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EU-Aufbauhilfen – a Coffee with the

Prime Minister is not a Civil Society


Consultation
awblog.at/eu-aufbauhilfen

24. März 2021

Mithilfe eines gemeinsamen EU-weiten Aufbauplans soll die Wirtschaftskrise überwunden


und gleichzeitig der grüne und digitale Wandel gefördert werden. Damit die Mittel fair
verteilt werden und die Schaffung guter Arbeitsplätze Priorität hat, ist eine umfassende
Einbindung der ArbeitnehmerInnenvertretung unerlässlich. Tatsächlich wird die
Konsultation der Sozialpartner von EU-Seite her gefordert. Die entsprechenden
Maßnahmen gilt es genau einzuhalten und noch weiter auszubauen.

Aufbau- und Resilienzpläne – worum geht’s?

Während im Zuge der Eurokrise vor etwa einem Jahrzehnt noch Austerität verordnet wurde,
geht man nun auf EU-Ebene im Umgang mit der COVID-19-Krise zum Glück in eine andere
Richtung. Um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu unterstützen, wurde im Zuge des
Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 das Programm „Next Generation EU“
beschlossen. Dieses soll von 2021 bis 2023 laufen und mit 750 Mrd. Euro ausgestattet
werden. Mit einem Volumen von 672,5 Mrd. Euro macht die Aufbau- und Resilienzfazilität
den Hauptteil davon aus. 312,5 Mrd. Euro der Aufbau- und Resilienzfazilität sollen als nicht
zurückzuzahlende Zuschüsse an die EU-Mitgliedstaaten vergeben werden. Im Februar 2021
wurde die darüber erzielte politische Einigung im Europäischen Parlament mit breiter
Mehrheit bestätigt. Die Mittelvergabe ist inhaltlich und organisatorisch an das Europäische
Semester gebunden, welches seit 2010 den Rahmen für die budget-, wirtschafts- und
beschäftigungspolitische Koordinierung in der EU bildet. Nun liegt es an den
Mitgliedstaaten, bis Ende April 2021 den nationalen Aufbau- und Resilienzplan an die EU-
Kommission zu übermitteln, um die Mittel abzurufen.

Die Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021 gibt vor, dass makroökonomische Stabilität,
Produktivität, Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit auch die Leitprinzipien für die
nationalen Aufbau- und Resilienzpläne bilden. Es sollen Investitionen und Reformen in
sieben Schlüsselbereichen vorangetrieben werden, zum Beispiel zur Verbesserung der
Energieeffizienz von Gebäuden, zur Förderung sauberer und erneuerbarer Technologien
oder zur Verbesserung digitaler Kompetenzen. Um die grüne und digitale Transformation zu
fördern, sollen 37 Prozent der Mittel an den „grünen Wandel“ und 20 Prozent an den
„digitalen Wandel“ gebunden werden. Die Pläne sollen auch helfen, „wirtschaftlich zu
wachsen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die soziale Resilienz zu erhöhen und den
ökologischen und digitalen Wandel zu meistern“. Ein weiteres Kriterium für den Erhalt der
Mittel ist die Koppelung an die länderspezifischen Empfehlungen, insbesondere der Jahre
2019 und 2020.

Maßnahmen zur Einbindung der Sozialpartner vorgesehen

Eine bessere Einbindung der Sozialpartner in den bisherigen Prozess des Europäischen
Semesters ist längst überfällig. Somit ist es zu begrüßen, dass im Zusammenhang mit der
Aufbau- und Resilienzfazilität Schritte zur verstärkten Konsultation mehrfach festgehalten
wurden. Im September 2020 machte die Kommission deutlich: „Member states are also

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invited to outline in the plan how the social partners, and as appropriate civil society
organisations, have been consulted and involved in designing the reforms included in the
plan.“ Auch in der „Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021“ wird vermerkt: „Von
entscheidender Bedeutung wird sein, dass sich die Mitgliedstaaten zur Ausarbeitung ihrer
Aufbau- und Resilienzpläne so bald wie möglich in einen breit angelegten politischen Dialog
einbringen, in den die Sozialpartner und alle anderen einschlägigen Interessenträger
einbezogen werden.“ Der im Jänner 2021 veröffentlichte Leitfaden fordert die Staaten auf,
die Entscheidungsprozesse, die zur Verabschiedung der Pläne geführt haben, darzustellen.
Es soll auch eine Zusammenfassung des Konsultationsprozesses vorgenommen werden, in
dem beschrieben wird, wie sich die Inputs der Stakeholder im Plan wiederfinden. Diese soll
die Reichweite (Liste der konsultierten Sozialpartner, zivilgesellschaftlichen Organisationen,
Stakeholder etc.), die Art (Konferenzen, bilaterale Einbindung etc.), das Timing und eine
Beschreibung, ob die Stakeholder selektiv in Bezug auf spezifische Komponenten oder
allgemein konsultiert wurden, enthalten. Auch auf die Einbindung im Zuge der Umsetzung
soll eingegangen werden.

Schließlich ist auch in der im Februar 2021 beschlossenen Verordnung zur Einrichtung der
Aufbau- und Resilienzfazilität eine entsprechende Bestimmung enthalten. Laut Artikel 18
Absatz 4 lit. q müssen die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne bereits für die
Ausarbeitung und – soweit verfügbar ­– die Umsetzung „eine Zusammenfassung des im
Einklang mit dem nationalen Rechtsrahmen durchgeführten Prozesses der Konsultation
lokaler und regionaler Gebietskörperschaften, von Sozialpartnern, Organisationen der
Zivilgesellschaft, Jugendorganisationen und anderen relevanten Interessenträgern sowie
die Art und Weise, wie die Beiträge der Interessenträger in den Aufbau- und Resilienzplan
einfließen“, enthalten.

Wie sieht es mit der Einbindung tatsächlich aus?

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Im Februar 2021 verabschiedete der EWSA eine Entschließung zum Thema „Einbeziehung
der organisierten Zivilgesellschaft in die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne – was
funktioniert und was nicht?“ Darin erfolgt eine erste Bewertung über die Transparenz bei
der Entwicklung der Pläne und über Umfang und Qualität der Konsultationen. Als Grundlage
dafür dienen Erhebungen in allen 27 Mitgliedstaaten. Es zeigte sich, dass im Vergleich zum
üblichen Europäischen Semesterprozess Fortschritte erzielt wurden. Auch wird der
Kommission eine positive Rolle bei der Förderung der Konsultationen auf nationaler Ebene
attestiert. Dennoch herrscht weit überwiegend die Ansicht, dass die bisherige Beteiligung
höchst unzureichend ist. So würden es die Verfahren in den meisten Ländern nicht
erlauben, die Standpunkte ausreichend zur Geltung zu bringen. Vielfach wurden die
knappen Zeitvorgaben kritisiert, und es kam oft erst nach Beschwerden zu einer
Konsultation. Deutlich wurden auch die unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Pläne in
den einzelnen Staaten. Schließlich spiegelt sich in den Antworten durchgehend ein starker
Wunsch der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft wider, stärker an der Ausarbeitung der
Pläne mitwirken zu können.

Im Rahmen der Präsentation der Entschließung im Plenum des EWSA Ende Februar stellte
Javier Doz Orrit, der Berichterstatter der Entschließung aus der Arbeitnehmergruppe, fest,
dass es für eine höhere Effektivität der Aufbau- und Resilienzpläne unbedingt eine
tatsächliche Einbindung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft braucht:
„A coffee with the prime minister is not a civil society consultation.“ Der ebenso anwesende
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn versicherte, dass die Kommission weiterhin mit
Nachdruck auf die Einbeziehung der Interessenträger in diesem Reformprozess hinwirken
werde: „Mit der Verordnung über die Aufbau- und Resilienzfazilität werden umfassende
Konsultationen, intensive Interaktionen und die Kommunikation mit den lokalen und
regionalen Gebietskörperschaften in allen Phasen der Umsetzung gefördert. Dadurch
entsteht ein echtes Gefühl der Eigenverantwortung für die Pläne, was deren erfolgreiche
Umsetzung erleichtern wird. Die Mitgliedstaaten müssen uns insbesondere darüber Bericht
erstatten, wie ihre Beiträge – die der Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft –
in den Plänen Berücksichtigung finden.“

Die Forderungen der ArbeitnehmerInnenseite

Eine umfassende Einbindung der ArbeitnehmerInnenvertretung ist Voraussetzung, damit


für eine faire Verteilung der Mittel gesorgt ist und die Bekämpfung von Armut und die
Förderung guter Arbeitsplätze im Rahmen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und des
grünen und digitalen Übergangs durchgesetzt werden können. Insbesondere auch die von
der Kommission durchgesetzte Koppelung der Aufbau- und Resilienzpläne an die
länderspezifischen Empfehlungen (LSE) macht die Konsultation der
ArbeitnehmerInnenseite zum obersten Gebot. Zwar enthielten die LSE 2020 mehrere
begrüßenswerte Empfehlungen, zum Beispiel, dass die Mitgliedstaaten alle notwendigen
Maßnahmen zur Eindämmung der sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie
ergreifen sollen oder Österreich die Chancengleichheit verbessern soll. Nichtsdestotrotz
fanden sich in den LSE immer wieder hochproblematische Maßnahmenvorschläge, die
zulasten der ArbeitnehmerInnen gingen. Zu Recht lehnte der Europäische
Gewerkschaftsbund (EGB) die Koppelung an die LSE ab. Leider war diese jedoch ein
entscheidender Punkt, dass es überhaupt zu einer Einigung der Staats- und
Regierungschefs über die Schaffung der Aufbau- und Resilienzfazilität kam. Zumindest
gelang es, dass diese Koppelung abgeschwächt wurde, indem sie etwa nur bei erheblichen
Verstößen gilt und die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des betreffenden
Mitgliedstaats, insbesondere das Ausmaß der Arbeitslosigkeit, der Armut und der sozialen
Ausgrenzung, zu berücksichtigen sind.

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Von den Gewerkschaften wurden ursprünglich bindende Regeln zur Konsultation gefordert.
Artikel 18 verpflichtet die Regierungen jedoch nur zu einem Bericht über die Konsultation.
Der Hintergrund ist, dass sowohl Kommission wie auch Rat eine verpflichtende Partizipation
der Sozialpartner ablehnten. Dennoch sieht der EGB, insbesondere wenn sie mit den
Leitprinzipien der Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021 gekoppelt wird, auch die
Aufnahme der Berichtspflicht als Schritt vorwärts. Schließlich baut diese Regel auf der
bisherigen Kooperation zwischen Kommission, Rat und Sozialpartnern im Rahmen des
Europäischen Semesters auf und verstärkt diese zusätzlich. Der EGB kündigt auch an, Druck
aufzubauen, damit die Einhaltung der vorgesehenen Konsultationsschritte genau geprüft
wird, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Auch wird er sich weiterhin
für verpflichtende Regeln einsetzen. So soll die Konsultation zeitgerecht, aussagekräftig
bzw. mit dem vollen Zugang zu relevanten Informationen und auf dem passenden Level
stattfinden. Sie soll strukturiert (regelmäßig und geplant) und in einem Format
vorgenommen werden, sodass ein ordentlicher Dialog möglich ist. Auf nationaler Ebene soll
sie durch die Regierungen und auf europäischer Ebene durch Kommission, Rat und
Parlament stattfinden. Auch brauchen die Sozialpartner Ressourcen, um sich effektiv im
Rahmen des Europäischen Semesters und der Aufbaupläne zu beteiligen. Auch der EWSA
schlägt in seiner Entschließung in dieselbe Kerbe. Eine echte Beteiligung sei erst dann
gegeben, wenn „zivilgesellschaftliche Organisationen in formellen, rechtlich verankerten
Konsultationsprozessen auf der Grundlage öffentlicher und transparenter Verfahren mit
schriftlichen Unterlagen angemessen informiert werden, genügend Zeit haben, um die
Vorschläge der Regierung zu prüfen und eigene Vorschläge auszuarbeiten, die entweder
berücksichtigt oder mit einer Begründung abgelehnt werden.“

Die Lage in Österreich

Österreich soll aus dem Aufbau- und Resilienzfonds rund 3,4 Mrd. Euro an Finanzhilfen
erhalten, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Im Ländervergleich verläuft die
Entwicklung des Aufbau- und Resilienzplans äußerst schleppend. Österreich gehörte Ende
Februar zu den drei letzten Staaten, die noch nichts an die Kommission geliefert hatten. Die
Entschließung des EWSA ergab, dass Österreich zu jenen Staaten gehört, in denen eine
gewisse formelle oder informelle Beteiligung stattgefunden hat, jedoch ohne tatsächliche
Einflussmöglichkeiten. Am 26. Jänner wurde vom Bundeskanzleramt eine Kick-off-
Veranstaltung zum „Nationalen Reformprogramm“ organisiert, zu welcher Sozialpartner
und Zivilgesellschaft geladen waren. Es wurde eine Kontaktstelle bzw. eine E-Mail-Adresse
vorgestellt, wo die Vorschläge der Stakeholder gesammelt wurden. Weitere Gespräche
waren vorgesehen.

Von ÖGB und Arbeiterkammer wurden schon vor dem 26. Jänner Vorschläge für konkrete
Projekte übermittelt. Zum Beispiel schlägt die Arbeiterkammer eine Fokussierung auf fünf
Offensiven vor, die sich vor allem dem Arbeitsmarkt, Gesundheits- und sozialen
Dienstleistungen, der Armutsbekämpfung und dem Klimaschutz widmen. ÖGB-Präsident
Wolfgang Katzian: „Es darf nicht passieren, dass jetzt nur bestehende Maßnahmen mit EU-
Mitteln querfinanziert werden, und nur das, was dann übrigbleibt, wird in Arbeitsplätze
investiert. Angesichts von mehr als 500.000 Menschen ohne Arbeit, müssen wir uns darauf
konzentrieren, neue Jobs zu generieren.“

Anlässlich einer parlamentarischen Anfrage stellte Finanzminister Blümel fest: „Die


Grundlage für die Auswahl der Projekte ist das Regierungsprogramm.“ Diese Vorgangsweise
widerspricht allerdings klar den Vorgaben der EU-Kommission, neue und innovative
Projekte und Konzepte zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Sicherung der Daseinsvorsorge,
Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung voranzutreiben, um die
arbeitsmarktpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu bekämpfen.

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In einer Stellungnahme dazu reagierte younion_Die Daseinsgewerkschaft scharf mit dem
Hinweis, dass der Finanzminister hier den Sinn und Zweck des Wiederaufbaufonds nicht
verstehe. Alter Wein in neuen Schläuchen werde nichts bringen. Ein Jahr Pandemie habe
alles grundlegend verändert. Die soziale und wirtschaftliche Lage sei besorgniserregend. Da
würden alte Hüte aus dem Regierungsprogramm vor Corona überhaupt nicht helfen.

Auch andere Organisationen fordern die Regierung zum Handeln auf, darunter Global 2000,
Attac, Städtebund, Gemeindebund und der Verband der öffentlichen Wirtschaft. Die von
Finanzminister Blümel angekündigte Vorlage von Projekten im April sei reichlich spät. Es
wird befürchtet, dass die Maßnahmen dann weitgehend von der Bundesregierung diktiert
werden.

Ohne Zweifel würden die von EGB und EWSA geforderten Schritte zu einer umfassenden
Konsultation der österreichischen Sozialpartner und der Zivilgesellschaft nicht zuletzt der
österreichischen Bevölkerung zugutekommen. Das Mindeste ist jedoch die sorgfältige
Einhaltung der in der Aufbau- und Resilienzfazilität vorgesehen Konsultationsschritte.
Darauf gilt es in den kommenden Monaten einen genauen Blick zu werfen.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0


Dieser Textbeitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung -
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Weitere Informationen auch hier: https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-
zielsetzung-und-verwendung/

Judith Vorbach
Judith Vorbach ist EU-Referentin der AK Oberösterreich und Mitglied im
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA).

Thomas Kattnig
Thomas Kattnig ist österreichischer Gewerkschafter mit
Tätigkeitsschwerpunkt EU- und internationale Politik. Er ist Mitglied
des Bundespräsidiums von younion _ Die Daseinsgewerkschaft und
leitete eine Reihe von internationalen und nationalen Kampagnen mit
Schwerpunkt Daseinsvorsorge, u. a. die erste erfolgreiche Europäische
BürgerInneninitiative „Right2Water“. Im Europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschuss vertritt er ArbeitnehmerInneninteressen und ist
Vizepräsident von Public Services International (PSI).

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