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Sofia Beneventi

Kommentar zum Brief 4. Dezember

Um einen Brief aus dem Buch Die Leiden des jungen Werthers zu analysieren, ist es
notwendig, sofort auf das Datum zu achten. Das hilft, um zu verstehen, nicht nur in
welchem Zeitpunkt der Geschichte der Abschnitt sich befindet, sondern auch Werthers
innere Zustand. Der Brief aus 4. Dezember steht also ganz am Ende des Romans, der
kurz vor Weihnachten mit Selbstmord des Protagonisten endet. Interessant ist auch zu
bemerken, dass Werthers Seelenzustand das Zeitalter und die Natur widerspiegelt: als
das Buch im Mai, also im Frü hling, beginnt, ist er glü cklich und voller Kraft. Hier im
Winter ist seine Geistesverfassung wegen seiner unerwiderten Liebe zu Lotte depressiv
und ü berwä ltigend geworden. Diese sehr romantische Entsprechung soll die
Identifizierung des Lesers mit dem Protagonisten verhindern und ihm verstä ndlich
machen, dass die Geschichte nur Fiktion und Literatur ist. Im Text lä sst sich also den
Wortfeld der Verzweiflung anerkennen: „Thrä nen“, „dü stern Zwischenrä ume des
Verdrusses“, „fehlgeschlagenen Hoffnungen“, „mein Herz erstikte“, „krank“, „Elend“. Die
wichtigsten Themen des Briefes sind also einseitige, leidenschaftliche Liebe und
depressive Zustand; zwei Elemente, die eng verknü pft sind. Diese zwei Begriffe sind
auch der Kernpunkt des ganzen Werkes; man soll aber berü cksichtigen, dass Goethe
sich mehr fü r Werthers tragisches Schicksal als fü r die Liebesgeschichte interessierte.
Das ist der Grund, weil das Buch gleichzeitig so kritisiert und so beliebt war: Einige
dachten, die Verzweiflung eines Mannes kö nnte nicht als Stoff fü r einen Roman gelten,
andere fanden das sehr einnehmend und waren begeistert. In diesem Brief wird
Werthers Verzweiflung durch sehr eindeutige Formulierungen ausgedrü ckt, die auch als
Vorwegnahme des Suizids gelten: „mit mir ist's aus“, „Ich trag das all nicht lä nger“, „sie
sind sehr krank“, „Gott! du siehst mein Elend, und wirst es enden“. Das Wort „krank“ ist
ein Schlü sselwort, das wir in mehrere Briefe befinden: die peinige Liebe wird als eine
Krankheit aufgefasst und die einzige mö gliche Lö sung scheint Selbstmord zu sein. Noch
einmal sollten die Hinweise zum Ende des Romans als Warnung gelten und eine Distanz
zum Leser schaffen. Was die Beziehung zu Lotte betrifft, sind hier einige Leitmotive zu
sehen. Sie haben ein enges Verhä ltnis, Werther ist wie Teil Lottes Familie; die Szene
spielt tatsä chlich im Haushalt. Wie es oft der Fall ist, spielt einer der beiden Klavier:
Musik gehö rt Werthers Kunstwelt und sie kann ihn noch trö sten. Die Ausdrucke
„himmelsü sse Melodie“ und „Trostgefü hl“ sind die einzigen im ganzen Text, die eine
positive Konnotation haben. Im Roman stellt Musik die Phantasie dar, die in der Ehe
zwischen Lotte und Albert fehlt. Im Verlauf des Romans haben wir keine Behauptung,
dass sie in Werther verliebt ist; wahrscheinlicher handelt es sich nur um gute
Kameradschaft und sie will sich als Mä dchen der Bourgeoisie anstä ndig verhalten. In
diesem Brief fragt sie ihn ganz explizit: „Gehen sie!“, weil Werthers Gefü hle zu extrem
geworden sind. Ein anderes wiederkehrendes Thema ist Werthers gute Verbindung zu
Kindern. Er spielt gern mit Lottes Geschwister (hier: „Ihr Schwestergen puzte ihre
Puppe auf meinem Knie“) und er fü hlt sich wohl. Kindheit symbolisiert Unschuld,
Freiheit von Konventionen und Neugier; alle Eigenschaften, die auch bei Werther zu
erkennen sind, und die ihn mehr wie ein Kind als wie ein Erwachsener machen.
Schließlich ist die Beziehung zu Gott, die dreimal genannt wird, ein Nebenthema des
Briefes. Fü r die Sturm und Drä nger ist die dreieckige Konstellation zwischen Mensch,
Gott und Natur besonders wichtig. Hier wendet er sich direkt an Gott, um seine
Verzweiflung kraftvoller auszudrü cken.
Analysieren wir jetzt die Sprache des Briefes; viele stilistische Eigenschaften der
Periode des Sturm und Drangs sind zu bemerken. Der wichtigste Element ist die Anzahl
von Ausdrü cke, die zum Wortfeld der Gefü hle gehö ren: „Thrä nen“, „Trostgefü hl“,
„fehlgeschlagenen Hoffnungen“, „Erinnerung all des Vergangenen“, „mein Herz erstikte“,
„durch die Seele gieng“, „beruhigen sie“. Alle diese Formulierungen tragen dazu bei, die
sogenannte Gefü hlssprache zu schaffen. Die Stü rmer und Drä nger wollten auf den
Mangel von Leidenschaft und die exzessive Rationalitä t der Aufklä rung reagieren.
Deshalb lassen sie sich von der Empfindsamkeit und dem religiö sen, leidenschaftlichen
Wortschatz der Pietismus inspirieren, um Gefü hle auszudrü cken. Andere Beispiele des
Still der Sturm und Drang sind die Redeabbrü che, die von Gedankenstrichen markiert
sind, die rhetorischen Fragen („Was willst Du?“) und die zahlreichen Ausrufezeichen -
fü nf insgesamt. Diese literarische Technik hat das Ziel, die Intensitä t der Leidenschaft
des Protagonisten zu zeigen. Diese wird durch den Ausdruck “heftigen Ausbruch” noch
deutlicher. Die kurzen Sä tze und die vielfä ltigen Kommata drucken die Zerbrechlichkeit
der Gedanken und die unglä ubige Kraft seiner Leidenschaft aus. Die Sprache wird auch
durch die steigende Aufzä hlung in der Mitte des Briefes und durch Adjektive wie “sehr”
und “all” - sieben Mal wiederholt - verabsolutiert. Diese stilistische Technik soll
Rhythmus schaffen, die Stä rke der Gefü hle betonen und fü r den Leser sehr einnehmend
sein.

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