Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
zuschnitt 86
86
Balkone im Holzbau
Der Balkon als Bauteil ist in der Architektur heute ebenso selbstverständlich
wie komplex. In diesem Zuschnitt zeigen wir anhand gelungener Beispiele
die Vielfalt an gestalterischen Aspekten und beleuchten die konstruktiven
Herausforderungen von Balkonen im Holzbau.
Inhalt SEITE 3 Themenschwerpunkt
Editorial
Zuschnitt 86.2022 Text Christina Simmel SEITE 7
Balkone, eine Übersicht nach
SEITE 4 – 5 Art der Tragkonstruktion
Essay SEITE 8 – 9
Balkone Wohnüberbauung Hagmann-
Text Wolfgang Pöschl Areal, Winterthur
Eine angebaute Balkonschicht
aus Eiche und Douglasie
Text Mirjam Kupferschmid
SEITE 10
Wohnquartier Schildacker,
Freiburg
Balkonplatten, aufge
ständert und angehängt
Text Christine Ryll
Im nächsten Zuschnitt widmen wir uns dem Bauen mit Holz in Verbindung
mit anderen natürlichen Baustoffen wie Lehm oder Stroh. Es wird ein breites
Spektrum an aktuellen Projekten vorgestellt, die auf eine Verknüpfung
erneuerbarer und regionaler Materialien für eine klimagerechte und kreis
lauffähige Architektur setzen.
Editorial
Abspannung Text Claus Käpplinger menologie Text Linda Lackner
Inhalt
Text Anne Isopp Text Albert Kirchengast SEITE 24 – 25
SEITE 20 – 21 Planungshinweise für Balkone
Sozialwohnbau bei Barcelona, aus Holz
Cornellà de Llobregat Text Claudia Koch
2
3
Auskragende Deckenplatten
aus Brettsperrholz als Balkon
zuschnitt 86.2022
Text Mecky Reuss
Editorial
Christina Simmel
Schwerpunkt dieser Ausgabe ist der Balkon. Dieses In diesem Zuschnitt betrachten wir alle diese Aspek
Thema wirft zunächst die Frage auf: Was ist das, te – aus der Perspektive des Holzbaus. Besonderes
ein Balkon? Je nach Blickwinkel lassen sich Balkone Augenmerk liegt darauf, die mannigfaltigen gestal-
unterschiedlich definieren. Spricht man von der terischen und konstruktiven Möglichkeiten aufzu-
Nutzung, sind Balkone zusätzliche Freiräume, expo- zeigen, diesen durchaus komplexen Bauteil für einen
nierte Freisitze, Austritte ins Freie. Um die räumli- Holzbau zu entwerfen. Anhand von Beispielen geben
chen Qualitäten zu benennen, ließen sich Balkone wir einen Überblick über das Repertoire an Lösungen
als Schwellenräume zwischen innen und außen, aus Sicht der Tragwerksplanung und an architek
privat und öffentlich, intim und repräsentativ um- tonischer Vielfalt, die sich aus dem Zusammenspiel
schreiben. Aus konstruktiver Sicht sind Balkone unterschiedlicher Materialien für einen Balkon in
auskragende Plattformen über dem Gelände, vorge Kombination mit einem Holzbau bieten. Ergänzt
stellte oder angebaute Tragwerke zur Erschließung werden die Projekte durch Stimmen aus der Praxis
von Außenraum, als Erweiterung eines Gebäudes. und Planungshinweise für Balkone aus Holz.
pro:Holz Webinare und Exkursionen 2.2022 Von A bis HolZ Online-Umfrage zum Zuschnitt
Mehrgeschossiger Holzbau – Planung und Ein Podcast von proHolz Austria Ihre Meinung ist uns wichtig!
Umsetzung Mitte Juni dieses Jahres ging der Podcast Vor mehr als zwanzig Jahren hat sich proHolz Austria das
Am 29. September 2022 startet die diesjährige „Von A bis HolZ“ erstmals online. Monatlich Ziel gesetzt, mit dem Zuschnitt als Fachmagazin über das
Herbstserie der Webinare von proHolz A ustria widmet sich eine neue Ausgabe den großen Bauen mit Holz und Holz als Werkstoff zu informieren.
in Kooperation mit der IG Architektur. und kleinen Fragen rund um den Werkstoff Der einst obersten Prämisse, den Holzbau als nachhaltige
In fünf Modulen werden aktuelle Holzbautech Holz und das Bauen mit Holz. Herausgegeben Bauweise für sämtliche Bauaufgaben zu etablieren, steht
nologien, Regelwerke und gebaute Beispiele von proHolz Austria, liefern die einzelnen heute ein breites Band an Themen rund um den Rohstoff
diskutiert. Die einzelnen Themenblöcke widmen F olgen Fakten und Infos zu Wald, Holz und Holz, die Ressource Wald und den modernen Holzbau
sich jeweils einem Schwerpunkt. K lima, behandeln Einsatzbereiche oder g egenüber, die es zu diskutieren gilt.
v ermitteln Bauwissen zur Anwendung des Wir – das Redaktionsteam des Zuschnitt – möchten Sie als
Do., 29. Sept. 2022 Klimafaktor Holzbau k limafreundlichen Baustoffs Holz. Leser:in dazu einladen, uns im Rahmen einer Online-Um
Do., 6. Okt. 2022 Tragwerk und Brandschutz Folge 1 vom Juni 2022 startete mit dem frage Feedback zur Ausrichtung und den Inhalten unseres
Do., 13. Okt. 2022 Bauphysik, TGA, Holzschutz Thema Ausbildung im Holzbau. Stephan Birk, Fachmagazins zu geben. Ihre Stimme gibt uns die Möglich-
Do., 20. Okt. 2022 Schnittstellen in Planung Professor für Architektur und Holzbau an der keit, Ihrem Lese- und Nutzungsverhalten entgegenzukom-
und Umsetzung TU München, stand dazu Rede und Antwort. men und in unserer Schwerpunktsetzung, der Gestaltung
Do., 3. Nov. 2022 Planungsprozesse, Kosten, Im Zuge der zweiten Folge vom Juli 2022 der Inhalte und den im Zuschnitt aufbereiteten Infos für
Vorfertigung sprachen wir mit Susanne Scharabi vom Büro die Praxis auf die Interessen und den Informationsbedarf
Scharabi Architekten über die Entwicklung unserer Leser:innen auf Themen rund um Wald und Holz
Ergänzend zu den Webinaren führen zwei Exkur des Holzbaus in Berlin. In „Von A bis HolZ“, gezielter zu reagieren. Vielen Dank schon jetzt für Ihre Teil-
sionen in Wien und Oberösterreich zu Stationen F olge 3, geht es um die ökologische Muster- nahme und Ihre Rückmeldung!
des modernen Holzbaus von der Produktion siedlung im Prinz-Eugen-Park in München
über die Fertigung bis zum gebauten Projekt. und das Holzbau-Förderprogramm der Stadt. Link zur Umfrage:
Die Webinarreihe kann wahlweise mit oder ohne Dazu als Gast: Christiane Meier vom Referat www.zuschnitt.at/umfrage
Exkursionen gebucht werden. für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt oder direkt via QR-Code
München.
Fr., 7. Okt. 2022 Fachexkursion Wien
Fr., 21. Okt. 2022 Fachexkursion OÖ Den Podcast „Von A bis HolZ“ gibt es auf
Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts,
Weitere Infos und Anmeldung unter Deezer und Amazon Music und unter
www.proholz.at www.proholz.at/podcast
Essay Balkone
Wolfgang Pöschl
„In der Maria-Theresien-Straße gibt es keine Balkone“, lautete die Wohnhäuser wie dieses waren die Prototypen für die nach dem
felsenfeste Behauptung eines Mitglieds des Innsbrucker Stadt- Krieg um die Dörfer grassierenden Einfamilienhäuser. Ein längerer
und Ortsbildschutzes. Ich fühlte mich ertappt, blind durch die Balkon war fixer Bestandteil. Dazu kam ein Satteldach mit einem
Welt zu stolpern. Doch bei einem war ich sicher, dass es ihn in der ausbaufähigen oder ausgebauten Dachboden. Die Giebeldreiecke
Prachtstraße Innsbrucks gab. Ich hatte ein Foto des Balkons des mussten holzverschalt und zumindest die Balkonbrüstungen höl-
Rathauses in Erinnerung – jenem Gebäude, in dem wir tagten –, zern sein. Nur wenn auch der Boden aus Holz bestand, stellte sich
hakenkreuzbeflaggt mit dem GröFaZ die Hand zum Gruß erhoben. das charakteristische Hörerlebnis beim Betreten ein.
Es ging um das Sporthaus Okay, das der Bauherr, die Stubaier Die neuen Balkone waren durchwegs zu schmal, um sie zu bewoh-
Gletscherbahnen, als freistehenden Eisblock in der letzten Lücke nen. Die meisten der aufkommenden Bauordnungen ließen sie
der teuersten Innsbrucker Straße errichten wollte. Im dritten maximal 1,50 Meter in die Mindestabstandsfläche ragen. Bei
Obergeschoss sollte ein Holzbalkon in den Straßenraum ragen. knappen Grundflächen ergab sich daraus ein mehr formales als
Ein Balkon und noch dazu in Holz in der Stadt!? Das ging 2002 funktionales Element und die wenigsten Räume hatten eine Tür
noch gar nicht. Wieder auf der Straße, zählte ich 18 Balkone in auf den Balkon.
der Maria-Theresien-Straße. Nicht nur ich war blind. Damals fiel auch niemandem ein, sich durch üppigen Blumen-
Allesamt waren von Menschen unbenutzte „Taubenbalkone“. An schmuck zusätzliche Arbeit zu schaffen. Viele Balkone blieben,
solche dachten vermutlich die Obersten Richter, als sie festlegten, wenn das Geld ausging, jahrelang ohne Brüstung oder Geländer.
was ein Balkon ist: ein untergeordneter Bauteil, dessen Länge die Sie waren Abstellräume für Regenunempfindliches.
Hälfte der Fassadenbreite nicht überschreiten darf. Wohlstand und mehr Freizeit veränderten die Nutzung der Balkone.
Die zwei- oder dreiseitig umlaufenden Balkone vieler Tiroler Bau- Ein Überfluss an Blumenschmuck wurde in manchen Landstrichen
ernhäuser waren demnach keine mehr. Auf abschüssigem Gelände zum Statussymbol, ein Beweis für den grünen Daumen der Haus-
oben ebenerdig zugänglich, bieten sie – hangabwärts ein Geschoss frau, der neuerdings vollautomatisch bewässert wird. Auch durch
über dem Gelände – oft einen atemberaubenden Blick ins Tal. die Ächtung des Rauchens in Innenräumen gewann der zu schmale
Einst näherte sich ein Volkskundler so einem Haus von unten und Balkon wieder an Bedeutung. Bei Hotels galt er als unverzicht
sah die Altbäuerin auf dem Balkon sitzen. Er begann ein Gespräch barer Teil eines vollwertigen Zimmers, war er auch noch so klein
und nach einiger Zeit bot sie ihm an, ihr auf dem Balkon Gesell- und akustisch und optisch indiskret. Heute ist er die Rettung für
schaft zu leisten. Als der gute Mann um die Ecke bog, bemerkte er, Raucher:innen in Nichtraucherzimmern.
dass die Frau auf einem Plumpsklo saß und sah neben ihr ein Der zulässige Balkon ist bei den Einfamilienhäusern weitgehend
zweites mit Blick ins Tal. Die eingehauste Version lag, wie üblich, verschwunden. Ausreichend große, überdachte Terrassen haben
am anderen Ende des Balkons. Ein Glück, dass diese Art sanitärer sich als nützlicher und bewohnbarer erwiesen. Balkone sind den-
Einrichtungen verschwunden ist, bevor die Obersten Richter damit noch als Sonnen- und Wetterschutz sinnvoll, ebenso als äußere
befasst wurden. Verbindung von Räumen. Per definitionem sind dies aber keine
Die Balkone der alten Bauernhäuser meiner Kindheit waren sehr Balkone mehr. Vielleicht sind es begehbare Vordächer?
schmal und die Brüstung reichte den Erwachsenen nicht bis zur Selbst die Blöcke der auf dem Land sich epidemisch ausbreitenden
Hüfte. Sie wirkten leicht und elegant. Sie dienten dazu, auf hori- „Blockitis“, welche die Nachteile von Stadt und Land verbindet,
zontalen Stangen vor der Wand zusammengeknüpfte Maiskolben weisen Eckloggien auf.
zu trocknen, die dann von den Kindern zu Hühnerfutter weiter- Nur in der Stadt gibt es noch eine spezielle definitionsgemäße
verarbeitet wurden. Oder sie waren im Winter vollgeräumt mit Balkonform. Sie war der Star eines Lotto-TV-Spots: Die Familie
„Stanggern“, den hölzernen Skeletten der „Heumännchen“. sitzt eng gedrängt auf dem engen kleinen Balkon vor der Fassade
Der Balkon am Haus meines Großvaters, das er sich als „weichen- über einer lauten Straße; etliche Nachbar:innen ebenfalls. Man
der“ Bauernsohn in der Zwischenkriegszeit gebaut hatte, war so grüßt verlegen und schaut sich gegenseitig in die Kaffeetassen.
tief, dass auf einer Schmalseite ein Sofa Platz fand mit einem Tisch Dann kommen der Lottogewinn und das Einfamilienhaus. Seither
und zwei Sesseln. Und er war einigermaßen unter Dach. Hinter nenne ich diese Minibalkone, die hauptsächlich dazu dienen,
dem Sofa befand sich das Schlafzimmerfenster, aus dem ich leise monströse Fassaden formalistisch zu behübschen, Lottobalkone.
geklettert kam, wenn ich an hellen Sommerabenden viel zu früh In der verschärften Form sind die Geländer transparent und
schlafen sollte, während alle anderen auf dem Balkon plauderten. werden von den Bewohner:innen mit Strohmatten, Textilien oder
Am anderen Ende des Balkons konnte ich durch die Ritzen und NATO-Tarnnetzen verkleidet, um sie zumindest als Abstellraum
kleinen Zierausschnitte der Holzbrüstung die Welt beobachten, brauchbar zu machen. Die Architekt:innen sind entsetzt und ver-
ohne gesehen zu werden. Meine Lieblingsmutprobe bestand darin, wundert.
unbeobachtet über die Brüstung zu klettern und auf die Rasen- Je mehr ich über Balkone nachdenke, desto mehr kommen sie mir
fläche des Gartens ein Geschoss darunter zu springen. abhanden.
Wolfgang Pöschl
lebt und arbeitet als Architekt in Tirol.
Themenschwerpunkt Balkone im Holzbau
Wohnüberbauung Hagmann-Areal, Winterthur
Balkone, eine Übersicht nach Art der Tragkonstruktion
Balkone im Holzbau
Der Balkon wird gemeinhin als eine über dem Gelände liegende, offene Platt-
6
7
form vor einer Gebäudefassade definiert. Er gilt als Erweiterung des Hauses, liegt
außerhalb des Gebäudegrundrisses, hat keine Seitenwände und kein Dach. Die
zuschnitt 86.2022
einzige geschlossene Seite ist die, die dem Innenraum zugewandt ist. An allen
anderen, freien Seiten wird der Balkon von einer Absturzsicherung eingefasst.
Gestalterisch treten Balkone als Austritte ins Freie recht unterschiedlich in Er-
scheinung. Die Art der zugewiesenen Nutzung (privater Freiraum, Laubengang,
Fluchtbalkon) beeinflusst unter anderem die Dimensionen und die Vorgaben
hinsichtlich des Brandschutzes.
Je nachdem, wie die Balkone mit der Fassade bzw. dem Baukörper konstruktiv
interagieren, treten auch unterschiedlich ausgeprägte Herausforderungen
wie beispielsweise Wärmeschutz, Feuchte oder Schallschutz hervor, denen mit
planerischer Sorgfalt zu begegnen ist. Ist die Tragstruktur eines Balkons bei-
spielsweise mit jener der Gesamtkonstruktion zur Lastabtragung verbunden,
entstehen andere neuralgische Punkte als bei Balkonstrukturen, die unab
hängig von der Statik des Gebäudes vor der Fassade aufgebaut und nur zur
L agesicherung am Baukörper verankert sind. Grob zusammengefasst lassen
sich drei grundsätzliche Konstruktionsarten definieren, die unterschiedliche
bauliche Anforderungen mit sich bringen.
Gefälle 1,5 %
Balkone im Holzbau
Statik Holzbau Holzbaubüro Reusser GmbH, Winterthur/CH, www.holzbaubuero.ch
Holzbau Strabag AG, Lindau/DE, www.strabag.com
Fertigstellung 2018
Mirjam Kupferschmid
Auf dem Hagmann-Areal im Stadtteil Seen in Winterthur, wo heute Frühstückstischchen oder um die spielenden Kinder zum Essen
8
9
über hundert Menschen wohnen und arbeiten, sind die Geschwis- ins Haus zu rufen. Durch den Regen sind die tragenden Eichen-
ter Hagmann aufgewachsen. Für die seit Ende des 18. Jahrhunderts stützen vergraut, sie kontrastieren mit dem hellen Douglasienholz
zuschnitt 86.2022
im Familienbesitz befindliche Liegenschaft suchten sie 2012 mit der Fassade. Überraschend tief wirkt dadurch die Balkonschicht,
einem Wettbewerb nach einem zukunftsorientierten Überbauungs- die sich wie ein dünnes Kleid über die gesamte Innenhoffassade
projekt: Autofrei, bezahlbar und durchmischt sollte es sein. Zu- legt. Nur dort, wo die kurzen Eichenträger mit Stahlwinkeln an
gleich galt es, die Geschichte des Ortes zu bewahren. Das Projekt der Stirn der Geschossdecken befestigt sind, verbindet sich die
der Architekturbüros Weberbrunner und Soppelsa schaffte genau Konstruktion der Balkone mit dem Haus. Schalldämmlager ver
diesen Spagat. hindern, dass der Trittschall über die umlaufende Konstruktion
Von weither ist die dunkle Fassade sichtbar. Die vertikale Holz- zu benachbarten Wohnungen gelangt. Über bis zu drei Felder
verschalung stülpt sich zu Außenzimmern aus, die das Hofgebäude spannen die Douglasienplatten, die auf den Eichenträgern auflie-
zwischen Bahntrasse und Einfamilienhausquartier verankern. Die gen und die Bodenkonstruktion der Balkone tragen. Schiebbare
umlaufende Fassadenhaut erzählt von einer Einheit, doch die bis Fensterläden sparen Platz und verschatten die Wohnungen an
zu fünfgeschossigen Balkontürme sind bis auf die Rückveranke- sonnigen Tagen. Denn dank der schmalen Balkonschicht reicht
rung in den Beton-Geschossdecken eigenständig konstruiert. Auf das Tageslicht tief in die Wohnungen. Auf beiden Seiten des
einer Betonplatte sind sie geschossweise mit tragenden Douglasien- Gebäudes sprießt auf den Balkonen das Leben. Sie tragen das
Mehrschichtplatten gestapelt. Wärmebrücken gibt es dadurch vielfältige Potenzial des Hagmann-Areals für das Zusammenleben
kaum und auch Brandschutzanforderungen müssen diese Außen- sichtbar nach außen.
zimmer nicht erfüllen, da sie baurechtlich als Balkone gelten.
Einige Schritte weiter öffnen sich das Haus und das teils als
Gemeinschaftsraum genutzte Werkstättengebäude zu einem Mirjam Kupferschmid
belebten Hof. Ganz anders als die privaten Außenzimmer bieten arbeitet als Architektin und freie Autorin in Zürich. Mit dem Verein Countdown
hier die laubengangartigen Balkone gerade genug Platz für das 2030 setzt sie sich für eine zukunftsfähige Baukultur ein.
Wohnquartier Schildacker, Freiburg Standort Freiburg im Breisgau/DE
Bauherr:in Freiburger Stadtbau Verbund, Freiburg i. Brsg./DE, www.wohneninfreiburg.de
Balkonplatten, aufgeständert und angehängt Planung ARGE Johannes Kaufmann und Partner, Dornbirn/AT, www.jkundp.at;
Weissenrieder Architekten, Freiburg/DE, www.architekt-weissenrieder.de
Statik merz kley partner, Dornbirn/AT, www.mkp-ing.com
Holzbau Schwarzwald Holzbausysteme GmbH, Friesenheim/DE, www.sbselemente.de
Fertigstellung 2021
Christine Ryll
Für das Wohnquartier Schildacker in Freiburg realisierte die ARGE Die auskragenden Balkone basieren auf Betonfertigteilen. Die
Johannes Kaufmann Architektur und Weissenrieder Architekten Befestigung und Lastabtragung erfolgt punktuell über statisch
BDA an der Müllheimer Straße drei Gebäudepaare mit zusammen dimensionierte Stahlkonsolen, die an den Außenwänden montiert
116 Wohneinheiten. Die winkelförmig und hofbildend zueinander sind. Als Schwingungsschutz bzw. Schutz gegen Trittschallüber-
angeordneten Holzbauten kombinieren lastabtragende Außen- tragung dienen Elastomerlager zwischen den Stahlbauteilen
wände in Holzrahmenbauweise mit hinterlüfteten, vorvergrauten und den Betonplatten bzw. der Holzkonstruktion. Um den Brand-
Wechselfalz-Fichtenfassaden und Faserzementplatten. Treppen- schutzvorschriften zu genügen, wurden alle in der Bauqualität
räume, Lichtschächte und Geschossdecken sowie die lastabtra- S 355 ausgeführten Stahlbauteile feuerverzinkt und mit einem
genden Innenwände bestehen aus Brettsperrholz. Die nicht last- Brandschutzanstrich versehen. Wo die Balkone an die durchlau-
abtragenden Innenwände sind in Trockenbauweise erstellt, die fenden Holzaußenwände angrenzen, entstehen durch die Befesti-
Keller aus Stahlbeton. gung der Balkonauflager keine Kältebrücken, sodass hier keine
weitere Dämmung notwendig ist. Stahlwinkel, die an Fensterstürze
angrenzen, sind außen zusätzlich gedämmt, um mögliche Kälte-
brücken auf ein Minimum zu begrenzen. Die Stahlbetonplatten
der Eckbalkone liegen zusätzlich zur punktuellen Befestigung auf
Betonstützen auf. Damit das Regenwasser abfließen kann, ist
jede der mit 1,7 Prozent Gefälle vorgefertigten Platten mit einer
umlaufenden Sammelrinne ausgestattet. Die an den Stirnseiten
montierten Balkonbrüstungen basieren auf einer Unterkonstruk-
tion, die an Formrohrstehern befestigt ist. Diese ist beidseitig mit
Fassadenplatten beplankt.
Christine Ryll
ist Architektin und Fachredakteurin. Sie schreibt hauptsächlich über Themen
im Bereich Bau, Architektur, Immobilien, IT und Digitalisierung (vor allem im
Baubereich), Green Building, Innenausbau und Design.
www.rylltext.com
Verblendung Fassadenplatten
innenseitige Sturzverkleidung
GFK 2 × 15 mm
50 cm
Landwirtschaftliches Zentrum St. Gallen, Salez Standort Salez/CH
Bauherr:in Hochbauamt Kanton St. Gallen, St. Gallen/CH, www.sg.ch
Ein Laubengang als Fassaden- und Sonnenschutz Planung Andy Senn Architekt, St. Gallen/CH, www.senn.sg
Statik merz kley partner, Altenrhein/CH, www.mkp-ing.com
Holzbau Blumer-Lehmann AG, Gossau/CH, www.lehmann-gruppe.ch
Balkone im Holzbau
Fertigstellung 2018
Christina Simmel
10
11
Das Schulzentrum für landwirtschaftliche Berufe, am südlichen
zuschnitt 86.2022
Rand von Salez gelegen, wurde als Siegerprojekt eines Wettbe-
werbs aus dem Jahr 2011 nach einem Entwurf des Büros Andy Senn
Architektur umgesetzt. Die Jury würdigte es als Statement für öko
logisches Bauen, lobte den Einsatz natürlicher Mechanismen und
hob die kluge Funktionalität hervor. Der zweiflügelige, L-förmige
Bau beherbergt in einem lang gezogenen Trakt mit zwei Geschos-
sen die Räumlichkeiten der Schule. Quer dazu liegt ein kurzer
Internatstrakt mit drei Geschossen bei gleicher Höhe. Bis auf das
Untergeschoss, die Bodenplatte und die Holz-Beton-Verbund
decken wurde der Bau aus Holz errichtet. Wo es möglich war, griff
man dabei auf kantonseigene Bestände zurück. Die Tragstruktur
ist aus Fichten-Brettschichtholz (Schule) bzw. aus Brettsperrholz-
tafeln (Internat), für die Wände wurde Weißtanne verwendet. Als
weitere naturnahe Materialien sind beispielsweise Kasein und Lehm
als Beschichtung der Böden in einzelnen Bereichen der Schule
und Lehmputz an den Wänden des Wohnbereichs zu nennen.
Der Grundriss des gesamten Gebäudes ist zugunsten einer flexib-
len Grundrissgestaltung von einem durchgezogenen Stützraster
von 2,14 Metern geprägt. Dieser bestimmt auch das Fassadenbild
des Hauses – bildet er sich doch in Form von Hängestützen der und ist mit Schlitzblechen auf Abstand an den Hängestützen bzw.
umlaufenden Balkonkonstruktion nach außen ab. Wie eine zweite, der Fassade montiert. Tropfkanten an den empfindlichen Stellen
vorgelagerte Schicht dient diese in Form eines wasserdurchlässi- und eine sorgfältig ausgeführte Abdichtung schützen vor ein-
gen Laubengangs als Fassaden- und Sonnenschutz. Aufgrund der dringender Feuchtigkeit. Ein Blick auf die Ausführung verdeut-
teilweisen Bewitterung sind die Laubengänge in Eiche ausgeführt. licht das besondere Augenmerk, das den einzelnen konstruktiven
Dem Boden- und Spritzwasserkontakt ist durch die abgehängte Elementen zuteil wurde. Es bildet die Grundlage für eine mög-
Konstruktion vorgebeugt. Der demontierbare Holzrost aus Eichen lichst lange Lebensdauer dieser hier wohl durchdachten und nicht
bohlen liegt nicht direkt, sondern mit Puffern auf den Trägern nur als Raumerweiterung umgesetzten Balkonstruktur.
50 cm
Schiebeladen, Weißtanne
Handlauf, Eiche, mit Distanzhalter
Abdichtung, Flüssigkunststoff
demontierbares Holzrostelement auf Puffer
Blechabdeckung, Kupfer
Windpapier
Holzfenster, Weißtanne zwischengedämmte Keillattung und
Stellstreifen Dreischichtplatte
Compriband Brettsperrholz
Bikes and Rails, Wien Standort Wien/AT
Bauherr:in Familienwohnbau gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft m. b. H., www.familienwohnbau.at
Balkone mit Auflager und Abspannung Planung Architekturbüro Reinberg, www.reinberg.net
Statik KPZT | DI Kurt Pock für Gschwandtl & Lindlbauer ZT GmbH, www.kurtpock.at
Holzbau Strobl Bau – Holzbau GmbH, www.strobl.at
Fertigstellung 2020
Balkonrippe 260 × 160 mm
Abdichtung, obere Lage besandet,
UV-beständig
Stahlbetonplatte 100 mm
Bauwerksfuge 30 bis 40 mm
100 cm
Gipskartonfeuerschutzplatte auf Schwingbügel 15 mm
Mineralwolldämmung 38 mm
Dampfbremse
Gipskartonfeuerschutzplatte 13 mm
Riegelkonstruktion/Dämmung 260 mm
Gipskartonfeuerschutzplatte 2 × 13 mm
Wind- und Regendichtung
Lattung/Hinterlüftung 50 mm
50 cm Holzschalung 20 mm
Balkone im Holzbau
12
13
zuschnitt 86.2022
Anne Isopp
In der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs im Sonnwendviertel steht Der Balkon ist über ein Auflager am Holzbau befestigt und
das Wohnhaus Bikes and Rails, das Architekt Georg W. Reinberg zusätzlich über einen auf Zug belasteten Rundstab mit aufge-
für eine Baugruppe geplant hat. Bikes and Rails ist im Neubau das schweißtem Flachstahl von der Wand abgespannt. Architekt
erste Projekt des österreichischen Mietshäusersyndikats habiTAT, Reinberg betont, dass es bei der Detaillierung der Balkon
das Immobilien vom Markt freikauft, um bezahlbaren Wohnraum befestigung darauf ankam, die Entwässerung der Dachbahn der
zu sichern. Das Haus zeichnet sich also durch einen ökologischen hinterlüfteten Holzfassade nicht zu unterbrechen und nicht
und sozialen Anspruch aus. mit den geschossweise angebrachten Trennblechen, den Brand-
Konstruktiv ist das Haus bis auf Keller, Erdgeschoss und Winter- schutzschotts, zu kollidieren. Auch eine spätere Wartung sollte
garten samt Stiegenhaus ein reiner Holzbau mit Holzrahmen möglich sein. So liegt der Stahlrahmen auf einer erhöhten
bauwänden sowie einer Mittelwand und sichtbaren Holzdecken Wandverankerung auf. Ein Schallschutzauflager verhindert eine
aus Brettsperrholz. Die Konstruktion ist so gewählt, dass ein Schallübertragung. Die Lastabtragung erfolgt über die Steher
sortenreiner Rückbau möglich ist. der Holzrahmenbauwand. Am Übergang vom Balkon zum Holz-
Der Wintergarten ist eine selbsttragende Betonkonstruktion, die bau findet man eine aufgeschweißte Rinnenkonstruktion mit
über einen Isokorb mit dem Holzbau verbunden ist und die der Anschlussrohr, die auftretendes Wasser gleich von der Fassade
Baugruppe als Begegnungszone dient. Zusätzlich verfügt jede abtransportiert.
Wohnung über einen privaten Balkon. Diese durften aufgrund
der Brandschutzbestimmungen nicht in Holz ausgeführt werden
Anne Isopp
und bestehen aus einem Stahlrahmen aus Hohlprofilen und einer
ist freie Architekturjournalistin. Sie studierte Architektur an der TU Graz und
Stahlbetonplatte. TU Delft und Qualitätsjournalismus an der Donau Universität Krems. Sie war
von 2009 bis 2020 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt.
Nachgefragt Konrad Merz Roger Weber
Bauingenieur für Tragwerksplanung, Gründungs- Architekt, gemeinsam mit Boris Brunner Inhaber
Balkone im Holzbau partner des Ingenieurb üros für Tragwerksplanung des Büros weberbrunner architekten in Zürich
merz kley partner, www.mkp-ing.com und Berlin, www.weberbrunner.eu
Christina Simmel
Die Planung von Balkonen ist heute fixer Bestandteil bei den unterschiedlichsten Bau- b estimmt. Putzbalkone sind aufgrund der
aufgaben. Aus dem Wohnbau längst nicht mehr wegzudenken, prägen Balkone auch immer geringen Anforderungen (wenig Last,
öfter das äußere Erscheinungsbild von Schulen und Bürobauten. So selbstverständlich kein Brand, kein Schall) relativ einfach
der Anblick scheint – so mannigfaltig sind die gestalterischen und konstruktiven Mög- auszuführen. Sie sind strukturell eigentlich
lichkeiten, diesen durchaus komplexen Bauteil zu entwerfen, unabhängig vom Material. eher eine „Aufkantung“ der Fassade.
Worauf aber kommt es bei einem Balkon im Holzbau an? Wo liegen die Herausforderun- Balkone können auch als Schallschutzele-
gen in der Planung und das Potenzial in der Nutzung? Dazu haben wir bei Tragwerks- ment oder als Wärmepuffer, im Sinne eines
planer Konrad Merz und Architekt Roger Weber nachgefragt. Wintergartens, dienen. Immer öfter wird
auch die zusätzliche Funktion des Balkons
als „Rankgerüst“ für Fassadenbegrünun-
Welche Herausforderungen gibt es grund- anderen Balkontypen auch einen spezifi- gen diskutiert. Im Zusammenhang mit der
sätzlich bei der Planung von Balkonen für schen Vorteil. Sie können als autonomes Konstruktion stellt sich hier immer die
einen Holzbau? Worauf ist besonders zu System gedacht und geplant werden, was Frage nach dem Brandschutz.
achten? nicht zuletzt auch im Kontext der Wieder-
verwendung Sinn ergibt. Roger Weber Der Balkon und alle ihm
Konrad Merz Aus Sicht des Tragwerks verwandten Bauelemente wie Veranda,
planers ist ein Balkon per se keine große Welche Rolle spielt die Materialwahl bei Laubengang, Jahreszeitenzimmer und
Herausforderung. Ohne außen liegende der Balkonkonstruktion (Balkon aus Holz, Loggien erleben zurzeit eine Renaissance.
Stützen ist es in der Regel ein Einfeldträ- Beton, Stahl)? Als Schwellenräume zwischen innen und
ger mit Kragarm, mit Stützen ein Tragwerk außen gehören sie zum Repertoire einer
mit meistens geringen Spannweiten. Konrad Merz Die Materialwahl erfolgt Architektur der Aneignung und stellen
Das Spezielle, vor allem wenn der Balkon a bhängig von den Anforderungen des Pro- auch den Übergang zwischen öffentlich
nicht eigenständig vor dem Gebäude jekts. Dazu gehören die architektonische und privat her. Sie dienen nicht nur als
steht, ist die Interaktion mit der Gebäude- Erscheinung, die geometrischen Abmes- Aufenthaltsräume, sondern auch als
hülle. Es geht um Themen wie Wärme- sungen, der Brandschutz (insbesondere Begegnungs- und Kommunikationsräume.
schutz, Dichtigkeit (Dampf, Wind, Wasser) bei Laubengängen), der Schallschutz, der Außerdem kann ein windgeschützter
und Schallschutz. Holzschutz und die Kosten. Oft ist eine Balkon in Kombination mit einem textilen
Mischung der Materialien eine gute Lösung. Sonnen- und Windschutz auch zum ganz-
Roger Weber Beim Balkon im Holzbau jährig nutzbaren Zusatzzimmer werden.
steht die nötige konstruktive Sorgfalt im Roger Weber Bei der Materialwahl stehen
Vordergrund – wie bei allen Bauteilen, heute im Besonderen auch die Ökologie Es gibt eine Vielfalt an Lösungen, wie Bal-
welche die Gebäudehülle durchstoßen. und die damit verbundenen Emissionen im kone im Holzbau konstruiert sein können –
Zudem ist dem Witterungs- und, wo nötig, Vordergrund. Daher sind Konstruktionen eine „ideale“ oder standardisierte Lösung
dem Brandschutz besondere Beachtung in Holzbauweise im Vorteil gegenüber hat sich bislang nicht durchgesetzt. Woran
zu schenken. Stahl und Beton. Balkone in Holzbauweise liegt das? Braucht es eine Standardlösung
bieten durch die natürliche Haptik auch für den Bauteil Balkon im Holzbau?
Welche Vor- und Nachteile bieten einzelne mehr atmosphärische Qualität.
Balkontypen (auskragend, angehängt, Konrad Merz Im Holzbau wird ein Balkon
vorgesetzt) beispielsweise aus tragwerks- Im Wohnbau sind wohnungszugeordnete immer für die jeweiligen Anforderungen
planerischer Sicht und hinsichtlich des und gemeinschaftlich genutzte Freiräume entwickelt. Eine Standardlösung im Holz-
Brand- und Schallschutzes? Standard. Doch auch bei Bürobauten oder bau – wie im Stahlbetonbau eine auskra-
Schulen sind immer öfter Balkone unter- gende Flachdecke, unterbrochen durch
Konrad Merz Spezifische Vor- und Nach- schiedlichster Ausprägungen zu finden. einen Isokorb – ist genauso eine Wunsch-
teile sind immer von den Rahmenbedin- Worauf ist das zurückzuführen? Welches vorstellung wie die Vorstellung einer idea-
gungen des Projekts abhängig. Vorgestellte zusätzliche Potenzial haben Balkone je len Holzdecke. Wir genießen die Vielfalt,
Balkone sind im Prinzip einfacher, weil nach Nutzung? aber leiden unter der Qual der Wahl.
die Gebäudehülle dabei am wenigsten
tangiert wird. Auskragungen im Holzbau, Konrad Merz Wir haben im Büro- oder Roger Weber Die konstruktiven Möglich-
vor allem mit thermischer Trennung, sind Schulbau eigentlich selten konventionelle keiten im Holzbau waren schon immer sehr
aufwendig und in Abhängigkeit von der Balkone, sondern eher Fluchtbalkone vielfältig, was eine Vielzahl von Lösungs-
Spannrichtung der anschließenden Decke oder allenfalls kurze „Putzbalkone“, die möglichkeiten bei den Balkonen hervor-
meistens nur einseitig möglich. auch der horizontalen Gliederung oder bringt. Ein großes Repertoire von konstruk-
dem Witterungsschutz der Fassade dienen. tiven Möglichkeiten ist einer Standardlösung
Roger Weber Additive Elemente wie vor- Fluchtbalkone sind in ihrer Konstruktion immer vorzuziehen. Varianz und Vielfalt
gesetzte Balkone bieten gegenüber den stark durch die Brandschutzauflagen bereichern die Architektur.
Wohnprojekt Lynarstraße, Berlin
Wohnprojekt Lynarstraße, Berlin Standort Berlin/DE
Bauherr:in Wohnungsbaugenossenschaft Am Ostseeplatz eG, Berlin/DE, www.am-ostseeplatz.de
Selbsttragend, dem Holzbau vorgesetzt Planung SWP – schäferwenningerprojekt GmbH, Berlin/DE, www.swprojekt.de
Statik Häussler Ingenieure GmbH, Kempten/DE, www.haeussler-ingenieure.com
Holzbau HU-Holzunion GmbH, Rotenburg/DE, www.holzunion.com
Fertigstellung 2019
Claus Käpplinger
Über fast 110 Meter Länge entstand entlang der Berliner Ring-
bahn das experimentelle Wohnprojekt LYN der Wohnungsbau
genossenschaft „Am Ostseeplatz“, das „innovativ, aber bezahlbar“
sein sollte und auch ist. Wo vormals nur ein Gewerbebau auf-
grund vieler, nahe vorbeifahrender S-Bahn-Züge möglich schien,
entwickelten schäferwenningerprojekt drei Siebengeschoßer mit
98 Wohn- und sieben Gewerbeeinheiten, die über dem Erdge-
schoss inklusive der Aufzugsschächte nahezu vollständig in
Holzbauweise ausgeführt wurden. Möglich machten dies zwei
stählerne, offene Treppenhäuser als Fluchtwege in den so ge-
nannten Canyons zwischen den Hauskörpern, die, verbunden mit
Galerien, auch die drei Häuser luftig miteinander verknüpfen.
Mit Clusterwohneinheiten u. a. für Student:innen, Mehrgene
rationen- und integratives Flüchtlingswohnen sowie für demente
Personen in einer betreuten WG wird LYN seinem sozialen Anspruch
gerecht, auch die Kommunikation seiner Bewohner:innen unter
einander sowie mit ihrem Quartier zu fördern. Zu diesem Zweck
fügten schäferwenningerprojekt ihren naturbelassenen, hinter-
lüfteten Douglasienfassaden viele weiß lackierte Stahlkonstruk
tionen als luftige Balkone und Erschließungswege hinzu. der Fassade geführte Regenrohre abgeführt, bei den vorgesetz-
Für die Balkone entwickelten sie zwei unterschiedliche Varianten: ten versteckt in den U-Profilen ihrer Stützen. Beide Varianten
Zur Bahn und den Stirnseiten hin sind sie – mit jeweils zwei vor erhielten jedoch in ihrer Untersicht weiße Trapezbleche, um sich
gesetzten Stützen – „resistenter“, zur Straße hin kragen sie aus von den Baukörpern klar abzusetzen, und laden zur Entdeckung
den Geschossdecken ohne Stützen aus. Beide Varianten sind ihres vielfältigen Lebens ein.
1,5 Meter tief, haben einen 0,4 Meter hohen Rahmenaufbau und
sind verzinkt, wurden aber mit weißer Farbe gestrichen. Der ein- Claus Käpplinger
zige markante Unterschied besteht in der Entwässerung: Bei den lebt als freier Architektur- und Stadtkritiker in Berlin und lehrt seit 2012 am
auskragenden Balkonen wird das Wasser sichtbar über entlang Institut für Entwerfen und Gebäudelehre der TU Braunschweig.
50 cm
Parkettboden 15 mm
Heizestrich 65 mm
Trittschalldämmung 60 mm
Köhnke-Schüttung 110 mm
U-Profil BSP-Decke 170 mm
Trapezblech
Laibungsdämmung Weichfaser 20 mm
Laibungsplatte GF 25 mm
Aparthotel Quartier, Garmisch-Partenkirchen Standort Garmisch-Partenkirchen/DE
Bauherr:in gap.Quartiersentwicklungsgesellschaft mbH, Konstanz/DE
Ein Holzbau mit vorgestelltem Laubengang Planung ARGE Beer Architektur Städtebau, München/DE, www.beerarchitektur.de;
Beer Bembé Dellinger Architekten, München/DE, www.bbdarch.de
Statik merz kley partner, Dornbirn/AT, www.mkp-ing.com
Balkone im Holzbau
Holzbau Schmid Holzbau GmbH, Bobingen/DE, www.schmid-holzbau.de
Fertigstellung 2017
Roland Pawlitschko
16
17
Das Aparthotel Quartier im Skiort Garmisch-Partenkirchen Für Sichtbeton entschieden sich die Architekt:innen aus zwei
zuschnitt 86.2022
bildet den südlichen Abschluss einer Wohnanlage mit 25 in Holz- Gründen. Erstens war das halb im Erdreich liegende Unterge-
bauweise errichteten Wohneinheiten, die sich um einen lang schoss (mit Seminar- und Veranstaltungsbereich) einschließlich
gestreckten Innenhof gruppieren. Es besteht aus einem kern der Decke des dortigen Laubengangs ebenfalls in Beton konzi-
sanierten historischen Altbau mit Rezeption, Lobby und Restau- piert – dieses Material schien daher auch für die Obergeschosse
rant sowie einem direkt anschließenden Neubau mit Fichten naheliegend. Zweitens bestand der Wunsch nach einer sichtlich
holzfassade, der 18 Apartments beherbergt, die Hälfte davon einfachen, monolithischen Lösung mit durchgängig geringen
zweigeschossig. Während bei den Apartments vorgefertigte Bauteilabmessungen. Die zur Vermeidung von Schall- und Wärme
Brettsperrholzelemente zum Einsatz kamen, entstand deren brücken komplett entkoppelte schlanke Betonkonstruktion
Erschließung in Form eines Laubengangs als eigenständige vor- unterstützt dies auf ideale Weise – zumal die Laubengänge als
gestellte Konstruktion aus Ortbeton, die zugleich die Ausstei- notwendige Flure ohnehin die Feuerwiderstandsklasse F90 zu
fung des Gebäudes übernimmt. erfüllen hatten. Bei diesen Anforderungen wären bei einer Holz-
konstruktion Abdichtungsebenen sowie mehrlagige Aufbauten
kaum zu vermeiden und eine durchgängig gleich schlank dimen-
sionierte Konstruktion schwer möglich gewesen. Der letztlich
realisierte Fußboden präsentiert sich als schlichte Besenstrich-
Oberfläche. Die rechtwinklige Betonkonstruktion steht insgesamt
in einem eleganten Kontrast zur zickzackförmig bewegten Dach-
landschaft sowohl des Hotels als auch der giebelständigen Wohn-
häuser. Zusammen mit dem filigranen Edelstahlnetz, das zugleich
als Absturzsicherung und Rankhilfe für Kletterpflanzen dient,
entstand ein Hotel, das innerhalb des Wohnquartiers auf den ers-
ten Blick als eigenständige und doch perfekt integrierte Nutzung
wahrnehmbar ist.
Roland Pawlitschko
ist freier Architekt, Autor und Redakteur sowie Architekturkritiker. Er lebt und
arbeitet in München.
50 cm
Gitterrost/Pressrost 30 × 30 mm
Laschen Flachstahl Auflagerwinkel
100/8 L = 200 mm
Silikon-Absiegelung
Häuser mit Flügeln
Eine kleine Balkon-Phänomenologie
Albert Kirchengast
Es gibt in der Philosophie und darüber hinaus in letzter Zeit ein Balkon in der Gänze des Erfahrenen enthalten sein. Dazu gehören
verstärktes Interesse für die Metaphorologie, die Hans Blumen- alle vom konkreten Bauding mitausgelösten Zustände des Emp-
berg gegen die begrifflich ausgedeutete Welt in Stellung gebracht findens: etwa, wenn man, häuslich-nachlässig gekleidet, sich das
hat. So begreift die metaphorologische Spielform der Anthro erste Mal im Jahr hinauswagt, die Räume lüftet, sich lüftet, der
pologie den rationalen Menschen nicht nur als Produkt seines noch frische, aber schon vom nahenden Frühling erwärmte Luft-
Aufstehens auf zwei Beine, wodurch zwei Hände frei wurden (für zug über die Haut streicht, auf der sich jetzt die feinen Haare
Werkzeuge und Waffen). Sie sieht auch den so ermöglichten Blick unwillkürlich aufrichten, sträuben, halb angenehm nur, wird man
in die Ferne als Grund für seinen „Weitblick“ und diesen wiederum davon doch beinahe zurückgedrängt, hinein, erlebt am Körper mit
als Grundlage für sein kalkulierendes, planendes Wesen. Zu Beginn seiner unzulänglichen Bekleidung das Prinzip des Schützens als
also stand der Vormensch in der Steppe; seine Anlagen wuchsen Zudecken mit Stoff. Es ist ganz so, wie man heute (unzulänglich)
mit seiner Statur. Das Aufrichten wird zum Gründungsmythos, zur von der umschließenden Mauer als thermischer Hülle spricht. Was
Metapher all dessen, was kommt. da aber geschieht, beim Schritt nach draußen hoch oben, das kön-
Was kommt, sind Mauern mit Türmen, aus denen man späht, K ioske nen Bildmetaphern besser fassen, dieses synästhetische Empfin-
als bereits offenere Form des Übergangs von Verteidigung zu den, das zudem ein Erinnern und Vorausdenken ist, das uns erfüllt
Vergnügen, Gartenpavillons auf Gartenmauern, Loggien auf Flo- als denkende und fühlende Wesen – gebunden an das „Bauglied“
rentiner Dächern, um das 16. Jahrhundert Fassadendekorationen eines Hauses, das aufgelöst werden könnte in den Zusammenhang
der Palazzi, die man schon um das 1. Jahrhundert nach Christi vieler Teile: aufschlagende Türen, die Schwelle, die übertreten wird,
kennt, damals aber noch als überdachte, vergitterte, hölzern- Bodenwechsel, Balustrade und dann endlich das umspülende
funktionelle Zwischenräume. Die seriellen Ausstülpungen in die Freie, das sich als Gefühl der Kühle (oder Wärme) als Differenz
Luft aus den Volumen städtischer Mietshäuser im 19. Jahrhundert
und der Moderne waren beides: verlängerte Wirtschaftsräume
nach hinten hinaus – wie übrigens auch bei den bäuerlichen Blockbauten unterm „Schopf“ – und straßen-
seitige Schmuckbalkone. Es sind keine Alkoven oder Erker oder Gerämse, die sich bedeckter geben, zurück-
haltender, und auch keine trotzigen Altane, die sich nach unten abstützen müssen, während allein aus der
standfesten Kraft der Mauer Balkone ragen: Balkon, langobardisch „balko“, das bedeutet „Balken“. Das
Konstruktionsprinzip bestimmt das Bauelement – es greift aus, trägt frei. So flapsig der allgemeine Sprach-
gebrauch, so klar wird nun: Ein Balkon kann dann natürlich auch keine Loggia sein und erst recht keine
Terrasse. Was alle drei hingegen eint, ist, dass es Formen des Nicht-ganz-sich-Abscheidens vom Körper des
Hauses sind. Beides ist stets da in dieser Moderation von drinnen nach draußen, von draußen nach drinnen:
Schauen und Erschaut-Werden, Freisein durchs Ins-Freie-Treten und doch auch Geborgen-Bleiben;
Angekommen-Sein und neuerliches, sinnbildliches In-die-Ferne-Schweifen, als wollte man noch zu Hause
daran erinnert bleiben, dass das feste Haus immer auch einen Weg gemacht hat, nämlich jenen der Men-
schen, die sich künstliche Räume zu errichten begonnen hatten, an die sich reichhaltige Schattierungen
des Sich-Verschließens und -Öffnens knüpfen. Gibt es eine solche Geschichte architektonischer Elemente
als Träger und Mittler einer sinn(en)reichen Kulturgeschichte be-
reits? Wie würde man sie schreiben? Dann nämlich, wenn es keine
Typologie, keine Form- oder Materiallehre, keine schnöde An- erfahrung zum Inneren, als anderes Licht, als Riechen und Hören,
sammlung von erst- oder letztklassigen Beispielen wäre? Mir dann aber eben auch als Blickweitung ohne umgrenzende Mauern
schwebt vor, es könnte eine Sammlung von Metaphern sein, die aus phänomenisch entbirgt. Ich denke an Botticellis „Primavera“, ver-
der Fülle unseres ganzen Menschseins, unseres Befindens eben, stehe, obschon im Hochsommer in einem Raum sitzend, nachvoll-
spräche; andeutungsreich, Ding und Welt anthropomorphisie- ziehend den Windhauch in den Kleidern, durch das Bild des Bildes
rend, umsichtig-offen zugleich für das fremde Gegenüber, auf im Inneren vor mir. Womöglich wurde sein Maler von solchen der
dass jeder, ob gestaltend oder nutzend (und so doch auch gestal- Luft ausgesetzten Erfahrungen inspiriert?
tend), angeregt würde, etwa auf einem Balkon sein zu wollen. Auf Aber auch an das soziale Zusammenkommen bin ich erinnert, das
einem Balkon sein zu wollen? Ja, ist man dort, steht man dort, beim Balkon natürlich mit einer gewissen Segregation zu tun hat.
lehnt man dort – lehnt man sich hinunter oder hinaus, weil man Das Haus wird von hier draußen zum Körper unter Körpern – man
horcht, schaut, spricht, oder lehnt man sich hinüber, in die Luft, tritt in Erscheinung mit und an seinem Haus, als Bewohner oder
um im Himmel ein bisschen zu schweben? Eigentümerin in Gemeinschaft. Man trägt Name und Bedeutung.
Otto Friedrich Bollnow begriff die Architektur als Existenzform und Wohnhäuser mit vielen Balkonen, die ja auch stilbildend sein kön-
das Haus als „Mitte der Welt“, da der Mensch einen Ort brauche, nen (man denke an die berühmten Fotografien des Prellerhauses
um Halt in der „Welt als Ferne“ zu finden, ein Haus, das erst durchs und die auf Geländern herumkletternden jungen Bauhäusler:innen),
Wohnen seine Bestimmung finde. Mit seiner phänomenologischen sind Orte von Öffentlichkeitscharakter, wenn sie die reale wie
Betrachtungsweise macht er noch deutlicher, dass die alleinige symbolisch-würdevolle Teilhabe an Festakten erlauben, die impres-
Rückführung einer erst zu verfassenden Bau-Elemente-Lehre auf sionistische Maler gerne festgehalten haben. Balkone selbst sind
das Sehen nicht hinlangt. In einer originären Baukunst müsste es um ja gewissermaßen Festakte, wenn sie Fassaden gliedern, schmü-
den „erlebten Raum“ gehen und das Hinaustreten ins Freie auf den cken, sich zu Präsentationsformen hervortun an Schlössern und
Balkone im Holzbau
Amtsgebäuden. Sie sind Teil repräsentativer Gesten, stützen Verkündungen, Begrüßungen, politische Gebärden.
18
19
Das private Hinaustreten findet sein Pendant im zeremoniellen Festakt, gerichtet an die ungebundene Masse
dort unten: Balkone trennen und verbinden Menschen, erheben die einen, senken die anderen. Sie verkörpern
zuschnitt 86.2022
eine bauliche Mischform. Wovon? Von Familie und Gesellschaft, von Privatheit und Öffentlichkeit, von Inner-
lichkeit und Gebärde – letztlich aber von drinnen und draußen. Sie sind mit Christopher Alexander „Patterns“,
wenn er ähnliche Anlagerungen ans Haus als konkrete Ausbildun-
gen sozialer Formen zur Sprache der Architektur bündelt. Seine
Sammlung solcher „Muster“ weist sie als spezifische Orte der Nähe
der menschlichen Sphäre zur Eigendynamik der Natur aus; ummau-
erte Gärten sind die weitläufigsten dieser Zwischenorte, Pergolen
und Spalierwege gehören dazu, schließlich auch Wintergärten, die
Glas zwischen hier und dort schieben. All dies sind architektonische
Figurationen des Changierens, darin eingeschriebene freudige
wie tastende Assoziationen aus der Tiefe der kollektiven Kulturge-
schichte, doch eigentümlich gegenwärtig im je eigenen Erleben.
Dort gehört der Balkon hin, in die Mitte zwischen der gegründe-
ten und der schwebenden Welt der Luft.
Denkt man ihn aber vom Haus aus – es handelt sich ja um eines
seiner Bauglieder –, so ist die Schwelle der Kulminationspunkt einer
Polarität: dieses Hinaus-treten-Dürfen und Doch-drinnen-Bleiben,
dieses Mehr-als-nur-Hinausschauen und doch Entfernt-Bleiben
vom Boden der Stadt oder der schönen Landschaft, die einen hi
nauszieht, aber nicht oder noch nicht vollends dazu bewegt, das
Haus zu verlassen. An der Schwelle zum Freitritt konzentrieren
sich die verschiedenen Formen der Lebendigkeit von drinnen und
draußen. Hier mischen sich das künstliche und das natürliche Licht,
die Zutaten der selbst temperierten Lebenssphäre mit jenen des
größeren, unübersichtlicheren Außenraums. Immer aber bleibt
auch gewärtig, dass das Haus nur eine Abscheidung von der Au-
ßenwelt ist, seine konditionierte Form. Denn alles kommt eigent-
lich von dort, dem außen liegenden Jenseits, selbst der Stoff, aus
dem ein Haus sich gründet und mithin seine Ebenen über der ge-
wachsenen Ebene Null, von der man sich abheben darf und ein
Wunder erlebt, kein statisches, sondern ein schwebendes. Auch
hierzu fällt mir ein Bild ein, Menzels berühmtes „Balkonzimmer“.
Weder sieht man darauf den titelgebenden Balkon noch vollstän-
dig das Zimmer. Man spürt die Atmosphäre von Andeutung, von
Übergang, das Temporäre, Flüchtige im unkontrollierten, vielleicht aber willkommenen Luftstoß. Es ist ein
metaphorischer Ort der Verheißungen, der davon zehrt, nicht hier und nicht dort zu sein: eine Zwischen-
welt, ein Zustand, den es „real“ gar nicht gibt, der ein räumliches Ahnen ist. Wie der Nachklang – wie das,
was bleibt, wenn Musik verklungen ist. Doch hat Architektur im Gegensatz dazu die Tugend, aus solchen
Momenten Taten zu begründen, wenn der Wohnende wohnt.
Eine solche Genealogie ist allerdings keine Einbahnstraße: „Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl“, heißt es
bei Rilke in den „Duineser Elegien“ – es geht um Wechselseitigkeit. Nicht erst das Äußere wird erlebbar, wo
seine Dynamik ans feste Haus sich bindet, wenn dieses sich hinauslehnt. Der Lockruf kommt von der ande-
ren Seite, das Haus wird förmlich hinausgezogen. Kein Balkon ist ohne Frühling, Sommer, Herbst. Er wäre
dann also jene Zutat, die uns im Freien schweben lässt: Begründet sich das Haus durch sein Umschließen in
Festigkeit, wurde es irgendwann wagemutig und sagte: Ich leiste mir, dich hinauszubegleiten, ohne dich
allein zu lassen mit der Durchsichtigkeit der Luft.
Albert Kirchengast
Architekturtheoretiker, lehrt an diversen Hochschulen und ist Autor von Fach-
beiträgen und Büchern. 2022 erschienen die Anthologien „Landscape Analogue.
About Material Culture and Idealism “ sowie „Brutalismus in Österreich
1960 – 1980. Eine Architekturtopografie der Spätmoderne in neun Perspektiven“.
Sozialwohnbau bei Barcelona, Cornellà de Llobregat Standort Cornellà de Llobregat/ES
Bauherr:in lnstituto Metropolitano de Promoción de Suelo (IMPSOL), Barcelona/ES, www.amb.cat
Auskragende Deckenplatten aus Brettsperrholz als Balkon Planung Peris+Toral Arquitectes, Barcelona/ES, www.peristoral.com
Statik Bernuz-Fernández Arquitectes, Barcelona/ES, www.bfa.cat
Holzbau VIAS y Construcciones, Madrid/ES, www.vias.es
Fertigstellung 2021
Kederschiene
Beschattungsnetz
Kiefernholz-Rollladen
Gipsplatte 2 × 15 mm
Steinwolldämmung 80 mm
tragende Wand aus Brettsperrholz
Monterey-Kiefer 100 mm
Tropfblech, gefalzt
elastisches Lager
Trägerprofil
Außen-Terrazzo 40 mm
Portlandzement-Beton 40 mm
Gefällebeton mit wasserdichter
Polyurea-Beschichtung 30 – 50 mm
Trittschalldämmelement 16 mm Wärmedämmung XPS 40 mm
Brettsperrholz Monterey-Kiefer 150 mm
100 cm
Balkone im Holzbau
Mecky Reuss
Als das Filmhaus Pisa als letztes Kino von Cornellà de Llobregat Auf dem Erdgeschoss aus Stahlbeton liegt eine vorgefertigte
20
21
seine Türen für immer schloss, wurde rasch eine Folgenutzung Tragstruktur aus Holz. Der Kern der Geschossdecken, 15 cm dickes
der Liegenschaft beschlossen. Die Verwaltung der an der süd- Brettsperrholz, kragt sowohl zum Innenhof als auch zur Straße
zuschnitt 86.2022
westlichen Peripherie Barcelonas gelegenen Gemeinde wollte über die tragenden Fassadenwände aus und definiert die allseitig
hier leistbaren Wohnraum schaffen. Das Team von Peris+Toral umschließenden Balkone. Als weiterer Aufbau des im Außen
Arquitectes gewann den dazu ausgelobten Wettbewerb mit einem raum liegenden Fußbodens folgt eine XPS-Dämmung (weitere
Hofbau. Im Erdgeschoss weist er eine offene Struktur für gewerb- Maßnahmen bezüglich Kältebrücken braucht es aufgrund des
liche Nutzung auf, darüber befinden sich fünf Wohngeschosse mit katalanis chen Klimas nicht). Darauf folgt eine Schicht aus mit
insgesamt 85 Wohneinheiten auf Basis einer drei Räume tiefen Polyurea versiegeltem Gefällebeton und Beton aus Portland
Matrix. Das Konzept sah vor, sämtliche Korridore zu eliminieren, zement. Den oberen Abschluss bilden Terrazzoplatten. Die
die Raumgrößen zu maximieren und eine Querlüftung zu garan- Unterseite der Brettsperrholzdecke ist naturbelassen und im
tieren. Einzig die Treppenhäuser dienen als reine Erschließungs- Stockwerk darunter sichtbar. Die Stirnseite des Balkons ist mit
flächen, sie liegen in den vier Ecken des gemeinschaftlichen Hofs. Stahlblenden abgedeckt, die unter die Polyureadichtung geführt
Von ihnen aus gelangt man zu einer Art Verteilerraum bzw. direkt sind. Die an der Außenfassade umlaufende Balkonstruktur hat
auf den hofseitig liegenden Laubengang. Beide Flächentypen den gleichen Aufbau, sie bildet einen Puffer zur Straße.
sind eindeutig einem Wohnraum zugeordnet und zur ausschließli- Als Sonnen- und Sichtschutz sind dem gesamten Baukörper hof-
chen Nutzung der jeweiligen Bewohner:innen vorgesehen. wie straßenseitig wechselnde vertikale Streifen von filigranem
Stahlgitter und Holzrollos vorgehängt. Geschlossen legen sich die
Rollos ortstypisch über die gleichfalls aus Stahlgitter geformten
Geländer. Diese Haut, die die Balkone nach außen abschließt,
ist an vertikalen T-Trägern befestigt, die per Stahlwinkelhalterung
auf das Ende des Bodens gesetzt und verschraubt sind. Einen
Regenauffang gibt es nicht.
Mecky Reuss
studierte Architektur an der TU Delft und am SCI-Arc in Los Angeles. Er ist
in den Bereichen Kunst und Architektur tätig. 2012 gründete er gemeinsam
mit Ana Paula Ruiz Galindo das Büro Pedro & Juana. Er lebt und arbeitet in
M exiko-Stadt.
Inklusives Wohnen, Sundern Standort Sundern/DE
Bauherr:in Josefsheim gGmbH, Olsberg/DE, www.josefsheim.de
Kragbalkone aus Hohlkastenelementen Planung Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt/DE, www.waechter-architekten.de
Statik merz kley partner, Dornbirn/AT, www.mkp-ing.com
Holzbau Zimmerei-Holzbau Hoff Gmbh, Sundern/DE, www.holzbau-hoff.de
Fertigstellung 2020
Christine Ryll
Christine Ryll
ist Architektin und Fachredakteurin. Sie schreibt hauptsächlich über Themen
im Bereich Bau, Architektur, Immobilien, IT und Digitalisierung (vor allem im
Baubereich), Green Building, Innenausbau und Design.
50 cm www.rylltext.com
Linoleum 5 mm
Estrich, Fußbodenheizung 58 mm
Trennlage
Trittschalldämmung EPS 30 mm
Abdeckplatte, Holzwerkstoff 8 mm
Splittschüttung, biegeweich 90 mm
Holz-Hohlkastendecke 332 mm
Balkone im Holzbau
Statik Gschwandtl & Lindlbauer ZT GmbH, Wien/AT, www.g-l.engineering;
KPZT Kurt Pock, Klagenfurt/AT, www.kurtpock.at
Fertigstellung 2019
Linda Lackner
Das selbstverwaltete Wohnhaus Gleis 21 im Wiener Sonnwend- Um diese Flexibilität innerhalb des Kostenrahmens des geförder-
22
23
viertel Ost, auf einem ehemaligen ÖBB-Gelände in unmittelbarer ten Wohnbaus zu ermöglichen, setzten die Planer:innen auf eine
Nähe des Wiener Hauptbahnhofs gelegen, wurde von einzueins Holz-Beton-Hybridbauweise und eine größtmögliche Vorferti-
zuschnitt 86.2022
architektur geplant und 2019 fertiggestellt. In einem Baugruppen gung im Werk. Während das Erdgeschoss in Ortbetonbauweise
verfahren entstanden hier 34 Wohn- und vier Gewerbeeinheiten, errichtet wurde, bestehen die Wände der vier Obergeschosse aus
die in Grundriss und Form nach den individuellen Bedürfnissen vorgefertigten Holzkastenelementen. Bei den Geschossdecken
der künftigen Bewohner:innen gestaltet wurden. Dies gilt auch für kam ein System zum Einsatz, das nach zweijähriger Entwicklungs-
die den Wohnungen zugeordneten Balkone, die ebenfalls in Größe phase durch Mayr-Melnhof Holz und die Kirchdorfer Fertigteil-
und Lage variieren. holding mit dem Ziel der industriellen Vorfertigung von Verbund-
bauteilen erstmalig Anwendung fand: hybride Geschossdecken,
bestehend aus 14 cm sichtbar belassenen Massivholzplatten an
der Unterseite und einer damit formschlüssig verbundenen 10 cm
starken Betonschicht, lagern mittels eines integrierten Rand
unterzugs auf den wandintegrierten Holzstützen. Diese Decken-
elemente wurden werkseitig durch ein Sichtbeton-Balkonelement
ergänzt, das an den zwischengelagerten Isokorb, der die Geschoss-
Gipskartonplatte
decke und die Balkonplatte thermisch 12,5 mm
und akustisch trennt, an-
betoniert wurde. Mineralwolle 50 mm
Der hohe Vorfertigungsgrad ermöglichte eine schnelle, unterstel-
Abstand 6 mm
lungsfreie und weitgehend trockene Montage der Decken-/
Gipsfaserplatte
Balkonelemente und zeigt, dass 15Gestaltungs
flexible, individuelle mm
Holzriegel
möglichkeiten und leistbares Wohnen keine 240 mm, dazwischen
Gegensätze sein Mine
müssen. Gipsfaserplatte 15 mm
Fassadenbahn
Abstandhaltung 10 mm
Konterlattung Fichte 30 mm
Holzschalung Fichte 19 mm
Bodenbelag 10 mm
Heizestrich 80 mm
PE-Folie
Trittschalldämmung 30 mm
PE-Folie
Polystyrolbeton 65 mm
Rieselschutz
Stahlbeton 100 mm
Brettsperrholz 140 mm
50 cm
Gipskartonplatte 12,5 mm
Mineralwolle 50 mm
Abstand 6 mm
Gipsfaserplatte 15 mm
Isokorb R90 15 × 24 mm
Holzriegel 240 mm,
dazwischen Mineralwolle Aussparung maximal 20 × 20 mm
Gipsfaserplatte 15 mm Brandschutz Isokorb R90 bauseits
Fassadenbahn
Blechwinkel
Abstandhaltung 10 mm
Konterlattung Fichte 30 mm Abstandshalter
Holzschalung Fichte 19 mm Steinwolle
Planungshinweise für Balkone
aus Holz
Claudia Koch
Balkone im Holzbau bzw. an Holzbauten Tragstruktur Verbindung von senkrechten und waag-
müssen nicht unbedingt aus Holz beste- Betrachtet man eine vorgestellte Balkon- rechten Bauteilen sind Zapfenverbindun-
hen, der Holzbau ist immer auch ein guter konstruktion von Grund auf, ist zunächst gen tabu, weil sie Wasserfallen darstellen.
Teamplayer mit Beton, Stahl oder Glas. der Fußpunkt der Stütze relevant. Erdkon-
Natürlich können Balkone auch ganz oder takt ist grundsätzlich auszuschließen. Zur
teilweise in Holz realisiert werden. Um an Minimierung der Spritzwasserbelastung
Holzbalkonen langfristig Freude zu haben, ist eine Aufständerung von 15 cm zum
sind – wie generell beim Bauen mit Holz im umgebenden Niveau einzuplanen, wobei
Außenbereich – einige Dinge zu beachten. dann zusätzliche Maßnahmen, z. B. ein
Kiesbett, zur Reduzierung des Spritzwas-
Tragende Rolle sers erforderlich sind. Obere Stützenenden Ein weiteres wichtiges Detail ist der An-
Wird die Tragstruktur eines Balkons aus sind vor direkter Bewitterung zu schützen. schluss zur Außenwand. Hier ist ein defi-
Holz erstellt, ist für die tragenden Bauteile Kommen dafür Blechabdeckungen zum nierter Abstand im Zweifel die bessere
zum einen eine Bemessung nach EN 1995-1-1 Einsatz, sind diese zu hinterlüften. Wahl gegenüber einem unzureichend
erforderlich. Nicht zu vergessen sind dabei „dichten“ Anschluss. Ungenügend ist ein
auch die tragenden Elemente des Geländers, ≥ 5 mm direkt an die Wand montierter Tragbalken,
wie die senkrechten Steher und die waag- ≥ 20 mm
bei dem sich Niederschlagswasser in der
rechten Traglatten. Zum anderen ist auch Kapillarfuge zwischen Balken und Außen-
die ÖNORM B 3802 Holzschutz im Bauwesen ≥ 15 cm
≥ 10 mm wand hält und ein Feuchtenest entsteht.
zu beachten.
Geländer
Konstruktiver Holzschutz als Grund Waagrechte tragende Holzbauteile sind Auch wenn hier meist kleinere Holzquer-
voraussetzung oberseitig abzudecken oder – bei schmale schnitte zum Einsatz kommen, sind die
Wenngleich nach ÖNORM B 3802-1 für den ren Querschnittsbreiten – zumindest gleichen Grundsätze zu beherzigen. Ab-
Holzschutz grundsätzlich drei Wege zur abzuschrägen. Blechabdeckungen sind schrägungen auch beim Hirnholz senk-
Verfügung stehen, nämlich bauliche Maß- wiederum zu hinterlüften. rechter Holzlatten erleichtern den Wasser-
nahmen, die Auswahl dauerhafter Holz ablauf. Anschlüsse sind idealerweise auch
arten sowie die Anwendung chemischer ≥ 5 mm hier zu belüften. Um Sacklöcher zu vermei
Maßnahmen, sind es die baulichen Maß- ≥ 20 mm
den, dürfen Sprossen nicht in waagrechte
nahmen, die einen besonderen Stellenwert Traghölzer eingezapft oder -gedübelt wer-
> 15°
haben. Die in der ÖNORM B 3802-2 formu- ≥ 10 mm den. Steher sind durch Verwendung geeig
lierten „generellen baulichen Maßnahmen“ neter Stützenfüße vom Boden abzuheben.
müssen nämlich immer umgesetzt werden.
Holz trocken zu halten bzw. für rasches Holz-auf-Holz-Kontaktflächen zwischen
Abtrocknen zu sorgen, ist die wichtigste Stützen und Trägern sowie bei Eckverbin
Maßnahme zur Vermeidung von Pilzschä- dungen der Tragstruktur sind, wo möglich,
den. Für den bewitterten Bereich definiert auf maximal 50 mm Breite zu beschränken.
die Norm daher folgende drei Konstruk Treffen größere Holzquerschnitte aufein- ≥ 10 mm
tionsgrundsätze: ander, sind die Anschlüsse zum Schutz vor
_ Wasser fernhalten Bewitterung durch Abstandshülsen oder
_ Wasser rasch ableiten spezielle Verbindungsmittel zu belüften Auch beim Handlauf ist die Wasserablei-
_ Wasserfallen vermeiden oder abzudecken. Schnittholz muss kernge tung sicherzustellen. Die Oberseite soll
trennt sein und darf maximal 160 x 160 mm abgerundet oder abgeschrägt sein, an den
Bei entsprechender Konstruktion ist auch Querschnittsfläche aufweisen. Kanten definieren ausreichend dimensio-
das Kernholz von Lärche und Douglasie nierte Tropfnasen den Wasserablauf und
im bewitterten Bereich geeignet. Soll das verhindern, dass Niederschlagswasser in
klassische Bauholz Fichte ohne chemischen die darunterliegende Konstruktion ein-
Holzschutz eingesetzt werden, sind zusätz dringt. Längs- und Eckstöße werden am
liche detailliertere Konstruktionsregeln zur besten mit offener Fuge ausgeführt, so-
Vermeidung von Feuchteansammlungen ≥ 10 mm ≥ 10 mm fern das Wasser nach unten frei ablaufen
und Staunässe einzuhalten, die in der Norm kann.
als „besondere bauliche Maßnahmen“ Bei Eckverbindungen von waagrechten
beschrieben sind. Die Umsetzung dieser Balken sind Überblattungen, eingestemmte
konstruktiven Maßnahmen konkret bei oder stumpfe Verbindungen zu vermeiden,
Balkonen ist – Detail für Detail – im fol- die Kapillarfugen wirken als Feuchtenester, ≥ 5 mm
≥ 10 mm
genden Abschnitt dargestellt. was zu Fäulnis führen kann. Auch bei der ≥ 7 ≥ 5 mm
Werden Blumentröge oder -kästen ausge- Konstruktionsfehler, die zu Durchfeuch- Brandschutz
führt, ist dem ungehinderten Wasserab- tung und in weiterer Folge zu Fäulnis füh- Anforderungen an den Brandschutz von
lauf aufgrund der zu erwartenden Ver- ren, können durch andere Maßnahmen, Balkonen werden in Österreich erst ab Ge-
schmutzung und Beschattung durch die wie eine hohe natürliche Dauerhaftigkeit bäudeklasse (GK) 4 gestellt. In GK 4 und
Balkone im Holzbau
Bepflanzung noch mehr Aufmerksamkeit der eingesetzten Holzart, nicht kom GK 5 bei weniger als sechs Geschossen
zu schenken. Alle Bauteile, insbesondere pensiert werden und führen zu einer Ver- muss die Balkonplatte vollflächig in R 30
der Boden, sollen ein Gefälle von mindes- kürzung der Lebensdauer. oder A2 ausgeführt werden. Diese Anfor-
tens 5 Grad (besser 10 Grad) aufweisen. derung kann beispielsweise mit einer ent-
Die Wasserablauföffnung am tiefsten Oberflächenbehandlung oder Vergrauung sprechend dimensionierten Brettsperr-
Punkt sollte mindestens 2 cm breit sein, Holz kann im Freien mit oder ohne Ober- holzplatte mit oberseitiger Abdichtung
Anschlüsse sind wieder zu belüften. Die flächenbehandlung zum Einsatz kommen. erfüllt werden. In GK 4 und GK 5 bei mehr
24
25
Bauteile des Blumentrogs können auch Wird auf eine Oberflächenbehandlung als sechs Geschossen ist die Balkonplatte
einfach mittels Metallwinkel verbunden verzichtet, so verändert das Holz durch die vollflächig in R 30 und A2 auszuführen
zuschnitt 86.2022
werden, wodurch der Wasserablauf unge- Bewitterung schnell seine natürliche Farbe und damit nicht mehr in Holz umsetzbar.
hindert erfolgen kann. und es entsteht unabhängig von der Holz- Die Geländerfüllungen können auch hier
art eine natürliche Vergrauung. in Holz ausgeführt werden, weil Materia
Um dies zu verhindern und einen bestimm lien der Brandklasse B oder explizit Holz
ten Farbton auf Dauer zu erhalten, können und Holzwerkstoffe in D zulässig sind.
Holzkonstruktionen auch mit einem deko
rativen Anstrich versehen werden. Die
≥ 5° Schichtdicke beeinflusst Feuchteschutz, Claudia Koch
Abwitterungsverhalten sowie Wartungs geboren 1976, Studium der Holzwirtschaft an der
intervalle. Einmal Streichen bedeutet im Universität für Bodenkultur Wien. Seit 2003 Wis-
Allgemeinen immer Streichen: Wer sich senschaftliche Mitarbeiterin bei der Holzforschung
≥ 20 mm
Austria, Abteilung Bautechnik, Fachbereich Holz-
für eine Beschichtung entscheidet, muss
hausbau; Arbeitsschwerpunkte: Konstruktiver
Bodenbelag diese auch regelmäßig warten. Bei Kon Holzschutz, Holz im Außenbereich, Qualitätssiche-
Neben dem Anschluss zum Auflager, ob es struktionen, die beschichtet werden sollen, rung im Holzbau, Fremdüberwachung in Zimmerei-
sich dabei um tragende Balken oder einen sind scharfe Kanten zu vermeiden. und Fertighausbetrieben
flächigen Untergrund handelt, auf den ein
Belagsrost aufgelegt wird, ist die Fugen-
ausbildung das A und O jedes Holzbelags.
Bei einer Fugenbreite von mind. 7 mm bzw.
6 Prozent der Brettbreite bleiben die Fugen Die wichtigsten Konstruktionsgrundsätze auf einen Blick
auch in Nässeperioden bei gequollenen _ wenn möglich, Vorsehen eines Dachüberstands, wobei die gedachte Linie zwischen Vorderkante
Brettern offen und Wasser sowie Schmutz Überdachung und Unterkante Holzbalkon mit der Horizontalen idealerweise einen Winkel von
höchstens 90 Grad einschließt
rinnen bzw. fallen hindurch. Ebenso wich-
_ wasserabführende Ausbildung der Konstruktion zur Vermeidung von stehendem Wasser und Sacklöchern
tig sind die offenen Fugen bei den Brett- _ Ausführung von Abschrägungen ≥ 15° und Abrundungen
längsstößen, da das Hirnholz besonders _ Tropfnasen und Hinterschneidungen für eine definierte Wasserabtropfkante
stark zu Feuchteaufnahme neigt. _ Wasserablauföffnungen (mindestens 2 cm) z. B . bei Blumentrögen
_ Vorsehen einer ausreichenden Aufständerung
_ Vermeidung von Bodenkontakt
_ Vermeidung von kapillarer Wasseraufnahme über das Hirnholz
_ Schutz von Hirnholz gegen Niederschlagswasser und Spritzwasser
≥ 7 mm _ Hinterlüftungen bei aufgesetzten Bauteilen (≥ 4 mm) oder bewitterten Anschlüssen (≥ 10 mm)
_ Abdecken statisch tragender oder nur schwer austauschbarer Bauteile
_ Verringerung von Kontaktflächen, z. B . zwischen tragenden Balken und Bodenbrettern
_ wenn eine Beschichtung vorgesehen ist, alle Kanten mit einem Radius von ca. 2 mm runden
Christina Simmel
Bereits seit über einem halben Jahrhundert wird Die Waldfläche nimmt zu
durch die Österreichische Waldinventur (ÖWI) der Bereits in der letzten Erhebungsperiode
heimische Wald einer kontinuierlichen Bestands- 2007 – 2009 war die Gesamtfläche des heimi-
aufnahme und Untersuchung unterzogen. Als schen Waldes mit 3,69 Millionen Hektar sehr
größtes Monitoringprojekt des Bundesforschungs hoch. Mit einer aktuellen Zahl von 4,02 Millionen
zentrums für Wald (BfW) bietet die periodische Hektar – das entspricht einem Waldanteil von
Erhebung umfassende Informationen über die 47,9 Prozent der Fläche Österreichs – bestätigt
Die Verteilung der Struktur und Dynamik des Waldes als Gesamt- das Ergebnis der Waldinventur die Entwicklung
Baumarten im Wandel ökosystem und über die Entwicklung des nach- der letzten Jahre: Der Wald wächst. Eine Zu
wachsenden Rohstoffs Holz als ökologische und nahme ist vor allem im Westen des Landes, in
ökonomische Ressource. Mit Ergebnissen des den gebirgigen Regionen, zu verzeichnen und
Zeitraums 2016 – 2021 liegen nun die Daten der auf natürliche Sukzession des Waldes sowie
achten Erhebungsperiode vor. Sie bilden die Aufforstungen zurückzuführen.
Basis zahlreicher wissenschaftlicher Projekte und Als waldreichstes Bundesland innerhalb Öster-
50 %
dienen als Grundlage für Entscheidungen zur reichs bleibt die Steiermark mit 62 Prozent
Wald- und Klimapolitik sowie als Orientierungs- knapp an erster Stelle, unmittelbar danach folgt
hilfe für die Forstpraxis und die Holzindustrie. mit 61 Prozent Kärnten. Salzburg kommt auf
Die jüngsten Resultate lassen trotz der Heraus- 52 Prozent. Oberösterreich und Tirol liegen
forderungen des Klimawandels einen positiven gleichauf bei jeweils 42 Prozent, gefolgt von
Trend erkennen: Durch die aktive, nachhaltige Niederösterreich mit 40 Prozent. Unter dieser
40 %
Waldbewirtschaftung der letzten Jahre wird der Marke liegen Vorarlberg, das Burgenland und
Wald klimafitter und resilienter als zuvor. Wien mit 38, 34 und 22 Prozent.
Blößen, Lücken,
Sträucher und
Nadelbäume
sonstiges Laubbäume sonstiges Hartlaub, Strauchflächen
Fichte Tanne Lärche Weißkiefer Nadelholz Buche Eiche Weichlaub
2016 – 21 48,4 % 2,6 % 4,4 % 3,9 % 1,2 % 10,8 % 2,0 % 12,3 % 14,2 %
1986 – 90 56,1 % 2,5 % 4,5 % 5,8 % 1,3 % 8,9 % 2,0 % 9,7 % 9,2 %
Wald – Holz – Klima
35
3,99 4,02
3,96
3,92
30 3,86 3,88
3,75
85,2 % 89 % 3,69
25
26
27
20 71 % 60 % 44 % 44,8 % 46 % 46,2 % 46,8 % 47,2 % 47,6 % 47,9 %
zuschnitt 86.2022
15 1961 1971 1981 1986 1990 1996 2002 2010 2021
10
Waldfläche in Mio. ha
Waldanteil in Österreich in %
Waldbesitzer:innen bei der Baumartenauswahl Über die Jahre hat der Nutzungsanteil zugenom- Weitere Informationen und
unterstützen. Sie gibt Auskunft über jene Baum men. Hier spiegeln sich der steigende Bedarf an Kontakt
arten, die in verschiedenen Klimaszenarien in Holz für stoffliche und energetische Nutzung, Die Österreichische Waldinven-
tur wird vom Fachinstitut
verschiedenen Regionen die beste Wahl für den aber auch das Bestreben wider, die Abhängigkeit
Waldinventur des Bundesfor-
Wald der Zukunft sind. von fossilen und anderen nicht erneuerbaren schungszentrum für Wald
Durch den bereits jetzt erkennbaren Rückgang Rohstoffen zu verringern. Die Datenlage zeigt durchgeführt. Dessen Haupt-
der Reinbestände an Nadelholz hin zu mehr Laub auch, dass der Anteil der Nutzung nicht aus- aufgabe liegt in der Planung,
mischbeständen ist auch ein wichtiger Schritt schließlich durch eine steigende Nachfrage des Durchführung des Monitorings
zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität Rohstoffs Holz bestimmt wird. Bedingt durch sowie der Auswertung der
Daten. Die Ergebnisse und
gesetzt. Ein weiterer Indikator für eine wach die klimatischen Veränderungen, hat der Anteil, weiterführende Informationen
sende Vielfalt ist auch das Totholz. Es hat um der aufgrund von Sturmschäden, Befall des zur Waldinventur sind auf
18 Prozent zugenommen und stärkt den Wald als Borkenkäfers oder Trockenheit entnommen www.waldinventur.at inter
Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Zugleich werden musste, explizit zugenommen. Der Holz- aktiv aufbereitet. Sämtliche
beeinflussen die natürlichen Waldbewohner auch vorrat hat sich in Summe jedoch keinesfalls verfügbare Daten können
nach Regionen (Bund, Land,
das Ökosystem Wald. Hinsichtlich des jüngeren dezimiert. Nach den Ergebnissen der aktuellen
Bezirksforstinspektion),
Bestandes an Waldbäumen ist es vor allem Scha- Waldinventur liegt er bei einem Höchststand nach Themen (Waldfläche,
lenwild wie Reh und Hirsch, das durch den Verbiss von 1,2 Milliarden Vorratsfestmetern im Gesamt- Vorrat usw.) sowie nach inter-
an Jungpflanzen Einfluss auf die Entwicklung wald bzw. 1,18 Milliarden Vorratsfestmetern im nationalen Kriterien und
der Waldverjüngung nimmt. Ertragswald. Indikatoren gefiltert werden.
Um diese positive Entwicklung aufrecht zu erhal Je nach Filter werden die
Resultate in Tabellenform
Waldnutzung und Vorrat ten, ist es wichtig, den Wald der Zukunft zu planen.
oder anhand von Karten
Derzeit liegt die Holznutzung im Ertragswald Dazu hat die ÖWI im Laufe der Zeit immer mehr dargestellt.
bei 89 Prozent des jährlichen Zuwachses. Einem ökologische Parameter in ihr System eingebaut,
Gesamtzuwachs von 29,2 Millionen Vorrats greift auf aktuellste Satellitendaten zurück und Rückfragehinweis
festmetern steht eine Nutzung von insgesamt entwickelt zunehmend komplexe Fernerkundungs Bundesforschungszentrum
26,0 Millionen Vorratsfestmetern gegenüber. methoden zur Ableitung hochauflösender Wald- für Wald – BfW
Damit ist eines der wichtigsten Kriterien einer informationen unter Zuhilfenahme des Artificial Fachbereich Waldinventur
nachhaltigen Waldbewirtschaftung erfüllt – Learnings. Mit einer der modernsten Waldinven- DI Dr. Klemens Schadauer
T +43 (0)1/878 38-1226
nicht mehr Bäume aus dem Wald zu entnehmen turen Europas sind die Forscher:innen in der Lage,
klemens.schadauer@bfw.gv.at
als nachwachsen. Dieser Grundsatz ist im öster- eine umfassende Evaluierung der nachhaltigen www.bfw.gv.at
reichischen Forstgesetz festgehalten, im Sinne Waldbewirtschaftung durchzuführen. Waldinven www.bfw.gv.at/fachinstitute/
einer stetigen Zunahme des Holzvorrats. tur ist eben mehr als nur Bäume zählen. waldinventur/
Quellen
Bundesforschungszentrum für Wald – BfW, www.bfw.gv.at
sowie die Homepage zur Österreichischen Waldinventur, www.waldinventur.at
Holz(an)stoß
Sjur Eide Aas
Einzelausstellungen
2021 At Hermit Street Metro
Entrance, Entrée, Bergen
2019 The Miracle of the Burning
Bush, Was All in Your Head,
Noplace, Oslo
Gruppenausstellungen
2020 Unfolding Questions, Codes,
and Contours, Tromsø
K unstforening, Tromsø
omissíssimo, Cavalo,
Rio de Janeiro
2017 The Thinker, Flower Pot and
Mush, Entrée, Bergen
Skizzen und Zeichnungen sind der Ausgangspunkt von Eide Aas’ Messe hinzu. Das Projekt wurde auch nach Kippenbergers Tod
künstlerischen und poetischen Überlegungen. Der norwegische 1997 fortgesetzt. Die von Sjur Eide Aas installierte Balkonarbeit
Künstler beschäftigt sich mit Themen wie Abwesenheit, Chaos- „Hermit Street – Balcony“ hingegen erinnert an René Magrittes
theorie, Zeit und Raum. Öl-Malerei „Perspektive II. Der Balkon von Manet“ von 1950.
In seiner Ausstellung „At Hermit Street Metro Entrance“, die 2021 René Magritte war einer der wichtigsten Vertreter des Surrealis-
in der Non-Profit-Galerie Entrée in Bergen gezeigt wurde, war auch mus in Belgien, und obwohl sein Werk beunruhigend, ironisch und
die hier abgebildete Arbeit „Hermit Street – Balcony“ aus dem poetisch ist, ist es selten offen konfrontativ. Die meisten seiner
selben Jahr. Der Balkon (170 × 127 × 67 cm), den der Künstler aus Werke kommentieren subtil und mit surrealistischem Humor die
Eiche, Kiefer und Leinen baute und an die Galeriewand hängte, Realität und die Konventionen der damaligen Zeit. Im Falle der
war Teil eines dystopischen Settings, das aus einer Straßenlaterne, Arbeit „Perspektive II. Der Balkon von Manet“ zum Beispiel
einem stilisierten U-Bahn-Eingang und einer Kuppel-Markise ersetzt er die vier Protagonisten aus Manets Gemälde „Le Balcon“
bestand. Die Installation referiert auf utopische Arbeiten anderer durch vier Särge. Der berühmte Kunstkritiker Siegfried Gore
Künstler und bietet zugleich einen nüchternen Blick auf unser schrieb über Magrittes Gemälde: „Der Künstler übertrug die
zeitgenössisches Leben zwischen Pandemie, Fake News und Krieg. Unbeweglichkeit und Blässe der [vier] Personen auf dem Balkon,
Der vom Künstler konstruierte U-Bahn-Eingang fungiert – ähnlich die offensichtliche innere Leere und die mangelnde Interaktion
der Arbeit „Metro-Net“ (1993) des deutschen Künstlers Martin zwischen ihnen auf eine Gruppe von Särgen. Mit anderen Worten,
Kippenberger – als Portal in eine fiktive Welt, als Fluchtweg in eine anstatt eine Alternative zu Manet zu schaffen, machte er die
bessere Wirklichkeit. Kippenberger dachte darüber nach, die Welt Atmosphäre der Arbeit absurder und beängstigender.“ Ähnliches
durch ein Metrosystem zu verbinden und baute an verschiedenen könnte man auch über den verlassenen und verzerrten Balkon
Orten Eingänge und Lüftungsschächte von U-Bahn-Stationen, von Sjur Eide Aas sagen, der eine vergleichbare Beklemmung
die funktionslose Attrappen sind. Neben der täuschend echten auslöst, aber formal durch die stellenweise Verwendung gelber
Optik wurden Fahrgeräusche abgespielt und Ventilatoren erzeug- Pigmente (z. B. am Geländer) auch eine Art Optimismus ausstrahlt.
ten Luftströme. Die scheinbar funktionierenden U-Bahn-Eingänge In der Farbpsychologie ist Gelb die Farbe des Lichts, der Ratio
befanden sich in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt und nalität und der Kreativität – so gesehen gibt es in der Arbeit von
sahen so aus, als führten sie zu realen Zielen. Sjur Eide Aas noch Hoffnung auf eine bessere Welt.
Auf der griechischen Kykladeninsel Syros wurde 1993 die erste
Station in Form eines Treppenabgangs aus Beton errichtet. Ein aus Stefan Tasch
Holz gefertigter U-Bahn-Ausgang kam im August 1995 in Dawson Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh,
und ein weiterer Ausgang 1997 auf dem Gelände der Leipziger arbeitet als freier Kurator