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Die Sirenen

nach ihrer

Bedeutung und k ü n s t l e r i s c h e n Darstellung

im

Alterthum.

Von

Hermann Schräder,
Dr. pliil.

B e r l i n ,

Druck und V e r l a g v o n Georg Reimer.

1868.
Johannes Classen,

Otto Jahn

zugeeignet.
Ursprung und weitere Entwickelung

Begriffes der Sirenen.


Einleitung.

U n s e r Urtheil über die G r u n d b e d e u t u n g der Sirenen und


den Zusammenhang zwischen dieser und ihrer späteren Entwicke-
lung ist durch den nebelhaften Charakter, den sie in der ältesten
derZeit nach zu fixirenden Darstellung, in der O d y s s e e ' ) , tragen,
äusserst erschwert.
Der Wind hat das Schiff des Odysseus in die Nähe der Insel
der Sirenen getragen. Hier legt er sich, die Segel hangen schlaff
an den Raen, die Welle wird glatt und ruhig, von einer Gottheit
eingeschläfert. Auf der Insel sitzen auf blumiger Wiese die beiden
Sirenen, rings um sie ein Haufe von bis auf die Knochen') ver-
wesenden Männern, deren Haut rings herum einschrumpft. Wie die
Unglücklichen umkommen — man weiss es nicht. Die Sirenen,
die göttlich singenden, bezaubern alle Menschen, die zu ihnen
kommen, mit helltönendem Gesänge; wer in Unkunde sich ihnen
nähert und ihre Stimme hört, sieht Weib und Kind nie wieder.
Selbst Odysseus, der vielerfahrene, widersteht nur durch den Rath
der Kirke: nur die Banden, die ihn an den Mast fesseln, halten
ihn a b t dem Gesang zu folgen und zu hören, was die Griechen
und Troer erduldet und was sonst auf der weiten Erde geschieht,
um froh der genossenen Lust und reicher an Wissen heimzukehren.
Dieses dunkle und durch die eigenthümliche Mischung von
Lust und Verderben fesselnde Abenteuer des Odysseus hat das
spätere Alterthum theils erweitert theils zu erklären versucht. S o -
p h o k l e s liess seinen Odysseus erzählen:

.') p 3 9 - 5 4 , 166 — 196.


2
) B e r n a y s bei D r o n k e , das homerische Suffix tpiv, Rh. Mus. IX, S. 621.
1*
— 4 —

„Ich k a m zu den Sirenen,


„ d e s P h o r k o s Töchtern, die des H a d e s W e i s e n t ö n e n , "
und g a b also schon eine Genealogie der geheimnissvollen Wesen,
j e d o c h eine so unbestimmte (s. Abschn. II.), dass es k a u m damit im
Widerspruch ist, w e n n sie bei E u r i p i d e s Töchter der E r d e g e n a n n t
w e r d e n , w ä h r e n d in der alexandrinischen Zeit der Fluss Acheloos
als ihr Vater, als ihre Mutter eine Muse erscheint.
In dieser Zeit sind es nicht m e h r , wie noch bei Sophokles,
zwei, sondern drei an Z a h l , P a r t h e n o p e , L e u k o s i a und L i g e a ,
k u n d i g der Weisen ihrer Mutter, d e r Muse, h a l b J u n g f r a u e n , halb
Vögel; sie hausen auf hoher Klippe, von der sie sich, d a Odysseus
unverfuhrt an ihnen vorbeifährt, nach dem Willen des Schicksals
ins Meer stürzen; die Fluth t r ä g t i h r e Leichen a n die italische
Küste, wo sie bestattet und verehrt werden.
Schon bei A p o l l o n i o s d e m ß h o d i e r sehen wir in der Angabe,
dass die Sirenen die an ihrer Insel L a n d e n d e n hinschwinden lassen,
Trjxsdövt cpüivviyovoai, einen schwachen Versuch, die W i r k u n g der-
selben zu e r k l ä r e n . Dies tritt begreiflicherweise in ungleich s t ä r -
kerem Maasse im Kreise der a l e x a n d r i n i s c h e n G r a m m a t i k e r
hervor, die ausserdem auch N a m e n , Gestalt und Wohnsitz derselben
sowie die B e d e u t u n g ihres Wesens in den Kreis ihrer Untersuchun-
gen zogen. Diese Untersuchungen mussten jedoch, ebenso wie die
u n s r i g e n , auch einzelne völlig selbständige M y t h e n , die mit den
h o m e r i s c h e n Sirenen in gar keiner Verbindung zu stehen schei-
n e n , berücksichtigen, sowie auch die Vorstellungen, die sich von
ihnen im L a u f e der Zeit gebildet hatten, auf ihren G r u n d z u r ü c k -
zuführen suchen.
So d e n k t E u r i p i d e s sich die Sirenen, die Töchter der E r d e ,
geflügelt, mit „befiederten S c h w u n g s o h l e n " , die Flöte oder Syrinx
in k l a g e n d e n Weisen spielend, und ganz diesem Bilde entsprechend
bezeichnet der K o m i k e r A n a x i l a s ein von der Natur vernachlässig-
tes Mädchen als eiue „ g e r u p f t e S i r e n e " , mit „ B l i c k u n d S t i m m e
e i n e s W e i b e s , a b e r d e n S c h e n k e l n e i n e s S p e r l i n g s " , eine
D a r s t e l l u n g s a r t , die auch auf K u n s t w e r k e n häufig hervortritt, die
d a n e b e n a u c h die Gestalt vollkommen schöner W e i b e r , sowie d e n
Leib eines Vogels mit weiblichem Haupte, zuweilen auch weiblichem
Überkörper, zeigen.
Dieselbe Mannigfaltigkeit zeigt sich in den verschiedenen, in
d e r homerischen Schilderung nicht liegenden M y t h e n , die sich an
diese W e s e n anschliessen: das Abenteuer der A r g o n a u t e n ist
freilich zum grössteu Theil nichts a l s eine U e b e r t r a g u n g des
— 5 —

Abenteuers des Odysseus auf einen andern Kreis, ganz selb-


ständige, nur später zum Theil mit dem Kreis der Odyssee ver-
knüpfte Mythen sind es dagegen, wenn sie als G e s p i e l i n n e n d e r
P e r s e p h o n e erscheinen, die sie vor dem Raub durch Pluton be-
gleiten, oder im S t r e i t m i t d e n M u s e n , die ihnen zur Strafe die
Federn entreissen — ein Vorgang, der nach der Stadt Aptera auf
Kreta verlegt wird. Rechnen wir noch hinzu, dass sie auch dem
C u l t u s nicht fremd, sowohl als selbständige Wesen verehrt, als
auch mit dem der Here verbunden wurden, ferner dass sie in ver-
schiedener Anzahl und in verschiedener Auffassung — als Sänge-
rinnen, mit Flöte, Leyer, Syrinx, sich das Haar ausraufend — als
S y m b o l d e r T o d t e n k l a g e erscheinen, daneben als b e g e i s t e r n d e
und den Musen an die Seite zu stellende Wesen, j a schlechthin als
Bezeichnung der Sanges- und Redekunde, bei Plato sogar m i t d e r
S p h ä r e n h a r m o n i e verknüpft, andrerseits als Symbole der V e r -
f ü h r u n g , des Sinnenreizes, t r ü g e r i s c h e r Weisheit, gleiss-
n e r i s c h e r u n d b e t h ö r e n d e r R e d e , der S c h m e i c h e l e i , so lässt
sich nicht verkennen, dass zu dein nebelhaften Bilde der Odyssee
noch eine ausserordentliche.Mannigfaltigkeit der Vorstellungen oder
eine seltene Dehnbarkeit und Verschwommenheit der Begriffe spä-
terer Zeit hinzukömmt, Umstände, die sowohl eine sichere Ergrün-
dung des ursprünglichen Wesens und der Fortentwickelung dessel-
ben als auch die unzertrennlich damit verbundene, nicht allein
beschreibende, sondern die verschiedenen Gattungen des Kunststils
zergliedernde und gruppirende Betrachtung der plastischen Dar-
stellungen ausserordentlich erschwert haben.
Unter diesen Umständen ist es unerlässlich nothwendig, bei
der Feststellung der Bedeutung der Sirenen einen streng histori-
schen Gang einzuschlagen. Es muss vor allem andern untersucht
werden, ob und inwiefern die anscheinend älteste Darstellung, die
der Odyssee, für die ursprungliche zu halten ist, und inwiefern
wir aus dieser die Bedeutung der Sirenen Uberhaupt festzustellen
vermögen. Hiermit sind sodann die Vorstellungen späterer Zeit
zusammenzustellen, und es ist zu zeigen, inwiefern sie in der ur-
sprünglichen oder auch der homerischen Anschauung schon enthalten
waren oder als Erweiterungen derselben anzusehen sind.
— 6 —

I.

Ursprünglicher Begriff der Sirenen. Homerische


Ausschmückung.
Dass die h o m e r i s c h e S c h i l d e r u n g den meisten Untersuchun-
gen über den Begriff der Sirenen als Ausgangspunkt gedient hat,
ist bei der grossen Schönheit derselben begreiflich: ins Verderben
lockende, aller Dinge kundige Sängerinnen auf blumiger Insel des
Meeres — in der That ein schönes, die Phantasie in hohem Maasse
in Anspruch nehmendes Bild, das ausserdem in seinen Einzelheiten
Momente genug für einen Vergleich mit ähnlichen Schöpfungen
andrer Zeiten und Völker darbietet 1 ). Kein Wunder daher, dass,
wie schon das Alterthum den Klang der Wellen am Ufer oder in
den Engen des Meeres in ihnen verkörpert sah l ), und ihren .Namen
von der Gewalt ihrer Worte 3 ) oder ihrer Verlockung 4 ) herleitete,
auch die neuere Forschung sich zum grossen Theil zunächst an
das Bild, das die Odyssee vor uns aufrollt, gehalten und in ihnen
bald verlockende und verfängliche Musen der See erblickt h a t ' ) ,
bald allwissende und durch magische Kraft des Gesanges wirkende
Zauberinnen, Töchter des Sonnengottes (SeiQfjveg von aeig, vgl.
S. 12) 6 ), oder ein einfaches Schiffermärchen 7 ) oder den zu einem

') Vergleichungen mit Schwanjungfrauen, Nixen, der Loreley u. a. w. bie-


ten sich von selbst dar. In anderem Sinne verglich S c h w a r t z , Ztschr. f.
Gymnasialwes. X V I I , S. 465 ff. die Sirenen mit dem Hraesvelgr der Edda,
vgl. S. 14.
2
) B u s t . zu (U, S. 1709, 38. S u i d . £ttofjvas: o äi ¿i.rj9fii Xöyog T O Ü T O ßou-
Xnai, ttvcii TOTIOVS rivcts üai.ajiiovs, (f oig ftj.ißoluevov ro QÜ&QOV XiyvQciv riva
(j tovtjv cmoSCäuiaiv, {¡; tnaxouorits oi 7iai>anXio%nti l/untojtvouoi TKJ eavTtöv
xpvjrttg TW (itufjciTi xcu a'vTavÖQOi avv jccTg vavah' anölluvjcti.
3
) E t . M. und G u d . : 2III(IRJV 7I«QCI TO TLGAT, TÖ MYCO. Ebenso H u m b o l d t ,
Kosm. III, S. 208, wozu F r a n z den Zusatz macht: „ V o n einer Wurzel, wel-
che den fliessenden Ton des Naturphänomens darstellt".
4
) F u l g e n t . Myth. II, 11, der sie als illecebrae amoris definirt, sagt:
nam denique et Sirenes dictae sunt, avaitv enim üraece trahere dtcitur.
5
) P r e l l e r , gr. Myth. I, S. 481.
c
) H ä r t u n g , Rel. und Myth. d. Gr. II, S. 140.
') Ausser C r e u z e r bei Schorn zu Tischbein's Homer nach Ant., Heft 8,
2, S. 23 ff., der dasselbe später durch ägyptischen Einfluss allegorisch aufge-
— 7 —

solchen verkörperten ethischen Begriff, dass das Meer und das


Seeleben wohl anziehen könne, dass zuletzt aber dem Schiffer, wenn
er sich nicht davon losmachen könne, der Untergang in den Wellen
gewiss sei 8 ). Eine andre E r k l ä r u n g " ) sieht in ihnen prophetische
Sängerinnen der schwülen, unfruchtbaren Meeresbrandung, die durch
ihren mit oeiga in Verbindung zu bringenden Namen als „fesselnde
Götterwesen" 10) bezeichnet w ä r e n , indess, der älteren Ableitung
von dem semitischen shir 1 ') zu geschweigen, in diesem andrerseits
durch Vermittlung des Sanskritstammes svar , i ! ) die Kraft des Ge-
sanges gefunden wurde, Versuche, denen gegenüber bis jetzt völlig
vereinzelt die K l a u s e n ' s c h e Erklärung (Abent. d. Od., S. 49) da-
steht, nach welcher sie für Dämonen der Verwesung zu halten
w ä r e n , die der Wirkung des Sirius vergleichbar in Sonnengluth
und Windstille das Herz und den Leib mit ihrem Gesänge zer-
schmelzen und in Staub zerfallen lassen.
Da es jedoch mindestens fraglich erscheinen muss, ob alle im
Obigen kurz hervorgehobenen Seiten ihres Wesens, die klagenden
Weisen der Töchter der Erde, der ihnen als solchen — nach andrer
Ansicht als verlockenden Wesen — angewiesene Platz auf Grab-
monumenten, ihre Verbindung mit Persephone, ihre Abstammung
von Acheloos, ihre jedenfalls alte Verbindung mit Here und vor
allem andern ihr selbständiger Cultus einzig und allein von den
auf einer Insel des Meeres und n u r auf dieser (// 4 0 : o TS ocpeai;
elga(pUi]zai) Gefahr und Tod drohenden Sängerinnen hergeleitet
werden können, so ist es begreiflich, dass man ihre Bedeutung zu
erweitern gesucht h a t , indem man mit den für wesentlich gehalte-
nen Zügen der homerischen Schilderung, ihrem Walten auf dem
Meere und ihrem Gesänge, Dinge verband, die in dieser keineswegs
hervortreten, jedoch die Vermittlung zwischen dieser und den übri-
gen Seiten ihres Wesens zu bilden scheinen, wie von G e r h a r d
(gr. Myth. § 363, 3 c. § 553), der sie an „die fast gleichnamige

fasst werden lässt, N i t z s c h , Anra. z. Od. III, S. 368. S c h w e n c k , Myth,


d. Gr., S. 332. S c h e n k l , Ztschr. f. österr. Gymn. 1865, S. 225.
8
) W e I c k e r , gr. Götterlehre III, S. 164.
9
) G e r h a r d , gr. Myth. § 5 5 3 .
,0
) Ebenso D o d e r l e i n , Horn. Gloss. II, 531. C e r q u a n d , les Sirenes,
rev. arch. 1864, II, S.289. — G e r h a r d , A. V. I, S. 99, 126, sucht die Ver-
wandtschaft mit oapri zugleich mit o u y a l v n v , austrocknen, in Verbindung
zu bringen.
n
) B o c h a r t , hieroz. II, 6, 8.
I2
) B e n f e y , Wzll. I, 461. C h r i s t , gr. Lautlehre, S.257.
— 8 —

Meer-, Höhlen- und Todesgöttin Aphrodite Zerinthia oder Zeiren"


anschliesst , 3 ), und von H. D. M ü l l e r (Ares, S. 112) geschehen,
der in ihnen eine dem Hades angehörige Verkörperung der
Todtenklage erblickt. Andre haben in den Sirenen der Odyssee
nur die Ausschmückung und poetische Verwerthung einer nicht
griechischen, sondern orientalischen, entweder ägyptischen, oder ur-
sprünglich assyrischen, dann Uberhaupt vorderasiatischen Gestalt
gesehen. So erklärte S c h o r n a. a. 0 . Sirenen, Jyngen und Kele-
donen für verschiedenartige Ausbildungen persisch-ägyptischer My-
then; C r e u z e r liess das ursprünglich griechische Schiffermärchen
später durch ägyptische Vorstellungen beeinflusst werden, und nach-
dem R a o u l R o c h e t t e das Wesen der Sirenen ebenfalls aus Aegypten
herzuleiten versucht hatte, hat es kürzlich W i e s e l e r in seiner Schrift
sopra alcune rappresentazione del ciclo della Venere Orientale (in
den nuove memorie dell Inst.) unternommen, dieselben in nahe
Verbindung mit gewissen Seiten der Aphrodite zu bringen und
gleich diesen aus Assyrien herzuleiten.
So wenig auch dieser nicht griechische Ursprung trotz einiger
der äussern Gestalt nach verwandten Erscheinungen, die sich bei
den gedachten Völkern finden, bis jetzt für mehr als eine noch
keineswegs begründete Vermuthung gelten kann, so sehr ist die
bei diesen Ansichten thätige Empfindung anzuerkennen, dass sich
a l l e Seiten der griechischen Sirenen aus dem Bilde, das uns Homer
von ihnen gibt, nur gezwungen erklären lassen, oder doch nur
so, dass wir eine Reihe von Ideen mit ihnen verbinden, die bei
Homer schlechterdings nicht hervortreten. Nicht minder liegt in
der vorher erwähnten Erweiterung des homerischen Bildes mit Bei-
behaltung der besonders hervortretenden Züge desselben ein Ge-
danke, den zuerst klar und deutlich ausgesprochen zu haben
W e l c k e r ' s Verdienst ist, dass wir nämlich, wenn auch die Odyssee
unsere ..älteste Urkunde über die Sirenen abgibt, doch keineswegs
berechtigt sind, die „Schiffermäre" selbst ohne Wendung und Zu-
satz des Dichters vorauszusetzen (S. 162), ohne dass W. freilich in
seiner Definition der Sirenen die Tragweite dieses Gedankens
praktisch verwerthet hätte.
Consequenter gingen von demselben Gedanken S c h w a r t z und
C e r q u a n d aus, von denen ersterer in den Sirenen S t u r m v ö g e l

13
) Früher schon K l a u s e n , Aen. 1,499; ähnlich a u c h W e l c k e r , S. 164:
„das Anziehende und Bezaubernde bedeuten die Sirenen, wenn Aphrodite einmal
Zn()iji'ij genannt wird".
— 9 —

erblickte, die mit dem Blitz in Verbindung zu bringen wären, letz-


terer geheimnissvolle, entnervende und durch Entkräftung tödtende,
d e r W i n d s t i l l e g l e i c h zu s e t z e n d e W e s e n 14), deren Bezeich-
nung er wie schon andere vor ihm durch eine Vergleichung mit
aeiQtt zu erklären sucht.
So richtig übrigens der zuerst von Welcker deutlich ausge-
sprochene, in der That jedoch schon früheren Ansichten zu Grunde
liegende Satz ist, dass die Odyssee uns nur das relativ älteste 15)
Bild der Sirenen darbietet, das möglicherweise schon sehr viele
Ausschmückungen erfahren haben kann, so ist trotzdem für die
Ergründung des ursprünglichen Begriffes von dieser homerischen
Darstellung auszugehn; denn wenn auch die Empfindung, aus wel-
cher u. a. der Cultus der Sirenen hervorgegangen ist, älter ist als
ihre Einkleidung in die Form, der wir bei Homer begegnen, so
kann sie doch unmöglich als Anhalt für die Erforschung des ur-
sprünglichen Begriffes dienen, da sie eben mit diesem Begriffe zu-
sammenfällt. Für diese Erforschung ist vielmehr jene poetische
Schilderung zu Grunde zu legen, freilich überall mit dem Bewusst-
sein, dass manches in derselben nur Ausschmückung eines Aelte-
ren, Einfacheren und vielleicht weniger deutlich Ausgeprägten
sein kann.
Den eigentlichen Kern der homerischen Schilderung zu finden,
erleichtert uns aber der N a m e der Sirenen, der mit ihrer W i r -
k u n g übereinstimmt.
Die Art und Weise dieser Wirkung wird von den Alten aus
verschiedenen Ursachen erklärt, die zum grössten Theil keiner
Widerlegung bedürfen 16 ). Unter diesen Versuchen zeichnet sich
jedoch durch strenges Festhalten an der homerischen Schilderung
mit Vermeidung aller in dieselbe erst hineingetragenen Anschauun-
gen die des P a u s a n i a s aus (X, 6 , 3 ) : nv&eo&ai yaQ öi) ra o>]-
7tof.t£va ol tots s'Xeyov, xai zovde svsxa "0(.trjQog nenoirjxiv, wg >j
T(öv 2ei()r/vi0v vijoog avänlewg oazaiv eir], oti ol r f j g lydrjg alxüv
axovovveg envSovxo Nicht dass die vom Gesänge
av Ö-Q co n oi.
der Sirenen Bezauberten s t e r b e n , hebt die Odyssee hervor, son-
dern dass sie v e r w e s e n , nicht ein Haufe von Gebeinen liegt um

w
) S. 289, 6: »les Sirènes sont le calme sous le vent des hautes falaises
et des îles".
1S
) Ueber die hierfür besonders wichtige, bisher nicht genug gewürdigte
Bedeutung des Cultus derselben s. w. u.
") Yergl. Abschn. III a. E.
— 10 —
die geheimnissvollen Wesen herum, sondern ein Haufe v e r w e s e n -
d e r Männer,
noXvg ó' è[up òazeóq>iv d-ìg
¿vdgioi' nv9o[iéi>iov, tisqI dè Qtvoi /.iivv&ovaiv,
eine so e i g e n t ü m l i c h e und mit den unwiderstehlichen LockuDgen
der Sirenen, die Homer hervorhebt, so sehr im Widerspruch ste-
hende Erscheinung, dass man ohne Frage berechtigt ist, in ihr einen
uralten Zug des Mythos zu erkennen (wie auch S c h w a r t z S. 466).
Kein Sturm droht a n der Insel der Sirenen dem Schiffer Ge-
f a h r ; in ihrer Nähe legt sich der Wind, der das Schiff des Odysseus
hierher g e t r a g e n :
a vx ix ensir' ave fing /.lèv ènavoazo i]óè yahprj
etcXexo vt]i>£/.urj • xoi'firjae de xvftaza daifitov,
vollkommen im Einklang mit dem Bilde langsamer Verwesung, die
kein frischer Luftzug stört, so sehr im Einklang mit ihm, dass
H e s i o d , dessen Worte wir ohne Bedenken für die der homerischen
Schilderung zu entnehmende Grundbedeutung zu Hülfe nehmen
können, selbst die Winde von den Sirenen bezaubert werden Hess "),
eine Uebereinstimmung, die wenig zu Gunsten der Ansicht von
Nitzsch spricht (S. 3 9 1 ) , nach wclcher mit v. 169: xolfiìjos òè
(.taxa óaiitiov eine Thätigkeit der Kirke '") bezeichnet wäre.
Die W i r k u n g der Sirenen ist also die Verwesung, so dass Klau-
sen S. 46 sie nicht mit Unrecht D ä m o n e n d e r V e r w e s u n g ge-
nannt h a t , ohne damit freilich den letzten Grund ihres Wesens zu
erschöpfen, der sich in einer weniger verschwimmenden, mehr ur-
sprünglich - v o l k s t ü m l i c h e n Form ergründen lässt, die es zugleich
erklärlich macht, wie Wesen ihrer Art eine Stelle im Cultus ge-
funden h a b e n , was für Dämonen der Verwesung, wie etwa Eury-
nomos, schwer zu begreifen sein würde.
So irrig der Versuch K l a u s e n ' s war (Abent. d. Od. S. 45), den
mit Recht athetirten Vers:
ahfjct ö' laivero xrjQng, ènei xélszo (.isyäXrj ig
— 'HeXiov z avy/j ' YiceQiovlöao avaxzog (ß 176)
dazu zu benutzen, auf brennende Hitze in der Nähe der Sirenen-
insel zu schliessen, so bedeutungsvoll ist der von ihm gegebene

") S c h o l . ¡j 168 Q V. E u s t . 1710, 40.


I8
) Vielmehr steht <fu(yn>v hier in demselben unbestimmten Sinne, wie in
dem von Nitzsch selbst angeführten Verse k 586:
n/iff'l 77ogoi
yuitt /lO.aivit (jartay.t, Y.aiaCijVitaxi <Se dttifliov.
— 11 —

Hinweis auf die Verse des Hesiod, in welchen es von den von
H e r a k l e s Bezwungenen heisst ( a a n . 151):
küv xal xpvxal f.isv x&ova dvvova '^idog slow
avTiov oaxsa de acpi nsgi qivolo aaneiarjg
2£IQIOV a^alsoio xekaivfj nv&exai aYrj,
eine Stelle, deren Uebereinstimmung mit den Worten der Kirke ¡.i 45:
noXig <?' a(.i(p oox eöcpiv &ig
OCVÖQWV nvd-0/.teviüv, negi de qivol ¡.iivvO-ovotv
zu offenbar ist, als dass sie einer weiteren Ausführung bedürfte.
Zunächst freilich haben wir nur dort wie hier ein Bild des Ver-
wesens, doch gewinnt einerseits die oben hervorgehobene Thatsache,
dass die Verse der Odyssee die V e r w e s u n g , nicht schlechthin
den Tod schildern, durch diesen Vergleich eine neue Stütze, und
andrerseits ist es von Bedeutung, dass dieser Process bei Hesiod
dem Sirius, dem Bringer der G l u t h i t z e d e s S o m m e r s , zuge-
schrieben wird, wie auch sonst der natürliche Zusammenhang zwi-
schen beiden Erscheinungen in den Vorstellungen der Alten , a )
deutlich ausgesprochen hervortritt.
Bei diesem Zusammenhange muss es Aufsehen erregen, dass
der Name der Verwesung wirkenden SetQijvsg an den des
G e i g i n g , des Bringers der Hitze, anklingt, der als Urheber der-
selben W i r k u n g wie j e n e erscheint. Schon D a m m behauptete in
seinem Lex. Horn. S. BOOÜ: „diclae ^sigr/veg a> oetQtäv i. e. läfirtstv,
aozQctmeiv, a quo verbo et o ost(/iog aoxqQ nomen habet" ! o ); da
er jedoch trotz dieser Ableitung die fraglichen Wesen als „i)dovag
sv /xslsoiv, voluptatem aurium" erklärte, ist es kein Wunder,
dass dieser mehr instinctmässige als durch irgend welche Gründe
gestützte Vergleich lange Zeit völlig unbenutzt oder gar ver-
gessen geblieben ist. Erst K l a u s e n , S. 4 9 , k a m wieder auf den-
selben, indem er den Namen der Sirenen wie den des Sirius von
der „Schwule" verstand, „welche die Auflösung befördert". Es

10
) S o h e i s s t es in dem H y m n u s auf den P y t h i s c h e n Apollon v. 193 von
der P y t h o : IR/V J' CIVTOV xaiiflva TIQOR ¡ji vog 'Iii k(oi o,
und bei L y k o p h r o n , v. 3 9 6 , von der L e i c h e d e s A i a s :
il>»X(>6v J" tn lixiaTg (xßtßoanuivov vixvv
d'ei-qit'cg i'ixrlg Jffi(>Cov xmctvavt!.
20
) E t w a s Aehnliches findet sich schon bei T h e o n v. S m y r n a , de astr.
S . 202 (ed. Martin), wo die Sirenen in der P l a t o n i s c h e n V i s i o n des Uuiversums
(vgl. A b s c h D . I I . ) als P l a n e t e n a u f g e f a s s t , und als solche mit oaQtiiiav in Verbin-
dung gebracht werden: ctg [ZiiQrjvng) oi [iiv nuroug yaoi Itytrsttai loig n).itr>)i«g
DNO TOC aetytaCuv.
— 12 —

tritt hier freilich nicht deutlich hervor, inwiefern sich Name und
Wirkung decken, ob die Verwesungs-Dämonen selbst die Schwüle
ausüben oder nur unter der Herrschaft oder dem Beistande der
ihr langsames Werk unterstützenden Hitze thätig sind, doch ist bis
zur völligen Klarheit nur ein Schritt, der zugleich einen mytholo-
gisch fassbaren, für den Cultus verwendbaren Begriff und eine be-
friedigende Erklärung des Namens gewinnt.
Suidas führt ein Wort OEIQ'") mit der Erklärung ¡¡Xiog an.
Dies ist die primitivste uns erhaltene Form einer Reihe von griechi-
schen Wörtern, die sämmtlich den Begriff des Leuchtens und Bren-
nens haben und nach C u r t i u s , Grdz. S. 484, von dem Skrt. Stamme
svar ausgehen, in welchem dieselben beiden Bedeutungen liegen.
Beide Begriffe stehen einander als in vielen Fällen unzertrennliche
so nahe, dass es meistens eine überflüssige Frage ist, welcher von
beiden bei der lautlichen Fixirung- eines Begriffes thätig gewesen
ist, wie es andrerseits natürlich ist, dass bald die eine, bald die
andre Bedeutung in einem Worte überwiegt 24 ). So liegt in dem
Beinamen, den Euripides (Iph. A. 7) einem S t e r n e giebt —
Tig noi (xq aaxr\Q o<]c noQ&/.tsüsi,
AELQIOS eyyvg TF}g knxanoQov
nXeiadog aooiov ezt fi£aai]()Tjs; —
in der Bezeichnung der G e s t i r n e überhaupt als asLqia (schol. Ap.
Rhod. II, 517) und a e i Q f j v e s (Lex. rhet. bei Eust. S. 1720, 54),
vermuthlich auch in dem Zevg 2SIQI]V des Autimachos") (Et. M.
oeiQaiviü), deutlich der Begriff des L e u c h t e n s . Dagegen sind die
von Lykurgos (Harpokrat. S. 165, 6 Bkk. vgl. Phavorin. h. v.) a e i -
giva, sonst aeiQia genannten Gewebe, für welche sich bei Har-
pokration a. a. 0 . und Hesychios 2 ') die Bezeichnung aeiQrjvsg

21
) H ä r t u n g , B e i . u. Myth. d. Gr. II, S. 140,, geht ebenfalls auf att'n zurück,
sieht j e d o c h in den Sirenen „ Töchter des Sonnengottes, wie Kirke".
22
) D i e s e l b e Erscheinung bei verwandten Derivatis: ail.ni, ntll^m, eXürii,
serenus b e z e i c h n e n den G l a n z , 'ii.ri, tili;, ¿Xta (vergl. b e s o n d e r s (i 23. A r .
Eccl. 541) die W ä r m e . E b e n s o das Sskrt. surä (nach B o p p , gloss. Sanscrit.
p. 191) g l ü h e n d e s , berauschendes Getränk, die übrigen Derivata des S t a m m e s
svar G l a n z und L i c h t (die urspr. Bedeutung, vgl. S o n n e , Kuhn's Ztsclir. X I I ,
S. 358). D i e s e l b e T h e i l u n g derselben ursprünglich einander einschliessenden
Begriffe in den von G u r t i u s , Grdz. S. 356, auf Sskrit rad. ush zurückgeführ-
ten Wörtern jjai? (avtos), «¿¡(itov, r/p/, rjiQiog, aurora einerseits, andrerseits evw,
tva), avai, etüto, EVQOS, uro.
23
) D i e Oodd. miQivtt. S c h e l l e n b e r g (Antim. fr. L X X X I I , S.112) ZtlQtov.
24
) afiQrjves" ol Xtnioi xcii äiatf-artTs %iu3t>is. Ders. a d Q t j v (Alberti.
Cod.: aiiQt])' xcä l/uthiov äandihjTo)' Xtniöv.— D a g e g e n erscheint e s z w e i f e i -
— 13 —

findet, nicht g l ä n z e n d e , strahlende Gewänder, sondern für H i t z e


passende, etwa Sommerkleider 25 ), der ar^iog a s i g i o s i g bei Nonnos
(Dion. XII, 2 9 0 ) " ) ist der glühende Broden, die schwere SchwUle
des Spätsommers; Oros erklärt a e i g a i v w durch £ r j g a L v i o (Et. M.
h. v.), ebenso Tzetzes Lyk. 397 und Eust. 1720, 54. 1709, 56 OSIQISV
oder GEiQtd^siv (bei Eust. fälschlich OEtgateiv) durch Xä^ineiv
oder ^7]Qaivsiv. Alexander von Aphrodisias, probl. I, 98, gebraucht
aetQiäv im Sinne von Hitze haben, und die a e i g l a a i g genannte
Krankheit gibt Plinius, h. n. XXX, 135, durch a d u s t i o wieder.
Bei diesen Thatsachen kann es dahingestellt bleiben, ob K l a u -
s e n , S. 49, den Sirenen den N a m e n des Sirius, den er ebenfalls
als Bezeichnung der Schwüle versteht, mit Recht so unmittelbar
an die Seite gestellt hat. Es genügt, dass beide Wörter auf einen
gemeinsamen Stamm zurückweisen, in welchem der Begriff des
Leuchtens so wie der des Brennens liegt. Während bei dem Sirius,
der einerseits zwar „die Haut" (Hes. a a n . 397) oder „das llaupl
und die Knifee ausdörrt" (Hes. egy. 587), und den Vergil demge-
mäss als Sirius a r d o r " ) bezeichnet (Aen. X, 273), der andrerseits
jedoch auch als hell leuchtendes Gestirn erscheint (X 27), die Frage,
ob ni seinem N a m e n dieser oder jener Begriff ausgesprochen sei,

haft, ob das der Biene verglichene, W a c h s erzeugende Insect aei(>r}r ( A r i s t .


h . a . I X , 4 0 . A e l i a n . n. a. IV, 5. V , 4 2 . P l i n . h. n. XI, 48. H e s y ch. v. oneqr.
T z e t z . L y c . 653. S u i d . OHQ^V fiiv i/Mov ¿yyttlti x7>. ) m i t d e m B e g r i f f e von
Glanz und H i t z e in Verbindung zu bringen ist. Vielleicht ist d a s s e l b e , wie
es von B e n f e y , Wzl. I, S . 4 6 1 , geschehen, mit £(><->', Bienenstock, zusammen-
z u s t e l l e n , und den dem Sskrt. Stamme svri, svar (tönen zu vergleichenden
Wörtern anzureihen, in denen, wie in auyij'f ( C u r t i u s , Grdz. S. 318), aaJ.qrog
( B e n f e y , C h r i s t , gr. Lautl. S. 257) das T ö n e n ( B e n f e y „ Schwirren " )
hervortritt. Vgl. A r i s t . a . a . O . : ipftoy (oaiifjr) if' ö xalov/jti'o; ßofjßuho;,
f i i y i o i o s louTtov — U e b e r die Anwendung des Wortes ofiQqrfi in der L X X ,
der Vulg. und einmal auch bei H i e r o n y m u s ^Jes. X I I I , 22) für das hebr.
("DJ?1 0 1 3 3 > d a s daneben auch (richtiger) durch on>ovOoxnfj.rij.ot wiedergegeben
wird, s. B o c h a r t , hieroz. II. 6 , 8 , dem der zu dieser Anwendung beitra-
gende k l a g e n d e Gesang der Sirenen noch nicht bekannt war, und P i p e r ,
Myth. d. christl. Kunst, I, S. 381.
25
) H a r p o k r a t . a . a . O . : (%ncov) eviftzog TOT«, OIC taily o Xii\>iog. Der
V e r g l e i c h mit den atlQiva des Lykurgos macht diese Ableitung wahrschein-
licher als die von D o e d e r l e i n , hom. Gloss. II, 531, gegebene Zusammen-
stellung mit ¿Vjpfi und sericus, die ausserdem für die Zeit des Lykurg nicht
passend erscheint.
2i
) Vom Weinstocke: önnoit OfQfjitivfi ot öfnuytreog ii<i6/.iog ä^g
Sa).7iuiv oii Qii t vi i ntuctii'Ofifi'ijv d\ioaor tiTuo).
") Nachahmend C o l . X, 289 P r u d e n t . Cath. 12, 22.
— 14 —

eine miissige ist, muss es bei den unmittelbar die Verwesung aus-
übenden 2 e i g t ¡ v e g , bei denen das Moment des Leuchtens nirgends
hervortritt, nahe liegen, an d i e vom Stamme aslg ausgehenden
Wörter zu denken, welche den Begriff des G l ü h e n s und B r e n -
n e n s enthalten.
Wir sind also auf einem doppelten Wege, von der W i r k u n g
der Sirenen aus und von ihrem N a m e n , auf den Begriff des Glü-
hens, Brennens oder Ausdörrens, kurz der Hitze gekommen, und
bezeichnen die Sirenen als die B r e n n e n d e n , A u s d ö r r e n d e n " ) ,
lateinisch, wenn die Neubildung eines Wortes gestattet ist, etwa
Torredines.
Auch S c h w a r t z in seiner Schrift „die Sirenen und der nor-
dische Hraesvelgr" billigt (S. 474) die von Damm herrührende Zu-
sammenstellung mit aeiQiáw, freilich mit Zugrundelegung nicht,
y i e es hier geschehen, der Bedeutung des Brennens und Glü-
hens, sondern, wie es von Damm selbst ausgegangen, der des
L e u c h t e n s . So sind ihm im Zusammenhang mit seiner Ansicht,
dass die Abenteuer des Odysseus weiter nichts seien als eine
Uebertragung der Irrfahrten des Wolkenkahns durch das Wolken-
wassermeer auf die Erde, die Sirenen „leichenschwelgende Ge-
wittervögel, im Welterleuchten heranziehende leuchtende Sturmes-
vögel, die in den Blitzen sichtbaren dahinstürmenden Wolkenvögel",
dem in Adlersgestalt gedachten Hraesvelgr (Leichenschweiger)
2S
) Die F o r m 2h¡i¡,i- i s t , wie auch das Appellativum, unmittelbar von
der Wurzel ZEP (für ¿FEV, C u r t i u s , Grdz. S. 485) herzuleiten mit dem
sich auch in den übrigen derivatis fiudendeu epenthetischen i (Curtius a. a. 0.).
Die Endung -r¡v könnte den ihr zuweilen innewohnenden (vgl. Ipniji', ntv!)r¡v,
t¡í>r¡v, lnißr'iv, vielleicht auch (aar¡r) Participialbegriff haben. Freilich ist diese
Endung da, wo sie deutlich als Element der Wortbildung erscheint, bei
appellativis nur für masculina gebräuchlich (vergl. bei D i p h i l . S i p h n . bei
Ath. VIII, p. 355 B 7] ff uxig neben ó <jvxijv), und diese Bemerkung findet sich
auch bei dem besprochenen appellativum aeiQr¡r (Biene) so wie bei dem Zfvg
bestätigt. Jedoch ist bei der Bildung der nomina propria vor allen
Dingen das natürliche Geschlecht in Betracht zu ziehen, so dass ein Zn(>r¡v
als femininum ebensowenig Auffallendes h a t , als feminina wie f¡ <fciftn(i und
Deminutiva wie >) . d t ó r n o r . — Uebrigens zeigt sich das Bestreben, das weib-
liche Wesen auch durch die Endung des Namens näher zu bezeichnen, in
den späten und abgeleiteten Formen ati{ir¡víg ( T z e t z . chil. IX, 19) und dem
mit xijíij^ióv zusammen zu stellenden aitQr¡d<¿v ( S c h o l . Í 1 2 5 3 B M V , A u s o n .
Id. 11, 20. Dagegen ist die Form Sirena, die sich bei L u t a t . O a t . ap.
Philarg. Verg. G. IV, 564, G r o m . Y e t . p. 237, 1 und, freilich interpolirt, das.
p. 235 findet, eine nicht zu rechtfertigende und vermuthlich zu emendirende
Bildung.
— 15 —

der Edda vergleichbar, der in riesiger Gestalt am Ende des Him-


mels sitzt und mit seinen Fittigen Wind facht (Yafthrudnism. 37,
S. 162 Liining). Diese Ansicht, deren Hauptstütze in dem sich
hier der Besprechung entziehenden System liegt, in das sie einge-
ordnet ist, hat jedoch zunächst schon den Umstand gegen sich,
dass die Sirene, wie aus den plastischen Darstellungen hervorgeht,
nicht dem Bilde eines dahinstürmenden Wolkenvogels, vielmehr
eines fest und ruhig auf der Erde einherschreitenden hühner- oder
entenartigen Wesens entspricht, das kaum dazu geeignet erscheint,
sich einige Fuss Uber die Erde zu erheben, ein Widerspruch, der um
so gewichtiger ist, als diese vorwiegend auf die ältesten Vasenbilder
zurückzuführenden Gestalten nicht aus Homer selbst abgeleitet sein
können, sondern der auch diesem zu Grunde liegenden Quelle der
Volksanschauung entsprechen. Auch ist die Anschauung von leichen-
verzehrenden Sirenen keineswegs eine ursprüngliche und weit da-
von entfernt, die Ursache der vogelartigen Bildung zu sein (vgl.
vv. u.), sondern nur eine geschmacklose alexandrinische E r k l ä r u n g " )
des scheinbar dunkeln, jedoch aus der Natur der Sirenen sich von
selbst ergebenden Verderbens, das sie bereiten. Vollends würde
es unerklärlich sein, wie diese im Leuchten des Blitzes einher-
jagenden Sturmesvögel in chthonischen Verhältnissen eine so her-
vorragende Kolle spielen 3 0 ) und an der campanischen Küste einen
localisirten Cultus gefunden haben.

Hingegen ist das beängstigende Gefühl der S c h w ü l e des Sü-


dens stark genug gewesen, nicht allein mythische Gestalten, sondern
auch C u l t e verschiedener Art zu schaffen. Die Auffassung des
Sirius als Hund ist freilich nicht in dieser Weise, sondern aus der
Betrachtung des gestirnten Himmels und der Verbindung dieses
Sterns mit dem als Jäger gedachten ( ¿ 5 7 2 ) Orion hervorgegangen 3 1 ),
und die späteren Erzählungen, welche diesen Hund des Orion aus

" ) S c h o l . u 184 Q, vergl. D i o C h r y s . 32, p. 676. Ptolem. Hephaeat.


ap. P h o t . bibl. p. 489 Hoesch.
3 0 ) Die schwerlich durch Schwartz' "Worte, S. 4 7 5 : „ Ebenso ergibt sich
auch (nach der Erklärung des W e s e n s der Sirenen), wesshalb sie auch mit
dem — im Gewitter auftretenden Todtenreiche zusammenkommen", ihre E r k l ä -
rung gefunden hat.
31 ) B e i Homer, der den Namen Ztitjios überhaupt noch nicht kennt, X29:
ovre xvv 'iloiwvo; tnixkrtoiv xn/.ioi an\
vergl. H e s . op. 6 0 9 :
ivi' «)' <T 'ilQt'tov xctt ZtlQtOi ¿s fteaov elfly
ovQa vov.
- 16 -

a n d e r n Mythen herleiten " ) , sind n u r Versuche, das Aufsehen er-


r e g e n d e Bild des Hundes a u s den Mythen, in welchen dies schon
v o r h a n d e n e Bild seine V e r w e n d u n g g e f u n d e n h a t t e , zu erklären.
Doch wenn auch diese Bezeichnung des Sirius nicht aus dem
d r ü c k e n d e n Gefühl der sommerlichen Schwüle h e r v o r g e g a n g e n ist,
so ist doch die V e r w e n d u n g , welche dies einmal geschaffene Bild
in einer Reihe von Mythen g e f u n d e n hat, ein Beweis für die Mäch-
tigkeit desselben. So die H u n d e des A k t ä o n , die Hunde, die den
L i n o s zerreissen, der H u n d der E r i g o n e Maera ( E r a t o s t h . T i -
m o s t h . H y g i n . a . a . O . ) , der d a s Holz des Weinstocks g e b ä r e n d e
Hund des O r e s t h e u s ( P a u s . X , 58, 1), w ä h r e n d der von P r e l l e r
(gr. Myth. II, 148) in demselben Sinne gedeutete Hund des Kephalos
u n d der Hund zu Seiten des epidaurischen Asklepios ( P r e l l e r , I,
S. 40G) schweilich in diesem Sinne aufzufassen sind. In Argos be-
zog man auf die E r z ä h l u n g vom T o d e des Linos die xvvocpövrig
eoQxrj, den G e b r a u c h an einem bestimmten T a g e des J a h r s H u n d e
zu erschlagen ( A t h . III, S. 99 E ) , der vielleicht von diesem Mythos
ganz u n a b h ä n g i g und in demselben Sinne als ein Opfer zur Ab-
w e n d u n g dei1 Hitze zu betrachten ist, wie der römische Gebrauch
H u n d e zu opfern d e p r e c a n d a e s a e v i t i a e caussa sideris c a n i -
c u l a e ( F e s t , rutilae c a n e s S. 2 8 5 , vergl. P a u l . D i a c . S. 45), ein
Gebrauch, der ursprünglich selbständig gewesen und erst in späterer
Zeit mit den Robigalien ( O v i d . F . IV, 939ff.) z u s a m m e n g e w o r f e n
zu sein scheint.

I n d e m s e l b e n Sinne liess ein Mythos von Keos den A r i s t ä o s


dem f e u c h t e n Gotte Zeus I k m ä o s einen Altar errichten und ihm
wie dem Sirius selbst, dem Bringer der Schwüle, Opfer darbringen,
worauf vierzig T a g e l a n g k ü h l e n d e Passatwinde die lechzende E r d e
erquickten. Hieraus sollte sich die Sitte dieser Insel gebildet ha-
ben, vor dem A u f g a n g e des Sirius zu opfern und wie bei Sonnen-
und Mondfinsternissen mit Waffen zu lärmen (Ap. R h o d . I I , 517
und Schol.). — Dasselbe A b w e h r d e s Verderbens erflehende Gefühl
spricht sich in der Procession zu dem auf dem P e l i o n thronenden
Z e u s A k r ä o s s s ) aus ( D i c a e a r c h . fr. 60, 8, Müller II, S. 262), das-

32
) Dem der E r i g o n e (Mära\ des A l k y o n e u s , des K e p h a l o s , der
I s i s ( E r a t o s t h e n . ap. schol. X 29. T i m o s t h e n . ap. schol. Ap. Rhod. II,
517. H y g i n . fab. 130, P. A. II, 35\
33
; Wenn man die Ueberlieferung SLTOT I<XT«(OV schützen will, kann die-
selbe nur, wie es von II. D . M ü l l e r , Zeus Lykaios S. 26, geschehen ist, mit
axu'i in Verbindung gebracht werden, und somit der Gott als „der strahlende
Seirios1" bezeichnet sein, womit der oben S. 12 erwähnte Ztvg Ztii>ij>> zu ver-
— 17 —

selbe Gefühl in der Gestalt und den Schicksalen der feindlichen


Brüder S k e p h r o s und L e i n i o n ( P a u s . VIII, 53, 1), vielleicht auch
in der Zusammenstellung des in zarter Jugend fallenden Hyakinthos
mit seinem Bruder K y n o r t a s (Apd. III, 10, 3, 3), und Anklänge
oder Reste von Vorstellungen dieser Art sind vielleicht in dem
arkadischen Orte K y n a e t h a ( S t r a b . VIII, S. 388 C) und dessen
Quelle A l y s s o s , in dem bei Epidauros gelegenen Berge K y n o r t i o n
( P a u s . II, 27, 8) und andern localen Bezeichnungen zu suchen.
Die S i r e n e n sind nicht diese alljährlich wiederkehrende
Schwüle, wie sie der Sirius bringt, sondern die an keine P e r i o d e ,
eher an bestimmte G e g e n d e n geknüpfte, e r s c h l a f f e n d e u n d
a l l e s f r i s c h e L e b e n t ö d t e n d e , a l s A u s g e b u r t d e r E r d e ge-
f a s s t e S c h w ü l e überhaupt, wie sie die Gestade des Mittelmeers
z. B. unter dem Rainen Scirocco kennen. Dass und wesshalb
Empfindungen dieser Art sich bis zu der Bildung eines sinnlich fass-
baren Wesens steigern konnten, ist unserer den Einwirkungen der
Natur gegenüber abgestorbenen Phantasie nicht mehr vollkommen
nachfühlbar, jedoch bei der Mythen bildenden Kraft des griechi-
schen Geistes aus den verwandten, auf die verderbliche schwüle
Zeit des J a h r e s zurückweisenden, Mythen und Cultur erklärlich.
Wir nennen die Sirenen c h t h o n i s c h e W e s e n oder bezeichnen
richtiger die zu dieser Gestalt gebildete Schwüle als eine nach der
Vorstellung der Alten der Erde, der Unterwelt, angehörige, weil
ein verderbenbringendes dämonisches Wesen, welches mehr ist als
eine nur aus der Einbildungskraft eines Dichters hervorgegangene
Schreckgestalt, vielmehr in der Empfindung und dem Glauben des
Volkes wurzelt, schlechterdings nicht als ein nicht-chthonisches
aufgefasst werden kann. Auch erfordert es nur eine geringe An-
strengung der Phantasie, um sich vorzustellen, dass eine schwer
wie Blei auf dem Lande lastende Schwüle, die von den Strahlen
der Sonne unabhängig war oder doch erschien, als Ausgeburt der
Erde und also des Hades betrachtet wurde. In ähnlicher Weise
stellte sich die Phantasie der Griechen vor, dass mit dem Eintritt
der heissen Jahreszeit die Herrschaft der chthonischen Götter be-
ginne (s. P r e l l e r , Demeter und Persephone, § 122, Anm. 112.
H. D. M ü l l e r , Zeus Lykäos, S. 21), und noch bei C l a u d i a n findet
sich, wenn auch dem Dichter unbewusst, ein später Nachhall dieser

g l e i c h e n wäre. J e d o c h dürfte die auf ein l i x u j , allenfalls <CXTO?, in der B e -


d e u t u n g „Strahl", h i n w e i s e n d e B i l d i m g a/.uti<>c e i n i g e s B e d e n k e n g e g e n d i e s e
Verniuthung erregen.
S c h r ä d e r , Begriff i l . S i r e n e n . 2
— 18 —

Vorstellung, wenn er von dem den Pluton tragenden W a g e n be-


merken lässt:
nosse nec aurigam licuit, seu m o r t i f e r a e s t u s ,
seu mors ipsa fuit (R. P. III, 237).
Die W i r k u n g d i e s e r S c h w ü l e ist das Verstummen des
Windes, nach der Anschauung des Alterthums auch eine Wirkung
der Gluth der S o n n e 3 4 ) , ihre ausdörrende Gewalt äussert sich in
dem Haufen modernder Häute und Gebeine, die Gefahr, die man
von ihr fürchtet, hat sich in dem beklemmenden Gefühl, das sie
zur Sirene gestaltet und das ebenso die Abwehr der verwandten
Siriushitze gesucht hat, ausgesprochen.
Wir sind also, wenn auch von derselben Grundlage wie K l a u s e n
ausgehend (S. 10), zu einer weiteren und tieferen Bestimmung des
Wesens der Sirenen gekommen, als die von ihm gegebene es war.
Zwar lässt sich nicht verkennen, dass das Verderben, welches der
Dichter der Odyssee sie bereiten lässt, in Auflösung und Verwe-
sung besteht, doch ist dies nur eine Seite ihres Wesens, nicht ihr
Wesen selbst, ebenso wenig wie das unter der Herrschaft des
Sirius sich vollziehende Vermodern der Gebeine der Erschlagenen
( S . 1 1 ) das Wesen desselben erschöpft. Die auf diese weitere
Auffassung führenden Gründe werden noch dadurch verstärkt, dass
auch die ursprüngliche Vogelgestalt der Sirenen mit derselben
naturgemäss übereinstimmt (vgl. w. u.). Auch andere, der hier ge-
gebenen nahe kommende, Erklärungen fassen den ursprünglichen
Begriff, wenn auch in anderer Weise, zu eng, wie z. B. K l a u s e n
an einer andern Stelle (Aen. I, 493), in unbedeutender Erweiterung
der erwähnten Begriffsbestimmung, in ihnen „den verwesenden Tod
in dem glühenden Sonnenbrande a u f d e r S e e b e i g ä n z l i c h e r
W i n d s t i l l e " verkörpert sieht. Aehnlich bezeichnet G e r h a r d (gr.
Myth. § 5 2 0 , 3) sie als „Unholdinnen südwestlicher M e e r e s s c h w ü l e "
und C e r q u a n d (rev. arch. 1864, I I , S. 289) als die unrettbar fes-
selnde, die Kräfte des Körpers und die Energie des Geistes töd-
tende W i n d s t i l l e .
Alle diese Erklärungen gehen von der Ansicht aus, dass die
Sirenen ursprünglich mit dem M e e r e verwachsen wären, einer
keineswegs nothwendigen Annahme. Im Gegentheil: wie die ho-
merischen Sirenen schon die Ausschmückung eines ursprünglicheren
Begriffes erfahren haben, sind sie auch im Gegensatz zu früherer
allgemeinerer Bedeutung an ein bestimmtes Local gefesselt und mit

n ) A r i s t . meteor. II, 5.
— 19 —

bestimmten für dies Local passenden Functionen ausgestattet wor-


den; denn mehrere Erscheinungen, die sich aus den h o m e r i s c h e n
Sirenen nicht herleiten lassen, stimmen ebensowenig zu Wesen,
die n u r am M e e r e wirksam sind, wälirend sie sich dem ursprüng-
licheren und weiteren, dem H a d e s angehörigen, Begriff mit Leich-
tigkeit entnehmen lassen.
Von besonderer Wichtigkeit für die von der homerischen Ge-
staltung unabhängige Bedeutung der Sirenen ist der bisher mehr
als billig vernachlässigte C u l t u s derselben in der Nähe Surrentums.
Die erste Spur desselben bietet uns die sog. Aristotelische
S c h r i f t nsql &av/.taaicov axova ¡.lüziov, cap. 103:
(paai zag SsiQtjvovaaag vqoovg xsio&at [iev ev z f j 'izai-LY TZSQI zov
Nogit/iiov SN aizrjg zrjg axgag, og xsuai TZQO TOV nqonEnzioxozog
ronov xai dia)-a/.ißävovzog zovg xolnovg ( c o d d . zolg xölrcmg), zov
zs nsQiE%ovza zrjv Kv(.ttjv xai zov [ßiEiXrjq)öza] zrjv Iloosidcoviav
xalov(.IEVRJV, EV IJJ xal vswg avziüv "dgvzai xai zi/.iwvzai
xal? v 7i EQ ß o lijv v7to zwv n EQ to Ixiov d-vaiaig eni[.isliög,
luv xal zu ov6f.iaza /nvrj^iovEVOvzES xalovoi zrjv /.tiv naqd-svÖTirjv,
zrjv ds slevxwaiav, zrjv öi xqixr]v ytiysiav3b}.
Das 103. Capitel der ^avfiäata axovaftaza gehört der grösse-
ren Gruppe von Capiteln an, die alten und guten Quellen ent-
nommen und selbst in noch verhältnissmässig früher Zeit, vielleicht
von einem Zeitgenossen des Kallimachos zwischen Ol. 130—135 3G),
in die Form von Excerpten gebracht sind; denn wenn auch die
Rose'sche Ansicht, dass sämmtliche Capitel von 78—114 und 130—
3G aus T i i n ä o s , 137. 115 —129. 138 aus T h e o p o m p excerpirt
wären, nicht stichhaltig ist, so liegt doch nichts vor, das uns eine
spätere Quelle für dieselben anzunehmen jwänge 3 5 ). Wenn wir
nun in dieser Schrift unter den mannigfaltigen Excerpten, die sich
auf Italien und die anstossenden Gegenden beziehen, einen Bericht
über die Verehrung der Sirenen - an der campanischen Küste finden,
so scheint diese Angabe auf den ersten Blick sehr dadurch zu

Hieraus S t e p h . B y z . v. £stQi]VouaoKi: vrjaoi Iv rrj 'hakla ntpl tov


nofjituöv in avirj? lij; ilxpa; xtt'uiv«i, •nQonmiaixoTOg ronov xal iSiaXaußivovros
TOVS xiXnoug, i6v Te (aus Arist.) ntQifyovra Kv^v xai (aus Arist.) tov liiei-
A/jyor« i¡¡v xalov/.iii't]v Iloatiätorittv, t;> xai vtätq etvT(5V iiSyvTai xal
Tifitövrai z i i J ' in{()ßoXrfV. töl' xai t « ovouata tküt«' HaQOtvonr] xai -dtv-
XOJOIK xal siiyfia.
3C
) V. R o s e , Ar. pseud. p. 280.
") Vgl. meine in den Jahrb. f. Phil. 1868, S. 218 f. erschienene Abhand-
lung „ ü b e r d i e Q u e l l e n d e r S c h r i f t n. ,9. a.u
2*
— 20 —

verlieren, dass wir sie in einer Schrift finden, die den Namen des
Aristoteles (vermuthlich jedoch ohne die Absicht ihres Verfassers)
nur lügt, während andrerseits nicht zu vergessen ist, dass etwa
50 —100 Jahre nach der Zeit des Aristoteles die Kenntniss der
Westwelt eine bedeutend genauere geworden w a r , als sie dem
grossen Peripatetiker zu Gebote stand. Wenn wiederum auch die-
sem Vortheil durch die hervortretende Neigung, Wunderbares und
Paradoxes zu berichten, ein nicht geringer Abbruch geschieht, so
ist zu bemerken, dass manches in diesen Excerpten, so wie in den
Fragmenten des Timäos, Theopompos und Lykos von Rhegion, auf
welche dieselben allerdings vorwiegend zurückzugehen scheinen, für
sich selbst spricht. So lässt sich nicht verkennen, dass wir in dem
über den Sirenencultus an der campanischen Küste Berichteten
einer völlig zutreffenden Localscbilderung begegnen, die unmöglich
aus Erfindung hervorgegangen sein kann, wodurch natürlich auch
das Uber den Tempel und den Cultus dieser Gegend Erzählte be-
deutend an Glaubwürdigkeit gewinnen muss. Es kommt hinzu,
dass bei S t r a b o 3 ' ) , dessen Autorität nicht anzutasten ist, derselbe
Tempel und auch die Verehrung der Sirenen erwähnt wird, sowie
dass ersterer auch in den officiellen Urkunden der römischen Feld-
messer verzeichnet war, und dem daselbst als u i o n s S i r e n i a n u s
bezeichneten Vorgebirge der Athene seinen Namen gegeben hatte -'*).
Die hohe Verehrung, in welcher dieser Tempel bei den An-
wohnenden stand (mir. ausc.: zifiiovTcci VNEQßOLRJV VNO TIOV

nsQioUcov &voiaig ¿TVII.IE?.IÖS), und die noch zu Strabo's Zeit da-


selbst sichtbaren Weihgeschenke machen es unmöglich, in ihm nur
einen Ausfluss des homerischen Sirenenmythos zu erblicken, trotz-
dem dass eine im Alterthum aufgestellte Ansicht den Sitz der

38
) I , 2 , 12, p. 22 0 : ayxiiv xn sxxsiTnt fiaxfto; xti't artrog C'DIO ICÜ»' xajic
£VQQIVIOV %u)I>i<oV Ini 1 0 1 ' xaiü. KnnQias noQOfiov, in\ (hatga fiiv rr/; ¿ ( I T I J I ] F
T O TIÖV S E I ( I I J V <A v teoiv €%A)V, inl ilatsya <ie N(>DI I([) ILOAIIÖMVIITTTF xoXn(JI
vrjaiiSia TQIA nQOxtijxiva f(>i)u« TITTQUJISR), « xaXovai SAQRJIUT;' in' rtuiw <FI TO/
noQÜfitit IO 'AOrivaiov, tbneQ b/iiovvjjitl xcti o ttyxwv avris, und V , 4, 8, p. 2 4 7 :
nuvf/H cjy {an i f j IIOFJ.nr)(ii TO ¿Lvtiotviov TIÜV Kafinai toy, uOti> NQOY.TNAI TO

'Aifrjvaiov, u Zivis £IIQ<]VOVOA(i)V I'IX(>(OT RJQIOV xciXovaiv. ran tff in rtxQiii uiv
'AO-rjVcii ifQÖr, '¿iSyv/jct 'Oduaatun. duinlou, <)" iy9-iyiSe ßort/vg tle KitnQiui vijoov.
xi'tuil>aVTi Jf TTjy ctxQctv vtiotde'i tiltv ioquoi 7tfTQiiid'tis, <"? xaXovtri ¿'tiprjrag.
ix äi TOV 7IQOS ZuQQtVTOV fl^QOVi itQOV T I (f i t X V V T Ct I Xftl « V « fr y fX K I It 71 tt-
Xftia TI/Alitl'TIOV llöv TzXrjOlOV TO)' TOTTOV.
39
) G r o m . v e t . p. 237, 1: äed et m o i i s S i r e n i a n u s limilibus pro parle
A u g u s t i a n i s e s t assignatus. ceterum in soluto remansit. iter populo Uebetur
ubi S i r e n a e .
— 21 —

homerischen Sirenen gerade auf dem surrentmischen Vorgebirge


erblickte (nach E r a t o s t h e n e s bei Strabo I, 2 , 12, S. 22 C).
Im Gegentheil: der einmal vorhandene Tempel war die Ursache,
dass, obwohl die Gegend keineswegs der blumigen Insel entsprach,
die Ansicht von Gelehrten und vielleicht auch der Glaube des
Volks den früheren Sitz der Sirenen hierher verlegte, woraus es
wiederum folgte, dass der Tempel der Athene daselbst für eine
Gründung des Odys'seus gehalten wurde ( S t r a b . V, 4, 8, p. 247 C),
ähnlich wie aus dem Cultus der Aphrodite Alveiäg sich Aeneas-
sagen gebildet haben, und nicht aus diesen Sagen jener Cultus.
Die entgegengesetzte Annahme würde aller Analogie widersprechen,
und, mehr als dies, die unmögliche Annahme nöthig machen, dass
die homerische Poesie, die selbstverständlich die Auffassung schon
vorhandener göttlicher Wesen tief beeinflusst hat, auch die göttliche
Verehrung von Gestalten hervorgerufen hätte, die sie selbst erst
geschaffen. Ebensowenig kann man die Verehrung an dieser Stelle
aus einer von der Anschauung des Volkes statuirten Heroine enco-
wfing herleiten, wie Parthenope für Neapel angesehen wird, da
zwischen den verschiedenen Namen der Sirenen 40) und den in der
Nähe ihres Heiligthums liegenden Oertern schlechterdings keine
Verwandtschaft besteht; denn dass 2VQQEVTOV von ihnen, ins-
gesammt genommen, seinen Namen empfangen hätte, wie nach
dem Vorgange von S t a t . silv. II, 2, 1 4 l ) G e r h a r d , gr. Myth. §553,
annimmt, dürfte zu bezweifeln sein; vielmehr würde, wenn Uber-
haupt ein u n m i t t e l b a r e r Zusammenhang beider Namen anzuneh-
men ist, die Bezeichnung der Stadt eher als F o l g e denn als U r -
s a c h e des Cultus am Vorgebirge der Athene erscheinen.
Statt aller dieser gekünstelten Auskunftsmittel führt eine unbe-
fangene Betrachtung der Thatsachen und der gewonnenen Resultate
vielmehr darauf, dass der Cultus der Sirenen am surrentinischen
Vorgebirge eine Aeusserung desselben geistigen Processes war, der
diese Gestalten überhaupt hervorgerufen hatte, dass die Bangigkeit
vor der alles frische Leben tödtenden, dem Hades entsteigenden
Schwüle, in ähnlicher Weise wie sonst die Angst vor der Gluth
des Sommers, zum Anflehen der diese Gefahr wirkenden Wesen
um Schonung geführt hatte. Wesshalb gerade h i e r dieser Cultus

40
) s. Abschn. III.
41
) (Villa Surrentina Poliii Felicis):
E s t inter n o t o s S i r e n u m n o m i n e m u r o s
Saxaque Tyrrhenae templis onerata Minervae
C'elsa Dicarcliei speculatrix villa profundi.
— 22 —

sich gebildet hat, ist, wie manches andere im Verlaufe der Mythen,
nicht mit Bestimmtheit zu sagen; vielleicht führten gerade hier be-
sondere locale Verhältnisse auf ihn hin, die möglicherweise auch
in dem vielleicht s t a m m v e r w a n d t e n Namen 2VQQEVTOV ausge-
sprochen sind, Verhältnisse, die vielleicht mit dem Meere und der
auf diesem durch die sie begleitende Windstille besonders gefähr-
lichen Schwüle zusammenhängen. Wenigstens könnte es scheinen,
als ob die Lage des Tempels an einem das Meer beherrschenden
Vorgebirge darauf hinwiese, so dass für d i e s e n s p e c i e l l e n F a l l
des Sirenencultus C e r q u a n d ' s Ansicht der Wahrheit nahe kommen
könnte (s. S. 18).
Es ist unmöglich anzunehmen, dass dieser Cultus der Sirenen
nicht, wie die ursprüngliche Gestalt dieser Wesen überhaupt, von
dem Sirenen-Abenteuer der Odyssee b e e i n f l u s s t worden wäre;
nur seine Wurzeln liegen ausserhalb desselben; seine spätere Ent-
wickelung konnte sich dem mächtigen Eindrucke der homerischen
Verse nicht entziehen, und ohne Zweifel erschienen in Folge dessen
aucli die Sirenen am Vorgebirge der Athene der Phantasie der
Umwohnenden als s i n g e n d e Wesen. So sind wir auch nicht be-
rechtigt, die von dem Redactor der mir. ausc. angeführten Namen
Parthenope, Leukosia, Ligea als ursprüngliche zu betrachten, da in
ihnen deutlich die Beziehung auf Locale Unter-Italiens, die in späte-
rer Zeit mit Sirenen in Verbindung gebracht wurden (s. Abschn. III.)
ausgesprochen ist. J a , es scheint sogar, als ob diese Namen von
ihrem Cultus auszuschliessen und nur als eine gelehrte Zuthat zu
dem Bericht Uber denselben zu betrachten wären. Wenigstens führt
der Ausdruck: wv xal ra ovo^iaxa /.tv^fiovev ovreg xaXovoi zrjv
ftev naQ&Evönrjv xzL eher auf eine sich in Schriften gelegentlich
findende Erwähnung als auf eine Aussage der Bewohner der sur-
rentinischen Halbinsel 4S ).
Dieser Cultus im Westen Italiens, der nur eine Phase der
viel weiter verbreiteten, diese mythischen Gestalten erzeugenden
Empfindung des griechischen Volkes ist, Hesse sich in der loca-
len Entwickelung, die er gefunden hat, immerhin mit dem Meere
in Verbindung bringen; anders ist es bei. einem zweiten Ueber-
bleibsel derselben ursprünglichen Anschauung, dem wir in A e t o -
l i e n begegnen und zwar in einer Weise, die weder an eine Frucht

4S
) Ebenscr scheint S t e p h . B y z . diese Worte verstanden zu haben, da
er sie nur in der Form: wv xcd T « 6r6/JAIA TRVI«• IlaoHtrönr) XT).. ohne eiD
Yerbnm der Aussage wiedergibt.
— 23 —

der homerischen Poesie noch an auf dem Meere thätige Wesen zu


denken gestattet, und zugleich den weiten Abstand zwischen der
ältesten Bedeutung der Sirenen und der Gestaltung deutlich macht,
die sie in der Odyssee oder in der Anschauung, von der dies Ge-
dicht getragen wird, gewonnen haben.
L u k i a n erwähnt in seiner Schrift über den Tanz, Cap. 50 43),
unter den Aetolien eigentümlichen Mythen den Ringkampf des
Acheloos und des Herakles und die G e b u r t d e r S i r e n e n . Sie
entstehen aus einem dem Flussgotte von Herakles abgebrochenen
Hörne ( L i b a n . progymn. p. 3 C Morell. E u s t . S. 1709, 38), wäh-
rend eine mehr genealogisirende Form des Mythos sie zu Töchtern
desselben Flusses und einer M u s e "), Terpsichore 45 ), Melpomene 46 )
oder Kalliope 47 ), oder der Tochter des Porthaon Sterope 4 8 ) machte.
Ausser J. H. Voss 4 9 ), der für die Erklärung dieser Abstammung
die spätere Bedeutung der Sirenen als singender Wesen zu Hülfe
nahm, ohne durch dieselbe jedoch zu erklären, wie es gekommen
ist, dass diese spätere Anschauung nur in Aetolien und nirgendwo
sonst localisirt worden ist, sind die Erklärer dieser eigentümlichen
Genealogie von der allgemeineren Bedeutung des Namens Acheloos
ausgegangen, bei der Schwierigkeit, die homerischen oder überhaupt
die auf dem Meere thätigen Sirenen mit A e t o l i e n in Verbindung
zu bringen, kein Wunder. So ging St oll in Pauly's R. E. Art.
Sirenes auf den, übrigens von Curtius, Grdz. S. 113, beanstandeten,
dem lat. aqua gleichzusetzenden Stamm des Namens Acheloos zu-
rück; K l a u s e n (Aen. I, S. 492) sah in den Sirenen Töchter des
Wasserstroms und des Sonnenblitzes, und (Abent. d. Od. S. 48) in
den Namen ihrer Eltern „die Thätigkeit von Sonne und Feuchtig-
keit bei der Verwesung", während W e l c k e r (gr. Götterlehre III,
S. 166) Acheloos den König der Flüsse hier anstatt des Meergottes
verstand, in ähnlichem Sinne wie Sophokles (fr. 407 D) sie Töchter
des Phorkos nannte.

43
) xuv tls Alzcoliav /xnslOijs, xctxtl TiolXä r/ oQxrjOtg xaictXet/jßdvei, jfjV
'Alftctüty, tov MilectyQOV , irjV AiaXavTrjv, jöv daldv xcti noia/jov xcti 'Hqa-
xAe'ovi TIBAIJV xnl J£ f / q qv (ov yeviOiv xnl 'ß^ivniiov uvädootv xal /neici iijv
44 45
/larittV 'Alxpaltavos otxrjaiv xxl ) L y c . 712. ) A p . R h o d . IV, 896.
46
s c h o l . ,u 39 V. B u s t . a . a . O . E u d o c . p. 373. ) A p d . I, 3, 4. s c h o l .
K435 A. H y g i u . praef. p. 30, 17 Bunte, fab. 125 (p. 103, 19), 141 (p. 113, 22).
L a c t . arg. Met. V, 9. ") S e r v . Verg. G. I, 9.
48
) A p d . I , 7, 10; 2. s c h o l . ¡x a. a. 0 . E u s t . a. a. 0 .
49
) A.ntisymb. II, S. 340: „Nach 01.50 entstand Dodona's Fahel vom pin-
dischen Apollon; jetzt am Acheloos erwuchsen drei gesangreiche Sirenen".
— 24 —

Es verdient Beachtung, dass Acheloos mit grosser Ueberein-


stimmung als Vater der Sirenen genannt wird, so dass dieselben
seit Apollonios dem Rhodier 'A%eXioideq genannt werden 5 0 ), dass
dagegen der Name der Mutter wechselt und von leicht erkennbarer
allegorischer Bedeutung ist. Denn was lag näher, als zur Mutter
von singenden Wesen, w a s die Sirenen seit Homer entschieden
sind, eine M u s e zu machen, sei es nun Terpsichore, Melpomene
oder Kalliope? Und auch die Annahme der S t e r o p e als Mutter
ist, wie W e l c k e r , S. 166, 10, richtig erkannt hat, weiter nichts als
ein Versuch, diese Wesen in Aetolien noch mehr zu localisiren;
denn Sterope ist die Tochter des Porthaon von der Euryte, der
Tochter des Hippodamas, welcher seinerseits wiederum ein Spröss-
ling des Landesstroms ist (Apd. I, 7, 3, 5), so dass es nicht nöthig
ist, den der Gluth allerdings nahe verwandten Begriff des Leuchtens,
welcher in dem Namen Sterope liegen könnte 5 1 ), herbeizuziehen.
So muss die schon durch ihre Eigentümlichkeit schwer wie-
gende Version, nach welcher die Sirenen aus dem Hörne des
Acheloos stammten, als die ursprüngliche erscheinen, die Lukian
j a auch ausdrücklich als einen speciell ätolischen Mythos bezeichnet.
Der Zusammenhang zwischen diesem Horn und dem der Amalthea
ist schon in dem von P i n d a r erwähnten Mythos ausgedrückt, dass
Acheloos durch letzteres das ihm abgebrochene Horn von Herakles
auslöst ( s c h o l . O 194 ABD. Apd. II, 7,5, 1. E u s t . Dion. Per. 431),
und, mehr als dies, man behauptete die Identität beider ( S t r a b . X,
S. 458 C, O v i d . Metam. IX, 87. H y g i n . fab. 31). Nun ist aber
dies Horn der Amalthea entschieden c h t h o n i s c h e r , auf die frucht-
spendende Kraft der Erde hinweisender Bedeutung, deutlich zu
erkennen schon in den Mythen, dass Herakles es, nachdem er es
von Hermes empfangen, auf der Fahrt zu dem chthonischen Wesen
Geryon mit sich führt ( H e s y c h . 'A/.ial&eias xsqos), und es mit in
den Hades nimmt, als er auszieht den Kerberos ans Licht zu holen
( L a c t . ötat. Thet. IV, 106), worin offenbar die Zuriickführung des-
selben an den ihm ursprünglich eigenthiimlichen Platz ausgespro-
chen ist; noch augenfälliger jedoch in bildlichen Darstellungen, die

50
) Ap. Rhod. IY, 893 hat ZaQqvts '-/xekmCiig; Ovid. Met. V, 552. XIV,
88. Colum. X, 263. P a u s . IX, 34, 2 nur Acheloides.
51
) Wie z. B. in dem Nameu der Plejade lApd. III, 10, 1, 1). Dagegen
ist auch iu dem Namen der Tochter des Heros Eponymos von Pleuron (ders.
I, 7, 1, V, des Kepheus (ders. II, 7, 3, 4), des Akastos (ders. III, 13, 3, 3) das
Wort seiner appellativen Bedeutung entkleidet.
— 25 —

uns Pluton oder Persephone mit demselben zeigen 5i ). Ja, Acheloos


ist nicht, allein im Zusammenhang mit diesem chthonischen Symbol,
sondern s e l b s t auf das deutlichste als ein c h t h o n i s c h e s W e s e n
gekennzeichnet. Er wird ein S o h n d e r E r d e genannt, den seine
Mutter in ihren Schooss aufnimmt, um seine Klagen um den Ver-
lust seiner Töchter der Sirenen (vgl. Abschn. III.) zu stillen, worauf
der gleichnamige ätolische Fluss dem Boden entquillt ( S e r v . Verg.
G. 1,9), und auf einem Vasenbilde ( G e r h a r d , A. V.II, 115) erscheint
er dieser Bedeutung gemäss als D r a c h e mit menschlichem Haupte,
wie auch Gerhard a. a. 0 , S. 113, ihn als „ätolischen Ausdruck
einer tellurisch-neptunisclien Gottheit, derselben Art wie Dodona und
Kreta sie feierten" ansieht.
Kein Wunder daher, dass die ätolische Localtradition die dem
Hades entstammende Schwüle, die auch hier zur Sirene vcrkörpeit
w a r , von dem eigenthümlichen chthonischen Wesen ihres Landes
und dem mit diesem zusammenhangenden Erdsymbol abstammen
Hess. Ob die Gestalt dieser ätolischen Sirenen den bekannteren
italischen entsprochen hat, ob auch sie einen Cultus gefunden ha-
ben, ist uns nicht b e k a n n t ; wir müssen uns damit begnügen, in
ihnen, wie in jenen, die ursprünglichere Schöpfung des griechischen
Volksglaubens zu erkennen, die der späteren Entwickelung als
Substrat gedient hat.
Dieselbe dunklere, in dem Sirenenabenteuer des Odysseus kaum
wieder zu erkennende Grundbedeutung liegt dem, uns freilich erst
in später entstellter, aber auch verschönerter Form entgegentre-
tenden Mythos zu Grunde, dass d i e S i r e n e n P e r s e p h o n e v o r
i h r e m R a u b e a u f d e n G e f i l d e n S i c i l i e n s b e g l e i t e n . Wir
finden diese Erzählung zuerst bei A p o l l o n i o s dem Rhodier (IV,
896), nach welchem sie nach der Entführung ihrer Herrin eine halb
menschliche, halb vogelartige Gestalt erhalten, dann bei O v i d
(Met. V, 552, hieraus Lact. arg. Met. V, 9), H y g i n . fab. 141, C l a u d .
R. P. III, 190 ff.
Das Räthsel, wie es kömmt, dass tod- und verderbenbringende
Wesen wie die Sirenen hier die blühende Tochter der Demeter
begleiten, löst sich, wenn wir bedenken, dass Persephone ursprüng-
lich, bei Homer noch vorwiegend, die furchtbare Unterweltsgöttin,
snaivri, ist und schon als solche zu chthonischen Wesen eine Be-
ziehung hat. Noch deutlicher tritt diese Beziehung hervor, wenn
wir a n die Seite der Persephone denken, die Lykophron v. 49

«) S. W e l c k e r , A. D. II, ¡3. 86; III, S.305; vgl. Mon. I n s t . V, 49.


- 26 —

durch das Wort Xemwig bezeichnet:


r\v (ÄiUAav) avd-ig nctzrjq
octQxag xaialOiov Xotpviaiv doj.irjOaro,
yiemvviv ov TQtfiovoav ovdalav -itsav,
wozu Tzetz. u. a. bemerkt: oi ös x f j v IIsQOsqiovqv (paalv olov t^V
lentvvovaav Z A aw/.taTa T W V Erinnert dies
anod-avovTiov.
A e u r v v e i v nicht augenblicklich an die Wirkung der Sirenen: TIEQI

ös QIVOI (.tivv&ovatv? Freilich dort haben wir die Wirkung der


Unterweltsgöttin im Hades selbst, hier die Wirkung chthonischer,
aber auf der Erde selbst thätiger Wesen; aber doch lässt sich der
nahe Zusammenhang nicht verkennen. Dass aus diesen Gefähr-
tinnen der entsetzlichen Persephoneia in späterer Zeit, wo man in
dieser das liebliche, vorn finsteren Hades ihren-Jugendspielen ent-
rissene Mädchen zu erblicken und zu besingen liebte, Gespielinnen
derselben wurden, für die C o l u m e l l a (X, 2G8) einfach N y m p h e n
gesetzt hat, darf uns nicht Wunder nehmen, um so weniger als uns
dieser Mythos zuerst in der romantisirenden alexandrinischen Poesie
begegnet.
Auch in den „ T ö c h t e r n d e r E r d e " , wie E u r i p i d e s 5 3 ) die
Sirenen nennt, in dem ihnen auf Gräbern als Symbolen der Todten-
klage angewiesenen Platze, und in dem Modius, den sie einzeln auf
Grab-Reliefs (s. d. arch. Th.) als Kopfbedeckung führen, sehen wir
noch ihre ursprüngliche chthonische Bedeutung ausgesprochen, doch
zum Theil zugleich so, dass sie sich auf das Deutlichste von der
homerischen Darstellung beeinflusst zeigen, wie denn Euripides und
die meisten der Grabdenkmäler sie uns als S ä n g e r i n n e n klagen-
der Weisen vorführen. Dagegen lässt sich, obwohl nur mit Vor-
behalt, ihr ursprünglicher, auf die Natur zurückzuführender Begriff
vielleicht noch in ihrer V e r b i n d u n g m i t H e r a , wie sie in Ko-
ronea bestand, nachweisen.
Nach P a u s a n i a s (IX, 34, 2) 54) trug das alte von Pythodoros
verfertigte Bild der Hera zu Koronea Sirenen auf der Hand, eine
Zusammensetzung, die Pausanias dadurch erklärt, dass die Sirenen
von dieser Gottheit dazu überredet worden wären, sich mit den
Musen in den bekannten Wettstreit (Abschn. III.) einzulassen. Die
Richtigkeit dieser Erklärung ist mit Recht von W e l c k e r , S. 165, in
53 54
) Hei. 168. ) Xttitoitnto <}( oXiyov "/loa; {ariv Ic^ov xai ayalfia «p-
X«Tov 1lv&0tf(ü()0v ifyvr) Qr)ßaCov, <f>tgii <5 f tni T I) % S I Q I SeiQrjvas. Tas
yciQ örj /.qjov S-uyaxiQtti th'ct7ieta9tioa; ipctalv vnb "HQKS xazcKnrji'ai 7IQO;
Movaai (s ojiSijf (Qyov. cd (Jf (ös ivlxrjaav iinoj TLCTAAI TOJV ZtiQrjVmv ja nit(ITT
nonjoaaOai ottyävuvs an iiüiiav ieyoyiai.
— 27 —

Zweifel gezogen worden; denn ganz abgesehen davon, dass die


Sirenen als s i n g e n d e W e s e n , und als solche sind sie den Musen
entgegengestellt, in durchaus keiner Beziehung zu Hera stehen, ist
die Erzählung von diesem Kampfe jedenfalls erst später Zeit an-
gehörig und theils aus dem zu dieser Pointe zugespitzten Gegen-
satze des reinen und erhebenden Musengesanges und der ver-
lockenden und verderbenden Weisen der Sirenen, theils aus einer
etymologischen Spielerei hervorgegangen. Der Grund, wesshalb
trotzdem dieser Vorgang mit Hera in Verbindung gebracht wurde,
liegt vermuthlich in der G e s t a l t der ihr zugesellten Sirenen, die
von der Phantasie des griechischen Volkes als die der „gerupften"
(s. Abschn. II.) bezeichnet wurde, und also in diesem Falle leicht die
Brücke zu dem Vorgange, in dessen Folge sie ihrer Federn beraubt
sein sollten, bilden konnte. Dies beseitigt zugleich die sonst nicht
allzu fern liegende Annahme, dass diese Gestalten Uberhaupt irr-
thümlich als Sirenen bezeichnet und vielmehr für die auch sonst
der Hera zugesellten Chariten zu halten wären, die ähnlich wie
die Sirenen späterer Zeit auch mit Flöten, Lyra und Syrinx dar-
gestellt wurden 5 ').
Bisher hat man diese Sirenen theils als ein S y m b o l d e r
• U e b e r r e d u n g aufgefasst, als eine Art von Peitho, mit Rücksicht
auf die eheliche Bedeutung Hera's, theils als eine V e r k ö r p e r u n g
d e r T o d e s g e f a h r , welche Hera als Eileithyia bereitet. Ersteres,
nach dem Vorgange von S i e b e i i s (exe. II zu Paus. I X , S. 148),
G e r h a r d , gr. Myth. § 553 ili ), mit Vergleichung der in Athen ver-
ehrten Hera Qel^ivLa i ; ), und W e l c k e r (gr. Götterl. S. 165)"), der
auf die Verbindung der Aphrodite-Hera im Tempel der Hera Hyper-
cheiria zu Lakedämon (Paus. III, 17,5) hinweist; letzteres P r e l l e r ,
gr. Myth. I, S. 135.
Es ist jedoch zu bedenken, dass die Sirenen, wie unten ge-
zeigt werden wird, keineswegs schlechthin ein Todessymbol, son-
dern ein Symbol der T o d t e n k l a g e sind, und dass sich ein sicherer
Beweis für die von Gerhard (auch § 223, 2) sehr betonte Bedeutung
derselben als Liebessymbole für die ältere Zeit nicht findet (die in
diesem Sinne gedeuteten Vasenbilder lassen niir gezwungen diese
55
) Auf der Hand des delischen Apollo ( P l u t . mus. 12), ebenso bei einer
delphischen Statue dieses Gottes ( s c h o l . P i n d . Ol. 14, 16).
56
) „Durch unwiderstehliche Liebeslockung Attribute der bräutlichen Hera",
vergl. G e r h a r d , A. V. I, S. 102.
") H e s y c h . Meineke ötlyjria, S c h m i d t OtX'iivot]
se
) „ Um das Anlockende der Ehe anzudeuten", vergl. gr. Götterl, II, S. 710-
— 28 —

Erklärung zu, vgl.d.arch.Th.), während dieselbe in späterer Zeit 5 9 )


allerdings einzeln hervortritt, sowie dass die ihnen zugeschriebene
Kraft der Ueberredung ursprünglich 0 0 ) keineswegs von der N e b e n -
b e d e u t u n g d e s V e r f ü h r e r i s c h e n und Verderblichen frei ist, wie
denn erst bei Alexander dem Aetoler 6 1 ) das Appellativuni oeigfjveg
schlechthin für den Reiz der Rede gebraucht wird, so class es Be-
denken erregen muss, der strengen und keuschen Ehegöttin, in
deren Bezeichnung als Aphrodite und Thclxinia, sowie auch in
einigen ihrer Symbole ( G e r h a r d , gr. Mytli. § 2 2 3 , 2 ) , allerdings
auch der Begriff der hiureissenden Macht der Liebe ausgesprochen
zu sein scheint, ein Attribut dieser Art zu verleihen. Um so mehr,
als wir es hier jedenfalls mit einer in alter Zeit im Bewusstsein
des Volkes wurzelnden Anschauung zu thun haben, die, wenn ihr
eine so leicht fassliche Erklärung wie die angegebenen es sind, zu
Grunde läge, gewiss nicht so vereinzelt dastehen und so missver-
standen sein würde, wie es durch die Legende geschehen ist.
Vielleicht ist daher diese Verbindung mit Hera auf die bisher
noch nicht genügend gesichteten Beziehungen dieser Göttin z u r
E r d e u n d z u r U n t e r w e l t 6 ' ) zurückzuführen. Doch scheint ein
solcher Zusammenhang in der Abstammung des von Hesiod (Theog.
821) als üohn der Erde bezeichneten Typhoeus von dieser Göttin,
wie sie vom Hymnus auf den pythischen Apollon (v. 128. 173) und
von Stesichoros ( E t . m. Tvcpioevc) ausgesprochen war, in der Er-
zeugung des Hephaestos durch sie allein ( s c h o l . Ap. R h . I, 859), in
dem Verhältniss der dem Zeus grollenden Hera zu den im Tartaros
hausenden Titanen ( 0 478) und vielleicht in dem Trauercultus der
Hera Akräa zu Korinth ( E u r . Med. extr. P a u s . II, 3, (!) ausge-
sprochen zu sein. Jedoch ist es wegen der Unsicherheit vieler in

5S ) P a t r i c i u s gesellt der Voluptas im Gefolge der Venus eine Sirene zu


(s. Abschn. III.). Aehnliches liegt dem lOOsten Gedieht des Claudian zu Grunde,
jecloch mit der Nebenbedeutung des Verderbens, ebenso einem Epigramm
des Hedylos oder Asklepiades ( A n t h . P a l . V, 1 6 1 \ vielleicht auch den mit
i«o()f//} v/iiaon).oq ausgestatteten Sirenen der orphischen Argonautik.
co ) z. B. E u r . Andr. 916. 0 1 ) Vgl. w. u.

C2) z. B. sieht G e r h a r d , gr. Myth. § 220, in Hera dem Zeus gegenüber


„Erde und Dunstkreis", und nimmt ( § 2 2 6 ) einen älteren Dienst einer von Zeus
unabhängigen pelasgischen Göttermutter und Erdgöttin Hera an, und P r e l l e r >
gr. Myth. I, S. 130, bezeichnet sie u. a. auch als „ein Bild der unheilsschwan-
geren, in dichten Nebeln über der Erde gelagerten und wie auch wir zu sagen
pflegen brütenden Luft, die im Bunde mit urweltlichen Mächten auch für eine
Ursache vulkanischer Eruptionen angesehen witrde".
— 29 —

diesem Sinne gedeuteter Verhältnisse") nicht rathsam, hier mehr


als eine Vermuthung aufzustellen.
Mit noch grösserer Vorsicht ist über die aus weissem Stein
gearbeiteten Statuen von Jungfrauen mit Vogelbeinen zu urtheilen,
die nach Pausanias (VIII, 22, 5) hinter dem Tempel der s t y n i -
p h a l i s c h e n A r t e m i s standen. Diese Gestalt ist ausser für die
H a r p y i e n (s. d. arch. Th.), deren Charakter durch das Bild-ruhig
dastehender, wie es scheint nicht einmal geflügelter, Jungfrauen, je-
doch nur schlecht dargestellt sein wlirde, nur für die S i r e n e n
nachweisbar, und bei dem chthonischen Charakter, der gerade in
Arkadien an der Artemis hervortritt ( P a u s a n . VIII, '61, 2, vgl. H d t .
II, 15G, P a u s . VIII, 41, 4), würden Beziehungen nicht schwer auf-
zufinden sein; doch ist der Umstand dagegen zu halteu, dass sich
diese Gestalten grade in Stymphalös, dem Sitze mythischer Vogel-
gebilde anderer Art fanden — auch an der Decke desselben Tem-
pels waren die Stymphaliden, freilich als Vögel, gebildet —, und
die Deutung der fraglichen Gestalten als Sirenen muss als zweifel-
haft erscheinen, wenn uns auch die Stymphaliden sonst nur als
Vögel ohne irgend welche menschlichen Bestandtheile bekannt sind.
Nach dieser Begründung des ursprünglichen Begriffes der
Sirenen ergibt sich vor allem andern die Frage, wie es kömmt,
dass in der homerischen Schilderung neben der deutlich hervor-
tretenden von den Dämonen chthonischer Gluth bewirkten Verwe-
sung noch andere Momente, d i e b l u m i g e W i e s e , d e r v e r -
l o c k e n d e G e s a n g u n d d i e A l l w i s s e n h e i t , mit gleicher Stärke
hervorgehoben sind. Sind alles dies nur willkürliche Ausschmückun-
gen, um die Verlockung und durch den Gegensatz das Verderben,
das die Sirenen bereiten, nachdrücklicher hervorzuheben?
Man erwartet bei einer Dichtung, wie die homerische es ist,
eine Ausschmückung, die mit dem volkstümlichen Glauben nicht

63
) Einzelnes ist mit Unrecht hierher gezogen worden: die rhodische Hera
Ttl./m'u ( D i o d . V, 55 , womit nur der Ursprung ihres Cultusbildes, nicht ihr
Wesen selbst, bezeichnet ist, ihr Kampf an der Seite des Hades gegen He-
rakles, der keineswegs mit Nothwendigkeit in den auch von den alten Er-
klärern (mit Ausnahme von schol. A 690 AD) anders verstandnen Versen 73
392 ff. liegt ( P i nd. Ol. 9, 30 ff. nennt nur Poseidon, Phöbos und Hades, nicht
Hera), die von Preller mit Glück in nicht chthonischem Sinne erklärte Hera
Antheia (gr. Myth. I, 128, 1, vgl. W e l c k e r , - k l . Schrft. V , S. IG), der Name
der lakinischeu Hera, da sich bei Hesychiös keineswegs, wie Gerhard anzu-
nehmen scheint, itiv.iq durch Erde, sondern y_!) o v u I durch /da /Ä<C y i j g
erklärt findet.
— 30 —
willkürlich verfährt, sondern den schon vorhandenen Grund har-
monisch ausbaut.
Wenn die Sirenen als dem Schiffer Gefahr drohende Wesen
auf einer b l u m i g e n I n s e l wohnen, womit es für völlig identisch
zu halten ist, wenn Hesiocl sie nach der Insel Anthemoessa ver-
legt S4), so ist dies ein Zug, der im Sinne ihrer chthonischen Natur
ist und mit der Üppigen, fruchtspendenden Kraft der Erde in Ver-
bindung steht, in ähnlichem Sinne wie nicht allein Pluton als Ver-
walter und Spender der Schätze der Erde, sondern auch die finstere,
verderbliche Gestalt des Acheloos mit dem segenspendenden Horn
erscheint, ebenso wie nach Apd. II, 5, 10, 7 der Kampf zwischen
Herakles und dem chthonischen Geryon am Flusse A n t h e m u s auf
der an der Grenze der Licht- und Schattenwelt zu suchenden Insel
Erytheia stattfindet. Dasselbe Gefühl spricht sich darin aus, dass
man in der Gegend von Elina in einer ringsherum von Blumen in
reichster Fülle umgebenen Höhle den Schlund erblickte, durch
welchen Persephone von Pluton entfuhrt wurde ( A u s c . mir. 82,
D i o d . V, 3).
Schwieriger ist die Frage, woher das S i n g e n der Sirenen
stammt, doch giebt hierzu die so viel nachweislich älteste Gestalt
derselben den Schlüssel. Es lässt sich nämlich bei dem jetzt vor-
liegenden Material von Vasenbildern nicht bezweifeln, dass diese
die eines grossen, schwerfälligen Vogels mit weiblichem Haupte ist,
so dass die schon im Alterthum u ') berührte Frage, in welcher Ge-
stalt wir uns die Sirenen der Odyssee zu denken haben, heute
keiner wesentlichen Differenz mehr unterworfen sein kann 0 0 ).
Das Bild eines schwerfälligen, gespreizt und breit dasitzenden,
zum Fluge ungeeigneten Vogels ist für den Ausdruck der unbe-
weglich ruhenden und schwer lastenden Schwüle kein schlecht ge-
wähltes ; umfassen doch auch wir mit Ausdrücken wie „ Brut,
brütend" sowohl die schwer lastende Hitze überhaupt, als die
Eigenschaft und Thätigkeit des dieselbe ausübenden, schwer am

M
) Auch bei Homer fasst schol. 39 H . Q. T . av:itj.iotaac< als nomen
proprium.

) s c h o l . ,u 47 H , vergl. 39 H Q T , E u s t . S. 1709, 48.
60
) T r o t z d e m b e h a u p t e t e nach d e m V o r g a n g e von V o s s , Myth. Br. II, 33,
S. 265 und A n t i s . I I , S. 3 4 0 , und N i t z s c h , A n m . z. Od. I I I , S. 3 7 0 , n o c h
W e l c k e r , S. 172,v d a s s H o m e r die S i r e n e n in m e n s c h l i c h e r G e s t a l t aufführte.
E b e n s o sind nach G e r h a r d , F K i g e l g e s t . S. 193, die S i r e n e n bei H o m e r eher
Jungfrauen, a l s V o g e l , und S c h w a r t z , S. 471, s p r i c h t von einer v o g e l a r t i g e n
D a r s t e l l u n g der S i r e n e n a u s s e r h a l b d e s H o m e r .
— 31 —

Boden sitzenden Vogels, wobei ein ähnlicher geistiger Process zu


Grunde liegt, wie derjenige, der den plastischeren Sinn des Griechen
dazu trieb, den Zustand der Natur, den er fühlte und unter dem
er litt, zu diesem Bilde zu verkörpern und als etwas mit demselben
Identisches zu empfinden.
Diese Gestalt der Sirenen ist vielleicht auch in dem schwer zu
erklärenden Beiworte im 23sten Buche der Odyssee bezeichnet, wo
es heisst (ip 326), dass Odysseus der Penelope erzählt
iog 2eiQrtvtüv adivaiov cpOoyyov axovosv.
Schon B u t t m a n n , Lex. I, S.'204 ff., der mit Recht die Erklärungen
des Alterthums „die unaufhörlich singenden" ( B e k k . A n e c d . S.344,
23. A p o l l , lex. Horn, adiva) oder „die lieblichen, süss singenden"
(Eust.) zurückwies, suchte alle Bedeutungen dieses Wortes, welches
er als eine Nebenform von ad(>og betrachtet, mit Glück aus der
Grundbedeutung „ s t a r k , kräftig" abzuleiten, überzeugender als
D o e d e r l e i n , hom. Gloss. I, n. 278, dessen von a'Sog ausgehende
Erklärungen manche Stellen nur gewaltsam zu erklären vermögen.
Jedoch lassen sich die 2£IQT}VES adivai, welche Buttmann mit
V e r g l e i c h u n g von yiog aöivög (2*316), adivov oxevaylteiv (w 316),
adiva xkaieiv ( ß 5 1 0 ) , adivov /.ivxäo&ai (0- 413) u n d d e r g l . als
„laute, helltönende" bezeichnet, vielleicht in einfacherer Weise, da
in dem Namen der Sirenen keineswegs wie in den angeführten
Wörtern der Begriff eines Lautes oder des Tönens liegt, als die
„dicht zusammengedrängten, schwer ruhenden" auffassen, Begriffe,
die sich mit „stark" und „kräftig" leicht verbinden und in vielen
Fällen davon unzertrennlich sind, wie /7 481 äöivdv xrjg das feste,
aus dicht in einander gefügten Fasern gebildete Herz (schol. D
nvxvnv) bezeichnet, und B 87. 4G9 die dicht zusammengedrängten
( B u t t m a n n , S. 207, vergl. a&Qoog) Schwärme der Bienen und Flie-
gen mit demselben Epitheton benannt sind, so dass die Gestalt
jeder Sirene den ältesten Darstellungen entsprechend hier in eben
derselben Weise bezeichnet würde, wie a 92, ö 320 fifjh' adiva
erwähnt werden, welches Beiwort wir ebenfalls von jedem einzel-
nen, nicht von der ganzen Heerde verstehen, jedoch selbstverständ-
lich so, dass, besonders für die Wiedergabe im Deutschen, die
gänzliche Verschiedenheit beider Wesen nicht genug betont werden
kann 67).

") Aus der mit dem Begriffe des P e s t e n eng zusammenhangenden B e -


deutung „dicht gedrängt, fest zusammengeschlossen" lassen sich auch die
meisten Stellen erklären, an welchen A p o l l o n i o s , in dein Buttmann nur
— 32 —
Erschienen die Sirenen der Phantasie der Griechen jedoch ein-
mal in dieser Vogelgestalt, so war es natürlich, dass man ihnen
auch eine S t i m m e , einen G e s a n g beilegte, der zugleich dazu
dienen konnte, ihnen einen verlockenden Charakter zu verleihen,
und zu der vernichtenden Wirkung in denselben anziehenden Ge-
gensatz tritt, wie der Gesang der Kirke zu dem von ihr bereiteten
Verderben " ) . Ob erst mit dieser Ausschmückung die Verbindung
des Vogelkörpers mit einem weiblichen Haupte Hand in Hand ging,
ob dieselbe ursprünglicher, aus dem Streben hervorgegangen, dem
selbständigen dämonischen Wirken dieser Wesen einen Ausdruck
zu verleihen, oder ob sich in ihr etwa der Einfluss anderer, offen-
bar dem Orient entstammender, abenteuerlicher Zwitterbildungen
zeigt, die dazu führten, auch diese mythischen Gebilde in ähnlich
phantastischer Weise zu gestalten, lässt sich nicht mehr ermitteln
und ist nicht wesentlich.
Die Z w e i z a h l der Sirenen, die vermuthlich älter ist als das
Sirenenabenteuer der Odyssee, ist dem häufigen Auftreten niederer,
mit höheren Gottheiten in Verbindung gebrachter Wesen in der
Mehrzahl, gewöhnlich der Dreizahl — wie auch später die Sirenen — ,
jedoch auch in der Zweizahl, an die Seite zu stellen (s. die Zu-
sammenstellung bei W e l c k e r , gr. Gtl. III, S. (5).
Die Verse der Odyssee in allen Einzelheiten zergliedern zu
wollen würde verfehlt sein; es genügt im allgemeinen nachgewiesen
zu haben, dass sie eine Anwendung und Ausschmückung ¿Ics im

einen „unkundigen N a c h a h m e r " des homerischen Gebrauchs dieses W o r t e s


erblickt, sich dieses Ausdrucks bedient. So verstehen wir I V , 1422 dd'ivi)
ÒTTI von der zusammengedrängten, g e p r e s s t e n Stimme, ähnlich, jedoch in
freierem Gebrauche, III, 1 1 0 4 : xccl /.uv à x ^ f / j i v i j n ä i v i i i n n o n n i v ^ i a o ¡ x v O - i o .
Die à d ' t r ì ] l ù i rj ( I I I , 1206) ist die eng verschlungene Umarmung. Dagegen
bezeichnet es I I , 2 4 0 bei x ^ S o ; , I V , 1528 bei ilirj, I I I , 616 und_748 bei
£ j t v o q und y.tüuct nur das Heftige, Starke überhaupt, vgl. mit a d i v i ; inr]
Soph. Ai. 1 9 6 : itici o v u n r l c t .
c 8 ) Vielleicht ist bei der Gestaltung der Sirenen zu singenden W e s e n
zugleich auch die Empfindung thätig gewesen, dass die ihnen nahe verwandte
sommerliche Schwüle nicht lautlos, sondern von Stimmen der Natur erfüllt ist,
wie das Schwirren der Gicade gerade zur Zeit des heissesten Sommers von
den Dichtern hervorgehoben wird. — Die e i g e n t ü m l i c h e Erscheinung, da3s
dem Sanskritstamme s v a r entsprechend der griechische Stamm aeiQ nicht
allein G l a n z oder H i t z e , sondern auch T ö n e n oder S i n g e n bezeichnet
(vergi. Z é i p i i r j i als Erfinder des Flötenspiels nach D u r i s bei Ath. X I V ,
S. 618 B , t i r i v ó i , t s v n i y f ) ist vielleicht aus der nach S o n n e , Kuhn'8 Ztscli.
X I I , S. 358, anzunehmenden Wurzel su, triefen lassen, herzuleiten.
— 33 —

V o l k s g l a u b e n r u h e n d e n H i n t e r g r u n d e s in einer der Bedeutung des-


selben a n g e m e s s e n e n W e i s e enthalten. Einzelnes ist der freien
T h ä t i g k e i t des dichterischen Geistes anheimzustellen. So ist es z. B.
eine liberflüssige F r a g e , ob das V e r l o c k e n d e dieser W e s e n eine
G e s t a l t u n g des zur Unthätigkeit hinreissenden Einflusses der Schwüle
ist, oder nur des Gegensatzes zu dem von ihnen bereiteten Ver-
derben zu Liebe A u f n a h m e in die Dichtung g e f u n d e n hat, wie auch
sonst dieser Gegensatz, der b e s o n d e r s in der verderblichen E r f ü l l u n g
der V e r h e i s s u n g aXV oye TEQ\päf.ievog w i r o t nai nlsiova eldwg
(f-t 188) hervortritt, d e r griechischen A n s c h a u u n g geläufig ist (vgl.
z . B . A e s c h . P e r s . 97 D i n d . : cpiXiipQwv yciQ naQ'aaaivsi ßgozov
eis dlxTvag *'-Atu).
W a r a b e r einmal dieser verlockende G e s a n g geschaffen, u n d
hatte es dem Dichter beliebt, ihn nicht allein in einem hellen
Singen bestehen zu lassen, sondern ihm auch W o r t e zu verleihen,
so war es ein zwar hochgreifendes, keineswegs j e d o c h unstatthaftes
U n t e r f a n g e n , durch die H e r v o r h e b u n g d e s W i s s e n s den Sirenen-
g e s a n g d e m der Musen gleichzustellen (vergl. ¡.i 189 mit B 485),
j e d e n f a l l s ohne die von s c h o l . fi 160 Q u n d C i c e r o , de fin. V, 18,
vorausgesetzte e t h i s c h e T e n d e n z , die Wissbegierde des Helden
in ein rühmliches Licht zu stellen, u n d ohne dass die von
O u w a r o f f , über das V. H. Zeitalter, S. 19, angestellte Vergleichung
mit der S c h l a n g e des A. T., w e n n wir auf die Absicht des Dichters
sehen, am P l a t z e w ä r e . E b e n s o w e n i g wie den Musen ist übrigens,
wie N i t z s c h , Anm. z. Od. III, S. 393. 94, richtig hervorhebt, i h n e n
ein p r o p h e t i s c h e s Wissen gegeben, so d a s s zu der von G e r h a r d ,
gr. Myth. § 5 5 3 , g e g e b e n e n E r k l ä r u n g als „ p r o p h e t i s c h e Sänge-
r i n n e n " k e i n G r u n d vorliegt.
Die F r a g e endlich, wesshalb die Sirenen trotz der ihnen zu-
g e w i e s e n e n weiteren B e d e u t u n g ü b e r h a u p t in den Kreis der Aben-
teuer des Odysseus a u f g e n o m m e n sind, ist vermuthlich d a d u r c h zu
beantworten, dass die Anschauung des Volkes diese dem H a d e s
a n g e h ö r i g e n W e s e n sich an den Grenzen der Unterwelt im fernen
Westen, a n d e n e n Odysseus v o r b e i g e f ü h r t w i r d , besonders thätig
dachte. D a s s sie durch diese A u f n a h m e in den Kreis der See-
abenteuer dieses Helden auf eine Insel versetzt wurden und als
dem Schiffer g e f a h r d r o h e n d e Wesen erscheinen mussten, obwohl
sie ihrer ursprünglichen Bedeutung nach k e i n e s w e g s ausschliesslich
so zu beurtheilen sind, ist begreiflich.
D a s . s c h ö n e Bild, d a s uns die u n b e f a n g e n e P h a n t a s i e und die
S c h r ä d e r , liegriir tl. S i r e n e n . Q
— 34 —
auf der späteren Ausschmückung des Mythos fussende Tradition
von den Sirenen vorspiegelt, ist durch die Feststellung ihres ur-
sprünglichen Begriffes und den damit in Einklang gebrachten Grund
der homerischen Schilderung nicht wenig getrübt, ein Schicksal
das sie mit der ursprünglichen Gestalt vieler Schöpfungen des grie-
chischen Geistes, die in der reichen Ausstattung späterer Zeit vor
unsern Augen schweben, theilen. Doch wird es trotzdem möglich
sein, nach wie vor den Zauber der homerischen Dichtung, die
auch in diesem Falle nur das wirklich Schöne erwähnt, und das
weniger Schöne verschweigt, walten zu lassen, wie auch das ganze
Alterthum die Fortdichtung des Begriffes der Sirenen zum grossen
Theil aus ihr geschöpft hat.
Diese verschiedenartigen Vorstellungen, die wir im Vorher-
gehenden als entweder ursprüngliche Anschauungen oder spätere
Ausschmückungen zu sondern versucht haben, berühren ausserdem
noch verschiedenartige Gebiete der mythischen Anschauungen des
Alterthums, des griechischen wie des aussergriechischen, so dass
es natürlich ist, wenn diese Gestalten von alten wie von neueren
Forschern vielfach mit anderen verwandter Richtung zusammenge-
worfen worden sind.
Eine gewisse Beziehung der Sirenen zu A p h r o d i t e als Todes-
göttin, aus welcher W i e s e l e r (nuov. mem.) ihr ganzes Wesen her-
zuleiten sucht, lässt sich selbstverständlich ebensowenig läugnen,
wie zu sonstigen chthonischen Wesen, doch scheint diese Beziehung
vielfach zu weit ausgeführt worden zu sein, und dadurch zuweit
gehende Consequenzen herbeigeführt zu haben. Denn der vor
allem anderen zu dieser Annahme führende Zusammenhang der
Sirenen mit griechischem Gräberdienste ( G e r h a r d , gr. Myth. §553)
dürfte bei Erwägung der einzelnen Momente, auf welchen er be-
ruhen soll, mehr als zweifelhaft ergeheinen. So bezieht sich z. B.
der in diesem Sinne gedeutete Fackellauf in Neapel schwerlich
auf die S i r e n e Parthenope (vergl. Abschn. III.), und wenn sie als
Schmuck von Gräbern erscheinen, so ist dies, wie schon v. S t a c k e l -
b e r g , N i t z s c h , F r i e d l ä n d e r und S a l i n a s behauptet haben,
nicht ein Symbol des Todes, sondern eine Verkörperung der T o d t e n -
k l a g e (vergl. S. 38); auch ist ihr Name durch die von aeig aus-
gehende Deutung nicht mehr, wie es bei der Verbindung mit asiga
möglich war, mit der fesselnden Macht Aphrodite's zu vergleichen,'
und endlich dürfte die Zusammenstellung der makedonischen A p h r o -
d i t e ZsiQTjv oder Zeigrjvtj (Hesychios) mit den 2eigfjvsg, wie
solche von K l a u s e n , Aen. I, S. 499, G e r h a r d a. a. 0 . und § 363,
— 36 —

3 c, und W e l c k e r , S. 164 69), ausgegangen ist, sowohl sprachlich


einiges Bedenken haben, da in unzweifelhaft griechischen Wörtern
der Uebergang von a in £ vor einem Vokale fraglich erscheinen
muss, als auch, selbst wenn die Möglichkeit der Identität beider
Namen zugegeben wird, durch nichts indicirt sein. Vielmehr scheint
diese ZSIQ^VTJ mit dem Namen der thrakischen Stadt Zeiqtvia
(Steph. Byz.) zusammenzuhängen, und also ebenso wie die ebenfalls
thrakische — und samothrakische — A p h r o d i t e Zrjqivd-La ihren
Namen nur dem Local ihrer ursprünglichen Verehrung zu verdanken.
Auch Beziehungen der Sirenen zu A p h r o d i t e in n i c h t s e -
p u l c r a l e m S i n n e , wie solche nach dem Vorgange L a g l a n d i e r e ' s ,
Ann. I, S. 288, und W e l c k e r ' s , Ann. IV, S. 383, 1, G e r h a r d , gr.
Myth. § 553 u. A. V. I, S. 102, annimmt, lassen sich nirgends mit
der Sicherheit nachweisen, wie die Beziehungen zu Persephone und
Hera. Sie beruhen zum Theil auf der durch die angenommene
Verwandtschaft mit der Todes-Aphrodite bedingten Auffassung des
Sirenengesanges als Liebeslockung (vergl. S. 27), zum Theil auf
der Deutung mehrerer Vasen, auf welchen Sirenen ohne an der
Handlung Theil zu nehmen erscheinen, im Sinne von „Hochzeits-
Vasen" (vergl. d. arch.Th.). Sollten trotzdem vereinzelte Beziehungen
zu dieser Göttin anzunehmen sein, so würden sich dieselben aller-
dings mit Leichtigkeit aus dem hinreissenden Gesänge erklären
lassen, ohne jedoch für die Erkenntniss ihres Wesens von grösse-
rer Bedeutung zu sein, als die aus der Kunst des Gesanges her-
zuleitenden vereinzelten B e z i e h u n g e n zu A p o l l o n , D i o n y s o s ,
und die vermuthlich auf demselben Grunde beruhenden zu A t h e n e
(eine Sirene als Sz. auf einer panathenäischen Amphora, s. d.
arch. ,Th.).

69
) Vgl. noch Usener, Rh. Mus. XXIII, S. 363.

3*
— s e -

il.
Weitere Entwickelung und Veränderung des Be-
griffes der Sirenen bis zur alexandrinischen Zeit.
Die nächsten zeitlich festzustellenden Erwähnungen *) der Si-
renen nach Homer zeigen uns dieselben von dieser Dichtung be-
einflusst als s i n g e n d e W e s e n .
Der in d e m Verse des A l k m a n : a Miöaa xexirjy, a XLyeia
ISIQI]V (bei Aristid. II, 508. Bergk, fr. 7, S. 634), wo ihr Name als
Beiname der Musen erscheint, liegenden Betonung der Kraft ihres
Gesanges begegnen wir auch auf einem Relief guter attischer Zeit
(s. d. arch. Th.), dann besonders in der späteren Literatur 2 ), auch bei
den Römern 3), unter welchen Columella (X, 263) sie zu Begleite-
rinnen der Musen machte, während in den bekannten Versen auf
den Grammatiker V a l e r i u s C a t o (Suet. de gramm. 11):
Cato grammaticus L a t i n a S i r e n ,
Qui solus legit ac facit poetas,
ihre Thätigkeit ganz wie sonst die der Musen als eine zum Dichter
bildende erscheint 4 ); von derselben Bedeutung ihres Wesens aüs
werden D i c h t e r — Homer 5 ), Sophokles 6 ), Menander 7 ) — auch
selbst S i r e n e n genannt.
Ebenso begreiflich ist es, dass dieselben Wesen, und zwar
ebenfalls auf Grund der homerischen Verse, auch in G e g e n s a t z
zu den Musen treten: so soll schon P y t h a g o r a s beide einander

') Der von s c h o l . T i V — nicht B — 3em E p i c h a r m o s beigelegte Vers:


Xctol xaXy.oyJxm>(s (Ahrens, dial. dor. p. 229. Codd.: lo^oyjiwvos) cixoünt Za-
Qrjväiav wird mit Wahrscheinlichkeit von B e r g k , poet. lyr. Gr. S. 1075, den
Epigrammen des K a l l i m a c h o s zugeschrieben.
s
) Epigr. C. I. Gr. 6261. 6268. A n t h . P a l . Y, 241, 7 (Paul. Silent.). H i m e r ,
orat. 4,10. 5,16. 16,1. A r i s t a e n . ep. 11,19. P h a v o r i n . : XtiQ^vnct fiilri'yXv~
xinaia.
3
) Juv. 14, 18. P e t r o n . 127.
4
) Ganz ähnlich nennt C h r i s t o d o r . , ecphr. 303, den Apulejus einen ,uvairj;,
den Aioovli ¿qq^iou ao(f(t]g {¡>Q(\pajo ZeiQrjv, und sagt v. 350 von Homer:
lheQixrjs Zeigrjvog agytov egyov v<faivtav.
5
) Oert. H e s . et Horn, p.314, 15. Göttl.
6
) P a u s . I, 21, 2.
') ZttQriv dtäjQtov, C. I. G. 6083.
— 37 —
g e g e n ü b e r g e s t e l l t , u n d die n i e d e r e n Genüssen f r ö h n e n d e Lust ver-
g l i c h e n h a b e n xaig avdqotpövoig « 3 v 2eiQ-qvwv ¿Saig, die reineren
Z w e c k e n n a c h s t r e b e n d e dagegen Movowv tivi agfiovia (Porphyr,
vit. P y t h . 3 9 ) 8 ) , u n d E u r i p i d e s l ä s s t H e r m i o n e sich über den schlech-
ten Rath, der ihr zu Theil geworden, b e k l a g e n mit den W o r t e n :
xayw xivovaa rovaöe 2eiQTjv(ov )-öyovg
oocpiov navovQycov noixLXiov XaXrjfiäxwv
ei;r]v£fiiü&r]v /.aogltjc (Andr. 916),
w ä h r e n d a n a n d e r e n , j e d o c h erst späterer Zeit a n g e h ö r i g e n , Stel-
len 9 ) w e n i g e r d a s zum Bösen oder zum Schaden V e r f ü h r e n d e als
d a s Hinreissende der Rede oder des G e s a n g e s mit einer Sirene
verglichen wird, wie P a u s a n i a s (I, 2 1 , 2 ) b e m e r k t : elaid-aoi de xai
vvv exi noirjftäzwv xai loywv xo inaytoyov HetQrjvi elxa-
£eiv. In diesem Sinne erhielt der Philosoph Ariston aus Chios
d e n Beinamen E e i q r j v (Diog. Laert. VII, 160) und erscheint, nach-
weislich seit der alexandrinischen Zeit — zuerst bei Alexander dem
Aetoler l 0 ) — der Ausdruck aeigrjveg als Appellativum zur Be-
zeichnung der f e s s e l n d e n Rede.
Einem ganz a n d e r n Kreise gehört der k l a g e n d e C h a r a k t e r
d e s S i r e n e n g e s a n g e s a n , dem wir k l a r ausgesprochen zuerst bei
E u r i p i d e s begegnen, der die H e l e n a sie a n r u f e n lässt (Hei. 167 ff.):
TlT£QO(fOQOl veäviöeg,
Jiaq&ivoi %dovbg xogai,
SeiQrjvsg, el'tf ifioig yöoig
ftöloix' e'xovoai zov slißvv
Xioxbv 77 avqiyyag" allivoig xaxoig
rolg Bf.inl.ai ovvo%a däxgva
näSeot na&ea, fieleai fiele ct.
ftnvaeid xe & Q r\ V r\ FI a 01 ^vvojda
Tieftipeie (Degaecpaaaa
(povta cpovia xxX.,
ebenso wie in späterer Zeit L y k o p h r o n (v. 1462) von der K a -
sandra sagt:

8
) Etwas anders Clem. Alex. Strom. I, 294, p. 127 Sylb.: M o v o a s Zti-
(>ijt'<ov Tfdlov; TjytToftcu TIvihtyoQcts nctQccivii, rns aotficig ctoxtiv fit] fj.tra
rjdorrii iSiiJaaxcov, itnurrjXov (ff Trjv ilXXrjV <SnXty%iov if/v/nyioyiav.
') z.B. A e l . V. H. XII, 1 von der Aspasia: (f«i>vrjfia <fe fl/tv ijiiv xai
nTtaXdv tlntv « V Tis XaXovarjg 01)17}? axovttv ^eiyrjvo;.
10
) Bei Gell. N. A. XIV, 20, vgl. M e i n e k e , Anal. Alex. S. 247. Häufiger
bei Dionysios von H a l i k a r n a s s , z. B. de vi die. in Dem. c. 35, auch z. B.
Piut. Mar. 44.
— 38 —

ev de xagSitjc
Seigfjvog ¿OTsvage loia&iov fieXog,
und der unbekannte Verfasser des o e t ä i s c h e n H e r c u l e s (v. 191):
me vel Siculis addite saxis,
ubi fata gern a m Thessala S i r e n .
In diesem Sinne standen Bilder von S i r e n e n a u f g r i e c h i s c h e n
G r ä b e r n , besonders in Athen, wo aus der Gräberstätte des alten
Kerameikos eine beträchtliche Anzahl zu Tage gefördert worden
ist (s. d. arch. Th.). Denn dass diese, schon von v. S t a c k e l b e r g ,
Gr. d. H. S. 10, N i t z s c h , Anm. z. Od. III, S. 370, F r i e d l ä n d e r ,
de op. anagl. in sep. Gr. S. 33, S a l i n a s , rev. arch. 1864, I, S. 370,
aufgestellte Ansicht die richtige ist, und nicht diejenige"), nach
welcher die Sirenen in dieser Verwendung die unwiderstehlich
lockende Gewalt des Todes darstellen, geht aus dem Charakter
mehrerer dieser Bilder hervor, die uns Sirenen sich das Haar rau-
fend, sich an die Brust schlagend, oder zwischen Klageweiber ge-
stellt zeigen, in vollkommener Uebereinstimmung mit einem Epi-
gramme des M n a s a l k a s , in welchem die auf dem Grabe eines
jungen Mädchens stehenden Sirenen sprechen:
xad de a ¿/.iv^äfievai neQidaxgvsg a'ld5 enl Tvpßtp
15eg ^eiQtjvojv eaza/^eg eldötki^toi
(Anth. P a l . VII, 491, vgl. M e i n e k e , del. poet. p. 93), sowie mit
der Verwendung der Sirenen am Scheiterhaufen des Hephästion
für die Aufnahme der Sänger der Todtenklage (Diod. XVII, 115).
Denn zu den unverkennbaren Zeichen der Trauer stimmt vollkom-
men ihr danach als Threnos zu fassender Gesang und das Spiel
der Instrumente, während sich mit diesem Spiel, wenn wir in dem-
selben ein Bild der verlockenden Macht des Todes sehen, Jammer
und Klage schlechterdings nicht in Einklang bringen lassen.
Das soviel nachweislich älteste Beispiel dieser personificirten
Todtenklage bietet uns ein Epigramm der E r i n n a , die ( A n t h .
Pal.- VII, 710) ihr Grab mit den Worten begrüsst:
2xäXai %aL 2eiQrjves e/xal xal nevd-i/xe XQioooe,
oOTig Ididct tav bhiyav anoöiav,
wodurch uns also die Sirenen als etwas schon zu verhältnissmässig
früher Zeit in diesem Sinne allgemein Verbreitetes erscheinen, ein
u
) W e l c k e r , gr. Myth. III, S. 167. M i c h a e l i s , Denkm. u. Forsch. 1866,
S. 140. — K l a u s e n , Aen. I, S. 492, 760, erblickt in den Sirenen bei Euripides
a. a. 0 . ein Bild, wie der Mensch unter den wehmüthigen, thränenreiclien
Sirenenliedern hinstirbt, eine, was die Interpretation dieser Stelle betrifft, un-
begreifliche Ansicht.
— 39 —

natürlicher Ausfluss ihrer bei Homer freilich wenig hervortretenden


chthonischen Bedeutung. Dieser entsprechend musste es nämlich
nahe liegen, auch ihrem Gesänge einen düsteren, dem menschlichen
Geschlechte verderblichen Charakter zu verleihen. So machte S o -
p h o k l e s (fr. 407 D) sie zu Töchtern des P h o r k y s (vgl. S. 40) und
Hess sie Weisen des Hades tönen 12 ) („sie singen Todtenlieder",
W e l c k e r , S. Ifi6), womit es unmittelbar zusammenzustellen ist,
wenn sie in der angeführten Stelle des E u r i p i d e s als Wesen er-
scheinen, die zur Syrinx und zur Flöte klagende Lieder anstimmen,
eine Wendung, die in dem Glauben, dass der Hades der Sitz des
Klagens und des Jammers, ihren Grund hat, wie auch Elektra bei
Euripides (El. 148) die Klagen, die sie um Agamemnon ertönen
lässt, ein /.telog I d i d a nennt.
Ob diese Bedeutung der klagenden Sängerinnen im Allgemei-
nen oder ob die der Todtenklage die ältere ist, ist bei der engen
Verwandtschaft beider Begriffe, besonders für dem Hades angehö-
rende Wesen, eine überflüssige Frage ,3 ); jedenfalls ist aber dagegen
Einsprache zu erheben, wenn H. D. M ü l l e r , Ares S. 112, die An-
sicht aufstellt, dass die Todtenklage die Sirenen Uberhaupt erst ins
Leben gerufen hätte. Denn für die alten Zeiten, in welche wir die
Entstehung des Glaubeus an die Sirenen zu versetzen haben, ist ein so
symbolisirender und abstrahlender Vorgang sicher nicht anzunehmen.
Durch die noch jetzt erkennbare 14) weite Verbreitung der Sitte,
Gräber mit Sirenen auszuschmücken, wird übrigens die Behauptung,
dass man d a s G r a b d e s S o p h o k l e s (Vit. S o p h . p. 5, 10 Dind.)
und das d e s I s o k r a t e s ( P s e u d o - P l u t . vit. Isoer. p. 838 C, vgl.
P h i l o s t r . vit. soph. 1, 17, p. 213, 24 Kays., W e s t e r m a n n , ßioyq.
p. 259) mit dem Bilde einer Sirene geschmückt hätte, um den
Zauber ihrer Worte zu verherrlichen, in das rechte Licht gestellt,
da es von den Verfertigern dieser Denkmäler schwerlich veranlasst
werden konnte, dass man neben Hunderten von Sirenen, in denen
man ein Bild des Trauergesangs erblickte, diese oder etwa noch
wenige andere als symbolischen Ausdruck für dichterische oder
rednerische Begabung auffasste.

12
) Xeinfjrcis fiaci(fix6firjv
't>6<izov 9QOO vvi e T ov;".-liäov vdtuovi,
nach L o b e c k ' s Emendation (Ai. S. 292).
,3
) V o r a u s g e s e t z t dass sie nicht mit W e l c k e r , gr. Gtl. III, S. 167, dahin
beantwortet wird, d a s s , weil Sirenen häufig auf Grabdenkmälern vorkamen,
Euripides den reizenden S i r e n e n g e s a n g in einen traurigen verwandelt hätte.
") s. die Aufzählung im arch. T h .
— 40 —
Wenn in diesen verschiedenen Bedeutungen des Gesanges der
Sirenen nur Keime des ursprünglichen Wesens derselben und der
Art und Weise, in welcher Homer sie uns vorführt, einseitig bald
so bald so ausgeführt sind, so war dieselbe Zeit, zu welcher wir
hier gelangt sind, in anderer Beziehung schon mit Zusätzen zu der
älteren Vorstellungsart hervorgetreten.
S o p h o k l e s , der den Odysseus, vermuthlich in den Phäaken
( W e l c k e r , gr. Tr. I, S. 232), sein Abenteuer bei den Sirenen er-
zählen Hess, machte sie, die Sängerinnen des Hades, zu Töchtern
des Phorkys, während sie in der ä t o l i s c h e n L a n d es s a g e , die
sich also in der damaligen Zeit noch nicht allgemeine Geltung ver-
schafft hatte, als Töchter des Acheloos erscheinen und von E u r i -
p i d e s (Hei. 167) ihrer ursprünglichen Bedeutung entsprechend als
Töchter der Erde bezeichnet- werden. Diese Abstammung von
Phorkys ist jedoch keineswegs im Sinne ihrer Grundbedeutung und
auch nicht im Sinne der von Sophokles selbst erwähnten Weisen
des Hades, sondern ist ihnen nur als Wesen gegeben, die dem
Dichter als Wunder- und Schreckensgestalten in der nebelhaften
Ferne der Westsee erschienen, denen vergleichbar, welche sonst
als Kinder des Phorkys bekannt sind, der Skylla ( A c u s i l . bei schol.
Apoll. Rhod. IV, 828. s c h o l . /.i 85 V. T z e t z . Lyc. 45. 650), den
Gräen und Gorgonen ( H e s i o d . theog. 270. 74. P i n d . Pyth. 12, 13.
L u c a n . I X , 645), den Hesperiden ( A c u s i l . bei schol. Ap. Rhod.
IV, 1399) ,ä ).
Ebensowenig wie die Bezeichnung als Töchter der Erde ist
die V e r s t ä r k u n g i h r e s G e s a n g e s durch musikalische Instrumente,
die libysche Flöte oder die Syrinx, der wir bei Euripides a. a. 0 .
begegnen, für eine Erfindung dieses Dichters zu halten, da wir
schon auf alten Vasenbildern, die unmöglich von diesen Euripidei-
schen Versen beeinflusst sein können, Sirenen mit ähnlichen Attri-
buten ausgestattet finden. Doch ist zu bemerken, dass die Syrinx
erst in späten Werken etruskischer und römischer Kunst wieder
in ihrer Hand erscheint, während in der altern griechischen Kunst
— auch bei den uns erhaltenen Bildern sepulcraler Bedeutung —
Flöte und Leyer von ihnen gespielt werden (s. die betreffenden Ab-
schnitte im arch. Th.). Diese Verleihung von Instrumenten an Wesen,
die bei Homer nur durch Gesang wirksam sind, zeigt, dass das musi-
kalische Element mehr und mehr hervortritt und zur Hauptsache wird.

15
) Nach E u p h o r i o n ( M e i n e k e , Anal. Alex. S. 93) sind die E u m e n i d e n
Enkelinnen des Phorkys.
— 41 —

Auch in anderer Beziehung hatten sich schon in der vor-alexan-


drinischen Zeit die volksthümlichen Vorstellungen von der homeri-
schen oder der noch älteren entfernt. Die G e s t a l t ist zwar auf
Vasenbildern noch die eines Vogels mit weiblichem Haupte in ver-
schiedenen Nüancirungen der Zusammensetzung; doch findet sich
ausserhalb des Kreises dieser Kunsterzeugnisse bereits die Verbin-
dung eines weiblichen Körpers mit den Beinen, den Flügeln und
dem Schweife eines Vogels in den mannigfachen Variationen, die
die Vereinigung dieser heterogenen Elemente zulässt. Auf eine
Gestalt dieser Art beziehen sich auch die Verse der Neottis des
A n a x i l a s bei Ath. X I I I , S. 558 C von der mit einer „gerupften
Sirene" verglichenen Hetäre Theano:
f¡ Qsavw d' oxji 2BIQT¡V éaziv anozet iXf.iévr¡;
ßkefi/.ta xai cpiovrj yvvatxóg, xá axéi.r¡ dé xoipl%ov,
welche die Annahme, dass Darstellungen dieser Art zur Zeit des
vierten Jahrhunderts in Athen allgemein bekannt waren, nöthig
machen.
Neben dieser Uebereinstimmung würde es als eine durch nichts
begründete Fiction erscheinen müssen, wenn, wie es in der Ueber-
lieferung in der That geschieht, E u r i p i d e s , der Hei. 167 die Si-
renen kurz und oberflächlich als nxeqocpÓQOi veávideg bezeichnet,
in einem von C l e m e n s von A l e x a n d r i a ( O X Q ( O / . I . I V , S. 232
Sylb.) erhaltenen Fragmente (fr. 903 Nauck) ihnen sqésvxa né-
ó í l a beilegt:
XQvoeai ófj fioi msQVysg negi VÜJTÜI
xai xá 2eiQr¡vu>v sQÓevxa nédiXa
aQ/xó^exai,
ßaoo[iai x slg (cod. allega nolvv (Bergk novXvv, Dobree nohnv)
a£Q$eig Zr¡vi nQoafií^atv
Denn „liebreizende Schwungsohlen" passen schlechterdings nicht
zu den Vogelfüssen, die in dieser Zeit den Sirenen verliehen wer-
den. Doch ist ohne Zweifel richtig schon von G r o t i u s anstatt
SQoevra conjicirt worden nxeQoevxa, so dass der Vogelfuss nebst
dem befiederten Beine in freilich etwas manirirter Weise mit einem
geflügelten Schuhe —• H e s i o d . San. 220 von Perseus: a/.t(pi de
nooolv e%e nxBqóevi a néóila — verglichen wäre. Ohne Grund
und gegen die Sprache haben übrigens V o s s , myth. Br. I, 33, S. 221,
und noch kürzlich S c h w a r t z a. a. O. S. 4 6 8 , auch die „goldenen
Fittige" der Verse des Euripides auf die Sirenen bezogen.
Neben diesen in der griechischen Anschauung allgemein ver-
breiteten Vorstellungen begegnen wir einer ganz eigentümlichen
— 42 —
und vereinzelt dastehenden Verwendung der Sirenen in derselben
Periode noch bei P l a t o . Während er sie einmal in Uebereinstim-
mung mit ihrer ursprünglichen Bedeutung zu I n s a s s e n d e s H a d e s
macht, und ihnen auch hier eine b e z a u b e r n d e W i r k s a m k e i t
zuzuschreiben scheint l 6 ), giebt er ihnen in seiner Vision des Welt-
alls (de rep. X , 617 B) eine m i t d e r H a r m o n i e d e r S p h ä r e n
z u s a m m e n h a n g e n d e Stellung.
Das Weltall erscheint ihm unter der Gestalt einer sich drehen-
den Spindel. Um den Stab derselben liegen acht in einander ge-
schachtelte Hülsen herum, die sich drehen. Auf den oberen kreis-
förmigen Rändern derselben, die von verschiedener Breite sind,
stehen S i r e n e n ( i n t dé xiöv xvxliov atxov avco&ev ecp3 sxáaxov
ßeßrjuevat, 2siqf¡va av¡.inEQi(psqo^iévr¡v (p(i)vr¡v ¡.dav lelaav
avá xóvov EX ncujiüv dé OXTIO otoiöv ¡.líav aq(.ioviav covaiv).
Pythagoras hatte die M u s e n mit seinen neun Sphären in Ver-
bindung g e b r a c h t " ) ; mit Recht bemerkt daher schon P l u t a r c h ,
Q. S. IX, 14, 5 : o dé ÍIIÚTCÜV axonog, xacg /.isv aidioig xal &eiaig
nsqicpoqaig avxl xiov Movawv zag 2etqfjvag évidqvcjv, ov
návu cpilav9qconovg ovdé %qr¡axovg daí/.tovag. •— allá f.ioi doxet
nláziov tag áxqáxxovg xal r¡laxáxag xoig cíSorag, orpovdvlovg dé
xovg aaxéqag, sÍt]llay(.iévíog évxav$a xal xág Movaag 2et-
qrjvag ovo/ná£eiv, aügovoag (codd. eqsovaag) xa tiela xal le-
yovaag sv 'Liidov, xattánsq Socpoxléovg 'Odvaaevg cpr¡ai 2eiqf¡vag
cloacpixéotyctL
(ÜÓQXOV xóqag alttqoívxog xovg 'Ididov vófiovg '"),
während T h e o n v o n S m y r n a ( d e astr. S. 202 ed. Martin) die
Sirenen hier für ein Bild der Planeten hielt.
Wenn auch diese Platonische Anwendung der Sirenen sich
nicht auf die Anschauung des gesammten Alterthunis ausdehnen
lässt — die Worte und die Erklärung Plutarch's zeigen deutlich,
dass sie völlig vereinzelt dastand — , so lässt sie sich trotzdem

16
) Orat. S. 403 D: <Sicc TKVTCI ÄOCC qdj/iiv, <o 'ETJPOYIVT;, oucif l'rt ötifio
'^itiSov) tthXrjaai antXOtlv itöv (xit&tv, oväi avttis r«S ZeiQrjvai, fU/n
xaTcixixtillja3ai ixcivas xai toi; ceXXous ncivrai • oiiito xaXovs nvcts, <*>S 'eoixev,
¿RRIUTNIAI X6yovs Xiyttv O "ATÖRJG XTX. Ausserdem conv. S. 216 A. Phaedr.
S. 259 A in der geläufigen einfachen Hervorhebung ihres fesselnden Gesanges.
") P o r p h . Vit. Pyth. 31, vgl. Mart. Cap. I , §27. Bei I a m b l i c h o s ,
vit. Pyth. cap. 18, S- 176 Kiessl.: y ¿Qporfn, tv fi al ¿iiorjvii, eine Yerschmel-
zung des Pythagoras mit Plato.
18
) Aehnlich M a c r o b . , somn. Scip. II, 3, und hieraus Myth. Vat. III,
11, 9. Vgl. S. 39, 12.
— 43 —

auf das leichteste aus derselben ableiten. Als s i n g e n d e W e s e n


standen die Sirenen den Sphären und deren Harmonie ebenso nahe
wie die von Pythagoras in diesem Sinne verwendeten M u s e n , und
für die Achtzahl der Platonischen Sphären war es näherliegend,
Sirenen zu verwenden als Musen, die in der Anschauung der Grie-
chen eine zu feste Gestaltung angenommen hatten, als dass sie mit
derselben Leichtigkeit in der Achtzahl auftreten könnten. Auch
hätte das Ganze durch die Anwendung der Musen viel von dem
nebelhaften Charakter, der für eine solche, sich jenseits des Grabes
bewegende, Vision sich von selbst ergiebt, verloren.
Auf die von Plato angewandte A c h t z a h l ist für die Anschauung
des griechischen Volkes durchaus kein Gewicht zu legen; bei der
für die Sirenen, wo sie nicht in dem Abenteuer des Odysseus er-
scheinen, willkürlich angewandten Ein-, Zwei- oder Mehrzahl (Diod.
XVII, 115) ist sie nur für eine durch die Zahl der Sphären be-
dingte Vervielfältigung zu halten, ebenso wie das Ganze eine will-
kürliche Benutzung der von dem Glauben des Volkes ursprünglich
in der Unterwelt oder doch mit derselben in Verbindung geglaubten
Sängerinnen für eine Speculation des Philosophen ist.
Da eine so einfache und naturgemässe Erklärung sich dar-
bietet, sind wir durch nichts veranlasst, die dunkle Vision Plato's
dadurch noch mysteriöser zu machen, dass wir die Gestalt der
Sirenen in dieser Verwendung auf o r i e n t a l i s c h e V o r s t e l l u n g e n
zurückzuführen suchen, wie dies von W i e s e l e r (nuov. mem. p.431)
im Zusammenhang mit seiner Ansicht von dem orientalischen Ur-
sprung der Sirenen überhaupt und speciell durch Vergleichung einer
M ü n z e v o n G a b a l a (vgl. d. arch. Th.) geschehen ist, die uns auf
einem runden, scheibenförmigen Gegenstand einen Vogel mit mensch-
lichem Haupte stehend zeigt, und nach Wieseler das Bild einer Sirene
auf einem der von Plato erwähnten „xvx?.oili darstellte.
Um von der geringen Beweisfähigkeit dieser Münze für den
orientalischen Ursprung der Sirenen |,J) abzusehen, so geht der Um-
stand, dass wir in dieser Vision Plato's eine einseitige, keineswegs
tiefgehende Verwendung der Sirenen haben, allein schon daraus
hervor, dass die weitere Entwickelung des Begriffes derselben
durchaus nicht durch sie beeinflusst worden ist, so dass sie sich
vor allen Dingen gewiss am wenigsten auf einen späten Münztypus
erstreckt hat. Nicht mit Unrecht hebt P r o k l o s zu Plat. Crat. § 157,

19
) Ihr können ebenso gut griechisch -römische Anschauungen zu Grunde
liegen.
— 44 —
S. 94 Boiss. im Hinblick auf diese und die Anm. 16 erwähnten
Stellen hervor, dass P l a t o — nicht die Griechen überhaupt — drei
Arten von ¡Sirenen k e n n e n : ovgâviov dyévnç), onsç èavlv vno trjv
tov diàç ßaaiXeiav, ysvsaiovçyiv, oneg hariv vno tov Tloaei-
èôjva, xa9aQTixôv, oneç èarlv vno TOV "Aiôi\v, xai eazi xoivov
avTtüv naawv TO ôià zrjg svaQfioviov xivrjoewç vnoxaxaxXivetv navra
roig savTiûv ï}ys).iôaL 3-eo'tç, w o b e i die E i n z e l h e i t e n d e r E r k l ä r u n g
auf sich beruhen mögen.
Endlich scheinen schon in derselben Zeit sich in der volks-
tümlichen Anschauung Vorstellungen herausgebildet zu haben,
denen wir später, seitdem sie von den alexandrinischen Dichtern
benutzt worden sind, allgemein begegnen. Wenigstens zeigt das
Bild einer in V u l c i gefundenen V a s e (M. J. I, 8), die mit grösserer
Wahrscheinlichkeit vor der Zeit des Lykophron als nach derselben
entstanden sein dürfte, und dem Charakter dieser ganzen Kunst-
richtung nach gewiss nicht unter dem Einflüsse Eines bestimmten
Dichters steht, in dem Abenteuer des Odysseus schon einige Ab-
weichungen von Homer, die seit der alexandrinischen Zeit der
allgemeinen Anschauung eigentümlich geworden sind. Es sind
nicht mehr, wie bei Homer, zwei, sondern d r e i Sirenen, die sich
nicht mehr auf einer blumenreichen Insel, sondern auf s c h r o f f e n
F e l s e n zeigen, worin sich schon eine Auffassung ausspricht, die
in ihnen nur Schrecknisse des Meers erblickt, für welche ein sol-
cher Ort unserer Phantasie angemessener erscheint als eine an-
muthige Insel. Dasselbe Vasenbild bietet ausserdem einerseits be-
reits für eins dieser Wesen eine B e n e n n u n g (Himeropa), die
zwar die verlockende Macht ihrer Stimme bezeichnen soll, jedoch
schwerlich anders zu beurtheilen ist als das häufige Erscheinen
von Appellativis anstatt der sonst üblichen Eigennamen gerade auf
Vasenbildern, andrerseits den ebenfalls von der späteren Poésie
(S. 49) ausgebeuteten Zug, dass die Sirenen sich, da Odysseus ihren
Tönen nicht folgt, von ihrem Sitze ins Meer stürzen und d e n T o d
f i n d e n . Hierin liegt es deutlich ausgesprochen, dass der Glaube
an die Sirenen bereits aufgehört hat, und dass sie zum Theil
schon zur Fabel geworden sind; man glaubt nur noch, dass sie
e x i s t i r t h a b e n , sucht nach einem Grunde, wesshalb sie nicht
mehr vorhanden sind, sieht diesen in dem wunderbaren Ereigniss,
dass nach so vielen dem Verderben Geweihten endlich Einer ohne
Schaden an ihnen vorübergefahren ist, und verknüpft desshalb ihr
Schicksal mit dem dieses Mannes.
Ebenso ist es zu beurtheilen, dass man schon damals anfing,
— 45 —
eine E r k l ä r u n g f ü r d a s E n t s t e h e n d e s S i r e n e n m y t h o s zu
suchen; so behauptete nach Plinius, H. N. X , 136, D e i n o n , der
Vater des Kleitarchos, in Indien gäbe es Sirenen, fabelhafte Vögel,
die durch ihren Gesang die Menschen einschläferten und dann
zerrissen " ) , welcher Erklärung sie also als ein noch vorhandenes
Wunder der Natur"') erschienen.

so
) Diese Wirksamkeit der Sirenen z e i g t sich auch in der mittelalter-
lichen F a b e l über d i e s e l b e n , nach welcher sie Meerweiber sind, die durch
ihren G e s a n g die Schiffer anlocken, einschläfern, und dann zerreissen. P i p e r ,
Myth. d. ehr. K . I, S 383.
21
) B i n ähnlicher V e r s u c h bei v. H a m m e r in Böttiger's Amalthea II,
S. 122: „So sind die Sirenen — ursprünglich nichts anderes als der afrikanische
Vogel Sirenas, welcher nach der im Ferhengi Schuuri [2. Bd. Bl. 90) über-
lieferten Sage durch die Locher seines Schnabels wohllautende Töne flötet, zu
deren Hervorbringung musicalische Instrumente erfunden wurden "
— 46 —

III.

Die Sirenen bei und seit den Alexandrinern.


Die alexandrinische Poesie und mythologische Forschung ha-
ben wie in vielen anderen Fällen so auch bei den Sirenen die im
Glauben des Volkes vorhandenen allgemein gültigen oder nur
localen Traditionen zu einem in sich abgeschlossenen, eine Art von
System bildenden Ganzen auszubilden gesucht, eine Tkätigkeit, die
nur die strenge Consequenz der Ansicht ist, dass alles, was von
einem Volke mythisch gedichtet oder geglaubt wird, nicht allein
vollkommen berechtigt, sondern auch objectiv wahr ist. So ist aus
den wenigen Resten der G r u n d b e d e u t u n g der Sirenen (dem Ver-
liältniss zu Persephone), aus ä t o l i s c h e n und g r o s s g r i e c h i s c h e n
l o c a l e n S a g e n (der Abstammung von Acheloos, der Verbindung
mit einzelnen Punkten Unter-Italiens), der h o m e r i s c h e n D i c h -
t u n g und deren Weiterbildung im Geiste des Volkes, ein Ganzes
geworden, dessen Zusammenstellung die eigentliche Thätigkeit und,
wenn wir an die Rettung des sonst Verlorenen denken, das Ver-
dienst der Alexandriner ist.
Während die Angaben über die M u t t e r der Sirenen schwan-
ken (S. 23), erscheint seit dieser Zeit als V a t e r derselben regel-
mässig A c h e l o o s ; ohne Ausnahme sind ihrer d r e i (vgl. S. 44);
man nennt sie P a r t h e n o p e , L e u k o s i a und L i g e a ' ) , Namen, die
auf unteritalische Traditionen zurückzuführen sind (vgl. S. 49), und
welche die sich sonst und vereinzelt findenden T h e l x i o p e (oder
Thelxiepeia, Thelxinoe oder Peisinoe), M o l p e . A g l a o p h o n o s (oder
Aglaope, Aglaopheme) s ), deren allegorische Bedeutung die aller-
durchsichtigste ist, durch ihr häufiges Vorkommen fast verdrängt
haben. Als ihre G e s t a l t gilt, im Anschluss an ältere obwohl nicht
ursprüngliche Vorstellungen, zunächst allgemein die eines Weibes

') (Ar.) mir. a u s c . 103. L y c . v. 712 ff. E u s t . D I O D . Per. 358. E u d o c .


S. 373. T z e t z . Lyc. a. a. 0 .
2
) s c h o l . A p . Uli od. IV, 892. s c h o l . ,« 39 H. Q. T. E u s t . S. 1709, 45.
E u d o c . S. 373. T z e t z . Lyc. 712. Noch andere, völlig corrupte, Namen bei
H y g i n , fab. 30, 17. — Ueber H i m e r o p a 8. S. 44.
— 47 —

mit den Beinen eines Vogels, wie A p o l l o n i o s d e r R h o d i e r sich


ausdrückt (IV, 8 9 8 ) :
TOTE ö' alko /isv olcov 010 IV,
aXXo de rtagd-svixaig evakLyxiai saxov IdeaSai,
sie sind, um einen Lykophronischen Ausdruck zu gebrauchen, oho-
voi &eai (y. 721) oder oQvid-önccideg (v. 731).
Diese wunderbare Mischgestalt forderte eine E r k l ä r u n g ; man
fand sie nicht in der Ausbildung der uralten Vogelgestalt zu edleren
F o r m e n , die später consequenter Weise zu der rein menschlichen
B i l d u n g führen m u s s t e , sondern sah umgekehrt in der Verbindung
des weiblichen K ö r p e r s mit Elementen eines Vogels eine fremdartige,
durch eine V e r w a n d l u n g zu erklärende Veränderung ursprünglich
rein menschlicher Formen. In diesem Sinne wurde der alte Mythos,
welcher sie der Persephone zugesellt, benutzt, da sich an die folgen-
schwere Katastrophe des Raubes dieser Göttin mit leichter Miihe
auch eine Veränderung ihrer Begleiterinnen anschlicssen Hess.
Nur undeutlich gibt den Grund dieser Verwandlung A p o l l o -
n i o s zu erkennen, bei dem sich zuerst überhaupt eine Spur der-
selben findet, IV, SOG:
xai fröre /ir}ovg
•dvyaTeq' lq>&i[ti]v aSitfjv5 en nogaaivsaxov
aj.if.nya /.tsXnö/.iei,ai,
indem durch d a s F o l g e n d e :
TOTe (bei dem Abenteuer der Argonauten) t)° allo /.tev ouovoXatv
ai.Xo de naqi}£vLxalg sraXiyxiai eaxov Ideadai
hervortritt, d a s s seitdem eine Veränderung ihrer Gestalt eingetreten
ist. D a nun in den Erzählungen vom R a u b e Persephone's derselben
gern eine S c h a a r von Gespielinnen g e g e b e n wird, die mit ihr Blumen
pflücken, um d a s B i l d einer unschuldigen und fröhlichen J u g e n d
darzustellen, so konnten anstatt der sonst in diesem Sinne erschei-
nenden Töchter d e s Okeanos (ELymn. C e r . 5) oder der Nymphen
( C o l u m . X , 268) leicht auch die Wesen erscheinen, die ihr ur-
sprünglich, wenn auch in anderem Sinne, nahe standen (s. S . 2h),
die S i r e n e n , die dann natürlich ebenfalls aus den verderblichen
Mächten des H a d e s zu unschuldigen jungfräulichen Wesen umge-
wandelt werden mussten.
D e r erste, d e r , so viel für uns erkenntlich ist, den Mythos in
diesem Sinne ausgebildet h a t , ist O v i d (Met. V, 552 ff.). Die Si-
renen suchen die geraubte Persephone auf der ganzen E r d e ver-
g e b e n s ; sie bitten die Götter um die F ä h i g k e i t , sie auch in den
G e w ä s s e r n suchen zu können; die Götter erhören ihre Bitte, geben
— 48 —

ihnen Füsse und Federn von Vögeln, lassen ihnen jedoch ihr j u n g -
fräuliches Antlitz und die frühere reizende Stimme. Aehnlich
H y g i n u s , fab. 141, nur mit dem Unterschiede, dass der Z o r n
Denieters ihre Gestalt verwandelt 3 ), während C l a u d i a n (R. P. III,
11)0 ff.) sie schon vor dem Raube geflügelt sein, sich nach dem
Verluste ihrer Herrin jedoch nach dem Vorgebirge Pelorum begeben
lässt, wo sie seitdem zum Verderben der Sterblichen wirksam sind.
Eine ganz andere Erklärung ( s c h o l . /.i 39 H Q T . E u s t . S. 1709, 43)
liess sie von Aphrodite v e r w a n d e l t werden, weil sie sich ewiger
Jungfrauschaft ergeben hatten, wozu vielleicht die auch sonst mit
den Sirenen identificirte k e u s c h e P a r t h e n o p e ( D i o n . Per. 359)
des grossgriechischen Glaubens beigetragen hat (s. w. u.); doch
findet sich eine schwache Spur der hier vorliegenden Auffassung-
schön in dem von Lykophron (v. G7U) einer Sirene beigelegten
Beiworte ozsTga.
Selbstverständlich nehmen in der alexandrinischen Poesie und
Mythenforschung die Sirenen in ihrer dem O d y s s e u s und allge-
meiner dem Vorüberschiii'enden überhaupt Gefahr drohenden Wirk-
samkeit eine die übrigen Seiten ihres Wesens in Schatten setzende
Stelle ein.
Bei A p o l l o n i o s 4 ) , dessen A b e n t e u e r d e r A r g o n a u t e n für
unsern Zweck dein des Odysseus völlig gleichgestellt werden kann,
hausen sie, halb Jungfrauen, halb Vögel — ihre Zahl wild nicht
genannt — auf der schönen Insel Anthemoessa, worin der Dichter,
seinem gelehrten Wesen entsprechend, im Widerspruche mit dem
Volksglauben seiner Zeit dem älteren E p o s , und zwar nach schol.
IV, 89á dem H e s i o d gefolgt war. Sie sitzen hier auf hoher Warte
an einer die Schiffer zum Landen einladenden Stelle (evogfios) und
sehen nach den Vorüberfahrenden aus, denen sie durch ihre Stimme
Verderben bereiten, indem sie sie hinschwinden machen (xijxedót/i
q>divvöovoai). Von I n s t r u m e n t e n , die sie in s e p u l c r a l e m Sinne
angewandt schon vor dieser Zeit f ü h r e n , ist keine Spur. Die Ar-
gonauten entkommen nur dadurch, dass Orpheus ihren Gesang durch
seine Weisen zum Schweigen bringt. Butes, der sich ins Meer
stürzt, um zu ihnen hinzuschwimmen, wird von Aphrodite gerettet
und nach dem Vorgebirge Lilybaeum versetzt.
3
) Es ist schwer zu s a g e n , ob die Notiz Hygiu's, dass diese V e r w a n d -
lung stattgefunden hätte ad A p o l l i u i s petram, einen tieferen Sinn hat, oder
für eine miissige Erfindung zu halten ist. L a c t . P l a c . , arg. Met. V, 9, lässt
sie auf der F a h r t zum Aufsuchen der Göttin endlich kommen ad petram M a r t i s .
4
) Aus diesem A p d . I, 9, 25, 1.
- 49 —
Wesentlich ebenso L y k o p h r o n . Die Gestalt ist mit der von
Apollonios geschilderten übereinstimmend; sie sitzen — wie seit
dieser Zeit fast a u s s c h l i e s s l i c h 5 ) — auf hoher Klippe (v. 7 1 4 , vgl.
v. 6 5 3 ) ; ihre Zahl ist der vom V o l k e weiter entwickelten Gestalt
der S a g e entsprechend die der D r e i z a h l , und es ist ihnen — ein
andrer Ausfluss derselben volkstluiiulichen Fortdichtung in Verbin-
dung mit unteritalischen Traditionen — vom S c h i c k s a l bestimmt zu
sterben, sobald j e m a n d unverfiihrt an ihnen vorbeifährt. D a nun
Odysseus ihrem G e s ä n g e widersteht, stürzen sie sich in's Meer; ihre
Leichen werden von der Fluth an die italische Küste getragen und
daselbst bestattet.
Während für diese Erzählung, insofern sie sich a u f das Schick-
sal der Sirenen insgesammt bezieht, L y k o p h r o n (v. 7 1 2 ) die ein-
zige in B e t r a c h t kommende Quelle ist — denn H y g i n , fab. 125, 141.
E u s t . zu Dion. Perieg. 3 5 8 . E u c l o c . S. 3 7 3 . T z e t z . zu L y k . a. a. 0 .
L a c t . arg. inet. V, 9, welche dasselbe berichten, haben nur aus ihm
geschöpft — , findet sich von einzelnen P u n k t e n I t a l i e n s , die mit
diesem Vorgange im S c h i c k s a l der Sirenen in Verbindung gesetzt
sind, von N e a p e l und den Inseln L e u k o s i a und L i g e a , dasselbe
auch noch in unabhängigen Quellen erwähnt.
Die Sirene Parthenope lässt Lykophron in Neapel einen
Cultus finden, j e d o c h zunächst nach dem T h u r m d e s Phaleros
und dem G l a n i s hingetrieben und dort durch T r a n k s p e n d e n und
Thieropfer verehrt werden. Unter diesem Thurm des Phaleros, der
sonst nicht bekannt ist, verstehen Tzetzes wie auch Stephan
v o n B y z a n z {(Dokr^ov) natürlich Neapel, doch ist es deutlich, dass
Lykophron erst mit v. 7 3 6 zu dieser S t a d t übergeht, deren L a g e
erst hier ausdrücklich beschrieben wird; auch passt der v. 7 1 8 er-
wähnte Glanis schlechterdings nicht zu der L a g e Neapels; denn
die Annahme M i n e r v i n i ' s (^Bull. aicli. Nap. 1853, S . 4 7 ) , dass er
für identisch mit dem Sebethos zu halten wäre, erscheint durch
nichts begründet. Vielmehr ist es der von D i o n . H a i . V I I , 3 n e b e n
dem Volturnus erwähnte gleichnamige F l u s s , den V e r g i l (Georg.
I I , 2 2 5 ) mit dem Namen C l a n i u s bezeichnet.
Hier am Glanis veranstaltet ein athenischer Feldherr der
Parthenope nach dem Willen des O r a k e l s einen F a c k e l l a u f ; dann
nimmt das Volk von Neapel ihren Cultus a u f und vermehrt ihn

s ) z . B . V e r g . Aen. Y , 864. Ov. Met. X I V , 88. S t a t . silv. I I , 2 , 116.


D i o O l i r y s . 32, S . 676 Ii. A r g . 0 r p h . 1270 ff'. C l a u d i a n . 100, 3. Meistens
auch auf bildlichen Darstellungen.
Schräder, llcyritl' d. Siiemui. 4
— 50 —
noch. So weit Lykophron; S t r a b o erwähnt wiederholt ihr Grab-
mal, das man in Neapel zeigte (V, 4, 7, S. 246 C, vgl. I, 2, 13, S. 23;
I, 2, 18, S. 26), ebenso P l i n . , H. N. III, 62, vgl. S o l i n . S. 36, 1,
S t e p h . Byz. NeänoXig. Sil. I t a l . XII, 34. S u e t o n . bei schol. Bern,
ad Verg. G. IV, 564. S e r v . Verg. Georg. 1. c. Mart. Cap. VI, §642.
E u s t . zu Dion. a . a . O . E u d o c . S. 373. Pet-ron. 5, 9.
Die Sirene L e u k o s i a führt Lykophron nach der gleichnamigen
Insel, in Uebereinstimmung mit S t r a b o VI, 1, 1, S. 252, P l i n i u s
III, 85, Märt. C a p . VI, §645, E u s t . a. a. 0 . Dass dagegen die
dritte Sirene, L i g e a , nach T e r i n a getrieben wäre, wie Lykophron
behauptet, findet sich sonst nirgends erwähnt, doch bezieht sich auf
dieselbe Ligea auch die Angabe des S o l i n u s (S. 35, 18): mox in
Bruttiis ab Ulixe exstructum templum Minervae; i n s u l a L i g e a
appellata ab eiecto ibi corpore S i r e n i s i t a n o m i n a t a e , so dass
ohne Frage die Sage erst von der mit der Sirene gleichnamigen
Insel nach Terina Ubertragen worden ist, wie aus Solinus und den
Worten des Stephanos von Byzanz (TsQtva): xivsg öi vrjaov
avTijv, slg rjv ¿^eßgaa^rj ytiyeicc rj 2eiQr)v hervorgeht.
Während man also zur Erklärung dieser Localnamen den an
der westitalischen Küste Uberhaupt haftenden Sirenenmythos durch
eine den Orten gleichnamige H e r o i n e E p o n y m o s an bestimmten
Stellen l o c a l i s i r t e , ist es begreiflich, dass sich daneben auch an-
dere Erklärungen dieser Namen finden6). Selbstverständlich fuhrt
beides auf die der Ansicht des Alterthums gerade entgegengesetzte,
dass nämlich die Namen der S i r e n e n Parthenope, Leukosia und
Ligea aus den Namen der genannten O r t s c h a f t e n gebildet sind.
Hiermit ist das Vcrhältniss jedoch noch nicht aufgeklärt; denn
es lässt sich nicht bezweifeln, dass in N e a p e l eine Parthenope
verehrt wurde, wenigstens zur Zeit Strabo's. Dieser sagt ausdruck-
lich von Neapel (V, 4 , 7, S. 246): onov d e i x v i n a i fivrj^ta rwv
7
^ s i q r j v i o v /("tag HaqO e v o n / j g ) , x a i ayiov a i > v r e l e i i a i y v -
f i v i x d g eine Thatsache, die uns vielleicht be-
x a x a ¿ t a v T e i a v ,
rechtigt, auch den von Lykophron und von Timaeos erwähnten

6
) Bust, zu D i o n . a. a. 0 . und aus diesem Eudoc. a. a. 0 . : <U).oi <H
7jf(» Ii a o it f i'O 7i t]i aüioi if'younf HnnOiVovrj no II ah ilr<f(><ia<v IntßuvltvViiatx
xcti irjv nunihvittv <[ vlü!;uatr., tha jVitjito/ov *t>Qvyos iQaafktTaa, rlis if n>i'x«s
eieftev, Äxoapitttv fnurij; xctTaiptjif iCo/ify'r], xeu ilg Ka/jnarovs IXHovact ojxr)af,
xcti T a / a ätct TI'jy roiavTijv aiorpftoauvqv ayvrj nctQcc noXlwv toroQiljai, — Den
Namen der Insel L e u k o s i a leiten D i o n . Hal. I, 53, Solin. S. 37, 17 und
Paul. Diac. S. 115, 15 von einer V e r w a n d t e n des Aeneas her.
7
) D a s Grabmal d e r s e l b e n erwähnt S t r a b o n o c h 1 , 2 , 1 3 , S. 2 3 und 1 , 2 , 1 8 , S. 26.
— 51 —

F a c k e l l a u f als factisch hinzunehmen 6 ), und da ferner weder Ly-


kophron noch Strabo, welche beide die Verehrung der Sirene Par-
thenope in Neapel erwähnen, diesen Namen als Bezeichnung der
Stadt kennen, so könnte es scheinen, als ob in der That der Name
der Sirene, der sich zuerst in den ausc. mir. findet, älter als die
Benennung der Stadt und etwa durch dichterischen Gebrauch auf
diese übertragen wäre.
Das wahre Verhältniss ist jedoch ein anderes: P a r t h e n o p e
ist eine Bezeichnung, die ursprünglich keineswegs von Neapel, son-
dern v o n e i n e r a n d e r n S t a d t gebraucht worden ist. Strabo, der
N e a p e l an keiner Stelle so benennt, bemerkt (XIV, 2, 10, S. 654),
dass Rhodier naQ&svinrjv rrjv sv 'Onixoig gegründet hätten 9 ),
und ein unter dem Namen des P h i l a r g y r i u s zu Verg. Georg. IV,
564 erhaltener Bericht aus dem vierten Buche des L u t a t i u s Ca-
t u l u s gibt uns nähere Aufschlüsse Uber das Schicksal dieser Stadt:
Bewohner von Cumae gründen Parthenope, dasselbe wird später
jedoch von Cumae aus wieder zerstört, weil man in dieser Stadt
eine gefährliche Nebenbuhlerin der Mutterstadt erblickte. Die Cu-
niäer werden dafür von den Göttern mit Pestilenz bestraft und
stellen die Stadt nach einem Orakelspruche wieder her'"). Diese
neue Stadt erhält den Namen Neapolis.

e ) L y c . V. 7 3 2 :
7i()d)j)j Ji xaC 770t* aviti avyyüvuiv Ot«
xoai'vtov ¿(Tiuarjq Moifionos vauuit/ictg
7i).ti)iritiOt k a [x 7/ a t)' o v%o v ivivvti ÖQOfxov
XQIJOFIOIS 7IIHRFOAI. Sv 710T* NVIRJAEI ÄTIOFF

Nianolnuiv, 01 7IKQ' cizXuaiov ay.tnas


oouiüt' A'haijvoD aivt/Xa vaaaovictt xkhrj.
Wenn hierzu T z e t z e s a u s T i r n ä o s bemerkt, der athenische Nauarch Diotimos
wäre nach Neapel gekommen und hätte nach einem Orakelspruche der P a r -
thenope einen Fackellauf eingesetzt, der seitdem jährlich gefeiert würde, so
ist diese Nachricht nicht ohne Bedenken aufzunehmen, da wir bei E r a t o -
s t h e n e s , den Strabo (I, 3, 1, S. 47) anführt, nach Diotimos, dem Sohne des
Strombichos (für identisch mit diesem, der auch T h u c . I , 4 5 erwähnt wird,
hält auch B o e c k h , C. I. G. I, S. 398, den von Timäos erwähnten), eine F a b e l
lesen, die einer sich an seinen Namen knüpfenden Notiz nur geringe Glaub-
würdigkeit verleiht.
") Nach ihm auch S t e p h . B y z . lla(>frtvÖ7ir\.
) Cumanos incolas a parentibus digressos Parthenopen urbem condidisse,
10

dictam a Parthenope Sirena, cuius corpus etiam postquam ob locorum


ubertatem amoenitatemque magis coeptum sit frequentari, veritos ne Cymaeam (?)
desererent iniisse consilium Parthenopen diruendi. P o s t etiam pestilentia
affectos e x responso oraculi urbem restituisse sacraque Parthenopes cum
4*
— 52 —

Dieses alte Parthenope ist nun, wie mit richtigem Blicke von
N i e b u h r , R. G. I, S. 174, erkannt worden ist, keine andere Stadt
als die später — natürlich erst nach dem Aufkommen von Neapolis
— P a l a e o p o l i s genannte, die uns nur aus dem Berichte von
L i v i u s über den Neapolitanischen Krieg (VIII, 22 ff.) und aus den
Triumphen des Capitolinischen Marmors (Jahr d. St. 427) bekannt
ist, wobei der Umstand, dass nach dem Berichte des Lutatius
Neapolis nicht gleichzeitig mit dem alten Parthenope bestand, nicht
schwer ins Gewicht fällt; denn das Bestehen beider Städte neben
einander kann nach der genauen localen Schilderung des Livius
keinem Zweifel unterworfen sein"), und Palaeopolis scheint bald
nach dem Entstehen von Neapolis jegliche Bedeutung verloren zu
haben; Livius sagt ausdrücklich (cap. 26, 6) von Neapel: eo enim
deinde summa rei Graecorum venit"). Das nahe Verhältniss bei-
der Städte ist übrigens noch durch eine Notiz im l i b e r c o l o n i a -
rum (Grom. vet.) S. 235 bezeugt: Neapolis — a g e r e i u s P a r -
t h e n o p a e a G r a e c i s e s t in i u g e r i b u s a s s i g u a t u s , wo das
S i r e n a e , welches die Codd. vor Parthenopae bieten, ohne Frage
zu streichen ist; denn einer Gottheit gegenüber kann eine assignatio
in iugeribus nicht stattfinden.
Hierdurch gestaltet sich das Verhältniss des Namens der Stadt
zum Namen der Sirene Parthenope jedoch wesentlich anders, als

m a g n a religione s u s c e p i s s e , nomen autem N e a p o l i ob recentem restitutionem


imposuisse. Die L ü c k e ergänzt R o t h , liist. vet. Rom. rel. S. 333: nunc tumulo
conditum N e a p o l i viseretur. Das folgende coeptum sit d e u t e t zugleich auf
ein ausgefallenes oppidum. — Den U r s p r u n g N e a p e l s in F o l g e eines Orakel-
spruchs erwähnt auch (Scymn. Chii) descr. orb. v. 242.
u
) s. b e s o n d e r s c. 23, 10; 25, 5.
12
) A u c h die Differenz, d a s s P a r t h e n o p e nach S t r a b o eine Colonie der
R h o d i e r war, nach L u t a t i u s und L i v i u s , e b e n s o wie N e a p o l i s , der C u -
m ä e r , i s t , selbst wenn beide A n g a b e n nur auf Richtigem b e r u h e n , nicht er-
heblich. D e n n nach S t r a b o (V, 4, 7, S. 246) wohnten in N e a p e l , welches nach
Livius (cap. 22, 5) von demselben V o l k e wie P a l a e o p o l i s bewohnt wurde, neben
Cumäern noch E u b ö e r von Chalkis (vgl. p a n e g . P i s . 79), Bewohner der
P i t l i e k u s t n , A t h e n e r ; ausserdem führen die N a m e n der neapolitanischen
P h r a t r i e n ]Cdtu i]i.ithu (vgl. S t a t . silv. I V , 8, 49) und Ol rmvaioi (s. B o e c k h ,
C. I. G. III, S. 716) noch auf t h e s s a l i s c h e und a e g i n e t i s c h e E l e m e n t e
hin. W e n n hierzu in der T h a t noch r h o d i s c h e B e s t a n d t h e i l e gekommen
s i n d , so ist die Bezeichnung der S t a d t als rhodische Colonie mit j e n e n A n -
g a b e n ebensowenig im W i d e r s p r u c h , als P l i n i u s , der ( I I I , 62) N e a p e l eine
Colonie von C h a l k i s n e n n t , gegen L i v i u s ( V I I I , 22, 5) und V e l l . I , 4 , 2
streitet, welche es eine Colonie von C u m a e nennen. B e i d e s ist richtig, weil
b e i d e s nur ein Tlieil der W a h r h e i t ist.
— 53 —
es aus dem Umstände, dass Lykophron und Strabo zwar die Sirene
dieses Namens, jedoch nicht diese Bezeichnung für Neapel kennen,
hervorzugehen schien. P a r t h e n o p e ist der alte Name des spätem
P a l a e o p o l i s , und da dies eine Stadt ist, deren Gründung nach
Strabo X I V , 2, 10, S. 654 in ziemlich frühe Zeit zu versetzen ist,
so steht ohne F r a g e der Name der Sirene, dem wir zuerst im
3ten Jahrhundert v. Chr. begegnen, in ähnlichem Verhältniss zu
dieser Stadt, wie es bei Leukosia und Ligea und den ihnen gleich-
namigen Sirenen der Fall war.
E s fragt sich jetzt, was von dem Parthenope genannten Wesen,
das in Neapel verehrt wurde, zu halten ist. Ist wirklich aus der
Erklärung des Namens der Stadt nicht allein der Glaube an die
frühere Existenz, sondern auch die Verehrung der daselbst bestatte-
ten Sirene hervorgegangen?
Der N e a p o l i t a n e r S t a t i u s erwähnt silv. IV, 8 unter den in
Neapel besonders verehrten Gottheiten eine Parthenope überhaupt
nicht, was bei dem durchaus ungewöhnlichen und fast vereinzelten
Cultus einer S i r e n e sich schwer erklärt, sehr leicht dagegen, wenn
wir an den sich überall findenden und bedeutungslosen Cultus der
Stadt selbst oder des Genius derselben denken. Auf d i e s e Par-
thenope bezieht sich auch D i o n . Perieg. 358, wenn er von Campanien
Sagt: rj%i /.leladgov
ayvrjg Haqd-svonrjg, atay_viov ßsßQiO-og a/.ialkaig,
IlaQd-Evönrjg, rjv noviog eoig vneds^aTO xolrcoig,
was E u s t . natürlich von der S i r e n e Parthenope versteht, während
andre das Geschick dieser keuschen Parthenope durch eine E r -
zählung ausschmückten, die mit der Sirene nichts gemein hat (s.
S. 50). Auf diese ältere Parthenope geht auch ursprünglich der in
Neapel gefeierte gymnastische Agon, wie auch S t a t . silv. V, 3, 112
von seinem Vater in Beziehung zu der personificirten Parthenope sagt:
ille t u i s totiens pressit sua tempora s e r t i s ,
cum s t a t a lau dato caneret q u i n q u e n n i a versu.
In diesem Sinne ist auch das weibliche Haupt aufzufassen, das
uns auf Neapolitaner Silbermünzen begegnet, in welchem E c k h e l
(D. N. I, p. 113) und A v e l l i n o (op. I, p. 184) die S i r e n e Parthenope
erblickten. Denn dasselbe Haupt mit nur unbedeutenden Abwei-
chungen finden wir auch auf andern gross-griechischen Münzen l 3 ),

l3 ) Vgl. z. B. bei C a r e l l i die Miinze von H y r i o n tab. 84, 1, P o s e i d o n i a

128, 26, P a n d o s i a 175, 2, K r o t o n 184, 31 — 39 mit Neapel, tab. 72, 11. 12.
14; ausserdem noch Münzen von C a p u a , besonders 6 9 , 19, T a r e n t (103,
— 54

wo es die v e r k ö r p e r t e S t a d t darstellt, so d a s s es hier als P a r t h e -


nope bezeichnet w e r d e n könnte oder, w e n n wir den A u s d r u c k einer
Inschrift (C. I. Gr. I I I , 5792) g e b r a u c h e n w o l l e n , als die T y c h e
der Stadt Neapel.
D a g e g e n ist die s i t z e n d e weibliche F l ü g e l g e s t a l t auf Münzen
dieser S t a d t l 4 ) , die entweder einen Zweig oder ein K e r y k e i o n hält,
weder mit A v e l l i n o (Rh. Mus. 1833, S. 347 ff.), G a r r u c c i (Bull,
arch. N a p . 1853, p. 19) und M i n e r v i n i (das. p. 46) f ü r die Sirene
P a r t h e n o p e , noch f ü r P a r t h e n o p e ü b e r h a u p t zu halten, vielmehr f ü r
eine N i k e ; ebenso die sich häufiger findende g a n z ähnliche F i g u r
auf Münzen von T e r i n a , in der A v e l l i n o u n d G a r r u c c i eben-
falls eine Sirene, und zwar Ligea, erblicken. I n allen diesen zahl-
reichen Gestalten findet sich j e d o c h nichts f ü r eine Sirene irgendwie
Charakteristisches, u n d W i e s e l e r ( D e n k m . d. A. K. II, n. 758) be-
ruft sich z. B., um diese Gestalten als Sirenen nachzuweisen, nicht
passend auf die Verse des Euripides (Hei. 169), in denen die Sirenen
a l s meQocpÖQoi vsdviSeg a n g e r u f e n w e r d e n ; d e n n wie diese Be-
zeichnung zu verstehen ist, geht a u s dem F r a g m e n t e desselben
Dichters hervor, in d e n e n den Sirenen TtTsgoevta nsdila beigelegt
w e r d e n . E b e n s o w e n i g k a n n die vereinzelte Bildung einzelner Reliefs
(s. im arch. Th. unter den G r a b m o n u m e n t e n ) f ü r d a s hier in Betracht
k o m m e n d e Material m a a s s g e b e n d sein. E s k o m m t hinzu, dass ent-
s p r e c h e n d e . j e d o c h u n g e f l ü g e l t e "Gestalten auf Münzen T e r i n a ' s
ausdrücklich die Bezeichnung N i x a t r a g e n 1 5 ) , worin Avellino in ge-

7 — 1 6 , wo sich auch die von Eckliel auf die am Meere thätige Sirene bezo-
genen Fische neben demselben Haupte finden), Y e l i a , 136, 9 — 11, M e t a -
p o n t u m , 148, L o c r i , 189, 23.24, vor allen Dingen aber von N o l a , 83, deren
Uebereinstimmung mit dem Typus von Neapel Eckhel zu der Annahme bewog,
in dem Haupte derselben ebenfalls das Bild der Sirene zu erblicken, das von
dem' gemeinsamen Ursprung und der übereinstimmenden Bevölkerung beider
Städte herzuleiten wäre. Auch auf Münzen T e r i n a ' s findet sich ein ganz
ähnliches, ebenso allgemein zu deutendes Haupt (Car. 177 ff.), in welchem
E c k h e l , A v e l l i n o (a. a. 0 . ) und O a v e d o n i die mit Terina zusammenhan-
gende Sirene L i g e a erblicken.
u
) a. iäilbermünze der Sammlung Santangelo; A v e l l i n o , Rh. Mus. 1833,
S. 347, M ü l l e r - W i e s e l e r II, 59, 758.
b. c. d. Silbermünzen aus der Sammlung von Riccio, ins Neapler Museum
gekommen; B u l l . a r c h . N a p . 1853, tav. 4, 1 — 3, Q u a r a n t a , scoperta dell
antichissimo nome del Sebeto, Nap. 1853, 4°, M u s . B o r b . X V , 44, 1—3.
bc auf einem Kruge sitzend, d auf einer niedrigen S t e l e , b einen Zweig
haltend, die übrigen ein Kerykeion. A l l e vier entblössten Oberkörpers.
)s
) S. G e r h a r d , Abh. d. Berl. Akad., hist. pli. Cl„ 1839. Taf. III, 6. B i r c h ,
num. chron. V I I , S. 142, G e r h a r d , Etr. Sp. Taf. 41, 2. 4.
— 55 —
künstelter W e i s e e i n e n B e w e i s d a f ü r erblickte, d a s s d i e g e f l ü g e l t e n
nicht N i k e , s o n d e r n d i e Sirene L i g e a d a r s t e l l t e n ( ß h . Mus. S. 3 5 0 , 11);
ausserdem findet s i c h d i e s e l b e G e s t a l t d e r S i e g e s g ö t t i n , w e n n auch
bei w e i t e m nicht so häufig u n d o b w o h l nur s e l t e n , w i e in N e a p e l
u n d T e r i n a , sitzend n o c h a u f andern unteritalischen Münzen16).
Im G e g e n s a t z zu d i e s e n f ä l s c h l i c h für P a r t h e n o p e gehaltenen
Gestalten'") findet sich ein durch d i e Beischrift b e g l a u b i g t e s Bild
d e r s e l b e n , d e m g e w ö h n l i c h e n T y p u s d e r S c h u t z g o t t h e i t e n der S t ä d t e
e n t s p r e c h e n d , a u f einem Contorniat der S a n c l e m e n t i ' s c h e n S a m m l u n g
( M u s . S a n c l e m . nun), sei., I, p. 123), d a s trotz der s o n s t b e d e n k -
l i c h e n Autorität d i e s e r Münzen für sich s e l b s t zu s p r e c h e n scheint.
Dass aus der personifieilten Stadt Parthenope später eine
S i r e n e w u r d e , ist übrigens erklärlich.
,6
) Ausser den überaus häufigen Darstellungen einer einherfliegenden, die
Hauptpersonen krönenden Nike, selbständiger Bedeutung z. B. auf Münzen
von T e a n u m S i d i c i n u m , " C a l e s , C a p u a , T a r e u t , A s c u l u m , P e t e l i a ,
H i p p o n i u m , R u b i , C a e l i u m , der B r u t t i e r , der L u c a n e r (s. C a r e l l i ) .
Meistens hier freilich stehend oder schreitend oder einherfliegend (stehend
auch auf Terinäer Münzen, 177, 18. 19 Car., ebenda einherfliegend, 179, 57—
60); mit der sitzenden Bildung ist die sitzende E i r e n e einer l o k r i s c h e n
Münze, 189, 13 Car., zu vergleichen, vielleicht auch die Gestalt einer Münze
der foederati belli Marsici bei Car. 202, 34.
lr
) Bei dieser Gelegenheit möge bemerkt werden, dass auch ein auf
P a e s t u m bezügliches Monument fälschlich für eine Sirene ausgegeben wor-
den ist. Nach M u n t e r , Neapel und Sicilien, S.91, F e r r a r a , descriz. di un
viagg. a P e s t o (Nap. 1827), p. 28, und C l a r a c , V, p. 73, 1, soll sich über dem
Stadtthore desselben eine Sirene finden; jedoch beruht dies auf einem Irr-
thum; denn, wie aus T h . M a j o r , the ruins o f P a e s t u m , p l . I V . V., d e n r o v i n e
della cittä di P e s t o (Rom. 1784), p. 45, und D e l a g a r d e t t e , les ruines de
Paestum, p . 2 2 , erhellt, findet sich daselbst eine f i s c h l e i b i g e Gestalt. Die
weibliche Gestalt mit Vogelbeinen, Schweif und Schulterflügeln auf einer
P a e s t a n e r K u p f e r m ü n z e der Zalada'schen Sammlung, die von M i o n n e t ,
descr. des med., suppl. I, p. 310, n. 749, aus S e s t i n i , descr. num. vet. p. 19,
angeführt, und in den r o v i n e d i P e s t . , tav. 48, 23, abgebildet ist, muss frei-
lich als eine Sirene angesehen werden, doch lässt sich diese Münze nur mit
Vorsicht aufnehmen, da sie weder von Eckhel noch von Carelli erwähnt
wird.— Unter der „Sirene" einer Silbermünze von A l l i f a e in Samnium, die
M i o n n e t , suppl. I , p. 224, n. 190, anführt, ist, wie aus einer Vergleichung
mit n. 188 (abg. C a r e l l i 62, 11) und dem Schweigen Carelli's über den Typus
der Sirenen erhellt, vermuthlich irgend eine fischleibige Gestalt zu verstehen,
wie sich auch dieselbe irrige Bezeichnung für die den Sessel einer thronenden
Figur auf Münzen des Demetrios Soter stützende T r i t o n - a r t i g e Gestalt
bei S p an h e m. de usu et praest. num. I, p.252, und M i o n n e t , V, p. 43 ff. findet,
wie aus der Abbildung bei F r ö l i c h , annal. comp, regum et rerum Syriae
numis vet. illustr., tab. V I I I , 14, hervorgeht.
— 56 —
E s gab nämlich ausser den b e k a n n t e r e n Inseln des Tyrrheni-
schen M e e r e s , P l a n a s i a , P o n t i a , P a n d a t a r i a , P r o c h y t a , den Pithe-
k u s e n , Capri und den S i r e n u s e n , auch eine I n s e l P a r t h e n o p e ,
deren L a g e P t o l e m ä o s ( I I I , 1, S . 187, 16 Wilb.), der einzige wel-
cher sie erwähnt, auf 3 8 ° 2 0 ' L., 4 0 ° 4 5 ' B r . bestimmt. E s ist
durchaus b e g r e i f l i c h , dass diese Insel in späterer Zeit, ebenso wie
L e u k o s i a und L i g e a , den Sirenenmythos localisirte, so wie dass
man in Neapel die alte Stadtheroine leicht mit der in ihrem W e s e n
viel mehr Anziehendes darbietenden S i r e n e identificiren und das
Grabmal ersterer für das der letzteren halten k o n n t e , was um so
leichter geschehen mochte, wenn etwa zwischen der I n s e l P a r t h e -
nope und der gleichnamigen Stadt ein ähnliches Verhältniss der
Colonisation bestanden h a t , wie nach L i v i u s V I I I , 2 2 , 5 zwischen
der Insel Aenaria so wie den P i t h e k u s e n und Cumae. Doch sei
dem wie ihm wolle, die vermeintliche Sicherheit des Glaubens an
die Sirene Parthenope und deren Verehrung in N e a p e l , der übrigens,
w a s mit dem hier aufgestellten U r s p r ü n g e desselben vollkommen
tibereinstimmt, rein localer Natur w a r ( S t r a b o I, 2, 18, S . 2 6 ) , geht
a u f das Deutlichste daraus hervor, dass selbst ein so umsichtiger
F o r s c h e r wie Strabo ihn ohne B e d e n k e n als wohlbegründet annahm.

D i e N a m e n der drei Inseln waren also durch irgend eine äussere


Eigenschaft hervorgerufen, wie sich diese bei L e u k o s i a , der weissen,
von selbst ergibt, und auch bei L i g e a nicht fern l i e g t , wenn wir
an den hellen K l a n g der W e l l e n d e n k e n . B e i dem Namen P a r -
t h e n o p e ist zu beachten, dass die E n d u n g -oniq sowohl den B e g r i f f
des R u f e n s als auch des S e h e n s , sowie möglicherweise auch den
des Arbeitens oder des T h ä t i g s e i n s ( C u r t i u s , Grdz. S. 1 1 2 ) aus-
drücken, und dass mit dem ersten T h e i l der Zusammensetzung
sowohl das Appellativum als auch irgend eine Göttin wie Athene
oder Artemis bezeichnet sein k a n n , so dass derselbe durch unzählige
Zufälligkeiten des L o c a l s oder S p i e l e k i n d l i c h - n a i v e r P h a n t a s i e
hervorgerufen sein k a n n , deren genaue F i x i r u n g ein vergebliches
Unternehmen sein würde. W e n n man dann a b e r einmal die w e s t -
italische S e e als den Schauplatz der I r r f a h r t e n des Odysseus und
also auch der T h ä t i g k e i t der Sirenen betrachtete, so musste es
nahe l i e g e n , gerade d i e s e Inseln als Sitz derselben anzusehen,
weil ihre Namen den Vorstellungen, die man von diesen W e s e n
h a t t e , auf das beste entsprechen. E s war hierbei unvermeidlich,
j e n e Gegenden als ihren f r ü h e r e n Sitz aufzufassen, da die g e n a u e
K e n n t n i s s , welche das vorgerückte Zeitalter von den genannten
Inseln hatte, es nicht erlaubte, sie noch damals als Behausung der
— 57

Sirenen anzusehen. Selbst V e r g i l muss in seiner an Wundern


reichen Aene'is dem geographischen Wissen seiner Zeit das Zuge-
ständniss machen, die früher gefährlichen und von vieler Menschen
Gebeinen weiss schimmernden Klippen als öde und l e e r , nur vom
eintönigen Rauschen des Meers widerhallend zu schildern (Aen.
V, 8 6 4 ) l 8 ) . Es ist daher begreiflich, dass sich die Gestaltung des
Mythos, nach welcher das Schicksal der Sirenen so enge mit Odysseus
verknüpft ist, dass sie, nachdem er an ihnen vorbeigefahren, ihren
Tod finden, mit den italischen Localtraditionen, die sich an einzelne
Inseln anknüpften, in Verbindung setzte, und dass so die seit der
alexandrinischen Zeit ausgebildete Erzählung von der Bestattung
der Sirenen an der Küste Gross-Griechenlands ihre Entstehung fand.
Späterer Zeit gehört auch der Mythos vom K a m p f e d e r S i -
r e n e n u n d M u s e n an, den zuerst P a u s a n i a s erwähnt, und zwar
zur Erklärung des alten Bildes der koroneischen H e r a : zag ydg
dij IA%EXO)OV S-vyazegag avaneioSeiaag cpaoiv vno"Hgag xazaOTtjvai
ngng zag Movoag eg (pdr]g s'gyov. ai de a>g svixrjaav anozlXaoai
TIÖV 2BIQT]VIOV za nzegä noiiqaao&AI azsqxivovg an avziov X.eyovzai
( I X , 34, 2). S t e p h . B y z . '!Anzeoa (vgl. Tzetz. Lyc. (553) verlegt
diesen Vorgang nach der kretischen Stadt A p t e r a , wo der Streit
stattgefunden hätte sv zqi f.tovaetoo nXrjoinv zfjg noXecog xai zfjg
^alaaarjg zönij) zouoode xaXnv/.t£v(i). Nach der Niederlage verlieren
nach ihm die Sirenen die Flügel von den Schultern, werden weiss
und stürzen sich ins Meer. Die Stadt sowie die benachbarten In-
seln Leukai haben hiervon ihren Namen. Ganz im allgemeinen,
ohne locale Beziehungen erwähnen A u s o n . id. 11, 22, E u s t . zu A,
S. 201, zu ¡.i, S. 1709, 40 und S u i d . Mnvaai dieses Ereigniss, das
auch von der Kunst berücksichtigt worden ist, indem sowohl der
Wettstreit, als die Beraubung der Sirenen zur Darstellung gebracht
worden sind (vergl. d. arch. Th.).
Schon in dem Ausspruche des P y t h a g o r a s (s. S. 36) trat ein
Gegensatz zwischen den reinen, beseligenden Weisen der M u s e n
und den ins Verderben führenden der S i r e n e n hervor. Dass in
diesem Sinne die Musen als Feindinnen der letzteren auftreten und
als solche sich mit ihnen in einen Kampf einlassen können und sie
besiegen, ist begreiflich.
Eine tiefer gehende Bedeutung hat diese Erzählung nicht; im
Gegentheil, sie verräth sich durch die Anknüpfung an Aptera deut-
18
) Vgl. Sil. Ital. XII, 34: aequore cuius (Parthenopes)
r e g n a v e r e d i u cantus, cum dulce per uudas
exitium miseris canerct non prospera nautis.
— 58 —

lieh als eine, in welcher die Etymologie eine grosse Rolle gespielt
hat, um so mehr, als der Name dieser Stadt auch in andrer Weise
erklärt wurde: Pausanias (X, 5, 5) leitet ihn von n z e g a g her 1 9 ).
Diesen Namen jedoch gerade in der Weise wie es die angeführte
Erzählung thut zu erklären, konnte bei der eigenthiimlichen Gestalt
der Sirenen nicht zu fern liegen. Die Zusammensetzung eines jung-
fräulichen Körpers mit Theilen eines Vogels Hess sich entweder
durch eine Verwandlung menschlicher Formen in thierische erklären
—• wie von Ovid geschehen, und schon von Apollonios angedeutet
war — oder, ganz entgegengesetzter Weise, dadurch, dass man, wie
es in der Entwickelung der Kunst vorgezeichnet war, ein stärkeres
Hervortreten menschlicher Formen an einem ursprünglich dem Vogel
näher stehenden Leibe annahm. In diesem Sinne bezeichnen schon
die Spottverse des A n a x i l a s (S. 41) die jener Zeit geläufigen Bilder
im Gegensatze zu älteren, wie wir sie z. B. auf Vasenbildern sehen,
als „gerupfte" Sirenen, ohne dass es nöthig wäre, hierbei schon
die spätere Erzählung vorauszusetzen. Wenn man sich jedoch fragte,
durch wen die Sirenen ihre Federn verloren hätten, so war es bei
dem Gegensätze zwischen Musen und Sirenen nicht zu fern liegend,
erstere als die Ursache zu bezeichnen, und ebenso natürlich, dass
dieses Ereigniss dann mit der Stadt A p t e r a in Verbindung ge-
bracht wurde, wo man zugleich den Moi^atlov genannten Ort und
die Inseln Leukai auf das leichteste aus demselben erklären konnte.
Allerdings könnte diese Verknüpfung der angeführten Erzählung
mit der älteren Anschauung des Volkes, wie Anaxilas sie ausspricht,
desshalb einiges Bedenken erregen, weil die Worte des Stephanos:
(.isza ztjv ev [lovotxfj vixrjv %üv Movoütv ai SeiQrjvsg dvatpoqoiaai
rot Titeqa rwv w^iiov aneßaXov ein V e r l i e r e n der Flügel,
nicht der Federn, zu bezeichnen scheinen, und auch die plastischen
Darstellungen dieses Kampfes uns ohne Ausnahme die Musen damit
beschäftigt zeigen, ihren Gegnerinnen die F l ü g e l zu entreissen.
Doch ergibt sich die richtige und ursprüngliche Anschauung
aus dem von'Stephanos selbst Bemerkten, dass die Sirenen nach
diesem Vorgange w e i s s werden, was aus dem Verluste der F l ü g e l
keineswegs folgt; auf dieselbe fuhren die Worte des E u s t a t h i o s ,
S. 201: ai de (ai Movaai) — uvaanioai mega (nicht Ta nteqa)
xwv SeiQrjvcüv, >]aav yciQ oQvt&ncpvElg ort 2eigrjveg, während die
Kunst begreiflicherweise die Darstellung des Entreissens der Flügel

1S
) Auch die Inseln M v z a i leitete nach Steph. Byz. eine andre Erklärung
von dem Namen des Kyrenäers G l a u k o s her.
— 59 —
für eine dankbarere Aufgabe hielt als die des Ausrupfens der
Federn.
Diese in Kreta jedenfalls a u s g e b i l d e t e Erzählung diente nun
in späterer Zeit dazu, die Federn auf dem Haupte der Musen zu
e r k l ä r e n " ) , die, wie aus einer Vergleichung anderer plastischer
Darstellungen und dem Relief, auf welchem die Musen schon bei
der Bestrafung der Sirenen diese Federn tragen, hervorgeht, jeden-
falls anderer Bedeutung und von C a s s i o d o r richtig als Bezeichnung
des h o h e n S c h w u n g e s i h r e r G e d a n k e n erklärt sind.
Dies ist die letzte bedeutendere That des antiken Geistes, durch
welche der Kreis von Mythen, die sich, ^um grössten Theil seit
alter Zeit, an die Sirenen anschlössen, erweitert wird. Denn die
Erzählung des P t o l e m ä o s H e p h a e s t i o n (bei P h o t . bibl. S. 184
Hoeschel, vgl. T z e t z . Lyc. 6 1 0 ) , dass die K e n t a u r e n auf der
Flucht vor Herakles d u r c h d i e S i r e n e n u m g e k o m m e n wären,
ist eine der vielen Erfindungen dieses Schriftstellers, die ebenso-
wenig Berücksichtigung verdient wie die, dass die Sirenen den
T e l e m a c h g e t ö d t e t hätten ( P h o t . S. 489). Trotzdem dass sie sich
auf einen Vers des L y k o p h r o n stützt (s. Phot. S. 488), der unter
den Gefahren des Odysseus eine arjöcov atsioa xsvravQoxTovog
erwähnt (v. 670). Denn dieses Beiwort ist vermuthlich nichts als
eine geschmacklose Bezeichnung der Allgewalt der Sirenen, die
selbst so starke und wilde W e s e n , wie die Kentauren es sind, zu
bezwingen vermögen 2 1 ). Später wurde dieses Beiwort leicht die
Veranlassung zu einer neuen und völlig werthlosen .Erzählung ! 2 ).
Im Uebrigen hat das spätere Alterthum, die nachalexandrini-
sche griechische und die römische Poesie, letztere mit alleiniger
Ausnahme der Tragoedie Hercules Oetaeus (v. 191, vgl. S. 38), sich

20 ) J u l . epist. 41. — P a u s . , S t e p h . B y z . , E u s t . sagen nur, die Musen

hätten K r ä n z e aus den F e d e r n der Sirenen geflochten. Ebenso T z e t z e s ,


der charakteristischer W e i s e n a c h h e r hinzufügt, aus diesem Grunde würden
die Musen mit F e d e r n auf dem Haupte gebildet.
21) xevjttu t>ix tu s in der Bedeutung „ungeschlacht wie ein K e n t a u r " bei
A r. Ran. 38.
" ) K l a u s e n , Aen. I , S. 4 9 7 , bringt diese F a b e l mit dem arkadischen
Orte .Zf/pni (bei Psophis) in Verbindung, „an den sich Kentaurensagen an-
knüpfen.." — W ä r e die Autorität des P t o l e m ä o s nicht zu verwerflich, so wäre
immerhin daran zu erinnern, dass das Ende, welches die Kentauren nach der
Ilias ( ß 7 4 4 , vergl. S t r a b . I X , 5, 12, S. 434) bei den A e t h i k e r n finden, in
gewissem Sinne dem durch die Sirenen herbeigeführten gleicht, insofern dem
Stamme ni.'l dieselbe Bedeutung zu Grunde liegt wie dem Stamme atiq.
— 60 —

lediglich auf die im Meere Gefahr bringenden Sirenen beschränkt


und diese als einen p o e t i s c h e n G e m e i n p l a t z zur Bezeichnung
der V e r l o c k u n g und V e r f ü h r u n g , besonders — und dies so wie
die damit zusammenhangende Aenderung ihrer Gestalt ist das einzig
Neue dieser Zeit — des S i n n e n r e i z e s gebraucht. So nannte schon
H o r a z den Mtissiggang eine iniproba Siren (Sat. II, 3, 14), und der
späte P a t r i c i u s gesellt in seinem Epithalamium des Auspicius und
der Aella ( W e r n s d o r f , poet. lat. min. IV, S. 475 ff.), v. 20, im Ge-
folge der Venus d e r V o l u p t a s e i n e S i r e n e zu:
blanda manu implexam tenet hanc (Voluptatem) ducitque canendo
aetherias Siren iterabile Carmen ad auras,
und mit Vorliebe wird der Gegensatz zwischen der Lockung und
dem Verderben, das diese zur Folge hat, hervorgehoben, der aller-
dings schon, doch nur aus der ganzen Schilderung zu entnehmen,
bei Homer hervortritt. So spricht Sil. I t a l . XII, 35 von einem
d u l c e e x i t i u m , und S t a t . silv. V, 3, 12 erwähnt unter beliebten
poetischen Gemeinplätzen
rupe quod atra
Tyrrhenae volucres nautis p r a e d u l c e m i n a n t u r ,
ein Thema, welches das für das spätere Alterthum besonders cha-
rakteristische lOOste Gedicht des Claudian mannigfaltig variirt hat:
[Dulce inalum pelago Siren volucresque puellae]
Scyllaeos inter freinitus avidamque Charybdin
musica saxa fretis habitabant d u l c i a m o n s t r a ,
b l a n d a p e r i c l a maris, t e r r o r quoque g r a t u s in undis.
Delatis licet huc ineumberet aura carinis
implessentque sinus venti de puppe ferentes,
figebat vox una ratem; nec tendere certum
delectabat iter reditus o d i u m q u e i u v a b a t ;
nec dolor ullus e r a t , mortem dabat ipsa voluptas.
Neben diesem charakteristischen, für die Vorstellung der Zeit
in den Einzelheiten jedoch nicht ausreichenden Gedichte zeigt uns
ein etwas späteres Werk in episch breiter Ausführung auf das
deutlichste, wie sich jene Zeit die äussere Gestalt u. s. w. der Si-
renen vorstellte, die o r p h i s c h e A r g o n a u t i k (v. 1270 ff'.), deren
Schilderung mit den Erzeugnissen später Kunst übereinstimmt:
Auf einem schroffen Felsen sitzen die Sirenen von U b e r a u s
s c h ö n e r G e s t a l t (v. 1297) und singen; die eine hat die Doppel-
flöte, die andre die Leyer. Von hier aus bethören sie durch ihre
helltonende Stimme das Gehör der Sterblichen, so dass diesen die
Heimkehr verloren ist. Die Argonauten lassen die Ruder fahren,
— 61 —

Ankäos richtet das Steuer g e r a d e auf die Klippe hin und hätte sie
ins Verderben geführt, wenn nicht Orpheus die Leyer ergriffen und
einen Gesang erhoben hätte. Vor seinen Weisen verstummen die
der Sirenen; sie werfen Leyer und Flöten von sich, stürzen sich
ins Meer, und werden hier in Felsen verwandelt.
Wir haben in diesen Versen den bekannten Zug, dass die Si-
renen dem Tode verfallen sind, sobald ein Schiff ohne ihnen zu
folgen an ihnen vorüberfährt; andrerseits, wie bei A p o l l o n i o s dem
Rhodier und auch bei S e n . Med. 356 ff., die Dichtung, dass die
Rettung für die Argonauten dadurch gewonnen wird, dass der Ge-
sang des Orpheus den der Sirenen übertönt, worin ähnlich wie in
dem Kampfe mit den Musen ein Gegensatz zwischen heilbringen-
den und verderblichen singenden Wesen ausgesprochen ist. Die
Ueberwundenen werden jedoch nicht nach verschiedenen Punkten
der italischen Küste getrieben um daselbst bestattet zu werden,
sondern sie werden, ähnlich der Kretensischen Sage (S. 57), in
Klippen verwandelt.
Wichtiger ist es, dass den Sirenen in diesem Gedichte eine
[lOQcprj vTcegonlog verliehen wird. Derselben A u f f a s s u n g , dem
n o t w e n d i g e n Abschluss der stetig fortschreitenden Weiterentwick-
lung ihrer F o r m e n , begegnen wir in Darstellungen der späteren
Kunst auf den Sarkophagreliefs, welche drei schöne weibliche Ge-
stalten auf einer Klippe sitzend und die Doppelflöte, die Lyra und
die Syrinx spielend zeigen.
So schliesst die Entwickelung der Sirenen auf klassischem
Boden mit der Gestalt, die wir uns, wenn wir einer vorgefassten
Meinung und nicht einer unbefangenen Betrachtung der vorliegen-
den Thatsachen folgen, auch als die ursprüngliche vorzustellen ge-
neigt sind. Und kein W u n d e r ; denn unserem von der Tradition
beherrschten Gefühl liegt es nahe, in ihnen ähnlich wie das Clau-
dianische Gedicht zunächst Schrecknisse des Meeres zu erblicken,
deren Gesang den Schiffer „mit wildem W e h " erfüllt, und ihn halb
widpr seinen Willen in die lockende Tiefe hinabzieht. Ebenso
natürlich verbindet sich mit dieser Vorstellung der Begriff hin-
reissender Schönheit, so dass es uns Wunder nehmen muss, dass
das Alterthum, dem sie schon verhältnissmässig früh nur als ver-
derbliche Dämonen der See erschienen, die erotischen Beziehungen
derselben erst so spät hervortreten lässt. Denn erst ein Epigramm
des H e d y l o s oder A s k l e p i a d e s (Anth. Pal. V, 161), in wel-
chem habgierige Hetären den Menschen feindlicher als Sirenen
genannt werden:
— 62 —

a\Xa avv avzaig vaval %a Xr/atQixa Trjg lAqtyodizrjg


q>evysT£' ^biq^viov aide yctq ex&QOTEqai,
enthält den eisten freilich noch undeutlichen Hinweis auf diese
Bedeutung, die erst im Laufe des 4ten Jahrhunderts seit unserer
Zeitrechnung klar zu Tage tritt.
Seit der alexandrinischen Zeit erscheinen übrigens die Sirenen
in dem fast ausschliesslich behandelten A b e n t e u e r d e s O d y s s e u s
wesentlich ebenso, wie die volksthümliche Weiterdichtung (S. 44)
sie schon früher ausgebildet hatte: sie sind Anfangs noch halb
menschlich, halb vogelartig gestaltet, dann vollkommen schöne
weibliche Wesen 2 3 ), meistens in der Dreizahl; einzeln, auf plasti-
schen Darstellungen, findet sich auch Eine Sirene, zwei wie
bei Homer finden sich nirgends, so dass es nicht unwahrschein-
lich ist, dass wir uns in der orphischen Argonautik neben den
v. 1293 erwähnten, die Leyer und die Doppelflöte spielenden,
noch eine dritte, singende, zu denken haben, in Uebereinstimmung
mit den meisten plastischen Kunstwerken und der einstimmigen
Angabe des späteren Alterthums. Denn während noch die V a s e n -
b i l d e r vom Abenteuer des Odysseus, ebenso noch A p o l l o n i o s
und L y k o p h r o n , sie uns in Uebereinstimmung mit der home-
rischen Dichtung ohne Instrumente zeigen, finden wir auf den
meisten R e l i e f s und G e m m e n — ebenso in den Reliefs vom
Kampfe mit den Musen — eine von ihnen mit der D o p p e l f l ö t e ,
die zweite mit der L e y e r dargestellt, während die dritte, die bis-
weilen eine R o l l e hält, s i n g t , eine Vorstellung, die sich, wie aus
einer Vergleich ung anderer, z. B. sepulcraler, Darstellungen hervor-
geht, schon bedeutend eher herausgebildet haben muss als die
Entstehungszeit der orphischen Argonautik ist, und die auch S e r v .
Verg. Aen. V, 863, I s i d o r . Orig. XI, 3, 30, T z e t z . Lyc. 712 als
feststehend erwähnen " ) .
Wenn in diesen Instrumenten eine Verstärkung und Hervor-
hebung der musikalischen Wirkung der Sirenen liegt, die sich auf
anderen Gebieten schon eher vollzogen hatte, so erscheinen sie zu-
gleich doch auch als Unholdinnen der See, ebenso, wie schon auf
Vasenbildern, nicht mehr auf blumiger Insel, sondern regelmässig
auf K l i p p e n oder F e l s e n ' " ) , und selbst bei A p o l l o n i o s , dessen
23
) Einer Ausnahme begegnen wir nur bei S t a t i u s , der sie (silv. V, 3,82)
als Tyrrhenae v o l u c r e s bezeichnet.
" ) O l a u d i a n , R. P. III, 257, sagt verallgemeinernd: in pestem vertere
lyras.
" ) Eine Ausnahme bildet ein I'ompejanisches Wandgemälde, s. im arch. Th.
— 63 —

Gelehrsamkeit ihnen die schöne Insel Anthemoessa zuwies, sitzen


sie auf hoher, das Meer beherrschender W a r t e . Dagegen scheint
die an und für sich nahe liegende Verwandlung der auf Klippen
des Meeres thätigen Sängerinnen in solche, die im Meere selbst
wirksam sind, und die damit zusammenhangende Notwendigkeit,
ihre Gestalt in diesem Sinne umzuformen, dem Alterthum so gut
wie völlig fremd gewesen, j a , demselben vielleicht geradezu abzu-
sprechen zu sein (vgl. im arch. Th. über die Thonlampe in Canterbury).

Es bleibt noch übrig, die seit der alexandrinischen Zeit


hervortretenden e r k l ä r e n d e n und r e f l e c t i r e n d e n Bemerkungen
Uber die Sirenen zusammenzustellen, die, wenn sie auch für die
Erkenntniss des Wesens derselben nur wenig Bgachtungswerthes
leisten, uns doch einen Einblick in die Ansichten eröffnen, welche
die Gelehrsamkeit des späteren Alterthums von ihnen hegte. Lei-
der ist es hier nicht möglich, in allen Einzelheiten einen historischen
Gang einzuschlagen, weil die Abhängigkeit, in welcher diese Studien
von Alexandria stehen, und die Unvollständigkeit der auf uns ge-
kommenen Notizen keine Entscheidung darüber gestatten, ob eine
erst spät, etwa bei Eustathios oder Tzetzes, sich findende Notiz
älteren oder jüngeren Ursprungs ist.
Für die I n t e r p r e t a t i o n d e r V e r s e d e r O d y s s e e war eine
wichtige und vermuthlich zuerst aufgeworfene Frage die nach dein
m y t h i s c h e n L o c a l der Sirenen. Sie war schon v o r E r a t o s t l i e -
n e s erörtert und von einigen dadurch gelöst worden, dass sie die
Insel am sicilischen Vorgebirge P e l o r u m suchten, während andere
an das V o r g e b i r g e d e r A t h e n e o d e r d e r S i r e n e n bei S u r -
r e n t u n i dachten 4 "), woraus Eratosthenes voreilig einen Grund
hernahm, der Irrfahrt des Odysseus jegliche factische Grundlage
abzusprechen (bei S t r a b . I, 2, 12, S. 22), während S t r a b o a. a. 0 .
methodisch richtiger aus diesen Angaben sowie aus der Verehrung
der Sirenen insgesammt an dem nach ihnen genannten Vorgebirge
und der Parthenope's zu Neapel Anlass nahm, den mythischen Sitz
derselben in der Gegend von Italien und Sicilien zu suchen, ohne
sich auf eine nähere Präcisirung einzulassen 2 I ).

20
) Dieselben verschiedenen Ansichten bei T z e t z . Lyc. 712.
") Ebenso versetzt sie s c h o l . « 35 V H Q T tls ity Tunijrjvlnv, vgl. S t a t .
silv. V, 3, 82, E u d o c . S. 81.
— 64 —
Diese Annahme, dass die Sirenen in den s i c i l i s c h - i t a l i -
s c h e n G e w ä s s e r n ihren Zauber ausgeübt hätten, ist seitdem die
herrschende geblieben, indem bald das pelorische Vorgebirge ! 8 )
Siciliens, bald das der Athene bei Surrentum t'jy, bald die vor dem-
selben liegenden Sireneninseln 3 "), bald die Insel Capri 3 1 ) bestimm-
ter hervorgehoben wurden.
Auch die A r t u n d W e i s e d e r v e r d e r b l i c h e n W i r k u n g
der Sirenen wurde in den Kreis der Untersuchungen gezogen. Dass
eine Art von Interpretation derselben, wenn auch eine nur dürftige,
in dem - Trjxsdivi cpitiviittovaai des A p o l l o n i o s v o n R h o d o s (IV,
901) ausgesprochen liegt, ist bereits hervorgehoben (S. 4). Dieser
war die des B y z a n t i n e r s A r i s t o p h a n e s nahe verwandt, der
nach s c h o l . ¿t 43 Q behauptete, die den Gesang der Sirenen Hö-
renden kämen um xaTctrq>co[.ievov<; Tß mdf[ X A I alcpvidiiog S K X E L -
novTag, während A r i s t a r c h o s den Grund ihres Verderbens in
dem Mangel an Lebensmitteln erblickte (schol. a. a. 0.), eine Auf-
fassung, welche noch platter ist als die bei A t h e n . VII, S. 290 E,
nach welcher die von den Sirenen Gefesselten durch die Lust des
Hörens der Nahrung gänzlich vergässen. In ähnlich natürlicher
Weise hatte schon P l a t o 3 2 ) das Verderben dadurch zu erklären
versucht, dass der Gesang der Sirenen die Verlockten bis zu ihrem
Tode an Ort und Stelle fesselte. D a g e g e n liessen andere sie
S c h i f f b r u c h b e r e i t e n 3 ' ) oder gar, um die Geschmacklosigkeit
auf die Spitze zu treiben, die ihnen Folgenden verzehren J 4 ).
Auch die N a m e n der Sirenen, die wir schon in der Schrift
negi &avf.iaaUüv Gxovo/ndiiüv finden, sind ohne Zweifel in der
alexandrinischen Zeit Gegenstand der Untersuchung gewesen, aus
welcher noch s c h o l . ¡.t 39 H. Q. T. und E u s t . S. 1709, 4f>, welche
auch die beiden homerischen Sirenen, A g l a o p h e m e u n c l T h e l x i e -
p e i a , benennen, auf uns gekommen sind. Ebenso sind die Be-
merkungen 3 ') Uber die Abweichung späterer Zeit von Homer in
28
) C l a u d . E. P. I I I , 2 5 5 , vgl. A u s o n . id. 11, 20: tres in T r i n a c r i a
Siredones. (Sen.) H c r c . O e t . 190: Rle vel S i c u l i s addite s a x i s , ubi fata
gemam Tliessala Siren.
29 30
) P l i n . H N . III, 9. ) P o m p . M e l . II, 4, 9.
31
) S e r v . Verg. A e n . V, 863.
32
) Gonv. S . 2 1 6 A , vgl. G e l l . X V I , 8 extr. S u i d . Zt
33
) S e r v . V e r g . A e n . V, 863. I s i d o r . Orig. XI, 3, 30. 31.
**) s c h o l . « 1 8 4 Q, vgl. D i o C h r y s . 3 2 , S.676, T e r t u l l . Apol. 7: c r u e n t a
Sirenum o r a . — Eine mittelalterliche Darstellung lässt die Sirenen die Schiffer
ermorden und dann ins Meer werfen, s. P i p e r , Myth. d. ehr. K. I, S. 387.
s c h u l , u 39 V H Q T , vgl. E u s t . Dion. Per. 358.
— 65 —

Betreff der Z a h l der Sirenen vermuthlich den Alexandrinern zu-


zuschreiben.
Alle diese Aeusserungen haben nur den Werth, dass sie uns
die Ansichten der alexandrinischen Gelehrten vorfuhren; für die
Erkenntniss des W e s e n s der Sirenen sind sie nicht von Bedeutung;
dagegen gibt P a u s a n i a s ( X , 6, 3) mit der Erklärung, die dem
Sirenengesange Lauschenden kämen um, ort rrjs yd^S avTiöv
axovovres ITCVSOVTO, einen dankenswerthen Fingerzeig für die Be-
stimmung ihres Wesens (s. S. 9), der freilich keineswegs seinem
oder seiner Quelle Scharfblick, sondern nur einer richtigen und
ohne vorgefasste Meinung angestellten Interpretation Homer's zuzu-
schreiben ist.
Ob auch der G r u n d , welcher die m y t h i s c h e G e s t a l t d e r
S i r e n e n ü b e r h a u p t ins Leben gerufen hat, von den Alexandrinern
aufgesucht worden ist, lässt sich nicht bestimmen. Die ältesten der
in diesem Sinne überhaupt etwa zu vervverthenden Notizen 3Ö ) stellen
sie nur lyngen und Keledonen an die Seite, und leisten somit für
die richtige Erkenntniss äusserst Geringes"). Eine spätere, auf den
j ü n g e r e n P l u t a r c h zurückgeführte euhemeristische Erklärung sah
in ihnen T ö c h t e r d e r L u s t , welche die Vorüberfahrenden zum
Schiffbruch oder zum Verlust ihres Vermögens brachten (vgl. He-
r a c l i t . iucred. 14). Andere hielten sie für des G e s a n g e s k u n -
d i g e W e i b e r , die durch ihre Kunst die ihnen Nahenden bis zu
ihrem Tode fesselten 3 "), andere für s i n g e n d e Vögel 3 ") oder, der
ältesten Gestalt entsprechend, V ö g e l mit w e i b l i c h e m A n g e -
s i c h t 4 " ) ; andere legten ihnen eine Erscheinungen der Natur ent-
nommene Bedeutung zu Grunde: den K l a n g d e r W e l l e n am Ufer
oder in Engen des Meeres, dessen gefährliche Strömung dann die
Schiffe ins Verderben f ü h r t e " ) , oder L u f t a u s s t r ö m e n d e O e f f -
n u n g e n d e s E r d b o d e n s , die von den Umwohnenden mit Flöten
versehen wären (!), deren Töne die Vorbeikommenden gefesselt
hätten 1 2 ), der a l l e g o r i s c h e n E r k l ä r u n g e n , welche sie bald ein
Bild der Lust, bald der Schmeichelei, bald trügerischer Weisheit
nennen, zu gesclnveigen 1J). — Den Namen leitete das Alterthum

30
) z . B . L u c . dorn. 13, A t h e n . V i t , S. 290 E .
37
) s. am E n d e des urcli. T h .
3B
) S u i d . S a p i j v n i ; die letzte E r k l ä r u n g auch bei B a s i 1 i n s zu J e s . 13, 21.
39
) C y r i l l . A l e x , in Mich. 1 , 8 , vgl. s e h o l . « 39 B.
41
•">) S u i d . a. a. 0 . ) S u i d . a. a. 0 . E u s ' t . S. 1709, 37.
«) E u s t . S. 1709, 35.
43
) -s c h o 1. u 39 B. E u s t. S. 1707,42. T z e t z. L y c . 653. P u 1 g e n t. myth. 11,11.
Selirailer, liegriil' d . S i r e n e n . Fj
— 66 —

e n t w e d e r v o n eigeiv ( E t . M., E t . G-ud.) o d e r v o n OVQEIV (Fulg.


m y t h . I I , 11) h e r .
In Betreff der G e s t a l t der dem Odysseus Verderben drohenden
W e s e n findet sich im s c h o l . I i zu /LI 4 7 (vgl. s c h o l . ¿ u 3 9 H Q T ,
E u s t . S. 1709, 4 8 ) d e r u n b e r e c h t i g t e S c b l u s s , sie k ö n n t e n n i c h t g e -
flügelt g e w e s e n sein, d a O d y s s e u s s o n s t von i h n e n v e r f o l g t w o r d e n
wäre. D a g e g e n s c h i l d e r t sie P o r p h y r i o s , d e a b s t . I I I , IG, i n
U e b e r e i n s t i m m u n g mit d e n p l a s t i s c h e n M o n u m e n t e n u n d d e r V o r -
s t e l l u n g d e r D i c h t e r a l s mit F l ü g e l n v e r s e h e n , w o b e i T z e t z . L y k .
6 5 3 u n d F u l g e n t i u s a. a. 0 . n o c h d i e V o g e l g e s t a l t d e s u n t e r e n
K ö r p e r s a u s d r ü c k l i c h h e r v o r h e b e n , w ä h r e n d I s i d o r (Orig. X I , 3,
30. 31) es n i c h t v e r s ä u m t , n e b e n a l l e n d i e s e n B e s t a n d t h e i l e n n o c h
die V o g e l k l a u e n b e s o n d e r s zu e r w ä h n e n . A n d r e r s e i t s e r w ä h n e n
S e r v i u s zu V e r g . A e n . V, 8G3, S u i d a s v. 2eigfjvag und E u d o k i a ,
S. 81, n u r d i e h a l b m e n s c h l i c h e , h a l b v o g e l a r t i g e Gestalt, o h n e d i e
F l ü g e l zu e r w ä h n e n , alle in U e b e r e i n s t i m m i i n g mit u n s noch e r -
haltenen Gebilden der Kunst.
A u c h d i e A r t u n d W e i s e d e s G e s a n g e s d e r S i r e n e n ist von
der Gelehrsamkeit des Alterthums behandelt w o r d e n : meistens wird
g a n z ä u s s e r l i c h h e r v o r g e h o b e n , d a s s eine v o n i h n e n d i e L e y e r
d i e a n d e r e die D o p p e l f l ö t e g e s p i e l t u n d d i e d r i t t e g e s u n g e n
h ä t t e , d a n e b e n finden sich j e d o c h a u c h im A n s c h l ü s s e a n die ho-
m e r i s c h e S c h i l d e r u n g B e m e r k u n g e n Uber d e n C h a r a k t e r i h r e s
G e s a n g e s , die e n t w e d e r n u r d a z u d i e n e n , die W i s s b e g i e r d e s
O d y s s e u s 4 ' ) oder auch, wie die b e k a n n t e Auseinandersetzung Ci-
c e r o ' s ( d e lin. V, 1 8 ) , z u g l e i c h d i e M a c h t , w e l c h e d a s S t r e b e n
n a c h E r k e n n t n i s » a u f die M e n s c h e n a u s ü b t , zu s c h i l d e r n .

44
) s c h o l . ,« 160 Q, E u s t . S. 1708, 25, A t h e n . I, S. 14 D.
Die Sirenen in der alten Kunst.

5*
J J i e uns aus dem Gebiete der alten Kunst erhaltenen Dar-
stellungen der Sirenen zeigen uns dieselben wesentlich von einem
dreifachen Gesichtspuncte aus, als in gewissen M y t h e n t h ä t i g e
W e s e n , als S y m b o l e d e r T o d t e n k l a g e und vereinzelt auch als
d u r c h i h r e n G e s a n g b e g e i s t e r n d e Gestalten. Neben diesen
scharf gesonderten Gruppen, die ihren gemeinsamen Hintergrund
in der im Vorhergehenden erörterten Grundbedeutung haben, findet
sich noch von den ältesten bis in die spätesten Zeiten eine grosse
Zahl von Figuren, deren äussere Erscheinung die der Sirenen ist,
die jedoch so sehr des Zusammenhanges mit einem grösseren Gan-
zen oder einer bestimmten Charakteristik entbehren, dass sie sich
keiner Gruppe unterordnen, u n d , wenn man sie auch in vielen
Fällen als Sirenen zu bezeichnen berechtigt ist, für wenig mehr als
Ornamente zu halten sind. Auch die allen diesen Wesen verliehene
Gestalt ist im wesentlichen eine dreifache: bald, und dies ist die
älteste, sind es V ö g e l m i t w e i b l i c h e m H a u p t e , bald w e i b l i c h e
G e s t a l t e n mit den B e i n e n und F ü s s e n , zum Theil auch den
F l ü g e l n und dem S c h w e i f e i n e s V o g e l s ; daneben auch, wenn
auch seltener und eist in später Zeit, l a n g b e k l e i d e t e W e i b e r
ohne irgend welche Spur nicht menschlicher Theile.

I.

Darstellungen der Sirenen aus dem Kreise des


Mythos.
Von den keineswegs zahlreichen Mythen, in denen die Sirenen
thätig sind, hat die alte Kunst, wie es scheint, nur zwei behandelt,
den ältesten und den jüngsten kaum noch als Mythos zu bezeich-
n e n d e n , d a s A b e n t e u e r d e s O d y s s e u s und d e n K a m p f m i t
d e n M u s e n nebst der auf diesen folgenden S t r a f e . Von den hier
— 70 —

in Frage kommenden zahlreichen Monumenten nimmt, vom künst-


lerischen Standpunct aus betrachtet, keins einen hervorragenden
Platz ein, wie sich j a auch, wenn wir von dem, was über den
alten Künstler P y t h o d o r o s bemerkt wird, absehen, keine Notiz
darüber findet, dass irgend ein Künstler des Alterthums Sirenen,
sei es als selbständige Figuren, sei es in der Darstellung mythischer
Vorgänge, gebildet hätte ').
Begreiflicher Weise ist das Abenteuer des Odysseus mit be-
sonderer Vorliebe behandelt worden, und zwar zu den verschieden-
sten Zeiten und in der verschiedenartigsten Auffassung der Sirenen,
so dass wir hier alle drei soeben geschilderten Darstellungsweisen
derselben vor uns haben.

Odysseus bei den Sirenen.


A. D i e S i r e n e n a l s V ö g e l mit w e i b l i c h e m Haupte.
A. Vase des brit. Mus. (No. 785), früher im Besitz des Fürsten
von Canino. Rothe Fig. auf Schwarz. Abg. Mon. I n s t . I, 8.
I n g h i r a m i , 6 . 0 . III, 96. P a n o f k a , Prob. ein. arch. Comm.
z. Pausan. Taf. III, 6- Ca (sehr verkleinert). O v e r b e c k , her.
Gal. I, 32, 8.
B. Schale mit Reliefs aus Vulci, früher Durand'sehen Besitzes
(De W i t t e , cab. Dur. 1380), j. in Berlin ( G e r h a r d , neuerw.
Denkm. 1646), beschr., ausser von D e W i t t e und G e r h a r d ,
A r c h . Z e i t . 1846, S. 309, O v e r b e c k , her. Gal. S. 793 (irr-
thümlich sind in den Beschreibungen De Witte's und Ger-
hard's d r e i Sirenen erwähnt, deren sich nur z w e i finden;
derselbe Irrthum lässt sich aus Overbeck's Worten entnehmen).
C. Entsprechende, an der Stelle des alten Tarquinii gefunden,
beschr. Bull. Inst. 18G7, S. 129.
D. Pompejanisches Gemälde r ) der Blacas'schen Sammlung in Paris,

') Die nach H e y n e , prisc. artis op. Cpoli exst. (Commeut. soc. Gotting.
XI), p. 31, zu Constantinopel befindlichen 12 Sirenen auf Porphyr-Säulen waren,
wie aus C o d i n . de sign, p . 6 7 , 1 9 ed. Bonn., Anon. o r i g . C p o l i t . I, 39 ( B a n d u r .
III, p. 14) und e n a r r . c h r o n . 242 ( B a n d . III, p. 73) erhellt, f i s c h leibige Ge-
stalten.
2
) Vermuthlich identisch mit dem von v. S t a c b e l b e r g , Gr. d. Hell., S. 13,
erwähnten Gemälde aus Herculanum. — C l a r a c V , S. 73, 1, erwähnt ein an-
tikes Gemälde der Neapler Sammlung, auf dem sich die Sirenen ins Meer
stürzen, wovon jedoch weder bei Gerhard und P a n o f k a noch bei Jorio etwas
erwähnt ist.
— 71 —

nach einer Mittheilung v. Stackelberg's beschr. von S c h o r n


im 2. Jahresber. d. bayr. AkacL, S. 63, vgl. L a g l a n d i e r e ,
Ann. I, S. 284, 4. 286, 13. H e i b i g , Bull. 1865, S. 127.
Dazu einige verkürzte Darstellungen desselben Vorgangs:
E. Schale des Nikosthenes, aus Yulci, mit schw. F., früher Hope'-
schen Besitzes, beschr. von D e W i t t e , cab. Durand, n. 418,
coli. Beugn. n. 57, und B r u n n , Gesch. d. gr. Künstler, II, S. 717,
n. 42. Das für Odysseus Charakteristische, die Fesselung, fehlt.
Das Schiff ist zweimal da, jedesmal steht am Vordertheil ein
mit einem Mantel bekleideter Mann, hinten ein Ruderer.
F. Oenochoe des brit. Mus., schw. Fig. „Flötende Sirene auf
Felsensitz, darunter Delphine," A r c h . Anz. 1850, S. 226.
G. Tischbein'sche Zeichnung nach einem Vasenbilde. Eine Sirene
auf einem Felsen stehend, abg. T i s c h b e i n , Homer nach
Antik., Hft. 8, Bl. 2.
In den beiden letzten Darstellungen fehlt das Schiff des Odysseus,
doch sind sie nach dem Platze, an den die Sirenen gestellt sind,
demselben Kreise zuzurechnen.

B. D i e Sirenen als w e i b l i c h e G e s t a l t e n mit den


B e i n e n u. s. w. e i n e s V o g e l s .
H. Fragment eines früher in der Villa Albani vorhandenen (vgl.
M a r i n i , iscriz. Alban. S. 186) Sarkophags, beschr. W i n c k e l -
m a n n , Gesch. d. K. VIII, 3, 11.
I. Sarkophag-Relief des Codex Pighianus, fol. 269. Das Aben-
teuer des Odysseus ist, ohne dass die Darstellung jedoch da-
durch beeinflusst wäre, in die Unterwelt versetzt, und den
Danaiden, Herakles mit Kerberos und Herines mit einem Ver-
storbenen an die Seite gestellt. Abg. B e g e r , Ulyss. Siren.
praeterv., Col. Brand. 1703, S. 3, ders., bell, et excid. Troi.,
n. 69, und (vollständiger) 0 . J a h n , Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss.
1856, hist. phil. Cl., Taf. III, 6.
K. Relief des vaticanischen Gartens, abg. F a b r e t t i , col. Trai.,
add. ad p. 379 D. B e g e r , a . a . O . , S. 4 und n. 69. L i p p e r t ,
Dactyl. II, Vign. S. 1.
L. Fragment eines Sarkophag-Deckels aus den Calixt-Catacomben,
im Museum des Laterans, abg. de R o s s i , Rom. sotterr. I, tav.
XXX, 5. Bull.crist. 1863, p.35. B e n n d o r f u. S c h ö n e , Tai". 18,1.
M. T e r r a - C o t t a Relief, abg. C a m p a n a , ant. op. in plast.,
Taf. 69. 70.
— 72 —

N. Form eines Terra-Cotta Reliefs, abg. R i c c i o , notiz. degli


scavamenti del suolo dell antica Capua, Napol. 1855, Taf. 6.
0 . Relief einer römischen Lampe, abg. R a o u l R o c h e t t e , mon.
inéd., S. 392, Vign. 12. I u g h i r a m i , G. Om. III, 94. O v e r -
b e c k , her. Gal. I, 32, 13.
P. Antikes Mosaik aus dem Landhause der Munatia Procula bei
Tor Marancia, abg. B i o n d i , mon. Amaranz. Taf. 1. Eine
Nachahmung desselben im Braccio nuovo, B e s c h r . R o m s II,
2, S. 89.
Q. Stosch'scher Carneol ( W i n c k e l m a n n III, 357) in Berlin
( T ö l k e n , erkl. Vz. IV, 4,381), abg. P a c i a u d i , mon. Pelop.
I I , 139, L i p p e r t , Dact. II, 173. M i l i i n , gal. myth. 167,
638. T i s c h b e i n , Homer nach Ant. Hft. 8, Bl. 2. I n g h i r a m i
III, 95. M ü l l e r - W i e s e l e r II, 59, 756. O v e r b e c k , her. Gal.
I, 32, 9.
R. Tischbein'sche Zeichnung, vermuthlich nach einem geschnitte-
nen Stein, beschr. von S c h o r n zu Tischbein's Horn. n. Ant.,
Hft. 8, S. 13.

C. D i e S i r e n e n a l s w e i b l i c h e G e s t a l t e n in l a n g e n
Gewändern.
S. Sarkophag-Relief bei G o r i , inscr. etr. I, S. VII, auch als Titel-
Vign. zu dessen mus. etr. und mus. Guarnacci.
T. Desgleichen bei G o r i , mus. etr. I, 147, 2.
U. Desgleichen, abg. T i s c h b e i n , Homer nach Ant., Hft. 2, Bl. 6.
M ü l l e r - W i e s e l e r II, 59, 757.
Diese drei in Florenz, S zu Gori's Zeit im Pal. Nicolini, T im
Pal. Buonarroti. Nach M i c h a e l i s , Denkm. u. Forsch. 1864, S. 123,
5, noch eine entsprechende Darstellung in den Uffizj.
V. Sarkophag-Relief bei G o r i , mus. etr. I, 147, 1.
W. Desgl. bei R. Roch., mon. inéd., LXI, 1. I n g h i r a m i III, 101.
Beide in Volterra, wo sich nach M i c h a e l i s a. a. 0 . derselbe
Gegenstand mehrfach dargestellt findet (vgl. S c h o r n , 2. Jahresber.
d. bayr. Akad., S. 65).
X. Sarkophag-Relief bei I n g h i r a m i 111,97. O v e r b e c k I, 32, 14.
Nach R. Roch., S. 376, sind S — W in Volterra gefunden, X,
nach I n g h i r a m i , ebenfalls.
Y. Relief eines Alabaster-Sarkophags aus dem Besitze der Kai-
serin Josephine, dann Pourtalès'schen Besitzes, beschr. von
D u b o i s , cat. Pourt. S. 3, 10.
— 73 —

Z. Sarkophag-Relief im Antiquarium zu Mannheim, G r ä f f , II,


S. 8, 8.
ZZ 3 ). Desgleichen im brit. Museum, nach M i c h a e l i s a. a. 0 .
An diese drei Gruppen schliesst sich als etwas ganz Verein-
zeltes an das Bild einer römischen Thonlampe mit dem Stempel
C. Iun. Bit., von der sich ein Exemplar in Canterbury befindet, durch
Lord Strangford aus dem Süden dorthin gekommen, und ein anderes
von D u b o i s unter den Antiken der Pourtales'schen Sammlung (cat.
Pourt. p. 141, n. 587) aufgeführt wird. Ersteres ist nach einer Zeich-
nung Scharfs von M i c h a e l i s in den Denkm. und Forsch., 1864,
Taf. 181,1 publicirt. Wir erblicken ein Schiff, an dessen Mast eine
männliche, bärtige Figur mit den Armen gefesselt zu sein scheint;
links führt ein Steuermann das Ruder, rechts hält ein dritter Insasse
des Schiffes sich die Ohren zu. Dies alles muss allerdings den
Gedanken an das Sirenenabenteuer des Odysseus als den einzig
möglichen erscheinen lassen, jedoch suchen wir vergebens die uns
sonst bekannten Gestalten derselben; statt dieser zeigt sich am
rechten Ende des Schiffes eine sich aus dem Wasser hebende weib-
liche Gestalt, deren Körper in einen Fischschweif zu enden scheint,
und die den linken Arm nach dem Schiffe hin ausstreckt.
Von dieser Gestaltung der Sirenen, die dem Mittelalter so wie
der populären Anschauung unserer Zeit geläufig ist, findet sich,
wenn wir von dieser Lampe absehen, jedoch keine frühere Spur
als die Angabe des frühestens gegen das Ende des sechsten Jahr-
hunderts unserer Zeitrechnung verfassten liber monstrorum (Berlin.
Lect. Cat. S. S. 18(33), wo es von ihnen heisst (I, 7): a capite usque
ad umbilicum sunt corporc virginali et humano generi siinillimae,
s q u a m o s a s tarnen p i s c i u m c a u d a s h a b e n t , quibus in gurgite
Semper latent. Nicht einmal Isidoras oder die Byzantiner, welche
die Anschauungen des Alterthums jedenfalls unverfälschter bewahrt
haben, als dieses wahrscheinlich im fränkischen Reiche entstandene
Machwerk, kennen diese Zusammensetzung, vielmehr nur die mit
den Theileu eines Vogels. Wir würden es hier also mit einer Bil-
dung zu thun haben, die sich von den dem Alterthum geläufigen
Vorstellungen vollkommen losgelöst hat und nur als das Spiel einer
denselben völlig fern stehenden Phantasie angesehen werden könnte.
Man wird hiernach ein gewisses Misstrauen derselben gegenüber
nicht unterdrücken können, um so weniger, als sich auch gegen

3 ) Unbekannt, zu welcher Gruppe g e h ö r i g : Mosaik aus Scrofano im P i o -


Clement., erwähnt B e s c h r . R . 1 1 , 2 , S . 244.
— 74 —

eine andere T e r r a - C o t t a der Canterbury'schen Sammlung, freilich


aus Gründen anderer Art, Bedenken erheben lassen (s. B r u n n ,
Arch. Anz. 1864, S. 303*).
Schon die Darstellungen der e r s t e n G r u p p e , ohne Frage zum
grössten Theil die ältesten, zeigen uns, wie dies von dem Bilde der
Vase A schon im mythologischen Theile in Kürze hervorgehoben
worden (Abschn. IL), nicht unerhebliche A b w e i c h u n g e n v o n d e r
h o m e r i s c h e n S c h i l d e r u n g . Denn, um von den mehr andeutenden
Bildern EFG-, die nur Eine Sirene aufzuweisen haben, abzusehen,
finden sich z w e i Sirenen nur auf den Relief-Schalen (BC), die je-
doch auch das Schiff des Odysseus zweimal geben, während die
Vase des britischen Museums (A) d r e i dieser Wesen zeigt; ebenso
das demselben älteren Typus der Gestalt folgende Wandgemälde
(D). Auch ihr A u f e n t h a l t ist nicht mehr eine blumenreiche Insel,
sondern es sind F e l s e n , denen Odysseus entweder naht, oder zwi-
schen denen er hindurchfährt (AD); einmal (D) ist, wie bei Homer,
das verderbliche Walten der Sirenen durch Gerippe, Schädel und
Knochen, die auf den Felsen liegen, bezeichnet.
Andrerseits sehen wir auf den meisten der Vasenbilder darin
eine Uebereinstimmung mit der Odyssee, dass die Stimme allein,
ohne durch Instrumente verstärkt zu sein, die fesselnde Wirkung
ausübt; nur das Bild F , das Uberhaupt nur ein auf einem Felsen
des Meers waltendes Wesen dieser Art darstellt, und das Schiff des
Odysseus bei Seite lässt, verleiht demselben eine Flöte, während
das Wandgemälde (D), der späteren Auffassung entsprechend, allen
ein Instrument gibt, zweien eine Lyra, der dritten die Doppelflöte 4 ).
Diese Art der Darstellung machte es selbstverständlich nothwendig,
dem Vogelleibe nicht allein ein menschliches Haupt, sondern auch
Arme hinzuzufügen, die sich mitunter ') auch ohne diese äussere
N o t w e n d i g k e i t bei der Vogelsirene finden. Auch sonst finden sich
in dieser Gruppe natürlich verschiedene Nüancirungen der Vogel-
gestalt, die übrigens nicht überall bekannt und nicht von Wichtig-
keit sind; doch verdient es hervorgehoben zu werden, dass das Haupt
der Sirenen der Vase A ausser der Stephane, mit der es geschmückt
ist, zwei lange und schmale Locken trägt, die hinter dem Ohre her-
abfallen, ein Typus, der sich auch sonst auf Vasenbildein wie auch
in statuarischen und Belief-Darstellungen dieser Weseu zeigt 6 ).
4
) Nach H e i b i g ; nach S c h o r n hat eine die Lyra, die andere die Doppel-
flöte, und die dritte singt.
5
) z . B . T i s c h b e i n , vases d'Ham. I i i , 59.
6
) Ygl. w. u. Abschn. II,
— 75 —

Ueber den eigentümlichen Zug der Vase A, dass eine Sirene


sich mit geschlossenen Augen von der Klippe, auf der sie gestan-
den, kopfüber, scheinbar in das Schiff des Odysseus, hinabstürzt,
während eine zweite, die ihr gegenüber gestanden, ihr nachblickt,
und sich anzuschicken scheint, ihr zu folgen, indess die dritte ihren
Gesang noch fortführt, ist oben, Abschn. II., gehandelt worden.
Die z w e i t e und d r i t t e G r u p p e sind, wenn auch die beklei-
deten Frauengestalten der letzteren für den Abschluss einer längeren
Entwicklungsreihe zu halten sind, in deren Mitte die Gestalten der
ersteren stehen, doch im einzelnen der Zeit nach nicht zu trennen.
Zunächst stimmen sie, wie auch die bereits betrachteten älteren
Darstellungen, in gewissen Abweichungen von Homer überein. Mit
alleiniger Ausnahme des Mosaiks von Tor Marancia (P), das uns,
vermuthlich durch den beschränkten Raum veranlasst, nur E i n e
Sirene zeigt, bieten alle übrigen Darstellungen dieselben in der
D r e i z a h l dar. Der Schauplatz ihrer Thätigkeit ist in den meisten
Fällen eine K l i p p e von grösserer oder geringerer Höhe ( I K M N O
R S T U W Y ) , die mitunter (MO) mit einem oder mehreren Bäumen
besetzt ist, um mehr den Eindruck einer Insel hervorzubringen.
Zweimal ( V X ) finden sich mehrere dicht neben einander stehende,
niedrige Klippen von gleicher Höhe; auf dem sehr späten Relief
L ist die felsige Insel so niedrig gehalten, dass die Sirenen fast
auf dem Wasser zu stehen scheinen. Ein anderes Mal (Q) sehen
wir sie auf einem niedrigen und schmalen Streifen Landes unmittel-
bar Uber dem Schiffe stehen, ohne dass sie überhaupt dem Meere
anzugehören scheinen, eine ungünstige Anordnung, die aus dein
nur beschränkten Raum, welcher der Darstellung zu Gebote stand,
zu erklären ist, ebenso wie die ähnliche Anordnung der Lampe 0 .
E i g e n t ü m l i c h e r ist dagegen die Auffassung des Mosaiks P, wo wir
über dem Schiffe eine flache und öde, einige Baumstämme tragende
Insel sehen, während links von derselben auf einem Gegenstande,
den man am ersten noch für das W r a c k e i n e s S c h i f f e s mit dem
Mast und dem Fetzen eines Segels zu halten haben wird, eine die
L y r a spielende Sirene steht, eine Stellung, die das Verderben, wel-
ches dem in ihrer Nähe weilenden Odysseus droht, zur Genüge zu
erkennen gibt.
Sowohl in der zweiten als in der dritten Gruppe ist dem Ge-
sänge der Sirenen durch ihnen verliehene I n s t r u m e n t e ein grösse-
rer Nachdruck gegeben, jedoch zeigt sich hier ein Unterschied. In
den Monumenten der ersteren Gruppe ist fast immer, der Anschau-
ung des späteren Alterthums entsprechend, einer schlechthin als
— 76 —

S ä n g e r i n gedachten Sirene, der als solcher wohl eine Rolle oder


ein Blatt in die Hand gegeben wird ( H K Q R ) , eine zweite, die
L y r a , und eine dritte, die e i n f a c h e ( H O ) oder die D o p p e l - F l ö t e
( I K L Q R ) spielende zugesellt. Vereinzelt daneben steht das Cam-
pana'sche Terra-Cotta Relief (M), welches der mittleren, singenden,
Sirene, eine die Doppelflöte und eine dritte die Sackpfeife bla-
sende an die Seite gibt 7 ). Dagegen finden wir in der dritten
Gruppe in vollkommener Uebereinstimmung 6 ) alle drei Sirenen mit
Instrumenten ausgestattet, die in der Litteratur keineswegs als ihnen
eigenthümlich erscheinen: F l ö t e ( T V Z ) oder D o p p e l f l ö t e ( U W X ,
auch, wie aus der Stellung der Hände im Gegensatz zu der un-
genauen Zeichnung zu schliessen, S), L y r a und S y r i n x . Freilich
haben auf dem Relief T zwei eine Syrinx, doch ergibt die Haltung
der Häude, dass die mittlere eine Lyra führen soll; aus demselben
Grunde ist die entfaltete Rolle des Reliefs X für eine ebenfalls
missverstandne L y r a zu halten, Fehler, die möglicherweise schon
von den Fabrikanten dieser Exemplare begangen sind.
In der zweiten Gruppe liess die G e s t a l t der Sirenen, die hier
die eines weiblichen Körpers mit einzelnen Theilen eines Vogels
ist, mannigfaltigere Variationen zu als in den beiden andern. So
finden wir neben der einfachsten Zusammensetzung mit den Beinen
eines Vogels ( H P ) nicht allein diese noch um Schulterflügel ( K L R )
oder den Schweif eines Vogels (I) vermehrt, sondern auch eine alle
diese Elemente mit einem weiblichen Oberkörper vereinigende Bil-
dung ( M N O Q ) . Einigen ist eine B e k l e i d u n g verliehen, was für
Mischgestalten dieser Art zwar nicht recht passend '), jedoch dem
Zwecke dienen soll, sie dem Thierischen mehr zu entrücken und
dem Menschlichen näher zu bringen. Freilich ist die Bekleidung
in allen Fällen , 0 ) so gehalten, dass sie alle nicht menschlichen Ele-
mente hervortreten lässt, doch lässt sich in ihr schon der Anfang
zu einer längeren Entwicklungsreihe " ) erblicken, an deren E n d e die
Bekleidung ein solches Uebergewicht erlangt hat, dass aus den halb
vogelartigen Geschöpfen lang bekleidete Weiber geworden sind.

7
) Das Fragment N zeigt die eine Sirene ohne Instrument, die andere
mit L y r a und P l e k t r o n . Die E i n e Sirene des Mosaiks P hat eine Lyra.
8
) V o n Y i s t f r e i l i e h n u r b e k a n n t , w a s D u b o i s b e m e r k t : qui jouent de
diverses 'nmtrumerHn.
Dieselbe findet sich a u c h s o n s t : z. B. S. 81.
,0
) HKLMNOQR; LO sind zwei bekleidet, die dritte nicht, u m g e k e h r t
R n u r e i n e von d r e i e n bekleidet.
" ) Vgl. den historischen Rückblick.
- 77 —
Gestalten d i e s e r Art sehen wir in der dritten Gruppe vor uns,
deren Monumente so sehr in ihrer Anlage und in allen Einzelheiten
übereinstimmen — es siad regelmässig drei lang bekleidete weib-
liche Gestalten mit Syrinx, Lyrq, und Flöten, auf einer Klippe sitzend,
in deren unmittelbarer Nähe sich das Schiff des Odysseus befin-
det —, dass man sie für fast mechanische, sich nur leise Variationen
gestattende Wiederholungen eines und desselben Originals zu halten
hat, dessen Entstehung, ob griechisch, ob selbst etruskisch, sich bei
dem Mangel anderer, auch anderen Zeiten angehöriger, zusammen-
hangender Darstellungen der Sirenen auf etruskischem Boden '*)
freilich nicht bestimmen lässt.

12
) D a s G e b i e t der etruskischen K u n s t h a t ausser einigen V ö g e l n mit
weiblichem H a u p t e (s. Anm. 57) mehrfach, b e s o n d e r s als Ornamente an Spie-
geln, Cisten, Schmucksachen u. s. w., e i g e n t ü m l i c h e weibliche Gestalten auf-
zuweisen, an die sich unmittelbar, etwas unterhalb der Brust, ein k u r z e r und
breiter, perpendicular nach unten gerichteter S c h w e i f e i n e s Vogels a n s c h l i e s s t ;
d i e , nur f e h l e n d e n , F l ü g e l sind entweder in der Z w e i - {aßß1ß,iSlai.) oder
V i e r z a h l (j'JJ'Sfi) vorhanden und ohne A u s n a h m e nach den Seiten hin aus-
g e b r e i t e t . A u s s e r den sich b e s t ä n d i g findenden menschlichen A r m e n sind
m e i s t e n s Beine und P ü s s e eines Vogels s i c h t b a r , die entweder seitwärts (n)
oder an den L e i b angezogen und hier emporgerichtet sind (ytifj), wodurch die
F i g u r , von unten gesehen, in der Bewegung des F l i e g e n s zu sein schien.
G e s t a l t e n dieser A r t , die j e d o c h weder durch irgend eine E i g e n t ü m l i c h -
keit noch durch ein A t t r i b u t als S i r e n e n charakterisirt sind, sind f o l g e n d e :
«. F i g u r an der Mündung eines etr. Spiegels, in j e d e r H a n d eine Schlange
haltend, abg. G e r h a r d , etr. Sp. 217.
ß. Spiegelmiindung bei W i n c k e l m a n n , mon. in. 156.
ßl. E t r u s k . Spiegel der K a i s , russischen Sammlung, abg. G o r i , inscr. etr. I,
16. H . M e i e r , Gesch. d. K u n s t , Taf. 2. G e r h a r d , etr. Sp. 395.
ß2. G e s t a l t am Griffe eines etr. Spiegels, abg. I n g h i r a m i , mon. E t r . II, 1,
p. 153 f. G e r h a r d , etr. Sp. 30, 2.
y. V e r z i e r u n g des H e n k e l s eines etr. G e f ä s s e s , in j e d e r H a n d das E n d e
d e r vom H a u p t herabfallenden Binde haltend, abg. C a y l u s , rec. V, 47,
und genauer L e n o r m a n t , Ann. V I , S. 244, 1.
ä. F i g u r an j e d e m E n d e eines Vulcenter H a l s b a n d s , das Schloss bildend,
abg. M o n . I n s t ; II, 7.
<J'. V u l c e n t e r H a l s b a n d F e j e r v a r y ' s c h e n Besitzes. I m äusseren K r e i s e 8 Ge-
stalten mit 4 Flügeln, im inneren 7 e n t s p r e c h e n d e mit 2 Flügeln (die Schul-
terflügel fehlen). A b g . M o n . A n n . e B u l l . 1854, S. 94.
f. A c h t Figuren an der unteren Seite des L e u c h t e r s von Cortona, mit acht
s i t z e n d e n , Syrinx und Doppelflöte blasenden Satyrn a b w e c h s e l n d , abg.
M i c a l i , ined. I X . X. M o n . I n s t . III, 41. 42.
V i e r einer p r a e n e s t i n i s c h e n Cista des Musée N a p o l é o n I I I . als V e r z i e -
r u n g dienende F i g u r e n in Relief. D e r K ö r p e r endigt nach unten zu in
einen s c h e i b e n f ö r m i g e n , mit zwei K r e u z e n versehenen G e g e n s t a n d , der
— 78 —

Eine bei weitem grössere Uebereinstimmung herrscht, wenn wir


von der den ganzen Vorgang mehr andeutenden Vase E absehen,
zwischen den drei Gruppen in der Darstellung des S c h i f f e s d e s
O d y s s e u s , das nicht zu solchen Fortdichtungen einladen konnte,
wie die bei Homer unbestimmt gehaltene, aber der Anschauung des
Volkes in verschiedener Weise lebendige Gestalt der Sirenen und
die Einzelheiten der Umgebung derselben. So ist überall die
F e s s e l u n g des Odysseus am Mäste bewahrt, ein für diesen Mythos
so charakteristischer Zug des Epos, dass wir jede Darstellung, in
der uns Odysseus in dieser Art begegnet, auf denselben beziehen
müssen, selbst wenn wir die Sirenen vermissen u ) . Doch haben
selbstverständlich die Künstler die Composition des Ganzen sowie

wiederum den Mittelpunct des hinteren T h e i l s eines V o g e l s bildet. Die


Hände unvollkommen gebildet (nach W i e s e l e r T a t z e n ) , abg. M o n . I n s t .
V I . V I I , 64, 3. N u o v . M e m tav. X I V , 1.
?j. F r a g m e n t einer ciselirten Metallplatte. W e i b l i c h e r O b e r k ö r p e r ; das lang
behaarte Haupt zurückgelehnt. Der K ö r p e r geht nach unten zu in F e -
dern über. A b g . V e r m i g l i o l i , bronzi etr. I, 13.
0. Desgleichen, j e d o c h so fragmentirt, dass die F e d e r n nicht mehr vorhan-
den, abg. das. 14.
.V1. B r o n z e in B a s i l i c a t a gefunden. „Sirene mit tutulus auf dem Haupte und
4 F l ü g e l n . " Bull. 1842, S . 37.
1. T e r r a - C o t t a F i g u r aus Vulci, beschr. von D e W i t t e , coli. B e u g n . n. 198.
Entsprechendes B a s - R e l i e f in Gold derselben Sammlung, nach B u l l . 1831,
S . 198. 2 1 6 ; von De W i t t e nicht erwähnt.
I. Rückseite eines S c a r a b ä u s (Aias mit dem todten Achill), abg. c a b . d ' O r l .
I I , 2. M i l l i n , gal. myth. 171'', 602. M ü l l e r - W i e s e l e r I I , 59, 752.
i. A n der D e c k e eines chiusinischen G r a b e s 4 Gestalten dieser A r t mit
4 Flügeln (die unteren sehr kurz) und Vogelschweif. A b g . M o n . I n s t .
V, 14, 3.
Noch phantastischere, ebensowenig als Sirenen zu bezeichnende Bildun-
gen z . B . M o n . A n n . e B u l l . 1854, S. 112, G e r h a r d , etr. S p . 29, 6. B e l -
l o r i , lue. vet. sep. I I , 43. C a y l u s I I I , 41, 5, vgl. noch Anm. 53.
13 ) Darstellungen dieser A r t :

a. Die Seitenfläche eines barberinischen Musen - S a r k o p h a g s , j . im P a l .


S c i a r r a in R o m (nach M i c h a e l i s , Denkm. u. F o r s c h . 1 8 6 4 , S . 123, 2).
Abg. F a b r e t t i , col. T r a i a n . S . 215.
b. L a m p e bei B e l l o r i , lue. vet. I I I , n. 11. F a b r e t t i , col. T r . add. ad
p. 379 D. B e g e r , Ul. Sir. praeterv., p. 4. Ders., bell, et excid. Troian.
n. 69. T i s c h b e i n , Hft. 8, B l . 2. I n g h i r a m i , gal. Om. I I I , 100.
c. D e s g l e i c h e n , abg. B u l l . N a p . IV, Taf. 3, 5, vgl. A v e l l i n o , das. V ,
S . 39. 40. 4 5 — 4 7 .
d. T i s c h b e i n ' s c h e Zeichnung, beschr. von S c h o r n zu T i s c h b e i n , Horn. n.
Ant., H f t . 8, S . 13.
— 79 —

die Einzelheiten des Schiffes und der B e m a n n u n g desselben freier


gestaltet.
Mit Umgehung der gewohnten Variationen der K l e i d u n g und
B e w a f f n u n g d e s Odysseus und seiner Gefährten sowie der Aus-
schmückung des Schiffes " ) , die in den einer gemeinsamen Q u e l l e ent-
stammenden etruskischen S a r k o p h a g e n von grösster Uebereinstim-
mung sind, m ö g e hier nur d a s hervorgehoben werden, w a s für die
A u f f a s s u n g des Ganzen von Wichtigkeit i s t l ä ) .
D a s E p o s lässt Odysseus an Händen und F ü s s e n am Mäste
gefesselt sein, so d a s s er den am Hören verhinderten Genossen sei-
nen Wunsch, gelöst zu werden, nur durch Winken mit den Augen-
brauen zu erkennen geben kann (¿t 178. 194). E i n e r ähnlich ruhigen
Haltung des Helden begegnen wir auch in den plastischen Darstel-
lungen (besonders A ; M gibt er dem Steuermann ein Zeichen mit
erhobenem Finger), daneben aber auch dem künstlerisch ohne F r a g e
wirksameren Z u g e , dass O d y s s e u s , der, wie überall, nur an den
Händen g e f e s s e l t ist, sich mit heftiger G e b ä r d e loszureissen versucht
( I S U W X b ) , einmal in der e i g e n t ü m l i c h e n A u f f a s s u n g , d a s s der-
selbe sit/.end dargestellt ist (b). Dieser g e w a l t s a m e Versuch des
Odysseus verlangte ein Gegengewicht in dem Verhalten seiner Ge-
fährten, die wir auch damit beschäftigt s e h e n , ihn noch fester zu
schnüren ( I S X b c ) , während sie sich in andern Darstellungen ( U W )
damit b e g n ü g e n , ihn durch Zureden zu beruhigen. Die doppelte
Darstellung der Schale B zeigt uns einmal die durch einen der
Gefährten vorgenommene F e s s e i i m g , d a s a n d r e Mal Odysseus allein,
aufrecht am Mäste gefesselt dastehend.
Weniger sind die Gefährten des Helden selbst cliarakterisirt,
die z. B . auf der römischen L a m p e 0 k a u m noch menschenähnlich
sind, indem sie nur durch sieben oben an den Rudern angebrachte,
mit Köpfen einige Aehnlichkeit zeigende Ausbreitungen angedeutet
sind, und die in grösserer oder geringerer Anzahl erscheinen, einer-
seits, um von dem zuletzt erwähnten flüchtigen Machwerk abzusehen,
mit Einschluss des Steuermanns in der Siebenzahl (M), während
sich andrerseits a u s s e r dem Odysseus nur zwei ( L P R b c ) oder so-
g a r , unter den abgekürzten Darstellungen der Vasenbilder (E),

" ) B e s o n d e r s zu b e a c h t e n i s t in dieser B e z i e h u n g d a s V a s e n b i l d A , d a s
d a s Schiff a u s s e r mit dem gewöhnlichen A u g e noch mit einer am f l i n t e r t h e i l
desselben ausgebreiteten Binde schmückt; ferner sind die hier n a c k t gebil-
deten I n s a s s e n desselben bekränzt.
lä ) D i e hierher g e h ö r i g e n E i n z e l h e i t e n sind nicht oder nur ungenügend
b e k a n n t von C H J R Y Z und Z Z d .
— 80 —

Lampenreliefs u. dgl. (ad), auch nur Ein Ruderer findet; auf der Schale
B ist Odysseus sogar in dem einen Schiffe allein. Das Mittel, durch
welches das Epos das Gehör der Schiffer verschliesst, liess sich
natürlich in der Plastik nicht wiedergeben, und die meisten Dar-
stellungen haben mit richtigem Tacte völlig auf ein solches äusseres
Zeichen verzichtet; nur auf dem Relief L sehen wir, ebenso wie
auf der Lampe von Canterbury, den Steuermann sich das Ohr zu-
halten, indess der Fabrikant der etruskischen Reliefs W X es vorzog,
dasselbe durch breite, um die Ohren der Mannschaft gelegte Tücher
anzudeuten.
Andrerseits fehlt es jedoch auch nicht an Darstellungen, die
im Gegensatze zu dem Vasenbilde A und dem Terra-Cotta Relief
M, die das angestrengte Rudern der Mannschaft (/.i 194) besonders
deutlich hervorheben, auch die Gefährten des Odysseus von den
Weisen der Sirenen beeinflusst zeigen, so dass sie das Schiff seinem
Schicksal überlassen. Ausser dem Mosaike P, wo einer der beiden
Ruderer das Ruder fahren lässt, gehören alle Darstellungen dieser
Art der dritten Gruppe an, deren Reliefs U W X , vielleicht auch S,
alle mit dem Rudern aufhören lassen, ein an und für sich nicht
ungeschickt gewählter Ausdruck für die Wirkung des Sirenenge-
sanges, den auch die orphische Argonautik für das Abenteuer der
Argonauten verwendet hat (v. 1278), wodurch jedoch, wenn man
genau sein wollte, für Odysseus ein glücklicher Ausgang der Ge-
fahr, in der er sich befindet, unmöglich wird.
Von geringerer Bedeutung ist es, dass, während Homer in der
Nähe der Sirenen völlige Windstille herrschen lässt, zwei der er-
wähnten Monumente (IP), ähnlich wie das Gedicht des Claudian,
das Schiff durch ein vom Winde geschwelltes Segel fortbewegt
werden lassen.
Was die C o m p o s i t i o n d e s G a n z e n betrifft, so ist die für
den meistens beschränkten Raum vorhandene Schwierigkeit, das
Schiff des Odysseus nicht so nahe an die Insel zu bringen, dass
es als im Begriffe zu landen erscheinen muss, wie dies besonders
MR der Fall ist, wo es auf die Insel zufährt, am glücklichsten
von dem Vasenbilde A und dem Wandgemälde D vermieden, wel-
che dasselbe zwischen den liier hoch gehaltenen Felsen hindurch-
fahren lassen, sodann von dem Mosaik P, das es beträchtlich in
den Vordergrund der Insel und in die Nähe des Wracks stellt, das
der Sirene als Aufenthalt dient; weniger glücklich erheben die
Lampe 0 und der Carneol Q die Sirenen hoch über das Schiff,
gleichsam in die Luft. Auf den meisten Monumenten befindet sich
— 81 —

dagegen das Schiff dicht an der Insel, eine am wenigsten d a , wo


diesie niedrig gebildet ist, passend gewählte Stellung. Noch ge-
ringere Billigung verdient jedoch die Art der Composition, wo das
Schiff so dicht an die Sirenen hinangerückt ist, dass diese mit der
Bemannung eine Gruppe zu bilden scheinen, wie dies auf dem
Relief L, wo eine Sirene links und zwei rechts vom Schiffe stehen,
und besonders auf dem Relief W der F a l l ist, wo wir am rechten
E n d e des Bildes einen im Schiffe sitzenden Mann, sodann in glei-
cher Höhe mit ihm die vor dem Schiffe auf einer Klippe sitzenden
Sirenen und endlich zur Linken von diesen das andere Ende des
Schiffes und die übrigen vier Insassen desselben erblicken.
Von den im Vorhergehenden besprochenen Darstellungen weicht
in mehr als Einer Beziehung ein Basalt-Relief in L a n s d o w n -
H o u s e in London ab, das in den Mon. d. I n s t . IV, 29 publicirt
und von H. K e i l (Ann. XVIII, S. 155) erläutert worden ist. E s
zeigt uns zwischen vier Nischen drei Reliefs vertheilt; auf dem am
linken E n d e des Ganzen befindlichen sind über einem Schiffe, auf
Wolken, drei Gestalten dargestellt, die man für Sirenen halten muss.
Sie erscheinen hier freilich in der sonst sich nicht findenden Bil-
dung , 6 ) langbekleideter weiblicher Wesen mit Schulterflügeln, so
dass sie völlig den Eindruck beliebig zu deutender Fitigelgestalten
machen, doch lässt die der einen verliehene L y r a so wie die Be-
ziehung zum Meere, in der sie sich befinden, füglich keine andere
Deutung als die gegebene zu, so dass diese Gestalten als eine der
Slufen erscheinen müssen, auf denen man allmählich zu den von
allen nichtmenschlichen Elementen befreiten, in lange Gewänder ge-
hüllten Weibern gekommen ist. Von den drei Insassen des Schiffs
ist jedoch niemand vor den andern ausgezeichnet; allen sind die
Ruder aus der Hand gesunken, nur der in der Mitte Stehende hat
die Iland aufs Haupt gelegt und blickt zu den wunderbaren Wesen
empor. Es fehlt hier also alles, was auf das Abenteuer des Odysseus
hinwiese, das wir nach dem ganzen Charakter dieses Kunstwerks
auch nicht etwa als verkürzt oder nur andeutend dargestellt anneh-
men können, wie dies bei Vaseubildern der Fall ist (S. 71). Es
scheint vielmehr, als ob in den drei Abtheilungen dieses Reliefs
nur Abenteuer der See dargestellt wären, links ein Fahrzeug in der
Nähe der Sirenen, während der Gegenstand des zur Rechten be-

10
) Aehnlich das Terra-Cotta Relief bei Campana, op. ant. in plast. tav. CXI
(vgl. S. 97 f ) , wo jedoch statt der langen Bekleidung nur ein Schurz vor-
handen ist.
S i ' j i r a i l u r , Itcyrill' it. S i r e n e n . (j
— 82 —

findlichen eine noch weniger bestimmte Deutung zulässt, und in dem


mittleren, wie Keil vermuthet, das Abenteuer des Dionysos mit
tyrrhenischen Seeräubern. Eine solche Loslösung von jedem be-
stimmten Mythos würde es auch eher erklärlich machen, wie es
kommt, dass die Sirenen hier nicht vom Meere selbst, sondern von
den Wolken aus wirksam sind; denn es zeigt sich hierin, dass
dein Verfertiger dieses Reliefs nur eine vage Vorstellung von den
Sirenen als von singenden Wesen, die dem Schiffer Verderben be-
reiten, vorgeschwebt hat.

Kampf der Sirenen und Musen, Bestrafung der Sirenen.

Von dem Mythos vom Kampfe der Sirenen und Musen, der
sich erst in der Zeit des Pausanias nachweisen lässt, ist uns auch
nur eine sehr beschränkte Anzahl von Darstellungen erhalten, nicht
einmal alle im Original:
A. Relief eines Sarkophags in den Uffizi in Florenz, abg. G o r i ,
inscr. etr. tab. :Y2 (daselbst irrthiimlich als eine Darstellung
des Kampfes der P i e r i d e n und der Musen erklärt). M i l l i n -
g e n , stat., busts etc., pl. X V . M t i l l e r - W i e s e l e r 1 1 , 0 9 , 7 0 0 .
B. Relief, abg. bei M i l i i n , gal. myth. 19, G;i. D u m e r s a n , notice
des mon. exposés dans le cab. des méd., pl. III (bei C l i a -
b o u i l l e t nicht verzeichnet). Wie es scheint, Fragment.
C. Copie eines Fragments aus casa Odam in Rom; das Original
schon zu Winckelinann's Zeit nicht mehr vorhanden. Abg.
W i n c k e l m a n n , mon. ined. 4G.
C l a r a c , V, S. 7,'i, 1, führt noch ein Wiener B a s - R e l i e f dessel-
ben Gegenstandes an, das indess im Catalog von v. S a c k e n und
K e n n e r (18G6) nicht erwähnt wird.
Der Umfang dieser drei Reliefs ist ein sehr verschiedener;
denn während die beiden letzteren nur die S t r a f e der Sirenen dar-
stellen (C ist nur Eine Sirene und Eine Muse, B sind zwei Sirenen
und drei Musen vorhanden), enthält das figurenreiche Relief A den
K a m p f u n d d i e L S e s t r a f u n g derselben zugleich. Vor den Augen
des zur Linken der Darstellung zwischen den ihm zur Seite stehen-
den Göttinnen Hera und Athene thronenden Zeus vollzieht sich beides
in einer Zusammenstellung, die keine geschickte genannt zu wer-
den verdient, insofern die neun Musen nur einmal vorhanden sind,
die drei Sirenen dagegen zweimal, erst, den Göttern zunächst, als
— 83 —

K ä m p f e n d e dreien Musen gegenübergestellt, während zwei andere


rullig zuschauen, und sodann weiter rechts als Büssende, an denen
von vier Musen die bekannte Strafe des Entreissens der Federn
vollzogen wird.
Dass die Musen als die siegreichen olympischen Wesen auf
allen drei Reliefs grösser und ansehnlicher gebildet sind als die
ihnen unterliegenden Wesen des Hades, ist begreiflich und keines-
wegs unstatthaft. Auffallen dagegen muss es, dass wir an den-
unmittelbar und unvermittelt neben einander gesetzten Darstellun-
gen des Kampfes und der Strafe die Sirenen in verschiedener
Weise gebildet finden. D a , wo ihnen von der Hand der Musen
die Flügel entrissen werden, haben sie die gewöhnliche Bildung,
einen weiblichen Oberkörper, der an den Schultern Flügel trägt,
und an den sich befiederte Schenkel und Vogelbeine ansetzen, und
sind, wie es für Gestalten dieser Art angemessen ist, unbekleidet.
Dagegen hat der Künstler ihnen in der Darstellung des Kampfes
ein weites Gewand verliehen, das freilich einen Theil der befieder-
ten Schenkel freilässt, die Flügel, die sie in der Darstellung der
Strafe bis auf eine haben, welche derselben schon beraubt ist,
jedoch mit unstatthaftem Realismus einhüllt.
Der Gesang der Sirenen erscheint auch hier in der später Zeit
geläufigen Form so, dass eine s i n g t , eine zweite die D o p p e l f l ö t e
und eine dritte die L y r a spielt. Jeder ist eine mit ihr wetteifernde
Muse an die Seite gestellt, der die Doppelflöte blasenden die in
j e d e r Hand eine Flöte haltende E u t e r p e ; weiter rechts hört die in
der Linken eine Rolle haltende Polyhymnia einer singenden Sirene
zu, an welche sich die dritte, die Lyra schlagende, Sirene und die
dasselbe Instrument spielende Erato anschliessen. Hinter dieser
Gruppe stehen die durch Globus und Maske als Urania und Thalia
kenntlichen Musen als Zuschauerinnen.
I n der Darstellung der Bestrafung der Besiegten sehen wir
vier hier ohne Attribute gelassene Musen thätig. Eine von ihnen
erfasst eine der Flügel bereits beraubte Sirene, die zu entfliehen
sucht, am H a a r , eine zweite reisst eine zweite ihrer Gegnerinnen,
die am Boden liegt, sich auf den linken Arm stützt und die Rechte
flehend emporstreckt, am F l ü g e l ; die dritte Sirene liegt d a , das
Gesicht am Boden, und umklammert die Fusse der zu äusserst
stehenden Muse, welche in der Linken eine der Uebervvundenen
bereits entrissene Feder hält, während die an ihrer Rechten ste-
hende Muse, die ebenfalls eine Feder emporhält, sie am Flügel
ergreift.
6*
— 84 —
Ganz ähnlich stellen die Reliefs B und C die Strafe der Ueber-
wundenen d a r , auch die Gestalt derselben ist völlig entsprechend;
sie sind mit einem leichten Gewände bekleidet, das die Formen
des Körpers durchschimmern lässt, C kommt noch ein Mantel hinzu.
Auf die Zw ei z a h l der Sirenen des Reliefs B k a n n wegen des,
wie es scheint, fragmentarischen Zustandes desselben kein Gewicht
gelegt w e r d e n ; die eine von ihnen ist mit umgehängter L y r a dar-
gestellt, die andre ist ohne Attribut; die Sirene des Reliefs C hält
in j e d e r Hand eine F l ö t e .
Dass diese Bilder von der ursprünglichen Gestalt des Mythos
abweichen, insofern sie die Musen ihren Gegnerinnen die F l ü g e l
anstatt der F e d e r n entreissen lassen, was f ü r die Plastik eine un-
dankbare Aufgabe gewesen wäre, ist bereits oben (Abschn. III.) her-
vorgehoben worden. Auffallender könnte es dagegen erscheinen, dass
die Musen des Reliefs A schon in der Darstellung des Kampfes mit
Federn auf dem Haupte dargestellt sind; denn nach dem 41. Briefe
des K a i s e r s J u l i a n waren diese ein Zeichen des über die Gegne-
rinnen gewonnenen Triumphes , 7 ). Doch ist die ursprüngliche Ver-
sion, der wir bei P a u s a n i a s ( I X , 34, 2), T z e t z e s (Lyc. Gö.'!),
E u s t a t h i o s { A , S. 201) und S u i d a s ( M o v o a i ) begegnen, die, dass
die Siegerinnen aus den Federn der Besiegten Kränze gebildet hätten,
und die Angabe des Kaisers Julian, der sich noch eine von Tzetzes
n a c h t r ä g l i c h , nach der Erzählung des eigentlichen Vorgangs, an-
geführte Notiz 11) anschliesst, ist nur ein unglücklicher Versuch, die
aus einer ganz andern Anschauung hervorgegangenen Federn der
Musen mit diesem K a m p f e in Vorbindung zu setzen. Dagegen
werden dieselben von C a s s i o d o r (var. IV, 51) daraus erklärt "),
dass sie ein Bild des h o h e n F l u g e s d e r G e d a n k e n und der
S c h n e l l i g k e i t d e s G e i s t e s derselben w ä r e n , ohne Zweifel mit
Recht, d a der Umstand, dass derselbe Schmuck einzeln auch den
M ö r e n 1 " ) verliehen wird, auf das deutlichste zeigt, dass dieses

n
) i i yeto <)'FF" T ^ttniji'tts Ifyt-iv, i» R fit i n Tirtnöt' ¿ril j o ü ¡it t - 1 iu j i o v
{ ¡ ¿ u u u o i } ' t t i v i x r] a a n a i ;
1B
) h lM o v n m ytsrjriunui uikojth'u xotg uuiiiiv nitouts t o 1 1 (f 1 1 V 1 0 11 IJ n ti r •
o ') f- r y. a ) ( t ' i y ' j i'. tf o v f i a i t( t M o u a t t i ?r t ff u l u { / o u o c. t Tjit-yu.
") Iiis (Musis) levium penuarnm acumina ideo in fronte pinguntur, q u o -
niam carum s e n s n s c e l e r i c o g i t a t i o n e s u b v e c t u s res a t t i s s i m a s
intuetur.
so
) Auf einem aus Arles stammenden Prometheus-Sarkophage des Louvre
(abg. M i l i i n , voy. pl. 65, 2. C l a r a c 216, 768) uud dem die Strafe des Ly-
kurgos darstellenden Relief der Villa Borghese iu Rom (abg. Z o e g a , Abh.
Taf. 1,1. G r e u z e r, Abb. z. Symb. Taf. VI, 1. M ü 11 e r - W i e s e 1 e r II, 37, 441).
— 85 —
keineswegs seltne 2 ') Attribut der Musen mit dem hier behandelten
Mythos schlechterdings in keinem Zusammenhange steht; es ist
vielmehr in ähnlichem Sinne aufzufassen wie die in poetischer llede
bisweilen erwähnten 22 ), in plastischen Darstellungen jedoch nicht
nachweislichen") F l ü g e l dieser Göttinnen.

2I
) D a bei S t a t u e n d i e W a h r s c h e i n l i c h k e i t , d a s s sich so z e r b r e c h l i c h e
G e g e n s t ä n d e auf d e m H a u p t e e r h a l t e n h a b e n s o l l t e n , k e i n e g r o s s e i s t , und
d i e A b b i l d u n g e n n u r in s e l t e n e n F ä l l e n d a s R e s t a u r i r t e von dem A n t i k e n zu
u n t e r s c h e i d e n g e s t a t t e n , m ö g e n hier n u r R e l i e f s d i e s e r A r t a n g e f ü h r t w e r d e n :
i>. S a r k o p h a g - R e l i e f d e s P a l . B a r b e r i n i in R o m , W i n c k e l m a n n , 111011.
ined. p. 56.
fl. S a r k o p h a g - D e c k e l d e s P i o - C l e m e n t i n . , B e s c h r . R o m s 1 1 , 2 , S. 123.
y. S a r k o p h a g im P a l . D o r i a in R o m ( A p o l l o n u n d M a r s y a s ) , a b g . G e r h a r d ,
A . B. L X X X Y , 1.
<)'. Zwei M a r m o r p l a t t e n d e r V i l l a B o r g h e s e in R o m , v e r m u t h l i c h einem u n d
d e m s e l b e n S a r k o p h a g a n g e h ö r e n d , B e s c h r . R. I I I , 3, 255.
f. Relief im P a l . N e r i in F l o r e n z , a b g . D o n i i i n s c r . e d . Gori, p. V .
i\ Relief a u s S a r d i n i e n , im königl. S c h l o s s e von A g l i e in P i e m o n t , a b g .
d e l l a M a r m o r a , viagg. dell. S a v d e g n a , tav. 35, 33.
rj. Relief d e s Y e r o n e s e r M u s e u m s , a b g . m u s . Y e r o n . 93, 1.
:>. S a r k o p h a g - R e l i e f in Berlin, a b g . A r c h . Z e i t . I, T a f . V I .
i. S a r k o p h a g - R e l i e f d e r M ü n c h e n e r G l y p t o t h e k , G a t . d. J . 1861, n. 188.
x. S a r k o p h a g - R e l i e f d e s L o u v r e , a b g . M u s . G a p . I V , S. 127. P i o - O l e i n .
I, tav. B. G l a r a c 207, 45.
i. B o r g h e s e ' s c h e s S a r k o p h a g - R e l i e f d e s L o u v r e ( S t r a f e des Marsyas). D i e
Musen n e b e n den F e d e r n mit k l e i n e n Fitigeln im H a a r . A b g . W i n c k u l -
i n a n n , mon. ined. 42. B o u i l l o n I I I , 34. G l a r a c , pl. 123. M ü l l e r -
W i e s e l e r I I , 14, 152.
¡u. F r a g m e n t e i n e s S a r k o p h a g s in M o n t p e l l i e r ( H o m e r z w i s c h e n zwei M u s e n ) ,
a b g . M i l i i n , voy. pl. 72, 7, g'al. m y t h . 131 •>, 547.
)'. Relief d e r L a n s d o w n ' s c h e n S a m m l u n g , abg. C ' a v a c e p p i , r a c c . I I , 58, 1.
f. Zwei M u s e n u u t c r a n d e r e n auf einem M u s e n - S a r k o p h a g e , a b g . G a l . G i u s t .
I I , 114.
o. TT. Zwei R e l i e f - D a r s t e l l u n g e n d e r M e l p o m e n e , u n b e k a n n t e r H e r k u n f t , a b g .
S p o n , miscell. I I , 9, p. 46. M o n t f a u c o n I, 6 1 , 2 , 3 .
P o r p h y r , a b s t . III, 16. H i n t e r , ur. 14, 37.
•s) O . J a h n , a r c h . B e i t r . S. 101, 28.
II.

Die Sirenen auf Gräbern.


Der Gebrauch, Gräber mit Sirenen /AI schmücken, hat eine
nicht unbeträchtlichc Anzahl uns noch erhaltener statuarischer und
Relief-Darstellungen hervorgerufen, die zum Tlieil aus verhältniss-
massig guter griechischer Zeit stammen und den bisher betrachteten
Bildwerken an künstlerischem Werthe weit überlegen sind:
A. Statue einer Sirene aus pentelischein Marmor, bei Hagia Trias
gefunden, in der Sammlung des Theseums. S a l i n a s , rev.
arch. 18(14, I, p. 362. 66. tab. X I I .
B. Statue derselben Art, e b e n d a h e r , beschr. von R h u s o p u l o s ,
Bull. 1864, S. 41.
C. Dieser ganz entsprechende im Museum der Universität von
Athen, R h u s o p u l o s a. a. 0 .
D . D ' . Zwei Statuen des Louvre, D von Adanson aus Griechenland
gebracht; die Flügel und das Mittclstück des linken A n n s
restaurirt. Abg. C l a r a c 840, 20*9 A und 834 A, 2089 B, erstere
(D) auch B o u i l l o n , mus. des ant. III, bas reí. XVI (nach
ihm ein wenig ausgeführtes B a s - R e l i e f ) , M ü l l e r - W i e s e i e r
II, 59, 754.
E. Fragment einer Grabstele in einem athenischen Privathause
eingemauert. Sirene zwischen zwei Klageweibern, nach v.
S t a c k e l b e r g , Grab. d. Hell. 1, S. 10.
F. Fragment einer Sirene, wie es scheint, eines Hoch-Relicfs, in
der Sammlung der arch. Ges. zu Athen. Kopf, Hände. Fiissc
und Theile der Flügel fehlen, nach P e r v a n o g l u , Gräbst, d.
Gr. S. 79, 1.
G. Sirene, Obertheil einer Grabstele, Akropolis n. 2150, nach
S c h ö l l , arch. Mitth. S. 100, 124, und P e r v a n o g l u S. 80, 2.
H. Relief einer Sirene, auf einer ebenfalls in Relief dargestellten
( f r a g m e n t i r t e n ) Grabvase stehend, Hadrian. Stoa n. 3360.
S c h ö l l , S. 100, 123. P e r v a n o g l u , S. 80, 3. Abg. v. S t a c k e l -
b e r g , Titelkupfer. C o n z e , Phil. XVII, Taf. I, 1.
H ' . Aehnliche Darstellung im Museum von Aegina, G e r h a r d ,
Ann. IX, 2, S. 125.
— 87 —

I. Aufsatz einer Grabstele der Hadrianischen Stoa; in der Mitte


eine Sirene, an beiden Enden eine Sphinx; darunter die Worte
KaXXiag (DiXBxttiqov 0)aX.. evg. R o s s , Demen v. Athen, n. 180.
R h a n g a b e II, n. 1643. P e r v a n o g l u , S.80, 6. C o n z e , T a f . I,
2. L e B a s , voyage arch., mon. fig. pl. 78.
K. Sirene in dem Giebel einer unten abgebrochenen Stele der
Sammlung der athenischen arch. Gesellschaft, nach P e r v a -
n o g l u , S. 80, 4.
L. Sirene aus pentelischeni Marmor, ursprünglich das Anthemion
einer Grabstele mit wenigen Resten einer Inschrift; in Athen,
nach R h u s o p u l o s , S. 42.
M. Zwei einander gegenüber stehende Sirenen im Giebelfelde
eines athenischen Grabsteins, früher Pourtales'schen Besitzes,
abg. P a n o f k a , cab. Pourt. pl. XXIV.
N. Sirene. Marmor-Relief aus Athen, in der früher Worsley'schen
Sammlung (vgl. C o n z e , Arch. Auz. 1864, S. 215*). Abg.
V i s c o n t i , mus. Worsl. tav. III, 1.
0. Unteres Bruchstück einer Sirene; Wheler'sche Grabsäule in
Oxford mit der Inschrift: <Dii.6drn.iog —o<f>ivov XnXXeidrjg ylvoi-
/.taxq Tifioysirovog 0QsaQQiov (C. I. Gr. I, 800). Abg. M a r m .
O x o n . II, 9, GS.
P. Sirene; Relief aus griechischem Marmor, 1816 auf der Mar-
mara-Insel gefunden. Ree. ined. de M i l i i n II, n. 1012 (bei
R. Roch., mon. ined. p. ¿582 und S a l i n a s , p. 369).
Q. Bild einer Grabstele, die eine, fälschlich als "Egiog ovQaviog
bezeichnete, Sirene trägt, auf einem Grabsteine des Veroncser
Museums. Abg. M a f f e i , mus. Veron. p. XLV1I, 5. Miiller-
W i e s e l e r II, 55, 704 und (genauer) C o n z e , Taf. I, 3. Die
(gefälschte) Inschrift auch C. I. Gr. II, 3157.
R. J e eine Sirene an den Candelaber-Basen eines römischen Grab-
steins des Laterans, etwa der Mitte des 1. Jahrh. n. Chr. an-
gehörig, aus der Vigna Ammendola. G a r r u c c i , M. L. XXXV.
M i c h a e l i s , Denkm. u. Forsch. 1866, Taf. 207, 2. 3. B e n n -
d o r f u. S c h ö n e , n. 189.
S. Römische Graburne des brit. Mus. Unter andern Verzierungen
an jeder Seite der vorderen Fläche ein taubenartiger Vogel mit
menschlichem Haupte. Abg. Anc. m a r b l . in the Brit. Mus.
V, 10, 1 M ) .

V e n u u t h l i c h ist auch die von H i r t (Ann. II, S. 103) erwähnte „flügel-


lose Sirene mit Vugelbeinen" d e s königl. P a l a s t s vou Caserta zu dieser Gruppe
— 88 —

Es verdient Beachtung, dass die Monumente dieser Art, deren


Herkunft bekannt ist, zum grössten Theil a t t i s c h e m B o d e n ent-
stammen; nicht athenischen Ursprungs sind nur ein von der Insel
Marmara stammendes Relief (P) und Darstellungen von Sirenen auf
zwei römischen Monumenten ( R S ) ; denn dass das Relief Q aus
Smyrna stamme, ist nur aus der gefälschten Inschrift desselben ge-
folgert worden. Dies Verhältniss ist schwerlich ein zufälliges. Die
übrigens schon in früher Zeit auch ausserhalb Attikas nicht unbe-
k a n n t e Sitte, Gräber mit Sirenen zu schmücken, scheint besonders
in diesem Lande herrschend gewesen zu sein, wodurch die Aus-
schmückung der Gräber des Sophokles und Isokrates mit Statuen
dieser Art, angeblich um durch dieselben den hinreissenden Gesang
oder die fesselnde Rede zu bezeichnen, in das richtige Licht ge-
stellt wird (vgl. ob. Abschn. IL).
Die diesem Kreise augehörigen Darstellungen sind bei weitem
älter als die vorher betrachteten, wenngleich auch ihnen nur ein
relativ hohes Alter zugestanden werden kann. Eine chronologische
Bestimmung lässt sich der Behauptung Rhusopulos' entnehmen, dass
die bei Hagia Trias gefundene Sirene B an Schönheit mit dem der-
selben Stätte entstammenden R e l i e f v o m G r a b e d e s D e x i l e o s
(Bull. 18G.'i, S. 1G3), wetteifern k ö n n e , und derselben Kunstcpoche,
also dem Anfange des vierten Jahrhunderts vor unserer Zeitrech-
n u n g , anzugehören schiene. Andrerseits zeigt uns noch das offen-
bar sehr späte Veroneser Relief denselben Gebrauch, j e d o c h , was
zu beachten ist, nicht in selbständiger, an und für sich noch lebens-

zu z ä h l e n , iiber d i e N ä h e r e s n i c h t b e k a n n t ist. S c h w e r l i c h d ü r f t e d a g e g e n
h i e r h e r g e h ö r e n eine ans s c h w a r z e i n M a n n o r g e b i l d e t e „ S i r e n e " d e r S a m m -
l u n g des T h e s e u m s ( S a l i n a s , S. 368, 1), die P e r v a u o g l u (S. 80, 5) s c h i l d e r t
a l s „rückioärts an einen viereckigen Pfeiler gelehnt, mit Stirnkrone, Flügeln und
Vogelklauen; nie setzt ihre Iiiauen auf einen menschlichen Kopf" Denn selbst
w e n n wir die S i r e n e n auf G r ä b e r n a l s in den T o d l o c k e n d e W e s e n a u f f a s s t e n ,
w ü r d e d a s m e n s c h l i c h e H a u p t in d e n Ivlauen e i n e s s o l c h e n so s e h r g e g e n
d e n s o n s t h e r v o r t r e t e n d e n C h a r a k t e r l a n g s a m e r und a l l m ä h l i c h e r , w e n n a u c h
u n w i d e r s t e h l i c h e r , A n z i e h u n g V e r s t ö s s e n , d a s s nur d e r A u s w e g ü b r i g b l i e b e ,
in dem H a u p t e e i n e , freilich schleicht g e w ä h l t e , s y m b o l i s c h e A n d e u t u n g d e s
T o d e s zu e r b l i c k e n , ohne d a s s die S i r e n e g e r a d e als U r h e b e r i n d e s s e l b e n er-
s c h i e n e . D o c h s c h e i n t es r a t h s a m , n i c h t allein m i t P e r v a n o g l u an d e r sepiil-
c r a l e n B e d e u t u n g d i e s e s B i l d e s zu zweifeln, s o n d e r n in d e m s e l b e n ü b e r h a u p t
k e i n e S i r e n e , v i e l m e h r eine H . i r p y i e zu e r b l i c k e n , vgl. w. u. Demselben
K r e i s e s c h e i n t a u c h das h i e r e b e n f a l l s ü b e r g a n g e n e , obwohl dem T y p u s d e r
aufgeführten Monumente entsprechende l y k i s c h e R e l i e f anzugehören, das
von B r u n n , A n n . X V I , S. 150, p u b l i c i r t und b e r e i t s mit dem X a n t h i s c h e n
Harpyienmonumente verglichen worden ist.
— 89 —

kräftiger Schöpfung, sondern in dem Bilde einer in die Darstellung


des Reliefs selbst aufgenommenen Grabsäule, wobei vor allen Dingen
ein antiquarisches Interesse maassgebend gewesen sein mag. Ebenso
ist es von Bedeutung, dass auf den beiden r ö m i s c h e n Monumenten
( R S ) die Sirenen ihre Selbständigkeit eingebiisst haben und einem
untergeordneten, wesentlich ornamentalen Zwecke dienen.
Von allen diesen Sirenen ist die von Salinas publicirte durch
ihre unter den statuarischen Monumenten vereinzelt dastehende Bil-
dung von besonderem Interesse. Es ist ein jungfräulicher, geflügel-
ter Oberkörper, der sich auf dem Leibe eines Vogels erhebt, doch
nicht so, dass die Haltung des Ganzen die des menschlichen Kör-
pers w ä r e , indem die Beine und der Schweif des Vogels sich in
Dimensionen und Richtung demselben unterordneten, wie dies ge-
wöhnlich der Fall ist, sondern so, dass der Vogelleib den ihm
eigenthiimlichen Charakter bewahrt hat, und in kunstvoller, unmerk-
licher Weise in die weiblichen Formen liinübergeleitet wird, deren
leise nach vorn sich neigende Haltung sich von der Richtung jener
Theile beeinflusst zeigt: ein schönes Beispiel der verschiedenen
Ntiancirungen, in denen die Gestalten der Vögel mit weiblichem
Haupte allmählich zu Frauengestalten geworden sind.
Ausserdem verdienen nur die ganz vereinzelten Gestalten des
römischen Sarkophags S besondere Hervorhebung. Es sind tauben-
artige Vögel mit menschlichcm Haupte, eine ausserhalb des Kreises
der Vasenbilder überhaupt seltene Darstellungsweise. Vielleicht
wurde der Künstler durch Mangel an Platz dazu veranlasst, Ge-
stalten dieser Art, die ihm aus seltneren und veralteten Monumenten
bekannt waren, hier anstatt der s e i n e r z e i t geläufigeren anzuwenden;
es wäre selbst d e n k b a r , dass die auf Sarkophagen häufig sich fin-
denden Vögel ohne das fremdartige Element des menschlichen
Hauptes nicht ohne Einfluss auf diese Gestalten gewesen wären.
Im übrigen haben wir auch hier die uns schon von den Dar-
stellungen des Abenteuers des Odysseus her bekannten weiblichen
Gestalten mit Vogelbeinen in den verschiedenen Modificationen: in
der einfachsten Verbindung eines weiblichen Oberkörpers mit Unter-
schenkeln und Füssen, die dem Vogel entlehnt sind (N, dem nach
Raoul Rochette P gleicht), zu denen häufiger noch Schulterflügel
( B C D D ' F G K ) o d e r diese und der Schweif eines Vogels (MOR) 2 6 )

25
) D sind die Sclienkcl gefiedert, vgl. S. 83.
26
) R b e i e i n e r der beiden Sirenen, der andern fehlt er. — U e b r i g e n s sind
E i n z e l h e i t e n nicht oder nur u n g e n ü g e n d b e k a n n t v o n : EFGH'KL.
— 90 —
hinzutreten. Daneben findet sich auch die seltnere Bildung einer
bis auf die Vogelfüsse vollkommen menschlich gearteten Gestalt,
bei der den nicht menschlichen Elementen jedoch durch Schweif
und Flügel ein Gegengewicht gegeben ist ( H I ) ; ja, das Veroneser
Relief (Q) zeigt uns sogar die sonst nicht nachweisliche Vereini-
gung rein weiblicher Formen mit dem Schweif und den Flügeln
eines Vogels.
Als Darstellungen mehr monumentalen Charakters als die dem
Kreise der Mythen angehörigen lassen diese Bilder natürlich in den
Einzelheiten der Theile wie der Ausschmückung mehr E i g e n t ü m -
liches hervortreten. Die Flügel sind von auffallender Mächtigkeit
und reichen mitunter ( D ' O l ; D restaurirt) bis auf den Boden; das
H a a r wallt lang Uber den Nacken hinab ( B C D D ' H ) oder fällt, wie
auch sonst schon bemerkt (S. 74) in zwei langen und schmalen
Streifen hinter den Ohren bis auf die Brust ( A B C G I ) . Der M o d i u s ,
den sie auf den Reliefs HM t r a g e n , lässt sich mit ihrer ursprüng-
lich chthonischen Bedeutung in Einklang bringen. Sie sind säinmt-
lich, dem Charakter der Doppelgestalt ihres Körpers entsprechend,
unbekleidet.
Meistens ist in diesem sepulcralen Sinne nur j e Eine Sirene
verwendet worden; nur Einmal findet sich die Zweizahl (M), ähnlich
an den Seitenflächen der Candelaber-Basen des römischen Grabsteins
R und an j e d e r Seite der Vorderfläche der römischen Graburne S
j e eins dieser Wesen; die Dreizahl ist bis jetzt durch kein Beispiel
belegt, was vermuthlich für Zufall zu halten ist. Von ungleich
grösserer Wichtigkeit ist der Ausdruck, der ihnen auf diesen Grab-
monumenten verliehen ist, der uns einen schätzenswerthen Anhalt
für die Erkenntniss der dieser Ausschmückung der Gräber zu Grunde
liegenden Idee darbietet. Es sind, zum grossen Theil deutlich cha-
rakterisirt, die negidaxQveg ^EIQ^VIOV Ac?£g eidälifioi des
Mnasalkas, die wir oben aus den klagenden Sängerinnen des
H a d e s , wie sie z. B. bei Euripides erscheinen, abgeleitet haben,
nicht ein Symbol des Todes, sondern die verkörperte T o d t e n k l a g e .
So sehen wir eine Sirene mit ausdrucksvoller Miene des Schmerzes
die Hand zur Andeutung des x n n r e o ü a i auf die Brust legen ( G H I ) ,
oder, um der Klage einen noch lebhafteren Ausdruck zu verleihen,
sich das Haar raufen (NO. — D D ' ist beides vereinigt). Wenn wir
daher auf einem andern Relief (E) den Ausdruck der Klage in
zwei weinende und sich das Haar ausraufende, knieende Klageweiber
gelegt erblicken, so werden wir die in ihrer Mitte zur Lyra singend,
Sirene ebenfalls als eine Sängerin des Threnos aufzufassen haben
— 91 —

wie überhaupt die Uebereinstimmung der angeführten Monumente


mit der Schilderung des Mnasalkas darauf führen muss, in den
ihnen auch in diesem sepulcralen Sinne verliehenen musicalischen
Instrumenten 2 ; ) eine Begleitung oder Verstärkung ihres klagenden
Gesanges zu erblicken, ähnlich wie sie die bekannten Verse des
Euripides (Hei. 169) schildern , 8 ) , zu denen die mit klagender Ge-
bärde die Hand auf die Brust legende und in der andern Hand die
Lyra haltende Sirene H die beste Illustration geben könnte.
B e i der, wenigstens seit Homer, diesen Wesen innewohnenden
verlockenden und verführerischen Gewalt konnte es jedoch leicht
geschehen, dass man ihnen auch in dieser sepulcralen, von den
Sängerinnen des Hades ausgehenden Verwendung einzeln auch einen
l o c k e n d e n und h i n r e i s s e n d e n Ausdruck verlieh, wie dies Rhu-
sopulos von B hervorhebt. E s ist bezeichnend, dass gerade in der
vermuthlich spätesten Schöpfung dieses Kreises, dem Veroneser Re-
lief (Q), das Verlockende am entschiedensten hervortritt, freilich dem
untergeordneten künstlerischen Geiste desselben entsprechend nicht
durch den individuellen Ausdruck, sondern durch die tänzelnde
Stellung der Gestalt. Derselbe Gedanke ist in ansprechende) er
Weise auf dem römischen Grabsteine R dadurch ausgedrückt, dass
den Sirenen M a e n a d e n als Gegenbild gegenübergestellt sind.

Demselben Kreise sepuleraler Darstellungen gehören entspre-


chende Bilder auf T h o n g e f ä s s e n an:
a. Vase aus Melos, schw. Fig. auf gelb, früher Burgon'schen Be-
sitzes, jetzt vermuthlich ( G e r h a r d , neuerw. Denkm. III, S. 22,
1) im brit. Museum. Sirene auf einer Säule, neben dieser zu
j e d e r Seite ein bärtiger Mann, der ihr zuhört. Neben diesen
zwei schakalähnliche Hunde. Nach M i l l i n g e n , stat. busts etc.,
p. 80. S c h o r n , 2. Jahresber. S. 62. 03.
b. Vase bei Athen gefunden, schw. auf gelb, früher desselben
Besitzes wie a. Zwei Sirenen auf zwei Hügeln 2 3 ); die eine

" ) A B C E F H S a i t e n i n s t r u m e n t ; M spielt die eine die L y r a , die andere


die Doppclflöte in der gewöhnlichen Zusammenstellung; I i haben beide die
doppelte F l ö t e ; 0 findet sich die zwar nicht sich überhaupt nicht findende
(Conze, S . 550), aber doch immerhin seltnere einfache F l ö t e , vgl. S. 76.
2e) Vgl ob. Abschn. I I .
! i l ) Nach S c h o r n auf F e l s e n sitzend. In diesem F a l l e wäre das Bild
den oben betrachteten verkürzten Darstellungen des Abenteuers des Odysseusj
zuzurechnen (S. 71).
— 92 —

hält eine Flöte, die andere ist ohne Attribut 3 0 ). Nach M i l -


l i n g e n und S c h o r n a . a . O .
c. Lekythos aus Athen, früher in der Fauvel'schen Sammlung
daselbst. Schw. auf gelb. Zwei Sirenen auf zwei Hügeln,
abg. v. S t a c k e l b e r g , Gr. d. Hell., Taf. XVI.
d. Polychromer Lekythos aus Gnathia. Sirene auf einer niedri-
gen Stele oder einem Altar, zu j e d e r Seite ein Uhu. Abg.
G a r g a l l o G r i i n a l d i , su la pittura di un vaso Greco inédito,
Nap. 1848. M U l l e r - W i e s e l e r II, 5 9 , 7 5 1 .
e. Früher Durand'sche Vase. Sirene vor einer Grabstele. Er-
wähnt von R a o u l R o e h e t t c , mon. inéd. S. 3 8 1 , 2 .
f. Vase vermuthlich lucanischer F a b r i k . Sirene vor einer nie-
drigen Stele. Abg. M i n e r v i n i , mon. ant, ined. poss. da Raf.
Barone, I, tav. 12, 2.
Vielleicht auch
g. Nolanischer Lekythos in Berlin. „ S i r e n e vor einer Kampf-
säule" (?), G e r h a r d , neuerw. Denkm. 1857.
Aehnlich wie auf dein späten Veroneser Relief (Q) haben wir
schon hier, in verhältnissmässig früher Zeit, Abbildungen griechischer
Grabdenkmäler, die hier freilich aus andern Motiven zur Darstellung
gebracht sind, als dort. So weit die Einzelheiten bekannt sind
(was bei e g nicht der Fall ist), hat diese Gattung von Kunsterzeug-
nissen den älteren und ursprünglicheren Typus der Vogelsirenen
meistens (ausser f) auch hier festgehalten, zu einer Zeit, als er in
Wirklichkeit schon von den Grabstätten verschwunden sein und
menschenähnlicheren Formen Platz gemacht haben mochte. In den
meisten Fällen zeigen uns diese Vasenbilder den Leib eines Vogels
mit menschlichem Halse und Haupte, woran sich noch Ein (c) oder
zwei Arme ( a b d ) anschliessen. Etwas mehr treten die thierischen
Theile auf der Vase f zurück, die uns auf' dem Vogelleibe einen
völlig entwickelten weiblichen Oberkörper zeigt, der noch mit Schul-
terflügeln versehen ist.
Die Bereicherung der spärlichen menschlichen Theile dieser
Vogelgebilde durch menschliche Arme war übrigens eine N o t w e n -
digkeit, da die meisten derselben nicht schlechthin als Sängerinnen,
sondern mit verschiedenen Instrumenten dargestellt sind. So er-
3n
) Nach Millingen trägt diese einen Helm, eine jedenfalls irrige Angabe.
Klwiis den bewaffneten Vögeln mit menschlichem Haupte, den fälschlich sog.
„bewaffneten Sirenen" Gleichendes, wie sie der bekannte Münztypus der gens
Valeria ( C o h e n , méd. cons. X L , 11) und andere Denkmäler aufweisen, findet
sich auf Vasenbildern nicht.
— 93 —

blicken wir in den Händen der Sirenen a d eine L y r a , b hält die


eine, die Flöte, wobei es besonders bezeichnend ist, dass die andere,
ihr gegenüber gestellte, die schlechthin als Sängerin gedacht ist,
der Arme entbehrt 3 1 ), ähnlich wie c ein Vogel mit menschlichem
H a u p t e und Halse aber ohne Arme einem entsprechenden, mit einein
Arme versehenen, der die Doppelflöte bläst, zum Gegenbild dient.
Auch die Gestalt der Vase f bläst die doppelte Flöte. Zu dem
traurigen Charakter, der das für den Gesang der Sirenen auf Grä-
bern Bezeichnende ist, passt es wohl, dass auf der Vase d -der die
Leyer haltenden Figur rechts und links ein Uhu an die Seite ge-
stellt ist.
Dass sich übrigens die Verfertiger dieser Gefässe Freiheiten
der Compositum gestattet, und die Sirenen nicht allein, dem ge-
meinen Gebrauche entsprechend, auf Grabsäulen dargestellt haben
(wie a), ist begreiflich. Doch sind es nur unbedeutende Abweichun-
gen von der Wirklichkeit, wenn sie v o r solchen ( e f g ) oder auf
G r a b h ü g e l n (bc) ihren T r a u e r g e s a n g anstimmen. Der Gegenstand,
auf welchem die Sirene der Vase d steht, scheint eher einem Altare,
wie sie auch auf Gräbern gebräuchlich waren, als einer Grabstele
zu gleichen.
Auch auf eine spät griechische T e r r a - C o t t a F i g u r , die in
einer bei Athen ausgegrabenen Thonvase mit Hochreliefs gefunden
sein soll, hat sich der Einfluss der gewissermasseu verkörperten
Todtenklage der attischen Grabdenkmäler erstreckt. Sie ist uns
nur in einer, freilich ziemlich ausführlichen, Beschreibung S c h o r n s " )
bekannt. Nach dieser ist es eine nackte, knieende weibliche Figur,
die bis zu den ICnieen vollkommen menschliche, anmulhige Formen
zeigt. Die untergeschlagenen Unterbeine sind vogelartig, und en-
digen in die Flisse eines Wasservogels, welche von dem breiten
Vogelschweif berührt werden. Dieser und die grossen Schultcr-
flügel sind blau, das übrige scheint vergoldet gewesen zu sein.
Die rechte Hand ist auf die Brust gelegt (wie häufig in den Grab-
monumenten), die linke fasst den Schleier, der den hinteren Theil
des geschmückten Haupthaars umgibt, und über die rechte Schulter
herabfällt.
Wenn wir in der zuletzt betrachteten Gestalt, sowie in den
Vasenbildern noch die sepulcrale Bedeutung der Sirenen als kla-
gender oder klagend singender Wesen in grösserer oder geringerer

3|
) N a c h der ausführlicherem S c h i l d e r u n g .Schorns; anders Millingen.
32
) 2. Jahresber. d. bayr. A k a d .
- 94 —
Ursprünglichkeit bewahrt finden, so darf es uns andrerseits nicht
Wunder nehmen, wenn sie vereinzelt dieser bestimmten Richtung-
ihrer Bedeutung entkleidet- und nur als mit dem Begräbniss oder
dem Tode schlechthin zusammenhangende Wesen dargestellt sind;
wir müssen uns vielmehr wundern, dass dies nicht öfter und nicht
in grösserer Abwechslung geschehen ist als auf zwei, höchstens
drei, äusserst übereinstimmenden Bildern geschnittener Steine 3 3 ),
die uns eine langsamen Schrittes einhergehende Sirene mit weib-
lichein Oberkörper zeigen, die in der rechten Hand eine Fackel
und auf der einen Gemme (a) auch einen K r a n z , mit der empor-
gehobenen Linken eine auf ihrem Nacken ruhende Amphora hält.
Ohne Zweifel mit Recht ist diese Darstellung, die zu den gezwun-
gensten Erklärungen Veranlassung gegeben hat, von W i e s e l e r als
das Bild einer Sirene erklärt worden, die eine zum Anzünden des
Scheiterhaufens bestimmte Fackel und ein Aschengefäss trägt; in
demselben Sinne ist der Kranz zu deuten.
Diesem sepulcralen Kreise fernzuhalten sind jedoch ohne Frage
die kleineren, meistens habichtartigen Vögel mit menschlichem
Haupte, die man auf eiuigen Vasen sowohl archaischen als auch
freieren Stils über der eigentlichen Darstellung schweben oder ein-
herfliegen sieht 3 4 ). Denn obwohl die Erklärung dieser eigenthüin-

33)
«. M i 11 i n , gal. mytli. 8 0 , 312. G u i g n a u t 1 3 8 , 527 und (genauer) P a -
n o f k a , D e n k m . u. F o r s c h . 1852, T a f . 44, 3. R e v . a r c h . 1860, pl. 24, 4.
Die G e s t a l t ist mit einein Schurz b e k l e i d e t , welcher die B e i n e und d a s
E n d e d e s S c h w e i f s e i n e s V o g e l s erkennen lässt, D i e A m p h o r a mit
einer B i n d e g e s c h m ü c k t .
ß. C h r i s t i e , paint. vas. pl. II. M ü l l e r - W i e s e l e r II, 59, 753. D i e F i g u r
ist u n b e k l e i d e t , die S t e l l e d e s U e b e r g a n g e s in den weiblichen Körper
j e d o c h in g e s c h i c k t e r W e i s e durch eine quer über die Brust laufende
B i n d e verdeckt. D e r K r a n z s o w i e die B i n d e au der A m p h o r a fehlen.
j'. V i e l l e i c h t mit einer d i e s e r b e i d e n i d e n t i s c h , aus dem B e s i t z von B. H e r t z
in L o n d o n (n. 839), j e t z t in L i v e r p o o l .
34
) z. B.
a. V u l c e n t e r A m p h o r a d e s brit. Mus., schw. F . Geburt der A t h e n e . Rv.
S t r e i t w a g e n d e s K a l l i a s , darüber z w e i fliegende V ö g e l , der eine mit
m e n s c h l i c h e m H a u p t e . A b g . M o n . I n s t . I I I , 4 5 , vgl. U e n z e n , A n n .
X L V , S. 9 0 ff.
b. V a s e , a n g e b l i c h d e s cab. d e s med. in P a r i s , j e d o c h w e d e r bei Dumersan
noch bei Chabouillet erwähnt. H e r a k l e s den kretischen Stier erlegend.
U e b e r s e i n e m H a u p t e ein V o g e l der g e s c h i l d e r t e n Art. N a c h D e W i t t e ,
cab. etiv p. 88, 1. G e r h a r d , A . V . I, S. 99, 120.
c. V a s e d e s brit, Mus., liellr. F i g . T o d der P r o k r i s . U e b e r dem H a u p t e
— 95 —

liehen Wesen bis jetzt nicht gelungen ist, so lässt sich doch zu-
nächst bezweifeln, ob ihre Bedeutung, wie von D e W i t t e ange-
nommen wurde, Uberhaupt irgend wie mit dem Tode zusammenhängt,
jedenfalls aber mit Sicherheit ein negatives Urtheil dahin abgeben,
dass die Zusammensetzung eines Vogelkörpers mit einem mensch-
lichen Haupte an und für sich keineswegs genügt, um einem Ge-
bilde dieser Art den Namen einer S i r e n e beizulegen. Es muss
vielmehr, um von der F r a g e , ob eine Sirene überhaupt fliegend
dargestellt worden, hier ganz abzuseilen 3 i ), auch im übrigen Ueber-
einstimmung mit dem uns aus so vielen Darstellungen zur Genüge
bekannten T y p u s vorhanden sein. Und diese fehlt, wie schon ein
flüchtiger Blick darzuthun vermag, hier vollkommen. Diese Wesen
erinnern vielmehr an die ähnlich gestalteten Vögel ohne mensch-
liches Haupt, die man häufig, besonders auf Vasen alterthiiinlichen
Stils, über der Handlung einherfliegen sieht, deren Deutung jedoch
bis jetzt noch keineswegs feststeht ' 0 ). Es kommt hinzu, dass es
zweifelhaft erscheinen muss, ob eine Sirene der Anschauung des
Alterthums überhaupt als fliegendes Wesen geläufig gewesen ist.

der z u s a m m e n g e s u n k e n e u Prokris ein s c h w e b e n d e r , eulenai-tiger V o g e l


mit m e n s c h l i c h e m H a u p t e , auf sie n i e d e r b ü c k e n d . A b g . H a i l c a r v i 11 e ,
V a s e s d'Ham. IT, 126. M i l l i n g e n , mied. mon. pl. X I V .

) Vgl. YY. U .
3G
) 0 . J a h n , Arch. Berti-, S. 260, 19.
— 96 —

III.

Die Sirenen als begeisternde Wesen.


Den bisher betrachteten Gruppen steht unabhängig gegenüber
ein Relief u n b e k a n n t e r , wie es scheint, j e d o c h griechischer Her-
kunft, das von B r u n n , Ann. XXXI, tav. Q, 4, nach einer Zeichnung
Braun's herausgegeben und erläutert worden ist. Auf einem flachen
Felsen stehen zwei unterhalb der Brust mit einem bis auf das Knie
reichenden Schurz bekleidete Sirenen in der sich sonst nicht finden-
den Bildung einer vollkommen menschlichen Gestalt mit dieser ent-
sprechend geformten, jedoch gefiederten Beinen, an die sich ohne
alle Vermittlung die Fiisse eines Vogels anschliessen. An den
Schultern befinden sich grosse Flügel. Die eine spielt die Doppel-
flöte, die andere hält eine, freilich kaum zu erkennende Lyra und
das Plektron.
Links von diesen beiden Gestalten, durch einen schwer zu deu-
tenden, an den Stiel eines Pfluges erinnernden Gegenstand von ihnen
getrennt, sitzen zwei bärtige Männer, deren Oberkörper durch das
herabgesunkene Gewand entblösst ist. Sie wenden sich den Sirenen
zu und lauseben mit deutlichen Zcichen der Verwunderung ihren
Weisen. Zwischen beiden steht eine Säule, die einen Gegenstand 3 ')
trägt, den Brunn als eine Sonnenuhr erklärt, und neben derselben
eine andere, niedrigere und breitere Säule, auf welcher sich eine
komische Maske befindet, auf die sich der zweite der beiden Männer
mit der Rechten zu stützen scheint. Links von diesem sieht man
noch ein Fragment einer dritten Person, ein Knie und einen Ann,
der, wie es scheint, eine Schreibtafel hält.
Von der dem Tode und dem Hades angehörigen Seite der
Sirenen findet sich hier keine Spur; wir haben sie hier vielmehr,
wie auch Brunn annimmt-, in einer den M u s e n v e r w a n d t e n Be-
deutung, als b e g e i s t e r n d e und den Sinn erhebende Wesen.
Diese der Anschauung des Alterthums keineswegs fremde Seite
derselben (vgl. ob. Abschn. II.) ist uns in gleicher Deutlichkeit und

37
) V g l . den ganz ähnlichen A u f s a t z einer S ä u l e auf einem M u s e n - R e l i e f
des M u s . V e r o n . (93, 1).
— 97 —

Selbständigkeit auf dem Gebiete der darstellenden Kunst sonst nicht


bekannt, doch findet sich noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl der
verschiedenartigsten Monumente, die noch leise Anklänge an diese
Seite des Wesens der Sirenen aufzuweisen haben, insofern sie die-
selben schlechthin als singende oder spielende Gestalten hinstellen,
ohne sie durch den Zusammenhang oder den Ort als die verderblichen
Dämonen der See oder die Sängerinnen des Threnos erscheinen zu
lassen. Es ist übrigens begreiflich, dass die selbständige Bedeutung
derselben nicht selten verloren geht.
Darstellungen dieser Art sind folgende, bei denen von den
häufigen, rein ornamentalen Zwecken dienenden Darstellungen der
Vasenbilder, die sowohl den gewöhnlichen Typus der G e s t a l t der
Sirenen als auch die ihnen gewöhnlich gegebenen A t t r i b u t e , Flöten
oder Lyra, aufweisen, abgesehen ist:
a. Auf einer panathenäischen Vase als Sz. der Athene. Abg.
Mon. I n s t . I, 22, 12.
b. Vase mit gelbröthlichen Figuren, in Sorrento gefunden. Abg.
P a n o f k a , cab. Pourt. pl. XXIII.
c. Vase bei T i s c h b e i n , vases d'IIam. I, 26. M ü l l e r - W i e s e l e r
II, 59, 755.
d. Sirene am obem Rande der Archemoros-Vase. Abg. G e r h a r d ,
Abh. d. Berl. Akad. 1836, hist. phil. CI., Taf. III.
e. Terra-Cotta Figur aus dem Mus. Bartold. P a n o f k a , S. 146, 5.
f. Campana'sches Terra-Cotta Relief. Abg. C a m p a n a , op. ant.
in plast., tav. CXI.
g. Römische Thonlampe.früher Durand'schen Besitzes. D e W i t t e ,
cab. Dur. n. 1799-
g ' . Lampe mit dem Relief einer Sirene, Steinhäuser'schen Besitzes,
nach B r u n n , Bull. 1862, S. 84-
Ii. Revers einer Münze der gens Petronia, P. Petron. Turpilian.
III. vir. Vorders. Kopf des Augustus. Abg. V a i l l a n t , num.
fam., Petron. n. 8. B e g e r , Ulysses Sirenes praetervect. p. 12.
T h e s . Morell., gens Petron., tab. I, 1. C o h e n , med. cons.
XXXI, 14.
i. Stosch'sche Gemme ( W i n c k e l m a n n , III, 358) der Berliner
Sammlung ( T ö l k e n , IV, 4, 382).
k. Entsprechende Gemme bei C a u s e u s , gemm. antich. tav. 128.
1. Entsprechende Paste der Sammlung von B. H e r t z in London
(n. 837), jetzt in Liverpool, vielleicht identisch mit i oder k.
1'. Sardonyx der Kestner'sehen Sammlung. I m p r . cent. V, 77.
S o h r n i k - r , lie.griJI' <]. S i r o i m i i .
— 98 —

m. Goldenes Ohrgehänge aus Ithaka. Abg. v. S t a c k e l b e r g , Gr.


d. Hell., Taf. 78.
n. Aehuliches (oder identisch?) eben daher, beschr. von S c h o r n
im zweiten Jahresbericht der bayr. Akad.
o. Carneol-Ohrgehänge aus Athen. Abg. bei v. S t a c k e l b e r g ,
Taf. 74, 7 — 9.
pq. Goldne Ohrgehänge aus der Krimm. Abg. A n t i q . d u b o s p h o r e
C i m m . VII, 15. 1(5.
r. Antikes Wandgemälde der Neapler Sammlung, nach J o r i o ,
musée royal Bourbon, peint, anc. n. G91.
In keiner von diesen Darstellungen sind weiter oder tiefer
gehende Beziehungen zu suchen; es sind einfach die s i n g e n d e n ,
durch ihren Gesang fesselnden und anziehenden Wesen, die wir
vor uns sehen, und zwar häufig so, dass die Bedeutung durch die
eigenthümliche Gestalt noch mehr in den Hintergrund gedrängt wird.
Nur der Sirene als Sz. der Athene könnte man, da sie sich auf
einem panatheuäischen Preisgef'ässe findet, irgend einen Zusammen-
hang mit dieser Göttin zuzuschreiben geneigt sein, der sich ohne
grosse Schwierigkeit in den musicalischen Beziehungen 3 0 ) derselben
finden lassen würde. Im übrigen sind nur einzelne Aeusserlich-
keiten hervorzuheben und zu erläutern:
Wir haben auch hier die gewöhnliche Gestalt von Vögeln mit
weiblichem Haupte und den durch die Instrumente gebotenen Armen
( a e l 1 ) , zu denen bei a noch die wcibliche Brust so wie die auch
sonst sich findenden, hinter den Ohren herabfallenden langen und
schmalen Locken (S. 9(>) hinzukommen; als etwas nicht Gewöhn-
liches sind Iiier die ausgeschweiften, geöffneten und sieh weit nach
hinten erstreckenden Flügel hervorzuheben. Beachtenswerther ist
es, dass die Sirenen der Vasen b e d ein für Bilder dieser Art sel-
tenes Uebergewicht der weiblichen Formen über die thierischen
Elemente aufzuweisen haben, wobei es zu beachten ist, dass sowohl
diese Getasse als auch die S. 92 angeführte Vase f , die uns eine
ganz ähnliehe Gestalt zeigt, Erzeugnisse erst später Zeit sind. Vor
allen die sehr späte, in Sorrento gefundene Vase b bietet in ganz
demselben T y p u s , der in Statuen und Reliefs vorwiegend ist, drei
a n den Schultern geflügelte weibliche Gestalten, die erst unterhalb
der Hüften in den Leib und die Beine eines Vogels übergehen,
wobei die Haltung des Ganzen jedoch im wesentlichen der des
menschlichen Körpers entspricht. Dasselbe Bestreben, dem mensch-

38
) P r e l i e r , gr. Myth. T, S. 176.
— 99 —

liehen Ausdruck ein gewisses Uebergewicht zu verleiben, zeigt sich


in den Gestalten der Vasen cd, doch ist hier ein weiblicher Ober-
körper einem Vogelleibc aufgesetzt, und an diesem, nicht an jenem
finden sich die Flügel.
Die übrigen Darstellungen zeigen die gewöhnliche Gestalt von
Weibern mit den Beinen und andern Elementen eines Vogels; nur
die zwei Sirenen der Campana'schen T e r r a - C o t t a ( f ) sind gleich
denen des Lnnsdown-Reliefs weibliche Gestalten mit Schulterfliigeln,
und nur dadurch von j e n e n unterschieden, dass sie nicht in lange
Gewänder gehüllt, sondern nur mit einem Schurz bekleidet sind 3S ).
Obwohl sie hier ausserhalb alles Zusammenhangs stehen, lässt sich
doch bei der Thatsachc, dass sich geflügelte Musen in den D a r -
stellungen der Plastik nicht vorfinden, wegen der ihnen verliehenen
Instrumente nicht wohl an etwas anderes als an Sirenen denken,
deren nicht menschliche Elemente allinählig bis auf den schwachen
liest verschwunden sind, der sie den gewöhnlichen Fliigelgestalten
gleichstellt.
Unter den Instrumenten dieser Sirenen begegnen wir den ge-
wöhnlichen, der einfachen ( k m ) oder doppelten Flöte ( a e h i l ' q )
und der Lyra (p, n mit Plektron), die sich auch ( b f o ) in den Hän-
den zweier einander gegenüber gestellter (o noch eine mittlere zwi-
schen beiden) Sirenen finden, daneben der auch sonst ihnen ver-
liehenen (S. 76) Syrinx (gg 1 ) und als einer vereinzelten Erscheinung
einem T y i n p a n o n (c). Die andere Hand der dasselbe führenden
Figur hält drei Gegenstände, in denen man mit grüsster Wahrschein-
lichkeit noch Krotalen erblicken kann (nach Wieseler eine Tänie).
Die Sirene der Vase d hält zwei kleine P a u k e n . Alles dies sind
Instrumente, die ihnen in einer bakchisclien Gestalten ähnlichen
Weise einen verlockenden und orgiastischen Charakter verleihen,
der ihrem Wesen keineswegs allzu fern l i e g t " ) , insofern dieses dem
reinen und erhebenden Gesang der Musen in ähnlicher Weise ge-
genübersteht, wie die dionysische der apollinischen Musik.

3a
) A u c h liier die e i g e n t ü m l i c h e n , hinter dem Ohr herabfallenden L o c k e n .
J0
) Vgl. S. 91 den r ö m i s c h e n Grabstein R.

7*
— 100 —

IV.

Den Sirenen entsprechende Gestalten ausserhalb


alles Zusammenhangs und ohne charakterisirende
Attribute.
Die den zuletzt betrachteten Monumenten eigenen auf singende
Wesen hindeutenden Elemente fehlen einer grossen Anzahl der
verschiedenartigen Zusammensetzungen eines weiblichen und eines
Vogelkörpers, die sich ohne durch irgend etwas als Sirenen cha-
rakterisirt zu sein, zum Theil sogar mit Attributen, die diesen fremd
sind, häufig auf den Ueberresten alter Kunst finden. Besonders
Vasen, aber keineswegs diese ausschliesslich, vielmehr auch Stein-
und Bronzefiguren, Reliefs aus T e r i a - C o t t a , Gemmen, Ornamente
verschiedener Geräthe und Schmucksachen zeigen in mannigfaltigen
Variationen Vögel mit menschlichem Haupte, sitzend, stehend, lang-
samen und feierlichen Schrittes einhergehend, andrerseits in schnel-
len» Laufe dahereilend, fliegend, bald einzeln, bald in grösserer
Anzahl, häufig neben andern wunderbaren oder wilden Thiergebilden,
Sphinxen, Greifen, Hippalektryonen, l'anthern, Löwen u.dgl. Andere
Monumente des Alterthums bieten uns weibliche Gestalten mit den
Beinen, zum Theil auch dem Schweif und andern Theilen eines
Vogels in den bekannten Nuancirungen, ebenfalls ohne dass dieselben
durch irgend ein äusseres Zeichen als Sirenen zu erkennen wären.
Bei der T h a t s a c h e , dass sowohl die K e l e d o n e n in ihrem
Wesen den Sirenen g l e i c h g e s t e l l t " ) , als auch H a r p y i e n 4 1 ) und
G r ä e n 4 J ) , denen vielleicht selbst noch die S t y m p h a l i d e n liinzu-

41
) V i t . S o p l l . p. 5 , 10 Dind.: t/noi d" Sri xai JW ¡¿rrjuttu ctvtov 2 ' i t -
yrjvci intniriaar, oí i)í x r¡ X r¡ d'o »>« (Huschke, anal, in anthol. p. 8, codd. %ti-i-
óóm) xn).xi¡v. A t h e n . VII, p. 290 E von den bekannten Pindarischen Iyngen
des dritten Delphischen T e m p e l s ( B e r g k , poet. lyr. Gr. p . 2 3 5 ) : ni' xaru rov
ctvrop loonov r c d ; Zíif>t\(fi roúf (ÍXQOCO¡Á(VOV; tnoíovv imXnvSavoftévovg
iiüv Tnoif iüv J/ri: i'r¡v r¡iSovr]v tiifavaii'íoíhti. Vgl. noch L u c í a n . Nigrin. 3, wo
statt tlrjd'óvetí zu lesen xr¡Xr¡Jóyi<s-
42
) L y c . Al. 653 nennt die Sirenen ¿gnvióyovvot «ÍJÍJÓCÍÍ, vgl. Yerg.
A e n . I I I , 216 ff. H y g i n . fab. 14 (S. 43 Bunte, vgl. W i e s e l e r , nuov. mero,
p.422). T z e t z . Lyc. 1. c.
43
) Von A e s c h . Pr. 794. 95 erst als (Sr¡vaiat xófini, dann als xvxrófxoQifot
— 101 —

zufügen wären (s. S. 20), in ihnen ähnlicher Zusammensetzung des


Körpers geschildert, zum Theil auch auf Monumenten des Alter-
thums dargestellt werden, könnte die Unsicherheit, mit welchem
Namen diese Gebilde zu belegen sind, als eine' so grosse erscheinen,
dass nichts uns berechtigen würde, sie hier zu der Betrachtung der
Sirenen hinzu zu ziehen; allein das Verliältniss gestaltet sich bei
g e n a u e r e r Betrachtung etwas anders.
Die K e l e d o n e n sind keineswegs bestimmte, scharf ausgeprägte
Gestalten; ihr Name ist nicht Eigenname, sondern eine Bezeichnung
für alles, was einen bezaubernden Keiz ausübt, also auch für die
Sirenen, die man immer so bezeichnen könnte, wie auch W e i c k e r ,
gr. Gttl. III, S. 1(57, annimmt, nach welchem Piudar (s. Anm. 41)
nicht die ¡Sirenen nachahmte, sondern ihnen nur einen andern Na-
men g a b . Ebenso ist die Keledon, die einige auf das Grab des
Sophokles versetzten, nicht ein von der Sirene, die nach andern
daselbst ihren Platz hatte, verschiedenes Wesen, obwohl der Com-
pilator, vermuthlich nach einem missverstandenen poetischen Aus-
d r u c k , es so darstellt, sondern nur eine andere Bezeichnung für
dieselbe " ) .
Andrerseits ist aber die von G a c d e c h e n s in der Schrift de
Graeis versuchte Deutung einzelner dieser Zwitterbildungen als
Darstellungen von G r ä e n eine keineswegs sichcre ' '), gegen welche

b e z e i c h n e t . V g l . T z e t z e s ' T h e o g o i i i e ( A b k . d. Berl. A k a d . , hist. pliil. Cl.,


1840), v. 1 4 5 :
z u xi'o 11 d't /lovodoi'i ui TilriV Tjoar itl <l>ttuy.idtg.
44
) E b e n s o w e n i g l ä s s t sich an die s o w o h l den K e l e d o n e n ( P h i l . vit. A p .
V I , 11, S. 114 Kays., coli. P i n d. fr. p. 2 3 5 B e r g k ) als den Sirenen ( L u c . dorn. 3)
ihrem W e s e n nach an die S e i t e g e s t e l l t e n l y n g e n denken, da als deren G e -
s t a l t nur die e i n e s V o g e l s und k e i n e s w e g s , wie G r e u z e r , comm. Her. p. 350,
Öyinb. I, S. 500, aus einer V e r w e c h s l u n g mit dem ä g y p t i s c h e n B i l d e der S e e l e
a n n a h m , die e i n e s V o g e l s mit m e n s c h l i c h e m H a u p t e erscheint. V g l . s c h o l .
P i n d . P y t h . 4 , 3 8 0 , P l i n . H. N . X I , 25G, d a s V a s e n b i l d bei M i l i i n , gal.
myth. 1 1 4 , 4 4 4 , das R e l i e f bei W i n c k e l i n a n u, mon. ined. 1 1 5 , d a s Ohrge-
h ä n g e bei' v. S t a c k e l b e r g , Gr. d. H., T a f . 74, 7, und a n d e r e s b e i B o t t i g e r ,
I d e e n zur K u n s t m . I[, Ö. 262.
4
-') S o die der V u l c e u t e r V a s e bei M i c a l i , mon. ined. X L H I , 2 , P a -
n o f k a , T a f . I, 2. 2 a , G a e d e c h e n s , S. 27, a l s ,,Perseus zwischen zwei Gräen11
und die einer V a s e d e s brit. Mus. (n. 425, abg. P a n o f k a ], 1, G a e d e c h e n s
I, 1) als „Perseux vor einer Oräe und Hermes"; denn die hier als P e r s e u s g e -
d e u t e t e n G e s t a l t e n e n t s p r e c h e n v o l l k o m m e n den sich auf archaischen G e f ä s s e n
nicht s e l t e n findenden d ä m o n i s c h e n F l ü g e l g e s t a l t e n ( z . B . M o n . I n s t . 111,43),
s o dass e s bei w e i t e m näher l i e g t auf dem ersten V a s e n b i l d e e i n e solche
— 102 —

auch die von W i e s e l e r (Phil. IX, S. 720 f.) gegen ähnliche von
P a n o f k a (Perseus und die Gräa, in d. Abb. d. Berl. Akad. 1846)
aufgestellte Ansichten erhobenen Bedenken noch zu Recht bestehen
dürften, so dass, da die Darstellung der S t y m p h a l i d e n als Jung-
frauen mit Theilen eines Vogels, wenn sie überhaupt je stattgefunden,
nur eine ganz vereinzelte gewesen sein kann, bei den hier in Frage
kommenden Gestalten ausser an S i r e n e n nur noch an I l a r p y i e n
zu denken ist, für die wir neben der aus A e s c l i y l o s (Euin. 50)
und aus Kunstwerken ( O . J a h n , arch. Beitr. ö. 1)7, l.'i) bekannten
Darstellung als bekleidete weibliche Flügelgestalten nach den oben
(Anm. 42) angeführten dichterischen und mythographischen Aeusse-
rungen sowie nach dem erheblich älteren x a n t h i s c h e n M o n u m e n t e
auch die Zusammensetzung aus menschlichen und vogelartigen Thei-
len annehmen müssen, wobei der etwaige zeitliche oder örtliche
Unterschied beider Vorstellungsarten hier auf sich beruhen möge.
Es würde jedoch eine irrige Vorstellung sein, wenn wir an-
nähmen, dass bei jeder dieser Gestalten das W e s e n einer Sirene
oder einer Harpyie zur Geltung käme; wir sehen im Gegentheil
nur die dem einen oder dem andern Darstellungskreise entstam-
mende G e s t a l t vor uns, und die Frage, w e l c h e m sie entstammt,
ist in den meisten Fällen eine völlig müssige, da d.is Auge eines
Griechen oder Römers in ihnen eben beides erblicken konnte. Bei
der Thatsache, dass Sirenen weit häufiger so gebildet dargestellt
werden als Harpyien, ist man jedoch immerhin zumeist berechtigt,
sie als Sirenen zu b e z e i c h n e n , vorausgesetzt dass man, und zwar
für die meisten Fälle, im Stande ist, von allen Beziehungen, die

z w i s c h e n z w e i der g e w ö h n l i c h e n V ö g e l mit m e n s c h l i c h e m H a u p t e und auf


d e m letzteren e i n e n V o g e l und eine F l i i g e l g e s t a l t der g e s c h i l d e r t e n A r t n e b e n
H e r m e s zu erblicken, eine Z u s a m m e n s t e l l u n g , bei der nur die F r e u d e an d e m
p h a n t a s t i s c h e n A e u s s e r o n m a a s s g e b e u d g e w e s e n s e i n dürfte, so d a s s auf die
A u f f i n d u n g irgend e i n e s Z u s a m m e n h a n g s zu v e r z i c h t e n wäre. E b e n s o w e n i g
hat das Bild einer G e m m e d e s F ü r s t e n v o n W i t t g e n s t e i n (aufrecht
s t e h e n d e w e i b l i c h e Figur, die unterhalb der Brust in den K ö r p e r e i n e s V o g e l s
ü b e r g e h t ; vor ihr s t e h t eine j u g e n d l i c h e männliche G e s t a l t mit F e t a s u s , abg.
G a e d e c l i e n s , I, 5) irgend etwas, das die von G a e d e c h e n s a u f g e s t e l l t e D e u -
t u n g als , , P e r s e u s und eine Oräe" rechtfertigen könnte. — V o n den s c h w e r
zu d e u t e n d e n , von G a e d e c h e n s d e m s e l b e n K r e i s e z u g e r e c h n e t e n Z u s a m m e n -
s e t z u n g e n e i n e s s c h w a n e n a r t i g e n V o g e l l e i b e s und e n t s p r e c h e n d e n H a l s e s m i t
einem auffallend g r o s s e n m e n s c h l i c h e n H a u p t e kann, da sie mit dem s o n s t
b e k a n n t e n T y p u s der S i r e n e n k e i n e U e b e r e i n s t i i n m u n g h a b e n , hier a b g e -
s e h e n werden.
— 103 —

diesen Wesen anhaften, abzusehen, und in ihnen nur die G e s t a l t


solcher zu erblicken.
Vor allen Dingen gilt dies von den V a s e n b i l d e r n , von denen
besonders die des ä l t e r e n S t i l s eine Uberaus reiche Fülle von
Vögeln mit menschlichem Haupte aufzuweisen haben.
Die meisten dieser Gestalten sind grosse, schwerfällige, hühner-,
s c h w a n e n - und eigenartige'") Vögel, mehr zu ruhigem Stellen und
festem, sicherem Einhenvandeln als zu schnellem L a u f e 4 7 ) oder
gar zum Fluge geeignet, mit höchst mannigfaltig gestalteten Flügeln,
die bald geschlossen, bald geöffnet sind, letzteres nicht selten in
ausgeschweifter, an orientalische Flügelgestalten erinnernder Form 4 ").
An den schwerfälligen Leib setzt sich ein weibliches, zuweilen lang
behaartes Haupt an, zu dem von menschlichen Elementen mitunter
noch ein Hals und einzeln auch Arme hinzukommen. Autfallend
arm sind diese archaischen Bildungen an Ausschmückungen 4 ü ) oder
irgend welcher Charakteristik; offenbar überwiegt das I n t e r e s s e
a n d e r a b e n t e u e r l i c h e n F o r m alles andere.
Vögel dieser Alt finden sich häutig neben andern wunderbaren,
theilweise der Thierwelt angehörigen Gestalten, ebenso oft zwischen
den als Kandverzierungen, jedoch auch selbständig, sich findenden
T i g e r n , Böcken u. dgl. Desgleichen sieht man sie, ebenso wie
diese, zwischen Göttergestalten oder menschlichen Handlungen; so
zeigt z. B. die von M i c a l i , ined. tab. XXXVI, publicirtc Feoli'sche
Amphora Göttergestalten, denen ein Vogel der gedachten Art voran-
schreitet, und eine archaische Kelebe, die den Kampf des Achilleus
und Memnon darstellt (Mon. I n s t . II, oi-() zwischen den bewaffne-
ten Heitern einen ihnen gleich grossen, mit ausgebreiteten Flügeln
dastehenden Vogel mit menschlichem, lang behaartem Haupte.
Ebenso wie die ihnen häufig zugesellten Thiergestaltcn sind
ferner diese e i g e n t ü m l i c h e n Zwitterwesen in v e r s c h i e d e n s t e r ,

*") Vereinzelt die e u l e n a r t i g e G e s t a l t am H a l s e einer P a n a t l i e u . A m p h o r a


des brit. Mus., N. 5G9 (abg. I n g h i r a m i , mon. etr., ser. V, t a v . 3 4 . M i l l i n g e n ,
uned. mon. 3, 2. M ü l l e r - W i e s e l e r I, 1 7 , 9 1 c ) , worüber Y V e l c k e r , gr. Götterl. I I I ,
S. 165, zu vergl.
" ) Eine A u s n a h m e bildet der einhereilende s t o r c h artige Vogel bei G a y l u s ,
rec. d ' a n t . II, 34.
4S
) z. B. auf der auch sonst Kiufluss des Orients verrathenden V a s e aus
Cervetri bei G o n z e , mel. T h o n g e f . T a f . V, 4.
4!)
J z. B. B e k r ä n z u n g auf der von M i c a l i , stor. L X X X I V , 3. 4, publi-
cirten V a s e des Gardinais Fesch, Z w e i g e , G e r h a r d , etr. u. camp. V a s e n b .
X, 4 — 0. B l u m e und K r a n z , M u s . D a r i o k l . S . W . 15.
— 104 —

von den Sirenenmythen völlig unabhängiger A n z a h l ä U ) dargestellt,


ein neuer Beweis, wenn es eines solchen bedürfte, dass vor allen
Dingen die phantastische Form in ihnen dargestellt und gesehen
wurde. Aus demselben Bestreben sind ferner manche Zuthaten zu
diesen Gestalten hervorgegangen, welche das schon an sich phan-
tastische Gebilde noch phantastischer machen sollten. So findet sich
z. B. auf einer Vase des G r e g o r i a n i s c h e n M u s e u m s (II, 29, 3 b )
ein Geschöpf dieser Art, dessen Beine, ohne irgend eine Spur von
Füssen zu verrathen, sichelartig gebogen sind (ähnlich auf der Vase
aus Cervetri bei C o n z e , a. a. 0.), oder, den Zweck, ein neues
Phantasma zu schaffen, noch deutlicher offenbarend, auf einer Vul-
center Vase der B e r l i n e r S a m m l u n g (Neuenv. Denkm. N. 1585)
der Vogelkörper einer Sirene mit dem H a u p t e e i n e r M e d u s e , die
beide Arme ausgestreckt und mit jedem einen nackten Jüngling
ergriffen hat.
Dasselbe Bestreben zeigt sich in der nicht ganz so vereinzelt
stehenden Bildung des Leibes der Sirene aus einem grossen A u g e bl ),
sowie in den sog. b ä r t i g e n S i r e n e n , die sich sowohl allein als
auch Wesen der letztgenannten Art gegenübergestellt finden ''), eine
s0
) z. B. Vasensamml. K . L u d w . N . 1071 f ü n f Sirenen hinter einander rings
u m h e r , Berliner A m p h o r a N . 592 v i e r Sirenen und ein Satyr.
51
) z. B. brit. Mus. N . 448 zwei G e s t a l t e n dieser A r t , zwischen ihnen ein
R e b s t o c k . Vgl. i ) e W i t t e , cab. ctr. n. 152, unten A n m . 52.
52
)
a. ß. A m p h o r a , früher im Besitz des Cardinais F e s c h , abg. M i c a l i , stor.
L X X X 1 V , 3 . 4 , die eine Seite (Mic. 3) auch bei l . e n o r m a n t und l ) e
W i t t e , el. ceram. H , 25 (jedoch ungenau, mit dem T e x t zu vergl.). E i n e r -
seits Apollon, A r t e m i s , H e r m e s . Zwischen ihnen, r e c h t s und links von
dem in der Mitte stehenden Apollon, zwei ihm an H ö h e gleiche, einander
g e g e n ü b e r s t e h e n d e Vögel, deren L e i b aus einem grossen Auge b e s t e h t ,
hinter dem der pfauenartige Schweif hervorsieht. B e i d e h a b e n ein mensch-
liches, b e k r ä n z t e s H a u p t mit langem H a a r ; der eine ist b ä r t i g , hat
j e d o c h , dem andern, unbärtigen, entsprechend, ein weibliches A u g e und
weisse F a r b e . — Rev. P e l e u s mit T h e t i s ringend, zwischen zwei denen
der V o r d e r s e i t e entsprechenden Gestalten,
y. A m p h o r a in Berlin ( N e u e n » . D e n k m . N . 1699). G e b u r t A t h e n e ' s . In
der obersten R e i h e nebeu einander zwei Vögel mit H a h n e n l e i b und
menschlichem H a u p t , der eine bärtig.
(?. V a s e der M ü n c h e n e r Sammlung (N. .948), br. F i g . B ä r t i g e S i r e n e in
einer R e i h e wilder T h i e r e .
f. E b e n d a , N . 956, sehw. F i g . B ä r t i g e Sirene zwischen zwei P a n t h e r n .
£. V o n G e r h a r d , rapp. volc. p. 6 5 , erwähnte a r c h a i s c h e V o l c e n t e r V a s e
mit einer b ä r t i g e n und einer imbärtigen Sirene, deren K ö r p e r aus A u g e n
gebildet sind.
— 105 —

der bärtigen Gestaltung des Gorgoneunfs zu vergleichende Spielerei,


die sich als das, was sie ist, schon allein durch den Umstand zu
erkennen gibt, dass sich z. B. auf der von Micali veröffentlichten
Vase (a) — von den andern sind die Einzelheiten in diesem Maasse
nicht bekannt — die F a r b e und das A u g e des w e i b l i c h e n Kör-
pers auch bei den sog. männlichen Sirenen finden.
Weniger häufig sind die Vögel mit weiblichem Haupte auf Vasen
f r e i e r e n Stils. Sie stimmen übrigens auch hier im wesentlichen
mit dem Bilde der älteren Gefässe überein"'), nur sind sie durch-
schnittlich weniger abenteuerlich bi ) und den Gesetzen der Schönheit
mehr entsprechend dargestellt, so wie nach dem Charakter der
Vasenbilder dieser Zeit nicht selten durch mannichfachen Zierrath
geschmückt worden 53 ).
Bei dem weniger das Wunderbare suchenden Charakter dieser
Classe wird man in manchen Fällen geneigt sein, in diesen Vögeln
mehr als bloss eine phantastische Gestalt, vielmehr ein bestimmt

ri. Candelori'sche Vase. V o g e l mit bärtigem H a u p t e . N a c h G e r h a r d , rapp.


vole. n. 606.
Dagegen ist anderes von V o s s , myth. Br. II, 5, S. 47, und von B r a u n ,
A n n . V I I I , S. 60, hierher Gezogenes (wie die H ä h n e mit männlichem Ober-
körper, die die F l ö t e blasen, vgl. W i e s e l e r , adv. in Arist. Av. p. 58 ff., der
schwebende, unten in einen Vogel übergehende Flötenspieler eines P o m p e j a n i -
schen Gemäldes, M u s . B o r b . V I I , 52) mit Recht von G e r h a r d , A. V . I,
S. 100, 137, als F r e m d a r t i g e s bezeichnet worden.
53
) E i g e n t ü m l i c h die Gestalt auf der Vulcenter V a s e bei G e r h a r d , A.
V . 1 , 2 8 : ein leichter gebauter, mehr zum Fliegen geeigneter Vogelkörper, an
den sich ein menschlicher H a l s und ein entsprechendes, langes zopfartiges
H a a r tragendes H a u p t ansetzt; auf einer Ranke sitzend.
"4) A n archaische P h a n t a s m a t a erinnert z. B. die Gestalt der V a s e bei
T i s c h b e i n , vas. d'Ham. 111,59. Sie h a t zwei verschiedenartige Flügel und
E i n e n A r m , von ihrem H a u p t fällt eine Binde herab. — E i n e den e t r u s k i -
s c h e n E r z f i g u r e n (Anm. 12) e n t s p r e c h e n d e und vermuthlich nachgebildete
Figur, die von dem Typus der Sirenen völlig abweicht, findet sich am unteren
E n d e des Henkels des bekannten Neapolitaner Thongefässes mit der Inschrift
o Kcaî.i'tuu (Neapels A. B. S. 270,1428), abg. bei Q u a r a n t a , illustr. di un
vaso italo-greco, Nap. 1820. (S c o t t i ) , mon. ined. di antich. e belle arti, Nap. 1820.
55
) E i g e n t ü m l i c h z. B. die F e d e r b u s c h - a r t i g e B e k r ä n z u n g der Gestalt
der Berliner V a s e N. 908 (abg. A nn. II, t a v . D ) , die s c h w a r z e n und w e i s s e n
F l e c k e einer solchen auf einer Nolanischen A m p h o r a des musée Blacas ( P a -
n o f k a , pl. X X X I I ) , die Ausschmückung mit einer B l u m e auf einer V a s e aus
Eboli ( B u l l . 1836, S. 166), mit S c h a l e und Z w e i g auf einer apulischen V a s e
der Durand'scheu Sammlung ( D e W i t t e , cab. Dur. n. 962; ähnliche [oder
identisch?] derselben Fabrik und derselben Sammlung von R a o u l R o c h e t t e
S. 381, 2 : „mit Schale und Tkyr&us" erwähnt).
— 106 —

ausgeprägtes Wesen zu erblicken, das mit seiner Umgebung in be-


stimmtem Zusammenhang stehen k ö n n t e , wie man z. B. die neben
dem die L y r a spielenden Apollon sitzende Gestalt der Amn. 53 er-
wähnten Vase als eine diesem zugesellte s i n g e n d e S i r e n e auffassen
könnte (auch Pindar hat das Dach des Tempels dieses Gottes mit
Keledonen geschmückt), wie in anderer Weise G e r h a r d , A. V. 1,
S. 102, einer grossen Anzahl von Vasen, die Gestalten dieser Art
aufzuweisen haben, eine „hochzeitliche Bedeutung" beigelegt hat, die
sich übrigens, um von der geringen Wahrscheinlichkeit, dass die
Thongefässe überhaupt für bestimmte Veranlassungen des Privat-
lebens angefertigt wären, ganz abzusehen, für die Sirenen erst in
sehr später Zeit i"i), und auch nur in weiterem, erotischem Sinne
überhaupt gefasst, nachweisen lässt. Doch liegt bei dem Aufsuchen
von Möglichkeiten dieser Art die Gefahr, in Unwahrschemliclikciten
und Künsteleien zu verfallen, äusserst nahe, und es ist durch dasselbe,
selbst im besten Falle, nichts gewonnen, da wir bei der Möglichkeit,
dass die gedachten Gestalten doch nur in ornamentalem Sinne ver-
wandt worden sind, weder für die D e u t u n g - d e s B i l d e s noch
für die E r k e n n t n i s s d e s W e s e n s d e r S i r e n e n irgend etwas
Neues gewinnen, vielmehr nur die alten und bekannten Beziehungen
aufs Neue combiniren können.
Ganz vereinzelt finden sich diese Gestalten übrigens auch flie-
gend dargestellt, eine Auffassung, die dem Charakter der S i r e n e n
geradezu widerspricht; denn wenn S t a t i u s einmal (silv. II, 2, l l ü )
zur Verherrlichung des Gesanges seines Freundes Pollius hervorhebt,
dass selbst die Sirene mit leichter Schwinge von ihrem Felsensitze
zu demselben herbeieilte, so wählt er, um seinen Zweck recht pointirt
auszudrücken, absichtlich ein Bild, das sich von der gewöhnlichen
Vorstellung entfernt. Sonst lässt sich nur die von l i a o u l l i o c h e t t e ,
mon. ined. p. ¿581, 2, erwähnte apulische Vase früher Durand'schen
Besitzes dafür a n f ü h r e n , auf welcher eine „Sirene" mit weiblicher
Brust, Haupt und Armen mit entfalteten Flügeln einherfliegt, indem
sie die Lyra spielt. Doch ist., da keine Abbildung oder nähere Notiz
von dieser Darstellung vorliegt, Vorsicht von Nöthen, d a z. B. die im
Vasen-Catalog des brit. Mus. N. 339 als „fliegend" bezeichnete, die
doppelte Flöte blasende Sirene zwar, wie die Abbildung bei d ' H a n -
c a r v i l l e I , 99 zeigt, mit geöffneten Flügeln und etwas vorUber-
gebeugt, jedoch keineswegs im Fluge dargestellt ist. W e n n sich
dagegen die bekannten mit einem weiblichen Haupte zusammenge-

5C
) S. 61.
— 107 —

setzten, jedoch cliarakterisirender Attribute entbehrenden Vogelge-


stalten einzeln einmal auf Thongefässen fliegend dargestellt finden
( G e r h a r d , A. V. II, 107. Vasencat. d. brit. Mus. 421. Vulcenter Re-
lief-Schale, de W i t t e , cab. Dur. n. 1346), so ist dies eine der vielen
Variationen dieser phantastischen Gebilde, bei der die ursprüngliche
Bedeutung derselben ausser Augen gelassen ist, so dass man in
ihnen nur den T y p u s , sei es einer Sirene, sei es einer Harpyie, zu
erblicken hat. Hingegen bieten die kleinen, habicht- oder eulenartigen
Vögel, die man auf einigen Vasenbildern über der Handlung schwe-
ben sieht, nicht einmal diesen Typus, sondern sind vermuthlich mit
den häufiger sich findenden Vögeln dieser Art ohne den Zusatz des
menschlichen Hauptes in Verbindung zu bringen (s. S. 94).
A u s s e r h a l b d e s K r e i s e s d e r V a s e n b i l d e r finden sich Vögel
mit menschlichem Haupte, denen nicht durch den Zusammenhang
oder durch Attribute eine bestimmte Bedeutung verliehen ist, wenn
wir von den T h o n g e f ä s s e n dieser Gestalt 5 ; ) absehen, nur selten 58 ).
Dasselbe gilt von den weiblichen Wesen mit dem Vogel entlehnten

5T
j z . B . Catalogli. del raus. C a m p . , vasi potorii, n. 54. 50. 58 (eins dieser
A r t abgebildet op. ant. in plast. 70 0 ) , G e r h a r d , neuerw. Jjeukin. 1656,
I ' a n o f k a , cab. l'ourt. pl. II. Eine b ä r t i g e Gestalt derselben A r t in Berlin,
G e r h a r d , Neuerw. Deukm., N. 1647, abg. das. Tat. III.

a. Spiegel aus Caere, früher Gerhard'schen Besitzes. Sitzender Vogel mit


weibl. Haupt neben Herakles und eiuem die Syrinx blasenden Satyr, abg.
G e r h a r d , etr. Sp. 150.
I). Etruskische Bronzefigur desselben Besitzes. Vogel mit weiblichem Haupte
mit langem Haar, die Stirn mit Rosen geschmückt, abg. M o n . I n s t . III, 29.
c. Bronzefigur früher Creuzer'schen Besitzes, beschr. von S c h o r n zu Tisch-
bein's Homer nach Ant., H f t . 8, S. 20.
c1. Erzfigur, abg. B e g e r , thes. Brand. III, p. 371.
b. Sirene archaischen Charakters (danach vermuthlich h i e h e r zu ziehen), die
auf einem Zweige zu sitzen scheint, durch Rhusopulos aus Pallene nach
Athen gekommen. B u l l . 1864, S. 42.
e. Als Typus einer Goldmünze stehender Vogel mit geöffneten Flügeln, weib-
lichem Haupt und Armen, einen Fisch haltend. Abg. M i l l i n g e n , syll. pl.
III, n.39. R e v . a r c h . 1860, pl. 24, 5. Vom H e r z o g v o n L u y n e s , Ann.
XVII, S. 10, der Stadt H a r p a g i a zugeschrieben.
Vielleicht auch hierher zu ziehen, weil römischer Zeit (der des Commo-
dus) entstammend:
f. Münztypus der syrischen Stadt G a b a l a . Vogel mit menschlichem Haupte,
auf einem Schilde stehend, einer Sphinx gegenüber. M i o n n e t , descr.d.med.
V, p.235, n. 635. 37. 38, suppl. VIII, p. 163, n. 183—185. Abg. S p a n l i e m . ,
de usu et pruest. nuin. I, p. 260. N u o v e m e m o r . tav. XIV, 12.
— 108 —

T h e i l e n 5 9 ) , die in dieser a b g e s c h w ä c h t e n B e d e u t u n g den Vasenbildern


f r e m d zu sein scheinen. W e n n auch e i n i g e dieser B i l d u n g e n (ei) 111)
eher den Eindruck v o n H a r p y i e n als von Sirenen machen, oder
auch vielleicht w e d e r das Bild der einen noch der andern, sondern
bestimmte, l o c a l e , m ö g l i c h e r w e i s e nicht einmal griechisch-römische
oder etruskische Vorstellungen (cfm) oder gar ein w i l l k ü r l i c h e s
S p i e l der P h a n t a s i e eines Einzelnen (gfy) repräsentiren, so wird
m a n doch in d e n meisten derselben ( b e s o n d e r s o) bereitwillig den
T y p u s der Sirenen anerkennen, u n d sich nicht w u n d e r n , w e n n ein
W e s e n dieser Gestalt ausser in den b e k a n n t e n W e i s e n , w i e einem
Satyr, der die Syrinx bläst, a n die Seite gesetzt (a), a l s Goldschmuck
v e r w a n d t (i, vgl. S. 98), oder mit u n b e d e u t e n d e n Variationen, w i e
die Ausschmückung mit R o s e n (b) oder Z w e i g e n u n d Früchten es
ist (f), auf e i n e m Neapler Mosaik (f) einmal s c h w e b e n d dargestellt
w i r d , eine für die Sirenen m i n d e s t e n s äusserst seltene aber für
die phantastischen F i g u r e n dieser Kunstgattung am w e n i g s t e n auf-
f a l l e n d e Darstellungsart.
«j.

g. Gemme des Fürsten vou Wittgenstein in Wiesbaden, abg. G a e d e c h e u s ,


de Graeis, I, 5. Vgl. oben Aum. 45.
I;. Gemme bei M i l i i n , gal. mytb. 13, 313. R e v . arcli. 1860, pl. 24, 3. Eiuher-
fliegende halb weibliche, halb Vogel-Gestalt mit einem Spiegel und einer
Schnur Perlen in den Händen,
i. Vogelkörper mit Brust, Armen und Kopf eines Weibes, einherfliegend oder
schwebend; unbekannt welches Stoffes oder woher stammend, abg. C a m -
p a n a , op. ant. in plast. LXX, D, in den cataloghi nicht erwähnt,
f. Mosaik des Neapler Museums. Weibliche Gestalt, vom Nabel abwärts als
Vogel gebildet, an den Schultern geflügelt. Die Linke hält eine Frucht-
platte auf dem Haupte, die Rechte einen einhenkligen Krug mit heraus-
tretenden grünen Zweigen, G e r h a r d und P a n o f k a , Neapels A . B . S. 428,
13'', abg. Mus. B o r b . XIY, 14.
I. Goldschmuck in der Krimm gefunden. Weibliche Gestalt mit Vogelbeinen,
deren grosse Klauen besonders auffällig, Vogelschweif und Schulterflügeln.
Abg. A n t i q u i t . du b o s p h o r e Cimm. VII, 14.
m. In Kreta gefundene Silbermünze der Sammlung des Freiherrn von Prokesch-
Osten. Fliegende Gestalt, aus einem weiblichen Oberkörper mit dem Schweif
eines Vogels bestehend, mit vier entfalteten, kurzen, halbmondförmigen
Flügeln. Die Klauen wie zum Fange nach vorn hin ausgestreckt. Abg.
A r c h . Z e i t . 1847, Taf. X, 24.
Vgl. S. 106.
— 109 —

V.
Historischer Rückblick.
Dass die nachweislich älteste Gestalt der Sirenen bei den
Griechen die eines Vogels mit weiblichem Haupte gewesen ist, wie
C r e u z e r 6 1 ) im Widerspruch mit V o s s 6 2 ) behauptete, ist eine bei
dem jetzt vorliegenden Material von Erzeugnissen alter Kunst fest-
stehende Thatsache. Diese älteste Gestalt bieten uns die a r c h a i -
s c h e n V a s e n b i l d e r dar, zum grössten Theil freilich nur um eine
phantastische Figur darzustellen, welche mitunter durch Zusätze
und Ntiancirungen verschiedener Art noch abenteuerlicher gestaltet
worden ist (S. 104), ohne dass die diesen Wesen ursprünglich zu
Grunde liegende Idee in Betracht käme. Dieselben Gestalten geben
sich uns jedoch in einigen, in dem Kreise der Vasenbilder freilich
nur spärlich und erst später vorhandenen Darstellungen des Aben-
teuers des Odysseus deutlich als Sirenen zu erkennen, Darstellungen,
in denen sich uns schon nicht unerhebliche Abweichungen von der
Auffassung dieses Abenteuers, der wir in der Odyssee begegnen,
zu erkennen geben.
Das dieser ältesten Darstellungsart verliehene w e i b l i c h e H a u p t
war nur der Anfang einer langen Entwicklungsreihe, in welcher
die Gestalt der Sirenen der menschlichen schrittweise näher trat.
Die ihnen häufig verliehenen Instrumente machten es nothwendig,
dem Vogelleibe A r m e hinzuzufügen; nicht mit derselben Nothwen-
digkeit, vermuthlich nur, um die dämonische Wirkung dieser Wesen
in ihrem Aeusseren mehr hervortreten zu lassen, wurde mit dem
weiblichen Haupte ein menschlicher H a l s verbunden, diesem die
Schwellung der weiblichen B r u s t , erst noch als Theil des Vogel-
leibes hinzugefügt, dann die Brust über den niedrigen Leib des
Thieres emporgehoben, zunächst noch so, dass in der Stellung
oder im Gange des Ganzen der Charakter des Vogels bewahrt
wurde. Ein weiterer, auf Vasenbildern nur ganz vereinzelt sich
findender6') Schritt war es dann, die Gestalt von der thierischen

") Heidelb. Jahrbb. 1824, S. 544, vgl. T i s c h b e i n ' s Homer n. Ant., Hft. 8,
Taf. 2, S. 11 ff.
62
) Myth. Br. II, 5. Antis. II, S. 336.
S3
j Vgl. S. 98.
— 110 —

Haltung zu befreien, die Beine zu strecken und emporzurichten,


so dass ein weiblicher Körper auf Beinen eines Vogels, jedoch
nach menschlicher Weise einherging.
Im übrigen hatte die griechische Kunst, die ohne Frage auch
ausserhalb des Kreises der Thongcfässe ursprünglich die Sirene
ebenfalls als Vogel mit weiblichem Haupte gebildet hat, eine zwie-
fache ä u s s e r e V e r a n l a s s u n g zur künstlerischen Durchbildung
dieser Gestalt, den C u l t u s " ) und vor allen Dingen die Sitte, die
G r ä b e r m i t S i r e n e n zu s c h m ü c k e n . Der vor Phidias lebende
Statuenbildner P y t h o d o r o s stellte die Sirenen auf der Hand der
koronei'schen Hera als weibliche Gestalten mit den Beinen eines
Vogels dar, und mit Gebilden derselben Art, die daneben auch
noch die Flügel und den Schweif, so wie einzeln 6 ä ) den Leib
eines Vogels aufzuweisen hatten, waren die Gräber des Keraineikos
so wie die Grabstätten anderer griechischer Gegenden in Statuen
und auf Reliefs geschmückt; theils rauften sie sich zur Klage um
den Verstorbenen das Haar und schlugen sich mit Trauer-Gebärden
die Brust, theils erschienen sie mit L y r a oder Flöten als Sänge-
rinnen klagender Weisen, mit denen einzeln auch wohl ein an das
Wesen der homerischen Sängerinnen erinnerndes verlockendes L ä -
cheln (S. 91) in eigentümlichen Contrast trat.

Um die Zeit des vierten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung,


aus welchem einige der uns erhaltenen sepulcralen Monumente
stammen mögen (S. 88), war, wie die uns zum Glück erhaltenen
Verse der Neottis des A n a x i l a s beweisen, die populäre Vorstel-
lung, die man von diesen Gestalten hegte, die von vogelbeinigen
Jungfrauen, die im Gegensatz zu den älteren, dem Vogel ähn-
licheren Bildungen als „gerupfte" Sirenen bezeichnet wurden, und
dieselbe Art der Darstellung, die wir auch noch aus den alexan-
drinischen und römischen Dichtern entnehmen, zeigt sich uns in
bei weitem der Mehrzahl der plastischen Monumente.
Ausser für den Cultus und den Schmuck der Gräber scheint
übrigens die ältere griechische Kunst, wenn wir von den Vasen-
bildern absehen, die Sirenen nur spärlich verwandt zu haben: wir
kennen aus dieser Zeit nur noch ein einziges u(i), sie als b e g e i -
s t e r n d e Wesen auffassendes, Relief, in welcher Bedeutung sie
doch schon bei Alkman erscheinen (S. 36), keine Darstellung der
sich an sie anknüpfenden Mythen. Diese treten erst in späterer
Zeit hervor, auf einer Reihe von Monumenten, als (leren ältestes

Ci 03 cc
) S. 19. ) S. 8G A. ) S. 96.
— 111 —

ein Pompejanisches Gemälde zu betrachten sein dürfte (S. 70 D),


das, vielleicht einem älteren Originale folgend, die dem Odysseus
Verderben drohenden Wesen als Vögel mit weiblichem Haupte
darstellt. Sonst haben wir dasselbe Abenteuer und den Streit mit
den Musen auf einer beträchtlichen Reihe von S a r k o p h a g - R e l i e f s ,
L a m p e n , g e s c h n i t t e n e n S t e i n e n und einem M o s a i k , die uns
im wesentlichen dieselben Gestalten wie die Gräber des Kerameikos
zeigen. Auch hier tritt das Bestreben, sie den thierischen Ele-
menten immer mehr zu entfremden, in der in älterer Zeit sich nicht
findenden B e k l e i d u n g hervor, so wie in der vereinzelten, nur
der Campana'schen T e r r a - C o t t a zu vergleichenden, Auffassung des
Lansdown Reliefs, das sie als lang bekleidete weibliche Gestalten
mit Flligeln an den Schultern darstellt.
Auch der letzte Schritt zur Befreiung von den thierischen F o r -
men geschah, und die Metamorphose der uralten Vögel mit weib-
lichem Haupte zu s c h ö n e n W e i b e r n , die nicht allein durch ihre
Weisen, sondern der Anschauung des späteren Alterthums entspre-
chend 6 7 ), auch durch sinnliche Reize fesseln, war vollendet: auf
etruskischen Sarkophag-Reliefs sehen wir allen Gesetzen der Schön-
heit entsprechende Frauengestalten, die ihren Gesang mit Flöten,
Svrinx und L y r a begleiten, dem Vielgewandten Gefahr drohen.
Neben dieser Verwendung im Dienste des Mythos und dem
s e l b s t ä n d i g e n Auftreten auf M ü n z e n , G e m m e n u. s. w. und
als für sich dastehende Figuren in derselben gewöhnlichen Ver-
bindung eines weiblichen Körpers mit dem eines Vogels kam in
späterer Zeit auch die sepulcrale Anwendung nicht völlig ausser
Gebrauch, und ein römischer wie ein später griechischer Grab-
stein"") zeigen uns noch dieselben Gestalten wie die athenischen
Grabmonumente älterer Zeit, letzterer freilich mit dem Bestreben,
die nicht menschlichen Theile möglichst zurücktreten zu lassen, und
anstatt der klagenden Sängerin ein tänzelnden Schrittes dastehen-
des und verführerische Gewalt andeutendes Wesen zu schaffen.
Dieser in folgerichtiger Entwicklung sich fortbildenden Gestal-
tung der Sirenen gegenüber, deren verschiedene Stufen natürlich
nicht als scharf abgegränzt und nicht im Einzelnen auch n e b e n
e i n a n d e r v o r h a n d e n aufgefasst werden dürfen, steht als etwas
völlig Vereinzeltes die fischleibige Gestalt der C a n t e r b u r y - L a m p e
(S. 7o) da, die sich dem Verdacht der Unächtheit freilich nicht
ganz entziehen kann. Diese Auffassung der Sirenen, die der

«) Vgl. S. Ol. «8) S. 87 Q Ii.


— 112 —

eigentlichen Bedeutung derselben und der Anschauung des A l t e r -


t h u m s zuwider läuft, ist mit den im Laufe der Zeit entstandenen
Vorstellungen von verderblichen Wesen des M e e r e s , die man leicht
in dieses selbst versetzen konnte, in Einklang zu bringen, wie sie
denn im Mittelalter69) und noch nach demselben lange Zeit herr-
schend gewesen ist, und von den Männern, die wieder anfingen,
die Kenntniss des Alterthums auch aus den bildlichen Schöpfungen
desselben zu entnehmen, als eine irrige zurückgewiesen werden
musste 70).

c9
) P i p e r , Myth. d. ehr. K. I, S. 382.
,0
) z . B . S p a n h e m . , de usu et pr. num. I, p. 253. B o c h a r t , hieroz. II,
6, 8. M o n t f a u c o n , l'ant. I, p. 393. L i p p e r t , Dact. II, 173.
Register.

SeiLu Seite

Acheloi'den 24 Grab des Isokrates . . . . 39


Acheloos 23 — Sophokles . . . 39
— Horn des A. . . . 24 Gräber mit S. geschmückt . 38.86
ddiroe 31 Gräen . 101,45
Aethiker 59, 22
Allifae, Münze von . . . . 55 Harpyien 87,24. 100. 107
Alyssos, Quelle 17 Hera chthonisch . . . . . 28
Amalthea, Horn d. A. . . . 24 — in Koronea . . . . . 26 ff.
Anthemoessa, Insel . . . . 30 Himeropa . 44
Anthemus, Fluss 30 Hund, myth. Beziehungen . . 15
Aphrodite und die S. . . . 3 4 . 6 0 Hundeopfer . 16
— Zeiren 34
— Zerinthia . . . . 35 Iyngen . 101,44
Apollon und S 106
Aptera 57 Keledonen . 101
Argonauten und 8 48.60 Kentauren und S. . . . . 59
Aristäos 16 Kynaetha . 17
Artemis in Stymphalos . . . 29
Athene und S 98 Kynortion . 17
— Vorgeb. d. A. . . . 20 xvvoqoj'Tig eoQirj . . . . 16

Butes 48 Leimon . 17
Leptynis . 26
Demetrios Soter, Münze . . 55 Leukai, Inseln . 57
Diotimos, der Sohn des Strom- Leukosia, Insel . . . . . 50
bichos 51, 8 — Sirene . . . . 19. 46. 50
Ligea, Insel . 50
Federn auf d. Haupte der Musen 59.84 — Sirene . . . . . 19. 46. 50
— — — Mören 84
Maera 16
Gabala, Münze v. G. . . 43. 107,ssf. Molpe, Sirene . 46
Glanis, Fluss 49 Musen und Sirenen . . . 23. 3 3 . 3 6
Schmier, llegrifT d. S i r e n e n . 8
— 114 —
Seite Seile

Musen u. Sirenen, Streit ders. 57ff.82 Gestalt, Herleitung ders. 30.


— Federn auf d. Haupte. 59. 84 47. 58
Museion, Ort in Kreta . . . 57 Vögel mit weibl. H a u p t 70. 87 S.
91 a—d. 97 e l '
Neapel und Parthenope . . 51 Desgl. mit Haupt u. Brust
— Münztypus . . . . 53 u.s.w. 86 A - C . 92f. 9 7 a c d
Nike auf unter-ital Münzen . 55 Weibliche Gestalten mit
Theilen eines Vogelkör-
Odysseus und die S. 1.33.40.44.62.70 pers 71. 82. 86 D—R. 97 b. g—
— an den Mast gefesselt 78, 13 1. m. r.
Orpheus und die S. . . . . 48.61 Desgl. bekleidet 76, 10. 94, 33«. 96
Flügelgestalten ohne an-
Paestum, Münze 55, i 7 dere fremdartige Theile 81. 99
Palaeopolis 52 Weibliche Gestalten ohne
Parthenope, Insel 56 irgend fremde Elemente 72
— Sirene oder Stadt- fischleib ig (?) 73
heroine Neapels 19.46. 50 ff. vgl. weiter unten V ö g e l
— Spiele derselben . 50 und w e i b l . G e s t a l t e n .
— Stadt, s. Neapel. auf G r ä b e r n 38.86
Peisinoe, Sirene 46 mit I n s t r u m e n t e n . . 40.62.66
Persephone und die S. . . . 25.47 inKoronea 26
Petronia, gens, Münze . . . 97 h mythisches L o c a l . . . 7.44.48.
Phaleros, Thurm des Ph. . . 49 60. 63
Pythodoros 26. 70 N a m e , Ableitung desselben 11
— im Alterthum. . 6,3.4.65
Robigalien 16 — bei neueren Erklä-
reru 7. 14
Schwüle, Mythen u. Culte ders. 15 ff. N a m e n der einzelnen S. . 19.44.
Zitl.rivoi 32, 68 46.64
oii(ti)vt; 12, 24. 28 37 in N e a p e l 50ff.
-£{/(><>jjj 32, es mit den S p h ä r e n verknüpft 42ff.
Sirenen ? in S t y m p h a l o s . . . . 29
in A e t o l i e n 22ff. Tempel 19
in A p t e r a 57 T o d der S 44. 49. 61
ursprüngl. B e d e u t u n g . . 17 Symbol der T o d t e n k l a g e 38.90
nach den Ansichten in U n t e r - I t a l i e n . . 19ff. 49ff.
des Alterthums 6. 9. 45. 65 v e r f ü h r e r i s c h . . . . 60.61.91
nach neueren Erklä- Z a h l der S 32.44.62
rern . . 6.11.14.18.45,21 Angebliche S i r e n e n
begeisternd 36.96 einer Münze von A l l i f a e . 55, 17
c h t h o n i s c h . . 17.25.37.39.90 — des D e m e t r i o s S o t e r 55,17
Oultus . . . . . . . 19 ff. in C o n s t a n t i n o p e l . . . 70, i
in F e l s e n verwandelt . . 61 in P a e s t u m 55,17
fliegend 106 vgl. auch unt. V ö g e l und
Genealogie . . 23.26 40.46 Weibl. Gestalten.
Gesang 32.37 Sirenianus, mons 20
G e s t a l t . . 30.41. 46. 60.109ff. Sirenussen 19
— 115 —

Seile Seile

Sirius . . 11 (dem Typus der Sirenen ent-


Name 12 sprechend)
— Mythen und Opfer . . 16 auf Vasen arch. Stils . . 103
Skephros 17 — — freieren Stils .
105
Stymphaliden . 29.102 Thongefässe dieser Gestalt
107
Surrentum 21 auf sonstigen Monumenten 107, 58

avaiyi 32, M sog. „bärtige" Sirenen . 104


sog. „bewaffnete" Sirenen 92, 30

Telemachos und die S. . . . 59 Weibliche Gestalten mit Thei-


Terina 50 len eines Vogelkörpers
— Münzen von T . . . . 54 dem Typus der S. entspr. 107.8
Thelxiepeia 46 etruskischen Stils . . . 77,12
Thelxinoe 46 diesem nachgebildet . . 105, 54
Thelxiope 46
Zeus Akräos 16
Valeria, gens, Münze . . . 92, — Ikmäos 16
V ö g e l mit weiblichem Haupte — Seiren 12 16, 33
y erzeichniss
der
Darstellungen der Sirenen in der alten Kunst.

Seile Seile

Y a s e n m i t schw. Fig. Polychrome Vase.


Arch. Anz. 1850, S. 226* . 71 F Gargallo-Grimaldi, su la pit-
2. Jahresber. d. bayr. Akad. tura di un vaso grec. ined. 92 d
S. 62. 63 (Schorn) . . . 91 a. b Müller-Wieseler II, 59, 751. 92 d
Brunn, Gesch. d. gr. Künstler
II, 717,42 71 E Vasen unbekannter Farbe.
d'Hancarville I, 9 9 . . . . 106 Müller-Wieseler II, 59, 755. 97c
Mon. Inst. I, 22, 12 . . . 97 a Raoul Rochette, mou. inéd.
Millingen, stat. busts etc. p.30 91 a. b p. 381, 2 92 e
v. Stackelberg, Gr. d. Hell. Tischbein, Homer nach Ant.,
Taf. 16 92 c Hft. 8, Bl. 2 71 G
de Witte, coli. Beugn. n. 57 71 E — vases d'Ham. 1,26 97 c
— cab. Durand n. 418 71 E — — III, 59 74, s

V a s e n m i t r o t h e n Fig. Schalen mit Reliefs.


Brit. Mus. Vas. Cat. N. 339 106 Arch. Anz. 1846, S. 309* . 70 B
— — — — N. 785 70 A Gerhard, neuerw.Denkm.1646 70 B
Gerhard, Archemor., Taf. III. 97 d Bull. Inst. 1867, S. 129 . . 70 0
— neuerw.Denkm. 1857 92 g Overbeck, her. Gal. S. 793 . 70 B
Inghirami, gal. Om. 111,96 . 70 A de Witte, cab. Dur. 1380. . 70 B
Mon. Inst. I, 8 70 A
M.inervini, mon. ined. poss. S t a t u a r i s c h e B i l d u n g e n . 26.38,
da Raf. Barone, I, 12, 2 . 92 f Bouillon, mus. des ant. III,
Overbeck, her. Gal. 1 , 3 2 , 8 70A bas rel. X V I 86 D
P a n o f k a , cab. Pourt. pl. 23 97b Clarac, mus. de sc. 349,2089 A 86 D
— Prob. ein. arch. Gomm. — — 834 A, 2089 B 86D 1
z. P a u s . Taf. 3, 6 70 A Ann. Inst. II, S. 103 (Hirt). 87, 24
Raoul Rochette, mon. ined. Bull. Inst. 1864, S. 41 (Rhu-
p. 3 8 1 , 2 106 sopulos) 86 B. C
— 117 —

Seilt1' Seile
L e Bas, voy. arch., mou. fig. Inghirami, gal. Om. I I I , 97.
pl. 78 87 I 101 . 72 X . W
Müller-Wieseler II, 59, 7 5 4 . 86D Ann. Inst. I X , 2, 125 (Ger-
Pervanoglu, Gräbst, d. Gr. hard) 86 H '
S. 80, 6 87 I X X X I , tv. Q , 4
Phil. X V I I , Taf. I, 2 (Oonze) 87 I (Brunn) 96
Rev. arch. 1864, 1, pl. X I I Bull. Inst. 1864, S. 42 (Rhu-
(Salinas) 86 A sopulos) 87 L
Ross, Demen v. Athen, n. 180 87 I Lippert, Dact. II, Vign. S. 1 71K
Rhangabe I I , n. 1643 . . . 87 I Maffei, mus. Ver. p. X L V I I , 5 87 Q
Marm. Oxon. I I , 9, 63 . . 87 0
Terra-Gotta Figuren. Miliin, gal. myth. 19, 63 . . 82 B
2. Jahresber. d. bayr. Akad. — rec. ined. II, 1012 . 87 P
(Schorn) 93 Millingen, stat. busts etc. X V 82 A
Panofka, mus. Bart. 146, 5 . 97 e Müller-Wieseler II, 55, 704 87 Q
— — I i , 59, 750 82 A
Reliefs. — — II, 59, 757 72 U
Ancient marbles in the Brit. Overbeck, her. Gal. 1 , 3 2 , 1 4 72 X
Mus. V, 10, 1 87 S Panofka, cab. Pourt. pl. 24 87M
2. Jahresber. d bayr. Akad. Pervauoglu, Gib. d. Gr. 79,1 86 F
S. 65 (Schorn) 72 — 80,2 86 G
Benndorf u. Schöne, Lateran. — 80,3 86 H
Mus. Taf. 18, 1 71L — — 80,4 87 K
— - n. 1 8 9 . . 87 R Phil. X V I I , T a f . 1 , 1 (Conze) 86H
B e g e r , Ul. Sir. praetervect. — — 1,3 (Conze) 87 Q
p. 3. 4 7 1 I . K Codex Pighiauus f. 269 . . 711
— — bell, et excid. RaoulRochette, m. in. L X I , 1 72 W
Troian. n. 69 7 1 I . K — — p. 382 87 P
Denkm.u. Forsch. 1864,8.123, Rev. arch. 1864, 1, p. 369
5 (Michaelis) 72. 73 ZZ (Salinas) 87 P
— — 1866, Taf. 207, de Rossi, bull, crist. 1863, p.35 71 L
2 . 3 (Michaelis) 87 R Rom. sott. I, tv. 30,5 71 L
Dubois, cat. Pourt. p . 3 , 10 72Y Berichte der sächs. Ges. d.
Dumersan, notice des mon. Wiss. 1856, hist. phil. Cl.
exposés dans le cab. des Taf. 3, 6 (O. Jahn) 711
méd. pl. 3 82 B Schöll, arch. Mittli. S. 100,
Fabretti, col. Traian. add. ad 123.24 8 6 H . G
p. 379 D 71K v. Stackelberg, Grb. d. Hell.,
Garrucci, mus. Later. X X X V 87 R Titelk. 86 H
Gori, inscr. etr. I, 7 . . . 72 S — — 1, S . 1 0 86 E
— - I, 3 2 . . . 82A. Tischbein, Horn. u. A. Hft. 2,
— mus. etr. Vignette. . 72 S Bl. 6 72 U
— - I, 147, 1. 2 . 72V. T Visconti, mus.Worsl. tv. III, 1 87 N
— mus. Guarn. Vignette 72 S Winckeluiann, Gesch. d. K .
G raff, Antiq. zu Mannheim, V I I I , 3, 11 71H
II, 8, 8 73 Z — mon. ined. 46 82 C
— 118 —

Seile Seile

Terra-Ootta Reliefs. Denkm. u. Forsch. 1852, Taf.


Campana, op. ant. in plast. 44, 3 (Panofka) 94,33«
tav. 69. 70 72 M Guignaut, rel. 138, 527 . . 94,33«
— — tav. I l l 97 f Catalog der Sammlung von
Riccio, notiz. degli scava- B.Hertz n.837 971
menti del suolo dell antica — — n.839 94,33 y
Capua, tav. 6 72 N Bull. Inst. 1839, S. 106 . . 97 l 1
Miliin, gal. myth. 80, 312 . 94,33«
Lampen. — — 167,638 . 72 Q
Denkm. u. Forsch. 1864, Taf. Müller-Wieseler 11,59,753 94,33/9
181,1 (Michaelis) 73 — — I I , 59, 756 72 Q
Dubois, cat. Pourt. p. 141,587 73 Overbeck, her. Gal. I, 32, 9 72 Q
Inghirami, G. 0 . I l l , 94 . . 72 0 Paciaudi, mon. P e l . I I , 139 72 Q
Bull. Inst. 1862, S. 84 (Brunn) 97 g R e v . arch. 1860, pi. 24, 4
Overbeck, her. Gal. 1,32, 13 72 0 (Cerquand) 94,33«
R.Rochette.mon.inéd.p 392, Tischbein, H . n. Ant. Hft. 8,
Vign. 12 72 0 Bl. 2 72 Q
De Witte, cab. Dur. n. 1799 97g — — S. 13 72 R
Tölken, erkl. V z . I V , 4, 381.
Wandgemälde. 382 . 97 i. 72 Q
2. Jahresber. d. bayr. Akad. Winckelmann, Stosch I I I ,
S. 63 (Schorn) 71 357. 358 . 72 Q. 97 i
Ann. Inst. I , 284, 4. 286, 13
(Laglandière) 71 Münze.
Bull.Inst. 1865, S.127(Helbig) 71 Beger, U1 Sir. praeterv. p. 12 97 h
Jorio, musée roy. Bourbon, Cohen, med. cons. X X X I , 14 97 h
peint. anc. n. 691 98 r Thes. Morell., gens Petr. 1,1 97h
v. Stackelberg, Gr. d. H. 8.13 70, •-> Yaillant, num. fam. Petron. 8 97Ii

Mosaike. S c h m u c k s a c h e n und O r n a m e n t e .
Beschr. Roms I I , 2, 89 . . 72 P Autiquit. du bosph. Cimmer.
— — 11, 2, 244 . . 73, :i 7,15.16 98 pq
Biondi, moD. Amaranz. t a v . l 72 P 2. Jahresber. d. bayr. Akad.
(Schorn) 97 n
Gemmen. v. Stuckelberg, Gr. d. Hell.
Causeus, geinm. aut. 128 . 97 k Taf. 73 98 m
Christie, paint, vas. pi. I I . 94,xifi — 74,7—9 98 o
I n h a l t .

Seile

Ursprung und w e i t e r e Entwickelung des Begriffes der


Sirenen 1
Einleitung 3
I. Ursprünglicher Begriff der Sirenen. Homerische Aus-
schmückung 6
II. Weitere Entwickelung und Veränderung des Begriffes der
Sirenen bis zur alexandrinischen Zeit 36
III. Die Sirenen bei und seit den Alexandrinern 46

D i e S i r e n e n in d e r a l t e n K u n s t 67
I. Darstellungen der Sirenen aus dem Kreise des Mythos . G9
Odysseus bei den Sirenen . . . . 70
Kampf der Sirenen und Musen. Bestrafung der Si-
renen 82
II. Die Sirenen auf Gräbern 86
III. Die Sirenen als begeisternde Wesen 96
IV. Den Sirenen entsprechende Gestalten ausserhalb alles Zu-
sammenhangs und ohne charakterisirende Attribute . . 100
V. Historischer Rückblick 109
Register " 113
Verzeichniss der Darstellungen der Sirenen in der alten Kunst . 116

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