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Die
römische Kapitalstrafe
Von
ERNST LEVY
Heidelberg 1931
Carl Winters Universitätsbuchhandlung
Verlags-Nr. 2250
Alle Rechte, besonders das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen.
, werden Vorbehalten.
Inhalt
Seite
Einleitung.5
I. Problem, S. 5. — 2. Kritik der heutigen Meinung, S. 6. —
3. These, S. 8.
Abkürzungen
(außer den üblichen).
-Costa, Cic. = Cicerone giureconsulto, 2a ed. (1927).
Costa, Crim. = Crimini e pene (1921).
Ferrini, Espos. = Esposizione storica e dottrinale del diritto penale romano
in Pessina, Enciclopedia del dir. pen. italiano I (1905).
Mommsen = Römisches Strafrecht (1899). Durch diese Darstellung überholt
und darum nicht angeführt ist Mommsen, Die Geschichte der Todesstrafe
im römischen Staat (Cosmopolis 1 [1^96] 231 — 242).
Rotondi, Leges = Leges publicae populi Romani (1912).
Strachan-Davidson = Problems of the Roman criminal law (1912).
■ SZ. = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Ab-
teilung.
Einleitung.
1. Seltsames muten wir den Körnern zu. Wir bewundern in
ihnen die Meister juristischer Begriffsbildung und Begriffsteilung.
Die scharfe Abstimmung der Rechtsfolge auf den klar eingegrenzten
Tatbestand suchen wir ihnen nachzutun. Nur mit dem Unter-
schied zwischen Leben und Tod sollen sie es nicht sonderlich genau
genommen haben. Wenn in den Quellen von poena oder reus
capitis, von poena oder causa capitalis die Kede ist, wenn jemand
capite punitur oder damnatur, so soll ohne alle Unterscheidungs-
merkmale ein doppelter Sinn möglich gewesen sein: der engere,
der sich auf die Todesstrafe beschränkt, oder der weitere, der außer
ihr namentlich Bergwerk und Deportation, nämlich die Strafen um-
faßt, mit denen der Verlust der Freiheit oder des Bürgerrechts
verknüpft war. Das wäre um so verwunderlicher, als es an sonstigen
Möglichkeiten, die Todesstrafe technisch zu bezeichnen, mindestens
in klassischer Zeit durchaus fehlt: Verbindungen mit vita oder mors
tauchen hier in der Kechtssprache nur vereinzelt auf1, supplicium
ist zur «Strafe» schlechthin verallgemeinert2 * *, animadvertere um-
1 Das wird eher bestätigt als widerlegt durch die Tatsache, daß die klas-
sischen Definitionen von capitalis sich vielfach des Wortes mors bedienen:
D. 2, 11, 4pr.; 37, 1, 13; 37, 14, 10; 48, 1, 2; 48, 19, 2pr.; 50, 16, 103 (über sie
u. S. 39, 43 f.). Unecht ist poena mortis in D. 48, 21, 1: u. S. 66 ff.
2 Die ursprüngliche Verwendung für die Todesstrafe allein (Mommsen 916 5,
s. auch 12. 911) begegnet bei den Klassikern in echten und eindeutigen Stellen
fast nur noch im Zusammenhang mit dem i. J. 10 n. Chr. ergangenen SC. Silania-
rum, das den Ausdruck selbst gebraucht zu haben scheint (in Tit. Dig. 29, 5
und D. 40, 12,7,4 annähernd 20mal; vgl. auch Tac. Ann. 13,32; 14,42. 43.
45). Regelmäßig erreicht man diesen Sinn erst durch Zufügung von summum
oder ultimum (so unter fast 30 Fragmenten namentlich Cels. D. 48, 19, 21; Call.
D. eod. 28 pr.); fehlt ein solcher Beisatz, so ist nur so viel wie poena gemeint:
z. B. in CI. Saturn. D. 48, 19, 16, 4 (echt?). 10; Ulp. D. 2, 1, 12; 28, 3, 6, 7; 48,
18, 7; 48,19, 19; Call. eod. 28, 16. Schon bei Cicero ist diese Bedeutung ganz ge-
wöhnlich (vgl. Costa, Cic. II 662); über die Rolle, die der Begriff anscheinend in der
Senatsdebatte gegen die Catilinarier gespielt hat, s. u. S. 251. — Vgl. auch
Seckel-Heumann s. v. supplicium.
6 Ernst Levy:
1 So etwa Hadrian bei Men. D. 49, 16, 6, 7 (vgl. eod. § 9), Pomp. D. 1, 2,
% 80, Flor. D. 38, 2, 28 pr. = Paul. D. 48, 20, 7, 1; Paul. D. 29, 5, 8 pr.; Ulp. D. 48,
24, 1. Noch deutlicher das Unbestimmte des unheimlichen Ausdrucks in dem
SC. bei Ulp. Coli. 15, 2, 1 i. f. und bei Hadrian Call. D. 48, 3, 12 pr., auch schon
in dem Senatsbeschluß, ut in eos, qui cum Graccho consenserant, more maiorum
animndverterent (Val. Max. 4, 7, 1); vgl. etwa «jemanden richten» oder «über
ihn die Exekution verhängen». Anderswo gewinnt animadoertere die Richtung
auf den Tod erst durch Beiworte: Hadrian Ulp. D. 48, 8, 4, 2 (ultimo supplicio);
Ulp. D. 48, 19, 8, 1 (gladio), und ohne solche erscheint es ganz vage: in den
Mandata (Marcian. D. 48, 13, 4, 2; vgl. Ulp. D. 1, 18, 13 pr.: prout quisque de-
liquerit), ferner z. B. Proc. D. 49, 15, 7, 2; Ven. D. 48, 3, 9; Paul. D. 1, 18, 21;
47, 18, 2 (vgl. PS. 1, 16, 1; 5, 4, 8. 13; Coli. 14, 2, 3); Ulp. D. 47, 11, 5; Marcian.
D. 26, 1, 9; s. auch cmimadversio in YJR I 444. — Beide Verwendungsreihen
gibt wieder Corp. gloss. lat. II 18, 2: cmimadvertit ffdvaxov auveippcplaaTO
dmarpeqpei xipopeixcu. — Hiernach wird man schwerlich zustimmen können,
wenn Mommsen lehrt, daß «die einfache Todesstrafe technisch animadversio heißt»
(9243), insbesondere «gegensätzlich zu der geschärften Todesstrafe» (911 *). Macer
D. 48, 19, 12 gibt hierfür nichts aus (vgl. D. 28, 1, 8, 4; 29, 2, 25, 3); in Marcian.
D. eod. 11, 3 ist [vel animadverti] offenbar Glossem: der transitive Gebrauch
des strafrechtlichen animadvertere kommt sonst nur noch in den gleichfalls
nachklassischen [Paul.] sent. D. 48, 24, 3 vor (corpora animadversorum): VJR. I
444, 53 ff.
2 Labeo I (1873) 97 f., vgl. auch 172 ff.
3 Übersicht bei Coli, Capitis deminutio (1922) 60 x. S. jetzt auch Radin,
MdI. Paul Eournier (1929) 651 U
7
Die römische Kapitalstrafe.
1 907 f.
2 S. u. S. 204.
3 907, s. auch 650.
4 907.
8 Ernst Leyy:
1 909.
2 z. B. 6774. 751. Bezeichnend spricht er 834 2a-E- von dem «Interdiktions-
verfahren, wenn man dies ein kapitales nennen will», dem als «wirklich kapitale
Prozesse» (so auch 979 4) die Todesprozesse, als kapitale Strafe «im eigentlichen
Sinn» (650) die Todesstrafe gegenübergestellt werden. Regelmäßig deutet ihm
«Kapitalstrafe», «Kapitalverfahren» usw. allein auf den Tod: z. B. 1993. 202.
262. 6323. 6376. 943. 957. 967. 971. 973. Eine ähnlich zwiespältige Haltung
zeigt Costa, Crimini (einerseits 24 k 93. 186 ff. [nur Tod], andererseits 954) und
wohl die ganze Literatur; vgl. u. S. 47 3.
3 Überblick bei Desserteaux, Etudes sur la formation historique de la
capitis deminutio I (1909) 394; s. auch Küspert, Über Bedeutung und Gebrauch
des Wortes «caput» (Programm des k. human. Gymnasiums in Hof, I [1902/03],
II [1905/06]) I 32. 48.
4 Top. 18. 29.
5 Coli 1 ff’., 60ff.; Bonfante, Corso di dir. rom. I 123 ff., 130 f.; G. Segre,
Arch. giur. 99, 232; H. Krüger, SZ. 49, 542 f.
6 Perozzi, Ist.2 180 f; Beseler, Beitr. IV 92; Coli 64 f.; BonfanteI 129 >,
131; Arangio-Ruiz, Ist.2 41 f., vgl. auch Siber, Rom. Priv.-R. 26 k Anders Radin,
MdI. Fournier 651 ff.
Die römische Kapitalstrafe. 9
freie Magistrat den Täter töten, aber auch zur Dedition an die
verletzte fremde civitas oder zum Verkauf ins Ausland begnadigen
konnte: die capitis poena ist verwirkt, wird aber regelmäßig nicht
vollzogen.1
Die Koerzition bewegt sich nicht auf dem Boden einer Satzung
und gibt darum für terminologische Untersuchungen wenig her.
Nur ihre Schranken, die leges, sind greifbar, soweit deren Fassung
uns noch vorliegt. Aus der Frühzeit ist das Material ja karg.
Auch die Zwölftafeln, die sich in der Hauptsache gewiß mit Privat-
delikten befaßten2 und perpaucas res capite sanxissent3, bieten nur
vereinzelte dem Wortlaut nach sichere Sanktionen. Zu ihnen wird
auch die vorsichtigste Beweisführung die zwar nicht authentisch be-
kannte, aber in ihren Kernworten gewiß verläßlich überlieferte
Bestimmung 9, 1. 2 rechnen dürfen, die de capite civis rogari4 nisi
maximo comitiatu vetat5, die, ob man sie mit der römischen Tradition
auf die provocatio ad populum bezieht6 oder — besser — anders
aufzufassen sucht7, nur an Prozesse über Tod und Leben gedacht
haben kann. Die gleichzeitige Lex Duillia wurde schon erwähnt.8
Das valerische Provokationsgesetz nennt ausdrücklich das necare
und verberare9 und hebt damit grundsätzlich unter allen Strafen
die mit dem Tode bedrohten heraus10, die nunmehr gegen einen
1 Das kommt zum Ausdruck, wenn Menander (D. 49, 16, 4, 10) von dieser
einstigen Versklavung des sich der Aushebung Entziehenden spricht und fort-
fährt: sed mutato statu militiae recessum a capitis poena est: man kam von der
Todesstrafe ab, womit sich zugleich ihre Abmilderung erledigte. Da der Jurist
rein negativ redet, brauchte er nicht genauer zu sein (vgl. auch Mommsen 445;
«Capitalcoercition»). Daß er nicht etwa capitis poena und Freiheitsverlust
identifiziert (so Com 62), erhellt auch aus der Begründung ut proditores liber-
tatis (in servitutem redigebantur). Denn einem solchen Proditor gebührte schon
in der Frühzeit der Tod (Polyb. 1, 17, 11). Auch Menander selbst sagt schlecht-
hin (D. eod. 6, 4), daß proditores . . . capitis poenas luunt (vgl. auch D. eod. 7;
49, 15, 19, 4). Über capitis poena bei den Klassikern u. S. 47 ff.
2 Vgl. Bonfante, Storia di dir. rom.3I 199; Arangio-Rüiz, Corso di storia
del dir. rom. (1928) 95 ff.
3 Cic. de re publ. 4, 12 (ex Augustino).
4 Dazu Mommsen 161 3 a E-
5 Cic. de leg. 3; 11. 44; de re publ. 2, 61; p. Sest. 65.
6 Mommsen 1683, 10142, s. auch 168, 632, 1038.
7 Bruns-Lenel in Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie I 323.
8 S. 9 4.
9 Die Quellen bei Mommsen 42 \ Rotondi, Leges 190. 235.
10 Die Geißelung ist hier nur als der Hinrichtung voraufgehende Neben-
strafe gemeint: Mommsen 421. 47. 1623. 1014; Strachan-Davidson I 1101.
Die römische Kapitalstrafe. 11
daß man dies nicht unmittelbar als pro überleite tua zu deuten
hat1, sondern einfach = pro te2, wobei dann der genauere Sinn
nur zwischen den Zeilen zu lesen ist. Dafür sprechen auch die
sonstigen Verwendungen von caput = Mensch und die volleren
Wendungen pollicitabor pro capite argen tum ut sim Uber (Rud. 929)
oder Liberum caput tibi faciam3 (Merc. 152 f.).4 Aber selbst wenn
man die andere Meinung vorzöge, wäre doch immer nur eine
vulgäre Verselbigung mit libertas dargetan, keine mit civitas,5
Und auch dieser entfernte Auftakt zu der späteren Entwicklung
stände noch ganz außerhalb der Sphäre des Strafrechts. Im kri-
minellen Bereich weisen alle Verbindungen auf die Strafe an Leib
und Leben: capitis perdere aliquem6 (Asin. 132, Bacch. 490, Mil.
371) wie comitia capitis (Pseud. 1232), comitia sunt meo capiti (Truc.
819) oder de meo capite (Aul. 700). Das gleiche gilt von Capital
facere (Men. 92, Merc. 611) und dem Adjektiv capitalis in Verb,
mit res (Merc. 183, Stich. 502), frans (Mil. 294) oder scelus (Most.
475).7 Es ist die Zeit, für die die Gleichung des Verrius Flaccus
Geltung hat8 Capital facinus, quod capitis poena luitur (Paul. Fest,
p. 48) und in der die Sanktion des SC. de Bacchanalibus (186 v. Chr.)
lin. 25 eeis rem caputalem faciendam censuere durch Liv. 39, 18, 4
. . . capitali poena adfeiebant. plures necati quam in vincula9 coniecti
sunt zutreffend illustriert wird.10 — In demselben Sinne bietet Terenz11
erstmals die Gegenüberstellung non capitis res agitur sed pecuniae
(Phorm. 631)12; er nennt flagitia nova, capitalia (Adelph. 721 ff.),
die der Scholiast als mortifera deutet.13 — Noch wichtiger ist, daß
1 So wohl ThesLL III 420, 29 ff.
2 So Küspert 16; Lodge, Lexicon Plautinum ‘caputf zu d\ vgl. VJR. I
625, 31 ff.
3 Nicht etwa: caput tibi faciam.
4 Vgl. auch Capt. 229 f.
5 Wie Coli 633 will, wohl auch Costa, Cicer. I 843. Richtig Küspert I 19
(s. auch II 49): «Die Bedeutung „politische Existenz“ hat Plautus, wie über-
haupt das ältere Latein, nicht»; vgl. H. Krüger, SZ 49, 542.
6 = etwa accusare (vulgär); s. auch Küspert I 18.
7 S. auch capitale periculum (Rud. 349, Trin. 1088).
8 Für seine eigene Zeit — die des Augustus — ist sie nicht mehr korrekt:
u. S, 39, 47.
8 Hierzu Mommsen, Staatsrecht III 1069 s.
10 Vgl. auch Mommsen 153 *, ThesLL III 344, 57, Strachan-Davjdson I 232 ff.
11 Küspert I 21 f.
12 S. ferner capitis periculum (Andr. 677).
13 Vgl. ThesLL III 346, 16.
14 Ernst Levy:
Bis also die letzte für die Bestätigung des Urteils erforderliche
Stimme abgegeben ist, darf der Magistrat die Flucht des Bürgers
1 Mommsen 827 f.; Strachan-Davidson I 161, 163.
2 Mommsen 71 f., 333 f.; Hitzig (ob. S. 16 3) 196.
3 Vgl. den folgenden Text; s. auch Festus Aqua et igni . . . interdici solet
damnatis.
4 Daß der Beschluß ein rein «administrativer Akt» ist, erhellt deutlich
auch aus der Zuständigkeit der Plebs (Liv. 25, 4, 9; 26, 3, 12) und der Un-
zuständigkeit der Quästionen. Sehr richtig Mommsen, Strafr. 72 1, 964 gegenüber
Staatsrecht II 3 139 2; III 52 2, wonach der Beschluß «selbstverständlich mit der
Damnation des Exul verbunden» war. Wenn der Magistrat die Ausweisung
regelmäßig nicht eigenmächtig verfügte, so hatte das gewiß nur den Zweck,
sie über das Amtsjahr hinaus in Geltung zu erhalten (Mommsen 72x).
5 Mommsen 72, 623, 935 f.; Hartmann, RE. «Aquae et ignis interdictio».
6 So Mommsen 71; Hitzig 196.
7 Belege z. B. bei Mommsen 712; Hartmann aaO. Strachan-Davidson I 160.
Die römische Kapitalstrafe. 19
1 Sali. Catil. 52, 36: Quare ego ita censeo ... de covfessis sicuti de mani-
festis rerum Capitalium more maiorum supplicium sumundum. Mit der Er-
wähnung des mos maiorum will Cato wohl zugleich jede Mißdeutung aus-
schließen, wie sie die vulgäre Verflachung des supplicium- Begriffes (ob. S. 5 2)
nahelegen mochte. Auch Silanus ursprünglich supplicium sumundum decreverat
(Sali. 50, 4); hernach, anderen Sinnes geworden, interpretierte er sein Votum
dahin, uj<; oüb’ aüröc; emoi OavaTiKpv Yvubgpv (Plut. Cic. 21, 8). Wenn er aber
weiter hinzugefügt haben soll: ^axdxr]v -pap üvbpi ßouXeuxr| 'Puupaiuuv eivai biKpv
tö beapujTripiov, so ist das entweder nicht zuverlässige Überlieferung oder von
einem Manne gesagt, der studii . . . habuit non multum (Cic. Brutus 240), Denn
der carcer wrar keinesfalls ordentliche Strafe (Mommsen 963). Vgl. dazuMüNZER 1801.
2 Hierzu Mommsen 905f., 963, auch 3003; Costa, Cic. II 663.
26 Ernst Levy:
auf die Tötung des Angeklagten schließen1; sie ist nur der Aus-
druck der ebenso unbestrittenen wie echt römischen Erscheinung,
daß die neue Verfahrensform die alte nicht verdrängte.2 Hat ja
doch Clodius den Milo sogar wegen bloßer vis noch im Jahre 56
apud populum anzuklagen vermocht.3 — Und nicht anders steht
es mit dem Parricidium. Das «für uns namenlose Gesetz, welches
bei der Überweisung der Mordprozesse an eine Geschworenen-
kommission den Nächstenmord dem Volksgericht vorbehielt»4, hat
es nicht gegeben. Das Komitialverfahren gegen den Sohnesmörder
Q. Fabius Maximus (um a. 104)5 und die Säckung des Mutter-
mörders Publicius Malleolus (a. 101)6 erweisen keinen solchen Vor-
behalt. Wir wissen nicht einmal, ob Maximus hingerichtet wurde
und ob Malleolus überhaupt vor den Komitien stand. Wenig später
sind die Quästionen auch hier belegt.7 An der althergebrachten
Strafe der Säckung änderte sich darum nichts.8 Sie wird erst
durch die Lex Pompeia (a. 559) betroffen, die den Tatbestand des
Parricidium ausbaut, das Verfahren modifiziert und bei dieser Ge-
legenheit verordnet, daß der Schuldige poena ea teneatur, quae est
legis Corneliae de sicariis (Marcian. D. 48, 9, 1). Das ist nicht die
«vollständige Abschaffung der Todesstrafe»10, nicht einmal die der
1 Richtig insoweit Mommsen 942: «wenn auch ohne Erfolg». — Auch Qu.
Servilius Caepio (etwa a. 103) ist nicht hingerichtet worden, wie der von der
übrigen Überlieferung abweichende Bericht bei Val. Max. 6, 9, 18 glauben
machen will: Münzer, Hermes 47, 170 ff. Es steht überdies selbst das nicht
fest, daß er von den Komitien abgeurteilt wurde; darüber verschiedene An-
sichten bei Mommsen 1981, Lengle 24 ff., Strachan-Davidson I 231. 237.
2 Mommsen 173 f. 587 f.
3 Mommsen, Staatsrecht II 49S1; vgl. Strafrecht 1745, Strachan-Davidson
I 204.
4 Mommsen 644; s. auch 174. 615 f. 6443, zustimmend Strachan-Davidson
I 162, vgl. auch de Visscher, La formule Paricidas eeto (1927) 37 f.
5 Oros. hist. 5, 16, 8.
6 Oros. hist. 5, 16, 23; Auct. ad Her. 1, 23; Liv. ep. 68.
7 Vgl. Cic. de invent. 2, 58. 59; p. Rose. Amer. 30. 72. 149f. (Mommsen
6441). Das übersieht Costa, Crim. 70 f., Cic. II 123 f., der darum den angeb-
lichen Vorbehalt zugunsten der Komitien sogar bis zur Lex Pompeia fort-
wirken läßt.
8 S. auch ob. S. 22.
9 So die allgemeine und wahrscheinlichste Datierung: z. B. Rotondi, Leges
406; Costa, Crim. 71, auch Mommsen 942; anders Mommsen 6442.
10 So Mommsen 6442, 201, 942.
Die römische Kapitalstrafe. 29
poena cullei1, die wir bald hernach weiter in Geltung sehen.2 Viel-
mehr sollte der Magistrat fortan in der Wahl der Todesart durch
altes Herkommen ebensowenig eingeengt sein wie bei sonstigen
Morden — falls es zur Exekution überhaupt kam. Die facultas
alternativa zur bloßen Verbannung brauchte Pompeius nicht ein-
zuschärfen; sie war ja seit langem fester Bestand und wird gerade
beim parricidium schon von dem jungen Cicero (a. 80) als selbst-
verständlich vorausgesetzt.3
Aus alledem ergibt sich, daß die Einführung des Quästionen-
prozesses oder seine Verallgemeinerung durch Sulla mit der Ge-
schichte der Todesstrafe nicht das mindeste zu tun hat.4 Die
Tendenz zu ihrer Verdrängung reicht in ihren Anfängen so weit
zurück wie unsere Überlieferung; sie war mit dem Ende des
2. vorchristlichen Jahrhunderts durch das grundsätzliche Verbot der
alsbaldigen Verhaftung selbst des Verurteilten zu ihrem Abschluß
gelangt (S. 19 f.). Seit dem Jahre 90 ist im ordentlichen Verfahren
keine Hinrichtung eines Bürgers mehr bezeugt (S. 27). Die zufällig
letztbezeugte vollstreckt ein Geschworenenurteil. Nicht das min-
deste Anzeichen läßt darauf schließen, daß die Quästionen ein
Gerichtshof zweiten Grades gewesen wären, der, wenn die Tat mit
dem Leben gebüßt werden sollte, hinter den Komitien hätte zurück-
stehen müssen. Wenn es richtig wäre, daß «das Provokationsrecht,
die verfassungsmäßige Notwendigkeit der Bestätigung der Bürger-
schaft bei jedem magistratischen Todesurteil, in dem Rechtsbewußt-
sein des Römers als politischer Glaubenssatz feststand und die
Ersetzung der komitialen Majorität durch die Majorität der Privat-
geschworenen gegen diesen Satz verstieß»5, so wären die Quästionen
nie oder doch nie provokationslos geschaffen worden. Wie die
Untersuchungshaft in der Epoche der Komitialgerichtsbarkeit
prinzipiell fortfiel, so fehlt sie auch in den Quästionen, und wenn
in hypothetischen Fällen von diesem Grundsatz Ausnahmen ge-
macht worden sein sollten6, so werden sie hier wie dort Platz
gegriffen haben. Daß dem Quästionenprätor als solchem gerichts-
verfassungsmäßig das Recht zur Verhaftung des Angeschuldigten
1 So Hitzig, Schweiz. Z. f. Strafr. 9, 405.
2 Suet. Aug. 38, Senec. de dem. 1, 15, 7; 1, 23, 1.
3 Ob. S. 28 7.
1 Anders — statt aller — Mommsen 201. 591. 941 f. und sonst; richtiger 73.
5 Mommsen 201.
6 Ob. S. 191.
30 Ernst Levy:
man sich im Volk die aus einer causa capitis entspringende Strafe
überhaupt nur noch als Verbannung vorzustellen begann.1 Der
caput-Begriff' erweiterte sich so mit innerer Notwendigkeit, und
eine übertreibende Rhetorik2 vermochte im Einklang mit dem vul-
gären Sprachgebrauch3 sogar die Minderung bürgerlicher Ehren-
rechte in ihn einzubeziehen. Da erfüllte sich die Zeit auch für den
Gesetzgeber. Wer den ersten Schritt tat, ist unbekannt. Vielleicht
war es Cicero in Person.4 Er, der noch im Jahre 69 hervorhebt,
daß keine römische Lex das Exil als Strafe kennt, charakterisiert sein
Ambitus-Gesetz v. J. 63 dahin: me mea lege exsilio ambitum sanxisse (p.
Plane. 83 [a. 54]); quem nova poena legis et domo et parente et omnium
suorum consüetudine conspectuque privat (p. Murena 89 [a. 63]). Diese
präzisen Aussprüche5 im Verein mit der durch Dio Cass. 37, 29, 1 be-
richteten Exildauer von zehn Jahren stellen es außer Zweifel, daß die
Lex Tullia de ambitu selbst es war, die die Strafe bestimmte und
bezifferte.6 Mit einer solchen Sanktion vollzog sich die ent-
scheidende Wendung, nach Römerart beinahe unmerklich und fast
nur dem Juristenauge erkennbar. Nicht mehr die Todesstrafe mit
einer durch die Interdiktion recht nachdrücklich nahegelegten Ab-
wendungsbefugnis, sondern die Verbannung, die bei Ungehorsam
oder Bannbruch das Leben kostete, war hier die poena legitima.
Praktisch tat sich die Änderung darin kund, daß der Magistrat die
1 S. o. S. 22 ff.
2 Vgl. Mommsen 9076, zweifelnd Coli (ob. S. 63) 614; nicht zutreffend Radin,
Melanges Paul Fournier (1929) 655 ff., Cuq, Rev. hist. 9, 4061.
3 Vgl. Mod. D. 50, 16, 108, dessen Beweiskraft durch Colis Bemerkung
(aaO.) m. E. nicht herabgesetzt ist; dazu u. S. 471. S. auch Corp. gloss. lat. II
97, 18: capitalis cmpoTioiöq.
4 Vgl. insoweit bereits Kleinfeller, RE. VI 1684.
6 Denen sich weniger genaue anreihen lassen: Cic. p. Mur. 45. 47; p.
Plane. 8 und weitere bei Mommsen 8674. 8744, Rotondi, Leges 379 angeführte
Belege.
6 Strachan-Davidson II 66 faßt (wie schon Ferrini, Espos. 423) diese
Strafe als relegatio auf, weil er die zeitliche Beschränkung mit der aq. et i.
interdictio nicht vereinigen zu können glaubt. Die Überlieferung bietet dafür
keinen Anhalt; s. auch u. S. 333. — Ciceros Worte ad ambitionem, quibus ex-
silii poena superioribus legibus non fuisset (ad Att. 9, 14, 2) beziehen sich, so
verstümmelt sie sind, auf das Verhältnis nicht der Lex Tullia, sondern der
Lex Pompeia v. J. 52 zu den früheren Ambitusgesetzen. Vgl. ad Att. 10, 4,
8; Tyrrel-Purser, The correspondence of M. T. Cicero IV 136, Mommsen 8747.
32 Ernst Levy:
bannungsstrafe nicht mehr bloß wie die Leges der sechziger und
fünfziger Jahre für solche Taten, die bislang nicht oder nicht
sicher mit kapitaler Strafe bedroht waren, sondern sie verhängen
sie über die beiden ältesten und schwersten Verbrechenstatbestände,
die die römische Geschichte kennt, über Perduellion und Mord.* 1
Und dies gewiß nicht in der Absicht einer Abschwächung, sondern
zwecks Verschärfung, wie sie jedenfalls im Falle der Caesarmörder
bis ins einzelne hinein belegt ist.2 Also muß die seitherige Sühnung
solcher Crimina noch milder gewesen sein. Das war sie, wenn
sie in bloßer, z. B. nicht durch Einziehung des Vermögens qua-
lifizierter Interdiktion bestanden hatte. Anders ausgedrückt: auch
die juristische und offizielle Auffassung sah nunmehr in dem de
capite quaerito der Lex Cornelia (de sicariis und wohl auch maie-
statis) unmittelbar zugleich die Interdiktion angedroht, wie man
denn umgekehrt die ausdrückliche Interdiktion z. B. der Leges
Tullia3 und Clodia4 ohne weiteres kapital nennen mochte. Gerade
halten sich davon fern und doppelt die positive Satzung. Es bleibt somit
nur die Beziehung auf konkurrierende Kapitalverbrechen (vgl. Mommsen aaO.)
übrig: s. auch v. Premerstein, SZ. 48, 516; Arangio-Ruiz, Eiv. di Eilol. Class. 56
(1928), 351; 58 (1930), 228 f.
1 Auch über die vis. Sie stand bis dahin unter der Lex Plautia, die,
wenn sie auch nicht mit Zumpt, Criminalproc. 510, Lengle 40, Costa, Cic.
I 151 ins Jahr 89 zu setzen ist, doch ungefähr (zwischen 77 und 63) be-
stimmt werden kann: Mommsen 6542, Rotondi, Leges 377 f., Costa, Crimini 53
und wohl auch Costa, Cic. II 91 la.E. Daß sie bereits die Interdiktion normiert
hätte (so Mommsen 6592), wird durch die Wendungen bei Cic. p. Sulla 90 i. f.
und p. Sest. 146, die sich den ob. S. 22 f. erwähnten anreihen, durchaus
nicht erwiesen. Viel wahrscheinlicher ist, daß die Lex Plautia in ihrer Sank-
tion den cornelischen Gesetzen nahestand. — Die zwischen ihr und der im
Text genannten Lex Julia stehende Lex Pompeia de vi v. J. 52 war nur für
die in den Straßenkämpfen zwischen Clodius und Milo begangenen Gewalt-
tätigkeiten geschaffen (Mommsen 1992, Costa, Cic. II 914 gegen Ende; s. auch
Rotondi 410); sie enthielt Verschärfungen (Ascon. in Mil. p. 37: poena gra-
viore) prozessualer Natur (vgl. Mommsen aaO.) Drohte sie das Exil als Strafe
ausdrücklich an (so Mommsen 9663), so ist sie in die soeben im Text genannten
Leges einzuordnen. Dafür spricht viele Wahrscheinlichkeit, doch ist es aus
Cic. p. Mil. 101. 104 und Ascon. in Mil. p. 54 mit voller Sicherheit nicht zu
entnehmen.
2 Mommsen 1993.
3 Cic. p. Mur. 45 i. f.: in capitis periculis.
4 Cic. de domo 68; p. Sest. 65. 73: de capite ferri (rogarij. Diese tech-
nische Wendung bestätigt, daß hier nicht der abusive Gebrauch des Rhetors
(s. ob. S. 23!) in Frage steht.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 3
34 Ernst Levy:
an die sicarii und incendiarii denkt der Cicero des Jahres 46 (Para-
dox. 4, 31) bei den scelerati atque inpii, quos leges exsilio adfici
volunt. Man braucht diese Äußerung nur mit der mehrfach berührten
p. Caec. 100 zu vergleichen, um zu erkennen, daß sich in diesen
Jahrzehnten eine Wandlung vollzogen hat. Auch im Bereich der
Leges Corneliae wird das exilium nicht mehr als perfugium portus-
que supplicii, sondern als supplicium selbst betrachtet; es ist wahre
Kriminalstrafe, kein Verwaltungsakt mehr; der magistratischen
Vollstreckungsinstanz unmittelbar eingeordnet und keines Volks-
schlusses mehr bedürftig. Das ist der Schlußpunkt der repu-
blikanischen Entwicklung.
Die Todesstrafe sank demgegenüber im Quiritenrecht zu einer
Art ins nudum herab. Sie wurde nicht etwa als aufgehoben be-
trachtet. Caesars Lex agraria v. J. 59, die, wie sie selbst befahl,
jeder Senator zu beschwören hatte, bedrohte die Nichtleistung des
Eides — offenbar als Majestätsverbrechen1 — noch ganz im alten
Stil mit dem Verfahren de capite} Die erwähnte Lex Clodia,
v. J. 58 wandte sich nicht gegen Hinrichtungen überhaupt, sondern
nur gegen den qui civem JRomanum indemnatum interemisset.
Das Strafensystem, das Cicero i. J. 55 als vorwiegend anerkannt
(fortasse plerique) schildert, enthält die Dreiheit damnationes expul-
siones necis (in Pison. 95), die sich übrigens von der früheren
Dreiheit vincula neces ignominiae (p. Caec. 100; ob. S. 25 f.) durch
ihre Präzision vorteilhaft abhebt.3 In der damnatio steckt die mul-
ta4, die expidsio ist neu in den Kreis getreten, die neces aber sind
geblieben.5 * Sie waren ja in und außerhalb der Urbs gegenüber
1 Vgl. Mommsen 566 f.
2 Appian bell. civ. 2, 12: dopYeixo pev 6 Kcucrap ffotvaxov tu) pp öpöaavxi,
icai ö bf|juoc; ^rreKupou. Dem widerspricht es nicht, wenn Plutarch Cato min.
32, 3 nur pefodux. . . diuxipicc Kocxa tüjv pp öpoaavxuuv erwähnt. Denn es kam
natürlich nicht zur Hinrichtung. Alle leisteten den Eid in der Erinnerung
an das Geschick des Metellus, ov ei<; vöpov öpoiov (= Lex Appuleia agraria
v. J. 100: Liv. ep. 69 [vgl. auch ob. S. 277J) öpöaai pp -OeXpaavra rrepieibev ö
hppoq dKTteaövxa qpuxp xfjc; ’IxoAiac; (Plut.).
8 Keinen präzis juristischen Wert haben die octo 'genera poenarum, die
Augustin (de civit. dei 21, 11) als cieeronisch schildert. Darüber und über
Cie. de orat. 1, 194: Mommsen 905f., Costa, Cic. II 663.
4 S. auch Mommsen 9052.
5 Dagegen spricht nicht etwa Cic. p. Milon. 101: mortem naturae finem esse,
non poenam. Das will der Khetor als die Meinung seines Klienten glauben
machen, für den der Tod weniger Schrecken habe als das exilium, ubi vir-
tuti non sit locus.
Die römische Kapitalstrafe. 85
1 Wlassak, Prozeßgesetze 1 24612 und SZ. 25, 96; Mommsen 7121; v. Pre-
merstein, SZ. 48, 508. 518.
2 S. 19 f., 24 f.
3 8. ob. S. 32 ff.
4 Hierzu Genaueres anderwärts.
0 8. auch Wlassak, Prozeßges. II 11224; Triebs, Stud. zur Lex Dei I 85 f.
6 Vgl. Mommsen aaO. und 967.
' P. Krüger adhl.: ex glossemate videntur irrepsisse) G. Segre, Studi Bon-
fante III 582.
8 S. auch ob. S. 204.
9 Weswegen Huschke ein velut davor setzen wollte.
38 Ernst Levy:
meinen? Wer konnte aus den Gesetzen des letzteren Typs ab-
lesen, daß die direct sentence of the law1 nicht Verbannung, sondern
Todesdrohung sein sollte?
18. Die Auslegung, die die Juristenfragmente von der poena
legis Corneliae bieten, stimmt, wenn man von der Anpassung an
Deportation und Konfiskation absieht, genau mit dem überein,
was wir den literarischen Quellen als das Ergebnis einer schritt-
weisen organischen Entwicklung zu entnehmen hatten: Strafe war
die Interdiktion. Aber die Fassade, hinter der sich diese Wand-
lung vollzogen hatte, blieb die gleiche: die Worte de capite quaerito
standen in den kornelischen Gesetzen noch unverändert wie zu
Sullas Zeit. Das konnte für die Auffassung des Terminus caput
unmöglich ohne Folgen bleiben. Wenn ein quaerere de capite, ein
accusare oder reum facere capitis, eine causa oder res capitalis, ein
crimen oder iudichmi capitale auf bloße Verbannung hinauslaufen
mochte und regelmäßig hinauslief, so hatten caput und capitalis
in all diesen Verbindungen eben einen neuen Inhalt gewonnen:
nicht durch willkürlichen Staatsakt, sondern allmählich und mit
einer inneren, zwingenden Folgerichtigkeit. Capitalis hieß jetzt die
todes- oder verbannungswürdige Tat, nicht mehr bloß die todes-
würdige; der tod- oder verbannungbringende Prozeß, nicht mehr
bloß der todbringende. Sofort im Beginn des Prinzipats hören
wir das von der ersten Autorität:
Ter. Clem. D. 37, 14, 10 (Nr. 22): Labeo existimabat ca-
pitis accusationem eatn esse, cuius poena mors aut exilium esset.
Der eingliedrige Begriff war auch in der technischen Juristen-
sprache zu einem alternativen geworden. Nicht zu einem mehr-
deutigen, schillernden. Weder Labeo noch sonst jemand deutet
an, daß, wie die herrschende Lehre meint, die genannten Termini
bald in einem engeren und bald in einem weiteren Sinne gebraucht
worden wären. Die Alternative der Strafdrohung charakterisiert
das kapitale Verbrechen und Verfahren. Von den beiden
Strafen dagegen, zwischen denen die Alternative besteht, behält
jede einen ihr ausschließlich zugehörigen Namen: dort das exilium,
hier die capitis poena2 oder das punire capite. Das ist die Trennung
der caput-Termini, die für die klassische Zeit zu erweisen sein
1 Vgl. II 73; II 30 wird die bisherige und richtige Begriffsbestimmung
der Interdiktion anerkannt.
2 Nicht auch die capitalis poena (u. S. 58 ff.). Das Adjektiv hat für die
Klassiker immer die alternative Bedeutung.
40 Ernst Levy:
Der von Wenger geführte Nachweis, daß sich bei Peregrinen ein
Verlust des Bürgerrechts gar nicht denken läßt, kommt dieser Auf-
fassung schon auf halbem Wege entgegen. In solchem Milieu konnte
der Übersetzer also capitalis getrost mit üavaxriqpopoc; wiedergeben.1
Er durfte ps um so eher, als der Kaiser selbst ja die Gleichsetzung
mit der ultima poena (eq xijv eaxaxriv rpfpevouc; xtpoptav: Z. 11/12)
vollzogen hatte. Natürlich war, wie auch das eq andeutet, die
Hinrichtung nur der schlimmste Ausgang, zu dem der Statthalter
es nicht kommen lassen mußte. Konnte schon im älteren Bürger-
prozeß der römische Magistrat sich darauf beschränken, den Schuld-
spruch durch bloße Interdiktion zu vollstrecken, so hatte er diese
Macht im Rahmen der provinzialen Kognition erst recht. Auch
auf Bergwerksstrafe, sonstige Zwangsarbeit, Entziehung der Liber-
tas usw. mochte er erkennen. Aber solche Begnadigungen hatten,
wo sie beliebt wurden, ihre Grundlage ausschließlich im Imperium
und berührten darum die Eindeutigkeit des Kapitalverbrechens
nicht. Sachlich schafft diese Auffassung keine unlösbare Anti-
nomie zwischen dem ersten und dem vierten der kyrenäischen
Edikte. Der Kaiser mochte den Griechen wohl die Gnade bezeigen,
daß in Kapitalprozessen gegen sie regelmäßig ein halbgriechisches
Geschworenengericht entscheiden sollte; er konnte aber niemals
so weit gehen, seinen eigenen höchsten Vertreter der Möglichkeit
selbständiger Kognition zu berauben.2
Vorstehendes läßt sich auch auf die soeben edierte3 Inschrift
von Nazareth unmittelbar an wenden. In dem Aidxaypa Kaloapog,
das sie enthält, wendet sich der Kaiser, wahrscheinlich wiederum
1 Ob er das unmittelbar entsprechende KecpaXiKÖq wirklich nur «aus stilisti-
schen Gründen» vermied (so Stroux27)? Das Wort scheint in diesem Sinne bis-
her vor dem 8. Jhd. nicht belegt zu sein: vgl. P. Oxy. 2104 (u. S. 66), Herodian. 2,
13, 9, ferner (vgl. Sophocles, Greek Lexicon) bei’ den Kirchenvätern Athanasios
und Epiphanios und im justinianischen Zeitalter (Voc. Cod. Just. II 233); s. auch
Corp. gloss. latin. II 348, 28. 34. 35. [Auch das wohl früheste Beispiel, das
jetzt die neue Ausgabe von Liddell-Scott, Greek-English Lexicon bietet, P. Mag.
Leid. V. 5, 13, stammt nach Dieterich, Jahrb. f. kl. Phil. Suppl. 16 (1888), 779 f.
erst vom Beginn des 3. Jhds.] — Modest. I). 27, 1,6, 17 brauch das Wort nur im
Sinne von inimicitiae capitales. Technisch ist den Griechen hier wohl nur Odvaxoc;
mit seinen Ableitungen (vgl. die Wörterbücher, auch ob. S. 14): noch Dio Cassius
gibt die tresviri capitales in dieser Weise wieder (ob. S. 11).
2 So mit Recht Wenger 89f., 93, auch SZ. 49, 826; Stroux 110f.; Arangio-
Rüiz aaO. 331. 363; anders Graf Uxkull-Gyllenband, Gnomon 6, 125.
3 E. Cumont, Rev. historique 163 (1930) 241 ff.; E. Cuq, Rev. hist, de droit
9 (19ü0), 383ff. [Vgl. jetzt vor allen Wenger, SZ. 51, 369ff. — Korr. Zusatz]
42 Ernst Levy:
28 pi\; 49, 14, 12; 1, 19, 3: Lenel Nr. 39—41) behandeln und sie
innerhalb der vierten Gruppe sogar den Existimationsstrafen im
engeren Sinne offen entgegensetzen können (D. 48, 19, 28, 1: Lenel
Nr. 42). Diese letzteren Strafen von dem capitalis-Gebiet fern-
zuhalten, zeigen sich die Spätklassiker ja auch sonst bemüht: Mod.
D. 50, 16, 103.1
Die eben berührte Gegenüberstellung erscheint nicht minder
bei Gaius, wenn er IV 111 von der furti manifesti actio berichtet,
daß pro capitali poena pecuniaria constituta sit. Allerdings ist das
nur eine historische Bemerkung, die auf die Todesstrafe der Zwölf
Tafeln abzielt. Aber gerade darauf, daß es eine Todesstrafe war,
legt der Klassiker ein bezeichnend geringes Gewicht. Zur Erklärung
dieser poena capitalis (III 189) genügt es ihm (nam!), daß der Dieb
verberatus acldicebatur ei, cui furtum fecerat. So wenig zuverlässig
das die einstige Anschauung widerspiegelt2 3, um so charakteristischer
ist es für die klassische.
23. Nach alledem war capitalis zur Bezeichnung der Todes-
strafe im klassischen Recht nicht mehr geeignet. Und doch brauchte
man für sie eine eindeutige Wendung, um so mehr als ja schon
vom Beginn des Prinzipats ab Hinrichtungen von Bürgern in
steigendem Maße wieder vorkamen. Selbstverständiich fehlte es
nicht an Umschreibungen der verschiedensten Art. Aber technisch
war nur ein Terminus: capite punire und capitis poena nebst den
in weitem Abstand folgenden Modifikationen capite damnare und
plectere. Daß diese Ausdrücke, wie man heute glaubt55, an der
Ausweitung zum Alternativbegriff teilgenommen hätten, wird durch
eine Betrachtung der quellenmäßigen .Verwendungen widerlegt.
Das lehren zunächst die Begriffsbestimmungen und Synonymien:
Marcian. 2 publ. iudic. (Nr. 208) D. 48, 19, 11, 3: Capitis
poena est bestiis obici vel alias similes poenas pati [vel ani-
madverti].4
1 S. ob. S. 44.
2 S. ob. S. 11 f.
3 Am ausdrücklichsten Ferrini, Espos. 52. 3494. 419 (auch Dir. pen. rom.
1062); Triebs, Studien zur Lex Dei I (1905) 85 Df. bes. 89 ff.; Kleinfeller, RE. V
231; Girard, Nouv. rev. hist. 34 (1910), 495 zu Nr. 36, aber nicht minder Momm-
sen 907 (ob. S. 7), wogegen wiederum 911 «poena capitis oder capitalis» als
gleichbedeutend auf den Tod bezogen werden. Dieselbe Anschauung liegt z. ß.
Costa, Crim. 1562 zugrunde; sie ist wohl die allgemeine, insofern zwischen
capitis und capitalis nirgends unterschieden wird.
4 Vgl. ob. S. 61a.E.
48 Ernst Levy:
25. Nicht selten läßt sich aus dem unmittelbaren Inhalt er-
schließen, daß nur die Todesstrafe gemeint sein kann.
Ulp. 9 off. proc. (Nr. 2240) D. 48, 24, 1: Corpora eorurn
qui capite damnantur cognatis ipsorum neganda non sunt:
et id se observasse etiam divus Augustus libro decimo de
vita sua scribit.
1 Vgl. u. S. 56 ff.
2 S. die ob. S. 35 f. wiedergegebenen Fragmente.
3 Ob. S. 46.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 4
50 Ernst Levy:
B.
26. Indessen bedürfen diese Ergebnisse noch der Sicherstellung.
Die große Masse der Digestenfragmente steht zu ihnen, aber da-
neben meldet sich doch vereinzelt unleugbarer Widerspruch. Am
schärfsten aus Ulp. 1 ad ed. aed. cur. (Nr. 1769) D. 21, 1, 23, 2, das
sich auf die Klausel si quod mancipium capitalem fraudem aclmiserit
(Lenel § 293, 1; s. ob, S. 42) bezieht:
capitalem fraudem admittere est tale aliquid delinquere, prop-
ter quod capite puniendus sit: veteres enim fraudem pro poena
ponere solebant.
Das ist in stärkstem Gegensatz zu allen Definitionen und nament-
lich denen desselben Ulpian in D. 2, 11, 4pr.; 38, 2, 14, 3; 48, 19,
2 pr. (ob. S. 44). Da er den capitalis-Begriff im ädilizischen Edikt
nicht anders verstanden haben kann als sonst, so bieten sich prhna
facie nur zwei Möglichkeiten. Man könnte die Einschränkung
auf die Todesstrafe damit erklären wollen, daß civitatis amissio
und servitus, die sonst in den Definitionen genannt werden, für
einen Sklaven als Täter nicht in Betracht kommen. Aber ver-
wunderlich bleibt dann, daß nicht wenigstens die metalla Erwäh-
nung finden (vgl. Call. D. 48, 19, 28 pr.; Inst. 4, 18, 2), die zu den
wichtigsten Sklavenstrafen gehören.1 Unzweifelhaft war ein mit
Bergwerk bedrohter Servus ebenfalls als solcher zu pronuntiieren
und gegebenenfalls zu redhibieren. Und so drängt alles zur Annahme
eines Emblems. An Gründen fehlt es nicht. Stilistisch zu be-
achten ist die Einförmigkeit der Diktion capitalem fraudem admittere
— capitalem fraudem admisisse; tale aliquid2; das transitive delin-
quere3 *; der subjektlose Relativsatz. Inhaltlich fällt ins Gewicht,
1 Mommsen 9517.
2 Eisele, Beiträge 229 ff. und SZ. 18, 87; Rotondi, Scr. II 403 ff.
3 Abgesehen von nihil delinquere und von Ulp. D. 1, 16, 4, 2, wo nicht
der Jurist, sondern das Senatuskonsult redet, sind die VJR. II 155, 13 ff. ge-
52 Ernst Levy:
daß es zu Ulpians Zeit noch gar keine Verbrechen gab, die aus-
schließlich mit dem Tode bedroht gewesen wären.* 1 Auch paßt
der veteres-Satz nicht, weil der ediktale Ausdruck /raus hier gerade
Verbrechen und nicht Strafe bedeutet.2 Erst dem Dominat steht
es gut zu Gesicht, die poena auf Kosten des crimen zu unter-
streichen.3
Bei der Erläuterung des Edikts, nach dem der Sohn des
Patrons das Erbrecht verliert, wenn er libertum <paternum> capitis
accusaverit (Lenel § 153; s. ob. S. 43), scheint caput mehrmals in
einem weiteren Sinne verwandt zu werden.
Ulp. 45 ed. (Nr. 1172) D. 38, 2, 14, 6: Si libertus maiestatis
patroni filium accusavit et patroni fdius calumniae eum ca-
pitis puniri desideravit, non debet repelli hoc edicto.
Tritt der Libertus nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger auf,
erweist sich aber die Bezichtigung des Patronssohnes als so halt-
los, daß dieser nun die Bestrafung seines Gegners wegen calumnia
begehrt, so w7ar solch Begehren zwar gemäß dem sog. Talions-
prinzip4 ebensosehr eine causa capitalis wie die causa maiestatis
selbst, aber kein förmliches capitis accusare: denn es bedurfte höch-
stens einer unverbindlichen Anregung, um das quaerere de accusa-
toris consilio (Marcian. D. 48, 16, 1, 3) in Gang zu bringen.5 Wenn
Ulpian diese Anregung, um sie dem ediktalen capitis accusare
möglichst präzise entgegenzustellen, capitis puniri desiderare nennt
(vgl. auch Alex. Sever. C. 9, 46, 1), so ist dagegen nichts zu er-
innern; der Genetiv capitis (seil, reum)1 hebt sich von dem für die
Todesstrafe technischen Ablativ wirksam ab.2
Anders verhält es sich mit zwei weiteren Stellen.
Ulp. D. eod. 14, 4 (Nr. 1172): Si tarnen quis libertum eo
crimine accusaverit, cuius poena non est capitis, verumtamen
iudicanti placuit augere poenam, non obest hoc patroni filio:
neque enim imperitia aut severitas iudicantis obesse debet
patroni filio, qui crimen levius inportavit.
Die Begründung hat Solazzi3 wegen des inportare für verdächtig
erklärt. Sie ist es vor allem sachlich deshalb, weil das augere poenam
ohne weiteres in der Macht des klassischen Kognitionsrichters liegt
und erst der spätere Absolutismus darin ein bedenkliches Ver-
fahren sieht, das er auf imperitia oder severitas des Richtenden
zurückzuführen trachtet.4 Die falsche Begründung aber wirft ihren
Schatten voraus. Sie ließ es angebracht erscheinen, die Farbe
des Tatbestandes stärker aufzutragen, als Ulpiau es getan hatte.
Das unmögliche quis (= patroni filius) mit dem nachhinkenden
patroni filio ist ein untrügliches Zeugnis für die ungeschickte Ver-
selbständigung des § 4. Im klassischen Zusammenhang muß er
sich anders an den § 3 (oben S. 44) angefügt haben, dessen
Gedanken er unmittelbar wTeiterführt; etwa so: si tarnen libertum
<alio> crimine accusaverit, verumtamen iudicanti placuit augere poenam,
non obest hoc (ei). Damit wäre alles Nötige gesagt gewesen, nur
nicht für den Nachfahren, der zur Vorbereitung seines Schlusses
1 So gewiß im Sinne des Juristen. — Ob derartige Genetive auch in der
Frühzeit so aufzufassen wären (dafür Stolz-Schmalz, Lat. Grammatik 4 (1910),
867 f.; Kühner-Stegmann, Gramm, cl. lat. Sprache II l 2 (1912), 464f.; dagegen
Leumann-Hofmann in der 5. Aufl. von Stolz-Schmalz I (1926) 402 f.), ist hier
nicht zu erörtern.
2 Capitis punire steht im Bereich des VJR., ja anscheinend sogar des
ThesLL. (III 418, 67) nur noch bei Ulp. 33 ed. D. 48, 20, 5 pr., wo es sich,
wie der Gegensatz zur Deportation (§ 1) und das quia prius serva poenae
efficüur (vgl. D. 28, 3, 6, 6; 48, 19, 12; eod. 29) zeigen, um Todesstrafe han-
deln muß. Der Relativsatz [quae■—publicat/ ist anknüpfungshalber (vgl. Lenel
Nr. 964) eingeschoben; ob von hier aus ein Verdacht auch auf die Eingangs-
worte fällt, ist kaum zu entscheiden. — Die entsprechenden Wendungen
capitis damnare und condemnare sind der profanen Rede seit Cicero ganz ge-
läufig (ThesLL. III 419, 57 ff. und allgemein zu derartigen Genetiven Kühner-
Stegmann aaO. 466 f.), der Rechtssprache aber dauernd fremd.
3 Arch. giur. 94, 5.
4 Darüber an anderer Stelle.
54 Ernst Levy:
1 Auch [Paul.] sent. 5, 81, 6, wo vel alia causa nachgefügt ist, erwähnt
nichts von vinum oder lascivia. Vgl. ferner C. 9, 50, 1 (212).
2 So wohl auch Pernice, SZ. 17, 2492 und Ferrini, Dir. pen. rom. 96. Anders
Müller (s. ob. 50 x) 5704. Nur referierend Lenel, Pal. 1 6991.
3 Mommsen zdSt., Lenel, Call. Nr. 85.
4 Vgl. auch Corp. gloss. Lat. II 572, 28 = capitale; V 547, 29 = poena
capitalis.
5 Vgl. ob. 506.
6 Vgl. auch Beseler III 48, Niedermeyer, Studi Bonfante II 39860.
56 Ernst Levy:
28. Das Ergebnis selbst steht fest, für die Zwischenzeit wie
für Justinian, der als Autor oder Kompilator an einer großen
Reihe der Erlasse beteiligt ist: capitalis ist wieder zum Kennwort
der Todesstrafe geworden. Gerade dann aber stellt sich die Frage,
wie denn die Digesten das entgegengesetzte klassische Bild weithin
noch ungetrübt bewahren konnten. Da ist von vornherein wieder-
um2 zwischen dem Kapitalverbrechen und dem Kapitalprozeß auf
der einen Seite und der Kapitalstrafe auf der anderen zu unter-
scheiden. Die soeben genannten Wendungen der Spätzeit be-
treffen sämtlich die Strafe oder das sie aussprechende Urteil. Unter
ihnen bedurften supplicium und pericidum capitale, animadversio
und clamnatio capitalis einer Umgestaltung einfach deshalb nicht,
weil sie in keiner Rechtsquelle für einen vor Konstantin lebenden
Autor Vorkommen. Ebenso steht es mit der sententia, die in den
Codices erst seit Konstantin, in den Digesten bloß für Hermogenian
(D. 32, 22, 1) und sonst nur noch in der Collatio an einer Stelle
belegt ist, die keinem Klassiker, ja nicht einmal dem Verfasser der
Collatio selbst zugehört (14, 3, 6)3; daß beide dabei nur an die
Todesstrafe denken4, versteht sich und ist direkt beweisbar: für
den ersteren Text aus Ulp. D. 28, 3, 66, für den letzteren aus
Coli. 14, 1, deren Rechtsfolge (morte moriatur) auch im römischen
Recht ausfindig zu machen der Nachtrag bestimmt ist.
2!). Um so mehr wendet sich deshalb das Interesse derjenigen
capitalis-Wen düng zu, die für die Kapitalstrafe in alter und neuer
Zeit gleich technisch war: der poena capitalis. Mehr als zwanzig-
mal begegnet sie zweifelsfrei als Todesstrafe von Konstantin bis
zu Justinian. Neunmal steht sie bei Juristen und Kaisern zwischen
1 Er geht von denselben Kaisern (et Constantiua) aus wie der eben er-
wähnte CT. 16, 10, 23.
2 S. ob. S. 39, 50 f.
3 SZ. 50, 7022.
4 Unzutreffend Kleinfeller, RE. 2. Reihe II 1505.
Die römische Kapitalstrafe. 59
Sept. Severus und dem Jahre 239: in dem gleichen Sinne oder in
dem des Gaius (III 189)x? Der Aufbau von Call. D. 48, 19, 28 pr.
zeigte uns sinnfällig die (klassische) weitere Bedeutung1 2; er wird
der byzantinischen Kritik nur darum entschlüpft sein, weil seine
ersten Glieder ihr genehm sein konnten; die Basiliken 60, 51, 26
(Heimbach V 864) lassen den entscheidenden Anfangssatz einfach
weg, und Dorotbeos, der oft zuverlässige Indexverfasser, ersetzt
das die capitalis poena im § 1 erläuternde ad capitis periculmn
pertinent durch das bloße eiq ldvöuvov dvriKOumv. Call. D. eod. 27, 2
sagte über den Inhalt der capitalis poena nichts aus und mochte
deshalb gleichfalls passieren; aber die Bas. 60, 51, 25, 1 fügen
r\ TTepiopiapou ein und stürzen damit den Sinn in der gleichen
Weise um wie vor ihnen die Kompilatoren in C. 9, 6, 6.3 — Die
übrigen sieben Stellen verraten die Spuren der Überarbeitung. So
Men. D. 49, 16, 6, 7 i. f.4, C. 4, 55, 4, 1 (224) [et si veritas ac-
cusationi aclerit, exsecrabile delictuni in exemplum capitali poena
vindicabit]5 und C. 9, 9, 9 (224) [si quocumque modo poenam capi-
talem evaserit]6, die letzteren beiden Stücke ganz in der Anschau-
ung der Spätzeit befangen. So ferner Marcian. D. 48, 17, 1, 1
(Nr. 205)7: der umfassende Kapitalbegriff, wie ihn die Verordnung
des Severus und Caracalla zweifellos noch benutzte (Referat darüber:
C. 9, 2, 6 pr.: Absentem capitali crimine accusari non posse; ebenso
[Paul.] sent. 5, 5a, 9; vgl. D. eod. 1 pr.), ist nun, auf die Todes-
strafe eingegrenzt, zu einem Unterbegriff des blassen gravius
puniri degradiert:
[Si autem gravius quis puniatur, puto in opus metalli vel
similem poenam sive8 capitalem : hoc casu | non est irroganda
in absentem poena.
1 S. ob. S. 47.
2 Oo. S. 45.
3 S. u. S. 60 f.
4 Ob. S. 55.
5 Albertario, Delictum e crimen 14.
6 Die Interpolation ist durch Thalelaios bezeugt (zu C. 2, 4, 18; Heimbach
I 704). Vgl. auch Cujaz und weitere Literatur bei Wlassak, Anklage und
Streitbefestigung 65.
7 Wlassak aaO. 59; Koschaker, SZ. 40, 368 h
8 Dieses sive fehlt im Index des Dorotheos (Heimbach V 831), ob richtig
überliefert? Vgl. allgemein u. S. 695, 763. Die Bas. 60, 49, 1 selbst heben den
Gegensatz zwischen Kapital- und Bergwerksstrafe noch strikter hervor als
die Digesten.
60 Ernst Levy:
Nicht minder interpoliert ist Ulp. 8 off. proc. (Nr. 2209) D. 48,
18, 1, 20:
In causa tributorum, in quibus esse rei publicae nervös
nemini dubinm est, [periculi quoque ratio, quod servo fraudis
conscio capitalem poenam denuntiat, eiusdem professionem
exstruat].
In der Erörterung der Ausnahmefälle, in denen der Sklave
gegen seinen Herrn vernommen werden darf, spricht Ulpian hier
von den fraudati census accusationibus (C. 9, 41, 1 pr. [196]; s. auch
Herrnog. D. 5, 1, 53).1 Statt aber diese Rechtsfolge zu nennen,
springt die Stelle sofort auf die Begründung über, die wohl dahin
geht, daß der Aussage eines Sklaven, dem als Mitwisser der Steuer-
hinterziehung die Todesstrafe drohe, in solchem Falle Glauben
zu schenken sei. Das ist in solchem Kauderwelsch ausgedrückt,
daß Mommsen durch Verbesserung des exstruat in conßrniat zu
helfen suchte. Aber nicht bloß das exstruere ist sonderbar; man
bemerke etwa das beziehungslose quoque, das personifizierte peri-
culum, die seltene Verwendung von denuntiare in solchem Sinne
(VJR. II 171, 6), das. unbetonte eiusdem.
Steht hier die capitalis poena in Emblemen, so bemühen sich
zwei Schwesterstellen2, den klassischen Begriff durch Zusätze ins
Nachklassische umzudeuten.
C. 7, 66, 3 (228): Si is, qui ademptis bonis in exilium
datus appellaverit, [ac] pendente provocatione defunctus est,
quamvis crimen in persona eius evanuerit, tarnen causam
bonorum agi oportet, nam multum interest, utrum capitalis
poena inrogata bona quoque rei adimat, quo casu morte eius
extincto crimine nulla quaestio superesse potest, an vero [non
ex damnatione capitis, sed] speciali praesidis sententia bona
auferantur: tune enim subducto reo sola capitis causa per-
imitur bonorum remanente quaestione.
C. 9, 6, 6 (239): Si quis, cum capitali poena [vel deportatione]
damnatus esset, appellatione interposita et in suspenso con-
stituta fati diem functus est, crimen morte finitum est. § 1.
.§ 2. Sin autem relegationis poenam sustinuit et in
parte bonorum damnatus appellatione usus est, etiam post
1 Zuerst erkannt von Cujaz, Obs. 6, 19.
2 Zu ihnen namentlich Wlassak aaO. 169 ff.
Die römische Kapitalstrafe. 61
1 S. ob. s. 30 ff.
2 S. ob. 8. 17.
3 Vgl. ob. 8. 42 f.
Die römische Kapitalstrafe. 63
(212) (causa capitalis) und eod. 5 (230) (crimen cap.) betreffen das falsum,
das diese Zeit noch nicht mit dem Tode straft. Das Reskript des
Alexander Severus P. Oxy. 2104 (a. 222) behandelt Z. 15 ff. touc; juevioi
6K KeqpaXudR uneuhuvouc; övjrac;1, womit sich stilistisch und
inhaltlich C. 7, 62, 6, 3 (294?): Super Ms vero, qui in capitalibus
causis constituti appellavcrint Zusammenhalten läßt, C. 9, 2,.3 (223)
erinnert ausdrücklich an die leg es publicorum iudiciorum2 (crimen
cap.). C. 9, 41, 6 (240) stellt in klassischem Geiste3 capitales und
pecuniariae quaestiones gegenüber. C. 9, 2, 6 (243) spricht von
capitali crimine zu einem nur in metallum Verurteilten. Auch
Diokletian hält an dem Alten fest: von C. 7, 62, 6, 3 war eben
schon die Rede; einen starken Beweis liefert C. 9, 1, 13 (294):
Si [magnum et] capitale crimen [ac non leve] frater contra
fratrem suum instituerit, non solum audiendus non est, sed
etiarn exilii poena plectendus,
wo die merkwürdig gestellten und seltsam gehäuften Epitheta den
konkreten Tatbestand verdecken und so auf das Konto eines Ad-
notators kommen, der den Terminus nicht mehr verstand.
Noch eindrucksvoller stellt C. 2, 4, 18 (293) den Widerstreit
der Zeitalter ins Licht:
Transigere vel pacisci de crimine capitali [excepto adulterio]4
non prohibitum est. [in aliis autem publicis criminibus,
quae sanguinis poenam non ingerunt, transigere non licet
citra falsi accusationem.]5
Der Kaiser nimmt offenbar lediglich den Erlaß wieder auf, von
dem Ulp. 8 disp. D. 48, 21, 1 berichtet:
In capitalibus criminibus a principibus decretum est non
nocere ei qui adversarium corrupit [, sed in bis demum, quae
poenam mortis continent: nam ignoscendum censuerunt ei,
qui sanguinem suum qualiterqualiter redemptum voluit,]
Die kongruenten Schlußsätze beider Stellen aber schränken die
der Anklägerbestechung gewährte Nachsicht auf die Verfahren ein,
D.
Ü7. Überblicken wir die Haltung des mit Konstantin an-
hebenden Zeitalters. Es kontrastiert auch hier stark mit dem
voraufgehenden. Vor allem in drei Richtungen. Der Anwendungs-
bereich des Terminus capitalis erstreckt sich über das ganze Straf-
recht, ohne Bindung an bestimmte Rechtsquellen oder Tatbestände.
Die «Kapitalstrafe» wird zum primären Begriff, das «Kapital-
verbrechen» ist nur noch Rückstand älterer Normen und nirgends
mehr Element frischer Rechtsbildung. «Kapital» ist überall —
in den massenhaften capitalis-Wendungen wie in den weit weniger
häufigen caput-Verbindungen — nur noch die Todesstrafe.
Die Gründe hegen zutage. Die rechtsquellenhafte Radizierung
des capitalis-Begriffs hatte sich schon im Laufe der klassischen
Epoche als mißlich erwiesen; sie wurde um so bedenklicher, je
größer die Zahl der crimina extraorclinaria wurde, die neben den
iudicia publica aufkamen. Sobald die Leges Corneliae und Juliae
den Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung verloren, ver-
mochte sich auch das iudicium publicum neuklassischen Stils nicht
mehr zu behaupten. Es ging denselben Weg, den längst zuvor
das Geschworenengericht gegangen war. Von solcher Verkoppelung-
befreit, stand capitalis voraussetzungslos neuer Prägung offen.
Die Rolle, die das Kapitalverbrechen als Rechtsbegriff der
klassischen Periode spielte, hing eng mit der Gewaltenteilung zu-
sammen, die im Quästionenverfahren zwischen Schuldspruch und
Strafverhängung eine Grenze zog. Der Schuldspruch machte den
capitis reus zum rei capitalis danmatus ohne Rücksicht darauf, wie
die Vollstreckung ausging. Die neue Epoche fand die Gewalten-
teilung versunken, die Schuld- und Strafsentenz verschmolzen,
den Richter seiner Bewegungsfreiheit weithin beraubt. Da war
für ein Sonderrecht der res capitalis kein Bedürfnis mehr. Wo
1 Für die spätere Zeit s. z. ß. noch UIp. D. 48, 13, 3 i. f.; 48, 22, 14, 1
(rest.); Modest, fragm. ex libris differentiarum (Krüger, Collect. II 161; Seckel-
Kübler II 168).
2 Oben 8. 62 fl.
3 Anders in diesem Punkte Wilcken aaO., P. M. Meyer, SZ. 50, 535.
Die römische Kapitalstrafe. 75
1 Schon der früheste Erlaß, der uns aus dem Cod. Theod. überkommen
ist (10, 10, 1 vom 18. Januar 818), nennt die poena capitalis.
76 Ernst Levy: Die römische Kapitalstrafe.
römische Kapitalstrafe