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Zuschnitt Zeitschrift über Holz als Werkstoff und Werke in Holz Juni 2016 Nr. 62 | 16.

Jahrgang | Euro 8 | isbn 978-3-902926-17-3 proHolz Austria

zuschnitt 62

Schneller wohnen
Allenthalben muss Wohnraum geschaffen werden, am besten rasch
und qualitätvoll zugleich. Da ist Holz das Material der Wahl, weil flexibel,
nachhaltig sowie schnell und ausreichend verfügbar. Und es
bringt Atmosphäre, Behaglichkeit und Wertschätzung gleich mit.
Inhalt Seite 3 Themenschwerpunkt
Editorial
Zuschnitt 62.2016 Text Anne Isopp Seite 6 – 9
Kurz-, mittel- und langfristig
Seite 4 aus Holz Drei Flüchtlings-
Essay Verschärfte unterkünfte in Deutschland
Bedingungen für eine Text Eva Guttmann
soziale Kunst
Text Christian Kühn Seite 9
Bauen für Flüchtlinge
in Österreich
Text Anne Isopp

Zuschnitt 63.2016 Fassaden aus Holz


erscheint im September 2016

Die Fassade ist das Erste, was wir von einem Haus sehen – sie kleidet das
Haus, gibt ihm Charakter, ein Gesicht. Je nachdem, ob es Bretter, Schindeln,
Leisten oder Platten sind, ob das Holz behandelt oder unbehandelt ist,
ist das Bild, das sich uns bietet, verschieden. Der Gestaltungsspielraum
ist in jedem Fall groß. Im nächsten Zuschnitt werden wir uns wieder einem
Bauteil widmen: der Fassade. Es wird sich alles um deren Gestaltung,
Planung, Ausführung und Wartung drehen.

Titelbild Impressum Offenlegung nach § 25


Pop-up-Haus für London Medieninhaber und Mediengesetz
Heraus geber Arbeitsgemeinschaft der
proHolz Austria österreichischen Holzwirt-
Zuschnitt Arbeitsgemeinschaft der schaft nach Wirtschafts- Redaktionsteam Fotografien
issn 1608-9642 österreichischen Holzwirt- kammergesetz (wkg § 16) Anne Isopp (Leitung) Grant Smith s. 1, 5, 20, 21 o.
Zuschnitt 62 schaft zur Förderung der Christina Simmel (Assistenz) Günter Richard Wett s. 2
isbn 978-3-902926-17-3 Anwendung von Holz Ordentliche Mitglieder Kurt Zweifel Michael Heinrich s. 6
Obmann Christoph Kulterer Fachverband der Holz - redaktion @ zuschnitt.at Markus Guhl s. 7
www.zuschnitt.at
Geschäftsführer Georg Binder indus trie Österreichs Olaf Mahlstedt s. 8, 9
Zuschnitt erscheint viertel- Projektleitung Zuschnitt Bundesgremium des Holz- Lektorat Albertina, Wien s. 14 li.
jährlich, Auflage 17.000 Stk. Kurt Zweifel und Baustoffhandels Esther Pirchner, Innsbruck Stichting Eindhoven
Einzelheft euro 8 A-1030 Wien in Beeld s. 14 re.
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T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74 Präsidentenkonferenz der Gassner Redolfi kg, Schlins; Sammlung s. 15, 16 o.
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Die Zeitschrift und alle in Interessensverbände gesetzt in Foundry Journal Thomas Ott s. 22
ihr enthaltenen Beiträge der Holzwirtschaft auf PhöniXmotion commod-Haus⁄
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Quellen. www.pefc.at und strafbar. Dietger Wissounig, Graz shop.proholz.at Zürich⁄ Fabian Marti s. 28
Seite 10 – 11 Seite 13 Seite 18 Seite 22 – 23 Seite 26
Wie werden Flüchtlinge Das Haus ist eine Stadt, Grund und Boden Nachverdichtung mit Holz Seitenware
wohnen? Städte unter Druck die Stadt ist ein Haus Ein wertvolles Gemeingut Flexibel und mit guter Kaffeetrinken in Augsburg
Text Eggert Blum Zur Beheimatung des Text Gabu Heindl Energiebilanz Möbelbauen in Wien
Menschen im Holzbau in Text Christian Holl Text Anne Isopp
Seite 12 unsicheren Zeiten Seite 19
Wohnraum schaffen im Ländle Text Walter M. Chramosta Studentenwohnen auf Zeit Seite 23 Seite 27
Schwer wird leicht Schnell einsetzbare Module Service Holzrealien Hoffnungsträger
Text Florian Aicher aus Holz aus Holz

Editorial
Seite 14 – 17

Inhalt
Wenig ist mehr Text Maik Novotny Seite 24 – 25 Text Michael Hausenblas
Beispielhafte Wohnlösungen Nachgefragt Leistbarer
aus Holz der letzten Seite 20 – 21 Wohnraum für alle – Seite 28
hundert Jahre Pop-up-Häuser in London was müssen wir tun? Holz(an)stoß Fabian Marti

2
3
Texte Reinhard und Ruth Leicht aufbaubar und leicht Text Anne Isopp Text Stefan Tasch
Gassner, Ernest Kaltenegger, demontierbar

zuschnitt 62.2016
Otto Kapfinger, Hannsjörg Text Oliver Lowenstein
Pohlmeyer, Hubert Rieß

Editorial

Anne Isopp

Vor allem in großen Städten wie Wien, Berlin oder Gemeinsam mit Hermann Kaufmann und Konrad
München fehlt es an Wohnungen, an leistbaren Duelli hat er das Projekt Transfer Wohnraum
Wohnungen. Schon vor der großen Flüchtlingsbe- Vorarlberg entwickelt – ein Wohnbaumodell zur
wegung im vergangenen Herbst war die Nachfrage Integration von Flüchtlingen in Gemeinden. Dazu
größer als das Angebot, durch die Migranten hat schreibt er: „Das Prinzip unserer Planung ist, dass
sich die Zahl der Wohnungssuchenden noch weiter sie überall von ortsansässigen Zimmereien reali-
erhöht und der Mangel an leistbaren Wohnungen siert werden kann. Das ist ein uns wichtiger,
ist endlich zum Thema geworden. Aus der Flücht- wesentlicher Unterschied zu großindustriellen
lingskrise ist eine Wohnbaukrise geworden. Landauf, Herstellungen. Es geht hier zentral auch um die
landab müssen mehr neue Wohnbauten entstehen regionale, lokale Wertschöpfung: Forst, Sägerei,
als geplant – temporäre Wohnheime für Flüchtlinge Holzbaubetrieb. Integration bedeutet für uns auch
ebenso wie kostengünstige Wohnbauten für alle. möglichst hohe lokale und regionale Beteiligung.“
Leider – das zeigen aktuelle Beispiele – kommt bei Das Projekt der Vorarlberger ist aber auch in ande-
schnellen Lösungen die Architektur oft zu kurz. rer Hinsicht symptomatisch für das Thema dieses
Wir dürfen aber keine neuen Baracken, keine neuen Zuschnitts: Es ist noch in Planung. So wie dieses
Wohnbauten dritter Klasse errichten, das führt nur sind uns viele vielversprechende Projekte, Systeme
zu neuen sozialen Problemen, wir brauchen Low- und Antworten auf die dringende Wohnungsfrage
Cost-Wohnbauten mit Qualität. Aber wie sehen untergekommen, die noch auf ihre Realisierung
diese Wohnbauten aus, die nicht nur für Flücht- warten. Viel österreichisches Know-how, ob von
linge, sondern für alle Bürger sein können, in denen Firmen oder Architekten, ist gefragt und zu einem
die Menschen auch in zehn Jahren noch gerne Exportschlager geworden. Die Resultate sind
wohnen wollen? derzeit vor allem in Deutschland und weniger in
Wir haben uns umgehört und umgeschaut. Wir haben Österreich zu sehen.
Wohnlösungen aus Holz gefunden, die von klein- Die große Nachfrage nach schnellen Wohnbau-
bis großvolumig, von temporär bis dauerhaft, vom lösungen ist nicht nur für den Wohnbau, sondern
ländlichen Standort bis zur städtischen Nachver- auch für den Holzbau eine Chance. Wenn es darum
dichtung eine große Bandbreite abdecken. Heraus- geht, schnell und qualitätvoll zu bauen, dann
gekommen ist ein Zuschnitt mit konkreten architek- überzeugt der Holzbau mit seinen Eigenschaften:
tonischen Lösungen sowie mit Systemlösungen, die Mit ihm lässt es sich flexibel, modular und kosten-
an diversen Standorten umgesetzt werden können. günstig bauen, er ermöglicht schnelle Bauzeiten,
Die Architektur und der Städtebau leisten immer bietet Atmosphäre und eine hohe Lebensqualität.
einen wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz der Bau- Dies sind alles Gebote der Stunde. Holz ist ein
ten und zur Integration der darin wohnenden Men- intelligentes Material, es braucht aber auch intelli-
schen. Dass auch die Wahl des Holzbausystems ein gente Anwender, dann kann es mit seinen Vorteilen
integrativer Faktor sein kann, darauf hat uns Archi- einen wertvollen und zukunftsweisenden Beitrag
tekt Andreas Postner aufmerksam gemacht. zur aktuellen Wohnungsnot leisten.
Essay Verschärfte Bedingungen für eine soziale Kunst

Christian Kühn

Im Dezember 2015 wurde der Begriff „Willkommenskultur“ in Die heute oft geforderte Reduktion auf das Wesentliche darf nicht
Österreich zum Wort des Jahres gewählt. Das ist lange her: bedeuten, die Komplexität der aktuellen Probleme zu verdrängen,
Diesen Begriff wagt heute kaum mehr ein Politiker in den Mund bis die Lösungen einfach erscheinen. Es steht außer Frage, dass
zu nehmen. Kommen kann, wer will, aber am besten nur bis zum wir schnelle Lösungen brauchen, weshalb die Hinwendung der
Grenzzaun und von dort per Expressverfahren zurück in ein wie Architekturszene zu kleinen, spontanen, partizipativen und tem-
auch immer sicheres Drittland. Dem Mainstream der öffentlichen porären Interventionen durchaus ihre Berechtigung hat. Was wir
Meinung folgend, hat die Bundesregierung zuerst versucht, sich aber nicht brauchen, sind Notlösungen, die resignierend in Kauf
mit Anstand und einigen Verrenkungen durch die Situation zu genommen werden, weil Zeit und Geld nicht reichen.
lavieren, um schließlich doch Grenzen zu setzen, die trügerische Italo Calvino hat in seinen 1985 verfassten „Six Memos for the
Sicherheit versprechen. Kurzfristig gibt es in diesem Spiel nichts Next Millennium“ einen Hinweis darauf gegeben, welche Kombi-
zu gewinnen. Auf längere Sicht könnten die Nationen Europas nation von Qualitäten das neue Jahrtausend benötigt. Sie lassen
und die Europäische Union aus dieser Krise aber gestärkt hervor- sich gut von der Literatur auf die Architektur übertragen, also
gehen, wenn es gelingt, die Bereiche Asylpolitik, Außenpolitik, von der Konstruktion von Romanen auf die Konstruktion von
Entwicklungspolitik und Einwanderungspolitik zu synchronisieren. Gebäuden. „Lightness“ und „Quickness“ sind die beiden ersten
Vieles hängt dabei von Fragen ab, die mit Architektur und Raum- Forderungen: Weg von den schwergewichtigen und unflexiblen
planung verbunden sind. Das beginnt beim Design temporärer Strukturen hin zu schnellen Wechseln der Perspektive, zu einer
Strukturen für die Notaufnahme von Geflüchteten und reicht leichten und reaktionsfähigen Sprache. Als dritte Qualität nennt
vom leistbaren Wohnraum über Fragen der Siedlungsentwicklung Calvino „Exactitude“, die exakte Linienführung und punktgenaue
unter den Bedingungen einer zunehmend heterogenen Gesell- Formulierung, die nicht mit „Perfektion“ als Angleichung an
schaft bis zum (Wieder-)Aufbau von Städten in den Ursprungs- ein vorherbestimmtes Ideal zu verwechseln ist. Es geht um die
ländern der Flucht. Eleganz der Lösung, die mit höchster Präzision umzusetzen ist,
Die Flüchtlingskrise wird dabei zum Katalysator von Problemen, auch wenn sie alles andere als dauerhaft und monumental ist.
die es auch ohne sie gegeben hätte, etwa im Bereich der Bildungs- Die beiden weiteren Qualitäten, „Visibility“ und „Multiplicity“,
und Sozialsysteme. Erste Nebenwirkungen sind in der Architektur beziehen sich auf die Kraft der visuellen Imagination und auf die
spürbar, wo der Ruf nach einfachen Lösungen, kleineren Grund- Idee, dass jedes Kunstwerk ein ausgedehntes, vielleicht uner-
flächen und niedrigeren Standards laut wird. Das ist per se nichts schöpfliches Netz von Bedeutungen impliziert. Calvino starb,
Schlechtes: Intelligente Reduktion, die bei der Definition der bevor er das Kapitel über die sechste Qualität, „Consistency“,
Aufgabenstellung ansetzt und bis zu den Details reicht, sollte zur in Angriff nehmen konnte. Man darf vermuten, dass es hier um
Kernkompetenz guter Architektinnen und Architekten gehören. das Gegengewicht zur „Multiplicity“ gegangen wäre, um klare
Die „einfachen und kostengünstigen Lösungen“, wie sie von Konturen, die plötzlich im Netz der Bedeutungen aufleuchten.
manchen Seiten vorgeschlagen wurden, sind aber nicht einfach, Architektur ist eine soziale Kunst. Mit jeder Produktion von
sondern primitiv, von der städtebaulichen Positionierung über Architektur hat die Gesellschaft die Chance, sich neu zu inter-
die Grundrisstypologie bis zu den Details, und sie sind auch nicht pretieren. Sie kann sich entscheiden, Armenhäuser zu bauen.
kostengünstig: Als „Armenhäuser“ von morgen produzieren sie Sie kann sich aber auch für soziale Innovation entscheiden und
soziale Kosten, die kaum abschätzbar sind. Architektur mit Qualitäten hervorbringen, wie sie Italo Calvino
Unreflektiert dem Aufruf zu folgen, wieder schlichtere Häuser zu in seinen Memos für das neue Jahrtausend skizziert hat.
bauen, könnte für die Architektur als Disziplin gefährliche Konse-
quenzen haben. Die letzten vierzig Jahre haben einen enormen
Christian Kühn
Zuwachs an Architekturwissen mit sich gebracht: neue Materialien
geboren 1962 in Wien, Studium an der tu Wien und Dissertation an der
und Materialkombinationen, neue Fertigungstechnologien, neue eth Zürich, unterrichtet an der tu Wien seit 1989, Habilitation in Gebäudelehre,
Planungsmethoden und nicht zuletzt ein vielfältiges Vokabular Professor an der tu Wien, Studiendekan für die Studienrichtungen Architektur
an miteinander konkurrierenden Ausdrucksformen. Es wäre fatal, und Building Science an der tu Wien, Vorsitzender der Architekturstiftung
hinter dieses Wissen zurückzufallen. Ein zentraler Aspekt dieses Österreich, Vorsitzender des Beirats für Baukultur im Bundeskanzleramt, Kom-
Wissens ist, im Entwurf über die Grenzen des einzelnen architek- missär für den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale Venedig 2014

tonischen Objekts in Richtung eines systemischen Denkens hinaus-


zugehen. Es geht immer auch um die Stadt und den öffentlichen
Raum, es geht um lokale Lebenswelten unter den Bedingungen
globaler Vernetzung, es geht um die kunstvolle Gestaltung der
zahlreichen Membranen, die diese Lebenswelten voneinander
abgrenzen und miteinander verbinden, und es geht um die Infra-
strukturen, die statischen, energetischen und informationstech-
nischen Systeme im Hintergrund, die zur Konditionierung dieser
Lebenswelten nötig sind.
Themenschwerpunkt Schneller wohnen
Kurz-, mittel- und langfristig aus Holz
Drei Flüchtlingsunterkünfte in
Deutschland

Eva Guttmann

Immer schon war Holz das Material der Bewohner Asylwerber


Wahl, wenn – aus welchen Gründen auch Anzahl der Bewohner ⁄ Koje 2, 4 oder 5
Wohnfläche pro Person ca. 9 m2
immer – Wohnungsnot herrschte und es Nutzungsdauer 2 Jahre
darum ging, schnell und günstig Unter- Nachnutzung keine
künfte zu schaffen. Gründe dafür waren Konstruktionsart Leichtbauhalle mit
Raumteilern aus Dreischichtplatten
und sind die Verfügbarkeit des Materials,
seine vergleichsweise einfache Bearbeit- Standort Max-Pröbstl-Straße, München⁄ D
Bauherr Landeshauptstadt München, Kommunalreferat,
barkeit, die künftige Erweiterbarkeit, ein
Baureferat Hochbau, München⁄ D, www.muenchen.de
hoher Vorfertigungsgrad, die kurze Bau- Planung günther & schabert architekten, München⁄ D,
zeit und – im Fall einer temporären Nut- www.architekturusw.de
zung – die einfache Demontierbarkeit. Holzbau Zimmerei Höfle, Thaining⁄ D,
www.zimmerei-hoefle.de; Die Huber Schreiner,
Aktuell besteht u. a. in Österreich und Lohkirchen⁄ D, www.die-huber-schreiner.de
Deutschland großer Bedarf an Wohnraum Fertigstellung Dezember 2015
für Asylsuchende, Migrantinnen und
Migranten, und viele Gemeinden, Institu- 5m

tionen und Initiativen beschäftigen sich


mit der Frage, wie vorübergehend und Kojen aus Holz
langfristig genutzte Unterkünfte schnell, Münchner Übergangsquartier in Leichtbauhallen
billig und trotzdem menschenwürdig und
komfortabel errichtet werden können. Drei Leichtbauhallen für 230 Personen wurden als Übergangsquartiere und
Als Beispiele seien hier drei Projekte vor- für eine Nutzungsdauer von zwei Jahren im Auftrag der Stadt München von
gestellt, die in den vergangenen Monaten günther & schabert architekten errichtet. Eine der Hallen dient als Speise- und
in Deutschland errichtet wurden und Aufenthaltsraum, die beiden anderen als Wohn- und Schlafunterkünfte.
denen unterschiedliche konstruktive und Dazu kommen 42 Container für Büros, Sanitäranlagen, ärztliche Versorgung,
inhaltliche Konzepte zugrunde liegen. Lagerräume und technische Infrastruktur.
Allen gemeinsam sind – neben der Verwen- Ausgestattet wurden die jeweils 1.800 m2 großen Wohn- und Schlafhallen mit
dung von Holz – eine sorgfältige, nutzer- einem gedämmten Fußboden aus Holzbohlen sowie einem dreizeiligen Kojen-
orientierte Planung trotz geringer Budget- system aus 1,6 Meter hohen Dreischichtplatten-Wandelementen, in denen
mittel und der Versuch, auch bei räumlich jeweils zwei, vier oder fünf Betten Platz finden. Durch die Schrägstellung der
beengten Verhältnissen ein Höchstmaß mittleren Kojen sind die Gänge räumlich strukturiert und die „Türen“ jeweils
an Privatsphäre zu schaffen. in einer Nische platziert. Ein Anliegen der Architekten war es, eine beengende
und strenge „Lagerarchitektur“ zu vermeiden und den Hallen trotz des einge-
schränkten räumlichen und finanziellen Spielraums einen behaglichen, grund-
sätzlich wohnlichen Charakter zu verleihen, wozu die Verwendung von Holz
für die Innenausstattung maßgeblich beiträgt. Weitere Hallen befinden sich in
Umsetzung oder Planung, schlussendlich sollen zwanzig von ihnen in München
zur Verfügung stehen.
Bewohner Flüchtlinge mit anerkanntem Status, Obdachlose
Anzahl der Bewohner ⁄ Wohneinheit 2 – 3
Wohnfläche pro Person 21 m2
Kosten pro m2 ca. Euro 1.400,–
Nutzungsdauer 40 Jahre
Konstruktionsart Holzrahmenbau

Schneller wohnen
Standort Kirchheimer Straße 117, Ostfildern⁄ D
Bauherr Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft Ostfildern, Ostfildern⁄ D, www.seg-ostfildern.de
Planung u3ba, Stuttgart⁄ D, www.u3ba.de
Holzbau Weizenegger GmbH, Bad Wurzach⁄ D, www.holzbau-weizenegger.de
Statik Müller Ingenieurbüro für Baustatik, Ostfildern⁄ D
Fertigstellung Februar 2016

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zuschnitt 62.2016
5m
EG

Wirtschaftlich und freundlich barkeit und Kommunikation befördert werden.


Holzhäuser für Flüchtlinge und Obdachlose Die schwarze Außenhülle der Holzbauten besteht
in Ostfildern aus Bitumenwellpappe, die halboffenen Treppen-
häuser wurden aus einer verzinkten Stahlkonstruk-
Für insgesamt 39 anerkannte Flüchtlinge und tion mit weißem Trapezblech errichtet. Die zwischen
Obdachlose und eine Nutzungsdauer von vierzig 37 und 48 m2 großen Wohnungen werden von zwei
Jahren wurden in Holzriegelbauweise mit sicht- oder drei Personen bewohnt, die sich jeweils Küche
baren Holzbalkendecken und Innenwänden aus und Sanitärräume teilen.
osb-Platten drei Wohnhäuser im Auftrag der Stadt Auch wenn die Entscheidung für Holz hauptsächlich
Ostfildern errichtet. Im Vordergrund des Entwurfs aufgrund der niedrigen Errichtungskosten und der
standen energiesparende Maßnahmen, flexible kurzen Bauzeit getroffen wurde, so spielte auch
Grundrisse, eine wirtschaftliche, modulare Bauweise die Behaglichkeit in den Wohnungen eine wichtige
und eine gute städtebauliche Integration zwischen Rolle: Trotz der „Rauheit“ der osb-Platten und der
Baumbestand im Norden und Osten und einem Deckenelemente wurde besonderer Wert auf gute
Wohngebiet im Westen. Zudem sollten durch die um Verarbeitung und damit eine hohe visuelle Qualität
einen gemeinsamen Platz angeordneten Gebäude der Oberflächen gelegt, was sich in einer ange-
Privatsphäre ebenso wie Individualität, Identifizier- nehmen, freundlichen Atmosphäre niederschlägt.
5m
EG

Bewohner Asylwerber, Flüchtlinge mit anerkanntem Status


Anzahl der Bewohner ⁄ Wohneinheit 3 – 5
Wohnfläche pro Person ca. 17 m2
Kosten pro m2 ca. Euro 1.600,–
Nutzungsdauer mind. 20 Jahre
Nachnutzung Studenten und Personen mit niedrigem Einkommen
Konstruktionsart Raummodule aus Brettsperrholz

Standort Steigertahlstraße 24, Hannover⁄ D


Bauherr Landeshauptstadt Hannover – Baudezernat, Hannover⁄ D, www.hannover.de
Planung Mosaik Architekten, Hannover⁄ D, www.mosaik-architekten.de
Holzbau Kaufmann Bausysteme, Reuthe⁄ A, www.kaufmannbausysteme.at
Statik merz kley partner, Dornbirn⁄ A, www.mkp-ing.com
Fertigstellung Januar 2016

Serieller Wohnkomfort
Flüchtlingswohnheim in Hannover

Für eine Dauer von mindestens zwanzig Jahren in Stahlbauweise erschlossen und verfügen so jeweils
und 96 Bewohnerinnen und Bewohner wurden in über einen Außenbezug zum gemeinsamen Freiraum.
Hannover drei zweigeschossige Wohnhäuser und Die von Kaufmann Bausysteme in Vorarlberg vorge-
ein Gemeinschafts- und Verwaltungsgebäude aus fertigten Raummodule wurden samt Installationen,
vorgefertigten Raummodulen in Brettsperrholzbau- Bad, Küche und Fassadenplatten auf Streifenfunda-
weise mit Sichtoberflächen im Inneren konzipiert, mente gesetzt, nur Laubengänge und Treppen sowie
wobei die Architekten nicht nur höchsten Wert auf die äußere Holzverkleidung mussten auf der Bau-
Behaglichkeit, sondern auch auf hohe städtebau- stelle montiert werden. Zwischen der europaweiten
liche Qualität und Kommunikationsmöglichkeiten Ausschreibung und der Fertigstellung lag eine
sowohl innerhalb der Anlage als auch zur Nachbar- Bauzeit von nur acht Monaten; die Holzbauweise
schaft legten. garantiert nicht nur einen höheren Wohnkomfort,
Drei oder fünf Einzelzimmer sowie Badezimmer und sondern erwies sich auch als deutlich günstiger als
eine Wohnküche werden zu Wohneinheiten für die ebenfalls ausgeschriebene Stahlmodulbauweise,
Flüchtlinge zusammengefasst, die Grundrisse sind was unter anderem der Serienfertigung einer hohen
jedoch so konzipiert, dass auch eine Nachnutzung Stückzahl an Raummodulen zu verdanken ist.
durch Studierende oder Familien mit geringem Ein-
kommen möglich ist. Auf Treppenhäuser und Gänge Eva Guttmann
wurde verzichtet, die Wohnungen sind direkt über 2004 bis 2009 leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt,
die Wohnungstüren bzw. vorgestellte Laubengänge Architekturpublizistin
Schneller wohnen
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zuschnitt 62.2016

Österreichische Firmen liefern vorgefertigte Raummodule aus Holz nach


Deutschland, zum Beispiel für das Wohnheim in Hannover.
Bauen für Flüchtlinge in Österreich
Anne Isopp

Auch in Österreich sind Flüchtlingsunterkünfte aus Holz entstan- übergeben werden. Die Bauten sollten wieder zerlegt und an
den. Den Anfang machte das Land Salzburg im vergangenen anderer Stelle aufgebaut werden können, weil die Pachtverträge
Herbst mit Bauten in Tamsweg und Seekirchen. Das Rote Kreuz der Grundstücke auf fünf bis zehn Jahre laufen. Das Rote Kreuz
Salzburg war vom Land Salzburg beauftragt worden, ein Konzept Salzburg kann die Bauten dann für Notunterkünfte nutzen, die
für Containerdörfer zu erstellen. Die Verantwortlichen vom Roten Bauteile sind jedenfalls so konstruiert, dass sie in einen Container
Kreuz wollten aber keine Container, sondern vorgefertigte Holz- verladen und in Katastrophengebiete transportiert werden können.
häuser mit lokalen Betrieben errichten. Sie hatten schon vorher Weitere Unterkünfte aus Holz sind in den letzten Monaten in
durch ihre Tätigkeit im Katastrophenschutz mit Notunterkünften Tirol und Oberösterreich entstanden. Andere Bundesländer wollen
aus Holz Erfahrungen gesammelt. nachziehen und auch auf mobile Holzbauten zur Unterbringung
Jetzt galt es, den Beweis anzutreten, dass mit den Holzbauten setzen, wie zum Beispiel der Wiener Bürgermeister Michael Häupl
der für Container übliche Zeit- und Kostenrahmen eingehalten im Februar bekanntgab. Noch aber liefern österreichische Firmen
wird. Im Juli fand die erste Besprechung mit der Architektin und Architekten ihre Expertise und ihre Produkte für solche Bau-
Melanie Karbasch statt, Ende November konnten die Bauten aufgaben vorwiegend nach Deutschland.
Wie werden Flüchtlinge wohnen? Die Städte müssen mit Zelten, Turnhallen Schnell etwas Richtiges bauen. Es geht
oder Containern improvisieren, um alle also um schnelle Zwischenlösungen.
Städte unter Druck
Flüchtlinge unterzubringen. Sobald die Sie, Professor Jörg Friedrich, haben in
Menschen Asyl haben, sollen sie aber Hannover mit ihren Studenten dafür
bezahlbare Wohnungen finden und zu praxisreife Entwürfe gemacht. „Konzepte
guten Nachbarn werden – auf einem für eine menschenwürdige Architektur“
Wohnungsmarkt, der bereits jetzt äußerst heißt das Buch. Da sieht man zum Bei-
angespannt ist. Wie und wo werden spiel Wohnungen auf dem ungenutzten
Flüchtlinge wohnen? Darüber diskutierten Obergeschoss eines Parkhauses. Von
im September 2015 in einem Radio- welchen Prinzipien haben Sie sich bei
gespräch Jörg Friedrich, Architekt und diesen Entwürfen leiten lassen?
Professor an der Leibniz Universität
Hannover, Ricarda Pätzold, Stadt- Jörg Friedrich Unsere Vorgabe war: keine
forscherin am Deutschen Institut für Containerdörfer, keine außen liegenden
Urbanistik (Difu) in Berlin, und andere Standorte. Es soll keine Flüchtlingsarchitek-
mit Eggert Blum vom deutschen Süd- tur geben, sondern eine Architektur der
westrundfunk. minimalen ökonomischen Umsetzungs-
möglichkeit. Zugleich soll es eine Architek-
tur sein, die so etwas wie Menschenwürde
zum Prinzip hat. Und da sind wir dann
zu neuen Standorten gekommen: zur Auf-
stockung von Flachdächern in der Stadt,
der Umnutzung von Parkhäusern oder
dem Wohnen in Schrebergärten – eigent-
lich ein Tabu-Thema in Deutschland …

Asylanträge in Österreich seit 1947 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000

2015
015
22014
2013
Bürgerkrieg in Syrien 201 1
2009
2007
2005
2003
Krieg in Afghanistan 2001
Kosovo-Krieg 1999
1997
1995
1993
Beginn des Balkankonflikts 1991
Fall des Eisernen Vorhangs 1989
1987
1985
1983
Demokratiebewegung Solidarność in Polen 1981
1979
Bürgerrechtsbewegung in der čssr 1977
1975
1973
1971
1969
Prager Frühling
1967
1965
1963
1961
1959
1957
Ungarischer Volksaufstand 1956
1953
Genfer Flüchtlingskonvention 1951
1949
Einbürgerung der vertriebenen Volksdeutschen 1947
Vielen Leuten ist inzwischen klar, dass die Das heißt aber auch: Wenn diese Module Wie wird die Flüchtlingskrise die Architek-
Vorschriften in der Bauordnung zumindest dann zusammengesetzt und mit einer tur unserer Städte verändern? Das Bild
vorübergehend abgesenkt werden müssen. schönen Fassade versehen sind, erkennt unserer Städte?
Ich gehe davon aus, dass Ihre mobilen man nicht gleich, dass es ein Flüchtlings-
Bauten keine Blechkistenarchitektur sind. wohnheim ist. Jörg Friedrich 700.000, 800.000 neue

Schneller wohnen
Wie werden Sie mit diesem Problem fertig? Menschen müssen in Wohnungen unterge-
Jörg Friedrich Nein, das soll eine Architek- bracht werden in Deutschland. Das wird
Jörg Friedrich Das Ziel ist ja eigentlich, tur des angenehmen Wohnens sein, ohne unsere Städte verändern. Ich bin da sehr
Alternativen aufzuzeigen, die ähnlich wirt- dass es eine Architektur des Verschwen- optimistisch. Die Städte werden bunter.
schaftlich sind, ähnlich schnell auch zur dens von Geld ist. Und da gibt es jetzt eine Die Städte werden möglicherweise auch
Verfügung stehen können, die aber den- neue Auffassung von uns Architekten: lebendiger. Wir hatten so etwas ja einmal

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noch eine Wohn- und Lebensqualität haben, Ein Haus kann im Laufe der Zeit mit sei- in den 60er Jahren, Gastarbeiterviertel
die deutlich besser ist als in diesen Bau- nen Bewohnern wachsen und allmählich nannte man das. Keiner durfte da so rich-

zuschnitt 62.2016
containern. Unser Vorschlag ist, in einer betriebstüchtig werden. Das erfordert tig rein. Inzwischen ist das Portugiesen-
anderen Materialwelt zu denken. Das ist allerdings ein Umdenken auch bei Bau- viertel in Hamburg zu einem der belieb-
der Holzbau. Holz hat gute ökologische genehmigungsprozessen. testen und belebtesten Viertel geworden.
Eigenschaften. Es ist ein nachwachsender
Rohstoff. Und Holz ist energietechnisch Könnte das nicht auch der Charme dieser Ricarda Pätzold Städte verändern sich ja
weniger wärmeleitfähig als Blech. Es ist Entwürfe sein, dass sie nachher sowohl permanent. Wir hätten vor ein paar Jahren
ein sinnvoller Isolator. Holz ist aber auch für Studenten, alleinstehende Migranten, noch nicht gedacht, dass es Urban Garde-
schnell aufbaubar. Holz hat den großen als auch für junge Familien genutzt ning gibt oder Bienen in der Stadt das
Vorteil, dass es uns in seiner Haptik ver- werden können? große Thema sind. Insofern, glaube ich,
traut ist. Das war früher sehr kitschig. findet diese Flexibilität, die gefordert ist,
In den 60er Jahren waren die mit Holz Ricarda Pätzold Das ist ja ein Appell, einen guten Boden in der Stadt. Wir müssen
verkleideten Wände bei meinen Eltern den es seit Jahren gibt, die Gebäude einfach lernen, Provisorien auch wertzu-
zu Hause ein Gräuel für mich und meine flexibler zu machen, die Räume flexibler schätzen und nicht immer auf einen fiktiven
Geschwister. Ich sehe das jetzt anders. zu machen. Dass es also nicht mehr nur Endzustand hinzudenken. Und wir müssen
Ich sehe jetzt tatsächlich: Bei diesen trau- Wohnungen für Mama, Papa und Kind deutlich unterscheiden zwischen Improvi-
matisierten Menschen, die über das Woh- gibt, dass sie einfach umgenutzt werden sation und Murks. Murks ist auch in Zukunft
nen auch eine Identität finden können, können. Genauso wichtig fand ich aber Murks. Dieses Vertrauen in die Weiterent-
ist auch dieses Material durchaus ein in den Ausführungen diese andere Art wicklung der Stadt und in die inneren Kräfte
positiver Begleitfaktor, mit dem man nicht des Betrachtens: Wann ist etwas fertig? der Menschen muss über allem stehen.
nur schnell konstruieren und Energie spa- Weil das sonst – rein baulich oder rein tech-
ren, sondern eben auch besser leben kann. nokratisch – nicht zu bewältigen sein wird.

Quelle: Auszug aus dem Radiogespräch


„Städte unter Druck.
Wie werden die Flüchtlinge wohnen?“
vom 24. September 2015 um 17.05 Uhr auf swr 2,
Woher stammen die Asylsuchenden? www.swr.de
Die zehn zugangsstärksten Herkunfts-
länder im Jahr 2015
= 1.000

Afghanistan
Syrien
Irak
Iran
Pakistan
Kosovo
Somalia
Russische Föderation
Nigeria
Algerien
10.000 20.000

120.000 150.000

Quelle: Statistik Austria, bm.i Bundesministerium für Inneres, Asylstatistik,


Stand 4.2016; Asyl-Raum, Wien Museum 2015
Wohnraum schaffen im Ländle
Schwer wird leicht

städtische Struktur

Bewohner Asylwerber
dörfliche Struktur
Anzahl der Bewohner ⁄ Wohneinheit 2 – 6
Wohnfläche pro Person 10 – 12 m2, später 20 – 24 m2
Nutzungsdauer langfristig
Nachnutzung Starterwohnungen für Personen mit niedrigem Einkommen
Konstruktionsart Holzrahmenbau

Standort diverse
Bauherr diverse
Planung Transfer Wohnraum Vorarlberg (Konrad Duelli, Übersaxen⁄ A, konrad.duelli@chello.at;
5m
Architekten Hermann Kaufmann, Schwarzach⁄ A, www.hermann-kaufmann.at;
Andreas Postner, Rankweil⁄ A, postnerandpartner@iplace.at)
Holzbau und Statik lokale Holzbaubetriebe,
erste Projekte mit Sohm HolzBautechnik, Alberschwende⁄ A, www.sohm-holzbau.at
Fertigstellung Sommer⁄ Herbst 2016

Florian Aicher

Schwer ist leicht was, sagen die Bayern mit der ihnen eigenen als wirksamstes Mittel der Integration erwiesen – neue Identität
Dialektik, was einschließt: Leicht ist schwer was. Wird das vom dank Verortung mit Grund und Boden. Nicht nur an dörfliche
Flüchtlingsthema nicht bestätigt? Wie leicht wurde da etwas zum Strukturen wird angeknüpft, sondern an mehr als hundert Jahre
Problem und wie schwer fällt es, anders als schwerfällig darauf Tradition der Siedlerbewegung. Dazu kommen Gemeinschaftsräume
zu antworten. und Werkstätten. Vernachlässigt werden dagegen Pkw-Bauten.
Transfer Wohnraum tut genau das. Die Vorarlberger Architekten Alltagsbauen auf dem Land bedeutet vielfach Bauen mit Holz.
Konrad Duelli, Hermann Kaufmann und Andreas Postner ergriffen In Vorarlberg steht Holzbau seit einer Generation für den bei-
Anfang 2015 die Initiative, dem Problem mit eigentlich selbstver- spiellosen Aufstieg zu einer der weltweit führenden Architektur-
ständlicher Leichtigkeit zu Leibe zu rücken, das heißt, so zu ver- regionen. Neues Bauen für Flüchtlinge ist hier logischerweise
fahren, wie es im Lande gebräuchlich ist. Im Land der Häuslebauer modernes Bauen mit Holz. Dabei steht eher die soziale Nachhal-
ist das: Häuser in der Gemeinde bauen. Denn Integration heißt tigkeit im Vordergrund denn die unstrittig stoffliche. Ein triftiges
Raum im täglichen Leben schaffen. Argument ist die Zeit: So ein Bauwerk ist nach zwei Monaten
Was sich leicht anhört, umfasst eine ganze Kaskade von Überle- Bau bezugsfähig. Dazu kommen geringe Emissionen – in Zentrums-
gungen. Zuerst die Landespolitik: Integration – ob räumlich oder lage ein gewichtiges Argument.
sozial – gelingt nicht, wenn sich Flüchtlinge in Metropolen sam- Der Kostenaspekt ist ein sozialer – Bereitstellung erschwing-
meln. Kleinere Gemeinden, der ländliche Raum bieten erhebliche lichen Wohnraums. Das hohe Know-how, die technische Kompe-
Ressourcen. Gemeinderessource ist Integration in den Siedlungs- tenz des Handwerks im Land tragen dazu bei. Die Häuser sind
raum, Stärkung der Ortszentren. Das verlangt das Aufschließen als Holz tafelbauten in Ständerbauweise mit Decken aus Brett-
innerörtlicher Restgrundstücke. Oft liegen diese brach, weil der sperrholzelementen, ohne Unterkellerung, errichtet. Sie sind ge-
Eigentümer – ob Gemeinde, ob Kirche – sie nicht aus der Hand mäß oib-Richtlinien gedämmt – maßvoll, Niedrigenergiestandard,
geben will. Ein Baurechtsvertrag kann Abhilfe schaffen. Ein Bau- keine Lüftungsanlage. Die angestrebten Bauwerkskosten liegen
träger baut Häuser, die nach fünfzig Jahren an den Grundeigner bei Euro 1.500,–. Im Fall von Eigenleistung bei Innenausbau
zurückfallen. Raum im Alltag der Gemeinde heißt örtlicher Maß- und Möbeln, was Transfer Wohnraum begrüßen würde, wären
stab, Bauen wie die Nachbarn, Häuser statt Gebäudekomplexen, Einsparungen realisierbar.
maßstäbliche Ensembles statt Massenwohnbau. Und die Praxis? Zwei Baurechtsverträge sind abgeschlossen,
Transfer Wohnraum ist überzeugt, dass es keiner Sonderarchitek- zwei stehen kurz davor. Die Kirche spielt mit, manche Gemeinde.
turen für Flüchtlinge bedarf. Gefragt ist vielmehr eine kleinteilige Die Planung ist auf dem Weg, an den Kosten wird noch gefeilt.
Hausstruktur innerhalb der kleingliedrigen Siedlungslandschaft – Im Sommer wird man sehen: einfache Häuser als Beitrag zur
Hausgrößen wie die Bauernhäuser der Dörfer; eine Treppe, zwei Flüchtlingsfrage; siedlungsverträgliche Ensembles aus zwei bis
Wohnungen je Geschoss. Das Haus muss so flexibel sein, dass die vier Häusern; Holzbauweise, orientiert am Kontext; Ansprüche,
Wohnung der sehr knappen Flächenzuweisung für Asylsuchende die eine zeitgemäße, gebräuchliche Architektur ausmachen:
oder der großzügigeren für Konventionsflüchtlinge entspricht, stofflich gegründet, harmonisch gegliedert, ansprechend rhyth-
jedoch zu gegebenem Zeitpunkt auch für Einheimische – etwa misiert, Vorzüge moderner Standardisierung nutzend. So wird das
als Starterwohnung – attraktiv wird. einfache Haus solide Alltagsarchitektur, weder Baracke noch
Knappe Flächenzuweisung heißt 10 bis 24 m2 pro Person. Das liegt Designer-Haus, nachhaltig im umfassenden Sinn mit Respekt vor
deutlich unter dem, was heute in Anspruch genommen wird, ist den Bewohnern – schwer wird leicht.
aber freilich durchaus im Rahmen dessen, was vor zwei Genera-
tionen üblich war. Analog dazu greifen die Vorarlberger Architek-
ten auf, was vor nicht so langer Zeit beengten Wohnraum ergänzte, Florian Aicher
den eigenen Nutzgarten. Interkulturelle Nutzgärten haben sich geboren 1954, arbeitet als Architekt und Publizist und lebt im Allgäu
Das Haus ist eine Stadt, die Stadt ist ein Haus
Zur Beheimatung des Menschen im Holzbau in unsicheren Zeiten

Schneller wohnen
Walter M. Chramosta

Europa steht an einem Wendepunkt: Der Kontinent lernt gerade, sich als Einwanderungsziel zu verstehen.

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Europa übt damit das, was Australien und Kanada bereits buchstabieren können. Es ist zu beweisen,

zuschnitt 62.2016
ob Europa je modern gewesen ist. Es gilt, die europäische Stadt wiederzuentdecken. Europa braucht
Ankunftsstädte, wie Doug Saunders sie in seinem Buch „Arrival City“ beschrieben hat. So führt die Woh-
nungskrise dieser Tage direkt in eine Städtebaukrise. Stadtpolitiken sind in eine Zielsuche verstrickt, die
jener der späten 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ähnelt. Damals erzeugte der Wiederaufbau eine Krise
der modernen Architektur und des funktionalen Städtebaus. Im Glauben an technokratische Planung und
Systembau waren die urbanistischen Traditionen verloren gegangen. Die wiederaufgebauten Städte ent-
behrten des menschlichen Maßstabs. Aldo van Eyck, einer der Rufer in der Wüste, sagte am ciam 1959 in
Otterlo: „Architektur ist das ständige Wiederentdecken konstanter menschlicher Verhältnisse und deren
Übertragung in den Raum. […] Die moderne Architektur hat fortwährend auf dem insistiert, was unsere
Zeit unterscheidet, und zwar so sehr, dass sie die Verbindung verloren hat zu dem, was nicht verschieden,
sondern im Wesentlichen immer gleich ist.“
Kürzlich hat der Architekt Max Rieder beim Turn-on-Festival in Wien eine treffliche Diagnose gestellt:
„Der Wohnbau ist der Krebs der Stadt!“ Damit macht er Van Eycks Argument brisant und produktiv. Es
gibt keinen monofunktionalen Wohnbau ohne Rückbindung in die Stadt. Die Frage der sozialen Kohäsion
der Stadt ist prioritär. Die Stadt enthält eine anthropologische Konstante: Es braucht konkrete Orte,
individuelle Begegnung muss im Öffentlichen stattfinden können, der Sinn der räumlichen Struktur muss
lesbar, die Stadt vielfältig, die Schwelle zwischen privat und öffentlich deutlich sein. Van Eyck apostro-
phierte die Beziehung von Individuum und Gesellschaft und schlussfolgerte: „Das Haus ist eine Stadt, die
Stadt ist ein Haus.“ Das ist die Herausforderung für die Ankunftsquartiere und den „schnellen Wohnbau“.
Wie die kürzlich vom bda Bayern und der Bundesstiftung Baukultur durchgeführte Tagung „Flucht nach
Vorne“ bestätigte, ist langfristig ausgelegter, stadterzeugender Wohnbau das Gebot der Stunde. In der
Not, rasch Städtebau betreiben zu müssen, liegen besondere Chancen und Risiken für die Architektur.
Auch wenn Wohnraumproduktionen wegen regionaler Eigenarten nicht vergleichbar sind, die Schlussfol-
gerungen sind überall klar. Es mangelt an städtebaulicher Reflexion und an der Alltagsverfügbarkeit des
Architekten- und Ingenieurwissens. Obwohl Bayern zwischen 1992 und 1998, angefacht durch die Ein-
bürgerung der Deutschrussen, in den Modellvorhaben „Mietwohnungen in Holzsystembauweise“ und
Die neue Völkerwanderung –
„Holzhäuser in amerikanischer Bauweise“ etwa 960 Wohnungen zu Baukosten von Euro 955,–⁄ m2 Wohn- Arrival City
Doug Saunders
fläche errichtete, hat der Mehrgeschosser aus Holz den breiten Durchbruch nicht geschafft. Sogar in
Pantheon Verlag
Bayern muss nun die beste Holzpraxis neu erfunden werden. München 2013
Der mehrgeschossige Holzbau ist generell aus der Nische des Experiments herausgetreten. Er ist nun
Modellvorhaben Bayern:
prädestiniert, einen Beitrag in der Krise zu leisten: gesellschaftliche Akzeptanz des Holzes, hohe Leistungs- www.experimenteller-
wohnungsbau.bayern.de
fähigkeit im konstruktiven Verbund, kurze Bauzeiten, gute (Um-)Nutzungseigenschaften, hohe Verfügbar-
keit gewerblicher und industrieller Produzenten, konzeptive Passung des schnellen Bauens zum schnellen Symposium
„Flucht nach Vorne“:
„Gang der Dinge“. Da Baukosten in der Notlage in Relation zum Tempo sekundär sind, trifft den Holzbau
www.bundesstiftung-
ein Gegenargument weniger. Holz ist, wenn sorgfältig bedacht, ein starkes Angebot an die humane Stadt. baukultur.de

Walter M. Chramosta
geboren 1956 in Wien, Studium der Kunstgeschichte, der Architektur und des Bauingenieur wesens, freischaffender Stadtplaner,
Architekturwissenschaftler, Verfahrensbetreuer, Händler mit Planungsrechten, Berater öffentlicher Körperschaften und privater
Bauherren zu baukulturellen Standards
Wenig ist mehr 1921 1946–48 1948
Beispielhafte Wohnlösungen Patent „Haus mit einer Österreichische Holzhäuser für den Publikation „Not lehrt
Mauer“ von Adolf Loos niederländischen Wiederaufbau bauen“ von Roland Rainer
aus Holz der letzten
hundert Jahre Das System „Haus mit Nach dem Zweiten Weltkrieg Rainers 1948 publiziertes
einer Mauer“ wurde von herrschte in den Niederlanden Buch „Ebenerdige Wohn-
Adolf Loos zur konstruk- große Wohnungsnot. Um diese zu häuser“ bietet ein Pano-
tiven Vereinfachung lindern, bestellte das Ministerium rama avancierter Holztech-
Im Herbst vergangenen Jahres und Kostenersparnis für Wohnungswesen vorgefertigte nologie im Einzel- und
waren aufgrund der großen Flücht- von Siedlungsbauten Holzhäuser aus Österreich – insge- Siedlungsbau und startet
lingsbewegung nach Europa tem- entwickelt, als Patent samt 800 Einheiten bei der Firma unter dem programmati-
poräre Unterkunftslösungen ge- angemeldet und zwi- Thermo Bau GmbH. Sie wurden als schen Titel „Not lehrt
fragt, inzwischen liegt der Fokus schen 1921 und 1924 in Bausätze vorgefertigt und konnten bauen“. Unter den rund
vermehrt auf dauer haftem Woh- der Heuberg-Siedlung vor Ort innerhalb von ein paar hundert vorgestellten
nen für alle Menschen. Schnell und in Wien angewendet. Tagen aufgebaut werden. Jeweils Bauten und Projekten
kostengünstig soll es sein. Beim Haus mit einer zwei Bahnwaggons reichten für aus Skandinavien, Nord-
In dieser Situation scheint sich Mauer sind die Trenn- den Transport einer Hauseinheit. amerika und Mitteleuropa
kaum einer der architektonischen wände zwischen den Die 800 Häuser wurden schwer- nennt Rainer einige aus
Lösungen aus der nahen und fernen Hauseinheiten massiv punktmäßig im Süden und Westen „Notbau-Aktionen“ bzw.
Vergangenheit zu besinnen. Dabei und enthalten alle des Landes verteilt, besonders im in „behelfsmäßigen Bau-
gibt es gute architek tonische Bei- Installationen, der Rest Kohleminengebiet südlich von weisen“ entstandene vor
spiele. Holz war in Krisenzeiten wird in Holz ausgeführt. Limburg, in den Städten Eindhoven und nach 1945. Dabei
schon immer ein bewährtes Mate- Damit wurden flexible und Den Haag. Technisch gesehen wenden sich in seinen
rial: schnell verfügbar, vorfabrizier- Wohneinheiten und handelte es sich um eine Art Tafel- Kommentaren die Zwänge
bar, leicht transportierbar, einfach Selbstbau möglich. bauweise. Als Dämmung wurde eine des Mangels in zukunfts-
in seiner Konstruktion und be- spezielle Thermofolie innerhalb der weisende Tugenden. So
haglich zugleich. Wir haben weg- Elemente eingesetzt – daher der schreibt er etwa zu 1944
weisende Beispiele aus Österreich Firmenname Thermo Bau. Eine er- in Holland und Finnland
der letzten hundert Jahre zusam- staunlich große Zahl dieser Häuser konzipierten Notwoh-
mengetragen. Diese Wohnlösun- existiert noch heute, rund siebzig nungen: „Wohnungsnot
gen zeigen, wie rasch und flexibel Jahre nach ihrer Errichtung. Ihre und Facharbeitermangel
der Holzbau auf Ereignisse und Geschichte ist gut dokumentiert fordern Vor fabrikation
Ver änderungen reagieren kann, und unter dem Suchbegriff ganzer Häuser. Da das
wie gut er die Bedürfnisse nach „oostenrijkse woningen“ im Internet Wesen des fabrikfertigen
gemeinschaftlichem und kosten- zu finden. Ein besonders interes- Hauses in seiner Verteil-
günstigem Bauen erfüllen kann santes und zugleich das größte Bei- barkeit über bestimmte
und wie er die Reduktion aufs spiel sind die oostenrijkse wonin- Landschaftsräume hinaus
Wesentliche erlaubt. Dies alles gen in Eindhoven für Arbeiter der liegt, wäre es folgerich-
sind Gebote der heutigen Stunde. Firma Philips, 172 Häuser verteilt tig, diese Unabhängigkeit
auf insgesamt fünf Straßenzüge. von örtlichen Bindungen
Die Siedlung befindet sich heute auch in der Gestalt zum
in einem – auch städtebaulich – Ausdruck zu bringen und
sehr guten Zustand und wird von diese aus der neuen Bau-
ihren Bewohnern sehr geschätzt. weise zu entwickeln.“
Eigentlich ist kaum ein besserer (Otto Kapfinger)
Praxisversuch denkbar zum Beleg
der Dauerhaftigkeit und Nachhal-
tigkeit von Holzhäusern.
(Hannsjörg Pohlmeyer)

Das Loos’sche System „Haus mit einer Mauer“ Roland Rainer: „In den zerstörten Gebieten hat man während des Krieges
wird in den folgenden Jahrzehnten von Archi- in Schnellbauweisen ebenerdige, hölzerne Kleinhäuser mit sehr rationellen
tekten immer wieder aufgegriffen. Grundrissen und bescheidener, zeitloser Gestalt gebaut.“
1952 1973
Siedlung Veitingergasse Siedlung Ruhwiesen
von Roland Rainer von Rudolf Wäger
und Carl Auböck

Schneller wohnen
Die Reihenhaussiedlung Ruhweisen in Schlins aus den frühen 1970er Jahren ist eine Weiter-
Nach Roland Rainers entwicklung von Rainers (und ursprünglich Loos’) Prinzip der Holzboxen zwischen Mauer-
groß angelegten scheiben. Die billigen, ausgeklügelten Holzhäuser und Siedlungen der ersten und zweiten
Plädoyers von 1948 Generation der Vorarlberger Baukünstler waren für junge, wenig begüterte, alternativ
dauerte es noch einige gestimmte Leute geplant, die mit Einbringung von viel Eigenleistung „gemeinsam planen,
Jahre, ehe 1952 die bauen und leben“ wollten. (Otto Kapfinger)
erwähnte Siedlung in

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der Veitingergasse kon- „… wir bauen eine Siedlung“ Wir wurden konkreter, suchten Grundstücke landauf,
krete Planung wurde. Reinhard und Ruth Gassner, Bewohner der Siedlung landab und weitere Beteiligte. Langsam entstand

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Auf dem von der Stadt Ruhwiesen: Vor gut vier Jahrzehnten – wir waren in uns ein Bewusst sein für das, was wir wollten.
Wien im Baurecht zur gerade mal 21 und 22 Jahre alt – fragte uns Rudolf Einfach bauen. Gemeinsam bauen. Vor allem flächen-
Verfügung gestellten Wäger, ob wir Interesse hätten, bei einem Siedlungs- sparend und günstig bauen. Wir zwei waren die
Platz neben der Werk- projekt mit zumachen. Er plane das für seine und jüngsten, aber keiner der Beteiligten hätte sich so
bundsiedlung von 1932 weitere Familien und suche Interessenten. Mein einfach ein Wohnhaus leisten können. Rudolf Wäger
entstanden 15 eben- älterer Bruder Franz Gassner, der Künstler ist, hat wusste um die ökonomischen Vorteile moderner
erdige, nicht unterkel- mich damals auf die architektonische Qualität der Holzbauten.
lerte Einfamilienhäuser Häuser von Wäger auf merksam gemacht – das Mit Beratern gelangen gute Finanzierungsmodelle
in Tafelbauweise mit „fast Japanische“ seiner Bauten, die Schlichtheit und wir entschieden uns für ein Grundstück in süd-
äußeren Oberflächen und Klarheit, die provokanten Flachdächer, auch licher Hanglage von Schlins. Ein Glücksfall.
aus Bretterschalung, auf seine Bezugspunkte – Le Corbusier, Roland Niemand von uns hatte einen Bezug zu diesem
Sperrholz oder Eternit- Rainer, Holzbauten in Skandinavien … Walgauer Ort, aber die südliche Hanglage am
tafeln. Wir hatten Interesse, diskutierten in der noch klei- Waldrain war und ist fantastisch. Der Planungs- und
(Otto Kapfinger) nen Baugruppe über Gemeinschaft, über Ideen des Bauprozess wurde innerhalb der Baugruppe laufend
Wohnens, über alles Mögliche. Zuerst waren wir drei koordiniert. Die Bauorganisation, auch Dinge,
Familien, dann vier, dann sechs. Gemeinsam besuch- die leicht im Selbstbau gemacht werden konnten,
ten wir die Haldensiedlung in Bludenz, die Architekt erfolgten im gemeinsamen Austausch, teilweise
Hans Purin vier Jahre früher für eine private Errich- in nachbarschaftlicher Zusammenarbeit. Zwischen
tergemeinschaft geplant hatte. Beeindruckt hat gemauerten Scheiben liegen nun zwei mal drei
uns besonders die große Siedlung Halen bei Bern, Reihenhäuser abgetreppt und leicht versetzt über-
die bereits in den Jahren 1955 bis 1961 auf Initiative einander. Die feinen Abstufungen ermöglichen
des Architekturbüros Atelier 5 entstanden war. südliche Freiräume und ungestörten Ausblick.

Standort Waldrain 12 – 22, Schlins⁄ A


Bauherr Eigentümergemeinschaft
Planung Rudolf Wäger
Fertigstellung 1973

5m
EG

Die ebenerdigen Holzhäuser in der Veitingergasse sind ein


Vorläufer von Roland Rainers verdichteten Flachbauten.
2006
Sozialer Wohnbau am Grünanger
von Hubert Rieß

Wichtiger scheint aber das gemeinsame Leben, die Eine Grazer Barackensiedlung aus der Kriegs zeit wurde von
Nachbarschaft, die Beziehungen der Familien, Kinder Hubert Rieß um knapp vierzig Wohneinheiten, mit Zementfaser-
und Erwachsene über Jahrzehnte. Da ist nicht alles platten verkleidete Holzrahmenbauten, erweitert. Meist sind
ohne Probleme abgegangen. Dennoch wurden nur sechs Wohnungen zu einer kompakten Hauseinheit zusammen-
zwei von sechs Häusern verkauft und werden bis geschlossen und jede Wohnung hat ihre eigene Adresse.
heute von den neuen Besitzerinnen und Besitzern Das optimierte Verhältnis von Außen- zu Nutzfläche, starke
bewohnt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten die Dämmschichten und die Nutzung des Fernwärmerücklaufs als
Wohnqualität und das schlüssige Konzept der Anlage. Heizsystem erlaubten es, die Betriebskosten derart zu reduzieren,
Bis auf wenige Stützen ist das Haus individuell dass eine Wohnbeihilfe für die Bewohner überflüssig wurde.
gestaltbar und nachträglich leicht veränderbar.
Es passte sich unserem Leben an – nicht umgekehrt. „… den Charakter der Siedlung erhalten“
Als unsere Kinder, Stefan und Andrea, zwei Zimmer Ernest Kaltenegger, ehemaliger Wohnungsstadtrat in Graz:
und „richtige“ Türen wollten, haben wir das gemacht Die Ausgangsbasis für das Projekt war, dass man die Holzhäuser
und dann später wieder rückgebaut, mit platz spa- am Grünanger unter anderem wegen ihrer Ausstattung für nicht
renden Schiebetüren, die es im ganzen Haus von mehr zeitgemäß hielt und dass der Grund hochwertiges Bauland
Anfang an gab. Die Wände sind dünn, die Fenster der Stadt ist. Man dachte sich: Wenn man diese Häuser wegreißt,
und Eingangstüren gehen nach außen auf, um wei- kann man viele neue Wohnungen hinstellen. Mithilfe einiger
teren Platz zu sparen. Die Räume wirken großzügig, sozialer Einrichtungen gelang es, politischen Druck zu erzeugen,
partizipieren gegenseitig durch Oberlichter und der dazu führte, dass es im Stadtsenat schließlich nicht mehr 8 : 1
horizontal liegende, teils wandhohe Fensterflächen. für den Abbruch, sondern 9 : 0 für den Erhalt der Siedlung stand.
Allerdings, wollte man ein Passivhaus aus den Die nächste Überlegung war, etwas in den Bestand hineinzu-
Häusern machen, müsste man eine „Käseglocke“ bauen, zwischen die bestehenden Häuser, um zu verhindern,
über den Bau stülpen, um ihn dicht zu bekommen. dass die Siedlung abgerissen wird, sobald sich die politischen
Das wollen wir aber eigentlich nicht. Durchlässig- Verhältnisse wieder ändern. Deshalb wollten wir die Freiflächen,
keit ist uns wichtig. Unsere Häuser blieben frisch, wo bereits Häuser abgerissen worden oder abgebrannt waren,
kein Schimmel, keine großen Bauschäden, keine wieder auffüllen, aber so, dass der Charakter der Siedlung erhalten
Überhitzung im Sommer, keine Heizprobleme im bleibt. Eine Stadt wie Graz muss sich eine Siedlung wie den
Winter. Die sonnige Südlage und ein kluger Entwurf Grünanger einfach leisten können.
machen das möglich. Wir fühlen uns wohl hier und, Wir brauchen verschiedene Angebote für die Einwohner, weil
auch wenn das so von Anfang an nicht gedacht man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Letztendlich ist
war, wir sind geblieben und wollen weiter bleiben. die ganze Wohnbeihilfe für die Menschen demotivierend.
In Wirklichkeit müsste man Wohnungen bauen, die man sich auch
ohne Beihilfe leisten kann, und das ist beim Grünanger der Fall.
Da kostet eine Garconniere mit Heizung um die Euro 160,–.
Das kann sich im Prinzip jeder leisten. Das Neue bei dem Projekt
war, dass wir mit mehr oder weniger verfallenem Baukapital
bauen wollten, sodass die Leute nur mehr für die Betriebs- und
Instandhaltungskosten aufkommen müssen. Die Genossenschaft,
die schließlich gebaut hat, bekam ein endfälliges Darlehen auf
fünfzig Jahre mit einem sehr niedrigen Zinssatz. Die haben das
Geld bar bekommen und es dann wieder mit mehr Zinsen anle-
gen können. Dadurch war es möglich, die Belastung für die
Mieterinnen und Mieter so niedrig zu halten.

Hannsjörg Pohlmeyer, Mitarbeiter der Landesforste Rheinland-Pfalz, seit 2009


Holzbaucluster Rheinland-Pfalz, ab 2016 ausschließlich im Clustermanagement
tätig
Otto Kapfinger, freiberuflicher Architekturforscher und -publizist
Reinhard und Ruth Gassner, freie Gestalter in Schlins, Vorarlberg,
und Bewohner der Siedlung Ruhwiesen
Ernest Kaltenegger, Wohnungsstadtrat in Graz von 1998 bis 2005
Hubert Rieß, Architekt in Graz
Quellen: 1948⁄ 1952⁄ 1973: Otto Kapfinger: Zuschnitt 27 – Zweite Lesung, S. 4 – 7
2006: Die Texte von Ernest Kaltenegger und Hubert Rieß sind gekürzte Fas-
Variabel in Gestaltung und Raumeinteilung: sungen aus dem Buch: Von Menschen und Häusern, Ilka und Andreas Ruby (Hg.),
eine Wohnung der Siedlung Ruhwiesen gestern und heute. Architektur aus der Steiermark, Graz 2009, S. 120 – 147.
„… radikal einfaches Bauen …“

Schneller wohnen
Hubert Rieß, Architekt der Siedlung Grünanger: Seit einigen
Jahren beschäftige ich mich mit der Frage, welche Konsequenzen
es für die Architektur hätte, wenn man das Bauen auf die
ursprünglichsten Materialien und Mittel reduzierte. Man wäre in
der Wahl seiner Mittel wieder auf das angewiesen, worauf gute
Architektur immer zurückgreifen musste: auf die Proportionen,

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das Volumen, die Öffnungsflächen in ihren Proportionen und
ihrer Verteilung, die innere Organisation und so weiter. Dieses

zuschnitt 62.2016
einfache Bauen habe ich mit meinen Studenten von der Bauhaus-
Universität Weimar versucht wiederzufinden, als wir in den
späten 1990er Jahren in den Kosovo gefahren sind. Viele Archi-
tekturschulen sind damals in echte Notgebiete gefahren. Das ist
zwar grundsätzlich lobenswert, hat aber auch in mehrfacher Hin-
sicht etwas Bequemes: Zum einen lässt man dabei ganz praktisch
den ganzen Druck unserer Baugesetze und Normen hinter sich –
ebenso wie unsere klimatischen Bedingungen. Zum anderen ver-
sperrt man sich durch das Weggehen die Erkenntnis, dass wir
auch in unserer Gesellschaft unsere kleinen eigenen Kosovos
haben – der Grünanger in Graz ist so ein Fall. Als mir das klar
geworden ist, habe ich mir gedacht, man kann genauso gut bei
sich zu Hause anfangen. So habe ich für mich den Grünanger
entdeckt und mit meinen Studenten versucht, die Möglichkeiten
eines radikal einfachen Bauens für einen solchen extremen Ort
zu erforschen. Dazu haben wir unendlich viele Modelle gebaut,
denn es war klar, dass man eine Art Fallstudie unternehmen
musste, um nicht in die ausgetretenen und sterilen Pfade des
sogenannten sozialen Wohnbaus zu geraten. Sozial ist dieser
Wohnbau ja gerade nicht. Kein Mensch denkt mehr darüber
nach, ob die Gesetze, die irgendwann nach dem Krieg gemacht
wurden, heute noch aktuell sind.
Dass der Grünanger begehrtes Bauland ist, sieht man schon
weiter südlich an den Wohnbauten. Dort findet man das ganze
institutionalisierte Arsenal des sozialen Wohnbaus – mit Tief-
garage, Kinderspielplatz und so weiter und so fort. Aus diesem
Spannungsfeld hat sich unser Projekt entwickelt: Wir wollten
einerseits den Charme des Grünangers erhalten – die Kleinteilig-
keit, die Individualität und die Möglichkeit, sich zu entfalten.
Andererseits mussten wir auch die Kosten im Griff behalten –
Kleinteiligkeit bedeutet im Bauen immer auch große Oberflächen,
was unter heutigen Standards (Dämmung, Schallschutz) schnell
viel kostet. Aber mir war von Anfang an klar, dass wir auch für
die Neubauten die niedrigen Baustandards der alten Baracken,
die ja nicht gedämmt sind, verwenden müssen, weil das Projekt
ökonomisch sonst nicht machbar gewesen wäre.

Standort Pichlergasse 2, Graz⁄ A


Bauherr öwg Wohnbau, Graz⁄ A, www.oewg.at
Planung Hubert Rieß, Graz⁄ A
Holzbau und Statik Kulmer Holz-Leimbau GmbH,
Pischeldorf⁄ A, www.kulmerbau.at
5m
EG Fertigstellung 2006
Grund und Boden
Ein wertvolles Gemeingut

Gabu Heindl

Grund und Boden ist rar. Er ist die künftig vielleicht Vielmehr bietet das (Erb-)Baurecht hier ein gutes
wichtigste Ressource, denn er ist nicht reproduzier- Instrument: In (Erb-)Baurechtsverträgen sind Grund-
bar, nicht vermehrbar.1 In vielen urbanen Zentren ist stück und Gebäude rechtlich voneinander getrennt.
Boden für die Allgemeinheit, z. B. für geförderten Das Grundstück bleibt im Eigentum derer, die das
oder kommunalen Wohnbau, kaum mehr verfügbar. Baurecht vergeben. Die erhalten von der Baurecht-
Aber auch am Rand von urbanen Ansiedlungen sind werberin bzw. dem Baurechtwerber einen jährli-
Grundstücke für neue Bauvorhaben nicht in unbe- chen Bauzins, dafür, dass diese darauf ein Gebäude
grenz tem Ausmaß vorhanden. Schon jetzt hat errichten. Somit gibt es keinen Kaufpreis für das
Österreich ein echtes Zersiedelungsproblem, das Grundstück (was sich erheblich auf die Errichtungs-
sich unter anderem auf die Landschaft und ihr Bild, kosten von Wohnbau auswirkt); weiters können für
auf das Klima, aber auch auf die Frage der Gerech- den Bauzins – wie auch für Mieten – Obergrenzen
tigkeit im Hinblick auf die Infrastrukturversorgung definiert werden. Das Baurecht ist selbstverständ-
auswirkt. lich auch für Kommunen anwendbar. (Auch die
Grund und Boden ist rar – aber alle brauchen ihn. katholische Kirche praktiziert es seit Jahrhunderten.)
Daher müsste er eigentlich ein Commons sein, ein Generell sollten Gemeinden ihre kommunalen
Gemeingut ähnlich wie Luft oder Wasser; ist er aber Grundstücke nicht verkaufen, sondern – falls sie
nicht. Ganz im Gegenteil ist ein Großteil von Grund nicht selbst bauen – diese im Baurecht vergeben
und Boden monopolisiert von wenigen Eigentüme- oder aber als Bodenreserve behalten. Mehr noch,
rinnen und Eigentümern – Tendenz zur Monopol- Kommunen sollten für eine langfristige Planung
bildung steigend, Stichwort: Landraub. Als privates aktiv Bodenreserven anlegen.
Eigentum ist Grund und Boden potenzielle Ware Mit der neuen Widmungskategorie „förderbarer
auf dem freien Markt, und die hohen Bodenpreise, Wohnbau“ hat die öffentliche Hand in Wien ein
die auf ihm erzielt werden, verdanken sich in letzter Instrument geschaffen, um die (Um-)Widmung
Konsequenz dem Umstand, dass Grund und Boden eines Grundstücks mit einem gedeckelten Grund-
knapp ist – was in vielen Regionen mit wachsender preis zu koppeln, der für den geförderten Wohn-
Bevölkerung automatisch gegeben ist. (Bevölke- bau festgelegt ist. Auch Baulandwidmungen wirken
rung wächst, Grund und Boden nicht.) Also steigen der spekulativen Nicht-Nutzung von für Bebauung
die Bodenpreise, je zentraler, desto rasanter. gewidmeten Grundstücken entgegen. Viele Gemein-
Doch alles Gebaute braucht einen Boden, selbst den fragen sich auch, wie sie es angehen sollen,
wenn dieser das Dach eines anderen Bauwerks sein wenn sie dem gegenwärtigen (vielleicht nur tem-
sollte. Grund und Boden ist also essenzieller Teil porären) Wohnungsbedarf nicht durch Neubau,
von Architektur – nicht nur gestalterisch, sondern sondern durch Nutzung von Leerstand Abhilfe
auch in Bezug auf die Errichtungskosten. Gerade schaffen wollen. Da ist ein Anreiz für Leerstands-
für die Errichtung leistbarer Wohnungen wird nun nutzung sicherlich von großer Wichtigkeit. Ein
die Knappheit und Unleistbarkeit von Boden zum solcher Anreiz, die aus unterschiedlichen Gründen
gravierendsten Hindernis. Das wird heute, da sich leer stehenden Wohn- oder Bürogebäude einer
der bestehende Mangel an leistbaren Wohnungen Nutzung zuzuführen, wäre sicher die Leerstands-
durch die Wohnungssuche von Neuankömmlingen, steuer, wie sie von vielen Seiten gefordert wird.
insbesondere Schutzsuchenden, zuspitzt, umso Kurz, es geht darum, Grund und Boden stärker als
problematischer. Manche reagieren auf diese Gemeingut zu verankern und privatem Eigentum
Situation so, dass sie mittellose Refugees gegen seine Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit einzu-
andere Menschen, die über wenig Kaufkraft ver- schreiben. Jedwede konkrete Maßnahme in diese
fügen, ausspielen. Ich (und bei weitem nicht nur Richtung muss keineswegs unter den (vielleicht
ich) meine jedoch, dass die augenblickliche Lage polarisierenden) Labels „Notstand“ oder „Flücht-
eine Chance in sich birgt: Die Chance besteht lingskrise“ an die Öffentlichkeit gebracht werden.
darin, dass – sozusagen im Zeichen der Massen- Nichtsdestoweniger ist die durch die Schutzsuchen-
fluchtsituation – Verteilungsgerechtigkeit in ihrer den zugespitzte Situation ein Brennglas, das uns
Grundsätzlichkeit in den Blick kommt. Die Heraus- einen bestehenden Handlungsbedarf deutlich
forderung, die sich damit akut stellt, ist, leistbares sehen lässt. Denn auf leistbaren Wohnbau und
Wohnen für alle zu schaffen. Und weil das nicht somit auf leistbaren Grund und Boden haben alle
ohne leistbaren Grund und Boden möglich ist, geht Menschen das gleiche Recht.
1 Grund und Boden ist auch es jetzt darum, Grund und Boden als Gemeingut zu
in sprachlichem Sinn nur
verstehen und ihn dem Kapitalmarkt zu entziehen.
eines, weshalb ich hier Gabu Heindl
„Grund und Boden ist rar“ Ein Systemwechsel ist das zweifellos. Aber keine Architektin mit Schwerpunkt öffentliche Bauten, Vorstands-
statt „Grund und Boden sind Sorge, dabei muss nicht gleich alles Land zwangs- vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Architektur
rar“ schreibe. verstaatlicht werden. www.gabuheindl.at
Studentenwohnen auf Zeit
Schnell einsetzbare Module aus Holz

Schneller wohnen
18
19
5m
EG

zuschnitt 62.2016
Bewohner Studenten
Anzahl der Bewohner/Wohneinheit 4
Anzahl der Wohneinheiten 10
Wohnfläche pro Person 12,5 m2 ⁄ 19 m2
Kosten pro m2 Euro 1.350,–

Geplante Nutzungsdauer 5 Jahre


Nachnutzung Studentenwohnheim⁄ anderer Standort
Konstruktionsart Raummodule in Holzrahmenbauweise

Standort Sonnenallee 28, Seestadt Aspern, Wien⁄ A


Bauherr wbv-gpa Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, Wien⁄ A,
www.wbv-gpa.at; OeAD WohnraumverwaltungsGmbH, Wien⁄ A,
www.housing.oead.at; home4students Österreichische
Studentenförderungsstiftung, Wien⁄ A, www.home4students.at
Planung F2 Architekten, Schwanenstadt⁄ A, www.f2-architekten.at
Holzbau und Statik Obermayr Holzkonstruktionen GmbH,
Schwanenstadt⁄ A, www.obermayr.at
Fertigstellung 2015

Maik Novotny

Hoher Siedlungsdruck, steigende Grund- Generalunternehmer und Haustechniker, problemlos innerhalb eines Tages. Ledig-
stückspreise und sinkende Grundstücks- in der Seestadt Aspern zum Zug. Es ent- lich die vor Ort errichtete Überdachung
verfügbarkeit, das waren die Gründe für standen 40 Wohnheimplätze, die Überga- des Atriums verlängerte die Montagezeit
ein Programm des temporären Bauens: be erfolgte im September 2015. Fünf Jahre um wenige Wochen.
das Studentenwohnheim auf Zeit. Dessen wird das Studentenwohnheim hier resi- Initiator Christoph Chorherr zieht heute
Ziel: Für Grundstücke im Nahbereich der dieren, 2020 wandert es an den nächsten eine positive Bilanz: „Das Projekt zeigt,
Stadt Wien, die frühestens in fünf Jahren Standort, ebenfalls in der Seestadt. Die dass wir in Österreich einen hervorragen-
bebaut werden, schon jetzt eine Zwischen- anderen drei Projekte sollen noch umge- den Holzbau haben, mit Modulen, die
nutzung zu finden und günstigen Wohn- setzt werden. schnell einsetzbar sind und fern jeglicher
raum zu schaffen. „Es sollen explizit keine Der Entwurf von GreenFlexStudios basiert billiger ‚Hühnerstall-Optik‘ liegen.“ Auch
hässlichen Container sein“, sagt Christoph auf dem bereits vom selben Team ent- im Hinblick auf den Bedarf an Flüchtlings-
Chorherr, Planungssprecher der Wiener wickelten Entwurf einer mobilen Gebäude- unterkünften, der durch die Wiener Bau-
Grünen, der 2013 die Idee ins Rollen brach- einheit, die schon mehrmals für Wohn- ordnungsnovelle 2016 leichter gedeckt
te. „Wir wollen zeigen, dass auch mit hoher und Gewerbezwecke zum Einsatz kam und werden soll, sieht Chorherr Einsatzmög-
Qualität schnell und kostengünstig gebaut 2007 mit dem Oberösterreichischen Holz- lichkeiten und kann sich auch eine Mi-
werden kann.“ baupreis ausgezeichnet wurde. In Aspern schung von Studenten und Flüchtlingen
Die Voraussetzungen für die Architektur wurden die Boxen mit einer Abmessung vorstellen. Funktional sei das kein Pro-
auf Zeit: Sie soll bis zu sieben Mal auf- und von circa 5,5 x 17 Metern zweigeschossig blem, stimmt auch Hans-Christian Ober-
abgebaut werden und sich an verschiedene um ein zentrales Atrium angeordnet. mayr zu, allerdings sei das Holzbau-
Grundstückszuschnitte anpassen können, In jeder Box finden vier Wohnheimzimmer Wohnheim in Aspern für diesen Zweck
zumindest Niedrigenergiestandard auf- Platz. Konstruktiv sind diese in Holzriegel- zu kostenintensiv: „Um mit den Systemen
weisen und nicht mehr als Euro 35.000,– bauweise mit mineralischer Dämmung und zu konkurrieren, die in diesem Bereich
pro Wohnheimplatz kosten. Im Dezember hinterlüfteter Außenfassade ausgeführt, entwickelt wurden, müssten wir abspecken,
2013 startete ein offener Wettbewerb; an- sie erfüllen Niedrigstenergiestandard und vor allem, was die Dimension der Boxen
gesprochen waren Teams aus Architek ten wurden inklusive Sanitärinstallation, Lüf- und den Standard der Ausstattung be-
und der Bauwirtschaft. Die Materialität tung und Möblierung im Werk komplett trifft.“ Die Systeme sind startklar, und der
war freigestellt, doch angesichts der vorgefertigt. „Unsere Box ist deutlich Bedarf am schnellen Leichtbau wird in den
modularen Leichtbauweise fanden sich breiter als gängige Holzboxsysteme, damit nächsten Jahren sicherlich nicht weniger.
unter den 45 eingereichten Projekten eine komfortablere Wohn- oder Büronut-
naheliegenderweise vor allem Stahl- und zung möglich ist“, erklärt Hans-Christian
Maik Novotny
Holzbausysteme. Obermayr von Obermayr Holzkonstruk-
arbeitet als Architekt und Stadtplaner in Wien und
Als erstes der vier Siegerprojekte kam das tionen. Der dadurch etwas aufwendigere Nieder österreich und schreibt regelmäßig für die
des oberösterreichischen Teams GreenFlex- Transport wurde im Juryprotokoll zwar Tageszeitung Der Standard, die Wochenzeitung
Studios bestehend aus Architekt, Holzbauer, mahnend angemerkt, erfolgte dann aber Falter sowie für Fachmedien.
Pop-up-Häuser in London
Leicht aufbaubar und leicht demontierbar

5m
EG

Bewohner Jugendliche
Anzahl der Bewohner ⁄ Wohneinheit 1
Anzahl der Wohneinheiten 36
Wohnfläche pro Person 26 m2
Kosten pro m2 Pfund 1.400,–
Nutzungsdauer langfristig
Konstruktionsart Raummodule in Holzrahmenbauweise

Standort Clay Avenue⁄ Woodstock Way, London⁄ GB


Bauherr ymca London South West, London⁄ GB, www.ymcalsw.org
Planung Rogers Stirk Harbour + Partners, London⁄ GB, www.rsh-p.com
Holzbau Insulshell by sig plc Building Systems, Sheffield⁄ GB, www.sigplc.com
Statik aecom, London⁄ GB, www.aecom.com
Fertigstellung 2015

Oliver Lowenstein

Der Mangel an leistbarem Wohnraum in Großbritannien ist zu Die tragende Struktur der Module ist ein Holzrahmenbau aus
einer großen sozialen Herausforderung geworden, zumindest in der Brettschichtholz, innen verkleidet mit mdf- oder Gipskartonplatten,
reichen südlichen Landeshälfte. Mehrere aufeinanderfolgende außen mit bunten Faserzementplatten. Die Module werden in der
Regierungen haben es verabsäumt, ausreichend Wohnungen zu Fabrik vorgefertigt, inklusive der gesamten technischen Gebäude-
bauen. Jährlich werden in Großbritannien zwischen 120.000 und ausrüstung, bevor sie von Sattelschleppern zu den jeweiligen
140.000 Wohneinheiten errichtet. Stimmen aus der Bauindustrie Standorten in London transportiert werden. Richard Rogers, einer
sagen, dass es jährlich bis zu 100.000 Einheiten zu wenig sind. der bekanntesten britischen Architekten, war in der Vergangen-
So wird das Defizit an Unterkünften jedes Jahr größer, das bringt heit vor allem für Hightech- und insbesondere für Stahlbauten
besonders in London große Probleme mit sich. Hier konzentrieren bekannt. Dazu zählt eines der höchsten Gebäude der Londoner
sich die Bauträger auf das obere Marktsegment. Ausländische City, das im letzten Jahr fertiggestellte Leadenhall Building,
Investoren kaufen Luxuswohnungen zu unvorstellbaren Beträgen, das auch als „Cheesegrater“ (Käsereibe) bezeichnet wird.
dadurch steigen auch in anderen Marktsegmenten die Preise, Das Architekturbüro kann allerdings auch einige Gebäude aus
und das Wohnen in der Hauptstadt wird für viele Menschen, die Holz vorweisen, darunter das Parlamentsgebäude für Wales und
für das Funktionieren der Stadt notwendig sind, wie Lehrer, Kran- Londons erste Academy-Schule, die Mossbourne School aus der
kenschwestern oder Polizisten, ganz zu schweigen von den Armen Zeit der Labour-Regierung von Tony Blair. All diese Projekte
und Obdachlosen, unerschwinglich. Nicht umsonst wird London wurden vom Senior Partner Ivan Harbour geleitet. Harbour war
manchmal auch als Dubai an der Themse bezeichnet. stark an der Entwicklung von vorgefertigten Bauteilen vor allem
Britische Architekten haben sich in den letzten Jahren intensiv an aus Holz beteiligt.
der Debatte um die Immobilienkrise beteiligt und immer wieder Der Y:Cube im Stadtteil Mitcham im Süden Londons ist das erste
mit Entwürfen, bei denen die Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit Wohnprojekt, das nun mit vorgefertigten Bauteilen aus Holz
sowie die Designqualität im Mittelpunkt standen, auf das Thema realisiert wurde. Das dreigeschossige Gebäude besteht aus
aufmerksam gemacht. Rogers Stirk Harbour + Partners (rshp), ein 36 Wohneinheiten und einem Büro und befindet sich an einer
Architekturbüro, das vor zehn Jahren aus der Richard Rogers ruhigen Straßenecke in der Vorstadt. Die Wohnungen dienen
Partnership entstand, ist ein namhaftes Beispiel dafür. Es hat zwei als temporäre Unterkünfte für gefährdete Jugendliche. Die
solcher Projekte entwickelt: den Y:Cube und das Ladywell Pop-Up Wohnfläche von 26 m2 umfasst ein Wohnschlafzimmer, einen
Village. Sowohl der Y:Cube, eine Zusammenarbeit mit ymca, der Küchenbereich und ein Bad⁄ wc. Die Miete beträgt nur 65 %
Young Men’s Christian Association in West London, als auch das der in diesem Stadtteil gängigen Mietpreise und die Strom-
Ladywell Pop-Up Village für die Bezirksverwaltung von Lewisham rechnung – dank der guten Isolierung – lediglich Pfund 10,–
wurden aus vorgefertigten Modulen errichtet. pro Monat.
Vorgefertigt, leicht und mobil: Die Holzmodule funktionieren sowohl im
kleinen Maßstab beim Y:Cube als auch im großen beim Ladywell Pop-Up
Village (Bild unten).

Das einzig sichtbare Holz an dem Wohnbau sind die Stützen aus rshp setzt derzeit große Hoffnungen darauf, dass das modulare
Brettschichtholz, welche die breiten, offenen Gehwege auf jeder System bald stärker verwendet und auf den Markt gebracht wird
Etage tragen. Die bunten Fassaden, ein Versuch, das stringente und bei unterschiedlichen Großprojekten zum Einsatz kommt.
Design der volumetrischen Boxen auszugleichen, wirken inmitten Entscheidend für die Langlebigkeit und den Erfolg dieser ersten
der kleinen, einstöckigen Vorstadthäuser, die sich in Mitcham Versuche wird aber wahrscheinlich sein, wie die Menschen, die
über Kilometer erstrecken, ungewohnt. darin wohnen, sie annehmen und – vielleicht noch wichtiger –
In Lewisham High Street, einem anderen Teil der endlosen Vor- wie sie sich für die Bauherrn bewähren.
stadt im Süden Londons, wird mit dem Ladywell Pop-Up Village
gerade das zweite Projekt im Rahmen dieses Programms fertig-
Oliver Lowenstein
gestellt. Hier werden Varianten der Y:Cube-Box für größere
Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko-
Wohngebäude mit vier Etagen eingesetzt. Die Wohnflächen logiemagazin, www.fourthdoor.co.uk
betragen 75 m2 für Familien von zwei bis vier Personen. Es gibt
24 Wohnungen für 94 Personen, wobei auch Flüchtlinge und
Obdachlose inkludiert werden sollen, die kurzfristig Unterkünfte
benötigen. Die Module können wieder zerlegt werden, so wurde
mir dies bei meinem Besuch mitgeteilt, die Bezirksverwaltung
kann die Einheiten verlegen und sie ohne erhebliche Zusatzkos-
ten an einem anderen Ort im Stadtteil wieder aufstellen.
Der Anteil an Holz in jeder Einheit beträgt etwa 60 Prozent,
wobei die Tragstruktur 30 bis 40 Prozent ausmacht. Sowohl
die hochwertige Isolierung, die eine Luftundurchlässigkeit von
0,17 erreicht, und die Akustik scheinen wirksam zu sein. Der
starke Verkehrslärm draußen war nicht zu hören. Die Einheiten
werden mit einer 60-Jahr-Garantie geliefert. Abgesehen von
den Holz faserplatten, die bei den Gehwegen außen und den
Stiegenhäusern zwischen den Etagen und Einheiten ver wendet
werden, ist jedoch nicht erkennbar, dass bei diesen Gebäuden
Holz eingesetzt wird. Ladywell ist damit ein weiteres Beispiel
für ein Gebäude, bei dem Holz nicht die Optik prägt.
Nachverdichtung mit Holz
Flexibel und mit guter Energiebilanz

5m
Christian Holl

Bewohner Studenten, Flüchtlinge In verdichteten und stark nachgefragten Landesteilen kommt großen Wohnungs-
Anzahl der Bewohner ⁄ Wohneinheit 1 unternehmen eine Schlüsselrolle in der Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu.
Anzahl der Wohneinheiten 10
Wohnfläche pro Person 7,2 m2
In Hessen hält die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte⁄ Wohnstadt etwa
Konstruktionsart Raummodule in Holzrahmenbauweise 60.000 Wohnungen, ihre Tochtergesellschaft, die nh ProjektStadt ist für Neubauten,
Standort Frankfurt am Main⁄ D
Stadtentwicklung und Projektentwicklung zuständig. Mit zwei unterschiedlichen
Bauherr Nassauische Heimstätte Wohnungs- und Konzepten will die nh ProjektStadt neue Wege beschreiten und neue Spielräume
Entwicklungsgesellschaft mbH, Frankfurt⁄ D, www.naheimst.de erschließen. Cubity und Homie werden dazu dienen, brachliegende Flächen durch
Planung tu Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und
Gebäudetechnologie, Darmstadt⁄ D, tu Darmstadt, bda,
Zwischennutzung zu aktivieren, sie sollen Kommunen und Investoren Beispiele für
www.techno.architektur.tu-darmstadt.de neue Formen des Wohnens geben, sie sollen als ergänzende Bausteine in bestehenden
Holzbau dfh Deutsche Fertighaus Holding ag, Simmern⁄ D, Quartieren deren integrative Entwicklung unterstützen und neue Antworten auf
www.dfhag.de
die Frage nach dem Wohnen für das Existenzminimum geben. Schließlich wurden
Fertigstellung 2016
für das zeitlich befristete Wohnen, sei es für unbegleitete Jugendliche oder Allein-
erziehende unter den Flüchtlingen, sei es für Studierende, ansprechende Lösungen
gefunden.

Cubity – ein Plus-Energiehaus

Cubity wurde von der tu Darmstadt für für eine Küche, das Essen und den ge-
den Solar Decathlon 2014 entwickelt und meinsamen Aufenthalt, aber auch intimere
diente während des Plus-Energiehaus- Bereiche entstehen. Dahinter steckt ein
Wettbewerbs dessen Teilnehmern als energetisches Konzept, das vorsieht, die
Unterkunft. Danach sollte es als Studen- Gemeinschaftsräume deutlich weniger als
tenwohnheim genutzt werden können. die Zimmer zu beheizen.
Als Pop-up-Wohnen ist es ein Beispiel Mit einem Vorhang kann der zu heizende
für eine schnell versetzbare Einheit, die Gemeinschaftsbereich klein gehalten
auf Schraubfundamenten errichtet werden werden. Das Konzept kommt ohne auf-
kann. Das Neuartige des Konzepts für wendige Technik aus.
den 16 x 16 Meter großen zweigeschossi- Im Sommer lässt sich Cubity zur Nachbar-
gen Kubus besteht aber im Verhältnis schaft öffnen, eine Terrasse erweitert den
zwischen Individualräumen und Gemein- Gemeinschaftsbereich. Als Element der
schaftsfläche. Während die zwölf mit Nachverdichtung wie der behutsamen und
allem Not wendigen ausgestatteten dezentralen Ergänzung von Angeboten im
Zimmer in vorgefertigten Kuben aus Holz- Quartier kann Cubity zum Beispiel mit
rahmenkonstruktionen nur 7,2 m2 groß Projekten des Urban Gardenings verknüpft
sind, ist der Gemeinschaftsraum zwischen werden. Cubity soll in diesem Jahr in
den Kuben und der Außenhülle deutlich einem Frankfurter Stadtteil errichtet und bei beiden Projekten wird großen Wert
größer. Hinter der Fassade, einer mit für ein Jahr auch sozialwissenschaftlich darauf gelegt, die Integration in die
Polycarbonatplatten bekleideten Brett- begleitet werden. bestehenden Nachbarschaften durch
schichtholzkonstruktion, sind die Kuben Hier wie bei Homie sollen Studierende Beteiligungsprozesse und Sozialmanage-
so eingestellt, dass zwischen ihnen Räume und Flüchtlinge gemischt werden, und ment zu begleiten.
Service

Schneller wohnen
22
23
Homie – leicht und stapelbar Infos im Internet Günstiger Wohnbau⁄ günstiges Bauen
Bauen für Flüchtlinge – Beispiele und _ www.wohnraum-fuer-alle.de
Argumente für Holz Wohnraum für alle ist eine Münchner Initiative

zuschnitt 62.2016
_ www.proholzbw.de⁄ proholzbw⁄ wohn- von Menschen aus Planungsberufen und der
raum-fuer-fluechtlinge Immobilienbranche für gute und bezahlbare
Eine Übersicht über Flüchtlingsunterkünfte Wohnungen, nicht nur für Flüchtlinge.
aus Holz von proHolz Baden-Württemberg
_ www.holzbauten-fuer-fluechtlinge.nrw.de Literatur
Argumente für Holz des Landesbetriebs Flucht, Migration und Bürgerengagement
Wald und Holz Nordrhein-Westfalen 40 Projekte aus der Praxis
_ www.wohnraum-fuer-fluechtlinge.info Thomas Körner-Wilsdorf, Günther Prechter,
Wohnraum für Flüchtlinge in Holzbau- Sylvia Hank
weise – ein Informationsservice der deut- Augsburg 2016
schen Holzwirtschaft
_ www.d-h-v.de Einfach Wohnen. Wohnraum schaffen für
Infos des Deutschen Holzfertigbau-Ver- Menschen in besonderen Lebenssituationen
bands zu Flüchtlingsunterkünften aus Holz Oberste Baubehörde im Bayerischen
_ www.makingheimat.de⁄ #fluechtlings- Staatsministerium des Innern, für Bau
unterkuenfte und Verkehr (Hg.)
Für den deutschen Biennale-Beitrag hat München 2015, Download unter:
Beim Konzept Homie ist Holz aus Gründen das Deutsche Architekturmuseum reali- www.innenministerium.bayern.de
der Energiebilanz, aber auch wegen des sierte bzw. in Realisierung befindliche
geringen Gewichts und der dadurch fle- Bauten für Flüchtlinge und Migranten Refugees Welcome
gesammelt. Daraus ist eine Online-Daten- Konzepte für eine menschenwürdige
xiblen Einsatzmöglichkeit das bestimmende
bank entstanden, die auch weiterhin Architektur
Konstruktionsmaterial. Die einzelnen aktualisiert wird. Jörg Friedrich, Simon Takasaki,
Module mit je zwei oder drei Zimmern und _ www.fluechtlingsunterkuenfte.ch Peter Haslinger, Oliver Thiedmann,
einer Wohnküche lassen sich bis zu drei- Argumente für Unterkünfte aus Holz von Christoph Borchers (Hg.)
geschossig anordnen und zu Höfen grup- der Lignum – Holzwirtschaft Schweiz Berlin 2015, 2. Auflage
pieren, die Grundfläche der für Flücht-
Thema Flüchtlinge – allgemein Flucht nach vorn. Vom Krisenmodus der
linge, Studierende und Familien nutzbaren
_ www.raum4refugees.at Erstunterbringung zum Städtebau
Wohnungen variiert dabei zwischen etwa Raum4Refugees ist ein kostenfreies StadtBauwelt 208, Nr. 48⁄ 2015
60 und knapp 80 m2. Sondermodule kön- Beratungs angebot von Raum-Experten
nen Werkstatt-, Hauswirtschafts- oder für Gemeinden, Planungsabteilungen, Die neue Völkerwanderung – Arrival City
Gemeinschaftsräume aufnehmen. Verbände und Vereine. Doug Saunders, Pantheon Verlag,
Homie ist für Reserveflächen eines _ www.fluchtraum.at München 2013
Fluchtraum Österreich – Analyse der
Quartiers ebenso geeignet wie für Flächen
gegenwärtigen Asylpolitik anhand von proHolz-Publikationen zum Thema
zwischen Wohn- und Gewerbegebieten. Kartografien und Essays Zuschnitt 27 – Zweite Lesung
Nachdem die Einsatzmöglichkeiten des _ www.ortefuermenschen.at Zuschnitt 36 – Schnelle Hilfe
Konzepts überprüft wurden, sollen nun Österreichischer Beitrag für die Archi-
in Zusammenarbeit mit Architekten und tektur Biennale 2016 Ansprechpartner in Österreich
Herstellern Entwurfsdetails und Bauweise – _ www.alpbach.org⁄ buergermeister proHolz Burgenland – www.proholz-bgld.at
60-seitiges Handbuch für Gemeinden, proHolz Kärnten – www.proholz-kaernten.at
voraussichtlich eine Holzständerkonstruk-
in dem Erfahrung, Wissen und Ratschläge proHolz Niederösterreich – www.proholz-noe.at
tion – geklärt werden. Mehrere Gemeinden österreichischer Bürgermeister und proHolz Oberösterreich – www.proholz-ooe.at
möchten noch in diesem Jahr Pilotpro- Experten über die erfolgreiche Aufnahme proHolz Salzburg – www.proholz-salzburg.at
jekte in Angriff nehmen, vorgesehen sind von Flüchtlingen gebündelt sind proHolz Steiermark – www.proholz-stmk.at
Ensembles mit zwanzig bis dreißig Woh- _ www.homenotshelter.com proHolz Tirol – www.proholz-tirol.at
nungen. Home not Shelter ist eine hochschul- vorarlberger holzbau_kunst –
übergreifende Initiative zur Schaffung www.holzbaukunst.at
von integrativen Wohnlösungen für
Migranten und Studierende. Ansprechpartner in der Schweiz
Christian Holl Lignum – Holzwirtschaft Schweiz –
Autor und Partner von frei04 publizistik, zahlreiche _ www.buerobauer.com
First Aid Kit – Download von Pikto- www.lignum.ch
Lehraufträge, Kurator und Mitglied der architektur-
galerie am weißenhof, Geschäftsführer des grammen, die bei der Orientierung in
Ansprechpartner in Deutschland
bda Hessen, www.frei04-publizistik.de Notunterkünften helfen sollen.
proHolz Bayern – www.proholz-bayern.de
proHolz Baden-Württemberg –
www.proholzbw.de⁄ proholzbw⁄ ueber-uns
Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-
Westfalen – www.wald-und-holz.nrw.de
Holzbauzentrum Schleswig-Holstein –
www.hbz-sh.de⁄ hbz-sh⁄ holzbau-im-norden
Nachgefragt Es heißt, um günstiger bauen zu können, Wie können wir trotzdem Qualitäten
müsse man die Vorschriften vereinfachen. garantieren und sichergehen, dass keine
Leistbarer Wohnraum für alle –
Worauf können wir verzichten? Wo können Wohnbauten dritter Klasse – sozusagen
was müssen wir tun? wir sinnvoll Normen/Richtlinien reduzieren, neue Baracken – daraus werden?
wo die bisherigen Ansprüche zurück-
schrauben? Jakob Dunkl Wohnbauten dritter Klasse
bedeuten langfristig zunehmende Pro-
Was verstehen Sie unter leistbarem Jakob Dunkl Back to the roots. Einfach bleme in der Innen- und Sozialpolitik,
Wohnraum? bauen. Brandschutz reduzieren – die Ge- erhöhte Kosten für Polizei, Sozialpolitik,
fahren durch Feuer werden komplett über- Justiz. Um diesen Problemen weiterhin
Jakob Dunkl Der Begriff ist logischerwei- schätzt. Hundertprozentige Barrierefreiheit vorzubeugen, ist es unerlässlich, Wohnbau
se relativ. Was bei uns teuer ist, würde in abschaffen – es genügt, wenn ein Teil der weiterhin massiv zu unterstützen. Die
München oder Paris als billig bezeichnet. Wohnungen barrierefrei ist und im Problem- Zweckwidmung der Wohnbauförderung
Als Architekten sollten wir uns nicht an- fall ein Wohnungswechsel gefördert wird. ist logischerweise eine diesbezügliche
maßen, zu beurteilen, was für Menschen Wärmeschutz auf die Anforderungen der Mindestforderung. Widmungskategorien
leistbar ist. Allerdings wäre die politische Bauordnung zurückschrauben – warum für geförderten Wohnbau wären not-
Forderung nach verstärkter Anstrengung sollten die sozial Schwachen energiebe- wendig. Weiters wäre es zumutbar und
für qualitativen und dennoch leistbaren wusster sein als jene Wohlhabenden, die wichtig, dass die Miete für Besserver-
Wohnbau sehr wichtig. Es darf nicht sein, mit verbrauchsstarken Pkws fahren. Der dienende in geförderten Wohnbauten
dass unsere Gesellschaft sich hochwer- einfachste und wichtigste Verzicht wäre moderat ansteigt.
tigste Bankenheadquarters oder Ähnliches jedoch die Abschaffung der Stellplatzver-
leisten kann, aber auf qualitativen Wohn- pflichtung. Es gibt wohl kaum etwas Un- Karl Schafferer Eine entsprechende
bau verzichten soll. sinnigeres, als Stellplätze mit Fördergeld Qualität lässt sich, denke ich, definieren.
zu bauen. Ein Garagenplatz kostet so viel
Karl Schafferer Das ist grundsätzlich ein wie ein Kinder zimmer. Noch Fragen? Wilhelm Zechner Wohnbauten dritter
sehr allgemeiner Begriff und hängt natür- Klasse führen unausweichlich zur Ghettoi-
lich stark von der Wohngegend ab. Stadt Karl Schafferer Der ganze Bauprozess sierung und verhindern die Integration
oder Land, Salzburg oder Klagenfurt, Tirol wird von einer Flut an Vorschriften und unterschiedlicher Ethnien und sozialer
oder Burgenland. Als leistbar würde ich Regulierungen beeinflusst. Dadurch werden Schichten. Das ist nicht nachhaltig. Jeder
maximal 30 Prozent des Haushaltseinkom- oft innovative und sinnvolle Planungen vierte Österreicher lebt in einer Wohnung
mens bezeichnen, wobei die Fixkosten und Konstruktionen im Keim erstickt und der gemeinnützigen Bauvereinigungen.
sehr stark von Betriebs- und Heizkosten unsere in Österreich hohe Baukultur zum Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft
sowie der gestiegenen Nutzfläche pro allgemeinen Baustandard degradiert. Wir vermietet ihre Wohnobjekte auf Bestands-
Person beeinflusst werden. Raffiniert sollten hier nicht mit allen europäischen dauer und Zigtausende Kundenkontakte
geplante Passiv-⁄ Nullenergiehäuser in Vorschriften mitziehen und wieder ver- im Jahr geben Aufschluss darüber, was
kompakter Holz-Systembauweise sind mehrt die Verantwortung guten Unter- Wohnungssuchende tatsächlich nachfra-
eine Lösung mit hoher Wohnqualität und nehmen übertragen. Mit unbürokratisch gen und wollen: stabile Mieten, Langfrist-
regionaler nachhaltiger Wertschöpfung. erteilten Sondergenehmigungen wäre das denken und Verzicht auf Gewinnmaximie-
parallel eventuell leicht umsetzbar. rung bieten den Menschen Sicherheit.
Wilhelm Zechner Darunter verstehe ich
grundsätzlich den geförderten Wohnbau, Wilhelm Zechner Es müssen die Ansprüche
aber auch frei finanzierte Wohnprojekte. generell zurückgeschraubt werden, das
Jedenfalls sollte der Finanzierungsbeitrag beginnt bei der Flächenwidmung und endet
für die Mieter (Einmalzahlung am Beginn bei aufwendigen Qualitätssicherungspro-
der Miete) nicht höher als Euro 200,– pro zessen, Materialeinschränkungen, über-
Quadratmeter Nutzfläche sein und die bordenden Gemeinschaftseinrichtungen
monatlichen Wohnkosten (Annuität Kapi- sowie anderen vorgegebenen Themenstel-
talmarktdarlehen, Erhaltungs- und Verbes- lungen. Erste Teilerfolge bei den Regel-
serungsbeitrag, Baurechtszins, Betriebs- werken wie Bauordnungen, oib-Richtlinien
kosten und 10 Prozent Umsatzsteuer) nicht und Normen konnten erreicht werden,
höher als Euro 10,– pro Quadratmeter doch es gibt noch viel zu tun.
Nutz fläche.

Wilhelm Zechner
Jakob Dunkl stellvertretender Generaldirektor und
Architekt in Wien Karl Schafferer Vorstandsmitglied der Sozialbau ag,
Mitinhaber von Holzbauunternehmer eines gemeinnützigen Wohnungs-
querkraft architekten aus Navis, Tirol unternehmens in Wien
www.querkraft.at www.schafferer.at www.sozialbau.at
Gerade unter dem Aspekt der Zeitnot ist Sind die Wohnungsnot und die Nachfrage
der serielle und modulare Wohnbau derzeit nach schnellen Lösungen Chancen oder
sehr gefragt. Welchen Beitrag kann der eher Gefahren für den Holzbau?
Holzbau hier leisten?
Jakob Dunkl Eine Chance für kreative

Schneller wohnen
Jakob Dunkl Der Holzbau kann hier natür- Menschen, eine Gefahr, wenn kurzsichtige
lich einen hervorragenden Beitrag leisten. Denker durch Qualitätsminderung die
Vorfertigung und kurze Baustellenzeiten Lösung sehen.
heißt die Devise.
Karl Schafferer Ich sehe sie eindeutig als
Karl Schafferer Hier liegt ein riesiges große Chance.

24
25
Potenzial für den Holzbau. Wir müssen aber
endlich unsere Tausenden verschiedenen Wilhelm Zechner Durch den hohen Vor-

zuschnitt 62.2016
Aufbauten und Konstruktionen vereinheit- fertigungsgrad und kurze Montagezeiten Der Wohnraum in den Städten
lichen. Die Wohnbauträger sind angehalten, eröffnen sich für den Holzbau berechtigte wird knapp, weil …
nicht auf jeden kleinen Sonderwunsch der Chancen, an der künftigen Wohnbauoffen-
Kunden einzugehen, dann wird eine serielle sive zu partizipieren. Gefahren sehe ich
… die Menschen mehr Wohnfläche
und modulare Planung sowie Bauweise rich- persönlich darin, dass Lobbyisten versu-
für sich in Anspruch nehmen
tig effizient möglich. Über das Produkt in chen, den Beweis antreten zu müssen, dass
Holzbauweise werden alle nur mehr staunen. der Holzbau auch bei größeren Gebäude-
höhen (Gebäudeklasse 5 und darüber)
Wilhelm Zechner Angesichts der jüngsten gegenüber einer unbrennbaren Massivbau-
demografischen Entwicklungen (in Wien weise keinerlei Nachteile mit sich bringt.
2015 plus 43.200 Menschen) können serielle
und modulare Bauweisen einen wesentli-
chen Beitrag zur Wohnversorgung leisten.
Das gilt auch für den Werkstoff Holz, aller- Ø Wohnfläche
dings sollten bei Wohngebäuden vorüber- … weil es hier mehr Einpersonenhaushalte gibt pro Bewohner in Österreich
gehenden Bestandes die Wiederverwen-
1971 23,1 m2
dungszyklen realistisch eingeschätzt Privathaushalte in Österreich 3.724.613
1981 28,0 m2
werden. Konstruktiver Holzbau bietet bis 37 % davon Einpersonenhaushalte
1991 33,0 m2
zur Gebäudeklasse 4 eine wirkliche Alter- Privathaushalte in Wien 857.036 2001 38,0 m2
native für kostengünstiges und bauzeit- 45 % davon Einpersonenhaushalte 2011 41,2 m2
optimiertes Bauen.

… weil es eine hohe Zuwanderung gibt


Zuzüge — Wegzüge Österreich 2014

Österreichische Staatsbürger 15.855 — 21.274

Staatsangehörige eu, ewr, ch 96.554 — 48.901

Drittstaatsangehörige 57.706 — 27.616

Österreich gesamt 170.115 — 97.791

… weil eine Stadt wie Wien Menschen vom Aus- wie vom Inland anzieht
Wien 100.138 — 73.446

Quelle: Statistik Austria, Wanderungsstatistik 2014; Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählungen 1971 bis 2001, Registerzählung 2011;
Statistik Austria, Abgestimmte Erwerbsstatistik 2012 und 2013
Seitenware

Standort Wertachstraße 29, Augsburg⁄ D


Bauherr Tür an Tür – miteinander wohnen und leben e. V.,
Wertachstraße 29, Augsburg⁄ D, www.tuerantuer.de
Planung Günther Prechter, Weiherstraße 6, Bregenz⁄ A;
Thomas Körner-Wilsdorf, Römerweg 13, Augsburg⁄ D
Tischler Gerhard Huber – Werkstätte für Einrichtungen, Kissing⁄ D,
www.gerhardhuber.com
Fertigstellung 2015

Anne Isopp
Standort Vordere Zollamtsstraße 7, Wien⁄ A
Kaffeetrinken in Augsburg Planung Displaced. Space for Change – kooperative Lehrveranstaltung der
tu Wien in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz, Projektinitiatorinnen Karin
Der Verein Tür an Tür engagiert sich für Zuwanderer und Flücht- Harather und Renate Stuefer, Wien⁄ A, www.fb.com⁄ displaced.spaceforchange
linge in Augsburg. In einem leer stehenden Straßenbahndepot Holzbau Selbstbau
haben der Vorarlberger Architekt Günther Prechter und der Fertigstellung fortlaufend

Kunstlehrer Thomas Körner-Wilsdorf nun in unmittelbarer Nähe


zum bereits bestehenden Beratungszentrum für den Verein ein
Café eingerichtet. Die Eingriffe sind reduziert und konzentrieren Möbelbauen in Wien
sich auf das Wesentliche: Wärmedämmung von Dach und Boden, Im Herbst vergangenen Jahres wurde die leer stehende ehemalige
Dielenbelag, Theke, Küche, Tische und Bänke. Drei Jahre haben Finanzlandesdirektion in Wien-Mitte zur Notschlafstelle für Flücht-
sie geplant und gebaut. Den Rahmen setzten das niedrige Bud- linge umfunktioniert. In den ersten Monaten lebten hier bis zu
get und die Idee, möglichst viele Menschen am Bau zu beteiligen: 1.200 Menschen, heute sind es um die 800. Von Beginn an enga-
Studenten, Schüler, Nachbarn und Asylsuchende. Doch worauf gierten sich Studierende der tu Wien mit den beiden Dozentinnen
kommt es an, wenn man Laien an der Umsetzung eines Baupro- Karin Harather und Renate Stuefer im Zuge einer Lehrveranstal-
jekts beteiligen will? Günther Prechter, der gemeinsam mit tung in dem Haus. Sie wollten ein Mindestmaß an Aufenthalts-
Körner-Wilsdorf schon mehrere solcher Beteiligungsprojekte qualität schaffen, sie entwarfen und bauten Möbel für das Café,
durchgeführt hat, sagt: „Der Architekt muß Lowtech konstruieren den Kindergarten, die Bibliothek und die Außenbereiche. Ein
und Spielräume für Mitgestaltung einplanen. Einfaches hand- großes Anliegen war und ist daher den Lehrenden und Studieren-
werkliches Arbeiten, das Material Holz und textile Ausstattung den die Holzwerkstätte, die sie auf eigene Initiative hier einrichten
ermöglichen, dass sich viele beteiligen.“ Hier waren es nach dem konnten und nun um eine Nähwerkstätte erweiterten. Studierende
Säubern der Wände das Bauen des Podests, der Dielenboden, und Tutoren betreuen die Werkstätte an vier Tagen in der Woche.
das Schleifen und Polieren von Tischplatten und Thekenfront, Dann können die Bewohnerinnen und Bewohner Möbel für den
der Bau von Möbelkorpussen und das Nähen von Sitzkissen. Eigengebrauch oder für die allgemeinen Bereiche im Haus bauen.
Eingespielte Kooperationen mit Handwerksbetrieben lassen zu, Die Möbel aus Holzpaletten für den Innenhof zum Beispiel haben
dass Ungelernte mitarbeiten. Er und sein Kollege nennen das ausschließlich Bewohnerinnen unter Anleitung der Studierenden
„Bauen als Selbsthilfe“. gebaut – viele von ihnen standen sicher noch nie in einer Werk-
stätte. Beeindruckend war für alle Beteiligten auch ein Bewohner,
der sich in der Werkstätte eine Flöte baute und dann auf ihr spielte.
Das ganze Vorhaben ist aber nur mehr von kurzer Dauer, weil
spätestens im Sommer dieses Jahres das Haus geräumt werden
muss, um mit dem Umbau für die Universität für angewandte
Kunst zu beginnen. Das Team lässt sich davon nicht beeindrucken
und richtet gerade für die Bibliothek einen Studierraum mit
Regalen und Tischen ein.
Holzrealien
Hoffnungsträger aus Holz

Holzrealien
Seitenware
Michael Hausenblas

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„Cucula“ bedeutet so viel wie „etwas gemeinsam machen“, Dass mit „Autoprogettazione“ auch in die Kerbe der boomenden
aber auch „auf sich aufpassen“. Beides trifft auf die gleichnamige Do-it-yourself-Bewegung geschlagen wird, ist ein weiteres zeitge-
Initiative haargenau zu. Angefangen hat dieses „Machen“ und mäßes Signal aus der Werkstatt von Cucula am Paul-Lincke-Ufer

zuschnitt 62.2016
„Aufpassen“ im Winter 2013. Das Berliner Kulturhaus Schlesische27 in Kreuzberg. Als eine Art Design-Manufaktur hat es sich Cucula
entschloss sich, für einige junge westafrikanische Männer eine mittlerweile zum Ziel gesetzt, hochwertige Designobjekte zu fer-
Unterkunft bereitzustellen. Die Männer heißen Malik, Moussa, tigen und zu verkaufen. Dabei werden in Kooperation mit Flücht-
Saidou, Maiga und Ali und stammen aus Niger und Mali, aus lingen, Designern und Pädagogen handwerkliche Basisqualifika-
Ländern also, die sie wegen Krieg, Hunger und Aussichtslosigkeit tionen mit Schwerpunkt Möbelbau gelehrt. Im Fokus stehen dabei
verlassen hatten. Im Kulturhaus trafen sie auf den Designer Holzverarbeitung, Konstruktion und Planung – und natürlich
Sebastian Däschle, der es sich zum Ziel setzte, eine Beschäftigung Kreativität. Unterstützt wird das Projekt, das vor allem aufgrund
für die Männer zu finden. Alle fünf verfügten über keine Berufs- immer noch ungeklärter Asylrechtsverfahren immer wieder auf
ausbildung. Däschle hatte die Idee, gemeinsam mit den Flücht- wackeligen Beinen steht, auch von Leuten wie dem Berlinale-Chef
lingen Möbel zu bauen. Das war die Geburtsstunde von Cucula, Dieter Kosslick oder dem Künstler Olafur Eliasson, der dazu sagt:
der Refugees Company for Crafts and Design. „Was ist Realität? Ich glaube, Realität ist etwas, das wir gemein-
Die Objekte, die seither entstehen, wirken archaisch, spartanisch sam produzieren. Cucula ist ein Bottom-up-Projekt, das zeigt,
und sind doch formschön. Ihre geometrischen Linien lassen sie wie sich Utopien in Wirklichkeit umsetzen lassen. Wir brauchen
modernistisch wirken. Die Möbel werden von Hand gefertigt und dringend solche Projekte, und sie brauchen unsere Unterstüt-
signiert, ihr geöltes Holz ist das der Kiefer. Außerdem gibt es zung. Der Punkt ist aber: Solche Projekte kommen nicht nur den
eine spezielle Version, bei der Holz von Flüchtlingsbooten zum Flüchtlingen zugute, sondern unserer Gesellschaft insgesamt.
Einsatz kommt, mit denen Flüchtlinge auf Lampedusa ankamen. Wir benötigen diese Projekte, weil sie uns unterstützen und uns
Diese haben ganz besondere Geschichten zu erzählen, solche von helfen, unsere Gesellschaft neu zu denken.“
Verzweiflung, aber auch von Hoffnung. So weit, so gut. Es geht
aber noch besser. Entworfen hat die Stücke – und hier treffen
Michael Hausenblas
sich zwei wahrhaft interessante und zeitversetzte Ansätze – der
Mitarbeiter der Tageszeitung Der Standard
große italienische Designer Enzo Mari im Rahmen seines Projektes
„Autoprogettazione“, das insgesamt 19 Möbelstücke zum Selber-
bauen umfasst. Das ist 42 Jahre her. Mari ging es schon damals
darum, ein Zeichen gegen industriellen Massenkonsum und die
daraus resultierende Wegwerfgesellschaft zu setzen. Der heute
83-Jährige war außerdem der Ansicht, dass es Menschen guttäte, Die Möbel von Cucula Literatur
selbst einen Stuhl zu bauen. Auch auf diese Art wollte er einen können in verschiedenen Autoprogettazione?
Umdenkprozess anstoßen. „Design hat etwas mit Utopie zu tun“, Ausführungen (Größe, Enzo Mari (Hg.)
Material etc.) bestellt Mailand 2002
sagte Mari einst.
werden. Ferner ist es Mit Bauplänen in
möglich, mit Cucula auch Italienisch und Englisch
individuelle Produkte zu
realisieren.
www.cucula.org
Holz(an)stoß Fabian Marti

Fabian Marti
geboren 1979 in Freiburg,
Schweiz
lebt und arbeitet in Zürich

Einzelausstellungen
(Auswahl)
2016 Kunstmuseum Luzern
2015 Parc Saint Léger,
Pouges- les-Eaux⁄ FR
Fabian Marti g.i.f.t.,
Der Tank, Academy of Art
and Design, fhnw, Basel
2014 All is All, Galerie Peter
Kilchmann, Zürich
wahe!, Art Bärtschi, Genf „Twohotel“ war 2014 im Zuge der Ausstellung „Gastspiel. Schweizer Gegenwartskunst“ zu Gast im Zürcher Museum Rietberg.
2013 Artwork is Network, WallRiss,
Freiburg⁄ CH
Hotel Palenque, hhdm, Wien
2012 The Zen of Running, Paradise
Stefan Tasch
Garage, Venice⁄ CA, US
Die Fotogramme, Keramiken und Installationen des Türen ein und können wie Klappen individuell ge-
Gruppenausstellungen Schweizer Künstlers Fabian Marti vereinen archai- öffnet und geschlossen werden. Als Gegenleistung
(Auswahl) sche Ausdrucksform, Science-Fiction-Ästhetik und hinterlassen seine Künstlerfreunde ihm Arbeiten,
2016 Momente der Auflösung,
diy-Philosophie. Seine geometrischen Formen sind die während ihres Aufenthalts vor Ort entstanden
Museum Marta Herford,
Braunschweig
nicht nur eine Referenz an künstlerische Avantgar- sind. Im Centre PasquArt in Biel zeigte Marti 2013
Après-ski, Karma Inter- den wie die des Konstruktivismus, sondern beziehen das Ergebnis dieses Tauschhandels in seiner Einzel-
national, Los Angeles sich auch auf Erfahrungen mit psychoaktiven Sub- ausstellung Marti Collection, in der nicht nur über
Nuit Blanche, Monaco stanzen: „Ich glaube daran, dass alles Wissen aus vierzig Arbeiten von Freunden ausgestellt waren,
2015 Please Respond, M⁄ L vergangenen Epochen – die gesamte Zeitachse – sondern auch ein Eins-zu-eins-Nachbau des „Two-
Artspace, Venedig
dem Menschen eingeschrieben ist. Nicht im Sinne hotel“. Aus den gleichen rosafarbenen Maderite-
Mainzer Ansichten,
Kunsthalle Mainz
von intellektuellem Wissen. Mehr als Instinkt oder Platten gebaut, transferierte Marti die Idee seiner
2014 Summer Sweatshop, Emotion.“ Als eine Reise in die Vergangenheit, die Tauschplattform in adaptierter Form zurück nach
Supportico Lopez, Berlin zugleich zurück in die Zukunft weist, könnte man Europa. Zuletzt konnte man das „Twohotel“, das
A Place Like This, Klöntal Martis Projekt „Twohotel“ bezeichnen. In Anlehnung sich mittlerweile in der Sammlung des Schweizer
Triennale, Glarus an den italienischen Künstler Alighiero Boetti Migros Museums für Gegenwartskunst befindet, im
2013 Salon der Angst, Kunsthalle
(1940 – 94), der zwischen 1971 und 1979 regelmäßig Fürstentum Monaco vor dem Grimaldi Forum sehen.
Wien
Artists for Tichy – Tichy for
nach Afghanistan reiste und in Kabul das „One Wie ein widerspenstiger, utopischer Fremdkörper
Artists, gask Museum, Prag Hotel“ eröffnete, baute Marti am Piracanga-Strand leuchtete es Richtung Meer. Marti öffnete es nicht
2012 Cosmic Laughter. Timewave in Bahía in Brasilien ein Hotel für Künstler. Im nur für Freunde, sondern auch für all jene, die wirk-
zero, then what?, Ursula Unterschied zu Boettis „One Hotel“, in dem sich der lich eine Herberge brauchen.
Blickle Stiftung, Kraichtal⁄ D Künstler nicht nur ein Atelier einrichtete, sondern
auch tatsächlich Zimmer für Touristen anbot, konzi-
pierte Marti sein „Twohotel“ ausschließlich als
Stefan Tasch
Wohn- und Arbeitsatelier für befreundete Künstler.
Studium der Kunstgeschich-
te in Wien und Edinburgh Unterstützt von einem Tischler und zwei lokalen
Arbeit in verschiedenen Arbeitskräften, baute Marti das Hotel inklusive
Museen und Galerien Mobiliar aus billigem Sperrholz, sogenannten
Maderite-Platten. Die Proportionen des Ateliers
Kuratiert vom Museum richten sich nach den genormten Holzplatten und
Moderner Kunst Stiftung bilden zwölf Achsen entlang der Fassade. Diese
Ludwig Wien nehmen gleichzeitig die Funktion von Fenstern und

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