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Helmut Nüllen
123
Dr. med. Thomas Noppeney
Versorgungszentrum für Gefäßmedizin
Obere Turmstraße 8
90429 Nürnberg
TN@gefaesszentrum-nuernberg.de
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SPIN: 12165476
Vorwort
Die Diagnostik und insbesondere die Therapie der Varikose hat in den letzten Jahren eine gera-
dezu unglaubliche Innovation erlebt, in einem Ausmaß, wie in vielen Jahrzehnten vorher nicht.
Alles scheint im Fluß. Jahrzehntelang gepflegte und für unumstößliche gehaltene Postulate wer-
den aufgegeben, therapeutische Konzepte geändert, pathophysiologische Dogmen angezweifelt.
Veränderung und Entwicklung ist eine permanente Verpflichtung für jede wissenschaftliche
Disziplin. Aber je größer die Wandlung von Teilen, umso größer ist allerdings auch die Gefahr,
dass die Orientierung und der Zusammenhang verloren gehen.
Die Diagnose und die Therapie der Varikosis stellt einen wesentlichen Anteil in der Arbeit des
Gefäßmediziners dar und umfasst einen Großteil des Lehrgebäudes der Phlebologie. Trotz der
großen epidemiologischen und sozialmedizinischen Relevanz hatte die Diagnostik und Therapie
der Varikose leider in der Gefäßchirurgie über lange Zeit eine eher untergeordnete Bedeutung.
Erfreulicherweise nimmt in den letzten Jahren die wissenschaftliche Diskussion über die Varikose
in der gefäßchirurgischen Öffentlichkeit wieder zu.
Nicht zuletzt aus dieser Sicht glauben wir, dass es an der Zeit ist, eine kritische Bestandsauf-
nahme durchzuführen.
Für die Darstellung haben wir dabei den Weg gewählt, uns an der Diagnose zu orientieren und
diese konsequent in allen ihren Facetten zu behandeln. Dabei haben wir uns um Vollständigkeit
bemüht und auch Themenbereiche einbezogen, die ansonsten eher selten abgehandelt werden. Es
sollte eine große Übersicht entstehen.
Wir waren bestrebt zu einzelnen Themen ausgewiesene Spezialisten zur Mitarbeit zu gewin-
nen. Dieses Buch soll ein Lehrbuch sein mit einem hohen Anspruch an eine wissenschaftliche
Orientierung und Darstellung. Hier den Mittelweg zwischen wissenschaftlichem Anspruch, prak-
tischer Umsetzbarkeit und begrenztem Raum zu finden, war nicht immer leicht. Das Buch wendet
sich gleichermaßen an den gefäßmedizinischen Spezialisten wie an den Lernenden und kann auch
dem Allgemeinmediziner als Nachschlagewerk bei den Entscheidungen in der täglichen Praxis
dienen.
Wann immer möglich haben wir uns bemüht, tabellarische Zusammenfassungen und Dar-
stellungen einzufügen, um einfache Überblicke zu gewinnen.
Bei dem schnellen Umsatz in der wissenschaftlichen Welt auch in der Gefäßmedizin muss
man akzeptieren, dass Zusammenfassungen in Büchern von einer kurzlebigen Aktualität in Bezug
auf Einzeldaten gekennzeichnet sind. Diese Momentaufnahme aber soll in einer Zeit der Wand-
lung den Standort und den Standpunkt der Diagnostik und Therapie der Varikosis definieren.
Wir sind dem Springer-Verlag zu großem Dank verpflichtet, dafür dass es ermöglicht wurde eine
solche umfassende Darstellung zu erarbeiten und zu publizieren.
Wir wünschen dem Buch einen guten Weg in die Studierzimmer und freuen uns über Reaktionen
aus der Leserschaft.
Thomas Noppeney
Helmut Nüllen
VII
Inhaltsverzeichnis
4.2.2 24-Städte Kohorten Studie, Italien
I Grundlagen der Varikose (Chiesa et al. 2005a, b) . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4.2.3 Bonner Venenstudie I, Deutschland
(Rabe et al. 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1 Geschichte der Varizenbehandlung . . . . . . 3 4.2.4 Polnische Venenstudie (Jawien et al. 2003) . . . . 39
T. Noppeney 4.2.5 Französische Venenstudie (Carpentier et al. 2004) 41
4.3 Prävalenz von Varizen und CVI . . . . . . . . . . . 41
2 Anatomie und pathologische Anatomie 4.4 Risikofaktoren für Varizen und CVI . . . . . . . . 41
des epifaszialen Venensystems . . . . . . . . . 9 4.4.1 Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.1 Anatomie des epifaszialen Venensystems . . . 10 4.4.2 Positive Familienanamnese . . . . . . . . . . . . . 42
P. Ströbel 4.4.3 Geschlecht, Schwangerschaft und Hormone . . 42
2.1.1 Histologischer Aufbau von Venen . . . . . . . . . 10 4.4.4 Übergewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.1.2 Das epifasziale Venensystem . . . . . . . . . . . . . 10 4.4.5 Andere Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.1.3 Venensystem des Fußes . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.1.4 Tiefe Beinvenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.1.5 Venae perforantes (PV) . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5 Varikose in verschiedenen Lebens-
2.2 Spezielle Anatomie der Crossenregionen . . . . 18 abschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
E. Brenner Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.2.1 Crosse der V. saphena magna . . . . . . . . . . . . 18 H. Nüllen, T. Noppeney
2.2.2 Crosse der V. saphena parva . . . . . . . . . . . . . 22 5.1 Varikose im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.3 Pathologie des epifaszialen Venensystems . . . 24 S. Reich-Schupke, M. Stücker
P. Ströbel 5.1.1 Epidemiologie im Kindesalter . . . . . . . . . . . . 46
2.3.1 Pathohistologische Veränderungen an varikösen 5.1.2 Diagnostik im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . 47
Venen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.1.3 Therapie im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.4 Anatomische Varianten am epifaszialen 5.2 Varikose im höheren Lebensalter . . . . . . . . . 48
Venensystem der Beine . . . . . . . . . . . . . . . 26 H. Nüllen, T. Noppeney
H. Nüllen, T. Noppeney 5.2.1 Epidemiologie im höheren Lebensalter . . . . . . 48
2.4.1 Varianten der Mündungsregion 5.2.2 Therapie im höheren Lebensalter . . . . . . . . . . 48
der Vena saphena magna (VSM) . . . . . . . . . . 26
2.4.2 Varianten im Verlauf des Stammes der VSM . . . 27 6 Physiologie und Pathophysiologie
2.4.3 Varianten der Mündungsregion der venösen Hämodynamik . . . . . . . . . . . 51
der Vena saphena parva (VSP) . . . . . . . . . . . . 28 A.H. Wagner
2.4.4 Varianten im Verlauf des Stammes der VSP . . . . 29 6.1 Einfluss der Schwerkraft auf den venösen
2.4.5 Dorsale Venenstämme des Oberschenkels . . . . 29 Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.4.6 Arterien im Bereich des Hiatus saphenus . . . . . 31 6.2 Venenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
6.3 Venentonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3 Ätiologie der Varikose . . . . . . . . . . . . . . . 33 6.4 Physiologie des venösen Rückstroms . . . . . 53
P. Ströbel 6.4.1 Abdominothorakale Zweiphasenpumpe . . . . . 53
3.1 Ätiologie der Varikose . . . . . . . . . . . . . . . . 34 6.4.2 Muskel- und Gelenkpumpe . . . . . . . . . . . . . 54
3.2 Pathogenese der Varikose . . . . . . . . . . . . . 35 6.5 Venöse Gefäßerkrankungen . . . . . . . . . . . . 55
6.5.1 Phlebothrombose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4 Epidemiologie chronischer Venen- 6.5.2 Thrombophlebitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6.6 Chronische venöse Insuffizienz . . . . . . . . . . 57
E. Rabe, F. Pannier 6.6.1 Venenklappeninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . 57
4.1 Frühe epidemiologische Studien . . . . . . . . . 38 6.6.2 Klappeninsuffizienz und Muskelpumpe . . . . . . 57
4.2 Epidemiologische Studien – 6.7 Rezirkulationskreise und sekundäre
CEAP-Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Leitveneninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
4.2.1 San Diego Bevölkerungsstudie, USA 6.8 Folgen der venösen und kapillaren
(Criqui et al. 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Hypertonie für die Endstrombahn . . . . . . . . 59
VIII Inhaltsverzeichnis
23 Verödungstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
IV Nicht operative Therapie 23.1 Geschichte und Entwicklung der Verödungs-
therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
P. Waldhausen
21 Nicht operative Therapie der Varikose . . . . 227 23.1.1 Historie der Injektion und der Verödungs-
H. Nüllen mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
21.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 23.1.2 Entwicklung der Verödung . . . . . . . . . . . . . . 271
21.2 Therapieoptionen und Therapiekonzepte . . . 228 23.1.3 Entwicklung der Schaumverödung . . . . . . . . 272
23.2 Indikationsstellung zur Verödungstherapie . . 274
22 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . 229 F. X. Breu
22.1 Kompressionstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . 230 23.3 Empfehlungen zur Sklerotherapie
H. Nüllen, T. Noppeney mit flüssigen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
22.1.1 Theoretische Grundlagen der Kompressions- E. Rabe, F. Pannier
therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 23.3.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
22.1.2 Kompressionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 23.3.2 Indikationen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
22.1.3 Kompressionsverband . . . . . . . . . . . . . . . . 234 23.3.3 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
22.1.4 Kompressionsstrumpf . . . . . . . . . . . . . . . . 235 23.3.4 Komplikationen und Risiken . . . . . . . . . . . . . 277
22.1.5 Ergebnisse der Kompressionstherapie . . . . . . 239 23.3.5 Diagnostik vor Sklerotherapie . . . . . . . . . . . . 278
22.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 23.3.6 Duplexsonographisch kontrollierte
22.2 Intermittierende pneumatische Verabreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Kompression (IPK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 23.3.7 Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
V. Wienert 23.4 Technik und Praxis der Verödungstherapie . . 280
22.2.1 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 M. Schadeck
22.2.2 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 23.4.1 Technik bei große Varizen . . . . . . . . . . . . . . 282
22.2.3 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 23.4.2 Technik bei kleinen Varizen . . . . . . . . . . . . . . 286
22.2.4 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 23.4.3 Kompression nach Sklerosierung,
22.2.5 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
22.2.6 Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 23.4.4 Komplikationen und Ergebnisse . . . . . . . . . . 287
22.2.7 Behandlungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 242 23.4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
22.3 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 23.5 Schaumverödung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
J. Ranft, C. Nielen, H. Nüllen F. X. Breu
22.3.1 Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . 242 23.5.1 Verödungsschaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
22.3.2 Orale systemische Medikamente . . . . . . . . . . 243 23.5.2 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
22.3.3 Studienlage zur Pharmakotherapie . . . . . . . . 243 23.5.3 Kontraindikationen und unerwünschte
22.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
22.4 Balneotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 23.5.4 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
B. Hartmann, D. Strass 23.5.5 Gewichteter Literaturüberblick . . . . . . . . . . . 294
22.4.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 23.6 Laser in der Therapie der kutanen Varikose . . 295
22.4.2 Wirkprinzipien der Balneotherapie . . . . . . . . . 246 U. Müller
22.4.3 Praktische Konsequenzen für die 23.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Differentialtherapie (einschließlich Rehabilitation 23.6.2 Wirkprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
und »long term care«) . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 23.6.3 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
22.5 Bewegungstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 23.6.4 Gerätetechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
P. Waldhausen 23.6.5 Hautkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
22.5.1 Medizinische Bewegungstherapie . . . . . . . . . 252 23.6.6 Hautreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
22.5.2 Allgemeine Empfehlungen zur Bewegung . . . . 254 23.6.7 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
22.5.3 Besonderheiten bei der Bewegungstherapie . . 256 23.7 Elektrokoagulation bei kutaner Varikose . . . . 298
22.5.4 Bewegungstherapie in den Leitlinien . . . . . . . 257 H. Nüllen
22.6 Wundmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 23.7.1 Praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . 299
E.S. Debus 23.8 Lichtkoagulation bei kutaner Varikose . . . . . 300
22.6.1 Definition der Wunde . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 H. Nüllen
22.6.2 Wundheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
22.6.3 Wundbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
XII Inhaltsverzeichnis
Mitarbeiterverzeichnis
Balzer, Klaus, Prof. Dr. med. Hartmann, Bernd, PD Dr. med. Noppeney, Jeanette, Dr. med.
Schemelsbruch 25 Innere Medizin, Sportmedizin, Medizinisches Versorgungszentrum
45478 Mülheim a.d. Ruhr Naturheilverfahren, Allergologie für Gefäßmedizin
St. Galler Straße 2 Obere Turmstraße 8
Blazek, Vladimir, Prof. Dr. Ing. 79249 Merzhausen/Freiburg 90429 Nürnberg
RWTH Aachen
Melatener Straße 25 Hermanns, Hans-Joachim, Dr. med. Noppeney, Thomas, Dr. med.
52056 Aachen Gemeinschaftspraxis für Gefäßmedizin Medizinisches Versorgungszentrum
Neue Linner Straße 86 für Gefäßmedizin
Brenner, Erich, Ao. Univ. Prof. Dr. med. 47799 Krefeld Obere Turmstraße 8
Medizinische Universität Innsbruck 90429 Nürnberg
Department für Anatomie, Histologie Hertel, Thomas, Dr. med.
und Embryologie, Sektion für klinisch- MVZ Gefäßzentrum Zwickau Nielen, Ch., Dr. med.
funktionelle Anatomie Bahnhofstraße 30 Gemeinschaftspraxis für Gefäßmedizin
Müllerstraße 59 08056 Zwickau in Mönchengladbach
A-06020 Innsbruck Rheydter Straße 276
Hummel, Thomas, Dr. med. 41065 Mönchengladbach
Breu, Franz-Xaver, Dr. med. Klinik für Gefäßchirurgie,
Facharzt für Allgemeinmedizin, St. Josefs Hospital Nüllen, Helmut, Dr. med.
Phlebologie Gudrunstraße 56 Gemeinschaftspraxis für Gefäßmedizin
Tegernseerstraße 101 44791 Bochum in Mönchengladbach
83700 Rottach-Egern Rheydter Straße 276
Kamphausen, Ulrich, Dr. med. 41065 Mönchengladbach
Brunner, Andrea, Dr. med. Gemeinschaftspraxis für Gefäßmedizin
Medizinisches Versorgungszentrum in Mönchengladbach Pannier, Felizitas, Dr. med.
für Gefäßmedizin Rheydter Straße 276 Statthalterhofweg 50
Obere Turmstraße 8 41065 Mönchengladbach 50858 Köln
90429 Nürnberg
Lang, Werner, Prof. Dr. med. Rabe, Eberhard, Prof. Dr. med.
Debus, E.-Sebastian, Prof. Dr. med. Uni. Erlangen/Gefäßchirurgie Universitätshautklinik
Klinik und Poliklinik für Gefäßmedizin Krankenhausstraße 12 Sigmund-Freud-Straße 25
Universitäres Herzzentrum GmbH 91054 Erlangen 53105 Bonn
Universitätsklinikum Hamburg-
Eppendorf Lawall, Holger, Dr. med. Ranft, Jürgen, Dr. med.
Martinistraße 52 Klinikum Karlsbad Knappschaftskrankenhaus Bottrop
20246 Hamburg Guttmannstraße 1 Klinische und Interventionelle
76307 Karlsbad Angiologie
Emter, Michael, Dr. med. Osterfelder Straße 157
Facharzt für Innere Medizin – Angiologie Müller, Ute, Dr. med. 46242 Bottrop
Bödecker Straße 72 Elisabeth Krankenhaus
30161 Hannover Lützowstraße 24–26 Reich-Schupke, Stefanie, Dr. med.
10785 Berlin Klinik für Dermatologie und Allergologie
Esser, Paul-Willi, Dr. med. Ruhr Universität Bochum,
Facharzt für Radiologie Mumme, Achim, Prof. Dr. med. St. Josef Hospital
Radiologische Gemeinschaftspraxis Klinik für Gefäßchirurgie, Gudrunstraße 56
Erkelenz St. Josefs Hospital 44791 Bochum
Am Schneller 13 Gudrunstraße 56
41812 Erkelenz 44791 Bochum
XVI Mitarbeiterverzeichnis
Die Varizentherapie hat eine sehr lange Tradition. Bereits nis zu der Erkrankung gestanden hätten, würde er sich das
1 Hippokrates (460–375 v. Chr.) (. Abb. 1.1) empfahl in andere Bein nicht operieren lassen (Gurlt 1898).
seiner Schrift über Wunden und Geschwüre Varizen von Bei Avicenna (980–1037) wurden prädisponierende
Zeit zu Zeit anzustechen. Krampfadern waren schon in der Faktoren und Berufe für die Varikose benannt, dazu zählen
Antike ein bekanntes und offensichtlich verbreitetes Krank- körperliche Belastung und mangelnde Bewegung; beruf-
heitsbild, so dass sie Eingang in die bildenden Künste fan- lich waren Läufer, Lastträger und Wachen, die zur Seite des
den. So ist auf einem Votivrelief aus dem Jahr 400 v. Chr. ein Königs stehen, belastet (Vaubel 1976). Von dem arabischen
varizentragender Unterschenkel abgebildet. Arzt Albucasis (936–1013) wurde das Anschwellen der
Die erste Krampfaderexstirpation wurde von dem Füße infolge einer Varikose beschrieben.
berühmten Arzt Aulus Cornelius Celsus (30 v. Chr.– Die Technik der Krampfaderexstirpation wurde über
45 n. Chr.) (. Abb. 1.2) beschrieben. Die Krampfader wur- die Jahrhunderte fortgeführt. Sie findet sich in den Schriften
de über einzelne Inzisionen im Verlauf freigelegt, mit einem von Oribasius (325–403 n. Chr.), der diese Technik bei
Haken hervor luxiert, durchtrennt und dann herausge- schwer heilenden Geschwüren angewandt hat. Zusätzlich
zogen. Abschließend wurden die Wundränder adaptiert beschreibt Oribasius die Skarifikation von Ulzera und das
und mit einem Pflaster versehen (Scheller 1906). Römische Ansetzen von Blutegeln.
Schriften belegen, dass dieser Eingriff auch tatsächlich Ein anderer Mediziner, Aetius Amideus, der Mitte des
durchgeführt wurde. Cajus Plinius Secundus (23–79 n. Chr.) 6. Jahrhunderts in Mesopotamien lebte, schrieb ebenfalls
schrieb über eine derartige Krampfaderoperation an dem über die chirurgische Therapie bei Krampfadern, für die
mehrfachen römischen Konsul C. Marius, der die Opera- zwei Methoden zur Verfügung stünden, die Exstirpation
tion im Stehen ohne Schmerzäußerungen über sich ergehen oder die Koagulation. Die Exstirpation von Krampfadern
ließ. Mit dem Ergebnis der Operation war C. Marius zufrie- ist auch im 14. Jahrhundert von Guy de Chauliac (1298–
den, aber angesichts der Schmerzen, die in keinem Verhält- 1368) unverändert ausgeführt worden. Eine ausführliche
. Abb. 1.1. Hippokrates. Unsignierter Kupferstich (aus Hach, Hach- . Abb. 1.2. Aulus Cornelius Celsus
Wunderle 1994)
1 · Geschichte der Varizenbehandlung
5 1
. Abb. 2.1. Epifasziale Venen. a, b An einem rechten Bein. c Oberflächliche (epifasziale) und tiefe (subfasziale) Venen des Unterschenkels
der rechten Seite (aus Tillmann 2004)
12 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
tionen oder schweren pelvinen Varizen, auch bei Variko- Die Eintrittsstelle in die VSM liegt meist 5-10 cm un-
zele, vor. terhalb der Einmündung der VSM in die V. femoralis. Da
das Gefäß näher an der Muskelfaszie liegt, imponieren
V. epigastrica superficialis und V. circumflexa variköse Veränderungen häufig weniger ausgeprägt als bei
superficialis ilium der V. saphena magna accessoria anterior. Anastomosen
Diese Venen drainieren das untere Abdomen, sowie Hüfte mit der Extensio cranialis der V. saphena parva kommen in
und den oberen Teil der Haut des Oberschenkels. Der Haupt- etwa 70% vor und entsprechen der V. circumflexa femoris
stamm dieses verzweigten Gefäßsystems wird kurz vor posterior (»Giacomini-Vene«) (. Abb. 2.2).
seinem Eintritt in die V. saphena magna von der A. pudenda Neuere Arbeiten legen nahe, dass die Giacomini-Vene
externa begleitet, die bei Verletzungen stark bluten kann. bei Insuffizienz von VSM und VSM eher selten mitbetrof-
Das gesamte epigastrische System ist bei Verschlüssen fen ist.
der V. cava oder portaler Hypertension Teil des wichtigsten
Umgehungskreislaufes. An dieser Stelle soll darauf hinge- V. tibialis anterior superficialis
wiesen werden, dass auch die Venen der Beckeneingeweide Sie ist meist auch bei normalen Verhältnissen von außen
eine wichtige Rolle in der Entstehung variköser Veränderun- sichtbar. Nach variablem Verlauf entlang des Schienbeins
gen der unteren Extremität spielen können. Die Anatomie mündet das Gefäß knapp unterhalb der Patella in die VSM
des Venensystems im Becken ist sehr komplex mit zahl- ein. Mit den tiefen Vv. tibiales anteriores bestehen Verbin-
reichen variablen Anastomosen und Abflüssen, auf die im dungen über Perforans-Venen.
Rahmen dieser Beschreibung nicht näher eingegangen
werden kann. V. tibialis posterior superficialis
Sie verläuft an der posterioren medialen Oberfläche der
V. saphena magna accessoria anterior Wade. Die große klinische Bedeutung dieses Astes liegt in
Dieses Gefäß stellt zusammen mit der V. saphena magna den topographisch relativ konstanten Verbindungen zur
accessoria posterior die beiden Hauptzuflüsse der VSM am gleichnamigen Vena tibialis posterior des tiefen Venensys-
Oberschenkel dar. Der anatomische Begriff bezeichnet tems über 2 bis 3 Perforans-Venen (Vv. perforantes tibialis
jedes in anteriorer Position parallel zur VSM aufsteigende posterior (»Cockett«)), die häufig eine Rolle bei kutanen
Venensegment. Da dieses Gefäß häufig varikös verändert Komplikationen der Knöchel- und Fußregion spielen.
ist, besteht manchmal Verwechslungsgefahr mit der VSM Anastomosen der V. tibialis posterior superficialis mit der
selbst. Anastomosen mit der V. circumflexa superficialis Vena saphena parva oder ihren Ästen sind häufig.
ilium sind häufig und zahlreich.
V saphena parva (VSP)
V. saphena magna accessoria posterior Die V. saphena parva (VSP) zieht oberflächlich vom late-
Definiert als jedes in posteriorer Position parallel zur VSM ralen Fußrand, beginnend mit der V. marginalis lateralis,
aufsteigende Venensegment. epifaszial hinter dem lateralen Knöchel zur Wade, durch-
14 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
bohrt aufsteigend die Faszie und mündet zwischen den Venen am Fußrücken, das Rete venosum dorsale pedis, wel-
beiden Köpfen des M gastrocnemius in der Tiefe in die ches über ebenfalls klappenlose Perforansvenen auch Blut
V. poplitea (. Abb. 2.2). aus der Tiefe aufnimmt. In ihn münden auch die Vv. digi-
2 Diese Crosse liegt in über 50% der Fälle innerhalb von tales dorsales pedis von der Dorsalfläche der Zehen.
5 cm um die Hautfalte des gebeugten Knies, in den übrigen Diese Verbindungen zwischen den Venen der Fußsoh-
Fällen 5–10 cm oberhalb dieser Marke. Gelegentlich mün- le mit den Venen des Fußrückens beteiligen sich bei Belas-
det die VSP nicht in die V. poplitea, sondern in die VSM, tung des Fußes am Auspressen des schwammartigen Fuß-
oder sie zieht weiter nach proximal, wo sie in die V. glute- sohlennetzes und können darüber hinaus die Fortleitung
alis, pudenda interna oder die V. saphena magna accessoria von Entzündungen begünstigen.
posterior mündet. Gewöhnlich durchbohrt die VSP die Während die tiefen Fußvenen direkt in die V. dorsalis
Muskelfaszie nicht gleich, sondern verläuft eine Strecke pedis (Fußrücken) bzw. V. tibialis posterior (Fußsohle)
lang intrafaszial. Die Durchtrittshöhe kann bei Varikose drainieren, liegt der Hauptabfluss vom Fußrückennetz an
eine Rolle spielen, da die Vene häufig nur distal vom Fas- den Fußrändern und erfolgt vor allem über die Vv. margi-
zieneintritt varikös entartet ist, proximal davon aber suffi- nales medialis und lateralis, die dann ihrerseits in die Vena
zient. Die wichtigsten Zuflüsse erhält die VSP aus lateralen saphena magna (V. marginalis medialis) bzw. parva
und medialen Ästen, die aufgrund der hohen Variabilität (V. marginalis lateralis) einmünden.
nicht näher benannt werden. Diese Seitenäste sind meist
klein und führen Blut aus dem Subkutangeflecht der Wade Tipp
und der Knieregion. In der Wadenregion gibt es drei Ver-
Die Klappenlosigkeit der Perforansvenen des Fußes
bindungsäste zwischen VSP und VSM (Vv. intersaphenae),
und der Knöchelregion kann durch Punktion einer
die bei Varikose häufig betroffen sind: einer im unteren
Fußrückenvene und Drosselung des oberflächlichen
Drittel, einer in Wadenmitte und einer dicht unterhalb des
Blutabflusses mittels Stauschlauch für die gezielte
Knies. Normalerweise fließt das Blut von der VSP zur
Kontrastmitteldarstellung der tiefen Unterschenkel-
VSM. Bei Insuffizienz der VSM findet dagegen eine Um-
venen ausgenutzt werden.
kehr dieser Strömungsrichtung mit Rückstau in die VSP
statt. Klinisch bedeutsam auch die Verbindung zwischen
VSP und VSM in der Knöchelregion, über die sich variköse
Veränderungen bei Insuffizienz der VSP auf beide Knöchel 2.1.4 Tiefe Beinvenen
ausdehnen können.
Die tiefen Venen können unterteilt werden in intermus-
kuläre und intramuskuläre Venen. Intermuskuläre Venen
2.1.3 Venensystem des Fußes (Vv. comites) sind Begleitvenen der Arterien, sind mit
diesen in gemeinsame Gefäßscheiden eingeschlossen und
Der venöse Blutfluss des Fußes weist aufgrund der hohen werden nach ihnen benannt. Die meisten Arterien (mit
lokalen Druckbelastungen der Fußsohle anatomische und Ausnahme von A. femoralis und A. poplitea) werden von
funktionelle Besonderheiten auf. Zusammen mit den Ve- paarigen Venen begleitet, die strickleiterartig miteinander
nen der Knöchelregion bilden die Fußvenen eine der sog. verbunden sind und periarterielle Geflechte bilden kön-
Wadenmuskelpumpe vorgeschaltete Druck-Saug-Pumpe. nen. Meist vereinigen sich diese Begleitvenen vor Einmün-
Die Fußsohle ist von einem dichten und feinmaschigen dung in die hierarchisch nächstgrößere Vene.
venösen oberflächlichen Venengeflecht überzogen (»vas- Intramuskuläre Venen verlaufen dagegen innerhalb
kuläre Sohle«). Das Blut aus diesem Netzwerk wird an den der Muskulatur, die sie drainieren. Von den zahlreichen
Fußrändern über die Vv. marginales medialis und lateralis intramuskulären Venen sind vor allem die Vv. solealis und
in die Vena saphena magna (V. marginalis medialis) bzw. Vv. gastrocnemii von klinischer Bedeutung, da die Kon-
parva (V. marginalis lateralis) drainiert, zusätzlich bestehen traktion dieser beiden Muskelgruppen (M. soleus und
klappenlose Perforansvenen, welche eine Verbindung zu gastrocnemius) für den größten Teil der Muskelpumpe der
den tiefen Vv. plantares herstellen, welche ihrerseits in die Wadenmuskulatur verantwortlich sind.
V. tibialis posterior münden. Im Fußballenbereich vereini-
gen sich die oberflächlichen Venen zu einem Arcus venosus Intermuskuläre tiefe Beinvenen
plantaris, der über VV. interdigitales mit dem Arcus veno- (Venae comites)
sum dorsalis pedis des Fußrückens in Verbindung stehen. V. femoralis (communis)
Über diese Vv. interdigitales bildet der Arcus venosum dor- Sie entsteht durch Zusammenfluss der V. femoralis mit
salis pedis den Hauptabfluss für das Blut der Fußsohle, zu- der V. profunda femoris. Die V. femoralis setzt sich aus
gleich begrenzt er bogenförmig ein Netzwerk superfizieller der V. poplitea am oberen Rand der Kniekehle fort und
2.1 · Anatomie des epifaszialen Venensystems
15 2
windet sich im Canalis adductorius schraubenförmig um mit der V. tibialis posterior und der V. fibularis zur Vena
die A. femoralis, mit der sie in einer gemeinsamen Gefäß- poplitea.
scheide liegt, die aber innen durch ein sagittales Septum
unterteilt ist. Vv. tibiales posteriores
Die V. profunda femoris entsteht durch Vereinigung Sie entstehen durch Zusammenfluss der Vv. plantares,
von Venen, welche die Muskulatur der hinteren und seit- steigen auf der Rückseite des Unterschenkels in der tiefen
lichen Hüftregion drainieren, sowie durch tiefe femorale Wadenloge auf und nehmen hier Muskelvenen und Per-
Vv. communicantes. foransvenen aus der V. saphena magna auf. Durch Zusam-
menfluss mit der V. fibularis bilden sie den Truncus tibio-
! Cave
fibularis.
In vielen älteren Texten wird die V. femoralis noch
als V. femoralis superficialis bezeichnet. Diese irre- Vv. peronaeae
führende Bezeichnung sollte unbedingt verlassen
Diese großkalibrigen Venen verlaufen in ihrer unteren
werden, da es sich anatomisch um eine tiefe Bein-
Hälfte unter dem M. flexor hallucis longus in der Nachbar-
vene handelt und die Bezeichnung auch nicht in
schaft der Membrana interossea, in der oberen Hälfte in
der offziellen Terminologia anatomica auftaucht.
der tiefen Flexorenloge, bevor sie in die Vv. tibiales poste-
riores einmünden
V. ischiadica
Sie ist embryologisch der Hauptstamm des primordialen Intramuskuläre tiefe Beinvenen
tiefen Venensystems. Beim Erwachsenen kann sie bei Ver- Unter den zahlreichen intramuskulären tiefen Beinvenen
schluss der V. femoralis eine wichtige Rolle als Umge- sind vor allem die Soleus- und Gastrocnemiusvenen von
hungskreislauf einnehmen. Sie entsteht im oberen Drittel klinischem Interesse, die eine funktionelle Einheit bilden
des Oberschenkels durch Vereinigung von Muskelästen und eine wichtige Funktion im Rahmen der Wadenmus-
mit perforierenden Anastomosenästen aus der V. circum- kelpumpe haben. Daneben kommen zahlreiche Verbin-
flexa femoris medialis und verläuft entlang des Nervus dungen zu den epifaszialen Venen vor.
ischiadicus, bevor sie sich vor dem Foramen ischiadicum
majus mit der V. glutaea inferior vereinigt. Soleusvenen (Vv. solealis)
Durch die V. ischiadica und assoziierte Perforansar- Soleusvenen sind drei breite sinusoidale und klappenlose
kaden entsteht eine direkte oder indirekte Verbindung Längsstämme, die durch zahlreiche Anastomosen eine Art
zwischen A. poplitea und (via V. glutaea inferior) V. iliaca intramuskuläres Geflecht bilden. Der Abfluss erfolgt über
interna. die Vv. peronaeae und die Vv. tibiales posteriores. Klinisch
ist vor allem der venöse Abfluss der unteren Soleushälfte
V. poplitea von Bedeutung, der hier über die V. tibialis posterior er-
Diese distale Fortsetzung der V. femoralis liegt in der Knie- folgt, die in dieser Region zusätzlich Vv. perforantes aus
kehle dorsal der A. femoralis und sammelt Blut aus der der inneren Retromalleolarregion (dem sog. Ulzerations-
Kniegegend und dem Unterschenkel. Sie entsteht durch gebiet) aufnimmt. Daher können sich Thrombosen aus
Vereinigug des Truncus tibiofibularis und der V. tibialis den Muskelvenen einerseits durch die Vv. perforantes nach
anterior. Aufgrund der Variabilität der Einmündungen außen, d. h. in die innere Malleolarregion und die Innen-
dieser Zuflüsse findet sich nur in etwa der Hälfte der Fälle seite der Wade oder nach proximal durch die V. tibialis
ein Gefäßstamm in der Kniekehle, in der anderen Hälfte posterior fortsetzen.
der Fälle zwei Gefäßstämme, die sich erst am oberen Ende
der Kniekehle zur V. femoralis vereinigen. Gastrocnemiusvenen (Vv. gastrocnemii)
Die V. poplitea nimmt außerdem auch die Zuflüsse Sie sind normalerweise dünner als die Soleusvenen und
aus dem Plexus venosus genicularis (Vv. geniculares) auf, besitzen zahlreiche, dicht stehende Klappen. Da beide
einem komplexen anastomosierenden Venengeflecht der Gastrocnemiusköpfe mit paarigen Venen ausgestattet sind,
Knieregion. die sich proximal und distal zu je einem Stamm vereinigen,
ist eine Unterteilung in eine mediale und laterale Gastro-
Vv. tibiales anteriores cnemius-Vene sowie eine in der Mitte zwischen den beiden
Diese paarigen Venen sind die Fortsetzung der Vv. dorsales Muskelköpfen gelegene V. intergemellaris möglich. Die
pedis. Sie verlaufen an der Vorderseite der Membrana in- Vv. gastrocnemii sind durch Perforansvenen mit der
terossea, die Tibia und Fibula verbindet. Im Kniegelenks- V. saphena parva und dem R. posterior der V. saphena
bereich, etwa auf Höhe des Fibulaköpfchens treten sie nach magna verbunden. Als Gastrocnemiuspunkt wird die Stelle
dorsal durch die Membrana interossea und vereinigen sich bezeichnet, an der die Achillessehne sich mit den beiden
16 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
Gastrocnemiusköpfen vereinigt. Dieser Punkt entspricht In der Knöchelregion konzentrieren sich PV in den ante-
etwa den Abgang der V. perforans, welche die V. saphena rioren, medialen und lateralen Gruppen.
parva mit den Gastrocnemiusvenen verbindet. Die Teilinsuf-
2 fizienz des unteren Saphenaabschnittes ist vermutlich auf Perforansvenen des Unterschenkels
die Insuffizienz dieser Perforansvene zurück zu führen. Die PV des Unterschenkels werden in 4 Hauptgruppen
(mediale-vordere-laterale-hintere) unterteilt.
Anteriore 2
Unterschenkel Mediale
Posteriore tibiale PV (Cockett) 3 (–5) VSM accessoria posterior und V. tibialis posterior
Posteriore
Intergemelläre PV (May) 1
Suprapatellare PV 1–2
Infrapatellare
Oberschenkel Mediale
Laterale 3–9
Posteriore
In Anlehnung an: International Interdisciplinary Consensus Committee on Venous Anatomical Terminology, 2002
18 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
PV des hinteren Unterschenkels. proximale Grenze ist mit der tatsächlichen Einmündung in
Sie werden unterteilt in die V. femoralis comm. klar definiert; die distale Grenze
4 Vv. perforantes gastrocnemii medialis fällt mit der präterminalen Klappe der V. saphena magna
2 4 Vv. perforantes gastrocnemii lateralis zusammen. In die Crosse münden große, benannte und
4 Vv. perforantes intergemelli (May) (Austrittsstelle in kleine, unbenannte Seitenäste ein.
der Wadenmittellinie) Für diesen Abschnitt anatomisch bedeutsam sind die
4 Vv. perforantes paraachillares (Bassi): eine klinisch Faszienverhältnisse, die einmündenden Seitenäste sowie
wichtige Verbindung zwischen der V. saphena parva die Venenklappen.
und VV. peronaeae etwa 5 cm oberhalb des Tuber cal-
canei, darüber die sog. 12 cm-Perforansvene.
Anatomische Details der Saphena-magna-
Perforans-Venen des Oberschenkels Crossenregion
Unter den PV des Oberschenkels sind neben den ingui- 4 Nomenklatur der Crossenregion
nalen besonders die des Femoralkanals (Dodd) von klini- 4 Faszienverhältnisse
scher Bedeutung. Diese Venen verbinden die V. saphena 4 Fascia saphena
magna mit der Femoralvene. Als besonders wichtig gilt die 4 Venenklappen der Crossenregion
etwa 16–20 cm oberhalb des Patellarrandes gelegene sog. 4 Venenklappen der V. saphena magna
»mid-hunter-canal perforating vein«, welche über Seiten- 4 Venenklappen der V. femoralis comm.
äste sowohl Versorgungsgebiete der VSM als auch der VSP 4 Einmündende Venen (»Seitenäste«)
mit dem tiefen Venensystem verbindet. Die PV des Femo-
ralkanals können auf jeder Höhe des medialen Oberschen-
kels auftreten, liegen aber meist im mittleren Drittel. Von Nomenklatur der Saphena-magna-
ihnen gehen nach Varizenausschaltung häufig Rezidive Crossenregion
aus, während die lateralen Gruppen selten von klinischer Oftmals ist die Nomenklatur der Venen Anlass für eine
Bedeutung sind. nicht unbeträchtliche Verwirrung, da die unterschied-
lichsten Namen für die einzelnen Strukturen angewandt
Literatur werden. Dabei kollidieren überlieferte Bezeichnungen,
Caggiati A, Bergan JJ, et al. (2002) Nomenclature of the veins of the die offizielle anatomische Nomenklatur (Terminologia
lower limbs: An international interdisciplinary consensus state-
Anatomica; TA) sowie die als Konsens der UIP definieren
ment. J Vasc Surg. 36(2): 416–22
Drenckhahn D (2004) Systematik des Venensystems. In: Benninghoff-
Bezeichnungen. Besondere Verwirrung stiftet dabei die
Drenckhahn. Urban&Fischer, München V. femoralis, die nach der offiziellen anatomischen No-
Federative International Committee on Anatomical Terminology menklatur aus der V. poplitea durch den Durchtritt durch
(1998) Terminologia Anatomica. Stuttgart: Thieme den Canalis adductorius entsteht und die V. femoralis
Mozes G, Gloviczki P (2004) New Discoveries in Anatomy and New
profunda aufnimmt. Nach der neueren Nomenklatur der
Terminology of Leg Veins: Clinical Implications. Vasc Endovasc
Surg; 38(4):367–374
UIP vereinigt sich die V. femoralis mit der V. femoralis
Tillmann B (2004) Atlas Der Anatomie Des Menschen, Springer Berlin profunda zur V. femoralis communis. Auf alle Fälle ver-
Heidelberg S 517 mieden werden sollte der Begriff einer »V. femoralis super-
Van Neer PA, Veraart JC, Neumann HA (2003) Venae perforantes: ficialis«, da er – fälschlicherweise – zur Annahme verleitet,
a clinical review. Dermatol Surg 29(9): 931–942
dass diese Vene subkutan bzw. epifaszial läge. Auf Basis
dieser Fehleinschätzung wurden und werden oftmals
Thrombosen dieser tiefen Vene nicht adäquat therapiert
2.2 Spezielle Anatomie (. Tab. 2.3).
der Crossenregionen In der anglo-amerikanischen Literatur wird statt des
Begriffs der »Crosse« die Bezeichnung der »sapheno-fe-
E. Brenner moral junction« verwendet, wobei hier immer wieder
Uneinigkeit besteht, ob dieser Begriff nur die tatsächliche
Einmündung der V. saphena magna in die V. femoralis
2.2.1 Crosse der V. saphena magna comm. umfasst oder eben, wie von der UIP empfohlen,
den gesamten Bereich von der präterminalen Klappe bis
Als »Crosse« bezeichnet man jenen terminalen Abschnitt zur Einmündung betrifft. Andererseits inkludiert die
der V. saphena magna, mit dem sie von ihrem epifaszialen »sapheno-femoral junction« auch die relevanten Anteile
Verlauf kommend durch die Fascia lata des Oberschenkels der V. femoralis comm. zwischen den Valvae supra- et in-
tritt und in die V. femoralis communis einmündet. Die frasaphenicae.
2.2 · Spezielle Anatomie der Crossenregionen
19 2
Vena femoralis profunda Profunda femoris vein Profunda femoris vein (PFV) Tiefe Oberschenkelvene
deep femoral vein
Vena saphena magna Great saphenous vein Great saphenous vein (GSV) Große Rosenvene /
Long saphenous vein
Greater saphenous vein
Vena epigastrica superficialis Superficial epigastric vein Superficial epigastric vein (SEV)
Vena saphena accessoria Accessory saphenous vein Anterior accessory great Vena saphena accessoria
saphenous vein (AASV) lateralis
Nicht in der Terminologia anatomica enthaltene lateinische Begriffe sind in der Tabelle kursiv dargestellt
20 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
4 Valva infrasaphenica: Der distal der Einmündung der 4 Vena(e) pudenda(e) externa(e): Die zumeist zwei
V. saphena magna liegende Teil der V. femoralis comm. Vv. pudendae externae vereinigen sich in den meisten
soll nach übereinstimmenden Beschreibungen mehre- Fällen bereits vor ihrer Einmündung in die Crosse zu
2 re Taschenklappen enthalten. Unsere eigene Unter- einem großen Seitenast, welcher in 90% der Fälle mit
suchung zeigte eine Valva infrasaphenica, also die erste einem durchschnittlichen Abstand zur sapheno-fe-
distal der Einmündung der V. saphena magna liegende moralen Mündung von etwa 17 mm (max. 5 cm) in die
Taschenklappe, mit 87% relativ häufig; der durch- V. saphena magna einmündet. Stammbildungen fin-
schnittliche Abstand betrug etwa 50 mm. Eine zweite, den sich vor allem mit der V. epigastrica superficialis
distal gelegene Taschenklappe war in ca. der Hälfte der (12%).
Fälle vorhanden; selten auch eine dritte. 4 Vena saphena accessoria anterior: Die V. saphena
accessoria ant. besitzt in ihrem proximalen Abschnitt
Einmündende Venen (»Seitenäste«) eine eigene Faszienhülle, ähnlich der V. saphena magna
In die Crosse münden einerseits große, benannte Seiten- mit ihrer Fascia saphena. Sie mündet allerdings in nur
äste, andererseits aber auch kleine, unbenannte Seitenäste etwa der Hälfte der Fälle mit einem durchschnittlichen
ein. Diese kleinen Seitenäste entstammen mehrheitlich Abstand von 20 mm zur sapheno-femoralen Mündung
den oberflächlichen inguinalen Lymphknoten; es kann in die Crosse ein. Stammbildungen kommen mit der
sich dabei aber auch um Begleitvenen der Gefäße und Ner- V. circumflexa ilium superficialis und/oder der V. epi-
ven (Vv. commitantes, Vv. vasorum, Vv. nervorum) sowie gastrica superficialis vor.
kleine Hautvenen handeln. Die benannten großen Seiten-
äste (major superficial inguinal tributary veins; [major] Sonstige Seitenäste der V. saphena magna
saphenous junctional tributaries) bilden den sogenannten 4 Vena saphena accessoria posterior: Nach eigenen
»Venenstern«. Untersuchungen ist die V. saphena accessoria post.
nicht zu den großen Seitenästen der Crosse zu zählen,
Seitenäste der Crosse obwohl sie in der anatomischen Literatur gelegentlich
Die großen Seitenäste der Crosse bilden den sogenannten noch zum Venenstern gezählt wird, was wohl auf
Venenstern. Dieser Begriff bezeichnet jedoch kein ein- die gelegentliche Einmündung in die anderen großen
heitliches Einmündungsmuster; vielmehr kann jede dieser Seitenästen zurückzuführen ist. Sie mündet zwar rela-
Venen entweder selbständig oder unter Bildung eines ge- tiv häufig (85%) in die V. saphena magna ein, tut dies
meinsamen Venenstamms mit einer oder mehreren ande- aber mit einem durchschnittlichen Abstand zur saphe-
ren großen Seitenästen sowohl in die V. saphena magna no-femoralen Mündung von mehr als sieben Zenti-
als auch in die V. femoralis comm. einmünden. Zumeist metern (74 mm). Sie liegt damit distal der prätermi-
münden drei bis vier große Seitenäste in die Crosse. Eine nalen Klappe. Zudem stellt sie letztendlich den eigent-
Klassifizierung der Mündungsvarianten, wie sie verschie- lichen Mündungsteil der dorsalen Längsvene(n), der
denste Autoren versucht haben, erscheint aufgrund der V. saphena parva und ihrer proximalen Verlängerung,
großen Zahl der möglichen und auch tatsächlich vorkom- der V. femoropoplitea, dar.
menden Muster, nicht wirklich sinnvoll.
4 Vena circumflexa ilium superficialis: Dieser Seiten-
ast mündet in 83% in die V. saphena magna mit 2.2.2 Crosse der V. saphena parva
einem durchschnittlichen Abstand von etwa 11 mm
(max. 2 cm) von deren Mündung. Sie ist damit je- Im Gegensatz zur V. saphena magna stellt die »Crosse« der
ner Seitenast, welcher, im Durchschnitt gesehen, V. saphena parva nicht ihre eigentliche Mündung dar, son-
am weitesten proximal in die Crosse einmündet. Sehr dern vielmehr eine Perforansvene zur V. poplitea, während
häufig bildet dieser Seitenast einen gemeinsamen sich die V. saphena parva als V. femoropoplitea auf den
Stamm mit der V. epigastrica superficialis (30%), ge- Oberschenkel fortsetzt. Die proximale Grenze der »Crosse«
legentlich sogar unter Einbeziehung der VV. pudendae ist jedenfalls mit der tatsächlichen Einmündung in die
externae. V. poplitea eindeutig; die distale Grenze sollte durch den
4 Vena epigastrica superficialis: In vier von fünf Fällen Abgang der bzw. den Übergang in die V. femoropoplitea,
(78%) mündet dieser große Seitenast mit einem durch- wenn vorhanden, definiert werden.
schnittlichen Abstand von knapp 12 mm zur sapheno-
femoralen Mündung in die Crosse. Eine Stammbildung
findet sich mit der V. circumflexa ilium superficialis
alleine (32%), oder unter Einbeziehung der V. saphena
accessoria ant. (18%).
2.2 · Spezielle Anatomie der Crossenregionen
23 2
Das generelle Problem der V. saphena parva ist ihre
Anatomische Details der Saphena-parva- uneinheitliche Bezeichnung ihrer Abschnitte. Wenn man
Crossenregion die grundlegenden anatomischen Quellen mit der Be-
4 Nomenklatur der Crossenregion schreibung von Carlo Giacomini aus dem Jahre 1873 syn-
4 Faszienverhältnisse thetisiert, so ergibt sich folgendes Bild.
4 Mündungsverhalten der Saphena-parva-Crosse Die V. saphena parva ist die dorsal-laterale Längsvene
4 Venenklappen der V. saphena parva des Unterschenkels und setzt sich als V. femoropoplitea auf
4 V. femoropoplitea (»thigh extension«) die Dorsalseite des Oberschenkels fort. Diese wiederum
biegt medial um den proximalen Oberschenkel herum und
mündet letztendlich als V. saphena accessoria posterior in
Nomenklatur der Saphena-parva- die V. saphena magna ein. Im Bereich der Kniekehle besitzt
Crossenregion diese dorsale epifasziale Längsvene relativ häufig eine unter-
Die Nomenklatur der V. saphena parva stellt sich wesent- schiedlich stark ausgebildete Anastomose mit der V. popli-
lich einfacher dar. Hier kommt es zu keinen Begriffsver- tea. Diese Anastomose stellt also eigentlich eine sapheno-
wirrungen, sieht man von der V. femoropoplitea als pro- popliteale Perforans-Vene dar; wird aber in generellen
ximale Fortsetzung der V. saphena parva einmal ab. Die Sprachgebrauch als »Crosse« der V. saphena parva bezeich-
V. femoropoplitea wird in der anglo-amerikanischen For- net. Der Abgang der »Crosse« ihrerseits stellt die Grenze
mulierung entweder – durchaus richtig – als »thigh exten- zwischen V. saphena parva und V. femoropoplitea dar.
sion« (Oberschenkelverlängerung bzw. -fortsatz) oder aber Aus dieser generellen Situation ergeben sich je nach
auch – anatomisch falsch – als »cranial extension« (krania- Ausprägung der einzelnen Komponenten, insbesondere
ler Fortsatz; der Begriff »kranial« wird an Extremitäten der »Crosse« und der V. femoropoplitea, die unterschied-
nicht eingesetzt, stattdessen muss der Begriff »proximal« lichsten Varianten.
verwendet werden) (. Tab. 2.4)
Die anglo-amerikanische Literatur kennt auch hier Faszienverhältnisse
den Begriff der »Crosse« nicht; anstelle dessen wird dort Wie die V. saphena magna besitzt auch die dorsale Längs-
der Begriff der »sapheno-popliteal junction« verwendet, vene (V. saphena parva und V. femoropoplitea) eine eigene
welche in Analogie zur »sapheno-femoral junction« den Fascia saphena (parva). Nach unseren Untersuchungen
terminalen Abschnitt der V. saphena parva sowie die rele- beginnt diese Faszie nahe des Außenknöchels und erstreckt
vanten Anteile der V. poplitea umfasst. sich das gesamte Bein nach proximal. Einzig die »Crosse«
(TA) TA UIP
Vena saphena parva Small saphenous vein Small saphenous vein (SSV) Kleine Rosenvene /
Short saphenous vein
Vena femoropoplitea Femoropopliteal vein Thigh extension of the SSV »cranial« extension of the SSV
Giacomini vein
der V. saphena parva durchbricht letztendlich die Fascia Caggiati A (2000) Fascial relations and structure of the tributaries of
the saphenous veins. Surg Radiol Anat 22:191–196
poplitea, um zur V. poplitea zu gelangen.
Caggiati A, Bergan JJ, Gloviczki P, et al (2005) Nomenclature of the
Auch hier kann die Situation eintreten, dass eine akzes- veins of the lower limb: extensions, refinements, and clinical
2 sorische Vene oberflächlich und außerhalb dieser Faszie application. J Vasc Surg 41:719–724
verläuft, die dann als V. accessoria superficialis zu bezeich- Caggiati A, Bergan JJ, Gloviczki P, et al (2002) Nomenclature of the
nen wäre. veins of the lower limbs: an international interdisciplinary
consensus statement. J Vasc Surg 36:416–422
Delis KT, Knaggs AL, Khodabakhsh P (2004) Prevalence, anatomic
Mündungsverhalten der Saphena-parva- patterns, valvular competence, and clinical significance of the
»Crosse« Giacomini vein. J Vasc Surg 40:1174–1183
Im Gegensatz zur V. saphena magna ist die Lage der Franklin KJ (1927) Valves in Veins: An Historical Survey. Proc R Soc Med
»Crosse« der V. saphena parva relativ variabel, wobei sie 21:1–33
Georgiev M, Myers KA, Belcaro G (2003) The thigh extension of the
bei Patienten mit venöser Inkompetenz deutlich weiter dis-
lesser saphenous vein: From Giacomini‘s observations to ultra-
tal liegen soll. sound scan imaging. J Vasc Surg 37:558–563
Die »Crosse« der V. saphena parva kann unterschied- Giacomini C (1873) Osservazioni anatomiche per servire allo studio
lichste Ausprägungen besitzen. Wir haben in unseren Un- della circolazione venosa delle estremità inferiori. Giornale della
tersuchungen etwa 56% eine »regelrechte Crosse« ge- Reale Accademia di Medicina di Torino 13:109–215
Gottlob R, May R (1986) Venous valves: morphology, function, radiol-
funden, unter Umständen als ein sehr feines Gefäß oder
ogy, surgery. Wien: Springer
gedoppelt; in 15% war ein regelrechtes Netzwerk feiner Mühlberger D, Morandini L, Brenner E (2008) An anatomical study of
Venen vorhanden. In den restlichen Fällen (29%) fehlte die femoral vein valves near the saphenofemoral junction. J Vasc Surg
»Crosse« vollständig. 48:994–999
Die Saphena-parva-»Crosse« mündet zumeist von Mühlberger-Reisinger D (2006) The Frequency and Exact Position of
Valves in the Saphenofemoral Junction. In: Division of clinical-
(dorsal-)lateral her in die V. poplitea ein.
functional Anatomy. Thesis: Innsbruck Medical University
Wichtig ist hier auch die Lage im Bezug auf die beiden Raivio EVL (1948) Untersuchungen über die Venen der unteren Extre-
großen Nervenstämme der Fossa poplitea, dem N. tibialis mitäten, mit besonderer Berücksichtigung der gegenseitigen
und dem N. fibularis comm. Der N. tibialis liegt nach unse- Verbindungen zwischen den oberflächlichen und tiefen Venen.
ren Untersuchungen in etwa zwei Dritteln der Fälle lateral, Ann Med Exp Biol Fenn 26:286
Ricci S, Georgiev M (2002) Ultrasound anatomy of the superficial veins
in einem Drittel medial der »Crosse«. Besonderes Augen-
of the lower limb. Journal of Vascular Technology 26:183–199
merk ist auf den N. fibularis comm. zu richten, da er selten Schweighofer G (2008) Small saphenous vein - valves and topograph-
aber doch (2,5% der Fälle) medial um die »Crosse« herum- ical anatomy. In: Division for clinical-functional Anatomy. Thesis:
zieht und dann relativ schräg die Kniekehle kreuzt. Innsbruck Medical University; 41
Venenklappen
In der »Crosse« der V. saphena parva findet sich zumeist 2.3 Pathologie des epifaszialen
nur eine Taschenklappe, die demnach als terminale Klappe Venensystems
bezeichnet werden kann; sie kann in seltenen Fällen auch
fehlen. Wenn eine zweite Taschenklappe in der V. saphena P. Ströbel
parva vorhanden ist, so liegt diese stets distal des »Ab-
gangs« der V. femoro poplitea. Unter den klinisch relevanten Veränderungen der epifas-
zialen Venen machen Varikosis und die Thrombophlebitis
Vena femoropoplitea (»thigh extension«) etwa 90% der Fälle aus. Die Varikose betrifft etwa 15–20%
Die V. femoropoplitea stellt also die proximale Fortsetzung der Bevölkerung und ist damit eine ausgesprochen häufige
der V. saphena parva dar; sie liegt – zumindest am Ober- Erkrankung.
schenkel – in einer eigenen Faszienloge und mündet
schlussendlich als V. saphena accessoria posterior in die
V. saphena magna. In unseren Untersuchungen haben wir 2.3.1 Pathohistologische Veränderungen
sie in 84% der Fälle gefunden; diese Häufigkeit korreliert an varikösen Venen
sehr gut mit der Einmündung der V. saphena accessoria
posterior (85%). Als Varizen werden krankhaft erweiterte Venen bezeich-
net, wobei die Erweiterung der Gefäße umschrieben oder
Literatur
segmental verlaufen kann und häufig mit Schlängelung
Bardeleben K (1880) Das Klappen-Distanz-Gesetz. Jenaische Natur-
wiss 14:467–529
oder Knäuelung der betroffenen Vene einhergeht.
Caggiati A (1999) The saphenous venous compartments. Surg Radiol Das histologische Bild der Varikosis wird durch die
Anat 21:29–34 Ursache (primäre Varikose mit Venenwandschwäche vs.
2.3 · Pathologie des epifaszialen Venensystems
25 2
sekundäre Varikose nach Thrombophlebitis) und die
Dauer des Bestehens geprägt. Im Frühstadium ist vor
allem eine unterschiedliche Wanddicke von Venenquer-
schnitten zu beobachten, wobei die Media sowohl atro-
phisch als auch hypertrophiert sein kann. Dazwischen
kommen Ablagerungen PAS-positiven Materials vor. Ent-
zündliche Reaktionen fehlen meist. Im Spätstadium ent-
wickelt sich das Vollbild einer Phlebosklerose mit Ab-
nahme der elastischen Fasern in der Media. Entzündungs-
herde und Thrombosen sind in solchen Abschnitten recht
häufig. Durch die Entzündung kommt es zu einer weiteren
Zerstörung des elastischen Apparates. Thrombophlebi-
tiden können somit sowohl Ursache als auch Folge von
varikös veränderten Venen sein. Sekundäre Verkalkungen a
bis hin zu Verknöcherungen der Venenwand kommen
vor. Im benachbarten perivaskulären Weichgewebe finden
sich oft chronische Ödeme oder Zeichen der Gewebsdys-
trophie.
Im Gegensatz zur Stammvarikose, die meist im Ein-
zugsgebiet der V. saphena magna, seltener der V. saphena
parva lokalisisert ist und die Vene in ihrer Gesamtheit oder
lediglich einzelne Segmente betreffen kann, sind soge-
nannte Besenreiser und retikuläre Varizen Störungen der
Venenwand kleinerer Hautvenen. Besenreiser sind intra-
dermale Mikrovarizen, die netz- oder arkadenförmig um
eine »Nährvene« (meist eine größere Hautsammelvene)
angeordnet sind. Retikuläre Varizen entstehen primär
durch Wandschädigung einzelner oder mehrerer subku-
b
taner Venen. Man findet sie meist an der Innenseite der
Unterschenkel, an der Vorderseite der Oberschenkel und . Abb. 2.5. Histologisches Bild einer normalen (a) und einer vari-
an den Fußrändern. Histologisch finden sich in ihrer kös (b) veränderten epifaszialen Vene. Die Intima in (b) weist eine
Umgebung gelegentlich dysplastische Kollagenfibrillen. fokale, asymmetrische Vernarbung auf, so dass hier wahrscheinlich
eine sekundäre Varize bei Zustand nach Thrombophlebitis vorliegt
Sogenannte »blow-outs« entstehen durch Insuffizienz im
Bereich von Vv. perforantes durch den lokal erhöhten
Rückstrom aus den tiefen Venen. Die histologischen Ver-
änderungen bei lokalisierten Varikosen entsprechen durch die varikös veränderten Venen ganz im Vorder-
grundsätzlich denen der Stammvarikose. grund. Jede Thrombose einer größeren Vene geht mit ent-
Sekundärveränderungen der chronischen venösen In- zündlichen Vorgängen einher, da der Organismus auf die
suffizienz betreffen die Haut in Form der sog. Stauungs- lokale Gerinnungsstörung mit dem Versuch reagiert, den
dermatose/-dermatitis. Als Folge der venösen Insuffizi- Thrombus enzymatisch abzubauen. Durch Übergreifen
enz sieht man eine Fibrose der gesamten Dermis mit Ver- der Entzündung auf die äußeren Schichten der Venenwand
breiterung des Stratum papillare, starker Vermehrung von kommt es zu einer Schädigung des elastischen Apparates.
Anschnitten dickwandiger Venolen, Eryhtrozytenextrava- Solche geschädigten Areale können zum Ausgangspunkt
saten und zahlreichen Siderophagen. In fortgeschrittenen sog. sekundärer Varizen werden. Der weitere Verlauf einer
Fällen entwickelt sich eine Sklerose, die sich auch auf die Thrombose entspricht dem einer Wundheilung: nach etwa
Subkutis erstrecken kann (Lipodermatosklerose). 48–72 h beginnt die Organisation, in deren Rahmen Fibrin
Als Thrombophlebitis bezeichnet man die Entzün- und Erythrozyten zunächst durch Makrophagen abgebaut
dung der Venenwand, meist im Gefolge, selten auch als werden, später (etwa ab Tag 5) wandern Fibroblasten ein
Ursache eines Thrombus. Während bei der tiefen Bein- und erste Kapillaren beginnen zu sprossen. Hat der Throm-
venenthrombose neben Störungen der Hämodynamik bus zu einer Lumenobliteration geführt, besteht die Mög-
meist auch Veränderungen der Blutgerinnung im Sinne lichkeit einer Rekanalisation, wobei meist narbige Verän-
einer »zweiten Krankheit« vorliegen, steht bei den ober- derungen zurück bleiben, die häufig dystroph verkalken
flächlichen Venenthrombosen meist die gestörte Drainage und sogar verknöchern können (. Abb. 2.5).
26 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
Literatur
Caggiati A, Bergan JJ, et al. (2002) Nomenclature of the veins of the
lower limbs: An international interdisciplinary consensus state-
ment. J Vasc Surg. 36(2): 416–22
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Drenckhahn. Urban&Fischer, München.
Federative International Committee on Anatomical Terminology
(1998) Terminologia Anatomica. Stuttgart: Thieme
Mozes G, Gloviczki P (2004) New Discoveries in Anatomy and New
Terminology of Leg Veins: Clinical Implications. Vasc Endovasc
Surg; 38(4):367–374
Van Neer PA, Veraart JC, Neumann HA (2003) Venae perforantes: a
clinical review. Dermatol Surg 29(9): 931–942
H. Nüllen, T. Noppeney
a b c d e f
. Abb. 2.10. Verschieden Ausprägungen der inkompletten Stammveneninsuffizienz der VSM. Keine Mündungsvarianten
. Abb. 2.13. Hohe Mündung der VSP. VSP Vena saphena parva; 2.4.5 Dorsale Venenstämme
VFP Vena femoralis profunda; 1 V. femoralis posterior; 2 V. femoro- des Oberschenkels
poplitea (Giacomini)
Die Beschreibung und Bezeichnung der dorsalen Venen-
stämme in der Literatur ist verwirrend, worauf auch Bren-
die V. fibularis, wobei man bei der Operation keine Parva ner (7 Kap. 2.2) hinweist. Die dorsale Fläche des Beines
an typischer Stelle findet und daher bei schlanken Pa- weist im Ideal, in unterschiedlicher Häufigkeit und Varianz
tienten in der Gefahr ist, die V. politea als VSP anzu- der Ausbildung, ähnlich wie die ventrale Fläche eine durch-
sprechen. gehende subkutane oder auch subfasziale venöse Drainage
a b c d
30 Kapitel 2 · Anatomie und pathologische Anatomie des epifaszialen Venensystems
a b
. Abb. 2.15. Dorsale Venenstämme am Oberschenkel, hier die
subkutan verlaufende V. femoralis posterior. Bei subkutanem Ver- . Abb. 2.16. Dorsale Venenstämme am Oberschenkel, hier die
lauf endet die V. femoralis posterior im oberflächlichen Venennetz subfaszial verlaufende V. femoralis posterior. a Bei subfazialem
des Oberschenkels und der Glutealregion. 1 Vv. cutaneae glutaeae; Verlauf mündet die V. femoralis posterior über eine Perforansvene
2 V. circumflexa fem. med. superf.; 3 V. acc. post.; 4 N. cutaneus in die V. profunda femoris. b Oder über die V. ischiadica und V. glutea
femoris post.; 5 V. femoralis posterior in die V. iliaca interna
bis zur Glutealregion, anlog zur Leiste, auf (. Abb. 2.15). 4 Verdämmern im oberflächlichen Venennetz, bei sub-
Zwischen beiden Stämmen besteht eine medial den Ober- kutanem Verlauf
schenkel umkreisende Verbindung vom dorsalen ober- 4 Perforansvene zur V. femoralis profunda, bei subfaszia-
flächlichen Venenstamm zum ventralen oberflächlichen lem Verlauf
Venenstamm bzw. als Variante auch direkt zur V. femoralis 4 über V. ischiadica und V. glutea in die V. iliaca interna,
(Giacomini-Vene). Brenner bezeichnet den dorsalen Ve- bei subfaszialem Verlauf
nenstrang unter Berufung auf die Originalliteratur seit
Giacomini als V. femoropoplitea. Andere Autoren (Kubik Vena femoropoplitea
1984) unterscheiden zwischen einer V. femoralis posterior Die V. femoropolitea stellt in der Interpretation von Kubik
und der V. femoropoplitea, die in unterschiedlicher Häu- bei Ausbildung einer Vena femoralis posterior eine Kur-
figkeit einzeln oder gemeinsam vorkommen können. schlussverbindung zwischen dieser und dem VSM-Strom-
Brenner weist darauf hin, dass in der Konsequenz der An- gebiet dar und im Falle, dass die Vena femoralis posterior
nahme eines dorsalen pedo-iliacalen, subcutanen Draina- fehlt, eine Verlängerung der VSP (. Abb. 2.17).
gestammes es eine »Parva-Crosse« eigentlich nicht geben Die Frage, wie man die unterschiedlichen Varianten
kann, sondern es sich dabei eigentlich um eine Perforans- nennen soll, ist unter praktischen Gesichtspunkten nicht
vene zur V. politea handelt. wichtig. An entsprechende Varianten muss bei atypischer
Verteilung der sichtbaren Varizen, insbesondere am dorsa-
Vena femoralis posterior len Oberschenkel, gedacht werden. Ob man die verwirren-
Folgt man der Interpretation von Kubik u.a., so stellt die de Vielfalt der Möglichkeiten in diesem Stromgebiet noch
Vena femoralis posterior, bei einer Präsens von 90– pauschal als Mündungsvarianten der VSP bezeichnen
95%, eine Verlängerung der VSP nach proximal dar, kann, wie dies gelegentlich getan wird, erscheint zweifel-
die unterschiedliche Mündungsvarianten aufweisen kann haft. Hier wird wiederum die fließende Grenze zur Angio-
(. Abb. 2.16). dysplasie deutlich.
2.4 · Anatomische Varianten am epifaszialen Venensystem der Beine
31 2
2.4.6 Arterien im Bereich
des Hiatus saphenus
Literatur
Kubik St (1984) Anatomie des Oberschenkels in vasculärer Sicht. In:
Brunner U (Hrsg.) der Oberschenkel. Aktuelle Probleme in der An-
. Abb. 2.17. Dorsale Venenstämme am Oberschenkel, hier die giologie: 43, Huber Bern
V. femoropoplitea. (Giacomini) Kubik St (1986) Anatomie der Beinvenen. In: Wuppermann T, Varizen,
Ulcus cruris und Thrombose. Springer heidelberg
May R (1987) Primäre Varikosis. In: Heberer G, van Dongen RJAM,
Gefäßchirurgie. Springer Heidelberg
a b
c d
. Abb. 3.2. Venenquerschnitte. a/c normale Vene b/d varikös Färbung (c, d) zeigt sich im Gegensatz zum Normalbefund c ein
veränderte Vene. Das varikös veränderte Gefäß zeigt eine deutliche diffuser, intimal betonter Verlust der elastischen Faser (*) in d. Die
Schlängelung, welche durch eine unregelmäßige Verdickung der eher diffusen Veränderungen sprechen hier für eine primäre Varize
muskulären Wand hervorgerufen wird. In der Elastica-van-Gieson-
sekundären Varizen lassen sich häufig fokale Veränderun- > Unter normalen Umständen besteht ein Gleich-
gen, z. B. Residuen eines organisierten Thrombus, nach- gewicht zwischen ständig ablaufenden endothe-
weisen (7 Kap. 2, . Abb. 2.5). lialen Mikrotraumen und Aktivierung der Entzün-
dungskaskade auf der einen Seite sowie deren
Reparatur und früher Beendigung der lokalen
Entzündung auf der anderen. Risikofaktoren wie
3.2 Pathogenese der Varikose langes Stehen oder Inaktivität, verbunden mit
einer genetischen Prädisposition, könnten dieses
Am Anfang steht in den meisten Fällen eine Veränderung Gleichgewicht zugunsten einer Endothelschädi-
der intravenösen Strömungsgeschwindigkeit. Mehrere Ar- gung stören.
beiten haben gezeigt, dass sowohl eine Verminderung als
auch eine Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit eine Veränderte venöse Druckbelastung und Entzündung füh-
Verschiebung von einem protektiven hin zu einem proin- ren zu strukturellen Veränderungen der Venenklappen
flammatorischen Zustand des Endothels bewirkt. Klappen und der Venenwand. Eine Vielzahl histologischer Untersu-
variköser Venen weisen fast immer entzündliche Verände- chungen lassen sich so zusammenfassen, dass es zu einer
rungen auf. Interessanterweise finden sich in Venen von Störung der funktionellen Ordnung zwischen Intima, Me-
Personen mit familiärer Disposition vermehrt Mastzellin- diamuskelzellen und kollagenen und elastischen Faserwer-
filtrate, was darauf hinweist, dass in diesen Fällen die Ent- ken kommt, bei der die Muskelzellen einen Verlust der
zündung eher Ursache als Folge der Varikose sein könnte. gerichteten Kontraktionsübertragung aufweisen. Die Folge
36 Kapitel 3 · Ätiologie der Varikose
Literatur
Bergan J, Pascarella L, Schmid-Schönbein GW (2008). Pathogenesis of
primary chronic venous disease: insights from animal models of
venous hypertension. J Vasc Surg, 47(1): 183–192
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cy. Ann Vasc Surg; 21: 260–266
Belcaro G, Nicolaides AN, Veller M (1995). Venous disorders. A manual
of diagnosis and treatment. Saunders, London Philadelphia.
Staubesand J, Seydewitz V (1986). Zur formalen Pathogenese der Vari-
kose. In: Wupperman T (Hrsg) Varizen, Ulcus cruris und Thrombo-
se. Springer, Berlin Heidelberg.
4
4 Epidemiologie chronischer
Venenkrankheiten
E. Rabe, F. Pannier
4.5 Zusammenfassung – 42
38 Kapitel 4 · Epidemiologie chronischer Venenkrankheiten
In den letzten Jahrzehnten wurden weltweit zahlreiche epi- ten (. Tab. 4.1). In der überarbeiteten CEAP-Klassifikation
demiologische Studien zu chronischen Venenkrankheiten sind präzise venöse Definitionen gegeben worden (Eklöf et
durchgeführt. Die meisten konzentrierten sich auf das al. 2004):
Krampfaderleiden (Beebe-Dimmer et. al 2005, Evans et. al 4 Teleangiektasien: Zusammenfluss von geweiteten intra-
1994, Evans et al 1999, Fischer 1981, Fowkes et al. 2001a, dermalen Venen mit weniger als 1 mm Durchmesser
Heit et al. 2001, Ruckley et al. 2002, Widmer et al. 1981). Bei 4 Retikuläre Venen: Erweiterte bläuliche subdermale
der Bewertung dieser Studien wurden einige grundsätzliche Vene, 1 mm bis weniger als 3 mm Durchmesser
Probleme deutlich. Zum einen verwandte man in den ver- 4 Varizen: Subkutane erweiterte Venen, 3 mm Durch-
4 schiedenen Studien unterschiedliche Definitionen von Va- messer oder größer, gemessen in aufrechter Position
rizen und chronischer venöser Insuffizienz, zum anderen 4 Ödem: Eindrückbare Flüssigkeitsvermehrung in Haut
wurden unterschiedlich Alterseinteilungen verwendet. Nur und Unterhautfettgewebe
in sehr wenigen Studien basierte die untersuchte Studien- 4 Chronische venöse Insuffizienz: venöse Funktions-
population auf einer randomisierten Stichprobe der Allge- störung mit Ödem (C3), Hautveränderungen (C4)
meinbevölkerung (Rabe et al. 2003). In vielen Studien wur- oder venöse Ulzerationen (C5-6).
den nur die Ergebnisse eines Fragebogens genutzt. Klinische
und duplexsonographische Untersuchungen fanden selten Die CEAP-basierten Studien unterscheiden sich auch wei-
Berücksichtigung, ebenso wie die Einarbeitung der CEAP- terhin in der Art der Rekrutierung der Studienpopulation,
Klassifikation in das Studiendesign (Rabe et. al 2003, Car- der Definition der CVI, des Alters und der Untersuchungs-
pentier et al. 2004, Chiesa et al. 2005a, Chiesa et al. 2005b, methoden.
Criqui et al. 2003, Jawien et al. 2003).
In frühen epidemiologischen Studien differierte das Vor- Rekrutierung: Zwischen 1994 und 1996 wurden 2.211
kommen von Varizen von 1–73% in der weiblichen und Männer und Frauen zwischen 40 und 70 Jahren auf das
von 2–56% in der männlichen Bevölkerung. Bei der chro- Vorliegen von chronischen venösen Veränderungen hin
nischen venösen Insuffizienz variierten die Werte von 1 bis untersucht.
40% bei den Frauen und von 1 bis 17% bei den Männern Untersuchung: Teleangiektasien, Varizen, trophische
(Beebe-Dimmer et al. 2005). Diese Werte resultierten einer- Veränderungen und Ödem wurden visuell und durch
seits aus den Evaluationsmethoden, andererseits aus den eine Duplexuntersuchung untersucht. Eine modifizierte
unterschiedlichen geographischen Regionen. CEAP-Klassifikation mit dem am stärksten ausgeprägten
In westlichen Ländern wurde bei 25–33% der Frauen C-Stadium fand Verwendung. C3 wurde nicht berück-
und bei 10–20% der männlichen Erwachsenen über ein sichtigt.
Krampfaderleiden berichtet (Beebe-Dimmer et al. 2005, Ergebnis: Bei 19% der Untersuchten wurde C0, bei
Evans et al. 1994, Fowkes et al. 2001a, Widmer et al. 1981). 51,6% C1, bei 23,3% C2 und bei 6,2% wurde C4–6 klassi-
Die Inzidenz von Krampfadern in der Framingham-Studie fiziert. Bei 5,8% der Gesamtbevölkerung wurde ein Ödem
lag bei Frauen bei 2,6% und bei Männern bei 1,9% (Brand diagnostiziert, 7,4% davon Männer und 4,9% Frauen. Venö-
et al. 1988). Bei der untersuchten Bevölkerung wurde in se Erkrankungen stiegen an mit dem Alter. Weiße nicht-
3–13% über Hautveränderungen berichtet, in 1–2,7% über spanischer Herkunft hatten häufiger venöse Erkrankungen
aktive oder abgeheilte Ulzera. Bestätigte Risikofaktoren für als die anderen ethnischen Gruppen. Die Stadien C1 und
Varizen waren höheres Lebensalter, eine positive Familien- C2 kamen häufiger bei Frauen vor, wohingegen die Stadien
anamnese, weibliches Geschlecht, zahlreiche Schwanger- C4–6 bei Männern häufiger auftraten.
schaften, eine stehende Tätigkeit und höheres Körperge-
wicht bei Frauen (Beebe-Dimmer et al. 2005, Evans et al.
1994, Fowkes et al. 2001a, Brand et al. 1988). 4.2.2 24-Städte Kohorten Studie, Italien
(Chiesa et al. 2005a, b)
Criqui1 USA 35,3/64,7 40–79 2,211 19,0 33,6 11,0 51,6 43,6 55,9 23,3 15,0 27,7 5,8 7,4 4,9* 6,2 7,8 5,3
(2003) (bein-
haltet
C4–C6)
40 Kapitel 4 · Epidemiologie chronischer Venenkrankheiten
Jawien1 Polen 16,0/84,0 16–97 40,095 51,5 16,5 21,8 4,5 4,6 1,0 0,5
(2003)
Rabe1 Deutsch- 43,9/56,1 18–79 3,072 9,6 13,6 6,4 59,1 58,4 59,5 14,3 12,4 15,8 13,4 11,6 14,9 2,9 3,1 2,7 0,6 0,6 0,6 0,1 0,1 0,1
(2003) land
Carpentier2 Frank- 67,7/32,3 über 18 409 48,7 23,7 46,3 1,1 2,2 4,0 2,1 1,4 0,7 0,0 0,0
(2004) reich (bein-
haltet
C0+C1)
Chiesa2 Italinen 14,1/85,9 18–90 5,187 22,7 63,0 20,6 64,8 33,4 69,9 29,4** 29,3 29,4 13,6 11,4 13,9 3,4 5,2 3,1 8,6 11,6 8,1
(2005) 13,6*** 11,4 13,9 (bein- (bein-
haltet haltet
nur C4bC6)
C4a)
die Zahl der Schwangerschaften, eine positive Familien- (+ sicher, ± unsicher,– keine Assoziation)
Positive Familienanamnese + +
4.2.5 Französische Venenstudie
(Carpentier et al. 2004) Frauen + ±
Schwangerschaften + ±
Rekrutierung: In dieser Querschnittsanalyse wurde eine
Übergewicht ± +
Subpopulation einer Studie, das Raynaud Phänomen be-
treffend, genutzt: 409 Teilnehmer, davon 277 Männer und Hormoneinnahme – –
132 Frauen.
Untersuchung: Sie füllten einen standardisierten Frage-
bogen aus und wurden klinisch von erfahrenen Phlebolo- In den CEAP-basierten epidemiologischen Studien ist
gen untersucht. die Prävalenz in den meisten Fällen vergleichbar (. Tab. 4.1).
Ergebnis: 48,7% der Probanden wurden C0 oder C1 zu- C0 und C1 zusammen waren in mehr als 60% der Fälle prä-
geordnet, C2 waren 23,7% der Männer und 46,3% der Frauen, valent (48,7–70,6%). Krampfadern wurden bei mehr als 20%
C3 waren 1,1% beziehungsweise 2,2%. 4,0% der Männer und der Probanden (21,8–29,4%) diagnostiziert, wobei der An-
2,1% der Frauen hatten Hautveränderungen (C4), Abgeheil- teil der Frauen hier höher war. Hautveränderungen bis hin
te venöse Ulzera zeigten 1,4% der Männer und 0,7% der zu venösen Erkrankungen, einschließlich venöser Ulzera,
Frauen. Aktuell aktive venöse Ulzera traten nicht auf. wiesen weniger als 10% der Untersuchten auf (3,6–8,6%).
Positive Familienanamnese, höheres Lebensalter, Die Prävalenz für aktive Ulzera variierte zwischen 0,0 und
Schwangerschaften, das Gewicht bei Frauen und körper- 0,5% (Rabe et al. 2003, Carpentier et al. 2004, Chiesa et al.
liche Bewegung weniger als einmal pro Woche bei den 2005a, Criqui et al. 2003, Jawien et al. 2003).
Männern galten als primäre Risikofaktoren Varizen.
5 Varikose in verschiedenen
Lebensabschnitten
Einleitung – 46
H. Nüllen, T. Noppeney
. Tab. 5.1. Epidemiologie der Varikose entsprechend der Bochumer Studie in Anlehnung an die CEAP-Klassifikation [%] (Bochumer
Studie)
C3 0 0 0
C4 0 0 0
C5 0 0 0
C6 0 0 0
5.1 · Varikose im Kindesalter
47 5
Stadtverwaltung, des Telefonbuchs, alten Adressen der El- treten früher auf und nehmen dann im Verlauf auch in
tern und Kontakte der ehemaligen Schüler untereinander höherem Maße stetig zu.
wurden die Untersuchungsteilnehmer einzeln ausfindig
gemacht und zur Untersuchung gebeten.
Im Laufe der Durchgänge sank die Anzahl der Stu- 5.1.2 Diagnostik im Kindesalter
dienteilnehmer stetig ab. Am stärksten war dieser Abfall
erwartungsgemäß von BO III zu BO IV. Häufig genannte Die Lichtreflexionsrheographie (LRR) oder Digitale Pho-
Gründe hierfür waren Wohnortwechsel und kein weiteres toplethysmographie (DPPG) wird bei Erwachsenen als
Interesse an der Studie. Screeningmethode im Rahmen der Varikosediagnostik
An dieser Stelle sind vor allem die Daten vom 11. bis genutzt. Im Kindesalter jedoch liefert sie häufig falsch-
zum 18. Lebensjahr von Interesse. Daten jüngerer Patien- pathologische Ergebnisse verglichen mit den für Erwach-
ten wurden im Rahmen der Bochumer Studie nicht erho- sene gültigen Normwerten.
ben. In der weiteren Literatur gibt es nur Daten in Form Es besteht dabei keine Korrelation zu Dopplersono-
von Einzelfallberichten. graphisch detektierbaren Refluxen oder sichtbaren Varizen.
Während in Bochum I lediglich bei 10,7% der Kinder Die Ursache für dieses Phänomen ist möglicherweise die
retikuläre Varizen sichtbar waren, zeigte sich bereits in bei den Kindern und Jugendlichen noch geringe Weichteil-
Bochum II eine deutlich Zunahme der klinisch auffälligen und Muskelmasse. Dies zeigt sich in einer noch nicht
Varikose. Hier waren bereits Stamm-, Seitenastvarizen und ausgereiften Funktion der Wadenmuskel-Venen-Pumpe.
insuffiziente Perforantes nachweisbar. Die retikulären Vari- Eigene Normwerte für die DPPG bei Kindern sind nicht
zen waren bei einem Drittel der Kinder vorhanden. Vier bekannt, angesichts der starken Schwankungen hinsicht-
Jahre später zeigten etwa 5% der jungen Erwachsenen lich der körperlichen Entwicklung bei Kindern und den
Seitenastvarizen und insuffiziente Perforansvarizen. Bei damit großen Schwankungen bei Größe, Gewicht und
3,3% bestand eine Stammvarikose. Muskelmasse. Damit ist die LRR bzw. DPPG bei Kindern
Von der Stamm- und Seitenastvarikose war im Gesamt- und Jugendlichen weder zur Früherkennung noch zur Er-
kollektiv im Gesamtverlauf in ca. 2/3 der Fälle das Strom- kennung präklinischer Stadien der Varikose geeignet.
gebiet der V. saphena magna betroffen. Perforansvarizen Die Doppler- und Duplexsonographie scheint, ent-
fanden sich in der Mehrzahl der Fälle am Oberschenkel. sprechend den Daten der Bochumer Studie, bei Kindern
Die Verteilung der großen und kleinen Varizen unter- gleichermaßen einsetzbar zu sein wie bei Erwachsenen.
schied sich zwischen den Geschlechtern. Während bei den Nach den Daten der Bochumer Studie handelt es sich bei
männlichen Personen große Varizen (Jungen : Mädchen den Kindern- und Jugendlichen vor allem um deszendie-
13 vs. 7%) dominierten, waren bei den Mädchen vor allem rende Refluxe.
die kleinen Gefäße (Mädchen : Jungen 48 vs. 30%) be-
troffen.
Der Manifestation klinisch sichtbarer Varizen gingen 5.1.3 Therapie im Kindesalter
meist Doppler- oder duplexsonographisch messbare Re-
fluxe zeitlich voraus. Initial finden sich oft nur Rückflüsse Die Therapie der Varikose im Kindesalter unterscheidet
im Bereich der Mündungsregionen. Die Refluxlänge nahm sich prinzipiell nicht von der eines Erwachsenen. Maßstab
vom Kindes- zum Jugendalter hin deutlich zu. Mit Eintritt für die Indikationsstellung ist der Schweregrad nach hämo-
in das Erwachsenenalter (Bochum III) finden sich bei je- dynamischen Kriterien und das Beschwerdebild. Bei Kin-
dem Fünften messbare Refluxe, während nur jeder Zwölfte dern und Jugendlichen im Schulalter sind die kosmetischen
klinisch sichtbare große Varizen aufweist. Auswirkungen der Varikose und die damit evtl. verbunde-
Im Gegensatz zu den großen Varizen zeigen retikuläre nen Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und der
Varizen und Teleangiektasien ein anderes Zeitmuster. Sie Persönlichkeitsentwicklung in einem besonderen Bedin-
gungen gehorchenden sozialen Umfeld zu bedenken.
Die technischen Optionen bei der Therapie der Vari-
. Tab. 5.2. Häufigkeit Dopplersonographisch messbarer kose unterscheiden sich im Kindesalter ebenfalls nicht von
Refluxe im Kindesalter [%] (Bochumer Studie) denen im Erwachsenenalter. Auf eine kosmetisch scho-
nende Vorgehensweise ist dabei besonders zu achten.
Bochum I Bochum II Bochum III
11–12 Jahre 14–16 Jahre 17–19 Jahre
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Vasomed 20:13–17
Rabe E et al. (2003) Bonner Venenstudie der Deutschen Gesellschaft
für Phlebologie. Phlebologie 32:1–14
6
6.2 Venenfunktion – 52
6.3 Venentonus – 53
Die Extremitätenvenen gliedern sich in tiefe intra- und in- pillaren; verglichen damit, ist der Anteil der Venolen am
termuskuläre (= subfasziale) Venen, in ein oberflächliches gesamten peripheren Gefäßwiderstand mit 5% relativ klein.
unter der Haut gelegenes (epifaszialen) Venensystem und Er ist trotzdem von großer Bedeutung, da die kapillare Fil-
in Verbindungsvenen (Vv. perforantes). An den unteren tration durch Änderung des Verhältnisses zwischen prä-
Extremitäten vereinigen sich die oberflächlichen Venen zu und postkapillarem Widerstand beeinflusst wird.
zwei Hauptstämmen, die als V. saphena magna und parva
in die tiefen Venen münden (7 Kap. 2). Speicherfunktion Die extrathorakalen Venen enthalten
mit 50–60% mehr als die Hälfte des gesamten Blutvolu-
mens. Auf die Arterien entfallen dagegen nur etwa 15%.
6.1 Einfluss der Schwerkraft Beim Aufstehen aus einer sitzenden oder liegenden Posi-
auf den venösen Druck tion, steigt die Wandspannung in den Venen an, sodass
mehr Blut in den zirkulierenden Kreislauf und zum Herzen
Der hydrostatische Druck ist im Liegen praktisch zu ver- zurückgeführt wird. Hierbei trägt der hydrodynamisch
6 nachlässigen. Die Fähigkeit des menschlichen Körpers, erzeugte Druckanteil aufgrund der niedrigen Strömungs-
den Blutdruck und somit das Kreislaufsystem in aufrechter widerstände nur geringfügig zum mittleren Blutdruck bei.
Lage (Sitzen oder Stehen) anzupassen, wird als orthosta- Dieser wird in erster Linie vom Füllungsvolumen des ve-
tische Anpassung oder Orthostase-Reaktion bezeichnet. nösen Systems und seiner elastischen Dehnbarkeit (Com-
pliance) bestimmt.
> In aufrechter Körperposition (Orthostase) bildet
sich im Gefäßsystem ein hydrostatischer Druck- > Die Compliance wird als Quotient von Volumenän-
gradient aus. Die auf den Fußvenen lastende derung (ΔV) und transmuraler Druckänderung be-
Blutsäule erzeugt einen hydrostatischen Druck rechnet: ΔPtm = intravasaler Druck – extravasaler
von 90 mm Hg, während der zentrale Venendruck Druck (. Abb. 6.1)
auf etwa –3 mm Hg abfällt.
Die Compliance des Niederdrucksystems ist etwa 25-mal
Beim Übergang vom Liegen zum Stehen kommt es auf- größer als die des Hochdrucksystems. Dementsprechend
grund der Schwerkraft zu einem sofortigen Absacken des findet die Volumenverschiebung während orthostatischer
venösen Blutes in die Beine und in den Bauchraum (venö- Belastung hauptsächlich in den venösen Kapazitätsgefäßen
ses Pooling). Je weiter distal die Beinvenen liegen und im der unteren Extremitäten statt. Bis zum Erreichen eines
Stehen dem hydrostatischen Druck ausgesetzt ist, desto kreisförmigen Gefäßquerschnitts ist nur ein geringfügiger
mehr Klappen haben sie. Das venöse Pooling findet über- Druckzuwachs notwendig
wiegend in den ersten 10 s nach der Lageänderung statt Dies bedeutet, dass Venen als sog. Kapazitätsgefäße
und ist nach 3–5 min beendet. Hierbei versacken etwa 10% schon bei niedrigem Druck relativ große Volumina auf-
(ca. 0,5 l) des gesamten Blutvolumens in der unteren
Körperhälfte. Der verminderte venöse Rückstrom und
der daraus resultierende, um ca. 25% verminderte Blutaus-
stoß des Herzens führen zu einer Verminderung des Blut-
drucks.
6.2 Venenfunktion
teren Extremitäten ein, der einen Rückfluss des Blutes in men erforderlich. Durch die Muskel- und Gelenkpumpen
die Beine verhindert. Durch den Druckanstieg im Abdo- der unteren Extremitäten kommt es zu einer zusätzlichen
men kommt es aber auch zu einem Sistieren der Blutströ- Druckerhöhung in den tiefen Beinvenen, die die Beinve-
mung aus den Beinen ins Abdomen. Bei der Exspiration nen quasi auspresst. Während im Liegen der Druck im
erfolgen mit Zwerchfellhebung eine Druckerhöhung im Venensystem der Extremitäten bei ca. 10 mm Hg liegt,
Thorax und eine Drucksenkung im Abdomen. Die Femo- steigt er in stehender Position beim Menschen im Unter-
ralvenenklappen öffnen sich und das Blut fließt aus den schenkelbereich auf Druckwerte von 90–100 mm Hg an
Beinvenen wieder herzwärts ab. (. Abb. 6.2).
Eine Muskelkontraktion, die z. B. durch einen Zehen-
spitzenstand ausgelöst werden kann, hat das Verschieben
6.4.2 Muskel- und Gelenkpumpe von ca. 200 ml Blut zur Folge. Daher wird die Muskelpum-
pe auch als »peripheres Herz« angesehen. Ob die Gelenk-
Im Liegen und in Ruhe reichen die Mechanismen der ab- pumpen oder die Muskelpumpen den größeren Anteil an
6 dominothorakalen Zweiphasenpumpe aus, um eine suffi- der Beschleunigung des venösen Rückflusses haben, wird
ziente Strömung im venösen Gefäßsystem aufrechtzuer- zurzeit noch kontrovers diskutiert.
halten. In aufrechter Körperhaltung sind jedoch – bedingt
> Das im Bindegewebesystem eingelagerte tiefe
durch den hydrostatischen Druck– zusätzliche Mechanis-
Venensystem ist über Faserzüge mit den um-
gebenden Muskelgruppen verbunden. Die Blut-
flussrichtung wird durch die ventilartigen Venen-
klappen gesteuert. Sie erlauben im gesunden
Zustand den Blutfluss nur in Richtung Herz. Ein
Zurückfließen und Aufstauen, z. B. in den Unter-
schenkeln, wird somit verhindert.
Muskelpumpe – Systole
Kontrahieren die Muskeln, so steigt der Druck im inter-
muskulär gelegenen Venensegment um das 2- bis 7-fache
der Ruhewerte an und die tiefen Venen werden kompri-
miert. Das in den Gefäßen enthaltene Blut wird nach pro-
ximal beschleunigt und der nach distal gerichtete Reflux
wird durch intakte Venenklappen verhindert (. Abb. 6.3a).
Dies ist von Bedeutung, da sich die Beine während des
Stehens oder Sitzens deutlich tiefer als das Herz befinden
und der Blutfluss somit entgegen der Schwerkraft nach
oben erfolgen muss. Bei einer Muskelkontraktion steigt der
Druck im tiefen Venensystem über den in den oberfläch-
lichen Venen an. Die Klappen in den Vv. perforantes
schließen und verhindern einen Reflux des Blutes in das
oberflächliche Venensystem
Muskelpumpe – Diastole
In der Entspannungsphase der Muskulatur weiten sich
die tiefen Venen wieder und es entsteht ein Sogeffekt, der
venöses Blut aus der Peripherie in den betroffenen Venen-
abschnitt saugt (. Abb. 6.3b). Durch den Schluss der proxi-
mal gelegenen Venenklappen wird ein Reflux von proximal
in den dilatierten Bereich hinein verhindert. Zusätzlich
öffnen sich die Klappen in den Perforansvenen wieder, da
. Abb. 6.2. Mittlere arterielle und venöse Drücke beim ruhig
der Druck im tiefen Venensystem unter den der oberfläch-
stehenden Menschen. Durch die Wirkung der Muskelpumpe sind lichen Venen abfällt. Dies ermöglicht auch den Einstrom
die Drücke in den Beinvenen beim Gehen deutlich niedriger als beim von venösem Blut aus den oberflächlichen Venen über die
ruhigen Stehen Verbindungsvenen in die tiefen Venen.
6.5 · Venöse Gefäßerkrankungen
55 6
a b
c d
. Abb. 6.3. Druck- und Strömungsverhältnisse in epifazialen und bzw. fehlende (c,d) Venenklappen während der Muskelkontraktion
subfazialen Venen. a,b suffiziente Venenklappen und insuffiziente (»Systole«) und Relaxation (»Diastole«)
an und es treten zunehmend Ödeme auf oder es finden sich oder zu einer höhergradigen Verlegung des Venenlumens.
vermehrt Varizen. Hierdurch bedingt, kommt es meist zu stauungsbedingten
Die Venenthrombose ist eine weitere Ursache von Ent- Flüssigkeitsansammlungen im betroffenen Bein, zusätz-
sorgungsstörungen, die zu einer irreversiblen Schädigung lich zu Schweregefühl und Schmerzen. Der Venendruck
und zum Verlust der Elastizität und Kontraktilität des nimmt distal des Strombahnhindernisses zu. Die venöse
Gefäßes führen. Die sich als Folge der Thrombose ent- Drainage erfolgt über Kollateralvenen (venöser Kollateral-
wickelnde Veneninsuffizienz wird als postthrombotisches kreislauf), die jedoch gegenüber den Stammvenen nur eine
Syndrom bezeichnet. Im Folgenden sollen die tiefe Venen- geringere Transportkapazität aufweisen. In diesen Fällen
thrombose (Phlebothrombose) und die Entzündung der ist der erhöhte Abflusswiderstand in den Kollateralen von
oberflächlichen Beinvenen (Thrombophlebitis) in Grund- pathologischer Bedeutung. Außerdem ist die Strömungs-
zügen dargestellt werden. geschwindigkeit, z. B. in der Vena saphena magna bei Loka-
lisation des Venenverschlusses im Oberschenkel, gestei-
gert. Charakteristisch ist, dass der venöse Rückstrom im
6.5.1 Phlebothrombose Liegen kontinuierlich und ohne wesentliche respirato-
rische Schwankungen verläuft und nicht wie bei Gesunden
Neben der Stenose der tiefen Venenstämme durch Kom- phasisch vom Wechsel zwischen In- und Expiration ab-
pression von außen, ursächlich ausgehend von Tumoren, hängt. Eine Phlebothrombose hinterlässt meist einen
Muskelhämatomen oder Baker-Zysten, werden Venen am dauerhaften Schaden am tiefen Venensystem und eine ir-
häufigsten durch Thrombosen verschlossen. Alle Unter- reversible Schädigung der Venenklappen.
brechungen und Veränderungen der Blutgefäßwand, die
> Die Phlebothrombose ist ein thrombotischer Ver-
für einen konstanten Blutfluss notwendig ist, sowie Störun-
schluss subfaszialer Beinvenen mit Entzündungs-
gen der Hämostase oder der endogenen Fibrinolyse führen
folge, der mit der Gefahr einer chronisch venösen
zu einem gesteigerten Risiko für das Auftreten von throm-
Insuffizienz einhergeht.
boembolischen Ereignissen. Weiterhin ist das Risiko einer
Thrombose bei chirurgischen Eingriffen, Traumata, Im-
mobilisation, während der Schwangerschaft oder durch
die Einnahme von oralen Kontrazeptiva erhöht. 6.5.2 Thrombophlebitis
Diese Faktoren haben letztlich ebenfalls eine Hyper-
koagulabilität oder eine venöse Stase zur Folge. Die Blut- In den meisten Fällen ist die genaue Ursache von ober-
gerinnsel führen entweder zum vollständigen Verschluss, flächlichen Venenentzündungen unklar. Es wird vermutet,
6.6 · Chronische venöse Insuffizienz
57 6
dass proentzündliche Mediatoren aus Blutgerinnseln frei- In den Venen nimmt der Blutdruck von ca. 20–30 mm Hg
gesetzt werden und es sich weniger um eine bakteriell oder in den Kapillaren auf bis zu 0 mm Hg in den herznahen
allergisch bedingte Entzündungen handelt. Die Venenent- Venen ab. Durch eine venöse Thrombose, primär oder
zündungen entstehen meist auf der Basis von Krampf- sekundär pathologische Venenklappen oder eine abge-
adern, wobei Frauen bis zu 4-mal häufiger betroffen sind schwächte Muskelpumpe steigt der Druck in den ober-
als Männer. Die Thrombophlebitis führt zu deutlichen ent- flächlichen Venen auf pathologische Werte von 60–
zündlichen Verhärtungen der betroffenen oberflächlichen 90 mm Hg an. Dieser Hochdruck ist die Ursache für die
Hautvenen mit umschriebener Rötung, Schwellung und anatomischen, physiologischen und histologischen Ver-
Druckschmerzhaftigkeit. änderungen der Gefäße und die Zerstörung der Venen-
klappen. Infolge dessen persistiert der Hochdruck auch bei
> Die Thrombophlebitis ist eine Entzündung epi-
einer Rekanalisation.
faszialer Venen mit sekundärer Ausbildung von
Die Folgen des dauerhaft erhöhten venösen Drucks
Thrombosen.
sind eine Verbreiterung des Kapillarbetts, eine erhöhte
Einlagerung von Kollagen IV in die Basalmembran und
eine perikapillare Einlagerung von Fibrin. Durch die ge-
6.6 Chronische venöse Insuffizienz steigerte endotheliale Permeabilität manifestiert sich ein
interstitielles Ödem mit entzündlich zellulären Exsudaten.
Die chronische venöse Insuffizienz (CVI) beruht auf einer Das Zusammenspiel dieser pathologischen Folgen führt zu
Mikrozirkulationsstörung der Gefäße infolge einer venö- lokaler Gewebeproliferation, Entzündungsvorgängen und
sen Abflussbehinderung. Die Folge sind schwere Venen- Kapillarthrombosen.
und Hautveränderungen. Diesem Krankheitsbild liegen
eine oder mehrere pathogenetische Faktoren zugrunde.
6.6.1 Venenklappeninsuffizienz
Pathogenetische Faktoren der chronischen
> Die Venenklappen sind bikuspidal. Wenn der
venösen Insuffizienz
Druck distal der Klappe höher liegt als zentral,
4 Insuffizienz der Klappen des tiefen und/oder so öffnet sich die Klappe, während sie bei umge-
oberflächlichen Venensystems kehrten Druckverhältnissen schließt und so
4 Insuffizienz der der Perforans-Venenklappen einen Rückfluss in die Peripherie verhindertrd.
4 Insuffizienz der Muskelpumpe bei Paresen oder
ungenügender Gelenkfunktion Neben der Zerstörung der Klappe durch thrombotische
4 Mechanische Behinderung des venösen Rück- Vorgänge kann auch der Klappenansatzring bis zur Schluss-
stroms (partieller oder kompletter Venenverschluss unfähigkeit gedehnt werden. Diese zweite Form der Klap-
peninsuffizienz ist zum Teil reversibel. Schwache oder
Es wird die primäre von der sekundären Form der chro- insuffiziente Klappen können den unidirektionalen,
nisch venösen Insuffizienz unterschieden, wobei die se- herzwärts gerichteten Rückfluss des Blutes nicht verhin-
kundäre am häufigsten auftritt. dern. Das venöse Blut fließt dann aus den tieferliegenden
Venen, die unter höherem Druck stehen als die ober-
flächlichen Venen, in das oberflächliche Venensystem. Die
Formen der chronischen venösen Insuffizienz Fließrichtung des Blutes kehrt sich um. Dadurch werden
4 Primäre venöse Insuffizienz: das Venensystem weitere Venenklappen angegriffen und zerstört und es
ist durch eine Klappenagenesie (konstitutionell kommt zu einer »Aufdehnung« der Venen.
bedingtes Fehlen einzelner Venenklappen) oder
einer kongenitalen Angiodysplasie (anlagebe-
dingte Missbildung venöser Strukturen) nicht in 6.6.2 Klappeninsuffizienz
der Lage, die anfallende venöse Blutmenge zum und Muskelpumpe
Herzen zurückzuführen.
4 Sekundäre venöse Insuffizienz: es liegen zu- Wie in . Abb. 6.4 bereits dargestellt ist, sinkt der systolische
nächst andere Venenerkrankungen vor, z. B. tiefe Druck während der Wadenmuskelkontraktion auch in den
Leitveneninsuffizienz nach Thrombosen, Verlet- Venen der Tibialis-posterior-Gruppe aufgrund der zuneh-
zungen oder Tumoren; Erkrankungen der Kolla- menden Pumpleistung progressiv ab. Vor allem die Venen
genfasern des Bindegewebes (Kollagenosen). der Tibialis-posterior-Gruppe sind oft von tiefen Bein-
venenthrombosen betroffen. Bei Patienten mit insuffizi-
58 Kapitel 6 · Physiologie und Pathophysiologie der venösen Hämodynamik
enten Venenklappen liegen während der Systole bzw. Dias- tragen. Diese subkutan gelegenen Gefäße werden durch
tole die folgenden Druckverhältnisse vor: die einzelnen Druckwellen, die durch die Muskelkontrak-
tionen ausgelöst werden, zunehmend mechanisch gedehnt.
Klappeninsuffizienz und Muskelpumpe – Somit führt der Privatkreislauf zu einer volumenmäßigen
Systole Überlastung und zu einer Erhöhung des Blutdruckes in
Der venöse Druck bleibt konstant oder kann sogar noch den Venen, sodass sich die die am Privatkreislauf teilneh-
zunehmen. Der Reflux wird durch die insuffizienten menden Venenabschnitte (Venae perforantes, betroffene
Klappen nicht verhindert, sodass bei jeder Kontraktion das tiefe Unterschenkelvenen, V. poplitea, V. femoralis) im
Blut der tiefen Beinvenen sowohl in Richtung Herz und Verlauf der Zeit varikös erweitern. Trendlenburgs Dar-
als auch in die Peripherie strömt (. Abb. 6.3c). Hierbei stellung des Privatkreislaufs, der auch eine zusätzliche Be-
können bis zu 25% des gesamten Blutvolumens eines lastung für die muskulovenöse Pumpe darstellt, wurde
Beines nicht abtransportiert werden und fließen, wenn 1970 und 1972 durch direkte elektromagnetische Fluss-
gleichzeitig die Klappen der Verbindungsvenen Vv. perfo- messungen bestätigt.
6 rantes defekt sind, in den oberflächlichen Venen wieder ins
> Die Stammvarikose führt über einen »Privatkreis-
Bein zurück. Ein Teil des Blutes weicht an dem insuffi-
lauf« mit retrogradem Saphenafluss zu einer volu-
zienten sapheno-femoralen Übergang von der V. femoralis
menmäßigen Überlastung der tiefen Leitvenen.
ab und fließt durch den insuffizienten Saphenastamm
peripherwärts in die Varizen am Unterschenkel. Von dort Eine Entlastung des tiefen Beinvenensystems erfolgt nach
gelangt er über die Perforansvenen in die tiefen Unter- Unterbrechung der Privatkreisläufe. Allerdings hat sich
schenkelvenen und wird durch die Muskelpumpe weiter in gezeigt, dass eine solitäre Saphena-Ligatur beim Privat-
die V. poplitea und V. femoralis transportiert. Diese patho- kreislauf der Stammvarikose nicht erfolgreich ist, da da das
logische venöse Strömung wurde bereits 1891 von dem Venensystem ein Gefäßnetzwerk ist. Typisch für dieses Ge-
deutschen Chirurgen Friedrich Trendelenburg (1844– fäßnetz ist die Möglichkeit der Kompensation eines Gefäß-
1924) bei Varizenpatienten beschrieben und als »Privat- verschlusses durch anatomisch präformierte Kollaterale.
kreislauf« benannt (. Abb. 6.5). Daher hat sich die operative Behandlung der schweren
Dabei wird der hohe systolische Druck des tiefen Ve- Krampfaderkrankheit durch Crossektomie und Stripping
nensystems ungedämpft auf die Oberflächenvenen über- durchgesetzt. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass
sich der Durchmesser sowohl der Perforansvenen als auch
der V. tibialis post. sechs Monate nach Beseitigung des
Saphenarefluxes und nach Volumenentlastung statistisch
signifikant verkleinert.
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7
7.1 Datenlage – 62
7.5 Rentenversicherung – 64
7.7 Zusammenfassung – 65
62 Kapitel 7 · Sozialmedizinische und ökonomische Aspekte der Varikose
1993 2.373 2.470 23.923 60.127 17.330 42.777 62.500 19.800 66.700 149.000
1994 3.808 2.068 24.466 69.192 18.132 52.534 73.000 20.200 77.000 170.200
1995 5.650 2.218 26.600 76.250 18.082 59.300 81.900 20.300 85.900 188.100
1996 1.883 2.455 26.906 49.462 16.276 76.653 51.347 18.731 103.559 173.637
1997 2.202 2.617 25.915 56.641 15.578 76.030 54.844 18.195 101.945 174.984
1998 2.337 2.633 25.459 51.357 13.699 66.922 53.694 16.332 92.381 162.407
1999 2.319 2.510 24.271 51.674 13.781 65.369 53.993 16.291 89.640 159.924
2000 2.238 2.509 24.217 51.375 13.550 63.898 53.613 16.059 88.115 157.787
2001 2.240 2.810 24.849 52.929 13.212 62.309 55.169 16.022 87.158 158.349
2002 1.835 2.527 23.856 51.733 12.082 58.047 53.568 14.609 81.903 150.080
2003 1.775 2.588 22.482 52.437 12.069 56.845 54.212 14.657 79.327 148.196
2004 1.487 2.074 19.199 50.614 11.753 55.718 52.101 13.827 74.917 140.845
1/2005 342 584 5.200 13.987 3.605 16.313 14.329 4.189 21.513 40.031
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), (2008) Leistungsstatistik Varizen-Operationen 1993 bis 2005 Q1
64 Kapitel 7 · Sozialmedizinische und ökonomische Aspekte der Varikose
7.4 Arbeitsunfähigkeit wegen Varikose die letzten Jahre hinweg eine deutliche Absenkung der
AU-Tage zu verzeichnen ist. Dies entspricht dem allgemei-
Die Zuverlässigkeit bzw. Genauigkeit der Häufigkeit von nen Trend. Auf der anderen Seite erscheint eine durch-
Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankungen der Diagnose- schnittliche Zahl an AU-Tagen pro Fall von 18,56 Tagen
gruppe I83 ist mit Vorbehalt zu sehen. Zu den oben bespro- noch sehr hoch.
chenen allgemeinen Gründen kommt, dass die Berech-
nungen ausschließlich auf Daten aus den zentralen Daten-
banken der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) zu- 7.5 Rentenversicherung
rückgreifen können.
In älteren Arbeiten (Haardt 1989) ist die Datenlage Rentenverfahren wegen Erwerbsunfähigkeit mit der allei-
noch dürftiger. Die Angaben sind darüber hinaus nur be- nigen Hauptdiagnose Varikose dürften eher selten sein.
dingt vergleichbar, da sie sich noch auf eine Verschlüsse- Unbeschadet dessen weisen die Statistiken eine über die
lung nach ICD 9 beziehen. Jahre zwar stark rückläufige, aber immer noch nennens-
Als Schlussfolgerung bleibt hier lediglich zu konsta- werte Zahl an Rentenbewilligungen unter der Hauptdiag-
tieren, dass bei der in . Tab. 7.3 abgebildeten Klientel über nose I83 auf (. Tab. 7.4).
7
. Tab. 7.3. Arbeitsunfähigkeit bei AOK Pflichtmitgliedern ohne Rentner bei Varikose
. Tab. 7.4. Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei den Gesetzlichen Rentenversicherungen
454 Varizen der unteren Extremität 804 293 319 247 191 175 183
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit der Hauptdiag- Jahr ICD Kennziffer Krankheitskosten
nose 454 (ICD 9). je Einwohner in €
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Krankheiten koronare Herzkrankheiten bei Berufstätigen. Huber
Verlag Bern Stuttgart Wien
II Diagnostik
8 Grundlagen der Diagnostik – 69
H. Nüllen, T. Noppeney
9 Klinische Diagnostik – 71
H. Nüllen, T. Noppeney
10 Hämodynamische Diagnostik – 75
H. Nüllen, T. Noppeney
11 Sonographische Diagnostik – 93
A. Brunner, W. Lang
9 Klinische Diagnostik
H. Nüllen, T. Noppeney
9.1 Anamnese – 72
9.4 Dokumentation – 73
72 Kapitel 9 · Klinische Diagnostik
Unter dem Begriff klinische Diagnostik verstehen wir alle weise zu ggf. vorhandenen Fehlbelastungen und Bewe-
ärztlich diagnostischen Maßnahmen außerhalb des Einsat- gungsstörungen.
zes hämodynamischer und bildgebender Untersuchungs-
methoden, die erfolgen sollten, um zu einer begründeten Palpation Die Palpation ergibt insbesondere bei fettge-
und sachgerechten Diagnose zu gelangen. Hierzu gehören websreichen Beinen Informationen über die Lokalisation,
nach unserem erweiterten Verständnis von klinischer Di- Verteilung und den Umfang der Varikose, da Varizen in
agnostik die Anamnese und der klinische Untersuchungs- solchen Fällen häufig besser tastbar als sichtbar sind. Durch
befund, aber auch die Klassifikation und die Dokumenta- Kompressionsteste über der Schienbeinfläche und im re-
tion des Befundes. tromalleolaren Bereich lässt sich der Ödemstatus be-
stimmen. Die aktive und passive Bewegungsprüfung der
großen Gelenke gehört insbesondere beim älteren Patien-
9.1 Anamnese ten zum Untersuchungsablauf.
Die systematische und standardisierte Erhebung der anam- Funktionsteste Die klassischen Funktionstests nach
nestischen Daten bietet, neben der Feststellung historischer Trendelenburg, Schwartz, Perthes und Mahoner/Ochsner
Daten, die Erkenntnis über die Einschätzung der Erkran- haben in der Zeit objektiver Prüfmethoden an Bedeutung
kung durch den Patienten und des ggf. vorhandenen Lei- verloren. Sie erfassen, methodisch bedingt, jeweils nur
densdruckes. Minimalforderungen an eine systematische einen bestimmten Aspekt der Krampfadererkrankung. Die
Anamnese sind: Auffassung, dass diese Funktionsteste ad acta gelegt wer-
4 Frühere Anamnese den sollten, teilen wir nicht, da diese Tests besonders unter
9 5 Dauer und Ausprägung der Erkrankung Ausbildungsgesichtspunkten durchaus als didaktisch wert-
5 Familiäre Belastung voll anzusehen sind. Die Tests fördern einerseits die Tu-
5 Risikofaktoren gend der klinischen Untersuchung und andererseits das
5 Vorausgegangene Komplikationen der Erkrankung Denken in hämodynamischen Kategorien. Alle Tests funk-
5 Vorausgegangene Therapiemaßnahmen tionieren nur bei guter Sichtbarkeit der zu prüfenden Va-
5 Thromboembolische Ereignisse beim Patienten rizen (. Tab. 9.1).
und/oder in der Familie
5 Sonstige klinisch bedeutsame Begleiterkrankungen
5 Berufsanamnese 9.3 Biometrische Untersuchungen
4 Jetzige Anamnese
5 Beschwerdebild Die Erfassung biometrischer Daten ist beim Erstkontakt
5 Aktuelle Therapie empfehlenswert. Neben Köpergröße und Körpergewicht
sowie ggf. Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI) kön-
Die Erhebung einer Berufsanamnese ist insbesondere bei nen auch Beinlängen und Beinumfänge, ggf. auch Bewe-
schweren Krankheitsbildern empfehlenswert, da hier frü- gungsausmaße (Winkel) hilfreich sein, um differential-
her oder später mit Anfragen zur Gefährdung der Erwerbs- diagnostische Überlegungen zu untermauern.
tätigkeit zu rechnen ist.
Umfangsmessungen Eine einfache und ohne großen
Aufwand anwendbare und als Statusbeschreibung und
9.2 Klinische Untersuchung zur Verlaufsbeobachtung unverändert gut verwertbare
Methode ist die Umfangsmessung. Die Messstandards, wie
Die klinische Untersuchung sollte grundsätzlich bei voll- sie in der Umfangsmessung im Begutachtungsverfahren
ständiger Entkleidung beider Beine am stehenden Patien- der Berufsgenossenschaften angewendet werden, sollten
ten, ggf. auf einem erhöhten Standort und bei guter Be- hierbei eingehalten werden. Bei Kontrollen muss durchaus
leuchtung erfolgen. nicht der ganze Messkatalog erneut abgearbeitet werden,
sondern hier kann man sich ggf. auf die Erfassung eines für
Inspektion Bei der Inspektion der Beine aus allen Rich- den vorliegenden Fall charakteristischen Umfangs als In-
tungen können Art, Umfang, Lokalisation und Verteilung dikator beschränken (7 Kap. 13.1).
der Varizen, ggf. vorhandene Hautveränderungen, Narben
und Ödeme, aber auch Nebenbefunde wie Fußdeformitä-
ten, Abweichungen der Beinachsen, Längendifferenzen,
Deformitäten der Kniegelenke etc. beurteilt werden. Die
Prüfung der Fußsohlenbeschwielung gibt wertvolle Hin-
9.4 · Dokumentation
73 9
. Tab. 9.1. Klassische klinische Funktionsteste der Venen der unteren Extremitäten
Autor Test
Friedrich Trendelenburg Trendelenburg F (1891) Über die Unterbindung der vena saphena magna bei Unterschenkelvarizen.
(deutscher Chirurg) Beitr Klin Chir 7:195
1844–1924 Trendelenburg I
Prüfkriterium: Funktion der Perforansvenen
Vorgehen: Anlegen einer Staubinde am erhobenen Bein bei entleerten Varizen, z. B. im leistennahen
Bereich. Aufrichten des Patienten.
Auffüllen der Varizen bei insuffizienten Perforansvenen. Der Test kann mit Kompression in verschiede-
nen Niveaus ausgeführt werden, z. B. Leiste, Knie, Unterschenkel.
Trendelenburg II
Prüfkriterium: Funktion Saphena-Klappen
Vorgehen: Anlegen einer Staubinde am erhobenen Bein bei entleerten Varizen. Aufrichten des Patienten.
Auffüllen der z. B. der VSM bei Stammveneninsuffizienz
Schwartz Schwartz E (1892) de la ligature et la résection de la veine saphène interne dans le traitment des
varices. Paris
Prüfkriterium: Nachweis der VSM-Insuffizienz
Vorgehen: Perkutieren mit dem Finger über der Saphenamündung und Tasten der Volumenwelle distal
im Verlauf der VSM.
Georg Clemens Perthes Perthes G (1895) Über die Operation der Unterschenkelvarizen nach Trendelenburg. Dtsch Med
(deutscher Chirurg) Wochenschrift 21:253
1869–1927 Prüfkriterium: Durchgängigkeit der tiefen Leitvenen, Klappenfunktion der Perforansvenen.
Vorgehen: Am stehenden Patienten anlegen einer Staubinde oberhalb oder unterhalb des Knies.
Rasches Gehen.
Völliges Entleeren der Varizen am Unterschenkel: Tiefe Venen durchgängig, Perforantes suffizient.
Unvollständiges Entleeren der Varizen am US: Tiefe Venen durchgängig, Perforantes insuffizient.
Fehlende Entleerung: Perforans-Insuffizienz.
Zunahme der Füllung: Verschluss tiefer Venen.
Howard R. Mahoner Mahoner HR, Ochsner A (1936) A new test for evaluating circulation in the venous system of the lower
(amerikanischer Chirurg) extremity affected by varicosities. Arch Surg 33:479
1903–1977; Prüfkriterium: Funktion der Perforansvenen und Höhenlokalisation.
Alton Ochsner Vorgehen: Anlegen einer Staubinde in unterschiedlichen Segmenten von proximal nach distal und
(amerikanischer Chirurg) Beobachtung der Entleerungstendenz der Varizen bei zügigem Gehen.
1896–1981 Fehlende oder unzureichende Entleerung: Im Segment unterhalb der Staubinde müssen sich eine oder
mehrere insuffiziente Perforansvenen befinden.
Literatur
Bradbury A, Ruckley CV (2001) Clinical assessment of Patients with
venous disease. In: Gloviczki P and Yao JST Handbook of Venous
Disorders 2nd Edition. Arnold London New York New Delhi
p 71–82
Kistner RL, Eklof BO (2001) Classification and diagnostic evaluation
of chronic venous disease. In: Gloviczki P and Yao JST, Handbook
of Venous Disorders 2nd Edition. Arnold London New York New
Delhi p94–103
Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H, Braunbeck W, Ehresmann U,
Fischer R, Hermanns H-J, Langer C, Nüllen H, Salzmann G,
Schimmelpfennig L (2004) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie
des Krampfaderleidens der deutschen Gesellschaft für Phlebo-
logie, der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, des Berufs-
verbandes der Phlebologen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der
niedergelassenen Gefäßchirurgen Deutschlands e.V. Gefäßchi-
rurgie; 9:290ff
Widmer LK, Stähelin HB, Nissen C, da Silva A. (1981) Venen-, Arterien-
Krankheiten koronare Herzkrankheiten bei Berufstätigen. Huber
Verlag Bern Stuttgart Wien
9
10
10 Hämodynamische Diagnostik
Einleitung – 76
H. Nüllen, T. Noppeney
10.3 cw-Dopplersonographie – 87
M. Emter
10.3.1 cw-Dopplersonographie in der Varikose-Diagnostik – 88
10.3.2 Der Valsalva-Pressversuch – 88
10.3.3 Zusammenfassung – 89
a b
. Abb. 10.1. Photoplethysmographie. a Typischer PPG-Sensor für tor (Si-Photodiode). b Schematische Darstellung eines Gefäßbettes
venöse Tests (Nicolaides 2000). Der Sensor besteht aus vier Licht- unter dem PPG-Sensor zur Erklärung der Entstehung des PPG-Mess-
quellen (IR-LED) und aus einem zentrisch angebrachten Lichtdetek- signals
. Abb. 10.2. Zusammensetzung des photoplethysmographi- riellen und venösen Gefäßsegmenten im Messareal. Eine Trennung
schen Messsignals. Die detektierte Intensität des aus der Haut zu- der venösen und arteriellen Signalanteile ist durch elektronische
rück gestreuten Lichtes ist abhängig von dem Blutvolumen in arte- Signalfilterung möglich
sich in erster Näherung aus einem sehr großen durchblu- 5 Druckänderungen im Gefäßsystem sind in erster
tungsunabhängigen gleich bleibenden Anteil (Streuung Näherung proportional zu dessen Oberflächen-
im Gewebe), einem quasistatischen Venensignal und änderung, nicht aber zu dessen Blutvolumenände-
einem sehr geringen, periodischen Arteriensignal zusam- rung;
men (. Abb. 10.2). Die arteriellen und venösen Signal- 5 eine Drucksenkung im Venensystem bewirkt im-
anteile lassen sich mit der modernen digitalen Filtertech- mer eine Erhöhung der selektiven dermalen Licht-
nik softwaremäßig voneinander problemlos trennen. Für reflexion (Hauthelligkeit) und somit einen Anstieg
die photoplethysmographische Abtastung dermaler Blut- des PPG-Signals;
volumenänderungen gelten folgende biophysikalische Ge- 4 die PPG-Kurve entspricht näherungsweise spiegelbild-
setzmäßigkeiten: lich der invasiv gemessenen Venendruckkurve.
4 es besteht ein Zusammenhang zwischen den Druckän- 4 die Amplitude der PPG-Kurve lässt sich im Gegenteil
derungen im tiefen Beinvenensystem und den Druck- zu der phlebodynamometrischen Kurve lediglich in
änderungen in den vom PPG-Sensor erfassten venösen relativen Einheiten (PPGI%) kalibrieren; bei Verwen-
Gefäßnetzen der Haut: dung des quantitativen PPG-Messprinzips sind diese
5 jede Druckänderung im Gefäßsystem bewirkt eine jedoch intra- und interindividuell vergleichbar.
Änderung der Gefäßoberfläche;
5 bleibt die Oberfläche der Gefäße konstant, hat sich
der Druck in den Gefäßen nicht verändert;
78 Kapitel 10 · Hämodynamische Diagnostik
10.1.2 Die Muskelpumpe des Beines – Varikosis und deren Therapiekontrolle hat sich diese effi-
Antrieb des venösen Rückstroms ziente Untersuchungstechnik bereits in der Klinik und
beim aufrechten Gang Praxis bewährt.
Bei dem standardisierten Muskelpumpen-Test führt
Unter physiologischen Bedingungen strömt das Venenblut der Patient im Sitzen acht Dorsalextensionen im Sprung-
von »körperfern zu körpernah« und von der Oberfläche in gelenk bei am Boden abgestützter Ferse (»Fußwippübun-
die Tiefe. Der postkapillare Restdruck einerseits und die gen«) innerhalb von 16 Sekunden durch. Der PPG-Sensor
Ansaugung durch respiratorische Druckschwankungen im wird mit Hilfe eines beidseitig klebenden Folienrings
Brust- und Bauchraum bzw. durch die Herzaktion ande- (. Abb. 10.3a) etwa 10 cm oberhalb des Innenknöchels be-
rerseits gewährleisten eine derartige Strömung im Liegen. festigt. Bei Venengesunden kann das abgepumpte Blut in-
Beim Sitzen, Stehen und Gehen muss das Blut in den folge der Venenklappen nicht einfach wieder zurückfallen.
Beinvenen »bergauf« fließen. Dieses logistische Transport- Es kommt deshalb zu einer deutlichen Venenentleerung in
problem wird bei Gesunden spielend dadurch bewältigt, den Füßen und Unterschenkeln, die über eine Verkleine-
dass zu den vorgenannten Fördermechanismen der nor- rung des Gefäßdurchmessers zu erhöhter Reflektivität und
malen Blutströmung »herzwärts« zusätzlich die sogenann- damit zum Anstieg des PPG-Signals führt. In der Ruhe-
te Muskelgelenkpumpe aktiviert wird. Jede Muskelkont- pause nach Ende der Übung füllen sich die Beinvenen im
raktion führt zu einer Kompression der Beinvenen, deren Normalfall durch den arteriellen Einstrom wieder auf, so-
Blutinhalt dadurch nach proximal ausweicht. Die Funktion dass die PPG-Kurve relativ langsam in die Nähe der beim
der einzelnen Muskelgruppen des Beines und die Wirkung D-PPG-Gerät automatisch kalibrierten Basislinie (R0) ab-
der Gelenke sind untereinander so fein abgestimmt, dass sinkt (. Abb. 10.3b). Bei Venenkranken führt der patholo-
die notwendige Rückflussenergie gewonnen werden kann. gische Reflux des Blutes in den Beinvenen (Venenklappen
Die in den Venen vorhandenen Ventile – die Venenklap- undicht, defekt oder nicht vorhanden) zu einer deutlich
10 pen – verhindern dabei im Normalfall in der Orthostase schnelleren Auffüllung und damit zu einer Verkürzung der
die Rückströmung des Blutes. Wiederauffüllphase. Für die Diagnosestellung können u. a
Im Bereich der Vena saphena magna befinden sich bei- folgende funktionelle Bewertungsparameter der PPG-
spielsweise 23 Venenklappen, in der Vena saphena parva 7 Kurve entnommen werden:
bis 13 (Rabe 2004). Bei kranken Venen kommt es jedoch 4 venöse Auffüllzeit T0 in Sekunden
zum peripheren Reflux des Blutes und zur Blutstauung in 4 venöse Pumpleistung V0 in Prozent des optischen Sig-
den Beinen mit all den daraus resultierenden Krankheits- nals (Reflexionsänderung der Haut, bezogen auf die
bildern. kalibrierte Ruhereflexion R0 vor Beginn der Übung).
Das Hauptanwendungsgebiet der venösen Photo-
plethysmographie liegt deshalb in der funktionellen In Anlehnung an bisherige Verfahren gilt die venöse Auf-
Überprüfung der globalen Bluttransporteigenschaften des füllzeit (Zeitintervall vom Kurvenmaximum nach Ende
Beinvenensystems unter Muskelarbeit. Vor allem bei der der Bewegung bis zum Wiedererreichen einer konstanten
Schweregradsbestimmung der chronischen Veneninsuf- Hautdurchblutung) als zurzeit wichtigster Bewertungs-
fizienz und bei der Abklärung der Differentialtherapie der parameter der PPG-Kurve. Je nach Verkürzung der Auf-
a b
. Abb. 10.3. Muskelpumpen-Test. a Einer der Photoplethysmo- Testdurchführung sowie Nomenklatur und die wichtigsten Bewer-
graphen auf dem Markt (D-PPG-Gerät, www.elcat.de). b Schema zur tungsparameter der peripheren Venodynamik
10.1 · Venöse Photoplethysmographie (PPG)
79 10
. Abb. 10.4. Muskelpumpen-Test. Typi-
sche PPG-Kurven im Vergleich und hämo-
dynamische Gradeinteilung der venösen
Abflussstörungen. In der Regel verkürzt
sich die venöse Auffüllzeit und verringert
sich die venöse Pumpleistung mit Zunah-
me der hämodynamischen Störung
a b c
. Abb. 10.5. Muskelpumpen-Test. Alternative Bewegungsprogramme: a halbe Kniebeugen, b Zehenstände, c passiver Elevationstest
80 Kapitel 10 · Hämodynamische Diagnostik
10.1.3 Anwendungsbeispiele des venösen venöser Auffüllzeit. Diese Ergebnisse erlauben auch die
PPG-Muskelpumpen-Tests Schlussfolgerung, dass die venöse Auffüllzeit bessere Dis-
kriminierung zwischen Venengesunden und Venenkran-
Neben der Hauptindikation des photoplethysmogra- ken bietet. Die venöse Pumpleistung wird vor allem im
phischen Muskelpumpen-Tests im Rahmen der phlebo- Hinblick auf die therapeutischen Konsequenzen vermehrt
logischen Screeningdiagnostik zur Quantifizierung der in Betracht gezogen.
aktuellen, integralen Beinvenenhämodynamik bei allen Zur Beurteilung der Reproduzierbarkeit wurde bei
Venenerkrankungen (liegt der weitere Anwendungs- diesem Patienten der photoplethysmographische Muskel-
schwerpunkt in der Abschätzung des zu erwartenden The- pumpen-Test mit und ohne Tourniquet 20-mal (im zwei-
rapieerfolgs. Ein Ultraschall-Doppler-Gerät bietet im Ver- tägigem Abstand) an der vorgemerkten Stelle wiederholt.
gleich zu PPG nur eine lokale hämodynamische Informa- Die statistische Auswertung der erzielten T0 To-Messwer-
tion in dem beschallten Gefäß. tepaare werden in den . Abb. 10.7 dargestellt.
Die Messung wird ohne und mit Tourniquet durch- Die . Abb. 10.7a zeigt die Häufigkeitsverteilung von
geführt (. Abb. 10.6). Unter Tourniquet versteht man die T0. Im Mittel stieg die venöse Auffüllzeit von 14,2 (± 1,9)
experimentelle Ausschaltung des Refluxes in den ober- auf 22,6 (± 2,9) Sekunden. Die Streuwertbreite und Signi-
flächlichen Beinvenen in der Regel unter dem Knie in der fikanz der Messwertveränderung beider Stichproben kann
Höhe der Boyd’schen Perforansvene, z. B. durch manuellen noch deutlicher mit Hilfe der Boxplot-Darstellungen
Druck, durch eine Staubinde oder am besten durch eine (. Abb. 10.7b) visualisiert werden. Mit der Änderung des
2 bis 3 cm breite Staumanschette mit einem Staudruck von Medianwertes nach Tourniquet (von 14 auf 23 s; plus 64%)
mindestens 80 mm Hg. Bessert sich die Venodynamik vergrößern sich auch die Werte des Interquartillabstandes
unter Tourniquet, so handelt es sich um eine sogenannte (von 2 auf 3,5 s; plus 75%) und besonders deutlich der Ab-
»besserbare« venöse Insuffizienz (Entscheidungsschema standswert zwischen den oberen und unteren Whiskern
10 nach Nicolaides 2000). (von 6 auf 12 s; plus 100%). Von den nativen T0-Werten
Wie aus den in . Abb. 10.6 gezeigten Untersuchungs- (vor Tourniquet) wurde ein oberer Ausreißer (o) identi-
ergebnissen eines Patienten mit besserbarer Venenfunk- fiziert. Statistisch gesehen kann festgehalten werden, dass
tion bei extrafascialer CVI zu entnehmen ist, geht oft die die mit der PPG-Methode gemessene Änderung der ve-
Normalisierung von T0 mit einer gleichsinnigen Verbesse- nösen Auffüllzeiten in Folge des Tourniquet-Tests eine
rung aller anderen Parameter einher. In diesem Fall ver- hohe Signifikanz aufweist. Der t-Wert lag bei 16,1, was
bessert sich unter Tourniquet T0 um 12 s (plus 109%) und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 0,1% ent-
V0 um 2,2 PPG% (plus 46%). Generell ist aber dieser Sach- spricht.
verhalt nicht »vorprogrammiert«. Gerade bei Patienten Ein weiteres, aus der diagnostischen Sicht interessantes
mit leichten Stadien der venösen Abflussstörung findet Anwendungsbeispiel der venösen Photoplethysmographie
sich oft eine noch physiologische Wirkung der Muskel- ist die experimentelle Bestimmung der maximalen Beinve-
pumpe (hohe V0-Werte) bei bereits deutlich reduzierter nenentleerung und daraus abgeleiteten Muskelpumpen-
. Abb. 10.6. PPG-Muskelpumpen-Test mit und ohne Tourniquet. als auch die venöse Pumpleistung V0 (besserbare Varikosis, Nico-
Bei einem Patienten mit Stammvarikose der vena saphena magna laides 2000). Neben den Hauptbewertungsparametern T0 und V0
und mit Refluxen bis in die untere Unterschenkeletage, insuffiziente können auch weitere Parameter der PPG-Kurve vom D-PPG-Gerät
Boydsche PV. Im Vergleich zum Normalzustand normalisiert sich berechnet werden
unter dem Tourniquet in diesem Fall sowohl die venöse Auffüllzeit T0
10.1 · Venöse Photoplethysmographie (PPG)
81 10
. Abb. 10.7. Wiederholter Tourniquet-Test (n=20). a Häufigkeits- sungen vor und nach der experimentellen Ausschaltung der ober-
verteilungen der venösen Auffüllzeiten im Vergleich. b Boxplot-Dar- flächigen Refluxe. Aus statistischer Sicht unterscheiden sich die
stellungen visualisieren anschaulich die Streubreite der PPG-Mes- beiden Strata hoch signifikant (p<0,001)
wirksamkeit. Dieses Manöver liefert gleichzeitig auch In- einer vollständigen Entleerung der Beinvenen. Der V0-Pa-
formation über die Entleerungskinetik des in sitzendem rameter nimmt den maximal möglichen Wert an (V0max).
Bein vorhandenen Venenpools. Dabei wird die standardi- Anschließend wird das Bein in Tieflagerung gebracht und
sierte, sitzende MPT-Beinübung durch eine passive Hoch- die Wiederauffüllphase beginnt.
lagerung der untersuchten Extremität ergänzt, ein Unter- Eine während dieses Manövers registrierte PPG-Kurve
suchungsvorgehen, das zwar bereits vor geraumer Zeit zeigt die . Abb. 10.8. Die Messung wurde unmittelbar nach
beschrieben (Blazek und Schultz-Ehrenburg 1991, Blazek dem MPT, dargestellt in der . Abb. 10.6 links, aufgenom-
und Schultz-Ehrenburg 1996), dennoch bisher kaum an- men. Da der Messkopf zwischen den beiden Tests nicht
gewandt wurde. Etwa 1 min nach Ende des aktiven MPT abgenommen wurde, sind die Amplitudenwerte der bei-
im Sitzen wird das untersuchte Bein von einer Hilfsperson den Photoplethysmogramme vergleichbar. Neben der Ver-
über die hydrostatische Indifferenzebene (etwa die Herz- längerung der venösen Auffüllzeit nach maximaler Bein-
höhe) für etwa 15 s angehoben. Sind keine Abflusshinder- entleerung (von 11 auf 17 s) ist vor allem der V0max-Wert
nisse vorhanden, kommt es während der Elevationsphase zu (12,8 PPG%) im Vergleich zu dem infolge der sitzenden
82 Kapitel 10 · Hämodynamische Diagnostik
. Abb. 10.9. Ortsaufgelöster, kontaktloser Muskelpumpen-Test. dizintechnik der RWTH Aachen entwickeltes Messsystem. Für die
Aufgenommen mit einem kamerabasierten Photoplethysmogra- drei gewählten Untersuchungsgebiete (virtuelle PPG-Sensoren,
phie-Imager (PPGI), einem in der Forschungsgruppe Optische Me- links) sind rechts die errechneten PPG-Kurven dargestellt
10.2 · Venenverschluss-Plethysmographie (VVP)
83 10
. Abb. 10.9 soll die Leistungsfähigkeit dieser zukunfts- als Spezies hierfür zahlen. Sind Wirbelsäulenleiden meist
weisenden Technik demonstriert werden. Dank dieser »nur« schmerzhaft, stellt die tiefe Venenthrombose ein
Technik ist die PPG-Messung erstmals auch im Bereich schwerwiegendes Gesundheitsrisiko dar, weil ein Ablösen
von Wunden möglich. Einzig die Bewegungsartefakte, die des Blutgerinnsels eine tödliche Lungenembolie zur Folge
aus der Trennung des Sensors von der Haut resultieren, haben kann. Wird die Thrombose überlebt, rufen Spät-
müssen durch eine entsprechende Datenaufbereitung mi- komplikationen oft eine wesentliche Beeinträchtigung der
nimiert werden. Lebensqualität hervor.
Die funktionellen Eigenschaften des Venensystems bei
Literatur Muskelruhe lassen sich mit einer venenverschlussplethys-
Abramovitz HB et al. (1979) The use of Photoplethysmography in the mographischen Untersuchungstechnik bestimmen. Dabei
assessment of venous insufficiency: a comparison to venous pres-
wird der plötzliche Abfluss von gestautem venösen Blut aus
sure measurement. Surgery 86: 431–441
Barnes RW (1979) Noninvasive diagnostic techniques in pheriperal
der Extremität erfasst und analysiert. Aus der Abflusskine-
vascular disease. Amer Heart J 97: 2–9 tik lassen sich direkte Aussagen über den Venenzustand
Blazek V, Schultz-Ehrenburg U (1991) Zur Reproduzierbarkeit der digi- gewinnen. Hauptanwendungsgebiete sind die Screening-
talen Photoplethysmographie. Ergebnisse bei Langzeitmessun- Diagnose, Schweregradbestimmung und Therapiekontrol-
gen und bei unterschiedlichen Übungsprogrammen. Phlebologie
le der akuten Beinvenenthrombose, ferner auch die Erken-
in der Praxis 2: 13–22
Blazek V, Schultz-Ehrenburg U (1996) Quantitative Photoplethysmog-
nung anderweitiger Abstrombehinderungen, z. B. in der
raphy. Basic facts and examination test for evaluating peripheral Schwangerschaft.
vascular functions. VDI Düsseldorf, ISBN 3-18-319220-9
Blazek V (2005) Funktionelle Beinvenendiagnostik mit der quantita-
tiven Photoplethysmographie – bewährte und neue Untersu-
10.2.1 Messprinzip, Untersuchungsablauf
chungstests der peripheren venösen und arteriellen Diagnostik.
In.: Hübner, K.: Sklerotherapie. Viavital-Verlag 49–59
und Bewertungsparameter
Blazek V, Noppeney T (2007) Wertigkeit der Photoplethysmographie
(PPG) und der Straingaugeplethysmographie (SGP) im Rahmen Plethysmographie heißt bekanntlich Volumenmessung.
der funktionellen Beinvenendiagnostik. Gefäßchirurgie 5: 374– Venenverschluss meint die Art des während der Messung
378
angewandten Provokationstests. Dieser wird mit einer luft-
Hertzman AB (1938) The blood supply of various skin areas as esti-
mated by the photoelectric plethysmograph. Amer J Physiol 124:
gefüllten Staumanschette bei einem Druck vorgenommen,
329–340 der für eine definierte Zeit den venösen Abfluss aus der
Hülsbusch M, Blazek V (2005) Ist ein kontaktloser PPG-Muskelpumpen- untersuchten Extremität blockiert, den arteriellen Ein-
Test machbar und wünschenswert? MedReport Nr.28, Jahrgang 29, strom dagegen durchlässt. Im Laufe des Untersuchungs-
10
vorgangs werden unterschiedliche Teilfunktionen des Ve-
Kerner J, Schultz-Ehrenburg U, Lechner W (1992) Quantitative Photo-
plethysmographie bei gesunden Erwachsenen, Kindern und
nensystems geprüft, die sich quantitativ beurteilen lassen.
Schwangeren und bei Varizenpatienten. Phlebol 21: 134–139 Dafür stehen heute eine Reihe leistungsfähiger Techniken
Nicolaides AN (2000) Investigation of Chronic Venous Insufficiency – zur Verfügung, die mit unterschiedlichen Sensoren ausge-
A Consensus Statement. Circulation 102: e126–e163 stattet sind und die verschiedene mit der Änderung des
Rabe E (2004) Grundlagen der Phlebologie. Viavital Köln ISBN
Blutvolumens einhergehende Vorgänge direkt oder indi-
3-934371-33-7
Schultz-Ehrenburg U, Blazek V (1993) Inovations in venous photo-
rekt beurteilen (. Abb. 10.10):
plethysmography. In: Burgdorf WHC, Katz S (Eds): Dermatology, 4 Straingauge-Plethysmographie: Erfassung der Um-
progress & perspectives. Proceedings of the 18th World Congress fangsänderung eines Extremitätensegmens mit einem
of Dermatology, Partenon New York Dehnungsmessstreifen; ähnlich funktioniert auch die
Strölin A, Häfner HM, Jünger M (2004) Dynamische Venenfunktion-
Glasfaser-Plethysmographie, bei welcher die Umfangs-
stests – Bedeutung nicht invasiver phlebologischer Messverfah-
ren im Vergleich zum Referenzverfahren Phlebodynamometrie.
änderung der Extremität Änderung der optischen
MedReport Nr. 31, Jahrgang 28, 6 Dämpfung des beinumschlingenden Glasfasersensors
registriert wird,
4 Wasserplethysmographie: auch Fußvolumetrie ge-
10.2 Venenverschluss-Plethysmographie nannt, Erfassung der Volumenänderung eines Extre-
(VVP) mitätenabschnitts durch Wasserverdrängung mit an-
schließender Messung des Wassersäuledrucks,
V. Blazek 4 Impedanzplethysmographie: Erfassung der Gewebe-
impedanzänderung,
Im Laufe der Evolution hat der Homo sapiens den auf- 4 Luftplethysmographie: Erfassung der Luftdruckände-
rechten Gang erworben. Wirbelsäulenleiden und Venen- rung in einer die Extremität einschließender Man-
krankheiten der unteren Extremität sind der Preis, den wir schette oder luftdichter Messkammer,
84 Kapitel 10 · Hämodynamische Diagnostik
a b
10
c d
e f
a b
. Abb. 10.11. Straingauge-Plethysmograpie. a Untersuchungsan- Reduktion der Kurvenamplitude innerhalb von wenigen Sekunden
ordnung beim VVP-Test, b Typische Kurve eines Gesunden mit An- nach Beginn der Entleerung errechnet, kann also als Steilheitsgerade
gaben zur Berechnung der Parameter VC und VO. VO gilt als wich- dargestellt werden (eingetragene Linien in der Entleerungsphase
tigster der VVP-Parameter und wird als initiale Abflussrate aus der der Kurve)
86 Kapitel 10 · Hämodynamische Diagnostik
a b
10 . Abb. 10.12. Einkanaliger Straingauge-Plethysmograph mit b Typisches SGP-Untersuchungsprotokoll mit Angabefeldern zum
Dehnungssensor und Untersuchungsprotokoll. a Dünner, mit Versuch, der Kurve und zugehörigen VVP-Bewertungsparametern
Quecksilber gefüllter Schlauch, Gerätmodell D-SGP (Elcat, Germany)
a b
. Abb. 10.13. Typische SGP-Kurvenformen bei normaler (a) und tungsparameter bei experimentell gestörtem Abstrom (VC auf 51%,
gestörter (b) Venodynamik. Deutliche Reduktion der beiden Bewer- V0 auf nur 14% der nativen Werte)
SGP-Kurve mit zugehörigen Bewertungsparametern, die 3. Die Breite der verwendeten Staumanschette soll min-
auf der rechten Bildhälfte dargestellt sind, der provozierte destens 15 cm betragen. Eine Standardmanschette
Abstromhindernis wurde sicher erkannt. für die Blutdruckmessung am Oberarm ist für die-
sen Zweck ungeeignet, da der Druckreduktion in
Richtung Beinachse von der Manschettenbreite ab-
10.2.2 Einige Tipps zur VVP-Anwendung hängt und dadurch – gerade bei umfanggrößeren
Oberschenkeln – der tiefe Beinvenenstrom während
1. Damit sich aus diagnostischen Überlegungen hinaus der Stauphase womöglich nicht vollständig unterbun-
das gestaute Blut nur über die tiefen Beinvenen ent- den wird.
leert, ist bei diesem Test das Anlegen eines, die ober- 4. Die Geschwindigkeit des Druckaufbaus und des Druck-
flächlichen Venennetze hinreichend blockierenden ablassens in der Staumanschette hat eine Auswirkung
Tourniquet ein Muss. auf die Qualität der Messergebnisse. Damit ist, wenn
2. Der Anpressdruck des Straingauge-Messwertaufneh- möglich, ein automatisierter Stauvorgang einem ma-
mers gegen das Beingewebe soll möglichst gering sein. nuell kontrollierten vorzuziehen.
10.3 · cw-Dopplersonographie
87 10
hat sie doch wie kaum andere Untersuchungsmethodik
zum Verständnis der Physiologie und Pathophysiologie
des Venensystems beigetragen.
Mit der Straingauge-VVP steht eine reproduzierbare
und kostensparende Untersuchungstechnik zur Verfü-
gung, die eine objektive Erfassung der peripheren venösen
Abstromkinetik unter Muskelruhe erlaubt. Die einfachen,
tragbaren und kostensparenden SGP-Geräte sind in be-
sonderem Maße für den Einsatz in der täglichen Routine
geeignet, neben einen menügesteuerten Untersuchungs-
ablauf erlauben sie auch eine Analyse der Messkurven,
Berechnung relevanter Ein- und Abstromparameter des
während des Verschlusstests bewegten Venenpools inkl.
Protokollausdruck.
Es soll jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass
mit dem Venenverschlusstest generell nur hämodynamisch
wirksame Abstromhindernisse erkannt werden können.
. Abb. 10.14. Vorschlag für eine zweidimensionale graphische
Kein medizinisches Gerät, also auch kein computerunter-
Gegenüberstellung der beiden wichtigsten VVP-Bewertungspara- stütztes, kann die Erfahrung und das fachliche und expe-
metern Venöser Abstrom (VO) und Venöse Kapazität (VC). Einge- rimentelle Know-how des Arztes ersetzen. Diese Technik
zeichnet sind Bereiche für ungestörte, grenzwertige und gestörte kann ihm jedoch von der komplizierten technischen Para-
Abststomkinetik und auch beide Wertepaare aus den Kurven in
meterauswertung befreien und die diagnostische Entschei-
. Abb. 10.13
dung erleichtern, sichern und dokumentieren helfen.
Taschendopplern ausgeführt werden als auch mit bidirek- d h. während der Inspiration verlangsamt sich die venöse
tionalen Geräten mit und ohne Schreibvorrichtung für das Strömung durch Senken des Diaphragmas bis hin zum
Dopplersignal. Bei allen richtungsanzeigenden Doppler- Stopp des venösen Flusses; während der Exspiration findet
techniken ist es vor Beginn der eigentlichen Untersuchung eine maximale, nach zentral gerichtete Fließbeschleuni-
wichtig, festzustellen, welches Signal eine Strömungsrich- gung statt (Bollinger 1970).
tung auf die Sonde zu angibt und welches Signal die Strö-
mungsrichtung von der Sonde weg angibt.
Auf die technischen Voraussetzungen soll an dieser 10.3.2 Der Valsalva-Pressversuch
Stelle nicht weiter eingegangen werden, hier wird auf die
einschlägigen Lehrbücher verwiesen (Barnes 1978, Fischer Die tiefe Inspiration mit anschließender Bauchpresse in-
1985). duziert einen provozierten Reflux venösen Blutes Richtung
Die Wahl der Sondenfrequenz ist wesentlich für den Peripherie. Bei physiologischem, regelrechtem Klappen-
Erfolg der Untersuchung und somit für die Qualität und schluss sistiert die venöse Strömung, d. h. ein Doppler-
Verwertbarkeit der Ergebnisse. Für die oberflächlich gele- signal ist nicht mehr nachweisbar.
genen Venen bzw. Varizen sollte eine 8 MHz–Sonde zum Diesen Test zur Aufdeckung einer potentiellen Reflux-
Einsatz kommen. Für die tiefer gelegenen peripheren strecke kann man entlang des gesamten Verlaufs der
Venen sind Sonden mit einer Sendefrequenz von 4 MHz V. saphena magna oder parva Schritt für Schritt nach distal
notwendig. hin durchführen.
Die Kenntnis der anatomischen Grundlagen stellt eine Auch das tiefe Venensystem kann mit der gleichen
unverzichtbare Voraussetzung dar für die rein akustische Technik untersucht werden. In der Folge thrombotischer
Untersuchung bzw. die Strömungsdetektion im Bereich Ereignisse finden sich Refluxphänomene im subfaszialen
des Venensystems. Venensystem. Bei Klappenverlust in der Oberschenkeletage
10 Die Physiologie des Venensystems als »Niederdruck- in der V. femoralis superficialis und durchgängiger Strom-
system« ist wesentlich von der Muskeltätigkeit und von der bahn lassen sich Refluxsignale im Valsalva-Pressversuch im
Atmungsdynamik abhängig und der gezielte Einsatz bzw. Bereich der V. poplitea nachweisen (. Abb. 10.16).
die Lenkung dieser funktionellen Stellglieder für den ve- Lokale Klappeninsuffizienzen, etwa im Bereich von
nösen Blutfluss erbringen weiterführende Informationen Perforansvenen können ebenfalls durch Provokation er-
im Rahmen einer dopplersonographischen Untersuchung. kannt werden. Besteht der Verdacht auf eine insuffiziente
Perforansvene wird diese mit der Dopplersonde aufgesucht
und proximal der Sonde eine Kompression der Muskulatur
10.3.1 cw-Dopplersonographie des Beines mit der Hand ausgeführt. Findet sich ein nach
in der Varikose-Diagnostik außen gerichtetes Signal, so ist die Klappe defekt. Es liegt
eine Perforansinsuffizienz vor.
Das Aufdecken von Refluxstrecken und das Auffinden in- Auf diese Weise können alle peripheren Venen auf De-
suffizienter Perforansvenen stellen die Haupt-Einsatz- fizite und Refluxstrecken getestet werden.
gebiete der cw-Dopplersonographie in der Diagnostik Die Untersuchung kann sowohl am liegenden als auch
dar. am stehenden Patienten durchgeführt werden. Hierbei
Die Sonde wird in der Leiste über der V. femoralis muss beachtet werden, dass im Liegen nicht oder wenig
communis platziert. Unter normalen Bedingungen findet gefüllte Venen kollabieren und dem Dopplersignal entge-
sich hier ein atemmoduliertes Flusssignal (. Abb. 10.15), hen können.
. Abb. 10.17. Normaler Druck-Kurvenverlauf während 10 Zehen- . Abb. 10.18. Druck-Kurvenverlauf während 10 Zehenstände bei
stände primärer Varikosis. Grenzwertiger Druckabfall und verkürzte
Druckausgleichzeit
10.4.2 Messergebnisse
10.4.3 Zusammenfassung
11 Sonographische Diagnostik
11.1 B-Bild-Sonographie – 94
A. Brunner
11.1.1 Praktische Anwendung – 94
11.1.2 Beurteilungskriterien in der Venendiagnostik – 95
11.1.3 Artefakte in der B-Bild-Sonographie – 96
11.1.4 Zusammenfassung – 96
11.2 Duplexsonographie – 97
W. Lang
11.2.1 Geräteeinstellung – 97
11.2.2 Durchgängigkeit, Thrombosediagnostik – 97
11.2.3 Veneninsuffizienz – 97
11.2.4 Topographie von Vena saphena magna und parva – 99
11.2.5 Mündungsinsuffizienz – Rezidivdiagnostik – 99
11.2.6 CHIVA-Methode – 99
11.2.7 Endovenöse Verfahren – 100
94 Kapitel 11 · Sonographische Diagnostik
. Abb. 11.1. Crosse V. saphena magna . Abb. 11.2. Mündungsregion V. saphena parva
11.1 · B-Bild-Sonographie
95 11
> Grundsätzlich sollte mit der niedrigsten Emp-
fangsverstärkung (gain) gearbeitet werden, mit
der noch eine differenzierte Darstellung von
Strukturen möglich ist.
Bei höheren Gain-Einstellungen nehmen die
Artefakte zu.
11.1.2 Beurteilungskriterien
in der Venendiagnostik
hängend erfasst werden, als dies mit dem Standardbild gerte Laufzeit wird das beschallte Objekt in einer größeren
möglich ist. Tiefe abgebildet, als es sich tatsächlich befindet.
Zunehmend kommen in der Chirurgie der oberfläch- Beispiel: streifenförmig hintereinander liegende Arte-
lichen Venen auch endovaskuläre Verfahren mit Radio- fakte bei der Darstellung eines Gefäßes, begünstigt durch
frequenzobliteration oder Laser zur Ausschaltung der vari- Verkalkungen in der Gefäßwand mit hohem Impedanzun-
kös veränderten, oberflächlichen Venen zur Anwendung. terschied zum übrigen Gewebe.
Die Dokumentation eines Mappings kann natürlich auch
mit standardisierten Bildfolgen, z. B. Mündungsbereich Spiegelartefakte
bzw. Crosse, OS-Mitte, unterhalb des Kniegelenkes etc. er- Relativ häufig zu beobachtendes Phänomen bei Auftreffen
folgen. Das Mapping kann mit einer Refluxprüfung kom- des Schallstahles an schräg stehenden Grenzflächen wie
biniert werden. Pleura und Zwerchfell, aber auch an Gefäßwänden. Die
Präoperativ wird bei einem Mapping der Vene die ausgesendete Schallwelle wird reflektiert, durch die Schräg-
Durchgängigkeit des Gefäßes in seinem Verlauf durch stellung des Reflektors nicht direkt auf kürzestem Weg zum
Kompression geprüft, um Strombahnhindernisse und da- Empfänger geschickt, sondern nochmals abgelenkt. Die
mit den vorzeitigen Abbruch eines endovaskulären Ein- Richtungsänderung des Strahls wird nicht registriert,
griffes von vorne herein vermeiden zu können. Während nur die verlängerte Laufzeit, so dass ein zweites Objekt in
der endovenösen Behandlung einer Stammvene kann die größerer Tiefe dargestellt wird.
Lage der Behandlungskatheter mit der B-Bild-Sonogra- Beispiel: Darstellung der Leber hinter dem Zwerchfell.
phie bestimmt und kontrolliert und die Tumeszenzlösung
eingebracht werden. Schallschattenartefakte
Um thermische Schäden an Haut und Weichteilen bei Im B-Bild zeigt sich hinter Bereichen mit starker Impe-
der Anwendung thermischer Verfahren auszuschließen, danz, wie zum Beispiel Knochen, eine deutlich dunklere
sollte ein Abstand zwischen der zu okkludierenden Vene Darstellung des beschallten Objektes durch die vorange-
und der Haut von etwa 1 cm sein. Diese Beurteilung erfolgt gangene verstärkte Abschwächung der Schallwelle.
am einfachsten in der B-Bild-Sonographie.
11 Bei der Beurteilung des Therapieerfolges der endovas- Schichtdickenartefakt
kulären Verfahren ist ebenfalls die Kompressionssonogra- Bei der Beschallung eines schräg verlaufenden Gefäßes
phie das gängige Verfahren. Die mangelnde Komprimier- wird der Schallstrahl mit unterschiedlicher Laufzeit je nach
barkeit des behandelten Gefäßes in seinem Verlauf kann in Winkel zwischen Schallstrahl und schräg stehendem Ob-
diesem Fall als Behandlungserfolg dokumentiert werden. jekt reflektiert. Dadurch erfolgt die Darstellung des Reflek-
Die Abnahme des Venenlumens, gemessen an entsprechen- tors nicht als Linie sondern als Band.
den Punkten im Venenverlauf gilt als Nachweis des Um- Beispiel: zu hoch gemessene Intima-Media Dicke bei
baus des obliterierten Gefäßes. nicht waagrecht sondern schräg stehenden Gefäßwänden.
> Das Mapping der epifaszialen Venenstämme ist
gleichermaßen bedeutsam für die Eingriffspla-
11.1.4 Zusammenfassung
nung in der klassischen Varizenchirurgie wie bei
den endoluminalen Verfahren. Diese Form der
Die B-Bild-Sonographie hat auch nach der rasanten Wei-
Venendarstellung bietet darüber hinaus gute
terentwicklung der sonographischen Technik mit Farb-
Dienste bei der Beurteilung der epifaszialen
codierung etc. ihren Platz in der Diagnostik der Erkran-
Venen in Bezug auf ihre Eignung für Bypassver-
kungen des Venensystems behauptet. Sie ist insbesondere
fahren in der Herzchirurgie und bei peripheren
in der Diagnostik der Varikose in Form des Mappings eine
arteriellen Rekonstruktionen.
unverzichtbare Untersuchungstechnik und ersetzt bei ge-
schicktem Einsatz weitgehend die Phlebographie.
11.2.6 CHIVA-Methode
. Abb. 11.6. Lage der Vena saphena magna in der Fasziendupli- Bei der Operation nach der CHIVA-Methode wird das Ziel
katur (sog. »Ägyptisches Auge«), s. auch . Abb. 11.7. verfolgt, die hydrostatische Druckwirkung zu unter-
100 Kapitel 11 · Sonographische Diagnostik
Literatur
Blomgren L, Johansson G, Bergqvist D (2005) Randomized clinical trial
of routine preoperative duplex imaging before varicose vein sur-
gery. Br J Surg 92:688–694
Geier B, Mumme A, Hummel T, Marpe B, Stücker M (2009) Validity of
. Abb. 11.7. Schema der Topographie der Seitenäste, der Vena duplex-ultrasound in identifying the cause of groin recurrence
saphena magna und der tiefen Leitvenen im Ultraschallbild mit after varicose vein surgery. J Vasc Surg 49:968–972
Darstellung der Venennetze (R1 bis R3) nach der CHIVA-Methode Hach W (2002) Was ist CHIVA? Gefässchirurgie 7:244–250
Lang W (2007) Ultraschall in der Gefäßchirurgie. Chirurg 78:428–434
Schäberle W (2008) Ultraschalldiagnostik in der Gefäßchirurgie. Teil 2:
periphere Venen, extracranielle hirnversorgende Arterien. Gefäss-
brechen. Dies schließt eine Korrektur der pathologischen chirurgie 13:299–312
Rezirkulationskreisläufe ein. Bei der CHIVA-Methode
werden die varikösen Stammvenen und die Perforans-
venen erhalten, die Besonderheit der Methode besteht
11 im Erhalt der Wiedereintrittswege des pathologischen
retrograden Blutstromes in das tiefe Venensystem. Die
Duplexsonographie ist eine wesentliche Voraussetzung des
CHIVA-Verfahrens. Ohne eine subtile sonographische
Vordiagnostik ist die Operationsmethode nicht anzuwen-
den. Die verschiedenen Shunttypen werden sonographisch
differenziert (. Abb. 11.7). Hierfür eignet sich die Unter-
suchung des Patienten im Stehen mit einem Linearschall-
kopf zwischen 7 und 10 MHz. Die Venennetze und ihre
topographischen Beziehungen zu den Faszien am Bein
können anhand der echoreichen Strukturen im B-Mode
gut differenziert werden. Die Fascia cruris und die Fascia
lata umschließt dabei die intrafaszialen Leitvenen (Rezir-
kulationsnetz R1). Die V. saphena magna liegt im R2-Netz
und die epifaszialen Seitenäste im R3-Netz (. Abb. 11.7).
Mit Hilfe der Duplexsonographie werden präoperativ am
besten durch den Operateur selbst die auszuwählenden
Ligaturen markiert.
12 Radiologische Diagnostik
12.1 Phlebographie – 102
H. Nüllen, P.W. Esser
12.1.1 Historie – 102
12.1.2 Indikation – 102
12.1.3 Voruntersuchungen – 103
12.1.4 Kontraindikationen – 104
12.1.5 Technik – 104
12.1.6 Abbildungstheorie und Röntgenanatomie – 105
12.1.7 Radiomorphologie und Interpretation – 106
12.1.8 Befundung – 106
12.1.9 Fehler und Irrtümer – 106
12.1.10 Zusammenfassung – 106
4 Vorerkrankungen des Patienten? (80 Tropfen 30 min vor der Untersuchung, danach
5 Allergische Diathese? 3mal 30 Tropfen/Tag für 1 Woche)
5 Eingeschränkte Nierenfunktion? 4 Metformin: Wenn möglich, 1 Tag vor und 1 Tag nach
5 Schilddrüsenerkrankungen? der Untersuchung absetzen
5 Diabetes; (Metformin)? 4 Gravidität: Muss soweit als möglich ausgeschlossen
4 Medikamenteneinnahme werden können. Bei unsicheren oder ausweichenden
5 Antikoagulantien Angaben der betroffenen Patientin zur Frage einer
5 Metformin möglicherweise stattgehabten Konzeption sollte die
elektive Phlebographie ausgesetzt und unmittelbar
Vor elektiven Untersuchungen mit Kontrastmittel sollen nach Ende der nächsten Menstruation durchgeführt
Laborparameter erhoben werden werden
4 Kreatinin
4 TSH
12.1.5 Technik
Für die Durchführung einer Phlebographie ist, wie für alle
invasiven Untersuchungsmethoden und Methoden mit ei- In der technischen Durchführung der ascendierenden Press-
ner Belastung durch ionisierende Strahlen, eine rechtsgül- phlebographie folgen wir weitgehend den Angaben, wie sie
tige Einwilligungserklärung des Patienten erforderlich und von Hach in der Darstellung seiner Methode angegeben wur-
setzt damit ebenso eine rechtsgültige Aufklärung voraus. de. Geändert bzw. angepasst an die technische Entwicklung
Die Verantwortung für die genannten Voruntersuchungen, und persönliche Erfahrungen und Ansprüche haben wir le-
Aufklärungen etc. liegen beim ausführenden Untersucher,
also i.d.R. beim Radiologen. Es ist jedoch sicherlich ange- Tipp
zeigt, die notwendigen anamnestischen Klärungen, Vorun- Verwendung von einem oder mehreren
tersuchungen und Voraufklärung zum Zeitpunkt der Indi- Schläuchen am Bein?
kationsstellung vorzunehmen. Man erspart sich damit be- Es werden sehr unterschiedliche Angaben gemacht
rechtigte Vorwürfe des Patienten, wenn aus banalen und (Masell 1948; Shermann 1949; May 1973). Wir selbst
vorhersehbaren Gründen die vorgesehene Untersuchung benutzen zwei Stauschläuche (oberhalb des Sprung-
12 zum Termin nicht durchgeführt werden konnte. gelenkes und knapp oberhalb des Kniegelenkes).
Wichtig sind hierbei die Vermittlung einer ausreichen-
den hohen Druckes, um den Abflussweg über die
12.1.4 Kontraindikationen oberflächlichen Venen zu blockieren und ein gutes
Anschmiegen des Stauschlauches an die Zirkumferenz
Die Kontraindikationen für die Durchführung einer Phle- des Beines. Handelsübliche Stauschläuche mit einer
bographie sind die gleichen wie für alle übrigen Untersu- Auslösemechanik sind für diesen Zweck wenig geeig-
chungen, die mit der Gabe von nicht-ionischen Kontrast- net (zu breit, zu starr); wir benutzen daher unverän-
mitteln und der Anwendung ionisierender Strahlen ver- dert einen weichen Silikonschlauch, wie er ursprüng-
bunden sind. lich angegeben wurde, der mit einer eingezogenen
4 Kontrastmittelallergie: Bei der Angabe von Reaktio- Schleife fixiert wird.
nen auf KM ist stets genauer nachzufragen, um welche
Untersuchung es sich dabei gehandelt hat und welches
KM dabei benutzt wurde, sowie die Art der damals auf- Tipp
getretenen Reaktion (Symptomatik). Anhand der Er- Schwierigkeiten bei der Punktion einer peri-
gebnisse dieser Befragung und der Relativierung der pheren Vene im Bereich der Großzehe?
Indikationsstellung muss dann entschieden werden, ob Falls dies der Fall ist, ist man gezwungen eine Vene
an der Indikation festgehalten werden soll oder ob auf im Bereich des Fußrückens zu punktieren. Um auch in
die Untersuchung wegen zu großer Risiken verzichtet diesem Falle noch eine vollständige Darstellung der
werden soll Fußvenen zu erreichen, punktiert man die Vene ent-
4 eingeschränkte Nierenfunktion: Kreatinin oberhalb gegen der physiologischen Strömungsrichtung, also
1,2–1,5 mg/dl in Richtung auf die Fußspitze zu. Unter Kompression
4 Hyperthyreose: Kontraindikation bei manifester Hy- der physiologischen Strömungsrichtung kann man
perthyreose; bei latenter Form soll die Indikation kri- auch so den Abstrom des injizierten KM in die Tiefe
tisch überprüft werden. Bei Aufrechterhaltung der In- erreichen.
dikation erfolgt eine Blockade mit Irrenat-Tropfen
12.1 · Phlebographie
105 12
1 warmes Fußbad für 5 min Die Haut wird weicher und die Venen treten gut sichtbar hervor.
2 Aufklärung und Einübung des Pressver- Die Übung erscheint uns wichtig, weil viele Patienten dieses Manöver nicht
suches nach Valsalva unmittelbar verstehen und dabei unwillkürlich die Beinmuskulatur anspannen,
was dann zu einem ungewollt schnellen Abfluss des Kontrastmittels (KM) führt.
3 Demonstration und Einübung der Lage- Die Entlastung des zu untersuchenden Beines erschließt sich vielen Patienten
rung auf dem Kipptisch und der Entlas- nicht unmittelbar und die ungewollte Belastung des zu untersuchenden Beines
tung des zu untersuchenden Beines führt zu einem ungewollt schnellen Abfluss des KM.
4 Punktion (i.d.R.) der V. halucis dorsalis Vasofix-Braunülle 22G; Fixation mit Pflaster. Heidelberger-Verlängerung.
tibialis im Sitzen (Braunüle 22G)
6 Injektion von 50 ml Kontrastmittel Schnelle und zügige Injektion; Beobachtung des KM-Eintritts in die tiefen Bein-
(300 mg Jod/ml); vorgewärmt (!). venen, kein oder wenig KM-Abfluss über die oberflächlichen Venen
11 Ablaufdarstellung in die Beckenvenen Die Darstellung der Beckenetage stellt heute mit digitaler Technik oder Bildwand-
bis zur V. cava ler-Technik, die eine kurze Anlaufzeit aufweisen i.d.R. kein Problem dar. Wenn
unter Phleboskopie der KM-Bolus die Beckenetage erreicht, sind bei entsprechen-
der Reaktionszeit des Untersuchers, die Geräte schnell genug, um genau in
diesem Moment eine Aufnahme zu speichern.
12 second look Nach Abschluss der eigentlichen Untersuchung ist ein schnelles Abfahren der
untersuchten Abschnitte sinnvoll, da sich die Varizen häufig sehr verzögert füllen
und man kann in diesen Fällen noch gezielte Aufnahmen von interessierenden
Regionen machen.
13 Entfernen der Venen-Kanüle, Kompres- Eine Spülungsbehandlung, wie häufig angegeben, führen wir nicht durch.
sionsverband. Will man einen solchen Effekt wirklich erreichen, sind große Flüssigkeitsmengen
Gezielte Übungsbehandlung mit Aktivie- und eine hoher Fluss pro Zeiteinheit erforderlich.
rung der US-Pumpen zum schnellen
Abtransport der KM-Reste.
diglich die Röntgentechnik mit digitaler Bildverarbeitung da dies den Rahmen und die Intention dieses Buches
sowie die Anzahl der dokumentierten Abbildungen. sprengt.
Wir führen die ascendierende Pressphlebographie an Für die zu erzielende Abbildungsschärfe der dargestell-
einem Multifunktionsangiographiearbeitsplatz mit kipp- ten anatomischen Strukturen und den Grad der maßstabs-
barem Tisch, C-Bogen und digitaler Bildverarbeitung getreuen Abbildung im Bild gelten feste physikalische
durch. Die Ausgabe der Bilder erfolgt auf einem großfor- Regeln:
matigen Film oder einem entsprechenden Paperprint. 4 je geringer der Abstand der interessierenden Struktur
vom Abbildungsmedium (Röntgenfilm, bzw. Bildträ-
ger) umso schärfer ist die Abbildung
12.1.6 Abbildungstheorie 4 je weniger Streustrahlung auftreten kann (Einblen-
und Röntgenanatomie dung, achsengerechter Strahlengang) umso schärfer ist
die Abbildung
Von einer Darstellung der speziellen Röntgenphysik sowie 4 je größer der Abstand der Strahlungsquelle (Röntgen-
die Darstellungen von Strahlungscharakteristiken und röhre) von der interessierenden Struktur umso maß-
Strahlungsstärken soll hier Abstand genommen werden, stabsgetreuer ist die Abbildung
106 Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
Zu den Details der Röntgenanatomie muss ebenfalls auf 4 venöses Aneurysma (. Abb. 12.4)
die einschlägigen Monographien verwiesen werden. 4 Dow’sches Zeichen (. Abb. 12.5)
Der Gefäßmediziner muss sich mit der Röntgenana- 4 radiomorphologie insuffizienter Perforansvenen
tomie der Gefäße vertraut machen, um pathologische von (. Abb. 12.6)
normalen Bildern unterscheiden zu können. Wichtiger ist 4 Leitveneninsuffizienz (. Abb. 12.7)
es aber, eine exakte Zuordnung der Gefäßanatomie unter 4 popliteo-femorale Abwinkelung: Bei Leitveneninsufi-
unterschiedlichen Abbildungswinkeln und Drehrichtun- zienz im Bereich der großen Leitvenen kommt es durch
gen vornehmen zu können. Elongation im Bereich der femoropolitealen Über-
Ausgehend von einer Darstellung in anterior-poste- ganges gelegentlich zu ein echten Abknickung des Ve-
rioren Strahlengang (ap) »wandern« die, bezogen auf die nenrohres.
anterior der Ebene der Drehachse gelegenen Strukturen 4 Radiergummizeichen (. Abb. 12.8)
gleichsinnig zur Drehrichtung und die posterior der Ebene 4 unterschichtung (Layer formation) (. Abb. 12.9)
der Drehachse gegensinnig zur Drehrichtung. Dabei ist die 4 Prallfüllung (. Abb. 12.9)
Strecke, um die sich die Struktur verschiebt, umso größer, je 4 Ausspüleffekt; Auswaschphänomen
größer der Drehwinkel ist und umso größer der Abstand der 4 fehlende Darstellung von Segmenten des tiefen Venen-
Struktur von der Ebene der Drehachse ist (. Abb. 12.1). systems
4 Gullmo-Zeichen (. Abb. 12.2)
Spezielle radiomorphologische Phänomene Die Phlebographie ist unbeschadet der großen Fort-
4 Teleskopzeichen (. Abb. 12.4) schritte der sonographischen Diagnostik immer noch
4 Reflux (. Abb. 12.3) eine wertvolle und unverzichtbare diagnostische Methode
4 infravalvuläre Dilatation: Das fehlende Teleskop- auch bei der Diagnostik und Therapie der Varikose. Sie
zeichen und eine leichte Ektasie unterhalb einer Schleu- ist eindeutig kein Instrument der Primärdiagnostik,
senklappe gilt bereits als Hinweis auf eine, allerdings sondern das Instrument zur Klärung spezieller Frage-
klinisch noch unbedeutende, Klappeninsuffizienz. stellungen. Der Einsatz der Phlebographie ist nur dann
12.1 · Phlebographie
107 12
. Abb. 12.1. Schematische Darstellung der
Lagebeziehungen der tiefen Unterschenkel-
venen und der VSP in unterschiedlichen Pro-
jektionen bei der Phlebographie. dargestellt
ist ein linkes Bein. 1 Vv. tibialis posteriores,
2 Vv. tibiales anteriores, 3 Vv. peroneae, 4 VSP
a = ap-Strahlengang
b = 25° Einwärtsdrehung
c = 30° Auswärtsdrehung
d = seitliche Projektion
a b c d
a b
108 Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
a b c
12
d e f
. Abb. 12.3. Darstellung von Refluxphänomenen in der ascen- Leistenniveau nach unvollständiger Crossektomie mit Abfluss über
dierenden Pressphlebographie. a Magnareflux bei komplette Mag- die Vv. pudendae externae zur Labia majora. e Reflux über einen ein-
nainsuffizienz. b Parvareflux. c Ausgedehnter Reflux im Leistenni- zelnen Crossenast. f Reflux über multiple dünne und feien Äste aus
veau nach unvollständiger Crossektomie. d Ausgedehnter Reflux im dem Crossenbereich, (fraglich) Neovarkularisation
12.1 · Phlebographie
109 12
. Abb. 12.4. Teleskopzeichen. Kalibersprung in der Region der . Abb. 12.6. Dow’sches Zeichen. Blow out-Phänomen im Ausfluss-
Schleusenklappen im crossennahen Bereich mit Verdämmern des bereich einer insuffizienten Perforansvene
Kontrastmittelstroms nach initialem Rückfluss mit Stopp
a b
110 Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
a b c
. Abb. 12.7. Insuffiziente Perforanvenen. a Perforans der rungen der Venenwand. b Insuffiziente Dodd’sche Perforans. c Insuf-
Cockett’schen Gruppe. Man beachte die Abweichung des Einstrahl- fiziente laterale Perforans aus dem Profundastromgebiet
winkels in die tiefen Venen und die morphologischen Verände-
12
. Abb. 12.8. Leitveneninsuffizienz, Ektasie, Knickbildung, . Abb. 12.9. Tiefe Beinvenenthrombose mit Radiergummi-
Klappeninsuffizienz phänomen
12.2 · Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT/MRA)
111 12
. Abb. 12.10. Strömungseffekte und unterschied-
liche Mischungs- und Dichteverhältnisse zwischen
KM-freiem und KM-gesättigtem Blut. Diese und der
Einstrom von KM-freiem Blut in ein KM-vermischtes
Gefäß können zu den unterschiedlichsten Strö-
mungsphänomenen führen, die zu Fehlinterpreta-
tionen Anlass sein können
Neben den hämodynamischen und sonographischen diag- dokumentiert wird. Für die Ödembeurteilung empfiehlt
nostischen Verfahren kann der Einsatz anderer, ergänzen- sich die Erfassung von zwei Umfangsmaßen am Unter-
der Verfahren notwendig oder wünschenswert sein. schenkel. Nicht geeignet für eine Verlaufsbeurteilung sind
die Maßangaben, wie sie für die Kompressionsstrumpfan-
passung verwendet werden (b- und c-Maß), da hier i.d.R.
13.1 Biometrie kein Referenzpunkt festgelegt und somit eine annähernd
genau Reproduzierbarkeit nicht gegeben ist.
Im Rahmen der Diagnostik bei Varikose sollten die Kör- Metrische Angaben zur Beinlänge sind nur bei offen-
pergröße und das Körpergewicht routinemäßig erfasst und sichtlichem Missverhältnis der beobachtetet Beinlängen
der Body-Mass-Index (BMI) bestimmt werden, da das empfehlenswert.
Übergewicht als isolierter Risikofaktor bei einer Vielzahl Geschätzte Angaben von Bewegungsmaßen sind im
von therapeutischen Entscheidungen von Bedeutung ist Rahmen der phlebologischen Befunderhebung i.d.R. aus-
(http://www.bmi-rechner.net/). reichend. Winkelmessungen sind nur im Zusammenhang
Umfangsmessungen an den Beinen, insbesondere als mit Begutachtungen notwendig (Neutral-Null-Methode).
Verlaufsdokumentation, geben eine gute Übersicht im Semiquantitative Angaben zu evtl. vorhandenen Bewe-
Hinblick auf die Ödemsituation. Umfangsmessungen wer- gungseinschränkungen und Fehlstellungen sind z. B. für
den jeweils an den gleichen Stellen durchgeführt. Hierzu die Einschätzung der Qualität der Fuß- und Wadenmus-
ist ein eindeutiger Referenzpunkt für die Bestimmung der kelpumpe durchaus sinnvoll.
Umfangslokalisation erforderlich. In der Regel wird als
Referenzpunkt der mediale Kniegelenkspalt empfohlen
bzw. in den Messblättern der Berufsgenossenschaften 13.2 Volumetrie
sogar vorgeschrieben. Im Einzelfall kann die eindeutige
Lokalisation des inneren Kniegelenkspaltes bei fettgewebs- Um die Ödemsituation an den unteren Extremitäten, ins-
reichen Beinen oder stark arthrotisch veränderten bzw. besondere in Form der Verlaufsbeurteilung unter Ödem-
deformierten Kniegelenken schwierig bis unmöglich sein. therapie, objektiv beurteilen zu können, wäre die Angabe
In diesen Situationen kann jeder beliebige, eindeutig defi- von absoluten Volumina erstrebenswert. Hierzu sind eine
nierbare Bezugspunkt gewählt werden, der entsprechend Vielzahl von Versuchen unternommen worden. Alle diese
Versuche kranken an dem methodischen Problem, dass
das wahre Volumen des gesunden Beines weder bekannt
13 . Tab. 13.1. Messung der Beine mit Bezug zu einem Refe- noch bestimmbar ist. Daher fokussieren sich alle verwen-
renzpunkt, entsprechend der BG-Vorgaben deten Methoden darauf, die Änderung der Volumina bzw.
von Surrogatparametern der Volumina bestimmter Seg-
Lokalisation Rechtes Linkes
mente des Beines zu bestimmen.
Bein Bein
Für die Volumenbestimmung an unregelmäßigen Kör-
Beinumfang in cm pern, wie z. B. dem menschlichen Bein, wurden metho-
20 cm oberhalb innerer Knie-
disch sehr unterschiedliche Vorschläge unterbreitet und
Gelenkspalt getestet.
4 einfache Umfangsmessungen als Analogparameter der
10 cm oberhalb innerer Knie-
Volumenänderung
Gelenkspalt
4 Tauchmethoden nach dem Prinzip des Archimedes
Kniescheibenmitte (Wasserplethysmographie)
15 cm unterhalb innerer Knie- 4 Durchmesserbestimmungen durch Schattenwurf in
Gelenkspalt Kombination mit der mathematischen Berechnung der
abhängigen Rotationskörper
Unterschenkel, kleinster Umfang
4 tomographische Methoden mit zirkulär angeordneten
Knöchel Lichtdioden
Rist über Kahnbein
4 multiple Umfangsmessungen in festen Abständen und
Summation der hieraus berechneten Einzelvolumina
Vorfußballen nach dem Prinzip des stumpfen Kegels.
Beinlänge in cm
Methodisch einleuchtend und scheinbar einfach ist die Sie geht davon aus, dass ein menschliches Bein in erster
Wasserverdrängungsvolumetrie: Ein Bein wird in ein spe- Näherung einen kreisförmigen Querschnitt aufweist. Teilt
zielles, mit Wasser gefülltes Gefäß getaucht und die Menge man ein Bein in eine gewisse Anzahl von Scheiben einer
des Wasserüberlaufs wird gemessen. Dieses Verfahren ist gewissen Länge ein, so ergeben sich zwei Möglichkeiten:
theoretisch einfach und einleuchtend, jedoch schwierig, 1. die Umfänge in der Scheibe bleiben gleich, was zur
umständlich und fehlerträchtig in der Anwendung. Die Geometrischen Form eines Zylinders führt
Reproduzierbarkeit der Messergebnisse ist schlecht. Art 2. die Umfänge sind ungleich, was im Ideal zur geometri-
und Geschwindigkeit des Eintauchens führen ebenso zu schen Form eines stumpfen Kegels führt
unterschiedlichen Messergebnissen wie die Körperhaltung
und die Wassertemperatur. Überschwappendes Wasser Aus den Umfängen und der Dicke der Scheibe lässt sich
verfälscht das Ergebnis, die genaue Bestimmung des Was- das Volumen berechnen. Die Summe der so bestimmten
serüberlaufes in Millilitern erfordert das Dekantieren in endlichen Zahl von Zylinder- bzw. Kegelvolumina ergibt
kleiner graduierte Messbecher etc. Alternative Volumen- ein Volumen, das, unter Beachtung der idealisierenden
bestimmungen über Steigrohre sind mit einem hohen Annahmen, ein Maß für das tatsächliche Volumen im ver-
technischen Aufwand verbunden und bedingen bei an- messenen Beinsegment ergibt. Die Änderung des Volu-
sonsten fehlerfreier Technik dennoch Ablesefehler von mens zwischen zwei Messungen soll dabei, unter Beach-
mehr als 5%. Einfacher ist die Volumenbestimmung durch tung des Messfehlers, dem wahren Wert der Volumenände-
Wiegen der verdrängten Wassermenge (1 l = 1 kg). Um- rung sehr nahe kommen. Auch dieses Verfahren ist metho-
ständliche Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen der disch aufwendig und für die Routine nicht geeignet. Das
Tauchbehälter nach Beendigung der Messreihe bedeuten Ergebnis einer solchen Volumenbestimmung unter Anga-
darüber hinaus einen hohen Arbeitsaufwand, so dass sich be eines bestimmten Wertes in Millilitern täuscht aufgrund
diese Methodik nicht durchsetzen konnte. der vielen idealisierenden Annahmen eine Genauigkeit
vor, die die Methode nicht hergibt.
Ähnlich wird bei Verfahren vorgegangen, die auf un-
terschiedliche Art und Weise, apparativ unterstützt, seg-
116 Kapitel 13 · Sonstige diagnostische Verfahren
Literatur
. Tab. 13.2. Beispiel einer Checkliste Fotodokumentation Bahmer FA, Schwichtenberg U (2000) Effiziente Bestimmung der
Fläche von Ulcera und Wunden mittels Punktzählmethode.
Checkliste Fotodokumentation Phlebologie 29:33-36
Standort: Raum 11 Kersting R (1978) vergleichende Volumenbestimmung der Beine
Detailaufnahme Ulcus cruris gesunder Probanden. Inaugural Dissertation, Bonn
Orbach H (1971) Medizinische Fotografie und Kinematografie.
1 Patient: liegend Thieme, Stuttgart
Röhlig HW (2005) Aktualisierte gesetzliche Bestimmungen zur Fo-
2 Bein: aufliegend
todokumentation. Hartmann Wundforrum 1:5-7
3 Schild: proximal
4 Beschriftung: EDV-Nr.
5 Unterlage: blau
9 Übersicht: mindestens 1
10 Detail: mindestens 1
11 Flächenmessung: +
12 Einstellung: Digital-Macro
13 Blitzfunktion: aus
14 Raumbeleuchtung: ein
15 Bildformat: Hochformat
16 Tagesdatum: ein
17 Kameraabstand: 1 m
13
III Klinik und Indikations-
stellungen bei Varikose
14 Beschwerdebild bei Varikose – 123
J. Noppeney
18 Rezidivvarikose – 197
T. Noppeney, H. Nüllen, S. Rewerk
Ein typisches Beschwerdebild, das nur der primären Va- tienten toleriert, weil er die Varikosis nicht als störend
rikose zugeordnet werden kann und das insgesamt oder empfindet und nicht als Krankheit realisiert.
teilweise bei der Varikose obligat vorkommt, gibt es nicht. Eine Störung der Befindlichkeit kann in vielerlei Hin-
Dies belegen die unterschiedlichen Angaben der Patien- sicht entstehen. Dies reicht von der Störung der Ästhetik
ten in der täglichen Praxis, wie auch die verschiede- und des Lifestyles bis hin zur Beeinträchtigung des körper-
nen Angaben in der Literatur zu diesem Thema. In der lichen Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit. Werden
Baseler Studie gaben 2/5 der Männer und 3/4 der Frauen in einem oder mehreren dieser Bereiche Störungen aus-
ohne nachweisbare Varizen Beschwerden in den Beinen gelöst, wird der Patient den Arzt aufsuchen und über
an. Symptome klagen. Daneben sind die Patienten zu sehen,
Beinbeschwerden stellen häufig ein mehrschichtiges die wegen der Varikose noch keine Beeinträchtigung emp-
Problem dar. Patienten mit Beinbeschwerden weisen häu- finden, diese jedoch für die Zukunft befürchten.
fig mehrere Diagnosen auf, sodass die Differenzierung Bei der Zuordnung von Beschwerden zu einem be-
und Zuordnung der einzelnen Symptome zu den jewei- stimmten Pathomechanismus bei Varikose kommen in
ligen Krankheitsbildern sehr schwierig sein kann. Zur Betracht:
Unterscheidung stellt man das Gesamtbeschwerdebild den 4 lokale Dehnungsreizungen
am häufigsten vorkommenden Diagnosen gegenüber. Zu 4 großes Refluxvolumen
den häufigsten Beinbeschwerden zählen: 4 venöse Hypertonie mit Ödemneigung
4 unregelmäßig auftretende Schmerzen in den Beinen
4 Juckreiz Die hierzu passenden Symptome können sein:
4 Parästhesieen 4 lokale Schmerzen im Bereich der Varizen
4 Spannungs- und Schweregefühle 4 ödemassoziierte Beschwerden wie Juckreiz, Schwere-
4 müde Beine gefühl,
4 Brennen in den Beinen und Füßen 4 Spannungsschmerzen, gelegentlich auch Parästhesieen,
4 nächtliche Muskelkrämpfe 4 nächtliche Wadenkrämpfe
4 unruhige Beine
4 Hitze- und Kältegefühl Alle übrigen Beschwerden sind nicht allein der Varikose
4 ziehende und/oder stechende Schmerzen in den zuzuordnen. Die sog. »typischen« Beschwerden treten nur
Beinen dann auf, wenn die Funktionsstörung als Folge der Vari-
kose nicht mehr kompensiert wird.
Diese vielfältigen, in den unterschiedlichen Kombinatio- Wichtig für den Arzt in der Sprechstunde ist es, dem
nen vorkommenden und nicht charakteristischen Beinbe- Patienten zu verdeutlichen, dass die Therapiebedürftigkeit
schwerden können einer Reihe unterschiedlichster Diag- der Varikose nicht allein von der Intensität des Beschwer-
14 nosen zugeordnet werden: debildes abhängig ist. Die Indikation zu einem bestimmten
4 Varikose therapeutischen Vorgehen ergibt sich aus der zum Zeit-
4 Ödeme punkt der Untersuchung vorherrschenden hämodyna-
4 Polyneuropathie mischen Situation und den morphologischen Verände-
4 LWS-Syndrom rungen.
4 Restless-leg-Syndrom Dies bedeutet, dass auch Patienten mit fehlendem oder
4 Psychosomatische Erkrankungen geringem Beschwerdebild einer Sanierung der Varikose
5 psychovegetatives Syndrom zugeführt werden sollten, um den zeitabhängigen Kompli-
5 Depressionen kationen und Spätfolgen der Varikose vorzubeugen.
4 Schmerzsyndrom anderer Ursache Auch die ästhetisch störende Varikose, die häufig die
5 Arthrosen Lebensqualität der meist weiblichen Patienten einschränkt,
5 Arthritis ist unabhängig vom klinischen Beschwerdebild behand-
5 rheumatischer Formenkreis lungsbedürftig.
5 Meralgie Das Beschwerdebild bei Varikosis bedarf immer der
5 Myalgien differentialdiagnostischen Abgrenzung gegenüber ande-
ren Ursachen für Beschwerden im Bereich der Beine. Be-
Das Beschwerdebild bei bestehender Varikose variiert sehr lastungsabhängige Schmerzen verlangen nach dem Aus-
stark. Patienten mit monströsen Krampfaderbefunden schluss einer Arteriellen Verschlusskrankheit (AVK).
können häufig völlig beschwerdefrei sein, während Patien- Die Differentialdiagnosen liegen vornehmlich auf in-
ten mit geringfügigen Varizen über heftigen Beschwerden ternistischem, neurologischem und orthopädischem Ge-
klagen. Häufig wird ein mäßiges Beschwerdebild vom Pa- biet. Bestehen neben der Varikose eine oder mehrere Be-
14 · Beschwerdebild bei Varikose
125 14
15 Klassifikationen,
Stadieneinteilungen,
Graduierungen und Scores
H. Nüllen, T. Noppeney
Bewertung Das Ergebnis einer Klassifikation muss in Unter primären Varizen versteht man diejenigen Vari-
einer stets nachvollziehbaren und immer gleichen, reprodu- zen, die durch konstitutionell bedingte Faktoren vorliegen.
zierbaren, Bewertung münden. Die Klasse muss beim An- Die primäre Varikosis wird als degenerative Erkrankung
wender eine eindeutige und klinisch verwertbare Vorstel- der suprafaszialen, intrakutanen und subkutanen Venen
lung auslösen. Auf die dynamische Funktion einer guten verstanden.
Klassifikation wurde bereits verwiesen. Strittig ist, ob es
gerechtfertigt ist mit bestimmten Klassifizierungen, Stadi- Sekundäre Varikosis Synonym: Komplizierte Varikosis;
en etc. Standardtherapieoptionen zu verbinden. Es gibt Kompensatorische Phlebektasien
durchaus gelungene Beispiele für eine solche Vorgehens- Sekundäre Varizen entstehen als Folge einer mecha-
weise, z. B. in der Kardiologie. nischer Behinderungen des venösen Rückstromes mit Bil-
Die hier dargestellten Klassifikationen und Scores wur- dung eines Kollateralkreislaufes, meist nach tiefer Beinve-
den unter dem Gesichtspunkt des Generalthemas Varikose nenthrombose.
ausgewählt. Die Zusammenstellung ist weder vollständig
noch wertet die Auswahl der einzelnen Klassifikationen im
Hinblick auf die klinische Bedeutung der Klassifikation 15.1.3 Bewertung
bzw. die Notwendigkeit ihrer Anwendung. Man kann je-
doch, ohne prophetische Fähigkeiten zu besitzen, vor- Unter »normalen« Bedingungen ist die Zuordnung einer
hersagen, dass die Notwendigkeit bzw. Verpflichtung Varikosis zur Klassifikation primär oder sekundär unprob-
zum Einsatz von Klassifikationen, Stadieneinteilungen, lematisch. Selbst Mischformen können meist, zumindest
Schweregradskalen etc. in der täglichen klinischen Routine anamnestisch, weitgehend differenziert und zugeordnet
weiter anwachsen wird. werden. Nicht klar ist hingegen die Zuordnung der Schwan-
Eine Bewertung der verfügbaren Instrumente zur gerschaftsvarikose und der Varikose bei Angiodysplasien
Klassifikation in der Phlebologie, im Hinblick auf den Nut- und entsprechend wird dies unterschiedlich beschrieben.
zen, muss noch erfolgen. Welche Irrungen und Wirrungen Wir selbst behandeln die Schwangerschaftsvarikose und
mit einer Dokumentation um der Dokumentation Willen die Varikose bei Angiodysplasien als eigenständige Enti-
durchschritten werden können, ist am Beispiel des G-ICD täten und nehmen eine Zuordnung zu primärer und se-
abzulesen. Es muss in den Maßnahmen zur Klassifizierung kundärer Varikosis hierbei nicht vor.
außerhalb des wissenschaftlichen Anspruches auch ein
Nutzen für den Patienten und für die Sozialgemeinschaft Literatur
erkennbar sein. Eine Dokumentationsverpflichtung darf Hach W (2006) VenenChirurgie. Schattauer Verlag Stuttgart New York
Nüllen H, Varikose (2007) In: Luther B. (Hrsg.) Kompaktwissen Gefäß-
nicht zur Strafe verkommen.
chirurgie. Springer Verlag Heidelberg
May R (1974) Die Chirurgie der Beinvenen. In: Heberer, Rau, Schoop
(Hrsg.). Angiologie Thieme Verlag Stuttgart
15.1 Ätiologische Klassifikation Rabe E (2003) Chronische Venenerkrankungen. In: Rabe E. (Hrsg.)
15 Grundlagen der Phlebologie. Viavital Verlag Köln
15.1.1 Historie
Der deskriptiv nosologische Begriff der Varikose ist seit 15.2 Anatomische Klassifikation
jeher die Bezeichnung für eine unregelmäßige degenera-
tive Erweiterung von epifaszialen Venen (lat. varicosus = 15.2.1 Historie
knotig). Die Unterscheidung von Fällen ohne und mit
einer erkennbaren äußeren Ursache führte zwangsläufig zu Die wesentlichen Kriterien für die Unterscheidung und
einer Unterscheidung von hereditären und erworbenen Typisierung bei Varizen liegen in der anatomischen und
Formen. physiologischen Hierarchie des jeweiligen Abschnittes in-
Die Definition ist eingeführt und unstrittig. Sie hat auch nerhalb des Gefäßsystems, der Lokalisation und dem Ka-
Eingang gefunden in neuere, komplexe Klassifizierungssys- liber. Unter anatomischer Klassifikation versteht man
teme wie z. B. die CEAP-Klassifikation (7 Abschn. 15.4). somit, die Benennung unterschiedlicher Venen- bzw. Vari-
zen-Typen.
15.1.2 Definition
. Tab. 15.1
Epifasziale Venen = Oberflächliches Epifascial veins = superficial veins Venen die ohne festen Bezug zum Fasziensystem
Venensystem in der amorphen subkutanen Fettschicht verlaufen
Interfasziale Venen Interfascial veins Unter den interfaszialen Venen versteht man die
Saphena-Stämme
Subfasziale Venen = tiefe Venen Deep veins Alle Venen innerhalb der durch eine Muskelfaszie abge-
trennten Kompartimente.
Stammvenen-Varizen Saphenous trunk Variköse Veränderungen im Verlauf der VSM und der VSP.
s. a. komplette und inkomplette Stammveneninsuffizienz
Perforans-Varizen Perforators
Kutane Varikosis
15 . Tab. 15.2. Klinische Klassifikation der primären Varikose Die Versuche eine klassifizierende Ordnung in die viel-
fältigen Erscheinungsformen der Erkrankungen des ve-
Grad Definition nösen Systems zu bringen, sind unbeschadet der langen
1 Krampfadern Geschichte der Behandlung venöser Erkrankungen, erst ab
Beschwerden: keine (wesentlichen), den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu verfolgen. Auf die
Komplikationen: keine Probleme der Baseler Arbeitsgruppe um Widmer, die Viel-
2 Krampfadern falt der Erscheinungen in eine verkürzte Aussage zu ver-
Beschwerden: Dysästhesien, Juckreiz, Schwere- dichten, sei erneut verwiesen (7 Abschn. 15.3.1), aber auch
gefühl, Spannungsgefühl, leichte Schwellneigung, erste Versuche aus den USA (Porter 1988) sind an diesem
Wadenkrämpfe, Schmerzen usw.
Komplikationen: keine Problem letztlich gescheitert. Wiederum andere fanden
nicht die notwendige publizistische Verbreitung bzw. sind
3 Krampfadern
Beschwerden: wie Grad 2, jedoch stärker ausgeprägt
an der Akzeptanz gescheitert (s. a. Bergan 1999). Die Unzu-
Komplikationen: trophische Hautstörungen (Indura- länglichkeiten des ersten Reports wurden schließlich 1994
tion, Pigmentierungen, Dermatitis, Ekzem, Atrophie; unter der Leitung des American Venous Forum (Hawaii
ggf. Ulkusnarben); ggf. Varikophlebitis. classification) dahingehend korrigiert, dass die getroffenen
4 Krampfadern Definitionen auch in einer verwertbaren Codierung umge-
Beschwerden: wie Grad 3 setzt wurden (Porter 1995, Bergan 2001). Klar erkennbares
Komplikationen: wie Grad 3, jedoch stärker aus-
Ziel des mit der definitorischen Arbeit betrauten Komitees
geprägt; florides Ulcus cruris
war es, ein umfassendes Klassifikationssystem zu schaffen,
15.4 · CEAP-Klassifikation
133 15
welches den gesamten Bereich der venösen Erkrankungen 4 Einführung des Deskriptors n = no venous abnorma-
umfasst. So ist das von den Autoren 1995 publizierte System lity für die Klassen E-, A- und P
der CEAP-Klassifikation anwendbar bzw. »gültig« für 4 Empfehlung die CEAP-Klassifikation jeweils bei
4 Varikose neuer Festlegung mit dem Erstellungsdatum zu hin-
4 Chronisch venöse Insuffizienz (der unteren Extremi- terlegen
täten) 4 Empfehlung einen »Level of investigation« bei jeder
4 Sie ist auch anwendbar auf thromboembolische Ve- neuen Klassifikation anzugeben
nenerkrankungen 4 Entwicklung einer vereinfachten Dokumentation mit-
tels der Basis-CEAP-Klassifikation.
Die Klassifikation wurde allein bis Februar 1997 weltweit
in mehr als 20 prominenten Journalen durch die Gruppe
der Initiatoren publiziert (Bergan 1999). Die CEAP-Klas- 15.4.2 Definition
sifikation hat sich, sicherlich nicht zuletzt deshalb, seither
weltweit als anerkannter Standard für die wissenschaftliche Die Extremitäten mit einer chronischen Venenerkrankung
Klassifikation bei Erkrankungen des venösen Systems sollen klassifiziert werden unter Berücksichtigung von 4
durchgesetzt. Kategorien:
Bei dem weltweiten Erfolg der CEAP-Klassifikation 1. Klinische Zeichen (C)
wird häufig vergessen, dass es sich um die Niederschrift 2. Ätiologische Klassifikation (E)
von Expertenmeinungen handelt. Die Klassifikation wur- 3. Anatomische Verteilung (A)
de vor der Publikation keinem Praxistest unterzogen 4. Pathophysiologische Bedingungen (P)
(Bergan 1999)
In 2004 wurde eine weitere Revision der CEAP-Klassi- Weitere Details und Schweregrade werden als tiefgestellte
fikation publiziert. Die Revision bezieht sich auf Indizes an die jeweiligen Kategorie-Bezeichnungen ange-
4 die Einführung eindeutiger Begriffsdefinitionen hängt. Die weiteren Details erschließen sich aus der nach-
4 Verfeinerung der C-Klassen folgenden Tabelle.
C Clinic signs:
Beine mit chronischer Venenerkrankung werden klassifiziert in klinischen Klassen 0-6 in Abhängigkeit von objektiven
klinischen Zeichen. Darüber hinaus wird nach asymptomatisch und symptomatisch unterschieden.
S Symptomatisch (inkl. Schmerzen, Engegefühl, Hautirritationen, Schweregefühl und Muskelkrämpfe sowie anderen
Beschwerden, die auf eine venöse Störung zurückzuführen sind.
6
134 Kapitel 15 · Klassifikationen, Stadieneinteilungen, Graduierungen und Scores
A Asymptomatisch
Ec Congenital = kongenital
Ep Primär
Es Sekundär (postthrombotisch)
Ap Perforans Venen
P Pathophysiologische Klassifikation
Ursache der Beschwerden sind:
Pr Reflux
Po Obstruktion
15 Die vereinfachte Form der CEAP-Klassifikation (basic- den sind. Daraus ergibt sich dann notwendigerweise im-
CEAP) verzichtet auf die ausführliche Zuordnung der pa- mer ein Überwiegen des Klientels, das ausgesucht wurde.
thologischen Veränderungen (. Tab. 15.4). So fand sich bei ersten Testanwendungen der Klassifika-
tion ein deutliches Überwiegen der klinischen und ana-
tomischen Klassifikationspunkte, die ohne technische Un-
15.4.3 Bewertung tersuchungen erkennbar waren. Die Klassifikation zeigte
also, was man sehen konnte. Dies ist eine zwangsläufige
Die CEAP-Klassifikation wurde entwickelt und publiziert Folge der Anwendung einer Klassifikation unter rein kli-
unter dem Gesichtspunkt, ein Maß für die Vergleichbarkeit nischen Kriterien, die nicht rein klinisch definiert ist.
von Fällen in wissenschaftlichen Untersuchungen im Hin- Die amerikanische Society for Vascular Surgery för-
blick auf die Zusammensetzung und auch auf die Ergeb- derte ein Studie zu SEPS. Bei der Registration wurde die
nisse von ggf. vorgenommenen Interventionen zu haben. CEAP-Klassifikation als zu schwierig und umständlich in
Sie ist aber keine rein klinische Klassifikation und ver- der Anwendung empfunden und man beschränkte sich auf
langt daher bei der vollständigen Anwendung der Doku- die Anwendung von C4 bis C6 (Iafrati 1994).
mentation Informationen, die nur durch sehr detaillierte Zusammenfassend ist festzustellen, dass an einer kon-
Untersuchungen technischer Art zu erlangen sind. Bergan sequenten Anwendung der CEAP-Klassifikation in wissen-
weist mit Recht darauf hin, dass diese selbst bei korrekt schaftlichen Untersuchungen wohl kein Weg vorbeiführt.
dokumentierten, wissenschaftlichen Untersuchungen, je Die Frage, ob die Anwendung unter klinischen Alltagsbe-
nach Design der Studie, nicht immer vollständig vorhan- dingungen, fernab wissenschaftlicher Ambition notwen-
15.5 · Venous Clinical Severity Score (VCSS)
135 15
Eklöf B, Rutherford RB, Bergan JJ, Carpentier PH, Gloviczki P, Kistner RL,
. Tab. 15.4. Klassifikation der Lokalisation für die fortge- Meissner MH, Moneta GL, Myers K, Padberg FT, Perrin M, Ruckley
schrittene CEAP-Klassifikation CV, Smith PC, Wakefield TW (2005) Revision der CEAP-Klassifika-
tion für chronische Venenleiden. Consensus Statement. Phlebo-
Oberflächliche Venen logie 34:220–225
Iafrati MD, Belkin M, O’Donnell T (1994) Correlation of venous nonin-
1 Teleangiektasien/Besenreiser/Retikuläre Venen
vasive tests with the SVS/ISCVS clinical classifikation of cronic
2 VSM – OS venous insufficiency. J Vasc Surg 19:1001–1007
Porter JM, Moneta GL (1995) and an International Consensus Commit-
3 VSM – US tee on Chronic Venous Disease. Reporting standards in venous
disease: An update. J Vasc Surg 21:635–45
4 VSP
Porter JM, Rutherford RB, Claget GP, Cranley JJ, O’Donnel TF, Raju S,
5 Seitenäste Zierler RE, Browse N, Nicolaides A (1988) Reporting standards in
venous disease. J Vasc Surg 8:172–81
Tiefe Venen Rutherford RB, Padberg FT, Comerota AJ, Kistner RL, Meissner MH,
Moneta GL (2000) Venous severity scoring: An adjunct to venous
6 Vena cava inferior
outcome assessment. J Vasc Surg 31:1307–1312
7 Vena iliaca communis
1 Schmerz keine gelegentlich, keine Ein- ständig, geringe Ein- täglich, deutliche Ein-
schränkungen, kein schränkungen, gelegent- schränkungen, regel-
Bedarf an Analgetika lich Analgetika mäßig Analgetika
4 Pigmentationenc keine oder fokal Diffus, aber disseminiert diffus in gamaschen- großflächige Verteilung
von geringer und alt (braun) artiger Verteilung (unteres (mehr als unteres Drittel)
Intensität Drittel) oder junge und junge Pigmenta-
Pigmentation rötlich tionen
6 Induration keine focal; perimalleolar medial oder lateral, mindesten das untere
(< 5 cm) weniger als das untere Drittel des Beines oder
Drittel des Beines mehr
8 Dauer der keine < 3 Monate > 3 Monate, < 1 Jahr > 1 Jahr
Ulzeration
10 Kompressions- keine oder keine gelegentliches Tragen überwiegendes Tragen volle Compliance
therapie Compliance von Kompressions- von Kompressions-
strümpfen strümpfen
a Varizen müssen einen Durchmesser von > 4 mm aufweisen
b Das Ödem soll charakteristisch sein für eine venöse Ursache (fest, nicht körnig oder schwammig) mit einem deutlichen Effekt auf
aufrechten Stand bzw. Hochlagerung und/oder klinisch erkennbare venöse Ätiologie (Varizen oder TVT in der Vorgeschichte); das
Ödem soll regelmäßig auftreten, gelegentliche oder ganz diskrete Ödeme gelten nicht als bemerkenswert im Sinne der Klassifikation
c Fokale Pigmentationen im Bereich von Varizen gelten nicht als Pigmentation i. S. der Klassifikation.
d Größte Ausdehnung/Durchmesser des größten Ulkus
15.6 · Venous Disability Score (VDS)
137 15
Die Anwendung scheint bei der Abgrenzung und Fest- auf die Tätigkeit bzw. Leistung zu beziehen, die der Er-
legung von 30 Kriterien auf den ersten Blick schwierig aber krankte vor Beginn seiner Erkrankung in der Lage war zu
lösbar. Zurzeit dürfte es sich beim VCSS um das einzige erbringen.
vernünftige Instrument zur Beurteilung des klinischen
Schwergrades bei venösen Erkrankungen handeln.
15.6.2 Definition
Literatur
Nicolaides AN (1996) members of executive committee. Classification
and grading of cronic venous disease in the lower limbs: a con- . Tab. 15.6. Venous Disability Score
sensus statement. In: Gloviczki P and Yao JST Handbook of Venous
Disorders 1nd Edition. London Chapmann and Hall 652–60 Score Venous Disability Score (VDS)
Porter JM, Moneta GL (1995), and an International Consensus Commit-
tee on Chronic Venous Disease. Reporting standards ins venous 0 Asymptomatisch
disease: An update. J Vasc Surg 21:635–45
1 Symptomatisch, aber ohne Kompressionsmaß-
Porter JM, Rutherford RB, Claget GP, Cranley JJ, O’Donnel TF, Raju S,
nahmen in der Lage, die üblichen körperlichen
Zierler RE, Browse N, Nicolaides A (1988) Reporting standards in
Aktivitäten zu bewältigen.
venous disease. J Vasc Surg 8:172–81
Rutherford RB, Padberg FT, Comerota AJ, Kistner RL, Meissner MH, 2 Symptomatisch, aber nur mit Kompressionsmaß-
Moneta GL (2000) Venous severity scoring: An adjunct to venous nahmen oder Hochlegen der Beine in der Lage, die
outcome assessment. J Vasc Surg 31:1307–1312 üblichen körperlichen Aktivitäten zu bewältigen.
Rutherford RB, Padberg FT, Comerota AJ, Kistner RL, Meissner MH,
Moneta GL (2001) Venous outcome assessment. In: Gloviczki P 3 Nicht in der Lage, die üblichen körperlichen Aktivi-
and Yao JST Handbook of Venous Disorders 2nd Edition. Arnold täten zu bewältigen, auch unter Zuhilfenahme von
London New York New Delhi Kompressionstherapie oder Hochlegen der Beine
15.6.1 Historie
15.6.3 Bewertung
Der Venous Disability Score (VDS) entspringt dem Be-
dürfnis eine gestaffelte und standardisierte Beurteilung des Dieser Score ist nur bedingt auf deutsche Verhältnisse zu
Leistungsvermögens von Patienten mit Venenerkrankun- übertragen. Für die Beurteilung eines Therapieergebnisses
gen zu ermöglichen. kann der Score jedoch ein allerdings grobes Raster bieten.
Im deutschen Sprachraum ist eine derartige Klassifika- Man muss aber bedenken, dass Klassifikationen, die die
tion in der Vergangenheit nicht entwickelt worden, wobei Leistungsfähigkeit des Bewerteten beinhalten, zumindest
man unterstellen kann, dass sicherlich ein Zusammenhang in Deutschland, immer auch versicherungsrechtliche Im-
mit den in Deutschland geltenden komplexen sozialrecht- plikationen bedingen. Die hier genannte Klassifikation
lichen Bestimmungen besteht. Unbeschadet dessen ist es ist mit den differenzierten Bewertungen im deutschen Ver-
sicherlich wünschenswert, über ein standardisiertes Ins- sicherungsrecht (AU, BU, EU, Verweis auf Tätigkeiten des
trument für die Beurteilung der Entwicklung der Leis- allgemeinen Arbeitsmarktes, Unterschiede im Rentenrecht
tungsfähigkeit, sowohl im Spontanverlauf der Erkrankung, und im Versorgungsrecht etc.) nicht in Einklang zu
als auch im Zusammenhang mit Therapiemaßnahmen zu bringen.
verfügen.
Der VDS wurde ursprünglich zusammen mit der Literatur
CEAP-Klassifikation entwickelt und publiziert. In 2000 Fritze J, Mehrhoff F (Hrsg.) (2007) Die ärztliche Begutachtung. Stein-
kopf Darmstadt
schlugen Rutherford u. a. als Ergebnis der Arbeit des
Nicolaides AN (1996) members of the executive committee. Classifica-
ad hoc Committee on Venous Outcomes Assessment des tion and grading of chronic venous disease in the lower limbs:
American Venous Forum eine definitorische Modifika- a consenus statement. In: Glowiczki P, Yao JST, editors. Handbook
tion vor, die sich auf die Definition der Arbeit bzw. Tätig- of venous disorders. London: Chapman and Hall 652–60
keit der jeweils bewerteten Personen bezog. Wurde ur- Rutherford RB, Padberg FT, Comerota AJ, Kistner RL, Meissner MH,
Moneta GL (2000) Venous severity scoring: An adjunct to venous
sprünglich für Score 2 die Fähigkeit zur Ableistung eines
outcome assessment. J Vasc Surg 31:1307–1312
8-stündigen Arbeitstages unterstellt und in Score 3 die ge- Verband deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.) (2003) Sozial-
nerelle Fähigkeit zur Arbeit (Tätigkeit) erfragt, so schlugen medizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversiche-
Rutherford et al. vor, diese Frage der Fähigkeit zur Arbeit rung. 6. Aufl. Springer Heidelberg
138 Kapitel 15 · Klassifikationen, Stadieneinteilungen, Graduierungen und Scores
Grad 1 Insuffizienz der Mündungsklappen » … Schließlich kann es sich auch um eine allgemeine
Grad 2 Insuffizienz der Venenklappen mit retrogradem
venöse Insuffizienz der Beine ohne stärkere Varikose und
Blutstrom bis oberhalb des Knies ohne vorausgegangene Thrombose handeln;
eine solche Insuffizienz, die durch hereditär bedingte
Grad 3 Insuffizienz der Venenklappen mit retrogradem
Blutstrom bis unterhalb des Knies Bindegewebsschwäche hervorgerufen oder durch starke
berufliche Anforderungen in besonderem Maße provo-
Grad 4 Insuffizienz der Venenklappen mit retrogradem
Blutstrom bis zur Knöchelregion ziert wurde, nennen wir »chronisch venöse Insuffizienz«
(CVI) … .« (Hach, 2006).
Vena saphena parva
Grad 1 Insuffizienz der Mündungsklappen Ursprünglich wurde der Begriff der CVI geprägt für die
Grad 2 Insuffizienz der Venenklappen mit retrogradem
nicht ohne weiteres erklärbaren venösen Insuffizienzen,
Blutstrom bis zur Wadenmitte wobei es sich wahrscheinlich um die Leitveneninsuffizienz
gehandelt haben dürfte.
Grad 3 Insuffizienz der Venenklappen mit retrogradem
Blutstrom bis zur Knöchelregion Der Begriff der CVI ist also älter als die Graduierung,
die offensichtlich später von Widmer hinzugefügt wurde.
15.9 · Sklerose-Faszien-Score nach Hach
139 15
15.8.2 Definition 15.9 Sklerose-Faszien-Score nach Hach
Literatur
Hach W (2006) VenenChirurgie. Schattauer Verlag Stuttgart New York
2006;
Porter JM, Moneta GL (1995) and an International Consensus Commit-
tee on Chronic Venous Disease. Reporting standards in venous
disease: An update. J Vasc Surg 21:635–45
142 Kapitel 15 · Klassifikationen, Stadieneinteilungen, Graduierungen und Scores
Literatur
. Tab. 15.11. Klassifikation der Varikophlebitis Bergqvist D, Jaroszewski H (1986) Deep vein thrombosis in patients
with superficial thrombophlebitis of the leg. BMJ 292: 658
Typ Bezeichnung Noppeney T, Noppeney J, Winkler M, Kurth I (2005) Akute Throm-
bophlebitis – eine unterschätzte Gefahr! Gefäßchirurgie 10:
1 Seitenastvarikophlebitis 51–54
Zusatz- Noppeney T, Noppeney J, Winkler M, Kurth I (2006) Strategien zur
code Antikoagulation und Operation bei akuter Thrombophlebitis.
Zentralbl Chir 131:51–56
a Unterschenkel Nüllen H (1996) Ist die Krampfadererkrankung ein Risikofaktor für
das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose und ergibt sich
b Oberschenkel daraus ggf. eine Indikation zur prophylaktischen Operation einer
Krampfadererkrankung? Gefäßchirurgie 2:116–117
c Unter- und Oberschenkel
Nüllen H, Noppeney T, Kamphausen U, Noppeney J, Nielen C, Winkler M,
d Perforansvene Falkenburg PM (2008) Klassifikation der Varikophlebitis. Gefäßchi-
rurgie 13:55–58
x Beteiligung des tiefen Venensystems Verrel F, Steckmeier B, Parzhuber A, Spengel FA, Rauh G, Reininger CB
(1999) Die aszendierende Varikophlebitis. Gefäßchirurgie 4:
2 Segmentale Stammvenenvarikophlebitis
13–19
Zusatz- Verrel F, Ruppert V, Spengel FA, Steckmeier B (2001) Stadiengerechtes
code Therapiekonzept bei aszendierender Varikophlebitis. Zentralbl
Chir 126:531–536
M VSM
P VSP
15
15.13 Periphere Ödeme ebenso wenig einen Treffer wie die Durchsicht alter und
neuer Lehrbücher aus dem Bereich Gefäßchirurgie, An-
15.13.1 Historie giologie oder Phlebologie. Zwar finden sich Einteilungs-
versuche im Hinblick auf akute und chronische Prozesse,
Periphere Beinödeme sind im Zusammenhang mit unter- reversible und irreversible Ödeme sowie primäre bzw. se-
schiedlichen klinischen Stadien der Varikose häufig anzu- kundäre Ödeme. Eine Klassifikation, bzw. Beschreibung
treffen. Eine Klassifikation der Beinödeme nach Schwere- von Ödemen im Sinne einer Quantifizierung, wird jedoch
graden ist bislang nach unserer Kenntnis nicht beschrie- meist nur im Zusammenhang mit Umfangsmessungen
ben, so dass i.d.R. mehr oder weniger fantasiereiche, des- und volumetrischen Verfahren unternommen. Sieht man
kriptive Darstellungen der peripheren venösen Ödeme einmal davon ab, dass derartige Verfahren bei beidseitigem
üblich sind. Die Recherche in der Originalliteratur ergibt Prozess versagen, weil die Vergleichbarkeit mit dem patien-
15.13 · Periphere Ödeme
145 15
tentypischen Normalbefund fehlt, so sind sie an mehr oder
weniger aufwendige technische Maßnahmen gebunden. . Tab. 15.12. Ödemscore
Die einer klinischen Einteilung immanente Bewertung des Grad 0 Klinisch unauffälliger Befund
Prozesses kann hiermit nicht erreicht werden. bzw. normales, physiologisches zirkadianes Ödem.
Die Autoren haben den Versuch unternommen, basie-
Grad 1 Geringes Ödem
rend auf der täglichen klinischen Erfahrung, einen ein- prätibiale, geringe Dellenbildung im Fingerdruck-
fachen Ödemscore zu definieren. versuch; retromalleolare Kulissen und Fuß frei von
Ödem oder bei starker Druckausübung gerade
nachweisbar. Haut noch faltbar.
15.13.2 Definition Grad 2 Deutliches Ödem
deutliche Dellenbildung im Fingerdruckversuch;
Graduierung der klinischen Schweregrade von Bein- deutlich nachweisbares Kulissen-Ödem, Beteili-
ödemen – Ödemscore gung des Vorfußes, Haut nicht mehr oder nur
grob faltbar.
4 Die Klassifizierung bezieht sich ausschließlich auf die
Ödeme der unteren Extremitäten. Grad 3 Erhebliches Ödem
4 Generalisierende Ödeme, wie z. B. das Idiopathische erhebliche Dellenbildung im Fingerdruckversuch,
die Ödemeinlagerung hat den gesamten Unter-
Ödem und Ödeme der oberen Extremitäten bleiben
schenkel u.U. mit Beteiligung der Knieregion
unberücksichtigt, bzw. werden nur in Bezug auf die erfasst, die retromalleolare Kulisse ist verstrichen,
Ödemlokalisation »Untere Extremitäten« erfasst, bzw. der gesamte Vorfuß u.U. einschließlich Zehen ist
ggf. in einer Zusatzkodierung angegeben. beteiligt. Die Haut ist nicht mehr faltbar.
4 Fokale Ödeme sind nicht berücksichtigt. Grad 4 Gravierendes Ödem
4 Die Bezeichnung lautet: Schweregrad der Beinödeme tiefe Dellenbildung im Fingerdruckversuch, die
= Grad Ödemeinlagerung hat den gesamten Unterschen-
4 Die Graduierung ist rein deskriptiv und folgt aus- kel ggf. mit Beteiligung der Knieregion und des
schließlich klinischen Kriterien ohne Berücksichtigung Oberschenkel erfasst, die retromalleolare Kulisse
ist verstrichen, der gesamte Vorfuß, ggf. unter
der Ergebnisse technischer Untersuchungen. Ballonierung des Fußrückens, und die Zehen sind
4 Das mit den Ödemen ggf. einhergehende Beschwerde- an der Ödemeinlagerung beteiligt. Unter Umstän-
bild bleibt unberücksichtigt. den sind Glanzhaut und Hypodermitis nachweis-
4 Die Ätiologie des Ödems bleibt unberücksichtigt. bar, die Haut ist nicht mehr faltbar; die Beweglich-
4 Die Graduierung umfasst: keit im Oberschenkelgelenk ist eingeschränkt und
im passiven Elevationsversuch ist ein Abblassen
5 den Normalzustand der gestauchten Haut nachweisbar.
5 vier klinische Stadien.
4 Die Graduierung wird getrennt für das rechte und das
linke Bein festgelegt. Zusatzcodierung
4 Die Dokumentation des Ödem-Scores folgt der For- 4 a = akut
mat-Vorgabe 5 Ödeme, die kürzer als 4 Wochen bestehen, bzw.
Seitenangabe – klinischer Schweregrad – Zusatzcode 5 Aufgrund ihrer »Weichheit« im Finger-Druckver-
5 Seitenangabe such als akut klassifiziert werden können.
– L = linkes Bein 4 c = chronisch
– R = rechtes Bein 5 Ödeme, die länger als 4 Wochen bestehen, oder
– B = beidseits gleichwertig ausgeprägt 5 aufgrund der Festigkeit bzw. Derbheit im Finger-
5 Klinischer Schweregrad Druckversuch als chronisch klassifiziert werden
können.
4 k = komplettes (ganzes) Bein
15.13.3 Bewertung
Einordnung des Befundes soll das sein, was wichtig und Literatur
einfach zu erkennen ist. Dass hierbei der spezielle Fall ge- Szilagyi DE et al. (1972) Infektion in arterial reconstruction with syn-
thetic grafts. Ann Surg 176:321–333
legentlich Probleme bei der Zuordnung macht, soll akzep-
tiert sein und kann bei Vorliegen einer gewissen Häufung
ggf. durch Erweiterung der Zusatzcodierung vollständig
erfasst werden. Angesichts der Komplexität des klinischen 15.15 Zusammenfassung
Bildes und der Vielzahl an ätiologischen Kausalitäten bei
den Beinödemen, soll die Mehrzahl der Fälle abgebildet Bedenkt man, dass die aus der Literatur zusammengetra-
sein, und nicht der Ehrgeiz bestehen, alle Zustände, auch gene und hier dargelegte Auswahl an Stadieneinteilungen,
den seltensten Sonderfall, zu erfassen. Klassifikationen und Scores nicht vollständig ist, sehr spe-
Eine Validierung des Ödem-Scores steht aus. zielle Klassifikationen, wie z. B. CHIVA etc., hier nicht auf-
geführt wurden und schließlich unterschiedliche Verfah-
Literatur ren zur Bestimmung der Lebensqualität (LQ) noch hinzu-
Nüllen H, Noppeney T (2007) Ödeme. Gefäßchirurgie 12:134–138 kommen (7 Kap. 40), so lässt sich zusammenrechnen, dass
der beflissene Phlebologe leicht die Auswahl unter mehr
als 20 Stadieneinteilungen, Klassifikationen und Scores
15.14 Wundheilungsstörung treffen kann. Wofür soll er sich aber nun entscheiden?
nach Szilagyi Man kann hier sicherlich keine generellen Empfeh-
lungen aussprechen. Alle Methoden haben ihre Vorteile
15.14.1 Historie und ihre Schwächen. Unter den Bedingungen des klini-
schen Alltags sind sicherlich all diejenigen Klassifikationen
Die Einteilung von Szilagyi ist entstanden im Rahmen der zu bevorzugen, die einer rein klinisch orientierten Syste-
Beschäftigung mit Gefäßinfektionen nach arteriellen Re- matik folgen und einfach und ohne Hilfsmittel anwendbar
konstruktionen. sind. Solange keine Forderungen bzw. Vorschriften, z. B.
seitens Kostenträger, Abrechnungsstellen etc., bezüglich
der anzuwendenden Klassifikation bestehen, gilt freie Me-
15.14.2 Definition thodenwahl.
Lediglich für die Dokumentation mit wissenschaft-
Je nach Tiefenausdehnung der Infektion wird eine Gradu- lichem Ansatz ist, aufgrund der Dominanz der Publika-
ierung in vier Schweregrade vorgenommen. tionen aus den Reihen des American Venous Forum,
zwangsläufig die Entscheidung für die Klassifikationen mit
und rund um die CEAP-Klassifikation gefallen.
. Tab. 15.13. Stadien der Wundinfektion nach Szilagyi Die Forderung nach einer standardisierten und nach-
vollziehbaren Diagnose- und Indikationsstellung setzt die
Wundheilungs- Betroffene Strukturen
15 störung Anwendung von Klassifikationen zwingend voraus.
15.14.3 Bewertung
vor. Lediglich die epidemiologischen Studien belegen den Nüllen H (2007) Varikose. In: Luther B (Hrsg.) Kompaktwissen Gefäß-
chirurgie. Springer Verlag Heidelberg
Anstieg der Beschwerden und der Komplikationen über
Thulesius O, Gjöres KE, Eriksson L, Weywardt E, Berlin E (1977) Studies on
die Zeit. venous wall elasticity, valvular function und lysozomal enzymes in
Unter pragmatischen Gesichtspunkten, die auch die primary varikose veins. In: Symposium on Venous Insufficiency.
Realisierbarkeit von Nachsorgekonzepten unter Kapazi- Stand. Cardio-Angiol. Methods. New Trends in venous Diseases,
tätsgesichtspunkten und gesundheitsökonomischen Ge- Bd. IV, hrsg. Von A. Kappert, Huber bern
Widmer LK, Stähelin HB, Nissen C, da Silva A. (1981) Venen-, Arterien-
sichtspunkten berücksichtigen, sollte die Führung des Pa-
Krankheiten koronare Herzkrankheiten bei Berufstätigen. Huber
tienten umso enger sein, je schwerwiegender das Krank- Verlag Bern Stuttgart Wien
heitsbild sich darstellt und je geringer die Compliance ist. WHO (1984) Prervosky I, Diseases of the veins. Word Health Organiza-
Kontrolluntersuchungen sollen anempfohlen bzw. ge- tion, internal communication MHO/PA/109.64
fordert werden bei:
4 Patienten mit klinisch nicht relevanter Varikose
5 Statusänderung (Progression, Komplikation, neu 16.2 Kutane Varikose
aufgetretene Beschwerden).
4 Patienten unter konservativer Therapie F. Pannier, E. Rabe
5 Statusänderung (Progression, Komplikation, neu
aufgetretene Beschwerden).
5 Anlässlich der Erneuerung von Hilfsmitteln. 16.2.1 Einleitung
4 Patienten nach Sklerosierung, operativer Sanierung
oder endovaskulären Maßnahmen Man unterscheidet im Venensystem des Beines das sub-
5 Statusänderung (Progression, Komplikation, neu fasziale Venensystem, das intrafasziale System der Venae
aufgetretene Beschwerden). saphenae und suprafasziale Venensystem im subkutanen
5 3 Monaten und 1 Jahr nach der Therapie, danach Fettgewebe. Darüber hinaus werden die oberen Haut-
nur bei Bedarf. schichten durch intradermale Venen und Venen an der
4 Patienten mit trophischen Störungen Grenze zwischen Cutis und Subcutis drainiert. Bei patho-
5 Statusänderung (Progression, Komplikation, neu logischer Dilatation bezeichnen wir diese als Besenreiser-
aufgetretene Beschwerden). varizen und retikuläre Varizen.
5 In jährlichen Abständen. Im internationalen Schrifttum werden die Besenreiser
4 Patienten nach Ulcus cruris auch als Teleangieektasien bezeichnet. Diesen Begriff ver-
5 Statusänderung (Progression, Komplikation, neu wendete erstmals von Graf 1807 für Venen, die in der Haut
aufgetretene Beschwerden). mit bloßem Auge sichtbar sind, verwendet (Merlen 1970).
5 In 3- bis 6-monatigen Abständen. In einem Konsensusdokument der Union Internatio-
nale de Phlébologie aus dem Jahr 2003 werden Teleangie-
Bei den Kontrollen sollte neben der klinischen Untersu- ektasien (Besenreiser) als permanent dilatierte intra-
chung ein apparativer hämodynamischer Test, sowie eine dermale Venolen von bis zu 1 mm Durchmesser definiert
Duplexsonographie durchgeführt werden. (Allegra et al. 2003). Diese sind üblicherweise bei einem
16 Literatur
Abstand von ca. 2 m bei guten Lichtkonditionen mit
bloßem Auge sichtbar. Demgegenüber werden retikuläre
Berg van den E (1984) Prospektive und epidemiologische und expe- Venen als intradermale Venen mit permanenter Dilatation
rimentelle Untersuchungen zur Pathophysiologie der primären
und einem Durchmesser von 1–3 mm definiert. In der
Varikose (Hannover-Studie). Habilitationsschrift, Hannover.
Berg van den E (1987) Die primäre Varikosis und ihre prädisponie-
CEAP-Klassifikation werden sie unter der klinischen
renden Faktoren. Zehnjahres-Verlaufsstudie zur Pathophysio- Klassifikation C1 zusammengefasst (Eklof et al. 2004). Sie
logie der primären Varikose (Hannover-Studie). Fortschr Med sind üblicherweise geschlängelt in ihrem Verlauf. In der
105:517 Realität liegen retikuläre Venen meist im kutan-subkuta-
Berg van den E (1994) Primäre Varikose. In: Alexander K (Hrsg.) Gefäß-
nen Übergang oder in der oberen Subcutis (. Abb. 16.1).
krankheiten. Urban & Schwarzenberg München
Edwards JE, Edwards EA (1940) The saphenous valves in varicose veins.
Nicht unter diese Definition fallen normale sichtbare
Amer Heart J 19:338–351 Venen in relativ transparenten Hautarealen. Es wird an-
Hach W (2002) Die Entdeckung der sekundären Leitveneninsuffizienz. genommen, dass die Besenreiser in retikuläre Venen ab-
Phlebologie 32:18–22 fließen. Raymond-Martimbeau und Dupuis konnten 1995
Hort W (1974) Venen. In: Heberer G, Rau G, Schoop W (Hrsg.) Angio-
hingegen zeigen, dass dies nur in ca. 71% der untersuchten
logie. Thieme Stuttgart
May R (1987) Primäre Varikosis. In: Kirschnersche allgemeine und
Besenreiser der Fall war, während 13% in das oberfläch-
spezielle Operationslehre. Heberer G, van Dongen RJAM (Hrsg.) liche Venensystem und 9% direkt in das tiefe Venensystem
Gefäßchirurgie, Springer Heidelberg drainieren.
16.2 · Kutane Varikose
151 16
b
In der Bonner Venenstudie I fand sich eine ausgeprägte
Corona phlebectatica bei Probanden mit ausgeprägter
chronischer venöser Insuffizienz (CVI) in den Stadien C4
und C5 in ca. 50% der Fälle (. Abb. 16.5). In den Stadien
C2 und C3 war dies nur bei 12–13% der Fall. Gering aus-
geprägte Teleangiektasien im Fußrandbereich fanden sich
bei ca. 50% aller Venenpatienten, unabhängig vom klini-
schen Stadium.
16.2.4 Risikofaktoren
c
16 In einer Multivarianzanalyse im Rahmen der Bonner
. Abb. 16.4. Ausgusspräparate von Besenreisern Venenstudie, adjustiert für Alter und Wohnort, wurde die
Assoziation von Risikofaktoren zur Häufigkeit von Tele-
angiektasien untersucht. Hauptrisikofaktor hierbei war
16.2.3 Häufigkeit das Alter. Oberhalb des 60. Lebensjahres war das Risiko
10–20-mal höher als bei der unter 30-jährigen Bevölke-
In der Bonner Venenstudie I traten Besenreiser als isolier- rung. Frauen sind mit einer Odds Ratio von 2,3 signifikant
ter Befund und unabhängig von der Ausprägung bei 59% häufiger betroffen. Abgelaufene Schwangerschaften oder
der untersuchten Durchschnittsbevölkerung zwischen die Einnahme von Hormonpräparaten zur Schwanger-
dem 18. und 79. Lebensjahr auf (Rabe et al. 2003). Von schaftsverhütung oder in der Hormonersatztherapie hatten
Besenreisern und retikulären Venen als Maximalausprä- in dieser Untersuchung keinen signifikanten Einfluss auf
gung der Venenveränderungen ohne zusätzliche Varikose das Auftreten von Besenreisern und retikulären Venen.
oder chronische venöse Insuffizienz waren 58,4% der Trotzdem wird in Einzelfällen immer wieder über eine
Männer und 59,3% der Frauen betroffen. Allerdings treten schubweise Zunahme von Teleangiektasien in der Schwan-
diese Venenveränderungen häufig auch in Kombination gerschaft oder unter Östrogeneinfluss berichtet. Diese Ver-
mit einer Stamm- oder Astvarikose auf. Die Gesamtpräva- änderungen waren in der Land- und Stadtbevölkerung
lenz liegt bei über 80%. gleich häufig vertreten. Beim Body Mass Index (BMI) über
16.3 · Sekundäre Varikosis
153 16
30 kg/m2 zeigten Frauen eine signifikant häufigere Assozi- kann die Atrophie der Haut ebenfalls zur Ausprägung von
ation mit Besenreisern als Normalgewichtige. kutanen Venektasien führen.
Zusammengefasst ist das zunehmende Alter der Haupt-
risikofaktor für das Auftreten von Besenreisern und reti-
kulären Varizen. Dies hängt möglicherweise mit dem Alte- 16.2.7 Zusammenfassung
rungsprozessen in der Haut und im Hautbindegewebe
zusammen. Kutane Venenerweiterungen im Sinne von Besenreisern
sind ein ausgesprochen häufiges Erscheinungsbild in der
Durchschnittsbevölkerung. Die Häufigkeit nimmt mit
16.2.5 Klinische Relevanz dem Alter zu. Sie haben nach heutigem Kenntnisstand vor-
wiegend kosmetische Relevanz. Im Rahmen der chroni-
Nach heutigem Kenntnisstand haben Besenreiser und re- schen venösen Insuffizienz können sie als Corona phlebec-
tikuläre Varizen in der Mehrzahl der Fälle nur kosmetische tatica paraplantaris im medialen oder lateralen Fußrand-
Relevanz. Allerdings berichten einzelne Patienten über bereich Indikator für die venöse Insuffizienz sein. Darüber
brennende Sensationen und Druckgefühl im Bereich hinaus können kutane Venenerweiterungen an den Bei-
dieser Venen. In der Bonner Venenstudie I klagten Pro- nen, aber auch an jeder anderen Körperregion im Rahmen
banden mit C1-Venen als maximale klinische Ausprägung zahlreicher anderer Krankheitsbilder auftreten.
häufiger über Schweregefühl und Schwellungsgefühl in
den Beinen. Die Frage ob sich aus einer Besenreiser- oder Literatur
retikulären Varikose im Verlaufe von Jahren eine subku- Allegra C, Antignani P-L, Bergan JJ, Carpentier PH, Coleridge-Smith P,
Cornu-Thénard A, Eklöf B, Partsch H, Rabe E, Uhl J-F, Widmer M-T
tane Varikose oder eine CVI entwickeln kann, kann zum
(2003) The »C« of CEAP: Suggested definitions and refinements:
heutigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. An International Union of Phlebology conference of experts. J
Die ausgeprägte Corona phlebectatica ist Ausdruck Vasc Surg 37: 129–131
einer fortgeschrittenen CVI. Wenn es zu Varizenblutungen Duffy DM (1998) Small vessel sclerotherapy: an overview. Adv Derma-
kommt, so treten diese in der Regel in prominenten kuta- tol 3: 221–242
Eklöf B, Rutherford RB, Bergan JJ, Carpentier PH, Gloviczki P, Kistner RL,
nen Venen im Knöchelbereich auf. Besonders gefährdet Meissner MH, Moneta GL, Myers K, Padberg FT, Perrin M, Ruckley
sind Patienten mit Herzinsuffizienz und Trikuspidalklappe- CV, Coleridge-Smith P, Wakefield TW (2004) Revision of the CEAP
insuffizienz. classification for chronic venous disorders: Consensus statement.
J Vasc Surg 40: 1248–1252
Merlen JF (1970) Red teleangiectasias, blue teleangiectasias. Soc Franc
Phlebol 22: 167
16.2.6 Differentialdiagnose Rabe E, Pannier-Fischer F, Bromen K, Schuldt K, Stang A, Poncar Ch,
Wittenhorst M, Bock E, Jöckel K-H (2003) Bonner Venenstudie der
Neben dem isolierten Auftreten von Besenreisern können Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Phlebologie 32: 1–14
erweiterte intradermale Venen auch bei einer Reihe von Raymond-Martimbeau P, Dupuis JL (1995) Teleangiectasias: incidence,
classification and relationship with the superficial and deep
anderen Krankheitsbildern auftreten. Ein typisches Bei- venous system: a double-blind study. In: Negus D (ed.) Phlebol-
spiel ist der Naevus flammeus, der entweder isoliert oder ogy ’95 1: 169
in Kombination mit venösen Malformationen wie dem Uhl J-F, Cornu-Thénard A, Carpentier PH, Widmer M-T, Partsch H, Anti-
Klippel-Trénaunay-Syndrom auftritt. Im Rahmen von gnani PL (2006) Clinical and hemodynamic significance of corona
phlebectatica in chronic venous disorders. J Vasc Surg 42: 1163–
venösen Malformationen kommt der Naevus flammeus
1168
meist einseitig im Zusammenhang mit weiteren Gefäßver- Wienert V, Simon HP, Böhler U (2006) Angioarchitecture of spider
änderungen vor. Daneben treten kutane Venenerweiterun- veins. Phlebologie 35: 24–29
gen auch bei der kongenitalen Poikilodermie (Rothmund-
Thomson-Syndrom), als essentielle progressive Teleangi-
ektasien und als Cutis marmorata teleangiectatica con- 16.3 Sekundäre Varikosis
genita auf, um nur einige Beispiele zu nennen.
Erworbene Krankheitsbilder wie Kollagenosen oder H. Nüllen, T. Noppeney
die Mastozytose gehen ebenfalls mit einer höheren Rate
von kutanen Venenerweiterungen einher. Kutane Varizen Unter einer sekundären Varikose versteht man nach weit-
können auch nach Trauma oder im Bereich von Narben verbreitetem Konsens die Varizen, die in der Folge einer
auftreten. In der Schwangerschaft kann es zum Aufschie- externen Ursache, i.d.R. einer hämodynamisch relevanten
ßen von naeviformen Teleangiektasien im Stammbereich tiefen Beinvenenthrombose (TVT) entstehen. Die Vorstel-
kommen und bei längerfristiger topischer Kortikosteroid- lungen zur Pathogenese der sekundären Varikose gehen
therapie oder bei der Acrodermatitis chronica atrophicans davon aus,
154 Kapitel 16 · Formen der Varikosis
4 dass es in der Folge der TVT zu wesentlichen Strö- eine Bedeutung haben. Ist dies der Fall, dürfen die Kollate-
mungsbehinderungen kommt, die zur Eröffnung von ralgefäße nicht ausgeschaltet werden, ohne eine entschei-
Kollateralisationswegen im oberflächlichen System dende Verschlechterung der venösen Drainage des betrof-
führen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Volu- fenen Beines in Kauf zu nehmen.
menüberlastung der Kollateralen, die dann dilatieren Das Zielorgan für den Reflux jeder insuffizienten Vari-
und varikös verändert werden. ze ist die Haut bzw. das epifasziale Gewebe. Jede Neutra-
4 dass infolge der Obstruktion wesentliche Mengen des lisation einer insuffizienten Vene kann damit die hämo-
venösen Transportvolumens über nunmehr insuffizi- dynamische Belastung der Haut vermindern.
ente Perforansvenen in die Oberfläche gedrängt wer- Wenn die sekundären Varizen durch die hämody-
den, wodurch wiederum die durchströmten oberfläch- namischen Veränderungen beim postthrombotischen
lichen Venen dilatieren und varikös degenerieren. Syndrom (PTS) verursacht werden, dann ist eine perma-
nente Kompressionstherapie in der Zeit nach einer TVT
Diese Theorie ist zwar herrschende Lehrmeinung und sinnvoll.
einiges spricht dafür, dass es so ist, aber es liegen keine
wirklichen Beweise für diese Annahme vor.
Die Differenzierung von der primären Varikose ist 16.3.1 Diagnostik und Indikationsstellung
problematisch, weil das Vorliegen einer postthrombo-
tischen Veränderung im tiefen Venensystem noch nichts Die Diagnostik bei sekundärer Varikose unterscheidet sich
darüber aussagt, ob die vorliegende Varikose ausschließ- nicht vom Ablauf bei primärer Varikose. Die wesentliche
lich Folge einer hämodynamisch relevanten Veränderung Intention der Diagnostik bei sekundärer Varikose ist da-
im tiefen Venensystem ist. Genauso könnte eine primäre rauf gerichtet, die Frage zu klären, ob die sekundären Vari-
Varikose vorliegen und die postthrombotisch veränderten zen eine Kollateralfunktion haben oder nicht. Die Duplex-
tiefen Venen keine ursächliche Rolle spielen. Beide Mög- sonographie kann die Kollateralfunktion einer sekun-
lichkeiten können auch nebeneinander vorkommen. Auch dären Varize aufdecken, sie ist nicht in der Lage die hämo-
der Hinweis, den Vergleich mit der kontralateralen Seite, dynamische Relevanz der Kollaterale zu beweisen. Hier-
die evtl. nicht postthrombotisch verändert ist, als Differen- bei spielen die Phlebodynamometrie (7 Kap. 10.4) und
zierungsargument für die Frage primär oder sekundär zu die Phlebographie mit besonderen Kompressionstesten
nehmen, hilft nicht weiter, da einseitige massive Varizener- (7 Kap. 12.1) eine herausragende Rolle.
krankungen durchaus bekannt sind. Für die Indikationsstellung zu invasiven Maßnahmen
Häufig werden die varikösen Veränderungen, wie sie gilt: kommt es bei der Phlebodynamometrie unter Kom-
bei Angiosyplasien gesehen werden, als sekundäre Varizen pression der sekundären Varizen zu keiner Verbesserung
bezeichnet. Dies ist nicht glücklich gewählt, da alle Angio- der ambulatorischen venösen Hypertonie, darf die Haupt-
dyplasien ganz besondere Probleme mit sich bringen, die kollaterale nicht ausgeschaltet werden. Dies bedeutet nicht,
durch eine eigenständige Nomenklatur zum Ausdruck dass lokale Eingriffe zur Verbesserung hämodynamischen
kommen sollte. Es ist besser hier von »varikösen Verände- Belastung der Haut in kritischen Bereichen ausgeschlossen
rungen bei Angiodysplasie« sprechen (7 Abschn. 16.5). sind.
16 Eine pathologische Perfusionssituation durch AV-Fis-
teln hat ebenso die Entwicklung einer sekundären Varikose
zur Folge. 16.3.2 Therapie
Wir möchten den Begriff der »sekundären Varikose«
auf die varikösen Veränderungen im Rahmen eines post- Ziel der Therapie bei sekundärer Varikose ist die Verbes-
thrombotischen Syndroms beschränken. Hierbei ist es serung der ambulatorischen venösen Hypertonie. Je höher
gleichgültig, ob es sich um eine sekundäre Varikose im der ambulatorische venöse Druck, desto höher ist die
eigentlichen Sinne handelt oder um eine primäre Varikose Wahrscheinlichkeit eine Ulcus cruris zu entwickeln (Nico-
bei Vorliegen einer posthrombotischen Schädigung des laides 1993). Die Behandlung muss in eine Gesamtkonzept
tiefen Venensystems. eingebunden werden, zu dem eine adäquate Kompres-
Für die Therapie der sekundären Varikose im eigent- sionstherapie, die Ausschaltung der sekundären Varizen
lichen Sinne ist es wichtig, ob sich die hämodynamische und ggf. die Chirurgie des tiefen Venensystems zählt.
Situation des betroffenen Beines durch Ausschaltung der Kompressionsstrümpfe können die Effekte der venösen
»sekundären Varizen« verbessern lässt oder nicht. Vor der Hypertension auch beim PTS eindämmen (Bernand 1986).
endgültigen Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu Das konsequente Tragen von Kompressionsstrümpfe, vor
klären, ob die betrachteten Varizen für das betroffene Bein allem in den ersten zwei Jahren, konnte in einer prospektiv
als Kollateralgefäße für das geschädigte tiefe Venensystem randomisierten Studie signifikant die Inzidenz sowohl
16.4 · Schwangerschaftsvarikosis
155 16
eines leichten, mittleren als auch schweren PTS mindern verursachte Varikosis und andererseits bereits vorhandene
(Brandjes 1997). Varizen unter den Bedingungen der Schwangerschaft.
Die invasive Ausschaltung der sekundären Varikose Im klinischen Alltag empfiehlt sich die Verwendung
kann im Einzelfall indiziert sein, wenn die Diagnostik eine einer möglichst eindeutigen, im Idealfall im Rahmen von
deutliche Verbesserung der Hämodynamik erwarten lässt Leit- und Richtlinien abgesprochenen Nomenklatur. Im
und/oder eine Stabilisierung bzw. Verbesserung trophi- Rahmen klinischer Forschung wird diese zur conditio sine
scher Störungen möglich erscheint. Zur Frage der Ausschal- qua non. Daher ist es sinnvoll, eine Begriffsbestimmung
tung von Varizen bei sekundärer Varikose gibt es auch des Phänomens Schwangerschaftsvarikose zu versuchen.
gegenteiligen Ansichten. So konnte Stacy (1988) keine Ver-
besserung der Hämodynamik nach Operationen am epi-
Schwangerschaftsvarikosis
faszialen Venensystem bei Patienten mit PTS zeigen.
Das therapeutische Arsenal ist identisch mit dem bei 4 Typ 1: Varizen, die bei venengesunden Frauen
der primären Varikose. Für die operativen Verfahren, auch während der Gravidität aufgetreten
für die endoskopische Perforansdiszision liegen keine pro- 4 Typ 2: primäre oder sekundäre Varikosis bei
spektiven randomisierten Studien vor, die den hämodyna- Frauen, die schwanger sind
mischen Nutzen belegen.
> Der Nutzen der Chirurgie der sekundären Variko-
Diese simple Differenzierung soll dazu beitragen, die Be-
se muss sehr kritisch gesehen werden. Die kon-
sonderheit der Schwangerschaftsvarikosis im engeren
servative Therapie ist die Therapie der Wahl.
Sinne (Typ 1) gegenüber anderen Formen der Varikosis
herauszuarbeiten.
Literatur
Bernand K et al. (1986) Brit Med J 293 :224–225
Brandjes DP, Bullet HR, Heijboer H, Huisman MV et al. (1997) Ran-
16.4.2 Epidemiologie
domised trial of effect of compression stockings in patients with
symptomatic proximal-vein thrombosis. Lancet 349 :759–762
Nicolaides AN, Hussein MK, Szendro G, Christipoulos D et al. (1993) The Zur Epidemiologie (7 Kap. 4) der Schwangerschaftsvariko-
realation of venous ulceration with ambulatory venous pressure sis müssen allgemeine Aussagen über die Häufigkeitsver-
measurements. J Vasc Surg 17 :414–419 teilung der Varikosis (siehe z. B. Robertson 2008) herange-
Rieger H (1999) Varikose. In: Rieger, Schoop (Hrsg.) Klinische Angiolo-
zogen werden:
gie. Springer Heidelberg.
Stacy MC, et al (1988) Brit Med J 75:436–439
4 bei über 65-jährigen Probanden (Bergan 2006, Cano-
nico 1998) fand man doppelt so häufig Varizen bei
Frauen (35,2%) wie bei Männern (17,0%)
4 bemerkenswert war dabei der Befund einer Varizen-
16.4 Schwangerschaftsvarikosis entwicklung in der Zeit nach einer Schwangerschaft
bei 40,5% (Canonico 1998). Multiparität scheint die
U. Kamphausen Entwicklung von Varizen zu verstärken
4 während der Schwangerschaft wurden bei 28% der
Varizen, speziell in der Schwangerschaft, gelten als häufig. Graviden Varizen beschrieben, die vor der Schwanger-
Sie werden von den betroffenen Frauen mit Besorgnis schaft als venengesund galten (Dindelli 1993)
wahrgenommen und führen zum Besuch beim behandeln-
den Frauenarzt oder Hausarzt. Erstaunlicher Befund: Trotz Unter Berücksichtigung der problematischen Datenlage
der weiten Verbreitung der Erkrankung finden sich in der könnte ein Versuch die epidemiologische Situation der
Literatur der letzten 20 Jahre keine großen Studien, son- Schwangerschaftsvarikose zu beschreiben, wie in der fol-
dern allenfalls kleine Fallsammlungen. Möglicherweise ist genden Übersicht dargestellt aussehen:
die »Normalität« der Schwangerschaftsvarikosis ein Grund
für die ungewöhnlich dürftige Datenlage.
16.4.1 Definition
eintritt. Die zu Recht gefürchtete tiefe Venenthrombose Mashiah A, Berman V, Thole HH, Rose SS, Pasik S, Schwarz H, Ben-Hur
H (1999) Estrogen and progesterone receptors in normal and
(TVT) stellt nicht selten eine Folge der aufsteigenden Va-
varicose saphenous veins, Cardiovasc Surg 7:327–31
rikothrombose dar. Die gewichtsadaptierte Behandlung Robertson L, Evans C, Fowkes FG, (2008) Epidemiology of chronic
mit einem niedrigmolekularen Heparin sowie Kompres- venous desease, Phlebology 23(3):103–11
sionstherapie sind unverzüglich einzuleiten. Sparey C, Haddad N, Sissons G, Rosser G, de Cossart L (1999) The effect
of pregnancy on the lower-limb venous system of women with
> Das rechtzeitige Erkennen und die unverzügliche varicose veins, Eur J Vasc Endovasc Surgery 18:294–99
umfassende Therapie einer Varikothrombose Sparey C, Sissons G, Haddad N, Rosser G, de Cossart L (1999) Serial
oder TVT in der Schwangerschaft stehen an vor- colour flow duplex scanning of the veins of the lower limb through-
out pregnancy, Br J Obstet Gynaecol 557–602
derster Stelle des Komplikationsmanagements.
Thaler E, Huch R, Huch A, Zimmermann R (2001) Compression sto-
ckings prophylaxis of emergent varicose veins in pregnancy:a
prospective randomised controlled study, Swiss Med Wkly Dec
1;131(45-46):659–62
16.4.7 Verlauf
. Tab. 16.3. Häufigkeit von Angiodysplasien in der Gesamtbevölkerung in Deutschland bei verschiedenen Annahmen zur Geburten-
rate und der Bevölkerungsentwicklung sowie der Absterberate. Die Rohdaten der Geburtenstatistik und der Bevölkerungsstatistik wur-
den den Angaben des Statistischen Bundesamtes entnommen
Sze- Wahrschein- Lebens- Unter- Relative und ab- Relative und ab- Relative und ab-
nario lichkeit für erwartung stellte solute Häufigkeit solute Häufigkeit solute Häufigkeit
das Auftre- aller Neu- Absterbe- von Angiodyspla- von Angiodyspla- von Angiodyspla-
ten einer geborenen rate bei sien im Jahre 2007* sien im Jahre 2050* sien im Jahre 2050*
Angiodys- in Jahren Neuer- Bevölkerungszahl Bevölkerungszahl Bevölkerungszahl
plasie bei krankun- ca. 82,2 Mio. minimale Schät- maximale Schät-
Neugebo- gen in % zung ca. 68 Mio. zung ca. 73 Mio.
renen in %
* In Klammern die akkumulierte Zahl der lebenden Erkrankten (gerundet). (Statistik mit freundlicher Hilfe von M. Brunnert, Global
Biostatistics, UCB)
Es gibt eine ganze Reihe von Systematisierungsver- In vielen Übersichten wird auf die Problematik der Schaf-
suchen der Angiodysplasien, die jedoch alle keine befrie- fung von praktikablen Systematisierungen zum Thema
digenden und praktikablen Lösungen anbieten können. Angiodysplasien hingewiesen, nicht ohne darauf zu ver-
Hier sollen nur die prägnantesten Lösungsansätze aufge- weisen, dass die weitere Verwendung von Autorennamen-
führt werden: Syndrombezeichnungen, wie z. B. Klippel-Trénaunay-Syn-
4 Schobinger-Klassifikation (. Tab. 16.4) drom u. ä. diese Bemühungen zusätzlich erschweren. Auch
4 Hamburger-Klassifikation (. Tab. 16.5) in der neueren Literatur finden sich jedoch immer noch
4 ISSVA-Klassifikation (. Tab. 16.6) zahlreiche Publikationen in namhaften Journalen unter
4 Klassifikation nach Mulliken und Glowacky der Verwendung der alten Syndrombezeichnungen. Dies
(. Tab. 16.7) wird wohl auch noch eine gewisse Zeit so bleiben, denn die
Komplexe Angiodysplasien
(Polydysplasien)
bekannten neueren Klassifikationen sind im täglichen Ge- Eine weitere Klassifikation geht auf die 1992 gegrün-
brauch doch recht sperrig. Das Klippel-Trénaunay-Syn- dete »International Society for the Study of Vascular Ano-
drom würde in der Nomenklatur der Hamburger-Klassifi- malies« (ISSVA) zurück. Ziel war es, eine möglichst ein-
kation z. B. lauten: fache und leicht anwendbare Klassifikation zu schaffen
(. Tab. 16.6). Mulliken und Glowacky entwickelten 1982
»Kombinierter Gefäßfehler mit vorwiegend trunkulärer eine Klassifikation der »vascular anomalies«, deren we-
venöser Angiodysplasie (Varizen, Phlebektasie etc.) mit sentliche Zielrichtung die definitorische Unterscheidung
ossärer Hypertrophie (angioosteohypertrophisches Syn- zwischen Gefäßtumoren (vascular tumors) und Angiodys-
drom) und lateralem Naevus flammeus ohne (hämodyna- plasien (vascular malformations) war. In einer Weiterent-
misch bedeutsame AV-Verbindungen« (Rieger 1998). wicklung wurden darüber hinaus, neben den anatomischen
Klassen, auch hämodynamische Charakteristika aufge-
Gegen eine Verwendung einer Syndrombezeichnung im führt (. Tab. 16.7). Die den Klassen zugeordnete alphabe-
Einzelfall ist, so betrachtet, nichts einzuwenden, allerdings tische Kurzbezeichnung sollen eine leichte Verschlüsselung
muss sie auch im Sinne der Originalbeschreibung zutref- der Diagnose der jeweiligen Malformation ermöglichen.
fend angewendet werden. Auch die beiden zuletzt dargestellten Klassifikationen
Die ältere Klassifikation der Angiodysplasien von haben ihre Vor- und Nachteile und beide sind bislang nicht
Schobinger (. Tab. 16.4) unterscheidet nur zwischen allgemein akzeptiert. Viele weitere, teilweise sehr individu-
Monodysplasien und komplexen Polydysplasien und ori- elle Klassifikationen sind im Gebrauch (Mattassi et al.
entiert sich dabei an anatomischen Kategorien. Damit ist 2009).
die Schobinger-Klassifikation zwar einfacher nachzuvoll-
ziehen als später entstandene Klassifikationen, bildet aber
nicht die Komplexität der Verhältnisse bei den syste-
mischen Dysplasien ab. . Tab. 16.6. Klassifikation der Malformationen (ISSVA 1996)
(Vascular anomaly classification)
Die Hamburger-Klassifikation (. Tab. 16.5) unter-
scheidet zwischen trunkulären Dysplasien und extratrun- Ein-Gefäß-Typ 4 kapillar
kulären Dysplasien. Trunkuläre Dysplasien betreffen den 4 venös
differenzierten Gefäßbaum und die extratrunkulären For- 4 lymphatisch
4 arteriell
men betreffen alle übrigen Gefäßareale. Die extratrunku-
lären Formen entstehen aus Resten des primitiven Kapil- Komplexe Malformation 4 arteriovenös
larnetzwerkes und verbleiben entweder lokal limitiert oder 4 lymphato-venös
4 kapillär-venös
breiten sich expansiv infiltrierend aus. Die Hamburger
4 kapillar-lymphato-venös
Klassifikation basiert dabei wesentlich auf der (embryona-
len) Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems (Mattassi Übersetzt aus: Mattassi R, Loose DA, Vaghi M (2009) Classifi-
et al. 2009). Ein Nachteil der Hamburger Klassifikation cation of Vascular Malformations. In: Mattassi R, Loose DA,
Vaghi M (Ed.) Hemangiomas and Vascular Malformations.
liegt darin, dass die kapillaren Malformationen nicht ein-
Springer Heidelberg
bezogen wurden (Mattassi et al. 2009).
162 Kapitel 16 · Formen der Varikosis
a b c d
16
III III 46% Ausbreitung und Verlauf der MV: Außenseite US und OS bis zur Hüfte.
Drainage: Dorsale Fußvenen, und/oder laterale Vv. perforantes (VP)
Mündung: Hautabfluss über VP zur V. femoralis, teilweise über die V. circumflexa lateralis.
IV IV 26% Ausbreitung und Verlauf der MV: US und OS bis zur Hüfte oder Becken.
Drainage: Dorsale Fußvenen, und/oder laterale Vv. perforantes (VP)
Mündung: Hautabfluss über VP zu den Vv. gluteales inf. oder sup., teilweise über VP der
OS-Außenseite.
abhängigen Hautarealen mit den Folgen einer CVI. Die aufsuchen, handelt es sich i.d.R. um ein Klippel-Trénaunay-
Marginalvene stellt daher frühzeitig eine Indikation zur Syndrom (. Tab. 16.9). Das FP-Weber-Syndrom sieht dem
funktionellen Ausschaltung dar, mit dem Ziel, die CVI zu KTS zwar sehr ähnlich, ist aber wesentlich seltener anzu-
begrenzen. Wie soll dies geschehen? Vollmar stellte die treffen und durch den Nachweis von hämodynamisch rele-
Funktion der Marginalvene als Kollateralgefäß in den Vor- vanten AV-Fisteln meist leicht abzugrenzen. Das Servell-
dergrund. Er warnte ausdrücklich vor einer Exstirpation Martorell-Syndrom fällt durch den evidenten disproporti-
oder Sklerosierung und bezeichnete die konsequente Kom- onierten Minderwuchs aus dem Rahmen und spielt dif-
pressionstherapie als Methode der Wahl. Diese Festlegung ferentialdiagnostisch keine Rolle. Damit sind aber auch die
auf eine Methode ist angesichts der Erkenntnis nicht zu hal- Grenzen der Klarheit im Rahmen der Syndrom-Systematik
ten, dass es auch persistierende Marginalvenen gibt, die nur erreicht, da die Vielzahl an Varianten, Übergangsformen
bedingt oder überhaupt nicht als Kollateralgefäß dienen. und rudimentären Formen sich hier nicht einordnen lassen
Vor therapeutischen Maßnahmen ist eine genaue phle- (. Abb. 16.8).
bographische Darstellung einschließlich aller Kommuni-
kationen und Perforansvenen zu fordern. Klippel-Trénaunay-Syndrom (KTS)
Im Allgemeinen wird die operative Sanierung durch Beim KTS handelt es sich um eine vorwiegend venöse Dys-
Exstirpation der Vene empfohlen. Wegen der vielfältigen plasie mit den diagnostischen Hauptkriterien:
Kommunikationen und Perforantes, sowie wegen der be- 4 Naevus Flammeus lateralis
schriebenen AV-Fisteln, ist von Strippingmanövern abzu- 4 Ipsilaterale Knochen-Weichteil-Hypertrophie
raten. Die lokale Präparation und Skelettierung, ggf. mehr- 4 Atypische »Varizen« und Venektasien, ggf. auch Hypo-
zeitig, gilt als Methode der Wahl. Vorausgehende Verödung plasien und Atresien.
von größeren Seitenästen wird ebenfalls empfohlen.
Man kann sich vorstellen, dass die Anwendung der Die unteren Extremitäten sind bevorzugt betroffen (. Abb.
Schaumverödung ebenso wie die der endovenösen Tech- 16.11).
niken hier gute Erfolgsaussichten bieten. Erste Berichte Das Vollbild des Syndroms ist charakteristisch. Die
hierzu liegen vor (Fraisir 2008). Verdachtsdiagnose kann klinisch, prima vista getroffen
werden. Zum KTS gehören keine klinisch relevanten
Komplexe Angiodysplasien (Polydysplasien) AV-Fisteln. Dies führt gelegentlich zu der Aussage, dass es
Bei den Patienten mit komplexen Angiodysplasien, die we- beim KTS grundsätzlich keine AV-Fisteln gäbe (Bollinger
gen ihrer »varikösen« Veränderungen die Sprechstunde et al. 1972). Dies stimmt so nicht, man muss vielmehr da-
166 Kapitel 16 · Formen der Varikosis
Mafucci MS + – – – – Knochen-Knorpel-Dys-
plasien, Deformationen,
Spontanfrakturen
16
a b c
. Abb. 16.9. Klippel-Trénaunay-Syndrom rechts. a–c , 28J.; konser- mediales Ulcus retromalleolar während der Pubertät, unter Vernach-
vatives Vorgehen; dauerhafte Kompressionstherapie mit AD-Strumpf, lässigung bzw. Aussetzen der Kompressionstherapie. Danach kompli-
ccl3; Gelegentliche Sklerosierung von störenden Varizen. 1-mal kleines kationsloser Verlauf; Beobachtungszeit über 22 Jahre.
16.5 · Varikose bei Angiodysplasien
167 16
16.5.7 Therapie der Venektasien
bei Angiodysplasien
a b c
16
d e f
. Abb. 16.11. Rudimentäre Form eines Klippel-Trénaunay-Syndrom. a-d , 19J.; diskrete Hypertrophie, Naevus auf den Fuß beschränkt,
vorausgegangene Ulzeration
16.5 · Varikose bei Angiodysplasien
169 16
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17
. Tab. 17.2. Inzidenz der TVT und Lokalisation der Variko- . Tab. 17.3. Ätiologe der Varikophlebitis bei begleitender
phlebitis TVT ( n = 11 von 109)
Blumberg (1998) VSM 8,6% TVT erkrankungen oder Risiken für TVT beträgt 5,7% (Belcaro
0,9 % LE 1999). In einer anderen Publikation über Patienten mit
akuten Varikophlebitis, die in 41% neben der Varikose
unter weiteren Begleiterkrankungen – einschließlich 7,8%
bose (TVT) oder vorausgegangene Varikophlebitiden, Neoplasmen – litten, trat eine begleitende TVT mit 11,8%
spielt auch die thrombophile Diathese eine wesentliche deutlich häufiger auf. Zusätzlich war bei 9,8% der Betrof-
Rolle für die Entstehung einer Varikophlebitis. fenen eine Lungenembolie nachzuweisen (Unno 2002). In
Nach einer Phlebitis, mit oder ohne Varikose, sollte unserem Patientenkollektiv (n = 109) war bei Patienten
daher immer nach begleitenden, prädisponierenden Er- mit alleiniger Varikose eine begleitende TVT in 6% der
krankungen gesucht werden. Neben der Thrombophilie Fälle festzustellen. Bestand eine zusätzliche prädisponie-
zählen hierzu auch Tumorerkrankungen. Bei unseren rende Erkrankung, stieg die Inzidenz der TVT auf 15,4%
eigenen Patienten z. B. fanden wir als prädisponierende (. Tab. 17.3).
Begleiterkrankungen jeweils einen Fall von Morbus Winni-
warter-Buerger, Asthma bronchiale, Colitis ulcerosa,
Morbus Behcet, Herzinsuffizienz. 17.2.2 Diagnostik
Die Inzidenz einer begleitenden tiefen Venenthrom-
bose bei Varikophlebitis wird zwischen 5% und 65% an- Für eine Therapieentscheidung hinsichtlich prophylak-
gegeben, auch Lungenembolien werden in bis zu 33% be- tischer oder therapeutischer Antikoagulation sind die exak-
schrieben (Noppeney 2006). Ein entscheidender Faktor für te Feststellung der Varikophlebitis mittels Duplexsono-
die Entstehung einer TVT scheint die Ausdehnung und die graphie, sowie die Erfassung von Akut- und Basisrisiken
Lokalisation der Phlebitis zu sein. Aus den vorliegenden für die Entstehung einer TVT notwendig.
17 Publikationen lässt sich eine eindeutige Korrelation zur Das wahre Ausmaß der Varikophlebitis kann erheblich
Inzidenz einer begleitenden TVT herstellen (. Tab. 17.2). vom klinischen Befund abweichen (Denzel 2000). Daher
Eine ähnliche Korrelation fanden wir in unserem eigenen reicht es nicht aus, die Ausdehnung der Varikophlebitis
Patientenkollektiv. Hier betrug die Inzidenz einer beglei- allein klinisch abzuschätzen. Die Duplexsonographie ist in
tenden TVT bei Varikophlebitis in Seitenästen lediglich der Diagnostik die Methode der Wahl, da sich hier sowohl
5,2%, während sie auf 13,6% bei Befall der VSM am Unter- die Ausdehnung der Varikophlebitis exakt bestimmen
schenkel bzw. der distalen VSP und auf 15,6% anstieg, lässt, als auch das tiefe Venensystem auf das Vorliegen einer
wenn die VSM bzw. VSP in ganzer Länge betroffen waren begleitenden TVT beurteilt werden kann.
(Noppeney 2006). Die Methode ist nicht invasiv und wenig belastend und
Neben der Lokalisation und Ausdehnung der Variko- kann während des Krankheitsverlaufes beliebig oft wieder-
phlebitis sind prädisponierende Faktoren entscheidend holt werden (. Abb. 17.1). Generell gilt die Empfehlung,
für das Entstehen einer begleitenden TVT. Die Inzidenz dass 48 Stunden nach Beginn der Therapie eine erneute
einer begleitenden TVT bei akuter Phlebitis und vorbe- Duplexuntersuchung durchgeführt werden sollte, um eine
stehender der Varikose ohne andere zusätzliche Begleit- Progression der Varikophlebitis auszuschließen.
17.2 · Varikophlebitis
175 17
Da die Inzidenz einer begleitenden tiefen Venenthrom-
bose bei Varikophlebitiden von Seitenastvarizen am Unter-
schenkel gering ist, ist in diesen Fällen neben der Basis-
therapie eine Thromboseprophylaxe mit NMH zwischen
10 Tagen und 4 Wochen ausreichend. Einheitliche Empfeh-
lungen für die Dauer der Thromboseprophylaxe liegen in
der Literatur nicht vor. Sind zusätzliche Basis- oder Akut-
risiken für eine tiefe Venenthrombose bei Seitenastvariko-
phlebitis am Unterschenkel vorhanden, sollte die Throm-
boseprophylaxe risikoadaptiert und eher für einen längeren
Zeitraum bis zu 4 Wochen durchgeführt werden.
Sind Perforansvenen oder Seitenäste am Oberschenkel
betroffen, ist eine therapeutische Antikoagulation für
4–12 Wochen indiziert. Bei Stammvenenphlebitis kann
eine therapeutische Antikoagulation bis zu 3 Monaten er-
wogen werden.
Die Dauer der Antikoagulation wird sehr unterschied-
lich diskutiert. Die Empfehlungen reichen von wenigen
Tagen bis zu 3 Monaten, in Abhängigkeit von Lokalisation
und Ausdehnung der Varikophlebitis, sowie zusätzlich be-
stehenden Risikofaktoren für eine TVT. In der Literatur
wird eine deutliche Abhängigkeit zwischen der Art der
. Abb. 17.1. Phlebographische Darstellung einer Varikophlebitis
Antikoagulation und dem Auftreten einer begleitenden
der VSM TVT nach Phlebitis angegeben. Die Inzidenz einer TVT
betrug bei Marchiori (2002) unter einer Low-dose-Hepa-
rinisierung mit unfraktioniertem Heparin (2-mal 5.000
Eine Phlebographie ist in der Regel nicht notwen- Einheiten pro Tag) 20% während die Inzidenz bei thera-
dig. Sie sollte nur den Fällen vorbehalten sein, in denen die peutischer Antikoagulation (2-mal 12.500 Einheiten pro
Duplexsonographie keine eindeutigen Aussagen über das Tag) nur 3,3% betrug. In einer Studie von Lozano (2003)
Vorliegen einer begleitenden Venenthrombose zulässt. traten unter therapeutischer Antikoagulation bei Variko-
phlebitis der VSM keine TVT oder LE auf. In der Kontroll-
gruppe von Patienten mit Ligatur des sapheno-femoralen
17.2.3 Therapie Überganges ohne Antikoagulation kam es in 6,7% der Fäl-
le zur Lungenembolie.
Die Behandlungsstrategien reichen vom Kompressions- Eine Operation mit Ligatur des sapheno-femoralen-
verband über Thromboseprophylaxe, der therapeutischen oder poplitealen Überganges kann dann in Erwägung
Anitkoagulation bis zur Operation. Keinesfalls sollte gezogen werden, wenn die Varikophlebitis die Mündungs-
man bei Vorliegen einer Varikophlebitis in therapeutischen region erreicht oder die Varikophlebitis trotz ausreichender
Nihilismus verfallen und diese Erkrankung als harmlos Antikoagolation rasch progredient ist. Auch im Falle einer
abtun. operativen Unterbrechung des Mündungsgebietes sollte
Die Basistherapie besteht in der Applikation eines eine therapeutische Antikoagulation für 3 Monate postope-
Kompressionsverbandes mit Kurzzugbinden oder einem rativ durchgeführt werden. Unsere eigene operative Strate-
Zinkleimverband. Der Zinkleimverband hat den Vorteil, gie entspricht dem oben genannten Vorgehen. Wir haben
dass initial durch die Kühlung die lokalen Beschwerden die Indikation zum operativen Vorgehen immer dann ge-
deutlich gemindert werden. Zur Linderung der Schmerz- stellt, wenn die Mündungsregion erreicht oder schon ein
symptomatik können nichtsteroidale Antiphlogistika ver- Thrombus in das tiefe Venensystem im Mündungsgebiet
abreicht werden. Auf keinen Fall sollte der Patient immo- eingewachsen war. Zusätzlich zur Ligatur des sapheno-
bilisiert werden, vielmehr sollte man den Betroffenen zu femoralen- oder poplitealen Überganges wurde dann eine
ausreichender Bewegung anhalten. Thrombektomie des tiefen Venensystems durchgeführt.
Die Entscheidung eine zusätzliche Thrombosepro- Einige Zentren sind in der Indikationsstellung zum
phylaxe oder eine Antikoagulation durchzuführen, hängt operativen Eingriff großzügiger und operieren bereits
von der Lokalisation und der Ausdehnung der Varikophle- dann, wenn die Varikophlebitis bis zu 10 cm an die Mün-
bitis ab. dung ins tiefe Venensystem heran reicht (Denzel 2000).
176 Kapitel 17 · Komplikationen bei Varikose
Es herrscht keine Einigkeit darüber, ob die betroffene greater saphenous thrombophlebitis: a prospective study. Vasc
Surg 37:415–420
VSM oder VSP in gleicher Sitzung gestrippt werden soll.
Marchiori A, Verlato F, Sabbion P, et al. (2002) High versus low doses of
Wir entfernen in der Regel in der gleichen Sitzung die unfractionated heparin for the treatment of superficial thrombo-
betroffenen Stammvenenabschnitte, um das betroffene phlebitis of the leg. A prospective, controlled, randomized study.
epifasziale Venensystem möglichst komplett zu sanieren Haematologica;87:523–527
und die schmerzhaften Begleitreaktionen zu mindern. Noppeney T, Noppeney J, Winkler M, et al (2006) Strategien zur
Antikoagulation und Operation bei akuter Thrombophlebitis,
Eine spätere Sanierung des epifaszialen Venensystems
Zentralbl. Chirurgie;31:51–56
kann bei teilweise verschlossenen oder nur schlecht reka- Skillman JJ, Kent KC, Porter DH, et al, (1990) Simultaneous occurrence
nalisierten Venen schwierig sein. Darüber hinaus können of superifcial and deep Thrombophlebitis in the lower extremity.
die chronisch veränderten Venen Ausgangspunkt für er- J Vasc Surg 11:818–823
neute Varikophlebitiden sein. In der Studie von Lozano Unno N, Mitsuoka H, Uchiyama T, et al (2002) Superficial thromob-
phlebitis of the lower limbs in patients with varicose veins. Jap J
(2003) war die Rezidivrate der Varikophlebitis mit 10% in
Surg 32:397–401
der Gruppe der antikoagulierten Patienten deutlich höher, Wali MA, Eid RA (2002) Intimal changes in varicose veins: an ultrastruc-
als mit 3,3% in der Gruppe der Operierten. tural study. J Smooth Muscle Res;38:63-74
das Basisrisiko des Patienten, das angeboren oder erwor- Malignom 1,74 1,13-2,68 0,02
ben sein kann. Die primäre Varikose kann als prädisponie-
Alter > 75 J. 1,51 1,03-2,20 0,04
render Risikofaktor die Entstehung einer tiefen Beinvenen-
thrombose triggern und ist deshalb als Basisrisiko in einem Varizen 1,34 0,91-1,97 0,18
aktuellen Risikoschema zur Erfassung des individuellen Weibliches Geschlecht 1,20 0,83-1,73 0,38
VTE-Risikos aufgeführt (Nüllen 1996, Haas 2005).
Obwohl große epidemiologische Studien zu dieser Adipositas 1,04 0,68-1,60 0,97
Fragestellung fehlen und gerade auch in älteren Unter- (nach Alikhan et al. 2004)
suchungen (SIRIUS-Studie 2000) die Begriffsschärfe oft
unklar ist (Samama 2000), wird in Deutschland die Variko-
se, und hier namentlich die Stammvarikose, als konsens-
basierter dispositioneller Risikofaktor für die Entstehung Stase. Die Gerinnungsaktivierung bei Endothelschädigung
einer venösen Thromboembolie genannt. (Nüllen 1996, führt dann zur lokalen Thrombenbildung. Varizen bei in-
Haas 2007). ternistischen und chirurgischen Patienten können somit
In der genannten SIRIUS-Studie wird die chronisch das Thromboserisiko erhöhen. Alleine sind sie allerdings
venöse Insuffizienz als ein prädisponierender Risikofaktor nur selten der Auslöser einer tiefen Beinvenenthrombose.
für die tiefe Beinvenenthrombose mit einer Odds-Ratio Sie triggern das Thromboserisiko bei Vorhandensein von
von 4,45 (95% – KI 3,10-6,38) ermittelt. Dabei wurde die weiteren Risikofaktoren. Da vielfach mehrere Risikofak-
Varikose nicht ausdrücklich differenziert und von der toren das individuelle Thromboserisiko bestimmen und
oberflächlichen Thrombophlebitis bei Varikose unter- die Varikose nur einer dieser Faktoren ist, ist deshalb der
schieden. In einer aktuellen großen englischen prospek- Stellenwert in epidemiologischen Studien oder großen Ko-
tiven Kohortenstudie stellte sich die Varikose als unab- hortenstudien nur schwer einzuschätzen.
hängiger Risikofaktor für das Auftreten einer tiefen Bein- Diese Problematik drückt sich in der Einschätzung der
venenthrombose und Lungenembolie heraus (Huerta et al. primären Varikose als Risikofaktor für eine VTE aus. Zu-
2007). sammenfassend aus den bisher publizierten Studien und
Unterstützt werden diese Beobachtungen durch die Er- auf der klinischen Erfahrung wird in nationalen und inter-
gebnisse der neuen Studien zur Thromboseprophylaxe bei nationalen Empfehlungen die primäre Varikose als prädis-
internistischen Patienten. In der MEDENOX-Studie wurde ponierender (Basis-)Risikofaktor mit einer schwachen
die Varikosis als Risikofaktor für eine VTE definiert. Eine Relevanz für chirurgische und nichtchirurgische Patienten
Post-hoc-Analyse der MEDENOX-Studie unterstrich die gewertet (Nüllen 1999, Enke et al. 2003, Haas 2003, Hill et
Bedeutung der prädisponierenden Basisfaktoren, insbeson- al. 2007, Kroeger 2007).
dere hinsichtlich der Wirksamkeit einer medikamentösen
Thromboseprophylaxe (Alikhan et al. 2004, . Tab. 17.4). Pathophysiologie der Thrombose bei Varizen
Für den Risikofaktor Varikosis konnte eine signifikante Thromben in varikösen Venen sind Abscheidungsthrom-
Risikoreduktion von 76% nach Gabe von 40 mg Enoxapa- ben, die wandständig oder obturierend sich früh an der
rin beobachtet werden. Als unabhängiger Risikofaktor Venenwand verankern. Eine Embolisierung wird selten
konnte in der univariaten Analyse die Varikose allerdings beobachtet (Leu 1999), häufiger ist eine Ascension oder
nicht identifiziert werden. In der PREVENT-Studie waren Descension bei insuffizientem Kollateralnetz. Im Gegen-
Varizen ebenfalls als statistisch signifikant mit proximalen satz zu den Thromben in Varizen handelt es sich im tiefen
tiefen Beinvenenthrombosen assoziiert (Vaitkus et al. Venensystem in den allermeisten Fällen um fibrin- und
2005). erythrozytenreiche Gerinnungsthromben, die oft das ge-
Wahrscheinlich kann man diese Risikoeinschätzung samte Gefäßlumen ausfüllen, jedoch nicht fest an der Ge-
auch auf chirurgische Patienten übertragen, da die patho- fäßwand haften. Hier ist das Embolierisiko groß.
physiologischen Mechanismen bei der Varikose die glei- Entzündliche Venenerkrankungen bei primärer Vari-
chen sind. Neben der Alteration der Venenwand mit Schä- kose gehen fast regelhaft mit Thromben einher. Diese ent-
digung des Endothels kommt es durch die lokale Venenek- stehen zunächst bei Schädigung des Endothels lokal im
tasie zur Verlangsamung der Blutströmung bis hin zur Bereich der entzündeten Venenwand.
178 Kapitel 17 · Komplikationen bei Varikose
Soweit aus den vorliegenden spärlichen Untersuchun- Trotz vieler Unklarheiten ist die oberflächliche Throm-
gen zu entnehmen, sind hier vordringlich die Stammvenen bophlebitis als Komplikation der primären Varikose ein
zu nennen. Kleinere Seitenäste oder Besenreiser als For- Risikofaktor für das Entstehen und Wiederauftreten einer
men der primären Varikose spielen bei der Entwicklung tiefen Beinvenenthrombose. Allerdings sind zwei charak-
einer TVT keine Rolle. teristische Unterschiede in der Beurteilung der SVT und
TVT festzuhalten:
Varizen, Thrombophlebitiden 1. Varizen sind in über 70% der Fälle bei SVT zu finden
und tiefe Beinvenenthrombosen und sind ein wesentlicher Faktor in der Pathogenese
Die oberflächliche Thrombophlebitis, auch als oberfläch- der SVT, bei der TVT dagegen nur als schwacher prä-
liche Venenentzündung bezeichnet, ist eine der häufigsten disponierender Risikofaktor einzustufen.
Komplikationen der Varikose. In über 70% der Fälle ist die 2. Die Komorbidität und Mortalität ist bei SVT deutlich
Vena saphena magna betroffen. geringer als bei der TVT (0,1–1% vs. 5% (Decousus et
Obwohl genaue Angaben fehlen, schätzt man die Inzi- al. 2005).
denz in der Allgemeinbevölkerung auf 3 bis 11% (Leon
et al. 2005), wobei Frauen deutlich öfter betroffen sind. Die Diese Beobachtungen schränken auch die Ergebnisse
Prävalenz der symptomatischen oberflächlichen Venen- zweier randomisierter Studien von Patienten mit SVT ein.
thrombose ist höher als die der symptomatischen tiefen In der STENOX-Studie und in der VESALIO-Studie hatten
Beinvenenthrombose und Lungenembolie (Di Minno et al. 3% der Patienten mit isolierter SVT eine TVT nach 3 Mo-
2005). In dieser multizentrischen Kohortenstudie war naten (STENOX Study Group 2003, VESALIO Investiga-
die Varikose ein schwacher Risikofaktor für das Auftreten tors Group).
einer VTE.
Eine spontane oberflächliche Thrombophlebitis
(SVT) ist die bei weitem häufigste Form dieser Venener- 17.3.1 Zusammenfassung
krankung und zur tiefen Venenthrombose (TVT) besteht
eine verwandte pathologische Entität: Beiden venösen Einige Kohortenstudien haben einen Zusammenhang zwi-
Krankheitsbildern sind häufige Risikofaktoren gemeinsam schen primären Varizen und tiefer Venenthrombose auf-
und die oberflächliche Thrombophlebitis scheint selbst ein gezeigt. Insbesondere bei oberflächlicher Thrombophlebi-
Risikofaktor für die Entwicklung einer venösen Thrombo- tis als möglicher Komplikation der primären Varikose be-
embolie (tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie) steht ein erhöhtes Risiko für eine venöse Thromboembolie.
zu sein. Dies gilt für tiefe Beinvenenthrombosen und Lungen-
In einer Übersicht führt die oberflächliche Thrombo- embolien. Allerdings liegen häufig Risikofaktoren für bei-
phlebitis bei Varikose in annähernd 15% der Fälle zu einer de Erkrankungen vor (z. B. Alter, Malignom, entzündliche
tiefen Beinvenenthrombose und bei etwa 5% der Betrof- Erkrankungen), welche die Bedeutung der Varizen relati-
fenen kommt es zu einer Lungenembolie (Decousus et al. vieren. Übereinstimmend wird für chirurgische und nicht-
2003). Allerdings weisen die Autoren zu Recht darauf hin, chirurgische Patienten die Stammvarikosis als schwacher
dass oft maligne Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen prädisponierender Risikofaktor gewertet.
oder entzündliche Erkrankungen als Auslöser bei Throm- Aus klinischer Sicht sollte bei oberflächlicher Throm-
bophlebitiden eine bedeutsame Rolle spielen und ihrerseits bophlebitis eine duplexsonographische Untersuchung des
das Risiko einer venösen Thromboembolie drastisch er- oberflächlichen und tiefen Venensystems erfolgen, um
17 höhen. eine Beteiligung der tiefen Venen und damit mögliche
Hinzu kommt die enge Assoziation zum Lebensalter. Komplikationen nicht zu übersehen. Die Therapie erfolgt
Sowohl die VTE als auch die Varikose bzw. das Auftreten in Abhängigkeit von der Lokalisation und Ausdehnung.
von Varizen ist streng altersabhängig und die Prävalenz Bei Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose gelten die
steigt mit höherem Lebensalter an (Evand et al. 1999). Dies einschlägigen Leitlinienempfehlungen.
gilt ebenso für die Thrombophlebitis (Ruckley et al. 2002).
> Die oberflächliche Thrombophlebitis der Stamm-
Die oberflächliche Thrombophlebitis geht nach sys-
venen ist relevanter als Risikofaktor für eine tiefe
tematischen Ultraschalluntersuchungen in 6 bis 36% der
Beinvenenthrombose als die blande primäre Va-
Fälle mit tiefen Thromben einher, wobei allerdings in der
rikose. Eine Beteiligung des tiefen Venensystems
Mehrzahl der Patienten die tiefe Beinvenenthrombose
sollte wegen der therapeutischen Konsequenzen
asymptomatisch ist (Blumenberg et al. 1998). Inwieweit
ausgeschlossen oder nachgewiesen werden.
diese, insbesondere bei isoliertem Befall der Unterschen-
kelvenen von krankhafter Bedeutung ist, bleibt unklar
(Bounameaux et al. 1997).
17.4 · Chronisch venöses Ödem
179 17
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Health 53:149–53
und enden unbehandelt langfristig in einem mehr oder
Geerts WH, Berquist D, Pineo GF, Heit JA, Samama CM, Lassen MR,
Colwell CW (2008) Prevention of Venous Thromboembolism.
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Haas S (2006) Venöse Thromboembolien in der Inneren Medizin. In: Haas Insuffizienz haben, trifft man als akutes Phlebödem bei
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Huerta C, Johansson S, Wallander MA, Garcia Rodriguez LA (2007) Risk
Daneben existiert eine Reihe von chronischen Ödem-
factors and short-term mortality of venous thromboembolism formen, die nicht ohne weiteres auf eine venöse Ursache
diagnosed in the primary care setting in the United Kingdom. bezogen werden können. Die eindeutige kausale Zuord-
Arch Intern Med 167:935–43 nung eines chronischen Ödems zu einer venösen Ursache
Kroeger K (2007) Risikofaktoren für eine venöse Thromboembolie. DÄ
kann insbesondere bei der primären Varikose schwierig
107:2544–50
Leon L, Giannoukas AD,Dodd D, Chan P, Labropoulos N (2005) Clinical
sein; sind doch jedem Gefäßmediziner die Patienten mit
significance of superficial vein thrombosis. Eur J Vasc Endovasc monströser Varikose bekannt, die keine Ödemneigung auf-
Surg 29:10–17 weisen und auch unter Belastungssituationen nicht über
Leu HJ (1999) Pathologische Morphologie und Histopathologie der Ödeme klagen. Auf der anderen Seite stehen die Patienten
Venenwand .In: Rieger H. , Schoop W (Hrsg) Klinische Angiologie.
mit einer eher diskreten Varikose, bei denen das periphere
Springer, Berlin-Heidelberg-New York
Lutz L, Haas S, Hach-Wunderle V, Betzl G, Jarmatz H (2002) Venöse
Ödem im Vordergrund steht und den primären Anlass zur
Thromboembolie in der Inneren Medizin: Risikoeinschätzung Konsultation ergeben hat. Wie kann man hier zu einer
und medikamentöse Prophylaxe. Med Welt 53:231–34 klaren Zuordnung gelangen, insbesondere, wenn der be-
Nüllen H (1996) Ist die Krampfadererkrankung ein Risikofaktor für troffene Patient die Hoffnung auf eine Heilung von der
das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose und ergibt sich
Ödemneigung nach einer Sanierung der Varikose erwartet?
daraus ggf. eine Indikation zur prophylaktischen Operation der
Krampfadererkrankung? Gefäßchirurgie 1:116–118
Eigentlich bleibt die ätiologische Diagnose immer von einer
Ruckley CV, Evans CJ, Allan PL, Lee AJ, Fowkes FG (2002) Chronic ve- gewissen Unsicherheit begleitet, da die Ödemkrankheit
nous insufficiency: clinical and duplex correlations. The Edinburgh eine sehr bunte und vielschichtige Ätiologie und Pathophy-
Vein Study of venous disorders in the general population. J Vasc siologie aufweist und auch beim konkreten Patienten
Surg 36:520–25
durchaus nicht immer monokausal verursacht sein muss.
180 Kapitel 17 · Komplikationen bei Varikose
17
Sowohl bei der primären Varikose als auch beim hatte wegen der nicht therapierbaren Ulzera um eine beid-
postthrombotischen Syndrom hat die Insuffizienz der seitige Unterschenkelamputation gebeten. Bei den regel-
Cockett’schen Perforansvenen eine ursächliche Bedeu- mäßigen Nachuntersuchungen sind die Ulzera beidseits
tung für die Entstehung von Ulzerationen. Auf ihnen lastet dauerhaft abgeheilt (Hach 2006).
wegen der peripheren Lokalisation der größte hydrosta- Kritisch ist dazu anzumerken, dass nur Teile dieser
tische Druck. Sie sind kurz und verlaufen gerade durch die pathophysiologischen Vorstellungen mit harten Daten zu
Faszie ohne zwischengeschaltete Muskelvenen. Bei Muskel- belegen sind. Nachgewiesen sind die Veränderungen der
kontraktionen erfolgt keine Abdichtung durch Verschie- Fibrillentextur an der Faszie (Staubesand et al. 1998). Die
bung von Faszien oder Muskelanteilen. Außerdem mün- Erhöhung des orthostatischen Kompartmentdruckes und
den sie nicht in die dickwandige V. saphena magna, son- des Druckabfalls nach Fasziotomie ist belegt und jederzeit
dern in die hintere Bogenvene, deren schwächere Wand reproduzierbar (Salzmann 2007). Auch eine Verbesserung
zum Abfangen retrograder Druckwellen schlechter geeig- der transkutanen Sauerstoffwerte ist bis 2 Jahre nach Fas-
net ist (Klappert 1989). ziotomie nachgewiesen (Salzmann 2007). Für eine Evidenz
Auch der Ausfall oder Einschränkung der peripheren fehlen entsprechende klinische Studien mit randomisier-
Pumpsysteme führt zu einer Erhöhung des Venendruckes ten Therapiekonzepten und entsprechenden Langzeiter-
(arthrogenes Stauungssyndrom) (Hach 2006). gebnissen. Dabei ist es fast unmöglich, vergleichbare Kol-
Der ständig erhöhte Venendruck führt zu einer Ver- lektive in ausreichender Zahl zu rekrutieren. Die Arbeits-
minderung der arterio-venösen Druckdifferenz und damit gemeinschaft operative Ulkuschirurgie der Deutschen
zu einer Reduzierung des lokalen Blutflusses im Sinne der Gesellschaft für Phlebologie beschäftigt sich mit dieser
Mikrozirkulationsstörung mit Verminderung der nutriti- Thematik.
ven Perfusion. Durch sekundäre Veränderungen an den
Kapillaren, perivaskuläre Ablagerungen und Störungen in
den Gerinnungsparametern und Fließeigenschaften kommt 17.5.4 Klinik
es zur Gewebssklerose und einer nachweisbaren Verschlech-
terung der Sauerstoffversorgung des betroffenen Gewebes. Bei einem Ulcus cruris, im Volksmund als »offenes Bein«
Eine typische Gewebsreaktion bei langjährig bestehen- bezeichnet, ist die Integrität der Körperoberfläche durch
den chronischen Ulzerationen ist die Sklerosierung der eine chronische Wunde gestört. Die Schmerzintensität ist
Ulkusränder, aber auch des Ulkusgrundes. Dadurch wird meist groß, manchmal aber auch erstaunlich gering und
auch die Wirksamkeit einer Kompressionstherapie ver- korreliert nicht mit Größe oder Ulkusdauer. Es gibt viele
mindert. Der Effekt der Shavetherapie (7 Kap. 33.1) besteht Selbsthilfestrategien und Hausrezepte, bei denen immer
darin, die sklerotischen Narbenanteile Schicht für Schicht irgendwann auch die Ringelblumensalbe zur Anwendung
abzutragen. Erst wenn ein weicher, gut durchbluteter Un- kommt. Und viele Patienten erleben, dass ihre Ärzte the-
tergrund erreicht wird, kann ein Hauttransplantat an- rapeutisch erfolglos sind. Ein Ulcus cruris vermindert
heilen. die Lebensqualität erheblich (Klyscz et al. 1998). Bei aus-
In schwersten Fällen kann die Gewebssklerose auch die gedehnten, stinkenden Ulzerationen können familiär, be-
Muskelfaszie erfassen (Dermatolipofasziosklerose) (siehe ruflich und im gesamten sozialen Umfeld erhebliche
Sklerose-Faszien-Score nach Hach . Tab.15.8). Staubesand Schwierigkeiten entstehen, die bis zur Isolation mit ent-
et al. konnten 1998 durch elektronenmikroskopische Stu- sprechenden psychischen Problemen führen können. Die
dien eine Zerstörung der Scherengittertextur der Fibrillen Erwähnung eines Ulcus cruris als drohendes Endstadium
17 nachweisen. Dadurch wird die Compliance der Faszie ge- einer schweren primären Varikose veranlasst viele bisher
stört und es kommt zu einer Druckerhöhung in den Mus- uneinsichtige Varizenträger, doch einer rechtzeitigen chi-
kelkompartimenten, die nur im Stehen nachweisbar ist rurgischen Sanierung zuzustimmen. Patienten, die von
(Salzmann 2007). Sie nimmt mit der Schwere der chro- Ulkusträgern der vorausgehenden Generationen familiär
nisch-venösen Insuffizienz zu und kann ohne weiteres geprägt sind, unternehmen häufig alles, um einem solchen
Werte bis 80 mm Hg erreichen. Auf diese Erkenntnisse Schicksal zu entgehen.
stützt sich die Faszienchirurgie mit der paratibialen Fas-
ziotomie und der großen kruralen Fasziektomie bei aus-
gedehnten chronischen Ulzera. Auch zirkuläre Gama- 17.5.5 Diagnostik
schenulzera, die jahrzehntelang bestehen, werden dadurch
zur Abheilung gebracht (Hach 2006). Hach hat 1993 bei Aus der Krankheitsvorgeschichte gilt es mögliche Ursachen
Gamaschenulzerationen an beiden Beinen erstmals eine der Ulkusentstehung herauszufinden, speziell das Vorlie-
zirkuläre en bloc-Resektion von Ulkus einschließlich der gen einer Varikose oder eines postthrombotischen Syn-
sklerotischen Faszie erfolgreich durchgeführt. Der Patient droms.
17.5 · Ulcus cruris
185 17
4 Liegen typische Risikofaktoren für eine periphere arte- Bei den Blutuntersuchungen ist besonders auf patho-
rielle Verschlusskrankheit vor? logische hämatologische und hämostaseologische Befunde
4 Bestehen rheumatologische oder orthopädische Ein- zu achten. Im Rahmen einer weiterführenden Diagnostik
schränkungen des Bewegungssystems? sind unter Umständen weitere Untersuchungen erforder-
lich: Kryoglobuline, Homocystein, APC-Resistenz, Para-
Die Ulkusdauer, Rezidivhäufigkeit, bisherige Therapiever- proteinämien, Antiphospholipidantikörper, antineutro-
suche, Allergisierung auf Externa, Intensität der Schmer- phile cytoplasmatische Antikörper (ANCA), Spurenele-
zen geben zusätzliche Hinweise. mente und Vitamine (Dissemond 2005). Allergieteste sind
Das typische Ullcus cruris venosum ist zu 80% ober- im Regelfall nicht erforderlich, wichtiger ist es potentielle
halb des Innenknöchels lokalisiert und bei ca. 20% an an- Allergene bei der geplanten Therapie zu vermeiden.
deren Stellen des Unterschenkels. Bei der klinischen Un-
> Beim Ulcus cruris Tetanus-Impfschutz überprüfen.
tersuchung interessiert in erster Linie die Größe des Ulkus,
die Beschaffenheit des Ulkusgrundes, des Ulkusrandes
und Veränderungen der umgebenden Haut. Bestehen Hin-
weise auf eine chronisch venöse Stauung mit Ödem, Pig- 17.5.6 Differentialdiagnose
mentierungen, Atrophie, Induration, Dermatitis oder Der-
matoliposklerose? Der sehr wichtige arterielle Pulsstatus Ein Ulcus cruris ist ein Symptom und keine Diagnose. Mit
kann gleich erhoben werden, gefolgt von einer orien- einer konsequenten phlebologischen Diagnostik ist es mög-
tierenden neurologischen und orthopädischen Unter- lich, den meisten Ulzerationen auch eine Diagnose zuzu-
suchung, bei der speziell der Beweglichkeit des oberen ordnen:
Sprunggelenkes (arthrogenes Stauungsyndrom) getestet 4 ca. 70% aller Ulzerationen an den Unterschenkeln habe
wird. Eine Fotodokumentation mit Planimetrie zu Beginn eine rein venöse Ursache
der Behandlung hilft Therapieerfolge zu objektivieren und 4 ca. 10% sind gemischt arterio-venös
zu dokumentieren (7 Kap. 13.3). 4 ca. 10% rein arteriell bedingt.
Ein bakteriologischer Abstrich vom Ulkusgrund ist bei 4 den verbliebenen 10% liegen vielfältige andere Erkran-
unproblematischen Ulzera routinemäßig nicht erforderlich, kungen zugrunde, die gegebenenfalls in die differen-
da jede chronische Wunde mit Mikroorganismen koloni- tialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden
siert ist. Wenn es allerdings Hinweise gibt, dass eine floride müssen (. Tab. 17.5).
Infektion vom Ulkus ausgeht, muss eine differenzierte bak-
teriologische Diagnostik erfolgen, einschließlich einer Re- Angesichts der Vielfalt der in . Tab. 17.5 angegebenen
sistenzbestimmung. Unter solchen Umständen ist dann möglichen Diagnosen muss man »Kolibri-Diagnosen«
dem Antibiogramm entsprechend eine antibiotische Be- von denen trennen, die erfahrungsgemäß in der Klinik zu
handlung notwendig, die aber systemisch erfolgen sollte. erwarten sind. Häufig sind Unterschenkelgeschwüre bei
Grundsätzlich wichtig ist die Klärung, ob eine Besiedlung Ödemen anzutreffen, die auf primäre oder sekundäre
mit multiresistenten Keimen (MRSA) vorliegt. Danach muss Lymphödeme, aber auch kardiale Ödeme mit erheblicher
das Ausmaß der hygienischen Umgebungsmaßnahmen bei Hautspannung an den Unterschenkeln zurückzuführen
den betreuenden Institutionen festgelegt werden, sei es die sind. Mehrfach im Jahr finden wir durch Hautbiopsien ein
ambulante Pflege, Altenheime, Praxen oder Kliniken. Pyoderma gangränosum, das dann durch Kortikoide oder
Bei der weiterführenden Diagnostik steht die funktio- gegebenenfalls mit Zytostatika oder auch immunmodu-
nelle und morpholoigsche Überprüfung des Venensystems lierenden Calcineurin-Inhibitoren behandelt werden muss
durch apparative und bildgebende Verfahren im Vor- (Dissemond 2005). Selten ist eine Kryoglobulinämie als
dergrund (7 Sektion II). Besteht der Verdacht auf eine pe- Ursache festzustellen. Ebenfalls selten sind rein neuropa-
riphere arterielle Verschlusskrankheit, sollte eine ausführ- thische Ulzera, meist sind sie mit Mikrozirkulationsstö-
liche Diagnostik bis hin zur digitalen Subtraktionsangio- rungen kombiniert. Sehr wichtig ist es, ein Malignom als
graphie durchgeführt werden. Radiologisch lassen sich primäre Ulkusursache, aber auch die sekundäre Entartung
Weichteilverkalkungen nachweisen. Durch Kernspin- und zu erkennen. Besonderer Verdacht besteht, wenn die Mus-
Computertomographie kann der Zustand der Unterschen- kelfaszie durchbrochen ist. Wie bei anderen »atypischen«
kelmuskulatur und der Faszien beurteilt werden. Eher un- Ulzera klärt häufig eine Gewebsbiopsie die Diagnose.
ter wissenschaftlichen Fragestellungen oder in Zweifels- Das differentialdiagnostische Spektrum ist sehr breit
fällen ist eine Kompartmentdruckmessung zu empfehlen. und es kann sehr aufwändig sein, beim Ulkus die ursäch-
Histologische Untersuchungen von Probeexzisonen aus liche Grundkrankheit herauszufinden. Andererseits ist es
dem Ulkusrand können differentialdiagnostische Hinwei- wichtig zu wissen, dass bei allen diesen Krankheitsbildern
se besonders bei atypischen Ulzera geben. auch Ulzera als Symptom auftreten können (. Tab. 17.5).
186 Kapitel 17 · Komplikationen bei Varikose
Hämatologisch Sichelzellanämie
Thalassämie
Polycythaemia vera
Leukämie
Thrombozytopathie
Lymphogranulomatose
Morbus Werlhof
Hyperurikämie
Porphyrie
Churg-Strauss-Syndrom Felty-Syndrom
Werner-Syndrom
. Tab. 17.6. Therapie des chronisch-venösen Stauungssyndrom mit Ulcus cruris entsprechend dem Sklerose Faszien Score nach Hach
Symptome Therapie
I Varizen, Ödeme, Keine Gewebssklerose Sanierung der Varikose und konservative Therapie
II Varizen, trophische Hautveränderungen, Verhärtung der Haut Sanierung der Varikose, gegebenenfalls Shaving, Spalthaut
und des Subkutangewebes (Dermato-Lipo-Sklerose)
III Persistierendes, rezidivierendes chronisches Ulkus, fakultativ Sanierung der Varikose (bei primärer Varikose), endoskopische
arthrogenes Stauungssyndrom, sklerotische Veränderungen Perforansdissektion + Fasziotomie, Shaving oder Ulkus/Faszienre-
der Haut, des Subkutangewebes und umschriebener Areale sektion, Spalthaut
der Faszie (Dermato-Lipo-Fascio-sclerosis-regionalis)
Impetiginiserung
Arzneimittelunverträglichkeiten
190 Kapitel 17 · Komplikationen bei Varikose
17
. Abb. 17.9. Umschriebenes Ekzem im Verlauf einer Varize . Abb. 17.10. Ausgedehntes chronisches Stauungsekzem im Be-
reich eines Unterschenkels
17.6 · Trophische Störungen der Haut bei Varikosis
191 17
Reaktionen (z. B. gegen Wundexsudat) als auch auf Typ-IV- nachweisen. Die dritte Phase, das so genannte Atrophie-
Sensibilisierung beruhen, wie sie bei der chronischen venö- blanche-Ulkus, entspricht einer, die Atrophiezone ganz oder
sen Insuffizienz gehäuft auftreten. (. Abb. 17.11). teilweise erfassende, Erosion oder Ulzeration (. Abb. 17.11).
Die Schmerzintensität ist meist unverhältnismäßig hoch im
Differentialdiagnose Differentialdiagnostisch muss vor Vergleich zur Ulkusgröße.
allem eine Tinea corporis mittels mykologischer Kultur
ausgeschlossen werden. Auch eine unabhängig von einem Pathogenese Ursache der Atrophie blanche ist eine chro-
Venenleiden bestehende mikrobielle, allergische oder irri- nische Vaskulopathie mit Verschlüssen kleiner Hautgefäße.
tativ-toxische Ekzemreaktion muss bedacht werden.
Differentialdiagnose Abhängig vom klinischen Stadium
Komplikationen und Prognose Ohne eine adäquate Diag- der Atrophie blanche kommen bei differentialdiagnosti-
nostik und Therapie der auslösenden Faktoren können schen Erwägungen die Purpura pigmentosa progressiva,
Ekzeme sich als therapieresistent und rezidivfreudig erwei- sekundär depigmentierte Narben, die Necrobiosis lipoidi-
sen. Insbesondere im Bereich einer gestauten Vene liegen- ca oder eine Livedovaskulopathie (. Abb. 17.12) in Be-
de Ekzemherde werden, selbst bei kurzfristiger Abheilung tracht. Falls die Zusammenschau von Anamnese und Kli-
z. B. durch Tragen eines Kompressionsstrumpfes und ggf. nik keine eindeutige Diagnosestellung erlaubt, ist hier die
einer adjuvanten Steroidtherapie, ohne eine dauerhafte Entnahme einer Hautbiopsie u. U. sinnvoll.
Sanierung der Varikose nicht abheilen.
Komplikationen und Prognose Hat sich das Vollbild
Therapieoptionen An erster Stelle steht hier die Behand- einer Atrophie blanche entwickelt, ist eine Regression nicht
lung des Venenleidens. Daneben sollten Kofaktoren, wie zu erwarten. Atrophie-blanche-Ulzera zeigen eine schlech-
eine möglicherweise bestehende Kontaktallergie (Allergenka- te Heilungstendenz und eine hohe Rezidivquote.
renz), Xerosis cutis (Hautpflege durch rückfettende Externa)
oder irritativ-toxische Reaktionen (adäquate Wundauflagen)
minimiert und falls möglich, komplett eliminiert werden.
. Abb. 17.12. Bei der differentialdiagnostisch zu diskutierenden . Abb. 17.13. Bei der Purpura jaune d’ocre kommt es progredient
Livedovaskulopathie findet sich im Gegensatz zu den weißlich zu einer fleckförmigen roten bis rot-braunen oder ockerfarbigen
atrophischen Arealen eine rot-livide Verfärbung der Randbereiche Purpura in der Umgebung venöser Gefäße an den unteren Extre-
als Zeichen der Vaskulitis mitäten
Therapieoptionen Therapeutisch stehen neben der Be- Pathogenese Ursache dieser Purpura sind Stauungsblu-
handlung der Grunderkrankung die Schmerztherapie so- tungen im Verlauf der CVI. Die Erhöhung des hydrosta-
wie eine antientzündliche Therapie z. B. mit dem kurzzei- tischen Drucks sowie die zunehmende Verletzlichkeit und
tigen Einsatz externer Glukokortikoide im Vordergrund. Permeabilität der Gefäßwand führt zu einem Übertritt von
Eine intensive Hautpflege mit rückfettenden Externa sowie Erythrozyten ins perivaskuläre Gewebe. Dort kommt es
ggf. eine Abpolsterung (z. B. Schaumstoff-Pelotte) des be- dann auch nach Abbau der Erythrozyten zur Ablagerung
17 troffenen Areals soll das erneute Auftreten einer Ulzera- von Hämosiderin.
tion verhindern und vor einem Trauma an dieser Stelle
schützen. Differentialdiagnose Ein ähnliches klinisches Bild findet
sich unabhängig von einer CVI auch bei der Purpura pig-
mentosa progressiva (mögliche Auslöser: Arzneimittel,
17.6.3 Purpura jaune d’ocre Nahrungsmittelzusatzstoffe, Kryoglobulinämie Typ III,
Färbe- oder Bleichmittel in Baumwolltextilien), bei here-
Definition und Klinik Langsam, aber stetig kommt es zum ditär, medikamentös oder infektiös ausgelösten Thrombo-
Auftreten von fleckförmigen, teils roten, teils rotbraunen zytopenien, aber auch bei postinflammatorischen Hyper-
oder ockerfarbigen Purpura in der Umgebung venöser Ge- pigmentierungen (Melanose).
fäße an den Beinen. Je länger die Veränderungen bestehen,
desto dunkler werden die Verfärbungen an den Unter- Komplikationen und Prognose Unter adäquater Thera-
schenkeln. In der Regel bereiten die Veränderungen keine pie der Varikose kann ein Fortschreiten der Purpura ver-
Beschwerden (. Abb. 17.13). hindert werden (90% der Fälle), es bleiben jedoch meist
17.6 · Trophische Störungen der Haut bei Varikosis
193 17
oder im Bereich von Amputationsstümpfen sowie bei einer
ausgeprägten Adipositas. Bei der CVI kommt es durch die
Veränderung der Mikrozirkulation mit veränderter Sauer-
stoff- und/oder Druckbelastung zur Ausbildung dieser
gutartigen Gefäßproliferationen.
17.6.5 Sklerose
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Im Zweifelsfall sollte bei Patienten mit einer CVI (mit Hautarzt 57:303–308.
und ohne Ulcus cruris) eine entsprechende Epikutantes- Lessmann H, Schnuch A, Geier J, Uter W (2005) Skin-sensitizing and
irritant properties of propylene glycol. Contact Dermatitis
tung durchgeführt werden. Hier zeigen die Erkenntnisse 53:247–259.
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Patienten ein Großteil der auftretenden Reaktionen bei Machet L, Couhé C, Perrinaud A, Hoarau C, Lorette G, Vaillant L (2004)
einer alleinigen Prüfung der jeweiligen Standardreihen, A high prevalence of sensitization still persists in leg ulcer pa-
wie es vielfach im Praxisalltag außerhalb klinischer Stu- tients: a retrospective series of 106 patients tested between 2001
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18
18 Rezidivvarikose
18.1 Rezidivvarikose – 198
T. Noppeney, H. Nüllen
18.1.1 Definition und Klassifikation – 198
18.1.2 Technischer/taktischer Fehler – 198
18.1.3 Progression der Grunderkrankung – 200
18.1.4 Neovaskularisation – 201
18.1.5 Definition der Rezidivvarikose – 201
18.1.6 Zusammenfassung – 202
chen, ebenfalls als technisches Versagen der Methode zu Min et al. 90 1,1 6,0
werten. Dies trifft auch dann zu, wenn die rekanalisierten
Proebstle et al. 39 0,0 6,0
Venen hämodynamisch unbedeutend sind.
Sowohl zur endovenösen Lasertherapie (ELT) als Goldmann et al. 24 0,0 6,0
auch zur Radiofrequenzobliteration (RFO) liegen mittler-
Huang et al. 230 0,0 6,0
weile zahlreiche Daten zur Rezidivrate vor. Die publizierten
Rekanalisationsraten für die ELT bewegen sich zwischen Lahl et al. 32 6,3 6,0
0 und 36% (. Tab. 18.2). Sie sind abhängig von der abge- Siani et al. 77 2,6 6,0
gebenen Energie an die Venenwand und im gewissen Maße
von der Behandlungszeit (7 Kap. 28.2). Timperman et al. 111 23,4 7,0
Für die Radiofrequenzobliteration liegen sowohl Da- Proebstle et al. 104 8,7 12,0
ten aus retrospektiven Untersuchungen, als auch aus pro-
Kabnick 30 6,7 12,0
spektiv, randomisierte Studien vor. In einer Metaanalyse
der Ergebnisse aus den retrospektiven analysierten Studien Sharif et al. 83 24,1 12,0
und einer prospektiv geführten klinischen Datenbank
Petronelli et al. 52 7,7 12,0
(Noppeney 2008) betrug die Rekanalisationsrate für die
Radiofrequenzobliteration (VNUS ClosurePlus®) Durch- Kim et al. 34 0,0 12,2
schnitt 10,9%. Bei den prospektiv randomisierten Studien
Chang et al. 252 0,0 12,0–28,0
betrug die Rekanalisationsrate im Durchschnitt 12,9%
(. Tab. 18.3, . Tab. 18.4). Die Rekanalisationsraten nehmen Navarro et al. 80,0 0,0 18,0
nach derzeitigen Erkenntnissen im zeitlichen Verlauf nicht Sadick et al. 31 3,2 24,0
zu, sondern bleiben stabil (7 Kap. 28.1).
Für die Sklerosierungstherapie der V. saphena magna Min et al. 460 0,7 24,0
oder parva werden ebenfalls Rekanalisierungsraten be- Weiss et al. 200 5,0 24,0
richtet. Die Sklerosierung der genannten Venen mit flüs-
Disselhoff et al. 76 19,7 29,0
sigen Agentien ist mit einer hohen Rekanalisierungsrate
behaftet, die bis zu 40% 5 Jahre nach Sklerotherapie und bis Ravi et al. 143 2,1 36,0
zu 90% nach 10 Jahren betrugen (Noppeney 2001). Deut-
Agus et al. 1.067 3,0 36,0
lich bessere Ergebnisse können mit der Sklerotherapie
aufgeschäumter Agentien erzielt werden. Hier betragen Morrison et al. 50 34,0 50,0
die Rekanalisationsraten bei Sklerotherapie der V. saphena
Bush et al. 620 4,8 k. A.
magna oder parva etwa 20% nach drei bzw. fünf Jahren
follow up (7 Kap. 23.5).
200 Kapitel 18 · Rezidivvarikose
. Tab. 18.3. Metaanalyse VNUS Closure PlusTM Rekanalisationsraten und Follow Up retrospektive Studien und klinische Datenbank
(Noppeney 2008)
. Tab. 18.4. Metaanalyse VNUS Closure PlusTM Rekanalisationsraten prospektiv, randomisierte Studien (Noppeney 2008)
18.1.3 Progression der Grunderkrankung kuläre Varizen sichtbar waren und 9,9% der Patienten kli-
nisch eine erneute, deutlich sichtbare Varikose aufwiesen,
Es ist allgemein akzeptiert, dass das Varizenleiden eine de- die im Wesentlichen als ein Fortschreiten der Grunder-
generative Erkrankung mit erblicher Disposition darstellt krankung zu werten sind. Auch diese retrospektive Unter-
(Noppeney 2004). Bei dem Fortschreiten der Grunder- suchung ist mit dem Manko behaftet, dass wir nur Infor-
krankung handelt es sich meistens um neu aufgetretene mationen über 906 (57%) der ursprünglich 1575 operierten
Seitenäste oder Perforansvenen im zuvor behandelten Patienten erhalten haben (Noppeney 2002).
18 Strombahngebiet. Die Studiendaten zeigen eine zuneh- In einer Multicenterstudie an Patienten, die wegen
mende Prävalenz der Varikose mit steigendem Alter der eines belassenen Saphenastumpfes (VSM) ein Leistenrezi-
Patienten, sowie eine zunehmende Inzidenz der Reziv- div entwickelten und deswegen eines erneuten Eingriffes
varikose mit zunehmendem Abstand zum Primäreingriff. unterzogen wurden, haben Mumme et al. (2007) per Fra-
Aus dieser Sichtweise lassen sich die hohen Rezidivraten gebogen das beschwerdefreie Intervall nach dem Pimär-
mit längerem, zeitlichem Abstand zur initialen Therapie in eingriff bestimmt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass
vielen Arbeiten erklären. 7–8 Jahre (7,4 ± 5,7) nach dem Ersteingriff vergehen, bis
Bislang liegen nur sehr wenige Daten vor, die explizit sich ein klinisch relevantes Leistenrezidiv entwickelt hat.
die Häufigkeit des Fortschreitens der Grunderkrankung
beziffern. In der eigenen Arbeitsgruppe konnten wir zei-
gen, dass im Mittel 36 Monate postoperativ bei 56,8% der
nachuntersuchten Patienten kleinere Seitenäste oder reti-
18.1 · Rezidivvarikose
201 18
Hauptursache eines Rezidivs angesehen (van Rij 2004,
Frings 2004).
> Unter dem Begriff Rezidivvarikose sind unter-
schiedliche Formen klinisch und technisch nach-
weisbarer Varizen nach vorausgegangener Thera-
pie zusammengefasst:
4 Rezidivvarikose infolge technischen/takti-
schen Fehlers, bzw. Versagens der Methode
4 Rezidivvarikose infolge Fortschreitens der
Grunderkrankung
4 Rezidivvarikose infolge Neovaskularisation
18.1.4 Neovaskularisation In der Vergangenheit gab es schon einige Versuche die Re-
zidivvarikose mittels Formeln zu beschreiben.
Die Neovaskularisation ist definiert als neu entstandene Bereits Mitte der 90er Jahre wurde eine Definition
Varikose am zuvor korrekt operierten sapheno-femoralen der Rezidivvarikose vorgenommen (Stonebridge 1995).
bzw. -poplitealen Übergang. In der gefäßmedizinischen/ Die Gruppe um Ruckley unterschied im Wesentlichen zwei
phlebologischen Öffentlichkeit ist es nach wie vor um- Gruppen der Rezidivvarikose (. Abb. 18.2).
stritten, ob es eine Neovaskularisation im Bereich des Im Jahr 1998 hat auf Initiative der IUP in Paris eine
sapheno-femoralen oder -poplitealen Überganges über- Konsensuskonferenz zur Beschreibung und Definition der
haupt gibt. Mittlerweile liegen Publikationen vor, die Rezidivvarikose stattgefunden. Hier wurde der Begriff
klar auf das Vorliegen der Neovaskularisation hinweisen REVAS (Recurrent Varices after Surgery) geprägt (Perrin
(7 Abschn. 18.2). 2000). Die Beschreibung und Definitionen waren sehr um-
Auch bei diesem Phänomen ist die Inzidenz als Ur- fangreich (. Tab. 18.5). Neben anatomischen Bezugspunk-
sache einer Rezidivvarikose unklar. Mumme (2002) sah in ten und der Quelle des Refluxes wurden neben der klini-
24% der operierten Rezidive eine Neovaskularisation als schen Relevanz des Refluxes auch prädisponierende Fakto-
Ursache und in weiteren 12% eine Neovaskularisation als ren aufgezählt. Darüber hinaus wurde zwischen techni-
wahrscheinliche Ursache für die Rezidivvarikose an. In schem bzw. taktischem Fehler und der Neovaskularisation
anderen Publikationen wird die Neovaskularisation als als Ursache des Rezidives unterschieden. Diese sehr umfang-
a b c
d e
202 Kapitel 18 · Rezidivvarikose
18
18.2 · Neovaskularisation
203 18
Literatur dazu handelt es sich bei der Vaskulogenese um die embryo-
Frings N, Nelle A, Tran P, Fischer R, Krug W (2004) Reduction of neore- nale »de-novo-Gefäßneubildung«.
flux after correctly performed ligation of the saphenofemoral
junction. A randomized trial. Eur J Vasc Endovasc Surg 28: 246–
52
Kostas T et al. (2004) Recurrent Varicose Veins after Surgery: A New 18.2.2 Historie
Appraisal of a Common and Complex Problem in Vascular Surgery;
Eur J Vasc Endovasc Surg; 27: 275–282 Als Folge klinischer Beobachtungen postulierte Langen-
Mumme A, Burger P, Hummel T, Frings N, Hartmann M, Schonath M,
beck bereits 1861 die Neovaskularisation als Ursache eines
Schwahn-Schreiber C, D. Stenger7, Stücker M (2007) Der lang
belassene Saphenastumpf - Implikationen für die endovenöse
erneuten venösen Refluxes nach durchgeführter Primär-
Therapie der Varikosis. Phlebologie 36:256–259 therapie. Für viele Jahre wurde dann die technisch unzu-
Mumme A et al. (2002) Saphenofemorales Leistenrezidiv der Vena reichende Crossektomie als Hauptursache des Varizenre-
saphena magna: technischer Fehler oder Neorevaskularisation? zidives in der Leiste oder am sapheno-poplitealem Über-
Phlebologie; 31: 38–41
gang angenommen. Über 100 Jahre nach Langenbeck hat
Noppeney T, Noppeney J, Scheidt A, Kurth I (2001); Indikation und
Technik zur Sklerotherapie bei Varikose; Zentralbl Chir; 126: 546–
Glass (1987) die Neovaskularisation als eine Reparations-
550 form bei zerstörter Stammvene experimentell nachge-
Noppeney et al. (2002) Ergebnisse nach klassischer Varizenchirurgie; wiesen. Radiografisch konnte er an 10 Fällen belegen,
Zentralbl Chir; 127: 748–751 dass es nach knienaher Transsektion der Stammvene
Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H, Braunbeck W, Ehresmann U, Fischer
innerhalb von 64 Wochen zunächst über eine Vielzahl
R, Hermanns HJ, Langer C, Nüllen H, Salzmann G, Schimmel-
pfennig L (2004); Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Krampf-
kleinster, knäuelartiger Gefäße zu einer Rekonnektion
aderleidens; Gefäßchirurgie; 9: 290–308 der Stammvenenenden kommen kann. Im weiteren Ver-
Noppeney T, Nüllen H (2005); Die Rezidivvarikose – was ist das? Gefäß- lauf konnte er eine Reduktion der Anzahl dieser Venen
chirurgie; 10: 424–427 bei zunehmender Wanddicke und Ausbildung einer
Noppeney T. et al (2008) Update der Ergebnisse nach Radiofrequenz-
Muskelschicht nachweisen. Infolge seiner Beobachtungen
obliteration zur Ausschaltung der Varikose; Gefäßchirurgie; 14:
258–264
kam Glass zu der Erkenntnis, dass echte Neovaskulate
Perrin M, Guex JJ, Ruckley CV, de Palma R, Royle J, Eklof B, Nicolini P, durch
Jantet G (2000); Recurrent Varices after Surgery (REVAS), a Con- 4 einen gewundenen Verlauf,
sensus Document; Cardiovasc Surg; 8: 233–245 4 narbige Einbettung in situ,
van Rij AM et al (2004) Neovascularisation and Recurrent Varicose
4 Dünnwandigkeit,
Veins: More Histologic and Ultrasound Evidence ; J Vasc Surg; 40:
296–302
4 Klappenlosigkeit und
Schmedt CG, Steckmeier BM (2006) Endoluminale Radiofrequenz 4 Ursprung aus dem tiefen Venensystem
und Lasertherapie zur Therapie der Stammveneninsuffizienz; in
Marshall/Breu (Hrsg.) – Handbuch der Angiologie, 15. Erg.–Lfg.12 charakterisiert sind (. Abb. 18.4).
Stonebridge P.A., Chalmers N., Beggs I., Bradbury A.W., Ruckley C.V.
Mediatoren der Angiogenese wurden bislang weder
(1995); Recurrent varicose veins: A varicographic analysis leading
to a new practical classification; Brit J Surg; 82: 60–62
von Glass, noch von anderen Arbeitsgruppen bei Neovas-
kulaten untersucht.
18.2 Neovaskularisation
S. Rewerk, T. Noppeney
18.2.1 Definition
. Abb. 18.4. Dünnwandige, gewundene, in Narbengewebe ein-
Neovaskularisation wird definiert als die adulte Gefäßneu- gebettete Rezidivvene. Sie entspricht makroskopisch einem Neo-
bildung aus bereits präexistenten Gefäßen. Im Gegensatz vaskulat
204 Kapitel 18 · Rezidivvarikose
Bewertung
Die Nachuntersuchungen von Glass waren auf 64 Wochen
begrenzt. Somit bestehen für die Entstehung der Neovas-
kularisation keine darüberhinausgehenden Erkenntnisse
bis auf die klinischen Eindrücke der Operateure einer Re-
zidivvarikose, vornehmlich in der Leiste. Sogenannte ver-
bliebene Crossevenen, vermeintliche technische Fehler,
könnten auch Neovaskulaten in späteren Entwicklungs-
stadien entsprechen. Da Glass knienahe Stammvenenab-
schnitte untersuchte, sind seine Befunde unter Umständen
nur begrenzt auf das sog. Crossenrezidiv übertragbar. Im
Crossenbereich laufen möglicherweise andere relevante,
. Abb. 18.5. Adventitielle Nervenfaser. Längs, mit Braunfärbung
eine Neoangiogenese determinierende Prozesse ab.
Schwann’scher Zellen durch NGF-Antikörper
18.2.3 Immunhistochemische Nachweisbar- ten aus dem sapheno-femoralem Übergang bestand histo-
keit der Neovaskularisation logisch kein Unterschied im Wandaufbau, beide Gruppen
waren S100 Antiköper negativ. Bei Untersuchungen mit
Über zwei Jahrzehnte nach der ersten Beschreibung der dem Proliferationsmarker Ki67 waren die Testergebnisse
morphologischen Kriterien durch Glass hat Nyamekye mit bis auf einen Fall in der Rezidivgruppe negativ.
seiner Arbeitsgruppe auf molekularer Ebene versucht, ein Die eigene Arbeitsgruppe konnte in gesunden Venen,
Differenzierungskriterium zwischen echten Neovaskulaten primären Varizen und makroskopisch als Neovaskulate
und Rezidiven anderer Ursache zu etablieren (Nyamekye klassifizierten Rezidiven – eine Asservation erfolgte ent-
1998). So sollte der immunhistochemische Nachweis von sprechend den morphologischen Kriterien nach Glass –
mit S100-Antikörpern anfärbbarer intramuraler Nerven- mit S100 Antikörper anfärbbare Nervenfasern in der
fasern ein Ausschlusskriterium echter Neovaskulate sein. Adventitia in allen drei Gruppen nachweisen. Die gerings-
Bei 28 Rezidivoperationen in der Leiste wurden die Rezi- te Anzahl positiver Testergebnisse fand sich dabei in der
dive sowohl morphologisch, als auch immunhistochemisch Gruppe mit Neovaskularisation. Aus diesem Grund wurde
klassifiziert. 19 der gewonnenen Präparate waren S100 Anti- ergänzend das ebenfalls neurotope Protein »nerve growth
körper negativ und wurden auch morphologisch als Neo- factor« (NGF) immunhistochemisch untersucht. NGF gilt
vaskularisation eingestuft. Diese und andere Arbeitsgrup- als einer der stärksten nervalen Wachstumsfaktoren mit
pen gingen von der Hypothese aus, in Neovaskulaten sei eigener angiogenetischer Potenz. In der Neovaskulat-
Nervenfaserwachstum ausgeschlossen. Das scheint aller- gruppe zeigte sich die größte mit NGF-Antikörpern detek-
dings wenig plausibel, da Nervenwachstumsfaktoren, z. B. tierbare Nervenfaserdichte, jedoch konnten Nervenfasern
»nerve growth factor«, bekannt sind, die gleichzeitig eine auch in den anderen Gruppen nachgewiesen werden
hohe angiogenetische Potenz aufweisen. Auch die Arbeits- (. Tab. 18.6, . Abb. 18.5).
gruppe um Mumme konnte 2002 in 24% bei Rezidivopera-
tionen in der Leiste histologisch einen unvollständigen > Mit keiner bislang untersuchten immunhisto-
Wandaufbau nachweisen. Diese Präparate waren S100 Anti- chemischen Methode können Neovaskulate von
körper negativ, und wurden daher als Neovaskularisation anderen Rezidivformen hinreichend exakt diffe-
klassifiziert. Andere Gruppen, z. B. Wajeh (2004) und Kol- renziert werden. Insbesondere die Annahme,
18 legen, konnten diese Resultate nicht nachvollziehen. In dass Neovaskulate keine Nervenfasern vorwei-
einer Untersuchung an 19 Rezidiv- und 9 Kontrollpräpara- sen, scheint nicht zuzutreffen
Durchschnittliche Anzahl Nervenfasern pro Gesichtsfeld pro Präparat und Gruppe bei 200facher Vergrößerung
18.2 · Neovaskularisation
205 18
sätzlich wurden gesunde und primär varikös veränderte
Venen, ebenfalls aus dem saphenofemoralen Abschnitt,
untersucht.
Vascular endothelial growth factor (VEGF) gilt als
einer der potentesten Angiogenesefaktoren. Per RT-PCR
konnte zunächst nachgewiesen werden, dass in Venen-
wänden der drei Vergleichsgruppen grundsätzlich gene-
tische Information für eine VEGF-Synthese vorhanden ist,
die zu einer Expression von VGEF in unterschiedlichem
Ausmaß führt. Nachfolgend konnte immunhistochemisch
im Endothel von Neovaskulaten die höchste Färbe-
intensität (Intensitätsstadien 1–4) für VEGF und dem
zugehörigen Rezeptor nachgewiesen werden. Dies gelang
mit absteigender Intensität auch in primären Varizen und
. Abb. 18.6. Variköse Venen aus Narbengewebe. Rechte Leiste gesunden Stammvenen. Die Unterschiede waren in den
nach Rezidvcrossektomie sich entwickelnd nichtparametrischen Tests (Kruskal-Wallis-, U-Test) hoch-
signifikant (. Tab. 18.7, . Abb. 18.7). Als Trend konnten
die Unterschiede der Färbeintensität auch für die Media
18.2.4 Klinische Nachweisbarkeit belegt werden, in der Adventitia kam es nicht zur Fär-
der Neovaskularisation bung.
NGF kann seine angiogenetische Potenz über eine
Frings et al. (2004) konnten in einer prospektiv, randomi- Stimulation der VEGF-Synthese entfalten. Da die mit NGF
sierten Studie indirekt zeigen, dass eine Neovaskularisation anfärbbaren Nervenfasern in der Gruppe der Patienten mit
als Rezidivursache mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich Varikose die geringste Dichte hatten und in der Neovas-
ist. In zwei Gruppen wurde der zum umliegenden Gewebe kulatgruppe im Gegensatz dazu die höchste Nervenfaser-
tulpenförmig offene Magnamündungstrichters nach Cross- dichte vorlag, ist es grundsätzlich denkbar, dass VEGF in
ektomie übernäht, um einen Kontakt des Endothels zum der Neovaskulatgruppe über andere Mechanismen stimu-
umgebenden Gewebe zu vermeiden. Zwei Jahre postopera- liert wird als in der Varikosisgruppe. Daraus lässt sich
tiv fand man in diesen Gruppen eine signifikant verminderte schließen, dass Neovaskularisation nicht generell die Ag-
Rezidivinzidenz im Vergleich zu Gruppen ohne Übernä- gravation der primären Varikosis ist, sondern eine eigene
hung, bei sonst gleicher Crossektomietechnik. Hieraus
kann geschlossen werden, dass das Endothel des Magna-
mündungstrichters eine wesentliche Rolle bei der Entste-
hung einer Neovaskularisation spielt. Diese Beobachtung . Tab. 18.7. VEGF und VEGF-R Immunhistochemie
passt zu den eigenen Ergebnissen mit Nachweis der höchs-
Kontrolle Primär- Rezidiv/
ten VEGF-Anreicherung im Endothel von Crossenneo- (n = 16) varikosis Neovaskulat
vaskulaten (7 Abschn. 18.2.5). Aber auch Einzelfallbeobach- (n = 110) (n = 24)
tungen scheinen die Möglichkeit der Neovaskulatbildung
VEGF 1,69 ± 0,7 2,1 ± 0,79 2,92 ± 0,78
im Crossenbereich zu belegen (. Abb. 18.6).
Intima
Andererseits liegen Publikationen vor, die diese Ergeb-
nisse nicht bestätigen (Heim 2008). p-Wert 0,05
<0,0001
<0,0001
18.2.5 Pathogenese der Neovaskularisation
VEGF-R 1,5 0,73 2,05 0,81 2,88 0,95
Mit Ausnahme eigener Publikationen liegen derzeit Intima
keine weiteren, veröffentlichten Daten zur Pathogenese p-Wert 0,0092
der Neovaskularisation vor. Insbesondere wurden bis-
lang keine angiogenetischen Mediatoren in den Venen- <0,0001
19 Besondere Krankheitsbilder
und Syndrome
H. Nüllen, T. Noppeney
19
a b c
. Abb. 19.2. Pressphlebographie bei pudendaler Varikose. Reflux tungen. Auffüllung von Venenplexus in der Labia majora und weite-
aus dem Becken über insuffiziente Äste der V. iliaca interna in die re Auffüllung von anhängigen Varizen am medialen, proximalen
Labia majora links. a–c Darstellung in unterschiedlichen Drehrich- Oberschenkel
19.4 · Canyon-Varizen
211 19
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19.3 Varizenblutung
19
19.6 · Arthrogenes Stauungssyndrom
213 19
anteile sollten sogar blutbildende Elemente enthalten.
Beides konnte in der Arbeitsgruppe von Grüntzig (1973)
so nicht bestätigt werden. Die Patienten mit heterotopen
Knochenbildungen waren in diesen Untersuchungen er-
heblich seltener und in keinem Fall konnten Knochen-
markstrukturen in den Ossifikationen nachgewiesen wer-
den. Die Pathogenese scheint ebenso unklar wie die
Häufigkeit des Phänomens. Ob es sich tatsächlich um eine
spezifische Reaktion im Zusammenhang mit der chronisch
venösen Insuffizienz handelt, ist ebenfalls unklar, da hete-
rotope Ossifikationen auch in anderen Lokalisationen
(Lunge, Muskel) beschrieben wurden (. Abb. 19.4).
Klinische Bedeutsamkeit können solche Ossifikationen
durch lokale Verletzungen der Haut erlangen, im Sinne
eines mechanischen Hindernisses z. B. im Zusammenhang
mit einer Atrophie der Haut. In diesen eher seltenen Fällen
ist eine lokale Exstirpation angezeigt.
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voll sein. Eine solche Stellungskorrektur sichert zwar die lage für diese Abgrenzung war die Beobachtung, dass bei
Stand- und Gehfähigkeit, beseitigt aber nicht den Ausfall Patienten mit ausgeprägter CVI in den muskulären Kom-
der Pumpmechanismen, soweit sie durch den Ausfall der partments des Unterschenkels unter Orthostasebelastung
Bewegung im OSG ausgelöst sind. Ergänzende Maßnah- erheblich höhere Druckwerte nachzuweisen waren als bei
men zur Unterstützung der venösen Drainage (Kompres- gesunden Probanden (Pflug et al. 1990, Langer et al.1995).
sion und krankengymnastische Übungsbehandlung) sind Ausgelöst werden soll dieses Phänomen durch die Gewebe-
in diesen Fällen zusätzlich zwingend notwendig, um eine sklerose, die ausgehend von der Haut über das subkutane
Stabilisierung des Krankheitsbildes zu ermöglichen. Gewebe schließlich auch die Muskelfaszie ergreift (Derma-
Hach (2003) hat darauf hingewiesen, dass in der trau- tolipofasziosklerose). Die durch die Sklerose bedingte Des-
matologischen und orthopädischen Literatur das arthro- truktion führt zu einem Verlust der elastischen Fähigkeiten
gene Stauungssyndrom gänzlich unbekannt ist, wenngleich dieser Grenzstruktur und damit funktionsabhängig zu
davon auszugehen ist, dass Arthrodesen im OSG aus pri- einem unphysiologischen Druckanstieg in der Muskelloge
mär traumatologischer oder orthopädischer Indikation mit den entsprechenden negativen Folgen für die Musku-
mittelfristig zur Auslösung eines mehr oder weniger aus- latur. Die Muskulatur in den so veränderten Logen weist
geprägten arthrogenem Stauungssyndrom führen muss. degenerative Veränderungen bis hin zu Nekrosen auf und
zeigt eine Verarmung an Glykogen.
Literatur Ein klar gegliedertes klinisches Beschwerdebild liegt
Hach W, Langer C, Schirmers U (1983) Das arthrogene Stauungssyn- in Abgrenzung zu anderen Folgen bzw. Stadien des chro-
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Hach W, Hach-Wunderle V (1994) Die Rezirkulationskreise der pri-
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ohne Ulzeration, nicht vor. Definitorische Leitkriterien für
Hach W (2003) das arthrogene Stauungssyndrom. Gefässchirurgie das chronisch venöse Kompartmentsyndrom sind
8:227–233 4 Fasziosklerose,
Jünger M, Steins A, Zuder D, Klyscz T (1998) Physikalische Therapie bei 4 degenerativen Veränderungen der Muskulatur und
Venenerkrankungen. VASA 27:73–79
4 unphysiologischer Druckanstieg in den Muskellogen
unter ambulatorischen Bedingungen.
19.7 Chronisch venöses Die Frage, ab wann man von einem chronisch venösen
Kompartmentsyndrom Kompartmentsyndrom sprechen darf, ist somit klinisch
. Tab. 20.1. G-AEP-Kriterien: auf deutsche Verhältnisse adaptierte appropriatness evaluation protocol (AEP)
A3 Blutdruck: systolisch < 90 oder > 200 mm Hg; diastolisch < 60 oder > 120 mm Hg ja
A6 lebensbedrohliche Infektion oder anhaltendes oder intermittierendes Fieber (> 38,0°C Kern- ja
temperatur )
A11 Krankheit, die eine Behandlung mit onkologischen Chemotherapeutika oder anderen ja
potenziell lebensbedrohlichen Substanzen erfordert
B2 Operation, Intervention oder spezielle diagnostische Maßnahme innerhalb der nächsten nein
24 Stunden, die die besonderen Mittel und Einrichtungen eines Krankenhauses erfordert
C2 Operation / Prozedur aus dem aktuellen Katalog ambulanter Operationen nach §115b SGB V ja
Nr. Kriterium
D4 manifeste Herzerkrankungen:
Angina pectoris Grad III oder IV (NYHA)
manifeste Herzinsuffizienz Grad III oder IV (NYHA)
D6 Patienten, bei denen eine besonders überwachungspflichtige Behandlung der folgenden Erkrankungen dokumentiert ist:
4 endokrine Erkrankungen (z. B. Diabetes)
4 Bronchospastische Lungenerkrankungen
4 Schlaganfall und/ oder Herzinfarkt
4 Behandlungsrelevante Nieren-/ Leberfunktionsstörung
Nr. Kriterium
E2 Amputationen
F = soziale Faktoren, aufgrund derer eine sofortige medizinische Versorgung des Patienten im Falle postoperativer
Komplikationen nicht möglich wäre, in Verbindung mit Operationen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen –
geprüft und dokumentiert –
Nr. Kriterium
F1 fehlende Kommunikationsmöglichkeit, da der Patient allein lebt und kein Telefon erreichen kann
F2 keine Transportmöglichkeit; große Entfernung von Stellen, die Notfallhilfe leisten könnten
20 F4 fehlende Versorgungsmöglichkeiten
20.4 · Indikation zur ambulanten Versorgung
221 20
20.3 Stationsersetzende Leistungen 20.4 Indikation zur ambulanten
Versorgung
Die ambulante Durchführung von Eingriffen, die in
früheren Jahren grundsätzlich unter stationären Bedin- Der über viele Jahre hinweg unstrittige Katalog der Voraus-
gungen erfolgte, geht ausschließlich auf die Erarbeitung setzungen für die Indikationsstellung zur ambulanten
von Konzepten zur ambulanten Chirurgie und die Kon- Durchführung stationsersetzender Leistungen in der Va-
zeption und Schaffung der notwendigen Infrastruktur rizenchirurgie, also Crossektomie und Strippung der Vena
durch niedergelassene Fachärzte zurück. Der Leistungs- saphena magna oder parva, ggf. mit Perforansdissektion
katalog, der sich so im Laufe der Jahre herauskristallisiert und Seitenasterxstirpation hat sich geändert. So sind z. B.
hatte, war Grundlage für die Definition des Kataloges zum die Forderungen an die Infrastruktur der operierenden
ambulanten Operieren nach §115b zu dem die Kranken- Institution weggefallen, da die formelle Zulassung zum
häuser inzwischen weitgehend verpflichtet wurden. ambulanten Operieren seitens der ärztlichen Selbstver-
In der Präambel zum Katalog zum ambulanten Operie- waltung und der Gesundheitsbehörden an klare Bedin-
ren nach §115b (http://db03.bmgs.de/gesetze/sgb05x115b. gungen für bauliche, technische und personelle Bedin-
htm) heißt es: gungen geknüpft ist. Die meisten patientenbezogenen
Voraussetzungen für die Durchführung einer ambulanten
§115b Operation in der Größenordnung der Eingriffe am epi-
Ambulantes Operieren im Krankenhaus faszialen Venensystem sind die gleichen, die in den 90er
(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Jahren erarbeitet wurden. Sie entsprechen den unverzicht-
Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundes- baren Forderungen an die Sorgfaltspflicht bei der Risiko-
verbände der Krankenhausträger gemeinsam und die einschätzung für den Patienten. So soll die Indikation zur
Kassenärztlichen Bundesvereinigungen vereinbaren ambulanten Durchführung von Eingriffen am epifaszialen
1. einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen Venensystem gemessen werden an den individuellen Be-
und sonstiger stationsersetzender Eingriffe, sonderheiten:
2. einheitliche Vergütungen für Krankenhäuser und Ver- 4 Patient und seine Begleiterkrankungen
tragsärzte. 4 Lokalbefund
In der Vereinbarung nach Satz 1 Nr. 1 sind bis zum 31. De- 4 soziales Umfeld.
zember 2000 die ambulant durchführbaren Operationen
und stationsersetzenden Eingriffe gesondert zu benen-
nen, die in der Regel ambulant durchgeführt werden 20.4.1 Patient und seine
können, und allgemeine Tatbestände zu bestimmen, bei Begleiterkrankungen
deren Vorliegen eine stationäre Durchführung erforder-
lich sein kann. In der Vereinbarung sind die Qualitätsvor- Der Patient
aussetzungen nach §135 Abs. 2 sowie die Richtlinien und Eine ambulante Operation der genannten Größenordnung
Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses nach verbietet sich immer dann, wenn der Patient nach sorgfäl-
§92 Abs. 1 Satz 2 und §137 zu berücksichtigen. tiger und umfassender Aufklärung über die Durchfüh-
(2) Die Krankenhäuser sind zur ambulanten Durchführung rung, die Begleitumstände der Durchführung und der
der in dem Katalog genannten Operationen und stations- Nachsorge sowie den Komplikationsmöglichkeiten, sich
ersetzenden Eingriffe zugelassen. Hierzu bedarf es einer eindeutig gegen eine Operation unter ambulanten Be-
Mitteilung des Krankenhauses an die Landesverbände der dingungen ausspricht. Falls der Therapeut den Patienten
Krankenkassen und die Ersatzkassen, die Kassenärztliche zu einer ambulanten Operation »überredet« hat, kann im
Vereinigung und den Zulassungsausschuss (§96); die Falle einer postoperativen rechtlichen Auseinanderset-
Kassenärztliche Vereinigung unterrichtet die Landes- zung, trotz erfolgter Einwilligungserklärung, je nach der
krankenhausgesellschaft über den Versorgungsgrad in Einstellung des Gerichtes ein relevantes rechtliches Pro-
der vertragsärztlichen Versorgung. Das Krankenhaus ist blem für den Operateur entstehen. Das Gericht wird in
zur Einhaltung des Vertrages nach Absatz 1 verpflichtet. einem solchen Fall der Frage nachgehen, ob die Einwilli-
Die Leistungen werden unmittelbar von den Kranken- gungserklärung unter den genannten Umständen rechts-
kassen vergütet. Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und wirksam zustande gekommen ist und nicht vielmehr eine
Qualität erfolgt durch die Krankenkassen; die Kranken- »seelische Notlage«, in die der Patienten durch Vermitt-
häuser übermitteln den Krankenkassen die Daten nach lung des Arztes geraten ist, seine Entscheidung maßgeblich
§301, soweit dies für die Erfüllung der Aufgaben der Kran- beeinflusst hat. Der aufklärende Arzt muss sehr darauf be-
kenkassen erforderlich ist. dacht sein, dass die Entscheidung für eine Operation unter
(3) … ambulanten Bedingungen zweifelsfrei der »freien« Ent-
222 Kapitel 20 · Indikation zur ambulanten und stationären Versorgung in der Varizenchirurgie
3. und 4. Eingriffe mit Recrossektomie Z. n. mehrfachen oder atypischen Vor-OPs heterotope Ossifikationen
Antikoagulation, Bridging
stellung einer fehlenden häuslichen Versorgung werden der Auseinandersetzung mit Kostenträgern und MDK ist
jedoch seitens des MDK ebenfalls weitere Bedingungen ge- eine sorgfältige Dokumentation des stationären Verlaufs.
knüpft. Wenn es die Umstände erlauben, kann es, nach Auf-
fassung einiger MDKs, für den betroffenen Patienten als
zumutbar betrachtet werden, eine häusliche Versorgung, 20.6 Zusammenfassung
z. B. durch in der Nähe wohnende Angehörige, zu organi-
sieren. Bei der Beurteilung der Frage, ob für den Patienten Die Operation unter ambulanten Bedingungen bei der Sa-
eine ausreichende, kompetente häusliche Versorgung be- nierung der primären Varikose ist zweifelsfrei der Stan-
steht, ist der behandelnde Arzt auf die Angaben des Pati- dard. Unbeschadet dessen bleibt ein Klientel, dass aus den
enten angewiesen. Forderungen der Kostenträger, diese unterschiedlichsten Gründen für eine ambulante Versor-
Angaben des Patienten durch den Arzt zu überprüfen, sind gung von vornherein nicht in Betracht kommt oder bei
nicht rechtens. Zu nicht autorisierten Recherchen im priva- Abwägung aller Fakten hierzu nicht geeignet erscheint. Für
ten Umfeld des Patienten ist der Arzt nicht legitimiert. diese Patienten muss die stationäre Versorgung als Mög-
lichkeit erhalten bleiben. Die Indikationsstellung für die
stationäre Versorgung sollte für die Kostenträger durch-
20.5 Indikation zur stationären schaubar und nachvollziehbar sein. Die Indikationskata-
operativen Versorgung loge für eine stationäre Versorgung müssen daher mit den
Kostenträgern abgestimmt werden um kostentreibende
Die Indikation zur stationären Versorgung ist aus ärzt- Prüfverfahren auf ein Minimum zu beschränken.
licher Sicht immer dann zu stellen, wenn die Operation
Literatur
unter ambulanten Bedingungen ein deutlich höheres Risi-
Deutsche Krankenhausgesellschaft (2009) Prüfkriterien zu §17c KHG
ko aufweist als unter stationären oder der ambulante Ein- (G-AEP) http://www.dkgev.de
griff aus Sicht des Patienten nicht zumutbar ist. So klar sich Frings N, Broermann M, Schimmelpfennig L (2009) Perspektiven der
diese Bedingung anhört, so schwierig ist sie im Licht der stationären Varizenchirurgie. Phlebologie 38:122–130
Interpretationsmöglichkeiten und -gewohnheiten der Kos- Nestle HW (2001) Die Varizenoperation unter stationären Bedingun-
gen. Zentralbl Chir 126:505–507
tenträger umzusetzen. Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H, Braunbeck W, Ehresmann U, Fischer
Neben der Frage, ob die Voraussetzungen zur statio- R, Hermanns H-J, Langer C, Nüllen H, Salzmann G, Schimmel-
nären Versorgung bei Varizenoperationen überhaupt ge- pfennig L (2004) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Krampf-
aderleidens der deutschen Gesellschaft für Phlebologie, der Deut-
geben sind, hat sich in den letzten zwei Jahren als weiteres
schen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, des Berufsverbandes der
Problemfeld die Frage nach der Dauer der stationären Ver- Phlebologen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der niedergelas-
sorgung ergeben. Für die DRG F39A und F39B wird eine senen Gefäßchirurgen Deutschlands e.V. Gefäßchirurgie; 9:290ff
untere Grenzverweildauer (UGVD) von 1 Tag angegeben, Noppeney T, Nüllen H (2001) Ambulante Operation bei Stammvari-
kose. Zentralbl Chir 126:508–512
eine mittlere Verweildauer von 4,3 Tagen und eine obere
Nüllen H, Noppeney T (1998) Primäre Varikose. In: Allenberg JR,
Grenzverweildauer von 11 Tagen. In den Prüfverfahren des Zehle A. Leitlinien zu Diagnostik und Therapie in der Gefäßchirur-
MDK, die heute fast regelhaft bei Eingriffen wegen Variko- gie. Deutscher Ärzteverlag Köln
se von den Kostenträgern eingeleitet werden, wird versucht Nüllen H, Reese von Ohlen C (1995) Ambulante Varizenchirurgie in der
Praxis. In: Imig H, Schröder A Varizen Poplitea-Aneurysmen. Stein-
die Verweildauer zu minimieren. Die Frage der Verweil- kopf, Darmstadt 1995
dauer bei stationärer Versorgung bei Varizenchirurgie ist Rüggeberg JA (2008) Ambulantes Operieren – eine Standortbestim-
aus ärztlicher Sicht vielschichtig und ungelöst. Hilfreich in mung. Ambulante Chirurgie 13.8–10
IV Nicht operative Therapie
21 Nicht operative Therapie der Varikose – 227
H. Nüllen
23 Verödungstherapie – 267
P. Waldhausen, F. X. Breu, E. Rabe, F. Pannier, M. Schadeck, U. Müller,
H. Nüllen
21
21.1 Einleitung dienstes angewiesen ist und so mit dem Verlust der Selbst-
versorgungsfähigkeit einen guten Teil seiner Lebensquali-
Die primäre Varikosis gilt gemeinhin als angeborene Er- tät verliert. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass es in der
krankung, wenngleich Kausalität und Vererbungsmodus Versorgung des Krampfaderleidens keine Standardlösun-
als ungeklärt gelten müssen. Sie ist daher verbunden mit gen per se gibt. Die Lösungen müssen in jedem Falle an-
dem Odium der Unheilbarkeit und einer unvermeidlichen hand der individuellen Gegebenheiten und Lebensum-
Progredienz. Unbehandelt führt die primäre Varikosis aus stände entwickelt und nach entsprechender Aufklärung
klinisch geringen und überschaubaren Anfängen fast im- mit dem Patienten im Sinne eines informed consent be-
mer zu mehr oder weniger schwerwiegenden beeinträch- schlossen werden. Hierbei muss klar sein, dass alle Ent-
tigenden Folgen der venösen Durchblutung und wird so scheidungen revidierbar sein müssen. Der Patient, der sich
zum Krampfaderleiden. Nur eine frühzeitige bzw. rechtzei- heute für eine konservative Therapie entscheidet, kann
tige Behandlung kann die häufig am Ende einer Entwick- morgen der Meinung sein, es sei besser, sich operieren zu
lung stehenden schwerwiegenden und/oder desolaten Zu- lassen.
stände der dekompensierten Spätstadien verhindern. Diese Therapiekonzepte können variieren, müssen an die
Tatsache wird unter dem Eindruck der zunehmenden Le- individuellen Gegebenheiten angepasst werden und die
benserwartung der Bevölkerung immer wichtiger, da da- ihnen zugrunde liegenden Entscheidungen können sich
mit auch die Krankheitsdauer entsprechend zunimmt. verändern. Dies muss der Phlebologe beratend begleiten
Die Forderung nach einer konsequenten und frühzei- und akzeptieren. Andererseits jedoch besteht die Aufgabe
tigen Therapie ist zum einen eine Forderung vorausschau- des Phlebologen im Hinblick auf seine Lenkungsfunktion
ender Gesundheitsfürsorge und ärztlicher Ethik und ande- auch darin, den Patienten nachhaltig davon zu überzeu-
rerseits eine ökonomische Notwendigkeit, da die Spät- gen, dass nur die frühzeitige und dauerhafte Behandlung
stadien der dekompensierten Varikose ganz erhebliche eine aussichtsreiche Strategie gegen die dekompensierte
Behandlungs- und sonstige Folgekosten verursachen. venöse Insuffizienz darstellt.
Die großen epidemiologischen Studien, von der Baseler
Studie über die Tübinger Studie zur aktuellen Bonner Venen-
studie, zeigen eine Abnahme der schweren Spätstadien des
Krampfaderleidens. Eine mögliche Erklärung für diese Tat-
sache kann die verbesserte Versorgungslage in der Phlebo-
logie sein.
21.2 Therapieoptionen
und Therapiekonzepte
22 Konservative Therapie
22.1 Kompressionstherapie – 230
H. Nüllen, T. Noppeney
22.1.1 Theoretische Grundlagen der Kompressionstherapie – 230
22.1.2 Kompressionsmittel – 233
22.1.3 Kompressionsverband – 234
22.1.4 Kompressionsstrumpf – 235
22.1.5 Ergebnisse der Kompressionstherapie – 239
22.1.6 Zusammenfassung – 240
Unter konservativer Therapie versteht man i.d.R. alle die 4 durch die Rückführung des Ödems und die Reduzie-
Maßnahmen und Verfahren, die nicht operative sind. Auch rung der lymphpflichtigen Last des Ödems die Entzün-
die Verödungstherapie wird häufig der konservativen The- dungsreaktion im Gewebe dämpfen.
rapie zugeordnet, obwohl sie im strengen Sinnen nicht 4 bei chronischen und irreparablen Zuständen (CVI) die
konservativ, sondern invasiv ist. weitere Progression verhindern bzw. mindern (Pro-
Die Güte und Erfolgsträchtigkeit einer konservativen phylaxe)
Therapie bei Varikose ist zum einen abhängig von der 4 den arteriellen Einstrom nicht behindern
Qualität des entwickelten konservativen Therapiekon-
zeptes für den jeweiligen Patienten, zum anderen von der Bei sachgerechter Anwendung ist die Kompressionsthera-
Zuverlässigkeit der Umsetzung durch den Patienten (Com- pie bei Varikose und ihren Folgeerscheinungen und als
pliance). Hier können nur Aufklärung und kontinuierliche adjuvante Maßnahme bei bestimmten invasiven Thera-
Kontrollen und Nachsorge die notwendige Kontinuität der piemaßnahmen eine unverzichtbare und hocheffektive
Bemühungen sichern und festigen. Therapieoption. Die Anwendung von Kompressionsmaß-
nahmen ist Handwerk, das erlernt sein will. Die Beherr-
Literatur schung diverser Techniken zur Kompressionstherapie und
Nüllen H, Noppeney T. (1998) Primäre Varikose. In: Allenberg JR,
Kenntnisse in der Materialkunde müssen obligatorischer
Zehle A. Leitlinien zu Diagnostik und Therapie in der Gefäßchirur-
gie. Deutscher Ärzteverlag Köln
Bestandteil der Aus- und Weiterbildung des Gefäßmedizi-
Noppeney T, H.G. Kluess, H. Gerlach, W. Braunbeck, U. Ehresmann, ners aller Fachbereiche sein.
R. Fischer, H.-J. Hermanns, C. Langer, H. Nüllen, G. Salzmann,
L. Schimmelpfennig (2004) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie
des Krampfaderleidens der deutschen Gesellschaft für Phlebo-
22.1.1 Theoretische Grundlagen
logie, der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, des Berufs-
verbandes der Phlebologen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der
der Kompressionstherapie
niedergelassenen Gefäßchirurgen Deutschlands e.V. Gefäßchi-
rurgie 9:290ff Physikalische Gesetzmäßigkeiten
Die Entwicklung der KT war seit der Antike reine Empirie.
Erst im 20. Jh. wurde sie wissenschaftlich untermauert.
22.1 Kompressionstherapie Die KT gehört in den Bereich der physikalischen Therapie.
Die technische Beherrschung dieser Therapiemöglichkeit
H. Nüllen, T. Noppeney ebenso wie die Lenkung und Überwachung ihres Ein-
satzes in der Therapie venöser Erkrankungen, ist ohne
Die Basis der konservativen Therapie bei der Varikose und gründliche Kenntnisse der zugrunde liegenden Physik
der hierdurch bedingten venösen Hypertonie sowie deren nicht denkbar.
Folgeerscheinungen, ebenso wie bei anderen Erkrankungen Die physikalische Grundlage der KT ist die Laplace’sche
des Venensystems ist die externe Kompressionstherapie Gleichung (Pierre-Simon (Marquis de) Laplace; franz. Ma-
(KT). Mittel der externen Kompressionstherapie sind thematiker und Astronom 1749–1827) (. Abb. 22.1).
4 Kompressionsverbände (KV), Die Aussage der Gleichung nach Laplace ist:
4 medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) und
4 die apparative Kompressionstherapie. Der z. B. durch einen elastischen Verband hervorgerufene,
in radialer Richtung wirkende Druck (Anpressdruck, s. u.)
Die Kompressionsmittel wirken durch die Übertragung verhält sich proportional zur Spannung des elastischen
des jeweils vorgegebenen Anpressdruckes auf das Zielge- Materials und reziprok-proportional zum Krümmungs-
biet der Therapie. radius des komprimierten Körpers. Bei vorgegebener
Zu den Wirkungen, die eine KT bei der konservativen Spannung des Verbandes (S = konstans) sinkt der effektive
Therapie der Varikose und deren Folgeerscheinungen her- radiale Druck mit zunehmendem Radius ab (. Abb. 22.2).
beiführen soll, existieren klare Vorstellungen. Die externe
Kompression soll:
4 im Gefäß den pathologisch erhöhten venösen Drucke
(in Ruhe und unter Aktivität) ausgleichen bzw. redu-
zieren.
4 das Ausmaß der pathologischen Stase reduzieren
4 im Gewebe, den transmuralen Druckgradienten in Rich-
22 tung Rückresorption verschieben (Starling-Gleichge-
. Abb. 22.1. Gleichung von Laplace. D = in radiale Richtung wir-
kender Druck, S = Spannung eines »elastischen« Gewebes, r = Krüm-
wicht). mungsradius der komprimierten Flächen
22.1 · Kompressionstherapie
231 22
. Abb. 22.2. Konsequenzen der Gleichung nach Laplace: D = S/r. wird der Krümmungsradius kleiner r2>r3>r4, der in radiale Richtung
Die Ebene hat einen Krümmungsradius r1 = ∞, der in radiale Rich- wirkende Druck nimmt zu
tung wirkende Druck ist 0; mit zunehmender Krümmung der Fläche
Bezogen auf das Zielgebiet eines Kompressionsverbandes Dieser Forderung ist also bei gleich bleibendem Anpress-
(KV) oder eines medizinischen Kompressionsstrumpfes druck durch die anatomische Form z. B. eines Beines schon
(MKS), z. B. ein Bein, nimmt aufgrund der physikalischen von »Natur aus« genüge getan (. Abb. 22.3)
Gesetzmäßigkeiten der effektive Kompressionsdruck, bei Das mit einem KV oder einem MKS versorgte Bein ist
gleichbleibender Vorspannung des Kompressionsmittels, kein idealer (runder) Körper, sondern in unterschiedlichen
entsprechend der konisch zunehmenden Umfänge vom Querschnitten und ggf. im gleichen Querschnitt zeigen
Knöchel zum Oberschenkel hin ab. Folgend der physika- sich unterschiedliche bzw. mehrere unterschiedliche Ra-
lischen Erkenntnis, dass Fluss nur entlang eines Druck- dien. Daraus ergibt sich hieraus die Situation, dass über
gradienten möglich ist, geht der Grundgedanke der KT Kanten und Vorsprüngen (z. B. Knöchel, Tibiakante) ent-
davon aus, dass zur Unterstützung des Fließverhaltens in sprechend den hier zugeordneten kleinen Krümmungs-
den Venen des Zielgebietes der Kompressionsdruck von radien höhere Drucke wirksam werden als an »flachen«
distal nach proximal hin kontinuierlich abnehmen soll. Abschnitten mit einem zugeordneten großen bzw. größe-
ren Krümmungsradius. Unter physiologischen Gesichts-
punkten entspricht dies nicht dem Ziel einer möglichst
gleichmäßigen und gesteuerten Druckverteilung an der
behandelten Extremität und unter praktischen Gesichts-
punkten ist dies nicht wünschenswert, da an den Stellen
mit einer erhöhten Druckvermittlung Druckschäden auf-
treten können und der betroffene Patient ggf. Schmerzen
durch den hohen Druck verspüren wird. Umgekehrt wird
sich an den Abschnitten mit einer zu »flachen« Krüm-
mung, entsprechend einem zu großen Krümmungsradius,
u. U. ein unzureichender Druck aufbauen, gefolgt von
einem ausbleibenden Therapieeffekt. In der Ödemtherapie
wird es u. U. zu einer Verschiebung von Ödemflüssigkeit
in diesen Bereich mit geringerem oder fehlendem An-
pressdruck kommen.
Druckverteilung
Man unterscheidet bei der externen Kompression zwischen
einer konzentrischen Kompression und einer exzent-
rischen Kompression (Stemmer 1984), wobei letztere wei-
ter differenziert werden kann in eine positiv exzentrische
. Abb. 22.3. Andruck und Beinumfang. Bei gleichbleibendem
und eine negativ exzentrische Kompression (. Tab. 22.1).
Anlagedruck nimmt der effektive Anpressdruck mit zunehmendem Mit dem planvollen und gezielten Einsatz von Unter-
Umfang bzw. Radius ab polsterungen zur Formkorrektur des Zielsegmentes der zu
232 Kapitel 22 · Konservative Therapie
konzentrische Kompression Die Kompression wird zirkulär auf gleicher Höhe mit gleicher Spannung um einen Körperteil
angelegt. Der resultierende Druck (Anpressdruck) ist abhängig von der Form des Körperteils,
d. h. vom unterhalb des Kompressionsmaterials wirksamen Krümmungsradius.
exzentrische Kompression Durch manipulative Maßnahmen wird der Radius des behandelten Körperteils in bestimmten
Abschnitten verändert, um die Druckübertragung auf den ausgewählten Ort bzw. Abschnitt zu
steuern und zu beeinflussen.
positiv-exzentrische Kompression Durch das Unterlegen von mehr oder weniger komprimierbaren Materialien an den Stellen,
. Abb. 22.5 an welchen eine höhere Druckapplikation gewünscht ist, wird der Radius in diesem Bereich
verkleinert. Der Druck steigt an (z. B. Ulkusbehandlung, Ödembehandlung der retromalleo-
lären Kulissen, Kompression einer V. perforans, Lymphfistel etc.).
negativ-exzentrische Kompression Durch das Auflegen von breitflächigem Polstermaterial wird der überpolsterte Radius ver-
. Abb. 22.6 größert. Der Druck wird abgesenkt (Fußrücken, Knöchel).
a b
Druckarten
Die Charakteristik des Drucklaufs einer externen Kom-
pressionsmaßnahme bzw. die Charakteristik des vermit-
telten Druckes auf das Zielgewebe, der sog. Anpressdruck,
ändert sich unter körperlicher Aktivität (Ruhe und Be-
wegung) mit dem Ausmaß der kontraktionsbedingten
Verschiebung von Muskelmassen. Man spricht in diesem
Zusammenhang vom Ruhedruck und vom Arbeitsdruck
(. Tab. 22.2). Darüber hinaus ist die Charakteristik der ver-
mittelten Drucke abhängig von der Art des verwendeten
Kompressionsmaterials (elastisch oder unelastisch) und
. Abb. 22.5. Positiv exzentrische Kompression am linken Unter-
der Vorspannung bzw. Vordehnung mit der das Kompres-
schenkel mit Fokussierung des Druckes über einem Ulcus cruris.
sionsmaterial auf das Zielgewebe aufgebracht wurde
22 (Ruhe-Anpressdruck). Die elastischen Eigenschaften von
Durch Aufpolsterung zu einer »Erhebung« über dem Ulkus wird ein
kleinerer positiver Radius erzeugt und der Druck auf und um den Ul-
Kompressionsmaterialien werden im Test in der sog. Hys- kusbereich verteilt
22.1 · Kompressionstherapie
233 22
a b
. Abb. 22.6. Negativ exzentrische Kompression. Durch Überpols-
terung soll der Radius vergrößert werden. a bei mittelmäßig großem
Radius ist der Effekt gering, b bei spitzen Vorsprüngen (z. B. Knöchel)
bewirkt die Aufpolsterung eine erhebliche Veränderung des Radius
10 11
. Abb. 22.11. Fixiertouren oberhalb des OSG beginnend. Der Fuß wird sekundär, zum
Schluß der Verbandsanlage gewickelt. Am Fuß können schon mal häufiger Beschwerden
durch »Kneifstellen« auftreten. Wenn dann im ambulanten Versorgungsbereich oder stati-
onär, z. B. im Nachtdienst, kein geübter Verbandtechniker greifbar ist, kann bei dieser
Technik auch durch einen Ungeübten einmal nur der Fußverband abgenommen werden
und danach ohne Vorspannung (»nur fest anlegen«) neu angewinkelt werden
Befestigungsarten
Das Gestrick eines MKS ist längs und querelastisch. Der
Naturgummi hergestellt. In den meisten Produkten finden Strumpf muss daher nach korrektem Anlegen am Bein be-
sich synthetische Elastomere, die auch in wesentlich ge- festigt werden, da er ansonsten unweigerlich abrutscht.
ringeren Stärken hergestellt werden können, so dass die Lediglich bei Wadenstrümpfen kann meist auf eine Befes-
Gestricke wesentlich dünner werden. tigung verzichtet werden. Bei Säulenbeinen oder extremen
Beinformen kann auch hier gelegentlich eine Befestigung
Strumpfarten erforderlich werden. Zur Befestigung steht eine Reihe von
Man unterscheidet: Möglichkeiten zur Verfügung:
4 Stützstrümpfe (Nylongewebe) (keine medizinische/ 4 Hüfthalterungen
therapeutische Verwendung) 4 silikonbeschichteter Haftrand
4 medizinischer Thromboseprophylaxe-Strümpfe (weiß) 4 Klebstoffbefestigung
(MTS)
4 medizinische Zweizugkompressions-Strümpfe (MKS) Kompressionsstärken
Für unterschiedliche Indikationen und lokale Gegeben-
heiten werden die MKS in unterschiedlichen Kompres-
22 sionsklassen (ccl) angeboten (. Tab. 22.4). Die angegebe-
nen Kompressionsdrucke entsprechen dem Druck im
22.1 · Kompressionstherapie
237 22
12 13
. Abb. 22.12. Die 8 cm-Binde wird bis zur Einbindung des OSG
aufgebraucht. Die 10 cm-Binde wird angesetzt und für den US auf-
gebraucht. Sie soll die Schaumstoffbinde am Knie mitfassen
Gestricke
Medizinische Kompressionsstrümpfe werden gestrickt.
Zwei Verfahren kommen zur Anwendung:
4 Flachstrickverfahren: Die Stümpfe werden auf einer
Flachstrickmaschine gestrickt, wie man dies auch als
Hobbystrickmaschine kennt. Es entstehen flächenhafte . Abb. 22.14. Fertiger OS-Verband. Man erkennt, dass bei dieser
Gestricke, die nach Fertigstellung auf Stoß zusammen- Technik durchaus kleiner Verwerfungen und »Tüten« entstehen, die
genäht werden. Man kann während dieses Strickvor- jedoch akzeptabel sind
. Tab. 22.4. Kompressionsklassen medizinischer Kompressi- . Tab. 22.5. Restdruckvorgaben zum kontinuierlichen
onsstrümpfe (MKS). Die angegebenen Drucke gelten an einer Druckabfall. Angaben in % des Druckes an der Fessel. (Mess-
hypothetisch zylindrischen Fessel im Liegen stellen . Abb. 22.15)
4 sehr kräftig 49 und höher 6,5 und höher 4 70 bis 100% 50 bis 70% 20 bis 40%
238 Kapitel 22 · Konservative Therapie
Qualität
1958 gründeten die Kompressionsstrumpfhersteller die
Gütezeichengemeinschaft Medizinische Kompressions-
strümpfe e. V., die seit 1968 ein RAL-Gütezeichen vergibt
(RAL = Reichsausschuss für Lieferbedingungen (1925).
Heute vergibt die RAL Gütezeichen und Testate). (http://
www.gzg-kompressionsstruempfe.de/)
Die Herstellungs- und Prüfbedingungen für medizi-
nische Kompressionstrümpfe sind streng geregelt. Grund-
lage hierfür ist die RAL-GZ 387, die wiederum die Grund-
lage darstellt für die Norm DIN 58133, die seit dem Jahre
2008 gilt.
Bei der Durchführung und für den Erfolg der Kompres- sionstherapie mit MKS war bei guter Compliance lediglich
sionstherapie kommt es entscheidend auf die Compliance 4% und bei schlechter Compliance 57% (Samson 1996)
des Patienten an. Die Compliance bei Kompressionsthera-
pie ist umso größer, je …
4 größer der sichtbare Erfolg 22.1.6 Zusammenfassung
4 besser die Aufklärung und Einsicht
4 überzeugter der Therapeut auftritt (Kompetenz) Kompressionstherapie verläuft mindestens zweiphasig:
4 größer der Tragekomfort 1. Entstauungstherapie/Akuttherapie
5 die Akuttherapie erfolgt mit Kompressionsverbänden
Faktoren, die die Compliance mindern: 2. Dauertherapie
4 falsche Erwartungshaltung 5 die Dauertherapie erfolgt mit Kompressions-
4 Bagatellisierung der Erkrankung strümpfen
4 Notwendigkeit der Änderung der Lebensführung
4 logistische Probleme Verband und Verbandstechnik:
4 grundsätzliche Ablehnung (Das muss doch auch anders 4 Verbandtechnik soll sein: fast & easy
gehen) 4 Verband soll sein: sicher sitzend und effektiv
4 ungünstige Maßverhältnisse mit der Folge technischer 4 ein zu fest angelegter Verband schmerzt und wird nicht
Schwierigkeiten toleriert
4 Wahl der falschen Kompressionsklasse 4 ein korrekt angelegter Verband wirkt sehr schnell und
4 Wahl des falschen Modells wird daher nach Abschwellung lockerer, kurzfristige,
4 Schwierigkeiten beim Anziehen des Strumpfes ggf. tägliche Wechsel sind u. U. angezeigt
4 ein korrekt angelegter Verband muss angenehm bis to-
In einer Untersuchung von Kiev et al. (1990) wurde unter- lerabel sitzen, Rutschfestigkeit muss erzielt werden
sucht, mit welcher Zuverlässigkeit die verordneten MKS
tatsächlich getragen wurden. Lediglich 37% des untersuch- Kompressionsstrumpf:
ten Klientels hatten die MKS wie vorgesehen getragen, 63% 4 die Druckklasse des Kompressionsstrumpfes muss an-
nicht. Als Gründe für die Verweigerung wurden angegeben gepasst sein an den effektiven Filtrationsdruck
der Preis für die MKS (65%), kosmetische Beeinträchtigungen 4 ein Kompressionsstrumpf auf einem geschwollenen
(14%), Schwierigkeiten beim Anziehen der MKS (13%), Un- Bein wird als unangenehm bis schmerzhaft empfunden
bequemlichkeit (5%) und lediglich 3 % machten keine An- und ist ineffektiv
gaben. Eine Abhängigkeit der Compliance vom Strumpf- 4 je länger der Strumpf umso geringer ist die Compliance
modell konnte Weidinger (1989) zeigen. Mit der Länge des
MKS nimmt die Compliance ab (. Abb. 22.17). Literatur
Die Wirksamkeit einer gut geführten Kompressionsthe- Földi M, Kubik S (1999) Lehrbuch der Lymphologie. Fischer Stuttgart
Hach W, Hach-Wunderle V (2001) Die Kompressionstherapie in der
rapie ist vielfach belegt. (ausführliche Literatur bei Partsch
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et al. 1999). Die Rate der Rezidivulzera unter Kompres- Häfner HM, Eichner M, Jünger M (2001) Medizinische Kompressions-
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Partsch H, Rabe E, Stemmer R (1999) Kompressionstherapie der Extre-
mitäten. Editions Phlebologiques Francaises, Paris (ISBN
2.85480.770.7)
22 . Abb. 22.17. Trage-Compliance von MKS in Abhängigkeit vom Weidinger P (1989) Kompressionsstrumpf – Hilfe oder Trauma – Pa-
Modell. Der Tragekomfort und die Strümpflänge beeinflussen die tientenstatistik. In: Denk, van Dongen: Therapie der Venenerkran-
Compliance (nach Weidlinger 1989) kungen. TM Verlag Hameln 131–4
22.2 · Intermittierende pneumatische Kompression (IPK)
241 22
V. Wienert, H. Gerlach, G. Gallenkemper, B. Kahle, M. Marshall, E. Rabe, D. doppelwandigen Bein-, Hüft- oder Hosenmanschetten. Je
Stenger, M. Stücker, F. Waldermann, M. Zabel (2006) Leitlinie Medi- nach Ausführung des Gerätes können Drucke von 12 bis
zinischer Kompressionsstrumpf (MKS). http://www.uni-duessel-
200 mm Hg erzeugt werden. Man unterscheidet einkamme-
dorf.de/awmf/ll/.
rige von mehrkammerigen Manschetten, die bis zu 12 Ein-
zelkammern aufweisen können. Mit der einkammerigen
Manschette lässt sich nur intermittierend, d. h. regelmäßig
22.2 Intermittierende pneumatische im Wechsel druckaufbauend, druckabbauend arbeiten. Die
Kompression (IPK) mehrkammerigen Manschetten können sowohl intermittie-
rende als auch sequentielle Programme ausführen. Bei se-
V. Wienert quentiellem Vorgehen erfolgt der Druckaufbau fortlaufend
von einer distalen Kammer zu den weiter proximal ge-
legenen Kammern (sog. »milking«). Der Druck wird in de-
22.2.1 Historie finierten Zeitabständen auf- und abgebaut (Inflation, De-
flation). Die optimalen Behandlungsparameter sind bislang
Die ersten Angaben zu einer apparativ unterstützten Kom- noch nicht evaluiert worden (Wienert et al. 2005).
pression stammen von Muray und Clany aus dem Jahre
1835 (Rabe 2003). Über viele Zwischenschritte und Detail-
verbesserungen führte die Entwicklung 1955 zur Vorstel- 22.2.3 Indikationen
lung eines ersten sequentiellen Mehrkammergerätes durch
Sampson und Kirby und das erste seriengefertigte Gerät Indikationen zur maschinellen Kompression sind neben
kam 1981 auf den Markt. Heute besteht ein umfangreiches der chronischen venösen Insuffizienz das postthrombo-
Angebot an Ein- und Mehrkammergeräten in den unter- tische Syndrom und das Ulcus cruris venosum, vor allem
schiedlichsten Ausstattungen. auch Lymphödeme, Lipödeme und alle möglichen ge-
mischten Ödemformen.
22.2.2 Definition
22.2.4 Kontraindikationen
Die IPK (auch AIK = apparative intermittierende Kom-
pression genannt), d. h. die apparative Anwendung pneu- Kontraindikationen sind die dekompensierte Herzinsuffi-
matischer Wechseldrucke, dient im weitesten Sinne der zienz, ausgedehnte Thrombophlebitis, Thrombose oder
Therapie peripherer Ödeme, u. a. der Entstauungsthera- Thromboseverdacht, Erysipel, schwere nicht eingestellte
pie bei venösen Erkrankungen. Hypertonie, akutes Weichteiltrauma der Extremitäten,
Die Geräte zur IPK bestehen aus einem Luftpulsge- Neuropathie und okkludierende Prozesse im Lymphab-
nerator und angeschlossenen ein- oder mehrkammerigen, strombereich.
. Tab. 22.8. Pharmakotherapie bei CVI. Wirkstoffe und Wirkprofil (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) (T = tonisierend, ÖP = ödem-
protektiv)
T ÖP
Saponine Aescin Gemisch aus ca. 30 verschiedenen Saponinen z. B. aus der Rosskastanie – +
Ruscus-Extrakt Mäusedorn + +
Weitere/Sonstige Pflanzenextrakte ? ?
Synthetische Calciumdobesilat + –
Wirkstoffe
Naphtazon + –
lieren, ist naheliegend und auch wünschenswert. In vielen Spezielle Leitlinien zur medikamentösen Therapie der
anderen Disziplinen waren entscheidende Fortschritte in CVI gibt es in Deutschland nicht. Die z. Z. nicht aktuali-
der Therapie eng mit entscheidenden Fortschritten in der sierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie
Pharmakologie verbunden (Smith 2001, 2009). Betrachtet zur Therapie der CVI (Stand 2007) empfiehlt sibyllinisch
man einzelne Untersuchungen zu einzelnen Substanzen, (http://www.phlebology.de/)
so findet sich eine Vielzahl von optimistischen bis po-
sitiven Berichten zur Wirksamkeit bei einzelnen As- »…Eine systemische medikamentöse Therapie mit Subs-
pekten der CVI, wie z. B. Ödemen, Schweregefühl etc. Bei tanzen, für die eine Wirksamkeit nachgewiesen ist, kann
den vorliegenden Studien zur Wirksamkeit von »Venen- bei der CVI indiziert sein, insbesondere wenn physika-
medikamenten« müssen allerdings nach den Ergebnissen lische Maßnahmen keinen ausreichenden Erfolg haben
eines 2009 erschienenen Cochrane Reviews (Martinez- oder nicht möglich sind (z. B. Ödemprotektiva). Außerdem
Zapata et al. 2009) unter rein wissenschaftlichen Gesichts- kann eine systemische medikamentöse Therapie symp-
punkten (evidence based medicine) erhebliche Einschrän- tombezogen bei der CVI oder besonderen Begleitumstän-
kungen gemacht werden, so dass die Effektivität der Ve- den eingesetzt werden …«
nenpharmaka zumindest global als nicht ausreichend belegt
angesehen werden muss. So wurden im genannten Die 2009 veröffentlichten Guidelines des American Venous
Cochrane-Review 110 randomisierte-plazebokontrollierte Forum (Smith 2009) empfehlen (»we recommend)« beim
Studien aus der Weltliteratur selektiert, von welchen ledig- lange bestehenden und großen Ulkus u. a. Pentoxyphyllin;
lich 44 Studien die Kriterien für die Einbeziehung in einen eine Empfehlung, die in Deutschland kaum zu vermitteln
Cochrane-Review erfüllten. Kritisch wird angemerkt, dass ist. Die beiden darüber hinaus genannten Indikationen
eine große Zahl von Studien die angewendeten Kriterien »Ödeme« und »Trophische Störungen« erreichen nur den
zur Diagnose einer CVI und deren Diagnostik nicht ein- Grad 2 der Recommendation (»we suggest«) und der Evi-
deutig beschreibt (77%) und die Klassifikation der Krank- denzgrad wird für alle drei Indikationen mit B (moderate
heitsbilder heutigen Ansprüchen nicht genügen. Nur in quality) bewertet, was in Übereinstimmung mit der Be-
4 Studien wurde die CEAP-Klassifikation angewendet. wertung des Cochrane-Reviews zu sehen ist (. Tab. 22.9).
Die Schweregrade der Erkrankungen, die eingeschlossen Wir haben an dieser Stelle bewusst vermieden, einzelne
wurden, variieren z. T. sehr stark und ein definierter und Substanzen und Präparate zu beschreiben oder zu disku-
objektivierbarer disability-score wurde in keiner Studie tieren. Dies ist an anderer Stelle ausführlich geschehen und
angewendet. Ödemmessungen wurden meist auf Um- der Interessierte wird ausdrücklich hierauf verwiesen
22 fangsmessungen beschränkt, am häufigsten wurde die (Reich et al. 2007, Erhardt 2004, Martinez-Zapata et al.
Venenverschlussplethysmographie verwendet. 2009, Smith 2009).
22.3 · Pharmakotherapie
245 22
. Tab. 22.9. Leitlinien 4.4.0 des American Venous Forum über Medikamentöse Therapie von Varizen, venösen Ödemen und Ulzera.
Aus Smith 2009
4.4.2 Für lange bestehende oder große venöse Ulzera empfehlen wir eine Behandlung mit 1 B
Pentoxyphyllin oder mikronisierter Flavonoid-Fraktion in Kombination mit Kompression
4.4.3 Wir raten zu Diosmin und Hesperidin bei trophischen Störungen sowie bei Crampi und 2 B
Schwellungen. Wir raten zu Rutosiden bei Patienten mit venösen Ödemen
Die Anwendung von Externa wird insbesondere bei pie bei Venenleiden eine größere Aufmerksamkeit zu
schweren Formen der CVI zum einen für nicht effektiv schenken. Bessere plazebokontrollierte klinische Studien
angesehen. Zum anderen muss unterstellt werden, dass die unter strikter Beachtung der Randomisierung und Ver-
betroffenen Patienten schon gegen alle möglichen Subs- blindung frei von sekundären Interessen sind erforder-
tanzen und Salbengrundlagen sensibilisiert sind. Unbe- lich. Voraussetzung für die Klärung der Fragen nach der
schadet dessen gehört die Anwendung von Externas zu Notwendigkeit und Wirksamkeit einer medikamentösen
den Therapieformen mit der höchsten Compliance. In der Therapie der CVI sind größere Stichproben und genau
Tübinger Studie (Fischer 1981) lag die Compliance für definierte Standards zur diagnostischen Einstufung der
Externa bei 77%, orale Medikation mit Venenpharmaka Krankheitsstadien, sowie die Definition möglichst kla-
kam auf 67% und bei der Kompressionstherapie lag sie bei rer Kriterien für die Objektivierung etwaiger Therapie-
47%. Der Wert von lokal applizierten Antiphlogistika, z. B. erfolge.
bei Varikophlebitis; ist ebenfalls umstritten, wenn gleich
häufig angewendet. Überzeugende Studien fehlen. Im Vor- Literatur
dergrund der Bemühungen um die trophisch gestörten Erhardt M (2004) Qualitätssicherung in der hausärztlichen Behand-
Haut steht die strukturierte Pflege (7 Kap. 17.6). lung der chronisch venösen Insuffizienz -Entwicklung einer evi-
denzbasierten Leitlinie. Dissertation 2004 Fachbereich Medizin
Hamburg.
Fischer H (1981) (Hrsg.), Venenleiden – Eine repräsentative Untersu-
22.3.4 Zusammenfassung
chung in der Bundesrepublik Deutschland (Tübinger Studie)
München: Urban und Schwarzenberg
Was kann man empfehlen? Bewertet man die vorliegende Martinez-Zapata MJ, Bonfill Cosp X, Moreno RM, Vargas E, Capellà D
Literatur zusammen mit der Cochrane-Analyse »Phlebo- (2009) Phlebotonics for venous insufficiency (Review). The
tonics for venous insufficiency (Review)« kann eine wis- Cochrane Collaboration. Published by JohnWiley & Sons, Ltd
Reich S, Altmeyer P, Stücker M, (2007) Evidenzbasierte Daten zur Wirk-
senschaftliche Evidenz für den Nutzen einer Pharmako-
samkeit der Pharmakotherapie bei chronisch venöser Insuffizienz.
therapie bei Varikose und CVI nicht gesehen werden. Dies Vasomed 19: 79–83
bedeutet nicht, dass im Einzelfall nicht ein solches Prä- Rote Liste 2009. Verlag Rote ListeService GmbH, Frankfurt/Main
parat angewendet werden kann. Die verfügbaren Leit- Ritzmann P (2000) Venenmittel, pharmakritik bei infomed -Verlags AG
linien drücken sich in ihren Bewertungen sehr wolkig aus. Bergliweg 17 CH-9500 Wil
Schwabe/Paffrath (Hrsg.) (2008) Arzneiverordnungs-Report 2008:
Überzeugte Statements finden sich hier nicht. Bei der Be-
Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Springer
urteilung des Nutzens einer adjuvanten medikamentösen Verlag
Therapie bei CVI für den jeweiligen Patienten ist der er- Smith PDC (2001) The drug treatment of chronic venous insufficiency
hebliche Plazeboeffekt bei dieser Anwendung zu berück- and venous ulceration. In. Gloviczki P, Yao JST. Handbook of
sichtigen. Auf die eingeschränkte Verordnungsfähigkeit zu venous disorders. Guidelines of the American venous forum. 2nd
ed. London: Arnold 2001.
Lasten der GKV wird verwiesen.
Smith PDC (2009) Drug treatment of varikose veins, venous edema,
Wegen der großen klinischen und sozialmedizini- and ulcers. In: In. Gloviczki P, Handbook of venous disorders.
schen Bedeutung der chronisch venösen Insuffizienz er- Guidelines of the American venous forum. 3nd ed. London:
scheint es notwendig dem Problem der Pharmakothera- Arnold 2009.
246 Kapitel 22 · Konservative Therapie
gewicht zwischen Wärmebildung der Wärmeabgabe er- Temperaturrezeptoren (Wärme- und Kältesensoren),
forderlich. die auf der Körperoberfläche verteilt sind, erlauben dem
Die Wärmeabgabe in der Luft erfolgt vor allem durch Menschen die Wassertemperatur als warm oder kalt einzu-
Leitung (Konduktion), Verdunstung und Strahlung. Dabei schätzen. Dabei besitzt der Mensch dreimal so viele Kälte-
wird Wärmeenergie durch molekulare Vorgänge über- wie Wärmesensoren. Die Sensoren melden Erwärmung
tragen. Bei Verdunstung erfolgt die Wärmeabgabe durch und Abkühlung der Körperoberfläche dem Temperaturre-
die Verdampfung von Wasser an der Hautoberfläche und gelzentrum (ZNS) und lösen dort entsprechende Verände-
den Schleimhäuten der Atemwege. Die Verdampfung wird rungen im Temperaturempfinden aus.
durch eine verstärkte Durchblutung der Haut und eine er- Bei der Thermoneutralität kommt es physiologisch be-
höhte Schweißproduktion ausgelöst. Bei der Wärmeabgabe trachtet ohne muskuläre Aktivität weder zur Abkühlung
mittels Strahlung wird die Wärmeenergie durch elektro- noch zur Erwärmung des Körpers. In der Luft liegt die
magnetische Wellen übertragen. Thermoneutralität je nach Luftfeuchte (65% relative
Im Wasser gibt der menschliche Organismus über- Feuchte)und Luftbewegung (≤ 0,1 m/s Geschwindigkeit)
schüssige Wärme fast ausschließlich durch Konduktion zwischen 23 bis 28°C, während sie im Wasser 34,5 ± 0,5°
und Konvektion ab. Bei der Konvektion geschieht die Wär- beträgt.
meabgabe über Gase und Flüssigkeiten, insbesondere über Diese Erkenntnisse beruhen auf systematischen Stu-
das Blut. dien der Raumfahrtmedizin, die den Auftrieb bei ther-
Da Wasser eine 25-fach größere Leitfähigkeit als Luft moneutraler aqualer Immersion zur Simulation der Schwe-
aufweist, kann dem Körper im Wasser eine bis zu 200-fach relosigkeit verwenden und den hydrostatischen Druck als
größere Wärmemenge entzogen werden. Aus diesem Zusatzparameter evaluieren (Meuche 2009). Im Zusam-
Grund sinkt die Hauttemperatur ab und liegt nach länge- menhang mit der Balneotherapie bei Venenerkrankungen
rem Wasseraufenthalt in einer ruhigen Körperposition nur muss auf diese objektive Differenz nachdrücklich hin-
wenig über der Wassertemperatur. Die Mechanismen der gewiesen werden, um die Fehlinformation, dass Wasser
Wärmeabgabe in Luft und Wasser sind im u. a. Schaubild über 28°C bereits eine Wärmebelastung und damit schäd-
illustriert (. Abb. 22.19). Zunächst fällt auf, dass der physi- lich für die Venenfunktion sei, auszuräumen. Bei einer
kalisch-physiologische Wärmeübergang im Wasser größer Wassertemperatur von 28°C sinkt vielmehr auch bei maxi-
als der in Luft ist. Ursache dieser größeren Wärmeabgabe maler körperlicher Beanspruchung die Körpertemperatur.
ist die im Wasser 10-mal kleinere Körperschale (Isolier- Leistungsschwimmer, die zwischen 26 und 27°C trainie-
schicht) des menschlichen Körpers. Man erkennt weiter, ren, erreichen so eine Verminderung der Hautdurchblu-
dass die Wärmeabgabe zum größten Teil durch Leitung tung zugunsten einer stärkeren Muskeldurchblutung.
und Konvektion erfolgt. Ein kleiner Teil der Wärme wird Allerdings handelt es sich hierbei um eine theoretische
auch im Wasser durch Strahlung abgegeben. Dagegen wird Festlegung. Aufgrund des individuell unterschiedlichen
in Luft die meiste Wärme mittels Strahlung abgegeben, Temperaturempfindens spricht man an dieser Stelle des-
Verdunstung und Leitung/Konvektion haben nur einen halb auch von der so genannten Indifferenztemperatur,
kleinen Anteil an der Wärmabgabe. die bei Wasser bei 32 bis 35°C liegt. Diese Wassertempe-
22
. Abb. 22.19. Wärmeabgabe in Luft und Wasser. (Hartmann et al. 2007)
22.4 · Balneotherapie
249 22
dioxid, ein natürliches und an die Umgebung abzugeben- 1 – 5 min sehr kurz
des Stoffwechselendprodukt und permanenter physiolo-
> 5 – 10 min kurz
gischer Bestandteil des menschlichen Organismus, ist ein
zusätzlich anerkanntes Heilmittel des verbindlichen Heil- > 10 – 20 min mittel
mittelkatalogs. > 20 – 40 min länger
Kohlendioxid (CO2) ist neben Wasser (H2O) das wich-
tigste Molekül der Balneologie, zusammen mit dem Sauer- > 40 – 60 min lang
stoff (O2) auch der Physiologie des menschlichen Orga- ≥ 60 – 120 min sehr lang
nismus. Dieser Stoff, gelöst in Wasser oder als »Gas«, ist ein
> 20 min ultralang – speziell bei thermo-
authentisches Medikament (Pharmakon und Toxikon),
neutralen Bädern
das alle Kriterien einer rationalen Therapie vollständig er-
füllt, wenn es korrekt indiziert und dosiert wird. In Form
der seriellen Intensivinterventionskur hält der Langzeit-
effekt sechs bis neun Monate an, durch anschließende zwei von 7,5 mg/l. Die Parameter Wiederauffüllzeit der Photo-
bis dreimal wöchentliche Anwendungen auf zwei Jahre plethysmograpie und subjektive Befindlichkeit besserten
ausdehnbar (Hartmann 1990; Jordan 1985; Maeda 2003). sich in der Balneokinesiotherapiegruppe deutlicher als in
Als externes Balneotherapeutikum ist es einzigartig, aber der Kontrollgruppe (Mancini et al. 2003). Allerdings ent-
auch, weil es Basis der Fotosynthese der Flora und zu ex- hielt das Wasser auch Kohlendioxid und die Autoren for-
halierendes Stoffwechselendprodukt ist. dern daher mehr multizentrische Studien. Dieser Aussage
CO2, als Stoffwechselprodukt der Zelle, gelangt che- ist absolut zuzustimmen, um die Balneotherapie als evalu-
misch gebunden und physikalisch gelöst über das venöse ierte und evidente Therapie zu definieren.
Blut, über die Lunge, aber auch über die Haut an die Um- Salz, speziell NaCl in hoher Konzentration (Sole):
welt. Die Haut ist somit für das Molekül in beiden Richtun- Sole erhöht den statischen Auftrieb und wird bei Haut-
gen durchlässig (Blair 1960). Eine Erhöhung der CO2-Kon- wunden jeder Genese, meist in Kombination mit Kohlen-
zentration im den Körper umgebenden Medium, also gelöst dioxid eingesetzt. Physiologische oder klinische Daten bei
in Wasser oder Gas, wirkt spezifisch an der Haut und wird Varikose und postthrombotischem Syndrom wurden le-
inkorporiert. Die Voraussetzung dafür ist eine optimale diglich durch Bolliger mitgeteilt, der eine venentonisie-
Temperatur mit ≥ 28°C und relativer Feuchte von ≥ 95% rende Wirkung von Sole systematisch beobachtet und be-
(Hartmann 1993; Schnizer 1985). CO2 wirkt beim Bad per- schrieb (Bolliger 1964). In vielen natürlichen Heilwässern
kutan appliziert, an der Haut antiseptisch. Es stimuliert ist Kohlendioxid in Solewässer gelöst: Sinnvoll wären hier
die Warmrezeptoren und dämpft die Kalt- und Schmerz- kontrollierte Untersuchungen.
rezeptoren (Hartmann et al. 2007). Damit verschiebt sich Dosierung: Außer physikalischen und chemischen Pa-
die subjektive Thermodifferenz, d. h. kohlensaures Wasser rametern ist die Zeit der Einzelapplikation von Bädern und
wird um 2°C wärmer empfunden als Süßwasser. Anwendungen, der Serie einschließlich des Intervalls (und
In einem Vollbad bei einer Wassertemperatur von gegebenenfalls zusätzlicher Interventionen (. Tab. 22.11).
32 bis 34°C und Kohlendioxidkonzentration von 1.200 g/l Diese Angaben aus systematischen Untersuchungen
werden 30 bis 40 ml/min inkorpiert, was der CO2-Produk- sind von besonderer Bedeutung, weil in Bewegungsbädern
tion bei Muskelaktivität von 25 Watt entspricht. meist die Informationsanzeige zu finden ist: maximal
Schwefel: In einer kontrollierten Untersuchung der 20 min baden.
Universitäten Siena, Mailand und Bologna in Multepiciano
wurde bei Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz
untersucht, ob eine tägliche, 30-minütige »Balneokinesio-
therapie« über 12 Tage Langzeiteffekte nach 3 und 6 Mona-
ten hat. Basistherapie für beide Gruppen war die Kompres-
sion. Zusätzlich absolvierte die Verumgruppe ein täglich
22 30-minütiges Gehen gegen die Strömung in einem Wasser-
kanal einer Höhe von 70 cm mit einer Sulfitkonzentration
22.4 · Balneotherapie
251 22
22.4.3 Praktische Konsequenzen für die Hartmann BR (1989) Unterschenkel-Hauttemperatur nach Ganzkörp-
Differentialtherapie (einschließlich er-Immersion in Mineral-Thermalwasser von 34°C. In: Davy A,
Stemmer R (eds). Phlebologie, 89, pp. 91, Libbey London.
Rehabilitation und »long term care«)
Hartmann BR, Drews B, Bassenge E (1998) Venous function in patients
with venous disease and healthy controls before and after a bath-
Bad und Bewegungsbad sind nützliche Interventionen, ing procedure and subsequent cold stimulus. Int. J. Angiology 7,
allerdings zeitaufwendiger als die Pharmakotherapie. 252–254.
Richtig indiziert, ist Balneotherapie wirksam mit zusätz- Hartmann B, Agishi Y, Yorozu H et al. (1990) Results of the Consensus-
Finding Conference on Carbon Dioxide. Z. Phys. Med. Baln. Med.
lichen positiven Nebenwirkungen auf die meisten Körper-
Klim. 19 (suppl), 11–12.
funktionssysteme. Hartmann B, Hartmann M, Strass D (2007) Wirkfaktoren Temperatur
Am einfachsten ist die Immersion in zumindest sitzen- und hydrostatischer Druck In: Rehn, H. & Strass, D. (Red.) Be-
der, besser stehender Körperposition. Diese Intervention wegungsraum Wasser im Spannungsfeld zwischen Theorie und
sollte 60 min dauern und mindestens 3-mal wöchentlich Praxis, S. 86–102, Bad Nenndorf.
durchgeführt werden. Dadurch kann die klinische Symp- Hartmann B, Hartmann M, Strass D. (2007). Pharmakologie chemischer
Inhaltsstoffe von Heilwässern als evidente Therapie und für die
tomatik bei Varikose und CVI nachhaltig gebessert wer- Gesundheit: Rehn, H. & Strass, D. (Red.) Bewegungsraum Wasser
den. Selbstverständlich bleibt die Kompressionstherapie im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis, S. 103–113, Bad
(an Land) Basis der konservativen Behandlung. Nenndorf.
Die Kombination von Balneotherapie und Bewegungs- Krasney JA, Pendergast DR (2008) The physiology of water immersion.
übungen (Balneo- oder Hydrokinesiotherapie) führt zu In: Taylor, N.A.S. & Groeller, H. (eds.). Physiological Bases of Human
Performance During Work and Exercise, S. 401–411, Churchill
einer wesentlichen Intensivierung. Dies entspricht bzw.
Livingstone Elsevier Edinburgh.
übertrifft die Wirkung der sequentiellen Druckapplikation Jordan VH (1985) Bädertherapie. Z. Physiother. 37, 75–98.
und der Lymphdrainage. Vor allem Übergewichtige jeder Maeda M, Hayashi H, Yokoka M (2003) The effects of High Concentra-
Ausprägung und Personen mit Gelenkbeschwerden pro- tion Artifical CO2-WarmWater Bathing for Arterioslerotic Obstruc-
fitieren von dieser Intervention, wobei diese Klientel sich tion (ASO), J. Jpn. Balneol. Climatol. Phys. Med. 66, 157–163.
Mancini S, Piccinetti A, Nappi G, Mancini S, Caniato A, Cocchieri
gerne in Gruppen im Wasser bewegt.
S(2003)Clinical, functional and quality of life changes after bal-
Sportbäder sind in der Regel ungeeignet wegen zu neokinesis with sulphurous water in patients with varicose veins.
geringer Wassertemperatur und einer Beckentiefe, die den VASA 32: 26–30.
Bodenkontakt verhindert. Dagegen sind Mineral-Ther- Meuche S (2009) Flüssigkeitshaushalt unter besonderer Berücksichti-
mal-Bäder und Thermen zur Venentherapie sehr empfeh- gung der Flüssigkeitsbilanzen und NT-proBNP vor, während und
nach thermoneutraler Immersion. Med. Diss. Charité-Univer-
lenswert.
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jauge de mésure. Phlébologie 38: 59–39. (Suppl): 227.
252 Kapitel 22 · Konservative Therapie
22
22.5 · Bewegungstherapie
253 22
Trainingsphase Trainingsinhalt
Die Bewegungstherapie wird unter Beibehaltung der von Gummibändern bei den verschiedenen Fußbewe-
jeweiligen Kompressionstherapie (Bandagen, medizinische gungsübungen ist auch die Anwendung einer von Bulling
Kompressionsstrümpfe) durchgeführt. Bei vorbestehen- entwickelten Venenschlinge (Kompresssionssocke mit an-
den deutlichen Ödemen ist eine begleitende manuelle genähtem elastischem Band, . Abb. 22.22) sinnvoll.
Lymphdrainagebehandlung oder die Anwendung der in- Laufen auf wechselndem Untergrund wie Hallenboden,
termittierenden pneumatischen Kompressionsbehandlung Übungsmatten oder Sprungmatten. Hier werden die Be-
angezeigt. weglichkeit im oberen Sprunggelenk verbessert und zwar
sowohl die Dorsalextension als auch die Plantarflexion.
Aufwärmphase Das Atmen beim Heben und Tragen von Lasten wird
Zur Besserung der Gangkoordination und Sprunggelenk- ohne Pressatmung trainiert: Ausatmen bei der Muskelan-
sbeweglichkeit werden Muskulatur und Gelenke aktiv auf- spannung.
gewärmt und gedehnt. Passive Elemente werden unter
Anleitung vom Patienten selbst ausgeführt. Gehtraining
Abrollen der Füße im Sitzen von der Ferse zu den Ze- Beim Gehtraining werden das bewusste Abdrücken des
hen und umgekehrt über Rollen und Bälle. Fußes mit dem Fußballen und das Wiederaufsetzten des
Zehenstände, Dehnungsübungen z. B. an der Spros- Fußes mit der Ferse gefolgt vom Abrollen über die Fuß-
senwand oder gegen Gummibänder. Neben der Nutzung sohle bis zum erneuten Abdrücken mit dem Ballen einge-
übt. Zur Steigerung der Muskelkraft (vermehrte Kompres-
sion der intramuskulären venösen Gefäße) wird ein Kraft-
training durch Zehenstandsübungen gegen das eigene
Körpergewicht und Treppensteigen in das Gehtraining
eingefügt.
Ergometer-Phase
Die Kräftigung der Wadenmuskultur wird in der Phase der
Ergometrie weiter gefördert. Anders als beim herkömm-
lichen Fahrradergometer kann ein spezielles Pedalergo-
meter (Klyscz) individuell auf die jeweiligen Dreh- und
Bewegungsachsen der Gelenke der Beine sowie auf eine
seitendifferente Belastbarkeit des Trainingsteilnehmers
eingestellt werden. Unphysiologische bzw. individuelle
Grenzen überscheitende Gelenkbewegungen werden so
. Abb. 22.22. Training mit der Venenschlinge vermieden (. Abb. 22.23). Die Pedalergometrie erfolgt aus
254 Kapitel 22 · Konservative Therapie
! Cave
Auskühlung des Körpers, Wassertemperatur
sollte über der Indifferenztemperatur von 31°C
liegen, die Mindesttemperatur von 30°C sollte
nicht unterschritten werden, bei bewegungs-
armer Wassergymnastik > 32°C
Aufwärmen Vor dem eigentlichen Venenwalking Aufwärmen mit Lockerungsübungen, danach erst werden Dehnungs-
übungen der Muskulatur durchgeführt. Dann 3–10 min in langsamen Schritttempo beginnen, wobei die
Geschwindigkeit allmählich zunimmt
Füße Gerade ausrichten. Die Fußspitzen zeigen immer genau zum Ziel. Fuß mit der Ferse auf dem Boden aufsetzen
und vollständig bis zu den Zehen abrollen (im Unterschied zum Joggen). Fuß durch den Einsatz der Fuß- und
Unterschenkelmuskulatur vom Boden abdrücken, Knie locker lassen
Körperhaltung Aufgerichtet und gestrafft. Oberkörper aufrecht, Blick nach vorne, Kinn leicht nach unten und Nacken lang
machen. Brustkorb heben, Schultern leicht zurück. Bauch und Po leicht anspannen. Blick immer geradeaus
nach vorne
Armschwung Hände zu einer lockeren Faust ballen. Ellenbogen nahe am Körper lassen, Unterarme anwinkeln, Arme
im normalen Gehrhythmus des Körpers schwingen. Dabei locker in den Schultern bleiben. Bei schnellerem
Tempo: Arme stärker anwinkeln (bis zu 90 Grad) und diagonal schwingen, d. h. mit der rechten Hand zur
linken Körperhälfte und umgekehrt
Ausklingen Langsamer werdende Geschwindigkeit über einen Zeitraum von 3–5 min
Abschluss mit anschließenden Dehnungsübungen
Radfahren Eine günstige Sportart wenn sie entspannt aus- Kraftsport In Analogie zur Pathophysiologie der Varizen-
geführt wird. Die Beine einschließlich der beteiligten Ge- entstehung sind Kraftsportarten, bei denen im Sinne eines
lenkstrukturen werden vom Körpergewicht weitgehend ent- Valsalva-Manövers ein hoher abdomineller Druck auf das
lastet. Die Muskulatur wird gekräftigt und die Springgelenks- Venensystem aufgebracht wird als ungünstig einzustufen.
Wadenmuskelpumpe bei jeder Tretbewegung neu aktiviert. In entsprechenden Einrichtungen sollten die Trainer auf
Radfahren ist eine eher ungünstige Sportart, wenn sie die korrekte Atemtechnik mit Ausatmung bei der Belas-
als Leistungssport ausgeübt wird. Hier kann aber das Tra- tung achten.
gen von medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS)
mehr als ausgleichend wirken. Dies wurde bei Radfahrern
im Rahmen einer Dissertation (Rauschenbach) untersucht. 22.5.3 Besonderheiten bei der Bewegungs-
Die Analyse ergab eine signifikante Reduktion CVI-typi- therapie
scher Beschwerden im Alltag und nach dem Training, die
Lebensqualität war unter der Therapie hoch. Die Comp- Bewegungstherapie beim Ulcus cruris
liance bezüglich der Tragehäufigkeit der MKS war sehr Neben einer optimierten Wundbehandlung besteht eine
hoch. MKS stellen für Radsportler mit CVI keinen Leis- therapeutische Option des floriden Ulcus cruris in der re-
tungsnachteil dar. Die Ergebnisse der Untersuchungen gelmäßigen Durchführung einer spezifischen Bewegungs-
decken sich weitgehend mit einer parallel durchgeführten therapie, beispielsweise im Rahmen von »Gefäßsport-
Studie an Läufern. gruppen«. In der klinischen Studie von Klyscz und Jünger
konnte für Patienten mit Ulcus cruris venosum gezeigt
Ballsportarten Bei den Mannschaftssportarten sind Ball- werden, dass es während eines additiven halbjährigen,
sportarten mit niedrigem Verletzungsrisiko sowie gerin- krankheitsspezifischen Bewegungstrainings zu einer kom-
gen Beschleunigungs- und Bremskräften den so genannten pletten Abheilung der Ulcera bei 70% der Patienten kam.
›schnellen Ballsportarten‹ vorzuziehen.
> Die additive aktive Bewegungstherapie führt
Tennis: Besser Doppel als Einzel: die Spurt- und Stopp-
in einem hohen Prozentsatz zur Abheilung des
belastung wird deutlich vermindert.
venösen Ulcus cruris.
Fußball, Rugby, Basketball und ähnliches: Wegen der
22 Verletzungsrisiken sollte hiervon bewusst Abstand genom- Darüber hinaus gaben die Patienten eine deutliche Besse-
men werden. rung subjektiver Beschwerden wie Schmerzen und Ödem-
22.5 · Bewegungstherapie
257 22
neigung an. Das muskelkräftigende Training führt durch > Bei der venös indizierten Bewegungstherapie
die gesteigerte Kontraktionsfähigkeit zur verbesserten Ab- soll eine Abklärung der arteriellen Gefäßsitua-
pumpleistung. tion erfolgen, um neben den im arteriellen
Ein weiterer durch regelmäßiges sportliches Training Schenkel zu erwartenden günstigen Trainings-
beeinflussbarer Faktor in der Pathogenese des Ulcus cruris effekten mögliche Belastungsgrenzen aufgrund
venosum stellt das arthrogene Stauungssyndrom dar, hier einer pAVK rechtzeitig zu erkennen. Das Training
wirkt der vermehrte Bewegungsumfang im oberen Sprung- in einer Gruppe sollte einen peripheren Knöchel-
gelenk durch den Gefäßsport, unterstützt durch kranken- druck über 60 mm Hg voraussetzten.
gymnastische Einzelbehandlungen abheilungsfördernd.
Mobilisierung unter besonderer Beachtung der Sprung- Schmeller W (1990) Das arthrogene Stauungssysndrom. Sprung-
gelenkbeweglichkeit, manuelle Lymphdrainage, apparative gelenksveränderungen bei chronischer Veneninsuffizienz. Dies-
bach, Berlin
intermittierende Kompression.
Strölin A, Jünger M (2004) Möglichkeiten der physikalischen Therapie
bei Venenerkrankungen. Phlebologie 6:204–210
DGG-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der primären Vertrag über die Durchführung und Vergütung des Rehabilitations-
Varikose Die konservative Therapie umfasst: Kompres- sportes zwischen dem Behinderten-Sportverband Nordrhein-
sionsverbände, medizinische Kompressionsstrümpfe, Me- Westfalen e. V. und dem LandesSportBund Nordrhein-Westfalen
e. V. einerseits sowie den Landesverbänden der Krankenkassen
dikamente.
bzw. Krankenkassen andererseits (2003)
Nachsorge: … Frühmobilisation am Tage der Opera- Waldhausen P et al. (1990) Ambulante Bewegungstherapie in einer
tion und ausgiebige Bewegungstherapie sind Grundlage Gefäßsportgruppe. In Diehm C, Gerlach HE Bewegungstherapie
der Nachbehandlung in der unmittelbaren postoperativen bei peripheren arterielen Durchblutungsstörungen. Zuckschwert,
Phase. München Bern Wien
Werner E (2001) Sporttherapie mit präventiven Venensportgruppen
Literatur am Wohnort. Dissertation, Heidelberg
Wütscher R, Bounameaux H (1999) Assesment of peripheral arterial
AKH Konsilium (2008) Medizinische Universität Wien http://www.
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akh-consilium.at/daten/varizen.htm
Ulcers, Kargerer Basel Freiburg Paris London NewYork NewDelhi
Bulling B (1995) Die Medi-Venenschlinge - Ein Hilfsmittel zur Therapie
Bangkok Tokyo Sydney
des arthrogenen Stauungssyndroms bei chronisch venöser Insuf-
fizienz. Vasomed 4:46–47
Deutsche Gesellschaft Venen e.V. (2004) VenenJournal Kurznachrich-
ten. 06/2004, 90007 Nürnberg Postfach 18 10
22.6 Wundmanagement
Deutsche Venen-Liga e.V. (2005) Venen-Walking Pressemitteilung:
25/05. Hauptgeschäftsstelle, Sonnenstraße 6, 56864 Bad Bertrich
Diehm C et al. (2002) Get ABI: German epidemiological trial on ankle E.S. Debus
brachial index for elderly patients in family practice to dedect
peripheral arterial disease, significant marker for high mortality. Die Behandlung von Wunden unterschiedlicher Arten,
VASA-JOURNAL OF VASCULAR DISEASES 31: 241–248
auch von sekundären und chronischen Wunden, ist seit
Diehm C et al. (2007) Prognosis of patients with asymptomatic versus
symptomatic peripheral arterial disease (PAD): 3-year results of
jeher eine Domäne der Chirurgie gewesen. Konzepte für
the get ABI study. VASCULAR MEDICINE 12: 141–141 die strukturierte Behandlung von septischen Wunden und
Initiative Mediven (2008) http://www.initiative-mediven.de chronischen Wunden lassen sich in der Geschichte der
Klyscz T et al. (1994) Diagnostische Methoden zur Beurteilung der Chirurgie, insbesondere der Kriegschirurgie weit zu-
kutanen Mikrozirkulation bei der chronischen Veneninsuffizienz.
rückverfolgen und sind z. T. mit den Namen großer Per-
Phlebologie 23:141–145
Klyscz T et al. (1995) Neuartiges Pedalergometriegerät zur aktiven Be-
sönlichkeiten der klassischen Chirurgie verbunden. Der
wegungstherapie bei Patienten mit peripheren arteriellen und Gefäßchirurgie und der Phlebologie sind mit den Ge-
venösen Zirkulationsstörungen. Phlebologie 24:176–180 webeuntergängen bei der AVK in Stadium 4, der Versor-
Klyscz T et al. (1997) Gefäßsport zur ambulanten Therapie venöser gung von ischämiebedingten Amputationen, dem Diabe-
Durchblutungsstörungen der Beine. Hautarzt 6:384–390
tischen Fußsyndrom und dem Ulcus cruris venosum eine
Klyscz T et al. (1997) Biomechanische Stimulationstherapie (BMS) zur
physikalischen Behandlung des arthrogenen Stauungssyndroms.
Reihe von Krankheitsbildern zugeordnet, die einen Groß-
Hautarzt 48:318–22. teil der vorkommenden »Problemwunden« ausmachen.
Klyscz T, Jünger M (1999) Venenfitness Übungen zur Behandlung und Somit ist das Know how im Umgang mit diesen Wunden
Vorbeugung. Falken Niedernhausen in den genannten Fachbereichen etabliert und Routine.
Klyscz T, Jünger M, Rassner G (1999) Physical Therapy of the Ankle
Aus den USA kam vor einigen Jahren das Konzept, Pa-
Joint in Patients with Chronic Venous Incompetence and Arthro-
genic Congestive Syndrome. In: Hafner J, Ramelet A-A, Schmeller
tienten mit Problemwunden in besonderen Zentren oder
W, Brunner UV (eds): Management of Leg Ulcers.Curr Probl Der- Sprechstunden zu konzentrieren und damit die struk-
matol. Basel, Karger, 27, 141–147 turierte und qualitätsorientierte Versorgung nach fest-
Langer C, Schmidbauer U (1993) Das primäre arthrogene Stauungs- stehenden Konzepten zu gewährleisten. Dieses Versor-
syndrom. Phlebologie 22: 280–281
gungskonzept wurde mit dem Begriff des Wundmanage-
http://leitlinien.net/
Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktions-
ments verbunden, der sich inzwischen auch in Deutsch-
training vom 01. Oktober 2003 i. d. F. vom 01. Januar 2007 (2007) land durchgesetzt hat.
Rauschenbach M, (2006) Einfluss der Kompressionstherapie bei Rad- Zwar ist Wundmanagement kein grundsätzlich neues
sportlern mit nachgewiesener Klappeninsuffizienz der Haut- Konzept, so ist nicht zu leugnen, dass das Bekanntwerden
stammvenen auf Leistungsvermögen und Laktatspiegel. Inaugu-
dieses eingängigen Begriffs dazu geführt hat, dass dem
ral-Dissertation Medizinischen Fakultät der Eberhard Karls Uni-
Problem der chronischen Wunden eine größere Aufmerk-
22 versität zu Tübingen
samkeit gewidmet wurde und wird. Es wurde evident, dass
Partsch H (1985) Zur Pathogenese des venösen Ulcus Cruris. Hautarzt
36:196–202 hier, unabhängig vom individuellen Schicksal des Patien-
22.6 · Wundmanagement
259 22
ten, ein früher weitgehend unterschätztes sozialmedizi- 22.6.2 Wundheilung
nischens Problem liegt, dessen bessere Strukturierung und
Bearbeitung auch eine Reihe von gesundheitsökonomi- Mechanismen der Wundheilung
schen Vorteilen mit sich bringt. Mit der verstärkten Auf- Unter einer primären Wundheilung (per primam inten-
merksamkeit ist ein neuer Markt entstanden, der die ein- tionem) versteht man den unkomplizierten Heilvorgang
schlägige Industrie veranlasst hat eine Vielzahl neuer und gut adaptierter Wunden (z. B. nach Hautinzision bei asep-
guter Wundbehandlungs- und Wundversorgungsprodukte tischen Eingriffen). Unter Ausbildung einer minimalen
zu entwickeln und zu vermarkten. Narbe ist der Heilungsvorgang innerhalb von wenigen
Für gefäßmedizinische Institutionen, sowohl Praxis als Tagen beendet. Von einer sekundären Wundheilung (per
auch Klinik ist die Organisation und Strukturierung einer secundam intentionem) spricht man dagegen, wenn der
Wundsprechstunde, ggf. kombiniert mit einer diabetischen Heilvorgang durch lokale (Infekt, mangelnde Durchblu-
Fuß-Sprechstunde heute obligat. tung, venöse Stauungsinduration, bradytrophes Gewebe
etc.) oder systemische Faktoren (Diabetes mellitus, Im-
munschwäche etc.) gestört ist. Die Wunden werden durch
22.6.1 Definition der Wunde Granulationsgewebe ausgefüllt und ziehen sich sekundär
zusammen. Hierdurch entsteht nach mehreren Wochen
Wunden sind umschriebene Gewebsverletzungen. Ist das eine deutlich sichtbare Narbe. Behandlungsziel bei einer
Integument verletzt, spricht man von offenen oder äußeren sekundär heilenden Wunde ist die Umwandlung in eine
Wunden, bei intaktem Hautmantel, aber Vorliegen von in- Heilung per primam intentionen, z. B. durch sekundären
neren Verletzungen dagegen von geschlossenen, inneren Verschluss der Wunde. Kontaminierte Wundregionen mit
Wunden. Die Heilung und Behandlung von Wunden ist Nekroserändern oder Wundtaschen fördern durch Bakte-
abhängig von der Wundentstehung und der Wundart. rienwachstum die Ausbildung einer manifesten Wund-
infektion. Diese Infektionsherde sollten daher durch radi-
Offene Wunden kales chirurgisches Débridement mit Wundrandausschnei-
Sie können durch eine Vielzahl von unterschiedlichen dung innerhalb von 6–8 Stunden entfernt werden (Wund-
Verletzungsmechanismen (Kontusion, Riss-, Stich-, Pfäh- excision nach Friedrich). Dadurch erreicht man zudem
lungs-, Schussverletzung etc.). Der Spezialfall der offenen einen glatten Wundrand, der sich durch eine Naht adaptie-
Verletzung ist die Schnittwunde, zu der auch die Opera- ren lässt. Somit kann auch eine kontaminierte Wunde einer
tionswunde gehört. primären Wundheilung zugeführt werden.
Schnittwunden haben überwiegend glatte Wund- Eine Sonderform der Wundheilung ist die epitheliale
ränder. Sie neigen zu Blutungen und heilen bei fachge- Wundheilung unter Ausbildung von Wundschorf. Die Ver-
rechter chirurgischer Wundversorgung (6–8 Stunden, letzung reicht hier lediglich bis ins Korium. Bei diesen ober-
maximal 12 Stunden nach Wundsetzung) in der Regel pri- flächlichen Wunden des Integumentes kommt es zu einer
mär ab. Restitutio ad integrum, d. h. die Wunde heilt ohne Narben-
bildung aus. Hier kommt es zu einer echten Regeneration
Geschlossene Wunden des ursprünglichen Gewebes. Sie wird auch am Peritoneum,
Prellungen sind Kontusionen der Weichteile mit Bluter- am Gefäßendothel oder an der Pleura beobachtet.
güssen und Ödemen. Neben einer initialen schmerzhaften
Bewegungseinschränkung heilen sie in der Regel folgenlos Organspezifische Regenerationsfähigkeit
aus. Klinisch bedeutsam sind jedoch stumpfe Traumen bei Integument Die Epidermis regeneriert rasch von der
vorbestehender venöser Insuffizienz, insbesondere im Keimschicht aus. Eine Regeneration der Hautanhangsge-
Spätstadium, da hier aufgrund von Stauungsdermatosen bilde (Haare, Talg- und Schweißdrüsen) erfolgt nicht. Nar-
und venöser Kompartmentbildung mit Durchblutungsstö- benwucherungen in Form von breiten, erhabenen Narben
rungen und einer gestörten Wundheilung zu rechnen ist. (hypertrophe Narben) oder mit pseudopodienartigen
Nicht selten kommt es zu einer Nekrosebildung der Haut, Fortsätzen in die Umgebung (Keloide) entstehen in Folge
so dass aus der primär geschlossenen Wunde sekundär einer gesteigerten Kollagensynthese. Die Narben verlieren
eine offene Wunde entsteht. gewöhnlich nach einigen Monaten ihr rötliches Aussehen.
Quetschungen können ebenfalls zu geschlossenen Sie werden schmaler und adaptieren ihre Farbe an das un-
Wunden führen. Die Haut selbst ist zwar nicht perforiert, verletzte umgebende Integument. Unter Narbenneuralgie
daruntergelegene Strukturen können jedoch ausgedehnte versteht man einen druckschmerzhaften Narbenbezirk.
Verletzungen aufweisen. Bei entsprechendem Verdacht Bei Juckreiz oder Schmerzen ist der Versuch der Eindäm-
sollte immer eine bildgebende Diagnostik (z. B. Sonogra- mung einer Narbenwucherung durch eine Kompressions-
phie, CT) durchgeführt werden. behandlung, eine Röntgentherapie oder eine medikamen-
260 Kapitel 22 · Konservative Therapie
schichtweise, sparsame chirurgische Säuberung und Glät- troffen sind oder freiliegen. Bei großen Hautdefekten kann
tung der Wundränder erforderlich. Je atraumatischer das durch Hautplastiken oder freie Gewebstransplantation der
Vorgehen, umso geringer ausgeprägt ist die Narbenbil- Hautverschluss erreicht werden.
dung. Wundtaschen, Gewebsspannungen durch erzwun-
gene Nähte prädisponieren zu Wundheilungsstörungen. Wundverband und Verbandswechsel Frische, primär
Vermieden werden sollten ebenfalls: chirurgisch versorgte Operationswunden werden lediglich
4 Austrocknung der Wunde, mit einem sterilen, trockenen Schutzverband abgedeckt.
4 zu lange Operationsdauer, Sie sind bereits nach 24 Stunden verklebt und damit gegen
4 ungenügende Blutstillung und bakterielle Penetration geschützt. Nach spätestens 24 Stun-
4 Verwendung alloplastischer, nicht-resorbierbarer Ma- den sind versorgte Wunden zu kontrollieren. Kommt es
terialien. zu anhaltenden Schmerzen, motorischen oder sensiblen
Defiziten, ist eine ärztliche Wundkontrolle erforderlich.
Erweiterungsschnitte sollen im Verlauf der Langerschen Häufig bessern sich die Beschwerden spontan nach Ab-
Hautspaltlinien erfolgen. Beugefalten eines Gelenkes nahme eines zu eng gewickelten Verbandes. Sind lokale
dürfen nicht senkrecht gekreuzt werden. Bei tiefen Wun- Entzündungszeichen vorhanden (Rubor, Calor, Tumor,
den und bei Nachblutungsgefahr sind Saugdrainagen in- Dolor, Functio laesa), erfordert dies ggf. die Entfernung
diziert. von Nähten und das Spreizen der Wunde. Dann muss die
weitere Behandlung – wie bei jeder sekundär heilenden
Primäre Wundnaht Sie führt durch Ausbildung der ge- und chronischen Wunde – feucht erfolgen. Durch die Ent-
ringsten Narbenbildung in der Regel zum kosmetisch wicklung von semiokklusiven Wundauflagen wurde
besten Heilungsergebnis. Eine systemische Antibiotikathe- eine differenzierte lokale Wundtherapie eingeleitet, die die
rapie kann indiziert sein. Verletzungsart, verzögerte Be- Kenntnis der gebräuchlichen Substanzklassen erforderlich
handlung, Wundlokalisation, Kontamination, Ischämie macht. Die semiokklusiven Wundauflagen zeichnen sich
und Begleitverletzungen können eine primäre Heilung ver- durch eine Vielzahl von Eigenschaften aus, die sich positiv
hindern. Die Behandlung besteht dann in einer offenen auf die Wundheilung auswirken:
Wundbehandlung unter Einleitung einer sekundären Wund- 4 das feuchte Milieu fördert das Wachstum und die Mig-
heilung. ration von Zellen. Signalstoffe (Chemokine, Cytokine,
Wachstumsfaktoren) können frei diffundieren und er-
Verzögerte primäre Wundnaht Bei infizierten Wunden möglichen so die Zell-Zell-Kommunikation
und nach der 12-Stunden-Grenze nach Trauma ist ein 4 überschüssiges Wundsekret wird aufgesaugt
primärer Wundverschluss nicht mehr zulässig. Es kann 4 durch die Okklusion entsteht ein saures Milieu, das
jedoch die sog. verzögerte primäre Wundnaht erwo- einerseits hemmend auf Bakterienwachstum wirkt,
gen werden. Nach chirurgischer Wundtoilette werden zum anderen auch das Kapillarwachstum stimuliert
die Fäden vorgelegt, aber nicht geknüpft. Zeigt es sich 4 aufgrund der Durchlässigkeit von Sauerstoff bleibt
im Verlauf, dass die Wunde sauber bleibt und eine gute der Gasaustausch gewährleistet Schutz der Wunde vor
Granulationstendenz ohne Infektionszeichen aufweist, äußeren Einflüssen (mechanische Irritation)
so können die Fäden nach 3–6 Tagen zugezogen und ge- 4 thermischer Schutz (Schutz vor Auskühlung)
knüpft werden. Stellt sich eine manifeste Wundinfektion 4 geringe Sensibilisierungsrate
ein, unterbleibt der Wundverschluss und die Wunde heilt
sekundär. Vorteil dieser Wundauflagen ist zudem, dass sie über meh-
rere Tage auf der Wunde belassen werden können und
Sekundärnaht Bei Versorgung von mehr als 24 Stunden der Verbandswechsel selbst schmerzarm durchführbar ist.
alten Wunden ist lediglich eine Ruhigstellung (z. B. auf Immer wieder wird hierdurch eine Materialersparnis an-
einer Gipsschiene) gerechtfertigt. Diese Wunden müssen gegeben und aus diesem Grund eine besondere Kosten-
vor Austrocknung bewahrt werden und werden deshalb effektivität postuliert. Die moderne Wundauflage besteht
feucht verbunden. Gelegentlich kann die Heilungszeit aus einem Drei-Schicht-System:
durch Wundrandexzision und Sekundärnaht nach etwa 1. äußere, semiokklusive Deckschicht
10–14 Tagen verkürzt und die Narbe verkleinert werden. 2. »Wundfüller«
3. innere Adhäsivschicht, mit der die Wundauflage auf
Besonderheiten Die 6–8 Stunden Versorgungsgrenze dem Integument fixiert wird.
kann überschritten werden, wenn ältere Läsionen der
22 großen Körperhöhlen und der Gelenke vorliegen. Gleiches Die mittlere Schicht (»Wundfüller«) repräsentiert die ei-
gilt, wenn Gefäße, Knochen, Nerven oder Sehnen mit be- gentliche flüssigkeitsaufnehmende Substanz. Die erste
22.6 · Wundmanagement
263 22
liegt, empfiehlt sich auch die Anwendung von Auflagen
mit antiseptischen Zusätzen (. Tab. 22.15).
Die modernen Wundauflagen lassen sich hinsichtlich
ihrer Wirkung auf die Wunde in drei Gruppen einteilen:
es werden passive von aktiven und interaktiven Wund-
auflagen unterschieden (. Tab. 22.16). Unter den passi-
ven Wundauflagen werden zum einen die klassischen
Gazeverbände verstanden, die zum Erhalt der Wund-
feuchtigkeit entweder regelmäßig (mehrfach täglich) be-
feuchtet oder aber mittels Okklusivverband nach außen
abgedichtet werden müssen. Nachteil der Befeuchtung
ist die Auskühlung der Wunde durch Verdunstung: ein Ab-
sinken der Gewebetemperatur unter 36°C bewirkt eine
Hemmung bzw. ein Sistieren der Stoffwechselaktivität
. Abb. 22.28. Moderne Wundauflage: (biatain ibu®). Es handelt von Zellen (z. B. Fibroblasten). Aus diesem Grund werden
sich um einen Schaumverband, der mit Ibuprofen imprägniert ist. Okklusionsverbände bevorzugt. Die Wunde bleibt feucht,
Hierdurch wird eine lokale Analgesie erreicht, die zu einer Vermin- da das Wundsekret im Verband verbleibt und nicht abge-
derung des systemischen Schmerzmittelverbrauchs führen kann.
geben wird.
Der Schaumverband kann – in Abhängigkeit von der Sekretmenge –
mehrere Tage auf der Wunde belassen werden. Die analgetische Wir- Die interaktiven Wundauflagen besitzen in der Regel
kung hält etwa 3 Tage an eine äußere, für Flüssigkeiten undurchlässige semiper-
meable Membran, die aber den Gasaustausch mit der Um-
gebung ermöglicht. Das Wundsekret wird zunächst in
dieser Wundauflagen ist der Hydrokolloidverband, der diese Wundauflagen aufgesogen, um dann auch wieder an
mit einer Polyurethan-Folienabdeckung versehen ist. Ist die Wunde abgegeben zu werden (= interaktiv, sog. Phasen-
das Hydrokolloid mit Wundsekret gesättigt, kommt es zu umkehr).
einer Phasenumkehr des Materials, und das Hydrokolloid Die aktiven Wundsysteme stellen die letzte Entwick-
gibt Sekret an die Wunde ab. So entsteht ggf. ein fließendes lung der modernen Wundauflagen dar. Ihnen ist die Kom-
Gleichgewicht mit Erhalt der Wundfeuchtigkeit (. Abb. bination einer feuchten Wundauflage mit einer aktiven,
22.28). Je nach Grad der Flüssigkeitsabgabe einer Wunde wundheilungsfördernden Wirksubstanz gemeinsam. Hya-
können Wundauflagen mit unterschiedlich hoher Aufnah- luronsäurehaltige Präparate zur Förderung der Bindege-
mekapazität für Sekret eingesetzt werden. Stark sezernie- websneubildung sind ebenso auf dem Markt wie protease-
rende Wunden neigen häufig zu unangenehmer Geruchs- modulierende Systeme zur Inaktivierung der wundhei-
belästigung. Dieser Eigenschaft kann durch Wundauflagen lungshemmenden, eiweißspaltenden Enzyme.
begegnet werden, die mit geruchsbindenden Zusätzen be- Allen diesen Substanzen gemeinsam ist das Dilemma,
schichtet sind (Aktivkohle). Da die Ursache der Geruchs- dass eine positive Wirkung in theoretischen Überlegungen
bildung meist in der bakteriellen Besiedelung der Wunde zur Wirkungsweise nachvollziehbar ist und im in vitro
. Tab. 22.15. Zusammenstellung von modernen Wundauflagen zur differenzierten feuchten Wundbehandlung. Je nach Sekretions-
grad, Infektionsstatus und Geruchsbildung erfolgt eine stadiengerechte, auf den Einzelfall adaptierte Anwendung
Polyacrylate Tenderwet®
Auflagen mit antiseptischen Zusätzen Silberionen-haltig Acticoat®, Actisorb®, Contreet®, Aquaceel Ag®
. Tab. 22.16. Moderne Wundauflagen. Sie sind nach ihrer Wirkungsweise auf die Wunde katalogisiert
aktive Wundsysteme Auflagen mit eigenen hyaluronsäurehaltige Wundauflagen (Hyalofill®, Hyalogran®), proteasemodu-
Wirksubstanzen lierende Matrix (Promogran®), wachstumsfaktorhaltige Systeme (Regranex®)
Versuch meist auch belegt wurde. Die Situation der chroni- Diese Möglichkeiten zielen im Wesentlichen darauf ab,
schen Wunde stellt jedoch ein außerordentlich komplexes, das Wundmilieu so zu konditionieren, dass das intrinsische
bis heute noch nicht voll verstandenes System dar, so dass Wundheilungspotential voll ausgeschöpft werden kann.
die eigentliche Wirksamkeit dieser Substanzen letztlich Neben den genannten Wundauflagen haben sich in der
noch hinterfragt werden muss. Behandlung chronischer und sekundär heilender Wunden
Darüber hinaus müssen sekundär heilende Wunden, zwei weitere Verfahren etabliert: die Vakuumtherapie
vor allem bei Vorliegen eines Wundinfektes, in regelmäßi- (VAC) und die Behandlung mit sterilen Fliegenmaden
gen Abständen gereinigt werden. Diese Wundreinigung (Lucilia serricata).
kann chirurgisch-mechanisch (durch Ausschaben, Exzi-
sion, Waschen) oder biochemisch-enzymatisch erfolgen. Vakuumtherapie Die VAC stimuliert durch topische
Beide Verfahren dienen dem Zweck, fibrinöses Exsudat Applikation eines kontrollierten Unterdruckes (50–
und Zelltrümmer zu entfernen. Hierdurch wird die kata- 125 mm Hg) eine Granulationsförderung der Wunde, die
bole Phase der Wundheilung verkürzt und die anabole zur Auffüllung auch größerer Defekte führen kann. Neben
Phase eingeleitet. Vorteile des chirurgischen Débridements dem offenporigen Polyurethanschwamm sind Polyvinyl-
sind zeitliche Effizienz und ein geringer finanzieller und alkoholschwämme im Handel. Aufgrund der geringeren
instrumenteller Aufwand. Die bewusst provozierte Blu- Porengröße bietet sich der Polyvinylalkoholschwamm
tung führt zur Ablagerung von Thrombozyten und Frei- für Wunden an, die ein wässriges, niedrig-visköses Sekret
setzung von α-Granula mit den darin enthaltenen wund- absondern. Die Vakuumtherapie führt durch den Unter-
heilungsfördernden Zytokinen. Nachteil ist die Schmerz- druck neben einer Ödemausschwemmung zu einer Anre-
haftigkeit. Die enzymatische Wundreinigung dagegen gung der Kapillardurchblutung (Neoangiogenese). Dem
kann ein chirurgisches Débridement zwar nicht ersetzen, mechanischen Reiz durch lokalen Unterdruck wird die In-
jedoch, additiv eingesetzt, von großem Nutzen sein. Es duktion von Granulationsgewebsbildung zugeschrieben.
stehen verschiedene Enzymprärarate zur Verfügung. In Der Unterdruck kann permanent oder intermittierend an-
seltenen Fällen kann es zur Sensibilisierung gegen Enzym- gelegt werden, die Wechselzeiten zwischen den Verbands-
präparate kommen. Ist die Wunde infiziert, sollten Anti- wechseln beträgt in der Regel 2 bis 4 Tage (. Abb. 22.29).
biotika nach Keimaustestung eingesetzt werden. Sie werden
jedoch ausschließlich systemisch – kalkuliert oder nach Behandlung mit sterilen Fliegenmaden Die topische
Austestung – eingesetzt. Die lokale Gabe ist obsolet. Zum Anwendung von Maden hat sich ebenfalls bei chronischen
einen werden Antibiotika nach Lokalapplikation schnell Wunden bewährt (. Abb. 22.30). Die Maden führen durch
durch Enzyme inaktiviert, zum anderen führen sie häufig ihre scharfen Kauwerkzeuge zu einer mechanischen Irrita-
zu Allergisierungsreaktionen und zu Resistenzbildungen. tion im Wundgrund, die stimulierend auf die Granula-
Darüber hinaus hemmen viele Antibiotika die Wundhei- tionsbildung der Wunde wirken soll. Die Maden ingestieren
lung. Zur Wundspülung werden häufig Antiseptika ange- Bakterien und sondern Sekret aus, das eine proteolytische
wandt. Hier ist zu beachten, dass einige dieser Substanzen und antiseptische Wirkung besitzt. Allerdings ist zu beach-
die Wundheilung stark hemmen können. Beispiele hierfür ten, dass Proteus- und Pseudomonas-besiedelte Wunden
sind das Wasserstoffperoxid, Triphenylmethan-Farbstoffe, von der Wirkung dieses Sekretes unbeeinflusst bleiben. Es
Kaliumpermanganat oder hypertone Kochsalzlösung. existieren Erfahrungsberichte, nach denen Maden auch bei
Ideale Antiseptika sind dagegen Silbernitrat 1%, Chlora- Wundinfekten und Osteomyelitis mit Erfolg eingesetzt
22 min T 1%, oder PVP-Jod. Bei Jodlösungen muss die mög- wurden. Allerdings kann es durch die mechanische Irrita-
liche Jodresorption aus der Wunde beachtet werden. tion in der Wunde zu Schmerzen und lokaler Hautirritation
22.6 · Wundmanagement
265 22
a b c
. Abb. 22.29. Vakuumverband. a ein ausgedehntes venöses Ulkus eine Spalthauttransplantation auf die inzwischen sauber granulie-
mit diabetisch-angiopathischer Begleitkomponente wurde mit 4 Zyk- rende Wunde erfolgen c das Transplantat ist reizlos eingeheilt
len Vakuumverband behandelt b nach 3 Wochen konnte schließlich
23 Verödungstherapie
23.1 Geschichte und Entwicklung der Verödungstherapie – 269
P. Waldhausen
23.1.1 Historie der Injektion und der Verödungsmittel – 269
23.1.2 Entwicklung der Verödung – 271
23.1.3 Entwicklung der Schaumverödung – 272
nach Imhoff und Stemmer (1968), Holzegel (1970) sowie Goldmann und Bennet (1987).
23.1 · Geschichte und Entwicklung der Verödungstherapie
271 23
23.1.2 Entwicklung der Verödung
Deutschland
Die Sklerotherapie wurde in Deutschland zu Beginn des
20. Jahrhunderts von Forschern wie P. Scharff, N. Branner,
. Abb. 23.2. Polidocanol (INN) ist der aktive Wirkstoff in Aethoxy- R. Fischel oder H. Hecht überwiegend mittels Sublimat
sklerol®. (auch bekannt unter Hydroxypolyaethoxydodecanol, Poly- (Quecksilber(II)-chlorid) durchgeführt. Ursprünglich in
ethylenglycol-Monododecylether, Lauromacrogol 400 oder auch der Behandlung der Syphilis benutzt, wurde nach Sublima-
Laureth-9)
tinjektionen trotz des Nachspülens mit physiologischer
Kochsalzlösung Fibrosierungen der Venen ohne periphle-
de sind nicht statisch, sondern stehen in einem stän- bitische Reaktionen beobachtet.
digen Umbau: einzelne Polidocanolmoleküle verlassen Paul Linser (1871–1963) ließ als erster Ordinarius der
die Mizellen und gehen in Lösung und vice versa. Die Tübinger Hautklinik 1916 Camillo Zorne eine Doktor-
Mizelle stellt eine Art Vehikel dar, das selbst nicht arbeit zur Verödungsbehandlung mit Sublimat anfertigen.
mit der Lipiddoppelschicht der Endothelzellmembran Er kam zu dem Ergebnis, dass durch die starke Endothel-
reagiert. Vielmehr interagieren einzelne freie Polido- reaktion ein fester Zusammenhalt zwischen Venenwand
canolmoleküle. Zunächst erfolgt eine Anlagerung an und Thrombus entstand und erklärte über diesen Mecha-
die nächst gelegenen Oberfläche, ein für »oberflächen- nismus »das Fehlen von Embolien«.
aktive« Stoffe typisches Verhalten. Ist die Konzentration Linser benutzte für seine Behandlungen eine Spritze
am Endothel ausreichend hoch, erfolgt eine Emulgie- nach Pravaz und berichtet über mehr als 500 ambulante
rung einzelner Membranbestandteile, also eine Desinteg- Behandlungsfälle. Wichtig war die streng intravasale Ap-
ration oder Denaturierung der Endothelzelloberfläche, plikation, da es ansonsten zu Nekrosen kam. Zudem traten
wobei Lipide etwas besser emulgiert werden als Proteine Quecksilberintoxikationen und schwere Unverträglich-
(. Abb. 23.3). keiten auf.
Die löchrig gewordenen Endothelzellen blähen sich Der nicht mit Paul Linser verwandte Karl Linser
ballonartig auf, da Plasmaflüssigkeit ungehindert eindrin- (1895–1976) nutzte in den 1920er Jahren eine hypertone
gen kann. Durch die Desquamation des Endothels werden Kochsalzlösung (15–30%) zur Varizenverödung. Wegen
subendotheliale Strukturen freigelegt, was zu einem Vaso- der darunter ausgelösten Crampi setzte er Procain als An-
spasmus führen kann und regelmäßig eine primär gefäß- ästhetikum zu. Das Präparat wurde als erstes industriell
wandständige Thrombozytenaggregation provoziert. Der hergestelltes Verödungsmittel unter dem Namen Varicoph-
initiale Verschlussmechanismus wird durch das Ausmaß tin® in Deutschland auf den Markt gebracht. Neben den
der Intimaschädigung in seiner Größe beschränkt und die Salzlösungen wurden auch hochkonzentrierte Zucker-
Blutgerinnung wird durch lokale Denaturierung von Ge- lösungen bis zur Marktreife entwickelt.
rinnungsfaktoren gehemmt. In Deutschland gab es zu dieser Zeit auf der Basis von
Kompression, Operation und Sklerosierungsbehandlung
eine aktive Venenheilkunde. Die über 20 Jahre existieren-
den »Blätter für Beinheilkunde«, der von Nathan Branner
(1870–1949) gegründete Verein der Spezialärzte für Bein-
leiden und zahlreiche Spezialambulatorien für Beinleiden
waren sichtbare Zeichen eines interdisziplinären Entfal-
tungsprozesses.
Die in den 1930er Jahren produzierten anionischen
Detergenzien und fettsäurehaltigen Injektionsmittel
führten zu häufigen und schweren allergischen Reak-
tionen. Wesentlich geringere Nebenwirkungen wurden
unter dem von Rainer 1946 in den USA entwickelten
Thrombovar® bzw Sotradecol® (Natriumtetradecylsulfat)
beobachtet.
. Abb. 23.3. Polidocanol als Mizellen angeordnet und frei über 1957 nach dem 2. Weltkrieg wurde die deutsche Ar-
dem Endothel beitsgemeinschaft für Phlebologie ins Leben gerufen.
272 Kapitel 23 · Verödungstherapie
Flasche und Einsaugen des Schaums in seine Spritze« er- tionssteuerung. Schadeck publizierte 1993 das Monitoring
hielt. 1944 publizierte Orbach die sogenannte »Airblock- der Schaumverödung mittels der Duplexsonographie.
technik«: er injizierte maximal 3 ml Luft in das zu be- Die Schaumsklerotherapie hat durch die vorbeschrie-
handelnde Venensegment, um so das verbliebene Blut benen Entwicklungen in den letzten Jahren weite Verbrei-
vollständig zu verdrängen. In der klinischen Anwendung tung erfahren. Die Schaumverödung ist die günstigste
nutzte er diese »Airblocktechnik« bei kleinen und mittle- Behandlungsmethode und wurde mittlerweile zu einem
ren Varizen. Stemmer und Kollegen zeigten 1970 in einem unverzichtbaren Baustein in der Varizenbehandlung.
Modellversuch, dass die Airblocktechnik aber nur bis zu
einem Gefäßdurchmesser bis 4 mm verlässlich funk- Literatur
tioniert. 1950 stellt Orbach den ersten Vergleich der Wirk- Biegeleisen HI (1937) Fatty acid Solutions for the injection treatment
of varicose veins: evaluation of four new solutions. Ann Surg
samkeit von Schaum mit der von flüssigen Sklerosierungs-
105(4):610–5
mitteln dar. Die Wirksamkeit des durch Schütteln der Bischoff JK (1993) Phlebologie: von der Empirie zur Wissenschaft. G.
Spritze oder des Arzneimittelfläschchens produzierten Fischer, Jena
Schaums stieg im Vergleich zur selben Menge »konventio- Buess H (1946) Die historischen Grundlagen der intravenösen Injek-
neller« Flüssigkeit auf das 3,5- bis 4-fache an tion ein Beitrag zur Medizingeschichte des 17. Jahrhunderts.
H. R. Sauerländer (Aarau in der Schweiz)
Bis 1999 wurden mannigfache Verfahren zur Schaum-
Fegan WG (1963) Continuous compression technique of injecting
herstellung erprobt, erst durch das »Tourbillon-Verfahren« varikose veins. Lancet 2:109
von Lorenzo Tessari gelang die einfache Herstellung eines Gedeon (2006) Science and Technology in Medicine: An Illustrated
sehr dichten und cremigen Schaums unter Verwendung Account Based on Ninety-Nine Landmark Publications from Five
üblicher Medizinprodukte (normale Spritzen und ein Drei- Centuries, Springer Verlag Berlin S 71
http://www.general-anaesthesia.com/people/charles-pravaz.html
wegehahn). Nachteil der Methode war die schlechte Re-
2009
produzierbarkeit, da sich die Schaumeigenschaften schon Goldman MP und Bennet R (1987) Treatment of telangiectasia: a re-
bei kleinsten Änderungen deutlich veränderten. Bessere view. J Am Acad Dermatol. 17(2 Pt 1):167–82
Ergebnisse wurden mit dem als »DSS« (Doppelspritzen- Holzegel K (1970) Über Varizenverödungsmittel. Zentralbl Phlebol
system) oder »Tessari-DSS« bekannten Vorgehen erzielt, 9:43–52
Hübner K. (2008) Praktische Sklerotherapie. Viavital Verlag Essen
mit dem ein stabiler und feinblasiger Schaum erzeugt wur-
Imhoff E, Stemmer R. (1969) Classification et mécanisme d‘action des
de (. Abb. 23.4): sclérosants. Phlebologie 22: 143–8
Knight RM,Vin F, Zygmunt JA. (1989) Ultrasonic guidance of injection
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Spritze (jeweils Luer-Lock), ein Combidyn-Adapter und Stemmer R (eds). John Libbey Eurotext Ltd 339-41
Lauer HH (1972) Venen und Venenerkrankungen in historischer Sicht.
ggf. ein 0,2 μm-Filter (zur Sterilfiltration von Luft). In die
Die Kapsel 29, 1267–79
Injekt-Spritze werden über den Sterilfilter genau 8 ml Luft McAusland S (1939) The modern treatment of varicose veins. Med
aufgezogen, anschließend – nach Entfernung des Filters – Press Circular 201:404–10.
genau 2 ml des Sklerosierungsmittels. Beide Spritzen Orbach EJ (1944) Sclerotherapy of Varicose Veins – Utilization of an
werden mit dem Adapter verbunden. Zunächst erfolgen intravenous air block. Am J Surg LXVI(3):362–6.
Orbach EJ (1950) A new approach to the sclerotherapy of varicose
fünf Pumpbewegungen gegen Widerstand (fester
veins. Angiology 1:302
Daumendruck auf den Spritzenstempel einer Spritze), bis Orbach EJ, Petretti AK (1950) The thrombogenic property of foam of a
beide Komponenten gut durchmischt sind. Danach wird synthetic anionic detergent. Angiol 1:237–43.
der Schaum noch siebenmal rasch zwischen beiden Sprit- Pravaz M (1853) Sur un nouveau moyen d’opérer du sang dans les
zen ohne zusätzlichen Druck hin und her gepumpt, bis ein artères, applicable à la guérison des anevrismes. Bulletin Général
de Thérapeutique, 14.4.1853
homogener Schaum entstanden ist.«
Rabe E, Pannier-Fischer F, Gerlach H, Breu FX et al. (2004) Guidelines
for sclerotherapy of varicose veins. Dermatol Surg 30,5:687–93
1989 benutzen Knight, Vin und Zygmunt das in den 70er Schadeck M (1993) Echo-sclerose de la grande Saphene. Phlebologie
Jahren vorgestellte Ultraschallduplexverfahren zur Punk- 46,673–82
274 Kapitel 23 · Verödungstherapie
Hyperthyreose (bei jodhaltigen Sklerosierungsmitteln) Thrombophilie oder Hyperkoagulabilität mit oder ohne abgelaufener TVT
Migräne
Goldmann PM, Bergan JJ, Guex JJ (2007) Sclerotherapy – Treatment of Rabe E, Pannier-Fischer F, Gerlach H, Breu FX et al. (2004) Guidelines
23 varicose veins and telangiectatic leg veins, Fourth Edition. Mosby
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Oesch A, Stirnemann P, Mahler F (1984) The Acute Ischemic Syndrome Techniken angewendet.
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Wochenschr 1984;114:1155–8
> Vor Beginn der Sklerotherapie sollte eine genaue
Rabe E, Otto J, Schliephake D, Pannier F. (2009) Efficacy and Safety of
Great Saphenous Vein Sclerotherapy Using Standardised Polido- Diagnostik erfolgen. Zur Sklerotherapie sollte
canol Foam (ESAF): A Randomised Controlled Multicentre Clinical ein entsprechender Therapieplan erstellt und die
Trial. Eur J Endovasc Vasc Surg, 35, 2, 238–245 Ergebnisse nach Beendigung evaluiert werden
23.4 · Technik und Praxis der Verödungstherapie
281 23
Unter Varizensklerosierung bzw. Varizenverödung ver- Ausführungen beziehen sich auf die Technik der geschlos-
steht man senen Nadel, d. h. mit aufgesetzter Spritze. Darüber hinaus
4 Die irreversible Schädigung des Endothels einer Vene sind auch Butterflykanülen und Mikrokatheter geeignet.
durch kontrollierte Einspritzung eines lokal toxisch Vor der Punktion sollte das betroffene Hautareal desinfi-
wirkenden Mittels mit konsekutiver Abscheidung eines ziert werden. Dosierung und Injektionsvolumen richten
lokalen Thrombus und Abheilung der Schädigungsfol- sich nach dem jeweiligen Varizentyp. Verschiedene Dosie-
gen unter Obliteration der Vene durch Fibrosierung. rungsprotokolle wurden publiziert(. Tab. 23.4)
Eine Möglichkeit, unerwünschte Wirkungen möglichst
Grundlage aller Sklerotherapieverfahren sind die fol- gering zu halten, besteht in der Verminderung der Wirk-
genden Prinzipien: stoffdosis. Hierbei kommt der weiter unten beschriebenen
4 stets mit der größten Varize beginnen und mit der intermittierenden Kompression eine entscheidende Rolle
kleinsten aufhören zu. Mit dieser Technik lässt sich das Krampfadervolumen
4 von oben (leistenwärts) nach unten (fußwärts) vor- reduzieren und somit auch die Dosis des zu verabreichen-
gehen den Wirkstoffs, bzw. des Wirkstoffvolumens. Die so er-
4 Läsionen vermeiden reichten verminderten Wirkstoffmengen sind nicht immer
deckungsgleich mit den Empfehlungen der 2. Konsensus-
Mit der Wiederentdeckung der Schaumsklerosierung konferenz von 2006 (Breu 2008). Generell sollte man fol-
haben sich sowohl die Injektionstechnik als auch das me- gende Punkte beachten:
thodische Vorgehen etwas verändert. 1. Eine oberflächlich gelegene, stark dilatierte Varize
Neben Polidocanol, das in Europa das gebräuchlichste (Durchmesser >3 mm) ist für eine direkte Schaumgabe
Sklerosierungsmittel ist, stehen noch andere Agenzien zur nicht geeignet. Voraussetzung ist hier eine Kaliber-
Verfügung. Hier handelt es sich um Sodiumtetradecylsul- und damit auch Volumenreduktion. Man erreicht dies
fat (Sotradecol®, 1%, 3%), jodierte Verbindungen (z. B. durch Flüssigsklerosierung bei einer Wirkstoffkonzen-
Variglobin®, 2%, 4%, 8%, 12%) und hypertone NaCl-Lö- tration von 1% oder 3% mit anschließender intermit-
sung (10–30%). In den folgenden Ausführungen geht es tierender Kompression. Die Situation ist nun identisch
ausschließlich um den Einsatz von Polidocanol (Aethoxy- mit der unter Punkt 2.
sklerol® AET) in Form von konventioneller Sklerosie- 2. Eine oberflächlich gelegene, wenig dilatierte Varize
rungsflüssigkeit oder als Schaum bei den verschiedenen kann von einer kleinen Menge (1–2 ml) schwach kon-
Krampfadertypen (Varizen der Saphena magna und parva, zentrierten Schaums (0,5%) profitieren.
Perforans-, Seitenast- und retikuläre Varizen, Teleangiek- 3. Für retikuläre Varizen sind sowohl Flüssigsklerosie-
tasien, postoperative Rezidive). rung als auch Schaumsklerosierung geeignet.
Bei der Sklerotherapie wird ein Sklerosierungsmittel in 4. Eine dilatierte tief gelegene Varize kann zunächst mit-
eine Krampfader beliebigen Kalibers injiziert. Material tels Flüssigsklerosierung, gefolgt von intermittierender
und Instrumente sind exakt an die jeweils vorliegenden Kompression, behandelt werden, um ihren Durch-
Gegebenheiten anzupassen. Empfohlen wird die Ver- messer zu verkleinern. Anschließend werden 1–4 ml
wendung von leichtgängigen Plastikeinmalspritzen (2 bis 3%iger Schaum injiziert. Dabei sollte man stets den
5 ml). Kaliber und Länge der Nadeln sind abhängig von Verlauf der Varize im Auge behalten, denn aus »sub-
Varizengröße und Gewebetiefe zu wählen. Die folgenden faszial« kann leicht »suprafaszial« werden! Es muss
. Tab. 23.4. Wirkstoffkonzentration und Menge des Sklerosierungsmittels in Abhängigkeit vom Varizentyp
0,5–1% 2 2–5 –
Teleangiektasien 0,25–0,5% 2 – –
282 Kapitel 23 · Verödungstherapie
verhindert werden, dass ein zu stark konzentriertes Üblicherweise wird initial 1 ml 3%ige Sklerosierungs-
23 Produkt an die Hautoberfläche gelangt (Gefahr einer flüssigkeit injiziert, wodurch ein Spasmus provoziert wird.
entzündlichen Reaktion und/oder Pigmentation). Unter diesem Spasmus erfolgt eine zweite Injektion mit
2 ml 3%igem Schaum. Hierbei ist die Haut nahezu senk-
recht zu perforieren. Die Nadelspitze erscheint in dem
23.4.1 Technik bei große Varizen Ultraschallbild weiß in der Mitte des Venenlumens.
Große Varizen (Saphena- und Perforansvenen, > Es ist darauf zu achten, dass etwas Blut in die
postoperative Rezidive). Spritze zurückgeflossen sein muss, bevor man
mit der Injektion beginnt (. Abb. 23.5)
Der anatomische Verlauf dieser großen Varizen, der Aus-
gangspunkt ihres Refluxes sowie die topographische Ver- Die Injektionsstelle sollte nicht auf Höhe der Crosse, son-
teilung der Kollateralen sind zunächst mittels Duplexsono- dern unterhalb des präterminalen Klappenapparats liegen.
graphie zu bestimmen. Bei den Saphena- und Perforans- Hier ist das Risiko, versehentlich in eine Arterie injizieren,
venen ist die Technik der sonographisch kontrollierten extrem gering. Wie die Hände zu halten, die Sonde und die
Sklerosierung obligatorisch. Bei postoperativen Rezidiven Nadel zu platzieren sind, zeigt . Abb. 23.5.
hängt der Einsatz des Ultraschalls davon ab, wie tief die zu Unter duplexsonographischer Kontrolle kann die In-
behandelnde Varize gelegen ist. Für jeden der im Folgen- jektion sowohl im Längsschnitt als auch im Querschnitt
den besprochenen Fälle ist die Behandlungstechnik etwas durchgeführt werden. Wie . Abb. 23.6 zeigt, hat die trans-
unterschiedlich.
Tipps für die Praxis Sehr sichere Injektionen sind mit der
Butterflykanüle möglich. Hierfür kommen besonders die
in der Nähe der Hautoberfläche gelegenen Varizen in Fra-
ge, z. B. Perforansvarizen (ausgenommen die des Hunter-
Kanals), Varizen der Saphena parva und einige postope-
rative Rezidive. Auch für die Injektion größerer Schaum-
volumina sind Butterflykanülen oder Minikatheter geeig-
net. Bei der Verwendung des Minikatheters ist ein höherer
Zeitbedarf zu bedenken. Hier ist besonders darauf zu ach-
ten, dass die Behandlung aseptisch bleibt.
Die direkte Injektion mit geschlossener Nadel erfordert
eine geübte Hand, ist aber eine sehr viel flexiblere Metho-
de, die hinsichtlich Versuchshäufigkeit, Geschwindigkeit
und Anpassungsfähigkeit deutliche Vorteile hat. Sie ist bei . Abb. 23.5. Manuelle Technik der Venensklerosierung. Voraus-
allen Krampfadertypen möglich. Konzentration, Volumen setzung für eine sichere Injektion ist die stabile Lage der Hände des
und Form des Wirkstoffs sind je nach Varizentyp zu wäh- Therapeuten auf der Extremität des Patienten.
len; man beachte hierbei die unter 7 Abschn. 23.4.1.1 her- 1: Dreikammerplastikspritze; 2: Aspiration von venösem Blut; 3: Nadel-
Schallkopf-Abstand 5–10 mm; 4: Schallkopf in transversaler Position
vorgehobenen 4 Empfehlungen.
V. saphena magna
Der Ausgangspunkt des Refluxes wird mittels Duplexsono-
graphie bestimmt, desgleichen die Venentiefe. Bei dieser
Untersuchung muss der Patient stehen.
Anschließend sitzt oder liegt der Patient, die Beine sind
ausgestreckt. In dieser Stellung wird der Haut-Venen-Ab-
stand gemessen. Nun wählt man eine ausreichend lange
Nadel, mit der man die Hinterwand der Saphena erreichen
kann. Wenn dies nicht beachtet und zu unüberlegt und zu
schnell punktiert wird, kann die Endothelschicht der Vene,
die sehr elastisch ist, nicht durchstochen werden. Wenn
aber die Nadel lang genug ist, um die hintere Venenwand
zu erreichen, lässt sich das Endothel leicht durchstechen, . Abb. 23.6. Position der Nadelspitze. Sie liegt mittig im Venenlu-
so dass eine Injektion problemlos möglich ist. men, nahe der Hinterwand
23.4 · Technik und Praxis der Verödungstherapie
283 23
versale Technik den Vorteil, dass sich die Nadel ins Zen- Beabsichtigt man eine größere Menge Schaum zu
trum der 4 Messlinien führen lässt, die das Venenlumen injizieren (>5 ml), so empfiehlt sich die Verwendung eines
markieren. Dank dieser Möglichkeit können auch kleinere Katheters.
Venen (<2 mm) punktiert werden.
Beste Bedingungen für eine Injektion unter Ultra- Tipps für die Praxis Die Injektionsstelle sollte im oberen
schallkontrolle sind gegeben, wenn man die folgenden Drittel des Oberschenkels liegen. Am besten injiziert man
»10 Gebote« beachtet. dort, wo das Venenkaliber am kleinsten ist, so dass das
Sklerosierungsmittel die Veneninnenwände gut impräg-
nieren kann.
Allgemeine Praxis der Echosklerotherapie
Bei senkrechter Injektion kann es vorkommen, dass
1. Bestimmung der Tiefe der Varizenhinterwand eine Vene komplett durchstochen wird. Das ist hier nicht
2. Wahl einer Nadel von geeigneter Länge weiter gefährlich. Man zieht die Nadel etwas zurück, bis die
3. die Vene muss im Zentrum des Bildschirms Nadelspitze mittig im Venenlumen liegt. Dabei ist häufig
sichtbar werden zu beobachten, dass die Nadelspitze etwas erodiert er-
4. Bezugspunkt für die Platzierung der Nadel ist die scheint und wie ein Angelhaken an der hinteren Venen-
Mitte des Ultraschallkopfs (Abstand 5–10 mm) wand hängt. Im Ultraschall ist gut zu erkennen, wie sich
5. Durchquerung der Venenvorderwand mit kurz diese Wand plötzlich von der Nadel löst und ihre ursprüng-
aufeinander folgenden Stichen liche Lage wieder einnimmt.
6. die Nadelspitze wird ultraschallgesteuert in die Man kann die Wirkung des Sklerosierungsmittels auf
Venenmitte vorgeschoben (. Abb. 23.6) die Venenwand kurz nach der Injektion durch eine sog.
7. zur Kontrolle blutigen venösen Reflux in die intermittierende Kompression deutlich verbessern. Hier-
Spritze aspirieren (. Abb. 23.5) zu benutzt man den Schallkopf, mit dem man im Se-
8. langsame Injektion des Sklerosierungsmittels kundentakt etwa eine Minute lang auf die Vene drückt.
9. um eine sichere Injektion zu gewährleisten, Hiernach kommt es sehr schnell zu einem erheblichen
sind die Hände an der betroffenen Extremität Spasmus in dieser Venenregion (≥ 75%). Dieser Spasmus
abzustützen (. Abb. 23.5) ist immer zu sehen. Es tritt ein Ödem an der Venenwand
10. Ausschluss einer eventuellen extravasalen Injektion auf, wodurch sich das Venenkaliber erheblich verkleinert
(. Abb. 23.7).
Die Dauer des initialen Spasmus lässt sich verlängern,
In der Regel bringt die anschließende Kompression mittels wenn man die Vene etwa 10‒20 cm unterhalb der Injek-
Strumpf oder Verband im oberen Drittel des Oberschen- tionsstelle komprimiert. Die beschriebene Kompressions-
kels keinen weiteren Nutzen, es sie denn, die Saphena ver- methode ist nur nach Verwendung von flüssigem Sklero-
läuft hier nahe der Oberfläche. sierungsmittel angebracht. Hier ist ihre therapeutische
a b
284 Kapitel 23 · Verödungstherapie
Wirksamkeit allerdings so beeindruckend, dass man sie Untersuchung verschafft man sich Klarheit über die An-
23 nach jeder Flüssigsklerosierung durchführen sollte. zahl der Mündungsstellen wie auch über das Ausgangs-
Anschließend besteht die Möglichkeit der Schaumskle- niveau des Refluxes. Auch bei der Darstellung der benach-
rosierung: Mit einer kleinen Menge Schaum (2 ml) lässt barten Venen und Arterien und ihrer Beziehung zur
sich bereits ein relativ großer Abschnitt des betroffenen Saphena parva muss der Patient stehen. Liegt die Parva-
Saphenasegments erreichen. Während der Injektion muss mündung oberhalb des Kniegelenkspalts, so sind die Ge-
die Nadel permanent auf dem Ultraschallbildschirm zu fahren arterieller Kontakte reduziert.
sehen sein. Um dies zu erreichen, kann man die Ausrich- Anschließend sollte man die Begleitarterie der Saphena
tung des Ultraschallkopfes so variieren, dass das Ultra- parva aufsuchen und ihren Verlauf vom Kniegelenkspalt bis
schallfeld der Nadelspitze quasi entgegenkommt. Hierin etwa in die Mitte der Wade verfolgen. Diese kleine Arterie
besteht auch die einzige Möglichkeit, eine eventuelle extra- erscheint in der farbkodierten Duplexsonographie variabel,
vasale Injektion zu erkennen, die sich in einem schwarzen, weist kein konstantes Kaliber auf und kann sich in zwei
sichelförmigen, »transsonorem« Feld manifestiert, das sich oder mehrere Äste teilen. Meist bleibt sie in Kontakt mit der
über, unter oder neben der Vene befinden kann. Saphenawand, kann sich aber im mittleren Wadendrittel
Eine extravasale Injektion mit Schaum ist an einer hyper- vom Parvastamm lösen (. Abb. 23.8). Im weiteren Verlauf
echogenen Sichelform zu erkennen, die – bezogen auf die In- nähert sie sich der Parva dann wieder an.
jektionsstelle – über der Vene erscheint. Der dadurch bewirkte Bei der Injektion kann sich der Patient sowohl im sog.
kegelförmige Schatten verhindert jede weitere Kontrolle der Vierfüßlerstand als auch in Bauchlage befinden. In der
Nadelposition. In einer solchen Situation ist es zwingend ge- Bauchlage sollte das zu behandelnde Bein leicht angeho-
boten, die Injektion abzubrechen und an einer benachbarten ben sein, um das fasziale Bindegewebe zu lockern.
Stelle einen erneuten Versuch zu unternehmen. Die Saphena parva, die oft im Inneren der Faszie ver-
Bei geringeren Dosen sind nach extravasaler Injektion läuft, präsentiert sich hierbei ganz unterschiedlich: in der
im Übrigen keine Komplikationen zu erwarten. Wadenmitte wirkt sie im Querschnittsbild elliptisch, wie
Unterhalb des Knies verläuft die V. saphena magna näher abgeflacht, während sie in der Nähe der Kniegelenkspalte
unter der Oberfläche. Hier ist es empfehlenswert, eine kürze- oder ganz unten am Bein eher kreisförmig erscheint.
re Nadel zu wählen und diese mehr tangential zu führen. Bei der Wahl der Injektionsstelle hat man also auf
die Nähe der Vene zur Begleitarterie zu achten und auf
V. saphena parva den Abschnittstyp, der einer Punktion zugänglich sein
Zu Recht gilt die Behandlung der kleinen Saphenavene als muss. Wegen der geringen Venentiefe verwenden wir eine
heikel, stellt doch ihre arterielle Umgebung ein perma- 25- oder 26-G-Nadel. Noch sicherer wird die Injektion,
nentes potenzielles Risiko dar. Zunächst ist es wichtig, eine wenn man einen Minikatheter oder eine Butterflykanüle
Untersuchung am stehenden Patienten durchzuführen, verwendet.
um zu sehen, um welchen Mündungstyp es sich bei dieser Üblicherweise werden 2‒3 ml AET-Schaum (keines-
Stammvene handelt. Sie kann in die V. poplitea münden, in falls mehr) in 3%iger Konzentration injiziert. Die Injek-
die V. saphena magna, in die V. femoralis superficialis oder tion sollte immer im Transversalschnitt erfolgen, wobei
auch in das Gebiet der Oberschenkelhinterseite. Durch die die Nadelspitze mittig im Venenlumen zu platzieren ist.
a b
. Abb. 23.8. Begleitarterie der V. saphena parva. a In der Farbdup- Nerv dicht nebeneinander. b An dieser Stelle im mittleren Waden-
lexsonographie liegen die Saphena parva, ihre Begleitarterie und ihr drittel hat sich die Arterie deutlich vom Saphenastamm entfernt
23.4 · Technik und Praxis der Verödungstherapie
285 23
Nur so lässt sich vermeiden, dass versehentlich die manch- spricht dem bei der Saphena magna (s. o.): Flüssigsklero-
mal kaum sichtbare Parvabegleitarterie punktiert wird. sierung an der engsten Stelle, gefolgt von intermittierender
Man sollte schräg einstechen, die Vene so gut wie möglich Kompression, anschließend Schaumsklerosierung etwas
katheterisieren und die Nadel im Veneninneren stabil unterhalb des ersten Einstichs. Auch die injizierten Dosen
halten. sind vergleichbar.
Eine Kompression empfiehlt sich vor allem bei ober-
flächlichen, stärker hervortretenden, großkalibrigen Ästen. Andere Perforansvenen
Die Dauer der Behandlung liegt zwischen 2 und 6 Tagen. Sie liegen in allen möglichen anatomischen Regionen:
innen-, außen- und lateralseitig im Oberschenkel, lateral im
Tipps für die Praxis Aufgrund der besonderen Diffu- Unterschenkel, aber auch posterior in der Wade, wo die
sionsmechanismen des Schaums ist die Frage nach dem gastrocnemischen Perforantes verlaufen und eine große
Injektionsniveau bei der Schaumsklerosierung zunächst Nähe zu benachbarten Arterien und zur Begleitarterie der
von untergeordneter Bedeutung; im Vordergrund sollten V. saphena parva besteht. Als Hauptgefahr gilt die Injektion
die Sicherheitsmaßnahmen stehen. in ein anderes Blutgefäß, denn längs des Perforanskanals
Es ist auf das Kriterium »Sicherheitsabstand« zur verlaufen zahlreiche Arteriolen. Bei der Injektion muss die
Parvabegleitarterie zu achten. Auch wird man sich einen Nadel daher immer tangential zur Haut geführt werden, um
Ort aussuchen, an dem die Vene am stärksten dilatiert ist, zu vermeiden, dass eine dieser Arteriolen getroffen wird.
denn es ist nur eine einzige Injektion möglich. Eine suk- Menge, Konzentration und Volumen des Sklerosierungs-
zessive zweite Injektion wäre zu gefährlich, denn der mit mittels sind abhängig von Typ, Länge, Kaliber und Lage der
der Erstinjektion eingebrachte Schaum könnte verhindern, jeweiligen Perforans. Üblich sind kleinere Mengen (1‒2 ml),
dass sich die Nadelspitze visualisieren und ihre genaue Po- die Wirkstoffkonzentration liegt meist bei 3%. An der
sition im Venenlumen bestimmen lässt. Oberfläche genügen 2 ml 0,5%iger Schaum.
Die intermittierende Kompression ist nur bei größeren
Waden möglich, in denen der betroffene Saphena-parva- Tipps für die Praxis Die Sklerosierung eines Perforans-
Abschnitt zirkulär bleibt. Dann befindet man sich in der kanals kann sicher recht spektakulär sein ‒ sie ist aber auch
gleichen Situation, wie sie weiter oben für die Saphena gefährlich, da sich in der nahen Umgebung zahlreiche Ar-
magna beschrieben wurde. teriolen befinden. Des Weiteren bringt sie kaum Nutzen,
denn ein Großteil des Sklerosierungsmittels fließt in die
V. accessoria anterior tiefen Venenstämme ab, so dass die Wirkung auf das vari-
Aufgrund ihres oft dilatierten und sehr oberflächlichen köse System gering ist.
Verlaufs auf der Vorderseite des Oberschenkels besteht bei Obwohl sich die Perforansvenen besser füllen lassen,
dieser Art Vene die Gefahr der Pigmentation nach Sklero- wenn der Patient steht oder mit hängendem Bein sitzt,
therapie. Bei der Behandlung ist an einige der weiter oben sollte für die Echosklerotherapie ausschließlich das Sitzen
aufgeführten Prinzipien zu denken. mit ausgestrecktem Bein gewählt werden. In dieser Posi-
4 subfasziale Flüssigsklerosierung (1 ml, 3%), möglichst tion können die Hände des Therapeuten stabil aufliegen,
weit oben, aber unter Sicherheitsabstand zur Crosse, wodurch die Injektion sicherer wird.
mit anschließender intermittierender Kompression.
4 Schaumsklerosierung mit schwach konzentriertem Rezidivvarikose nach Operation
Schaum (0,5%, 1‒2 ml) knapp unterhalb des Spasmus. Für Rezidive nach chirurgischer Behandlung ist eine Echo-
Man kann dann sehen, wie sich der Schaum in den sklerotherapie besonders hilfreich, denn ohne die Hilfe des
suprafaszialen Anteilen der Vene verteilt. Ultraschalls wären sie, zumindest teilweise, unzugänglich.
Allerdings ist ihre Behandlung sehr schwierig, da sie ex-
Vv. perforantes trem unregelmäßig verlaufen, variierende Kaliber auf-
Für eine Sklerotherapie in der Tiefe sind nur die auf der weisen und komplexe Gefäßnetze entwickeln können.
Innenseite des Oberschenkels gelegenen Perforansvenen Aufgrund ihrer Größe kann es manchmal zu starken post-
des Hunter-Kanals geeignet. Man behandelt sie wie die sklerotischen Reaktionen kommen.
V. saphena magna. Bei allen anderen tief gelegenen Per- Wie bei den Stammvenen beginnt man auch hier so
foransvenen besteht die Gefahr, in eine Arterie oder Arte- hoch wie möglich. Wichtig ist es, daran zu denken, dass
riole zu stechen, wenn man sie in der Tiefe aufsucht. durch Gefäßneubildung zahlreiche Arteriolen entstanden
sind, insbesondere im Bereich der eingewanderten Lymph-
Hunter-Perforans knoten, der niemals punktiert werden sollte.
Zunächst ist ein Reflux zum über der Perforans liegenden Die Injektion fällt leichter, wenn man die am weitesten
Saphenastamm auszuschließen. Das weitere Prozedere ent- dilatierte Stelle der Varize aufsucht und dort eine kleinere
286 Kapitel 23 · Verödungstherapie
Menge Flüssigsklerosierungsmittel (1 ml) in höherer Kon- Man verabreicht insgesamt 2 ml niedrig konzentriertes
23 zentration (3%) injiziert. Anschließend wird intermit- Flüssigsklerosierungsmittel (0,25‒0,5%) in 10‒15 Injek-
tierend komprimiert. Erscheint danach das Kaliber ver- tionen.
kleinert, so wird Schaum injiziert, um das Varizennetz in
seinen wesentlichen Anteilen zu veröden. Hier sollte die Tipps für die Praxis Nie sollte die größtmögliche Fläche
Konzentration zwischen 0,5 und 1% liegen, die Menge 4 ml auf einmal behandelt werden, denn es gibt noch keine be-
nicht überschreiten. friedigende Technik, mit der das Sklerosierungsmittel in
dieser Art von Gefäßnetzen zu verteilen wäre.
Tipps für die Praxis Varizenrezidive sind meist nicht in- Zur Vermeidung von Überdosierungen durch Mehr-
trafaszial fixiert, sondern verlaufen frei in der Muskel- fachinjektionen in ein und dieselbe Region hat sich fol-
masse. Bei der Punktion gelingt es daher oft nicht, die gendes Mittel bewährt: Nach jeder Injektion wird ein
Varize im ersten Anlauf zu durchstechen. Sie wird zurück- kleiner Wattebausch mit Heftpflaster auf der Einstichstelle
geschoben, ohne dass sich ihre Wand perforieren ließe. fixiert.
Man muss dann erneut punktieren, und zwar mit kleinen,
kurz aufeinander folgenden Stichen. Oft weisen Varizen-
rezidive stark geschlängelte Passagen auf, die eine Punk- 23.4.3 Kompression nach Sklerosierung,
tion erschweren können. Man sollte daher besser einen Nachbehandlung
möglichst geradlinigen Abschnitt aufsuchen, der leichter
zu punktieren ist. Über die Notwendigkeit der Kompression nach Sklero-
therapie besteht keine einheitliche Meinung. Sowohl in
den Leitlinien des American Venous Forum (Villavicencio
23.4.2 Technik bei kleinen Varizen 2001) als auch in den derzeit gültigen Leitlinien der Deut-
schen Gesellschaft für Phlebologie (Rabe 2008) wird eine
Superfizielle Kollateralen und retikuläre Varizen Kompressionstherapie nach Sklerosierung empfohlen.
Aufgrund ihrer oberflächlichen Lage ist bei Varizen dieser Durch die Kompression
Art keine Echosklerosierung erforderlich. Allerdings kann 4 kann eine effektivere und schnellere Fibrosierung der
ihre Dilatation auf einen tiefer gelegenen Reflux hinweisen, behandelten Vene erreicht werden
nach dem immer zu fahnden ist und der dann zuerst be- 4 wird das Ausmaß eines eventuell entstehenden Throm-
handelt werden muss: bus begrenzt und damit die Rate von Pigmentierungen
4 üblicherweise wird dazu eine ausreichend starre, stabi- gesenkt
le 26-G-Nadel verwendet 4 werden Schmerzen im Bereich der Injektionsstelle ge-
4 die Injektion erfolgt tangential nach Aspiration von mindert
Blut zur Kontrolle des intravasalen Nadelsitzes
4 es wird niedrig konzentriertes Flüssigmittel oder Diese in den Leitlinien beschriebenen Vorteile für die
Schaum injiziert Kompression nach Sklerotherapie wurden durch eine pro-
spektiv randomisierte Studie bestätigt. Nach Sklerosierung
Tipp für die Praxis Eine dilatierte oberflächliche Vene ist von Besenreisern mit flüssigem Mittel wurden einer Grup-
die logische Konsequenz eines tiefer gelegenen, unbehan- pe Kompressionsstrümpfe für drei Wochen verordnet,
delten Refluxes, der allerdings sehr klein sein kann und die andere Gruppe wurde ohne Kompression versorgt. Die
sich evtl. nicht darstellen lässt. In diesen Fällen sollte man gemessene Patientenzufriedenheit war in beiden Gruppen
eher vorsichtig dosieren, um ausgeprägte entzündliche Re- gleich. Es zeigte sich hinsichtlich des Erfolges der Verödung
aktionen zu vermeiden. ein signifikanter Unterschied zugunsten der Kompres-
sionsgruppe (Kern 2007).
Besenreiservarizen Ob Kompressionsverbände oder Kompressionsstrümp-
4 es gibt blaue und rote Besenreiser, die kleineren sind fe zur Anwendung kommen, ist letztlich dem Behandler
die roten überlassen. Jedoch sollte lokal an der Injektionsstelle eine
4 man beginnt mit den größten, also blauen Besenrei- zusätzliche, exzentrische Kompression appliziert werden,
sern um die o. g. Effekte zu verstärken.
4 verwendet werden folgenden Nadeltypen: Auch über die Dauer der Kompression besteht kein
5 die wegen ihrer Vielseitigkeit hier besonders geeig- einheitlicher Konsens. Für Besenreiser und retikuläre Vari-
nete 26-G-Kanüle für Besenreiser und angrenzende zen sind 24 Stunden ausreichend, während bei Sklerosie-
retikuläre Varizen rung größerer Varizen ein Kompressionsdauer bis zu drei
5 die 30-G-Kanüle für sehr kleine Teleangiektasien. Wochen angegeben werden (Villavicencio 2001).
23.4 · Technik und Praxis der Verödungstherapie
287 23
> Hinsichtlich der Senkung der Rate von Pigmen- rungen werden in der Literatur mit einer Häufigkeit zwi-
tierungen nach Sklerotherapie sollten die Patien- schen 10% und 80% angegeben. Meist verblassen sie inner-
ten angewiesen werden Sonnenexposition oder halb eines Jahres, lediglich 1% ist länger als ein Jahr zu
Solarium für sechs Wochen zu meiden. beobachten (Goldman 1987). Die Inzidenz von Hyperpig-
mentierungen und Matting lässt sich durch vorsichtige
Nach der Verödungsbehandlung sollten die Patienten zur Injektion ohne allzu hohen Druck senken.
Thromboseprophylaxe laufen. Eine Thromboseprohpyla- Gelegentlich kann es durch die Sklerotherapie zu einer
xe mit niedermolekularem Heparin ist in der Regel nicht Varikophlebitis im verödeten Venensegment kommen.
erforderlich, es sei denn, es bestehen besondere Throm- Bei Verödungsbehandlung größerer Venen mit flüssigen
boserisiken. Aktivitäten und sportliche Betätigungen, die Agenzien scheint diese Komplikation häufiger aufzutreten.
den Venendruck erhöhen, sollten nach der Sklerotherapie Insgesamt wird die Häufigkeit von Varikophlebitiden zwi-
vermieden werden. schen 0,08 und 1% angegeben (Noppeney 2001). Das Auf-
Eine erneute Sklerosierung des zuvor verödeten Areals treten einer TVT nach Sklerotherapie mit flüssigen Mitteln
sollte frühestens nach 14 Tagen erfolgen, besser ist ein län- ist ebenfalls eine seltene Komplikation. Historisch betrug
gerer Abstand, empfohlen werden 4 bis 8 Wochen. Erst die Inzidenz 0,14%, aktuellere Daten von großen Kollek-
nach 4 Wochen kann der Erfolg der Sklerotherapie, insbe- tiven gegen eine Inzidenz von 0,02% an (Noppeney 2001).
sondere bei Besenreisern und retikulären Varizen, beur- Es ist wichtig vor einer Sklerosierungstherapie alle Risiko-
teilt werden. Dies führt zu weniger Sitzungen und nutzt faktoren zu analysieren, die mit einem erhöhten Throm-
damit dem Patienten. boserisiko einhergehen. Sollte ein besonders stark er-
höhtes Thromboserisiko bestehen – z. B. homozygote Fak-
tor V Leiden Mutation, durchgemachte TVT und hohes
23.4.4 Komplikationen und Ergebnisse Alter – muss das für und wider der Sklerotherapie genau
abgewogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ge-
Die Inzidenz von Komplikationen bei Sklerosierung mit mäß den gültigen Leitlinien zu Sklerotherapie die Throm-
flüssigen Agenzien ist insgesamt sehr niedrig. Im Rahmen bophilie als relative Kontraindikation gilt.
der niedrigen Inzidenz sind am häufigsten beschrieben Zu den Ergebnissen der Sklerotherapie mit flüssigen
4 allergische Reaktionen Mittel sind in der Literatur zahlreiche Veröffentlichungen
4 Hyperpigmentierungen vorhanden, jedoch nur sehr wenige prospektiv kontrollier-
4 Matting te, randomisierte Studien. Für die Sklerosierung der VSM/
4 Hautnekrosen VSP mit flüssigen Mitteln im Vergleich zur Strippingope-
4 Varikophlebitiden ration liegen prospektiv vergleichende Studien vor, diese
4 tiefe Venenthrombose. Studien sind leider alle älteren Datums (. Tab. 23.5).
Aber auch neuere Arbeiten, die sich mit der Sklerosie-
Bei der Anwendung großer Mengen von Polidocanol kann rung der VSM mit flüssigen Mitteln befassen, zeigen eine
ein metallischer Geschmack auf der Zunge auftreten. relativ hohe Rekanalisierungsrate nach fünf Jahren mit
In einer großen Studie zur Anwendung von Polidoca- 27,8% (Schadeck 1999).
nol an 16.804 Extremitäten traten allergische Reaktionen Für die Verödung kleinster Varizen – Besenreiser und
in 0,2% der Fälle auf, wobei es sich meistens um eine Urti- retikuläre Varizen – gilt die Sklerotherapie als das Standard-
caria handelte (Conrad 1995). Die Häufigkeit von Haut-
nekrosen wird für Polidocanol zwischen 0,001% und 0,2%
angegeben. Das Potential anderer Sklerosierungsmittel
hinsichtlich Hautnekrosen wird als höher eingeschätzt . Tab. 23.5. Ergebnisse prospektiv randomisierter Studien,
(Noppeney 2001). Ursache für Hautnekrosen können peri- Rekanalisation nach Sklerotherapie mit flüssigen Agenzien
verfahren. Hier kann eine bis zu 90% Erfolgsrate erzielt and deep venous diseases of the lower limbs. Edizioni Minerva
23 werden.
Medica, Turin 243–246
Jacobsen HB (1979) The value of different forms of treatment for vari-
cose veins. Br J Surg 66: 72–76
Kern P, Ramelet AA, Wütschert R, Hayoz D (2007) Compression after
23.4.5 Zusammenfassung sclerotherapy for telangiectasias and reticular leg veins. A rando-
mized controlled study. J Vasc Surg 45:1212–1216
Noppeney T, Noppeney J, Scheidt A, Kurth I (2001) Indikation und
Die Varizensklerosierung kann relativ einfach sein, wenn
Technik zur Sklerotherapie bei Varikose. Zentralbl Chir 126: 546–
man einige grundlegende Prinzipien beachtet. Besonders 550
wichtig ist eine gute Technik. Als Anfänger sollte man zu- Partsch B (2004) Die Schaumverödung – eine Renaissance der Sklero-
nächst die Verödung mit Flüssigsklerosierungsmittel erler- therapie. Phlebologie 33: 30–36
nen, sei es mit oder ohne Ultraschallkontrolle. Rabe E, Pannier F, Gerlach H, Breu FX, Guggenbichler S, Wollmann JC
(2008) Leitlinie Sklerosierungsbehandlung der Varikose. Phlebo-
Mit dem Schaum hat sich ein neuer Sklerosierungsmit-
logie 37: 27–34
teltyp etabliert. Für den Anfänger ist die Therapie damit Schadeck M (1994) Duplex & Phlebology. Gnocchi, Napoli, 115–128
nicht leichter geworden; gleiches gilt für Phlebologen, die Schadeck M, Allaert FA (1999) Langzeitstudie zur Sklerosierungsbe-
bislang nur mit der Flüssigsklerosierung vertraut waren. handlung der Vena saphena magna. Vasomed 11: 155–159
Bei der Echosklerotherapie von Varizen und varikösen Schadeck M (2001) Die Duplex-kontrollierte Sklerosierungsbehand-
lung. Phlebologie 30: 94–100
Gefäßnetzen ist zu bedenken, dass sich die Behandlung
Sigg K (1976) Varizen, Ulcus cruris und Thrombose. Springer Berlin
nicht in einer Ebene, sondern auf unterschiedlichen Ebe- 1976
nen abspielt, die sich jeweils auf einem verschiedenen Tournay R (1985) La sclerose des varices. Expansion Scientifique Fran-
Niveau befinden. Für jeden Patienten ist darum ein indivi- caise, Paris, 4th edn.
dueller Behandlungsplan zu erstellen, in dem folgende Villavicencio L (2001) Sclerotherapy guidelines in : Gloviczki P, Yao J
(edts) Handbook of venous disorders. Arnold, London, New York,
Kriterien optimal aufeinander abgestimmt sind:
New Delhi, 2nd Edition, 253–266
1. welche Vene bzw. welches Areal zuerst Wildenhues B (2003) Endovenöse Schaumsklerosierung, ein minimal
2. Sklerosierungsformen (Flüssig- und/oder Schaumskle- invasives Katheterverfahren zur Behandlung der Stammvarikosis
rosierung), der Vena Saphena magna und parva. Phlebologie 32: A11–12
3. Wirkstoffkonzentrationen (z. B. schwach 0,25% oder Wollmann JC (2004) Herstellung und Eigenschaften von Sklerosie-
rungsschaum. Vasomed 16: 24
stark ≥3%),
4. Injektionsvolumina (z. B. klein bis 0,5 ml oder groß
4‒6 ml).
23.5 Schaumverödung
Vor jeder echosklerotherapeutischen Behandlung einer
varikösen Erkrankung muss man sich insbesondere über F. X. Breu
diese 4 Parameter klar werden.
Die Schaumsklerotherapie geht zurück auf Egmont James
Literatur Orbach, der bereits 1944 die Airblocktechnik bei der
Breu FX et al. (2008) 2nd European Consensus Meeting on Foam
Sklerotherapie der Varikose vorstellte. Seine ursprüngliche
Sclerotherapy 2006. Vasa 37 (Suppl 71): 1–29 Idee war es, durch Injektion einer Luftblase das Blut in der
Chant Ad, Jones HO, Weddell JM (1972) Varicose veins: a comparison zu behandelnden Vene zu verdrängen um so einen länge-
of surgery and injection compression sclerotherapy. Lancet: ren und intensiveren Kontakt des anschließend injizierten
1118–1192
flüssigen Verödungsmittels mit dem venösen Endothel
Conrad P, Malouf GM, Stacey MC (1995) The Australian Polidocanol
study. Dermatol Surg 21: 334–336
zu erreichen. Auch Karl Sigg beschrieb bereits 1949 ein
Dagrada A, Schadeck M, Uhl J-F (2006) L’artère petite saphène: essai Schaumblockverfahren bei der Verödungsbehandlung.
innovant d’investigation et de prise en charge. Phlébologie 59: Von 1939 bis 2007 wurden ca. 20 verschiedene Methoden
143–148 zur Präparation von Sklerosierungsschaum beschrieben,
Einarsson E, Ekloff B, Neylen P (1993) Sclerotherapy or surgery as treat-
die unterschiedliche Spritzenvorrichtungen, Apparaturen
ment for varicose veins: a prospective randomized study. Phlebo-
logy 8. 22–26
zum Aufschäumen und Gase (Raumluft, O2, CO2 u.a.) er-
Fegan WG (1967) Varicose veins: compression sclerotherapy. Heine- fordern. Gemeinsames Ziel der Entwicklung der Airblock-
mann Medical Books, London und Schaumtechnik war, die Wirkung des Verödungsmit-
Georgiev M (1990) Postsclerotherapy hyperpigmentations; a one year tels auf die variköse Gefäßwand zu verstärken, ohne dafür
follow up. J Dermatol Surg Oncol 16: 608–610
vermehrt unerwünschte Wirkungen in Kauf nehmen zu
Hobbs JT (1974) Surgery and sclerotherapy in the treatment of vari-
cose veins. Arch Surg 190: 793–796
müssen. Die Einführung der Sonografie bei der Sklerosie-
Hobbs JT (1984) Surgery or sclerotherapy for varicose veins: 10 year rungsbehandlung stellte den entscheidenden Fortschritt
results of a random study in. Tesi M, Dormandy J (eds) Superficial dar und ebnete durch die Sichtbarmachung des Verödungs-
23.5 · Schaumverödung
289 23
mittels und der initialen Gefäßreaktion (Vasospasmus)
dem »Siegeszug« des Schaums den Weg. Inzwischen hat
die Schaumverödung zu einer weltweiten Renaissance der
Sklerotherapie geführt und sich als ausreichend effektive
und sichere Behandlungsmethode bei allen Formen der
Varikose, einschließlich bestimmter venöser Malformati-
onen, erwiesen (7 Abschn. 23.2).
23.5.1 Verödungsschaum
. Abb. 23.9. DSS-System Easy-Foam® der Fa. Kreussler zur
Die Herstellung von Sklerosierungsschaum setzt voraus, Schaumherstellung
dass das Sklerosierungsmittel oberflächenaktiv (ein Deter-
gens) ist. Durch verschiedene Mischungsverhältnisse des
Sklerosierungsmittels mit einem Gas sowie verschiede-
nen Konzentrationen des flüssigen Mittels kann man Erste Untersuchungen am Endothelzellmonolayer so-
den jeweiligen Indikationen angepasste, in Struktur und wie im Tierversuch zeigten, dass Sklerosierungsschaum
Stabilität und damit in ihrer Wirkung verschiedene eine höhere effektive Konzentration am Endothel hat als
Schäume produzieren. Für die Verödung von großkalib- flüssiges Verödungsmittel. Die stärkere sklerosierende
rigen Varizen haben sich feinblasige und damit visköse Wirkung des Schaums beruht auf seiner Verdrängung des
(»steife«) Schäume (Mikroschaum mit einer Bläschen- Blutes, einer wesentlich langsameren Verdünnung durch
größe < 100 μm), für die Therapie von Besenreisern und das Blut und damit schwächeren Inaktivierung, die durch
retikulären Venen eher großblasige und inhomogene (eher die hohe Eiweißbindung des Verödungsmittels an Blut-
flüssigere) Schäume bewährt. Bevorzugte Anwendung bestandteile bei flüssigen Mitteln wesentlich rascher er-
finden heute drei verschiedene Techniken zur Schaum- folgt. Die Verweilzeit des Agens an der Gefäßwand ist
herstellung: wesentlich länger und der mit Schaum erzeugte Vasospas-
1. Monfreux-Technik (Monfreux 1997), die einen eher mus stärker ausgeprägt. Andererseits erzeugt Verödungs-
flüssigen und grobblasigen Schaum erzeugt schaum trotz dieser stärkeren intravasalen Wirkung weni-
2. Tessari-Technik (Tessari 2000) ger Nebenwirkungen bei versehentlicher paravasaler In-
3. DSS-Technik (double-syringe-system) (Wollmann jektion, da überwiegend Gas in das perivaskuläre Gewebe
2001) injiziert wird.
> Im Allgemeinen gilt, dass Verödungsschaum min-
Bei den letzten beiden Herstellungsmethoden wird durch
destens doppelt so potent in seiner intravasalen
»Hinundherpumpen« des Verödungsmittels in 2 Plastik-
Wirkung ist als die gleiche Menge flüssigen Ver-
spritzen über einen Konnektor (spezielle Konnektoren
ödungsmittels gleicher Konzentration. Komplika-
sind hierfür neu entwickelt worden) oder 3-Wege-Hahn
tionen bei paravasaler Injektion sind dagegen
ein sehr visköser, homogener und feinblasiger und damit
wesentlich seltener. Alle bisher durchgeführte
lange Zeit stabiler und in seiner Wirkung hochpotenter
Studien konnten zeigen, dass die Qualität des
Schaum erzeugt, der zur Behandlung großkalibriger Vari-
Schaums von größerer Bedeutung für das (auch
zen (C2-Varikose) verwendet werden sollte. Als optimales
langfristige) Therapieergebnis ist als anfangs ge-
Mischungsverhältnis zur Erzeugung der besten Schaum-
dacht wurde.
qualität hat sich ein Verhältnis Flüssigkeit zu Gas von
1:5 erwiesen (1 Teil flüssiges Verödungsmittel plus 4 Teile
Gas, z. B. Raumluft) (. Abb. 23.9). Je höher die Konzen-
tration des Verödungsmittels ist (z. B. Polidocanol 3%), 23.5.2 Indikationen
umso visköser und damit potenter ist der damit pro-
duzierte Schaum. Niedrigere Konzentrationen (z. B. Poli- Während der beiden Europäischen Konsensuskonferenzen
docanol 0,25% oder 0,5%) ergeben instabilere und da- zur Schaumsklerotherapie 2003 und 2006 am Tegernsee
mit »dünnflüssigere« Schäume. Somit kann heute auf wurde ausdrücklich betont, dass alle Varizen, unabhängig
die Monfreux-Technik weitgehend verzichtet werden, da von Art und Kaliber, mit der Schaumsklerotherapie erfolg-
mit der DSS- oder Tessari-Methode alle benötigten reich behandelt werden können. In den letzten Jahren
Schaumqualitäten für jede Indikation produziert werden haben sich aber spezifische Indikationen speziell für die
können. Schaumsklerotherapie herausgebildet.
290 Kapitel 23 · Verödungstherapie
23.5.3 Kontraindikationen
23 Spezifische Indikationen der Schaumsklero- und unerwünschte Wirkung
therapie:
4 großkalibrige Besenreiser und Zentral- bzw. Neben den absoluten und relativen Kontraindikationen
»Nährvenen« von Besenreisern der Sklerotherapie allgemein (siehe dort) müssen bei der
4 retikuläre Varikose Schaumsklerotherapie spezielle Kontraindikationen beach-
4 jede Form einer isolierten Astvarikose tet werden. So können bei der Anwendung von Sklerosie-
4 Rezidivvarikose (REVAS, recurrent veins after rungsschaum (verglichen mit Flüssigkeit) gering vermehrt
surgery) Phlebitiden, Sehstörungen, eine Migräne und extrem selten
4 Teilstreckeninsuffizienz der V. saphena magna passagere zentralnervöse Störungen auftreten. Fokal neu-
und parva vom Seitenast- oder Perforanstyp rologische Ausfälle wurden bisher in Zusammenhang mit
4 Stammvarikose beim multimorbiden/alten einem offenen Foramen ovale beschrieben. (Breu und
Patienten Partsch 2006) Das Auftreten tiefer Beinvenenthrombosen
4 Varizenruptur, Varizenspontanblutung korreliert unter anderem mit dem Volumen des applizierten
4 Adipositas Schaums pro Injektionsstelle und Bein bzw. Therapiesit-
4 periulzeröse Varikose (alter Patient, Patient mit zung. Während der 2. Europäischen Konsensuskonferenz
pAVK im Stad. II) 2006 (Breu et al. 2008) hat man sich besonders mit diesen
4 Patient, der OP oder andere Verfahren ablehnt sich daraus ergebenden spezifischen Kontraindikationen
4 Patienten mit Varikose und Lymphödem befasst und folgende Empfehlungen gegeben:
4 relative Kontraindikation für OP (z. B. orale Anti-
koagulation)
Kontraindikation: eine bekannte Thrombophilie
4 Patienten mit erhöhtem Risiko während einer
(mit hohem Risiko für TE)
Heparinbrückentherapie (bridging)
4 venöse Malformationen, z. B. Klippel-Trennaunay- Folgendes wird empfohlen:
Syndrom 4 Heparinprophylaxe (konform mit den entspre-
4 Vulvavarikose chenden Leitlinien), Prophylaxe durch physika-
4 evtl. Varizenkonvolute und stark geschlängelte lische Maßnahmen
Varikose (ungeeignet für endovenösen Laser und 4 Verwendung von geeigneten Konzentrationen
Radiofrequenztherapie) und Schaumvolumina für die zu behandelnde
Vene
4 Entscheidung von Fall zu Fall (Abwägung von
Bereits während der 1. Konsensuskonferenz 2003 (Breu Nutzen und Risiko bezüglich der jeweiligen Indi-
und Guggenbichler 2004) wurde aber auch konstatiert, kation)
dass die Verwendung von Schaum im Vergleich zu flüs- 4 vor einer Schaumsklerosierung ist es grundsätz-
sigen Sklerosierungsmitteln ein besseres Therapieergeb- lich nicht notwendig, laborchemisch nach Throm-
nis für Venen größeren Kalibers und für Varizenre- bophilien zu suchen.
zidive erzielt. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei
viskösen Schäumen eine untere Kalibergrenze der zu ver-
ödenden Varikose besteht. Unterhalb dieser Grenze
(Besenreiservarikose und Teleangiektasien, also C1-Va- Kontraindikation: ein bekanntes asympto-
rizen) können visköse Schäume mehr Gewebeschäden matisches offenes Foramen ovale
verursachen. Folgendes wird empfohlen:
4 länger in Rückenlage liegen bleiben, zwischen
! Cave 8 und 30 min
Besenreiser, Teleangiektasien und retikuläre 4 Verwendung geringer Schaumvolumina (2 ml)
Varizen sollten mit einem eher »flüssigen« 4 Vermeidung von Valsalva-Manövern
Schaum (z. B. aus 0,25% oder 0,5% Polidocanol) 4 Verwendung flüssiger Sklerosierungsmittel
verödet werde, nicht nur um die Injektion durch 4 Beinelevation um 30 cm
die schmalkalibrigeren Kanülen zu erleichtern,
sondern auch um mögliche Gewebeschäden Ein bekanntes symptomatisches offenes Foramen
durch eine zu starke Sklerosierungsreaktion ovale ist eine absolute Kontraindikation der Schaum-
durch einen zu stark wirksamen »steifen« sklerosierung!
Schaum zu vermeiden.
23.5 · Schaumverödung
291 23
Das seltene Auftreten passagerer Sehstörungen (in bis zu satzes des Ultraschalls bei der Schaumsklerotherapie und
0,5% der Fälle) konnte inzwischen als ophtalmoplegische fand folgenden abschließenden Konsens:
Migräne identifiziert werden (Künzelberger et al. 2006).
> Konsens: Sonografisch gesteuerte Schaum-
Bei Patienten mit Migräneanamnese scheinen sie häufiger
sklerotherapie
aufzutreten. Migräneanfälle sind auch bei der Flüssigver-
Die Sonografie ist bei der Punktion nicht-sicht-
ödung beschrieben worden, wenn auch seltener. Die Häu-
barer Varizen ein wichtiges Hilfsmittel, um eine
figkeit tiefer Beinvenenthrombosen, meistens in Form
Fehlpunktion zu vermeiden. Bei der direkten
von Muskelvenenthrombosen am Unterschenkel, wird mit
Punktion und Injektion in die nicht-sichtbare
0% bis 0,93% angegeben; nach Applikation sehr großer
V. saphena magna (GSV), V. saphena parva (SSV),
Schaumvolumina (bis 52 ml pro Sitzung) zwischen 4% und
Perforansvenen und nicht-oberflächliche Varizen
6%. Dies zeigt, dass eine strikte Begrenzung des appli-
in der Leiste oder der Kniekehle ist eine Steue-
zierten Schaumvolumens nötig ist (s. u.). Vorübergehend
rung (guidance) mit Ultraschall (vorzugsweise
schmerzhafte Phlebitiden werden in bis zu ca. 5% der Fälle
Duplexsonographie) zwingend erforderlich
beschrieben. Häufigste unerwünschte Wirkung ist das
(mandatory). Auch bei anderen nicht sichtbaren
Auftreten ästhetisch störender Hyperpigmentierungen
Varizen wird eine Steuerung mit einem Ultra-
(»the ghost of the vein«). In einer eigenen prospektiven
schallbild empfohlen.
Untersuchung zur Schaumverödung sahen wir sie in über
15% der Fälle. Die meisten sind selbstlimitierend und ver- Am flach liegenden Patienten wird die zu behandelnde
schwinden nach einigen Monaten wieder. Sehr selten per- Vene am geplanten Punktionsort mit Ultraschall im Quer-
sistieren sie länger als ein Jahr. Deshalb stellen sehr ober- schnitt mit einer möglichst hochauflösenden Sonde (7,5–
flächlich liegende mittel- bis großkalibrige Varizen, speziell 13 MHz) dargestellt. Der Abstand der schallkopffernen
bei jüngeren Frauen, bei uns eine relative Kontraindikation Venenwand zur Hautoberfläche wird gemessen, was für
für die Schaumverödung dar. die Wahl der Länge der Kanüle / Braunüle® wichtig ist.
Die Nadel sollte ca. 5 mm länger sein als dieser Abstand,
wodurch ein Hindurchstechen durch die Vene vermieden
23.5.4 Durchführung werden kann. Die Kanüle wird schräg zur Hautoberfläche
exakt unter der Mitte des Schallkopfes eingestochen und
Obwohl durch Studien nicht eindeutig belegt, scheint es mit der Spitze in Richtung schallkopfnaher Venenwand
günstiger zu sein, auch bei der Schaumverödung der fran- geführt (. Abb. 23.10). Bei Abweichungen zur Seite kann
zösischen Schule zu folgen und die Varikose von proximal die Stichrichtung unter Sicht korrigiert werden. Vor dem
schrittweise nach distal und an den großkalibrigen bzw. Eindringen der Kanülenspitze in die Vene beobachtet man
den Stammvenen beginnend weiter zu den kleineren Kali- ein Eindellen der Wand und spürt oft auch einen leichten
bern zu sklerosieren. Der Einsatz der (Duplex-) Sonografie Widerstand. Die Nadel wird schließlich in die zu behan-
bietet neben der präsklerotherapeutischen Diagnostik und delnde Vene eingestochen und die korrekte Lage durch
postsklerotherapeutischen Kontrolle entscheidende Vor- aspiriertes bzw. oft schon spontan zurückfließendes Blut
teile speziell bei der Schaumverödung unmittelbar wäh- im Kanülenansatz sowie durch das typische Ultraschallbild
rend der Therapie: kontrolliert. Die anschließende Injektion des Schaums
4 Ortung nicht sichtbarer insuffizienter Venen, z. B. führt zu einem sofortigen Sichtbarwerden im Ultraschall-
V. saphena magna am Oberschenkel u. a. bild in Form wolkiger echoreicher Strukturen mit dorsaler
4 Bestimmung der besten Punktionsstelle Schallauslöschung (. Abb. 23.11). Die Ausbreitung des
4 Abgrenzung benachbarter Arterien Schaums wird beobachtet und kann durch manuelles Ver-
4 Tiefenbestimmung der Vene für die Auswahl der rich- streichen ohne stärkeren Druck auf die Haut sowie durch
tigen Länge der Kanüle/Braunüle® die Lagerung des Beins beeinflusst werden (. Abb. 23.12).
4 Visualisierung der Kanülenspitze bzw. des Katheters Da Schaum in der Blutsäule oben auf schwimmt, kann man
4 Visualisierung der intravenösen Ausbreitung des ihn durch Hochlagerung des Beins nach peripher, durch
Schaums eine leichte Kippstellung der Liege mit leichter Fußtief-
4 Verschiebung der Schaumsäule in zu verödende Areale lagerung in proximale Areale leiten. Ob eine generelle
4 Visualisierung des Vasospasmus als initiale Sklerosie- Hochlagerung des Beins nötig oder sinnvoll ist, ist umstrit-
rungsreaktion ten. Der optimale Nadeldurchmesser sollte zwischen 19G
4 Dokumentation der Sklerosierung und 23G liegen. Dünnere Nadeln scheinen zwar den
Schaum nicht zu zerstören, was neuere Untersuchungen
Während der Konsensuskonferenz 2006 am Tegernsee be- gezeigt haben. Im Ultraschallbild sind sie aber schlechter
fasste man sich eingehend mit der Notwendigkeit des Ein- oder gar nicht sichtbar. Die Punktion und Injektion mit
292 Kapitel 23 · Verödungstherapie
23
a b
. Abb. 23.10. Prinzip der sonographisch kontrollierten Punktion . Abb. 23.12. V. saphena parva mit ausgeprägtem Vasospasmus.
einer Stammvene. (Mit freundlicher Genehmigung von Bernhard a vor, b nach Injektion von Skleroschaum
Partsch, Wien)
V. saphena magna + ++ ++
V. saphena parva + ++ +
Seitenäste ++
Rezidivvarzien (+) ++ ++ +
venöse Malformationen + ++ +
Rezidivvarizen bis zu 4 ml 8 ml
Bei der Punktion ist die duplexsonographische vor gibt es einen internationalen Streit über die Notwen-
Abgrenzung von benachbarten Arterien beson- digkeit einer postsklerotherapeutischen Kompressions-
ders wichtig um versehentliche intraarterielle In- therapie, deren Nutzen bisher nur für die Sklerosierung
jektionen mit der Gefahr ausgedehnter Nekrosen, von Besenreisern nachgewiesen ist (Kern 2007). Nach 12
bis hin zur Amputation zu vermeiden. Die Gefahr bis 24 h kann ein Verband entfernt werden. Die Kompres-
der intraarteriellen Injektion ist in der Kniekehlen- sionstherapie wird bei uns mit einem Kompressions-
region am höchsten (A. saphena parva u. a.)! strumpf für den Zeitraum von 3 Wochen weitergeführt.
Die erste postsklerotherapeutische Kontrolle wird allge-
Nach der Behandlung wird ein Kompressionsverband mit mein nach 5 bis 7 Tagen empfohlen. Zu diesem Zeitpunkt
Pelotte über den sklerosierten Arealen angelegt und der können Sklerothrombi schon inzidiert und exprimiert
Patient aufgefordert 20 min spazieren zu gehen. Manche werden, was vor allem das kosmetische Ergebnis verbes-
Sklerotherapeuten legen keinen Kompressionsverband an, sern soll. Nach sonographischer Kontrolle der Verödungs-
machen eine nur lokal exzentrische Kompression der be- reaktion, die immer erst nach einigen Tagen erfolgen sollte,
handelten Areale oder lassen sofort einen Kompressions- kann entschieden werden, ob Nachinjektionen nötig sind
strumpf der Kompressionsklasse 2 anziehen. Nach wie (. Abb. 23.13).
294 Kapitel 23 · Verödungstherapie
23.6.7 Ergebnisse
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Weber J, May R, (1990) Funktionelle Phlebologie Georg Thieme Verlag
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H. Nüllen
a
. Abb. 23.18. Diathermie-Behandlung von Besenreiservarizen. (Aus Diehm 1999)
lyse, deren Wurzel in der dauerhaften Haarentfernung (Epi- 23.7.1 Praktische Durchführung
lation) mittels Thermokoagulation liegen.
Ein amerikanischer Augenarzt führte erstmals eine Zer- Der Patient umfasst eine neutrale Elektrode. Die Spitze
störung eines Haarfollikels bei einem eingewachsenen Augen- einer Edelmetallsonde (Gold, 0,075 mm) wird in den Be-
wimpernhaar (Trichiasis) mittels Gleichstrom durch (Michael reich der Besenreiser-Varize eingestochen oder bei sehr
1875). Nach der Theorie soll durch Elektrolyse an der Son- oberflächlicher Lage nur aufgesetzt und der Gleichstrom
denspitze aus der Gewebeflüssigkeit eine kleine Menge Lauge eingeschaltet (200 bis 400 μA). Das Auftreten der »Lauge«
(Natriumhydroxid, NaOH) mit einem pH-Wert von ca. 8 führt zu einem »Abblassen« des Gefäßes. Danach erfolgt
(Jagow 2004) entstehen. In Frankreich wurde erstmals von das Zuschalten des hochfrequenten Wechselstromes (z. B.
Bordier (1923) die Zerstörung eines Haarfollikels durch 13,5 MHz). Dieser soll den pH-Wert langsam steigern.
Thermolyse mittels hochfrequentem Wechselstrom durchge-
»… Bei Erreichen eines pH-Wertes von ca. 9,5 bis 10 löst
führt. Hinkel und Piere (USA 1938) kombinierten beide Me- die Lauge die Eiweißstrukturen des Zielgewebes auf. Es
thoden zum Blend-Verfahren (blend = engl. mischen), dass führt zu einer Verflüssigung des Gewebes mit einer so
auch heute noch in der Epilation zur Anwendung kommt. kleinen Molekularstruktur, die der Körper problemlos re-
Das Blend-Verfahren wurde technisch adaptiert auf die Be- sorbieren kann. Der Temperaturanstieg der Lauge wäh-
dürfnisse der Behandlung von kutanen Varizen. rend des Prozesses beträgt nur ca. 6°C. …« (Jagow 2004).
a b
Nebenwirkungen werden nicht angegeben, die Ergebnisse Nuß (1999) fand in einer kleinen Serie so gut wie keine
23 als gut bezeichnet. Wissenschaftliche Literatur zu dieser positiven Effekte im Sinne einer Befundverbesserung.
Technik ist nicht verfügbar. Studien zu Wirksamkeit und
Ergebnissen fehlen. Literatur
Goldman MP (1996) Laser and Noncoherent Pulsed Light Treatment of
Literatur Leg Telangiectasias and Venules. In: Goldman, bergan: Ambulato-
ry Treatment of Venous Disease. Mosby St Louis
Jagow von D (2004) Es muss nicht immer Laser sein… . Kosmetische
Nuß B, Brodersen J, Kapp A (1999) Therapie von Besenreisern mittels
Medizin 25:2-4 http://www.teleangitron.com/KM.pdf
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Raulin C, Schroeter C, Maushagen- Schnaas (1997) Einsatzgebiete
einer hochenergetischen Blitzlampe (PhotoDerm®VL). Hautarzt
23.8 Lichtkoagulation bei kutaner 48:886–89
Varikose
H. Nüllen
33 Ulcus-Chirurgie – 405
H.J. Hermanns
24
24 Grundsatzbemerkungen
H. Nüllen, T. Noppeney
304 Kapitel 24 · Grundsatzbemerkungen
Die operative Behandlung der Varikose hat sich in den letz- tagonisten der CHIVA-Methodik noch anders. Diese blei-
ten 10 Jahren mehr gewandelt als in den davor liegenden ben zwar bei der femoralisnahen Unterbrechung der VSM
150 Jahren seit Trendelenburg. Ist der technische und me- (CHIVA 1), lassen jedoch die Refluxstrecke in situ und be-
24 thodische Fortschritt wissenschaftlich betrachtet prinzi- nutzen sie als Flussstrecke für die verbliebene und als not-
piell durchaus positiv zu werten, so ist jedoch nicht zu wendig unterstellte kutane Drainage unter Umkehrung der
verkennen, dass die Entwicklung zur Methodenvielfalt von physiologischen Flussrichtung bis zum unteren Insuffi-
einem deutlichen Theoriedefizit begleitet ist. So haben wir zienzpunkt im Sinne von Hach (. Tab. 24.1).
registriert, dass die Protagonisten der klassischen Varizen- Die Verwirrung ist somit komplett. Wer hat nun Recht?
operation die alten Prinzipien der operativen Behandlung Oder ist es am Ende gleichgültig, was man macht? Ein ein-
der Varikose, nämlich vollständige Crossektomie und Ent- heitliches Lehrgebäude ist nicht mehr zu erkennen.
fernung der Refluxstrecke, weiterhin propagieren, wohin- Forschung tut Not. Immerhin handelt es sich bei dem
gegen die Vertreter der endovenösen Techniken zwar die hier diskutierten Bereich der operativen Therapie der Va-
Refluxstrecke ausgeschaltet wissen wollen, aber die voll- rikose, wie die Behandlungszahlen belegen, nicht gerade
ständige Crossektomie für nicht erforderlich halten. Um um einen unbedeutenden Teil der medizinischen Versor-
die Verwirrung vollständig zu machen, ist es bei den Pro- gung.
Klassische Varizen-OP + + + + –
Endovenöse Verfahren – + + + –
Klappenrekonstruktion – – – + +
25
25.1 Operation der Vena saphena magna mündenden Äste werden isoliert, ligiert und durchtrennt.
Einige Autoren fordern die Ligatur der Seitenäste bis zur
T. Noppeney, H. Nüllen 2. Aufteilung, um einem Rezidiv über netzartige Verbin-
dungen außerhalb des Crossebereichs vorzubeugen. Am
Die Exstirpation der VSM bei Stammveneninsuffizienz SFÜ ist darauf zu achten, dass auch medial oder lateral in
(. Abb. 25.1) erfolgt stadiengerecht, entsprechend der diag- die V. femoralis communis einmündende Äste isoliert und
25 nostizierten Refluxstrecke. Die Entfernung der V. saphena durchtrennt werden, da auch diese Äste Ausgangspunkt
magna (VSM) erfolgt durch ein Strippingverfahren (7 Kap. eines erneuten Refluxes sein können.
26.1) und nur bei besonderen Verhältnissen, wie segmen- Abschließend wird die VSM auf dem Niveau des tiefen
talen Verschlüssen, durch lokale Exstirpation. Venensystems an ihrer Einmündung doppelt ligiert. Dabei
Der erste Schritt der klassischen Varizenoperation bei muss beachtet werden, dass zum einen das tiefe Venen-
Stammvarikose der VSM ist die Crossektomie (. Abb. 25.2). system durch die Ligatur nicht eingeengt und zum an-
Nach der Hautinzision (7 Abschn. 25.4) und Durchtren- deren kein Saphenastumpf bzw. Mündungstrichter zu-
nung des subkutanen Fettgewebes geht man direkt auf rückbleibt, der evtl. Ausgangspunkt einer TVT sein kann
die VSM ein und präpariert in Längsrichtung venennah (. Abb. 25.4).
in Richtung des sapheno-femoralen Übergangs (SFÜ) Zur Senkung der Quote an lokalen Rezidiven bzw. der
(. Abb. 25.3). Neovaskularisation wird von einigen Autoren zur Ligatur
der VSM am SFÜ die Verwendung von nicht resorbier-
> Bei adipösen Patienten: die Inzision in der Leiste
barem Nahtmaterial gefordert (Gorny 1994, Kluess 1998).
darf nicht zu tief angesetzt werden, da die äußer-
Die Ausschaltung des freiliegenden Endothels im Mün-
lich sichtbare Beugefalte durch die Adipositas
dungstrichter des Saphenastumpfes soll darüber hinaus die
meist fußwärts verlagert ist und dann bei Inzi-
Inzidenz der Neovaskularisation vermindern (Frings 2004)
sion in der Beugefalte der SFÜ nicht mehr oder
(. Abb. 25.5).
nur sehr schwer dargestellt werden kann.
Wenn die VSM in ihrer gesamten Länge erkrankt ist
Der SFÜ wird komplett dargestellt, wobei die V. femoralis (Hach IV), erfolgt die Inzision über dem Innenknöchel.
communis (VFC) nach kranial und distal jeweils 1,0 bis Die VSM wird aufgesucht, isoliert, nach zentral ange-
1,5 cm präpariert wird (. Abb. 25.3). Alle in den SFÜ ein- schlungen und nach distal ligiert. Hier ist darauf zu achten,
a b
25.1 · Operation der Vena saphena magna
307 25
25
. Abb. 25.6. Platzieren der Strippingsonde in der V. saphena . Abb. 25.7. Distale Ausleitung der Strippersonde über eine
magna und Stripping Richtung von proximal nach distal Stichinzision
Das Strippen bis zum Knöchel ist von einer hohen gener Sklerotherapie und bei ausgeprägten meanderför-
Rate an dauerhaften Sensibilitätsstörungen im Ver- migen Veränderungen der Stammvene, kann eine mehr-
sorgungsgebiet des N. saphenus begleitet. Daher wird fache, segmentale Sondierung der Vene erforderlich sein.
häufig auch bei einer Stammveneninsuffizienz Grad IV Die Stammvene wird dann i.d.R. zur Vermeidung größerer
nach Hach die Vene nur bis knapp unterhalb des Knie- Inzisionen mit der nicht kopfbewehrten Sonde in Invagi-
gelenkes gestrippt (. Abb. 25.8). Der verbliebene dis- nationstechnik gestrippt.
tale Anteil der insuffizienten VSM rekompensiert in Eine insuffiziente V. accessoria anterior kann bei ent-
den meisten Fällen und ist nicht weiter behandlungsbe- sprechendem Kaliber von der Leiste her sondiert und ge-
dürftig. strippt werden.
In manchen Fällen, insbesondere bei postphlebitischen Zur Vervollständigung der Operation werden im An-
Veränderungen, nach Teiloperationen oder vorausgegan- schluss die Seitenäste und ggf. insuffiziente Perforansvenen
a b
c d
. Abb. 25.8. Strippen der VSM mit zwei gekoppelten Sonden (Rückzugtechnik) von proximal nach distal. Ausleiten der Vene über die
liegende Sonde am distalen Austrittspunkt
25.1 · Operation der Vena saphena magna
309 25
Dwerryhouse 5 34 Crossektomie
. Abb. 25.9. Miniphelbektomie (Häkelmethode) zur Entfernung 1999 vs. Crossekto-
der Seitenäste und ggf. von Perforansvenen mie
u. Stripping
. Abb. 25.10. Mündungsvarianten der V. saphena parva (aus Heberer, van Dongen 2004)
312 Kapitel 25 · Operative Technik bei Stamm- und Seitenastvarikose
zidiv am SPÜ bei 30% der Operierten. In einer retrospek- fast vollständig abgelöst durch minimalinvasive Techniken,
tiven Studie mit einem durchschnittlichen Nachunter- die zusammengefasst als Miniphlebektomie bezeichnet
suchungsintervall von 9,2 Jahren wurde ein Rezidiv aus werden (7 26.2).
einem VSP-Stumpf in 14,8% und ein Rezidiv bei nach wie
vor vorhandener VSP in 32,1% festgestellt. Die Autoren
folgern, dass mehr als die Hälfte der Rezidive auf eine 25.4 Zugangswege in der
25 unzureichende Voroperation zurückzuführen seien (Vin Varizenchirurgie
2001). Auch andere Publikationen bezeichnen den be-
lassenen Stumpf der VSP als häufige Ursache einer Re- M. Winkler
zidivvarikose. Weiterhin können eine Neovaskularisation
und insuffiziente Gastrocnemiusvenen für eine Rezidiv-
varikose nach Operation der VSP verantwortlich sein 25.4.1 Zugang zur Crossektomie
(Perrin 2008).
Aus dem eigenen Kollektiv konnten 142 von 251 ope- Beim Zugang zur Dissektion des sapheno-femoralen Über-
rierten Extremitäten im Durchschnitt 38 Monate post- ganges der V. saphena magna (VSM) gibt es 3 Möglich-
operativ duplexsonographisch nachuntersucht werden. keiten für den Hautschnitt:
Die Ergebnisse zeigten ein Rezidiv in der Fossa poplitea bei 1. unmittelbar in der Leistenbeugenfalte
7,1% der operierten Extremitäten. Bei diesen Rezidiven 2. den spuprainguinalen Zugang ca. 2 Querfinger ober-
handelte es sich entweder um einen zu langen VSP Stumpf halb der Leistenbeuge (Brunner 1979)
oder um erneute Seitenäste aus dem SPÜ. Bei 2,1% war ein 3. sowie den infrainguinalen Hautschnitt ca. 1–2 cm un-
Rest der VSP verblieben (Noppeney 2002). terhalb der Leistenbeuge (. Abb. 25.1)
25.3 Seitenastexstirpation
Tipp
26.1 Strippingtechniken
H. Nüllen, T. Noppeney
26.1.4 Strippingmanöver
Durchzugmethode
Bei der Durchzugsmethode wird der Kopf komplett unter
der Haut durchgezogen. Dies bedeutet, dass die distale In-
zision eine Länge haben muss, die es erlaubt, dass der Strip-
perkopf durch die Haut durchtreten kann.
. Abb. 26.9. Invaginationsstripping. Die Vene wird an der Sonde
durch Ligatur fixiert. Durch den Rückzug der Sonde ergibt sich die
Rückzugsmethode Einstülpung der Vene in sich selbst (Invagination) (aus Hach 1994)
Hierbei wird die Strippersonde nach der Sondierung durch
eine Stichinzision von 2–3 mm am distalen Sondierungs-
ende ausgeleitet. Danach wird am proximalen Sondenende Invaginationsstripping
ein zweite Sonde angekoppelt (z. B. durch einen Doppel- Invaginationsstripping wurde bereits von Keller (1905)
kopf) oder ein langer Faden angeknotet. Nun kann die durchgeführt Beim Invaginationsstripping (van der Stricht
Vene nach distal gestrippt werden und die distal aufge- 1963) wird die Stammvene an der Strippingsonde je nach
kräuselte Vene durch die distale Inzision herausgezogen, Methode in unterschiedlicher Weise befestigt und der
von der Sonde entfernt und diese danach wieder leisten- Strippingvorgang durch Rückzug eingeleitet, wobei sich
wärts zurückgezogen werden. die Vene einstülpt und jeweils an der Umkehrfalte aus
der geweblichen Fixierung im umgebenden Gewebe löst
Fadenmethode Hierbei wird zum Rückzug der Sonde ein (. Abb. 26.9). Das Problem bei der Invaginationstechnik
an den Kopf angeknoteter langer, kräftiger Faden einge- stellt das Abreißen der Vene dar. Dies ist bei langer Strecke
setzt (. Abb. 26.7) und stark veränderter Vene nicht selten.
die Ligatur bildet. Zur Ligatur wird ein kräftiger Faden den. Hierbei friert die Sonde an der Venenwand fest (Kälte-
genommen, wir verwenden 0-Seide, der lang belassen wird brücke) und die so fixierte Vene kann nun durch kräftigen
und als Leitschiene bzw. Rückzugsmöglichkeit bei Abriss Zug aus ihrer Kontinuität abgerissen werden und im Rück-
der invaginierten Vene genutzt werden kann. Bei nicht zu zug durch Invaginationsextraktion entfernt werden
adipösen Beinen kann auch auf den Faden verzichtet (. Abb. 26.11). Der Kälteeffekt wird durch die kontrol-
werden, da die Abrissstelle bei dem geforderten langsamen lierte Gasentspannung von NO2 oder CO2 erzeugt (Joule-
Zug an der Sonde i.d.R. palpatorisch lokalisiert werden Thomson-Effekt). Die ursprünglich vollständig starre
kann. Die Vene bzw. die invaginierte Vene kann als dicker Sonde, die häufig Schwierigkeiten bei der Einführung in
26 Strang über eine Stichinzision mit einem Phlebohäkchen die VSM mit sich brachte, wurde inzwischen durch eine
für die Miniphlebektomie vorluxiert und geborgen und flexible Spitze modifiziert (Breuninger 2000). Hierdurch
erforderlichenfalls neu an der Sonde fixiert werden. konnte die erfolgreiche Sondierung mit proximalem Zu-
gang von 67% auf 91% der Fälle gesteigert werden. Mit der
PIN-Stripping Diese Form des Invaginationsstrippings Kryotechnik lassen sich durch paravenöse Vorgehensweise
(Oesch 1993) wird mit einer starren, speziell geformten Seitenäste extrahieren.
und mit endständigen Ösen versehener Strippersonde aus-
geführt. Das Instrumentarium wurde vom Erstbeschreiber Auch die Frage nach dem Zeitpunkt des Strippings im Ope-
zur Intervention nach einem Abriss des Invaginates später rationsablauf kann objektiv nicht eindeutig beantwortet
erweitert (Oesch 1998). Aufgrund persönlicher Erfahrung werden, ebenso wie die Frage, ob das Stripping bei einem
des Autors war ein Vorteil gegenüber dem Invaginations- liegenden Kompressionsverband oder ohne erfolgen soll.
verfahren mit einer normalen Kunststoffsonde nicht er- Wir bevorzugen, bedingt durch einen hohen Anteil an am-
kennbar. bulanten Operationen und den Wunsch die Blutung aus
dem Strippingkanal sicher kontrollieren zu können, das
Kryostripping frühzeitige Stripping im Operationsverlauf ohne zusätz-
Über Sklerosierung (Milleret 1981) und Strippingmanöver liche Kompression.
unter Einsatz von Kältesonden (. Abb. 26.10). wurde be-
reits seit den 1980er Jahre aus Frankreich berichtet (Le
Pivert 1987). Hierbei wird die Stammvene mittels einer 26.1.5 Studienlage
starren, speziellen Kryosonde von der Leiste aus sondiert
(Klöpper 1996). Die Temperatur an der Sondenspitze kann, Die Studienlage zur Frage der Methodik des Strippings ist
durch den Operateur gesteuert, auf -85°C abgesenkt wer- nicht erhellend, da die wenigen Studien, die vorliegen, me-
a b
26
a b
a b
. Abb. 26.13. VerschiedeneVenenextraktor-Modelle. a Venenextraktor nach Nüllen und nach Varaday. b Detailaufnahme mit Handarbeits-
häkelnadel zum Vergleich (Photo: Katharina Müller, Mönchengladbach)
26.2.2 Phlebektomie den Vorteil eines relativ stumpfen Hakens, der verhindert,
dass beim Vorluxieren die Vene perforiert wird (. Abb.
Mittels eines Phlebohäkchens (Häkelnadel) wird die unter 26.14). Bei der Wahl des Häkchens ist es so, dass jeder Ope-
der Inzision liegende Vene blind geangelt und vorluxiert. rateur durch Versuch und Irrtum das Häkchen ausfindig
Danach wird nach Säuberung der Vene von umgebendem machen sollte, mit dem er sich wohlfühlt.
Gewebe mittels eines kleinen Spatels (Dissektor) die Vene Der Terminus »Miniphlebektomie« sagt natürlich
weiter vorgezogen, zwischen kleinen Klemmchen durch- nichts über die Instrumentierung beim minimalinvasiven
trennt und nur durch Zug und subkutaner Präparation Vorgehen zur Extraktion von z. B. kleinkalibrigen Varizen.
mittels Dissektor über mehr oder weniger lange Strecken So können hierbei auch andere Techniken als »Häkel-
extrahiert. Phlebohäkchen, gelegentlich auch Phlebextrak- häkchen« zum Einsatz kommen. So ist z. B. die Kryotech-
tor genannt, werden in unterschiedlicher Größe und Ha- nik mit einer paravenösen Extraktionstechnik geeignet zur
kenform von Instrumentenfirmen angeboten. Wir selbst Seitenastextraktion. Die TRIVEX-Technik (Transillumi-
nutzen einen Phlebextraktor der einer Handarbeitshäkel- nated powered phlebektomy) kann eher als Außenseiter-
nadel (1,75) nachempfunden ist (. Abb. 26.13). Dieser hat methodik angesehen werden. Hierbei werden durch sub-
26.3 · Operation in Blutleere
325 26
tiert. Wir selbst nähen die Inzisionen mit einer überwend-
lichen Naht mit einem 6-0 monofilen Kunststofffaden und
können als Konsequenz dessen den Patienten erlauben, ab
dem Abend des 2. postoperativen Tages das operierte Bein
ungeschützt der Dusche auszusetzen.
26.2.5 Zusammenfassung
Beim der Suche nach der subkutanen Vene und der fol- H.J. Hermanns
genden der Extraktion ist je nach der gerade bearbeiteten
anatomischen Region auf ggf. zu erwartende Begleitstruk- Die erste Anwendung einer Blutsperre in der Venenchi-
turen zu achten. Hier sind insbesondere die Lymphbahnen rurgie wurde bereits 1965 von Fischer beschrieben. Er be-
des ventromedialen Lymphbündels, als auch die tiefen Ve- nutzte zunächst orthopädische, pneumatische Manschet-
nen und die Arterien in den retromalleolären Kulissen und ten. Zum Erzielen einer Blutleere musste die Extremität
auf dem Fußrücken zu nennen. Aber auch die Sehnen und mit einer Eschmarschen Gummibinde ausgewickelt wer-
Sehnenscheiden im Fußbereich sowie die Bursae im Knie- den. Der Manschettendruck war mit Werten zwischen 300
bereich können beim Häkeln verletzt werden. Bei der vor- bis 400 mmHg Eingriffen aus der Orthopädie und Trau-
sichtig vorluxierten Struktur ist zunächst zu prüfen, ob es matologie angepasst und nach heutiger Erkenntnis zu hoch
sich tatsächlich um eine Vene handelt. Danach erst soll die und lokal traumatisierend. Eine wesentliche Verbesserung
verifizierte Vene mit dem Dissektor von allem begleitenden stellte die von Löfqvist 1988 entwickelt Rollmanschette dar.
Gewebe durch Abschieben gesäubert werden. Dabei sollten Sie führt zu einer relativen Blutleere, die für die Varizen-
die Hautränder der Stichinzisionen nicht zu sehr gedehnt chirurgie ausreichend ist. Die Löfqvist-Manschette ist
oder gequetscht werden. Bei so entstandenen Hautschäden heute daher die Methode der Wahl. Insbesondere bei aus-
können sich unangenehme Pigmentierungen im Narben- geprägten Befunden, großen Seitenästen, massiver Adi-
bereich ergeben, die die kosmetischen Vorteile der Vorge- positas mit vermehrtem Blutungsrisiko und fortgeschrit-
hensweise zunichtemachen. Wenn man stark geschlängelte tenen Hautveränderungen bis hin zu Ulzerationen bietet
Stammvenenabschnitte oder »Monster«-Varizen auf diese die Blutleere hohen Behandlungskomfort.
Weise extrahiert, ist es gelegentlich zu empfehlen, die Inzi-
> Indikation
sion etwas zu vergrößern.
Die Anwendung der relativen Blutleere zur Vari-
zenexhairese hat viele Vorteile, ist aber durch die
temporäre Unterbrechung der Blutzirkulation ein
26.2.4 Verschluss der Inzisionen
invasives Hilfsmittel. Die Indikation ist relativ und
richtet sich nach den Konzepten des Operateurs.
Der Verschluss der Inzisionen kann auf unterschiedliche
Erfolgreiche Venenchirurgie kann auch ohne
Art erfolgen, wie z. B. Gewebekleber, Steristrips oder Naht.
diese Technik erfolgen.
Wenn die Inzisionen nicht zu sehr gedehnt wurden und
ggf. weit klaffen, kann ein Verschluss auch unterbleiben.
Durch den Kompressionsverband werden die kleinen In-
zisionen zusammengedrängt und meist hinreichend adap-
326 Kapitel 26 · Spezielle chirurgische Techniken
Vorteil Nachteil
Weniger Blutverlust
Literatur
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fahrungen mit der neuen Boazul-Manschette bis 90 cm Beinum-
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27
a b
. Abb. 27.2. Schematische Darstellung der wichtigsten Perforansvenen an der unteren Extremität. Ansicht (a) von medial und (b)
von dorsal
27.1 · Definition und Nomenklatur
331 27
a b
27
a b c
. Abb. 27.4. Schematische Darstellung des Durchtritts einer VP durch die Faszie in Begleitung einer Arterie und eines Nerven. a Ansicht
von außen. b Querschnitt Normalbefund. c Querschnitt bei IPV
27.2 Spezielle Anatomie perforantes (IVP) auch eine lokale Beeinträchtigung der
der Perforansvenen arteriellen Versorgung der Haut zur Folge haben kann
(Staubesand 1981). Van Limborgh (1981) beobachtete eine
Die Venae perforantes (VP) sind meist paarig angelegt Anastomosierung der Vasa nervorum des Begleitnerven
und enthalten eine oder mehrere Venenklappen, die unter der VP mit einer insuffizienten Perforansvene und einen
physiologischen Bedingungen eine Blutströmung nur von hierdurch hervorgerufenen Rückstau mit entsprechender
der Oberfläche in die Tiefe gestatten. Die VP durchdringen Dilatation der Vasa nervorum und postuliert, dass hier-
die Muskelfaszie in Begleitung einer Arterie und eines durch Schmerzphänomene bei IVP hervorgerufen werden
sensiblen Hautnerven in schräger Richtung von distal können.
außen nach proximal innen (. Abb. 27.4a). Im Stadium
der Insuffizienz kann es durch die Dilatation und Prall-
füllung der VP zu einer Druckbelastung des Faszienrandes
und der Begleitstrukturen kommen, was einerseits zu
Dilatationen der Faszienlücken führt und andererseits
aber auch zu trophischen Störungen und Schmerzphäno-
menen infolge der Druckbelastung der Arterie bzw. Vene
führen kann. Die Begleitarterie ist insofern von Bedeu-
tung, als theoretisch, insbesondere bei trophisch vorge-
schädigter Haut, die Ausschaltung der insuffizienten Venae
Glatte Randkonturen Unregelmäßige Randkonturen . Abb. 27.5. Normale, suffiziente Vena perforans im Röntgenbild.
Nebenbefund: Segmentale Thrombose in den Vv. fibulares
27.2 · Spezielle Anatomie der Perforansvenen
333 27
Die Durchtrittsstellen durch die Faszie sind anato-
misch präformiert und können je nach der lokal dominie-
renden Faserstruktur der Faszie rautenförmige, runde,
schlitzförmige oder quadratische Formen annehmen.
Der physiologischen Blutflussrichtung in der VP von
außen nach innen entspricht ein strömungsdynamisch
günstiger spitzer Mündungswinkel in die tiefe Vene von ca.
30° (Hach 1981) (. Abb. 27.5). Die Phlebographie gestattet
eine gute Darstellung von Vv. perforantes. Die Darstellung
einer Perforansvene im Phlebogramm sagt per se aller-
dings noch nichts über deren Suffizienz oder Insuffizienz
aus. Weitere radiomorphologische Kriterien müssen beur-
teilt werden (. Tab. 27.1). . Abb. 27.6. Insuffiziente Perforansvene der Cockett’schen-Grup-
Die farbkodierte Duplexsonographie erlaubt eine ge- pe in der Duplexsonographie
naue Darstellung von Perforansvenen und bietet darüber
hinaus die Möglichkeit von funktionellen Aussagen (. Abb.
27.6). venen für die Haut und die Subcutis (subkutane Begleit-
Die Zahl der theoretisch vorkommenden Vv. perforan- venen) unterschieden werden. Beide Systeme anastomo-
tes ist bei der gegeben erheblichen Varianz des epifaszialen sieren miteinander und fließen über Vv. perforantes in die
Venensystems sehr groß und wird mit bis zu 150 pro Bein Tiefe ab. Die meisten der subkutanen Begleitvenen fließen
angegeben (van Limborgh 1965) (. Abb. 27.7). über klinisch unbedeutende Perforansvenen ab, z. T. anas-
Am epifaszialen Venensystem können ein Saphena- tomosieren sie allerdings auch mit Sammelvenen des Sa-
system (VSM und VSP) sowie ein System von Drainage- phenasystems oder münden direkt in Vv. perforantes des
. Abb. 27.7. Schema und Nomenklatur der Vv. perforantes nach van Limborgh. Der von van Limborgh verwendete Begriff V. communicans
ist deckungsgleich mit der hier bevorzugten Begriff V. perforans
334 Kapitel 27 · Chirurgie der Perforans-Varikosis
Saphenasystems. Die Vv. perforantes, die dem Saphena- 4 In der Muskeldiastole resultiert durch die entleerten
system zugeordnet sind, stehen meist mit speziellen Sam- tiefen Leitvenen eine Druckdifferenz zwischen innen
melvenen in Verbindung (z. B. hintere Bogenvene) und und außen mit einem Gradienten von außen nach in-
nur ausnahmsweise mit den Saphenastämmen direkt. Eine nen. Es ergibt sich ein Blutfluss von außen nach innen
Ausnahme bilden die Dodd’sche Vene und die Boyd’sche via Perforansvenen.
Vene, die gelegentlich direkt in die VSM einmünden kön-
nen. Die Zahlenangaben über die Art und die Bedeutung Bei der Stammveneninsuffizienz und Perforansinsuffi-
der Perforansvenen variieren sehr stark, je nach Art der zienz kommt es wegen der Klappeninsuffizienz, dargelegt
Darstellung bzw. Präparation. In Injektionspräparaten am Beispiel der VSM, zu einem Rückstrom von Blut aus
drainierten 60% der Vv. perforantes in Begleitvenen von der V. femoralis in die insuffiziente und dilatierte Vena
27 Hautarterien und nur 40% in Vv. perforantes, die dem saphena magna (oberer Insuffizienzpunkt) nach distal
Saphenasystem zuzuordnen waren (Schäfer 1975, 1981). (blow down) bis zur ersten wieder funktionsfähigen
Welche Vv. perforantes werden nun insuffizient und Venenklappe (unterer Insuffizienzpunkt). In dessen Nähe
welche nicht, und welche Bedeutung hat dies für die Ent- findet sich eine Querverbindung zu einer drainierenden
wicklung der venösen Insuffizienz? Perforansvene, die das Blut in das tiefe Venensystem leitet
Die entscheidende Frage ist dabei nicht die nach der (blow in). Das so drainierte Blut wird durch die tiefen Leit-
hämodynamischen, sondern nach der klinischen Signifi- venen nach proximal transportiert und der Vorgang be-
kanz der Perforansinsuffizienz, d. h. tragen diese »insuf- ginnt von Neuem. Dies entspricht dem klassischen Kon-
fizienten« Perforansvenen tatsächlich zur Progression zept des Privatkreislaufes von Trendelenburg und den
und zum Schweregrad der chronisch venösen Insuffizienz
(CVI) bei, oder stellen sie lediglich Seiteneffekte der ober-
flächlichen und/oder der tiefen Veneninsuffizienz dar
(Rhodes et al. 2009).
In einem anatomischen Vergleich von Vv. perforantes
konnte gezeigt werden, dass systemisch- oder topogra-
phisch-anatomische Faktoren keinen prädiktiven Wert für
die Neigung zur Insuffizienz haben (van Limborgh 1981).
einer IPV die Schwierigkeit der Auffindbarkeit hinzu- 2 Monaten 23 Extremitäten (55%) und nach 2 Jahren
kommt. Dies führt dazu, dass es, insbesondere bei minimal 25 Extremitäten (60%) keine Perforansinsuffizienzen auf.
invasiver Technik, eher selten sein wird, alle ideellen Ziele Nach zwei Jahren lag die Quote der CVI an den Extremi-
zeitgleich zu erreichen, nämlich die richtigen, d. h. klinisch täten mit präoperativer IPV ohne Sanierung bei 11 von 42
relevanten IPV, vollständig in einem Vorgehen ausschalten (26%) und an den Extremitäten ohne präoperative IVP bei
zu können. Andererseits macht es auch keinen Sinn unter 18 von 61 (30%). Die Autoren schließen daraus, dass bei
Aufgabe des minimal invasiven Konzeptes durch radikale den meisten Patienten die IPV (und die VSM unterhalb
Maßnahmen die Auffindbarkeit der IVP möglicherweise des Kniegelenkes) beim Ersteingriff nicht ausgeschaltet
zu verbessern, da die ggf. in erster Sitzung verbliebenen werden müssen. Wesentlich für die Rezidiv-CVI sind die
IVP unschwer in Lokalanästhesie in zweiter Sitzung aus- Rezidive an der Crosse und der Parvamündung, sowie die
27 geschaltet werden können. Diesen Umstand gilt es bei der Progression der Grunderkrankung. Stuart et al. (1998)
Therapieplanung zu berücksichtigen und in die Patienten- konnten zeigen, dass die Sanierung des epifaszialen Re-
aufklärung einzubeziehen. fluxes zu einer signifikanten Reduktion der IVP und zu
einer signifikante Reduktion von IPV-Durchmessern etc.
führte. Der positive Effekt der Operation blieb aus, wenn
27.4.2 Konservative Therapieverfahren der epifasziale Reflux unzureichend ausgeschaltet war oder
eine Insuffizienz des tiefen Systems vorlag.
Die konservative Therapie der Varikosis wird an anderer Fasst man zusammen, so kann man festhalten, dass die
Stelle umfassend dargestellt (7 Sektion IV). Die konserva- Fälle mit leichten Stadien der CVI (C2, C3) und insbeson-
tive Therapie hat auch bei der gezielten hämodynamischen dere diejenigen ohne morphologischen Veränderungen im
Neutralisation der IPV in besonderen Fällen eine Indika- tiefen Venensystem von einer Unterbrechung der vorhan-
tion. Kompressionsverfahren mit Ergänzung durch gezielte denen IPV bei der primären Sanierung der epifaszialen
Unterpolsterung können eine suffiziente, passagere Thera- Insuffizienz nicht profitieren. Somit bleibt die Indikation
pie der IPV erreichen. zur Perforansausschaltung den schweren Stadien der CVI
Die Sklerosierungsbehandlung als semikonservative (C4, C5, C6) vorbehalten, entweder primär oder in mehr-
Therapie kann sowohl als Flüssigkeitsverödung als auch zeitigem Vorgehen mit dem Bestreben die Ausdehnung der
als Schaumverödung für die Therapie der IPV, ggf. unter Maßnahmen im Bereich der IPV auf das Notwendige zu
Ultraschallkontrolle, eingesetzt werden. beschränken.
Die endoluminalen, thermischen Occlusionsverfahren Wird die insuffiziente Stammvene ausgeschaltet oder
(RFO, EVLT) können ebenfalls in geeigneten Fällen einge- entfernt, so entscheidet der Grad der zwischenzeitlich ein-
setzt werden. Im angloamerikanischen Schrifttum wurde getretenen Degeneration der Venenwand der PV und der
hierfür ein neuer Begriff geprägt, PAP (Percutaneous abla- dort lokalisierten Venenklappen ob eine Regeneration mit
tion of perforators). einer resultierenden suffizienten PV sich entwickeln kann.
Ist die Degeneration der Wandelemente und der Venen-
klappen fixiert, so bleibt die PV insuffizient mit einem
27.4.3 Operative Therapieverfahren retrograden Strömungsvolumen in der Muskelsystole. Im
ersteren Falle ist die Ausschaltung der VP überflüssig und
Klinische Studien zeigen häufig, dass nach alleiniger Sa- im zweiten Falle ist sie geboten.
nierung des epifaszialen Refluxes eine Rekompensation
der Perforansinsuffizinez erreicht werden kann. In der
ESCHAR-Studie (Barwell 2004) zeigte sich ein signifi- 27.4.4 Konventionelle Techniken
kanter Rückgang der Perforansinsuffizienz. Mendes et al.
(2003) untersuchte Patienten mit einer epifaszialen Insuf- Insuffiziente Perforansvenen standen lange im Verdacht die
fizienz und hämodynamisch IPV bei unbeteiligtem tiefen Ursache für die Entwicklung oder zumindest die Weiterent-
Venensystem. Sie fanden 71% der ursprünglich insuffi- wicklung von Rezidiven bei Varikose verantwortlich zu
zienten Perforansvenen bei der Nachuntersuchung nach sein. Dodd und Cockett entwickelten, basierend auf dieser
operativer Sanierung der epifaszialen Insuffizienz voll Hypothese, ein ebenso radikales wie aufwendiges Konzept
funktionsfähig. Blomgren et al. (2005) untersuchte 64 Ex- der Varizenchirurgie mit hohen Komplikationsraten, z. B.
tremitäten mit einer epifaszialen Insuffizienz der VSM und Wundheilungsstörungen bis zu 24%. Die Ergebnisse aller-
einer zusätzlichen, objektivierten Insuffizienz von Perfo- dings waren enttäuschend (Rose 1999, Rhodes 2009).
ransvenen. Bei allen Extremitäten wurde die VSM bis Zur operativen Ausschaltung der IPV steht eine Reihe
unterhalb des Kniegelenkes entfernt. An 42 Extremitäten von konventionellen operativen Verfahren zur Verfügung,
wurden die IPV nicht saniert. Bei diesen wiesen nach von denen nur noch die offene Ligatur und die Miniphleb-
27.4 · Therapie der Perforansvarikose
337 27
Sammelvene oder die Perforansvene direkt vorluxiert
und ggf. bis zur Darstellung der Perforansabganges
(T-Aufzweigung) präpariert. Je nach Situation kann die
Perforansvene epifaszial ligiert oder einfach zerrissen
werden (. Abb. 27.10).
4 Perkutane Diszision mit dem Klapp’schen-Messer
Mit einem lanzzettenähnlichen Messer wird die Haut
perforiert, dass Messer schräg in den subkutanen Raum
eingeführt und die in diesem Bereich lokalisierten Venen
und Perforansvenen blind durchtrennt (. Abb. 27.11).
4 Perforans-Diszision nach Bassi
Über eine Miniinzision wird ein von Bassi angegebe-
nes Häkchen eingeführt und durch drehen des Instru-
mentes die Perforansvene aufgefädelt und zerrissen
(. Abb. 27.12).
4 Nicht selektive Perforansdissektion nach Hach
(1981)
. Abb. 27.9. Offene Ligatur einer IVP (aus Hach 1994)
Von einem proximal der Perforansinsuffizienz in einem
gesunden Hautareal gelegenen Hautschnitt aus wurde
eine subfasziale blinde und stumpfe Dissektion der
ektomie von Bedeutung sind. Zu Technik und Ergebnissen Vv. perforantes, ggf. kombiniert mit einer Fasziotomie,
der SEPS wird auf das 7 Abschn. 27.4.5.3 verwiesen. durchgeführt. Das Verfahren ist wegen der ausgedehn-
4 Subfasziale Ligatur ten Traumatisierung nur noch von historischem Inter-
Über der präoperativ lokalisierten und markierten Per- esse.
foransvene wird eine Inzision (2–3 cm) angelegt, die es 4 Offene subfasziale Perforansligatur nach Cockett
erlaubt die subcutan gelegenen Sammelvenen und die (1953)
Abzweigung der Perforansvene präparatorisch dar- Die Cockett’sche Operation zur Ausschaltung der Ve-
zustellen. Sodann erfolgt die subfasziale Ligatur und nen der Cockett´schen Gruppe ist wegen der großen
Durchtrennung der IVP und eine Naht der Faszien- Gewebetraumatisierung und der schlechten lokalen
lücke (. Abb. 27.9). Ergebnisse mit protrahiertem Heilungsverlauf nur
4 Dissektion durch Miniphlebektomie noch von historischem Interesse. Die Cockett’sche
(Häkel-Methode) Operation wird häufig mit der Linton-OP (1938)
Über der präoperativ lokalisierten und markierten Per- gleichgesetzt, die sich jedoch durch noch radikalere
foransvene wird eine Stichinzision von 2–3 mm ange- Freilegungen auszeichnete. Die Linton-Operation
bracht wie bei der Miniphlebektomie von Seitenästen. wurde auch im Rahmen der Ulkusnachsorge einge-
Mit einem Venenextraktor bzw. Häkelnadel wird die setzt, jedoch erst nach Abheilung der Ulzeration.
welche noch nicht zum manifesten Kompartmentsyndrom ESDP bei primärer Stammvarikose
führt, aber Tage bis Wochen andauernde Schmerzzustände und kombinierter Perforansinsuffizienz
nach sich zieht. Anfang der 90er Jahre wurde die kombinierte Anwendung
der ESDP zum Stripping der V. saphena magna bei zu-
> Die spezielle Komplikationsrate der ESDP ist
sätzlicher Insuffizienz von Perforansvenen propagiert. Vor
nicht unerheblich und muss bei der Aufklärung
allem die Arbeit von Jugenheimer (1992) postulierte den
zum Eingriff berücksichtigt und dokumentiert
Vorteil einer subfaszialen selektiven Ausschaltung der Per-
werden.
foransinsuffizienz.
Im eigentlich relativ unkomplizierten Stadium C3 stellte Die Begeisterung für die Kombinationsverfahren bei
Nelzén (2000) eine Rate gravierender Schwellungen primärer Varikose hielt aber nicht lange an, da der Nutzen
27 (»severe swelling«) von 10% fest, die im Trend sogar höher niemals evident wurde und der endoskopische Part des
lag als bei den schwereren Stadien C4 (6%) und C5 und Eingriffs auch eine Erhöhung der Operationsmorbidität
C6 zusammen (3%). Bei 30% der Patienten war eine ini- nach sich zog. Bereits die Ergebnisse der Qualitätssiche-
tiale relevante Einschränkung der Gehstrecke zu verzeich- rung »Varizen« der DGG in den Jahren 2001 bis 2004
nen. zeigten, dass nur 0,8% aller erkrankten Perforansvenen
In einer systematischen Analyse der eigenen Patienten mittels endoskopischer Technik unterbrochen wurden.
durch Meister (2000) fanden sich bei 101 Operationen (da- Stuart (2001) konnte nachweisen, dass die alleinige Thera-
von 28% im Stadium C6 und 18% im Stadium C5) sono- pie des Refluxes in den Stammvenen genügt, um Beschwer-
grafisch nachgewiesene Hämatome in 12%, Wundinfek- defreiheit oder sogar eine Rückbildung der Perforansin-
tionen in 3% und Dysästhesien des Nervus plantaris in 2% suffizienz zu erzielen. Heute ist die Methode unter dieser
(davon in einem Fall persistierend). In 1% der Fälle trat Indikation kontraindiziert, da kein evidenzbasierter Nach-
eine tiefe Venenthrombose auf. weis des Effektes existiert und nachweislich die Morbidität
TenBrook (2004) erfasste in einem systematischen Re- des Kombinationseingriffes höher ist.
view von 20 Studien, davon nur eine randomisierte Studie
und 19 Fallserien (!), die Komplikationen an 1140 Extre- ESDP im Stadium C5 und C6
mitäten die mit der ESDP behandelt wurden (. Tab. 27.3). Nach der Etablierung der ESDP waren die Erwartungen im
Hinblick auf die dauerhafte Abheilung venöser Ulzera sehr
! Cave hoch. Leider existieren kaum systematische Publikationen,
Bei der ESDP treten relevante Komplikationen welche die Langzeiteffekte der ESDP aufzeigen. Die Grün-
unabhängig von der technischen Variante auf. de hierfür liegen einerseits in einer starken Betonung der
Wundheilungsstörungen mit abszedierendem Literatur auf operationstechnische Aspekte und Entwick-
Infekt des Subfaszialraumes und operationstech- lungen von Instrumentarien, andererseits aber auch im
nisch bedingte Läsionen des posterioren Gefäß-/ Versäumnis frühzeitig prospektiv, randomisierte Studien
Nervenbündels können zu schwerwiegenden durchzuführen, die den Einzeleffekt der ESDP belegen
Dauerschäden führen. Postoperative Schwellun- können. Es gibt eine geringe Anzahl systematischer Stu-
gen des Subfaszialraumes können längerdauern- dien, die aber alle gemischte Patientengruppen aufweisen.
de Schmerzzustände verursachen; im ungünstigs- Es werden nicht nur die relevanten klinischen Stadien C3
ten Fall ein drohendes oder manifestes Kompart- bis C6 sondern auch kombinierte Eingriffe, also z. B. kom-
mentsyndrom. plettes oder partielles Magnastripping mit ESDP ein- oder
Komplikationsrate 6% 9% 7% 1%
CI, 4%–8%; CI ,6%–13%; CI, 6%–9%; CI, 0,7%–3%;
range, 0%–16% range, 0%–23% range, 0%–17% range, 0%–2%
Studien (N) 18 11 13 7
Medianes Follow-up in Monaten Alle Beine N (%) Stadium C6 N (%) Stadium C5 N (%)
(range)
zweizeitig vermischt, so dass letztlich der isolierte Effekt Unter Berücksichtigung teilweise positiver Resultate ein-
der ESDP auch in Subgruppenanalysen statistisch niemals zelner Serien mit niedrigem Evidenzniveau kann eine ESDP
belegt werden konnte. in Übereinstimmung mit Fischer erwogen werden bei:
Die Rezidivrate für venöse Ulzera liegt nach den Daten 4 mehreren großkalibrigen, insuffizienten Perforans-
des NASEPS-Registers (Gloviczki et al. 1997) nach einem venen mit assoziierter regionaler Manifestation einer
Jahr bei 16%, nach 2 Jahren bei 28% und nach 3 Jahren bei chronischen Veneninsuffizienz in Ergänzung einer Sa-
39%. Beim postthrombotischen Syndrom (PTS), bei dem nierung der epifaszialen Venen,
man sich einen relativ großen Effekt auf die Ulkusheilung 4 einzelnen Perforansvenen der Cockett-Gruppe, wenn
erhofft hatte, blieb dieser aus. Patienten mit PTS als Aus- eine schwere regionale Störung, z. B. durch eine Der-
löser der Ulzera zeigten höhere Rezidivraten als Patienten matofasziensklerose, vorliegt und zu einem erhöhten
mit primärer Klappeninsuffizienz (nach 2 Jahren Verlaufs- Risiko des konventionellen Eingriffs führen würde,
beobachtung: 46% gegenüber 20%). Auch andere relevante 4 einer simultanen Indikation zur paratibialen Faszio-
Serien zeigten eine ansteigende Rate an Ulkusrezidiven mit tomie (nicht: Fasziektomie).
zunehmender Verlaufsbeobachtung.
! Cave
In einer aktuelleren Arbeit von Nelzén (2007) wird
Kontraindikationen zur ESDP sind:
auch 17 Jahre nach der Einführung der Technik durch
4 eine primäre Stammvarikose mit zusätzlicher
Hauer eine randomisierte Studie für notwendig erachtet,
Perforansinsuffizienz im Stadium C3 und ge-
um den Beitrag der ESDP zu beweisen. Nelzén konnte
ringer Symptomatik
ohne Berücksichtigung verstorbener Patienten eine lange
4 eine arterielle Durchblutungsstörung
mediane Nachbeobachtungszeit von 77 Monaten aufwei-
4 die Notwendigkeit einer ausgedehnten Ulkus-
sen (range, 60–112). 29% der Patienten entwickelten ein
chirurgie (z. B. Shaving, Fasziektomie, …)
Ulkusrezidiv im Nachbeobachtungszeitraum, davon 35%
der C6-Patienten und 22% der C5-Patienten (. Tab. 27.4).
> Der größte Effekt der ESDP wurde für die Stadien Literatur
Fischer R, Schwahn-Schreiber C, Sattler G, Duff C (2004) Die Indikation
C5 und C6 erwartet.
zur subfaszialen endoskopischen Perforantensanierung hat sich
Auch nach ESDP zeigen sich hohe Rezidivra- geändert. Phlebologie 33:145–148
ten venöser Ulzera, die einen positiven Langzeit- Gloviczki P, Bergan JJ, Menawat SS, Hobson RW, Kistner RL, Lawrence PF,
effekt der ESDP nicht belegen. Lumsden A, O‘Donnell TF, DePalma RG, Murray J, Pigott JP,
Mutmaßliche Therapieeffekte der ESDP Schanzer H, Ascer E, Kalman P, Calligaro KD, Ballard JL, Cambria RA,
Rhee RY, Rubin BG, Ilstrup DM, Harmsen WS, Canton LG (1997)
können nicht bewiesen werden, da prospektive,
Safety, feasibility, and early efficacy of subfascial endoscopic
randomisierte Studien mit einer definierten Indi- perforator surgery: a preliminary report from the North American
kationsgruppe und einer standardisierten und registry. J Vasc Surg 25:94–105
kontrollierten Therapie fehlen. Hach W, Hach-Wunderle V, Nestle W (2000) Die Insuffizienz der
Cockett-Vv.-perforantes und die operative Behandlung. Gefäß-
chirurgie 5:130–137
Zusammenfassung Hauer G (1985) Die endoskopische subfasciale Diszision der Perforans-
Welche Indikationsstellung verbleibt? Die Indikation zu venen – vorläufige Mitteilung. VASA 14:59–61
Hermanns H-J (2006) Operative Therapie des Ulcus cruris venosum.
ESDP ist nur noch in ausgewählten Fällen gegeben. Ur-
Gefässchirurgie 11:281–286
sächlich für die rückläufige Anwendung der Technik sind Jugenheimer M, Junginger T (1992) Endoscopic subfascial sectioning
Rezidivraten, relevante Komplikationen und fehlende Zu- of incompetent perforating veins in treatment of primary varico-
ordnungsmöglichkeit der Ergebnisse. sis. World J Surg 16:971–975
342 Kapitel 27 · Chirurgie der Perforans-Varikosis
28 Endovenöse Techniken
Einleitung – 344
T. Noppeney, H. Nüllen
> Absolute und relative Kontraindikationen Die Radiofrequenzobliteration sollte möglichst in einem
4 akute tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose blutleeren Gefäß durchgeführt werden. In den Anfangs-
4 akute Varikophlebitis der VSM oder VSP zeiten wurde dazu das Bein mit einer Esmarch-Binde aus-
4 chronisch obliterierende Veränderungen gewickelt. Diese Technik wird heute so gut wie nicht mehr
nach Varikophlebitis der VSM oder VSP angewandt. Um eine möglichst komplette Blutleere zu er-
reichen wird der Patient in Trendelenburg-Position wäh-
Daneben gelten im Wesentlichen die gleichen, rend des Rückzugmanövers gelagert.
absoluten und relativen Kontraindikationen wie Postoperativ kann man eine deutliche Verminderung
bei operativer Ausschaltung der Varikose des Durchmessers des sapheno-femoralen Mündungsseg-
mentes feststellen. Dies ist zum einen auf die Ausschaltung
des Refluxes, zum anderen auf die thermische Einwirkung
auf den SFÜ zurück zuführen. Die Reduktion des Durch-
messers des sapheno-femoralen Mündungssegmentes bleibt
in der Regel dauerhaft bestehen und zeigt dadurch, dass es
sich um eine thermische Einwirkung mit Kontraktion der
kollagenen Fasern auch in diesem Segment handelt.
Die thermische Behandlung der Vene sollte immer nur
bis knapp unterhalb des Knies erfolgen, da sonst die Rate
von Sensibilitätsstörungen in Folge thermischer Effekte
durch die enge Nachbarschaft des Nervus saphenus am
Unterschenkel mit der VSM stark ansteigt. Nach Abschluss
des Rückzugmanövers sollte die erfolgreiche Obliteration
. Abb. 28.2. Platzierung VNUS Closure Fast Katheter und seg- der Vene mittels Ultraschall überprüft werden.
mentale Ablation. (Mit freundlicher Genehmigung der Firma VNUS
Die Radiofrequenzobliteration wird hauptsächlich zur
Medical GmbH, Deutschland)
Ausschaltung der Stammvenen (VSM, VSP) angewendet.
Weitere Indikationsbereiche bestehen in der Ausschaltung
von Seitenastvarizen sowie der Perforansvarikose (Whiteley
2004). Für die Anwendung bei Perforansvenen wurde ein
spezieller Radiofrequenzkatheter entwickelt (. Abb. 28.3).
28.1.2 Komplikationen
. Abb. 28.3. Radiofrequenzkatheter zur Obliteration von Perfo-
ransvenen. (Mit freundlicher Genehmigung der Firma VNUS Medical Die perioperative Komplikationsrate des Verfahrens ist ins-
GmbH, Deutschland) gesamt sehr niedrig. Beschrieben sind meist passagere peri-
346 Kapitel 28 · Endovenöse Techniken
operative Nervenläsionen, Phlebitiden, Hautverbrennungen, Die Angaben zur Rekanalisationsrate in den retrospek-
Thrombuspropagation in das tiefe Venensystem, tiefe Ve- tiven Studien und der prospektiv geführten, klinischen,
nenthrombosen und Lungenembolien (7 Kap. 31.1). multizentrischen Kohortenstudie bewegten sich zwischen
0% und 16,2% für 6–60 Monate postoperativ, im Durch-
schnitt 10,9% bei einem durchschnittlichen Nachbeob-
28.1.3 Ergebnisse achtungszeitraum von 17,5 Monaten (Noppeney 2008)
(. Tab. 28.1). In den bislang publizierten prospektiv, ran-
Die Datenlage für die Ergebnisse nach Behandlung der domisierten Studien mit längerem Follow up beträgt die
Varikose mit Radiofrequenzobliteration ist relativ gut. Es Rekanalisationsrate zwischen 0% und 20% bei 2–36 Mona-
liegen zahlreiche retrospektive Analysen vor, zusätzlich ten postoperativ. Hieraus errechnet sich eine durchschnitt-
existieren fünf prospektiv, randomisierte kontrollierte Stu- liche Rekanalisationsrate von 12,9% bei einem durch-
dien über Radiofrequenzobliteration versus Crossektomie schnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 18,5 Mona-
und Stripping bzw. endovenöse Lasertherapie (Peralä 2005; ten (Noppeney 2008) (. Tab. 28.2).
28 Lurie 2005, Rautio 2002, Morrison 2005, Stötter 2005), wo- In ihrer Metaanalyse gibt van den Bos (2009) die Er-
bei die Studie von Stötter nur den perioperativen Zeitraum folgsrate der Radiofrequenzoblitertion mit 84% (75–90%)
bis sechs Wochen auswertet. Bislang sind drei Metaana- nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von
lysen und eine Übersichtsarbeit publiziert (Schmedt 2006, 32,2 Monaten an. In die Analyse zur RFO wurden 19 pub-
Lübke 2008, Noppeney 2008, van den Bos 2009). lizierte Studien mit 2514 behandelten Extremitäten einge-
In allen analysierten Studien wurden die behandelten schlossen.
Extremitäten sowohl perioperativ als auch während des Die Verschlussraten nach Radiofrequenzobliteration
Follow-ups mittels Duplexsonographie nachuntersucht. bleiben über die Jahre stabil (Merchant 2005). Dies unter-
. Tab. 28.1. Rekanalisationsraten nach Radiofrequenzobliteration; retrospektive Studien und prospektive klinische Datenbank nach
VNUS Closure Plus® (Noppeney 2008)
. Tab. 28.2. Rekanalisationsraten nach Radiofrequenzobliteration; prospektiv, randomisierte Studien VNUS Closure Plus®
(Noppeney 2008)
scheidet das Verfahren deutlich von der endovenösen La- lität untersucht. Die Lebensqualität und die einzelnen Un-
sertherapie, die steigende Rekanalisationsraten mit zuneh- terparameter wurden mit Hilfe des CIVIQ 2-Fragebogens
menden Follow-up zu verzeichnen hat. untersucht. Der CIVIQ 2 wurde speziell für Patienten mit
Für RFITT® sind bislang nur Kurzzeitergebnisse pub- chronischen Venenerkrankungen entwickelt und validiert
liziert, die eine Verschlussrate der VSM in Höhe von 90% (Launois 1996). Der Fragebogen untersucht 4 Dimen-
nach 103 Tagen ergeben haben (Camci 2009). In einem sionen: Schmerz, physische Aktivitäten, soziales Leben
anderen Kollektiv betrug die Verschlussrate nach 12 Mo- und psychisches Wohlbefinden.
naten 97% (Zierau 2009). In der EVOLVES-Studie schnitten die Patienten mit Ra-
Für das weiterentwickelte VNUS Closure Fast® Verfah- diofrequenzobliteration im Vergleich zu Patienten mit klas-
ren sind die 6 Monatsergebnisse einer prospektiven, multi- sischer Varizenoperation hinsichtlich der Schmerzsympto-
zentrischen europäischen Studie veröffentlicht worden. Die matik sowohl perioperativ (72 h, 1 Woche) als auch 1 und
Verschlussrate lag hier bei 99,6% (Pröbstle 2008). Die Nach- 2 Jahre postoperativ signifikant (p < 0,05) besser ab (Lurie
untersuchungen nach 12 und 24 Monaten dieser Studie 2005). Auch hinsichtlich der sozialen Funktionen bestand
sind abgeschlossen. 12 Monate postoperativ ergab sich eine ein signifikanter Unterschied (p < 0,05) zu Gunsten der Pa-
Verschlussrate bei 223 nachuntersuchten Extremitäten von tienten nach Radiofrequenzobliteration, perioperativ bis zu
96,7%, nach 24 Monaten von 94,1% (. Abb. 28.4). 3 Wochen im Vergleich zu Patienten nach Crossektomie
In einem hohen Prozentsatz ist die behandelte Vene und Stripping. Die Lebensqualität global gemessen war
duplexsonographisch 12 bzw. 24 Monate postoperativ ebenfalls signifikant besser für die Radiofrequenzgruppe,
nicht mehr nachweisbar. perioperativ (p < 0,01) als auch 1 (p < 0,01) und 2 Jahre
Die Angaben hierzu bewegen sich zwischen 40% und (p < 0,05) postoperativ (. Abb. 28.5). Hinsichtlich der psy-
86% für das Closure Plus® Verfahren (Lurie 2005, Pichot chischen Parameter schnitten die radiofrequenzobliterierten
2004). Auch in der europäischen Multicenterstudie für das Patienten besser ab als die Strippingpatienten, die Unter-
Closure Fast® Verfahren war in einem hohen Prozentsatz schiede waren jedoch nicht statistisch signifikant.
die VSM bereits 12 Monate postoperativ nicht mehr sicht- 80,5% der Patienten in der Gruppe nach Radiofrequen-
bar. zobliteration waren innerhalb eines Tages zu ihren norma-
Die Erfolgsraten der Perforansvenenausschaltung mit len täglichen Aktivitäten zurückgekehrt, in der Gruppe
Radiofrequenzobliteration werden mit 75–80% angegeben nach Crossektomie und Stripping waren dies nur 46,9%
(Peden 2007). der Patienten (p < 0,01).
Die Verbesserung der Lebensqualität und die Dauer der Auch Lübke (2008) bestätigt in seiner Metaanalyse eine
Arbeitsunfähigkeit, als auch die Veränderungen des Venous generelle Verbesserung der Lebensqualität für Patienten,
Clinical Severity Scores (VCSS) nach Radiofrequenzobli- die mit Radiofrequenzobliteration behandelt wurden.
teration wurden in mehreren Studien analysiert. In der RECOVERY-Studie wurde das VNUS Closure
In zwei, prospektiv randomisierten Studien, der Fast® Verfahren mit endovenöser Lasertherapie verglichen
EVOLVES-Studie (Lurie 2005) und der RECOVERY-Stu- (940 nm-Laser). Auch hier zeigte sich eine signifikante
die (Almeida 2009) wurden neben den Verschlussraten, Verbesserung der Lebensqualität (p = 0,045) im Vergleich
perioperativen Komplikationen vor Allem die Lebensqua- zu den Laserpatienten. Die radiofrequenzobliterierten Pa-
348 Kapitel 28 · Endovenöse Techniken
tienten hatten signifikant weniger Schmerzen, Verhärtun- tiv festgestellt werden (. Abb. 28.6). Eine deutliche Verbes-
gen und unerwünschte Ereignisse (Almeida 2009). serung des VCSS nach Radiofrequenzobliteration konnte
In der EVOLVES-Studie wurde zusätzlich die Zeit bis auch in der RECOVERY-Studie erreicht werden. Der Unter-
zur Aufnahme der Arbeit gemessen. Die Radiofrequenz- schied war signifikant besser im Vergleich zu den Patienten
obliterierten kehrten durchschnittlich 7,7 Tage früher an nach endovenöser Laserbehandlung (Almeida 2009).
den Arbeitsplatz zurück, als Patienten nach Venenstrip- Trotz höherer Materialkosten und technischem Auf-
ping. Auch dieser Unterschied war statistisch signifikant wand gibt es Hinweise, dass auf Grund der verkürzten Ge-
(p < 0,05; Lurie 2005). Lübke fand in seiner Metaanalyse nesungsphase und schnellerer Aufnahme der täglichen
ebenfalls Unterschiede zu Gunsten früherer Arbeitsauf- Aktivitäten, bzw. deutlich verkürzter Arbeitsunfähigkeit,
nahme für die mit Radiofrequenzobliteration behandelten die RFO insgesamt kostengünstiger ist als eine Stripping-
Patienten (Lübke 2008). operation (Rautio 2002). Dies deckt sich auch mit unseren
In der europäischen, multizentrischen VNUS Closure eigenen Kalkulationen, nach denen in Deutschland bei
Fast® Studie wurde der so genannte Venous Clinical Seve- konsequenter Anwendung der RFO zur Therapie der Vari-
rity Score (VCSS) analysiert. Der VCSS wurde im Ameri- kose und damit Verschiebung vom stationären in den am-
can Venous Forum zur Erfassung des klinischen Schwere- bulanten Bereich Kosteneinsparungen für die Krankenkas-
grades der Varikose entwickelt und erstmals 2000 publi- sen in Höhe von ca. 58 Mio. € erzielt werden können. Durch
ziert (Rutherford 2000) (7 Kap. 15). die schnellere Aufnahme der Arbeit könnten über 400.000
Es werden Schmerz, das Bestehen von Krampfadern, Tage Arbeitsunfähigkeitszeit pro Jahr eingespart werden.
venöses Ödem, Pigmentierung, Entzündung, Induration
und Zahl der Ulzerationen erfasst. Daneben Dauer der Ul-
zeration, Ulkus-Größe und Kompressionstherapie. 28.1.4 Zusammenfassung
In der europäischen Closure Fast® Studie konnte eine
deutliche Verbesserung des VCSS bereits 3 Monate post- Mit der Radiofrequenzobliteration liegt ein mittlerweile gut
operativ und eine weitere Verbesserung 1 Jahr postopera- etabliertes, wenig invasives Therapieverfahren zur Behand-
28.2 · Endovenöse Laserablation
349 28
lung der Stammvarikose vor. Die Ergebnisse des Verfahrens Pichot O, Kabnick L, Creton D, et al (2004) Duplex ultrasound findings
two years after great saphenous vein radiofrequency endovenous
sind in der Literatur relativ gut dokumentiert, Ergebnisse
obliteration. J Vasc Surg; 39: 189–95
bis zu 5 Jahren postoperativ sind beschrieben. Eine deut- Pröbstle T, Vago B, Alm J et al (2008) Treatment of the incompetent
liche Verbesserung in den Ergebnissen erfuhr das Verfahren great saphenous vein by endovenous radiofrequency powered
durch die Einführung des VNUS Closure Fast® Systems, segmental thermal ablation: First clinical experience. J Vasc Surg;
mit dem, zumindest im Verlauf bis zu 24 Monate postope- 47: 151–6
Rautio T, Ohinmaa A, Perälä J et al (2002) Endovenous obliteration
rativ, bessere Ergebnisse, als mit dem VNUS Closure Plus®
versus conventional stripping operation in the treatment of pri-
erreicht werden können. mary varicose veins : A randomized controlled trial with com-
Weiterhin kann man feststellen, dass sich die Lebens- parison of the costs. J Vasc Surg; 35: 958–65
qualität global als auch in nahezu allen Unterparametern Rutherford RB, Padberg FT, Comerota AJ et al (2000) Venous Severity
signifikant für die Patienten nach Radiofrequenzoblitera- Scoring; an adjunct to venous outcome assessment. J Vasc Surg;
31: 1307–1312
tion im Vergleich zu Crossektomie und Stripping oder en-
Schmedt CG, Steckmeier BM (2006) Endoluminale Radiofrequenz
dovenöser Lasertherapie verbessert. Diese Unterschiede und Lasertherapie zur Therapie der Stammveneninsuffizienz; in
bestanden auch 1 und 2 Jahre postoperativ. Weitere Para- Marshall/Breu (Hrsg.) – Handbuch der Angiologie, 15. Erg.-Lfg.12
meter, wie Rückkehr zu den täglichen Aktivitäten und Stötter L, Schaf I, Bockelbrink A (2005) Radiowellenobliteration, in-
Dauer der Arbeitsunfähigkeit, wiesen ebenfalls signifi- vaginierendes Stripping oder Kryostripping – Welches Verfahren
belastet den Patienten am wenigsten? Phlebologie 34: 19–24
kante Vorteile für die Patienten nach Radiofrequenzobli-
Schmedt CG, Sroka R, Steckmeier B et al. (2006) Investigation on radio-
teration im Vergleich zu anderen operativen Verfahren frequency and laser (980nm) effects after endoluminal treatment
auf. of saphenous vein insufficiency in an ex-vivo model. Eur J Vasc
Wichtig für die erfolgreiche Anwendung des Verfahrens Endovasc Surg; 32: 318–25
ist sicher die genaue Indikationsstellung, das heißt für den van den Bos R, Arends L, Kockaert M et al (2009) Endovenous therapies
of lower extremity varicosities: A meta-analysis. J Vasc Surg; 49:
richtigen Patienten das richtige Verfahren auszuwählen.
230–239
Weiss R (2002) Comparison of endovenous radiofrequency versus
Literatur
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Almeida JI, Kaufmann J, Göckeritz O et al. (2009) Radiofrequency Dermatol Surg; 28: 56–61
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of great saphenous reflux: a multicenter single blinded rand- tion of varicose veins (VNUS Closure) vascular and endovascular
omized study (RECOVERY study) J Vasc Interv Radiol; 20: 752– challenges. 361–74
759 Zierau U (2009) Die endovenöse RFITT-Therapie bei Varicosis, ein neu-
Camci M, Harnoss B, Akkerskijk B et al (2009) Effizienz und Verträg- es Verfahren der interventionellen Phlebologie – Technik und
lichkeit der bipolaren Radiofrequenz Induzierten Thermotherapie erste Ergebnisse. Phlebologie; 38: 12–16
(RFITT) zur Behandlung insuffizienter Stammvenen; Phlebologie;
38: 5–11
Launois R, Reboul-Marty J, Henry B (1996) Construction and validation
of a quality of life questionnaire in chronic lower limb venous in- 28.2 Endovenöse Laserablation
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Lübke T, Brunkwall J (2008) Systematic review and meta-analysis of
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Lurie F, Creton D, Eklof B et al (2005) Prospective randomised study of 28.2.1 Einleitung
endovenous radiofrequency obliteration (Closure) versus ligation
and vein stripping (EVOLVES) : two-year follow-up; Eur J Vasc
Den therapeutischen Ansatz der bipolaren endovenösen
Endovasc Surg ;29 :67–73
Merchant R, Pichot O (2005) for the Closure study group Long-term
Radiofrequenztherapie (VNUS ClosurePLUS®) aufgreifend,
outcomes of endovenous radiofrequency obliteration of saphe- wurde kurze Zeit nach der endovenösen Radiofre-
nus reflux as a treatment for superficial venous insufficiency; quenztherapie auch die endovenöse Lasertherapie (ELT) zur
J Vasc Surg; 42: 502–9 Behandlung der Varikosis als medizinische Therapie zuge-
Morrison N (2005) Saphenous ablation: what are the choices, laser or
lassen. Erste Berichte über klinische Ergebnisse der ELT
RF energy Semin Vasc Surg;18:15–8
Noppeney T, Noppeney J, Winkler M (2008) Update der Ergebnisse
wurden von Boné (Boné 1999) und Navarro (Navarro 2001)
nach Radiofrequenzobliteration zur Ausschaltung der Varikose. publiziert. Wie die Radiofrequenztherapie hat auch die ELT
Gefäßchirurgie;13:258–264 das Ziel insuffiziente Stammvenen hämodynamisch auszu-
Peden E, Lumsden A (2007) Radiofrequncy ablation of incompetent schalten. Dies soll durch thermische Alteration der Venen-
perforator veins. Perspec Vasc Surg Endovasc Ther; 19: 73–77
wand mit konsekutiver Obliteration der behandelten Vene
Perälä J, Rautio T, Biancorie F, et al (2005) Radiofrequency endovenous
obliteration versus stripping of the long saphenous vein in the
erreicht werden. Beide endothermischen Verfahren werden
management of primary varicose veins; 3-year outcome of a ran- überwiegend ambulant in Lokalanästhesie (Tumeszenzan-
domized study. Ann Vasc Surg;19:1–4 ästhesie) und meist ohne Crossektomie durchgeführt.
350 Kapitel 28 · Endovenöse Techniken
28.2.2 Physikalische Prinzipien Verlauf auf, so ist eine Sondierung mit dem Schleusen-
system oft nicht möglich. Große Venendurchmesser
Wie bei der endovenösen Radiofrequenztherapie wird (> 20 mm) können ebenfalls als relative Kontraindikation
auch bei der endovenösen Lasertherapie (ELT) das Gewebe angesehen werden, da hier die adäquate gleichmäßige zir-
durch die Anwendung elektromagnetischer Wellen erhitzt. kuläre thermische Alteration der Venenwand erschwert ist.
Diese befinden sich jedoch nicht im Wellenlängenbereich Von manchen Autoren wird die Unverträglichkeit von
der Radiowellen sondern im Wellenlängenbereich des nicht-steroidalen antiinflammatorischen Medikamenten
Lichtes (Photonen). Lasergeneratoren emittieren mono- ebenfalls als relative Kontraindikation gesehen, da eine an-
chromatisches Licht mit Wellenlängen, welche vom ver- algetische Therapie aufgrund der beobachteten postopera-
wendeten Lasermedium abhängig sind. Das Laserlicht tritt tiven Phlebitis häufig notwendig ist (Ravi 2006, Elmore
parallel aus dem Generator aus, ist damit gut fokussierbar, 2008). Erhöhtes Alter (> 70 Jahre) mit entsprechend er-
kann über flexible Lichtwellenleiter transportiert und so höhter Co-Morbidität scheint per se keine Kontraindika-
exakt auf das Zielgewebe appliziert werden. Laserlicht wird tion darzustellen. Auch eine perioperativ fortgeführte
28 in der Medizin seit Jahren zur Koagulation und Ablation orale Antikoagulation mit Cumarinpräparaten wird nicht
von Gewebe bei verschiedenen Indikationen angewendet. als absolute Kontraindikation angesehen, einige Autoren
Bei der endovenösen Anwendung wird das Laserlicht sehen gerade bei diesen Patienten einen besonderen Vor-
mit einem flexiblen Lichtwellenleiter über ein Schleusen- teil der ELT (Elmore 2008, Theivacumar 2009). In einer
system in das Venenlumen geleitet. In Abhängigkeit von prospektiven Untersuchung über das strukturierte Screen-
der benutzten Laserwellenlänge und der Absorptions- ing aller Patienten mit einer Indikation zur operativen
kennlinie des primären Targetmoleküls im Gewebe (z. B. Sanierung des epifaszialen Venensystems waren rund 60%
Wasser oder Hämoglobin) wird die Laserenergie absor- der Patienten ohne Einschränkungen für ein endovenöses
biert und in Wärmeenergie umgewandelt. Die Gewebe- Therapieverfahren geeignet (Sharif 2006).
erhitzung führt dann zur Zelldestruktion und Kollagen-
denaturierung. Die einzelnen physikalischen Absorptions-
und Erhitzungsmechanismen der Venenwandstrukturen 28.2.4 Behandlung der V. saphena magna
im Rahmen der ELT sind noch nicht vollständig unter-
sucht und verstanden. Im Rahmen der präoperativen Diagnostik sollte zur Be-
Zur endovenösen Lasertherapie stehen Lasersysteme rechnung der adäquaten Energiedichte eine Messung der
verschiedener Hersteller zur Verfügung. Derzeit werden Venendurchmesser durchgeführt werden.
Lasersysteme mit den Wellenlängen (λ) im infraroten Prinzipiell kann die ELT als ambulanter Eingriff aus-
Spektralbereich (810 nm, 940 nm, 980 nm, 1064 nm, schließlich in Lokalanästhesie (Tumeszenzanästhesie)
1320 nm und 1470 nm) klinisch angewendet. Licht dieser durchgeführt werden. Bei simultaner chirurgischer Sanie-
Wellenlängen ist für das menschliche Auge nicht sichtbar. rung insuffizienter Perforansvenen oder multipler varikö-
Zur Orientierung wird zusätzlich auch sichtbares Licht als ser Seitenäste kann auch eine Allgemeinanästhesie oder
Pilotstrahl emittiert. Bei den meisten Systemen wird eine Spinalanästhesie sinnvoll sein. Die V. saphena magna kann
am distalen Faserende senkrecht geschliffene Glasfaser als in gesamter Länge, also von der sapheno-femoralen Mün-
Bare Fiber mit einem Durchmesser von 200–600 μm über dung bis zum distalen Unterschenkel mittels ELT behan-
ein 5French-Schleusensystem in die Vene eingeführt. delt werden. Allerdings ist insbesondere am Unterschenkel
auf eine adäquate Tumeszenz und Lichtdosimetrie zu ach-
ten, um bei enger Nachbarschaft des N. saphenus postope-
28.2.3 Indikationen und Kontraindikationen rative Parästhesien zu vermeiden.
Die intraoperative Anwendung der Sonographie ist in-
Prinzipiell gelten für die endovenöse Lasertherapie (ELT) tegraler Bestandteil der ELT-Behandlung. Die Verwen-
die gleichen Indikationen und Kontraindikationen wie für dung einer Injektionspumpe zur Anlage der perivenösen
die konventionelle operative Sanierung insuffizienter Tumeszenz hat sich aufgrund der besseren Dosierung und
Stammvenen mit Crossektomie und Stripping. Zeitersparnis bewährt. Der Lasergenerator sollte in adä-
Als Kontraindikation für endovenöse thermische Ver- quater Reichweite zur Überwachung durch den Operateur
fahren wird die akute aszendierende Thrombophlebitis der und zur Bedienung durch Assistenzpersonal positioniert
Stammvene angesehen. Weiterhin ist die ELT nicht optimal sein. Aus Gründen der Lasersicherheit sollte sich zwischen
möglich, wenn postphlebitische Stenosen, segmentale Lasergenerator und Patient kein Personal aufhalten, hier-
Obliterationen oder ausgeprägte aneurysmatische Aufwei- durch wird die Gefahr eines Faserbruches mit unkontrol-
tungen der zu behandelnden Stammvene vorliegen. Weist liertem Austritt von Laserlicht minimiert. Eine sinnvolle
die Stammvene einen ausgeprägten meanderförmigen Anordnung der am Eingriff beteiligten Personen und der
28.2 · Endovenöse Laserablation
351 28
. Abb. 28.7. Anordnung des Personals und der Geräte zur endo-
venösen Lasertherapie
Insgesamt ist die Fallzahl dieser Studien eher gering stalten, befindet sich die ELT weiterhin in einem dyna-
und die Nachbeobachtungzeiten liegen zwischen 2 und mischen Entwicklungsprozess, dessen Ende derzeit noch
12 Monaten, eine abschließende Beurteilung des Lang- nicht abzusehen ist. Um Karbonisierung, extreme Erhit-
zeitergebnisses der ELT ist somit derzeit nicht möglich. zung der Faserspitze, akzentuierte Gewebealterationen mit
Zusammenfassend dokumentieren die Studien zumindest Venenperforationen und andere unerwünschte Gewebe-
initial eine effektive Elimination des epifaszialen Refluxes effekte zu vermindern, werden verschiedene Modifika-
nach endovenöser Lasertherapie bei niedrigem Nebenwir- tionen der Behandlung evaluiert. Offenbar kann bei der
kungsprofil. Die ELT führt in der Mehrzahl der Studien zu Verwendung von Lasersystemen, die Laserlicht mit länge-
geringeren postoperativen Schmerzen und einer schnel- ren Wellenlängen (λ= 1340 nm und λ = 1470 nm) emittie-
leren Rekonvaleszenz im Vergleich zur Strippingoperation, ren, eine Reduktion unerwünschter Gewebeeffekte beob-
allerdings sind die Ergebnisse einzelner Studien teilweise achtet werden (Proebstle 2005, Pannier 2009, Maurins
widersprüchlich. 2009). Bei diesen Wellenlängen wird die Energie haupt-
Mit dem Verzicht auf eine Crossektomie verlassen die sächlich im Wasser absorbiert und damit eher im Zyto-
28 endovenösen Therapieverfahren die bisher geltenden Vor- plasma der Venenwandzellen als im Hämoglobin der
gaben zur operativen Sanierung insuffizienter Stamm- Erythrozyten in Wärme umgewandelt.
venen. Ob der Verzicht auf eine Crossektomie im Langzeit- Experimentelle und klinische Untersuchungen konnten
verlauf zu einer erhöhten Inzidenz eines erneuten epifas- zeigen, dass insbesondere die endovenöse Lichtapplikation
zialen Refluxes im Bereich der behandelten Strombahn mit einer plan geschliffenen Bare Fiber ungünstige Eigen-
führt oder sogar positive Effekte hat (z. B. eine Reduktion schaften aufweist (Schmedt 2006, Schmedt 2007, Vuylsteke
von Neovaskularisationen am sapheno-femoralen Über- 2008). Im Rahmen umfangreicher experimenteller Unter-
gang), müssen weitere kontrollierte Studien und insbeson- suchungen wurden zirkulär abstrahlende Laserlichtappli-
dere weitere Nachuntersuchungen der bereits randomi- katoren entwickelt (. Abb. 28.11) und für die ELT-Behand-
sierten Patienten zeigen. lung standardisiert getestet (Beck 2008, Blagova 2008).
Diese Modifikation der Lichtapplikation ermöglicht
eine gleichmäßige zirkuläre zylindrische thermische Alte-
28.2.10 Aktuelle Entwicklungen ration der Venenwand ohne signifikante Karbonisierungen,
der endovenösen Lasertherapie Ablationen oder Perforationen. Erste klinische Anwen-
dungen unter kontinuierlichem Rückzug dieses Lichtappli-
Während mit der endovenösen Radiofrequenztherapie kators bestätigten die effektive Okklusion der insuffizienten
durch die Implementierung von Feedback-Mechanismen Stammvenen ohne thermische Nebenwirkungen (Schmedt
mit automatischer, generatorgesteuerter Regulation der 2008).
Energiedichte und standardisierten Behandlungsproto- Ein weiterer radial abstrahlender Lichtwellenleiter
kollen bereits reproduzierbare definierte Gewebeschäden (ELVeS Radial) wurde von der Firma Biolitec entwickelt
erzeugt werden, sind die Auswirkungen der ELT auf das
Gewebe und damit auf das klinische Ergebnis offenbar
sehr unterschiedlich (Schmedt 2006). Die ELT ist durch die
Verwendung unterschiedlicher Wellenlängen, Rückzugs-
protokolle und Energiedichten kaum standardisiert. Feed-
back-Mechanismen, durch welche die adäquate Energie-
dichte bei der ELT gesteuert werden könnte, fehlen. Dies
erschwert die adäquate Licht-Dosierung für eine suffi-
ziente thermischen Alteration des Gewebes.
Neben umschriebenen Ablationen von Venenwand-
strukturen können auch transmurale Schädigungen mit
Wandperforationen beobachtet werden (Schmedt 2007).
Diese können klinisch relevante Folgen wie Ekchymosen
und postoperative Schmerzen haben. Andererseits hinter-
lässt eine lokal akzentuierte, nicht komplett zirkuläre ther-
mische Alteration der Venenwand auch nur gering lokal
. Abb. 28.11. Prototyp eines zirkulär abstrahlenden zylind-
geschädigte Wandareale, was zu einer höheren Inzidenz
rischen Lichtapplikators (Diffusor) zur endovenösen Laserthera-
von Non-Okklusion oder Rekanalisierung führen kann. pie. (Mit freundlicher Genehmigung der Fa. Curalux und des Laser-
Um diese Nachteile zu beseitigen und die endother- forschungslabors Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-
mische Okklusion effektiver und reproduzierbarer zu ge- Universität München)
28.2 · Endovenöse Laserablation
357 28
und den offenen chirurgischen Therapieverfahren zu ver-
gleichen.
Literatur
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Italian Endovenous-laser Working Group (IEWG). Rationale, and
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venösen Lasertherapie. ELVeS Radial, Entwicklung der Firma Bio- process. Med Laser Application 22:242–247
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Bush RG, Hammond K (2007) Treatment of incompetent vein of Giaco-
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treatment of varicose veins. J Vasc Surg. 2009 Sep 24. [Epub ahead
handlungen mit diesem Lichtapplikator unter Verwendung
of print]
eines λ = 1470 nm Lasergenerators deuten auf ein nied- Darwood RJ, Theivacumar N, Dellagrammaticas D, Mavor AI, Gough MJ
riges Nebenwirkungsprofil bei sehr guter Effektivität mit (2008) Randomized clinical trial comparing endovenous laser ab-
hoher Verschlussrate hin (Maurins 2008, Soracco 2009). lation with surgery for the treatment of primary great saphenous
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Darwood RJ, Gough MJ (2009) Endovenous laser treatment for un-
complicated varicose veins. Phlebology 24 Suppl 1:50–61
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Trotz guter klinischer Ergebnisse mit effektiver und great saphenous vein in patients with primary varicose veins.
schmerzarmer Okklusion der insuffizienten Stammvenen Dermatol Surg 31:1685-94.
Desmyttère J, Grard C, Wassmer B, Mordon S (2007) Endovenous
werden nach endovenöser Lasertherapie auch uner-
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kanalisationen beobachtet. Diese sind vorwiegend auf fo- Disselhoff BCVM, der Kinderen DJ, Moll FL (2005) Is there recanaliza-
kal akzentuierte thermische Läsionen der Venenwand mit tion of the great saphenous vein 2 years after endovenous laser
transmuralen Gewebeablationen und Perforationen bzw. treatment. J Endovasc Ther 12:731–738
Elmore FA, Lackey D (2008) Effectiveness of endovenous laser treat-
Venensegmenten mit geringer thermischer Alteration zu-
ment in eliminating superficial venous reflux. Phlebology 23:21–
rückzuführen. Durch systematische experimentelle Unter- 31
suchungen und Analysen klinischer Ergebnisse konnte Kalteis M, Berger I, Messie-Werndl S, Pistrich R, Schimetta W, Pölz W,
in den vergangenen Jahren das Verständnis über die Zu- Hieller F (2008) High ligation combined with stripping and endo-
sammenhänge zwischen endovenöser Laserapplikation venous laser ablation of the great saphenous vein: Early results of
a randomized controlled study. J Vasc Surg 47:822–9
und klinischem Ergebnis erweitert werden. Dies hat zu
Kim HS, Nwankwo IJ, Hong K, McElgunn PS (2006) Lower energy endo-
einer kontinuierlichen Entwicklung und Optimierung der venous laser ablation of the great saphenous vein with 980 nm
ELT geführt. Insbesondere die endovenöse Lasertherapie diode laser in continuous mode. Cardiovasc Intervent Radiol
unter kontinuierlichem Rückzug des Lichtwellenleiters, 29:64–69
die Verwendung von Lasergeneratoren mit längeren Wel- Kontothanassis D, Di Mitri R, Ferrari Ruffino S, Ugliola M, Labropoulos
N, IEWG Group (2007) Endovenous thermal ablation. Standardiza-
lenlängen und die Verwendung von radial abstrahlenden
tion of laser energy: literature review and personal experience. Int
Lichtwellenleitern scheinen das Nebenwirkungsprofil und Angiol 26:183–8
die Okklusionsrate positiv zu beeinflussen. Die ELT kommt Luebke T, Brunkwall J (2008) Systematic review and meta-analysis of
damit dem Ziel in Richtung einer Standardisierung eines endovenous radiofrequency obliteration,endovenous laser ther-
optimalen Behandlungsprotokolls immer näher. Aller- apy, and foam sclerotherapy for primary varicosis. J Cardiovasc
Surg (Torino) 49:213–33
dings sind neue kontrollierte Studien erforderlich, um die
Maurins U (2008) ELVeS 360 – Einsatz radial abstrahlender Laser-
in Kohortenstudien dargestellten guten Ergebnisse der sonden zur Behandlung der Veneninsuffizienz: Klinische Ergeb-
optimierten ELT zu untermauern und um die optimierte nisse und Bewertung. Präsentation 50. Jahrestagung der Deut-
ELT mit anderen aktuellen endothermischen Verfahren schen Gesellschaft für Phlebologie, Bochum, 17. Oktober 2008.
358 Kapitel 28 · Endovenöse Techniken
Maurins U, Rabe E, Pannier F (2009) Does laser power influence the Soracco JE, López D‘Ambola JO (2009). New wavelength for the endo-
results of endovenous laser ablation (EVLA) of incompetent vascular treatment of lower limb venous insufficiency. Int Angiol
saphenous veins with the 1470nm diode laser? A prospective ran- 28:281–288
domized study comparing 15 and 25 W. Int Angiol 28:32–37 Theivacumar NS, Dellagrammaticas D, Mavor AI, Gough MJ (2007)
Min RJ, Khilnani NM (2005) Endovenous laser ablation of varicose Endovenous laser ablation (EVLA) of great saphenous vein to
veins. J Cardiovasc Surg 46:395–405 abolish »paradoxical reflux« in the Giacomini vein: a short report.
Navarro L, Min RJ, Bone C. (2001) Endovenous laser: a new minimally Eur J Vasc Endovasc Surg 34:229–231
invasive method of treatment for varicose veins-preliminary ob- Theivacumar NS, Darwood R, Gough MJ (2009). Neovascularisation
servations using an 810 nm diode laser. Dermatol Surg 27:117– and recurrence 2 years after varicose vein treatment for sapheno-
22 femoral and great saphenous vein reflux: a comparison of surgery
Nwaejike N, Srodon PD, Kyriakides C (2009) 5-years of endovenous and endovenous laser ablation. Eur J Vasc Endovasc Surg 38:203–
laser ablation (EVLA) for the treatment of varicose veins – a pro- 207
spective study. Int J Surg 7:347–9 Theivacumar NS, Gough MJ (2009). Arterio-venous fistula following
Pannier F, Rabe E, Maurins U (2009) First results with a new 1470nm endovenous laser ablation for varicose veins. Eur J Vasc Endovasc
diode laser for endovenous ablation of incompetent saphenous Surg 38:234–236
29 Konservierende Verfahren
in der Varizenchirurgie
Einleitung – 360
H. Nüllen, T. Noppeney
29 29.1.3 Ergebnisse
. Abb. 29.3. Sukzessives Einengen des Durchmessers der Vena
saphena magna bis zum Sistieren des Blutaustrittes aus der Indi- Aufgrund der Selektion der Patienten und fehlender ran-
katorvene. Hierzu wird der Valvuloplastie-Patch mit Klemmchen
gefasst
domisierter Studien sind die Ergebnisse der extralumina-
len Valvuloplastie derzeit nur eingeschränkt vergleichbar
mit denen herkömmlicher Behandlungsmethoden.
Falls es nicht gelingt, die Verschlussfunktion der proxi- In nach unterschiedlichen Kriterien selektionierten
malen Schleusenklappen wiederherzustellen, wird anstelle Kollektiven monozentrischer Studien wurde über Langzeit-
der Valvuloplastie eine Crossektomie vorgenommen. ergebnisse mit einem follow up von bis zu 15 Jahren be-
richtet. Die australische Arbeitsgruppe um Lane berichtete
Tipp über 1516 Valvuloplastien der Vena saphena magna mit
einer silikonverstärkten Dacronmanschette (Venocuff,
Mit Hilfe einer nicht ligierten Seitenastvene (Indika-
AllVascular Pty Ltd, Sydney, Australien). Etwa 5 Jahre nach
torvene) kann die Verschlussfunktion der vorgeschal-
der Implantation sei bei 90 % der Rekonstruktionen eine
teten Klappen überprüft werden. Der Austritt von Blut
intakte Funktion der Venenklappen festgestellt worden.
während eines Valsalva-Manövers zeigt den fehlenden
Die Autoren beschrieben eine Retonisierung der Vena
Klappenschluss an.
saphena magna, deren in Kniehöhe gemessener Durch-
messer sich von 6,9 mm auf 4,9 mm verringert habe. Die
Gelingt die Beseitigung des Refluxes, wird der Valvuloplas- klinische Rezidivrate wurde für das 5-Jahres-Intervall mit
tie-Patch mit Einzelkopfnähten in Form einer Manschette 9% angegeben (Lane 2002).
Geier et al. publizierten die 5-Jahres-Ergebnisse nach
Valvuloplastie mit einer manuell zurechtgeschnittenen
Dacronmanschette und bestätigten die Retonisierung der
Stammvene. Nach 5 Jahren war der Venendurchmesser im
Mittel um 3 mm verringert. Weiterhin wurde eine signi-
fikante Verbesserung der Venenfunktion festgestellt. Die
venöse Wiederauffüllzeit war im Schnitt um 5 s verlängert.
88,5% der Rekonstruktionen zeigten einen zufriedenstel-
lenden Klappenschluss. Subjektive Beschwerden wie z. B.
Stauungsgefühle waren nach 5 Jahren noch signifikant ge-
bessert. Die Rezidivrate der Varikosis wurde mit 18,5%
angegeben (Geier 2004).
Das Verfahren der extraluminalen Valvuloplastie der
Vena saphena magna ist technisch einfach und von jedem
geübten Operateur anwendbar. Gleichwohl begründen die
. Abb. 29.4. Nach Fertigstellung der extraluminalen Valvuloplas- Überprüfungen der Klappenfunktion eine im Vergleich
tie resultiert eine trompetenförmige Verjüngung der Vena saphena zur Crossektomie und Strippingoperation um etwa 10 min
magna im Crossenbereich verlängerte Operationsdauer. Das Verfahren kann bei allen
29.2 · CHIVA
363 29
Patienten mit Stamminsuffizienz der Vena saphena magna 29.2.2 CHIVA-Konzept
eingesetzt werden, sofern keine Avalvulie besteht und die
Degeneration der Stammvene nicht zu weit fortgeschritten Die CHIVA-Methode basiert auf der Vorstellung von
ist. Insbesondere bei Patienten mit begleitender arterieller Franceschi, dass die Varikosis nicht generell eine primäre
Verschlusskrankheit oder durchgemachter tiefer Beinve- Erkrankung der Venenwand sei, sondern zumindest zum
nenthrombose stellt die Valvuloplastie eine interessante Teil auf der Basis einer hämodynamischen Störung ent-
Erweiterung des Therapiespektrums dar. standen sei. Franceschi schloss dies aus seinen Beobach-
tungen, dass:
Literatur 4 Varizen im Liegen oft nicht mehr zu erkennen sind.
Geier B, Voigt I, Barbera L, Marpe B, Stücker M, el Gammal S, Mumme 4 Varizen im Stehen bei Kompression des oberen Insuf-
A (2004) Extraluminale Valvuloplastie bei Stamminsuffizienz der
fizienzpunktes nicht mehr gefüllt sind (Trendelenburg,
V. saphena magna: Fünf-Jahres-Ergebnisse. Phlebologie; 33, 149–
155
Perthes).
Jessup G, Lane RJ (1998) Repair of incompetent venous valves: a new 4 Vasospasmen auch an varikösen Venen vorkommen.
technique. J Vasc Surg; 8: 569–575 4 eine Varikozele sich zurückbilden kann bei Ausschal-
Reuther T, Nordmeier R, el Gammal C, Altmeyer P, el Gammal S (1999) tung der V. spermatica (Bernadi 1942).
Durchmesser der Vena saphena magna in der Krossenregion bei
gesunden Venen und primärer Stammvarikosis. Phlebologie; 28:
48–52
Die Schlussfolgerung von Franceschi aus all dem war, dass
Labropoulos N, Giannoukas A, Delis K, Mansour M, Kang S, Nicolaides es zur Behandlung der Varikosis genügen müsse, die hämo-
A, Lumley J, Baker H (1997) Where does venous reflux start? J Vasc dynamischen Konsequenzen aus den Privatkreisläufen
Surg; 26: 736–742 nach Trendelenburg bzw. Rezirkulationskreisen nach Hach
Labropoulos N, Leon M, Nicolaides N, Giannoukas A, Volteas N, Chan P
zu ziehen und diese zu unterbrechen, ohne die Venen je-
(1994) Superficial venous insufficiency: correlation of anatomic
extent of reflux with clinical symptoms and signs. J Vasc Surg; 20:
weils zwingend entfernen zu müssen. Vielmehr sei es aus-
953–958 reichend, wenn man gleichzeitig eine Drainage der verblie-
Lane RJ, Cuzzilla M, Coroneos J (2002) The treatment of varicose veins benen Refluxstrecke nach distal hin erhalten könne. An-
with external stenting to the saphenofemoral junction. Vasc En- ders ausgedrückt:
dovasc Surg; 36: 736–742
Das Ziel bei CHIVA besteht darin,
Recek C (2001) Venous hemodynamics in the legs of healthy human
subjects and in primary varicose veins. Phlebologie; 30: 107–114
4 den Reflux zu unterbrechen (oberer Insuffizienzpunkt)
Sakurai T, Gupta P, Matsushita M, Nishikimi N, Nimura Y (1998) Corre- und
lation of the anatomical distribution of venous reflux with clinical 4 die Refluxstrecke zu belassen und
symptoms and venous hemodynamics in primary varicose veins. 4 durch das gleichzeitige Belassen eines unteren Draina-
Br J Surg; 85: 213–216
gepunktes (unterer Insuffizienzpunkt) ein Saphena-
Drainagesystem zu schaffen (Carandina et al. 2007).
29.2 CHIVA
29.2.3 Venennetze
H. Nüllen, T. Noppeney
Ausgehend von der Unterteilung des Venensystems der
unteren Extremitäten in ein oberflächliches und ein tiefes
29.2.1 Historie Venensystem und der Tatsache, dass die physiologische
Richtung des Blutflusses im Venensystem der unteren
Im Jahre 1988 wurde von Claude Franceschi eine Methode Extremitäten von der Oberfläche in die Tiefe führt und
zur operativen Behandlung der primären Varikose veröf- das Blut in der Tiefe schließlich zentralwärts fließt, unter-
fentlicht, die er als »Cure Conservative et Hémodynamique schied Franceschi 4 verschiedene Venennetze (. Abb. 29.5),
de l’Insuffisance Veineuse en Ambulatoire« bezeichnete die in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen
(Franceschi 1988). Aus dem Titel wurde das Akronym und die mit R1 bis R4 (R für Resaux = franz. Netze) be-
CHIVA abgeleitet. Die anfangs in Frankreich enthusias- zeichnet wurden. Die ursprünglichen Definitionen von
tisch aufgenommene Methode wurde dann dort schnell Franceschi wurden inzwischen mehrfach überarbeitet (s.a.
wieder wegen ausbleibender Erfolge weitgehend verlassen . Tab. 29.1)
und wird z. Z. in Frankreich noch in 5% der Fälle angewen- Unter physiologischen Bedingungen fließt nach dieser
det (Carandina et al. 2007). Anders in Spanien, wo angeb- Terminologie das Blut stets aus einem »höheren« Netz in
lich 50% der Fälle nach der CHIVA Methodik behandelt ein »niedrigeres« Netz, also z. B. R3 → R2 (z. B. Seitenast
werden (Carandina et al. 2007). In Deutschland konnte (SA) in die VSM) oder R2 → R1 (z. B. VSM in die V. femo-
sich die Methode bislang nicht durchsetzen. ralis) etc. Unter pathologischen Bedingungen in einer Re-
364 Kapitel 29 · Konservierende Verfahren in der Varizenchirurgie
R3 Seitenäste (epifaszial)
R4 R3 Venen, die zwei R2 Venen miteinander verbinden, . Abb. 29.5. Schematische Darstellung der Venennetze n.
z. Verbindungen zwischen der VSM und der VSP Franceschi. R1 tiefe Bein- und Perforansvenen; R2 »interfaszial« ver-
(transversale R4) oder Korbhenkelvenen z.B. von der laufende Gefäße; R3 epifasziale Gefäße (aus Mendoza 2007)
VSM in die VSM (longitudinale R4).
zirkulation fließt zum einen Blut aus einem »niedrigen« Protagonisten der Methode, nimmt diese Untersuchung,
29 Netz in ein »höheres« Netz, also z.B. R1 → R2 (z. B. V. femo- in geübter Hand, zwischen 20 und 40 min Zeit in Anspruch
ralis in die VSM), zum anderen muss aber, um den Kreis (Fichelle 1992).
zu schließen, an einer Stelle das Blut wiederum in der phy- Für die Zuordnung eines Befundes zu einem bestimm-
siologischen Richtung fließen, also von R3 → R2 (z. B. SA ten Shunt-Typ sind Regeln zu beachten.
in die VSM), von R3 → R1 (z. B. SA in eine Perforansvene) Bei der Bestimmung des unteren Drainagepunktes
oder von R2 → R1 (z. B. VSM in die V. femoralis). dürfen nur »gedehnte« Perforansvenen in Anspruch ge-
nommen werden.
Bei komplexen Rezirkulationskreisen wird für die Typi-
29.2.4 Rezirkulationskreise sierung die »Hauptrezirkulation« als Maßstab genommen.
und Shunt-Typen . Tab. 29.2 gibt einen Überblick über die verschiedenen
Shunt-Typen und ihre Häufigkeitsverteilung.
Auf der Basis dieser Einteilungen wurden 5 verschie-
dene Typen von Rezirkulationskreisen definiert, die in
der CHIVA-Terminologie als Shunt-Typen bezeichnet 29.2.5 Therapiekonzepte
werden. Zur Bestimmung des Shunt-Typs, aus der sich das
Therapiekonzept ableitet, ist eine genaue duplexsono- Folgend der Grundüberlegung von Franceschi, die Stamm-
graphische Flußanalyse notwendig. Nach Angaben von venen als Drainagesystem zu erhalten und den Reflux
VI Alle anderen Nicht näher klassifizierte Fälle, die den o.g. Typen
nicht zuzuordnen sind.
zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Lediglich bei ist im Einzelfall kaum zu beweisen und auch die hämody-
den Typen 4 und 5 war ein signifikanter Unterschied nach- namische Bedeutung der gegen die physiologische Fluss-
weisbar. Sieht man einmal von der Frage ab, ob es sinnvoll richtung erfolgenden Drainage für die tiefen Leitvenen ist
und erlaubt ist die Rezidivvarikose in der dargestellten Art unbeantwortet.
und Weise aufzuteilen, so kann man dies für die Typen 1 Aus methodischen Gründen muss darüber hinaus die
bis 3 noch akzeptieren, nicht jedoch für die Typen 4 und 5. Zulässigkeit der Wahl der Zielparameter Reflux und Rezi-
Der Rezidivtyp 4 kann nur im CHIVA-Kollektiv vorkom- divvarizen als Indikatoren für Erfolg oder Misserfolg beim
men, da eine Drainage in die VSM bei gestrippter Vene hier gewählten Methodenvergleich angezweifelt werden
natürlich unmöglich ist. Bei Typ 5 ist bereits die Definition (Nüllen et al. 2008).
problematisch, hierbei sollen Seitenastvarizen von mehr Die Sinnhaftigkeit oder gar ein überwiegender Nutzen
als 5 mm Durchmesser betrachtet werden, die keinen er- der Methode im Vergleich zu anderen operativen Metho-
kennbaren Abfluss aufweisen. Hier ist die Frage, ob es dies den zur Sanierung der Varikose ist somit auch weiterhin
überhaupt gibt. Man kann sich auch des Eindrucks nicht nicht belegt.
erwehren, dass diese Definition durch den Zusatz »without
any demonstrable escape points or change of compart- Literatur
29 ment« bereits sehr durch die CHIVA-Brille gesehen, ent- Capelli M, Molino Lova R, Ermini S, Turchi A, Bono G, Franceschi C
(1996) Comparison between the CHIVA cure and stripping in the
wickelt wurde. Bezogen auf die Gesamtquote an Rezidiven
treatment of varicose veins in the legs: follow-up of 3 Years. J Mal
wird ein signifikanter Unterschied zugunsten von CHIVA Vasc 21:40–46
(13 = 18% vs. 19 = 35%) angegeben. Die Autoren erwäh- Capelli M, Lova RM, Ermini S, Turchi A, Bono G, Bahnini A et al. (2000)
nen in der Diskussion der Ergebnisse zwar, dass der hohe Ambulatory conservative haemodynamic management of vari-
Dropout in der Strippinggruppe die abschließende Bewer- cose veins: critical analysis of results at 3 years. Ann Vasc Surg
14:376–384
tung signifikant beeinflusst haben könnte, dies hält sie
Carandina S, Mari C, de Palma M, Marcello MG, Cisno C, Legnaro A,
jedoch nicht davon ab den abschließenden Schluss zu Liboni A, Zamboni P (2007) Varicose vein Stripping vs Haemo-
ziehen, dass die Rezidivrate bei CHIVA geringer sei als dynamic Correction (CHIVA): a Long term Randomised Trial. Eur J
beim Stripping und das dies wahrscheinlich auf den Erhalt Vasc Endovasc Surg
der Stammvene zurückzuführen sei. Fichelle JM, Carbone P, Franceschi C (1992) Results of ambulatory and
hemodynamic treatment of venous insufficiency (CHIVA cure).
J Mal Vasc 17:224–228
Franceschi C (1988) Théorie et Pratique de la Cure Conservatrice et
29.2.7 Anmerkungen Hemodynamique de l’Insuffisance Veneuse en Ambulatoire.
Précy-sous-thill (Armancon)
Die zugängliche spärliche Literatur zu CHIVA aus den letz- Hach W, Girth E, Lechner W (1977) Einteilung der Stammvarikose der
V. saphena magna in vier Stadien. Phleb u Proktol; 6:116–123
ten Jahren stammt fast ausschließlich aus den gleichen
Hobbs JT, (1978) Surgery or sklerotherapy for varicose veins: 10 year
3 Arbeitsgruppen. Dies ist problematisch, denn wenn nur results of a random trial. Lancet 27:1149
die Protagonisten einer Methode über ihre Methode be- Mendoza E (2002) Die CHIVA Methode, ein Handbuch, Arrien Wunstorf
richten ist die objektive Bewertung schwierig. (ISBN: 3-00-009545-4)
Dem Grundgedanken bei CHIVA liegt die Überzeu- Mendoza E (2007) Duplexsonographie der oberflächlichen Beinvenen.
Steinkopff Darmstadt
gung zugrunde, dass die gestörte Hämodynamik bei der
Nüllen H, Noppeney T, Eisebitt E (2009) Zur Vergleichbarkeit von Me-
Varikose der wesentliche und primäre Faktor in der Ge- thoden in der Varizenchirurgie. Gefäßchirurgie 14:138–142
nese der Varikosis darstellt. Folgerichtig entwickelt sich
hieraus die Überzeugung, den Reflux aus der Tiefe des
Systems zu unterbrechen und die Refluxstrecke in der 29.3 Erhalt von venösem
Oberfläche nicht zu entfernen sondern hieraus durch Ver- Transplantationsmaterial
änderungen im Bereich der Zuflüsse und den Erhalt eines
distalen Abflusses, ein Drainagesystem (entgegen der phy- T. Noppeney, H. Nüllen
siologischen Flussrichtung) zu erhalten, würde das Prob-
lem der Varikose (hämodynamisch) lösen. Unter konservierenden Verfahren sollen hier die Opera-
Die Frage nach Henne oder Ei, Ursache oder Folge tionsverfahren zur Sanierung der Varikose verstanden
muss jedoch für die Varikose als ungeklärt gelten und alle werden, die am varikösen Prozess nicht oder nur gering
einseitigen Festlegungen müssen als spekulativ abgetan beteiligten Stammvenenabschnitte in situ belassen unter
werden. Die Bedeutung der morphologischen Veränderun- dem Aspekt des Erhalts von venösem Transplantationsma-
gen der Venenwand wird in der CHIVA-Literatur daher terial.
auch weitgehend ausgeklammert. Dass postoperativ die Die einfachste und am eindeutigsten definierte Metho-
Rezirkulation auf allen Ebenen wirklich unterbrochen ist, de ist die stadiengerechte Operation der Stammvenen, wie
29.3 · Erhalt von venösem Transplantationsmaterial
367 29
sie von Hach als Konsequenz aus seiner Definition der ver-
schiedenen Grade der Stammveneninsuffizienz abgeleitet . Tab. 29.4. Anteil der nachuntersuchten Patienten in den
drei Gruppen
wurde (Hach 1977). Die sich hieran anknüpfenden Fragen
in Bezug auf die Sinnhaftigkeit dieser Vorgehensweise Operationsart Operiert Nachunter-
sind: (n) sucht (n)
4 Häufigkeit der Insuffizienz des verblieben Segments in
Partielle Crossektomie der VSM 67 58
der Folgezeit
4 Verwendbarkeit des verbliebenen Segments zu Trans- Crossektomie und Stripping 25 22
plantationszwecken der VSM-Oberschenkel
4 Häufigkeit der Thrombose/Obliteration des verbliebe- Stripping VSM-Unterschenkel 28 25
nen Segments
Summe 120 105
. Tab. 29.3. Nachuntersuchung der partiell operierten Patienten, n=105 von 120 (87,5%)
Monate post-OP 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65
Farbkodierte Duplexsono- 1 5 12 9 15 14 9 12 15 5 5 3
graphie-Kontrollen
368 Kapitel 29 · Konservierende Verfahren in der Varizenchirurgie
29.3.4 Zusammenfassung
sätze haben u. a. auch Eingang gefunden in die immer Lungenembolie (LE) 87.685 100 0,114
wieder diskutierten Forderungen nach Mindestmengen
bei bestimmten Maßnahmen und Eingriffen, die gefor- Todesfälle 87.685 18 0,0204
n % n % n % n %
Intraoperative Komplikationen
Postoperative Komplikationen
KA = Keine Angaben
. Abb. 30.1. F.P.-Weber-Syndrom, das nicht diagnostiziert als Va- operativ auszuschalten. Zwischen a und c liegt ein Zeitraum von
rikosis operiert wurde (Stripping der VSM). Schwere Blutung und 15 Monaten. Letztlich zunächst Unterschenkel-, dann Oberschen-
postoperative Komplikationen. Rasches Fortschreiten der Grunder- kelamputation. Wieder starke Zunahme der Fisteln. Krankheitsver-
krankung trotz mehrerer Versuche die AV-Fisteln interventionell und lauf insgesamt 23 Jahre
30.2 · Fehler und Gefahren
375 30
. Abb. 30.2. AV-Fistel nach Unterbin-
dung und Umstechung der V. femoralis
und Situs mit teilexstirpierter V. femo-
ralis. a Präoperatives Angiogramm, b Intra-
operativer Situs, c Intraoperatives Rönt-
genbild
a b c
Es sollte zumindest die Ultraschall-Untersuchung und Ligatur oder Durchtrennung der Arterie oder der tiefen
ein hämodynamisch relevantes Messverfahren oder aber Venen der Fehler unmittelbar bemerkt wird. Eine Rekon-
ein Phlebogramm mit der von Hach beschriebenen Press- struktion der Blutstrombahn ist dann durch einen erfah-
phlebographie und entsprechender Stadienklassifikation renen Gefäßchirurgen stets möglich. Allerdings stellt ein
vor einer Varizenoperation obligat sein, um den Nachweis versehentliches Stripping der Arteria oder Vena femoralis
freier tiefer Venen und die ausreichende venöse Drainage- auch erfahrene Gefäßoperateure vor große Probleme. Bei
kapazität zu dokumentieren und um die insuffizienten von durchgeführter Exhairese der V. femoralis ist eine Rekon-
gesunden Venenanteilen für die Krampfaderoperation zu struktion immer unmöglich (. Abb. 30.2).
unterscheiden.
Bei antegradem Vorschieben der Sonde kann diese un-
bemerkt in die Vena femoralis abgleiten Eine fehlerhaf-
30.2.4 Unzureichende operative Technik te Ligatur der V. saphena magna an der Einmündung in
in der Venenchirurgie die V. femoralis kann bei zu langem Stumpf zu einer mehr
oder weniger ausgeprägten Rezidivvarikose führen, wenn
Dass ein Operateur über die Anatomie einschließlich die abgehenden Seitenäste des Venensterns nicht miter-
ihrer möglichen Varianten informiert sein muss, er- fasst werden. Schwerwiegender ist jedoch die Einengung
scheint selbstverständlich. In der Literatur und in gut- der V. femoralis durch eine zu knappe Ligatur. Bei einer
achterlichen Erfahrungsberichten tauchen jedoch immer Lumeneinengung von mehr als 30% hat dies erhebliche
wieder Berichte auf, die zeigen, dass Varianten im Gefäß- hämodynamische Auswirkungen. Eine Schwellneigung
verlauf nicht erkannt wurden und es deshalb schwerwie- des Beines wird stets zu erwarten sein, die Gefahr einer
gende Komplikationen die Folge waren. Die Mündungs- Thrombose ist erheblich.
verhältnisse der V. saphena magna und der V. saphena Mit ausgedehnteren Blutungen im Leistenniveau, der
parva stellen den Operateur gelegentlich vor Probleme. Poplitea oder beim Abriss großkalibriger Perforansvenen
Ohne auf die zahlreichen möglichen Einzelheiten ein- muss stets gerechnet werden. Dies gilt insbesondere für die
gehen zu können, sei der Hinweis erlaubt, dass nur exakt doch häufiger vorkommenden venösen Aneurysmen bzw.
identifizierte Gefäße durchtrennt werden dürfen. Ein ver- Venektasien. Gelegentlich kann trotz sorgfältiger Präpara-
sehentliches Stripping der V. poplitea und der V. femoralis tionstechnik die Einmündungsstelle selbst ausreißen. Für
lässt sich dann sicher vermeiden. Die Verwechslung der jede Blutung, insbesondere im Bereich der Leistenbeuge,
Vene mit der Arterie scheint theoretisch kaum vorstellbar, gilt der Grundsatz, dass sie nicht durch Umstechung, son-
kommt aber bei niedrigem intraoperativem Blutdruck dern nur gezielt bei ausreichender Übersicht nach den Kri-
oder arteriosklerotisch veränderten Gefäßen immer terien der rekonstruktiven Gefäßchirurgie gestillt werden
wieder vor. darf. Ist eine direkte Naht (. Abb. 30.3) nicht möglich,
muss ein Venenstreifen als Patch eingenäht werden. Beson-
Die blinde Umstechungen in der Leiste kann schwere ders unangenehm sind ausgedehnte Blutungen bei einer
Nebenverlezungen verursachen Der bleibende Schaden Freilegung der Leiste in Lokalanästhesie (Bishop 1986).
bei einer versehentlichen Traumatisierung der großen Diese schränkt die Möglichkeit der ausreichenden Über-
Gefäße kann nur dann gering gehalten werden, wenn nach sicht deutlich ein. Bei einer Verletzung in der Leistenbeuge
376 Kapitel 30 · Fehler und Gefahren in der Varizenchirurgie
30 a b
a b
unter Lokalanästhesie sollte daher im Zweifel durch einen kann und sich insbesondere Schäden der Nerven und
Kompressionsverband die Situation stabilisiert und weitere Lymphbahnen weitgehend vermeiden lassen. Wenn auch
Maßnahmen erst unter Allgemeinnarkose eingeleitet Lymphfisteln selten sind, so ist eine postoperativ aufge-
werden (. Abb. 30.4). tretene Schwellneigung oft auf den intraoperativ gesetz-
ten Schaden am Lymphgefäßsystem zurückzuführen
Ein unzureichender Zugang verringert die Übersicht (. Abb. 30.5) (Ouvry 1993).
und erhöht das Operationsrisiko Obwohl das Strippen
der V. saphena magna eine sehr grobe Methode darstellt, Die Traumatisierung von Lymphbahnen lässt sich bei
kommt es hierdurch selten zu Komplikationen. Die Son- exakter Präparation nahe entlang der Venenwände weit-
denperforation ist in der Regel kein Problem. Mit Aus- gehend vermeiden Nervenschäden führen zu Sensibili-
nahme des Strippingmanövers sollte eine atraumatische tätsverlust und unangenehmen Parästhesie oder zu moto-
Präparation jedoch oberstes Gebot sein. Beim Stripping ist rischen Paresen. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt.
die Invaginationsexhairese ein Verfahren, bei der die Trau- Es ist daher wichtig, den Patienten vor dem Eingriff auf die
matisierung der Gefäßumgebung gering gehalten werden Möglichkeit eines Nervenschadens hinzuweisen.
30.2 · Fehler und Gefahren
377 30
. Abb. 30.5. Lymphödem nach Verlet-
zung der Lymphkollektoren im Zuge der
Varzienoperation. a Lymphkollektoren
schematisch (nach Brunner), b Postopera-
tives Lymphödem
a
b
In der Folge einer Fasziotomie oder endoskopischen Üppige Hämatome bilden die Ursache für ausgedehnte
Perforansdissektion sind Blutungskomplikationen, Ner- Beschwerden des Patienten. Sie können aber auch bei Ein-
venschäden und Wundheilungsstörungen bis zu Haut- blutungen in tiefere Schichten, etwa nach Abriss von Per-
nekrosen zu bedenken. Bei Durchführung der SEPS ist foransvenen, zu Kompartment-Syndromen führen. Da-
eine gezielte Aufklärung zu beachten. rüber hinaus bilden Hämatome auch einen idealen Nähr-
boden für Keime. Schwerwiegende Infektionen in der
Varizenchirurgie können dramatische Verläufe nehmen.
30.2.5 Unzureichende postoperative Fälle von Sepsis mit Todesfolge wurden berichtet. Insge-
Therapie in der Varizenchirurgie samt sind allerdings Infektionen selten. Im nationalen Re-
ferenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infek-
Die postoperative Therapie beginnt bereits mit dem Ver- tionen (NRZ) wurde unter AMBUKISS eine Infektions-
band. Der Kompressionsverband dient der Vermeidung quote von 0,2% erfasst, wobei in dieser Erfassung der
von Nachblutungen bzw. der Verstärkung von subkutanen Schweregrad der Infektion nicht berücksichtigt wurde und
Hämatomen und schließlich der Entwicklung des post- die Rötung einer Wunde mit mehr oder weniger ausge-
operativen Ödems. Er soll so angelegt sein, dass eine aus- prägter Sekretion (Szilagyi Grad 1) als Infektion registriert
reichende Kompression erreicht wird. wurde.
Quelle: AMBUKISS Auswertung Januar 2004 bis Dezember 2008; NRZ (http://www.nrz-hygiene.de/)
378 Kapitel 30 · Fehler und Gefahren in der Varizenchirurgie
30
. Abb. 30.6. Kompartmentsyndrom nach Varizenoperation. Zu- Verbandes. Nachfolgender Infekt, Nervenlähmung, monatelange
stand nach schwerem Kompartmentsyndrom infolge eines zu engen Hospitalisation
Der Verband darf jedoch weder eine venöse Stauung in den einschlägigen Leitlinien der Einsatz einer systemi-
und erst recht keine Einschnürung des arteriellen Einstroms schen Thromboseprophylaxe mit Heparin nicht obligato-
bewirken. Durch fehlerhafte Verbandstechnik und Abschnü- risch empfohlen. Vielmehr soll eine systemische medika-
rung der arteriellen Zirkulation ist es zu der Verlust von mentöse Thromboseprophylaxe abhängig gemacht werden
Gliedmaßen gekommen, so wird berichtet (. Abb. 30.6). von den besonderen Umständen des Einzelfalles und den
Der Verband soll daher am Operationstag mehrfach kont- ggf. vorhandenen Risikofaktoren.
rolliert werden. Beschwerden dürfen nicht bagatellisiert
werden. Bei ambulanter Versorgung in der Varizenchirurgie
muss bereits durch präoperative Aufklärung sicher gestellt 30.3 Schlussfolgerungen
sein, dass der Patient Beschwerden im Bein, insbesondere
solche, die sich unter der Bewegung nicht bessern, frühzeitig Die in der industriellen Fertigung heute weitgehend pro-
dem Operateur meldet, damit auch unter diesen Bedingun- pagierte Null-Fehler-Philosophie wird es beim Umgang
gen eine Kontrolle möglich ist. Es sind auch Fälle beschrie- mit biologischen Systemen und so auch in der operativen
ben, bei denen es allein durch unzureichende Verbandstech- Medizin nie geben können. Dies bedeutet allerdings nicht,
nik zur ischämischen Kontraktur mit nachfolgendem Ver- dass man sich dieser Philosophie nicht soweit als möglich
lust der Gliedmaße gekommen ist (Balzer 1983). Bei guter nähern bzw. anschließen kann. Die meisten Fehler und
Verbandtechnik und Verwendung von Kurzzugbinden kön- Gefahren in der Varizenchirurgie lassen sich durch Sorg-
nen jedoch solche Verläufe immer vermieden werden. falt und Umsicht sowie durch Training und damit Beherr-
Der Umstieg von Kompressionsverbänden auf Kom- schung der Methodik vermeiden. Dies bedeutet, um in der
pressionsstrumpfversorgung sollte frühzeitig erfolgen und Terminologie des Qualitätsmanagements zu bleiben, dass
die Kompressionsstrumpfversorgung ausreichend lange die beste Fehlervermeidungsstrategie in der Standardi-
beibehalten werden. Die Konzepte für die Handhabung der sierung der Prozesse zu sehen ist. Hierzu gehört auch die
Kompressionstherapie (Verbandtechnik, Zeitpunkt der Qualifikation des Personals. Die Leitung von Eingriffen am
Strumpfversorgung, Kompressionsklasse, Dauer der Kom- epifaszialen Venensystem gehört daher in die Hand gut
pressionstherapie etc.) schwanken von OP-Zentrum zu ausgebildeter und erfahrener Operateure, wie dies für viele
OP-Zentrum. Offensichtlich führen hier mehrere Wege Eingriffe anderer Art auch gilt. Die Ansicht von der ver-
zum angestrebten Ziel. Wichtig ist allein das Ziel, eine aus- meintlichen Banalität der Varizenoperation wird durch die
reichende Kompression zu erreichen. enormen Konsequenzen bei fehlerhaftem Verhalten oder
Die Inzidenz für postoperative tiefe Beinvenenthrom- unzureichender Technik bzw. Ablauforganisation nicht be-
bosen nach Krampfaderoperation ist mit und ohne syste- stätigt. Die Varizenoperation ist daher als Gelegenheitsein-
mische Thromboseprophylaxe gering, entsprechend wird griff nicht geeignet.
30.3 · Schlussfolgerungen
379 30
Literatur
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31
31 Spezielle Komplikationen
in der invasiven Therapie
31.1 Komplikationen und unerwünschte Ereignisse
nach endovenösen Verfahren – 382
T. Noppeney
31.1.1 Radiofrequenzobliteration – 382
31.1.2 Endovenöse Lasertherapie – 383
Weiss 2002 140 12 8,6 geführt hatten, sank die Rate an perioperativen Nervenstö-
Rautio 2002 15 2 13,3 rungen auf 5,5% (. Tab. 31.1).
Dauerhafte Nervenläsionen, (länger als 6 Monate) be-
Lurie 2005 44 10 22,7
standen in 9,8% bei 935 analysierten Extremitäten (Nop-
Merchant 2005 985 121 12,3 peney 2008).
Eine Phlebitis der behandelten Vene trat im Durch-
Ogawa 2005 25 0 0,0
schnitt in 3,8% (Noppeney 2008) bzw. 3,2% (Lübke 2008)
Puggioni 2005 53 0 0,0 der operierten Extremitäten auf (. Tab. 31.2).
Noppeney 2005 73 4 5,5 Die postoperative Häufigkeit von Verbrennungen im
Bereich der Haut betrug im Durchschnitt 0,36% (Noppe-
Hinchliff 2006 16 0 0,0 ney 2008; . Tab. 31.3). Durch die konsequente Anwendung
Summe 1541 194 12,6 der Tumeszenzanästhesie sinkt die Inzidenz der Hautver-
brennungen deutlich, auf nahezu 0% ab. Dies entspricht
* ohne Tumeszenzanästhesie
auch unseren eigenen Erfahrungen, während die Inzidenz
31.1 · Komplikationen und unerwünschte Ereignisse nach endovenösen Verfahren
383 31
. Tab. 31.4. Inzidenz von Thrombuswachstum in die V. femo- . Tab. 31.6. perioperative Komplikationen und uner-
ralis communis nach VNUS Closure Plus® (Noppeney 2008) wünschte Ereignisse VNUS Closure Fast®
über eine Inzidenz von Hämatomen von 45% nach Aus- Perkowski 2004 203 200 98,5
schaltung der V. saphena magna und 46% nach Ausschal-
Disselhoff 2005 93 29 31,2
tung der V. saphena parva (Pröbstle 2002, Pröbstle 2003).
31 In einer Übersichtsarbeit über die Ergebnisse nach EVLT Puggioni 2005 77 1 1,3
wird die Häufigkeit von Hämatomen, bzw. Ekchymosen Huang 2005 230 0 0,0
zwischen 0 und 100% angegeben (. Tab. 31.7; Schmedt
2006). Die Metaanalyse von Lübke (2008) weist eine durch- Proebstle 2005 104 76 73,1
schnittliche Häufigkeit von Ekchymosen in Höhe von Proebstle 2005 113 88 77,9
52,2% bei 2090 analysierten Extremitäten auf.
Proebstle 2005 136 110 80,9
Durch die hohe Anzahl von perioperativen Häma-
tomen erklärt sich auch eine hohe Rate an perioperativen Proebstle 2005 33 20 60,6
Schmerzen, die teilweise lange anhalten können. In einer
Min 2005 1000 250 25,0
Sammelstatistik von Perrin (2004) wird die Dauer der
Schmerzsymptomatik zwischen 54 und 67 Wochen ange- Kim 2005 34 9 26,5
geben, dies dürfte jedoch nicht der Regel entsprechen. In Agus 2006 1067 415 38,6
einer Publikation mit einem großen Kollektiv (500 behan-
Sharif 2006 124 103 83,1
delte Patienten) wurde die Rate der perioperativen Schmer-
zen mit 9,3% berichtet (Desmyttere 2007). Summe
Neben Hämatombildung wurde auch bei der EVLT
(nach Schmedt 2006)
über Thrombophlebitiden berichtet, die Angaben reichen
von 1,6 bis 10% (Perrin 2004), wobei in einigen Publika-
tionen gar keine Phlebitiden auftraten (Desmyttere 2007).
Die Metaanalyse von Lübke (2008) ergab eine durch- Es wurde aber auch über längerdauernde Indurationen,
schnittliche Häufigkeit von 2,8% bei 2179 behandelten Ex- 90 Wochen, berichtet (Min 2003).
tremitäten. In einer kleinen randomisierten Studie zwischen EVLT
Hypästhesien, bzw. Parästhesien traten auch nach und Kryostripping wurde untersucht, ob nach EVLT Ver-
EVLT auf. Die Angaben dazu variieren, Desmyttere (2007) letzungen der Lymphbahnen auftreten. An 17 mit EVLT
berichtet über eine Inzidenz von 7%, in der Metaanalyse behandelten Patienten konnte mittels Lymphszintigraphie
von Lübke (2008) waren durchschnittlich 1,7% zu ver- keine Verletzung der Lymphbahnen nachgewiesen werden
zeichnen. Die Parästhesien sind meistens vorübergehender (Disselhoff 2008).
Natur. Pigmentstörungen (Mekako 2007), Infektionen (Dunst
Indurationen im Verlauf der behandelten V. saphena 2006), Serombildung (Jannee dOthee 2008) und das Auf-
magna treten perioperativ sehr häufig auf. Bei 12 aus- treten einer AV-Fistel (Timpermann 2004) wurden in Ein-
gewerteten Publikationen wird das Phänomen in 407 von zelfall Schilderungen angegeben.
521 Extremitäten beschrieben (Lübke 2008). Meistens ist Über die Häufigkeit tiefer Venenthrombosen nach
die Induration nach 3–4 Wochen nicht mehr vorhanden. EVLT liegen sehr unterschiedliche Angaben vor. In der
31.1 · Komplikationen und unerwünschte Ereignisse nach endovenösen Verfahren
385 31
Literatur
. Tab. 31.8. Inzidenz einer TVT nach EVLT Almeida JI, Kaufmann J, Göckeritz O et al. (2009) Radiofrequency
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Metaanalyse von Lübke wird die Häufigkeit einer TVT Surg; 49:213–33
Mekako A, Chetter I (2007) Cutaneous hyperpigmentation after
nach EVLT mit 0,3% (27 von 9317 Extremitäten) ange-
endovenous laser therapy: a case report and literature review.
geben (Lübke 2008). Andere Statistiken zeigen höhere In- Ann Vasc Surg; 21: 637–639
zidenzen. So scheint die Rate von TVT nach EVLT der Merchant R, Pichot O for the Closure study group (2005) Long-term
V. saphena parva besonders hoch zu sein, Pröbstle berich- outcomes of endovenous radiofrequency obliteration of saphenus
tet über 3% (2003), Gibson über 10% (2005). Neben wei- reflux as a treatment for superficial venous insufficiency; J Vasc
Surg; 42:502–509
teren Publikationen mit sehr hohen Raten von TVT – 5,6% Min RJ, Khilnani N, Zimmet SE (2003). Endovenous laser treatment of
(Puggioni 2005), 7,7% (Mozes 2005) – gibt es zahlreiche saphenous vein reflux: long-term results. J Vasc Interv Radiol
Veröffentlichungen, die keine TVT periinterventionell 2003; 14:991–996
verzeichnen (. Tab. 31.8). Einige dieser als TVT bezeich- Mozes G, Kira M, Carmo M et al (2005) Extension of saphenous throm-
neten Fälle sind Thrombuspropagationen vom SFÜ in das bus into the femoral vein: a potential complication of new endov-
enous ablation techniques. J Vasc Surg; 41: 130–35
tiefe Venensystem (Mozes 2005). Lungenembolien sind Navarro L, Min R, Boné C (2001) Endovenous laser: a new minimally in-
nur vereinzelt publiziert. vasive method of treatment for varicose veins – preliminary obser-
Die Anzahl von unerwünschten Nebenwirkungen, vations using an 810nm diode laser. Dermatol Surg; 27: 117–122
speziell Hämatome und Ekchymosen, scheint bei Lasern Noppeney T, Noppeney J, Winkler M (2008) Update der Ergebnisse
nach Radiofrequenzobliteration zur Ausschaltung der Varikose,
mit höherer Wellenlänge, die ihr Absorptionsmaximum in
Gefäßchirurgie;13:258–264
H2O haben, geringer zu sein (van den Bos 2008). Dies ist Oh C, Jung D, Jang HS et al (2003) Endovenous laser surgery of the
wohl dadurch zu erklären, dass bei höheren Wellenlängen incompetent greater saphenous vein with a 980nm diode laser.
weniger Perforationen der Venenwand auftreten. Darüber Dermatol Surg; 29: 1135-1140
hinaus scheint eine kontinuierliche Lichtabgabe geringere Perkowski P, Ravi R, Gowda RC et al (2004) Endovenous laser ablation
of the saphenous vein for treatment of venous insufficiency and
Komplikationen zu verursachen als ein gepulster Laser
varicose veins: early results from a large single center experience.
(van den Bos 2008). Die Entwicklung der EVLT ist noch J Endovasc Ther; 11: 132–138
nicht abgeschlossen, radial abstrahlende Lichtleiter lassen Perrin M (2004) Endoluminal treatment of lower limb varicose veins by
geringere Nebenwirkungen erwarten, als bare Fibers. endovenous laser and radiofrequency techniques, Phlebology;
19:170–178
Proebstle T, Gul D, Kargl A et al (2002) Endovenous laser treatment of
the greater saphenous vein with a 940nm diode laser: Throm-
botic occlusion after endoluminal thermal damage by laser gen-
erated steam bubbles. J Vasc Surg; 35: 729–736
386 Kapitel 31 · Spezielle Komplikationen in der invasiven Therapie
Proebstle T, Gul D, Lehr HA et al (2003) Infrequent early recanalization Für die Zwecke der Varizenchirurgie lässt sich jedoch
of greater saphenous vein after endovenous laser treatment.
die anatomische Vielfalt in einige wenige Aussagen ver-
J Vasc Surg; 38: 511–516
Proebstle T, Gul D, Kargl A, Knop J (2003) Endovenous laser treatment dichten, die bei der Operationsplanung durchaus Beach-
of the lesser saphenous vein with a 940nm diode laser: early tung finden sollten (. Abb. 31.1). Man unterscheidet:
studies. Dermatol Surg; 29: 357–361 Fußrückenkollektoren: Die in dicht gepackten Bah-
Pröbstle T, Vago B, Alm J et al (2008) Treatment of the incompetent great nen aus dem gesamten Fuß in Richtung auf die frontale
saphenous vein by endovenous radiofrequency powered segmen-
Zirkumferenz des Sprungelenkes zusammenlaufenden
tal thermal ablation: First clinical experience. J Vasc Surg; 47: 151–6
Puggioni A, Kalra M, Carmo M et al (2005) Endovenous laser treatment Fußkollektoren drainieren den Fußrücken und den medi-
and radiofrequency ablation of the great saphenous vein: analysis alen Fußrand aber auch die Fußsohle und werden mit
of early efficacy and complications. J Vasc Surg; 42: 488–493 Übertritt auf den Unterschenkel (US) zum
Schmedt CG, Sroka R, Steckmeier B et al. (2006) Investigation on radio- Ventromedialen Bündel: Dieses vordere präfasziale
frequency and laser (980nm) effects after endoluminal treatment
Lymphgefäßbündel zieht durch bis zu den Leistenlymph-
of saphenous vein insufficiency in an ex-vivo model. Eur J Vasc
Endovasc Surg; 32: 318–25 knoten und drainiert die Oberfläche des gesamten Beines
Schmedt CG, Steckmeier BM (2006) Endoluminale Radiofrequenz mit Ausnahme des lateralen Fußrandes und eines schma-
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31.2 Lymphgefäßläsionen
bei der Varizenbehandlung
H. Nüllen, T. Noppeney
31.2.1 Anatomie
31.2.3 Häufigkeit
31.2.6 Therapie
. Tab. 31.9. Häufigkeit postoperativer Lymphfisteln nach
Varizenoperationen
Im blanden Stadium genügt die gezielte lokale Kompres-
Autor Operationen n % sion. Die Verklebung der Lymphbahn und das damit ver-
bundene Sistieren der Sekretion sind in wenigen Tagen zu
Balzer (1983) 15.378 OPs 2 0,01 erwarten. Eine engmaschige Kontrolle der betroffenen Pa-
Helmig (1983) 20.353 Extremitäten 112 0,55 tienten ist anzuempfehlen, zum einen, um die Effizienz
und Konstanz der Kompressionsmaßnahmen zu überwa-
Nüllen (1995) 1.981 Extremitäten 3 0,15
chen und zum anderen um sich ggf. entwickelnde Infek-
tionen rechtzeitig zu erkennen. Eine prophylaktische Anti-
biose ist nicht erforderlich. Punktionen sollten, von sehr
Lymphzyste bzw. einer Lymphfistel von 1 pro 300 Eingrif- großen, mechanisch beeinträchtigenden Lymphverhal-
fen gerechnet. tungen abgesehen, wegen der Gefahr der Keimverschlep-
pung unterbleiben. Die Kompressionstherapie kann bei
Lymphgefäßläsionen in der Leiste sehr schwierig bis un-
31.2.4 Schädigungsmechanismen möglich sein. Bei Lymphfisteln ist hier die Ableitung der
Lymphflüssigkeit in einen aufgeklebten Drainagebeutel
Bei der Schädigung von Lymphgefäßen im Zusammen- sinnvoll um Haut und Inzision durch feuchtes Verbands-
hang mit Behandlungsmaßnahmen bei Varikosis handelt material nicht zu mazerieren. Bei persistierenden Lymph-
es sich fast ausschließlich um Kontinuitätsdurchtrennun- fisteln sind u. U. Revisionseingriffe indiziert. Die Indika-
31 gen von Lymphgefäßen. In den seltensten Fällen werden tion ist streng zu stellen, erst nach vollständigem Aus-
die Lymphgefäße während oder nach der Verletzung iden- schöpfen aller konservativen Optionen.
tifiziert. Gelingt dies doch, so sollte eine Ligatur oder
Koagulation erfolgen. Bei blindem Vorgehen, wie z. B. Literatur
beim Häkeln im Rahmen der Miniphlebektomie, ist eine Kubik S (1999) Anatomie des Lymphgefäßsystems. In: Földi M,
Kubik S, (Hrsg.) Lehrbuch der Lymphologie 4. Aufl. Fischer Stutt-
Identifikation bzw. Kontrolle unter Sicht des Auges nicht
gart
möglich. Hier hilft als Vermeidungsstrategie nur die Mei- Balzer K (1983) Venen. In: Carstensen G (Hrsg.) Intra- und postoperative
dung besonders gefährdeter Regionen oder besonders vor- Komplikationen. Springer, Berlin Heidelberg New York, S107 ff
sichtige Präparationstechnik mit sorgfältiger Säuberung Helmig L, (1983) Häufigkeit von Frühkomplikationen bei 13.024
der vorluxierten Venenanteile von allen Gewebeauflage- Krampfaderoperationen. Phlebol u Proktol 12:184–195
Nüllen H, Reese von Ohlen C (1995) Ambulante Varizenchirurgie in der
rungen (Dissektor). Nach klinischer Erfahrung gehören zu
Praxis. In: Imig H, Schröder A, Varizen, Poplitea-Aneurysmen. Stein-
den besonders gefährdeten Regionen der Übergang vom kopf Darmstadt
Fußrücken zum oberen Sprunggelenk sowie das prätibiale
Hautareal am distalen Unterschenkeldrittel.
Rezidiveingriffe oder Eingriffe im Bereich von trophi-
schen Störungen erhöhen das Risiko der Lymphbahnver- 31.3 Nervenläsionen in der
letzung. Varizenbehandlung
Dennoch wird auch bei sorgfältigster Planung und
Technik eine gelegentliche Verletzung von Lymphbahnen H. Nüllen, T. Noppeney
im Zusammenhang mit der Varizenoperation nicht zu ver-
meiden sein. Die Lymphbahnschädigung gehört daher Schädigungen von peripheren Nerven im Zusammenhang
zum Inhalt der Risikoaufklärung. mit einer Behandlungsmaßnahme wegen Varizen gehören
zu den besonders unangenehmen Komplikationen, weil sie
einer kausalen oder nützlichen Therapie nicht zugänglich
31.2.5 Klinik sind, und damit häufig Anlass zu rechtlichen Auseinander-
setzungen geben. Grundsätzlich können Schädigungen peri-
Die klinischen Zeichen der Lymphbahnläsion nach Ein- pherer Nerven im Zusammenhang mit allen denkbaren
griffen am epifaszialen Venensystem sind die Lymphzyste Therapieoptionen zur Behandlung der Varikose auftreten,
bei geschlossenem Integument und die Lymphfistel. Meist angefangen von der Kompressionstherapie mit Kompres-
sind die Veränderungen blande und harmlos, wenngleich sionsverbänden oder -strümpfen (Hördegen-Lüdin 1999),
lästig und störend. Kommt es zu einer Wundinfektion bei über die Sklerotherapie bis hin zu den operativen Verfahren
bestehender Zyste oder Fistel, kann diese Komplikation einschließlich der neuern Verfahren zur Thermookklusion
durchaus klinische Relevanz entwickeln. der Stammvenen. Diese, zunächst wertneutral zu betrachte-
31.3 · Nervenläsionen in der Varizenbehandlung
389 31
ten, iatrogenen Schäden werden im Laienverständnis häufig maßnahmen an den Krampfadern nur unvollständig wie-
gleichgesetzt mit einem schuldhaften Versagen im Zusam- der. Dies sowohl in Bezug auf die Häufigkeit als auch in
menhang mit der erfolgten Behandlungsmaßnahme. Die Bezug auf die geschädigten Nerven.
Kenntnis der Schädigungsmöglichkeiten, ebenso wie die Angesichts der hohen Zahl von Eingriffen am epifas-
dazugehörigen Vermeidungsstrategien, ist daher von großer zialen Venensystem erscheinen die wenigen objektivier-
Bedeutung für den in der Behandlung der Varikose tätigen baren Zahlen zu Nervenläsionen im Zusammenhang mit
Gefäßmediziner. Darüber hinaus sind die routinemäßige der Varizenoperation tatsächlich sehr gering.
Aufklärung, die frühzeitige Erkennung von peripheren Ner- Auch der Rückgriff auf die Statistiken der Gutachter-
venläsionen durch routinemäßige Nachfrage und Prüfung kommissionen bei den Ärztekammern gibt nur ein unvoll-
auf charakteristische Veränderungen, ebenso wie deren ständiges Bild. Zum einen, weil sie natürlich nur über ein
sorgfältige Dokumentation, wichtige Maßnahmen zum superselektiertes Klientel Auskunft geben, das den Weg in
Schutz vor unberechtigten Schadensersatzforderungen. die Gutachterkommission gefunden hat, zum anderen, weil
die Berichtsgewohnheiten der Kommissionen ungewöhnlich
und der Zugang zu den Originalunterlagen schwierig bis
31.3.1 Häufigkeit unmöglich ist. Die Unterlagen der Gutachterkommission für
ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nord-
Die Angaben in der Literatur zur Häufigkeit von Nerven- rhein (ÄKNo) liegen uns für zwei Berichtszeiträume vor,
läsionen im Zusammenhang mit Behandlungsmaßnahmen vom 01.01.2002 bis um 31.12.2006 und vom 01.01.2004 bis
bei Varizen ergeben ein sehr inhomogenes und wenig klä- zum 31.12.2008 (. Tab. 31.11). Die Überschneidung der Be-
rendes Bild über die Komplikationsrate ab. So liest Weber richtszeiträume gestaltet die Auswertung der Daten schwie-
(2003) aus der Literatur eine globale Rate an Nervenlä- rig. Bei den annähernd gleichen Zahlen für die genannten
sionen im Zusammenhang mit Varizenoperationen mit Zeiträume, haben wir eine Extrapolation über den Gesamt-
der erstaunlichen Streubreite von 7–53%. Carstensen zeitraum gewagt. Man kann davon ausgehen, dass sich der
(1983) gibt Läsionen des N. saphenus mit einer Häufigkeit absolute Fehler in engen Grenzen hält (. Tab. 31.11) Über
von 15–29% an, ohne die Quelle zu nennen. May nennt in einen Gesamtzeitraum von 7 Jahren wurden annähernd
seinem Lehrbuch aus 1969 einen Fall einer Peroneusparese 10.000 Verfahren von der Kommission abgewickelt, dabei
ebenfalls ohne Quellenangabe (Zit. n. Carstensen 1983). immerhin 0,65% der Fälle wegen Auseinandersetzungen
Die Angaben zur Schädigung bei einzelnen, bestimmten nach Varizen-OP, was angesichts der Häufigkeit des Eingriffs
Nerven schwanken für die häufigsten Lokalisationen wie als eher gering angesehen werden kann und 0,16% wegen
N. saphenus und suralis und auch N. peroneus ganz erheb- Nervenläsionen nach Varizen-OP, was einem Anteil von
lich (s. a. . Tab. 31.10). Dies ist nicht weiter verwunderlich, 24,1% an den Verfahren nach Varizenoperation entspricht.
da die Angaben zu Läsionen der peripheren Nerven meist Die Zahl der Fälle, die wegen Nervenläsionen nach Va-
nur retrospektiv gewonnene Begleitangaben sind und hier- rizen-OP im Gesamtzeitraum verhandelt wurden, konnte
zu gezielte Untersuchungen vollständig fehlen. Darüber mit 15 Fällen exakt ermittelt und ausgewertet werden
hinaus ergibt sich hier auch das bekannte Problem der Dig- (. Tab. 31.12). Man erkennt an der Zusammenstellung,
nität der Diagnose der Läsionen, wie es sich analog z. B. in dass fast alles vorkommt, was theoretisch denkbar ist. Dies
der QS-Studie der DGG zur Karotischirurgie exemplarisch unterstreicht, dass die publizierten Fälle nur einen Aus-
dargestellt hat. Die Gruppe der operierten Patienten, die schnitt der Wirklichkeit vermitteln. Bezieht man die Ein-
von einem Neurologen prä- und postoperativ untersucht griffe wegen TVT (venöse Thrombektomie) mit ein, so
wurden, wiesen zu einem 1/3 mehr neurologische Defizite werden auch Fälle von Schädigungen des N. femoralis
auf als solche, die nur vom operierenden Gefäßchirurgen cuatneus lateralis und der N. femoralis angegeben.
nachuntersucht wurden. Hinzu kommt auch, dass die
großen Komplikationen mit Läsion großer motorischer
Nerven, wie N. ischiadicus, tibialis und peroneus i.d.R. 31.3.2 Schädigungsmechanismen
nicht so gerne publiziert werden.
Die wenigen vorliegenden Angaben zur Rate der Ner- Die außerordentlich große Vulnerabilität von Nervengewe-
venläsionen in der Varizenbehandlung, meist bezogen auf be ist hinlänglich bekannt. Im Zusammenhang mit Behand-
Operationen, stammen aus Analysen von speziell selek- lungsmaßnahmen bei Varikose kommen alle denkbaren
tierten Klientelen aus einzelnen Institutionen und können Schädigungsmechanismen auch tatsächlich vor. So können
damit natürlich auch keine annähernd zuverlässigen Wer- Nervenläsionen auch im Zusammenhang mit konservativer
te zur »wahren« Komplikationsrate geben. Therapie oder Verödungstherapie auftreten, wenngleich der
Die Literatur spiegelt somit die tatsächliche Häufigkeit Fokus der Betrachtung meist auf Schädigungen im Zusam-
der Nervenläsionen im Zusammenhang mit Behandlungs- menhang mit operativen Maßnahmen liegt.
31
390
. Tab. 31.10. Synopsis der Nervenverletzungen nach Eingriffen am epifaszialen Venensystem (Literaturübersicht).
*N. saphenus + N. suralis.
**Keine echten Häufigkeitsangaben, Bezugsgröße ist die Zahl der Verfahren vor der Gutachterkommission.
Anatomische Bezeichnung
May (1969)
Helmig (1983)
Negus (1993)
Zit.n. Hach (2002)
Feuerstein (1993)
Zit.n. Hach (2002)
Hofer (2001)
Mildner un Hilbe (2001)
Hach (2002) Lit.-Angaben
Keine eigene Fälle
Frings (2002)
Weber (2002) keine Häufig-
Carstensen (1983)
Ohne Quellenangabe
Fischer (1987) in der
Schweiz ihne Quelle
Critchley (1997)
keitsangaben
QS-Varizen –DGG
Noppeney (2005)
Gutachterkommission
ÄKNo**
Volkertswill (1981)
N. fem. cutaneus 0
lateralis
N. femoralis 0
N. tibialis 1/10.000
N. peroneus 1/10.000
superficialis
. Tab. 31.11. Häufigkeit von Gutachterfällen der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nord-
rhein. *Die Zahlen für den Gesamtzeitraum (7 Jahre) liegen nicht vor und wurden extrapoliert
31
. Abb. 31.3. Topographie der wichtigsten Nerven aus dem Plexus . Abb. 31.4. Anordnung der sensiblen Dermatome n. Stöhr u. Rif-
lumbalis. (L1-L4, 1 Ast aus Th12) und dem Plexis sacralis (L5-S4). Die fel. Bei der diagnostischen Zuordnung sind im Bereich des Beines
Äste aus dem Plexus lumbalis erreichen das Bein frontal des Hüftge- insbesondere die distalen Anteile der Dermatome pathognomo-
lenkes und die des Plexus sacralis dorsal des Hüftgelenkes nisch (aus Berlit 1999)
der operativen Bemühungen klar zu machen (. Abb. 31.3 Klinik Die vollständige Schädigung des N. femoralis be-
und . Abb. 31.4). einträchtigt die Beugung im Hüftgelenk und die Streckung
im Kniegelenk. Es resultiert eine Stand- und Gangun-
N. femoralis sicherheit bzw. Verlust des Einbeinstandes an der betrof-
Anatomie Gemischter Nerv mit Wurzeln aus L1 bis L4 fenen Seite.
zieht entlang des lateralen Randes des M. psoas nach distal
und verlässt das Becken unterhalb des Leistenbandes durch Mögliche Schädigung Unter normalen Bedingungen
die Lacuna musculorum und liegt hier lateral der A. fem. verläuft die Crossektomie epifaszial ab, so dass der N. fem.
com. Ab hier zerteilt er sich fächerförmig in seine Endäste nicht tangiert wird. Bei der Recrossektomie von subfaszial
für den M. quadrizeps, M. sartorius und den M. pectineus. lateral ist auf den lateral der A. femoralis verlaufenden
Der Ast zum M. pectineus nimmt einen variablen Verlauf Nerven zu achten. Intrapelvin kann der Nerv durch ein
und unterkreuzt meist die großen Gefäße. Mehrere rami retroperitoneales Hämatom geschädigt werden.
cutanei durchbrechen in unterschiedlicher Höhe die Faszia
lata und versorgen die ventrale und mediale Fläche des OS Prognose Abhängig von der Art des Traumas, in der Re-
bis zum Knie (. Abb. 31.5) gel schlechte Remission.
31.3 · Nervenläsionen in der Varizenbehandlung
393 31
N. tibialis
Anatomie Gemischter Nerv, der nach der Teilung des
31 N. ischiadicus den dorsalen Nervenstrang nach distal hin
fortsetzt. Der Nerv versorgt die Muskeln der Beugeseite
des US. Noch in der Kniekehle gibt er einen Ast für die
sensible Versorgung des dorsalen US ab. In der Kniekehle
liegt die VSP in 40,9% der Fälle lateral des N. tibialis und . Abb. 31.6. Verzweigungen des N. peroneus
in 40,9% medial (Lang, Wachsmuth 1972).
Klinik Unterschiedliches klinisches Bild und Beschwerde- Klinik Lähmung der Fuß- und Zehenheber (Steppergang).
bild je nach Höhe der Schädigung. Bei Schädigungen im
Bereich des Kniegelenkes Parese der US- und Fußmusku- Mögliche Schädigung Zug und direktes Trauma beim
latur. Durch ein relatives Überwiegen der Extensorenmusku- Zugang zur Poplitea. Druckschädigung im Bereich des
latur kommt es zum Krallenfuß. Sensibilitätsstörungen im Fibulaköpfchens durch Lagerungsschaden oder Kompres-
Bereich der Fußsohle. Unvollständige, insbes. distale Läsio- sionsmaßnahmen.
nen führen häufig zu brennenden Schmerzen (Kausalgie).
Prognose Abhängig von der Art und Umfang der Schädi-
Mögliche Schädigung Durch Druck, Zug und Elektro- gungen. Vollremissionen sind bekannt.
koagulation bei den Eingriffen in der Kniekehle. Der Nerv
zieht mitten durch den Situs. Distale Läsionen bei SEPS. N. suralis
Anatomie Nach dem Abgang aus dem N. tibialis in der
Prognose Bei Zug- und Druckläsionen weitgehend gute Kniekehle verläuft der N. suralis in der Rinne zwischen den
Prognose mit langen Verläufen, analog der Situation beim Gastrocnemiusköpfen nach distal weiter, zieht am distalen
N. ischiadicus. Unterschenkel am lateralen Rand der Achillessehne vorbei
und endet am lateralen Rand des Fußes bzw. der kleinen
N. peroneus communis Zehe.
Anatomie Gemischter Nerv, der nach der Teilung des
N. ischiadicus aus der Achse nach lateral hin abweicht und Klinik Sensibilitätsstörungen am distalen Unterschenkel
hinter das Fibulaköpfchen zieht. Unterhalb des Fibula- und am lateralen Fußrand.
köpfchens teilt er sich in den N. peroneus superficialis und
den N. peroneus profundus (. Abb. 31.6). Er gibt häufig Mögliche Schädigung Strippingmanöver an der VSP und
noch in der Kniekehle den sensiblen Nerven für die laterale thermische Schädigung bei endovenösen Verfahren.
Unterschenkelhaut ab (N. cutaneus surae lat.), ein Ast, der
R. communicans peroneus verbindet sich mit einem sen- Prognose Gute Remission durch Überlappung der sen-
siblen Ast aus dem N. tibialis zum N. suralis. siblen Versorgungsgebiete. Autonomes Versorgungsgebiet
31.3 · Nervenläsionen in der Varizenbehandlung
395 31
am lateralen Fußrand und an der Kleinzehe, gelegentlich Prognose Gut. Spontanheilung bis 25%. Schmerztherapie
bis D3. durch lokale Blockaden im Bereich der Spina leicht durch-
führbar.
Sonstige
Leiste
31.3.5 Diagnostik
Anatomie Im Leistenniveau finden sich sensible Versor-
gungsgebiete des N. iliohypogastricus, N. genitofemoralis
Die Feststellung bzw. der Verdacht auf neurologische De-
und N. ilioinguinalis, die bei operativen Eingriffen in die-
fizite nach Eingriffen am epifaszialen Venensystem sollten,
ser Region im Bereich ihrer Endäste traumatisch geschä-
auch wenn sich der Operateur mit seiner Diagnose sicher
digt werden können (. Abb. 31.7).
ist, schon aus forensischen Gründen, immer eine sofortige
genaue neurologische Untersuchung und Dokumentation
Klinik Sensibilitätsstörungen und/oder Schmerzen
zur Folge haben. Neben der topographischen Zuordnung
der Schädigung durch Beschreibung der Läsion ist eine
Mögliche Schädigung Direkte Traumatisierung.
neurophysiologische Untersuchung und Dokumentation
der Defizite erforderlich. Bei der Schädigung großer und
Prognose Ungewiss bis schlecht.
insbesondere motorischer Nerven ist auch der Einsatz
N. cutaneus femoris lateralis bildgebender Verfahren (Sonographie 10–20 MHz, MRT,
Dünnschicht-CT) (Simonetti 1999) anzustreben.
Anatomie Rein sensibler Nerv, der direkt medial der
Spina iliaca anterior superior unterhalb des Leistenbandes
durch die Lacuna musculorum das Becken verlässt und die 31.3.6 Vermeidungsstrategien
Teile des frontalen OS und den lateralen Oberschenkel bis
zum Knie versorgt. Die Durchtrittsstelle unterhalb des Leis- Betrachtet man die möglichen Schädigungsmechanismen,
tenbandes ist eine physiologische Enge; hier ändert der direktes Trauma, Zug- und Druck- und thermische Schä-
Nerv seine bislang horizontale Verlaufsrichtung abrupt in digung und die kritischen anatomischen Lokalisationen,
einen vertikalen Verlauf. so ergeben sich als Risikokonstellationen im Rahmen der
Varizenchirurgie:
Klinik Sensibilitätsstörungen und Schmerzen. (Meralgia 4 operativer Zugang zur Lacuna vasorum
paraesthetica) (. Abb. 31.7). 4 operativer Zugang zur Poplitea
4 SEPS
Mögliche Schädigung Bauchlagerung bei Operation der 4 Strippingmanöver
VSP. 4 thermische endovenöse Verfahren
4 Lagerungsschäden
4 Kompression (Verbände, Druckmaschetten zur Blut-
leere. Kompressionsstrümpfe)
31.3.7 Therapie Schlegelmann K, Gierer S, Gierer St, Stöhr M (1999) Berlit (Hrsg.)
Klinische Neurologie. Springer Heidelberg, 313ff
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gründeten Verdacht auf eine Durchtrennung oder Kom- Stöhr M (1996) Iatrogene Nervenläsionen. Thieme Verlag Stuttgart
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Ligaturen oder Narben kommen operative Revisionen operationen. Inauguraldissertation Zürich
(direkte Naht, Interponat, Neurolyse etc.) innerhalb von Weber H, Stöhr M, Loeprecht H, (2003) N.-peronaeus-communis Läsion
3 Wochen nach der Läsion in Betracht. Wenn operative als Komplikation des V.-saphena-parva Strippings. Gefässchirurgie
Maßnahmen nicht sinnvoll sind oder ausscheiden, was im 8:36–39
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32
. Abb. 32.1. Sonographischer Refluxnachweis an der sapheno- 32.5.1 Recrossektomie der Vena saphena
femoralen Einmündung nach vorausgegangener Crossektomie magna
32.5.3 Komplikationen
32 bei Rezidivoperationen
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33
Chronische Beingeschwüre, hervorgerufen durch venöse Herausforderung darstellen. Der Leidensweg der Patienten
Erkrankungen, sind in der Medizingeschichte schon lange erstreckt sich häufig über Jahrzehnte ohne Ulkusheilung,
bekannt. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich dadurch ein geprägt durch chronische Schmerzen, Berufsunfähigkeit
unüberschaubares Angebot an Behandlungskonzepten ent- und soziale Randständigkeit. Der häufige Arztkontakt und
wickelt. Keine andere spezifische Erkrankung ist von größe- die dauerhafte Beschäftigung mit dem Krankheitsbild füh-
rer Polypragmasie geprägt. Die meisten Ulzera heilen unter ren nicht selten zu schweren psychischen Veränderungen
der Anwendung konservativer Therapiemaßnahmen ab. und erheblicher Einschränkung der Lebensqualität.
Für persistierende, schlecht heilende Geschwüre, ist
> In Deutschland leiden 100.000 Menschen an
der Begriff der Therapieresistenz bedeutend. Bei der Defi-
einem floriden Ulcus cruris venosum.
nition ist die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phle-
25.000 Ulzera sind häufig über Jahrzehnte
bologie wegweisend, die den Begriff in einen zeitlichen
therapieresistent.
und nicht kausalen Zusammenhang stellt.
Neben der funktionellen, phlebologischen Untersuchung
mit mindestens einem bildgebenden Verfahren ist zur
Therapieresistenz beim Ulcus cruris bedeutet:
Sicherung der Diagnose spätestens zu diesem Zeitpunkt
4 keine Heilungstendenz nach 3 Monaten auch ein arterieller Gefäßstatus erforderlich. Dadurch ist
4 keine Abheilung nach 12 Monaten die prognostisch und therapeutisch wichtige Zuordnung
der Ulzera nach ihrer Ursache zumeist möglich.
. Abb. 33.1. Ulcera cruris postthromboticum. Beidseits seit Die ersten CT-Untersuchungen des Unterschenkels bei
42 Jahren, Eisenmangelanämie (Hb 6,5 g%) chronisch venöser Insuffizienz gehen auf Gmelin und
33.1 · Diagnostik bei Therapieresistenz
407 33
hung in den subfaszialen Muskelkompartments durch eine
. Tab. 33.1. Beurteilungskriterien des Unterschenkels im schwere chronische Venenerkrankung der entscheidende
MRT
Faktor zur Entstehung, Persistenz und Rezidiventwicklung
Haut Ulkusregion Sklerosegrad eines Ulcus cruris venosum. Kausaltherapeutisch sind fa-
ziendekomprimierende Verfahren (paratibiale Faszioto-
Subcutis Ödem Sklerose
mie, krurale Fasziektomie) gefordert. Messungen in den
Faszie Verbreiterung Abgrenzbarkeit dorsalen Kompartments des Unterschenkels haben die
Venendarstellung regelmäßig unregelmäßig (PTS) größte Sensibilität gezeigt. Bevorzugt wird das tiefe dorsa-
le Kompartment, erreichbar durch einen transmembranen
Muskulatur normal Fettige Degeneration Zugang nach Gerngroß. Messungen im Liegen, Stehen und
Knochen normal pathologisch unter Belastung führen zu verwertbaren Aussagen. Ver-
schiedene direkte und indirekte Druckmessverfahren ste-
hen zur Verfügung. Da es sich hierbei um ein invasives
Schmeller (1989) zurück. Folgende Strukturen können un- Verfahren mit entsprechenden Komplikationsmöglich-
terschieden und differentialdiagnostisch beurteilt werden: keiten handelt, wird die KDM i.d.R. nur in spezialisierten
Ulkusregion, Haut, Subkutis, Faszien, Gefäße, Muskulatur Zentren eingesetzt.
und Knochen. Wichtig ist der Seitenvergleich.
> Die Kompartmentdruckmessung am Unterschen-
Beide Verfahren haben in der Diagnostik am Unter-
kel dient dem Nachweis eines chronisch venösen
schenkel Stärken und Schwächen. Im MRT ist die Differen-
Kompartmentsyndroms. Die KDM ist invasiv und
zierung zwischen Epidermis und Dermis teilweise nicht
wird nur in spezialisierten Zentren eingesetzt.
möglich, wobei Flüssigkeiten (Ödeme) gut abgebildet
werden und die Unterscheidung zwischen Sklerose und
Flüssigkeit möglich ist. Auch die muskulären Verände-
rungen, wie fettige Degeneration und muskuläre Involu- 33.1.3 Bakteriologie
tion, sind im Vergleich zum CT besser beurteilbar. Möchte
man die Gewebeveränderungen am Unterschenkel, ent- Jedes Ulcus cruris ist bakteriell besiedelt. Bei den therapie-
standen durch das von Hach postulierte chronisch venöse resistenten Formen mit langer Anamnese sind die Stadien
Kompartmentsyndrom (CVKS) nachweisen, sollte heute der Kontamination und Kolonisation häufig verlassen und
eine MRT-Diagnostik optional erfolgen (. Tab. 33.1). in eine Infektion übergegangen. Die Keimspektren bei chro-
nischen Ulzerationen unterscheiden sich deutlich von aku-
> Spezielle Diagnostika wie MRT, Kompartment-
ten Wunden. Die meisten Mikroorganismen, die Ulzera
druckmessung, Histologie und Bakteriologie
besiedeln, bilden heute hartnäckige Biofilme, die die Resis-
ergänzen die operative Planung.
tenzentwicklung begünstigen. Führende Keime sind Pseu-
domonas aeruginosa, Staphylococcus aureus und Echeris-
chia coli und verschiedene Enterokokken, die zusammen
33.1.2 Kompartmentdruckmessung (KDM) 2/3 aller nachgewiesen Keime in Ulzera ausmachen. Die
häufigsten Keime in unseren Auswertungen der Eingangs-
Entsprechend den pathogenetischen Konzepten des chro- abstrichen waren Ps. aeruginosa (25%) und Staph. aureus
nisch venösen Kompartmentsyndroms ist die Druckerhö- (23%), gefolgt von E. coli (8%), Enterokokken (8%). Die
MRSA-Besiedlung war im Zeitraum von 1999 bis 2007 mit 3. Verfahren mit Faszienchirurgie: paratibiale Faszioto-
insgesamt 7,2% der Patienten erfreulich gering. Die Ten- mie, Fasziektomie
denz ist in den letzten Jahren ist jedoch zunehmend
(2005/7,5%, 2006/15%, 2007/33%). Betrachtet man die Re-
sistenzentwicklung aller untersuchten Keime unserer Pa- 33.2.1 Venenchirurgie und endovenöse
tienten seit 1999, erkennt man eine besorgniserregende Verfahren bei Ulcus cruris venosum
Zunahme von Resistenzen, hervorgerufen durch Pseudo-
monas aeuruginosa. Aufgrund des hohen Potentials zur Bei einem Ulcus cruris varicosum, bedingt durch eine pri-
Gewebedesktruktion und der damit verbundenen raschen märe Varikose, führt die alleinige Ausschaltung der insuf-
Vergrößerung von Ulzerationen, ist dieser Keimgruppe fizienten Venenabschnitte in vielen Fällen zur Abheilung
zukünftig eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Für des Geschwürs. Sind die Ulzera großflächiger und eine
die Prognose der Ulkusheilung scheint ein Pseudomonas- Spontanheilung fraglich, können lokale Maßnahmen kom-
befall für den betroffenen Patienten von größerer Bedeu- biniert werden. Methode der Wahl ist die Shave-Therapie
tung zu sein als ein MRSA-Nachweis. mit simultaner Meshgraftplastik.
Für die Planung einer operativen Maßnahme spielt die Neben der klassischen Venenchirurgie, sind die endo-
Keimbesiedlung eine untergeordnete Rolle. Durch die tan- venösen Verfahren (Lasertherapie, Radiowellentherapie,
gentiale Nekrosektomie mit dem Akkudermatom werden Schaumsklerosierung) eine gute Therapieoption. Welches
Keime und Nekrosen mechanisch ohne wesentliche lokale Verfahren bevorzugt werden sollte, ist noch nicht ausrei-
oder systemische Begleitstörungen entfernt. Erregerspekt- chend belegt. Zufriedenstellende Langzeitergebnisse, be-
rum und Resistenznachweise sollten jedoch präoperativ zogen auf die Heilungsraten, liegen für die Venenchirurgie
vorliegen. Zwingend erforderlich für die korrekte Hygiene- vor. Für die endovenösen Methoden gibt es bisher nur
planung einer Wundstation ist heute der Nachweis oder mittlere Nachbeobachtungszeiten. Vergleichbare Heilungs-
der Ausschluss von MRSA-Stämmen vor einer stationären raten sind jedoch zu erwarten. Besondere Konstellationen,
Aufnahme. wie das Vorliegen eines Ulkus mit einer behandlungsbe-
dürftigen Varikose bei massiver Adipositas, können zum
33 > Der präoperative Nachweis des Erregerspektrums
Indikationsbereich für die weniger invasiven, neuen Ver-
und die Resistenzbestimmung (MRSA) chronischer
fahren werden. Die Vorteile sind in kürzerer Operations-
Ulzerationen sind zur Operations- und Hygiene-
zeit, geringerer Traumatisierung und Infektionsmöglich-
planung wichtig.
keit zu suchen.
Die Ausschaltung der Varikose kann vor oder gleich-
zeitig mit der Ulkus-Chirurgie erfolgen. Das gilt auch für
33.1.4 Wundbiopsie und Histologie die so genannte sekundäre Varikose bei postthrombo-
tischem Syndrom. Hilfreich zur Diagnosesicherung und
Chronische Wunden, so auch venöse Ulzera, können ma- Therapieentscheidung ist die funktionelle Bewertung der
ligne entarten. Die Entstehung eines Karzinoms auf dem zu operierenden Strombahn. Mit einer Phlebodynamo-
Boden eines langjährig bestehenden venösen Unterschen- metrie, unter zusätzlicher sonographischer Kompression
kelgeschwürs ist sehr selten. Liegen jedoch Therapieresis- der auszuschaltenden insuffizienten Refluxstrecken, lässt
tenz, atypische Lokalisationen oder ein suspekter klinischer sich gezielt feststellen, ob sich die Varikose problemlos aus-
Befund vor, sollte ein standardisiertes Biopsieverfahren schalten lässt.
zur Diagnosesicherung führen.
> Maligne Entartungen primär venöser Ulzera sind
33.2.2 Perforansvenenchirurgie
sehr selten. Bei suspekten Befunden immer eine
bei Ulcus cruris venosum
Biopsie entnehmen.
a b
wurden entwickelt. Die offenen Verfahren wurden wegen verzichten auf die Klärung pathophysiologischer Zusam-
ausgeprägter Wundheilungsstörungen bald wieder verlas- menhänge.
sen. Die in den 90ziger Jahren stark favorisierten endos-
kopischen Verfahren haben in den letzten Jahren zahlen- Literatur
mäßig an Bedeutung verloren. Hohe Komplikationsraten, Gallenkämper G, Ehresmann U, Hermanns HJ et al. (2008) Leitlinien zur
persistierende postoperative Beschwerden und Rezidiv- Diagnostik und Therapie des Ulcus cruris venosum. http://www.
raten zwischen 40% bis 75% nach SEPS führten zu einer uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/037-009.htm
deutlichen Abnahme der Eingriffshäufigkeit. Gmelin E, Rosenthal M, Schmeller W (1989) Computertomographie
und Kernspintomographie des Unterschenkels bei chronisch
Legt man die Ergebnisse der Qualitätssicherung »Va-
venöser Insuffizienz. Fortschr Röntgenstr 151: 50–56
rizen« der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie des Greger B, Habig H, Sonnefeld R et al. (2002) Kritische Prüfung des
Zeitraums 2001 bis 2007 (. Tab. 33.2) zugrunde, die sich Stellenwertes der ESDP bei der operativen Therapie der primären
auf die Auswertung von 85.951 operierten Strombahnen Varikosis. Vasomed 14: 136–143
beziehen, werden nur noch 0,8% aller insuffizienten Perfo- Hach W (2007) Die chronische venöse Insuffizienz (CVI) in: Hach W,
Gruß JD, Hach-Wunderle V, Jünger M. VenenChirurgie – Leitfaden
ransvenen durch ein endoskopisches Verfahren ausge-
für Gefäßchirurgen, Angiologen, Dermatologen und Phlebolo-
schaltet . Bevorzugt werden heute die epifasziale Disske- gen. Stuttgart: Schattauer-Verlag; 279–316
tion (33%) oder die Ligatur (26%). Welche Rolle die iso- Hermanns HJ (2006) Die endoskopisch subfasziale Dissektion von
lierte Ausschaltung von refluxerkrankten Perforansvenen Perforansvenen (Kommentar). Phlebologie 35: 92–93
auf die dauerhafte Ulkusheilung spielt, ist in den bisher Noppeney T, Eckstein HH, Niedermeier M, Umscheid T, Weber H (2005)
Ergebnisse des Qualitätssicherungsprojektes Varizenchirurgie
publizierten Studien nicht eindeutig belegt. Viele Studien
der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie. Gefäßchirurgie
konzentrieren sich mehr auf Vergleiche technischer Mög- 10: 121–128
lichkeiten oder vermischen verschieden Operationsverfah- Pannier F, Rabe E (2007) Endovenöse Lasertherapie mit dem 980-nm-
ren (SEPS und Stripping-OP) in ihrem Studiendesign und Diodenlaser bei Ulcus cruris venosum. Phlebologie 5: 250–255
. Tab. 33.2. Fasziotomie – ESDP – Ulkuschirurgie, Ergebnisse QS »Varizen« DGG von 2001 bis 2007
Technik
Vor dem eigentlichen Shaving wird im ersten Schritt aus-
reichend Spenderhaut entnommen. Die Hautentnahme
sollte nach Möglichkeit am erkrankten Bein erfolgen, vor-
zugsweise vom lateralen Oberschenkel, der eine stabile
b
und ausreichend dicke Hautschicht anbietet. Spalthaut-
Schichtdicken von 0,3 bis 0,4 mm haben sich bewährt.
Dickere Haut heilt schlechter ein, dünnere Maschenhaut
ist weniger belastungsstabil und weniger alltagstauglich.
Gleiches gilt für das Mesh-Verhältniss: 1 zu 1,5 ist besser
als 1 zu 3.
Zur Hautentnahme und Shave-Therapie stehen ver-
schiedene Handdermatome (Quaba, Schmeller) oder ma-
schinelle Dermatome (Hermanns, Obermayer) zur Ver-
fügung. Es ist günstig akku- oder wellenbetriebene Shaver
zu benutzen. Sie erlauben ein exaktes Entfernen der Ne-
krosen und Fibrosen und bieten ein komfortables und
schnelles Operieren. c
Tipp
a b
Der stationäre Aufenthalt bis zur kompletten Konsoli- nie, Erysipel oder Lymphfisteln. Da sich der Eingriff im
dierung der transplantierten Haut und Alltagstauglichkeit suprafaszialen Gewebelager abspielt ist auch bei größerer
beträgt in unserem Patientengut 36,4 Tage und liegt damit Transplantatabstoßung keine wesentliche Problematik zu
deutlich unter den bekannten Daten von Hach nach Fas- erwarten. Anders ist dies nach Freilegung des subfaszialen
ziektomie (50,2 Tage). Die Rate der Patienten, die zu einer Raumes durch krurale Fasziektomie. Bei Transplantatver-
erneuten operativen oder konservativen Maßnahme auf- sagen liegen alle tiefen Strukturen des Unterschenkels frei
33 genommen wurden, ist mit 10,5% akzeptabel. und stellen eine weitere große therapeutische Anforderung
Auch das direkte kosmetische Ergebnis ist durch die dar.
plane Wundfläche gut. Es entsteht keine Stufenbildung,
wie man es von der kruralen Fasziektomie kennt. Rezidivulkus nach Shave-Therapie
Nur in wenigen Fällen kommt es nicht zu einer vollstän-
> Die Shaving-Therapie bei therapieresistentem
digen primären Einheilung der Transplantate. Komplette
Ulcus cruris ist mit einer Heilungsrate von 70–80%
Abstoßungen wurden im eigenen Krankengut bisher nicht
im Langzeitverlauf allen anderen operativen Ver-
beobachtet. Eine kritische Phase stellt für die Heilungs-
fahren überlegen.
und Reparationsprozesse die 2. postoperative Woche dar.
Durch zunehmende Mobilisation kommt zu einer ver-
Schmerzverhalten mehrten Belastung des Operationsgebietes. Gelegentlich
Trotz des chronischen Krankheitsverlaufs und der lang- lösen sich in dieser Phase primär fixierte Spalthautanteile
jährigen Anamnese leiden die Betroffenen mit floridem zweizeitig ab. Meistens sind es nur kleinere umschriebene
Ulcus unter erheblichen Schmerzen. Bei der Auswertung Areale, die jedoch unter konservativen Maßnahmen noch
des eigenen Patientenkollektivs wurden Schmerzen anhand
der visuellen Analogskala (1 bis 10) vor stationärer Aufnah-
me im Mittel mit 6,8 angegeben. Einschätzungen der
Schmerzen bis Stärke 10 waren keine Seltenheit. Bereits
beim ersten Verbandswechsel am vierten postoperativen
Tag sind die Operierten fast schmerzfrei (0,4 im MW). Die
Schmerzreduktion ist ein wesentlicher Faktor im physi-
schen und psychischen Genesungsprozess. Genaue patho-
physiologische Vorstellungen zum Phänomen der Schmerz-
freiheit nach Shave-Therapie bestehen bisher nicht.
Komplikationen
Begleitstörungen nach Shave-Therapie sind selten. In weni-
gen Fällen entwickelten sich postoperativ Fieber, Pneumo- . Abb. 33.6. Erysipel nach Shave-Therapie bei BMI > 40 kg/m2
33.2 · Operative Therapieansätze
413 33
zu einer kompletten Abheilung führen können. Kleine 33.2.4 Faszienchirurgie
Restläsionen hindern das gute Ergebnis jedoch nicht. Die
Defekte heilen in fast allen Fällen noch während des sta- Die paratibiale Fasziotomie und die Fasziektomie sind
tionären Aufenthaltes ab. Solche Restläsionen kommen bei Operationsverfahren, die die Faszia cruris in die Therapie
etwa 8% bis 10% der operierten Patienten vor. des Ulcus cruris venosum einbeziehen. Durch Eröffnung
10% bis 12% der Ulzerationen heilen unter den ange- des subfaszialen Raums und Druckentlastung der Unter-
gebenen Maßnahmen nicht oder es kommt zu größeren schenkelkompartments stellen sie den kausalen Therapie-
Transplantatabstoßungen. Für diese Ulkusrezidive stehen ansatz im Konzept des chronisch venösen Kompartment-
weitere Therapieoptionen zur Verfügung. Zunächst kann syndroms (CVKS) dar.
eine nochmalige erweiterte Shave-Therapie, je nach Be-
fundausprägung, kombiniert mit einem simultanen VAC- Paratibiale Fasziotomie (PTF) nach Hach
Verband, zur Abheilung führen. Treten Re-Rezidive auf Die paratibiale Fasziotomie wurde 1985 von Hach und
oder liegen transfasziale Nekrosen vor, sollte die Läsion Vanderpuye entwickelt. Die Eröffnung der Faszia cruris
einschließlich der Faszienstrukturen exzidiert werden. mittels eines breiten Spatels herbeigeführt wurde zunächst
Dies entspricht einer partiellen oder kruralen Fasziekto- zur unkontrollierten Perforansdissektion genutzt. Später
mie. Transplantatlager sind dann subfasziale Strukturen wurde sie wesentlicher Bestandteil und theoretischer Aus-
(Muskulatur, Sehnen, Knochen). gangspunkt des chronisch venösen Kompartmentsyn-
droms.
Shave-Therapie und Alter
Wegen der geringen Allgemeinbelastung ist die Shave- Technik
Therapie besonders für den älteren Menschen risikoarm Technisch entwickelte sich die Fasziotomie von der »blin-
und ohne Einschränkung zu vertreten. Durch den konti- den«, nicht selektiven Dissektion mit einer Metzenbaum-
nuierlichen Anstieg der Lebenserwartung wird sich bis Schere über die Herstellung eines speziellen Instrumen-
2050 die Anzahl der über 80-jährigen verdreifachen. Auch tariums (Hach-Fasziotom). Durch einen 3–5 cm langen
die Anzahl älterer Menschen mit floriden Ulcera cruris paratibialen Schnitt werden Haut, Subcutis und die Faszia
venosum wird zunehmen. Jeder 5. Patient im eigenen cruris eröffnet. Die Fazia cruris wird dann mit einer Schere
Krankengut ist heute bereits zum Zeitpunkt der Operation oder dem Hach-Fasziotom bis zum Innenknöchel gespal-
älter als 80 Jahre. Die Ergebnisse bei den älteren bzw. alten ten. Hierbei werden das tiefe und das oberflächliche dorsa-
Patienten unterscheiden sich nicht wesentlich von den Er- le Kompartment eröffnet. Bei Dissektion von Perforansve-
gebnissen bei jüngeren Patienten. Schmerzen und Pflege- nen im Verlauf der Fasziotomie kann es zu einer schwallarti-
aufwand werden deutlich durch die Shave-Therapie redu- gen Blutung kommen, die zur Vermeidung von subfaszialen
ziert. Im hohen Alter ist die operative Ulkus-Therapie eine Hämatomen kontrolliert werden sollte. Eine Faszienspal-
sehr sinnvolle Maßnahme im Konzept der Ulkus-Behand- tung nach proximal schließt sich in der Regel an. Nach Ein-
lung. führung der endoskopischen subfaszialen Perforansdiscisi-
on durch Hauer (1985) bestand auch die Option, eine Fas-
Literatur ziotomie kontrolliert und selektiv durchzuführen.
Hermanns HJ, Hermann V, Waldhausen P, Gallenkemper G (2000) Die Einlage einer Wunddrainage (Nachblutung), sowie
Lebensqualität vor und nach Shave-Therapie bei therapieresis- eine perioperative Antibiotikaprophylaxe (subfasziale In-
tenten Ulcera cruris. Vasomed 2000; 12: 162 fektion) sind zu empfehlen.
Hermanns HJ, Gallenkämper G, Kanya S, et al. (2005) Die Shave-Thera-
pie im Konzept der operativen Behandlung des therapieresis-
Ergebnisse
tenten Ulcus cruris venosum. Phlebologie 34: 209–215
Hermanns HJ (2006) Operative Therapie des Ulcus cruris venosum. Die paratibiale Fasziotomie ist bis heute ein rein empi-
Gefäßchirurgie 11:281–286 risches Verfahren. Retrospektive Analysen oder prospek-
Quaba AA, McDowall RA, Hackett ME (1987) Layered shaving of tive Studien wurden bisher nicht publiziert. Die von Hach
venous leg ulcers. Br J Plast Surg 40: 68–72
und Mitarbeitern begonnene PAFAS-Studie wurde nicht
Schmeller W, Roszinski S (1996) Shave-Therapie zur operativen Behand-
lung persistierender venöser Ulzera mit großflächiger Dermato-
abgeschlossen. Die Studiengruppe berichtete aber in vielen
liposklerose. Hautarzt 47: 676–681 Vorträgen über positive Veränderungen funktioneller,
Schmeller W, Gaber Y (1998) Die Spätergebnisse nach Shave-Therapie hämodynamischer Parameter nach Fasziotomie und güns-
sind abhängig vom Zustand des tiefen Venensystems. Phlebo- tige Abheilungsraten bestehender trophischer Störungen.
logie 27: 195–200
Da eine PTF häufig mit anderen Verfahren (ESDP, Strip-
Schmeller W, Schwahn-Schreiber C, Hiss U et al. (1999) Vergleich
zwischen Shave-Therapie und kruraler Fasziektomie bei der Be-
ping) kombiniert wird, ist ihr alleiniger Wirkungsme-
handlung therapieresistenter venöser Ulzera. Phlebologie 28: chanismus bisher ungeklärt. Die Indikation zur PTF sollte
53–60 heute streng gestellt werden.
414 Kapitel 33 · Chirurgie des Ulcus cruris venosum
Komplikationen a
Ergebnisse über Komplikationen liegen nur begrenzt vor.
Hach beschreibt bei über 1.500 Eingriffen drei schwere
Komplikationen (AV-Fistel, Arterienverletzungen). Genaue
Angaben über revisionsbedürftige subfasziale Hämatome,
Nervenläsionen, postoperative Lymphödeme, Wundhei-
lungsstörungen, Infektionen und tiefe Beinvenenthrom-
bosen bestehen nicht. Da das Verfahren häufig nicht selek-
tiv durchgeführt wird, sind aber Begleitstörungen zu er-
warten.
Patienten 12 244 28 10
Beine 17 320 30 14
Nachbeobachtung 84 51,5 24 84
33.3 Nachbehandlung
36 Thromboembolieprophylaxe – 435
T. Noppeney, H. Nüllen
40 Lebensqualität – 459
H. Nüllen, T. Noppeney
42 Leitlinien – 473
H. Nüllen, T. Noppeney
34
sicht genommen werden kann. Ist eine solche Entwicklung dass eine ausreichende Relativierung der Ergebniser-
der Entscheidungsfindung durch den Patienten gewähr- wartung vorgenommen und alle Aussagen vermieden
leistet, kann mit Einverständnis des Patienten von solchen wurden, die in irgendeiner Art und Weise als Garantiever-
o. g. Zeitvorgaben abgewichen werden. sprechen interpretiert werden können.
Aufklärung bei Minderjährigen Kinder bis zur Voll- Unter bestimmten Voraussetzungen sind geringe Abstriche
endung des 7. Lebensjahres sind geschäftsunfähig. Hier ist an der grundsätzlich umfassenden Aufklärungspflicht
in jedem Falle die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters rechtlich toleriert.
erforderlich, i.d.R. beider Elternteile. 4 Allgemein bekannte Risiken, die im Zusammenhang
mit einem Eingriff auftreten können, bedürfen nicht
Aufklärung und Einwilligung bei eingeschränkter Ge- der ausdrücklichen Erwähnung (BGH NJW 1994,
schäftsfähigkeit Minderjährige zwischen der Vollendung 2414), hingegen müssen schwerwiegende Risiken mit
des 7. bis 18. Lebensjahres sind eingeschränkt geschäfts- weitreichenden Folgen auch dann dargelegt werden,
fähig. Bei Einwilligung in die Durchführung eines operati- wenn sie sehr selten sind. Unter »allgemein bekannt«
ven Eingriffes oder einer sonstigen Intervention empfiehlt könnte man z. B. die Möglichkeit von Nachblutung
sich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, i.d.R. bei- und/oder Wundinfektionen nach operativen Eingrif-
der Elternteile, einzuholen. fen verstehen. Bei Anwendung dieser Regel ist aller-
dings Vorsicht geboten, da der Begriff »allgemein be-
Aufklärung und Einwilligung bei fehlender Geschäftsfä- kannt« durchaus Raum für eine richterliche Interpre-
higkeit Geschäftsunfähig sind neben Kindern Menschen tation lässt.
jeden Lebensalters, die aufgrund einer krankhaften Stö- 4 Bei einfachen Routineeingriffen oder Notfällen kann
rung der Geistestätigkeit nicht in der Lage sind, eine freie auf ein persönliches Aufklärungsgespräch zu Risiken
Willensentscheidung herbeizuführen. In diesen Fällen ist eines Eingriffs verzichtet werden.
34 die rechtswirksame Einwilligung zur Durchführung eines 4 Bei Routineeingriffen kann beim Fehlen von Beson-
operativen oder sonstigen Eingriffes abhängig von der Un- derheiten auf Seiten des Patienten ein Merkblatt zur
terschrift des gesetzlichen Vertreters bzw. eines gerichtlich Aufklärung ausreichen, wenn dem Patienten ausführ-
autorisierten Betreuers. lich Gelegenheit geboten wurde Fragen zu stellen.
4 Verfügt der Patient durch vorausgegangene artgleiche
Aufklärung und Einwilligung bei Verständigungsprob- Eingriffe bereits über Kenntnisse und Erfahrung, so
lemen Bei sprachlichen Verständigungsproblemen ist da- können die nach verbreiteter Ansicht insofern in die
rauf zu drängen, dass der Betroffene Adressat der Aufklä- Aufklärung vereinfachend einbezogen werden, als
rung ist und eine rechtsverbindliche Einwilligung nur er- unterstellt werden kann, dass der Patient bereits über
teilt werden kann, wenn der Inhalt der Aufklärung vom »Fachkenntnisse« verfügt.
Betroffenen verstanden wurde. Der Aufklärende hat dafür 4 Insgesamt sind Erleichterungen bzw. Vereinfachungen
zu sorgen, dass eine Übersetzungsmöglichkeit gegeben ist. im Verfahren der Aufklärung und Einwilligungsdoku-
Das Vorliegen von Verständigungsproblemen kundzutun mentation eher mit Zurückhaltung zu bewerten und
ist hingegen Pflicht des Patienten. im Interesse der rechtlichen Sicherheit eine standardi-
Es ist bei sprachlichen Verständigungsproblemen emp- sierte, aber den individuellen Besonderheiten Rech-
fehlenswert, die Situation und den Ablauf der Aufklärungs- nung tragende Aufklärung durchzuführen und ent-
und Einwilligungssitzung exakt zu dokumentieren. sprechend der Prozessdefinition zu dokumentieren.
Verletzung großer + – +
34.5 Aufklärung vor Verödungstherapie Gefäße
Verletzung von + + +
Institutionen, die regelmäßig Verödungstherapien durch-
Nerven
führen, sollten entsprechend speziell ausgerichtete Aufklä-
rungsbroschüren vorrätig haben. Die Erstellung einer Wundinfektion + + +
schriftlichen Einwilligungserklärung ist angezeigt. Auf- Narbenbildung + + +
geklärt werden sollte über die in . Tab. 34.1 dargestellten
Hämatom + + +
Fakten.
Phlebitis + + –
Schwellung + + +
34.6 Aufklärung vor operativen
Maßnahmen Pigmentierung + + –
Matting + + –
Institutionen, die regelmäßig operative Eingriffe durch-
führen, sollten entsprechend speziell ausgerichtete Aufklä- Wundrandnekrose + + +
Matting + +
Literatur
Jansen C (1995) Zeitpunkt der Aufklärung bei ambulanten und statio- Hämatome + +
nären Operationen. Rheinisches Ärzteblatt März:48–50
Loh A, Simon D, Kriston L, Härter M (2007) Patientenbeteiligung bei
medizinischen Entscheidungen. Deutsches Ärzteblatt 104:1483–
1488
Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H, Braunbeck W, Ehresmann U, Fischer
R, Hermanns H-J, Langer C, Nüllen H, Salzmann G, Schimmel-
pfennig L (2004) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Krampf-
aderleidens der deutschen Gesellschaft für Phlebologie, der
Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, des Berufsverbandes
der Phlebologen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der niederge-
lassenen Gefäßchirurgen Deutschlands e.V. Gefäßchirurgie;
9:290ff
Nüllen H, Noppeney T. (1998) Primäre Varikose. In: Allenberg JR, Zehle
34 A. Leitlinien zu Diagnostik und Therapie in der Gefäßchirurgie.
Deutscher Ärzteverlag Köln
Parzeller M, Wenk M, Zedler B, Rothschild M (2007) Aufklärung und
Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen Deutsches Ärzteblatt
104:576–586
35
35 Anästhesieverfahren
in der Varizenchirurgie
H. Röpcke
Kinder 4 Anamnese
< 18 J. 4 körperliche Untersuchung
4 keine Laborwerte
35.4.2 Medikamentöse Vorbereitung Die Beatmung während der Narkose kann in Form
für eine Anästhesie einer endotrachealen Intubation oder über eine Larynx-
maske sichergestellt werden. Die Einführung einer Larynx-
Die präoperative Applikation von Medikamenten dient maske (der dem Kehlkopf anliegende Teil ist wie ein Nega-
primär der Reduktion von Angst und Stress. Verminderte tiv-Modell des Kehlkopfbereiches geformt) erfordert keine
Magensäuresekretion und Dosisreduktion der Medikamen- Muskelrelaxation. Bei Operationen auf der Dorsalseite der
te zur Narkoseeinleitung und trotzdem kurze postopera- Beine kann eine Lagerung des Patienten in Bauchlage er-
tive Erholungszeiten sind gerne mitgenommene positive forderlich sein. Einige Anästhesisten vertreten auch bei
Effekte. Operationen in Bauchlage die Beatmung über eine La-
Am häufigsten wird ein kurzwirksames Benzodia- rynxmaske, die meisten Anästhesisten würden in diesem
zepin (Midazolam) eingesetzt. Bei bekannten paradoxen Fall die endotracheale Intubation vorziehen.
Reaktionen auf Benzodiazepine kann auf Neuroleptika
ausgewichen werden. Literatur
Prinzipiell ist eine medikamentöse Prämedikation Reischuk, Borowski: Larynxmaske und Bauchlage. Evangelisches Kran-
kenhaus Essen-Werden, E-Mail: narkose@kliniken-essen-sued.de
nicht obligat. Auch intensive persönliche Zuwendung kann
eine deutliche Anxiolyse bewirken. Gleichwohl wird der
überwiegende Teil der stationären Patienten medikamen-
tös prämediziert. Patienten für ambulante Anästhesien 35.6 Spinal- oder Periduralanästhesie
wird eine medikamentöse Prämedikation meist vorenthal-
ten, aus Sorge die Entlassungsfähigkeit (»street fitness«) zu Alternativ zu einer Operation in Narkose können varizen-
verzögern. Auch wenn Patienten mit ambulanten Opera- chirurgische Eingriffe auch in einer Spinal- oder Peridural-
tionen sich meist nur »kleineren« operativen Eingriffen anästhesie durchgeführt werden. Klassische, »medizini-
unterziehen müssen, sollte der Nutzen einer präoperativen sche« Indikationen, Narkose oder rückenmarksnahe An-
Medikation individuell abgewogen werden. ästhesietechniken zu bevorzugen, resultieren aus den Vor-
erkrankungen der Patienten. Da bei der Mehrzahl der
Literatur Patienten mit varizenchirurgischen Eingriffen diesbezüg-
Holstein A, Egberts EH (2006) Traditionelle Metformin-Kontraindika- lich kaum relevante Vorerkrankungen vorliegen, können
tionen – mehr Schaden als Nutzen? Dtsch Med Wochenschr
bei der Wahl des Anästhesieverfahrens Wünsche des Pa-
131:105–110
Redel A, Schwemmer U (2008) Prämedikation – Perioperative Modifi-
tienten und Erfahrungen des Anästhesisten und Opera-
35 kation der Dauermedikation bei kardiovasculären, pulmonalen teurs berücksichtigt werden. Festzuhalten bleibt jedoch,
und metabolischen Erkrankungen. Anästhesiol Intensivmed Not- dass aus juristischen Erwägungen Patienten grundsätzlich
fallmed Schmerzther 2:144–153 über alternative Behandlungsverfahren aufzuklären sind.
Polarz H, Böker Th (2004) Metformin und operative elektive Eingriffe.
Hierzu gehört auch die Alternative Narkose/Regionalanäs-
(Leserbrief ) Anästhesist 53:467–470
thesie. Dies gilt auch dann, wenn die Alternativen im eige-
nen Hause nicht angeboten werden, auch auf die Gefahr
hin, dass der Patient sich dann woanders operieren lässt. In
35.5 Narkose seinen Empfehlungen, zum einen oder anderen Verfahren
zu raten, ist der behandelnde Arzt jedoch frei.
Für die Durchführung der eigentlichen Narkose bestehen Vor der Anlage einer rückenmarksnahen Regionalanäs-
zwei Kombinationsmöglichkeiten thesie sollte wegen des Risikos der Auslösung epiduraler
1. Kombination eines Inhalationsanästhetikums (Isoflu- Hämatome die Blutgerinnung kontrolliert und ein ausrei-
ran, Sevofluran oder Desfluran), eventuell mit Sickoxy- chender zeitlicher Abstand zur letztmaligen Gabe gerinnungs-
dul (Lachgas) und einem Opiat (Fentanyl, Sufentanil, aktiver Medikamente eingehalten werden (. Tab. 35.2).
Alfentanil oder Remifentanil)
2. Kombination eines intravenös applizierbaren Hypno- Literatur
tikums (Propofol) und eines Opiats als sogenannte to- Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und Thromboemboliepro-
phylaxe/antithrombotischen Medikation (2007) 2. überarbeitete
tale intravenöse Anästhesie (TIVA), eventuell mit zu-
Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und
sätzlicher Gabe von Lachgas Intensivmedizin, Anästh Intensivmedizin 48:109–124
. Tab. 35.2. Empfohlene Zeitintervalle vor und nach rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterentfernung
a alleZeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion, b verlängertes Zeitintervall bei Leberinsuffizienz,
c NMH einmalig pausieren, kein NMH 36–42 h vor der Punktion oder der geplanten Katheterentfernung
Die Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA) ist eine Regionalan- Entsprechend der Absprache zwischen den Berufsver-
ästhesie der Haut und des subkutanen Fettgewebes durch bänden der Anästhesiologie und Chirurgie ist die Verant-
direkte Infiltration großer Volumina eines verdünnten Lo- wortung für die intraoperative Lagerung des Patienten eine
432 Kapitel 35 · Anästhesieverfahren in der Varizenchirurgie
35.14 Qualitätssicherung
Literatur
35 http://www.dgai.de/06pdf/08_413-QS-Sicherung.pdf
Eberhart LHJ, Kranke P, Bündgen W, Simon M, Geldner G, Wulf H et al.
(2004) Entwicklung und Evaluation eines neuen Instruments zur
Patientenbeurteilung in der perioperativen Phase (PPP-Fragebo-
gen). Anästh Intensivmed 45:436-445
36
36 Thromboembolieprophylaxe
T. Noppeney, H. Nüllen
36.1 Einleitung
. Tab. 36.2. Tab. 13.2-1: perioperative TVT Prophylaxe mit
niedermolekularem Heparin. QS Projekt Varizenchirurgie
Seit den Untersuchungen von Kakkar (1971) ist die low- ANG 1997–1999
dose Heparinisierung zum Standard als Thrombosepro-
phylaxe in der operativen Medizin geworden. Komplikatio- Eingriffe 16.713 100,00%
nen nach varizenaussschaltenden Eingriffen sind selten Heparin 5.967 35,70%
und in der Mehrzahl unbedeutend (7 Kap. 30, 31.1, 31.3).
Die einzig schwerwiegende postoperative Komplika- Kein Heparin 10.746 64,30%
TVT b 4 0,095%
36.2 Thromboseprophylaxe TVT c 8 0,064%
in der Varizenchirugie
TVT m. Heparin 2 0,034%*
Die vorliegenden Zahlen über die Durchführung einer TVT o. Heparin 10 0,093%*
TVT-Prophylaxe zeigen ein ziemlich uneinheitliches Bild.
Die Daten des Qualitätssicherungsprojektes Varizenchi-
rurgie der ANG aus den Jahren 1997–1999 bei 16.713 Ein-
griffen zeigen, dass 35,7% der Operierten perioperativ ein 0,093% und in der Heparin-Gruppe 0,034% (. Tab. 36.3).
niedermolekulares Heparin zur Thromboseprophylaxe – Die absolute Risikoreduktion (ARR) betrug somit 0,059%.
im Durchschnitt für 5 Tage – erhielten, 64,3% wurden Die Unterschiede in den objektiv beobachteten Häufig-
ohne Prophylaxe operiert (. Tab. 36.2). Die erfassten Fälle keiten sind statistisch nicht signifikant, sie liegen ausnahms-
36 mit nachgewiesener tiefer Beinvenenthrombose wurden los innerhalb der durch das 95%-Konfidenzintervall defi-
einer besonderen Analyse unterzogen. nierten Grenzen (. Abb. 36.1). Die Wahrscheinlichkeit,
Unter den analysierten 16.713 Operationen fanden sich dass bei 1.000 operierten Patienten nicht mehr als 1 Patient
12 Fälle (0,072%) mit objektiv nachgewiesener tiefer Bein- eine Thrombose erleidet liegt unter diesen Bedingungen in
venenthrombose. Dies entspricht 0,1% der behandelten der Heparin-Gruppe bei 95% und ohne Heparinprophylaxe
Patienten (. Tab. 36.3). Lungenembolien bzw. Todesfälle bei 76%. Die »number needed to treat« (NNT) beträgt 1.695
wurden im erfassten Kollektiv nicht beobachtet. Die Throm- operierte Extremitäten unter Heparinprophylaxe um
boserate betrug in der Gruppe ohne Heparin-Prophylaxe 1 TVT zu verhindern (Nüllen 2006).
n % n % n % n %
delten Vene zurückbleibende Thrombus ein zusätzliches Die Eingriffsdauer ist verhältnismäßig kurz. Die Aus-
Thromboserisiko, analog dem Geschehen bei Thrombo- wertung der Operationszeiten im Qualitätssicherungs-
phlebitis, darstellt. Messungen von D-Dimeren, Fibrino- projekt der DGG 2001–2003 ergab, dass 67,4% aller durch-
gen, Fibrin oder anderen Gerinnungsparametern, die da- geführten Eingriffe eine Operationszeit von weniger als
rüber Auskunft geben können, liegen in der Literatur nicht 60 min aufwiesen (Noppeney 2005). In der Qualitätssiche-
vor. rungsmaßnahme Varizenchirurgie der ANG wurden sogar
Wichtig ist bei den wenig invasiven, endovenösen Ein- 91,6% aller Eingriffe in weniger als 60 min ausgeführt. Die
griffen, dass auch hier physikalische Maßnahmen zur Eingriffszeiten für endovenöse Verfahren bzw. die Sklero-
Thromboembolieprophylaxe ergriffen und diese nicht der therapie sind vergleichbar kurz.
geringen Invasivität geopfert werden. Darüber hinaus erscheint eine obligatorische Heparin-
Prophylaxe bei konsequenter Beachtung der physika-
lischen Prophylaxemaßnahmen, wie Kompression und
36.4 Thromboseprophylaxe Mobilisation, bei varizenausschaltenden Eingriffen nicht
bei Sklerosierung erforderlich zu sein.
Die Indikation zur Heparin-Prophylaxe ist vielmehr an
Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Thromboserate bei den individuellen dispositionellen Risikofaktoren auszu-
Sklerotherapie in der Regel gering. Sie bewegt sich bei der richten, die der jeweilig zu behandelnde Patient aufweist.
Schaumverödung zwischen 0,0 und 0,9%. Ein deutlicher Hierzu zählen vor allem
Anstieg der Thromboserate ist jedoch zu verzeichnen, 4 eine stattgehabte TVT
wenn große Schaumvolumina injiziert werden. Angegeben 4 eine positive Familienanamnese
werden bis zu 6% (7 23.5). 4 eine bekannte Thrombophilie
Das interdisziplinäre 2. Konsensusmeeting zur Schaum- 4 die Schwere der Erkrankung
sklerosierung 2006 (Breu 2008) gibt zur Thrombosprophy-
laxe folgende Empfehlungen: Aber auch andere Faktoren, die sonst eine Bedeutung in
4 Patienten mit einem hohen Risiko für eine Thrombose der Risikostratifizierung für eine TVT haben, sind hier zu
stellen eine relative Kontraindikation zur Schaumver- berücksichtigen.
ödung dar; wenn doch eine Sklerotherapie durchge- Auch in der überarbeiteten Leitlinie zur Varikose
führt wird, dann unter Gabe von NMH (Noppeney et al. 2010) wird ausgeführt, dass eine Throm-
4 eine bekannte Thrombophilie stellt ebenfalls eine rela- boseprophylaxe generell nicht notwendig ist, jedoch bei
tive Kontraindikation für Schaumverödung dar; wenn Vorliegen von individuellen Risiken durchgeführt werden
doch eine Sklerotherapie durchgeführt wird, dann un- sollte.
ter Gabe von NMH
36 4 wenn NMH notwendig, dann Gabe für 7 Tage Literatur
Balzer K (2001) Komplikationen bei Varizenoperationen. Zentralbl Chir
126:537–542
Breu X, Guggenbichler S, Wollmann JC (2008) 2nd European Consen-
36.5 Zusammenfassung und Bewertung sus Meeting on foam sclerotherapy 2006. 37: Suppl. 71, 3–29
Encke et al. (2009) Prophylaxe der venösen Thromboembolie (S3 Leit-
Der Einsatz von Heparin zur Thromboseprophylaxe bei linie) VASA 38:7ff; Supplement S/76 http://www.uni-duesseldorf.
kurz dauernden und/oder wenig invasiven Eingriffen wird de/awmf/ll/003-001.pdf
Helmig L (1983) Häufigkeit von Frühkomplikationen bei 13.024 Krampf-
kontrovers diskutiert. In der täglichen Praxis wird die Ent-
aderoperationen. Phlebol Proktol 12: 184–195
scheidung häufig allein unter forensischen Gesichtspunk- Hingorani AP, Ascher E, Markevich N et al (2004) Deep venous throm-
ten zugunsten der Heparinanwendung getroffen, ohne bosis after radiofrequency ablation of the greater saphenous
dass prädisponierende Faktoren und das individuelle Risi- vein; a word of caution. J Vasc Surg; 40: 500–504
ko des Patienten ausreichend gewürdigt werden. Kakkar VV, Field ES, Nicolaides AN et al (1971) Low doses of heparin in
the prevention of deep vein thrombosis. Lancet 2:45
Eingriffe bei unkomplizierter Varikose sind Eingriffe
Lübke T, Brunkwall J (2008) Systematic review and meta-analysis
mit einem niedrigen expositionellen thromboembolischen of endovenous radiofrequency obliteration, endovenous laser
Risiko. In der Regel werden jüngere, gesunde Personen therapy, and foam sclerotherapy for primary varicosis; J Cardio-
ohne schwere Begleiterkrankungen operiert. Das Durch- vasc Surg; 49:213–33
schnittsalter der Patienten in Qualitätssicherungsprojekt Noppeney T, Eckstein HH, Niedermeier H et al (2005) Ergebnisse des
Qualitätssicherungsprojektes Varizenchirurgie der Deutschen
Varizenchirurgie der DGG betrug 51,7 Jahre. 93,9% der
Gesellschaft für Gefäßchirurgie. Gefäßchirurgie 10:121–128
Patienten befanden sich im Stadium ASA 1, bzw. 2 (Noppe- Noppeney T, Noppeney J, Winkler M (2008) Update der Ergebnisse
ney 2005). Auch in anderen untersuchten Patientenkollek- nach Radiofrequenzobliteration zur Ausschaltung der Varikose.
tiven war das Durchschnittsalter vergleichbar niedrig. Gefäßchirurgie;13:258–264
36.5 · Zusammenfassung und Bewertung
439 36
Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H et al (2010) Leitlinie zur Diagnostik
und Therapie der Krampfadererkrankung. Gefäßchirurgie 1, zur
Publikation akzeptiert
Nüllen H, Reese von Ohlen C (1995) Ambulante Varizenchirurgie in der
Praxis. In: Imig, H. Schröder A. Varizen Poplitea Aneurysmen
Steinkopf Darmstadt ,1995
Nüllen H, Noppeney T (2006) Thromboseprophylaxe in der Varizen-
chirurgie Gefäßchirurgie 2006; 11: 117–120
Pröbstle T, Gül D, Kargl A et al (2003) Endovenous laser treatment of
the lesser saphenous vein with a 940 diode laser : early results.
Dermatol Surg; 29: 357–361
van Rij AM, Chai J, Hill GB et al (2004) Incidence of deep vein thrombo-
sis after varicose vein surgery. Br J Surg ; 91:1582–1585
37
Chronische Ulzera mit den Problemen der Superinfektion Staphylokokkus aureus ist ein Bakterium, das ubiquitär
sind in der Phlebologie ein altbekanntes und hinreichend verbreitet ist. Es ist bei jedem 2. bis 3. Menschen auf der
gewürdigtes Problem. Mit der zunehmenden Verbreitung Haut und auf der Schleimhaut des Nasenvorhofs koloni-
multiresistenter Keime hat dieses Problem eine neue Di- siert, ohne per se eine Erkrankung bzw. Infektion auszu-
mension erreicht. lösen. Staphylokokkus aureus ist ein typischer Wundkeim
Infektionen durch multiresistente Erreger (MRE) neh- und stellt weltweit das Hauptproblem bei in Krankenhäu-
men seit Jahren weltweit zu. Ein Problem, welches zunächst sern akquirierten Infektionen (nosokomiale Infektionen)
weitgehend als Hospitalisationsphänomen gesehen wurde, dar.
hat inzwischen auch die ambulante Praxis und nicht kran- Die Durchseuchungsgrade in verschiedenen Ländern
kenhaustypische Institutionen erreicht (z. B. Alten- und werden sehr unterschiedlich angegeben. Es ist wichtig, bei
Pflegeheime (. Tab. 37.2), Kinderheime etc.). Eine Reihe Betrachtung der Zahlen immer die Basis zu betrachten, ob
von Abkürzungen (. Tab. 37.1) charakterisieren die spe- es sich also um Infektionen handelt oder um Anteile der
ziellen Erregertypen. MRSA stellten das zeitlich zuerst mikrobiologisch isolierten Keimarten. Betrachtet man die
aufgetretene und das allgemein bekannteste Problem dar, Häufigkeitsangaben in verschiedenen Ländern, so zeigen
wobei die ersten MRSA-Stämme bereits 1960 isoliert wur- sich extreme Unterschiede. In den Niederlanden z. B. be-
den. So wurde der Begriff »MRSA« zum Synonym für den trägt der MRSA-Anteil über die Jahre relativ konstant
gesamten Bereich der multiplen Antibiotikaresistenz. ca. 3%, wohingegen in Deutschland eine Quote von 25%
beobachtet wurde, mit weiterhin steigender Tendenz.
Während in den Niederlanden ein konsequentes Manage-
ment gegen nosokomiale Infektionen seit Jahren erfolg-
. Tab. 37.1. Nomenklatur der Multiresistenz
reich praktiziert wird, stecken entsprechende Maßnahmen
MRSA methicillinresistente Staphylokokken z. B. in der Bundesrepublik noch in den Kinderschuhen. In
VRE vancomycinresistente Enterokokken
den Niederlanden können die Infektionsquoten auf der
Basis von Erhebungen benannt werden, andere Länder,
ESBL Extended-Spektrum-beta-Laktamase-resistente darunter auch die Bundesrepublik, verfügen lediglich über
gram-negative Bakterien
Hochrechnungen. Diese Zahlen sind daher aus epidemio-
MDRSP multidrugresistente Streptococcus pneumoniae logischer Sicht als eher fraglich valide einzustufen.
Kaum noch beherrschbar ist die Situation in Japan,
VISA vancomycinintermediate Staphylokokkus aureus
Stämme USA, Spanien, Italien, Frankreich und England mit Quo-
ten von 20 bis 60%.
VRSA vancomycinresistente Staphylokokkus aureus Wie konnte es zu dieser, inzwischen durchaus kri-
Stämme
tischen Situation kommen? Die Ursachen hierzu werden
37 gesehen in:
4 hohem kumulativem Selektionsdruck durch unkri-
tische und unsachgemäße Antibiotikatherapie
. Tab. 37.2. Prävalenz von MRSA in Alten- und Pflegeheimen
(2003) 4 Mangel an Präventions- und Hygienemaßnahmen (un-
zureichendes Screening, mangelnde Händedesinfek-
Land Quote in % tion etc.)
4 unterlassene oder unzureichende Sanierung der Infi-
USA 8–53
zierten und Kontaminierten
Großbritannien 14–17
A Abklärung durch Abstrichkulturen aus Nasenvorhof, Rachen, Achseln, Leiste, ggf. Rektum, bis zum Ergebnis
Abstrich ggf. Hautläsionen 3–4 Tage
Ergebnis Von einer erfolgreichen Sanierung kann ausgegangen werden, wenn alle unter D erfolgten
Abstriche ein negatives Kulturergebnis zeigen.
E 4 nach 1 Monat
Wiederholungs- 4 nach 3–6 Monaten
abstriche 4 nach 6–12 Monaten
F Nach 12 Monaten und bleibendem negativen Ergebnissen der Abstrichkontrollen gilt der
Frei Patient als endgültig saniert.
37.6.1 MRSA-Management die Beherrschung der Problematik und »to do«-Listen nicht
in der ambulanten Praxis existieren. Dies darf aber den Praxismanager nicht davon
abhalten, seinerseits proaktiv tätig zu werden.
Die MRSA-Problematik ist kein reines »Krankenhausprob-
lem« oder Problem allgemein stationärer Behandlungs- Identifikation
einheiten (Alten- und Pflegeheime etc.), sondern auch ein Eine MRSA-Abklärung ist nicht bei jedem Patienten not-
Problem in der ambulanten Arztpraxis. Die Probleme, die wendig, dies würde alle verfügbaren Ressourcen sprengen.
37 dabei in diesem Versorgungsbereich auftreten können, Bei Erstkonsultationen von Patienten, die in das o. g. Risi-
umfassen: koprofil passen, sollte jedoch vor notwendigen invasiven
4 die Nachversorgung bekannter MRSA-Träger oder Behandlungsmaßnahmen eine Abklärung der MRSA-Kon-
auch MRSA-Infizierter nach der Entlassung aus statio- tamination erfolgen. Die MRSA-Testung muss bei der Erst-
närer Behandlung konsultation von Patienten mit Hautläsionen, chronischen
4 die Identifikation von MRSA-Besiedlungen z. B. bei Wunden und Ulcera cruris obligatorisch sein. Bis zum Vor-
Patienten mit chronischen Wunden vor einer eventuell liegen eines mikrobiologischen Befundes muss der betref-
notwendigen stationären Versorgung fende Patient behandelt werden wie ein bekannter MRSA-
4 Verhinderung der Weiterverbreitung von MRSA-Be- Träger.
siedlung in und durch die eigene Praxis Bei der Übernahme von Patienten mit sekundären
Wunden oder Ulcera aus der stationären Versorgung
Auch die »normale« Arztpraxis und erst recht die gefäßme- müssen Testergebnisse über den MRSA-Status übermittelt
dizinisch bzw. phlebologisch orientierte Praxis wird nicht werden.
umhinkommen, ein MRSA-Konzept zu entwickeln und zu Eine eindeutige und nachvollziehbare Dokumentation
dokumentieren. Kooperationen und Absprachen über In- über den MRSA-Status von Patienten mit einem entspre-
formationswege und Behandlungspfade mit den Kliniken chenden Risikoprofil oder chronischen Wunden bzw.
im Einzugsbereich sind ebenfalls dringend erforderlich. Ulzera in der Patientenakte etc. ist aus medizinischen,
Hierbei erweist es sich als hinderlich, dass immer noch in allerdings auch aus forensischen Gründen wichtig und
vielen deutschen Kliniken nachvollziehbare Konzepte für sollte mit entsprechender Akribie betrieben werden.
37.6 · MRSA-Management
445 37
Isolierung Desinfektionsbäder eingelegt werden, bevor sie der wei-
Nach übereinstimmender Meinung der einschlägig be- teren Reinigung und Sterilisation zugeführt werden.
kannten Experten sind besondere Isolationsmaßnahmen, 4 Nach Beendigung einer Behandlungsmaßnahme wird
Kittelpflege etc. in der ambulanten Arztpraxis nicht erfor- nach Entsorgung der kontaminierten Einmalmate-
derlich. Konkrete Verhaltensmaßregeln (Arbeitsanweisun- rialien eine Flächendesinfektion der Behandlungsliege
gen) für das Praxispersonal und ein dokumentierter ein- vor der Behandlung des nächsten MRSA-Patienten
deutig definierter Arbeitsablauf bei der Versorgung von durchgeführt.
MRSA-Patienten sowie die Festlegung von Desinfektions- 4 Nach Beendigung der Behandlungsserie ist eine gründ-
maßnahmen sind jedoch zwingend notwendig. liche Säuberung und Flächendesinfektion aller Flä-
chen unter Beachtung der Einwirkzeiten erforderlich.
Ablaufplanung Danach können die Räumlichkeiten für den nor-
Um einen standardisierten Behandlungsablauf bei der malen Betrieb wieder freigegeben werden, erkennbar
Versorgung von MRSA-Patienten zu gewährleisten, sollen an der autorisierten Entfernung der o. a. Kennzeich-
feste Regeln in Form von Arbeitsanweisungen aufgestellt nung.
und deren Einhaltung von den verantwortlichen Ärzten
regelmäßig kontrolliert werden. Die aufgeführten Maßnahmen sind als ausreichend zu
4 MRSA-Patienten müssen bekannt sein und in der Do- betrachten. Ein Unterschreiten dieses Standards sollte
kumentation (Kartei/EDV etc.) gekennzeichnet sein. jedoch vermieden werden. Man muss davon ausgehen,
4 MRSA-Träger und MRSA-Infizierte sollen zu festen dass die Spitze der Kontaminations- und Infektionshäu-
Zeiten einbestellt werden. figkeit in Deutschland noch nicht erreicht ist und die Ver-
4 Für die Behandlung sollen nach Möglichkeit immer die sorgungsproblematik MRSA-kontaminierter Patienten
gleichen Räumlichkeiten benutzt werden. in Praxen sich noch weiter verschärfen wird. Der mit der
4 Mit Beginn einer Behandlungsphase müssen die Versorgung verbundene erhebliche zeitliche, logistische
Räumlichkeiten gekennzeichnet werden, damit für alle und personelle Mehraufwand hat bislang keinen Eingang
Eingeweihte erkennbar ist, dass eine MRSA-Behand- in die einschlägigen Gebührenordnungsziffern gefunden.
lungsserie angelaufen ist und die Räumlichkeit für Der hohe Aufwand und die hierzu in keinem vernünftigen
nicht MRSA-Patienten und für nicht eingeteiltes Per- Verhältnis stehende Honorierung sind zwei gewichtige
sonal gesperrt ist. Als Kennzeichnung bietet sich z. B. Gründe für bereits erkennbare Versorgungsengpässe. Es
ein Schild in Form eines laminierten DIN A4 Blattes besteht die Gefahr für ein neuzeitliches »Aussätzigenprob-
mit einem aufgedruckten großen roten Punkt an. lem«!
4 Die Behandlung soll nur von besonders geschultem
und besonders erfahrenem Personal vorgenommen
werden. Eine eindeutige Einteilung und Zuordnung ist 37.6.2 MRSA-Management in der Klinik
erforderlich (Rückverfolgbarkeit).
4 Verbrauchsmaterial, Instrumente etc. sollen vor Be- Die Situation in der Klinik, insbesondere in einer opera-
ginn der Behandlung bereitgestellt werden. Zusätzlich tiven Abteilung, ist grundsätzlich anders zu bewerten als
benötigtes Material soll durch einen »Springer« zuge- die Situation in der Praxis. In der Klinik überwiegen i.d.R.
führt werden. schwerkranke und mehr oder weniger abwehrgeschwächte
4 Alle Maßnahmen am Patienten müssen unter Verwen- Patienten, die darüber hinaus unter invasiven Überwa-
dung von Handschuhen erfolgen. Das Tragen eines chungs- bzw. Therapiemaßnahmen stehen. Diese Situation
Mundschutzes ist empfehlenswert. Besondere »Kittel- führt leicht dazu, dass aus einer MRSA-Kontamination
pflege« ist nicht erforderlich. eine MRSA-Infektion wird. Daher sind hier besondere
4 Während der Behandlung soll die Behandlungsunter- Maßnahmen zu treffen.
lage im Wundbereich aus wasserfestem Einmalmate-
rial bestehen. Aufnahme
4 Alle gebrauchten Verbandmaterialien, gebrauchten Patienten mit Hautdefekten, chronischen Wunden und
Handschuhe, Unterlagen etc. sollen sofort in beson- Ulzera gelten bei der Aufnahme als potentiell kontami-
dere Entsorgungsgefäße (z. B. kleine Müllbeutel) ver- niert und sollen unter Isolationsbedingungen weiter abge-
bracht werden, die bei Abschluss der Behandlung so- klärt werden. Während der Isolation von Verdachtsfällen
fort der endgültigen Entsorgungseinheit zugeführt und bei gesicherten MRSA-Trägern soll sog. »Kittelpflege«
werden. erfolgen.
4 Gebrauchte Instrumente müssen sofort nach Beendi- Wahleingriffe sollten erst nach MRSA-Sanierung er-
gung der Behandlungsmaßnahme in entsprechende folgen.
446 Kapitel 37 · MRSA in der Phlebologie
38 Qualitätssicherung
in der Varizenchirurgie
T. Noppeney, H. Nüllen
Die Varikose und ihre Folgeerkrankungen gehören zu den exakte Auswertung der Daten möglich. In der strom-
volkswirtschaftlich bedeutenden Erkrankungen. In der ak- bahnbezogenen Auswertung ist auch der entscheidende
tuellsten epidemiologischen Studie, der Bonner Venenstu- Fortschritt im Vergleich zu den Daten des QS Varizen-
die 2003, fand sich chirurgie der ANG zu sehen.
4 bei 12,4% der Männer und 15,8% der Frauen eine Vari- Neben der schlüssigen Auswertung der erfassten Daten
kose ohne Zeichen einer CVI, ist die Definition von Qualitätszielen bzw. Qualitätsindika-
4 bei 11,6% der Männer und 14,9% der Frauen venös toren für die invasive Therapie der Varikose wichtig.
bedingte Ödeme Qualitätsindikatoren sind Hilfsgrößen, die die Quali-
4 bei 3,8% der Männer und 3,4% der Frauen eine fort- tät einer Institution durch Zahlen bzw. Zahlenverhältnisse
geschrittene chronisch venöse Insuffizienz (CEAP: indirekt abbilden. Man könnte sie auch als qualitätsbezo-
C4–C6) (Rabe 2003). gene Zahlen bezeichnen (Peitsch 1996). Verschiedenen
Arten von Qualitätsindikatoren werden unterschieden:
Dies bedeutet, dass knapp 28% der männlichen und 34% 4 globale Indikatoren
der weiblichen Bevölkerung eine mehr oder weniger aus- 4 fachspezifische Indikatoren
geprägte Varikose aufweisen. 4 diagnosespezifische Indikatoren
Die Bedeutung der Varikose spiegelt sich auch in der 4 übergreifende Indikatoren.
Anzahl der jährlich durchgeführten Operationen wieder.
In Deutschland werden jährlich ca. 300.000–350.000 vari- Zu allgemein anerkannten Qualitätsindikatoren in der
zenchirurgische Eingriffe durchgeführt. invasiven Therapie zählen z. B. die Aufklärungsquote,
Die Qualität der durchgeführten Eingriffe wird viel- die Anzahl nosokomialer Infektionen, der postoperative
fach angezweifelt. Eine Publikation aus dem Jahr 2002 Transfusionsbedarf, die Rate der Operationen bis zum
(Mumme) sorgte für erhebliche Unruhe und Diskussionen, 2. Tag nach stationärer Aufnahme und adäquate Diagnos-
da in dieser Arbeit hauptsächlich technische Fehler beim tik. Im Laufe der Qualitätssicherungsmaßnahmen müssen
Ersteingriff für die hohe Rezidivrate nach Varizenopera- dann die Qualitätsindikatoren anhand der erfassten Daten
tionen angeführt werden. auf ihre Validität überprüft werden.
Auf Grund der uns vorliegenden Daten muss davon Für die QS-Varizenchirurgie wurden folgende Quali-
ausgegangen werden, dass z. Z. nur ca. 10% aller Eingriffe tätsziele bzw. -indikatoren definiert:
am epifaszialen Venensystem in spezialisierten Zentren 1. Exakte Beschreibung des Ausmaßes und der Schwe-
mit entsprechender Erfahrung in der operativen bzw. re der Erkrankung
endovaskulären Sanierung der Varikose durchgeführt Die Beschreibung des klinischen Bildeserfolgt mit Hil-
werden. fe der CEAP-Klassifikation; für die Beschreibung der
Anatomie und Pathophysiologie wird die CEAP-Klas-
sifikation und Stadieneinteilung nach Hach verwendet
38.1 Entwicklung (7 Übersicht; 7 Kap. 15). Daraus lässt sich die korrekte
Indikationsstellung zur Ausschaltung der Varikose ab-
Vor diesem Hintergrund und basierend auf den Erfah- leiten; keine operative oder endovenöse Maßnahme im
38 rungen des Qualitätssicherungsprojektes (QS) Varizen- Stadium C1, Operation einer sekundären Varikose nur
chirurgie, das im Bereich der Arbeitsgemeinschaft nieder- bei bestimmter Indikationsstellung
gelassener Gefäßchirurgen (ANG) von 1995 bis 2000 2. Erfassung und Charakterisierung der Diagnostik
durchgeführt worden ist, wurde von Seiten der Qualitäts- Keine Varizenoperation soll ohne bildgebendes Verfah-
sicherungskommisssion der Deutschen Gesellschaft für ren in der präoperativen Diagnostik durchgeführt wer-
Gefäßchirurgie (DGG) die QS-Varizenchirurgie entwi- den. Dieses Qualitätsmerkmal hat auch Eingang in die
ckelt und 2001 eingeführt. Leitlinie zur Therapie des Krampfaderleidens gefunden
Die Schwierigkeit von Qualitätssicherungsmaß- (Noppeney et al. 2004). Als bildgebendes Standardver-
nahmen bei der Varizenchirurgie besteht darin, dass fahren soll die farbcodierte Duplexsonographie einge-
der Patient zwei Extremitäten mit insgesamt bis zu setzt werden. Zusätzlich muss vor einem Eingriff am
vier zu operierenden Stromgebieten hat. Man muss in der epifaszialen Venensystem das tiefe System in der präo-
Erfassung unterscheiden zwischen der Zahl der Patienten perativen Diagnostik beurteilt sein (7 Übersicht).
und der Zahl der Eingriffe. Da die Eingriffe sowohl mehr- 3. Beurteilung des operativen bzw. endovenösen Vor-
zeitig als auch einzeitig durchgeführt werden können, gehens
muss auch nach der Zahl der operierten Strombahnen Aufgrund der erhobenen Befunde soll eine stadien-
differenziert werden. Erst nach »Herunterbrechen« der gerechte Therapie eingeleitet werden. Aus den Daten
Qualitätssicherung auf die einzelne Strombahn war eine sollte sich eine Korrelation zwischen den präoperativen
38.2 · Ergebnisse
449 38
Stadien und dem entsprechenden operativen bzw. 4 intraoperative Gefäßverletzungen ≤ 0,05%
endovenösen Vorgehen ergeben. So sollte bei einer In- 4 tiefe Venenthrombose ≤ 1,00%
suffizienz der V. saphena magna (VSM) Hach I oder II 4 Lungenembolie ≤ 0,05%
lediglich eine Crossektomie ohne oder mit Stripping 4 Wundinfektion ≤ 1,00%
der VSM am Oberschenkel durchgeführt werden, bei 4 Nachblutung/ ausged. Hämatom ≤ 1,00%
einer Insuffizienz der VSM bis zum Unterschenkel – 4 Lymphkomplikationen ≤ 1,00%
Hach III oder IV – eine Crossektomie und Stripping 4 Bluttransfusion ≤ 0,05%
der VSM bis zum Unterschenkel.
4. Erfassung der Ergebnisqualität Daneben lassen sich noch weitere Parameter für eine hohe
Intraoperative Komplikationen sollten äußerst selten Ergebnisqualität definieren, wie z. B. die Rate an periope-
auftreten. Bluttransfusionen sollten nach komplika- rativen Sensibilitätsstörungen, pulmonalen oder kardialen
tionsloser Varizenoperation nicht vorkommen. Darü- Komplikationen. Diese Komplikationen sind jedoch ent-
ber hinaus sollte eine möglichst niedrige perioperative weder relativ häufig – Sensibilitätsstörungen – und müssten
Komplikationsrate erreicht werden (7 Übersicht). ggf. neurologisch nachuntersucht werden, um sie zu vali-
dieren, oder sie treten sehr selten auf und geben letztlich
keine Auskunft über die Qualität des durchgeführten Ein-
Qualitätsziele und Qualitätsindikatoren
griffs.
Varizenchirugie
Es besteht ein weiteres Problem in der Erfassung der
4 exakte Beschreibung des Ausmaßes und der perioperativen Komplikationen. Während der niedergelas-
Schwere der Erkrankung sene Arzt, sei es als ambulanter Operateur, als Beleg- oder
4 keine Varizenoperation ohne bildgebendes Ver- Konsiliararzt, seinen Patienten in der Regel auch postope-
fahren, möglichst häufig Duplexsonographie rativ betreut und so alle Komplikationen bis zu 30 Tagen
4 Einleitung einer stadiengerechten Therapie erfassen kann, sieht der Krankenhausarzt den Patienten in
4 Korrelation zwischen präoperativen Befunden der Regel nur zur Operation und danach maximal 2 Tage.
und operativem Vorgehen Um in dieser Konstellation die Komplikationen bis zu
4 seltenes Auftreten intraoperativer Komplikationen 30 Tagen zu erfassen, muss eine enge Kooperation mit dem
4 möglichst niedrige perioperative Komplikations- zuweisenden Arzt bestehen. Aus der letzten Auswertung
rate von 2008 geht hervor, dass 30,7% der operierten Patienten
4 Eingriff in möglichst gutem Gesundheitszustand nur bis zu drei Tagen postoperativ nachuntersucht wurden
und immerhin 4,9% zwischen 22 bis 30 Tagen und 26,3%
länger als 30 Tage nachuntersucht wurden.
Aus den vorliegenden Daten der Literatur lassen sich vor- Zur Erfassung der Daten wurden die oben genannten
läufige Benchmarks definieren. Qualitätsziele bzw. Qualitätsindikatoren in entsprechende
Nach großen Singlecenterstudien beträgt die intra- Abfragen und Markierungsfelder umgesetzt. Um über-
operative Komplikationsrate mit Verletzungen großer Ge- prüfen zu können, ob die übersandten Daten valide sind,
fäße zwischen 0,0 und 0,05% (Balzer 2001, Helmig 1983). wurden bei verschiedenen Markierungsfeldern Plausibili-
Die perioperative Rate tiefer Venenthrombosen (TVT) tätsabfragen hinterlegt. Die Erfassung der Daten erfolgte
zwischen 0,03 und 0,1%, die Rate von Lungenembolien zunächst schriftlich auf Markierungsbögen, seit 2005 elek-
(LE) wird mit 0,0 bis 0,02% angegeben (Balzer 2001, Hel- tronisch internetbasiert. Die von der DGG beauftragte
mig 1983, Nüllen 1998). Nach endovenösen Eingriffen, die Softwarefirma (Fileteam, Brannenburg) führt eine jähr-
in den vorliegenden Studien alle mittels Duplexsono- liche Auswertung der Daten durch. Jedem Teilnehmer
graphie nachuntersucht wurden, wird die Häufigkeit einer wird eine individualisierte Auswertung im Vergleich zum
TVT in bis zu 2,7% (Perrin 2004), die Häufigkeit einer LE Gesamtkollektiv zur Verfügung gestellt.
in bis zu 0,2% angegeben (Noppeney 2008).
Die Häufigkeit von Infektionen, Nachblutungen und/
oder ausgedehnten Hämatomen, sowie von postoperativen 38.2 Ergebnisse
Lymphfisteln ist mit jeweils unter 1% sehr niedrig. Zu Blut-
transfusionen nach Operation findet sich in der Literatur Die dargestellten Daten beziehen sich auf eine Sammelaus-
nur bei Helmig (1983) eine Angabe, die Häufigkeit beträgt wertung der Jahre 2001, 2002 und 2003 (Noppeney 2005)
0,32%. und die derzeit letzte vorliegende Auswertung von 2008.
Aus diesen Daten lassen sich folgende Grenzwerte ab- Die Zahl der Teilnehmer hat in dieser Zeit von 84 (2001)
leiten, die dann mit den Ergebnissen aus dem QS-Varizen- auf 63 (2008) leicht abgenommen. Der überwiegende Teil
chirurgie abgeglichen werden müssen: der Teilnehmer waren Kliniken.
450 Kapitel 38 · Qualitätssicherung in der Varizenchirurgie
In den drei ersten Jahren wurden 36.323 Patienten mit Eine Zunahme der Eingriffe war im Stadium C6 zu ver-
49.939 Strombahnen operiert, davon waren 26.014 weib- zeichnen.
lich und 10.309 männlich. Das Durchschnittsalter betrug Die Mehrzahl der Operierten in den Jahren 2001–2003
38 51,7 Jahre. Die Altersverteilung zeigt, dass jüngere Patien- wies die Stadien ASA 1 und 2 auf. Patienten im Stadium
ten häufiger ambulant, ältere Patienten häufiger stationär ASA 3 wurden nur selten und Patienten in Stadium ASA 4
operiert wurden (. Abb. 38.1). Im Jahre 2008 flossen 11.453 nur in Ausnahmefällen operiert. Es zeigten sich jedoch
operierte Strombahnen in die Auswertung ein, das Durch- deutliche Unterschiede zwischen dem ambulanten und
schnittsalter der Patienten betrug 55,7 Jahre. dem stationären Bereich in der Verteilung der ASA-Klas-
2001–2003 wurde von den bildgebenden Verfahren die sifikation (. Abb. 38.3). Die Verteilung der ASA-Klassifi-
Duplexsonographie mit 78,91% (n = 28.664) am häufigs- kation hat sich im Verlauf der Jahre nicht geändert.
ten angewendet. Eine Phlebographie wurde in 25,04% Eine Veränderung in den Zahlen hat sich im Zeitver-
der Fälle (n = 9.095) durchgeführt. Zwei bildgebende Ver- lauf zugunsten der ambulanten Operationen ergeben.
fahren, Duplexsonographie und Phlebographie, erhielten Wurden im ersten Zeitraum 44,48% der Patienten ambu-
immerhin 11,20% (n = 4.068). Auffällig war, dass 213 Patien- lant, 55,52% stationär operiert, so betrug der Anteil ambu-
ten präoperativ keiner bildgebenden Diagnostik zugeführt lanter Eingriffe 2008 54,0%, während 46,0% stationär
worden sind. 2008 haben sich die Zahlen deutlich verän- durchgeführt wurden.
dert, die Duplexsonographie wurde in 94,54% angewen- 2001–2003 betrug der Anteil der Rezidiveingriffe
det, die Anzahl der Phlebographien sank auf 13,11%. 14,75%. Er stieg 2008 auf 20,02%.
Der überwiegende Anteil der operierten Extremitäten Während bei der Sammelerhebung der Anteil sonsti-
befand sich im klinischen Stadium C2 und C3 (. Abb. 38.2). ger Operationsverfahren – hier waren damals auch Ra-
38.2 · Ergebnisse
451 38
. Abb. 38.3. ASA-Klassifikation. QS Var-
zien 2001-2003, n 36.323 Patienten
(n = 198/2.129) im Stadium ASA 3 zu verzeichnen. Auch Die in dem QS der DGG definierten Qualitätsziele bzw.
im Stadium ASA 4 war die Komplikationsrate mit 7,48% Qualitätsindikatoren sind im Wesentlichen fachspezifische
deutlich erhöht (n = 4/51). bzw. diagnosespezifische Indikatoren.
Die postoperative Komplikationsrate korrelierte auch Mit Hilfe der CEAP-Klassifikation und der Stadienein-
mit der Schwere des klinischen Erscheinungsbildes an. So teilung nach Hach lässt sich das Ausmaß und die Schwere
betrug die postoperative Komplikationsrate im Stadium der Erkrankung eindeutig beschreiben. Die Auswertung
C4/C5 8,21% (n = 445/5.421) und im Stadium C6 13,4% hat gezeigt, dass kongenitale Veränderungen und die se-
(n = 86/642). Eine positive Korrelation ergab sich auch be- kundäre Varikose zahlenmäßig unbedeutend sind, so
züglich der Infektionsrate und der Operationsdauer: die dass die Erfassung der Ätiologie (»E« aus CEAP) nicht not-
Infektionsrate betrug im ambulanten und stationären Be- wendig erscheint. Auch die Erfassung der Pathophysio-
reich bei einer Operationsdauer unter 30 min 0,13% bzw. logie, (Reflux oder Obstruktion) hat letztlich – wie unsere
0,16% und stieg bei einer Operationsdauer von über Auswertungen zeigten – für die Qualitätssicherung keine
120 min auf 0,52% bzw. 1,30%. Bedeutung.
In der derzeit letzten vorliegenden Auswertung von 2008 Die Beschreibung der Anatomie (S1–S5, D6–D16, P17,
betrug die postoperative Komplikationsrate nur noch 1,9%. P18) ist notwendig, wenngleich die Auswertungen gezeigt
Genauer analysiert wurde 2001–2003 die Thrombose- haben, dass das tiefe Venensystem nur in einem geringen
prophylaxe. Eine postoperative Thromboseprophylaxe er- Prozentsatz der Fälle mit erkrankt ist. Aus diesem Ge-
hielten 31.465 Patienten, davon 69,6% (n = 25.276) zwi- sichtspunkt erscheint es ausreichend, die Beschreibung des
schen 1 und 5 Tage und 17% (n = 6.189) über 5 Tage. tiefen Venensystems zu reduzieren und lediglich zu erfas-
4.858 Patienten (13,4%) erhielten perioperativ keine sen, ob eine begleitende Insuffizienz vorliegt. Auf die Be-
Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin urteilung des tiefen Venensystems selbst sollte nicht ver-
(NMH). Die Rate der postoperativen venösen Thrombo- zichtet werden, da die Beurteilung des tiefen Venensystems
embolien unterschied sich in den 3 Gruppen nicht wesent- als ein Qualitätsmerkmal einer präoperativ komplett
lich (kein NMH 0,06%, n = 3; NMH 1–5 Tage 0,07%, durchgeführten Diagnostik gelten kann.
n = 18; NMH über 5 Tage 0,42%, n = 26). Die Nachblu- Unsere Auswertungen haben weiter gezeigt, dass es
tungs-/Hämatomrate war mit 1,21 (n = 59) und 1,20% sinnvoll wäre, die klinische Klassifikation und die Stadien-
(n = 303) in der Gruppe ohne NMH und der Gruppe mit einteilung nach Hach der jeweiligen Extremität bzw. ope-
NMH 1–5 Tage gleich. Sie stieg auf 3,60% (n = 232) bei den rierten Strombahn zuzuordnen, da sich dadurch die Aus-
Patienten, die NMH länger als 5 Tage erhielten. wertungen erheblich vereinfachen ließen.
In der präoperativen Diagnostik zeigte sich, dass die
überwiegende Mehrzahl der untersuchten Patienten einem
38.3 Wertung und Weiterentwicklung bildgebenden Verfahren unterzogen wurden. Am häufigs-
ten wurde die Duplexsonographie durchgeführt. Der An-
Das Qualitätssicherungsprojekt der DGG hat eindeutig teil der Duplexsonographie in der Diagnostik stieg von ca.
gezeigt, dass eine Qualitätssicherung im Bereich der Vari- 75% auf ca. 97% in 2008.
zenchirurgie sinnvoll durchführbar ist. Der große Fort- Die Auswertung der Ergebnisse ergab weiterhin, dass
38 schritt in der Qualitätssicherung Varizen bestand darin, nach exakter Beschreibung des Ausmaßes der Erkrankung
die Operationen strombahnbezogen aufzuteilen und so und korrekt durchgeführter präoperativer Diagnostik eine
eine differenzierte Auswertung zu ermöglichen. Dadurch dem Stadium der Erkrankung entsprechende operative
gelingt es, zum einen personenbezogene und zum anderen Therapie durchgeführt wurde. Jedoch entsprach in ca.
operationsbezogene Auswertungen durchzuführen. Hie- 2,9% der operierten Strombahnen 2001–2003 das opera-
rin unterscheidet sich dieses Qualitätssicherungsprojekt tive Vorgehen nicht dem präoperativ ermittelten Stadium.
wesentlich von früheren Qualitätssicherungsprojekten, Hier wurde der Eingriff entweder zu radikal oder zu wenig
wie z. B. der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Gefäß- ausgedehnt durchgeführt.
chirurgen oder der Qualitätssicherung Varikose in Baden- Die intra- und postoperative Ergebnisqualität der Va-
Württemberg. rizenchirurgie ist generell sehr gut. Die Inzidenz schwer-
Die Auswertung der Qualitätssicherung Varizen der wiegender Komplikationen, wie intraoperative Gefäßver-
DGG hat gezeigt, dass die Qualitätsindikatoren, die defi- letzungen, tiefe Venenthrombose oder Lungenembolie
niert worden sind (7 Übersicht) überprüfbar und valide sind sehr niedrig und ihrer Höhe den Ergebnissen ver-
sind. Sie entsprechen damit der sog. RUMBA-Regel (Rele- gleichbar, die in großen Serien publiziert worden sind
vant for the selected problem, understandable for providers (Balzer 2001, Heidrich 2004, Helmig 1983). Aus den vor-
and patients, measurable with high reliability and validity, liegenden Daten des QS Varizenchirurgie der DGG und
behaviourable and achievable and feasible). lässt sich ableiten, dass die unter dem vierten Qualitätsin-
38.3 · Wertung und Weiterentwicklung
453 38
dikator definierten Benchmarks für gute intra-und peri- Um einen technischen Fehler oder ein Versagen der
operative Ergebnisqualität valide und angemessen sind. Methode auszuschließen muss neben der Erfassung der
Die Auswertung der Komplikationen in Bezug zum peri-, intra- und postoperativen Komplikationen zusätz-
allgemeinen Gesundheitszustand (ASA Klassifikation) lich eine Dokumentation der Refluxausschaltung und des
zeigte einen deutlichen Anstieg der Komplikationsrate ab technischen Erfolges der Operation erfolgen. Dies könnte
Stadium ASA 3. Eine derartige Korrelation der Zunahme z.B. in einer intraoperativen digitalen Fotographie des
der perioperativen Komplikationsraten ist auch in anderen sapheno-femoralen oder sapheno-poplitealen Überganges
Bereichen, wie z. B. der Karotischirurgie beschrieben (Eck- bestehen oder in einer postoperativen duplexsonographi-
stein 2001). Da die Varizenerkrankung keine lebensbe- schen Untersuchung. Diese Dokumentation sollte in das
drohliche oder im Frühstadium keine gesundheitlich QS Varizen mit aufgenommen werden.
schwer beeinträchtigende Erkrankung darstellt und gleich- Ein anderer Parameter, der durch die derzeitige Quali-
zeitig die Komplikationsraten in den Klassen ASA 1 und 2 tätssicherung Varizen nicht erfasst wird, ist die Patienten-
sehr niedrig sind, sie andererseits in höheren ASA Klassen zufriedenheit, die Beeinträchtigung der Lebensqualität
deutlich ansteigen, wurde in Zusammenarbeit und Diskus- und der Venous Clinical Severity Score (VCSS). In mehre-
sion mit der Bundesstelle für Qualitätssicherung (BQS in ren prospektiven Untersuchungen konnte gezeigt werden,
Düsseldorf) als weiteres Qualitätsziel bzw. Qualitätsindi- dass sich die Lebensqualität der Patienten nach varizen-
kator definiert, dass die invasive Therapie der Varikose chirurgischen Eingriffen signifikant verbessert und dieser
in möglichst gesundem Allgemeinzustand durchgeführt Effekt auch bis zu 2 Jahren postoperativ anhält (Dwerry-
werden sollte. Eingriffe in den Klassen ASA 4 und höher house 1999, MacKenzie 2002). Die gleiche Verbesserung
sollten die Ausnahme darstellen und bedürfen einer be- kann auch für den VCSS nachgewiesen werden. Durch die
sonderen Indikation (. Tab. 1). Erfassung der Patientenzufriedenheit wäre eine Überprü-
Eine gute Qualität eines varizenausschaltenden Ein- fung der Strukturqualität der Institution möglich, die Mes-
griffs wird neben einer niedrigen Komplikationsrate vor sung der Lebensqualität und des VCSS lässt einen Schluss
Allem durch eine niedrige Rezidivrate bestimmt. Bei Rezi- auf die Nachhaltigkeit des Eingriffs zu.
diven muss jedoch unterschieden werden, ob sie durch die Die Erfahrungen der letzen Jahre mit dem QS Varizen
Progression der Grunderkrankung, eine Neovaskularisa- hat gezeigt, dass einige der erfassten Daten für den Nach-
tion oder einen technischen Fehler, bzw. ein Versagen der weis einer guten oder schlechten Qualität nicht notwendig
Methode verursacht wurden (7Kap. 18.1). Progression der sind, gleichzeitig die o.a. Punkte nicht im derzeitigen QS
Grunderkrankung und Neovaskularisation können nicht Varizen enthalten sind. Hier ist eine Überarbeitung der
beeinflusst werden, da sie möglicherweise durch genetische Datenerfassung notwendig.
Disposition verursacht werden, eine Rezidivvarikose infol-
ge dieser Entitäten kann deshalb nicht als schlechte Qualität Literatur
definiert werden. Ein Rezidiv wegen eines technischen Feh- Balzer K (2001) Komplikationen bei Varizenoperationen. Zentralbl Chir
lers – z.B. inkomplette Crossektomie – oder eines Versagens 126: 537–534
Dwerryhouse S, Davies B, Harradine K et al (1999) Stripping of the long
der Methode – z. B. Rekanalisation nach endovenöser Aus-
saphenous vein reduces the rate of reoperation for recurrent
schaltung – muss dagegen als schlechte Qualität angesehen varicose veins: five-year results of a randomised trial. J Vasc Surg
werden. Aus diesem Grund ist es wichtig die Rezidive zu 29: 589–592
klassifizieren um gute und schlechte Qualität unterschei- Eckstein H et al (2001) Qualitätsmanagement Carotis der Deutschen
den zu können. Daher sollte bei der QS bei einem Rezidiv- Gesellschaft für Gefäßchirurgie – Ergebnisse 1999. Gefäßchirur-
gie 6: 81–90
eingriff eine Klassifikation des Rezidivs nach dem REVAT
Heidrich M, Balzer K (2004) Stanardisierte Varizenchirurgie – Operations-
Schema vorgenommen werden. Ein Nachteil der Qualitäts- technik, Komplikationen, Ergebnisse. Gefäßchirurgie 9:276–283
sicherungsmaßnahme ist, dass die Ergebnisqualität hin- Helmig L (1983) Häufigkeit von Frühkomplikationen bei 13.024
sichtlich der Rezidivraten in einer Qualitätssicherungs- Krampfaderoperationen. Phebol Proktol 1983; 12: 184–95
maßnahme, die sich nur auf den perioperativen Zeitraum MacKenzie RK, Paisley A, Allan PL et al (2002) The effect of long saphe-
nous vein stripping on quality of life. J Vasc Surg 35: 1197–1203
erstreckt, nicht beurteilt werden kann. In dem QS der DGG
Mumme A, Olbrich S, Barbera L et al (2002) Saphenofemorales Leisten-
wurde abgefragt, wer die Patienten länger als 30 Tage peri- rezidiv nach Stripping der Vena saphena magna: technischer
operativ nachuntersucht. Hierbei zeigte sich, dass bei Fehler oder Neovaskularisation? Phlebologie 31: 38–41
56,08% der Patienten weitere Nachuntersuchungen geplant Noppeney T, Kluess H, Gerlach H et al (2004) Leitlinie zur Diagnostik
waren und immerhin 72,47% der Patienten durch den und Therapie des Krampfaderleidens; Gefäßchirurgie 9: 290–308
Noppeney T, Eckstein H, Niedermeier H et al (2005) Ergebnisse des
gleichen Operateur weiter behandelt werden und so für
Qualitätssicherungsprojektes Varizenchirurgie der DGG. Gefäß-
einen Großteil der Patienten eine Überprüfung der Ergeb- chirurgie 2005; 10: 121–128
nisqualität auch nach Jahren möglich erscheint, ein Nach- Noppeney T (2008) Up-date der Ergebnisse nach Radiofrequenzob-
untersuchungsmodul ist in dem QS-tool angelegt. literation Gefäßchirurgie 2008; 10: 191–194
454 Kapitel 38 · Qualitätssicherung in der Varizenchirurgie
38
39
Die primäre Varikose gilt als unheilbar. Es gehört daher Der Patient soll darüber aufgeklärt sein, dass der Spontan-
nach der Diagnosestellung in jedem Stadium der Varikose verlauf der Erkrankung individuell unterschiedlich sein
zur Erstaufklärung, den Patienten darüber zu informieren, kann. Dies gilt sowohl im zeitlichen Verlauf als auch in
dass ihn die Probleme, die in der Folge der Varikose auftre- Bezug auf den erreichten Schweregrad. Ein bislang blander
ten können, in Form von Progredienz der Erkrankung, Verlauf bietet keine Gewähr dafür, dass dies auch in der
Zunahme des Beschwerdebildes und Komplikationsmög- Zukunft so bleiben wird.
lichkeiten etc. lebenslang begleiten werden. Es gilt ein Prob- Die Vereinbarung von Nachsorgeterminen und Ver-
lembewusstsein und Wissen zu vermitteln, welches plan- laufskontrollen muss gemessen an den individuellen Be-
volle Vorsorge und Handeln des betroffenen Patienten in sonderheiten des Einzelfalles und dem individuellen An-
der Zukunft möglich machen. Im informierten und prob- spruch und Leidensdruck des betroffenen Patienten be-
lembewussten Patienten liegt die einzige realistische Mög- messen werden. Unter pragmatischen Gesichtspunkten,
lichkeit, langfristig die Rate an schweren und komplika- die die Realisierbarkeit aus Kapazitätsgründen und ge-
tionsreichen Verläufen mit ihren persönlichen und sozio- sundheitsökonomischen Gesichtspunkten berücksichtigt,
ökonomischen Konsequenzen zu verringern. können die im Folgenden näher dargelegten Erfahrungs-
Die Beobachtung des spontanen Krankheitsverlaufs werte eine Orientierung geben.
und eine Entscheidung darüber zu treffen, zu welchem
Zeitpunkt und bei welchen besonderen Entwicklungen
Nachuntersuchungskonzept nach Krampfader-
und Ereignissen eine Fachkonsultation notwendig ist,
operationen
kann der informierte Patient aufgrund seines so erzeugten
Krankheitsbewusstseins i.d.R. selbst vornehmen. 4 unmittelbar nach der Operation, 1. oder 2. post-
Anders ist die Situation bei der Organisation einer operativer Tag
planvollen Nachsorge und Nachbeobachtung nach durch- 4 zum Zeitpunkt der Entfernung von Nahtmaterial
geführten Behandlungsmaßnahmen, Operationen etc. (10–14 Tage postoperativ)
Hier ist die feste Vereinbarung von Nachuntersuchungs- 4 4 Wochen postoperativ (Entscheidung über die
und Kontrollterminen wünschenswert, die je nach Schwe- Fortsetzung der Kompressionstherapie)
re des Falles und ggf. Vorliegen von Spätschäden und Kom- 4 3 Monate postoperativ (Beurteilung des Früh-
plikationen der Grunderkrankung unterschiedlichen Mus- ergebnisses; Refluxprüfung)
tern folgen können. 4 1 Jahr postoperativ (Beurteilung des Gesamt-
Feste Regeln für die Organisation der Nachsorge bei ergebnisses; Refluxprüfung)
Krampfadererkrankung gibt es jedoch nicht. Studien zu 4 außerhalb der festgelegten Zeiten, wenn der
diesem Themenbereich fehlen. Lediglich die epidemio- Patient anhand seiner Beobachtungskriterien eine
logischen Studien belegen den Anstieg der Beschwerden Konsultation für erforderlich hält
und der Schwere der Erkrankung sowie eine Zunahme von
Komplikationen über die Zeit. Wie viel Beratung, Betreu-
ung und Behandlung der Varizenpatient im Laufe seines Für die Nachuntersuchung nach Sklerosierungstherapie
Lebens wirklich braucht ist nicht bekannt. Dies verwun- kann im Prinzip die gleiche zeitliche Abfolge ab der letzten
dert nicht, da Versorgungsforschung in Deutschland in Sklerosierungssitzung gelten.
den Kinderschuhen steckt und z. Z. auch eher auf andere Während also der Patient mit blander bzw. klinisch
Krankheitsbilder fokussiert ist. nicht bedeutsamer Varikose, wie dargelegt, die Notwen-
39 Wenn der betroffene Patient den Verlauf und die Kom- digkeit der Nachuntersuchung selbst beurteilen kann,
plikationsmöglichkeiten der Erkrankung verfolgen und sollte für Patienten unter chronischer Kompressionsthe-
beurteilen soll, muss man ihm Beurteilungskriterien vor- rapie eine geplante Nachsorge und Kontrolle vereinbart
geben, durch die er den Zeitpunkt für eine Konsultation werden. Ein vernünftiger Termin für eine Kontrollmaß-
beim Spezialisten abschätzen kann. nahme könnte z. B. der Zeitpunkt der Erneuerung der
Strumpfversorgung sein oder es sollte, wenn die Strumpf-
Beobachtungskriterien versorgung beim Hausarzt erfolgt, einmal pro Jahr ein
Der aufgeklärte Patient sollte achten auf: Kontrolltermin beim Spezialisten vereinbart werden. Dies
4 Zunahme des Beschwerdebildes betrifft Patienten mit permanenter Kompressionsthe-
4 Zunahme sichtbarer Krampfadern rapie bei
4 Auftreten von Hautveränderungen 4 nicht sanierter Varikose
4 Auftreten von Ödemen 4 Ödempatienten
4 Auftreten von Venenentzündungen 4 tiefer Leitveneninsuffizienz
4 Zustand nach abgeheiltem Ulcus cruris
39 · Nachsorge und Langzeitbetreuung
457 39
Auch hier gelten die genannten Intervalle als Orientierung,
die je nach Schwere des Krankheitsbildes oder dem Auf-
treten von Veränderungen im Verlauf angepasst werden
können und müssen.
40 Lebensqualität
H. Nüllen, T. Noppeney
Die Form der Erfolgsbeurteilung nach medizinischen »die Wahrnehmung von Personen über ihre Stellung im
Maßnahmen und Interventionen ist seit jeher ein umstrit- Leben im Zusammenhang mit der Kultur und den Wert-
tenes Problem in der Medizin. In der naturwissenschaft- systemen in denen sie leben und in Bezug auf ihre Ziele,
lich orientierten Medizin (wissenschaftszentrierte Medi- Erwartungen, Standards und Angelegenheiten. Es ist ein
zin) hat man sich darauf geeinigt, möglichst objektive, d. h. weitreichendes Konzept, das in einer komplexen Art von
reproduzierbar messbare Parameter zur Erfolgsbeurtei- der physischen Gesundheit der Person, vom psycholo-
lung heranzuziehen. Unter dem Einfluss eines gesund- gischen Status, dem Grad der Unabhängigkeit, von sozi-
heitsökonomischen Ansatzes, aber auch aufgrund von alen Beziehungen, persönlichen Überzeugungen und ih-
Forderungen der Gesundheitspolitik hat sich die Betrach- rem Verhältnis zu den wichtigsten Merkmalen ihrer Um-
tungsweise dahingehend geändert, dass regelmäßig nach welt beeinflusst wird.« (WHO-QOL Group 1993)
dem Nutzen für den Patienten gefragt wird (patienten- »die Auswirkungen von Gesundheit, Krankheit und
zentrierte Medizin). Behandlung auf das tägliche Leben hinsichtlich sozialer
So kann die Ausschaltung des Refluxes und der Reflux- Beziehungen, beruflicher und materieller Situation, all-
strecke bei der Therapie der Stammvarikose unbestritten gemeiner Leistungsfähigkeit, körperlichem Befinden,
zur Objektivierung der Therapieergebnisse z. B. nach Va- psychischem Befinden und der eigenen sozialen Rolle.“
rizenoperationen herangezogen werden. Unter dem Ge- (Augustin 1998)
sichtspunkt der patientenzentrierten Medizin muss man »ein multidimensionales psychologisches Konstrukt,
jedoch feststellen, dass dieser Parameter den betroffenen das durch mindestens vier Komponenten zu operationali-
Patienten nicht wirklich interessiert. Er kann damit i.d.R. sieren ist: das psychische Befinden, die körperliche Verfas-
wenig anfangen. Den Patienten interessiert, ob sich seiner sung, die sozialen Beziehungen und die funktionale Kom-
Beschwerden gebessert haben und eine Aussicht auf unbe- petenz.« (Bullinger 1998)
schwerte und lang anhaltende Lebensfreude besteht. Diese »Allgemein kann gesagt werden, dass Lebensqualität
Sicht der Dinge führte dazu, dass in den letzten Jahren in eine subjektive Einschätzung von individuell wahrgenom-
zunehmendem Maße Patientenzufriedenheit und Lebens- menen und gewichteten Beschaffenheiten des Lebens ist,
qualität (LQ) zu zentralen Ergebniskriterien (outcome orientiert an einer individuellen Norm. Inhaltlich (jedoch)
assessment) geworden sind. muss Lebensqualität als eine ‚Black box’ angesehen wer-
Lebensqualität ist ein Begriff, der erst sekundär von den.« (Heissel 1998)
der Medizin okkupiert wurde. Die ersten Definitionen und
Anwendungen kamen aus der Volkswirtschaft und Sozial- Akzeptiert man den Ansatz, dass Aussagen zur Lebensqua-
forschung und fanden erst über die Gesundheitsökonomie lität ein angemessenes Kriterium für die Beurteilung des
und die Politik den Weg in das Vokabular der Mediziner. Nutzens eine Behandlungsmaßnahme darstellt, so ist klar,
Der Begriff der Lebensqualität ist ein kritischer Son- dass dieser Nutzen nach den geltenden Regeln der Wissen-
derfall des Qualitätsbegriffes. In einer sehr allgemein ge- schaft auch empirisch überprüfbar sein muss. Die Aufgabe
haltenen und einfachen Definition kann man Qualität als der Lebensqualitätsforschung besteht vornehmlich darin,
ein (hohes) Maß an Übereinstimmung (Konformität) zwi- objektive Maßstäbe für die Darstellung subjektiver Befind-
schen Forderung bzw. Definition und Wirklichkeit be- lichkeiten zu entwerfen und die hierzu notwendigen Ins-
greifen. Der Spezialfall Lebensqualität gehört im Sinne trumente zu entwickeln (Rose 2002).
der klassischen Philosophie (Demokrit) zur subjektiven Bei der Diskussion um verfahrenstechnische Beson-
Qualität. Im persönlichen Horizont ist die Einschätzung derheiten muss man unterscheiden, zu welchem Zweck der
40 der Lebensqualität abhängig von den charakterlichen und Parameter LQ letztendlich erfasst bzw. ermittelt wird. Für
intellektuellen Voraussetzungen und im historischen gesundheitsökonomische Fragestellungen ergeben sich
Horizont von der Lebenserfahrung, den Hoffnungen und durchaus andere Kriterien als für die Generierung eines
Erwartungen des Einzelnen. internen Qualitätsindikators (QI), zur wissenschaftlichen
Unterschiedliche Definitionen des Begriffes Lebens- Bewertung eines Behandlungsverfahrens oder als QI etwa
qualität sind versucht worden, die einen sehr unterschied- im Zusammenhang mit der internen Qualitätssicherung
lichen philosophischen Ansatz widerspiegeln. bzw. einem Versorgungsvertrag mit einem speziellen Kos-
tenträger. Die Beurteilung des Parameters Lebensqualität
als zentraler Qualitätsindikator hat bereits eine große Be-
deutung erlangt, insbesondere in der Sicht der Kostenträ-
ger. Es steht zu erwarten, dass diese Bedeutung weiter an-
wachsen wird.
40.2 · Methodik
461 40
allgemeine/globale Lebensqualität Aussagen über die allgemeine Lebens- medizinsoziologische und -psychologische
»Quality of life« situation Grundlagenforschung
QOL
gesundheitsbezogene Lebensqualität Aussagen über den allgemeinen Gesund- klinischer Vergleich zwischen verschiede-
»Health related quality of life« heitszustand nen Erkrankungen
HRQL
erkrankungsbezogene Lebensqualität Aussagen über spezifische Belastungen klinischer Vergleich zwischen verschiede-
»Disease specific related quality of life« durch spezifische Erkrankungen oder nen Therapien
DRQL Behandlungen
Utility Messungen Aussagen über die Bedeutung spezifischer Gesundheitsökonomie, klinischer Vergleich
Erkrankungen für die allgemeine Lebens- zwischen verschiedenen Erkrankungen
situation oder Therapien
sehr unterschiedlichen Gesundheitszuständen und eine und sinnvoll ist, einen DRQL auf den gesamten Bereich der
Ermittlung von repräsentativen Bevölkerungsdaten. Erkrankungen des venösen Systems auszurichten (Vari-
Beim Profilverfahren werden verschiedene lebens- kose, CVI, TVT, PTS), oder ob man das Design des Tests
qualitätsrelevante Dimensionen durch unterschiedliche auf einzelne Krankheitsgruppen herunter brechen soll
Abstufungen dargestellt. Beim Indexverfahren werden da- (Rutherford 2009). Ein internationaler Standard ist hier
rüber hinaus die unterschiedlichen Abstufungen gewichtet sinnvoll und wünschenswert.
und in einen Index überführt. Die Gewichtungs- und In- Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Praktikabilität eines
dizierungsregeln werden bei der Entwicklung des jewei- Testverfahrens, insbesondere wenn man unterstellt, dass
ligen Testbogens durch zusätzliche empirische Überle- es an leicht erfassbaren Qualitätsindikatoren (QI) im all-
gungen getestet und überprüft. gemeinen und insbesondere in der Phlebologie mangelt
Eine ausführliche Diskussion der unterschiedlichen me- und die Kostenträger im Gesundheitswesen ebenso wie der
thodischen Ansätze, das angestrebte Ziel der Bestimmung Gesetzgeber, gestützt auf entsprechende Empfehlungen
der LQ zu erreichen, Vor- und Nachteile darzustellen und zu des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen (SVR),
werten, würde den hier gesetzten Rahmen sprengen. Hierzu auf die Einführung entsprechender QI drängen (pay für
muss auf die weiterführende Literatur verwiesen werden. performance). Ein optimaler Test sollte eine hohe Zuver-
lässigkeit besitzen, sowie schnell und einfach durchzu-
Messung der Lebensqualität führen sein. Es wäre ideal, einen Test zu haben, der auf alle
4 nutzentheoretische Messung Venenerkrankungen ausgelegt ist. Man kann davon ausge-
4 psychometrische Messung hen, dass ein solcher umfassender Test, wie oben skizziert,
5 generische Instrumente bei einer angestrebten hohen Messgenauigkeit einen er-
– Profilbestimmung heblichen Umfang annehmen würde, der seiner allgemei-
– Indexbestimmung nen Akzeptanz und Verbreitung entgegensteht. Bei kom-
5 krankheitsspezifische Instrumente plexen und umfangreichen Fragekatalogen ergibt sich u. U.
– Profilbestimmung das Problem, dass Fragen abgearbeitet werden müssen, die
– Indexbestimmung für die spezielle Situation des Probanden nicht relevant
sind und so eine unnötige Belastung darstellen. Man muss
sogar davon ausgehen, dass sie, obwohl nicht relevant, das
40.3 Spezielle Testverfahren Antwortverhalten des Probanden beeinflussen. Es gibt
neue, von der klassischen Testtheorie abweichende An-
Unter den Bedingungen der täglichen Praxis ergibt sich die sätze für komplexe Testkonstruktionen (Item Response
Frage, für welches Testverfahren soll ich mich entscheiden? Theory), die EDV-gestützt das vorausgegangene Antwort-
Welches Verfahren ist geeignet eine vernünftige Abbildung verhalten des Probanden für die Auswahl und die notwen-
der Lebensqualität des Venenkranken unter den Bedin- dige Zahl der nachfolgenden Fragen verwerten und somit
gungen des Arbeitsalltags, außerhalb wissenschaftlicher den Umfang der Befragung optimieren.
Studien zu gewährleisten? Welche Forderungen sind an ein Nach dem bisherigen Stand der Dinge ist die Erfassung
alltagstaugliches Instrument für die Erfassung der LQ bei der LQ in der Phlebologie auf Studien beschränkt und in
Venenkranken zu stellen? der täglichen Routine-Arbeit nicht praktikabel.
Inzwischen liegt eine Vielzahl von publizierten und 4 SF36
validierten Tests vor, die unterschiedlich strukturiert und Eines der bekanntesten Frageinstrumente ist der 1992
fokussiert sind. Zur HRQL liegen auch in Deutschland ent- von Ware und Sherbourne publizierte SF-36 Fragebo-
standen Testverfahren vor (Heinisch 1991, Bullinger 1993), gen (www.sf-36.org; www.quali-team.de; www.jsigle.
40 wobei unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten und ins- com). International anerkanntes und verbreitetes Ins-
besondere im internationalen Kontext der ›Medical Out- trument für die HRQL.
comes Study Short Form (SF-36) health assessment ques- 4 Aberdeen varicose vein severity score (AVVS)
tionaire‹ sich durchgesetzt hat. (Garrat 1993)
Im Bereich der DRQL liegt eine solche Vielzahl von un- DRQL-Test speziell fokussiert auf die Varikose. Anwen-
terschiedlichen Tests vor, dass man geneigt ist festzustellen, dung in Kombination mit SF36 mit zusätzlichen
dass jede Arbeitsgruppe sich offensichtlich ihren eigenen 20 krankheitsspezifischen Fragen.
Test erfindet. Dies ist natürlich im Sinne der Vergleichbar- 4 CIVIQ (Launois 1996)
keit von Studienergebnissen sehr hinderlich. Es kommt DRQL-Test mit 20 Fragen in 4 Dimensionen (psychi-
hinzu, dass es durchaus nicht als geklärt angesehen werden sches Befinden, Schmerzen, physische Funktionen,
kann, ob es vernünftig ist, einen DRQL immer in Verbin- Sozialleben); erfasst keine schweren Stadien der CVI
dung mit einem HRQL anzuwenden und ob es möglich wie Dermatoliposklerose und Ulzera
40.4 · Ausblick
463 40
4 Freiburg Life Quality Assessment (FLQA) (Augustin Kondering U, Schell H (2001) Lebensqualität. In: Lauterbach, Schrappe,
Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence
1997)
based Medicine. Schattauer-Verlag, Stuttgart
DRQL-Test mit 84 Fragen in 8 Dimensionen (körper- Lamping DL, Schroter S, Kurz X, Kahn RS, Abenhaim L (2003) Evalua-
liche Beschwerden, Alltagsleben, Sozialleben, psychi- tion of outcome in chronic venous disorders of the leg: Develep-
sches Befinden, Therapie, Zufriedenheit, Berufsleben) ment of ascientifically rigorous, patient-reported measure of
4 Venenskala (Dieze 1998) symptoms and quality of life. 37:410–419
Heinisch M, Ludwig M, Bullinger M (1991) Psychometrische Testung
DRQL-Test mit 104 Items in 8 Dimensionen (körper-
der »Münchener Lebensqualitäts-Dimensions-Liste« (MLDL). In:
liche Beschwerden, Behandlung, funktioneller Status, Bullinger M, Ludwig ; von Steinbächel N (Hrsg) Lebensqualität bei
krankheitsspezifische Ängste, Stimmungslage, Zufrie- kardiovaskulären Erkrankungen. Hogrefe, Göttingen
denheit, Sozialleben, Bewertung der Krankheit) Heissel A (1998) Grundlagen der Messung von Lebensqualität.
4 The Charing Cross Venous Ulcer Questionaire (Smith Novartis, Nürnberg
Konerdring U, Schell H (2001) Lebensqualität. In: Lauterbach, Schrappe
2000)
(Hrsg.) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evi-
DRQL-Test speziell für venöse Ulzera dence-based Medicine. Schattauer, Stuttgart
4 VEINES (Venous Insufficiency Epidemiological and MacKenzie RK, Paisley A, Allen PL, Lee AJ, Ruckley CV, Bradbury AW
Economic Study Quality of Life and Symptoms (2002) The Effect of long saphenous stripping on quality of life.
(VEINES-QOL/Sym) (Lamping 2003) 35:1197–1203
Nüllen H, Noppeney T (2006) Lehrbuch Qualitätsmanagement in der
DRQL-Test mit Einschluss aller Erkrankungen des
Arztpraxis. Deutscher Ärzteverlag, Köln
Venensystems mit 26 Fragen Rose M (2002) Messung der Lebensqualität bei chronischen Erkran-
kungen. Habilitationsschrift, Humboldt-Universität Berlin
Rutherford RB, Moneta GL, Padberg FT, Meissner MH (2009) Outcomme
40.4 Ausblick assessment in chronic venous disease. In: Gloviczki P (Ed,) Hand-
book of Venous Disorders. Third Edition, Arnold Ltd. London
Smith JJ, Guest M, Greenhalgh RM, Davies AH (2000) Measuring quality
In der Zukunft wird die Messung der Lebensqualität nach of life in patients with venous ulcer. J Casc Surg 31:642–9
dem Willen der Kostenträger im Gesundheitswesen und
der Politik für die Bewertung von Effizienz und Nutzen
medizinischer Leistungen herangezogen werden müssen.
Die Lebensqualität ist nur durch standardisierte Befragung
von Zielgruppen zu bestimmen. Die LQ gehört zu den wei-
chen Zielparametern.
Wenn der Grad der Lebensqualität der bevorzugte Pa-
rameter zur Bestimmung der Ergebnisqualität werden soll,
stellt sich die Frage, wie dies in der Praxis systematisch
erfasst werden kann und soll. Zurzeit kann festgehalten
werden, dass die vorhandenen Instrumente hierzu wenig
geeignet sind. Adaptierte Instrumente hierzu fehlen und
Vorstellungen zur Umsetzung und Kostenerstattung bei
derartig komplexen Erhebungsmodi sind bislang nicht
entwickelt worden.
Literatur
Augustin M, Dieterle W, Zschocke I, Brill C, Trefzer D, Peschen M,
Vanscheidt W (1997) Development and validation of a disease-
specific questionaire on the quality of life of patients with chronic
venous insufficiency. VASA 26:291–301
Augustin M, Zschoke I, Vanscheidt W, Schöpf E (1999) Lebenqualität bei
chronischer Veneninsuffizienz. Deutsches Ärzteblatt 96:1971–1973
Bullinger M, Kirchberger I, von Steinbächel N (1993) der Fragebogen
»Alltagsleben«, ein verfahren zur Erfassung der gesundheitsbezo-
genen Lebensqualität. Z Med Psych 2:121–131
Dietze S, Bullinger M, Kirchberger I, Dinkel R, Unkauf M (1998) Entwick-
lung und Validierung eines krankheitsspezifischen Fragebogens
zur Erhebung der Lebensqualität bei Venenkranken mit chronsich
venöser Insuffizienz (Venenskala). Z Gesundheitswiss 6:21–33
Garrat AM, McDonald LM, Ruta DA, et al. (1993) Towards measurement
of oucome for patients with varikose veins. Qual Health Care
3:5–10
41
Begutachtungsfragen spielen auch in der Gefäßmedizin Der Gutachter ist zur Objektivität verpflichtet. Seine
eine immer größer werdende Rolle, d. h. die Anzahl der Beurteilungen haben häufig weitreichende Folgen für das
Begutachtungen nimmt in allen Verfahrensbereichen zu. weitere Schicksal des zu Begutachtenden, aber auch für die
Die Gründe hierfür sind unklar. Versichertengemeinschaft.
Die Beurteilung und Bewertung der Varikose und de- Der Gutachter ist bei seiner Arbeit nur der Sache und
ren Folge für die Leistungsfähigkeit der Betroffenen ist oft seinem Gewissen verpflichtet, also weder dem Betrof-
nicht einfach und führt nicht selten zu Auseinanderset- fenen noch der den Auftrag erteilenden Stelle.
zungen. Dies ist zurückzuführen auf die nicht selten hohe Der Gutachter beurteilt und bewertet den medizi-
Erwartungshaltung der Betroffenen in Bezug auf die Ein- nischen Sachverhalt, ggf. den Zusammenhang der ob-
schätzung der Bedeutung der Varikose für ihre persönliche jektiven Befunde, die Ordnungsmäßigkeit der Behand-
Situation und Leistungsfähigkeit. lung und die Belastungsfähigkeit des Versicherten. Er
Die Kenntnisse, belegt durch objektive Forschung, entscheidet nicht in der Sache. Er ist im Rahmen seines
über Fragen der Belastungsfähigkeit von Versicherten mit Auftrages vielmehr Berater für die Entscheidungsinstanz
Krampfaderleiden und der Zumutbarkeit von Belastun- der jeweiligen Versicherung bzw. deren rechtlicher Ent-
gen bei Krampfaderleiden sind dürftig. Die meisten Fest- scheidungsinstanz, im Sozialrecht also i.d.R. der Sozialge-
stellungen basieren auf dem niedrigsten Evidenzgrad, richte.
der Expertenmeinung. Diese aber hat sich in den letzten Besondere Anforderungen, Erfahrungen und Kennt-
Jahrzehnten, wenn man an die Bemessung von Arbeits- nisse sind erforderlich, um als Gutachter im ärztlichen
unfähigkeitszeiten denkt, an die Verweildauer bei statio- Haftungsrecht und im Zivil- und Strafrecht tätig zu sein
närer Versorgung oder an die Frage der Erfordernis einer (7 Abschn. 41.2).
ambulanten oder stationären Versorgung so grundlegend
gewandelt, dass praktisch keine festen Regeln in der Lite-
ratur zu finden sind, auf die sich der Gutachter stützen 41.2 Formale Anforderungen
kann. So findet man in den einschlägigen Artikeln der an ein Gutachten
älteren Literatur häufig Diskurse über die Pathophysio-
logie und die Pathologie aber weniger über die Bewertung Was ein Gutachten ist bzw. was es sein soll, ist nicht ver-
der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Ist die Litera- bindlich definiert.
tur über die tiefe Beinvenenthrombose und ihre Folgen
noch recht überzeugend, so findet man zum Thema Ein ärztliches Gutachten ist die Anwendung der medizi-
der Varikose und ihrer Folgen eher weniger konkrete An- nisch-wissenschaftlichen Erkenntnis auf einen Einzelfall im
gaben. Hinblick auf eine bestimmte, meist außerhalb des direkten
Die ständigen und schnell aufeinander folgenden Än- medizinischen Bereichs liegende Frage (Ludolph 2002).
derungen der Sozialgesetzgebung in der Bundesrepublik
führen in der Begutachtung zu immer neu zu beachtenden Das ärztliche Gutachten ist Entscheidungshilfe für den
rechtlichen und formalen Änderungen und dies macht es Auftraggeber in einer konkreten Situation und zu einem
notwendig kurz auf die Rahmenbedingungen der Begut- konkreten Zweck. Die damit verbundene Fragestellung
achtung einzugehen. ist i.d.R. vom Auftraggeber vorgegeben. Fehlt die Angabe
einer konkreten gutachterlichen Fragestellung, so bezieht
sich der Auftrag zur Begutachtung i.d.R auf den gesamten
41.1 Anforderungen an den Gutachter Gesundheitszustand des zu begutachtenden bzw. auf den
gesamten Behandlungsverlauf. Die Aufgabe des Gutachter
Bei der Gutachtenerstellung im Bereich der Phlebologie besteht dabei ausschließlich in
sollte die Erstellung eines sachgerechten Befundes für den 4 der Feststellung und Dokumentation von Tatsachen
ausgebildeten Phlebologen keine Schwierigkeit darstellen. zum (objektiven) Befund
41 Die sachgerechte Beurteilung der Befunde und Zusam- 4 der Beurteilung von Befund- und Verlaufstatsachen.
menhänge und deren Einbindung in die unterschiedlichen Dabei ist zu unterscheiden zwischen
Anforderungen des gegliederten Sozialversicherungssys- 5 Beurteilung der Wertigkeit der Befunde (Zustands-
tems und des gegliederten Sozialrechtes in der Bundes- gutachten)
republik ergeben da eher Probleme. Zu unterscheiden sind 5 Beurteilung der Ursachen (Zusammenhangsgut-
Gutachten für die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem achten)
öffentlich-rechtlichen und dem privat-rechtlichen Bereich.
Hier ist eine besondere Einarbeitung in die rechtlichen Gutachten dienen der Wissensvermittlung und damit der
Grundlagen unverzichtbar. Entscheidungsgrundlage für Instanzen ohne eigenen me-
41.4 · Wichtige Begriffe und Terminologie im Gutachterwesen
467 41
dizinischen Sachverstand. Dies muss bei der sprachlichen 41.3 Struktur des sozialen
Vermittlung von Tatsachen und Beurteilungen berücksich- Sicherungssystems
tigt werden.
Voraussetzung für ein den Erfordernissen entspre- In der Bundesrepublik Deutschland ist die staatliche Vor-
chendes Gutachten ist die Kenntnis des Rechtsbereichs, für sorge für existenzielle Risiken der Bürger seit Anfängen der
den das Gutachten erstellt wird. Es ist jedoch nicht Aufgabe Bismarckschen Sozialgesetze immer weiter entwickelt
des Gutachters rechtliche Fragen zu erörtern oder zu be- worden zu einem auf die verschiedensten Risiken des Le-
antworten. bens abgestimmten, gegliederten System der sozialen Ab-
Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen Vordruckgut- sicherung. Dazu gehören die
achten (Formulargutachten), bei welchen die Gliederung 4 Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) (SGB V)
und die Fragestellungen vorgegeben und teilweise formal 4 Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) (SGB VI)
beantwortet werden sollen und freien Gutachten, bei 4 Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) (SGB VII)
welchen der Gutachter den Aufbau und die Gliederung des 4 Arbeitslosenversicherung (SGB II)
Gutachtens frei bestimmen kann. Dennoch sollen auch bei 4 Pflegeversicherung (PflegeVG) (SGB XI)
sog. freien Gutachten gewisse formale Grundsätze beach- 4 Soziales Entschädigungsrecht (SER)
tet werden. 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) (SGB IX)
Ein sachgerechtes Gutachten enthält die Darlegung der 4 Sozialhilfe (SGB XII)
Fragestellung, des Sachverhaltes und die Einschätzungen
und Bewertungen mit der vertretbar knappsten Diktion. Grundsätzlich ist im Hinblick auf die Art des Sicherungs-
Aktenauszüge sind überflüssig, da diese der auftraggeben- systems zu unterscheiden zwischen
den Stelle vorliegen. Hier reichen, soweit überhaupt erfor- 4 Versicherung (Solidargemeinschaft zum Zweck des
derlich, Aktenverweise (z. B.: s. a. Bl. 85ff der SchwbG- Risikoausgleiches)
Akte) aus. Auf ausschweifende Prosa soll zugunsten der 4 Versorgung (Ausgleichszahlungen als Entschädigung
Auflistung von Fakten verzichtet werden. aus Steuermitteln)
Verpflichtende formale Vorgaben sind nicht definiert. 4 Fürsorge (Sozialhilfe für Bedürftige zur Deckung eines
Als Beispiel für die Gliederung eines freien Gutachtens Bedarfs ohne Gegenleistung)
kann gelten:.
4 Auftraggeber des Gutachtens, Aktenzeichen etc. Die Terminologie im Hinblick auf gutachterliche Frage-
4 Daten des Begutachteten stellungen ist in diesen verschiedenen Rechtsbereichen
4 Gutachtenverlauf (Eingang, ggf. Tag der Untersuchung, unterschiedlich, was zu beachten ist.
Erstellung, Ausgang)
4 Aufstellung der verwendeten Unterlagen (Akten, Be-
funde, Röntgenbilder, vom Begutachteten vorgelegte 41.4 Wichtige Begriffe und Terminologie
Unterlagen, von Gutachter beigezogene Unterlagen) im Gutachterwesen
4 Fragestellung
4 Sachverhaltsangaben Arbeitsunfähigkeit (AU)
5 Vorgeschichte nach Aktenlage Die rechtlichen Grundlagen für die Handhabe des Instru-
5 Vorgeschichte nach Angaben des Begutachteten mentes der AU liegt zum einem in Sozialgesetzbuch Teil V
4 Klagen des Begutachteten (SGB V) §§44, 46–51 und den Richtlinien des Bundesaus-
4 Untersuchungsbefunde schusses Ärzte Krankenkassen über die Beurteilung der
5 Klinische Untersuchung Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweise
5 Technische Untersuchungen Wiedereingliederung (»Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien«).
5 ggf. Befunde aus Zusatzgutachten Einige Orientierungspunkte aus den AU-Richtlinien seien
4 Diagnosen zitiert; zur Vertiefung der Kenntnisse wird auf die »Anlei-
4 Beurteilung tung zur sozialmedizinischen Beratung und Begutachtung
4 Zusammenfassung bei Arbeitsunfähigkeit (ABBA 2004)« verwiesen.
4 Beantwortung der konkreten Fragen aus dem Gutach-
tenauftrag Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte auf
Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähig-
Die ggf. in gefäßmedizinischen Gutachten verwendeten keit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der
Klassifikationen, Stadieneinteilungen und Scores sollten in Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen
Form eines Anhanges erläuternd, ggf. tabellarisch darge- kann. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche
stellt werden. 6
468 Kapitel 41 · Begutachtung bei Varikose
Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt hinaus gemindert ist. Dies darf nicht dazu verleiten, eine
haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn auf Grund Angabe über den Prozentsatz der MdE ganz zu unter-
eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein lassen. Die Schätzungen bei einer Minderung unter 20%
noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass sind daher: »15%«, »10%«, »unter 10%«, nicht etwa summa-
aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder risch »unter20 %«.
die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Ar- Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit in der Unfallver-
beitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. sicherung ist nicht gleichzusetzen mit den Begriffen der
Arbeitslose sind arbeitsunfähig, wenn sie aufgrund Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung
einer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, leichte Tä- oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Rentenversiche-
tigkeiten an mindestens 15 Wochenstunden zu verrichten. rung. (s. a. Hinweise für die Erstattung von Gutachten bei
Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte Arbeitsunfällen, 2002)
vor der Arbeitslosigkeit nachging. Wird bei Arbeitslosen Der Begriff der MdE wurde bis zum 01.01.2009 mit
innerhalb der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit anderer Bedeutung auch im SER benutzt und mit der Ver-
erkennbar, dass die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich sorgungsmedizin Verordnung zu diesem Zeitpunkt durch
länger als sechs Monate andauern wird, ist das auch auf den Begriff »Grad der Schädigungsfolge« (GdS) ersetzt.
der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu vermerken.
Grad der Behinderung (GdB)
Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit setzt die Befragung Die GdB ist ein Begriff aus dem Rechtsbereich des SER und
des Versicherten durch den Arzt zur aktuell ausgeübten wird in Prozent angegeben. Der GdB bewertet die Auswir-
Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und kungen von schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen
Belastungen voraus. Das Ergebnis der Befragung ist bei der in allen Lebensbereichen und nicht nur Einschränkungen
Beurteilung von Grund und Dauer der Arbeitsunfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben. Der Schweregrad der Be-
zu berücksichtigen. Zwischen der Krankheit und der da- hinderung gilt im SchwbG und wird in ganzen 10er-Gra-
durch bedingten Unfähigkeit zur Fortsetzung der ausge- den von 20 bis 100 bewertet. Der GdB gilt als finale Bewer-
übten Tätigkeit muss ein kausaler Zusammenhang erkenn- tung und der GdS (früher MdE) als kausale Bewertung im
bar sein. SER. Sie sind aber inhaltlich gleich zu sehen.
stimmten Mitwirkungspflichten, soweit dies die Aufklä- 4 An Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit: sog.
rung von Anspruchsvoraussetzungen betrifft (§§60 bis Vollbeweis. Es bleibt kein vernünftiger Zweifel.
67 SGB I).
Für die sozialmedizinische Begutachtung gilt §62 SGB I:
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf 41.5 Arbeitsunfähigkeit bei Varikose
Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und
psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, Seit dem 1.1.2009 besteht in der Bundesrepublik die ge-
soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erfor- setzliche Pflicht zur Krankenversicherung, sofern ein an-
derlich sind. derer adäquater Risikoschutz nicht besteht.
Die Grenzen der Mitwirkung sind in §65 SGB I fest- Die häufigste gutachterliche Tätigkeit für die GKV ist
gelegt. Nach §65 Abs. 1 SGB I besteht eine Mitwirkungs- die Bemessung der Arbeitsunfähigkeit. Die Bemessung der
pflicht nur insoweit, als ihre Erfüllung in einem angemes- Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) bei bestimmten Krank-
senen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozial- heitszuständen und nach bestimmten Interventionen ist
leistung steht. Der Versicherte braucht auch dann nicht seit jeher ein schwieriges Unterfangen gewesen, gilt es doch
mitzuwirken, wenn ihm dies aus einem wichtigen Grund eine gerechte oder doch zumindest überzeugende Synthe-
nicht zugemutet werden kann oder der Leistungsträger se zu finden zwischen rechtlichen, beruflichen und medi-
sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller zinischen Fakten. Es gilt bei der individuellen Bemessung
bzw. Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse der AU den Belangen des Patienten, der sachlich gebote-
selbst beschaffen kann (DRV-Schriftenreihe Bd 21). nen medizinischen Versorgung und Nachsorge sowie den
Interessen der Kostenträger und der Arbeitgeber gerecht
Duldungspflicht zu werden.
Nach §65 Abs. 2 SGB I können Behandlungen und Unter- Waren bis vor wenigen Jahren großzügige Regelun-
suchungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben gen und Bemessungsbräuche sowohl seitens der Forde-
oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit aus- rung durch die Betroffenen als auch seitens der verant-
geschlossen werden kann, die mit erheblichen Schmerzen wortlichen Ärzte an der Tagesordnung, so hat sich dies
verbunden sind oder die einen erheblichen Eingriff in die unter dem Einfluss der hohen Arbeitslosigkeit und der
körperliche Unversehrtheit bedeuten, vom Versicherten ab- permanenten Gefährdung vieler Arbeitsplätze verkehrt,
gelehnt werden. Als mitwirkungspflichtige diagnostische sodass heute gelegentlich sogar eine Tendenz erkennbar
Untersuchungsverfahren gelten z. B. die venöse Blutabnah- ist, zu einem Zeitpunkt an den Arbeitsplatz zurückzu-
me, EKG, Röntgenuntersuchungen einschließlich Compu- kehren, der den medizinischen Erfordernissen nicht ange-
tertomographie, Kernspintomographie, Ergometrie, Lun- messen ist.
genfunktionstest, EEG und EMG, Dopplersonographie und Insgesamt sind die Krankenstände in Deutschland von
Echokardiographie. Als nicht ohne weiteres mitwirkungs- 5,5% der Erwerbstätigen in den 70er Jahren auf unter 3,5%
pflichtige Untersuchungsmethoden gelten die endosko- im Jahre 2004 gesunken. In 2004 fehlte der durchschnitt-
pischen Untersuchungen, Punktionen von Gelenken und liche Arbeitnehmer in Deutschland 14 Tage wegen Krank-
Körperhöhlen sowie alle Methoden, die mit dem Einbringen heit am Arbeitsplatz. Die bedeutet ein Rückgang seit 1996
diagnostischer Substanzen wie z. B. Röntgenkontrastmitteln um 25%.
verbunden sind. Testungen auf HIV benötigen immer eine Die AU-Zeiten bei Varikose sind in . Tab. 41.1 wieder-
gesonderte Einwilligung des Versicherten. In aller Regel ge- gegeben.
nügen hier jedoch die neueren, vom Hausarzt erhobenen
Befunde (DRV-Schriftenreihe Bd 21).
41.6 Bewertungsgrundsätze der Varikose
Graduierung der Kausalität in gutachterlicher Hinsicht
4 Möglichkeit: Der kausale Zusammenhang ist aus wis-
41 senschaftlicher Sicht nicht sicher auszuschließen. Bei der Bewertung der Leistungseinschränkung durch das
4 Wahrscheinlichkeit: Nach geltender medizinisch-wis- Krankheitsbild der Varikose ist neben dem Schweregrad
senschaftlicher Lehrmeinung spricht einiges für einen der Erkrankung insbesondere der Rechtsbereich zu beden-
ursächlichen Zusammenhang (überwiegend wahr- ken für den diese Einschätzung bzw. Bewertung gelten soll.
scheinlich) Die hieraus sich ergebenden unterschiedlichen Konse-
4 Hinreichende Wahrscheinlichkeit: Bei vernünftigem quenzen sind dann am besten zu vermitteln, wenn eine auf
Abwägen spricht mehr für als gegen einen Zusammen- der Basis einer umfassenden phlebologischen Befunder-
hang. Wahrscheinlichkeitsgrad mehr als 50%, aber we- fassung und -dokumentation klare Stadieneinteilung bzw.
niger als 95% Klassifikation erfolgt ist. Hierzu bietet sich wegen der um-
41.6 · Bewertungsgrundsätze der Varikose in gutachterlicher Hinsicht
471 41
Ulcus cruris im akuten Stadium AU, Wiederaufnahme der Tätigkeit in Anhängigkeit vom Beschwerdebild und
vom Abheilungsstadium. AU auch ggf. aus besonderen Gründen (Hygiene, extrem stehende Tätigkeit,
körperlich schwere Arbeiten etc.)
. Tab. 41.2. GdS/GdB-Tabelle nach »Versorgungsmedizinische Grundsätzen« (2008). Die Angabe unter Position 3 findet sich nur in
den AHP (2008) und wird in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht mehr aufgeführt
2a … mit geringem belastungsabhängigem Ödem, nicht ulzerösen Hautveränderungen, ohne wesent- 0–10 C3
liche Stauungsbeschwerden
2b … mit erheblicher Ödembildung, häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen 20–30 C3, C4a
2c … mit chronischen rezidivierenden Geschwüren, je nach Ausdehnung und Häufigkeit (einschließlich 30–50 C4b,
arthrogenes Stauungssyndrom) C5; C6
fassenden Dokumentationsmöglichkeit die CEAP-Klassi- mitis? Darüber hinaus ist die Obergrenze einer GdB von
fikation an. 50% für die schwersten Fälle an komplikativen Verläufen
Dies ist umso wichtiger, da die vorliegende Bewertung- bei Varikose mit dekompensierter Leitveneninsuffizienz
stabelle (. Tab. 41.2), die im SER verwandt wird, die Viel- auch ohne Thrombose sicherlich zu gering. Der Zusatz
falt der möglichen Krankheitszustände und komplikativen (Pos. 3), wie er sich in den AHP findet, wird in den gelten-
Verläufe der Varikosis nur unzureichend abbilden (Rabe den versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht mehr
1998). Dies betrifft sowohl die unzureichende Differenzie- aufgeführt. Auch dieser Zusatz würde die o. g. schweren
rung der Legenden als auch die Bewertung des Schwere- Fälle ohne TVT nicht abdecken. Eine Überarbeitung dieser
grades. Der Begriff der chronisch venösen Insuffizienz Tabelle durch den Verordnungsgeber unter Einbeziehung
(CVI) wird in den Legenden sehr eigenwillig verwendet der Fachgesellschaften ist hier sicher wünschenswert.
und lässt den Eindruck zu, als sei dies bei Varikosis etwas Die Zuordnung der CEAP Klassifikation in . Tab. 41.2
grundsätzlich anderes als beim PTS. Was ist mit Entzün- wurde durch die Autoren vorgenommen und findet sich
dungen gemeint: Phlebitiden, bakterielle Infektionen der sowohl in den AHP als auch in den versorgungsmedizi-
Haut, Erysipele, Stauungsdermatitiden oder Hypoder- nischen Grundsätzen in dieser Form nicht. Auch hierbei
472 Kapitel 41 · Begutachtung bei Varikose
zeigt sich, dass die Trennschärfe der Legenden unzurei- langt besondere Erfahrung und Kenntnisse. Die Verpflich-
chend ist. tung zur Sachlichkeit und Objektivität gilt bei diesen Gut-
Die Bewertung von Zustandsbildern und Leistungs- achten für Gerichte oder Gutachterkommissionen der
einschränkungen im Rentenrecht folgt im Vergleich zu den Ärztekammern in besonderem Maße.
Anforderungen an die Bewertung im SER grundsätzlich Die Gutachten in diesem Bereich betreffen am häufigs-
anderen Vorgaben. Bei der Begutachtung im Bereich der ten Fragen wie
gesetzlichen Rentenversicherung geht es um Fragen der 4 Hautveränderungen und Hautschäden nach Ver-
Rehabilitation, der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Die ödungstherapie
Beantwortung der Fragestellung, also ob eine Berufs- oder 4 TVT nach operativen Eingriffen und/oder Sklerosie-
Erwerbsunfähigkeit vorliegt, ist nicht Aufgabe des Gut- rungsbehandlungen am epifascialen Venensystem
achters sondern der Verwaltung. Die Entscheidung ist 4 Ödeme nach Varizenbehandlung
dabei anhand des vom Gutachter definierten positiven 4 Nervenschäden nach operativen Eingriffen und/oder
und negativen Leistungsbildes sowie der Einschätzung des Sklerosierungsbehandlungen am epifaszialen Venen-
quantitativen (zeitlichen) Leistungsbildes zu treffen. Be- system
sondere Berücksichtigung muss die Wegefähigkeit finden.
Leistungstabellen, wie im SER und in der GUV, kommen Insgesamt machen die Verfahren wegen Verdachts des Be-
im Rentenversicherungsverfahren nicht zur Anwendung. handlungsfehlers im Zusammenhang mit der Behandlung
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit allein aufgrund einer Varikose ca. 0,8–1% aller Verfahren vor den Gutach-
der Hauptdiagnose Varikose ist nur im Zusammenhang terkommissionen der Ärztekammern aus. Das ist ange-
mit schweren Stadien einer dekompensierten tiefen Leit- sichts der Häufigkeit der Behandlungsmaßnahmen wegen
veneninsuffizienz ohne TVT bzw. PTS denkbar. Varikose (konservativ plus operativ), unbeschadet der
Eine Beeinflussung des positiven, negativen und quan- Problematik des Einzelfalles, erstaunlich wenig.
titativen Leistungsbildes ist jedoch in Abhängigkeit vom
Stadium der Erkrankung und der Art der Tätigkeit in un- Literatur
terschiedlichem Ausmaß möglich. Bei der Notwendigkeit Anhaltspunkte 2008 für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
der permanenten Versorgung mit Kompressionsmaß-
(AHP) (Teil 2 SGB IX). 3. fortgeführte Auflage – Stand: März 2008
nahmen (C3–C6) ist eine Tätigkeit unter den Bedingungen Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung - Hin-
einer ausschließlichen oder weit überwiegenden Ortho- weise zur Begutachtung - (2000) DRV-Schriftenreihe Band 21.
stasebelastung nicht zumutbar, ebenso wie Tätigkeiten mit Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V (2002) Hinweise für die
besonderen Belastungen durch Umgebungsbedingungen Erstattung von Gutachten bei Arbeitsunfällen
Fritze J, Mehrhoff F (Hrsg) (2008) Die ärztliche Begutachtung. 7. Auf-
der Tätigkeit (Nässe, Staub, Schmutz, besondere Hygiene-
lage, Steinkopf Verlag
anforderungen etc.). Im Prinzip ist jedoch bei Varikose mit Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Kapitel 1.3.1; Arbeitsun-
und ohne CVI unter den Bedingungen einer permanenten fähigkeit; http://www.gbe-bund.de/
und suffizienten Kompressionstherapie eine vollschichtige Kertzendorf KW (1998) Sozialmedizinische Begutachtung in der Angio-
Belastung bei gesicherten Möglichkeiten des Wechsels zwi- logie. Vasomed 10:64–73
Ludolph E, Lehmann R, Schürmann J (2002) Kursbuch der ärztlichen
schen den Belastungsarten Sitzen, Stehen und Gehen leist-
Begutachtung. Ecomed Verlagsgesellschaft Landsberg
bar und zumutbar. Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V.
Die Wegefähigkeit ist im Zusammenhang mit der (2004) Anleitung zur sozialmedizinischen Beratung und Begut-
Varikose i.d.R. nicht beeinträchtigt. Ausnahmen bilden achtung bei Arbeitsunfähigkeit (ABBA 2004) http://www.mdk.
hier seltene, ausgeprägte Formen der CVI ohne PTS mit de/media/pdf/BGA_ABBA_2004.pdf
Rabe E (1998) Begutachtung venöser Durchblutungsstörungen. Vaso-
Dermatolipofasziosklerose oder arthrogenem Stauungs-
med 10:82–91
syndrom. Rieger H (1998) Rehabilitation und Begutachtung bei Venenkrank-
Das floride Ulkus (C6) bedingt in Abhängigkeit von heiten. In: Rieger, Schoop (Hrsg.) Klinische Angiologie. Springer
der Ulkusgröße und -lokalisation sowie der Art der Tätig-
41 keit zunächst ausschließlich Arbeitsunfähigkeit.
Heidelberg
Versorgungsmedizinverordnung mit den Versorgungsmedizinischen
Grundsätzen (2008) (www.bmas.de)
42 Leitlinien
H. Nüllen, T. Noppeney
Die Entwicklung von Leitlinien als Handlungsgrundlage Damit ist die medico legale Dimension von Leitlinien an-
für den behandelnden Arzt begann in den USA und Ka- gesprochen. Nach allgemeiner Ansicht ist die Leitlinie
nada. Der Sachverständigenrat zur Konzertierten Aktion definitionsgemäß eine Handlungsempfehlung und somit
im Gesundheitswesen (SVR) hat schließlich in seinem ist im Einzelfall durchaus das begründete Abweichen von
Jahresgutachten 1995 die Entwicklung von medizinischen dieser Empfehlung möglich. Der Arzt, der bewusst von
Leitlinien für Deutschland angeregt, die von den wissen- den Empfehlungen der Leitlinie abweicht, kommt aller-
schaftlichen Fachgesellschaften erarbeitet werden sollten. dings in einen Rechtfertigungszwang, was im Streitfall der
Gleichzeitig wurde die Arbeitsgemeinschaft der Wissen- Umkehr der Beweislast gleich kommt. Somit ist denn ein-
schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) getreten, was die Kritiker der Bewegung prophezeit haben:
als Leit- und Koordinierungsstelle empfohlen. Die Not- eine weitere Verrechtlichung der Medizin.
wendigkeit von Leitlinien in der Medizin wird vom SVR in Andererseits wird die Relevanz von Leitlinien bei der
der »Vermeidung von Überfluss und Defiziten« gesehen Beurteilung von Tatbeständen im Arzthaftungsrecht auch
und um das »Notwendige zu ermöglichen«. Mit der Ge- unter Juristen unterschiedlich gesehen. Ein Standpunkt, der
sundheitsreform 2000 wurde die Entwicklung von Leitlinie die Leitlinie ins Zentrum der Argumentationskette stellt,
gesetzlich verankert (§137e,3 SGB V). geht davon aus, dass der rechtliche Standard nur dem me-
Schon in der Vergangenheit orientierte sich die Recht- dizinischen Standard folgen kann und daher der rechtliche
sprechung bei Streitfällen in der Medizin am allgemeinen Standard auch der Leitlinie folgen muss, da die Leitlinie den
wissenschaftlichen »Standard« und meinte damit das, medizinischen Standard repräsentiert. Ein anderer Stand-
was entsprechend dem Stand der Wissenschaft anerkannt punkt stellt die Therapiefreiheit des Arztes in das Zentrum
war und von der überwiegenden Zahl der Ärzte angewandt der Argumentationskette. Er sieht die Wahlmöglichkeit des
wurde. Insofern sind Leitlinien nichts Neues. Sie unter- Arztes, frei von den Fesseln eines normierten Regelwerkes,
scheiden sich allerdings vom Standard alter Sichtweise, der im Einzelfall nach pflichtgemäßem und gewissenhaftem
meist durch die vorherrschende Meinung bzw. die Erfah- Ermessen eine vom Regelwerk abweichende Entscheidung
rung medizinischer »Schulen« im Sinne der »Experten- zu treffen, als ebenfalls zu schützendes Rechtsgut. Diese
meinung« bestimmt war, durch ihre systematische, stan- Argumentation folgt der Überlegung, dass normierte und
dardisierte und nachvollziehbare Entwicklung sowie die allgemeingültig formulierte Regeln grundsätzlich nicht jede
gezielte Autorisierung und Implementierung. Eventualität der Wirklichkeit abbilden können und folgend
Die AWMF definierte die Leitlinien: hieraus, auch unter Beachtung der Tatsache, dass sich die
Normen des Zivilrechtes am geschützten Rechtsgut im Ein-
Die »Leitlinien« der Wissenschaftlichen Medizinischen zelfall auszurichten haben, nicht letztlich und grundsätzlich
Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen verbindlich sein können.
für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situa- Als Fazit aus den unterschiedlichen juristischen Argu-
tionen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Er- mentationen könnte man festhalten, dass die unreflektierte
kenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und Annahme eines Behandlungsfehlers aus der alleinigen Ab-
sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber weichung von der Leitlinie ebenso unberechtigt ist wie der
auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Die »Leit- Ausschluss eines Behandlungsfehlers bei Einhaltung der
linien« sind für Ärzte rechtlich nicht bindend und haben Vorgaben der Leitlinie. Die Würdigung der Umstände des
daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefrei- Einzelfalles bleibt in unserem Rechtsystem in jedem Falle
ende Wirkung. (AWMF) verpflichtend. So gesehen wird dann aus der Leitlinie wie-
derum das was sie nach dem Willen der Initiatoren dieser
Klar zu unterscheiden von den Leitlinien sind die »Richt- Bewegung sein sollte: die Beschreibung des Mainstream
linien«. Hierbei handelt es sich um bzw. eines evidenzbasierten medizinischen Standards.
. Tab. 42.1. Einteilung der Evidenzstärke in Evidenzgrade für . Tab. 42.2. Härtegradempfehlung von Leitlinienaussagen
klinische Leitlinien (AHCPR-Categories for Quality of Evidence.
(AHCPR = Agency for Health Care Policy and Research)) Grad Empfehlung
Literatur
Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachge-
sellschaften (AWMF). http://www.leitlinien-online.de/
Bollschweiler E, (2001) Leitlinien-Entwicklung In: Lauterbach KW,
Schrappe M (Hrsg) Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanage-
ment und Evidence-based Medicine, Schattauer Stuttgart
Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundesvereinigung (1997)
Beurteilungskriterien für Leitlinien in der medizinischen Versor-
gung. Dt Ärztebl 94:2154–2155
Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundesvereinigung (1999)
Das Leitlinien-Clearingverfahren. Dt Ärztebl 96:2105–2106
Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2000)
Checkliste Methodische Qualität von Leitlinien. Dt Ärztebl 97:
1170–1172
Gerlach FM, Beyer M, Szecsenyi J, Fischer GC, (1998) Leitlinien in Klinik
und Praxis. Dt. Ärztebl 95:1014–1021
Laufs A, (2006) Zur haftungsrechtlichen Relevanz medizinischer Leit-
linien (Thesen). In: Berg, Ulsenheimer (Hrsg.) Patientensicherheit,
Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation. Springer,
Heidelberg
Noppeney T, Kluess HG, Gerlach H, Braunbeck W, Ehresmann U, Fischer
42 R, Hermanns H-J, Langer C, Nüllen H, Salzmann G, Schimmel-
pfennig L (2004) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Krampf-
aderleidens der deutschen Gesellschaft für Phlebologie, der
Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, des Berufsverbandes
der Phlebologen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der nieder-
gelassenen Gefäßchirurgen Deutschlands e.V. Gefäßchirurgie;
9:290ff
Sachverzeichnis
478 Sachverzeichnis