Sie sind auf Seite 1von 12

CME

Unfallchirurgie 2022 · 125:983–994


https://doi.org/10.1007/s00113-022-01248-y
Angenommen: 29. September 2022
Online publiziert: 14. November 2022
© The Author(s), under exclusive licence to
Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von
Springer Nature 2022

Wissenschaftliche Leitung
Zertifizierte Fortbildung
Volker Alt, Regensburg
Peter Biberthaler, München
Thomas Gösling, Braunschweig
Thomas Mittlmeier, Rostock
Distorsion der Halswirbelsäule
Pathophysiologie, Diagnostik, Therapie und Begutachtung

S. Wagner · N. Renner · J. Krause · M. Perl


Unfallchirurgische und Orthopädische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-
Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland

Zusammenfassung

Online teilnehmen unter: Distorsionen oder Beschleunigungstraumata der HWS sind ein verkehrsassoziiertes
www.springermedizin.de/cme Verletzungsmuster, das typischerweise bei Heckkollisionen auftritt, aber nicht auf diese
Kollisions- und Unfallart begrenzt ist. Der größte Anteil dieser Verletzungen ist den
Für diese Fortbildungseinheit
niedrigen Schweregraden der Quebec-Task-Force(QTF)-Klassifikation zuzuordnen; bei
werden 3 Punkte vergeben.
diesen lässt sich in der klinischen und radiologischen Diagnostik kein morphologisch-
Kontakt objektivierbares Korrelat feststellen. Die Prognose ist überwiegend günstig und die
Springer Medizin Kundenservice Erkrankung selbstlimitierend, allerdings ist auf komplexe Verläufe mit chronischen
Tel. 0800 77 80 777 Schmerzen und neuropsychiatrischen Beschwerdemanifestationen zu achten. Aufgrund
(kostenfrei in Deutschland) des Unfallmechanismus tritt dieses Verletzungsbild besonders häufig im Rahmen
E-Mail: von haftpflichtassoziierten Unfällen auf. Die Diskrepanz der subjektiv-beklagten
kundenservice@springermedizin.de
Beschwerden und der vorliegenden objektiven Befunde stellt für den medizinischen
Informationen
Sachverständigen bei der Begutachtung eine besondere Herausforderung dar.
zur Teilnahme und Zertifizierung finden
Schlüsselwörter
Sie im CME-Fragebogen am Ende des
Beitrags. Nackenschmerzen · Biomechanik · Klassifikation · Diagnostische Bildgebung · Begutachtung

Lernziele
Nach Lektüre dieses Beitrages
– können Sie Patienten mit dem zugrunde liegenden Verletzungsmuster zuverlässig
identifizieren.
– sind sie in der Lage, die Pathophysiologie der HWS-Distorsion auf Basis der unfallbe-
dingten biomechanischen Einwirkungen auf die HWS nachzuvollziehen.
– fühlen Sie sich in der Anwendung der gängigen Klassifikationen sicher.
– ist es ihnen möglich, betroffene Patienten klinisch zu beurteilen sowie der adäquaten
Diagnostik und patientenindividuellen Therapie zuzuführen.

QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Die Unfallchirurgie 12 · 2022 983


CME Teil 1
Fallbeispiel, Abstract

Über die Hochschulambulanz wird eine 21-jährige Drogeriefachver- Distortion of the cervical spine. Pathophysiology,
käuferin, die in einen Verkehrsunfall involviert war, vorstellig. Aufgrund diagnostics, treatment and assessment
eines plötzlichen Bremsmanövers innerorts sei ihr ein anderer Distortion or whiplash trauma of the cervical spine is an injury pattern
Verkehrsteilnehmer aufgefahren, sodass es zu einer Heckkollision kam.
associated with motor vehicle collisions and typically occurs after
Airbags ihres Kleinwagens wurden nicht ausgelöst; der Sicherheitsgurt
rear impact collisions, but is not limited to this type of collision and
war angelegt. Die Geschwindigkeit des Unfallgegners ist nicht
accident. The vast majority of these injuries are low-grade injuries
genau bekannt, jedoch herrschte in diesem Verkehrsbereich eine
Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h. Unmittelbar nach dem according to the Quebec Task Force (QTF) classification, whereby no
Unfallereignis bestanden keine Beschwerden, sodass die von der objective morphological correlates can be determined in clinical and
hinzugerufenen Polizei ausgesprochene Empfehlung zur ärztlichen radiological examinations. The prognosis is predominantly favorable
Vorstellung zunächst ignoriert wurde. Im Intervall (nach ca. 2 h) and the condition is self-limiting; however, care must be taken with
bemerkte die Patientin graduell einsetzende Verspannungsgefühle im respect to complex courses with chronic pain and the manifestation of
Bereich des Nackens und Kopfschmerzen, sodass eine selbstständige neuropsychiatric complaints. Due to the mechanism of the accident this
ärztliche Konsultation erfolgte. In der klinischen Untersuchung zeigen injury pattern is particularly frequent in accidents associated with third
sich keine visuellen Traumafolgen; Prellmarken oder Gurtspuren sind party liability insurance claims. The discrepancy between subjective
nicht vorhanden. Palpatorisch lassen sich ein Druckschmerz und complaints and the presence of objective findings is a particular challenge
Verhärtungen im Bereich der paravertebralen Muskulatur der HWS for the assessment by the medical expert.
sowie im Bereich der Ansatzpunkte der okzipitonuchalen Muskulatur
erheben. Die Dornfortsätze sind druckschmerzfrei. Die Rotationsfähig- Keywords
keit der HWS ist schmerzbedingt in beide Richtungen mit jeweils 20° Neck pain · Biomechanics · Classification · Diagnostic imaging · Expert
eingeschränkt. Es bestehen keine sensiblen Ausfallserscheinungen. Die opinion
Kraftgrade der Kennmuskulatur der oberen und unteren Extremitäten
sind mit 5/5 gemäß der Einteilung des Medical Research Council
(MRC) ubiquitär erhalten. Der Reflexstatus ist unauffällig. Gang- oder
Gleichgewichtsstörungen sowie neu aufgetretene Störungen der aufgrund des Unfallmechanismus häufig im Rahmen von haft-
Kontinenz bestehen nicht. pflichtassoziierten Unfällen auftritt.
Interessanterweise ließ sich in mehreren Arbeiten ein Zusam-
menhang zwischen der allgemeinen Zahl von HWS-Distorsionen
Definition und Epidemiologie sowie der Beschwerdedauer und der Erwartbarkeit von Versiche-
rungsleistungen oder finanziellen Entschädigungen herstellen
Das Beschleunigungstrauma der HWS beschreibt eine passiv ein- [4, 5]. In Litauen haben Obeliene et al. im Rahmen einer pro-
wirkende Beschleunigung, die zunächst eine Translations- und spektiven Kohortenstudie 210 Patienten, die in einen Heckaufprall
Retroflexionsbewegung der zervikalen Wirbelsäule bewirkt, mit verwickelt waren, identifiziert und mithilfe von Fragebögen Kopf-
anschließender, durch eine plötzliche Dezeleration bedingter, for- und Nackenschmerzen unmittelbar nach dem Unfallgeschehen,
cierter Ventralflexion („Whiplash“-Mechanismus). Typische Sym- nach 2 Monaten und einem Jahr evaluiert. Typischerweise wird
ptome sind Schmerzen im Bereich Nackenmuskulatur mit beglei- bei dieser Art des Unfalls in Litauen keine Dienstleistung des
tendem Verspannungsgefühl und Bewegungseinschränkung. Auch Gesundheitssystems in Anspruch genommen. Die Konnotationen
Kopfschmerzen und vegetative Symptome wie Übelkeit oder Er- und Kompensationsmechanismen, die HWS-Distorsionen in den
brechen sind möglich. Neurologische Ausfallserscheinungen wie meisten westlichen Gesellschaften begleiten, existieren dort bis-
Paresen, sensible Defizite oder assoziierte Frakturen oder Disloka- her nicht. Eine Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS wurde
tionen der HWS sind selten und hohen Schweregraden zuzuordnen. durch 47 % der Befragten berichtet; die mediane Dauer der HWS-
Ein schmerzfreies Intervall zwischen Unfall und Beschwerdebeginn Beschwerden betrug 3 Tage, die maximale Dauer 17 Tage. Die Ent-
kann vorliegen, ist aber nicht obligat. wicklung einer chronischen Beschwerdesymptomatik wurde nicht
Distorsionen der HWS treten v. a. im Rahmen von Pkw-Unfällen, beobachtet [6]. Allerdings gibt es bei den genannten Studien auch
typischerweise beim Heckaufprall, auf. Die Inzidenz dieser Ver- Einschränkungen. Diese betreffen insbesondere den Aspekt, dass
letzung nahm über die vergangenen 3 Jahrzehnte kontinuierlich der Anteil von weiblichen Geschädigten bei Obeliene et al. mit
zu [1]; in Deutschland sind jährlich bis zu 400.000 Beschleuni- 14 % und von angeschnallten Unfallbeteiligten mit 67 % deutlich
gungstraumata der HWS nach Verkehrsunfällen zu verzeichnen geringer ist und somit nur eingeschränkt auf deutsche Verkehrs-
[2]. In 90–95 % der Fälle handelt es sich um eine leichte bis mäßi- realität übertragbar ist. Der Anteil der weiblichen Geschädigten
ge Ausprägung (Grade I und II in der klinischen Klassifikation der beträgt in Deutschland ca. 50,4 % [7].
Quebec Task Force (QTF) Whiplash-Associated Disorders [WAD]; [3]).
Der diesbezüglich geläufige Terminus des „Schleudertraumas“ Pathophysiologie
beschreibt v. a. den zugrunde liegenden Unfallmechanismus und
wurde durch „Distorsion“ oder „Beschleunigungstrauma der HWS“ Letztlich herrscht bezüglich des pathoanatomisch-morphologi-
überwiegend abgelöst. Die QTF prägte den Begriff der „whiplash- schen Korrelats der überwiegenden Zahl der HWS-Distorsionen, die,
associated disorders“. Anhand dieser Bezeichnung wird bereits wie dargestellt, leicht- bis mäßiggradig einzustufen sind, kein end-
verdeutlicht, dass es sich um ein Beschwerdebild mit heterogenen gültiger Konsens. Strukturelle Verletzungen wie ossäre Läsionen
Ausprägungen handelt, in die psychosoziale Aspekte einfließen. oder Dislokationen sind definitionsgemäß den hohen Schwere-
Eine besondere Bedeutung erhält dieses Verletzungsbild, da es graden zuzuordnen und selten. Bei den leichten bis mäßiggradigen
Schweregraden werden Hyperlaxizitäten und Elongation der liga-

984 Die Unfallchirurgie 12 · 2022


mentokapsulären Stabilisatoren der Facettengelenke diskutiert, fäßemöglich, insgesamtsind diesepathologischenVeränderungen
die sowohl im Rahmen von abrupt einsetzenden mechanischen selten und den höhergradigen Verletzungen zuzuordnen.
Beanspruchungen („Whiplash-Mechanismus“) als auch im Rahmen
von repetitiven Mikrotraumen oder Zwangshaltungen auftreten Biomechanische Betrachtungen
können [8]. Durch diese bestehenden Mikroinstabilitäten könn-
te eine weitere Zunahme der Instabilität mit Exazerbation der Halswirbelsäulendistorsionen, die von Unfallopfern im haft-
Beschwerden begünstigt werden. Hinzu kommt, dass die Facet- pflichtassoziierten Kontext häufig geltend gemacht werden,
tengelenke durch nozizeptive Rezeptoren reich innerviert sind erfordern die Betrachtung und Beurteilung der Kollisionsart.
und somit auch als bedeutende Quelle für chronische Schmer- Ob eine HWS-Verletzung im Rahmen des vorliegenden Unfall-
zen im Bereich der gesamten Wirbelsäule infrage kommen [8]. geschehens wahrscheinlich ist, ist näherungsweise durch die
Verletzungen der Ligamenta alaria, die im Rahmen von post- Geschwindigkeitsänderung des Fahrzeugs des Betroffenen und
traumatischen MRT-Untersuchungen erhoben wurden, galten als die mittlere Beschleunigung des Fahrzeugschwerpunkts zu be-
weiterer Erklärungsansatz. Bitterling et al. führten 2007 einen werten. Bei einem zentralen Stoß gelten die berechneten Werte
Review durch, in dem biomechanische Experimente und MRT- in Näherung für die Insassen, bei exzentrischen Stößen müssen
Studien hinsichtlich dieser Fragestellung bewertet wurden. Sie die Geschwindigkeitsänderung und mittlere Beschleunigung für

CME
konkludierten, dass in Beschleunigungsversuchen mit Leichen- die Sitzposition der Insassen im Rahmen einer unfallanalytischen
präparaten keine entsprechenden Verletzungen der Ligg. alaria Rekonstruktion berechnet werden.
erzeugt werden konnten und somit kein Hinweis auf die Ätiolo- Die bei der Heckkollision auf den Insassen einwirkende Kraft
gie der festgestellten Auffälligkeiten im Bereich der Ligg. alaria ist von der Steifigkeit der Fahrzeugkarosserien abhängig. Im Fall
durch den „Whiplash-Mechanismus“ vorlag. Ebenso seien durch der Verkehrsunfallrekonstruktion lassen sich aus der resultieren-
das MRT Normvarianten von potenziell traumaassoziierten Signal- den Verformung der Fahrzeuge über die „Energie-equivalent-
alterationen der Ligg. alaria nicht adäquat abzugrenzen [9] und die speed“-Werte (EES-Werte) die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge
Kausalität somit zumindest anzuzweifeln [10]. Hartwig et al. simu- vor der Kollision, die Stoßdauer und die mittlere Beschleunigung
lierten 2007 im Rahmen von Kadaverversuchen Seitkollisionen mit bestimmen. Relevant für die resultierende Kraft sind auch die
einem Beschleunigungsapparat und konnten keine Verletzungen Fahrzeugmassen.
der Ligg. alaria nachweisen [11]. Schädigungen neuronaler Struk- Die Krafteinleitung auf den Insassen, die über den Sitz auf den
turen können bei den höhergradigen Verletzungen im Rahmen Insassen übertragen wird, führt zunächst durch die Scherbewe-
von Verletzungen der Bandscheiben, Frakturen oder Dislokationen gung zwischen Oberkörper und Kopf zu einer horizontalen Hals-
und hiermit bedingter Beeinträchtigung des Myelons oder aus- wirbelkörperverschiebung. Die anschließende Dorsalextension
tretender Nervenwurzeln entstehen. Ebenso sind unfallbedingte bedingt die Rotation des Kopfes mit konsekutivem Kopfaufprall
Schäden des Plexus brachialis oder der hirnversorgenden Ge- gegen die Kopfstütze. Die Position und Gestaltung der Kopfstüt-
ze ist relevant, insbesondere wird häufig eine zu tief eingestellte

Abb. 1 9 Kinematik bei Heckkollisi-


on. (Aus Burg et al. [14])

Die Unfallchirurgie 12 · 2022 985


CME
Kopfstütze beobachtet, wodurch es zu einer forcierten Hyperex- Phase eine S-förmige Kurve mit Flexion der HWS in den oberen
tension des Halses und einem erhöhten Verletzungsrisiko kommt Bewegungssegmenten und Hyperextension in den unteren Be-
[12]. Ebenso ist anzumerken, dass eine endgradige „Out-of-posi- wegungssegmenten annahm. In der zweiten Phase kam es zur
tion“-Haltung (z. B. endgradige Rotation der HWS) eine Verletzung maximalen Extension aller Anteile der HWS. Als vulnerabler Anteil
ggf. begünstigen kann. wurde v. a. die erste Phase des Unfallmechanismus identifiziert, die
maximalen dynamischen Kapselbanddehnungen wurden in der
7 Cave Etage C6/C7 beobachtet. Die maximale Elongation der A. vertebra-
Eine zu tief eingestellte Kopfstütze kann, als Hypomochlion wirkend, ei- lis trat ebenfalls während der ersten Phase des Unfallmechanismus
ne Verletzung begünstigen. auf [13].
Burg et al. haben die Kinematik bei Heckkollisionen mit Hoch-
Panjabi et al. (1998) haben im Rahmen von Kadaverversuchen geschwindigkeitskameras bei einem Versuch mit einer Geschwin-
8 humane HWS-Präparate Beschleunigungs- und Dezelerations- digkeitsveränderung von Δv = 7,8 km/h visualisiert, anhand dieser
kräften von 2,5 bis zu 10,5 g ausgesetzt, den Mechanismus mit- ist der Bewegungsablauf anschaulich nachzuvollziehen (Abb. 1).
hilfe von Hochgeschwindigkeitskameras aufgezeichnet und eine
anschließende Auswertung der unmittelbaren Verletzungsfolgen Klassifikationen
mithilfe von schnittbildgebenden Untersuchungen und Sektionen
vorgenommen. Durch Sensoren wurden Längenänderungen der Geläufig ist die Erdmann-Klassifikation; diese geht auf den deut-
A. vertebralis und die Kapseldehnung der Intervertebralgelen- schen Radiologen Erdmann zurück und wird in ihrer modifizierten
ke aufgezeichnet. Letztlich zeigte sich der biphasische Verlauf Form heute noch angewendet (Tab. 1). Im internationalen Raum
des Verletzungsmechanismus, wobei die HWS während der ersten setzt sich jedoch zunehmend die Klassifikation nach der Quebec

Tab. 1 Klassifikation des HWS-Beschleunigungstraumas nach Erdmann, mod. nach Keidel 1998. (Aus Tegenthoff et al. [15])
Kriterien Grad 0 Grad I Grad II Grad III Grad IV
(Kein Trauma) (Leicht) (Mittel) (Schwer) (Tödlich)
Symptomatik Keine Schmerzen der Hals- Wie I, aber meist ohne Wie I und II, primäre In- Hohe Querschnittsläh-
muskulatur und/oder Intervall; möglich sind se- suffizienz der Halsmusku- mung, Tod im zentralen
HWS, die bewegungs- kundäre Insuffizienz der latur möglich; Brachial- Regulationsversagen,
eingeschränkt sein Halsmuskulatur, Schmer- gien, Armparaesen, evtl. meist am Unfallort, Bul-
kann, meist nach In- zen im Mundboden-/ kurze initiale Bewusstlo- bärhirnsyndrom
tervall („steifer Hals“) Interskapularbereich, sigkeit
Parästhesien der Arme
Symptomfreies – Häufig, meist > 1 h, max. Selten, meist < 1 h, bis 8 h Fehlt meist Nicht vorhanden
Intervall 48 h, typisch 12–16 h möglich
Beschwerde- – Meist Tage bis Wochen, Wochen bis Monate Oft Monate, selten Meist Tod am Unfallort
dauer < 1 Monat > 1 Jahr
Bettlägerigkeit – Meist nicht gegeben Häufig Sehr häufig Dauerhaft möglich
Neurostatus Normal bzw. Keine Ausfälle, evtl. Be- Keine Ausfälle, schmerzhaf- Sensible und/oder moto- Tetrasymptomatik, Schä-
unverändert wegungseinschränkung te Bewegungseinschrän- rische Reiz- und Ausfaller- digung vitaler Medulla-
der HWS kung der HWS scheinungen oblongata-Zentren mög-
lich
Morphologie Keine Läsion Distorsion, Dehnung Wie I; Gelenkkapseleinrisse, Wie II, über mehr als ein Markkontusion, evtl. so-
und Zerrung des HWS- Gefäßverletzungen mög- Segment, Diskusblutung gar Markdurchtrennung,
Weichteilmantels lich (retropharyngeales oder -riss, Bandruptur, Schädigung der Medul-
Hämatom, Muskelzerrun- Wirbelkörperfraktur, Lu- la oblongata bzw. des
gen) xation, Nerven-, Wurzel-, untersten Hirnstamms,
Rückenmarkläsion Schädelbasis- und Kopf-
gelenkbrüche möglich
HWS-Röntgen Unverändert Unverändert, evtl. neu Evtl. neu aufgetretene Fraktur, Fehlstellung, Frakturen mit Dislokatio-
aufgetretene Steilstel- Steilstellung, kyphotischer Aufklappbarkeit bei Funk- nen
lung Knick, leichte Instabilität tionsaufnahmen

Tab. 2 Schweregradklassifikation von HWS-Beschleunigungstraumata nach Quebec Task Force [QTF] nach Spitzer et al. 1995 bei HWS-Beschleuni-
gungsverletzung. (Aus Tegenthoff et al. [15])
Schweregrad 0 I II III IV
Klinisches Er- Keine HWS- Nur HWS-Beschwerden HWS-Beschwerden wie un- HWS-Beschwerden wie unter I HWS-Beschwer-
scheinungsbild Beschwerden, in Form von Schmerzen, ter I und muskuloskeletale und neurologische Befunde den wie unter I
keine objek- Steifigkeitsgefühl oder Befunde (Bewegungsein- (abgeschwächte oder aufge- und HWS-Frak-
tivierbaren Überempfindlichkeit, keine schränkung, palpatorische hobene Muskeleigenreflexe, tur oder -Dislo-
Ausfälle objektivierbaren Ausfälle Überempfindlichkeit) Paresen, sensible Defizite) kation

986 Die Unfallchirurgie 12 · 2022


Task Force [QTF] WAD nach Spitzer et al. durch (Tab. 2). Im Rahmen 7 Merke
der Quebec-Task-Force-Studie wurden mehr als 10.000 Publikati- Im Hinblick auf eine spätere Begutachtung ist eine sorgfältige Doku-
onen analysiert. Die überwiegende Zahl der HWS-Distorsionen ist mentation des Unfallherganges, der Begleitumstände und des klini-
den Schweregraden 0–II nach QTF zuzuordnen. schen Befundes von eminenter Bedeutung.

7 Merke Körperliche Untersuchung


Die überwiegende Mehrzahl der HWS-Distorsionen entspricht den
Schweregraden 0–II nach QTF. Der Anamnese folgt eine körperliche Untersuchung des musku-
loskeletalen Systems mit Erhebung des neurologischen Sta-
Diagnostik tus und befundabhängig auch des Gehör- und Vestibularorgans
(Gleichgewichts- und Hörstörungen, Tinnitus). Zunächst sind im
Strukturierte Anamnese Rahmen der Inspektion mögliche visuelle Traumafolgen wie Hä-
matome, Prell- oder Gurtmarken sowie Läsionen des Weichteilman-
Wichtiges und erstes Element im diagnostischen Algorithmus ist tels und potenzielle Schonhaltungen aufzunehmen. Palpatorisch
eine gezielte, strukturierte Anamnese. Neben den vorliegenden Be- sind Muskelverhärtungen, Druckschmerz der Paravertebralre-

CME
schwerden (Nackenschmerzen, -steifheit, Schwindel, Kopfschmer- gion sowie eine Gibbusbildung oder ein Klaffen der Dornfortsätze
zen, Tinnitus, Übelkeit, Parästhesien, Paresen) sollten auch der ge- zu erfassen. Sensibilität und Motorik der Kenndermatome und
naue Unfallhergang und Unfallmechanismus, etwaig bekannte -muskulatur sowie Reflexstatus sind zu überprüfen und exakt
Geschwindigkeiten der Fahrzeuge und Fahrzeugdeformation (ggf. zu dokumentieren (bei vorliegender Querschnittsymptomatik an-
auch fremdanamnestisch) erfragt werden, um Rückschlüsse auf hand einer standardisierten Klassifikation, beispielsweise des Sche-
die Schwere des Unfallmechanismus zu erlangen. Auch sollten mas der American Spinal Injury Association, ASIA). Zeichen eines
bereits prätraumatisch bestehende Beschwerden der HWS erfasst kompletten Querschnittssyndroms sind ein fehlender Bulboka-
werden, v. a. im Hinblick auf eine spätere Begutachtung. Ebenfalls vernosus- oder Analsphinkterreflex, während beim inkompletten
sollten psychosoziale Vorerkrankungen oder Risikofaktoren für Querschnittssyndrom eine sakrale Aussparung vorliegt sowie sen-
einen chronifizierenden Verlauf und Symptome einer akuten Be- sible und motorische Restqualitäten zu erwarten sind. Bezüglich
lastungsreaktion (Intrusion, Ängste, Vermeidungsveralten, disso- der Indikation zur bildgebenden Untersuchung ist das Protokoll
ziative Symptome) identifiziert werden. Wichtig ist die sorgfältige gemäß der Canadian C-Spine Rule (Abb. 2) zu erwähnen; dieses
und vollständige Dokumentation. stellt eine Entscheidungshilfe zum Ausschluss einer relevanten
strukturellen Verletzung dar. Stiell et al. errechneten 2003 in einer
prospektiven Kohortenstudie mit 8283 Patienten eine Sensitivi-
tät von 99,4 % und eine Spezifität von 45,1 % für die Canadian
C-Spine Rule [16]. Im Rahmen eines „clinical pathway“ werden

Liegt ein Risikofaktor vor, der direkt eine


bildgebende Untersuchung Indiziert?
ja
• Alter ≥65 Jahre
• gefährlicher Unfallmechanismus
• Parästhesien der Extremitäten

nein

Sind die anamnestischen Kriterien für


eine gefahrlose Funktionsprüfung erfüllt?
• einfache Heckkollision oder
nein
• sitzende Position in der Notaufnahme oder Bildgebende Untersuchung ist indiziert
• gehfähig oder
• verzögerter Symptombeginn oder
• kein Mittelliniendruckschmerz

ja

Kann der Patient die HWS aktiv rotieren? nein


45° links und rechts

ja

Bildgebende Untersuchung ist nicht indiziert


Abb. 2 9 Canadian C-Spine Rule.
(Aus Tegenthoff et al. [15])

Die Unfallchirurgie 12 · 2022 987


CME
Tab. 3 Gefährliche Unfallmechanismen. (Aus Tegenthoff et al. [15])
Gefährliche Unfallmechanismen
Sturz > 1 m oder > 5 Treppenstufen
Axiales Stauchungstrauma (z. B. Sprung in seichtes Wasser)
Verkehrsunfall mit > 100 km/h
Überschlag
Patient wurde aus dem Fahrzeug geschleudert
Zweiradunfall
Kollision mit Bus oder Lkw

klinische Untersuchungsbefunde und „gefährliche Unfallmecha-


nismen“ (Tab. 3) genutzt, um die Entscheidung bezüglich der
Indikation einer bildgebenden Untersuchung zu stützen.

Bildgebende Untersuchungen
Röntgen
Meist erfolgt das zunächst Röntgen der HWS in 2 Ebenen mit
transoraler Dens-Spezialaufnahme. Hier können Frakturen und
Luxationen identifiziert werden (Abb. 3, 4 und 5). Auf eine aus-
reichende Aufnahmequalität mit kompletter Visualisierung der
gesamten HWS im seitlichen Strahlengang ist zu achten. Dem
zervikothorakalen Übergang C7/Th1 ist als Prädilektionsort für
Luxationen Rechnung zu tragen. Ist die seitliche Darstellung z. B.
durch Überlagerung der Schultern nicht komplett, ist bei klinischem
Verdacht die weitere Abklärung mithilfe der Computertomographie
oder von Schwimmeraufnahmen indiziert.

7 Cave
Auf die vollständige Darstellung der HWS im seitlichen Strahlengang ist
zu achten.

Schnittbildgebende Verfahren Abb. 3 8 Hilfslinien zur Beurteilung der HWSim seitlichen Strahlengang.
Zur weiteren Beurteilung von knöchernen Verletzungen oder Dislo- A vordere Wirbelkörperlinie, B hintere Wirbelkörperlinie, C spinolaminäre
kationen stellt die Computertomographie der HWS das Verfahren Linie, D Verbindungslinie der Dornfortsätze. (Aus Weigel und Nerlich [17]).
der Wahl dar und besitzt somit bei den WAD-Graden III und IV
höchste Relevanz. Die Magnetresonanztomographie kommt zur
Beurteilung von diskoligamentären Läsionen und zum Nachweis
von Myelon- oder Nervenwurzelverletzungen zum Einsatz. Des
Weiteren ist das MRT bei anhaltenden Beschwerden auch im Hin-
blick auf eine spätere Begutachtung wichtig. Die aktuelle Leitlinie
empfiehlt ab einem Beschwerdezeitraum von 4 Wochen ohne
Nachweis einer strukturellen Verletzung die Durchführung eines
spinalen MRT zum Ausschluss einer Weichteilläsion. Bei Verdacht
auf eine Dissektion der Halsgefäße kommen die Dopplersono-
graphie und das kontrastmittelgestützte MRT der Halsweichteile
infrage. Als mögliche klinische Erscheinungsformen sind bei der
Dissektion der Halsgefäße plötzlich auftretende, (einseitige) fron-
totemporale Kopf- und Nackenschmerzen, das ipsilaterale Horner-
Syndrom, ein pulssynchroner Tinnitus und schließlich Symptome
einer zerebralen Ischämie anzuführen [19].
Abb. 4 8 Segmentaler Versatz mit Kyphosierung als Zeichen der segmenta-
len Instabilität. (Aus Weigel und Nerlich [17])

988 Die Unfallchirurgie 12 · 2022


Population von 3110 symptomfreien Individuen radiologisch bei
bis zu 37 % von beschwerdefreien 20-Jährigen und bis zu 96 % von
beschwerdefreien 80-Jährigen degenerative Veränderungen im
Bereich der Wirbelsäule feststellen ließen und diese Befunde somit
bei einem großen Teil der Population feststellbar sind, ohne einen
Krankheitswert darzustellen [20]. Immobilisierende Orthesen oder
Schaumstoffhalskrausen („Schanz-Krawatte“) sollten generell ver-
mieden werden, da sich ein erhöhtes Risiko für chronifizierende
Verläufe zeigt [15, 21]. Allenfalls bei hochgradigen Bewegungs-
schmerzen kann ein zeitlich limitierter Einsatz erwogen werden
[15]. Der Fokus sollte auf aktivierenden Maßnahmen mit sofor-
tiger Mobilisation und zügiger beruflicher Reintegration liegen.
Rosenfeld et al. haben 2003 im Rahmen einer prospektiven ran-
domisierten Studie die „traditionelle“ Behandlung mithilfe der Ru-
higstellung durch eine gepolsterte Halskrawatte und mithilfe der

CME
körperlichen Schonung mit einem frühmobilisierenden, aus wie-
derholten submaximal aktiven Bewegungen bestehenden Regime
verglichen, dass der Patient eigenständig zu Hause durchführen
kann. Letztgenannte Methode zeigte sich in der Schmerzreduktion
deutlich effektiver [22]. Dieses Mobilisationsregime können bei-
spielsweise wiederholte Kopfdrehungen im maximal möglichen
Bewegungsradius sein; diese kann der Patient mehrmals am Tag ei-
genständig zu Hause und am Arbeitsplatz durchführen. Der zeitlich
befristete Einsatz von Muskelrelaxanzien kann erwogen werden
(z. B. Tolperison), ebenso wie lokale Kälte- und Wärmeapplikation.
Abb. 5 8 Atlantoaxiales Intervall (1), nicht größer als 3 mm. (Aus Josten[18])
Im Fall von chronifizierenden Verläufen ist gemäß Leitlinie der Ein-
satz von schmerzmodulierender Medikation (z. B. Amitriptylin)
Neurologische Untersuchung und der Triggerpunktinjektionstherapie mit Lokalanästhetika
(z. B. Lidocain) im Bereich der Nackenmuskulatur zu erwägen.
Bei Beteiligung des Nervensystems sind eine fachneurologische Insbesondere ist bei kompliziertem Verlauf mit einem Chronifizie-
Untersuchung zu ergänzen und befundabhängig weiterführende rungsrisiko eine psychosomatische/psychiatrische Evaluation zu
neurophysiologische Untersuchungen (somatosensorisch evo- erwägen, um ggf. frühzeitig ein multimodales Behandlungskon-
zierte Potenziale [SEP], motorisch evozierte Potenziale [MEP], Elek- zept zu etablieren [15].
tromyographie [EMG], Nervenleitgeschwindigkeit [NLG]) zu initi-
ieren. Bei zusätzlich vorliegendem Schädel-Hirn-Trauma ist die 7 Merke
Notwendigkeit einer ergänzenden kraniellen bildgebenden Un- Fixierende Zervikalorthesen und lang dauernde Krankschreibungen
tersuchung zu berücksichtigen. sind bei den WAD-Graden I und II zu vermeiden.

Therapie und prognostische Faktoren 7 Merke


Bei komplexem, chronifizierendem Verlauf ist ein multimodaler Be-
Da es sich bei der überwiegenden Mehrzahl um die WAD-Grade I handlungsansatz indiziert.
und II handelt, ist in den allermeisten Fällen die konservative
Therapie angezeigt. Dies bedeutet zunächst die Edukation des Als relevant für die Prognose und beschwerdeverlängernd wur-
Patienten bezüglich des Krankheitsbildes und dessen günstiger den multiple Faktoren identifiziert: weibliches Geschlecht, hohes
Prognose. Für die akute Schmerzsymptomatik können, zeitlich Lebensalter, ein hoher initialer Schmerzgrad, in die Arme ausstrah-
befristet, nichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprofen, Diclo- lende Taubheit und Schmerzen, posttraumatische Kopfschmerzen
fenac, Naproxen) verordnet werden. Empfehlungen zur körper- und psychosoziale Faktoren (Depressionen, chronische Schmerz-
lichen Schonung und lang dauernde Krankschreibungen sollten syndrome, Somatisierungsstörungen, Angst, Kompensationswün-
vermieden werden, da sich ein negativer Effekt auf die Dauer sche, Konfliktsituationen am Arbeitsplatz oder in der Familie, [15]).
der Beschwerden zeigt [3]. Ebenfalls ist es wichtig, den Patienten Als weiterer Risikofaktor für eine verlängerte Beschwerdedauer wer-
über möglicherweise erhobene, vorher meist asymptomatische den lang andauernde juristische Auseinandersetzungen disku-
Zufallsbefunde (beispielsweise degenerative Veränderungen) im tiert [23].
Bereich der Wirbelsäule aufzuklären und im Zusammenhang mit
der bestehenden Schmerzsymptomatik eine Überbewertung die-
ser Befunde und eine Fixierung darauf zu vermeiden. Brinjikji et al.
haben 2015 in einer Literaturanalyse demonstriert, dass sich in einer

Die Unfallchirurgie 12 · 2022 989


CME Teil 2
Fallbeispiel,

Nach der Canadian C-Spine Rule erfolgen Aufnahmen der HWS in


3 Ebenen (Abb. 6, 7 und 8).

Abb. 7 8 Anterior-posteriore Röntgenaufnahme der HWS. Dornfortsätze


mittig, keine frakturtypischen Höhenminderungen oder Aufhellungslinien

unfällen gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers


Abb. 6 8 Röntgenaufnahme der seitlichen HWS– regelrechtes Alignment, erhoben; hier ist das Zivilrecht maßgebend. Ereignet sich der Un-
Breite der Weichteilschatten normwertig, keine fraktursuspekten Höhen- fall während einer beruflich versicherten Tätigkeit oder auf dem
minderungen oder Frakturlinien, physiologische Weite der Zwischenwirbel-
Arbeitsweg, kommen die gesetzliche Unfallversicherung und
räume, regelrechte Stellung der Facettengelenke
das Sozialrecht zum Tragen. Die entsprechenden Rechtsnormen
sind zu beachten und differieren bekanntermaßen.
Begutachtung Der übliche Unfall- und Verletzungsmechanismus ist der Auf-
fahrunfall mit Heckkollision. Bei der Bewertung der Kollisionsart ist
Die Begutachtung der HWS-Distorsion stellt den medizinischen anzumerken, dass neben dem klassischen Unfallmechanismus der
Sachverständigen bei den häufigen Schweregraden 0–II nach QTF Heckkollision prinzipiell auch Frontal- und seitliche Kollisionen ge-
vor Probleme, da ein großes Spektrum an Beschwerden vorlie- eignet sind, eine HWS-Distorsion auszulösen. Eine Unfallanalyse
gen kann, ohne dass diesen ein unfallbedingtes morphologisches, kann orientierend Aufschluss über die einwirkenden Kräfte und das
radiologisch nachweisbares Korrelat zuordenbar ist. Klinisch objek- Energieniveau geben, mit dem sich der Unfall zugetragen hat. Eine
tivierbare Befunde, wie beispielsweise Verletzungen des Weich- relevante Größe ist die kollisionsbedingte Geschwindigkeits-
teilmantels oder Hämatome, fehlen in den meisten Fällen. Der änderung des betreffenden Fahrzeuges. Castro et al. ermittelten
Gutachter sieht sich somit einer enormen Diskrepanz zwischen 1997 in biomechanischen Experimenten mit freiwilligen Proban-
geklagten Beschwerden und objektivierbaren Befunden ausge- den eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung „Δv“ von
setzt. 11 km/h, unterhalb derer keine unfallbedingten Beschwerden re-
Die Begutachtung der HWS-Distorsion ist in unterschiedlichen gistriert wurden (Harmlosigkeitsgrenze nach Castro; [24]). Hier
Rechtsgebieten möglich – häufig werden Ansprüche nach Auffahr- ist anzumerken, dass eine „Harmlosigkeitsgrenze“ im Sinne eines

990 Die Unfallchirurgie 12 · 2022


Fallbeispiel, Teil 3

Sie diagnostizieren eine HWS-Distorsion Grad II nach QTF. Sie klären schrittiges, indizienorientiertes Vorgehen notwendig, das an
die Patientin über die günstige Prognose des zugrunde liegenden den pathophysiologisch-gesicherten Erkenntnissen vom Verlauf
Krankheitsbildes auf, weisen sie zu Aktivität und Bewegung an und des Regelfalles einer nichtstrukturellen Verletzung anknüpft [27].
verordnen ein nichtsteroidales Antiphlogistikum. Sie demonstrieren
ein zervikales Mobilisationsprogramm mit der Empfehlung, Somit ist in der Zusammenschau von Aktenlage, Anamnese und
dieses zu Hause und auf der Arbeit in regelmäßigen Intervallen Ermittlung des Unfallgeschehens, klinischer und radiologischer Un-
durchzuführen. Sie klären über Warnsymptome (plötzlich auftretender tersuchung, wenn möglich verkehrstechnischer Analyse und ggf.
Vernichtungskopfschmerz, sensomotorische Defizite, Kontinenz- Zusatzgutachten, die aufgrund vorhandener neurologischer oder
und Gangstörung, persistierende Bewegungseinschränkung psychiatrischer Beschwerdesymptomatik veranlasst werden, eine
oder Schmerzen) auf und erläutern die Notwendigkeit einer
Wiedervorstellung zur Schnittbilddiagnostik bei plötzlicher fundierte Stellungnahme möglich [28]. Zur Erleichterung des struk-
Befundverschlechterung oder persistierenden Beschwerden. turierten Begutachtungsablaufs ist das Prüfschema nach Schröter
[29] anzuführen, in dem die genannten Aspekte schrittweise ab-
gehandelt werden, um schlussendlich zu einem tragfähigen Urteil
zu gelangen.

Fazit für die Praxis

CME
5 Die Distorsion der HWS tritt typischerweise bei der Heckkollision im
Rahmen von Pkw-Unfällen auf, ist jedoch nicht auf diese Kollisions-
und Unfallart begrenzt.
5 Die Einteilung erfolgt v. a. gemäß der Klassifikation der Quebec
Task Force (QTF). Der überwiegende Anteil der Verletzungen ist den
Schweregraden 0–II zuzuordnen.
5 Ein standardisiertes Untersuchungsprotokoll sollte zum Einsatz
kommen, um relevante strukturelle Verletzungen auszuschließen.
5 Bei komplizierten Verläufen mit hohem Chronifizierungsrisiko ist
die frühzeitige Integration eines multimodalen Therapiekonzeptes
zu erwägen.
5 Bei der Begutachtung der HWS-Distorsion kann eine enorme Diskre-
panz zwischen geklagten Beschwerden und objektivierbaren Befun-
den möglich sein. Dies macht ein mehrschrittiges, indizienorientier-
tes Vorgehen notwendig.

Abb. 8 8 Transorale Dens-Zielaufnahme – keine fraktursuspekten Aufhel- Korrespondenzadresse


lungslinien, Dens zentriert S. Wagner
Unfallchirurgische und Orthopädische Klinik, Universitätsklinikum
Ausschlusskriteriums für Unfallfolgen nicht existiert und somit die Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
im Rahmen der Unfallanalyse ermittelte kollisionsbedingte Ge- Krankenhausstr. 12, 91054 Erlangen, Deutschland
simon.wagner@uk-erlangen.de
schwindigkeitsänderung als Ausschlusskriterium für eine erlittene
Verletzung nicht praktikabel ist [25].
Auch ist die individuelle Belastbarkeit des Verunfallten zu prü- Einhaltung ethischer Richtlinien
fen. Entscheidend ist, ob Prädispositionen oder vorangegangene
Verletzungen, Veränderungen der Beschaffenheit oder Fehlbildun- Interessenkonflikt. Gemäß den Richtlinien des Springer Medizin Verlags werden
gen (sowie besondere situative Aspekte, z. B. die Einstellung der Autoren und Wissenschaftliche Leitung im Rahmen der Manuskripterstellung und
Kopfstütze) die Verletzungsanfälligkeit der HWS erhöhen. Die kör- Manuskriptfreigabe aufgefordert, eine vollständige Erklärung zu ihren finanziellen
und nichtfinanziellen Interessen abzugeben.
perliche Untersuchung des Betroffenen durch den Begutachter
ist auch bei lange zurückliegendem Unfallereignis unvermindert Autoren. S. Wagner: A. Finanzielle Interessen: S. Wagner gibt an, dass kein finanzieller
sinnvoll, um das vorliegende Beschwerde- und Einschränkungsaus- Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: angestellter Arzt, Unfall-
chirurgische und Orthopädische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen. N. Renner:
maß selbst zu erfassen. Zur Sicherung des Gesundheitsschadens A. Finanzielle Interessen: N. Renner gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt
müssen die im Rahmen der ärztlichen Dokumentation erho- besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Oberärztin, Unfallchirurgische und Ortho-
benen klinischen und radiologischen Befunde bewertet werden. pädische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen. J. Krause: A. Finanzielle Interessen:
J. Krause gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle
Die radiologisch häufig diagnostizierte Entlordosierung der HWS Interessen: Oberarzt, Unfallchirurgische und Orthopädische Klinik, Universitätskli-
(„Steilstellung“) ist ein unspezifischer Befund, der sich auch bei nikum Erlangen | Mitgliedschaften: DGOU, AGBN, Deutsche Gesellschaft für Berg-
symptomfreien Personen erheben lässt [26]. Um bei niedrig-gradi- und Expeditionsmedizin e. V. M. Perl: A. Finanzielle Interessen: M. Perl gibt an, dass
kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Direktor
gen HWS-Distorsionen und fehlender struktureller Verletzung eine der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Sicherung des Gesundheitsschadens zu erlangen, ist ein mehr-

Die Unfallchirurgie 12 · 2022 991


CME
| Mitgliedschaften: DGU, DGOOC, DGOU, BVOU, VSOU, DWG, AO-Trauma, AO-Spine, 17. Weigel, Nerlich (2011) Praxisbuch Unfallchirurgie. Springer, Berlin Heidelberg,
DGCH, VLOU, VBC. S 191
18. Josten C (2013) Halswirbelsäule. In: Bühren V, Josten C (Hrsg) Chirurgie der
Wissenschaftliche Leitung. Die vollständige Erklärung zum Interessenkonflikt der verletzten Wirbelsäule. Springer, Berlin, Heidelberg https://doi.org/10.1007/978-
Wissenschaftlichen Leitung finden Sie am Kurs der zertifizierten Fortbildung auf www. 3-642-02208-1_12
springermedizin.de/cme. 19. Biedermann B, Sojer M, Stockner H et al (2007) Dissektionen der Arteria carotis
interna und vertebralis: Ursachen, Symptome, Diagnostik und Therapie. J Neurol
Der Verlag erklärt, dass für die Publikation dieser CME-Fortbildung keine Sponsoren- Neurochir Psychiatr 8:7–18
gelder an den Verlag fließen. 20. Brinjikji W, Luetmer PH, Comstock B, Bresnahan BW, Chen LE, Deyo RA, Halabi S,
Turner JA, Avins AL, James K, Wald JT, Kallmes DF, Jarvik JG (2015) Systematic
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tie- literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomatic
ren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen populations. AJNR Am J Neuroradiol 36(4):811–816. https://doi.org/10.3174/ajnr.
ethischen Richtlinien. A4173
21. Rosenfeld M, Seferiadis A, Carlsson J, Gunnarsson R (1976) Active intervention
in patients with whiplash-associated disorders improves long-term prognosis:
Literatur a randomized controlled clinical trial. Spine (phila Pa 28(22):2491–2498. https://
doi.org/10.1097/01.BRS.0000090822.96814.13
1. Haldeman S, Carroll L, Cassidy JD, Schubert J, Nygren A, Bone and Joint Decade 22. Rosenfeld M, Gunnarsson R, Borenstein P (2000) Early intervention in whi-
2000-2010 Task Force on Neck Pain and Its Associated Disorders (2008) The Bone plash-associated disorders: a comparison of two treatment protocols. Spine
and Joint Decade 2000–2010 Task Force on Neck Pain and Its Associated Disorders: 25:1782–1787
executive summary. Spine (Phila Pa 1976) 33(4 Suppl):S5–7. https://doi.org/10. 23. Osti OL, Gun RT, Abraham G, Pratt NL, Eckerwall G, Nakamura H (2005) Potential risk
1097/BRS.0b013e3181643f40 factors for prolonged recovery following whiplash injury. Eur Spine J 14(1):90–94.
2. Vastmann J, Vogel M (2012) Halswirbeldistorsion. In: Bühren V, Josten C (Hrsg) https://doi.org/10.1007/s00586-004-0711-7
Chirurgie der verletzten Wirbelsäule. Springer, Berlin Heidelberg 24. Castro WH, Schilgen M, Meyer S, Weber M, Peuker C, Wörtler K (1997) Do “whiplash
3. Spitzer WO, Skovron ML, Salmi LR, Cassidy JD, Duranceau J, Suissa S, Zeiss E injuries” occur in low-speed rear impacts? Eur Spine J 6(6):366–375. https://doi.
(1995) Scientific monograph of the Quebec Task Force on Whiplash-Associated org/10.1007/BF01834062
Disorders: redefining “whiplash” and its management. Spine (Phila Pa 1976) 25. Stevens A (2006) Das Halswirbelsäulen-Schleudertrauma in der Begutachtung.
20(8 Suppl):1S–73S. Erratum in: Spine 20(21):2372 Die neurologisch-psychiatrische Sicht. Med Sachverstand 102(4):139–146
4. Cassidy JD, Carroll LJ, Côté P, Lemstra M, Berglund A, Nygren A (2000) Effect of 26. Schönberger M (2017) Valentin – Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Ericht
eliminating compensation for pain and suffering on the outcome of insurance Schmidt, Berlin
claims for whiplash injury. N Engl J Med 342(16):1179–1186. https://doi.org/10. 27. Schröter (2010) HWS-Schleudertrauma“ nach geringfügigen Unfällen. Orthopade
1056/NEJM200004203421606 39:276–284
5. Schrader H, Obelieniene D, Bovim G, Surkiene D, Mickeviciene D, Miseviciene I, 28. Weise, Schiltenwolf (2014) Grundkurs orthopädisch-unfallchirurgische Begutach-
Sand T (1996) Natural evolution of late whiplash syndrome outside the tung. Springer, Berlin Heidelberg
medicolegal context. Lancet 347(9010):1207–1211. https://doi.org/10.1016/ 29. Schröter F (2015) Distorsion der Halswirbelsäule. Trauma Berufskrankh
s0140-6736(96)90733-3 17:315–321. https://doi.org/10.1007/s10039-015-0005-9
6. Obelieniene D, Schrader H, Bovim G, Miseviciene I, Sand T (1999) Pain after
whiplash: a prospective controlled inception cohort study. J Neurol Neurosurg
Psychiatry 66(3):279–283
7. Adamec J, Bäumler H, Doukoff N et al (2017) Medizinische und rechtliche
Aspekte bei der Begutachtung von Halswirbelsäulendistorsionen. Rechtsmedizin
27:555–566. https://doi.org/10.1007/s00194-017-0155-0
8. Steilen D, Hauser R, Woldin B, Sawyer S (2014) Chronic neck pain: making
the connection between capsular ligament laxity and cervical instability. Open
Orthop J 8:326–345. https://doi.org/10.2174/1874325001408010326
9. Bitterling H, Stäbler A, Brückmann H (2007) Mysterium Ligamentum alare
Ruptur: StellenwertderMRT-DiagnostikdesSchleudertraumas–biomechanische,
anatomische und klinische Studien [Mystery of alar ligament rupture: value of
MRI in whiplash injuries—biomechanical, anatomical and clinical studies]. Rofo
179(11):1127–1136. https://doi.org/10.1055/s-2007-963426 (Erratum in: Rofo.
2007 Dec;179(12):1242)
10. Wilmink JT, Patijn J (2001) MR imaging of alar ligament in whiplash-associated
disorders: an observer study. Neuroradiology 43(10):859–863. https://doi.org/10.
1007/s002340100600
11. Hartwig E, Kettler A, Schultheiss M, Kinzl L, Claes L, Wilke HJ (2004) In vitro low-
speed side collisions cause injury to the lower cervical spine but do not damage
alar ligaments. Eur Spine J 13(7):590–597. https://doi.org/10.1007/s00586-003-
0624-x
12. Burg H, Moser A (2017) Handbuch Verkehrsunfallrekonstruktion. ATZ/MTZ-
Fachbuch. Springer, Wiesbaden
13. Panjabi M, Cholewicki J, Nibu K et al (1998) Biomechanics of whiplash injury.
Orthopade 27:813–819. https://doi.org/10.1007/PL00003468
14. Burg H, Geigl BC, Kramer F, Moser A, Steffan H (2017) A19 Biomechanik. In: Burg H,
Moser A (Hrsg) Handbuch Verkehrsunfallrekonstruktion. ATZ/MTZ-Fachbuch.
Springer Vieweg, Wiesbaden https://doi.org/10.1007/978-3-658-16143-9_19
15. Tegenthoff M et al (2020) Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule, S1-
Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik
und Therapie in der Neurologie (www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am
01.01.2022))
16. Stiell IG, Clement CM, McKnight RD, Brison R, Schull MJ, Rowe BH, Worthington JR,
Eisenhauer MA, Cass D, Greenberg G, MacPhail I, Dreyer J, Lee JS, Bandiera G,
Reardon M, Holroyd B, Lesiuk H, Wells GA (2003) The Canadian C-spine rule
versus the NEXUS low-risk criteria in patients with trauma. N Engl J Med
349(26):2510–2518. https://doi.org/10.1056/NEJMoa031375

992 Die Unfallchirurgie 12 · 2022


CME-Fragebogen
Distorsion der Halswirbelsäule

Zu den Kursen dieser Zeitschrift: Scannen Sie den QR-Code


oder gehen Sie auf www.springermedizin.de/kurse-die-unfallchirurgie

? Welcher Unfallmechanismus ist typi- ? Welcher Therapieansatz bei der HWS ◯ Bewegungseinschränkung und palpato-
scherweise ursächlich für das Auftre- Distorsion erscheint am sinnvollsten? rische Überempfindlichkeit werden beim
ten eines HWS-Beschleunigungstrau- ◯ Eine Ruhigstellung mithilfe einer weichen Schweregrad II beschrieben.
mas? Halskrawatte sollte standardmäßig zur ◯ Paresen der oberen Extremitäten und Sen-
◯ Frontaler Sturz des älteren Menschen auf Sicherheit bis zur erweiterten MRT Diag- sibilitätsstörungen sind typisch für den
den Kopf nostik erfolgen. Schweregrad I.
◯ Axiale Stauung der oberen HWS, wie z. B. ◯ Die Infiltration der muskulären Trigger-
bei einem Sprung in seichtes Wasser punkte mit einem Lokalanästhetikum soll- ? Ein 37-jähriger Pkw-Fahrer wird im
◯ Pkw-Unfall mit Heckaufprall te bei der initialen Behandlung unmittelbar Rahmen eines Arbeitsunfalles vom
◯ Sturz aus großer Höhe mit gleichzeitigem durchgeführt werden. Rettungsdienst in die Notaufnahme
Kopfanprall ◯ Die Selbstmobilisation der HWS durch den gebracht. Zuvor war dem Patienten ein
◯ Forcierte aktive Reklination und Inklination Patienten unter Analgesie mithilfe von Lkw mit ca. 50 km/h auf der Autobahn
wie beispielsweise beim Kopfball nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ins Heck aufgefahren. Es besteht ein
kann den Heilungsprozess positiv beein- Mittelliniendruckschmerz der HWS.
? Welche Art der bildgebenden Diag- flussen. Der Patient gibt Kribbelparästhesien
nostik sollte bei der HWS-Distorsion ◯ Chronische Schmerzen treten meist un- im gesamten rechten Arm an. Welches
erfolgen? abhängig von der initial durchgeführten ist der nächste sinnvolle Schritt im Rah-
◯ Das MRT sollte vorrangig zur Detektion Therapiemaßnahme auf. men der weiteren Notfallbehandlung?
knöcherner Verletzungen der HWS zum ◯ Eine initiale Krankschreibung über meh- ◯ Eine forcierte Prüfung der Beweglichkeit
Einsatz kommen. rere Tage beeinflusst den Heilungsprozess der HWS sollte zur Erfassung des Bewe-
◯ Unabhängig von Unfallmechanismus und positiv, da der Patient hierbei mehr Zeit für gungsausmaßes durchgeführt werden.
klinischem Befund sollte bei Schmerzen die physiotherapeutische Beübung hat. ◯ Die initiale Anlage einer starren Zervikalor-
der oberen HWS eine Röntgendiagnostik these mit anschließender Röntgendiag-
erfolgen. ? Welche Aussage zur Klassifikation des nostik der HWS in 3 Ebenen ist indiziert.
◯ Konventionelle Röntgendiagnostik der HWS-Beschleunigungstraumas nach ◯ Da es sich um einen Arbeitsunfall han-
HWS in 3 Ebenen, ggf. ergänzt durch eine der Quebec Task Force ist korrekt? delt, werden Funktionsaufnahmen der
Computertomographie. ◯ Beim Schweregrad 0 treten die Beschwer- HWS durchgeführt, um einen möglichen
◯ Die Dopplersonographie sollte zum Aus- den typischerweise im Zeitintervall von Erstkörperschaden zu beweisen.
schluss einer Myelonverletzung durchge- mehr als 1 h auf. ◯ Es sollte unmittelbar eine kontrastmittel-
führt werden. ◯ Beim Schweregrad III sind keine objekti- gestützte MRT der Halsweichteile erfolgen.
◯ In der erweiterten CT-Diagnostik können vierbaren Ausfälle nachweisbar. ◯ Wenn der Patient selbstständig aus dem
diskoligamentäre Verletzungen gut detek- ◯ Schweregrad IV beschreibt Schmerzen Pkw aussteigen konnte, besteht keine
tiert werden. oder ein Steifheitsgefühl ohne strukturelle Indikation zur Röntgendiagnostik.
Schäden.

Informationen zur zertifizierten Fortbildung

Diese Fortbildung wurde von der Anerkennung in Österreich: Für das Hinweise zur Teilnahme: – Pro Frage ist jeweils nur eine Antwort
Ärztekammer Nordrhein für das Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) – Die Teilnahme an dem zertifi- zutreffend.
„Fortbildungszertifikat der Ärztekammer“ werden die von deutschen zierten Kurs ist nur online auf – Für eine erfolgreiche Teilnahme müssen
gemäß § 5 ihrer Fortbildungsordnung mit Landesärztekammern anerkannten www.springermedizin.de/cme möglich. 70% der Fragen richtig beantwortet
3 Punkten (Kategorie D) anerkannt und ist Fortbildungspunkte aufgrund der – Der Teilnahmezeitraum beträgt werden.
damit auch für andere Ärztekammern Gleichwertigkeit im gleichen Umfang als 12 Monate. Den Teilnahmeschluss – Teilnehmen können Abonnenten dieser
anerkennungsfähig. DFP-Punkte anerkannt (§ 14, Abschnitt 1, finden Sie online beim Kurs. Fachzeitschrift und e.Med-Abonnenten.
Verordnung über ärztliche Fortbildung, – Die Fragen und ihre zugehörigen – Abonnenten von „Die Orthopädie“ oder
Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) 2013). Antwortmöglichkeiten werden „Die Unfallchirurgie“ können kostenlos
online in zufälliger Reihenfolge an CME-Kursen beider Zeitschriften
zusammengestellt. teilnehmen.

Online teilnehmen unter www.springermedizin.de/cme Die Unfallchirurgie 12 · 2022 993


CME-Fragebogen

? Eine 53-jährige Patientin kollidiert ◯ Eine Schaumstoffhalskrause bis zur voll-


als Pkw-Fahrerin mit einem stehen- ständigen Genesung ist sinnvoll.
den Pkw. Laut Rettungsdienst fuhr ◯ In der Regel ist ein operatives Vorgehen
die Patientin ca. 30 km/h und konnte indiziert.
zuvor noch abbremsen. Die Airbags ◯ Forcierte chirotherapeutische Manöver
haben sich hierbei nicht eröffnet. In während der Akutschmerzphase sind
der klinischen Untersuchung zeigt sich empfehlenswert.
ein paravertebraler Druckschmerz mit
muskulärem Hartspann ohne Mittel- ? Wie sind das Beschwerdebild der HWS-
liniendruckschmerz. Keine sensomo- Distorsion und dessen Entstehung ty-
torischen Ausfälle. Die HWS ist frei pischerweise gekennzeichnet?
beweglich. Welche Art der diagnosti- ◯ Schmerzen der Nackenmuskulatur, Ver-
schen Bildgebung ist indiziert? spannungsgefühle und Bewegungsein-
◯ Ein konventionelles Röntgen der HWS in schränkungen nach einer Heckkollision bei
2 Ebenen mit Dens-Zielaufnahme Pkw-Unfällen
◯ Eine „Schwimmeraufnahme“ ◯ Temporäres Doppelbildersehen und teil-
◯ Laut Canadian C-Spine Rule ist zunächst weiser Visusverlust v. a. im Rahmen von
keine bildgebende Untersuchung indiziert Fahrradunfällen
◯ Ein CT mit Kontrastmittel ◯ Schmerzfreies Intervall für ca. 72 h nach
◯ Ein spinales MRT axialem Stauchungstrauma der HWS
◯ Liquorrhö aus Ohr und Nase nach stump-
? Was sollte bei der Langzeitbehandlung fem Schlag gegen den Schädel hochfrontal
eines HWS-Beschleunigungstraumas ◯ Rezidivierende Migräneattacken und Übel-
beachtet werden? keit durch repetitive Mikrotraumen bei
◯ Immobilisierende Orthesen spielen eine Sportlern
große Rolle zur Vermeidung chronifizie-
render Verläufe. ? In welcher Situation kann gemäß der
◯ Psychosoziale Faktoren haben geringen Canadian C-Spine Rule eine gefahrlose
Einfluss auf die Heilung. Funktionsprüfung der HWS erfolgen?
◯ Es sollte eine großzügige lang andauernde ◯ Einfache Heckkollision mit 30 km/h bei
Krankmeldung zur körperlichen Schonung einem 32-jährigen Patienten ohne neuro-
bescheinigt werden. logische Symptomatik oder Mittellinien-
◯ Die Infiltration von muskulären Trigger- druckschmerz
punkten mit Lidocain kann zur Symptom- ◯ Bewusstseinsgeminderter 67-jähriger Pa-
linderung führen. tient nach Sturz über 10 Treppenstufen im
◯ Multimodale Behandlungskonzepte er- häuslichen Umfeld
weisen sich bisher als wenig wirksam. ◯ Aktive Rotation der HWS aufgehoben nach
Frontalkollision und Herausschleudern aus
? Welche Grundsätze zur Therapie dem Auto
von „whiplash-associated disorders“ ◯ Parästhesien des rechten Armes nach Kopf-
(WAD) der Grade I und II gemäß der kli- sprung in seichtes Wasser mit Kopfaufprall
nischen Klassifikation der Quebec Task ◯ Verkehrsunfall mit Geschwindigkeit
Force (QTF) sollten beachtet werden? > 100 km/h, angelegtem Gurt und aus-
◯ Es sollten der zeitlich befristete Einsatz von gelösten Airbags ohne Übelkeit
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR),
die Edukation bezüglich des Krankheits-
bildes und die Empfehlung zur zügigen
Selbstmobilisation erfolgen.
◯ Eine mindestens 4-wöchige Krankschrei-
bung und Empfehlung zur strikten körper-
lichen Schonung sollten ausgesprochen
werden.

994 Die Unfallchirurgie 12 · 2022 Online teilnehmen unter www.springermedizin.de/cme

Das könnte Ihnen auch gefallen