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Amygdalin

Stellungnahme

Grundlage:

Vitamin B17, früher unter dem Namen Laetrile bekannt, wird als Alternative Krebstherapie angeboten.
Dabei handelt es sich um kein Vitamin, sondern um den Inhaltsstoff der Bittermandel, das Amygdalin.
In den 70ern und Anfang der 80er Jahre wurde Laetrile vor allen Dingen in den USA, aber auch in
Westeuropa als Heilmittel gegen Krebs angepriesen. Angeblich seien Hunderte von Patienten geheilt
worden. Die aktuellen Internetseiten der Anbieter versprechen Heilungen auch bei fortgeschrittenen
Tumoren und wecken große Hoffnungen bei den Betroffenen.
Verschiedene Wirkungen von Laetrile werden propagiert:

1) Krebszellen enthalten angeblich mehr Beta-Glucoronidase oder Beta-Glucosidase und weniger


Rhodanase, so dass in Krebszellen aus Laetrile vermehrt Cyanid entsteht, das so selektiv
Tumorzellen abtötet.
2) Krebs entsteht durch einen Mangel an Vitamin B17 – Laetrile hebt diesen Mangel auf.
3) Entstehendes Cyanid zerstört die Lysosomen in den Tumorzellen und führt damit zur
Apoptose.
Alle 3 Theorien sind unbewiesen bzw. falsch. Aktuell finden sich in-vitro Studien, die eine Wirkung von
Amygdalin zeigen (Lee & Moon 2016: Juengel et al. 2015; Qian et al. 2015). Aus diesen Studien lassen
sich jedoch keinerlei Rückschlüsse auf die Behandlung von Patienten ziehen.

Klinische Daten zu Amygdalin

In einer prospektiven, offenen Studie erhielten 178 Patienten Amygdalin mit einer intravenösen Gabe
von 4,5 g/m²KO über 21 Tage und anschließend oraler Gabe von 500 mg 3x täglich. Außerdem erhielten
die Patienten Vitamin A, C, E und B-Komplex, Mineralien und Enzyme. Teil der Behandlung war
außerdem eine die Zufuhr von tierischen Proteinen minimierende Diät. Von 175 evaluierbaren
Patienten zeigte einer eine partielle Remission, 79 % hatten einen Progress nach 2 Monaten, 91 % nach
3 Monaten. Aufgrund des polypragmatischen Behandlungsansatzes lässt sich auch der eine Fall mit
Ansprechen nicht zwangsläufig auf Amygdalin zurückführen. Als Nebenwirkungen, zusammenhängend
mit der Toxizität von Cyanid wurden Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel sowie mentale
Einschränkungen beschrieben. Mehrere Patienten zeigten Anzeichen einer Zyanidintoxikation und
Blutzyanidspiegel in gefährlichen Bereichen (Moertel 1982).

In einem Cochrane-Review konnte keine Studie identifiziert werden, die als randomisierte
kontrollierte oder quasi randomisierte kontrollierte Studie eingeordnet werden konnte. Die Autoren
schlussfolgerten, dass es keine fundierten klinischen Daten gibt, die die Wirksamkeit von Laetrile
oder Amygdalin bei Tumorerkrankungen belegen. (Milazzo 2015)

Unerwünschte Wirkungen

Bei oraler Einnahme über längere Zeit kann sich eine schleichende Cyanidintoxikation mit individuell
unterschiedlichen Reaktionen entwickeln. Für die intravenöse Gabe findet sich kein sicherer Nachweis
von Toxizität in der Literatur. Hier ist aber auf die oben schon dargestellte Arbeit von Moertel et al. zu
verweisen. Allerdings beschreibt ein Fallbericht eine neutropenische Sepsis nach i.v. Gabe von
Amygdalin. Und eine klinische Studie zeigte einen Anstieg der Cyanidspiegel bei i.v. Gabe (Mani 2019).

Zu den Folgen der Amygdalineinahme gehören (Lilienthal 2014):

• Erbrechen,
• Fieber
• Abgeschlagenheit
• Hämaturie
• Neuromuskuläre Schwäche
• Benommenheit
• Agranulozytose
• Hämolytische Anämie
• Atemnot
• Lungenödem
• Krämpfe
• Acidose
• Koma
• Herzstillstand
Mehrere Fallberichte beschreiben eine Toxizität in Form von Demyelinisierung und axonalen
Degenerationen (Kalyanarman 1983), cerebralen Krampferscheinungen bei schwerer Laktatazidose
bei einer Kombination von Laetrile und hochdosiertem Vitamin C (Bromley 2005), Schockzustand mit
Hypothermie, Tachycardie und Beatmungspflichtigigkeit mit konsekutivem Diabetes insipidus (O´Brien
2005), Koma und Tod durch Leberversagen bei fortbestehender Zirrhose und Hepatom (Leor 1986),
Agranulozytose (Liegner 1981). Zuletzt wurde ein Fall eines 4-jährigen Kindes mit Ependymom
publiziert, das mit Zeichen einer schweren Cyanidintoxikation mit starker Agitation, Enzephalopathie
nicht ansprechbar mit einer Glasgow Coma Scale 3 notfallmäßig versorgt werden musste (Sauer et al.
2015). Außerdem veröffentlichten 2 Autoren Kasuistiken mit letalem Ausgang (Sadoff 1978, Humbert
1977).

Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat 2015 zu Amygdalin mit einer
eindeutigen Warnung Stellung bezogen
(http://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Routine
sitzungPar63AMG/76Sitzung/pkt-3-2-4.pdf?__blob=publicationFile&v=1; Zugang 24.04.2017).

Wissenschaftliches Fazit:

Für Amygdalin gibt es keine Hinweise und erst recht keinen wissenschaftlichen Nachweis für einen
Nutzen bei Patienten mit Tumorerkrankungen. Dagegen sind schädliche Wirkungen mit zum Teil
lebensbedrohlichen Nebenwirkungen mehrfach berichtet worden.

Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie:

Aufgrund der eindeutig negativen Nutzen-Schaden-Bilanz gehört Amygdalin zu den Alternativen


Therapien vor denen Krebspatienten aktiv gewarnt werden müssen. Ein Einsatz außerhalb von
klinischen Studien ist nicht zu befürworten. Solche Studien sollten auch nur unter extrem hohen
Sicherheitsvorkehrungen mit engstem Monitoring durchgeführt werden. Forscher, die sich mit der
Substanz befassen, sollten aufgrund der weiten Verbreitung in den Laienmedien mit jeder
Berichterstattung extrem vorsichtig sein und auf das erhebliche Gefährdungspotenzial hinweisen.

Die fehlenden Berichte in der Literatur zu Vergiftungen nach intravenöser Gabe sind kein Beweis für
die Unschädlichkeit der Substanz bei dieser Verabreichungsform. Vielmehr ist, wie insgesamt in der
Alternativen Medizin, davon auszugehen, dass Nebenwirkungen und Schädigungen der Patienten nicht
richtig erfasst und berichtet werden. Die Annahme einer Unschädlichkeit bei intravenöser Gabe könnte
im Umkehrschluss auch bedeuten, dass die Substanz bei dieser Anwendungsform keine antitumorale
Wirkung entfaltet.

Die Bezeichnung als Vitamin B17 ist irreführend und strengstens abzulehnen.

Ebenso ist die Empfehlung, zur Prävention oder Therapie von Tumorerkrankungen Aprikosenkerne zu
verzehren, mit einem hohen Schadenspotential verbunden. Zwar ist es wahrscheinlich richtig, dass bei
langsam ansteigender Zufuhr die körpereigenen Enzyme, die Blausäure abbauen, hochreguliert
werden. Allerdings gibt es im menschlichen Organismus keine Sicherheit, dass diese Abbaukapazität
stabil ist. So muss davon ausgegangen werden, dass andere Substanzen, z. B. verordnete
Medikamente, die über die gleichen Enzyme abgebaut werden, zu einer Verminderung der
Abbaukapazität führen können, und so plötzlich Nebenwirkungen auftreten können. Für Patienten
unter eine medikamentösen Tumortherapie und begleitender Therapie mit Amygdalin kann eine
Hochregulierung abbauender Enzyme zu einem verstärkten Abbau der Tumormedikamente und damit
zu einer verminderten Wirksamkeit führen.

Literatur

Bromley J, et al. Life-threatening interaction between complementary medicines: cyanide toxicity


following ingestion of amygdalin and vitamin C. Ann.Pharmacother. 2005;39.9:1566-69.

Humbert JR, Tress JH, Braico KT. Fatal cyanide poisoning: accidental ingestion of amygdalin. JAMA
1977;238.6:482.

Juengel E et al. Amygdalin inhibits the growth of renal cell carcinoma cells in vitro. Int J Mol Med.
2015 Dec 21. doi: 10.3892/ijmm.2015.2439.

Kalyanaraman UP et al. Neuromyopathy of cyanide intoxication due to "laetrile" (amygdalin). A


clinicopathologic study. Cancer 1983;51.11: 2126-33.

Lee HM & Moon A. Amygdalin regulates apoptosis and adhesion in Hs578T triple-negative breast
cancer cells. Biomol Ther (Seoul). 2016 Jan;24(1):62-6

Lilienthal N. Amygdalin - fehlende Wirksamkeitund schädliche Nebenwirkungen; Arzneimittel im Blick


2014;3(9):7-13

Leor R. et al. Laetrile intoxication and hepatic necrosis: a possible association. South.Med.J.
1986;79.2:259-60.

Liegner KB, Beck EM, Rosenberg A. Laetrile-induced agranulocytosis. JAMA 1981;246.24:2841-42.

Mani J, Rutz J, Maxeinera S, Juengel E, Bon D, Roos F, Chun FKH, Blaheta RA. Cyanide and lactate
levels in patients during chronic oral amygdalin intake followed by intravenous amygdalin
administration; Compl Ther Med 2019;43:295–299

Milazzo S, Horneber M. Laetrile treatment for cancer. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Apr
28;4:CD005476.
Moertel CG, Fleming TR, Rubin J, Kvols LK, Sarna G, Koch R, Currie VE, Young CW, Jones SE, Davignon
JP.A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer. N Engl J Med.
1982 Jan 28;306(4):201-6.

O'Brien B., Quigg C, Leong T. Severe cyanide toxicity from 'vitamin supplements'. Eur.J.Emerg.Med.
2005;12.5: 257-58.

Qian L et al. Amygdalin-mediated inhibition of non-small cell lung cancer cell invasion in vitro. Int J
Clin Exp Pathol. 2015 May 1;8(5):5363-70.

Sadoff L et al. Rapid death associated with laetrile ingestion, Jama, 1978; 239(15): 1532

Sauer H et al. Severe cyanide poisoning from an alternative medicine treatment with amygdalin and
apricot kernels in a 4-year-old child. Wien Med Wochenschr. 2015 May;165(9-10):185-8.

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