicht eigent-
20 lieh gesetzt in den wirklichen Raum, bzw. nicht die wirkliche
Gegenwartssetzung des einen durch die des anderen herab-
gedrückt zur Nichtigkeit.
Das Bild ist keine Illusion. Das illusionäre Objekt mit

1 Auch vom Verhältnis des bildlich-symbolischen und signitiv-symbolischen Be-


wusstseins.
2 Es ist aber zu scheiden die grössere oder geringere Plastik des Bildobjekts und
die Anomalität, die darin liegt, dass durch eine "zu kleine Plastik", nämlich die even-
tuelle des Bildobjekts, die richtige Plastik des Bildsujets dargestellt werden soll.
TEXT NR. 17 (1912) 487

seinem illusionären Raum (etwa Spiegelbild) gibt sich als Wirk-


lichkeit und hat im Bewusstsein der Illusion aufgehobene Wirk-
lichkeit, d.i. Nichtigkeit. Das Bild hat nicht den Charakter der
Nichtigkeit, ich kann es jederzeit als nichtig ansetzen, aussagen,
5 das ist nichts, es ist ein biosses Bild. Dann setze ich das Bild an
als wirklich, und dieser Ansatz wird aufgehoben durch die Wahr-
nehmungswirklichkeit. Es ist also die Frage, ob die Bildperzep-
tion eine "qualitätslose" Perzeption ist, oder ob es keine aktuelle
Qualität hat wie die Phantasie.
10 Wie ist es bei der Büste? Hier ist die Räumlichkeit eine voll-
kommene. Sie ist zugleich die Räumlichkeit des wirklichen Dinges
aus Gips. Hier haben wir in der Tat zwei sich "durchdringende",
und in gewisser Weise miteinander "streitende" und doch nur in
uneigentlichem Sinn miteinander streitende Anschauungen.
15 Wir haben wieder keine Illusion. Eine Wachsfigur im Wachs-
figurenkabinett (Vollkommenheit der Ausführung zunächst vor-
ausgesetzt) ist eine Illusion. Hier streiten zwei W a h r n eh m u n-
gen bzw. zwei Wahrnehmungsobjekte, deren jedes gesetztes ist
bzw. seine Setzungsqualität hat, die eine die überzeugende, die
20 andere die anmutende.
Im Fall der Büste haben wir aber nur eine Wahrnehmung (des
Gipsdinges), und das andere ist eine blosse "Bild"-Anschauung;
nämlich, sehe ich in dem Ding da einen Bild-Kopf, so gehört zu
der räumlichen Figur eine Fleischfarbe, und so andere Bestimmt-
25 heiten, die sich mit den Gips-Dingbestimmtheiten "decken",
aber so, dass sie mit diesen in "Streit" sind, im Verhältnis des
Andersseins. Und diese Bestimmtheiten sind durchaus unwahr-
genommene, sind leervorstellige, dunkle (denn die Fleischfarbe
kann ich zur Anschauung mir nur bringen, indem ich mir noch
30 einmal den Kopf vorstelle und dann ganz in der Phantasie). Ich
kann nicht den R~um wirklich als gesehen festhalten und ihn
anders färben. Ich kann allenfalls eine Phantasie bilden und sie
zu einer Überschiebung mit dem Wahrnehmungsgegebenen brin-
gen, wie wenn ich mir dieses Papier schwarz oder seine Farbe
35 geändert denke. Es ist aber ein Unterschied zwischen dem "ei-
gentlich" Wahrgenommenen und dem "uneigentlich" Wahr-
genommenen. Ich kann im Bildbewusstsein dieser Madonna von
Michelangelo leben und "fühle" dann durch das Fleisch und das
innere Leben, während ich eine Farbe nicht mitanschaue. Und
488 TEXT NR. 17 (1912)

so überhaupt das Sichtliche nicht sichtlich haben kaJ.n. Dazu


kommen Abweichungen von der "natürlichen" Grösse, wenig_
stens im allgemeinen, es sei denn, dass der Kopf wirklich in na-
türlicher Grösse darstellt. .
5 Wir haben anomale Erscheinungen, d.i. wir haben Erschei_
nungen, die ähnlich sind anderen "normalen" Erscheinungen, Er-
scheinungen von einem anderen. Und im Ähnlichen wird Ähn-
liches vorstellig. Es können volle Erscheinungen insofern sein
als sie konstitutiv sind für wirkliche Gegenstände, wie im Fali
10 der Büste, oder es können Erscheinungen sein, die anomale sind
sofern sie keine Gegenstände konstituieren, wie das Photographie~
bild. Es erscheint ein graues Figürchen, aber die Erscheinung ge-
hört keinem Wahrnehmungsobjekt an (nicht der Photographie
als Kartenblatt etc.). Ich kann ja gar nicht einmal, wenn ich~uch
15 wollte, die Erscheinung des Bildobjekts beiseite schieben und nun
bIo s s die Linien und Schatten auf dem Kartenblatt sehen.
Höchstens einzelne Stellen, die ich heraushebe. Anders schon,
wenn ich eine Kinderzeichnung betrachte. Kaum geht es, wenn
ich einen gut "plastisch" gezeichneten Körper sehe: Erst wenn
20 ich einzelnes heraushebe und von dem übrigen abstrahiere, etwa
eine einzelne Linie, so "sehe" ich sie auf dem Papier. Beim Relief
haben wir eine wahrgenommene Räumlichkeit, die zur Münze,
zum Gipsding etc. gehört. In ihr stellt sich dar die Bildräumlich-
keit, die eben Bild ist, die Erscheinung, die ich habe, ist eine
25 Münze, auf der ein "weisser Kopf" erscheint. Ich habe die Kopf-
erscheinung, und diese hat als Räumlichkeit die zur Münze ge-
hörige Reliefräumlichkeit und keine andere. Der Münzenkopf ist
weiss, und das Bildobjekt lässt den Kopf als weiss erscheinen,
"weiss" gehört aber nicht zur Darstellung: zu dem, worin sich das
30 Sujet darstellt: ungleich der Räumlichkeit und ungleich dem
seelischen Ausdruck, der in den Zügen der Räumlichkeit, der
Figur sich anzeigt. Im Fall der Büste erscheint ein weisser Kopf
unter allen Umständen, die Bilderscheinung wird nur zurück-
geschoben, wenn ich mir sage, das ist ein Ding aus Gips, ich sehe
. 35 eigentlich nie ein gewöhnliches Gipsding, sondern immer einen
weissen Kopf, aber diesen in "Widerstreit" mit dem weissen
Gipsding.
Bei der Photographie finde ich immer die Erscheinung eines
Menschen etc., aber ich nehme wahr ein Papier, sofern ich Auf-
TEXT NR. 17 (1912) 489

fassung durch Tastsinn, durch Gesicht<ssinn> hinsichtlich der


umgebung etc. vollziehe. Ein "Streit" liegt vor, da ich die Er-
scheinung des Bildobjekts immerfort habe. Auch wenn ich mich
nicht in sie einlebe.
5 Unterschiede liegen in dEm Beispielen vor, sofern bei den einen
die Bildobjekt-Räumlichkeit sich deckt.mit der Bildding-Räum-
lichkeit; bei den anderen nicht. Es besteht dann aber noch der
weitere Unterschied,' dass evtl. auch Bildobjekt- und Bildsujet-
Räumlichkeit sich decken kannen, wie beim Büstenkopf, der na-
10 türliche Menschengrösse hat, dass ferner die wirkliche Wahr-
nehmungsräumlichkeit (beim Relief), die in die Bildobjekt-
Räumlichkeit eingeht, bloss ähnlich sein kann der Bildsujet-
Räumlichkeit. Ebenso ist beim Photographiebild analog der er-
scheinenden (hier nicht perzeptiven = wahrnehmungsmässigen)
15 Räumlichkeit ähnlich die Sujeträumlichkeit. 1
In die Analogisierung können dann auch die Farben eintreten.
Und noch mehr:'im Schauspiel: Da geht es sehr viel weiter.
Menschen, lebendige Menschen analogisieren, verbildlichen
Menschen, ohne Illusion, der Bühnenraum analogisiert mit seinen
20 Kulissen etc. den wirklichen Raum, wobei aber die Bühnen-
perspektive analogisiert die ungleiche natürliche Perspektive etc.
Was ist nun als Bild-Wesentliches herauszuheben?
Wir haben zu scheiden Bildding, Bildobjekt, Bildsujet. Das
letztere braucht nicht zu erscheinen, und wenn es erscheint, so
25 haben wir eine Phantasie oder Erinnerung. Die Bilddingerschei-
nung ist, wenn wir ein Wahrnehmungsbild haben (keine Bild-
vorstellung in der Phantasie), eine Dingerscheinung, eine Wahr-
nehmungserscheinung. Und es ist eine volle Wahrnehmung: Das
Ding steht als leibhaft gegenwärtiges da,. Aber die Dingerschei-
30 nung ist nicht in jeder Hinsicht normal. Sie ist im "Widerstreit"
verflochten mit ein,er anderen, sie partiell verdrängenden Erschei-
nung: der Bildobjekterscheinung. Diese Bildobjekterscheinung
ist perzeptiv: sofern sie Empfindungssinnlichkeit hat, die Auf-
fassung erfährt. Aber sie ist keine Wahrnehmungserscheinung:
35 Es fehlt der. "Glaube", es fehlt der Wirklichkeitscharakter. Es

1 Nota. Wichtig zu besprechen ist noch folgendes: Im Bild erscheint Ruhe oder
Veränd€'rung. Im gewöhnlichen ruhenden Bild, das durch ein unveränderliches Bild-
objekt abbildet, erscheint evtl. eine Bewegung, etwa im Gemälde ein dahinsprengen-
der Reiter. Im Mutoskop erscheint aber ein sich bewegendes Bildobjekt, und es wird
Bewegung durch Bewegung dargestellt usw.
490 TEXT NR 17 (1912)

ist also kein Widerstreit zwischen prätendierter und standhal_


tender Wirklichkeit, oder zwischen zwei Wirklichkeitspräten_
tionen wie im Fall der Illusion, und es kann das nicht sein, weil
die Bildobjekterscheinung keine "normale" Dingerscheinung ist.
5 Was besagt aber die Normalität? Nichts anderes, als dass sie von
einer Art ist, die Wirklichkeitssetzung nicht verträgt, und das
besagt bei Dingen, dass Einfügung in die Natur, oder in eine Na-
tur, wie sie nach Massgabe der Naturkenntnis möglich ist (des
Stiles der Naturanschauung), mit dieser streiten würde. Was eine
10 reale Dinganschauung sein kann (besser, was als Ding soll in der
Wahrnehmung als wirklich dastehen können), das kann ein
Mensch sein, aber nicht ein Mensch, der weiss ist wie Gips etc.
Ein Mensch kann sehr verschieden aussehen, aber die Idee
Mensch schreibt der Wahrnehmung gewisse Möglichkeiten vor:
15 Mensch ist ein wahrnehmungsmässig so Aussehendes: Das besagt
einen gewissen Typus, der als Möglichkeit seinen Setzungscharak-
ter hat. Wir können so sagen: Es ist eine perzeptive Erscheinung,
und zwar Menscherscheinung. Das, was dazugehört und aufge-
fasst oder mitaufgefasst ist, menschliche Innerlichkeit, mensch-
20 liehe Form etc., das fordert gewisse weitere Momente, und zwar
darstellungsmässig, und Momente, die im Widerstreit stehen zu
der aktuellen perzeptiven Darstellung (etwa der Farbe etc.).
Man kann also sagen: Wahrnehmungs tendenzen liegen zwar vor,
aber sie heben sich wechselseitig in sieh selbst auf. Das Bildobjekt
25 ist ein Fiktum, aber nicht ein illusionäres, weil es nicht
wie im Fall der Illusion ein in sich Einstimmiges ist, das durch
die umgebende Wirklichkeit aufgehoben wird (bzw. in der Setzung,
wo Einstimmiges mit Einstimmigem widerstreitet).
Im Schauspiel scheint es zwar anders: Aber da ist zwar der
30 einzelne Bildobjekt-König, -Bösewicht, -Held etc. in sieh ein-
stimmig. Aber er ist Glied einer umfassenden Bildlichkeit, eines
gesamten Bildobjekts aus einer Bildwelt, die sich auf den Bret-
tern abspielt, in falschen Kulissen etc. Für dieses Ganze gilt dann
das Gesagte. Es hebt sieh in sich selbst auf und nieht erst durch
35 den Widerstreit mit dem Theaterraum etc. Es ist nieht ein Pano-
ramabild. Dazu dienen Bretter, Kulissen, Souffleur etc. Sie sind
notwendig, um in das Bildobjekt selbst einen Widerstreit hinein-
zubringen, der es in sich als Fiktum erscheinen lässt. Zugleich
aber trägt dazu bei die Durchdringung mit dem Bild-Ding. Die-
TEXT NR. 17 (1912) 491

selben perzeptiven Empfindungen verteilen sich auf die Bild-


dingauffassung, es kommt aber nicht zu einem illusionären Wi-
derstreit, der die beiderseitige Setzung des Gesamterscheinenden
fordert, sondern nnr zur Blickwendung vom wahrnehmungs-
5 mässig Gegebenen zu dem sich damit durchdringenden Fiktum.
Danach ist das Bi I d f i k turn eine Nichtigkeit eigenen Typus'.
Es ist <nicht> eine Erscheinung mit dem Charakter aufgehobener
Setzung, sondern eine in sich aufgehobene Erscheinung, nämlich
eine Erscheinung, die in sich aufgehobene und sich aufhebende
10 Setzungskomponenten enthält. Zu beachten aber ist der Unter-
schied zwischen Stellungnahme und Charakter der Nichtigkeit.
Ich nehme nicht Stellung zu etwas, was sich als wirklich anmutet,
es kann sein, dass ich mich in die Photographie oder das Schein-
bild so einschaue und einlebe, dass es Leben " annimmt " und ich
15 die Tendenz fühle, zur Setzung überzugehen, die aber sogleich
"vernichtet'" wird. Aber mutet sich darum das Objekt als wirk-
lich an, und wird es negiert?

<b» Bild und Orientierung des Bildobiekts. Bildsubstrat


und berufenes Bild. Symbolische Inhalte in jeder
20 Bilddarstellung

Drehe ich eine Photographie aus ihrer "normalen Stellung"


zur Seite rechts oder links herum, so entsteht eine Mannigfaltig-
keit von Erscheinungen, und zwar 1) die Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen des eingerahmten Dinges, des Kartons, des Bild-
25 dinges, 2) eine Mannigfaltigkeit von Bildobjekterscheinungen.
Hier ist aber folgendes zu beachten. Während die Mannigfaltig-
keit 1) konstitutiv ist für den Gegenstand Bild-Ding, der sich in
ihr als identisches ~bjekt von verschiedenen Seiten, in verschie-
denen Orientierungen zeigt, ist die Mannigfaltigkeit 2) von ganz
30 anderer Art: Die Photographie als Ding hat eine "n 0 r mal e
Stellung"; in der sich das Bildobjekt, das zu ihr gehört, zeigt;
d.h. das Bild-Ding hat eine Funktion, ist Träger eines Soll, es soll
so und so gehalten werden, in der Orientierung wahrgenommen
sein, und dann gehört dazu eine Bildobjekterscheinung, die die
35 normale ist. Es ist eine Art von Z e ich e n verhältnis, das hier
obwaltet, bzw. eine Art Bedeutungs- und Hinweisverhältnis. Das
492 TEXT NR. 17 (1912)

Ding hat eine "Bedeutung", und die liegt im "Bild", nämlich in


demjenigen Bildobjekt, das in einer bestimmten Orientierung
des Bilddinges erscheint.
Es ist dabei zu beachten, dass bei Drehung des Bildes aus seiner
5 "normalen Stellung" heraus zwar, solange die Bildfläche noch ge-
sehen wird, auch eine Bildobjektdarstellung erscheint, dass aber
all diese Darstellungen nicht Erscheinungen des Bildobjekts
sind, das in der normalen Bildstellung gleichsam das "Gemeinte"
ist, dasjenige, wofür die Photographie hier das Substra t ist.
10 Es ist vielleicht gut, das Verhältnis, das hier vorliegt, termino-
logisch zu fixieren. Das Bildding ist Substrat, Bildsub-
s t rat, für ein Bild im spezifischen Sinn, es ist berufener Erreger
für eine bestimmte Bilderscheinung, die eben Erscheinung dieses
Bildes ist. Es ist unberufener Erreger für andere Bilderschei-
15 nungen, nämlich für diejenigen in der anomalen Lage, die ihrer-
seits Beziehung haben auf die normale als Verzerrungen des
rechtmässigen Bildes, die, zugehörig zu den Seitenwendungen des
Substrates, Durchgangsphasen von Tendenzen auf normale Um-
wendung, Zurechtstellung des Bildsubstrates sind. Zugleich wer-
20 den wir durch sie hindurch hingewiesen auf das normale Bild, das
aber nur symbolisch-analogisch bewusst ist. Worauf es besonders
hier ankommt, ist, dass all die Verzerrungen eben nicht Erschei-
nungen des Bildobjekts sind. Ihre kontinuierliche Einheit in
ihrem Ablauf lässt zwar ein Objekt erscheinen, aber es ist ein
25 sich veränderndes Bildobjekt, in der Weise, wie sonst eine konti-
nuierliche Verzerrung ein sich veränderndes Verzerrungsobjekt
erscheinen lässt (etwa wenn ein auf eine GummiplaUe Gezeichne-
tes durch Dehnung der Platte "sich" verändert). Das sich ver-
ändernde Bildfigürchen ist aber nicht das Bild objekt, für das
30 die Photographie Substrat ist. Es ist "gemeint", es ist in be-
rufener Weise erregt die Erscheinung eines ruhenden unver-
änderten Dinges, das in der normalen und konstant dauernden
Stellung der Photographie erscheint.
TEXT NR. 17 (1912) 493

<c» Ad Bilderscheinung <"Eine Vorstellung sich von


etwas machen, nach einer Beschreibung".' Frage nach dem
Verhältnis von Bild und Widerstreit>

Abbildung eines Dinges, aber auch Abbildung eines Vorganges.


5 Das letztere in Form sozusagen adäquater Abbildung, oder eini-
germassen adäquater oder inadäquater. Nämlich: Abbildung
eines Vorganges kinematographisch und Abbildung in Form
eines Gemäldes: ein gemalter Sprung, ein gemaltes Laufen. Wie
steht es da mit der Abbildung? Doch zunächst muss man hier
10 fragen, wie steht es mit der Perzeption? Ist das Perzeption eines
Sprunges, als Bild dienend für einen Sprung? Und inwiefern ist
das Perzeption eines Sprunges (natürlich nur perzeptive Erschei-
nung, aufgehoben das, was volle Wahrnehmung ermöglicht)? Da
gibt es nachzudenken.

15 "Eine Vorstellung sich von etwas machen, nach einer Beschrei-


bung", nach dem Gerippe eines vorsintflutlichen Ungeheuers von
ihm selbst u. dgl. Das ist genau zu analysieren: Einerseits haben
wir eine begriffliche Vorstellung, eine Wortvorstellung, anderer-
seits eine "dazu passende" anschauliche Vorstellung. Aber die
20 Erscheinung in dieser ist ein "Bild", sie macht mir erst "vor-
stellig", sie entwirft ein Analogon, ein Bild. Und zwar für die
Sache selbst, die, über die speziell die Beschreibung (den Gedan-
ken) erfüllenden Züge hinaus, noch unbestimmt ist (die
Beschreibung enthält ja Unbestimmtheitskomponenten, und so-
25 weit diese in Frage sind, bietet das Bild nichts eigentlich Analogi-
sierendes. Bei jedem Bild wäre ja zu unterscheiden eigentlich
Analogisierendes und uneigentlich <Analogisierendes».
Frage.: Zum W eseQ eines perzeptiven Bildes gehört Wider-
streit. A:uch zum Wesen eines in die Erinnerung hineingesetzten
30 Phantasiebildes geh6rt Widerstreit. Aber nicht zum Wesen eines
jeden Bildes? Beispiele! Ich mache mir nach einer Beschreibung
vom ostafrikanischen Löwen ein Bild von ihm. Das Phantasiebild
kann natürlich mit nichts streiten. Es ist ja eigentlich nur Bild
hinsichtlich der und der Züge. Und das übrige ist zwar anschau-
35 lieh mit im Bild, aber nicht repräsentativ im eigentlichen Sinn.
Ich habe ja auch nicht eine zweite Vorstellung, die in dieser Be-
ziehung etwas gäbe, etc.
494 BEILAGE LII

Also, nur wo ein Bildbewusstsein sich gründet in einem Wahr-


nehmungszusammenhang (wo eine Perzeption eben in einem per-
zeptiven Zusammenhang steht, aber sich ihm nicht in Einstim-
migkeit einfügt) oder wo ein Bildbewusstsein sich in einem Er-
5 innerungszusammenhang ebenso einfügt, haben wir Bildbewusst-
sein mit Widerstreit verknüpft: was alles genauer zu fassen wäre.
Ich muss mich hüten vor unangemessener Verallgemeinerung:
als ob Bild und Widerstreit notwendig zusammengehörte. Auch
muss man achten, was wesentlich Sache der Erscheinung ist und
10 was Sache der "Setzung". Das kommt aber bald zu näherer Be-
stimmung und Erledigung. l

BEILAGE LII
<UNMÖGLICHKEIT, EINEN EMPFINDUNGSINHALT (FARBE,
TON ETC.) ZU MALEN (ZU EINER BEMERKUNG W. SCHAPPS):
15 BEWUSSTSEIN ADÄQUATER GEGEBENHEIT LÄSST KEINEN
RAUM FÜR WIDERSTREIT OFFEN>
<wohl 1910>

Schapp macht gelegentlich eine interessante Bemerkung: 2 Eine


Farbe kann man eigentlich nicht malen (Farbe als solche, genauer ge-
20 sprochen). Einen Empfindungsinhalt, den Ton an sich etc. kann man
nicht malen. Eine gleiche Farbe, eine zweite gleiche Farbe ist in sich
nicht "Bild", warum nicht? So seine Frage. In meinen Analysen suchte
ich zu zeigen, dass zum Bild bewusstsein wesentlich gehöre ein sozu-
sagen verborgenes Nichtigkeitsbewusstsein. Wo kein Fiktum ist,
25 da auch kein Bild. Ich kann mir in jedem Fall echter Bildlichkeit eines
Widerstreites explizit bewusst werden, eine "Auffassung" streitet mit
einer anderen und wird durch diese aufgehoben. Ein rein "Immanen-
tes" derart wie ein sinnlicher Inhalt kann aber nicht als Bild fungieren,
weil das Bewusstsein der adäquaten Gegebenheit keinen Ranm offen
30 lässt für Widerstreit mit einem anderen gebenden Bewusstsein.
Ebenso kann natürlich kein Gefühl in sich ein anderes Gefühl, kein
Urteil in sich ein anderes Urteil "abmalen". Hier ist immer die Rede
nicht von einem beliebigen Analogisieren, sondern von einem "Ab-

1 Der letzte Satz bezieht sich evtl. auf den in Nr. 17a wiedergegebenen Text. -
Anm. d. Hrsg.
2) Vgl. W. Schapp, Beiträge lIur Phänomenologie der Wahrnehmung, 1910, b~s.
S. 41f. Ein Exemplar dieser Arbeit befindet sich in Husserls Privatbibliothek 1m
Husserl·Archiv zu Leuven unter der Signatur BP 218 und weist Lesespuren Husserls
auf. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LIII 495

malen", von einem "Fingieren". Dem steht nicht entgegen, dass eine
Farbe, die ich jet z t empfinde (oder eine Gegenstandsfarbe, die ich
jetzt sehe), Bild sein kann für eine Farbe, die ich gestern empfunden
habe, dass ich mir durch ein jetziges Gefühl, Wollen etc. ein anderes,
5 früher gewesenes oder das eines anderen Menschen analogisieren kann.
Freilich ein Bildbewusstsein wie das der "Fiktion" (der eigentlichen
Abbildung, Konterfei) ist das nicht: Und davon war ,oben die Rede.
Das ist noch zu analysieren. Ein (x, das gegeben ist hier und jetzt in
dem gegebenen Zusammenhang, dient als Analogon für ein anderes,
10 (x' = (x, (X' " " (x, in einem anderen, gleichen oder neuen Zusammen-
hang.
Natürlich von Dingfarben, von sinnlichen Dingbestimmtheiten
gibt es darstellende Bilder. Das findet ja im Abmalen beständig,
statt. Und auch Tastbilder (nicht die Statue oder die Wachsfigur, aber
15 der Schauspieler bildet für den Blindgeborenen, der ihn tastet, tast-
mässig ab) etc., Ebenso die gesprochenen Wo~e sind Bilder im Schau-
spieL Also Töne für Töne, wie gedankliche Ausserungen für gedank-
liche Äusserungen.

BEILAGE LUI
20 <WAHRNEHMEN IM BEWUSSTSEIN DER BILDLICHKEIT,
DAS WAHRNEHMEN IM SPIEGELBILDE>
<wohl19l2 oder etwas später)

Ich sprach öfters von Bildapperzeption.


Kann man auch von einem bildlichen Wahrnehmen, von
25 einem Wahrnehmen im B i1 d e, im Bewusstsein der Bildlichkeit
sprechen?
Es käme hier in Betracht das Wahrnehmen im Spiegel bilde
(mag es sich auch um einen verzerrenden Spiegel, einen gefärbten etc.
handeln). Doch wäre das spiegelnde Auffassen im Verhältnis zum
30 gewöhnlichen ab bild end li ehe n Auffassen genauer zu erforschen.
Jedenfalls kann ich durch den Spiegel "wahrnehmen", z.B. ich sehe
mir an, was hinter 'mir im Zimmer ist und wie es da aussieht - im
Spiegel. Etc. Das Bild ist nicht die Sache, aber im Bild nehme ich die
Sache wahr, ich glaube nicht nur, dass das Abgebildete ist, sondern es
35 ist in eins mit dem Bild, das sein "Reflex" ist, und in dem ich es dabei
zugleich seiner Erscheinung nach analogisch anschauen kann.
Das "Bild", das erscheinende Objekt selbst ist aber nicht, es ist
F i k turn. Es ist also nicht die Sache selbst als mit dem Erscheinenden
verbundenes Reales mitgesetzt. Es ist das Bild hier andererseits nicht
40 ganz ohne Realität. Es hat die Realität. eines "Reflexes", der auf die
sich darin reflektierende Sache zurückverweist.
496

BEILAGE LlV
<ANSCHAULICHE VORSTELLUNG ALS "BILD" DES
GEGENSTANDES NACH EINER BESCHREIBUNG>
<1917 oder 1918>1

5 Im Verständnis der Beschreibung eines uns bekannten Gegenstan-


des, einer Landschaft etc. wird ein allgemein begrifflicher Rahmen
durch die Begriffe gewährt, der ausgefüllt werden soll dem Sinn solcher
Beschreibung gemäss durch Anschauung. Es soll eine Vorstellung des
dem Leser unbekannten Gegenstandes, eine Anschauung von ihm ent-
worfen werden, was aber faktisch und wesensmässig nur entworfen
10 werden kann, ist eine anschauliche Vorstellung, die dem Begriffs-
rahmen entspricht und im Bewusstsein gegeben ist, dass sie ein nach
dem Beschriebenen getreues "Bild" des Gegenstandes sei. Was über
die Rahmenfassung hinausgeht, ist unbestimmter Repräsentant und
so das ganze Vorgestellte als solches (die Vorstellung) Ähnlichkeitsre-
15 präsentant für das Gemeinte. Es ist freilich eine andersartige Bildvor-
stellung als die durch ein physisches Bild mit Bildobjekt etc. Und
doch Bild.

BEILAGE LV
DAS DESKRIPTIVE "BILD" DES DESKRIBIERTEN
20 GEGENSTANDES UND DAS BILD IM GEWÖHNLICHEN SINN
<1917 oder 1918>

Ein Gedicht, ein Bildwerk. Beschreibung des Werkes.


Ich weiss schon, dass es ein ästhetisches Werk, ein ästhetisches Ge-
bilde ist.
25 Die Beschreibung fasst begrifflich, aber sie ist Ausdruck eines An-
schaulichen und durch Anschauung einzulösenden. Durch die Be-
schreibung soll im Leser eine Anschauung erzeugt werden. Aber es
gibt viele Beschreibungen desselben Werkes, und das wäre gut, wenn
sie alle nicht nur auf das Werk passten, sondern die Anschauung (ver-
30 gegenwärtigende Anschauung) des Werkes identisch vermitteln könn-
ten. Aber so ist es bei jeder Beschreibung eines konkret Anschau-
lichen, einer Landschaft, eines Menschen, einer Stadt. Die "Bilder",
die durch das anschauliche Verstehen der Beschreibung erzeugt sind,
können sehr viele und verschiedene sein und nicht etwa zusammen-
35 stimmen wie Aspekte eines Gegenstandes. Nur das Allgemeine, das die
Beschreibung "deckt", gehört zum Gegenstand selbst, aber das ist ein
blosser Rahmen, der ausgefüllt ist durch eine Fülle, die unbestimmt

1 Einlage in die Lehre von der Bildvorstellung.


BEILAGE LV 497

bleibt und nicht als zum vergegenwärtigten Gegenstand selbst be-


stimmt gehörig angesehen wird. Es ist analog, wie wir bei einer Bild-
vergegenwärtigung unterscheiden zwischen dem, was dem Abgebilde-
ten zugemeint ist, und dem, was Füllsel ist. Muss man also sagen: Die
5 Beschreibung liefert ein Bi 1d vom Gegenstand? Aber so geht das
offenbar auch nicht. Ein Bild im gewöhnlichen Sinn ist das nicht. "Im"
Bildobjekt "sehen" wir das Bildsujet. Im gegenwärtigen vergegen-
wartigt sich, im vergegenwärtigten Bildobjekt vergegenwärtigt sich
in zweiter Stufe ein Bildsujet. Hier aber vergegenwärtigt sich zwar im
10 Zurückübersetzen der beschreibenden Worte in die Anschauung (eine
vergegenwärtigende Anschauung) das beschriebene Objekt, aber doch
in anderer Weise. In welcher?
Man kann sagen: Ein Bildobjekt bei der gewöhnlichen Abbildung
ist ein durch ein physisches Bildding, das zuerst da ist, Dargebotenes.
15 Das fehlt hier. Es ist nicht in einem Wirklichen ein ander~kliches
vergegenwärtigt. Das Beschriebene setze ich zwar als wirklich, aber
ähnlich, wie ich ein Erinnertes als wirklich setze. Auch beim Erinner-
ten habe ich den Unterschied zwischen den echten Erinnerungskom-
ponenten und dem Füllsel.
20 Das ist noch näher und klarer auszuführen. Alle solchen Verhältnisse
sind wichtig.
Nota auszuführen: Im Bildbewusstsein selbst haben wir eine Be-
ziehung auf das Sujet, und was im Bildobjekt auf das Sujet passt
oder nicht passt. Ganz anders ist die Beziehung: ob das Bild ein
25 t r e u e s Bild, das Porträt ein gutes ist oder nicht.
Nr. 18

<ZUR LEHRE VON DEN ANSCHAUUNGEN


UND IHREN MODIS>
<Texte wohl aus 1918>

5 <a) > Gebendes Bewusstsein und Phantasie; Akte, in denen


Individuen bewusst sind

<Inhalt:>

Individuum noetisch betrachtet.


Aber genau besehen eine Lehre von den Anschauungen und ihren
10 Modis.
Die Anschauungen von Individuen.
Wahrnehmung und Gegenwart (konkrete Gegenwart mit Urgegen-
wart, soeben, kommend), Retention, Protention.
Wiedererinnerung in ihrer M ittelbarkeit der Intentionalität. Vor-
15 erinnerung. Gegenüber Positionalität die Neutralität. Reproduktive
und perzeptive Phantasie. Das Fiktum als Gegenstand (M öglich-
keit, was freilich nicht dasselbe ist). Identität des Was eines Phanta-
sierten und Positionalen. Die Deckungsrelationen gegen den Unter-
schied von Wirklichkeit und Fiktum (Möglichkeit) unempfindlich.
20 S. 508 ,23ft. Die Unwirklichkeit eines F iktums nicht zu verwechseln
mit dem N egat der Erfahrung (Modalität der Erfahrung - innerhalb
der Positionalität). Beziehung zwischen der Erlahrungswelt und fin-
gierten Welten und Unwelten.
Mögliche Änderung der Erfahrungseinstellung, wodurch sich das
25 Erfahrene in quasi Erfahrenes (in F ikta kann man hier nicht sagen)
verwandelt (Staffage) S.5I3f.
TEXT NR. 18 (1918) 499

Jedes Individuum hat sein konkretes Wesen oder hat in sich


einen konkreten Inhalt (auch individuelles Wesen genannt), das
Vereinzelung jenes Allgemeinen ist. Dieses individuelle Wesen ist
aber individuell, es unterscheidet sich von jedem anderen, das
5 wir seine Wiederholung nennen: Das Individuum ist individuelles
Wesen in einer individuellen Differenz (dem 't'6ae 't't), die für jedes
Individuum eine andere ist und eine Bestimmung, die also nicht
wiederholbar, nicht spezifizierbar ist. Dahin gehört in erster Linie
die zeitliche Lage. und in zweiter für räumliche Objekte die
10 Raumlage. Jede Bestimmung steht unter allgemeinen Begriffen,
und insofern wir von zeitlicher Lage sprechen, bestimmt uns ein
allgemeines Wesen, unter das die Lage fällt. In dem Sinn ist na-
türlich jede Bestimmung spezifizierbar. Aber das Allgemeine
"Lage" löscht alle Unterschiede der bestimmten Lage aus, die
15 bestimmte geht nicht mehr in eine Spezies, als ein sich darin Er-
haltendes, ein, so wie etwa die letzte bestimmte Farbe eines Indi-
viduums als niederste spezifische Differenz zu spezifizieren ist,
eben als ein individuell Wiederholbares. Da liegt also die Aus-
zeichnung der individuellen Differenz, dass die Gattung Zeit-
20 punkt, Zeitdauer, kurz die Gattungen von Zeitlichem als solchem
(und dann mittelbar auch von Räumlichem) fähig sind individuel-
ler Differenzierung.
Wir haben also einen gewissen Unterschied von "Inhalt"
(konkreter Inhalt, individuelles Wesen) und Form. l Form ist
25 hier die individualisierende Bestimmung, die von dem Gegen-
stand prädizierbar, aber keine "Eigenschaft" ist, kein Prädikat,
dem ein Wesensmoment entspricht.

"Gebendes" (selbstgebendes) Bewusstsein


. ~

Beziehen wir nun den Gegenstand auf das Bewusstsein, so kann


30 das Bewusstsein hinsichtlich eines Individuums ge ben d e s2
Bewusstsein sein. Es gibt das Individuum, d.i. es gibt den
Inhalt in der Form der Individualität. Es gibt den Inhalt, es hat
ihn nicht nur überhaupt bewusst, sondern gegeben, und ein

1 Komponenten des konkreten Wesens nennen wir Wesensmomente des Indivi-


duums.
2 "gebendes" später verändert in "selbstgebendes". - Anm. d. Hrsg.
500 TEXT NR. 18 (1918)

Gleiches sagt in dieser Hinsicht die "Anschaulichkeit" des Be-


wusstseins. Jedes Individuelles gebende! Bewusstsein ist a n-
sc hau li c h, aber nicht jedes anschauliche Bewusstsein von In-
dividuellem ist I n d i v i d u elle s in Wirklichkeit gebend, es
5 kann gebend und quasi gebend sein. Im letzteren Fall scheint es
dass wir sagen können: gebend für den Inhalt sein und nich~
hinsichtlich der Form: Aber das ist ein falscher Ausdruck. Das
individuelle Wesen ist im Phantasieren quasi gegeben, aber das
konkrete Wesen als Eidos ist daraus zu entnehmen, gegeben ist
10 es aber in der Wesensschauung.

"Wahrnehmung" (im prägnanten Sinn auf Individuelles bezogen)

Überlegen wir. Ein gebendes Bewusstsein von Individuellem


kann fürs erste sein originär gebendes. Diese Ursprünglichkeit
des Gebens vollzieht sich in der Wahrnehmung. Im prägnanten
15 Sinn wahrgenommen ist ein Individuelles, wenn es bewusst ist
in dem Ursprungsmodus, in dem der leibhaftigen Wirklichkeit,
oder noch genauer der leibhaftigen Urwirklichkeit, die Gegen-
wart heisst. Aber das Individuelle kann unbeschadet des Bewusst-
seinsmodus der Leibhaftigkeit und Wirklichkeit 2 auch in der
20 Weise bewusst sein, dass es bloss im ursprünglichen Wahrneh-
mungshorizont liegt, "noch" in ihm liegt, oder "erst noch", das
sagt, es ist retentional gegeben als soeben wahrgenommen ge-
wesen, als unmittelbares noch im Herabsinken fiiessendes soeben
gewesen, oder protentional gegeben als fliessend soeben heran-
25 kommen, als unmittelbares soeben sein werden.3
Die Gegebenheit kann aber statt dieser perzeptiven Gegeben-
heit (die das Korrelat im Leibhaft und in den ursprünglichen
Zeitmodalitäten oder Wirklichkeitsmodalitäten der Ge g e n-
wart und des beiderseitigen "soeben" hat, oder, alles
30 zusammengefasst, der Gegenwart in einem erweiterten Sinn) auch
reproduktive Gegebenheit sein und als solche verstanden werden.

1 "gebende" später verändert in "selbstgebende" . - Anm. d. Hrsg.


2 Wirklichkeit = wirklich sein
3 Retention und Protention zur Wahrnehmung gerechnet.
TEXT NR. 18 (1918) 501

"Erfahrung", "reproduktive Erfahrung", "Wiedererinnerung,


Vorerinnerung' ,

~ ehmen wir die neuen Modi hinzu, so erwächst uns der weitere
Begriff der Erfahrung, der perzeptiven oder reproduktiven. Neu
5 tritt also hinzu das reproduktiv gebende Bewusstsein der Wieder-
erinnerung, deren Korrelat das wiedererinnerte Gegenwärtig, mit
seinem Wieder-soeben, das Individuelle als Vergangenheit im
prägnanten Sinn charakterisiert als nicht mehr Gegenwart,
nicht mehr lebendiges Jetzt oder Soeben (also Gegenwart im er-
10 weiterten Sinn verstanden), sondern ganz und gar Vorüber-
gegangenheit, erledigt und nur "wieder" betrachtet. Auf der
anderen Seite haben wir dann die Vorerinnerung (gewöhnlich
auch Erwartung genannt, obschon der Ausdruck zu weit ist und
nicht bloss anschauliche Akte befasst - wie das aber auch für
15 die Worte Wiedererinnerung und Vorerinnerung gilt), bezogen
auf das Zukünftige im prägnanten Sinn, nämlich das im Sinn des
Vorerinnerungsbewusstseins nicht charakterisiert ist im lebendi-
gen Status des soeben Kommens, als im Eintreten begriffenes
Werden, aber doch als künftig werdend. Alle diese Akte ver-
20 stehen wir als anschauende Akte, das Anschauen gehört zum
Geben in unserem bestimmten Sinn, das Individuelle ist nicht
nur überhaupt bewusst, sondern es steht gleichsam vor dem
"Auge", es bietet sich mit einer anschaulichen Fülle. Das aber
sagt nichts anderes, als dass der "Inhalt" des Gegenstandes nicht
25 nur wie bei einem sonstigen Bewusstsein von dem Individuellen
irgend bewusst ist, sondern in besonderem Sinn vor uns "selbst"
dasteht, vor uns hingestellt ist, vorgestellt!. Und dieses Selbst
besagt nicht gerade das Selbst der Leibhaftigkeit. In der Wahr-
nehmung ist das wahrgenommene Objek~bewusst im Charakter
30 "wirklich". Das Wahrgenommene als solches, der "Wahrneh-
mungsinhalt" ist aber nichts für sich, als ob diesem das "wirk-
lich" angeklebt und davon abgelÖst werden könnte. 2 Das wahr-
nehmungsmässig Gegebene ist Korrelat der Wahrnehmung, und
ein solches Korrelat ist eben gegebene Wirklichkeit. Wirklichkeit
35 also das Allgemeine für Wahrnehmungskorrelat 3 . Nun kann aber,

1 Vor "vorgestellt" später eingefügt: "ursprünglich". - Anm. d. Hrsg.


2 Neben den letzten Satz setzte Husserl später ein grosses Fragezeichen. - Anm. d.
Hrsg.
3 Wirklichkeit? Das Es-selbst, als subjektiver Charakter.
502 TEXT NR. 18 (1918)

sagen wir: dasselbe, was da wahrgenommen ist, auch Inhalt eines


Bildobjektbewusstseins sein. Vergleichen wir dies mit
dem Wahrnehmungsbewusstsein, so decken sich die Korrelate in
gewisser Weise: Wir sagen, derselbe "Inhalt", und zwar perzep-
5 tive Inhalt (nicht imaginative) ist hier wie in der Wahrnehmung
bewusst, nur in verschiedenem Charakter: Wir können vielleicht
sagen: bewusst als aufgehobene Wirklichkeit. Versuche ich meine
ältere Auffassung wieder aufzunehmen, so wäre das zu interpre-
tieren als ein Bewusstsein, wo Wahrnehmung durch Wahrneh-
10 mung aufgehoben ist, im Widerstreit mit dieser "standhaltenden"
"unterliegt", wodurch das Wahrgenommene den Nichtigkeits-
charakter hat. Wir sehen davon ab, dass das Fiktum ausserdem
noch abbildlich darstellend fungiert vermöge einer bildlich sym-
bolischen Vorstellung.
15 Die Wiedererinnerung könnten wir demgemäss so inter-
pretieren: Es ist eine "Reproduktion", die dem Reproduzierten
den ursprünglichen Charakter der Wiedergegebenheit, des Erin-
nerten verleiht, und dieser Charakter ist der Charakter eines
Wirklich-gewesen. Die Wirklichkeit ist Modifikation der wahr-
20 nehmungsmässig konstituierten Wirklichkeit schlechthin oder
gegenwärtigen Wirklichkeit, und zwar ist dieses "wirklich ge-
wesen" nicht ein schlichtes erfülltes Wirklich-gewesen, das Korre-
lat der Retention ist, sondern ein mittelbarer Modus
des Wirklich-gewesen, der intentional auf eine kontinuierliche
25 Folge von Erinnerungen zurückweist, die in dem retentionalen
Feld der aktuellen Wahrnehmung terminiert und sich darin -
im Fall der Realisierung dieser Erinnerungen - erfüllen würde.
In der schlichten Wiedererinnerung haben wir die Reproduktion,
in ihr als Korrelat das Reproduzierte als solches, d.i. das Erinner-
30 te, mit dem Wirklichkeits charakter, der eben hierher gehört, der
aber in seiner Intentionalität der wirklichen Erfüllung entbehrt,
obschon die gegenwärtige Wahrnehmung als Endterminus der
Intentionalität Erlebnis ist. 1 Alles Wiedererinnerte hat inten-
1 Das ist deutlicher zu fassen. Die Wiedererinnerung, als anschauliche verstanden,
ist Be w u s s t sei n vom vergangenen Selbst und somit erfüllend, aber diese Erfüllung
ist eine Fe r n erfüllung, ähnlich wie in der iiusseren Wahrnehmungssphäre (der
Raumwelt) das Fernding Selbsterscheinung ist, das Ferngesehene ist selbstgesehen,
und doch gesehen in einer biossen Selbsterscheinung. Es fehlt also der Begriff der
Selbsterscheinung, der Selbsterfassung dur c h Erscheinungen gegenüber der Selbst-
erfassung, die nicht mehr so wäre. Freilich in der äusseren Sphäre gibt es überhaupt
nur Erscheinungen. Und so ist die äussere Wiedererinnerung doppelt mittelbar.
TEXT NR. 18 (1918) 503

tionale Beziehung zur aktuellen Gegenwart: aber im allgemeinen


un-erfüllte, und dasselbe sagt, nicht "anschauliche", nicht reali-
siert gegebene, und so ist die vergegenwärtigte Wirklichkeit zwar
ihrem Inhalt nach anschaulich, aber nicht anschaulich die Wirk-
5lichkeit selbst, d.i. nicht wirklich vergegenwärtigt ist die Wirk-
lichkeit schlechthin oder die Gegenwart: die ursprünglich ge-
gebene in der Wahrnehmung ist bzw. war. Das müsste so ver-
standen werden: Das Vergangene als vergangene Gegenwart ist
wirklich anschaulich, wenn ich die Wiedererinnerung durch die
10 Wiedererinnerungskette zurückführe auf ihren Endterminus, auf
die fliessende Gegenwart, die jetzt ist; sonst habe ich keine An-
schauung? Ich habe Anschauung vom Inhalt und habe die Er-
innerungscharakteristik des Wirklich-gewesen bezogen auf die
aktuelle Gegenwart - insofern doch etwas von Erfüllung, aber
15 uneigentlich er Erfüllung, es fehlen bei der Mittelbarkeit der In-
tention die vermittelnden Erfüllungen.
In der Wiedererinnerung, unerachtet des Charakters der Re-
produktion, steht uns das Erinnerte selbst vor Augen, es ist nicht
etwa ein anderes leibhaft da (wie im Fall der Abbildung) und
20 dieses bewusst als Repräsentant für ein ihm Gleichendes, sich in
ihm Darstellendes. Und es steht auch in dem Sinn "selbst" vor
Augen, als es nicht durch eine Leere ~indurch gemeint und erst
aus dieser Bewusstseinsferne nahezubnngen, eben anschaulich zu
machen ist.
25 Aber anschauende Akte, bezogen auf Individuelles, sind, wie
schon gesagt, darum noch nicht wirklich gebende!, das sind
vielmehr nur die erfahrenden. Das "Anschauen" (Vorstellen in
dem engeren Sinn, der freilich früher als solcher engerer uner-
kannt blieb, da man das Leerbewusstsein übersehen hatte) be-
30 zieht sich auf den Inhalt, er ist gegeben, das besagt, er ist an-
schaulich bewusst. Er und der Inhalt eines phantasierten Indi-
viduellen gilt dabei gleich: Denn ein solches kann genau den
gleichen Inhalt "nur phantasiemässig" bewusst und anschaulich
haben. Phantasieren ist aber nicht erfahren, ein phantasiertes Indi-
35 viduellesist kein gegebenes Individuelles, und sofern der Phantasie-
inhalt zwar genau gleich zu explizieren und zu beschreiben ist,

1 "wirklich" ist über der Zeile, aber wohl schon zur Zeit der Niederschrift des
Textes, eingefügt und am Rande vermerkt: "wirklich gebend sind nur die er-
fahrenden Akte". - Anm. d. Hrsg.
504 TEXT NR. 18 (1918)

aber als der eines Phantasieindividuellen kein "wirklicher" In-


halt ist, ist auch die Rede von der Gegebenheit des Inhalts in
der Phantasie eine modifizierende Rede l .

Perzeptive und reproduktive Phantasie als Phantasieerfahrung.


5 Reine Phantasie

Doch gehen wir nun systematischer vor. Den erfahrenden Ak-


ten stehen gegenüber die "bloss" vorstellenden. Das Bloss sagt,
sie sind nicht erfahrende, sondern quasi erfahrende. Wir nehmen,
da bloss vorstellende sich mit erfahrenden oder mit sonstigen
10 Wirklichkeit setzenden Akten (die in gleichem Sinn der Modifi-
kation des "bloss", des "quasi" entbehren) verbinden können,
reine Fälle von bloss vorstellenden Akten. Nennen wir sie phan-
tasierende (oder hinsichtlich der "Wirklichkeitssetzung" neu-
tralisierte), so haben wir zu scheiden per z e p t i v e und re p r 0-
15 du k t iv e P h an t a sie n, beide also rein, ohne Beimischung von
Erfahrungen gedacht, die ihnen Beziehung zu einer Wirklichkeit
(also etwa zu einer bestimmten Zeit, einem bestimmten Orte)
verleihen würden. Beispiel einer perzeptiven Phantasie ist das
Bildobjektbewusstsein, das Unterlage eines jeden mittelbaren
20 Anschauens der Art ist, das wir Abbildbewusstsein, Anschauen
"im" Bilde nennen. 2 Beispiel einer reproduktiven Phantasie ist
jede im gewöhnlichen Sinn 50genannte Phantasie, aber nicht (wie
es unglücklicherweise öfters geschieht) dazugerechnet jede Er-
innerung, das ist jede unmodifizierte Reproduktion (unmodifi-
25 ziert, sofern sie nicht das Reproduzierte, das in der Weise der
Erinnerung wieder Herbeigeführte, iE ein quasi Wirkliches um-
bildet). In der Phantasie ist ein Anschauliches nicht als Wirk-
lichkeit, als Gegenwart, Vergangenheit usw. schlechthin be-
wusst, sondern es ist uns bewusst mit seinem Inhalt, "als ob"
30 es gegenwärtig usw. wäre, es ist uns Wirklichkeit "als ob".

1 Das alle s ist sc h i e f. Das "Anschauen" ist ein allgemeiner Titel für positio-
nale und neutrale Akte, die Individuelles in erfüllter Weise bewusst machen. Sie sind
entweder "wirklich" anschauende oder "quasi" anschauende, und beiderseits ist In-
halt geformt. Aber einmal ist das Individuelle bewusst als Wirklichkeit, das andere
Mal als Fiktum. Beidem ist aber durch "Ideation" dasselbe konkrete Wesen ZU ent-
nehmen.
a Vgl. sieben Blätter über perzeptive Phantasie und künstlerisches "Bild"bewuss t -
sein <d.i. hier Nr. l8b>.
TEXT NR. 18 (1918) 505

Das Gleichsam der Reproduktion und das Als-ob der Phantasie

Es ist nicht nur "gleichsam" gegeben wie eine Reproduktion,


obschon es das auch sein kann und ist, wie in jedem Fall repro-
duktiver Phantasie, sondern es tritt hier ein total anderes Gleich-
5 sam auf. Wir erfahren, können wir auch sagen, nicht wirklich,
sondern ~r phantasieren uns in ein Erfahren hinein, uns ist so,
als ob wir erführen. Und korrelativ entspricht dem, ein Indivi-
duum steht als inhaltlich so und so bestimmtes vor unseren Au-
gen, aber nur im Als-ob. In lebendiger Anschauung " erblicken "
10 wir Zentauren, Nixen etc.; sie stehen vor uns, entfernen sich, bie-
ten sich von der und jener Seite dar, sie singen und tanzen usw.
Aber all das iIn Modus des "als ob", und dieser Modus durch-
tränkt alle Zeitmodi, und damit auch den Inhalt, der nur Inhalt
in Zeitmodus ist. Richtig und doch wieder unrichtig sagen wir:
15 In der biossen Phantasie glauben wir nicht, in der Phantasie voll-
ziehen wir keine Setzung, kein Für-seiend-, d.i. Für-wirklich-
Halten. Richtig ist, dass wir es nicht vollziehen, aber unrichtig
ist, als ob in keinem Sinn Seinsbewusstsein hier vorkäme. Viel-
mehr kommt es in jedem Sinn vor, in dem es in der Erfahrung
20 vorkommt und sie charakterisiert, "nur", dass jeder Sinn und
jede Form dieses Erfahrung charakterisierenden Seinsbewusst-
seins sozusagen entmannt ist, die kraftlose Form des Als-ob, der
"Phantasie" angenommen hat. Zu beachten aber ist dabei, dass
die traditionelle Rede von Setzung (Position, Thesis), die wir
25 ins Phänomenologische und mit den vielfältig zugehörigen phäno-
menologischen Klärungen überno;mmen haben, keine Ichaktion
besagt, kein vom Ich ausgehendes setzendes Tun, und daher auch
von Vollziehen nicht gesprochen werden darf.! Alle Akte, die
wir hier gegenübergestellt haben, k ö n n e n in dem Modus aktiver
30 Setzung vollzogen sein, oder sie können völlige Passivitäten sein:
Die passive Wahrnehmung z.B. gibt uns das Individuum in seiner
Wirklichkeit, ob wir dasselbe erfassen, ob wir ihm in einer Aktivi-
tät der Zuwendung und der Wirklichsetzung hingegeben sind
oder nicht. Und dasselbe gilt auch von der Phantasie. Auch die
35 Phantasie kann Vollzugsmodalitäten haben oder auch nicht ha-
ben. Das Fiktum steht als solches uns vor Augen, mit allen je-
weiligen Wirklichkeitsmodis, lebendige Gegenwart, lebendiges

1 Das ist Vorgegebenheit, die aber doch auf Fortgeltung früherer Setzung beruht.
506 TEXT NR. 18 (l918)

Soeben, erledigte Vergangenheit, Zukunft und was immer wir


da noch unterscheiden mögen, aber alles eben als Fiktion, als
Phantasie.
Und Ähnliches gilt von der perzeptiven Phantasie. So
5 steht das Bild (i n dem etwa als wirklich gesehenem Bild der Ma-
donna diese selbst <sich> darstellt, aber abgesehen von dieser Dar-
stellungsbeziehung) bei einem Gemälde als leibhafte Wirklich-
keit da - wir sagen daher geradezu, es sei wahrgenommen. Dann
bezieht sich die Rede von Wahrnehmung auf die blosse perzep-
10 tive Anschaulichkeit, deren Korrelat das Erscheinen in "Leib-
haftigkeit" ist. Es steht auch als gegenwärtige Wirklichkeit da.
Aber diese Gegenwart und Wirklichkeit ist eben Wirklichkeit als
ob; das Bild schwebt nur perzeptiv vor. Was in Phantasien an-
geschaut ist, ist der individuelle Inhalt, der völlig gleich sein kann
15 mit dem, was in aktuellen Erfahrungen angeschaut ist.!
Aber wie können wir sagen der seI be Inhalt, da doch Er-
fahrungen und entsprechende quasi-Erfahrungen (oder Phanta-
sien) nicht sich zusammenstücken aus je zwei Komponenten, die
Komponente der Anschauung als die den Inhalt gebende und die
20 der Wirklichkeitssetzung, die die Form zu geben hätte. Inhalt
und Form sind doch nicht bloss untrennbar verbunden, sondern
der Erfabrungsinhalt ist, was er ist, nur in seinem Wirklichkeits-
modus wie der Phantasieinhalt in seinem quasi-Wirklichkeits-
modus. Der eine Inhalt ist das Individuum, welches als gegen-
25 wärtig z.B. bewusst ist, der andere das Individuum, das als
fingiert gegenwärtig bewusst ist. 2 Das erstere existiert, hat Dasein,
das letztere existiert nicht, ist bloss Fiktion. Daher sagen wir, ein
fingiertes Individuum ist nichts, nichts Wirkliches, ist kein Indi-
viduum. Denn ein Individuum schlechthin gesagt ist wirkliches
30 Individuum, und wirklich in dem oder jenem Wirklichkeitsmo-
dus.
Andererseits ist es evident, dass das Fingierte in seiner Art ein
Setzbares ist, ein Dies, daher ein Substrat möglicher Beschrei-

1 Das ist schief. Es wäre das Individuum (mit der Zeitlage), wenn wirklich Phanta-
sie und Erfahrung sich deckten. Aber das ist für transzendente Gegenstände nur eine
Idee!
2 Das ist wieder schief. Ich verwechsle da die Zeitform und die Form der Fiktion,
und das kommt daher, dass in der transzendenten Sphäre keine Phantasie möglich ist,
die dieselbe absolute Zeit lage gibt wie eine entsprechende Wahrnehmung. Aber das
Entsprechen kann auch kein vollkommenes sein, und hier liegt ein grosses Problem.
TEXT NR. 18 (1918) 507

bungen, möglicher wahrer Urteile. Es ist das, was uns in der


Phantasie "vorschwebt", es ist als Fiktum. Nur ein anderer Aus-
druck ist, es ist eine pure Möglichkeit,! während erfahren Wirk-
lichkeit ist (als Wirklichkeit im Bewusstsein Charakterisiertes).
5 Die Möglichkeit ist keine Wirklichkeit und die Wirklichkeit
selbst keine Möglichkeit, obwohl wir sagen können, dass sie eine
solche in sich birgt: Wir brauchen bloss die Setzung zu neutrali-
sieren, neutralisiert zu denken.
Was sagt nun aber dies, dass beiderseits ein Individuum vor-
10 stellig ist und dass das Erfahrene und Phantasierte "dasselbe"
sein kann?
Es besagt offenbar, dass, vom noetischen Standpunkt ge-
sprochen, Erfahrung und Phantasie sich in einer Synthesis, die
wir Gleichheitsbewusstsein nennen, decken können und dass so-
lS gar prinzipiell jeder Erfahrung eine mögliche Phantasie und um-
gekehrt (nach idealer Möglichkeit) entspricht: ein Entsprechen,
das sich aber selbst wieder definiert durch die Möglichkeit der
Gleichheitsdeckung. 2
Und sehen wir auf die Korrelate, so liegt darin, dass jeder
20 Wirklichkeit (die bewusst ist in irgendeiner Erfahrung) "ent-
spricht" eine Möglichkeit (bewusst in Phantasien) und dass die
entsprechenden sich als "gleich" decken. Als 0, um das in einer
anderen wichtigen Form auszusprechen, GI e ich h e i t, und so
jede Deckungsrelation, hat das Eigene, dass sie gegen den Unter-
25 schied von Wirklichkeit und Möglichkeit unempfindlich ist. Das
Gleiche kann ein Wirkliches sein und ein Mögliches.
Das sagt nicht, dass wir aus einer Wirklichkeit ein Stück her-
ausschneiden oder herausabstrahieren (was auch ein Heraus-
schneiden ist, wenn wir ein für sich beachtendes Herausheben
30 eines Momentes darunter verstehen) könnten aus einem Indivi-
duum schlechthin, aus einer Wirklichkeit, und dann in einer
Fiktion, einer Unwirklichkeit ein ebensolches finden könnten.
In der Fiktion finden wir durch und durch Fingiertes, und in
einer Erfahrung nur Wirkliches; aber nie irgend etwas, das mit
35 einem erfahrenen Bestandteil vertauschbar, eine wirkliche Wie-

1 Das Fiktum als Gegenstand (doch, ist es richtig, Fiktum und Möglichkeit zu
identifizieren ?).
8 Davon ist also auszugehen und der realisierbare Sinn dieser Idee vollkommenen
Entsprechens klarzulegen.
508 TEXT NR. 18 (1918)

derholung desselben wäre. Also auch unsere frühere Rede von


Wiederholung modifiziert sich mit dem übergang in die Phanta-
sie. Die Gleichheit von Wirklichem und Wirklichem ist wirkliche
Wiederholung. Die Gleichheit von Wirklichkeit und blosser
5 Möglichkeit ist aber doch Gleichheit. Sie stellt, könnten wir auch
sagen, eine Wirklichkeitsvereinzelung eines Wesens in Beziehung
zu einer Möglichkeitsvereinzelung, und beide stimmen überein
im Wesen, aus beiden kann in exemplarischer Einstellung (die
ihrerseits gegen den Unterschied zwischen Erfahrung und Phan-
10 tasie unempfindlich ist) durch Wesensschauung (und in diesem
Sinn Abstraktion) dasselbe Wesen als "Allgemeines" entnommen
werden. Im übrigen "ist" das phantasierte Individuum im Sinn
der Phantasie und sein Inhalt Vorstellungsinhalt im Sinn eines
Phantasieinhaltes, seine gegenwärtige oder aussergegenwärtige
15 Wirklichkeit eine Phantasiewirklichkeit, wie andererseits das
Erfahrungsindividuum ist im Sinn der Erfahrung usw. Das Sein
beiderseits in dem zugehörigen Sinn genommen, gilt für das bei-
derseitig Seiende (das Wirkliche auf letzterer Seite - das Phan-
tasiewirkliche (oder Seiende) auf der anderen Seite) eben doch
20 eine Gleichheit, die eine Gleichheit zwischen unmodifiziertem
und modifiziertem Sein ist und die "Modifikation" eben aus dem
Sinn der Phantasie zu schöpfen ist.
Es ist hier zugleich zu beachten,l dass die "Unwirklichkeit"
im Sinn eines Fiktums nicht zu verwechseln ist mit der Negation
25 der Wirklichkeit, die uns in einem negativ erfahrenden Akte
(Negat der Erfahrung) da entgegentritt, wo eine Erfahrung mit
einer anderen Erfahrung in Streit gerät und die eine nun fest-
bleibt, während die andere den negativen Erfahrungsmodus der
Durchstreichung erfährt, dessen Korrelat die erfahrene Nichtig-
30 keit ist, natürlich modalisiert in zeitlicher Hinsicht als nicht
gegenwärtig oder nicht vergangen, nicht zukünftig usw.

Ob es völlig reine Phantasie gibt

Doch muss gleich beigefügt werden, dass diese Auffassung auch


ernsten 2 Bedenken unterliegt, die mich immer wieder schwanken

1 Dies zugleich das Thema fur die weitere Untersuchung der nächsten Blätter.
Bis 19 <d.i. bis ans Ende von Nr. 18a>.
2 "ernsten" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 18 (1918) 509

liessen in der Entscheidung, was hier die richtige Auffassung ist.


Man kann sie auch in der Form ausdrücken, dass es zweifel-
haft sei, ob es so etwas wi'e eine völlig reine Phan-
t a sie ge b e, also eine Phantasie ausserhalb aller Verknüpfung
5 mit Erfahrungsakten. Im Reich der Erfahrung ist jede Erfahrung
eingebunden einem Erfahrungszusammenhang, und nicht nur
eingebunden dem gesamten Bewusstseinsfluss. Dem letzteren ist
auch jede Phantasie eingefügt, und die Frage ist, ob diese Ein-
fügung es nicht notwendig mit sich bringt, dass das Fiktum Be-
10 ziehung hat zur Wirklichkeit und in dieser Beziehung seine
Durchstreichung hat: was ja erklären würde, dass wir von vorn-
herein Fiktion und Nichtigkeit zu identifizieren pflegen. Man
könnte auch darauf hinweisen, dass wir in jeder Phantasie sozu-
sagen als die Zuschauer mit dabei sind, dass wir dabei immer
15 schon konstituiert sind als wir Menschen in unserer Erfahrungs-
welt, über der die Phantasie zwar schweben mag, aber vielleicht
doch notwendig so, dass sie irgendwo mit der Erfahrungswirk-
lichkeit zusammenstösst. In der Tat, achten wir auf die gewöhn-
lich uns einfallenden Phantasien, so sind es nicht reine, sondern
20 Hineinphantasien, ein Fiktum in ein Stück anschaulicher Er-
fahrungswirklichkeit oder auch dunkel gesetzter Wirklichkeit
hinein phantasierend.

Perzeptive Fikta und ihr Zusammenhang mit der wirklichen


Ertahrungswelt im Widerstreit

25 Hinsichtlich der per z e p t i v e n F i k ta ist es ferner klar,


und das treibt in dieselbe Richtung, dass sie immer den Charakter
durchstrichener Wirklichkeiten haben, das "Bild" hat seinen
Bildraum, aber dieser perzeptive Raum stösst irgendwo (der
Bildrand etwa des an der Wand hängenden Gemäldes bezeichnet
30 solche Kongruenzen) an den wirklichen Raum mit den Wirklich-
keiten der augenblicklichen Wahrnehmung; der unsichtige Teil
des zum Bild gehörigen Raums steht im Widerstreit mit Teilen
des Erfahrungsraums, und von da aus erhält das Bild selbst
seine Bestrittenheit und bei der "Standfestigkeit" des Erfahrenen
35 seine Nichtigkeit. Daneben haben wir natürlich auch mannig-
faltige Fikta, die schon in sich selbst Mischungen sind, der
König auf dem Theater ist ja ein wirklicher Mensch, mit wirk-
510 TEXT NR. 18 (1918)

lichen Kleidern, nur freilich in Wirklichkeit Herr Schauspieler


so und so und nicht König, der Mantel ein Stück der Theater-
garderobe und nicht ein Krönungsmantel usw.

Angeblicher Zusammenhang zwischen reproduktiven Fikta und deI'


5 Ertahrungswelt. Angeblicher Widerstreit und Durchstrichenheit

Ebenso in reproduktiven Phantasien. Näher besehen


finde ich z.B., dass der Zentaur, den ich soeben fingiere, als Hin-
terleib ein Stück eines Pferdes hat, das ich jüngst gesehen habe,
dass das Gesicht der Nixe, die mir vorschwebt, aus einer bekann-
10 ten Person gleichsam herausgeschnitten ist usw. Sind am Ende
alle "Ideen", wie Hume es meinte, "herstammend" von Impres-
sionen, und zwar phänomenologisch verstanden: also in sich
selbst sich gebend als umgebildete Reproduktionen und Mischun-
gen von solchen, und zwar nach Umbildungsformen, die selbst
15 reproduktive sind, also Erfahrungscharakter haben, nur dass alles
hier durch Streit sich zerstört: nämlich seiner schlichten Wirk-
lichkeit nach, und dafür die Durchstrichenheit gewinnt?

Gegenargumentationen

Ich kann mich trotzdem mit dieser Auffassung nicht befreun-


20 den. Ich meine, dass man vor allem die Fragen der Genesis, auch
der rein phänomenologischen Genesis, hier nicht hereinmengen
darf und sich an die Phänomene selbst halten muss. Diese muss
man aber scheiden, und nicht gleichgültig dürften sich die Voll-
zugsmodalitäten erweisen. Auseinanderhalten wird man müssen
25 die Fälle wirklichen Widerstreits, wie im Fall schau-
spielerischer Darstellung, und die Fälle pot e n t i e 11 e n W i d e r-
streits, der an Umgebungsintentionen hängt, die dem an-
schaulichen Gegenstand anhaften, die aber erst "aufgewickelt"
werden müssen, um zu wirklichen Widerstreiten zu führen. Das
30 Bild an der Wand gibt ein perzeptives Fiktum, als ob ich durch
ein Fenster durchsehen würde. Sage ich, in Wirklichkeit ist die
Wand nicht durchbrochen und ist hinter der Wand ein anderes
Zimmer und nicht der Raum des Fiktums mit seinen Gegen-
ständen, so wickle ich schon die intentionalen Horizonte auf, die
35 zu der wirklich gesehenen Wand und dem an der Wand hängen-
TEXT NR. 18 (1918) 511

den Ding Gemälde usw. gehören, wie andererseits zu dem Bild-


raum, der nicht mehr anschaulich gegeben, aber in Umgebungs-
intentionen mittelbar bewusst ist. Die Umgebungsintentionen
müssen erst eine Lebendigkeit entfalten, sich erst auseinander-
5 wickeln, um wirklich zu streiten, und das ist ein besonderer Fall.

Passiver Widerstreit und Durchstrichenheit und aktive Negation

Dieses Aktualisieren ist also im allgemeinen nicht notwendig.


Nur da, wo eine widerstreitende Doppelapperzeption schon beim
anschaulichen' Gegenstand vorliegt, wie bei Puppen, bei toten
10 aber auch lebendigen Puppen (wie Schauspieler es sind), bei einer
Gipsstatue,r die einen Menschen darstellt usw., liegt von vorn-
herein eine passive Durchstreichung vor, die aber aktiviert wird,
wenn wir uns in das Gipsding und dan n in den Menschen hinein-
leben, ihn erfassend und mit dem Erfassen seine Intentionen ver-
15 lebendigend und entfaltend.
Leben wir uns nun in das Anschauliche ein, und zwar in die
eine der streitenden Apperzeptionen, also in die "König" -Apper-
zeption in der Theaterdarstellung, ohne in die andere Apperzep-
tion einzutreten und im Übergang das Widerstreitbewusst-
20 sein zu bilden (ähnlich wie wir "sinnliche Ähnlichkeit" gegeben
haben können, ohne das Deckungsbewusstsein der Ähnlichkeit
als Einheitsbewusstsein im Übergang vom Einleben in das eine
Ähnliche in das Einleben in das andere zu vollziehen), so fehlt auf
seiten des aktiv apperzipierten Gegenstandes die Ne g a ti 0 n
25 der Wirklichkeit, die aktive Verwerfung, die aktive Durch-
streichung, während doch im Rahmen der Passivität das an-
schauliche Objekt nicht in der normalen Wahrnehmung bewusst
ist: Das aber sagt, der Vollzug der Apperzeption "hemmt" die
durch dieselben sinnlichen Daten getragene zweite Auffassung;
30 in dieser Hemmung ist sie aber noematisch charakterisiert, die
Setzung, die zur ungehemmten Apperzeption wesentlich gehört,
d.i. der Charakter ungehemmter (was eine Privation besagt)
Wirklichkeit ist abgelöst durch einen Gegencharakter. Aber wie
das, da wir keine Negation vollziehen, und nicht, was dazu nötig
35 wäre, in das Gegenbewusstsein eintreten? Hier ist die Stelle, wo
wir der Verführung der Interpretation nicht erliegen dürfen, dIe
wir oben als so naheliegend vorangestellt haben. Der passive
512 TEXT NR. 18 (1918)

Charakter ungehemmter Wirklichkeit, der Erfahrungscharakter


ist freilich abgelöst durch den passiven Charakter der Durch-
strichenheit, und so wäre es freilich nicht abzusehen, wie der
blosse Vollzug der einen Apperzeption nicht schon ein Bewusst-
5 sein des Gegenstandes im Charakter der Nichtigkeit ergeben
sollte. Dieser Charakter tritt hier in seiner ersten Stufe auf als
gehemmtes Wirklich, das im Übergang in die andere Apperzep-
tion unter Festhaltung des in der ersten Gegebenen zur aktuali-
sierten Gegebenheit des Widerstreits führt und zum Übergang
10 in das aktuelle Nichtig (von der biossen Gehemmtheit oder Be-
strittenheit), wenn die Aktualisierung der anderen Apperzeption
in der Entfaltung ihrer Intentionen und in ihrer Erfüllung im Zu-
sammenhang zur Bekräftigung derselben führt. Auch diese gibt
zwar zunächst ihren Gegenstand als bestrittenen, auch ihr Wirk-
15lichkeitsbewusstsein hat seine Hemmung: Aber genau besehen
ist doch ein grosser Unterschied: Die Intentionen der einen Apper-
zeption haben ihren Zusammenhang, in dem sie sich ungehemmt
ausleben können, sie sind, wenn wir uns in sie selbst einleben (und
die Gegenapperzeption ausser acht lassen), einstimmig. Und auch
20 ohne jedes Einleben, in der biossen Passivität, gehören sie einem
intentionalen Zusammenhang an, der alle Komponenten trägt,
ihnen Zusammenstimmung, unmittelbare oder mittelbare Er-
füllung verleiht. Anders in der Gegenapperzeption haben wir ein
Stück intentionalen Zusammenhangs, das dieses Vorteils ent-
25 behrt, das in sich (wie bei dem Bildobjekt) anschaulich zusam-
menstimmt, in sich also Intention in Erfüllung und der Erfüllung
neu anhaftende Intentionen wieder in Erfüllung führt, aber dann
an eine Grenze kommt, wo weitere Intentionen in den Kreis der
zweiten Apperzeption hineingreifen, der in sich nach Intention
30 und Erfüllung (auch nach dunkler reproduktiver Intention und
dunkler unanschaulicher Zusammenstimmung mit weiteren sol-
chen Reproduktionen) völlig geschlossen ist und das Hineingrei-
fen nicht verträgt: Die eine Apperzeption führt also unge-
brochenen Glauben mit sich, d.i. ein ungebrochenes Wirklich-
35 keitsbewusstsein (als einstimmiges Zusammengehen von intentio-
nalen Komponenten), und dieses Wirklichkeitsbewusstsein wird
nicht eigentlich bestritten durch das Bewusstsein der anderen
Apperzeption, sondern nur durch dieses mit ihrem Eingreifen
"gestört". Nicht sie ist die bestrittene, sondern die bestreitende,
TEXT NR. 18 (1918) 513

sie bietet das einstimmig bewusste Wirklich, d.i. das Erfahrungs-


Wirklich schlechthin, das feststeht und das den Boden gibt für
die Bestreitung, die Abweisung des anderen Gegenstandes. Dieser
selbst hat den Charakter der modifizierten, der durchgestrichenen
5 Wirklichkeit. In welchem Sinn dann die Interpretation des Zwei-
fels, der Anmutung, der Vermutung (für das überwiegend An-
mutende) zu erfolgen hätte, braucht kaum der Ausführung. Es
braucht ja das sich einstimmig Erfüllen (und zwar auch im Un-
anschaulichen gewissermassen Erfüllen, nämlich Bekräftigen) der
10 Intentionen nicht ein reines <zu> sein, es können in diesen Zu-
sammenhängen ungelöste Widerspannungen übrig sein usw.

Änderung der Erfahrungseinstellung in perzeptive Phantasieeinstellung

Kehren wir wieder zurück zu dem Vollzug der einen, und gera-
de der gehemmten Apperzeption, so kämen wir also nicht über
15 ein, wenn auch nicht vollkommen entfaltet vollzogenes Nichtig-
keitsbewusstsein, nicht über die Stufe der gehemmten oder be-
troffenen Wirklichkeit hinaus, wenn nicht eine neue Einstellung
möglich wäre, die die bestreitende Erfahrung nicht zur Geltung,
gewissermassen nicht zu Worte kommen lässt, und damit auch
20 nicht das, was der Charakter der Hemmung anzeigt. Die Ände-
rung der Einstellung ist nun gerade der Übergang von der Er-
fahrung bzw. der Negation der Erfahrung in die P h an t a sie,
in das eigentümliche Bewusstsein des Als-ob, das, wie man wohl
sagen kann, durch die Hemmung, die hier vorliegt, nur erleichtert
25 wird. Wir lassen uns das Erscheinende gefallen, als ob es Wirk-
lichkeit wäre. Vielleicht kann man sagen, dass eben dasselbe
nicht geradezu unmöglich ist selbst im Fall ungestörter und un-
gehemmter Erfahrung. So, wenn wir eine schöne Landschaft äs-
thetisch betrachten, und wenn uns sie und selbst alle Menschen,
30 Häuser, Dörfer, die wir in ihr erfahrend sehen, als blosse S t a f-
fa g e "gelten".! Wir erfahren zwar, aber wir sind nicht in der
Einstellung der Erfahrung, wir machen die Erfahrungssetzung
nicht wirklich mit, die Wirklichkeit wird uns zur Wirklichkeit als
ob, wird uns zum "Spiel", die Objekte zum ästhetischen Schein:
35 zu biossen, obschon perzeptiven Phantasieobjekten. Hier scheint

1 Von Fikta wird man hier aber nicht sprechen.


514 TEXT NR. 18 (1918)

das Lustgefühl, das die Aspekte der Erfahrungsobjekte erregen,


die, zum aktiven Gefallen gewendet, ein Stück der ästhetischen
Betrachtung machen, eine motivierende Kraft zu haben, oder
mindestens die Phantasieeinstellung zu erleichtern, die selbst mit
5 zum Ästhetischen gehörig ist, auch wo eben Erfahrung der Aus-
gangspunkt ist.
Ich meine aber, es gibt auch, und reichlich, passive Phantasien,
unvollzogene. Phantasien fallen uns ein, als reproduktive Phan-
tasien, und werden erst nachträglich aktiviert, ohne dass aller-
IO erst eine Einstellungsänderung notwendig wäre, von einer un-
modifizierten Reproduktion ausgehend, wie in jenen ästhetischen
Fällen der Ausgang eine unmodifizierte Perzeption, d.i. eine
wahrnehmende Erfahrung war. Ich meine, es gibt leicht pure
Phantasien, die keine bestrittenen Reprod uk-
15 tionen sind (mögen sie wie immer aus Reproduktionen "her-
stammen") und die ihre ursprüngliche Eigenheit darin haben,
dass sie Stücke zusammenhängender Einstimmigkeit der repro-
duktiven Apperzeptionen zeigen, aber mit Horizonten, die völlig
unbestimmt sind und die daher gar nicht entfaltet werden kön-
20 nen. Hier steht die Apperzeption in der "Luft" und wird wohl
darin das Motiv haben, von vornherein im Als-ob vollzogen zu
sein.
*

<b» Ästhetisch künstlerische Darstellung und perzeptive


Phantasie. Objektive Wahrheit in der Phantasiesphäre und
25 in der Erfahrungssphäre. <Revision der früheren Theorie
des Bildbewusstseins als Abbildlichkeit; näher ausgeführt
am Schauspiel>

Die Kunst ist das Reich gestalteter Phantasie, perzeptiver oder


reproduktiver, anschaulicher, aber zum Teil auch unanschau-
30 licher. Es kann nicht gesagt werden, dass die Kunst sich not-
wendig in der Sphäre der Anschaulichkeit bewegen mUss. Ich
habe früher gemeint, dass es zum Wesen der bildenden Kunst
gehöre, im Bild darzustellen, und habe dieses Darstellen als Ab-
bilden verstanden. Aber näher besehen ist das nicht richtig. Bei
35 einer Theateraufführung leben wir in einer Welt perzeptiver
TEXT NR. 18 (1918) 515

Phantasie, wir <haben> "Bilder" in der zusammenhängenden


Einheit eines Bildes, aber darum nicht Abbilder. Wenn Wallen-
stein oder Richard IU. auf der Bühne dargestellt wird, so handelt
es <sich> sicherlich um' abbilclliche Darstellungen, obschon es
5 eine zu erwägende Frage ist, inwiefern diese Abbildlichkeit selbst
ästhetiSiChe Funktion hat. In erster Linie hat es sicher nicht
die Abbilcllichkeit, sondern die Bilcllichkeit im Sinn der perzep-
tiven Phantasie als unmittelbare Imagination. Bei einem bürger-
lichen Lustspiel oder Schauspiel fällt die Abbilcllichkeit offenbar
10 fort und ebenso bei Erzählungen, auch wenn sie mit "es war
einmal" beginnen, wie üblicherweise die Märchen. Es sind an-
schauliche oder partiell anschauliche Reproduktionen von Ver-
gangenem, die uns dargeboten werden, und zwar jm Modus der
Vergangenheits-Phantasie, und evtl. ganz reiner Phantasie, wie
15 in den Hofmannsthalschen Märchen.
Um die Sache am Schauspiel noch näher auszuführen, so
sprechen wir von schauspielerischer Darstellung und nennen sie
vielleicht auch bilclliche Darstellung. Die Schauspieler erzeugen
ein Bild, das Bild eines tragischen Vorgangs, jeder das Bild einer
20 handelnden Person usw. Aber "Bild von" besagt hier nicht Ab-
bild von. Und was davon zu scheiden ist: Die Darstellung des
Schauspielers ist auch nicht eine Darstellung in dem Sinn, in dem
wir von einem Bildobjekt sagen, dass sich in ihm ein Bildsujet
darstelle. Weder der Schauspieler, noch das Bild, das seine Lei-
25 stung für uns ist (Darstellung des Schauspielers heisst hier also
die Erzeugung eines "Bildes" mittels seiner wirklichen Tätig-
keiten und darunter seiner Bewegungen, seines Mienenspiels,
seiner äusseren "Erscheinung", die sein Erzeugnis ist), ist Bild-
objekt, in dem sich ein anderes Objekt, ein wirkliches oder selbst
30 fiktives Bildsujet abbildet. Ein wirkliches Abbilden liegt vorbei
einem Porträt, das übrigens ebensowohl das einer wirklichen oder
das einer fingierten Person sein kann. Und hier mag die Abbild-
lichkeit übrigens selbst ins ästhetische Bewusstsein als solches
fallen. Wo aber ein Schauspiel dargestellt wird, da braucht gar
35 kein Abbildungsbewusstsein erregt <zu> werden, und was da er-
scheint, ist ein reines perzeptives Fiktum. Wir leben in der Neu-
tralität, wir vollziehen hinsichtlich des Angeschauten gar keine
wirkliche Position, alles, was da vorkommt, was da ist an Dingen
und Personen, was da gesagt, getan wird usw., alles hat den
516 TEXT NR. 18 (1918)

Charakter des Als-ob. Die lebendigen Menschen, die Schauspieler,


die realen Dinge genannt Kulissen, wirkliche Möbel, wirkliche
Vorhänge, usw. "stellen dar", sie dienen dazu, uns in die künst-
lerische Illusion zu versetzen. Nennen wir jeden Fall, wo eine
5 perzeptive Phantasie durch wirkliche Dinge "erregt", sagen wir
lieber, auf dem Hintergrund von Wahrnehmungen und evtl.
sonstigen Erfahrungen von wirklichen Dingen erzeugt ist, und
zwar so, dass in ihnen sich das künstlerische Objekt darstellt,
eine 111 u s ion, so haben wir es hier mit Illusionen zu tun. Was
10 aber charakterisiert dann diese "Darstellung"? Bei einer Illusion
im gewöhnlichen Sinn, als einem "Schein", dem wir "unterlie-
gen", ist eine Wahrnehmung vollzogen, die bei identifizierendem
Übergang in andere Wahrnehmungen oder in reproduktive Er-
fahrungen in eine andere Wahrnehmung überspringt, die mit der
15 ursprünglichen, die dann als illusionär charakterisiert ist, in
Widerstreit steht, sich mit ihr durch partielle Identität von per-
zeptiven Momenten deckt, nach anderen aber streitet, so dass
eine Durchdringung von zwei unverträglichen perzeptiven Ob-
jekten erfolgt, die <nur> in Abwechslung perzipierbar sind, wobei
20 das eine seine Erfahrungsthesis durch die Bekräftigung von seiten
der Umgebungserfahrungen behält, das andere, das illusionäre,
seine ursprüngliche Thesis in der Weise der Durchstreichung modifi-
ziert hat, und modifizieren musste (die Durchstreichung ursprüng-
lich motiviert). Im Fall der schauspielerischen Darstellung er-
25 scheint das Schauspiel, dieser Ausschnitt einer Scheinwelt, aber
wir beginnen da nicht mit einer normalen Wahrnehmung. Wir
beginnen nicht mit der Thesis der Wirklichkeit des perzeptiv Er-
scheinenden. Andererseits besteht auch hier der Widerstreit, der
nur nicht nachträglich durch neue Erfahrungen sich konstituiert,
30 sondern von vornherein da ist: Wir "wissen", dass da Schau-
spielerei statthat, dass diese Pappekulissen und Leinwände keine
wirklichen Bäume sind etc. In einer gewissen inaktuellen (passi-
ven) Weise hat alles da "Gesehene" den Charakter des Nichtigen,
des Durchstrichenen oder besser, nach seiner Wirklichkeit Auf-
35 gehobenen: Aber wir, die wir keine Kinder sind, vollziehen
hier keine Durchstreichung als tätige Negation, ebensowenig wie
wir das Wirklichkeitsbewusstsein der Erfahrung, in dem uns die
Schauspieler und die "darstellenden" Dinge als Wirklichkeiten
gegeben sind, aktiv vollziehen. Also nicht wie bei der Illusion, wo
TEXT NR. 18 (l918) 517

wir uns auf den Boden der Erfahrung stellen, für das Erfahrene
Partei nehmen gegen das Illusionäre, das wir aktiv negieren,
durchstreichen. Und es ist auch zu beachten, dass wir nicht
zwischen Wirklichkeit und Schein anschauend abwechseln, so
5 dass auch abwechselnd wie bei jedem Widerstreit im Rahmen der
Anschauung das eine Angeschaute gewissermassen verdeckt ist,
solange eben das andere wirklich angeschaut ist. Vielmehr ohne
Abwechslung haben wir von vornherein nur das künstlerische
"Bild", und das als Darstellung fungierende Wirkliche, das un-
10 modifiziert Erfahrene ist beständig verdeckt. Verdeckt, ist aber
bewusst, nur unanschaulich und in der eigentümlichen Weise, die
hier das Wort Verdeckung andeutet.
Wir stellen uns von Anfang an in dieser Art auf den Boden der
"Illusion", des "Scheins", der für uns anderwärts her, aus ande-
15 ren, uns hier nicht interessierenden Quellen als "ästhetischer"
Schein charakterisiert ist. Mit anderen Worten, wir stellen uns
auf den Boden der Phantasieanschauung. Aber nicht nur über-
haupt so, dass wir anschauend nur das eine Glied des Wider-
streits, und zwar das durchstrichene, bevorzugen und dass wir
20 die aktive Durchstreichung unterlassen, wie andererseits die ak-
tive Position der'verdeckten Erfahrungswirklichkeiten und des
ganzen Zusammenhangs von weiteren Erfahrungswirklichkeiten,
die sich über das Podium durch das Orchester in das Publikum
usw. erstrecken und für uns beständig und nach dem unverdeck-
25 ten Teil auch wahrnehmungsmässig da sind. Wir vollziehen keine
dieser ,positiven und negativen Wirklichkeitssetzungen, besagt
nicht, dass wir keine Setzungen überhaupt vollziehen. Im Gegen-
teil, wir nehmen wahr in aktiver Weise, wir urteilen in aktiver
Weise, wir vollziehen Erwartungen, wir hoffen und fürchten, wir
30 trauern und sind freudig bewegt, wir lieben und hassen usw.
Aber all das "in" der Phantasie, im Modus des Als-ob. In welcher
Weise stellen also die schauspielernden Menschen, und wir könn-
ten ganz gut auch sagen, die schauspielernden Dinge die künst-
lerischen quasi-Wirklichkeiten dar? Vom Gesichtspunkt der
35 Mache, der schauspielerischen Zielgebung und Ins-Werk-Setzung
können wir sagen: Gewisse Dinge erweisen sich, wie die "Er-
fahrung" lehrt (es ist freilich keine blass schlichte Erfahrung),
geeignet, eine doppelte Apperzeption, und zwar eine doppelte
perzeptive Auffassung zu erregen, ihre wahrnehmungsmässigen
518 TEXT NR. 18 (1918)

Erscheinungen bzw. diejenigen gewisser in dieser Hinsicht gün-


stigen Umstände schlagen leicht um in andere perzeptive Er-
scheinungsweisen, und zwar so, dass beiden in Widerstreit-Ein_
heit tretenden Perzeptionen der eigentlich perzeptive Bestand
5 gemein ist oder fast ganz gemein ist, während der Bestand an
uneigentlich Perzipiertem (an Mitwahrgenomrnenem) beiderseits
das Widerstreitverhältnis begründet. Und diese Dinge werden
nun unter solchen Umständen der Wahrnehmung bzw. dem per-
zeptiven Widerstreitsbewusstsein dargeboten und soll e n uns
10 veranlassen, uns auf den Boden der durchstrichenen Perzeption
in der Wendung einer biossen Phantasie zu stellen, also eine rein
perzeptive Phantasie zu inaugurieren. Wir verstehen diese Ab-
sicht und gehen ins Theater, um ihr genugzutun und dadurch
ästhetischen Genusses teilhaftig zu werden. Nun abgesehen von
15 Mache und Absichten ist eben dies das Faktum, dass, während
der perzeptive Widerstreit Erlebnis ist, ein Vollziehen der einen
Seite im Sinn perzeptiver Phantasie (Fiktion) statthat. Das Fik-
turn aber stellt sich in dem Sinn im wirklichen Ding dar, als dieses
unter gegebenen Umständen in seiner "eigentlichen" perzeptiven
20 "Erscheinung" genau das bietet, was das "eigentlich Perzipierte"
des Fiktums ist. Aber das ist natürlich nur Reflexion und ein In-
Beziehung-Setzen der beiden Einstellungen und ihrer Gegeben-
heiten.
Im fingierenden Erleben, oder in der Einstellung, in der
25 wir in der "Bild"-Welt leben, haben wir nichts von der wirk-
lichen Welt der Erfahrung, und speziell der Erfahrung der zur
Darstellung dienenden Realitäten vollzogen, diese Welt ist für
uns nicht gesetzte, sondern ausgeschaltete Welt. Das betrifft
auch die Möbel, die genau so wirkliche sind, wie sie in der Bild-
30 welt Fikta sind. Sie sind nicht Bilder für Fikta, sie sind in der
Einstellung des im Spiel lebenden Zuschauers nicht wirkliche
Möbel, die zu etwas dienen, sondern Möbel in dem Zimmer des
Präsidenten u. dgl., also Phantasiemöbel. Auch sie sind also
"Schein" und haben ihren Widerstreit mit der realen Wirklich-
35 keit, der die wirklichen Möbel angehören. Denn Möbel sind Ge-
brauchsobjekte und haben als solche im Zimmer stehend ihre
ausgesprochene Funktion. Das Zimmer aber ist ein durch Wider-
streit dargebotenes Fiktum, der Gebrauch, dem sie unterzogen
werden und für den sie da sind, ist durch Widerstreit aufgehobe-
TEXT NR. 18 (1918) 519

ner und im Fiktum dargebotener Gebrauch, Gebrauch für die


Personen des Fiktums, die sich darauf setzen usw., wobei das
Setzen nicht ein wirkliches, sondern ein Phantasiesetzen ist, ob-
schon sich zugleich der Schauspieler wirklich setzt (was aber nur
5 heisst, dass er all die Bewegungen vollzieht, dass er die Muskel-
gefühle hat, dass in den Muskeln die entsprechenden physiolo-
gischen Prozesse verlaufen - was aber alles nicht das "Sich-
setzen" wirklich schon ausmacht). An keiner Stelle aber tritt
hier Darstellung im Sinn von Abbildung auf, d.i. das Bewusst-
10 sein, in dem ein perzeptives Fiktum ein anderes, sei es wirkliches
oder selbst fiktives Objekt bewusstmacht, abbildend "meint".
So bietet uns also in der Tat die Kunst eine unendliche Fülle
von perzeptiven Fiktionen, und zwar auch von rein per-
zeptiven Fiktionen dar, ebenso wie von rein reproduktiven.
15 Dabei sind die Phantasien nicht frei von uns vollzogen (der
schöpferische Künstler allein hat hier Freiheit und betätigt sie
nur in Bindung an ästhetische Ideale), sondern sie haben ihre
Objektivität, sie sind uns vorgeschrieben, uns aufgenötigt, analog
wie Dinge der Wirklichkeit uns aufgenötigt sind, als etwas, das
20 wir hinnehmen müssen. Analog und doch natürlich nicht ganz in
derselben Weise.
Aufgenötigt sind uns auch die reproduktiven Phantasien der
erzählenden Kunst. Im vorigen Fall sind sie aufgenötigt durch
die Folge der in beständigem Erfahrungswiderstreit auftretenden
25 Perzeptionen und im jetzigen Fall durch die Folge der gesproche-
nen oder geschriebenen Wo r t e. Genau besehen haben wir auch
hier eine eigene Art empirischer Phantasiemodifikation, nämlich
an den Zeichen, die entweder wirkliche Zeichen sind, als Zeichen
wirklich existierend, zur wirklichen und nicht zu einer Phantasie-
30 welt gehörend, obschon nicht erfahren wie Dinge, so erfahren wie
sozusagen psychophysische, wie geistige Bedeutung in der geisti-
gen Welt tragende Zeichenobjekte - oder Zeichen-Fiktionen,
Zeichen als ob. Die gedruckten Worte sind in der künstlerischen
Verwertung eigentlich auch mit Widerstreit behaftet. Sie geben
35 sich als Worte schlechthin, das ist ihre "Erfahrungs"-Apperzep-
tion. Aber diese ist durchgestrichen, denn in Wahrheit sind sie in
der Erfahrungswelt gedruckte schwarze Figuren, etwa auf dem
Papier, mit Bedeutungen, die natürlich im Erfahrungszusammen-
hang eine Durchstreichung tragen und trotz dieser Durch-
520 TEXT NR. 18 (1918)

streichung in Phantasiebildeinstellung als quasi-Bedeutungen an-


genommen werden.
überall dient ein in der Erfahrungswelt 'vorhandener und dar-
um bindender Bestand an Erfahrungswirklichkeiten durch seine
5 Gegebenheitsweise als bindende Nötigung, wobei auch das Ver-
ständnis der künstlerischen AbSicht, der wir folgen ,wollen (also
das Sich-hingeben gegenüber einer empirisch gesetzten fremden
Absicht), seine Rolle spielt.
IntersubJektive "Existenz" hat der Roman, das Schauspiel
10 nach seinem bestimmten Bildbestand und Bildzusammenhang,
sofern jedermann, der die "darstellenden" Erfahrungsobjekte
sich zur Erscheinung bringt unter den passenden Umständen und
die nicht an der zufälligen Subjektivität hängenden Widerstreite
vollzieht, der künstlerischen Intention frei folgt usw., denselben
15 Roman, dasselbe Stück fingierten Lebens, fingierter Schicksale
usw. sich zur quasi-Erfahrung bringt und bringen muss.
Demnach haben auch die beschreibenden Aussagen, die Ur-
teile über die Charaktere, über ihre zu erwartende Entwicklung
usw. eine Art objektiver Wahrheit, obschon sie
20 sich auf Fikta beziehen. Es sind nicht selbst Urteile, die
zum fingierten dichterischen Sujet gehören, in ibm vollzogen
werden: denn wir, und nicht vorzeichnend der Dichter, urteilen;
obschon wir aber, wir wirkliche Menschen, urteilen, so sind die
Urteile doch nicht normale Urteile. Sie beziehen sich auf die Per-
25 sonen, Handlungen als ob, sie drucken zunächst aus, was wir
in der fingierenden Einstellung erwarten, also was als Erwartung
im Als-ob von uns vollzogen wird. Und beschreiben wir den Gang
der Handlung, den Charakter der Persönlichkeiten, ihre Motive
etc., so leben wir zunächst ganz in der Phantasie und wiederholen
30 sie nicht bloss, reproduzieren sie nicht bloss, sondern wir legen im
Als-ob ihren Sinn auseinander, wir folgen im Als-ob den ange-
deuteten Motivationen, erfüllen die Intentionen, holen heraus,
was in der nicht wirklich anschaulich quasi erfahrenen Innerlich-
keit an Gedanken, Gefühlen, an verborgenen dunklen Motiven
35 etc. lebendig ist, wirksam ist usw. Das alles im Als-ob, und dem
geben wir Ausdruck in Aussagen, die also zunächst auch Als-ob-
Charakter haben. Und doch eine gewisse Wahrheit haben sie. die
über den biossen Ausdruck des reproduzierten, des wirklich gege-
benen Fiktums hinausgeht. Daher gibt es hier Streit, der nicht
TEXT NR. 18 (1918) 521

bloss die Zuverlässigkeit der Erinnerung betrifft, sondern fort-


besteht, wenn das Kunstwerk selbst herangezogen und als wie
ein Rückgang auf wiederholte Erfahrung desselben Dinges als
Mass der Objektivität benützt wird.
5 Urteilt eine der fingierten Personen über Personen, Gegenstän-
de, Verhältnisse, <die selbst> ·mit zum künstlerischen Bildfiktum
gehören, so ist zwar dieses Urteil selbst Fiktum, aber es hat doch
seine Wahrheit und Falschheit. Es kann wahr und falsch über
das Kommende der fingierten Geschehnisse urteilen, es kann ver-
10 nünftig oder unvernünftig in Beziehung auf sie Vermutungen
haben, Schlüsse ziehen, und ebenso über Vergangenes. Nicht alle
Tatsachenu.rteile, die es fällt, sind auf Grund des Verlaufs der
Bildhandlnngen und Tatsachen zu verifizieren, sofern die Bild-
welt eine Welt ist, von der nur ein Ausschnitt in quasi-Erfahrun-
15 gen zur Gegebenheit gebracht wird. Aber alle Tatsachenurteile,
die in diesem Ausschnitt ausreichende Anhaltspunkte der Verifi-
kation finden, sind als Wahrheiten und Falschheiten auswertbar:
abgesehen von den Wesensurteilen, die des quasi-Faktums dieser
Welt nicht bedürfen und ihre verifizierbare Wahrheit und Falsch-
20 heit haben von ihr abgesehen - eben auf Grund von Fiktionen,
wenn auch nicht denen dieser Welt. Die letzteren sind gebunden,
die ersteren frei und sind als solche wie der wirklichen, so jeder
möglichen Welt adjungierbar. Dabei aber sind gleichwohl alle
fraglichen Urteile quasi-Urteile, und wir können auch hinzufügen
25 quasi-Wahrheiten und quasi-Falschheiten. Von diesen sind die
eidetischen frei umwendbar in wirkliche Wahrheiten, die Tat-
sachenwahrheiten nicht in wirkliche Tatsachenwahrheiten. Da-
gegen sind diese umwendbar in hypothetische Wahrhei-
te n, bezogen auf hypothetisch gesetzte Gegenständlichkeiten
30 wirklicher Erlebnisse, wirklicher fingierender Akte. Ich sage um-
wendbar:,Denn der Fingierende lebt in der Fiktion, d.h. er lebt
im Vollzug der quasi-Erfahrungen, quasi-Urteile etc., und soweit
er das tut, setzt er weder die wirkliche Erfahrungswirklichkeit
noch sich selbst und mischt nicht beides zusammen bzw. lässt
35 nicht das eine im anderen zum Nichtigen werden und macht auch
nicht Hypothesen, als ob neben der Wirklichkeit, die ist, noch
anderes wirklich wäre, oder Hypothesen, es wäre dieser oder
jener Teil der aktuellen Wirklichkeit, ja gar sie ganz, nicht und
bloss das Fingierte, wobei er doch sich selbst als aktuelle Wirk-
522 TEXT NR. 18 (1918)

lichkeit behält Die quasi-Urteile sind Modifikationen wirklicher


Urteile, aber sie sind doch "Stellungnahmen", nur eben Gegen-
bilder andel"er Stellungnahmen. In ihrer Modifikation haben sie
I

Normen der Richtigkeit und Falschheit. Es gelten für sie alle


5 logischen Gesetze und alle normativen Gesetze sonst: Die Log i k
bevorzugt nicht die gegebene Wirklichkeit, sie bezieht sich auf
jede mögliche Wirklichkeit, sie spricht Gesetze aus, die für jedes
mögliche Urteilen gelten, und das ist nur eine Wendung der oben
dargestellten Sätze. Freilich ist das richtig zu verstehen.
10 Von dem aktuellen Ich aus, für das jeder Urteilende sein eigenes.
ansetzen kann, geht ein Reich aktueller wirklicher und möglicher
. Erfahrung aus, und diese Möglichkeit besagt nicht Phantasie-
möglichkeit, sondern, wie hier nicht näher auszuführen, mit der
wirklichen Erfahrung in gewissem Rahmen vorgezeichneter, in
15 ihr verankerter bzw. im Fall des Eintretens durch sie motivierter,
durch Erfüllungszusammenhänge mit ihr vereinter Erfahrung.
Oder das aktuelle Ich hat als Korrelat seiner aktuellen Erfah-
rung und der alle mögliche Erfahrung vorzeichnenden Horizonte
eine faktische Welt, die partiell anschaulich gegeben, partiell noch
20 nicht bestimmte, aber in dem motivierten Fortschreiten der Er-
fahrung zu bestimmende ist. Diese Welt ist ein e Welt, und sie ist
die eine und selbe Welt für jeden Erfahrenden, der in dieser Welt
als Umgebungswelt des erst vorausgesetzten Ich Erfahrungsob-
jekt ist, leiblich in sie hineingehört und geistig durch einfühlende
25 Erfahrung nachverstehbar ist.
Was aber das Reich der Fiktion anlangt, die dem Er-
kennenden zu Gebote steht, so ist es nicht ein Reich mit einer
Geographie sozusagen und einer gesetzmässigen Verfassung,
sondern jedes reproduktive Fingieren ist frei, und Fiktionen
30 können zusammenhängend sein, können als quasi-Erfahrungen
zu der Einheit einer Erfahrung zusammenstimmen, mit dem
Korrelat einer fingierten und in diesen Erfahrungen partiell an-
schaulichen Welt: aber sie können einerseits auch ganz unzu-
sammenhängend sein, können so aneinander gereiht sein, dass sie
35 weder miteinander stimmen noch miteinander streiten, weil jeder
gemeinsame Boden fehlt, den vereinheitlichende Fiktionen her-
zustellen hätten, oder sie können zwar schon zusammenstimmend
sein, aber hinsichtlich ihrer offenen Horizonte unbestimmt, und
dann fehlt der "Zwang" aktueller Erfahrung, der bestimmend
TEXT NR. 18 (1918) 523

wäre, für den hier nur Fiktion, etwas frei Variables innerhalb ge-
setzmässiger Wesensformen einzutreten hätte.
Demnach ist das Reich der aktuellen Erfahrung, die an die Ak-
tualität des Erkennenden und seiner Erfahrungen gebunden ist,
5 ein einziges und festes; andererseits sind der Phantasiewelten un-
endlich viele, sie sind eine nicht ganz ungeordnete und nicht ganz
geordnete, also alles in allem ungeordnete Mannigfaltigkeit von
unendlich vielen möglichen Welten, deren jede die Idee des Kor-
relats einer einstimmigen und bestimmten Ordnung von Fikti-
100nen darstellt, die sich einheitlich verbinden, analog wie wirk-
Hche Dinge in der wirklichen Welt sich verbinden. Aber diese
Idee hat zwar ihren formalen Rahmen, aber es fehlt ihr die Be-
stimmtheit der Vorzeichnung in der Anfügung von Fiktionen an
Fiktionen innerhalb dieses Rahmens (der Idee einer Natur über-
15 haupt). Jede Tatsachenwahrheit im schlichten, unmodifizierten
Sinn, also jede Erfahrungswahrheit, die in wirklicher Erfahrung
ihren Grund hat, ist apriori, d.i. vor wirklicher Erfahrung ent-
schieden. Jede Unbestimmtheit im Tatsachengebiet ist vor aller
bestimmenden Erfahrung, also apriori bestimmbar. Das
20 sagt, der Erkennende kann sie nur aposteriori entscheiden, auf
Grund wirklicher Erfahrungen. Aber er weiss, dass in der Welt,
der wirklichen Welt, nichts an sich offen bleibt, sondern an sich
alles individuell voll bestimmt ist. Die Welt hinter den fernsten
Gestirnen, in die unsere Erfahrung bisher reichte, ist unbekannt,
25 aber sie ist empirisch erkennbar, sie ist an sich bestimmt, und Er-
fahrungen sind möglich, und nicht im Sinn von biossen Fiktionen
möglich, die uns in diese objektive Welt, diese an sich seiende
führen. Anders hinsichtlich einer in Fiktion installierten Welt.
Im Rahmen, den die zusammenhängende Einheit von Erfahrun-
30 gen gesteckt hat, gibt es objektive Wahrheit als quasi-Wahrheit,
aber doch als bindende Wahrheit. Aber sie reicht nur so weit, <als>
die zusammenhängende Fiktion durch das aktuell zur Anschau-
ung Gebrachte und durch das nach logischen <Gesetzen> darin
Beschlossene (eidetisch und erfahrungslogisch) Vorzeichnung ge-
35 leistet hat. Darüber hinaus ist jede Aussage völlig unbestimmt.
Auf die Frage, was der phantasierte Zentaur am Phantasiemor-
gen essen wird, mit wem er sich unterhalten oder kämpfen wird,
gibt es keine Antwort. Die entsprechende, willkürlich anzusetzen-
de Aussage ist weder wahr noch falsch. Ich entscheide sie nicht,
524 TEXT NR. 18 (1918)

wenn ich hinterher dazufingiere, dass er eine Ziege verspeisen


wird: Hätte ich es von vornherein dazuphantasiert in einstimmi-
ger Fortführung meiner Fiktionen, so wäre die "Wahrheit" vor-
gezeichnet gewesen. So aber kann ich ebensogut das eine wie das
5 Entgegengesetzte hinterher dazufingieren, und nur wo die Aus-
sagen eidetische Unstimmigkeiten ansetzen, sind sie im Voraus
falsch; die Wesensurteile werden durch die Fiktion nicht gewan-
delt, wie wir schon gesagt haben. Natürlich ändert sich nichts
am Gesagten dadurch, dass wir auch Fiktionen haben, die uns
10 wie die künstlerischen binden. Die freie künstlerische Fiktion und
die in der aktuellen Welt vollzogene Gestaltung von Mitteln der
Bindung der Fiktionen für den Kunst Aufnehmenden schafft eine
Vorzeichnung. Aber sie reicht nur so weit, als der Künstler seine
einheitlichen Gestaltungen an solche Vorzeichnungen band, und
15 darüber hinaus ist alles wieder leere Möglichkeit, die durch be-
liebige Phantasien in beliebigem Sinn auszugestalten ist. Die
Perzeption als solche macht nichts aus. Man sieht das daran,
dass wir nicht miteinander in einer reinen Phantasiewelt ständen
und dass sich offenbar am Gesagten gar nichts änderte, wenn wir
20 dieselbe unmittelbare Freiheit perzeptiver Phantasie wie repro-
duktiver <hätten>: also wenn wir willkürlich halluzinieren könn-
ten.

BEILAGE LVI
<OB VOM SELBEN GEGENSTAND, DER EINMAL WIRKLICHKEIT
25 IST UND DAS ANDERE MAL NICHT EXISTIERT, DEMSELBEN,
DER JETZT IST, ABER EBENSOGUT IN IRGENDEINER
BELIEBIGEN ZEIT DASEIN UND ANFANG UND ENDE SEINES
DASEINS HABEN KÖNNTE, ZU SPRECHEN SEI - FIKTUM
UND MÖGLICHKEIT - APRIORISCHE SÄTZE ÜBER
30 ERFAHRUNGEN UND PHANTASIEN>
<wohl 1918>

<Inhalt:>
Sich-denken, dass derselbe Vorgang, der jetzt verlaufend ist, gestern
gewesen wäre. Sich zurückgeschoben denken an eine beliebige frühere
35 Zeitstelle. Was ist hier das Identische? Wie im Raum? Neuer Begritt
vom Inhalt gegenüber Form (als Raumlage) - was in der Bewegung
identisch bleiben kann. Oder: "Dieselben" Gegenstände in verschiedener
Raumlage (sc. Gleichheit). Verhältnis der beiden durch Zeitlage und
BEILAGE LVI 525

Raumlage bestimmten Inhtilte. "Dieselben" Gegenstände in Phantasie


und Wirklichkeit, und bei verschiedenen Zeitmodalitäten. Interpretation
dieser Identität. Keine Identität von Positionalem und Phantasiegegen~
stand. Apriorische Sätze über Erfahrungen (in Beziehung auf die Zeit
5 des Erfahrenen) nach ihrem Auftreten in einer Subjektivität und in
mehreren. Wiederholbare Erfahrungen. Apriorische Sätze für Phanta-
sien: beziehungslose Phantasienletc.

Erfahrende Anschauungen sind Individualität gebende, so sag-


ten wir!. Sie sind, sagten wir ferner, Anschauungen hinsichtlich des
10 gegenständlichen Inhalts. Sie heissen aber doch Anschauungen von
Gegenständen. (Individuen). Und ist dann nicht eigentlich, was da
Inhalt heisst, der Gegenstand selbst?
So sagen wir ja auch allgemein: 2 Dieser Gegenstand, der hier ist
und den ich jetzt wahrnehme, dieser Vorgang, der jetzt statthat, hätte
15 auch gestern sein bzw. erfolgen und mir jetzt in Erinnerung gegeben
sein können, oder mir als, morgen eintretender in Erwartung stehen.
Also derselbe Gegenstand in verschiedenen Zeitmodalitäten nicht nur,
sondern wirklich in verschiedenen Zeiten, wobei nicht die Meinung
ist, dass derselbe Gegenstand durch diese verschiedenen Zeiten hin-
20 durch dauernd sei. So sage ich ja, es hätte sein können, dass mein Da-
sein und Leben in eine Zeit nach tausend J abren erst gefallen wäre. In
verschiedenen.Zeitmodalitäten kann jeder Gegenstand gegeben sein,
und ist er gegeben. Ich erwarte ein Ereignis, ich sehe es und habe es
gegenwärtig, und nachher ist es vergangen, ich habe es in Erinnerung.
25 Hier gehört zum identischen Gegenstand als identischer Wirklichkeit
sein Inhalt und seine Zeitlage (seine Zeit), und er ist nur in wechseln-
den Zeitmodis oder Wirklichkeitsmodis gegeben. Aber wir denken uns,
gemäss jenen vorangehenden Reden, "denselben" Gegenstand in ver-
schiedene Zeiten versetzt. Ist derselbe Gegenstand dann nicht der
30 "Inhalt"? Es ist bei diesem Verschieben so, als ob wir den "Gegen-
stand" durch das Kontinuum der Zeit bewegen würden; in der Tat
steht ja in dieser Betrachtungsweise nichts im Wege, sich diese "Ver-
schiebung" als kontinuierlich vollzogen zu denken. Hinsichtlich der
Räumlichkeit steht die Sache nicht ganz so. Die absolute Lage
35 gehört auch zum räumlichen Gegenstand, wie die Zeitlage zu jedem
Gegenstand überhaupt. Aber die Raumlage gehört nicht für sich und
nicht als bestimmte fest zum Gegenstand, sondern zu ihm nur als
Raumlage in Verbindung mit der Zeitlage.
Der Gegenstand hat eine absolute Zeitlage, d.h. er erstreckt sich
40 werdend durch die Zeit, und diese ganze Werdensstrecke ist nach allen
Zeitpunkten fest lagenmässig bestimmt und so als Ganzes unverrück-
bar in der Allzeit. Was aber die Raumlage anlangt, so ist sie nicht ein

1 Später eingefügt: ,,<S.> 13ff.", d.i. S. 499,32ff. in Nr. ISa. - Anm. d. Hrsg.
2 Der gegenständliche Inhalt = der "Gegenstand", der als identisch gedacht wer-
den kann in verschiedenen getrennten Zeitdauern = das konkrete Wesen.
526 BEILAGE LVI

fester Ausschnitt, ein endlicher oder unendlicher aus der Fonn des
Allraums, sondern nur für jeden Zeitpunkt der Dauer ist die Raumlage
als absolute, lagenmässig nach allen Punkten bestimmte Gestalt ein
bestimmter Ausschnitt des Raums. Im Werden des Gegenstandes kann
5 sich unter dem Titel Bewegung dieser Ausschnitt wandeln, eine konti-
nuierlich neue Lage nimmt er dann im Raum an. Also Raumlage des
Gegenstandes ist also eine Funktion der absoluten Zeitlage und eine
eindeutige. Freilich insofern haben wir doch die Analogie, als die Idee
der Unveränderung einen neuen Begriff von Inhalt gegenüber "Fonn"
10 (nämlich Raum lage) bezeichnet.! In der blossen Bewegung verharrt
der Inhalt identisch oder der Gegenstand bleibt derselbe, nur die Lage
wechselt. Zwei gleiche Gegenstände in verschiedener Raumlage haben
denselben "Inhalt". In der "Veränderung" wird der Gegenstand ("der-
selbe") ein anderer, also ein anderer Gegenstand. Hier bezieht sich die
15 Anderheit also auf den Inhalt im zweiten Sinn, der uns bei Raum-
gegenständen entgegentritt. Der Inhalt des Gegenstandes schlechthin
als des Individuums, der zeitlagenmässig bestimmte Inhalt, ist das
konkrete Wesen, und das umspannt den Inhalt im zweiten Sinn, d.i.
das nach Lage im Raum bestimmte, während der Gegenstandszeit (der
20 ausgedehnten Zeitlage, nach ihren verschiedenen Lagenpunkten), sei
es identisch verbleibende, sei es sich wandelnde räumliche Wesen: die
qualifizierte räumliche Gestalt. (Die dann ihrerseits wieder ihre
Scheidung nach Form und Inhalt hat: räumliche Gestalt, oder deut-
licher, geometrische Körperlichkeit und das über sie ausgebreitete
25 quale, ihre Qualifizierung, wie wir auch sagen.)
Unter der Fiktion eines eindimensionalen Raumes können wir das
Vereintsein der beiden Inhalte so zeichnen

<Raum>
<Unveränderung>

aa' die räumliche Ausdehnung


schwarze Tintenfarbe2 die Qualifizierung
30 das ausgefüllte schwarze Quadrat das konkrete Wesen individualisiert.
Im Fall der Veränderung hätten wir

1 Der gegenständliche Inhalt = das gegenständlich Identische in der biossen Be-


wegung, das sozusagen phoronomische Wesen.
2 Im Druck die fette Linie von abis b auf der "Zeit"-Achse. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LVI 527

Aber das ist noch nicht korrekt. Der eindimensionale Raum hat
zwei Sei t e n, und in jedem Zeitpunkt kann doch überhaupt die
Raumstrecke beliebig aus der Zeit herausgegriffen sein, die Zeit ist
aber auch nicht eine bestimmte Linie, sondern alle Horizontalen sind
5 dIeselbe eine Zeitkontinuität, also:

Sage ich, derselbe Gegenstand, der jetzt ist, wäre denkbar in jeder
Zeit, in jeder könnte er anfangen, fortdauern und enden, als völlig
derselbe, sage ich, derselbe Gegenstand, der mir jetzt als Fiktum
vorschwebt, könnte jetzt wirklicher Gegenstand sein (und dann in
10 jeder Zeit sein), und dieses Ding da, diese Erde und Gestirne usw., die
in Wirklichkeit sind, brauchten nicht zu sein, es wäre möglich, dass
sie genau dieselben nur in Fiktion, nur als Möglichkeiten wären - so
könnte es scheinen, dass wir den identischen "Vorstellungsinhalt", das
konkrete Wesen, das doch das hier in diesen Gegenüberstellungen
15 identische ist, geradezu als Gegenstand bezeichnen würden. Was hier
als Gegenstand bezeichnet ist, scheint doch unempfindlich zu sein
gegenüber allen Modalitäten der Wirklichkeit und Phantasie, gegen-
über allen Zeitmodi und Zeitlagen, gegenüber Sein und Nichtsein.
Aber ist, wie es dann äquivalent heissen muss, "Gegenstand" das Iden-
20 tische von Erfahrungen und entsprechenden Phantasien, dann ist es
doch ein Wes e n, ein Allgemeines.
Darauf wird wohl die Antwort lauten müssen: Von einem individuel-
len Gegenstand sprechen wir, wenn wir in erfahrender (oder quasi er-
fahrender (phantasierender)) Einstellung sind, und diese Einstellung
25 besagt, dass wir Akte vollziehen, die immerfort "dasselbe" meinen,
dabei in Deckung der Übereinstimmung miteinander sind und von
der intentionalen Tendenz auf Erfüllung durchherrscht sind, also da-
hin tendieren, sich mit erfahrenden (oder quasi erfahrenden) Akten
zu decken und damit zu erfüllen. Individuum ist ja konstitutives
30 Korrelat dieser Akte. Also sprechen wir von demselben Gegenstand,
wo wir von Akten in der Einheit eines Bewusstseins zu Akten über-
gehen, in der identifizierende Deckung statthat. Das ist der Fall,
wenn wir von Erfahrung zu Erfahrung vom selben Individuum über-
gehen, in dem Sinn, dass der Inhalt des einen und des anderen Er-
35 fahrenen sich deckt, aber auch die Zeitlage (evtl. nebst Raumlage) des
einen und die des anderen. Derselbe Gegenstand heute und gestern, hier
und dort, besagt, dass auch die Zeiten sich decken; freilich der eine
bietet in der Erinnerung als seine Erinnerungszeit eine Vergangenheit
an, der andere als seine Wahrnehmungszeit die Gegenwart, oder als
40 seine Erinnerungszeit evtl. eine andere Vergangenheit. Aber hier ge-

Eusser~-Archiv
an der
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528 BEILAGE LVI

hört zum Sinnesgehalt der erfahrenden Akte,1 dass das jeweils Er-
fahrene über seine wirklich gegebene Zeit noch sich forterstreckt und
dass die gesamte in den Erfahrungen teils wirklich gegebene, teils
mitgegebene Zeit (mitgesetzte und zu weiterer Gegebenheit bereit-
5 liegende) beiderseits sich deckt.
Und das würde sich auch auf die Phantasie übertragen, wenn wir
"in der Phantasie", in zwei eingeordneten besonderen Phantasien den-
selben Gegenstand als dasselbe Individuum phantasieren, also etwa
dasselbe Phantasiehaus im Phantasie-heute und -gestern vorstellen.
10 Hier ist derselbe Gegenstand also nicht bloss derselbe Inhalt, sondern
derselbe Inhalt in und mit seiner Lagenbestimmung.
Nehmen wir einen erfahrenen Gegenstand zusammen mit einem
quasi erfahrenen, so finden wir evtl. wieder Deckung, nach dem ge-
samten Wesen oder Inhalt mögen beide sich decken und sogar nach
15 den Zeitmodalitäten, und doch auf der einen Seite Wirklichkeit, auf
der anderen Seite Fiktion. Auf der einen Seite ein Individuum
schlechthin im "wirklichen" Sinn, auf der anderen ein Individuum in
der Fiktion, im Fiktionssinn. Jedem entspricht hinsichtlich der geben-
den Akte eine verschiedene Einstellung. In jeder Einstellung kann ich
20 individuell identifizieren: Ich kann also auch in der Phantasie sagen,
dieses und jenes Phantasie-Individuum ist dasselbe. Die Identität ist
eine quasi-Identität, und doch nicht eine fälschlich beigemessene, eine
wahre Identität, nur ist wieder die Wahrheit "Wahrheit" in der Modi-
fikation: Alle Wirklichkeitsbegriffe erhalten dieses modifizierende
25 Vorzeichen innerhalb des Reiches der Phantasie.
Dagegen fehlt die Möglichkeit der vollen Identifikation nach Inhalt
und Zeitlage (und Raumlage) bei einer Synthese von Erfahrung und
Phantasie. Während die Vorstellungsinhalte sich vollkommen decken
können, kann ich die Zeitlagen nicht identifizieren, nämlich wo reine
30 Phantasie und Erfahrung verknüpft ist. Nur wo ich gemischte Akte
habe, ist es anders, aber da haben die Fikta eine Zeitbestimmung, die
angesetzt ist als identisch mit einer wirklichen, und freilich gibt es da
für die Fikta Widerstreit mit Erfahrenheiten.
Müssen wir nach all dem nicht sagen:
35 Im strengen Sinn darf keine Rede davon sein, dass ein Phantasie-
gegenstand identisch sei mit einem Erfahrungsgegenstand - wie wir
andererseits sehr wohl strenge Identität zwischen einem Wahrneh-
mungsgegenstand und einem Erinnerungsgegenstand haben können
(wobei dann die wahrgenommene Dauer und die Erinnerungsdauer
40 einer Einheit der Dauer desselben Gegenstandes sich einordnen und
somit eine Einheit gebende Erfahrung möglich sein muss, die den
Gegenstand in dieser ganzen Dauer zu einheitlicher Erfahrung bringt).
Ebenso ist es sehr wohl möglich, dass zwei Phantasien denselben Ge-
genstand phantasieren, das ist dann in der Form möglich, dass sie
45 entweder Wiederholungen "einer" Phantasie sind, d.h., dass sie den-
1 Darauf war bisher gar keine Rücksicht geno=en!
BEILAGE LVI 529

selben Gegenstand mit derselben Strecke seiner Dauer anschaulich


geben - denselben "Gegenstand" müssen wir schreiben und über-
haupt alles in Anführungszeichen stellen, auch die Wirklichkeit, das
Dasein, das bloss gegebene "Möglichkeit" ist. Es ist ferner klar, dass
5 wir in strengem Sinn uns in eine beliebige Zeit "versetzen" können nur
in dem Sinn, dass wir unser Dasein auf der einen Seite festhalten und
somit auch die Umgebungswelt, die mit dem Dasein gesetzt ist, dass
wir andererseits damit verbinden die hypothetische Setzung (den An-
satz) unseres Daseins etwa in tausend Jahren, was evidenterweise nur
10 durchhaltbar ist, wenn wir uns über diese tausend Jahre hindurch als
dauernd ansetzen: Damit widerspricht es, wenn wir uns in tausend
Jahren erst in die Welt treten lassen und letzteres als Anfang unseres
Seins überhaupt ansehen. Wir machen dann also einen wider-
sprechenden Ansatz, was wirklich eine Möglichkeit ist, dass in
15 tausend Jahren ein Gegenstand existiere, der seinem Inhalt nach völlig
übereinstimmt mit einem jetzigen Gegenstand. Für einzelne sinnliche
Gegenstände, für sinnenanschauliche, ist diese Möglichkeit apriori
gewährleistet. Ob sie auch eine Möglichkeit ist für Personen hinsicht-
lich ihres Seelenlebens, soll hier nicht entschieden werden.

20 Also vom selben Gegenstand, der einmal existiert (Wirklichkeit ist)


und das andere Mal nicht existiert, demselben, der jetzt ist, aber eben-
sogut in irgendeiner beliebigen Zeit Dasein und Anfang und Ende
seines Daseins haben könnte, können wir in rechtem Sinn nicht
sprechen.
25 "Dasselbe" drückt in lässiger Weise jede Deckung in der Einheit
eines Deckungsbewusstseins aus . .. Ein wirklicher Gegenstand und
ein Fiktum können in echtem Sinn nichts gemein haben, d.i. als Teil,
als Moment identisch haben. Sie können im Verhältnis einer Deckung
stehen, aber selbst da ist ein Unterschied, ob die Gleichheit Gleichheit
30 zwischen Gegenständen schlechthin ist, dann haben wir bei jedem ein
wirkliches Moment, einen wirklichen Teil, ein wirkliches Stück, das
gleich ist. Während wir sonst ein Verhältnis haben zwischen Wirk-
lichem und bloss Möglichem, wir versetzen uns dabei auf letzterer
Seite in die Einstellung des Als-ob.

35 Fiktum und Möglichkeit

Aber wenn das Fiktum keine Wirklichkeit ist, so ist es doch als
Möglichkeit. Ein im echten Sinn Setzbares, als seiend (nicht daseiend,
nicht seiend), entnehmen wir aus einer Phantasie in Änderung unserer
Einstellung: Wir setzen wirklich, wir leben nicht im Als-ob und sind
40 nicht im Als-ob Subjekt einer quasi-Erfahrung, sondern wir leben als
wirkliche Subjekte, haben <vor> uns evtl. wirkliche Welt und voll-
ziehen ein wirkliches Erfassen, finden wirklich etwas vor: nicht den
Zentauren, sondern die Zentauren-Möglichkeit. Dabei ist diese Mög-
530 BEILAGE LVI

lichkeit auf dem Grund der Phantasie gegeben, aber nicht etwa ge-
setzt als Gehalt dieser Phantasie, als ob wir reflektierten und dabei
das Phantasieerleben (ein Daseiendes in der immanenten Zeit) setzten.
Auf denselben Zentauren, als Möglichkeit, können wir wiederholt
5 zurückkommen. Wie wir, in der Einstellung der Phantasie bleibend
wiederholt dasselbe phantasieren und auch das Phantasierte gesonder~
ter Phantasien als dasselbe identifiziert haben können. Dabei ist vor-
ausgesetzt, dass jede neue Phantasie in sich schon die erinnerungs-
mässige Rückbeziehung auf das Phantasierte der früheren Phantasien
10 (in Form des quasi bekannten Objekts) besitzt. Das Sich-bewegen in
der Einheit einer Phantasiewelt setzt immerfort solche Rückbe-
ziehungen voraus, freilich fehlt dafür der Phantasiewelt die feste Ob-
jektivität des Verlaufs künftiger quasi-Erfahrung und der über die
aktuell gegebene und erinnerte Phantasiewelt (in ihrer identifizierten
15 Vereinheitlichung) hinausreichenden festen Welt nach Gesetzen, die
in die Zukunft reichten und eindeutig bestimmten. Anders ausgedrückt:
Die Zukunft ist innerhalb der Gesetze des Objektstils, z.B. Natur, frei
fingierbar. Die wirkliche Zukunft der wirklichen Welt ist nicht frei
veränderlich, sie ist nur "mechanisch" zu verändern, physikalisch
20 steht sie unter festen Gesetzen etc.

Die Betrachtung ist unklar geworden, l weil sich herausstellt, dass


eine Scheidung nicht berücksichtigt worden ist, ohne die man solche
Betrachtungen nicht reinlich durchführen kann: die Scheidung von
immanenten und transzendenten Gegenständen.
25 Sollen nämlich zwei (getrennte) Wahrnehmungen denselben Gegen-
stand geben, so müssen sie den Gegenstand inadäquat, nämlich nach
verschiedenen Strecken seiner Dauer geben. Es müssen also transzen-
dente Wahrnehmungen vorliegen, bei denen zwischen eigentlich und
uneigentlich Gegebenem vom Gegenstand zu unterscheiden ist. Fer-
30 ner ist nicht Rücksicht genommen auf den Gegenstand als Substrat
und auf die erfüllte Dauer. Der Inhalt des Gegenstandes ist immer
verstanden als die erfüllte Dauer (und sonstige Ausdehnung). Wir
haben da die Frage, was als Substrat seine Rolle spielt. Auch die
Scheidung zwischen der Kontinuität der erfüllten Schemata (Phantom
35 in der Einheit seiner Wandlungen in der Zeit) bzw. des einen Gegen-
standes (Substrates), der dazugehört, und andererseits der Einheit
einer Sub s t an z mit substantiellen, physischen Eigenschaften
kommt in Betracht.
Die Probleme müssen also exakter und zunächst so begrenzt ge-
40 fasst werden, dass wir wirkliche Evidenz haben und alles noch Un-
geklärte ausscheiden.
Nehmen wir also einfach erfüllte Dauern und Phantome, nehmen
wir die Dauer begrenzt und verstehen wir unter einer Erfahrung eine
Anschauung, die die ganze erfüllte Dauer zur Anschauung bringt.

1 Ad 23ff. <d.i. S. 52B,34ff.>


BEILAGE LVI 531

Ebenso unter einer Phantasie. Der Inhalt ist dann das konkrete We-
sen der erfüllten Dauer, und dieser Inhalt ist einmal erfahren als le-
bendige Gegenwart (im kontinuierlichen Werden von Anfang bis
Ende), das andere Mal ist ein völlig gleicher Inhalt gegeben als ver-
5 gangen usw.
Wir haben dann apriorische Sätze aufzustellen. Z.B. und zuerst:
Wir können beliebig viele gleiche Wahrnehmungen haben, Wahrneh-
mungen gleichen Inhalts oder: identischen konkreten Wesens, aber
prinzipiell können zwei Wahrnehmungen nicht den identisch indi-
10 viduellen Gegenstand, also einen Gegenstand mit identischer Zeitlage,
mit identischer Dauer zur Gegebenheit bringen.
Fernerl , zwei immanente Wahrnehmungen (zwei, d.i. gesonder-
t e) können nicht einen immanenten Gegenstand wahrnehmen, und
ein immanenter Gegenstand kann nicht unwahrgenommen fortdauern
15 und durch mehrere gesonderte Wahrnehmungen nach Strecken seiner
Gesamtdauer zur Wahrnehmung kommen.
Dagegen zwei transzendente Wahrnehmungen können Wahrneh-
mungen eines und desselben Gegenstandes sein, obschon sie diesen
Gegenstand nicht beide in derselben Gegenwart wahrnehmen können,
20 falls sie Wahrnehmungen eines und desselben Ich sein sollen, oder ihn
nicht wahrnehmen können mit derselben absoluten Zeitlage der ihnen
gegebenen erfüllten Dauern. Mehrere Wahrnehmungen eines Gegen-
standes nach demselben Stück seiner Dauer sind Wahrnehmungen
mehrerer Subjekte. Vielmehr gehört apriori zu zwei Wahrnehmungen
25 eines und desselben Ich und eines und desselben transzendenten Ge-
genstandes, dass jede Wahrnehmung den Gegenstand nach einem
anderen Teil seiner Dauer und keine nach seiner ganzen Dauer gibt.
Wahrnehmungen eines und desselben Ich, die dasselbe transzen-
dente Individuum wahrnehmen, sind nur nacheinander möglich,
30 wenn sie vom transzendenten Individuum dasselbe konkrete Wesen
(bzw. dasselbe Stück des Inhalts) wirklich erfahren sollen.
Den obigen Satz 2 kann man auch so aussprechen: Apriori kann in
jedem Ichbewusstseinsstrom eine Wahrnehmung, und zwar in jedem
immanenten Zeitpunkt, nur einmal auftreten. Gleichzeitige Wahr-
35 nehmungen sind nur möglich als Wahrnehmungen verschiedener Per-
sonen, die sich wahrnehmend auf ein und dasselbe transzendente
Ding einer tranzendenten Welt und Zeit beziehen, der sie selbst an-
gehören als in Wechselverkehr stehende psychophysische "Menschen",
Animalien.
*
40 Wiederholbare Erfahrungen, als Erfahrung von demselben (imma-
nenten oder transzendenten) Objekt in seiner selben Dauer, sind nur
Erinnerungen. Und zwar ist jede Erinnerung wiederholbar.

1 Vgl. die Formulierungen <unten, Zeile 32ff.>


a Siehe <oben Zeilen 12-16>
532 BEILAGE LVI

Erinnerungen in der immanenten Sphäre können nur Vergangen_


heits- und Zukunftserinnerungen sein. Zum Wesen der Erinnerung ge-
hört, dass das Erinnerte ein Lagenverhältnis zur aktuellen Gegenwart
hat. Das Immanente, mit der Gegenwart Gleichzeitige ist selbst ak-
5 tuelle Gegenwart, ist immanent wahrgenommen. In der Transzendenz
gibt es Gegenwartserinnerungen, aber dadurch, dass eine Vergangen-
heitserinnerung einen Gegenstand nach einer vergangenen Zeit gibt
der in die Gegenwart als hineindauernd gesetzt ist, der also eine Daue;
hat, die unwahrgenommen war. Eine unwahrgenommene Dauer (eine
10 unwahrgenommene Gegenwart) gibt es aber nur für transzendente
Gegenstände.
Eine P h a n t a sie ist entweder unmittelbare Phantasiemodifika-
tion einer Wahrnehmung, Gegenwartsphantasie, oder sie ist Ver-
gangenheits- oder Zukunftsphantasie. Im letzteren Fall ist sie Phan-
15 tasiemodifikation einer Erinnerung. Eine Erinnerung ist nur möglich
in einem Zusammenhang des Bewusstseins, der Gegenwart originär
gegeben impliziert, die Erinnerung selbst ist ein originär gegenwärtiger
Akt. Eine Phantasiemodifikation einer Erinnerung ist nur möglich in
einem Phantasiezusammenhang, der ein Phantasiebewusstsein der
20 Gegenwart als quasi originär gegeben impliziert. Und das gilt für
Rückerinnerungen ebenso wie für Vorerinnerungen (Erwartungen).
So in der Sphäre der Anschaulichkeit: Das Analoge gilt für die
Sphäre des unanschaulichen Vorstellens implicite, für die Möglichkeit
seiner Entfaltungen in erfüllende bzw. quasi erfüllende Anschauungen.
25 Zwei Phantasien können im Nacheinander im selben Bewusstsein
auftreten ohne jede Beziehung zueinander und doch von völlig glei-
chem Inhalt sein. Objektiv gesprochen sind sie in Beziehung aufein-
ander Wiederholungen. Für das Bewusstsein selbst aber ist die eine
Wiederholung der anderen und die neue bloss Wiederholung der frühe-
30 ren Phantasie mit ihrem früheren Phantasiegegenstand, also erneute
Phantasie von demselben Gegenstand, wenn sie den Charakter einer
Phantasie-Wiedererinnerung des Fiktums hat, bzw. einer Phantasie,
die mit einem, wenn auch unanschaulichen Wiedererinnerungsbe-
wusstsein des quasi-früher-Wahrgenommenhabens verbunden ist.
35 Eine transzendente Wahrnehmung, die einen Gegenstand nach
einem Teil seiner Dauer gegeben hat, impliziert ein Horizontbewusst-
sein, das sich auf die frühere Dauer bezieht oder durch Erfahrungs-
zusammenhänge darauf zurückführt. Wiederholte Phantasie kann sich
nur dann auf denselben Gegenstand (als Fiktum) beziehen, wenn
40 sie in sich Horizonte der Rückbeziehung hat, die den Charakter einer
quasi-Erinnerung haben muss. Denn hier gibt es keine vorgezeich-
neten Erfahrungen und keine gebundenen Bestätigungen im quasi-
Erfahrungsverlauf.
533

BEILAGE LVII
PHANTASIE <SICH AUF DEN BODEN DER ERFAHRUNG BZW.
DER PHANTASIE STELLEN; DIE WELT DER ERFAHRUNG -
DIE WELTEN DER PHANTASIE>

5 <wohl 1917>

1) Umbildung der durch aktuelle Erfahrung (Wahrnehmung, Er-


innerung) gegebenen Wirklichkeit mittels der hineinarbeitenden Phan-
tasie.
2) Pure Phantasie, Auftauchen einer quasi wirklichen Dinglichkeit,
10 mit ihrem Raum, ihrer Zeit, ihrem unbestimmten Welthorizont, und
an den Dingen selbst ihre eigenen Horizonte der Unbestimmtheit.
a) Freie Umbildung der "vorschwebenden Dinge" im Sinn ein-
stimmiger quasi-Erfüllung ihrer Horizonte, wozu auch Möglichkeiten
der Veränderung und dann wieder Unveränderung gehören, die ein-
15 stimmig ablaufen. Unwillkürlicher Verlauf von solchen Umbildungen
der Einstimmigkeit (oder Fortbildungen) oder auch willkürlich ge-
staltende Phantasie als phantasiemässige Gestaltung einer Welt, oder
innerhalb der Idee einer einheitlichen Welt.
b) Umschaffung der vorschwebenden Dingel , ein Wort, das frei-
20 lieh auf willkürliche Schöpfung verweist. Nehmen wir aber zunächst
wieder das Unwillkürliche. Von selbst schlägt ein so und so erschei-
nungsmässig vorschwebendes, dabei als so und so seiend bestimmtes
Ding um in ein anderes Ding mit "widerstreitenden" Eigenschaften.
Was ist das für ein Widerstreit? Vergleichen wir den Fall I).
25 In I) führt jedes "Hineinphantasieren" in die Wirklichkeit, jedes
phantasiemässige Umbilden des erfahrungsmässig Gegebenen und An-
geschauten zu einem Widerstreitbewusstsein. Das Phantasiemässige
ist "nichtig". Man wird hier zu scheiden versuchen 0;) die Überschie-
bung und Verdeckung des Erfahrenen durch das Phantasierte als
30 quasi-Erfahrenes und umgekehrt; ß) die aktuelle "Thesis" der Er-
fahrung, als Eigenheit, die die Positionalität der Erfahrung ausmacht,
tritt in ein Verhältnis zu der Neutralität, die den Charakter der Phan-
tasie ausmacht. Aber gibt das schon einen "Streit"? Einen Wider-
Spruch, den das Erfahrene gegen das Eingebildete erhebt? Hier ist
35 doch wohl Mehrfaches aufzuklären.
Ich habe erfahrungsmässig gegeben dieses gelbe Haus. Ich "denke"
mir es blau. Ich stelle es mir einheitlich als blau vor: Das Blau über-
deckt das erfahrungsmässig bewusste Gelb, aber dieses als "seiend"
erhebt Protest gegen das Blausein, das da angesetzt und übergesetzt
40 ist, das keine Erfahrungsmotivation hat und das, wenn ich es in Ein-
heit mit den übrigen Dingbestimmungen als seiend ansetze, Durch-
streichung erfährt.
LiegtdarinnichtFolgendes?: Ich kann mich auf den Boden
1 Später eingefügt: "durch Umschlag". - Anm. d. Hrsg.
534 BEILAGE LVII

der Erfahrung stellen,l das Erfahrene, das "Seiende" hinneh_


men, es als das erfassen und festhalten. Das Blau, das ich dann hinein-
phantasiere, hat, als hineingenommen in das erfahrene Ding, den Cha-
rakter des mit der erfahrenen Gelbeigenschaft Streitenden und in
5 diesem Streit "Aufgehobenen"; aber wie? Doch so, dass hier so etwas
wie "Versuch, als seiend zu setzen", "das Haus als blau anzusehen"
vorliegt, und dass dieses angesetzte Seiende seine Durchstreichung er-
fährt vermöge der überschiebung mit dem "entsprechenden", damit
sich deckenden Gelb-Seienden. Hier stehe ich auf dem Boden der Er-
10 fahrung, ich "vollziehe den Erfahrungsglauben", ich erfasse, was sich
mir als Wirklichkeit bietet, und halte das Wirkliche als solches fest.2
Kann ich mich auch auf den Boden der Phantasie stellen, ohne
mich auf den der Erfahrung zu stellen? Ich denke mir das Haus und alle
Welt "blau", wie durch ein blaues Glas gesehen, natürlich, wenn ich
15 anhebe, "die" Welt denke ich mir etc., habe ich einen Widerspruch
gegen die erfahrene Wirklichkeit; aber ich verlasse den Wirk-
lichkeitsboden, ich lebe ganz in der Anschauung der
blauen Welt und lasse sie mir gefallen.3 Das ist jetzt eine
quasi-Wirklichkeit, und was da der wirklichen Welt entnommen ist,
20 erhält dadurch, dass ich mich auf den Boden des Hineinphantasierten
stelle und es als quasi wirklich nehme, selbst den Charakter des Phan-
tasierten, des Als-ob. Jetzt habe ich kein vollzogenes Nichtigkeits-
bewusstsein, das Nichtigkeitsbewusstsein ist nur ein Durchgang ins
pure Phantasiebewusstsein (oder in die Modifikation des Erfahrungs-
25 bewusstseins in Phantasie, wobei evtl. die ganzen Erfahrungshorizon-
te, soweit sie nicht selbst betroffen sind, in die Als-ob-Welt übernom-
men werden). Jede Erwägung von Möglichkeiten, jede Konstitution
von Möglichkeiten als an Erfahrung anknüpfenden oder völlig freien
ist frei von' Widerstreitsbewusstsein mit Wirklichkeiten, die alsbald
30 da wären, wenn ich den Boden der Wirklichkeit festhielte. Sich auf den
Boden einer Phantasie stellen, eine quasi-Wirklichkeit als solche
hinnehmen und festhalten, das ergibt wieder Möglichkeiten der Wider-
streite, der überdeckungen, Bildverdrängungen und der Durch-
streichungen inder Phantasie, nämlich auf dem Boden, den man sich
35 gegeben hat. Alles, was vorher gesagt wurde, überträgt sich auf den
Boden des Als-ob. Wir haben nun unendlich viele freie Möglichkeiten
von Phantasien, die bald zusammenstimmen, bald in Widerstreit
miteinander sind, sich wechselseitig aufheben, als nichtig im Als-ob
erklären, wenn das eine oder andere Glied als Boden genommen ist.
40 Nun ist freilich doch ein grosser Unterschied.
Die Welt der Erfahrung: Das bezeichnet ein grenzenloses System

1 Über "Ich kann mich" später eingefügt: ,,'Thematisch'''. - Anm. d. Hrsg.


2 Später eingefügt: "Hypothetischer Ansatz in Widerstreit mit dem Gegebenen der
Erfahrung". - Anm. d. Hrsg.
3 Später über der Zeile eingefügt: "Das ist eine Änderung der thematischen Ein-
stellung." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LVII 535

von aktuellen Erfahrungen, mit· Erfahrungshorizonten, die wieder


zu explizieren sind durch Erfahrungen, und dabei ein festes, sich im-
merfort von selbst, aber in gebundener Weise erweiterndes Sy-
stem.
5 Innerhalb dieses Systems gibt es nur eine kleine und in eigener Art
umgrenzte Sphäre der Freiheit und damit der willkürlichen Veränder-
lichkeit: in der physischen Sphäre die Leiblichkeit und die leiblichen
Tätigkeiten, in der psychophysischen die Sphäre der freien psychischen
Akte.
10 Die Welten der Phantasie sind aber durchaus freie Welten, und
jedes phantasierte Ding setzt eine Phantasiewelt im quasi: Aber ihr
Unbestimmtheitshorizont ist kein durch bestimmte Erfahrungsana-
lyse explikabler. Jedes quasi-Explizieren ist ein neu und frei Hinein-
phantasieren, nur ein Phantasieren im Stil der Einstimmigkeit. Das
15 Eigene der Phantasie ist ihre Be li e bi g k e i t. Und daher ideal ge-
sprochen ihre unbedingte Willkürlichkeit.
Während der Horizont einer Wahrnehmung im allgemeinen eine
weite Vorzeichnung hat durch Füllen von Erinnerungen und durch
Erwartungen, die im Fortgang der Erfahrung ihre Bestimmung, evtl.
20 Berichtigung erfahren, haben wir in der quasi-Wahrnehmung, die da
Phantasie heisst, keine solche Vorzeichnung durch quasi-Erfahrungen
mit festem Inhalt und festen Thesen.
Sich in der Phantasie auf den Boden einer quasi-Wirklichkeit,
z.B. eines Zentauren, der da quasi ist und lebt, <stellen>, das
25 heisst die quasi-Wirklichkeit hinnehmen und festhalten und die Be-
liebigkeit des weiteren Phantasierens durch die ständige In t e n-
tion auf Einstimmigkeit beschränken. Es heisst also, eine
Welt schaffen, die eben eine einstimmige Welt sein kann für diesen
Zentauren. Sowie ich ihn als quasi-Wirklichkeit hinnehme und fest-
30 halte, habe ich mit ihm auch einen Raum, eine Zeit, eine Umwelt,
in der er ist, gesetzt, die gehört zu ihm als unbestimmter Horizont.
Aber dieser Horizont ist nicht von der Art, dass er sich nur in einer
Weise bestimmen, dass er eindeutig und wirklich eine Welt ausmachen
könnte. Sieht ein Subjekt wirklich ein Ding, so ist die Welt, in die
35 er damit hineinsieht, für ihn auch unbestimmt, die Umwelt um das
Ding herum ist, abgesehen von dem kleinen Sehfeld des Moments,
unendlich vielfältig bestimmbar. Aber an sich ist es eine Welt, eine
einzige eindeutig bestimmte. Die Erfahrung zeichnet sie selbst vor,
und Erfahrung bindet, wie sie selbst gebunden ist. Sie ist nicht Sache
40 der Beliebigkeit und Willkür.
Die quasi-Welt des quasi erfahrenen Zentauren ist auch unendlich
vielfältig unbestimmt, insofern genauso wie die wirkliche Welt ausser-
halb meiner aktuellen Erfahrung. Aber was sie allein näher bestimmen
kann, die näher bestimmende (quasi näher bestimmende) Phantasie
45 ist ungebunden, sie ist frei und nur soweit gebunden, als sie dem We-
sensstil eines Welthorizontes entsprechen muss, d.i. eben einstimmig
536 BEILAGE LVIII

sich zusammenfinden und Dingeinheit und einheitliche Zusammen_


hänge solcher Einheiten konstituieren muss. Das ist auf unendlich
vielfältige Weise und be li e b i g möglich. Jeder neue Schritt be-
schränkt und eröffnet wieder im selben Stil unbeschränkte Möglich-
5 keiten. Demgegenüber besteht aber das Belieben immer auch darin
dass der Phantasierende nicht nur auf dem Boden eines quasi fest~
gelegten Anfangs frei weitergestalten, sondern dass er auch schöpfe-
risch umgestalten, immer neue Welten schaffen kann und eine gegebe-
ne Welt umschaffen kann im Sinn der Unstimmigkeit mit einer vorher
10 gestalteten, aber partiell aus ihr selbst Grundstücke und Einheiten
nehmenden Welt. Das eigentümliche Phänomen ist dabei diese Um-
schaffung im Widerspruch, ähnlich wie der Maler sich dazu ent-
schliesst, seine Figur umzugestalten: im Widerspruch mit dem, was
sie vordem war und gemeint war.

15 BEILAGE LVIII
ZUR LEHRE VON DER ABBILDUNG: FIKTA ALS IDEALE
GEGENSTÄNDE. WEITERHIN AUCH ZUR LEHRE VON DEN
GEGENSTÄNDEN ÄSTHETISCHER WERTUNG.
<ERSCHEINUNGEN ALS GEGENSTÄNDE>

20 <wohl 1917>

Bildobjekte (Abbilder) und ihre Erscheinungsweisen. Das kleine


Figürchen als Abbild, in seiner festen Erscheinungsweise, die sich als
"Bild" darbietet. So bei einem Stich. Bei einem plastischen Figürchen
haben wir das feste System der Erscheinungsweisen des entsprechen-
25 den Phantoms, und zwar der visuellen. Das Phantom ist ein unver-
ändertes, dauernd gegebenes Phantom, mag auch das Bildobjekt ein
sich veränderndes "sein". Doch hätte ich vorher sagen müssen, dass
wir auch bei der Photographie oder dem Stich achten müssen, und so
bei jedem Abbild, darauf, dass das unterschiedlich gegenübergestellt
30 werden muss, nicht nur Abbild und Sujet, sondern hinsichtlich des
Abbildes das betreffende Bildobjekt selbst, sein Phantom und die Er-
scheinungsweise des Phantoms.
Zu einem Bild gehört, dass das Abbild als Bildobjekt verstanden
ein verharrendes, ein bleibendes "Sein" hat. Dieses Verharren besagt
35 nicht, dies unverändert Verbleiben, dass das Bildobjekt ein, unver-
ändertes sei. Es kann ja ein kinematographisches Abbild sein, und
schliesslich, wenn ein plastisches Figürchen einen Läufer darstellt, so
ist das Bildobjekt eben ein kleiner grüner Läufer, freilich in einer Phase
des Laufs, so wie die Büste oder ganze Plastik eines Demosthenes etwa
40 den Redner in einer Phase: "Eben hat er seine Rede vollendet, oder
eben setzt er die Rede an, oder spricht er" darstellt. Wir haben zu
überlegen, vom Sujet absehend, wie das Bildobjekt selbst sinngemäss
BEILAGE LVIII 537

gemeint ist: eben als Redner in der Rede? Aber ist das nicht das
Sujet? Aber ist es nicht ein kleiner redender Mensch etc.? Also das ist
das eine, das ist aber jedenfalls als ein verharrendes Phantom gegeben
(ruhendes oder sich veränderndes Phantom. - Übrigens im Kino fun-
5 giert nicht bloss das Phantom, sondern ein Ablauf phänomenaler Kau-
salität, also volle Dinglichkeit). Wir müssen aber beachten, dass die
Gegebenheitsweisen, Erscheinungsweisen fest abgeschlossen sind,
mögen sie ihrerseits auch überlaufen in Fortführungen durch Phan-
tasie: wie wenn ich mich hineinziehen lasse in das Phantasieren des
10 Laufens oder des die Rede RaUens etc. Was ist das aber für ein ver-
harrendes Sein, identisches Sein, das dem Abbild, dem so und so er-
scheinenden Bildobjekt, wie dem sich darin gebenden Sujet als solchen
zukommt? Wenn ich eine kinematographische Darstellung wieder-
hol t ablaufen lasse, so gibt sich Bildobjekt (im Verhältnis zum Sujet)
15 im Wie seiner Erscheinungsweisen und jede dieser Erscheinungswei-
sen selbst als identisch dasselbe oder dieselben; ebenso natürlich, wenn
ich ein Klavierstück mehrmals vom mechanischen Apparat mir spielen
lasse. Schliesslich aber auch, wenn ich im Theater die wiederholten
Darstellungen des Don Carlos anhöre. Ebenso aber bei jedem "ruhen-
20 den" Bild. Sooft ich das Figürchen ansehe, das Bildobjekt ist dasselbe
und jede seiner Erscheinungsweisen. Der Läufer und alle seine Er-
scheinungsweisen: Das Ding aus Bronze ist dinglich unverändert und
dauert objektiv in der Zeit. Der Läufer gehört einer anderen Zeit wie
einem anderen Raum an. Er ist Fiktum. Aber die Phase der Zeit, der
25 er angehört, ist allein "dargestellt", und die verharrt nicht in der Zeit
und ist keine real dauernde, sondern eben nur eine Phase und immer
wieder dieselbe Phase, wie oft ich sie ansehe. Und ebenso jede Erschei-
nungsweise gehört einer Wahrnehmungsphase an und ist auch immer-
fort, wie oft ich betrachte, dieselbe, und damit auch die abgebildete
30 Phase als solche. Es ist wie bei der Wie der e ri n n e run g s-Verge-
genwärtigung, wo ich, sooft ich wiedererinnernd auf dieselbe Vergan-
genheit und Vergangenheitsphase zurückkomme, immer wieder d i e-
s el b e vorfinde, numerisch identisch, aber sie auch als gewesen und
identisch dieselbe setze und jede Erscheinungsweise ebenso als gewe-
35 sene Erscheinungsweise setze. Aber haben wir da auch ein Erinnerungs-
Bild? Rier aber im Fall der Abbildung haben wir keine Setzung,
sondern quasi-Setzung. Andererseits, wenn wir das Abbild und seine
Erscheinungsweisen als abbildliche setzen, so ist das keine Erinne-
rungssetzung und keine Setzung eines Vergegenwärtigten, sondern
40 eine solche des Fiktums. Fikta sind durch Änderung der Einstellung
erfassbare i d e ale Gegenständlichkeiten. Aber natürlich keine Spezies!

Ideale Gegenstände, Fikta ete. als Werte


In originärer Gegebenheit geniessen - ich sehe mir eine plastische
Figur an, schaue im Abbild das durcherscheinende Urbild an, aber
45 nur als darin dargestelltes. Die ästhetische Freude geht auf das in
538 BEILAGE LVIII

solchem Abbild, einem in solcher Erscheinungsweise sich gebenden


sich Dars teIlen de als solches und betrifft also nur das D ar~
gestellte soweit und so wie nach den Momenten (und nach
dem Wie der Momente), die dargestellte, in den betreffenden darstel-
5 lenden dargestellte sind. Ich durchlaufe also das System der Erschei-
nungen des abbildenden Fiktums, und in ihnen blicke ich auf das
Wie der darstellenden Abbildung. Ich freue mich an der "Nach-
ahmung", an der "Darstellung". (Das ist be s tim m end e s Werten.
Wie ich erfahrend und urteilend bestimmend dem Gegenständlichsein
10 nachgehe, so dem Wertsein.)
Bin ich da nicht interessiert an der Existenz? Inwiefern nicht?
Nicht an der Existenz des Dargestellten schlechthin. Aber an der
Existenz der idealen Darstellung dieses Dargestellten, wobei die
Existenzsetzung des Dargestellten, wenn sie überhaupt auftritt, nicht
15 fungierend ist für das Wertbewusstsein.
So können wir hinsichtlich jeder möglichen Gegenständlichkeit
einerseits werten sie selbst als wirklich seiend (vermutlich seiend etc.)
oder werten ihre Erscheinungsweisen - oder sie als so und so er-
scheinend, unangesehen ihrer Wirklichkeit; tun wir das, was für Modi-
20 fikationen kommen dann noch in Betracht? Ich interessiere mich nicht
für den wirklichen Gegenstand - die Intention geht also nicht als
Erkenntnisintention auf seine allseitige Erfüllung, auf das, was er nach
allem und jedem und überhaupt ist. Es geht also nicht auf die Natur
überhaupt, in die mich dieses Ding nach seinem Sein hineintreibt. Die
25 Erscheinungsweise selbst kommt nicht (das orientierte Schema in sei-
ner Gegebenheitsweise) individuell, in ihrer momentanen Erkenntnis-
funktion und psychologisch in Betracht. Das "schöne" Objekt, dieser
Berg von da aus gesehen, hat immer seine identische Schönheit, so-
lange er eben "diese Ansicht" hat, und sooft ich hingehe und von da
30 aus ansehe, habe ich dieselbe Ansicht-ästhetisch. Dasselbe "Bild".
Dieses "Bild" ist ein idealer Gegenstand (nicht etwa ein Reales in
der Zeit Dauerndes), der Berg bietet dieses Bild dauernd, aber es selbst
ist kein Dauerndes.
Es muss überhaupt genau erwogen werden, was im Fall äusserer
35 Wahrnehmungen die Erscheinungsweisen der momentanen Phantome
(die ihre Existenz als Zustände des Dinges haben) für ein Sein haben.
Die orientierten Phantome haben auch ihre Existenz, ihr Sein im Zu-
sammenhang der subjektiven Zeit, und ihre Erscheinungsweisen als
die momentanen Abschattungen in ihrer (auf die blosse Phantom-
40 konstitution bezogenen) Darstellungsschicht, also in ihrer Auffassung
als Abschattung und funktionierend für die Konstitution des Phan-
toms, haben selbst wieder ihr individuelles Sein, wie eben jede Etappe
in der Dingkonstitution durch Gegenständlichkeiten unterer Stufe.
Das alles hat in seiner Schichte individuelle Existenz und ist als das
45 konstituiert: obschon es natürlich keinen Sinn hat, die Gegenständ-
lichkeiten der unteren Stufe in die objektive Natur hineinzusetzen. In
BEILAGE LVIII 539

Hinsicht auf diese sind sie nur indirekt naturalisierbar, nämlich als
die jeweiligen "Inhalte" der betreffenden Subjektakte, der betreffen-
den Wahrnehmungen oder "möglichen" Wahrnehmungen. Als Gegen-
stände möglicher Wahrnehmungen haben sie ihre Gegenständlichkeit
5 unabhängig von der momentanen wirklichen Gegebenheit, ihr Sein ist
nicht ihr momentanes Perzipiertsein, und das trotz ihrer "bIossen Sub-
jektivität". Es scheiden sich dann wohl die Erscheinungsweisen, die
für jedes wirkliche Subjekt wirklich "an sich" sind (neben den<jeni-
gen>, die verschiedene wirkliche Subjekte wirklich gegeben haben),
10 und diejenigen, die ein beliebig fingiertes Subjekt (oder ein un-
bestimmtes in Beziehung auf seine Wirklichkeit, die aber auf den ge-
gebenen Raum und die gegebene Zeit, also die gegebene Welt und da-
mit auf voranstehende wirkliche Subjekte bezogen wäre, gebunden an
sie wäre) haben müsste.
15 Richtet sich aber auf ein jeweils gegebenes Ding eine ästhetische
Wertung, so ist dieses "Sein" der Erscheinungsweisen und somit ihre
Gebundenheit an wirkliche Subjekte (und an in die Welt hinein-
fingierte) und mittelbar an Naturraum und Naturzeit und Naturwelt
selbst ganz ausser Frage: weshalb das Objekt der Schön-Wertung sich
20 nicht änderte, wenn das wirkliche Objekt zum Scheinobjekt und so-
mit die wirkliche Erscheinungsweise zu einer unwirklichen (in ihrer
Seinsschicht also auch nicht existierenden) würde. Wir hätten dann
doch ein seiendes Schönes, ein blosses Fiktum, ein "Bild": das eben
ein idealer Gegenstand ist und nicht ein "realer" (wobei wir die wirk-
25 lichen Erscheinungsweisen selbst unter dem Titel des Realen befassen).
Es ist dabei zu beachten, dass der betreffende Schönheitswert nicht in
der Erscheinungsweise liegt, die ich impressional habe und im Haben
geniesse: Genossener Wert ist nicht Wert selbst, der sein kann, ohne
genossen zu sein. Darum!verbleibt mir der Wert, auch wenn ich den
30 betreffenden Schein nicht mehr habe, kann ich ihn durch Erinnerung
oder Fiktion wiedererzeugen, so habe ich ihn wieder, geniesse ihn
wieder, obschon die Vergegenwärtigung nicht die volle Gegebenheit
herstellen mag. Aber ist sie vollanschaulich, so leistet sie doch ein
Gleiches, und es kommt nicht darauf an, dass es Vergegenwärtigung
35 ist. Also ähnlich wie bei der Erfassung einer Spezies, wo andererseits
doch evident ist, dass Erscheinungsweisen keine Spezies sind. Ebenso
hängt damit zusammen, dass, wenn'iich einen Schein wiederholt im-
pressional haben kann (Stereoskop), die Schönheit und das Schöne,
der Wert, identisch derselbe ist und nicht individuell im Sinn eines
40 Realen (als ob das Stereoskop-Fiktum, und seine Erscheinungsweisen,
ein Dauerndes in der Zeit wäre). Wie da die gegebene Dauer fungiert,
ist wohl nicht schwer zu klären. Jede Erscheinungsweise, die einer
Ruhe oder einer Veränderung, lässt sich dauernd machen und kann in
dieser Dauer ästhetisch werden: Dann gehört aber die Dauer zur Ideali-
45 tät.
540

BEILAGE LIX
ZUR KUNSTTHEORIE <GEGEBENE WELT UND ZEIT ALS VOLL
BESTIMMTE - "ES WAR EINMAL", IRGENDWO, IRGENDWANN :
ALLE KUNST SICH ZWISCHEN DIESEN BE IDEN EXTREMEN
5 BEWEGEND - REALISTISCHE UND IDEALISTISCH E KUNST>
<wohl 1916 oder 1918>

Zur Ästhetik (Kunst)


Künstler, "Poet", Seher, Prophet, Führer, Schilderer, Barde.
In den Unbestimmtheitshorizont, den für jedermann die gegebene
10 Welt und gegebene Zeit hat, stellt der Dichter, ihn bestimmend, aus-
füllend, Gestalten hinein.
Leser, Dichter in einer Welt und Zeit. Zwei Extreme:
a) Die gegebene Welt und Zeit kann eine so voll bestimmte sein,
als für uns jetzt unsere Umwelt ist (nicht die wirkliche Welt). Z.B. das
15 heutige Berlin, so bestimmt, wie es für uns und selbst für die Berliner
selbst ist.
b) Extremer Gegenfall. Es war einmal, irgendwo, in irgendeinem
Fabelland, in irgendeiner Zeit, in irgendeiner Welt mit ganz anderen
animalischen Wesen, sogar anderen Naturgesetzen etc.
20 Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich alle Kunst.
A) Bildkunst : im Bilde darstellend, abbildend, durch Bildbewusstsein
vermittelnd.
B) Rein phantastische Kunst, Phantasiegestaltungen in blosser Neu-
tralitätsmodifikation erzeugend. Mindestens keine konkrete Bildlich-
25 keit erzeugend. Das "es war einmal" bezieht sich noch auf das ak-
tuelle Jetzt und die Welt, und Widerstreit mit ihr kann eine Bildlich-
keit anzeigen, die doch nicht ein erschautes Bildobjekt konstituiert.
Mnsik. Spielende Phantasie.
Realistische Kunst (Dichtung, Malerei, Bildnerei). Beschrän-
30 ken wir uns auf realistische Dichtung: Schnitzler.
In den Unbestimmtheitshorizont einer gegebenen Welt und Zeit,
konkreter einer gegebenen Stadt, Wien, wird eine Ereignisreihe hinein-
phantasiert und in lebendiger Weise dargestellt, nicht beschrieben,
sondern hingestellt, so dass wir eine Situation, ein Lebensschicksal
35 u. dgl. miterleben, im Als-ob, als ob wir dabei wären. Wir sind "gleich-
sam Zuschauer", wir sind in der Gesellschaft gleichsam mit dabei.
Deskription dieses "Mitlebens" , dieses Zuschauerseins, das zu jeder
Darstellung durch Wort und Bild gehört. Bei einer Beschreibung von
"fremden" Ländern, wir kennen sie nicht, sind wir auch dabei: Aber
40 hier ist der Reisende mitgesetzt, der beschreibt, und wir haben das
Bewusstsein, nachzuverstehen und uns in seine Schilderung hinein-
zuversetzen. Bei der Dichtung ist der Dichter nicht der Beschreibende,
der nachzuverstehende aktuelle Miterleber. Nicht der Dichter, son-
BEILAGE LIX 541

dern die Dichtung wird nach verstanden. Das sind eigentümliche Ver-
hältnisse, die wissenschaftlich gefasst werden müssen. Macht das not-
wendig eine Bildlichkeit, gehört also Bildbewusstsein zu jeder Dich-
tung? Die gesprochenen Worte, die beschreibenden oder die Worte
5 der dargestellten Personen sind Bildworte ?
Schilderung und5elbstdarstellung von Menschen durch ihre Reden.
Selbstdarstellung durch Reden und durch Beschreibung ihrer Hand-
lungen.
Tendenz deslRealismus: Landschaften, Menschen, menschliche Ge-
10 meinschaften, Schicksale und Schicksalsverflechtungen in möglichst
voller "charakteristischer" Konkretion darstellen, als ob wir sie sähen
und alles auf sie Bezügliche innerhalb eines gesteckten Rahmens mit-
erlebten, in möglichst satter Fülle und von der Substanz ihres Seins
aus, nach ihren innersten, aber anschaulichen Motivationen. Das
15 Charakteristische. Eine Situation in der Zeit und die Zeit, die Kultur-
schicht, die Lebensart und -fonn dieses Weltteils, dieser Stadt etc.
charakterisierend. Das Berlinertum Fontanes, das Wienertum Schnitz-
lers. Es ist ebenso, wie wenn ein rein betrachtendes Interesse an der
Wirklichkeit uns leitet, und am Charakeristischen und Typischen eines
20 gegebenen Weltausschnittes. Ein charakteristisches Schwarzwälder
Bauernhaus, eine Schwarzwaldlandschaft etc.
Diese Schilderei kann bewunderungswürdige Kunst sein. Freude an
der Anschauung des Konkreten, das in seinen Motivationen, seiner
typisch repräsentierenden Art durchleuchtet ist, und Freude an der
25 Kunst, uns das durchsichtig zu machen. 0e:6>p(oc im eigentümlichen
Sinn. Freude am verstehenden Schauen, korrelativ das theore-
tische Interesse, am Hineinsehen, Verstehen des konkreten Typus,
der zu einer Zeit als charakteristisches Stück gehört. Künstlerischer
Empirismus oder Positivismus.
30 Von Schönheit ist hier keine Rede. Aber Schönes kann auch mit als
Reiz eintreten. Parallele mit der Biographie und historischen Cha-
rakteristik (individuellen Charakteristik) einer Zeit, ihrer Menschen
ete. Das ist ein Stück wissenschaftlicher Erkenntnis. Da wird aber
nichts erfunden, sondern beschrieben. Die realistische Kunst ist auch
35 eine Art Biographie der Zeit, von Schichten der Zeit. Sie schildert
durch charakteristische "Bilder". Sie konstruiert Fikta, in denen sich
charakteristische Typen der Zeit darstellen. Sie ist Kunst, nicht
Wissenschaft, aber doch wieder Wissen vennittelnd. Sie erzeugt phan-
tasiemässige Gestalten, und als Typen für Zeiten und Weltepochen.
40 Freude an dem anschaulichen Gebilde, das Verständnis, Überlegen-
heit der weisen Einsicht gibt. Dahin "Nüchternheit", Gebundenheit
durch Zeit, durch Empirie.
I d e a li s t i s ehe Die h tun g. Der idealistische Dichter erschaut
nicht b10ss Fakta und Typen empirischer Welt- und Lebensgebiete,
45 er erschaut Ideen und Ideale, und sie erschauend wertet er sie und
stellt sie als Werte hin.
542 BEILAGE LX

Auch der Realist kann schildern, dass Menschen Ideale haben und
sich von ihnen leiten lassen, oder dass eine Menschenschicht, ein Stand
durch Ideen praktisch bestimmt ist. Aber er ist positivistisch ein-
gestellt. Ihn interessiert das typische Faktum. Der empirische Typ,
5 wie ein anderer.
Der idealistische Dichter ist aber normativ eingestellt. Im kon-
kreten Bild stellt er Wertetypen dar, oder Werte "verkörpern" sich in
Gestalten und kämpfen in den realen quasi-Verhältnissen gegen Un-
werte. Und nicht nur Werte und Kampf des Guten und Bösen stellt
10 er dar, er will die Liebe zum Guten in unseren Seelen entflammen:
ohne zu moralisieren oder zu predigen. Er verklärt sie im Medium der
Schönheit.
Philokalistische Kunst tritt zunächst in Gegensatz zur realistischen
Kunst als philocharakteristischer, philopositivistischer. Nicht das eha-
t5 rakteristische als solches, sondern das Schöne. "Ästhetisch" ist alle
Kunst, sie ist Freude am Erschauten in concreto. Aber nicht alle ist
kallistisch. Und nicht alle kallistische ist ferner idealistisch, normativ,
das Ideale schildernd und durch Schönheit verklärend.
In noch höherer Stufe kann Kunst auch sein philosophisch, meta-
20 physisch, zur Idee des Guten erhebend, zur Gottheit durch Schönheit,
zum tiefsten Weltgrunde erhebend; und mit ihm einend.
Der wirklichen Welt mit ihrer wirklichen Typik einschauen die
Ideenwelt, der wirklichen Typik substituieren eine ideale Typik, die
sich in den wirklichen Typen unvollkommen realisiert, aber durch sie
25 hindurch zum Göttlichen fortstrebt und sich emporkämpft.

BEILAGE LX
<OBJEKTIVIERUNG DER FIKTA UND DER KÜNSTLERISCHEN
FIKTA ALS KUNSTWERKE. EINFÜHLUNG UND
OBJEKTIVIERUNG DER GEISTIGEN GEGENSTÄNDE>
30 <wohl 1926>

Na tu r (Realität überhaupt, auch Animalien als Realitäten) - da


denken wir an kein ausgezeichnetes Erkenntnissubjekt als Beziehungs-
punkt: Jedes beliebige Subjekt kann Erkenntnissubjektsein. In Selbst-
vergessenheit der Natur zugewendet und sie erforschend, kann ich
35 jedes Subjekt (aus der Gemeinschaft der Erfahrenden) weggestrichen
denken, ich selbst bin ersetzbar durch ein beliebiges anderes.
Dem ge gen übe r sind- nicht nur Personalität und personale Ge-
meinschaften jeder Art, sondern auch jederlei Werte und Werke
,,5 u b je k t i v", nämlich auf be s tim m t e Subjekte und Subjekt-
40 gruppen zurückweisend in ihrem eigenen Sinn gemäss. Das axiolo-
gische und praktische "Sein" als Wahrhaftsein ist zwar von jedem
Vernünftigen, der über die beurteilbare Wertmaterie verfügt, nach-
BEILAGE LX 543

wertbar: Aber es bleibt doch dabei, dass einen Wert setzen so viel
heisst als zugleich Subjekte setzen, die ihn wertend konstituieren, nur
vorausgesetzt, dass der Wert nicht selbst ein Subjekt ist: Sonst ,haben
wir ohnehin ein Subjekt gesetzt. Bei Werken ist das selbstverständ-
5 lieh. Bei Kunstwerten, Bilderwerten, Dichtungen etc., unter Ab-
straktion davon, dass sie Werke sind, werden wir verwiesen auf die
schöne Erscheinung und damit auf empfindende Menschen, wenn auch
diese nicht weiter zur Bestimmung kommen.
Doch hier bedarf es näherer Erwägung. 1
10 Also die Objektivität der Schönheit einer künstlerischen Gestaltung,
abgesehen von ihrem Werte als Werk. Der schöne Gehalt des Werkes
(literarisch etwa eine in Sprachgestalt sich bietende Phantasie-
schöpfung einer idealen Menschlichkeit): Was ist das objektive Schön-
sein dieses Schönen? Es ist etwa eine Phantasieindividualität im Bilde
15 quasi gegeben, von einem quasi Sprechenden beschrieben, gezeichnet:
in wiederholten Akten zu identifizieren, im wiederholten Lesen von
Büchern (die als "Exemplare des Werkes" verschiedene Individuen
sind) erfasst als dasselbe. In der Phantasie identifiziere ich, setze das
quasi Gegebene als dasselbe. Aber das Gebilde ist wirklich dasselbe,
20 und sein Schönheitswert ist derselbe. Dasselbe schöne Gebilde ist nicht
das Phantasierte als solches, verstanden als Korrelat des momentanen
Phantasierens. Auch nicht ein abstrahiertes allgemeines Wesen, ab-
strahiert aus den individuellen Fällen, nicht ein Allgemeines, das einen
Umfang hat. Ich meine beständig das phantasierte Thema als dasselbe
25 bzw. die Erscheinungsweise als dieselbe. Der Wortklang des Gedichtes
ist wie das Gedichtete selbst, die darin dargestellte Situation in ihrem
Wie geistiger Darstellung ist dasselbe: Ob es auch verschiedene Per-
sonen in verschiedenen Wortklängen lesen, in verschiedenen subjek-
tiven Phantasien vorstellig haben, ihr inneres Lesen, ihr äusseres
30 Rezitieren etc. reproduziert nur den Klang, der zum Gedicht selbst
gehört. Gemeint ist bei einem Schillersehen Gedicht natürlich auch
nicht der Schillersehe Akzent, sein Schwäbisch, bei einem Goetheschen
das Frankfurtsche etc. Das Gedicht in seinem Sprachleib wie in seinem
"geistigen" Gehalt ist offenbar eine I d e e, die mehr oder minder voll-
35 kommen und im übrigen in ideell unendlich vielfältigen Weisen zur
Aktualisierung kommt im Lesen. Es ist eine indi vid uelle "objek-
tive" Idee. Sie hat ihre Zeitlichkeit, nämlich die ihrer Ur-

1 Im weiteren wird nur erörtert die Werke der Kunst als Erzeugnis der objekti-
vierenden Fiktion und Schöpfung einer Verkörperung der Fikta, die eine Zumutung
für jedermann (der nachverstehen kann) schafft, das Nachphantasierte als "dasselbe"
Fiktum zu übernehmen, das der Künstler erzeugt hat in der Absicht auf solche über-
nahme.
Vorher wäre vielleicht zu erörtern der Unterschied zwischen einzelsubjektivem
Phantasieren und Phantasieren in Gemeinschaft, objektivierende Wendung: das
'Fingierte in die positionale Wirklichkeit übernehmen als willkürlich in Identität fest-
gehalten (evtl. dann fortgestaltet in "Fortführung der Phantasie"), gegenständliche
Fikta.
544 BEILAGE LX

sprungsstifthng durch den Künstler, und zwar im sprachlichen Aus-


druck, der ein Ideales allein intersubjektiv zugänglich und identifizier_
bar macht.! Somit ist jede solche objektive Idee und speziell jede, die
in eins mit einem Ausdruck ein an sich Schönes, ein objektives Wert-
S volles sein soll, objektiv ein Wer k.
Im beliebigen Phantasieren haben wir ein Phantasiertes, in der
Phantasie lebend haben wir eine phantasierte Wirklichkeit. Aber als
aktuelle Subjekte haben wir eine "Phantasie" im ontischen Sinn, als
individuell Identifizierbares, als ein wiederholbares Selbiges: z.B. ein
10 "Fiktum" als eine Gegenständlichkeit, als diese selbe Nixe, die ich
wiederholt phantasierte. Die Nixe ist unwirklich, aber diese Phan-
tasie-Nixe als solche ist ein in Wiederholung von Phantasie-
anschauungen Identifizierbares. Wir vollziehen nicht bloss mehrere
Phantasien gleichen Inhalts, sondern "wiederholend" setzen wir das
15 Phantasierte als eins und dasselbe, wir meinen dasselbe. Es ist die
eine und selbe Möglichkeit eines Daseins, das eine und selbe Exem-
plar eines Daseins als ob, zu dem wir beliebig oft zurückgreifend <zu->
rückkehren, in späteren Wiedererinnerungen, nachdem wir nicht
mehr "daran dachten". Ich kann mich daher an "die" Nixe, die ich
20 gestern phantasierte, wiedererinnern, ich kann Phantasiegegenstände
haben, die mich als identische (als individuelle Ideen) mein ganzes
Leben lang begleiten.
Doch bedarf es einer sorgsamen Analyse des Wesens dieser "set-
zungslosen" Gegenstände der Region Fiktum. Gegenstandssetzung ist
25 Setzung in bleibender Geltung. Schon in der Wiederholung liegt, wenn
sie Bewusstsein vom selben Fiktum als Gegenstand, also Setzung, sein
soll, Wiederaufnahme der früher gestifteten Geltung. Aber hier ist es
das Nonnale der Fortgeltung als "Retention", so wie wir im Phanta-
sieren einheitliche quasi-Retention und in der Wiederholung - in der
30 Einstellung der Phantasie als Neutralität - durchgehende quasi-
Retention haben, so auch in der objektivierenden Umstellung auf das
Fiktum. Aber wenn wir in das positionale Leben zurückkehren, üben
wir noch nicht jene "unbewusste" habituelle Retention, die da Fort-
geltung heisst. Wiedererinnerung an früheres Phantasieren und Phan-
35 tasiertes ist nicht ohne weiteres Wiederaufnahme, Mitmachen - das
ist es nur, wenn wir von vornherein das Fiktum als bleibenden
Gegenstand für uns gesetzt, es willkürlich dazu gemacht, geschaffen
haben, oder, was dasselbe, wenn wir es in bleibender Geltung gesetzt
haben als etwas, das uns als individuell dasselbe gelten soll. Das sagt
40 aber: Wir können altes Phantasieren der Vergangenheit wieder auf-
nehmen und fortsetzen. Das ergibt besondere Synthesen, "Zusam-

1 Zu berücksichtigen: Fixierende Objektivierung fur mich: Die Verleiblichung er-


möglicht Fikta als in perzeptiven Bi I der n urlebendig gestaltet (bildende Kunst,
Kunst in sinnlich perzeptiver Bildlichkeit). Auch Sprachkunstwerke für mich - dann
durch Einfühlung nachverstanden und zunächst ohne weiteres tibernommen, dann
erst nachkommend Hemmung, Kritik, Ablehnung hinsichtlich der Wertung.
BEILAGE LX 545

menhänge", Identität einer fingierten Welt gegenüber anderen mög-


lichen Welten.
Müssen wir nicht sagen: 1 Sukzessiv getrennte Wahrnehmungen
gleichen Gehalts, wenn sie in einem Bewusstsein auftreten (was nur
5 möglich ist in der Weise der Erinnerung an die früheren Fälle), be-
gründen ein Bewusstsein vom selben, das mehrmals wahrgenommen
worden <ist>? Volle Gleichheit des gemeinten Inhalts befasst natür-
lich auch die Horizonte. So auch in der Phantasie.
Das findet Anwendung auf den Gehalt des Kunstwerkes. Es ist
10 Phantasiegebilde und ist Phantasiertes von derselben Erscheinungs-
weise, als das in fester Geltung bleibend gesetzt - als Fiktum, Gegen-
stand: In dieser Selbigkeit ist es wirklich Schönes. Das von mir Identi-
fizierte, als bleibend geltender Gegenstand Gesetzte, kann auch inter-
subjektiv gegenständlich gesetzt werden: Das ideal identische Fiktum
15 als Objekt ist dann ein intersubjektives Objekt, ein intersubjektiv
ideal Existierendes, das wir alle uns zueignen können durch das real
objektive Sein des Werkes in seiner physischen Verleiblichung. Zu-
letzt werden wir also doch auf das schaffende Subjekt zurückgeführt,
das das Fiktum zu einem bleibenden Gegenstand bestimmt, schafft,
20 und weiter, das ein Ding herstellt, das in fester Weise für jedermann,
der verstehen kann, das geistige Idealgebilde weckt und mit dem Sinn
eines Bleibenden indiziert, das zur inneren Aneignung und zum in-
neren Besitz werden soll. Also Zumutung für jedermann, das Fiktum
als Gegenstand zu setzen.

1 Der Text dieses Absatzes wurde später gestrichen. - Anm. d. Hsrg.


Nr. 19

REINE MÖGLICHKEIT UND PHANTASIE


<Texte wohl von 1922/23>

<a» Reine Möglichkeiten <sich ausschliesslich durch phantasierende


5 quasi-Erfahrung konstituierend - Möglichkeit als Gegenstand, als
dieselbe wiederholt und evident erfassbar in wiederholtem quasi-
Erfahren - Dass Phantasie eigentlich kein Individuum als solches
wiedergeben kann>

Das Phantasiebewusstsein ist ein modifiziertes Bewusstsein.


10 Wir verstehen darunter ein solches, in dem Gegenständliches be-
wusst ist, als ob es erfahren oder erfahren gewesen wäre usw.,
während es wirklich nicht erfahren ist, nicht wahrgenommen,
nicht erinnert ist usw. Das Phantasierte ist bewusst als "als ob
seiend".
15 Das Phantasierte ist quasi erfahren als das und das, als "Seien-
des" von einem gewissen Sinn. Dieser Sinn kann ein mehr oder
minder bestimmter und offener sein. Er kann sich in passivem
Phantasieren "von selbst" näher bestimmen, nach dem eigenen
Inhalt oder Sinn, oder auch nach dem individuellen Zusammen-
20 hang, nach gleichzeitigem, vorangehendem und folgendem. Es
kann aber sein, <dass> das Phantasierte von seinem Sinn abfällt
und in einen anderen hineinfällt, dass Sinnesmomente sich inein-
ander abwandeln, aber nicht in der Weise der zur Einheit eines
Sinnes gehörigen Veränderung. Das ist so zu verstehen: Taucht
25 etwa eine Phantasiegestalt auf, von selbst so und so sich "aus-
bauend", so kann ich das quasi-Erfahrene in dem sich zunächst
darbietenden einheitlichen Inhalt (mit Unbestimmtheitshorizon-
ten) phantasierend übernehmen. Während ich es nun im fort-
TEXT NR. 19 (1922/23) 547

gehenden quasi-Erfahren erfasst habe als das dieses Sinnes,


schiebt sich ein partiell neuer Sinnesgehalt ein, übermalt und er-
setzt die bisherigen Gehalte. Die Bestimmung Rot springt über
in die Bestimmung Blau, geht in Blau über, ohne dass ich dieses
5 als gegenständliche und' quasi erfahrene Veränderung meine. Ich
war etwa eingestellt auf unverändertes Rot. Ebenso, jemand ist
(in Phantasie) als blond erfahren, und nun schiebt sich braun ein,
als blauäugig, nun wird braunäugig daraus: nicht als "erfahrene"
Veränderung. Würde ich den Gegenstand alten Sinnes festhalten,
10 dann würde ein Widerstreit, Unverträglichkeit etc. erwachsen.
Aber Phantasieren ist so geartet, dass ein quasi-Erfahrenes mit
seinem Sinn fallen gelassen werden kann, oder dass sein Sinn
partiell fallen gelassen werden kann und dafür ein anderer Sinn,
ein abgewandelter, aufgenommen, evtl. willkürlich substituiert
15 <wird>.
Andererseits kann ich ein Phantasiertes als dieses da erfassen,
es identisch festhalten, und ich kann ihm teils durch Übernahme
der sich passiv darbietenden Inhaltswandlung als "erfahrener"
Veränderung oder als erfahrener Näherbestimmung, teils durch
20 willkürliche Näherbestimmung, durch willkürliches Gestalten,
Umwandeln den Gehalt seines Soseins und Werdens in der fort-
gehenden quasi-Erfahrung vorschreiben. Halte ich dabei solche
Linien ein, dass bei all dieser Willkür in passivem Gehenlassen
und aktivem Gestalten eine Synthese der Einheit oder Identitäts-
25 deckung resultiert, also ein und derselbe Gegenstand in Ein-
stimmigkeit des Sinnes quasi erfahrener ist, so konstruiere ich
damit einen "möglichen Gegenstand". Ich kann auch sagen:
Setze ich ein leer oder anschaulich (mehr oder minder klar) Auf-
tauchendes als dieses, und als dieses des von mir willkürlich fort-
30 zugestaltenden oder umzugestaltenden Sinnes, und setze ich es
in der Weise eines quasi-Erfahrenen, sich durch quasi-Erfahrung
ausweisenden, so "denke" ich eine Möglichkeit, und ich kon-
struiere sie, ich bringe sie zur Gegebenheit, wenn ich eine synthe-
tische Erfahrungseinheit im Modus der Phantasie konstruiere, in
35 der jede willkürliche Sinnesgestaltung so erfolgt ist und weiter
erfolgt, dass eine Einheit erfüllten einstimmigen Sinnes und in
der Einheit quasi wahrnehmender Synthesis eine Einheit des
Erfahrungsgegenstandes einstimmigen Sinnes sich konstituiert.
Das in der Einstellung des phantasierenden Träumens "wie"
548 TEXT NR. 19 (1922/23)

Erfahrenes und zunächst einstimmig Wahrgenommenes Vor-


schwebende, der erträumte wirkliche Gegenstand (erträumte
Wirklichkeit) ist in der Einstellung des in der aktuellen Gegen-
wart bewusst Lebenden selbst etwas Wirkliches, nämlich eine
5 von ihm erfasste, "erfahrene" reine Möglichkeit. Im Tl'äumen ist
das träumende Ich in den Traum verloren, es wird das Ich im
Traum, quasi-Subjekt der quasi-Erfahrung. Im wachen Bewusst-
sein ist das wache Ich doch evtl. als phantasierendes betätigt. Es
verliert sich nicht im Traum, es vollzieht als waches einen Über-
10 gang ins Träumen und vollzieht eine aktuelle Setzung, ein ak-
tuelles ego cogito, in dem es das quasi-Erfahrene als solches er-
fasst und in einer willkürlichen Sinnesgestaltung und erfüllenden
Phantasiegestaltung von einheitlicher Anschaulichkeit, in Form
einer einheitlichen quasi-Erfahrung einen individuellen quasi-
15 Gegenstand konstruiert. Solange dieser in identischem Sinn und
identischer Sinneserfüllung der quasi-Erfahrung phantasierter ist,
solange hat das aktuelle Ich eine und dieselbe Möglichkeit, einen
und denselben möglichen Gegenstand als möglichen ursprünglich
gegeben, "erfahren".
20 Eine Möglichkeit ist gesetzt, wenn irgend etwas von dem und
dem Sinn gesetzt ist, als etwas, das durch Phantasieanschauung
zu realisieren ist als ein in diesem Sinn einstimmig Erfahrbares.
Die Erfahrung "in" der Phantasie ist selbst mögliche Erfahrung.
Eine reine Möglichkeit wäre eine solche, in der keine individu-
25 elle Wirklichkeit mitgesetzt ist als Wirklichkeit, die also eine
Gegenständlichkeit ist, die sich ausschliesslich durch phanta-
sierende quasi-Erfahrung konstituiert.
Eine Möglichkeit ist ein Gegenstand. Sie ist wiederholt als die-
selbe Möglichkeit zu erkennen, als dieselbe zu erfahren. Darin
30 liegt, dass ein quasi-Erfahrenes in einer zweiten quasi-Erfahrung
als quasi seiender Gegenstand desselben Sinnes oder als quasi
derselbe quasi erfahren sein kann, und dies selbst ist evident
konstatierbar. Dem entspricht die Möglichkeit einer syntheti-
schen Phantasie, in welcher das in der Phantasie dies und dann
35 jenes quasi erfahrende Ich in einer Synthesis der quasi-Erinnerung
sich von demselben "Gegenstand" überzeugt.
Aber ist für die aktuelle Synthese des die identische Möglich-
keit Konstatierenden diese quasi-Synthese inder Phantasie
vorausgesetzt? Das aktuelle Ich konstatiert die wirkliche Iden-
TEXT NR. 19 (1922/23) 549

tität zweier Möglichkeiten, auf Grund jener phantasierten Syn-


thesis konstatiert es die mögliche Identität zweier Möglich-
keiten. Das ist zunächst nicht dasselbe. Aber wie stehen sie zu-
einander? Besteht Äquivalenz?
5 Überlegen wir folgendes: Eine Möglichkeit ist als dieselbe wie-
derholt und evident erfassbar, in wiederholtem quasi-Erfahren zu
konstituieren als dieselbe, desselben Sinnes.
Z.B. einen Zentauren kann ich mir wiederholt als diesen selben
fingieren, individuell genau als denselben, in derselben Zeitstrek-
10 ke (Phantasiezeitstrecke). Ähnlich wie ich eine Wahrnehmung
wiederholt als dieselbe mir vergegenwärtigen kann (in wieder-
holten klaren Wiedererinnerungen), so kann ich eine quasi-Wahr-
nehmung wiederholen; das hiesse: Ich kann die erste Phantasie
des Zentauren reproduzieren und in dieser Wiedererinnerung die
15 frühere quasi-Wahrnehmung wieder aufnehmen, also ihren quasi-
Gegenstand wiederum setzen als denselben und vom selben Sinn,
eben als erinnerten, wenn die Erinnerung konkret ist. So nehme
ich ,die frühere Möglichkeit wieder auf als dieselbe und bestimme
mir sie evtl. willkürlich, in willkürlich einstimmiger Sinnes-
20 gestaltung innerhalb der Identität näher.
Ich kann aber auch aus jeder gegebenen Möglichkeit neue
Möglichkeiten gestalten. Ich kann rückgreifend bestimmen, das
oder jenes soll nicht so, sondern anders gemeint sein, und jedem
geänderten Sinn gemäss kann ich die erfüllende quasi-Wahr-
25 nehmung folgen lassen, und so aus einer mehrere Möglichkeiten
schaffen. Natürlich miteinander "unverträgliche", was besagt,
dass die Deckung in solcher Umbildung ein Selbiges durchhält,
an dem die abgewandelten Bestimmungen, wenn sie alle zumal
angesetzt würden, ich also, den Gegenstand festhaltend, ihn bald
30 so, bald so und im Zugleich ansetzen würde, evidenten Wider-
streit, evidente wechselseitige Aufhebung ergeben würden.
Kann ich also eine Möglichkeit nur durch Wiederaufnahme,
durch Wiedererinnerung an sie (was eine Wiedererinnerung der
Phantasie einschliesst) als dieselbe wiedererkennen, so hängt
35 natürlich die Wahrheit dieser Identität an der Zuverlässigkeit
der Wiedererinnerung.
Es ist auch klar, dass diese Möglichkeit als diese subjektiv ist,
sie ist die Möglichkeit, deren Sinn ich mir gestaltet habe und mir
weiter evtl. noch gestalte; und die nur in dieser Kette von mög-
lichen Wiedererinnerungen ihre Identität durchhält.
550 TEXT NR. 19 (1922/23)

Bilde ich mir jetzt durch Einfälle und freie Sinnesvorzeichnung


eine Möglichkeit A, so kann ich ein andermal ideal gesprochen
"genau dieselbe" wieder haben. Aber ist es wirklich dieselbe,
wenn die zweite Bildung nicht eine genaue Wiedererinnerung der
5 ersten ist? Oder ist es nicht bloss eine gleiche? Es mag sei.n, dass
ich, das zweite Mal A bildend, nachträglich mich erinnere, dass
ich eine gleiche Bildung, mit einem gleichen Gegenstand, früher
gebildet hatte. Dann kann ich doch nicht ohne weiteres sagen,
das sei dieselbe individuelle Möglichkeit. Erst wenn ich willkür-
10 lich in der zweiten die erste wiedersehen will, d.i. aber, wenn ich
der zweiten Phantasie die Bedeutung einer Wiedererinnerung der
ersten gebe, kann ich sagen: Beides gibt mir dieselbe Möglichkeit.
Denke ich mir, ein Anderer bilde die gleiche Möglichkeit, so
kann <ich> für ihn, wenn er davon erführe, dass ich eine gleiche
15 gegeben hätte, auch nicht ohne weiteres die Identität ansetzen.
Die individuelle Identität muss Möglichkeiten der Ausweisung
haben.
Es ist hier Verschiedenes zu beachten. In einer Wahrnehmung
baut sich ursprünglich der Wahrnehmungs gegenstand auf in sei-
20 nem ursprünglichen Sinn. In einem voll bestimmten, wenn die
Wahrnehmung eine immanente ist. Individuierend fungiert dabei
der immanente Zusammenhang nach Vergangenheit und Gegen-
wart.
Wie steht es mit einer "quasi-Wahrnehmung"? Die Phantasie-
25'möglichkeit ist notwendig unbestimmt schon in Hinsicht der
Gradualität der Klarheit und Unklarheit. In der Klärung be-
stimmt sich der Sinn selbst näher. Ich habe in der Phantasie als
einer Vergegenwärtigung verschiedener Klarheitsstufe notwendig
Distanz vom Gegenstand selbst und von der eigentlichen quasi-
30 Wahrnehmung, die ich quasi ursprünglich aufbaue, und so ist der
phantasierte Gegenstand unbestimmt nach dem sich quasi auf-
bauenden Sinn, ungleich einer Wiedererinnerung, die eine im
voraus gerichtete thetische Intention hat. Also der anschauliche
Sinn selbst ist hier fliessend. Er ist nur dem Allgemeinen nach
35 fest, als Farbe, als Rot etc. bestimmt, das ist hier nicht ein ge-
dachtes Allgemeines, ein begriffliches, sondern eine Form der
Variabilität. Für das quasi Individuelle selbst, das phantasierte,
ist keine bestimmte Differenz fixiert und nicht bis ins letzte
fixierbar . Es ist offenes, und bekomme ich in einer Wiederholung
TEXT NR. 19 (1922/23) 551

eine grössere Klarheit, mit reicherem Inhalt, so mag ich den gel-
ten lassen, aber ich hätte es auch, wenn die Wiederholung einen
anderen: Inhalt eingefügt hätte. Ich kann bei der Wiederholung,
die Erinnerung ist, doch nicht sagen, dass gerade die neue Dif-
5 ferenz, die bestimmtere, die gemeinte wäre. So auch bei mög-
lichen Einzeichnungen von neuen Bestimmungen, die eben vor-
dem offen waren.
Dazu kommt aber, dass eine wirkliche Wahrnehmung nicht nur
Wahrgenommenes des und des Sinnesgehalts ist, sondern auch
10 individuelle Zeitbestimmung in sich birgt, die das wahrgenom-
mene Individuelle in ein Reich des Individuellen einordnet.
Wesensgesetzlich gehört zum Jetzigen, dass es sich nicht nurim-
mer wieder als individuell dasselbe ausweisen lässt, in beliebigen
Wiedererinnerungssynthesen, sondern dass es <eine> Stelle in der
15 erfüllten Zeit hat, der Struktur des Zeitbewusstseins entspre-
chend. Auch das quasi-Erfahrene hat seinen Zeithorizont, aber
diesedst unbestimmt und beliebig durch Phantasie auszufüllen.
Jede solche Ausfüllung würde dem Individuellen eine andere in-
dividuelle Bestimmung zuteilen. 1 Zwei inhaltlich gleiche Wieder-
20 erinnerungen haben vielleicht unexplizite und "unbestimmte"
Horizonte, aber sie lassen sich explizieren, und die Bestimmung
ist vorgezeichnet. Sie können, wie sich dann zeigt, apriori nicht
völlig gleiche Erfüllung zulassen, und wenn sie dasselbe wieder-
erinnern, hat das Wiedererinnerte verschiedenen Vergangen-
25 heitsmodus. Inhaltlich gleiche Phantasien haben eine zeitliche
Unbestimmtheit, die nicht bestimmen lässt, ob sie gleichzeitig
oder nicht gleichzeitig, ob sie dasselbe oder Verschiedenes ver-
gegenwärtigen. Sie sind analog gleichen Wiedererinnerungen,
aber solchen, deren Horizont unexpliziert ist, und sind so be-
30 schaffen als wie Wiedererinnerungen, deren Horizonte überhaupt
nicht explizierbar wären, was freilich widersinnig ist. Aber wie
ich in der Wiedererinnerung eine Gegenwart im Modus "wieder"
aufleuchten sehe und doch erst durch den Horizont und seine
Explikation weiss, welche Gegenwart es ist, und daher weiss, ob
35 zwei Wiedererinnerungen gleichen Inhalts dasselbe oder Ver-
schiedenes, individuell gesprochen, vergegenwärtigen, so habe
ich bei gleichen Phantasien aufleuchtende Gegenwarten als ver-
1 Diese Unbestimmtheit, die beliebig ausfüllbar ist, ist wesentlich verschieden von
der Unbestimmtheit im Rahmen der Erfahrung, des positionalen Bewusstseins.
552 TEXT NR. 19 (1922/23)

gegenwärtigte, aber keine Bestimmung, welche Gegenwart es ist.


Jede Vergangenheit und mögliche Vergangenheit oder mögliche
nichtvergegenwärtigte Gegenwart sieht gleich aus bei gleichem
Inhalt.
5 Hat das nicht Bedeutung für die ursprüngliche ~I;mstitution
des Zeitbewusstseins ? Kann man noch sagen, dass die Urimpres-
sion als solche den individuellen Zeitpunkt stiftete? Tut sie es
nicht in dem Zusammenhang, vermöge der Erfüllung der Pro-
tention? Das führt zu Schwierigkeiten. Die Urimpression stiftet
10 allerdings ursprünglich; sie ist Urquelle der Individualität und
selbst urindividuell. Aber sie ist, was sie ist, ein Unselbständiges
im Strom und nur an ihrer Stelle denkbar. Wie steht es dann
aber mit einer Phantasie als Vergegenwärtigung (einer Gegen-
wart)? Sie gibt eine mögliche Gegenwart, aber keine wirkliche,
15 und damit keine individuelle. Das ist doch eigentlich merkwürdig.
Ein Individuum lässt sich eigentlich nicht voll und ganz fingieren.
Jede individuelle Möglichkeit ist radikal unbestimmt, wesens-
mässig, und die Unbestill1mtheit ist keine vollkommene, und sei
es auch phantasiemässige quasi-Bestimmbarkeit. Das aber ist das
20 Gegenstück davon, dass jede wahmehmungsmässige Wirklich-
keit die parallele Eigenschaft hat, dass sie ist, was sie ist, nur in
dem Zeitzusammenhang und so die Unendlichkeit des Lebens in
sich trägt bzw. von ihm getragen ist, das als vergangenes erledigt
ist, aber endlos explizierbar als zukünftiges fortschreitet und dem
25 individuellen zeitlichen Sein, obschon es jetzt nicht mehr ist, doch
immer neue Zeit bestimmung zuerteilt.
Ein individuelles Datum kann nie absolut gleich wiederkehren,
obschon Gleichheit möglich ist. Es tritt an seiner Stelle des Le-
bens auf, und das ist für es selbst nicht bedeutungslos. Dieser
30 Charakter des lebendig Daseins, das, was allererst konkret-indi-
viduell macht, lässt sich nicht erfinden, und wenn eine Phantasie
dergleichen wie ein gegenwärtiges Leben vergegenwärtigt, so
schafft sie quasi-Anschauungen, aber in einer Weise der Umge-
bung mit unbestimmtem Horizont, dass dieser dabei nur fungiert
35 als Index für beliebige Möglichkeiten der Erfüllung der Form der
Zeitkonstitution.
Danach kann Phantasie eigentlich kein Individuum als solches
wiedergeben, sie gibt "etwas", das in der Form eines Individuel-
len auszugestalten ist und nur nach seinem hinsichtlich der In-
TEXT NR. 19 (1922/23) 553

dividualität unbestimmten Sinnesgehalt anschaulich wird. Es ist


sehr schwer, die Sachlage aber völlig klar zu beschreiben und da-
für die Begriffe zu finden. Eine individuelle Möglichkeit gewinne
ich, wenn ich ein erfahrenes Individuum in Phantasieumgestal-
5 tung mir denke.
Eine reine Möglichkeit, die nichts Individuelles anderwärtig
vorfixiert hat durch unterliegende Erfahrung, ist also nie Mög-
lichkeit eines fest bestimmten möglichen Individuums, sondern
hat die Form: etwas von diesem und diesem anschaulichen Gehalt.

10 <b) Ob nicht reproduktive Gegebenheiten, anschauliche Vergegen-


wärtigungen wesensmässig etwas Fliessendes haben. Kenntnisnahme
zn der Wiedererinnerung - Idee der Wirklichkeit und thetisch
unmodifiziertes Bewusstsein; im Gegensatz dazu das phantasie-
mässig modifizierte Bewusstsein und Frage nach der konstitutiven
15 Lez'stung der Phantasie. Rolle des freien Ansatzes für die Konstitu-
tion einer Gegenstandsmöglichkeit und Erfüllung dieses Ansatzes in
Abhebung von der Erinnerung. Modifikation des Als-ob hat ihre
konstitutive Vernunft, deren Korrelat: reine Möglichkeit - Die
Unbestimmtheit in der Phantasie und das Sich-Bestimmen, Näher-
20 bestimmen, Andersbestimmen in der Phantasie - Das Sein der
Phantasiegegenständlichkeiten "erfahrbares" Sein>

Möglichkeiten, individuelle reine Möglichkeiten speziell (aber


überhaupt individuelle Möglichkeiten), sind fliessend. Z.B. die
Möglichkeit eines Hauses, eines Baumes. Sie sind nicht in dem
25 Sinn evident identifizierbar wie individuelle Wirklichkeiten.
Müssen wir nicht allgemeiner sagen: Reproduktive Gegeben-
heiten, anschauliche Vergegenwärtigungen haben wesensmässig
etwas Fliessendes, und schon wenn wir Wiedererinnerungen neh-
men, haben wir das Problem, wie <wir> im Schwanken und
30 Fliessen und Sich-Wandeln des "Erinnerungsbildes" (abgesehen
von dem Ausfallen desselben, wobei aber auch der Wandel in
Form des schnell Verklingens und Verwehens und wieder aus dem
Dunkel Hervortretens unter Ansteigen der "Klarheit" seine Rolle
spielt) von einem Anschauen des identischen Gegenständlichen,
35 etwa gar des unveränderten Gegenstandes einer Erinnerung
sprechen sollen?
554 TEXT NR. 19 (1922{23)

Hier geht durch das Gegenstandsbewusstsein ·in der gegebenen


"Bewusstseinslage" eine unmodifizierte "Intention", ein Glaube,
und dieser geht "durch" das anschauliche Bild und die Bildmo-
mente, die die entsprechenden gegenständlichen Momente (die
5 reproduktiv zu gebenden) "vertreten", "surrogieren':. Die In-
tention erfüllt sich als ein Streben gegen das reproduktive
"Selbst" des Gegenstandes, wenn ich zu einer Bildwandlung (bzw.
einem umgewandelten Bildmomente) komme, im Bewusstsein
des "Selbst". Das Bildmoment kann bewusstseinsmässig das
10 Selbst mehr oder minder vollkommen darstellen, es kann sein,
dass momentan die "Distanz" "verschwindet " , dass sie "sehr
klein" ist, dass ich das Bewusstsein habe des "ungefähr", des
"fast genau" . Oft aber habe ich das Bewusstsein des ganz "an-
ders", des "sehr verschieden".
15 Es kann sein, dass ein Erinnerungsbild als erinnernde Anschau-
ung gemäss einer vorangehenden darauf gerichteten Ichintention,
eines vom Ich her leeren Hingerichtetseins, auftaucht; es kann
auch sein, dass es "passiv" als Einfall auftaucht, als Erfolg einer
passiven und bloss assoziativen Motivation, ohne "Ichbeteili-
20 gung", ohne Moment aktiven Strebens. Das einfallende Bild affi-
ziert mich, ich wende mich zu; im Einfallen vor der Zuwendung
liegt schon der zur sekundären Sinnlichkeit gewordene Glaube,
der sich in der Zuwendung aktiviert. Es geht also eine "Intention"
auf den Gegenstand. Ist er aber jetzt mit dem Bewusstsein einer
25 Distanz gegeben - "unklar", etwa im "Durchlaufen" gar als
anders, als er sich hier "darstellt" -, so kann sich die Intention
in eine strebende verwandeln, gerichtet auf das gegenständliche
Selbst (oder das Selbst des betreffenden Momentes), und zwar
entweder auf bloss grössere "Nähe", auf bloss grössere Klarheit
30 oder auf Herstellung des Selbst, das dabei noch Grade der Klar-
heit haben kann. Denn diesen Unterschied müssen wir machen.
Ein Mann ist vorstellig in blondem Bart, ich bin aber zweifelhaft,
ob er wirklich blondbärtig ist, ja "weiss" schon, dass das eine
falsche Darstellung ist, ich will die wahre Farbe mir zu Gesicht
35 bringen. Andererseits kann ich sie schon haben, aber das Bild
kann noch unklar sein.
Der Gegenstand selbst ist hier ein mögliches Ziel, und zwar ist
hier zu sagen 1) jeder Erinnerungsgegenstand ist ein schon "be-
kannter" Gegenstand. Das ist, seine Kenntnisnahme in der Er-
TEXT NR. 19 (1922/23) 555

innerung ist charakterisiert als "Wieder"erinnerung, als Wieder-


holung früher schon vollzogener Kenntnisnahme. 2) Doch das
bedarf einer Einschränkung. Das betrifft die Wiedererinnerung
eines aktiven Sehens, also das "ich habe das (betrachtend) ge-
5 sehen". Dabei kann es 'sein, dass ich im besonderen im Wieder-
betrachten etwas ersehe, was ich früher nicht originaliter be-
trachtet, beachtet habe. Es ist wieder gesehen in der Weise einer
passiven Wiedererscheinung, aber jetzt erst affiziert "es" mich
(im Modus des Wiedererscheinens) in dieser Hinsicht, und jetzt
10 erst betrachte ,ich. Andererseits ist aber auch dies möglich, dass
ein nie Betrachtetes nun wiedererscheint, etwa als Hintergrund-
gegenstand eines Beachteten, dass seine Wiederaffektion jetzt zur
"Affektion in der Erinnerung", zur wirksamen Erinnerungsaffek-
tion wird und eine Betrachtung in der Wiedererinnerung die
15 Folge ist~ ,
3) Die Kenntnisnahme in der Wiedererinnerung in diesen Mo-
dis ist aber je nachdem charakterisiert als Kenntnisnahme im
vollen adäquaten Sinn (des Gegenstandes nach der wiedererinner-
ten Seite etc.) oder als eine "unvollkommene", unklare, oder an-
20 genäherte, oder selbst unrichtige Kenntnisnahme. Die Intention
auf Kenntnisnahme kann also die Form annehmen eines Strebens
nach vollkommener Vollführung der Wiederkenntnisnahme
(oder'der Kenntnisnahme "in der" Erinnerung). Darin liegt also
eine wesentliche Mittelbarkeit, die zum Wesen der Wiedererin-
25 nerung als ein System von Möglichkeiten gehört.
Hier sind aber noch schwierige Modi wohl zu unterscheiden.
Zunächst: Wir nehmen an, dass, wie beschaffen das "Erinnerungs-
bild" auch sei, das Bewusstsein doch Bewusstsein vom Gegen-
stand- als diesem individuellen sei, und zwar ein "unmittelbar"
30 auf ihn bestimmt gerichtetes Bewusstsein. In gewisser Weise ist
eine Leerintention eine mittelbare, sofern sie erst in der anschau-
lichen Erfüllung den Gegenstand "selbst" dem Bewusstsein
gleichsam einverleibt. Andererseits ist sie in einem guten anderen
Sinn unmittelbar, nämlich wenn wir unmittelbar ein Bewusstsein
35 nennen, das nicht durch <ein> vermittelndes! Bewusstsein hin-
durch auf den Gegenstand gerichtet ist und daher, um zum
Selbst zu gelangen, erst mittelbarer Erfüllungen bedarf,2 die dann
1 Später eingefügt: "zweites". - Anm. d. Hrsg.
2 Später eingefügt: "in diskret abgesetzten Schritten". - Anm .d. Hrsg.
556 TEXT NR. 19 (1922/23)

überhaupt keine anschaulichen Erfüllungen zu sein brauchen. So


kann mir eine Person vorstellig sein durch ihren auftauchenden
Namen; sie selbst aber sei nicht nur nicht selbst anschaulich ge-
geben, sondern ich habe von ihr jetzt gar keine bestimmte Vor-
5 stellung. Ich kann auch unanschaulich eine ganz bestimmte ha-
ben. Dann habe ich den Namen anschaulich (etwa eine akustische
Vorstellung) und in eins damit die Erfüllung der nominalen In-
tention in einer Leervorstellung bestimmten Sinnes. Es kann
dann auch das Bild und im Bild sie selbst auftauchen. Ist also die
10 Intention eine unmittelbare, so sagt das Bewusstsein der
"Distanz" (das der graduell wechselnden Unklarheit oder das
des Andersseins, als das Bild selbst es darstellt) dies, dass ich eben
ein "Bild" habe in dem Sinn, dass ich einen vorschwebenden
Gegenstand habe und, ähnlich wie bei einer Abbildung, durch
15 ihn hindurch, aber vom Bild verdeckt oder in ihm nur in einiger
Ferne verähnlicht, den Gegenstand selbst bestimmt vorstellig
habe, aber nicht darum in einem zweiten anschaulichen Vor-
stellen. Eine Deckung setzt voraus, dass das sich einstellende
Bild nicht völlig fremd sei dem verdeckten Selbst. Im Beispiel der
20 Vorstellung durch Namen kann es sein, dass das geweckte Bild
zunächst als das des Genannten sich gibt, weil ich eben nicht vor-
her die bestimmte Richtung auf den genannten Gegenstand
schon hatte, während der Name doch die abgebildete Person
etwa assoziativ und motiviert herbeizieht und sich als Genanntes
25 gibt. Aber dann merke ich, nämlich dadurch, dass sich der Ge-
nannte vermöge der Motivation, die zum Namen in diesem Be-
wusstseinszusammenhang gehört, sich als der in diesem Geforderte
und Gemeinte einstellt, und ich sehe, dass der Name assoziativ
mich in andere Motivationslagen hineingezogen hat, in denen er
30 jene auftauchende Bildpersönlichkeit forderte. Ich merke so die
Verwechslung.
So kann ich auch die assoziativen Motive auseinanderlegen, die
in einem Bild!, das unmittelbar als Bild von A sich gibt (von dem
A, das jetzt in meiner direkten bestimmten Erinnerungsintention
35 liegt), unpassende Züge hereinbrächten, die dem gemeinten A
widerstreiten und sie verdecken, ohne verähnlichende Darstel-
lung. Dies Verdeckende kann übrigens klar oder unklar erschei-

1 "Bild" später verändert in "Erinnerungsbild". - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 19 (1922/23) 557

nen. Die Unklarheitsunterschiede gehören in eine andere Di-


mension, und Wechsel der Klarheit ist nicht Wechsel des Sinnes
des Objekts.
Nachdem wir die Wiedererinnerungen so weit studiert <haben>,
5 sind wir noch nicht fertig. Die adäquaten Wiedererinnerungen
geben sich als eine Art Wahrnehmungen. Einerseits sind sie Wie-
dererinnerungen, Wiederkenntnisnahmen von Bekanntem, Er-
neuerungen alter Kenntnis. Andererseits sind sie zu wiederholen-
de "Wahrnehmungen" von zeitlichem Sein. Sie bringen es in sei-
10 nem Selbstsein zur Gegebenheit und immer wieder als dasselbe,
nur in einem wechselnden Orientierungsmodus des Vergangen.
Nur dadurch ist die originäre Wahrnehmung (die Jetztwahrneh-
mung), die das Objekt im Modus der Präsenz gibt, eine Wahr-
nehmung von Individuellem, dass sie das Wahrgenommene in
15 einem der Orientierungsmodi gibt, die wesensmässig zum Wirk-
lichsein des Individuellen gehören, und zwar in dem ersten, aus
dem alle anderen entquellen: was selbst nur in Ketten der Wie-
dererinnerung (die auf die subjektiven Modi des Erlebens ge-
richtet ist bzw. auf die korrelativen Orientierungsmodi) evident
20 werden kann. Jede Wiedererinnerung ist ebensogut eine Wahr-
nehmung des Zeitobjekts als die ursprüngliche Wahrnehmung
desselben in seiner Präsenz.
Freilich ein Besonderes ist die Wahrnehmung von bleibenden
Naturobjekten: im Vergleich mit vorübergehenden Zeitobjekten
25 und speziell von immanenten Objekten. Ein N aturobjekt ist
bleibend im Wechsel und verharrend auch nach der Wahrneh-
mung gleichwohl wieder wahrnehmbar, wie es auch war, ohne
wahrgenommen gewesen zu sein. Es gibt hier Wahrnehmung als
originäres Gegebensein im Modus der Präsenz und dabei als
30 wiederholt es und beliebig oft zu wiederholendes Wahrnehmen
von demselben, und demselben in verschiedenen Präsenzen
und in verschiedenen Erinnerungsreihen, deren jede die Zeitstelle
der Präsenz objektiv identifizierbar macht. Die Wiedererinnerung
gehört auch hier zur Konstitution der identischen objektiven
35 Zeitstellen, die Wahrnehmung aber zur Konstitution der Fort-
dauer, des objektiven Verharrens in eine objektive Zukunft hin-
ein usw.
Mit der Idee der Wir k li c h k e i t stehen wir im System der
thetisch u n m 0 d i fi z i e r te n Intentionalität, in der Intentio-
558 TEXT NR. 19 (1922/23)

mllität der Doxa, des Glaubens. Der Glaube ist nicht etwas den
Vorstellungen Angehängtes, nicht ein ihnen sich beigesellendes
feeling, eine bald vorhandene, bald fehlende Weise des Zumute-
seins bei solchen Vorstellungen, sondern ist das unmodifi-
5 zierte Bewusstsein selbst. Es steht unter Gesetzen der
Vernunft, das ist Wesensgesetzen der intuitiven Erfüllung un-
modifizierten Bewusstseins, bzw. Wesensgesetzen der Setzung
von Gegenständen als Identitäten undurchbrechbarer Bewäh-
rung, die an sich "sein" können gegenüber dem wechselnden (un-
10 modifizierten) Bewusstsein. Konstitution von seienden Gegen-
ständen einer seienden Welt ist die Vernunftleistung.

Ob Phantasiegegenstände "mögliche Gegenstände" sind

Betrachten wir das "phantasiemässig" modifizierte


Bewusstsein, so ist für es im Gegensatz dazu charakteristisch,
15 dass es zu keinen konstitutiven Leistungen befähigt ist, wenig-
stens nicht direkt: Es gibt keine Phantasiegegenstände - als
seiende, es gibt keine seienden Phantasiewelten.
Man wird nun sagen: Phantasiegegenstände sind mögliche
Gegenstände, Phantasiewelten mögliche Welten. Aber was mir
20 die Phantasie, etwa in der Weise eines Einfalls, vorstellig macht,
bedarf eines freien Ansa tzes, um eine feste Richtung auf eine
"Gegenständlichkeit" als eine bestimmte Gegenstandsmöglich-
keit zu haben, und die Erfüllung dieses Ansatzes in Form der
Näherbestimmung bedarf einer freien Tat der Bestimmung, der
25 Wahl des Erfüllenden, wodurch dann die Gegenständlichkeit
Vorzeichnung erhält, aber mit neuen Unbestimmtheiten, die
wieder frei erfüllte sind.! Die Freiheit ist gebunden, sofern hier
Wesensgesetze möglicher quasi-Erfüllung im Rahmen der Ein-
heit einer identischen möglichen Gegenständlichkeit als inten-
30 tionaler und noch unbestimmter liegen.
Aber hier bedarf es der Erwägung. Wesensbestimmung der
Phantasie ist ein grosses Problem. Mache ich den "Ansatz", die
willkürliche Thesis des Seins eines Phantasierten (das nicht an-

1 Aber ich kann doch in der Phantasie passiv leben, mich ihr hingeben und quasi
erfahrend zusehen, was in der Phantasielandschaft z.B. passiert. Ich kann mir auch
denken, dass ich "in der Phantasie" aktiv erkennend mich verhalte, aktiv kenntnis·
nehmend - aber alles untersteht der Freiheit.
TEXT NR. 19 (1922/23) 559

schaulich zu sein braucht), so verwirklicht, erfüllt sich dieser An-


satz im Eintreten einer entsprechenden Anschauung wie bei der
Erinnerung, und doch ganz anders. Bei der Erinnerung erfüllt
sich die Intention auf das Selbst in einem "geglaubten", in einem
5 von sich aus als wirklich sich gebenden Selbst, und soweit es einen
Sinn hat, der noch unerfüllt ist, geht die Intention weiter und er-
füllt sich in immer neuer Wirklichkeit. Da bin ich in einem Zu-
sammenhang der "Wirklichkeit", die ich nicht "erfinde", die ich
mir nicht (als Wirklichkeit) einbilde, sondern "vorfinde". In
10 meiner Freiheit steht nur das Losgehen auf das Selbst, die mög-
lichen Wege sind dabei vorgezeichnet, so bei Dinglichkeiten die
erinnerungsmässige Realisierung von Kinästhesen, die entweder
selbst "Wiederholung" wirklich vollzogener Kinästhesen sein
wollen, also in diesem Modus "wirklicher" Motivanten auftreten,
15 oder nicht, dann aber den Charakter "realer Möglichkeiten" ha-
ben. Das kinästhetische System hat als System realer Möglichkei-
ten, realer Gekonntheiten einen Seinsmodus und der Ansatz einen
entsprechenden Charakter, der die Freiheit bindet. Wir sind also
nach Motivanten und Motivaten in einem Glaubenssystem, auch
20 die Ansätze sind durch Glauben gebunden oder haben den Cha-
rakter von Glaubensmodalitäten, sind also selbst Glaube.
Die reine Phantasie neutralisiert, modifiziert allen Glauben, sie
modalisiert ihn nicht zu einem neuen Glauben eines modalisierten
Seins. Aber muss man da nicht anders sagen? Sie konstituiert
25 doch "ideale", "reine" Möglichkeiten. Was vorliegt, ist: Soweit
Glaube noch da ist, "entbindet" die Phantasieeinstellung von
ihm, sie nimmt den wirklichen Glauben, "als ob" es Glauben
wäre, das Wirklich-sein wird zu einem Sein-aIs-ob (als ob es
Wirklichkeit Wäre). Selbst der Ansatz nach allen Motivanten
30 wird zum Ansatz-als-ob. Wie komme ich nun aber zur Klärung
der Setzung reiner Möglichkeit, die doch eine wirkliche Setzung,
ein Glaube ist? Die Modifikation des Als-ob ist eine eigene
Dimension von Modifikationen, die allen in dieser Hinsicht un-
modifizierten Glaubensmodalitäten (bzw. Seinsmodalitäten) ge-
35 genübersteht. Und diese Modifikation, wie jede andere, ist B e-
wusstsein-von und ha t ihre konsti tu ti ve Vern unft.
Ihr Korrelat ist die reine Möglichkeit. Das sagt, das "Sein als ob"
kann selbst ein Vermeintes und Wirkliches sein, eine Als-ob-
Modifikation vollziehen ist selbst wieder ein Glauben, dessen
560 TEXT NR. 19 (1922/23)

Geglaubtes das Als-ob ist, und dieses kann evtl. evident ge-
gebenes sein, d.i. zu originärer, zu Selbstgegebenheit kommen.
Ich habe bei jeder "Reproduktion" eine doppelte
Einstellung als Möglichkeit: E n t w e der ich lebe "in" der Re-
5 produktion, und so nehme ich gleichsam wahr, denke, fühle
gleichsam, ich lebe in der Vergangenheit, in der Erinnerung und
bin dabei der Erinnerung inne. Ich lebe im "gleichsam", im "als
ob". 0 der ich nehme im Jetzt Posto und bin das wirkliche Sub-
jekt und verhalte mich in meinem wirklichen Bewusstsein zum
10 Reproduzierten, das von dem Jetzt aus als Reproduziertes cha-
rakterisiert ist, als Vergangenes (vergangene Gegenwart, als ver-
gegenwärtigte, aber nicht gegenwärtige wirkliche, als modifi-
zierte).
Zu jeder Reproduktion gehört es, "Modifikation" zu sein, und
15 das Modifizierte ist ein Als-ob. l Im Fall der reinen Phantasie hat
das Reproduzierte nicht den Charakter des Seienden (in einem
Seinsmodus) schlechthin, sondern des "Seienden" in dem ganz
anderes bedeutenden "als-ob".
Auch hier habe ich die doppelte Einstellung: In der reinen
20 Phantasie lebend, bin ich das reine Phantasiesubjekt und das
reine Phantasie-Ich, das eine Phantasiegegenwart, Phantasie-
vergangenheit etc. gegeben hat. Oder ich bin das aktuell wirk-
liche Ich, das gegenwärtiges, vergangenes etc. Seiendes "phan-
tasiert", und das im Modus des Phantasie-Ais-ob Seiende
25 schlechthin, das wirklich Phantasierte, wirklich Vorgebende in
seinen Phantasiemodalitäten, das ist das M ö gl ich e, die seien-
de Möglichkeit, und sie ist als das selbstgegeben in der
anscha uliehen Phan tasie, und dahin gehört adäquate und
inadäquate Selbstgegebenheit ete.

30 Die Unbestimmtheit in der Phantasie und das Sich-Bestimmen,


Andersbestimmen in der Phantasie

Nehmen wir an, sinnliche Phantasiedaten (Phantasmen) liefen


ab in klarer Bestimmtheit, ebenso in fest geordneter Weise kinäs-
thetische Daten und mit ihnen ablaufend in fester Zuordnung
35 die Empfindungsdaten, nehmen wir an, alles wäre so wie "in der

1 Später eingefügt: "im weiteren Sinn ein Gleichsam". - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 19 (1922/23) 561

Wirklichkeit", würde sich damit nicht eine Phantasie-Dingwelt


neu konstituieren, und wäre sie dann überhaupt eine Phantasie-
welt, wäre das nicht eine wirkliche und als wirklich sich gebende
\Velt? Aber ist das nicht Unsinn, und warum ist es Unsinn?
5 Erfahre ich ein A, ein hyletisches Datum etwa wahrnehmend
als gegenwärtige Wirklichkeit, so kann sich damit nicht ein A' im
Widerstreit decken. Erfahre ich aber apperzeptiv einen apper-
zipierten Gegenstand, erfahre ich etwa ein Ding, so kann ein
\Viderstreit eintreten zwischen zwei Auffassungen, sie können
10 sich überschiebend decken, eine in die andere umspringen, sich
<veDdrängen, und dabei hebt das Wirklichsein des einen das des
anderen auf. Das System der Wirklichkeit ist ein System des
Glaubens, und aller Glaube, zuletzt Glaubensgewissheit, ist mo-
tiviert. Immerfort ist dabei Antizipation mit unbestimmten
15 Horizonten, aber alle Näherbestimmung erfolgt durch Erfahrung
mit einem im gegebenen Zusammenhang fest motivierten Glau-
ben.
Was ich im Glauben als seiend gegeben habe, kann ich mir
"anders denken", ich kann es umphantasieren, als ob es anders
20 wäre, ich kann ansetzen, hypothetisch annehmen, es sei anders.
Dann ist der Ansatz ein freier, "willkürlicher" und aufgehoben
als nichtig durch die Erfahrung.
Wenn ich aber eine blosse Phantasie habe, so ist das Phanta-
sierte nur bewusst, als ob es wirklich wäre. Ich kann in eine damit
25 streitende Phantasie übergehen. Ich halte A fest und phanta-
siere es um, als ob es A' wäre, im Widerstreit. Aber es ist in
meiner Willkür, ob ich das Sein von A preisgebe und A' festhalte
oder umgekehrt. Nur wenn ich A festhalte, ist A' ausgeschlossen,
und umgekehrt. Wenn ich bei dem A einen offenen Horizont habe,
30 so ist jede Näherbestimmung des Unbestimmten (und nicht bloss
des Bestimmten, aber anschaulich noch nicht Phantasierten),
während ich A festhalte als seiend, als fortdauernd (im Als-ob),
"beliebig", "willkürlich".
Fällt mir als Näherbestimmung sich einfügend Ot ein, so kann
35 ich, Ot frei wandelnd, in einem gewissen Variabilitätsbereich jede
solche Abwandlung "ebensogut" als Näherbestimmung wählen,
und je nachdem ich das tue, wandeln sich die neuen, nun durch
die A-Form geforderten und sich einstellenden Horizonte.
So kann ich die "gegebene Welt", ich kann die Welt als die
562 TEXT NR. 19 (1922/23)

wirklich erfahrene, die erfahren ist mit offenen Horizonten, frei


fingieren nach dem noch Unbekannten, sie in ihrem weiteren
Verlauf, aber auch im Unbekannten des bisher schon erfahrenen
Verlaufs, beliebig ausmalen; aber sosehr ich an die Form der Na-
5 tur und Naturapperzeption gebunden bin, in jedem Sehritt habe
ich Freiheit, in jedem Schritt kann ich wählen. Tue ich es, so
zeichne ich einen neuen Horizont vor (der allgemeine Horizont,
der zur Form Dinglichkeit gehört, besondert sich), aber ich kann
nur weiterkommen durch eine neue willkürliche Wahl in infini-
10 tum.
Ebenso aber, und in noch grösserer Ungebundenheit, wenn ich
alle Bindung des Glaubens ausschalte und mich nur binde durch
das Allgemeine: Es sei ein Ding mit diesem willkürlichen Aus-
gangsinhalt A, wobei ich die Allgemeinheit nicht etwa begrifflich
15 gefasst haben muss.
Wie steht es also mit dem Wirklichsein einer reinen Möglich-
keit? Möglichkeiten sind "willkürliche" Phantasiegegenstände.
Das phantasierende Ich ist nicht durch den Glauben an eine
Wirklichkeit gebunden, es nimmt die ihm einfallende Phantasie-
20 "wirklichkeit", "als ob" es Wirklichkeit wäre und, sie anneh-
mend, wählt es, bindet es sich frei, willkürlich an den zu dem
"Sinn" dieser Wirklichkeit gehörigen Horizont.! Frei wählt es
sich die Erfüllung dieses Horizonts, vollzieht im Rahmen des
Sinnes der Annahme quasi-Erfüllungen, sie durchhaltend und
25 quasi bestätigend, näher bestimmende Besonderungen, zeichnet
sich damit frei einen neuen Sinn für denselben Phantasiegegen-
stand und zeichnet ihn so weiter in freier Willkür, ihn frei ge-
staltend, wobei die freie Gestaltung den beständigen Sinn hat
eines "an sich Seienden" (im Als-ob), eines "Gegenstandes", als
30 ob etwas von sich aus wäre, das das Vorstellen bestimmt, als ob
erfahren würde, als ob die Erfahrung sich näher bestimmte, diese
Näherbestimmung von sich aus forderte usw.
Dieses, im durchgängigen frei willkürlichen Gestalten sich er-
zeugende Phantasiegebilde ist in der phantasierenden Einstellung,
35 in der ich in die Phantasie versunken bin, als Phantasie-Ich phan-
tasierend "erfahre", als ob ich diese "Wirklichkeit" erfahren
würde, eben Phantasie (ontisch verstanden), Wirklichkeit-als-ob.
1 Das "Annehmen" kann aber auch passiv sein und den Charakter haben eines
Sich-gefallen-lassens, aber alles was da passiert< ... >.
TEXT NR. 19 (1922/23) 563

Wenn ich aber in der Einstellung der Aktualität im Jetzt


wurzle, so ist in meinen aktuellen Phantasieerlebnissen (dem ak-
tuellen Annehmen und Durchhalten des Phantasieeinfalls, in der
aktuellen quasi-Erfüllung der Leerintentionen, in der aktl1ellen
5 quasi-Näherbestimmung der Leerhorizonte) eine aktuelle konsti-
tutive Leistung vollzogen; was als "Wirklichkeit" mir jetzt wirk-
lich vor Augen steht, ist der phantasierte Gegenstand als das
Phantasie-Identische phantasierter Bestimmungen, die phanta-
siemässig einstimmig sich durchhalten. Ich habe freilich fort-
10 gesetzt frei gewählt und dadurch die Einheit der Einstimmigkeit
"in der" Phantasie erzeugt, aber auch in dieser Freiheit bin ich
gebunden, ich habe immerfort die Wahl, aber es ist eben eine
Wahl, entscheide ich mich für das eine, so ist vielfältig anderes
ausgeschlossen, und das Identische, die Synthesis der Bilder, die
15 zur Einheit eines durchgehend mit sich Identischen (in einstim-
migen quasi-Erscheinungen Erscheinenden) zusammengehen, ist
als Synthesis keineswegs in meiner Willkür, ich bin wesensgesetz-
lich gebunden, und diese Wesensgesetze bringe ich im allgemeinen
Denken auf Grund der Reflexion auf die Erscheinungen und ihre
20 Einheit und auf das sie konstituierende Bewusstsein mir zur
Gegebenheit.
Das Sein der Phantasiegegenständlichkeiten ist
also "erfahrbares" Sein, erfahrbar sind die Phan-
t asi egegens tändlichkei ten als solche. Sofern eine
25 Leerintention auf solch ein Erzeugnis gerichtet ist, in einer Un-
bestimmtheit, die vielfältig freie Wahl und vielfältige erfüllende
Phantasieanschauungen hervortreten lässt, heisst ein wirklich
Erzeugtes eine Phantasiemöglichkeit, das die Möglichkeit des im
voraus leer Intendierten Erweisende.! Wir nennen also auch die
30 Phantasieerzeugnisse, die Einheit einer quasi-Gegenständlichkeit,
Einheit eines Phantasiegegenstandes anschaulich vor Augen
stellten als wirkliche Phantasiegegenstände Möglichkeiten (wirk-
lich seiende Möglichkeiten), "gedachte" Wirklichkeiten. 2 Das in
phantasierender Weise aber unanschaulich und dann auch un-

1 Diese Möglichkeit ist die gewöhnliche Modifikation einer Glaubensgewissheit.


2 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Wir nennen also auch jedes
Phantasieerzeugnis, welches die Einheit einer quasi-Gegenständlichkeit, Einheit eines
Phantasiegegenstandes anschaulich vor Augen stellte, als wirklichen Phantasiegegen-
stand eine Möglichkeit (wirklich seiende Möglichkeit), eine 'gedachte' Wirklichkeit."
- Anm. d. Hrsg.
564 TEXT NR. 19 (1922/23)

bestimmt Angesetzte sind Möglichkeiten, wenn sie in anschau-


liche Phantasiegestalten synthetisch überzuführen, durch pas-
send gewählte Phantasieerzeugnisse zu belegen sind.
Unbestimmte Horizonte gehören wesensmässig zu jedem indi-
5 viduellen Gegenstand, sei es hinsichtlich seines zeitlichen Zusam-
menhangs, sei es hinsichtlich seiner eigenen Bestimmungen, in
denen er vermeint er ist. Ein Gegenstand ist in sich möglich, so-
fern er anschaulich vorstellbar ist, und ein gedachter Gegenstand,
sofern er frei anschaulich phantasierbar ist. Je nach dem Zusam-
10 menhang hat er dann noch offene Zusammenhangsbestimmungen.
Jeder unmittelbar, schlicht gedachte Gegenstand ist möglich
(anschaulich vorstellbar, phantasiemässig), jeder durch Prädi-
kate indirekt und mehrfältig vorgestellte muss seine Möglichkeit
erweIsen.
15 Möglichkeiten können leer gedacht, symbolisiert, können selbst-
gegeben "erfahren" sein. Sie können bewusst werden als nicht-
seiend, als zweifelhaft seiend, vermutlich seiend etc. M ö gl i c h-
k e it als Ver t r ä g li c h k e i t, als synthetische Möglichkeit,
Möglichkeit von etwas, das IX und ß zumal ist. Hier ist IX und ß je
20 ein Bestimmendes, ein "Prädikat". Prädikat ist Identisches,
das in vielen, in "Mannigfaltigem" identisch sein kann, das in
wandelbaren und beliebigen Möglichkeiten identisch vorkommen
und das Konkretum bestimmen kann. 1

Die ganze bisherige Betrachtung ist nichts weniger als aus-


25 reichend. Inwiefern sind Möglichkeiten identifizierbare. Gegen-
stände und inwiefern haben sie eine intersubjektive Objektivität?
Wie steht es mit dem Bereich der Möglichkeiten, die zur Form
"etwas" gehören? Ein a, ein a und b.

1 Frei wählen, Möglichkeit, mögliche Wirklichkeit, phantasiertes Gewissein. An-


nehmen, dass das sei. 1) Voraussetzen, dass hier ein Berg sei - im Streit mit den
Motivationen des Horizonts oder ohne Streit. Die Willkür des Ansatzes gebunden und
jede "Möglichkeit" hat ein Moment der Thesis: Eins von den Möglichkeiten wird
kommen. 2) Sich denken, dass in reiner Möglichkeit ein Berg sei - dann ist nichts
Bindendes - , wenn ich in eine fingierte Ebene einen Berg hineinfingiere, so ist der An-
satz eine Möglichkeit anderer Stufe: Der Ansatz ist selbst Phantasieansatz, die Hy-
pothese eine Phantasiehypothese. Vom Jetzt aus aber eine willkürliche und völlig
freie Bestimmung der Ebene und eine nur durch diese Willkür gebundene abhängige
Bestimmung.
565

BEILAGE LXI
FIKTA ALS GEGENSTÄNDE, SEIENDES
<wohl 1922/23>

Habe ich in diesen Manuskripten schon festgestellt, dass Einstellung


5 des Als-ob in Phantasievedorenheit, dass Einstellung auf reine Mög-
lichkeiten, und endlich Einstellung auf Fikta zu unterscheiden sind?
Die Phantasie ist zwar Konstitution als ob, aber sowie ich mich be-
sinne als der ich bin und nicht mehr der Gegenwart entrückt bin (und
anders wie bei der Entrückung in die Vergangenheit, bei der die Gegen-
10 wart in Geltung bleibt), sowie ich als aktuelles Ich in diesem Übergang
zugleich den übergang in eine erfahrende Setzung mache, nämlich
die Setzung des Phantasierten, des Gegenstandes als ob - habe ich
nicht mehr Phantasie im ersten Sinn, sondern eben Erfahrung, und
was ich erfahre, ist ein Fiktum.
15 Fikta bilden also eine eigene Gegenstandsregion, die das Als-ob-
Gegenstück ist der Welt und aller möglichen Welten. Fikta sind aber nur
seiend als Korrelate meiner Phantasie und sind transzendente und
Dauergegenstände nur aus der Willkür meiner In-Geltung-Setzung
und meiner In-Geltung-Haltung. Ich bedarf des Entschlusses oder
20 einer gewissen Willigkeit, künftig das einmal Phantasierte in Geltung
zu halten. 1

BEILAGE LXII
WIRKLICHE ORIGINÄRE KONSTITUTION - WIRKLICHKEIT;
QUASI-KONSTITUTION ALS WIRKLICHE KONSTITUTION
25 VON MÖGLICHKEITEN
<wohl um 1918>

Impression: Wahrnehmung, Erinnerung-Imagination: Einbildung


von Wahrnehmung, Einbildung von Erinnerung. Konstitution von
Gegenständlichkeiten in der Wahrnehmung und der "Impression"
30 überhaupt: impressionale = wirkliche Konstitution. Mit der Stiftung
eines gegenständlichen Sinnes ist eine Linie der Einstimmigkeit und
Unstimmigkeit gestiftet, als "wirkliche" Stiftung, die Einstimmigkeit
"wirklich" bewusst, "wirklich" motiviert - alles im Charakter der
Impression. Der Glaube, das Bewusstsein der Einstimmigkeit, der Un-
35 glaube als Bewusstsein des durch Einstimmigkeit aufgehobenen Ge-
genstreites, etc. Das sind hier "wirkliche" Vorkommnisse, eben im-
pressionale.
1 Am Rande bemerkte Husser!: "Vgl. meine Ausführungen über Fikta als Gegen-
stände in der bildenden Kunst." Der Hinweis bezieht sich vermutlich auf die oben
als Beilage LVIII wiedergegebene Aufzeichnung; zur Sache vgl. auch Beilage LX. -
Anm. d. Hrsg.
566 BEILAGE LXIII

All dergleichen "in der" Imagination als imaginative Modifikation,


Einbildung. -Ansatz eines Imaginierten, willkürliche Festhaltung
eines einstimmigen Sinnes der Phantasie, eines Phantasiegegenstandes
und der Linien der Einstimmigkeit = Setzung von "reinen" Möglich-
5 keiten, freien Phantasiemöglichkeiten. Erfassung von idealen Allge-
meinheiten, ihren Verträglichkeiten und Unverträglicbkeiten etc.
Aktivität, die Gegenständlichkeiten konstituiert und schafft. Auch
Phantasie ist Bewusstsein und konstituiert also, aber reine Möglich-
keiten, immanente oder transzendente. Transzendente aber in freier
10 Gestaltung der weiteren Einstimmigkeiten oder Unstimmigkeiten.
Unendlich viele mögliche Wirklichkeiten, die miteinander unverträg-
lich sind etc.

BEILAGE LXIII
WICHTIGE MÖGLICHKEITSFRAGEN <REINE MÖGLICHKEIT
15 UNDENKBAR, ES SEI DENN ALS KORRELAT EINES
PHANTASIERENDEN UND DARAUS MÖGLICHKEITEN
GESTALTENDEN SUBJEKTS - EINZELSUBJEKTIVE
PHANTASIEN UND INTERSUBJEKTIVE PHANTASIEN-
ANSETZEN EINES EINSTIMMIGEN PHANTASIERTEN ALS
20 MÖGLICHKEITSBEWUSSTSEIN ? - DIE LOGISCHE BEDEUTUNG
DIESER MEDITATION>
<wohl 1920/21 >

Eine re i ne M ö g I ich k e i t ist undenkbar, es sei denn als Korrelat


eines phantasierenden und daraus Möglichkeiten gestaltenden Sub-
25 jekts, eines Subjekts, das das betreffende Mögliche vorschweben hat
als quasi-Erfahrenes und in dieser quasi-Erfahrung sich einstimmig
als quasi-seiend Ausgebendes. Darin liegt aber, dass das phantasieren-
de Subjekt "vorschweben" hat ein phantasiertes Subjekt, das phan-
tasiert ist als erfahrend und in seiner Erfahrung das Mögliche zur
30 Seinsgegebenheit bringend.
Das scheint auf einen unendlichen Regress zu führen. Denn gilt nun
nicht wieder für das phantasierte Subjekt eben dasselbe? Indessen,
wir müssen unterscheiden zwischen Gegenständlichem, als Konsti-
tuiertem, und der es konstituierenden Subjektivität. Und dann zwi-
35 schen Phantasie als Modifikation der Subjektivität, und speziell der
konstituierenden subjektiven Zusammenhänge (die dabei nicht kon-
stituierte Gegenstände sind und nicht thematische Gegenstände sind),
und korrelativ der Modifikation der konstituierten Gegenständlich-
keit. Das Phantasieren ist eine modifizierende Intentionalität (ein
40 Gegenstück jeder ursprünglichen Intentionalität, jeder in diesem
Gegensatz "impressionalen"), und zwar hat das "innere Bewusstsein"
BEILAGE LXIII 567

sein Gegenstück in einem inneren Phantasieren, in dem ein modifi-


ziertes Subjektives als mögliches Subjektives "vorschwebt", und darin
konstituiert sich "quasi" eine Gegenständlichkeit als mögliche Gegen-
ständlichkeit. Jede phantasierte Gegenständlichkeit (gegenständliche
5 reine Möglichkeit) weist zurück auf ein es quasi konstituierendes Be-
wusstsein mit Bewusstseins-Ich, und zugleich auf ein phantasierendes
Subjekt, das wirkliches Subjekt ist mit wirklichem Erleben, wohin das
Phantasieren selbst gehört. Das Sein einer Möglichkeit als Möglichkeit
weist auf kein bestimmtes wirkliches Subjekt zurück, da dieselbe
10 Möglichkeit von verschiedenen wirklichen Subjekten erfasst werden
kann und als jedes wirkliche Subjekt, das die entsprechenden gleichen,
sie konstituierenden Zusammenhänge durchlebt (und dabei in über-
einstimmender Weise phantasiert), sie damit als dieselben hat und er-
kennen kann, dass jedes mögliche Subjekt, das so phantasieren 1 würde,
15 identisch dieselbe Möglichkeit erkennen würde.
Doch muss man auch hier einigermassen vorsichtig sein. 2 Fingiere
ich mich um in alle möglichen Subjekte und bilde so das System meiner
Ichmöglichkeiten, oder der möglichen Subjekte in individueller Dek-
kung, so hat es eigentlich keinen Sinn zu sagen, der individuelle Zen-
20 taur! den.ich jetzt als fingierte Individualität vor Augen habe, sei
derselbe, wie der, den ich als anderes Ich mir in gleicher Weise vor-
fingieren würde. Ebenso aber auch (ich sehe, der Rekurs auf dieses
System individueller Deckung ist unnütz), es hat keinen Sinn zu sagen,
dass ein "individueller" Zentaur, den ein Subjekt fingiert und den ein
25 Anderer fingiert, derselbe sei, wenn beide die völlig gleichen Fiktionen
vollziehen. Als03 eine individuelle Möglichkeit, deutlicher eine mög-
liche bestimmte Tatsache, ist in der Hinsicht unbestimmt, als sie
ni c h t identifizierbar ist für verschiedene fingierende Subjekte. Sie
weist also in ihrer Bestimmtheit als individuelle Möglichkeit zurück
30 auf ein faktisches Subjekt, und wird sie selbst nur auf ein mögliches
Subjekt bezogen, so hat dieses mögliche Subjekt wiederum diese Un-
bestimmtheit.
Also ich stelle mir einen Zentauren vor, und ein Anderer stellt sich
einen völlig gleichen Zentauren vor: Individuell denselben können wir
35 nicht vorstellen. Aber können wir nicht uns vereinbaren, können wir
nicht denselben vorstellen wollen? In gewisser Weise sicherlich. Aber
was liegt dann vor? Wir stellen uns vor, wir wären beide in einer ge-
meinsamen Welt, "in der dieser selbe Zentaur auftritt", d.i. wir fin-
gieren unsere tatsächliche gemeinsame Umwelt und damit uns selbst
40 um, und in den Zusammenhang dieser Umfiktion nehmen wir mit auf

1 Etwas nachträglich eingefügt: "und in gleichem Sinn Möglichkeit ansetzen". -


Anm. d. Hrsg.
2 Im voraus gesagt, man gerät in Unklarheiten, wenn man Phantasien ohne wei-
teres für Möglichkeiten nimmt.
3. Etwas nachträglich eingefügt: "müssten wir, wenn wir Möglichkeit und Phanta-
sie identifizieren, sagen". - Anm. d. Hrsg.
568 BEILAGE LXIII

die gleichen Phantasien eines Zentauren. Dann gehört zum Bereich


der gesamten Fiktion auch die mitfingierte Motivation, dergemäss der
Zentaur fingiert von mir und dem Anderen (den selbst umfingierten
Subjekten) als derselbe - in der Fiktion, wiederhole ich - erfahrbar
5 ist. Wir haben dann eine durch synthetische Anknüpfung an unser
beider faktische Subjektivität, mit unserer faktisch konstituierten
Welt eine Anknüpfung in Unverträglichkeit, individuell bestimmte
intersubjektive Phantasie, mit einer dadurch individuell bestimmten
fingierten Welt und in ihr unter anderen fingierten Objekten denselben
10 Zentauren als Objekt, als intersubjektiv Identisches.

Einzelsubjektive Phantasien und intersubjektive Phantasien


Was wir dabei lernen ist, dass, wie es intersubjektive Erfahrungen
gibt - als Erfahrungen, die jedes der beteiligten Subjekte so voll-
zieht, dass es im Rahmen eigener Erfahrung fremde Subjekte als
15 Gegensubjekte erfährt und nun anderes Erfahrenes zugleich als iden-
tisch von dem erfahrenen Anderen Erfahrenes setzt oder Erfahrbares,
aber auch den Anderen als jemanden setzt, der vice versa ebenso sich
verhalten kann und evtl. verhalten muss - und in solchen intersub-
jektiven Erfahrungen, wirklichen und möglichen, intersubjektiv er-
20 fahrbare oder objektive Gegenständlichkeiten - dass, sage ich, ebenso
es intersubjektive Phantasien und intersubjektive Phantasiegegen-
stände gibt, als die entsprechenden Phantasiemodifikationen bezogen
auf wirkliche phantasierende Subjekte. Wo Subjekte phantasieren,
aber nicht intersubjektiv phantasieren ("objektive" Phantasien in
25 ihrer Freiheit etablieren), da sind ihre Phantasiegegenstände an ihre
vereinzelte individuelle Subjektivität gebunden. 1
Man könnte nun weiter fortfahrend sagen: Diese Überlegungen ha-
ben eine grosse logische Bedeutung. Was liegt im Sinn von "ein A
überhaupt", wo Airgendein tatsächliches, aber in reiner Möglichkeit
30 gedachtes Dasein ist. Was gehört zum reinen Umfang eines Individual-
begriffes? Also z.B. ein Zentaur; nun eben jeder mögliche Zentaur.
Sollen wir nun sagen: Ein Zentaur, den ich phantasiere, und ein völlig
gleicher, den ein Anderer phantasiert (und nicht als intersubjektiv
Identisches unter willkürlicher Vereinigung beider), seien zwei ver-
35 schiedene mögliche Zentauren. Aber wenn ich exemplarisch den Um-
fang als reinen Umfang durchlaufe, fällt es mir nicht ein, auf die be-
züglichen subjektiven individualisierenden Differenzen mich einzu-
stellen. Vergegenwärtige ich mir einen einzelnen Zentauren, so meine
ich "ihn" nicht als gerade von mir vorgestellten. Sollen wir sagen, dass
40 das Singuläre eines reinen Umfangs (eines Umfangsreinerindividueller
Möglichkeiten), das exemplarisch Einzelne selbst schon ein Allge-
meines <ist>, ein Identisches, das seinerseits einen reinen Möglich-

1 Das intersubjektiv als Identisches Phantasierte ist wie das einzelsubjektiv Phan-
tasierte kein an sich Seiendes, das frei ware von der phantasierenden Subjektivitat.
BEILAGE LXIII 569

keitsumfang hat? Aber wenn wir zum Ansatz der Existenz übergehen.
wenn wir irgendein Subjekt als Subjekt der Hypothese: es sei ein A,
es sei dieses exemplarische phantasierte A, denken, so ist es evident,
dass der Übergang ~on dem Phantasiezentauren zum als seiend ange-
5 setzten eine Synthese zwischen Phantasie und dem dllrch das ansetzen-
de Subjekt und seine Umwelt gegebenen Daseinsbereich fordert.

Ansetzen eines einstimmig Phantasierten als Möglichkeitsbewusstseini'


Was ich phantasiere und was ein Anderer, oder was ich ein andermal
völlig gleich phantasiere, in purer Phantasie natürlich, das sind nicht
10 zwei Möglichkeiten, sondern zwei Phantasien. Rein Phantasiertes
ist rein Subjektives, nicht nur an das Subjekt, sondern, wie ich noch
hätte sagen müssen, auch an die Erlebnisse gebunden, nichts weiter als
immanentes Noema des intentionalen (modifizierten) Erlebnisses, und
hier kein ideal Identisches, sondern immer wieder Neues, nur Gleiches.
15 Wir müssen also sc h eid e n Phantasiertes llnd die allS ihm llnd be-
liebigen gleichen Phantasiertheiten ("Phantasien") zu entnehmende
reine ideale Möglichkeit. Das Mögliche ist möglicherweise seiend. Es
kann sein, ich kann mir "denken" (den Ansatz machen), dass es sei.
Ich kann vom biossen Phantasieren jederzeit übergehen in ein An-
20 setzen, wobei ich aber notwendig, das gehört eben zum Sinn des
Ansetzens, das Phantasierte auftrage auf meine Seinssphäre (Sphäre
des Unmodifizierten, des Glaubens), und sowie ich ansetze, habe ich
keine Unterschiede mehr zu meinem Phantasieren jetzt und nachher,
oder meinem und <dem> des Anderen. Denn wie ein Glaube, den ich
25 "wiederhole", Identisches setzt, so ergibt der "wiederholte" Ansatz
(aufgrund der verschiedenen Phantasien), falls die Beziehung auf Ge-
glaubtes Beziehung eben auf dasselbe Geglaubte, auf dieselben "mir
feststehenden" Tatsachen ist, denselben Ansatz, die Möglichkeit die-
selbe Möglichkeit.
30 Also Phantasiertes ist durchaus subjektiv und kein An-sich, aber
Möglichkeiten sind an sich, Ansetzungen sind keine Phantasien, son-
dern sind auf Grund von Phantasien vollzogene "Impressionen".
Es ist aber richtig eingangs gesagt, dass Möglichkeiten auf wirk-
liche Subjekte zurückweisen: nämlich Möglichkeiten von Individuel-
35 lern. Aber muss ich nicht unterscheiden Möglichkeiten als Wesen, als
intuitiv fassbare Allgemeinheiten ?l Alle gleichen Phantasien, und
zwar alle gleichen Phantasieanschauungen, Phantasieerfahrungen, in
Phantasie sich quasi erfüllenden, geben mir dasselbe Wesen, und zwar
dasselbe konkrete Wesen.
40
-----
1 Die letzten beiden Sätze wurden etwas nachträglich wie folgt verändert und er-
gänzt: "Ist es aber richtig, wie eingangs gesagt, dass Möglichkeiten auf wirkliche Sub-
jekte zunickweisen: namlich Möglichkeiten von Individuellem? Oder nicht nur auf
als wirklich gedachte? Ferner, muss ich nicht unterscheiden Möglichkeiten als Wesen,
als intuitiv fassbare Allgemeinheiten ?" - Anm. d. Hrsg.
570 BEILAGE LXIII

Jedes solche Wesen hat einen Umfang "individueller Möglichkei-


ten". Das sagt, die nächste Vereinzelung eines Wesens ist eine indi-
viduelle Phantasie, d.h. ein mir hic et nunc Vorschwebendes, das ich
in Phantasie-Einstellung nur in Wiederholung identifizieren kann,
S nicht wirklich, sondern mich eben in Festhaltung desselben hinein-
phantasierend, oder mich phantasierend als denselben konsequent
11

Glaubenden. Ich kann aber nun ansetzen, es sei das, natürlich im Zu-
sammenhang meines wirklichen Daseins, und dann habe ich eine
Möglichkeit. Und ebenso kann ich irgendein Subjekt mir denken, das
10 das ansetzt auf Grund seiner Tatsachen. In jedem Fall wäre dann, falls
der Sinn des Ansatzes identisch gedacht ist, dieselbe Möglichkeit. Also
ist doch nicht ein wirkliches Subjekt mitgesetzt : aber in reinem An-
satz gedacht.
Nr.20

PHANTASIE - NEUTRALITÄTl
(1921/1924)

<a) Aktleben in der Epoche, phantasierend - Leben in


5 Positionen, in Geltung setzend. Doppelte Epoche bzw.
Neutralität>

SteHen wir gegenüber: I) Ich vollziehe Epoche und ein Akt-


lebtm in der Epoche - speziell2 etwa ich phantasiere und lebe
dahin als phantasierendes, phantasierend tätiges Ich. 2) Ich
10 lebe in Positionen, ich bin wach und tätig in Ichakten, in
denen mir etwas gilt, ich Neues in Geltung setze, mich auf Vor-
gegebenes hinrichte (seine Vorgeltung aktualisierend und mir zu-
eignend), usw.
In dieser letzteren Einstellung, der des positionalen Lebens,
15 habe ich also immer Seiendes, Wertes, gewiss Seiendes, etwas,
das schlechthin da ist oder durch meine theoretische und sonstige
Tätigkeit erzeugend hingestellt als bestehender Satz, hinfort gel-
tend usw. Das drücke ich aus, beschreibe ich.
In der neu t r ale n Ein s tell u n g finde ich vor und be-
20 schreibe ich, was ich da "habe", die Phantasievorkommnisse, die
neutralen überhaupt, alles in der Weise des Als-ob. Und so sind
auch alle B eschrei bungen mo difizierten Sinnes.
Im ersten Fall kann ich von dem geradehin Gegebenen den
Blick richten auf den Gegenstand, z.B. das Haus im Wie der Er-
25 scheinungsweise, im Wie der attentionalen Modi, primär oder

1 Allgemeinstes über "Epoche" als Aktenthaltung in Beziehung auf die Idee der
Neutralität.
2 "speziell" später verändert in "oder". - Aum. d. Hrsg.
572 TEXT NR. 20 \1921/24)

sekundär Beachtetes, im primären oder sekundären Griff Er-


fasstes u.dgl.
Ebenso im Fall der Neutralität das Phantasie-Haus im Wie
der Erscheinungsweise, im Wie der attentionalen Modi - aber
5 alles "in der Phantasie", in der Neutralität. Ferner, und das ist
besonders wichtig:
a) Ich phantasiere, ich lebe in der Phantasie-Welt.
b) Ich ändere die Einstellung. Statt in der Phantasie lebend
zu beschreiben - in Beschreibungen, als ob ich das erlebte, als
10 ob ich das dächte, wertete, wollte, beschreibe ich in einer wirk-
lichen positionalen Beschreibung das Phantasie-Bild, die Phan-
tasie-Vorgänge. Ebenso in einer bleibenden Epoche. Vor der Be-
schreibung liegt jetzt eine Feststellung, eine Erfassung, eine
wirkliche Erfassung und evtl. eine ganz evidente. Die Akte sind
15 jetzt positional. Z.B. a) Ich betrachte eine Theorie in der Epoche
- ich kann sie durchdenken, als ob ich glaubte, aber ich habe
jeden Glauben ja inhibiert, es ist ein Durchdenken-als-ob und so
ist <es>, wenn ich in dieser Einstellung mich ausdrücke: Also das
sind die Prämissen, da geht das und jenes vor etc. So hat alles
20 das Vorzeichen des Als-ob. b)l Ich kann aber, und in wirklicher
Evidenz, feststellen und aussagen: Diese Theorie - als pur e r
"Gedanke", als Inbegriff und Gebilde von Sätzen - , die ich
nicht im Glauben habe oder setze - , hat den und den Bau. Sie
hat als Gedanke ebenso Existenz und evidente für mich, so wie
25 das Phantasie-Bild, das ich als "Inhalt" der Phantasie heraus-
fasse und in evidenter Wahrheit beschreibe.
Was ist das für eine Änderung? Jetzt vollziehe ich nicht als in
Phantasie und überhaupt im Als-ob verlorenes Ich neutrale Akte.
Vielmehr in der Änderung der Einstellung setze ich diese quasi-
30 Vollzüge wieder ausser Spiel. Und zwar so: Gegenüber dem selbst-
verlorenen Ich, das Subjekt der Phantasie-Wahrnehmungen,
Phantasie-Urteile, Wertungen usw. ist, und Subjekt all der darin
sich konstituierenden Phantasie-Gegenstände, etabliere ich ein
positionales Ich. Vorher war ich nicht eigentlich wach, ich träum-
35 te und war träumendes Ich, das als Subjekt der quasi-Wahr-
nehmungen usw. ein geträumtes Ich mitfingierte, in einer über-
haupt geträumten Aktivität "tätig" war. Jetzt bin ich mir be-

1 Pure Gedanken.
TEXT NR. 20 (1921/24) 573

wusst als Subjekt der positionalen Gegenwart, das auf die geisti-
gen Erlebnisse des Träumens und auf die geträumten Gegen-
stände, die phantasierten hinsieht. Jetzt bin ich mir des Träu-
mens bewusst. Es mag aber sein, dass ich nicht die phantasieren-
5 den Erlebnisse, die ich jetzt wirklich habe, und ihre Struktur
reflektierend betrachte, sondern auf die "T rau m b i 1der", die
freilich deren Gehalte sind, und wie ich mich überzeuge, von
ihnen untrennbar. Die Traumbilder sind für mich jetzt aufge-
wiesen, in gewisser Weise erfahren, direkt erfasste Gegenstände,
10 Traumbilder meines gegenwärtigen träumenden Lebens; natür-
lich nur erfassbar, wenn ich eben zunächst geradehin selbstver-
loren, der Gegenwart entrückt, träume' und dann mich als re-
flektierendes Gegenwarts-Ich über mich als das selbstverlorene
erhebe. Dann finde ich in der Blickrichtung, und zwar positiona-
15len ,',Wahrnehmungs-" Richtung auf das Geträumte die Bilder
als Gegenstände, als wirklich seiende: in der Wirklichkeit dieser
Seinskategorie "Phantasiebilder". Ebenso bei jeder Erfassung von
"Scheinen" als Gegenständen (aber nicht als Nichtigkeiten)
oder von "Gedanken" als Gegenständen usw., aus dem "Als
20 ob" entnommen.
Hier haben wir also eine doppel te Epoche bzw. Neutrali-
tät. I) Einmal die zur Phantasie als Phantasie gehört, oder zum
neutralen Bewusstsein als neutralen (eventuell durch eine aktive
Epoche erzeugt). Und dann, die zugehört 2) zur Änderung der
25 Einstellung durch Etablierung eines positionalen Ich über dem
neutralen und zur Erfassung der "Bilder" noch eine Epoche hin-
sichtlich der quasi-Akte, die ich als träumendes Ich quasi voll-
ziehe. Jetzt handelt es sich nicht um eine Enthaltung von wirk-
lichen Setzungen hinsichtlich der geträumten Gegenstände, sie
30 sind ja schon geträumte. Ich soll jetzt eben nicht selbstverloren
träumen, quasi die und die Wahrnehmungen, Urteile etc. voll-
ziehen, mir so sein lassen, als ob diese Gegenstände da wären, so
und so sich änderten etc., sondern ich soll als unbeteiligter Zu-
schauer mir das, was in diesem Leben-als-ob sich darbietet und
35 so, wie es das tut, betrachten und fixieren. Ich kann auch sagen:
über dem vordem ganz selbstvergessen träumenden und träu-
mend quasi tätigen Ich steht jetzt als Zuschauer, aber als unbe-
teiligter, das positionale Ich, das Ich, das dem Träumen und dem
Traum selbst zusieht.
574 TEXT NR. 20 (1921/24)

Nun nehmen wir demgegenüber statt des Falles der Neutralität


den der Positionalität, und zwar so, dass Ich als Subjekt meines
positionalen Lebens intentionale Gegenstände als solche, die je-
weils geurteilten Urteile, die im Schliessen gewonnenen Schluss-
5 zusammenhänge von Gründen und Folgen usw. als meine "im-
manenten" Urteilsinhalte usw. herausstellen soll.
Indem ich schlechthin positionallebe, urteile, werte usw., bin
ich in gewisser Weise selbstverlorenes, "unbewusstes", an die
Gegenstände, Sachverhalte, theoretischen Allgemeinheiten, Wer-
10 te, Zwecke verlorenes Ich. Was ich dann habe, sind eben die
Gegenstände schlechthin usw. Ich vollziehe nun Reflexion, ich
etabliere ein zweites positionales Ich, das in Beziehung auf das,
was ich selbstverloren setzte, keine Setzung mitmacht, aber was
da gesetzt ist, ohne es sich selbst als Geltung zuzueignen, be-
15 trachtet, erfasst. Hier brauche ich nur eine Epoche, um die in-
tentionalen Gegenstände als solche, etwa die Wahrnehmungs-
bilder, die biossen theoretischen Gedanken als pure intentionale
Gehalte des Theorisierens zu gewinnen.!
Die jetzigen positionalen Akte der Reflexion haben wieder ihre
20 "intentionalen Gegenstände als solche", sie zu gewinnen müsste
ich ein neues Reflexions-Ich etablieren, das neue Epoche übt
usw. Wo ich schon von vornherein neutrale Akte habe, bedarf
ich also für die intentionalen Gehalte derselben einer zweiten
Neutralität. Z.B.: Ein stereoskopischer, kinematographischer
25 Schein steht vor mir. 1) Zunächst verliere ich mich in der Als-ob-
Betrachtung, ich betrachte die Vorgänge, als ob sie wirklich ge-
schähen. Das ist Neutralitätsbewusstsein (Phantasieren). 2) Ich
setze positional das Scheinbild als Wirklichkeit, als "Gesehenes"
dieses quasi-Sehens. Ich etabliere ein zweites Ich, das den quasi-
30 Glauben, das quasi-Vor-sich-Gehen nicht mittut, sondern es re-
flektiv betrachtet und darin das "Noema", das "Bild".

1 Später eingefügt: "Nun ist aber zu bedenken:" - Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 20 (1921/24) 575

<b» Begriff der Phantasie gegenüber dem allgemeinen der


Neutralität. Das blosse Vorstellen. <Bezugnahme auf
Aristoteles, Hume, Brentano sowie auf die Logischen
Untersuchungen und die Ideen>

5 Ich glaube, die Ideen haben die Scheidung zwischen Neutrali-


tätsmodifikation und Positionalität alles in allem richtig dar-
gestellt, obschon die Darstellung ausführlicher und dann ein-
drucksvoller und klarer gestaltet werden müsste.!
"Phantasie" bezieht sich schon bei Aristoteles auf die
10 Sphäre der Reproduktion. Der Sprachgebrauch gegenwärtig ist
wohl nicht ganz eindeutig. Wenn man in Hinblick auf das in
einem Gemälde Dargestellte sagt, das ist eine Phantasieland-
schaft, so kann das so verstanden werden, dass der Künstler eine
"Phantasievorstellung" gebildet und dann im Bild dargestellt hat
15 "in" wirklichen Farben usw. Immerhin ist auch die Abbildung
eine Vergegenwärtigung, und so könnte man jede Ver-
gegenwärtigung einbeziehen, auch jede Anzeige eines Nicht-
gegenwärtigen. "Blosse" Phantasie besagt dann, dass kein "wirk-
licher" Aktvollzug statthat - "blosse Vorstellung". Aber schwie-
20 riger wird es schon beim "Bildobjekt" , das leibhaft gegenwärtig
erscheinend doch auch als "Fiktion" bezeichnet werden kann,
wo aber von einer Vergegenwärtigung nicht mehr zu sprechen
ist. Es ist ja Präsentation. Hier "fehlt" auch die "Setzung", das
In-Geltung-Haben. Das Wort Phantasie und Fiktion hat also
25 zwei Bedeutungsrichtungen. 1) Die eine geht auf Re pro d u k-
Hon (und Vergegenwärtigung überhaupt), und dann
heisst auch jede Erinnerung eine Phantasie (wie bei Hume die
Erinnerung unter den "Ideen" und nicht den Impressionen figu-
riert) , 2) die andere auf die Art des Voll zug e s, wonach dann
30 von perzeptiver Fiktion die Rede sein kann und andererseits die
Erinnerung keine Fiktion, keine Phantasie ist. (Bei H urne
macht sich diese Tendenz in der Lehre von der Erinnerung darin
geltend, dass er hinterher doch von Impressionen der Erinnerung
spricht.)
35 Die letztere Tendenz macht sich auch in Brentanos Ur-

1 Vgl. Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie,


Erstes Buch, Husserliana Hr, §§ 109ft. - Anm. d. Hrsg.
576 TEXT NR. 20 (1921/24)

teilslehre und Lehre von den Akten überhaupt in der Aufstellung


des Grundsatzes geltend, dass jeder Akt "Vorstellung" ist oder
eine Vorstellung zur Grundlage hat. Vorstellung (Wahrnehmungs-
vorstellung, Phantasievorstellung) ist ein Bewusstsein, in dem
5 die vorstellige Gegenständlichkeit ohne Glauben -d.ch würde
sagen, überhaupt ohne Position, sei es auch wertende oder Wil-
lensposition - bewusst ist. In den Logischen Untersuchungen
habe ich schon darauf hingewiesen und es ausführlich in die
Untersuchung einbezogen, dass jeder noch so komplexe Akt eine
10 Einheit des Aktes ist, also z.B. als Urteil ein Glaube ist, der als
ganzer einen einheitlichen "Gegenstand" hat, und dass dann
diese unterliegende Vorstellung alle Unterschiede zwischen Sein
und Nichtsein, und nicht nur Bejahung und Verneinung, sondern
auch alle Modalitäten in sich schliessen müsste: die doch als
15 wirklich vollzogene Sache der Urteilsleistung selbst sind. Genau
besehen ist diese Vorstellung als unterliegender Akt eine Er-
findung, ebenso wie die Anerkennung und Verwerfung, die als
hinzutretendes psychisches Moment l das Urteil machen soll.
Diese "Vorstellung" ist zwar jederzeit aus dem Urteil zu gewin-
20 nen - durch Urteilsenthaltung im Sinn der Inhibierung des
Glaubens. Das ist aber nicht Wegtun eines qualitativen psychi-
schen Momentes, sondern eine Modifikation des ganzen Aktes,
und was erwächst, ist die Neutralitätsmodifikation, die auch das
Charakteristische der 2 reproduktiven "Phantasie" und jeder Fik-
25 tion ist.
Nun ist freilich ein Unterschied, ob ein positionales Erlebnis,
ein urpositionales oder ein modalisiertes, allererst durch Epoche
neutralisiert wird, oder ob von vornherein ein neutrales Erlebnis
erwächst, das uns gar nicht die Möglichkeit zu einer Position her-
30 gibt; nämlich ähnlich wie jede Position die Möglichkeit zu einer
willkürlich herzustellenden Neutralität gibt. Position in Bezug
auf ein beliebig in Neutralität "Vorstelliges" liegt nicht in unserer
Macht. Ob auf dem -Sirius menschenartige Wesen leben - das
denke ich mir jetzt, wo ich es sage, aber darüber "etwas auszu-
35 sagen", einen Glauben zu haben, bin ich ausserstande. Ich kann
weder ja noch nein sagen.

1 "Moment" später verändert in "Aktmoment". - Anm. d. Hrsg.


ß Spater eingefügt: "rein". - Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 20 (1921/24) 577

Ich würde also sagen: Neutralität kann in verschiedener Weise


motiviert sein, sie kann als "Einfall" auftreten, als "Bildobjekt-
bewusstsein" in einer Abbildung, als freies Spiel sich durch-
setzender und dabei positional entwertender Reproduktionen,
5 aber auch als willkürliche Enthaltung von aller Position. Die
Rede von Phantasie wird mir auf die letzteren Fälle angewandt,
und zwar darum, weil das Wort in der üblichen Rede ein geistiges
Tun bezeichnet, das nicht dem Zweck dient, für die bewusste
Welt irgendwelche Entscheidungen zu treffen, oder besser: ein
10 geistiges Tun, das den Charakter des Uninteressierten hat - das
sich auf keinel thematische Sphäre bezieht,. zu der2 Stellung ge-
nommen~ die in Kenntnisnahme, in theoretischen Urteilen, in
Wertung oder Wollung Themen für immer neue Positionen ab-
geben soll. Enthaltungen aber von Positionen haben im natür-
15 lichen Leben immer dienende Bedeutung für die Gewinnung von
Positionen. So in der Erkenntnis: Es ist ein Haltmachen, ein
Sich-"Besinnen", in dem jede Stellungnahme, jeder Glaube, jede
Position der fraglichen Richtung "zurückgezogen" wird: aber
nur, um neue und eventuell bessere Positionen vollziehen zu kön-
20 nen. Die Phantasie ist das Reich der Zwecklosigkeit, des Spieles.
Ihr noch zuzurechnen sind die unthematischen, vorthematischen
Vorkommnisse3 , wo nicht wie beim Spiel quasi-Zwecke, quasi-
Wertungen usw. in quasi-Wollungen erzeugt werden und das Ich
als phantasierendes seine Art Aktivität hat, sondern wo schon
25 vorthematisch, schon im Hintergrund "Phantasien auftauchen",
Ein fäll e sich gestalten, die von vornherein keine Positionalität
haben, und andererseits natürlich keine Zweckfunktion. Hinterher
können sie schon4 irgendwelche thematischen Funktionen an-
nehmen für ästhetische, philosophische und sonstige Zwecke,
30 aber in sich sind sie " Spiel" , in einem freilich uneigentlichen Sinn.
Das Spiel kann auch im thematischen, "wachen" Bewusstsein
passiv verlaufen (ich überlasse mich den Phantasien), oder es
kann sich Regeln unterwerfen, z.B. ästhetischen. Dann ist die
Bildgestaltung Phantasie, die ästhetische Thematik aber nicht
35 Phantasie usw.

1 Später eingefügt: "natürliche". - Anm. d. Hrsg.


2 Später eingefügt: "immer neu". - Anm. d. Hrsg.
3 Später eingefügt: "die Einfälle". - Anm. d. Hrsg.
4 "schon" später verändert in "sehr wohl". - Anm. d. Hrsg.
578 TEXT NR. 20 (1921}24)

Das gibt also phänomenologisch sehr' verschiedene Gestalten


des Neutralitätsbewusstseins. Jede Motivation, jede psychische
Gesamtsituation, die eine Neutralität hervortreibt, gibt ihr auch
mit den Charakter. Die Unterdrückung einer Positionalität als
5 Enthaltung ist ein Charakter, ebenso wie das Spielerische der
"freien" Phantasie. Andererseits aber ist als grnndwesentlich
Gemeinsames und Verbindendes eben die Neutralität auszu-
zeichnen.

<c) Intentionale Erlebnisse sind entweder positionale


10 oder neutrale; gemischte Erlebnisse. Zur Lehre von den
"perzeptiven Fikta" der Ideen>

Intentionale Erlebnisse sind entweder positionale oder Phan-


tasieerlebnisse im erweiterten Sinn oder besser neutrale. Neutrale
Erlebnisse haben nichts in wirklicher Geltung, sondern nur in
15 einer Geltung-als-ob. Positionale Erlebnisse sind Bewusstseins-
erlebnisse, in denen dem Ich etwas gilt, in denen eine Meinung
beschlossen ist; neutrale und speziell Phantasiemeinung ist nicht
wirkliche Meinung, sondern eben ein Sich-hinein-Denken, Hinein-
Phantasieren, als ob man meinte. Sich in irgendeiner Weise ein
20 Gemeintes vorstellen, ohne selbst zu meinen. Das gilt, ob die
Erlebnisse die Vollzugsform des thematischen Aktes, des cogito,
haben oder nicht. Den wirklichen Akten entsprechen als Gegen-
bilder die Akte-als-ob. Rein neutrale Akte, rein vorstellende,
reine Phantasie sind von aller Positionalität hinsichtlich des
25 Phantasierten frei, und ebenso reine Positionalität von aller
Phantasie (in diesem Sinn). Phantasie im normalen Sinn neutrale
Vergegenwärtigungen, vergegenwärtigende" Vorstellungen".
Es gibt aber gemischte Erlebnisse, und sie sind sehr gewöhnlich,
und solche gemischte können positional sein, und insbesondere
30 als Akte wirklich Position vollziehen und doch Phantasien in sich
schliessen. Und sie können Phantasien sein und doch Positionen
in sich schliessen. Jedes Phantasiebewusstsein, also auch jedes
reine, kann in einen positionalen Akt verwandelt werden, natür-
lich geänderten gegenständlichen Sinnes, im Fall einer reinen
35 Phantasie gewöhnlicher Art. Sonst könnte über Phantasien ja
nichts ausgesagt, sie könnten nicht beschrieben werden: Ich
TEXT NR. 20 (l921j24) 579

meine die Fikta, die quasi-Gegenstände, die da phantasiert sind,


als solche. Insbesondere sei darauf hingewiesen, dass reine Phan-
tasie das Bewusstsein ist, in dem reine Möglichkeiten als Selbst-
gegebenheiten beschlossen und aus dem sie zu entnehmen sind.
5 Vollziehe ich phantasierend einen zusammenhängenden Akt ein-
stimmig anschaulichen Phantasierens (eines als ob ich einstimmig
wahrnähme), so konstruiere ich damit einen Gegenstand-ais-ob
in der Weise einer ursprünglichen quasi wahrnehmungsmässigen
Se1bstgebung-als-ob. 1 Und dieser Gegenstand-als-ob ist hier in
10 diesem Modus ursprünglich gegeben und ist nichts anderes in der
Erfassung vom Ich her (die eine wirkliche Erfassung ist und
nicht eine modifizierte), ist die reine Möglichkeit. 2 Sie ist das
"durch" Phantasieaktion Setzbare, ich muss aus der Einstellung
des Phantasierens in die Einstellung der Aktivität (der Positiona-
15 lität) übergehen, ich vollziehe dabei zum Phantasierten als sol-
chen eine Stellungnahme, eine Seinserfassung, die auf die Syn-
thesis :konsequenter Phantasie gebaut ist.
Ferner: Ganz anders als in dieser Wendung, die jede anschau-
liche und konsequent einstimmige Phantasie in ein Möglichkeits-
20 bewusstsein <verwandelt>, haben wir eine Verbindung von Po-
sition und quasi-Position in den Fällen des Umfingierens von po-
sitional Gegebenem.
So können auch aus Wahrnehmungsobjekten Fikta werden.
Als Erfahrungsobjekte sind sie positionaI gegeben, sie sind aber
25 umgedacht - was immer voraussetzt, dass noch ein Rest der
Position in die Vermischung eingeht, neben dem, was durch das

1 Der also in einer Evidenz-als-ob erschaut ist.


2 Ich urteile evident - als Zuschauer sage ich: Das in Evidenz Geurteilte als sol-
ches ist Wirklichkeit. Aber als unbeteiligter Zuschauer? Nein. Nicht als unbeteiligter,
sondern als beteiligter Zuschauer (reflektierender) sage ich Wirklichkeit aus.
In Phantasie (in quasi-Evidenz). Reflektierend, aber quasi miturteilend sage ich,
das ist eine Möglichkeit. Ich bin dann in einer Einstellung, wo ich in der evidenten
Synthesis fortschreitend sagen würde: Die Möglichkeit ist dieselbe.
Gegenüber einem positionalen Tun kann ich mich als Reflexions-Ich auftun und,
die Positionen mit tue n d, über die Gegenständlichkeiten der Positionen urteilen,
oder sonstwie zu ihnen mich verhalten. Dahin gehört das Urteilen der Reflexion:
Was ich da erfahre, ist Wirklichkeit, evident Seiendes. Ebenso in der Phantasie: Das
Urteilen der Reflexion: Was ich da phantasiere, ist eine Möglichkeit, eine evidente
Möglichkeit, evidenterweise quasi Seiendes. Hier bin ich also nicht unbeteiligt, ich
mache das Urteilen-als-ob mit.
Der unbeteiligte Zuschauer hat keine Wirklichkeiten und Möglichkeiten hinsicht-
lich der wirklichen und quasi-Gegebenheiten des unteren Ich auszusagen. Was er in
dieser Hinsicht aussagt, sind "Wirklichkeiten" und "Möglichkeiten" in Anführungs-
zeichen.
580 TEXT NR. 20 (1921/24)

Umphantasieren "überdeckt" worden ist. Aus der schlichten


Position, dem schlichten Satz, ist ein Ansatz dann herzuleiten
(Hypothesis), aus der Fiktion (dem umfingierten quasi Daseien-
den) ein "gesetzt, dass es so wäre". Hierbei mag im Wahmeh-
5 mungsobjekt (um ein solches zu nehmen) die Gestalt .l'wch wahr-
nehmungsmässig gesetzt sein, während die umfingierte Farbe
eben blosse Fiktion ist, aber sie "überdeckt" die gesehene Farbe,
und darin liegt schon im Grunde der Ansatz. Das konkrete Ge-
bilde ist dann Phantasie, Fiktion, ein Gegenstand-als-ob, ob-
10 schon Komponenten desselben den Charakter leibhafter Gegeben-
heit haben.
Endlich kann es sogar sein, dass ein Fiktum durchaus in leib-
hafter Gegebenheitsweise, in einer Leibhaftigkeits-Erscheinung
erscheint, genau in dem Sinn wie ein Wahrnehmungsobjekt, und
15 doch Fiktum ist. So, wenn ich ein Scheinobjekt (einen perzep-
tiven Schein wie ein stereoskopisches Bild oder Bildobjekt einer
Abbildung) so betrachte, als ob das betreffende Objekt wäre. So
sehr dagegen die Erfahrung spricht, so sehr der aktuell vorliegen-
de Wahrnehmungszusammenhang dagegen spricht, ich fingiere
20 es eben als seiend. Und das sagt, ich fingiere implicite das Da-
gegensprechende mit um, während ich das Scheinbild erhalte. 1
Eben damit gewinnt es anstelle seines unstimmigen einen ein-
stimmigen Erfahrungshorizont, und es ist nun so, als ob es wäre.
Es ist nun phantasiert und andererseits doch leibhaft Gegebenes,
25 nach Merkmalen, die eben wahmehmungsmässig erscheinen.
Eine Wahrnehmung ist es darum nicht, was es gilt, gilt es mit
seinem und in <seinem> Horizont, und ist dieser Fiktion, so ist
auch das "eigentlich" Erscheinende Fiktion, auch in ihm stecken
Antizipationen, und all diese sind mit betroffen und mit in fiktive
30 verwandelt. Es ist also eine richtige Lehre der Ideen, dass es
"perzeptive Fikta" gebe, aber natürlich nicht durch ein "Dahin-
gestellt-sein-Lassen", durch eine Ausschaltung der Stellung-
nahme, in der Weise einer Enthaltung, sondern durch ein ganz
andersartiges Verdrängen aktueller Positionen, durch das Um-
35 fingieren, durch Ansetzen und Hineinsetzen von Phantasien in
und über die Positionen. 2

1Der alte Horizont ausser Geltung gesetzt und im Als-ob negiert, überdeckt.
2Enthalten setzt voraus eine wirkliche Position, die eben inhibiert wird. Eine
Phantasie ist aber so nicht charakterisiert. Sie ist also nicht durch Aufhebung der
TEXT NR. 20 (1921/24) 581

Wie ist es, wenn ich zweifle, einen Widerstreit gegeben habe
und von dem, was für die eine Seite spricht bzw. gegen die andere,
wegsehe, es nicht zur Geltung kommen lasse? In gewisser Weise
tue ich das auch beim Umfingieren, im Überdecken ist das Be-
5 deckte ein positionales. Das lasse ich nicht zUr Geltung kommen,
ich inhibiere diese Geltung und verfolge nur die eine Schichte, als
ob sie wäre. Ist, wenn ich die eine "Möglichkeit", und was für
sie positiv spricht, in Geltung setze und die andere ausser Geltung,
damit nicht eine Phantasie hergestellt? Aber hier habe ich doch
10 eine durchgehende Positionalität, das für diese Möglichkeit
Sprechende halte ich in Geltung. Für das andere mache ich mich
nur gewissermassen blind, decke die Augen zu. Wenn ich aber
ein Objekt umfingiere, das gesehene Rot in Gron, so spricht für
dieses' Gron nichts. Andererseits, die sonstige Position gebe ich
15 nicht preis, ich sehe nicht von ihr ab, aber ich verfälsche sie, da
sie von dem Verdrängten (durch das fiktiv Hineingesetzte) nicht
unabhängig ist. Das Rot-seiende ist zum Gron-seienden gewor-
den, und als das ist es nicht ernstlich gesetzt, sondern fingiert:
Das betrifft das ganze Objekt. Ich kann natürlich hinsichtlich
20 der "Möglichkeit", hinsichtlich des Dafür-Sprechens Enthaltung
üben und nun eine blosse "Phantasie", ein Als-ob erhalten.

<d) Sich-hineindenken als-ob (Vollzug eines Möglichkeitsbewusst-


seins) und das Phantasieren. Die willkürliche Enthaltung gegenüber
der positionalen Einstellung. Der abbildende Akt entweder thematisch
25 in Richtung auf das Abgebildete oder ästhetische Einstellung; be-
schränkte synthetische Einheit beim ästhetischen Objekt, der Hori-
zont ein anderer als für das Ding schlechthin>

In-Zweifel-Geraten - Dahingestellt-sein-Lassen, die Sache


steht in Frage. Ich durchdenke sie und habe doch keinen Glau-
30 ben, keinerlei Stellungnahme. Wenn ich die "Sache" durchdenke,
eine Wahrnehmungs sachlage oder eine Erinnerungs<sach>lage,
oder eine Theorie: so "vollziehe" ich doch die Urteile, die Wahr-

Operation wieder in "alten Stand" zu bringen. Das schliesst aber wohl nicht aus, dass
im Kern das "als ob" beiderseits identisch wäre. Und das war wohl die Meinung der
Ideen.
582 TEXT NR. 20 (l921J24)

nehmungen, Erinnerungen, aber in der Weise des Als-ob. Ist das


nicht im Wesen wie bei der Phantasie, nur dass bei dieser, das
Wort im gewöhnlichen Sinn genommen, nicht. eine wirkliche Po-
sition voranliegt und dann "Enthaltung" die Wendung
5 ins "als ob" herstellt?
Aber Ich, das jetzige Ego, bin noch nicht beteiligt, werde nur
affiziert. - Andererseits handelt es sich um Phänomene der Fort-
geltung aus ursprünglicher Stiftung, und so ist, wo keine Hem-
mung eingetreten ist, mein "altes Ich" beteiligt, und ich bin noch
10 derselbe. Was sagt das? Es ist eben keine blosse Phantasie, son-
dern eine "Erinnerung", es ist nicht eine fremde Zumutung, son-
dern von vornherein eine Geltung im Modus der Zumutung an
mein Ego, an das vollziehende Subjekt, sie zu aktivieren wieder
als Geltung, es ist eine Selbst-Zumutung, eine Zumutung aus
15 eigener Konsequenz, aus eigener Habitualität.
Erst wenn Unstimmigkeiten zu diesen Fortgeltungen, zu den
aus Urstiftungen stammenden Habitualitäten, Apperzeptionen
eintreten, ist auch meine Aktivität gehemmt hinsichtlich ihrer
Positionen, und dann ist auch die "Erinnerung" nicht mehr
20 schlechthin Erinnerung, sondern in ihrer hintergründlichen Art
modalisiert. Und dann ist das Aktivieren der miteinander strei-
tenden und im Streit modalisierten Erinnerungen ein hinsicht-
lich der Positionen modifiziertes.
Und wie steht es dann mit der Frage, ob es Phantasie ist? So-
25 lange der Streit ungeschlichtet ist, habe ich nicht blosse Phanta-
sie als Glieder, obschon nicht Wahrnehmung oder Erinnerung
(Wahrnehmung als Apperzeption ist selbst eine Sonderart von
"Erinnerung"). Ich habe ja Anmutlichkeiten, Möglichkeiten, Zu-
mutungen. Ich habe Erinnerungs-Modifikationen, mit modifi-
30 zierten Setzungscharakteren (Gewissheitsmodalität). "Versetze"
ich mich in die eine Möglichkeit, sie aktualisierend, so glaube
ich nicht wirklich, ich tue, als ob ich glaubte. Der Akt selbst ist
ganz wie der entsprechende Wahrnehmungsakt, aber es ist ein
Wahrnehmungsakt-als-ob - also "Hineinphantasieren", Sich-
35 Hineindenken-als-ob. Und doch ist es nicht blosse Phantasie, es
ist ja Hineindenken in etwas, Ausdenken von etwas, das, so wie
es da gedacht ist, etwas ist, wofür etwas spricht, was zur Zustim-
mung, zu wirklichem Vollzug geneigt macht. Denke ich mir, was
dagegen spricht, weg, modifiziert, so dass es nicht mehr dagegen
TEXT NR. 20 (1921 1 24) 583

spricht, so phantasiere ich um und bilde eine fiktive Annahme,


und dann würde ich glauben.
Insofern ist also das Ais-ob wie jedes Erinnerungs-Ais-ob nah
verwandt mit dem der Phantasie (blosser Phantasie) und an-
S dererseits doch verschieden. Es ist nicht "blosse", reine Phanta-
sie, aber eventuell doch eine Art Umfiktion dabei, wenn ich, was
ich jederzeit kann, jene "Abstraktion" vollziehe. Andererseits ist
aber Vollzug eines Möglichkeitsbewusstseins nicht ein Phanta-
sieren oder gar Annehmen. Es ist aber die "Vorstellung" von
10 einer Gewissheit, die aber im Charakter modifiziert ist, es ist eine
höherstufige Intentionalität, in dem Möglich-seiend steckt das
Seiend, aber das Mögliche ist Möglichkeit von einem Sein. Durch
das' Bewusstsein der Hemmung der Gewissheit geht aber das
Streben nach Gewissheit bzw. nach Entscheidung: Herstellung
15 der schlichten Geltung, Wieder-in-Geltung-setzen des Seins, oder
die Geltung versagen, durchstreichen. Jeder Urakt der Position
(Gewissheit) ist Terminieren in seinem Gesetzten und ist bleiben-
der Erwerb eines Satzes: einer Geltung schlechthin. Jeder mo-
dalisierte Akt ist Durchgang eines Strebens nach Entscheidung
20 und schliesslich nach einem positiven Satz, einem unmodalisier-
ten. In höherer Stufe: Das Streben der Vernunft und das Termi-
nieren in der begründeten Wahrheit, oder empirisch das Streben
gegen ein unendliches Telos, Idee.
Geht das Interesse nicht auf Seiendes, wie ist es dann? Wir
25 haben das Phänomen: Ich vollziehe einen Akt, der charakterisiert
ist als Hemmung der Tendenz auf Gewissheit, als Fraglichkeits-
bewusstsein, als Bewusstsein von Nichtigem (wofür zwar die Ap-
perzeption spricht, aber durch andere Geltungen aufgehoben ist),
oder ich vollziehe eventuell einen Akt, der eigentlich das Bewusst-
30 sein ist: "Ich kann einen Akt nicht vollziehen, ich bin von der
Gewissheit abgehalten", etc.
Ein ganz anderes ist Unterbindung des Strebens, das auf fort-
gehende Kenntnis und Erkenntnis oder fortgehende ästhetische
Wertung etc. geht in der Form willkürlicher Enthaltung, Inter-
35 essenunterbindung - das liegt in der Begründung einer anderen
Interessenrichtung: Einen "Schein" als "Schein" sich ansehen,
ein stereoskopisches Gebilde, ein Bildobjekt als solches etc.
Ich vollziehe keinen Glauben, ich nehme keine Stellung, ich
bin nicht für Sein interessiert, somit auch nicht für Vermutlich-
584 TEXT NR. 20 (1921/24)

sein, Fraglichsein, Wahrscheinlich- und Nichtigsein. Das ist


scharf festzuhalten : Ich als Ego, als Subjekt eigentlicher "Akte",
positionaler Akte, Akte des Interesses, habe in gewissen Hin-
sichten kein Interesse, verhalte mich interesselos, ob nun mit
5 oder ohne willkürliche Inhibierung des Interesses und Wendung
in eine andere Interessenrichtung. So wenn ich mich statt für
den Gegenstand schlechthin für den intentionalen Gegenstand-
im-Wie interessiere. Ich interessiere mich für "diese" stereosko-
pische graphit-glänzende Pyramide, so wie sie dasteht, als
10 "Wahrnehmungsbild", von "ihr" nehme ich Kenntnis, nicht von
der Pyramide schlechthin, ebenso von dem Bildobjekt, diesem
kleinen Figürchen etc.1 Ist es dasselbe, von dem ich in Änderung
der Einstellung sage, es sei ein blosser Schein, sei nichtig? Aber
es ist doch, und ich nehme von ihm Kenntnis und beschreibe es
15 etc. Die Beschreibungen können absolut evident sein, und so
überall, wo ich im Meinen eine Meinung, ein Gemeintes habe und
dasselbe beschreibe. In jeder Meinung liegt Selbstgegebenes, dar-
auf richte ich den unmittelbaren Blick, das Gemeinte. Ich nehme
es wahr, während ich das Gemeinte schlechthin im allgemeinen
20 nicht wahrnehme und selbst, wenn es sich um eine Wahrneh-
mung, eine "äussere", handelt, liegt das Ding nicht in der Wahr-
nehmung: Es braucht nicht zu sein.
Nicht das "Wahrnehmungsbild", das Erinnerungsbild, das in-
tentionale Objekt als solches ist ein Schein, sondern das schlecht-
25 hin Wahrgenommene, Erinnerte etc., das, was im Fortgang der
Dingwahrnehmungen von demselben Ding, der Erinnerungen von
demselben, eben als selbiges gesetzt ist und gesetzt in unmodifi-
zierter Weise; lenke ich das Interesse auf das Bild,2 auf das
Wahrgenommene als solches, Erinnerte als solches, Gedachte als'
30 solches, so habe ich die Setzung des Identischen "inhibiert", das
ist, ich vollziehe nicht diesen thematischen Akt, sondern setze
thematisch ein Subjektives, ein Noema; nur dass ich einsehen
kann, dass, so oft ich einen Akt, gerichtet auf dieses Ding, diesen
vergangenen Vorgang, diese Theorie positional vollziehe, ich eben

1 Das Wahrnehmungsobjekt als biosses "Bild" und nicht gerade in einem subjek-
tiven Wie, und doch als "Bild". Ebenso ein Urteil als blosser Gedanke, eine Theorie
als biosses Gebilde - evtl. aber als das, aber im Wie der Klarheit, Evidenz etc. All
das, ohne dass ich die Position vollziehe, "wirklich" glaube, urteile. etc.
2 Den Zuschauer nicht vergessen!
TEXT NR. 20 (1921/24) 585

eine "Reflexion" vollziehen und dann sehen kann, dass das


Noema im Akte "läge", ja dass es im Blick lag, dass aber der
Blick nicht auf das Noema als erfassender Blick ging, sondern
auf das Ding als Identisches der Synthese. Hier muss man ge-
5 nauer sagen: Wie ich durch die Modifikation des Phantasierens
als Setzbares und Beschreibbares die Phantasie-Gegenständlich-
keit erhalte, so erhalte ich durch die Modifikation der Enthaltung
überhaupt ein Setzbares vom Zuschauer her, das intentionale
Objekt als solches, das vermeinte Objekt als solches. Überlege
10 ich mir in positionaler Einstellung, wie dieses Ding im Fortgang
möglicher Erfahrung aussehen und was ihm zukommen würde,
so ist das, ein Ansatz realer Möglichkeit, und solcher für dieses
Objekt als Identisches möglicher Erfahrung überhaupt. In der
Wendung des Interesses durch Enthaltung und Zuschauen finde
15 ich das möglicherweise seiende Ding selbst als Noema der syn-
thetischen Unendlichkeit der Erfahrung. Wie für jede Partial-
erfahrung und Synthese ein besonderes Noema, ebenso für all-
gemeines Denken. Das Noema erfassen, das ist in einer modifi-
zierten Weise, in der der Enthaltung, den Gegenstand und den
20 offenen Horizont seiner Bestimmungen bewusst haben, bzw.
ausser thematischem Vollzug haben, was sonst die Gestalt the-
matischen Vollzuges annehmen kann.
Ich kann willkürlich einen Vollzug meines positionalen Aktes
aufheben und, damit die thematische Richtung ändern. Und the-
25 matische Richtung 'ändern ist für die alte Richtung Inhibierung
des thematischen Vollzuges (des positionalen). Ist also das Haben
eines Bildobjektes, evtl. seine Betrachtung eine perzeptive Phan-
tasie? Nein.! Es wird da 'eine "Wahrnehmung", und zwar die
eines "Wahrneh'Inungsbildes", wenn ich zum Zuschauer werde.
30 Was aber das abgebildete Objekt anlangt, so ist es in jedem Fall
vergegenwärtigtes Objekt, aber als im Bild sich "darstellend",
sei es nach allen, sei es nach gewissen Merkmalen. Der abbildende
Akt ist nun entweder thematischer Akt in Richtung auf das Ab-
gebildete, oder aber ich bin ästhetisch eingestellt, und mag ich

1 "Nein" etwas nachträglich verändert in "Ja" und den Text wie folgt ergänzt:
"Sich dem Bildobjekt zuwenden und es betrachten ist ansehen, als ob es wäre. Eine
'Wahrnehmung', so wie ich, anschaulich phantasierend und den thematischen (po-
sitionalen) quasi-Vollzug der Phantasie-Akte inhibierend, das 'Phantasiebild' finde
und es selbst gegeben habe als Phantasie von einem Wahrnehmungsbild." - Anm. d.
Hrsg.
586 TEXT NR. 20 (1921/24)

auch weiter überzeugt sein, dass das Abgebildete'sei und die und
die mir evtl. anderwärts bekannten Eigenschaften hat, so ist das
in der ästhetischen Einstellung ausser thematischem positiona-
lern Vollzug. Es mag das Sujet eine Person sein, die über die un-
5 mittelbar dargestellten körperlichen Eigenschaften noch andere
geistige Charaktereigenschaften weckt, und als zum ästhetischen
Gehalt gehörig, als offenen Horizont habe jo ich eine ganze
Geschichte der Persönlichkeit und was sie "künftig" zu leisten
befähigt und berufen sei. Also synthetische Identifizierungen
10 sind dabei geweckt und werden evtl. "vollzogen". Und doch ist
eine positionale Änderung da. Ästhetisch bin ich für die Wirk-
lichkeit nicht interessiert, nicht auf Wirklichkeit eingestellt.
Ein Bild von Bismarck kann ich betrachten und daraus für seinen
Charakter viel lernen. Aber dann ist das keine ästhetische Be-
15 trachtung. Dass es Bismarck sei, kann auch ästhetisch bedeut-
sam sein, sofern es mir einen Persönlichkeits-Horizont mit weckt,
auf den der Künstler rechnen mag. Aber selbst wenn ein Stück
der Seins-Einstellung mit dienen mag, so ist sie doch nicht die-
selbe wie sonst, es liegt eine thematische Änderung vor. Das
20 Dienende würde ohnehin nur die Funktion haben, gewisse Mo-
mente und Horizonte und in Allgemeinheit zu wecken. Alles
sonst wäre überhaupt aus dem thematischen Horizont ganz
ausgeschaltet. Und wäre es eine blosse Phantasie gleichen In-
haltes, somit das Abgebildete überhaupt nicht als seiend gegeben,
25 so wäre ästhetisch nichts geändert. Aber die thematische Än-
derung betrifft genauso die Phantasie. Denn wenn ich bei einem
Bild, das ich von vornherein nicht für Abbild einer Wirklichkeit
halte, die etwa angezeigte Zentauren-Landschaft in meiner Phan-
tasie (sie, als wäre sie seiend, festhaltend) immer weiter durch-
30 wandern, mir sie als einstimmig fort fingieren würde, als ob ich
sie erkennen wollte und sollte, so wäre das keine ästhetische
Einstellung, sondern die Einstellung einer Fiktion und Fiktion
einer Erkenntnis. Das ästhetische Interesse geht auf den dar-
gestellten Gegenstand im Wie der Dargestelltheit, ohne Interesse
35 für seine Existenz selbst und quasi-Existenz. Bei der schönen
Landschaft, die ich wirklich sehe, auf die sich von hier aus, von
diesem Taleingang aus darstellende als solche.
Wie ist er dabei nun bewusst, da er doch erscheint und ich be-
trachtend ihn im Wandel von Erscheinungsweisen identifiziere
TEXT NR. 20 (1921/24) 587

und doch auch eine Einheit habe, die ich nur nicht als identische
der Unendlichkeit von möglichen Erfahrungen meine, wie wenn
ich das Absehen auf das: seiende Ding, im Fall eines Abbildes auf
das abgebildete Ding, hätte. Wo ich weiss, dass es künstlerische
5 Fiktion ist, und es dies da gar nicht gibt, da stört mich das nicht.
Eben der Zusammenhang mit meinem natürlichen Seins-Reich
der wirklichen Welt interessiert mich nicht, nicht, wiefern, was ich
da sehe, synthetisch einstimmig sich fügt in die universale Synthese
der möglichen Erfahrung, inwiefern die Identifizierung, die kon-
10 tinuierliche Seinssetzung im Fortgang der betreffenden Erfah-
rung fortführ bar ist und die Setzung des Synthetischen nun fort-
gilt, sich bestätigend. Mich interessiert nur das "Erscheinende als
solches", das in dieser Darstellung zur einstimmigen Einheit
kommt.
15 Muss ich nicht sagen: Durch den Standpunkt und die ästhe-
tische Einstellung ist mir vorgezeichnet, wie weit ich die Identi-
fizierung fortführen soll - nicht über das "Bild" hinaus. Und
damit ist gesagt, dass zwar meine Apperzeption des ästhetischen
Gegenstandes auch ihren antizipierenden Glauben hat und eine
20 Glaubenseinheit ist; aber der Horizont, die Mannigfaltigkeit ist
eine andere als für das Ding schlechthin.! Für dieses habe ich die
vorgegebene Welt, in der ich hier leiblich stehe und von der ich
ein Stück Umwelt in Wahrnehmung habe, und darüber hinaus
den Horizont möglicher Erfahrung. Das alles ist in Geltung und
25 bestimmt das Glauben. Mein Ding-Glaube, die Setzung des Ge-
genstandes schlechthin ist unbedingte Setzung, sie setzt den
ganzen Horizont, den die Apperzeption mit sich führt. Mein
ästhetischer Glaube, der des ästhetischen Objektes, aber be-
schränkt mich auf die optische Erscheinungsreihe, die ich von
30 hier, vom Taleingang aus, gewinne und die darin optisch konsti-
tuierte Einheit, als etwas für sich Identifizierbares und Erkenn-
bares. Der unendliche Horizont darüber hinaus mit allen zu-
gehörigen, mir unmittelbar und mittelbar zugänglichen Synthe-
sen (von mir herstellbaren) ist abgeschnitten, insofern er nicht

1 Aber das ist eine irreführende Darstellung, obschon Gutes darin ist. Das erste
ist: Ich habe Modifikation einer positionalen Abbildung oder positionalen freien
Phantasie, objektiviert durch Ausdruck. Ich vollziehe nicht die Setzungen und quasi·
Setzungen; aber nach der Epoche vollziehe ich neue Setzungen des nun setzbaren In-
tentionalen. <
588 TEXT NR. 20 (1921/24)

Horizont der thematischen Geltung ist, die ich' jetzt vollziehe.


Diese beschränkte synthetische Einheit, und so wie sie da an-
schaulich ist, ist mein ästhetisches Objekt.! Und zu diesem Wie
mag auch gehören, dass sie jenen unendl'ichen Horizont noch mit
5 sich führt (sie ist eben Landschaft), einen unerschlossenen, mit
vagen Wesensvorzeichnungen besetzten Horizont, der in dieser
Vagheit mein Gemüt berührt; aber sie soll ich nicht als thema-
tischen Horizont der Erkenntnis haben; das ist, das Unbekannte
gehört hier nicht mit zu dem, was ich jetzt thematisch erfasse
10 und als seiend zur Kenntnis nehme, sondern es gehört nur zu
ihm, dass es diese Einheit von Erscheinungen ist und als diese
Einheit in einen umfassenden Einheitshorizont der Unbekannt-
heit hineingehört. Diese Einheit im Wie der Gegebenheit, der
anschaulichen und der durch den unbekannten Horizont als
15 unbekannten, ist mein Thema.
Im Fall der Abbildung bestimmt das Abgebildete im Wie des
Abgebildetseins die Begrenzung des Erscheinenden als solchen,
das ist hier des abbildlich Dargestellten im Wie der Dargestellt-
heit. Ebenso in einer Erzählung, einer Novelle und dergleichen.
20 Ich kann über die Erzählung insofern hinausgehen, als ich mich
weiter vertiefe, mir das Erzählte als solches, die Landschaft, die
Personen usw. näher bringe: Aber meine Phantasie ist nicht frei
in der Fortbildung (selbstverständlich im Stil der Einstimmig-
keit mit der Vorzeichnung), sondern ich bin gebunden, es muss
25 immer das Erzählte als solches sein und nichts anderes, die Ein-
heit der Erscheinungen als dargestellter. Sonst dichte ich weiter
und bin nicht in der Dichtung des Künstlers.

<e) Ichakte - passiv verlaufende Erlebnisse; Ichakte als


positionale und neutrale; jedem Erlebnis idealiter eine Phantasie
30 (Vergegenwärtigung) entsprechend>

1. Ichakte 2 , vom Ich als Pol (Ichzentrum) auf die intentionale


Gegenständlichkeit gerichtete Bewusstseinstätigkeiten - gegen-
über den intentionalen Erlebnissen, die passiv verlaufen und

1 Aber als "Noema" in der Modifikation der Epoche setzbar geworden,


2 Thematische Akte.
TEXT NR. 20 (1921/24} 589

vom Ichzentrum nicht ausgehen als Ichtätigkeiten. Sie haben


eine gewisse Polarisierung darin, dass sie, oder vielmehr ihre pas~
siven "Meinungen", Sätze und noch näher deren Substrate, als
Gegenstandspole auf den in sonstiger Aktion. stehenden Ichpol
5 "Affektion" üben.
Das bezeichnet also die erste' durch das ganze Bewusstseins-
leben hindurchgehende radikale Modifikationsart. Ein Akt kann
übergehen in eine entsprechende Passivität, und umgekehrt. Ein
Gegenstand, der mein Gegenüberstand im Akte ist, kann zum
10 ichfremden1 Hintergrundgegenstand werden, der mir nicht ge-
geben, sondern vorgegeben ist. Dazu Zwischenmodalitäten ; Ein-
satzpunkt des Aktes, der Ichblick fällt auf den Gegenstand, das
N och-im-Griff-Haben etc.
11. Thematische Ichakte zerfallen in Akte des Interesses, the-
15 tische und athetische Akte, positionale - apositionale, neutrale,
interesselose Akte. 2 Allgemein: Intentionale Erlebnisse sind ent-
weder positionale Akte oder neutrale.3 Neutral im prägnanten
Sinn; Nicht-interessiert-sein-Wollen (aktives Sich-Enthalten) des
Interesses. In den Ichakt~n zu charakterisieren: Das Ich voll-
20 zieht eine Setzung, es bringt zur Geltung, vollzieht ein Gelten,
indem es Geltendes, Für-es-Seiendes, Wert-Seiendes, Gesollt-
Seiendes ursprünglich erwerbend hat. In den neutralen Akten hat
es nichts ihm Geltendes, sondern seiner Geltung nach "Dahin-
stehendes". Sein Tun ist also das Dahinstellen. Das Dahingestellt-
25 Haben, das "Ohne-Stellungnahme-Sein" ist eine Modifikation
der positionalen Akte. Willentlich geübt ist es das Sich-Enthalten
im gewöhnlichen Wortsinn. Jeder positionale Akt kann will-
kürlich in eine Aktenthaltung verwandelt werden, in einen neu-
tralen Akt.
30 IH. Jedes Erlebnis hat, idealiter gesprochen, sich gegenüber
eine ihm entsprechende Phantasie (Vergegenwärtigung). Jeder
Position entspricht eine Phantasie-Position, eine Position-als-ob,
jeder Enthaltung, jeder "eingeklammerten" Position eine ent-
sprechende Phantasie, das ist eine Enthaltung-als-ob. Phantasie
35 also normalerweise auf Vergegenwärtigung bezogen.

1 "ichfremden" später verändert in "äusseren". - Anm. d. Hrsg.


I Aktiv nicht interessiert.
8 Positional - neutral.
590 TEXT NR. 20 (1921(24)

Die Enthaltung ist kein Fortfallen einer Stellungnahme, son-


dern eine Abwandlung.! Zur Interpretation der BUd-
ob j e k te und vieler Scheine, die doch nicht als Trug und de.r-
gleichen angesehen werden, aber angesehen (Regenbogen, blauer
5 Himmel, etc.): Währen<\des Bildbewusstseins, der ästhetischen
Bildbetrachtung, in ihrer Interesselosigkeit für Sein und Nicht-
sein, ist das Bildobjekt (trotzdem es in Streit steht mit der "Um-
gebung") nicht im Hintergrund quasi-thematisch 2 bewusst als
nichtiges. Und ebenso, wenn ich darauf hinsehe, ist es nicht als
10 Trug gesehen, sondern "ohne" jede "Stellungnahme" der Doxa.
Hier liegt es an der gesamten Motivation, dass ich3 "Enthaltung"
übe, dass ich nicht Urteile, sondern den blassen "Gedanken"
habe, nicht ein Seiendes oder Nichtseiendes, Nicht-Gesehenes
schlechthin, ein Ding schlechthin oder einen Dingschein, sondern
15 ein "visuelles Bild", ein Scheinen4 -als-ob etc. Blasser Ge-
danke sagen wir, wo wir nicht miturteilend den Urteilssinn
quasi vollziehen und daraufhin ihn thetisch auffassen, das Urteil
als Gedanke, nicht als wirklicher geurteüter Sachverhalt ist ein
Thema neuer Einstellung. Ebenso für das Bild-Sujet oder für
20 ein Bezeichnetes als solches, Genanntes als solches, wenn wir
eben uninteressiert sind für Sein und Nichtsein.
Dieses blosse Bild, der blasse Gedanke (wohl auch ein Ent-
schluss, den ich inhibiere, um mir ihn noch einmal zu überlegen),
das sind keine reproduktiven Phantasie-Modifikationen, sondern
25 eben "Enthaltungen", aber wesensverwandt. Sie verwandeln
Akte des Interesses in Akte, die dafür das inhibierte Interesse
betätigen, wobei aber ein anderweitiges Interesse Motiv sein
kann, die Interesselosigkeit also Mittel für andere Interessen.
Sich vor der Entscheidung einen Gedanken verdeutlichen, klar-
30 machen, etc. = neutral sein und das Neutrale ist der Gedanke,
das Modifikat des Urteils.

1 Ebenso wie die Phantasie-Vergegenwärtigung.


S "quasi-thematisch" später verändert in ,,(passive Modifikation)". - Anm. d.
Hrsg.
8 Später eingefugt: "Neutralität im weitesten Sinn". - Anm. d. Hrsg.
4 "Scheinen" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg.
591

BEILAGE LXIV
, <BEDENKEN BEZÜGLICH DES AUSDRUCKS
"NEUTRALITÄTSMODIFIKATION" MIT BEZIEHUNG
AUF DIE PHANTASIE>
5 <wohl 1921 oder 1924>

Der Ausdruck "Neutralitätsmodifikation" passt auf die thema-


tische Änderung, nicht aber auf die Phantasie. Die Phantasie muss
erweitert werden in perzeptive und reproduktive Phantasie; über-
haupt jedes Erlebnis hat seine Als-ob-Modifikation. Und jedem Thema
10 entspricht sein Als-ob-Thema. 1
Das betrifft nicht bloss Akte als"thematische,Gestalten des Lebens
(Impression und Idee). Andererseits: Im Leben und in Beziehung auf
die Passivität des doxischen, wertenden und praktischen Lebens (pas-
sive Apperzeptionen, passives Gefühlsverhalten, Strebungen, Reali-
15 sierungen) kann auftreten das vom Ich her sich auf Einheiten passiver
Synthese Richten, Urteilen und Urteilsmodalitäten Vollziehen, wer-
tende und praktische Stellungnahmen Vollziehen. Und diesen Akten
entsprechen Akte-als-ob, Modifikate der "Phantasie". Zu Akten,
Phänomenen des ,.Interesses" gehören die spezifischen Modifikationen
20 des Vollzuges, darunter die Phänomene der habituellen Geltung, und
darunter Phänomene der Enthaltung, des Ausser-Spiel-Setzens der
Geltung, schliesslich eines ganzen thematischen "Feldes", des ganzen
thematischen Universums der Fortgeltung.
Eine Landschaft, eine Theorie ästhetisch betrachten, Gedanken be-
25 trachten, ohne zu ihnen Stellung <zu> nehmen, nur um ihren ästhe-
tischen Charakter zu würdigen - da kann beides ineinander über-
gehen: Die ästhetische Betrachtung fordert den Ausschluss des theore-
tischen Interesses, die theoretische Einstellung muss weichen der
ästhetischen. Aber ich kann zur ästhetischen zurück; ich kann die
30 Wirklichkeit betrachten, als ob sie ein "Bild" wäre,2 oder vielmehr in
die Einstellung der Wirklichkeit-als-ob eingehen: Um von da aus
wieder, statt eingestellt zu sein im Seins-Setzen-als-ob, überzugehen in
die Enthaltung von der Seins-Einstellung und der Blickrichtung auf
die Gegebenbeitsweise. Das Wesentliche ist für die ästhetische Ein-
35 stellung also auch nicht die Phantasie, sondern die Einstellung auf
das, was ästhetisch interessiert, Gegenständlichkeit im Wie.
1) Positionale Akte und Scheinakte, Phantasieakte, quasi positio-
nale. Wirkliches Leben und Phantasie-Leben. Alle Phantasieakte sind
vergegenwärtigend?

I '
1 Die letzten beiden Sätze wurden, wohl schon kurz nach der Niederschrift, ge-
strichen, und am Rande bemerkte Husserl: "Ja,gibt es perzeptive Phantasie?!" -
Anm. d. Hrsg.
2 Ich fingiere mir also die Wirklichkeit um, ich fingiere mir ein Bild, in dem "diese
Wirklichkeit" dargestellt wäre.
592 BEILAGE LXV

2) Thematische Abwandlungen der Akte als Stellungnahmen des


Ich, oder als "objektivierende" Leistungen des Ich, wodurch es sich
Objektbereiche, Welten schafft, und damit immer neue Bereiche für
sein weiteres Leisten. Objektivierend <ist> im weitesten Sinn ver-
5 gegenständlichend. Gegenstand ist alles und jedes, was für das Ich ist,
gilt, bleibend sein eigen <.ist>. Leider kann man nicht sagen: Das Ich
schafft sich Eigen-schaften.
Kann1 ich ein Scheinobjekt, das offenbar nicht ist, nicht festhalten
und, als ob es wäre, mit fiktiv denken? Ich betrachte dann nicht das
10 Erscheinende bloss als Erscheinendes, als Noema, das sich jetzt gibt
und als das undurchstreichbar ist, sondern eben, als ob es wäre; es
spricht ja meine Erfahrung dagegen, aber was dagegen spricht, das
fingiere ich eben um und fingiere so Einstinlmigkeit, der sich das
perzeptiv Gegebene synthetisch einfügt. Dann habe ich doch eine
15 perzeptive Phantasie, eine Phantasie, die nicht reine Vergegenwärti-
gung ist, sondern das phantasierte Objekt habe ich im Modus der Leib-
haftigkeit und doch phantasiert. Es ist Fiktum. Es ist hier anders wie '
im Fall von Erfahrungsobjekten, die ich nach den gesehenen Merk-
malen umfingiere; das Objekt ist dann nicht schlechthin leibhaft Er-
20 scheinendes und doch Fiktum. Denn wenn es rot ist und ich es als
grün umfingiert habe, so ist eben dies Grün, das zu ihm gehört, nicht
leib haft. Allerdings seine Gestalt und sonstiges, das erscheint, gehört
zu ihm als Leibhaftes.

BEILAGE LXV
25 PHANTASIEN UND VERGEGENWÄRTIGUNGEN
<wohl gegen Mitte zwanziger Jahre>

Die Leerhorizonte der Wahrnehmung und die möglichen Wahrneh-


mungen.
Die Sujetvorstellung eines Abgebildeten.
30 Das Bildfiktum als ein Schein, aber als Phantasie und nicht als
Nichtiges.
Die Deckung von Bildfiktum und Abgebildetem (evtl. Fiktivem).
Die Ausserspielsetzung (und absichtliche Epoche), wodurch eine
streitende Erscheinung ausser Streit gesetzt wird, die sie aufhebende
35 Wahrnehmung ausser Spiel, ausser Vollzug gesetzt. Dadurch ist aber
der Schein nicht Wirklichkeit, sondern quasi-Wirklichkeit. Wie kommt
das zustande? Das Ausserspielsetzen ist nicht völlig Verschwinden-
lassen, es ist keine eigentliche Epoche, das Ausserspielsein kommt ~e­
rade dadurch zustande, dass ich am anschaulich Gegebenen mIch
40 halte und allein halten will. Ist es durchstrichen, erscheint es doch.

1 Der Text dieses Absatzes wurde, wohl kurz nach der Niederschrift, diagonal ge-
strichen. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LXV 593
\
Was heisst das aber? Es ist, als ob es wäre. Die Erscheinung ist Seins-
erscheinung, positional nur, sofern sie im Glauben ist. Sowie sie durch-
strichen ist, ihr Seinsglaube, trägt sie in sich ein Als-ob, das rein her-
austritt, wenn ich eben alle Glaubensmotivation ausser Aktion setze,
5 kein positionales Interesse habe. Aber sie ist Erscheinung von, sie
fordert ihre Motivationszusammenliänge, sie hat ihre Horizonte etc.
Aber das sind jetzt lauter Horizonte des Als-ob etc. In gewisser Weise
kann ich jedes Ding als "Bild" sehen. Ich inhibiere allen wirklichen
Glauben, ich bin interesselos für die Wirklichkeit und nehme es als
10 Bild, als "Berg", und zwar in der Erscheinungsweise, als mir so wert.
Ich als phantasierendes Subjekt einer reproduktiven Phantasie.
Auch hier habe ich Widerstreite, ich schalte Wirklichkeit aus. In ge-
mischter Phantasie wird nicht alles zum Als-ob, aber der Als-ob-
Charakter infiziert das wirklich Gegebene, sofern es so weit seiend ist
15 und so weit bloss reproduktiv hineingewirkter Schein, aber freilich
kein präsenter Schein.
Ist nicht bei aller auch reinen Phantasie Widerstreit? Mit Wahr-
nehmungen' mit Erinnerungen, mit Antizipationen. Ich inhibiere alle
Weltsetzung. Aber hat nicht jede Phantasie irgend ihre Stelle, irgend
20 etwas, das sie bestreitet?
TEXTKRITISCHER ANHANG
ZUR TEXTGESTALTUNG

Die Texte, die in vorliegendem Bande zur Veröffentlichung gelangen,


stammen ausschliesslich aus Edmund Husserls Nachlass. Sie wurden unter
dem sachlichen Gesichtspunkt der phänomenologischen Analyse von Phanta-
sie, Bildbewusstsein und Erinnerung, d.h. der anschaulichen Vergegen-
wärtigungen, ausgewählt. 1
Husserls nachgelassene Manuskripte bestehen einesteils aus Vorlesungen,
Vorträgen, Entwürfen und Vorlagen zu Publikationen, und Briefen, andern-
teils aus sog. "Forschungsmanuskripten", die den grösseren Teil der
Manuskripte ausmachen. 2 Der gesamte Bestand der nachgelassenen M anu-
skripte wurde vom Herausgeber unter dem angegebenen thematischen Ge-
sichtspunkt durchgesehen. In den vorliegenden Band wurden ein vollständiges
Hauptstück einer Vorlesung, die erhaltenen Fragmente einer Abhandlung,
die von Husserl selbst in Hinsicht auf eine Publikation ausgearbeitet worden
war, ilberwiegend aber Forschungsmanuskripte 3 aufgenommen.

Im einzelnen fusst der vorliegende Band auf folgenden Manuskript-


beständen:
Beim Vorlesungstext - im Husserl-Archiv zu Leuven unter der Signatur
F I 8 aufbewahrt - handelt es sich um das lückenlos erhaltene dritte H aupt-
stück Phantasie und Bildbewusstsein der vierteiligen Vorlesungen Haupt-
stücke aus der Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, die Husserl
im Wintersemester I904/o5 an der Universität Göttingen gehalten hat.
Diesem dritten Vorlesungsstück folgte noch ein viertes Hauptstück, Zur
Phänomenologie der Zeit. 4 Die ersten beiden Hauptstücke handelten

1 Bezüglich der historisch-sachlichen Motive der Gestaltung dieses Bandes vgl. die
Einleitung des Hrsg., bes. S. XXV-XXXI.
a Für eine Übersicht vgl. das "Verzeichnis der zitierten Manuskripte und Briefe" in
Husserliana-Dokumente, Bd. I, Den Haag 1977, Husserl-Chronik, Denk- und Lebens-
weg Edmund Husserls, hrsg. von K. Schuhmann, S. 490-507.
3 Zur Charakterisierung solcher Forschungsmanuskripte und zur besonderen
Problematik ihrer Veröffentlichung vgl. Husserliana XIII, Zur Phllnomenologie der
IntersubfektivitlU I, Den Haag 1973, die Einleitung des Hrsg., 1. Kern, S. XVIII-
XXII und "Zur Textgestaltung", S. 487 f.
4 Teile dieses letzten Hauptstückes wurden bereits zu Husserls Lebzeiten aufgrund
einer auch spätere Manuskripte einbeziehenden Ausarbeitung E. Steins von M.
Heidegger in Husserls Jahrbuch für Philosophie und phllnomenologische Forschung,
598 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN
)
I) Über Wahrnehmung, z) Über Aufmerksamkeit, spezifische Meinung
etc. 1 .
Laut Husserls eigenem Zeugnis in einer Tagebuchaufzeichnung vom z5.
September I906 liegen dieser Vorlesung von I904/o5 sch'On vermeintlich
druckfertige, jedenfalls liein ausgearbeitete Abhandlungen aus dem Jahre
1898 zugrunde. 2 Es handelt sich hierbei um Manuskripte, die im Husserl-
Archiv die Signaturen K I 63, K I 64, K I 65, K I 66 und K I 67 t-ragen.
Sie entsprechen inhaltlich den ersten drei Hauptstücken der Vorlesungen von
I904/o5.3 Im vorliegenden Band gelangt die heute nur noch bruchstückhaft
erhaltene Abhandlung aus dem Ms. K I 67, das die Umschlagaufschriften
Phantasie Zeichen und Phantasie und bildliche Vorstellung (3./4.
September bis 3. Oktober 1898) trägt, zum Abdruck.
Alle übrigen hier veröffentlichten Texte fussen auf Forschungsmanu-
skripten. Diese liegen in verschiedenen Manuskriptkonvoluten des Nachlasses
verstreut. Zum grössten Teil entstammen die ausgewählten Forschungs-~
manuskripte aber den beiden umfangreichen Manuskripten A VI II I
(I79 BI.) und A VI n II (I5z Bl.), den kleineren A VI4 (6I Bl.), A VI z9
(38 BI.) und L II I5 (z5 BI.) sowie Binnenbündeln der Konvolute D I9
(BI. 9I-IZO) und A VI z6 (Bl. n6-I39). Die Manuskripte entstanden
hauptsächlich in der Zeit von den Logischen Untersuchungen bis zu den
Ideen I, in sachlich wichtigen Weiterführungen reichen sie bis in die zwan-
ziger Jahre.
In vier Fällen oben wiedergegebener Texte handelt es sich gewissermassen
um Wiederveröffentlichungen, allerdings in gegenüber der Erstveröffent-
lichung veränderter Gestalt. In die oben (5. 597 Anm. 4) erwähnte Aus-
arbeitung des Vorlesungsstückes Zur Phänomenologie der Zeit vom Winter-
semester I904/o5 bzw. in die der Vorlesung beigefügten "Nachträge und
Ergänzungen" hat E. Stein nämlich Fragmente aus Husserls Forschungs-
manuskripten eingearbeitet, die in der Veröffentlichung von I9Z8 bzw. im
Teil A von Husserliana X, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusst-
seins, Eingang fanden. Vom thematischen Gesichtspunkt des vorliegenden
Bandes her betrachtet erwies es sich als sinnvoll, die von E. Stein ausge-

Bd. IX, Halle a.d. S. 1928, herausgegeben. Die Veröffentlichung von 1928 wurde
im Rahmen der H usserliana - Edmund H usserl Gesammelte Werke im Band s., Zur
Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, Den Haag 1966, von R. Boehm neu
vorgelegt. Vgl. dort insbesondere den vom Herausgeber beigefugten Teil "B. Er-
gänzende Texte zur Darstellung der Problementwicklung" und den gesamten
"Textkritischen Anhang" zur Rekonstruktion des ursprimglichen Vorlesungsstückes
von 1905 sowie die Einleitung des Hrsg., S. XII-XVIII bezuglich des ganzen Vor-
lesungszusammenhangs von 1904/05. Vgl. dazu auch oben die Einleitung des Hrsg.,
S. XXXIlff.
1 Die Manuskriptunterlagen tragen im Husserl-Archiv folgende Signaturen: F I 9
("über Wahrnehmung"); A VI 12 I, S. 41-50 und S. 54-57 sowie A VI 8 r, S. 26--33
(" über Aufmerksamkeit. .. ").
2 Edmund Husserl, "Persönliche Aufzeichnungen", hrsg. von W. Biemel, philoso-
phyand Phenomenological Research, 16 (1956), S. 298. Vgl. auch oben die Einleitung
des Hrsg., S. XXVIIf. .
3 Vgl. Husserliana X, die in der Einleitung des Hrsg., R. Boehm, S. XIV m der
Anm. 2 gegebenen Manuskriptnachweise.
TEXTKRITISCHE ANME~KUNGEN 599

wählten und teils noch bearbeiteten Textstücke im Rahmen dieses Bandes in


der ursprünglichen Fassung Husserls soweit mlJglich vollständig wieder-
zugeben (vgl. 'im einzelnen die Textkritischen Anmerkungen zu Nr. 5, Nr. 7
(mit Beilage XXIX), Nr. I3 und Ny. I4).

Die Text'auswahl geschah - bei mlJglichster Zurückhaltung von subjek-


tiven Werturteilen über Aufnahme oder Weglassung einzelner A ufzeichnun-
gen - unter dem Gesiohtspunkt der historisch und sachlich orientierten
Dokumentierung des von Husserl zum Thema der Phänomenologie der an-
schaulichen Vergegenwärtigungen Gedachten.
Angesichts der vorgefundenen Manuskriptbestände sowie des allgemeinen
Auswahlprinzips hat der Herausgeber grundsätzlich eine chronologische
Anordnung der Texte angestrebt. Dabei konnte allerdings das Datum
der Niederschrift mancher Aufzeichnungen nur schätzungsweise bestimmt
werden. Wie bei der' VerlJflentlichung der Forschungsmanuskripte Zur
Phänomenologie der Intersubjektivität (Husserliana:--.KIII-XV: vgl. Bd.
XIII, "Zur Textgestaltung", S. 487f.) wurde das Manuskriptmaterial auch
vom Hrsg. des vorliegenden Bandes aufgeteilt in arabisch numerierte, gross-
gedruckte Haupttexte (Nr. I bis Nr. zo) und in durchlaufend rlJmisch
numerierte, kleiner gedruckte Beilagen (Beilage I bis Beilage LXV), die
jeweils im Anschluss an die zugehi5rigen grossgedruckten Texte abgedruckt
sind. Die Entstehung mehrerer als Haupttexte wiedergegebener Texte war auf
das eine Jahr I909 (vgl. Nr. 5 bis Nr. II) bzw. auf I9I2 (vgl. Nr. I4 bis
Nr. I7) zu veranschlagen, wobei nur für Nr. 9 (September I909) und für
Nr. I5 (März-April I9IZ) Husserlsche Datierungen vorlagen. Der im
Druck erscheinenden Reihenfolge dieser Haupttexte kommt daher bezüglich
ihrer Chronologie bestenfalls ein_hoher Grad von Wahrscheinlichkeit zu. Bei
der Anordnung der Beilagen musste in einigen Fällen das Prinzip der
strengen Chronologie der Textwiedergabe übrigens durchbrochen werden, und
zwar aus verschiedenen, im einzelnen aus den Textkritischen Anmerkungen
ersichtlichen Gründen.
Wie schon in den Bänden Zur Phänomenologie der Intersubjektivität '
forderte die prinzipiell chronologische Anordnung der Texte auch hier zur
Vermeidung irreführender Anachronismen und stlJrender I nkohärenzen,
dass in der Regel nicht die letzte von Husserl hergestellte Textfassung,
sondern grundsätzlich deren Ur f ass u n g im laufenden Drucktext zu geben
war. Indessen sollte auch in diesem Bande von dem in der Husserliana
leitenden Grundsatz nicht abgelassen werden, Husserls letzte Fassung der
Texte nicht erst in den besonderer Aufmerksamkeit entzogenen Textkritischen
Anmerkungen, sondern bei den Texten selbst zur Geltung zu bringen. Um
dieses Prinzip mit den chronologischen Forderungen in Einklang zu bringen,
wurden spätere terminologische Veränderungen und Vberarbeitungen, die
nicht als blosse stilistische Verbesserungen oder Verdeutlichungen eingestuft
werden klJnnen, unten auf den betrelfenden Seiten in Anmerkungen wieder-
gegeben. Zur Vermeidung eines zu grossen Apparates bei den Texten selbst
wurde dabei allerdings in Fällen, wo für einzelne Stellen mehrere Ent-
stehungsvarianten nachweisbar sind, unten auf der Seite in der Regel nur
600 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

die letzte Oberarbeitungsfassung wiedergegeben, während die Varitinten


zwischen der Ur- und Endfassung dann in den Textkritischen Anmerkungen
festgehalten wurden. Dagegen wurden zur Vermeidung einer Anhaufung von
Anmerkungen blosse stilistische Verbesserungen und geringfügige, den
chronologischen Gesichtspunkt der Textanordnung nicht störende Oberar-
beitungen sowie allem Anschein nach schon zur Zeit der U~fassung vorge-
nommene Einfügungen und Veränderungen, wie sie beim .. schreibend-
denkenden" Philosophen Husserl regelmässig anzutreffen sind, in den fort-
la1Jfenden Text eingebracht und nur in den Textkritischen Anmerkungen als
solche gekennzeichnet. In jedem Falle geben die Textkritischen Anmerkungen
näheren Aufschluss über die Bearbeitungsart (Tinte, Blei-, Blau-, Rotstift,
etc.), die ihrerseits eventuelle Rückschlüsse auf die Chronologie der Ent-
stehungsvarianten gestattet, wenn diese nicht schon anderweitig ersichtlich ist.
Anstreichungen und Beifügungen (z.B. Inhaltsangaben in Form von
Randbemerkungen oder Titelbildungen), die nicht von Husserls Hand stam-
men, werden in der Regel allein in den Textkritischen Anmerkungen, in
wenigen Ausnahmen jedoch, durch Anmerkungen des Herausgebers als solche
gekennzeichnet, vorne wiedergegeben.

Was die durch den Herausgeber v"argenommene Tex t g I i e der u n g selbst


betrifft, ist hier über deren allgemeine Richtlinien folgendes zu bemerken. Die
Aufteilung der Aufzeichnungen in grossgedruckte Haupttexte und diesen
zugeordnete kleingedruckte Bei 1a gen hat in manchen Fällen in H usserls
Manuskripten selbst eine Grundlage, sie geht aber im vorliegenden Band doch
zum grössten Teil auf die Verantwortung des Herausgebers zurück und bleibt
daher durchaus eine Ermessensfrage, die teils auch anderen Lösungen Spiel-
raum liesse.
Es wurde angestrebt, als grossgedruckte Haupttexte (arabische Num-
mern) solche Aufzeichnungen wiederzugeben, die im Wesentlichen die neuen
Schritte in Husserls Denkweg bezüglich der Problembereiche des vorliegenden
Bandes enthalten, sei es durch Einführung neuer Themen oder Themenzu-
sammenhänge, sei es durch eine mehr oder weniger neue Behandlung eines
Themas, das schon an chronologisch früherer Stelle zur Sprache kam. Den als
Beilagen gedruckten Texten dagegen eignet teils mehr der Charakter
historischer Dokumentierung, teils aber auch in Bezug auf die in den Haupt-
texten erörterten oder berührten Probleme der Charakter der Ausführung und
sachlichen Ergänzung. Solche sachlichen Ergänzungen bilden nun aber, vor
allem, wenn sie von Husserl selbst einer hier im Bande als entsprechender
Haupttext gedruckten Aufzeichnung zugeordnet wurden, oftmals eigentliche
Vertiefungen, evt!. Korrekturen oder Problematisierungen von zuvor als
gewiss Hingestelltem, oder aber sie bieten für die Problematik aufschlussreiche
aporetische Erörterungen. Solche Bei lag e n müssen nach Ermessen des
Herausgebers für die Interpretation durchaus hinzugezogen werden. Was
den Herausgeber bewog, solche Aufzeichnungen dennoch zu den Beilagen zu
schlagen, beruht, neben anordnungstechnischen und bisweilen ins Gewicht fal-
lenden stilistischen Erwagungen, vornehmlich auf dem Umstand, dass diese
meist kurzen Texte doch primär erg ä n zen der Natur sind und sich sachlich
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 601

besser im Anschluss an vorangegangene Haupttexte erschliessen. Dies gilt


insbesondere für die zahlreichen Beilagen zu Nr. I und zu Nr. IS. In diesen
Fällen erschien dem Herausgeber übrigens eine genauere Zuordnung zu ent-
sprechenden Teilen in Nr. I bzw. Nr. I5 durchaus möglich und hilfreich.
Querverweise von Haupttexten zu Beilagen wurden aber nur dann gegeben,
wenn sie in den Manuskripten selbst eine Grundlage hatten.

Hier ist der Ort, auf einen besonderen Umstand aufmerksam zu machen,
auf den bei der Gliederung des vorliegenden Bandes Rücksicht zu nehmen war.
Der grösste Teil der in den Band aufgenommenen Manuskripte gehörte
nämlich einst zu einer von E. Stein während ihrer Assistentenzeit bei Husserl
(Oktober I9I6 bis Februar I9I8) angelegten Manuskriptsammlung, für die
sie auch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis anfertigte. 1 Obzwar H usserl auf
dem Umschlag dieses Inhaltsverzeichnisses vermerkte ein geordnetes Manu-
skript-Konvolut, hat er selbst, offenbar zu verschiedenen Zeiten, vor allem in
den zwanziger Jahren, E. Steins durchpaginierte Zusammenstellung zum
Teil wieder aufgelöst. Der Vermerk bezüglich der Anordnung des Konvoluts
war wohl s(1 aufzufassen, dass sich hier aus der Fülle seiner Manuskripte
solche zueinandergelegt fänden, die den Problembereichen 'Wahrnehmung,
Vergegenwärtigung, Stellungnahme, Phantasie, Bildbewusstsein' zuzurechnen
seien. Innerhalb der Zusammenstellung sind nur da und dort, ohne chronolo-
gische Ordnung, thematische Gruppierungen- ersichtlich, vor allem aus
Husserls Aufschriften auf später eingefügten Sonderumscklägen. Es sind
aber auch gewisse Manuskriptbearbeitungen (Paginierungen, Querverweise)
von Husserls Hand zu beobachten, die allem Anschein nach gerade aufgrund
von E. Steins Manuskriptzusammenstellung vereinzelte Blätter nachträglich
zu einer Einheit zusammenfassen, die ursprünglich nicht gegeben, bei der in
vorliegendem Bande durchgeführten Textgliederung nun aber auch zu respek-
tieren war (vor allem Nr. Z und Teile in Nr. I5, Nr. I6, Nr. I7). Diese nach-
träglich von Husserl selbst vereinheitlichten Textstücke werden hier zwar in
der von ihm zur Geltung gebrachten Reihenfolge, jedoch stets als einzelne
Stücke mittels Untereinteilungen a), b), c) etc. gedruckt oder gegebenenfalls, mit
Querverweisen versehen, als Beilagen wiedergegeben, um deren verschiedenen
Ursprung und teils ursprüngliche oder zeitweilige Selbständigkeit unmittelbar
ersichtlich zu machen.
E. Steins, von Husserl an mehreren Stellen annotiertes Inhaltsverzeichnis
zur Manuskriptsammlung, die sicher auch von ihr selbst nicht in der im'
Inhaltsverzeichnis sich spiegelnden Form aer Zusammenstellung als bereits
zur Publikation geordnet betrachtet wurde, gibt einen guten Vberblick über
damals, wohl Sommer I9I7,2 vorhandene Aufzeichnungen zur Thematik des
1 Eine von E. Steins Hauptaufgaben als Husserls Assistentin bildete die Ordnung
rind Verarbeitung seiner Manuskripte für umfassende Publikationen (vgl. HusserZiana
X, die Einleitung d. Hrsg., R. Boehm, S. XIX-XXIII und K. Schuhmann, HusserZ-
Chronik, S. 202).
B Es kann nicht mit Sicherheit ausgemacht werden, wann E. Stein diese Manu-
skriptzusammenstellung vornahm. Es könnte in den Wochen vor Juli 1917 geschehen
sein; denn am 6. Juli 1917 schrieb E. Stein an R. Ingarden: "Ich habe in der letzten
Zeit immer neue Stösse von Manuskripten geordnet und bin eben jetzt auf das
602 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

vorliegenden Bandes. In den Textkritischen Anmerkungen zu den einzelnen,


hier aufgenommenen Aufzeichnungen wird die von E. Stein mit Blaustift
~ durchpaginierte Manuskriptsammlung oft erwähnt werden. A us dokumentari~
schen Gründen und zur Vbersichtlichkeit über die diesbezüglichen text~
I kritischen Nachweise soll hier das InhaltS1Jerzeichms dieser Sammlltng abge-
druckt werden. Die Ziffern naclt den Inhaltsangaben des Verzeichnisses ver-
weisen jeweils auf diejenigen von E. Stein numerierten Manuskriptblätter,
auf denen in den meisten Fällen sie selbst die entsprechende Inhaltsangabe
beifügte oder auf denen sich eine solche Angabe von Husserls Hand (z.B. als
Randbemerkung) findet. Oft setzte E. Stein noch Querverweise auf andere
Blätter der Sammlung, die auch ins Inhaltsverzeichnis übernommen wurden,
dazu. Das sieben Blätter umfassende Inhaltsverzeichnis führt an erster Stelle
das dritte Hauptstück der Vorlesungen aus dem Winter I904/05, Phantasie
und Bildbewusstsein, mit dem Buchstaben A und den A nfangs- und
Endziffern der ursprünglichen Paginierung als A(62/125) an, während die
Ausarbeitung von I898 über Phantasie und bildliehe Vorstellung (vgl. oben,
S. 598) keine Aufnahme fand. Es folgen Inhaltsangaben, die bis Blatt 3IO der
Manuskriptsammlung laufen, wobei sich hinter der Ziffer I77 eine ganze
Anzahl von Blättern, nämlich Konvolut über Bild, von 177a bis 177w weiter-
laufend (vgl. v.a. NI'. I7), verbirgt und auch sonst da und dort noch Er-
gänzungsblätter ("ad ... " etc.) vorliegen. Bis auf Blatt 3, das mit den ent-
sprechenden Blättern von Husserls Manuskripten zusammen im Konvolut
A I 4 liegt, befindet sich das Inhaltsverzeichnis im Konvolut A VI I r II.
Es liegt in einem unmittelbar nach dem Gesamtumschlagsvorderblatt folgen-
den Binnenbündel, das folgende, zu verschiedenen Zeiten geschriebene Um-
schlagsautschriften Husserls trägt:
Gesamtinhaltsverzeichnisse von Fräulein Stein.
ein geordnetes
Wahrnehmung, Vergegenwärtigung, Stellungnahmen} Manuskript-
Vergegenwärtigung und Phantasie
Konvolut
Phantasie und Bildbewusstsein
WW
Phantasie und Bildbewusstsein Vorlesungen 1904/05
<Das Folgende vermutlich erst in den zwanziger Jahren, evtl. erst I9 z8 ,
beigefügt:)1
WW
vgl. auch die Zeit-Manuskripte! !
wo all e s neu bearbeitet ist.
Also zusammen durcharbeiten. 2

Konvolut ,Zeitbewusstsein' gestossen <... )". Es könnte sein, dass unter jenen
Stössen sich auch die hier fragliche Sammlung befand, da sie vermutlich bei HusserI
selbst im Umkreis der Manuskripte zum Zeitbewusstsein lag. Vgl. R.Ingarden,
"Edith Stein on her Activity as an Assistant of Edmund Husserl (Extracts from the
Letters of Edith Stein with a Commentary and Introductory Remarks)" , Philosophy
ana Phenomenological Research, 23 (1962), S. 155-175; die zitierte SteIle S. 171 f.
1 Vgl. dazu die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III, unten
S. 637f.
2 Ms. A VI 11 II, S. 2a.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 603

<Im folgenden E. Steins Inhaltsverzeichnis:)l

Wahrnehmung und;Vergegenwärti-
gung; Stellungnahmen.
Phantasie und Bildbewusstsein . . . A (621125) Nr.I
Wahrnehmung und Imagination,
Wahrnehmung der Wahrnehmung
und Imagination, Imagination der
Wahrnehmung und Imagination. 1. (vgl. 194, Nr.2
210)
Phantasie und Erinnerung. . . . 9 (vgl. 161, Beilage XIX
180)
Empfindung, Abklingen und Phan-
tasma . . . . . . . . . . . . . 10 (vgl. 152, Ms. A VI I I 1/43
157)
Einordnung der Empfindungen ins
Empfindungsfeld; Schranken zwi-
schen Empfindung und Phantasie 11 Beilage XI
Durchdringung und Widerstreit ver-
schiedener Felder . . . . . . . . 12 Ms. A VI I I 1/45
Vorstellung und Wahrnehmung mit
identischem Bedeutungsgehalt . . . 13 (vgl. 251) Ms. A VI I I I/46f.
Phantasie und phantasierter, Bild
und abgebildeter Gegenstand . . . 15 Ms. A VI I I I/49f.
Erscheinung und ihre Zeitlichkeit. . 18 Ms. A VI I I I/52-54
Erscheinung, perzeptive und Bild-
auffassung . . . . . . . . . . 19 (vgl. 50, Ms. A VI I I I/55f.
75,177, A65,
154,295,237)
Erinnerung und Einfühlung 21 Ny. I5 b) und Beilage
XXXVIII
Belief des inneren Bewusstseins, rei-
ne Perzeption und Stellungnahme . 23 (vgl. 232) Ny. I5 b)
Vollzug der Reproduktion und in der
Reproduktion. . . . . . . . . . 24 (vgl. 34) Ny. I5 b) und Beilage
XXXVI
Bekanntheitscharakter (Erinnerung,
Wiedererkennen); sympathetische,
positionale und neutrale Akte . . . 31 Ny. I5 d) und Beilage
XXXIX

1 Husserls Einfügungen im Verzeichnis werden durch Sperrdruck mit dem kursi-


vierten Vorsatz Eint. 11. H. wiedergegeben. Es finden sich auch vereinzelte Unter-
streichungen mit Tinte, Blei- und Farbstift. Den Seitenverweisen des Steinschen
Verzeichnisses. folgen gegebenenfalls kursivgedruckt Verweise auf die entsprechenden
Stellen des vorliegenden Bandes bzw.• wo die Texte nicht aufgenommen wurden, nach
Möglichkeit auf die heutige Archivpaginierung der Blätter.
604 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Vollzug und Aktualität in Impressiorl


und Reproduktion . 34 Ny. ISC)
Aktualität und Inaktualität (Neu-
tralität) bei fundierten und unfun-
dierten Akten . 40 Ny. Ise)
Phantasie und aktuelle Stellungnah-
me zur Phantasie . 44 Ny. Ise)
Denkakte und Beschreibung auf
Grund von Phantasie. 45 (vgl. 61, Ny. ISt)
97,228)
Eikonische Phantasie. 50 Ny. ISg)
Ästhetisches Bewusstsein und Stel-
lungnahmen. 52 Ny. ISh)
Ästhetisches Gefallen und theoreti-
sches Interesse. 55 Ny. IS h)
Modifikation von Stellungnahmen
auf Grund von Phantasien; Ansätze 56 Ny. ISi)
Einstimmige und unstimmige Wahr-
nehmungen, Erinnerungen, Phanta-
sien • 57 (vgl. 81) Ny. ISi)
(vgl. 171,
179, 184)
Einbildung und Erfahrung 58 NI'. ISi)
Mischung von Wirklichkeit und Ein-
bildung; pure Phantasie. 60 Beilage XLIII
Aussagen auf Grund von Phantasien
als wirkliche Akte • 61 Beilage XLIII, vgl.
auch Beilagen XLIV
und XLV
Erscheinung und Qualität bei schlich-
ten und modifizierten Akten . 62 NI'. IS i) und Beilage
XLVI
Impression und Reproduktion; Posi-
tionalität und Neutralität; Stellung-
nahmen 68 (vgl. NI'. IS k) und Beilage
221 ff., XLVII
254ff.)
Ansetzbarkeit in einer Anschauung
= Möglichkeitsanschauung . 72 NI'. IS k)
Akte und Gegenständlichkeiten ver-
schiedener Stufe . 73 NI'. ISk)
Fiktion und Bildauffassung . 75 BeilageL
Blosse Imagination als "glatt auf-
gehobene" perzeptive Setzung . 78 Beilage LI
Einigung von Wahrnehmungs- und
Erinnerungswelt . 79 (vgl. 171) Beilage LI
Widerstreit in der Phantasie. 81 NI'. I6
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 605
Stellungnahmen zu dem phantasie-
bzw. bildmässig Vorgestellten. •• 82 Nf'. I6
Reproduktiv modifizierte und auf-
gehobene Qualitäten . . . . • . . 88 Beilage XLIX
Sein des Wahrgenommenen als sol-
chen. . . . . . . . . . . . . . 89 Ms. B III Iz(6z
Reflexion auf konstituierte Einheiten
und konstituierende Phasen . . . . 90 Ms. A I 4(6-7I (bis
BI. I49 des Steinsehen
I nhaltsvef'zeichnisses)
Immanentes Sein = Bewusstsein. . 90
Problem der Konstitution der objek-
tiven Zeit und Zeitfülle, des fremden
Bewusstseins . . . . . . . . . . 91
Konstituierender Fluss und imma-
nente Objekte in derimmanenten Zeit 92 (Z)
Das konstituierende Bewusstsein als
Gegenstand der Erkenntnis . . . . 93
Die Art der Gültigkeit der immanent-
deiktischen Gegenstände . . . . . 94
Übereinstimmung und Widerstreit
in transzendent-deiktischer Erfah-
rung . . . . . . . . . . . . . . 95
Unmöglichkeit intersubjektiver Er-
fahrung von immanentem Sein; Vag-
heit der Beschreibung anschaulicher
Gegebenheiten. . . . . . . . . . 96
Dies-Setzung und Beschreibung von
Phantasie- und Scheinbildem . . . 97
Erscheinende Gegenstände als solche
und immanente Gegenstände . . . 98
Ausdrucksglauben und Seinsglauben 99 (232,
241,276)
Zeitlosigkeit der Wahrheit. . . . . 104
Objektivität der Aussagen über Im-
manentes . . . . . . . . . . . . 105
Möglichkeit der Erfassung des Erleb-
nischarakters . . . . . . . . . . 107
Evidenz und Sättigung; Gemeintes
und Gegebenes . . . 108
Evidenz der cogitatio ..•.. 110
Evidenz des Wesens. . .... 111
Selbstdarstellende und darstellende
Wahrnehmung . . . . . . . . . 112
Problem der Gegebenheit von tran-
szendenten Individualwesen . 113
Absolute Selbstgegebenheit . . . . 115
606 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Evidenz und Adäquatheit. . . . . 118


Wahrnehmung! zeitlicher Abläufe " 131
Wesensabstraktion als zeitlicher Akt
Evidenz und Anschauung. . . . . 132
Dialog über Evidenz. . . . . . . 137
Evidenz als Kennzeichen wahrer Ur-
teile; Gefahr eines unendlichen Re-
gresses. . . . . . . . . . . . . 138
Evidenz und Wahrheit . . . . . . 141
Die Evidenz des deduktiven Ver-
fahrens . . . . . . . . . . 145
Billigung, Wert, Evidenz . . 150
Immanente - transzendente
sinnliche - nichtsinnliche
perzeptive - imaginative
Anschauungen. 151 Beilage XXVI
Phantasie und Wahrnehmung, Emp-
findungsinhalt und Phantasma. . . 152 (vgl. Nr.8
299) A68,
98, 107, 115
Vergegenwärtigung und Phantasma,
impressionale und imaginative Ap-
parenz . . . . . . . . . . . . . 154 (vgl. 157,
165,207,251,
310)
Motivation der Auffassungen . . . 156 (161)
Apparenzen des äusseren und inne-
ren Sinns; Empfindung und Phan-
tasma . . . . . . . . . . . . . 157 (vgl. 204) vgl. Beilage XIII
Urteilsempfindung und -phantasma 158 Ms. A VI I I II/40
Phantasie und Glaubensmodus . . . 159 Beilage XXVII
Erinnerung, Phantasie-Apparenz und
Glaubenscharakter . . . . . . . . 160 Nr·5
Motivation des modalen Charakters;
Phantasien als "Empfindungen",
Erinnerungen an Wahrnehmungen
und Phantasien . . . . . . . . . 161 (vgl. Nr·5
221 ff., 231,
234ff.)
Auffassungen von Empfindungen
und ihre Modi. . • . . . . . . . 163 Ms. A VI I I II/45 f·

1 Beginn von Blatt ,,4" des Inhaltsverzeichnisses von E. Stein. Husserl bemerkte
darauf ,,89-152 ist herausgenommen". Die Inhaltsangaben zu diesen Blättern befin-
den sich auf Blatt ,,3" (Ms. A I 4,3) und teils (ab 131) auf Blatt ,,4"; diese Angaben
auf Blatt ,,4" (bis 150) hat Husserl mit Bleistift quer durchgestrichen und am Rande
dazu bemerkt "herausgenommen".
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 607

Verbindungsweisen von Erscheinun-


gen; Apparenz als Materie ohne
Qualität . . . . . . . . . . . . 165 Ms. A VI I r II/47 t.
Mitwahrnehmung, Vergegenwärti-
gung und Wiedererinnerung . . . . 169 Ms. A VI I r lI/SI
Wahrnehmung, Vergegenwärtigung,
Eint. v. H. Bild vorstell ung und
Stellungnahmen
Präsentation, Appräsentation, Kom-
präsentation . . . . . . . . . . 170 Ms. A VI I r lI/52
Erinnerung in und ausser Kontinui-
tät mit der Wahrnehmung. Leib-
haftige und Miterfassung ; Abgren-
zung der leibhaft gegebenen Sphäre. 171 Ms. A VI I r lI/53
Eint. v. H. Konvolut über Bild
Bildvorstellung (abbildende und wi-
derstreitende Komponenten); Ver-
anschaulichung von begrifflich Ge-
wusstem . . . . . . . . . . . . 177 Beilagen V, VII, IX,
XXVII, XLII, Nr.
I7, Beilage LII
Originäre und nicht-originäre Erleb-
nisse; doppelte Reflexion bei den
letzteren . . . . . . . . . 179 Beilage XXIII
Erinnerung und Phantasie. . . . . 180 Nr.6
Wahrnehmung, Erinnerung, Phan-
tasie; Unterschied in den Zusam-
menhangsintentionen und im Set-
zungscharakter . . . . . . . . . 184 Nr·7 u nd
Eint. v. H. für G. benützt Beilage XXIX
190ff. <vgl. die Textkritischen An-
merkungenzuNr·7>
Vergegenwärtigung von absoluten
sinnlichen Daten und von sinnlichen
Gestalten. . . . . . . . . . . . 193 Beilage XXX
Immanente und innere Phantasie,
Phantasie und Wahrnehmung. Eint.
v. H. Bedenken gegen die
Lehre von immanenten Auf-
fassungen 196 . . . . . . . . 194 Nr·9
Immanente Imaginationen . . . . 197 Beilage XX
Reflexion in der Phantasie ist selbst
Phantasie 198 Beilage XXI
Reproduktion "von" - kein objek-
tivierender Akt . . . . . . . . . 199 Beilage XXII
Ursprünglichkeit der Wahrnehmung
gegenüber nicht gebenden und nicht
608 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

gegenwärtigenden Akten. Eint. v. H.


Gegenüber der zweiten Ur-
sprünglichkeit der Wahr-
nehmung: in ihr liegt ein Ur-
sprung der Erkenntnis 200 Ms. A VI H II/HO
Deckung von Wahrnehmung und
Vergegenwärtigung. Eint. v. H. (ei-
ne Beobachtung) . . . . . . 201 Ms. A VI H II/HI
Modalitäten der Gemütsakte . . . 202 Ms. A VI I r II/Iut.
Empfindung im weitesten Sinn. Eint.
v. H. = ursprüngliches Zeit-
bewusstsein, in dem sich im-
manen te Zeit konstituiert.
Vergegenwärtigung. Eint. v. H.
Modi der Vergegenwärti-
gung. Zusammenhangsmodi.
Bewusstsein ist immer "Zu-
sammenhang". Ob die Ele-
mente der Phantasie Erin-
nerungen sind . . . . . . . . 204 Nr.IZ
Immanente Psychologie. Eint. v. H.
(Note) . . . . . . . . . . . . 206 Nr.IZ
Apparenzialer und setzender Akt in
Wahrnehmung und Vergegenwärti-
gung; klare und dunkle Erscheinung 207 Nr.I4
Leervergegenwärtigung. Eint. v. H.
= dunkle Modifikation einer
klaren Vergegenwärtigung.
Ferner: und die "Leervor-
stellung" der Rückseite als
"Apprehension" . . . . . . . 208 Nr.I4
Begriff der Vergegenwärtigungsmo-
difikation Eint. v. H. (Reproduk-
tion als Modifikation eines
apparenzialen Aktes) . . . . 210 (214) Nr.I4 und
Beilage XXXI
Zur Lehre vom inneren Bewusstsein
und der inneren Reflexion. Eint. v.
H. Impression Empfin-
dung = inneres Bewusstsein
des hyle tischen Inhaltes, A
18ff. < Vgl. die Textkritischen An-
merkungenzuNr. I4> . . . . . . 212 Nr.I4
Definition eines prägnanten Begriffs
von Reproduktion. Eint. v. H. Ver-
gegenwärtigung des inneren
Bewusstseins = Vergegen-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 609
wärtigende Modifikation
von Empfindung oder was
dasselbe von Impression.
215 Impression im weiteren
und engeren Sinn. Reten-
tion, Protention definiert 214 Nr. I4 und
Beilage XXXIII
Innere Wahrnehmung . . . . . 216 (A 27ff.) Nr. I4
Schlichtes und synthetisches Mei-
nen; Klarheit und Deutlichkeit . . . 217 Beilage XXXIV
Glaube, Positionalität, Neutralität 221 ff.
Wahrnehmung, Vergegenwärtigung,
Leerintention, Apprehension und
Qualität . . . . . . . . . . . . 221 Nr·3
Freie Möglichkeiten als Bestimmun-
gen von Unbestimmtheitskompo-
nenten . . . . . . . . . . . . . 227 Nr.IO
Phantasiemodifikation; Aussagen in
und auf Grund der Phantasie . . . 228 (vgl. A) Nr.Io
Einordnung jeder Wahrnehmung in
deren WahrnehmungszusaIIUIlen-
hang . . . . . . . . . . . . . . 230 Nr.Io
Impression und Glaube (einstimmige
und widerstreitende Intentionen). . 231 Ms. A VI n IIII42
Glaube in der inneren Wahrnehmung.;
Wahrnehmungsurteil, Ausdrucks-
glaube und Seinsglaube . 232 MS.A VI II III
I43f·
Glaube als Impression . 234 Nr·4
Wahrnehmungsauffassung in Wider-
streit mit andern (Bildbewusstsein) . 237 Nr·4
Glaube als ungehemmte Objektiva-
tion . . . . . . . . . . . . . . 239 Nr·4
Glaube an Vergangenes, Künftiges,
nichtwahrgenommenes Gegenwärti-
ges; Glaube als sich bestätigende In-
tention. . . . . . . . . . . 240
Prädikativer Glaube . . . . . 241
Verschiedene Arten der Erfüllung
von Intentionen.. . . . . . 245
Glaube als Modus der Erscheinungen,
sein Sinn und Gehalt. . . . . . . 247
Die Apparenz als das identische We-
sen verschiedener Erscheinungswei-
sen . . . . . . . . . . . . . . 251 Beilage XXIV
Phantasieurteile, Annahmen, hypo-
thetische Urteile, Wünsche etc.. . . 252
610 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Glaube, doxische Modifikationen


und Neutralitätsmodifikation in der
Sphäre des Denkens, des Anschauens,
des Gemüts und Willens. . . 254 Ms. A VI S (bis
Blatt 264)
Reproduktive Modifikation und
Neutralitätsmodifikation . . 255
Argumente gegen die Auffassung der
biossen propositionalen Vorstellung
als Phantasiemodifikation des Urteils 256
Sich einleben in Akte und Vorstellen
von Akten . . . . . . . . . . . 267 Nr. 2 b)
Argumente für und gegen die An-
sicht: jedes Sich-denken als Modifi-
kation des Glaubens setzt ein setzen-
des Bewusstsein oder die Reproduk-
tion eines solchen voraus . . . . . 268 Ms. AI IIJI26-I29
Uneigentliches und eigentliches
(symbolisches und anschauliches)
Prädizieren . . . . . . . . . . . 275 vgl. Ms. D I3 lIIj
SI ff·
Prädikation ohne Glauben und fun-
dierende neutrale Akte. . . . . . 276 Ms.D I 3 III j54
Reproduktive Modifikation (imma-
nente und transzendente). Eint. v. H.
Impression -Reprod uktion. 279 Beilage XXXV

Randbemerkung Husserls zum Fol-


genden: Ausarbeitungen zur
Schrift "über Wahrneh-
nehmung" bis Schluss Ms. A VI II Ij6I-95
(bis Blatt 311)
Wahrnehmung in phänomenologi-
schem Sinn und ihre möglichen Ge-
genstände . . . . . . . . . . . . 282 (S. 311)
Bloss Wahrgenommenes (im Gegen-
satz zu Gewusstern, Gewertetem etc.) 285
Wahrgenommenes als individuelles
(zeitliches) Sein . . . . . 286 (s. ad
Eint. v. H. neben 286: 7 282,87f!.)
Modi der Aufmerksamkeit. 287
Der Seinscharakter und seine Modi-
fikationen . . . . . . . . . . . 292
Leibhaftigkeitscharakter . . . . . 293 (s. ad 282,67)
Die Bildertheorie für Wahrnehmung
und Vergegenwärtigung (Bildbe-
usstsein) . . . . . . . . . . . 295
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 611

Impression und Reproduktion. . . 299


Temporalmodi des wahrgenomme-
nen bzw. vorgestellten Gegenstandes 304
Die doxischen Charaktere der Repro-
duktion . . . . . . . . . . . . 309
Das bloss perzeptive bzw. phantasti-
sche Wesen (unter Abstraktion von
doxischem und Zeitcharakter) ; Be-
ziehung der Erinnerung und Erwar-
tung auf das Jetzt. . . . . . . . 310

Die Gliederung der nachstehenden Textkritischen Anmerkungen


entspricht derjenigen der Texte selbst in die grossgedruckten Haupttexte
(arabische Nummern) und in die diesen gegebenenfalls nachgeordneten
kleingedruckten Beilagen. Die Anmerkungen zu den Nummern und Bei-
lagen sind jeweils eingeleitet durch eine allgemeine Kennzeichnung des (bzw.
der) der Veröffentlichung zugrundeliegenden Manuskripts (bzw. Manuskrip-
te). Bisweilen betrifft diese allgemeine Charakteristik eine Nummer und die
ihr zugeordneten Beilagen infolge der Manuskriptgegebenheiten zusammen, so
dass bei solchen Beilagen auf die einleitenden Anmerkungen der zugehörigen
Nummer zurückverwiesen wird. Es folgen jeweils die Angaben der Varianten,
Korrekturen usw.
Bei den Korrekturen werden unterschieden Einfügungen, Ergänzungen und
Veränderungen. Einfügungen sind Zusätze, für die Husserl eindeutig die
Stellen angegeben hat, an denen sie in den Text einzurücken sind. Ergän-
zungen sind Zusätze, bei denen eine solche Eindeutigkeit nicht vorliegt und
die daher nach Einsicht des Hrsg. in den Text eingerückt bzw. als A nmerkun-
gen gesetzt wurden. Ver ä n der u n gen sind jene Textbearbeitungen, die
nicht zur Erweiterung, sondern zur Ersetzung eines vorherigen Textes be-
stimmt sind.
Eingriffe in den Text, zu denen der Hrsg. sich veranlasst sah, sind
selten und geringfügiger Art. Sie wurden in den Textkritischen Anmerkungen
an ihrem Ort verzeichnet: In wenigen Fällen mussten offensichtliche Ver-
schreibungen Husserls zurechtgestellt werden, und in ganz seltenen Fällen
bedurfte es einer Konjektur; solche Eingriffe werden mit den Formeln "statt
Text X im Ms. Text Y" oder "Text X für Text Y im Ms." im Apparat an-
gezeigt. Handelte es sich blass um Einfügung eines Wortes zur Verdeutlichung
des Textes, so wurde dieses durch Keilklammern < ... > kenntlich gemacht.
Zwischen diese Klammern wurden auch sämtliche Titel und Datierungen
gesetzt, die der Hrsg. formuliert und eingefügt hat. Anmerkungen des
Herausgebers wurden im Text selbst als solche deutlich gemacht durch den
Zusatz Anm. d. Hrsg.
Die mangelhafte und oft sicherlich nur versehentlich falsche Handhabung
der Z eie h e n set z u n g in allen Manuskripten H usserls kOY1'igierte der
Hrsg. in der Regel stillschweigend, wie auch die teils veraltete Orthographie
heutigen Gepflogenheiten (nach Duden) angepasst wurde. Veränderungen
oder Einfügungen von Satzzeichen, die dem Hrsg. auch eine gewisse inter-
612 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

pretatorische Wahl darzustellen schienen, werden in den Textkritischen An-


merkungen verzeichnet. Die Unterstreichungen sind in Husserls
stenographischen Manuskripten sehr ausgedehnt, ihre vollständige Berück-
sichtigung im Druck wäre sinnlos. Wo Unterstreichungen übernommen wur-
den, werden sie durch Sperrdruck wiedergegeben. Alle im Text im Sperr-
druck erscheinenden Stellen beruhen auf (meist mehrfachen) Unterstreichun-
gen im Manuskript.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Vorbemerkung

Wo in den folgenden Manuskriptbeschreibungen mchts anderes vermerkt


ist, handelt es sich immer um in Tinte geschriebene Stenogramme (System
Gabelsberg) auf Blättern vom Format 2IS X I7 cm ("Normalformat").
In den Textkritischen Anmerkungen finden folgende Abkürzungen Ver-
wendung: BI. = Blatt oder Blätter; Einf. = Einfügung (Zusatz, für den vom
Verfasser die Stelle der Einfügung in den. Text bezeichnet ist); Erg. = Ergän-
zung (Zusatz, bei dem die Stelle der Einfügung vom Verfasser nicht bezeichnet
ist); Rb. = Randbemerkung; V. = Veränderung; -st. = -stift (z.B. Rotst. =
Rotstift); H. = Husserl.

Nr. 1 (S. 1-108)


Der Text des dritten Hauptstückes der im Wintersemester I904/o5 an der
Universität Göttingen gehaltenen Vorlesungen über "Hauptstücke aus der
Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis" (vgl. oben die Einleitung des
Hrsg., S. XXXlItt. sowie den Abschnitt "Zur Textgestaltung", S. 597 f.).
Das stenographische Ms. befindet sich im KonvolutF I 8, S. 4a bis S. 70b der
Archivpaginierung. Es trägt eine durchlaufende Paginierung von 62 (4a)
bis 125 (7oa), die teils von H., teils aber von der Hand E. Steins zu stammen
scheint. Zwischen 98 und 99 liegt in Husserlscher Paginierung eingeschoben
98a vom 2.X.1898 (F 18,42), d.h. aus dem Kontext der Abhandlung über
"Phantasie und bildliche Vorstellung" von I898, auf die H. sich während der
Wintervorlesung von I904/o5 zurück bezog (vgl. oben die Einleitung des Hrsg.,
S. XXXIVff. sowie den Abschnitt "Zur Tex/gestaltung", S. 598). Zwischen
105 und 106 liegt, anscheinend von H. selbst mit Blaust. als 105a paginiert,
einkurrenthandschriftliches Textstück vonE. Stein, am Rande von ihrer Hand
betitelt Sinnesfelder der Empfindung und Phantasie (F I 8,49). Nach 125
liegt noch ein vonE. Stein paginiertes BI. 125a (F I 8,7I), auf welches sie auch
am Rande von 125 (F I 8,7oa) verweist; es wurde vom Hrsg. in einer Beilage
verwendet (vgl. Beilage XII, S. I65,32-I66,I5). Die Bl. 99 bis inkl. 103
sind zusätzlich mit Blaust. von 1 bis 5 numeriert, auf 99 bzw. 1 (F I 8,43a)
steht der blau umkreiste Vermerk H.s mit Bleist. nicht gehaltene Vorlesung;
auf der Rückseite von 103 bzw. 5 CF I 8,47b) in Bleist. H.s Hinweis bis hier
614 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

die nicht gehaltene Vorlesung (vgl. oben den Text des 6. Kapitels). Der Vor-
lesungstext ist, mit Ausnahme einzelner Worte, durchgehend in Stenographie
verfasst, und zwar auf den BI. 62 bis inkl. 103 in Tinte, während die BI. 104
bis 125 (F I 8, 48-70) ursprünglich mit Bleist. geschrieben, später aber-ein in
H.s Ms. sehr seltener Fall -, mit Ausnahme der im Bleist.-Ms. gestrichenen
Passagen, durchgehend mit Tinte noch einmal 'nachgezogen' wurden. Da die
Tintenschrift auf diesen BI. sehr unpräzise ist, besteht Anlass zur Vermutung,
dass die BI. gar nicht von H. selbst 'nachgezogen' wurden.
Im Konvolut F I 8 liegen im übrigen noch Bl., die in den Umkreis des
vierten Hauptstückes Zur Phänomenologie der Zeit aus der Vorlesung von
I904/05 gehören (vgl. Husserliana X, Zur Phänomenologie des inneren Zeit-
bewusstseins, S. 386, Anm. 2 im Abschnitt "Zur Textgestaltung").
Der Titel des dritten Vorlesungsstückes Phantasie und Bildbewusstsein
steht in Blaust. von der Hand E. Steins auf dem Gesamtumschlag des Kon-
volutes F I 8, S. Ia. Die BI. 2 und 3 des Konvolutes enthalten ein Inhalts-
verzeichnis zum Vorlesungsstück von der Hand E. Steins. Dieses Verzeichnis
fasst, mit Verweisungen auf die Paginierung der Vorlesungsblätter, die Auf-
schriften zusammen, die E. Stein auf den Vorlesungsblättern selbst gemacht
hatte und die hier in den Textkritischen Anmerkungen jeweils wiedergegeben
werden. Auf die beiden, mit Phantasie und Bildbewusstsein überschriebenen
BI. des Inhaltsverzeichnisses schrieb H. mit Bleist. an den Rand Vorlesungen
1904/05; ansonsten weist dieses Inhaltsverzeichnis für das Vorlesungsstück
keine Spuren von H.s Hand auf. Von H. selbst geschrieben kommt der Titel
des Vorlesungsstücks bei den Aufschriften zu den "Gesamtinhaltsverzeichnis-
sen von Frl. Stein" im Konvolut A VI Ir 11, S. 2a (vgl. oben "Zur Text-
gestaltung", S. 602) zur Geltung: Phantasie und Bildbewusstsein Vor-
lesungen 1904/05, so dass die Betitelung von Nr. I als authentisch gelten darf.
Vorlesungen 1904/05 auf Ms. A VI Ir II, S. 2a und Phantasie und Bild-
bewusstsein auf Ms. F I 8, Ia sind übrigens auch mit dem gleichen Rotstift,
offenbar von H. selbst, unterstrichen. Auf dem Gesamtumschlag des M s. F I 8
notierte E. Stein unter dem Titel noch (Aus den Vorlesungen 1904/05,
eigenes Inhaltsverzeichnis), und oben rechts trägt der Umschlag E. Steins
"Signatur" des Vorlesungsteils A (62/125) sowie die folgenden Querverweise
auf ihr Gesamtinhaltsverzeichnis: (vgl. 19, 50, 75, 154, 177, 228, 237, 295)
(vgl. dazu oben "Zur Textgestaltung", S. 603 tt.).
Der Text des Vorlesungsstückes über "Phantasie und Bildbewusstsein"
trägt auf BI. 62 (F I 8,4a) von Husserls Hand das Datum 10.1.1905 und auf
Bl. 116 (F I 8,6Ia) das Datum 9.II.1905. Da H. die Vorlesungen während
des Semesters selbst zu schreiben pflegte, ist die Niederschrift des dritten
Hauptstückes also auf Januar/Februar I905 anzusetzen. Der Text wurde
vom Hrsg. in Kapitel und Paragraphen eingeteilt, wobei die Vberschriften
sich möglichst an Husserls Wortlaut in den entsprechenden Abschnitten
anlehnen.
Die zum Teil zahlreichen Unterstreichunge-n im stenographischen Ms.
wurden nicht vollständig übernommen; sämtliche im Druck vorkommenden
Sperrungen gehen aber auf Unterstreichungen von Husserls Hand zurück.
Die Unterstreichungen geschahen meistens schon bei der Niederschrift, ver-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 615

einzelt sind sie aber mit Blei- oder Buntstift anscheinend später angebracht, so
insbesondere in Blau- und Bleistift auf den Bl. 92 bis inkl. 97 (Ms. F I8,35a
bis 40b; cf. oben §§ 25 bis 28) - El. 92 trägt mit Blaustift den Vermerk
Rek<apitulation> und mit Bleistift das Datum 24.1.1905 - sowie auf den El.
110 bis inkl. 114 (Ms. F I 8, 55a bis 59b; cf. oben §§ 40 bis 44) - El. 110
trägt wiederum mit Blaustift den Vermerk Res<ümee> und mit Bleistift das
Datum 7.II.1905. Ober das ganze Ms. verstreut finden sich einige wenige
andersartige Spuren späterer, allerdings im allgemeinen nicht datierbarer
Durchsicht(en) des Ms., die in den folgenden Anmerkungen einzeln nach-
gewiesen werden.

1,10 Oben rechts von Bl. 62 (H.s Bleist.-Paginierung), dem ersten des
dritten Hauptstückes aus der Vorlesung von I904/05, in Tinte das Datum
10.1.1905, vermutlich nicht der Niederschrift des Textes, sondern der ersten
Vorlesung nach den Weihnachtsferien. Zu Beginn des Textes ein Ausrufe-
zeichen, wie H. es am Anfang der Vorlesungsms. und Hauptabschnitte von
Vorlesungen bisweilen zu setzen pflegte. Neben der ersten Zeile des steno-
graphischen Textes beginnt E. Steins Titelangabe Phantasie als geistiges
Vermögen, geistige Tätigkeit, geistiges Produkt am Rande des in der Mitte
gefalteten Bl. (H.s Vorlesungsbl. waren in der Mitte gefaltet, da er sie in der
Jackentasche zu tragen pflegte). E. Steins Titel ist mit Blaust. eingerahmt;
teilweise über diesen blauen Strich und daher erst in der Zeit von E. Steins
Assistentenzeit bei H. geschrieben, am ehesten wohl im Sommer I9I7, finden
sich folgende Hinweise H.s mit Bleist.: Die Folioausarbeitung über Phan-
tasie genau durchzusehen. Sie ist nicht ganz ausgenützt. Dazu Brentanos
Vorlesungen. Meinongwird kaum viel bieten. Bezüglich der Folioausarbei-
tung vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 598, sowie unten die Textkritischen
Anmerkungen zur Beilage I. Mit Brentanos Vorlesungen ist das Kolleg
"Ausgewählte Fragen aus Psychologie und Ästhetik" vom Winter-
semester I885/86 gemeint, das H. als Student in Wien hörte; H.s eigene
Vorlesungsnachschrijt, die ihm zur Zeit der Vorlesungen von I904/o5 und
noch um I9I7 vorgelegen zu haben scheint, befindet sich nicht im Husserl-
Archiv zu Leuven. Zur Bedeutung dieser Vorlesung für H. vgl. oben die
Einleitung des Hrsg., S. XLIIIff. Vgl. auch K. Schuhmann, Husserl-
Chronik. Denk- und LebenSweg Edmund Husserls, Den Haag I977, S. I5· .
1, Anm. 1 Datum in Tinte oben rechts auf dem ersten Vorlesungsbl. 112,2
nach Erlebnisse gestr. die als 11 2,3 nach Tätigkeitsergebnisse gestr. gefasst
werden fI 2,5 ausdrücklich Einf. über der Zeile 11 2,8 meint V. für besagt 11
nach alsogestr. ein 11 gewisse Einf. über der Zeile 112, 10 vor Andererseitsgestr.
Anderes meinen wir, wo 112,14-15 ich bis Werke Einf. über der Zeile 112,17
nach Fabelwesen gestr. die Landschaften 11 2,18 der Dichter V. für er 11
2,22 ff. Auf der Höhe dieses Absatzes E. Steins Randtitel Phantasie als
intentionales Erlebnis 112,35 zwar v. für also 11 oder V. für und I' 2, Anm. 1
Einf. mit Bleist.: evtl. wollte H. zuerst "kausalen" einfach streichen, eine
doppelte Bleist.-Streichung im Ms. ist noch sichtbar 1\ 3,3 nach Vergegen-
wärtigen, das gestr. sich \I 3,14 nach und werden gestr. geg(laubt> \13,16
nach sind gestr. selbst \I 3,1·7-18 Dingwahrnehmung es nicht ·sind, gleich-
616 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

wohl kommen sie für uns ( ... ) V. für Dingwahrnehmung, dagegen


kommen sie ( ... ) 113,20 nach Phantasieerlebnis gestr. eben 113,21 vor als
gestr. natürlich 11 3,22 <zur Erscheinung zu bringen) aufgrund von Unter-
führungszeichen im Ms. vom Hrsg. eingefügt 11 3,25 nach gehört gestr. mit
der Erscheinung selbst das als" 3,30 ff. Auf der Höhe des Absatzbeginns
E. Steins Randtitel Produktive Phantasie 11 3,37 der Künstler V. für das
Phantasieren des Künstlers 11 3,3B ein bis Begriff Einf. über der Zeile,
versehentlich im Akkusativ" 4,3 sucht V. für sagt " 4,8 ff. Zu Beginn des
Absatzes E. Steins Randtitel Phantasie im Gegensatz zu setzenden AktenIl
4,19-23 Wahrnehmen und bis erscheinen V., teils Einf. auf der rechten
Hälfte des gefalteten BI., für Wahrnehmen. Die Wahrnehmung lässt uns
eine Wirklichkeit als selbstgegenwärtig erscheinen" 4,33 nach Funktionen
gestr. bewussten, unbewussten 11 5,2 nach Charaktere gestr. Erlebnisse"
5,4-5 Anlass gibt Einf. über der Zeile 11 5,15 nach den gestr. wechselnden
Bewusstseinscharakteren und" empirischen und Einf. über der Zeile 11 5,20
Vorstellung V. für Phantasievorstellung 11 5,20-22 bezeichnet bis abhebt
V. für bezeichnet ist, und demgemäss 11 5,25 soweit V. für wofern 115,30 ff.
daneben E. Steins Randtitel: Wahrnehmungs- und Phantasieauffassung
(unter Abstraktion von der Qualität) "5,30-31 Abstrahieren bis Charakter
V. für Abstrahieren wir, von den Wahrnehmungen im engeren Sinn aus-
gehend, den Charakter" 6,11-22 Auch bis unter V. für Schon im rohesten
Überschlag (darüber, ebenfalls gestr. auch hier; Fortgang des Textes:)
bemerken wir, dass auch hier unter " 6,16-17 Wie bis natürlich V. für
Natürlich sind es " 6,19 spezifischen Einf. über der Zeile 11 6,24 Hier
beginnt die Rückseite von BI. 65, das nur den Text dieses Absatzes trägt 1\
6,28--31 Ob bis werden V. für Dass sie in der Tat eine neue Vorstellungsart
gegenüber der Wahrnehmung bezeichnet, muss allerdings erst bewiesen
werden" 7,1 ist V. für wird; nachher gestr. die Frage zwar nicht oft in
Form von eigenen Abhandlungen wirklich tief 11 7,2 Schriften V. für
Untersuchungen" 7,5 Weise V. für Art 11 7,7 hier V. für so " 7,8 die
Entzifferung von eigenen ist nicht ganz sicher, das Zeichen dafür steht über
dem von den" 7,10 das, was V. für das Gewöhnliche, das" 7,18 nach den
gestr. sinnlichen 11 7,21 nach an sich im Ms. ein Komma und gestr. in der
Regel 1\7,23 identifiziert V. für verwechselt \17,26 nach als gestr. Anhalt \I
7,33 anschaulich Einf. über der Zeile" 8,11 nach physischen gestr. Erleb-
nisse" 8,21 Scharfsinn V. für geistigen Gaben 11 8,22 geschieden V. für
bemerkt 11 9,11-12 der Wahrnehmungsvorstellung bis Sinn Einf. über der
Zeile 11 9,12 objektivierende V. für Objektivierung 11 9,16 Ansicht V. für
Auffassung" 9, IB nach erscheint gestr. von der keiner und wieder gestr. und
dass man es daher zu leugnen sucht 119,19 Darstellung V. für Auffassung 11
9,22 nach Aufmerksamkeit gestr. Das wird begreiflich 11 9, 23 ff. Oben
rechts auf BI. 6B mit Blaust. von E. Stein folgende Querverweise auf ihr
Gesamtinhaltsverzeichnis sowie auf Stellen innerhalb des Vorlesungsstückes
selbst vgl. 10; 152; 157; A (9B, 107, 115) (vgl. oben "Zur Textgestaltung",
S. 603 fl.) 11 9, Anm. 1 Erg. am Rande ganz unten aul der Vorderseite,· zu
Beginn der Rückseite folgender kreuzweise gestr. Text im urspr. Vorlesungs-
ms.: Da sonach für Brentano in phänomenologischer Hinsicht an im-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 617

manenten Charakteren der Vorstellung nichts übrig bleibt als der Inhalt,
und er andererseits aus innerer Erfahrung klar sieht, dass jedes besondere
Vorstellen im biossen Phantasieren zum Beispiel ein besonderes Be-
wusstsein ist, so fasst er Vorstellung als einen Akt, der sich auf den
Inhalt bezieht und der nun durch den Inhalt und nur durch ihn differen-
ziert ist. In der Tat, was soll, wenn wir das Eigentümliche der Auffassung
nicht erfassen, noch differenzieren? " 10,3 Auffassungsform V. tür Auf-
fassungssinn 1110,5 nach unter gestr. bloss<em> 1110,8 nach Gattung gestr.
objektivierender 11 10, 12 nach Wünschen gestr. vom Vorschweben o<der> 11
11,5 ff. Aut der Höhe dieses Absatzes E. Steins Randtitel Die darstellenden
Inhalte in Wahrnehmung und Phantasie (vgl. S. 98) 1111,6 natürlich die
Frage V. tür es natürlich ein Problem für sich 11 11,7 Wahrnehmungen
V. tür entsprechender Wahrnehmung 11 11,11 nach Gattung identisch
V. tür nach Gattung und speziesmässig identisch, dabei aber irrtümlich
mässig nicht mit durchgestr. 1111,30 spezifisch Eint. über der Zeile Ir 12,4
nach der gestr. Verschiedenheit 11 12,25 Klammer schliesst erst nach an-
nehmen im Ms. !l12,31 nach aber gestr. gar 1112,32 sich V. tür man 1114,13
und Flüchtigkeit Eint. über der Zeile 11 15,13-14 so viel bis ist Eint. am
Rande 11 15,27 ff. Aut der Höhe dieses Absatzes E. Steins Randtitel Wahr-
nehmung und Phantasie vom selben Gegenstand 11 15, Anm. 1 Rb. mit
Bleist., noch neben E. Steins Randtitel (vgl. Anmerkung zu 15, 27 ff.), also
wohl erst um I9I7 eingefügt 11 16,3-13 abgesehen bis usw. V. tür Auffas-
sungsinhalte, Auffassungscharakter, Gegenstand, in die Erscheinung fal-
lende Seite des Gegenstandes usw. " 16,16 sogar Eint. über der Zeile 11
16,22einenAkt V. tür eine Auffassung (von den qualitativen und meinenden
Charakteren abgesehen) 11 statt dem im Ms. der; der vorigen V. nicht an-
gepasst 1116, 26 nach nicht als gestr. selbst 1116,29 einen neuen V. tür ein
Eigenes \116,30 oder vorauszusetzen Eint. über der Zeile \116, Anm. 1 mit
Blaust. eingerahmte Rb., von Wir wollen bis fehlt mit Tinte wohl schon zur
Zeit der Vorlesungen dazugeschrieben; später, vermutlich um I9I7, mit
Bleist. die nachträglich sich als berechtigt erweisen beigefügt 1117,5 machen
V. für lassen 11 17,14-17 Natürlich bis hat Einf. am Rande 11 17,23-26
inneren BildvorsteUungen bis geistige Bilder V. tür inneren Bildvorstel-
lungen, die Phantasievorstellungen durch geistige Bilder rechnen müssen,
bei der V. nach Bildvorstellungen tuhr H. zuerst tort die Phantasievorstel-
lungen im gewöhnlichen Sinn, strich diesen Passus aber wieder 1117,26 nach
die gestr. merkwürdigen 1117,28 nach Gegenstand tolgt im Ms. ein in aus
einer nicht mehr rekonstruierbaren Satzkonstruktion 11 durch Ähnlichkeit
Eint. über der Zeile 1118,14-15 (der intellektiven oder Gemütsoharaktere)
V. tür und Gemütscharaktere 1118,15 seiend V. tür wirklich Ir 18,23 wirk-
liches Ding und V. tür Schloss und 1118,26 in der Phantasie Eint. über der
Zeile 11 19,14 nach gemeinte, das gestr. im photo graphischen Bild' 11'19,15
photographisches Eint. über der Zeile 1119,20-21 und wird bis Jenes V. tür
jenes in den unddell Farben erscheinende 11 19,27-29 die Numerierung 1), 2),
3) Eint. mit Bleist.1I19,39 statt Farben- im Ms. Farben 11 20, tO'dann weiter
V. mit Bleist. tür aber 1120,29 statt könnte evtl. würde zu lesen 11 21,4 ff. mit
diesem Absatz beginnt im Ms. das BI. 75. Der Text dieses ersten Absatzes
618 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

(bis Sujet aut Zeite 11) ist oben und unten mit einem querlautenden Tinten-
strich abgetrennt 11 21,8 nach in der gestr. normalen 11 21,33 nach derselbe
gestr. wie 11 21,34 nach Löwe gestr. oder Zentaur 11 22,1 nach erscheinenden
gestr. und zwar 11 22,29 das Bewusstsein einer V. tür die physische 11 23,1
Vorstellung V. tür Erscheinung 11 23,3 nach einerlei gestr. Real, 11 23,31
nach zunächst gestr. in Farben oder 11 23,32-33 statt meinen wir nicht im
Ms. meinen nicht wir nicht 1123,33 Aber Eint. mit Bleist. 1124,9 statt sein
im Ms. ein 1124,20 der Punkt nach Bild V. mit Bleist. tür Komma 1124,25
nun Eint. mit Bleist. 1125,4 etwa Integral Eint. über der Zeile 11 Wort V. tür
Wortbild 11 25,10-13 Das Wort bis Meinens sein Eint. am Rande 11 25,23
als immanente V. mit Bleist. tür immanent 11 Komma nach begriffl<icher>
Eint. mit Bleist. 25, Anm. 1 Rb. Symb., vom Hrsg. zu Symbolisierung
ergänzt 11 26,3 nach Bilderlebnis gestr. Aber niemand hält dieses für das 11
26,10-11 die Erscheinung bis man V. tür auf die Erscheinung, so wie sie
wirklich gegeben ist, achtet man 11 26,30 Semikolon nach Wahrnehmung
V. mit Bleist. tür Komma 1126,31 Punkt nach Gegenstand Eint. mit Bleist. 11
27,3 nach Auffassungen gestr. und zwei Gegenständen 11 27,10 nach hätten
gestr. zwei Vorstellungen, mit zwei 1127,22 in Berlin Einf. über der Zeile 11
27,22-23 das Schloss V. tür sie 27, Anm. 1 Rb. mit Tinte 1I 28,1 statt
Phantasie- und Bildvorstellung im Ms. Phantasie und Bild-Vorstellung
(evt!. als bildliche Vorstellung zu lesen) 11 28,2 wird intentional V. tür er-
wächst durch eine Auffassungsmodifikation, durch eine Modifikation der
Auffassung des ersten 1128,12-25 Allenfalls bis vorliege mit Tinte in eckige
Klammern gesetzt, die mit Bleist. wieder gestr. sind 11 28,15 statt es im M s.
sie 1128,21-22 statt das <... > würde evtl. die <.... > würden zu lesen 1128,
Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 28, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 28 Anm. 3 Datum
oben rechts mit Bleist. aut BI. 80, dabei ist 17. V. tür 16. 1129,26-29 Das bis
Auffassungsinhalte. - Eint. am Rande; vgl. oben S. 27 die Anm. I 11 30,6
verschiedene V. tür unterschiedene 11 30,10-11 mit den Worten aus-
drücken V. tür nennen 11 30,16 statt Es im Ms. Sie 11 30,17 nach weist
gestr. auch 11 30,33 nach dar gestr. es bildet ab 11 30,35 nach Sujet gestr.
guckt durch diese Züge 1131,2-3 charakterlosen Züge Eint. über der Zeile 11
31,7-9 Was andererseits bis voraus V. tür Evident ist dabei, dass das
Bewusstsein die nicht passenden, die vom Sujet abweichenden Momente
des Bildes wesentlich voraussetzt, als ein Vorgängiges 11 31,13 gegeben
durch jenes V. tür eben diese 11 31,16 gewisser seiner intuitiven Eigen-
heiten V. tür gewisser unter den erscheinenden Eigenheiten, wobei unter
den erscheinenden selbst schon eine wieder gestr. Eint. bildete 1131,17-18 ein
Widerstreit Eint. über der Zeile 1131,19 nach kann gestr. Das aber kann es
bzw. Das aber geschieht so 11 31,25 nach sondern gestr. das Bildbewusstsein
tI 31,27 nach Bildobjekt gestr. in den und jenen Punkten Gleichheit,
Ähnlichkeit, grössere oder geringere 11 32,4 statt breitet evt!. bietet zu lesen 11
32,6 gibt das ein V. tür ist es 1132,9 nach Objekt gestr. wirklich 11 32,14-15
Trotz bis fehlen V. tür Bei voller innerer Deckung ist das immer noch
möglich 11 32,17 vollkommenen V. tür vollendeten 11 32,19 die Entzifferung
von ungenügender steht nicht ganz test 11 32,21 nach an gestr. einer anderen
Erfahrungswirklichkeit 11 32, 26 lebendige V. tür gearbeitete 11 32,33
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 619

wirklich V. tür ganz /I 32,34-35 analogische bis zumute sein" V. tür


Übertreibung 11 32,36 immer V. tür doch /I 32, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11
33,10 statt dem im Ms. wohl der /I 33,19 Gegenstandsintention V. tür
Gegenstandsauffassung 11 33,21-22 Momenten bis genauer V. tür Momen-
ten genauer, als düferenzlos empfundener 1133,33 Nur im Grenzfalle V. tür
und in eins nur ganz ausnahmsweise 1133,35 vollkommen Eint. über der
Zeile 11 33,37 Sujet V. tür Subjekt /133, Anm. 1 Rb. in Tinte /134,20 lassen
V. tür machen /I Unterschied V. tür Abstand 1134,26-27 und bis Jedenfalls
V. tür nicht bloss durch einen anderen, sondern auch durch einen anders-
gearteten Gegenstand ,/I 34,28-30 auch bis vor allem V. tür auf einen
anderen Gegenstand, aber auf einen gleichgearteten, einen analogen, sich
im Bilde darstellenden 11 35,18 nach Serien gestr. von kleinsten Bildern 11
35,30 nach der gestr. verlässt den Boden 35, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 36,4
Zeichen V. tür Symbole 1136,24 blosse Eint. über der Zeile 11 eine V. tür eine
von ihm verschiedene 11 36,27 des ästhetischen Bildes Eint. über der Zeile 11
36, Anm. 1 Rb. mit Tinte; Klammer vor noch vom Hrsg. geschlossen; im Ms.
schliesst die Klammer nach Gemeinten ohne Punkt 1136, Anm. 2 Rb. mit Tinte
1136, Anm. 3 Eint. mit Bleist. 1137,3-11 etwa bis erschauen Einj. mit Tinte am
Rande /I 37,7 nach Veronese gestr. in das vornehm üppig getriebene der
vornehmen Venetianer 11 37,8 statt 16. Jahrhunderts im Ms. 17. Jahr-
hunderts 11 37,9 nach in den gestr. treuherzig 11 37,20-22 so bis Phan-
tasieintuition Eint. mit Tinte am Rande 11 37,24-25 sei bis würde Eint.
mit Tinte am Rande 11 37,28 statt Punkt nach hinein im Ms. DoPPel-
punkt und gestr. In der Phantasie schauen wir das Objekt, aber da 1137,34
statt ihnen im Ms. ihr 11 37 f., Anm. 1 Erg. mit Tinte am Rande 1138,3 und
erscheinendes Eint. über der Zeile 1138,15-16 und bis meinen V. tür oder
primär das eine oder das andere meinen. Da das Objekt 11 38, Anm. 1 Erg.
mit Tinte am Rande, allem Anschein nach gleichzeitig mit dem Text der
Anm. I oben S. 37 t. niedergeschrieben und evtl. als Fortsetzung dieser
Ergänzung zu lesen. /139,4 nach u. dgl. gestr. Als Psychologen können wir
die Beschaffenheit der Phantasieerscheinungen, in denen das Bildobjekts-
und Bildsujetbewusstsein sich konstituiert, beschreiben. Diese Beschrei-
bungen beziehen sich /I 39,4-6 Da bis Sujet Eint. mit Tinte am Rande /I
39,6 Das Phänomen V. für Der Habitus 11 39,7 überhaupt die V. für die
repräsentierenden /I 39,29-40,2 die andere bis können V. tür: Das Bild-
objekt kann aufhören, als Bildobjekt zu fungieren, dann erscheint es wie
ein anderes Objekt, dem keine verbildlichende Beziehung zukommt. Es
ist dann pur Erscheinendes und nicht mehr bildlich Fungierendes. Die
andere Auffassung kommt erst auf dem Grund des sich konstituierenden
Bildobjekts zustande, wo nichts erscheint, da kann nichts als Bild ver-
gegenwärtigen 1140, 12 nach dass gestr. mindestens da, wo das physische
Bild als Wahrnehmungsobjekt gegeben ist /I 40,29 nach Puppe gestr.
zunächst 1140,39-41,1 Das <... ) Urteil V. tür Der <... ) Gedanke /I
41,15-16 d.h. bis Gedanken V. tür darf sich nicht mit ihr mischen 1141,17-18
ebenfalls intuitive V. tür intuitiv-eigene 1141,18-19 Der ästhetische Schein
V. tür Die Welt des ästhetischen Scheins /141,19-24 die Freude bis Wohl-
gefallen V: tür der plumpe Reinfall oder der' rohe Vermengungswider-
620 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

streit zwischen Wirklichkeit und Schein <gestr.: "hebt mit dem ästheti-
schen Schein auf", Fortgang des Textes:) ist der äusserste Gegensatz zum
ästhetischen Bewusstsein. Statt die Freude im Ms. der Freude am Anfang
dieser Veränderung, so dass evtt. auch ein <hat) nach Schein einzufügen
wäre; vermutlich aber wurde der versehentlich nicht in die verändert 11
42,13-14 der bis entfällt V. für die Bildlichkeitsfunktion der Phantasie-
bilder. 1142,23 gleich als ob V. für wie wenn 1142,24 nach handelte: gestr. So
fangen wir z.B. an laut zu sprechen 11 42,28 fast Einf. über der Zeile 11
42,19-31 sie bis färbt V. für aber ein leises Bewusstsein des Scheins, oder
I'
ein leises Intermittieren immerfort vorhanden ist. 42, Anm. 1 Rb. mit
Bleist. 11 43,1 die bis der Einf. über der Zeile 11 43,14 statt auf diese im Ms.
an diese 11 43,19 statt erörtert evtt. zu lesen betont 11 43, Anm. 1 Rb. mit
Bleist., später mit Blaust. nachgezogen; der Titel vom Hrsg. für das 4.
Kapitel tusst auf dieser Rb. 11 44,4 nach mir gestr. zunächst 11 44,20 Farbig-
keit V. für farbenen perspektivischen Erscheinung 11 44,33-45,6 Und bis
gesondert V. tür Indessen, dies letztere ist nicht korrekt. Während wir in
der Imagination leben und den Intentionen des Malers folgen, haben wir
in Wahrheit nicht diese zwei Erscheinungen. Nur das Bildobjekt er-
scheint und nur in diesem ist die Imagination fundiert. Die Veränderung
scheint so zustande gekommen zu sein, dass H. nach dem Text Indessen bis
fundiert zuerst den vorne wiedergegebenen Text Und bis gesondert aut der
rechten BI.-Hältte schrieb, dann den Text Indessen bis Erscheinungen wie
tolgt veränderte Es scheint also, dass wir sagen müssen: In der Imagination
lebend und den Intentionen des Malers folgen<d), können wir in Wahrheit
nicht diese zwei Erscheinungen <haben>, schliesslich aber den ganzen ur-
sprünglichen Text und die in diesem vorgenommene Veränderung durch-
strich und nur noch den vorne wiedergegebenen Text gelten liess. Vor Und
doch gestr. So ist es 1145,15-16 oder bis hindurch Eint. über der Zeile 1146,8
durchdringen V. tür verschmelzen 11 46,9 sie verschmelzen Eint. über der
Zeile 1146,12 gegenwärtigen Eint. über der Zeile 11 46,16 nach Nichts gestr.
oder nichts Gegenwärtiges 11 46,25 nach sich gestr. alles 11 46,33 als solche
charakterisiert Eint. über der Zeile 1147,4-5 Eine bis Gegenwart? Eint. aut
der rechten BI.-Hältte 1147,22-23 kann <... > zum Erscheinungskern werden
V. tür erscheint IJ 48,14-15 statt der Gedankenstriche beidemale ein Doppel-
punkt über ursprünglichen Kommas 11 48, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 49,11
erscheinungsmässig V. tür kontinuierlich 11 49,12 vor gegenwärtig gestr.
jetzt 11 49,30-31 Etwa bis Bildlichkeitsauffassung Eint. über der Zeile 11
49,33-35 Könnten <... > haben V. tür Hätten 1150,10 ff. bei diesem Absatz
beginnt im Ms. das BI. 92. Es trägt oben rechts mit Bleist. das Datum
24.1.1905, etwas weiter unten mit Blaust. den Vermerk Rek(apitulation>
und daneben mit Bleist. einen abwärts gerichteten Pteil 11 50,17 Bildlichkeit
V. tür bildlichen Auffassung 11 50,20 also Eint. mit Bleist.; vgl. S. 50 die
Anm. 3 11 50,23-24 die Klammern mit Blaust. eingetügt If 50, Anm. 1 Rb.
mit Bleist. 11 50, Anm. 2 Streichung mit Bleist. 11 50, Anm. 3 Veränderung
bzw. Eint. mit Bleist. 11 50,32 Semikolon statt Komma vom Hrsg. 11 51,17
nach tritt das gestr. fühlbare 11 51,18 A ntührungszeichen mit Bleist. einge-
tügt 11 51,22 phänomenologischer Eint. über der Zeile \151,24 seiner V. mit
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 621

Bleist. für der 1151,27 u. 29 a) und b) Eint.' mit Bleist. 11 51, Anm. 1 Rb. NB
m~t Bleist. Ii 51, Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11 52, 35-36 (evtl. bis Intention)
Einf. mit Tinte auf der rechten BI.-Hälfte 11 52,37 woran V. mit Bleist. für
worauf \153,20 bei "zeitlich zugleich" Anführungszeichen vom H rsg. \I 53,32-
54,2 dieser Absatz im Ms. später mit Blaust. in eckige Klammern gesetzt \153,
Anm. 1 Rb. mit Bleist., durch einen Pfeil von H. als auf Inhaltsverzeichnis
bezüglich gekennzeichnet \153, Anm. 2. Bleist.-Einf. über der Zeile 1153, Anm.
3 Streichung mit Bleist .. 11 53, Anm. 4 Rb. mit Bleist. 11 54,16 nach Gefühl
gestr. der Schwierigkeit 1\54,19 bei Bildvorstellung endet die Vorderseite von
BI. 94; die Rückseite ist unbeschrieben \I 54,20 E. Steins Randtitel Fiktum
und Phantasie"bild" 1154,31 In diesem Sinn hat H. nachl Fiktum auf der
rechten Bl.-Hälfte eingefügt, ohne den Punkt nach Fiktum durchzustreichen,
so dass die Einf. sich auf den fogenden Satz zu beziehen scheint und die
Umstellung des "ist", die H. selbst nicht vornahm, zur Folge hat: In diesem
Sinn <ist> statt In diesem Sinn das "Phantasiebild" ist <... >. Möglich
wäre aber auch, die Einf. In diesem Sinn an den vorangegangenen Satz anzu-
schliessen (vgl. dann im Vorlesungstext die Ausführungen im § 32). Solche
Eintügungen ohne Satzzeichenangleichungen sind in den stenographischen
Ms. häufig. Sachlich gesehen sind an dieser Stelle des Gedankenganges der
Vorlesungen die beiden Lesarten möglich. Die vom Hrsg. oben gewählte
Fassung trägt vor allem dem unmittelbaren Anschluss an den vorangegan-
genen Absatz Rechnung 1155,5 nach wird gestr. Oder ist es etwa gar zugleich
1\55,16 Themen Eint. mit Bleist. 1155,17 nach Bildlichkeit gestr. vor allem 11
55,27-28 Jener bis gegen V. tür Jener Widerstreit gegen die aktuelle
Gegenwart von seiten des dazwischen sich setzenden 11 55,29 statt sup-
po<niert> <werden> im Ms. supponieren 1155,31 direkte V. fürpräsentative
55, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11 55, Anm. 2 V. mit Bleist. 11 55, Anm. 3 V. mit
Bleist. 11 56, 3-4 erscheinen bis kann V. tür bildlich werden kann \I 56,6 an
sich Eint. mit Bleist. \I 56,9 Gegenwärtiges? V. für sich selbst? \I 56,13 ff.
bei diesem Absatz E. Steins Randtitel Stufen der Angemessenheit der Vor-
stellung an das Objekt 1\56,17 nach Angemessenheit gestr. des Bildobjekts
1156,20 Bilderscheinung V. für Bildobjektserscheinung 11 56,30-31 sein bis
geredet V. tür sein 11 56, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 1157,3 vollkommen V. tür
vollständig 1157,11-14 sie bringen bis tut V. tür die Erscheinung, die sie ge-
währen, die Erscheinung der Raffaelschen Madonna, der Toteninsel, u.dgl.
ergibt eine so volle, in sich gefestigte, sichere und greifbare Gegenständlich-
keit als nur irgendeine Wahrnehmungserscheinung dies tut 11 57, 21 ff. zu
Beginn dieses Absatzes E. Steins Randtitel Annäherung der Phantasie an
Wahrnehmung und Möglichkeit der Einordnung in das Wahrnehmungsfeld
1\ 57,30 vor eigentlicher gestr. direkter und indirekter 1158,20-21 Phantasien
V. für Phantasmen 11 59,5 ff. zu Beginn diese's Absatzes E. Steins Randtitel
Lebhaftigkeitsschwankungen und Diskontinuität des Phantasiebildes im
Gegensatz zum Bildobjekt 11 59;6 Wahrnehmungserscheinung V. für
Wahrnehmungsauffassung 1159,8 kernige V. für für lebendig feste 1159,28
bei Aber beginnt im Ms. das BI. 98; oben rechts am Rande von E. Stein
folgende Querverweise aut ih1'l Gesamtinhaltsverzeichnis sowie auf Stellen
innerhalb des dritten Hauptstückes von I904/o5 selbst (vgl. oben "Zur
622 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Textgestaltung", S. 603ft.}: Vgl. 10; 152; 157; A (68, 107, 115) 11 59,32
Gegensatz V. für etwas anderes 1159,35-60,2 die Unterschiede bis besitzen
Einf· auf der rechten BI.-Hälfte 11 59, Anm. 1 Einf. am Rande, von Genauer
bis Leblosigkeit <?) mit Bleist. und nochmals 'nachgezogen' mit Bleist.,
wodurch die Entzifferung des letzten Zeichens als "Leblosigkeit" ungewiss
wurde; ab Dieser bis etc. <sein) mit Tinte 11 60,10-24 Offenbar bis Punkt
Einj. auf der rechten BI.-Hälfte 1160, 17 vorphysischengestr. Wahrnehmung 11
60,18 über letzteren mit Bleist. ein Pfeil eingefügt, der auf physische Bild-
lichkeit (im Ms. eine Zeile darüber) weist 1160,34 bei Mit einem Wort: das
Proteusartige der Phantasie bricht der Text ohne Satzzeichen auf der Vor-
derseite von BI. 98, dessen Rückseite unbeschrieben ist, ab. Es folgt, von H.
selbst paginiert, Bl. 98a, datiert auf 2. (V. tür 3.) X. 1898. Oben rechts trägt
das BI. den Vermerk M zu 15. Damit ist eine Zuordnung zum Ms. der Aus-
arbeitung von I898 gemeint (vgl. die Textkritischen Anmerkungen zur
Beilage I, unten S. 627f.). Die ersten sieben Zeilen des BI. sind mit einem
Querstrich abgetrennt, die Paginierung 98a steht unter dem Querstrich am
rechten Rand; am linken Rand, ebenfalls unter dem Querstrich, der Vermerk
A, vermutlich von E. Stein und als ihre "Signatur" des Vorlesungsstückes
von I904/o5 zu deuten. Der Text oberhalb des Querstriches lautet: Ein
Hauptunterschied <Eint. mit Bleistift: Aber kein durchgreifender!>
zwischen physisch-bildlicher Erscheinung und Phantasieerscheinung bzw.
zwischen den entsprechenden meinenden Akten und ebenso zwischen
Wahrnehmungserscheinung und Phantasieerscheinung besteht in der
präsentativen (gestr.: bzw. repräsentativen> Kontinuität auf der einen,
der Diskontinuität auf der andere Seite. <Rb. mit Buntstift: vgl. lJ> Es ist
das, was man als Stetigkeit bzw. Flüchtigkeit in der Regel wohl meint.
Ich analysiere es folgendermassen: Der dann folgende Text des BI. 98a ist
der oben wiedergegebene, von H. dem Vorlesungszusammenhang von I904/o5
eingeordnete: In der Einheit bis proteusartig wechselt (oben S. 63,5) 11
61,32-34 in der identischen bis Intention Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte;
später hat H. mit einem Bleist.-Zeichen den genauen Ort der Einfügung
angegeben 11 61, Anm. 1 V. mit Bleist. 11 62,14-18 so bis bleibt Einf. am
Rande; nach bleibt folgt im Ms. später gestr. so ist zu beachten etc. 11
62,28-29 und doch ganz anders Einf. über der Zeile 11 62,33-34 die Klam-
mern sind eine Einf. mit Bleist. 1163,12 Hier beginnt im Ms. das BI. 99 bzw.
blau numeriert 1 mit dem Bleist.- Vermerk oben rechts nicht gehaltene Vor-
lesung. Der Text dieser nicht gehaltenen Vorlesung erstreckt sich im Ms. bis
BI. 103 bzw. blau 5 CF I 8/47b) und wurde vom Hrsg. in einem eigenen
Kapitel abgegrenzt 11 63,19 nach unterscheiden gestr. das erscheinende BiId-
objekt 1163,22-26 Die bis anbelangt Einf. auf der rechten BI.-Hälfte " 63,27
primären (gestr. wirklich) direkten V. für wirklich erlebten 11 63,33 statt
ihre im Ms. seine 1163, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 64,1-5 Ferner bis Verähn-
lichung Erg. auf der rechten Bl.-Hälfte; auf derselben Höhe links folgender
gestr. Text: Unser Absehen geht nun darauf, bei der Phantasie das Ver-
hältnis von primärer Erscheinung (gestr.: und vorstellig Gemachtem)
und dem in zweiter Linie durch sie vorgestellten Objekt (gestr.: bei
der Phantasie zu verstehen als Imagination> wenn möglich als ein BiId-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 623

lichkeitsverhältnis zu verstehen 11 64,19 annehmbar V. für denkbar


11 64,24 in die Erscheinung fallenden V. fur konstitutiven 11 64, Anm. 1
wohl etwas nachträgliche Erg. mit Tinte auf der rechten Bl.-Halfte. 11
65,5 perzeptive V. für phänomenale 11 65,6-14 der Text etwa ab ent-
spricht bis getrennte sind am rechten Rand mit Bleist., wie es scheint
krttisch, angestrichen 11 65,38 nach Phantasie gestr. das BIldobjekt sich
konstituiert 11 66,17-19 Im allgemeinen bis Warum nicht? Einf. auf der
rechten Bl.-Hälfte 11 66,23-24 Im Gegenteil bis nichtseiend Einf. auf der
rechten BI.-Hälfte 11 66,24 f. Auf dieser Höhe im Ms. E. Steins Randtitel
Widerstreit von Wahrnehmungs- und Phantasie- (bzw. Erinnerungs-) feld
11 66,25 nach angeben? gestr. Bei den Bildobjekten der physischen Bild-
lichkeit 11 66,33 Am Rande ein abwärts gerichteter Pfeil mit Bleist., allem
Anschein nach erst eingefügt, nachdem E. Stein den blau eingerahmten
Randtitel geschrieben hatte 1167,18 blosse Fiktion V. für Phantasie 1167,18 f.
ein grosses NB? mit Bleist. am Rande 11 67,21-22 und ohne jede Durch-
dringung Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11 67,22-27 der Text am rechten
Rande mit einer geschweiften Klammer zusammengefasst 1167,27 nach Felder
gestr. Achte ich auf den mittleren Teil des Gesichtsfeldes, so kann ich 11
67,27-31 der Text am rechten Rande mit einer geschweiften Klammer
zusammengefasst 11 67,33 nach zurückkehren gestr. Das eine gibt aktuelle
Gegenwart. 1167,37 gegenwärtig V. für in Einheit mit der Wahrnehmung 11
67,37-68,1 mit dem bis unmöglich V. für ist die phantasierte unmöglich 11
67, Anm. 1 Erg. mit Bleist. am Rande 11 68,4 nach nichtgegenwärtig gestr.
Damit ist natürlich noch kein Unterschied zwischen überhaupt nicht
seiend und nicht jetzt, nicht gegenwärtig gegeben, aber vielleicht vergan-
gen usw. statuiert. Aber dieses Allgemeine muss jetzt genügen. Der Text
von Genau gesprochen bis darstellend (oben 68,4-13) steht auf der rechten
BI.-Hälfte, beginnend auf der Höhe des eben wiedergegebenen gestr. Textes,
unter welchem die linke BI.-Hälfte unbeschrieben blieb. Vor Genau ge-
sprochen steht noch der gestr. Passus genommen so, wie es jetzt direkt
erscheint, zu beziehen auf den letzten Satz vor dem gestr. Teil, bei welchem
dann auch der Text ab Genau gesprochen anschliesst 1168,5 nach ist gestr. unter
allen Umständen 1168,10 nach durch gestr. analogische 1168,11 wäre <... >
zu erwägen V. für steht <... >offen 1168, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 69,10nack
gegenständlichen gestr. Wahrnehmung 11 69,16 ff. auf der Höhe dieses
Absatzes beginnt am rechten Rand ein abwärts gerichteter Pfeil mit Bleist. 11
69,22-23 Sowie bis weg Ein/. mit Tinte 11 70,11 nach ermöglicht? gestr.
Text, teils auf der rechten BI.-Hälfte: Doch in diesem Fall ganz vager
Phantasie mag man oft zweifelhaft werden, ob überhaupt ein Phantasie-
objekt erscheint, mittels dessen ein zweites, ein Phantasiertes repräsen-
tiert wird 11 70,31 f. ein grosses NB mit Bleist. am Rande 11 70,35-37 der
Text am rechten Rande mit einer geschweiften Klammer zusammengefasst 11
71,12-13 statt hier in sehr schlechter Weise veranschaulicht ist im Ms. hier
in sehr schlechter Weise hier veranschaulicht ist; das erste "hier" Einf.
über der Zeile zur 'Zeit der Niederschrift 11 71,20 Klammer vom Hrsg. ge-
schlossen 1171,29-33 Wahrnehmung bis übergehen Ein/. mit Tinte auf der
rechten BI.-Hälfte von BI. I04, vermutlich nach einer nicht mehr erhaltenen
624 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Vorlage H.s von E. Stein in Stenographie geschrieben und als Einf. zu


Beginn von BI. 104 gekennzeichnet. Ab BI. 104 bis ans Ende des Vorlesungs-
teils über "Phantasie und Bildbewusstsein" wurde der urspr. Bleist.-Text mit
Tinte nachgezogen (vgl. oben, S. 6I4), soweit er nicht im Bleist.-Ms. selbst
wieder gestr. worden war. Solche gestr. Passagen werden hier jeweils mit dem
Vermerk "im Bleist.-Ms. gestr." nachgewiesen 1/71,33 bei Hier begann urspr.
der Text von BI. 104; der von H. gegebene Verweis die letzthin gemachte
Bemerkung dürfte sich über die "nicht gehaltene Vorlesung" zurück auf § 26
beziehen 1171, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 1172,7 ff. auf der Höhe dieses Absatzes
E. Steins Randtitel Der Wahrnehmungszusammenhang in Koexistenz und
Sukzession 1172,15 nach alle im Bleist.-Ms. gestr. gleichzeitigen 1173,12-15
Auch bis nichts Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 1/73,12 nach erscheint im
Bleist.-Ms. gestr. als Ding unter Dingen 11 73,25 vor Wie steht es auf BI.
105 im Bleist-Ms. gestr. Auch das sinnliche Fiktum, das Unding erscheint
als Ding unter den Dingen, nur streitet es gegen gewisse gegenständliche
Forderungen aus seiner nächsten Umgebung. Am Erscheinen ändert das
nichts. Daneben E. Steins Randtitel Getrenntheit von Empfindungs- und
Phantasmensinnesfeld, der Wahmehmungs- und Phantasieerscheinun-
gen 11 73,34 nach jedenfalls im Bleist.-Ms. gestr. wesentlich 11 73,35 statt
indirekt evtl. zu lesen in der Art 11 74,2 nach mit im Bleist.-Ms. gestr. in-
neren 11 74,3 nach während wir im Bleist.-Ms. gestr. äusseren !I 74,26 statt
entbehren im Ms. entbehrt 11 75,4 ff. bei diesem Absatz beginnt im Ms. das
BI. 106; als Anm. I wird der nur in E. Steins Schrift vorliegende Text des
abgeschnittenen BI. 105a wiedergegeben 11 75, Anm. 1 E. Steins Text auf BI.
105a mit Randtitel Sinnesfelder der Empfindung und Phantasie 11 76,5
nach das im Bleist.-Ms. gestr. im allgemeinen 1176,9-10 Ich bis Auffassun-
gen Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte 1177,9 ff. auf der Höhe dieses Absatzes
E. Steins Randtitel Fundiertheit der Wahrnehmungs- bzw. Vergegenwär-
tigungsauffassung in den sinnlichen Inhalten; darunter die Querverweise
auf ihr Gesamtinhaltsverzeichnis sowie auf andere Stellen im Vorlesungsteil
(vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.): Vgl. 10, 152, 157; A (68,98, 115) 11
77,12 u. 14 Entzifferung von Häusl nicht ganz gewiss 11 77,16 nach finden?
im Bleist.-Ms. gestr. Wenn schon Wahrnehmung ausgezeichnet ist, dann
kann Widerstreit gegen die Wahrnehmung 1177,30 nach ein im Bleist.-Ms.
gestr. wesentlicher 1178, 5 wesentlich mit Bleist. wellenförmig unterstrichen,
daneben, ebenfalls mit Bleist., ein Deleaturzeichen und der Vermerk "wesent-
lich" zu streichen? 1178,10 nach gehören im Bleist.-Ms. gestr. ursprünglich
Bildauffassungen; darüber, ebenfalls gestr. ein wesentlich 11 78,21 Phanta-
sieerscheinung statt Phantasievorstellung in der Tintenfassung, aufgrund
des Bleist.-Ms., wo -vorstellung und -erscheinung übereinandergeschrieben
sind, und des Textfortgangs, der dem Hrsg. -erscheinung als V. für -vor-
stellung nahezulegen scheint 1180,6-14 Die verbildlichenden bis imaginatives
Bildobjekt Einf. am Rande 11 80,8 die Entzifferung von immer mit ist un-
gewiss 11 80,13 perzeptives aufgrund des Bleist.-Ms. 11 81,12 aktuelle V. für
ursprünglich aktuelle 1181,13-14 nach die angeschaute gestr. im eng<sten>;
Die angeschaute bis Wahrnehmung Ein!. auf der rechten BI.-Hälfte 1181,19
Entzifferung von uns ist ungewiss 11 82,11 vor 1) Imagination im eigent-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 625

lichen Sinn fügte H. am Rande noch ein Fürs erste 11 82, t t ff. Randtitel
E. Steins Unterschiede der Phantasie- und Bildauffassung 11 82,20 si~ie­
renden bzw. Einf. über der Zeile 11 82,25-26 Funktion bis darstellend~n
V. für Funktion der Bezeichnung und der imaginierenden, der abbil-
dend(en> 11 82,30 des Bewusstseins Einf. über der Zeile 11 82,31-34 Unter
bis Bestimmtheiten am rechten Rande mit einer geschweiften Klammer in
Blaust. zusammengefasst" 82, Anm. 1 das Datum oben rechts auf BI. 110
mit Bleist., Res(ümee) darunter mit Blaust. und darunter noch ein abwärts
gerichteter blauer Pfeil 11 83,32 nach Sinn im Bleist.-Ms. gestr. im Sinn des
<statt des im Ms. es> nichtgegenwärtigen normalerweise tI 84,5 bei diesem
Absatz E. Steins Randtitel Bildbewusstsein in der Phantasie 1184,23-30 Der
Unterschied bis heraus Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 1184,34 nach Phan-
tasievorstellungen im Bleist.-Ms. gestr. die uns das wesentlich Neue
gegenüber der gewöhnlichen eigentlichen Imagination ergeben, genauso
wie wir bei den physisch bildlichen Vorstellungen hingewiesen werden "
84, Anm. t Erg. auf der rechten BI.-Hälfte 1184, Anm. 2 Erg. mit Bleist.
auf der rechten BI.-Hälfte auf der Höhe des Beginns des Absatzes 11 85,10 ff.
daneben E. Steins Randtitel Phantasie als reines (unmittelbares) Vergegen-
wärtigungsbewusstsein 11 85,25-27 Die Phantasieerscheinung bis Wahr-
nehmung am rechten Rande mit einer geschweiften Klammer in Blaust. zu-
sammengefasst 11 85,30-33 Betrachten bis gilt nun, dass V. für Was die
klaren Phantasien anbelangt, so vollzieht 11 85,31 Entzitterung von obige
ungewiss It 86,13 Phantasie im Bleist.-Ms. V. für Phantasiegegenständ-
lichkeit 11 86,20 nach des im Bleist.-Ms. gestr. Bewusstseins der inneren
Bildlichkeit 11 86,22 statt Semikolon im Ms. Doppelpunkt 11 86,29 nach
Träger im Bleist.-Ms. gestr. eines wenigstens nach dem Kerne 1186, Anm. 1
Erg. auf der rechten Bl.-Hälfte 1187, 15 statt und dass dochevtl. zu lesen u. dgl.,
doch 11,87,19 nach selbst im Bleist.-Ms. gestr. oder wir stellen das H. brach
offenbar ab, strich dabei aber versehentlich auch das oder 1I 87,36 nach ge-
worden im Bleist.-Ms. gestr. bzw. ausradiert, aber gerade noch lesbar
tausendfältiger' Betrachtung der allerdings schwer zu beobachtenden
Phänomene, dass auch hier" 88,9 statt der bis Phänomene evtl. zu lesen das
allerdings nicht mit standhaltenden Phänomenen 11 89,4 von ihr klar
abweicht V. im Bleist.-Ms. für mit ihr streitet 1189,15 nach 2) im Bleist.-
Ms. gestr. die fundierten Vorstellungen, die'noch genauer zu scheiden und
zu studieren wären 1189,23 vor oder im 'Ms. noch ein sich 1189,23-24 oder
Phantasie und, Phantasie Eint. auf der rechten Bl.-Hälfte, vermutlich als
V. für und Abbildungsintention, das im Bleist.-Ms. gestr. ist /189,33 ff. auf
der Höhe dieses Absatzes Randtitel E. Steins Übereinstimmendes in der
Konstitution von Wahrnehmungs- und Phantasieobjekten 11 90,15 Diese
bis in den im Bleist.-Ms. V. für Dieser selben Erscheinung entspricht in
den korrespondierenden 1190,~8 da und dort im Bleist.-Ms. V. für beider-
seits \190,21 "Erscheinung" im Bleist.-Ms. V. für Auffassung 1190,21-25 be-
trifft bis ist im Bleist.-Ms. V. tür ist dasjenige, was in den Logischen Unter-
suchungen VI, <5.) 554 für die Wahrnehmung als reine 1191,12 den jeweili-
gen im Bleist.-Ms. V. für ihren bestimmten \191,20-22 Die Erscheinung bis
A uffassWlgsinhalten Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte \191,28-35 Wir können
626 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

bis nichtgegenwärtig Einf. auf der rechten BI.-Hälfte, durch einen Bleist.-
Pfeil als solche kenntlich gemacht 11 92,15 ff. auf der Höhe dieses Absatzes
E. Steins Randtitel Empfindung und Phantasma. (Brentanos Auffassung)
und dazu Querverweise auf ihr Gesamtinhaltsverzeichnis sowie auf andere I
Stellen im Vorlesungsteil: Vgl. 10, 152, 157; A (68, 98, 107) (vgl. oben "Zur \
Textgestaltung", S. 603 tf) 1192,28 nach dass im Bleist.-Ms. gestr. alle II 92,29
abgelehnt im Bleist.-Ms. V. für geleugnet" 93,3 Empfindungen im Bleist.-
Ms. V. tür Wahrnehmungen" 93,35 nach versagt im Bleist.-Ms. gestr.
Bald findet man sehr lebhafte Phantasmen und wäre geneigt 11 93,37-94,1
und den Empfindungen Einf. über der Zeile 11 93, Anm. 1 Datum oben
rechts von Bl. II6 mit Bleist. " 94,31 nach darin im Bleist.-Ms. gestr.
zunächst 11 94,32-36 In jüngster Zeit bis Neueren im Bleist.-Ms. V. für
Gegenwärtig neige ich mehr zur Skepsis. Vor allem 1195,2-5 Empfindungen
für bis Töne im Bleist.-Ms. V. tür Phantasmen für laute, intensive
Empfindungen. Eine phantasierte Melodie kann als laute phantasiert sein,
während sie faktisch sehr leise Phantasmen " 95,7 und Intensitäts-
Einf· über der Zeile 11 95,9-12 zumal bis stellen Einf. auf der rechten Bl.-
Hälfte" 95,17-19 Doch bis definieren im Bleist.-Ms. V. tür Doch nicht
Helligkeit" 95,36 eingebildet im Bleist.-Ms. V. tür vorgestellt" 96,5-11
Dann bis wie ich Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte " 96,21 vor Akten im
Bleist.-Ms. gestr. psychischen 11 96,24 nach anderer im Bleist.-Ms. gestr.
graduell sich abstufender" 97,2 statt nächsten evtl. leichtesten zu lesen;
beide sind unter der Tintennachzeichnung noch sichtbar 1197,26-28 Gattung
bis zusammenfasst im Bleist.-Ms. v. für Gattung, die wir Urteil nennen 11
97,27 Entzifferung von eben nicht gewiss 11 97,33 möglich ist im Bleist.-Ms.
V.für zu verstehen ist 1197, Anm. 1 Erg. auf der rechten BI.-Hälfte "98,3 die
statt nicht aufgrund des Bleist.-Ms. 11 98,18 Urteil ,m Bleist.-Ms. V. für
Urteilsphantasma 11 98,24 Komma vor während statt und aufgrund des
Bleist.-Ms. " 98,29 nach selbst im Bleist.-Ms. gestr. nur <?> vergegen-
wärtigter Glaube" 98,34 bei teilen endet die Vorderseite von BI. 119; die
Rückseite ist unbeschrieben" 99,2 Entzifferung von inhaltliche nicht ganz
gewiss 11 99, Anm. 1 Einf. auf der rechten BI.-Hälfte; Entzifferung von
Begehren nicht ganz gewiss " 100,18 bei diesem Absatz ein grosses NB mit
Bleist. " 100,22-25 Denn bis vorliegen im Bleist.-Ms. V. für als ob wir
überein kommen wollten, die Farbeninhalte als Wahrnehmungsinhalte
und die Toninhalte als Phantasieinhalte zu bezeichnen " 100,25 nach
Bewusstseins im Bleist.-Ms. gestr., danach wieder mit kleinen Strichen un-
terstrichen, als ob der Passus wieder als gültig erklärt werden sollte näher
eben der Auffassung 11 101,38 nach ist im Bleist.-Ms. gestr. und so über-
haupt schon Gegenstand des betreffenden Begriffs " 102,7 herstellt oder
im Bleist.-Ms. v. für im ersten Sinn darstellt, die Charakterisierung als
gegenwärtig, oder" 102,27 statt ja evtl. zu lesen eben" 102,35-103,2 Aber bis
Bewusstsein im Bleist.-Ms. v. für im unmodifizierten Erleben. Der posi-
tive Charakter will, deutlicher gesprochen" 103,4-13 Aber bis sollte mit
Buntst. in eckige Klammern gesetzt 11 103,16 Entzifferung von Aktion nicht
ganz gewiss 11 103, Anm. 1 Rb., von H. selbst durch Bezifferung zugeordnet.
Auch die Erg. unter a) wurde als solche von H. selbst gekennzeichnet" 104,12
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 627

wahrgenommen ist im Bleist.-Ms. V. für gegenständlich gedeutet I! 104,


Anm. 1 Rb. 11105,16 nach von im Bleist.-Ms. gestr. evidenten 11105, Ann1. 1
Rb. in eckigen Klammern mit Bleist. 11 106,6 nach noch auf der recht'&n
Bl.-Hälfte ein Querstrich 11106,12 nkhts im Bleist.-Ms V.für kaum etwas 11
106,27 nach Modifikation im Bleist.-Ms. ausradierte, aber eben noch lesbare
Fortsetzung Die Wahrnehmung wäre also das schlichtere Phänomen. Das
blosse Objektivieren und Hinblicken, die Phantasie das kompliziertere,
sofern mit dem Objektivieren ein Modifizieren statthätte. Hier endet die
Vorderseite von BI. 124. Auf der Rückseite folgt zunächst der gestr. Text im
Bleist.-Ms. Alles, was ist, ist wahrnehmbar. Was heisst das? Das Seiende
ist. Das Nichtgegenwärtige konstituiert sich im wahren Sinn in dem
modifizierenden Bewusstsein, ein Unmodifiziertes muss dasein, um Modi-
fikation erfahren zu können. Und dadurch erwächst ein neuer Charakter 11
106,27-31 Das darf bis nicht im Bleist.-Ms. V. für Aber ist denn das Er-
scheinende erst un-modifiziert gegeben und tritt dann erst die Modifika-
tion auf, das gegenwärtig Gegebene in ein Nichtgegebenes bildlich um-
deutend? Das doch wohl nicht 11107,7 ff. bei diesem Absatz beginnt im Ms.
das BI. 12511107, Anm. 1 Erg. auf der rechten Bl.-Hälfte 11107, Anm. 2 Erg.
auf der rechten Bl.-Hälfte; darunter E. Steins Hinweis vgl. 125a (cf. dazu
oben Beilage XII, S. 165,32-166,1511108,20 nach an Stelle der im Bleist.-
Ms. gestr. imaginativen 11108,21 etwa ein Viertel der Rückseite von BI. 125
unbeschrieben - offenbar das Ende des dritten Hauptstückes über "Phantasie
und Bildbewusstsein" 11 108, Anm. 1 Einf. vermutlich erst nach dem folgen-
den, in eckige Klammern gesetzten letzten Textstück des dritten Vorlesungs-
stüokes, teils auf der reckten BI.-Hälfte neben dem letzten Absatz. Darunter,
ebenfalls auf der rechten Bl.-Hälfte, ein ausradiertes, nicht mehr rekon-
struierbares Textstück 11

Beila~e I (S. 108-137)


Der Text dieser Beilage fusst auf dem Ms. K I 67. Dieses enthält ins-
gesamt 4I Folioblätter (Format 2I,s X 34 cm), die, von Umschlagblättern
und drei losen Blättern aus anderen Kontexten (Ms. K I 67, S. 38-40)
abgesehen, alle zur "Folioausarbeitungüber Phantasie" von I898 gehören (vgl.
oben die Einleitung d. Hrsg., S. XXXIIff, "Zur Textgestaltung", S. 598
sowie die Textkritischen Anmerkungen zu NI'. I, S. 6I3). Bis auf einige
stenographische Einlageblätter liegt der Text der Ausarbeitung kurrent-
handschriftlich in Tinte vor. Die kurrent-handschriftlichen Blätter sind der
Länge nach ungefähr in der Mitte gefaltet, ausnahmslos nur auf der Vorder-
seite und in der Regel auf deren linken Hälfte beschrieben, wobei sich aller-
dings häufig Einfügungen schon aus der Zeit der Reinschrift auch auf der
rechten Blatthälfte finden. Wieviele Blätter diese Ausarbeitung einst umfasste,
ist nicht mehr auszumachen. Von den im Konvolu1·K I 67 im Durcheinander
liegenden Blättern konnte ein von 2 bis 22 (mit stenographischen Einlage-
blättern bei 17, 21 und 22) durchlaufend paginierter Text rekonstruiert
werden, der wahrscheinlich die einst von Husserl intendierte Blatt-Reihenfolge
wiedergibt. Obzwar die Blätter von Husserl selbst paginiert sind, besteht volle
628 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Gewähr deshalb nicht, weil einzelne Blätter mehrere Paginierungen tragen und
allem Anschein nach von Husserl selbst verschiedene Umordnungen erfahren
hatten. BI. 4 liegt ausserhalb von Ms. K I 67, es bildet den Umschlag für BI.
aus Seefeld von I905 im Ms. A VII Z5, 5. Z + z7. Es finden sich im Nach-
lass noch ein paar stenographische BI. von September-Anfang Oktober I898,
die teils evtl. mit Beziehung auf die Phantasieausarbeitung entstanden sind,
so vor allem das BI. I4imMs.A VI II II, betitelt Empfindung-Phantasma.
3. Oktober 1898 und mit der späteren Bemerkung versehen Psychologisch.
Einiges noch immer lesbar. Im ganzen sachlich nicht mehr förderlich. Es
wird hier weggelassen (vgl. auch K. Schuhmann, Husserl-Chronik, Den Haag
I977, S. 54-56).
Der Gesamtumschlag (Ms. K I 67, S. I + 4I) trägt oben folgende Auf-
schriften H usserls mit Bleist. P h a n t a sie, Zeichen. Freitag nach Pfingsten
1904 und, gegen die Bl.-Mitte hin, den Vermerk vertauscht (Entzifferung nicht
ganz gewiss). Ein weiterer Umschlag (Ms. K I 67, S. I4 + 37) enthält oben
rechts Husserls Aufschrift in Bleist. Phantasie und bildliche Vorstellung.
3.-4. September bis 3. Oktober 1898, die in den Titel der Beilage I aufge-
nommen wurde. Davor liegt ein leerer Umschlag (Ms. K I 67, S. IZ + I3)
mit den Bleist.-Aufschriften Zeit<-)Manuskripte. Im Garten Veranda! von
Husserls Hand. Ober Zeichenbewusstsein handeln teils die losen Blätter am
Ende des Konvolutes.
Auf dem ersten BI. des Vorlesungsstückes Phantasie und Bildbewusstsein
von I904!05 (oben Nr. I) notierte Husserl, wohl I9I7, Die Folioausarbeitung
über Phantasie genau durchzusehen. Sie ist nicht ganz ausgenützt (vgl.
oben S. 6I5). Die Rekonstruktion des fortlaufenden ursprünglichen Textes
aufgrund der vorhandenen Blätter ergibt folgende Korrespondenz zwischen der
Originalpaginierung Husserls und der Archivpaginierung des Konvolutes
K I 67:
1: unbekannt - 2 (gestr. 23): K I 67, S. 3 - 3 (gestr. 24): K 167, S. 4 - 4:
A VII z5, S. Z + z7 - 5: K I 67, S. 8 - 6: K I 67, S. 9 - 7: K I 67, S. IO -
8: K 167, S. 36 - 9 (abgeschnittener Teil eines Foliobi.) : K I 67, S. 35 - 10:
K I 67, S. Ir - 11: K I 67, S. Z - 12 (ergänzte ursprünglich 9 zu einem
FoliobI.) : K I 67, S. 5 - 13 (gestr. 10): K I 67, S. 7 - 14 (ursprünglich wohl
11): K I 67, S. 6 - 15: K 167, S. I5 - 16: K 167, S. I7 - 17: K I 67, S. I6
- vermutlich "ad I7,I": K I 67/S. I8 und I9 - ad 17,2: K I 67, S. Z9 - ad
17,3: K 167, 5. zz - ad 17,4: K I 67, S. Z3 - 18: K I 67, S. 28 - 19:
K I 67, S. 30 - 20: K I 67, S. zo - 21: K 167, S. z7 - Beilage 21 unten, A:
K I 67, S. ZI - 22: K I 67, S. 3I - ad S. 22: K I 67, S. 3z und 7 (gestr. 29):
K I 67, S. 33 - 8 (gestr. 30): K I 67, S. 34.
Die stenographischen BI. K I 67, S. z4 bis S. z6 bilden allem Anschein
nach Vorstufen für Teile der BI. 15, 16, 17, ad 17,4 und 20,21 der Folio-
ausarbeitung; sie werden hier nicht eigens auch noch abgedruckt. Die Ein-
teilung des Textes in Paragraphen stammt vom Herausgeber, ebenso die
Formulierung der Titel, die in möglichster Anlehnung an H.s Wortlaut vor-
genommen wurde. Obwohl es sich in H.s Augen um eine vermeintlich druck-
fertige, jedenfalls rein ausgearbeitete Abhandlung (vgl. oben, S. 59 8 )
handelte, weisen die BI. weder Oberschriften noch irgendwelche Einteilungen
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 629

in Kapitel und Paragraphen o.ä. von H.s Hand aut, er spricht blos\ zu
Beginn von BI. 10 von der "Erörterung des letzten Paragraphen", ohne ~~s
im Ms. genau ersichtlich wäre, welcher Text gemeint ist. Die Abhandlung
wurde mit Tinte, Blei-, Blau-, Rot- und Kopierst. überarbeitet.
108,30 Beginn des erhaltenen Textes der ,Folioausarbeitung"; ganz oben
aut dem Manuskriptbl. Satzende des vorangehenden, iedoch verlorenen BI.
befasst werden können. 11 109,5 Bleist.-Querstrich am rechten Rande, ver-
mutlich als Zeichen, dass der Text der Ausarbeitung von I8g8 ab hier in der
Vorlesung von I904105 Verwendung finde (vgl. NI'. I, S. I8,9 11.) 11 109,9
nach gemeinte gestr. und evtl. 11 109,24-26 Das bis Phantasiebildes V. für
Das Bild als so und so erscheinendes Bildobjekt, vollkommen analog dem
Phantasiebild 11 109,26-32 Eint. aut der rechten BI.-Hältte 11109,32 Z.B.
Eint. über der Zeile 11 109,39 so bis Bild V. mit Bleist. und Tinte tür so
spreche, oder auch sage, es 11109,44 das bis nicht V. tür nicht 11110,6 nach
bis Bildarten V. für im übrigen von Bild zu Bild 11110,7 nach gibt es gestr.
notwendig 11110,9 Bevorzugen bis den V. für Halten wir uns nun zunächst
an den 11 110,12 oder bis Komponenten V. für zwei Akte 11 110,23 in der
Wirklichkeit V.ltür draussen 11110,25-26 sich bis verhält V. für etwa ein
physisch gemalter oder phjltographischer Löwe 11110,45 bis 111,1 ohne bis
wäre V. tür was die-vorgestellte oder überhaupt die Gegenständlichkeit
für den Vorstellenden erst bedeutet 11110, Anm. Einf. mit Bleist. 11111,6
im Bewusstsein V. für da 11 111,8 bis 112,19 Die bis vollauf Text des
Foliobi. 4, das heute im Ms. A VII 25 das Doppelbi. 2 + 27 bildet (vgl.
Husserliana X, Textkrit. Anm. zu NI'. 35, S. 458); es trägt am Rande
Husserls Vermerk wohl aus dem Jahre I905 Aus dem Manuskript Wahr-
nehmung von 1897/98; das BI. gehört aber eindeutig in den Zusammenhang
der "Folioausarbeitung über Phantasie" von I898 11111,14 nach Phantasie-
bild. gestr. und in eckige Bleist.-Klammern gesetzt Der Unterschied beider-
seits besteht nur in den erlebten Inhalten, welche der Interpretation zu
Grunde liegen: auf der einen Seite sind es Empfindungen, auf der andern
Seite jene ihnen ähnlichen und doch irgendwie modifizierten Inhalte, die
wir Phantasmen nennen 11111,19 abbildende Einf. am Rande 11111, Anm. 1
V. und Erg. teils mit Tinte, teils mit Bleist. 11 111, Anm. 2 V. mit Bleist. 11
111, Anm. 3 Eint. mit Bleist. 11 111, Anm. 4 Streichung mit Bleist. 11 111,
Anm. 5 Eint. mit Bleist. 11 111, Anm. 6 Eint. mit Bleist. 11 111, Anm. 7
Klammern und Eint. mit Bleist. 11111, Anm. 8 Ein/. mit Bleist. 11112, 3-4
dass bis handelt V. tür nicht etwa ein blosser Unterschied 11112,7 bei der
Wahrnehmung Eint. über der Zeile mit Bleist., und mit Tinte nachgezogen 11
112,11-13 wodurch bis kommt Einf. am Rande 11 112,13-16 blosse bis
"selbst" V. tür Wahrnehmung oder auch nur Wahrnehmungsvorstellung,
in der uns der Gegenstand "selbst" erschiene (wie ihn ja nur die Wahr-
nehmung "gibt") 11 112,25-27 der bis Bildsujet V. für das Bild ist das
Gemeinte, sondern der abgebildete Gegenstand 11 112,33-42 Eint. am
Rande '11112, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11112,45 bis 113,3 erscheinenden bis
vorstellt v. für Bilde vergegenständlicht, kann nicht dieselbe sein als wie
die, welche die abgebildete Sache vorstellt und als die in der einheitlichen
Phantasievorstellung gemeinte erscheinen lässt 11113,7 abgebildeten Ein/.
630 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

über der Zeile 1l113,16 auf der Höhe des mit Bleist. unterstrichenen Wortes
Vorstellungen am Rande mit Bleist. vorstellig macht 11 113,17 häufige
V. für natürliche" 113,20 sondern bis nur V. fürwie 11113,21 vor Jedenfalls
Eröffnung einer eckigen Klammer mit Bleist. 'tl U3,23 bei unterscheiden
Ende eines Absatzes; ein kleiner Teil des Folioblattes danach abgeschnitten,
am rechten Rande Rb. mit Bleist., teils noch entzifferbar: <für die Berechti-
gung?> der hier vorgetragenen Deskriptionen 11113, Anm. 1 und 2 Einf.
mit Bleist. 11 113, Anm. 3 Streichung mit Bleist. 11 113, Anm. 4 Einf. mit
Tinte 11113, Anm. 5 Streichung mit Bleist. " 113, Anm. 6 V. teils mit Tinte,
teils mit Bleist. " 114,3 einfacher und zusammengesetzter Einf. am Rande 11
114,32 neue V. für zweite 11 114,43 z.B. bis Interesse Einf. am Rande 11
114,45-46 aber bis gemacht V. für aber die ursprüngliche Präsentation ist
mit der geänderten Sachlage auch dahin 11 115,12 bildlichen Eint. am
Rande 11115,13-15 am Rande ein grosses NB <nota bene> 11115,17 für bis
vergegenwärtigen Einf. am Rande 11 115,21 nach Sinn. gestr. Also ein be-
stimmt tingiertes Akterlebnis der Repräsentation haben, auf Grund einer
Präsentation, welche einen Gegenstand erscheinen lässt, das heisst eine
bildliehe Vorstellung haben, näher eine Phantasievorstellung, wofern der
erscheinende Gegenstand ein Phantasiebild ist. Das hindert nicht, dass
wir den Umstand <bricht ab> Andererseits steht selbstverständlich kein
Hindernis im Wege (bricht ab> 11115,23 den bis Zeichencharakter V. für
die Bild- oder Zeichenfunktion " 115, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 115,41-
116,1 innerhalb bis Repräsentation Einf. am Rande 11116,1 nach im gestr.
prägnanten und normalen 11116,2 normalen V. für bestimmten 11116,14-15
Gegenstand bis mitte1st V. für durch die 11116,23 notwendig Einf. über der
Zeile 11116,24 nach bestehe gestr. und zwar als notwendiges" 116,31 nach
darin gestr. ihre Gegenstände im Bilde, also 11 116,32 bildlich V. für im
Bilde 11 116,39-40 Der bis ziehen V. für und somit opfert er sich selbst
nicht auf, um den Gegenpart emporzuziehen 11116,42 meinenden Einf. am
Rande \\ 116,43 Wahrnehmung V. für Wahrnehmungsauffassung 1\ 116,
Anm. 1 und 2 Rb. mit Bleist. 11117,4 direkt V. für primär 11117,6 Bewusst-
sein V. für Auffassungsbewusstsein " 117,10 bei tritt Ende eines Absatzes;
der untere Teil des Folioblattes ist abgeschnitten; vor der Schnittstelle rechts
am Rande Wir haben bisher 11 117,17-19 Phantasiebild bis Gegenstand
V. für Phantasieobjekt anstatt zu dem dadurch etwa abgebildeten Objekt
11 117,22 Ja bis umfasst V. für Ja 11117,23 drei V. für zwei 11 117, 23-25
präsentative bis zwar V. für Phantasieauffassung des Phantasieobjekts 11
117,27 der Phantasie V. für des Phantasiebildes 11 117,31-32 bei bis
handelt Einf. am Rande 11117, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 118,10-19 Der Un-
terschied bis Gegenstände Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11118,14-16 z.B.
bis psychologischem Interesse neben dem Text mit einer geschweiften Klam-
mer zusammengefasst 1\ 118,20 Aber auch Einf. über der Zeile 11118,44-
119,5 Die Vorstellung bis erhebt Eint. auf der rechten BI ..-Hälfte 11 118,
Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11118, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11119,25-28 Dies bis
u. dgl. V. für So verhält es sich bei kinematographischen Bildern, evtl.
auch bei stereoskopischen u. dgl. 11 119,33-34 ihre Gegenstände bis seien
V. für sie eine bloss bildliehe Beziehung auf eine mögliche Wirklichkeit
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 631
,
haben; zunächst veränderte H. den Text wohl zu ihre Gegenstände blo~se
Bilder der Wirklichkeit seien, strich aber der Wirklichkeit und versehentlidk
'auch noch seien It 119,35-36 Ja bis Wahrnehmungsurteil Einf· auf der
rechten BI.-Hälfte 11 120,7-15 Unser bis bringen V. für Kehren wir zu
unseren Bildvorstellungen zurück. Wir hatten oben die Phantasievorstel-
lungen 'zum Teil bevorzugt, doch war unsere Betrachtung so allgemein
gehalten, dass sie, auch wo es nicht im Ausdruck schon lag, die Über-
tragung auf alle Bildvorstellungen gestattete. Doch bestehen auch Dif-
ferenzen, die wir um ihres Interesses willen nicht übergehen dürfen. 11
120,16-19 Eine bis letzteren V. für Zunächst ist leicht zu sehen, dass auf
seiten der physischeu Bildvorstellung im Vergleich mit der Phantasie-
vorstellung eine grössere Komplikation zu konstatieren ist hinsichtlich der
ihr zu Grunde liegenden Auffassung. In der Phantasievorstellung 11120,42
wie bis gleichen Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11121,5 nach Augen; gestr.
er erscheint und 11121,12 vor'in gestr. richtig verstanden 11121,18 wird bis
müssen V. für möchte man aber sagen 11121,21 nach Sujet gestr. im'Bilde 11
121,23-24 Genauer bis korrekt V. tür Doch hier müssen wir unterscheiden
11121,30 nach dies gestr. gar 11 121,35 bzw. Eint. mit Bleist. über der Zeile 11
12t,36 den bis Objekte V. für die Landschaft 11 121,37 Auffassung V. für
Vorstellung 11121, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11122,8 ernstlich Eint. auf der
rechten BI.-Hältte 11122,9 und 11 leistet und Beitrag V. für trägt und Teil 11
122,11 zwar Einf. mit Bleist. 11 Aber bis dass V. für Doch"nur einen Teil,
denn 11122,20 eben Einf. mit Bleist. 11 122, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 122,
Anm. 2'Erg. auf der rechten BI.-Hälfte 11123,10-11 der letzteren bis noch
V. für der letzteren drei 11123,12 zweifache V. für dreifache" 123,16 zeigt
V. für zeigte 11123,28 eigenartige bis bestimmte V. für Beziehung auf eine
als Erreger zu ihr gehörige 11123, Anm. 1 Erg. auf der rechten BI.-Hälfte 11
124,2--3 bietet sich dar V. für scheint sich darzubieten 11 124,21 bei Wir
haben beginnt das BI. 16 der Folioausarbeitung, von dem oben etwa ein
Viertel abgeschnitten ist" 124,24-25 in bis Repräsentation Eint. auf der
rechten BI.-Hälfte If 124, Anm. 1 Rb. mit Bleist.; H.s Verweis vgl. S. 17
wurde oben dem Drucktext angepasst" 124, Anm. 2 Einf. mit Bleist. auf der
rechten BI.-Hälfte 11125,13 Umfassendere bis hingegen mit Bleist. in eckige
Klammern gesetzt 11125,17 der Ausdruck in Klammern ist eine Einf. auf der
rechten Bl.-Hälfte 11125, Anm. 1 Bleist.-Einf. über der Zeile 11125, Anm. 2
Bleist.-Einf· über der Zeile 11 125, Anm. 3 Einf. mit Bleist. 11 125, Anm. 4
Bleist.-Einf. über der Zeile 1/125,41-126, 1 Aber bis Wahrnehmungsobjekt
mit Rotst. unterstrichen und am Rande mit Blaust. angestrichen 11 126,3--4
Abgesehen bis doch in Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte 1\126, 17 ff. der Text
von S. 126,17 bis S. 130,28 ersetzt den Text der BI. 18 und 19 sowie des
letzten Stückes auf BI. 17 und des Anfangs auf BI. 20 der Folioausarbeitung.
Das letzte Stück auf BI. 17 ist gestr. und mit mehreren Deleatur-Zeichen ver-
sehen sow~e mit dem Vermerk Beilage. BI. 18 trägt oben rechts ein Deleatur-
Zeichen und den Vermerk Ausgeschiedene Blätter, zu lesen, BI. 19 den
Vermerk ausgeschieden. Der Beginn vowBI. 20 ist gestr. Der zur Ersetzung
dieser ausgeschiedenen BI. bestimmte Text fusst auf folgenden BI.: Ms.
K I 67, S. I8 untl S. I9, S. 29, S. 22, 'So 23. Die BI. I8 und I9 der Archiv-
632 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

paginierung liegen in kurrent-handschriftlicher Fassung von der Hand von


Frau Malvine Husserl vor. Die Abschrift dürfte auf einem nicht mehr vor-
liegenden BI. "ad I7,I" von H. beruhen; denn die BI. 29,22 und 23 tragen die
Vermerke ad 17,2, ad 17,3 und ad 17,4 von H.s Hand und sind btenogra-
Phisch abgefasst. Auf BI. ad 17,2 stand zuerst ad 17,1, so dass eben zu ver-
muten steht, dass die in Frau M alvines Abschrift vorliegenden BI. ein neu
dazugekommenes BI. "ad I7,I" wiedergeben, das in H.s Original selbst nicht
mehr vorliegt. Auch Bl. ad 17,3 scheint eingeschoben worden zu sein; dessen
Paginierung ist im Unterschied zu den anderen stenographischen Bl. nicht in
Bleist., sondern in Kopierst. gehalten, und der Vermerk ad 17,4 auf dem
folgenden BI. lautete ursprünglich ad 17,3. Oben werden die einzelnen Stücke,
die den ausgeschiedenen Text zu ersetzen bestimmt sind, jeweils mit Sternchen
abgetrennt wiedergegeben, ausser beim Wiederanschluss an den nicht aus-
geschiedenen Text, S. I30, 29. Der ausgeschiedene Text lautet: Wie immer es
nun mit diesem letzteren Unterschied bewandt sein mag, ob er ein letzter,
ob er zudem noch durch andere Unterschiede zu ergänzen ist oder nicht,
man sieht jedenfalls, dass unsere Frage wieder hinausläuft auf die ver-
gleichende Betrachtung der beiderseits zu Grunde liegenden Präsenta-
tionen (Erscheinungen) und auf die Frage nach ihren inneren Unter-
schieden, unter Absehung von den sie sonst noch umspannenden Akt-
charakteren. So eingeschränkt ist sie in der Tat nur unwesentlich ver-
schieden von den oben berührten Fragen, wodurch sich die den beiden
Arten bildlicher Vorstellungen zu Grunde liegenden Präsentationen (die
Phantasiebilder von den physisch vermittelten Bildern) unterscheiden,
und wiederum, wodurch sich die einer Wahrnehmungsvorstellung zu
Grunde liegende Präsentation (die Erscheinung des Wahrnehmungs-
objekts) von derjenigen der normalen oder anomalen Phantasievorstellung
(von der Erscheinung des Phantasiebildes) unterscheide, wofern wir bei
der letzteren von dem Aktcharakter der Repräsentation absehen.
<Ursprünglich lautete die Fortsetzung an dieser Stelle: Eine ergänzende
Betrachtung wird hier nicht unnütz sein, zumal sie auf die Differenz-
punkte eingeht, durch welche man den Unterschied zwischen "Wahr-
nehmungs- und Phantasievorstellungen" zu bestimmen pflegt. Dieser
Text wurde mit Bleist. teils wie folgt verändert: Doch hier bedarf es noch
ergänzender Betrachtungen, in welchen wir übrigens auf die Differenz-
punkte eingehen <etc.) Schliesslich veränderte H. diesen Text in den folgen-
den:) Auf diese Fragen oder vielmehr auf diese eine, nur durch wechselnde
Beziehungen sich differenzierende Frage, gehen wir nun ein und damit
zugleich auf den vielerörterten Unterschied zwischen "Wahrnehmungs-
und Phantasievorstellungen". <Ober gehen wir nun ein fügte H. mit Bleist.
ein: zunächst noch nicht ein, wir schicken vielmehr zunächst die allge-
meinere Frage voraus, wie sich die Erscheinungen der einen und anderen
Art überhaupt unterscheiden lassen (etc.), und er vermerkte dazu am Rande
Beilage, d.i. eben der Text der Bl. "ad I7". Vermutlich gleichzeitig damit
öffnete H. zu Beginn dieses Absatzes eine eckige Klammer mit Bleist. und
schrieb auch dort Beilage. Die Klammer schliesst auf BI. IB. Der folgende
Text von Leider bis ans Ende von BI. 17 scheint, bis auf stilistische A n-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 633

gleichungen und die Eint. (bei der vorigen Frage) schon vor den eben er-
wähnten Veränderungen im Text dieses Absatzes geschrieben worden zu ~in>
Leider hat man sich hier um einen Unterschied gemüht, ohne sich vorher
über seine Vieldeutigkeit Rechenschaft zu geben. Fassen wir unsererseits
den Unterschied zwischen den Erscheinungen (Präsentationen) der
Wahrnehmungsvorstellungen und denjenigen der Phantasievorstellungen
als den zu bestimmenden ins Auge, so sind die oben (bei der vorigen
Frage) bevorzugten Vergleichsfälle freilich zu sehr eingeschränkt <Ende
von BI. I7>.
In der Regel wird, selbst wenn der beiderseitig erscheinende Gegenstand
derselbe ist, von jener gegenseitig-eindeutigen Korrespondenz der
(direkt) erscheinenden Bestimmtheiten keine Rede sein, und zwar auch
dann nicht, wenn der Gegenstand in den Vergleichsfällen von derselben
Seite erscheinen sollte. Es bestehen vielmehr Differenzen, welche nicht
bloss bei gleichen Gegenständen, sondern in viel weiter reichender Allge-
meinheit einen sehr merklichen Unterschied zwischen Wahrnehmungs-
erscheinungen und Phantasieerscheinungen begründen, ohne sich <Eint.
mit Bleist.: doch> in den allgemeinen Unterschied der präsentativen
Elemente (nämlich dass sie auf der einen Seite Empfindungen, auf der
anderen Phantasmen sind) aufzulösen. Hier schliesst die aut BI. 17
geöffnete eckige Klammer. Eint. aut der rechten BI.-Hälfte: Wir knüpfen an
eine kritische Bemerkung an.> Werfen wir die allgemeine Frage auf, wie
sich die Erscheinungen (d.i. Präsentationen) der Phantasie von denen der
Wahrnehmung unterscheiden, so darf uns die scheinbare Klarheit der
Fragestellung darüber nicht täuschen, dass sie in verschiedenem Sinne
verstanden werden kann. Es ist eine Frage, welche Merkmale die Phan-
tasieerscheinung eines Gegenstandes von der Erscheinung des sei ben
Gegenstandes in der Wahrnehmung unterscheiden, aber eine andere ist
die Frage nach den Merkmalen, durch welche sich jede beliebige Phan-
tasieerscheinung von jeder beliebigen Wahrnehmung unterscheide. Und in
beiden Fällen kann es sich um illnere Unterschiede der (für sich betrachte-
ten) Erscheinungen handeln oder auch um äussere, also um solche Unter-
schiede, die zunächst die angeknüpften Aktcharaktere und in weiterer
Folge die umfassenderen Erlebniszusammenhänge betreffen. In letzterer
Hinsicht kommen die unbewussten Dispositionen in Frage, die sich ja im
empirischen Verlauf der psychischen Erlebnisse bekunden und je nach
ihrer Verschiedenheit auch den typischen Charakter der Zusammenhänge
bestimmen werden, in welche sich die bezügliche Erscheinung eingliedert.
Alle diese Unterschiede befasst natürlich auch die Frage, auf welche die
gewöhnliche Diskussion des Unterschiedes zwischen "Wahrnehmungs-
vorstellungen und Phantasievorstellungen" <es> eigentlich abgesehen hat:
wodurch es kommt, dass wir zwischen den beiderseitigen Erscheinungen
unterscheiden, warum wir z.B. phantasierend nicht wahrzunehmen ver-
meinen und umgekehrt.
Diese Wendungen bekunden sich schon in der üblichen Zusammenstel-
lung der Unterscheidungsmerkmale: Lebendigkeit, Fülle, Stetig-
keit (bzw. Flüchtigkeit und Veränderlichkeit) u. dgl. Das
634 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

erstgenannte (Aristotelische) Merkmal der In te n s i't ä t bezieht sich


primär offenbar auf den Unterschied zwischen Empfindungen und
Phantasmen, erst mittelbar auf den von ihnen abhängigen Unterschied
der Erscheinungen. Es ist also ohne wesentliche <Ende von BI. 18 der Folio-
ausarbeitung) Beziehung zu dem Verhältnis zwischen phantasiertem
Gegenstand und dem ihm entsprechenden der Wahrnehmung, bzw.
zwischen Bild und Sache. Natürlich kann es auch in Beschränkung auf
dieses Verhältnis betrachtet werden: man kann darauf hinweisen, dass die
Intensität der Phantasieerscheinung im Vergleich zu der ihr e n t s p r e-
chenden Wahrnehmungserscheinung eine schwächere ist. Aber seine
Intention reicht doch viel weiter. Wenn man mit Aristoteles die Phanta-
sieerscheinung als OCYcr.&1)crL'; &cr.&evf).; bezeichnet, so will man einen
durchgreifenden inneren Unterschied zwischen be li e bi gen Erscheinun-
gen der Phantasie und beliebigen der Wahrnehmung feststellen. Ganz
anders verhält es sich mit den übrigen Merkmalen, z.B. mit dem an
zweiter Stelle genannten und nach Bains Vorgang vielbenützten Merkmal
der Füll c. Diesem ist die Beziehung auf die Bildlichkeit der Phantasieer-
scheinung wesentlich. Die grössere Fülle kommt dem in der Wahrnehmung
erscheinenden Gegenstand (wenn überhaupt) nur zu im Vergleich zu einer
Phantasieerscheinung des sei ben Gegenstandes. Das Bild entspricht in
dieser Hinsicht nicht seinem Original. Als ein absolutes kann das Merkmal
der Fülle von vornherein nicht angesetzt werden, nicht einmal als ein
durchchnittlich zutreffendes. Jedes Beispiel gibt dafür Zeugnis. Die In-
haltsarmut einer wahrgenommenen weissen Wand gegenüber der Phan-
tasievorstellung einer Schlacht <V. tür des Marktgewühls) ist kein Aus-
nahmsfall. Natürlich denke ich nicht daran, den Wert dieses Unter-
scheidungsmerkmals in Frage zu stellen. Es ist sicherlich eine merkwür-
dige Eigenheit unserer Phantasie, dass sich ihre Vorstellungen mit ziem-
lich armseligen Bildern ihrer Gegenstände zu behelfen pflegen. Nur ge-
hörte dieses Merkmal nicht in den Zusammenhang einer Untersuchung,
welche die wesentlichen Unterschiede der beiden Erscheinungsklassen
fixieren will. Auch das soll nicht gesagt sein, dass die Beziehung zum
e n t s p r e c h end enGegenstand, die es voraussetzt, seine Verwendbar-
keit zu urteilsmässiger Unterscheidung der entsprechenden Erscheinungen
aufhebe, oder sie zum mindesten auf die ganz ausnahmsweisen Fälle ein-
schränke, wo das Phantasiebild zugleich mit der Sache selbst gegeben ist.
Vielmehr liegt ja die Bildlichkeit und die Intention auf den Gegenstand
mit all den Bestimmtheiten, die ihn konstituieren, im Aktcharakter. Mit
ihm sind aber gewisse Dispositionen verknüpft, vermöge deren bei pas-
sender Aktualisierung Gedankenreihen ins Bewusstsein treten können, in
welchen der (gedächtnismässig reproduzierte) Gehalt der soeben noch er-
lebten Phantasieerscheinung mit dem intendierten verglichen und von
ihm sogar durch Einzelbestimmungen unterschieden werden kann. Da sich
der intendierte Gehalt im Akte der Intention konstituiert, so bedarf es
keiner den Gegenstand "selbst" beistellenden Wahrnehmung (die ja auch
nicht ohne weiteres adäquat sein würde), um die Vergleichung zu ermög-
lichen.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 635

<Es folgt noch der gestr. Text: Aus der letzten Erwägung ersieht man
übrigens recht deutlich, dass die Frage, woran und wodurch wir Er-
scheinungen möglicher Wahrnehmung und Erscheinungen der Phantasie
urteilsmässig unterscheiden, wirklich <Ende von BI. 19 der Folioausar-
beitung> eine andere ist als die <Frage naoh den inneren Unterschieden
dieser Erscheinungen, und es ist dabei gleichgültig, ob diese letztere als
Frage nach den unterscheidenden 'K las sen merkmalen oder nach den un-
terscheidenden Merkmalen für Paare einander entsprechender (d.i. auf
den seI ben Gegenstand gerichteter) Erscheinungen verstanden wird.
Bevorzugen wir nun An dieser Stelle auf BI. 20 setzt der nicht mehr ausge-
schiedene Text mit Stellen wir <V. für Bevorzugen wir nun> ein. Vgl. oben,
S. I30, Zeile 29 tt. n 126,17 bei So stossen beginnt der Text von Frau
Malvines Abschrift 11127,12 bei ausmacht endet Frau Malvines Abschrift 11
127,13 ff. bei diesem Absatz beginnt Bl. ad 17,211127,18 nach Erscheinung
gestr. Also Unterschiede, die nicht durch die angeknüpften Aktcharaktere
oder 11127,29 hier beginnt Bl. ad 17,3 tI'127,32-35 A) bis der Erscheinung
Einf. auf der rechten Bl.-Halfte, teils mit Kopierst., teils mit Tinte 11 128,5
nach besteht gestr. Mittelbar könnten wir dann auch den Unterschied der
Erscheinungen als einen wesentlichen bezeichnen; sie wären durch eine
unüberbrückbare Kluft geschieden. 11 128,8 2) scharfe, aber nicht wesent-
liche Einf. auf der recJiten BI.-Hatfte, teils mit Kopierst., teils mit Tinte;
evtl. als Singular zu lesen 11 128,24 3) fliessend Einf. auf der rechten Bl.-
Half te mit Kopierst. 11 128,32-33 II) bis Erscheinungen Einf. auf der
rechten Bl.-Hälfte mit Tinte 11129,15 B) Äussere Unterschiede Einf. auf der
linken Bl.-Hälfte mit Kopierst. 11130,7 hier beginnt das Bl. ad 17,411130,9
statt den im Ms. dem 11130,14 Wahrnehmungserscheinung Einf. über der
Zeile 11130,26-27 alle bis brauchbar V. für alle oben auf die Erscheinungen
bezüglichen Fragen in einer als Ausgangspunkt ganz brauchbaren Form. 11
130,28 'nach vorzugehen: folgt im Ms. p. 20, d.i. Bl. 20 der Folioausarbei-
tung, oben S. 130,29 tt. 11130,29 bei Stellen wir beginnt der nicht mehr aus-
geschiedene Text von ,BI. 20 der Folioausarbeitung 11 130,30-31 der bis
Gegenstande Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte 11130,32 (sc. präsentierende)
Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte 11130, Anm. 1 Erg. mit Bleist. auf der unteren
Bl.-Hälfte von BI. ad 17,4 B130, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11131,12-13 Wir bis
verglichen Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte 11 131,15-16 Nehmen bis sie
V. für Wären sie 11 131,16 und völlig Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11
131,17-19 es bis inneren Unterschiede Einf. auf der rechten BI.-Hatfte 11
131,32 wenn auch äusseren Einf., auf der rechten BI.-Hälfte 11131, Anm. 1
Rb. mit Bleist. 11 132,3 bei Die durch beginnt BI. 21 der Folioausarbeitung;
das BI. weist ziemlich viele Blaust.-Unterstreichungen auf 11 132,19 Bild-
Ding V. für wirkliches Ding 11,132,28-29 und Sinnenschein Einf. auf der
rechten Bl.-Hälfte 11132,30 nach dass die gestr. bildlich, das zu in Bildfunk-
tion verändert, dann aber auoh gestr. wurde \1132,33-37 Der bis voraussetzt
Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11132, Anm. 1 Rb. mit Blaust. 11132, Anm. 2
Streichung mit Blaust. 11 132, Anm. 3 V. mit Blaust. 11 133,5 Umgebung
V. für Gesamtumgebung 11133,6-7 wirklichen bis nur V. für Ding 11133,6
nach bloss gestr. phantasiertes 11 133,7 nach Phantasmagorie gestr. (Hal-
636 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

luzination) 11 bei usw. endet der Text von BI. 21; es trägt ganz unten noch den
Vermerk Fortsetzung Beilage mit Bleist. und hier Beilage A mit Blaust.;
d.i. der Text des stenographischen BI. K 167, S. 2I 11133,12 ff. bei diesem
Absatz beginnt das Ms. K I 67, S. 2I, das oben rechts die Hinweise in
Blei- und Blaust. trägt Beilage 21 unten, A 11 133, Anm. 1 Erg. auf der
rechten Bl.-Hältte; vgl. dazu den Text der Beilage VII, oben S. I46 tf. Au-
stralien V. tür Paris 11 134,2 nach also gestr. inhaltlich identisch sein
mit 11 134,3 Erscheinungen bis gemalten V. tür erscheinenden Dingen
abweichen wie gemalte Bilder 11 134,9 statt gewöhnlich im M s. gewöhn-
lichen 11 134,11 nach reichen gestr. Wir nehmen etwa an, dass der Un-
terschied zwischen Empfindungen und Phantasmen ein ganz unwesent-
licher sei 11 134,17 bei Hier ist der Ort beginnt BI. 22 der Folioaus-
arbeitung 11 134,20 Phantasieerscheinung V. für Erscheinung 11 134,23
intermittierenden Einf. 11134,26 blosse Eigenheit V. für Sache 11134,34 auf
der Höhe von Und in ihr am rechten Rand ein abwärts gerichteter Pfeil mit
Blaust. 11134,39 statt besondere im Ms. besonders wirksame, "wirksame"
jedoch gestr. und "besonders" versehentlich nicht angepasst 11135,5-6 dem bis
möglicher V. tür der entsprechenden möglichen 11135,14-33 der Text eines
stenographischen BI. ad S. 22 der Folioausarbeitung 11136,4 von Nach diesen
Betrachtungen bis ans Ende von Beilage I handelt es sich um den Text der
BI. 7 (bzw. gestr. 29) und 8 (bzw. gestr. 30) der Folioausarbeitung. Vor dem
wiedergegebenen Text steht auf BI. 7 (29) folgender kreuzweise gestr. Passus,
zu dem der unmittelbar vorangehende Text nicht vorliegt: dass selbst der
fragliche Tep. in ganz anderer Weise aufgefasst ist als Bildteil und wieder
anders als Teil etwa der Landschaftsumgebung. Beschränken wir, wie es
der Einfachheit und Natürlichkeit entspricht, die Rede von der bildlichen
Vorstellung auf das Korrelat des primär vorgestellten Gegenstandes, der
dargestellten Landschaft, in Abstraktion von der nebenbei vorgestellten
Umrahmung, in der sie hier erscheint, so entfällt auch die soeben be-
schriebene Beteiligung der partiellen und zugleich modifizierten Auffas-
. sung des physischen Bildes an der bildliehen Vorstellung. Ich würde
danach den Unterschied der Phantasievorstellungen und der Bildvor-
stellungen im ursprünglichen Sinne bloss darin sehen, dass die Inhalte,
durch deren Interpretation das repräsentierende Bild zur Auffassung
kommt, bei den ersteren Phantasmen sind, bei den letzteren Empfindun-
gen. Den Unterschied zwischen Empfindungen und Phantasmen nehmen
wir als einen bekannten und gegebenen. Für erkenntnistheoretische
Fragen ist es gleichgültig, worin er bestehen mag, ob er ein bloss gradueller
ist oder ein wesentlicher Gattungsunterschied. 11136, 17-18 erscheinende bis
ihren Gegenstand V. für Gegenstand direkt gemeint und stellt sie ihn 11
136,21-22 Die bis Gegenstand Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11 136,26
unterscheidend bis und Eint. aut der rechten BI.-Hälfte 11 136,28 Wahr-
nehmungen V. für Wahrnehmungsvorstellungen 11136,38 Seinserfassung
V. tür Fürwahrhaltung 11136, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11137,14 hier endet BI. 8
(bzw. 30), etwa ein Viertel ist unbeschrieben 11
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 637

Bena~e 11 (S. 137) /


Der Text gibt BI. z6 des Konvolutes BIll IZ wieder, dem auch der
Text der Beilagen VIII und XVIII entstammt. Das BI. ist nur auf der
Vorderseite, etwa bis zur Hälfte, beschrieben. Es trägt keine Paginierung und
keine Datierung. Nach Papierart (Hälfte eines alten Foliobi.), SChrift und
Tinte dürfte es umI898 entstanden sein. Keine Spuren späterer Oberarbeitung.
137,20 als bis Gegenstand V. für Bilde 11137,35 auf der Fläche Einf. über
der Zeile l!

Bella~e III (S. 138 f.)


Der Text gibt BI. IZ des Konvolutes A VI II 11 wieder. Da grosse Teile
dieses Konvolutes in vorliegendem Band zum Abdruck gelangen (vgl. oben
"Zur Textgestaltung", S. 598), sei hier zur Vermeidung von Wieder-
holungen der Manuskriptbeschreibung bei den weiter unten folgenden Text-
kritischen Anmerkungen zu Aufzeichnungen aus diesem Konvolut eine allge-
meine Beschreibung dieser Sammelmappe A VI I I 11 vorangestellt, auf die
an anderen Stellen nur noch zurückverwiesen wird.
Das Konvolut A VI II 11 umfasst insgesamt I5z Blätter, grösstenteils vom
Normalformat und in Gabelsberger Stenographie. Das Gesamtumschlagsvor-
derblatt weist folgende Aufschriften Husserls mit Rotstift auf: Wahrnehmung
1904/05. Einen Teil hat Heidegger. Ober dem zuerst nach hat stenographisch
geschriebenen, dann darunter kurrent-handschriftlich ersetzten Namen
Heidegger schrieb Husserl mit Blaustift Zeit. Das Rückenblatt des Gesamt-
umschlags enthält die wiederum mit Rotstift gemachten Aufschriften: alte
(Manuskripte> 1904, Zeit, Wahrnehmung, Erinnerung. Dabei ist der Titel
Zeit wieder gestrichen. Diese Aufschriften wurden, wie die Bezugnahme auf
Heidegger nahelegt, frühestens I9Z6, vermutlich aber erst I9z8 gemacht.
Anlässlich Heideggers Geburtstagsbesuches am 8. April I9Z6 bei Husserl in
Todtnauberg machte dieser· Heidegger gegenüber den Vorschlag, seine
"Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins" in Gestalt der Ausarbeitung
E. Steins zu veröffentlichen (vgl. Husserliana X, die Einleitung des Hrsg.,
R. Boehm, S. XXIIIf.). Anscheinend übergab Husserl gelegentlich auch das
Zeitstück des Vorlesungsmanuskriptes vom Wintersemester I904/o5 an
Heidegger, wie die oben wiedergegebene Umschlagaufschrift lehrt. Es könnte
sein, dass ein Teil der in den Konvoluten A VI II I und A VI II 11 auf
verschiedenen Umschlägen vorfindbaren Blaustift-Aufschriften einer Durch-
sicht dieser Sammelmappen im Jahre I9z8 (cf. Poststempel auf Ms. A VI IX
I, S. 96a) entstammt.
Das Konvolut A VI I I II wird mit den oben (S. 603 ff.) wiedergegebenen
Gesamtinhaltsverzeichnissen von Fräulein Stein eröffnet. Der oben ange-
zeigte Zusatz ist mit Blaustift geschrieben (S. 60z). Es folgt ein Binnenbündel
(Ms. A VI IX II, S. IO + 36), worin sich meistens Manuskripte zur Urteils-
theorie und nur vereinzelte Blätter zur Thematik des vorliegenden Bandes
befinden. Danach liegt ein von einer auf 5. Januar I9z8 datierten Drucksache
umfasstes Binnenbündel (Ms. A VI II 11, S .. 37 + I5I), .das Husserls
638 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Blaustift- Vermerk 158-239 mit Bezug auf E. Steins Inhaltsverzeichnis


trägt. Die meisten dieser Blätter fanden Eingang in diesen Band. Innerhalb
dieses Bündels befindet sich noch ein weiteres Binnenbündel (Ms. A VI II
II, S. 59 + 87), nämlich das Konvolut über Bild (vgl. Husserls Einfügung
in E. Steins Inhaltsverzeichnis). Es entspricht E. Steins Paginierung
I77 + I77a bis I77w (vgl. die Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I7).
Das Bl. IZ der als Beilage III wiedergegebenen Aufzeichnung trägt keine
Paginierung von H.s Hand und ist auch nicht datiert. Das BI. ist in Bleist.
geschrieben, und zwar bis ans Ende von x) (cf. oben S. I38, Zeile IO) in
Kurrentschrift, danach in Stenographie. Vom Schriftbild her macht es den
Eindruck einer schnell geschriebenen Aufzeichnung. Die Datierung durch den
Herausgeber "wohl um I904/5" bleibt recht fraglich, sie beruht neben inhalt-
lichen Gründen auf der Schrift und dem Papier; die Aufzeichnung könnte
aber auch ein paar Jahre später entstanden sein. Ausser dem mit Blaust.
angebrachten Vermerk verte unten auf der Vorderseite finden sich keine
Spuren späterer Durchsicht. Der Titel der Beilage, soweit er nicht vom Hrsg.
ergänzt ist, stützt sich auf den Anfang der Aufzeichnung.
138,12 statt es im Ms. sie 11138,15 nach das gestr. sinnlich 11138,18 nach
sein? gestr. So ist das 11138,21 statt normale evtl. zu lesen nämlich 11138,25
nach Widerstreit: zuerst zu Bildobjekt<bewusstsein) angesetzt, objekt aber
schon bei der Niederschrift gestr. 11 138,27 das stenographische Zeichen für
hier über etwas unleserlich Gewordenem. Bei hier endet die Vorderseite des
BI., unten links mit Blaust. der Vermerk Verte 11138,29 statt gestörten im
Ms. gestörteses 11 138,33 Fragezeichen nach dort vom Hrsg. eingefügt 11
138, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11139,2 ebenso bis "Ebene" Einf. am Ende der
Zeile 11139,2-3 und Ebenes Einf. über der Zeile 11

Beila~e IV (5. 139 f.)


Der Text des BI. z6a aus dem Ms. F I 8 (vgl. die Textkritischen Anmer-
kungen zu Nr. I); es trägt H.s Paginierung 83a aus dem Vorlesungszusam-
menhang. Das BI. ist von derselben Papierart wie die BI. der Vorlesung
(oben Nr. I) und ebenso wie diese BI. in der Mitte gefaltet gewesen; es dürfte
denn auch zur Zeit der Vorlesung, wohl Anfang I90S, geschrieben worden
sein. Auf BI. 83 des Vorlesungsms. beginnt nach der Einleitung des Hrsg.
der Text der §§ IS f., dem diese Aufzeichnung als Beilage zugeordnet ist. Das
BI. weist keine Spuren späterer Durchsicht auf.
139,29 nach (Auffassung) gestr. direkte Vorstellung 11 139,40 nach Un-
eigentliche gestr. indirekte 11140,3 Semikolon nach Phantasievorstellungen
vom Hrsg. eingefügt 11140,13 statt den im Ms. der; zur Veränderung durch
den Hrsg. vgl. im Text gleich nachfolgend, Zeile I8 f. 11140,15 statt den im
Ms. der 11140,25-26 braucht ( ... ) zu haben V. für hat 11140,36 nach des
gestr. Gemeinten 11140,43 etwa ein Drittel der Rückseite ist unbeschrieben 11

Beilage V (5. 141-144)


Der Text der beiden BI. 8S und 86 des Konvolutes A VI II 11 (vgl. zu diesem
Konvolut die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III, oben S. 637 t.). Die
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 639

BI. tragen die Bleist.-Paginierung C2 und Ca, wohl von H.s Hand, sowie die
Blaust.-Paginierung 177v und 177w von E. Stein. Es handelt sicJvUm die
letzten beiden BI. aus dem Konvolut über Bild innerhalb der von E. Stein
zusammengestellten, durchpaginierten und mit einem Inhaltsverzeichnis ver-
sehenen Manuskripte (vgl. dazu oben den Abschnitt "Zur Textgestaltung",
S. 60311.). Aul S. 85a steht oben rechts in Blaust. H.s spätere tJberschrilt
Bildvorst<ellungen) (bildlich-symbolische), darunter in Tinte von der Hand
E. Steins Durch Ä.hnlichkeit darstellende Bildmomente. Die ursprüng-
liche, dem Text vorangestellte tJberschrift lautet Klare empirisch zusammen-
hängende Phantasievorstellungen. Der Text dürfte nach Papier und
Schriftbild um I905 entstanden sein. Ausser drei Blaust.-Bearbeitungen auf
der letzten Seite der Aufzeichnung stammen alle Veränderungen schon aus der
Zeit der ersten Niederschrift.
141,17 statt es im Ms. sie /1141,28 statt Analogie im Ms. analog; evtl. zu
"A nalogon" zu ergänzen 11 nach hängen gestr. an 1) äussere Intentionen die 11
142,3 einheitlich V. für allseitig 11 142,4 vor ohne gestr. einheitlich 1[142,6
reiner Einf. über der Zeile 11142,7 Sujet v. für Objekt 11142,20 des Objekts
V. für Sujet 11 142,24 nach des gestr. Objekt 11 142,28 nach nicht. gestr.
Abstand 11142,32 nach den gestr. ähnlichen Zü<gen) 1/142,33 nach sondern
gestr. blosse Analogisierung 11 nach Darstellung gestr. Annäherung 11
142,34-37 (mit Tendenz bis gelten kann Einf. am Ende der Zeile sowie am
Rande 11142,41-42 oder besser bis Repräsentation Einf. am Rande 11143,1
sieht V. für hat 11143,5 noch V. für unrein 11143,8 nach finden im Ms. ein
Semikolon und danach gestr. wenn auch so wie einen Ir 143,8 nach wir gestr.
dabei 11 143,8-13 können wir bis "Erinnerungs"bewusstsein an V. für
einen nur noch teilweise rekonstruierbaren Text: und im Objekt das Sujet
nicht mehr sehen (können ?), haben wir schon nicht mehr eigentliches
Bildbewusstsein als Vergegenwärtigungsbewusstsein, sondern haben
"Erinnerungs"bewusstsein 11143,16 nach selbst beginnt im Ms. die letzte
Seite der vorliegenden Aufzeichnung; oben rechts steht ein NB <= nota bene)
in Tinte und, dieses verdeckend, ein grösseres NB in Blaust. 11 143,25-27
wenn bis "Erinnerung" Einl. am Rande 11143,28 statt eines im Ms. einer
oder einen 11143,29-30 und bis soll Einf. über der Zeile 11143,31 ein wenig
V. für ev<tl.) 11143,32 die beiden überschieben sich, aber geben V. für aber
die beiden überschieben sich und geben 11 143,34 bei der V. für mit der,
wobei das erste "der" versehentlich stehenblieb 11 143,36 die Darstellung
v. für es 11143,38 ff. Zu Beginn dieses Absatzes am linken Rand ein abwärts
gerichteter Pfeil mit Blaust. H143,41 statt geben evtl. zu lesen haben 11143,
Anm. 1 Erg. am Rande, mit einer geschweiften Klammer zusammengefasst,
im Ms. auf der Höhe von Es ist noch Bildbewusstsein beginnend (oben
S. 143,4) 11 144,1 nach Synthesis gestr. durch Übereinstimmung 11144,3 ff.
Der Text des letzten Absatzes steht im Ms. amRande, beginnend auf der Höhe
der Ms.-Zeile Kongruenz, das andere Mal eine Überschiebung zweier
Intentionen (vgl. oben S. 143,39) 11144,3 soll, will es darstellen im Ms. mit
Blaust. unterstricken U
640 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Beilage VI (S. 144-146)


Der Text des BI. IZ aus dem Ms. A VI I, dem auch der Text der Beilage
LIX (S. 540-54z) entstammt. Der Gesamtumschlag (I + zo) des Ms.
A VI I trägt H.s Aufschrift Ästhetik und Phänomenologie 1906 und
die späteren, wohl aus I9I8 stammenden Hinweise Im Konvolut F 1 ,
wo über Humes relationstheoretischen Begriff der Idee gehandelt wird,
finden sich Untersuchungen über ästhetische Phantasie. (Vgl.
die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8, unten S. 703 f.>
Freude am Schönen, wie verhält sich das Wert-Erschauen zum ästheti-
schen Gefallen? (Gestr. Freude> Zur Kunsttheorie (Vgl. Beilage LIX>. -
Der Anfang der Aufzeichnung (S. I44,I6-30) wurde später mit Blaust.
kreuzweise gestrichen. Das Textstück Warum wirkt die Natur, eine Land-
schaft als "Bild"? (S. I44,20-30) liegt auf Bl. 78 des Konvolutes A VI I r 11
(vgl. dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111) in einer leicht
veränderten Abschrift vor; diese Veränderungen, soweit sie nicht bloss
stilistischer Art sind, werden oben in dem Anm. I-5 wiedergegeben. Die BI.
A VI I,IZ und A VI II 11,78 tragen keine Datierung von H.s Hand, nach
Papier und Schrift dürften sie I906 geschrieben worden sein. Das BI. A VI II
11,78 trägt die Bleist.-Paginierung 6. und den Blaust.- Vermerk gut wohl von
H.s Hand sowie die Blaust.-Paginierung 1770 und die tJberschrift Auf-
fassung der Wirklichkeit als Bild von E. Stein (vgl. oben "Zur Textgestal-
tung" ,E. Steins Gesamtinhaltsverzeichnis, S. 603 ff.). A usser wenigen Blaust.-
Unterstreichungen und dem Randtitel Ästhetik weisen beide BI. keine Spuren
späterer Durchsicht auf.
144,22-23 wir bis sehen in der Abschrift verändert in sie gewöhnlich
gesehen werden 11144,27-28 Gegenwärtig bis ist in der Abschrift verändert in
"Gegenwärtig" ist unsere nächste Umgebung, das, was wir "sehen wie es
ist" 11 145,1 Zwischentitel aufgrund eines Randtitels mit Blaust. unten auf
BI. A VI I,Iza und oben auf IZb (Rückseite) 11145,30 Fragezeichen nach etc.
vom Hrsg. eingefügt 11 145,31 Fragezeichen nach er vom Hrsg. eingefügt 11
145, Anm. 1 Erg. am Rande 11146, Anm. 1 Erg. am Rande. Nach Kunst
gestr. Künstlerische 11

Beilage VII (S. 146-148)


Der Text des BI. 66 aus dem Konvolut A VI I r 11 (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Es trägt oben rechts die Bleist.-
Paginierung 3a, ursprünglich vermutlich la und darunter E. Steins Paginie-
rung 177d mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Textgestal-
tung", S. 603 ff.). Die Datierung stützt sich neben Hinweisen von Papierart
und Schriftbild auf H.s Tagebucheintragung vom z5. September I906 (vgl.
Einl. d. Hrsg., oben S. XX VII), wo er berichtet, in den letzten Wochen die alten
Ausarbeitungen durchgesehen zu haben. Auf diese Ausarbeitungen scheint der
erste Satz vorliegender Aufzeichnung anzuspielen (vgl. auch Beilage I, S. I33,
Anm. I: Dieser Text dürfte ebenfalls um September I906 beigefügt worden
sein). Ausser wenigen Blaust.-Unterstreichungen keine Spuren späterer
Durchsicht.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 641

146,22 nach das gestr. physische 11 146,24 statt erscheinendem im Ms.


erscheinenden 11 146,26 eine bis Widerstreit Eint. über der Zeile 11 l46,30
nach Ferner. gestr. Phys<ische> 11147, 5 statt Sie im Ms. Er 11 147,9lder bis
Erinnerungen Eint. über der Zeile 11 147,19-20 auch bis <Be>strittene
V. über der Zeile für (ohne jede <bricht ab> 11 147,22 statt (Gegebenem) im
Ms. (Gegebenen) 11147,26 statt Semikolon im Ms. Komma 11

Beila~e VIII (S. 148 f.)


Der Text des BI. 4 aus dem Konvolut BIll IZ, dem auch der Text der
Beilagen 11 und XVIII entstammt. Das BI. trägt weder Paginierung noch
Datierung von H.s Hand; er bezeichnet es als Abschrift, die nach Papier und
Schrift um I906 entstanden sein dürfte. Am Rande ein grosses, scheinbar
wieder ausradiertes NB <=nota bene> mit Bleist. Ausser einigen Blaust.-
Unterstreichungen keine Spuren späterer Durchsicht.
148,27 statt nicht so, wie im Ms. nicht, so wie 11 148,33 Semikolon vom
Hrsg. eingefügt 11148,34 das ist Einf. über der Zeile 11

Bei1a~e IX (S. 149-160)


Der Text der Bl. 7I-77 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Der Text besteht aus mehreren,
im Druck jeweils durch Sternchen abgetrennten Stücken, die Husserlsche
bzw. E. Steinsehe Paginierungen und Zuordnungen tragen. Ausser BI. 77
sind alle BI. in der Mitte gefaltet und ursprünglich jeweils nur auf der linken
BI.-Hälfte beschrieben, wie H. es in seinen Vorlesungsmanuskripten zu tun
pflegte. Die Aufzeichnung dürfte, mindestens teilweise, wie auch die Rb. auf
BI. 73 Besser als im Kolleg belegt, im Zusammenhang der Vorlesung von
I904/oS (oben Nr. I) entstanden sein. Die einzelnen BI. werden in der
Reihenfolge ihrer mutmasslichen Niederschrift wie folgt wiedergegeben: BI.
7I, 74, 7S, die H.s Signatur a sowie die Paginierung I-3 tragen (oben S. I49,
z4 bis S. IS3,z8). (In E. Steins Paginierung 177g, 177k, 1771 mit Bezug auf
ihr Inhaltsverzeichnis;vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Es folgt das
auf BI. 7I seitwärts Notierte (oben S. IS3,z9 bis s. ISS,6), dann BI. 7z,73:
Note zum seitwärts Notierten (oben S. ISS,7 bis s. IS7,z3). BI. 7z trägt H.s
Vermerk (A) als Zuordnungssigel und zu al mit Bezug aut BI. 7I, auf dessen
Rückseite sich ebenfalls das Sigel (A) findet, und zwar auf der Höhe von Wir
sagen am besten Abbildungen im seitwärts notierten Text (oben S. IS4,
z8 ff.). BI. 7z trägt E. Steins Paginierung 177h. BI. 73 trägt H.s Sigel (A)
und den Vermerk Fortsetzung, ferner E. Steins Paginierung 177i. Danach
folgt BI. 76, das wohl H.s Blaust.- Vermerk ad Ca), die Bleist.-Paginierung 4
sowie E. Steins Paginierung 177m trägt (oben S. IS7,z4 bis IS8,z7). Schliess-
lieh folgt BI. 77, das die Bleist.-Paginierung 5 sowie E. ,Steins Paginierung
177n trägt (oben S. IS8,z8 bis I60,S). Die beiden BI. 76 und 77, deren An-
schluss an die vorangegangenen BI. (v.a. bei BI. 77) nicht ganz gewiss ist,
dürften eher um I906/o7 niedergeschrieben worden sein. Die BI. tragen ausser
den in Anmerkungen wiedergegebenen Bearbeitungen keine Spuren späterer
Durchsicht.
642 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

149,24 Oben rechts zu Beginn der Aufzeichnung mit Blaust. wohl um


I9I7 H.s "Titel" Phantasievorstellung und bildliche Vorstellung sowie
den Vermerk NB <= nota bene> und die S. I49, Anm. I abgedruckte Be-
merkung 1\ 149, Anm. 1 nach ist Klammer vom Hrsg. geschlossen 11 150,30
vor Gelegentlich gestr. Nur 11 150,32 oder bis der Eint. über der Zeile 11
150,34-37 Ist bis Wahrnehmung Erg. auf der rechten Bl.-Hälfte 11 150,36
nach von der im Ms. noch einmal der \\ 150,37 nach Wettstreit gestr.
und Widerstreit 11 150,37-38 mein Wahrnehmungsblickfeld V. für mein
Gesichtsfeld, mein Wahrnehmungsblickfeld wobei irrtümlich das erste
mein stehenblieb 11150,39 Wahrgenommene V. für erstere 11150, Anm. 1
Einf. am Rande. Statt auf dem Papier im Ms. auf ein Papier. Papier-
wahrnehmung V. tür Papieranschauung 11 151, Anm. 1 Einf. über der
Zeile 11 152,7 gegebenen Einf. über der Zeile 11 152,9 Beim physischen
Bild V. vermutlich tür Bei physischen Wahrnehmungsbild<ern> 11 In-
einanderwirkung V. tür Ineinanderflechtung 11 152,10 nach Durchdrin-
gung gestr. aber 11 152,32 nach und gestr. zumal 11 152, Anm. 1 Erg.
auf der rechten BI.-Hälfte 11 152, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 153,10-14
Eint. auf der rechten Bl.-Hälfte 11 153,34 Antührungszeichen vom Hrsg.
eingefügt 11 153, Anm., 1 Rb. mit Bleist. 11 153, Anm. 2 Erg. mit Bleist. 11
154,16 zu Beginn von farblose Anführungszeichen, die nicht geschlossen
werden 11154,20 statt wie etwa im Ms. wie wenn (gestr. wir> etwa 11154,28 f.
Bei wir sagen am besten Ab b i I dun gen befindet sich H.s Sigel (A) mit
Blaust., das sich zu Beginn der Note zum seitwärts Notierten (5. I55,7 11.)
wiederfindet 11 154,30 oder Abbildungen Einf. über der Zeile 11 154,35 ist
Einf. mit Blaust. 11 154,44 statt Anschauung evtl. zu lesen Erschauung 11
155,3 das stenographische Zeichen für und ist sehr undeutlich 11 155,14
Anführungszeichen mit Blaust. 11155,19 ist es dasselbe Einf. über der Zeile 11
155,27-28 als bis Ähnlichkeit Einf. über der Zeile 11155,31 nach sondern
gestr. die Aufmerksamkeit 11 156,4 das andere bezeichnen V. für dazu
helfen, das andere zu bezeichnen 11156,10 nach zweiten gestr. dem Abge-
bildeten 11 156,14 statt roh-andeutenden im Ms. rohen-andeutenden 11
156,28-29 So bis Bildern Eint. auf der rechten Bl.-Hälfte 11 156,29-45 im
Ms. am Rande ein senkrechter blauer Strich und abwärts gerichteter Pfeil 11
156,33 Verknüpfung V. für Beziehung 11156,45 statt usw. im Ms. und usw. 11
156, Anm. 1 Rb. mit Blaust. oben rechts aut Bl. 73a 11 157,3 Stahlstichbild
V. für Gemälde 1\ 158,11-14 Text auf der rechten Bl.-Hälfte 1\ 158,15 ff. Text
nach kleiner Lücke wieder aut der linken Hälfte 11159,12 statt Original im
Ms. O. 11159,13 statt Originals im Ms. O. 11159,17 hier beginnt die Rückseite
von Bl. 77, ganz zuoberst folgende, wieder ausradierte Bleist.-Bemerkung aus
anderem Zusammenhang: Mitteilungsfunktion - Verständnisfunktion der
Ausdrücke; am anderen Bl.-Ende in umgekehrter Richtung mit Bleist.
Mehrfache Bildlichkeit 11159,42 nach Musik gestr. beides zusammen 11

Beilage X (S. 160-162)


Der Text von Bl. SI aus dem Konvolut A VI II I. Da manche Texte des
vorliegenden Bandes diesem Konvolut entstammen (vgl. oben "Zur Text-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 643

gestaltung", S.,598), sei hier zur Vermeidung von Wiederholungen)Jei den


weiter unten folgenden Textkritischen Anmerkungen zu anderen Auf-
zeichungen aus diesem Konvolut eine allgemeine Beschreibung dieser Sam-
melmappe A VI II I vorangestellt, auf die an den anderen Stellen nur noch
zurück verwiesen wird.
Das Konvolut A VI' II I umfasst insgesamt I79 Blätter, allermeistens vom
Normalformat sowie in Gabelsberger Stenographie beschrieben. Im grossen
und ganzen finden sich darin Manuskripte zur Phänomenologie der Wahr-
nehmung und der Zeit. Ein erster Umschlag (Ms. A VI I r I, S. I + 96),
bestehend aus einem Briefumschlag mit dem Poststempel z.6.z8, trägt
Husserls Aufschrift mit Blaustift Wahrnehmung 1904 ff. Ein weiterer
Umschlag (Ms. A VI I r I, S. Z + 3Z), bestehend aus einem gefalteten Folio-
blatt ohne Datum, trägt, ebenfalls in Blaustift, Husserls Aufschriften
Wahrnehmung, anschauliche Vergegenwärtigung etc. 1904ff. Erinnerung,
Voranschauung, Bildbewusstsein. Diesem Binnenbündel entstammen
mehrere hier abgedruckte Texte. Es folgt ein Umschlag (Ms. A VI I r I,
S. 33 + 57), bestehend aus dem auf 3I. Mai I9z0 datierten Widmungsblatt
der "Z. Durchsicht" für die Festschrift zu Husserls 60. Geburtstag. Er enthält
mit Blaustift Husserls Aufschrift 1-20 Wahrnehmung und Phantasie. Die
Ziffern 1-20 beziehen sich auf E. Steins Paginierung mit Bezug auf ihr
Inhaltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.). Auch dieses
Binnenbündel ist weitgehend in vorliegendem Band abgedruckt. Nach ein
paar losen Blättern folgt der Umschlag Ms. A VI I r I, S. 6I + 95, bestehend
aus einer Drucksache vom I7. Februar I9IZ. Er enthält unter anderem
folgende, teils später gemachte Aufschriften mit Bezug auf E. Steins Manu-
skriptsammlung mit Inhaltsverzeichnis 282/311 Ausarbeitung Wahr-
nehmung, aus W W. Einleitung 1-7. Beginn der Einzelforschung zunächst
mit der Wahrnehmung <5.)7. Anfang einer Reinausarbeitung. E. Steins
Paginierung 282 findet sich auf 7 (= Ms. A VI I r I, S. 65a), die Ein-
leitungs-Blätter 1-7 liegen nicht in diesem Umschlag; die an deren Stelle
liegenden losen Blätter 6z,63 und 64 der Archivpaginierung wurden in vor-
liegendem Band aufgenommen (vgl. Beilage XXXV). Im weiteren enthält das
Konvolut hauptsächlich Exzerptmaterialien zum Zeitbewusstsein: zu Marty
(Ms. A VI I r I, S. IOO-IZZ in E. Steins Kurrentabschrift), zu Stern und
Meinong (Ms. A VI I r I, S. I4I-I68), ein Binnenbündel mit Exzerpten
aus N atorps "Subjektive und objektive Begründung der Erkenntnis" und
Natorps "Gegen Kleinpeter" (Ms. A VI II I, S. IZ4-I39), ferner einige lose
Blätter über Zeitbewusstsein und anschauliche Vergegenwärtigung, welch
letztere hier Aufnahme fanden.
Das BI. 5I der als Beilage X wiedergegebenen Aufzeichnung trägt keine
Paginierung und Datierung von H.s Hand; bei E. Stein bildet es BI. 17, und
zwar findet sich die Ziffer an der im Druck der S. I60, Zeile z7 entsprechenden
Stelle. Nach Inhalt, Papier und Schrift dürfte der Text I905 entstanden sein.
Die tJberarbeitungen werden in Anmerkungen wiedergegeben.
160,25 aber ist es anders. Wir mit Blaust. gestr. 11 160, Anm. 2-5 Einf.
bzw. Rb. mit Tinte \1161, Anm. 1 H.s Text Rb. mit Bleist. 11 161, Anm. 2-4
Rb. mit Tinte 11 161, Anm. 5 scheint mit Blaust. wellenfärmig durchgestr. 11
644 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

161, Anm. 6 Rb. mit Tinte 11161, Anm. 7 Eint. mit Ttnte über der Zeile 11
162,4 Bildrepräsentation V. tür Bildvergegenwärtigung 11 162,7 vor Ja
Eröffnung einer eckigen Klammer, die nicht geschlossen wird. Evtl. ist der
Text von hier bis ans Ende der Beilage erst zur Zeit der Seitenanmerkungen
beigefügt worden 11

Beilage XI (S. 162 f.)


Der Text des Bl. 44 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Das Bl. trägt die Bleist.-Paginierung
1, zu Beginn des Textes oben rechts einen abwärts gerichteten Pfeil und den
Vermerk gut mit Blaust. Bei E. Stein bildet es BI. 11 mit Bezug auf ihr In-
haltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.) und trägt folgende
Oberschrift von ihrer Hand: Einordnung der Empfindungen ins Empfin-
dungsfeid; Schwanken zwischen Empfindung und Phantasie. Das Bl.
trägt keine Datierung, dürfte aber nach Inhalt, Papier (Faltung in der Mitte)
und Schrift zur Zeit der Vorlesung von I904/o5 (oben Nr. I) entstanden sein.
Ausser wenigen Blaust.-Unterstreichungen keine Spuren späterer Durch-
sicht.
163,11 statt in im Ms. ist 11 163,13 Fragezeichen vom Hrsg. eingefügt 11
163,17-19 die Sätze "Bilde bis beachten am Rande mit einer Klammer
zusammengefasst und ein NB <= nota bene> dazugesetzt 11

Beilage XII (S. 163-166)


Der Text der Bl. I6 und I7 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III) sowie des Bl. 7I aus dem Ms.
F I 8, das die vermutlich von E. Stein beigefügte Paginierung 125a trägt
(vgl. oben die Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I, S. 6I3). Die Bl. I6 und
I7 tragen H.s Paginierung 1 und 2 mit Bleistift. Bl. I6 trägt oben rechts ein
grosses NB <= nota bene> und daneben die als Titel der Beilage wieder-
gegebene Oberschrift, darunter die als Anm. I S. I63 wiedergegebene spätere
Bleist.-Bemerkung. Bl. I7 trägt ebenfalls den späteren Bleist.- Vermerk nur
historisch. Die Bl. sind undatiert. Diesen beiden BI. fügte der Hrsg., durch
ein Sternchen im Druck abgetrennt, das BI. 7I aus dem Ms. F I 8 aus
inhaltlichen Gründen bei. Dieses BI. 7I scheint nicht von Husserl selbst als
zum eigentlichen Vorlesungsms. gehörig betrachtet worden zu sein. Nach
Inhalt, Schrift und Papier (Faltung in der Mitte) passt es zu den BI. I6 und
I7, und aUe drei BI. dürften zur Zeit der Vorlesung von I904/o5 entstanden
sein. Die spätere Bearbeitung kommt in den Anmerkungen zur Geltung.
164,8 Phantasiebildlichkeit V. für inneren Bildlichkeit 11 164,9 also bis
Phantasie V. vermutlich für der eigentlichen 11 164,12 nach dabei gestr.
abstrahiere ich von der 11 nach notwendig gestr. das kann man etwa sagen: 11
164,21-24 am Rande mit Bleist. ein E <wohl für "Empfindung"> 11164,33
nach dient, das gestr. konkrete Phantasiebewusstsein 11 164,34-35 die
wesentlich bis ausserwesentlich Einf. teils über, teils unter der Zeile 11
164,36-37 Das bis ist Einf. auf der rechten BI.-Hälfte 11164,38 nach wesent-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 645

lich tragen auf der rechten BI.-Hälfte gestr. das setzt aber notwendig voraus
11 164, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 164, 42 bis 165,3 Erg. auf der rechten Bl.-
Hälfte 11 164,43 "Phantasierepräsentanten" V. für Phantasmen 11 164,44
nach sein im Ms. ein Komma 11165,9 der Empfindung Einf. über der Zeile;
Klammern vom Hrsg. eingefügt 11165,20 Empfindung V. für Wahrnehmung
11 165,24 und Meinungen Eint. über der Zeile 11 165,25 gemeint V. für
aufgefasst 11 Bewusstsein eines V. für Hinblicken auf einen 11 165,26
meinendes Einf. über der Zeile 11 165,28 nach Meinen? gestr. Wie steht es
dann mit dem Auffassen selbst? Es wäre "bewusst" (nicht präsentiert) ? ? -
11165, Anm. 1 Klammern und Streichung mit Blaust. 11166,5-8 Text auf der
rechten BI.-Hälfte 11166,15 in V. für mitsamt 11166, Anm. 1 V. mit Bleist. 11

Bei1a~e XIII (S. 166-169)


Der Text der BI. 38 und 39 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Sie tragen H.s Paginierung 1
und 2 und, mit Bezug auf E. Steins Inhaltsverzeichnis (vgl. oben "Zur
Textgestaltung", S. 603 ff.), mit Blaust. ad 1571 und 1572 . Neben bzw. unter
der im Titel wiedergegebenen Vberschritt und Datierung H.s der Blaust.-
Vermerk lesen! über einem wieder ausradierten gut ebenfalls mit Blaust. Der
Text weist viele Blaust.-Unterstreichungen sowie Anmerkungen mit Blau-
und Bleist., die in Fussnoten gedruckt werden, auf.
166, Anm. 2 Rb. mit Tinte, wohl schon zur Zeit der Abschrift 11 166,
Anm. 3 Rb. mit Blaust. 11166, Anm. 4 Eint. mit Bleist. 11167,17-18 in bis
Verhältnissen Eint. über der Zeile 11 167,42 den Charakter mit Blaust.
doppelt punktförmig unterstr. 11167, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11168,1 Zwischen-
titel aufgrund von Randtitel mit Tinte im Ms. 11168,4-5 Und bis Jetzt mit
Blaust. kritisch unterstrichelt )1168,6-7 phänomenologischer bis Ursprüng-
lichkeit mit Blaust. kritisch unterstrichelt 11 168,8 Erscheinung V. für
Wahrnehmung If 168,10 statt Komma im Ms. ein Punkt 11168,12 statt es
im Ms. er 11 168,14 statt es im Ms. er 11168,15 das Einf. mit Bleist.1I168,16
eine Einf. mit Bleist. 11168,30-31 sie bis Apperzeptionscharakter aufgrund
von Unterführungszeichen im Ms. sinngemäss ergänzt 11168,33 über dinglich
wieder ausradierte Bleist.-V. gegenständlich 11168,34 über bis Kontiguität
mit Bleist. zu ob es immanent oder transzendent apperzipiert wird ver-
ändert, jedoch Ausradierung wieder rückgängig gemacht 11168, Anm. 1 Rb.
mit Blaust. 1\ 168, Anm. 2 und 3 Streichung mit Bleist. 1\ 168, Anm. 4-6
Rb. mit Blaust. 11 169,3 Das bis Auffassungsinhalt mit Blaust. kritisch
unterstrichelt 11169,5-6 Diesen bis Apperzeption mit Blaust. kritisch unter-
strichelt 11 169,8-11 Text am Rande mit Blaust. kritisch angestricheU 11
169,16 statt Stelle im Ms. versehentlich stellt 11169,20 und weiter Einf. über
der Zeile 11 169, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 169, Anm. 2 Rb. mit Blaust. 11

Nr.2 (S .. 170-193)
Zum einen Teil (Nr. 2b, S. I8I,I2 bis ans Ende von Nr. 2) fusst der Text
dieser Nr. :1 auf den BI. 34-4I aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die
646 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Textkritischen Anmerkungen zu Beilage X). Diese BI. tragen zwar weder eine
einheitlich durchlaufende Paginierung von H.s Hand, noch gehören sie der
gleichen Entstehungszeit a1Z. Sie bilden aber die BI. I-7inder Ms.-Sammlung
von E. Stein (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 60I ff.), die sie H. wohl im
Sommer I9I7 vorgelegt hat. Es finden sich nun von H.s Hand auf diesen Bi.
Querverwiese und nachträgliche Vereinheitlichungen durch Paginierung
einzelner Blätter, die in den Aufzeichnungen zur Zeit ihrer Niederschrift noch
nicht gegeben waren. Es ist indessen nicht auszumachen, ob E. Stein die BI.
aufgrund jener Verweise H.s in die im Druck zur Geltung kommende Abfolge
brachte, oder ob H. erst aufgrund von E. Steins Ms.-zusammenstellung den
Versuch einer Vereinheitlichung im Hinblick auf eine weitere Bearbeitung
vornahm. Au/grund der Husserlschen Querverweise schien es dem Hrsg.
jedenfalls sinnvoll, die BI. geschlossen vorzulegen. Angesichts der um Jahre
auseinanderliegenden Entstehungszeiten der Texte werden die einzelnen
Stücke jedoch getrennt (als Nr. 2b,c etc.) wiedergegeben. Die genauere Be-
schreibung der einzelnen Ms.-Bl. erfolgt unten an den entsprechenden Stellen
der Anmerkungen.
Zum anderen Teil fusst der Text dieser Nr. 2 auf BI., die vom Hrsg. der
Steinsehen Zusammenstellung aus dem Nachlass hinzugefügt wurden. Es
handelt sich um das BI. I24 aus dem Ms. F IV I, das H.s Paginierung 1 und
E. Steins Paginierung 267 trägt. Nach Inhalt, Papier, Schrift und Pagi-
nierungsart gehörte es ursprünglich in den Zusammenhang des als Nr. 2b
abgedruckten Stückes und wird diesem zur Vervollständigung wieder bei-
gegeben. BI. 2 der HusserlsChen Paginierung konnte allerdings nicht aufge-
funden werden. Schliesslich schienen dem Hrsg. von der Thematik her die von
H. mit 1-4 paginierten BI. I7I, I72, I73 und I75 aus dem Konvolut A VI I r
I einen geeigneten Einführungstext zu Nr. 2b bis Nr. 2g zu bilden, weshalb
sie, auch chronologisch die frühesten dieser Nr. 2, hier als Nt'. 2a abgedruckt
werden.
Zu Nr. 2a): Die BI. I7I-I73 und I75 aus dem Konvolut A VI I r I (vgl.
dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage X). Die BI. tragen H.s
Paginierung I-bis 4-, jedoch keine Datierung. Nach Inhalt, Schrift und
Papier dürften sie auf Sommer/Herbst I904 zu datieren sein. Oben rechts auf
dem ersten BI. vermerkte H. mit Blaust. Aporie. Das BI. trägt ebenfalls
E. Steins Titel Einbeziehung des Ich in die Phantasie (Erinnerung).
Spätere Oberarbeitungen mit Blei- und Blaust.
170,17 nach sind gestr. reine 11 170,21 Anführungszeichen mit Blaust. 11
171,3 vor Es ist gestr. Soll man sagen: 11171,13 nach Kopf gestr. einen oder
denen und gestr. ungefähren Schnittpunkt \1171,36 äusseren Einf. über der
Zeile 11171,37 Hauptsächlich Einf. über der Zeile 11171, Anm. 1 Einf. mit
Bleist. 11172,2 Muskel<-> Einf. über der Zeile 11172,3-4 Gesichtsbild bis etc.
Einf. über der Zeile 11172, Anm. 1 V. mit Bleist. 11173,20-31 Das bis möglich
in eckige, jedoch wieder mehrfach gestr. Tinte-Klammern gesetzt 11 173,33
nach das gestr. vergangene I<ch> 11173, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11173, Anm. 2
Einf. mit Bleist. 11174,9 nach es gestr. Phantasie einer 11174,11-12 d.h. bis
eingelegt Einf. über der Zeile 11174,13 nach es gestr. wieder 11174, 17 darstellt
V. für enthält 11 174,22 Gegenstand doppelt mit Bleist. unterstr. 11
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 647
174,23-25 und bis erlebten Einf. am Rande 11 174,25 E~einung
doppelt mit Bleist. unterstr. 11 174,30 die bis habe Einf. über der Zeile I'
entsprechenden Einf. über der Zeile 11 174,31 auffassen V. für ansehen
(auffassen) 11 175,2-3 <erscheinen lassen> aufgrund von Unterführungs-
zeichen im Ms. eingefügt 11175,8 vor Zeitpunkt gestr. objektiven 11175,30-31
einerseits bis Selbsterscheinung V. für auch den Charakter der Wahr-
nehmung, nämlich das Selbstdasein H175,31 nach Selbsterscheinung mit
Bleist. eingefügt, doch wieder gestr. (jetzt) 11 175, Anm. 1 V. mit Bleist. 11
175, Anm. 2 in eckige Klammer gesetzte Erg. mit Bleist. 11 175, Anm. 3
Einf. mit Bleist. 1\175, Anm. 4 Rb. mit Tinte, 1\ 176,1 nach erfasst gestr. es
ist "wahrgenommen" 11 176,7-9 Aber bis Repräsentation V. für aber in
modifizierter Weise, in der Weise der Repräsentation. Es ist "gleichsam"
wahrgenommen. 11 176,9-10 Bewusstsein des Selbst V. für Wahrneh-
mungsbewusstsein 11 176,22-24 All bis gegenwärtig Eint. mit Tinte 11
176,29-30 erfasse bis Phantasie" V. für sehe, nehme ich <... > wahr 11
176,32 nach Repräsentant gestr. wie das ganze Bewusstsein 11176, Anm. 1
Einf. mit Bleist. 11177,9 aktuell Einf. über der Zeile 11 177,12-14 einer bis
aktuellen V. für die ich früher gehabt habe, d.i. als Repräsentant der 11
177,17 nach für gestr. <sich> selbst 11177,19 Repräsentanten V. für Bild 11
177,29-30 mindestens bis Phantasie Einf. unter der Zeile 11 177, Anm. 1
Rb. mit Bleist. 11178,20 statt sind im Ms. versehentlich find 11178,23 in der
Bleist.-V. für etwas Ausradiertes \1178, Anm. 1 Rb. mit Bleist. Statt mir
im Ms. ihm 11178, Anm. 2 Einf. und Rb. mit Bleist. \I 179,7 bei Freilich
beginnt die Rückseiten von BI. 4-, der Rest der Seite ist unbeschrieben 11
Zu Nr. zb): Die BI. IZ4 aus dem Ms. F IV I und 34-35 aus dem Konvolut
A VI II I (vgl. dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage X). Die
BI. tragen H.s Paginierung 1, 3 und 4, BI. 2 konnte nicht aufgefunden
werden; in E. Steins Paginierung sind es die BI. 267, 1 und 2 (vgl. "Zur
Textgestaltung", oben S. 603ft.). Nach Inhalt, Schrift und Papierist die Auf-
Izeichnung um I905 anzusetzen. BI. 1 wurde mit Bleist., BI. 3 mit Tinte, Blei-
und Blaust. überarbeitet, aut der Rückseite von BI. 4 findet sich ein späterer
Zusatz.
179,15 Beginn des Textes von BI. 1. Dieses trägt oben rechts H.s Vermerk
mit Bleist. sehr gut. Daneben E. Steins Titel Sich einleben in Akte und
Vorstellen von Akten 11179,20 desgleichen etc. Einf. über der Zeile 11179,27
Einbildes Einf. über der Zeile 11179, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11180,1 besser
Eint. über der Zeile H180,8-9 dem imaginativen Urteil V. für der Urteils-
Imagination 11 180, Anm. 1 Rb. mit Bleist. \I 180, Anm. 2 V. mit Bleist. 11
181,4 nach Erinnerung gestr. etc. n181,12 Beginn des Textes von Bl. 3. Oben
rechts E. Steins Titel Wahrnehmung und Imagination, Wahrnehmung der
Wahrnehmung und Imagination; Imagination der Wahrnehmung und
Imagination. Dazu die Querverweise mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis
(vgl. "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.) vgl. S. 194,21011181, Anm. 2 wohl etwas
nachträgliche Erg. am Rande mit Tinte. Phantasievorstellung von 1) bis
Phantasievorstellung von 2) V. für Modifikation von 1) Wahrnehmungs-
modifikation von 2) Modifikation von 2). Anlässlich dieser V. scheint der
Schlussatz der Anm. z beigefügt worden zu sein; vgl. auch S. I84, Anm. I 11
648 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

182,8 aktuelle Eint. über der Zeile 11182,15 phantasiere V. tür lebe I! 182,17
des Gegenstandes A Eint. über der' Zeile 11182,18-19 Hier bis Gegenstand
Einf. am Rande 11182,21-25 Ist nun bis ans Satzende V. tür Wahrnehmen,
dass man A phantasiert, ist dasselbe <etc.> 11 182,26 nach einmal: gestr.
Also müssten wir das modifizierte Phänomen nehmen. 11182,31-33 Text
am Rande mit einer Blaust.-Klammer zusammengetasst I! 182, Anm. 1
Streichung mit Tinte 11 183,7 den V. lür etwas Ausradiertes 11 183,11 nach
überhaupt gestr. modifiziert 11 Grundakte, beziehende wohl etwas nach-
trägliche Einl. mit Tinte 11183,12-13 und bis Akte Einl. unter der Zeile 11
183, Anm. 1 Einl. mit Tinte 11 183, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 183, Anm. 3
Einl. mit Tinte 11184,7 nach die Bilder gestr. mehrerer Stufe 11184, Anm. 1
Text aul der Rückseite von Bl. 4- 11184, Anm. 2 Einf. mit Bleist. H
Zu Nr. 2C): Die BI. 36 und 37 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage X). Die BI. tragen H.s Paginierung
3 == und 4 = (ursprünglich 3 = und 4 ==) und E. Steins Paginierung 3 und
4 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben
S. 60311.). Die Bl. scheinen nach Inhalt, Papier und Schrilt I905, vermutlich
im Zusammenhang der Vorlesung über" Urteilstheorie" (vgl. Ms. F I 27)
vom Sommersemester I905, entstanden zu sein. Etwas mehr als die Hälfte der
Vorderseite von Bl. 36 wurde später mit Blaust. kreuzweise gestrichen, und
am Rande findet sich folgender Vermerk ebenlalls mit Blaust., der vermutlich
auf die gestrichene Passage zu beziehen ist: Wiederholung, nur zu Zwecken
der Darstellung evtl. durchzusehen. Evtl. betrifft dieser Hinweis aber auch
den nicht gestrichenen Text. Auf der rechten BI.-Hälfte findet sich ferner mit
Bleist. die im Titel von Nr. 2C aufgenommene Inhaltsangabe Reflexion in der
Phantasie. Vgl. tJ.. Das Sigel tJ. bezieht sich wohl auf Ms. L I I5. Geringe
Spuren späterer Durchsicht mit Tinte, Blei- und Blaust.
184,19 Beginn des nicht gestr. Textes. Der gestr. Text zuvor lautet: Ich habe
nachträglich wieder Zweifel bekommen, ob meine Analyse des Verhält-
nisses zwischen propositionaler Sachverhaltsvorstellung und Urteil in
seinem Verhältnis zu Wahrnehmung des Urteils - Phantasievergegen-
wärtigung des Urteils völlig zureichend ist.
Allerdings die Sachverhaltsvorstellung (dieses Vorschweben des Sach-
verhalts) ist kein Phantasieakt hinsichtlich des Sachverhalts, sowenig die
Sachverhaltssetzung (das Urteil selbst, meine ich) ein Wahrnehmungsakt
hinsichtlich des Sachverhalts ist.
Richtig ist auch, dass die Sachverhaltsvorstellung nichts von der Vor-
stellung des belief enthält (den belief gegenständlich hat). Dagegen fragt
es sich, ob die Modifikation des belief, welche den Charakter der bIo s sen
Vorstell ung des Sach verhalts macht, nicht auch identisch vor-
kommt in der Phan tasievorstell ung vom Urteil. In welcher Weise
wäre das möglich?
Die blosse Vorstellung eines Sachverhalts = "Reproduktion" eines
Urteils = (gestr. reproduktive> Modifikation eines Urteils oder Urteils-
phantasma. Die Phantasievorstellung vom Urteil = eine Vorstellung, in
der jene "Reproduktion des Urteils" als "Vorstellungsrepräsentant" für
das Urteil fungiert. Analogie im Verhältnis von quasi-Wahrnehmungen
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 649

(quasi-Wahrnehmungen V. für Scheinwahrnehmungen) in~~antasie­


vorstellungen von Dingen zu Vorstellungen von Wahrnehmungen dieser
Dinge. Siehe das Weitere.
Der letzte Absatz (Die blosse Vorstellung bis Siehe das Weitere) findet
sich auf der rechten unteren BI...Jlälfte und ist nicht gestr.; sinngemäss
scheint er aber noch zum gestr. Text zu gehören, und erst der Hinweis Siehe
das Weitere weist auf den vorne unter zc wiedergegebenen Text voraus 11184,
Anm. 3 Einf. mit Bleist. 11185,27 aktuelle Einf. über der Zeile lt 185,29-30
dieses biS' Reflektieren Einf. über der Zeile 11 185, Anm. 1 Erg. auf der
rechten Bl.-Hälfte 11185, Anm. 2 Randtitel oben rechts auf Bl. 37a 11186,28-
187,7 Text auf der rechten Bl.-Hälfte 11 186,30 erinnernden wohl etwas
nachträgliche Einf. mit Tinte 11186, Anm. 1 Erg. auf der rechten Bl.-Hälfte. -
phantasierend natürlich Einf. über der Zeile 11 187,10 nach der gestr.
präsenten 11 187,11 quasi gegebenen wohl etwas nachträgliche Einf. mit
Tinte 11187, Anm. 1 Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte. Im Text: des Phanta-
sieerlebnisses etwas nachträgliche V. für der Phantasie, und entsprechend
ihm V. für ihr 11
Zu NI'. zd): Das BI. 39 aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt oben rechts H.s Paginierung
5 = und links E.' Steins Paginierung 6 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis
(vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Der Text dürfte nach Schrift und
Tintenart auf I907/08 anzusetzen sein; er wurde mit Tinte, Blau- und
Bleist. überarbeitet. Ein längeres Stück auf Bl. 39a wurde mit Blaust.
kreuzweise gestrichen, es wird oben S. I87 f. als Anm. z wiedergegeben.
187, Anm. 2 (gleichsam Gegenwärtigung) Einf. mit Bleist. 11 die Er-
scheinung nicht Gegenstand Rb. mit Bleist., Klammern vom Hrsg. eingefügt
;1 Fortsetzung S. I88: Reflexion in der Phantasie, jene Einf. mit Bleist. 11
188,4 nämlich V. mit Bleist. für "Impression"; es ist Erscheinung, was
zunächst durch Streichung in es ist verändert worden war 11188,5 b) V. für 3)
11188,18 Erschein ung vierfach unterstr.. 11188, Anm. 1 Rb. mit Bleist. I!
188, Anm. 2 Klammern mit Tinte 11188, Anm. 3 Rb. mit Bleist. 11189,11 und
12 vom bzw. Haus mit Bleist. unterstr. 'I 189,14 nach Andererseits im Ms.
ein Doppelpunkt I1
ZU Nr. 2e): Das BI. 38 aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt oben rechts H.s Vermerk mit
Bleist. Einlage zu 5 = (ursprünglich 58.), darunter ein grosses NB (= nota
bene) mit Tinte und darunter mit Blaust. den Hinweis Für die Darstellung
brauchbar, nichts Neues. Bei E. Stein ist es BI. 5 mit Bezug auf ihr Inhalts-
verzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tt.). Nach Inhalt, Schrift
und Tintenart dürfte die Aufzeichnung auf das Jahr I908 anzusetzen sein.
Einige (Jberarbeitungen mit Tinte, Blei- und Blaust.
189, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 190,3 etc. Einf. mit Bleist. 11 190,14
Anführungszeichen mit Bleist. 11190,26 und 27 1) und 2) Einf. mit Bleist. 11
190,29 vom Haus Einf. mit Tinte 11190,30 Phantasievorstellung Einf. mit
Tinte 11190,29-35 neben diesem Textstück Rb. mit Tinte "Reproduktion von
etwas" im Gegensatz zu "Phantasie von etwas" = Phantasievorstellung.
650 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Vgl. Titel von Nr. 2e). 11 190, Anm. 1 Eint. am Rande zur Zeit der Nieder-
schrift des Textes 11
Zu Nr. 2f): Das Bl. 40 aus dem Konvolut A VI I r I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt oben rechts mit Bleist. die
Paginierung 6 = wohl von H.s Hand, links E. Steins Paginierung 7 mit
Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tt.).
Oben rechts der gestr. Hinweis Beilage ad 1, der sich evt!. auf Bl. 27 (Original-
paginierung 1) des Ms. A VI 4 vom 9. April I9Ia bezieht (vgl. oben Nr. I51),
S. 373 ff·), wo ebenfalls das Beispiel des Bajazzo vorkommt. Auch nach der
Schrift zu urteilen, scheint dem Hrsg. als Entstehungszeit das Jahr I9I2
wahrscheinlich, frühestens jedenfalls I909. Keine Spuren späterer Durch-
sicht. Die Rückseite ist unbeschrieben.
192,5-14 Aber bis Absatzende Einf. am Rande, jedoch schon zur Zeit der
Niederschrift des übrigen Textes 11
Zu Nr. 2g): Das BI. 4I aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt oben rechts die Bleist.-
Paginierung 7 = wohl von E. Stein und links E. Steins Paginierung 8 mit
Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tt.).
Nach der Schrift zu urteilen, dürfte es auf I9I2 anzusetzen sein, frühestens
jedenfalls I909. Keine Spuren späterer Durchsicht. Die Rückseite ist unbe-
schrieben.
192,36 angeblich Einf. über der Zeile 11

Beilage XIV (S. 193-201)


Der kurrenthandschriftliche Text der Bl. I80-I88 (im Folioformat) und des
stenographierten BI. I74 (im Normalformat) aus dem Konvolut A VI II I
(vgl. dazu Textkritischen Anmerkungen zu Beilage X). Die Bl. sind von H.s
Hand mit Bleist. von 1 bis 10 durchnumeriert; das stenographierte Bl. trägt
die Paginierung 10; es bildet die S. I99, Anm. I wiedergegebene Abschrift M
(Aufschrift mit Bleist. oben rechts auf Bl. I74). Auf der Rückseite von BI. 9
(= Bl. A VI I r I, I85 der Archivpaginierung) findet sich H.s Hinweis mit
Tinte Silvaplana 1909: Zwei zusammenhängende alte Ausarbeitungen vor
den Logischen Untersuchungen. Durchgesehen und sehr zu beachten!
H. weilte im August bis Anfang September I909 im Engadin (Silvaplana und
Sils Maria) in Ferien (vgl. K. Schuhmann, Husserl-Chronik, Den Haag
I977, S. Ia8). Einen Hinweis auf eine genauere Datierung, nämlich auf das
Jahr I898, der in Kurrenthandschrift vorliegenden Ausarbeitungen gibt H.s
Rb. zu Beginn der zweiten Ausarbeitung (vgl. die Textkritischen A nmerkun-
gen zu S. I97,Ia). Die erste Ausarbeitung betrifft die FoliobI. I-5 (oben
Beilage XIVa), die zweite Ausarbeitung die BI. 6-<) sowie Bl. IO, die Ab-
schrift M (oben Beilage XIVb). Auf der Rückseite von FoliobI. 5 stehen
folgende Aufschriften H.s mit Rotst.: Erinnerung und Wahrgenommen-
haben; mit Blaust. in eckigen Klammern und kreuzweise gestr. (Wichtiges
zur Phänomenologie der Zeit enthält der Konvolut mit Auseinander-
setzungen zu Kants Raum-Zeit-Argumenten) <vermutlich ist Konvolut
B IV I der Archivpaginierung gemeint>. Die Foliobl. sind mit Tinte und
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 651

Bleist. überarbeitet; ausser der Rb. M (auf Foliobl. 7, die auf B~ abge-
schrieben wurde), die wohl etwas früher entstand, dürften die nicht mit Tinte
"nachgezogenen" Bleist.- V. aus der Zeit der Durchsicht von I909 stammen.
Auf der Rückseite von FoliobI. 9 findet sich auch E. Steins Aufschrift A 1-9
<später mit Blau- und Bleist. verändert in 13 1-10, wobei nicht klar ist, ob
von H. oder von E. Stein> Erinnerung = Wahrgenommenhaben vgl. Aus-
arbeitung S. 111m <mit Bezug auf E. Steins Ausarbeitung des Zeitbewusst-
seins; vgl. Husserliana X>
193,30 weiter unten Einf. über der Zeile 11 193, Anm. 1 Randtitel ganz
oben rechts auf FoliobI. 1 11 193, Anm. 2 Rb. mit Bleist., die mit Tinte
"nachgezogen" wurde. Zu Beginn gestr. Das ist schief ausgedrückt. Der
Schlussteil und das Bewusstsein bis gemacht steht nur in Tinte 11194,3-4
Mit bis Rede V. für Die jetzige Erinnerung ist in mehrfacher Weise Bild 11
194,6 durch Erinnerung V. für zeitlich 11 194,18 nach die gestr. Evidenz
der 11194,20-21 in dem Sinn Einf. mit Bleist., mit Tinte "nachgezogen" 11
194,27 nach ich gestr. auffassend 11194,31 als Gegenpunkt stenographische
Einf. mit Bleist., daneben mit Tinte in Kurrentschrift wiederholt als Gegen-
punkt zu 11 194,41 Anführungszeichen mit Bleist. 11 194, Anm. 1 Rb. mit
Tinte 11194, Anm. 2 Klammern und Einf. mit Bleist. 11195,1 Anführungs-
zeichen mit Bleist. 11195,3 Anführungszeichen mit Bleist. 11 195,10 vor Diese
Eröffnung einer eckigen Klammer mit Tinte, die nicht geschlossen wird 11
195,11 Grundlage mit Tinte unterstrichelt 11195,16 A v. für Ich 11 nach Die
gestr. jetzige 11195,16-17 des gemeinten A nachträgliche Eint. mit Tinte 11
195,19 Anführungszeichen mit Bleist. 11195,32 implicite mit Bleist. unterstr.
11195, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11195, Anm. 2 nachträgliche Rb. mit Tinte 11
195, Anm. 3 bis 5 V. mit Bleist. 11196,1-3 neben diesem Text wieder aus-
radierte Rb. mit Bleist. Das ist alles nicht hinreichend klar, vgl. die späteren
Blätter 11 196,12-13 Anführungszeichen vom Hrsg. eingefügt 11 196,18 vor
Vorgang stand ursprünglich ein Unterführungszeichen, das H. mit Bleist. in
erinnerte veränderte 11 196,19 vor besonderem im Ms. ein Anführungs-
zeichen 11196,25-26 Text am Rande mit einer Klammer zusammengefasst 11
196, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11196, Anm. 2 nachträgliche Rb. mit Tinte 11
197,2 nach war gestr. Mein vergangenes 11 197,12 Beginn von Foliobl. 6.
Ganz oben rechts H.s Vermerk mit Tinte Abschrift eines Manuskripts, das
auf einer Einladung zu einer Festrede Hayms «18>98?) geschrieben war. 11
197,33 Anführungszeichen mit Bleist. 11197,35-38 Text am Rande mit einer
Klammer zusammengefasst 11197,36 auch nachträgliche V. mit Tinte für die 11
197,39 selbst gegenwärtig erfassen v. für gegenwärtig erfassen, was zuerst
mit Bleist. verändert worden war in gegenwärtig selbsterfassen 11197, Anm. 1
V. mit Bleist. 11198,2 mir Einf. über der Zeile 11198,3 mir V. für ihm 11198,4
mich V. für ihn 11198,19 und 22 Cl) nachträgliche Einf. mit Tinte 11198,32
nach vor. Gestr. An ihn erinnere ich mich. 11198,36 habe bis Gewissheit V.
für glaube 11198, Anm. 1 Ein!. mit Bleist. \1198, Anm. 2 Streichung und Rb.
mit Tinte 11198, Anm. 3 V. mit Bleist. 11199,3 Zwischentitel aufgrund der im
Ms. nachdem später gestr. Satz (199,4-5) folgenden Vberschrift 11199, Anm. 1
Der oben wiedergegebene Text fusst auf BI. A VI Ir I, I74, das H.s Bleist.-
Vermerk AbschriftM, lOträgt. Im obenS. I99 wiedergegebenen Text: (eigent-
652 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

lieh bis ich achte auf ihren Gegenstand (im ersten Absatz) V. für kann ich
leben. Im letzten Absatz: Nach Ich bin aber auch gestr. "in der Erinnerung"
zur Reflexion. - Der Text der Bleist.-Einf. auf Foliobi. 7 lautet wie folgt; Mir
schwebt die Erscheinung des Rathauses vor. Diese Erscheinung, die mir da
vorschwebt, ist charakterisiert als die vergangene Erscheinung. In dieser
Erscheinung kann ich leben: Das Rathaus erscheint als gegenwärtig ge-
wesen. Ich kann auch auf die Erscheinung achten, also auf das Er-
schienensein bzw. mir Erschienensein, auf das Wahrgenommenhaben. Der
Erinnerungsakt = Bewusstsein vom Gegenstand als Gegenstand einer
"früheren" Wahrnehmung (die mir "vorschwebt").
Ich kann auf den Gegenstand achten (der damals wahrgenommen war,
den erinnerten). Ich kann auf die Erscheinung des Gegenstandes achten,
auf die damalige Erscheinung, bzw. auf die damalige Wahrnehmung. Ich
kann auf die gegenwärtige Erscheinung, auf die gegenwärtige Erinnerung
achten. Nämlich ich nehme jetzt wahr, dass ich die und die Erinnerung
habe. "Reproduziert" ist das damalige Bewusstsein, es schwebt mir
jetzt als ein Nicht-jetzt, es schwebt mir im Erinnerungsbild vor. Ich lebe
im vergegenwärtigten Wahrnehmen, ich achte nicht auf das Wahrnehmen
(auf das frühere Wahrnehmen), im Erinnerungsakt schwebt es vor und
ich lebe darin so, dass sein Gegenstand der gemeinte ist. Gegenwärtig ist
die "Reproduktion" der früheren Wahrnehmung, also eine Modifikation
derselben, in ihr lebe ich und das ist ihrem Gegenstand Zugewendetsein.
Ich kann aber auch auf die reproduzierte Wahrnehmung achten, ich
reflektiere also nicht auf die Modifikation der Wahrnehmung, die ich jetzt
habe, also nicht so, dass ich sie meine, wie ich sie jetzt erlebe, sondern dass
ich sie als Repräsentation für die Wahrnehmung auffasse.
Lebe ich im repräsentierten früheren Bewusstsein, so habe ich die
modifizierten Akte und bin deren Gegenständen zugewendet: die vergan-
genen, als vergangen charakterisierten Objekte. Ich bin aber auch "in der
Erinnerung" befähigt zur Reflexion. Die Gegenstände waren damals ge-
geben in Akten, die jetzt ebenfalls wiedervergegenwärtigt sind. Ihre
Wiedervergegenwärtigung macht ja das modifizierte Bewusstsein der
Gegenstände möglich <möglich V. für aus). Ich achte aber auf die Wieder-
vergegenwärtigung als solche, ich achte auf das Nicht-Jetzt im Jetzt, auf
das "Wahrnehmen", in dem der Gegenstand das Erinnerte ist. -
199, Anm. 2 Erg. mit Tinte am Rande 1\ 199, Anm. 3 Streichung mit
Bleist. 11 200,17 Zu Beginn dieses Absatzes Eröffnung einer eckigen Klammer
mit Bleist., vielleicht von E. Stein; am Rande E. Steins Titel Wahrnehmung
und Ich 11 200,20 nach allgemeinen gestr. Tatsache der 11 200,23 ihm er-
scheinen V. für ihn hinein werden 11200,31 statt einem im Ms. einen 1\200,42
nach Individuums gestr. (in einem vorgegebenen Augenblick) 1\200,45 Ein-
heit V. für Mannigfaltigkeit 1\201,10 nach mögliches gestr. Wenn sie reali-
siert werden sollen, muss es ein solches geben. Wir wissen, dass es Wahr-
nehmungen gibt, da wir solche wahrgenommen haben. Nach diesem gestr.
Satz schliesst die eckige Klammer mit Bleist. 11 201, Anm. 1 Rb. mit Tinte,
vermutlich von I9 0 9 1\
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 653

Beilage XV (S. 201 f.)


Der Text des BI. 30 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt keine Paginierung von H.s
Hand und auch kein Datum, dürfte aber nach Inhalt, Schrift und Papier I904
anzusetzen sein. Von E. Stein stammen folgende Aufschriften unten auf der
Vorderseite Wahrnehmung, Erinnerung, Phantasie: Mittelbarkeit - Un-
mittelbarkeit. Die Rückseite ist unbeschrieben. Keine Spuren späterer
Durchsicht.
201,21 Es ist ungewiss, worauf H.s Bezugnahme auf Reid anspielt 11201,26
nach Punkt gestr. wesentlich" 201,30 Bindestriche vom Hrsg. eingefügt I!
201,35 statt mit im Ms. wie" 202, 5 vor es gestr. oder"

Beilage XVI (S. 202-204)


Der Text des BI. 28 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt die Paginierung 1 mit
Bleist. von H.s Hand, auf Vorder- und Rückseite das Datum 1904 ebenfalls
mit Bleist. und oben rechts auf der Vorderseite ein NB (= nota bene> mit
Blaust. Daneben die nachträgliche Bemerkung meist inkorrekt mit Tinte.
Von E. Stein stammt die Aufschrift Erinnerung und Wahrnehmung.
Spätere Vberarbeitungen mit Bleist. und Tinte, Unterstreichungen auch mit
Blaust.
202, Anm. 1 V. und Rb. mit Tinte" 203,5 gelten V. für gehören 11 203,11
"damalige" V. für frühere 11 203,22 Semikolon vom Hrsg. eingefügt 11 203,
Anm. 2 Einf., V. und Rb. mit Tinte 11203, Anm. 3 Einf. mit Tinte 11203,
Anm. 4 Rb. mit Tinte. I! 203, Anm. 5 V. mit Bleist. 11 203, Anm. 6 über der
Zeile und am Rande mit Tinte 11 204, Anm. 1 Einf. und Klammern mit
Bleist. 11 204, Anm. 2 Einf. mit Bleist. I!

Beilage XVII (S. 204 f.)


Der Text des BI. 29 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt keine Paginierung und
Datierung von H.s Hand, dürfte aber nach Inhalt, Schrift und Papier auf das
Jahr I904 anzusetzen sein. Oben rechts trägt es E. Steins Aufschrift Erin-
nerung. Ausser einigen Blaust.-Unterstreichungen und einer Bleist.-Klam-
mer am Rande keine Spuren späterer Durchsicht. Die Rückseite ist unbe-
schrieben.
204,25-26 die Entzifferung der Namen ist orthographisch ungewiss 11
204,29 vor diesem Absatz im Ms. ein Querstrich mit Tinte, nicht über die
ganze Bl.-Breite I! 205,6 für Apperzipieren im Ms. App. 11205,25 nach dem
ersten Erinnern im Ms. ein Doppelpunkt 11 205,28-35 Text am Rande mit
Bleist.-Klammer zusammengefasst und fast durchgehend mit Blaust. unter-
str·1I
654 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Beila~e XVIII (5. 204 f.)


Der Text des BI. 32 aus dem Konvolut BIll I2, dem auch die Beilagen II
und VIII entstammen. Es trägt weder Paginierung noch Datierung von H.s
Hand, dürfte aber nach Schrift und Papier (Hälfte eines Foliobi.) aus den
späten neunziger Jahren stammen. Ausser wenigen Unterstreichungen mit
Blau- und Rotst. keine Spuren späterer Durchsicht.
205,40 vor C im Ms. ein Punkt 11 206,22 nach anderen gestr. zweiten H
206,26-27 Sperrung für Unterstreichung mit Rotst. 11 206,30 Anführungs-
zeichen vom Hrsg. eingfügt; H. spielt auf Raffaels Gemälde an, auf das er
auch sonst Bezug nimmt (vgl. Namenregister) 11 statt haben wir im Ms. wir
haben H 206,35 für konzeptiv im Ms. conc. 11

Beila~e XIX (S. 206 f.)


Der Text des BI. 42 aus dem Konvolut A VI I r I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt oben rechts mit Bleist. die
Paginierung 5, links E. Steins Paginierung 9 mit Bezug auf ihr Inhalts-
verzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung" , oben S. 603 ff. ). Oben rechts mit Blaust.
das Sigel1t, evtl. von E. Stein, von der auch die Hinweise vgl. S. 161; 180
mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis stammen. Ausser dem Text S. 206,40-43
keine Spuren späterer Durchsicht. Die Rückseite ist unbeschrieben.
206,40-43 wohl etwas nachträgliche Rb. mit Tinte 11 207,24 nach Traum
gestr. (natürlich modifiziertes Urteil) 11 207,25 eingelegt V. für beigelegt 11

Beila~e XX (S. 207 f.)


Der Text des BI. I07 aus dem Konvolut A VI I r II (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage Ill). Es trägt oben rechts mit Kopierst.
die Paginierung a), links E. Steins Paginierung 197 mit Bezug auf ihr In-
haltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Keine Datierung
von H.s Hand; nach dem Schriftbild zu urteilen, ist die Aufzeichnung
frühestens I909, eher aber I9I2 entstanden (vgl. Nr. 2 f) und g». Wenige
Spuren späterer Durchsicht in Form einer Rb. und Blau- und Rotst.-Unter-
streichungen. Die Rückseite ist unbeschrieben.
207, Anm. 1 wohl etwas nachträgliche Rb. mit Tinte, die nicht unmittelbar
zu diesem Text zu passen scheint. V gl. das Beispiel des Tizianschen Bildes im
Text der Beilage IX, S. I49 ff· 11

Beila~e XXI (S. 208 f.)


Der Text des BI. I08 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage III). Es trägt oben rechts mit Kopierst.
die Paginierung b) und links E. Steins Paginierung 198 mit Bezug auf ihr
Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Das Bl. weist
keine Datierung auf, es dürfte nach Inhalt und Schrift auf die zweite Hälfte
I909 anzusetzen sein. Geringe Spuren späterer Durchsicht.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 655

208,23 Titel der Beilage aufgrund einer Rb.; ist vor sel~Einf. mit
Bleist. 11208, Anm. 1 Unterstrichelung mit Blaust., Fragezeichen mit Bleist. 11
209,8 "Erscheinungsfarbe" und Erscheinungsform V. für Erinnerungs-
Farbe bzw. Erinnerungs-Form 11 nach etc. gestr. d.h. Farbe 11

Beila~e XXII (S. 209 f.)


Der ,Text des Bl. I09 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage III). Es trägt oben rechts mit Kopierst.
die Paginierung c) und mit Bleist. daneben den Vermerk gut von H.s Hand.
Bei E. Stein ist es BI. 199 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung", oben S. 603 ff.) und trägt folgenden Randtitel von ihrer Hand
Reproduktion "von" kein objektivierender Akt. Das BI. weist keine
Datierung auf, dürfte aber nach Inhalt und Schrift auf I909/IO anzusetzen
sein. Geringe Spuren späterer Durchsicht.
209,26-27 dieser Satz scheint etwas nachträglich eingefügt, vielleicht Ab-
schrift von einem nicht mehr vorhandenen BI. 11209, Anm. 1 Einf. mit Tinte 11
210,19 ein leeres Bewusstsein V. für eine leere Retention 11 210, Anm. 1
Streichung mit BIeist. 11 210, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11

Beila~e XXIII (S. 210 f.)


Der Text des BI. 89 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage III). Es trägt oben rechts mit Bleist. die
Paginierung 4 und mit Tinte die Datierung 1910 von H.s Hand. Bei E. Stein
bildet es BI. 179 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textge-
staltung", oben S. 603 ff.) und weist folgenden Randtitel auf: Originäre und
nichtoriginäre Erlebnisse; doppelte Reflexion bei den letzteren. Darunter
ihre wieder gestr. Querverweise: vgl. 57, 81, 184. Spuren späterer Durchsicht
in Form von Blau- und Rotst.-Unterstreichungen und einer Rb. mit Tinte.
210,26-27 Titel aufgrund des ersten Absatzes im Ms. 11 210,33-34 mit
Blau- und Rotst. stark angestrichener und unterstrichener Text \\ 210, Anm. 3
Rb"mit Tinte 11

Nr. 3 (S. 212-217)


Der Text der BI. I3I-I33 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Sie tragen H.s Paginierung 1',
2' und 3. Auf dem ersten BI. vermerkte H. oben rechts Abschrift; diese dürfte
nach Schritt und Papier auf I905!06 anzusetzen sein. Ein Teil der Auf-
zeichnung scheint aus etwa I909 zu stammen (vgl. oben S. 2I5,II tt.). Auf
dem ersten BI. findet sich der Randtitel Phantasie und Vergegenwärtigung
(Erinnerung) mit Blaust. Die BI. tragen E. Steins Paginierung 221-223
sowie ihre Querverweise vgl. 68, 254, 161, 231, 234 mit Bezug auf ihr In-
haltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tt.). Spätere tJber-
arbeitungen mit Tinte, Blau- und Bleist.
212,24 nach a) gestr. den vergegenwärtigenden Glauben 11212,27-213,11
656 " TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Einf. auf der rechten Bl.-Hälfte \l2U, Anm. 1 Rb. mit Tinte, wohl um I90g11
213,2 modifiziert Einf. mit Bleist., mit Tinte "nachgezogen" 11 213,6 evtl.
Einf. mit Tinte \1213,6-7 stetige bis von Einf. und V. für etwas Ausradiertes
11213,8-9 etwas bis ist V. tür etwas Ausradiertes 11213,12 Erinnerung V. tür
etwas Ausradiertes, vermutlich für Phantasie 11 213,13 die bis vergegen-
wärtigt wohl etwas nachträgliche Eint. mit Tinte 11 213,14 der bis gesetzten
Einf· mit Tinte 11 213, Anm. 1 Einf. mit Tinte, Streichung mit Blaust. 11 213,
Anm. 2 Streichung und Null mit Blaust. 11 213,27 Erh vergegenwärtigt Ei"
Einf. mit Bleist. 11214,7-12 Text am Rande mit Blaust.-Klammer zusam-
mengefasst und daneben abwärts gerichteter Pfeil ebenfalls mit Blaust. f!
214,8 statt statt im Ms. ein 11214,15-19 Es bis sind Eint. aut der rechten
BI.-Hälfte 11 214,20 ff. am Rande dieses Absatzes im Ms. ein abwärts ge-
richteter Pfeil mit Blaust. " 214,23,24,25 für Apprehension im Ms. ieweils
App. 11 214,30 blosse Einf. mit Tinte 11 214, Anm. 1 Erg. mit Tinte auf der
rechten Bl.-Hälfte; Illusion V. vermutlich für Halluzination 11 215,3 nach
erscheinend im Ms. ein Anjührungszeichen 11215,4 im Ms. unter dem letzten
Absatz die wieder ausradierte Bemerkung mit Bleist. Glaube "in" der Phan-
tasie? Aufgrund ! Und da haben wir ein komplizierteres Phänomen. 11215,7
für Apprehension im Ms. App. 11215,17 zwar V. für damit 11 215, Anm. 1
Einf. mit Tinte, wohl um Ig09 11 216,8 transiente Einf. mit Tinte; Klam-
mern vom Hrsg. eingefügt 11 216,15 statt ihrem im Ms. seinem 11 216,18
Ereignisse V. tür Erscheinungen 11 216,19-20 oder bis Erinnerungsreihe
Eint. mit Tinte 11 216,30-34 Es bis Intention am Rande mit einer Bleist.-
Klammer zusammengetasst 11 216, Anm. 1 Einf. mit Blaust. 11 216, Anm. 2
Eint. mit Bleist. 11 217,3 nach Blosse gestr. ruhende 11 217,20-25 die letzten
beiden Absätze stehen im Ms. aut der Rückseite von BI. I33, das noch folgen-
den Text aus anderem Zusammenhang trägt: Klärung einer Meinung als
eines Sinnes, Klärung des Sinnes von "Ding", von "Eigenschaft",
Relation u. dgl. Diese Klärung, die nicht ohne weiteres Wesensanalyse von
Ding überhaupt ist, Zergliederung eines Wesens, sondern eben Klärung
des "Sinnes von". - Die Phänomenologie hat verschiedene Bedeutungen,
diese Bedeutungsanalyse, diese Aufklärung des Sinnes ist etwas Eigenes.
Wir wollen, sagte ich, immer den Sinn von Ding, von Wahrnehmung, von
Urteil etc. zur letzten Klarheit bringen. 11 217,21 nach etwas gestr. ent-
weder 11217, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11217, Anm. 2 Eint. mit Bleist. 11

Nr. 4 (5. 218-228)


Der Text der BI. I45-I50 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Die BI.tragenH.s Paginierung
mit Blaust. 1-5; BI. I46 enthält die Abschrift des Passus 1b (= Rückseite
von BI. I45> unten (vgl. S. ZI9, Anm. I); es trägt auch die Bleist.-Paginie-
rung Ib. Die BI. tragen ferner E. Steins Paginierung 234-239 mit Bezug auf
ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tt.); auf BI. 234
stehen auch ihre Querverweise vgl. 161, 221, 231. Neben der tJberschrift
Glaube als Impression notierte H. (dritte bzw. vierte Ausarbeitungl) und
das Datum 11. Oktober 1908. Darunter bemerkte er, schon zur Zeit der
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 657
Niederschrift des Textes: Wich tigste Klärungen I In derHauptsache
sicher richtig. Leitfaden für alle früheren Ansätze und fur die Auswahl des
in ihnen noch Wertvollen. Mit Blaust. vermerkteH. am Rande des ersten BI.
gelesen gut 1910. Der Text ist stark mit Tinte, Blei- und Blaust. über-
arbeitet.
218,10 dass V. für etwas Ausradiertes /I nach als ein Wort ausradiert, nur
noch die Anführungszeichen sichtbar 11 218,23 statt und im Ms. zu oder
zwischen /I 218,25 zu Beginn des Absatzes gestr. 1) 11218, Anm. 1 Rb. mit
Blaust. mit Bezug auf p. 3, d.i. S. 222, Zeile 2I f/. " 218, Anm. 2 Rb. mit
Tinte /1219,12 annehme, dass V. für etwas Ausradiertes /1219,19 nach dort
wieder gestr. Einf. mit Tinte auch 11 219,27-28 ohne bis Modus Einf. mit
Tinte" 219,34--37 der Text dieses Absatzes am Rande mit Blaust. doppelt
angestr. 11 219, Anm. 1 V. mit Tinte. Die oben S. 220 in der Anm. wieder-
gegebene Abschrift steht auf der Rückseite einer Drucksache mit dem Datum
24. Juni I909; blass der Passus Die zwei Ansichten: Glaube als ein eigenes,
abtrennbares Moment, Glaube als ein Modus steht auf der Vorderseite. Die
nachträglichen Veränderungen in der Abschrift wurden ebenfalls mit Tinte
ausgeführt. Der Text des ursprünglich eingefügten Passus auf der Rückseite
des ersten BI. lautet: Glaube ist nicht ein eigenes Gefühl, ein eigenes
Phänomen, das zu einer biossen Vorstellung (Erscheinung, Auffassung,
Gedanken) als einem zweiten Phänomen dazutritt (schon in den Logischen
Untersuchungen), und das konkrete ganze Phänomen ist nicht doppelt
modifizierbar. Vielmehr, unter den impressionalen Erlebnissen, die wir
objektivierende Akte nennen, tritt ein Phänomen (eine Klasse) auf, das
wir Glaubensphänomen nennen: nicht schlechthin objektivierende Akte.
Nicht jede Objektivation, wenn sie wirkliche Objektivation, also Impres-
sion ist, ist Glaube (Bild, illusionäre Phänomene, Neigung, Voraus-
setzung). Objektivierend setzendes (Gewissheits-) Phänomen. Scheidung
von Glaubensqualität und Was, Materie (Auffassungsgehalt). Die Materie
aber nur ein abstraktes Wesen. Die Qualität zu ändern in Neigung,
Zweifel, e"tc. Das sind aber lauter Impressionen. " 220,8-10 Klammern
etwas nachträglich, mit Tinte eingefügt, irrtümlich vor statt nach bzw. \I 220,
Anm. 1 Anstrichelung und Rb. mit Bleist. 11 221,8 nach Nun etwas Ausra-
diertes \1221,9 nach Nämlich gestr. im Sinn der obigen, komplexen Ansicht \I
221,15-20 der Text dieses Absatzes scheint etwas nachträglich eingefügt "
221, Anm. 1 Eint. mit Bleist. " 221, Anm. 2 und 3 Eint. mit Tinte \I 221,
Anm. 4 Einf. mit Bleist. 11 221, Anm. 5 Ein/. mit Tinte 11 221, Anm. 6
A nstrichelung mit Bleist. 11. 222, 12 impressionale V. für etwas Ausradiertes"
nach erfahren gestr. die modal charakterisiert ist als, ich meine eine un-
modifizierte, eine impressionale Auffassung 11 222,21 bei diesem Absatz
beginnt Bi. I48 (Bl. 3 von H.s Originalpaginierung),' es trägt oben rechts
E. Steins Randtitel Wahrnehmungsauffassung im Widerstreit mit andern
(Bildbewusstsein) und ihre Querverweise vgl. 19,50,75, 1540>,177,295,
A mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis /1222,30 statt in im Ms. im 11222,34-
223,7 Text am Rande mit einer Blaust.-Klammer zusammengefasst 11 222,
Anm. 1 und 2 Einf. mit Tinte 11 222, Anm. 3 Rb. mit Bleist. 11 222, Anm. 4
Einf. mit Tinte 11 223,21-24 Wir bis nennen am Rande mit einer Tinten-
658 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Klammer zusammengefasst 11 223,25 ff. neben diesem Absatz E. Steins


Randtitel Mittelbare Auffassungen; Erinnerung als fundierte impressionale
Auffassung 11 223, Anm. 1 und 2 Einf. mit Tinte 11 223, Anm. 3 Einf. mit
Bleist. 11223, Anm. 4 Rb. mit Bleist.; vor phantasiemässig gestr. rein; Ver-
weis auf die Rückseite des vierten BI. 4 2 11223, Anm. 5 und 6 Einf. mit Tinte 11
223, Anm. 7 Rb. mit Tinte; Streichung mit Bleist.; in der Rb. nach können
gestr. das geht schon aus der Modifikation hervor !I 223, Anm. 8 Eint. mit
Tinte 11224,4-5 Zwischentitel aufgrund einer Rb. mit Tinte 11224,6-13 Wenn
bis Art? am Rande mit Blaust.-Klammer zusammengefasst 11 224,6 nach
auftauchen etwas Ausradiertes und gestr. wohl "Empfindungen" 11 224,10
jene Phantasievorstellungen V. für sie 11224, Anm. 1 und 2 Rb. mit Bleist. 11
224, Anm. 3 Rb. mit Tinte 11225, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11225, Anm. 2 Einf.
mit Tinte 11225, Anm. 3 und 4 Rb. mit Tinte 11225, Anm. 5 Rb. mit Tinte; im
Wort Phantasie-Phänomen ist Phantasie V. für etwas Ausradiertes; wohl
für gemischten 11 226,17 über impressionale Akte mit Bleist. wieder gestr.
Eint. mit Tinte und zwar Glaubensakte 11226,19 eine Eint. mit Tinte 11226,
Anm. 1 Einf. mit Tinte 11 226, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11 226, Anm. 3-7 aUe
Bearbeitungen mit Bleist. 11 226, Anm. 8 Einf. mit Tinte 11 226, Anm. 9 Einf.
mit Bleist. 11226, Anm. 10 V. und Rb. mit Bleist. 11227,10 bei diesem Absatz
E. Steins Randtitel Glaube als ungehemmte Objektivation 11 227,20 auf
der Höhe dieser Zeile im Ms. wieder ausradierte Rb. mit Bleist. Statt Auf-
fassung besser Intention, intentionale Modi 11 227,26 Erscheinung V. für
Auffassung 11 227, Anm. 1 und 2 V. mit Bleist. 11 227, Anm. 3 Eint. mit
Tinte 11 227, Anm. 4 V. mit Tinte 11 227, Anm. 5 Einf. mit Bleist. 11 227,
Anm. 6 Anstrichelung und Rb. mit Bleist. 11 228,4-26 evtl. etwas nach-
träglich eingefügter Text 11 228,4-16 eckige Klammern zu Beginn und am
Ende des Absatzes mit Bleist. 11 228,11 nach ist gestr. (und zwar intuitiven
Wesen) 11228,18 Anführungszeichen mit Blaust. 11 228,20 <anderen Objek-
tivationen> Konjektur aufgrund von Unterführungszeichen im Ms. 11 228,
Anm. 1 Klammer und Rb. mit Bleist. 11

Nr. 5 (S. 229-233)


Der Text der BI. 42-44 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Sie tragen die Bleist.-Pagi-
nierung --6, -7, -8 von H.s Hand sowie 160-162 von E. Stein mit Bezug auf
ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Teile des
Textes von Bl. 42 hat E. Stein in ihre Ausarbeitung des "Zeitbewusstseins"
aufgenommen; es finden sich am Rande von BI. 42 ihre Sigel G12 bis G17;
vgl. Husserliana X, S. I03,43 bis S. I04,45 (cf. oben "Zur Textgestaltung",
S. 598 f.). Die BI. tragen keine Datierung, sie dürften aufgrund inhaltlicher
Kriterien sowie nach dem Schriftbild zu urteilen aut das Jahr I909 anzuset-
zen sein; evtl. aut I9IO. Ein im Konvolut voranliegendes BI. -5 (BI. 4I der
Archivpaginierung) wird als Beilage XXVII, S. 237 t. wiedergegeben. Der
Text der Nr. 5 weist einige Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte und
Blaust. auto
229,6 ff. neben diesem Absatz E. Steins Randtitel Erinnerung, Phan-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 659
tasieapparenz und Glaubenscharakter 11 229,7 unmodifiziertes---Einj. mit
Tinte //229,18 Phantasie V. für etwas Ausradiertes 11229,21-22 Ebenso bis
erinnere Ein/. mit Tinte 11 229,27-28 die Materie bis ausmachende Ein/.
mit Tinte II 230,39 statt bezieht ~m Ms. besteht \\ 231,9 neben dem letzten
Satz im Ms. in umgekehrter Richtung stehender, gestrichener Text Es heisst
nun vorsichtig sein. Wir nehmen jetzt nämlich die Modalitäten der
"Stellungnahme" hinzu 11 bei Aber beginnt BI. 43; rechts oben E. Steins
Randtitel Motivation des modalen Charakters; Phantasien als "Empfin-
dungen", Erinnerungen an Wahrnehmungen und Phantasie. Darunter
ihre Querverweise vgl. S. 9, 180, 221, 231, 234 mit Bezug auf ihr Inhalts-
verzeichnis 11 231,14 Anführungszeichen vom Hrsg. eingefügt 11 231,28 statt
Doppelpunkt im Ms. ein Punkt 11 232,30 statt Doppelpunkt im Ms. ein
Punkt /1232,32 Fragezeichen statt Punkt vom Hrsg. 1I 233, 10 etwa die Hälfte
der Vorderseite von BI. 44 sowie die Rückseite unbeschrieben"

Beilage XXIV (S. 233-235)


Der Text des BI. 60 aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt die Bleist.-Paginierung 12
über vermutlich y von H.s Hand sowie 251 von E. Stein mit Bezug auf ihr
Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.); darunter ihre
Querverweise vgl. S. 13, 154, 157, 165,207, 310. Ganz oben E. Steins Titel
Die Apparenz als das identische Wesen verschiedener Erscheinungsweisen.
Das BI. ist undatiert, dürfte aber nach Schritt und Tinte zu urteilen aut I908
anzusetzen sein. Spuren späterer tJberarbeitung mit Tinte, Blei- und Blaust.
233,19-21 Das bis anschliesst scheint etwas nachträglich eingetügt /I 233,
Anm. 1 Streichung mit Blaust. l\ 233, Anm. 2 Eint. mit Bleist. l\ 233, Anm. 3
wohl gleichzeitige Rb. mit Tinte " 233, Anm. 4 Streichung und Eint. mit
Tinte 11 233, Anm. 5 V. mit Tinte" 234,7-8 vergegenwärtigenden bis ist
wohl gleichzeitige Ein/. mit Tinte" 234,10 Erscheinungen und gleichzeitige
Eint. mit Tinte" 234,22 Klammer vom Hrsg. geschlossen /1234,27 Klammer
vom Hrsg. geschlossen /1 234, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 234, Anm. 2 bis 4
Eint. mit Tinte /I 234, Anm. 5 Rb. mit Blaust. " 234, Anm. 6 Eint. mit
Tinte 11234, Anm. 7 Einf. mit Bleist. /1235,7 nach solches gestr. als Wesen"
235, Anm. 1 Eint. mit Tinte 11

Beilage XXV (S. 235 f.)


Der Text des BI. IZ3 au~dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Oben rechts H.s Bemerkung EH
{= Edmund Husserl> vor 1900. Abschrift, etwas umgeschrieben. Und
schliesslich in freie Modifikation übergehend. Nach Schriftbild sowie
Problemstand zu urteilen dürtte die Abschritt um I909 entstanden sein.
Geringe Blau- und Bleist.-spuren späterer Durchsicht.
236,22 Fragezeichen mit Bleist. eingefügt /I 236, Anm. 1 und 2 Eint. mit
Bleist. H
660 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Bena~e XXVI (S. 236 f.)


Der Text der Rückseite von BI. 5I aus dem Ms. B IV I, das auf der Vorder-
seite und einem Teil der Rückseite einen Text aus völlig anderem Zusammen-
hang und viel späteren Datums trägt. Der von H. mit Noten: Problemata
überschriebene, in der Beilage abgedruckte Text dürfte um I909 entstanden
sein. Das BI. trägt E. Steins Paginierung 151 über a) mit Bezug aul ihr
Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 fl.); ferner ihren
Titel Immanente - transzendente, sinnliche - nichtsinnliche, perzeptive -
imaginative Anschauungen. Der Text wurde später mit Rotst. kreuzweise
gestr., wohl zum Zeichen, dass er nicht in den Zusammenhang des anderen,
späteren Textes gehört; ansonsten keine Spuren der Bearbeitung.
237,2 statt sei im Ms. eine 11

Bena~e XXVII (S. 237 f.)


Der Text des BI. 4I aus dem Konvolut A VI I r 11 (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage III). Es trägt H.s Paginierung -5
mit Bleist., darunter den Bleist.- Vermerk bedenkliches Blatt. In E. Steins
Paginierung ist es BI. 159 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung", oben S. 603 ff.) und trägt ihren Randtitel Phantasie und
Glaubensmodus. Das BI. ist undatiert, dürlte aber nach Inhalt und Schrilt
auf I909 oder I9IO anzusetzen sein. Der Text S. 237,I6 bis S. 238,2 steht im
Ms. auf der Rückseite; er ist, ebenso wie der Text von S. 238,3-5, der den
Anfang der Vorderseite bildet, mit Tinte kreuzweise gestrichen. Der nicht-
gestrichene Text weist Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte, Blau- und
Bleist. auf.
237,22 "Phantasie-Erscheinung" V. für Erscheinung 11 237,26 Nun
bedenken wir: wohl etwas nachträglich eingefügt 11237,31 nach Empfindun-
gen im Ms. ein Doppelpunkt 11237, Anm. 1 Streichung mit Tinte 11238,3-5
neben diesem kreuzweise gestr. Text noch ein Fragezeichen mit Bleist. 11
238,14-16 neben Vor allem bis glauben? ein Fragezeichen mit Bleist. 11
238,17 die Modifikation Einf. mit Tinte über der Zeile; genau der Modifika-
tion, so dass zu lesen wäre im Sinn der Modifikation einer impressionalen
"Erscheinung" haben ... 11 238, Anm. 1 Einl. mit Tinte 11 238, Anm. 2
Rb. mit Tinte 11238, Anm. 3 Streichung mit Tinte 11238, Anm. 4 Rb. Mit
Bleist.

Beila~e XXVIII (S. 238-240)


Der Text der BI. 80 und 8I aus dem Konvolut A VI I r 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Sie tragen die Bleist.-Pagi-
nierungen 7 und 8 von H.s Hand sowie 177q und 177r von E. Stein mit
Bezug aul ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff·)·
Auf BI. 80 notierte H. mit Blaust. Sehr wichtig. Leider nicht zu einem
abgeschlossenen Resultat führend. Das Bl. trägt E. Steins Titel Bild-
apparenz mit und ohne Widerstreit zu der neuen Umgebung, wobei das
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 661

Wort Bildapparenz von H. stammt. Die BI. sind undatiert; nack-dezSchrift


zu urteilen dürften sie auf I9I2 oder etwas später anzusetzen sein. Spuren
späterer Bearbeitung mit Tinte, Blau- und Bleist.
238,34 Diese V. für Die 11 239,14 Aber Einf. mit Bleist. 11 239,17 nach
Apparenz im Ms. Anführungszeichen [1239,19-20 des bis Empfundenen im
Ms. mit Kommas abgetrennt 11239,27 vor was im Ms. noch ein das 11239,35
Komma nach Apparenz vom Hrsff'. einff'e/üff't 1/239, Anm. 1 Ein/. mit Bleist. 11
239, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11240,2 statt ihr im Ms. sie 11 240,3 Auch Ein/.
mit Bleist. 11 240,17 Zwischentitel aufgrund von H.s Titel mit Blaust. zu
Beginn von BI. BI !I 240,30 Ende der Aufzeichnung; auf der Rückseite von
BI. BI, das ein abgeschnittener Teil vom Normalformat ist, steht folgender
durchgestrichener Text aus anderem Zusammenhang: <... > die Gesamt-
setzung aufhebt (annulliert). -
Aber die letzten Elemente Erinnerungen? Ich nehme irgendein
Phantasma, nehme heraus die Qualität rot: Das ist keine Erinnerung, da
dieses Rot ja in unzähligen Situationen gegeben war und keine bevorzugt
ist und sein kann, da jede jede andere aufhebt, es sei denn, dass vom Jetzt
aus irgendwe1che Tendenzen eine Linie auszeichnen.(?) Farbe ist pure
Phantasie, aber gar nicht mit Widerstreit behaftet etc. Nichts von
Glaubensaufhebung zu konstatieren. Ist die ganze Theorie nicht eine
Konstruktion? Wir haben Empfindungen, wir haben "freie" Phantasmen,
wir haben Phantasmen in Erinnerungen, wir finden da die Phantasmen
als Darstellungen von Gewesenheiten oder von Nicht-empfunden-Sein.
Man müsste etwa sagen: ja wohl, "das Rot war in unzähligen Situatio-
nen gegeben und keine ist bevorzugt, da jede jede andere aufhebt", aber
gerade darum handelt es sich. Aufhebung der Intentionen. Aber nun
wieder~ 11240, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11240, Anm. 2 und 3 Rb. bzw. Ein/.
mit Tinte 11

Nr. 6 (5. 241-248)


Der Text der Bl. 90-93 aus dem Konvolut A VI I r 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Die BI. sind von H.s Hand
mit Blaust. von 1-4 paginiert und tragen das Datum 1909 au/ dem ersten
BI. sowie die tJberschrift Erinnerung und Phantasie ebenfalls mit Blaust.
Am Rande des ersten BI. mit Blaust. ein grosses NB <= nota bene>, darunter
mit Bleist. die Notiz gut. Aporien 1)-4), es fehlt nur der Abschluss. In
E. Steins Paginierung sind es die BI. 180-183, aut 180 finden sich ihre
Querweise vgl. S. 9,161 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Die BI. wurden mit Tinte, Blau- und Bleist.
überarbeitet.
241,13 nach klar: gestr. Wir haben nicht überall eine Erscheinung
(Empfindung so und so aufgefasst) gegeben und 11 241,27 eine Eint. mit
Blaust. 11241, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11242,9-15 Text am Rande mit einer
Blaust.-Klammer zusammengefasst 11 242,10 statt verwandeln im Ms.
betreffen 11242,16 ff. am Rande dieses Absatzes ein NB (= nota bene> und
ein abwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11242,22 nach Fall im Ms. ein Dop-
'662 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

pelpunkt 11 242,29 nach Modifikation? gestr. Dabei sei Erinnerung ein


impressionaler Charakter 11 242,30-32 am Rande stark mit Blaust. angestr.
Text 11242,33 Zwischentitel aufgrund einer Rb. mit Blaust. 11243,3 Zwischen-
titel autgrund einer Rb. mit Blaust.; vor dem Absatz noch Blaust.-Einf. 2) 11
243,21 nach Frage Schliessung einer Klammer, die nicht geötfnet wurde 11
243,22 Zwischentitel aufgrund einer Rb. mit Blaust. 11 243,26 am Rande
dieses Absatzes ein abwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11 243, Anm. 1 Rb.
mit Blaust. 11 244,2 und 3 die Ziffern 1) und 2) Ein/. mit Blaust. 11 244,3
Anführungszeichen mit Blaust. 11 244,22 statt sind im Ms. ist 11 244,29 jede
Impression Einf. über der Zeile; Klammern vom Hrsg. eingefügt 1/ 245,1 zu
Beginn des Absatzes Blaust.-Eint. 4) 11245,10 Zwischentitel aufgrund einer
Rb. mit Blaust. 11 245,12 Doppelpunkt nach zwar Eint. mit Blaust. 11 245,13
Gedankenstrich anstelle eines senkrechten Trennungsstriches mit Blaust. 11
245,16 und 29 zuerst runde Klammern mit Bleist.; darüber eckige Klammern
mit Blaust. 11 245,19-20 vor bis Körper Einf. mit Tinte 11 245,20 und 23 a)
und b) Ein/. mit Blaust. 11 245,35 Fragezeichen V. mit Blaust. für Punkt 11
Klammer Einf. mit Blaust. 11 245, Anm. 1 Eint. und Rb. mit Bleist. 11 249,4
Klammer Eint. mit Blaust. 11246,7 nach Vorstellung gestr. (reine Trugvor-
stellung) 11246,8 und 9 die Zittern 1) und 2) mit Blaust. nachgezogen 11246,14
und 19 Klammern Eint. mit Blaust. 11 246,20. Wie steht es mit der Durch-
führbarkeit V. für etwas Ausradiertes 11246,21 also V. für etwas Ausradier-
tes 1/246,23 nach hoben gestr. das Bild auf. Die 11246, Anm. 1 V. mit Bleist. 11
247,9 im Ms. zweimal ein, dazwischen ein gestr. bloss 11 247,18 unter dem
Absatz im Ms. mit Blaust. ein über die ganze Breite lautender Querstrich 11
247,22 Ist auch hier V. tür etwas Ausradiertes 11 nach Nichtsetzung gestr.
sicherlich 11247,23 Oder soll man sagen Einf. mit Tinte über der Zeile 11247,
Anm. 1 V. mit Blaust. 11247, Anm. 2 Rb. mit Blaust. 11 247, Anm. 3 Rb. mit
Bleist. 11 247, Anm. 4 Eint. mit Tinte 11 247, Anm. 5 Rb. mit Bleist. 11 248,1
nach ungelöst. gestr. Oder sollen wir sagen: Wenn wir eine Bildvorstellung
haben, so weist sie auf eine entsprechende "Erinnerung" hin, in der sie
sich erfüllt. Ist diese eine ungebrochene Erinnerung 11 248,7 nach entstehen
gestr. oder selbst etwas in der Natur dieser Vorstellungen <Vorstellungen
verändert in Erscheinungen) Gründendes oder 11 248,12 nach dann gestr.
neben Wahrnehmungen 11 248,13 von Wahrnehmungen Eint. über der
Zeile 11 248,17 Porträterscheinung V. für etwas Ausradiertes 11 248, Anm. 1
Eint. mit Bleist. 11 248, Anm. 2 Eint. mit Bleist.; im Text: An der puren
Phantasie V. tür In der puren Phantasie und An ihr selbst V. tür In ihr
selbst 11

Nr. 7 (S. 249-262)


Der Text der BI. 94, 95 und 98-I02 aus dem Konvolut A VI II Il (vgl.
dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Sie tragen H.s
Blaust.-Paginierung 1-7; die BI. 5, 6 und 7 waren zuerst mit Bleist. mit 4, 5
und 6 paginiert; BI. 1 war ebentalls zuerst mit Bleist. als BI. 1 paginiert; es
wäre möglich, dass die BI. 2-4 einen Einschub bilden, der BI. 2 und 3 einer
ursprünglichen Paginierung zu ersetzen gedacht war. Die BI. 96 und 97 der
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 663

Archivpaginierung bilden eine Beilage, die als Beilage XXI)( abgedruckt


wird (S. 262 f.). Die Bl. der Nr. 7 sind von E. Stein mit 184, 185 und 188-
192, die beiden BI. der Beilage mit 186 und 187 paginiert; Bl. 184 trägt ihre
Querverweise 57, 81, 171, 79 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung" , oben S. 603 ff.). Ebenfalls auf Bl. 184 ihrer Paginierung
findet sich E. Steins Titel Wahrnehmung, Erinnerung, Phantasie. Unter-
schiede in den Zusammenhangsintentionen und im Setzungscharakter. Die
BI. sind undatiert, nach Inhalt und Schrift dürften sie auf das Jahr I909
anzusetzen sein; die kritisch zum Text Stellung nehmende Beilage steht auf
einer Drucksache mit dem Datum ZI. Februar I9IO. Teile der Aufzeichnung,
unter Verwendung der Beilage, hat E.'Stein in ihre Ausarbeitung des "Zeit-
bewusstseins" eingearbeitet, nämlich Teile der BI. 96, 97, IOO und IOI, auf
denen sich ihre Sigel G 17 bis G28 finden (vgl. Husserliana X, S. I04.46-
r05,4I und I05,4Z-I07,I3); cf. dazu oben "Zur Textgestaltung" , S. 598 f. Die
BI. tragen Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte, Blei-, Blau- und Rotst.
249,20 Doppelpunkt vom Hrsg. eingefügt 11 249,21 Semikolon vom Hrsg.
eingefügt !I 249,23 Gedankenstrich vom Hrsg. eingefügt 11 249, Anm. 1 Ein/.
mit Bleist. 11 250,23-251,4 der Text dieses Absatzes, der z.T. am Rande
zusammengedrängt ist, stammt evtl. teils vom ursprünglichen BI. 2, das
ersetzt worden zu sein scheint 11 251,9 vor keine noch ein ist 11251,19 welche
bis nannte evtl. etwas nachträglich eingefügt 11 251,23-24 Die bis sind V. für
Sehen wir davon ab, dass die Wahrnehmung aus Empfindungskomplexen
besteht, die Träger nicht nur mit Intentionen behaftet sind, die 11 251,
Anm. 1 und 2 Rb. mit Blaust. 11 252,15-16 Klammern Einf. mit Blaust. 11
252,25 Erinnerungen V. für erinnerte 11252,27 nach Erinnerungen im Ms.
ein Punkt; hiermit endet die Rückseite von BI. 2; der Beginn von BI. 3: voll
und ganz genommen '" scheint hier aber bruchlos anzuschliessen Ir 252,
Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11253,8 sein V. für etwas Ausradiertes 11253,21-26
vor Im Einf. einer Keilklammer mit Rotst. und Text am Rande rot angestr. 11
253, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 253, Anm. 2 Rb. mit Tinte; im Text: diese
ist Einf. mit Bleist. 11253, Anm. 3 Eint. mit Bleist. 11 253, Anm. 4 Einf. mit
Blaust. 11254,1 Komma vom Hrsg. eingefügt 11254,10 nach ein gestr. Bajazzo
11 254,11 Maskenzug V. für Wagen 11 254,21-22 Setzungsmodus bis An-
setzung!! evtZ. etwas nachträgliche Ein/. 11 254,24 Entzifferung von Goethe
nicht gewiss 11254,30 Anführungszeichen mit Bleist. 11254, Anm. 1 Rb. mit
Tinte 11254, Anm. 2 Rb. mit Tinte, von H. selbst zu Friedrichstrasse im Text
zugeordnet 11255,17 und Wegarten Eint. mit Tinte über der Zeile; Klammern
vom Hrsg. eingefügt 11 255,21 Komma von Hrsg. eingetügt 11 255, Anm. 1
Rb. mit Tinte, von H. selbst dem Text zugeordnet 11 255, Anm. 2 Eint. mit
Blaust. 11256,19 S. 249 f. für H.s Verweis mit Blaust. p. 1 <= pagina I) 11
256,19-22 Text am Rande mit Rotst. dreimal angestr., daneben ein grosses
NB <= nota bene) mit Blaust. 11 256,24 Also Ein/. mit Bleist. 11 256,24-25
Klammern Eint. mit Bleist. 11 256,27-28 Zunächst haben wir etwas nach-
trägliche Einf. mit Tinte 11 256, Anm. 1 und 2 Rb. mit Tinte 11 256, Anm. 3
V. mit Bleist. 11 256, Anm. 4 Eint. mit Bleist. 11 257,12 Klammer vom Hrsg.
geschlossen 11 257,13 beim Absatzbeginn gestr. 3) 11 257,30 vor Diese gestr.
Andererseits 11 257, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 258,11 und 13 im Ms. eckige
664 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Klammern fr 258,12 nach Intentionen gestr. sozusagen aufgehobene,


nichtige 11 258,14 Erfahrungsintentionen mit Bleist. evtl. kritisch unter-
strichen tl 258,20 bei Ich sagte oben beginnt BI. 101; oben rechts mit Bleist.
H.s Vermerk NB <= nota bene> gut, darunter mit Rotst. ein abwärts ge-
richteter Pfeil 11 258,21 nach nur gestr. zeitlich-intentionale Zusammen-
hänge 11 258,28 Anführungszeichen mit Blaust. 11 258,34-259,2 Das bis
entgegen am Rande stark mit Blaust. angestr. Text 11 259,14 es bis Impres-
sion stark mit Rot- und Blaust. unterstr. " 259,27 Anführungszeichen mit
Rotst. "259, Anm. 1 Klammern und Hinweis mit Bleist. "259, Anm. 2 Rb.
mit Tinte; im Text: nach dass gestr. er sich konstituiert" 259, Anm. 3
Streichung mit Bleist. " 259, Anm. 4 Einf. mit Tinte" 260,3 des betreffen-
den Momentes Einf. mit Tinte über der Zeile" 260,12 bei Der beginnt BI.
IOZ; Schliessung der Klammer durch den Hrsg. " 260,15 nach Dingwahr-
nehmung gestr. (an transienten Komplexion" 260,17 von der Art V. für
etwas Ausradiertes" 260,35 und 261,8 eckige Blaust.-Klammern über runden
Tinten-Klammern" 260, Anm. 1 Rb. mit Bleist. über eine ausradierte und
nicht mehr rekonstruierbare andere Rb. mit Bleist. "261,15-24 neben Die bis
fordert am Rande eine Null mit Bleist. "261,20 statt gerade im Ms. geraden
11261, Anm. 1 von H. zugeordnete Einf. mit Tinte am Rande 11 262,1-4 evtl.
etwas nachträglich beigefügter Text 11 262,4 nach Glaubensmodus gestr.
Übrigens scheint sich doch herauszustellen 11262, Anm. 1 Einf. mit Bleist.,
ab Da die Akte bis ans Ende der Einf. mit Tinte "nachgezogener" Text;
biossen nach objektivierenden in der Tintenschrift eingefügt"

Beilage XXIX (S. 262 f.)


Der Text der BI. 96 und 97 aus dem Konvolut A VI II II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111), die eine Beilage, mit Blaust.
als ßl und ß2 paginiert, zum Text Nr. 7 bilden (vgl. die Textkritischen An-
merkungen zu Nr. 7). Oben rechts auf BI. 96 H.s Bleist.- Vermerk wichtig.
Zahlreiche Unterstreichungen mit Blau- und Rotst.
262,19 und 20 nach erinnerbar im Ms. Klammer geschlossen, nach gege-
ben noch einmal 11 263,15-19 Text am Rande stark mit Blaust. angestr. 11
263,20-23 Text mit Blaust.-Klammer am Rande zusammengefasst 11 263,
30-34 der Text dieses Absatzes dürfte etwas nachträglich eingefügt worden
sein 11

Beilage XXX (S. 263 f.)


Der Text des BI. I03 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Es trägt oben rechts H.s Paginierung
8 und darunter die als Titel der Beilage wiedergegebene tJberschrift. Bei
E. Stein weist es die Paginierung 193 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis
auf (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Die Datierung stützt sich auf
das Schriftbild; evtl. entstand die Aufzeichnung etwas später. Neben einigen
Blaust.-Unterstreichungen keine Spuren späterer Durchsicht; die Rückseite
ist unbeschrieben.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 665
263,37 und von sinnlichen Gestalten Einf. mit Bleist., von E. Stein mit
Tinte nachgezogen 11263,42 ff. neben diesem Absatz E. Steins R~ Dann ist
die Tongestalt erinnert, aber nicht die Höhenlage 11

Nr.8 (S. 265-269)


Der Text der BI. 39 und 40 aus dem Ms. F I 7. Auf dem Gesamtumschlag
dieses Ms. (I + 74) finden sich u.a. folgende Aufschriften II. Teil der
Einführung in die Phänomenologie der Erkenntnis, Vorlesungen 1909. Ad
282 (63/117) speziell Wahruehmung <mit Bezug auf E. Steins Inhaltsver-
zeichnis; vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Die BI. 4I-5I dieses Ms.
sind als Nr. 39 in Husserliana X veröffentlicht. Die der Nr. 8 zugrunde liegen-
. den BI. 39 und 40 tragen H.s Paginierung mit Bleist. 1 und 2 sowie den
Vermerk Abschrift und Verbesserung oben rechts auf Bl. 1 mit Bleist.
Darunter ein grosses NB <= nota bene) mit Blaust. In E. Steins Paginierung
handelt es sich um die BI. 152 und 153; auf BI. 152 lindet sich ihr Randtitel
Phantasie und Wahrnehmung, Empfindungsinhalt und Phantasma; dar-
unter ihre Querverweise vgl. 10, 157, 299, A (68, 98, 107, 115) mit Bezug auf
ihr Inhaltsverzeichnis. Aus inhaltlichen Gründen (vgl. Einleitung des Hrsg.,
S. LXf.) dürfte die Aufzeichnung im Sommer oder Herbst I909 entstanden
sein. Spätere Vberarbeitungen mit Tinte, Blau- und Bleist.
266,8 Meinung Einf. mit Tinte über der Zeile; Klammern vom Hrsg.
eingefügt 11266,10 mir gegenüber Einf. mit Tinte über der Zeile; Klammern
vom Hrsg. eingefügt 11 266,16-17 als Gegenstand Einf. mit Tinte über der
Zeile, genau: als Gegen-stand 11 266,25 das Bewusstsein Einf. mit Tinte
über der Zeile 11266,26-28 Dieses bis unmodifiziertes V. für Diese Auffas-
sung und das Ganze der Erscheinung ist wieder eine impressionale, eine
unmodifizierte. Und es ist Wahrnehmungsauffassung. 11266,30-31 das bis
Wahrnehmungserscheinung V. für die Wahrnehmungserscheinung 11
266,32 z.B. Einf. mit Tinte über der Zeile 11 266, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11
266, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11266, Anm. 3 Anführungszeichen und Einf. mit
Bleist. 11266,33-267,1 im eigentlichen Sinn Einf. mit Tinte über der Zeile 11
267,8-9 Anführungszeichen Einf. mit Bleist., im Ms. "wirklich "objekti-
vierende" Ii 267,12 statt allem im Ms. allen 11 267,20 für bis Farbe vom
Hrsg. aufgrund von Unterführungszeichen im Ms. eingefügt 11 267,22 nach
bewusst gestr. und gegeben 11267, Anm. 1 Einf. und Klammern mit Bleist. I1
267, Anm. 2 V. und Erg. mit Tinte; Streichung mit Blei- und Blaust. 11267,
Anm.3-5 V. bzw. Einf. mit Bleist. 11268,22 statt es beide Male im Ms. sie 11
268,24 ein Phantasma Einf. mit Tinte über der Zeile; Klammern vom Hrsg.
eingefügt 11 268,36 statt verblasstes im Ms. verblassenes 11 268, Anm. 1
Einf. mit Tinte über der Zeile 11 268, Anm. 2 V. mit Bleist. 11 269,9 Blosse
Einf. über der Zeile 11269,18 nach Phantasie gestr. im gewöhnlichen Sinn 11
269, Anm. 1 Durchstreichung mit Bleist., Deleaturzeichen sowie eckige
Klammer zu Beginn des Absatzes mit Tinte 11
666 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Nr. 9 (S. 270-275)


Der Text der Bl. I04-I06 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Sie tragen H.s Paginierung 1
und 2 mit Blaust., 3 mit Kopierst. Auf BI. loben rechts mit Tinte die
Datierung 1909 September und am Rande die im Titel der Nr. 9 aufgenom-
mene Inhaltsangabe. Unter dem Datum ein grosses NB <= nota bene> mit
Blaust. In E. Steins Paginierung sind es die BI. 194-196, auf BI. 194 finden
sich noch ihre Querverweise vgl. <vgl. mit Bleist., wohl von H., verändert in
cf.) S. 1,210 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung",
oben S. 603 tt.). Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte, Blei-, Blau-, Rot- und
Kopierst.
271,20 nach einerlei. Eröffnung einer eckigen Klammer mit Tinte und gestr.
Dürfte man sagen, dass der Ton Erlebnis, aber nicht Objekt sei vor dem
Hinsehen, so könnte man auch den Unterschied so bezeichnen: Vor der
immanenten Wahrnehmung ist kein Objekt da (d.h. ihr Objekt fällt fort
und damit haben wir in Beziehung auf sie überhaupt kein Objekt). Bei der
transienten Wahrnehmung aber bleibt, wenn das Meinen, das Hinsehen
auf ihr Objekt wegfällt, doch das Objekt, nämlich das Objekt ist gewisser-
massen bewusst, aber nicht gemeint. Aber freilich ist das alles sehr prekär.
Das Hinsehen auf das Erscheinende wird gleichgestellt mit dem immanen-
ten Hinsehen 11271,21 Klammer vom Hrsg. eingefügt 11271,23 konstituierte
Einf. mit Tinte über der Zeile 11 271,26 zwei Erscheinungen V. für eine
Erscheinung 11 271,37 durch bis hindurch Einf. mit Tinte über der Zeile 11
271,38 nach Phantasiemodifikation gestr. des Meinens und 11 272,2-3 der
Ausdruck in Klammern evtl. etwas nachträgliche Einf. 11272,5 der Ausdruck
in Klammern evtl. etwas nachträgliche Einf. 11 272,7 Sternchen für ge-
schweifte Linie im Ms. 11272,9 dies V. für das 11272,25-31 am Rande mit
Rotst. angestr. Text 11 272,27-28 der Ausdruck in Klammern evtl. etwas
nachträgliche Einf. 11 272, Anm. 1 und 2 Rb. mit Tinte 11 272, Anm. 3 Erg.
mit Tinte 11 273,15-22 am Rande mit Kopierst. doppelt angestr: Text 11
273,22 im Ms. zweimal bei 11273,25 hat bis das V. für ist 11273,34 statt doch
im Ms. versehentlich durch 11273,35-39 evtl. etwas nachträglich eingefügter
Text 11 274,1-4 Zwischentitel aufgrund einer Rb. mit Tinte 11 2'74,23 und 24
Anführungszeichen mit Blaust. 11 274,27 nach der gestr. äusseren 11 274,32
Anführungszeichen mit Blaust. 11 274, Anm. 1 Rb. mit Blaust. ganz oben
rechts auf der Rückseite von BI. Io611275,11 Klammer schliesst im Ms. nach
Wahrnehmungsauffassung 11275,14-15 oder besser Erscheinung Einf. mit
Tinte über der Zeile 11275,20 Phantasma V. für Phantasie 11 vor Ein gestr.
Eine Phantasie 11

Nr. 10 (S. 276-285)


Der Text der BI. I35-qI aus dem Konvolut A VI TI II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Die BI. sind von H.s Hand
mit Bleist. von 1 bis 7 paginiert, auf Bl. 1 steht überdies der Bleist.- Vermerk
p 1-7. Die Aufzeichnung trägt die im Titel der Nr. IO verwendete Vber-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 667

schrift mit Blaust. Die BI. sind undatiert, dürften aber 'a,us inhaltlichen
Gründen sowie nach dem Schriftbild auf Herbst I909 anzushzen sein. Bei
E. Stein tragen sie die Paginierung 224-230 mit Bezug auf ihr Inhaltsver-
zeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 60311.). Einige Spuren späterer
Bearbeitung mit Tinte, Blei- und Blaust.
276, Anm. 1 Notiz mit Blaust. aul einem der Aufzeichnung voranliegenden
Zettel mit der Archivpaginierung A VI I I II, I34 11 277,7-8 Ich bis Phan-
tasie V. für Ich werde zunächst die Phantasie beiseite lassen und be-
handeln müssen Wahrnehmung, Erinnerung und sonstige <bricht ab> 11
278,10 und 13 a) und b) V. für 1) und 2) 11279,15 statt Semikolon Komma
im Ms. 11279,32 nach unentschieden im Ms . .-. 11280,3 nun bis bezeichnend
etwas nachträgliche Einf. mit Tinte 11 280,19 bei nicht endet der Text der
Vorderseite von BI. I37; die Rückseite ist unbeschrieben 11280,20 Beginn von
Bl. I38, oben rechts E. Steins Randtitel Freie Möglichkeiten als Bestim-
mungen von Unbestimmtheitskomponenten 11 281,6 Sternchen aufgrund
einer geschweiften Linie im Ms. II 281,34 bei das Durchgehen beginnt BI.
I39: oben rechts E. Steins Randtite1 Phantasiemodifikation, Aussagen in der
Phantasie und auf Grund der Phantasie. Darunter ihre Querverweise vgL
45,61,97, A 11282,21 Genetiv-s und Bindestrich bei Auffassungs- vom Hrsg.
eingefügt 11 283,5 Komma vor von vom Hrsg. eingelügt 11 283,7 und wirk-,
liche Einf. mit Tinte über der Zeile 11 283,14 Anführungszeichen nach
Gesicht! vom Hrsg. eingefügt 11 283,15-16 Anführungszeichen vom Hrsg.
eingefügt 11284,7 bei Zoologie endet der Text der Vorderseite von BI. I40; die
Rückseite ist unbeschrieben 11284,9 Beginn des BI. I4I; oben rechts E. Steins
Randtitel Einordnung jeder Wahrnehmung in den Wahrnehmungszusam-
menhang 11284,22 und 27 im Ms. eckige Klammern, evtl. etwas nachträglich
eingefügt 11 284,36 das vorgelegte Phänomen V. tür die vorgelegte Er-
scheinung 11 284,36 und 37 statt das im Ms. die 11 285,5 überhaupt Auf-
fassungsmaterien Einf. mit Tinte über der Zeile H 285, Anm. 1 Rb. mit
Blaust. !I 285, Anm. 2 Ein/. mit Bleist. 11

Nr. 11 (S. 286-288)


Der Text des BI. 8 aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Es trägt weder Paginierung noch.
Datierung von H.s Hand, bloss E. Steins Randtitel Wahrnehmung, Erin-
nerung, Phantasie. Nach Inhalt und Schrilt dürfte es auf I909, ovtl. anfangs
I9IO anzusetzen sein. Spuren späterer Vberarbeitung mit Tinte, Blau- und
Bleist.
286,15-17 statt gewesenem im Ms. jeweils gewesen t~ 286, 18 Anführungs-
zeichen mit Blaust. 11287,4 statt einer Lokomotive im M s. eines Lokomotives
11 287,6 Lesart von Maus nicht gewiss: das Wort Meise, das naheläge, ist
stenographisch ausgeschlossen 11 287,15 und vor' das V. mit Blaust. tür
Komma I! 287,17-18 für Wahrnehmung und Erinnerung Einf. über der
Zeile, wobei Erinnerung V. lür Phantasie ist 11 287,24-25 nämlich bis
wieder wohl etwas nachträgliche Einf. 11287,25 vor Aber gestr. Er baut sich
auf der 1\ 287,26-28 (also bis Phantasie" wohl etwas nachträgliche Eini.,
668 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

wobei AlsO' V. für etwas Ausradiertes, evtl. für nicht 11 287,28 alsO' einen
V. für etwas Ausradiertes 11 287,31-32 der Ausdruck in Klammern ausser
Glaubens(-> V. für etwas Ausradiertes I1 287, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11
288,1 Erinnerung V. für etwas Ausradiertes 1I 288, Anm. 2-4 Einf. mit
Blaust. 11

Nr. 12 (S. 289-293)


Der Text der BI. II4-II6 aus dem Konvolut A VI TI II (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Die BI. tragen H.s Paginie-
rung mit Bleist. 6-8; BI. 8 ist eine Drucksache mit dem Datum 7. Februar
I9IO. Die Aufzeichnung dürfte danach, wie auch nach Inhalt und Schrift, auf
anfangs I9IO anzusetzen sein. In E. Steins Paginierung handelt es sich um
die BI. 204-206 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Text-
gestaltung", S. 603 ff.), auf BI. 204 findet sich ihr Querverweis vgl. 157; ferner
trägt dieses BI. E. Steins Sigel G 29-G 31 bezüglich ihrer Ausarbeitung des
"Zeitbewusstseins" (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 598 f.); d.h. Teile
dieses BI. sind bereits in Husserliana X, S. I07,I4-I07,39 abgedruckt wor-
den. Die BI. tragen Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte, Blei-, Blau- und
Rotst.
289,23 Randtitel mit Tinte Vergegenwärtigung 11 289, Anm. 1 Rb. mit
Tinte 11290,18 nach zur im Ms. noch ein selbst 11290,28, 31 und 32 Ziffern
Einf. mit Blaust. 11 290,30 statt Selbständigkeit im Ms. genau genommen
Verselbständigkeit; evtl. wollte H. Verselbständigung schreiben 11 291,15
Sternchen für geschweifte Trennungslinie mit Blaust. im Ms. 11 291,22-24
Text stark mit Blaust. unterstr. und mit Rotst. am Rande angestr. 11 291,
Anm. 1 Streichung mit Blaust. 11 291, Anm. 2 Rb. mit Bleist., mit Tinte
nachgezogen 11 291, Anm. 3 Einf. mit Bleist. 11 292,3 evtl. statt für die zu
lesen für - das stenographische Zeichen ist dasselbe 11 292,29 Beginn von
BI. rr6 (Originalpaginierung 8), das evtl. nicht ganz unmittelbar anschliesst 11
292, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11292, Anm. 2 V. und Anführungszeichen mit
Rotst. 11 293, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 293,22 bei hieher endet der Text der
Vorderseite von Bl. rr6 (Originalpaginierung 8); die Rückseite bildet eine
Drucksache mit dem Datum 7. Februar I9IO. Es finden sich darauf ver-
schiedene Gruppen notizenhafter Aufzeichnungen, vielleicht als "Plan" auf-
zufassen, die alle diagonal oder kreuzweise gestrichen wurden; nachträglich
wurde die ganze Rückseite noch mit Blaust. kreuzweise durchgestrichen.
Husserls Notizen lauten: Wahrnehmen, Wünschen. Empfindung vO'n
einem Wunsch (Bewusstsein von). Wunsch einbilden. Empfinden, Be-
wusstsein vom Empfinden. Empfinden als Bewusstsein von. Bewusstsein
vO'n Farbe. - Zusammenhang, in dem Gegebenheit vom Inhalt Farbe
auftritt, Zusammenhang, in dem Vergegenwärtigung von Farbe auftritt.
Jedes Bewusstsein ist "empfunden". - Gegebenheit als immanent Wahr-
genommensein, Gemeintsein, Gegebenheit als durch immanente Reflexion
Nachweisbarsein. Wahrnehmen des A, gleichsam Wahrnehmen des A,
Wünschen des A und gleichsam Wünschen. - Das Reelle im ursprüng-
lichen Zeitbewusstsein = Empfindungsbewusstsein. Originäres Zeitbe-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 669

wusstsein. Modifiziertes Zeitbewusstsein als Vergegenwärtigtlngsbewusst-


sein. Empfindung und die sonstigen Zeitmodi des Bewus;:'tseins. Die
Wahrnehmung im Wesen mit der Empfindung verwandt. Nur ist sie
schon Bewusstsein, das anderweitige Empfindung voraussetzt. Schon
fundiertes Bewusstsein. Aber im übrigen wieder von derselben Art.
Empfindung ist Bewusstsein von einem Jetzt. Wahrnehmung ist auch
Bewusstsein von einem Jetzt. Retention eines eben gewesenen dinglichen
Vorgangs, Protention auf das Kommen des Vorgangs gerichtet, Ver-
gegenwärtigung des Vorgangs etc. - Bewusstsein. Setzendes Bewusstsein.
Jedes Bewusstsein ist gesetzt: empfunden. Erinnerung wieder setzend.
Retention, Protention. Phantasie. Setzung durch Setzung aufgehoben.
Kann Elementares des Bewusstseins anders zur Phantasie werden als
durch Komplexion, in der es durch Widerstreit zur Aufhebung kommt? I!

Nr. 13 (5. 294-300)


Der Text der BI. 5-7 aus dem Konvolut A VI I I I (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Beilage X). Die BI. sind von H.s Hand mit
Bleist. von 1 bis 3 paginiert; z.T. ist die Aufzeichnung genau datiert, 15.
Februar 1910; der voranliegende Teil dürfte wohl auch auf Februar I9IO
anzusetzen sein. Auf BI. 1 findet sich oben rechts H.s Vermerk mit Bleist.
Beilage, Abschrift des seitwärts Notierten. Eine Unterlage zu dieser Ab-
schrift konnte vom H rsg. nicht aufgefunden werden. Ganz oben auf dem ersten
BI. steht E. Steins Titel Gegenwärtigung - Vergegenwärtigung - Neutrali-
sation. Die BI. tragen Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte, Blei-, Blau-
und Rotst.
294, Anm. 1 Rb. mit Bleist., von H. selbst dem Text zugeordnet 11 294,
Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 295,13 nach also gestr. vergegenwärtigt 11 295,
Anm. 1 Hinweis mit Blaust. 11296,6 Anführungszeichen mit Blaust. 11 2%,
Anm. 1 Fragezeichen und Rb. mit Bleist. 11297,11 statt ihr im Ms. in oder
ihn 11297,31 Doppelpunkt vom Hrsg. eingefügt 11297,32 die eine im Ms. mit
Blaust. doppelt unterstr. 11 297,33 und 35 Ziffern Einf. mit Blaust. 11 297,
Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 298,9 Komma nach Empfindungscharakter
vom Hrsg. eingefügt 11 298,5 aber V. mit Tinte für und 11 298,17 Texter-
gänzung in KeilkZammern vom Hrsg. aufgrund einer Lücke im Ms., an der
Unterführungszeiohen stehen könnten, wobei überdies für die "Erwartung"
sinngemäss zu verändern wäre: Quasi-Bewusstsein des Wahrnehmenwerdens
von Künftigem 11298,21-22 Zwischentitel aufgrund der Rb. mit Bleist. 11298,
Anm. 1 Rb. mit Tinte, von H. selbst dem Text zugeordnet 11298, Anm. 2 Einf.
mit Bleist. 11299,21-24 am Rande- dieses Textes ein abwärts gerichteter Pfeil
mit Rotst., der zu Beginn der Rückseite (im Druck ab Zeile 25) wiederholt
wird 11299,25 Beginn der Rückseite im Ms., oben rechts die wieder ausradierte
Rb. mit Bleist. Die folgenden Blätter wichtig 11 299, Anm. 1 Rb., mit Tinte 11
299, Anm. 2 Einf. mit Blaust. 11299, Anm. 3 Erg. der Worte mit Bleist., des
Fragezeichnes mit Blaust. 11299, Anm. 4 Rb. mit Bleist. 11299, Anm. 5 Einf.
mit Blaust. 11 300,4 Anführungszeichen mit Bleist. 11 300,8 vor und nach
durch im Ms. etwas Ausradiertes 11 300,11 gegenwärtigender wohl gleich-
670 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

zeitige Einf. über der Zeile 11 300,27 Komma vom Hrsg. eingefügt 11 300,
Anm. 1 Einf. mit Rotst. 11 300, Anm. 2 und 3 Einf. mit Bleist. H

Nr. 14 (S. 301-312)


Der Text der BI. II7-IZO, IZZ-IZ4 und Iz6 aus dem Konvolut A vi II 11
(vgl. dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Die Bl. sind
von H.s Hand mit Bleist. von 10-17 durchnumeriert, die Bl. I-9, falls solche
vorlagen, konnten nicht aufgefunden werden. Die Bl. sind undatiert; nach
Inhalt, Papierart und Schrift sind sie mit grösster Wahrscheinlichkeit auf
I9II oder anfangs I9IZ anzusetzen. In E. Steins Paginierung sind die Bl. mit
207-210, 212-214 und 216 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung" ,obenS. 603ff.) numeriert. Teile der Bl. 212-214und216nahm
E. Stein unter dem Sigel A 1S-A 2 9 in ihre Ausarbeitung des "Zeitbewusst-
seins" auf (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 598 f.); sie liegen dem Drucktext
von Husserliana X, S. Iz6,39-IZg,I3 zugrunde. Die Bl. der Aufzeichnung
tragen Spuren späterer Bearbeitung mit Blei- und Blaust.
Die BI. IZI und IZ5 desselben Konvolutes A VI n 11 werden als Beilagen
XXXI und XXXIII abgedruckt. Bl. IZI (in E. Steins Paginierung Bl. zn)
trägt H.s Bleist.- Vermerk Beilage ad 13 2 (= Rückseite vonBl. IZO, Original-
paginierung 13>, Bl. IZ5 (in E. Steins Paginierung Bl. 215) trägt oben rechts,
evtl. ebenfalls von E. Steins Hand, die Paginierung 16a mit Kopierst.; es
scheint ein etwas nachträglich zwischen die Bl. 16 und 17 eingelegtes Bl. zu
sein, das nur auf der Vorderseite beschrieben ist. Bl. 8 aus dem Ms. L 11 I5
(vgl. dazu die Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8) trägt H.s Bleist.-
Vermerk ad 15-18, darunter mit Blaust. Beilage. Nach Inhalt, Papierartund
Schrift scheint das BI. in den Zusammenhang der als Nr. I4 wiedergegebenen
Aufzeichnung zu gehören, und es wird ihr deshalb, obwohl ein Bl. 18 im Text,
der der Nr. I4 zugrunde liegt, fehlt, als Beilage XXXII zugeordnet.
301,8 zu Beginn des Textes E. Steins Randtitel Apparenzialer und setzen-
der Akt in Wahrnehmung und Vergegenwärtigung; darunter ihre Quer-
verweise vgl. 154, 157, 251, 310 mit Bezug auf ihr InhaltsverzeicHnis (vgl.
"Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.) 11301,9 nach Akt" gestr. die theoreti-
sche Qualität 11301,10 schlichte Wahrnehmung V. für Wahmehmungser-
scheinung 11 301,16 und 17 die und gehört, zu dem Einf. mit Bleist. 11
301,20 Anführungszeichen mit Bleist. 11 301,23 Anführungszeichen vom
Hrsg. eingefügt 11301,28 Anführungszeichen nach Akt vom Hrsg. geschlossen
11 302,2 perzeptiven wohl gleichzeitige Einf. mit Tinte 11 302,7 Komma nach
Objekte vom Hrsg. eingefügt 11302,9 nach sind im Ms. ursprünglich Klam-
mer geschlossen, doch scheinbar schon zur Zeit der Niederschrift wieder gestr. 11
302,11 Klammer vom Hrsg. geschlossen 11 302,23 am Rande dieses Absatzes
E. Steins Titel Klare und dunkle Erscheinung 11 303,10-11 Zwischentitel
aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 303,35 nach Art gestr. lebendig 11
304,8 die beiden Kommas vom Hrsg. eingefügt 11 304,18 theoretische wohl
gleichzeitige Einf. über der Zeile 11304,24 Bindestrich vom Hrsg. eingefügt 11
305,4 nach Phantasma gestr. anschaulich 11 305,8 statt Prehension im Ms.
prehension 11 305,9 biossen wohl gleichzeitige Einf· über der Zeile 11 305,13
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 671

Sternchen aufgrund einer geschweiften Trennungslinie mit Tinte im Ms. 11


305,17 bei gehört endet der Text der Rückseite von BI. I Ig; etwc't$ mehr als die
Hälfte ist unbeschrieben 11305,18 Beginn des Textes von BI. I20; oben rechts
E. Steins Randtitel Begriff der Vergegenwärtigungsmodifikation; darunter
ihre Querverweise vgl. S. 1; 194, 214 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis
(vgl. "Zur Textgestaltung" , oben S. 603 ff.) 11305,19 und 30 apparenzialen für
app. im Ms. I! 305,27 der Vergegenwärtigung wohl gleichzeitige Einf. über
der Zeile [/ 305,28 statt normal evt!. !zu lesen nämlich If 306,2 statt erinnere
im Ms. Erinnerung 11 306,4 statt einmal evtl. zu lesen nämlich [[ 306,9 Es bis
so V. für Zunächst scheint es so 11 306,10 nach ist gestr. doch [[ 306,12
Wahrnehmungs-Erscheinung V. für Wahrnehmung [[ 306, Anm. 1
Fragezeichen und Rb. mit Bleist. [/ 306, Anm.2 die erste V. mit Bleist.,
die zweite mit Tinte [[ 306, Anm. 3 Einf. mit Bleist.; quasi wohl gleich-
zeitige Einf. über der Zeile [[ 306, Anm. 4 Einf. mit Bleist. 11 307,7
Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 307,15 zu Beginn
des Absatzes doppelte Anstreichung mit Blaust., evtl. von E. Stein zum
Zeichen, dass sie ab hier den Text in ihre Ausarbeitung aufgenommen
hat; rechts auf derselben Höhe im Ms. ihr Sigel AIS [[ 307,19 "inneren" wohl
gleichzeitige Einf. über der Zeile 11 307, Anm. 1 Anführungszeichen und Rb.
mit Bleist. 11 308,17 zu Beginn des Absatzes eckige Klammer mit Blaust.
eröffnet, die nach nichts Reelles (309,12) schliesst [[ 308, Anm. 1 Rb. mit
Bleist. \I 308, Anm. 2 Streichung mit Bleist. 11 309,2 reproduktive wohl
gleichzeitige Einf. über der Zeile [1309,7 nach und gestr. originärem 11 309,18 .
sei V. für etwas Ausradiertes [[ 309,19 nach überhaupt etwas Ausradiertes [[
309,24 Doppelpunkt vom Hrsg. eingefügt 11 310,19 nach parallele gestr.
Reproduktion [1310,22 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11
310, Anm. 1 Rb. mit Bleist.; im Text: die keine Reproduktionen sind Ein/.
über der Zeile [1310, Anm. 2 Einf. mit Blaust. 1\ 311,15 Klammer vom Hrsg.
geschlossen /1312,1 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte und
mit Blaust. (Klammerausdruck) 11 312,4-5 alle Anführungszeichen mit
Bleist.11312,7-8 der Möglichkeit nach wohl gleichzeitige Einf. über der Zeile
11 312,10 Anführungszeichen mit Blaust. [[ 312,11 Komma vom Hrsg. einge-
fügt H312,13 Akt-cogitationes V. für cogitationes 11 312, Anm. 1 V. mit
Bletst·11

Beilage XXXI (S. 313 f.)


Der Text des Bl. I2I aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. die Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. I4, oben S. 670). Nach Inhalt und Schrift sowie auf-
grund von H.s Zuordnung des BI. als Beilage zum Text der Nr. I4 ist die
Aufzeichnung mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die Zeit der Nr. I4 selbst,
am ehesten auf I9I2, anzusetzen. Spuren späterer ()berarbeitung mit Tinte,
Blei- und Rotst.
313,13 Bindestriche vom Hrsg. eingefügt 11 313,1·6 Anführungszeichen mit
Rotst. [1313;18-19 Überlegen wir V. für Also 11313,20 und des Erscheinen-
den Einf. über der Zeile; grammatikalische Angleichung statt und das Er-
scheinende vom Hrsg. 11 313,22 aber auch V. mit Blaust. für aber; dafür
672 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

nach sein gestr. auch 11313, Anm. 1 V. mit Bleisf. 11314. f auch Eint. über der
Zeile 11 314,2 als Einl· mit Bleist. 11 314,5-7 Die bis Erlebnis evtl. etwas
nachträgliche Einl. 11 314,17 diesen Tisch V. lür dieses Zeug 11 314, Anm. 1
V. mit Bleist. 11

Beilage XXXII (S. 314 I.)


Der Text des BI. 8 aus dem Ms. L 11 I5 (vgl. die Textkritischen Anmer-
kungen zu Nr. I4, oben S. 670). Spuren späterer Bearbeitung mit Blei- und
Blaust. Die Rückseite ist unbeschrieben.
314,37 und 38 Anlührungszeichen mit Blaust. 11315,20 Bindestrich Einl.
mit Blaust. 11 315, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11

Beilage XXXIII (S. 315 f.)


Der Text des BI. I25 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die Text-
kritischen Anmerkungen zu Nr. I4). Einige Tintenüberarbeitungen, wohl
schon zur Zeit der Niederschrift, die auf I9II/I2 anzusetzen ist.
315,32 Vergegenwärtigung V. für Wiedervergegenwärtigung 11 315,38
konkrete Einl. über der Zeile; evtl. als Akte zu lesen 11 315,40 Vorgegen-
wärtigungen V. für Vorvergegenwärtigungen 11316,5 N achgegenwärtigung
V. lür Vergegenwärtigung 11

Beilage XXXIV (S. 316-320)


Der Text der BI. I27-I30 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. dazu die
Textkritischen Anmerkungen zu Beilage 111). Die ersten drei BI. tragen H.s
Paginierung "00, "1 und "2; das vierte BI. ist nicht paginiert, es ist nur noch
auf der ersten Hällte der Vorderseite beschrieben. Das erste BI. ist mit Tinte,
das zweite und dritte mit Kopierst. paginiert. Die Aufzeichnung ist undatiert.
Nach Schrift und Papier (die ersten beiden BI. sind von derselben. Papier-
qualitätwie die des Textes Nr. I4) zu urteilen, dürlte sie auf I9II oder Anfang
I9I2 anzusetzen sein. Die BI. sind von E. Stein von 217-220 paginiert (vgl.
ihr Inhaltsverzeichnis, "Zur Textgestaltung" , oben S. 603 fl.). Oben rechts aut
BI. 217 steht ihr Randtitel Schlichtes und synthetisches Meinen; Klarheit
und Deutlichkeit. Spuren späterer Textbearbeitung mit Tinte, Blei- und
Blaust.
316,23-25 Text von Explizites bis lassen am Rande mit Blaust.-Klammer
"zusammengelasst", dazu die in Anm. I wiedergegebene Rb. U 316, Anm. 1
Rb. mit Blaust./l317, 1 Zwischentitel au/grund von H.s Randtitel mit Blaust.
11317,11 anschaulich wohl gleichzeitige Einl. über der Zeile 11317,15 Zwischen-
titel au/grund von H.s Randtitel mit Blaust. 11317,16 Anführungszeichen mit
Blaust. 11 317,32 Klarheit und Bestimmtheit mit Blaust. doppelt unterstr.,
am Rande mit Blaust. doppelt angestr. 11317, Anm. 1 Rb. mit Bleist. /1318,4
Lesart tür ganz nicht gewiss, das stenographische Zeichen wäre genau genom-
men als kann zu entziffern, entsprechend wäre dann zu ergänzen kann
lebendig <werden> 11318,5 statt in der im Ms. mit der, doch bleibt die Ent-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 673

zitterung des Passus in der weiss was für ungewiss 11 318,13 so bis soll am
Rande mit Blaust. doppelt angestr. 11 318,14-15 Kommas und Fragezeichen
vom Hrsg. 11318,40 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Blaust. 11
318, Anm. 1 Rb. mit Tinte, von H. selbst dem Text zugeordnet 11 319,6
Klammern Einf. mit Blaust. 11319,17 zu !schI vgl. K. Schuhmann, Husserl-
Chronik, Den Haag I977, S. I42: "Anfang - z4. August I9IO H. hält sich
mit seinem Bruder Heinrich in Bad Ischl auf" 11 319,33 nach Teil gestr.
evt1.11319,38 Anführungszeichen mit Blaust. 11319, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11
320,1 Zentauren Einf. mit Blaust.' 11 320,2 einen dicken wohl gleichzeitige
Einf. über der Zeile 11320,7 statt Semikolon im Ms. ein Komma 11320,12 statt
zusammenhängende im Ms. Zusammenhang 11

Beilage XXXV (S. 320-328)


Die Textgrundlage dieser Beilage wird von sechs kurzen Aufzeichnungen
aus dem Konvolut A VI II I (vgl. dazu die Textkritischen Anmerkungen zu
Beilage X) gebildet, die der Hrsg. aufgrund der einheitlichen Thematik und
der chronologischen Nähe zusammenstellte, wobei die einzelnen Textstücke im
Druck jeweils durch ein Sternchen voneinander getrennt wiedergegeben wer-
den. Die Textstücke gehen im einzelnen auf folgende Blätter zurück: 1) BI. ZZ.
Das< ,BI. ist weder paginiert noch datiert und nur auf der Vorderseite be-
SChrieben. Eine genaue Datierung ist schwierig, doch dürfte das BI. mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf I9II/IZ anzusetzen sein. Einige Spuren
späterer Bearbeitung mit Tinte und Blaust. - z) Bl. Z3 und Z4. Beide BI. sind
Drucksachen vom ZI. Februar I9IO, sie tragen H.s Paginierung 1 und 2 mit
Tinte; das erste BI. ist auch auf der bedruckten Rückseite von H. beschrieben,
der Text dieser Rückseite macht den Eindruck einer etwas nachträglichen
Ergänzung, auf der Vorderseite des BI. wird mit Tinte und nochmals mit
Rotst. durch ein Verte darauf verwiesen. Der Text dieser Rückseite beginnt
im Druck S. 3ZZ, Zeile z5. Oben links auf BI. 1 findet sich ein NB <= nota
bene> mit Rotst. von H.s Hand, ferner über dem Textbeginn E. Steins tJber-
schrift Impression, Reproduktion, Neutralisation. Die Aufzeichnung weist
Bearbeitungen mit Tinte, Blei-, Blau- und Rotst. auf. - 3) BI. 6z. Es ist mit
Bleist., wohl von H.s Hand, mit 1. paginiert und trägt E. Steins Paginierung
279 mit Bezug aUf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung" , oben
S. 603 ff.) sowie ihren Randtitel Reproduktive Modifikation (immanente und
transzendente). Das BI. ist undatiert, dürfte aber auf I9II/IZ anzusetzen
sein. Bearbeitungen mit Tinte, Blei- und Blaust. - 4) BI. 63 und 64. Die Bl.
tragen die Paginierung 2. und 3" wohl von H., und 280 und 281 von E. Stein.
Die Rückseite von BI. 64 ist unbeschrieben. Auf BI. 63 oben rechts mit Bleist.
von H.s Hand der Titel Impression - Reproduktion, darunter mit Blaust.
der Vermerk gut. Die BI. sind ebenfalls undatiert, dürften aber auch um
I9II/IZ geschrieben worden sein. Spuren späterer Durchsicht mit Tinte,
Blei-, Blau- und Rotst. - 5) BI. I9. Das BI. ist weder paginiert noch datiert,
dürfte aber ebenfalls auf I9II!IZ anzusetzen sein. Es trägt E. Steins tJber-
schrift Erleben, Erlebnis, Erlebtes in Wahrnehmung und Reproduktion.
Das BI. scheint keine spätere Bearbeitung erfahren zu haben. - 6) BI. I7. Auch
674 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

dieses BI. ist weder paginiert noch datiert, dürfte aber ebenso in die Zeit von
I9II/I2 gehören. Es trägt E. Steins Oberschrift Identischer Genalt in
Wahrnehmung <Wahrnehmung allem Anschein nach von H. verändert in
Erlebnis> und Reproduktion sowie in verschiedenen doxischen Modifika-
tionen. Ausser Rot- und Blaust.-Unterstreichungen sowie den S. 327, Anm.
I-3 wiedergegebenen Textstücken keine späteren Bearbeitungen.
320,25 Oberschri{t des Bl. 11 320,31 Insofern bis Impression Einf. mit
Tinte 11320,33 nach gegenüber etwas Ausradiertes 11320,35-37 Bewusstsein-
von bis Sinn) Erg. mit Tinte 11 320,40-41 es bis bewusstes Einf. über der
Zeile 11 320, Anm. 1 Einf. mit Blaust. 11 321,6 statt Modifikationen im Ms.
Modifikation 11 321,8 für impressionales im Ms. imp(r) was oft auch emp
heisst und als "empirisch" zu lesen ist 11 321,12 "Impression" als in eckige
Klammern mit Blaust. gesetzt 11321,12 ff. am Rande des Absatzes die wieder
ausradierte Rb. mit Bleist. Was ist das? Da geht ja der Gegensatz von
Impression und Reproduktion ineinander mit dem Unterschied von
Aktualität und Inaktualität 11 321,14 das zweite wirklich V. für etwas
Ausradiertes 11 321,21-22 der Ausdruck in Klammern V. für etwas Aus-
radiertes, nochmals mit Blaust. in Klammern gesetzt 11321,29 so V. für etwas
Ausradiertes 11321,36 Doppelpunkt mit Bleist. 11 321, Anm. 1 der erste Teil
der Anmerkung ist eine Rb. mit Bleist. zu Beginn des Absatzes von Zeile
I2 ff.; der Text nach dem Gedankenstrich steht im Ms. "isoliert" auf der
Rückseite, auf welche durch Verte verwiesen wird; der Hrsg. schloss dieses
Textstück, das ebenfalls mit Bleist. beigefügt wurde, sinngemäss an das
vorige an 11 321, Anm. 2 V. mit Tinte 11 321, Anm. 3 Streichung mit Tinte 11
321, Anm. 4 Einf. mit Tinte 11322,9 als meinenden Akt Einf. über der Zeile
11322,10 nach Reproduktion gestr. im zweiten Sinn 11322,20 Anführungs-
zeichen bei Vorstellung mit Blaust. 11322,24 es folgt im Ms. noch folgender,
mit Bleist. in eckige Klammern gesetzter Text, der sich auf ein nicht aufge-
fundenes BI. bezieht: (Ich habe auf dem Blatt, das mir hier zugrunde liegt,
ein Gesetz ausgesprochen: des Sinnes, dass jede Modifikation eines Aktes
zu verwandeln ist in eine meinende Phantasievorstellung von ihm. Gilt
das von der In akt u a li t ä t s modifikation? (Das war dabei gemeint.)
Z.B. jede propositionale Vorstellung kann verwandelt werden in eine
Phantasievorstellung von dem entsprechenden Urteil etc. Lohnt es hier,
ein "Gesetz" auszusprechen? Wesentlich ist, dass jede reproduktive
Modifikation entweder meinende oder nichtmeinende ist. Und dass jede
nichtmeinende in eine meinende verwandelt werden kann. Das wurde
schon näher studiert und muss es noch weiter werden. Aber für die
Inaktualität? Ick kann auch jedes aktuelle Urteil in eine Phantasie hin-
einversetzen, mir ein gleiches Phantasieurteil verschaffen. Und wenn ich
den bIossen Gedanken habe "S ist p", auch ein Phantasieurteilen dessel-
ben Inhalts bilden. Aber ist das etwas Besonderes?) Die Rückseite von
BI. 24 ist von H. nicht beschrieben 11322,38 statt Erlebten im Ms. Erlebtem
11322, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11323,2 nach die im Ms. wir 11323,5-7 Uns bis
besteht wohl etwas nachträgliche Einf. 11 323,12 Anführungszeichen mit
Blaust. 11 323,19 Anführungszeichen bei gibt mit Blaust. 11 323,28 und 29
nichtcogitierende und (cogitierende) wohl etwas nachträgliche Einf. 11323,30
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 675

Klammer vom Hrsg. geschlossen 11323,31 zu Beginn des Absatzes Eröffnung


einer eckigen Klammer mit Blaust., die nicht geschlossen wird 11 323,38-39
den bis hin V. für das innere Bewusstsein zurück und 11 323, Anm. 1
Unterstrichelung mit Blaust. 11 323, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 323,43-324,4
wohl etwas nachträgliche Eint. 1\ 324,11 und 13 Etymologie und etymolo-
gisch für Et. bzw. etym. im Ms. 11324,15 Innerlich evtl. etwas nachträgliche
Ein/. 1\324,16 diese V. für sie 11 324,19 nach Gegenstände gestr. Betrachten
wir nun nichtreproduzietende Erlebnisse für sich, so finden wir unter
ihnen in merkwürdiger Weise wieder solche, die den Unterschied zwischen
reproduzierend und nichtreproduzierend zeigen. 11 324,20 Zwischentitel
aufgrund von H.s Randtitel zu Beginn von BI. 63 11 324,26 z.B. Einf. mit
Bleist. 11 324,31 impressives Erlebnis V. für Impression 11 324,32-33 origi-
näres impressives Erlebnis V. für originäre Impression 11324,38-40 Unter
bis sind V. für Eine solche Reproduktion, eine einstufige Reproduktion
kann nun Reproduktion von einem Erlebnis sein, dessen gegenständliches
Sein <sein, dessen gegenständliches Sein V. für sein, das) selbst den
Charakter des Impression<alen) noch in einem zweiten Sinne hat. Näm-
lich jedes Erlebnis, dessen wir uns "wirklich" bewusst sind, nämlich
originär 11 324, Anm. 1 Streichung mit Bleist. 11 325,7 nach auch gestr.
innerer 11325,31 bis zur Leere Einf. über der Zeile 11325,44-45 der Ausdruck
in Klammern wohl etwas nachträgliche Einf. 11 326,1 im Ms. zweimal und 11
326,2 der Ausdruck in Klammern wohl etwas nachträgliche Einf.1I326,31-32
"Wahrnehmung bis Gleichsam-Wahrnehmung wohl gleichzeitige V. für in
dem die "Wahrnehmung vom Haus" gleichsam bewnsst ist, als Gleichsam-
Wahrnehmung 11326,42 Perzipieren wohl gleichzeitige V. für Anschauen 11
327,4-5 zwischen bis Erleben aufgrund von Unterführungszeichen im Ms.
vom Hrsg. eingefügt 11327, Anm. 1 Erg. mit Tinte; im Text: statt denen im
Ms. den 11327, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11327, Anm. 3 Einf. mit Tinte 11328,3
nach Gedankenarten im M s. Doppelpunkt 11

Nr. 15 (S. 329-422)


Der Text dieser Nummer und der folgenden Nr. r6 sowie der zugehörigen
Beilagen gibt zur Hauptsache die Manuskripte des "R"-Konvolutes ("R" =
Reproduktion) wieder, die heute zum grössten Teil im Ms. A VI 4, für den
Rest im Ms. A VI 29 liegen. Die abkürzende Bezeichnung "R"-Konvolut .
stammt vom Hrsg., sie stützt sich auf Vermerke H.s im Ms. A VI 29, S. ra
und S. 2a und auf H.s Aufschriften auf dem Gesamtumschlag des Konvolutes
A VI4 (5. r + 6r), der oben rechts ein grosses R trägt, mit demselben Rotst.
geschrieben, mit dem auch der Titel Reproduktion in den Aufschriften unter-
strichen ist. Diese Aufschriften (ausser R mit Blaust., teils mit Tinte nach-
gezogen) lauten: 21-88 <des Steinschen Inhaltsverzeichnisses; vgl. oben,
5.603 ff.> bis 1912 <bis V. für um> R. Wichtig. Erinnerung und Einfühlung
<Erinnerung und Einfühlung mit Blaust., teils auch mit Rotst. gestr.) Modi
der Reproduktion und Phantasie, Bildbewusstsein. Auch in Be-
ziehung auf die "Stellungnahmen". Der Gesamtumschlag wird von einem
Briefumschlag mit dem Poststempel 29.7.2I gebildet. Im Ms. A VI 4 liegen
676 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

nur noch die Bl. 21--61 und 81-88 der Steinschen Paginierung. Die Bl. 62-80
befinden sich im Ms. A VI 29; sie wurden schon von H. selbst aus den
R-Manuskripten genommen. Auf dem Gesamtumschlag des Ms. A VI 29
(S. I + 38), der von einem Briefumschlag mit dem Postdatum 4.1.23 gebildet
wird, stehen u.a. folgende Aufschriften H.s in Tinte: 3 und MM. ,,3" schlichte
Anschauungen (Wahrnehmung, Erinnerung etc.) in Beziehung auf Quali-
tät - quasi-Qualität. Zur Theorie des belief in Passivität und spontaner
Aktivität. Qualitative Modifikation als Modifikation charakterisiert.
Ähnliches MM. Begriff der Stellungnahme. <... > 3 und MM aus den
Manuskripten "R" genommen. Die hier ausgelassenen Aufschriften betref-
fen Texte aus I9I7 oder I9I8, denen H. die Aufzeichnungen 3 und MM aus
den Manuskripten "R" von I9I2 beigelegt hat und die oben in Nr. I8b und
zugehörigen Beilagen abgedruckt werden (vgl. die Textkritischen Anmerkun-
gen, S. 707). Dem Sigel 3 entsprechen die Bl. 62-67, dem Sigel MM die Bl.
68-74 der Paginierung von E. Stein; die BI. 75-80 bilden Beilagen und
liegen ebenfalls im Ms. A VI 29.
Die Entstehungsgeschichte des "R"-Konvolutes ist kompliziert und liegt
teils im Dunkeln. Das Konvolut umfasst BI. aus den Monaten März und
April I9I2, beginnend am 22. März I9I2 (Bl. 21 = Ms. A VI 4, S. 3a) und
endend am I6. April I9I2 (Bl. 68 = Ms. A VI 29, S. 8a). Ursprünglich
bildeten die in ihm zusammengefassten Texte einen Teil einer umfassenderen
Manuskript-Gruppe der Monate März-April I9I2, auf die H. sich unter dem
Sigel MA (= März-April) zu beziehen pflegte. Diese Manuskript-Gruppe
MA scheint sogar im Zuge der Arbeit "für den Druck" entstanden zu sein.
Wenigstens schreibt Frau M. Husserl an ihre Freundin, Frau E. Albrecht,
am 22. März I9I2: "Edmund ist die Ruhe jetzt sehr sympathisch, er arbeitet
für den Druck und braucht dafür seine ungeteilte Kraft" (Brief im Husserl-
Archiv zu Leuven). Frau Husserls Hinweis könnte druckfertige Abhandlun-
gen erwarten lassen, die überlieferten Manuskripte sind indessen alles andere
als "für den Druck" reife Ausarbeitungen, es sind vielmehr sozusagen
typische Forschungsmanuskripte (vgl. oben, S. 597), insbesondere 'Voller
terminologischer Unentschiedenheiten und, laut H.s eigenem Zeugnis, von
einer Vergesslichkeit bezüglich bereits früher von ihm Erarbeitetem, die ihm
am Ende sehr merkwürdig, fast unglaublich (cf. Ms. A VI I2 I, S. 86b)
vorkommt. Dies notierte er während der Osterferien 1912 in einer drei BI.
umfassenden Aufzeichnung, auf die er nachträglich mit Rotst. zu Beginn
folgenden Hinweis schrieb: Vorlage zu MA. H ö c h s t w ich t i g als Schutz-
wehr gegen manche grosse Verirrungen, die ich in diesem Monat März-
April 1912 begangen habe. V gI. dazu nah Verwandtes und Ausgezeichnetes
in Yo (cf. Ms. A VI I2 I, S. 84a. Die Aufzeichnung Y o über Aufmerksam-
keit vom Januar I9I2 liegt im Konvolut A VI8 I (Umschlag S. I + 22)).
Auf S. IO b im Ms. A VI 29 (Bl. 70 der Steinsehen Paginierung, oben
S. 458) steht, ebenfalls mit Rotst., der Vermerk: Vgl. dafür und für alles
weitere die ganz vorne liegenden 3 BI. MA, offenbar jene Vorlage zu MA.
H.s Bedenken scheinen sich hauptsächlich auf Verirrungen in den Aus-
führungen über Stellungnahmen als Spontaneitäten (cf. Ms. A VI I2 I,
S. 84a) in der MA-Gruppe zu beziehen, und insbesondere auf Erörterungen
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 677

zur Theorie der Aufmerksamkeit, da er mehrfach auf Y o verweist. Im Ms.


A VI 4, S. 22a,,(Bl. 40 der Steinsehen Paginierung, oben S. 365) notiert H.
in einer Rb. mit Bleist.: Gegen die Aufmerksamkeitstheorie, vgl. die aus-
geschiedenen Blätter in einem Umschlag. Diese BI. liegen heute im Kon-
volut A VI I2 III (S. U8-I58), das auf S. u8a folgende Aufschriften in
Bleist., wohl schon von I9I2, trägt: Zur falschen Aufmerksamkeitstheorie
des Sich-denkens. Ferner der Begriff der Vorstellung. Ebenfalls wohl nicht
viel wert. Ausgeschiedenes.
Im Ms. A VI I2 I findet sich auf Blättern über Modi der Stellung-
nahmen der wohl schon zur Zeit ihrer Niederschrift gemachte Hinweis Aus
"MA 1912,21.3-20.4" (S. 90a). Diese Blätter aus MAwie auch jene Vorlage
zu MA fanden Verwendung in den sehr umfangreichen "Studien zur Struktur
des Bewusstseins" (Ms.-Gruppe M III 3 der Archivpaginierung), die
L. Landgrebe in den zwanziger Jahren als H.s Assistent hauptsächlich auf-
grund von Manuskripten der Jahre I909 bis etwa I9I4 in Maschineab-
schriften ausarbeitete. Inwieweit und wann H. selbst bereits vor E. Steins
und L. Landgrebes Assistentenzeit neben den genannten ausgeschiedenen
Blättern noch weitere Blätter aus dem ursprünglichen MA-Kontext entfernte,
ist kaum mehr auszumachen. Angesichts der Fülle von im einzelnen oft nicht
näher datierten Manuskripten der ersten Monate von I9I2 erscheint es auch
aussichtslos, jene Periode vom 2I. März bis 20. April als solche einheitlich
rekonstruieren zu wollen (vgl. die Hinweise auf hierhergehärige datierbare
Ms. in K. Schuhmann, Husserl-Chronik, Den Haag I977, S. I65-I68).
SO bildet denn nicht das Sigel MA (März-April I9I2, das sich übrigens
ausser in Form der oben erwähnten Hinweise in den hier abgedruckten
Blättern nirgends findet), sondern das auf den Briefumschlägen von I92I und
I923 auftretende Sigel R (Reproduktion) den Leitfaden für die auch thema-
tisch weitgehend einheitliche Gruppierung der Texte in Nr. I5 und Nr. I6
sowie deren Beilagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass erst E. Stein die von
ihr durchlaufend von 21-88 paginierten Blätter jenem grösseren MA-Kontext
entnahm. H. selbst hat dann diese BI. 21-88 im Jahre I92I in einem Um-
schlag mit dem Sigel R als Konvolut über Reproduktion eigens herausgehoben
(vgl. oben Einleitung des Hrsg., S. XXXVIII I.). Der Vermerk Auch in
Beziehung auf die Stellungnahmen scheint I92I nicht mehr den I9I2 wohl
vorherrschenden Gesichtspunkt der Aufzeichnungen zu nennen. Vielmehr ist
jetzt der Akzent auf Reproduktion, Phantasie, Bildbewusstsein gelegt.
Ähnlich scheint H. auch in dem oben als Beilage XXXVII wiedergegebenen
Text, dessen ursprüngliche Vberschrift lautete Fortfallen und Hinzutreten
von Stellungnahmen, März 1912 aus MA, durch die spätere Titelangabe Zur
Analyse der Erinnerung. Cf. dabei auch p. 3 "Durchstreichen" von
Stellungnahmen die ihn insbesondere interessierende Thematik der Erin-
nerung hervorzustreichen, während die ursprüngliche Titelgebung von I9I2
jenen allgemeineren Kontext der Untersuchungen über Stellungnahmen an-
zeigte. H. scheint in den zwanziger Jahren das "R"-Konvolut ganz losgelöst
von der MA-Gruppe als "selbständiges" Konvolut betrachtet zu haben. Dafür
ieugt z.B. auch ein Plan für Texte zur Ausarbeitung, wohl von I926, der an
zweiter Stelle mit grösster Wahrscheinlichkeit unser "R"-Konvolut nennt: 2)
678 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Erinnerung und Einfühlung. Reproduktion und Phantasie in Beziehung


auf die Stellungnahmen (cl. Ms. F IV 3, S. I74b; vgl. Husserliana XIV,
Einleitung d. Hrsg., I. Kern, S. XXIX I.).
Dem "R"-Konvolut, wie es I9zI mit den BI. 21-88 vorlag, lügte der
Herausgeber doch zwei Aufzeichnungen aus dem Bündel Ausgeschiedenes
von I9IZ (vgl. oben S. 676 f.) hinzu. Zum einen den das Anfangsdatum,
21. März 1912, der MA-Gruppe aufweisenden Text der BI. A VI IZ III,
S. ISS-IS7 als Nr. Isa), da die darin erwogene Terminologie in den darauf-
folgenden Aufzeichnungen eine gewisse Rolle spielt. Zudem ist nicht aus-
zuschliessen, dass drei Blätter des Textes Nr. ISb) , der auf 22. März 1912
datiert ist, zuerst zu den Bl. 1-6 vom ZI. März gehörten; jedenfalls trugen die
BI. A VI 4, S. 3, sund 6 (Bl. 21, 23 und 24 der Steinsehen Paginierung)
ursprünglich die Bleist.-Paginierung 4, 5 und 6 und weisen auch in etwa
einen sachlichen Anschluss an die letzten Erörterungen auf Bl. 3 vom ZI.
März auf. Zum anderen kommen die BI. A VI IZ 111, S. I46-ISo als
Beilage XL zu Nr. ISC) und Nr. ISd) zum Abdruck. Sie sind mit Bleist. von 1
bis 5 paginiert; H. vermerkte nachträglich auf dem ersten BI. besonders von
6 an. Im übrigen ist das meiste sehr wenig ausgereift. Es könnte sein, dass
Bl. A VI 4, S. ZI mit der Bleist.-Paginierung 6 auf der Vorderseite und + 7
auf der Rückseite (oben, S. 36z,I9 tt.) die Fortsetzung der BI. 1 bis 5 bildete.
Auf Bl. A VI I2 III, S. I47b findet sich ferner die Bleist.-Rb.: Vgl. die
gründlicheren Blätter über ästhetische Einstellung in Ae,1_4 die auf den
hier als Nr. ISh) wiedergegebenen Text verweist. Vberdies stammt auch der
oben erwähnte, als Beilage zu Nr. ISb) abgedruckte Text Zur Analyse der
Erinnerung nicht aus dem vorliegenden "R"-Konvolut, und schliesslich
ordnete der Herausgeber die zwei, wohl auch um I9II(IZ entstandenen Blätter
A VI I I 11, S. 8z und 83 aus dem Konvolut über Bild innerhalb der
Materialsammlung von E. Stein (vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 60z tt.)
aus sachlichen Gründen als Beilage der Nr. IS f) zu.
Die Nr. Isteilte der Herausgeber im Anschluss an Datierungseinschnitte in
den Ms. in die Abschnitte a) bis k) ein. Die einzelnen Texte tragen eigene, oft
mehrfache Paginierungen bzw. Umpaginierungen von H.s und teils auch von
E. Steins Hand. Für einige wenige Blätter ist die schliessliche Zuordnung zu
dem oder jenem Abschnitt nicht ganz gewiss; sie wurde möglichst unter sach-
lichem Gesichtspunkt vorgenommen. Als Beilagen werden neben den vom
Herausgeber zum "R"-Konvolut hinzugefügten Texten jene Blätter des
"R"-Konvolutes gegeben, die von H. selbst als Ergänzungen zu den datierten
einzelnen A ufzeichungen gekennzeichnet sind. Darunter befinden sich einige
um Jahre frühere Texte, deren allem Anschein nach von H. selbst gut-
geheissene Zuordnung zum "R"-Konvolut auf Kosten der strengen Chronolo-
gie beibehalten wurde.
Praktisch das ganze "R"-Konvolut weist viele Spuren späterer Durchsicht
auf. Einerseits linden sich zahlreiche Unterstreichungen, einige Durch-
streichungen und einzelne Randtitel mit Buntst., andererseits eine sich durch
die meisten Abschnitte hindurchziehende Vberarbeitung mit Bleist. und teils
mit Tinte, deren Zeitpunkt allerdings nicht festzustellen ist; nach der Schrift
zu urteilen, dürfte sie schon kurze Zeit nach der Niederschrift der Manuskrip-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 679

te vorgenommen worden sein; die Terminologie erinnert in manchem 'an die


Ideen I von I9I3.
ZU Nr. I5a): Die BI. I55-I57 aus dem Ms. A VI IZ III; mit Bleist. von
1 bis 3 paginiert. Keine Entsprechung in E. Steins Inhaltsverzeichnis. Aut
Bl. 1 oben 'rechts mit Rotst. 1--6 und Datum 21.3.1912. Keine Bleist.-
Vberarbeitung.
329, Anm. 1 Einf. mit Blaust. 11 330,29/30 die beide bis sind Eint. mit
Tinte 11 330, Anm. 1 Eint. mit Blaust. 11 330, Anm. 2 Eint. mit Blaust. 11
330, Anm. 3 Rb. mit Tinte 11 330, Anm. 4 Eint. mit Tinte 11 331,3-4 eines
Urteilens bis Wahrnehmens V. für eines Empfindens 11 331,5 nach be-
wusste gestr. Empfinden 11331,14-16 nicht bis <et>was V. tür selbst wieder
Impression von <et>was und Reproduktion von <et>was lJ 331,23-27
Nehmen bis für die V. für 1) Namen sein für das Erleben, für das innere
Bewusstsein, in dem sich das Erlebnis als Individuum konstituiert bzw.
für die reproduktive 11 331,25 kann V. tür ist 11 331, Anm. 1 Eint. mit
Blaust. 11 331, Anm. 2 Erg. mit Tinte; die durch das Sternchen angezeigte
Einf. später mit Rotst.; der ganze Text in eckige Klammern gesetzt 11 332,7
nach "Vorstellung" gestr. (der Perzeption) 11 332,20 nach Individuellem
gestr. (im angegebenen Sinn) 11332,31 Erlebnisse V. für Erlebnis-Einheiten
11 332, Anm. 1 Rb. und Durchstreichung mit Tinte 11 332, Anm. 2 Durch-
streichung mit Blaust. 11 333,1 Wie bis werden? V. tür Man kann auch
folgende Terminologie wählen. 11 333,11 Entzifferung von anzugeben nicht
ganz gewiss 11333,33 nach Korrelaten gestr. Wesen etc. 11334,1 statt leibhaft
im Ms. scheinbar lebhaft 11334,6-7 statt allerdings, auch: Ich <... > im Ms.
allerdings: Auch ich <... > wobei Auch V. für Ich ist 11334,9 jedes V. tür ein
\I 334,10 impressional im Ms. zu impressiv verändert, ohne dass dabei
impressional wirklich als ungültig erkenntlich wäre 11334,19 erlebt Eint. über
impressional bewusst 11334,25 statt äusserem im Ms. äusseren 11334, Anm. 1
Rb. mit Tinte.
Zu Nr. I5b): Die BI. 3 und 5 bis IO aus dem Ms. A VI 4; mit Blaust. von
1 bis 7 paginiert. In E. Steins Paginierung die BI. 21 und 23-28. Das Bl.
A VI 4,4 bzw. 22 (nach E. Stein) wird bei den Beilagen abgedruckt. Die
BI. 1-3 waren ursprünglich mit Bleist. von 4--6 paginiert (vgl. oben, S. 678
über die mögliche Zugehörigkeit zu den BI. vom ZI. März). Das BI. 7 war
zuerst mit Bleist. als 8, darüber mit Blaust. als 5 paginiert. Auf BI. 1 oben
rechts mit Blaust. das Datum 22.3.1912. Darunter mit Rotst. und Braunst.
Erinnerung und Einfühlung. Statt und Einfühlung stand ursprünglich und
Introjektion (V. mit Braunst.). Oben links von Bl. 1 mit Blaust. Einfühlung.
Vberschrift von Nr. I5b) autgrund von H.s Randtiteln auf BI. 1 und BI. 3.
335,14-19 rechts von diesem Absatz mit Blaust. eine Null, wobei nicht
sicher ist, worauf sie sich genau bezieht 11 335, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11
336,4 impressionaler Einf. über der Zeile \I 336,6-13 Sich bis Wahrgenom-
mene am rechten Rande mit einer geschwungenen Klammer in Blaust. zu-
sammengetasst 11336,7-9 der Ausdruck in Klammern Eint. 11 336,14 nach
Urteile gestr. Wünsche 11 336,24 neben Erinnerung wie zur Hervorhebung
zwei Striche mit Rotst. 11336,26 innerlich reproduziertes Einf. über der Zeile
11336, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11336, Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11336, Anm. 3
680 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Rb. mit Bleist. 11 336, Anm. 4 Einf. am rechten Rande und teils unten auf
der Seite 11 337,3-4 oder bis oder etc. V. für allenfalls auch Einfühlens,
wobei des mit Blaust. eingefügt ist 11337,8 bei diesem Absatz beginnt Bl. A VI
4.5- Oben rechts E. Steins Randtitel: belief des inneren Bewusstseins; reine
Perzeption und Stellungnahmen auf dem BI. 23 ihrer Paginierung; darun-
ter ihr Hinweis vgl. 232 11337,15 Klammer vom Hrsg. geschlossen 11337,23
das Komma nach Aktes vom Hrsg. eingefügt 11337, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11
337, Anm. 2 Rb., wobei wirklichen mit Bleist. eingefügt ist 11337, Anm. 3 Rb.,
wobei Stellungnahmen am Ende mit Bleist. eingefügt ist 11 337, Anm. 4
Einf. mit Blaust. über der Zeile 11 338,7 nach belief gestr. (Gewissheitscha-
rakter innerhalb der belief-Sphäre) 11 338,7-8 parallelen bis Bewusstseins
V. für Charakteren 11 338,11-12 (unmodifizierte bis bewerten teils v. für
etwas Ausradiertes 11338,13-15 der Satz in Klammern wohl etwas nachträg-
lich eingefügt 11 338,15 So insbesondere: etwas nachträglich eingefügt 11
338,16-17 der Ausdruck in Klammern wohl etwas nachträglich eingefügt 11
338,18 wirklicher V. für aktueller, das selbst eine Einf. mit Bleist. ist 11
338,19 Wirkliche V. für Aktuelle 11338,20-21 der Ausdruck in Klammern
wohl etwas nachträglich eingefügt 11338,26 wirkliche V. für etwas A usradier-
tes über der Zeile 11 338,26-27 es bis vor wohl etwas nachträglich eingefügt 11
338, Anm. 1 Einf. mit Bleist. über der Zeile 11 338, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11
338, Anm. 3 Rb. mit Tinte 11339,3 Zwischentitel autgrund von H.s Randtitel
auf BI. 3 bzw. A VI 4, S. 6a 11339,5 ohne wirkliche V. für etwas Ausradiertes
11339,6-7 statt was aber uns <nicht?> interessiert im Ms. was aber uns wir
interessiert 11339,8-9 kann bis Wir V. für "denken" wir 11339,11-13 in bis
,,2·2 = 5" Einf. mit Tinte 11339,15 und 18 Anführungszeichen mit Blaust. 11
339,24 ff. zu Beginn dieses Absatzes steht der S. 339.3 als Zwischentitel
wiedergegebene Randtitel mit Blaust., teils mit Rotst. unterstrichen; darunter
E. Steins Hinweis vgl. 34, d.i. der Anfang von Nr. ISC) 11 339,37 nach
aktuelles Ich mit Blaust. eingefügt, aber wieder ausradiert, doch gerade noch
lesbar: (event<uell>! S<iehe> f<olgende> S<eite» 11 339,37 und 340,2 An-
führungszeichen mit Blaust. 11 340,5 Anführungszeichen von entbehren bis
Aktualität mit Blaust.; ursprünglich war nur "Aktualität" in Anführungs-
zeichen /1340,6 sie Einf. mit Blaust. 11340,13 nach vorsichtig sein ausradiert,
.zoch eben noch lesbar: Es darf nicht gemeint sein, dass ich mir selbst, der
jetzt wirklichen 0> Person beständig <?> bewusst bin, sie etwa <?>
gegenständlich habe, auf mich aufmerksam bin 11 340,18 A nführungs-
zeichen mit Blaust. 11 statt ist evtl. zu lesen in 11 340,24-27 nicht nur bis eben
V. für teils Ausradiertes; statt aktuell phantasierend eben evtl. zu lesen
aktuell eben phantasierend 11 340,28 lebendig vollziehe, es Einf. mit Tinte 11
340,30-31 und bis ausdrückt Einf. mit Tinte 11340,5 das Sternchen ist vom
Hrsg. eingefügt, weil die folgenden BI. evtl. nicht ganz kontinuierlich an-
schliessen 11340, Anm. 1 V. mit Blaust. 11340, Anm. 2 Streichung mit Blaust.
11 341,23--30 dieser Absatz steht in eckigen Klammern 11 341,23-24 "in bis
sein" V. für "in aktueller Reproduktion gerichtet sein" 11341,25 wirklich
bis fungieren V. für aktuell und Reproduktion wirken; die Anführungs-
zeichen jeweils vom Hrsg. 11341,26 "wirklich" V. tür aktuell; Anführungs-
zeichen vom Hrsg. 11 341,27 Anführungszeichen vom Hrsg. 11 341,31 ff. bei
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 681

diesem Absatz beginnt S. 7b; oben rechts E. Steins Randtitel: Stellung-


nahmen in und zu der Reproduktion 11 343,15 der bis reproduktiven vom
Hrsg. zwischen Kommas gesetzt; vermutlich wäre zu grösserer Deutlichkeit
"denfenigen" zu Beginn einzufügen 11 344,6 statt Aktphantasie evt!. zu lesen
akt<ueller> Phantasie" 344, Anm. 1 Bemerkung ganz unten auf s. 9a mit
Tinte; evt!. eingefügt, nachdem die BI. 4 und 5, wie sie fetzt vorliegen, abge-
schrieben waren " 344,32 ff. be~ diesem Absatz beginnt S. 9b I1 345,17 das
Sternchen vom Hrsg. eingefügt; danach beginnt S. Ioa, das BI. 7 (ursprüng-
lich S, dann 5) des Ms. 11345,22 aktuell und in der Phantasie Einf. über der
Zeile, wohl als V. für ich kann aber auch wirklich eingestellt sein als
wirkliches Ich auf das Phantasierte. Dieser Passus sollte zuerst nach ein-
gestellt eingefügt werden, wurde aber wieder gestr. " 345,23 Anführungs-
zeichen mit Blaust. " 345,24 wirkliches, impressionales V. für etwas Aus-
radiertes !I 345, Anm. 1 Rb. mit Bleist. !I 345,31-33 Phantasie bis Wahr-
nehmung Einf. mit Tinte 11 345,33 statt daran im Ms. darum 11 346,3-4
Und bis Sinne Einf. mit Tinte 11 346,4-6 Kann bis nein V. für Bloss
gedach t ist das 2 X 2 = 5 aber nicht, in dem Sinn des bloss gedanken-
haften Vorstellens. 11 346,10 nach etc. gestr. Ich reproduziere nichts,
brauche es nicht zu tun, wenn ich mir bloss denke. Das ist anderwärts
hinreichend erörtert worden und so, dass kein Zweifel an der Richtigkeit
bestehen kann. " 346,11-30 der Text von hier bis ans Ende von Nr. I5b) ist
wohl etwas nachträglich beigefügt worden" 346,22 wirklichen V. für aktuel-
len 11 346,23-24 statt ein bIosses Sich-denken sei im Ms. sei ein bIosses
Sichdenken "346,30 der Rest der M s.-Seite, etwa die Hälfte, ist unbeschrieben \I
Zu Nr. ISC): Die BI. I6 bis I9 aus dem Ms. A VI 4; mit Blaust. von 1 bis
4 paginiert. In E. Steins Paginierung die BI. 34 bis 37. Auf BI. loben rechts
mit Blaust. die tJberschrift Vollzug und Aktualität und das Datum 6.4.1912;
darunter von E. Steins Hand der Hinweis vgl. 24 d.i. oben S. 339,II H. in
Nr. ISb).
347, Anm. 1 Einf. mit Bleist. und mit Tinte nachgezogen 11 347,
Anm. 2 Streichung mit Bleist. \I 347,12 vor Und Eröffnung einer Klammer
mit Tinte, später mit Blaust. in eine eckige Klammer verändert, die nirgends
schliesst 11 347, Anm. 3-6 Einf. mit Bleist. " 347,31 ff. bei diesem Absatz
beginnt S. I6b; an seinem linken Rand ein abwärtsgerichteter Pfeil mit
Buntst. "348,21 Anführungszeichen mit Rotst. "348, Anm. 1 Rb. mit Blaust.
H 348, Anm. 2 Einf. mit Blaust.; eine V. für die 11 348, Anm. 3 Einf. mit
Blaust. " 348, Anm. 4 Rb. mit Bleist. " 349,11 Anführungszeichen mit
Bleist.; gleichzeitig damit die als Anm. r wiedergegebene Eint. über der Zeile;
eigentlich steht im M s. kurrenthandschriftlich, so dass es hier metasprachlich
zu verstehen ist, vom Hrsg. in Anführungszeichen gesetzt 11 350,8-15 dieser
Absatz im Ms. am linken Rand rot angestr. 11 350,22 nach Bildes gestr.
während ich das Nichtigkeits-Stellungnehmen "ausschalte" 11350,26 nach
"unterlassen" gestr. kann eine wirkliche Stellungnahme in der Weise
modifizieren, die da heisst, sie nicht vollziehen, nicht in ihr leben und
ausschliesslich in einem Betrachten, in einem bloss aufmerksamen Ge-
richtetsein (einem wirklichen des wirklichen Ich) auf die Phantasieobjekte
gerichtet sein. 11350, Anm. 1 Einj. mit Tinte" 350, Anm. 2 Rb. mit Bleist.
682 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

beginnend auf der Höhe von Ich kann auch, Zeile 26 11351,31-33 Ich kann
bis vollziehen wohl etwas nachträglich eingefügt 11351, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11
351, Anm. 2 Bearbeitung mit Bleist. 11 352, Anm. 1 Einf. mit Bleist. Der
Rest der Seite sowie die Rückseite unbeschrieben H
Zu Nr. I5d): Die BI. I2 bis I5, 20 und 2I aus dem Ms. A VI 4; die BI. I2
bis I5 tragen die Paginierung 1 bis 4 mit Rotst., die von E. Stein zu 9 bis 12
verändert wurde, offenbar als Anschluss an die BI. A VI 4, 3-II gedacht (vgl.
die TextkritischenAnmerkungenzuNr. I5bund zu Beilage XXXVI). Die BI.
von Nr. I5d tragen überdies E. Steins Blaust.-Paginierung 30 bis 33 und 38,
39 (vgl. "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.). Die beidenBI. 38 und 39 tragen die
weiteren Paginierungen 5 auf 38, 6 auf der Vorderseite von 39 und + 7 auf
der Rückseite, jeweils mit Bleist., 5 vermutlich von E. Steins Hand. Die
Zuordnung dieser beiden BI. ist ungewiss; sie sind vom Hrsg. aufgrund sach-
licher Nähe hierher geschlagen worden. Zu 6 und + 7 vgl. auch die Beilage
XL. BI. A VI 4, I2 trägt oben rechts mit Rotst. das Datum 7.4.1912 von H.s
Hand.
353,12 Anführungszeichen mit Braunst. 11 nach ohne gestr. aktuelle
Zuwendung und 11 353,16-17 Anführungszeichen mit Bleist. 11 353,17 statt
verflochtene evtl. zu lesen verflochten 11353,20-21 Anführungszeichen mit
Bleist. 11353,24-25 Perzeption bis Wahrnehmung) V. für Wahrnehmung 11
353, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 353, Anm. 2 Rb. mit Rotst. 11 353,30 in der
Klammer vor unmittelbar gestr. jede 11354,26 nach gleichsam gestr. lebendig
11 354,31 nach Reproduktion gestr. von Wahrnehmung 11 354,34-39 der
Text im Ms. links rot angestr. 11354,39 bei Er ist beginnt S. I3a. Oben rechts
Randtitel mit Tinte: Bekanntheitscharakter. Daneben, wohl vonE. Stein, der
Hinweis s<iehe> 31a, d.i. der Text von Beilage XXXIX (vgl. dort die Text-
kritischen Anmerkungen) 11355,7-12 der Text Dieses Grundstück bis ans Ende
des Absatzes in einer geschwungenen Klammer mit Rotst. zusammengefasst,
daneben ein abwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11355,13 ff der erste Satz des
Absatzes stark mit Blaust. unterstrichen, danach rechts ein abwärts gerichteter
Pfeil mit Blaust. 11355, Anm. 1 Rb. mit Rotst. 11355, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11
356,1 auf dieser Höhe E. Steins Randtitel Sympathetische, positionale und
neutrale Stellungnahmen 11 356,3-4 dass bis zugrundeliegt V. für etwas
Ausradiertes 11 356 Anm. 1-5 V., Rb. bzw. Einf. mit Bleist. 11 357,5 die
erinnernde Reproduktion Eint. über der Zeile 11357,17 explizit vollzogenen
V. für spontan vollzogenen 11 357,19 Darf man nun behaupten?: evtl. etwas
später eingefügt 11357,19 vor Auch gestr. Also 11357,23 Vollzug am Ende des
Satzes aufgrund von Unterführungszeichen im Ms. vom Hrsg. ergänzt 11
357,27 ff zu Beginn dieses Absatzes Eröffnung einer eckigen Klammer mit
Blaust., die nirgends schliesst 11357, Anm. 1-4 Eint., Rb. bzw. V. mit Bleist. 11
358,28 statt mit dem im Ms. das 11 358, Anm. 1 Bemerkung mit Bleist. 11
358, Anm. 2 Fragezeichen mit Bleist. 11 358, Anm. 3 Rb. mit Bleist. 11 358,
Anm. 4 Rb. mit Bleist. 11358, Anm. 5 Streichung mit Blaust. 11359,5-7 Aber
bis Mögliches Einf. über der Zeile, wohl als V. tür Nun ist die stellungsfreie
Reproduktion entweder setzend oder nichtsetzend. Nämlich wenn wir sie
verstehen als stellungsfreie Phantasie, während sie als Reproduktion
Stellung nimmt. Zum phantasierten Urteil nehmen wir keine Stellung,
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 683

nur zum Urteilen, dessen wir uns erinnern. Dieser Passus ist wohl schon
zur Zeit der Niederschrift wieder gestr. worden 11 359,8 Anführungszeichen
mit Blaust. 11 359,12 Zu Beginn des Absatzes im Ms. eine I); eine weitere
Einteilung in z) etc. folgt nicht 11359,13 nach ist mit Bleist. eingefügt setzend,
aber wieder ausradiert 11 Anführungszeichen mit Blaust. 11 359,24 statt
entweder im Ms. unter 11359, Anm. 1 V. mit Bleist. 11 359, Anm. 2 V. und
Rb. mit Bleist. 11359, Anm. 3 Streichung mit Bleist. 11359, Anm. 4 Eint. mit
Bleist. 11 36&,19 ff. zu Beginn dieses Absatzes Eröffnung einer eckigen
Klammer mit Bleist., die nicht geschlossen wird Il 360,28 ff. zu Beginn des
Absatzes Eröffnung einer eckigen Klammer mit Bleist., die nicht geschlossen
wird 11 360, Anm. 1 Streichung mit Bleist. 11 360, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11
360, Anm. 3 Streichung mit Bleist. 11361,6 das Sternchen vom Hrsg., weil der
folgende Text nicht kontinuierlich hier anschloss 11 361,7 bei diesem Absatz
beginnt BI. A VI 4,zo mit der Bleist.-Paginierung 5 wohl von E. Stein 11361,
Anm. 1 Streichung mit Bleist. 11 361, Anm. 2 V. mit Bleist. 11 361, Anm. 3
Rb. mit Bleist., wohl zu beziehen auf den Absatz Es ist folgendes zu trennen:
auf der Rückseite 11362,18 der Rest der Seite, knapp die Hälfte, unbeschrieben
11 Sternchen vom Hrsg., da der Anschluss des folgenden Textes von BI. A VI
4, ZI, der die Bleist.-Paginierung 6 und auf der Rückseite + 7 trägt, nicht
gewiss ist 11 362,29 Fehlen (oder Ausschalten) V. für Ausschaltung 11 362,
Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 363,2 vor und Eröffnung einer eckigen Klammer
mit Bleist., die nirgends schliesst 11 363, Anm. 1 Rb. mit Bleist. über eine
unleserlich gewordene Rb. mit Blaust. 11363, Anm. 2 V. mit Tinte, die ihrer-
seits über eine frühere Bleist.- V., von der nur noch der Anfang des Nicht-
vollzugs lesbar ist, geschrieben ist 11 363, Anm. 3 Streichung mit Blaust. 11
363, Anm. 4 Rb. mit Tinte 11 364,11 nur in der Form Einf. über der Zeile 11
364,13 anstelle des Sternchens im Ms. geschweifter Trennungstrich 11 364,
Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 364, Anm. 2 Einf. mit Bleist. unter Inaktualitäts-
modifikation 11
ZuNr. Ise): Die BI. zzbisz6 ausdemMs.A VI 4; mit Bleist. von 1 bis 5
paginiert. In E. Steins Paginierung die BI. 40 bis 44; Bl. 40 trägt ihren
Randtitel Aktualität und Inaktualität (Neutralität) bei fundierten und
unfundierten Akten. Oben rechts auf BI. 1 H.s Datierung 8. und 9. April
1912 mit Bleist. Oben links steht der Vermerk ad Mo mit Tinte. Dieses BI.
Mo liegt im Konvolut Ausgeschiedenes (Ms. A VI IZ III, S. Iz8-IS8; vgl.
oben, S. 677); es bildet das BI. A VI IZ III, I33; der Index "null" bei Mist
mit Bleist. beigefügt, es folgen danach die BI. Ml bis M s (Ms. A VI IZ III,
I34-I38) in Blaust.-Paginierung; es sieht so aus, als ob BI. Mo nachträglich
vorangelegtwordensei. Aus dokumentarischen Gründen wird es in vorliegen-
dem Bande als Beilage XLI zu Nr. Ise) wiedergegeben.
364,27-365,4 Es heisst da bis "betrachte bloss den Gegenstand" ganz
oben auf S. zza etwas nachträglich eingefügt; es handelt sich um ein "Zitat"
aus BI. Mo. Der Text von Ich kann (365,1) bis ans Ende des "Zitates" mit
Braunst. unterstrichen, so als wollte H. hervorheben, worauf es ihm in seiner
Bezugnahme auf Mo vor allem ankäme 11365,5-6 die Einteilung mI 1) 2) und
II mit Bleist. eingefügt 11 365,31 1) ist Einf. mit Bleist. 11 365,34 statt der
evtl. die zu lesen 11 365, Anm. 1 Rb. mVt Bleist. Bei Vgl. beginnt eine neue
684 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Zeile; der Punkt davor ist vom Hrsg. eingefügt, da vermutlich zu verstehen ist,
dass die "falsche" Aufmerksamkeitstheorie v.a. in den "ausgeschiedenen
Blättern" zur Geltung kam, während die Aufzeichnung vom 8. und 9. April
bereits "gegen die Aufmerksamkeitstheorie" , wie sie dort vertreten wurde,
konzipiert ist 11 365, Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11 366,13 2) Einf. mit Bleist. 11
366,24 Aber mit Bleist. gestr. 11 366, Anm. 1 Rb. mit Rotst. H367,4 statt
Michelangeloschen im Ms. M'schen 11367,11 am Rande dieses Absatzes mit
Blaust. em NB und ein abwärts gerichteter Pfeil 11 367,13 voll eigentlich
V. fur etwas Ausradiertes 11 367,29 ab Dadurch im Ms. der Text bis ans
Ende des Absatzes rechts blau angestr. 11 367, Anm. 1 Rb. mit Blaust. 11 367,
Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11367, Anm. 3 Einf. mit Bleist. 11367, Anm. 4 V. und
Erg. mit Bleist. 11368,21 und V. mit Blaust. für Komma 11368, Anm. 1 Rb.
mit Bleist. oben rechts vom angestr. Text 11 368, Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11
369,6 nach dem letzten Absatz im Ms. gestr. b) Wir haben bisher nur Vor-
kommnisse der perzeptiven Sphäre im Auge gehabt und hier hatten wir
also scharf herausgestellt den Unterschied zwischen Auf me r k e n, das in
jedem Akte steckt, und der I n a x i 0 se: genauer, hier fanden wir zunächst
den Unterschied zwischen derjenigen Potentialität des Vollzugs gegenüber
derjenigen Aktualität, die da das Wesen der Eigentlichkeit bzw. Un-
eigentlichkeit ausmacht (Unterschied der unentwickelten Tendenz zur
"entwickelten", aktuellen, sich auseinanderlegenden. Aber auch derjeni-
gen, in der wir leben und derjenigen, in der wir nicht leben. Den hier gestr.
Punkt b) nimmt H. S. 2Sb (oben, S. 37I,33 11.) wieder auf 11 369,11 wäre
V. für ist 11 369, Anm. 1 Einf. mit Blaust.; gleichzeitig damit im Text
(Zeile 9) hier unterstrichen 11369, Anm. 2 Rb. mit Tinte; der Text Etabliert
bis Aktion der Ausschaltung ganz mit Blaust. und diagonal mit Bleist.
gestr. Der Text Besorgt bis ans Ende der Nota, wohl zu anderem Zeitpunkt,
kreuzweise mit Rotst. gestr.; die Einf. Nein ebenfalls mit Rotst. 11369, Anm. 3
Einf. mit Bleist. 11 370, Anm. 1 und 2 Einf. mit Bleist. 11 370, Anm. 3
Fragezeichen mit Bleist. 11370, Anm. 4 Eint. mit Bleist. 11371,10-11 auf bis
bin Einf. mit Tinte 11 371,13 Aufmerksamsein Einf. mit Tinte Klammern
vom Hrsg. 11 371,16 das stenographische Zeichen für ist ist nicht deutlich,
evtl. werde oder wird zu lesen 11371,22-23 aber nicht im Gefallen mit Bleist.
gestr., die Streichung wieder ausradiert, nach Gefallen noch selbst eingefügt
und den ganzen Ausdruck in Klammern gesetzt 11 371, Anm. 1 Einf. mit
Bleist. 11371, Anm. 2 (besser durch Inaxiose) Einf. mit Blaust., der Rest
mit Bleist. 11 372,1 bei diesem Absatz oben rechts E. Steins Randiitel Phan-
tasie und aktuelle Stellungnahme zur Phantasie (auf BI. 44 ihrer Pagi-
nierung) 11 perzeptiven Eint. über der Zeile 11372,2 hier nicht Einf. über der
Zeile 11 372,5 NB bis Sphäre vermutlich etwas nachträglich eingefügt 11 372,
Anm. 1 V. und Erg. mit Tinte 11372, Anm. 2 Einf. mit Tinte 11372, Anm. 3
Rb. mit Tinte 11 372,27-28 in bis Inaxiosen etwas nachträglich eingefügt 11
372,31 reproduzierten (Zuwendungen) V. tür phantasierten Zuwendungen
11 373,5 Verhalten V. fur etwas Ausradiertes 11373, Anm. 1 Fragezeichen
mit Bleist. 11 373, Anm. 2 Cf. bis signiert) Eint. mit Bleist., der Rest mit
Blaust. 11
Zu Nr. ISt): Die BI. 27-29 aus dem Ms. A VI 4; mit Bleist. von 1 bis 3
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 685

paginiert. In E. Steins Paginierung die BI. 45 bis 47; BI. 45 trägt ihren
Randtitel Denkakte und Beschreibung auf Grund von Phantasien; darun-
ter die Hinweise mit Blaust. vgl. 61, 97, 228 mit Bezug aut ihr Inhalts-
verzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", S. 603 tt.). BI. A VI 4,27 trägt oben
rechts das Datum mit Bleist. 9.4,12, die BI. 28 und 29 sind jeweils oben
rechts 9.4 datiert.
374, Anm. 1 Eint. mit Tinte 11374, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11374, Anm. 3
Eint. mit Bleist. 11 374, Anm. 4 V. und Erg. mit Tinte 11 375,5 aktuelle bis
Prädikation V. tür etwas Ausradiertes 11 375,30 vor auch im Ms. nicht 11
375,24 "wirklich" Eint. über der Zeile 11375, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 375,
Anm. 2 Eint. mit Tinte 11 375, Anm. 3 Eint. mit Tinte 11376, 14 wäre V. tür
ist 11376, Anm. 1-5 Rb. mit Bleist. 11377, Anm. 1 Streichung und Eint. mit
Tinte Ir 377, Anm. 2-4 Eint. und Streichung mit Bleist. 11378,31 als "An-
satz" Eint. über der Zeile \I 378, Anm. 1 V. und Fragezeichen mit Bleist. 11
378, Anm. 2 Eint. mit Blaust. 11
Zu Nr. ISg}: Die Bl. 30 bis 33 aus dem Ms. A VI 4; mit Bleist. von 4 bis 7
paginiert, vermutlich von E. Stein, als Anschluss an 1 bis 3 vom 9. April.
Mit Bezug aut E. Steins Inhaltsverzeichnis tragen die BI. die Blaust.-
Paginierung 48 bis 51. Oben rechts aut BI. A VI 4,30 H.s Vermerk 10.4.
abgeschrieben und neu verbessert mit Blaust.
379,28-31 Von bis Ansetzens ist teils V. tür Ausradiertes; der Passus
begann zuerst mit Ist, weshalb nach Ansetzens im Ms. ein Fragezeichen
steht, das nach der V. versehentlich stehenblieb 11379, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11
379, Anm. 2 Eint. mit Tinte 11380,6 und 14 die Klammern evtl. etwas nach-
träglich eingetügt 11380,15 hier, wo V. tür da, wenn 11 380,22 Glaube V. tür
Urteil 11 380,29 statt ihrer im Ms. seiner 11 380,33 statt in jedem Fall im
Ms. im jeden Fall 11 380, Anm. 1 Eint. mit Tinte 11381, Anm. 1 Klammern
und Rb. mit Tinte; die Rb. stark mit Rotst. unterstrichen; der Hinweis aut die
Seitennotiz ebentalls mit Tinte; innerhalb der Anm. passende Eint. über der
Zeile, evt!. wirkliche passende zu lesen. Ergänzungsbindestrich bei (Aus-
schaltung) vom Hrsg., (Ausschaltung) wurde eingefügt, nachdem eine Modi-
fikation bereits geschrieben war 11 381, Anm. 2 Rb. mit Bleist. etwas rechts
oberhalb dieses Absatzes 11381, Anm. 3 Erg. mit Tinte. Ganz unten aut S. 3Ia
vermerkt H. noch: Nähere Ausführung am Rande der folgenden Seite. Die
S. 3Ib beginnt bei Näher ausgeführt: Ganz links oben notiert H. auch hier
noch Nähere Ausführung siehe Rand; innerhalb der Anm. nach Ursprüng-
_.lichkeit im Ms. ein Komma 11382,16 das noch Aussagen wäre Eint. über der
Zeile 11 382,19 und 31 im Ms. eckige Klammern, wohl etwas nachträglich
eingetügt 11 382,20 in bis einer V. tur modifizierte 11 383,2-3 oder Ver-
stehensmodus Eint. über der Zeile, Klammern vom Hrsg. 11 383,5 oder
Erfinden Eint. über der Zeile Klammern vom Hrsg. 11 383,18-19 und bis
Anschauungen V. tür und zu dem ganzen Satz fügt sich evtl. ein Gesamt-
bild, evtl. aber gar nichts 11383,21-25. (Die Uneigentlichkeit bis regen etwas
nachträglich eingetügt; die Klammer nach fehlt vom Hrsg. geschlossen 11
383,26 Zwischentitel im Ms. mit Rotst. 11 383,27 rechts neben diesem
Absatz E. Steins Hinweise Vgl. S. 19,75, 154, 177,237,295, A (gestr.(65)
mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (cl. "Zur Textgestaltung", S. 603 tt.) 11
686 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

und zwar eikonische Eint. über der Zeile 11 383,33 nach selbst statt Punkt
im Ms. ein Komma 11383,34 eikonische V. für produktive 11 383,35 vor
Bildbewusstsein gestr. produktive I1 384,1 sonst Eint. über der Zeile 11
384,2-3 oder bis Perzeption Eint. über der Zeile 11384,12 eikonischen V. tür
imaginativen /1384,23 statt weil laut Ms. evtl. wenn zu lesen I! 384, Anm. 1
Rb. mit Tinte 11 384, Anm. 2 Ein/. mit Bleist. 11 385,22 Entzifferung von
Getriebe nicht ganz gewiss I! 385,24 Sternchen für geschweifte Linie mit
Rotst. unten an der Ms.-Seite 11385, Anm. 1 H.s Vermerk mit Rotst. unten an
der Seite 11 386,13 Sternchen für geschweifte Trennungslinie 11 386,15 An-
schauung V. für Phantasieanschauung 11 386, Anm. 1 H.s Vermerk mit
Rotst.1!
Zu Nr. ISh): Die BI. 34 bis 37 aus dem Ms. A VI 4; von H. mit Ael bis
Ae4 paginiert, wobei das Sigel Ae auf dem ersten Bl. mit Rotst. steht, die
übrigen drei BI. mit Bleist. paginiert wie auch die Ziffer 1 auf dem ersten BI.
In E. Steins Paginierung die BI. 52 bis 55. Oben rechts auf BI. A VI 4,34
H.s Titel Ästhetisches Bewusstsein mit Rotst., von E. Stein ergänzt mit und
Stellungnahmen. Die BI. tragen keine Datierung, sie dürften aber nach
Papier, Schriftbild und Inhalt aus dem Zeitraum der übrigen Aufzeichnun-
gen des "R"-Konvolutes, also aus Frühjahr I9IZ, stammen.
387,16 doxische Eint. über der Zeile, Klammern vom Hrsg. /1388,3-6 der
Text im Ms. am Rande, doch wohl schon zur Zeit der Niederschrift des übri-
gen Textes 11 390,23 nach konstituiert gestr. und zwar Gegenständliches
nach dem, was es in sich selbst ist, nach dem, was es 11 390,31 auf der Seite
dieses Absatzes ein abwärts gerichteter roter Pteil 11 390,39 unmittelbare oder
Einf. mit Bleist. 11 391,22 ausserdem Einf. über der Zeile 11 391,30 Wirk-
lichkeits- Eint. über der Zeile, Klammern vom Hrsg. 11 392,6 bei diesem
Absatz oben rechts E. Steins Randtitel Ästhetisches Gefallen und theoreti-
sches Interesse 11393,1 beim Nachtrag E. Steins Randtitel Aktuelles Gefal-
len an reproduzierten Objekten 11 393,2 nach dann gestr. durch Missver-
ständnis; Streichung evtl. etwas nachträglich 11393, Anm. 2 Streichung mit
Tinte 11 .
Zu Nr. ISi): Die BI. 38, 40, 39 und 4I aus dem Ms. A VI 4; wohl von
E. Stein von abis d signiert, wobei die BI. bund c umzustellen sind. In
E. Steins Paginierung mit Bezug aut ihr Inhaltsverzeichnis die Bl. 56, 58, 57
und 59. BI. A VI 4,38 trägt oben rechts H.s Datierung mit Tinte 12.4.12;
darunter E. Steins Randtitel Modifikation von Stellungnahmen auf Grund
von Phantasien; Ansätze. BI. d in E. Steins Signierung dürfte einem an-
deren Kontext angehören.
394,25 Boden Eint. mit Bleist. über der Zeile /1394, Anm. 1 Rb. mit Bleist.
11394, Anm. 2 Eint. mit Bleist. 11394, Anm. 3 V. mit Bleist. 11395,26-27 Nur
bis hat evtl. etwas nachträglich eingetügt 11 395, Anm. 1 V. und Rb. mit
Bleist. 11395, Anm. 2-6 V. bzw. Eint. mit Bleist. 11396,7 statt oder im Ms.
und 11 396,15 Zwischentitel ganz oben aut S. 40a eingetügt 11 396,20 statt
schiefen evtl. zu lesen schroffen 11 396, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11396, Anm.
2 und 3 Streichung bzw. Einf. mit Bleist. 11396, Anm. 4-7 Eint. bzw. Rb. mit
Tinte 11 397, 12 Gewiss-sein bis etc. mit Bleist. in Klammern gesetzt 11 A ntüh -
rungszeichen mit Bleist. 11397,21 bei intellektive endet S. 4oa; die Rückseite ist
TEXT KRITISCHE ANMERKUNGEN 687

unbeschrieben 11 397,22 bei diesem Absatz E. Steins Randtitel Einstim-


mige und unstimmige Wahrnehmungen, Erinnerungen, Phantasien;
darunter ih're Hinweise mtt Bezug auf das Inhaltsverzeichnis vgl. 81, 171,
79 <V. für 179),,18411397,26 Anführungszeichen Einf. mit Bleist. 11397,
Anm. 1 Einf. mit Tinte 11 397, Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11397, Anm. 3 Einf,
mit Bleist. 11397, Anm. 4-6 Einf. mit Bleist. 11397, Anm. 7 Rb. mit Bleist. 11
398,33 statt Semikolon im Ms. Komma 11 398, Anm. 1 und 2 Einf. mit
Bleist. 11 399,12 biosse V. für freie 11399,17 wäre V. tür ist, wohl schon zur
Zeit der Niederschrift des Satzes 11 399,20 Sternchen vom Hrsg. eingefügt,
bei Kontrastiere (Zeile 2I) beginnt S. 4Ia 11 399, Anm. 1 und 2 Einf. bzw.
Streichung mit Bleist. 11399, Anm. 3 Rb. mit Tinte 11400,1 statt hier im Ms.
hier hier 11400,8 "Gegenstand" V. für Gegenstandssinn 11 400,24 Anfüh-
rungszeichen vom Hrsg. "
Zu Nr. I5j): Die BI. 2 bis 6 aus dem Ms. A VI 29 (vgl. die einleitenden
Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS); mit Bleist. von 1 bis 5 paginiert.
In E. Steins Paginierung die BI. 62 bis 66 mit Bezug auf ihr Inhaltsver-
zeichnis. BI. A VI 29,2 trägt oben rechts H.s Datierung mit Bleist. 12.4.;
darunter mit Bleist. und nachgezogen mit Rotst. das Sigel 3 und folgende
Vermerke mit Rotst. NB. Aus "RU 1912. Zur Theorie des belief und der
Stellungnahmen (Einf. mit Bleist.:) im prägnanten Sinn. Dasselbe BI.
trägt ganz oben E. Steins Titel Erscheinung und Qualität bei schlichten und
modifizierten Akten.
401, Anm. 1 Rb. mit Bleist. " 401, Anm. 2 und 3 Einf. mit Tinte 11402,15
statt jenem im Ms. jenen" 402,21-22 Anführungszeichen vom Hrsg. " 402,
Anm. 1-3 Einf. mit Tinte 11 402, Anm. 4 Rb. mit Tinte 11 404,24-25 ab-
gesehen von Klarheitsunterschieden Einf. mit Tinte 11 404, Anm. 1 Erg.
mit Tinte; der Schlussteil Ich kann mir auch denken: Angenommen bis
annahmeweise mit Bleist., dann mit Tinte nachgezogen 11404, Anm. 2 Einf.
mit Tinte 11404, Anm. 3 Rb. mit Tinte 1I 405,16-17 in bis Anschauungen
Einf. mit Tinte über der Zeile 11 405, Anm. 1 Erg. mit Bleist. 11405, Anm. 2
Streichung mit Bleist. 11406,18-19 Auffassungen V. für etwas Ausradiertes;
(neue bis konstituierend) wohl bei dieser V. eingefügt 11406,24 statt positiven
im Ms. ein Pluszeichen 11407,4 Plural bei Modalitäten vom Hrsg. 11407,16
statt ein im Ms. eine 11407,28 vor dem folgenden Text mit Rotst. am Rande
eine geschweifte Linie und quer über die Seite ein Trennungsstrich 11 407,
Anm. 1 Rb. mit Tinte 11407, Anm. 2 Einf. mit Tinte" 407, Anm. 3 V. und
Erg. mit Tinte" 408,29 nach wäre gestr. der 11408, Anm. 1-6 V., Einf. bzw.
Rb. mit Tinte " 409,13 der Rest der Seite und die Rückseite sind unbe-
schrieben 11
Zu Nr. ISk): Die BI. 8, 9 und I I bis I4 aus dem Ms. A VI 29 (vgl. die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS); mit Bleist. von 1 bis 6
paginiert. Auf BI. 1 mit Rotst. das Sigel MM, auf den übrigen BI. jeweils mit
Bleist. dasselbe Sigel MM eingefügt. In E. Steins Paginierung die BI. 68, 69
und 71 bis 74 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Text-
gestaltung", S. 603 ff.). Das BI. A VI 29,8 trägt oben rechts mit Bleist. H.s
Datierung 16.4.12, darunter, ebenfalls mit Bleist., den Vermerk Sehr Wich-
tiges. Ferner trägt das BI. E. Steins Randtitel Impression und Reproduk-
688 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

tion, Positionalität und Neutralität; Stellungnahmen und den' Hinweis


vgl. 221, 254 mit Bezug aut ihr Inhaltsverzeichnis.
409, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11410,33 evtl. Eint. über der Zeile n410, Anm.
1-3 Eint. bzw. Rb. mit Tinte 11411, Anm. 1 Erg. und V. mit Tinte; innerhalb
der Anm.: statt Setzungscharakter im Ms. Satzcharakter,< wohl eine ver-
sehentliche Streichung der "ung"-Silbe bei der V. von diese Setzung zu
dieser positionale Setzungscharakter. Ab Pos i ti 0 n a I besagt steht der
Text der Anm. aut S. 9a oben rechts; den V. mit Bleist. tür ein; das Komma
nach Charakter vom Hrsg. eingetügt; statt ermöglicht im Ms. ermög-
lichend; nach Er f ass u n g ist der Schluss der A nm. mit Bleist. eingefügt 11
412, Anm. 1 und 2 Eint. mit Tinte 11412, Anm. 3 V. mit Bleist. 11412, Anm.
4 Eint. mit Bleist. 11 412, Anm. 5 Rb. mit Bleist. 11 412, Anm. 6 Eint. mit
Tinte; innerhalb der Anm.: als wie etwas Zugetanes Eint. unter der Zeile 11
414,10 (eine mögliche Setzung) wohl etwas nachträgliche Eint. mit Tinte 11
414,11 A ntührungszeichen bei "es erscheint" vom H rsg. eingefügt 11 414,14
das gesehen werden kann Eint. über der Zeile 11 414, Anm. 1-3 Eint. mit
Tinte 11 415,11 Schliessung der Klammer nach Erinnerung vom Hrsg. l\
415,27 bei Dabei beginnt S. I2a; oben rechts E. Steins Randtitel: Ansetzbar-
keit in einer Anschauung, Möglichkeitssetzung 11 415, Anm. 1 Rb. mit
Tinte; innerhalb der Anm.: statt positive im Ms. ein Pluszeichen; in ver-
schiedener Stufe der V. tür in der 11416,13 nach der Eröttnung der Klammer
doppelt 0) gestr. eines, evtl. als Gleichheitszeichen = zu interpretieren, so
dass in der Klammer (= der Möglichkeit ( ... » zu lesen wäre; vor etwa
nochmals Eröffnung einer Klammer, ohne Schliessung der vorherigen 11
416,29 unexplizierter Ein!. über der Zeile 11 416, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11
416,37-417,6 das gesperrt Gedruckte im Ms. mit Blau- und Rotst. unterstr. 11
417,7 positionale Bewusstsein V. tür etwas Ausradiertes 11 417,9 (nicht
etwa) Konjektur tür etwas Ausradiertes 11417,13 nach zu gestr. vollziehen 11
417,23 bei diesem Absatz E. Steins Randtitel: Akte und Gegenständlich-
keiten verschiedener Stufe 11417, Anm. 1 Eint. mit Tinte, wohl gleichzeitig
mit der soeben erwähnten V. tür etwas Ausradiertes 11 417, Anm.·2 V. mit
Tinte 11418, Anm. 1-4 Eint. bzw. V. mit Tinte 11418, Anm. 5 Rb. mit Tinte,
mit Rotst. angestr. 11419,23 nach Gefühl gestr. ein Begehren \1419,29 Gefal-
len V. für etwas Ausradiertes 11 419, Anm. 1-3 V. bzw. Rb. mit Tinte 11
420,21 das erste Dinganschauungen V. für Dingauffassungen 11420, Anm. 1
V. und Erg. mit Tinte; innerhalb der Anm.: vor sind lebendige Erzeugungen
gestr. erstarren zu Vorstellungen, oder sie; nach wesensmässig jede Stel-
lungnahme gestr. sich in ein aktuelles Vorstellen verwandeln 11 421,7
Sternchen vom Hrsg. eingefügt 11 421,16 Fragezeichen vom Hrsg. 11 421,19
begehrenden Akten Eint. über der Zeile 11421,23 Wertanschauungen V. für
axiontische Anschauungen 11421, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 1/421, Anm.2
Vermerk mit Rotst. ganz unten aut S. I4a; rechts unten mit Tinte verte 11
422,7 Sinnlichkeit V. für Sinnliches Auffassen 11

Bena~e XXXVI (S. 422) !

Der Text des BI. II aus dem Ms. A VI 4 (vgl. die einleitenden Text-
TEXTKRITISCHE ANMER.KUNGEN 689

kritischen Anmerkungen zu Nr. IS). Es trägt oben rechts H.s Bleist.-Pagi-


nierung 8, ferner E. Steins Paginierung 29 mit Bezug auf ihr Inhaltsver-
zeichnis (vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 603ft.). Der Paginierung
entsprechend gehört das BI. ans Ende von Nr. ISb. Neben der Vberschrift Zur
Terminologie mit Bleist. ein grosses Fragezeichen (vgl. auch Anm. I im
Text). Ansonsten nur noch einige wenige Unterstreichungen mit Blaust. aus
der Zeit späterer Durchsicht.
422,27 nach Geglaubtes gestr. ist bewusst als wirklich seiend 11 422,38
der Rest der Seite, etwa drei Viertel, ist unbeschrieben 11422, Anm. 1 Wellen-
linie und Bemerkung mit Bleist. I'

Beilage XXXVII (S. 423-430)


Der Text der BI. 3-8 aus dem Ms. L I 6. Dieses Ms., das zu den sog.
"Bernauer Manuskripten" gehört (vgl. K. Schuhmann, Husserl-Chronik,
er
Den Haag I977, S. 497), liegt in einem Gesamtumschlag + I3} ohne Auf-
schriften. BI. 2 enthält eine Inhaltsübersicht von der Hand E. Steins mit
Ergänzungen H.s. E. Steins Angaben zu den BI. vorliegender Beilage lauten:
1/6 Setzungscharaktere der Erinnerung; Innere und äussere Erinnerung;
R'eflexion in der Erinnerung; Evidenz der Erinnerung (aus MA). Diese BI.
(L I 6,3-7) sind, wohl von H., mit Rotst. von 1 bis 5 paginiert, Bl. L I 6,8
trägt, evtl. von E. Stein, die Bleist.-Paginierung 6. Dieses BI. 6 wird hier mit
einem Sternchen abgetrennt wiedergegeben. BI. L I 6,3 trägt ganz oben, über
der ursprünglichen Vberschrift Fortfallen und Hinzutreten von Stellung-
nahmen, folgende Aufschrift mit Blaust.: Zur Analyse der Erinnerung.
Cf. dabei auch p. 3 <= L I 6S> "Durchstreichen" von Stellungnahmen.
März 1912 <März mit Tinte nachgezogen, und mit Tinte eingefügt:> aus MA.
(Zum Sigel MA vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I S.)
Ferner trägt das BI. L I 6,3 den Hinweis mit Rotst. Zuerst cf. das Unter-
strichene. Das Weitere ist aber wichtig. Die Bl. L 16,3-7 (Rotpaginierung
1 bis 5) tragen neben wenigen ursprünglichen Unterstreichungen vor allem
solche mit Blaust. und einige mit Rotst.; BI. L I 6,8 (Bleist.-Paginierung 6.)
trägt neben ursprünglichen Unterstreichungen nur zwei in Braunst.
423,11 Anführungszeichen mit Blaust. 11 423,15 Sternchen für geschweifte
Trennungslinie im Ms. 11423,16-18 Zwischentitel aufgrund von H.s Rand-.
titel. mit Rotst., wobei zu Beginn das Wort Erinnerung mit Blaust. noch
besonders angestr. ist 11423,22 statt war im Ms. waren 1\423, Anm. 1 Einf.
mit Bleist. 'j425,18 bzw. bis Zusammenhang Einf. mit Tinte 11425,30 vor
Boden gestr. gemeinsamen" 426,2 statt Komma vor obschon im Ms.
Doppelpunkt 11 426,14-19 der Text, von Ich sprach bis unten an die Seite
rechts mit Rotst. angestr. 11 426,44 nach gewiss gestr. klar 11 427,14-19 der
Text dieses Absatzes mit einer geschweiften Klammer mit Blaust. zusammen-
gefasst; die Einteilung in 1) und 2) mit Rotst. eingefügt H 427,22 nach
Gewissheit gestr. oder Anmutung 11427,27-30 der Text von Nun bis unten
an die Seite mit einer geschweiften Klammer mit Blaust. zusammengefasst 11
427,46 zu,Willigsen vgl. K. Schuhmann, Husserl-Chronik, Den Haag I977,
S. 69 11 428,20-27' der Text von Gehört bis ans Ende des Absatzes mit einer
690 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

geschweiften Klammer mit Blaust. zusammengefasst 11 428, Anm, 1 Einf. mit


Blaust. 11 428,45-429,2 der Text dieses Absatzes am linken Rand mit Blaust.
doppelt angestr. 11429,12-14 Aber bis kalt V. für Oder damals. habe ich das
und das leidenschaftlich begehrt. Jetzt erinnere ich mich daran. Aber ich
begehre das gar nicht mehr. 11 429,15 zu Beginn dieses Absatzes links ein
abwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11 429,20 Anführungszeichen mit
Blaust. 11 Sternchen vom Hrsg. eingefügt 11429,21 Zwischentitel aufgrund von
H.s Randtitel mit Rotst. oben rechts auf BI. L I 6,8 11 429,33-35 All bis
Bewusstseins Einf. mit Tinte 11429,40 nach Die gestr. notwendig setzende 11
429,41 Reproduktion ist V. für ist 11429, Anm. 1 Einf. mit Blaust. 11430,1-3
Gesetzt bis Wahrnehmung Einf. mit Tinte 11430, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11

Beila~e XXXVIII (S. 431)


Der Text des BI. 4 aus dem Ms. A VI 4 (vgl. zu diesem Konvolut die ein-
leitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS). Oben rechts trägt es die
Bleist.-Paginierung 1a (über einer ausradierten, wohl +8), evtl. von E. Stein.
Das BI. trägt im übrigen E. Steins Paginierung 22 mit Bezug auf ihr Inhalts-
verzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.) und gehört dadurch in den
Zusammenhang von Nr. ISb. Beim Textanfang am rechten Rand eine Null
mit Blaust., das Wort Einfühlung in der ersten Zeile mit Blaust. unterstr.,
am Ende des Textes ein Hinweis mit Bleist., ansonsten keine Spuren
späterer Durchsicht.
431, Anm. 1 Erg. mit Tinte 11431,16 und 22 Vergegenwärtigung V. für
Reproduktion 11 431,23-24 oder perzeptive Imagination Einf. über der
Zeile 11 431,29 am Ende des Textes mit Bleist. folgender Hinweis eingefügt:
vgl. JI p. 8 und die dort angegebene Literatur. Das Sigel h dürfte "Im-
pression und Idee" bedeuten; vgl. z.B. BI. dazu in Ms. A VI I I 11, 2I-35
und in Ms. A VI 5, bes. IO-I2, beide in urteilstheoretischem Kontext. Die
Rückseite von BI. 4 ist unbeschrieben 11

Beila~e XXXIX (S. 431-439)


Der Text der BI. 5S-S9 aus dem Ms. A VI 4 (vgl. zu diesem Konvolut die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS), die in einem Um-
schlag (54 + 60) enthalten sind, auf dem vorne folgende Aufschriften H.s mit
Blaust. stehen: ad 3; <des Steinschen Inhaltsverzeichnisses, hier Beginn von
Nr. ISd> Wiederkennen, Erkennen und Erinnerung. Oben rechts, wohl von
der Hand E. Steins 31a; darauf verweist E. Stein auf Bl. 31 ihrer Pagi-
nierung (Ms. A VI 4,I3 in Nr. ISd). Das Rückenbi. des Umschlages trägt
folgende mehrfach gestr. Aufschriften, teils mit Tinte, teils mit Bleist., teils
mit Blaust., von H.s Hand: Inhalt dieses Konvoluts. Bestimmte, unbe-
stimmte, unmittelbare und mittelbare Intuition (Repräsentation). Un-
bestimmtheit in jeder Wahrnehmung. Findet konzeptive (allgemeine,
erkennende) Auf}assung statt? Es gibt wesentliche Unterschiede der
Weisen intuitiver Auffassung (dies-Auffassung - Auffassung als "ein A"
etc.). Denkende Anschauung setzt Anschauung (im engeren Sinn) voraus.
TEXTKRITISCHE ANME~KUNGEN 691

- Kennen, Wiedererkennen und Erinnerung. Bekanntsein. Bestimmte -


unbestimmte Erinnerung, Erkennung, Bekanntheit etc. Vollständiges',
unvollständiges. An etwas erinnern. - Zeichen, Hindeutung - Bedeutung.
Zu I und VI <wohl gemeint I. und VI. der Logischen Untersuchungen>.
Symbolische Vorstellung. Herausgenommen ")lnd in den Konvolut "Bedeu-
tung" gelegt. © <evtl. y>. - VgL V (IL>' Begriffliche Auffassung, Auffassung
als ein A. Die Bl. sind mit Blaust. von 1 bis 5 paginiert, ab BI. 3 wohl von
E. Stein; die BI. 1 und 2 scheinen ursprünglich auch eine Bleist.-Paginierung
1 und 2 getragen zu haben. Auf der Vorder- und Rückseite von BI. 1 findet
sich mit Blaust. das Sigel p; ebenso auf der Vorderseite von BI. 2 oben links.
Auf der Vorderseite von BI. 3 findet sich mit Blaust. ein Verweis auf p.
Neben dem Sigel auf BI. 1 mit Blaust. der Vermerk NB. Die fünf BI. bilden
keinen einheitlichen Text, gehören aber thematisch eng zusammen. Spuren
späterer Durchsicht und Vberarbeitung finden sich in Form von Vber-
schriften, Randtiteln, einigen Einf. und Unterstreichungen. Eine direkte
Datierung findet sich nirgends; nach Schrift, Papier und auch inhaltlich
gehören die Aufzeichnungen in die neunziger Jahre; einen Terminus a quo
ergibt der Hinweis attf Cornelius (Bl. A VI 4, 58, oben S. 436, Anm. I)
dessen Werk "Psychologie als Erfahrungswissenschaft" (I879) sich in H.s
Privatbesitz befand (Archivsignatur BQ 8I) und sehr viele Lesespuren
aufweist.
431,31 und Erinnerung Einf. mit Blaust. 1/431,34 I. bis Erinnern Einf.
mit Blaust. 11 432,2 ja Einf. mit Bleist. 11 432,6 vor Indem Eröffnung einer
eckigen Klammer mit Blaust., die nirgends geschlossen wird 11 432,11 nach
und gestr. somit 11 432,41 bei bezieht.) endet S. 55a; auf S. 55b steht auf
der oberen Hälfte folgender, mit Blaust. kreuzweise gestr. Text aus anderem
Zusammenhang: Die deskriptive Psychologie als Grundlage der "Er-
kenntnistheorie". Grundlage der Abstraktion der fundamentalen Er-
kenntnisbegriffe. Wahrnehmung, Phantasievorstellung, Vorstellungen
durch Verähnlichungen, bildliche Vorstellung, Phantasievorstellung, Ge-
dächtnisvorstellung, Erwartungsvorstellung. Vorstellung durch Zeichen.
Wahrnehmung als Für-seiend-Haltung. Adäquate Wahrnehmung Erfas-
sung des Seins. Etwas in etwas anderem, ein einzelnes in einer Mehrheit,
einen Teil am Ganzen, ein Glied in einer Verknüpfung, bei Beziehungsglied
in einer Beziehung wahrnehmen. All das lässt sich auch vorstellen. Vor-
stellen lässt sich auch ein unbestimmt einzelnes einer Mehrheit, ein A, ein
A im allgemeinen, ein Verhältnis im allgemeinen, das, was allgemein so ist.
All das lässt sich beurteilen. Das Urteil setzt Vorstellungen voraus, die
ihm die intentionalen Gegenstände geben. Sein, Nichtsein, affirmative und
negative Sätze, affirmative und negative Wahrheit. 11432, Anm. 1 V. mit
Blaust. 11432, Anm. 2 und 3 Einf. mit Bleist. H433,6 Jetzt v. für Zunächst 11
433,8 analogische Einf. über der Zeile; nach, Gegenstandes gestr. der Art
nach, oder 1/433,23 nach wenn gestr. ich vergleiche" 433, Anm. 1 Rb. mit
Tinte 11434,19 ihm V. für seinem Gegenstand n434,21 G's als solche V. für
B's als G's 11 435, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 435,17 Sternchen vom Hrsg. ein-
gefügt " 435,18 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel m# Tintenst. 11
435,30-33 am Rande dieses Satzes, auf der Höhe von beim Wiedererkennen,
692 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

doppelte Anstreichung mit Blaust. 11435, Anm. 2 Rb. mit Blaust. 11436,12-13
Die bildliche bis Gegenstand V. für so wie die bildliche Vorstellung den
abgebildeten Gegenstand meint 11 436,16 Beginn von S. 57b 11 436,33 die
zweite Hälfte der S. 57b ist unbeschrieben 11 Sternchen vom Hrsg. eingefügt 11
436,34 bei Wiedererkennen und Erinnerung beginnt S. 58a; und Erinnerung
Eint. mit Blaust. 11 436, Anm. 1 Comelius Erg. mit Bleist. 11 437,7 Ent-
zifferung von Stimme nicht ganz gewiss 11 437,23 der Rest der S. 58a sowie
S. 58b sind unbeschrieben 11 Sternchen vom Hrsg. eingefügt 11 437, Anm. 1-3
Randtitel und Rb. mit Bleist. 11 438, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 438, Anm. 2
Rb. mit Tinte; der Teil Natürlich bis Namen mit Bleist. 11 439,2-9 Ich
blicke bis apprehendiert Erg. am Rande mit Tinte 11 439,13 zu Beginn am
Rande des Absatzes ein Fragezeichen mit Blaust. 11 439,14 Löwe V. für
Zivilisation \I 439,21-26 Die nachträgliche bis erwartete Erg. am Rande
mit Tinte; zuunterst auf S. 59b, auf dem KoPf stehend, die tJberschrift
Verständnis und Erkennen 11

Beilage XL (S. 439-446)


Der Text der Bl. I46-ISO des Binnenkonvolutes A VI I2 III (I28 + IS8),
dem auch die folgende Beilage entnommen ist, aus dem Ms. A VI I2 111.
(Zu diesem Binnenkonvolut vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkun-
gen zu Nr. I5.) Das Ms. A VI I2 III enthält in einem Umschlag (I + I27),
laut L. Landgrebes Aufschrift, erledigte Blätter aus BI und B 2 , d.h. Bl., die
L. Landgrebe als H.s Assistent in eine maschinenschriftliche Ausarbeitung von
"Studien zur Struktur des Bewusstseins" aufgenommen hat (vgl. die M anu-
skriptgruppe M III 3 der Archivpaginierung); ferner das Binnenkonvolut
(I28 + I58), dem diese und die folgende Beilage zugehören, und ein Binnen-
bündel (I59 + I68) mit H.s Aufschrift Der Brentano-Satz. Nicht mehr
viel wert. Die BI. der Beilage sind mit Bleist. von 1 bis 5 paginiert; auf Bl. 1
steht der Vermerk mit Bleist. besonders von 6 an. Im übrigen ist das meiste
sehr wenig ausgereift. BI. von 6 an liegen nicht vor, evtl. handelt es sich um
dieBl. 6 und + 7, die in Nr. ISd wiedergegeben sind (vgl. oben S. 3S311.). Aul
Bl. 1 (Ms. A VI I2 III, I46a) oben rechts mit Rotst. die tJberschrilt Vollzug
- Unterbindung des Vollzugs. Die BI. dürlten nach Inhalt und Schrift in
die Zeit der März-April-Manuskripte (vgl. die einleitenden Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. I5) gehören. Spuren späterer Durchsicht finden sich in
Form von Randbemerkungen, Unter- und Durchstreichungen mit Tinte,
Blei-, Blau- und Rotstift.
440,5 was kann es besagen etwas nachträgliche Einl. mit Tinte \I 440,11
vor Dasselbe gestr. Jedenfalls 11 440,29 = Konspizierens V. mit Rotst. für
Betrachtens, Konspizierens 11 440,31 statt in der im Ms. in dem 11 440,33
statt zu ihm im Ms. zu dem \1440, Anm. 1 Einf. mit Tinte 11440, Anm. 2
Streichung mit Blaust. 11441,13 nach "betrachten" gestr. ohne wünschend
(im Ms.: zu> Stellung (zu> nehmen 1\ 441,27-28 und 37-39 Anführungs-
zeichen mit Blaust. "441,42-44 Und bis Vorstellen"? evtl. etwas nachträglich
eingefügt" 441, Anm. 1 Rb. mit Bleist. "442,15-16 Also bis Es V. lür Hier
handelt es sich (ausradiert: nicht> um "Urteilsenthaltung", oder "Wer-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 693

tungs-Enthaltung", (ausradiert wohl: sondern) es 11442,16-25 der Text von


Es handelt sich bis ans Ende des Absatzes am Rande mit zwei geschweiften
Klammern mit Blaust. zusammengefasst, dazu der Vermerk mit Blaust. NB
(nota bene> 11442,27 normalerweise Einf. über der Zeile 11442,38 statt (dass>
ich im Ms. ich ich 1\443,11 und doch Einf. über der Zeile 11443,12 der andere
Fall Einf. über der Zeile I' 443,13 vor Fiktion gestr. pure 11 443,22-30 der
Text des Absatzes am Rande mit Rotst. angestr. 1\ 443,26 statt ohne das im
Ms. ohne den das 1\443,38-39 die Einteilungen 1) und 2) Einf. mit Rotst. 11
443.40 unter "Ausschaltung" V. für etwas Ausradiertes 1\443,41 (ohne bis
solchen) wohl etwas nachträglich eingefügt Ir 443, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11
443, Anm. 2 Erg. mit Tinte 11 443, Anm. 3 Einf. mit Tinte; Anführungs-
zeichen bei "teilen" und = sympathisierend mit Blaust. n444,12-19 der
Text Ich sehe bis Scheinhauses am Rande mit Blaust. angestr. 11 444,20
Komma nach modifizierte vom Hrsg. eingefügt 11444,25 vor diesem Absatz
gestr. Ist das alles? 11444, Anm. 1 Einf. mit Tinte 11444, Anm. 2 Streichung
mit Rotst. 11445,3 "blossen" Einf. über der Zeile 1\445,4 Auffassung V. für
"Betrachtung" 11 biossen vor sprachlichen Einf. über der Zeile 1\445,16 statt
ihre im Ms. seine 11445,21-22 Anführungszeichen mit Blaust. 1\445, Anm. 1
Rb. mit Blaust. 11 445, Anm. 2 und 3 Einf. mit Bleist. über der Zeile 1\ 445,
Anm. 4 Einf. mit Bleist., wobei der Punkt nach "Urteilsinhalt" in einen
Doppelpunkt verändert wurde 11 445, Anm. 5 V. mit Bleist. 11 445, Anm. 6
Eint. mit Bleist., wobei der Punkt nach mich in einen Doppelpunkt verändert
wurde 11445, Anm. 7 V. mit Bleist. 11446,4 Fragezeichen nach Gemütsakten
vom Hrsg. eingefügt 11 446,10 Anführungszeichen mit Bleist. 11 446,12 Die
Akte V. für Der Strahl 11446, 14-15 Anführungszeichen mit Blaust. n446,19
nach "Inaktualität" gestr. Es ist dabei zu beachten; Ende von S. Isob
(BI. 5) 11

Beilage XLI (5.446 f.)


Der Text des BI. I33 aus dem Ms. A VI IZ 111 (vgl. zu diesem Konvolut
die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zur vorangehenden Beilage). Es
trägt oben rechts H.s Sigel Mo (vgl. die einleitenden Textkritischen A nmerkun-
gen zu Nr. IS und im besonderen zu Nr. Ise). Das BI. dürfte in der Zeit der
März-April-Manuskripte I9IZ entstanden sein; es finden sich Spuren.
späterer Durchsicht in Form von Randbemerkungen und Unterstreichungen
mit Bleist., Blau- und Rotst.
446,31 die äusseren Anführungszeichen mit Blaust. 11446,32 Anführungs-
zeichen mit Rotst. 11 446, Anm. 4 Rb. mit Bleist. 11 446, Anm. 5 Rb. mit
Bleist. 11 447,33-45 der Text am Rande blau angestr. 11 447,36 oder Ver-
mutung etc. Einf. über der Zeile 11 447,37-38 und wie bis ist evtl. etwas
nachträglich eingefügt I! 447, Anm. 1 Fragezeichen mit Bleist. 11

Beilage XLII (S. 448-450)


Der Text der BI. 8z und 83 aus dem Ms. A VI II II (vgl. zu diesem
Konvolut die Textk1'itischen Anmerkungen zu Beilage III, oben S. 637 f.). Die
694 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

BT. tragen die Bleist.-Paginierung b1 und b2 sowie 'E. Steins Paginierung


177s und 177t mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestal-
tung", oben, S. 603 ff.;vgl. auch die einleitenden Textkritischen Anmerkungen
zu Nr. I5, oben, S. 675 f1.). BI. b 1 trägt oben rechts die Inhaltsangabe mit Tinte
Urteile aufgrund repräsentierender Phantasie und parallel Urteile auf-
grund von Bildern. Die Bl. dürften nach Schrift und Inhalt um I9II/I2
geschrieben worden sein. Ausser zwei Randbemerkungen und wenigen Unter-
streichungen keine Spuren späterer Durchsicht. ,
448,24 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11448, Anm. I
Rb. mit Bleist. 11 449,16 ermöglicht, also Einf. über der Zeile 11 450,10-11
vermittelndes bis eigentlich V. für Erscheinung ist, bildliche Darstellung
für das eigentlich Gemeinte 11 450,17 nach Gliederung gestr. Prädikation 11
450,19 und 21-22 kategoriale bis vollzogen: zweimal aufgrund von Unter-
führungszeichen im Ms. vom Hrsg. eingefügt 11450,24 <kategoriale bis voll-
zogen:> atts Symmetriegründen vom Hrsg. eingefügt 11450, Anm. 1 Rb. mit
Bleist. 11

Beilage XLIII (5. 450-453)


Der Text der BI. 42 und 45 aus dem Ms. A VI 4 (vgl. zu diesem Konvolut
die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5). Die Bl. tragen das
Sigel D und die Paginierung 1 und 2 mit Rotst. von H.s Hand, die Pagi-
nierung 60 und 61 von E. Stein mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl.
"Zur Textgestaltung", S. 603 ff.). Oben rechts auf BI. 1 H.s Vermerk mit Rotst.
NB <= nota bene>, darunter E. Steins Randtitel: Mischung von Wirklich-
keit und Einbildung; pure Phantasie. Die BI. dürften im Frühjahr I9I2
geschrieben worden sein; vermutlich nach dem I6. April (oben Nr. I5k), wie
nachträglich eingefügte terminologische Veränderungen im Text Nr. I5k
nahelegen. Ausser einer Veränderung und wenigen An- und Unterstreichun-
gen keine Spuren späterer Durchsicht.
451,27-31 der Text Im Fall bis klar} am Rande mit einer ges7;hweiften
Klammer mit Rotst. zusammengefasst 11451, Anm. 1 V. mit Tinte; statt Enthy-
meme im Ms. enthym. \\ 452,4 bei Nun kann E. Steins Randtitel: Aussagen
aufgrund von Phantasien als wirkliche Akte; darunter ihre Querverweise:
vgl. 45, 97, 228 11 452,14-15 Bindestriche Einf. mit Rotst. 11 452,18 statt
beziehen im Ms. betreffen 11 453,14 konstituierend Ein/. über der Zeile 11

Beilage XLIV (5. 453 f.)


Der Text des BI. 43 aus dem Ms. A VI 4 (vgl. zu diesem Konvolut die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5). Das BI. trägt die
Paginierung 2, ferner, von H.s Hand, die Zuordnung ad 601 (vgl. auch die
folgende Beilage) mit Bezug auf E. Steins Inhaltsverzeichnis (bzw. oben Nr.
ISg). Am Rande 4. Steins Titel: Deckung (bzw. Mischung) von originären
und phantasierten Erlebnissen; Rolle der Erfahrung in der Phantasie. Der
zweite Teil des Randtitels wohl auf BI. ad 602 bezüglich, das in der folgenden
Beilage abgedruckt ist. Das BI. dürfte naclrSchrift und Tintenfarbe anfangs
/
TEXTKRITISCHE ANMERRUNGEN 695

I908 geschrieben worden sein. Einen indirekten Hinweis liefert auch der
erwähnte Name Neuhaus. Karl Neuhaus legte am 26. Februar I908 als erster
Promovend H.s das Rigorosum ab (vgl. K. Schumann, Husserl-Chronik,
Den Haag I977. S. II3). Ausser einigen Unterstreichungen mit Bleist. keine
Spuren späterer Durchsicht; die' als Anmerkung wiedergegebene Textergän-
zung wurde wohl nachträglioh, aber nicht eigentlich später geschrieben.
453,21-24 Titel aufgrund von H.s Text oben rechts am Rande 11 454,
Anm. 1 Erg. am Rande; innerhalb der Anmerkung: Entzifferung von riesen-
gross nicht gewiss, evtl. Riesenhuf zu lesen 11

Beilage XLV (S. 455 f.)


Der Text des BI. 44 aus dem Ms. A VI 4 (vgl. die Textkritischen Anmer-
kungen zur voranstehenden Beilage). Oben rechts mit Bleist. die Paginierung
3 .• ferner, von H.s Hand, die Zuordnung ad 602 mit Blaust. Eine genaue
Datierung des BI. ist sehr schwierig; nach der Schrift dürfte es frühestens
I909!IO entstanden sein, es kann aber auch im Kontext der Ms. von März-
April I9I2 geschrieben worden sein, worauf der Beginn der Aufzeichnung
auch deuten könnte. Das BI. trägt keine Spuren späterer Durchsicht. 455,6-9
der Text Ein wichtiges Thema bis u. dgl. mit einer geschweiften Klammer
mit Tinte zusammengefasst 11 455,10 geworfener V. für fallender 11 455,36
statt vorschreiben im Ms. vorschreibt 11

Beilage XL VI (S. 456 f.)


Der Text des BI. 7 aus dem Ms. A VI 29 (zu diesem Konvolut vgl. die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS). Es trägt H.s Vermerke
mit Rotst. ad 8 und mit Tinte ad 33 und nochmals mit Rotst. ,,8". Diese
Zuordnung bezieht sich auf die Vorderseite von BI. 3 (Ms. A VI 29, S. 4a)
der als Text Nr. Isi wiedergegebenen Aufzeichnung vom 12. April 1912. Das
BI. trägt E. Steins Paginierung 67 mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis (vgl.
"Zur Textgestaltung", oben S. 603 ff.). Es dürfte im April I9I2 geschrieben
worden sein; Spuren späterer Durchsicht, abgesehen von der Zuordnung ad 8,
finden sich keine.
456,43 das Komma nach Zuwendung V. für und 11457,40 unten auf der
Ms.-Seite auf dem KoPf stehend und durchgestrichen 1) ungehemmter
Vollzug 11

Beilage XL VII (S. 123-123)


Der Text des BI. IO aus dem Ms. A VI 29 (zu diesem Konvolut vgl. die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS). Es trägt, evtZ. von
E. Steins Hand, das Sigel MM und die Paginierung 2a mit Bleist. sowie die
Paginierung 70 mit Bezug auf E. Steins Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur
Textgestaltung", obenS. 603 ff.). Das BI.liegtnachBl. MM2 (Ms. A VI 29,9)
des als Nr. ISk wiedergegebenen Textes vom 16. April 1912. Es dürfte ebenfaUs
auf April I9I2 zu datieren sein. Ausser wenigen Unterstreichungen und
696 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

einem oben (S. 458) als Anmerkung wiedergegebenen Hinweis mit Rotst. am
Schluss der Aufzeichnung keine Spuren späterer Durchsicht.
458, Anm. 1 Hinweis mit Rotst. Die drei Blätter MA dürften die als
Beilage XL VIII wiedergegebene Aufzeichnung bezeichnen (vgl. die einleiten-
den Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5). Unter H.s Hinweis steht noch
E. Steins Querverweis vgl. 221 ff. mit Bezug auf ihr Inhaltsverzeichnis 11

Beilage XL VIII (S. 459-463)


Der Text der BI. 84-86 aus dem Ms. A VI I2 I. Dieses umfangreiche
Konvolut (292 BI.) enthält Manuskripte, hauptsächlich aus der Zeit von etwa
I909 bis I9I4, die L. Landgrebe in den zwanziger Jahren als H.s Assistent
für "Studien zur Struktur des Bewusstseins" (Landgrebes Aufschrift auf dem
Binnenumschlag 2 + II9, in welchem die BI. vorliegender Beilage liegen)
zusammenstellte und jeweils mit Vberleitungstexten, die sich ebenfalls im
Konvolut befinden, versah. Die BI. der Beilage sind von H. mit Rotst. von
1 bis 3 paginiert und tragen oben links auf BI. 1 die Datierung Osterferien
1912mit Bleist. Vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5
bezüglich weiterer Aufschriften H.s zu diesen BI. (oben, S. 676). Die Bi.
weisen zahlreiche Spuren späterer Bearbeitung auf: Veränderungen mit Tinte
und Bleist., Einfügungen und zahlreiche Unterstreichungen mit Buntst. Es
finden sich auch einige Spuren von L. Landgrebes Bearbeitung der Auf-
zeichnung, die nicht in den Druck aufgenommen wurden. (Die maschinen-
schriftliche Fassung von L. Landgrebe befindet sich im Konvolut M III 3 I 4
(ein Duplikat in Ms. M III 3 I I II).
459,13-15 der Text dieses Absatzes am Rande mit einer geschweiften
Klammer mit Blaust. zusammengefasst 11459,16-21 der Text dieses Absatzes
am Rande mit Rotst. angestr. 11 459,32 reproduktiv V. für imaginativ 11
459,40 Gedankenstrich Einf. mit Blaust. 11 459, Anm. 1 Rb. mit Rotst. 11459,
Anm. 2 Einf. mit Blaust. 11 459, Anm. 3 Einf. mit Bleist. 11 460,33 ein-
stimmigen V. für schlichten 11 460,39 entspricht Einf. mit Blaust. 11 460,
Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 460, Anm. 2 V. mit Bleist. 11 460, Anm. 3 und 4
Streichung mit Bleist. 11 460, Anm. 5 und 6 Einf. mit Bleist. 11 460, Anm. 7
Streichung und Bemerkung mit Bleist. 11 461,1 Also später mit Bleist. gestr. 11
461,23-24 eines 'belief' bis Aktualität teils V. für etwas Ausradiertes, teils
Einf. am Rande 11461,24 Und darin liegt v. für oder vielmehr 11461, Anm.
1 und 2 Einf. mit Bleist. 11462,1 nach das Erfassen gestr. (oder quasi Erfas-
sen) 11462,5 und 15 die Einteilung 1) und 2) mit Braunst. nachgezogen 11
462,8 spontane Glaubenszuwendung, spontanen Einf. über der Zeile 11
462,33 axiontischen später mit Braunst. in axiotischen verändert I: 462,
Anm. 1 Streichung und Rb. mit Tinte 11 462, Anm. 2 Einf. mit Blaust. 11
462, Anm. 3 Randtitel mit Blaust. 11462, Anm. 4 Einf. mit Tinte; innerhalb
der Anmerkung: "nominalen" Einf. mit Bleist.; im prägnanten Sinn Einf·
über der Zeile; nach in gestr. einfache 11 463,5 Gedankenstrich Einf. mit
Rotst. 11 463,9-10 au/,der Höhe von Aufmerksamkeit ist einfache Erfassung
am linken Rand die wieder ausradierte, doch gerade noch lesbare Bemer-
kung: Nein. Ein anderer Begriff von Aufmerksamkeit ist das blosse Be-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 697

trachten ohne Vollzug der Setzung. 11 463, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 463,
Anm. 2 Einf. mit Rotst. 11 463, Anm. 3 Ein/. mit Tinte; die Klammern
innerhalb der Anmerkung mit Blaust.; am Rande der Anmerkung oben ein
abwärts gerichteter und unten ein aUfwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11
463, Anm. 4 Einf. mit Bleist. I' 463, Anm. 5 V. mit Bleist. 11 463, Anm. 5
Rb. mit Bleist. 11

Nr. 16 (5. 464-477)


Der Text der BI. 46-S2 aus dem Ms. A VI 4, dem sogenannten "R"-
Konvolut (vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. IS, oben
S. 67S ff.).Die Bl. sind mit Bleist. von H.s Hand von 7 bis 13 paginiert; in
E. Steins Paginierung entsprechen sie den BI. 81 bis 87 (vgl. "Zur Text-
gestaltung", oben S. 60311.). Die BI. tragen keinl!' Datierung, sie dürften aber
nach Inhalt und Schrift in zeitlicher Nähe zur März-April-Gruppe von I9I2
(oben Nr. IS) entstanden sein. H.s Erwähnung des Bildbewusstseins auf dem
Gesamtumschlag des "R"-Konvolutes (Ms. A VI 4, S. Ia) dürfte sich ins-
besondere auf die BI. dieser Nr. I6 beziehen, wie auch seine Aufschrift, das
Konvolut enthalte die Bl. 21-88 (mit Bezug auf die Paginierung E. Steins),
eben diese BI. einschliesst und in nahen Zusammenhang mit den in Nr. IS
wiedergegebenen Aufzeichnungen zu stellen scheint. Es scheint dem Hrsg.
indessen fraglich, dass die BI. 7 bis 13 der Nr. I6 einen einheitlichen Text
mit den BI. 1 bis 6 (später mit dem Sigel MM versehen), die der Nr. ISk
zugrundeliegen, bildeten. Es besteht zwar zwischen Ms. A VI 29,I4a (vgl.
Nr. ISk, oben S. 42I,7) undMs. A VI 4,47 (Bl. 8) in Nr. I6 (oben S. 466,3 ff.)
sachlich ein recht guter Anschluss, doch passt Bl. 7 (Ms. A VI 4,46), auch
äusserlich von anderer Papierqualität als die BI. 1 bis 6 bzw. 8 bis 13, nicht
recht zu 6 (Ende von Nr. ISk, unter Beachtung, dass die Rückseite von BI. 6
nachträglich dazukam). Die BI. wurden mit Tinte, Blei-, Blau- und Rotst.
überarbeitet.
464,10 oben rechts auf der Ms.-Seite E. Steins Randtitel Widerstreit in der
Phantasie 11465,16 Entzifferung von scheinende nicht ganz gewiss 11465,23
nach liegen gestr. Die Modifikationen sind hier selbst modifizierte I' 465,38
Perzeption Ein/. über "Wahrnehmung" 11466,3 bei diesem Absatz E. Steins
Randtitel Stellungnahmen zu dem phantasie- bzw. bildmässigVorgestellten
11466,4 oder bis Modalisierungen im Ms. mit Kommas abgetrennt 11 466,32·
Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Blaust. oben rechts auf S. 47b 11
466, Anm. I gleichzeitiger Hinweis mit Blaust. wie der Randtitel tI 467,7
Anführungszeichen mit Blaust. 11 467,28-29 sie bis Bildobjekt wohl gleich-
zeitige Einf. unter der Zeile 11 467, Anm. 1 wohl gleichzeitige Rb. 11468,8 statt
meinen im Ms. meine 11 468,18 statt lebendigen im Ms. evtl. lebenden 11
468,32 Erlebnissen V. für Erinnerungserlebnissen 11468,33 statt des im Ms.
der 11469,7-8 Anführungszeichen vom Hrsg. eingefügt 11470,12 Anführungs-
zeichen vom Hrsg. eingefügt It 470,29 Sternchen für geschweifte Trennungs-
linie im Ms. 11 470,32 besser: nichtsetzende Einf. über setzungslose,
Klammern vom Hrsg. eingefügt 11470,33 nichtsetzenden Ein/. über setzungs-
losen, Klammern vom Hrsg. eingefügt 11 471,2-3 Also bis gesetzte Einf. am
698 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Ende des Absatzes 11471,3 Sternchen für geschweifte Trennungslinie im Ms. tI


471,4 oder Trauer Einf. über Freude, Klammern vom Hrsg. eingefügt 11
471,5 nichtsetzende V. für setzungslose 11 471,7 oder Trauer Einf. über
Freude, Klammern vom Hrsg. eingefügt 11471,19 Zwischentitel aufgrund von
H.s Rb. mit Blaust.; darunter ein abwärts gerichteter Pfeil mit Blaust. 11
471,27 statt Bildbewusstsein hat im Ms. Bildbewusstsein ist 11471, Anm. 1
Hinweis mit Blaust. bei der Rb., die als Zwischentitel (Zeile r9) gedruckt ist
11 472, Anm. 1 V. mit Tinte 11 472, Anm. 2 V. und Erg. mit Tinte 11 472,
Anm. 3 Einf. mit Tinte 11472, Anm. 4 und 5 V. mit Tinte 11473,12 nach sich
gestr. doch 11473,16 bei es ist schon beginnt S. 5rb, die vor 5ra (der Archiv-
paginierung) tolgt 11 473,26 Sujet im Ms. stenographisch und zwischen
Klammern noch einmal kurrentschriftlich 11 473, Anm. 1 V. mit Tinte 11473,
Anm. 2 Streichung mit Tinte 11 473, Anm. 4 V. und Erg. mit Tinte 11 473,
Anm. 5 und 6 V. mit Tinte 11 473, Anm. 7 V. und Erg. mit Tinte 11474,2-3
statt für entsprechende evtl. zu lesen für die entsprechenden 11 474,6 <ist>
Konjektur tür etwas Ausradiertes 11474,10 Komma nach Erscheinung Einf.
mit Rotst. 11 474,14 statt allen im Ms. wohl versehentlich allmen (evtl.
Mischung von allen und allgemeinen?) 11 474,29 (oder muss?) evtl. etwas
nachträglich eingefügt 11 474,31 analogisierende Einf. über"der ~Zeile 11'474,
Anm. 1 V. mit Tinte 11474, Anm. 2 V. mit Tinte 11474, Anm. 3'Einf. mit Tinte'll
474, Anm. 4 Eint. mit Rotst. 11 474, Anm. 5 V. mit Tinte 11 475,3-4 Sie
ist bis Darstellung evtl. etwas nachträglich eingefügt 11 475,4 Sternchen für
geschweifte Trennungslinie im Ms. 11475,144) evtl. etwas nachträglich ein-
gefügt; Absatz dementsprechend vom Hrsg. 11 475,26 5) evtl. etwas nachträg-
lich eingefügt 11 476,2 nach die gestr. schlicht 11 476,13 Sternchen tür ge-
schweifte Trennungslinie im Ms. 11 476,14 Zwischentitel aufgrund von H.s
RandtiteI mit Rotst. 11 476,19-21 obschon bis empirischer Mensch V."etwas
nachträglich fur (nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren) d.h. in solchen
Fällen gehöre ich nicht als leibliches oder gar perzeptiv dargestelltes Ich
mit dieser Stimmung ins Bild hinein. Vielleicht nicht Ich, diese bestimmte
empirische Person 11476, Anm. 1 Streichung mit Tinte 11 476, Anm. 2 Einf.
mit Tinte 11 477,9 phantasieren Einf. über reproduzieren, Klammern vom
Hrsg. eingefügt 11 477, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11

Beila~e XLIX (S. 477 f.)


Der Text des BI. 53 aus dem Ms. A VI 4 (zu diesem Konvolut vgl. die
Textkritischen Anmerkungen zu Nr. r5). Es trägt E. Steins Paginierung 88
(vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 tf.) und, vermutlich ebenfalls von
E. Steins Hand, mit Bleist. die Paginierung 14 als Anschluss an die BI. 7
bis 13 der Nr. r6. Oben rechts H.s Vermerk mit Blaust. Beilage und darunter
mit Bleist. Ein& Nebenüberlegung, die ich etwa zu p. 10 (?) <oben, S. 469,20
//.) für nötig hielt. (Das Bi. passt evtl. besser zu p. 9 (oben, S. 467,30 tf·)
des als Nr. r6 wiedergegebenen Textes.) Ferner findet sich noch E. Steins
Randtitel Reproduktiv modifizierte und aufgehobene Qualitäten. Nach
Schrift und Inhalt dürfte das Bl. in der Zeit des Textes der Nr. r6 entstanden
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 699

sein, wohl Frühjahr I9IZ. Ausser Anführungszeichen beim Wort Qualität


zu Beginn der Aufzeichnung keine Spuren späterer Durchsicht.
477,18 Anführungszeichen mit Rotst. 11 477,27 Komma nach der Klammer
vom Hrsg. eingefugt " 478,21 nach sondern gestr. in die "aufgehobene",
negative Qualität, aufgrund des Sich-durchsetzens widerstreitender Er-
scheinungen. U

Beilage L (S. 479-482)


Der Text der BI. I5 bis I7 aus dem Ms. A VI z9 (zu diesem Konvolut vgl.
die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5 und besonders zu
Nr. I5j und Nr. I5k). Die BI. entsprechen den BI. 75 bis 77 in E. Steins
Paginierung (vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 60311.). DieBl. A VI 29, I5
und I6 tragen H.s Bleist.-Paginierung 1 und 2; BI. A VI Z9,I7 scheint nicht
schon ursprünglich zu den anderen beiden BI. gehört zu haben, es trägt die
gestr. Bleist.-Paginierung 2. Eine gewisse Einheit erhalten die drei BI. durch
die von H. nachträglich hinzugefügten Vermerke mit Bleist.: Das kann auch
zu 6 gelegt werden (BI. A VI Z9,I5a); etwa zu 6 (I5b); zu 6 ff. (I6a); zu 6 ff.
(I7a). Welches BI. 6 bzw. welche BI. 6 ff. H. im Auge hatte, ist ungewiss.
Zu BI. A VI Z9,I4 (6 bzw. MM 6; vgl. Nr. I5k), dem die drei BI. im Ms.
folgen - sie scheinen auch zusammen mit den BI. a und MM aus den Ms. "R"
genommen}.(vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5,
oben S. 675 f.) -, scheinen sie nicht recht zu passen. Thematisch besser passt
eine Zuordnung zu den als Nr. I6 wiedergegebenen BI. 7 bis 13 (vgl. aber über
die problematische Zugehörigkeit dieser BI. zu den voranliegenden BI. 1 bis 6
der Nr. I5k die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I6), die
zu 6 ff. passen würden. Andererseits ist auch eine Zuordnung zu BI. A VI
4,Jz f. (Bleist.-Paginierung 6 und 7) in Nr. I5g (oben, S. 383.5 If.) nicht
auszuschliessen; BI. A VI 4,3z trägt den Zwischentitel Eikonische Phantasie
(ein, soweit dem Hrsg. bekannt, nur in diesem Text und der ihm zugeordneten
Beilage D (oben, S. 45011.) sowie in Nr. I5h und Nr. I5i auftretender Titel
für Bildbewusstsein, während BI. A VI Z9,I5 H.s Blaust.-Vermerk zu
Imagination trägt, also sachlich auch die Thematik jener BI. in Nr. I5g
treffend; auch E. Stein gibt unter anderen einen Querverweis von BI. A VI
Z9,I5 (BI. 75 ihrer Paginierung) auf BI. A VI4,3z (BI. 50 ihrer Paginie-
rung), und umgekehrt. Die drei BI. dieser Beilage tragen keine Datierung; sie
dürften nach Schrift und Inhalt auf etwa Frühjahr I9IZ (oder aber etwas
später) zu datieren sein. Es finden sich einige Spuren späterer Durchsicht
in Form von Einfügungen, Streichungen, Unterstreichungen und einer Ein-
klammerung der ganzen S. I5a.
479,9-33 der Text der S. I5a mit Blaust. in eckige Klammern gesetzt"
479, Anm. 1 Streichung mit Blaust. "479,34 ff. bei Das ist alles zu überlegen
E. Steins Randtitel: Fiktion und Bildauffassung sowie ihre Querverweise
mit Bezug auf das Inhaltsverzeichnis (vgl. "Zur Textgestaltung", oben
S. 603 ff.): vgl. 19, 50, 154, 177,237,295, A. "480,11 Bildsujet V. für Bild
(evtl. statt Bild zu lesen Abbild, da sich ein kleiner Punkt vor dem Zeichen für
Bild lindet, der aber auch versehentlich, durch Abstützen der Feder, entstan-
700 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

den sein könnte) 11 480,15 direkt Einf. über der Zeile 11480, t 7 direkte Einf.
über der Zeile 11 480,19 statt Reinfälle könnte auch Rheinfälle, soz. als
konkretes Beispiel eines "Reinfalls" gelesen werden! 11 480,31 A nführungs-
zeichen mit Blaust. 11 480, Anm. 1 und 2 Einf. mit Bleist. 11 480, Anm. 3
Eint. mit Blaust. 11 480, Anm. 4 Streichung und Rb. mit Tinte 11 481,2-4
fortfallen bis dastände V. für (das Setzungsbewusstsein) nicht mehr auf-
kommen und so in der Tat als Setzung vernichtet werden in anderem
Sinn, so hiesse das, der Schein sei bewusst als blosse "Imagination" 11
481,7-9 und doch bis bewusst V. für als "imaginativ" Vorschwebendes:
aber nicht reproduktiv. Es stellt auch nichts ausser sich dar. 11 481,29
Sternchen vom Hrsg. eingefügt 11 481, Anm. 1 V. mit Tinte 11 481, Anm. 2
V. und Erg. mit Tinte 11 482,4-5 Und bis macht? evtl. etwas nachträgliche
Einf. über der Zeile 11482,13 bei der Fall ist endet S. I7a; die Rückseite ist
unbeschrieben 11

Beilage LI (S. 482-485)


Der Text der BI. I8-20 aus dem Ms. A VI 29 (zu diesem Konvolut vgl.
die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5). Sie sind mit Blaust.
von 1 bis 3 paginiert und bilden in E. Steins Paginierung die Bl. 78 bis 80
(vgl. "Zur Textgestaltung", oben S. 603 ft.). Die Autzeichnung ist undatiert,
dürtte aber, nach der Schrift und nach Inhalt zu urteilen, auch etwa auf
Frühjahr I9I2 oder etwas später (vgl. die vorige Beilage L) anzusetzen sein.
Bl. A VI 29,I8 trägt oben rechts mit Blaust. die Aufschritt, die im Titel der
Beilage aufgenommen ist. Die Bl. tragen nur wenige Spuren späterer
Durchsicht in Form von Unterstreichungen mit Blau- und Rotst. sowie von
geringfügigen Eint. bzw. V. mit Bleist.
482,28 statt von dieser im Ms. von der dieser 11 482,41 und 483,7 die
Einteilung 1) und 2) mit Blaust. und nachgezogen mit Bleist. 11482,6 wechsel-
seitige Einf. über der Zeile 11483,26 nach mit anderer Perzeption gestr. Und
dieses erstreckt sich nun ein Stück weiter, ist (statt ist im Ms. in> einig
mit einem (durch den Zusammenhang mit den unbestrittenen Perzep-
tionen) (Klammer vom Hrsg. geschlossen> Gebiet von setzenden Inten-
tionen und in der Setzung festbleibenden 11483,34 des perzeptiven Zweifels
V. für der Illusion, wobei versehentlich der statt des stehenblieb 11483, Anm. 1
V. mit Bleist.II484,5 nach anderes gestr. streitet 11484,9-10 gewöhnliche bis
Dinge V. tür Sich-verdecken der gewöhnlichen 11484,17 bei Welt tehlt im
Stenogramm das t, so dass auch Wahl gelesen werden könnte, was hier aber
keinen Sinn gibt 11484,18 H. zu diesem Absatz E. Steins Randtitel Einigung
von Wahrnehmungs- und Erinnerungswelt und der Querverweis vgl. 171
mit Bezug aut ihr Inhaltsverzeichnis 11 484,18 einer "blossen Phantasie"
V. für der Einbildung, der Phantasie-Einbildung 11484,21 wirkliche Welt
V. für Wahrnehmungswelt 11 484,23-24 Die bis dieselben Eint. über der
Zeile 11 484, Anm. 1 Eint. mit Bleist. 11 485,35 der Rest der Seite, etwa ein
Fünftel, ist unbeschrieben 11
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 701

Nr. 17 (S. 486-494)


Die Texte dieser Nummer sowie der Beilagen LII-LIV entstammen einem
Binnenbündel (Umschlag 59 + 87) aus dem Konvolut A VI I I II (vgl. dazu
die Textkritischen Anmerkungen zu Beilage III), das von H.s Hand die im
Titel der NI'. I7 und in der zugehörigen Anmerkung I (oben S. 486) wieder-
gegebenen Umschlag-Aufschriften mit Blaust. sowie den Rotst.-Vermerk
Auch Blätter von 1912 trägt. E. Stein paginierte das Binnenbündel auf dem
Umschlag mit 177 und fügte folgende Querverweise mit Bezug auf ihr In-
haltsverzeichnis (vgl. oben "Zur Textgestaltung", S. 603 ff.) an:vgl. 19,50, 75,
154, 237, 295, A. Abgesehen von den ersten drei BI. (60-62) paginilYYte sie die
BI. des Bündels von 177110 bis 177w • Die in diesem Konvolut über Bild (vgl.
H.s Einf. in E. Steins Inhaltsverzeichnis, oben S. 6°7) versammelten BI. weisen
weder eine chronologische noch systematische Einheit auf. Bis auf die BI. 69,
70, 78, 79 und 84 fanden jedoch alle, aufgrund chronologischer und sachlicher
Gesichtspunkte allerdings an verschiedenen Stellen, Aufnahme in vorliegen-
dem Bande (vgl. auch die Beilagen V, VII, IX, XXVIII und XLII). Bei
den in NI'. I7 abgedruckten Texten dürfte es sich um Aufzeichnungen aus dem
Jahre I9I2 handeln; sie wurden vom Hrsg. in die Abschnitte a}, b) und c) ein-
geteilt, da sie keinen durchlaufenden Text zu bilden scheinen.
Zu NI'. I7a): Der Text der BI. 63-65 des genannten Konvoluts. Die BI. sind
von H.s Hand mit 1-3 paginiert, zuerst mit Bleist., darüber mit Blaust. BI. 1
trägt oben die Blaust.-tJberschrift Bildanschauung und den Vermerk wichtig
4 Blätter ebenfalls mit Blaust. Vermutlich handelt es sich bei BI. 4 um das
BI. 68 des Konvolutes, welches hier als NI'. I7b) abgedruckt,wird, da es eine
eigene tJberschrift trägt. Bei E. Stein handelt es sich um die BI. 177110 bis 177c,
BI. 177110 enthält ihren Randtitel Anomale Raumauffassung, \Widerstreit im
Bildbewusstsein. Die BI. weisen Spuren späterer Bearbeitung mit Tinte,
Blei- und Blaust. auf.
486,8 Relief Einf. mit Bleis!., Klammer von Hrsg. eingefügt 11486,16 nach
geforderten gestr. Motivationen 11 486, Anm. 1 Umschlagaufschrift mit
Blaust. 11 486, Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 487,13 und doch nur V. für aber 11
487,28 nach sind gestr. normalerweise 11 487,30 Klammer vom Hrsg. ge-
schlossen 11487,35 und 36 statt dem im Ms. den 11487,37 statt Wahrgenom-
menen im Ms. Wahrgenommenem 11 488,3 nach wirklich gestr. genau 11
488,15-16 nun bloss Ein!. über der Zeile Jl488,19 statt einen im Ms. eine 'I·
488,20 statt einzelnes im Ms. einzelnen 11488,31 im Ms. zweimal in 11488,38
finde ich V. für sehe ich JI 489,14 = wahrnehmungsmässigen Einf. mit
Tinte 11489,15 statt die im Ms. der 11489,27 nach der Klammer im Ms. noch
einmal ein ist 11 489, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 490,8 Naturkenntnis V. für
Naturerkenntnis It 490, 10 EntzifflYYung von reale nicht ganz gewiss 11490,10-
11 in der Wahrnehmung Eint; mit Tinte 11 490,18-19 aufgefasst oder Eint.
mit Tinte " 491,11 nach der gestr. Wirklichkeit oder 11
Zu NI'. I7b): Der Text des BI. 68 des Konvolutes A VI I I II. Es trägt von
H.s Hand die Paginierung 4, zuerst mit Bleist., darüber mit Blaust.' Unter
der Titelüberschritt, die teils am Rande steht (von Bildsubstrat bis Bild-
darstellung, oben 491, 18-20), tinde~ sich der Blaust.- Vermerk Wichtig.
702 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Das BI. ist von E. ~tein mit 177r paginiert. Das BI. weist blass einige, wohl
schon zur Zeit der ersten Niederschrift vorgenommene Veränderungen mit
Tinte auf.
491,33 nach Orientierung gestr. stehen 11 491,36 und Hinweis Einf. über
der Zeile 11 492,5 nach die gestr. betreffenden 11 492,6 nach, erscheint statt
Komma im Ms. ein Punkt 11 492,12 berufener Erreger V. lür "Erreger" 11
Zu Nr. I7c): Der Text des BI. 62 aus dem Konvolut A VI II 11. Es trägt,
wohl von H.s Hand, die Paginierung 1. mit Kopierst., ferner E. Steins
Paginierung 177 sowie ihren Randtitel Bildvorstellung (abbildende und
widerstreitende Komponenten); Veranschaulichung von begrifflich Ge-
wusstem. Das BI. weist keine Spuren späterer Bearbeitung auf.

Beila~e LU (S. 494 f.)


Der Text des BI. 67 aus dem Konvolut A VI II 11 (vgl. die Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. I7). Es trägt, wohl von H.s Hand, die Paginierung 3b
sowie E. Steins Paginierung 177e mit Bezug aul ihr Inhaltsverzeichnis (vgl.
oben "Zur Textgestaltung", S. 60311.). Schapps Werk, auf dasH. sich bezieht,
erschien I9IO; die Aufzeichnung dürfte aul dasselbe Jahr anzusetzen sein.
Das BI. weist, ausser Blaust.-Unterstreichungen, keine Spuren späterer
Bearbeitung auf.
494,32-495,1 Hier bis "Fingieren" wohl gleichzeitige Einl. 11 495,6 nach
"Fiktion" im Ms. ist das nicht 11 495,14 nach Wachsfigur gestr. mit ihren
echten Kleidern 11 495,15 nach bildet gestr. das Ding ab 11 495,18 nach
Äusserungen im Ms. eine geschweifte Trennungslinie mit Blaust. und danach
ein mit Blaust. kreuzweise gestr. Text über Ordnung in der Konstitution
(bzw. Gegebenheitsweise) der dinglichen Bestimmtheiten 11

Beila~e LIII (5. 495)


Der Text des BI. 60 aus dem Konvolut A VI I I II (vgl. die Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. I7). Das BI. trägt weder Paginierung noch Datierung
und auch keine Spuren späterer Bearbeitung. Nach der Schrift zu urteilen,
scheint die A ujzeichnung etwa I9I2 oder etwas später entstanden zu sein. Die
Rückseite ist unbeschrieben.

Beila~e LlV (S. 496)


Der Text des BI. 6I aus dem Konvolut A VI I I II (vgl. die Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. I7). Das BI. trägt weder Paginierung noch Datierung
und auch keine Spuren späterer Bearbeitung. Es ist, nach der Schrilt zu
urteilen, last sicher auf I9I7 oder I9I8 zu datieren. Die Rückseite ist un-
beschrieben .•
496,7 Entzifferung von gewährt nicht ganz gewiss 11 496, Anm. 1 tJber-
schrift der A ulzeichnung 11
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 703

Bena~e LV (S. 496 f.)


Der Text des BI. I37 aus dem/'Konvolut A VI z6 (vgl. dazu die Tex'-
kritischen Anmerkungen zu Nr. zo). Das BI. trägt, wohl von H.s Hand die
Paginierung b) mit Kopierst.; ein zugehöriges Bl. a) liegt nicht im Konvolut.
Es ist undatiert, dürfte aber nach Papierart und Schriftbild auf etwa I9I7 oder
I9I8 anzusetzen sein. Es trägt den wohl von H. mit Bleist. gestr. Vermerk
E. Steins Ad NB 7j9c, der vermutlich eine Zuordnung zu Materialien für
E. Steins Ausarbeitung der Ideen 11 (vgl. Husserliana IV) darstellt. Die
kurze, isolierte Aufzeichnung wurde aus inhaltlichen Erwägungen vom Hrsg.
den Textstücken aus dem Konvolut über Bild (vgl. die Textkritischen An-
merkungen zu Nr. I7) beigefügt. Ausser einigen Blaust.-Unterstreichungen
weist das BI'. keine Spuren späterer Bearbeitung auf.

Nr. 18 (S. 498-524)


Der Text der BI. I-I3 (Nr. I8a) aus dem Konvolut L 11 I5, dem auch der
Text der Beilage LVI entstammt, sowie der BI. zI-z8 (Nr. I8b) aus dem
Konvolut A VI Z9, auf dem auch die Beilagen LVII und LVIII tussen. Die
Zusammenstellung dieser BI. aus Ms. L 11 I5 und Ms. A VI z9 zu einer
einheitlichen Nummer hat ihre Grundlage in H.s gegenseitigen Hinweisen im
Ms. L II I5 auf S. 6b (BI. 14 der Originalpaginierung; vgl. oben S. 504,
Anm. z) bzw. im Ms. A VI Z9 auf S. zza (BI. 1 der Originalpaginierung
trägt den Vermerk Einlage 7 Blätter bei 14). Im Ms. L II I5 auf S. 6b
(BI. 14) ganz unten steht überdies der Bleist.- Vermerk folgt 15, so dass
anzunehmen ist, dass die 7 Blätter tatsächlich auch einst bei 14 eingelegt
waren. Auf keinem der in Nr. I8 wiedergegebenen BI. findet sich eine direkte
Datierung von H.s Hand. Mehrfache Hinweise in verschiedenen Manuskrip-
ten bezeugen jedoch, dass die in Nr. I8 sowie in Beilage LVI abgedruckten
Ms.-Bl. einst einem von H. mit dem Sigel F 1 bezeichneten Ms. zugehörten,
welches von H. selbst auf 1918 Bernau datiert ist (vgl. Ms. A I z3, S. Ia).
In Bernau hielt H. sich vom I. Februar bis z7. April und wiederum vom
August bis Oktober I9I8 auf (vgl. K. Schuhmann, Husserl-Chronik, Den
Haag I977, S. zzo und zz7-z30). Höchstwahrscheinlich entstand das Ms. F 1
während H.s zweitem Bernauer Aufenthalt im Jahre I9I8. Husserl selbst hat
dann aber, unbestimmt wann, die in Nr. I8 sowie in Beilage LVI zum'
Abdruck'gelangten BI. von jenem Ms. Fllosgetrennt, ferner auch die sieben
Einlageblätter (oben Nr. I8b) zwischen BI. 14 und BI. 15 der Original-
paginierung des oben als Nr. I8a gedruckten Textes herausgenommen und
thematisch verwandten Blättern, die oben in den Beilagen LVII und LVIII
wiedergegeben werden, zugeordnet (vgl: die entsprechenden Textkritischen
Anmerkungen unten). Die in Nr. I8a und in der Beilage LVI abgedruckten
BI. scheintH. dann den von Februar bis April I9I8 und teils bereits während
seines Bernauer Aufenthalts vom 30. Juh bis I. Oktober I9I7 (vgl. Husserl-
Chronik, S. ZIZ tt.) entstandenen "Bernauer Manuskripten" beigefügt zu
haben. Innerhalb dieser Manuskripte, die im Husserl-Archiv Leuven die
Signaturen L I I etc. und L II I etc. tragen, scheinen jene BI. (Ms. L II I5)
704 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

eine Art Sonderstellung einzunehmen; Eugen Fink jedenfalls, der als H.s
Assistent mit der Ausarbeitung der, ,Bernauer Manuskripte" zu einem Buch
über Zeit betraut wurde, nahm das Ms. L 11 I5 nicht unter seine Transkrip-
tionen auf, und zwar vermutlich aus inhaltlichen Vberlegungen.
Mit dem ursprünglichen Zusammenhang der Texte der Nr. I8 und der
Beilage LVI mit dem Ms. F 1 aus Bernau I9I8 verhält es sich folgendermas-
sen. Im Ms. A VI 22 findet sich, unter der Vberschrift F 1 Humes Ideen-
relationen 1918 eine von H.s Assistent, Ludwig Landgrebe, während der
zwanziger Jahre besorgte Maschinenabschrift von stenographischen Ms.-BI.,
die H.s Paginierung 1 bis 11 tragen und die sich ihrerseits. zusammen mit
einigen Beiblättern. im Ms. F IV 3. S. 60-75 befinden. Auf S. 29 (Ms. A VI
22, S. 3Ia) von L. Landgrebes Maschineabschrift lindet sich H.s Notiz: Das
war numeriert 1-11. Ist nun das folgende 12f. die Fortsetzung? Husser!
selbst scheint zur Zeit der Durchsicht von Landgrebes Abschrift nicht mehr
gegenwärtig gehabt zu haben, welche BI. er einst von F1losgetrennt hatte. Als
ursprüngliche Fortsetzung 12 ff. ist nämlich sicherlich unser Ms. L 11 I5
anzusprechen. Die ersten elf Blätter handeln. in Auseinandersetzung ins-
besondere mit Hume. über "relations of ideas" und den Gegensatzbegriff der
"matters of fact". Auf BI. 1 steht die Vberschrift: Relationen zwischen
individuellen Gegenständen. Gegeben. wenn die Individuen gegeben sind
(Ms. F IV 3, S. 64a). Im Verlauf der Untersuchungen berührt Husser!
mehrfach die noetische Seite der Problematik, d.i. die Frage nach dem In-
dividuen gebenden Bewusstsein. Genau dieser Problematik wandte er sich ab
Bl. 12 (Ms. L II I5. S. 3a) zu. Offenbar bei der Lostrennung der BI. I21f. hat
H. den Beginn von BI. 12, der sachlich noch unmittelbar aul die BI. 1-11
verweist, mit Bleist. kreuzweise durchgestrichen und mit einem Querstrich
vom folgenden, oben in Nr. I8a wiedergegebenen Text abgetrennt (vgl. die
Textkritischen Anmerkungen zu S. 499.I). Als weiteren Beleg für die an-
fängliche Zusammengehörigkeit der BI. von L 11 I5 und des Ms. Fl. wie es
jetzt noch in F I V 3 (bzw. A VI 22) vorliegt, kann noch auf eine auf F 1 bezügliche
Inhaltsangabe, die im Ms. A 123, S. Ia steht, hingewiesen werden. Es steht
dort u.a. zu lesen: F 1 Zur Relationstheorie. im Wesentlichen ontologisch.
1918 Bernau. Vgl. F o. Humes Gegenüberstellung von Ideenrelationen und
Tatsachenrelationen. ( ... > Wichtige Untersuchungen zur Relations-
theorie. vor allem für die transzendentale Logik zu beachten. <... >Die
folgenden Angaben sind gestrichen. wohl weil die darauf bezüglichen BI.
nicht mehr im selben Konvolut liegen: Dann Untersuchungen der Akte. in
denen Individuen bewusst sind. "Gebendes" Bewusstsein von Individuen.
Überdeckung im Widerstreitsbewusstsein : gehemmte Apperzeption.
Reine Phantasiegegenstände prinzipiell nicht identisch mit ErfahIungs-
gegenständen (23) <BI. 23 entspricht oben S. 528.34 bis 529,I9>. Ästhetisch-
künstlerische "Darstellung und Phantasie, 7 Blätter bei 14. Diese ge-
strichenen Inhaltsangaben beziehen sich nun genau auf die oben der Nr. I8
und der Beilage L VI zugrunde liegenden Texte. die H. einst selbst vom Ms.
F 1 losgetrennt hatte. Entscheidend für die Veröffentlichung allein dieser BI.
aus Ms. L 11 I5 und Ms. A VI 29 innerhalb dieses Bandes der Gesammelten
Werke fiel neben H.s eigener Lostrennung und soz. "Verse!bständigung"
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 705
dieser Aufzeichnungen seine Bemerkung im Inhaltsverzeichnis aul dem
Gesamtumschlag von Ms. L 11 I5~ Gewicht, die folgendermassen lautet:
Individuum noetisch betrachtet. Aber genau besehen eine Lehre
von den Anschauungen und ihren Modis (Hervorkebung vom
Hrsg., vgl. oben S. 498,8 If.). Die Aufzeichnungen ab S. 12 der ursprüng-
lichen Paginierung betreffen somit die zentrale Thematik des vorliegenden
Bandes.
Zu Nr. I8a: Der Text der BI. 3-I3 (ausser BI. 8, das aus .I9II/I2 zu
stammen scheint und oben als Beilage XXXII, S. 3I4 f. wiedergegeben
wurde; vgl. die einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I4, oben
5.670) aus dem Ms. L II I5; die Inhaltsangabe (oben S. 498) lusst auf dem
Vorderbi. des Gesamtumschlages (L II I5/I + 25), der überdies noch den
Ratst.- Vermerk,' in eckigen Klammern und mit Bleist. nachgezogen, trägt:
(unreif, aber nicht wertlos). Es folgt noch ein zweiter Umschlag (L II
I5/2 + 24), gebildet von einem Brief der Redaktion der Kant-Studien mit
dem Datum I6. Januar I9I7, auf dem folgende Inhaltsangaben, teils mit
Bleist., teils mit Blau- und Rotst. von H.s Hand stehen: Gebendes Bewusst-
sein und Phantasie. Viel Ungereiftes und doch wichtig. Akte, in denen
Individuen bewusst sind - "gebendes" Bewusstsein - Phantasie. Teile
dieser Umschlagaufschriften wurden als Oberschrift für Nr. I8a verwendet.
Die BI. 3-I3 tragen H.s Paginierung mit Bleist. von 12 bis 19 mit den
ErgänzungsbI. 13a und 15a. Ans Ende von BI. 19 setzte H. eine geschweifte
Trennungslinie, um den folgenden Text der BI. iJO ff. davon abzuheben; diese
Bl. 20 ff. werden oben in der Beilage LVI wiedergegeben, ebenso der dazu-
gehörige Passus der Inhaltsangaben auf dem Gesamtumschlag. Die BI. sind
mit Tinte, Blei-, Blau- und Ratst. überarbeitet.
498,9-10 im Ms. stark mit Rotst. unterstrichen 11498,20 statt S. 508,23 ff.
im Ms. 16 f. mit Bezug auf die Originalpaginierung 11 498,26 statt S. 513 f.
im Ms. 19 mit Bezug auf die Originalpaginierung 11 499,1 vor Jedes zu
Beginn von BI. 12 der Originalpaginierung (vgl. die einleitendew"Text-
kritischen Anmerkungen zu Nr. I8) mit Bleist. kreuzweise gestr. Der Vor-
stellungsinhalt, der vorstellbare Inhaltheisst es besser!, eines Individuums
ist nach unseren an Hume angelehnten Ausführungen der gesamte als
Wesensvereinzelung zu fassende Inhalt des Individuums, das konkrete
Wesen, das alles an ihm Spezifizierbare befasst, in dem Sinn nämlich, dass.
dieses Wesen in allen individuellen Vereinzelungen (ideal möglichen)
seines" Umfangs" das voll befasst, was eine jede als Individuum mit an-
deren Individuen überhaupt völlig gleich haben kann, also das im Indivi-
duum, was nach idealer Möglichkeit überhaupt "wiederholbar" ist. Hier
ist aber von Vorstellung eigentlich gar keine Rede. 11 499,6 "t'68e"t'l im Ms.
mit lateinischen Litera geschrieben Todeti 11 499,28 Zwischentitel au/grund
von H.s Randtitel mit Tinte "Gebendes" Bewusstsein, mit Blaust. verändert
in selbstgebendes Bewusstsein H499,29 nach Bewusstsein gestr. so; bricht
ab, wieder gestr. und nennen wir jedes ein Individuum "gebende" Be-
wusstsein (die Wahrnehmung als ursprünglich gebendes Bewusstsein wie
jede seiner Modifikationen, die unter dem Titel anschauen, anschaulich
geben befasst sind) vorstellendes Bewusstsein (besser natürlich: an-
706 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

schauendes):so ist Vorstellungsinhalt = der in diesem Bewusstsein vor-


gestellte I n haI t, aber auch mit der Meinung, dass Anschauen, Vorstellen
bricht ab 11499, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11499, Anm. 2 V. mit Blaust. 11500,2-4
Jedes bis gebend am Rande mit einer eckigen Klammer zusammengefasst 1/
500,5-10 und bis Wesensschauung V. für für den Inhalt sein und nicht
hinsichtlich der Form: so könnten wir auch sagen. 11 500,11 Zwischentitel
aufgrund von H.s Randtitel1/500, 15 Individuelles für Ind im Ms.; hier und
oft im weiteren Verlauf des Ms. schrieb H. nur lnd, was wohl äquivalent mit
,,1ndividuelles" oder ,,1ndividuum" wiedergegeben werden kann 1/ 500,18-19
statt des Bewusstseinsmodus im Ms. dem Bewusstseinsmodus 11 500,20
bloss im V. für "immer noch" ursprünglich gegeben oder noch im Wahr-
nehmung<s- >oder "erst noch" ur <bricht ab> 1/ 500,21 nach "noch" gestr.
wahrgenommen oder 11 500,29-30 oder bis Sinn wohl gleichzeitige Einf.
unter der Zeile 11 500, Anm. 1 V. mit Blaust. 11 500, Anm. 2 und 3 Rb. mit
Tinte 11501,1-2 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtiteln mit Tinte 11 501,6
wiedererinnerte Gegenwärtig V. für Wieder-gegenwärtig /I 501,7 vor das
gestr. wieder 11 501,28 bei In beginnt ohne Alinea das BI. 13a der Original-
paginierung 11 501, Anm. 1 Einf. mit Blaust. 11 501, Anm. 2 Fragezeichen mit
Bleist. 11 561, Anm. 3 Rb. mit Bleist. 11 502,6-7 nur bis sagen v. für aber 11
502,25 zurückweist V. für zurückführt 11 502,27 vor erfüllen im Ms. noch
einmal ein sich 11502, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11503,16 bei Erfüllungen endet
Bl. 13a der Originalpaginierung 11 503,26 das sind V. für sie und etwas
Ausradiertes 11503, Anm. 1 Einf. und Rb. mit Tinte 11504,4-5 Zwischentitel
aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 504,25 nach sie gestr. gerade 11 504,
Anm. 1 Rb. mit Tinte; im Text vor geformt noch einmal ein ist 11 504,
Anm. 2 Rb. mit Bleist. 11 505, I Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit
Tinte 11 505,2 nach eine gestr. jede 11 505,4 bei Phantasie endet die Rückseite
von BI. 14 der Originalpaginierung; dort fügte H. mit Bleist. ein folgt 15,
offenbar, als einmal die s. 5°4, Anm. 2 erwähnten sieben Blätter hier einge-
legt waren 11 505,13 nach Zeitmodi gestr. als Wirklichkeitsmodi 11 505,14
Zeitmodus V. für Wirklichkeitsmodus 11 505,14 und 17 vor Richtig gestr.
Und 11505,18 und 21 Seinsbewusstsein V. für Wirklichkeitsbewusstsein 11
505, Anm. I Rb. mit Bleist. 11 506,5 nach als etwas Unleserliches gestr. 11
statt gesehenem im Ms. gesehenes 1\506,11 vor Es gestr. Aber 11 nach da gestr.
also im Urmodus der Wirklichkeit 11 506,14 individuelle Inhalt mit Bleist.
kritisch unterstrichelt 11 506,16 bei Aber beginnt Bl. ISa der Originalpagi-
nierung 11 506,22 nach dem ersten ist gestr. doch 1/ 506, Anm. 1 und 2 Rb.
mit Tinte 11 507,12 ff. am Rande dieses Absatzes ein abwärtsgerichteter Pfeil
mit Tinte und daneben die als Anm. 2 wiedergegebene Rb. 11 507,23-25
Gleichheit bis ist am Rande mit Tinte und Blaust. angestr. 1/507,33-34 und
bis Wirkliches wohl gleichzeitige Einf. über der Zeile 11 bei nie endet BI. 15a
der Originalpaginierung 11507, Anm. 1 und 2 Rb. mit Tinte 11 508,17-18 das
beiderseitig V. für das 11 508,23 vor Es im Ms. mit Bleist. ein senkrechter
Trennungsstrich sowie eine eckige Klammer eingefügt; der Text von 23-26 im
M s. am Rande mit Tinte und Blaust. angestr., daneben die als A nm. I wieder-
gegebene Rb. mit Tinte, wobei das Thema auch mit Blaust. unterstrichen ist
und bis 19 Einf. mit Bleist. 11508,32 Zwischentitel aufgrund von H.s Rand-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 707

titel mit Tinte 11 508, Anm. 1 Rb. mit Tinte, teils mit Bleist. 11 508, Anm. 2
Streichung mit Bleist. 11509,6 nicht nurwehl gleichzeitige Einf. über der Zeile 11
509,15 in V. für mit 11 509,23-24 Zwischen titel aufgrund von H.s Randtitel
mit Tinte 11 509,26-27 immer bis haben V. für durchstrichene Wirklichkei-
ten immer sind 11509,28 der V. für beim 11 509,29 Gemäldes V. für Bildes 11
510,4-5 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11510,15 Entzif-
ferung von haben nicht ganz gewiss 11 510,17 Fragezeichen statt Punkt vom
Hrsg. 11 510,18 Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 511,6
Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 511,21 nach ohne im
Ms. zweimal das 11 511,33 nach Gegencharakter gestr. gehemmter Wirk-
lichkeit 11 512,8 statt zur im Ms. zum 11512,15 Hemmung V. für hemmende
Störung n512,22 nach ihnen gestr. Freiheit der 11 512,23 Anders V. für
Andererseits 11 512,24 Entzifferung von entbehrt nicht ganz gewiss 11 513,12
Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 11 513, Anm. 1 Rb. mit
Tinte 11 514,2 vor die im Ms. ein und 11
Zu Nr. I8b: Der Text der BI. 22-28 aus dem Konvolut A VI 29 (vgl. die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8). Sie sind von H.s Hand
mit Bleist. von 1 bis 7 durchpaginiert und stecken in einem von einem Brief
der Redaktion der Kant-Studien (Datum IO. Januar I9I7) gebildeten Um-
schlag (A VI 29/2I + 29), der folgende Aufschriften mit Blaust., teils mit
Tinte nachgezogen, Tinte und mit Rotst. trägt: Gehörte ursprünglich zu F I.
Ästhetisch-künstlerische Darstellung und perzeptive Phantasie. Wahrheit
über Fikta, objektive Wahrheit in der Phantasiesphäre über Fikta und in
der Erfahrungssphäre. Wohl auch zu den Londoner Vorlesungen. <gestr.
Vgl. FIF2>. Folgende Aufschriften mit Tinte auf dem von einem Brief-
umschlag mit dem Postdatum 4.I.23 gebildeten Gesamtumschlag des Ms.
A VI 29 beziehen sich ebenfalls auf die der Nr. I8b zugrundeliegenden BI.
sowie auf jene der Beilagen L VII und LVIII (vgl. für die übrigen A uf-
schriften dieses Gesamtumschlages die einleitenden Textkritischen A nmerkun-
gen zur Nr. I5, oben S. 676): Objektive Wahrheit in der Phantasiesphäre
(Wahrheit über Fikta). Künstlerisch-ästhetische Darstellung. Bildobjekte
als Gegenstände (Fikta). Erscheinungen als Gegenstände (Ms. A VI 29,
S. Ia). Die sieben BI. weisen nur wenige Spuren späterer Bearbeitung, vor
allem in Form von Unterstreichungen mit Blei-, Blau- und Violettst. auf.
514,23-25 Titel von Nr. I8b aufgrund von H.s tJberschriften auf BI. 1
der Originalpaginierung 11 514,29-31 anschaulicher bis muss wohl gleich-
zeitige Einf. mit Tinte teils am Rande 11 515,1 (haben> für kommen oder
immer (gleiches stenographisches Zeichen) 11 515,10-11 Anführungszeichen
vom Hrsg. eingefügt 11 516,7-8 und bis darstellt wohl gleichzeitige Einf. mit
Tinte 11516,9 nach tun gestr. (Natürlich betrifft das dann nicht jede künst-
lerische 11516,24 nach erscheint gestr. der Schauspieler und erscheint seine
ganze Theaterumgebung wahrnehmungsmässig als reale Wirklichkeit -
aber 11 516,31 und Leinwände wohl gleichzeitige Einf. über. Pappekulissen;
evtl. wäre zu lesen Pappe- und Leinwandkulissen 115l7,3 Und bis beachten
V. für Vielmehr im passiven Erleben dieses 11 517,34 nach dar? gestr.
Offenbar so, dass sie in sich lauter perzeptive Komponenten haben bzw.
so vor uns hingestellt vermöge ihrer Erscheinungsweise nur solche Kom-
708 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

ponenten perzeptiv darbieten, die in Ergänzung mit anderen und mit den
übrigen uneigentlich perzeptiven Komponenten streitenden Komponenten
<bricht ab> 11 518,1-2 in bis günstigen V. für normaler 11 519,27 eine bis
Phantasiemodifikation V. für eine Art perzeptiven Widerstreit 11 519,32
Zeichenobjekte V. für Dinge 11 519,37 nach gedruckte gestr. "Zeichen 11
519,38 mit bis natürlich V. für die 11 520,21 zum bis Sujet v. für zur fin-
gierten Welt 11 520,24 auf V. mit Bleist. für über 11 520,29 zunächst V. für
versetzen wir 11 520,39 statt hinausgeht im Ms. hinausgehen 11 521,6 <die
selbst> Konjek'ur für seiner im Ms., was keinen Sinn gibt 11 521,7 statt
gehören im M s. gehört 11 522,6 statt sie im M s. so 11 522,14 in bis vor-
gezeichneter V. tür begründeter 11 522,36 fehlt, den V. für der 11 statt
vereinheitlichende im Ms. vereinheitlichenden 11 523,33-34 statt logischen
bis Beschlossene im Ms. log daran Beschlossenem 11

Beila~e LVI (S. 524-532)


Der Text der BI. I4-2I aus dem Ms. L 11 I5 (vgl. die einleitenden Text-
kritischen Anmerkungen zu Nr. I8, obenS. 703If.). Sie sind von H. mitBleist.
von 20-24 sowie 21a und ad 23 ff. oc und ad 23 ff. ß paginiert. Auf dem Bl.
ad 23 ff. oc stand zuerst ad 20 ff. Es handelt sich bei diesen BI. um die durch
einen geschweiften Trennungsstrich abgetrennte Fortsetzung der Aufzeich-
nung, die in Nr. I8a wiedergegeben ist. Die oben, S. 524 I. vorangestellte
Inhaltsangabe fusst auf den Inhaltsangaben des Gesamtumschlages von Ms.
L 11 I5, die auch auf die der Nr. I8a zugrunde liegenden BI. Bezug haben
(vgl. oben S. 498). Die der Beilage L VI zugrunde liegenden BI. werden in der
jenen Inhaltsangaben entsprechenden Reihenfolge abgedruckt,' d.h. dass die
BI. ad 23 ff. nach BI. 24 gegeben werden. BI. 21a bildet eine Neufassung eines
auf BI. 21 gestrichenen Textes, welcher unten im Textkritischen Anhang
wiedergegeben wird. Im Ms. L 11 I5 liegen nach dieser zusammenhängenden
Aufzeichnung noch zwei lose BI. aus gänzlich anderen Kontexten. Die der
Beilage LVI entsprechenden BI. weisen ausser einer Paginierungseinfügung
zu Beginn von BI. 20, einer Unterstreichung und einem Hinweis vgl. P mit
Bleist. zu Beginn von BI. 23 (oben S. 528 bei Zeile 34), der sich evtl. auf Ms.
LI I2 aus der zweiten Septemberhälfte I9I7 bezieht, keine Spuren späterer
Durchsicht auf.
524,35 Fragezeichen nach Raum vom Hrsg. eingefügt 11 525,11 statt dann
evtl. denn zu lesen 11525,18-21 wobei bis wäre gleichzeitige Einf. 11525,29-30
Ist bis "Inhalt"? V. für Derselbe Gegenstand ist dann doch der "Inhalt", -
Fragezeichen vom Hrsg. eingeJügt 11 525, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 525,
Anm. 2 Rb. mit Tinte; im Text vor "Gegenstand" gestr. identische 11526,3
absolute evtl. als absolut zu lesen, Einf. über der Zeile, Komma danach vom
Hrsg. eingelügt 11 526,21 verbleibende V. lür ungeändert verharrende 11
526,26 bis 527 v'or dem Absatz bei Zeile 6 steht der Text mit den graphischen
Darstellungen am Rande der Vorderseite von BI. 21 der Originalpaginierung
527,6-21 der Text dieses Absatzes steht auf der Vorderseite von BI. 21a der
Originalpaginierung; er ist dazu bestimmt, den lolgenden, noch auf BI. 21 der
Originalpaginierung stehenden, mit Tinte kreuzweise durchgestrichenen Text
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 709

zu ersetzen: Das Identische, das wir individuelles oder konkretes Wesen


nennen (zwei notwendige Bezeichnungen, die unter verschiedenen Gesichts-
punkten dasselbe benennen), gilt uns also geradezu als der Gegenstand, er
ist das Seiende oder Wirkliche, wenn der Gegenstand eben ist, das Gegen-
wärtige, wenn er gegenwärtig ist, das Vergangene, wenn vergangen, das in
dieser bestimmten Zeit (lagenbestimmt) Seiende, wenn er eben in dieser
Zeit ist, und das in anderer Seiende, wenn in <statt in im Ms. ein> anderer.
Er ist das Fingierte, wenn er fingierter ist (fingierte Gegenwart, Vergan-
genheit, fingierte Dauer, in fingierter Zeit), ist nicht seiender, nichtiger,
wenn er mit einem Seienden streitet. Und hier können wir gleich beifügen:
Er ist das, was sich in der Verträglichkeit verträgt und in der Unverträg-
lichkeit nicht verträgt, er bzw. sein Gehalt an gegenständlichen Kom-
ponenten. Sie sind das den Gegenstand Konstituierende, die konstituieren-
den Bestandstücke, Teile, Momente, Eigenschaften des Gegenstandes.
Solche Komponenten sind selbst "Gegenstände", individuelle Gegen-
stände, aber "unselbständige". Zwei solche konstitutive Momente, für sich
gedacht, sind verträglich, wenn sie Einheit eines konkreten Wesens über
sich haben, als das Gesetz ihrer Verträglichkeit, oder wenn es konkrete
Wesen <gestr. in der Wesenssphäre> gibt, die diese konstitutiven Wesen in
sich vereinigt haben. Oder sie sind verträglich, wie wir äquivalent sagen
können, wenn ein Gegenstand möglich ist, der sie in sich vereinigt. Dieser
eine Gegenstand ist aber ein Inhalt in dem beschriebenen Sinn. Daher ist
es auch äquivalent, wenn wir sagen: Zwei Inhalte sind verträglich, wenn
ein möglicher Inhalt (ein Inhalt im Reich der Möglichkeiten) besteht, der
diese Inhalte (im Modus der Möglichkeit) vereinigt. Aber was hier Inhalt
oder Gegenstand heisst, ist unempfindlich gegen die Wirklichkeitsmodali-
täten und damit auch gegen die Zeitlagen (auch natürlich gegen die Zeit-
lagen als wirkliche oder fingierte), daher er derselbe Gegenstand heisst, der
ebensogut erfahrener sein könne als fingierter (phantasierter in unserem
weiten Sinn). Aber hier stellt sich uns eine Frage in <den> Weg. Ist
Gegenstand in dieser Rede das Identische von Erfahrungen und ent-
sprechenden <Fortsetzung zu Beginn von BI. 22 der Originalpaginierung:
Phantasien, dann ist es doch ein Wesen, ein Allgemeines. - Vgl. oben
S. 527,20 f.> 11 527,7 im Ms. zweimal er 11527,15 statt bezeichnen würden
im Ms. bezeichnet würde 1/ 527,24-29 und bis erfüllen V. für oder wenn wir
Akte vollziehen, die dasselbe, was in jenen anschauenden Akten ange-
schaut ist, meinen, m.a.W. in Akten, die sich in erfahrenden (oder quasi
erfahrenden) Akten decken und damit erfüllen. 11 527,28 Klammer vom
Hrsg. geschlossen !I 527,29 konstitutives Einf. über der Zeile !I 527,30 nach
Also gestr. natürlich 11528,17 statt auf der im Ms. im 11528,42 Klammer vom
Hrsg. geschlossen 11 528, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 529,16 einzelne sinnliche
V. für phys<ische> 11529,33 statt letzterer im Ms.letzter \1529,35 Zwischen-
titel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte \1529,38 nach nicht gestr. wirklich
11 530,10 statt besitzt im Ms. besitzen H 530,13 und 15 statt der <... >
hinausreichenden festen Welt im Ms. des <... > hinausreichende feste
Welt 11 530,21 bei diesem Absatz beginnt BI. ad 23 ff. (X. der Originalpaginie-
rung 11 530, Anm. 1 Blattzuordnung mit Bleist. !I 531, 1 ~ nach identischer
710 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

gestr. erfüllter Ir 531,19 nach beide eingefügt und wieder gestr. als 11 nach
Gegenwart eingefügt und wieder gestr. seiend /1531,20 falls bis sollen Einf.
mit Tinte 11 531,25 eines und desselben Ich und Einf. mit Tinte n531,28 zu
Beginn des Absatzes gestr. Dasselbe Ich kann nicht zwei Wahrnehmungen
gleichen anschaulichen Inhalts zugleich haben. 11 531,39 Sternchen für
geschweifte Trennungslinie im Ms. 11 531, Anm. 1 <unten, Zeile 3I ft.) für
folgende Seite im Ms. 11531, Anm. 2 <oben, Zeilen Ir-I5) für vorige Seite
im Ms.11532,1-11 der Text dieses Absatzes Erg. am Rande 11532,12 unmit-
telbare Einf. über der Zeile 11 532,16-17 originär gegeben Einf. über der
Zeile 11532,35-43 der Text dieses Absatzes Erg. am Rande 11 532,37-38 oder
bis zurückführt Einf. über der Zeile 11 532,43 statt Erfahrungsverlauf im
Ms. Erfahrungsverlaufs 11

Beila~e LVII (S. 533-536)


Der Text der BI. 36 und 37 aus dem Konvolut A VI 29 (vgl. dazu die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8, obenS. 703 f.,zuNr. I8b,
oben S. 707 sowie zu Nr. I5, oben S. 675ft.). Die beidenBI. sind etwas kleiner
als das Normalformat, sie entstammen einem querlinierten Papierblock. Sie
tragen die Paginierung 1 und 2 von H.s Hand mit Tinte, auf BI. loben rechts
steht H.s Vermerk mit Tinte gut. Nach Papierart und Schrift dürfte die
Aufzeichnung wohl I9I7, evtl. I9I8, entstanden sein, sie wurde etwas mit
Bleist. überarbeitet.
533,26 statt des im Ms. der, so dass gelesen werden könnte: der er-
fahrungsmässig gegebenen und angeschauten <Wirklichkeit) 11 533,
Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 534,4 nach des gestr. Angesetzten; der angeb-
lichen Eigenschaft 11 534, Anm. 1-3 Einf. mit Bleist. 11

Beila~e LVIII (S. 536-539)


Der Text der BI. 3I-33 aus dem Konvolut A VI 29 (vgl. dazu die ein-
leitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8, oben S. 703 f., zu Nr. I8b,
oben S. 707 sowie zu Nr. I5, oben S. 675 ft.). Die BI., die etwas vom Normal-
format abweichen, sind von H. mit Blaust. von 1 bis 3 paginiert; sie liegen,
zusammen mit BI. 34 der Archivpaginierung in einem Umschlag (A VI
29,30 + 35), der von'r3iner auf Juli I909 datierten Verlobungsanzeige gebildet
wird und worauf folgende Aufschriften mit Blaust., teils mit Bleist. nach-
gezogen, von H.s Hand stehen: Fikta als ideale Gegenstände. Die Gegen-
stände ästhetischer Wertung, Erscheinungen als Gegenstände. <Gestr.
Idee und Spezies.) Vgl. Konvolute über Wahrnehmung, Bildvorstellung
etc. <d.i. Ms. A VI Ir I und Ms. A VI Ir II, vgl. die einleitenden Text-
kritischen Anmerk,.ungen zu Beilage X oben S. 643 f. und Beilage III, oben
S. 637 f. sowie den Abschnitt "Zur Textgestaltung", oben S. 598). Auf BI. 1
findet sich oben rechts noch der Blaust.- Vermerk NB <= nota bene). BI. 2 des
Textes dieser Beilage steht auf der Rückseite eines auf 3. April I9I7 datierten
Bankauszuges; dessen bedruckte Seite trägt einen von H. mit Blaust. wieder
durchgestrichenen Text, der unten in den Textkritischen Anmerkungen
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 711

wiedergegeben wird (s.ad 538,33). Das sich noch innerhalb des' Umschlages
befindliche BI. 34 der Archivpaginierung wird von der unteren BI.-Hälfte
einer Drucksache des Keplerbundes (im Text der Drucksache findet sich ein
Hinweis auf eine Publikation in ,,< ... >Monatshefte" I92I Nr. I) gebildet,
auf deren Rückseite Husserlsche Aufschriften mit Blaust. stehen, die alle
Bezug auf seine "Bernauer Manuskripte" über Zeit haben (vgl. dazu die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I8, oben S. 703 f.). Diese
Aufschriften werden hier am Ende der Textkritischen Anmerkungen zu
Beilage LVIII wiedergegeben, da sie möglicherweise auf weiterführende Auf-
zeichnungen verweisen, evtl. geriet das BI. aber irrtümlich in den hiesigen
Kontext. Die Aufzeichnung ist wohl I9I7 entstanden, sie weist keine Spuren
späterer Bearbeitung auf.
536,15-17 Titel der Beilage aufgrund von H.s tJberschrijten auf BI. 1 der
Aufzeichnung 11536,21 statt seiner im Ms. ihrer 11537,4 statt Gedankenstrich
im Ms. Eröffnung einer eckigen Klammer, die bei ruhendes eröffnete runde
Klammer schliesst nicht 11 537,32 die seI b e wie es scheint V. für dasselbe 11
537,35-36 Aber bis Erinnerungs-Bild? Einf. über der Zeile 11 537,42
Zwischentitel aufgrund von H.s tJberschrift auf BI. 2 11 538,3 nach wie
Eröffnung einer runden Klammer, die aber wieder gestr. ist II 538,4 in den
betreffenden V. für sich in I1 538,8-10 der Ausdruck in Klammern wohl
gleichzeitige Einf., teils am Rande 11538,13 statt der im Ms. des 11538,23 statt
jedem im Ms. jeden 11538,33 bei Dauerndes endet die Vorderseite von BI. 2,
auf der Rückseite steht folgender, mit Blaust. diagonal gestr. Text: Wert,
Schönheit eines Bildes. Das Sein des Bildes, die Freude am Bild, an der
Erscheinungsweise. Es <statt Es im Ms. Sie> ist aber nicht die individuelle
Erscheinungsweise, die momentane, die interessiert, <gestr. sondern> auch
nicht ein <ein V. für das> Eidos. Das Bild <Bild V. für Bildobjekt> gibt
mir immer das Bildobjekt als "Erscheinung" und die Erscheinung in
dieser einen bestimmten Erscheinungsweise. Das Bildobjekt (das Abbild)
hat den Charakter eines <gestr. unveränderten> Konstanten, obschon es
vielleicht eine Veränderung abbilden soll. Doch kann das Abbild auch ein
kinematographisches Abbild sein. Dann kann es beliebig wiederholt wer-
den und ist in der Wiederholung immer wieder dasselbe Abbild desselben
Vorgangs (Tänzerin), und diese Identität ist keine Identität einer Spezies.
Ähnlich ist eine wiederholte Erinnerung nach all ihren Gegebenheits-
weisen eben Wiederholung. Die Vergegenwärtigung: das reproduktiv
Erscheinende als solches identisch und doch das Phänomen ein immer
wieder individuell neues. Aber nicht Individualisierung eines Allgemeinen.
<gestr. Und wieder das der durch das Bildobjekt) Das Fiktum, das
wiederholte Fiktum. Der ideale, Gegenstand. <gestr. Individuell) Über-
zeitlich, in jeder Zeit derselbe. Ver g e gen w ä r t i gun g auch so etwas
wie ein Fiktum. Ne i n. Zehn Abdrücke einer Büste, mehrere und unter-
scheidbare Objekte (und unterscheidbare Phantome). 11 539,35 statt einer
im Ms. eines 11 539,40 und seine Erscheinungsweisen Einf. über der Zeile 11
539,45 bei Idealität endet BI. 3 (BI. 33 der Archivpaginierung); es liegt
danach noch Bl. 34 der Archivpaginierung mit folgenden AufSChriften von
H.s Hand: Vgl. Zeit (abc). Mehrfacher Begriff von ,Wahrnehmung (und
712 TEXTKRITlSCHE ANMERKUNGEN

auch Älteres, Wahrnehmung als Erfassung von 'Zeitobjekten aus 1907). -


Vgl. ebendas yß (cf. Ms. LI 1. BI. 2-9; 2f. 2.1910>. Empfindung und Wahr-
nehmung. HyletischeDaten und Akte; äussere und innere Wahrnehmung. -
Ey Erinnerung und ihre Evidenz. Wiederholung von Erinnerungen. Gleich-
zeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem "W und W". 11

Beilage LIX (S. 540-542)


Der Text des Doppelbi. 4-5 aus dem Ms. A VI I, dem auch der Text der
Beilage VI entstammt (vgl. die Textkritischen Anmerkungen dazu, oben
S. 640). Das von H. auf allen vier Seiten beschriebene Doppelblatt ist eine
Drucksache aus I9I6; es liegt in einem Umschlag (A VI I, 3 + 6), der von
einer auf IO. April I9I8 datierten Drucksache gebildet wird und auf dem
H. mit Blaust. schrieb NB (= nota bene> Zur Kunsttheorie. Die Auf-
zeichnung dürfte I9I6 oder I9I8 geschrieben worden sein. Auf der ersten
Seite des Doppelbi. findet sich mit Bleist. der Vermerk Kn 1. über etwas
Ausradiertem (wohl Kunst). Aufgrund inhaltlicher Vberlegungen ist anzu-
nehmen, dass bei der Niederschrift zuerst die Aussenseiten (I und 4) des
Doppelbi., dann die Innenseiten (2 und 3) beschrieben wurden; im Druck
wird deshalb die Reihenfolge I, 4, 3, 2 befolgt, wobei der Beginn der Seiten 4, 3
und 2 in den Textkritischen Anmerkungen angegeben wird. Die Aufzeichnung
weist keine Spuren späterer Bearbeitung auf.
540,7 Titel aufgrund von H.s Vberschrift mit Blaust. zu Beginn der Auf-
zeichnung 11 540,20 nach alle gestr. bildende 11 540,29 hier beginnt s. 4
(Aussenseite) der Aufzeichnung 11 541,22 hier beginnt S. 2 (Innenseite) 11
542,9 bei Und beginnt S. 3 (Innenseite) 11 542,14 philocharakteristischer,
philopositivistischer für philocharakteristische, philopositivist. im Ms. 11

Beilage LX (S. 542-545)


Der Text der BI. 36 und 37 aus dem Konvolut A V 4. Ausnahmsweise gibt
diese Beilage nur einen Teil einer vorliegenden grösseren Aufzeichnung
wieder. Die beiden BI. tragen H.s Blaust.-Paginierung 5 und 6 und gehören
zu den von 1 bis 4 paginierten BI. A V 4.32-35. Die Vberschrift dieser sechs
BI. lautet Objektivität der Wertprädikate und praktischen Prädikate in
eins mit ihrer Subjektbezogenheit (5. 32a). Die BI. befinden sich in einem
Binnenbündel (Umschlag 30 + 50) des Konvolutes A V 4, worauf sich fol-
gende Aufschriften mit Bezug auf die sechs BI. finden: Objektivität der
Wertprädikate: ihre wesentliche Su bj ektbezogenheit gegenüber der Objek-
tivität der Natur. Besonders ausgeführt Obj ekti vierung der Fikta
und der künstlerischen Fikta als Kunstwerke. Einfühlung
und Objektivierung der geistigen Gegenstände (5. 30a). ZuH.s Hinweis
auf das "besonders Ausgeführte" auf dem Umschlag ist auch der s. 543,
Anm. I wiedergegebene T(Jxt hinzuzuziehen. Die von H. selbst an diesen
heiden Stellen hervorgehobene Thematik kommt auf den BI. 36 und 37, auf
denen diese Beilage fusst, zur Sprache. Die Aufzeichnung dürfte auf Mitte
zwanzigerJahre, wohl I926, anzusetzen sein. Sie wurde, insbesondere auf den
BI. 5 und 6, m# Tinte, Blei- und Blaust. überarbeitet.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 713

542,31 der Ausdruck in Klammern Eint. mit Blaust. " 542,35 der Aus-
druck in Klammern Einf. mit Bleist. " 543, Anm. 1 der erste Absatz Rb. mit
Blaust., der zweite mit Tinte 11 544,8 "Phantasie" V. für "Phantasie"
wirklichkeit 11 544,12 statt ein in im Ms. versehentlich in ein 11 544,18-19 in
bis dachten" V. für könnten 11 544,23-545,2 Doch bis Welten von H. selbst
zugeordnete Einf. mit Tinte am Rande" 544,24 Anführungszeichen bei
"setzungslosen" vom Hrsg. geschlossen 11 544, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11
545,3-8 der bei der Niederschritt oder kurz daraut stark veränderte Text
lautete ursprünglich wohl folgendermassen: Müssen wir nicht sagen ~ So wie
Wahrnehmungen gleichen Erscheinungsgehalts, wenn sie in einem
Bewusstsein sich zusammenfinden (was nur möglich ist in der Weise der
Erinnerung), so begründen sie Bewusstsein vom selben, das mehrmals
wahrgenommen worden, so auch bei Phantasien. " 545,7 Fragezeichen vom
Hrsg. " 545,8 Punkt nach Phantasie vom Hrsg. 11 545,9-14 am Rande mit
Bleist. leicht kritisch angestrichelt, evtl. vor der Vberarbeitung mit Tinte 11
545,11-12 als bis Gegenstand Einf. mit Tinte über der Zeile 11545,13 als bis
Gesetzte Einf. mit Tinte über der Zeile 11 545,14 gegenständlich gesetzt
V. mit Tinte für identifizierbar 11 545,14-15 identische Fiktum als V. tür
etwas Ausradiertes 11545,16 real V. für in einem anderen Sinn 11 545,17
Verleiblichung V. für etwas Ausradiertes" 545,18 nach doch gestr. wenn die
Setzbarkeit des Phantasierten nicht leere und zufällige Möglichkeit sein
soll 11 545, 19-20 das das bis weiter Einf. mit Tinte über der Zeile 11545,21-22
mit bis Bleibenden Eint. mit Tinte über der Zeile 11 545,23-24 Eint. mit
Tinte 11

Nr. 19 (S. 546-564)


Die Texte dieser Nummer sowie der Beilagen LXI-LXIII entstammen
einem Binnenbündel (Umschlag 9I + uo) aus dem Konvolut D I9" (vgl. oben
die Einleitung d. Hrsg., S. XLI). Der Gesamtumschlag des Konvolutes
(D I9,I + I4I) trägt folgende Aufschriften H.s mit Blau- und Rotst.: Es
1922/26. Beilagen zu den Vorlesungen 1922/23. Transzendentale Logik II.
Assoziation und Synthesis. 1) Über Assoziation und Urkonstitution.
Ferner Verwandtes, Beilagen von 23/24 und 22/23. 2) 1922 Modalisierung
der Wiedererinnerung - Evidenz der Wiedererinnerung. Konstitutive
Leistung der Wiedererinnerung., 3) Phantasie. 1922/23 Konstitutive
Leistung der Phantasie. Reine Möglichkeiten - Phantasie. 4) Perzeptive
Phantasie und künstlerische'Darstellung. Objektivierung in der Phan-
tasiesphäre - über Fikta. - Dem Punkt 3 dieser Inhaltsübersicht entspricht
das Binnenbündel, dem die Texte,der Nr. I9 und der ~ugehörigen Beilagen
entstammen; es trägt S. 9Ia folgende Aufschriften mit Tinte, teils mit
Blaust. nachgezogen: Reine Möglichkeit und Phantasie. (Konstitutive
Leistung der Phantasie - gegenüber der konstitutiven Leistung der
Retentionen und Wiedererinnerungen) Beilagen zur Einleitungsvorlesung
1922/23 <= Ms. M I 2 I, I922/23 Einleitung in die Philosophie>, aber
auch wie diese ganze Vorlesung selbst gehörig zur Lehre von der Ur-
konstitution, die das Thema der Vorlesung über transzendentale Logik
714 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

von 20/21 und 25{26 war. - Punkt 4 der Inhaltsübersicht auf dem Gesamt-
umschlag bezieht sich auf die Texte, die oben in Nr. I8b und in den Beilagen
L VII und LVIII abgedruckt sind (vgl. die entsprechenden Textkritischen
Anmerkungen, oben S. 707 und S. 7IO f.) und die offenbar auch einst im
Zusammenhang des Konvolutes D I9 lagen. - Viele der unter I) und 2) der
Inhaltsübersicht befassten Texte fanden Aufnahme im Band XI der Husser-
liana, Analysen zur passiven Synthesis, hrsg. von M. Fleischer, Den Haag
I966 (vgl. den Nachweis der Originalseiten, S. 530 f.).
Das Binnenbündel (D I9,9I-I20), dem die Texte dieser Nummer und der
zugehörigen Beilagen entstammen, enthält über die in vorliegendem Bande
abgedruckten BI. hinaus noch in einem weiteren Umschlag (D I9,I09 + II7)
eine Aufzeichnung über Möglichkeit und Phantasie, zu der H. bemerkte
unfertig, nicht völlig durchdacht (Bl. D I9,IIO-I I 5; BI. II6 entstammt einem
ganz anderen Kontext und scheint irrtümlich in diesem Umschlag zu liegen);
ferner zwei Bl. (D I9,II8 und II9), die fragmentarischer Natur sind. Die
vom Hrsg. vorgenommene Einteilung der Texte in Nr. I9a und Nr. I9b
entspricht je zusammenhängenden Paginierungen H.s in den Ms.
Zu Nr. I9a: Der Text der BI. 93-97 aus dem Konvolut D I9. Sie sind von
H. mit Blaust. von I T bis 5T paginiert. Laut Inhaltsübersicht auf dem
Gesamtumschlag des Konvolutes ist die Aufzeichnung auf I922/23 zu datie-
ren; sie weist keine Spuren späterer Bearbeitung auf.
546,4 Reine Möglichkeiten ist H.s Vberschrift auf dem ersten BI. der
Aufzeichnung 11 547,14 nach aufgenommen gestr. oder 11 547,23 statt pas-
sivem im Ms. passiven 11 548,16 statt identischer im Ms. identisches 11
548,24 nach Eine gestr. freie oder vielmehr 11 548,32 ist V. für sei 11 548,38
Konstatierenden V. für Konstitu<ierenden> 11 549,17 nach erinnerten
gestr. in demselben Sinn also 11549,20 nach Identität gestr. evtl. fort 11550,4
genaue Einf. über der Zeile 11 550,14 nach gleiche gestr. quasi erfahren 11
550,30 statt aufbaue im Ms. aufbaut 11 551,30 nach als gestr. ob 11 551,32
Anführungszeichen vom Hrsg. eingefügt 11551, Anm. 1 wohl gleichzeitige Rb.
mit Tinte 11 552,21 im Ms. zweimal in 11552,34 dass dieser V. für der 11553,1
statt unbestimmten im Ms. unbestimmtem 11553,9 Doppelpunkt vom Hrsg.
eingefügt 11 bei Gehalt endet die Aufzeichnung ohne Satzzeichen; der Rest der
Seite, etwa drei Viertel, ist unbeschrieben 11
Zu Nr. I9b: Der Text der BI. 98-I04 aus dem Konvolut D I9. Sie sind von
H. mit Blaust. von 1 bis 7 durchpaginiert. Bl. 4 war in der Mitte gefaltet,
wie H.s Vorlesungsmanuskripte gefaltet zu sein pflegten. BI. 5 scheint einen
neuen Gedanken einzuführen, der nicht unmittelbar zu BI. 4 und BI. 6 passt
(oben S. 560,32 bis 562,I5). BI. 7 ist eine auf 2. Juni I922 datierte Druck-
sache, H.s Text auf diesem BI. hat nur noch notizenartigen Charakter, ver-
mutlich folgt zuerst der Text der Rückseite, soweit er auch mit Tinte ge-
schrieben ist (oben S. 564,I5-23), der Bleist.-Text der Vorderseite wird oben
S. 564, Anm. I wiedergegeben. Die Aufzeichnung entstand wohl um I922/23,
sie wurde mit Tinte, Blei- und Blaust. überarbeitet.
553,30 und 34 Klammern ~m Ms. mit Bleist. nachgezogen 11 554,7 An-
führungszeichen mit Bleist. 11 554,24 Ist V. mit Bleist. für etwas Aus-
radiertes 11 554,25-26 Gedankenstriche V. mit Bleist. für Kommas 11 554,26
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 715

als V. mit Bleist. für denn 11554,34 statt zu im Ms. zum 11 555,23 Klammern
und Anführungszeichen mit Bleist. 11555,,26 Alinea vom Hrsg. aufgrund eines
senkrechten Doppelstriches mit Bleist. vor Hier 11 555,28 das Bewusstsein
doch V. für das 11 555, Anm. 1 und 2 Einf. mit Bleist. 11 556,11-12 An-
führungszeichen und Klammern Einf. mit Bleist. 11 556,16 bestimmt V. für
leer 11 556,18 nach Vorstellen gestr. Es kann dann sein, dass 11556,23 nach
doch im Ms. ass<oziativ> 11 556,35 statt hereinbrächten im Ms. herein-
brächte 11 556, Anm. 1 V. mit Bleist. 11 557,4 so weit Einf. über der Zeile 11
557,31 und scheint V. mit Bleist. für Komma, evtl. nur als Verdeutlichung
des Kommas gemeint 11 in mit Bleist. verdeutlicht 11 558,8 Entzifferung von
Bewährung nicht ganz gewiss 11 558,12 Zwischentitel aufgrund von H.s
Randtitel mit Blaust. 11 558,32 bei Mache beginnt Bl. 4 der Originalpagi-
nierung 11 558, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 559,6 unerfüllt für ungeerfüllt
im Ms. 11559,16 statt Punkt im Ms. Komma 11559,32 bis 560,2 Die bis Ende
des Absatzes im Ms. am Rande mit Blaust. angestr. 11 559,39 nach Glauben
mit Bleist. gestr. Glauben des Inhalts 11 560,7-8 Anführungszeichen mit
Bleist. 11560,10 statt Komma im Ms. Punkt 1I 560,17 Anführungszeichen mit
Blei'St. 11 560,30 Beginn von Bl. 5 der Originalpaginierung; Zwischentitel
aufgrund des ersten Absatzes im Ms. 11 561,5 nach Datum gestr. oder ein
Ding 11 561,9 statt sie im Ms. es 11 561,13 Kommas vom Hrsg. eingefügt 11
562,6 statt Punkt im Ms. Komma 11562,15 bei muss endet Bl. 5 der Original-
paginierung 11 562,29 nach dem zweiten eines gestr. solchen 11 Anführungs-
zeichen bei Gegenstandes mit Blaust. 11 562, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 563,1
zu Beginn dieses Absatzes im Ms. links mit Violettst. ein Doppelstrich,
rechts ein abwärts gerichteter Pfeil 11 563,2 statt ist im Ms. sind 11563,2 und 5
Klammer V. mit Blaust. für und in Zeile 211563,7-9 ist bis durchhalten im
Ms. mit Violettst. durch senkrechte Striche abgetrennt 11 563,22-24 Das bis
solche im Ms. mit Violettst. durch senkrechte Striche abgetrennt 11 563,28
Möglichkeit mit Bleist. in Anführungszeichen gesetzt, die wieder gestrichen
wurden; wohl gleichzeitig damit entstand die als Anm. I wiedergegebene Rb. 11
563, Anm. 1 Rb. mit Bleist. 11 563, Anm. 2 V. mit Bleist. 11 564,11-14 Jeder
bis erweisen wohl gleichzeitige Erg. am Rande 11564,15 Beginn des mit Tinte
geschriebenen Textes auf der Rückseite von BI. 7 der Originalpaginierung 11
564,24-28 Einf. mit Bleist. 11 564, Anm. 1 Bleist.-Text auf der Vorderseite
von Bl. 7 der Originalpaginierung; ganz zuoberst der mit Bleist. gestr. Ver-
merk Philosophische Analyse eines der Platonischen Dialoge 11

Beilage LXI (S. 565)


Der Text der Vorderseite des Bl. 92 aus dem Konvolut D I9 (vgl. dazu d.ie
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I9, oben S. 7I3 f.). Das BI.
trägt keine Datierung, dürfte aber in der ersten Hälfte 'der zwanziger Jahre,
wohl I922/23 geschrieben und dem ganzen Binnenbündel über Reine Mög-
lichkeit und Phantasie vorangelegt worden sein. Das BI. ist die Hälfte eines
FoliobI., wie H. sie in HaUe und in den ersten Göttinger Jahren gebrauchte;
auf der Rückseite steht ein Text aus ganz anderem Zusammenhang, der um
716 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

I905 geschrieben worden sein dürfte. Der Text der Beilage LXI weist keine
Spuren späterer Bearbeitung auf.
565, Anm. 1 wohl gleichzeitige Rb. rr

Beilage LXII (S. 565 f.)


Der Text der Vorderseite des Bl. Io8 aus dem Konvolut D I9 (vgl. dazu die
einleitenden Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I9, oben S. 7I3 f.). Das Bl.
ist undatiert, dürfte aber nach Papier und Schrift um I9I8 herum entstanden
sein. Es trägt Spuren späterer Durchsicht mit Blau- und Bleist.
565,23-25 Titel aufgrund von H.s Vberschrift mit Blaust. 11 565,27 Dop-
pelpunkte vom Hrsg. eingefügt 11 565,30 = V. mit Blaust. für Komma 11
566,4 = Einf. mit Blaust. 11 566,12 auf der Rückseite des BI. findet sich
folgender, mit Tinte kreuzweise gestr. Text in umgekehrter Richtung ge-
schrieben: Die Zeit ist die universale, notwendige Sinnesform aller indivi-
duellen Gegenstände, die sollen Gegenstände möglicher Erfahrung sein
können, möglicher Wahrnehmung von Individuellem. Das impressionale
Bewusstsein, das imaginative (das Phantasiebewusstsein), bindend durch
passive Vorgegebenheit, die dem Willen Widerstand leistet, Imagination
Reich der Willkür und der freien Bindung: Ansatz, Erfassen des Phanta-
sierten als willkürliches Festhalten und Erhalten einer Einstimmigkeit. -
Das impressionale Bewusstsein ist Doxa, es zeichnet, indem es einen
Gegenstand impressional konstituiert, eine Linie der Einstimmigkeit oder
Unstimmigkeit vor, und damit liegt in ihm Glauben oder Unglauben.
Glauben ist in der Impression gestiftete Einstimmigkeit, die eben impres-
sional ist und ihr Korrelat hat in "seiend" als "wirklich bewusstes
seiend". Das allein wahr und falsch sein kann. Im imaginativen Be-
wusstsein haben wir eine Bewusstseinsmodifikation mit quasi-Einstim-
migkeit und -Unstimmigkeit. I!

Beilage LXIII (S. 566-570)


Der Text der BI. I05-I07 aus dem Konvolut D I9 (vgl. dazu die einleiten-
den Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I9, oben S. 7I3 f.). Die Bl. sind von
H. mit Tinte von 1 bis 3 paginiert. Oben links auf BI. 1 steht der Vermerk mit
Braunst. lag bei Materialien von 1920/21. Die Aufzeichnung dürfte, auch
nach Papier und Schrift, in diese Zeit anzusetzen sein. Oben rechts auf BI. 1
steht mit Tinte der Hinweis Wichtige Möglichkeitsfragen, darunter unfertig,
mit Bleist. verändert in unfertige Meditation. Die Bl. sind mit Tinte wohl
etwas nachträglich bearbeitet worden.
566,38 statt der Modifikation im Ms. die Modifikation 11566,40 vor dem
zweiten jeder im Ms. noch einmal Eröffnung einer runden. Klammer 11
567,25 statt derselbe sei im Ms. sei derselbe 1\567, Anm. 1 Eint. mit Tinte 11
567, Anm. 2 von H. selbst dem Text zugeordnete Rb. mit Tinte 11567, Anm. 3
Einf. mit Tinte 11 568,2 statt dergemäss im Ms. deren gemäss 11 568,11
Zwischentitel aufgrund von H.s Randtitel mit Tinte 1\568,28-29 Anführungs-
zeichen vom Hrsg. eingefügt 11 568,41--42 <ist> nach Allgemeines eingefügt
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 717

statt wie im Ms. nach Einzelne 11 568, Anm. 1 Rb. mit Tinte; im Text nach
Seiendes gestr. keine Möglichkeit an sich 11 569,4 Phantasiezentaur V. für
Zentaur 11 569,7 Zwischentitel aufgrund von H.s Rb. mit Tinte 11 569, Anm. 1
V. und Erg. mit Tinte 11

Nr. 20 (S. 571-590)


Die Textstücke dieser Nummer sowie der Text der Beilage LXIV ent-
stammen einem Binnenbündel (Umschlag II6 + I39) aus dem Konvolut
A VI z6 (vgl. oben die Einleitung des Hrsg., S. XLIII), welchem auch der Text
der Beilage L V entnommen ist. Der Gesamtumschlag des Konvolutes (A VI
Z6,I + 1:56) trägt folgende Aufschriften H.s mit Tinte und Blaust., teils mit
Tinte nachgezogen: Zur allgemeinen Lehre von der Intentionalität von 1921
bis 1931. Ferner insbesondere aber doxisch. Tendenz, theoretisches Inter-
esse,. Affektion, Zumutung, Enthaltung, Modalität blosse Vorstellung,
blosser Gedanke. Darin ein Stück aus dem Manuskript Epoche und Thema.

<p Phantasie und Neutralität

I
vgl. dazu die sehr umfassenden
Zuwendung und Affektion
Untersuchungen über Intentio-
Implikation, Enthüllung
nalität in den Konvoluten über
Terminierende Akte
Zeitigung
Behaupten und Urteilen

Doxisches' (Erkennen) Werten, Wollen. Erkenntnisfreude - Beispiel der


Mathematik. Zur allgemeinen Theorie der Intentionalität. Auf dem Bin-
nenbündel selbst stehen folgende Aufschriften H.s mit Blaust. und Tinte:
<1)N Positionales und neutrales Bewusstsein. Phan tasie -N eu trali tä t
vgl. 0 " 1-7" wichtig 1921/1924. Allgemeinstes über "Epoche" als Aktent-
haltung in Beziehung auf die Idee der Neutralität. (Der Titel der Nr. zo
stützt sich auf Teile dieser Aufschriften (vgl. oben S. 57I, auch die Anm. I»
Vorgegebenheit - Affektion = Tendenz, Zumutung, die vorgeben-
de unthematische Intentionalität als thematische, als Akt zu vollziehen.
Affektion und Modalität. Enthaltung allgemein als Nichtmittun einer
zugemuteten Aktion, im besonderen willkürliche Epoche (Enthaltung).
Wahmehmungsbild, Erinnerungsbild, Phantasiebild, Gedanke (blosser
Gedanke), blosse Vorstellung - blass intentionaler Gegenstand - Ursprung
dieser Gegenständlichkeiten aus Enthaltung der betreffenden Akte unter
Vollzug neuer Akte, wahrnehmender. Verschiedene Modifikationen (Pas-
sivität in Aktivität und umgekehrt). Modifikation der Phantasie (als
reproduktive Neutralität); Modifikation der Enthaltung (der Willkür oder
Unwillkür, also der Neutralität überhaupt). Der Binnenumschlag wird von
einer Drucksache mit dem Postdatum 3.8.z4 gebildet. Aus diesem Binnen-
bündel kommen hier die BI. II7:"rz7 sowie das BI. I38 zum Abdruck; vgl. die
Textkritischen Anmerkungen bei den einzelnen Textstücken. Die Aufteilung
in die Stücke a), b), c) etc. stammt vom Hrsg.; sie entspricht je zusammen-
hängenden Paginierungen der kurzen Aufzeichnungen. Die Texte sind von
H. selbst auf 1921/1924 datiert, wobei dem Hrsg. aufgrund des Schriftbildes
718 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

eher das Jahr I9z4 zuzutreffen scheint. Die einzelnen Texte weisen Spuren
späterer Bearbeitung mit Tinte, Blei-, Blau- und Rotst. auf.
Zu Nr. zoa): Der Text der BI. II7 und II8; sie tragen H.s Blaust.-
Signaturen Al und A 2, auf BI. Al findet sich ferner mit Blaust. der Vermerk
NB (= nota bene).
571,11 Komma nach gilt V. mit Bleist. für und 11 571, Anm. 2 V. mit
Bleist. 11 572,7-8, 15 und 20 a) und b) Einf. mit Bleist. 11 572,34 nach
positionales gestr. wirkliches 11 572,36 nach Ich gestr. mit geträumten
Bewegungen der in der Wahrnehmung fungierenden Sinnesorgane usw. 11
572, Anm. 1 Rb. mit Blaust. 11 573,1-2 geistigen bis Träumens V. für
träumenden Akte, wobei träumenden zunächst noch in geträumten ver-
ändert wurde 11 573,14 nach erhebe gestr. und dieses gewissermassen ent-
hülle 11 573,17 Ebenso teils V. mit Bleist. für etwas Ausradiertes 11 573,19
nach Gegenständen gestr. blossen Vorstellungen 11 573,21 bzw. V. mit
Bleist. für etwas Ausradiertes 11573,22 und 24 1) und 2) Einf. mit Blaust. 11
573,24 die zugehört Einf. mit Bleist. 11 573,24 ff. im Ms. ein abwärts ge-
richteter Pfeil mit Braunst. 11 573,34 bei mir das beginnt im M s. die Rückseite
von BI. A2, am Rande Wiederholung des abwärts gerichteten Pfeils 11574,22-
31 dieses Textstück ab Wo wurde evtl. etwas nachträglich eingefügt 11574,23
statt einer im Ms. eine 11 574,24 kinematographischer Einf. über der Zeile 11
574, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11
Zu Nr. zob): Der Text der BI. H9 und IZO; sie sind von H. mit Tinte mit
1 und 2 paginiert. Titelüberschrift oben rechts auf BI. 1.
575,9 Anführungszeichen mit Rotst. 11 575,24 vor Das Wort Eröffnung
einer Keilklammer mit Rotst., die nirgends schliesst 11575,25 und 29 1) und 2)
Einf. mit Rotst. 11 576,5 und 7 Gedankenstriche V. mit Bleist. für Kommas 11
576,19 und 24 Anführungszeichen mit Bleist. 11 576, Anm. 1 und 2 V. bzw.
Einf. mit Bleist. 11577,2 Anführungszeichen mit Bleist. 11577,20 Punkt nach
Spieles V. mit Bleist. für und 11 577,26 Einfälle sich gestalten evtl. etwas
nachträgliche Einf. 11 577,27 nach keine gestr. verborgene 11 577,32 über-
lasse noch einmal mit Bleist. eingefügt; Klammern mit Bleist. 11 577, Anm.
1-3 Einf. mit Bleist. 11 577, Anm. 4 V. mit Bleist. 11 578,4 den Eint. mit
Bleist. über mit Tinte gestr. von 11578,8 bei auszuzeichnen endet der Text von
BI. 2, etwa die Hälfte der Rückseite ist unbeschrieben 11
Zu Nr. zoc): Der Text der BI. IZI und sowie IZZ sowie des BI. I38, das
von H. selbst als Beilage M dieser Aufzeichnung zugeordnet wurde. Die BI.
sind von H. mit Blaust. mit 1 und 2 paginiert, das Beilagebi. trägt das Sigel M
mit Blaust. Die BI. 1 und 2 wurden nur mit Tinte überarbeitet.
578,13 im bis neutrale evtI. etwas nachträgliche Eint. 11 578,10-11 Neu-
trale Erlebnisse V. für Phantasieerlebnisse 11 578,17 neutrale und speziell
Einf. über der Zeile 11 578,23 Rein bis vorstellende Einf. über der Zeile 11
578,24 statt sind im Ms. ist 11 578,26-27 Phantasie im normalen Sinn bis
"Vorstellungen" evtl. etwas nachträgliche Einf. 11 578,33-35 natürlich bis
Art evtl. etwas nachträgliche Einf. 11 579,8 wahrnehmungsmässigen Einf·
über der Zeile 11579,18 statt Doppelpunkt im Ms. Punkt 11579, Anm. 1 Rb.
mit Tinte 11579, Anm. 2 der Text der Vorderseite von BI. I38, Beilage M, auf
die H. ganz unten auf der Vorderseite von BI. IZI mit Beilage M hinweist. Im
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 719

Text: im Ms. nach solches ein Komma, nach Wirklichkeit ein Frage-
zeichen, das später, ebenso wie Dann würde ich ja miturteilen unmittelbar
danach, mit Blaust. gestr. wurde. Aber bis Nein Eint. über der Zeile.
Klammern bei (in quasi-Evidenz) Einf. mit Blaust. 11 580,4 Anführungs-
zeichen vom Hrsg, 11 580,8 im Grunde Einf. über der Zeile 11 580,13 in einer
Leibhaftigkeits-Erscheinung Eint. mit Tinte 11 580,31 natürlich V. für
freilich n580, Anm. 1 Rb. mit Tinte 11 580, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11 581,16
(durch bis Hineingesetzte) V. tür fiktiv Hineingesetzten 11 581,21 bei
erhalten endet der Text aut der Rückseite von Bl. 2, etwa zwei Drittel sind
unbeschrieben 11
Zu Nr. 20d): Der Text der BI. I24-IZ6; sie tragen H.s Paginierung mit
Blaust. abis c. Auf BI. a findet sich H.s Vermerk Das Ganze vortastende
Überlegung. Einige Sätze noch brauchbar ebenfalls mit Blaust.
581,28-582,5 der Text dieses Absatzes von H. als Beginn der Aufzeichnung
markierte Einf. am Rande 11582,6 jetzige Eint. über der Zeile 11 582,13 mein
V, tür das 11 582,18-19 hinsichtlich ihrer Positionen etwas nachträgliche
Eint. 11 582,24 vor Und im Ms. ein senkrechter Strich mit Blaust.; Alinea
vom Hrsg. eingefügt 11 Frage bis ist? V. mit Tinte und Bleist., teils für
Ausradiertes 11582,37 gedacht V. für ausgedacht 11582,38-583,2 Denke bis
glauben Erg. am Rande 11 583,3 wie bis Erinnerungs-Als-ob Einf. über der
Zeile 11 583,6 evtl. Einf. über der Zeile 11 583,6-23 wenn ich bis Idee von
H. zugeordnete Eint. am Rande 11 583,21 nach unmodalisierten gestr. Wird
ein Urakt inhibiert, so ist 11 583,24 nach Seiendes gestr. so kann in gewisser
Weise der Unterschied zwischen Phantasie und Vollzug des modalisierten
Bewusstseins verschwinden 11 583,32 ganz anderes V. tür Besonderes 11
583,33-34 oder bis etc. Einf. über der Zeile 11583,34-35 Interessenunterbin-
dung bis Begründung V. für oder in der Form 11 584,3 positionaler V. tür
thematischer 11584,12 Ist es dasselbe V. tür eben von demselben 11584,31
thematischen Eint. über der Zeile 11 584,33 nach einen gestr. thematischen 11
584,34 positional Einf. über der Zeile 11 584, Anm. 1 Rb. mit Tinte, ganz
oben auf BI. b beginnend, in etwa neben dem Text des Absatzes (ab ebenso
von dem Bildobjekt (Zeile n) bis Es braucht nicht zu sein) 11584, Anm. 2
eingerahmte Rb. mit Tinte unter dem Text der Anm. I, auf der Höhe der
Zeile 2811585,4-18 Hier bis Denken Text am Rande, unterhalb des Textes
der Anm. 2; vermutlich der zu H.s Einfügungszeichen nach Synthese
(Zeile 4) gehörige Ergänzungstext 11 585,18 vor Das Noema gestr. die zur
anderen Einstellung gehört 11585,19 in bis Enthaltung Einf. über der Zeile 11
585,21 statt thematischem im Ms. thematischen 11585,23 nach einen ge.str.
thematischen !I meines bis Aktes Eint. über der Zeile 11 585, Anm. 1 V.
und Erg. mit Tinte 11 586,3 statt thematischem im Ms. thematischen 11
586,3-4 positionalem Einf. über der Zeile 11 586,11 positionale V. für
thematische 11 586,35-37 selbst bis als solche Eint. teils über der Zeile, teils
am Rande 11 587,3-4 Ding bis Ding V. tür abgebildete Ding 11587,4 vor Wo
gestr. und nun gar 11 587,15 den Standpunkt V. für das Bild 11587,18 nach
des gestr. abgebIldeten 11587,29 optische Einf. über der Zeile 11 587, Anm. 1
Rb. mit Tinte 11 588, Anm. 1 Rb. mit T.inte 11
Zu Nr. 20e): Der Text des BI. I27; es trägt H.s Paginierung 8 mit Blaust.
720 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

und gehörte wohl einmal ans Ende der danach folgenden BI. mit der Blaust.-
Paginierung ! bis 7 im Binnenbündel (vgl. die einleitenden Textkritischen
Anmerkungen zu Nr. 20), welche aber thematisch Zur Phänomenologie der
Vorgegebenheit und der Affektion (Aufschrift. H.s auf BE. 1 dieser 8 Bl.,
A VI 26, S. I28a) gehören, während Br. 8 sachlich gut zu den vorangegange-
nen Textstücken dieser Nr. 20 passt.
588, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11589,4 sonstiger Einf. über der Zeile 11 589,12
nach Aktes gestr. nachher 11 589,14 Thematische wohl etwas nachträgliche
Einf. 11 Akte des Interesses V. für thematische Akte 11589, 15-16positionale
bis Akte evtt. etwas nachträgliche Einf. unter der Zeile und am Rande 11
589,17-19 Neutral bis Interesses Einf. mit Bleist. am Rande 11 589,22
ursprünglich erwerbend Einf. über der Zeile 11 neutralen noch einmal mit
Bleist. eingefügt 11 589,23-24 Anführungszeichen mit Bleist. 11 589,25 An-
führungszeichen mit Blaust. 11589,26 nach Sich-Enthalten gestr. würde man
das Wort 11 589,27 positionale Einf. über der Zeile 11 589,24-29 neben den
letzten Sätzen eine ausradierte, nicht mehr mit Gewissheit rekonstruierbare
Rb. mit Bleist. Höchst bedenkliche Erklärung, es ist doch nicht eine Ent-
haltung der Stellungnahme <?> 1\ 589,34-35 Phantasie bis bezogen wohl
etwas nachträgliche Einf. 11 589, Anm. 1 V. mit Blau- und Bleist. 11 589,
Anm. 2 Einf. mit Bleist. 11 589, Anm. 3 Rb. mit Tinte 11 590,1 vor diesem
Absatz im Ms. ein Querstrich über die ganze Seite 11 590,2 vor Zur Eröffnung
einer Keilklammer mit Rotst., die nirgends schliesst 11 590,4 statt angesehen
evtl. zu lesen reingesehen 590,16 wir und die Kommas bei nicht urteilend
Einf. mit Blaust. 11 590,17 quasi bis thetisch Einf. über der Zeile 11 590,18-
19 ist bis Einstellung Einf. über der Zeile 11 590,22-23 Klammern mit
Blaust. 11 590,24 keine reproduktiven V. für etwas Ausradiertes 11 590,29
einen mit Bleist. noch einmal eingefügt 11590, Anm. 1 Einf. mit Bleist. 11 590,
Anm. 2 V. mit Tinte 11590, Anm. 3 Eint. mit Tinte 11590, Anm. 4 Streichung
mit Blaust. 11

Beilage LXIV (S. 591-593)


Der Text des BI. I23 aus dem Konvolut A VI 26 (vgl. die einleitenden
Textkritischen Anmerkungen zu Nr. 20). Das BI. ist unpaginiert und unda-
tiert, gehört aber thematisch und chronologisch in den Zusammenhang der
Textstücke von Nr. 20. Es wurde, wohl nicht eigentlich später, mit Tinte
überarbeitet.
591,13 statt wertenden im Ms. wohl wertlichen 11591,29 statt zur im Ms.
zu 11 ich kann V. tür ebensogut 11 591, Anm. 1 Streichung und Rb. mit
Tinte 11591, Anm. 2 Rb. mit Tinte 11592,1 statt Stellungnahmen evtl. zu lesen
stellungnehmender 11 592, Anm. 1 Streichung mit Tinte 11

Beilage LXV (S. 592)


Der Text des BI. 2 aus dem Konvolut A VI 4 (vgl. dazu die einleitenden
Textkritischen Anmerkungen zu Nr. I5, oben S. 675 ff.). Das BI. ist unpagi-
niert und undatiert; es ist denkbar, dass H. es anlässlich einer Durchsicht des
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 721

"R" -Konvolutes (vgl. oben S. 677) in den zwanzigerJahren schrieb, und doch
wieder scheint es zufällig, dass das BI. dem "R"-Konvolut A VI4 voranliegt.
Aus chronologischen und sachlichen Gründen wurde es vom Hrsg. der Nr. 20
als Beilage beigefügt. Das Bl. trägt keine Spuren späterer tJberarbeitung; der
grosste Teil der Rückseite ist unbeschrieben.
593,4 statt alle im Ms. als, wohl im Stenogramm verschrieben 11 593,10
Entzifferung von "Berg" ungewiss 11 593,12 Punkt nach aus V. für und
selbst"
NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN

In der linken Kolonne findet sich die Angabe von Seite und Zahl im
gedruckten Text, in der rechten die des Manuskriptkonvolutes und der
Blattzahlen im Manuskript nach der im Husserl-Archiv eingeführten
offiziellen Numerierung.

1-108,21 F 18/4-70 236,26-237, 11 B IV 1/51


108, 22-111, 7 K I 67/3--4 237, 16-264, 12 A VI 11 11/41,
111,8-112, 19 A VII 25/2, 27 80-81,90-103
112, 19-137, 14 K I 67/2,5-11, 265,5-269,20 F I 7/39--40
15-23,27, 270, 2-285, 16 A VI 11 11/104-
29,31-36 106, 135-141
137,20-137,38 B 11112/26 286, 6-288, 20 A VI 11 1/8
138,2-139,24 A VI 11 11/12 289, 7-293, 24 A VI 11 11/114-
139, 29-140, 44 F I 8/26 116
141, 2-144, 8 A VI 11 11/85-86 294, 11-300,29 A VI 11 1/5-7
144, 16-146, 10 A VI 1/12 301,8-314,31 AVl1111/117-
146, 12-148, 11 A VI 11 11/66 124, 126
148, 17-149,5 Bill 12/4 314,37-315, 22 L 11 15/8
149,24-160, 5 A VI 11 11/71-77 315,27-320,20 A VI 11 11/125,
160,10-163,30 A VI 11 1/44,51 127-130
163,32-165,31 A VI 11 11/16-17 320,25-328,17 A VI 11 1/17,19,
165,32-166, 15 F I 8/71 22-24, 62-64
166, 17-169,21 A VI 11 11/38-39 329, 2-334, 28 A VI 12 111/
.170,8-179,10 A VI 11 1/171- 155-157
173,175 335, 1-400,32 A VI 4/3,5-10,
179, 11-181, 11 F IV 1/124 12--41
181, 12-205,35 A VI 11 1/28-30, 401, 11-422, 10 A VI 29/2-6,8-9,
34--41, 11-14
174, 180-188 422, 12-422, 38 A VI 4/11
205,37-206, 26 Bill 12/32 423,2-430,37 LI 6/3-8
206, 38-207, 33 A VI 11 1/42 431, 5-439, 26 A VI 4/4, 55-59
207,35-233, 10 A VI 11 11/42-44, 439, 28-447, 45 A VI 12111/133,
89, 107-109, 131- 146-150
133, 145-150 448, 2-450, 25 A VI 11 11/82-83
233, 16-236,24 A VI 11 1/60, 123 450, 34-456, 19 A VI 4/42--45
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 723
456,24-458,41 A VI 29/7, 10 524,33-532,42 L 11 15/14-21
459, 2-463, 30 A VI 12 1/84-86 533,2-539,45 A VI 29/31-33,
464, 10-478,36 A VI 4/46-53 36-37
479,2-485,35 A VI 29/15-20 540,2-542,25 A VI 1/4-5
486, 2-496, 17 A VI 11 11/60-65, 542,31-545,24 A V 4/36-37
67-68 546.2-570, 13 D 19/92-108
496, 19-497, 25 A VI 26/137 571,2-592,23 A VI 26/117-127,
498,5-514,22 L 11 15/1-7, 9-13 138
514, 23-524, 22 A VI 29/21-28 592, 25-593, 20 A VI 4/2
NAMENREGISTER

Aristoteles 13, 129,575,634 Kant 145


Bain 13,64,634 Lehmann437
Beetboven 158f. Leibniz301
Böcklin49 Meinong615
Brentano 7-10, 92-96, 151, 162, Michelangelo 57,367,487
575,615 Mill458
Chamfort 454 Nicolai 146
Cornelius 436f. Nietzsche 42
Dürer35,37 Raffae126, 35, 44, 120,473
Fontane 541 Reid201
Fra BartolGmeo 156 Riemann33
Goethe 254, 543 Schapp 494
Grillparzer 206 Schiller 543
Hildebrand 121 Schnitzler 540f.
Hofmannstha1515 Stumpf 7
Hume 13, 94, 264, 458, 510, 575, Tizian 148, 153-155,207
704f. Veronese 37
HUSSERLIANA
EDMUND HUSSERL
GESAMMELTE WERKE

BAND XXIII

PHANTASIE, BILDBEWUSSTSEIN,
ERINNERUNG

AUF GRUND DES NACHLASSES VERÖFFENTLICHT VOM


HUSSERL-ARCHIV (LEUVEN) IN VERBINDUNG MIT
RUDOLF BOEHM UNTER LEITUNG VON

SAMUEL IJSSELING

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