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e 18 Erkenntnistheorie A Anthropologie · Beitrag 12 S II

c) Wie interpretiert man Platons „Höhlengleichnis“? – Eine Deutung

Platons „Höhlengleichnis“ ist dem siebten Buch der Politeia


entnommen, in welcher Platon seine Vorstellungen von
einem gerechten Staat entwickelt. 370 v. Chr. entstanden,
gilt sie bis heute als eines der bedeutendsten Werke der po-
5 litischen Philosophie.

Platons Entwurf eines gerechten Staates setzt voraus, dass


die Philosophen die Klasse der Herrschenden stellen, denn
nur sie streben nach Wahrheit und Erkenntnis. Allein die Er-

© akg-images.
kenntnis der „Idee des Guten“ aber ermöglicht ihnen, den
10 Staat gerecht zu führen. Welche ethischen und intellektuel-
len Anforderungen aber muss ein Philosoph erfüllen, um
das Höchste, die „Idee des Guten“, schauen zu können? Die-
sen Bildungsweg, den Aufstieg zu den Ideen, veranschau-
licht das Höhlengleichnis. Platon (4. Jh. v. Chr.)

15 Wir Menschen, so Platon, gleichen in Höhlen angeketteten Wesen, welche die Schatten künst-
licher Gegenstände, von einer Lichtquelle an die Wand geworfen, für die Wirklichkeit halten.
Indem wir ans Tageslicht geführt werden und die natürlichen Gegenstände erblicken, begreifen
wir, dass wir zuvor nur Schatten gesehen haben.

Die künstlichen Gegenstände und deren Schatten entsprechen im Gleichnis unserer sinnlichen
20 Erfahrung, die Welt außerhalb der Höhle entspricht der Welt des Vernünftig-Einsehbaren. Dabei
stehen im Gleichnis die natürlichen Dinge für die Ideen und die Sonne für die Idee des Guten.
Je höher wir folglich in unserer Erkenntnis steigen, desto wertvoller ist sie und desto sicherer,
weil sie ihre Quelle nicht mehr in der Anschauung hat, sondern in der Vernunft.

Ideen im Sinne Platons sind Urbilder. Sie existieren objektiv, unabhängig von unserem Be-
25 wusstsein. Ideen werden nicht von uns entwickelt, sie werden wiedererinnert. Unsere Seele hat
sie in ihrem früheren, jenseitigen Dasein bereits geschaut und bei ihrem Eintritt in den Körper
wieder vergessen. Erkennen und Lernen ist folglich Wiedererinnerung.

Nach Platon existieren zwei Welten: diejenige der unveränderlichen Ideen und diejenige des
Vergänglichen. Beide sind miteinander verbunden, denn die Ideen sind in der sichtbaren Welt
30 gegenwärtig. Die Gegenstände der sichtbaren Welt sind nach ihrem Muster geformt. Die exis-
tierende Welt bildet demzufolge eine Einheit. Aber nur die Welt der Ideen besteht wirklich. Sie
ist der Welt des Vergänglichen übergeordnet, ethisch wie ontologisch.

Der Weg zur Schau der „Idee des Guten“ entspricht der natürlichen Bestimmung des Menschen.
Dazu muss die alltägliche Erkenntnishaltung jedoch zugunsten der philosophischen verlassen
35 werden. Diese Umwendung der Seele erfolgt über den Stufengang der Erkenntnis und Ge-
wöhnung. Platon versteht Philosophie als Ethik. Nur wer philosophiert, vermag zur „Idee des
Guten“ zu gelangen. Sie ist alleiniger Bezugspunkt für die moralische Bewertung all unserer
Handlungen.

Autorentext.

Aufgaben (M 4c)

1. Lesen Sie den Text.


2. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Seele und Erkenntnis.
3. Erklären Sie die beiden nachfolgenden Thesen „Der Mensch ist zur Erkenntnis fähig, die aus
der Widererinnerung besteht.“ und „Die Erkenntnis bedarf der Vernunft“.

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d) Platons „Höhlengleichnis“ – Recherchetipps

Kurzfilme
https://www.youtube.com/watch?v=S79PMfZaeCk

www.youtube.com / watch?v=S79PMfZaeCk&feature=related,
Dauer: 7 Minuten.

www.youtube.com / watch?v=rkkGYUnIzL0&feature=related,
Dauer: 5 Minuten.

Hier finden Sie eine quellengetreue Aufarbeitunghttps://www.youtube.com/watch?


des „Höhlengleichnisses“.
v=IiGvFAtWuGc
e) Was wissen Sie über Platons „Höhlengleichnis“? – Ein Multiple-Choice-Test

Bitte kreuzen Sie die richtigen Lösungen an. Mehrfachnennungen sind möglich.

I Woraus besteht der Bereich des Sichtbaren?


⃞ aus Schatten künstlicher Gegenstände (Gegenstände des Vermutens)
⃞ aus künstlichen Gegenständen (Gegenstände des Glaubens)
⃞ aus Schatten natürlicher Dinge
⃞ aus natürlichen Dingen

II Woraus besteht der Bereich des Denkbaren?


⃞ aus natürlichen Gegenständen (Gegenständen der Mathematik)
⃞ aus Ideen
⃞ aus Gegenständen, die ohne Hypothesen existieren

III Wer kann die Idee des Guten erkennen?


⃞ prinzipiell jeder, der sich vom Alltag befreit.
⃞ nur Philosophen.
⃞ niemand, der sterblich ist.

IV Wie kann der Mensch Erkenntnis erlangen?


⃞ Indem der Mensch mittels seiner Vernunft Beziehungen zwischen sichtbaren Dingen
herstellt.
⃞ Indem der Mensch Sinnesdinge als Auslöser für die Wiedererinnerung nutzt, d. h. indem
sich der Mensch an die „Urbilder“ zurückerinnert.
⃞ Indem der Mensch mittels seiner Vernunft Ideen erfasst.

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M4 Gruppe 1: Platon

a) Platons „Höhlengleichnis“ – eine Abbildung

Grafik: Doris Köhl.

Aufgaben (M 4a)

1. Beschreiben Sie die Abbildung.


2. Betrachten Sie die Menschen im Bild. Erläutern Sie, in welcher Situation sie sich befinden.
3. Die Sonne taucht in der Beschriftung zweimal auf: einmal als „Idee des Guten“ (Sonnen- und
Liniengleichnis) und einmal als „Feuer“ (Gleichnisebene). Stellen Sie Vermutungen darüber
an, wie dies zu deuten sein könnte.

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