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Der E-Mail-Roman “Gut gegen Nordwind” von Daniel Glattauer, publiziert im Jahr

2006, erzählt von einer unkonventionellen Liebesgeschichte zwischen Emmi


Rothner und Leo Leike, die sich durch eine anfangs versehentliche
E-Mail-Korrespondenz kennenlernen und eine Liebesbeziehung aufbauen, ohne sich
jemals persönlich zu treffen. Der Roman beinhaltet hunderte in der Ich-Form
verfasste E-Mails, abwechselnd aus der Perspektive von Emmi und Leo. Der Autor
liefert an keiner Stelle ergänzende Hinweise und die Handlung entfaltet sich
ausschließlich durch die Worte der Hauptfiguren. Das Werk gehört mit seinem
zeitgemäßen Format zur Gegenwartsliteratur.

Aufgrund der Tatsache, dass die Hauptfiguren ihre Meinungen und Gefühle nicht
immer explizit äußern, kommt es daher zu Konflikten und Missverständnissen
zwischen ihnen, was ein Inbegriff für gestörte menschliche Kommunikation ist. Der
vorliegende Romanauszug, der sich auf Seiten 35-38 befindet, ist ein anschauliches
Beispiel für diese Art der zwischenmenschlichen Kommunikation.

Der angegebene Romanausschnitt veranschaulicht die Kennenlernphase zwischen


Emma und Leo. Dabei setzt Emmi Leo in Kenntnis über ihre Ehe, worauf Leo
zunächst nicht reagiert. Folglich kommt Emmi auf die Idee, dass Leo das Interesse
an ihr verloren haben müsse und wirft ihm dies vor, was in ein Streitgespräch
mündet. In diesem Textausschnitt treten die Makel der Persönlichkeiten der beiden
zum Vorschein, weswegen er eine ausschlaggebende Bedeutung für das Verständnis
der Dynamik der Beziehung von Hauptfiguren hat.

Nach einer Woche Pause versucht Emmi, durch ein banales Gespräch über das
Wetter wieder Kontakt zu Leo Leike aufzunehmen. In ihrer nächsten Frage
(“Unterhalten Sie sich nicht gern mit verheirateten Frauen?” S.35) verschleiert
Emma ihre Neugier über Leos Meinung zu ihrem Beziehungsstatus. Mit dieser
Ja-/Nein-Frage bittet sie Leo nachdrücklich darauf zu reagieren, was er davon hält,
dass sie verheiratet ist. Hier erkennt man, dass Emmi nicht ganz zu ihren Gefühlen
steht und versucht, ihr Interesse an Leo ebenfalls zu verbergen. Daraus ergibt sich,
dass der Inhalts- und Beziehungsaspekt nicht übereinstimmen.
Im weiteren Verlauf des Auszuges fällt dem Leser Leos Verwunderung über die
Tatsache auf, dass Emmi als verheiratete (und dazu noch “glücklich verheiratete”)
Frau mit anderen Männern E-Mails austauscht (S. 36). Daher möchte Leo wissen,
für wie eng Emma die Beziehung zwischen ihnen hält. Und das ist ein weiterer
Beweis dafür, dass die Kommunikation immer auf 2 Ebenen passiert. Dies sagt er
auch nicht explizit, es lässt sich jedoch zwischen den Zeilen lesen. Das lässt sich
ebenfalls als ein Beispiel vom intransparenten Verhalten bezeichnen, was zur
Verschärfung des Misstrauens führt und dementsprechend den Konflikt zwischen
den beiden zuspitzt. Danach wird das Gesprächsthema von Emma gewechselt. Nun
möchte sie mehr über Leos Liebesleben erfahren: “Der wievielte Bruchteil Ihrer
Marlene-Verarbeitungstherapie bin ich eigentlich?"(S. 36). Durch diese Aussage
wirkt Emmi eifersüchtig, weil Leo vorerst geschrieben hat: “...verheiratete Frauen…”
(S. 36), was so interpretiert werden kann, dass Leo weitere Frauen in seinem Leben
hat und Emmi nicht unentbehrlich für ihn ist. Außerdem steckt in dieser Nachricht
die Neugierde von Emmi darüber, für wie besonders Leo sie hält und was für eine
Rolle sie in seinem Leben spielt. Diese E-Mail klingt aus Leos Perspektive jedoch
wahrscheinlich nicht neugierig, sondern verärgert und provokativ.
In ihrer nächsten E-Mail schreibt Emmi: "Meine Sieben-Punkte-E-Mail vom
vergangenen Montag tut mir aufrichtig leid."(S. 36). Somit entschuldigt sie sich,
woraufhin sie eine Menge Fragen zu Leos Ex-Freundin stellt. Dabei verfolgt sie eher
die Absicht, Leos Frauengeschmack zu erkunden, um herauszufinden, ob Emmi in
dieses Spektrum passt und Leo gefallen würde. Ihre Intention ist dennoch als pure
Neugierde getarnt. Dass jede Kommunikation einen Inhalts- und einen
Beziehungsaspekt laut Paul Watzlawicks hat, ist hiermit sehr gut veranschaulicht.
Daraufhin weigert sich Leo, ihre Neugierde zu befriedigen, wodurch er eine gewisse
emotionale Distanz zwischen ihnen schafft. Dies tut er wohl, weil er die
Erinnerungen an seine Ex-Freundin nicht wiederbeleben möchte, um alte
Emotionen nicht hochkommen zu lassen.
Im weiteren Verlauf des Austausches fragt Emmi, ob Leo das Interesse an ihr
aufgrund ihres Beziehungsstatus verloren hat. An dieser Nachricht und ihrer
offensiven Gestaltung (“...seien Sie wenigstens “Manns genug”, mir das zu sagen”, S.
38) erkennt die Leserschaft, dass die Protagonistin mehr als rein freundschaftliche
Gefühle für ihren Kommunikationspartner entwickelt hat. Somit ist sie besorgt, dass
Leo das Interesse an ihr verloren haben könnte und ihre Gefühle nun unerwidert
bleiben könnten.
Weiterhin versucht Emmi vergeblich, Leo zu erreichen. Sie möchte unbedingt eine
Rückmeldung zu ihrer vorherigen E-Mail bekommen, um sich zu vergewissern, dass
ihr Gesprächspartner sich für ihren virtuellen Austausch immer noch interessiert.
Nach drei Tagen kommt Emmas verletzter Stolz endlich an die Oberfläche, was
mithilfe ihrer knappen E-mail “Arschloch!”, (S. 38) festzustellen ist. Aus Emmis
Perspektive bleiben die Gefühle einseitig, da Leo seine Sichtweise immer noch nicht
mitgeteilt hat.

Aufgrund der angeführten Beispiele und deren Analyse lässt sich die Hypothese über
die gestörte Kommunikation zwischen den Hauptfiguren des Romans im
vorliegenden Abschnitt bestätigen.
Hiermit ist festzulegen, dass sich die gestörte Kommunikation aus der Tatsache
ergibt, dass die Ausführung und das Verständnis eines jeden Kommunikationsaktes
darauf zurückzuführen sind, wie wir den Inhalts- und den Beziehungsaspekt des
Gesagten bzw. des Geschriebenen interpretieren können. Das kann sehr wohl stark
von unseren Erfahrungen, Ausbildung und Erziehung abhängen.

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