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«Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen erreichen» | NZZ 15.05.

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«Die Verdichtung wird irgendwann ihre


Grenzen erreichen»

Die ehemalige Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher über das


Wachstum der Städte, die Nachfrage nach günstigem Wohnraum und
wie dieser am besten zu befriedigen wäre.
NZZ Content Creation – erstellt im
Auftrag von NZZ Connect
09.11.2022, 09.09 Uhr

PD
Regula Lüscher studierte Architektur an der ETH Zürich. Von
2007 bis 2021 war sie Senatsbaudirektorin von Berlin.

Dieser Artikel ist im Rahmen der NZZ-Verlagsbeilage «Real Estate Days» erschienen.
Sponsored Topic realisiert durch NZZ Content Creation in Kooperation mit NZZ Connect.
Hier geht es zu den NZZ-Richtlinien für Native Advertising.

Während der Coronapandemie haben viele Menschen den


Grossstädten den Rücken gekehrt und sind aufs Land geflüchtet. Die
These kam auf, dass damit der Boom der Städte an ein Ende
gekommen sei. Die Zukunft sei dezentral. Die Arbeitnehmenden
sässen irgendwo bequem auf dem Land, könnten aber dank Internet
und Zoom mit der ganzen Welt in Kontakt treten. Nun hat sich der
Corona-Schrecken weitgehend gelegt. Und es macht den Eindruck,
dass die Leute wieder in der Stadt leben wollen.

https://www.nzz.ch/themen-dossiers/red/die-verdichtung-wird-irgendwann-ihre-grenzen-erreichen-ld.1713358 Seite 1 von 9


«Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen erreichen» | NZZ 15.05.23, 11:38

Regula Lüscher: Das ist richtig. Man rechnet damit, dass im Jahr
2030 gut 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben wird.

Warum ist das so?

Die Städte sind die ökonomischen Zentren, sie sind die kulturellen
Zentren, sie sind die wissenschaftlichen Zentren mit den
Hochschulen, sie sind die Orte des sozialen Austauschs und sie sind
eigentliche Integrationsmaschinen. Das Neue entsteht vorwiegend
in den Städten.

Dennoch hat man den Eindruck, dass die lange Phase des Homeoffice
während Corona das Arbeitsverhalten verändert hat. Hat nicht die
Attraktivität des Büros gelitten?

Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist tatsächlich anders
geworden. Es kann sein, dass sich die nächsten Etappen der
Urbanisierung nicht mehr nur auf die grossen Zentren
konzentrieren. Als Beispiel nehme ich Berlin. Dort haben wir
zusammen mit Brandenburg ein Entwicklungskonzept erarbeitet.
Berlin soll wie sternförmig nach Brandenburg hinauswachsen,
entlang der Verkehrsachsen des öffentlichen Verkehrs. Dazwischen
liegen Grünräume. In Brandenburg entstehen so mittlere Zentren
mit einem guten Angebot, die sich untereinander gut vernetzen.

Ist dieses Konzept nicht aus der Überlegung entstanden, dass nicht
alle Leute in den Grossstädten wohnen können, weil auf der
begrenzten Fläche schlichtweg nicht beliebig viele Wohnungen
erstellt werden können?

Das ist richtig. Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen


erreichen. Denn mit der wachsenden Verdichtung wird der Konflikt
um den Erhalt von Grünräumen im innerstädtischen Bereich immer
ausgeprägter. Diese brauchen wir einfach für das Wohlbefinden der
Menschen, aber auch wegen der Klimaerwärmung.

Die anhaltend grosse Nachfrage nach Wohnungen führt dazu, dass


die Preise ständig steigen. Deswegen führen die grossen Städte eine
Dauerdebatte um die Frage, auf welchem Weg man ein ausreichendes
Angebot an preisgünstigen Wohnungen sicherstellen kann. Haben Sie
ein Rezept?

Zuerst muss man verstehen, weshalb die Wohnungen immer teurer

https://www.nzz.ch/themen-dossiers/red/die-verdichtung-wird-irgendwann-ihre-grenzen-erreichen-ld.1713358 Seite 2 von 9


«Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen erreichen» | NZZ 15.05.23, 11:38

werden. Es gibt andere Preistreiber als die Nachfrage. Am


wichtigsten ist die Bodenspekulation. Der Boden ist ein endliches
Gut. Wird damit spekuliert, verteuert sich das Bauen. Der zweite
Treiber ist das sogenannte Betongold, also die Kapitalanlage in
Immobilien. Deswegen gibt es in den Grossstädten viel Wohnraum,
der nicht bewohnt ist. Das ist auch aus ökologischer Sicht eine
Katastrophe. Erst der dritte Treiber ist dann der Mangel an
Wohnraum und der damit verbundene Nachfragedruck. Er ist in
Berlin besonders ausgeprägt: Die Stadt hat rund zwei Millionen
Wohneinheiten, davon sind 100 000 Sozialwohnungen. Aber 50
Prozent der Bevölkerung hätte Anrecht auf eine vergünstigte
Wohnung. Hier versagt der Markt. Er funktioniert gut, um genug
höherpreisige Wohnungen bereitzustellen. Aber bei den
niedrigpreisigen Wohnungen versagt er.

Dann sind Sie der Meinung, dass die öffentliche Hand hier
korrigierend eingreifen und beispielsweise möglichst viel Boden in
ihre Verfügungsgewalt bringen sollte?

Das befürworte ich sehr. Aber dies zur realisieren, ist für viele Städte
herausfordernd. Berlin sass nach der Wende auf einem
Schuldenberg von 60 Milliarden Euro. Deswegen begann man, das
Tafelsilber zu verkaufen und sämtliche Grundstücke im städtischen
Besitz abzustossen, zu einer Zeit, in der die Landpreise am Boden
waren. Es war ein katastrophaler Fehler. Heute ist es für die
öffentliche Hand sehr schwierig geworden, Grundstücke zu
erwerben, weil die Preise wegen der Spekulation so stark gestiegen
sind.

Was halten Sie vom Argument, die Kommunen sollten sich hier nicht
zu stark engagieren, weil sie sonst die Preise nur noch zusätzlich
anheizen würden?

Im Grunde kann das nur funktionieren, wenn der öffentlichen Hand


im Bodenrecht ein Vorkaufsrecht zugestanden wird. Dann muss sie
sich nicht auf einen Bieterwettbewerb einlassen, sondern bezahlt
einfach durchschnittliche Marktpreise.

«Die Verdichtung lässt sich nur


stoppen, wenn wir den Pro-Kopf-
Verbrauch von Wohnfläche
reduzieren.»

https://www.nzz.ch/themen-dossiers/red/die-verdichtung-wird-irgendwann-ihre-grenzen-erreichen-ld.1713358 Seite 3 von 9


«Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen erreichen» | NZZ 15.05.23, 11:38

Ist der Preis aber nicht die effizienteste Weise, das knappe Gut
Wohnungen in den Städten zu verteilen, besser jedenfalls, als wenn
die Bürokratie mittels vieler Vorschriften dies tut?

Wenn wir nur den Preis spielen lassen, nehmen wir in Kauf, dass die
Städte völlig segregiert werden, weil sich dann ein grosser Teil der
Bevölkerung einen grossen Teil des Angebots nicht mehr leisten
kann. Das ist sozial unerwünscht. Deswegen braucht es einen
Einfluss des Staates auf das Angebot, etwa indem in
Gestaltungsplänen die privaten Investierenden verpflichtet werden,
einen bestimmten Anteil der Wohnungen als gemeinnützig
anzubieten. Ein anderer und in der Schweiz stark eingeschlagener
Weg ist, dass der Staat Genossenschaften vergünstigten Boden zur
Verfügung stellt.

Als Faustregel hat sich das Ein-Drittel-Ziel etabliert: So viele


gemeinnützige Wohnungen sollte eine Stadt anbieten. Ist das eine
sinnvolle Formel?

Ich finde dies grundsätzlich eine gute Formel, weil es eine gute
Durchmischung garantiert. Aber sie kann gerade in Berlin den
grossen Mangel niemals wettmachen. Zudem werden die
Sozialwohnungen aus den 1970er-Jahren gelegentlich aus der
Sozialbindung entlassen. Das sieht das Gesetz so vor. Also dürfte
sich die Mangellage eher noch verschärfen. Es ist eine riesige
Herausforderung, Städte sozialverträglich zu machen.

Weshalb werden in Berlin nicht einfach mehr Wohnungen gebaut? Es


gibt dort noch sehr viele Flächen, die sich dafür eignen würden.

In Berlin stagnierte oder schrumpfte die Bevölkerung bis zum Jahr


2014. Die Wohnbauförderung war abgeschafft worden. Die
Wohnungsbaugesellschaften befassten sich nur noch mit Rückbau
oder Sanierung. So verloren sie jedes Know-how, wie man neuen
Wohnraum schafft, wie man an Grundstücke herankommt, wie man
diese erschliesst. Das alles wurde viel zu spät angegangen, auch weil
es wegen der Verschuldung kaum öffentliche Mittel dafür gab.
Zudem ist in Berlin das Bauen schwieriger, weil viele Grundstücke
wegen der Geschichte rechtliche Probleme aufwerfen, man denke
nur an die von den Nationalsozialisten enteigneten Grundstücke in
jüdischem Besitz oder im Osten den durch die DDR
zwangsverstaatlichten Besitz, der reprivatisiert werden muss. Und
dann ist das Planungsrecht sehr kompliziert, weil die zwölf
Stadtbezirke beim Bauen mitreden. Diese ticken politisch vielfach

https://www.nzz.ch/themen-dossiers/red/die-verdichtung-wird-irgendwann-ihre-grenzen-erreichen-ld.1713358 Seite 4 von 9


«Die Verdichtung wird irgendwann ihre Grenzen erreichen» | NZZ 15.05.23, 11:38

anders als die Stadt insgesamt. Deswegen ist das Bauen auch
unglaublich parteipolitisch gefärbt.

Lenken wir den Blick wieder auf die Schweiz. Hier haben das
Bevölkerungswachstum und die anhaltende Nachfrage zu einer
Verdichtungswelle in den Städten geführt, der enorm viel günstiger
Wohnraum zum Opfer fällt. Müsste man diese Entwicklung nicht
bremsen?

Der grosse Bodenfresser war und ist der steigende Anspruch des
einzelnen nach Wohnfläche. Deswegen lässt sich die Verdichtung
nur stoppen, wenn wir den Pro-Kopf-Verbrauch von Wohnfläche
reduzieren. Würden wir auf das Niveau von 1960 zurückkehren,
müssten wir im Moment nichts mehr bauen. Doch dies lässt sich
nicht dekretieren. Der Königsweg muss sein, dass wir den Bestand
so weit wie möglich ergänzen, etwa mit einem zusätzlichen
Geschoss oder einem Anbau. Das ist manchmal mühsam, aber im
Hinblick auf das Klima unerlässlich. Es geht um die graue Energie.
Man sollte erst abreissen dürfen, wenn man zwei, drei Stockwerke
mehr erstellen kann und so deutlich mehr Wohnraum gewinnt.

Und wie halten Sie es mit Hochhäusern?

Ich habe nichts gegen Hochhäuser. Unter meiner Verantwortung


wurde das erste Hochhaus-Leitbild der Stadt Zürich erarbeitet.
Hochhäuser gehören zu einer Stadt, aber sie müssen klare
Qualitätsstandards erfüllen.

Sie kennen aufgrund Ihrer beruflichen Tätigkeit Zürich und Berlin


sehr gut. Was kann Zürich städtebaulich von Berlin lernen und Berlin
von Zürich?

Berlin kann von Zürich die hohe Baukultur lernen. Wenn ich jeweils
nach Zürich zurückkomme, bin ich immer wieder sprachlos über die
hohe Qualität, auch der sogenannten Investorenarchitektur. Es
herrscht hier ein Grundverständnis, dass bessere Materialien
bessere und nachhaltigere Ergebnisse bringen. Was Zürich von
Berlin lernen kann: Keine Angst vor Improvisation und keine Angst
vor Partizipation der Bevölkerung! Berlin ist das Mekka der
professionellen Bürgerbeteiligung. Dies führt im Durchschnitt zu
besseren Projekten, weil die Quartierbewohnerinnen und -
bewohner die lokalen Verhältnisse gut kennen. Das wirkt sich zum
Vorteil der Bevölkerung und Nachbarn aus, aber auch der
Investierenden.

https://www.nzz.ch/themen-dossiers/red/die-verdichtung-wird-irgendwann-ihre-grenzen-erreichen-ld.1713358 Seite 5 von 9


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Autor: Felix E. Müller

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