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HANDBUCH

DER

RÖMISCHEN ALTERTHÜMER
VON

Karl JOACHIM MARQUARDT und THEODOR MOMMSEN.

ERSTER BAND.

RÖMISCHES STAATSRECHT VON TH. MOMMSEN. I.


-—I

DRITTE AUFLAGE.

LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1887.
RÖMISCHES

STAATSRECHT
VON

THEODOR MOMMSEN.

ERSTER BAND.

DRITTE AUFLAGE.

LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1887.
[73] Die magistratische Competenz.
I. Das Auspicium.

Die Gewalt des Beamten ist die Befugniss als Vertreter der
Gemeinde deren Geschäfte sowohl gegenüber den Göttern wie
gegenüber den Menschen zu vollziehen, oder nach dem römischen
Ausdruck, sie ist in ihrem höchsten und vollsten Ausdruck auspi-
cium imperiumque *) ; eine Zweitheilung, die, wie sie dem ganzen
römischen Staatswesen zu Grunde liegt, so vor allem in den
beiden entsprechenden Antrittsacten, der Einholung der göttlichen
Bestätigung durch die erste Auspication und der Entgegennahme
des Treuworts der Bürgerschaft durch das Curiatgesetz , ihren
1
lebendigen Ausdruck findet 2 ). Wir beginnen die Darlegung der
allgemeinen magistratischen Competenz mit deijenigen der Auspi-
cien der Magistrate.
[741 Die römische Religion ist von der Anschauung beherrscht,
Blutung* d ass der Mensch die zukünftigen Dinge vorherwissen weder kann

1) Diese Formel erscheint stehend in den Siegesinschriften der Heerführer,


* wie den beiden von Livius (40, 52, 5 : auspicio imperio felicilate duetuque eius ;
41, 28, 8 : eonsulis imperio auspicioque) mitgethellten und in der erhaltenen
des L . Mummius (C. I. L. I. n. 541 : ductu auspicio imperioque eius) so wie
in der Nachbildung bei Plautus Amph. 1 9 6 : ductu imperio auspicio suo, Im-
perium auspiciumque steht ferner bei Livius 22, 30, 4. 28, 27, 4. 29, 27, 2
(hier davor noch secta), Val. Max. 2, 8, 2 und in dem S. 84 A. 5 angeführten ver-
gillanischen Scholium. — Wenn auch in den hier angeführten Stellen häufig,
namentlich in den poetisch abgefassten, neben dem staatsrechtlichen Gegensatz
des auspicium und des imperium noch das persönliche Moment des eigenen Com-
mandos hervorgehoben wird, so tritt die zu (künde liegende uralte Formel darum
in diesen ältesten Documenten nicht minder deutlich hervor. Dass nach strenger
Folge auspicium imperiumque gesagt ward, nicht imperium auspiciumque, geht
nicht sowohl aus den Zeugnissen hervor als aus dem bekannten Vorrang der res
divinae vor den res humanae (Gell. 14, 7, 9 und sonst). Gebraucht wird die
Formel nur von den Magistraten, die die volle militärische Amtsgewalt besitzen,
da imperium nur für diese passt (8. 22); der Sache nach lässt sich die Com-
petenz einer jeden Magistratur theilen in die res divinae, das ist sein auspicium,
und die res humanae, das ist sein imperium oder seine poteslas.
2) Leber beide ist in dem Abschnitt vom Amtsantritt gehandelt.
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tive zu ergreifen und von sich aus eine derartige Anzeige an
den Senat zu erstatten 1). Da auf Grund dieser Gutachten der
Sachverständigen nicht bloss staatsrechtliche Fragen entschieden,
sondern selbst Capitalklagen erhoben werden können, wird den
Augurn mit Rücksicht darauf nicht mit Unrecht Gewalt über
die Beamten 2 ), ja sogar geradezu Jurisdiction beigelegt 3). Streng
genommen indess ist es vielmehr die Pflicht der Magistratur auf
Grund des auguralen Gutachtens das weiter Erforderliche zu
veranlassen. Auf die praktisch vor allem wichtige Frage, in
wie weit das von den Augurn festgestellte Vitium dem davon
behafteten Wahl- oder sonstigen Beschlussact der Gemeinde die
Rechtskraft nimmt, wird in dem Abschnitt von der Competenz
der Volksversammlung zurückzukommen sein.

[114] II. Das Commando fbnpeWwnJ.

Inhaber des Imperium, dasselbe Wort, welches technisch die Gewalt des
sehen impe- Oberbeamten überhaupt bezeichnet (S. 22), wird weit häufiger
und in nicht minder technischer Weise im eminenten Sinn ver-
wendet für das militärische Commando 4 ). Es beruht dies darauf,
dass der militärische Oberbefehl der eigentliche Kem der obersten
Beamtengewalt und formell von ihr untrennbar ist. Im Besitz des-
selben sind sowohl die ordentlichen Oberbeamten, Consuln, Prä-
toren, Dictatoren, Reiterftthrer, wie auch die ausserordentlichen
Inhaber der obersten Gewalt, für deren Stellung die Bezeich-

1 ) In dem am genauesten bekannten Falle, der die Consulwahlen für 592


betraf, macht der wahlleitende Beamte, der zugleich Augur iat, als er nach
Niederlegung des Consulats seines Versehens inne wird, davon dem Collegium
Anzeige, das dann die Sache an den Senat bringt (Cicero de n. d. 2, 4 ; vgl.
de die. 2, 35, 74 und S. 1 0 3 A. 4), In einem andern Falle machen die pU-
larii den auspicirenden Magistrat auf den begangenen Fehler aufmerksam, worauf
dasAugurncollegium sich dieser Ansicht anschliesst und Vertagung eintritt (Cicero
ad fam. 10, 12, 2).
2) Cicero de leg, 2, 8, 21 : quaeque augur iniusta nefasta vitiosa dira deixerit
(d. Hdschr. defixerit), inrita infestaque sunto, quique non paruerit, Capital esto.
Den Gehorsam der Magistrate gegen die Augurn schärft er in seiner Constitution
noch mehrmals ein (a. a. 0. kurz vorher und 3, 4, 1 1 ; vgl. 2, 12, 31. 3, 19,
43). Hier ist übrigens verschiedenes zusammengefasst, namentlich auch die
auguralische Nuntiation (S. 109) ; darum vermuthlich ist von dem Augur, nicht
den Augurn die Rede.
3) Stadtrecht von Genetiva c. 6 6 : de auspieüs quaeque ad eas ree pertine-
bunt augurum iuris dictio iudicatio e»t.
4) Cicero Phil. 5, 12, 4 5 : Imperium, »ine quo res militari» administrari,
teneri exercitus, bellum geri non potest.
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sein wird, regelmUssig
regelmässig nicht ausgetLbt.
ausgeübt. Die regelmftssige jahrliche
regelmässige jährliche
Aushebung der Gonsuln
Consuln scheint dagegen erst gegen das Ende der
Repub lik ins Stocken gekommen zu sein mit dem allm5hlichen
Republik allmählichen
Stehendwerden des Dienstes 1). — Das Gesagte gilt von der
[118]
[118] ordentlichen Aushebung, die an die Hauptstadt gebunden war;
ausserdem steht je nach den Umständen
UmsUnden jedem Beamten mit Im-
perium das Recht zu ausserordentlicher Weise die Waffenfähigen
Waffenfahigen
einzuberufen, wofttr
wofür im Allgemeinen die Vorschriften Über Uber den
3
tumultus massgebend sind 2 ).
officers-
Offiziers- 2. Mit dem Rechte der Heerbildung ist das Recht die Offiziere
ernennnng.
ernennung. z u ernennen und zu entlassen aufs engste verknttpft
verknüpft und eigent-
lich ein Theil davon. Indess ist dieses Recht frtthfrüh beschränkt
beschrSnkt
worden theils durch die wahrscheinlich nach dem Sturz des De-
cemvirats eingetretene Erstreckung der Volkswahl auf die QuUstur,
Quästur,
durch welche der bisherige erste GehUlfe
Gehülfe des Feldherrn demsel-
ben als ein zweiter ebenfalls von der Gemeinde gewählter
gewahlter Be-
amter an die Seite trat, theils dadurch, dass im J. 392 die Wahl
eines Theils, sodann zwischen 463 und 535 die Wahl aller Tri-
büne
bune der vier regelmUssigen
regelmässigen Jahreslegionen auf die Gomitien über-
ttber-
ging, so dass dem Gonsul,
Consul, wenn er nicht, was zuweilen geschah,
von dem Gesetze entbunden ward, nur fUr für die ausserordentlicher
Weise über
Uber diese Zahl hinaus aufgestellten Legionen die Wahl
Tribune blieb 8). Ausserdem ernennt der Feldherr die Cen-
der Tribüne
*
turionen und Decurionen 4) sowie die s&mmtlichen
sämmtlichen Offiziere neuerer
Einrichtung, wie die praefecti socium, die praefecti fabrum. Als
in der Kaiserzeit die Oberbeamten mit Ausnahme des Kaisers
aufhörten Truppen zu befehligen, blieb einem Theil derselben
aufhOrten

1) Dass, alaals der Dienst allmählich


allmahlich stehend und die Aushebungen mehr und
mehr unregelmässig
unregelmassig wurden, die Leitung derselben factisch an den Senat kam,
ist wahrscheinlich ; doch ist kein Grund vorhanden anzunehmen, dass den Gon-
suln später,
spater, etwa durch SuUa,
Sulla, das Aushebungsrecht geradezu genommen worden
ist. Dass seitdem
seltdem der Consul erst ent nach Ablauf seines Amtsjahrs das Gommando Commando
übernimmt,
ubernimmt, ändert
andert an sich in In dem Aushebungsrecht nichts.
2) Handb. 5 , 386.
3) Vgl. den Abschnitt von den magistratischen Offizieren.Offlzieren.
4) Liv. 42, 33. Cicero in Püon. Puon. 36, 88. Varro (bei Nonius v. extispicei):
ail consulem mihi pilum credere
credere (so statt cedere Madvig adv. 2, 654). Tacit.
ann. 1 , 44. Polyblus
Polybius (6, 24, 2. c. 25, 1 ) freilich
freiiich giebt die Ernennung der
Genturionen Kriegstribunen; ; und den optio des ceniurio
Centurionen und Decurionen den Kriegstribunen
wie des decurio bestellt anfänglich
anfanglich dieser selbst (Polyb.a.a.
(Polyb. a. a. 0 . ) , später der Kriegs-
spater derKriegs-
tribun (Varro de lI.. L. 5, 91). Vermuthlioh
Vermuthlich steht rechtlich die Ernennung bis
In
in die untersten Grade hinab dem Gonsul Consul z u ; factisch aber
abet sind die unteren
Grade wohl regelmässig
regelmassig durch die nächst
nachst Vorgesetzten besetzt worden.
121
von diesem Ernennungsrecht noch eine Zeit lang das der prae-
fecti fabrum, da diese verhältnissmässig früh den militärischen
Charakter verloren haben 1)*
3. Dem Magistrat steht das Recht zu gegen diejenigen Völker, Krieg-
mit denen Rom im Kriege oder vielmehr nicht im Bündniss- oder ffthrung ‘
Waffenstillstandsverhältniss steht, den Krieg zu fuhren (S. 48 fg.),
nicht aber einem Staat unter Aufhebung eines bestehenden Ver-
trages den Krieg zu erklären. Das Recht der Kriegserklärung
oder, genauer gesagt, das Recht ein gültig abgeschlossenes Bünd-[119]
niss oder einen noch nicht abgelaufenen Waffenstillstand als ver-
letzt und gelöst äusser Kraft zu setzen steht vielmehr, wie seiner
Zeit zu zeigen sein wird, bei der Gemeinde unter Mitwirkung
des Rathes der Aeltesten.
4. Der oberste Feldherr ist als solcher befugt Waffenstill- Vertrage.
Stands-, Hülfs-, Friedens- und Deditionsverträge abzuschliessen.
Indess ist davon nicht hier, sondern im letzten Abschnitt dieser
Abtheilung zu handeln, da dies nicht eine Besonderheit des mili-
tärischen Oberbefehls ist, sondern lediglich eine Anwendung des
allgemeinen magistratischen Rechts der Vertretung der Gemeinde
nach aussen. Hier genügt es im Allgemeinen darauf hinzuweisen,
dass der Magistrat zwar an sich jederlei Vertrag für die Gemeinde
abschliessen kann, er aber, wenn ohne Auftrag, immer auf seine
Gefahr handelt, das heisst die Cassirung des Vertrags und selbst
die Auslieferung derjenigen, die ihn vollzogen haben, stattfin-
den kann.
5. Selbstverständlich lässt sich von dem militärischen Ober- Verwaltung,
befehl die militärische Oberverwaltung nicht trennen. Zu festen Kassen-
Formen ist auf diesem Gebiet insbesondere die Kassenverwaltung fftkrung ‘
gelangt, in welcher Hinsicht die vom Staat aus seinen Activen
dem Oberfeldherrn zum Behuf der Kriegführung anvertrauten
Gelder und der Kriegsgewinn zu unterscheiden sind. Für die
Verwaltung und Verrechnung jener Summen ist seit dem J. 333
d. St. ein besonderer ebenfalls vom Volk ernannter Beamte, der
Militärquästor bestimmt 2 ). Indess gilt die hiedurch eintretende

1 ) Vgl. darüber den Abschnitt vom Consulat. Ueber die Legaten, die
keineswegs zunächst als vom Oberbeamten ernannte Stabsoffiziere betrachtet
werden können, ist der betreffende Abschnitt nachzusohen.
2) Vgl. hierüber die Abschnitte von der Verantwortlichkeit der Beamten
und von der Quästur.

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