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Β Administrative und finanzielle Strategien 99

6 D I E P R O V I N Z E N ALS T E I L DES RÖMISCHEN WELTREICHES: DIE VER-


WALTUNG IN DER K A I S E R Z E I T

Auch in der Prinzipatszeit bildeten die Provinzen die geographischen und strukturellen
Grundeinheiten der Verwaltung des römischen Weltreiches. Der Prinzipat brachte allerdings
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auch Veränderungen mit sich, die sich auf die römische Verwaltung der Provinzen und damit
auf das Schicksal der Bevölkerung auswirkten.

6.1 Veränderte Voraussetzungen für das Imperium: der Prinzipat als neue Mo-
narchie
Augustus konnte nach den Bürgerkriegen endlich die verschiedenen gesellschaftlichen Grup-
pen und Bürgerkriegsparteien einigermassen miteinander versöhnen und unter einer neuen
Monarchie scheinbar die Verfassung und Freiheit der Republik wieder herstellen.792 Seine
militärischen Erfolge und der damit verbundene Rückhalt in der Armee, sein ungeheurer
Reichtum und eine Republik, die sich selbst überlebt hatte, waren die Voraussetzungen für
diesen Schritt. Diese Voraussetzungen hatte die Republik durch die stete Expansion selbst ge-
schaffen: für Rom gab es kein Zurück mehr zum Stadtstaat und seinen Institutionen.793 Augu-
stus konnte sich selbst fast unbegrenzte Vollmachten verschaffen, wie sie vorher weder für
den Senat noch für eine Einzelperson innerhalb des römischen Staates existiert hatten.794
Die Voraussetzungen für seine unbestrittene Autorität hatte Augustus teilweise auch selbst
geschaffen, indem er potentielle Gegner liquidiert hatte und weiter liquidate.' 95 Dass auch der
so viel gerühmte Friedensbringer Augustus mit Argwohn und Härte regierte und unerbittlich
seine Macht verteidigte, zeigt neben anderen die folgende Erzählung Suetons:
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Vgl. Augustus, Res gestae 1,1; Luttwak, Strategy (1979) 7; Yuge, Kaiseridee (1980) 439; Starr, Empire
(1982) 9-35; Garnsey - Salier, Empire (1987) 107; De Blois, Army and Politics (1987) 52-55.98 Anm.
169; Nippel, Polizei (1988) 153. Für Tacitus hingegen blieben Freiheit und Prinzipat unvereinbar (vgl.
Tacitus, Agricola 3,1). Für ihn war die Ermordung Cäsars der gescheiterte Versuch gewesen, die Freiheit
(der Republik) wieder herzustellen (vgl. Annalen 1,8,6). Aus dieser Überzeugung lässt sich auch seine
kritische Einstellung zur Politik und den Leistungen des Prinzipats erklären. Trotzdem wollte auch Taci-
tus nicht die Republik zurück, da diese durch ihre zu grosse Freiheit das Chaos der Bürgerkriege herauf-
beschworen hatte (vgl. Agricola 2,3). Für Tacitus war der Prinzipat ein geschichtlich unvermeidbares Ü-
bel, das den Staat vor den Bürgerkriegen und dem Verfall retten und die (beschränkte) Freiheit bewahren
konnte (vgl. Annalen 1,9,5). Aus dieser Überzeugung schloss sich Tacitus auch nicht denjenigen an, die
unter dem Einfluss stoischer Philosophie gegen die Kaiser intrigierten (vgl. Agricola 42,4). Für Tacitus
war deshalb ein Kaiser wie Nerva der beste Prinzeps, der Freiheit und Prinzipat zusammenzubringen
wusste (vgl. Agricola 3,1). Nach seiner Meinung sollten sich die Bürger aber weder in aussichtslosem
Kampf gegen den Prinzipat aufreiben, noch sich in ekelhafter Schmeichelei unterwerfen (vgl. Agricola
42,4; Yuge, Kaiseridee (1980) 441 f.; MacMullen, Enemies (1975) 45). Auch andere Autoren beklagen
den Verlust an Freiheit, der mit dem Regime von Augustus einherging (vgl. etwa Horaz, Epistula 1,7;
Starr, Empire (1982) 34). Zum Verlust an Freiheit im Prinzipat vgl. auch Lucanus, Pharsalia (= Bürger-
krieg). Allerdings muss hier auch erwähnt werden, dass die beklagte Freiheit primär als Freiheit der aris-
tokratischen und senatorischen Oberschicht zur freien Meinungsäusserung und zur Teilnahme an den Re-
gierungsgeschäften verstanden wurde. Eine Freiheit aller Reichsbewohner lag wohl ausserhalb der Denk-
weise (vgl. Starr, Empire (1982) 55). Als Trost blieb den Senatoren immerhin die Verwaltung ihres
Reichtums, der zu einem grossen Teil in Land angelegt war. Denn auch in der Prinzipatszeit verfügte die
römische Aristokratie über einen Grossteil des Gesamtvermögens des Imperiums (vgl. ebd. 63f.).
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 146-155. Zur Feststellung der Auflösung der Republik bzw. zur
Negierung deren Existenz in einigen Aussagen Cäsars kurz vor dessen Ermordung vgl. Morgan, Caesar
as Tyrant (1997) 23-40.
Vgl. Tacitus, Annalen 2,5,1; Bengston, Römische Geschichte ( 6 1988) 217-240; Yuge, Kaiseridee
(1980) 439f; Nippel, Polizei (1988) 153f. So beschnitt die Machtfülle des ersten Princeps nicht nur die
Kompetenzen des Senates, sondern auch diejenigen der Statthalter (vgl. Ungern-Sternberg, Weltreich
(1982) 271). Zur Machtpolitik von Augustus und der Bewertung seiner Person vgl. u.a. Millar - Segal,
Caesar Augustus (1984), oder Schmitthenner, Augustus (1985) 286-298. Für Seneca steht es deshalb je-
dem Kaiser gut an, wenn er seine ungeheure Machtfülle durch seine dementia weise und selbstbeschrän-
kend einsetzt (vgl. De dementia; Yuge, Kaiseridee (1980) 443f.).
Octavian hatte nicht nur die ägyptische Königin Kleopatra in den Selbstmord getrieben, sondern liess
auch ihren Sohn Caesarion beseitigen. Dieser war von Antonius als der rechtmässige Erbe Cäsars be-
stimmt worden (vgl. Bengston, Römische Geschichte ( 6 1988) 195.213ff.).
100 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

"Den Prätor Quintus Gallius, der bei einer offiziellen Begrüssung eine zusammengefaltete
Schreibtafel unter seinem Gewand verdeckt hielt, verdächtigte er, ein Schwert zu verber-
gen, wagte aber aus Angst, es könnte doch etwas anderes gefunden werden, nicht, ihn
sogleich zur Rede zu stellen, sondern liess ihn wenig später durch seine Centurionen und
Soldaten vom Richterstuhl zerren, wie einen Sklaven foltern und, als er nichts gestand,
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endlich töten. Vorher hatte er ihm noch mit eigener Hand die Augen ausgestochen" (Au-
gustus 27,4).
Dass der prinzipielle Argwohn nicht unbegründet war, wurde dem ersten Prinzeps zum einen
der gewaltsame Tod von Cäsar vor Augen geführt.796 Andererseits erwiesen die verschiedenen
individuellen und kollektiven, aber stets vereitelten Anschläge seinen Argwohn und seine Vor-
sicht als begründet. Wohl auch deshalb umgab sich Augustus stets mit seiner persönlichen,
aus Germanien stammenden Leibwache. Sie sollte ihn vor Anschlägen aus seinem persönli-
chen Umfeld oder der Prätorianergarde bewahren. Dieses Umfeld, Armee und Prätorianer
sowie die aristokratische Oberschicht waren neben der plebs urbana die Gruppen, deren Loy-
alität sich Augustus und seine Nachfolger stets besonders versichern mussten.797
Die ungeheure Machtfülle, die Augustus mit dem imperium proconsulare maius nun in sei-
nem Amt und auf Lebenszeit vereinen konnte, ermöglichte dem ersten Prinzeps den kontrol-
lierenden, regulierenden und gesetzgeberischen Eingriff in allen Provinzen.
Der Senat hatte Octavian am 16. Januar 27 v.Chr. auf Antrag von Munatius Plancus den Na-
men Augustus, "der Erhabene", verliehen. Die religiöse Komponente des Namens war dabei
sicher kein Zufall. Octavian hiess von nun an Imperator Caesar divifilius Augustus.™
Die absolute Machtfülle des Prinzeps zeigt sich in gewisser Form auch an der Begrifflichkeit:
seit Augustus wurde "Prinzeps" nicht mehr als princeps civitatis, sondern einfach nur mehr
als princeps verwendet und geschrieben.799 Der Kaiser war nun also "der Erste" schlecht-
hin.800 Oktavian hatte sich dabei möglicherweise von Ciceros stolzem Selbstzeugnis inspirie-
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ren lassen:
Ego ... rem publicam defendi: me principem senatui populoque Romano professus sum
nec, posteaquam causam libertatis, minimum tempus amisi tuendae salutis libertatisque
communis.
"Ich habe jedoch ... den Staat verteidigt und habe mich vor Senat und Volk von Rom als
Führer bekannt, und, seit ich in der Erhaltung der Freiheit meine Aufgabe sehe, keinen
Augenblick verloren gehen lassen, ohne unser aller Leben und Freiheit zu schützen" (E-
pistulae ad familiares 12,24,2).
Von seiner Vollmacht waren nicht nur die kaiserlichen Provinzen betroffen, die erst vor kurzer
Zeit "befriedet" worden waren oder auf Grund ihrer Grenzlage stets Truppenkontingente auf-
wiesen, sondern ab dem Jahr 23 v.Chr. auch die senatorischen Provinzen.801 Damit war Au-
gustus allen Magistraten einschliesslich der Konsuln in Rom und den Prokonsuln in den
Provinzen vorgeordnet, wie natürlich auch seinen eigenen legati Augusti pro praetore, den
curatores (Sonderbeauftragten) und schliesslich dem praefectus urbi. Angesichts dieser
Machtfülle war die Gewaltentrennung zwischen Prinzeps und Senat eigentlich nichts weiter
mehr als eine Fiktion.802 Effektiv an der Macht beteiligt war noch eine kleine Führungsschicht,

Vgl. MacMullen, Enemies (1975) If.


Vgl. Starr, Empire (1982) 12.43-46; Griffin, Plebs and Princeps (1991) 24. S. auch o. Kap. 4.2.3.
Vgl. Sueton, Augustus 7,4; Cassius Dio 53,16,6; Vellerns Paterculus 2,91,1; Hanslik, Munatius (KP
3/1979) Sp. 1462; Bengston, Römische Geschichte ( 6 1988) 219f.
Vgl. Augustus, Res gestae 12; Tacitus, Annalen 2,5,1; Volkmann, Princeps (KP 4/1979) Sp. 1137
Vgl. Wickert, Herrscherideal (1979) (1979) 345-348.353f.356 Anm. 25.
Vgl. Cassius Dio 53,32,6; Last, Imperium (1947) 157ff.; Jones, Imperium (1951) 112ff. S.o. Kap.
4.2.2.
Vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 7; Klauck, Religiöse Umwelt II (1996) 54. Trotzdem sollte sich der
Senat noch lange Zeit in Bezug auf das Kaiseramt zumindest formal behaupten können, denn der erste
ritterliche Kaiser war erst M. Opellius Macrinus (217-218 n.Chr.) (vgl. Bengston, Römische Geschichte
( 6 1988) 226).
Β Administrative und finanzielle Strategien 101

die aktive Leitungsfunktionen auf der Ebene des Imperiums innehatte.803 In ihren Händen lag
"der massgebende Einfluss in Politik und Kriegsführung, Administration und Rechtsspre-
chung des Gesamtverbandes des Imperium Romanum - nicht nur der Stadt Rom. Zu ihr zäh-
len daher der princeps und die Angehörigen der domus principis, die Konsulare und die rit-
terlichen Präfekten der höchsten Kategorie (praefectus praetorio, Aegypti, annonae, vigilium,
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classis), die Statthalter, die Angehörigen des consilium principis, die privilegierten Fachjuris-
ten und - unter einzelnen principes, wie unter Claudius und Nero, - auch die leitenden Frei-
gelassenen der Zentralinstanz."804 Obwohl der Senat von einigen Kaisern noch gewisse Kom-
petenzen erhielt, stellte er für sie kein reales Gegenüber in machtpolitischer Hinsicht mehr
dar.805 Als Stimmungsmesser für die Aristokratie, als Beratungsorgan für die Kaiser und als
Vollzugsort für eine tradierte politische Etikette behielt er trotz allem eine gewisse Bedeu-
tung.806
Mit der tribunicia potestas hatte sich Augustus auch den zweiten, zivilen Faktor römischer
Macht gesichert.807 Seine persönliche Macht beruhte nun auf den zwei Säulen von Militär und
plebs.m Diese neue Vollmacht des Prinzeps reichte sogar über den Tod des jeweiligen Amts-
trägers hinaus, wurde doch mit Augustus die Nachfolge dynastisch geregelt. So adoptierte der
Amtsinhaber häufig einen geeigneten Nachfolger, der die Staatsgeschicke weiterführen sollte.
Dies kam sicher auch dem dynastischen Empfinden der Soldaten entgegen. Und der Senat
hatte seine Macht schon vor langer Zeit aus der Hand gegeben, als dass er noch seine antidy-
nastische Einstellung hätte durchsetzen können. Wenn der Amtsinhaber keinen Nachfolger
bestimmt hatte, wurde die Nachfolge häufig mit Waffengewalt geregelt, wobei sich die Präto-
rianer als besonders einflussreich erwiesen.809 Allerdings konnten auch andere grosse Trup-
penverbände in derart heiklen Situationen Einfluss auf die Bestimmung des neuen Prinzeps
nehmen, wie etwa im Falle Vespasians.8'0
Die Konzentration der politischen Macht in der Hand des Prinzeps zeigt sich auch in der
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Entwicklung des römischen Rechts. Obwohl nicht nur die Legislative der Republik sich stark
der rechtlichen Tradition verpflichtet wusste, sondern auch die Kaiser auf bestehendes Recht
rekurrierten, ist doch augenscheinlich, dass die kaiserliche Gesetzgebung anderes und frü-
heres Recht mehr und mehr verdrängte. 8 " Schon Augustus, der den formal-juristischen As-
pekt seiner politischen Aktivitäten stets besonders betonte, Hess sich dadurch nicht abhalten,
seinen eigenen Willen durchzusetzen. Ab Trajan lag schliesslich die gesetzgeberische Gewalt
des Staates fast vollständig in der Hand des Kaisers, und unter Hadrian versiegte auch noch
das Ediktrecht der Prätoren, da das bisherige prätorische Recht zum edictum perpetuum erho-
ben wurde. Auch in der Rechtsprechung und der römischen Gerichtsbarkeit nahm der Ein-
fluss des Kaisers stetig zu: Er konnte mit der Zustimmung einer der betroffenen Parteien ei-
nen Prozess an sich ziehen oder in Verfahren eingreifen, für die eigentlich das Senatsgericht
zuständig war. Als Mitglied des Senates hatte er die Möglichkeit, an dessen Gerichtsver-
handlungen teilzunehmen oder sie gar zu leiten. Dank seinem tribunizischen Interzessions-
recht konnte er auch die Ausführung nicht genehmer Urteile blockieren oder gar verhin-
dern.812

803
Mattern, Strategy (1999) 5, schreibt diesbezüglich zur Aussenpolitik: "The ultimate responsability for
the conduct of foreign affairs in the imperial period lay with a very few people." Zur Komplexität der
Kriterien für die Zugehörigkeit zur römischen Elite vgl. Nicolet, Augustus (1984) 89-128, bes. 107-
117.
804
Christ, Sozialstruktur (1980) 219. Vgl. zur Beteiligung an der Macht auch StarT, Empire (1982) 54-66.
805
Vgl. Volkmann, Senatus (KP 5/1979) Sp. 107; Paltiel, Vassais (1991) 86f.
806
Vgl. Starr, Empire (1982) 59.
807
Vgl. Cassius Dio 53,32,6; Augustus, Res gestae 10,1.
808
Vgl. Syme, Roman Revolution (1939) 337; Griffin, Plebs and Princeps (1991) 26f.
809
Vgl. Luttwak, Strategy (1979) 127; Gesche, Divinisierung (1978) 378.
810
Vgl. Josephus, Bell. 4,601.
811
Dies zeigt sich auch am Sammelsurium-Charakter des römischen Rechts (vgl. Simon, Ius (KP 3/1979)
Sp. 11-18; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 209). Vgl. auch o. Einleitung.
812
Vgl. Starr, Empire (1982) 35.81f.; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 21 lf.
102 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

Eine von Tacitus überlieferte Episode aus der Amtszeit des Tiberius verdeutlicht die Macht-
fülle des Prinzeps. Als dessen Söhne bei der Nachwahl eines Prätors verlangten, dass sich der
Senat über eine Gesetzesbestimmung hinwegsetzte, freute sich Tiberius,
"dass der Senat zwischen seinen Söhnen und den Gesetzen zu entscheiden hatte. Es un-
terlag ohne Zweifel das Gesetz, aber nicht sogleich und nur gegen eine geringe Stim-
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menmehrheit, so jedenfalls, wie die Gesetze auch damals unterlagen, als sie noch in Kraft
waren." (Tacitus, Annales 2,5l) 8 ' 3
Die Machtverhältnisse wurden offenbar von den Kaisern häufig klar ausgesprochen, wenn sie
sich in einem Schreiben an den Senat richteten mit der folgenden üblichen Redewendung:
"Wenn ihr und eure Kinder wohlauf seid, so ist das gut. Ich und die Legionen sind wohl-
auf." (Cassius Dio 69,14)814
Dass die Machtfülle des Kaisers primär einmal auf dem Kommando der römischen Armee
basierte, zeigt auch eine Anekdote aus dem Leben Hadrians: Als der Kaiser einmal mit dem
Sophisten Favorinus über die Bedeutung eines Wortes diskutierte und dieser Hadrian fast zu
widersprechen wagte, mahnten später dessen Freunde Favorinus an, dass er eigentlich im
Recht gewesen sei. Doch Favorinus meinte dazu:
"Ich muss davon ausgehen, dass derjenige der gelehrteste Mann ist, der 30 Legionen hat."
(SHA, Hadrian 15)
Die Machtfülle des Prinzeps ermöglichte aber auch den Blick auf das durch militärische Er-
oberungen zusammengewürfelte Grossreich. Diese Sicht auf das Reich als Ganzes und damit
auf seine Entwicklungsmöglichkeiten jenseits von territorialer Expansion war den Anhängern
der stadtstaatlichen Republik wie Cicero verwehrt geblieben. Für diese Politiker stellten die
Provinzen und ihre Bewohner stets nur den Gegensatz zur Heimat Rom und Italien und sei-
nen Bürgern dar: Sie blieben die nicht zu Rom Gehörigen und damit Ausbeutungsobjekte für
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die (begüterten) römischen Bürger.


Es kommt nicht von ungefähr, dass erst in der Kaiserzeit allmählich die Provinzen und ihre
Bewohnerschaft in ihrer konstituierenden Bedeutung für das ganze Reich gesehen wurden.
Ein neues Sicherheitskonzept für das Reich sowie das Bürgerrecht für alle Bewohner des Rei-
ches, ja sogar gewisse Erleichterungen und Aufstiegschancen für die Sklaven waren eine Fol-
ge dieses neuen Bewusstseins. Diese Hinwendung Roms zum monarchischen Reichsstaat
begann sich mit Cäsar und Augustus zu realisieren.815
Dieser Reichsstaat hatte nicht mehr nur ausschliesslich die kurzfristigen wirtschaftlichen Vor-
teile einer beschränkten Gruppe im Blickfeld, auch wenn natürlich die nobiles, equites und die
cives Romani weiterhin besser gestellt sein sollten als nichtrömische Reichsbewohner und -
bewohnerinnen. Das Interesse der Kaiser wandte sich vermehrt der wirtschaftlichen Entwick-
lung des Imperiums als Ganzem zu. Denn nur durch die regelmässigen Steuereinnahmen aus
den Provinzen waren die längerfristige Finanzierung des Staates einschliesslich Armee und
damit die Erhaltung der persönlichen Machtstellung des Prinzeps sichergestellt.816 Der Kaiser
als Oberaufseher über die staatlichen und privaten Einnahmen überwachte diese deshalb
strenger als dies in der Republik durch Senat und Ritter geschehen war, die vielfach nur den
eigenen Profit vor Augen hatten. Natürlich konnte auch der Kaiser Misswirtschaft, erpresseri-
sche Übergriffe und Selbstbereicherung einzelner Beamter und Steuereintreiber nicht verhin-
dern, doch aufgrund seiner Machtfülle hatte er nicht nur die weitaus besseren Möglichkeiten,
dagegen vorzugehen. Als pater patriae, also Regent des ganzen Reiches, zeigte der Prinzeps
auch mehr politischen Willen dafür.

Tiberius selbst hatte durch die sofortige Übernahme der Prätorianergarde keinen Zweifel über seinen
Willen zur Macht gelassen (vgl. Tacitus, Annalen 1,7,5; Sueton, Tiberius 24,1; Cassius Dio 57,2,Iff.),
und später liess er die Senatoren beim Exerzieren der Prätorianer zusehen, um seine Macht zu demon-
strieren (vgl. Cassius Dio 57,24,5; Nippel, Polizei (1988) 163).
Vgl. auch Josephus, Ant. 14,190. Vgl. zur Konstatierung der Auflösung der Republik auch Morgan,
Caesar as Tyrant (1997) 23-40.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 151f.
S.o. Kap. 4.3.3 sowie Exkurse C.l bis C.5.
Β Administrative und finanzielle Strategien 103

Eine Reichspolitik, die nicht einfach auf die Ausweitung der eigenen Hegemonie beschränkt
ist, erscheint demnach erst als Folge des Prinzipats. Dessen Einführung und der damit ver-
bundene politische Weitblick sind sicher auch als Leistung einzelner Machtpolitiker wie Cä-
sar und Augustus und ihrer späteren Nachfolger zu werten. Ob ihre Motive dabei eher durch
die Sicherung der persönlichen Machtstellung oder durch ein neues Reichskonzept (oder
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womöglich beide) bestimmt waren, ist schwierig zu entscheiden. Denn diese Männer haben
ihrer Nachwelt keine Reichstheorie oder ein Reformprogramm hinterlassen, sondern im bes-
ten Falle Tatenberichte. Sicher ist jedoch, dass die Republik durch ihren Niedergang die Vor-
aussetzungen geschaffen hatte für den Prinzipat und seinen schärferen reichspolitischen
Weitblick.817
Der Bildung des Prinzipats kam sicher auch entgegen, dass die römische Nobilität in den
Bürgerkriegen des 1. Jh.s v.Chr. einen grossen Blutzoll gezahlt hatte, und viele der Überle-
benden die Sicherheit unter Augustus der Vergangenheit vorzogen, insbesondere wenn sie
durch Unterwürfigkeit, Reichtum und Ehrenstellen nach oben gelangen konnten.8'8
Für den politischen Rückhalt des Kaisers war neben der Armee auch die römische plebs von
besonderer Bedeutung. Denn ihr Einfluss auf die Stellung der politischen Führungspersön-
lichkeiten Roms war seit der Zeit der Gracchen enorm gestiegen.8"
Genau wie bei den Truppen, musste auch um ihre Loyalität geworben werden. Geld- und Ge-
treidespenden sowie die Veranstaltung von Spielen wurden von den Kaisern gezielt dafür
eingesetzt, wie dies schon in der späten Republik von reichen und ambitionierten Politikern
praktizierte wurde.820 Sueton berichtet über die von Augustus veranstalteten Spiele:
"Alle seine Vorgänger übertraf er durch die Zahl, die Mannigfaltigkeit und den Glanz
der Schauspiele" (Augustus 43). 821

Dass die römische plebs in der konkreten Politik aber nicht mehr viel zu sagen hatte und in
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Spenden und Spielen eine Ersatzbefriedigung suchte, darauf weist die Aussage Juvenals hin:
"Das Volk, das einst die Herrscher-, die Konsular- und die militärische Gewalt, kurz, alles
verlieh, hält sich jetzt zurück; nach zwei Dingen lechzt es nur: nach Brot und Spielen"
(Satyrikon 10,78-81). 8 2 2

6.2 Die Entwicklung einer neuen Reichskonzeption: vom Stadtstaat zum Reichs-
staat
Günstig auf die Entwicklung des römischen Stadtstaates zum Reichstaat wirkte sich sicher die
relative Offenheit der römischen Gesellschaft für einen gesellschaftlichen Aufstieg seiner
Mitglieder aus. Diese Offenheit stand keineswegs in einem Gegensatz zur strengen hierarchi-
schen Ordnung der römischen Gesellschaft, deren trennende Merkmale Augustus wieder stär-
ker akzentuiert hatte.823

Vgl. Gesche, Weltbeherrscher(1981) 153ff.


Vgl. Tacitus, Annalen 1,2,1; 1,10,4. Diese Stellen belegen deutlich den besonderen Zynismus des römi-
schen Geschichtsschreibers.
Vgl. Schneider, Militärdiktatur (1977) 81; De Blois, Army and Politics (1987) 35.
Vgl. Augustus, Res gestae 15; Tacitus, Annalen 13,31,2; Sueton, Domitian 4,5; De Blois, Army and
Politics (1987) 36; Wengst, Pax Romana (1986) 49.192 Anm. 196; Nippel, Polizei (1988) 153-160;
Starr, Empire (1982) 32f.; Griffin, Plebs and Princeps (1991) 32-46. Vgl. auch Veyne, Pain et Cirque
(1976).
Vgl. auch Augustus, Res gestae 22-23: Für eine inszenierte Seeschlacht liess Augustus eigens einen
künstlichen See schaffen.
Vgl. auch Tacitus, Annalen 4,33,2; Griffin, Plebs and Princeps (1991) 39.
Ein gute und kurze Übersicht bieten Garnsey - Salier, Empire (1987) 107-125. Eine Hierarchie war auch
in der plebs urbana Roms feststellbar, die zusätzlich gefördert wurde. Diese Hierarchie fand ihr Abbild
etwa in der Sitzordnung des circus maximus, dem bevorzugten Kommunikationsfeld der Kaiser mit der
städtischen plebs (vgl. Nippel, Polizei (1988) 156f.l59f.).
104 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

S o w a r e n d i e R ö m e r k e i n e t h n i s c h g e n a u u m f a s s t e r V o l k s s t a m m , s o n d e r n R ö m e r s e i n war
e i n e juristische und p o l i t i s c h e K a t e g o r i e : E n t w e d e r w a r j e m a n d v o n Geburt auf R ö m e r oder
R ö m e r i n o d e r M a n n u n d Frau w u r d e n e s durch d e n V e r l e i h u n g s a k t d e s r ö m i s c h e n B ü r g e r -
rechtes. 824 D i e s e s B ü r g e r r e c h t w a r d a s e i g e n t l i c h e i n i g e n d e E l e m e n t der r ö m i s c h e n G e s e l l -
schaft, die durch verschiedene Kriterien w i e d e r u m in unterschiedliche G r u p p e n getrennt war:
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a b s t a m m u n g s m ä s s i g in p a t r i z i s c h e u n d p l e b e i s c h e Geschlechter 8 2 5 ; v o m V e r m ö g e n s z e n s u s
her in das in f ü n f K l a s s e n unterteilte V o l k , die Ritter und die Senatoren 8 2 6 ; v o n den politischen
B e f u g n i s s e n her in d a s V o l k (populus) u n d d e n Senat; u n d juristisch g e s e h e n in F r e i e u n d
U n f r e i e , w o b e i die S k l a v e n i m Prinzip ausserhalb der G e s e l l s c h a f t standen, da sie als "Dinge"
a n g e s e h e n wurden. 8 2 7 A l l e d i e s e t r e n n e n d e n S t a n d e s u n t e r s c h i e d e w a r e n j e d o c h in g e w i s s e r
W e i s e d u r c h l ä s s i g : s o k o n n t e n S k l a v e n z u F r e i g e l a s s e n e n u n d als F r e i e z u r ö m i s c h e n Bür-
gern werden 8 2 8 ; g e w ö h n l i c h e B ü r g e r zu Rittern; d i e s e w i e d e r u m zu S e n a t o r e n und seit C ä s a r
gar Plebejer zu Patriziern 829 . O b w o h l A u g u s t u s u n d Tiberius aus A n g s t vor einer Z e r s e t z u n g
d e s r ö m i s c h e n B ü r g e r t u m s durch F r e i g e l a s s e n e d i e s e n etliche B e s c h r ä n k u n g e n auferlegten,
stiegen e h e m a l i g e S k l a v e n in der Kaiserzeit dann bis in den Ritter- und Senatorenstand u n d in
h ö c h s t e p o l i t i s c h e Ä m t e r auf. 830 S o s t a n d e n f r e i e n P r o v i n z b e w o h n e m h ö c h s t e gesellschaftli-
c h e M ö g l i c h k e i t e n s c h o n in früher Kaiserzeit o f f e n . D a s r ö m i s c h e Bürgerrecht war auch hier
Sprungbrett für eine militärische und z i v i l e Karriere. Spätestens mit Trajan u n d Hadrian wur-
d e n p r o v i n z s t ä m m i g e r ö m i s c h e Bürger gar zu Kaisern. 8 3 ' D a s Bürgerrecht bot d e m g e w ö h n l i -
c h e n Bürger auch den Vorteil d e s Provokationsrechtes, d a s e i n e m B e s c h u l d i g t e n ermöglichte,

Vgl. Medicus, Civitas (KP 1/1979) Sp. 1199; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 161.
Vgl. Volkmann, Patres (KP 4/1979) Sp. 551.
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Vgl. Sumner, Legion (1970) 67-78. Augustus setzte den Vermögenszensus für die Senatoren wieder auf
Γ000Ό00 HS fest, nachdem dieser vorher von Γ200Ό00 auf etwa 600Ό00 herabgesetzt worden war (vgl.
Cassius Dio 56,41,3; Augustus, Res Gestae 8). Damit verstärkte Augustus wiederum den Unterschied
zwischen Senatoren- und Ritterstand, dessen Zensuslimite weiterhin 400Ό00 HS betrug (vgl. Miliar,
Mittelmeerwelt IV (1966) 35; Gamsey - Salier, Empire (1987) 112f.).
Vgl. Braund, Empire (1988) 10.
Vgl. Christ, Sozialstruktur (1980) 213; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 220-226. Den direkten Aufstieg
(nach dem Aufstieg ins menschliche Sein) zum römischen Bürger konnte der ehemalige Sklave machen,
wenn seine Freilassung (manumissio) vor einem Magistraten (Prätor) oder einer magistratischen Kom-
mission erfolgte und bzw. oder der Herr die Eintragung seines freizulassenden Sklaven in die Zensuslis-
ten beantragte. War die manumissio nur informell, erhielt der Sklave aufgrund der lex Iunia immerhin
das latinische Recht, das ihm seit 23 n.Chr. jedenfalls den Zugang zu den öffentlichen Diensten Roms
ermöglichte. Zu den Gründen, Preisen und Bedingungen für die Freilassung von Sklaven vgl. Hopkins,
Conquerors (1978) 115-171. Insbesondere Frauen wurden eher selten freigelassen oder mussten ihre Frei-
heit häufig teuer erkaufen, da sie durch ihre Gebärfähigkeit für den Sklavennachschub eines dominus oder
einer domina sorgten (vgl. auch Scheidel, Slaves (1997) 156-168).
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 162. Nachdem die patrizischen Geschlechter langsam am Ausster-
ben waren, erhielt Cäsar 45 v.Chr. durch die lex Cassia, Augustus 30 v.Chr. durch die lex Saenia und
später Claudius, Vespasian sowie Titus das Recht als Zensoren, Patrizier zu ernennen (vgl. Augustus,
Res Gestae 2,1; Tacitus, Annalen 11,25; Cassius Dio 43,47,3; 52,42,5; Gundel, Saenius (KP 4/1979)
Sp. 1495). Danach hatte jeder Prinzeps, der allerdings selbst Patrizier sein musste, das Recht der Ernen-
nung (vgl. Volkmann, Patres (KP 4/1979) Sp. 551).
So wird der Freigelassene Pallas unter Claudius kaiserlicher Finanzminister (vgl. Sueton, Claudius 28,1)
und erhält ehrenhalber gar prätorischen Rang (vgl. Plinius, Epistulae 7,29,2; 8,6,13; Hanslik, Pallas
(KP 4/1979) Sp. 435), während Narcissus immerhin quästorischen Rang erreichte und 400 Mio. HS be-
sessen haben soll (vgl. CIL XV 7500; Cassius Dio 60,34,6; Hanslik, Narcissus (KP 3/1979) Sp.
1571). Nymphidius wird für die Aufdeckung der pisonischen Verschwörung von Nero zum Präfekten der
Prätorianergarde befördert und in den Besitz der Rangzeichen eines Konsuls gebracht (vgl. CIL VI 6621;
Tacitus, Annalen 15,72,1; Hanslik, Nymphidius (KP 4/1979) Sp. 216).
Trajan, Hadrian und Marc Aurel sind spanischer Herkunft. S. Severus stammt aus Nordafrika, während
die Mutter seines Sohnes Caracalla Syrierin ist. Maximinus war ein thrakischer Bauemsohn, Philippus
stammte aus Arabien und Decius aus Pannonien. Diokletian war gar das Kind eines illyrisch-
dalmatischen Freigelassenen. Auch Aurelian stammte aus Illyrien (vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981)
229). Unter den Senatoren nahm der Prozentsatz an ausseritalischen Mitgliedern zu, nachdem sich der
Senat zu Beginn des Prinzipats fast ausschliesslich aus dem italischen Raum rekrutiert hatte (vgl. Taci-
tus, Historiae 1,84; Starr, Empire (1982) 59f.).
Β Administrative und finanzielle Strategien 105

sich der Gerichtsbarkeit eines Statthalters zu entziehen. Jetzt bildete der Kaiser die Appellati-
onsinstanz und nicht mehr die Magistraten und die Volksversammlung wie in der Republik.832
Das Bürgerrecht verband demnach die Bewohner des Imperiums in dreifacher Hinsicht: ers-
tens untereinander, zweitens mit Rom und drittens mit dem Prinzeps, dem ersten Bürger des
Staates.833
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6.3 Verwaltungs- und Steuerreformen während der Prinzipatszeit


Die Zentralisierung der politischen Macht in den Händen des Prinzeps zeitigte auch Folgen
für die Provinzen, die zwar weiter als obere Verwaltungseinheiten fungierten. Die wesent-
lichen Entscheidungen wurden nun im Zentrum des Imperiums gefällt.834 Schon Augustus
unterstellte 7 der insgesamt 17 Provinzen seiner direkten Kontrolle, die an Ort und Stelle von
seinen Gesandten, den legati Augusti wahrgenommen wurde. Die später hinzukommenden
Provinzen waren ebenfalls stets kaiserliche Provinzen. Zudem unterstanden ja seit Augustus
auch die senatorischen Provinzen dem imperium maius des Prinzeps. Der Senatorenstand
wurde zugunsten des kaiserlichen Beamtenapparates aus Rittern und Freigelassenen kontinu-
ierlich zurückgedrängt, bis sich die Unterschiede zwischen senatorischen und kaiserlichen
Provinzen im 3. Jh. fast vollständig aufgelöst hatten. Der Einfluss des Kaisers erstreckte sich
dabei immer mehr auch in die lokale Selbstverwaltung hinein, nicht selten auf eigenen
Wunsch der betroffenen Gemeinden.835 Der zunehmende Einfluss in den Provinzen machte
sich auch dadurch bemerkbar, dass der Kaiser immer mehr auch in belanglosen Angelegen-
heiten um eine Entscheidung angegangen wurde, wie dies die Briefe von Plinius an Trajan
zeigen. Doch auch in Rom selbst nahm der Einfluss des Kaisers gegenüber dem Senat stän-
dig zu, der kaum mehr zu eigenen Entscheidungen fähig oder gewillt war.836
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6.3.1 Römische Zentralisation und Ausbau der lokalen Selbstverwaltung


Einerseits wurden die städtischen Verwaltungen ausgebaut und etwas systematisiert, anderer-
seits wurde auch die Administration der Provinzen vereinheitlicht. Allerdings sollten die be-
treffenden Anstrengungen nicht überschätzt werden, da die römischen Eliten in der Regel
funktionierende Verwaltungsstrukturen bereitwillig übernahmen und für die eigenen Interes-
sen einzuspannen suchten. Auch daran lässt sich der römische Pragmatismus erkennen. Ziel
der römischen Verwaltung blieb weiterhin die Steuereintreibung, die Rekrutierung einer aus-
reichenden Zahl von Soldaten und die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung römischer
Diktion. Der Aufbau einer grossangelegten Bürokratie gehörte nicht dazu.837
Wo dies nicht bereits geschehen war, wurden die Provinzen unter Augustus in Unterbezirke
eingeteilt. Diese Neugliederung löste im Westen die alte, meist stammesmässige Gau-Eintei-
lung ab. Jeder dieser Bezirke erhielt eine Bezirkshauptstadt, die als Zentrum für die Verwal-
tung, die Eintreibung lokaler und römischer Steuern, Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit
fungierte.838 Wo es nicht schon städtische Gemeinwesen gab, die diese Funktion ausüben

Vgl. Medicus, Provocatio (KP 4/1979) Sp. 1201; Raber, Coercitio (KP 1/1979) Sp. 1240f. Vgl. auch
das römische Verfahren gegen Paulus.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 231.
Vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 8.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 183. Aus der Zeit Domitians und Hadrians sind sogar Fälle be-
kannt, in denen sich einzelne municipia den Kaiser als städtischen Ober-Magistraten wünschen, der dar-
aufhin einen Präfekten als seinen Stellvertreter entsendet.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 183.276 Anm. 19.
Vgl. Garnsey - Salier, Empire (1987) 20-26.32.39f; Egger, Crucifixus (1997) 7. Ein Grund dafür lag si-
cher auch darin, dass die verwaltungstechnische Grundstruktur "Römische Zentrale - Provinz - Stadt"
immer wieder durchbrochen wurde durch den besonderen Status von civitates liberae und foederalae oder
verschiedensten Klientelfürsten und -königen (vgl. Noethlichs, Judentum (1996) 32).
Vgl. Thomasson, Asia (KP 1/1979) Sp. 636. So unterstanden den Städten Caesaraugusta (Zarazoga)
gemäss Plinius 55 und Carthago Nova (Cartagena) 65 ländliche populi (vgl. Plinius, Naturalis historia
3,24; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 177f.). Das Recht zur Eintreibung lokaler Steuern wurde von den
Römern in der Regel einfach bestätigt, wo es sich um traditionelle Steuern handelte. Wenn es um die
106 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

konnten, wurden teilweise Dörfer in den Rang einer Stadt erhoben oder gar mehrere Dörfer
zu einer Stadt gemacht. In der Tat ist unter römischer Herrschaft eine starke Zunahme von
Städten feststellbar.839 Ob allerdings die Römer die Urbanisierung quasi als Teil einer eigenen
Zivilisierungsstrategie verstanden, ist schwer zu entscheiden.840 Vielmehr dürfte sich auch die
römische Urbanisierungspolitik eher der pragmatisch orientierten Schaffung einer funkti-
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onstüchtigen Administration des imperium Romanum verdanken.


Diese weitergehende Urbanisierung war mit einer zunehmenden Selbstverwaltung der Provin-
zen verbunden, da mit Ausnahme Ägyptens alle Stadtgemeinden des Imperiums über eigene
administrative Kompetenzen verfügten.841 Dazu trug auch die fortschreitende Verleihung des
Status eines municipium oder einer colonia mit der dazu gehörigen Verfassung an provinziale
Stadtgemeinden bei.842 Die damit zusammenhängende teilweise Kompetenz zur Selbstver-
waltung trug wesentlich zur Romanisierung der Provinzen bei. Aelius Aristides preist diese
Urbanisierungspolitik der römischen Kaiser und meint in Bezug auf vorhergehende Herr-
scher,
"dass jene gleichsam Könige über leeres Land und feste Burgen waren, während ihr allein
Herrscher über Städte seid" (Romrede 93).
Die mit der Selbstverwaltung verbundenen Aufgaben wurden besonders älteren und wohlha-
benden Bürgern übertragen. 843 Das dabei praktizierte Liturgien-System funktionierte derart,
dass die Magistraten für ihre Aufgaben keinen Lohn erhielten, sondern höchstens das römi-
sche Bürgerrecht und die damit verbundenen Aufstiegschancen. 844 Damit trug dieses System
in seiner Weise zur Romanisierung einer Provinz bei.845 Daneben versprachen diese Stadtäm-
ter allerdings auch öffentliche Anerkennung und damit einen Prestigezuwachs. Deshalb
konnten im Prinzip nur begüterte Personen diese Aufgaben erfüllen.846 Die Schreibsklaven
oder Stadtschreier der Stadträte (decuriones) hingegen wurden von der öffentlichen Hand be-
zahlt.847 Offenbar wurden diese Ratsherren noch zu weiteren "freiwilligen" Leistungen für die
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Öffentlichkeit verpflichtet.848 Eine gewisse Freigebigkeit den Armen gegenüber konnte zudem
sozialen Sprengstoff entschärfen und vor Unruhen und Aufständen bewahren.849 Überhaupt
wurde ein sehr grosser Teil der öffentlichen Aufgaben, wie auch die Errichtung von öf-

Einführung neuer Steuern ging, entschied in der Regel wohl der Provinzgouverneur. Dies zeigt ein Brief
Vespasians an die spanische Stadt Sabora (vgl. ILS 6092; Reynolds, Cities (1988) 34f.). Vgl. auch Co-
dex Iustinianus 4,62,1; Gamsey - Salier, Empire (1987) 37.
Vgl. Isaac, Administration (1990) 151.
So Jones, Greek City (1940) 60. Isaac, Administration (1990) 151-159, spricht sich gegen eine aktive
Städtebaupolitik im Sinne von Neugründungen im grossen Stil in Judäa unter römischer Herrschaft aus.
Vgl. Volkmann, Municipium (KP 3/1979) Sp. 1465ff. In Ägypten behielt Rom die ptolemäische Ver-
waltungsorganisation bei, die den Städten keinerlei Selbstverwaltung zugestand (vgl. Volkmann, Praefe-
cuts Aegypti (KP 4/1979) Sp. 1103ff.; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 178).
Vgl. Medicus, Coloniae (KP 1/1979) Sp. 1248ff.; Volkmann, Municipium (KP 3/1979) Sp. 1465-
1469; Gamsey - Salier, Empire (1987) 27f.; Reynolds, Cities (1988) 23.
Zu ihren Aufgaben gehörte neben der Einziehung von Steuern und der lokalen Rechtssprechung etwa die
Versorgung mit Getreide, die Erhaltung oder Errichtung öffentlicher und religiöser Bauten wie Theater,
Marktplätze, Strassen, Verteidigungsanlagen, Bäder, Gymnasien, die Organisation eines Wach- bzw. Po-
lizeidienstes oder einer Feuerwehr usw. (vgl. Reynolds, Cities (1988) 31-34.).
Vgl. Volkmann, Municipium (KP 3/1979) Sp. 1468; Gamsey - Salier, Empire (1987) 33; Reynolds,
Cities (1988) 44f.
Vgl. Volkmann, Provincia (KP 4/1979) Sp. 1200.
Vgl. Gamsey - Salier, Empire (1987) 33f.;
Vgl. Reynolds, Cities (1988) 35-38. Dass diese Aufgaben durchaus mit einem persönlichen finanziellen
Aufwand verbunden waren, zeigt auch das Privileg für gewisse Veteranen, von öffentlichen Ämtern ver-
schont zu bleiben. Vgl. dazu auch den Exkurs C.6. Zu den decuriones als Stadträten vgl. Stiegler, Decu-
rio (KP 1/1979) Sp. 1417ff.
Vgl. Plinius, Epistulae 10,39,5; Reynolds, Cities (1988) 36.
Dion Chrysostomos, Oratio 46,10f., zeichnet ein Bild der Folgen solcher sozialer Spannungen. Vgl.
auch Reynolds, Cities (1988) 37.40.
Β Administrative und finanzielle Strategien 107

fentlichen Bauten, durch private Spenden oder Fronarbeit finanziert bzw. erledigt.8® Grosszü-
gige Spenden konnten dabei auch sozial Tiefergestellten wie Freigelassenen einen Prestige-
zuwachs ermöglichen und einen gesellschaftlichen Aufstieg erleichtem.851 Frauen konnten
durch ihre Freigebigkeit zwar offenbar kein öffentliches Amt erreichen, doch fungierten sie
anerkanntermassen als Priesterinnen oder Vereins-Patroninnen.852
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Die Übersendung des alexandrinischen Ediktes zur Judenpolitik von Kaiser Claudius an den
Magistrat von Dora zeigt dabei, dass die lokalen Behörden für die Durchsetzung bzw. Ach-
tung der kaiserlichen Gesetze mitverantwortlich waren.853
Diese Mitverantwortung der lokalen Eliten für Ruhe, Ordnung und öffentliche Sicherheit lässt
sich an vielen Beispielen nachweisen. So erscheinen 58 n.Chr. etwa die Friesenführer Verritus
und Malorix vor Nero. Der Kaiser befiehlt ihnen, nachdem sie schon vom Statthalter der Pro-
vinz Germania inferior, Dubius Avitus, dazu angewiesen wurden, die von ihren Stämmen
besetzten Gebiete zu räumen, die den römischen Soldaten als Siedlungsgebiet vorbehalten
sind. Als dies nicht geschieht, setzen die römischen Behörden Auxiliarverbände ein, die ihre
Befehle nun mit Gewalt durchsetzen, wobei es auch Tote und Gefangene gibt.854
Das Einschreiten der lokalen Behörden gegen Ruhestörer wird auch im Zusammenhang mit
christlicher Predigt- und Zeichentätigkeit belegt. Ein Beispiel dafür sind die Ereignisse in
Philippi, welche die Apg überliefert.855 Im Interesse der öffentlichen Ruhe und Sicherheit
schreiten die lokalen Behörden mit polizeilichen Massnahmen gegen die christlichen Unruhe-
stifter Paulus und Silas ein: Verhaftung, Sicherheitsverwahrung (Schutzhaft), Verhör, körper-
liche Züchtigung, Predigtverbot und Ausweisung.856
Dieses behördliche Eingreifen wird auch nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes
in Palästina deutlich, als sich Sikarier nach Alexandria in Ägypten absetzen, wo sie gemäss
Josephus einen neuen Aufstand zu entfachen suchen, indem sie zum Freiheitskampf gegen
das römische Joch aufrufen.851 Als ihnen Angehörige der lokalen jüdischen Oberschicht ent-
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gegentreten, werden diese umgebracht. Daraufhin beruft der Stadtrat in der Sorge um die ei-
gene Sicherheit eine Einwohnerversammlung ein.858 Als Zweck nennt Josephus die zweifache
Ermahnung der jüdischen Bevölkerung: einerseits nicht dem "Wahnsinn der Sikarier"859 zu
verfallen, anderseits durch die Gefangennahme und Auslieferung der Sikarier jeden Verdacht
der Kollaboration mit den Aufständischen zu entkräften und so der drohenden Bestrafung
durch die Römer zu entgehen.860

850
Vgl. Garnsey - Salier, Empire (1987) 32ff.; Geiger, Local Patriotism (1990) 141f. Zu privaten Geld-
spenden vgl. etwa IGRR 3,800: ein reicher Bürger aus Syllium in Pamphylia verteilte in seinem Amts-
jahr 20 Denare an jedes Ratsmitglied, 18 Denare an alle Mitglieder des Altestenrates und der Volksver-
sammlung, 2 Denare an jeden Bürgerund 1 Denar an jeden Freigelassenen und Fremden. Zur Fronarbeit
für die Städte vgl. Gonzalez, Lex Iraitana (1986) 147-243.
851
Vgl. Reynolds, Cities (1988) 48f.
852
Die Artemis-Priesterin von Kyrene wird ebenso selbstverständlich genannt wie der Apollo-Priester (vgl.
CIG 5130), und in Aphrodisias gab es neben den Priestern und Priesterinnen der Aphrodite auch noch
Blumenträgerinnen (vgl. MAMA 8,547; Reynolds, Cities (1988) 50f.).
853
Vgl. Josephus, Ant. 19,280-285; Egger, Crucifixus (1997) 103.
851
Vgl. Tacitus, Annalen 13,54; Hanslik, Malorix (KP 3/1979) Sp. 936; Chantraine, Verritus (KP 5/1979)
Sp. 1209; Egger, Crucifixus (1997) 122f.
855
Vgl. Apg 16,16-24.35-39. Vgl. auch 1 Thess 2,lf.; Phil 1,12-30; 2 Kor 11,25.
856
Vgl. Egger, Crucifixus (1997) 128-133.
857
Vgl. Josephus, Bell. 7,410f. Die Semantik des Abschnittes erinnert an die "Vierte Philosophie" von Ju-
das Galiläus wie auch an gewisse prophetische Volksführer (vgl. Bell. 2,258ff.; Hengel, Zeloten (1961)
94). Vgl. auch Kap. 12.0.
858
Vgl. Josephus, Bell. 7,412.
859
Dies ist ein beliebter Topos von Josephus (vgl. u. Kap. 14.1.2).
860
Vgl. Josephus, Bell. 7,413f. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, an wen die gefangenen Sikarier
ausgeliefert werden sollten. War es der Ältestenrat, dann kann in der Folge die körperliche Züchtigung
hier durchgeführt worden sein (so Michel - Bauernfeind, De Bello Judaico II.2 (1969) 281 Anm. 192f.).
Smallwood, Roman rule (1976) 366, hingegen plädiert für die Folterung und Hinrichtung durch die rö-
mischen Behörden unter Tiberius Iulius Lupus. Vom Text her kann diese Frage nicht endgültig geklärt
werden. Es lässt sich aber durchaus an ein abgestuftes Vorgehen denken: Verhaftung und Folter durch den
108 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

Es kann festgestellt werden, dass die Mitverantwortung der lokalen Behörden für die öffentli-
che Ruhe als Erstverantwortung konzipiert ist. Erst dort, wo die Mittel der lokalen Behörden
nicht ausreichen, greift die römische Besatzungsmacht gemäss dem Subsidiaritätsprinzip mit
härteren Mitteln bis hin zum militärischen Einsatz ein. Namentlich sind die lokalen Behörden
dazu verpflichtet, Unruhen vorzubeugen und im Bedarfsfall die öffentliche Ruhe wieder her-
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zustellen. Daneben wirken sie in Fragen der öffentlichen Ruhe als Ordnungsinstanz bei der
Strafrechtspflege des Statthalters mit. So gehören die Verfolgung, Verhaftung, Verwahrung
und Überstellung von Straftätern an die römischen Behörden zu ihren Pflichten. Für ihre ord-
nungspolitischen Aufgaben werden den lokalen Behörden dabei neben psychologisch-argu-
mentativen Mitteln auch beschränkte polizeiliche Koerzitionsmassnahmen von römischer
Seite aus zugestanden: dazu gehören die Kompetenzen zur Festnahme und Verhör, zur kör-
perlichen Züchtigung und Verwahrung.861
Das oben erwähnte Liturgien-System fand in der Kaiserzeit auch verbreitet bei der Eintrei-
bung der Steuern Anwendung, wenn lokale Eliten für die Steuersummen den römischen Be-
hörden gegenüber garantieren mussten.862 Für Rom hatte dieses System im Zusammenhang
der Erstverantwortung für die Wahrung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit durch die loka-
len Eliten verschiedene Vorteile. So wurden die lokalen Eliten an der Herrschaft beteiligt, in-
dem ihnen von Rom ein Rest ihrer früheren Autonomie zugestanden wurde. Andererseits ver-
mieden sie durch ihre Erstverantwortung viele Konflikte zwischen der lokalen Bevölkerung
und der römischen Besatzungsmacht. Der Einbezug der lokalen Eliten in den Provinzen war
für die römische Weltmacht demzufolge nicht nur eine Notwendigkeit, sondern sie wirkte sich
auch stabilisierend auf die römische Herrschaft aus.863
Wo nicht schon eine solche oligarchische Gruppe bestand, auf deren Zusammenarbeit die
römische Elite zählen konnte, wurde diese von den Römern gezielt geschaffen.864 Ein kleiner
demokratischer Spielraum blieb der Bevölkerung zum einen durch die Wahl von bestimmten
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Magistraten. Dabei mussten auch die Kandidaten schon gewisse soziale Voraussetzungen mit
sich bringen. Zudem wurde dieses Wahlrecht teilweise zurückgedrängt.865 Daneben boten
auch die Bürgerversammlungen der Bevölkerung eine Möglichkeit, sich zu aktuellen Proble-
men und Fragen zu äussern. Dass diese Versammlungen jedenfalls in gewissen Fällen mehr
als nur Folklore waren, zeigt die Warnung Plutarchs an junge Politiker, die Versammlung gut
zu kontrollieren und nicht überborden zu lassen.866
Für neue und grössere Projekte musste allerdings immer die Erlaubnis des Statthalters einge-
holt werden. Auch die Errichtung neuer öffentlicher Gebäude musste vom Gouverneur bewil-
ligt werden. Überhaupt wurde in vielen Fällen die Provinzzentrale um ihre Erlaubnis oder ih-
ren Rat angegangen, manchmal möglicherweise einfach, um die eigene Loyalität zu demon-
strieren.867 Wahrscheinlich oft auch aufgrund der Zerstrittenheit der lokalen Behörden, um
einen Schiedsspruch des Statthalters zu erlangen oder sich eines Konkurrenten durch falsche
Anschuldigungen zu entledigen.868 Die Gouverneure ihrerseits überwachten die Aktivitäten der
Provinzstädte, und seit der Zeit Trajans lesen wir von curatores rei publicae oder logistes, die

jüdischen Ältestenrat, weitere Massnahmen durch die römischen Behörden (vgl. Egger, Crucifixus (1997)
117f.).
Vgl. Egger, Crucifixus (1997) 134f.
Vgl. Kippenberg, Klassenbildung (1978) 125-128. Vgl. schon ebd. 110-117 zur Anwendung dieses Sy-
stems in Palästina gegen Ende der Republik.
S. auch o. Kap. 1.1.6.
Dies galt besonders für den Westen des Reiches (vgl. Medicus, Concilium (KP 1/1979) Sp. 1268; Gam-
sey - Salier, Empire (1987) 196).
Vgl. Reynolds, Cities (1988) 25f.
Vgl. Plutarch, Moralia 796C; 815a; Reynolds, Cities (1988) 27. Vgl. auch die Beschreibungen bei Dion
Chrysostomos, Oratio 7,24-63.
Vgl. Plinius, Epistulae 10,23-24; Digesta 50,10,3; Garasey - Salier, Empire (1987) 37.197.; Reynolds,
Cities (1988) 39f.
Vgl. Plinius, Epistulae 6,31,3; Dion Chrysostomos, Oratio 43.
Β Administrative und finanzielle Strategien 109

als römische Beamte insbesondere die Finanzaktivitäten der Provinzstädte unter die Lupe
nahmen.869
Ein wichtiger Faktor für die Romanisierung der städtischen Eliten bildete auch die Möglich-
keit, nach Erreichen des 30. Altersjahres einen Zenturio-Posten in einer römischen Legion zu
besetzen. Ihm standen damit die militärischen und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb
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des römischen Imperiums offen. Eine andere Möglichkeit der Integration war die Besetzung
von verschiedenen Verwaltungsposten."70
Dass sich seit Augustus Abgeordnete (legati) aus den wichtigsten Städten einer Provinz ein-
mal im Jahr zu einer Art Landtag in der Provinzhauptstadt trafen (concilium provinciate), war
der Romanisierung ebenfalls förderlich.871 Diese Versammlung verfügte zwar über keinerlei
jurisdiktioneile, administrative oder gesetzgeberische Kompetenz, doch hier wurde der Kai-
serkult unter der Leitung des zuständigen, nebenamtlichen Priesters bzw. der Priesterin be-
gangen.872 Diese wurden von den römischen Offiziellen als wichtigste Persönlichkeiten einer
Provinz bezeichnet, und die Wahl zum Sprecher bzw. zur Sprecherin des Provinzlandtages für
ein Jahr war mit viel Prestige verbunden.
Diese Versammlung nahm auch Berichte über die Tätigkeit des Statthalters entgegen wie auch
den Bericht des Statthalters selbst. Daraus ergaben sich entweder Ehrenzuweisungen für den
Gouverneur oder Beschwerden über diesen beim römischen Senat oder dem Kaiser.873
Schwere Beschuldigungen wie der Ausbeutung oder der Erpressung führten in den meisten
Fällen zu einem Gerichtsverfahren gegen den Statthalter. Dass dieses Recht benutzt wurde,
zeigen die Befürchtungen der römischen Aristokratie, die Bewertungen der römischen Statt-
halter durch die Landtage der Provinzen könnten überhand nehmen.874
"Der Effekt der Provinziallandtage ist demnach ein vierfacher: sie fördern unter der Bevölke-
rung einer Provinz das Gefühl der Zusammengehörigkeit; sie bilden eine offensichtlich nicht
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ganz unwirksame Kontrollinstanz gouvernementaler Misswirtschaft; sie sichern den Provin-


zialen einen direkten Zugang zum Kaiser selbst; und sie stellen - kultisch-religiös und poli-
tisch-eine Verbindung zwischen der Reichsspitze und den Provinzen her."875 Dieser unmit-
telbare Zugang zur Reichszentrale kam der Vereinheitlichung der Reichsverwaltung sicher
ebenfalls entgegen.
Die Provinziallandtage sollten natürlich auch die Eintracht (concordia) unter den unterworfe-
nen Völkern, Städten und ehemaligen Staaten fördern, die nun in einer Provinz zusammenge-
fasst waren. Gemeint war dabei natürlich in erster Linie die Eintracht der jeweiligen Eliten.876
Daneben waren es auch die Spiele, die zunehmend in Verbindung mit den Provinziallandtagen
und dem Kaiserkult veranstaltet wurden, welche die Romanisierung der Bevölkerung voran-
treiben sollten.877 Dabei dienten sie auch den einheimischen Eliten nach dem Vorbild des Kai-
sers in Rom als Herrschaftsabsicherung. Schliesslich konnte dadurch lokaler Patriotismus
demonstriert werden.878 Schon Lucullus hatte im Zuge des dritten mithridatischen Krieges
offenbar Spiele als politisches Mittel eingesetzt. Plutarch berichtet:

Vgl. Plinius, Epistulae 10; ILS 5918a; Reynolds, Cities (1988) 41f.
Vgl. Starr, Empire (1982) 95f. S. Exkurs C.8.
Zu Aufbau, Ablauf und Funktion dieser Landtage vgl. ausführlich Deininger, Provinziallandtage (1965).
Eine Oberpriesterin als Leiterin des Kaiserkultes ist zum ersten Mal für die Zeit von 40-59 n.Chr. belegt
(vgl. Kern, Inschriften (1900) Nr. 158; Klauck, Religiöse Umwelt II (1996) 65f.). Zum Kaiserkult s.u.
Kap. 8.2.
Vgl. Tacitus, Annalen 15,21 f.; Volkmann, Provincia (KP 4/1979) Sp. 1200; Gesche, Weltbeherrscher
(1981) 181f.
Tacitus legt diese Befürchtung in den Mund des Senators Thrasea Paetus in die Zeit Neros (vgl. Annalen
13,23; Gundel, Paetus (KP 4/1979) Sp. 404).
Gesche, Weltbeherrscher (1981) 182.
Vgl. Wengst, Pax Romana (1986) 35.187f. Anm. 109.
Vgl. Medicus, Concilium (KP 1/1979) Sp. 1268.
Vgl. Geiger, Local Patriotism (1990) 142f.
110 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

"Nachdem Lucullus in Kleinasien überall die gesetzliche Ordnung und den Frieden wie-
derhergestellt hatte, unterliess er es auch nicht, für Freude und Heiterkeit zu sorgen, son-
dern machte sich, während er in Ephesus sass, durch feierliche Aufzüge, grossartige Sie-
gesfeste, Athleten- und Gladiatorenkämpfe bei den Städten beliebt." (Lucullus 23)
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Dass diese Veranstaltungen durchaus ihre Wirkung hatten, zeigt auch eine von Tacitus über-
lieferte Episode. Als ein Germane aus dem Gebiet jenseits des Rheins nach Köln kommt, um
seine dort lebenden Landsleute zur Teilnahme an der Civilis-Revolte aufzufordern, tut er dies
auch mit den Worten:
"Hinweg mit den Genüssen, durch die R o m bei den Unterworfenen mehr ausrichtet als
durch seine Waffen!" (Historiae 4,64,3)
Allerdings hat er bei seinen Landsleuten keinen Erfolg, die nicht auf die römische Lebensart
und ihre guten Beziehungen zu den römischen Kolonisten verzichten wollen.879
Solche, teilweise sehr kostspielige Veranstaltungen standen häufig in einem krassen Gegen-
satz zur Armut eines Teils der Bevölkerung. Dies zeigt eine Überlieferung von Apuleius. Er
berichtet von einem gewissen Demochares, der in Platäa Gladiatorenspiele veranstalten wollte.
Gemäss Apuleius
"war dies ein Mann von Ahnen mit Rasse, gut bei Kasse und ein Mäzen mit Klasse, der
seinen Reichtum entsprechend glänzende Volksbelustigungen zu arrangieren pflegte ...
Hier berühmt geschickte Gladiatoren, dort bewährt flinke Tierkämpfer, weiter vogelfreie
Verbrecher, die mit ihrem Appetit die Ration wilder Raubtiere bereitstellten ... Welche
Mengen ausserdem, welche Arten wilder Tiere! Hatte er es sich doch besonders angelegen
sein lassen, auch von auswärts jene wundervollen Särge für Leute, die ihren Kopf verwirkt
haben, kommen zu lassen." (Metamorphoses 4,13,2-6)

Plötzlich wurden aber die Tiere durch ein Seuche fast völlig dahingerafft und immer wieder
For personal use only.

"konnte man überall auf den Strassen Kadaver von halbtoten Tieren liegen sehen. Da
machten sich die einfachen Leute, die in ihrer kümmerlichen Armut, ohne im Essen
wählerisch zu sein, für den abgemagerten Bauch Unappetitliches zum Füllen und kos-
tenlose Mahlzeiten zusammensuchen müssen, über die allerorten daliegenden Festbraten
her." (Metamorphoses 4,14,2f.)

6.3.2 Massnahmen gegen Korruption und Ausbeutung


Neben der unbestrittenen Abhängigkeit war ein gewisses Vertrauen insbesondere der periphe-
ren Eliten in die Kaiser sicher auch als Folge des Vorgehens gegen die besonderen Schwach-
stellen der republikanischen Provinzverwaltung entstanden: Diskontinuität und erpresserische
Ausbeutung. Zu diesem Zweck blieben bewährte kaiserliche Legaten über mehrere Jahre in
der gleichen Provinz tätig, andererseits wurden auch die im Prinzip immer noch auf ein Jahr
befristete Amtszeit der senatorischen Statthalter häufig verlängert.880 Auch die ritterlichen Prä-
fekten bzw. Prokuratoren konnten für längere Zeit in ihren Provinzen bleiben, wenn sie zur
(wie immer relativen!) Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten wie auch Untertanen regierten und
sich nicht durch besondere Grausamkeiten oder Unfähigkeit auszeichneten.881 Gerade Tibe-
rius sandte Beamte für längere Zeit in die Provinzen. So sind auch für die Provinz Judäa die
beiden längsten Amtszeiten von Statthaltern für die Zeit von Tiberius belegt: Valerius Gratus
(15-26 n.Chr.) und Pontius Pilatus (26-36 n.Chr.).882
Zudem sollte eine gewisse gegenseitige Kontrolle der Prokuratoren die Misswirtschaft in den
Provinzen einschränken. In Judäa konnte etwa der Prokurator Jamnias den Prinzeps in Rom

Vgl. Tacitus, Historiae 4,65,2; Wengst, Pax Romana (1986) 60. Diese Aussage passt sehr gut zur Ein-
schätzung von Tacitus der Dekadenz im römischen Imperium.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 184.
Vgl. Stern, Judaea (1974) 319.
Vgl. Josephus, Ant. 18,168-178; Tacitus, Annalen 1,80.
Β Administrative und finanzielle Strategien 111

mit unabhängigen Informationen versorgen.883 Aus Britannien ist die Rivalität zwischen dem
Statthalter Suetonius Paulinius und seinem Finanzprokurator Iulius Classicianus überliefert,
welche die gegenseitige Deckung illegaler Aktivitäten erschwerte, die sonst häufig unter hohen
Beamten praktiziert wurde.884
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Im Weiteren sollte eine Neuregelung des Steuerwesens sowie eine bessere Kontrolle der da-
mit beauftragten Beamten der krassen Ausbeutung der Provinzen, wie sie in republikanischer
Zeit praktiziert wurde, einen Riegel schieben. So ersetzte der direkte Steuereinzug nach und
nach das Steuerpachtsystem. Senatorische Quästoren und kaiserliche Prokuratoren übernah-
men dabei allmählich die Aufgaben der Publikanen-Gesellschaften.885
Augustus selbst liess sein eigenes Vermögen nach dem Vorbild reicher Leute aus den Zeiten
der Republik durch Sklaven oder Freigelassene als procuratores verwalten, die auch mit
staatlichen Aufgaben beauftragt wurden.886 Mit ritterlichen Prokuratoren begründete Augustus
zugleich einen neuen Beamtenstand für die Staatsverwaltung. Je nach Verdienst hiessen diese
durch kaiserliche codicilli ernannten Prokuratoren sexagenarii (60Ό00 HS Jahresgehalt),
centenarii (100Ό00 HS), ducenarii (200Ό00 HS) und trecenarii (300Ό00 HS).887 Die Amts-
titel weisen auf die besondere Tätigkeit der procuratores hin.888 In senatorischen wie in kai-
serlichen Provinzen verwaltete der procurator fisci selbständig neben den Statthaltern die
kaiserliche Kasse und erhielt durch Senatsbeschluss die Jurisdiktion in Zivilprozessen.889 Die
Trennung von Militär- und Finanzverwaltung erlaubte in den kaiserlichen Provinzen eine gute
gegenseitige Kontrolle.1™0 Eine besondere Gruppe ritterlicher Prokuratoren fungierte als Statt-
halter in kleineren Provinzen wie den Alpes Cottiae, in Noricum oder in Judäa.891
Der von Augustus begründete Verwaltungsapparat bestand zu einem grossen Teil aus zwei
Gruppen, die stark an den Prinzeps gebunden waren und ihm ergeben waren: aus Angehöri-
gen der Armee und kaiserlichen Freigelassenen.892 Auch wenn sich dieser Verwaltungsapparat
nur allmählich über die Jahrhunderte hinweg ausbildete, so gehen doch seine Grundlinien auf
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Augustus selbst zurück. 89 ' Für einen neuen Kaiser war es dabei eine grosse Erleichterung,
wenn er das Verwaltungspersonal seines Vorgängers übernehmen konnte, auch wenn er na-
türlich zusätzlich eigene Vertrauensleute einsetzte.894
Die Offiziere waren an sich schon über das militärische Oberkommando des Kaisers an seine
Person gebunden, und die Freigelassenen verdankten dem Kaiser in vielen Fällen ihren Wie-
dereintritt in die menschliche Gesellschaft.895 Da der Kaiser nicht nur die ritterlichen Prokura-
toren und Präfekten der kaiserlichen Provinzen bestimmen, sondern auch den prokonsularen
und damit senatorischen Statthaltern als Stellvertreter ritterliche Prokuratoren zuordnen
konnte, ergab sich auch für die senatorischen Provinzen eine gute Kontrollmöglichkeit durch
den Prinzeps. Und weil diese Prokuratoren auch für die Besoldung der Soldaten zuständig

883
Vgl. Josephus, Ant. 18,163.
884
Vgl. Tacitus, Annalen 14,38; Stern, Judaea (1974) 323.
885
Vgl. Ürögdi, Publicani (KP 4/1979) Sp. 1235f.; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 177.184.
886
So amtete etwa Licinius, der ehemalige Sklave von Augustus, als procurator fisci Galliae Lugdunensis
(vgl. Cassius Dio 54,21,3ff.; Volkmann, Procurator (KP 4/1979) Sp. 1151).
887
Vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 37-41; Mayer-Maly, Codicilli (KP 1/1979) Sp. 1238; Volkmann, Pro-
curator (KP 4/1979) Sp. 1151. Pontius Pilatus gehörte wahrscheinlich in die Kategorie der centenarii
(vgl. Domaszewski - Dobson, Rangordnung ( 2 1967) XLIV; Stern, Judaea (1974) 320; Stenger, Gebt
dem Kaiser (1988) 38). S. auch u. Kap. 13 (Einführung).
888
So sind für die entsprechenden Bergwerke procuratores argentarium, aurarium,ferrarium belegt, wie auch
procuratores monetae oder aquae (vgl. Volkmann, Procurator (KP 4/1979) Sp. 1151). Sueton war procu-
rator a studiis und a bibliothecis (vgl. Fuhrmann, (KP 5/1979) Suetonius Sp. 411).
889
Vgl. Sueton, Claudius 12; Tacitus, Annalen 12,60; Volkmann, Procurator (KP 4/1979) Sp. 1151.
890
Vgl. Herz, Logistik (2002) 39.
891
Vgl. Pflaum, Carrieres procuratoriennes equestres 1-4 (1960-1982).
892
Vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 7; Starr, Empire (1982) 71.
893
Vgl. Bengston, Römische Geschichte ( 6 1988) 226-230; Zwicky, Verwaltung (1944) 45f.
894
Vgl. Starr, Empire (1982) 72
895
Mit der Zeit allerdings verschwanden die Freigelassenen immer mehr aus der Verwaltung, wohl auch
deshalb, weil der Sklavenstand allgemein am Schrumpfen war (vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 35).
112 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

waren, verfügten sie hier über einen guten "Draht" zu den Truppen. Deren Loyalität und die
ihrer Führer war ja für die Kaiser von besonderer Bedeutung und Wichtigkeit.896 Um mögli-
chen grösseren Konspirationen vorzubeugen, war es den Provinzgouverneuren auch verboten,
eigenmächtig mit anderen Statthaltern zusammenzuarbeiten oder zu kommunizieren. Wo die
Zusammenarbeit und Koordination mehrerer Provinzen angezeigt war, wurde diese von kai-
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serlichen Sonderbevollmächtigten oder gar vom Kaiser selbst wahrgenommen.897


Der streng hierarchische und mit der Armee aufs engste verflochtene Verwaltungsapparat und
die zentralistische Leitung taten das ihrige, endlich eine gewisse Kontinuität und Ausge-
glichenheit in den staatlichen Finanzhaushalt zu bringen. Die Kontrolle der Statthalter durch
den Kaiser war nun bedeutend besser als seinerzeit durch die republikanischen Institutionen.
Trotzdem kann die Aussage von Aelius Aristides wohl nur aus dem Mund eines Angehörigen
der Oberschicht kommen, der von den "Segnungen" des Imperiums am meisten profitieren
konnte.898 Aelius meint, dass keiner der höchsten Repräsentanten Roms in den Provinzen
"ohne Bewegung bleiben könnte, wenn er auch nur den Namen des Herrschers vernimmt,
sondern er erhebt sich, preist und verehrt ihn und spricht zwei Gebete, eines für den Herr-
scher zu den Göttern und eines zu dem Herrscher selbst für das eigene Wohl" (Romrede
32). 899
Die finanziellen und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, die sich durch eine Verwaltungslauf-
bahn eröffneten, trugen ein weiteres zur Bekämpfung von Korruption und Misswirtschaft bei.
Mit S. Severus erschienen dann auch in den unteren Beamtenstellen immer mehr Soldaten, so
dass auch diese Beamtenschicht zunehmend militärisch organisiert war. In Ostia übernahm
etwa ein Zenturio die Beaufsichtigung der annonae, der möglicherweise im Zuge der Über-
nahme der Getreidverwaltung durch den praefectus praetorio neu die Funktion des früheren
procurator annonae inne hatte.900
For personal use only.

Von den Kaisern wurde ein weiterer Faktor für die ruinöse Ausplünderung der Provinzen ins
Visier genommen: Obwohl die Publikanen-Gesellschaften zwar erst etwa ab Hadrian ganz
verschwanden, traf schon Nero Vorkehrungen, um die Auspressung der Provinzen durch ü-
berhöhte Steuerforderungen der Pachtgesellschaften einzudämmen. So liess der Prinzeps die
Höhe der regulär einzuziehenden Steuern öffentlich bekanntgeben und verfügte per Edikt,
dass Beschwerden gegen Steuerpächter in den senatorischen Provinzen vor dem zuständigen
Statthalter oder im Falle der kaiserlichen Provinzen vor dem Prätor in Rom verhandelt werden
sollten. Schon Augustus hatte einerseits für die Provinzgouverneure und ihre Stellvertreter
ihrem Rang entsprechend hohe Jahresgehälter zwischen 60Ό00 und l'OOO'OOO HS angesetzt.
Andererseits sollten nobiles unter einer Mio. HS Vermögen aus dem Senatorenstand und
damit von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, sich als Statthalter finanziell sanieren zu
wollen.901 Als wirksamer gegen die Ausbeutung der Provinzen erwies sich nun auch das
schon von Cäsar durchgesetzte Repetundengesetz (lex Iulia de repetundis), das als Strafen
empfindliche Geldbussen und den Ausschluss aus dem Senatorenstand beinhaltete.902 Zudem

896
Vgl. Zwicky, Verwaltung (1944) 29; Starr, Empire (1982) 72f. Der misstrauische Commodus behielt
Kinder der Statthalter als Geiseln und Druckmittel gegen die Magistraten in Rom zurück.
897
S.u. Kap. 13.1.
898
Tacitus meint etwa, dass sowohl die Schmeichelei (für die Kaiser) wie auch der über den Handlungen der
Kaiser ausgebreitete Schleier des Geheimnisses die historische Wahrheit gefährde (vgl. Annalen 1,1.
Vgl. auch Horaz, Satirae 2,6,50; Cassius Dio 53,19; Seneca, Consolatio pro Marcia 4,3).
899
Aristides macht also einen feinen Unterschied zwischen den beiden Gebeten: eines ist zu den Göttern und
für (ύπέρ) den Kaiser gesprochen, das zweite zum Herrscher für (uepl) das eigene Wohl, wobei περί e-
her eine geschäftliche Verhandlung und eine diplomatische Bitte impliziert. Damit hat das zweite Gebet
kultisch einen anderen Stellenwert als das erste (vgl. Klauck, Religiöse Umwelt II (1996) 63).
900
Vgl. CIL XIV 125. CIL VI 8471 bezeugt möglicherweise einen s(ub) c(enturio) praefecti annonae.
901
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 184.
902
Überhaupt war Cäsar bestrebt gewesen, nachdem er im römischen Staat die alleinige Macht an sich ge-
rissen hatte, den Provinzen gegenüber Milde walten zu lassen. Er versuchte auch, die Steuerverpachtung
zurückzudrängen und übertrug 48 v.Chr. die Verantwortung für die Erhebung der decumae in der Provinz
Asia den Stadtgemeinden. Eine weitere Massnahme lag darin, dass Cäsar die Gemeinden Pauschalbeträge
direkt an die Provinzialverwaltung entrichten liess. Mit diesen Massnahmen soll es ihm gelungen sein,
Β Administrative und finanzielle Strategien 113

sah es vor, dass die Jahresabrechnung je in Rom und in zwei Städten der Provinz hinterlegt
werden und so eine Fälschung erschweren und eine wirksame Kontrolle erleichtern sollten.903
Schliesslich konnten in der Prinzipatszeit neu auch die untergeordneten Verwaltungshilfen
und das Gefolge des Statthalters für Verstösse gegen das geltende Repetundenrecht belangt
werden.
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Für den römischen Staat war es wichtig, dass Übergriffe auf die Provinzbevölkerung nicht zu
krass ausfielen, denn nur dann konnte eine einheimische Oberschicht ihre Bevölkerung kon-
trollieren. Denn wo sich der Zorn gegen die römischen Besatzer über der einheimischen Elite
entlud, war wie beim jüdischen Krieg von 66-70 n.Chr. ein Aufstand kaum mehr zu unter-
drücken.904
Ein Gouverneur war deshalb gut beraten, in seinen Massnahmen nicht gegen die lokalen Eli-
ten zu handeln. Vielmehr befand er sich stets auf einer Gratwanderung zwischen einem Lais-
sez-faire und einem energischen militärischen Durchgreifen.

6.3.3 Steuerreformen
Positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung der Provinzen wirkte sich sicher auch die Neu-
ordnung der Steuern aus. Mit den Reformen sollte der Finanzhaushalt des Staates auf eine
solidere Basis gestellt und der willkürliche und ungerechte Charakter der Steuererhebungen
der späten Republik beseitigt werden.905 Nach den Bürgerkriegen und den ruinösen Forde-
rungen der verschiedenen Kriegsparteien war eine Neuordnung auch dringend notwendig. So
stand etwa Antonius nach dem Sieg über die Cäsarmörder bei Philippi im Osten des Reiches
ein gewaltiges Heer zur Verfügung. Sein immenser Geldbedarf ergab sich deshalb nicht pri-
mär aus seiner "Zügellosigkeit" und "Begierde nach Vergnügungen"906, sondern primär aus
den Verpflichtungen seiner Truppe gegenüber. Dazu hatten die östlichen Provinzen, insbe-
For personal use only.

sondere das prokonsularische Asien und Syrien, gewaltige Summen aufzubringen.907 Auch
der jüdische Staat musste seinen Beitrag leisten.908
Wahrscheinlich im Rückgriff auf die Munizipialgesetzgebung Cäsars verpflichteten Augustus
und die nachfolgenden Kaiser die Munizipien und Kolonien des Imperiums zur Abhaltung ei-
nes Zensus, der je nach Bedarf wiederholt werden sollte.909 Zudem führten sie den reichswei-
ten Zensus aller freier Bewohner als Grundlage für den Steuerhaushalt ein. Spätestens mit
Trajan verlor diese Schätzung ihren sporadischen Charakter und machte einer kontinuierli-
chen Veranlagung Platz.910
Ausserdem wurde das System des Zehnten zugunsten eines festen Steuerbetrages aufgege-
ben, wie dies schon in republikanischer Zeit in etlichen Provinzen praktiziert wurde.9" Seit
Augustus mussten in der Regel alle freien Bewohner des Imperiums die Bodensteuer und die
Kopfsteuer bezahlen. Ausgenommen davon waren bis zur Zeit Diokletians einzig Italien und
provinzielle Kolonien oder Munizipien, insofern diese vom Kaiser das ius Italicum und die
damit verbundene Steuerimmunität erhalten hatten.9'2 Aufgrund des Steuerverlustes wurde

die Steuerlast um ein Drittel zu senken (vgl. Appian, Bella civilia 5,1.4; Plutarch, Caesar 48,1; Cassius
Dio 42,6,3; Neesen, Staatsabgaben (1980) 12f.). Für Judäa vgl. Josephus, Ant. 14,201ff.; 17,355-18,4.
903
Vgl. Digesta 48,11; Volkmann, Lex (KP 3/1979) Sp. 607; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 184f.
904
S.u. Kap. 13.8.
905
Vgl. Gesche, WeltbeheiTscher (1981) 185.
906
So Schallt, Herodes (1969) 73; anders Bengston, Marcus Antonius (1977) 156.
907
Vgl. die Rede von Antonius bei Appian, Bella civilia 5,5; Buchheim, Orientpolitik (1960) 99 Anm. 16;
Baumann, Rom und Juden (1983) 137f.).
908
Vgl. Appian, De bella civilia 5,7.
909
Vgl. Hausmaninger, Census (KP 1/1979) Sp. 1107f. Vgl. die Reminiszenz bei Lk 2,1.
910
In diokletianisch-konstantinischer Zeit werden neben dem alle fünf Jahre erhobenen Zensus auch noch
Zwischenkontrollen durchgeführt (vgl. Pekäry, Tributum (KP 5/1979) Sp. 954).
9.1
So hatte schon Cäsar den Zehnten sicher für die Provinz Asia und wahrscheinlich für die Provinz Sizilia
abgeschafft (vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 186).
9.2
Vgl. Simon, Ius (KP 3/1979) Sp. 14f. So erhielten auch die Veteranen der Kolonie von Ptolemais-Akko
das ius Italicum nicht. Die Münzen der Kolonie lassen auf vier verschiedene vexilla schliessen, welche
114 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

dieses Recht aber nur selten zugestanden. Auch Einzelpersonen konnten von der Steuerpflicht
befreit werden. Teilweise wurde ihnen allerdings nur die Kopfsteuer erlassen, wovon jedoch
auch ganze Stadtgemeinden profitieren konnten. Da diese Steuer geringer war als die Grund-
steuer, wurde dieses Privileg auch häufiger vergeben als eine totale Steueramnestie." 3
In der frühen Prinzipatszeit wurden auch die indirekten Steuern (vectigalia) neu geregelt." 4
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Von diesen Steuern waren alle Reichsbewohner betroffen, sofern sie nicht durch ein kaiserli-
ches Privileg davon befreit waren.
Die Steuern aus den Provinzen flössen einerseits in das aerarium Populi Romani. Dieser mo-
bile Staatsschatz des römischen Volkes wurde von den Quästoren im Saturntempel verwahrt,
weshalb auch die Bezeichnung aerarium Saturni gebräuchlich war. Daneben fungierte das
aerarium auch als Archiv für die verschiedensten Urkunden und als Aufbewahrungsort für
die Feldzeichen. Obwohl diese Kasse durch Augustus theoretisch wieder der Kontrolle des
Senats unterstellt wurde, nachdem Cäsar sie an sich gezogen hatte, war natürlich auch hier der
Einfluss des Prinzeps nicht von der Hand zu weisen. Augenscheinlich wurde dieser Einfluss
dann unter Nero, der einen kaiserlichen Präfekten als deren Verwalter einsetzte." 5
Steuern und Abgaben flössen aber auch dem fiscus des Prinzeps zu. Augustus, Enkel eines
Bankiers, nannte seine verschiedenen Einzelkassen fisci. Er Hess dabei verfassungsmässig
korrekt Staatseinkünfte wie Bergwerksabgaben, Prägungseinnahmen und gewisse vectigalia
diesen Kassen zufliessen, über die er dem Senat dann Rechenschaft ablegte. Eine dieser Kas-
sen war das aerarium militare.'"6 Mit Claudius wurde dann der fiscus zur weiterhin theore-
tisch dem Senat unterstehenden offiziellen Staatskasse, während das aerarium Saturni an Be-
deutung verlor. Mit den Flaviern wurde das Fiskus-System weiterentwickelt und dem Ein-
heitsfiskus wurden Sonderfiski wie der fiscus Alexandrinus, der fiscus Asiaticus und der nach
dem jüdischen Aufstand den Juden auferlegte fiscus Judaicus hinzugefügt. Seit S. Severus
wurden dann alle Steuereinnahmen dem fiscus zugeführt, so dass das aerarium zur blossen
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Stadtkasse Roms degradiert wurde." 7


Die privaten Einkünfte des Kaisers flössen hingegen in das Patrimonium, die Privatkasse des
Prinzeps, die jedoch teilweise auch für öffentliche Ausgaben herangezogen wurde." 8 Diese
Einkünfte setzten sich aus den Erträgen seiner Domänen, aus Konfiskationen und aus priva-
ten Schenkungen und letztwilligen Verfügungen zusammen. 9 "
Für die Steuern war nun ein ritterlicher procurator zuständig, der in Verbindung mit den
Städten und Munizipien seiner Provinz für deren Erhebung zu sorgen hatte.920 Die Publika-
nen-Gesellschaften spielten nur noch bei den indirekten Steuern eine gewisse Rolle; sie wur-
den im 2. Jh. n.Chr. aber von den conductores und diese dann von procuratores abgelöst. 92 '

von der leg. X Fretensis, der leg. VI Ferrata und der leg. XII Fulminata stammen (vgl. Applebaum,
Roman Colony (1990) 137). Hingegen erhielt viele Jahre später die Kolonie von Tyrus das ius ltalicum
von S. Severus für besondere Loyalität (vgl. Digesta 50,15,1; Geiger, Local Patriotism (1990) 145f.).
9,3
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 186f.
914
Mit vectigalia wurden in republikanischer Zeit Steuern allgemein bezeichnet, in der Prinzipatszeit wurde
der Begriff juristisch-technisch auf die indirekten Steuern eingeschränkt (vgl. Pekäry, Vectigal (KP
5/1979) Sp. 1150).
915
Vgl. Medicus, Aerarium (KP 1/1979) Sp. 98f.; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 188.
916
Vgl. Corbier, Aerarium Saturni (1974) sowie Aerarium militare (1977) 197-234.
917
Vgl. Heichelheim, Fiscus (KP 2/1979) Sp. 556; Gesche, Weltbeherrscher (1981) 153.187.
918
Vgl. Augustus, Res Gestae 15; 17-18; Bund, Patrimonium (KP 4/1979) Sp. 554; Starr, Empire (1982)
78.
919
Vgl. dazu etwa Miliar, Fiscus (1963) 29-42. Zu den privaten Schenkungen und letztwilligen Verfügun-
gen vgl. Sueton, Augustus 101,3. Zu den kaiserlichen Ländereien vgl. Hirschfeld, Kleine Schriften
(1913)516-575.
920
Vgl. Burton, Government (1987) 425ff.
921
Vgl. Garnsey - Salier, Early Principate (1982) 16; Braund, Empire (1988) 9. S. auch u. Kap. 7.4.
Β Administrative und finanzielle Strategien 115

6.3.4 Vielfältige Ausgaben für das Funktionieren des Staates


Schon unter Augustus wurde ein grosser Teil des Staatshaushaltes zur Finanzierung von Ar-
mee und Flotte verwendet. Daneben wurde das Geld in Schutzbauten an der Reichsgrenze in-
vestiert, aber auch für die Entlohnung der Beamten, für den Strassenbau, die Errichtung des
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Postnetzes, die Spiele in der Hauptstadt oder die Sozialhilfe. Dazu gehörte die Ausgabe von
verbilligtem oder kostenlosem Getreide, öffentliche Speisungen an besonderen Festtagen,
Geldzuwendungen an Bedürftige oder die Äufnung von Alimentenfonds, aus denen Kinder
mittelloser Eltern oder Waisen aus den italischen Munizipien Erziehungsbeihilfen beziehen
konnten.922 Zudem wurden auch bei provinziellen Bauvorhaben Zuschüsse gewährt oder nach
Naturkatastrophen oder kriegsbedingten Zerstörungen den betroffenen Städten unbürokrati-
sche Soforthilfe geleistet.923
Ihr Augenmerk richteten die Kaiser aber auch auf die Verschuldung vieler Städte und Provin-
zen, welche diese an einem wirtschaftlichen Aufschwung hinderte. So reduzierte etwa Au-
gustus die Schuldenlast etlicher Reichsstädte, während Hadrian gar die Schulden ganz Italiens
und mehrerer Provinzen tilgte. Auch Marc Aurel soll die Schulden gegenüber dem Fiskus ge-
strichen haben, und Antoninus Pius verzichtete in Italien ganz auf die Kranzspende und redu-
zierte diese in den Provinzen auf die Hälfte des üblichen Betrages. Später erliess auch Severus
Alexander der Provinz Ägypten die Kranzspende.
Dass die Kaiser trotz einer insgesamt restriktiven Politik eine recht grosse Anzahl an Steuer-
privilegien vergaben, zeigt eine Massnahme Vespasians. Dieser sah sich angesichts der
Staatsfinanzen gezwungen, der Provinz Achaia, Rhodos, Byzanz, Samos sowie einigen Städ-
ten Lykiens die Steuerimmunität wieder zu entziehen. Dies erstaunt nicht, da die Rücklagen
der Staatskasse meistens recht bescheiden waren und der Staat sozusagen von der Hand in
den Mund lebte.924 Bei den doch recht sparsamen Kaisern Tiberius oder Antoninus Pius be-
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trugen die staatlichen Rücklagen nicht mehr als 2900 Mio. HS, was angesichts eines Lohnes
für einen Statthalter im Range eines Prokonsuls von 1 Mio. HS doch sehr bescheiden ist.
Noch weniger erstaunt deshalb, dass der römische Staat unter Kaisern wie Caligula, Nero
oder Domitian, die offenbar mit den Finanzen leichtsinniger umgingen, leicht in den Bankrott
schlittern konnte.925

6.3.5 Positive Auswirkungen der Reformen auf die Provinzen


Die Verwaltungs- und Steuerreformen als Folge des Wandels des republikanischen Stadtstaa-
tes zum Weltreich verfehlten ihre Wirkung nicht: sie führten zu einer etwas gerechteren Ver-
teilung der Steuerlasten zwischen römischen Bürgern und Provinzialen.
Auch in rechtlicher Hinsicht wandelte sich für die Provinzbevölkerung einiges zum Besseren.
Im Prinzip sollten nicht nur die römischen Bürger, sondern auch die Nichtbürger von einer
gewissen Rechtssicherheit profitieren. Auf seinen Reisen hatte der Gouverneur nicht nur an
verschiedenen Orten zu Gericht zu sitzen (conventus), was häufig einen grossen Volksauflauf
mit sich brachte.926 Er musste daneben auch die von ihm beauftragten Gerichte bzw. Richter
kontrollieren.927

Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 188. Zur Finanzierung der Armee vgl. o. Kap. 4.5. sowie Exkurs
C.5.
So unterstützte Tiberius die Provinz Asia grosszügig nach dem grossen Erdbeben von 17 n.Chr. (vgl.
Tacitus, Annalen 2,47), und Hadrian tat dies mit Kyrene nach dem jüdischen Aufstand von 115 (vgl.
Fräser, Hadrian and Cyrene (1950) 77-90; Reynolds, Cities (1988) 43). Vgl. zu weiteren staatlichen Zu-
schüssen Sueton, Augustus 47; Cassius Dio 54,7,5; 54,23,7-8; 54,30,3; Tacitus, Annalen 1,76; 2,42;
4,13; 12,58; 12,63; Augustus, Res gestae 18; Appian, Proömion 7; Neesen, Staatsabgaben (1980) 14f.
Vgl. Mattern, Strategy (1999) 136, mit Beispielen.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 188f.
Dion Chyrsostomus nennt das Beispiel von Apamea, das von diesen Gerichtstagen auch in wirt-
schaftlicher Hinsicht profitierte (vgl. Oratio 35,15; Miliar, Mittelmeerwelt IV (1966) 69).
Vgl. Cassius Dio 53,14,5, der hier die senatorischen Statthalter nennt, kurz vorher allerdings auch die
ritterlichen Prokuratoren mit einschliesst.
116 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

Denn die zivile Gerichtsbarkeit blieb weiterhin häufig einheimischen Gremien oder Richtern
überlassen. Die Rechtsprechung bei öffentlich-rechtlichen crimina hingegen lag in den Hän-
den des Statthalters, wenn er nicht wie schon in der Zeit der Republik besondere Leute oder
Gremien dafür einsetzte.928 Dem Statthalter oblag auch die Verfügung von Todesurteilen. Da-
zu hatte er auch keine Rückfragen an eine höhere Stelle zu richten.929 Dass die Statthalter in
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vielen Fällen von diesem Recht ausführlich Gebrauch machten, zeigt nicht nur die Geschichte
Judäas als römische Provinz. So liess etwa der Prokonsul Asiens des Jahres 11 oder 12
n.Chr., L. Valerius Messala Volesus, an einem Tag dreihundert Menschen hinrichten.930 Für
die Statthalter war die Rechtsprechung deshalb ein wichtiger Teil ihrer Aufgabe, wobei auch
die ritterlichen Prokuratoren grosszügige Vollmachten hatten.931
Eine gewisse Rechtssicherheit war deshalb eher für dem Statthalter genehme Provinzialen ge-
geben. Seneca weitet diese Sichtweise aus, denn nach ihm bekennen alle Untertanen des ge-
rade Kaiser gewordenen Nero, dass sie aus vielen zwingenden Gründen glücklich sind. An
erster Stelle nennt Seneca
"ein tiefes Gefühl der Sicherheit, das sogar noch zunimmt, eine Rechtssicherheit, die hoch
über allem Unrecht steht" (De dementia l,l,7f.).
Was seine persönliche Sicherheit für Rom betrifft, so schwärmt Seneca:
"In jedem beliebigen Stadtteil kann ich allein Spazierengehen, ohne etwas befürchten zu
müssen, auch wenn mich keiner begleitet und ich kein Schwert zu Hause habe und auch
keines bei mir trage." (De dementia 1,8,2)
Allerdings wusste Seneca zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er zehn Jahre später auf Be-
fehl des gleichen Kaisers Selbstmord begehen musste.932
Von der Rechtssicherheit profitierte zumindest vorübergehend auch der Apostel Paulus, der
sich als Bürger Roms der Gerichtsbarkeit des Statthalters entziehen und an den Kaiser appel-
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lieren konnte.933 Ob sich das folgende Lob von Aelius Aristides auf die kaiserliche Rechts-
sprechung im Fall von Paulus aber als gerechtfertigt erwies, ist zu bezweifeln:
"Hier gibt es eine umfassende und rühmliche Gleichheit des Geringen mit dem Mächti-
gen, des Unbekannten mit dem Bekannten, des Bedürftigen mit dem Reichen, des Einfa-
chen mit dem Adeligen" (Romrede 39).
Die Zentralisierung der Staatsmacht und der Finanzen in den Händen der Kaiser führte auch
dazu, dass Gelder als Subventionen oder über die Besoldung der Soldaten zurück in die Pro-
vinzen flössen.934 Tacitus schreibt über die befriedend wirkenden Massnahmen Agricolas für
den Winter 78/79 n.Chr. in Britannien, nicht ohne seinen beissenden Kommentar dazu zu ge-
ben:

Dies belegt etwa das vierte Provinzialedikt von Kyrene aus dem Jahre 6-7 n.Chr., das dem Statthalter die
Gerichtsgewalt bei schweren Delikten zuweist und ihm erlaubt, ein Gericht zu ernennen (vgl. SEG IX
Nr. 8 Edikt 4 11,65-66; FIRA I Nr. 68 S. 409; Visscher, Edits d1 Auguste (1940) 128; Stern, Judaea
(1974) 336f.
Vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht (1899) 239ff.
Messalla (oder auch Messala) wurde allerdings der Grausamkeit angeklagt (vgl. Seneca, De ira 2,5,5;
Seneca, Controversiae 7,6,22; Hanslik, Messalla (KP 3/1979) Sp. 1246). Augustus verfasste gemäss
Tacitus, Annalen 3,68,1, dazu die Gedenkschrift Libelli Augusti de Voleso Messalla.
Für Sardinien hören wir einen Beschluss eines Prokurators in Grenzstreitigkeiten, auf den später der
Prokonsul L. Helvius Agrippa hinwies (vgl. ILS 5947; FIRA I Nr. 59). Zur Gerichtsbarkeit der ritterli-
chen Prokuratoren vgl. Millar, Annals XII.60 (1964) 180-187; Jurisdiction (1965) 362-367.
Vgl. Tacitus, Annalen 15,60,2-63,2; Wengst, Pax Romana (1986) 54.
Vgl. Apg 22,25-29; 25-26, bes. 26,32 und dazu Botermann, Judenedikt (1994) 171-175.
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 189f. Vgl. auch Wierschowski, Heer (1984). Wierschowski, Öko-
nomische Entwicklung (2002) 264-292, zeigt die Folgen auf die wirtschaftliche Entwicklung Germa-
niens durch die Präsenz der römischen Armee auf. Zur ökonomischen Bedeutung der Provinzialflotten
während der Prinzipatszeit, insbes. der classis Alexandrina, der classis Britannica und der classis Germa-
nica, vgl. Konen, Provinzialflotten (2002) 309-342. Zur Armee als Wirtschaftsfaktor in den Provinzen
vgl. ausführlich auch Exkurs D.10.
Β Administrative und finanzielle Strategien 117

"Um die verstreut und primitiv lebenden Menschen, die infolgedessen zum Krieg geneigt
waren, durch Annehmlichkeiten an Ruhe und friedliches Verhalten zu gewöhnen, er-
munterte er sie persönlich und unterstützte sie mit staatlichen Mitteln, Tempel, öffentliche
Plätze und Häuser in der Stadt zu bauen, lobte die Eifrigen und tadelte die Säumigen; so
trat Anerkennung und wetteiferndes Bemühen an die Stelle des Zwanges. Ferner liess er
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die Söhne der Vornehmen in den freien Künsten bilden ... So kam es, dass die Men-
schen, die eben noch die römische Sprache ablehnten, nun die römische Redekunst zu
erlernen begehrten. Von da an fand auch unser Äusseres Beifall, und die Toga wurde
häufig getragen; und allmächlich gab man sich dem verweichlichenden Einfluss des
Lasters hin: Säulenhallen, Bädern und erlesenen Gelagen. Und so etwas hiess bei den Ah-
nungslosen feine Lebensart (humanitas), während es doch nur ein Bestandteil der
Knechtschaft war." (Agricola 21)
Aelius Aristides hingegen schwärmt von den Leistungen R o m s f ü r die Städte in den Provin-
zen;
"Überall gibt es Gymnasien, Brunnen, Säulenhallen, Tempel, Werkstätten und Schulen"
(Romrede 97).
U n d nach seiner Überzeugung hört
"niemals ... der Strom der Geschenke auf, welcher von eurer Seite diesen [gemeint sind
die provinziellen Städte; Anm. C.R.] zufliesst" (Romrede 98).
Es erstaunt nicht, dass Aristides von seiner Warte aus den weitaus grösseren Strom an Steu-
ern, Abgaben und geraubtem Geld und Gut nicht zur Kenntnis nahm oder nehmen wollte, der
in umgekehrter Richtung die Provinzen verliess. 935
Die Provinzen und ihre Bevölkerung wurden trotzdem etwas weniger mehr nur als Objekte
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der Ausbeutung f ü r eine kleine privilegierte Gruppe angesehen, als dies noch in der Republik
der Fall gewesen war. Vielmehr erhielten insbesondere die jeweiligen Eliten dank Zentralisie-
rung u n d Vereinheitlichung des Weltreiches etwas mehr Eigenständigkeit. 9 3 6 Positive Aus-
wirkungen zeitigte etwa die Gewohnheit von Tiberius, Gouverneure f ü r relativ lange Zeit zu
ernennen. Dadurch sollten nicht immer wieder neue Statthalter in die Provinzen kommen, die
hier nur kurze Zeit hatten, um sich finanziell zu sanieren. So wurden auch für die erste Proku-
ratur von Judäa und Samaria von Tiberius nur zwei Statthalter bestellt: Valerius Gratus (15-26
n.Chr.) und Pontius Pilatus (26-36 n.Chr.).' 37
Eine straffere Verwaltung, militärische Sicherheit, ein ausgebautes Strassennetz und Geld aus
den Steuereinnahmen f ü r die wirtschaftliche Entwicklung sollten nicht mehr einzig den römi-
schen Bürgern Italiens zugute k o m m e n , sondern vermehrt allen freien Bewohnern und Be-
wohnerinnen des Reiches. 938 Besonders wichtig f ü r die Stabilisierung des Reiches war hier
der Einbezug der lokalen Eliten a m G e n u s s der Früchte des Imperiums. Eine Folge davon
war, dass Aufstände eher selten waren. 939
Es waren also insbesondere die lokalen Eliten, die von den Segnungen des römischen Impe-
riums profitieren konnten. Aelius Aristides verallgemeinert wiederum seine eigene Erfahrun-
gen als Angehöriger der Oberschicht:
"Allen stehen alle Wege offen. Keiner ist ein Fremder, der sich eines Amtes oder einer
Vertrauensstellung würdig erzeigt, im Gegenteil, auf der Welt hat sich unter e i n e m
Mann, dem besten Herrscher und Lenker, eine allgemeine Demokratie herausgebildet.

935
Vgl. Wengst, Pax Romana (1986) 58.
936
Vgl. Gesche, Weltbeherrscher (1981) 190.
937
S.o. Kap. 6.3.2.
938
Zu den positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der römischen Herrschaft in Germanien in den ersten
Jahrzehnten des 1. Jh.s n.Chr. vgl. Wierschowski, Ökonomische Entwicklung (2002) 264-292. Zu den
bedeutenden wirtschaftlichen Folgen der Präsenz der römischen Armee auf die Provinz Africa vgl. Mo-
rizot, Armee romaine (2002) 345-374.
939
Vgl. Braund, Empire (1988) 12f. Zur Besonderheit des jüdischen Staatsgebietes vgl. Kap. 12-13.
118 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

Alle strömen wie auf einem g e m e i n s a m e n Markt z u s a m m e n , ein jeder, um das zu erlan-
gen, was ihm gebührt" (Romrede 60).

Auch Plinius hat wohl eine eingeschränkte Perspektive, wenn er davon schwärmt, dass unter
römischer Herrschaft genügend Vorräte vorhanden seien. Die Staatskasse hätte diese Vorräte
aber tatsächlich gekauft, und nicht bloss zum Schein.940
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"Daher diese Vorräte, daher diese Früchte im freien Verkehr der Verkäufer, daher hier
Fülle und nirgends Mangel." (Panegyricus 29)
Plinius stellt deshalb die rhetorische Frage:
"Kann man jetzt nicht sehen, dass ohne irgend eines anderen Nachteil jedes Jahr reichlich
unsere Bedürfnisse befriedigt?" (Panegyricus 29)
Im Überfluss lebten aber primär einmal die Angehörigen der Oberschichten. Insbesondere in
Rom gab es alles, was das (reiche) Herz begehrte. Nach Aelius Aristides versorgten die Län-
der rund ums Mittelmeer Rom reichlich mit ihren Gütern.
"Herbeigeschafft wird aus j e d e m L a n d und aus j e d e m Meer, was i m m e r die Jahreszeiten
wachsen lassen und alle Länder, Flüsse und Seen sowie die Künste der Griechen und Bar-
baren hervorbringen. W e n n j e m a n d das sehen will, so muss er entweder den g e s a m t e n
Erdkreis bereisen, um es auf solche Weise anzuschauen, oder in diese Stadt k o m m e n . Was
nämlich bei den einzelnen Völkern wächst und hergestellt wird, ist notwendigerweise hier
stets vorhanden, und zwar im Überfluss." (Romrede 11)
Diese eingeschränkte Sichtweise von Aelius Aristides zeigt sich geradezu beispielhaft in einer
seiner Schlussfolgerungen:
"Was man hier nicht sieht, zählt nicht zu dem, was existiert hat oder existiert." ( R o m r e d e
13)
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6.3.6 Fortwährende Korruption und Misswirtschaft


Die Gesamtheit der Massnahmen gegen Korruption und Ausbeutung in den Provinzen schien
eine gewisse Wirkung nicht verpasst zu haben, denn obwohl der Kreis der möglichen Ange-
klagten wesentlich erweitert wurde, gingen die Repetundenprozesse im 1. und 2. Jh. n.Chr.
deutlich zurück. Dass die Massnahmen im Kampf gegen die Misswirtschaft in den Provinzen
zumindest in den Augen der Kaiser gewisse Auswirkungen hatten, zeigt auch der Umstand,
dass sie sich nicht zu immer neuen Gesetzen veranlasst sahen.
Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die römischen Gouverneure immer noch einen
grossen Freiraum hatten, den sie zu ihrer persönlichen Bereicherung ausnutzen konnten.941
Immer noch erfreuten sich die Statthalter grosser Vollmachten, dort
"wo es keine Rechtshilfe, keine Beschwerdemöglichkeit, keinen Senat, keine Volksver-
s a m m l u n g gibt".
... ubi nullum auxilium est, nulla conquestio, nullus senatus, nulla contio ... ( C i c e r o ,
Epistulae ad Q. fratrem 1,1,22).
Auch unter dem frühen Prinzipat ist die Liste der Statthalter immer noch lang, die eine Klage
wegen schlechter Amtsführung am Hals hatten.942 Dies, obgleich es immer noch schwierig

Im Falle des frumentum emptum oder imperatum, einer Sonderabgabe an Getreide für die Armee, wurde
das Getreide allerdings unter dem Marktpreis gekauft und stellte so eine versteckte Steuer dar (vgl. Nee-
sen, Staatsabgaben (1980) 16.19f.; Pekary, Tributum (KP 5/1979) Sp. 953. Zur Versorgung der Armee
durch das frumentum emptum s. Exkurs D. 11.1). Vgl. zur Besteuerung des Getreideertrages im römi-
schen Imperium Rostovcev, Frumentum (PRE 16/1916) Sp. 126-187.
Vgl. Paltiel, Vassais (1991) 60f.
Vgl. Brunt, Maladministration (1961) 224-227. Darunter finden sich auch Statthalter im Range eines
Prokurators wie Vipsanius Laenas aus der Provinz Sardinien (vgl. Tacitus, Annalen 13,30) oder Vibius
Secundus, Prokurator der Provinz Mauretania (vgl. Tacitus, Annalen 14,28).
Β Administrative und finanzielle Strategien 119

war, einen amtierenden Statthalter zu belangen.943 So brachten etwa die Beschwerden der jüdi-
schen Führer aus Cäsarea vor Kaiser Nero gegen den Statthalter Felix nicht das gewünschte
Ergebnis, während Cumanus Jahre zuvor von Claudius in die Verbannung geschickt wurde.944
Wenn Vertreter der lokalen Bevölkerung beim Kaiser Beschwerden irgendwelcher Art vor-
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bringen wollten, musste dies der betreffende Statthalter in der Regel bewilligen. Dies geschah
in Judäa etwa im Zusammenhang mit der Frage der Aufbewahrung der Gewänder des Hohe-
priesters. Allerdings wandten sich die Juden in dieser Frage erst an den syrischen Legaten
Cassius Longinus, als dieser in Jerusalem weilte.945 Auch der Prokurator Judäas Fadus
musste offenbar seine Einwilligung für eine Delegation nach Rom geben. Vielleicht sollte
diese Regelung auch sicherstellen, den Prinzeps vor zu vielen Anfragen aus den Provinzen zu
bewahren. Klagen über einen amtierenden Statthalter waren offenbar immer noch eine schwie-
rige Angelegenheit, so dass häufig zuerst das Ende einer Amtszeit abgewartet werden muss-
te.946 Oder aber es musste auf einen geeigneten Zeitpunkt gehofft werden, um Klagen vorzu-
bringen. So beklagten sich die Juden auch über Florus erst, als der syrische Legat Cestius
Gallus in der Hauptstadt Judäas weilte.947 Die Gegenwart eines höheren römischen Beamten
in einer Provinz war nicht nur eine gute Gelegenheit, Klagen gegen den amtierenden Statthal-
ter vorzubringen, die Präsenz wirkte sich offenbar auch positiv auf die Amtsführung aus.
Die Samaritaner ihrerseits wandten sich zweimal direkt an die syrischen Legaten Vitellius und
Quadratus. Wahrscheinlich lag dies daran, dass diese beiden Statthalter mit besonderen Voll-
machten ausgerüstet waren.948
Und auch Tacitus belegt noch für die Prinzipatszeit Klagen der einheimischen Bevölkerung
gegen römische Magistraten oder über den ungenügenden Schutz durch die Repetundenge-
setze.949 Als positives Beispiel führt Tacitus seinen Schwiegervater Agricola an. Dieser hatte
es als Quästor in Kleinasien abgelehnt, seinem Statthalter bei Geschäften innerhalb der Grau-
zone der Legalität Beihilfe zu leisten.950 Als er später selbst Statthalter in Britannien war,
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"milderte er die Eintreibung von Getreide und Steuern durch gerechte Verteilung der
Lasten; er beschnitt alles, was zum Zweck persönlicher Bereicherung ausgeklügelt war"
(Tacitus, Agricola 19,4).951
Weiter führt Tacitus aus:
"Indem er diese Missstände gleich im ersten Jahr unterband, verhalf er dem Frieden, der
infolge der Gleichgültigkeit oder Masslosigkeit seiner Vorgänger nicht minder gefürchtet
war als der Krieg, zu einem guten Ruf" (Agricola 20,1).
Auch Cicero sieht sich als besonnenen Statthalter, der sich einer besonderen Tugend rühmen
darf und damit gleichzeitig zugibt, dass sie unter den römischen Magistraten wohl eher selten
anzutreffen war: die abstinentia. Weitere Tugenden führt Cicero an, die auch noch in der Zeit

Vgl. Stern, Judaea (1974) 321f. So schlug etwa auch die Klage gegen Eprius Marcellus fehl, der 57
n.Chr. von Provinzbewohnern Lycias angeklagt worden war (vgl. Tacitus, Annalen 13,33).
Zu Felix vgl. Josephus, Ant. 20,182. Die Bellum-Version spricht nur von einer von Felix selbst for-
mierten Gesandtschaft von Juden und Hellenisten aus Cäsarea an Nero, nicht aber von einer Anklage ge-
gen Felix selbst. Möglicherweise wollte Josephus hier nicht den Eindruck erwecken, dass die Juden
Vorwürfe gegen einen Statthalter vorbrachten, mit denen sie dann nicht durchkamen. Zu Cumanus vgl.
Josephus, Bell. 2,246f.; Ant. 20,131-136. S. auch u. Kap. 13.6. Zur Politik von Claudius gegenüber
den Statthaltern vgl. Cassius D i o 60,25,4-6.
Gemäss Josephus war Longinus mit einer grossen Streitmacht nach Jerusalem gekommen, weil er auf-
grund der Anordnungen von Fadus einen Aufstand befürchtete (vgl. Ant. 20,7). Vgl. zur ganzen Episode
Josephus, Ant. 20,6-16; Stern, Judaea (1974) 360f.; Smallwood, Roman rule (1976) 260f.; McLaren,
Power (1991) 127-131. Zu Cassius Longinus vgl. Hanslik, Cassius (KP 1/1979) Sp. 1074f.
So geschehen etwa beim Statthalter Judäas Felix 60 n.Chr. (vgl. Josephus, Ant. 20,182).
Vgl. Josephus, Bell. 2,280ff.; Smallwood, Roman rule (1976) 285.
Zu Vitellius vgl. Josephus, Ant. 18,89; Stern, Judaea (1974) 312.322.353. Zu Quadratus vgl. auch
Tacitus, Annalen 12,54; Josephus, Bell. 2,232ff.; Ant. 20,118. S. auch Kap. 13.1.
Vgl. Tacitus, Annalen 1,2; 3,40; Historiae 4,14; Brunt, Laus imperii (1978) 189.
Vgl. Tacitus, Agricola 6,2; Wengst, Pax Romana (1986) 51.
Vgl. dazu Starr, Empire (1982) 129.
120 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

des Prinzipats einem Gouverneur gut anstanden: aequitas, dementia, constantia, continentia,
facilitas, gravitas, humanitas, integritas, lenitas, mansuetudo, moderatio, severitas, tempe-
rantia, fides, innocentia, integritas, iustitia, modestia.'" Einige positive Vorbilder kannten
auch die kaiserzeitlichen Statthalter schon aus der Zeit der Republik, wie etwa Q. Mucius
Scaevola, L. Sempronius Asellio, Lucullus oder Gabinius.953
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Allerdings war auch für diese tugendhaften Statthalter die Aufgabe schwierig zu lösen, zwi-
schen der Wohlfahrt der Bevölkerung und den vom römischen Zentrum benötigten Steuern
und Abgaben ein Gleichgewicht zu finden.954 Denn diese Steuern und Abgaben kamen teil-
weise nur einer kleinen privilegierten Gruppe oder auch der Stadt Rom und Italien zugute, das
ja im Prinzip bis Domitian keine direkten Steuern zu zahlen hatte.'55
In Kenntnis ihrer grossen Möglichkeiten legt Juvenal den Statthaltern ans Herz:
"Betrittst du endlich als Statthalter die langersehnte Provinz, setze Mass und Ziel d e i n e m
Zorn, mässige auch deine Habgier, hab Mitleid mit den verarmten Bundesgenossen: K n o -
chen nur siehst du, ausgesaugt und ohne Mark." (Satirae 8,87-90)

Trotz aller Massnahmen ist die provinzielle Misswirtschaft immer noch bedeutend, und Iuve-
nal beklagt sich, wie weit die Ausbeutung der Provinzen schon fortgeschritten ist:
"Jetzt raubt man den Bundesgenossen wenige Gespanne von Rindern, eine kleine K o p p e l
Stuten, n a c h d e m man d e m Besitzer der Herde sein bisschen L a n d entriss; dann stiehlt
man ihnen selbst die Hausgötter, wenn es irgendwo eine ansehnliche Statue, j a wenn es im
Tempelchen ein einziges Götterbild gibt; das sind für sie die grössten Kunstwerke, weil es
die einzigen sind, die ihnen noch verblieben." (Satirae 8,107-112)
Ein Grund für die Probleme Domitians mit dem Senat waren sicher auch seine Bemühungen
um die Zurückdrängung senatorischer Misswirtschaft in den Provinzen.956
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Ein krasses Beispiel solcher Misswirtschaft liefert auch Plinius. Er berichtet über den Prozess
gegen den bereits verstorbenen Statthalter Classicus von Baetica, der dank seiner Unvorsich-
tigkeit leicht zu überführen war:
"Er hatte eigenhändig geschrieben hinterlassen, was er bei jeder Sache, bei j e d e m Prozess
herausgeschlagen hatte; er hatte auch nach R o m an ein Liebchen geschrieben, in denen
es hiess: 'Hei, ich k o m m e schuldenfrei zu dir; vier Millionen Sesterzen habe ich bereits
eingesackt durch den Verkauf von halb Baetica 1 .'" (Epistulae 3,9,13)

Dem verstorbenen Statthalter wurden die während seiner Statthalterschaft gemachten Gewinne
abgenommen, während seine beiden Helfershelfer für fünf Jahre des Landes verwiesen wur-
den. Dass trotz der kaiserlichen Massnahmen gegen die Korruption immer noch vieles mög-
lich war, zeigt die abschliessende Bemerkung von Plinius zu diesem Prozess:
"So schwer wurde jetzt g e n o m m e n , worüber man a n f a n g s im Zweifel gewesen war, ob es
überhaupt ein Verbrechen sei." (Epistulae 3,9,17)
Dass das gerichtliche Vorgehen gerade gegen hohe Beamte schwierig war, zeigt eine weitere
Bemerkung von Plinius über seine Gründe für die Übernahme des Prozesses:
"Ich liess mich auch durch den U m s t a n d bestimmen, dass Classicus schon tot war u n d
somit wegfiel, was bei derartigen Prozessen meist das Betrüblichste ist, die G e f ä h r d u n g
eines Senators" (Epistulae 3,4,7).

Vgl. Cicero, Epistulae ad Q. fratrem 1,1; Epistulae ad Atticum 5,9,1; 5,10,2; 5,15,2; 5,16,3; 5,21,5;
5,17,2; 5,18,2; 5,20,6; 6,2,5; Epistulae ad familiares 15,4,1.14.
Zu Scaevola, dessen Provinzedikt Cicero übernahm, vgl. Epistulae ad Atticum 6,1,15; zu Asellio vgl.
Diodorus 37,5; zu Lucullus vgl. Plutarch, Lucullus 20; zu Gabinius in Syrien vgl. Cicero, De provin-
ciis consularibus 10; Epistulae ad Q. fratrem 3,2,2.
Vgl. Cicero, De legibus 3,9.
Vgl. Aurelius Victor, Caesares 39,31; Brunt, Laus imperii (1978) 190f.
Vgl. Seneca, De ira 2,55; Pieket, Domitian (1961) 296-315; Pontenay de Fontette, Leges Repetundarum
(1961) 125-131; Starr, Empire (1982) 75. Vgl. auch Brunt, Maladministration (1961) 189-227.
Β Administrative und finanzielle Strategien 121

Einen Anwalt plagen bei seinen Gerichtsverfahren besondere Schwierigkeiten, den Gesetzen
zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu gehört auch der
"Ärger, sich taub stellen zu müssen gegen die geheimen Bitten von Freunden all der Be-
klagten und ihrem offenen Widerstand entgegenzutreten" (Epistulae 3,9,25).
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Plinius bleibt jedoch standhaft und ist stolz darauf,


"dass ich beim Prozessieren auf jede Absprache, jedes Geschenk, jedes Entgelt, ja sogar
auf kleine Aufmerksamkeiten verzichtet habe" (Epistulae 5,13,8).957
Wie schwer es angesichts der Bestechlichkeit der Richter insbesondere für ärmere Leute war,
zu ihrem Recht zu kommen, vor allem wenn es sich um einen Prozess gegen vermögendere
und einflussreichere Personen handelte, vermittelt ein Gedicht von Petronius:
"Wozu nützen die Gesetze,
wenn der Mammon nur regiert,
wenn der kleine Mann der Strasse
immer den Prozess verliert? ...
Also ist ein Trödelladen das Gericht:
wer den Vorsitz hat, dem zahle,
sonst kriegst du die Ware nicht!" (Satiricon 14,2)958
Wie einfallsreich die römischen Besatzer jeweils neue Geldquellen erschlossen, zeigt die Be-
schreibung der Aushebung bei den Batavern durch Tacitus:
"Diese an und für sich lastige Sache wurde noch drückender durch die Habsucht und
Ausschweifung der unteren Beamten; sie hoben nämlich alte oder schwächliche Leute
aus, um sie dann für Geld wieder freizugeben; andererseits schleppte man halbwüchsige
Burschen zu unzüchtigen Zwecken weg." (Historiae 4,14,1)959
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Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass die Misswirtschaft in den Provinzen in gewissen Fäl-
len auch in der Prinzipatszeit noch zu Aufständen führte. 960 Für den Aufstand des Civilis je-
denfalls bildete die oben beschriebene Aushebung den unmittelbaren Anlass. Civilis führte bei
seinen Vorbereitungen diese Vorkommnisse an, zählte aber noch weitere
"Unbilden, Erpressungen und die sonstigen Leiden der Knechtschaft auf ... Bezirksvor-
stehern, Centurionen seien sie ausgeliefert; wenn sie deren Hunger mit blutig erpresstem
Beutegut gesättigt hätten, dann kämen einfach andere an die Reihe, und es würde nach
neuen Vorwänden, sich die Taschen zu füllen, und nach allerhand Rechtstiteln zu Räube-
reien gesucht" (Tacitus, Historiae 4,14,2f.).
Auch im Jahr 21 n.Chr. wiesen Aufstandswillige in Gallien auf die missliche Lage hin und
"führten bei öffentlichen Versammlungen und besonderen Zusammenkünften aufrühre-
rische Reden über die ununterbrochene Fortdauer der Besteuerung, die drückende Last
der Wucherzinsen, die Härte und den Hochmut der Statthalter" (Tacitus, Annalen 3,40,3).
Nach Tacitus war auch der Aufstand der Friesen im Jahre 28 n.Chr. ausgebrochen
"mehr wegen der Habsucht unserer Leute als aus Unbotmässigkeit" (Annalen 4,72,1).%I
Erst nach schlimmen Übergriffen von römischer Seite brach offensichtlich auch 61 n.Chr. der
Aufstand der Icener in Britannien aus.962 Unter Domitian rebellierten die Nasamonen, ein nu-

Zum Selbstbildnis von Plinius in dessen Briefen vgl. Radicke, Selbstdarstellung (1997) 447-469.
Vgl. auch Iuvenal, Satyricon 13,3f; Apuleius, Metamorphoses 10,33,1; Tacitus, Annalen 2,34,1;
Wengst, Pax Romana (1986) 56f.
Vgl. auch Plutarch, Sulla 25; Lucullus 20.
Vgl. Josephus, Bell. 2,272-279; Ant. 18,25; Juvenal 8,87ff.; 8,112-124; Brunt, Maladministration
(1961) 189-227; Braund, Empire (1988) 9. Zur Situation in Palästina im 1. Jh. n.Chr. und den Gründen
für den Ausbruch des Krieges s. Kap. 13.6 und 13.8.
Vgl. Mattern, Strategy (1999) 135f.
Vgl. Tacitus, Annalen 14,31; Wengst, Pax Romana (1986) 194 Anm. 219.
122 Teil I Strategien der Machterweiterung und -Sicherung des Römischen Imperiums

midischer Stamm, gegen die Steuereintreibung. Nach anfänglichen Erfolgen wurden sie je-
doch vom Statthalter und seinen Truppen auf Geheiss des Kaisers ausradiert.963
Schon Cäsar, selbst in dieser Hinsicht kein unbeschriebenes Blatt, hatte die Steuerpolitik sei-
nes Gegners Scipio kritisiert:
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"Fand man nur den Titel für eine Sache, schien das schon hinreichend zum Erpressen
von Geldern" (De hello civili 3,32,2).
Gerade in Kriegszeiten waren reiche Provinzbewohner häufig der Willkür der römischen
Statthalter ausgeliefert. Ein Beispiel dafür überliefert wiederum Tacitus. Nach seiner Schilde-
rung brauchte der Statthalter Syriens, Licinius Mucianus, für den Bürgerkrieg auf der Seite
Vespasians zusätzliches Geld:
"Daher schaute er, wenn es zu gerichtlichen Untersuchungen kam, nicht auf Recht und
Feststellung des wahren Sachverhaltes, sondern einzig darauf, ob ein grosses Vermögen
zu gewinnen war. Allenthalben gab es Denunzierungen, wobei in der Regel die Schwer-
reichen die Opfer des Beutezuges waren. Diese drückenden und unerträglichen, aber
durch die Kriegsnöte entschuldbaren Zustände blieben leider auch im Frieden." (Histori-
ae 2,84)
Die militärische Befehlsgewalt gab Mucianus dabei den nötigen Rückhalt, und das Recht des
Stärkeren kam auch hier zum Tragen.' 64 Beispiele für die provinzielle Misswirtschaft liefert
also nicht nur die Republik, sondern auch die Prinzipatszeit.
Eindrücklich jedenfalls ist eine Erzählung Plutarchs über Pompeius. Als dieser in der sizilia-
nischen Stadt Messana römische Hoheitsrechte wahrnehmen wollte, protestierten deren Ein-
wohner mit dem Hinweis auf einen Staatsvertrag mit Rom. Pompeius antwortete ihnen:
"Wollt ihr wohl aufhören, wenn wir mit dem Schwert umgürtet daherkommen, uns Geset-
For personal use only.

zestexte vorzulesen!" (Pompeius 36)


Für die Statthalter der Prinzipatszeit war natürlich auch eine enge Zusammenarbeit mit den
einheimischen Eliten eine Möglichkeit, Klagen aus der Provinz zu vermeiden. Die Begünsti-
gung prominenter einheimischer Kreise und Persönlichkeiten konnte sich für einen Statthalter
in schwierigen Zeiten auszahlen.965 Hätte Cumanus Agrippa II. für sich gewinnen können,
wäre ihm möglicherweise das Exil und seinem Offizier Keler die Hinrichtung erspart geblie-
ben.966 Gelegenheiten, sich der Gunst der einheimischen Bevölkerung zu versichern oder zu-
mindest die eigene Amtsperiode in einem etwas besseren Licht erscheinen zu lassen, gab es
auch beim Abgang aus einer Provinz. So Hess etwa Albinus am Ende seiner Amtszeit alle
Gefangenen Judäas frei mit Ausnahme der zum Tod Verurteilten, um sich bei der Bevöl-
kerung Jerusalems noch gewisse Sympathien zu verschaffen.967 Gemäss des Verfassers der
Apg, Lukas, war auch die Belassung von Paulus in Gefangenschaft als Gefallen von Seiten
des Prokurators Felix zugunsten der einheimischen jüdischen Bevölkerung gedacht.968 Umge-
kehrt versuchte offenbar der Statthalter Jamnias, Capito, durch Verleumdung der jüdischen
Bevölkerung von seinen eigenen Verfehlungen abzulenken.969
Trotz der Anstrengungen der Kaiser, Korruption und Misswirtschaft in den Provinzen durch
vielfältige Massnahmen einzuschränken, gelang dies durch den immer noch grossen Hand-
lungsspielraum der Gouverneure nur in beschränktem Masse. Dies auch deshalb, weil dem
Statthalter als erste Aufgabe die Durchsetzung der Interessen des römischen Zentrums oblag.
Die Interessen der Provinzialen blieben dabei zweitrangig.

Vgl. Cassius Dio 67,4,6. S. auch o. Kap. 3.4.


Vgl. Bengston, Römische Geschichte ( 6 1988) 251.273ff.; Wengst, Pax Romana (1986) 55.
Vgl. Tacitus, Annalen 15,20f.; Stern, Judaea (1974) 322.
Vgl. Josephus, Bell. 2,245f.; Ant. 20,134ff. S. dazu Kap. 13.6.
Vgl. Josephus, Ant. 20,235.
Vgl. Apg 2,27. Vgl. auch Tacitus, Annalen 13,31,3.
Vgl. Philo, Legatio 199.
Β Administrative und finanzielle Strategien 123

6.4 Ergebnis
Die Administration der Republik war auch Ausdruck der Sichtweise der römischen Eliten, die
in den Provinzen einen Schutzgürtel um das Zentrum des entstehenden Weltreiches und Ob-
jekte der Ausbeutung sahen. Ausbeutung und Misswirtschaft waren dabei in grossem Masse
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strukturell bedingt.
Erst der Prinzipat als neue Monarchie erleichterte den Blick auf das Imperium als Ganzes, in
dem die Provinzen als wesentlicher Teil des Reiches gesehen wurden. Massnahmen gegen
Ausbeutung und Korruption wurden ergriffen, um das wirtschaftliche Überleben der Provin-
zen längerfristig zu gewähren und so auch soziale Spannungen abzubauen. Deshalb wurde
auch die Verwaltung zentralisiert und gleichzeitig durch einen neuen und loyalen Beamten-
apparat von Armeeangehörigen und Freigelassenen die Kontrolle durch die Kaiser erleichtert.
Mit dieser Zentralisierung ging in den Provinzen ein Ausbau der lokalen Selbstverwaltung
einher, da nur in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden die Kontrolle über das Imperium
und die Garantie von Ruhe und Ordnung gewährleistet werden konnte. Nicht nur die Mitwir-
kungspflicht an seinen primären Aufgaben, sondern auch die Beteiligung der lokalen Eliten an
seiner Macht und den Privilegien der römischen Herrschaft wurde durch den Statthalter als
der obersten Instanz definiert und überwacht. Eine seiner Hauptaufgaben war dabei die fi-
nanzielle Absicherung der römischen Herrschaft über den Steuerertrag der Provinzen. Dies ist
Gegenstand des folgenden Kapitels.
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