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KOMMENTAR
Adi Kälin
17 Kommentare
29.03.2022, 05.30 Uhr
Wer heute in Zürich bauen will, bricht zunächst radikal ab. Ganze
Industrieareale sind schon vollständig beseitigt worden – und mit den
Bauten auch das Besondere, die Identität der Gebiete. Gleich ergeht es
seit längerem auch kommunalen und genossenschaftlichen
Wohnsiedlungen. Vom Bestehenden bleibt oft nichts übrig, auch wenn
die Überbauung erst wenige Jahrzehnte alt ist oder von einem
renommierten Architekten stammt.
Begründet wurde der Abbruch der erst gut vierzig Jahre alten Kolonie
mit deren schlechter Bausubstanz und den unpraktischen Grundrissen.
Man wollte aber auch den vielen Genossenschaften in Zürich ein
Zeichen geben, nun auch die Erneuerung ihrer veralteten Siedlungen
anzugehen. Der Projektverantwortliche im städtischen Amt für
Hochbauten liess sich mit dem Satz zitieren, die Zeit sei jetzt reif für
Ersatzneubauten wie an der Bernerstrasse.
Das Signal kam an, und es wirkte rasch: Schon ein Jahr später legte die
Baugenossenschaft Glattal Zürich ihre gesamte Siedlung Katzenschwanz
flach; 121 Reihenhäuschen und 20 Mehrfamilienhäuser mussten
Neubauten weichen. Bereits 2006 meldete die Stadt, dass nun jährlich so
viele Wohnungen abgerissen würden wie seit den siebziger Jahren nicht
mehr.
Das sind beides valable Gründe, die Stadt überbordet aber immer
wieder: So wollte sie der Familienheim-Genossenschaft erlauben,
ausgerechnet ihre ersten beiden Siedlungen aus den 1920er Jahren als
Ganzes abbrechen und durch Neubauten ersetzen zu lassen. Erst vom
Bundesgericht liessen sich Stadt und Genossenschaft stoppen. Im Urteil
steht ausdrücklich, dass die Erhaltung der hochgradig schützenswerten
Bauten schwerer wiege als Verdichtung und zusätzliche günstige
Wohnungen.
100 der 130 Wohnungen hätten erhalten bleiben können. Und es wären
auch die höheren Bauten stehen geblieben, die nach geltender Bau- und
Zonenordnung gar nicht mehr gebaut werden können. «Das Projekt ist
in seinem Anspruch und Ansatz für nachhaltiges Bauen vorbildlich»,
heisst es im Jurybericht. Dennoch kam das Projekt nicht in die vorderen
Ränge – wegen angeblicher städtebaulicher Mängel und schliesslich
doch nicht so guter Ökobilanz: Die komplexe Form des Baus hebe die im
Rohbau gesparten CO2-Emissionen wieder auf.
Visualisierung PD
Mit dem Projekt von Enzmann Fischer Architekten wären Teile
der alten Backsteinbauten erhalten geblieben.
hämisch für das unterlegene Team: «Aber würde man die Klimajugend
fragen, so wäre ‹Werkstadt› wohl ihre neue Schule.»
Wenn es der Stadt auch beim Bauen wirklich ernst ist mit ihrer
Klimapolitik, dürfen sich solche Beispiele nicht wiederholen.
Selbstverständlich gibt es Bauwerke, deren Substanz so schlecht ist, dass
es nichts zu retten gibt. Aber das traf auf die Siedlung Salzweg und die
Gewerbehallen in der Manegg eben nicht zu. Wie beim Startschuss zu
den radikalen Ersatzneubauten vor bald zwanzig Jahren müssten die
Bauverantwortlichen der Stadt nun eine Vorreiterrolle übernehmen und
an einem Beispiel durchexerzieren, wie sich Alt und Neu auch bei
grösseren Siedlungen sinnvoll verbinden lassen. Der Aufwand dafür mag
etwas grösser erscheinen, er lohnt sich auf Dauer aber bestimmt.
17 Kommentare
Was bedeutet "Die Bauämter müssen weg von ihrer Tabula-rasa-Politik"? Wie viele Hochbauämter
gibt es denn in der Stadt Zürich? Es ist mir auch nicht bekannt, dass Bauämter, ob in der Stadt Zürich
oder in andern Gemeinden, den Genossenschaften und anderen Immobilienbesitzern Weisungen zum
Abbruch von Siedlungen und zur Neuüberbauung erteilen könnten. Was wo gebaut werden kann,
richtet sich primär nach der Bau- und Zonenordnung. Die wird nicht von einem Bauamt erlassen,
sondern von der Gemeinde, sprich vom Parlament und den Stimmberechtigten. Und noch etwas:
Über die Bewilligung von Baugesuchen entscheidet in der Stadt Zürich nicht ein "Bauamt", auch
nicht das Amt für Baubewilligungen, sondern die Bausektion des Stadtrates, also eine politische
Instanz. Aber wer will denn das schon so genau wissen.
Die Devise "Siedlungsentwicklung nach innen statt weitere Zersiedelung des Landes" tönt ja gut.
Bloss ist dieses "statt" nicht verbindlich geregelt. Verhindert eine Verdichtung in der Stadt
tatsächlich ein Neubauprojekt auf der grünen Wiese? Die Belege fehlen. Zu bedenken ist auch, dass
die zusätzlichen 100'000 Einwohner kein Naturgesetz darstellen. Eher ist es eine selbsterfüllende
Prophezeiung. Wenn die Wohnungen erstellt werden, dann kommen die Leute schon, das ist klar.
Eigentlich wäre der Abschied von der Idee des ewigen Wachstums zentral für eine glaubwürdige
ökologische Politik. Warum sollte er für Zürich nicht gelten? NIMBY?
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