Sie sind auf Seite 1von 77

Sitzungsberichte

der Heidelberger Akademie der Wissenschaften


Philosophisch-historische Klasse
— Jahrgang 1930/31. 5. Abhandlung —.. . —

Die

römische Kapitalstrafe
Von

ERNST LEVY

Eingegangen am 8. Dezember 1930

Heidelberg 1931
Carl Winters Universitätsbuchhandlung
Verlags-Nr. 2250
Alle Rechte, besonders das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen.
, werden Vorbehalten.
Inhalt
Seite

Einleitung.5
I. Problem, S. 5. — 2. Kritik der heutigen Meinung, S. 6. —
3. These, S. 8.

I. Bis in die Zeit der Gracchen.9


4. Caput in den Gesetzen, S. 9. — 5. Namentlich in den Zwölf-
tafeln, S. 11. — 6. Von Plautus bis Polybios, S. 12.

II. Das letzte Jahrhundert der Republik.14


A. Die Leges Corneliae.
7. Sanktion: de capite quaerito, S. 14. — 8. Das Volksgericht als
Instanz für die Schuldfrage, S. 15. — 9. Der Magistrat als Instanz
für die Straffrage, S. 16. — 10. Rechtsnormen gegen die Verhaftung
des Bürgers, S. 18. — 11. Die Interdiktion als regelmäßige Voll-
streekungsmaßnahme, S. 20. — 12. Gesetzliche Kapitalstrafe allein
der Tod, S. 25. — 13. Keine Einwirkung durch Quastionenver-
fahren oder Leges Corneliae, S. 26.
B. Die nachsullanische Entwicklung.
14. Die Interdiktion als gesetzliche Strafe, S. 30. — 15. Neue Aus-
deutung des de capite quaerito, S. 32. — 16. Die Haltung des Au-
gustus, S 35. — 17. Die poena legis Corneliae bei den Klassikern,
5. 35. — 18. Caput und capitalis am Ausgang der Republik, S. 39.
C. 19. Die Kapitalstrafe des Peregrinen, S. 40.
III. Die Kaiserzeit.42
A. Prinzipat: Mehrgliedrige und eingliedrige Begriffe
(Tod, Verlust von Freiheit und Bürgerrecht — nur Tod).
Die mehrgliedrigen Begriffe (capitalis, capitis accusare usw.): 20. In
Edikten und Gesetzen, S. 42. — 21. Bei den Juristen, S. 43. —
22. Abgrenzungen, S. 46. — Die eingliedrigen Begriffe (capite punire
usw.): 23. Begriffsbestimmungen und Gleichsetzungen, S. 47. —
24. Gegenüberstellungen, S. 48. — 25. Sonstige Beweise. Zusammen-
fassung, S. 49.
B. Dominat: Die Wiedervereinigung der Termini.
26. Überarbeitete Digestenstellen, S. 51. — 27. Konstitutionen seit
Konstantin, S. 56.
4

C. Das Nebeneinander in der Überlieferung.


1. Die Kapitalstrafe als Hauptbegriff des Dominats.
28. Neue Termini, S. 58. — 29. Die poena capitalis, S. 58.
2. Das Kapitalverbrechen als Hauptbegriff des Prinzipats.
80. Ursprünglicher (prozessualer) Begriff, S. 61. — 31. Erweiterter
(materieller) Begriff, S. 62. — 32. Grenzen und Versagen des
Begriffes, S. 64. — 33. Stillstand im 3. Jahrhundert, S. 65. —
34. Streitfrage in Beryt, S. 67. — 35. Versinken in der Spätzeit,
S. 69. — 36. Ersatzbegriffe, S. 71.
D. 37. Rückblick auf den Dominat. S. 74.

Abkürzungen
(außer den üblichen).
-Costa, Cic. = Cicerone giureconsulto, 2a ed. (1927).
Costa, Crim. = Crimini e pene (1921).
Ferrini, Espos. = Esposizione storica e dottrinale del diritto penale romano
in Pessina, Enciclopedia del dir. pen. italiano I (1905).
Mommsen = Römisches Strafrecht (1899). Durch diese Darstellung überholt
und darum nicht angeführt ist Mommsen, Die Geschichte der Todesstrafe
im römischen Staat (Cosmopolis 1 [1^96] 231 — 242).
Rotondi, Leges = Leges publicae populi Romani (1912).
Strachan-Davidson = Problems of the Roman criminal law (1912).
■ SZ. = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Ab-
teilung.
Einleitung.
1. Seltsames muten wir den Körnern zu. Wir bewundern in
ihnen die Meister juristischer Begriffsbildung und Begriffsteilung.
Die scharfe Abstimmung der Rechtsfolge auf den klar eingegrenzten
Tatbestand suchen wir ihnen nachzutun. Nur mit dem Unter-
schied zwischen Leben und Tod sollen sie es nicht sonderlich genau
genommen haben. Wenn in den Quellen von poena oder reus
capitis, von poena oder causa capitalis die Kede ist, wenn jemand
capite punitur oder damnatur, so soll ohne alle Unterscheidungs-
merkmale ein doppelter Sinn möglich gewesen sein: der engere,
der sich auf die Todesstrafe beschränkt, oder der weitere, der außer
ihr namentlich Bergwerk und Deportation, nämlich die Strafen um-
faßt, mit denen der Verlust der Freiheit oder des Bürgerrechts
verknüpft war. Das wäre um so verwunderlicher, als es an sonstigen
Möglichkeiten, die Todesstrafe technisch zu bezeichnen, mindestens
in klassischer Zeit durchaus fehlt: Verbindungen mit vita oder mors
tauchen hier in der Kechtssprache nur vereinzelt auf1, supplicium
ist zur «Strafe» schlechthin verallgemeinert2 * *, animadvertere um-
1 Das wird eher bestätigt als widerlegt durch die Tatsache, daß die klas-
sischen Definitionen von capitalis sich vielfach des Wortes mors bedienen:
D. 2, 11, 4pr.; 37, 1, 13; 37, 14, 10; 48, 1, 2; 48, 19, 2pr.; 50, 16, 103 (über sie
u. S. 39, 43 f.). Unecht ist poena mortis in D. 48, 21, 1: u. S. 66 ff.
2 Die ursprüngliche Verwendung für die Todesstrafe allein (Mommsen 916 5,
s. auch 12. 911) begegnet bei den Klassikern in echten und eindeutigen Stellen
fast nur noch im Zusammenhang mit dem i. J. 10 n. Chr. ergangenen SC. Silania-
rum, das den Ausdruck selbst gebraucht zu haben scheint (in Tit. Dig. 29, 5
und D. 40, 12,7,4 annähernd 20mal; vgl. auch Tac. Ann. 13,32; 14,42. 43.
45). Regelmäßig erreicht man diesen Sinn erst durch Zufügung von summum
oder ultimum (so unter fast 30 Fragmenten namentlich Cels. D. 48, 19, 21; Call.
D. eod. 28 pr.); fehlt ein solcher Beisatz, so ist nur so viel wie poena gemeint:
z. B. in CI. Saturn. D. 48, 19, 16, 4 (echt?). 10; Ulp. D. 2, 1, 12; 28, 3, 6, 7; 48,
18, 7; 48,19, 19; Call. eod. 28, 16. Schon bei Cicero ist diese Bedeutung ganz ge-
wöhnlich (vgl. Costa, Cic. II 662); über die Rolle, die der Begriff anscheinend in der
Senatsdebatte gegen die Catilinarier gespielt hat, s. u. S. 251. — Vgl. auch
Seckel-Heumann s. v. supplicium.
6 Ernst Levy:

gekehrt in bewußter Zweideutigkeit auch für die Hinrichtung dien-


lich geworden1, ein getreues Spiegelbild der kognitionalen Willkür,
für die es so recht ein Kennwort ist. Sollte der Schluß unabweislich
sein, daß es einen exakten, nicht schillernden Terminus für die
Todesstrafe überhaupt nicht gegeben hat?
2. Auf die Bejahung führt in der Tat die eben angedeutete
und, soweit ich sehe, heute unwidersprochene Auffassung von caput.
Statt aller mögen zwei gewichtige Zeugen reden. A. Pernice 2, auf
den man sich meist beruft3, sagt apodiktisch: «Im Gegensätze zu
Status ist caput ein uralter Kunstausdruck für die rechtliche Persön-
lichkeit des römischen Bürgers, für den Inbegriff aller aus seiner
Stellung als solcher sich ergebenden politischen und privaten Be-
fugnisse. Es genügt zum Beweise dafür, auf die Bedeutung von
causa capitis, capitis accusare und damnure sich zu beziehen. . . .
Die Übertragung dieser Bezeichnung von dem natürlichen Haupte,
d. h. dem'Leben des Bürgers, auf das bürgerliche Dasein, d. h. die
Angehörigkeit an den Staat, die für den antiken Menschen das
Leben ist, scheint sich ganz von selbst zu ergeben; sicher bedarf

1 So etwa Hadrian bei Men. D. 49, 16, 6, 7 (vgl. eod. § 9), Pomp. D. 1, 2,
% 80, Flor. D. 38, 2, 28 pr. = Paul. D. 48, 20, 7, 1; Paul. D. 29, 5, 8 pr.; Ulp. D. 48,
24, 1. Noch deutlicher das Unbestimmte des unheimlichen Ausdrucks in dem
SC. bei Ulp. Coli. 15, 2, 1 i. f. und bei Hadrian Call. D. 48, 3, 12 pr., auch schon
in dem Senatsbeschluß, ut in eos, qui cum Graccho consenserant, more maiorum
animndverterent (Val. Max. 4, 7, 1); vgl. etwa «jemanden richten» oder «über
ihn die Exekution verhängen». Anderswo gewinnt animadoertere die Richtung
auf den Tod erst durch Beiworte: Hadrian Ulp. D. 48, 8, 4, 2 (ultimo supplicio);
Ulp. D. 48, 19, 8, 1 (gladio), und ohne solche erscheint es ganz vage: in den
Mandata (Marcian. D. 48, 13, 4, 2; vgl. Ulp. D. 1, 18, 13 pr.: prout quisque de-
liquerit), ferner z. B. Proc. D. 49, 15, 7, 2; Ven. D. 48, 3, 9; Paul. D. 1, 18, 21;
47, 18, 2 (vgl. PS. 1, 16, 1; 5, 4, 8. 13; Coli. 14, 2, 3); Ulp. D. 47, 11, 5; Marcian.
D. 26, 1, 9; s. auch cmimadversio in YJR I 444. — Beide Verwendungsreihen
gibt wieder Corp. gloss. lat. II 18, 2: cmimadvertit ffdvaxov auveippcplaaTO
dmarpeqpei xipopeixcu. — Hiernach wird man schwerlich zustimmen können,
wenn Mommsen lehrt, daß «die einfache Todesstrafe technisch animadversio heißt»
(9243), insbesondere «gegensätzlich zu der geschärften Todesstrafe» (911 *). Macer
D. 48, 19, 12 gibt hierfür nichts aus (vgl. D. 28, 1, 8, 4; 29, 2, 25, 3); in Marcian.
D. eod. 11, 3 ist [vel animadverti] offenbar Glossem: der transitive Gebrauch
des strafrechtlichen animadvertere kommt sonst nur noch in den gleichfalls
nachklassischen [Paul.] sent. D. 48, 24, 3 vor (corpora animadversorum): VJR. I
444, 53 ff.
2 Labeo I (1873) 97 f., vgl. auch 172 ff.
3 Übersicht bei Coli, Capitis deminutio (1922) 60 x. S. jetzt auch Radin,
MdI. Paul Eournier (1929) 651 U
7
Die römische Kapitalstrafe.

es keiner weiteren„künstlichen Herleitung.» — Mommsen1 bemerkt


zum «Begriff der Kapitalstrafe»: «... auf die Todesstrafe beschränkt
die römische Rechtssprache die poena capitis nicht. Der privat-
rechtlichen capitis deminutio entsprechend ist sie wohl von jeher
auf den Verlust der Freiheit und dps Bürgerrechts erstreckt worden;
wenn es für diesen Gebrauch an Belegen aus republikanischer
Zeit fehlt, so erklärt sich dies daraus, daß die spätere Republik die
strafrechtliche Entziehung der Freiheit und des Bürgerrechts weder
im öffentlichen noch im Privatrecht zuließ. Nachdem diese wieder
unter die Strafmittel eingetreten waren, wird der Begriff der causa
oder res capitalis immer in diesem weiteren Sinne gefaßt, aber in
technischer Rede auch darauf beschränkt; die den römischen Ad-
vokatenreden geläufige vage Erstreckung des caput auf den Voll-
besitz der bürgerlichen Rechte ist dem legalen Sprachgebrauch
fremd. Infolgedessen wird, wenn auch nicht mit fester Terminologie,
die Todesstrafe unterschieden von der nicht das Leben nehmenden
kapitalen, während bei jener wieder je nach den Formen der Hin-
richtung Abstufungen angenommen werden».
Es ist mir nicht klar geworden, wie Mommsen am Schlüsse
dazu gelangt, innerhalb der poena capitis nun doch eine tötende
und eine nichttötende unterschieden zu sehen. Seine vorangehenden
Sätze suchen im Gegenteil den «weiteren Sinn» als den alleinigen
zu erhärten. Daß die ältere Überlieferung dabei den Dienst ver-
sagt, räumen sie ein. Die «spätere Republik» aber wird durch
die interdictio aquae et ignis charakterisiert. Diese hat den status
civitatis gewiß nicht, wie Mommsen glaubt, unberührt gelassen.2
Aber selbst wenn sie es hätte, so kannte doch, wie gerade Mommsen
wiederholt zutreffend betont, dieselbe Epoche auch die Todesstrafe
des Bürgers faktisch nicht. Man müßte also erwarten, daß sie von
der Kapitalstrafe überhaupt schwiege. Das wiederum widerlegt der
Befund, und so greift Mommsen zu dem Ausweg, die «Kapitalstrafe»
hier im wesentlichen gerade auf die Interdiktion zu beziehen, insofern
der «Bannbruch in der Tat mit dem Tode bestraft ward und die
Interdiktion also als bedingte Todesstrafe bezeichnet werden konnte».3
Mommsen selbst findet diese Ausdrucksweise so «befremdend»4

1 907 f.
2 S. u. S. 204.
3 907, s. auch 650.
4 907.
8 Ernst Leyy:

and «gezwungen»1, daß er ihr in der eigenen Darstellung


nur ganz gelegentlich folgt.2 Und dürfen wir denn wirklich an-
nehinen, daß die poena capitis vorher und nachher den Verlust
von Leben, Freiheit und Bürgerrecht, zur Zeit Ciceros aber keines
von diesen drei Dingen bedeutet hätte?
Einen positiven Anhalt für den von Anbeginn umfassenden
Begriff des caput soll die capitis deminutio liefern. Ein fragwürdiges
Institut, das Hilfe weniger gewährt als beansprucht. Vor Cicero ist
es nicht exakt belegt3, und bei ihm nur im Sinne der später so-
genannten c. d. minima,4 Auch sachliche Gesichtspunkte legen es
nahe, daß diese Spielart, die bloße familiae mutatio, die älteste war.5
Von da zum Verlust der libertas oder civitas führt keine Brücke, und
deminui ist noch nicht «verlieren». Wenn die neuerdings mit
guten Gründen befestigte Lehre des Hotomanus Stich hält6, nach
dem ursprünglich die familia es ist, die sich um den Kopf des
Ausscheidenden mindert, dann liegt die Wurzel dev capitis deminutio
vollends weit ab von der des strafrechtlichen Terminus.
3. Soweit die allgemeine Ansicht die poena oder causa oder
res capitalis, die causa capitis oder das capitis accusare nicht auf
die Todesstrafe beschränkt findet, gibt ihr die Überlieferung gewiß
eine Handhabe. Aber zwei Warnungstafeln sind dabei aufzurichten.
Der Satz gilt nur für einen bestimmten Abschnitt der tausend-

1 909.
2 z. B. 6774. 751. Bezeichnend spricht er 834 2a-E- von dem «Interdiktions-
verfahren, wenn man dies ein kapitales nennen will», dem als «wirklich kapitale
Prozesse» (so auch 979 4) die Todesprozesse, als kapitale Strafe «im eigentlichen
Sinn» (650) die Todesstrafe gegenübergestellt werden. Regelmäßig deutet ihm
«Kapitalstrafe», «Kapitalverfahren» usw. allein auf den Tod: z. B. 1993. 202.
262. 6323. 6376. 943. 957. 967. 971. 973. Eine ähnlich zwiespältige Haltung
zeigt Costa, Crimini (einerseits 24 k 93. 186 ff. [nur Tod], andererseits 954) und
wohl die ganze Literatur; vgl. u. S. 47 3.
3 Überblick bei Desserteaux, Etudes sur la formation historique de la
capitis deminutio I (1909) 394; s. auch Küspert, Über Bedeutung und Gebrauch
des Wortes «caput» (Programm des k. human. Gymnasiums in Hof, I [1902/03],
II [1905/06]) I 32. 48.
4 Top. 18. 29.
5 Coli 1 ff’., 60ff.; Bonfante, Corso di dir. rom. I 123 ff., 130 f.; G. Segre,
Arch. giur. 99, 232; H. Krüger, SZ. 49, 542 f.
6 Perozzi, Ist.2 180 f; Beseler, Beitr. IV 92; Coli 64 f.; BonfanteI 129 >,
131; Arangio-Ruiz, Ist.2 41 f., vgl. auch Siber, Rom. Priv.-R. 26 k Anders Radin,
MdI. Fournier 651 ff.
Die römische Kapitalstrafe. 9

jährigen römischen Rechtsgeschichte.1 Und auch für diesen Ab-


schnitt darf er nicht quellenlos auf beliebige Verbindungen aus-
gedehnt werden. Während das Adjektiv capitalis nebst gewissen
caput- Wendungen2 auf die Entziehung von Freiheit und Bürgerrecht
erweitert worden ist, haben z. B. capite punire und damnare von
der frühesten bis zur spätesten Auwendung nie etwas anderes als
die wirkliche Todesstrafe bezeichnet. Der üblichen Verallgemeine-
rung ist also eine Trennuug der Termini entgegen zu setzen. Sie
läßt sich weder aus sprachlichen noch allein aus statistischen oder
sonst von außen kommenden Feststellungen ableiten. Das caput
ist ein Zentralbegriff des Kriminalrechts und kann nur aus dessen
Geschichte Licht empfangen, wie umgekehrt eine Klärung des
Kapitalbegriffes die Erkenntnis von Grundfragen des römischen
Strafrechtes fördern muß.

I. Bis in die Zeit der Gracchen.


4. Die Trennung der Termini ist begreiflicherweise erst das
Produkt einer Entwicklung. Anfänglich bedeutet caput in allen
strafrechtlichen Verknüpfungen die Ahndung, die dem Täter den
Kopf kostete. Das Gegenstück bilden die mannigfachen Maßnahmen,
zu denen die magistratische Koerzition sonst führen konnte: multa3
und' pignoris capto, vincula und verbera4, Ehrenstrafen3 und die
ältere Relegation. Verbrechen, auf denen der Verlust der libertas
oder der civitas stand, gab es zunächst überhaupt nicht. Noch
Cicero5 weiß nur einige wenige Fälle namhaft zu machen, die der
Sondersphäre des Militärvergehens oder des völkerrechtlichen Delikts
zugehören, und selbst sie werden sich nach Mommsens6 wohlbegrün-
deter Annahme so erklären, daß der auf diesem Felde provokations-
1 Die Nichtbeachtung dieser Entwicklung hat die unterschiedslose Ver-
wendung verschiedenartigster Quellen und damit die heutige Sprachverwirrung
(ob. S. 82, n. S. 47 3) in erster Linie verschuldet.
* S. u. S. 50.
3 Beispiele für die Gegenüberstellung bei Coli aaO. 61.
4 Der Gegensatz von necare und verberare wird nicht selten durch den
zwischen caput und tergurn veranschaulicht. So Liv. 3, 55, 14 zum Jahre 449
v. Chr.: M. Duillius deinde tribunus plebis plebem rogavit plebesque scivit, qui
plebem sine tribunis reliquisset . . ., tergo ac capite punireiur. Vgl. auch (zur Lex
Porcia) Mommskn 47 3.
5 p. Caecin. 98. 99.
6 45. 945.
10 Ernst Levy:

freie Magistrat den Täter töten, aber auch zur Dedition an die
verletzte fremde civitas oder zum Verkauf ins Ausland begnadigen
konnte: die capitis poena ist verwirkt, wird aber regelmäßig nicht
vollzogen.1
Die Koerzition bewegt sich nicht auf dem Boden einer Satzung
und gibt darum für terminologische Untersuchungen wenig her.
Nur ihre Schranken, die leges, sind greifbar, soweit deren Fassung
uns noch vorliegt. Aus der Frühzeit ist das Material ja karg.
Auch die Zwölftafeln, die sich in der Hauptsache gewiß mit Privat-
delikten befaßten2 und perpaucas res capite sanxissent3, bieten nur
vereinzelte dem Wortlaut nach sichere Sanktionen. Zu ihnen wird
auch die vorsichtigste Beweisführung die zwar nicht authentisch be-
kannte, aber in ihren Kernworten gewiß verläßlich überlieferte
Bestimmung 9, 1. 2 rechnen dürfen, die de capite civis rogari4 nisi
maximo comitiatu vetat5, die, ob man sie mit der römischen Tradition
auf die provocatio ad populum bezieht6 oder — besser — anders
aufzufassen sucht7, nur an Prozesse über Tod und Leben gedacht
haben kann. Die gleichzeitige Lex Duillia wurde schon erwähnt.8
Das valerische Provokationsgesetz nennt ausdrücklich das necare
und verberare9 und hebt damit grundsätzlich unter allen Strafen
die mit dem Tode bedrohten heraus10, die nunmehr gegen einen
1 Das kommt zum Ausdruck, wenn Menander (D. 49, 16, 4, 10) von dieser
einstigen Versklavung des sich der Aushebung Entziehenden spricht und fort-
fährt: sed mutato statu militiae recessum a capitis poena est: man kam von der
Todesstrafe ab, womit sich zugleich ihre Abmilderung erledigte. Da der Jurist
rein negativ redet, brauchte er nicht genauer zu sein (vgl. auch Mommsen 445;
«Capitalcoercition»). Daß er nicht etwa capitis poena und Freiheitsverlust
identifiziert (so Com 62), erhellt auch aus der Begründung ut proditores liber-
tatis (in servitutem redigebantur). Denn einem solchen Proditor gebührte schon
in der Frühzeit der Tod (Polyb. 1, 17, 11). Auch Menander selbst sagt schlecht-
hin (D. eod. 6, 4), daß proditores . . . capitis poenas luunt (vgl. auch D. eod. 7;
49, 15, 19, 4). Über capitis poena bei den Klassikern u. S. 47 ff.
2 Vgl. Bonfante, Storia di dir. rom.3I 199; Arangio-Rüiz, Corso di storia
del dir. rom. (1928) 95 ff.
3 Cic. de re publ. 4, 12 (ex Augustino).
4 Dazu Mommsen 161 3 a E-
5 Cic. de leg. 3; 11. 44; de re publ. 2, 61; p. Sest. 65.
6 Mommsen 1683, 10142, s. auch 168, 632, 1038.
7 Bruns-Lenel in Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie I 323.
8 S. 9 4.
9 Die Quellen bei Mommsen 42 \ Rotondi, Leges 190. 235.
10 Die Geißelung ist hier nur als der Hinrichtung voraufgehende Neben-
strafe gemeint: Mommsen 421. 47. 1623. 1014; Strachan-Davidson I 1101.
Die römische Kapitalstrafe. 11

Bürger nur nach vorgäDgiger Bestätigung des angerufenen Komi-


tialgerichtes vollstreckt werden dürfen. Diese Einschränkung des
Imperiums, die fortan die Wege des iudicare und des coercere
scheidet, steht also klar auf der Todeslinie. Als später der jüngere
Gracchus Anlaß hat, die Begrenzung erneut zu proklamieren, geht
sein Gesetz dahin, ne de capite civium Romanorum iniussu (vestro)
iudicaretur.1 Die Identifizierung steht außer Frage; sie ist technisch
und offiziell, ganz wie sie es dereinst in den XII Tabulae gewesen war.
5. Diese selbst dürften noch andere Anhaltspunkte liefern.
Die quaestores parricidii, quorum etiam meminit lex XII tabularum,
wurden,— früher oder später2 — allgemein dahin zuständig, daß
sie capitalibus rebuspraeessent (vgl. Pomp. D. 1,2, 2, 23). Das wird
insoweit von Festus vv. parrieiidii> und quaestores bestätigt: qui
solebant creari causa rerurn capitalium quaerendarum und von Dio
Cass. wiedergegeben: oi rac; xoü fiavarou öka<; TtponieTaYiaevoi
(54, 26).3 — Ferner: frugem . . . aratro quaesitam furtim noctu
pavisse ac secuisse puberi XII tabulis Capital erat, suspensumque
Cereri necari iubebant (Plin. nat. hist. 18, 3, 12). Wie hier der
Erntediebstahl (8, 9), so waren auch Brandstiftung (8, 10) und
oecentare (8, 1) unter Todesstrafe gestellt, ohne dadurch alsbald zu
öffentlichen d. h. staatlich geahndeten Verbrechen zu werden.4
— Nicht anders stand es mit dem für manifestus. Auch er war der
bis zum äußersten reichenden privaten Bache ausgesetzt: Poena
manifesti furti ex lege XII tabularum capitalis erat (Gai. III 189).5 6
Wlassak0 hat die durch Gellius’ (11, 18, 8) unzuverlässige Angabe
hervorgerufene Meinung, daß das Gesetz (8, 14) das addici d. h.
die Schuldknechtschaft dem handhaften Dieb als Strafe bestimmt
hätte, als unhaltbar dargetan. Aber der anderen Bemerkung des
Gellius (20, 1, 7), daß der Dieb in servitutem gegeben werde, ver-
1 Cic. p. Rabir. ad popul. 12. Weitere Belege bei Mommsen 2581; Rotondi,
Leges 309; s. auch Mommsen 168. 633 und Staatsrecht III 354'.
2 Hierzu Mommsen 1553. 615; Arangio-Riuz, Corso 97 ; Juncker, SZ.49, 610 f.
3 Freilich wäre noch zu untersuchen, ob Dio nicht jäq toü ffavccrou bka; -
res capitales im Sinne seiner Zeit (vgl. u. S. 42 ff.) versteht. So offenbar 52,
21 anf.; dazu Mommsen 220 5, anders v. Premerstein, SZ. 48, 444.
4 Vgl. Bonfante, Storia I 199. 201; Arangio-Ruiz, Corso di storia 95 ff.
{der freilich im Glauben an Salvians Zeugnis [XII Tab. 9, 6] die quaestores
parricidii schon zur Zeit der Decemvirn für alle Kapitalverbrechen zuständig
meint). Anders die älteren, z. B. Mommsen 60.
5 Ebenso Gai. IV 111; Serv. ad Aen. 8, 205.
6 SZ. 25, 95 ff.
12 Ernst Levy :

sagt er den Glauben nicht, wenn er auch «die private Todesstrafe


darin begriffen» sieht, «der Vollzug dem Belieben des Verletzten
anheimgegeben».1 In Wirklichkeit liegt es umgekehrt.2 War der
Dieb nicht in erlaubter Notwehr getötet worden (XII Tab. 8, 12. 13),
so hing die Zulässigkeit der Tötung von der Genehmigung des
Magistrats3 (addicere) ab. Sobald der Uber verberatus addicebatur
ei cui furtum fecerat, hatte dieser das Tötungsrecht. Aber so gut
wie bei öffentlicher Ahndung der Magistrat den Täter vor der
Hinrichtung bewahren mochte4, konnte der Racheberechtigte sich
mit dem für ihn vorteilhafteren Verfahren begnügen, den Dieb in
die Sklaverei zu verkaufen oder als Schuldknecht bei sich zu be-
halten. Das muß die Regel geworden sein, derart daß, als gegen-
über dem Vertragsschuldner das ius vitae necisque verschwand,
auch der Bestohlene sich darauf beschränkt sah, die Schuldknecht-
schaft in Anspruch zu nehmen.5 Die prätorische poena quadrupli
braucht dann nur den Zweck gehabt zu haben, die Verewigung
der Knechtschaft durch die Bezifferung des Ablösungsbetrages zu
vereiteln. Nur um die jüngeren Entwicklungsstadien wußte Gaius
noch. Von dem Sprachgebrauch seiner Zeit ausgehend, konnte
es ihm nicht schwer fallen, das capital(is), falls es so in dem alten
Gesetze stand, in einem über die Todesstrafe hinausgreifenden
Sinne zu verstehen.6
Auch im Privatdeliktsrecht der älteren Republik also sind caput
und capitalis eindeutig. Die Diebstahlsstrafe der Zwölftafeln bildet
nicht etwa, wie Mommsen7 glaubte, eine Ausnahme in der sonst
einhelligen Überlieferung.
6. Plautus braucht caput mit Vorliebe, auch in übertragener
Bedeutung.8 9 Den Loskauf aus der Sklaverei drückt er mehrfach
aus durch pro capite tuo argentum dare u. ä. (Most. 211. 242. 300,
Pers. 36, Poen. [24], 519, Pseud. 225). Es ist kaum zweifelhaft,
1 1002.
2 Richtiges bei Weibs, Rhein. Ztschr. 11 (1921), 21 f.
3 Nicht etwa des Iudex: Hitzig, SZ. 23, 322 f.
4 S. u. S. 17 f. Einen gewissen Anklang an die Parallele des Textes bietet
Mommsen 7512 i. Verb, mit ob. S. 96.
5 Vgl. Gai. III 189 und dazu Wlassak aaO.
6 S. dazu u. S. 47.
7 907 3.
8 Küspert (s. ob. 83) I 13 ff. zählt unter 126 Stellen 29 für «Person, Mensch»,
9 «für Leben, Dasein».
Die römische Kapitalstrafe. 13

daß man dies nicht unmittelbar als pro überleite tua zu deuten
hat1, sondern einfach = pro te2, wobei dann der genauere Sinn
nur zwischen den Zeilen zu lesen ist. Dafür sprechen auch die
sonstigen Verwendungen von caput = Mensch und die volleren
Wendungen pollicitabor pro capite argen tum ut sim Uber (Rud. 929)
oder Liberum caput tibi faciam3 (Merc. 152 f.).4 Aber selbst wenn
man die andere Meinung vorzöge, wäre doch immer nur eine
vulgäre Verselbigung mit libertas dargetan, keine mit civitas,5
Und auch dieser entfernte Auftakt zu der späteren Entwicklung
stände noch ganz außerhalb der Sphäre des Strafrechts. Im kri-
minellen Bereich weisen alle Verbindungen auf die Strafe an Leib
und Leben: capitis perdere aliquem6 (Asin. 132, Bacch. 490, Mil.
371) wie comitia capitis (Pseud. 1232), comitia sunt meo capiti (Truc.
819) oder de meo capite (Aul. 700). Das gleiche gilt von Capital
facere (Men. 92, Merc. 611) und dem Adjektiv capitalis in Verb,
mit res (Merc. 183, Stich. 502), frans (Mil. 294) oder scelus (Most.
475).7 Es ist die Zeit, für die die Gleichung des Verrius Flaccus
Geltung hat8 Capital facinus, quod capitis poena luitur (Paul. Fest,
p. 48) und in der die Sanktion des SC. de Bacchanalibus (186 v. Chr.)
lin. 25 eeis rem caputalem faciendam censuere durch Liv. 39, 18, 4
. . . capitali poena adfeiebant. plures necati quam in vincula9 coniecti
sunt zutreffend illustriert wird.10 — In demselben Sinne bietet Terenz11
erstmals die Gegenüberstellung non capitis res agitur sed pecuniae
(Phorm. 631)12; er nennt flagitia nova, capitalia (Adelph. 721 ff.),
die der Scholiast als mortifera deutet.13 — Noch wichtiger ist, daß
1 So wohl ThesLL III 420, 29 ff.
2 So Küspert 16; Lodge, Lexicon Plautinum ‘caputf zu d\ vgl. VJR. I
625, 31 ff.
3 Nicht etwa: caput tibi faciam.
4 Vgl. auch Capt. 229 f.
5 Wie Coli 633 will, wohl auch Costa, Cicer. I 843. Richtig Küspert I 19
(s. auch II 49): «Die Bedeutung „politische Existenz“ hat Plautus, wie über-
haupt das ältere Latein, nicht»; vgl. H. Krüger, SZ 49, 542.
6 = etwa accusare (vulgär); s. auch Küspert I 18.
7 S. auch capitale periculum (Rud. 349, Trin. 1088).
8 Für seine eigene Zeit — die des Augustus — ist sie nicht mehr korrekt:
u. S, 39, 47.
8 Hierzu Mommsen, Staatsrecht III 1069 s.
10 Vgl. auch Mommsen 153 *, ThesLL III 344, 57, Strachan-Davjdson I 232 ff.
11 Küspert I 21 f.
12 S. ferner capitis periculum (Andr. 677).
13 Vgl. ThesLL III 346, 16.
14 Ernst Levy:

Polybios die kapitale Gerichtsbarkeit, da wo er sie der übrigen


entgegensetzt, schlechthin mit tkrvcrroc; charakterisiert:
6, 14, 6: . . . Havaxou be xpivei povoc; (seil. 6 bfjpoc;)
6, 14, 7: . . . xoTc; yap 0-avaxou «pivopevoic; . . . (s. u.-S. 18)-.
6, 16,2: . . . Twv apapTavopevaiv xaxa xrje; TroXixeic«;, 015 D-avaxoc;
axoXoulleT xö Trpoaxipov . . .

II. Das letzte Jahrhundert der Republik.


A.
7. Damit stehen wir bereits am Eingang zur Epoche der
Quaestiones perpetuae, die die weitere Entwicklung auch des Ka-
pitalstrafbegriffes entscheidend bestimmt hat. Das einzige der
Quästionengesetze, das — von dem nichtkapitalen Crimen repe-
tundarum abgesehen — wenigstens stückweise im Wortlaute er-
halten ist, die Lex Cornelia de sicariis (etwa 81 v. Chr.) verordnet u.a.1:
Ulp. Coli. 1, 3, 1 ... is praetor iudexve quaestionis, cui
sorte obvenerit quaestio de sicariis, eius, quod in urbe Roma
propiusve M passus factum sit, uti quaerat ... de capite
eius, qui cum telo ambulaverit hominis necandi furtive faciendi
causa hominemve occiderit cuiusve id dolo malo factum erit.
Cic. p. Cluent. 148 ... de que eius capite quaerito, . . .
qui eorum coiit coierit convenit convenerit (consensit) consen-
serit falsumve testimonium <dixit> dixerit, quo quis iudicio
publico condemnaretur.
Die aus so verschiedenen Lagern kommende doppelte Über-
lieferung läßt kaum einen Zweifel daran bestehen, daß Sulla hier
(und vermutlich ebenso in den anderen die schwersten Verbrechen
betreffenden Gesetzen) die Strafe, die er über den Täter verhängt wis-
sen wollte, lediglich mit quaerito de capite eius zum Ausdruck gebracht
hat. Daß in diesen ebenso stereotypen wie entscheidenden Worten
ein jedes wohlüberlegt und aufs Äußerste technisch gebraucht ist,
wird niemand in Abrede stellen. Quaerere ist die stehende Be-
zeichung für die Frage des untersuchenden Richters an und über den
Angeschuldigten.2 Die Untersuchung geht um dessen caput, also
um seinen Kopf. Das ist der seit Jahrhunderten hergebrachte Fach-

1 Vgl. im übrigen Bruns-Gradenwitz, Fontes7 Nr. 13.


2 Mommsen 147 3.
Die römische Kapitalstrafe. 15

ausdruck, der auch in offiziellen Verlautbarungen weit häufiger


verwendet gewesen sein muß, als er heute belegbar ist. Insbesondere
stand er ja auch in dem Provokationsgesetz des Gracchus1, und
gerade an dieses knüpfte die Lex de sicariis in der letzten der
wiedergegebenen Vorschriften sehr wahrscheinlich an.2 Wenn Sulla
hier hätte statuieren wollen, daß die Untersuchung nicht das Leben
des Täters, sondern nur seine rechtliche Stellung oder Seßhaftig-
keit gefährden solle, so wäre in dem weiten lateinischen Sprach-
schatz kein Wort dazu ungeeigneter gewesen als der für das
Gegenteil festliegende Terminus caput. Und doch nimmt man ein
solches Quiproquo heute fast3 allgemein hin. Es gibt, soweit ich
sehe, niemanden, der nicht lehrte, daß die Lex Cornelia für den
Mord «die Strafe auf die Interdiktion von Wasser und Feuer be-
schränkt»4 habe. Wie ist das möglich?
Zwei Argumente bilden die Basis. Das eine beruht auf einer
Reihe von Juristenaussprüchen, auf die hernach5 einzugehen sein
wird. Das andere besteht in der Überzeugung der modernen Au-
toren, daß, wie Mommsen es formuliert, «offenbar in den den iudicia
publica zugrunde liegenden Gesetzen durchgängig die interdictio
aqua et igni als die höchste Strafe aufgetreten»6 sei, ja daß gerade
Sulla die Verbannung «in das römische Strafrecht eingeführt»7
habe. Beide Behauptungen halten einer Kritik nicht stand. Das
Aufkommen der Interdiktion ist in der Tat für die Entwicklung
des Strafensystems von ausschlaggebender Bedeutung gewesen.
Aber die AVürdigung dieses Gesichtspunktes bekräftigt nur das, was
die Fassung des Mordgesetzes ohnehin gebieterisch nahelegte: zur
Zeit Sullas gibt es gesetzlich noch keine andere Kapitalstrafe als
die des Todes.
8. Die herrschende Lehre steht stark unter dem Eindruck
der Tatsache, daß zu dieser Zeit im ordentlichen Verfahren selbst
die schwersten Verbrecher nur mit Verbannung bestraft worden
sind. Daraus glaubt sie einen Rückschluß auf die gesetzlichen
Sanktionen ziehen zu dürfen, an die die Gerichte schlechterdings
1 Ob. S. 11.
2 Mommsen 6882.
3 Über Strachan-Davidson s. u. S. 88 f.
4 So Mommsen 650.
5 S. 35 ff.
e 972 la.E.
7 957.
16 Ernst Levy:

gebunden gewesen seien. Hierbei werden, scheint mir, die erken-


nende und die vollstreckende Instanz nicht genügend auseinander-
gehalten. Das Entscheidungsverfahren kann gewiß nicht zu einer
von der gesetzlichen abweichenden Strafe führen.1 Wollen die
Richter die poena legis vermeiden, so haben sie nur das Ventil
der Freisprechung, selbst der des Schuldigen2:
Cic. de invent. 2, 59: ea igitur poena (seil, cullei) si adficere
reum non oporteat, damnari quoque non oportere, quoniam
ea poena damnationem necessario consequatur.
Aber man muß präziser sprechen: Das Entscheidungsverfahren
führt überhaupt zu keiner bestimmten Strafe. Die Strafzumessung
steht jenseits seiner Grenze, nur im Hintergrund und nicht im
Inhalt des Verdikts. Die Komitien als Provokationsinstanz waren,
wenn sie nicht als Träger der Souveränität Begnadigung gewährten,
auf die Bestätigung des magistratischen Urteils angewiesen.3 Ent-
sprechend bedeutete die Kondemnation in der Quaestio lediglich
die Bejahung der Schuldfrage4: der Vorsitzende Magistrat (Titium)
fecisse videri pronuntiat5, ohne auch nur ein Wort von der Strafe zu
sagen6; denn sie war aus dem die Tat treffenden Gesetz unmittelbar
abzulesen und darum spezieller Verkündung wie nicht bedürftig so
nicht fähig. Kein republikanisches Gericht hat je «auf den Tod
erkannt» oder Verweisung, Vermögenskontiskation oder sonst eine
konkrete Strafe ausgesprochen.7 Die Gewaltenteilung läßt sich nicht
schärfer kontrastieren, als Cicero es tut:
p. Sulla 63: nemo iudicium reprehendit, cum de poena
queritur, sed legem; damnatio est enim iudicum . . .,
poena legis . . .
9. Mit der Entscheidung der Komitien (oder später der quaestio)
ist deren Aufgabe erfüllt. In der Vollstreckungsinstanz entfaltet sich
1 Pernice, Labeo II 2, 43 f.; Costa, Cicer. II 152 und alle.
2 Vgl. namentlich Cicero einerseits part. orat. 43, andererseits p. Flacc. 98.
3 Mommsen 167. 171 f. 477. 1087; Hitzig, Schweiz. Z. f. Strafrecht 13 (1900),
194 f.; s. auch — gegen Seeger, Tübinger Festg. f. Wächter (1869) 98 ff., Strachan-
Dayidson I 108— Costa, Fic. II 132.
4 .Näheres z. B. bei Mommsen 446. 909. 1038; Hitzig, KE. IV 842 f.; Costa
II 149. 151.
5 Cic. in Verr. 2, 2, 93; 2, 5, 14; in Pis. 97; ad Att. 4, 17, 5; vgl. auch
Acad. prior. 2, 146 i. f. Dazu Mommsen 4491; Hitzig aaO.; Costa II 1495.
6 Anders, aber ohne Beleg, Mommsen 449. 1037, richtig 909.
7 Solche Wendungen mehrfach bei Mommsen, z. B. 72. 201. 220. 333. 942.
966. 1001 und allenthalben im Schrifttum.
Die römische Kapitalstrafe. 17

wieder das Imperium des Magistrats.1 Er darf den schuldig ge-


sprochenen Bürger verberare und necare, aber er muß es nicht. Es
gibt Gesetze, die ihn zugunsten des angeklagten Bürgers binden;
keines, das seinen Freispruch den Komitien unterbreitet oder den
Verurteilten hinzurichten zwingt. Keine Hinrichtung ohne Ver-
haftung. Die aber steht im pflichtmäßigen Ermessen des Imperiums-
trägers.2 Sicherlich nicht in seiner Willkür. Wie Cicero das Ende des
Staates gekommen sieht, wenn clamnati in integrum restituantur, vincti
solvantur, exules reducantur, res iudicatae rescindantur (in Verr. 5, 12)3,
so konnte der Magistrat den Richterspruch zweifellos nicht einfach
als Luft behandeln und eine Vollbegnadigung gewähren. Aber
oft genug wird die Jahrhunderte hindurch unbeweglich gebliebene
Einsilbigkeit der Kapitalgesetze der allgemeinen Volksstimmung
zuwider gewesen und das primitive Entweder — Oder zwischen Tod
und Straflosigkeit als unerträglich empfunden worden sein. Dann
war nur im Stadium der Exekution zu helfen, und es ist geholfen
worden. Mit Zustimmung des Senats ist die dauernde Verschiebung
der Hinrichtung der Eingesperrten und damit die «Umwandlung
der Todesstrafe in lebenslängliche Haft» vorgekommen.4 Weit
häufiger aber, viel früher und ohne Mitwirkung des Senats hat
man den Verurteilten auf außerrömisches Gebiet entweichen lassen.5
Um so selbstverständlicher konnte der Magistrat vor Fällung des
Urteils von der Untersuchungshaft absehen, deren Verhängung
unstreitig6 ein Akt reiner Koerzition ist und mithin durch tri-
1 Ähnlich, aber zu eng Mommsen 909.
2 Anders Mommsen 961: «Die Exekutionshaft knüpft sich von jeher mit
rechtlicher Notwendigkeit an das Todesurteil». S. auch 913. Beweise sind
nicht vorhanden, nur Gegenbeweise: u. N. 5.
3 Vgl. auch de lege agr. 10. Dazu Mommsen 4822; Costa, Cic. II 1564. —
Immerhin haben auch solche Restitutionen stattgefunden (Mommsen 482 f.), ge-
rade in Ciceros Zeitalter und — späterhin — in Ciceros eigener Person. Wer
wie Rutilius die Rückkehr ablehnt, ne quid adversus leges faceret, verdiente es
schon, von Valerius Maximus in den Memorabilia (6, 4, 4 i. f.) festgehalten zu
werden.
4 Mommsen, Staatsrecht III 10693, 1250h Strafrecht 913\ 9616; Hitzig, RE. III
1578; dagegen Strachan-Davidson I 164 ff., der aber z. B. Val. Max. 6, 3, 3 nicht
beachtet und genötigt ist, Caesars Antrag gegen die Catilinarier auf P. Lentu-
tulum aeternis tenebris vinculisque mandare (Cic. in Catil. 4, 10) von ewiger Unter-
suchungshaft zu verstehen.
5 Vgl. z. B. Liv. 3, 29, 6; 3, 58, 10; 25, 2, 9; 43, 16, 15. Strachan-David-
son II 62 nennt diese Stellen, ohne sie zutreffend zu verwerten; s. auch u. S. 30 b
6 Mommsen 48 f., 71, 299 f., 327.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 2
18 Ernst Levy:

bunizische Interzession vereitelt werden kann.1 Ging in solchem


Falle der Schuldige außer Landes, so blieben ihm Prozeß und
Damnation nicht erspart2, und er fand sich nun in der gleichen
Lage wie der erst nach dem Schuldspruch Entwichene. In beiden
Fällen machte regelmäßig ein im Rahmen des Vollstreckungsver-
fahrens ergehender, stets der damnatio folgender und nicht mit
ihr identischer3 Beschluß, den der Magistrat von den Komitien
oder von der Plebsversammlung erwirkte4, die freiwillige Verbannung
zur erzwungenen: wem so aqua et igni interdiziert war, der konnte
heimischen Boden ohne Lebensgefahr nicht mehr betreten.5 Die
gesetzliche Todesstrafe wurde rechtlich weder beseitigt noch ge-
mildert6 noch alternativ gestaltet, aber faktisch war sie abgewandt.
TO. Dieser Weg der Selbstverbannung ist seit alters beschritten
worden7, Jahrhunderte vor Sulla und seinen Quästionen. Je mehr
der civis sich aus der wachsenden Menge der Peregrinen heraus-
zuheben begann, um so lieber ermöglichte man es ihm, dem Beile
des Henkers auszuweichen. Die Verpönung der Untersuchungs-
haft ist bereits in der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts
feste Übung:
Polyb. hist. 6, 14, 7:
ToR ydp öavdxou Kpivopevonj, (brav Kaxa&iKdtCuuvxai, öiöojai
xrjv eHoucriav xö Trap’ auxoR eOoq aTraXXdxxeöVai qpavepujg,
Kav exi pia Xemrixai qpuXrj xujv eTtiKupoucrüuv xpv xpicnv aipricpo-
tpoppxog, exoucnov eauxou Kaxayvovxa cpuyabefav.

Bis also die letzte für die Bestätigung des Urteils erforderliche
Stimme abgegeben ist, darf der Magistrat die Flucht des Bürgers
1 Mommsen 827 f.; Strachan-Davidson I 161, 163.
2 Mommsen 71 f., 333 f.; Hitzig (ob. S. 16 3) 196.
3 Vgl. den folgenden Text; s. auch Festus Aqua et igni . . . interdici solet
damnatis.
4 Daß der Beschluß ein rein «administrativer Akt» ist, erhellt deutlich
auch aus der Zuständigkeit der Plebs (Liv. 25, 4, 9; 26, 3, 12) und der Un-
zuständigkeit der Quästionen. Sehr richtig Mommsen, Strafr. 72 1, 964 gegenüber
Staatsrecht II 3 139 2; III 52 2, wonach der Beschluß «selbstverständlich mit der
Damnation des Exul verbunden» war. Wenn der Magistrat die Ausweisung
regelmäßig nicht eigenmächtig verfügte, so hatte das gewiß nur den Zweck,
sie über das Amtsjahr hinaus in Geltung zu erhalten (Mommsen 72x).
5 Mommsen 72, 623, 935 f.; Hartmann, RE. «Aquae et ignis interdictio».
6 So Mommsen 71; Hitzig 196.
7 Belege z. B. bei Mommsen 712; Hartmann aaO. Strachan-Davidson I 160.
Die römische Kapitalstrafe. 19

grundsätzlich nicht hindern.1 Erst wenn die Verurteilung formell


feststeht, gewinnt er die Freiheit der Entschließung, den Übeltäter
zu verhaften und der Exekution zuzuführen.
Aber wer wird sich dann noch greifen lassen? Höchstens der
von seiner Unschuld Überzeugte, der bis zum letzten Augenblick
den Kampf ums Recht nicht aufgab. Verdiente der die katastro-
phale Zurücksetzung? Das kann nicht sein.2 Als Polybios schrieb,
war der Werdegang in vollem Fluß. Sein Bericht läßt die weitere
Entwicklung mit Händen greifen. Das eöoq, das den Angeklagten
mit der Haft verschonte, konnte auf die Dauer nicht vor dem Ab-
geurteilten haltraachen. Wie weit die Dinge schon 169 (also unmittel-
bar bevor Polybios nach Rom kam) gediehen waren, beleuchtet in
dem Perduellionsverfahren gegen die beiden Zensoren der Schwur
des einen: si collega damnatus esset, non exspectato de se iudicio
comitem exsilii eins futurum (Liv. 43, 16, 15). Wann endgültig die
sofortige Verhaftung untersagt worden ist, steht nicht genau fest.3
Die Lex Sempronia v. J. 123 hat sich wohl nur gegen den gerichtet,
der indemnatos eives in carcerem coniecisset.4 Aber sehr viel jünger
werden die anonymen Gesetze nicht gewesen sein, die Caesar in
der sallustischen Senatsrede für die Catilinarier zweimal in be-
tontem Anschluß an die die Geißelung des Bürgers verbietende
Lex Porcia5 erwähnt:
Sali. Catil. 51, 22: ... an quia lex Porcia vetat? at aliae
leges item condemnatis civibus non animam eripi, sed
exilium permitti iubent.
eod. 40: postquam res publica adolevit et multitudine
civium factiones valere, circumveniri innocentes, alia huius-
1 Das ist kein ausnahmsloser Zwang. Das Gegenteil wäre besonder»
verabscheuungswürdigen gemeinen Verbrechern gegenüber, denen auch die-
Tribunen ihre Hilfe versagten, nicht bloß ungeheuerlich, sondern auch quellen-
widrig. Denn die vereinzelten Hinrichtungen, die doch jedenfalls bis zum
Jahre 90 v. Chr. bezeugt sind (s. u. S. 27 J), ließen sich sonst nicht erklären.
S. auch Mommsen 327 f., 979; anders Strachan-Davidson I 167 ff. Vgl. über den
carcer ferner Costa, Cic. II 663.
2 S. auch Strachan-Davidson I 160 3, II 62.
3 Die gelegentlichen Hinweise, die F. Münzer, Hermes 47 (1912), 168. 172.
180. 181 hierzu gibt, stimmen, wie mir scheinen will, untereinander nicht ganz
überein; ich kann ihnen nur teilweise beitreten.
4 Liv. ep. 61 i. f. und dazu Mommsen 3291.
5 Zeit ungewiß. Am ehesten ist wohl an den älteren Cato zu denken.
Vgl. über sie Mommsen 31 3, 47 3, 163 ß 9383; JRotoxdi, Leges 268f.; Strachan-
Davidson I 1101, 125 f., 161.

20 Ernst Levy:

ve modi fieri coepere, tarn lex Porcia aliaeque leges paratae


sunt, quibus legibus exilium damnatis permissum est.
Das Aufblühen des Staatswesens nach dem hannibalischen Kriege,
der Beginn der Parteienbildung, die deutlich1 herangezogene Lex
Sempronia: das alles fällt ins zweite Jahrhundert. Vor dessen
Ausgang also schon war es dem Magistrat zur Pflicht gemacht,
zumindest einige Tage zuzuwarten, ehe er den civis damnatus ein-
sperren und töten durfte. Doch wird er sich in dieser Passivität
oft nicht gefallen, sondern dem Todgeweihten seine Lage alsbald
autoritativ zum Bewußtsein gebracht haben. Nichts stand im Wege,
die interdictio aquae et ignis, die in jedem Falle der Selbst-
verbannung nachgefolgt wäre, auch schon vorher zu erwirken, im
Falle des Komitialprozesses am einfachsten sofort im Anschluß
an das Urteil selbst. Ursache und Wirkung vertauschten so ihre Rolle.
11. Die neue Reihenfolge wird sich rasch eingebürgert haben:
Cic. de domo 78 i. f.: qui erant rerum capitalium con-
demnati, non prius hanc civitatem amittebant, quam erant
in eam recepti, quo vertendi, hoc est mutandi, soli causa
venerant; id autem ut esset faciundum non ademptione
civitatis, sed tecti et aquae et ignis interdictione faciebant.2
Cicero denkt hier offenbar an die Epoche vor dem Bundes-
genossenkrieg.3 Was sich seitdem geändert hatte, war indessen
allerhöchstens der Zeitpunkt, in dem der Verurteilte das Bürgerrecht4
1 Durch das circumveniri innocentes: Cic. p. Cluent. 151, Der Ausdruck
wird wortwörtlich von der Lex Cornelia de sicariis verwendet (Cic. ibid. 90;
Marcian D. 48, 8, 1 pr.), die insoweit wieder auf die Lex Sempronia zurückgeht
(Cic. ibid. 154). Vgl. Mommsen 329 S 6332.
2 So alle Hss. — Adigebantur Halm.
3 Die coloniae Latinae, von denen der voraufgehende Satz spricht, können
nur deduzierte Kolonien gewesen sein (vgl. Mommsen, Staatsrecht III 523; Korne-
mann, RE. IV 519; Steinwenter, RE. X 1268f.). Man beachte auch bei Cic. 1.
•c. 77 a maioribus nostris und die folgenden Praeterita, die im § 79, da nun von
Sulla die Rede ist, verlassen werden.
4 Daß der Exul vor Sulla und nach Tiberius das römische Bürgerrecht
einbüßte, wdrd nicht bestritten. In der Zwischenzeit aber, lehrt Mommsen 978
mit den meisten (z. B. L. M. Hartmann, RE. II 309, Desserteaux, Capitis de-
minutio I 146. 158, zweifelnd Ferrini, Espos. 155, anders Costa, Cicer. I 284),
■«behält der Interdicierte die Civität». Das ist schon deshalb unwahrscheinlich,
weil wir von einem die Stellung des Verbannten so einschneidend mildernden
Staatsakt nichts hören und Sulla insbesondere weder der Mann für eine solche
Milderung war noch an der Verhängung oder Tragweite der Interdiktion über-
haupt etwas reformiert hat. Strachan-Davidson II 53ff., 68ff. hat Mommsens
Die römische Kapitalstrafe. 21

verlor.1 Die Rolle selbst, die die Interdiktion im Kapitalprozeß


spielte, blieb die geschilderte, unberührt durch die Leges Corneliae
und über sie hinaus: sie vollzog sich in der Vollstreckungsinstanz,
außerhalb des Volksgerichts und extra legem.
einzelne Argumente m. E. widerlegt, auch den beachtlichen Umkehrschluß aus
Tab. Heracl. lin. 117 sq. als nicht zwingend dargetan. Tiberius hat allerdings
eingegriffen (dueiire ö Tißepioi; xoic; irupöq tcai ubaxoq eipxffeiat, pfj biaxtöeaöar
Kai toöto Kai vuv cpuA.dTTexai: Dio Cass. 57, 22 i. f.). Ein Testament, wie es
z. B. der verbannte C. Maenius Gemellus, Ciceros cliens (ad fam. 13, 19, 2), als
Neubürger von Patras nach dessen Recht errichtet hatte, war nun nicht
mehr möglich, weil Tiberius dem Interdizierten den Erwerb einer fremden
civitas nicht mehr gestattete. Der Exul, der zuvor bloß nec quasi civis Bo-
manus testari potest, cum sit peregrinus, kann seit Tiberius nec quasi peregrinus
testieren, quoniam nullius certae civitatis civis est (vgl. Ulp. epit. 20, 14 i. f.); er
wurde dediticiorum numero, während er bisher nur der römischen civitas
beraubt war (s. auch Ovid, Tristia 5, 11, 15—22; vgl. 2, 137; zum Erwerb ander-
weiten Bürgerrechts noch unter Augustus Strachan-Davidson II 59 3). Nur das
war die Neuerung des Kaisers. — In der Streitfrage über die Rechtsstellung
des vom Feinde zurückgewiesenen deditus (darüber zuletzt de Yisscher, Rev.
hist. 9 [1930], 455 ff.) nimmt P. Mucius Scaevola schon um das Jahr 136 v. Chr.
die Ausbürgerung des Interdizierten zum Ausgangspunkt: . . . quia quem semel
populus iussisset dedi, ex civitate expulsisse videretur, sic-ut f acer et, cum aqua
et igni interdiceret, und Pomponius (37 ad Qu. Mucium D. 50, 7, 18) berichtet
darüber ohn- einen Zweifel an die Kontinuität des Rechtszustandes. Die
wichtige Stelle darf nicht beiseite geschoben werden: weder mit Strachan-David-
son II 582, weil hier Pomponius und nicht P. Mucius rede (vgl. auch populus!),
noch mit de Yisscher 461, weil P. Mucius nicht vom Bürgerrechtsverlust, sondern
von der expulsion de la eite spreche.
1 Der Zeitpunkt für die Verwirkung des römischen Bürgerrechts fiel
sicherlich so lange mit der Annahme des fremden zusammen, als das solum
vertere der Interdiktion voraufging. Ob es aher dabei später auch dann blieb,
wenn die Inter üktion der erste Akt war, und ob erst Tiberius hier Wandel
schuf (so Strachan-Davidson II 53 58. 60), ist mehr als zweifelhaft. Freilich
spricht Cicero an der obigen Stelle (s. auch p. Caec. 100) scharf in dieser Rich-
tung, weil er in eigener Sache dartun will, daß civitatem nemo umquam ullo
populi iussu amittet invitus (de domo 78). Aber anderswo sagt er umgekehrt
quos leges exsilio adfici volunt, exsules sunt, etiamsi solum non mutarunt (Parad.
4, 31 [a. 46]). Schwerlich darf man daraus auf eine Rechtsentwicklung zwischen
den Jahren 57 und 46 schließen (so Costa, Cic. I 284). Denn bereits um 136
scheint P. Mucius Scaevola den letzteren Standpunkt zu vertreten (D. 50, 7,
18; s. vor. Anm.). Die wahrscheinlichste Lösung liegt darin, daß Cicero un-
zuverlässig berichtet. Es ist gar nicht auszuschließen, daß der Streit zwischen
Scaevola und Brutus (Mod. D. 49, 15, 4) den Zeitpunkt der Entbürgerung nicht
bloß des deditus, sondern gerade auch des Interdizierten betraf: beide Male
hätte dann die Alternative «Volksbeschluß (so Scaevola) oder seine Durch-
führung (so Brutus)» zur Diskussion gestanden, und Scaevola zieht die Parallele
22 Ernst Levy:

Die Lex Varia von 91 v. Chr. z. B. bedrohte den Majestäts-


verbrecher der Sache nach mit dem Tode* 1, aber der im Jahre 90
verurteilte Cotta2 eiectus est e civitate (Cic. de orat 3, 11; vgl. auch
Brutus 303. 305) und kam so mit dem gleichen Ergebnis davon,
das schon 80 Jahre vorher den wegen perduellio angeklagten
Zensoren gedroht hatte.3 Roscius Amerinus mußte (a. 80 v. Chr.)
als parricidii accusatüs mit der poena cullei rechnen (Cic. p. Rose.
30. 72. 149 f.), und doch fürchtet Cicero für den Fall der Ver-
urteilung ernstlich nur die Ejektion (ibid. 6).4 Gegen Rabirius, der
sich vor den duoviri perduellionis i. J. 63 zu verantworten hat5,
sind schon alle Vorbereitungen zur Geißelung und Kreuzigung ge-
troffen, aber Cicero interzediert (p. Rabir. 10. 11), und die nun im
normalen Gleis sich bewegende dimicatio capitis (§5; clefensio capitis
§ 1) vor den Komitien führt schlimmstenfalls dazu, daß der
bejahrte Angeklagte dereinst darauf verzichten muß, in heimischer
Erde die letzte Ruhe zu finden (§ 37). Der Verlauf wird ein so
regelmäßiger6, daß in der Anschauung des Volkes und damit auch
in der Rhetorik sich Schuldspruch und Interdiktion, Interdiktion und
tatsächliche Auswanderung ohne weiteres miteinander verbinden.
Schon der Auctor ad Herennium (a. 86—82) könnte das letztere
vielleicht nahelegen7:
2. 45 i. f.: proinde quasi non omnes, quibus aqua et igni
interdictum est, exules appellentur;
ja ganz ausdrücklich. Wie sich Cicero in Sachen des deditus auf die Seite des
Brutus schlug, ohne das Bestehen einer Streitfrage auch nur anzudeuten (top.
37; p. Caec. 98 i. f.; vgl. de Visscher aaO. 460 ff.), so könnte er es auch in
Sachen des Interdizierten getan haben — wenigstens in den beiden Reden,
während er Clodius gegenüber (Parad. cit.) den entgegengesetzten Standpunkt
für vorteilhafter hielt. Die Staatsraison war gewiß bei Scaevolas Lehre besser
aufgehoben (ebenso de Visscher; vgl. Mommsen 46 ß, und ihm folgen denn
auch die Digestenjuristen.
1 Vgl. Mommsen 1982.
2 Vgl. auch Lengle, Untersuchungen über die sullaniwche Verfassung (Freib.
phil. Dies. 1899) 33.
3 S. ob. S. 19.
4 S. insoweit auch Mommsen 6743; ferner u. S. 281.
5 Über diesen vielumstrittenen Prozeß jetzt Strachan-Dayidson I 188 ff.;
Costa II 87 ff., auch Münzer (ob. S. 19 3) 1801; weniger fördernd Mommsen 581 f.,
588ß Lengle 27 h
6 Vgl. auch den Fall der Lex Julia agraria vom Jahre 59 (u. S. 342).
7 Sein Gegensatz ist dort allerdings ein anderer; beweisend dafür erst
Cic. par. 4, 31 (ob. S. 21J).
Die römische Kapitalstrafe. 23

er erweist jedenfalls das erstere:


4, 51: qua re, iudices, eicite eum (den Landesverräter) de
civitate
und 4, 12 i. f.: ut eum . . . praecipitem proturbetis ex ea
civitate.
Und Cicero sagt von den im Majestätsprozeß des Sex. Titius (a. 98)
urteilenden Geschworenen (Cic. p. Rabir. ad pop. 24):
statuerunt equites Romani illo iudicio improbum civem
esse et non retinendum in civitate.
Die verkürzende Laiensprache schreitet über den Abstand zwischen
Urteil, Ausweisungsdekret, Auswanderung hinweg und kann
darum das exilium geradezu als poena damnati bezeichnen (Cic.
de domo 72)1, als letzten Rechtsgrund der Verbannung die Lex
selber ansehen. Von Oppianicus, der, nach der Lex Cornelia de
sicariis verurteilt, ins Exil ging2 und dort plötzlich starb, sagt der
Redner (Cic. p. Cluent. 29; a. 66):
qui et naturae et legibus satis fecit, quem leges exsilio,
natura morte multavit3,
von dem unter der Lex Plautia de vi4 angeklagten P. Sulla (p. Sulla
74; a. 62):
cum lege retineretur, ipse se exsilio paene multavit.5
Aussprüche wde die letztzitierten hat man bisher für die Existenz
einer gesetzlichen Verbannungsstrafe beweisend gefunden6 und,
1 Das ist inkorrekt freilich nur, insoweit Cicero in dieser im Jahre 57
gehaltenen Rede allgemein von dem exul als solchem spricht (72) und an die
rerurn capitalium condemnati überhaupt denkt (78). Korrekt, insoweit er seinen
eigenen Fall und die Strafe der Lex Clodia meint (77. 83 i. f.). Denn inzwischen
hatten sich die Dinge geändert: s. u. S. 324.
2 Die Frage, ob sein Aufenthaltsort, obwohl in Italien gelegen, im Rechts-
sinne als Exil gelten konnte, ist bestritten (Strachan-Davidson II 69 f.), wird
aber von Cicero hier übergangen.
8 Eine späte Parallele bietet die Antithese des Konstantin CT 9, 42, 1 pr.
= CJ 5, 16, 24, 1 (321): tamquam si maritum eins natura, non poena subduxerit.
4 Vgl. u. S. 33 l.
5 Nicht sicher ist, worauf bei Cic. de domo 83 die poena legitima abzielt,
die um das Jahr 86 den Vater des berüchtigten Clodius traf (vgl. Münzer, RE.
III 2849, s. auch Mommsen 3341. 966 3). Er wmrde des Imperiums für verlustig
erklärt und ging in die Verbannung (exsulem). War er etwa wegen Perduellion
verurteilt, so handelt es sich auch hier um vorbeugende Selbstverbannung.
6 Z. B. Mommsen 693, 5923, 9721; Lengle aaO. 32; Costa, Cic. I 2843, II
663, Critn. 443.
24 Ernst Levy:

isoliert betrachtet, wären sie es vielleicht.1 In die Entwicklung


hineingestellt, spiegeln sie nur die sprunghafte Gedankenassoziation
des Nichtjuristen. Daß sie so aufgefaßt werden können, ist hoffent-
lich gezeigt. Daß sie es müssen, leicht zu erweisen. Gerade in
den Reden de domo und pro Cluentio weiß Cicero zwischen con-
demnatio und interdictio zu unterscheiden2: die poena damnati emp-
fängt aus de domo 78 (ob. S. 20) und p. Caec. 98 (u. 262) ihr
Licht, und die Oppianicusstelle, die bloß Rechtsordnung und Natur-
gesetz gegenüberstellen will, ist nicht ohne p. Cluent. 170 zu lesen:
Oppianicum poena adfectum pro maleficiis et eiectum e civitate; . . .
damnati, exsulis, deserti ab omnibus. Die Geschworenen, denen
von Auct. ad. Her. und Cic. pro Rabir. der Interdiktionsbefehl in
den Mund gelegt wird, waren für ihn überhaupt nicht zuständig.3
Ganz entsprechende Wendungen braucht Cicero auch da, wo ein
nichtkapitaler Prozeß4 oder ein bloßes Konkursverfahren5 die Selbst-
verbannung nach sich zieht.
Vor allem aber entscheiden zwei Zeugnisse. Wenn Caesar,
um die Tötung der Catilinarier zu verhindern (Sali. 51, 22 und 40:
s.ob.S. 19), sich in wörtlich wiederholter Wendung auf den Hinweis
beschränken muß, daß die Gesetze dem Verurteilten exilium per-
mitti iubent6, so können sie das Exil nicht als Strafe positiv an-
geordnet haben.7 Noch allgemeiner spricht Cicero p. Caec. 100:
nam quod ad exsilium attinet, perspicue intellegi potest
quäle sit: exsilium enim non supplicium est, sed per-
fugium portusque supplicii; nam quia volunt aliquam poenam
subterfugere aut calamitatem, eo solum vertunt, hoc est sedem

1 Wenngleich z. B. die Verurteilung des Sex. Titius vor Sulla liegt.


2 S. auch de domo 82 i. f.: quibus damnatis interäictum est.
3 S. ob. S. 184.
4 Repetunden: condemnato et eiecto (in Verr. 1, 98 i. f.).
5 potestis (iudices) tollere e civitate quem voltis (p. Rabir. post. 11 i. f.); da-
zu Mommsen 7303, anders Costa, Cic. I 2844.
6 Ist der wiederkehrende und peinlich genau stilisierte Satz nicht aus
dem Gesetz selbst oder aus den Senatsakten über Caesars Rede entnommen
— was nicht beweisbar, aber durchaus nicht unwahrscheinlich ist (s. auch
Mommsen 1731, 938 3) —, so hat ihn der das Wort wägende Historiker an die
Zeit der Rede (a. 63) vorzüglich angepaßt. Als Sallust schrieb, galt nach Cae-
sars Gesetzen von etwa 46 (s. u. S. 32 5) die Interdiktion bereits als positive
Strafe. Bas berücksichtigt nicht Strachan-Davidson II 64.
7 Erst recht können sie dem Angeklagten nicht das Recht auf Selbst-
verbannung genommen haben (so Arangio-Ruiz, Corso di storia del dir. rom. 194).
Die römische Kapitalstrafe. 25

aclocum mutant. itaque nulla in lege nostra reperietur.


nt apud ceteras civitates, maleficium ullum exsilio
esse multatum; sed cum homines vincula neces ignomi-
niasque vitant, quae sunt legibus constitutae, confugiunt
quasi ad aram in exsilium; qui si in civitate legis vim subire
vellent, non prius civitatem quam vitam amitterent: quia
nolunt, non adimitur eis civitas, sed ab eis relinquitur atque
deponitur.
Diese Worte lassen an Präzision nichts zu wünschen übrig. Sie
sind im Jahre 69 gesprochen und erhärten damit zwingend, daß
unter allen damals vorhandenen Gesetzen mit Einschluß aller Leges
Corneliae kein einziges die Verbannungsstrafe gekannt haben kann.
12. Caesar wie Cicero bezeugen hier zugleich aber auch po-
sitiv, daß die Todesstrafe die legitime Strafe geblieben ist. Wäre
sie durch Gesetz oder Herkommen abgeschafft gewesen, so hätte
Cato nicht einfach auf die Hinrichtung der Catilinarier votieren 1
und Caesar das Hauptargument gegen ein solches Votum sich
nicht entgehen lassen können: er bestreitet dem Senat nur das
Recht, einen Bürger ohne gesetzlichen Prozeß zu töten (vgl. Sali.
51, 36), und betont, daß die Gesetze, indem sie dem Verurteilten
das Exil offenhalten, die Vollstreckung der Todesstrafe nicht
anbefehlen: non animam eripi iubent (nicht etwa animain eripi ve-
tant), eine Wendung, deren geschliffene Feinheit zumal dann heraus-
tritt, wenn der im Catilinarierfalle anzuwendende Legaltext sich
ebenso wie der der Lex Cornelia de sicariis allgemein auf ein de
capite quaerito oder Ähnliches beschränkte. Cicero aber nennt
unter den Strafen, quae sunt legibus constitutae, ausdrücklich und
vielleicht sogar einzig die neces, deren Vorstufe die vincula2 und

1 Sali. Catil. 52, 36: Quare ego ita censeo ... de covfessis sicuti de mani-
festis rerum Capitalium more maiorum supplicium sumundum. Mit der Er-
wähnung des mos maiorum will Cato wohl zugleich jede Mißdeutung aus-
schließen, wie sie die vulgäre Verflachung des supplicium- Begriffes (ob. S. 5 2)
nahelegen mochte. Auch Silanus ursprünglich supplicium sumundum decreverat
(Sali. 50, 4); hernach, anderen Sinnes geworden, interpretierte er sein Votum
dahin, uj<; oüb’ aüröc; emoi OavaTiKpv Yvubgpv (Plut. Cic. 21, 8). Wenn er aber
weiter hinzugefügt haben soll: ^axdxr]v -pap üvbpi ßouXeuxr| 'Puupaiuuv eivai biKpv
tö beapujTripiov, so ist das entweder nicht zuverlässige Überlieferung oder von
einem Manne gesagt, der studii . . . habuit non multum (Cic. Brutus 240), Denn
der carcer wrar keinesfalls ordentliche Strafe (Mommsen 963). Vgl. dazuMüNZER 1801.
2 Hierzu Mommsen 905f., 963, auch 3003; Costa, Cic. II 663.
26 Ernst Levy:

deren Nachhall die ignominiae1 sind: die Verurteilten, die, statt zu


zu fliehen, legis vim sabire vellent2, vitam amitterent-, von anderen
Sanktionen ist hier überhaupt nicht die Rede.
Das Leben wäre verwirkt, gleichviel ob durch formelle Durch-
führung der Vollstreckung oder kraft der Friedlosigkeit, der der
Interdizierte verfällt3: atrum malit cervices Roscio clare an insutus
in culeum per summum dedecus vitam amittere (Cic. p. Rose. Am. 30).
Dahin wird es der Bürger, dem seine Mittel die Flucht erlauben
und erstrebenswert machen4, nicht leicht kommen lassen. Sein
Selbstgefühl erhebt ihn über den Peregrinen, den virgis et securi-
bus subiectus (Val. Max. 9, 14 ext. 3):
. . . carnificem de foro, crucem de campo sustulisse. Sed
ista laus . . . est . . ., Quirites, . . . multorum virorum fortium,
qui vestram libertatem non acerbitate suppliciorum infestam,
sed lenitate legum munitam esse voluerunt (Cic. p. Rabir. ad
pop. 10; a. 63). Die bei der Hinrichtung dereinst gebräuchlichen
Formelworte
iam pridem in hac re publica non solum tenebris vetu-
statis, verum etiam luce libertatis oppressa sunt (Cic. ibid. 13).
13. In der Tat sind die Belege für die Hinrichtung eines
Bürgers am Ausgang der Republik5 ganz vereinzelt, weit seltener
jedenfalls, als diejenigen glauben müßten, die die Damnation der
Komitien mit der Exekution, die Verurteilung des Parricida mit
Säckung verwechseln. Sieht man von dem außerordentlichen Senats-
verfahren gegen die Catilinarier (Salb 55, 5. 6) ab6, so scheint das
1 Die Entziehung bürgerlicher Ehrenrechte konnte freilich selbständige
Begleitstrafe für nichtkapitale Verbrechen sein; vgl. z. B. zur Lex Servilia de
repetundis (a. 111) Auct. ad. Herenn. 1,20 (Mommsen 7293, Stroux [u. S. 405]
1153)- Daß gerade die Verurteilung wegen Repetunden nicht selten den An-
laß zur Selbstverbannung gab, steht fest (Mommsen 730, Strachan-Davidson II
11 ff.; s. auch ob. S. 24 4). Vielleicht denkt Cicero hier auch an solche Fälle
(Strachan-Davidson 127): poenam snbterfugere aut calamitatem. Das vitam amit-
terent wäre ein in der Rhetorik nicht ganz unüberwindliches Gegenindiz.
2 Vgl. auch kurz zuvor (§ 98): . . . legis multa profecti sunt, quam multam
si sufferre voluissent, manere in civitate potuissent.
3 Vgl. ob. S. 185.
4 Über den niedrigen Gewohnheitsverbrecher s. ob. S. 19l.
5 Über frühere (politische) Fälle Münzer (ob. S. 193).
6 Unrichtig ist der Bericht bei Plutarch, Sulla 10, daß i. J. 88 die Marianer
vom Senat zum Tode verurteilt worden seien (Mommsen, Staatsr. III 12461;
Rotondi, Leges 344). Das Volk verhängte Interdiktion: Sulla . . . urbe extur-
bavit ac lege lata exules fecit (Veil. Pat. 2, 19, 1).
Die römische Kapitalstrafe. 27

Majestätsverbrechen des Q. Varius (a. 90) der jüngste Fall zu sein,


in dem die Vollstreckung der Todesstrafe1 einwandfrei feststeht.2
Und dieser Fall war, wie einige andere nicht viel weiter zurück-
liegende3, von einem Quästionengericht abgeurteilt worden. Schon
daraus erhellt, wie haltlos die Meinung ist, daß der Geschworenen-
prozeß, weil provokationslos, niemals4 oder fast nie5 zum Tode
habe führen können. Und doch schreibt Mommsen6: «Die Tatsache
selbst steht außer Zweifel, teils dadurch, daß bei dem Staatsver-
brechen neben der neuen Prozeßform die magistratisch-komitiale
festgehalten und daß bei dem Mord die schwerste Kategorie des
Verwandtenmordes längere Zeit dem Komitialprozeß Vorbehalten
wurde.»
Das erste Argument dürfte nicht beweisend, das zweite selbst
nicht beweisbar sein. Allerdings waren für die Perduellion auch
noch nach der Einrichtung der quaestio maiestatis (Leges Appuleia,
Varia, Cornelia) die Komitien zuständig. Aber diese Zuständigkeit
läßt, wenigstens in den uns bekannten Prozessen7, nicht schon
1 Cic. de nat. deor. 3, 81: summo cruciatu supplicioque Q. Varius . . . pe-
riit; vgl. Val. Max. 8, 6, 4 (absumpsit)', 9, 2, 2. Auch Cic. Brutus 305 i. f.
excesserat kann auf den Tod gehen. S. hierzu Mommsen 1982; Rotondi, Leges 339;
nicht zutreffend Strachan-Davidson I 238 \
2 L. Vettius starb a. 59 im Kerker, aber nicht im Wege einer Urteils-
vollstreckung (so versehentlich Mommsen 9301), sondern vermutlich von inter-
essierter Seite ermordet (Mommsen, Rom. Gesch. III8 217; Münzer aaO. 178f.;
die Quellen s. auch bei Rein, Kriminalrecht 432). -— Herophilus oder Amatius,
der falsche Marius, ist a. 44 auf Anordnung des Antonius oder iussu patrum
necatus in carcere (Val. Max. 9, 15, 1); Näheres über ihn Münzer, RE. XIV
1815 ff. Der Prozeß war also kein ordentlicher und der Betrüger vermutlich
auch kein Römer: sein Name legt das ebenso nahe wie sein Stand (ocularius
medicus); dazu vgl. Friedländer-Wissowa, Sittengeschichte I9 189.
3 Zur Lex Peducaea über den Incest der Vestalinnen (a. 114) vgl. Ascon. in
Milon 32, p. 46 : (L. Cassius) ... eas ... nimia etiam, ut existimatio est, asperitate usus
damnavit; s. auch Val. Max. 3, 7, 9 : propter nimiam severitatem. Dazu Mommsen,
Staatsrecht II 6642, Strafrecht 1973. — Zur Lex Mamilia über den Landesverrat
im Jugurthinischen Krieg (a. 110) vgl. Sali. Jug. 40, 5: quaestio exercita aspere
violenterque. Dazu Mommsen, Staatsrecht II 6651, Strafrecht 1974.
1 So z. B. Hartmann, RE. II 309.
5 So Mommsen (folg. Anm.) und ebenso wohl Arangio-Ruiz, Corso di storia
197, insofern sie das Parricidium als «Ausnahme» einräumen. Über das Selt-
same einer solchen Ausnahme auch Strachan-Davidson II 27 f.
6 201; vgl. 942.
7 Über die Prozesse des Qu. Metellus Numidicus (a. 100), Catulus und
Merula (a. 87), C. Rabirius (a. 63), Cicero (a. 58) s. Mommsen 1743-6. 722. Weiteres
bei Lengle 23 ff. 45 ff. und zum Rabiriusprozeß ob. S. 225.
28 Ernst Levy:

auf die Tötung des Angeklagten schließen1; sie ist nur der Aus-
druck der ebenso unbestrittenen wie echt römischen Erscheinung,
daß die neue Verfahrensform die alte nicht verdrängte.2 Hat ja
doch Clodius den Milo sogar wegen bloßer vis noch im Jahre 56
apud populum anzuklagen vermocht.3 — Und nicht anders steht
es mit dem Parricidium. Das «für uns namenlose Gesetz, welches
bei der Überweisung der Mordprozesse an eine Geschworenen-
kommission den Nächstenmord dem Volksgericht vorbehielt»4, hat
es nicht gegeben. Das Komitialverfahren gegen den Sohnesmörder
Q. Fabius Maximus (um a. 104)5 und die Säckung des Mutter-
mörders Publicius Malleolus (a. 101)6 erweisen keinen solchen Vor-
behalt. Wir wissen nicht einmal, ob Maximus hingerichtet wurde
und ob Malleolus überhaupt vor den Komitien stand. Wenig später
sind die Quästionen auch hier belegt.7 An der althergebrachten
Strafe der Säckung änderte sich darum nichts.8 Sie wird erst
durch die Lex Pompeia (a. 559) betroffen, die den Tatbestand des
Parricidium ausbaut, das Verfahren modifiziert und bei dieser Ge-
legenheit verordnet, daß der Schuldige poena ea teneatur, quae est
legis Corneliae de sicariis (Marcian. D. 48, 9, 1). Das ist nicht die
«vollständige Abschaffung der Todesstrafe»10, nicht einmal die der
1 Richtig insoweit Mommsen 942: «wenn auch ohne Erfolg». — Auch Qu.
Servilius Caepio (etwa a. 103) ist nicht hingerichtet worden, wie der von der
übrigen Überlieferung abweichende Bericht bei Val. Max. 6, 9, 18 glauben
machen will: Münzer, Hermes 47, 170 ff. Es steht überdies selbst das nicht
fest, daß er von den Komitien abgeurteilt wurde; darüber verschiedene An-
sichten bei Mommsen 1981, Lengle 24 ff., Strachan-Davidson I 231. 237.
2 Mommsen 173 f. 587 f.
3 Mommsen, Staatsrecht II 49S1; vgl. Strafrecht 1745, Strachan-Davidson
I 204.
4 Mommsen 644; s. auch 174. 615 f. 6443, zustimmend Strachan-Davidson
I 162, vgl. auch de Visscher, La formule Paricidas eeto (1927) 37 f.
5 Oros. hist. 5, 16, 8.
6 Oros. hist. 5, 16, 23; Auct. ad Her. 1, 23; Liv. ep. 68.
7 Vgl. Cic. de invent. 2, 58. 59; p. Rose. Amer. 30. 72. 149f. (Mommsen
6441). Das übersieht Costa, Crim. 70 f., Cic. II 123 f., der darum den angeb-
lichen Vorbehalt zugunsten der Komitien sogar bis zur Lex Pompeia fort-
wirken läßt.
8 S. auch ob. S. 22.
9 So die allgemeine und wahrscheinlichste Datierung: z. B. Rotondi, Leges
406; Costa, Crim. 71, auch Mommsen 942; anders Mommsen 6442.
10 So Mommsen 6442, 201, 942.
Die römische Kapitalstrafe. 29

poena cullei1, die wir bald hernach weiter in Geltung sehen.2 Viel-
mehr sollte der Magistrat fortan in der Wahl der Todesart durch
altes Herkommen ebensowenig eingeengt sein wie bei sonstigen
Morden — falls es zur Exekution überhaupt kam. Die facultas
alternativa zur bloßen Verbannung brauchte Pompeius nicht ein-
zuschärfen; sie war ja seit langem fester Bestand und wird gerade
beim parricidium schon von dem jungen Cicero (a. 80) als selbst-
verständlich vorausgesetzt.3
Aus alledem ergibt sich, daß die Einführung des Quästionen-
prozesses oder seine Verallgemeinerung durch Sulla mit der Ge-
schichte der Todesstrafe nicht das mindeste zu tun hat.4 Die
Tendenz zu ihrer Verdrängung reicht in ihren Anfängen so weit
zurück wie unsere Überlieferung; sie war mit dem Ende des
2. vorchristlichen Jahrhunderts durch das grundsätzliche Verbot der
alsbaldigen Verhaftung selbst des Verurteilten zu ihrem Abschluß
gelangt (S. 19 f.). Seit dem Jahre 90 ist im ordentlichen Verfahren
keine Hinrichtung eines Bürgers mehr bezeugt (S. 27). Die zufällig
letztbezeugte vollstreckt ein Geschworenenurteil. Nicht das min-
deste Anzeichen läßt darauf schließen, daß die Quästionen ein
Gerichtshof zweiten Grades gewesen wären, der, wenn die Tat mit
dem Leben gebüßt werden sollte, hinter den Komitien hätte zurück-
stehen müssen. Wenn es richtig wäre, daß «das Provokationsrecht,
die verfassungsmäßige Notwendigkeit der Bestätigung der Bürger-
schaft bei jedem magistratischen Todesurteil, in dem Rechtsbewußt-
sein des Römers als politischer Glaubenssatz feststand und die
Ersetzung der komitialen Majorität durch die Majorität der Privat-
geschworenen gegen diesen Satz verstieß»5, so wären die Quästionen
nie oder doch nie provokationslos geschaffen worden. Wie die
Untersuchungshaft in der Epoche der Komitialgerichtsbarkeit
prinzipiell fortfiel, so fehlt sie auch in den Quästionen, und wenn
in hypothetischen Fällen von diesem Grundsatz Ausnahmen ge-
macht worden sein sollten6, so werden sie hier wie dort Platz
gegriffen haben. Daß dem Quästionenprätor als solchem gerichts-
verfassungsmäßig das Recht zur Verhaftung des Angeschuldigten
1 So Hitzig, Schweiz. Z. f. Strafr. 9, 405.
2 Suet. Aug. 38, Senec. de dem. 1, 15, 7; 1, 23, 1.
3 Ob. S. 28 7.
1 Anders — statt aller — Mommsen 201. 591. 941 f. und sonst; richtiger 73.
5 Mommsen 201.
6 Ob. S. 191.
30 Ernst Levy:

gemangelt haben sollte1, dafür besteht nicht der mindeste Anhalt.2


Die Verwirklichung der Todesstrafe war im Koraitialprozeß genau
so «exzeptionell»3 wie in dem der gleichzeitigen Quästionen. Sie
stand schon deshalb jenseits der Form des Spruchverfahrens, weil
dieses in seiner strikten Beschränkung auf die Schuld frage über
Art und Höhe der Strafe sich überhaupt nicht aussprach: damnatio
iudicum, poena legis (S. 16). Die Strafbemessung liegt ausschließlich
beim Gesetz und dem es handhabenden Imperiumsträger. Das
Gesetz aber —■ das einstige der Dezemvirn wie das neue des Sulla
— spricht nur de capite und sagt damit dem Wissenden alles.
Keine Lex Cornelia hat, in die Vollstreckung übergreifend, animam
eripi anbefohlen (Sali. Cat. 51, 22), keine dem parricida die poena
cullei vorzubehalten brauchen4, keine in einem uns nicht erhaltenen
Abschnitt die aquae et ignis interdictio als Sanktion aufgeführt.5
Es ist wahrlich kein Wunder, daß in der sudanischen Gesetz-
gebung «ausdrückliche Zeugnisse für die Einführung der krimi-
nellen Interdiktion des Bürgers in das römische Strafrecht mangeln».6
Die Justizgesetze des Diktators sind nur als Teile seiner Gesamt-
reform zu begreifen. Er hat die nun wieder rein senatorischen
Gerichtshöfe vermehrt, auf eine einheitliche Linie gebracht und
durch Erweiterung und Vertiefung der Tatbestände wie durch Aus-
gestaltung des Verfahrens in ihrer Rechtsprechung verbessert, um
der komitialen Gerichtsbarkeit und den Resten der tribunizischen
Judikation vollends den Garaus zu machen. An die alte General-
strafe zu rühren, ist dem die Anarchie rücksichtslos niederkämp-
fenden, mit Menschenleben spielenden Urheber der Proskriptionen
nicht in den Sinn gekommen.7
B.
14. Die Reform blieb den nächsten Jahrzehnten Vorbehalten.
Die Hinrichtung eines Bürgers war so unpraktisch geworden, daß
1 So Mommren 328. 390, Strachan-Davidson II 20. 24. 64 und sonst.
2 Vgl. auch Wlassak, Anklage 24 f.
3 Mommsen 201.
4 So z. B. Mommsen 6443; Hitzig, Z. f. Schweiz. Strafr. 9 (1896), 40 und wohl
alle. — Wie hätte denn dann die Lex Porapeia, um den culleus beiseite zu
schieben, gerade die poena legis Corneliae übernehmen können?
5 So Seeger, Tüb. Festg. f. Wächter 126.
6 Mommsen 972 h
7 Selbst Mommsen findet ein solches Beginnen im Geiste Sullas «seltsam»(Röm.
Gesch.5[1869] II366) und kann sein «Befremden nicht verschleiern» (Strafrecht 979).
Die römische Kapitalstrafe. 81

man sich im Volk die aus einer causa capitis entspringende Strafe
überhaupt nur noch als Verbannung vorzustellen begann.1 Der
caput-Begriff' erweiterte sich so mit innerer Notwendigkeit, und
eine übertreibende Rhetorik2 vermochte im Einklang mit dem vul-
gären Sprachgebrauch3 sogar die Minderung bürgerlicher Ehren-
rechte in ihn einzubeziehen. Da erfüllte sich die Zeit auch für den
Gesetzgeber. Wer den ersten Schritt tat, ist unbekannt. Vielleicht
war es Cicero in Person.4 Er, der noch im Jahre 69 hervorhebt,
daß keine römische Lex das Exil als Strafe kennt, charakterisiert sein
Ambitus-Gesetz v. J. 63 dahin: me mea lege exsilio ambitum sanxisse (p.
Plane. 83 [a. 54]); quem nova poena legis et domo et parente et omnium
suorum consüetudine conspectuque privat (p. Murena 89 [a. 63]). Diese
präzisen Aussprüche5 im Verein mit der durch Dio Cass. 37, 29, 1 be-
richteten Exildauer von zehn Jahren stellen es außer Zweifel, daß die
Lex Tullia de ambitu selbst es war, die die Strafe bestimmte und
bezifferte.6 Mit einer solchen Sanktion vollzog sich die ent-
scheidende Wendung, nach Römerart beinahe unmerklich und fast
nur dem Juristenauge erkennbar. Nicht mehr die Todesstrafe mit
einer durch die Interdiktion recht nachdrücklich nahegelegten Ab-
wendungsbefugnis, sondern die Verbannung, die bei Ungehorsam
oder Bannbruch das Leben kostete, war hier die poena legitima.
Praktisch tat sich die Änderung darin kund, daß der Magistrat die

1 S. o. S. 22 ff.
2 Vgl. Mommsen 9076, zweifelnd Coli (ob. S. 63) 614; nicht zutreffend Radin,
Melanges Paul Fournier (1929) 655 ff., Cuq, Rev. hist. 9, 4061.
3 Vgl. Mod. D. 50, 16, 108, dessen Beweiskraft durch Colis Bemerkung
(aaO.) m. E. nicht herabgesetzt ist; dazu u. S. 471. S. auch Corp. gloss. lat. II
97, 18: capitalis cmpoTioiöq.
4 Vgl. insoweit bereits Kleinfeller, RE. VI 1684.
6 Denen sich weniger genaue anreihen lassen: Cic. p. Mur. 45. 47; p.
Plane. 8 und weitere bei Mommsen 8674. 8744, Rotondi, Leges 379 angeführte
Belege.
6 Strachan-Davidson II 66 faßt (wie schon Ferrini, Espos. 423) diese
Strafe als relegatio auf, weil er die zeitliche Beschränkung mit der aq. et i.
interdictio nicht vereinigen zu können glaubt. Die Überlieferung bietet dafür
keinen Anhalt; s. auch u. S. 333. — Ciceros Worte ad ambitionem, quibus ex-
silii poena superioribus legibus non fuisset (ad Att. 9, 14, 2) beziehen sich, so
verstümmelt sie sind, auf das Verhältnis nicht der Lex Tullia, sondern der
Lex Pompeia v. J. 52 zu den früheren Ambitusgesetzen. Vgl. ad Att. 10, 4,
8; Tyrrel-Purser, The correspondence of M. T. Cicero IV 136, Mommsen 8747.
32 Ernst Levy:

Interdiktion in Verfolg der condemnatio jetzt unmittelbar verhängte1,


ohne erst einen Volksbeschluß erwirken zu müssen.2
So war die einstige Ausnahme nun auch offiziell zur Regel ge-
steigert, die Regel zur unwahrscheinlichen Singularität verflüchtigt.
Das Geschehene lag so sehr in der Luft, daß es sofort Nachahmung
fand. Schon i. J. 61 folgte die Lex Fufia de religione, ut si in opertum
Bönae JDeae accessisses (seil. Clodius), exsulares (Cic. Parad. 4, 32)3,
i. J. 58 die Lex Clodia, nach der qui civem Bomanum indemnatum
interemisset, aqua et igni interdicatur (Veil. Pat. 2, 45, 1; vgl. Cic. de
domo 47. 82)4, etwa um 46 die leges Caesaris, quae iubent ei, qui de
vi, itemque ei, qui maiestatis damnatus sit, aqua et igni interdici (Cic.
Phil. 1, 23)5 und i. J. 43 die Lex Pedia, gemäß welcher omnibus,
qui Caesarem patrem interfecerant, aqua et igni interdictum erat
(Veil. Pat. 2, 69, 5; vgl. Dio Cass. 46, 48, Mon. Ancyr. 1, 10).6
15. Unter diesen Gesetzen7 lenken die letztgenannten die Auf-
merksamkeit noch besonders auf sich. Sie statuieren die Ver-
1 Das Verhältnis zwischen Schuldspruch und Vollstreckung wird in Cic.
Phil. 1, 23 (u. Anna. 5) besonders deutlich.
2 Umgekehrt hätte ein solcher Volksbeschluß nicht etwa hingereicht, um
den Schuldspruch des ordentlichen Verfahrens zu ersetzen. Gerade diese Er-
setzung scheint Clodius gegenüber Cicero versucht zu haben (vgl. u. Anm. 4).
3 Mommsen, Staatsrecht II3 667 Strafrecht 1983; Rotondi, Leges 385.
4 Das ist das Plebiszit, mit dem Clodius auf Cicero wegen seines Ver-
fahrens gegen die Catilinarier abzielte. Ob die verfassungswidrige Bestimmung,
die diese allgemeine Norm alsdann unverhüllt auf Cicero speziell anwandte
und dabei die Art der Interdiktion genauer umschrieb, bereits in jenem
Plebiszit mit enthalten oder Gegenstand eines zweiten Volksbeschlusses war,
ist umstritten: einerseits Costa, Cic. I 281 ff., II 78ff., andererseits Mommsen
9781 (s. auch 196 2a.E.; 258 f., 9361), Rotondi, Leges 394 ff. Das letztere ist
wahrscheinlicher, namentlich wegen Cic. ad Att. 3, 15, 5 (nam prior lex nos
nihil laedebat); s. auch ob. Anm. 2.
5 Vgl. Rotondi, Leges 422 f., Girard, SZ. 34, 3031. 3211 und insoweit
Mommsen 9721.
6 Richtig Rotondi aaO. 435, während Mommsen 1993, 201 hier die ältere,
außergesetzliche Interdiktion anzunehmen scheint.
7 Nicht zu ihnen gehört die Lex Julia repetundarum v. J. 59. Denn es
ist ganz unwahrscheinlich, daß sie die Interdiktion anordnete (Mommsen 7295,
Stroux [8. u. S. 40 5] 114ff., 1342). Beschränkte eie sich aber — neben der
Geldstrafe — auf eine Minderung der Ehrenrechte, so können sich die Worte
des Senatuskonsults v. J. 4 v. Chr. (Kyrene-Edikte Z. 99) x^PN toü KetpaXrjq
eu&üveiv töv efXpcpÖTa nicht, wie Stroux und La Pira, Studi ital. di Filol. Class.
7 (1929), 60 ff. glauben, auf das Verfahren nach der Lex Julia beziehen. Daß
die bloße Infamie einer Strafe kapitalen Charakter aufprägt (Stroux 1152), ge-
hört der Begriffswelt der Laien und Advokaten an (ob. S. 812.3). Die Juristen
Die römische Kapitaletrafe. 33

bannungsstrafe nicht mehr bloß wie die Leges der sechziger und
fünfziger Jahre für solche Taten, die bislang nicht oder nicht
sicher mit kapitaler Strafe bedroht waren, sondern sie verhängen
sie über die beiden ältesten und schwersten Verbrechenstatbestände,
die die römische Geschichte kennt, über Perduellion und Mord.* 1
Und dies gewiß nicht in der Absicht einer Abschwächung, sondern
zwecks Verschärfung, wie sie jedenfalls im Falle der Caesarmörder
bis ins einzelne hinein belegt ist.2 Also muß die seitherige Sühnung
solcher Crimina noch milder gewesen sein. Das war sie, wenn
sie in bloßer, z. B. nicht durch Einziehung des Vermögens qua-
lifizierter Interdiktion bestanden hatte. Anders ausgedrückt: auch
die juristische und offizielle Auffassung sah nunmehr in dem de
capite quaerito der Lex Cornelia (de sicariis und wohl auch maie-
statis) unmittelbar zugleich die Interdiktion angedroht, wie man
denn umgekehrt die ausdrückliche Interdiktion z. B. der Leges
Tullia3 und Clodia4 ohne weiteres kapital nennen mochte. Gerade

halten sich davon fern und doppelt die positive Satzung. Es bleibt somit
nur die Beziehung auf konkurrierende Kapitalverbrechen (vgl. Mommsen aaO.)
übrig: s. auch v. Premerstein, SZ. 48, 516; Arangio-Ruiz, Eiv. di Eilol. Class. 56
(1928), 351; 58 (1930), 228 f.
1 Auch über die vis. Sie stand bis dahin unter der Lex Plautia, die,
wenn sie auch nicht mit Zumpt, Criminalproc. 510, Lengle 40, Costa, Cic.
I 151 ins Jahr 89 zu setzen ist, doch ungefähr (zwischen 77 und 63) be-
stimmt werden kann: Mommsen 6542, Rotondi, Leges 377 f., Costa, Crimini 53
und wohl auch Costa, Cic. II 91 la.E. Daß sie bereits die Interdiktion normiert
hätte (so Mommsen 6592), wird durch die Wendungen bei Cic. p. Sulla 90 i. f.
und p. Sest. 146, die sich den ob. S. 22 f. erwähnten anreihen, durchaus
nicht erwiesen. Viel wahrscheinlicher ist, daß die Lex Plautia in ihrer Sank-
tion den cornelischen Gesetzen nahestand. — Die zwischen ihr und der im
Text genannten Lex Julia stehende Lex Pompeia de vi v. J. 52 war nur für
die in den Straßenkämpfen zwischen Clodius und Milo begangenen Gewalt-
tätigkeiten geschaffen (Mommsen 1992, Costa, Cic. II 914 gegen Ende; s. auch
Rotondi 410); sie enthielt Verschärfungen (Ascon. in Mil. p. 37: poena gra-
viore) prozessualer Natur (vgl. Mommsen aaO.) Drohte sie das Exil als Strafe
ausdrücklich an (so Mommsen 9663), so ist sie in die soeben im Text genannten
Leges einzuordnen. Dafür spricht viele Wahrscheinlichkeit, doch ist es aus
Cic. p. Mil. 101. 104 und Ascon. in Mil. p. 54 mit voller Sicherheit nicht zu
entnehmen.
2 Mommsen 1993.
3 Cic. p. Mur. 45 i. f.: in capitis periculis.
4 Cic. de domo 68; p. Sest. 65. 73: de capite ferri (rogarij. Diese tech-
nische Wendung bestätigt, daß hier nicht der abusive Gebrauch des Rhetors
(s. ob. S. 23!) in Frage steht.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 3
34 Ernst Levy:

an die sicarii und incendiarii denkt der Cicero des Jahres 46 (Para-
dox. 4, 31) bei den scelerati atque inpii, quos leges exsilio adfici
volunt. Man braucht diese Äußerung nur mit der mehrfach berührten
p. Caec. 100 zu vergleichen, um zu erkennen, daß sich in diesen
Jahrzehnten eine Wandlung vollzogen hat. Auch im Bereich der
Leges Corneliae wird das exilium nicht mehr als perfugium portus-
que supplicii, sondern als supplicium selbst betrachtet; es ist wahre
Kriminalstrafe, kein Verwaltungsakt mehr; der magistratischen
Vollstreckungsinstanz unmittelbar eingeordnet und keines Volks-
schlusses mehr bedürftig. Das ist der Schlußpunkt der repu-
blikanischen Entwicklung.
Die Todesstrafe sank demgegenüber im Quiritenrecht zu einer
Art ins nudum herab. Sie wurde nicht etwa als aufgehoben be-
trachtet. Caesars Lex agraria v. J. 59, die, wie sie selbst befahl,
jeder Senator zu beschwören hatte, bedrohte die Nichtleistung des
Eides — offenbar als Majestätsverbrechen1 — noch ganz im alten
Stil mit dem Verfahren de capite} Die erwähnte Lex Clodia,
v. J. 58 wandte sich nicht gegen Hinrichtungen überhaupt, sondern
nur gegen den qui civem JRomanum indemnatum interemisset.
Das Strafensystem, das Cicero i. J. 55 als vorwiegend anerkannt
(fortasse plerique) schildert, enthält die Dreiheit damnationes expul-
siones necis (in Pison. 95), die sich übrigens von der früheren
Dreiheit vincula neces ignominiae (p. Caec. 100; ob. S. 25 f.) durch
ihre Präzision vorteilhaft abhebt.3 In der damnatio steckt die mul-
ta4, die expidsio ist neu in den Kreis getreten, die neces aber sind
geblieben.5 * Sie waren ja in und außerhalb der Urbs gegenüber
1 Vgl. Mommsen 566 f.
2 Appian bell. civ. 2, 12: dopYeixo pev 6 Kcucrap ffotvaxov tu) pp öpöaavxi,
icai ö bf|juoc; ^rreKupou. Dem widerspricht es nicht, wenn Plutarch Cato min.
32, 3 nur pefodux. . . diuxipicc Kocxa tüjv pp öpoaavxuuv erwähnt. Denn es kam
natürlich nicht zur Hinrichtung. Alle leisteten den Eid in der Erinnerung
an das Geschick des Metellus, ov ei<; vöpov öpoiov (= Lex Appuleia agraria
v. J. 100: Liv. ep. 69 [vgl. auch ob. S. 277J) öpöaai pp -OeXpaavra rrepieibev ö
hppoq dKTteaövxa qpuxp xfjc; ’IxoAiac; (Plut.).
8 Keinen präzis juristischen Wert haben die octo 'genera poenarum, die
Augustin (de civit. dei 21, 11) als cieeronisch schildert. Darüber und über
Cie. de orat. 1, 194: Mommsen 905f., Costa, Cic. II 663.
4 S. auch Mommsen 9052.
5 Dagegen spricht nicht etwa Cic. p. Milon. 101: mortem naturae finem esse,
non poenam. Das will der Khetor als die Meinung seines Klienten glauben
machen, für den der Tod weniger Schrecken habe als das exilium, ubi vir-
tuti non sit locus.
Die römische Kapitalstrafe. 85

Nichtbürgern in ungehindertem Gebrauch und mochten — inmitten


der politischen Wirren, in denen man lebte — auch für Bürger
über Nacht wieder praktisch werden.
16. Die Wendung trat bekanntlich rasch genug ein. Man
brauchte nur die der Verhaftung des Bürgers einst gezogenen
Schranken zu mißachten und außerordentliche Beamtengerichte an-
zuerkennen — und die latente Todesstrafe ward sofort wieder ak-
tuell.1 Bloß insofern läßt sich sagen, daß Augustus «die Todes-
strafe wiederhergestellt»2 habe. Eine ausgesprochene Reform in
diesem Sinne hat der Princeps nicht beabsichtigt.3 Sonst hätte
nicht seine ordentliche Strafgesetzgebung in der Fixierung der Ka-
pitalstrafe wesentlich4 denselben Weg beschritten, wie ihn der Frei-
staat zuletzt gegangen war. Es verdient zweifellos Glauben, daß
die Lex Julia de vi publica (Ulp. D. 48, 6, 10, 2) wie die Lex Julia
maiestatis ([Paul.] Sent. 5, 29, 1) entsprechend den Gesetzen Caesars
(Cic. Phil. 1, 23) als Strafe die Interdiktion bestimmte.5 Hat doch
sogar noch Tiberius i. J. 17 einen Senatsbeschluß herbeigeführt,
quo cavetur, ut mathematicis, Chalclaeis . . . aqua et igni interdicatur
omniaque bona eorum publicentur (Ulp. Coli. 15, 2, 1), wobei er aber
die Interdiktion nicht ausdrücklich, sondern nur in der Weise ge-
nannt zu haben scheint, daß er die Strafe der Lex Cornelia de
sicariis für anwendbar erklärte (Mod. Nr. 145; D. 48, 8, 13).6 Ein
neuer Beweis dafür, mit welchem Inhalt nun die poena legis Cor-
neliae in die Geschichte einging.
17. Das muß man sich gegenwärtig halten, wenn man im
Bereich der Juristenschriften folgendes liest:
a) Ohne Hinweis auf eine bestimmte Lex Cornelia:
Gai. I 128: Cum autem is, cui ob aliquod maleficium
ex lege Cornelia aqua et igni interdicitur, civitatem Roma-
nam amittat, . . .
1 Wer heute im Tullianum, dem alten Carcer Roms, die (moderne) Zu-
sammenstellung der (angeblich) einst dort vollzogenen berühmten Exeku-
tionen betrachtet und hintereinander von der Hinrichtung der Katilinarier,
des Vercingetorix und des Seianus (31 n. Chr.) liest, der wird die Zeitenwende
überhaupt nicht gewahr. Über die sicheren Fälle Hülsen, RE. III 1582.
2 Mommsen 942.
3 Vgl. namentlich Dio Cass. 55, 14—22 und dazu Mommsen 9801.
4 Zur Verschärfung des Exils Dio Cass. 56, 27 (Mommsen 974, Strachan-
David8on II 553).
5 Über das nicht echte Ulp. D. 48, 13, 3 anderswo.
6 Vgl. Mommsen 640 f., Ferrini, Espos. 387 f.; Costa, Crimini 160.
3*
36 Ernst Levy:

b) Zur Lex Cornelia de sicariis:


Ulp. Coli. 12, 5, 1 (Nr. 2216): Incendiariis lex quidem
Cornelia aqua et igni interdici iussit . . .
[Paul.] sent. 5, 23, 1: Lex Cornelia poenam deportationis
infligit ei, qui hominem occiderit eiusve rei causa furtive fa-
ciendi cum telo fuerit et qui ...1
Marcian. D. 48, 8, 3, 5 (Nr. 171): Legis Corneliae de si-
cariis ut veneficis poena insulae deportatio est et omnium
bonorum ademptio.
c) Zur Lex Cornelia de falsis2:
Mod. D. 48, 10, 33 (Nr. 165): Si quis falsis constitutionibus
nullo auctore habito utitur, lege Cornelia aqua et igni ei
interdicitur.
[Paul.] sent. 4, 7, 1: Qui testamentum falsum scripserit . . .,
poena legis Corneliae de falsis tenebitur, id est in insulam
deportatur.
Justinian als Berichterstatter ist bekanntlich immer mit Vor-
sicht aufzunehmen3; gerade seine Angaben über die Strafen der
kornelischen und julischen Gesetze (Inst. 4, 18) sind so anerkannt
unrichtig, daß ich sie ganz beiseite lasse. Aber auch historische
Bemerkungen aus klassischer Zeit bedürfen der Kritik, falls zwischen
ihr und dem vergangenen Ereignis Jahrhunderte liegen.4 Und
doppelt dann, wenn der Unterschied zwischen dem einstigen Wort-
laut eines Gesetzes und seiner späteren Interpretation in Frage
steht. Daß man es hiermit oft nicht genau nahm, ist längst beob-
1 Das poena capitis vindicari des zweiten Satzes steht nicht im Referat
über die Lex, sondern im Gegensatz zu ihr. Näheres dazu anderwärts.
2 Abzusehen ist hier von den keinesfalls das gesetzliche Strafmaß wieder-
gebenden [Paul.]Sent. 5, 25, 1. 7.
3 S. jetzt namentlich Pringbheim, Studi Bonfantei 568ff., 576f. und früher
gelegentlich z. B. Puchta, Inst.8 306 f.; Pernice, SZ. 14, 162; Mitteis, SZ. 34,
4131; gerade auf stralrechtlichem Gebiet Esmein, Mdlanges d’histoire du droit
(1886) 112 f. Gegenüber dem Vorwurf absichtlicher Geschichtsfälschung (zu-
letzt H. Krüger, Herstellung der Digesten 186 ff.) vgl. etwa Rotondi, Scr. I 98.
213. 230. In demselben Sinne jetzt F. Schulz, SZ. 50, 2133, und nicht anders
meine eigene Bemerkung (Sponsio 323), die Schulz «zu ungünstig» findet. Vgl.
auch Gedächtnisschrift f. Seckel 1792.
4 Man denke an die Rechtsgeschichte des Pomponius D. 1,2, 2, in un-
serem Zusammenhang etwa an die angeblich sudanische quaestio de parricidio
(dort § 32); dazu Mommsen 1905 *, besser als 6443.
Die römische Kapitalstrafe. 37

achtet worden1; ähnlich pflegen wir Heutigen ja nur aus besonderem


Anlaß zu vermerken, daß die geltende Fassung einer Norm erst
auf ihrer Abänderung beruht.
Selbst angenommen also, daß die hier Pate stehenden Klas-
siker mit eigenen Worten sprächen, könnten sie nicht dagegen
aufkommen, daß, wir wir sahen2 3, Sullas Zeitgenossen den Leges
Corneliae den behaupteten Inhalt absprechen: Caesar andeutend
durch den Mund Sallusts (Catil. 51, 22. 40), Cicero unmittelbar
(p. Caec. 100), ausdrücklich und apodiktisch. Und wenn schon der
spätere Cicero (Parad. 4, 31) in Anwendung der neuen Auslegung
von den Mördern und Brandstiftern sagt, daß sie leges exsilio ad-
fici volunt, wenn sogar die Leges von 46 und 43 v. Chr.3 und das
Senatuskonsu.lt von 17 n. Chr. die gleiche Anschauung voraussetzen,
so ist es erst recht nicht erstaunlich, sie bei den nachgeborenen
Klassikern wiederzufinden. Die eine Hälfte der obigen Fragmente
trägt ja die Inkorrektheit offen zur Schau, wenn sie die erst weit
später an die Stelle der Interdiktion tretende Deportation4 in die
republikanische Lex zurück verlegt5, das Fragment D. 48, 8, 3, 5
obendrein mit der falschen Vorstellung, als sei die Vermögensein-
ziehung schon mit der Interdiktion verknüpft gewesen.6 Dabei
ist die Echtheitsfrage noch gar nicht berührt, die gerade der Gaius-
stelle gegenüber schon Paul Krüger mit gutem Grunde auf-
geworfen hat. Im Zusammenhang des Klassikers sind die merk-
würdig unbestimmten Worte ex lege Cornelia7 überflüssig, ja
gefährlich, weil sie das unrichtige8 arg. e contr. herauf beschwören,
daß bei nichtkornelischer Interdiktion anderes gälte.9 Ein nach-
klassischer Adnotator dagegen mochte wohl annehmen, daß die
veraltete Interdiktion dem Leser nicht mehr geläufig sei, und so
fügte er diese Worte, vielleicht auch die weiteren ob aliquod male-

1 Wlassak, Prozeßgesetze 1 24612 und SZ. 25, 96; Mommsen 7121; v. Pre-
merstein, SZ. 48, 508. 518.
2 S. 19 f., 24 f.
3 8. ob. S. 32 ff.
4 Hierzu Genaueres anderwärts.
0 8. auch Wlassak, Prozeßges. II 11224; Triebs, Stud. zur Lex Dei I 85 f.
6 Vgl. Mommsen aaO. und 967.
' P. Krüger adhl.: ex glossemate videntur irrepsisse) G. Segre, Studi Bon-
fante III 582.
8 S. auch ob. S. 204.
9 Weswegen Huschke ein velut davor setzen wollte.
38 Ernst Levy:

fcium1 zur Erläuterung bei.2 Gai. Aug. 19 schreibt jedenfalls


korrekter: Quid erit, si aquae et ignis vel patri interdicatur vel liberis?3
Die Juristenfragmeute sind also Zeugnisse nicht für den In-
halt der einst von Sulla ausgesprochenen Sanktion, sondern für
die Interpretatio, die die Sanktion in nachsullanischer Zeit erfuhr.
Auf andere Weise sucht den Abstand zwischen ihnen und dem
Gesetzeswortlaut das Buch von Strachan-Davidson zu überbrücken,
die einzige Schrift, die, soweit ich sehe, dieses Problem in voller
Klarheit angreift4 und die — als die ausführlichste kritische
Auseinandersetzung mit Mommsens Strafrecht — überhaupt mehr
Beachtung verdiente, als sie sie bisher gefunden hat. Strachan-
Davidson vermeidet den Zwiespalt in der Weise, daß er die zwie-
spältigen Elemente einfach miteinander gleichsetzt: die aquae et
ignis interdictio ist nicht a substantive punishment parallel to that
of death (II 25), sondern the form of the death penalty whieh
the laws of Sulla invoke (II 23), a death sentence, though one
which might be evaded with great ease (II 51)5, eine bedingte
Todesstrafe (to be put to death if he does not retire from Italy
II 68). Aber mit dieser weder ganz quellenmäßigen6 noch neuen7
Formulierung dürfte nichts gewonnen sein. Die sachlichen Fragen
bleiben offen: Sollten die Römer den abgrundtiefen Unterschied
zwischen unbedingter und bedingter Todesstrafe nicht bemerkt
haben? Wie konnte Sulla darauf rechnen, das hergebrachte de
capite quaerito nun in dem neuen Sinne einer bloß bedingten Todes-
strafe verstanden zu sehen, derart daß der Schuldspruch unmittel-
bar die bloße Verbannung bedeutete?8 Wie erklärt es sich um-
gekehrt, daß die Leges Corneliae vom caput, die Leges Fufia und
Pedia von der interdictio sprechen 9, wenn, wie diese Identitätstheorie
annehmen muß und auch annimmt10, beide Gruppen doch dasselbe

1 So Albertario, Delictutn e crimen 491 und Studi Perozzi 224.


2 Die beiden Glosseme könnten auch nacheinander entstanden sein.
Kübler adhi. und Segre wollen (warum?) nur eines von beiden gelten lassen.
3 Vgl. auch Ulp. epit. 10, 3.
4 Z. B. II 23 ff. 51 ff. 73 f.
5 S. ferner etwa II 32f. 47 (condemned to death by aquae et i. i.). 48.
51. 52. 623. 233 u. sonst. — Besser II 50 unten.
6 Vgl. höchstens u. S. 45 6.
7 Vgl. z. B. Mommsen 907 «bedingte Todesstrafe».
8 Vgl. II 39.
9 II 31. 41. — Zur Lex Tullia s. ob. S. 31 6.
10 Erst mitTiberius sei eine Änderung eingetreten : z. B. II 25, 55, 58, 60, 64.
Die römische Kapitalstrafe. 39

meinen? Wer konnte aus den Gesetzen des letzteren Typs ab-
lesen, daß die direct sentence of the law1 nicht Verbannung, sondern
Todesdrohung sein sollte?
18. Die Auslegung, die die Juristenfragmente von der poena
legis Corneliae bieten, stimmt, wenn man von der Anpassung an
Deportation und Konfiskation absieht, genau mit dem überein,
was wir den literarischen Quellen als das Ergebnis einer schritt-
weisen organischen Entwicklung zu entnehmen hatten: Strafe war
die Interdiktion. Aber die Fassade, hinter der sich diese Wand-
lung vollzogen hatte, blieb die gleiche: die Worte de capite quaerito
standen in den kornelischen Gesetzen noch unverändert wie zu
Sullas Zeit. Das konnte für die Auffassung des Terminus caput
unmöglich ohne Folgen bleiben. Wenn ein quaerere de capite, ein
accusare oder reum facere capitis, eine causa oder res capitalis, ein
crimen oder iudichmi capitale auf bloße Verbannung hinauslaufen
mochte und regelmäßig hinauslief, so hatten caput und capitalis
in all diesen Verbindungen eben einen neuen Inhalt gewonnen:
nicht durch willkürlichen Staatsakt, sondern allmählich und mit
einer inneren, zwingenden Folgerichtigkeit. Capitalis hieß jetzt die
todes- oder verbannungswürdige Tat, nicht mehr bloß die todes-
würdige; der tod- oder verbannungbringende Prozeß, nicht mehr
bloß der todbringende. Sofort im Beginn des Prinzipats hören
wir das von der ersten Autorität:
Ter. Clem. D. 37, 14, 10 (Nr. 22): Labeo existimabat ca-
pitis accusationem eatn esse, cuius poena mors aut exilium esset.
Der eingliedrige Begriff war auch in der technischen Juristen-
sprache zu einem alternativen geworden. Nicht zu einem mehr-
deutigen, schillernden. Weder Labeo noch sonst jemand deutet
an, daß, wie die herrschende Lehre meint, die genannten Termini
bald in einem engeren und bald in einem weiteren Sinne gebraucht
worden wären. Die Alternative der Strafdrohung charakterisiert
das kapitale Verbrechen und Verfahren. Von den beiden
Strafen dagegen, zwischen denen die Alternative besteht, behält
jede einen ihr ausschließlich zugehörigen Namen: dort das exilium,
hier die capitis poena2 oder das punire capite. Das ist die Trennung
der caput-Termini, die für die klassische Zeit zu erweisen sein
1 Vgl. II 73; II 30 wird die bisherige und richtige Begriffsbestimmung
der Interdiktion anerkannt.
2 Nicht auch die capitalis poena (u. S. 58 ff.). Das Adjektiv hat für die
Klassiker immer die alternative Bedeutung.
40 Ernst Levy:

wird. Zuvor bedarf indes das Bild der republikanischen Ent-


wicklung noch einer kurzen Ergänzung.
C.

19. Der geschilderte Werdegang — der sachliche wie der


terminologische — betraf, wie bemerkt, nur den civis Roma-
nus. Den Nichtbürger schloß man von solcher Nachsicht aus.
Die Verbannung, die ihm weder ein (vom römischen Standpunkt
beachtliches) Bürgerrecht noch sonst einen Anteil am politischen
Leben rauben konnte, wäre ihm gegenüber kein Äquivalent für
die Todesstrafe gewesen, und so blieb er virgis et securibus subiec-
tus.1 Der Senatsbeschluß vom Jahre 17 (ob. S. 35), der den civis
mit aquae et ignis interdictio bedroht, fügt wortkarg und vielsagend2
hinzu: et si externarum gentium quis id fecerit, ut in eum animad-
vertatur (Coli. 15, 2, 1). Wo aber in Gesetz oder Praxis nur vom caput
die Rede war, da behielt es für den Peregrinen bei der alten Bedeutung
sein Bewenden: Kapitalstrafe ist Todesstrafe. Dafür liefern jetzt
die augusteischen Edikte von Ivyrene eine willkommene Bestätigung.
Der durch Rückübersetzung aus dem Griechischen gewonnene,
doch kaum anzuzweifelnde Urtext stellt die Entscheidung nicht
weniger als viermal auf capiialis causa (Z. 9), capitalia iudicia (Z. 21),
rei capitis (Z. 65) und capitis accusare (Z. 99). Die Überlieferung-
hingegen lautet davair|cp6pöi biicai (Z. 9), havarpcpopa Kpiippia (Z. 21),
ÜTTÖÖiKOi KeqpaXfjg (Z. 65), KeqpaXfjc; euhuvetv (Z. 99). Wie erklärt sich
im Griechischen das Auseinanderfallen des ersten und des zweiten
Stellenpaars? Einige Ausleger3 glaubten darin den angeblichen
Gegensatz eines engeren und eines weiteren capitalis wieder-
zuerkennen. Die meisten leugnen hier den Gegensatz, aber Ebrard4
und Stroux5 neigen dem weiteren, Wenger6 und Arangio-Ruiz7
dem engerem Sinne zu. Es kann nach dem Gesagten kein Zweifel
darüber bestehen, daß Augustus überall nur den sog. engeren Sinn
meinte, weil es für Griechen einen anderen überhaupt nicht gab.
1 Vgl. Cic. p. Rabir. ad pop. 10, Val. Max. 9, 14 ext. 3 (ob. S. 26) und all-
gemein auch Mommsen 79 f. 143. 153. 257 X 9l3f.
2 Vgl. ob. S. 6>.
3 v. Premerstein, SZ. 48, 443f.. 475f., P. M. Meyer, Studi Bonfante 343f.
und SZ. 50, 540.
4 Philol. Wochenschr. 1927, Sp. 1193—98, 1226-32.
5 Stroux-Wenger, Die Augustus-Inschrift (Abh. d.Bayr.Akad.1928) 27. llOf.
6 Stroux-Wenger 87 ff.
7 Riv. di filolog. 1928, 3292. 363.
Die römische Kapitalstrafe. 41

Der von Wenger geführte Nachweis, daß sich bei Peregrinen ein
Verlust des Bürgerrechts gar nicht denken läßt, kommt dieser Auf-
fassung schon auf halbem Wege entgegen. In solchem Milieu konnte
der Übersetzer also capitalis getrost mit üavaxriqpopoc; wiedergeben.1
Er durfte ps um so eher, als der Kaiser selbst ja die Gleichsetzung
mit der ultima poena (eq xijv eaxaxriv rpfpevouc; xtpoptav: Z. 11/12)
vollzogen hatte. Natürlich war, wie auch das eq andeutet, die
Hinrichtung nur der schlimmste Ausgang, zu dem der Statthalter
es nicht kommen lassen mußte. Konnte schon im älteren Bürger-
prozeß der römische Magistrat sich darauf beschränken, den Schuld-
spruch durch bloße Interdiktion zu vollstrecken, so hatte er diese
Macht im Rahmen der provinzialen Kognition erst recht. Auch
auf Bergwerksstrafe, sonstige Zwangsarbeit, Entziehung der Liber-
tas usw. mochte er erkennen. Aber solche Begnadigungen hatten,
wo sie beliebt wurden, ihre Grundlage ausschließlich im Imperium
und berührten darum die Eindeutigkeit des Kapitalverbrechens
nicht. Sachlich schafft diese Auffassung keine unlösbare Anti-
nomie zwischen dem ersten und dem vierten der kyrenäischen
Edikte. Der Kaiser mochte den Griechen wohl die Gnade bezeigen,
daß in Kapitalprozessen gegen sie regelmäßig ein halbgriechisches
Geschworenengericht entscheiden sollte; er konnte aber niemals
so weit gehen, seinen eigenen höchsten Vertreter der Möglichkeit
selbständiger Kognition zu berauben.2
Vorstehendes läßt sich auch auf die soeben edierte3 Inschrift
von Nazareth unmittelbar an wenden. In dem Aidxaypa Kaloapog,
das sie enthält, wendet sich der Kaiser, wahrscheinlich wiederum
1 Ob er das unmittelbar entsprechende KecpaXiKÖq wirklich nur «aus stilisti-
schen Gründen» vermied (so Stroux27)? Das Wort scheint in diesem Sinne bis-
her vor dem 8. Jhd. nicht belegt zu sein: vgl. P. Oxy. 2104 (u. S. 66), Herodian. 2,
13, 9, ferner (vgl. Sophocles, Greek Lexicon) bei’ den Kirchenvätern Athanasios
und Epiphanios und im justinianischen Zeitalter (Voc. Cod. Just. II 233); s. auch
Corp. gloss. latin. II 348, 28. 34. 35. [Auch das wohl früheste Beispiel, das
jetzt die neue Ausgabe von Liddell-Scott, Greek-English Lexicon bietet, P. Mag.
Leid. V. 5, 13, stammt nach Dieterich, Jahrb. f. kl. Phil. Suppl. 16 (1888), 779 f.
erst vom Beginn des 3. Jhds.] — Modest. I). 27, 1,6, 17 brauch das Wort nur im
Sinne von inimicitiae capitales. Technisch ist den Griechen hier wohl nur Odvaxoc;
mit seinen Ableitungen (vgl. die Wörterbücher, auch ob. S. 14): noch Dio Cassius
gibt die tresviri capitales in dieser Weise wieder (ob. S. 11).
2 So mit Recht Wenger 89f., 93, auch SZ. 49, 826; Stroux 110f.; Arangio-
Rüiz aaO. 331. 363; anders Graf Uxkull-Gyllenband, Gnomon 6, 125.
3 E. Cumont, Rev. historique 163 (1930) 241 ff.; E. Cuq, Rev. hist, de droit
9 (19ü0), 383ff. [Vgl. jetzt vor allen Wenger, SZ. 51, 369ff. — Korr. Zusatz]
42 Ernst Levy:

Augustus, gegen den Gräberfrevel. Am Schluß sieht (Z. 20 — 22)


folgende Sanktion:
ei be uh, toutov eftu KeqpaXrj? KaxaKpixov
ovogaTi Tupßcupuxiac; beXuu peveahai.
Das ist ebenfalls die Todesstrafe gegen Peregrine.1

III. Die Kaiserzeit.


A.
20. Der für den civis Romanus alternative Begriff des Kapital-
verbrechens, wie er sich gegen Ende der Republik herausgebildet
hatte2, behielt fortan Jahrhunderte hindurch in Theorie und
Praxis seine grundlegende Funktion. Die Römer der klassischen
Epoche unterscheiden nicht wie wir heute Verbrechen, Vergehen
und Übertretungen, nicht Ungerichte und Frevel3, nicht dpapifnaaia
und ötTvof]|uaTa4; nur in begrenztem Gebiet sondern sie gelegent-
lich schwerere und leichtere Taten.5 Den Haupteinschnitt inner-
halb der publica iudicia und damit zunächst, aller, späterhin der
wichtigsten crimina6 liefert ihnen die Zweiteilung in capitalia und
non capitalia. Das tritt sofort in den Normen selbst hervor, von
denen nicht wenige aus der republikanischen Epoche übernommen
sein werden. Wie damals die tribuni plebis das Verbot erlassen
Romae quemquam esse qui rei capitalis condemnatus esset
(Cic. in Verr. II 2, 100),
so machen sich auch Prätor und Adilen die Kategorie wiederholt
zunutze. Die Adilen gebieten dem Verkäufer zu pronuntiieren
si quod mancipium capitalem fraudem admiserit (Ulp. D. 21,
1, 1, 1; Lenel § 293, 1).
Der Prätor schließt vom Postulieren pro aliis schlechthin den-
jenigen aus,
qui capitali crimine damnatus erit (Ulp. D. 3, 1, 1, 6; Lenel
_ § 15);
1 Zu vergleichen, wenn auch m. E. nicht durchaus beifallswert, Cumont
254 f, Cuq 403 f.
2 Ob. S. 39.
3 Brunner-v. Schwerin, Grundzüge d. dt. Bechtsgesch. 8 173.
4 Wenger, Arch. f. Papyrusforschung 2, 483 ff.; Taübenschlag, Strafrecht
in d. Papyri 7 f.; P. M. Meyer, Jur. Papyri 236; Wilcken, Urk. d. Ptolemäer-
zeit I 499 f.
5 S. u. S. 71 f.
6 Vgl. u. S. 64 f.
Die römische Kapitalstrafe. 43

auch verheißt er dessen Gläubigern unter gewissen Umständen


vermutlich die missio in bona (Lenel § 212). Die bonorum possessio
wird denen versagt,
qui rei capitalis damnati sunt (Afric. D. 37, 1, 13; Ulp. D. 48,
19, 2; Lenel § 163, 1).
Gegen den Vadimoniumskläger hat der Beklagte die exceptio
extra quam si rei capitalis ante condemnatus vadimonium
sistere non potuit (Ulp. D. 2, 11, 4pr., § 1; Lenel § 269,5),
gegen jeden Kläger die wohl noch ins Hadrianische Edikt über-
gegangene exceptio
extra quam in reum capitis praeiudicium fiat (Cic. de in-
vent. 2, 59. 60; Lenel § 52).
Die bonorum possessio liberti erhält nicht,
qui cum maior natu esset quam viginti quinque annis, liber-
tum (paternum) capitis accusaverit . . . (Ulp. D. 38, 2, 14 pr.;
Lenel § 153);
eine entsprechende Bestimmung dürfte in der Lex Papia Poppaea ge-
standen haben1: Ulp. D. 37, 14, 17 pr. i. f.; Mod. D. eod. 9, 1; vgl.
die Inskription von D. eod. 10. 17. Die Lex Julia de repetundis
bedroht den, der
ob litem aestimandam iudiciumve capitis pecuniaeve facien-
dum vel non faciendum aliquid acceperit (Macer D. 48, 11,7 pr.).
Zahlreiche Beispiele aus Kaisererlassen werden hernach begegnen.2
21. Es kann nicht fehlen, daß diese Sätze des positiven Hechtes
sich in den klassischen Kommentaren widerspiegeln. Viele De-
finitionen geben Zeugnis davon. Sie lassen sich in zwTei Gruppen
zerlegen. Die eine deutet noch die Herkunft des Begriffes aus
der Zeit Ciceros an, indem sie die seither eingetretene Vermehrung
der Strafen außer acht läßt und sich ganz im Sinne Labeos D. 37,
14,10 (ob. S. 39) auf die Alternative mors aut exilium beschränkt. So
African. D. 37, 1, 13 (Nr. 40): rei autem capitalis dam-
natus intellegitur is, cui poena mors aut aquae et ignis inter-
dictio sit.3 *

1 Leist, Patronatsrecht I 499. 503; s. auch Lenel, Pal. II 3392; anders


Ferrini, Opere II 258. Nichts Bestimmtes darüber bei Jörs, Über das Ver-
hältnis der Lex Julia zur Lex Papia Poppaea (Bonn. Diss. 1882) 53 f.
2 S. 46, 60 f., 65 ff.
3 Der Beanstandung dieses Satzes durch De Medio, Arcli. giur. 68 (1902),
221 und Lenel, SZ. 51, 165 vermag ich nicht beizutreten.
44 Ernst Levy:

Ulp. D. 2, 11, 4pr. (Nr. 1655): rei capitalis condemnatum


accipere debemus, qui morte exiliove coercitus est.
Das mochte hingehen, weil die Fälle der servi poenae (metalla;
ludus gladiatorius) a potiori mitinbegriffen schienen und das wie
die Verbannung das Bürgerrecht nehmende lebenslängliche opus
publicum1 regelmäßig nur alternativ mit einer der anderen Kapital-
strafen angedroht war.1 2 Die andere Gruppe, die für die spät-
klassische Ara die zeitgemäßere und typische ist3, erzielt den
weiteren Ausblick auf verschiedene Art. Entweder begnügt sie sich
damit, die entschwundene historische Begründung durch eine dog-
matische zu ersetzen, die die Einbeziehung der fehlenden Tat-
bestände nahelegt:
Paul. D. 48, 1, 2 (Nr. 260): Publicorum iudiciorum quaedam
capitalia sunt, quaedam non capitalia. capitalia sunt, ex
quibus poena mors aut exilium est, hoc est aquae et ignis
interdictio: per has enim poenas eximitur caput de
civitate. nam cetera non exilia, sed relegationes proprie
dicuntur: tune enim civitas retinetur. non capitalia sunt,
ex quibus pecuniaria aut in corpus aliqua coercitio poena est.
Ulp. D. 38, 2, 14, 3 (Nr. 1172): Is demum videtur capitis
accusasse, qui tali iudicio appetit, cuius poena aut supplicium
habuit aut exilium [quod sit vice deportationis]4, ubi civitas
amittitur.
Oder aber sie führt, mehr abstrahierend, den Bürgerrechtsverlust
unmittelbar an Stelle, des zu eng gewordenen Exiliums in die
Definition ein:
Ulp. D. 48, 19, 2 pr. (Nr. 1207): Rei capitalis damnatum
sic accipere debemus, ex qua causa damnato vel mors vel
etiam civitatis amissio vel servitus contingit.
Mod. D. 50, 16, 103 (Nr. 250): Licet 'capitalis’ Latine lo-
quentibus omnis causa existimationis videatur, tarnen appella-
tio [capitalis] mortis vel amissionis civitatis intellegenda est.5 6
Die Erneuerung — sei es der Begründung, sei es der Begriffs-
bestimmung selbst — hat ersichtlich den einzigen Zweck, den
1 Mommsen 953 2.
2 Vgl. etwa Mommsen 1047.
3 Über Ulp. D. 21, 1, 23, 2 s. u. S. 51 f.
4 Vgl. einstweilen M. Cohn, Beitr. z. Bearbeitung des röm. Bechts I, 2
(1880), 953.
6 Hierzu vgl. ob. S. 313.
Die römische Kapitalstrafe. 45

capitalis-Begriff der kaiserzeitlichen Entwicklung anzupassen. Diesen


Zweck erfüllt am besten1 das eximitur caput de civitate. Es ist
ein Kind der spätklassischen Theorie, nicht etwa, wie man noch
heute vorwiegend annimmt, eine Spiegelung des Urbegriffes.
Nebenher läuft ein anderer Versuch, den neuen Sinn von
capitalis zu umschreiben. Die gradus poenarum stellt Callistratus
6 cognit. D. 48, 19, 28pr. § 1 (Nr. 39. 42), wie folgt, dar2:
Capitalium poenarum fere isti gradus sunt, summum
supplicium esse videtur ad furcara damnatio. item vivi cre-
matio . . . item capitis amputatio. deinde proxima morti poena
metalli coercitio. post deinde in insulam deportatio . . ,3
§ 1 Ceterae poenae ad existimationem, non ad capitis peri-
culum pertinent veluti relegatio ad tempus vel in perpe-
tuum vel in insulam vel cum in opus quis publicum datur
vel cum fustium ictu subicitur.
Hier wird das Wesen der Kapitalstrafe nicht in der Entziehung
der civitas, sondern darin erblickt, daß sie ad capitis periculum
pertinet. Den Kopf in Gefahr bringen in der Tat auch Bergwerks-
strafe und Deportation, weil sie — und nur sie —, wie gerade
Callistratus berichtet4, im Falle des Bannbruchs sich zur Todes-
strafe steigern.5 Diese Auffassung lehnt sich enger an den histo-
rischen Werdegang an als die unter den Klassikern herrschend
gewordene6; sie unterscheidet sich von ihr aber anscheinend7 auch
praktisch, insofern sie das lebenslängliche opus publicum als nicht-
kapital betrachtet (eod. §§ 1 und 14). Vielleicht ist gerade diese
Konsequenz nicht auf Gegenliebe gestoßen. Durchgesetzt hat sich
1 Und vollständiger noch als die klassischem Muster entnommenen Inst.
4, 18, 2, wo es hinter dem mit Paul. D. 48, 1, 2 wörtlich übereinstimmenden
Anfangssatz heißt: Capitalia dicimus quae ultimo supplicio adficiunt vel aquae
et ignis interdictione vel deportatione vel metallo.
2 Ulp. D. eod. 6, 2 und [Paul.] sent. 5, 17, 2 vermeiden bei ihrer Aufstel-
lung wohl nicht ohne Absicht die Termini caput und capitalis.
3 Vgl. Lenel, Pal. I 91 und u. S. 46 f.
4 D. eod. 28, 13, 14; s. auch Marcian. D. eod. 4.
5 Noch ein anderer Gesichtspunkt für das in der Deportation liegende
capitis periculum bei Modestinus (Krüger, Collectio II 161; Seckel-Kübler II
169): deportatis vero hae solent insulae adsignari, quae sunt asperrimae quaeque
sunt paulo minus summo supplicio comparandae.
6 Capitalis in diesem Sinne ist die unbedingte und die bedingte Todes-
strafe : vgl. ob. S. 38.
7 Anders Mommsen 953 3, indem er den § 1 nur «vom opus publicum auf
Zeit» versteht.
46 Ernst Levy:

die Theorie des Callistratus jedenfalls nicht. Sie begegnet allenfalls


in C. 9, 22, 1 v. J. 212 (causa capitalis — cum periculuni capitis
subeat)\ andere Verwendungen von periculum capitis1 geben noch
weniger aus.
22. So verschieden aber auch die Wege sind, die die beiden
Lehren einschlagen: darin kommen sie völlig überein, daß capitalis
sich nicht mehr auf die Todesstrafe beschränkt. Und in demselben
Sinne fällt die Gegenprobe aus, wenn sie noch nötig ist. In einem
Reskript der Divi Fratres (Ulp. D. 49, 9, 1) bildet ea causa, ex qua
sequi solet poena usque ad relegationem den einen Gegensatz zur
causa capitalis, so daß diese ultra relegationem, also bereits mit der
Deportation beginnt. Den anderen Gegensatz liefert, wie von alters
her2, die pecuniaria causa-, er wiederholt sich mehrfach3 in den
Erlassen derselben Kaiser Papir. Just. D. 48, 16, 18, 2 (in crimine
capitali — in re pecuniaria) und Call. D. 49, 14, 2, 2 (de re num-
maria — de capitali causa) wie schon in der Lex Julia de repe-
tundis Macer D. 48, 11,7 pr. (iudicium capitispecuniaeve), desgleichen
in den Paulussentenzen 5, 16, 5 (ex Brev.) (in pecuniariis — in
capitalibus causis), eod. 17 (ex D. 2, 12, 10) in pecuniariis causis
— in capitalibus autem) und in des Callistratus Zählung der quattuor
genera cognitionum D. 50, 13, 5 pr. (Nr. 5): aut enim de honoribus sive
muneribus gerendis agitatur aut de re pecuniaria disceptatur aut de
existimatione alicuius cognoscitur aut de capitali crimine quaeritur,
wo wir nur deshalb nicht klarer zu sehen vermögen, weil die
Unterteilung gerade der letzten Gruppe uns nicht erhalten ist.4
Der Jurist will, wie er einleitend selbst andeutet (Cognitionum
numerus ... in genera dividi facile non potest, nisi summatim
dividatur), die Glieder seiner Vierteilung nicht in dem strengen
Sinne verstanden wissen, daß sie sich gegenseitig ausschlössen; sonst
hätte er Deportation und Metalla nicht zugleich in der dritten
Gruppe (D. eod. 5, 3: Lenel Nr. 10) wie in der vierten (D. 48, 19,
1 Maec. D. 40, 5, 36 pr.; Ulp. D. 29, 5, 1 pr.; [Paul.] sent. D. 39, 4, 11 pr. —
Die Wendung kommt schon bei Terenz vor (s. ob. S. 13 12) wie umgekehrt noch
in der Spätzeit (Non. Marcell. p. 38: Capital dictum est capitis periculum), auch
in deren Rechtssprache (CT. 11, 8, 1 [397]; CJ. 12, 59, 10, 2 i. f. [Leo]), aber
häufiger ist hier, was nicht überrascht, capitale periculum (CT. 16, 8, 6 [339];
8, 5, 41 [382]; CJ. 10, 20, 1, 1 [400]; CT. und IT. 11, 7, 20 [412]; CJ. 1, 27,
1, 20 [534]), beides natürlich (s. u. S. 56 ff.) lediglich die Todesstrafe bezeichnend.
2 Vgl. die Belege bei Coli, Cap. dem. 612; zu Terenz auch ob. S. 13.
3 Zu Venul. D. 48, 2, 12, 4 s. u. S. 55.
4 S. auch Lenel, Pal. I 902.
Die römische Kapitalstrafe. 47

28 pi\; 49, 14, 12; 1, 19, 3: Lenel Nr. 39—41) behandeln und sie
innerhalb der vierten Gruppe sogar den Existimationsstrafen im
engeren Sinne offen entgegensetzen können (D. 48, 19, 28, 1: Lenel
Nr. 42). Diese letzteren Strafen von dem capitalis-Gebiet fern-
zuhalten, zeigen sich die Spätklassiker ja auch sonst bemüht: Mod.
D. 50, 16, 103.1
Die eben berührte Gegenüberstellung erscheint nicht minder
bei Gaius, wenn er IV 111 von der furti manifesti actio berichtet,
daß pro capitali poena pecuniaria constituta sit. Allerdings ist das
nur eine historische Bemerkung, die auf die Todesstrafe der Zwölf
Tafeln abzielt. Aber gerade darauf, daß es eine Todesstrafe war,
legt der Klassiker ein bezeichnend geringes Gewicht. Zur Erklärung
dieser poena capitalis (III 189) genügt es ihm (nam!), daß der Dieb
verberatus acldicebatur ei, cui furtum fecerat. So wenig zuverlässig
das die einstige Anschauung widerspiegelt2 3, um so charakteristischer
ist es für die klassische.
23. Nach alledem war capitalis zur Bezeichnung der Todes-
strafe im klassischen Recht nicht mehr geeignet. Und doch brauchte
man für sie eine eindeutige Wendung, um so mehr als ja schon
vom Beginn des Prinzipats ab Hinrichtungen von Bürgern in
steigendem Maße wieder vorkamen. Selbstverständiich fehlte es
nicht an Umschreibungen der verschiedensten Art. Aber technisch
war nur ein Terminus: capite punire und capitis poena nebst den
in weitem Abstand folgenden Modifikationen capite damnare und
plectere. Daß diese Ausdrücke, wie man heute glaubt55, an der
Ausweitung zum Alternativbegriff teilgenommen hätten, wird durch
eine Betrachtung der quellenmäßigen .Verwendungen widerlegt.
Das lehren zunächst die Begriffsbestimmungen und Synonymien:
Marcian. 2 publ. iudic. (Nr. 208) D. 48, 19, 11, 3: Capitis
poena est bestiis obici vel alias similes poenas pati [vel ani-
madverti].4
1 S. ob. S. 44.
2 S. ob. S. 11 f.
3 Am ausdrücklichsten Ferrini, Espos. 52. 3494. 419 (auch Dir. pen. rom.
1062); Triebs, Studien zur Lex Dei I (1905) 85 Df. bes. 89 ff.; Kleinfeller, RE. V
231; Girard, Nouv. rev. hist. 34 (1910), 495 zu Nr. 36, aber nicht minder Momm-
sen 907 (ob. S. 7), wogegen wiederum 911 «poena capitis oder capitalis» als
gleichbedeutend auf den Tod bezogen werden. Dieselbe Anschauung liegt z. ß.
Costa, Crim. 1562 zugrunde; sie ist wohl die allgemeine, insofern zwischen
capitis und capitalis nirgends unterschieden wird.
4 Vgl. ob. S. 61a.E.
48 Ernst Levy:

Corpus gloss. Latin. V 444, 41: Capite plecti capite truncari.


Ulp. 10 Sab. (Nr. 2507) D. 28, 3, 6, 6: Sed et si quis fuerit
capite damnatus vel ad bestias vel ad gladium vel alia poena
quae vitam adimit, testamentum eius irritum fiet,
worauf gegensätzlich § 7:
Eius qui deportatur non statim irritum fiet testamentum, . . .
Pomp. 2 ex var. lect. (Nr. 818) D. 1, 8, 11: Si quis viola-
verit muros, capite punitur . . . nam et Romuli frater Remus
occisus traditur ob id . . .
Ulp. 9 off. procons. (Nr. 2234) D. 47, 11, 9 i. f.: hanc rem
(seil, scopelismon) praesides exequi solent graviter usque ad
poenam capitis, quia et ipsa res mortem comminatur.
Ulp. 32 Sab. (Nr. 2768) D. 24, 1, 13, 1: ... si mortis causa
uxori donaverit et deportationem passus est, an donatio valeat,
videamus . . .
und alsbald danach gegensätzlich dazu D. 39, 6, 7:
Si aliquis mortis causa donaverit et poena fuerit capitis affec-
tus, removetur donatio ut inperfecta . . .
Marcian. 14 inst. (Nr. 171) D. 48, 8, 3, 5: Legis Corneliae
de sicariis ut veneficis poena insulae deportatio est et omnium
bonorum ademptio. sed solent hodie capite puniri, nisi hone-
stiore loco positi fuerint, ut poenam legis sustineant: hurni-
liores enim solent <. .) vel bestiis subici, alteriores vero de-
portantur in insulam.1
24. Mehrere dieser Fragmente bekräftigen das Gesagte noch
in einer anderen Richtung. Sie bringen die poena capitis zur
Deportation in einen sprechenden Gegensatz. Solche Gegenüber-
stellung ist auch sonst nicht selten. Besonders charakteristisch ist
die Klimax der Bannbruchstrafen, von deren höchster Stufe über-
einstimmend berichtet wird:
Call. 6 cogn. (Nr. 45) D. 48, 19, 28, 13: . . . qui deportatus
evaserit, capite puniatur.
Marc. 13 instit. (Nr. 153) D. eod. 4: in insulam deportato
poena capitis adrogatur.
Dazu ferner Pap. Coli. 4, 10, 1; Call. D. 48, 19, 28, 9; Menand. D.
49, 16, 4, 2; Ulp. Coli. 12, 5, 1 und D. 47, 9, 12, 1; Macer D. 48,
11, 7, 3; Mod. D. 48, 8, 16; [Paul.] sent. 5, 4, 14; 5, 21, 2; 5, 22,
1 Auch Call. 6 cogn. D. 48, 19, 28, 12 gehört hierher, falls et plerumque
vivi exuruntur echt ist. Darüber anderswo.
Die römische Kapitalstrafe. 49

4; 5, 23, 13. 18; 5, 25, 1. 2. 12; 5, 26, 1: Stellen, die teilweise


klassisch sind, zum anderen Teil zeigen, daß die spätere Diktion
in diesem Punkte — begreiflicherweise1 — die gleiche blieb. Mittel-
bar, aber nicht weniger deutlich spricht Venul. 1 de off. procons.
(Nr. 46) D. 48, 19, 15:
Divus Hadrianus eos, qni in numero decurionum essent, ca-
pite puniri prohibuit, nisi si qui parentem occidissent: verum
poena legis Corneliae2 puniendos mandatis plenissime cau-
tum est.
Ebenso werden sonstige Kapitalstrafen der poena capitis ent-
gegengestellt :
Call. 6 cogn. (Nr. 45) D. 48, 19, 28, 3: exilio puniendi
sunt, nonnumquam capite plectendi.
Ulp. 25 ed. (Nr. 743) D. 47, 12, 3, 7: . . . ut si (die Leichen-
plünderer) armati more latronum id egerint, etiam capite
plectantur, ut divus Severus rescripsit. si sine armis, usque
ad poenam m e t a 11 i procedunt.
Dazu ferner Call. D. 48, 19, 28, 10; Ulp. D. 48, 19, 5pr. i. f.; [Paul.]
sent. 5, 25, 1 i. f.
Auch Ulp. 3 ad leg. Jul. et Pap. (Nr. 1995) D. 50, 16, 131, 1
gehört hierher:
poena autem non tantum pecuniaria, verum capitis et existi-
mationis irrogari solet.
Denn existimatio umfaßt hier offenbar, ganz wie in Call. D. 50,
13, 5, 1—33, auch aqaae et ignis interdictio und die Bergwerks-
strafen, durch welche die existimatio consumitur.

25. Nicht selten läßt sich aus dem unmittelbaren Inhalt er-
schließen, daß nur die Todesstrafe gemeint sein kann.
Ulp. 9 off. proc. (Nr. 2240) D. 48, 24, 1: Corpora eorurn
qui capite damnantur cognatis ipsorum neganda non sunt:
et id se observasse etiam divus Augustus libro decimo de
vita sua scribit.

1 Vgl. u. S. 56 ff.
2 S. die ob. S. 35 f. wiedergegebenen Fragmente.
3 Ob. S. 46.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 4
50 Ernst Levy:

Marc. 14 instit. (Nr. 163) D. 48, 4, 3: Lex duodecim tabu-


larura iubet eum, qni hostem concitaverit quive civem hosti
tradiderit, capite puniri.
Vor allem aber gilt das von den sehr zahlreichen Zeugnissen aus
dem Militärstrafrecht.1 Die hier herrschenden Sonderstrafen zählt
Mod. D. 49, 16, 3, 1 auf, nicht ohne hinzuzufügen, daß Soldaten
in metallum aut in opus metalli non dabuntur nec torquentur. Sie
werden in klassischer Zeit auch nicht mit Deportation bestraft2,
es sei denn nach vorangegangener Verabschiedung (Plin. ep. 6, 3,
153) oder da, wo wie bei unberechtigtem Eintritt in das Heer kein
eigentliches Militärverbrechen begangen ist (Menand. D. 49, 16, 4,
3. 44). Lediglich den Desertor, der sich nach mindestens fünf-
jähriger Fahnenflucht freiwillig wieder einfindet, begnadigen Severus
und Caracalla zur Deportation (Macer D. eod. 13, 6; ungenau Men.
D. eod. 5, 4). Aber diese Ausnahme5 bestätigt nur die Regel:
capite punire und capitis poena, die allein hier etwa dreißigmal be-
gegnen6 (besonders sprechend etwa in Men. D. 49, 16, 4, 1. 2; Tar-
runt. D. eod. 7 i. V. m. Marc. D. 48, 8, 3, 6), bezeichnen ausschließlich
die Todesstrafe.
Die hiermit betrachtete klassische Terminologie schafft klare
Grenzen. Capitalis umfaßt den Verlust des Lebens, der Freiheit,
des Bürgerrechts, und parallel damit gehen capitis accusare oder
reum facere, desgleichen (bei den Juristen nicht überliefert) iudicium
und causa7 capitis. Erwachsen war der weite Sprachgebrauch ja
aus der strafrechtlichen Lage der ausgehenden Republik, die für
den Bürger weder ein Verbrechen kannte, auf dem nur der Tod
stand, noch ein Verfahren, das nur zum Tode führen konnte.8
Er überdauerte aber auch die klassische Epoche, weil gerade die
Bewegungsfreiheit der Beamtenkognition seine Ursachen fortwirken
ließ. Auf der anderen Seite mußte die einzelne Strafe, die in

1 Dazu besondere A. Müller, Die Strafjustiz im röm. Heere in Neue Jahrb.


f. d. kla88. Altert. 9 (1906), 550ff. ; e. auch Mommsen 31 ff.
2 Das tritt bei Müller 558 nicht hinreichend hervor.
3 Wo Trajan aber nur auf Relegation erkannte.
4 Über den korrupten § 4 bei nächster Gelegenheit.
5 Keine Ausnahme bilden Men. D. 49, 16, 4, 11. 12, wo Nichtsoldaten
bestraft werden.
6 Die meisten Fälle im Titel D. 49, 16. — S. auch u. S. 55.
7 Zu C. 7, 66, 3 i. f. u. S. 60 f.
* Ob. S. 39.
Die römische Kapitalstrafe. 51

einer Norm angedroht oder in einem Richterdekret verhängt wurde,


eindeutig bezeichnet werden können. Auch hier bewahrt der Prin-
zipat die Kontinuität. AVie für Deportation, Metalla und Zwangs-
arbeit, so gab es für den Tod das Wort, an dem nicht zu rütteln
war: punire, damnare, plectere capite oder, substantivisch, diepoena
capitis, die schwerste der poenae capitales. Die Trennung der Ter-
mini bleibt handgreiflich.

B.
26. Indessen bedürfen diese Ergebnisse noch der Sicherstellung.
Die große Masse der Digestenfragmente steht zu ihnen, aber da-
neben meldet sich doch vereinzelt unleugbarer Widerspruch. Am
schärfsten aus Ulp. 1 ad ed. aed. cur. (Nr. 1769) D. 21, 1, 23, 2, das
sich auf die Klausel si quod mancipium capitalem fraudem aclmiserit
(Lenel § 293, 1; s. ob, S. 42) bezieht:
capitalem fraudem admittere est tale aliquid delinquere, prop-
ter quod capite puniendus sit: veteres enim fraudem pro poena
ponere solebant.
Das ist in stärkstem Gegensatz zu allen Definitionen und nament-
lich denen desselben Ulpian in D. 2, 11, 4pr.; 38, 2, 14, 3; 48, 19,
2 pr. (ob. S. 44). Da er den capitalis-Begriff im ädilizischen Edikt
nicht anders verstanden haben kann als sonst, so bieten sich prhna
facie nur zwei Möglichkeiten. Man könnte die Einschränkung
auf die Todesstrafe damit erklären wollen, daß civitatis amissio
und servitus, die sonst in den Definitionen genannt werden, für
einen Sklaven als Täter nicht in Betracht kommen. Aber ver-
wunderlich bleibt dann, daß nicht wenigstens die metalla Erwäh-
nung finden (vgl. Call. D. 48, 19, 28 pr.; Inst. 4, 18, 2), die zu den
wichtigsten Sklavenstrafen gehören.1 Unzweifelhaft war ein mit
Bergwerk bedrohter Servus ebenfalls als solcher zu pronuntiieren
und gegebenenfalls zu redhibieren. Und so drängt alles zur Annahme
eines Emblems. An Gründen fehlt es nicht. Stilistisch zu be-
achten ist die Einförmigkeit der Diktion capitalem fraudem admittere
— capitalem fraudem admisisse; tale aliquid2; das transitive delin-
quere3 *; der subjektlose Relativsatz. Inhaltlich fällt ins Gewicht,
1 Mommsen 9517.
2 Eisele, Beiträge 229 ff. und SZ. 18, 87; Rotondi, Scr. II 403 ff.
3 Abgesehen von nihil delinquere und von Ulp. D. 1, 16, 4, 2, wo nicht
der Jurist, sondern das Senatuskonsult redet, sind die VJR. II 155, 13 ff. ge-
52 Ernst Levy:

daß es zu Ulpians Zeit noch gar keine Verbrechen gab, die aus-
schließlich mit dem Tode bedroht gewesen wären.* 1 Auch paßt
der veteres-Satz nicht, weil der ediktale Ausdruck /raus hier gerade
Verbrechen und nicht Strafe bedeutet.2 Erst dem Dominat steht
es gut zu Gesicht, die poena auf Kosten des crimen zu unter-
streichen.3
Bei der Erläuterung des Edikts, nach dem der Sohn des
Patrons das Erbrecht verliert, wenn er libertum <paternum> capitis
accusaverit (Lenel § 153; s. ob. S. 43), scheint caput mehrmals in
einem weiteren Sinne verwandt zu werden.
Ulp. 45 ed. (Nr. 1172) D. 38, 2, 14, 6: Si libertus maiestatis
patroni filium accusavit et patroni fdius calumniae eum ca-
pitis puniri desideravit, non debet repelli hoc edicto.
Tritt der Libertus nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger auf,
erweist sich aber die Bezichtigung des Patronssohnes als so halt-
los, daß dieser nun die Bestrafung seines Gegners wegen calumnia
begehrt, so w7ar solch Begehren zwar gemäß dem sog. Talions-
prinzip4 ebensosehr eine causa capitalis wie die causa maiestatis
selbst, aber kein förmliches capitis accusare: denn es bedurfte höch-
stens einer unverbindlichen Anregung, um das quaerere de accusa-
toris consilio (Marcian. D. 48, 16, 1, 3) in Gang zu bringen.5 Wenn
Ulpian diese Anregung, um sie dem ediktalen capitis accusare
möglichst präzise entgegenzustellen, capitis puniri desiderare nennt

nannten Stellen unecht. Zu Ulp. D. 11, 3, 5, 1 Beseler IV 243f. In Venul.


D. 48, 3, 9 soll das schlecht gestellte [si quid deliquerint] den zerrissenen Zu-
sammenhang ersetzen. In Pap. D. 48, 5, 39, 4 ist [quod pubertate delinquitur]
ein schlimmes (crimen delinquere), anfängerhaftes Giossem. D. 2, 13, 4, 5 ge-
hört trotz VJR. nicht hierher. [An diesen Stellen vermutet jetzt die gleichen
Verfälschungen Volterra, Riv. ital. 5 (1930), 128 f. 1331. 136. 139f., ohne
übrigens auf den transitiven Sprachgebrauch hinzu weisen. Ihnen hinzuzufügen
ist 0. 4, 17, 1 [vel aliquid deliquit], seit Rotondi und Albertario anerkannt (vgl.
Volterra 131) und nicht mit Wlassak, Anklage 1262 zu verbessern. Auch nihi
delinquere wird nicht zu retten sein: zu D. 2, 10, 2; 9, 4, 2, 1; 43, 24, 2 s. Volterra
137. 139. 144; zu D. 43, 24, 2 ebenso G. Segre, Studi Bonfante III 579; über
D. 35, 1,71, 3 i. f. vgl. insoweit Beseler II 80. — Zusatz während des Druckes.]
1 Vgl. ob. S. 50.
2 Pernice, Labeo II 12, 213 1; Mitteis, Röm. Priv.-R. I 321 23; vgl. auch
Mommsen 87 3 a e.
3 S. u. Nr. 28 ff.
4 Vgl. das Reskript bei Paul. D. 47, 15, 6. Näheres dazu anderswo.
5 Vgl. Mommsen 494, 497.
Die römische Kapitalstrafe. 58

(vgl. auch Alex. Sever. C. 9, 46, 1), so ist dagegen nichts zu er-
innern; der Genetiv capitis (seil, reum)1 hebt sich von dem für die
Todesstrafe technischen Ablativ wirksam ab.2
Anders verhält es sich mit zwei weiteren Stellen.
Ulp. D. eod. 14, 4 (Nr. 1172): Si tarnen quis libertum eo
crimine accusaverit, cuius poena non est capitis, verumtamen
iudicanti placuit augere poenam, non obest hoc patroni filio:
neque enim imperitia aut severitas iudicantis obesse debet
patroni filio, qui crimen levius inportavit.
Die Begründung hat Solazzi3 wegen des inportare für verdächtig
erklärt. Sie ist es vor allem sachlich deshalb, weil das augere poenam
ohne weiteres in der Macht des klassischen Kognitionsrichters liegt
und erst der spätere Absolutismus darin ein bedenkliches Ver-
fahren sieht, das er auf imperitia oder severitas des Richtenden
zurückzuführen trachtet.4 Die falsche Begründung aber wirft ihren
Schatten voraus. Sie ließ es angebracht erscheinen, die Farbe
des Tatbestandes stärker aufzutragen, als Ulpiau es getan hatte.
Das unmögliche quis (= patroni filius) mit dem nachhinkenden
patroni filio ist ein untrügliches Zeugnis für die ungeschickte Ver-
selbständigung des § 4. Im klassischen Zusammenhang muß er
sich anders an den § 3 (oben S. 44) angefügt haben, dessen
Gedanken er unmittelbar wTeiterführt; etwa so: si tarnen libertum
<alio> crimine accusaverit, verumtamen iudicanti placuit augere poenam,
non obest hoc (ei). Damit wäre alles Nötige gesagt gewesen, nur
nicht für den Nachfahren, der zur Vorbereitung seines Schlusses
1 So gewiß im Sinne des Juristen. — Ob derartige Genetive auch in der
Frühzeit so aufzufassen wären (dafür Stolz-Schmalz, Lat. Grammatik 4 (1910),
867 f.; Kühner-Stegmann, Gramm, cl. lat. Sprache II l 2 (1912), 464f.; dagegen
Leumann-Hofmann in der 5. Aufl. von Stolz-Schmalz I (1926) 402 f.), ist hier
nicht zu erörtern.
2 Capitis punire steht im Bereich des VJR., ja anscheinend sogar des
ThesLL. (III 418, 67) nur noch bei Ulp. 33 ed. D. 48, 20, 5 pr., wo es sich,
wie der Gegensatz zur Deportation (§ 1) und das quia prius serva poenae
efficüur (vgl. D. 28, 3, 6, 6; 48, 19, 12; eod. 29) zeigen, um Todesstrafe han-
deln muß. Der Relativsatz [quae■—publicat/ ist anknüpfungshalber (vgl. Lenel
Nr. 964) eingeschoben; ob von hier aus ein Verdacht auch auf die Eingangs-
worte fällt, ist kaum zu entscheiden. — Die entsprechenden Wendungen
capitis damnare und condemnare sind der profanen Rede seit Cicero ganz ge-
läufig (ThesLL. III 419, 57 ff. und allgemein zu derartigen Genetiven Kühner-
Stegmann aaO. 466 f.), der Rechtssprache aber dauernd fremd.
3 Arch. giur. 94, 5.
4 Darüber an anderer Stelle.
54 Ernst Levy:

eine ausdrückliche Hervorhebung der Normalstrafe wünschte und


sich bei deren Nennung nun im Ausdruck versah. Criminis poena
kommt überdies sonst nicht vor.1
Tryph. 17 disp. (Nr. 64) D. eod. 15: Idem est et si
crimen quidem, quod in liberto probatum est, meruerat ca-
pitis poenam, benignius autem punitus est libertus, veluti
tantum relegatus: de calumniatore enim sensit praetor.
Der Tatbestand ist das genaue Gegenstück des vorigen, die
Überarbeitung dient wiederum der Verselbständigung des Frag-
mentes. War sein Zusammenhang bei Tryphonin der gleiche wie
jetzt in der Kompilation, so bedurfte es der Worte [crimen •— poe-
nam] und [autem] nicht im mindesten. Sie sind sprachlich mehr-
fach verdächtig. Daß jemand eine Strafe oder ein Urteil «verdient»2
hat, scheint den klassischen Juristen nicht recht geläufig. Man
beachte die Embleme z. B. in D. 3, 2, 22 [propter quam id pati
meruit]; 9, 4, 9 (poenamJ3; D. 29, 5, 3, 17 i. f. (poenamJ4; D. 38, 12,
1 [qui capite puniri meruit]5; 49, 7, 1,5 [si vero graviorem senten-
tiam meruit — fn./; 50, 1, 15 pr. [sententiam — liberari]6 7 sowie
die nachklassischen Schriften fragm. de iure fisci 20 und [Paul.]
sent. Coli. 14, 2, 2 (cognitio meruit animadversionem!). Freilich heißt
es auch in Call. D. 48, 19, 27, 2: si qui . . . aliudve quod facinus,
ut capitalem poenam meruisse videantur, commiserint; aber diese
Wendung, deren capitalis poena ebenso korrekt ist wie capitis poena
inkorrekt, steht in einem kaiserlichen Liber mandatorum und ver-
meidet überdies die Personifizierung crimen meret poenam1, die in
den Digesten einzigartig ist.8 — Daß ein crimen in aliquo proba-
tum est, steht auch D. 3, 6, 8 in einem Glossem [sub — non est],
1 VJR. I 1070, 29.
2 Zu merere s. auch Beseler, SZ. 45, 445.
3 Vgl. Beseler, SZ. 46, 110.
4 Vgl. auch Beseler, SZ. 43, 550.
5 Anknüpfungsfloskel, die bezeichnend in Pap. fr. 2 eod. fehlt; sie ist
obendrein unrichtig, weil Macer nur den miles damnatus meinen konnte (Ulp.
D. 28. 3, 6, 6; Herrn, D. 82, 22, 1), und unvollständig, weil das Vorliegen eines
militare delictum zum Tatbestand gehört. Aus gleichem Grunde eingefügt ist
wohl hernach [si punitus sitj.
6 Dazu einstweilen Vassalli, Mise. crit. II 16 ff.
7 Ähnliches ist zu dem Reskript des Kaisers Marcus Ulp. D. 47, 12, 3, 4
zu sagen; zweifelhaft ist die Echtheit des meruisse-Satzes im Erlaß des Anton.
Pius Call. D. 48, 10, 81.
8 VJR. I 1069, 34.
Die römische Kapitalstrafe. 55

In Men. 3 de re milit. (Nr. 10) D. 49, 16, 6, 7 wird ein Re-


skript Hadrians über den Selbstmordversuch des Soldaten mitgeteilt.
Es läuft auf die Worte capite punicitur hinaus. Ihnen scheint im
folgenden Satz die capitalis poena gleichgesetzt zu sein:
per vinum aut lasciviam lapsis capitalis poena remittenda
est et militiae mutatio irroganda.
Das erweckt schon deshalb Verwunderung, weil die im Voran-
gehenden geregelten weit leichteren Fälle mit schimpflichem Ab-
schied (ignominia mittatur), also viel schwerer geahndet werden.1
Offenbar darum will Mommsen den Satz verpflanzen und dem § 6
an fügen2, dessen Capital admittit alsdann durch das capitalis poena
wieder aufgenommen werden würde. Aber das Substantiv Capital
gehört in der einzigen Stelle, an der es sonst mit admittere auf-
tritt (D. 48, 19, 27, 1), zweifellos zu einem Glossem3; echt ist es
wmhl nur in Verbindungen wie Capital est ei und auch dies nur
in kaiserlichen Satzungen (Nerva [Call. D. 47, 21, 3, 1], Hadrian
[Ulp. D. 48, 8, 4, 2 i. f.]), nicht in der Sprache der Juristen.4 Sollte
nicht auch das per vinum-Stück nachgefügt sein? Die militiae mu-
tatio ist, welchem Tatbestand sie auch entsprechen soll, als Gegen-
satz zu der wie immer verstandenen capitalis poena merkwürdig
milde, und der Plural lapsis fügt sich nur schwer zu den Singulären,
zwischen denen er steht. Auch daß das Militärrecht der Klas-
siker, wenn man von diesen beiden Stellen absieht, nie mit dem
doppelgliedrigen capital(is), sondern immer mit dem eingliedrigen
capite punire operiert5, will beachtet sein. In keinem Falle bilden
so belastete Stellen einen ernsthaften Finwand gegen die klassische
Gestaltung.
Sichere Embleme weisen zwei weitere Fragmente auf. Schon
aus äußeren Gründen anstößig ist in Venul. D. 48, 2, 12, 4 die
ungeschickte Wendung [vel etiam capitis, quae servorum poenis non
convenit, sicuti relegatio]^, in Mod. D. 48, 9, 9, 1 (capitis poena plec-

1 Auch [Paul.] sent. 5, 81, 6, wo vel alia causa nachgefügt ist, erwähnt
nichts von vinum oder lascivia. Vgl. ferner C. 9, 50, 1 (212).
2 So wohl auch Pernice, SZ. 17, 2492 und Ferrini, Dir. pen. rom. 96. Anders
Müller (s. ob. 50 x) 5704. Nur referierend Lenel, Pal. 1 6991.
3 Mommsen zdSt., Lenel, Call. Nr. 85.
4 Vgl. auch Corp. gloss. Lat. II 572, 28 = capitale; V 547, 29 = poena
capitalis.
5 Vgl. ob. 506.
6 Vgl. auch Beseler III 48, Niedermeyer, Studi Bonfante II 39860.
56 Ernst Levy:

tentur [aut ultimo supplicio mactanturj) die zweite Alternative mit


ihrem mactare1, das — von einem nachklassischen Erlaß2 abgesehen
— in der Rechtssprache nirgends belegt ist.3 Die beiden Ein-
schübe haben mit den zuvor betrachteten (D. 21, 1, 23, 2; 38, 2,
14, 4; eod. 15; 49, 16, 6, 7) das gemein, daß sie die die Anschauung
des Prinzipats charakterisierende Trennung der Termini mißachten.
In ihrem positiven Gebalt aber weichen sie von ihnen ab, indem
sie die capitis poena über die Todesstrafe hinausgreifen zu lassen
scheinen, die eine von ihnen sogar in einem so vagen Sinne, daß
die nicht einmal «kapitale» Relegation mitumfaßt wird. Das ist,
wenn nicht reines Mißverständnis4, so doch durchaus singulär,
insbesondere in diametralem Gegensatz zu der Auffassung der grö-
ßeren5 6 Emblemgruppe. Deren Tendenz zielt, wie am deutlichsten
D. 21, 1, 23, 2 erweist, nicht auf eine Erweiterung der capitis poena,
sondern auf die Einengung des (bisher alternativen) Begriffes ca-
pitalis (und capitis accuscire): er wird mit capite punire (capitis
poena) gleichgesetzt und also eingliedrig zum Ausdruck der Todes-
strafe. Hier braucht man nach einer Erklärung nicht lange zu
suchen; sie liegt in der Terminologie des Dominats.
27. Capitalis ist, wie bekannt, in dem alles Maß überschrei-
tenden Strafensystem der Monarchie zum Allerweltswort geworden.
Als kapital erscheinen immer wieder poena, sententia, supplicium,
daneben animadversio und periculum, vereinzelt clamnatio, exitium,
severitas, auch capitale allein und capitaliter treten auf. Zu allen
den annähernd hundert Stellen, die allein der theodosianische und
der justinianische Codex bieten, eine besondere Begründung zu
geben, ist hier nicht der Raum. Es bedarf dessen um so weniger,
als man diese capitalis-Wendungen schon bisher richtig auf die

1 Sie fehlt im Index des Dorotheos schol. CH lcaxa TTaxpoicxövujv i. f.


(Heimbach V 774).
2 CT. 9, 16, 7 (364).
3 Nach dem Berliner Digestenindex und den Indices von Gradenwitz,
v. Mayr und mir.
4 Als welches es der Index des Dorotheos schol. "Oxe okexr|t; (Heimb. V,
688) offenbar ansieht: . . beuopxcmova . . pv & xw Pituj fieÄeyaxvova kaXeoev.
Auch gibt er capitis . . in einer dem klassischen Stil viel angepaßteren Art mit
eic; xf|V pf] bi’ cdpaxot; KecpaX.iKf|v wieder.
6 Sie besteht nicht nur aus den eben genannten vier Fragmenten, son-
dern noch aus weiteren Digesten- und Codexstellen, die bei der Behandlung
der nachklassiechen capitalis poena alsbald zur Besprechung kommen : u. S. 58ff.
Die römische Kapitalstrafe. 57

Todesstrafe bezogen hat.1 Nur soweit sich Beweise unmittelbar


aus dem Kontext des einzelnen Erlasses erbringen lassen, sei
einiges namhaft gemacht.
CT. 1, 22, 1 = CJ. 1, 48, 1 (a. 316) verordnet, daß der Täter
inter maximos reos citra ullam indulgentiam capitali poena vel ex-
quisitis potius exitii suppliciis2 plectetur, und IT. gibt das mit summo
supplicio wieder. Nach CT. 9, 21, 2 (a. 321) sind die Täter und
Mitwisser per tormenta ilico prodituri ac sic clignis suppliciis addi-
cendi (pr.); der Gehilfe cum eo qui fecit supplicio capitali plectetur
(§ 4; vgl. CJ. 9, 24, 1, 5); auctorem ac ministrum poena capitalis
excipiet (§ 5). Um beim raptus virginis die Vollstreckung zu be-
schleunigen, ersetzt Konstantius CT. 9, 24, 2 (a. 349) die von Kon-
stantin eod. 1 abgestuften verschärften Todesarten durch eine
tantmnmodo capitalem poenarn. Der Pekulat wird nach CT. 9, 28,
1 (vgl. CJ. 9, 28, 1) (a. 392) so geahndet, ut, cum vix par poena
his possit flagitiis inveniri neque condignis tantam nefas cruciatibus
expiari, capitale hoc esse praecipiamus (Just.: capitali animadversioni)
adcque ctnimadversione severissima coherceri. Gemäß CJ. 1, 12, 6 pr.
(466) sind die Verletzer des kirchlichen Asylrechts capitali et ultima
supplicii animaclversione pledendi. In CT. 9, 9, 1 = CJ. 9, 11,1
(a. 329 Seeck) wird capitali sententia (pr.) wiederaufgenommen durch
morte punimus (§ 6)3, in CJ. 9, 12, 10, 2 (468) salutis vitaeque suae
periculum durch capitcdi supplicio, in CJ. 1, 27, 1, 20 (534) capitale
pericidum durch ultimo supplicio.
Gegensätzlich genannt werden z. B.: die capitalis poena gegen-
über der Deportation (CT. 9, 21, 2, 4. 5 [321] und CJ. 9, 49, 10 pr.
[426]) oder der bonorum proscriptio ac exilium (CT. 16, 10, 23 [423]);
die poena tantummoclo capitalis gegenüber der mors et bonorum amis-
sio (CJ. 1, 3, 53, 5 [533]); das capitale supplicium gegenüber der
relegatio aut deportatio insidae (CT. 9, 10, 1 — CJ. 9, 12, 6 [317])
oder der deportatio (CT. 9, 19, 2 — CJ. 9, 22, 22, 2 [326]; CT. 14,
15, 6 = CJ. 11, 23, 3, 1 [399]) oder der proscriptio (CJ. 4, 40, 4
410—413]); die capitalis sententia gegenüber dem bloßen Ausreißen
der Zunge (CT. 10, 10, 2 [319]) und dem Verlust der provinciae com-
munio (CT. 9, 9, 1 pr., § 1 [326]); die capitalis damnatio gegenüber der
proscriptio (CT. 9, 42, 5 [362]), die KecpaXiKp Tipuüpia gegenüber dem
1 Vgl. etwa Mommsen 943 und passim, E. Stein, Gesch. d. spätröm. Reiches
I 192 f.
2 Diese fünf Worte tilgt Justinian.
3 IT. sagt capitaliter puniatur.
58 Ernst Levy:

Verbot des KaU oiovöf|Trore . . . öidyeiv töttov (CJ. 1, 5, 11 [487 oder


510]). — Daß diese durchgängige Diktion einmal in einem west-
lichen Erlaß1 durchbrochen wird (CT. 10, 10, 29 [a. 421]: nisi quem
crimini obnoxium capitalis sententia deportationi addixerü), ist bei der
Sprachverwilderung dieser Zeit nicht allzu verwunderlich und nicht
geeignet, das Ergebnis zu beeinträchtigen.
C.

28. Das Ergebnis selbst steht fest, für die Zwischenzeit wie
für Justinian, der als Autor oder Kompilator an einer großen
Reihe der Erlasse beteiligt ist: capitalis ist wieder zum Kennwort
der Todesstrafe geworden. Gerade dann aber stellt sich die Frage,
wie denn die Digesten das entgegengesetzte klassische Bild weithin
noch ungetrübt bewahren konnten. Da ist von vornherein wieder-
um2 zwischen dem Kapitalverbrechen und dem Kapitalprozeß auf
der einen Seite und der Kapitalstrafe auf der anderen zu unter-
scheiden. Die soeben genannten Wendungen der Spätzeit be-
treffen sämtlich die Strafe oder das sie aussprechende Urteil. Unter
ihnen bedurften supplicium und pericidum capitale, animadversio
und clamnatio capitalis einer Umgestaltung einfach deshalb nicht,
weil sie in keiner Rechtsquelle für einen vor Konstantin lebenden
Autor Vorkommen. Ebenso steht es mit der sententia, die in den
Codices erst seit Konstantin, in den Digesten bloß für Hermogenian
(D. 32, 22, 1) und sonst nur noch in der Collatio an einer Stelle
belegt ist, die keinem Klassiker, ja nicht einmal dem Verfasser der
Collatio selbst zugehört (14, 3, 6)3; daß beide dabei nur an die
Todesstrafe denken4, versteht sich und ist direkt beweisbar: für
den ersteren Text aus Ulp. D. 28, 3, 66, für den letzteren aus
Coli. 14, 1, deren Rechtsfolge (morte moriatur) auch im römischen
Recht ausfindig zu machen der Nachtrag bestimmt ist.
2!). Um so mehr wendet sich deshalb das Interesse derjenigen
capitalis-Wen düng zu, die für die Kapitalstrafe in alter und neuer
Zeit gleich technisch war: der poena capitalis. Mehr als zwanzig-
mal begegnet sie zweifelsfrei als Todesstrafe von Konstantin bis
zu Justinian. Neunmal steht sie bei Juristen und Kaisern zwischen
1 Er geht von denselben Kaisern (et Constantiua) aus wie der eben er-
wähnte CT. 16, 10, 23.
2 S. ob. S. 39, 50 f.
3 SZ. 50, 7022.
4 Unzutreffend Kleinfeller, RE. 2. Reihe II 1505.
Die römische Kapitalstrafe. 59

Sept. Severus und dem Jahre 239: in dem gleichen Sinne oder in
dem des Gaius (III 189)x? Der Aufbau von Call. D. 48, 19, 28 pr.
zeigte uns sinnfällig die (klassische) weitere Bedeutung1 2; er wird
der byzantinischen Kritik nur darum entschlüpft sein, weil seine
ersten Glieder ihr genehm sein konnten; die Basiliken 60, 51, 26
(Heimbach V 864) lassen den entscheidenden Anfangssatz einfach
weg, und Dorotbeos, der oft zuverlässige Indexverfasser, ersetzt
das die capitalis poena im § 1 erläuternde ad capitis periculmn
pertinent durch das bloße eiq ldvöuvov dvriKOumv. Call. D. eod. 27, 2
sagte über den Inhalt der capitalis poena nichts aus und mochte
deshalb gleichfalls passieren; aber die Bas. 60, 51, 25, 1 fügen
r\ TTepiopiapou ein und stürzen damit den Sinn in der gleichen
Weise um wie vor ihnen die Kompilatoren in C. 9, 6, 6.3 — Die
übrigen sieben Stellen verraten die Spuren der Überarbeitung. So
Men. D. 49, 16, 6, 7 i. f.4, C. 4, 55, 4, 1 (224) [et si veritas ac-
cusationi aclerit, exsecrabile delictuni in exemplum capitali poena
vindicabit]5 und C. 9, 9, 9 (224) [si quocumque modo poenam capi-
talem evaserit]6, die letzteren beiden Stücke ganz in der Anschau-
ung der Spätzeit befangen. So ferner Marcian. D. 48, 17, 1, 1
(Nr. 205)7: der umfassende Kapitalbegriff, wie ihn die Verordnung
des Severus und Caracalla zweifellos noch benutzte (Referat darüber:
C. 9, 2, 6 pr.: Absentem capitali crimine accusari non posse; ebenso
[Paul.] sent. 5, 5a, 9; vgl. D. eod. 1 pr.), ist nun, auf die Todes-
strafe eingegrenzt, zu einem Unterbegriff des blassen gravius
puniri degradiert:
[Si autem gravius quis puniatur, puto in opus metalli vel
similem poenam sive8 capitalem : hoc casu | non est irroganda
in absentem poena.
1 S. ob. S. 47.
2 Oo. S. 45.
3 S. u. S. 60 f.
4 Ob. S. 55.
5 Albertario, Delictum e crimen 14.
6 Die Interpolation ist durch Thalelaios bezeugt (zu C. 2, 4, 18; Heimbach
I 704). Vgl. auch Cujaz und weitere Literatur bei Wlassak, Anklage und
Streitbefestigung 65.
7 Wlassak aaO. 59; Koschaker, SZ. 40, 368 h
8 Dieses sive fehlt im Index des Dorotheos (Heimbach V 831), ob richtig
überliefert? Vgl. allgemein u. S. 695, 763. Die Bas. 60, 49, 1 selbst heben den
Gegensatz zwischen Kapital- und Bergwerksstrafe noch strikter hervor als
die Digesten.
60 Ernst Levy:

Nicht minder interpoliert ist Ulp. 8 off. proc. (Nr. 2209) D. 48,
18, 1, 20:
In causa tributorum, in quibus esse rei publicae nervös
nemini dubinm est, [periculi quoque ratio, quod servo fraudis
conscio capitalem poenam denuntiat, eiusdem professionem
exstruat].
In der Erörterung der Ausnahmefälle, in denen der Sklave
gegen seinen Herrn vernommen werden darf, spricht Ulpian hier
von den fraudati census accusationibus (C. 9, 41, 1 pr. [196]; s. auch
Herrnog. D. 5, 1, 53).1 Statt aber diese Rechtsfolge zu nennen,
springt die Stelle sofort auf die Begründung über, die wohl dahin
geht, daß der Aussage eines Sklaven, dem als Mitwisser der Steuer-
hinterziehung die Todesstrafe drohe, in solchem Falle Glauben
zu schenken sei. Das ist in solchem Kauderwelsch ausgedrückt,
daß Mommsen durch Verbesserung des exstruat in conßrniat zu
helfen suchte. Aber nicht bloß das exstruere ist sonderbar; man
bemerke etwa das beziehungslose quoque, das personifizierte peri-
culum, die seltene Verwendung von denuntiare in solchem Sinne
(VJR. II 171, 6), das. unbetonte eiusdem.
Steht hier die capitalis poena in Emblemen, so bemühen sich
zwei Schwesterstellen2, den klassischen Begriff durch Zusätze ins
Nachklassische umzudeuten.
C. 7, 66, 3 (228): Si is, qui ademptis bonis in exilium
datus appellaverit, [ac] pendente provocatione defunctus est,
quamvis crimen in persona eius evanuerit, tarnen causam
bonorum agi oportet, nam multum interest, utrum capitalis
poena inrogata bona quoque rei adimat, quo casu morte eius
extincto crimine nulla quaestio superesse potest, an vero [non
ex damnatione capitis, sed] speciali praesidis sententia bona
auferantur: tune enim subducto reo sola capitis causa per-
imitur bonorum remanente quaestione.
C. 9, 6, 6 (239): Si quis, cum capitali poena [vel deportatione]
damnatus esset, appellatione interposita et in suspenso con-
stituta fati diem functus est, crimen morte finitum est. § 1.
.§ 2. Sin autem relegationis poenam sustinuit et in
parte bonorum damnatus appellatione usus est, etiam post
1 Zuerst erkannt von Cujaz, Obs. 6, 19.
2 Zu ihnen namentlich Wlassak aaO. 169 ff.
Die römische Kapitalstrafe. 61

mortem eius nihilo minus appellationis ratio examinabitur, cum


desideretur, utrum valeat nec ne particularis publicatio.
Beide Erlasse betonen, daß die Appellation eines verurteilten, aber
inzwischen verstorbenen Täters verschieden zu behandeln ist, je
nachdem die Vermögenseinziehung im ersten Urteil ausdrücklich
ausgesprochen oder nur eine selbstverständliche Nebenfolge der
erkannten Kapitalstrafe ist: im einen Falle bleibt die Berufung
entscheidungsfähig, im anderen ist sie durch den Tod erledigt.1 Das
erste Reskript befaßt sich mit einem Falle, in dem das Urteil auf
Exil und Vermögensverlust gelautet hat, und bezeichnet ganz im
klassischen Gebrauch diese Strafe als capitalis poena und den ent-
sprechenden Prozeß als capitis causa.2 Diesen Sinn kann dagegen
clamnatio capitis nicht haben; es meint, wie damnatio capitalis (CT.
9, 42, 5 [362]) die Todesstrafe und stellt sich so in Gegensatz zu
dem konkreten Rechtsfall. Der es enthaltende Passus unterbricht
auch äußerlich die klare Alternative, indem er inmitten des zweiten
Gliedes noch einmal unnötig auf das erste zurückgreift und ex
verwendet, wo das Reskript den bloßen Ablativ setzt. — Der
Einschub des zweiten Erlasses ist so kurz, daß er formale An-
stände nicht bietet. Er wäre nur aus der inhaltlichen wie zeitlichen
Nachbarschaft zum ersten Erlaß und aus dem Gesamtergebnis
zu begründen, nach dem für den Klassiker der Gegensatz capitalis
poena — relegationis poena (§ 2) schlüssig ist, der Nachklassiker
aber zwischen beiden Strafen die Deportation vermissen mußte.
Indessen leistet hier ein Zeugnis des Thalelaios3 willkommenen
Dienst: TTpoffKeitai eic; tö Kaid ttööc«; ' r\ öeixopxornovi. Kai qppcnv 6
GaXeXaioq ' Zripalcuaai, öxi rj öiaxcdhc; ou (TuvripO-iupae xaR öeTiopxaxiocri
xr)v KecpaXiK^v xipuupiav, uj£ eivai örjXov, öxi xf)v bi’ aipaxoq evopcre
KecpaXiKf|v. Das ist ein buchstäblich getreues Seitenstück zu zwei
anderen Codexscholien des Thalelaios4, die Prmgsheim vorlängst
zur Erprobung seines TTpooxeipai-Kriteriums erfolgreich verwen-
det hat.5
30. Die oben6 aufgeworfene Frage dürfte damit für die
Kapitalstrafe gelöst sein. Hundertfach in den Quellen des Domi-
1 Damit stimmt der von Macer D. 49, 13, 1 pr. herangezogene Erlaß des
Alexander Severus durchaus überein.
2 Vgl. ob. S. 50.
3 Schob TTpooKeixai zu C. 9, 6, 6 (Heimbach V 897).
4 Zu C. 3, 31, 1 (Heimbach IV 237) und C. 6, 50, 2 (Heimbach IV 129).
5 SZ. 35, 330 f. 6 S. 58.
62 Ernst Levy :

nats erscheinend, begegnet sie in echten Äußerungen der früheren


Periode nur noch da, wo sie dem neuen, engen Terminus unschäd-
lich schien (D. 48, 19, 28 pr.; eod. 27, 2) oder ihm durch Beiworte
angepaßt ist (C. 7, 66, 3; 9, 6, 6). Manche anderen klassischen-
Sätze, die die poena capitalis enthielten, sind vielleicht eben darum
von der Kompilation ausgeschlossen worden. Aber gar zu viele
werden es nicht gewesen sein. Denn der in den gesetzlichen und
ediktalen Normen des frühen Prinzipats auftretende Begriff, um
den daher auch die Definitionen und Folgerungen der Klassiker
kreisen, ist nicht die kapitale poena, sondern die kapitale res oder
fr aus, das kapitale crimen nebst capitis iudicium, reus, accusare; diese
Wendungen im Verein mit den entsprechenden causa capitalis,
iudicium capitale beherrschen das Feld. Der klassische Zentral-
begriff ist, also das Kapitalverbrechen (nebst dem entsprechen-
den Kapitalprozeß) und nicht die Kapitalstrafe. Will sagen:
das Verbrechen (und das Verfahren), für das ein Gesetz, ursprüng-
lich mit dem Terminus de capite quaerito, alsdann mit anderweiter,
aber gleichwertiger Strafdrohung1 ein Geschworenengericht ein-
gesetzt hatte. Zunächst gingen Strafe und Verbrechen freilich
parallel. Denn gerade die Strafdrohung machte ja iudicium und
crimen zu kapitalen und gab ihnen den Namen. Aber ausnahms-
weise kam es doch schon in den Anfängen vor, daß die im
Einzelfall erkannte poena mit der angedrohten nicht übereiu-
stiminte2: sie war die veränderlichere Größe und schien darum
wohl weniger geeignet, die mannigfachen — nicht selten privat-
rechtlichen — Nebenfolgen zu begründen, von denen die Rudi-
mente des Albums und der Gesetze uns heute noch einen Aus-
schnitt zeigen.3 Jedenfalls knüpfen sich die ediktalen Rechts-
wirkungen durchaus an das rei capitalis damnari d. h. den Schuld-
spruch des Volksgerichts oder an andere Tatbestände (capitis accu-
sare u. ä.) des Geschworenen Verfahrens. Mit diesem ist das capitale
iudicium organisch verbunden: der engere Kreis innerhalb des
konzentrisch weiteren des iudicium publicum.
J51. Von solchem Ausgangspunkt allein ist die klassische
Entwicklung zu begreifen. Als die Quästionen mit der Zeit in
den Hintergrund traten, hätte das iudicium capitale an sich seine

1 S. ob. s. 30 ff.
2 S. ob. 8. 17.
3 Vgl. ob. 8. 42 f.
Die römische Kapitalstrafe. 63

Rolle ebensosehr ausgespielt gehabt wie das iudicium publicum.


Man wollte jedoch augenscheinlich die Errungenschaften nicht
preisgeben, die die verschiedensten Teile des Rechtssystems aus
beiden Begriffen1 gewonnen hatten. Darum zog man es vor, das
Band zwischen dem iudicium publicum und der Prozeßform zu
zerschneiden. Während noch Quinktilian vom Standpunkt des
ersten Jahrhunderts aus die Kognition als den maßgebenden Gegen-
satz betrachtet2 und noch in der Mitte des zweiten Mauricianus
diese Anschauung teilt3, haben die Spätklassiker mit dem alten
Begriff gebrochen. Für sie sind iudicia publica nunmehr die,
quae ex legibus iudiciorum publicorum veniunt ut Julia
maiestatis, Julia de adulteriis.(Macer D. 48, 1, 1)
und dies auch dann, wenn sie im Wege der Kognition verhandeln
und entscheiden.4 Die Ausrichtung auf den materiellen Ver-
brechenstatbestand rettete fürs erste dem iudicium publicum die
Lebenskraft und damit zugleich dem capüaüs-Begriff, den die
klassische Epoche auch fernerhin mit dem publicum-'&Qgxiff ver-
bunden zeigt. So lehrt Paulus, offenbar an der Stelle, wo er den
Leser des Ediktskommentars mit den «Kapitalsachen» erstmals
bekannt macht5, (15 ed.; Nr. 260) D. eod. 2:
1 Auf den iudicio publico damnatus (damnari) beziehen sich viele Gesetze,
z. B. die Lex Acilia repet. Z. 11. 13. 16, die Lex Cornelia de sicariis (Cic.
p. Cluent. 148; Marc. D. 48, 8, 1, 1), die Tab. Heracl. Z. 117. 119 und nament-
lich die Leges Juliae: ein so Verurteilter ist zeugnisunfähig (Call. D. 22,
5, 3, 5), nur beschränkt ehefähig (Ulp. Epit. 13, 2; D. 23, 2, 43, 10—12; vgl.
Paul. D. eod. 47), im Ehebruchsprozeß nur mit beschränktem ius accusandi
ausgestattet (Ulp. D. 48, 2, 4) und als Ehebrecher erweitertem Tötungsrecht
ausgesetzt (Macer D. 48, 5, 25 pr.; Paul. Coli. 4, 3, 3). Über die Heeresdienst-
unfähigkeit Menand. D. 49, 16, 4, 7. — Ferner zum iudic. publicum z. B.
[Paul.] sent. Brev. 1, 5, 2 + Cons. 6, 21 (calumnia); Macer D. 48, 1, 7 (betreffend
das Infamieedikt Lenel § .15; s. gleich im Text); das Edikt Lenel § 16 (D. 3,
2, 1) und dazu namentlich Pap. D. 50, 2, 6, 3. — Es trifft also nicht zu, daß
der Unterschied zwischen crimina (richtig iudicia [u. S. 696]) publica und crimina
extraordinaria für die Klassiker nur noch ein ricordo storico gewesen sei (so
Ferrini, Dir. pen. rom. 45, Espos. 28).
2 Inst. orat. 3, 10, 1: Quod nunc in publicis iudiciis non accidit, quoniam
praetor certa lege sortitur, principum autem et senatus cognitionibus frequens est
et populi fuit.
3 Ulp. Epit 13, 2: . . . et iudicio publico damnatam.: adicit Mauricianus
et a senatu damnatam.
4 Vgl. teilweise (s. u. S. 696) Mommsen 192 f., übrigens ohne Macer zu
nennen.
3 S. ob. S. 44.
64 Ernst Lety:

Publicorum iudiciorum quaedam capitalia sunt, quaedam


non capitalia.
Dasselbe wiederholen wortwörtlich die hier aus klassischem Mate-
rial schöpfenden Inst. 4, 18, 2. Auch praktisch behält diese Sub-
ordinierung ihren Wert: weil z. ß. die strafrechtliche Infamie an
das Edikt qui capitali crimine damnatus erit (Lenel § 15) anknüpft,
machen noch die spätesten Klassiker den Eintritt der Infamie von
dem Vorliegen eines crimen abhängig, quod iudicii publici causam
habuit (Macer D. eod. 7; s. auch Papin. D. eod. 14).1 Mangels einer
solchen Fessel umgekehrt quod ad statum damnatorum pertinet,
nihil interest, iudicium publicum fuerit nec ne (Macer D. 48, 19, 12).
Nur das Bedürfnis, die Konsequenzen aufrechtzuerhalten, die Gesetz-
gebung und Jurisprudenz an das publicum wie an das ccipitcde
iudicium angeschlossen hatten, kann es erklären, daß noch Venu-
leius, Maecian, Paulus, Marcian und Macer Bücher de iucliciis pu-
blicis schreiben und daß vor allem Senatsbeschlüsse wie Kaiseredikte,
statt neue Normen zu setzen, immer wieder lexfremde Tatbestände
ex lege Cornelia oder ex lege Julia bestraft wissen wollen. Der
Zweck war nicht, die vielfach obsoleten Strafsätze wiederzubeleben,
sondern angelehnte iudicia publica und damit zumeist iudicia ca-
pitalia zu schaffen: ein Verfahren, für das im Privatprozeß die
formulae ficticiae ein gewisses Seitenstück liefern.
32. Wie aber das System der fiktizischen Formeln seinem
Wesen nach einen nur begrenzten Wirkungskreis haben und das
Aufkommen selbständiger formulae in factum conceptae nicht hindern
konnte, so war auch der capitalis-Bereich nicht beliebig zu dehnen.
Draußen blieb zwar, wie gezeigt, nicht mehr die cognitio extra
ordinem als solche2, aber doch das crimen extra ordinem, die sich
mehrende Gruppe von Tatbeständen, die ohne Anlehnung an die
leges iudiciorum publicorum unter Strafe gestellt wurden. Ein solches
Verbrechen mochte als noch so schwer empfunden werden oder
selbst dem Täter den Kopf kosten: ein capitale crimen mit all seinen
Folgeerscheinungen konnte es nach dessen Begriffsbestimmung
nicht sein. Das hat nicht geringe Schwierigkeiten bereitet. Man

1 Vgl. auch Ulp. D. 47, 20, 2 gegenüber dem unechten Ulp. D. 3, 2,


13, 8. Näheres an anderer Stelle.
2 Sie bezieht nun das quaerere de capitali crimine sogar grundsätzlich
in sich ein: Call. D. 50, 13, 5 pr. i. f. — Vgl. noch etwa Paul. D. 47, 15, 6
(Nr. 1265) und Jul. D. 50, 16, 200 (Nr. 26); dazu Wlassak, Judikationsbefehl 36 19.
Die römische Kapitalstrafe. 65

lese etwa in Macers erstem Liber publicorum iudicionim einerseits


Lenel Nr. 17 = D. 47, 13, 2:
Concussionis iudiciutn publicum non est: sed si ideo pecu-
niam quis accepit, quod crimen minatus sit, potest iudicium
publicum esse ex senatus consultis, quibus poena legis Cor-
neliae teneri iubentur, qui . . ,1
und andererseits Lenel Nr. 18 = D. 47, 14, 2:
Abigeatus crimen publici iudicii non est, quia furtum magis
est.2 sed quia plerumque abigei et ferro utuntur, si depre-
liendentur, ideo graviter et puniri eorurn admissum solet.
Beim Stellionat sind entsprechende Hinweise besonders häufig, die
Zusammenhänge aber meist nur vermutungsweise oder gar nicht
mehr erkennbar.3
In der Tat begann so der Kapitalbegriff selbst problematisch
zu werden. In der Sanktion wurzelnd, hatte er sich von ihr immer
weiter entfernt. Der neue Prozeß hatte die Freiheit des richter-
lichen Ermessens gewaltig gesteigert und damit bewirkt, daß
«kapitale» Verbrechen durchaus nicht kapital gestraft zu werden
brauchten. Die neuen Verhrechenst}7pen umgekehrt konnten unter
Umständen capite geahndet werden, ohne selbst «kapital» zu sein.
Jetzt rächte es sich, daß man, vielleicht unter dem Eindruck der
Unstetigkeit derkognitionalen Strafbemessung, den Kapitalcharakter
eines crimen, statt ihn elastisch von der jeweils üblichen Normal-
strafe abzulesen, nach historischen Gesichtspunkten kanonisiert
hatte. Die Kategorie verlor allmählich ihre innere Berechtigung
und verging vor dem Ansturm der neuen Zeit.
33. Aber vorerst ist die klassische Tradition noch übermächtig.
Sie hält das autoritätengläubige 3. Jahrh. noch ganz in ihrem Bann.
Das hat sich vorhin4 .bei der Kapitalstrafe gezeigt und bestätigt
sich nachdrücklich beim Kapitalverbrechen. Das iudicium publicum
bleibt im neuklassischen Sinne lebendig5 *, desgleichen die herge-
brachte Reihe und Bedeutung der ccipitalis-Wendungen. C. 9, 22, 1
1 Vgl. auch Macer Nr. 16 = D. 47, 12, 8.
2 . . . und das furtum unter keine lex iud. publ. fällt.
3 Pap. D. 47, 20, 1; Ulp. I). 47, 11, 3; 47, 20, 2; 3, 2, 13, 8; C. 9, 34, 3
(a. 24'2); s. auch ob. S. 64 h
4 Ob. S. 58 ff.
5 C. 9, 9, 1 (197); 9, 45, 1 (Carac.p, 9, 2, 3 (223); 9, 46, 2 (224); 9, 1, 8
(238); 9, 46, 5 (zw. 283 u. 293); 9, 41, 8, 1 (zw. 286 u. 290); 9, 1, 12 (293); 9,
35, 7 (293); 9, 20, 13 (294).
Sitzungsberichte der Heldelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 5
66 Ernst Levy:

(212) (causa capitalis) und eod. 5 (230) (crimen cap.) betreffen das falsum,
das diese Zeit noch nicht mit dem Tode straft. Das Reskript des
Alexander Severus P. Oxy. 2104 (a. 222) behandelt Z. 15 ff. touc; juevioi
6K KeqpaXudR uneuhuvouc; övjrac;1, womit sich stilistisch und
inhaltlich C. 7, 62, 6, 3 (294?): Super Ms vero, qui in capitalibus
causis constituti appellavcrint Zusammenhalten läßt, C. 9, 2,.3 (223)
erinnert ausdrücklich an die leg es publicorum iudiciorum2 (crimen
cap.). C. 9, 41, 6 (240) stellt in klassischem Geiste3 capitales und
pecuniariae quaestiones gegenüber. C. 9, 2, 6 (243) spricht von
capitali crimine zu einem nur in metallum Verurteilten. Auch
Diokletian hält an dem Alten fest: von C. 7, 62, 6, 3 war eben
schon die Rede; einen starken Beweis liefert C. 9, 1, 13 (294):
Si [magnum et] capitale crimen [ac non leve] frater contra
fratrem suum instituerit, non solum audiendus non est, sed
etiarn exilii poena plectendus,
wo die merkwürdig gestellten und seltsam gehäuften Epitheta den
konkreten Tatbestand verdecken und so auf das Konto eines Ad-
notators kommen, der den Terminus nicht mehr verstand.
Noch eindrucksvoller stellt C. 2, 4, 18 (293) den Widerstreit
der Zeitalter ins Licht:
Transigere vel pacisci de crimine capitali [excepto adulterio]4
non prohibitum est. [in aliis autem publicis criminibus,
quae sanguinis poenam non ingerunt, transigere non licet
citra falsi accusationem.]5
Der Kaiser nimmt offenbar lediglich den Erlaß wieder auf, von
dem Ulp. 8 disp. D. 48, 21, 1 berichtet:
In capitalibus criminibus a principibus decretum est non
nocere ei qui adversarium corrupit [, sed in bis demum, quae
poenam mortis continent: nam ignoscendum censuerunt ei,
qui sanguinem suum qualiterqualiter redemptum voluit,]
Die kongruenten Schlußsätze beider Stellen aber schränken die
der Anklägerbestechung gewährte Nachsicht auf die Verfahren ein,

1 So die Ergänzung von P. M. Meyer, Studi Bonfante II 341 ff. Wilcken,


Arch. f. Papyrusforschung 9, 90f. schlägt vor: [pq ^KKaXoupevou<;(?). .. ]Taq.
2 S. dazu Girard, SZ. 34, 3381.
3 S. ob. S. 46.
4 So ausdrücklich Thalelaios; s. ob. S. 59 6. Ältere Lit. bei Glück, Fand. 5,
65, 88, der selbst an das Emblem nicht glauben will.
5 Albertario, Delictum e crimen 52f.; Guarneri Citati, Mise, exegetica I 75.
Die römische Kapitalstrafe. 67

die dem Täter mit dem Tode drohen, wobei namentlich in c. 18


deutlich wird, wie der Verfasser die Kapitalverbrechen mit denen
gleichsetzt, quae sanguinis poenam ingerunt.
34. Über den späteren Ursprung der Einschränkung und
ihren Anlaß gibt des Thalelaios Kommentar zu der Codexstelle
wertvolle Auskunft (Heimbach I 704, schol. Geobuupou i. f.)1:
crppeluucrai be, öxi f] biaxaEic; auxp xpv xou "'Hpuuoc; TTaxpiKiou ep-
ppvelav ebeHaxo. Kai yäp 6 "Hpuuq EuboHio^ eXeyev, öxi exxi pev Travxuuv
xüuv KecpaXtKÜuv, Kav eic; öen:opxax£ujuva rpfouv e£opiav, kcxv eQ pexaXXov
eXUKJt xpv xipuuplav, e£eaxi biaXüeahai. 6 be ''Hptu<j Uaxpkioq eTxi ava-
Yvuucrpdxuuv ibiKüuv eXeyev, öxi exxi pövtuv2 xüuv bx aipaxo<; TroußXiKuuv
eHeivai biaXüeöAai. aüxp oüv f] biaxaHc; xujv br mpaxoij exbvxwv T,jv
Kaxabkpv Tipocpavüuq ebeSaxo Kai eßeßalaicre xpv xou TTaxpiKiou Trapa-
bocfiv. «ibiKÜuv» eine Trpöc^ avxibiaaxoXpv xüuv xeviKÜuv, acp' uüv ö Eu-
boHioq üupppxo. eioi be xd ibirn xujv xeviKÜuv eTtiKpaxeaxepa. Kai dvdyvujhi
Ttpüuxov KecpdX. xou Kab xix xou ppb ßiß. xüuv brf. (— D. 48, 21, 1)
ßophüuv xüu "Hpuui TTaxpiKiui.
Den byzantinischen Gelehrten und Lehrern war die Auffassung,
die die Klassiker vom crimen capitale hatten, aus ihren Schriften
zu bekannt, als daß sie bei deren Interpretierung darüber einfach
hätten hinweggehen können. Und so beruhigt sich Eudoxios, die
allgemeinen Quellenaussprüche (xd yeviKd) vor Augen, in der Tat
bei dieser Ausdeutung des Erlasses. Patrikios jedoch erhebt Wider-
spruch. Nicht als ob er jene yeviKa in Frage stellte. Aber er
hält die Verwendung des Terminus in dem vorliegenden Erlaß
für eine spezielle, wie er ihn denn auch in einer Schrift über
«Spezielle Lesungen3» (dvayviljapaxa ibiKa = recitationes speciales)

1 S. dazu Zachariae von Lingenthal, SZ. 6, 43 ff.; Collinet, Les preuves


directes de l’Influence de l’Enseignement de Beyrouth sur la Codification de
Justinien (1927) 5ff. C. schreibt (hier und sonst) das Kommentarstück mit
Unrecht dem Theodoros zu; vgl. auch Heimbach VI 351. [Nicht verwertet
werden konnte die soeben (1931) erscheinende Schrift von Bohaöek, Berytskö
nauky v Justinianske kompilaci (Cod. Just. 2, 4, 18). — Korr.-Zusatz].
2 So Zachariae.
3 Ähnlich Zachariae 45, der den Titel der Schrift «Singuläre Stellen» nennt.
Dagegen übersetzen Peters, Ostrom. Dig.-Kommentar 6417S und Collinet, Histoire
de l’ecole de droit de Beyrouth 1815, 194, 2384; aaO. 6 «recitationes privatae»
= Privatvorlesungen in der Rechtsschule von Beryt, und Collinet erschließt
daraus die Existenz einer Unterrichtsmethode, von der sonst nichts überliefert
ist. Schwerlich mit Recht. Denn nach Thalelaios brauchte Patrikios selbst
den Ausdruck und die Form übiKüuv» (also schriftlich), und er brauchte ihn
5’
68 Ernst Levy:

erläutert zu haben scheiut. Speziell gebraucht sei capitalis


hier in dem Sinne, daß es «blutig», also todbringend, bedeute.
Diese Ansicht hatte Erfolg, den Erfolg, daß die Kompilatoren sie
in den Wortlaut der Konstitution einarbeiteten.* 1 Vorher enthielt
er sie nicht. Patrikios brachte es eben nicht über sich, wirklich-
keitsfremd überall den Ahnen nachzubeten. So gehemmt die Exe-
geten von Beryt der großen Überlieferung gegenüberstanden:
bisweilen setzt sich die Anschauung ihrer eigenen Tage zwar auf
methodisch fragwürdigem Wege, aber im Ergebnis doch übermächtig
durch. Und so haben wir hier einen dokumentarischen Beweis
für den Abstand des capitalis-Begriffes im 5. und 6. Jahrh. von
dem des zweiten und noch des dritten.
Zugleich auch eine «preuve directe» für den Einfluß von
Beryt auf Justinians Kompilation. Aber Collinet, der dies, ohne
die bedeutende Studie Zachaeiaes zu kennen, richtig darlegt, will
das Ergebnis nur für den Codex nutzbar machen und gesteht
schmerzlich, für eine Beeinflussung der Digesten bisher keinen
«direkten» Beleg nennen zu können.2 Warum nicht D. 48, 21, 1?
Offenbar darum, weil Thalelaios diese Stelle anführt als ßor]hüuv tuj
"Hpun TTaTpiKiuj. Aber das ßor|9eiv braucht nichts anderes zu be-
sagen als zuvor das ßeßaiouv. Es kann hier nichts anderes sagen.
Denn hätte das Digestenfragment den "Hpuue«; bereits in seiner
heutigen Gestalt Vorgelegen, so hätte Patrfldos sich seine Argu-
mentation unnötig erschwert, und die Lehre des Eudoxios, die
ausdrücklich Deportation und Metalla einbezieht, wäre schlechter-
dings unbegreiflich. Darum muß die letzte Hälfte des fr. 1 ganz
ebenso nachträglich — und zwar unter des Patrikios Einwirkung
— hergestellt sein wie die der c. 18, und der Hinweis des Thale-
laios darauf ist eine preuve directe.3 Im Westen erwähnt eine so

-in beabsichtigtem Gegensatz zu den y^viKai, den er ja seiner ganzen Exegese


zugrunde legte. Also kann ibucöq hier nur «specialis» sein. Gerade die Papyri
des 5.—7. Jahrh. haben ja die Gegenüberstelluug tbiKÜjq Kai yeviKlK häufig
(Preisigke v. yevtKÖi;).
1 Sie beschränkten sich übrigens nicht auf die Zufügung der Worte qune
sanguinis poenam non ingerunt, wie Zachariae und Collinet annehmen; s. viel-
mehr die ob. S. 66 5 Genannten.
2 aaO. 17; auch Eev. hist. 7 (1928), 582.
3 Eine Andeutung des Vorgangs bietet auch der Index des Dorotheos
zum fr. 1:.biexpivav (!) oi ßaaiAeic; .... toütq be Kpaxet . • . (Hembach V
885, schob em).
Die römische Kapitalstrafe. 69
späte Quelle wie die Consultatio (4, 2 i. f.; vgl. eod. 7) die Neuerung
noch nicht.
Die enge Yerschwisterung beider Embleme springt ja auch
in die Augen: durch den identischen Inhalt wie durch das
Stichwort sanguis, das gerade Patrikios angegeben hat. Es kommt
als Blutstrafe in den Digesten1 sonst nur noch einmal in ähnlichem
Zusammenhang2 3 vor —praeter quam in sanguine3 (D. 47, 15, 7) —
und ist hier als Glossem ohne weiteres kenntlich. Die dritte Stelle,
die VJR. V 242, 5 ft', zu sanguis in übertragenem Sinne verzeichnet,
D. 5, 2, 4 i. f., ist als unecht längst erkannt.4
35. Kehren wir zum Thema zurück. Uber die poena capitalis
als Todesstrafe wäre im Beryt des 5. Jahrh. kein Disput möglich
gewesen: zahllose Konstitutionen sprachen dazu ein diktatorisches
Wort.5 Ob dagegen das crimen capitale nicht etwa noch im
klassischen Sinne aufzufassen sei, das blieb eine offene Frage, weil
die neuen Leges hier keine Direktive gaben. Die iuclicia publica
hatten ihre systembildende Kraft eingebüßt.6 Sie erscheinen in
dem enormen Komplex der zwischen Konstantin und 534 ergangenen
Erlasse, die iudicium so häufig verwenden und von publicus förm-
lich widerhallen, überhaupt nur noch viermal: in einem den pru-
dentes entliehenen Hinweis auf die Lex Julia de vi (CT. 9, 20, 1
= CJ. 9, 31, 1, 1 [378]), als weltliche Gerichte im Gegensatz zu
den geistlichen (CT. 16, 2, 20 [370]7; Nov. Val. 35 pr. i. f. [452])
1 Auch Cod. Just, kennt die poena sanguinis sonst nur noch in 1, 9, 18, 3 -
Nov. Th. 3, 5 (438). Im CT. erscheint sie mehrfach.
2 S. auch Ferrini, Dir. pen. rom. 208.
3 Brencmann wollte die unmögliche Form in sanguinis (sc. ccuisis) bessern.
4 Index Interp. nebst Suppiem.
5 Zum 6. Jahrh. s. u. S. 76.
6 Anders Mommsen 192 f., nach dem gerade Konstantin und seine Nach-
folger die Entführung und die Häresie unter die alten iuclicia publica ein-
gereiht hätten. Allein der Terminus, der in diesem Zusammenhang begegnet,
ohne sich übrigens auf ihn zu beschränken, ist nur crimen publicum: ein
unklassischer Ausdruck (Albertario, Delictum e crimen 50ff.), der freilich
höchst selten den Gegensatz zu dem (kaum vorkommenden) crimen privatum
bilden wird (so Albertario), vielmehr regelmäßig auf die jedermann freistehende
(= publica) accnsatio abzielt. Mit dem klassischen iudicium publicum hat das
nichts zu tun. Die Ableitung dieses Namens aus dem populären Anklagerecht
ist nicht nur «unzweifelhaft falsch» (Mommsen 1924, Wlassak, Anklage 2236),
sondern auch unklaesisch. Ein Glossem ist [quo iudicio — licet] in D. 23, 2, 43,
10, spätere Arbeit Inst. 4, 18, 1 und. die Katene des Anonymos mit ihrer
krassen Abweichung von Macer D. 48, 1, 1 (schol. 1 init.; Heimbach V 671).
7 Vgl. Jac. Gothofred. adhl.
70 Ernst Levy:

und in einer schmuckvollen Anrede an den Praefectus praetorio,


dessen Tüchtigkeit non solum privatorum, verum etiam publicorum
iudiciorum explorat audoritas (Nov. Val. 2, 2pr. [442]). Je eine Ver-
wendung, die der Entgegensetzung des privaten Schiedsgerichts
dient, begegnet in der Interpretationenliteratur (zum CT. 8, 8, 3)
und im Edictutn Theoderici (12). Das ist alles. — Mit den pu-
blica iudicia aber verlieren sofort auch die capitalia iudicia und
crimina den technischen Wert. Ganz vereinzelt begegnet noch
capitalis res (CT. 8, 5, 14pr. [362]; Interpr. zu CT. 2, 1, 124) und
causa (CJ. 1, 43, 1 [385—389]) oder capitale crimen (CT. 9, 6, 1 [376];
Nov. Val. 19, 2 [445]). Zweifellos wird das im Sinne der kaiser-
lichen Kanzlei von todeswürdigen Verbrechen zu verstehen gewesen
sein1 2: die Interpretatio zur Nov. Val. cit. setzt denn auch lieber
capitali sententia, und die Interpr. zu [Paul.] sent. 5, 35, 1 erläutert
die causa capitalis ihrer Vorlage im Gegensatz zu ihr durch capite
damnari.3 4 Aber von irgendwelcher begriffsgestaltenden Durch-
schlagskraft waren diese sporadischen Redewendungen nicht; sonst
wäre weder die Meinung des Eudoxios zu verstehen noch die Art,
mit der Patrikios die Gegenmeinung rechtfertigt. Man brauchte
die res capitales, den Begriff des Kapitalverbrechens, im Strafrecht
nicht mehr. War er schon vor dem Ausgang der klassischen Epoche
fragwürdig geworden4, so hatte er sich vollends überlebt, seit die
sullanisch-augusteischen Gesetze durch die vielen Einzelnormen
des neuen Kaiserrechts verdrängt waren. Nur soweit er im Privat-
recht und Privatprozeß Wirkungen zeitigte, blieb er unbehelligt,
weil er dort die Tendenz der kaiserlichen Leges nicht gar zu emp-
findlich störte und man an den ehrfurchtgebietenden Block des
bürgerlichen Rechts ja ohnehin nicht ohne Not zu tasten wagte.
Wenn man sich erinnert, wie verschwenderisch die Konsti-
tutionen mit dem Terminus capitalis umspringen, wo immer er in
1 CT. sagt de capite (iudicare).
2 Vgl. auch Jac. Gothofred. zu CT. 8, 5, 14 pr.
3 An die Todesstrafe denkt sicher auch Justinian an den beiden Stellen,
an denen er zwar nicht capitalis, aber die griechische Entsprechung (abgesehen
von der Kapital s t r a f e) verwendet: in C. 6, 4, 4, 8 KecpaÜKpv KOtxriYOpidv,
wo der Zusammenhang auf die oben S. 53f. behandelten Embleme in D. 38, 2,
14, 4; eod. 15 deutet; in C. 9, 4, 6, 4 el pp dpa KeqpaXiKux; ^vayeTai, wozu Ed.
Theod. 152 homicidam capitaliter accusare zu vergleichen ist, s. auch Interpr.
zu CT. 9, 1, 14: quicumque alium de homicidii crimine periculosa vel capitali
obiectione pulsaverit.
4 Ob'. S. 65.
Die römische Kapitalstrafe. 71

Verbindung mit poena, sententia, supplicium usw. die Kapitalstrafe


bezeichnen soll, ist die Dürftigkeit der Belege für Kapitalverbrechen
und Kapitalprozeß doppelt beweisend. Man vermeidet diese Begriffe
auch da, wo die Vorzeit mutatis mutandis mit großer Wahr-
scheinlichkeit nach ihnen gegriffen hätte. — Mommsen1 lehrt, daß
von den häufigen Amnestien «Kapitalverbrechen» regelmäßig aus-
geschlossen waren. Aber von den acht Erlassen zwischen 322 und
etwa 400, die über solche Ausnahmen berichten, braucht nicht ein
einziger den Terminus: CT. 9, 38, 1. 3. 4. 6. 7. 8 zählen die aus-
geschiedenen crimina ausdrücklich auf; eod. 2 und 10 ziehen die
Grenze im Gegensatz zu der des crimen capitale dahin, daß die
quinque crimina, quae capite vindicantur ausgeschlossen, Deportations-
und Bergwerksstrafen dagegen einbezogen sind. Der einzige Erlaß,
der nach der Art der Tat gliedert (eod. 7), unterscheidet leviora
crimina und saeviora scelera. Ein ähnliches Bild bietet die Auf-
zählung der Ehescheidungsgründe: zunächst geben namentlich
angeführte je tria crimina des einen Gatten dem anderen das liecht
zu gefahrloser Ehelösung (CT. 3, 16, 1 [331]); der zweite Erlaß (CT.
eod. 2 [421]) verallgemeinert das zu magna crimina und grave crimen.
36. An einem Bedürfnis, die Straftaten nach ihrem Tatbestand
zu klassifizieren, fehlt es also auch jetzt nicht. Nur setzt man an
die Stelle der veralteten capitalis causa als Einteilungskriterium die
weniger präzise, dafür aber elastischere «Schwere» des Verbrechens.
Das ist nicht etwa neue Erfindung. Wir haben gesehen, daß es
für die klassische Zeit nur im Rahmen der iudicia publica kapitale
oder nichtkapitale Vergehen gab.2 Außerhalb dieses Kreises be-
durfte man daher einer anderen Abstufung. Schon Augustus er-
ließ i. J. 8 n. Chr. ein Edikt, das die Folterung der zu vernehmenden
Sklaven auf capitalia et atrociora maleficia beschränkte (Paul. D.
48, 18, 8pr.): das zweite Beiwort läßt sich wohl nur begreifen,
wenn man an die von den iudicia publica im älteren Sinne nicht
umfaßten Straftaten denkt. Das gleiche, bloß auf den jüngeren
Sinn bezogen, gilt von Ulp. D. 26, 10, 1, 8 (facta atrociora), D. 48,
2, 6 (levia crimina), D. 48, 3, 3 (grave scelus), D. 49, 7, 1, 5 (graviora
crimina, levius); Paul. D, 49, 16, 14, 1 (gr-ave crimen); Men. D. eod.
2, 1 (grave crimen), eod. 4, 10. 14 (gravius und levius delictum);
M arcian. D. 39, 4, 16, 1 und Mod. D. 49, 16, 3 pr. (quid gravius
1 456.
2 Ob. S. 62 ff.
72 Ernst Levy:

admittere). Aber noch viel allgemeiner schreibt Claud. Saturninus


I). 48, 19, 16, 1, wo er die verbrecherischen facta nach septem modi
gliedern will, im § 6: qualitate, cum factum vel atrocius vel levius
cst.1 Andererseits fehlt es, wie Ulp. D. 38, 2, 14, 4, Marc. D. 48,
17, 1, 1 und C. 9, 1, 13 zeigten2, auch an iriterpolatorischen Ver-
drängungen und Verwässerungen des capitale crimen nicht.3 Nicht
immer wird der Ursprung des gravis u. ä. sich mit Bestimmtheit
ermitteln lassen: in Pap. D. 50, 2, 5 könnte leviore an Stelle von
non capitali getreten sein.4 C. 9, 40, 1 (211) cum absenti reo grcivici
crimina intentantur sticht von dem capitalis der in C. 9, 2, 6 pr.
angedeuteten Verordnung des Severus und Caraealla5 zunächst selt-
sam ab; aber die Begriffe brauchen sich um so weniger zu decken6,
als dort bereits die Erhebung der Anklage gegen den absens, hier
(auf dem weiteren Gebiet der gravia crimina) dagegen bloß die
Fällung der sententia untersagt wird. Auch in C. 9, 1, 1 (195) sind
die crimina graviora nicht zu beanstanden. Daß mecliocriter de-
linquere in D. 48, 5, 30, 3 Verdacht erweckt, ist schon bemerkt
worden7; ebenso wird die ungeschickte Gruppierung der Strafen
mit dem Mittelglied mediocrium delidorum poenae in [Paul.] sent.
5, 17, 2 nicht von dem Klassiker stammen.
Unter solchen Umständen braucht man nach der Herkunft
der spätzeitlichen Klassifizierung, deren Belege sich vermehren
ließen8, nicht länger zu forschen. Ein Beispiel für sie bietet über-
dies neuerdings auch die hellenistische Kechtswelt. Der Gnomon
§ 36 beginnt: Tujv erri cpövotc; fj piZbcnv djuapifuuacriv Ko\a£o|uevuuv
... Ta uTrapxovTa dvaXajußdveiai, Lenel-Partsch 9 haben das als
1 Vgl. auch Pap. I). 48, 5, 39, 3 (crimina graviora); Ulp. I). 48, 22, 11
rest. (magnum crimen).
9 Ob. S. 53, 59, 66.
3 Ebenfalls unecht sind Tryph. 1). 4, 4, 37, 1 in delictis . . . utique atrociori-
,bus (vgl. Albertario, Delictum e crimen 23 f., s. auch schon Riccobono [Index
rnterp.]; anders G. Segre, Studi Bonfante III 585 237) und Marc. D. 48, 19, 11 pr.
i. f. (Beseler II 32 f., Prixgsheim, SZ. 42, 6681, Solazzi, Arch. giur. 94, 12 f.).
Wegen Ulp. D. 49, 7, 1, 5 i. f, s. ob. S. 54, wegen Ulp. 1). 50, 2, 3, 1 dem-
nächst anderswo.
4 Näheres anderwärts.
5 Ob. S. 59.
G Wlassak, Anklage 61 zweifelt.
7 Albertario, Arch. giur. 93, 92 [Voi.terra, Riv. ital. 5, 128]; zu mediocriter
vulnerare in D. 47, 10, 7, 2 Beseler III 82 f.
8 z. B. OT. 9, 40, 3 (319); 9, 42, 8, 3 (380); const. Sinn. 8 Z. 28 (386).
9 Zum sogen. Gnomon des Idios Logos (Heidelb. Akad. 1920, 1. Abh.) 27f.
Die römische Kapitalstrafe. 73

eine Umschreibung des lat. His qui rei capitalis damnantur . . .


erachtet, und ähnlich übersetzen Seckel-Meyer1 «wer wegen Mordes
oder sonstiger Kapitalverbrechen bestraft . . . ist». Aber Wilcken2
hat unter Hinweis auf den typisch hellenistischen Gegensatz von
dpapxfmaTa crfVorigaTa3 und auf die in Amnestieerlassen mehrfach
begegnende Zusammenstellung des Mordes mit anderem Verbrechen
(iepocmXia) Bedenken geäußert und griechischen Urtext und Ursprung
des § 36 vermutet. Wie ich glaube, mit Recht. Eine Vorlage,
wie Lenel-Partsch sie vorschlagen, wäre doch wohl unmittelbarer
übertragen worden. Denn obsclion für die Wiedergabe von capi*
talis ein gleichartiger Ersatz vielleicht nicht zur Verfügung gestanden
zu haben scheint4, so wäre doch, wie die Kyreneedikte zeigen, mit
bdvaToc;, davamoc;, {favaxriGpöpoc; oder sonstwie ohne Zweifel zu helfen
gewesen. Insbesondere das Beispiel des cpovoq kann nur von Grie-
chen stammen, denen er als Muster des apapippa vor Augen stand5 *,
während die lateinische Sprache dieser Zeit erst zögernd anfing,
in dem lexfremden homicidium sich einen Fachausdruck zu bilden.6 7
Wir müssen bis auf Konstantius heruntergehen, um eine unmittel-
bare Parallele zu finden: in homicidii crimine et in aliis . . . graviori-
bus causis heißt es in CT. 9, 40, 4 = CJ. 9, 47, 18 pr. (346). Ent-
scheidend dürfte die sachliche Erwägung sein, daß die Einziehung
des Vermögens in den Rechtsbüchern nicht an den Grund, sondern
an den Inhalt der Verurteilung geknüpft wird: sota- sententia, non
genus criminis spectatur sagt Marcian. D. 48, 19, 12 für den status
damnatorum, dessen Degradierung als Ursache des Vermögens-
verlustes gilt: JDamnaüone bona publicantur, cum aut vita adimatur
aut civitas, aut servilis condicio irrogatur (Call. D. 48, 20, 1 pr.). Und
das war der Gesichtspunkt auch schon zur Zeit des Gnomonaus-
1 Zum sogen. Gnomon des Idios Logos, Sitzungsber. der Preuß. Akad.
1928, 445.
2 Urk. d. Ptolemäerzeit I 499 f.
3 S. ob. S. 42 4.
4 Vgl. ob. S. 411
0 Maschke, Willenslehre im gr. R. 36 ff., 52; Stroux(- Wexger) 29 f.; vgl.
auch Taubenschlag, Strafrecht in den Papyri 8 ff., 79 ff. — Dazu Cass. Dio 52,
20 i. f.: bixaq . . . TtApv rtuv qpoviKÜjv.
n VJR. III 251; s. auch Mommsen 613; Strocx 295.
' Oder: wieder zu bilden, wenn, w7ie Wackernagel, Gnomon 6, 458ff.
soeben vermutet, yarricida in ältester Zeit den «Mörder schlechthin» be-
deutet hat.
74 Ernst Levy:

zuges: Gai. D. 28, 1, 8, 1. 2. 4.1 Danach dürfte der § 36 ein


römisches Vorbild nicht gehabt haben. Auch sachlich können die
peffru apgaxfigaia den durch die besondere römische Entwicklung
geprägten res capitales2 nicht gleichgesetzt wrerden.3

D.
Ü7. Überblicken wir die Haltung des mit Konstantin an-
hebenden Zeitalters. Es kontrastiert auch hier stark mit dem
voraufgehenden. Vor allem in drei Richtungen. Der Anwendungs-
bereich des Terminus capitalis erstreckt sich über das ganze Straf-
recht, ohne Bindung an bestimmte Rechtsquellen oder Tatbestände.
Die «Kapitalstrafe» wird zum primären Begriff, das «Kapital-
verbrechen» ist nur noch Rückstand älterer Normen und nirgends
mehr Element frischer Rechtsbildung. «Kapital» ist überall —
in den massenhaften capitalis-Wendungen wie in den weit weniger
häufigen caput-Verbindungen — nur noch die Todesstrafe.
Die Gründe hegen zutage. Die rechtsquellenhafte Radizierung
des capitalis-Begriffs hatte sich schon im Laufe der klassischen
Epoche als mißlich erwiesen; sie wurde um so bedenklicher, je
größer die Zahl der crimina extraorclinaria wurde, die neben den
iudicia publica aufkamen. Sobald die Leges Corneliae und Juliae
den Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung verloren, ver-
mochte sich auch das iudicium publicum neuklassischen Stils nicht
mehr zu behaupten. Es ging denselben Weg, den längst zuvor
das Geschworenengericht gegangen war. Von solcher Verkoppelung-
befreit, stand capitalis voraussetzungslos neuer Prägung offen.
Die Rolle, die das Kapitalverbrechen als Rechtsbegriff der
klassischen Periode spielte, hing eng mit der Gewaltenteilung zu-
sammen, die im Quästionenverfahren zwischen Schuldspruch und
Strafverhängung eine Grenze zog. Der Schuldspruch machte den
capitis reus zum rei capitalis danmatus ohne Rücksicht darauf, wie
die Vollstreckung ausging. Die neue Epoche fand die Gewalten-
teilung versunken, die Schuld- und Strafsentenz verschmolzen,
den Richter seiner Bewegungsfreiheit weithin beraubt. Da war
für ein Sonderrecht der res capitalis kein Bedürfnis mehr. Wo
1 Für die spätere Zeit s. z. ß. noch UIp. D. 48, 13, 3 i. f.; 48, 22, 14, 1
(rest.); Modest, fragm. ex libris differentiarum (Krüger, Collect. II 161; Seckel-
Kübler II 168).
2 Oben 8. 62 fl.
3 Anders in diesem Punkte Wilcken aaO., P. M. Meyer, SZ. 50, 535.
Die römische Kapitalstrafe. 75

sie vereinzelt noch auftaucht, ist sie sekundäre Umschreibung: eben


das Verbrechen, das zur Kapitalstrafe geführt hat oder führen
wird. Sie weist dann unmittelbar auf die poena capüalis. Das
ist der lebendige Kernbegriff der Gegenwart.
Er bedeutet die Todesstrafe und sie allein. Daß bisher auch
andere Strafen zu den capitales rechneten, war Ausdruck einer
Zeit gewesen, die Hinrichtungen zu vermeiden strebte und an ihrer
Stelle den Verlust von Freiheit oder Zivität als die «Haupt»strafe
empfand — nicht so sehr aus Motiven allgemeiner Humanität wie
aus dem Verlangen, den auserwählten civis Romanus von der Masse
der gentes auch in diesem Betracht gebührend abzuheben. Das
Hochgefühl überdauerte aber die Republik nicht lange, der civis
verblaßte in dem Untertan. Die Kognition machte von vornherein
vor der Enthauptung des Bürgers nicht halt. Die Differenzierung
schwand vollends mit der antoninischen Verallgemeinerung des
Bürgerrechts, die im Strafrecht naturgemäß nicht auf eine Hinauf-
stufung des peregrinus, sondern auf die Deklassierung des civis
hinauslief. Seitdem es von Konstantin ab in immer zahlreicheren
Fällen wirklich um den Kopf auch des'Bürgers ging, fand sich
dafür wie von selbst der Terminus capüalis wieder, der dem Nicht-
bürger niemals aufgehört hatte die Todesstrafe zu sein.
Wie von selbst. Es war weder willkürliche Neuerung noch
an römische Vorzeit anknüpfender Historismus, was der kaiserlichen
Kanzlei des neuen Dominus von Anbeginn1 die Feder führte.
Der Kreislauf in der Geschichte der Todesstrafe, der vor einem
halben Jahrtausend begonnen hatte, vollendete sich. Ihn spiegelt
der Kreislauf des capüalis-Begriffes getreulich wider. Die Erweite-
rungen und Beschränkungen, die die Wandlungen des materiellen
und prozessualen Strafrechts dem Worte auferlegt hatten, fielen
ab, nachdem die Ursache jener Wandlungen gewichen war, und
das Wort erhielt so auch in der technischen Sprache seinen ur-
sprünglichen Sinn zurück. Capite punire und capitis poena bildeten
im Gesamtbereich des Begriffs keine Enklave mehr. Die Umbildung
ins Zeitgemäße war im Ergebnis zugleich eine Rückbildung ins
Ursprüngliche.
Sie verlief jedoch nicht ohne Hemmungen. Gar zu gewaltig
drückte der Koloß des klassischen Werkes auf die Epigonen. Die

1 Schon der früheste Erlaß, der uns aus dem Cod. Theod. überkommen
ist (10, 10, 1 vom 18. Januar 818), nennt die poena capitalis.
76 Ernst Levy: Die römische Kapitalstrafe.

inneren Gründe für die geschilderten Veränderungen wären im


3. Jahrh. schon sämtlich gegeben gewesen: die Umgestaltung des
Prozesses, die Nivellierung der Zivität, die Rauheit der Zeiten
mit ihrer Geringschätzung des Menschenlebens. Aber die Kraft-
losigkeit von Jurisprudenz und Praxis verhinderte eine Auflehnung
gegen die überlebte Tradition, und Diokletians Parole des Pomanis-
mus wirkte in derselben Richtung.
Erst Konstantins Impuls räumte mit allen Bedenklichkeiten
auf. Die zogen sich in die Rechtsschulen zurück. Im 5. Jahrh.
sahen wir Eudoxios mit seiner methodisch nicht widerlegbaren
Berufung auf die klassische Begriffsbestimmung am Werk. Die
Kompilation bringt auch in unserer Frage den geschichtlich ebenso
unschätzbaren wie rechtlich unzeitgemäßen Rückschlag. Ihr Wider-
spruch überschneidet die Grenzlinie von Leben und Tod. Wo
Justinian selbst spricht, kennt er capitalis nur im konstantinischen
Sinn; wo er sammelt, macht er sich die entgegengesetzten Äuße-
rungen des Prinzipats nicht minder zu eigen. Der Widerspruch
war so absurd, daß er die Praxis wohl kaum irgendwann irregeführt
hat: die klassischen Definitionen und Erörterungen über die res
capitalis sowohl wie über die iuclicia publica gehören zu den Be-
standteilen des Corpus iuris1, die weder zu seiner Zeit noch zu
irgendeiner späteren Geltung erlangt haben.2 3 Die Theorie aber
kam über sie nicht hinweg. Sie hat jene Definitionen in Byzanz
wie in Bologna4 als kursgängige Münze genommen und krankt
an diesem Zwiespalt noch heute.
1 Einschließlich der Institutionen: 4, IS, 2 (s. ob. S. 451).
2 Dies einstweilen zu Riccobono, Nichilismo critico-storico nel campo del
diritto romano e meclievale (Palermo 1930) 28ff.
3 Vgl. etwa den Digestenindex des Dorotbeos ob. S. 564, 598; den Anonymos
schol. TToüßXiKa zu D. 48, 1, 2 (Heimbach V 671), sch. KecpaXtKp zu D. 37, 1,
13 (IV 55); die Basiliken 2, 2, 100 (I 49); die späteren Scholien 1 und 2 zu
Bas. 60, 33, 2 (V 671), 1 zu Bas. 60, 51, 2 (V 854). Zu der entgegengesetzten
lebendigen Anschauung der Zeit vgl. ob. S. 58 ff.; ferner Thal, und Theod.
zu C. 9, 22, 22 (V 797f.); Theod. zu C. 9, 47, 25 (V 876) usw.
4 Siehe die Glosse zu den ob. S. 39, 43ff. wiedergegebenen Stellen; nicht
einmal D. 21, 1, 23, 2 gibt ihr Anlaß, die Antinomie zu vermerken.
Sitzungsberichte
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-historische Klasse
— Jahrgang 1930/31. 5. Abhandlung

römische Kapitalstrafe

Das könnte Ihnen auch gefallen