Sie sind auf Seite 1von 5

Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich?

| WOZ Die Wochenzeitung 15.05.23, 11:27

Nr. 3 – 16. Januar 2014

Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2)

Ist noch Platz in der Stadt Zürich?


Manuela Schiller findet es problematisch, wie und in welchem Umfang in der
rot-grün regierten Stadt Zürich für die eigene Klientel verdichtet wird. Sie
spricht über Verdrängungsprozesse und die zunehmende Marktfähigkeit von
Wohngemeinschaften.

Von Noëmi Landolt (Interview) und Andreas Bodmer (Foto)

https://www.woz.ch/1403/durch-den-monat-mit-manuela-schiller-teil-2/ist-noch-platz-in-der-stadt-zuerich Seite 1 von 5


Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich? | WOZ Die Wochenzeitung 15.05.23, 11:27

«Die Frage stellt sich: Auf wessen Kosten schafft man mehr Platz und für wen?»:
Manuela Schiller auf der Terrasse ihres Anwaltsbüros im Zürcher Seefeld.

WOZ: Manuela Schiller, der Zürcher Stadtrat Richard Wolff hat bekannt
gegeben, dass er im Fall einer Wiederwahl Polizeivorsteher bleiben
wolle. Es erstaunt viele, dass er als AL-Mitglied und Bewegter der
achtziger Jahre ausgerechnet bei der Polizei bleiben möchte.
Manuela Schiller: Es kommt doch im Grunde gar nicht so sehr darauf an,
welches Amt Richi Wolff bekleidet. Wäre er beispielsweise für die
Stadtentwicklung zuständig, hätte er unter Umständen mehr
Schwierigkeiten, obwohl er dafür wegen seines Berufs als Stadtforscher ja
https://www.woz.ch/1403/durch-den-monat-mit-manuela-schiller-teil-2/ist-noch-platz-in-der-stadt-zuerich Seite 2 von 5
Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich? | WOZ Die Wochenzeitung 15.05.23, 11:27

eigentlich sehr qualifiziert ist. So müsste er beispielsweise die neue Bau- und
Zonenordnung, die BZO, verteidigen, was ihm ebenfalls Bauchweh bereiten
könnte.

Was besagt die neue BZO?


Der gegenwärtige Entwurf verzichtet bewusst auf allgemeine Aufzonungen,
die höheres Bauen erlauben. Um- und Aufzonungen sollen vielmehr nur in
Einzelbeschlüssen möglich sein, wenn Gegenleistungen durch die
Grundeigentümer erfolgen. So sieht die neue BZO vor, dass bei Auf- und
Umzonungen, die eine höhere Ausnutzung ermöglichen, Mindestanteile an
preisgünstigem Wohnraum festgesetzt werden können, was ich durchaus
begrüsse.

Und worin besteht nun Ihre Kritik?


In der BZO finden sich praktisch keine klaren Aussagen darüber, wo mehr
Nutzung über Verdichtung gewünscht ist und wo nicht. Dem Stadtrat fehlte
offenbar der Mut, einen Diskussionsprozess mit der Bevölkerung zu führen
und einen kommunalen Siedlungsplan mit der Bezeichnung von
Verdichtungszielen und Schwerpunktgebieten für die bauliche Verdichtung
zu verabschieden. Zudem fehlen Aussagen dazu, wie die angestrebte
Verdichtung – von Privaten, aber gerade auch von gemeinnützigen
Bauträgern – sozialverträglich gestaltet werden soll.

Was verstehen Sie unter sozialverträglicher Verdichtung? Es gibt ja


auch Stimmen, die sagen, dass es in Zürich schlicht keinen Platz mehr
gebe für weitere Zuzügerinnen.
Verdichtung bedeutet oft, dass Häuser abgerissen werden, die man gut noch
einmal für einen weiteren Zyklus hätte renovieren können. Die Frage stellt
sich: Auf wessen Kosten schafft man mehr Platz und für wen? Man verdrängt
Leute, die Wohnraum brauchen, der monatlich zwischen 800 und 1500
Franken kostet, und schafft Platz für jene, die es sich leisten können, 1800 bis
3000 Franken Miete zu zahlen.

Das wäre dann wohl das sogenannte mittlere Preissegment.


Genau. Die Eigentumswohnungen und teuren Mietwohnungen für 4000,
5000 Franken werden von Privaten erstellt und nicht von den
Genossenschaften. Das rot-grüne Zürich verdichtet für die eigene Klientel. So
oder so findet eine soziale Verdrängung statt. Denn wer ist auf Wohnraum

https://www.woz.ch/1403/durch-den-monat-mit-manuela-schiller-teil-2/ist-noch-platz-in-der-stadt-zuerich Seite 3 von 5


Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich? | WOZ Die Wochenzeitung 15.05.23, 11:27

zwischen 800 und 1500 Franken angewiesen? Das sind oft Ausländerinnen,
sozial Randständige, Leute aus dem Niedriglohnsegment, Alleinerziehende,
Rentner mit Ergänzungsleistungen – und ja, zum Teil sind das auch SVP-
Wähler. Gleichzeitig gibt es heute einen grossen Run des städtisch
aufgeschlossenen, rot-grünen, urban denkenden Jungvolks auf
Genossenschaftswohnungen. Dabei fragen sie nicht nach, wer vorher dort
wohnte und wohin diese Leute gegangen sind.

Denken Sie an ein konkretes Beispiel?


Nehmen wir die Genossenschaftssiedlungen an der Seebahnstrasse: Die
sollen abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Die Studenten, die
jetzt noch in WGs mit befristeten Mietverträgen dort wohnen, haben dann
fertig studiert und verdienen ihre 100 000 Franken im Jahr. Sie sind jung und
ungebunden und suchen sich zu dritt eine lässige Loge für 4500 Franken. Die
nachfolgenden Studis müssen nach Dietikon ausweichen und ausserhalb der
Stadtgrenze eine WG gründen.

Mir scheint, dass die Wohnform WG in den letzten Jahren immer


marktfähiger wurde.
Auch in bestehenden Genossenschaftssiedlungen wie bei mir in Albisrieden
oder am Entlisberg, die Ersatzneubauten weichen sollen, sind Studenten-
WGs beliebt. Sobald die bisherigen Mieter ausziehen, werden die Wohnungen
befristet an Wohngemeinschaften vermietet. Für die Genossenschaften ist
diese Art der Zwischennutzung sehr angenehm. Die Zwischennutzer ziehen
zu gegebener Zeit widerstandslos weiter, die Genossenschaft kann neue,
grossräumige Wohnungen im mittleren Preissegment bauen und muss dabei
kein schlechtes Gewissen haben, weil sie eine ausländische Familie oder
alteingesessene Quartierbewohner auf die Strasse stellt.

Suchen diese Leute dann die Unterstützung des Mieterverbands?


Ich habe den Eindruck, dass gerade diejenigen, die unsere Hilfe am nötigsten
brauchen, ihre Rechte tendenziell weniger kennen, sich nicht zu wehren
trauen und oft nicht Mitglied des Mieterverbands sind. Als Anwältin habe ich
mehr als einmal erlebt, dass sich bei Leerkündigungen eines Hauses fast nur
jene Mieterinnen gewehrt haben, die wirtschaftlich bessergestellt oder besser
gebildet waren. Die eingesessenen Alten oder Ausländerinnen waren gar
nicht Mitglied bei uns. So ist es vermutlich auch heute noch.

https://www.woz.ch/1403/durch-den-monat-mit-manuela-schiller-teil-2/ist-noch-platz-in-der-stadt-zuerich Seite 4 von 5


Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich? | WOZ Die Wochenzeitung 15.05.23, 11:27

Manuela Schiller (56) ist Präsidentin des MieterInnenverbands der Stadt Zürich. Sie lebt
in einer Genossenschaftswohnung in Albisrieden. Als sie vor zwanzig Jahren dorthin
zog, war es noch nicht cool, in einer Genossenschaft zu wohnen – und erst recht nicht in
Albisrieden.

Durch den Monat mit Manuela Schiller

9. Januar 2014
Soll Richard Wolff wieder kandidieren?

16. Januar 2014


Ist noch Platz in der Stadt Zürich?

30. Januar 2014


«Wurden Sie am Gymi politisiert?»

WOZ-Newsletter
Mit dem WOZ-Newsletter wissen
Sie jeweils schon am
Mittwochabend, was in der WOZ
vom Donnerstag drin steht.

https://www.woz.ch/1403/durch-den-monat-mit-manuela-schiller-teil-2/ist-noch-platz-in-der-stadt-zuerich Seite 5 von 5

Das könnte Ihnen auch gefallen