Sie sind auf Seite 1von 40

Rittertum und höfische Kultur

der Stauferzeit

Herausgegeben von
J ohannes Laudage und Yvonne Leiverkus

2006

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN


DIE "EHRE DES REICHS" (honor imperii)
ÜBERLEGUNGEN ZU EINEM FORSCHUNGSPROBLEM

von
KNUTGÖRICH

Seit August 1160 eskalierte der Streit zwischen Barbarossa und Erzbischof
Eberhard I. von Salzburg um die Erfüllung klassischer Lehnsdienste:
Barbarossa verlangte von Eberhard, persönlich mit seiner Mannschaft an
der Belagerung Mailands teilzunehmen und sich zur Beratung am Hof
einzufinden. Zu be idem war Eberhard nicht bereit: Die persönliche Heer-
fahrtspflicht wollte er mit einer Geldsumme ablösen, für sein Fernbleiben
vom Hof bemühte er verschiedene Gründe - Krankheit, Unruhen in
seiner Kirchenprovinz oder körperliche Schwäche und sein Mönchsge-
lübde. Hintergrund dieser Verweigerungshaltung war Eberhards strikt
reformerische Gesinnung, aber auch seine Parteinahme für Papst Alexan-
der Ill., an der er trotz der Entscheidung Barbarossas zu Gunsten Viktors
IV. auf dem Konzil von Pavia festhielt. Insgesamt drei Aufforderungen des
Kaisers, sich "uns und unserem Hof' zu zeigen, ließ Eberhard verstreichen,
Barbarossas vierter Brief enthielt die unmißverständliche Drohung, ihn im
Falle erneuten Ungehorsams wegen Verletzung seiner Lehnspflichten
durch ein Fürstenurteil absetzen zu lassen. Überbringer des Briefs war der
kaiserliche Kapellan Burchard: Ihm sollte der Erzbischof in die Hand ver-
sprechen, mit seiner Mannschaft persönlich Heerfolge zu leisten. Dazu
kam es aber nicht: Burchard setzte sich zwar nach Kräften zu Gunsten des
honor imperatoris ein und verlas einen Brief Barbarossas, in dem Ministeri-
alen und Vasallen der Salzburger Kirche befohlen wurde, ihren Erzbischof
zu ermahnen, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Solcherart öffent-
lich herausgefordert, bekräftigte Eberhard aber nur seine alte Position. Er
stieg auf einen Stein, bekreuzigte sich, sprach zu Gunsten Alexanders m.
und sagte, daß er dem Reich gerne diene, aber nicht an der Heerfahrt teil-
nehmen könne und sich deshalb mit Geld ablösen wolle. Nach seiner
Rückkehr an den Hof berichtete Burchard dem Kaiser und den versam-
melten principes curiae. Barbarossa geriet in helle Empörung, lehnte nach
Beratung mit den Fürsten das von Eberhard angebotene Geld mit der
Begründung ab, das imperium sei verletzt, aber Eberhard könne an den
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 37

Hof kommen und Genugtuung dafür leisten; wenn es der honor imperii
dann dulde, werde er, der Kaiser, dessen Dienst wieder annehmen. Barba-
rossas Reaktion kennen wir so genau, weil Burchard als Augenzeuge des
Geschehens den Abt Nikolaus von Siegburg brieflich von der Beratung am
Hof informierte'. Als Parallelüberlieferung steht außerdem ein Brief
Barbarossas an den Erzbischof zur Verfügung, in dem die Beratung mit
den Fürsten ebenfalls erwähnt wird; in einer mit Burchards Brief nahezu
identischen Passage heißt es, der Kaiser habe das Geld cum honore nicht
annehmen können, da es nicht seine Art sei, Geld von jemandem anzu-
nehmen und Haß gegen ihn im Sinn zu behalten'. Anders als bei Burchard
wird aber weder der honor imperii noch die Genugtuungsforderung expli-
zit angesprochen, sondern lediglich die Erwartung formuliert, daß Eber-
hard am Hof erscheinen solle, "wie es der kaiserlichen Hoheit zukommt",
und Freude des Kaisers über sein künftiges Kommen in Aussicht gestellr'.
Dennoch verstand Eberhard sehr gut: In einem Brief an den Abt von
Admont erwähnte er den "Donner" und die "Drohungen, die die Briefe des
Herrn Kaiser über uns krachen ließen ,....

1 Die Edition des Briefes bei Ferdinand GÜTERBOCK, Le lettere del notaio imperiale
Burcardo intorno alia politica del Barbarossa nello scisma ed alia distruzione di Milano,
Bullettino dell'istituro storico italiano per il medio evo 61 (1949) S. 1-65, S. 54-56. Zur Auf-
nahme der Briefe Burchards in die Kölner Königschronik vg!. Manfred GROTEN, Klöster-
liche Geschichtsschreibung: Siegburg und die Kölner Königschronik, Rheinische Viertel-
jahrsblätter 61 (1997) S. 50-78, S. 56-60.
2 Die Urkunden Friedrichs 1., hg. von Heinrich ApPELT u.a. (MGH Diplomara regum et
imperatorum Germaniae 10.1-5) Hannover 1975-1990 (künftig zitiert als MGH DF.I.) Nr.
346, S. 185 Z., 23-26: Sane cum legation is tue nuncius ad nos venisset et servitium pecuniae
tuae pro redemptione expedition is nobis obtulisset, nos communicato cum principibus nostris
consilio pecuniam tuam cum honore non potuimus accipere, quia nostre consuetudinis non est
alicuius pecuniam accipere et odium contra eum in mente retinere.
) MGH DF.I. 346, S. 185, Z. 26-30: Cum autem, sicut decet imperialem excellentiam, nobis
personam tuam exhibueris, tunc nos magis de tuo adventu gaudere poterimus et de instanti
necessitate imperii et ecclesiae tecum et cum ceteris imperii principibus tuo consilio salubris
tractare poterimus et ordinare.
4Admonter Briefsammlung nebst ergänzenden Briefen, hgg. von Günther HÖDL/Peter
CLASSEN (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 6) München 1986, Nr. 62, S. 115, Z. 28 f.:
Vos audistis, quanta tonitrua et quales comminationes littere domini imperatoris super nos
insonuerunt.: Zur Auseinandersetzung zwischen Barbarossa und Eberhard I. von Salzburg
vg!. Knut GÖRICH, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und
politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 58-73.
38 Knut Görich

Der bonor imperii spielt in dieser Episode eine zentrale Rolle. Ohne eine
Aussage über die Bedeutung der Formel zu treffen, lassen sich doch drei
allgemeine Beobachtungen festhalten. Erstens: Mit den Worten honor
imperii ist offenbar eine bestimmte Ordnungsvorstellung angesprochen,
die verletzt werden kann. Zweitens: Der Feststellung ihrer Verletzung
geht ein Kommunikationsvorgang voraus - Barbarossas Beratung mit den
principes curiae. Drittens: Die verletzte Ordnung kann mit einer Genug-
tuungsleistung wieder hergestellt, der verletzte bonor imperii wieder
geheilt werden.
In Texten der Stauferzeit wird der bonor imperii immer wieder erwähnt
- und zwar sowohl in erzählenden Quellen wie auch in urkundlichen.
Bereits die Häufigkeit der Erwähnungen läßt darauf schließen, daß die
Bedeutung der formelhaften Wendung, die nie erklärt wird, den Zeitge-
nossen vertraut war. Die Grundbedeutung des lateinischen Wortes bonor
ist Ehre. In der Forschungsdiskussion über den bonor imperii hat diese
Grundbedeutung indessen lange Zeit keine Rolle gespielt. In einem ersten
Abschnitt skizziere ich die bisherigen Deutungsvorschläge; sie reichen von
einer engeren, auf .Recht' bezogenen, zu einer weiteren, auf ,Ehre' bezo-
genen Auffassung der formelhaften Wendung. Ein zweiter Abschnitt gilt
der Einordnung dieser weiteren Auffassung in eine Reihe von Themen-
komplexen, die das Verständnis von Barbarossas Herrschaft erhellen kön-
nen. Im dritten Abschnitt wird Bezug und Bedeutung des spezifizierenden
Zusatzes zu bonor - also des Wortes tmperium - erörtert.

I.

Erstmals widmete Peter Rassow in einem 1930 gehaltenen, dann 1940 pub-
lizierten Vortrag der Formel bonor imperii besondere Aufmerksamkeit,
und zwar am Beispiel einer Bestimmung des Konstanzer Vertrags von
1153; sie verpflichtete den Papst, Barbarossa bei Wahrung und Mehrung
des bonor imperii nach den Möglichkeiten seines Amtes zu behilflich zu
sein", Das Wort boner übersetzte Rassow mit ,Recht', und als konkreten

5Peter RASSOW, Honor Imperii. Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1151-1159. Durch
den Text des Konstanzer Vertrages ergänzte Neuausgabe (erstmals München/Berlin 1940)
Darmstadt 1961. MGH DF.I. 52, S. 89, Z. 11-15: Dominus vero papa apostolice auctoritatis
verba una cum predictis cardinalibus in prescriptorum legatorum domini regis promisit et
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 39

Bezug der Formel "Recht des Reichs" dachte er sich kaiserliche Ansprüche
in Süd-, Mittel- und Oberitalien, wie sie sich aus der beanspruchten Zuge-
hörigkeit des Normannenreichs und der Mathildischen Güter zum Impe-
rium sowie aus den Reichsrechten in Oberitalien ergaben. Nach Rassows
Deutung verpflichtete sich der Papst, indem er den honor imperii zu wah-
ren versprach, implizit zur Anerkennung der kaiserlichen Rechte und
Ansprüche in all diesen strittigen Fragen. Die Formel vom honor imperii
erscheint daher als "juristischer Zentralbegriff" in der Reichspolitik Barba-
rossas, die im Vertrag mit dem Papst "rechtlich zu verankern" seine erste
politische Tat war. Problematisch an dieser Deutung ist eine Vorstellung
von "Recht", "Juristifizierung" oder "juristisch", die offenkundig der mo-
dernen Rechtsordnung näher steht als den mittelalterlichen Verhä1tnissen:
Vor welcher Instanz hätte Barbarossa seine an den "juristischen Zentral-
begriff" geknüpften Ansprüche einklagen können? In welchem Verfahren?
Unter Bezug auf welche Rechtsordnung? Welchen Stellenwert hatten An-
sprüche, von denen der Papst bei Vertragsabschluß nichts wußte, und die
nach Manier eines Winkeladvokaten in der Formel vom honor imperii
versteckt gewesen sein sollen? Daß der Kaiser damit über keine "brauch-
bare Handhabe" verfügte, um den Papst in künftigen Auseinandersetzun-
gen über etwaigen Vertragsbruch "ins Unrecht zu setzen", bemerkte
Herbert Grundmann schon 19416•
Ein weiteres Problem ist die Übersetzung von honor mit ,Recht';
Rassow sah sie durch ältere Untersuchungen von Dietrich Schäfer ge-

obseroabtt, quod eum ... ad manutenendum atque augendum ac dilatandum honorem imperii
pro debito officii sui iuuabit, Zur Interpretation des Konstanzer Vertrags vg!. jetzt Johannes
LAUDAGE, Alexander Ill. und Friedrich Barbarossa (Forschungen zur Kaiser- und
Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii 16)
Köln/Weimar/Wien 1997, S. 33-62; Jürgen MIETHKE, Rituelle Symbolik und
Rechtswissenschaft im Kampf zwischen Kaiser und Papst. Friedrich Barbarossa und der
Konflikt um die Bedeutung von Ritualen, in: Ein gefüllter Willkomm. Festschrift für Knut
Schulz, hgg. von Franz]. FELTEN/Stefanie IRRGANG/Kurt WESOLY, Aachen 2002, S. 91-
125, S. 96-98.
b Herben GRUNDMANN, Rezension von Rxssow, Honor imperii (wie Anm. 5),
wiedergedruckt in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther WOLF (Wege der Forschung
390) Darmstadt 1975, S. 26-32, S. 31.
40 Knut Görich

decke, deren Ergebnisse "die Übersetzung von honor mit Recht, Besitz,
Hoheit ganz unzweifelhaft" gemacht hatten", Allerdings hielten diese
Ergebnisse einer Überprüfung durch Wolfgang Stürner 1968 nicht stand:
Unter Rückgriff auf Begriffserklärungen des Lexikographen Papias (um
1050) konnte er nachweisen, daß "keines" der von Schäfer angeführten
Beispiele zur Übersetzung von honor mit ,Recht' zwinge, mehr noch, daß
sie nicht einmal besonders naheliege", Das Übersetzungsproblem hatte
ebenfalls bereits Grundmann unter Hinweis auf das breite Bedeutungs-
spektrum des Wortes angesprochen; ein Begriff, der "alles mögliche bedeu-
ten konnte", eigne sich nicht als Kern des Vertrags, weshalb man "in die-
sen vieldeutig unbestimmten Begriff schwerlich alles das hineinlesen
(dürfe), was Friedrich I. unter der Parole einer ,Wiederherstellung des
Reichs' verfocht."!", Damit waren Rassows Überlegungen zum Begriff
honor imperii ganz grundsätzlich in Frage gestellt.
Heinrich Appelt wies dann 1967 ausdrücklich auf den Beziehungsreich-
tum der Formel hin: "Geboren aus dem ritterlichen Geist des Feudalis-
mus, bezeichnet der Ausdruck nicht nur die Ehre des Reichs, sondern
auch den Rang und die Würde, den äußeren Glanz und die Machtentfal-
tung, das Amt und die mit ihm verbundene innere Verpflichtung des
Kaisers, keine Minderung seiner Gerechtsame zu dulden"!'. Appelt kam
damit auf ,Ehre' als die Grundbedeutung des lateinischen Wortes honor
zurück, und er unterstrich, wie "fern uns Heutigen jene Denkungsart"
liegt; auch betonte er die vielschichtigen Vorstellungen, die die Formel
von der "Ehre des Reichs" wachrief - Macht und Prestige, ritterlicher
Ehrbegriff und ausgeprägtes Standesbewußtsein - und bezeichnete sie als
"Schlagwort", das sich "in allen führenden Schichten des 12. Jahrhunderts

7 Dietrich SCHÄFER, Honor, citra, cis im mittelalterlichen Latein, in: Sitzungsberichte der
Berliner Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 23, Berlin 1921, S. 372-381, insb. S.
375.
8 Rxssow, Honor imperii (wie Anm. 5) S. 103, Anm. 137.
9 Wolfgang STÜRt-;ER, Salvo debito bonore et reverentia. Der Königsparagraph im
Papstwahldekret von 1059, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte. Kan. Abt.
85 (1968) S. 1-56, S. 18.
10 GRUNDMANN, Rezension (wie Anm. 6) S. 30.
11 Heinrich ApPELT, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (erstmals 1967) wiedergedruckt
in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6) S. 208-244, S. 241.
Die Ehre des Reichs (boner imperii) 41

großer Beliebtheit erfreute"!". In seiner konkreten Untersuchung der


Quellenstellen beschränkte er sich allerdings auf die Erwähnung des bonor
imperii in den Vorbehaltsformeln von Barbarossas italienischen Diplo-
men" und sah ihre Bedeutung daher in dessen Absicht konkretisiert, die
Regalien im Süden zu wahren. Entsprechend eng schien die Formel mit
dem allgemeinen politischen Konzept des Staufers verbunden zu sein. Man
dürfe sie, so Appelt, "geradezu als das Kernstück der persönlichen Kaiser-
idee des Herrschers auffassen"14. Anders als bei Rassow, aber im Prinzip
doch vergleichbar, war der boner imperii auch hier lesbar als programma-
tische Verkürzung ganz konkreter politischer Ziele in Italien.
In seinen 1968 in Ost-Berlin fertiggestellten, 1972 publizierten "Studien
zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im
11. und 12. Jahrhundert" übernahm Gottfried Koch diese Deutung und
integrierte sie in seine Theorie, daß Barbarossas auf Italien gerichtete
"imperiale Politik" eine besondere ideologische Begründung verlangt und
der Terminus bonor imperii dabei eine besondere Rolle gespielt habe". Im
Begriff imperium sei die fürstliche Gemeinschaft gleichsam als transperso-
nale Größe anerkannt und eine "Staatsvorstellung" gespiegelt, "in der die
Person des Herrschers nicht mehr unbedingt als Schlüsselfigur existent
war"; diese "für die Zentralgewalt nicht ungefährliche Theorie" soll Barba-
rossa verbreitet haben, um die Fürsten in seine expansive Politik einbin-
den zu können; das "Schlagwort vom bonor imperii" sollte den Fürsten
"begreiflich" machen, "daß die imperiale Politik angeblich mit ihren ur-
eigensten Interessen identisch sei?", Kochs Interpretation stand unter der
ausdrücklichen Prämisse, daß es ein "beliebter ,Propagandatrick' der
Zentralgewalt war, die Fürsten mit den Reichsinteressen zu identifizieren,

12 Heinrich ApPELT, Privilegium minus. Das staufisehe Kaisertum und die Babenberger in
Österreich, Wien/Köln/Graz 21976, S. 50.
Il Heinrich ApPELT, Der Vorbehalt kaiserlicher Rechte in den Diplomen Friedrich
Barbarossas (erstmals 1960), erweitert wiedergedruckt in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie
Anm. 6) S. 33-57, insb. S. 37-39.
14 ApPELT, Kaiseridee (wie Anm. 11) S. 241.

1; Gottfried KOCH, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herr-
schaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhunden (Forschungen
zur mittelalterlichen Geschichte 20) Wien/Köln/Graz 1972, S. 246.
16 Die Zitate bei KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 251; zu den politischen Zielen
z. B. S. 198, S. 250 und S. 258.
42 Knut Görich

um sie für die eigenen Ziele zu gewinnen,m. Entspringt die Vorstellung


vom "Einsatz propagandistisch-ideologischer Mittel", von "staufischer
Ideologie"18und "Propaganda" in Form von .Schlagworten" zur wirksa-
men Legitimation politischer Ziele aber nicht eher den Erfahrungen des
20. Jahrhunderts mit der effizienten Kombination aus öffentlich-politi-
scher Propaganda und modern-totalitärer Staatsgewalt als den Verhältnis-
sen des 12. jahrhunderts"? Mit dieser Frage will ich nicht polemisieren,
sondern einerseits die politischen Rahmenbedingungen streifen, unter
denen Kochs Untersuchung in der DDR entstand, und deren möglichen
Einfluß auf sein Geschichtsbild zu bedenken geben; andererseits bleibt auf
die Leerstelle aufmerksam zu machen, die die Annahme von "Propaganda-
tricks" ohne Erklärung ihrer Wirkungsweise hinterläßt. Kochs macht-
funktionalistische Deutung akzentuiert die "geschickte Politik":" des Herr-
schers, der zum Zweck eigener Machterweiterung mit der Formel des
honor imperii die Fürsten gegen ihre eigenen Interessen für die U nter-
stützung der imperialen Kaiserpolitik gewonnen habe; den Fürsten wird
dabei eine nur passive Statistenrolle zugemessen. Unter ausdrücklicher
Anknüpfung an Kochs Überlegungen meinte jüngst Jutta Schlick, der
honor imperii sei ein "neuer Gedanke", eine "Idee", mit der Konrad Ill.,
dann aber vor allem Barbarossa die Fürsten für seine Politik "instrumenta-
lisiert" habe". Auch hier bleiben manche Fragen offen: Waren die Fürsten
nicht in der Lage, die ,wahren Motive' hinter Barbarossas Worten zu er-
kennen? Worin bestand ihr Vorteil - ihr Nutzen, ihre Gewinnchance -,
wenn sie sich durch eine schlagwortartige Anerkennung ihrer ja schon seit
ottonischer Zeit unbestrittenen und seit spätsalischer Zeit intensivierten
Teilhabe am Reich von Barbarossa "instrumentalisieren", also im Wort-
sinn: für seine Zwecke als Instrument benutzen ließen?

17 KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 18; vg!. auch S. 198.
18 Gegen die Anwendbarkeit des Begriffs "Ideologie" auf das Mittelalter plädiert Otto
Gerhard OEXLE, Die funktionale Dreiteilung der ,Gesellschaft' bei Adalbero von Laon.
Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter, Frühmittelalterliche
Studien 12 (1978) S. 1-54, S. 53 f.
19 Dazu: Le forme della propaganda politica nel due e nel trecento, a cura di Paolo
CAMMAROSANO (Collection de l'Ecole [rancaise de Rome) Rome 1994.
20 KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 246.
21 Jutta SCHLICK, König, Fürsten und Reich 1056-1159. Herrschaftsverständnis im Wandel
(Mittelalter-Forschungen 7) Stuttgart 2001, S. 144 und S. 189 f.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 43

Mit all diesen Deutungen ist stets auch eine besondere Akzentuierung
der Modernisierungstendenzen in Barbarossas Königsherrschaft verbun-
den. Je enger die Verknüpfung der Formel vom honor imperii mit ,Recht'
ausfällt, um so klarer läßt sich das mit ihr begründete politische Handeln
in den breiten Strom der Verrechtlichung als eine der markantesten
Modernisierungstendenzen des 12. Jahrhunderts einordnen. In Rassows
These, Barbarossa habe "als moderner (!) Mensch seiner Zeit gerade in der
J uristifizierung seiner Politik den entscheidenden Vorteil" gesehen",
kommt die zugrundeliegende Modernisierungsannahme besonders deutlich
zum Vorschein. Die rechtliche Dimension ist auch noch für Jutta Schlick
zentral, die für Barbarossa einen "stärker juristisch-rechtlich geprägten
honor-Begriff"2J in Anspruch nimmt; diese These gründet freilich auf die
ältere, von Dietrich Schäfer vorgenommene Einengung der Begriffsbe-
deutung auf ,Recht'2\ die, wie schon erwähnt, auch Peter Rassow über-
nahm, der aber Wolfgang Stürner die Grundlage entzog".
Die bisher referierten Deutungsvorschläge haben also zweierlei gemein-
sam: Zum einen spielt in ihnen .Ehre' als Grundbedeutung von honor
keine Rolle, zum anderen akzentuieren sie unter Rückgriff auf das Recht
besonders nachdrücklich Modernisierungstendenzen - ohne sich freilich
mit den Gefahren einer ebenso unausgesprochenen wie ahistorischen
Rechtstheorie auseinanderzusetzen, die den Verhältnissen des 12. J ahr-
hunderts heutige Vorstellungen von Rechtssetzung, Rechtsgeltung und
Rechtszwang überstülpt und damit einem sowohl unter Juristen wie unter

22 RASSO\X',Honor imperii (wie Anm. 5) S. 91


2' SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 144.
,4 In Grundmanns Rezension, auf die sich SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 143, Anm. 73
ausdrücklich bezieht, wird dem damaligen Kenntnisstand entsprechend auf Schäfers
Untersuchung Bezug genommen.
25 STÜRNER, Salvo debito bonore (wie Anm. 9) S. 11: "Überall, wo er (Schäfer) honor mit
Recht übersetzt, erweisen sich die allgemeineren Ausdrücke ,Stellung', ,Rang' oder ,Würde'
zumindest als ebenso sinnvoll." - Die von Grundmann an Rassow sowie von Stürner an
Schäfer kritisierte Bedeutungsverengung des Begriffs übersieht auch Peter SCHUSTER, Ehre
und Recht. Überlegungen zu einer Begriffs- und Sozialgeschichte zweier Grundbegriffe der
mittelalterlichen Gesellschaft, in: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und
Abgrenzungen, hgg. von Sibylle BACKMANN/Hans-Jörg KÜNAST/Sabine ULLMANNI
Beverly Ann TLUSTY (Colloquia Augustana 8) Berlin 1998, S. 40-66, S. 51 f.
44 Knut Görich

Historikern "allgemein verbreiteten Laienverständnis vom Recht'?" erliegt.


Ehre ist natürlich keine Kategorie, unter der sich Modernisierung von
Herrschaft beschreiben ließe, sondern ein schillernder Begriff, der allerlei,
auch undeutliche Assoziationen weckt. Taugt er zur Erklärung politischen
Handelns? Sicher um so weniger, je mehr das Interesse an jenen Tenden-
zen mittelalterlicher Königsherrschaft dominiert, die als Vorläufer moder-
ner Staatlichkeit gedeutet werden können. Eine solche Deutungsper-
spektive hat eine lange Tradition und hängt nicht zuletzt mit einem in der
deutschen historischen Mediävistik seit dem 19. Jahrhundert immer wie-
der erörterten Problem zusammen - der Frage nach den Ursachen für die
Schwäche des deutschen Königtums und für sein im Vergleich zu den
westlichen Königreichen hervorstechendes Modernisierungsdefizir", Diese
Frage gewann ihre drängende Kraft aus dem Erkenntnisinteresse einer
Geschichtsschreibung, die unter dem Eindruck der nationalen Bewegung
auf die verzögerte Entstehung, den schwierigen Aufstieg und den Triumph
der Nation in der Entstehung des Nationalstaats ausgerichtet war und

26 Jürgen WEITZEL, Gewohnheitsrecht und fränkisch-deutsches Gerichtsverfahren, in:


Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheit im Mittelalter, hg. von Gerhard DILCHER
(Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6) Berlin 1992, S. 67-86, S.
76; auch DERs., Relatives Recht und unvollkommene Rechtsgeltung im westlichen
Mittelalter. Versuch einer vergleichenden Synthese zum mittelalterlichen Rechtsbegriff, in:
Rechtsbegriffe im Mittelalter, hgg. von Albrecht CORDEs/Bernd KANNOWSKI, Frankfun
am Main 2002, S. 43-62, S. 47. Grundlegend die Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion
von Bernd KANNOWSKI, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: ebd., S. 1-
27.
27 Vg!. dazu Gerd ALTHOFF, Das Mittelalterbild der Deutschen vor und nach 1945. Eine
Skizze, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter
Moraw, hgg. von Paul-Joachim HEINIG u. a. (Historische Forschungen 67) Berlin 2000, S.
731-749; Bernd SCHNEIDMÜllER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und
Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: ebd., S. 53-87, S. 61 f., S. 65 und S. 86;
DERs., Zwischen Gott und den Getreuen. Vier Skizzen zu den Fundamenten der mittel-
alterlichen Monarchie, Frühmittelalterliche Studien 36 (2002) S. 193-224, S. 219-223;
Timothy REuTER, Nur im Westen was Neues? Das Werden prämoderner Staatsformen im
europäischen Hochmittelalter. in: Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, hg.
von Joachim EHLERS (Vonräge und Forschungen 56) Stuttgart 2002 S. 327-351, S. 327-330;
Rudolf SCHIEFFER, Weltgeltung und nationale Verführung. Die deutschsprachige Mediä-
vistik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1918, in: Die deutschsprachige Mediävistik im
20. Jahrhundert, hgg. von Peter Moxxw/Rudolf SCHIEFFER (Vorträge und Forschungen
62) Darmstadt 2005, S. 30-61.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 45

daraus eine dominante, mit eindeutiger Perspektive ausgestattete Erzähl-


weise des Vergangenen entwickelte". In dieser forschungsgeschichtlichen
Tradition wurzeln viele bedauernde Urteile über Versäumnisse des König-
tums im Modernisierungsprozeß von Herrschaft und Verwaltung, aber
auch um so nachdrücklicher ausgefallene Akzentuierungen einzelner Phä-
nomene moderner Staatlichkeit und monarchischer Effizienz. Einem
englischen Historiker können sie wie "verbliebene Reste einer wilhelmini-
schen Weltanschauung in der Berufssozialisierung deutscher Mediävisten"
erscheinen". Das Interesse an der Entstehung des Bestehenden lenkt den
Blick immer wieder auf das, was als Vorausdeutung auf das schließlich
Gewordene verstanden werden kann. Vor der unwillkürlichen und still-
schweigenden Rückprojektion von Vorstellungen moderner Staatlichkeit
auf das Mittelalter ist sicher kein Historiker gefeit. Die Versuchung war
und ist also groß, "den Königen und Fürsten in der wissenschaftlichen
Analyse nur allzu oft Zweckrationalität im Verfolg der schließlich siegrei-
chen strukturellen Entwicklungen" zuzuschreiberrf; aber die vorrangige
Akzentuierung von Elementen moderner Staatlichkeit deckt sich nicht
mit "den Intentionen und der Praxis der damaligen politischen Führungs-
schichten":". Die Einbettung in die moderne, d. h. vor allem: In die ver-
traute Rationalität von Politik und Herrschaft kann leicht dazu führen,
daß "aus einem mittelalterlichen König ein stets kühl kalkulierender
Kabinettspolitiker't" wird. Das Gegenteil dieser Rationalität ist aber nicht
Irrationalitat, sondern eben eine andere Rationalität, die sich aus struktu-
rell anderen Voraussetzungen der Herrschaftsausübung ergeben, also be-
sonders aus der für die mittelalterliche Staatlichkeit charakteristischen

18 Vgl. dazu Konrad H. JARAUSCH/Martin SABROW (Hgg.), "Meistererzählung" - Zur


Karriere eines Begriffs, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen
Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9-32.
19 REUTER, Nur im Westen (wie Anm. 27) S. 349.

30 Hanna VOLLRATH, Politische Ordnungsvorstellungen und politisches Handeln im


Vergleich. Philipp 11. August von Frankreich und Friedrich Barbarossa im Konflikt mit
ihren mächtigsten Fürsten, in: Political Thought and the Realities of Power in the Middle
Ages. Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter, hgg. von Joseph
CANNING/Otto Gerhard OEXLE (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für
Geschichte 147) Göttingen 1998, S. 33-51, S. 46.
31 REUTER, Nur im Westen (wie Anm. 27) S. 348.

J1 VOLLRATH, Ordnungsvorstellungen (wie Anm. 30) S. 46.


46 Knut Görich

personenbezogenen Herrschaftspraxis. Das damit verbundene Fremd-


artige, Andersartige stand lange Zeit im Schatten des Interesses. Das läßt
sich gut an der gewandelten Aufmerksamkeit veranschaulichen, die die
Forschung seit einiger Zeit den mittelalterlichen Ritualen entgegenbringt:
Wurden die Nachrichten über symbolische Handlungen früher meist nur
als anekdotisches Beiwerk verstanden, ist mittlerweile ihre Qualität als
Aussagen über charakteristische Funktionsweisen mittelalterlicher Herr-
schaft erkannt, die "völlig neue Blicke auf längst bekannte und seit 150
Jahren hin und her gewendete Quellen"" ermöglichen.
Fremdartig und andersartig erscheinen die mit der Formel vom honor
imperii verbundenen Vorstellungen und die mit ihr begründeten Hand-
lungen auch, wenn honor nicht mit .Recht', sondern mit ,Ehre' übersetzt
wird: Nicht die Modernisierung von Herrschaft tritt in den Vordergrund,
sondern die Erklärungsbedürftigkeit einer politischen Praxis, in der die
Ehre - nach Ausweis ihrer überaus häufigen Erwähnung in allen Quellen
der Zeit - von offenkundig zentraler Bedeutung war.
Diesbezüglich notwendige Überlegungen versuchte Gunther Wolf 1969
anzustoßen, indem er auf die Bedeutungsmöglichkeiten von honor auf-
merksam machte, die über den Bereich von .Recht' hinausführen. Schon
Grundmanns Einwände, so Wolf, hätten Rassows Ausführungen zum
honor imperii grundsätzlich in Frage gestellt, und es hätte eigentlich eine
"eingehende Diskussion dieses wichtigen Begriffs folgen müssen. Sie fand
bis heute nicht statt" 34. Auf ein breites Fundament von Belegen aus
urkundlichen und erzählenden Quellen gestützt meinte Wolf in expliziter
Abgrenzung von Appelts auf konkrete Rechte zielender Auffassung, daß
die formelhafte Wendung "recht alt (sei) und deren konkrete Auswertung
für die Erkenntnis geschichtlicher, vor allem rechtsgeschichtlicher Sach-
verhalte nur mit großer Vorsicht vorgenommen werden kann, wofern sie
sich dem nicht überhaupt entzieht. "35 Wolf rückte die Formel in die Nähe
von gloria und dignitas, wies auf mittelhochdeutsche Entsprechungen wie

)) Frank RExRoTH, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine


Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen
und interdisziplinären Mittelalterforschung, hgg. von Hans-Werner GOETz/Jörg JARl"UT,
München 2003, S. 391-406, S. 403.
14 Gunther WOLF, Der Honor imperii als Spannungsfeld von lex und sacramentum im
Hochmittelalter. in: WOLF, Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6) S. 297-322, S. 299.
35 WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 309.
Die Ehre des Reichs (boner imperii) 47

ere oder keisers eren bei Walther von der Vogelweide hin, bezog die reli-
giöse Dimension der Gott geschuldeten Ehre ein und erkannte so eine "in
die Sphäre des Religiösen und Sakralen hineinragende Bedeutung, die viel-
leicht sogar die ursprüngliche ist'?", Unter Akzentuierung dieses Bedeu-
tungsspektrums beanspruchte er die Formel - unter Übernahme der
Terminologie von Ernst Kantorowicz - als Zeichen eines nicht auf das
Recht bezogenen (law-centered), sondern auf Christus bezogenen König-
tums (Christ-centered kingship)".
Dieter von der Nahmer hat am Beispiel der Herrschaft Barbarossas 1974
nachdrücklich für eine Übersetzung von boner mit Ehre plädiert. "Das
Wort scheint aber zu bedeuten, daß für Herrscher und Reich ein bestimm-
tes Ansehen, eine Ehrerbietung beansprucht wurde. Beanspruchte das
Reich Ehre, so verlangte das von den Gliedern des Reiches, daß man dem
Kaiser gemäß seinem höheren Rang begegnete und seine Rechte aus ehrer-
bietiger Haltung beachtete":". Von der Nahmer untersuchte die Verwen-
dung der Formel bonor imperii in urkundlichen und erzählenden Quellen,
und erschloß über den jeweiligen Kontext ganz unterschiedliche Bereiche
der Herrschaftsausübung, in der die Ehre von Kaiser und Reich eine Rolle
spielte. Für das Verständnis der Formel ist die Einsicht zentral, daß Öf-
fentlichkeit der für Ehre konstitutive Raum war, mit den Worten von der
Nahmers: daß "Ehre nur in der Öffentlichkeit besteht't", "daß es ein
Forum gab, vor dem man sich zu bewähren hatte'"" - eine Einsicht, die
von der Soziologie schon lange zuvor gründlich abgesichert und auch in
der germanistischen Mediävistik seit langem fruchtbar gemacht worden
war". Die Ehre war also in allen Zusammenhängen tangiert, in denen

). WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 320.


)7 WOLF, Honor imperii (wie Anm. 34) S. 322; vg!. auch S. 298. Zur Terminologie Ernst H.
KAI'."TOROWICZ,The King's Two Bodies, Princeton 1957, in deutscher Übersetzung: Die
zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München
1990.
)8 Dieter VON DER NAH~fER, Zur Herrschaft Friedrich Barbarossas in Italien, Studi
Medievali 15.2 (1974) S. 587-703, S. 677.
)9 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 688.
4; VON DER NAm!ER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 697, Anm. 242.
41 Von der Nahmer erwähnte die soziologische Forschung nicht, aber S. 691, Anm. 229 die
germanistische Arbeit von Friedrich MAURER, Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problem-
geschichte, besonders in den großen Epen der staufischen Zeit, Bern/München 1951.
48 Knut Görich

erwartet wurde, "daß dem Reich Ehre gegeben, des Reiches Ansehen
gefestigt werde dadurch, daß man ihm bzw. dem Kaiser mit geschuldeter
Ehrerbietung begegnet?", Das betrifft die Wahrnehmung und Beurteilung
der mit der Herrschaftsausübung verbundenen Aufgaben ebenso wie die
verschiedenen Formen, in denen Herrschaft und Rang repräsentiert, d. h.
ganz buchstäblich vor Augen gestellt wurden: Also etwa die vom Kaiser
sicherzustellende Rechtsprechung; die Formen des Zeremoniells, der
Begrüßung oder des Empfangs"; sogar die Wahrnehmung von Bauwer-
ken", wie im Fall der nach Mailands Unterwerfung 1158 ad bonorem
imperii erbauten Kaiserpfalz oder des von Barbarossa angeordneten
Wiederaufbaus von Lodi, den der Geschichtsschreiber Otto Morena
ausdrücklich als eine Tat ad honorem imperii feierte. Von der N ahmer
machte außerdem auf Handlungszwänge aufmerksam, die sich für den
Kaiser aus dem Wissen um die öffentliche Beurteilung seines Handeins
unter dem Gesichtspunkt der Ehre ergaben - etwa auf die Verpflichtung
zur Rache im Falle erlittener Ehrverletzung", aber auch auf die Verpflich-
tung zur Belohung erwiesener Treue und geleisteter Dienste". Schließlich
wandte er sich gegen die Übersetzung von hanor mit einem rechtlich ein-
deutigen Terminus und hielt an der Grundbedeutung ,Ehre' fest, weil er
Rechtsverletzung und Ehrverletzung nicht für deckungsgleich hielt: Der
boner erscheine in den Quellen nie als juristisch präziser Begriff und sei
daher auch keine in einem juristischen Verfahren einklagbare Größe47,
vielmehr zeige der Hinweis auf den verletzten bonor "das Gewicht des
geschehenen Unrechts, das Ausmaß der zugefügten Kränkung", zeige,
"daß das Reich, die kaiserliche Herrschaft als eine gottgegebene Ordnung
überhaupt betroffen war?", "daß die Mißachtung eines einzelnen Reichs-
rechtes, daß ein ungebührliches Auftreten gegenüber dem König, oder

42 VON DERNAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 679.


43 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 687 und S. 698.
44 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 680; dazu jetzt auch Günther BINDING,
Friedrich Barbarossa als Bauherr ad regni decorem, in: Von Sacerdotium und Regnum.
Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter, hgg. von Franz-Reiner
ERKENS/Hartmut WOLFF (passauer Historische Forschungen 12) Köln 2002, S. 461-470.
45 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 690 f.
46 VON DERNAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 682.
47 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 694.
48 VON DERNAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 695.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 49

gegenüber denen, die ihn vertraten, das Gesamte betraf?", Also begründete
nicht der materielle Nachteil, der beispielsweise aus der Entfremdung eines
kaiserlichen Rechts entstand, den Vorwurf einer Verletzung des honor
imperii, sondern die in der Entfremdung offenkundig gewordene Mißach-
tung der ganzen, in der Person des Kaisers vor Augen tretenden, gottge-
wollten Ordnung'",
Von der Nahmers Position fand in den Siebziger Jahren und lange Zeit
danach keinerlei Echo". Die Frage nach den Gründen ist letztlich wieder
eine forschungsgeschichtliche Frage, und eine Antwort darauf besteht in
der Einsicht, daß die Fragen des Historikers immer auch mit den Einflüs-
sen seiner Gegenwart zusammenhängen. Von der Nahmer hatte seine
Position in Abgrenzung von Alfred Haverkamp formuliert, der die
Formel honor imperii in seinen Untersuchungen zu den Herrschafts-
formen der Frühstaufer in Reichsitalien nicht weiter problematisiert
hatte". In einer weit ausholenden Auseinandersetzung mit Haverkamps
Buch wandte sich von der Nahmer gegen aus seiner Sicht moderne
Forschungskonzepte "strukturologisch-äkonomistischer Art" und gegen
"plumpe Materialisierung'?' des Ehrbegriffs. Das ist eine aus heutiger
Perspektive wohl differenzierungsbedürftige Verortung in der damaligen
wissenschaftlichen Diskussion" - aber die Frage nach der Ehre hatte in
den Siebziger Jahren gewiß keine Konjunktur. Daß sie erst seit den

49 VON DERNAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 690.


so VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 689 und S. 698.
51 V gl. die Rezension von Hans Martin SCHALLER, Deutsches Archiv für Erforschung des
Mittelalters 33 (1977) S. 274 f. Knapp ablehnend Alfred HA VERKAMP,Italien im Mittelalter.
Neuerscheinungen von 1959-1975 (Historische Zeitschrift Sonderheft 7) München 1980, S.
146; Helmut MAURER, Chiavenna und die "Ehre" des Herzogtums Schwaben, in:
Festschrift Friedrich Hausmann, hg. von Herwig EBNER, Graz 1977, S. 339-353, S. 350 f.
mit Anm. 48; vgl. auch DERS, Der Herzog von Schwaben. Grundlagen, Wirkungen und
Wesen seiner Herrschaft in ottonischer, salischer und staufiseher Zeit, Sigmaringen 1978, S.
258-267.
52 Alfred HAVERKAMP, Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien. 2 Bde. (Mono-
graphien zur Geschichte des Mittelalters 1.1 und 1.2) Stuttgart 1970-1971; die erörterten
honor-Belege sind über das Sachregister S. 800 leicht zu erschließen.
53 VON DERNAIlMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 588 und S. 699.
54 Dazu der Überblick bei Hans-Werner GOETZ, Moderne Mediavistik. Stand und
Perspektiven der Mittelalterforschung. Darmstadt 1999, S. 84-101.
50 Knut Görich

Neunziger Jahren auch von Historikern verstärkt thematisiert wird", ist


ein weiteres Beispiel für gegenwartsabhängige Konjunkturen historischer
F ragestellungen; die auch in der historischen Mediävistik folgenreiche
kulturwissenschaftliche Wende bildet den aktuellen Hintergrund dafür.
Insoweit ist es vielleicht auch kein Zufall, daß Heinz Krieg" und ichs7
nahezu zeitgleich und unabhängig voneinander viele Überlegungen von
der N ahmers zum honor imperii aufzunehmen und weiterzuführen
versucht haben.

11.

Die Deutung des Begriffs honor im Horizont ,Ehre' öffnet die einschlägi-
gen Quellenaussagen für einige in der jüngeren Forschung erörterten
F ragestellungen, die sich auch auf das Verständnis von Barbarossas Herr-
schaft erstrecken; neun Themenkomplexe seien angesprochen.
Erstens: Das Verhältnis zwischen Geschichtsschreibung und Literatur,
Mittlerweile ist offenkundig, daß die Grenzziehung zwischen Geschichts-
schreibung und Literatur, die in Folge der universitären Fachzuständigkei-

55 Genannt seien Ludgera VOGT/ Arnold ZINGERLE (Hgg.), Ehre. Archaische Momente in
der Moderne, Frankfun am Main 1994; Klaus SCHREINER/Gerd SCHWERHOFF (Hgg.),
Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
(Norm und Struktur 5) Köln/Weimar/Wien 1995; BACKMANN!KüNAST!ULLMANN!
TLUSTY , Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 25).
56 Heinz KRIEG, Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel
seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung (V onräge und Forschungen
Sonderband 50) Ostfildern 2003, insb. S. 175-263.
57 GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4); ferner DERS., Die Ehre des Erzbischofs. Arnold von
Selenhofen (1153-1160) im Konflikt mit Mainz, Archiv für mittelrheinische
Kirchengeschichte 53 (2001) S. 93-123; DERs., Verletzte Ehre. König Richard Löwenherz
als Gefangener Kaiser Heinrichs VI., Historisches Jahrbuch 123 (2003) S. 65-91; DERS.,
Wahrung des honor. Ein Grundsatz im politischen Handeln König Konrads Ill., in: Grafen,
Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich, hgg. von Hubenus
SEIBERT!Jürgen DENDORFER (Mittelalter-Forschungen 18) Stuttgart 2005, S. 267-298;
DERS., Ehre als Ordnungsfaktor. Anerkennung und Stabilisierung von Herrschaft unter
Friedrich Barbarossa und Friedrich 1I., in: Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter,
hgg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER!Stefan WEINFURTER (V ortrage und Forschungen 64)
Ostfildern 2006, S. 59-92.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 51

ten lange Zeit recht strikt beachtet wurde, fragwürdig ist". Zwar unter-
scheiden sich historisches und fiktionales Erzählen in Hinblick auf den
beanspruchten Wirklichkeitsbezug, aber sie stimmen in der vorausge-
setzten Kenntnis jener sozialen Normen beim Leser überein, mit denen
die Handlungen der Personen motiviert werden. Nur dadurch konnten die
Erzählungen verständlich sein. Die Übersetzung von boner mit ,Ehre'
gewinnt für das Verständnis von Barbarossas politischem Handeln eine
soziale Verhaltensnorm zurück, die die mittelalterliche Dichtung ihrem
Personal ganz selbstverständlich zugesteht", und sie erschließt dem Ver-
ständnis von Barbarossas Handeln eine Fülle zwar nicht neuer, aber eben
unter dem Aspekt .Ehre' erneut zu lesender Quellen.
Zweitens: Barbarossa und die ritterliche Welt. Dieses Thema ist mit
dem Hinweis auf Barbarossa als Ausrichter des großen Mainzer Hoffestes
von 11846c, auf die Schwertleite der Kaisersöhne, auf Turnier und Sänger-
lob sicher nicht erschöpft. Es handelt sich vielmehr um die generelle Frage
nach den Auswirkungen laienadliger Wertvorstellungen auf Barbarossas
politisches Handeln; daß sie die Darstellung des Kaisers sowohl in den
Urkunden wie auch in der Geschichtsschreibung prägen, läßt sich gerade

S8 Dazu Peter JOHANEK, Mittelalterforschung in Deutschland um 2000, in: GOETZ/JANUT,


Mediävistik im 21. Jahrhunden (wie Anm. 33) S. 21-33, S. 28.
;9 Genannt seien nur Hubertus FISCHER, Ehre, Hof und Abenteuer in Hartmanns .Jwein".
Vorarbeiten zu einer historischen Poetik des höfischen Epos, München 1983; Wolfgang
HAUBRICHS, Ehre und Konflikt. Zur intersubjektiven Konstitution der adligen Per-
sönlichkeit im früheren Mittelalter, in: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusam-
menlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters, hgg. von Kurt GÄRTNER/ Ingrid
KASTEN/Frank SHAW, Tübingen 1996, S. 35-58; [an-Dirk MÜLLER, Spielregeln für den
Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, S. 360-362.
be Zum Mainzer Hoffest vgl, Josef FLECKENSTEIN, Das Turnier als höfisches Fest im
hochmittelalterlichen Deutschland, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu
einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, hg. von Josef
FLECKENSTEIN (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 80) Göttingen
1985, S. 229-256, S. 236-239; Peter MORAW, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von
1184 und 1188, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwan, hg.
von Uwe SCHULZE, München 1988, S. 70-83 und S. 425-428; Heinz WOL TER, Der Mainzer
Hoftag von 1184 als politisches Fest, in: Feste und Feiern im Mittelalter, hgg. von Detlef
ALTENBURG/]örg]ARNUT/Hans-Hugo STEINHOFF, Sigmaringen 1991, S. 193-199.
52 Knut Görich

am Beispiel der Ehre zeigen". Deutlich wird allerdings die Schwierigkeit,


spezifisch ritterliche Werte von denen des Kriegeradels abzugrenzen",
Drittens: Adlige Memoria. Auf die zentrale Bedeutung, die Ehre und
Ruhm für die adlige Memoria haben, hat Ono Gerhard Oexle hinge-
wiesen. Adlige Herrschaft ist immer auch durch Erinnerung begründet.
Deshalb ist der Wunsch, "von den Mitlebenden und erst recht von der
Nachwelt gerühmt zu werden, ein vitales Motivadliger Existenz und ein
Kennzeichen jeglicher Adelskultur"?'. Aus dem Prinzip der Ehre ergab
sich zugleich die "für die adlige Existenz charakteristische aemulatio, die
Konkurrenz um den eigenen Rang im Vergleich zu dem der Standesgenos-
sen"?', die Verpflichtung, sich vor den anderen einen Namen zu machen.
Das galt für jeden Adligen ebenso wie für den Kaiser selbst". Mit Ruhm
und Ansehen ist Ehre eng verbunden; Ehre als Zeichen sozialer Schätzung
ist eines der Elemente, die Adel konstituieren". Die Erinnerung an die
historische Leistung der Vorfahren hat hier ihren Anknüpfungspunkt, und
deshalb hat die Behauptung der Ehre in der Gegenwart stets auch einen
zukunftsorientierten Aspekt, denn nicht nur die gegenwärtige Öffentlich-
keit richtete über Gewinn oder Verlust an Ehre, sondern auch die zukünf-
tige. Diese Einsicht teilte der Kaiser mit jedem anderen Adligen. Barba-
rossa begründete seine Entschlossenheit zum militärischen Konflikt häufi-

61 KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 238-259.


62 Dazu schon VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 700 f.j vg!. jetzt Werner
HECHBERGER, Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2004, S. 100.
b' Otto Gerhard OEXLE, Aspekte der Geschichte des Adels im Mittelalter und in der
Frühen Neuzeit, in: Europäischer Adel 1750-1950, hg. von Hans-Ulrich WEHLER,
Göttingen 1990, S. 19-56, S. 24.
M OEXLE, Aspekte (wie Anm. 63) S. 25.

65 Dazu unten, S. 61 f.

b6 OEXLE, Aspekte (wie Anm. 63) S. 23; vg!. auch DERs., Welfische Memoria. Zugleich ein
Beitrag über adlige Hausüberlieferung und die Kriterien ihrer Erforschung, in: Die Welfen
und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEIDMÜllER,
Wiesbaden 1995, S. 61-94, S. 62 [.; DERS., Fama und Memoria Heinrichs des Löwen: Kunst
im Kontext der Sozialgeschichte. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart, in: Der
Welfenschatz und sein Umkreis, hgg. von J oachim EHLERs/Dietrich KÖTZSCHE, Mainz
1998, S. 1-25, S. 7-10.
Die Ehre des Reichs (bonor imperii) 53

ger damit, sich lieber in Todesgefahr zu begeben als eine Schmach zu


ertragen, unter der noch seine Nachfolger zu leiden hätten".
Viertens: Ehre als Bezugspunkt symbolischer Verhaltensweisen. Auf die
Bedeutung symbolischer Verhaltensweisen in der Praxis mittelalterlicher
Herrschaftsausübung hat Gerd Althoff in einer Fülle von Untersuchungen
aufmerksam gemacht68• Die Verbindung zwischen Ehre und symbolischen
Handlungen ist im Akt der deditio besonders anschaulich: Die demütigen-
den Formen der öffentlichen Unterwerfung heilten die verletzte Ehre des
Herrschers und waren daher als Bestandteil eines Friedensschlusses uner-
läßlich. Bei der Unterwerfung der Stadt Tortona 1155 ließ Barbarossa den
Bürgern mitteilen, ihre deditio sei unerläßlich "um des Ruhms und der
Ehre des Königs und des Reiches willen" - ob regis et sacri imperii gloriam
et bonorem". Nur angemerkt sei, daß Ehre auch im Mittelpunkt der vielen
Rangstreitigkeiten etwa um Gruß, Sitzplatz oder andere Rangsymbole
stand".
Fünftens: Konsensuale Herrschaft. Bernd Schneidmüller hat dafür
plädiert, "die konsensuale Fundamentierung der mittelalterlichen Monar-
chie" verstärkt zu berücksichtigen". Eine charakteristische Schwierigkeit
der Konsenssuche ergab sich daraus, "daß die Partner Angehörige der
hohen Aristokratie waren, äußerst empfindlich auf ihren Rang und ihr
Ansehen bedacht, ihren honor, um dessentwillen sie manches taten, was

67 Anläßlich der Forderungen der Römer vor der Kaiserkrönung 1155, vg!. Otto von
Freising und Rahewin, Gesta Frederici seu rectius Cronica III 13, übers. von Adolf
SCHMIDT, hg. von Franz-Josef SCHMALE (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte
des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17) Darmstadt 1965, S. 421, Z. 21-
30; nach der päpstlichen Herausforderung auf dem Hoftag von Besancon 1157, vg!. MGH
DF.I. 186, S. 315, Z. 17-21; nach der Gründung des lombardischen Städtebundes 1167, vg!.
MGH DF.I. 538, S. 486, Z. 7-9.
68 Zusammenfassend nunmehr Gerd ALTHOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und
Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
69 Adolf HOFMEISTER, Eine neue Quelle zur Geschichte Friedrich Barbarossas, Neues
Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 43 (1922) S. 87-157, S. 156;
zum Geschehen vg!. GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 187-214.
70 Karl-Heinz SPIEß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum,
hg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung 6) Sigmaringen 1997, S. 39-61, insb. S.
53.
71 SCHNEIDMÜLLER, Gott (wie Anm 27) S. 223; vg!. außerdem DERS., Konsensuale
Herrschaft (wie Anm. 27).
54 Kma Görich

nach neuzeitlichen Vorstellungen von Staatsräson unvernünftig war":",


Barbarossas enges Zusammenwirken mit den Fürsten betrachtet die
Forschung ganz einhellig als typisches Kennzeichen seiner Herrschaft".
Die Überwindung der Theorie vom staufisch-welfischen Gegensatz gibt
zunehmend den Blick frei auf das Ausmaß fürstlicher, gerade auch welfi-
scher Unterstützung von Barbarossas Herrschaftsantritr", Der König
gewordene Herzog von Schwaben, der ursprünglich keinerlei Aussicht auf
den Thron hatte", mußte diese Erhöhung seinen früheren Standesgenossen
erträglich machen. Barbarossas weitgehend konfliktfreie Nähe zu den
Fürsten dürfte auch eine Funktion seiner verläßlichen Orientierung an der
Norm der Ehre sein: Sie verband ihn mit den Fürsten in einem Bündel
gegenseitiger Handlungserwartungen und in einer gemeinsamen
Vorstellung von ihrer jeweiligen Rolle im Reich. Damit hängt eng
zusammen:
Sechstens: Interaktion zwischen Kaiser und Fürsten. Peter Moraw
betonte kürzlich, daß ihm die Frage nach dem aristokratischen Habitus,
also nach Rang und Würde der Fürsten und nach dem Streit um Ehren-
rechte wesentlicher erscheine als verwaltungs- oder gar bürokratieanaloge

72Joachim EHLERS, Friedrich I. Barbarossa (1152-1190), in: Die deutschen Herrscher des
Mittelalters, hgg. von Bernd SCIINEID~lÜLLER/Stefan WEINFURTER, München 2003, S. 232-
257, S. 233.
73 Einschlägige Literatur verzeichnet Werner HECHBERGER, Staufer und Welfen 1125-1190.
Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (passauer Historische
Forschungen 10) Köln/Weimar/Wien 1996, S. 252-257.
7. Dazu HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 73) S. 239-269; die Konsequenzen aus
der jüngsten Debatte um das Verhältnis zwischen Friedrich von Rothenburg und Friedrich
Barbarossa zieht jetzt Stefanie DICK, Die Königserhebung Friedrich Barbarossas im Spiegel
der Quellen - Kritische Anmerkungen zu den Gesta Friderici Ottos von Freising, Zeit-
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 121 (2004) S. 200-237.
75 Neuerdings wird freilich die Existenz eines Hausvertrags zwischen Herzog Friedrich II.
und Konrad Ill. erörtert, wonach Konrad für seine Königserhebung seinen eigenen Sohn
von der Nachfolge im Königsamt habe ausschließen müssen, vg!. Hansrnartin
SCHWARZMAIER, Pater imperatoris. Herzog Friedrich 11. von Schwaben, der gescheiterte
König, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, hg. von
Jürgen PETERSOHN (Vorträge und Forschungen 54) Stuttgart 2001, S. 247-284; Odilo
ENGELS, Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (11), in: ERKENS/WOLF,
Von Sacerdotium und Regnum (wie Anm. 44) S. 423-459, insb. S. 445 f. und S. 459.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 55

Fragestellungen". Ganz ähnlich wies Jean-Marie Moeglin auf die "real-


politische Bedeutung der fürstlichen Beziehungspflege" hin und favori-
sierte zum "besseren Verständnis der Ereignisse und der politischen Struk-
turen" eine Sicht, die die Ehre als Handlungsnorm berücksichtigt". Was in
beiden Fällen mit Blick auf das Spätmittelalter gesagt wurde, gilt auch für
die staufische Zeit. Wer mit Barbarossa zusammentraf oder kommuni-
zierte, war "in dessen Ausstrahlung", also "in einem Kodex zahlreicher
ungeschriebener Verhaltensnormen gefangen "78, die ihre Ursache im
traditionellen Anspruch des Kaisers auf besondere Ehrerweisung hatten.
Aber auch die Fürsten hatten ihren honor - anstelle vieler Beispiele sei nur
das Motiv erwähnt, mit dem Barbarossa die Erhöhung der Markgrafschaft
Österreich zum Herzogtum 1156 begründete: "Ehre und Ruhm" seines
Onkels sollten "nicht irgendwie vermindert" erscheinerr", Die Interaktion
war in beiden Richtungen von der Rücksicht auf die Ehre bestimmt. Das
zeigt sich in der begrifflichen Unterscheidung zwischen colloquium
familiare und colloquium publicum mit ihrem unterschiedlichen Grad an
ehrrelevanter Öffentlichkeit", das zeigt sich auch in scheinbaren Neben-

76 Peter MORAw, Fürsten am spätmittelalterlichen deutschen Königshof, in: Principes.


Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, hgg. von Cordula Norrt/Karl-Heinz
SPIEß/Ralf-Gunnar WERLICH (Residenzenforschung 14) Stuttgart 2002, S. 17-32, S. 19.
77 jean-Marie MOEGLlN, Fürstliche Ehre und verletzte Ehre der Fürsten im
spätmittelalterlichen Deutschen Reich, in: SCHREINERISCHWERHOFF, Verletzte Ehre (wie
Anm. 55) S. 77-91, S. 78 f.
78 Diese Formulierung benutzt mit Blick auf Friedrich Ill. Paul-Joachim HEINIG,
Verhaltensformen und zeremonielle Aspekte des deutschen Herrscherhofes am Ausgang
des Mittelalters, in: Höfe und Hofordnungen 1200-1600, hgg. von Holger KRuSE/Werner
PARAVICINI (Residenzenforschung 10) Sigmaringen 1999, S. 63-82, S. 77.
79 MGH DF.I. 151, S. 259, Z. 18-23: Ne autern in hoc facta aliquatenus inminui uideretur
honor et gloria dilectissimi patrui nostri ... marchiam Austrie in ducaturn comrnutavimus et
eundem ducaturn cum omni illre prefato patruo nostro Heinrico ... in beneficium concessimus.
Dazu Hanna VOLLRATH, Fürstenurteile im staufisch-welfischen Konflikt von 1138 bis zum
Privilegium Minus. Recht und Gericht in der oralen Rechtswelt des früheren Mittelalters,
in: Funktion und Form. Quellen und Methodenprobleme der mittelalterlichen Rechts-
geschichte, hgg. von Karl KROESCHELLIAlbrecht CORDES (Schriften zur Europäischen
Rechts- und Verfassungsgeschichte 18) Berlin 1996, S. 39-62, S. 60-62.
8: Gerd ALTHOFF, Colloquium familiare - colloquium secretum - colloquium publicum.
Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, in: Spielregeln der Politik im
Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, hg. von Gerd ALTIIOFF, Darmstadt
1997, S. 157-184.
56 Knut Görich

sächlichkeiten des Ausdrucks, daß sich Barbarossa beispielsweise über


fürstlichen Ungehorsam nur "wundert" oder auch "ziemlich wundert" oder
sogar "nicht genug wundern kann" - wie im einleitend erwähnten Fall des
Erzbischofs Eberhard I. von Salzburg oder am Beispiel des Herzogs
Sobieslaw II. von Böhmen, die beide trotz Aufforderung nicht am Hof
erschienen". Verglichen damit hatte die Äußerung kaiserlichen Mißfallens
etwa gegenüber einem bloßen Domkapitel eine ganz andere Windstärkes2•
Das Reich war, um eine Formulierung von Joachim Ehlers aufzugreifen,
ein "unaufhörlicher Kommunikations- und Integrationsprozeß", das Reich
existierte "eigentlich nur in diesen Beratungen tatsachlich'r". Angesichts
der unmittelbar politischen Bedeutung der Wahrung oder Verletzung von
Ehre, Rang und Würde, wie sie sich in der "fürstlichen Beziehungspflege"
niederschlug, verdient die Rekonstruktion der ranggeordneten Kommuni-
kation mit dem Hof und natürlich auch am Hof gewiß besondere Auf-
merksamkeit. Die vielen in der Historiographie überlieferten Szenen
direkter Rede sind für diese Frage ebenso noch nicht hinreichend
erschlossene ,Schlüsselquellen' wie die Briefe an und von Barbarossa.
Briefe waren eine Möglichkeit, "die unmittelbare Kommunikations-
konstellation von Angesicht zu Angesicht fiktiv herzustellen't'", die im
besonderen Sprachgebrauch "simulierte Präsenz" des Adressaten, sei es des
Kaisers, sei es eines Fürsten, ist gewissermaßen ein "Überrest", ein Schat-
ten von tatsächlichen, der Rangordnung verpflichteten Kommunikations-
vorgangen".

81 Zu Eberhard vg!. GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 61; zu Sobieslaw Il. vg!. MGH DF.1.
636, S. 133, Z. 26.
82 Vg!. Barbarossas Brief an das Domkapitel von Halberstadt MGH DF.1. 313, S. 134, Z. 17·
21; vg!. auch die scharfe Ermahnung Konrads Ill. an den Abt von Tegernsee, zitiert bei
SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 140 f.; Werner RÖSENER, Die Hoftage Kaiser Friedrichs
I. Barbarossa im Regnum Teutonicum, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im
späten Mittelalter, hg. von Peter MORAw (Vorträge und Forschungen 48) Stuttgart 2002, S.
359-386, S. 371.
83 Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte Nr. 312, 1990, S.
112.
84 Gerhard FouQuET, Fürsten unter sich - Privatheit und Öffentlichkeit, Emotionalität
und Zeremoniell im Medium des Briefes, in: NOLTE/SPIEß/WERLICH, Principes (wie Anm.
76) S. 171-198, S. 171 und S.192 (nSchlüsselquellen").
85 Vg!. FouQuET, Fürsten (wie Anm. 84) S. 172.
Die Ehre des Reichs (hanar imperii) 57

Siebtens: Ehre und Recht. Die neuere rechtshistorische Diskussion


nimmt ausdrücklich Abstand von der Modernisierungsthese, die im mehr
oder minder linearen Verlauf einer rational ausdifferenzierten Rechts-
gestaltung ein charakteristisches Merkmal des 12. und 13. jahrhunderts"
erkannte. Auch die lange Zeit als für Barbarossa programmatisch verstan-
dene Formel vom rigor iustitiae erweist sich bei genauerer Analyse nicht
als Hinweis auf ein neues Verständnis vom Recht, sondern als vor allem
situationsbedingt legitimierendes Argument". Jüngste Problemati-
sierungen des Rechtsbegriffs erörtern die Schwierigkeit, zwischen der
Gültigkeit rechtlicher und sozialer Normen trennscharf zu unterschei-
den". Dabei zeigt sich zunehmend die Praktikabilität eines funktional
erweiterten Rechtsbegriffs: Er nimmt Abstand von der Vorstellung vom
Recht als Gefüge allgemein geltender, verschriftlichter Normen und dehnt
sich auf eine "allgemeine Vorstellung von Normativität im Sinne von
Erwartungssicherung und Verhaltenssteuerung" aus", Ein solcher erwei-

86 Dies in Anlehnung an Heinz DUCIIARDT/Gert MELVILLE, Vorwort, in: Im


Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation im Mittelalter und früher
Neuzeit, hgg. von Heinz DUCHARDT/Gert MELVILLE (Norm und Struktur 7)
Köln/Weimar/Wien 1997, S. Y·YIII, S. YII: "Am wichtigsten ist wohl die Feststellung, daß
einer Modernisierungsthese im Sinne eines mehr oder minder linearen Verlaufs von
archaisch kompakter Ritualität zu rational ausdifferenzierter Rechtsgestaltung in
mehrfacher Hinsicht keineswegs das Wort geredet werden kann." Charakteristisch sei
vielmehr das Nebeneinander von einem "langen Mittelalter" und einer "früh einsetzenden
Neuzeit".
87 Dazu Theo BROEKMANN, Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannisch-
staufischen Süden (1050-1250) Darmstadt 2005, S. 94-113, insb. S. 108-113.
8B CORDES/KANNOWSKI, Rechtsbegriffe (wie Anm. 26); dazu meine Rezension in der
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 123 (2006).
B9 Dieter SIMON, Auf der Suche nach dem Gegenstand, Rechtshistorisches Journal 3 (1983)
S. 9-13, S. 13; dazu auch Gerhard DILCHER, Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als
methodisch-theoretisches Problem, in: Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheit im
Mittelalter, hg. von Gerhard DILCHER (Schriften zur europäischen Rechts- und
Verfassungsgeschichte 6) Berlin 1992, S. 21-65, S. 47-52; Dietmar WILLOWEIT, Vorn guten
alten Recht. Normensuche zwischen Erfahrungswissen und Ursprungslegenden, in:
Jahrbuch des Historischen Kollegs 1997, München 1998, S. 23-52, bes. S. 41-44. Einem auf
Yerhaltenserwartung basierenden, soziologischen Rechtsbegriff folgt Stefan ESDERS,
Rechtsdenken und Traditionsbewußtsein in der gallischen Kirche zwischen Spätantike und
Frühmittelalter. Zur Anwendbarkeit soziologischer Rechtsbegriffe am Beispiel des kirch-
lichen Asylrechts im 6. Jahrhundert, Francia 20.1 (1993) S. 97-125. Kritisch gegenüber
58 Knut Görich

terter, soziologischer Rechtsbegriff kann auch die Ehre integrieren, weil


sie bei der Konfliktbeilegung innerhalb des Adels eine höchst sensibel
beachtete Richtschnur war, außerdem als sozialer Steuerungsfaktor
fungierte - Stichwort Habitus - und bestimmte Verhaltenserwartungen
schuf. Verhandlungen und Entscheidungen von Barbarossas Königsgericht
nahmen Rücksicht auf den bonor der Adligen", Barbarossa begründete
bestimmte Erwartungen mit der Ehre des Reichs, und umgekehrt wurden
an ihn Erwartungen herangetragen, die ebenfalls mit dem bonor imperii
begründet wurden", Festzuhalten bleibt, daß sich eine diesem erweiterten
Rechtsbegriff zugeordnete Ehre kaum in das Modell einer modernisieren-
den Verrechtlichung im 12. und 13. Jahrhundert integrieren läßt: Denn die
dem bonor geschuldeten Verfahrensweisen vor dem Königsgericht wurzel-
ten in einer adligen Gruppenidentität, und die auf den bonor imperii
gegründeten Forderungen des Kaisers betrafen nicht zuletzt die
symbolische Seite der Wiedergutmachung einer Rechtsverletzung als Form
demonstrativer Anerkennung der zuvor verletzten Ordnung. Insbeson-
dere dieser Bereich der symbolischen Verhaltensweisen entzog sich der
Verschriftlichung von Recht, die nicht zuletzt Vereindeutigung zum
Schutz vor Mißbrauch war; die aus dem Anspruch auf Wiederherstellung
des verletzten boner imperii fließenden Forderungen waren in diesem
Sinne aber nicht zu vereindeutigen, weil einer solchen Festlegung der

einem funktionalen Rechtsbegriff WEITZEL, Relatives Recht (wie Anm. 26) S. 43·62, S. 45
und S. 57.
90 Dazu Gerd ALTHOFF, Recht nach Ansehen der Person. Zum Verhältnis rechtlicher und
außerrechtlicher Verfahren der Konfliktbeilegung im Mittelalter, in: CORDES/
KANNOWSKI, Rechtsbegriffe (wie Anm. 26) S. 79.92; Knut GÖRICH, Rex tustus et pacijicus.
Der Herrscher als schlichtender Richter und als interessierte Partei in staufiseher Zeit, in:
Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit, hg. von Rolf BALLOF, Stuttgart 2003, S. 249-
261. WEITZEL, Relatives Recht (wie Anm. 26), hält das Phänomen des schichtspezifisch,
also nach Ansehen der Person unterschiedlichen Strafens auf S. 61 für keine Konsequenz
unvollkommener Rechtsgeltung und weist auf offene Fragen hin.
91 Dazu Beispiele bei GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 22-34; auch Papst Viktor IV.
begründete seine Position mit dem honor imperii (ebenda, S. 132 f.). Selbst Alexander Ill.
betonte nach dem Frieden von Venedig in fast wörtlicher Übereinstimmung mit dem
Konstanzer Vertrag von 1153 (vg!. den Text oben in Anm. 5), quod honori ipsius
(imperatoris) et imperii pro nostri officii debito, quantum Deus dederit, tntendemus, vg!.
Samuel LOEWENFELD, Epistolae Pontificum Romanorum inedirae, Leipzig 1885, Nr. 266,
S. 151; ähnlich Nr. 268, S. 153.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 59

grundsätzliche Anspruch des Kaisers auf uneingeschränkte Darstellung


seiner herrscherliehen Autorität entgegenstand".
Achtens: Qualität sozialer Gruppenbindung als Merkmal der mittelal-
terlichen Gesellschaft. Die soziologische Theorie der Ehre hat gesell-
schaftsdifferenzierende, machtgenerierende und gruppenintegrierende
Funktionen der Ehre beschrieben". Den sozialen Funktionsmechanismus
der Ehre hat Max Weber vor allem mit Blick auf die differenzierenden
Funktionen in Verbindung mit Hierarchisierung und sozialen Macht-
konstellationen aufgezeigt; aus dieser Perspektive wird besonders die
Abgrenzung einer durch gemeinsame Ehrvorstellung verbundenen
Gruppe durch Distanz und Exklusivität zugänglich94• Georg Simmel nahm
vor allem die integrierenden Funktionen der Ehre in den Blick und maß
die Integration einer Gruppe an ihrer Übereinstimmung hinsichtlich
Wertvorstellungen, Sinndeutungen und gemeinsamen Zielen, also am
Ausmaß intersubjektiv geteilter Werte, das bestimmte Handlungen der
Gruppe erwartbar macht und für ihren Zusammenhalt sorgt". Pierre
Bourdieu schließlich unterstellte der Ehre eine ökonomische Funktionslo-
gik und deutete sie analog zum ökonomischen als symbolisches Kapital,
das angesammelt, aber auch verloren werden kann"', Damit steht von
soziologischer Seite ein breites Deutungsangebot zum Verständnis jener
Handlungen bereit, die in den Quellen mit dem hanar oder dem bonor
imperii begründet werden.
Neuntens: Adel und Fürsten am Hof Barbarossas. Die Frage nach der
Zusammensetzung jener Gruppe von Fürsten, die beim Kaiser erschienen
und mit ihm und dem engeren Hof, der egregia familia imperialis in
sacratissima curia domini F(rederici} serenissimi et invictissimi Romanorum",
im jeweiligen Fall das Reich darstellten, hat die Erkenntnis ihrer

92 Dieser Aspekt spielt insbesondere im Konflikt Friedrichs II. mit dem Lombardenbund
eine Rolle, dazu Knut GÖRICH, Mißtrauen aus Erfahrung: Mailand und Friedrich 11.,
Frühmittelalterliche Studien 39 (2005) (im Druck).
9J Dazu Ludgera VOGT, Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft, Frankfurt am
Main 1997, S. 11-60.
94 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 65-76.

95 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 156 f.

96 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 121-143.

97 Admonter Briefsammlung (wie Anm. 4) Nr. 44, S. 89, Z. 16-18.


60 Knut Görich

"amöbenhaften personellen Struktur'?" zur Antwort. Unbeschadet grund-


sätzlicher, aber weder kontinuierlich geleisteter noch strikt erzwingbarer
Vasallenpflichten wie Hof- und Heerfahrt muß sich auch die Antwort auf
die Frage nach den Gründen für die Präsenz einzelner Fürsten stets am
Einzelfall orientieren. Die materiellen Belastungen der Hoffahrt waren
hoch", und auf der Heerfahrt für die "Ehre des Reichs" tätig zu sein, konnte
darüber hinaus für die Getreuen konkret bedeuten, "die Substanz ihres
Vermögens durch Ausgaben und Au/wendungen au/zuzehren"loo, "sich selbst
und das Ihre täglich dem Tod auszusetzen «rei oder unter Gefahr für ihre Per-
son "bis zum Blutvergießen und zum Verlust ihres Vermögens'<102zu
kämpfen. Trotz aller Nachrichten über die bei der Entlassung des Heeres
von Barbarossa verteilten Geschenke - Gold und Silber, kostbare Gewän-
der und wertvolle Gefäße, auch Lehen und Privilegien 103 - wäre es gewiß
entschieden zu optirnistisch, von einem materiell ausgewogenen Verhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen 104. Aber die Fürsten des
12. Jahrhunderts taugen auch nicht als Projektionsfläche für moderne,
vorrangig ökonomisch fundierte Vorstellungen von Handlungsrationali-

98 Theo KÖLZER, Der Hof Friedrich Barbarossas und die Reichsfürsten, in: Stauferreich im
Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, hg. von
Stefan WEINFURTER (Mittelalter-Forschungen 9) Stuttgart 2002, S. 220-236, S. 222; DERS.,
Der Hof Kaiser Barbarossas und die Reichsfürsten. in: MORAW, Königshof (wie Anm. 82)
S. 3-47, S. 9.
99 Beispiele bei RÖSENER, Hoftage (wie Anm. 82) S. 371 f.
100 MGH DF.I. 526, S. 467, Z. 32-35: Ab imperialis dementiae memoria nunquam labi vel
excidere debent fidelium obsequia, iflorum precipue, qui pro fidelitate et bonore imperii personas
laboribus attriuerunt et substanciam rerum suarum expensis et sumptibus consumpserunt.
101 MGH DF.I. 348, S. 187, Z. 7-10: Unde quia quoslibet imperii fideles eorumque necessitates

pre oculis habere debemus, maxime tarnen ad domesticos fidei respiciendum esse censemus, qui
pro imperii honore et nostro amore se ipsos et sua cottidianae mosrti exponere non formidant.
102 MGH DF.I. 368, S. 226, Z. 21-24: Apud nostram maiestatem fides et devotio semper locum

habuit et nostri fideles suo non possunt desiderio fraudari, illi precipue, qui in personarum
periculo usque ad sanguinis efJusionem et in rerum dispendio pro imperii bonore fideliter
decertaverunt.
103 Dazu Jan Ulrich KEUPP, Dienst und Verdienst. Die Ministerialen Friedrich Barbarossas
und Heinrichs VI. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 48) Stuttgart 2002, S.
437-444; KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 233-235; GÖRICH, Ehre (wie Anm.
4) S. 28.
104 So KÖLZER, Hof (wie Anm. 98) S. 233; vgl. DERs, Hof Kaiser Barbarossas (wie Anm. 98)
S.37.
Die Ehre des Reichs (hanar imperii) 61

tät. Für das Verständnis der spezifischen Rationalitat ihres Handelns,


wenn sie ad honorem imperii tätig wurden und mit dieser Begründung
etwa auch Verpfändungen vornahmen'", bietet die Erweiterung des rein
ökonomischen Kapitalbegriffs einen sinnvollen Ansatzpunkt. Wie schon
angedeutet, unterscheidet Pierre Bourdieu vom bloß ökonomischen
Kapital soziales und symbolisches Kapital; dadurch ist ein zusätzlicher
Beurteilungsmaßstab gewonnen, denn mit der adligen Selbstdarstellung am
Hof und auf der Heerfahrt ist nicht nur ökonomisches Kapital, sondern
auch symbolisches Kapital, mit anderen Worten: Ehre zu erwerben. Ehre
als Zeichen sozialer Anerkennung gründete nicht nur auf vornehmer
Abkunft und ruhmvoller Geschichte der Ahnen, nicht nur auf Reichtum
und weltlicher Macht, sondern auf Taten, mit denen man sich einen
Namen machte. Barbarossas Heerfahrten nach Italien boten dazu reichlich
Gelegenheit: Rahewin charakterisiert die Kämpfe vor Mailand ganz allge-
mein als einen "Wettstreit um Tapferkeit und Ruhm "106 und nennt die
Unternehmungen Ottos von Wittelsbach als ein Beispiel dafür, daß "alle,
die nach Ruhm und Lob gierten, danach strebten, einander durch irgendeine
Heldentat zu übertreffen, um sich einen Namen machen zu kormen'?", Die
Möglichkeit, die eigene soziale Stellung, den eigenen Rang öffentlich unter
Beweis stellen und aktualisieren zu können, war ein sicher nicht zu unter-
schätzendes, rationales Motiv zur Teilnahme an der Heerfahrt. Dasselbe

185 Erzbischof Philipp von Köln verpfändet vor dem Italienzug 1174 Güter pro necessitate
ecclesie et honore imperii, in: Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins 1, hg. von
Theodor LACOMBLET, Köln 1840, Nr. 452, S. 318. Bischof Gero von Halberstadt erbringt
1165 bedeutende Leistungen für den Kaiser pro afJectu, quem circa ecclesiam nostram antiqui
irnperatores et reges habebant, recuperando, pro eius (imperatoris) honoris redintegratione et ut
in pristinum statum reformetur et quia ad hoc imperialis maiestas nos invitat, in:
Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt. hg. von Gustav SCHMIDT, Leipzig 1883, Nr.
268, S. 231, Z. 9·12.
106 Rahewin, Gesta Frederici III 44 (wie Anm. 67) S. 484, Z. 31-32: pro virtute et gloria
certamen in dies habebatur.
187 Rahewin, Gesta Frederici III 42 (wie Anm. 67) S. 480, Z. 5-7: quisque gloriosus ac laudis
avidus alius alium in aliquo egregiofacta, unde sibi nomen facere. Zum adligen Ruhmstreben
vg!. Gerd ALTHOFF, Gloria et nomen perpetuum. Wodurch wurde man im Mittelalter
berühmt?, in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter, Festschrift Kar! Schmid, hgg. von
Gerd ALTHOFF u.a., Sigmaringen 1988, S. 297-313; KEUPP, Dienst (wie Anm. 103) S. 427-
431; KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 149-158; GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S.
226-229 und S. 370 f.
62 Knut Görich

Motiv gaIt auch für Barbarossas persönliche Teilnahme am Kampf: In sei-


nen Briefen wurden mit genau kalkulierter Wirkung auf ihre um den
honor imperii besorgten Empfänger die Waffentaten des Kaisers geschil-
dert!", Durch den Sieg über Crema erscheint "der Name des szeptertragen-
den Friedrich" in der Dichtung "zu den Sternen" emporgehoben'I". Auch
die militärischen Unternehmungen des Kaisers sollten also erfüllen, was in
den Arengen seiner Urkunden immer wieder als seine Verpflichtung for-
muliert wurde - den honor imperii nicht zu verkleinern, sondern zu ver-
größern, nicht zu zerstören, sondern unversehrt zu bewahren!". Die
Präsenz auf der Heerfahrt war sicher ebenso wie die Präsenz am Hof vor
allem mit der Absicht verbunden, für die Durchsetzung der eigenen herr-
schaftlichen Position jene Ziele zu erlangen, die nur mit Hilfe des Kaisers
erreichbar waren Ill. Die Hoffahrt bot aber darüber hinaus vielfältige
Möglichkeiten zur Selbstdarstellung von Fürsten und Adel - nicht nur
durch Erscheinen mit prächtigem Gefolge, durch prestigeträchtige T eil-
nahme an kaiserlichen colloquia und Hofgerichtsentscheidungen, sondern
auch durch Integration ins Hofzeremoniell. Zeremoniell ist ein "formali-
siertes, aus expliziten Normen bestehendes Ordnungssystem, das Hand-
lungen einen spezifischen, genau bestimmbaren Symbolwert zuweist, der
auf den Rang der beteiligten Personen bezogen ist, damit die soziale Ord-
nung der am Zeremoniell beteiligten Personen herstellt und sie für alle

IC8 Vg!. KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 99-115; GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4)
S. 241-243. Zu den militärischen Unternehmungen Barbarossas jetzt Holger BERWINKEL,
Verwüsten und Belagern. Friedrich Barbarossas Krieg gegen Mailand (1158-1162), erscheint
2006 in der Bibliothek des DHI in Rom.
IC9 Carmen de gestis Frederici I imperatoris in Lombardia, ed. Irene SCHMALE-OTT (MGH
SS rer. Germ. 62) Hannover 1962, V. 3153, S. 103: Sceptrigeri nomen Frederici fertur ad
astra; dazu KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 161.
110 MGH DF.I. 253, S. 53, Z. 20-21: Quia vero honorem imperii nobis a deo comissum non
minuere, sed augere, non exterminare, sed integrum conseruare debemus.
III Dazu KÖLZER, Hof (wie Anm. 98) S. 226 und 231 f; DERS., Hof Kaiser Barbarossas (wie
Anm. 98) S. 20 und S. 31 f; Karl-Heinz SPIEß, Der Hof Kaiser Barbarossas und die
politische Landschaft am Mittelrhein. in: MORAW, Deutscher Königshof (wie Anm. 82) S.
49-76, S. 59; Alheydis PLASSMANN, Die Struktur des Hofes unter Friedrich 1. Barbarossa
nach den deutschen Zeugen seiner Urkunden (MGH Studien und Texte 20) Hannover
1998, S. 226 f. Am Beispiel der Präsenz Heinrichs des Löwen Joachim EIILERS, Heinrich
der Löwe in den Urkunden Friedrich Barbarossas, Frühmittelalterliche Studien 36 (2002) S.
355-377, insb. S. 376.
Die Ehre des Reichs {boner imperii) 63

Beteiligten sichtbar und erkennbar widerspiegelt"!". Zur Zeit Barbarossas


waren entsprechende Normen zwar noch nicht verschriftlicht, aber der
Königshof war gleichwohl "Bühne zur Selbstdarstellung und Rangde-
monstration der Fürsten":". Es gibt eine Fülle meist beiläufig erwähnter
Sachverhalte, die auf die Inszenierung der Rangfolge im höfischen Leben
und damit auf die Möglichkeiten hinweisen, den eigenen Rang durch Nähe
zum Kaiser sichtbar zu machen!", Dazu gehört schon Rahewins allge-
meine Beschreibung von Barbarossas Tagesablauf!", insbesondere aber die
Vielzahl verstreuter Nachrichten über die Behandlung von Fürsten und
adligen Herren am kaiserlichen Hof - also beispielsweise über die Versor-
gung des fürstlichen Gefolges auf Barbarossas Kosten als Zeichen besonde-
rer Wertschätzung"6, über persönlichen Zutritt zum Kaiser, über die Not-
wendigkeit einer ausdrücklich erteilten Redeerlaubnis vor ihrn'", über
Einladungen an seine Tafel!", über die öffentliche Ankündigung des
Rangplatzes am Hof119, über die räumliche Anordnung der Personen um
den Kaiser - angefangen von Steh- und Sitzplätzen in seiner Nähe über
Sitzplätze mit freiem Blick auf Kaiser und Kaiserin bis zur Aufstellung der

112 Andreas PECAR, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI.
(1711-1740) Darmstadt 2003, S. 144.
III SPIEß, Hof (wie Anm. 111) S. 62 f. Immerhin enthält die von Saxo Grammaticus
erwähnte Hofordnung Knuts des Großen auch Regelungen zur Vermeidung von
Sitzstreitigkeiten. vg!. Thomas ZOTZ, Hof und Hofordnung vor der Zeit der
Verschriftlichung, in: Höfe und Hofordnungen (wie Anm. 78) S. 65-73, S. 70 f.
114 Einige Beispiele bei SPIEß, Hof (wie Anm. 111) S. 63-65.

115 Dazu Rahewin, Gesta Frederici IV 86 (wie Anm. 67) S. 708-710; zum Verständnis von
Rahewins diesbezüglichen Entlehnungen aus Apollinaris Sidonius gelten analog die
Ausführungen bei Roman DEUTINGER, Rahewin von Freising. Ein Gelehrter des 12.
Jahrhunderts (MGH-Schriften 47) Hannover 1999, S. 117-123 über die Mosaiktechnik des
Geschichtsschreibers und ihren Wirklichkeitsbezug.
116 Gerlach von Mühlhausen, Continuatio Vincentii Pragensis, ed. Wilhe1m WATTENBACH
(MGH SS 17) Hannover 1861, S. 683-710, S. 693, Z. 1-2; dazu Peter HILSCH, Die Bischöfe
von Prag in der frühen Stauferzeit (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 22)
München 1969, S. 181 f.; SPIEß, Hof (wie Anm. 111) S. 61.
117 GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 41 f.

118 Gerlach von Mühlhausen, Continuatio Vincentii Pragensis (wie Anm. 116) S. 693, Z. 4.
119 SPIEß, Rangdenken (wie Anm. 70) S. 59 mit Anm. 100; DERS., Hof (wie Anm. 111) S. 63
f.; GÖRICH, Ehre des Erzbischofs (wie Anm. 57) S. 118.
64 Knut Görich

Zelte in der Nähe des kaiserlichen Zeltes'". All diese Nachrichten illustrie-
ren, daß König, Fürsten und adlige Herren "allein schon zur Pflege des ei-
genen aristokratischen Habitus"121aufeinander bezogen waren. Eine Beur-
teilung der ,Gewinnchancen' von Fürsten und Adel bei Hof- und
Heerfahrt. die nur heutige Vorstellungen von ökonomischer Rationalität
zu Grunde legt, griffe daher sicher zu kurz.

Ill.

Bei diesen allgemeinen Hinweisen blieb der spezifizierende Zusatz der


Formel honor imperii - eben das Wort imperium - außer Acht. Eine
Unterscheidung zwischen honor imperii, honor regni, honor imperatoris/
noster ist immer wieder als praktisch unmöglich angesehen worden 122.
Dennoch ist eine Problematisierung sinnvoll, weil der Begriff imperium
die Formel honor imperii für ein transpersonales, abstraktes Staats-
verständnis öffnet, das das Reich als Begriff und Realität von der Person
des Herrschers unabhängig macht. Als Entstehungsort einer solchen
Staatsvorstellung erscheint der königliche Hof, der mit ihr einen be-
stimmten Zweck verfolgt haben soll. In Gottfried Kochs machtfunktio-
nalistischer Deutung erklärt sich der transpersonale Gehalt der Formel aus

120 Beispiele für Bedeutung des Sitzplatzes bei Johannes LAUDAGE, Die Bühne der Macht.
Friedrich Barbarossa und seine Herrschaftsinszenierung, in: Inszenierung und Ritual in
Mittelalter und Renaissance, hg. von Andrea VON HÜLSEN-EsCH, Düsseldorf 2005, S. 97-
134, S. 122 f.; Hermann KAMP, Tugend, Macht und Ritual. Politisches Verhalten beim Saxo
Grammaticus, in: Zeichen, Rituale, Werte, hg. von Gerd ALTHOFF, Münster 2004, S. 179-
200, S. 180 f.; SPIEß, Hof (wie Anm. 111) S. 64 f. - Zur Ordnung der Zelte vgl. Gunther der
Dichter, Ligurinus. Ein Lied auf den Kaiser Friedrich Barbarossa, übers. und erl. von
Gerhard STRECKENBACH. Mit einer Einführung von Waiter BERSCHIN, Sigmaringendorf
1995, Buch VIII, V. 421-422: "Um ihn herum sind, dem Vorrechte jedes einzelnen
folgend,! Näher oder entfernter die Zelte der Edlen errichtet." - Solche Gelegenheiten zur
Demonstration von Rang und Status setzten sich noch im Streit fürstlicher Fahnenträger
um das Recht fort, rechts vom kaiserlichen Fahnenträger gehen zu dürfen; eine solche
Nachricht ist allerdings nur für Lothar Ill. überliefert, vgl. Die Regesten des Kaiserreiches
unter Lothar Ill. und Konrad Ill. Erster Teil: Lothar Ill. 1125 (1075)-1137, neubearbeitet
von Wolfgang PETKE, Köln/Weimar/Wien 1994, Nr. 503.
121 MORAW, Fürsten (wie Anm. 76) S. 20.
112 VON DER NAHMER, Herrschaft (wie Anm. 38) S. 699; WOLF, Honor imperii (wie Anm.
34) S. 314; GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 18 f.; KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56)
S.175.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 65

der Notwendigkeit einer "ideologisch-politischen Herrschaftsbegrün-


dung"!23 der expansiven Italienpolitik; Barbarossa habe das "Schlagwort
vom honor imperii in breitem Umfang" herangezogen, "um die Fürsten für
die Heerfahrten nach Italien zu gewinnen"!24; die kaiserliche Kanzlei habe
mit "abstrakten Staatssymbolen von der Art des honor imperii oder des
sacrum imperium" gearbeitet, um "die Interessen der Fürsten unmittelbar
mit denen des Reichs zu verknüpfen, ja zu identifizieren"!". In Kochs Be-
dauern über die wegen imperialer Politik ausgebliebene "innere Festigung
der feudalen Monarchie'v" gibt sich wie nebenbei die aus dem 19. Jahr-
hundert vertraute Perspektive nationaler Geschichtsschreibung zu erken-
nen, die im Mittelalter nach den Gründen für die verspätete Entstehung
des Nationalstaats suchte und in der kaiserlichen ,Italienpolitik' Iand'".
Mit diesem Wurzelgrund von Kochs Überlegungen zur "ideologischen
Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt" setzen sich die
neueren Untersuchungen, die seine Deutung aufnehmen und weiterent-
wickeln, nicht mehr explizit auseinander. Aber der instrumentelle
Charakter der abstrakten Staatsauffassung, der für Koch gerade aus der
nötigen Legitimierung von Barbarossas "expansiver Italienpolitik":" gegen
vermeintlichen Widerstand der Fürsten erwuchs, ist auch noch für Jutta
Schlicks These von Barbarossas "neue(r), rein weltliche(r) Herrschaftslegi-
timation und Staatskonzeption'r'" kennzeichnend, die dem Staufer die

121 KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 278; vgl, auch S. 289.
124 KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 251.
12; KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 198.
126 Kocn, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 279.

127 Dazu Thomas BRECHENMACHER, Wie viel Gegenwart verträgt historisches Urteilen?
Die Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die Bewertung der
Kaiserpolitik des Mittelalters (1859·1862), in: Historische Debatten und Kontroversen im
19. und 20. Jahrhundert, hgg. von Jürgen ELVERT/Susanne KRAuß, Stuttgart 2003, S. 34-54.
Ferner Hartrnut BOOCKMANN, Ghibellinen oder Welfen, Italien- oder Ostpolitik.
Wünsche des deutschen 19. Jahrhunderts an das Mittelalter, in: Italia e Germania.
Immagini, modelli, miti fra due popoli nell'Ottocento: 11 Medioevo. Das Mittelalter.
Ansichten, Stereotypen und Mythen zweier Völker im neunzehnten Jahrhundert:
Deutschland und Italien, a cura di/hgg. von Reinhard ELZE/Pierangelo SCHIERA, Bologna/
Berlin 1988, S. 127-150; Stefanie Barbara BERG, Heldenbilder und Gegensätze. Friedrich
Barbarossa und Heinrich der Löwe im Urteil des 19. und 20. Jahrhunderts, Hamburg 1994.
12& KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 258 u. ö.; Verwendung des Begriffs sacrum
imperium, Hum den Widerstand der Fürsten zu überwinden", S. 198.
129 SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 144 und S. 182; vg!. auch S. 178.
66 Knut Görich

Absicht einer Instrumentalisierung der Fürsten unterstellr'". Als un-


mißverständlichen Hinweis auf Barbarossas "neue(s) Reichsverstandnis"!"
versteht auch Stefan Weinfurter die Formel, deutet sie aber nicht macht-
funktionalistisch, sondern faßt sie eher als ein Ergebnis der Rationalisie-
rung von Herrschaft auf, in dem sich die historische Erfahrung der seit
spätsalischer Zeit gewachsenen Bedeutung der Fürsten verdichtete. Mit der
"überkommenen Begrifflichkeit" von honor sei "gleichsam tastend nach
einer neuen Definition des Reichs gesucht"!", die Wendung honor imperii
sei unter Barbarossa "als politischer Zentralbegriff der Reichspolitik ver-
wendet'v" worden; es handele sich um einen "Wesensbegriff von Reich"?".
Im Rahmen dieser ideengeschichtlich ausgerichteten Deutung spielt keine
Rolle, ob und inwieweit Urkundenempfänger und Geschichtsschreiber die
neue theoretische Dimension der seit salischer Zeit geläufigen Formel tat-
sächlich erfaßt haben, die eine kleine Elite kaiserlicher Notare hinter ihr
verbarg, ohne sie weiter zu erklären.
Die Inanspruchnahme der Formel honor imperii für eine abstrakte
Staatsauffassung hält für die Übersetzung von honor mit ,Ehre' eine be-
sondere Schwierigkeit bereit: Ehre ist an das Handeln von Personen
gebunden; wie also könnte ein abstrakt aufgefaßtes Reich Ehre erwerben
oder verlieren? Man müßte das Reich dann wohl als Kollektivsubjekt ver-
stehen, analog zur Nation, die zu einem solchen aber erst geformt wurde
durch die Revolutionen in Amerika und Frankreich sowie durch die Reak-
tionen darauf seit Ende des 18. Jahrhunderts. Erst dann konnte das indivi-
duelle Heil der Mitglieder dieses Kollektivs mit der Sinnstruktur der
Nation verbunden werden und die "nationale Ehre" als "normierendes

DO SCHLICK, König (wie Anm. 21) S. 144 und S. 190.


DI Stefan WEINFURTER, Mythos Friedrich Barbarossa: Heiliges Reich und Weltkaiseridee,
in: Mythen in der Geschichte, hgg. von Helmut ALTRICHTER/Klaus HERBERS/Helmut
NEUHAUS, Freiburg 2004, 5. 237-260, S. 252. Mit mancher Nuancierung weitergeführt in
DERS., Wie das Reich heilig wurde, in: DERs., Gelebte Ordnung, gedachte Ordnung.
Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und Reich, hgg. von Helrnuth KLuGER/Hubertus
SEIBERT/Werner BOMM, Ostfildern 2005, 5.361-383; DERS., Um 1157. Wie das Reich heilig
wurde, in: Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die
Neuzeit, hg. von Bernhard JUSSEN, München 2005, S. 190-204.
132 WEINFURTER, Reich (wie Anm. 131) 5. 372 f., die Offenheit der Entwicklung betont
DERs., Um 1157 (wie Anm. 131) 5.198 mit dem Begriff nÜbergangsmodell".
D) WEINFURTER, Mythos (wie Anm. 131) 5.254.
114 WEINFURTER, Mythos (wie Anm. 131) S. 254; DERs., Reich (wie Anm. 131) S. 372.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 67

Moment sowohl individuellen als auch kollektiven Handelns" fungieren 115;


der besondere Mobilisierungseffekt wurde erzielt durch die "Zusammen-
führung zweier bedeutender Stränge der Ehrsemantik, nämlich der alten
ständischen Ehre und des im Zuge der Aufklärungsbewegung aufgekom-
menen verinnerlichten und individualisierten Ehrbegriffs", der die natio-
nale Gemeinschaft unabhängig von ständischer Schichtung in Bürgertum
und Adel im Zeichen der nationalen Ehre integrierte!". Daß dieses Modell
nationaler Ehre nicht einfach auf das 12. Jahrhundert übertragbar ist, liegt
auf der Hand.
Gleichwohl kann von der "Ehre des Reichs" nur sinnvoll gesprochen
werden, wenn man sich den sozialen Bezug des Begriffs imperiurn und
damit auch die einzelnen Subjekte der "Ehre des Reichs" bewußt macht.
Daß der "soziale Begriffsinhalt", die "soziale Grundlage" der transpersonal-
abstrakten Größe imperium die Fürsten waren, stellte bereits Koch fest1J7•
Die Quellen sprechen in dieser Hinsicht seit spätsalischer Zeit eine klare
Sprache, die sich auch in Barbarossas Urkunden wiederholt: Die Fürsten
erscheinen als membra imperii" oder als columnae imperii:", die das Reich
wie ein Haus stützen. In der alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit einer
personengebundenen und personalisierten Herrschaft war das Reich eine
Metapher für die Gemeinschaft der Fürsten, die es trugen, und in deren
Versammlung am Hof es sichtbar wurde. Unter den Bedingungen persona-
ler Herrschaft war ein personaler Bezug des Reichsbegriffs sicher nicht

115 Christian KOLLER,Die Ehre der Nation. Überlegungen zu einem Kernelement der

politischen Kultur im 19. Jahrhundert, Saeculum 54 (2003) S. 87·121, S. 121. Vg!. auch
VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 57 I., Andreas DÖRNER,Die symbolische Politik
der Ehre. Zur Konstruktion der nationalen Ehre in den Diskursen der Befreiungskriege, in:
Ehre. Archaische Momente (wie Anm. 55) S. 78-96.
116 KOLLER,Ehre der Nation (wie Anm. 135)S. 93.

117 KOCH, Sacrum imperium (wie Anm. 15) S. 246 und S. 251.

118 MGH DF.1. 516, S. 453, Z. 27-29: Quoniam honor et gloria Romani imperii in hoc
consistit, quod ea, quae ab imperatoribus vel regibus coram regno rationabiliter promouentur,
firma sint et semper incommutabiliter in suo rubore permaneant ...
1)9 MGH DF.1. 539, S. 486, Z. 42 - S. 487, Z. 3: Cum firmissime domus decor et firmamentum
immobilibus et solidis columpnis innitttur, cum Romani imperii superemtnens gloria
illustrissimorum principum sustentatione [ulcitur, utnusque status servatur incolumis et difJicile
alicui destructioni vel ruinose calamitati poterit subiacere. Vgl. auch MGH DF.1. 930, S. 197,
Z. 29-30: Maiestas nostre imperialis clementie capitales Romani collumpnas imperii videlicet
illustres principes nostros...
68 Knut Görich

ausgeblendet; man sollte daher "die Existenz einer transpersonalen Staats-


idee nicht für eine tägliche Realität" nehmerr'". Personenbezogene Herr-
schaftspraxis bedeutet für die Interaktion zwischen König und Großen,
daß sie den honor wahren mußte, also die Ehre als Summe all dessen, was -
aus Vornehmheit, Ämtern, Besitz, persönlichen Fähigkeiten und Verbin-
dungen gebildet - die beanspruchte Stellung in der Rangordnung aus-
machte. Eine solche Auffassung zu Grunde gelegt, wird auch in der For-
mel vom honor imperii die Gruppenbindung als charakteristisches
Merkmal der mittelalterlichen Gesellschaft und Herrschaft erkennbar und
die Formel selbst verständlich als Aussage über die Ehre der Personenge-
meinschaft, die das Reich trug. Sie war dem Kaiser durch einen Eid ver-
bunden, der sie zum Schutz seiner Ehre verpflichtete. So begründete bei-
spielsweise Erzbischof Wichmann von Magdeburg die Unterstützung
Barbarossas durch die Fürsten im Streit mit Papst Urban Ill. 1186 damit,
sie seien durch den Treueid gehalten, "Recht und Ehre des Reichs" (ius et
honor imperii) zu wahren und zu schützeri'". Dieser wechselseitigen Bin-
dung wegen konnte gesagt werden, die Ehre der Großen sei in solcher Art
auf den Kaiser bezogen, daß eine Schädigung ihres Herrn auf sie über-
ströme und auf sie zurückfalle+"; ein Vertrauter Barbarossas wie der
Bischof Eberhard von Bamberg teilte mit dem Kaiser "zugleich die Last und

140 Hans PATZE, Friedrich Barbarossa und die deutschen Fürsten, in: Die Zeit der Staufer.
Geschichte, Kunst, Kultur. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, Bd. 5: Supplement.
Vorträge und Forschungen, Stuttgart 1979, S. 35-75, S. 52.
141 MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum inde ab a DCCCCXI usque
ad a. MCXCVII (911-1197), Bd. 1, hg. von Ludwig WEILAND, Hannover 1893, Nr. 315, S.
446, Z. 9-14: Haec siquidem et plura his serenissimus dominus noster imperator in facie
sollempnis curiae nobis ceterisque principibus suis proposuit, ostendens evidenter, quod tales
iniurias ad gravamen personae suae et imminutionem honoris imperii nee possit nee debeat
sustinere. Unde et nos, qui de conservando et manutenendo iure et honore imperii ipsi et illustri
ftlio suo Romanorum regi augusto per sacramentum tenemur... Zum Treueid vgl.
HAVERKAMP, Herrschaftsformen (wie Anm. 52) S. 327-362, insb. S. 348 f., und S. 484-522,
insb. S. 516; Uwe PRUTSCHER, Der Eid in Verfassung und Politik italienischer Städte.
Untersuchungen im Hinblick auf die Herrschaftsformen Kaiser Friedrich Barbarossas,
Diss.-Phil., Gießen 1980, S. 165-171.
142 Rahewin, Gesta Frederici IV 22 (wie Anm. 67) S. 558, Z. 10-12: quia et ipsorurn honor sic
ad dominos spectare uidetur, sicut et domini detrimentum in eos procul dubio refunduur et
redundat. Dazu GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 24; KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm.
56) S. 231.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 69

die Ehre"l43. Hoftage waren die "politischen Verdichtungspunkte" des


Reichs, nur auf ihnen existierte die politische Gemeinschaft des Reichs im
vollsten Sinne!", Beraten wurde dort natürlich auch und besonders über
Reaktionen auf erlittene Schmach und Beleidigung; auch deshalb konnte
gesagt werden, daß auf ihnen über den bonor imperii beraten wurde - wie
etwa auf dem Hoftag von Besancon!", Barbarossas auf Hoftagen oder in
Briefen an einzelne Reichsfürsten vorgetragene Klagen über Verletzungen
des bonor imperii waren verständlich und handlungsmotivierend, weil
Ehre - im weitesten Sinne verstanden als Recht auf Respekt - ein Zentral-
problem adeliger Existenz war; die Formel von der "Ehre des Reichs" appel-
lierte sowohl an allgemein bekannte und verbindliche Werte der Aristo-
kratie wie auch speziell an die eidliche Verpflichtung zum Schutz der kai-
serlichen Ehre. Im Einzelfall war immer wieder neu auszuhandeln!", was
dem bonor imperii geschuldet war; keineswegs immer waren alle Fürsten
einer Meinung:". Auch die "Ehre des Reichs" war also an Interaktionspro-
zesse und Anerkennungsrelationen gebunden, sie war gewissermaßen ein

143 Rahewin, Gesta Frederici IV 32 (wie Anm. 67) S. 582 ,Z. 21-24: {imperator) tarnen
memorau viri sicut prudentissimt nttebatur consilio cumque dignum estimauit, in Cl/ius
arbitratu et discretione operas suas locaret et onus simul ac honorem communicaret. Dazu
GÖRICH, Ehre (wie Anm. 4) S. 24; KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 231.
144 REUTER, Nur im Westen (wie Anm. 27) S. 347; vg!. auch DERS., Assembly politics in
western Europe from the eighth century to the twelth, in: The Medieval world, hgg. van
Peter LINEHAN/Janet L. NELSON, London/New York 2001, S. 432-450.
14; MGH DF.I. 186 (zum Hoftag von Besancon 1157), S. 314, Z. 30-31: Cum enim nuper in
curia Bisuncii essemus et de honore imperii et salute aecclestarum debita sollicuudine
tractaremus ... ; MGH DF.I. 327 (zum Konzil von Pavia), S. 154, Z. 25-26: ad Papiensem
curiam, ubi tamen ecclesiastici principes quam seculares pro gloria dei et honore imperii
promovendo sollemniter convenerant ... In beiden Fällen wurden Verletzungen des honor
imperii verhandelt, in Besancon das beleidigende Auftreten der Papstlegaten, in Pavia der
Ladungsungehorsam Alexanders Ill.
146 Die Suche nach Konsens in Fragen bezüglich des honor imperii spiegelt sich häufig in
den Formulierungen der Historiographen, vg!. etwa Bernardo Maragone, Armales Pisani, a
cura di MicheIe Lupo GENTILE (Rerum Italicarum Scriptores, Nuova edizione, 6.2)
Bologna 1936, S. 23, Z. 12-13: imperatori Frederico, qui eos cum honore recepit, et cum eisdem
legatis honorem mum et statum regni sui tractavit et composuit; ebenda, S. 25, Z. 5:
(Imperator) cum eis honorem imperii et Pisane urbis tractavit. Rahewin, Gesta Frederici IV 5
(wie Anm. 67) S. 518, Z. 22-24: ...de populo tuo consultare placuit tue potentie super legibus et
iustitia atque honore imperii.
147 KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) S. 147.
70 Knut Görich

"sozial gemachtes Phänomen", das ohne Öffentlichkeit nicht vorstellbar


ist.
Dabei ist diese rein äußerlich verstandene Ehre zu trennen von einer
verinnerlichten individualisierten Ehre, die sich erst als Folge der Aufklä-
rung entwickelte, geistig im Puriranismus und Pietismus wurzelte, den
Ehrbegriff mit einer individualistischen Ethik auflud und primär an einem
tugendhaften, moralisch einwandfreien Leben maß148• Der honor war
daher keine innere, moralische Kategorie. Ebensowenig war die Wahrung
des honor ein Ausdruck von Leidenschaft oder Irrationalität; Ehre war
keine "komplexe Seelenlandschaft", und die Einsicht "außer Emotionen
nichts gewesen"!" steht gerade nicht am Ende einer Erklärung des poli-
tischen Handelns unter dem Gesichtspunkt der Ehre. Auch war Barba-
rossa in der Tat "alles andere als ein .Pawlow'scher Hund', der aus-
schließlich auf Ehrverletzungen reagiert'?", Die Pointe des Bildes liegt
allerdings gerade in seiner fehlenden Anwendbarkeit: Denn im U nter-
schied zum Pawlow'schen Hund mußte Barbarossa nicht erst auf ein be-
stimmtes Reiz-Reaktions-Schema konditioniert werden; vielmehr reagierte
er deshalb auf Ehrverletzungen, weil er die Sensibilität für Wahrung und
Verletzung der Ehre mit seiner adligen Sozialisation erwarb!", Sein ,Ehr-
gefühl' war nicht Irrationalität und Emotionalität, sondern dem vergleich-
bar, was bei Max Weber als "ständische Ehre" erscheint, also "ein kulturel-
les Gesamt von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsformen, durch die

148 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 56, vgl. auch S. 53 und S. 59.
149 Die Zitate bei Thomas ERTL, Von der Entsakralisierung zur Ernpolitisierung ist es nur
ein kleiner Schritt. Gedanken zur Rolle des Politischen und Rituellen anläßlich einer
neueren Arbeit zum ottonischen Königtum, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52
(2004) S. 301-317, S. 304 f.
ISO LAUDAGE, Bühne der Macht (wie Anm. 120) S. 111.
151 Dazu Horst WENZEL, zubt und ere. Höfische Erziehung im "Welschen Gast" des
Thomasin von Zerclaere (1215), in: Über die deutsche Höflichkeit. Entwicklung der
Kommunikationsvorstellungen in den Schriften über Umgangsformen in den
deutschsprachigen Ländern, hg. von Alain MONTANDON, Bern u.a. 1991, S. 21-42; DERS.,
Des menschen rnuot want in den ollgen. Höfische Kommunikation im Raum der
wechselseitigen Wahrnehmung, in: Geschichten der Physiognomik. Text, Bild, Wissen, hg.
von Rüdiger CAMPE, Freiburg 1996, S. 65-98; ferner Gabriele MÜLLER-OBERHÄUSER, With
eartays specbe: Verbale Höflichkeit in den mittelenglischen Courtesy Books, in: Prag-
matische Dimension mittelalterlicher Schriftlichkeit, hgg. von Christel MEIER/Volker
HONEMANN/Hagen KELLER/Rudolf SUNTRUP, Paderborn 2002, S. 211-231.
Die Ehre des Reichs (honor imperii) 71

das Leben der einem bestimmten Stand zugehörigen Individuen in gleicher


Weise geprägt ist"!". Pierre Bourdieus Begriff vom Habitus umschreibt
nichts anderes: "Habitus ist die entscheidende Schaltstelle zwischen Indivi-
duum und Gesellschaft: Die Gesellschaftsstruktur wird über ihn in das
Individuum ,hineingepflanzt', und durch die Praxis des Individuums wer-
den die gesellschaftlichen Strukturen gleichzeitig festgeschrieben."!". Ver-
halten wird dadurch nicht mit völliger Sicherheit determiniert, aber doch
mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartbar gemacht. Die Logik der Ehre
verlangte förmlich eine Reaktion in Form rächender Vergeltung, sobald
eine Ehrverletzung öffentlich gemacht wurde; der Zeitpunkt ihrer Veröf-
fentlichung freilich konnte durchaus von Erwägungen des politisch Nütz-
lichen abhängen 154.
Faßt man als Träger von Ehre die Gemeinschaft der Personen auf, die
ihrerseits das Reich bildete, so wird klar, weshalb auch dem Reich selbst
eine "aristokratiebezogene und - analoge Ehre und Würde"155 zugeschrie-
ben werden konnte, wie sie in der Formel vom honor imperii ausgedrückt
ist. Auch die Dimension von Konsensualität der Herrschaft wird so un-
mittelbar zugänglich: Die Formel honor imperii galt dem im gemeinsamen
Wert der Ehre aufeinander bezogenen Handeln von Kaiser und Fürsten als
Repräsentanten des Reiches. König und Fürsten werden so erkennbar als
"natürliche und selbstverständliche Hauptpartner im Reich'T", Das er-
scheint als überraschend nur aus der nationalstaatlichen Forschungsper-
spektive, die unter dem Eindruck des Gegensatzes von Einheit und Parti-
kularismus im 19. Jahrhundert geradezu von einem natürlichen Gegensatz
zwischen König und Fürsten ausging und ihn in die Quellen auch hinein-

IS2 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 68.


151 VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 118 f.
IS4 Ein solcherart rationales Handeln wird in den mittelalterlichen Quellen immer wieder
beschrieben; dazu grundlegend Stephen D. WHITE, The Politics of Anger, in: Anger's Past.
The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages, ed. by Barbara H. ROSENWEIN, Ithaca
and London 1998, S. 127-152; außerdem Barbara H. ROSENWEIN, Eras and Clio: emotional
paradigms in medieval historiography, in: GOETz/JARNUT, Mediävistik im 21. Jahrhundert
(wie Anm. 33) S. 427-441. - Beispiele für Barbarossas dissimulatio bei Knut GÖRICH,
Anekdotisches über Friedrich Barbarossa - unglaubwürdig und deshalb unbedeutend?, in:
Alltagsleben im Mittelalter, hg. von der Gesellschaft für staufisehe Geschichte e.V.
(Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 24) Göppingen 2005, S. 181-193, S. 183.
ISS Diese Formulierung in anderem Kontext bei MORAW, Fürsten (wie Anm. 76) S. 19.
156 MORAW, Fürsten (wie Anm. 76) S. 20.
72 Knut Görich

las. Die Theorie von der Instrumentalisierung der Fürsten durch den
honor imperii ist ein später Reflex dieser Sicht. Gerade am Beispiel Barba-
rossas wird ihre Problematik besonders offensichtlich: Auf Grund seines
guten Verhältnisses zu den Fürsten gilt er als "König ohne Fürstenopposi-
tion" oder sogar als "Fürstenkänig"157. Sollte das die Konsequenz einer
geschickten ,Instrumentalisierung' der Fürsten durch eine ,neue Idee' sein?
Die Annahme einer von König und Fürsten geteilten Vorstellung von der
jeweiligen Rolle im Reich liegt wohl näher. Nichts spricht dagegen, sie
auch in der Formel vom honor imperii ausgedrückt zu sehen. Die Häufig-
keit ihrer Erwähnung läßt sich pragmatisch erklären, nicht nur mit Hin-
weis auf die in frühstaufischer Zeit wachsende Schriftlichkeit, sondern
auch mit dem unmittelbaren Anlaß, die "Ehre des Reichs" überhaupt zu
thematisieren - also ihre Verletzung, die zu beklagen in den konflikt-
reichen Jahren insbesondere der frühen Phase von Barbarossas Herrschaft
häufig genug Anlaß bestand!".
IV.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Unterschiedliche Erkenntnisinteres-


sen brachten unterschiedliche Deutungen der Formel vom honor imperii
mit sich. In Untersuchungen, die Modernisierungstendenzen der Königs-
herrschaft oder Ansätze zu säkularer Herrschafts- und Staatstheorie akzen-
tuierten, spielte ,Recht' - und nicht ,Ehre' - als Bedeutungshorizont der
Formel die entscheidende Rolle. Richtete sich das Interesse auf die soziale
und politische Praxis, rückte damit auch die Alterität der mittelalterlichen
Gesellschaft und mit ihr die Kategorie ,Ehre' in den Vordergrund. Die
Schwierigkeit, den häufig zwischen den Bedeutungen von .Recht' und
,Ehre' oszillierenden Begriff honor zu übersetzen, ist ein an sich bedeut-
samer Befund: Er sollte zur Problematisierung des Rechtsbegriffs führen,

157Nachweise bei HECHBERGER, Staufer und Welfen (wie Anm. 73) S. 256, Anm. 82.
158KRIEG, Herrscherdarstellung (wie Anm. 56) beobachtet S. 258 f. für die Jahre nach 1167
einen Rückgang der Belege für bonor bzw. bonor imperii in den Arengen der Urkunden
Barbarossas und verzeichnet lediglich zwei Ausnahmen. Diese Beobachtung paßt gut zu
dem Einschnitt des Jahres 1167 nach den konfliktreichen Jahren seit 1155. Allerdings
taucht der Begriff auch später noch häufig außerhalb der Arengen auf, allein in der
Kombination bonor imperii in MGH DDF.I. 555, S. 18, Z. 15; 640, S. 140, Z. 41; 650, S.
155, Z. 6; 658, S. 163, Z. 17-18; 660, S. 167, Z. 26; 673, S. 190, Z. 12; 792, S. 357, Z. 7-8; 895,
S. 146, Z. 24 und Z. 41; 1031, S. 312, Z. 30.
Die Ehre des Reichs (hanar imperii) 73

die eine ahistorische Rechtstheorie vermeidet und auf die Andersartigkeit


einer Rechtskultur aufmerksam macht, die ungeachtet der wachsenden
Bedeutung gelehrter Argumentation in der Rechtspraxis'" ihrem Wesen
nach eine ungelehrte Rechtskultur war - mit allen Konsequenzen für
Rechtsgeltung und Rechtszwang in einer Gemeinschaft, die das Recht-
setzungsmonopol der Obrigkeit ebenso wenig kannte wie den zugehörigen
staatlichen Zwangsapparat'", daher auch kein "auf klare(n) Entscheidungs-
und Rechtssetzungskompetenzen basierendes Rechtssystern"!". Unter
solchen politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergibt sich die
Nähe von ,Ehre' zum ,Recht' aus dem in der Ehre - als "Substanz der
Person"162,als Summe aus Vornehmheit, Rang, Ämtern, Besitz, persön-
lichen Fähigkeiten und Verbindungen - geborgenen und mit der Ehre
verletzten Rechtsanspruch; diesem subjektiven Recht stand ein objektives
Recht'?' in Gestalt einer auf schriftlichen Normen basierenden und alle
Lebensbereiche durchdringenden Legalordnung (noch) nicht entgegen.
Ehrverletzung war Rechtsverletzung, und Rechtsverletzung war Ehrver-
letzung; daher war die Wiederherstellung des Rechts von der Wiederher-
stellung der Ehre (noch) nicht zu trennen.
Die Wendung vom honor imperii wird so verständlich als zeitgenös-
sischer Begriff für eine auch in Rechtsgewohnheiten wurzelnde Hand-
lungsnorm und Ordnungsvorstellung, die das Handeln von Kaiser und
Fürsten als Repräsentanten des Reichs im gemeinsamen Wert der Ehre
aufeinander bezog. Daß das Reich von einer Personengemeinschaft gebil-
det und getragen wurde, für deren Handeln der bonor eine entscheidende
Richtschnur war, bildete die Voraussetzung für die Verwendung der
Formel bonor imperii, die dem Reich selbst eine aristokratieanaloge Ehre
zuwies. Ehre war ein politischer und sozialer Ordnungsfaktor, denn über

159 Gerhard DILCHER, Die staufisehe Renovatio im Spannungsfeld von traditionalem und
neuem Denken. Rechtskonzeptionen als Handlungshorizont der Italienpolitik Friedrich
Barbarossas, HZ 276 (2003) S. 613-646.
160 Dazu Gerhard DILCHER, Die Zwangsgewalt und der Rechtsbegriff vorstaatlicher
Ordnungen im Mittelalter, in: KANNOWSKI, Rechtsbegriffe (wie Anm. 26) S. 1l1-153.
161 KANNOWSKI, Rechtsbegriffe im Mittelalter (wie Anm. 26) S. 9.
161 MIETHKE, Symbolik (wie Anm. 5) S. 97.
16) Zum Gegensatz zwischen subjektivem und objektivem Recht vg!. KANl':OWSKI,
Rechtsbegriffe im Mittelalter (wie Anm. 26) S. 13 f.; vgl. auch MIETHKE, Symbolik (wie
Anm. 5) S. 97.
74 Knut Görich

die Erweisung oder Verweigerung von Ehre wurden Herrschaftsverhält-


nisse anerkannt und stabilisiert oder verletzt. Die Verteidigung der Ehre
stärkte die eigene Stellung in der Ordnung, sie festigte Hierarchien und
Einflußmöglichkeiten. Daher war die "Ehre des Reichs" auch keine irratio-
nale Kategorie. Nahezu alle denkbaren Aspekte adliger Lebenswelt wur-
den von der Ehre berührt, die "Ehre des Reichs" war ein Ausschnitt dieses
"totalen sozialen Phänomens", wie man in Anlehnung an Otto Gerhard
Oexles Charakterisierung der memoria vielleicht auch für die Ehre sagen
könnte'". Diese Dimension kommt bei einer Verortung der Formel boner
imperii in einen abstrakten Herrschaftsdiskurs nicht in den Blick; sie
bleibt vollends unzugänglich, wenn man Ehre materialistisch und im
ideologiekritischen Abwehrgestus als Pseudo-Realität entlarvt, als wirk-
lichkeitsverfälschendes, ja betrügerisches Denken, das lediglich dazu diene,
die vielberufenen ,wahren', an Macht- und Besitzerwerb orientierten
Interessen zu verschleierrr'" - oder, im Falle des bonor imperii, die ver-
meintlich wahren Absichten Barbarossas. Ein solcher Ideologieverdacht
ignoriert, daß im Begriff der "Ehre des Reichs" ein soziales Phänomen, eine
soziale Wirklichkeit des 12. Jahrhunderts (und nicht nur des 12.) greifbar
wird. Für das Verhältnis zwischen gedachter und realer Gesellschaft gilt
auch im Mittelalter, daß eine Gesellschaft nicht zuletzt durch die Vorstel-
lung konstituiert wird, die sie sich von sich selbst macht. In der Vorstel-
lung, die in Barbarossas Kanzlei, bei den Geschichtsschreibern und den
Autoren fiktionaler Texte von ihrer Lebenswelt lebendig war, hatte die
"Ehre des Reichs" ihren ebenso selbstverständlichen wie zentralen Platz. Sie
ist deshalb ein Schlüssel nicht nur zum Selbstverständnis jener Personen,
die ihr politisches Handeln mit dem bonor imperii begründeten, sondern
auch zum Verständnis von deren Wahrnehmung durch die Zeitgenossen.

164 Otto Gerhard OEXLE, Memoria als Kultur, in: Memoria als Kultur, hg. von Otto
Gerhard OEXLE (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121)
Göttingen 1995, S. 9-78, S. 39.
165 Dazu VOGT, Logik der Ehre (wie Anm. 93) S. 28 f.; vg!. auch OEXLE, Dreiteilung (wie
Anm. 18) S. 53 f.; Klaus VAN EICKELS, Vom inszenierten Konsens zum systernatisierten
Konflikt. Die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende
vom Hoch- zum Spätmittelalter (Mittelalter-Forschungen 10) Stuttgart 2002, S. 55-60.

Das könnte Ihnen auch gefallen