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11 FREUNDE

ANSPRACHE 3

Liebe Leser,
wenn wir aus dem Fenster blicken,
sehen wir tiefschwarze Wolken. Was
für ein furchtbarer Sommer, denken
M A G A Z I N F Ü R F U S S B A L L - K U LT U R Nr. 2 wir uns dann und sind froh, dass wir 6 18
August/ im Warmen sitzen und das Heft zur
Druckreife bringen. Und weil es 20 32
September 2000
draußen schon so unwirtlich ist,
5 DM möchten wir wenigstens das Heft mit
einem Strauß duftender Frühlings-
blumen verglichen sehen. Denn es ist
für jeden was dabei. Natürlich haben
wir die Europameisterschaft im Pro-
gramm, mit Liveschaltungen ins
Titelfoto: Reinaldo Coddou H.
deutsche Lager und Charakterstudi-
Tischfußball goes Popkultur en anderer Völker. Dann widmen wir
uns turnusmäßig dem Schicksal klei-
Vorne kurz hinten lang ner Vereine, dem FC St. Pauli etwa, Inhaltsverzeichnis
der in der letzten Sekunde der abge-
Busfahrten des Grauens laufenen Saison den Klassenerhalt Kurzpass Neues aus Lippstadt
sicherte und für den vierfachen 4 Nachrichten 28 Der Kutscher kennt den We g
Japaner, zu allem bereit Bypass unseres Reporters aufkom- Bielefeld: Fans ignorieren Abstieg Busfahrten des Grauens, Hauptrolle
men wird. Und Fortuna Köln, deren Magdeburg: Lamm gar nicht fromm bekommt Jupp
Schicksal ein langjähriger Tribünen-
gast beweint. Dann wagen wir wieder Titelthema Mode
den Ausflug in die Niederungen des 6 Euro 2000 30 Vorne kurz hinten lang
Lippstädter Alltags, eine Hommage Nächte der Schande und am Schluss Die Old-School-Matte stirbt aus
an den Busfahrer ohne Orientierung Gerechtigkeit
und Landkarte. Videotext
Natürlich gibt es auch jede Menge Magazin 32 Randsportarten im DSF
Neues, beispielsweise einen erweiter- 16 Die Latte des Grauens Diesmal: Japaner, zu allem bereit
ten Musikteil mit Bands, die sich Wie sich St.Pauli vor dem Abstieg rettete
nach Fußballern benannt haben und und Haare schlohweiß wurden Ball im Netz
japanischen Punkrockern, die sich 34 Fankurven im Internet
aus welchen Gründen auch immer 18 Drehen ist Kinderkram Wo gepöbelt wird, fallen Späne
Manchester United verschrieben ha- Tischfußball goes Popkultur
ben. Ebenfalls frisch eingetroffen, Seitenwechsel
sind eure Reaktionen auf unsere 20 A rchitektur für die Massen 36 Reviews
erste Ausgabe. Die waren übrigens Die Werkschau des DFB in Oberhausen Fanzines, Bücher, Leserbriefe
weit überwiegend sehr positiv. Und
das hat uns natürlich sehr gefreut. Vor Ort Gesänge
Weil die Realisierung eines Fanzines 22 En d’r Südstadt jet et Leech us 40 Hat Trickers
halt jede Menge Arbeit und oben- Fortuna Köln verabschiedet sich und Fußballpunk aus Japan; Bands benannt
drein nicht ganz billig ist. Womit wir schöpft neue Hoffnung nach Fußballern; Reviews satt
beim Preis wären. Statt 3 nun 5 Mark,
eine einmalige Preiserhöhung, um 24 Kapelle unterm Mittelkreis Schlusskonferenz
sicherzustellen, dass wir dereinst kos- Die Arena auf Schalke macht sich 50 Diesmal mit Beiträgen aus Mönchen-
tendeckend wirtschaften können. gladbach, Bochum und München
Nun aber viel Spaß beim Lesen Ratgeber

Euro 2000
Eure Redaktion 26 W er ohne Sünde ist… Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
werfe den ersten Stein auf’s Spielfeld. 50 Die letzte Nacht in Vaals –
Aber wie geht das korrekt? Günter Hetzer war dabei

Der Sieg der Gerechtigkeit.


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1986
W
arum geht der Fußballfreund
ins Stadion? Er weiß es nicht, 25 Wimpel schon ab 8.65 DM /Stück
und das ist gut so. Denn wenn
er die Antwort kennen würde, ließe er es Zaunfahnen, Blockfahnen, Schwenkfahnen und Doppelhalter auf Anfrage
vermutlich bleiben. Zu Hause zu bleiben,
das schwört sich der Fan ja oft genug.
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der ins Stadion, wenn der nächste Anpfiff
naht. Jetzt erfährt der so Entrückte viel-
leicht die Wahrheit über seine Obsession.
Denn unlängst machten sich Vertreter der 11 Freunde: Der Fußball lebt von Überra- Glasperlen für den 1. FC Magdeburg
Uni Bielefeld daran, das Mysterium zu schungen. Ihre Studie auch? Rüdiger Lamm auf Freibeutertour durch Ostdeutschland
ergründen. Dazu befragten sie jene nach Schweins: Es gibt kaum geschlechtsspezi-
dem Warum, die es in den meisten Fällen fische Unterschiede. Frauen schätzen Yeah, da kracht das Klischee. Nachdem
selbst nicht wissen. Und zwar auf der Bie- sich fast genauso häufig als Fußball- die geplante Verpflichtung von Rüdiger
lefelder Alm, wo sich weiß Gott noch weni- Fanatiker und -Begeisterte ein wie Män- Lamm in Nürnberg an spontanen Massen-
ger Gründe finden lassen als anderswo. ner. Große Differenzen gibt es offenbar demonstrationen und Menschenketten
zwischen den Fanstrukturen der einzel- gescheitert war, war der Manager auf Job-
11 Freunde: Die Frage nach dem Warum Slang. 11 Freunde: Und das lassen sich die Leute nen Blöcke. Doch insgesamt ist die suche kurz im Osten vorbei gefahren und
ins Fußballstadion ist schwierig. Viel- 11 Freunde: Warum beauftragt die Armi- so einfach zu Forschungszwecken Zusammensetzung auf den Almrängen hatte in Magedeburg ein bisschen mit
leicht ist diese einfacher: Warum macht nia dazu nicht professionelle Mei- entlocken? sehr konstant und unabhängig von der Glasperlen angegeben. Worauf die Ver-
man darüber eine Studie? nungsforscher? Der Akademiker gilt ja Schweins: Es scheint so. Am ersten Befra- Attraktivität des jeweiligen Matches. einsoberen nicht anders konnten, als
Schweins: Die Initiative kam vom Club eher als einer, der lieber zuviel als gungstag hatten wir viel zu wenige Fra- 11 Freunde: Kommen erfolgreichere einen Vertrag über drei Jahre und Millio-
und ziemlich überraschend. Heribert zuwenig herumkrittelt. gebögen, weil die Almbesucher sie den Clubs auf die Alm, spotten die Arminia- nensalär abzuschließen. Doch das ärgerte
Bruchhagen hatte ein Interview mit Schweins: Wir arbeiten nicht weniger Studierenden gleichsam aus der Hand Anhänger gerne „Dortmund-Fans sind Sponsor Kinowelt, der sein Darlehen
Wilfried Ferchhoff gelesen. Mein Kolle- exakt, vielleicht ambitionierter und gerissen haben. Ich habe noch nie eine alle unter zehn!“ Wie alt ist denn der nicht für den Schnauzbart verwendet
ge beschäftigt sich bereits seit Jahren sind einfach sehr günstig. Bei privaten Studie erlebt, bei der die Bereitschaft typische DSC-Fan? sehen wollte. Das Ende vom Lied: Mage-
mit Jugendkultur und hatte sich in der Instituten wie Emnid hätte der DSC ein der Befragten so groß war. Schweins: Überraschend jung. Mehr als deburg muss trotzdem zahlen, weil Lamm
Neuen Westfälischen, einer der lokalen paar hundertausend Mark für eine der- 11 Freunde: Der Fragebogen war ja kein die Hälfte der Besucher haben die 30 bei der Vertragsunterzeichung nicht in
Tageszeitungen hier vor Ort, über Fan- artige Untersuchung hinlegen müssen. Fast-Food. Eine Viertelstunde brauchte noch nicht erreicht. Ein Viertel der Strapsen herumgerannt ist. „Nicht sitten-
kulturen geäußert. Kurz später rief der Wir machen’s für jene rund 50.000 es schon zum Ausfüllen. Treibt es da Befragten waren Schüler, rund 11 Pro- wirdig“ urteilte das Gericht und sprach
Arminia-Manager uns im Büro an, um Mark, die sich der Club auch in seiner eine gewisse Klientel nicht lieber an die zent sogar jünger als 15. Bisher sieht es Lamm das Gehalt in voller Höhe zu.
ein gemeinsames Projekt vorzuschla- aktuellen Situation leisten kann. Bierbuden? so aus, als wäre die Alm eine Erlebnis-
gen. 11 Freunde: Die Engländer haben es vor- Schweins: Es mag Einschränkungen welt für Jugendliche.
11 Freunde: Daraus wurde dann eine so gemacht, jetzt gehen Fußball und For- geben. Doch insgesamt ist die Studie 11 Freunde: Wie geht’s nun weiter? Das Premiere World macht auf Radio
genannte Lehrforschung… schung auch hier zu Lande immer bisher außerordentlich repräsentativ. Projekt ist ja auf drei Semester ausge- Wieviel kostet es, wenn man nur die guten Spiele sehen will?
Schweins: Eine glückliche Fügung zum öfter die Symbiose ein. Was unterschei- Selbst die Auswertung der Bögen nach legt.
beiderseitigen Nutzen. Arminia det das Projekt der Uni Bielefeld von besuchten Blöcken im Stadion deckt Schweins: Jetzt machen wir erst einmal Die Werbekampagnen an den Litfasssäu- Dortmund. Aber inzwischen blickt keiner
bekommt eine detaillierte Kundenzu- anderen? sich fast exakt mit der realen Auftei- daran, der Datenflut Herr zu werden len künden von einer Revolution und mehr durch, was denn nun wieviel kostet.
friedenheitsstudie. Und wir bekommen Schweins: Bei den meisten Forschungs- lung im Stadien. und die Essentials herauszufiltern. Uwe Seeler verkündet in Werbespots, die Alle Spiele oder alle Heimspiele, alle Aus-
ein Seminar, das nicht nur uns Spaß projekten zur Fußballkultur geht es 11 Freunde: Und das Ergebnis? Gleichzeitig kümmern sich die Studie- Fußball-Berichterstattung kehre nun zu wärtsspiele oder nur die guten Spiele?
macht, sondern auch den Studieren- immer nur um die Hardcore-Fans, um Schweins: Für den Club ein Beruhigen- renden in Arbeitsgruppen um Themen den Tugenden früherer Jahre zurück. Und vor allem: Macht das überhaupt
den. Die Veranstaltung ist immer über- Hools oder Kutten. Uns interessiert des. 80 Prozent der Befragten sagten: wie Merchandising oder Infrastruktur Anlass des künstlichen Wirbels ist die soviel Spaß, wie vor dem Radio zu hocken
durchschnittlich gut besucht. Fußball etwas ganz anderes: die Struktur der Ich bleibe der Arminia treu, egal in und führen qualitative Interviews mit neue Fußballoffensive des Abonnenten- und Manni Breuckmann und Günter
ist halt ein attraktives Thema, das selbst Stadionbesucher in ihrer ganzen Brei- welcher Liga sie spielt. Und das obwohl Medien und Management durch. Und senders Premiere, der alle 306 Partien der Koch zuzuhören. Das bezweifeln wir doch
Studierende motiviert. Denen vermit- te. Auch Otto-Normal-Fan spielt bei die Befragung während des Abgesangs dann stehen im Herbst bei Spielen zwei Bundesliga-Saison live übertragen will. stark, schließlich öden uns schon die lang-
teln wir jetzt, wie man eine Erhebung uns eine Rolle. Wir fragen ganz allge- auf eine mehr als enttäuschende Saison weitere Befragung an. Da werden wir Und der Zuschauer kann dabei, wenn er atmigen Konferenzschaltungen an, die
plant, durchführt, auswertet und aufbe- mein: Was treibt die Menschen ins Sta- statt-, und der Abstieg eigentlich bereits dann sehen, ob die Treueschwüre den bereit ist, zu zahlen, zwischen den einze- „ran“ am letzten Spieltag immer fabriziert.
reitet. Und zwar anhand eines sehr rea- dion? Wie eng binden sie sich an ihren feststand. Uns fehlen allerdings die Ver- x-ten Bundesligaabstieg der Arminia lenen Stadien hin- und herschalten und Deshalb werden wir auch in der neuen
len Themas. „Lebensweltnah“ heißt Club? Was erwarten sie vom Stadionbe- gleichszahlen. Vielleicht wären es in tatsächlich überstanden haben. ist so in Ton und Bild dabei, wenn Cottbus Saison die Liedzeile der Shakespeare’s
sowas dann im offiziellen Pädagogen- such? Dortmund 95 Prozent. Rainer Sprehe gegen Stuttgart trifft und Möller gegen Sisters beherzigen: Turn your radio on.
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Die Euro für Frauen


Stoffwechsel auf Skandinavisch

Die Norweger waren die besseren Engländer. Das mag daran lie-
gen, dass die Prohibition am Polarkreis noch ausgeprägter ist als
in der Splendid Isolation. Bereist man Holmenkollen, Fjorde
und Norwegian Wood, ist die Halblitermaß kaum unter zehn
Mark zu erheischen. Da mag man den Heiermann, den man im
britischen Cornershop für die Pint-Dose Carling hinlegt, beina-
he mit achselzuckender Gelassenheit hinnehmen. In Belgien
und den Niederlanden ist der Gerstensaft weiß Gott preisgünsti-
ger. Also brechen sie zu Zehntausenden auf mit ihren Fähren,
die Skandinavier, und legen sich mit aufgerissenem Schlund
Philipp Köster, Rainer Sprehe und
unter die Zapfhähne. Die Folge: Selten sah man derart mann-
Stefan Stricker lassen die EURO starke, durch die Bank sturztrunkene Horden wie an Spieltagen
noch einmal Paroli laufen der Norweger in den Innenstädten von Rotterdam oder Lüttich.
Die meisten in die Landesfarben gehüllt, viele mit Wikinger-
Fotos: Reinaldo Coddou H., helmen, aber alle mit einem Alkoholpegel, der Vertreter weniger
robuster Nationen instant auf’s Parkett gelegt hätte. Nicht nur
Philipp Köster und Stefan Stricker sternhagelvoll allesamt, sondern auch voller Zuversicht. So san-
gen sie dann mit einer Inbrunst, wie man sie sonst nur aus engli-
schen Fußballstadien kennt. Mit einem Pathos, das man hier zu
Lande nur bei „Großer Gott wir loben dich“ an hohen Feiertagen
durch Kirchengewölbe schmettert. Heja Norge, Heja Norge ging
das. Immer und immer wieder. Und wieder von vorn. Fehlte
eigentlich nur der stoische König Harald. Heikel wurde es für die
norwegischen Massen erst als der Ankick nahte: Die Straßen-
bahnfahrt gen De Kuip geriet für viele zur Tortur. Die Blasen
pressierten. Der Harndrang füllte die Augen mit Tränen, die erst
vor glückseliger Erleichterung flossen, als das Ziel endlich
erreicht war. Und so fielen sie dann zu Tausenden aus der Tram,
formierten sich zu langen Schlangen und ließen ihn gemeinsam
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strömen: den kaum verdauten Gerstensaft. Hektoliterweise. Schenkenberg hat ein Bratkartoffelverhältnis mit Pamela Ander- die im Vorfeld gestreuten
Nitrathaltige Sturzbäche ergossen sich von den Böschungen son. Nachrichten, so niederschmetternd, als hätte jemand uns Gerüchte (lebenslänglich Was-
rund um De Kuip. So ähnlich wohl werden Fjorde entstanden Männer mitgeteilt, dass es Jennifer Lopez mit Puff Daddy wirk- ser und Brot) hatten also ihre
sein. rsp lich ernst meint. Nun gut, auch Figo ist liiert. Mit einem Model, Wirkung gezeigt. Außerdem gab es in Brüssel und in Rotterdam ist, verschrobene Eigenarten zu pflegen und zu demonstrieren.
was sonst. „Aber immerhin knutschen sie nicht in der Öffentlich- noch an den Spieltagen die Möglichkeit, restliche Eintrittskarten Und von überall her schallte sie entlang der Grachten, die slowe-
keit“, sagen die Frauen und die müssen es ja wissen. pik zu kaufen, so dass ein regelrechter Kartenmangel, der einen nische Version von „Wer nicht hüpft…“ Ein bisschen war man da
Clooney schwul, Figo nicht Schwarzmarkt erst richtig lukrativ macht, nur bei wenigen Spie- froh, „ni slovenc“ zu sein und nicht vierzig Jahre im kommunis-
len entstehen konnte. str tischen Container festgesessen zu haben. Sonst hätte man sich
Deutsche Kicker können froh sein, wenn Frauen beim Sex nicht Fast wie in Leverkusen wohlmöglich auch so ein doofes Leibchen überstreifen müssen.
ihren Namen rufen. Schließlich heißen sie so, wie sie aussehen: rsp
Wörns, Kmetsch, Ziege, Häßler. Andere Nationen hingegen Was hatten wir uns für Sorgen gemacht, falsche Bärte angeklebt, Ganz Laibach auf Kegeltour
kamen mit 22 Modellathleten und verhinderten Leinwandhel- Ausweise der Universität Zwickau hergestellt, Finnisch gelernt –
den zur EM. Lauter Herren, wie von Leni Riefenstahl gecastet. alles nur, um doch noch irgendwie mit den falschen Namen auf Slowenien war bisher: ein unbekanntes Wesen. Selbst die Haupt- Im Würgegriff der Gewalt
Die Italiener mit ihren glutäugigen Eisverkäufern und Vespafah- den Eintrittskarten an den Ordnern vorbei zu kommen. Aber stadt des Landes kannte man nicht. Prominente Slowenen?
rern, die Engländer mit Skipper Shearer und dem smarten alle Mühe hätten wir uns sparen können. Nicht ein einziges Mal Höchstens ein paar der Wintersportler. Vor allem den Slalomfah- Unvermeidlich mal wieder der Aufmarsch der Hooligans, die
Jungspund Michael Owen, und schließlich, über den Wolken, sind wir bei sechs verschiedenen Spielbesuchen kontrolliert wor- rern gilt ja spätestens seit dem blonden Volkshelden Bojan Krizaj wohl so ziemlich jedem vernünftigen Menschen hier zu Lande
der Superstar dieser Europameisterschaft, Luis Figo, Portugals den. In Arnheim und Amsterdam haben uns beim Ticketcheck das slowenische Herzblut, wenn sie den Hang von Kransjka Gora inzwischen unvorstellbar auf den Sack gehen. Englische, belgi-
Nummer Zehn, der Spielmacher, leader of the pack. Was für ein sogar nur noch Automaten begrüßt, die mit dem Strichcode der hinunterhuschten. Und Primoz Peterka ist wohl so was wie der sche, deutsche Hooligans prügeln sich durch die Vorrunde. Die
Kicker, stöhnen die Männer. Was für ein Mann, jauchzen die Kartenrückseite gefüttert werden wollten. Tja, und der Rest, der legitime Vorgänger von Martin Schmitt als Teenie-Star der Lüfte. Briten treiben es dabei so wild, dass die UEFA-Spitze eilends
Frauen. Hey, allein der Name. Figo. Klingt wie einer, der Gemäl- war halt ein bisschen so wie in Leverkusen, nur freundlich. Jede Doch wer kannte vor den Tagen von Belgien und Holland einen zusammantritt und mit gelockerter Krawatte den Engländern
de signiert oder den Reichstag verhüllt. Und sieht obendrein Tasche wurde fünfmal durchsucht, aber nicht auf Waffen, son- Zlatko Zahovic? Allein wohl die Landsleute. Und die ließen sich mit Ausschluss droht.
noch gut aus. Schwarze Haare, markantes Gesicht, Adleraugen. dern auf Fotoapparate. Alle Objektive mit mehr als 80 mm dann von Spiel zu Spiel zahlreicher gen Benelux karren, um die Die BBC zeigt am gleichen Abend heimlich gefilmte Aufnah-
Einer, der morgens vor dem Training noch Wildpferde zähmt durften nicht mit ins Stadion genommen werden. Außerdem tapferen Auftritte der Ihren zu unterstützen. Dort liefen sie Wer- men von englischen Ausschreitungen in Brüssel. Und es dreht
und danach vor dem Schlafzimmerfenster auf und ab galoppiert. mussten große Fahnen, Schals von Benfica Lissabon und Plastik- bung für: ein freundliches Volk. Nette, einfache Menschen in sich dem Betrachter der Magen um. Eine Menschenmenge vor
Wie gesagt, erstaunliche Wirkung auf Frauen. Eine Freundin kugelschreiber draußen bleiben. Aber das kennen wir ja aus Trainingshosen. Eine wahrhaftige Zlatko-Nation. Was sollte man einem Lokal, ein Mann fährt auf dem Fahrrad vorbei. Er wird
schaut England gegen Portugal, sieht Figo schießen und England Leverkusen. auch von einem Volk erwarten, dessen Unabhängigkeit die herunter getreten, zusammengeschlagen. Einige Minuten später
verlieren, am nächsten Tag fragt sie nach der Nummer 10. Guter Insgesamt hatten sich die Organisatoren der Euro 2000 etwas Sache von einer Woche und herzlich wenig Blutvergießen war, bekommt ein südländisch dreinblickender Passant Schläge auf
Mann, sage ich, und will mit Scorerstatistiken glänzen. Knack- einfallen lassen, um einen Kartenskandal wie der WM 1998 zu während sich die Nachbarn Jahre lang massakrieren? Nur eins den Kopf, einfach nur so und immer wieder, bis endlich nach
arsch, sagt sie. Weibliche Dialektik und nur konsequent: Schließ- vermeiden. Zunächst wurde erst einmal in Belgien ein Gesetz verwunderte: Alle trugen dasselbe T-Shirt. Ausnahmslos hatten endloser Zeit die Polizei einschreitet. Wer das klasse findet, muss
lich ist Figo quasi die letzte Hoffnung auf dem Traummänner- verabschiedet, das dort den Schwarzmarkthandel mit Eintritts- sie eine grafisch leicht aufgelockerte Version jener drei Alpen- zum Arzt. Dann Charleroi, die von der Öffentlichkeit heiß
markt. George Clooney, der Oberpfleger aus Emergency Room, karten unterbinden sollte. Während es in der Niederlanden gipfel übergestreift, die auch die Nationalflagge zieren. Derlei ersehnten Ausschreitungen. Bereits tags zuvor haben sich Kame-
ist womöglich eventuell wahrscheinlich schwul. Tom Cruise immer wieder Leute gab, die noch Tickets zu verkaufen hatten, Uniformismus, derlei Kegeltourismus war ein Kulturschock für rateams in den oberen Etagen der Häuser am Place Charles II
macht in Familie mit Nicole Kidman und Hosenmodell Markus war dies in Belgien fast kaum noch feststellbar – das Gesetz und den Melting Pot Amsterdam, wo ansonsten jeder darauf bedacht eingemietet. Die Deutsche Presseagentur schickt Kriegsfotogra-
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fen nach Charleroi und lässt vorher persönlich-vertraulich in der wie mit dem Euro-Geld. Keiner sieht sie mehr, aber sie sind zwei- machen, die Gästeliste ist auch
Szene herumfragen, wo denn voraussichtlicherweise die Stühle felsohne noch da. Katzensprünge waren es nur von Spielstätte zu im Jahre 2000 immer noch die
fliegen werden Spielstätte. Der Tourist darf wie der Einheimische zwar nur 120 gleiche. Es dominieren die
Die fliegen wie erwartet am Marktplatz, deutsche und engli- fahren, doch das Autobahnnetz ist gottlob ein verdammt dichtes. Schnauzbärte, Pepitahüte und Pilsbäuche, außerdem die Gene- beltasse gereicht bekam. Ein paar Tage später die Engländer,
sche Hools werfen mit Stühlen und Tischen, einige Sekunden Rotterdam-Brügge? Eine Sache von zwei Stunden. Da macht es ration Golf mit Sponsorenkarten und jede Menge Gesindel vom besoffen wie eine Landserkompanie und Neid erregend stimm-
später rollen Wasserwerfer heran und machen den Platz besen- Schwups, und schon ist wieder eine Grenze überquert und der rechten Rand. Natürlich alle breit wie die Schinkenstraße und so gewaltig. Night of the Proms in Charleroi, aus tausend Kehlen
rein. Ein Spektakel von wenigen Minuten, das Fernsehen macht Geldbeutel voller Münzen, die zu nichts mehr taugen. Und dann gerade mal noch in der Lage, dem Identitäts fördernden Gesang die Versicherung, dass Gott die Königin schützt und Britannien
stundenlange Straßenschlachten daraus. Schließlich müssen sich muss man auch noch nach Arnheim und Amsterdam. In Gelre- vom Aufstehen, falls deutscher Pass nachzukommen. Da waren die Welle macht. Dazu Swing Low und ein Lied aus „The Great
die Anfahrtskosten amortisieren. So meldete sich abends, Stun- dome und ArenA. Deren Betreiber haben sich gänzlich aus der die Gegner meist amüsanter. Beispielsweise die Rumänen im Escape“, meine englische Gewährsfrau, wusste allerdings nicht
den nach dem Spiel und nach den Ausschreitungen, im WDR ein Währungsunion ausgeklinkt und geben ihre eigenen Münzen ersten Spiel in Lüttich. Schon am Parkplatz in der Steppe vor der mehr genau, welches. Und als Shearer traf, brachen die Dämme.
Reporter keuchend und schwitzend, als wäre er gerade aus der aus. Mit Gulden ein paar Fritten kaufen? Tut mir leid, Mijnheer, Stadt hatte sich die Trennung der Fangruppen nach Nation, Jeder Spieler nimmt diesen Sieg mit ins Grab, stammelte der
Geiselhaft entflohen. Fast wunderte man sich, dass sich Birgit da hinten steht ein Wechselautomat. Das schockierende dabei: Lieblingsbeatgruppe und sexuellen Vorlieben erledigt. Und der BBC-Reporter aufgelöst. Paul Ince verkündet, das sei der glück-
Schrowange nicht als Politesse verkleidet unter die Fans gemischt Es gab Mindest-Umtauschsummen. Unter 25 Gulden ging gar Mitteleuropäer warf erste scheue Blicke auf fremde Kulturen. lichste Tag seines Lebens und das englische Boulevard-Blatt Mir-
hat. pik nichts. Im Gelredome fühlte man sich denn auch wie bei einem Der Durchschnittsrumäne sieht aus wie Raducanu, trägt Sanda- ror verkündete: „It was ours too, Paul!“ Und im vorderen Zei-
Ost-Berlin-Besuch in den 80ern. Lange Schlangen vor den Auto- len, Sportsocken, ein Trikot in Testbildfarben, in der linken tungsteil veröffentlichte der Mirror eine Auflistung der
maten gaben dem Hightech-Stadion reichlich Ostblock-Charme. Hand eine Flasche Portwein, aus der mit hastigen Zügen getrun- hundert„Things that just don’t matter today, because we’ve bea-
Wes Geld ich nehm’, des Lied ich sing’? Das folgende fünfundneunzigminütige Gekicke zwischen Portu- ken wird und umgeschnallt eine selbstgetöpferte Tontrommel. ten Germany.“ Unter 43 fand sich da: „Fashion. Tracksuits and
giesen und Rumänen war auch nur mit jenen „Trostlos, trostlos“- So ausstaffiert zogen die Rumänen in der Stadiongegend umher, baggy shorts rule that week“ und unter 87 „Charles and Camilla,
Anderer Leute Geld ist ein heikles Thema. Das wusste schon Her- Seufzern zu kommentieren, die der Westgermane früher den ost- wollten dann aber doch noch mal in die Lütticher Innenstadt, will they ever be happy?“ pik
mann Josef Abs, der es als Bankier zu leidlicher Berühmtheit zonalen Straßenbelägen und Architektur-Ensembles zukommen um Devisen zu verschleudern. Nun fuhr aber kein Bus, denn die
brachte: „Über die Währungen anderer Länder pflege ich eben- ließ. Eines ist das Haus Europa sicherlich nicht: ein Multifunkti- Belgier hatten schlau und um drei Ecken kombiniert: Keine Fans
so ungern zu sprechen, wie über die Frauen meiner Freunde.“ ons-Stadion. rsp in der Innenstadt, keine Randale in der Innenstadt. Doch wo ein Hamsterkäfige in oranje
Manchmal aber muss man dieses Tabu brechen. Schließlich gilt Rumäne ist, ist auch öffentlicher Personennahverkehr. Kurzer-
es, die letzte Euro ohne Euro „Paroli laufen“ zu lassen. Die hand stellte sich die trommelnde Horde auf die zweispurige In Holland gibt es Autobahnen, die hören auf einmal auf. Ohne
gemeinschaftliche Währung prangt zwar mittlerweile gerade in Die gleiche Gästeliste Straße und versuchte Busse per Menschenkette zum Halten zu ersichtlichen Grund, einfach so. Da steht plötzlich eine Ampel in
Belgien und Holland auf dem Gros aller Preisetiketten, bleibt bringen. Das sah lustig aus und gelang beinahe auch, dann aber der Landschaft, um mit Tomaten, Tulpen oder Kandidaten für
aber vorerst eine rein virtuelle Einheit. Und so geriet die Europa- Im Jahre 1990 fuhren die Toten Hosen nach Italien, sangen entschloss sich der Fahrer des herannahenden Gelenkbus doch eine neue Spielshow beladenen Containerwagen vorbei zu las-
meisterschaft denn zu einer hoffentlich letzten Groß- Celentanos Azzuro, ließen sich das Auto klauen und schauten zum Kickstart und rauschte schlingernd davon. Und die Rumä- sen. Kurz vor Eindhoven gibt es so ein Nadelöhr, an der sich
demonstration jener steinzeitlich anmutenden Eisernern Vor- anschließend ein paar WM-Spiele mit deutscher Beteiligung. nen rannten fluchend und mit erhobenen Portweinflaschen hin- mühselig Auto für Auto durch den Engpass quetscht. Dafür geht
hänge des Währungswesens. Dabei war die Veranstaltung als Anschließend waren die Düsseldorfer ziemlich bedient, ob des terher. Im Stadion dann Hagi-Mania, wohin man blickte. Plakate, es danach zügig weiter, so zügig, dass die Warnhinweise auf
Euro aller Euros ausgerufen worden. Grenzenlos durch die Volkes, dass sich bei Deutschland-Spielen gewohnheitmäßig her- Fahnen, Sprechchöre, alles für den Mann, der seit 1934 bei inter- Radarkontrollen vorsichtshalber auch in deutscher Sprache
Keimzelle der EU, durch Maastricht, Brüssel und Amsterdam. umtreibt. Die Mischung aus Stammtisch und Gewalt hatten nationalen Tunieren dabei ist und während des Spiels von abgefasst sind. Aber deutsche Kraftwagen halten sich traditionell
Doch mit jenen Grenzen verhält es sich leider genau umgekehrt ihnen ziemlich die Laune verdorben. Und um es kurz zu Petrescu immer die Stützstrümpfe hochgezogen und die Schna- nicht an ausländische Regeln, und so wurde gerast, als ginge es
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darum, eine tausendjährige Autobahn-Tradition würdevoll mit der niederländischen Kultur, Hochachtung und Wertschätzung moderner Trainingslehre kei-
dem Gaspedal zu verteidigen. Die überholten Holländer schüt- auszudrücken. Wenn Rudi Völler das damals in Italien gewusst nen blassen Schimmer hat, soll
telten dann nur den Kopf und rächten sich kurze Zeit später, hätte, könnte er Frank Rijkaard jetzt bedenkenlos als Teamchef nun noch ein Assistent für die
indem sie fix ihren maroden Wohnwagen aus der Garage holten einstellen… str Stielike-Disziplinen „Bälle uffpumbe“ und „Hütche uffstelle“ ein-
und mit stattlichen sechzig Stundenkilometern den Überhol- gekauft werden. Im Gespräch ist Tiefponyträger Skibbe. Na, hal- We will have Benelucky
streifen blockierten. Und dahinter staute sich dann die Karawa- Nächte der Schande leluja, da sagt das Charisma ja endlich wieder Grüß Gott zur
ne der Fußballverrückten, die aus allen Teilen unseres Konti- Nationalelf. Was macht eigentlich Horst Hrubesch jetzt? pik Die Namensgebung des Euro-Maskottchens war scheinbar
nents quer durch die beiden Länder gurkte, um zum nächsten Zuschauer, die gegen Rumänien im Stadion waren, werden nicht bereits erfolgt, als Lothar Matthäus bei den MetroStars unter-
Spielort der eigenen Mannschaft zu kommen. Manche Laue sah geahnt haben, dass sie das einzige deutsche Tor bei der EM sehen schrieb, um das eigentlich hübsche Wörtchen „lucky“ zu diskre-
man immer wieder und staunte über Rituale des Kennenlernens. würden. Doch nach Scholls Winkelschuss kam nichts mehr, Haus in die Pfandleihe ditieren. Geplant war Benelucky angeblich als Kreuzung zwi-
Die einen warfen Stühle durch die Gegend, andere präsentier- gegen England nicht und gegen Portugal auch nicht. So einfach schen einem Teufel und einem Löwen – die Mähne halb in den
ten sturzbetrunken und mit lappiger Unterlippe ihre Vereinslie- wird man mannschaftsinterner Torschützenkönig. Und von der Die bei der EURO praktizierte Form des Kartenverkaufs sowohl belgischen, halb in den holländischen Landesfarben. Das Design
der. Vor allem in Belgien gab dieses bunt gemischte Völkchen gescheiterten Titelverteidigung einmal abgesehen, hätte es unter ihre guten als auch ihre schlechten Seiten. Wie schon in Frank- ging jedoch ziemlich in die Hose und heraus kam einen Ratten-
aus aller Herren Länder in den Kneipen und auf den Straßen Unterhaltungsaspekten nicht besser laufen können. Wir beka- reich saßen viele Leute im Stadion, die sich nicht wirklich für das Mutant mit zu großen Füßen, Wasserkopf und der Frisur von Rod
den Ton an. Denn den Einheimischen war nur sehr wenig daran men die Nacht der Schande in Wort und Bild geliefert, als sich Spiel interessierten, während viele Fans der jeweils spielenden Stewart. Letzteres tröstete etwas über den Fauxpas hinweg: Der
gelegen, ihren fußballerischen Enthusiasmus in Szene zu setzen. die ganze Bande zum feuchtfröhlichen Umtrunk traf, während Mannschaften draußen vorm Stadion bleiben mussten oder auf Schotte hatte ja dem Vernehmen nach nicht nur raubeiniges
Das fing schon bei den Kneipendiskussionen an. Drei Bier, schon in Deutschland an öffentlichen Gebäuden die Fahnen tiefer dem Schwarzmarkt abgezockt wurden. Dass man schon ein Jahr Talent am Ball, sondern auch eine Stadion-kompatible Stimme.
offenbarten sich bedenkliche Wissenslücken bei den einheimi- gehängt wurden. Im Frühstücksfernsehen am nächsten Morgen vor Turnierbeginn Karten bestelle konnte, war ebenfalls nicht Vor allem aber war der Nachfolger des athletischen Striker, der
schen Gesprächspartnern. Die Ersatzspieler kannten sie alle geiferte Rainer Holzschuh vom Kicker über das Verhalten der günstig. Mit viel Pech sah man als Tourist Knallerspiele wie Tür- die Euro 96 repräsentierte, verdammt fett und von beinahe dirk-
nicht und der belgische Vereinsfußball war ein Buch mit sieben Spieler, wahrscheinlich hatten die Spieler ihn am Abend vorher kei gegen Schweden oder Tschechien gegen Dänemark. Mit viel bachigem Wamst. Benelucky sah aus, als hätte das Organisations-
Siegeln. Auch im Land selber war wenig von Fußball-Hysterie zu beim Kniffel abgezockt. Dann waren wir Zeuge, als sich die geis- Glück war ein Spiel der deutschen, englischen oder italienischen Komitee ihn vor jedem Match genötigt, den europäischen
spüren. Vereinzelt hingen belgische Fahnen aus Fenstern und tigen Tieflader Matthäus, Babbel und Ziege via BILD-Zeitung Nationalmannschaft dabei. Die letzten Qualifikationsspiele und Butterberg auf Ex zu verschlingen. Das bereitete den bemit-
hin und wieder wagte sich ein versprengter Söldner im Fußball- gegenseitig charakterliche Schwächen vorwarfen. Dialoge für die die Auslosung im Dezember 1999 hatten somit auch noch einen leidenswerten Studenten, die für wenige Gulden ins flauschige
Trikot über die Straße. Die Niederlande hingegen schwelgte im Ewigkeit. Und schließlich waren wir live dabei, als das Minipli- besonderen Reiz. Andererseits: So bestand die Möglichkeit, in- Kostüm stiegen, vor allem in den Anfangstagen der Veranstal-
kollektiven Oranje-Wahn. Orange ausstaffierte Hamsterkäfige, Ungeheuer Rudi Völler per Zwangsbescheid zum Aushilfskellner teressante Spiele zu sehen, ohne sein Haus in die Pfandleihe zu tung arge Schwierigkeiten. Sie schwankten bedächtig. Wie Nil-
fünfhundert Meter breite Parolen an der Autobahn, eine kom- bis 2001 bestellt wurde. Während neben ihm Christoph Daum tragen Und ebenfalls positiv ist zu vermerken: Diese Eintrittskar- pferde im Todeskampf stolperten sie umher. Es gemahnte durch-
pletten Hochhausfassade in Rotterdam mit dem Konterfei von mit flackerndem Blick vom Aufbruch in ein neues Zeitalter der ten wurden nicht nur für Belgier und Niederländer reserviert, aus an jene Vorstadt-Helden, die sich in vermeintlichen Spaß-
Edgar Davids verkleidet, komplette Straßenzüge mit kleinen Traumkombinationen und Weltmeistertitel jubilierte, schaute sondern Fußballfans aus der ganzen Welt konnten sich in dieser und Erlebnis-Discos in Michelin-Männchen-artige Sumo-Ringer-
Fähnchen und Girlanden geschmückt. Kühe in Nationalmann- Rudi drein, als hätte ihm Mayer-Vorfelder kurz zuvor in die Kron- Verkaufsphase beteiligen. Angesichts des großen Interesses gab Verkleidungen zwingen. Hilfreiche Geister eilten den Beneluckys
schaftstrikots. Besonders bizarr waren aber die kleinen Oranje- juwelen getreten. Doch er musste ran, denn die anderen Kandi- es keine demokratischere Möglichkeit bei der Kartenvergabe. darob zur Hilfe, nahmen sie bei den Pranken und geleiteten die
Plastikeinsätze im Pissoir einer Amsterdamer Kneipe und das daten für den Trainerposten hatten alle formidable Ausreden Allerdings hätte das Kartenkontingent für die Fans der an dem Monstrositäten über den grünen Rasen. Vielleicht hätte man das
ebenfalls überall zu findende Toilettenpapier mit Motiven der der Preisklasse „Fußpilz, noch Vertrag bis 2011, gerade erst auf- jeweiligen Spiel beteiligten Mannschaften ruhig von 16 auf min- mit dem fränkischen Rekord-Internationalen ähnlich halten sol-
holländischen Nationalmannschaft. Vielleicht eine Besonderheit gestanden, bin schon verabredet“ parat. Und weil Völler von destens 30 Prozent erhöht werden sollen. str len… rsp
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Die Hand Gottes Claudius Merkl beweist, dass es im Fußball doch so etwas wie Gerechtigkeit gibt

S
ieg der Liebe“, so grüßt man sich in während das bewundernswerte Kamerun in der Regel nur ein unwissendes Schul- thisch genug für ein Viertelfinale, aber unnötige rote Karte für den Gegner, Führung. Und dann kam das, was jeden
„Barbarella“, dem Jane-Fonda-Klassi- auf mehr als tragische Weise in der Verlän- terzucken anstelle der verdienten Gänseh- eben nicht für mehr. Elfmeter-Geschenk. Gerechtigkeit ist, Fussballfan diese Äußerungen machen
ker. Der Film spielt in allerfernster gerung gegen England ausscheiden muss- aut auslösen. So kam es zum gerechtesten Großtur- wenn der Benachteiligte siegt – und so lässt, mit denen er fast wissentlich seine
Zukunft, Im Jahr 4500 oder gar 12 300, te? Wie sollte man an einen Fussballgott Aber dieses Mal war alles anders. Hatte nier-Halbfinale aller Zeiten: Die wunder- geschah es. Und dann mussten die Portu- Zurechnungsfähigkeit öffentlich zur Dis-
aber er zeigt, dass sogar in den Sechzigern glauben, wenn man miterlebt hatte, wie ich am Anfang – bei dem Pfiff gegen baren Franzosen, die nun auch ohne Schi- giesen einfach eingestehen, dass sie kei- kussion stellt: Er faselt von „orgasmoiden
alle daran glaubten, dass eines Tages „das ein Holzhacker wie Horst Hrubesch ein Nemec in der letzten Minute des ersten ri-Tricks auskommenden Niederländer, nen einzigen Angreifer der Klasse Henry, Gefühlen“ und „schicksalhaften Fügun-
Gute“ siegen würde, dass es eine Gerech- Mittelfeld mit Künstlern wie Platini, Gires- Holland-Spiels – noch die Gewissheit ver- die Rasenschachmeister aus Portugal und Anelka, Wiltord, Trezeguet hatten. Zwar gen“, von „1000 Mark als Witzpreis für ne
tigkeit gäbe, die sich irgendwann durch- se und Tigana per Elfmeter nach Hause spürt, dieses würde auch nur so ein ganz – zwar nicht sonderlich unterhaltsam spie- einen schöneren, langhaarigeren – aber Schwarzmarktkarte“ und „dem Wunsch,
setzen würde. Ich habe auch immer daran schicken konnte? normales Turnier werden, bei dem wahr- lend, aber irgendwie doch beeindruckend diese Nische hatten ja die Italiener jetzt ein Franzose zu sein“, und er erwischt
geglaubt, und komischerweise war es Andererseits: Deutschland wurde 1982 scheinlich als Ergebnis Erich Ribbeck – die definitiv nicht von einem National- besetzt, und dort waren sie unschlagbar. sich dabei, in seinem Gelsenkirchener,
immer der Fussball, der mir das Gegenteil nicht Weltmeister. Argentinien verlor das europaweit als Chefstratege und Fußball- trainer zusammengerufenen, sondern von Also raus. Berliner oder Münchener Wohnzimmer
bewies. Finale 1990 durch einen mehr als komi- philosoph angesehen und ein Bauarbeiter einer Model-Agentur gecasteten und von Blieb das Finale. Mitsamt Frauen vor ganz selbstverständlich „Allez les Bleus“ zu
War es gerecht, dass 1986 Diego Mara- schen Elfmeter, und England wurde dafür wie Stam als Spieler des Turniers ausge- Playgirl eingekleideten und von einem dem Fernsehschirm – allein das war ein krakeelen. Denn als alles verloren schien,
dona den Weltmeistertitel bekam, auch bestraft, gegen Kamerun soviel Glück zeichnet werden würde, so wuchs in mir mindestens schwulen, wenn nicht gar Wunder für sich. Und allein schon, um unsere Frauen die Umberto-Tozzi-Schall-
wenn er gegen England ein eindeutig gehabt zu haben, indem ein halbintellek- mit jedem Spiel dieser EM das Vertrauen zusätzlich buddhistischen Friseur gestyl- die ahnungsmäßige Vorherrschaft über platten schon zurecht gelegt und unsere
regelwidriges Tor erzielt hatte, ein ent- tueller Schnauzträger wie Olaf Thon im in einen wahrhaft existenten, wirklich erst- ten Italiener. Ich bin mir fast sicher, hätte den Fussball in den Händen der Männer jahrelang unangetastete Fußballexpertise
scheidendes dazu? Natürlich war es das, Elfmeterschießen nun einmal mehr Ner- mals rücksichtlos im Sinne „des Guten“ der Fußballgott nicht so sehr an die wie zu belassen, ließ der Fußballgott die Fran- bereits durch bissige Kommentare zu
denn nur wenige Minuten später zauberte venstärke mitbrachte als die grössten briti- handelnden Fußballgott. immer in den ersten zwei Wochen eines zosen über die Italiener triumphieren. einem Häufchen Elend degradiert hatten,
er ein Tor für die Ewigkeit auf den mexi- schen Haudegen zusammen. Die destruktiven Norweger, die herzer- Turnieres zum Mitzuschauen verdammte Jene Franzosen, die das mir sympathische da geschahen die Szenen, die ich als
kanischen Rasen – ihm sei verziehen. Ein bisschen Gerechtigkeit gab es also weichend kämpfenden, aber eben unzu- Damenwelt gedacht, es wäre doch irgend- Europa symbolisieren . Schwarz, weiß, afri- Schuljunge alleine in unserem Garten
Dafür war es im Mundial ’86 eine schrei- schon immer. Und zwar immer genau so reichend mit Können ausgestatteten Bel- wie so gelaufen, dass die Spanier anstelle kanisch, armenisch, orientalisch, zen- wahlweise als Kevin Keegan, Michel Platini
ende Ungerechtigkeit, dass bereits im viel, wie es brauchte, um die Hoffnung gier; die keines Kommentars würdigen der Italiener bis ins Halbfinale durchge- traleuropäisch, südlandisch. Mal stahlhart oder Helmut Schröder dutzendweise in
Viertelfinale Frankreich und Brasilien auf- lebendig zu erhalten, dass sich eines Tages Deutschen; die größenwahnsinnigen Eng- kommen wären. Nichts gegen die Spanier, wie der schwarze Wikinger Desailly, mal allerlei imaginären Pokalfinals und Län-
einandertreffen mussten – und zwar das der Fussballgott zeigen, sich die Gerech- länder; die stocksteifen, phantasielosen aber dann hätten unsere Frauen nicht mit verschmitzt wie der kiffende Barthez, mal derspielen fantasiert hatte: Ein Aus-
beste Fussballspiel aller Zeiten ablieferten, tigkeit durchsetzen würde. In Wirklichkeit Schweden – alle raus. Noch nie war der uns gebannt vor dem Fernseher gesessen, trocken-sachlich wie Blanc oder De- gleichstor in der 93. Minute durch Ein-
damit aber auch besiegelten, dass der waren große Fussballturniere aber schon Ausleseprozess der Vorrunde fairer ausge- sondern hätten uns mit dem lapidaren schamps, mal liebevoll, robust und tänze- wechselstürmer 1, und durch eine
große Zico ein in Europa schon bald ver- immer Ansammlungen von Ungerechtig- fallen als dieses Mal. Einzig die Tsche- Satz „Du hast jetzt drei Wochen andau- risch elegant zugleich wie der große Zine- herrliche Direktabnahme mitten in der
gessener Fussballer ohne grossen Turnier- keiten, Tragödien. Immer wieder bewein- chen, die eigentlich in keinem Spiel ent- ernd diesen Scheiß gehabt, jetzt reicht’s dine Zidane. Verlängerung der Siegtreffer durch Ein-
auftritt sein sollte. te man fast das viel zu frühe oder wahnsin- täuschten, hatten nun einmal das Pech, langsam“ zu einer Shakespeare-Lesung in Und als wenn all das nicht gereicht wechselstürmer 2. Vorbereitet selbstver-
Und was hatte es mit Gerechtigkeit zu nig unglückliche Ausscheiden großer mit Frankreich und den Niederlanden Originalkostümen der Abschlussklasse der hätte, ließ uns der Fussballgott zittern. Die ständlich durch Einwechselstürmer 3. Der
tun, als Deutschland und Österreich 1982 Mannschaften, sah einst strahlende Kar- zwei schlichtweg bessere Mannschaften in Salvador-Allende-Gesamtschule gezerrt – am ehesten unter den vier großen Mann- Beweis, dass der Fußballgott früher auch
die legendäre algerische Fussballergene- rieren gnadenlos abstürzen oder musste der eigenen Gruppe vorzufinden. an einem Halbfinalabend. So aber durf- schaften des Turniers für einen Schum- nur ein ganz normaler Fan war, der ein-
ration um Madjer und Belloumi um einen hilflos mit ansehen, wie Spieler mit dem Und so ging es weiter: die Defensiv- ten wir mit dem vollsten Verständnis der meltitel stehenden Italiener, die auch fach bis in dieses Jahrtausend warten woll-
historischen Erfolg brachten? Wie gerecht Esprit und der Eleganz sibirischer Gefäng- türken weg, die Schummeljugos, allesamt Damenwelt dieses herrliche Turnier ganz noch die vollste Unterstützung unserer te, um über den gelobten Ländern
war es, hilflos zusehen zu müssen, wie eine niswärter als Größen der Fussballwelt gute Fussballer, aber eben auch allesamt auskosten: Die nach den vier Kluivert- Frauen genossen, waren mal wieder lang- Holland und Belgien in den richtigen
argentinische Mauertruppe mit einem gefeiert wurden, während heute Namen irgendwie halbkriminell, alle raus. Die Toren leicht hochnäsigen Niederländer weiliger und unspektakulärer, phantasie- Momenten seine Hand aufzulegen und
inspirationslosen Dieguito 1990 als Titel- wie Emilio „El Butre“ Butragueño oder vom genial-verrückten Hagi abhängigen wurden von Doc Merk automatisch in die und humorloser, aber dafür willensstärker uns zu beweisen, dass es selbst im Fußball
verteidiger ins Finale einziehen konnte, Socrates außerhalb ihrer Herkunftsländer Rumänen: ab dafür. Alle gut und sympa- Rolle der gerechten Verlierer gedrängt: und erfolgreicher: nämlich mit 1:0 in wahre Gerechtigkeit gibt.
16 MAGAZIN

Die Latte des Grauens


Jan Meyer ist St.Pauli-Fan und hatte vorher braune Haare. Jetzt hat
er graue. Und der Verein ist schuld. Weil er es wieder mal ziemlich
spannend gemacht hat.
Foto: Reinaldo Coddou H.

E
ine Woche des Horrors. Wir verlie- einen reichlich übermüdeten Eindruck. Pfosten, Klasnic findet seinen Meister in gerade tobt. Plötzlich steht Ivan Klasnic St. Pauli drückt und drängt, immer wieder und schließlich da steht, wo er sein soll.
ren in Köln und spielen miserabel. Bis spät in die Nacht mit Geodreieck an Gästetorwart Oliver Adler und zwanzig mutterseelenallein im Strafraum, mit Ball segelt der Ball in den Strafraum und eben- Eine Grätsche und drin. Danach Schluss-
Wenn wir gegen Oberhausen so der Stecktabelle hantiert, Chancen und Minuten vor dem Ende wirft sich Ober- und Gesicht zum Tor. Klasnic schießt hart so schnell tritt er die Rückreise an. Jeden pfiff, die Rettung. Es brechen alle Däm-
spielen, steigen wir ab. Ich komme nach Risiken einer frühen Führung debattiert. hausens Ciuca für den bereits düpierten und platziert und selten wurde am gescheiterten Versuch beantwortet die me. Marin wird unter den Gratulanten
Hause und verkünde diese Erkenntnis. Doch alle Hochrechnungen werden Schlussmann zwischen Netz und Ball. Millerntor ein Schuss wohl von so vielen Crowd mit noch lauterer Anfeuerung. begraben, Fans laufen aufs Spielfeld,
Am Küchentisch sitzt eine Freundin und nach Schließung der Wahllokale schnell Nagender Zweifel breitet sich aus und guten Wünschen begleitet. Doch auch das Wie Wellen rauschen jetzt die Kaskaden andere klammern sich überglücklich am
höhnt: „Wir steigen ab? Hast Du mitge- obsolet. Denn Daniel Ciuca trifft schon in ein Blick auf die Uhr macht die Sache gute Zureden hilft nicht, der Ball will des Lärms aufs Spielfeld herab. Denn Zaun fest. Das Stadion singt und feiert.
spielt?“ Ich denke mir meinen Teil, setze der 23. Minute für Oberhausen und läh- nicht leichter. Aber die Mannschaft hat nicht hinein und entscheidet sich für den längst ist klar: Ein Tor reicht, denn Karls- „Heute lassen wir die Sau raus“, krakeelt
mich und rühre im Kaffee. Die nächsten mendes Entsetzen macht sich auf dem Geschmack an der Überlegenheit gefun- Querbalken, die Latte erzittert und wirft ruhe hat zum Ausgleich getroffen. Ein Abwehrmann Stanislawski in jedes Mikro-
Tage verbringe mit der Reaktivierung des Rasen und den Rängen breit. Per Funkde- den und erobert sich Meter für Meter das den Ball zurück ins Spielfeld. Ein Ober- Mann mit Kopfhörern hat die Kunde auf phon und HSV-Torwart Carsten Wehl-
Abitur wissens. Dreisatz, Mengenlehre, pesche trifft alsbald auch die Nachricht Mittelfeld. Stanislawski ackert, Stefan hausener schlägt den Ball ins Seitenaus. der Gegengerade verbreitet und dann mann vergießt Tränen der Rührung.
Stochastik. Das Ergebnis meiner Überle- der Stuttgarter Führung in Karlsruhe am Hanke grätscht und Marin macht das Zurück bleibt nur das blankes Entset- auch der Stadionsprecher. Noch eine halbe Stunde nach Spielschluss
gungen ohne Taschenrechner: Wenn wir Millerntor ein. Spiel seines Lebens. Aber das weiß zu die- zen. Haare werden gerauft und Hände vor Die Nachspielzeit. Die Sekunden verrin- wälzen sich Spieler, Offizielle, Fans über
gewinnen, sind wir durch. Wer wir unent- Der Zug in Richtung dritte Liga scheint sem Zeitpunkt noch niemand. das Gesicht geschlagen. Mancherorts nen. Die Zuschauer schreien und singen, den Rasen und die die wohl ewige Hymne
schieden spielen, wird es verdammt eng. abfahrbereit, doch durch die Spieler und Noch zehn Minuten. Nur noch. Wüten- beginnen bittere Abrechnungen mit dem um ihre Zweifel zu überhören. Noch ein- des Stadteils erklingt aus vielen tausend
Denn Kokurrent Stuttgart wird sich in durch das Publikum geht plötzlich ein des Anrennen, Bälle verspringen, Pässe Fußballgott und dem Schicksal im allge- mal wird der Ball nach vorne geschlagen Kehlen „Auf der Reeperbahn“. Und ich
Karlsruhe keine Blöße geben. Also keine Ruck. Die Mannschaft kämpft und ackert. kommen nicht an, die Spieler sind nervös. meinen. Und der ungeliebte Präsident und abgewehrt. Aus und vorbei oder doch komme erst am nächsten Morgen nach
Aussicht auf viel Schlaf in den nächsten Die Zuschauer machen es ihr nach. Doch Aber die Kulisse ist da. Jedem Zuschauer Heinz Weisener sitzt kreidebleich unter nicht? Noch einmal, es müsste längst Hause und wünsche mir, die Freundin
Tagen. der Fußballgott lacht uns aus, verhöhnt ist klar, bleibt es beim Rückstand, sind wir dem Dach und schüttelt den Kopf. Schluss sein. Gewühl im Strafraum, wir säße am Küchentisch und würde fragen:
Und wie ich machen viele der 20 725 uns und dreht uns eine lange Nase. Denn weg. Im Überlebenskampf werden Kräfte Doch noch ist Zeit, immerhin noch acht können nichts erkennen, außer Marcus „Seid ihr abgestiegen?“ Und ich würde
Zuschauer am ausverkauften Millerntor Marin trifft mit seinem Kopfball nur den frei, das ganze Stadion bebt, die Gegen- Minuten, dann noch sechs, noch vier. Marin, der zunächst nur steht, dann läuft grinsen und den Kopf schütteln.
MAGAZIN 19

Drehen ist Kinderkram


Ein Film machte Tischfußball zum Kult. Experte Roman Neustädter gibt Tips für Einsteiger
in Deutschlands beliebtesten Kneipensport.

E
in absoluter Kunstschuss. Mit der 3. Achte auf niveauvolle Kleidung. Die 7. Werdet nie unsouverän. Seid ihr auf
Hacke den Ball neben dem eige- Kneipen sind ohnehin schon überfüllt mit der Verliererstraße, spielt die Partie ohne
nen Tor in luftige Höhen gezogen abgerissenen Halunken mit Jugendzen- großes Aufsehen zu Ende. Vor allem:
und über die Stangen hinweg eingelocht. trumskickererfahrung. Also, keine Jog- Fangt nicht an zu drehen. Das wilde Wir-
Mit diesem Jahrhunderttor besiegten die ginghosen, keine Stretchjeans, keine beln ist Kinderkram und ihr verspielt
drei Helden des Films „Absolute Gigan- Shirts mit Klosprüchen vergangener Jahr- leichtfertig den mühselig errungenen
ten“ ihre Gegner mit den schönen Namen zehnte. Stattdessen niveauvolle Arbeits- Ruf. Wem die Stange in der Hitze des
„Dulle“ und „Snake“ und hievten den kleidung, schließlich sind wir nicht zu Gefechts dennoch aus der Hand gleitet,
Kneipenkicker in die Sphären der Popkul- unserem Vergnügen hier. sagt rotzfrech: „Einmal ganz herum darf
tur. Eine Einführung vom Fachmann und 4. Der passende Partner. Nichts nervt ich.“ Das ist natürlich Bullshit, aber
zehn Dinge, die du beim Kickern beach- mehr als ein übelgelaunter Kollege, der anyway.
ten solltest, damit Du ein Großer wirst am ständig nörgelt: „Lass mich auch mal nach 8. Auch in guten Teams gilt die Maxi-
Tisch. vorn!“ Olli Kahn spielt schließlich auch me: Gewonnen wird gemeinsam, verloren
1. Some rules zum Warmwerden: Ge- nicht im Sturm. Und falls doch, wie sähe wird getrennt. Sollte ein Spiel daneben
spielt wird bis sechs, mit den fünf Kickern das denn aus? Nicht der Allrounder ist gehen, entzweie Dich ruhig mit dem Part-
in der Mitte werden keine Tore geschos- gefragt, sondern der Spezialist. Der Tor- ner. Gib ihm die Schuld an den zwei
sen und Drehen ist Kinderkram. Wer spie- wart, der die dreibandig gespielten Grana- unnötigen Gegentoren, auch wenn Du im
len will, fordert das Gewinnerteam und ten des alkoholisierten Gästetorwarts sau- Tor standest und sie Dir reingehauen hast.
legt bedeutungsschwer ein Markstück aufs ber abtropfen lässt. Die Abwehr, die sich 9. Und überhaupt stand der Kicker
Holz. Stehen am Ende auf der einen Seite vom Gehampel des Sturms nicht bein- schief, war schlecht beleuchtet und wir
sechs und auf der anderen Seite null Tore drucken lässt. Die Fünfermitte, die der hauen jetzt ab.
zu Buche, schmeißt das unterlegene Team hungrigen Stürmerreihe den Laufpass 10. Zum Schluss: Jedes gute Team
eine Runde. gibt. Die Sturmreihe, kaltblütig auf ihre braucht eine Vision. Eine Kostprobe?
2. Die richtige Kneipe. Wählt sie mit Chance lauernd. Sommer 2003. Unsere Stammkneipe ist
Sorgfalt. Vermeidet Kicker in staubigen 5. Kläre weibliche Begleiter über die brechend voll. Mit Baustellenband ist der
Hinterzimmern und verrufenen Spelun- Regeln auf. Unvergessen der stundenlan- Eingang abgesperrt, nervöse Bodyguards
ken. Das hat schnell was von verbotenem ge Disput zwischen einem befreundeten fingern an ihren Funkgeräten. Plötzlich
Glücksspiel, wenn die Herren von der Pärchen. Sie: „Die spielen doch schon so kommt Bewegung in die Massen, schwarze
Sitte kommen, seid ihr dran. Kicker in lange, die sollen uns mal spielen lassen!“ Wagen mit angeklemmtem Blaulicht fah-
Szenelokalen sind hingegen zu bevorzu- Er: „Du musst fordern.“ Sie: „Wen muss ren vor. In der Kneipe erklingt Musik,
gen, meistens lungern junge Damen in ich fordern?“ Er: „Die Gewinnermann- wahlweise „The final countdown“ oder die
spärlicher Bekleidung um den Tisch und schaft“ Sie: „Wieso das denn?“ Er: „Das ist Titelmelodie von Star Wars. Staatliche
quittieren jeden Distanzschuss mit aner- halt so!“ Sie: „Quatsch!“ Er: „Kann ich Sicherheitsbeamte bahnen eine Gasse
kennendem Zungeschnalzen. Wichtig auch nicht ändern!“ Sie: „Die sollen uns zum Tisch. Ein hektischer Funkspruch:
außerdem: die Theke sollte in der Nähe trotzdem mal spielen lassen.“ „Sie kommen jetzt!“. Dann kommen wir.
sein, allzuweit sollte sich auch eine siegrei- 6. Im Spiel keine falsche Zurückhal- Im Laufschritt und in silbrig glänzenden
che Mannschaft nicht vom Kicker wegbe- tung. Tischfußball ist Kampf bis aufs Mes- Raumanzügen, die Sonnenbrillen lässig
wegen, denn manche Kneipenbesucher ser. Wir sind schließlich nicht beim Da- ins Haar gesteckt. Hinter uns unsere
sind für die ehernen Regeln des öffentli- mentennis. Bezwinge Deinen Gegner, Managerin und derzeitige WG-Mitbewoh-
chen Kickerns nicht zugänglich. So haben demütige ihn, mach ihn zum Gespött der nerin, mit Handtasche und geschminkt
wir schon mal versucht, einer Gruppe Umstehenden. Hau ihm die erste Bude wie Cordula Zabel. Spotlights wandern
Foto: Reinaldo Coddou H.

motorisierter Haudegen, die Grundzüge rein und lach ihn aus, gib ihm die zweite durch die Kneipe und verharren schließ-
des ritualisierten Fordern zu erläutern. und grinse, bestätige das Stichwort von lich am Tisch. Unsere Gegner sind das
Der Bandenkapitän knurrte jedoch „Ver- allen guten Dingen und ziehe langsam Stärkste, was der Laden zu bieten hat, wir
pfeift Euch“. Wir fanden das sei ein über- den dritten Stein zu Dir hin. Der Bessere führen trotzdem schnell vier zu null und
zeugendes Argument und folgten der Auf- möge gewinnen? „Der Paarungsruf des machen die letzten beiden Tore mit dem
forderung. Verlierers“, sagt Homer Simpson. Rücken zum Tisch. War klar.
20 MAGAZIN MAGAZIN 21

Architektur für die Massen links: Der WM-Ball von 1954


unten: Das Jägermeister-Trikot von 1973

Philipp Köster macht in Kunst und berühmte Drehung gegen Holland, der
springende Günter Netzer nach seinem
besucht Austellungen im In- und
Tor im Pokalfinale, die Schlusskonferenz
Ausland am letzten Spieltag, der einsame Wande-
rung Franz Beckenbauers nach dem WM-
Finale 1990 – immer wurden Momentauf-

E
s war ein kehliger Schrei. Er kam nahmen zu Ikonen des kollektiven
per Telefon aus dem argentini- Gedächtnis.
schen Cordoba und machte den Die Macher der Ausstellung „Der Ball
österreichischen Reporter Edi Finger zur ist rund“, die seit dem 12. Mai im Gasome-
Legende. Kurz zuvor hatte sein Lands- ter in Oberhausen zu sehen ist, wussten
mann Hans Krankl mit seinem Tor die wohl um diesen Mechanismus und haben
Niederlage der deutschen Mannschaft deshalb klafterweise Erinnerungsstücke
besiegelt und Finger beschrieb fassungslos zusammengetragen. Den Schuh, mit dem Beeindruckende Mengen, doch das
seinen Geisteszustand: „I werd narrisch!“ Helmut Rahn in Bern die Ungarn erledig- wild und wahllos zusammengeraffte Mate-
Wegen ihrer Leidenschaft wurde diese te. Der gebrochene Pfosten vom Glad- rial regt den Besucher nicht, wie ge-
Reportage berühmt, weil sie zeigte, wel- bacher Bökelberg. Die Torlatte, die den wünscht, zum Erinnern an. Weil die
che Emotionen der Fußballsport zu Engländern den WM-Sieg 1966 schenkte. Geschichte des Fußballs nicht verdichtet
wecken vermag. Sie ist aber auch ein gutes Und Plakate, Schals, Postkarten, Fahnen, und fokussiert wird. Stattdessen stolpert
Beispiel für den Umstand, dass sich die Trikots, Programmhefte, Fotografien, von der Besucher ungelenk durch die Jahr- schlimmer noch, sie scheint sich nicht ein- Die Zuschauer sind dabei überall prä-
Erinnerung der Menschen an große Fuß- Kickern besungene Schallplatten, eine zehnte. Zum Verhängnis wird der Ausstel- mal für solche Fragen zu interessieren. So sent. Während der Besucher die Eingangs-
ballspiele oftmals an einzelne Bilder und krakelige Widmung Pierre Littbarskis für lung zudem, dass sie zwanghaft eine bleiben schließlich nur Momentaufnah- rampe hinauf marschiert, ist er von Zu-
Töne klammert. Die überschnappende den Platzwart in Müngersdorf, die Meis- Erfolgsgeschichte erzählen will. Die des men und der Gang nach draußen. Dort, schauern in Bild und Ton umgeben,
Stimme Herbert Zimmermanns im Finale terschale, den kompletten Nachlass von Fußballs und vor allem die des DFB, der auf dem Parkplatz, spielen an diesem Choräle, Geraune, Torjubel. Nur konse-
in Bern, die glücklichen und tropfnassen Sepp Herberger und die ersten deutschen dem Gekicke hier zu Lande seine organi- Samstag drei Kinder mit einem Pla- quent kann im Hauptraum selber gekickt
Helden um Fritz Walter, Gerd Müllers Fußballregeln aus dem Jahre 1875. sierte Form gab und heute der zu den stikball, zwei Jacken bilden die Torpfo- werden. Doch schließlich ist man nicht
größten Sportverbänden der Welt zählt. sten. Die Technik lässt zu wünschen übrig, zum Spaß hier, schnell ein paar Kinder
„Offizieller Programmpunkt im Jubilä- dennoch sind die Kinder wahrscheinlich gefoult, und dann weiter im Text. Vom
umsjahr 2000“ verkündet der Ausstel- näher an der Faszination des Fußballs als Hauptraum geht es dann in zwölf Räume,
lungsprospekt stolz und demonstriert den die Besucher der Ausstellung im Gasturm die sich verschiedenen Stadionbereichen
Kniefall vor der Hochglanzperspektive des hinter ihnen. widmen. Dem Spielertunnel, den Tribü-
Verbandes durch die Installation von nen, dem VIP-Raum, der Kabine. Eben-
bedruckten Stoffbahnen in der Rotunde falls besonders sehenswert sind 35 Model-
des Gasometers mit den Ergebnissen des Bauwerke für die Massen le von Stadien der Geschichte und der
vermeintlich letzten Spieltags des 20. Jahr- Gegenwart und solche, die nie gebaut
hunderts von der Kreisklasse bis zur Bun- Ein Kontrastprogramm zum Oberhause- wurden.
desliga. „Die größte Wandzeitung der ner Flohmarkt präsentiert die Ausstellung
Welt“, gibt der Prospekt mit diesem „The Stadium. The Architecture of Mass Der Ball ist rund, Gasometer im CentrO, Ober-
schwachsinnigen Rekord an und gibt so Sport“, die noch bis zum 24. September in hausen, bis zum 15. Oktober 2000,
die Schlagzahl vor. Konsequent werden Rotterdam zu sehen ist. Und eben diese www.derballistrund.de
oben: Luigi-Ferraris-Stadion, Genua Brüche und Dissonanzen ausgeblendet, Frage, was denn die Masse immer wieder
rechts: PSINet Stadium, Baltimore, USA die unrühmliche Rolle des Fußballs und in die Stadien treibt, welche Rolle sie bei The Stadium – The Architecture of Mass Sport,
des Verbandes im Dritten Reich wird Sportveranstaltungen spielt, wie sie aber Nederlands Architectuurinstituut, Museum-
ebenso stiefmütterlich behandelt wie die auch in den letzten Jahren immer stärker park 25, 3015 CB Rotterdam, bis zum
stets aktuelle Frage nach der Gewalt im n die Rolle des Konsumenten, den passi- 24. September 2000, Montags geschlossen,
Fußball. Die Oberhausener Ausstellung ven Betrachters gedrängt worden ist, www.nai.nl/program/activities/stadion_e_fr.
gibt jedoch nicht nur keine Antworten, schwebt über der Ausstellung. html
22 VOR ORT VOR ORT 23

Schäng himself erklärte dann meinem Vater den Weg in die Süd- Beispielsweise mit der Begegnung gegen den FSV Frankfurt

En d’r Südstadt Ein heiter-melancholischer


Nachruf auf Fortuna Köln
von Robert W. Grauel
stadt. Recht bald stand ich dann in Köln-Zollstock, auf einer
Staubpiste vor vier Flutlichtmasten, welches sich als Stadion-Park-
platz entpuppte. Ich kaufte mir ein Heft („Kickeriki“, eine Mark)
irgendwann im bitterkalten Winter. Endlich waren wir Fortunen
zu Hause mal in der Überzahl und als der Stadionsprecher ange-
sichts des Dauerregens alle Fans unter das kleine Tribünendach

jet et Leech Foto: Philipp Köster und die Karte und begab mich ins innere des Runds. Mir fiel die
Kinnlade runter.
Zweitliga-Fußball hatte ich schon zuhauf gesehen, allerdings
mit 1860 Sitzen einlud, blieb den vier Fans aus Frankfurt, umzin-
gelt von achtzig Fortunen, nicht anderes übrig als spontan in
eine ewig währende Fanfreundschaft mit uns einzugehen. Das
auf Schalke, 45 000 Leute und alle blau. Hier aber schien sich Spiel endete 6:2 für uns.

us! jeder persönlich zu kennen, und so war auch die Atmosphäre:


herzlich, locker und mitfühlend.
„Bis’de ooch mol widder doh?“
Zugleich stand die Stagnation stets Pate im Südstadion. Immer
wieder weckten große Trainernamen ebenso große Hoffnungen,
doch zum ersehnten Stadtderby und zur Revanche für 1983 mit
„Joh, ming Frau hätt’mich rusjeschmisse, isch soll zum Schäng dem FC kam es erst, als der sich bequemte, in die Niederungen
jonn!“ der zweiten Liga hinabzusteigen. Es folgte eine kurzlebige Auf-
„Näh, näh! Willst de uch ‘en Wuursch?“. Wenig später dann der bruchstimmung, en d’r Südstadt jeht et Leech an, und Gerüchte
Einlauf der Mannschaft, musikalisch untermalt vom James Bond- um ein neues Stadion machten die Runde. Und dann die Derbys.
Trailer; die Spannung war kaum noch zu überbieten! Was erwar- Drei der vier innerstädtischen Duelle gewannen wir, 40 000 Besu-
tete mich? Was hatte der Fortuna-Block zu bieten, um die Jungs cher in Müngersdorf sowie Millionen von Zuschauern am Bild-
auf Trab zu bringen? Nun, die Antwort blieb man mir lange schirm sahen dabei zu. Die Folge: Ungewohnt große Medien-
schuldig, genau genommen fast die gesamte erste Hälfte, grot- präsenz und ein eigenes Radio für das Derby.
tenschlecht und torlos. Nach gut dreißig Minuten brach dann Und wohl zum ersten Mal wurde „Juventus Zollstock“ in der
das Eis. Mitten in die Ruhe hinein brüllte einer hinter mir unter Gazetta dello Sport erwähnt, als Schäng Löring kurzfristig seine
allgemeinem Gelächter: Personalplanung umdisponierte und den glücklosen Trainer
„Ey Schäng, isch will ming Jeld zurück!“ Toni Schumacher während der Halbzeit feuerte und sich statt
Schäng Löring, offenbar ebenfalls wenig vom Spielverlauf seiner selbst auf der Trainerbank platzierte. Genutzt hat es
angetan, drehte sich Richtung Block und rief und unter eben- nichts, roch die Plantagenmentalität doch schon schwer nach
falls großem Gelächter: Panik, ebenso wie die Verpflichtung des graumelierten Hans
„Da jank et dir holle!“ Krankls, der Anfangs noch optimistisch für den „Express“ posier-

D
as letzte Kölsch ist getrunken, die letzte Träne getrock- pracht her in der Serie A oder der Primera Division sicherlich In der Halbzeit wird wie überall für die Bratwurst angestanden. te, hinterher aber auch erkennen musste, was der Kabarettist Jür-
net und der Spielplan der dritten Liga hängt längst am einen Stammplatz gehabt; in der Zweiten Liga reichte es in zwei Das dauert nicht deshalb so lang, weil etwa so viel Betrieb wäre, gen Becker über die Verhältnisse in Köln herausgefunden hatte:
heimischen Kühlschrank: Die kleine Fortuna aus Köln, Jahren hingegen nur zu einem Spielchen, und das obendrein sondern weil das rührige Rentner-Pärchen in der Bude jedem „Köln ist ein Biotop für Bekloppte. So welche wie Löring und
der ewige Zweitligist, ist nach 26 Jahren aus selbiger abgestiegen, garniert mit einer Roten Karte. Jimmy Guy, dessen Name eher an der fünfzehn Leute vor mir irgend etwas mitzuteilen hat: Schumacher laufen hier zu Tausenden rum. Bekloppte, über die
und zwar nicht „so gerade eben“, sondern im Schweinsgalopp! den Hausmeister im Darkroom gemahnt, konnte sich hingegen „Nä, der Jupp! Bis’de ooch mol widder doh?“ der Kölner sagt: Das ist ein Original. Das ist das Problem in Köln:
Es herrschte eine eigenartige Stimmung – dieses Wort muss im seines Stammplatzes gewiss sein – bei den Amateuren der Fortu- Zweite Hälfte, das Spiel wird besser. Trainer Linßen, nun frisch Um die Bekloppten muss man sich keine Sorgen machen. Die
Südstadion mit Bedacht und nicht zu inflationär gebraucht wer- na in der sechsten Liga. gekämmt, hat den Jungs wohl ein paar warme Worte ans Herz Normalen sind das Problem.“
den – als der Schiedsrichter das vorerst letzte Bundesligaspiel Nun fragt sich der grübelnde Leser sicherlich, warum wird gelegt. Dann plötzlich ein Tor. Für Fortuna. Für uns. Plötzlich so Und wie soll es jetzt weiter gehen, mit den Normalen und den
gegen Kickers Offenbach abpfiff. „Das war’s dann ja“, sagte einer man in Gottes Namen Fan von Fortuna Köln? Ein Blick auf den etwas wie Stimmung. Die üblichen Gesänge. „Südstadt-Power“- Bekloppten und der Fortuna? Am ewigen „Fortuna-Feeling“ wird
lakonisch, und irgendwie war es wie immer in der „Zollstock- Stammbaum führt auf die Fährte. Opa FC-Fan, Vater FC-Fan, Rufe. Und natürlich vereinsübergreifend: „Wer nicht hüppt, dat sich nicht viel ändern. Schäng Löring hat nach anfänglichem
Arena“: Die Anfahrt war kurz, der Parkplatz in Stadionnähe und der ältere Bruder, na was wohl? Nur verständlich, dass ich als is kein Kölner!“ Ich hüppe mit, sicher is sicher. Regionale Fein- Schmollen seine Geldbörse wieder geöffnet und die Fortuna
schnell gefunden, keine Schlange am Kartenbüdchen, 1500 leicht manipulierbarer Viertklässler beim legendären Pokal-Fina- heiten haben auf den Rängen nichts zu suchen. Dann wird der spielt doch in der Regionalliga Nord, kurz: der Absturz in die
handverlesene Gäste; das „Who is Who“ des „Nix Besseres zu le in Müngersdorf für Litti und Toni trällerte. Doch hinterher Trainer, der mit der bizarren Frisur aus dem Pokalendspiel ge- dritte Liga wird doch relativ weich abgefedert. Und Manches gibt
tun“. Spielerisches Unvermögen der Heimelf wurde mit marki- war es irgendwie seltsam, die anderen (auch aus Köln, und Spiel- feiert: es, worauf man sich regelrecht freuen kann: Essen, Düsseldorf
gen Sprüchen und rheinischem Galgenhumor auf „Stehplatz- führer Linßen hatte eine selbst für das bizarre Jahr 1983 eigenar- „Wollt ihr Erbsen?“ „Nein!“ und Braunschweig sind alte Kumpels aus der Zweitligazeit, und
Mitte“ quittiert, die spärlich anwesenden Gäste-Fans einfach tige Frisur) waren eigentlich besser, obwohl sie viel weniger Fans „Wollt Ihr Bohnen?“ „Nein!“ das Vergnügen ins Jade-Stadion nach Wilhelmshaven zu fahren
ignoriert. hatten. „Watt wollt ihr dann?“ hat man als Drittligist auch exklusiv. 1500 Zuschauer werden also
Der senile Stadion-Sprecher verkündete „Bitte lasst das Einige Jahre später stand mir dann der Sinn nach Experimen- „Linßen, Linßen, Linßen!“ auf jeden Fall kommen
Abbrennen von Kerzen und was ihr da sonst noch habt!“ und te und ich kramte die Eindrücke vom Pokalendspiel hervor. Da Wenig später, die Lage hat sich wieder beruhigt, da brüllt wie- Ein Schnitt von 1500 Zuschauern ist somit durchaus realis-
mühte sich redlich: „So, liebe Spochtsfreunde, ich teile Ihnen war ja noch ein anderer Profi-Club in Köln, dem ich beim nächs- der eine bekannte Stimme von hinten: tisch. Jener harte Kern, der schon in der Zweiten Liga nichts Bes-
jetzt die Halbzeitergebnisse mit, wenn ich sie richtig von der ten Heimspiel also einen Besuch abstattete. Ich ahnte noch „Ey, Schäng! Ich will nur die Hälfte wieder, die zweite Halbzeit ist seres zu tun hatte als am Sonntag ins Südstadion zu marschieren,
Anzeigentafel lesen kann.“ Und hatte dann seine liebe Mühe mit nicht: Es würde nichts mehr so sein wie früher! in Ochtnung!“ wird wohl auch in der dritten Liga Präsenz zeigen. Denn merke:
den Spielernamen. Schon die Anreise war höchst ungewöhnlich. Mein Vater woll- Seit diesem Spiel bin ich ein Fortune. Alles Unverständnis, Der Rheinländer an sich ist bei einer Umarmung hartnäckig.
Beim ungarischen Torhüter Attila Hajdu mit der herausragen- te sicher gehen, das ich nicht in Köln-Kalk verkloppt werde alle Schmähungen aus dem Bekanntenkreis konnten mich nicht Der wehmütige Fackelzug nach dem Offenbach-Spiel und das
den Matchbilanz von elf Spielen in zwei Jahren erinnerte wirk- („Jung’, pass upp!“) und rief sicherheitshalber auf der Geschäfts- davon abhalten, meine Sonntage im Südstadion zu verbringen. vielstimmige „Fortuna-Unser“ vor dem Vereinslokal „Bacchus“
lich nur die Frisur an den jungen Toni Schumacher, als dieser stelle der Fortuna an, um zu erfahren, wo sich die Arena genau Winterliche Temperaturen, dreistellige Zuschauerzahlen, übels- war ein Indiz dafür. Und in Köln kommentiert man die Wirrun-
sich noch im gelben „Doppel-Dusch“-Trikot in den Morast haute. befindet. Am anderen Ende des Hörers gab man sich konster- tes Getrete und Gerutsche – nicht schreckte mich ab und ich gen des Lebens ohnehin fatalistisch: „Et hätt noch immer jot
Auch Verteidiger wie Leonardo Temporini hätten von der Haar- niert: „Herr Löring, da ruft jemand aus Bonn an!“ Und der wurde reichlich belohnt. jejange!“ Und ganz weltstädtisch: „Fortuna-Olé!“
24 VOR ORT

Coupon kopieren und an


folgende Adresse schicken:
Die Arena auf Schalke macht sich. 11 FREUNDE
Felix Mergen war da und haftet für c/o Philipp Köster
seine Kinder. Heinrich-Sauer-Straße 10
53111 Bonn

Der neue Parkplatz


Her mit der
S
tadien heißen oft merkwürdig. Sie werden nach verbliche- Nord. Erste Rufe des Erstaunens und der Erleuchtung ertönen,
nen Vereinsgrößen benannt, nach allenfalls lokal bedeutsa- wenn sich der Blick auf den Inneraum öffnet, den laut Werbung

Dauerkarte!
men Anhöhen und Volksstämmen. Selten wurde einem „die Teilnehmer zunächst auf sich wirken lassen sollten“. Nach
Stadion jedoch so geschmeichelt wie der 1973 erbauten Gelsen- der Wirkung geht es zur Haupttribüne und hinauf in luftige
kirchener Leichtathletik-Arena mit dem Namen „Parkstadion“. Höhen. Über eines der Treppenhäuser marschiert der Stadion-
Eingebettet in die Einöde zwischen Gelsenkirchen-Buer und und tourist in den Promenadenbereich, da schnauft so mancher der
Gelsenkirchen-Schalke ist die Arena umringt von Parkplätzen übergewichtigen Rundsgangsteilnehmer und beschließt den
und vielspurigen Ausfallstraßen. Das macht Sinn, gilt es doch die Kauf einer Dauerkarte, Sitzplatz.
Anhänger des FC Schalke 04 möglichst schnell nach Spielschluss Von oben sieht man dann die Arena in voller Pracht und
wieder auf die Autobahn zu bringen. zugleich einen überdimensionalen Kreditwall, den man in
Doch richtig glücklich waren Spieler, Fans und Offizielle nie
mit ihrer Spielstätte. Allzu weit entfernt sitzen die Zuschauer auf
merkwürdig flachen Rängen, den letzten Stehrängen in den Fan-
kurven hat man mittlerweile auch den Garaus gemacht. Oben-
Gelsenkirchen jedoch Fanmauer nennt. Schalke wäre nicht
Schalke, hätte der Verein es nicht wieder um drei Ecken
geschafft, auch in den kühlen Multifunktionstempel etwas vom
Steigerlatein der frühen Jahre zu pressen. Denn die Arena wird
Jaaaa, Ich abonniere 11 FREUNDE für ein Jahr zum Preis von 39 DM.
Der Preis eines Einzelheftes beträgt 5 DM + 1,50 DM Versand.
drein sind die Zuschauer stets den Unbillen des Wetters aus- nicht nur mit Konsortiumsgeldern, sondern auch aus den Spar-
gestzt. Wenn es regnet, müssen sich nur die Nutzer der strümpfen der Anhänger bezahlt. Denn wer mag, kann dem Ver-
Haupttribüne keine Gedanken darum machen, wie einerseits ein ein Darlehen in Höhe von 500 Mark gewähren und bekommt An diese Adresse schickt Ihr bitte 11 Freunde: Gewünschte Zahlungsweise (bitte ankreuzen!):
der Regenschirm entfaltet werden kann und trotzdem dem Sitz- dafür im Laufe von zehn Jahren Warengutscheine in der glei-
nachbarn nicht gänzlich die Sicht genommen wird. chen Höhe. Und damit die spendierfreudigen Fans auch eine Name/Vorname: Bargeldlos durch Bankeinzug
Europäischer Spitzenfußball ist in dieser realsozialdemokrati- Vorstellung vom erhabenen Charakter ihrer großzügigen Kredit-
schen Tristesse nur schwer vorstellbar, eher das lähmende Odeur linie bekommen, werden ihre Namen an einer Mauer in der Nä- Kontonummer:
mittelmäßiger Bundesligaspiele gegen den VfL Bochum oder he des Haupteingangs angebracht. „So kann jeder stolz auf sein
Straße, Nr.:
den VfL Wolfsburg. Und das will man nicht mehr, seit man ein- Schild zeigen und allen Freunden, Bekannten und Verwandten
mal in Schalke mit dem silbernen Pott durch die Straßen fuhr. zeigen“ jubiliert Schalkes Vorsitzender Günter Rehberg und ahnt Name der Bank, BLZ:
Und deshalb wird seit November 1998 gleich nebenan gebaut. Es nicht das Verhängnis für die Jugend. Denn wieviele Kinder wer-
entsteht eines der modernsten Stadien Deutschlands, die Arena den turnusmäßig die Prahlereien des Familienvorstandes ertra- PLZ/Ort:
auf Schalke. Ein 358 Millionen Mark teures Projekt und der wohl gen müssen? Zunächst hat der Papa nur gespendet, im nächsten
größte Kraftakt in der Geschichte des FC Schalke 04. Jahr hat er schon den Beton gerührt und irgendwann hat er Bau- Gegen Rechnung. (Bitte keine Vorauszahlung. Rechnung abwarten.)
Schon ein Jahr vor der Fertigstellung ist die Baustelle nach kran gefahren. So, und jetzt muss ich noch wissen, dass sich das Abo um ein weiteres Jahr ver-
dem Ruhrschnellweg der wohl meist frequentierte Ort des Ruhr- Immerhin, Vorwürfe nicht auf die Bedürfnisse der Fans geach- längert, wenn ich nicht spätestens 4 Wochen vor Ablauf „Will nicht mehr“ zu
gebiets und die meistbesuchte Baustelle ohnehin. In der Som- tet zu haben, muss sich der Verein nicht machen. Immerhin ent- 11 FREUNDE sage. Sollte ich im Siegesrausch gehandelt haben, so kann ich
Datum/Unterschrift meine Bestellung innerhalb einer Woche widerrufen.
merpause waren es an den Wochenenden mehrere Hundert- stehen 17 000 echte Stehplätze ohne umklappbaren Stangengurt
schaften, die vorbeikamen und den Tango der Kräne und andere bautechnische Auswüchse des internationalen
begutachteten. Manch ein Familienvater wurde da zum Spezialis- Geschäfts. Mehr Stehplätze gibt es übrigens auch im Parkstadion
Datum/Unterschrift
ten des Massivbaus und erklärte dem Nachwuchs die Zusammen- nicht. Und die Preise sollen ebenfalls weitgehend konstant blei-
setzung des Betons („Viel Wasser ist drin und Kies“). ben, der Preis für den Stehplatz soll von zwölf auf fünfzehn Mark
Und wer es ganz genau wissen will, macht eine der Führungen angehoben werden. Immerhin regnet es aber auch nicht hinein Unter den ersten 50 Einsendern
über die Baustelle mit. Ein Erlebnis für den ganzen Fanclub und und die Stimmung dürfte sich auch wesentlich verbessern. Und verlosen wir 10 Fußballbücher,
die uns der SPORTVERLAG
ein Bild für die Götter, wenn fünfzehn Kutten mit Gummistiefeln spätestens, wenn das erste Mal in der neuen Arena die Trompete
BERLIN zur Verfügung gestellt
und Bauhelm auf dem lockigen Haupt durch den Bauschutt zur Attacke bläst, dürfte das Parkstadion schnell in der Erinne- hat. Kreuzt unten bitte an, wel-
waten. Doch der Reihe nach: An der schnauzbärtigen Gaststätte rung der Schalker Fans verblassen. Und ganz wichtig: genügend ches der Bücher Ihr gerne hät-
„Zum Schalker“ trifft man sich, dann geht es in Richtung Tunnel Parkplätze sind auch da. tet, für den Fall, dass Ihr gelost
werdet (wenn das Buch vergrif-
fen sein sollte, behält sich der
Verlag vor, einen anderen Titel
zu liefern!)
26 RATGEBER RATGEBER 27

Wer ohne Sünde ist…


Rainer Sprehe fragt: „Huch, was fliegt denn da?“

D
er Mensch ist das klügste aller Wesen, weil er Zum abenteuerlichen 70er-Look der Netzer und Co. hätte ten, überfordert nicht nur Grobmoto- unspektakulär, kann aber höllisch
Hände hat. Sagt zumindest Anaxagoras. wohl am besten das Design von Schwipp-Schwapp-Dosen riker. Die Klopapierrolle ist also quasi weh tun, wenn’s auf die Rübe der
Und man mag ihm verzeihen. Schließ- gepasst. das Konfetti für Könner. Kicker geht. Das passiert mitt-
lich war der Schelm ein Herr der Antike, ein Heute wirft keiner mehr Weichblechbüchsen. Das Material ist Apropos Konfetti. Auch diese Wurfdisziplin lerweile oft genug, und dann
griechischer Philosoph sogar, und kannte verpönt als Okö-Schweinerei und nur schwerlich durch die erlebt ja eine lang andauernde Baisse. Dabei tagt das DFB-Sportgericht und
folglich keinen Fußball. In diesem Sport Eingangskontrollen zu schleusen. Und drinnen, im Stadi- hat sie eine lange Tradition. Der Begriff droht mit Spielwiederholun-
nämlich, das wissen wir alle, ist die Hand on, gibt’s dann nur noch Becher aus Pappe oder Plaste. kommt vom Zuckerzeug, mit dem sich die mas- gen, Geldstrafen und Platzsper-
ein Werk des Teufels – auch wenn ein Die sieht man sehr häufig fliegen, was nicht einmal kierten Karnevalisten Italiens schon vor Urzeiten freu- ren.
gewisser genial kickender Gaucho über seine allzu verwunderlich ist. Denn es ist laues Gesöff drin – detrunken beschmissen. Und bis vor Jahren verbrachten So wie jüngst in Freiburg. Da
Griffel einmal das Gegenteil behauptete. Küppers Kölsch zum Beispiel. Igittigitt, schnell weg damit, auch bei uns noch zig Tausende von Kids ihre Samstagvormittage leitete die Verhandlung ein gewis-
Kommt die Hand ins schöne Spiel gibt’s Gezeter mag so mancher denken und saut in aller Regel seine Vor- damit, mit dem Locher Vatis Playboy-Sammlung zu vernichten. ser Dr. Rainer Koch aus Poing. Und
und rote Karten. Ähnliches gilt auf den Rängen: Klatschen derleute zu. Denn halbvolle Becher legen im Flug ein immen- Und jene, die das Glück hatten später im Stadion vor und neben ähnlich muss es geklungen haben am Tage
ist erlaubt, auch Taschenbillard, doch holt einer die Hand etwa ses Eigenleben an den Tag. Ein solches Gefäß ohne Flüssigkeits- diesen Blagen zu stehen, hatten auch die Freude, noch Tage spä- zuvor und im viel gescholtenen Schädel des Olli Kahn, als er ein-
zum Wurf aus, beschwören Presselandschaft und Funktionäre verlust über zehn, fünfzehn Meter zu schleudern, ist in ter eklige, kleine Schnipsel in entlegenen Körperregionen zu schlug, der Golfball. Es muss wohl was dran sein, an diesem
unisono das Ende des Abendlandes. „Ich glaube nicht, dass diese etwa so schwierig, wie einen Freistoß über die entdecken. Und heute? Heute gäbe es einen schier unerschöpfli- Kahn’schen Kopf. Das Ding ist Wiederholungsopfer. Jahre vor-
Leute das Gehirn haben, um sich über die Konsequenzen im Kla- Mauer in den Winkel zu zwirbeln. Die chen Fundus an Konfetti, seit selbst jede Trinkhalle über auto- her, der Herr Kahn steckte noch im Sweater des KSC, traf ihn
ren zu sein“, sagte Stefan Kuntz über jenen, der Icke Häßler Bochumer also, die Thomas Häßler auf matische Aktenvernichter verfügt. Doch alles landet brav im Alt- bereits eine Kastanie. Nun also ein für Fußballplätze bisher
einen Bierbecher an die Softrocker-Matte pfefferte. Oder Volker diese Weise eine hässliche Platzwunde papier, nichts im Genick des Fußballfans. unbekanntes Flugobjekt. Sofort fing Olli Kahn an zu bluten und
Finke unlängst: „Das waren keine Freiburger Fans, sondern zufügten, hatten durchaus eine gewis- Andere Wurfgeschosse aber liegen seit Jahren im Trend: die nach Spielende zu toben. Tage später nahm er mit Erleichterung
Bekloppte.“ Dabei ist das Handling von Geschossen eine hohe, se kriminelle Energie, aber vor allem Lebensmittel. Während es auf weniger gut gelittene Politiker zur Kenntnis, dass der jugendliche Täter gefasst werden konnte.
viel zu wenig gewürdigte Kunst. Wie beim Schmeißen von Ham- über ein verflucht gutes Händchen. meist faule Eier hagelt, und der Iberer mit Vorliebe zur Toma- Das wirklich Bemerkenswerte war eine andere Tatsache: Die
mer, Diskus und Dart versagt der Anfänger meist kläglich. Doch statt einem Olympia-Ticket gibt’s te greift, hat sich hierzulande die Banane als bevorzugtes Flug- Auswertung der Videobilder brachte die Polizei zunächst über-
dafür eine Anzeige. objekt etabliert. Meist von Affengebrüll untermalt, prasselt die haupt nicht weiter. Zu erkennen war nur, dass etliche der Umste-
Am Anfang war die Colabüchse, die Mutter aller Wurfgeschosse. In der Regel nicht strafbar, aber ebenso Südfrucht in Massen. Die Tumben treiben derlei, wenn beispiels- henden mit allerlei Material nach dem Nationalkeeper schmis-
Mönchengladbach-Eicken im Frühjahr 1971: Auf dem Bökelberg schwierig zu meistern ist der Wurf der Klopa- weise Hannover 96 mit den wenig arischen Addo und Asamoah sen. Und das in Freiburg, wo Gastmannschaften der Sage nach
kickt die Borussia gegen Inter, doch Roberto Boninsegna kickt pierrolle – eine Disziplin, die leider fast gänzlich aus den einen Ground bereisten, der ironischerweise Stadion der höchstens zu fürchten haben, dass ihnen in böser Absicht Ador-
nur 29 Minuten. Dann sinkt der Italo-Held zu Boden. 2:1 steht’s Stadien verschwunden ist. Die hohe Zeit der Toilettenplünde- Freundschaft heißt. Und die Spaß-Mafiosi tun’s, wenn Oliver no-Zitaten entgegen geschmettert werden. „Sodom! Gomera!“,
da für die Heimmannschaft und Boninsegna hat keine Lust rung waren die 70er. Wer erinnert sich nicht mit Ergriffenheit an Kann an ihre Heimspielstätte kommt. Der kuckt dann immer, als antwortete die Nation erschüttert. Anstatt zu rufen: Da habt
mehr. Eine Colabüchse habe ihn niedergestreckt. Zwei Fehler die Bilder vom 78er WM-Finale? Tausende, ach was schreibe ich, ob zuviel Amphetamine auch im Fußball ihr’s, ihr Millionarios. Hier fliegt, was euch gehört.
trübten den Erfolg der exakt vollführten Tat. Erstens: Gladbach Millionen von Klopapierrollen wehten abgerollt vom Oberrang etwas bringen würden. Anders Mario Und ihr auf den Rängen, seid
schenkt noch fünf mal ein und hat nüscht davon. Das Spiel wird des Stadions in Buenos Aires. Damit wären wir auch schon beim Basler, der Süffisante: Der beißt klug, benutzt eure Hände!
wiederholt. Zweitens: Es waren keine TV-Kameras Geheimnis der Disziplin: Abrollen heißt die Devise. Das klingt genüsslich ab, wenn neben ihm Werft mehr Symbole der
dabei. Deshalb sind die Details bis heute unge- einfach, ist es aber scheinbar nicht. Unlängst war ein Redakteur eine Brezel einschlägt. Dekadenz und des Luxus!
klärt. War’s die hohe Schauspielkunst des der 11 Freunde im Dortmunder Westfalenstadion zu beobach- Andere Zuschauer, vermut- Werft Mercedes-Sterne,
Spaghetti-Westerns, die den Inter-Star zu ten, wie er kläglich scheiterte. Die Rolle flog im hohen Bogen, lich die mentalen Nachfolger der Elfenbein und Kaviar-
Boden zog? War sie voll oder leer, die nur um dumpf auf dem heiligen Rasen einzuschlagen. Die Mofa-Rocker greifen lieber zu härte- Konfetti.
Büchse? War’s Coke, Pepsi oder Sinal- Anforderung, mit der einen Hand zu werfen und gleichzeitig mit ren Kalibern: zum Feuerzeug oder zur
co? Vielleicht gar Afri- oder River-Cola? der anderen das letzte Blatt des vierlagigen Flausches festzuhal- M ü n z e. Deren Wurf ist zwar relativ
28 NEUES AUS LIPPSTADT NEUES AUS LIPPSTADT 29

Der Kutscher kennt den Weg!


Oliver Sichau über die heimatkundlichen Kenntnisse von Jupp, dem Busfahrer

M
illionen Erziehungsberechtigte tenfans mehrere Begeisterte gefunden seither manch köstliche Anekdote am wie sich am 28. Mai 2000 herausstellen Und los ging es – leider aber in die völ- keinen Gürtel leisten kann und nach dem
schulpflichtiger Kinder können hatten, die auf den Transportservice prasselnden Kamin, gerade im Kreise der sollte. lig falsche Richtung. Lengerich, ein Blick Konsum mehrerer Flaschen Bier gerne
nicht irren und greifen gerne gerne zurückgreifen wollten, stand der eher jüngeren Fans, die inzwischen dan- Der SV 08 hatte an diesem Tag sein letz- in den Diercke-Atlas verrät es, liegt irgend- mal seine Hose im Schritt hängen hat und
auf die Dienste von Busunternehmen Anmietung eines ersten Busses nichts kend darauf verzichten, die Sonntage in tes Saisonspiel bei Preußen Lengerich zu wo im Brachland zwischen Münster und die Umwelt einen Blick auf seine 3-Stück-
zurück. Die fahren den Nachwuchs mor- mehr im Wege. Ziel war das beschauliche einem qualmenden Oldtimer zu verbrin- bestreiten. Da zeitgleich mit der Austra- Osnabrück. Jupp fuhr stattdessen zielge- für-5 DM-Unterhose werfen lässt, Prinz
gens zur Schule und bringen sie mittags Städtchen Oestrich-Iserlohn, offensicht- gen, für den selbst Fahrer maroder rumä- gung allerdings auch das SV-Familienfest richtet zunächst einmal nach Paderborn, Schals, der an jedem Handgelenk minde-
wieder sicher in die Vororte, ohne an die lich war dem Busunternehmer bei der nischer oder bulgarischer Sattelschlepper am Lippstädter Waldschlösschen stattfand hielt dort auf einem größeren Parkplatz in stens vier Schals hängen hat und mit tödli-
kleinen wissensdurstigen Gesellen oder Buchung der Fahrt aber wohl nicht mitge- nur ein mitleidiges Lächeln übrig haben, und ein Großteil der Stammspieler für ein der Nähe des Hallenbades und musste cher Sicherheit spätestens auf der Rück-
deren Erzeuger übertriebene Geldforde- teilt worden, dass an besagtem Sonntag wenn sie Jupps Vorkriegsmöhre am Berg Einlagespiel gegen die Damenmannschaft dann kleinlaut eingestehen, dass er von fahrt von einem Auswärtsspiel nicht mehr
rungen für die Beförderung zu stellen nicht etwa die Spieler, sondern lediglich lässig abhängen. gebraucht wurde, machten sich zum völlig der geographischen Lage des eigentlichen in der Lage ist auszutreten, ohne sich
oder Schadensersatz für aufgeschlitzte die Fans zu transportieren waren. Also Ohne hier allerdings näher darauf ein- bedeutungslosen Kick jedoch nur ein paar Zielortes nicht die leiseste Ahnung habe. dabei über die störenden Fanutensilien zu
Sitzbänke und kryptische Zeichen auf den kam als fahrbarer Untersatz ein Fünf-Ster- gehen zu wollen, dass Jupp gerne mal die Reservisten und Akteure aus dem Kreisli- Kann ja mal passieren, erstaunlich aller- schiffen, und all die anderen Komparsen
Polstern zu fordern. ne-Luxusreisebus angerollt, gesteuert von Maße seines Busses per Näherungswert ga-Team auf den Weg. Die Niederlage war dings, dass alle Mitreisenden in den ver- aus dem großen Theaterstück namens
Deshalb haben sich Fans des SV Lipp- einem Fahrer im weißen Hemd mit Kra- bestimmt und sich in Fußgängertunneln mithin vorprogrammiert, nichtsdestotrotz gangenen Jahren mehrmals in Lengerich Leben.
stadt 08 vor einigen Jahren ein Beispiel watte. Um es kurz zu machen, am Ende („Müsste klappen!“) seiner Außenspiegel hatte das wackere Häuflein Kuttenfans gewesen sind, auf der ganzen Fahrt aber Mittlerweile war der Uhrzeiger auf
am kostengünstigen Transport der jünge- der Fahrt war die Fahrgastzelle nicht wie- entledigt, er an einem anderen Tag vor Jupp und seinen schon legendären Bus niemand auf die Idee gekommen ist nach- 14.30 Uhr vorgerückt, an ein pünktliches
ren Generation genommen und sich der zu erkennen. Fahrtantritt vergisst zu tanken und an- geordert, um die treue Truppe ins nördli- zufragen, wo bitteschön der leicht verwirr- Eintreffen am Spielort absolut nicht mehr
gedacht, dass sich die Anreise zu Auswärts- Ziel des zweiten Ausfluges war dann das schließend mit dem Taschenmesser im che Münsterland kutschieren zu lassen. te Chauffeur seinen fahrbaren Untersatz zu denken. Also ging es zurück zum Fami-
spielen wesentlich stressfreier gestalten an der holländischen Grenze gelegene Motorraum herumstochert, um defekte Für zwanzig Personen, darunter drei Frau- gerade hinbewegt! Und dann standen sie lienfest am Waldschlösschen, wo sich die
dürfte, wenn zu den jeweiligen Spielen Stadtlohn, befördert werden sollten die Teile zu entfernen, die für das ständige en, zwei Kinder und ein Säugling, wurden also auf dem Parkplatz: Petter, der Jupp im Einlagespiel gegen die Damenmann-
Sonderbusse eingesetzt werden, um den Lippstädter Fans mittels eines ausgeson- Halten auf freier Strecke verantwortlich stolze zehn Kisten Bier eingeladen, bei gerne aufs Maul gehauen hätte („Dem schaft eingesetzten Akteure aus dem
nichtmotorisierten, jugendlichen und derten Fahrzeugs aus dem Bestand des sein könnten, mangelt es ihm doch gera- der Abfahrt jedoch der Kinderwagen des renoviere ich sein Esszimmer!“), damit Oberligakader schon auf einen gemütli-
trinkenden Teil der reisefreudigen An- hiesigen Schrottplatzes, das seine ersten de an elementaren Kenntnissen auf dem Säuglings und der Kollege Lulli vergessen, allerdings noch bis zum Ende seiner chen Kick ohne akustische Unterstützung
hängerschar sicher und billig nach Tachoumdrehungen zu einer Zeit ge- Gebiet der Heimatkunde. Mitunter cruist der derweil wie gebannt auf dem Famili- Bewährungszeit warten muss, Jack the in der Old School-Variante „Ecke, Tor!“
Bochum-Hordel, Bottrop-Kirchhellen und macht haben muss, als Männer noch Hüte Kollege Jupp dann stundenlang durch das enfest vor der Bühne stand und lüsterne Feinripper, der sich ihrer treuesten Anhänger gefreut hatten.
in all die strukturschwachen Landstriche trugen und Mineralwasser „Brause ohne Ruhrgebiet, im Gepäck die vage Hoff- Blicke auf die Darbietungen einer Jazz- So kann man sich irren…
zu transportieren, in denen Oberligafuß- Geschmack“ hieß. Gesteuert wurde der nung, zufällig an einem Hinweisschild in tanzgruppe in extrem knapp
ball zelebriert wird. Treibende Kraft und Seelenverkäufer von einem unschön nach Richtung Recklinghausen vorbeizufahren. geschnittener Sportbeklei-
Initiator dieser sonntäglichen Ausflüge Schweiß riechenden menschlichen Wrack Bei Busfahrern keine Seltenheit, fatal dung warf.
war Horst, ein Frührentner aus Leiden- namens Jupp. Und über Jupp und seinen allerdings, dass es dem überwiegenden
schaft. Als sich nun aus dem Kreis der Kut- gelb-blauen Omnibus erzählt man sich Teil der Mitreisenden nicht anders geht,

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30 MODE MODE 31

U
m in die Popkultur einzugehen, Anfang der achtziger Jahre zum Shooting gegen Köln auf den Platz rannte, als Gün-
muss sich eine Frisur schon Star der Nationalelf, schoss bei seinem ter Netzer identifizieren. Nun hat Netzer
mächtig anstrengen. Der Pilz- Debüt zwei Tore gegen Österreich und in der Gestaltung seiner Haarpracht bis
kopf der Beatles, die Matte der Schwerme- stand anschließend vor allem bei den jun- heute eine gewisse Konstanz bewiesen.
taller, die blondierte Rübe von Kurt gen Damen hier zu Lande hoch im Kurs. Das kann außer ihm nur noch der Bun-
Cobain. Seine Frisur, blondierte Bürste und hinten des-Teamchef von sich behaupten, auch
Und eine Frisur aus Deutschland. Denn Heringsschwänze, tat der Popularität da- so ein Rudiment vergangener Tage. Völ-
als David Baddiel und Frank Skinner zur bei keinen Abbruch, immer häufiger sah ler, der ob seines zunächst gelben, dann
Weltmeisterschaft 1998 ihre Hymne auf man in den jungen Illustrierten Kleinan- weißen Schopfes Tante Käthe gerufen
den heimkehrenden Fußball mit neuem zeigen in denen „jeder Schnipsel von Pier- wird, hat sich längst in die Einsicht
Text versahen, traten sie im dazugehöri- re Littbarski“ gesucht wurde und biswei- geflüchtet: „Was meine Frisur angeht, bin
gen Video gegen eine deutsche Auswahl len wurden dafür sogar Poster von Shakin’ ich Realist“ und lässt alles so wie es ist. Gut
an. Die deutsche Equipe hörte dabei kom- Stevens geboten, eine nicht zu unterschät- so, denn immerhin hat uns Völlers wallen-
plett auf den Namen „Kuntz“, was im Eng- zende Trendwende. de Mähne den Höhepunkt der Weltmei-
lischen irgendetwas Unappetitliches be- Die anderen Kicker blickten neidisch sterschaft 1990 beschert, als Frank Rij-
deutet, und trug Frisuren, die nur mit viel auf den Trubel und zogen eine nahe lie- kaard dem braven Stürmer in die Mähne
Wohlwollen noch als solche bezeichnet gende Konsequenz. Fix zum Friseur des rotzte. Wie Drei-Wetter-Taft fräste sich die
werden konnten. Vorne kurz und hinten Vertrauens und „einmal wie Pierre Littbar- geschleuderte Zwischenmahlzeit ins
lang lag das Haar auf dem Teutonenschä- ski“ bestellt. Ob Eike Immel, Olaf Thon Haupthaar und Rudi griff anschließend

Vorne lang, del in einer obendrein ungünstigen


Mischung aus krauser Locke und strähni-
gem Resthaar.
oder Bernd Förster, ob Wolfgang Rolff,
Andi Brehme oder Uli Sude, sie alle liefen
plötzlich als Litti-Epigonen durch die
auch noch mitten hinein. Das machte
Appetit. Man stelle sich aber diese Epoche
machende Szene mit dem kahlgeschore-
Erstaunlicherweise war diese Frisur in Weltgeschichte. Natürlich gab es Variatio- nen Ziege als Komparsen vor. Oder gar

hinten kurz den achtziger Jahren in Deutschland weit


verbreitet und keiner hat drüber gelacht.
Was nicht weiter verwunderlich ist, denn
nen, Minipli, Naturkrause, Polizisten-
schnauz und ein, zwei, viele Goldkettchen
vom Hofjuwelier des Fußballbundes, Egon
mit der viereckigen Netto-Birne von Car-
sten Jancker.
Heute ist der Vokuhila-Style weitab je-
Umgekehrt stirbt aus, sonst hätte man mit dem Lachen gar nicht Hascher. Doch das Grundgerüst des der gesellschaftlichen Akzeptanz. Beaus
hat Felix Mergen festgestellt. mehr aufhören dürfen. Denn das Jahr- gefönten Igelschnitts mit gletscherartigen wie Mehmet Scholl und Charismatiker wie
zehnt zwischen Nachrüstungsbeschluss Ausläufern im Nackenbereich blieb für Luis Figo dominieren die nächtlichen
und Mauerfall war ohnehin eine Dekade Jahre state of the art für die Kickergilde. Träume junger Damen, während sich vier-
der modischen und musikalischen Kapi- Die Hartnäckigkeit in der Frisurenmo- schrötige Kämpen wie Jens Jeremies zwar
talverbrechen. Man hörte KajaGooGoo de hatte dabei langjährige Tradition. Ein vom Publikumsgeschmack getrieben die
und Jermaine Jackson, trug Benetton und Blick zurück in die sechziger Jahre zeigt Matte abrasieren, sich aber in ästhetischer
Sportsocken und befahl dem Friseur: uns perfekt gescheitelte und gebürstete Hinsicht dennoch nicht entscheidend ver-
„Vorne kürzen, aber hinten so lassen.“ Kurzhaarfrisuren, der Nacken ausrasiert bessern. Und als wohl deutlichstes Indiz,
Dabei entstanden Kunstwerke, die die und die Ohren mit dem Rasiermesser dass die Zeit des schwitzigen Nackenspoi-
Betrachter gut sortierter Familienalben gesäubert. Ein Einheitsschnitt für Lothar lers vorbei ist, kann wohl die Episode um
schaudern lassen. Man erkennt sich und Emmerich, Petar Radenkovic und Willi Rostocks Einsiedler Mike Werner gelten.
blättert hastig weiter. Schulz, wer die Haare länger wachsen ließ, Als der unlängst mit der Kombination aus
Nun sind Fußballer keine gesellschaftli- galt schnell als Gammler, Halbstarker und Schnauz, Bürste und Haaren bis zur vier-
chen Trendsetter, wenn sie mal was Neues Blumenbruder. Erst im Jahre 1968, als Stu- ten Rippe aufwartete und sich ohne
einführen wollen, geht das prompt schief. denten durch die Straßen rannten und Gesichtsmake im Jahreskicker präsentier-
Wer trägt außer Olaf Marschall noch ein „Schah von Persien ans Telefon, deine te, wurde er landauf landab verspottet
Nasenpflaster? Meist gehen die Kicker erst Alte wartet schon“ skandierten, wichen und geschmäht. Selbst Harald Schmidt
mit der Mode, wenn diese schon in der In die gestrengen Längenmaße des Fasson- zeigte in seiner Show ein Bild vom
und Out-Liste der Bildzeitung im hinteren schnitts dem konturlosen Gewalle. Plötz- unglückseligen Pudel und machte
Textteil aufgetaucht ist. Und dementspre- lich wuchs und gedieh die Haarpracht der wohlfeile Witze über das unglückselige
chend wurde die abwechslungsreiche Fri- Kicker, als hätte jemand Dünger in die Zusammentreffen von Haar, Bart und
sur zunächst zögerlich adaptiert. Zwar tru- Bundesliga-Ursuppe geschmissen. Allein dämlichem Gesichtsausdruck. Zudem ver-
gen namenlose Spieler der Zweiten aus der Mannschaft, die 1974 die Welt- stärkten die anschließenden Interviews
Bundesliga Nord den bewachsenen Na- meisterschaft gewann, trugen fünf Spieler das Vorurteil vom ostdeutschen Trink-
cken schon in den siebziger Jahren, Frisuren, die noch wenige Jahre zuvor für hallenflaneur noch. So ändern sich die
populär wurde vorne kurz und hinten eine Verhaftung ausgereicht hätten. Und Zeiten, in den achtziger Jahren hätten wir
lang aber erst durch die steile Karriere des nur wer genau hinsah, konnte das lang- Mike Werner noch Chancen bei der Wahl
Pierre Littbarski. Der avancierte nämlich haarige Mädchen, das im Pokalendspiel zum Bravo-Otto eingeräumt.
32 VIDEOTEXT
Randsportarten im
untersucht von
Philipp Köster

DS F

V
iele Menschen halten es für den Draufgänger und lebenskluge, ältere Män- dann zum direkten Treffen zwischen Fürst Doch Ernüchterung in der Tiefebene, Persönchen mit sanfter Gewalt in die takt. Manch ein Kandidat will seine Nie-
Untergang des Abendlandes, vor- ner, allen voran Fürst Beat Takeshi. und dem dezimierten Fußvolk. Auf dem denn auf die Kandidaten wartet gleich zu Kampfzone. Männer hingegen bevorzu- derlage nicht wahrhaben und klammert
mittags Fernsehen zu schauen Fürst Takeshi ist Japaner und alle Teil- Vorhof der Burg fahren die Kandidaten Beginn das gefürchtete Wabenlabyrinth. gen zumeist abwegige Taktiken, einer sich wie ein Borkenkäfer minutenlang an
und behaupten, sie hätten besseres zu tun. nehmer der Show sind auch Japaner. Es ist und Takeshis Truppe dann mit getunten Und damit auch die beiden korpulenten spurtete schätzungsweise fünfzig Mal auf die Unterseite der Brücke, zieht sich unter
„Leben“ sagen sie und saugen bedeu- überhaupt eine japanische Sendung, Autoscootern durcheinander und feuern Aufpasser Strong und Onjij. Die sehen der Außenbahn durchs Labyrinth. Immer großem Gestöhne wieder nach oben und
tungsvoll an ihrer Zigarette. Dummköpfe. obwohl sie im DSF ausgestrahlt wird. Und sich gegenseitig mit Spritzpistolen die aus, als hätten sich Gene Simmons und rund herum ging das und zweimal an der macht wenige Sekunden später doch den
Sie wissen nicht, was sie verpassen. Schöne Japaner sind, das merkt man schnell, zu Hucke voll und eine Papierscheibe kaputt. seine Kollegen von Kiss in den Schmink- rettenden Tür vorbei, bis die beiden Auf- Abflug ins Fangnetz. Da lacht Takeshi
Serien, begehrenswerte Frauen, weise allem bereit. Sie hüpfen in morastige Bis es soweit ist, sitzen Takeshi und Sohn töpfen vertan. Außerdem sind sie noto- passer ihre Zigarettenpause beendet hat- herzlich, der Sohn schließt sich an und
Männer. Praxis Bülowbogen beispiels- Tümpel, kämpfen mit asthmatischen in den fürstlichen Gemächern und schau- risch schlecht gelaunt und warten sehn- ten und den ausgepumpten japanischen bekommt einen mit dem Fächer.
weise und Landarzt Dr. Mathiesen aus Sumo-Ringern und lassen sich mit Volley- en sich die Wettkämpfe an. Und wenn es süchtig darauf, Kandidaten in den Zatopek gelangweilt ins Wasser schubsten. Richtig ernst wird es für Takeshi, wie
Dekelsen, von dem wir wissen, dass er spä- bällen von Hängebrücken herunter- dem Fürsten langweilig wird, bekommt angrenzenden Tümpel zu jagen oder Auf der Hängebrücke über den Takeshi gesagt, erst ganz zum Schluss, wenn die
ter mal die Düne runtersegeln wird. Ab schießen. Und das Schönste ist, hinterher der Sohn zur Freude der Palastwache eins ihnen mit geteerten Handschuhen das Canyon zählt hingegen nur das Gleich- Scooter und Spritzpistolen aus der Garage
zwölf Uhr beginnt jedoch die gähnende freuen sie sich, als ob sie gerade im Lotto mit dem Fächer übergezogen. Gesicht zu schwärzen. Mithin wissen die gewicht. Denn die Produktionsfirma hat geholt werden. Nun schrieb neulich je-
Leere im Fernsehprogramm. Wer nicht gewonnen haben. Derweil mühen sich die Kandidaten, Kandidaten nie, was hinter der nächsten am Geländer gespart. So geht es auf wack- mand in der Süddeutschen Zeitung, die
gerade scharf drauf ist, dabei zu sein, Die Spielidee von „Takeshi’s Castle“ ist zumindest die ersten Runden zu überste- Tür wohl auf sie warten mag: grimmige ligen Beinen vorwärts, das Ziel des Spiels: Kandidaten könnten gar nicht gewinnen.
wenn sich tätowierte Herren aus der Eifel recht einfach. Fürst Takeshi besitzt eine hen. Sie werden angeführt von General Catcher mit Riesenpranke oder das Tor einen golden angepinselten Volleyball Was ausgemachter Käse ist, wir waren
um das Erstzugriffsrecht auf die gemeinsa- Burg, die es Tag für Tag gegen eine Meute Tani – ein Motivationskünstler der Luxus- zur nächsten Runde. Eine nagende Unge- über die Brücke tragen, der dem Kandida- nämlich unlängst dabei. Ein Glücksschuss
me Schwester streiten, muss lange Stun- von Kandidaten zu verteidigen gilt. Und klasse. Saß seine Truppe eben noch wissheit, die insbesondere zart besaitete ten auf halber Strecke von General Tani bescherte vier glückseligen Kandidaten
den warten, bis um fünfzehn Uhr das DSF weil Takeshi nicht gegen hundertund- unmotiviert auf dem Waldboden, so stür- Damen in den Wahnsinn treibt. Da wird zugeschossen wird. Doch Fürst Takeshi den Triumph. Seitdem wird nachmittags
den darbenden Konsumenten erlöst und zwanzig Leute gleichzeitig kämpfen kann, men jetzt Hunderte mit lautem Gebrüll schon vor der ersten Tür gezittert, war derweil ebenfalls nicht untätig und um 15.00 Uhr und 17.00 Uhr DSF
die Vorabend-Episode von „Takeshi’s Cast- gibt es neun Etappen, auf denen immer den Abhang hinab, einige so eifrig, dass gehüpft, gezappelt und gekreischt, was die feuert schwarze Volleybälle auf die Halt geschaut, komme was da wolle. Und wer
le“ wiederholt. Denn auch hier gibt es wie- rund fünfzehn Kandidaten ausscheiden. sie mit Purzelbäumen die Höhenmeter Bänder hergeben. General Tani schüttelt suchenden Kandidaten. Menschliche Tra- umschalten will, ob zu Fliege oder Interak-
der begehrenswerte Frauen, tollkühne Erst auf der letzten Etappen kommt es überwinden. dann unwirsch den Kopf und schiebt das gödien, tragische Schicksale im Minuten- tiv mit Milka, kriegt was mit dem Fächer.
34 BALL IM NETZ BALL IM NETZ 35

Männergruppen und Bannflüche verknüpft. „Ich will Britney Spears im


Sturm nehmen“, keucht Sa Pinto und ver-
bessert sich dann: „im Sturm haben mein-
ser Onkel“ hat gar einen ganzen Strauß an
wohlfeilen Sprüchen ins Netz gestellt:
„Für die Denunzianten: Man wird nicht
In den Internet-Foren der Bundesliga-Vereine wird die Sommerpause mit Palaver sinnvoll überbrückt. te ich“. Zweifellos, diese Debatte ist noch dadurch besser, dass man andere schlecht
nicht zu Ende. macht.“ Und weiter: „Für die Gerüchte-
Mark Hanner hat sich durch das Angebot gesurft und die Nerven der Teilnehmer getestet. Gewohnt derbe geht es auch beim köche: Lass deine Zunge nicht eine Fahne
Namensvetter in Dortmund zu. Allein sein, die im Wind eines jeden Gerüchtes
meine im dortigen Forum platzierte zu flattern beginnt.“ Respekt, Onkel. Nur

D
eutschland im Juli. Es regnet und tung. Also in den Chat mit insgesamt vier Magst du noch einen Tee, Corinna? Der Ankündigung „wenn die Leistung der riecht das doch stark nach dem Sammel-
wir lesen Postkarten von Men- anderen VfB-Fans. Dort ist es gähnend Uwe nimmt sicher auch einen. Denn Uwe Spieler nicht bald besser wird, gehe ich band „1000 Sinnsprüche“, die derzeit bei
schen, die wir für unsere Freunde langweilig, ein rechtsarmiger Herr aus glaubt an die Einsicht in mir und beginnt wieder zu Schalke“ bescherte mir vier Woolworth auf dem Büchertisch reduziert
hielten. „Wir wollten, Du wärest hier“, Cannstadt doziert über die verlorenen zu argumentieren. Uwe weiß, warum es in Androhungen, bei mir zu Hause vorbei zu verhökert werden.
schreiben sie und die Rückseite der Karte Ostgebiete. Das will keiner hören, deshalb den letzten Jahren so schlecht lief und schauen und die Möbel gerade zu rücken, Von Alemannia zur Arminia, beim Ab-
zeigt einen sonnigen Pool und jede wirft ein Kollege die Adresse eines Erotik- warum es in den Jahren davor besser lief dreimal das Versprechen der gewaltsamen steiger aus Bielefeld geht man mit Gästen 11 FREUNDE im Netz
Menge gut gelaunter Urlauber. Wir dage- Chats in den Raum. Wir folgen, haben und in den Jahren davor so schlecht. analen Penetration und fünfmal der Hin- weniger zimperlich um. Insbesondere
gen sitzen daheim, trinken Coke bei drei schließlich eh nichts Besseres zu tun. Denn Uwe ist schon lange dabei und kann weis auf meine vermeintliche Nationalität, Zeitgenossen aus der langjährigen Part- Wer auch nach der Lektüre unseres
Grad und unsere Unterhosen sind steifge- Doch das macht wenig Spaß, denn recht das überblicken. „Ich bin schon lange ich durfte wählen zwischen türkisch oder nerstadt Münster werden schon vor dem besinnlichen Traktakts noch Lust auf
froren. Gerade waren wir unten am Kiosk bald entpuppt sich „Susi23willig“ als dabei und kann das überblicken!“ Aber serbisch. Besonders schön: „Hau endlich ersten Posting mit Verwünschungen und gepflegte Unterhaltung verspürt, soll-
und haben zum vierten Mal nach dem Jah- schnaufender Informatikstudent aus Jena, Uwe kommt nicht zum Ende und sein Tee ab, wohin du gekommen bist“ von Rolf Krankheitsprophezeiungen bedacht. Glei- te einen Blick auf die 11-Freunde-Site
reskicker gefragt. Ist aber immer noch und „PamelaBi“, die unbedingt mitma- wird kalt. Ich gähne, schaue ostentativ auf aus Bochum und als Attachement einige ches gilt für Anhänger des Trainers und werfen. Unter www.11freunde.de gibt
nicht da. Kommt aber bald, sagt der Mann chen wollte, ist sein bester Kumpel Jörg. die Uhr, rolle genervt die Augen. Doch hässliche Worte, von denen ich bislang Managers, denen turnusmäßige Bann- es nicht nur Informationen und
vom Kiosk und grinst. Dagegen geht es im Forum des Ham- Uwe sieht mich nicht, die Crux des Cyber- nicht wusste, dass sie existieren. flüche gewidmet werden. Mein zwieträch- Texte der Ausgaben zu lesen, son-
Noch vier Wochen bis zum Start der burger SV zu wie einer Männergruppe. space. Hundert Kilometer weiter südlich in tiges Posting „Endlich habt auch ihr ein- dern auch jede Menge exklusiven
neuen Saison, vier lange Wochen mit Liga- Jeder darf ausreden und wird lieb in den Plötzlich widert mich unsere gemeinsa- Köln hat man ähnliche Probleme. „Scheiß gesehen, dass Gerland der richtige Mann Internet-Stuff.
cup, Trainingslager und Max Merkels Arm genommen. Selbst ich, der den HSV me Einsamkeit an und mir ist nach organi- Erfolgsfans“ postet ein Hörb und scheint für uns ist“ lockte vor allem das ostwestfäli- Wöchentlich erhalten ihr launig
mäßig unterhaltsamen Prognosen. Aber gar nicht mag und deshalb kurzerhand sierter Geselligkeit. Wo finde ich die eher den Tränen nahe: „So viele hier haben sche Forums-Faktotum mit dem Trinkhal- aufbereitete News aus der Fußball-
wie heißt es so schön in der Werbung, pro- die Entlassung von Frank Pagelsdorf for- als im Forum des Mönchengladbacher offensichtlich keine Ahnung vom FC, ma- len-Namen Eddie. Ein pensionierter welt, hinzu kommen ab August sie-
bier was Neues diesen Sommer. Gesagt, dert. Schließlich habe er die sportlichen Fanprojekts. Dort wird sinnfrei diskutiert chen aber jetzt einen auf dick, nur weil sie Wachhund der Firma Oetker, der in ben regelmäßige Kolumnisten aus
getan, ich wage mich ins Internet, wo hun- Erwartungen nicht annähernd erfüllt, und die Grenzen steckt keinesfalls der zehnmal in der Woche was im Forum Tages- und Nachschicht seinen Rechner verschiedenen Städten und mit
derte, tausende anderer Fans ebenfalls schreibe ich, und mehr noch: „Champi- Fußball. Allein ein Posting, ins Netz ge- schreiben.“ Ob er meine Ankündigung belauert, jedes Posting binnen Minuten- verschiedenen Vereinspräferenzen.
den Start der neuen Saison herbeifiebern. ons League ist für einen Verein wie den stellt von „Britney Spears“, in dem unter meint, beim ersten Fehlpass der Lienen- frist beantwortet und dabei jeden Satz mit Außerdem sind auf der Seite Panora-
Endlich soll der Ball wieder rollen. HSV einfach zu wenig!“ Schön, dass man anderem darüber diskutiert wurde, ob Truppe sofort zu pfeifen, „schließlich krie- drei klagefähigen Verbalinjurien garniert. mafotos aller großen deutschen Sta-
Der Eintritt ins Forum des VfB Stuttgart in Hamburg solche Thesen für diskutabel Gladbach-Kicker Michael Klinkert wohl gen die Spieler unglaublich viel Geld“? Wörtlich kann man das gar nicht zitieren. dien zu betrachten, eine so bislang
ist samt Registrierung und Durchforstung hält. Eine Dame namens Corinna findet eine Intimrasur schockierend oder bele- Sei’s drum. Auch andere fühlten sich Und sein Kollege fragt: „Was weißt du einmalige Sammlung hochwertiger
interessanter Themen binnen Wochen- meine Meinung „überhaupt nicht gut“ bend fände, verzeichnet bis heute 38 Ant- angegriffen. „Wer macht hier den Di- denn?“ Stadionansichten. Garniert werden
frist kaum zu erledigen, außerdem steht und fragt sich: „woher kommt der Hass worten. Elegant werden dabei Paarungs- cken?“ fragt schaumig Balou „und wen Ja, was weiß ich? Vom Leben, vom Fuß- die Fotos durch erklärende Essays
mir nach Kurzweil und flockiger Unterhal- auf Frank?“ Ach, wenn ich das nur wüsste. trieb und fundierte Taktikdiskussion haben wir hier noch nie gesehen?“ Eine ball, vom Wetter und überhaupt? Immer- und Eckdaten.
Variante der Vorwärtsverteidigung, wie sie hin, dass, wer nach Entertainment giert, Wer sich Oddset nicht leisten kann
auch in den Talkshows am Vormittag üb- bei der Frankfurter Eintracht gut aufgeho- und aufgehört hat, die verwetteten
lich ist. Die eine schreit: „Du alte Schlam- ben ist. „Alles Schwachsinn“ postet Ein- Kisten bei der Euro 2000 zu zählen,
pe“, die andere keift zurück: „Guck disch tracht-Fan Hans und lässt die Meute im kann zudem am Tippspiel teilneh-
mal an!“ Also, guck disch mal an, Hörb. Unklaren, was alles. Ein Freiburger assi- men, die Kooperation mit funtip ist
Ein wahrer Dichterzirkel hat sich hinge- stiert „Genau. Finde ich auch nicht“, angelaufen. Und natürlich wird dem-
gen bei Alemannia Aachen versammelt. Adlerkopp steuert die Feststellung bei: nächst ein Forum das schon existente
Postings heißen dort nicht „Wir kriegen „Eventuell sehe ich das auch so, vielleicht Gästebuch ergänzen, denn natürlich
euch, ihr Ficker!“ sondern „Mangelnde aber auch nicht“. Da muss auch Otze sind wir weiterhin an Eurer Meinung
Identifikation des Vorstandes mit der zustimmen: „Das sind wahrlich gute Argu- und Euren Anregungen zur Weiter-
Ideologie der Alemannia“. Dieser gute mente, da stimme ich dir voll zu!“ Und entwicklung des Hefts und des Inter-
Eindruck wird durch Ausflüge ins literari- wenn ich es mir recht überlege, so kann net-Auftritts interessiert. rch
sche Fach noch verstärkt, denn ein „Böh- man es wirklich sagen. Oder so ähnlich.
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Lens, Wehlmann und Sucker Cusack


dem DFB gekungelt, sei seinen Fürsorge- schon mächtig verzweifelt. Und vom ver- gefummelt und dafür gesorgt, dass der
pflichten gegenüber den Fans nicht nach- geblichen Mühen erzählt auch der Erwin Film in Chicago spielt und nicht in Lon-
gekommen und habe sich überdies unan- Nr. 33. Insbesondere das fein gepinselte don. Das wiederum gab zu schlimmsten
gemessen wichtig gemacht. Das klingt „Tagebuch eines Kickersfan“ rührt auch Befürchtungen Anlass. Und das Ergebnis
teilweise überzeugend, insbesondere was den unbeteiligten Leser immer wieder zu spottet jeder Beschreibung. Man sollte die
die Rolle des DFB angeht, bleibt seine Tränen und windet für die Dauer der Lek- ganze Bande lebenslänglich mit Berufs-
Beweiskette aber mächtig dünn, mehr türe einen kratzigen Kickers-Schal um den verbot belegen. Denn offenkundig ist,
noch, sie ist überhaupt nicht vorhanden. Leserhals. Aber dann ist es auch gut, wir dass weder der Regisseur noch die Darstel-
Und an anderer Stelle begibt sich Gehr- wollen ja nicht übertreiben. ler einen blassen Schimmer hatten,
mann auf argumentative Holzwege. Etwa warum Nick Hornby dieses Buch geschrie-
wenn er den brutalen Geist unserer Bezug: Erwin, Luisenstraße 61, 63067 Offen- ben hat und warum es für viele Menschen
Gesellschaft als mitverantwortlich für die bach zu einem besonderen Buch geworden ist.
Taten von Lens anprangert und als Indiz Im Buch ist Rob ein Mensch, der durch
nur ein Zitat eines grünen Politikers und die Beschäftigung mit seinen verflossenen
die derzeit modischen Weicheier-Synony- Beziehungen und seiner tristen Gegen-
me anzubringen weiß. Blondinenwitze High Fidelity im Kino wart etwas über sich erfährt. Im Film
Lens und die Folgen gab es schließlich auch schon mal, und Erwin Nr. 33 macht John Cusack aus Rob einen belang-
meines Wissens haben die sich ansch- weiß man ums Happy End, die Ausgabe 47 Wenn es sowas wie Säulenheilige des Fuß- losen, eitlen und jähzornigen Schwätzer.
Der Prozess gegen die deutschen Hooli- ließend auch nicht vor den Friseurläden des Übersteigers schwelgt jedoch noch in Fragte man vor der Saison nach dem balls gibt, dann hat darin neben George Von der ersten bis zur letzten Minute quas-
gans, die im Sommer 1998 den französi- zusammengerottet. Und schließlich hat morbider Untergangstimmung. Ein Schicksal von Kickers Offenbach, so waren Best, Karl Allgöwer und Toni Turek sicher selt er mit sich, mit Laura, mit Dick und
schen Gendarmen Daniel Nivel halb tot der Bericht über die Hooligan-Demo in schwarzes Cover, ein schwach beleuchtetes sich Experten und Oddset-Tipper einig. auch Nick Hornby seinen Platz. Denn Barry, mit dem Zuschauer. Er schließt den
schlugen, hat auch hier zu Lande große Berlin in der Broschüre schlicht nix verlo- St. Pauli-Emblem und dazu der knappe Nach Jahrhunderten auf Ascheplätzen, Hornby hat „Fever Pitch“ geschrieben, Plattenladen auf und stellt sich hinter die
Aufmerksamkeit erregt. Insbesondere die ren. Da beklagt sich Ossi aus Bremen, als Kommentar: „Der Letzte macht das Licht sofortiger Durchmarsch in die erste Liga dass auch hier zu Lande den Fußball etwas Theke, seine Stimme verkündet aus dem
Frage, was die Täter wohl motiviert haben gewaltbereiter Fan sei man schlicht der aus.“ Auf keinen Fall der Letzte wollte Tor- und ganz Deutschland schwärmt vom fan- von seinem Schweißgeruch befreit hat. Off: „Das ist mein Plattenladen.“ Dick
könnte, einen regungslos am Boden lie- letzte Dreck, ärmer dran als „jeder afrika- hüter Carsten Wehlmann sein, der noch tastischen Publikum, das den Kickers auch Sein zweites Buch, „High Fidelity“ ist nicht kommt herein, die Stimme: „Das ist Dick,
genden Polizisten ins Koma zu prügeln, nische Drogendealer, kurdische Hobby- wenige Monate zuvor seine unsterbliche in schwierigen Zeiten die Treue gehalten weniger brillant, auch die Geschichte von er arbeitet hier!“ Barry kommt rein, und
wurde in der Presse diskutiert. Thomas Terrorist“. Uns kommen die Tränen vor Liebe zu St. Pauli beschworen hatte und habe. Es kam anders, Aachen durfte diese Rob, dem Plattenladenbesitzer mit den die Stimme: „Das ist Barry, er arbeitet
Gehrmann präsentiert nur eine kritische Mitleid. Ohne die moralische Keule nun seinen Wechsel zu den Rothosen von Rolle ganz allein spielen und Offenbach Topfive-Listen und verkorksten Beziehun- hier!“ Na hoppla, wären wir so nicht drauf
Bilanz der Ereignisse in Lens und lässt ins- schwingen zu wollen, gerade die verhee- der Rothenbaumchaussee bekannt gege- tat sich mächtig schwer mit dem Punkte- gen, ist uns mächtig ans Herz gewachsen. gekommen. Einziger Lichtblick ist Tim
besondere den Prozess noch einmal Re- renden Folgen dessen, was Ossi „unseren ben hat. Verrat an der empfindsamen sammeln. Schließlich wurde der Trainer Nun ist „High Fidelity“ verfilmt worden Robbins, der als Ian/Ray eine fantastische
vue passieren. Dabei bemüht sich Gehr- Sport“ nennt, hat diese Broschüre doch Kiezseele warf man daraufhin dem Tor- gefeuert und stattdessen der Parade- und Stephen Frears hat Regie geführt. Das Vorstellung als esoterischer Weichspüler
mann sehr darum, die Taten der erst nötig gemacht. wart vor und auch das Heft ist voller Stän- schnauz und diplomierte Rettungsanitäter gab zu Hoffnungen Anlass. Haupdarstel- abgibt. Aber sonst? John Cusack soll sich
Hooligans nicht zu relativieren. Das kereien. Enttäuschte Liebe halt, da tritt Peter Neururer eingekauft – man war also ler John Cusack hat am Drehbuch herum- vom Acker machen.
gelingt ihm über weite Strecken auch ganz Bezug u.a. über die Fanzines: Der tödliche man schon mal nach. Immerhin darf
gut, hin und wieder tauchen dann aber Paß, c/o Stefan Erhardt, Thalkirchner Straße Wehlmann auch was sagen, er wird inter-
doch Bewertungen der Preisklasse „die 73, 80337 München, und: Die dicken Kinder viewt und die Schlichtheit seiner Argu-
Sache sei dumm gelaufen und ausgeartet“ von Jena, PF 100522, 07705 Jena. mente beeindruckt. Er sagt, bessere beruf-
auf, Einschätzungen, die der Schwere der
Tat schlicht nicht gerecht werden.
liche Aussichten und Schluss. Kein
Interview für Nostalgiker. Ansonsten viel
Fanartikel nationaler und
Doch Gehrmann will nicht nur darstel-
len, sondern auch bewerten. Die Rolle des
Der Übersteiger Nr. 47 Lokales, Big-Brother mit Weisener-Touch
und ein sehr lesenswertes Interview mit
internationaler Fußballvereine
Schalker Fanprojektlers Mathiak beim Im letzten Saisonspiel der abgelaufenen der Asian Dub Foundation.
Nivel-Prozess wird von ihm in den Saison ging es für St. Pauli um die Wurst,
negativsten Farben gemalt, letztlich läuft respektive um drei lebensrettende Punkte Bezug: Der Übersteiger, Thadenstraße 92, Sport- und Fanartikel Gratis-Katalog mit
der Vorwurf darauf hinaus, er habe mit gegen Rot-Weiß Oberhausen. Mittlerweile 22767 Hamburg Lindenstraße 30 3800 Fanartikeln gegen
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Tel: 07141 / 92 19 03, Fax: 92 19 08
38 SEITENWECHSEL GÄSTEBLOCK 39

„Die Dicke auf dem Bild ganz links“


Hallo Sportsfreunde, Fotos aus der Totalperspektive, zu sehen wird. Und ein bisschen aktueller solltet ihr
schon seit längerem finde ich, dass es nun sein! Zum Abschluss noch ein Wunsch werden. Nichts gegen die Geschichte der
langsam an der Zeit ist, Euch einmal für’s nächste Heft: Bringt doch mal einen Bayern in Barcelona, aber das Finale war
ordentlich die Meinung zu sagen: Prima Bericht über das Nichtabstiegsdrama auf ja fast ein ganzes Jahr her. Konnte ich
Magazin! St. Pauli! mich schon gar nicht mehr dran erin-
Obwohl ich zunächst etwas skeptisch war, Schön’ Gruß nern. Wer hatte nochmal gewonnen?
ein Fanzine ohne Bezug zu einem Axel Hehehe! Jetzt weiß ich’s wieder.
bestimmten Verein käuflich erstanden zu Bernd (via eMail)
haben, konnte mich Euer Konzept doch Hallo zusammen,
recht schnell überzeugen. Vor allem die ich habe im „Übersteiger“ von Eurem Liebe 11 Freunde-Redaktion,
Donald vor, noch ein Tor Hart am Mann Wir sind hier nicht in Vietnam Mischung der ersten Ausgabe gefällt mir: Heft gelesen und mir sofort eins bestellt. ich habe heute Euer Magazin in die
Berichte und Geschichten eben auch aus Und ich kann euch nur ermutigen, macht Hände bekommen und gleich komplett
Ene ultimative Aufforderung zur Wieder- Wenn Fußballer den Mund aufmachen, …hier gibt es Regeln. Einer der schönsten der zweiten, dritten und vierten Liga zei- weiter so. Dann besteht die Hoffnung, durchgelesen. Schön, dass es endlich wie-
auflage. Viel zu selten hat sich Disneys kommt bisweilen komisches heraus. Fritze Sätze in „The Big Lebowski“ und zugleich gen doch erst, warum man im Leben dass doch nicht alles, was in den neunzi- der sowas ähnliches wie „Hattrick“ gibt.
Sammelwerk bislang dem Thema Fußball Walter, der mit Klinsmann zunächst ein auch das Leitmotiv der „Fußball Regeln bereit ist, Beruf, Freunde und Frauen zu ger Jahren an Zine-Kultur aufgebaut wor- Besonders gut gefallen hat mir der
angenommen, stattdessen füllten „Onkel Trio und dann ein Quartett bildete und 1999/2000“. Denn das kleine Büchlein wechseln, aber doch nie die große Liebe, den ist, wieder den Bach heruntergeht. Bericht über den Flinger Broich, weil
Dagobert auf Talersafari“ und „Hexenzau- ähnliches. Wenn Fußballer schreiben, wir- nimmt für sich in Anspruch, sämtliche seinen Fußballverein. Natürlich sollte denn ich denke, dass die Fans nicht nur mein Herz für Fortuna schlägt, und die
ber mit Micky und Goofy“ unsere Regale. d’s nicht weniger komisch, nur ein biss- Eventualitäten des Fußballspiels berück- auch die Bundesliga ihren Platz in Eurem bei uns in St. Pauli ein Forum brauchen, Analyse der Randsportarten im DSF.
Erst zur Weltmeisterschaft 1982 brachte chen hintergründiger. Etwa Lothar Mat- sichtigt zu haben. Von Regel 1 „Das Spiel- Magazin bekommen, insbesondere dann, wo sie ihre Interessen kundtun können. Wenn es Arbeit und Ehefrau zulassen,
Ehapa dann das langersehnte LTB mit thäus, wenn über die wichtigen Dinge im feld“ bis Regel 17 „Eckstoß“ werden die wenn sie mit den Augen eines echten Fans Was in eurem Magazin noch fehlt, sind werde ich mich wohl auch mal nachmit-
dem Old School-Titel „Donald vor! Noch Leben sinniert: „Das Beste: mein Handy neunzig Minuten reglementiert und gesehen wird; in diesem Fall macht es sicher die politischen Themen. Wider- tags vor den Fernseher hocken und die
ein Tor!“ auf den Markt, mit zwei Ge- funktioniert hier, ich bin also für alle strukturiert. Das ist bisweilen von bein- sogar Spaß, die Geschichte eines Bayern- stand gegen die WM 2006, Versitzplatzung, braven Holzhacker anfeuern. Besonders
schichten rund um das runde Leder. Im meine Freunde zu erreichen.“ Nachzule- druckender Schlichtheit und Schönheit Fans in Barcelona zu lesen!!! Rassismus in den Stadien – halt die gan- exquisit finde ich die Dicke auf dem Bild
Opener balgen sich Onkel Dagobert und sen ist Lothar und vieles andere bei und kann auch für das Leben im Allge- Das beste am ganzen Magazin ist für zen BAFF-Themen, die meiner Meinung links. Aber das nur am Rande. Was mir
Klaas Klever um die Übertragungsrechte Jürgen Roth und Gerhard Fischer. Die bei- meinen stehen: „Es gibt direkte und indi- mich aber der Stil der Texte: Die teilweise nach wie vor sehr aktuell sind. Gerade in ebenfalls sehr gut gefallen hat, ist die
für die Weltmeisterschaft. Onkel Dagobert den haben in einer Fleißarbeit auto- rekte Freistöße“ heißt es auf Seite 53 und unterschwellige, teilweise intensiv durch- letzter Zeit sind wieder häufiger Titelgeschichte von Rainer Sprehe über
überlässt Gundel Gaukeley schweren Her- biographische Fußballerschriften zusam- auf Seite 68: „Der Eckstoß ist eine Spiel- scheinende Leidenschaft für „seinen“ Ver- Ausländer im Zusammenhang mit Fuß- die Zukunft der Stadien. Derart gut
zens seinen Glückstaler, im Gegenzug mengetragen, von Gerd Müller bis Jimmy Fortsetzung“. Und bisweilen entfalten ein, verbunden mit einer gewissen Selbst- ballspielen angegriffen worden. Und gera- recherchierte und trotzdem launig
macht die Hexe Donald zum Spitzentor- Hartwig. Ein Highlight des Buches sind auch die Anweisungen des DFB ihren ganz ironie, zusammengefasst in einer Art witty de im Osten macht sich das rechte Volk geschriebene Artikel habe ich bislang in
wart. Natürlich fehlt es nicht an den übli- sicherlich die Bekenntnisse Uwe Seelers: eigenen Reiz, etwa zum Thema Verwar- writing. Ich habe diesen Stil der „Sport- wieder ziemlich dicke. Da könntet ihr mit den anderen Magazinen vermisst. Sowas
chen Brachialjokes, der DFB-Präsident „Es war die Zeit, in der ich mir erstmals nungen. Denn mit roter Karte wird auch Schreibe“ (wie wahrscheinlich viele ande- Eurem Fan-Magazin sicher auch viel solltet ihr häufiger im Heft haben.
heißt Heuberger und Klaas Klever Franz vornahm, später Schlachter zu werden“. bestraft, wer „anstößige, beleidigende und re) in Nick Hornbys „Fever Pitch“ kennen bewirken. Und was ihr auf jeden Fall vermeiden
Dribbelbauer. Unterhaltsamer ist die zwei- Fischer und Roth konstatieren boshaft: schmähende Äußerungen gebraucht“. gelernt, war begeistert, besorgte mir sein Hier nun aber erstmal mein Abo-Cou- solltet, sind die Fehler, die „Hattrick“
te Geschichte, in der Donald zufällig zum „Eine nationale Hunger- und Wurstorien- Und da fühlten wir uns doch ein bisschen „My Favourite Year“ und lernte, dass man pon mit der Bitte um Rechnung und herz- gemacht hat. Die haben zum Schluss
umjubelten Goalgetter des FC Entenhau- tierung“. Leider ist das Buch schon im angesprochen. Garniert werden die Re- das ganze New Football Writing nennt. Nach liche Grüße aus dem Norden unheimlich viele Berichte über Spieler,
sen avanciert. Anfangs muss noch Düsen- Jahre 1998 erschienen, zwei Jahre zu früh geln durch Lehrbeispiele zur Abseitsregel, meiner Ansicht passt dieser Stil sehr gut Volker aus Hamburg Taktik und Interna veröffentlicht und den
trieb mit technischen Rafinessen aushel- für Sepp Maiers Lebensbeichte, die der Diagramme zur Notbremse und die Defi- zu Eurem Magazin, mit diesem „Instru- Blick für die Fans verloren. Allein, dass sie
fen, hinterher schlägt sich Donald auch agile Spaßmacher und Bundestorwart- nition der Aufgaben des vierten Offiziel- ment“ kann man auch als normal gebilde- Kollegen, Kollegen, zum Schluss die Rubrik „Best of Fanzines“
ohne Equipement prächtig und geht mit trainer erst in diesem Jahr auf den Markt len, der immer die Trainer ermahnt und ter Nicht-Kuttenträger seine Fan-Gefühle schönes Heft wirklich. Hat mir gefallen, abgeschafft hatten, fand ich ziemlich
dem FCE auf ausgedehnte Welttournee. geworfen hat. Dennoch ein Standard- die Auswechseltafeln hochhält. Pflicht- am besten schildern. obwohl ich bei der Titelgeschichte mehr- ärgerlich und blödsinnig.
Besonders unterhaltsam geraten: die Spie- werk. kauf für alle, die an der Theke mit profun- Ein Verbesserungsvorschlag allerdings fach den Fremdwörter-Duden zu Hilfe Also, bleibt bodenständig und hart am
le gegen den VfB Bumerang und der der Regelkenntnis angegeben wollen. am Rande: Fußball ist Leben, deshalb soll- nehmen musste. Androgyner Populär- Fan.
Schneeball-Kick bei den Eskimos. Gerhard Fischer/Jürgen Roth: Leben voller te auch auf euren Fotos etwas mehr „ech- Absolutismus. Yeah. Vielleicht brülle ich Viel Erfolg wünscht
Fallrückzieher. Fußballer erzählen – von Fritz Wal- Deutscher Fußball-Bund: Fußball-Regeln tes“ Leben (z.B. leidende Fans in Nahauf- das mal demnächst, wenn die Mannschaft Walter aus Düsseldorf
Bezug: Bahnhofsbuchhandel ter bis Lothar Matthäus, Leipzig 1998. 1999/2000, Frankfurt 1999. nahme), dafür weniger leere Stadien und des Gastvereins namentlich vorgestellt
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„Krach? Hören meine Töchter auch!“ (Teil 1)


Thorsten Schaar fragte Bands, die sich nach Fußballern benannt haben:
1. Woher der Bandname? – 2. Was fällt Euch spontan zu Eurem Namensgeber ein? – 3. Hattet Ihr schon mal Kontakt zu ihm? – 4. Seid
Ihr Fußball-Fans? – 5. Kickt Ihr selber (gut)? – 6. Eure Traum-Elf? – 7. Wer sollte anstelle von Daum besser Bundestrainer werden?

RISTICS WILLIGE VOLLSTRECKER BRATSETH HRUBESCH YOUTH


(Freepunk, Düsseldorf) (Arschtritt-Rock’n’Roll, Düsseldorf) (Krach, Hamburg)

zu 1: „Ristics willige Vollstrecker“ ist ein zu 1: Im Jahre 1996 konnte der bei Andi zu 1: In Anlehnung an zahlreiche US-

Hat Trickers
Allonym der „MT Brains“, einer Düssel- beheimatete Fernsehapparat nur mit der- Straight-Edge-Bands wollten wir unbe-
dorfer Freepunkformation, die seit 1989 Ersten-Programm-Grundversorgung die- dingt irgendwas mit "... Youth" haben –
in wechselnder Intensität und Besetzung nen, weil der GEZ-Messwagen vor der Tür und Hrubesch passte dann ja sehr gut
besteht. Die Namensänderung wurde als stand. Wir mussten also WM schauen! dazu. Wir haben uns im Sommer 1992
Reflex auf die Goldhagendebatte anläss- Bratseth spielte mit – und der Name sah gegründet.
lich eines Auftritts in der Düsseldorfer lustig geschrieben aus. Er erinnerte an zu 2: Das Kopfballungeheuer, das wir
Andreas Beune spürte in Japan Fans von M.U.F.C. auf Uni im Dezember 1996 vorgenommen. ein Grillbesteck zum Wurstwenden beim während seiner Jahre beim HSV regel-
zu 2: Ristic ist ein Taktikfuchs, wohl einer BBQ. Wir lachten laut und hießen so! mäßig haben spielen sehen.
der besten Trainer in Deutschland, der zu 2: Er ist Christ, trinkt keinen Alkohol und zu 3: Ja, es gab ein Treffen in der damaligen

D
er Manchester United Football Club verhält sich zu japa- Tokyoter Band aus den „beautiful players“ Ki-Chan, Pooly, Kazu beim Denkmal Happel in die Lehre versteht keinen Spaß. Fußball spielen tut Baustelle Volksparkstadion inklusive LP-
nischem Punkrock und asiatischem Skinheadaufkom- und Mu besteht. Gewidmet ist das Machwerk allen United- gegangen ist. Seine Kontakte nach Ost- er auch noch – und wie wir nicht gut! Übergabe. Dabei entspann sich folgender
men in etwa so wie der herrschaftsfreie Diskurs zur spa- Anhängern, inspiriert wurde man vor allem von Eric Cantona europa sind legendär, ebenso wie seine zu 3: Ja, wir haben ihn mal wegen der Band Dialog: Hrubesch: „Was ist denn das für
nischen Inquisition. Oder wie Missy Elliott zu Fräulein Menke. und George Best. Und allen anderen Spielern. Fähigkeit, aus mittelmäßig begabten Spie- angeschrieben und ihm auch eine Platte Musik?“ – Wir: „Krach.“ – Hrubesch:
Sollte man meinen. Wie man sich doch irren kann. Manchester Verlassen wir die materialistische Ebene und begeben wir uns lern das Optimum herauszukitzeln. Letz- geschickt. Anfangs fand er das Ganze „Hören meine Töchter auch.“
United, der größte Club der Welt, hat reichlich Fans in Asien. So direkt ins Reich des Musikalischen. tere qualifiziert ihn als den einzigen Men- noch recht lustig, aber nachdem er unse- zu 4: Unter uns fünf Bandmitgliedern gibt
weit, so bekannt. Aber Manchester United wird auch vom dorti- „M.U.F.C.“ beginnt mit einem Radiomitschnitt und der übli- schen, der Fortuna Düsseldorf trainieren re Webseite gesehen und die Platte gehört es drei Fußballfans, von denen zwei dem
gen Untergrund gemocht. Ein kleine Single beweist es. chen Legendenaufzählung. Songstruktur und Gröl-Chorus ent- kann. hatte, änderte er schlagartig seine Mei- HSV zugewandt sind und einer zu
1998 erschien auf dem hiesigen Label „Knock Out Records“ sprechen der klassischen Oi-Schule (erste Klasse, Grundschule). zu 3: Wir standen mal bei einem Testspiel nung. Er sei halt Christ, trinke nicht, ließ St. Pauli hält. Doch alle unterstützen
eine kleine, runde Platte mit dem Titel „Come on United...“. Die Nach mehreren Hördurchgängen entscheidet sich der Hörer direkt hinter der Trainerbank. er uns damals per Email wissen, und gemeinsam Altona 93.
Interpreten heißen „Hat Trickers“ und kommen, wie die Rück- dafür, dass hier englisch gesungen wird. Als die Gitarre gequält zu 4: Wir sind alle Fans von Fortuna Düssel- meine deshalb, sich nicht mit uns identifi- zu 5: Es gibt bei uns vier Ex-Vereinsspieler;
seite der Single informiert, aus Machiya 8-2-1-205, Arakakawa-Ku, eine Melodie von sich gibt, ist klar, dass hier nicht unbedingt dorf. Die Konquenzen daraus kann man zieren zu können. Er hat den Kontakt dar- einer davon spielte sogar bei Eintracht
was in Tokyo, 116-0001, Japan liegen soll. Drei Songs haben sie Cantonas und Bests sich an den Instrumenten vergehen, son- als typisch bezeichnen: Fatalismus, auf abgebrochen. Schade. Frankfurt, allerdings Basketball.
darauf gepackt, zwei davon mit eindeutigem Fußballbezug: dern eher die Neville Brüder. In guten Momenten erinnert das Depression, in letzter Zeit immer weniger zu 4: Fußball-Fans eigentlich nicht. Ab und zu 6: Stein – Kaltz, Jakobs, Hieronymus,
„M.U.F.C.“ und „Long For United“. Lassen wir einmal die müßi- Rumgegrätsche an Red Alerts Barça-Hymne. Beim zweiten Song Lust auf Fußball. Seit Ristics Rückkehr: an mal ein Spiel der Fortuna, sonst Wehmeyer – Groh, Magath, Milewski,
ge Frage beiseite, warum japanische Skins oder Punks eine Platte „Dear Skinhead Girl“ verläuft sich gleich zu Beginn der Bass, Grenzenloses Vertrauen in den Trainer- eigentlich nur vorm Fernseher, wenn wie- Rolff – Bastrup, Hrubesch; Ersatz: Hart-
aufnehmen, um einem der Global Players des internationalen dann gehts munter durcheinander. Kein erkennbarer Fußballbe- fuchs, den König von Düsseldorf. Alle der mal ein großes Spiel übertragen wird wig und von Heesen (zusammengestellt
Fußballkapitalismus zu huldigen, und widmen uns zunächst der zug bei diesem, ja, Liebeslied. Durchaus spannend ist es, der sind sich sicher: Fortuna steigt unweiger- – bei der WM oder EM. von den zwei HSV-Fans in der Band)
Covergestaltung. Band dabei zuzuhören, wie sich der Sänger nicht im mindesten lich auf und Aleks wird gut. zu 5: Körperliche Ertüchtigung findet bei zu 8: Wir fordern das Trainergespann Bis-
Die Vorderseite der Single, in schlichtem Schwarz-Weiß gehal- dafür interessiert, was der Bassist macht, der wiederum den zu 5: Wir spielen selten und haben den uns nicht auf dem Fußballfeld statt! Marc: kup/Schafstall/Lattek – ein trinkfestes
ten, ziert die klassische Clockwork-Orange-Figur, allerdings mit Schlagzeuger ignoriert, der zumindest zeitweise auf den Gitarri- olympischen Gedanken als abstraktes „Spielen tue ich nicht, außer ab und an Trio mit sicherlich sehr interessanten tak-
einer Nase, die sich nicht recht entscheiden kann, ob sie nun nur sten achtet. Das Ergebnis ist so schräg, dass John Peel seine Freu- Hauptziel. mal ein bisschen ,kicken‘, aber das kann tischen „Einfällen“ nach interner Skatrun-
Steffi-Graf-Länge erreicht oder doch Pinoccio-Ausmaße anstrebt. de dran hätte. zu 6: Georg Koch – Sven Backhaus – Carlo man nicht wirklich Fußball nennen. Die de. Deshalb auch das Dreiergespann!
Jener Typ hält mit dem rechten Bein einen Ball hoch, der aber „Long for United“, der einzige Titel auf der B-Seite, beginnt Werner, Paul Janes – Darko Drazic, Carlos anderen Bandmitglieder ,ficken‘ lieber.“
kein Fußball darstellt, sondern entweder einen protzig aufge- balladesk, bis ein Steigerungslauf einsetzt und rasch alles durch- Valderrama, Vlatko Glavas, Markus zu 6: Sepp Maier muss dabei sein, die Allofs- Kontakt:
motzten Handball oder einen windschnittigen Beachvolleyball. einander geht und man als Konsument trotz intensiven Anfang, Manfred Bockenfeld – Klaus Brüder, die Rummenigges – und der Kai- MT Brains aka Ristics Willige Vollstrecker
Diese ganze angedeutete Aktion des Fußtritts wird konterkariert Bemühens davon ablässt, Text oder Songstruktur nachvollziehen Allofs, Sven Demandt ser wäre auch fein; alle in ihren besten sind per eMail unter djshlomo@web.de zu errei-
von der Hintergrundfläche, die von einem Spinnennetz voller zu wollen. Mitten im Song taucht dann der Titelslogan auf. Mit zu 7: Max Merkel, weil er die größte Erfah- Jahren versteht sich! Nicht zu vergessen: chen. Bratseth sind im Netz unter www.brat-
Scherben ausgefüllt wird. So könnte der unbedarfte Betrachter einem versöhnlichen Ohohoho endet diese Hymne. Abpfiff. rung hat. Paul Breitners wegen seiner Corny-Wer- seth.de, der Kontakt läuft über: bratseth@gmx.de,
zumindest die wirre Konstruktion aus Linien und Geodreiecken Fazit: Ein geniales Zeitdokument, ebenso charmant wie bung! Hrubesch Youth erreicht ihr unter Bernd c/o
deuten. Die Hinterseite zeigt das Wappen der Premier League, absurd. Zudem können Platten, die Cantona Superstar gewidmet zu 7: Unser Schlagzeuger Fränkie Disco: Er Fidel Bastro, Rendsburger Str. 5, 20359 Ham-
nennt die Songtitel und die wichtige Information, dass die sind, so schlecht nicht sein. hat zwei Daum(en). burg, Tel.: 040-37 90 116.
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dabei eingezäunt ist, versteht sich von wichtig wie der Verfassungsschutzbericht dern in der Schublade, in der es die ver zwischen die Zähne schiebt. In einem nis ist durchwachsen, zu gut waren eben
Patrice „Ambient Spirit“ selbst. Aber dann gibt es immer wieder von 1982. Mein Gott, wie zuckersüß und Unterschubladen Trip Hop, Drum’n’Bass, Hamburger Stadtteil erblickte ihnen zu die Vorgaben. Dafür gibt es jetzt rein
(Yo Mama) diese alten Bekannten, deren Existenz arschtretend zugleich ist dieses neue Oi- Dub und Reggae gibt. 1995 erschien „Bass Ehren die Turbojugend das Licht der stimmlich Alternativen zum Näsel-Sound,
man vergessen hat, deren Wiedersehen Machwerk der Vanilla Muffins. Macht is Maternal“ von Smith & Mighty, und das Welt. Doch es gilt sich immer wieder zu besonders schön ist da das Rumnuscheln
Der Mann ist verdammt jung. Ein musika- aber Freude bereitet. Leatherface etwa, schlichtweg süchtig. Da sieht man auch gerade einmal in 3000er Auflage. Ihre versichern: Turbonegro sind nicht mehr. des Herrn Deluxe.
lischer Anelka, wenn man so möchte, der die Punkrockonkels aus Großbritannien mal über den Muffins’schen Versuch hin- Stunde war noch nicht geschlagen. Bristol Daher brauchen wir Wiederveröffentli-
eine atemberaubende Melange aus Reg- haben vor ein paar Jahren einige wunder- weg, eine echte Ballade aufs Vinyl zu zau- sollte erst durch Massive Attack und Tricky chungen alter Aufnahmen, egal wie be-
gae, Hip Hop, Soul und Folk hinlegt: bare Platten aufgenommen, um sich bern. einen Namen auf der musikalischen Land- langlos deren musikalische Qualität war. Beenie Man: „Art and Life“
Diese Stimme, das Timbre, der Flow, die danach ins Seniorenheim zurück zu zie- karte erhalten. Smith und der Mighty Jetzt ist man bei ihrem Erstling angelegt, (Virgin)
knallige Produktion (Mathias Arfmann hen. Nun sind sie wieder ausgebrochen arbeiteten eher im Hintergrund und mix- der im Nachhinein den Stempel „Geburts-
mal wieder) lassen aufseuchzen. Um noch und lassen mit „Horsebox“ aufhorchen. V.A. „Splash! Allstars Event Album“ ten. Dass sie das beherrschen, bewiesen stunde des Death-Punks“ aufgedrückt be- Erstklassiger Dancehall-Hip-Hop-Reggae,
tiefer in die Phrasenkiste zu greifen: Her- Geröhrt wird immer noch fleißig (Joe (Phatline Records) sie mit einem famosem Set im Rahmen kommt. Naja. Von den Klassikern „Apoca- der sich anstrebt die Charts von oben ken-
zen zerbrechen und Liebesbriefe zer- Cocker wohnt gleich nebenan im Lang- der DJ-Kicks-Serie. Trip Hop wurde in der lypse Dudes“ und „Ass Cobra“ doch ein nen zu lernen. Dass sich der jamaikani-
fließen, wenn „Shine on my way“ oder zeitpflegezimmer) und auch die melodi- Anlässlich des gleichnamigen Hip-Hop- Zwischenzeit chartstauglich und Smith & paar Kilometer entfernt. sche Ausnahme-Ragga-Künstler Beenie
„Everyday good“ angespielt werden. Und sche Linie ist deutlich zu vernehmen – Festivals hat dieser Sampler das Licht der Mighty galten auf einmal als viel verspre- Man nach vielen Jahren Hoffnung auf
der ganze Kindergarten tanzt zu „Party“. dennoch schieben die Bengels jetzt eine Welt erblickt. Der abgeschöpfte Rahm der chender Act. So enttäuscht ihre letzte Ver- kommerziellen Erfolg machen darf, ver-
Dazu kommt die hervorragende musikali- ruhigere Kugel. Bei den 14 Songs bleibt hiesigen Rap-Szene, mit (fast) allem, was öffentlichung „Big World Small World“ Absolute Beginner dankt er nicht nur seiner außergewöhnli-
sche Umsetzung, für die unter anderem die Handbremse stets angezogen. Auch dazu gehört: blöden Texten (bei denen nicht zuletzt deswegen, weil sie insgesamt „Bambule Boombule“ chen Stimme und dem gegenwärtigen
die Bläserabteilung der Skatalites und die wenn sie nicht ganz an die Klasse vergan- man sich nicht selten wünscht, sie nicht zu glatt ist. Auf „Bass is Maternal“ geht es (Buback) Dancehall-Hype, sondern auch dem Mit-
Schweizer Ganglords (Tourerfahrung mit gener Tage anknüpfen: ein feines Werk. verstehen zu müssen), deftigen Beats, ungeschliffener zu – als Zwischenschritt wirken von Herr- und Damschaften wie
Lady Saw) Sorge trugen. Da sieht man exklusiven Tracks, Hodenbewusstsein und zwischen den Drum’n’Bass-Veröffentli- Mit Remixalben ist das ja so eine Sache. Wyclef, Redman und Kelis. Mit dieser Plat-
gerne über das spirtuell-religiöse Tamtam Dancehall-Effekten. Die üblichen Ver- chungen als More Rockers und den Mancher Eintopf wird durch das Aufwär- te hat Beenie Man die Messlatte im Kampf
hinweg. Mr. Gentleman hat Konkurrenz Vanilla Muffins dächtigen sind vertreten: Curse, Eins Zwo, geschmeidigeren Trip Hop-Nummern. men leckerer, die meisten Gerichte kann gegen seinen Gegenspieler Capleton so
als Kölscher Gelegenheitsjamaikaner be- „Gimme some Sugar Oi!“ Ferris MC, Plattenpapzt, Gentleman, man aber spätestens nach dem zweiten hoch gehängt, dass Dietmar Mögenburg
kommen. (Knock Out Records) Dynamite Deluxe, Jan Delay. Die große Erhitzen wegschmeißen. Oder nur in Ein- schwindelig würde (Wenn er denn von
Mehrheit ist dabei mit exklusivem Materi- Turbonegro zelteilen genießen. Der beste Eintopf der Beenies Messlatte springen müsste).
Du hörst diese Platte und siehst vor dei- al vertreten. Der Stand der Bewegung, „Hot Cars and Spent Contraceptives“ Absolute Beginner hörte auf den Namen Während Capleton fundamentalistischer
Leatherface „Horsebox“ nem Auge einen Riesen-Fanmob beim lediglich Stuttgart scheint unterrepräsen- (BitzCore) „Bambule“ und war eine Bestleitung in Anhänger der Bobo Shanties ist, einer
(BYO Records) Fußballspiel. Alle singen, keiner klatscht. tiert. Sachen „Näselnder Hip Hop“ (mit Aus- radikalen Gruppe innerhalb der Rastafari-
Minutenlang. Immer wieder diese Hym- Turbonegro pflegten stets gute Beziehun- nahme des drögen „Liebesliedes“). Nun bewegung (sozusagen die Ultras Jamaika),
Man vergisst so vieles im Laufe der Jahre. nen. Dann kommst du zurück in die gen zu Deutschland. Ihre Schnauzbärte sucht ein komplettes Mixalbum die Nach- gilt Beenie Man als moderater. Das gilt
Zum Beispiel die Namen enger Verwand- Gegenwart und findest dich in der Mitte Smith & Mighty „Bass is Maternal“ ließen kulturelle Missverständnisse im frage auf dem Markt. Sich an die Arbeit auch für die Musik. Auf „Art and Life“
ter. Trifft man dann unverhofft auf seine des Zimmers wieder, die Anlage voll aufge- (Stud!oK7) Keim ersticken. Sie sangen sogar ein Stück gemacht haben: Bo und Ferris, Dynamite regieren die gemäßigten Vibes und Beats.
Onkel und Tanten, fallen sie einem wie- dreht, deine Arme ganz Ultra-mäßig zum auf Deutsch, in dem Hansa Rostock vor- Deluxe, Patrice oder die Dub-Artisten So schmeckt der Sommer. Wenn es denn
der ein, die Namen. Hallo Heinrich, Himmel geworfen und mitgrölend. Was Noch eine Wiederveröffentlichung. Dies- kommt, und veröffentlichten ein Platten- Audio Active. Abgelehnt wurden niemand noch einer werden sollte.
Guten Tag Anneliese. Dass die Freude auch immer. Die Texte sind ungefähr so mal nicht in der Sparte Punkrock, son- cover, auf dem Derrick sich einen Revol- Geringeres als die Stereo MCs. Das Ergeb- Andreas Beune
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… diesmal mit Borussia Mönchengladbach, dem VfL Bochum und dem FC Bayern München
munder. Lassen wir uns nur kurz ablen- das würde uns schon reichen, mehr wol- Fan, genauso wie wir sehnsüchtig darauf
Mönchengladbach ken von Fräulein Möller in Königsblau. len wir ja gar nicht. warten, dass endlich gestochen scharfe
Mit Hans Meyer gegen Denn wir haben genug zu tun, unseren Heiko Diekhans Bilder von des Kaisers Nackttanz am
die Operettenkicker Durchmarsch zu planen und uns darauf Strand von Samoa auftauchen. Denn zwar
zu freuen, Beckham und Co. bald in der wissen wir, dass er ohne nennenswerte
Das Schicksal meint es zweifellos derzeit Praxis die strukturelle Überlegenheit des Bayern München Bekleidung eine kesse Sohle aufs sandige
nicht gut mit uns. Den Bundesligaufstieg Gladbacher Konterfußball zu demonstrie- Der Kaiser ohne Kleider Parkett gelegt hat, als er von unserer über-
auf der Zielgeraden doch noch vergeigt, ren. Gehen wir beherzt zur Sache, ob in raschenden Meisterschaft am letzten
Schwungrad Cottbus kickt jetzt erstklassig. Ahlen oder in Nürnberg. Denn wir haben Neulich fiel mir auf dem Trödelmarkt ein Spieltag erfuhr. Nur wie hat er getanzt?
Und schlimmer noch, der wichtigste Titel – abgesehen selbstredend von den besten alter Fotoband in die Hände, Pierre Litt- Limbo mit zwei bezahlten Helfern, die
der letzten Jahre ist auch noch hinfort Fans der Welt – eine Geheimwaffe namens barskis privates Album der Weltmeister- ihm die Stange gehalten haben? Polka mit
geweht. Der Fußballbund hat den mühse- Hans Meyer auf der Trainerbank sitzen. schaft 1990. Und gleich auf den ersten Sei- seiner Ehefrau? Einen Volkstanz mit
lig erkickten und ergrätschten Hallen- Den Mann, den ganz Fußball-Deutschland ten ist die Lichtgestalt des deutschen geschmückten Eingeborenen? Aber an-
meistertitel 2000 samt den zugehörigen im Aktuellen Sportstudio sehen will. Fußballs mehrfach vorteilhaft zu sehen, scheinend waren keine Paparazzi vor Ort,
200 000 Mark am grünen Tisch dem Final- Meyer ist mehr als ein Quoten-Ossi im Franz Beckenbauer in seinen besten Jah- die von einer Boje aus die nächtlichen
verlierer Greuther Fürth zugeschustert? wilden Westen. Meyer ist hundert Prozent ren. Das fällt vor allem auf, weil der zu die- Auschweifungen am Strand hätten foto-
Nur weil unser Quido Lanzaat am Silves- TV-kompatibel und verfügt über ein eben- sem Zeitpunkt noch schwarze Schopf grafieren können. Noch nicht einmal die
terabend in Amsterdam das neue Jahr mit so lässiges wie bissiges Mundwerk. Womit Beckenbauers mittlerweile in Ehren er- Hofschranzen von der Bildzeitung waren
einer lustigen Zigarette begrüßt hat und wir wieder beim Fall Lanzaar wären, Mey- graut wenn nicht sogar schon zum lupen- da und die begleiten Lothar Matthäus
die Altherrenriege aus Frankfurt harmlo- ers Kommentar: „Ich schließe aus, dass es reinen Deckweiß mutiert ist. sogar zum Einkaufen mit der Arzttochter.
ses THC immer noch für Doping hält. Zahnpasta war.“ Der rapide Pigmentverlust wirft natür- Und schließlich würden wir doch zu
Dabei hat Lanzaat nur drei Minuten mit- Torsten Sülzer lich einige Fragen auf. Griff der Kaiser gerne wissen, wie der Kaiser es geschafft
gemacht. Zweitens: Statt der Fohlenelf gab’s gleich zehn Strafrunden oder so mit Kohle und Stahl nichts mehr zu tun schon 1990 zu technischen Hilfsmitteln? hat, die Weltmeisterschaft 2006 nach
vom Niederrhein stieg Schwungrad Cott- ähnlich. Mittlerweile ist Middendorp in haben möchte. Deshalb sucht sich der VfL Konkret: Hat der Kaiser vorher gefärbt? Deutschland zu holen. Was hat er wohl
bus auf. Und drittens zog es Talent Marcel VfL Bochum Ghana und macht dort weiter wo er bei auch immer Trainer aus, die daher kom- Oder nur getönt? Und warum hat er dann den FIFA-Kollegen versprochen, damit sie
Ketelaer zum HSV, dessen Fans sich gleich Gimme hope, Katze! uns aufgehört hat. Nur wahrscheinlich men, als hätten sie gerade die Nacht- urplötzlich damit aufgehört? Hat ihm viel- den Daumen für Südafrika senken. Glas-
bei Fischfrikadelle und zu viel Holsten tra- verstehen ihn die Kicker dort unten nicht schicht hinter sich. Nachfolger Ralf ist leicht die Ehefrau bedeutet, er solle mit perlen, Fußbälle, eine Dienstreise von
fen, um „So ein Tag, so Ketelaer wie heu- Als Fan des VfL Bochum ist es schon ver- und der Erfolg kommt wie von selbst. auch so einer. Den Paradeschnauzbart aus der Färberei aufhören, weil das immer Rudi Gutendorf oder die Zusage, mit der
te“ zu dichten. Kein Quatsch! Meine Quel- dammt schwer, sich nicht zu fühlen wie Dass wir nun trotz des Midden- seiner Zeit als König der Lüfte hat er sich eine Riesensauerei ist und sie hinterher DFB-Auswahl als Aufbaugegner für das
le: www.hsv-ole-ole.de. der Bill Murray in „Täglich grüßt das Mur- dorp’schen Gastspiels doch wieder als Auf- abgenommen, aber wie „Strukturwandel“ immer die Handtücher in die Reinigung heimische Nationalteam vorbeizuschau-
Okay: Nicht lang her, dass auf dem meltier. Zwar wachen wir nicht täglich mit steiger grüßen, ist ein kleines Wunder, geschrieben wird, weiß er auch allenfalls schleppen muss. Oder war es knallhartes en?
Bökelberg statt der Montagabend-Spät- der gleichen Melodie aus dem Radio- und es würde mich nicht wundern, wenn ansatzweise. Aber er hat die Truppe im und langfristiges Kalkül, um den Mitglie- Also, Kaiser Franz, veröffentliche die
schicht das Schreckgespenst Regionalliga wecker auf und Andie McDowell ist auch einige unsere Fanblockkollegen den Griff und obendrein das Bochumer Publi- dern des Exekutiv-Komitees zu demon- Gesprächsprotokolle der WM-Bewerbung
Stammgast war. Aber damit ist jetzt voraus- nicht hinter uns her, aber ansonsten passt guten Enatz immer noch auf den Schul- kum befriedet, was nahe an einen Frie- strieren: „Hier kämpft ein alter Mann mit und zeige uns dein Fotoalbum aus Samoa.
sichtlich und hoffentlich Schluss. In- alles. Abstieg, Aufstieg, wir machen alles tern durchs Bermuda-Dreieck tragen. densschluss in Camp David heranreicht. grauen Haaren um seinen Lebenstraum. Und, ach ja, die letzte Friseurrechnung
zwischen traben nämlich etliche hoff- besser, Abstieg, das wird unser schwerstes Denn Dietz war und ist ein formidabler Also, den Friedensnobelpreis für Ralf und Zerstört ihn nicht!“ hätten wir auch ganz gerne eingesehen.
nungsvolle Jungkicker neben unseren Jahr, Aufstieg, wir wollen uns etablieren, Old School-Recke, einer mit Kipplore im uns einen Platz im gesicherten Mittelfeld, Das wüsste man ja doch ganz gerne als Jan Haller
zahlreichen Lieblingen wie van Lent, Abstieg, das wird unser schwerstes Jahr, Garten und Bilder vom Vater im Flöz auf
Witeczek oder Kamps im Leibchen der Aufstieg, Abstieg, Ziel ist der sofortige Minister Stein. Einer, der an der Trinkhal-
einzig wahren Borussia übers Trainings- Wiederaufstieg, Aufstieg. Und den ganzen le über den Buchsbaumbewuchs in der • UMBRO • ADIDAS • EVERLAST • LONDSDALE • PIT BULL • BLUE SYSTEM • ALPHA •
gelände, es herrscht Aufbruchstimmung. Kram noch mal von vorn. Da kann man Laube diskutiert und dann noch zwei Fla- A N
Selbst ich habe das Licht gesehen: Nach zwischendurch schon mal die Lust verlie- schen Fiege-Pils für auffen Weg in die D E
dem Auswärtssieg bei der Fortuna in Köln ren. Und wir waren zu Beginn der letzten Taschen der Jogginghose stopft.
M Der neue 64-seitige Katalog Oder schriftlich bei: W
schnappte ich mühelos eine Klopapier- Saison auch kurz davor. Diesen Working-Class-Geruch nach Pils,
rolle, die Igor Demo in den Gästeblock Da regierte bei uns Ernst Middendorp Schweiß und Currywurst im Gehen
I erscheint Ende August! world-of-football
R B
gewuchtet hatte. Wer solche Zeichen nicht und seine Herrschaft war eine relativ mögen wir ja alle, obwohl im Ruhrgebiet Jetzt schon kostenlos Schwanthalerstraße 23
zu interpretieren weiß! freudlose. Der Vorname war Programm, kein Tag vergeht, an dem nicht minde- A A
L anfordern! 80336 München
Halten wir uns nicht auf mit kleinkarier- es wurde recht wenig gelacht an der stens ein Oberbürgermeister oder Land- L
ten Tiraden gegen Domstädter und Dort- Castroper Straße, und falls doch mal, rat den Strukturwandel beschwört und • A
N Tel: 0180 - 5 000 555 N
I Fax: 089 - 54 50 68 01 www.world-of-football.de C
K E
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46 NACH DEM SPIEL IST VOR DEM SPIEL

„Ich sag nur ein Wort: Vielen Dank!“


(Horst Hrubesch)
Günter
Hetzer Impressum
1. Jahrgang

Redaktion:
Reinaldo Coddou H.
Tel: 0171 - 466 50 26

A
uf meine letzte Kolumne habe ich green „Die Wanne ist voll“ von Helga Fed- E-Mail: reinaldo@11freunde.de
viele nette Zuschriften erhalten, dersen und Didi Hallervorden. Delling
vor allem von Leserinnen, mit und ich natürlich sofort auf die Tanz- Philipp Köster (V.i.S.d.P.)
wertvollen Ratschlägen zur Haarpflege. fläche und im Bocksritt abgefetzt. Was für Tel: 0171 - 190 93 93
Darüber habe ich mich sehr gefreut, ins- ein Spaß! Dann Ententanz und endlich E-Mail: philipp@11freunde.de
besondere über den Hinweis von Frau kamen auch Didi Hamann und Horst
Pinkat aus Dortmund-Derne. Der Sauer- Hrubesch in Schwung. Disco-Fox vom Mitarbeiter dieser Ausgabe:
ampfer wirkt Wunder und sorgt für zusätz- Feinsten und Horst hat geführt. Schließ- Mark Hanner, Felix Mergen,
lichen Glanz. lich eine Polonaise durchs ganze Haus. Thorsten Schaar, Rainer Sprehe,
Neulich habe ich übrigens zusammen Ribbeck machte vorne den Schneepflug Andreas Beune, Stefan Stricker,
mit dem anderem, dem Delling, den durchs ängstliche Personal und ich immer Robert W. Grauel, Torsten Sülzer
Grimme-Preis bekommen. Da habe ich von hinten: „Grüner wird’s nicht!“ Wir
mich sehr gefreut, weil ich die Märchen spontan auch bei Mayer-Vorfelder ins Zim- Satz und Gestaltung:
der beiden immer sehr gemocht habe. Vor mer rein. Da war schon Licht aus und Reinaldo Coddou H.
allem die Geschichte von Rapunzel, we- Matratzenhorchdienst, aber uns egal. Mit
gen der langen Haare, die ich ja nun auch Gebrüll über Tische und Bänke gings, Kontakt:
mein Eigen nenne. Der Delling mag Rum- und der Kollege völlig verwirrt, mit Schlaf- 11 Freunde
pelstilzchen, hier Zusammenhänge herzu- maske und im Nachthemd. Erich süffi- c/o Philipp Köster
stellen, überlasse ich Ihnen, liebe Leser. sant: „Na, schon auf der Suche nach dem Heinrich-Sauer-Straße 10
Apropos Delling, vor kurzem war ja neuen Trainer?“ 53111 Bonn
auch Europameisterschaft und ich wieder Dann war aber schon wieder Schluss, Email: info@11freunde.de
ganz vorne dabei. Sie werden mich sicher die meisten Spieler verzogen sich auf die
im Fernsehen gesehen haben. Kleine Terasse und zündeten sich dort den Tan- 11 Freunde im Netz:
Anekdote für Sie: Am Abend nach dem nenbaum an. Delling und ich beschlossen www.11freunde.de
vergeigten Spiel gegen Portugal haben die Fliege zu machen, schließlich hatten
Delling und ich noch im Mannschafts- Hartmanns Waldemar und Dieter Kürten Auflage:
quartier vorbeigeschaut und mit der Trup- angekündigt, im „Mejklockje“ noch an 5000 Exemplare
pe mal ein bisschen Gas gegeben. Schließ- den Start zu kommen. Wir also raus aus
lich waren wir optimal vorbereitet. Der dem Hotel, da sah ich plötzlich den Gesamtherstellung:
Delling hatte eine Spritzblume am Revers, Kicker-Chefredakteur. Saß als Ginster Saladruck, Berlin
ich hatte die gute alte Zaubertinte, ein getarnt in der Hecke und fotografierte wie
Furzkissen und den lachenden Aschen- wild. Ich schnell geschaltet: „Rainer, wo Bezugsbedingungen:
becher im Gepäck. Und wir hatten vorher drückt denn der Holzschuh?“ Spitzenwitz, „11 Freunde“ erscheint zweimonatlich.
schon mächtig an der Leine gezogen, also finde ich, weil der ja Rainer Holzschuh Der Jahresbezugspreis beträgt derzeit 30
vor allem ich. Delling immer nur Chianti, heißt. Bei Waldemar war es dann nicht DM zuzügl. Versandkosten. Der Preis
aber ich zwei Wodka Feige, fünf Barcadi mehr so der Bringer. Dieter Kürten hing eines Einzelheftes beträgt 5 DM.
und vier Korn-Cola. Das war auch nötig, die ganze Zeit missmutig am Büfett ab.
denn als wir ankamen, war die Stimmung Klarer Fall, Silberlocke war stinkig, weil er Und überhaupt:
noch wie in Leverkusen, letzter Spieltag. die ZDF-interne Tipprunde gegen Arie Die Zeitschrift und alle in ihr enthalte-
Trübe Tassen, wohin man blickte. Nur Haan verloren hatte. Knapp, aber doch. nen Beiträge und Abbildungen sind urhe-
Ribbeck und Bierhoff tanzten eng, „Satz mit X, lieber Dieter“, sagte ich zu berrechtlich geschützt. Mit Ausnahme
während Scholl, Jancker und Nowotny an ihm und blickte in den Spiegel neben der der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine
der Bar ihre Mobiltelefone programmier- Tanzfläche. Meine Haare lagen perfekt. Verwertung ohne Einwilligung der
ten. Aber ein Wink an die Bigband genüg- Ich nippte zufrieden am Barcadi und Redaktion strafbar.
te, und schon spielte die Kapelle den Ever- dachte: „So lässt es sich aushalten.“

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