Sie sind auf Seite 1von 82

ANALYSIS I

FELIX FINSTER

ZULETZT GEÄNDERT AM 18. FEBRUAR 2024

Inhaltsverzeichnis
1. Einige Grundbegriffe der Logik und Mengenlehre 3
1.1. Aussagen 3
1.2. Mengen und Mengenoperationen 3
1.3. Relationen und Funktionen 4
2. Zahlen 5
2.1. Natürliche Zahlen, Vollständige Induktion 5
2.2. Reelle Zahlen 6
2.3. Komplexe Zahlen 14
3. Folgen und Reihen 16
3.1. Konvergenz von Folgen 16
3.2. Beschränkte und Monotone Folgen 19
3.3. Teilfolgen, Häufungspunkte 21
3.4. Cauchy-Folgen 22
3.5. Die Konvergenzsätze 23
3.6. Reihen 24
3.7. Alternierende Reihen, das Leibnizsche Konvergenzkriterium 26
3.8. Absolut konvergente Reihen 27
3.9. Umordnung von Reihen, das Cauchy-Produkt 29
3.10. Das Cauchysche Verdichtungskriterium 32
3.11. Die Exponentialreihe 33
4. Funktionen, Stetigkeit 35
4.1. Abbildungen von Mengen, Funktionen 35
4.2. Stetige Funktionen 38
4.3. Zwischenwertsatz und Umkehrfunktion 40
5. Differenzierbare Funktionen einer Reellen Variablen 43
5.1. Lokale Extrema, der Mittelwertsatz 48
5.2. Trigonometrische Funktionen 50
6. Das Eindimensionale Riemannsche Integral 53
6.1. Grundlagen 53
6.2. Die Hauptsätze der Integral- und Differentialrechung 59
6.3. Partielle Integration 61
6.4. Variablentransformation 61
6.5. Uneigentliche Integrale 63
6.6. Die Taylor-Formel 66
6.7. Die l’Hospitalschen Regeln 68
6.8. Die Taylorreihe, Potenzreihen 70
1
2 F. FINSTER

7. Topologische Grundbegriffe 74
7.1. Metrische Räume 74
7.2. Offene Mengen 78
7.3. Teilräume, Relativtopologie 80
7.4. Konvergenz und Stetigkeit 80
7.5. Topologische Räume 81

Organisatorisches:
▶ Neues Übungsblatt immer am Mittwoch oder Donnerstag. Abgabe eine Woche

später am Freitag.
▶ Regelmäßige Teilnahme an den Übungsbetrieb wird erwartet.
▶ Zentralübung: Dienstag Nachmittag, beginnt nächste Woche (also am 24. Ok-

tober).
▶ Einteilen der Übungsgruppen und sonstige organisatorische Dinge: Siehe GRIPS

Literatur: Es gibt sehr viele gute Lehrbücher. Hier ein paar Anregungen:
▶ Amann, Herbert und Escher, Joachim, Analysis I, Birkhäuser Verlag, 2. korr.

Aufl. 2002
▶ Barner, Martin und Flohr, Friedrich, Analysis I, DeGruyter Lehrbuch 2000
▶ Forster, Otto, Analysis 1, Vieweg Verlag 1999
▶ Hildebrandt, Stefan, Analysis I, Springer Verlag 2002
▶ Königsberger, Konrad, Analysis I, Springer Verlag 2001
ANALYSIS I 3

1. Einige Grundbegriffe der Logik und Mengenlehre


1.1. Aussagen. Aussagen können wahr oder falsch sein; bezeichne sie mit kleinen
Buchstaben.
Beispiele:
• a heute ist Analysis-Vorlesung
• b heute ist Mittwoch oder Freitag
Aussagen können miteinander verknüpft werden:
• ¬ Negation
• ∧ Und
• ∨ Oder
• =⇒ Implikation, Folgepfeil (beachte: stets mit doppelter Linie; der Pfeil →
wird später als Konvergenzpfeil eine andere Bedeutung haben).
• ⇐⇒ Äquivalenzpfeil
Diese Verknüpfungen kann man in Wahrheitstabellen darstellen, beispielsweise
a ∧ b a wahr a falsch a ∨ b a wahr a falsch
b wahr wahr falsch b wahr wahr wahr
b falsch falsch falsch b falsch wahr falsch

a ⇒ b a wahr a falsch a ⇔ b a wahr a falsch


b wahr wahr wahr b wahr wahr falsch
b falsch falsch wahr b falsch falsch wahr
1.2. Mengen und Mengenoperationen. Wir werden den Begriff der “Menge” nicht
axiomatisch begründen. Das mag für Sie auf den ersten Blick unbefriedigend erschei-
nen, weil man ja in der Mathematik an der Uni alles sauber begründen sollte. Das kann
man auch tatsächlich tun. Das sorgfältig zu tun würde aber zu viel Zeit in Anspruch
nehmen. Ich werde in der Zentralübung ein paar Dinge zur Mengenlehre sagen. Für
unsere Zwecke ist es völlig ausreichend, mit einem “naiven” Mengenbegriff zu arbeiten.
Wir bezeichnen Mengen mit Großbuchstaben A, B, . . .. Manchmal werden wir Mengen
zur Deutlichkeit mit einem Doppelstrich bezeichnen (wie z.B. N für die natürlichen
oder R für die reellen Zahlen). Eine Menge besteht aus Elementen. Wir verwenden die
übliche Bezeichnung
A = {a, b, . . .} .
Die Elemente können dabei beliebige Objekte sein (wie Buchstaben, Zahlen, etc.). Wir
verwenden die Elementbezeichung a ∈ A und a ̸∈ A. Außerdem verwenden wir ⊂ für
die Teilmenge. Die leere Menge bezeichen wir mit ∅, sie ist Teilmenge jeder Menge.
Schnitt und Vereinigung bezeichnen wir mit A ∩ B bzw. A ∪ B. Zwei Mengen A und B
heißen disjunkt falls A ∩ B = ∅.
Eine Aussagenform p ordnet jedem Element a einer Menge A eine Aussage p(a) zu
(die wahr oder falsch sein kann). Mit einer Aussagenform kann man eine Teilmenge B
von A bilden, indem man alle Elemente auswählt, für die p(a) einen wahre Aussagen
ist. Man schreibt symbolisch
B := {x ∈ A | p(x)} ⊂ A
(hier und im folgenden verwende ich das Symbol := zur Deutlichkeit dann, wenn die
Gleichung als Definition für die linke Seite dient). Dass man auf diese Weise Teilmengen
bilden kann, ist nicht offensichtlich. Wir verwenden dies als Axiom, das wir nicht weiter
4 F. FINSTER

hinterfragen. Es wird Aussonderungsaxiom genannt. Gegeben eine Menge C, kann man


beispielsweise über x ̸∈ C eine Aussagenform definieren. Wählt man alle Elemente
aus A aus, für welche diese Aussagenform wahr ist, so erhält man das Komplement
A \ C = {x ∈ A | x ̸∈ C} .
Man kann tatsächlich alle Mengeoperationen mit logischen Operationen umschreiben.
Beispielsweise ist für zwei Teilmengen A, B ∈ M einer Obermenge M
A ∪ B = {x ∈ M | x ∈ A ∨ x ∈ B} .
Als weitere Konstruktionsmethode für neue Mengen definieren wir das kartesische
Produkt × als die Menge aller Paare, also
A × B = {(x, y) | x ∈ A ∧ y ∈ B} .
Um Aussagen über Menge zu formulieren, braucht man oft Begriffe wie “für alle
Elemente einer Menge” oder “es gibt ein Element in Menge”. Deswegen ist es nützlich,
auch dafür Symbole einzuführen, die sogenannten Quantoren
• ∀ der “Allquantor” bedeutet “für alle”
• ∃ der “Existenzquantor” bedeutet “es gibt”
Man kann die Elemente und Mengen daneben oder darunter schreiben (je nachdem,
was man lieber mag oder wieviel Platz man auf dem Papier hat). Beispielsweise kann
man den Satz “alle Studierenden haben Freunde” mathematisch so ausdrücken
∀x∈S ∃y∈S f (x, y) oder auch ∀x ∈ S ∃ y ∈ S f (x, y) ,
wobei S die Menge der Studierenden bezeichnet, und f eine Aussagenform auf S × S
bezeichnet mit der Bedeutung “ist befreundet mit”.
Schließlich führen wir noch die Begriff der Potenzmenge ein. Die Potenzmenge P(A)
einer Menge A ist definiert als die Menge aller Teilmengen der Menge A.
Beispiel 1.1. Sei A = {a, b} eine zweielementige Menge. Dann ist

P(A) = ∅, {a}, {b}, {a, b} .
1.3. Relationen und Funktionen. Seien A, B Mengen.
Definition 1.2. Eine Teilmenge des kartesischen Produktes R ⊂ A × B heisst Rela-
tion.
Beispiel 1.3. Seien A und B die Mengen A = {a, b} und B = {c, d}. Dann ist

A × B = (a, c), (a, d), (b, c), (b, d) .
Dann kann man beispielsweise folgende Relationen einführen,

R1 = (a, d), (b, d)}

R2 = (a, d), (a, c), (b, d)}

R3 = (a, c)} .
bis hier Vorlesung
18.10.2023 Definition 1.4. Eine Relation R ⊂ A × B heisst Funktion von A nach B, falls es
für jedes a ∈ A genau ein b ∈ B gibt mit (a, b) ∈ R. Man verwendet auch die Notation
R:A→B, a 7→ b
und schreibt b = R(a). Damit bilden alle Funktionen eine Teilmenge von P(A × B).
Eine Funktion R : A → B wird auch Abbildung von A nach B genannt.
ANALYSIS I 5

Beispiel 1.5. Im letzten Beispiel ist R1 eine Funktion. R2 is jedoch keine Funktion,
weil R(a) nicht eindeutig bestimmt ist. R3 ist ebenfalls keine Funktion, weil es zu b ∈ A
kein Element in x ∈ B gibt mit (b, x) ∈ R3 .

2. Zahlen
2.1. Natürliche Zahlen, Vollständige Induktion. Wir setzen die natürlichen Zah-
len
N = {1, 2, 3, . . .}
als gegeben voraus, genauso wie die üblichen Operationen + (Addition) und · (Mulit-
plikation), sowie die Relation ≤.
Axiom 2.1. (Wohlordnungsprinzip) N is wohlgeordnet, d.h. jede nichtleere Men-
ge M ⊂ N besitzt ein kleinstes Element. In Formeln können wir schreiben
∀M ⊂N,M ̸=∅ ∃k∈M ∀n∈M k ≤ n .
Axiome können nicht bewiesen werden. Statt dessen werden Sie an den Anfang un-
serer Überlegungen gestellt. Oft sind Axiome wie in diesem Fall unmittelbar einsichtig.
Aus Axiomen folgen weitere Aussagen durch Beweis. Um zu illustrieren, wie das geht,
beweisen wir jetzt unser erstes Theorem.
Theorem 2.2. (Prinzip der vollständigen Induktion) Genüge M ⊂ N den fol-
genden Bedingungen:
(i) 1 ∈ M
(ii) n ∈ M =⇒ n+1∈M
Dann ist M = N
Beweis. Wir führen einen indirekten Beweis. Nehme dazu an, dass die Menge Q := N \
M nicht leer ist. Dann exist nach dem Wohlordnungsaxiom ein kleinstes Element n0 ∈
Q. Wegen (i) ist n0 > 1 und daher n0 − 1 ∈ M (es kann nicht in Q sein, weil n0 das
kleinste Element ist, deswegen muss es in M sein). Nach (ii) folgt
n0 = (n0 − 1) + 1 ∈ M .
Dies ist ein Widerspruch. Also ist Q = ∅. □

Dieses Theorem kann man statt für Mengen auch für Aussageformen formulieren.
Theorem 2.3. Für eine Aussageform p(n) mit n ∈ N sei folgendes bekannt:
(i) p(1) ist wahr.
(ii) p(n) ist wahr =⇒ p(n + 1) ist wahr
Dann ist p(n) wahr für alle n ∈ N.
Beweis. Wende Theorem 2.2 an auf die Menge
M := {n ∈ N | p(n) ist wahr} .

Punkt (i) wird auch als Induktionsverankerung oder Induktionsanfang bezeichnet.


Der Schritt (ii) ist der Induktionsschritt.
6 F. FINSTER

Beispiel 2.4. Für all n ∈ N gilt


n
X n(n + 1)
sn := k= .
2
k=1

Das Summensymbol ist dabei definiert durch


n
X
f (k) := f (1) + · · · + f (n) .
k=1

Beweis. Setze
n n(n + 1) o
M := n ∈ N sn = .
2
Dann gilt
(i) 1 ∈ M : rechne dies direkt nach
(ii) Nehme an, dass n ∈ M (Induktionsvoraussetzung). Dann folgt
n(n + 1) (n + 1)(n + 2)
sn+1 = sn + (n + 1) = + (n + 1) = ,
2 2
wobei im letzten Schritt der Bruch auf den Hauptnenner gebracht und vereinfacht
wurde. Damit ist auch der Induktionsschritt bewiesen.

Beispiel 2.5. Für all n ∈ N gilt


n
X
(2k − 1) = n2 .
k=1

Beweis. (i) Verankerung: (2 − 1) = 1


(ii) Nehme an, dass die Formel für n gilt (Induktionsvoraussetzung). Dann folgt
n+1
X n
X
(2k − 1) = (2(n + 1) − 1) + (2k − 1) = (2n + 1) + n2 = (n + 1)2 .
k=1 k=1

Damit ist auch der Induktionsschritt bewiesen.


2.2. Reelle Zahlen. Wir wollen nun die rellen Zahlen axiomatisch einführen. Es gibt
drei Gruppen von Axiomen:
(I) Die algebraischen Axiome
(II) Die Anordnungsaxiome
(III) Das Vollständigkeitsaxiom
Wir beginnen mit den algebraischen Axiomen:
(I) In R gib es zwei Operationen, die jedem Paar a, b ∈ R ein Element aus R zuord-
net, nämlich
a + b Summe
ab = a · b Produkt
ANALYSIS I 7

Es ist günstig, diese Operationen als Funktionen oder Abbildungen aufzufassen,


also
+ :R×R→R, (a, b) 7→ a + b
· :R×R→R, (a, b) 7→ ab
Dabei gelten die folgenden Regeln:
(I1) Assoziativgesetz der Addition: (a + b) + c = a + (b + c)
(I2) Kommutativgesetz der Addition: a + b = b + a
(I3) Neutrales Element der Addition: Es gibt eine Zahl 0 ∈ R mit a + 0 = a ∀a ∈ R.
(I4) Inverses Element der Addition: Zu jedem a ∈ R gibt es ein b ∈ R mit a + b = 0.
In anderen Worten: (R, +) ist eine Abelsche Gruppe.
(I5) Assoziativgesetz der Multiplikation: (ab)c = a(bc)
(I6) Kommutativgesetz der Multiplikation: ab = ba
(I7) Neutrales Element der Multiplikation: Es gibt eine Zahl 1 ∈ R mit a1 = a ∀a ∈
R.
(I8) Inverses Element der Multiplikation: Zu jedem a ̸= 0 gibt es ein b ∈ R mit ab = 1.
(I9) Distributivgesetz: a(b + c) = ab + ac.
Nach Dedekind bilden die Strukturen (I) einen Körper (englisch: field).
Wir führen folgende Bezeichnungen ein: Das Inverse der Addition von a wird auch
mit −a bezeichnet. Entsprechend ist a−1 die Inverse der Multiplikation. Die Subtrak-
tion und Division werden definiert durch
a
a − b := a + (−b) und := a b−1 .
b
Bevor wir die Axiome (II) einführen, wollen wir einige einfache Folgerungen der
bisherigen Axiome ableiten:
(1) Die Zahl 0 ist eindeutig: Sei 0′ eine weitere null, also a + 0′ = a ∀ a ∈ R. Dann
ist 0 + 0′ = 0. Andererseits ist 0′ + 0 = 0. Nach dem Kommutativgesetz folgt
0 = 0 + 0′ = 0′ + 0 = 0′
(2) Das Negative einer Zahl ist eindeutig bestimmt: Sei a′ ∈ R mit a + a′ = 0. Dann
ist
(−a) + (a + a′ ) = (−a) + 0 = −a .
Anderseits ist nach dem Assoziativgesetz
(−a) + (a + a′ ) = (−a) + a + a′ = 0 + a′ = a′ ,


und es folgt a′ = −a.


(3) Ganz analog sieht man, dass auch 1 und a−1 eindeutig sind. bis hier Vorlesung
(4) Außerdem gilt 20.10.2023

−(−a) = a (−a) + (−b) = −(a + b) (2.1)


−1
a−1 =a a −1 −1
b = (ab) −1
falls a, b ̸= 0 (2.2)
a0 = 0 a(−b) = −(ab) (2.3)
(−a)(−b) = ab a(b − c) = ab − ac (2.4)
Wir beweisen diese Relationen exemplarisch:
▶ Beweis von −(−a) = a: Wir formen äquivalent um:

⇐⇒ a = a + (−a) − (−a) = −(−a)


8 F. FINSTER

▶ Beweis von a0 = 0: Da null neutrales Element, erhält man mit dem Distri-
butivgesetz
a0 = a(0 + 0) = a0 + a0 .
Subtrahiere nun auf beiden Seiten a0.
▶ Als Folgerung erhält man
0 = a(b + (−b)) = ab + a(−b) =⇒ −(ab) = a(−b) .
(5) Aus ab = 0 folgt, dass wenigstens eine der Zahlen a, b gleich null ist.
Beweis: Sei ab = 0 und a ̸= 0. Dann folgt mit der Existenz der Inversen und dem
Assoziativgesetz
=⇒ b = (a−1 a)b = a−1 (ab) = a−1 0 = 0 .
(6) Regeln des Bruchrechnens: Für alle b, c, d ̸= 0 gilt
a b ad + bc
+ =
c d cd
a b ab
· =
c d cd
a
c ad
b
= .
d
bc
Wir beweisen nur die erste Gleichung: Unter Verwendung des Distributiv- und
Kommutativgesetzes folgt
a b 
cd + = cdac−1 + cdbd−1 = ad + bc .
c d
Damit folgt
a b
+ = ad + bc (cd)−1 .

c d
Die anderen Regeln folgen analog.
Es geht weiter mit den Anordnungsaxiomen:
(II) Auf den reellen Zahlen hat man die drei Relationen <, > und =. Für beliebi-
ge a, b ∈ R gilt genau eine der drei Relationen
a<b, b<a, a=b (Trichotonie) .
Außerdem gelten die folgenden Regeln.
(II.1) Transitivität: Aus a < b und b < c folgt a < c.
(II.2) Verträglichkeit mit Addition:
a<b =⇒ a+c<b+c ∀c∈R.
(II.3) Verträglichkeit mit Multiplikation:
a < b und c > 0 =⇒ ac < bc .
Wir schreiben a < b auch äquivalent als b > a. Außerdem führt man folgende Notation
ein:
≤ “kleiner gleich”, definiert durch a≤b: a<b ∨ a=b
≥ “größer gleich”
> 0 “positiv” ≥0 “nicht-negativ”
< 0 “negativ” ≤0 “nicht-positiv”
ANALYSIS I 9

Wir leiten nun aus diesen Axiomen wieder weitere Regeln ab:
(7)
a < b ⇐⇒ b − a > 0 ⇐⇒ −b < −a
a < 0 ⇐⇒ −a > 0 , a > 0 ⇐⇒ −a < 0

Wir leiten nur die erste Impliation ab (die anderen Beweise sind ähnlich):
a<b =⇒ 0 = a + (−a) < b + (−a) = b − a ,
wobei wir (II.2) verwendet haben.
(8) Aus a < b und c < d folgt a + c < b + d. Beweis: Aus (II.2) folgt a + c < b + c
und b + c < b + d. Verwende nun die Transitivität (II.1).
(9) Es gilt
ab > 0 ⇐⇒ a > 0, b > 0 ∨ a < 0, b < 0
ab < 0 ⇐⇒ a > 0, b < 0 ∨ a < 0, b > 0 .
Beweis: Um Äquivalenz zu zeigen, kann man beide Richtungen nacheinander
beweisen.
⇐) Falls a > 0 und b > 0, so folgt ab > 0. Ist andererseits a < 0 und b < 0, so
ist (−a) > 0 und (−b) > 0, und es folgt (−a)(−b) > 0 und somit ab > 0.
⇒) Sei ab > 0 Dann ist a ̸= 0 und b ̸= 0. Wäre z.B. a > 0 und b < 0, so folgt
a > 0, (−b) > 0 =⇒ −(ab) > 0 =⇒ ab < 0 ,
ein Widerspruch. Genauso schließt man den Fall a < 0 und b > 0 aus. Es
folgt also, dass entweder a > 0, b > 0 oder a < 0, b < 0, was zu beweisen
war.
(10) a ̸= 0 ⇐⇒ a2 > 0, insbesondere ist 1 > 0.
Beweis: a ̸= 0 ist äquivalent zu a > 0 oder a < 0. Dies ist wiederum äquivalent
zu a2 > 0.
(11) Aus a < b und c < 0 folgt ac > bc.
Beweis: Aus c < 0 folgt −c > 0.
=⇒ a(−c) < b(−c) .
Multipliziere jetzt aus und löse nach ac auf, wobei wir die früheren Regeln ver-
wenden.
(12) Es gilt
1
a > 0 ⇐⇒ >0.
a
Beweis: Aus aa−1 = 1 > 0 folgt unter Verwendung von (9) dass entweder a >
0, a−1 > 0 oder a < 0, a−1 < 0.
(13) Aus a2 < b2 , a ≥ 0 und b > 0 folgt a < b. Beweis: Wäre die Behauptung a < b
falsch, dann würde gelten a ≥ b > 0. Hieraus folgt a2 ≥ ab und ab ≥ b2 . Mit
Transitivität folgt a2 > b2 , ein Widerspruch.
Damit kommen wir zum Vollständigkeitsaxiom. Dieses hat verschiedene äquivalente
Formulierungen, beispielsweise über das Intervallschachtelungsprinzip, das wir später
kennenlernen werden. Wir verwenden hier eine Formulierung, die auf Dedekind zurück-
geht.
10 F. FINSTER

(III) Das Vollständigkeitsaxiom: Jede nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge M ⊂


R besitzt eine kleinste obere Schranke, die das Supremum genannt wird.
Um dieses Axiom zu verstehen, müssen wir zunächst die darin vorkommenden Begriffe
definieren.
Definition 2.6. (i) Eine nichtleere Teilmenge M ⊂ R heisst nach oben beschränkt,
falls es eine Zahl k ∈ R gibt mit
a≤k ∀a∈M.
Entsprechend heisst M nach unten beschränkt falls
∃k∈R : a≥k ∀a∈M.
(ii) Eine nichtleere Teilmenge M ⊂ R heisst beschränkt, wenn sie nach oben und
nach unten beschränkt ist. Dies kann man auch schreiben als
∃ k ∈ R : −k ≤ a ≤ k ∀a∈M.
Definition 2.7. Eine Zahl k ∈ R heisst kleinste obere Schranke (und entsprechend
grösste untere Schranke) falls gilt:
(a) k ist eine obere (bzw. untere) Schranke.
(b) Es gibt keine kleinere obere (bzw. grössere untere) Schranke.
Man kann (III) äquivalent auch für untere Schranken formulieren. Denn beim Vor-
zeichenwechsel drehen sich die Ungleichungen an,
a≤k ⇐⇒ −a ≥ −k
Darum kann man (III) auch für M− := {−a | a ∈ M } formulieren und erhält.
(III’) Jede nichtleere, nach unten beschränkte Teilmenge M ⊂ R besitzt eine grösste
untere Schranke, die das Infimum genannt wird.
Wir führen nun einen nützliche Notation ein, nämlich
sup M < ∞ falls M nach oben beschränkt ist
sup M = ∞ falls M nach oben unbeschränkt ist.
Satz 2.8. Es gilt:
(i) Ist sup M < ∞, so gibt es zu jedem ε > 0 ein x ∈ M , so dass
sup M − ε < x .
(ii) Ist sup M = ∞, so gibt es zu jedem k > 0 ein x ∈ M mit k < x.
Beweis. (i) Sei a = sup M .Wäre die Behauptung falsch, so gäbe es ein ε > 0, so
dass x ≤ a−ε für alle x ∈ M . Also wäre a−ε eine obere Schranke, im Widerspruch
bis hier Vorlesung zur Tatsache, dass a die kleinste obere Schranke ist.
25.10.2023 (ii) Ist sup M = ∞, so gibt es keine obere Schranke von M . Also kann man zu je-
dem k > 0 ein x ∈ M finden mit k < m. □
Entsprechend verwendet man auch die Schreibweise
inf M > −∞ und inf M = −∞ ,
und man hat eine Analogon zu Satz 2.8.
ANALYSIS I 11

Definition 2.9. Ein Element m einer Teilmenge M ⊂ R heisst grösstes Element oder
Maximum von M (m = max M ) falls
x≤m ∀x∈M.
Entsprechend ist m das Minimum von M (m = min M ) falls
m≤x ∀x∈M.
Der wesentliche Unterschied zum Supremum (oder Infimum) besteht darin, dass
das Maximum (bzw. Minimum) selbst ein Element aus M ist. Dies wird im nächsten
Beispiel illustriert.
Beispiel 2.10. (i) Das halboffene Intervall M = [0, 1) ⊂ R. Hier ist
inf M = 0 und sup M = 1 .
Es gibt kein Maximum. Aber es gibt ein Minimum, nämlich min M = 0.
(ii) M = (0, ∞). Hier ist
inf M = 0 und sup M = ∞ .
Es gibt weder ein Maximum noch ein Minimum. ♢
Definition 2.11. (Absolutbetrag) Für eine reele Zahl x ∈ R ist ihr Absolutbetrag
definiert durch 
x falls x ≥ 0
|x| =
−x falls x < 0 .

Äquivalent kann man auch schreiben


|x| = max{x, −x} .
Satz 2.12. Der Absolutbetrag hat folgende Eigenschaften:
(i) |x| ≥ 0 für alle x ∈ R und
|x| = 0 ⇐⇒ x=0.
(ii) Multiplikativität: Für alle x, y ∈ R gilt
|xy| = |x| |y| .
(iii) Dreiecksungleichung: Für alle x, y ∈ R gilt
|x + y| ≤ |x| + |y| .
Beweis. (i) Das verifiziert man direkt, wenn man die drei Fälle x > 0, x < 0 und x =
0 durchgeht.
(ii) Schreibe x = ±x0 und y = ±y0 mit x0 , y0 > 0. Dann ist x0 = |x| und y0 = |y|
und xy = ±x0 y0 . Bildet man den Betrag, so folgt |xy| = |x| |y|.
(iii) Da x ≤ |x| und y ≤ |y| folgt
x + y ≤ |x| + |y| .
Ebenso ist wegen −x ≤ |x| und −y ≤ |y|
−(x + y) ≤ |x| + |y| .
Zusammen erhält man |x + y| ≤ |x| + |y|. □
12 F. FINSTER

Wir haben nun natürliche und reelle Zahlen eingeführt, aber noch keinen Zusam-
menhang zwischen ihnen hergestellt. Dazu fassen wir N als Teilmenge von R auf,
N = {1, 2, 3, . . .} ⊂ R .
Wir setzen N0 := N ∪ {0}. Wir verzichten hier auf eine formale Definition von N über
z.B. die Peano-Axiome (wer die Lineare Algebra hört, wird dies alles dort kennenler-
nen). Um diese Konstruktion auf einfache Weise zu verstehen, geht man vom neutralen
Element 1 der Addition in R aus. Induktiv kann man dann 2 := 1+1, 3 := 2+1, . . . set-
zen. Entsprechend kann man die negativen ganzen Zahlen durch −2 := (−1)+(−1), . . .
einführen. Wir erhalten so die ganzen Zahlen, die wir mit Z ⊂ R bezeichnen.
Eine wichtige Folgerung des Vollständigkeitsaxioms ist der
Satz 2.13. (Satz des Archimedes) Zu jedem a ∈ R gibt es ein n ∈ N, so dass a < n
ist.
Beweis. Andernfalls gäbe es ein a ∈ R mit
n≤a ∀n∈N.
Folglich wäre N nach oben beschränkt und besäße nach Axiom (III) eine kleinste obere
Schranken b = sup N. Wegen b − 1 < b ist b − 1 keine obere Schranke. Das bedeutet
aber, dass es ein n ∈ N gibt mit b−1 < n. Daraus folgt b < n+1, ein Widerspruch. □

Man sagt auch, R ist ein archimedisch geordneter Körper.


Folgerung 2.14. Zu jedem x ∈ R gibt es eine eindeutig bestimmte ganze Zahl n ∈ Z
mit
n≤x<n+1.
Diese wird als Gauß-Klammer bezeichnet,
n = [x] oder auch n = ⌊x⌋ .
Satz 2.15. (Bernoullische Ungleichung) Für n ∈ N und a > −1 gilt
(1 + a)n ≥ 1 + na .
Beweis. Mit vollständiger Induktion. Die Verankerung ist offensichtlich, da (1 + a)1 =
1 + a = 1 + 1 a. Für den Induktionsschritt nehme an, dass die Ungleichung für n
bewiesen ist. Dann folgt
(1 + a)n+1 = (1 + a)n (1 + a) ≥ (1 + na)(1 + a) = 1 + na + a + na2 ≥ 1 + (n + 1)a ,
was zu beweisen war. □

Damit schließen wir die natürlichen Zahlen als Teilmenge der reellen Zahlen ab und
kommen zu den rationalen Zahlen
np o
Q := p, q ∈ Z, q ̸= 0 .
q
Dies ist ein archimedisch geordneter Körper, der aber nicht vollständig ist. Dies wollen
wir uns an einem einfachen Beispiel klarmachen:
Satz 2.16. (Existenz der Quadratwurzel) Für jedes c ∈ R mit c ≥ 0 gibt es genau
ein x ∈ R+ 2
0 mit x = c.
ANALYSIS I 13

Beweis. (i) Eindeutigkeit: Seien x1 , x2 ≥ 0 mit x21 = c = x22 . Dann folgt


0 = x21 − x22 = (x1 − x2 )(x1 + x2 ) .
Also muss wenigstens einer der Faktoren x1 − x2 oder x1 + x2 verschwinden.
Falls x1 + x2 = 0, so wäre x1 = 0 = x2 . Andernfalls ist x1 = x2 .
(ii) Existenz: Wir betrachten die Menge
M := {z ∈ R | z ≥ 0 und z 2 ≤ c} .
Dann ist 0 ∈ M und daher M ̸= ∅. Außerdem ist M nach oben beschränkt, da
(1 + c)2 ≥ 1 + c =⇒ z 2 ≤ (1 + c)2 ∀z∈M
=⇒ z ≤ (1 + c) ∀ z ∈ M .
Also können wir x = sup M setzen.
Es bleibt zu beweisen, dass x2 = c ist. Dazu gehen wir indirekt vor und
schließen die beiden Fälle x2 < c und x2 > c aus.
Nehme zunächst an, dass x2 < c. Dann gilt für genügend kleines ε > 0, dass
(x + ε)2 < c . (2.5)
Genauer kann man nämlich
n c − x2 o
ε = min 1, >0
2x + 1
wählen, denn wegen ε ≤ 1 ist dann
(x + ε)2 = x2 + 2xε + ε2 ≤ x2 + 2xε + ε = x2 + ε(2x + 1) ≤ c .
Damit ist (2.5) bewiesen. Aus dieser Ungleichung folgt, dass x + ε ∈ M , im
Widerspruch dazu, dass x die kleinste obere Schranke von M ist.
Nehme nun umgekehrt an, dass x2 > c. Wählt man
n x2 − c x o
ε = min , >0,
2x 2
dann gilt
x x
x−ε≥x− = >0 und 2εx ≤ x2 − c =⇒ −2εx ≥ c − x2 .
2 2
Hieraus folgt, dass
(x − ε)2 = x2 − 2εx + ε2 > x2 − 2εx ≥ x2 + c − x2 = c .
Da andererseits z 2 ≤ c für alle z ∈ M folgt z 2 < (x − ε)2 und folglich
z ≤x−ε für alle z ∈ M
(denn z ≥ 0 und x − ε ≥ 0). Also wäre x − ε obere Schranke, was wiederum ein
Widerspruch ist. □

Wir bezeichnen diese eindeutig bestimmte Quadratwurzel wie üblich mit c. Diese
Wurzeln sind selbst für rationales c i.a. nicht rational, wie folgendes Beispiel zeigt:

Satz 2.17. 2 ̸∈ Q
14 F. FINSTER

Beweis. Nehme an,


√ p
2=
q
sei ein vollständig gekürzter Bruch mit p, q ∈ Z (falls man kürzen kann, tue dies
induktiv so lange, bis nicht mehr weiter gekürzt werden kann). Dann folgt
p2
2= .
q2
Auf der rechten Seite kann man wieder nicht kürzen, ein Widerspruch. □
bis hier Vorlesung
27.10.2023
2.3. Komplexe Zahlen. Die Motivation der komplexen Zahlen kommt von der qua-
dratischen Gleichung x2 = c. Für c ≥ 0 haben wir gerade eine Lösung konstruiert. Im
Fall c < 0 gibt es aber keine reelle Lösung. Um hier weiterzukommen, erweitert man
den Zahlenraum so, dass man auch von negativen Zahlen die Wurzel ziehen kann. Die
Idee und Konstruktion der komplexen Zahlen geht auf Gauß zurück.
Definition 2.18. Die Menge R × R aller geordneten Paare mit der Addition und
Multiplikation
(x1 , y1 ) + (x2 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 )
(x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) := (x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 )
wird die Menge der komplexen Zahlen genannt und mit C bezeichnet.
Satz 2.19. C ist ein Körper.
Beweis. Man kann die Körper-Axiome der Reihe nach durchgehen. Das Nullelement
ist (0, 0), das Einselement (1, 0). Außerdem ist −(x, y) = (−x, −y) und
 x −y 
(x, y)−1 = , falls (x, y) ̸= (0, 0) .
x2 + y 2 x2 + y 2
Die Kommutativgesetze und das Assoziativgesetz der Addition sind offensichtlich, weil
man komponentenweise arbeitet. Das Assoziativgesetze der Multiplikation ist eine et-
was längere Rechnung:
 
(x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) · (x3 , y3 ) = x1 x2 − y1 y2 , x1 y2 + y1 x2 · (x3 , y3 )
 
= (x1 x2 − y1 y2 ) x3 − (x1 y2 + y1 x2 ) x2 , (x1 x2 − y1 y2 ) y3 + (x1 y2 + y1 x2 ) x3
 
(x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) · (x3 , y3 ) = (x1 , y1 ) · x2 x3 − y2 y3 , x2 y3 + y2 x3
 
= x1 (x2 x3 − y2 y3 ) − y1 (x2 y3 + y2 x3 ), x1 · (x2 y3 + y2 x3 ) + y1 · (x2 x3 − y2 y3 ) .

Multipliziert man jeweils mit dem Distributivgesetz aus, so sieht man, dass man zwei-
mal genau das gleiche bekommt.
Das Distributivgesetz beweist man ähnlich durch direkte Rechnung. □

Für Zahlen (x, 0) erhält man die üblichen Rechenregeln für reelle Zahlen. Mit Hilfe
der Addition R ∋ x − (x, 0) kann man die reellen Zahlen als Teilmenge der imaginären
Zahlen auffassen, also
R⊂C.
ANALYSIS I 15

#a,
+E
X

Abbildung 1. Die komplexe Zahlenebene.


2
M
Definition 2.20. Die Zahl (0, 1) ∈ C wird die imagin
C
E Az äre Einheit i genannt.
Wir
*x
x
definieren ausserdem den Real- und Imaginärteil
A
einer komplexen Zahl durch
X y)
Re(x,
x := x , Im(x, y)X:=a,
y.
Fax
Schliesslich ist komplexe Konjugation definiert durch
(x, y) := (x, −y) .
Wir können dann eine komplexe Zahl schreiben als
z = (x, y) = x + iy .
C
Man kann eine komplexe Zahl in der komplexen Zahlenebene auftragen (sieh Ab-
bildung 1).
Mit komplexen Zahlen kann man bequem rechnen, also z.B.
i2 = (0, 1) · (0, 1) = −1 i = (0, 1) = (0, −1) = −i
z1 · z2 = (x1 + iy1 )(x2 + iy2 ) ,
und das kann man nun “ganz 32
E normal” distributiv ausmultiplizieren und die Regel i =
−1 verwenden. + E
a
z = x + iy = x − iy
al
Damit gilt
z 1 z2 = z1 z 2 , z1 + z2 = z1 + z2
Die komplexe Konjugation ist also mit den Körperoperationen “verträglich”. Schließ-
lich gilt
zz = x2 + y 2 ,
das gibt also (nach dem Satz vom Pythagoras) gerade die Länge des Vektors z zum
Quaddrat. Dies führt uns auf folgende
Definition 2.21. Der Betrag einer komplexen Zahl ist definiert durch

|z| := zz .
16 F. FINSTER

Der Betrag hat folgende Eigenschaften:


Satz 2.22. Es gilt:
(i) |z| ≥ 0 und |z| = 0 ⇐⇒ z=0
(ii) Dreiecksungleichung:
|z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 |
(iii) Multipliktivität:
|z1 · z2 | = |z1 | |z2 |
Bemerkung 2.23. Zu den Eigenschaften (i) und (ii) sagt man auch, dass | · | eine
Norm ist; wir werdem den noch allgemeiner begegnen.
Beweis von Satz 2.22. (i) rechnet man direkt nach
(iii) Für alle z1 , z2 ∈ C gilt
|z1 z2 |2 = z1 z2 z1 z2 = z1 z1 z2 z2 = |z1 |2 |z2 |2 .
(ii) Für jedes z ∈ C gilt Re z ≤ |z|. Folglich ist

Re z1 z2 ≤ z1 z2 = |z1 | |z2 |
2
= (z1 + z2 )(z1 + z2 ) = |z1 |2 + 2 Re z1 z2 + |z2 |2

z1 + z2
2
≤ |z1 |2 + 2 |z1 | |z2 | + |z2 |2 = |z1 | + |z2 | .
Ziehe nun auf beiden Seiten die Wurzel. □

3. Folgen und Reihen


Definition 3.1. Sei M eine nicht-leere Menge. Unter einer Folge (an )n∈N in M
versteht man eine Abbildung N → M , die jedem n ∈ N ein Element an ∈ M zuordnet.
Die Folge wird auch mit
(an ) oder a1 , a2 , a3 , . . .
bezeichnet. Man nennt an das n-te Glied der Folge.
Beispiel 3.2. Wir betrachten folgende Beispiele:
(i) Ist an = a für alle n ∈ N, so spricht man von der konstanten Folge.
(ii) Für an = (−1)n+1 erhält man die Folge 1, −1, 1, −1, . . ., die auch alternierende
Folge genannt wird.
(iii) Die Vorschrift an = 1/n liefert die Folge 1, 1/2, 1/3, . . ..
(iii) Für an = z n mit z ∈ C erhält man die Folge der komplexen Potenzen z, z 2 , z 3 , . . ..
3.1. Konvergenz von Folgen. Im folgenden betrachten wir nur reelle oder komplexe
Folgen. Man kann aber genauso gut Folgen in allgemeineren Räumen betrachten, die
wir später kennenlernen werden (sogenannte metrische und normierte Räume). Um
diese spätere Verallgemeinerung schon jetzt vorzubereiten, führen wir folgenden Begriff
ein:
Definition 3.3. Für x, y ∈ C (oder R) setzen wir
d(x, y) := |x − y|
und bezeichnen d als den Abstand (oder die Distanz) von x und y.
Satz 3.4. Der Abstand hat folgende Eigenschaften:
ANALYSIS I 17

(i) Positivität: Für alle x, y ∈ C gilt


d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 ⇐⇒ x=y.
(ii) Symmetrie: Für alle x, y ∈ C ist
d(x, y) = d(y, x) .
(iii) Dreiecksungleichung: Für alle x, y, z ∈ C gilt
d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, x) .
Beweis. Folgt unmittelbar aus Satz 2.22. □
Wir bemerken, dass man diese Eigenschaften auch als Definition einer sogenannten Me-
trik verwenden kann; dies werden wir später in diesem Semester genauer kennelernen.
bis hier Vorlesung
3.11.2023
Definition 3.5. Für ε > 0 wird die Menge
Bε (x) := {y ∈ C | d(x, y) < ε
die ε-Umgebung von x genannt.
Geometrisch ist Bε (x) im reellen ein offenes Interval, während es im komplexen eine
offene Kreisscheibe um x ist.
Definition 3.6. (Grenzwert einer Folge)
(i) Sei (an ) einen (reelle oder komplexe) Folge. Die Folge heisst konvergent ge-
gen a, falls gilt: Zu jedem ε > 0 gibt es ein N ∈ N so dass d(an , a) < ε für
alle n > N . Also mit Quantoren:
∀ε>0 ∃N ∈N : d(an , a) < ε ∀n>N.
Man nennt a den Grenzwert der Folge und schreibt
an → a für n → ∞
oder auch
lim an = a .
n→∞
(ii) Eine Folge, die gegen 0 konvergiert, heisst Nullfolge
(iii) Eine Folge heisst konvergent falls sie einen Grenzert besitzt.
(iv) Eine Folge, die nicht konvergiert, heisst divergent
In Worten kann man auch sagen: Eine Folge (an ) konvergiert gegen a, falls in jeder
ε-Umgebung von a fast alle Folgenglieder liegen. Hier heisst fast alle “alle bis auf
endlich viele”. Siehe hierzu Abbildung 2.
Zunächst wollen wir zeigen, dass der Grenzwert, falls es existiert, eindeutig ist.
Satz 3.7. Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.
Beweis. Seine a und a′ beide Grenzwerte der Folge (an ). Dann gibt es zu jedem ε > 0
ein N , so dass für alle n > N gilt
d(a, an ) < ε und d(a′ , an ) < ε .
Mit der Dreiecksungleichung folgt
d(a, a′ ) ≤ d(a, an ) + d(an , a′ ) < 2ε .
#a,
+E
+E
X
X

18 F. FINSTER
2
M
C
2 C
M
E Az
Az
*x *x
E x
x

A
X
x x
A
X X a, X a,
Fax
Fax

C
C
Abbildung 2. Veranschaulichung des Grenzertes.

3
E
+ E
a 3
E al
+ E
a
al

Abbildung 3. Zur Eindeutigkeit des Grenzwertes.

Da ε beliebig klein gewählt werden kann, folgt d(a, a′ ) = 0. (Insbesondere kann man
hier ε kleiner als die Hälfte des Abstandes von a und a′ wählen; siehe Abbildung 3).
Hieraus folgt a′ = a. □

Beispiel 3.8. Wir untersuchen nun die Beispiele 3.2 auf Konvergenz.
(i) Die konstanten Folge konvergiert offensichtlich gegen a.
(ii) Die alternierende Reihe an = (−1)n+1 divergiert. Um dies zu zeigen, nehmen wir
umgekehrt an, dass die Folge gegen ein a ∈ C konvergiert. Für ε = 1 gibt es
dann ein N mit
d(a, an ) < 1 ∀n>N.
Dreiecksungleichung folgt
d(an , an+1 ) ≤ d(an , a) + d(a, an+1 ) < 2 ,
im Widerspruch zur Tatsache, dass |an − an+1 | = 2.
(iii) Die Folge an = 1/n ist eine Nullfolge, wie man folgendermaßen sieht: Sei ε > 0.
Nach dem Satz von Archimedes (Satz 2.13) gibt es ein N mit N > 1/ε. Dannn
gilt für alle n > N
1 1
d(an , 0) = < <ε,
n N
was zu zeigen war.
(iv) Die Folge an = z n ist für |z| < 1 eine Nullfolge.
Beweis: Wegen |z|−1 > 1 ist h := |z|−1 − 1 > 0. Damit können wir schreiben
d(an , 0) = z n = |z|n = (1 + h)−n .
ANALYSIS I 19

Wir müssen zeigen, dass dies für großes n nach null strebt. Die Bernoulli-Ungleichung
(Satz 2.15) liefert
(1 + h)n ≥ 1 + nh
und folglich
1 1 1 1
(1 + h)−n ≤ < = →0
1 + nh nh n h
da an = 1/n nach (iii) eine Nullfolge ist.
Satz 3.9. Die Folge an = z n mit z ∈ C divergiert falls |z| > 1.
Beweis. Nehme umgekehrt an, dass an → a. Dann gibt es zu jedem ε > 0 ein N so
dass
d(an , a) < ε für alle n > N .
Nach der Dreiecksungleichung folgt
  
d an+1 , an < d an+1 , a + d a, an < 2ε .
Andererseits ist
d an+1 , an = z n+1 − z n = z − 1 |z|n .


Nun ist |z|n > 1 und wegen der Dreiecksungleichung


|z| = z − 1 + 1 ≤ z − 1 + 1 (3.1)
Damit folgt |z − 1| ≥ |z| − 1 und somit

d an+1 , an ≥ z − 1 ≥ |z| − 1 > 0 .
Wählt man ε > 0 klein genug, so erhält man einen Widerspruch. □
Die Abschätzung (3.1) ist sehr nützlich und wird häufig gebraucht. Darum formu-
lieren wir sie allgemeiner mit der Abstandsfunktion:
Satz 3.10.
d(x, z) − d(z, y) ≤ d(x, y) .
Beweis. Nach der Dreieicksungleichung gilt
d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) =⇒ d(x, z) − d(z, y) ≤ d(x, y)

d(z, y) ≤ d(z, x) + d(x, y) =⇒ − d(x, z) − d(z, y) ≤ d(x, y) .
Daraus folgt die Behauptung. □

3.2. Beschränkte und Monotone Folgen.


Definition 3.11. Eine Folge (an )n∈N in C (oder allgemeiner einem metrischen Raum)
heisst beschränkt, falls es eine reelle Konstante C > 0 und ein a ∈ M gibt mit
d(an , a) ≤ C für alle n .
Beachte, dass man a ganz beliebig wählen kann, da nach der Dreiecksungleichung
d(an , a′ ) ≤ d(an , a) + d(a, an ) ≤ C + d(a, a′ ) =: C ′ .
Für reelle oder komplexe Folgen können wir also a = 0 wählen und erhalten die
einfachere Bedingung
|an | ≤ C für alle n .
20 F. FINSTER

Bei reellen Folgen gibt es die feineren Begriffe


nach oben beschränkt : ∃ C > 0 : an ≤ C ∀ n
nach unten beschränkt : ∃ C > 0 : an ≥ −C ∀ n .
Satz 3.12. Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Beweis. Sei (an )n∈N eine Folge mit an → a. Dann gibt es N ∈ N mit
d(an , a) ≤ 1 ∀n>N.

Setze nun C := max d(a1 , a), . . . , d(an , a), 1 . □

Definition 3.13. Eine reelle Folge (an )n∈N heisst monoton wachsend (bzw. streng
monoton wachsend) falls gilt:
an ≤ an+1 (bzw. an < an+1 ) ∀n∈N.
Umgekehrt heisst sie monoton fallend (bzw. streng monoton fallend) falls
an ≥ an+1 (bzw. an > an+1 ) ∀n∈N.
bis hier Vorlesung
8.11.2023 Im folgenden können wir uns bei monotonen Folgen auf monoton wachsende Folgen
konzentrieren, da man ansonsten die Folge (−an )n∈N betrachtet.
Für monotone Folgen gibt es ein einfaches Konvergenzkriterium:
Satz 3.14. (Monotone Konvergenz) Eine monoton wachsende Folge ist genau
dann konvergent, wenn sie nach oben beschränkt ist.
Beweis. Sei (an )n∈N eine monoton wachsende (reelle) Folge. Wegen der Aussage “genau
dann” müssen wir beide Richtungen beweisen.
=⇒) Sei (an ) konvergent. Dann ist die Folge nach Satz 3.12 sogar beschränkt.
⇐=) Sei (an ) nach oben beschränkt. Wir bilden die Menge
A = {an mit n ∈ N} ⊂ R .
Die Menge A ist dann nach oben beschränkt und besitzt folglich nach dem
Vollständigkeitsaxiom ein Supremum,
a := sup A .
Nach Satz 2.8 gibt es zu jedem ε > 0 ein N mit
0 ≤ a − aN ≤ ε .
Da die Folge (an ) monoton steigend und nach oben durch a beschränkt ist, folgt
0 ≤ a − an ≤ ε ∀n≥N.
Da ε beliebig klein gewählt werden kann, folgt an → a. □

Beispiel 3.15. Die Folge 1 − n1 ist monoton steigend und nach oben beschränkt. Nach
Satz 3.14 konvergiert die Folge. Tatsächlich ist
 1
lim 1 − =1.
n→∞ n

ANALYSIS I 21

Wir bemerken zur Klarheit, dass Satz 3.14 über nicht-monotone Folgen keinerlei
Aussage macht. Insbesondere gibt es nicht-monotone Folgen, die konvergieren, wie
beispielsweise die Folge (an )n∈N mit
(−1)n
an = .
n
3.3. Teilfolgen, Häufungspunkte.
Definition 3.16. Sei (an )n∈N eine Folge und
n1 < n2 < · · ·
eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen. Dann heisst die Folge
 
ank k∈N = an1 , an2 , . . .
eine Teilfolge der Folge (an )n∈N .
Es folgt unmittelbar aus den Definitionen, dass jede Teilfolge einer konvergenten
Folge konvergiert. Schwieriger ist die Frage, ob sich aus einer gegebenen (i.a. nicht-
konvergenten) Folge eine konvergente Teilfolge auswählen lässt. Es ist nützlich, das
Problem zunächst umzuformulieren.
Definition 3.17. Eine Folge (an )n∈N besitzt den Häufungspunkt a, falls es eine
Teilfolge (ank )k∈N gibt, die gegen a konvergiert.
Offenbar ist der Grenzwert einer konvergenten Folge auch ein Häufungspunkt. Es
gibt aber Folgen, die einen Häufungspunkt, aber keinen Grenzwert besitzen. Ein ein-
faches Beispiel ist die divergente Folge an = (−1)n+1 aus Beispiel 3.2 (ii) die beiden
Häufungspunkte a = 1 und a = −1.
Satz 3.18. Die Zahl a ist ein Häufungspunkt der Folge (an )n∈N genau dann, wenn für
jedes ε > 0 unendlich viele Folgenglieder in Bε (a) liegen.
Beweis. Wir müssen wieder beide Richtungen beweisen.
=⇒) Sei (ank ) Teilfolge von (an ) mit ank → a. Für jedes ε > 0 liegen dann fast alle
(d.h. alle bis auf endlich viele) Folgenglieder (ank ) in Bε (a), insbesondere also
unendlich viele. Da (ank ) eine Teilfolge von (an ) ist, sind dann auch unendlich
viele Folgenglieder von (an ) in Bε (a).
⇐=) Nehme an, dass für alle ε > 0 unendlich viele Folgenglieder in Bε (a) liegen. Wähle
dann induktiv eine aufsteigende Folge nk mit ank ∈ B1/n (a). Dann konvergiert
die Teilfolge (ank ) gegen a. □
Für reelle Folgen hat man das folgende wichtige Resultat.
Theorem 3.19. (Bolzano-Weierstraß) Jede beschränkte reelle Folge besitzt einen
Häufungspunkt.
Beweis. Sei (an ) eine beschränkte reelle Folge, also |an | < c ∀ n. Nehme an, (an )
besitze keinen Häufungspunkt. Setze a = inf{an | n ∈ N}. Für jedes ε > 0 liegt
dann wenigstens ein Folgenglied im Intervall [a, a + ε] (denn sonst wäre a nicht die
größte untere Schranke). Andererseits gibt es ε > 0, so dass im Intervall [a, a + ε]
nur endlich viele Folgenglieder liegen (sonst wäre a Häufungspunkt). Wähle aus diesen
endlich vielen Folgengliedern das kleinste aus, bezeichne es mit an1 . Betrachte nun die
(2) (2) (2)
Folge (an )n∈N mit an = an1 +n . Dann ist an ≥ an1 ∀ n. Als Teilfolge von (an )
22 F. FINSTER

(2)
ist (an ) wieder beschränkt und besitzt keinen Häufungspunkt. Wiederhole die Kon-
(2)
struktion mit (an ) ersetzt durch (an ). Bezeichne das kleinste Folgenglied mit an2 ,
(3)
setze an := an2 +n . Fahre auf diese Weise iterativ fort. Die so erhaltene Folge (ank )k∈N
hat folgende Eigenschaften:
(i) (ank ) ist monoton steigend.
(ii) (ank ) ist beschränkt und besitzt keinen Häufungspunkt (da sie eine Teilfolge
von (an ) ist).
Dies ist ein Widerspruch zu Satz 3.14. □
bis hier Vorlesung
10.11.2023 Tatsächlich gibt es auch ein entsprechendes Ergebnis für komplexe Folgen:
Theorem 3.20. (Bolzano-Weierstraß für komplexe Folgen) Jede beschränkte
komplexe Folge besitzt einen Häufungspunkt.
Beweis. Sei (zn )n∈N eine beschränkte komplexe Folge. Schreibe die Gleider als zn =
an + ibn mit an , bn ∈ R. Dann sind (an )n∈N und (bn )n∈N beschränkte reelle Folgen.
Nach Theorem 3.19 besitzt (an )n∈N eine konvergente Teilfolge (ank )k∈N . Da die Teil-
folge (bnk ) wiederum beschränkt ist, besitzt sie eine weitere Teilfolge (bnkl )l∈N , die
konvergiert. Da jede Teilfolge der konvergenten Folge (ank )k∈N konvergiert, folgt ins-
gesamt
l→∞ l→∞
ankl −→ a und bnkl −→ b
mit reellen Zahlen a und b. Dann konvergiert (wegen der Dreiecksungleichung) die
Teilfolge (znkl )l∈N gegen a + ib. □

3.4. Cauchy-Folgen.
Definition 3.21. Eine Folge (an )n∈N heisst Cauchy-Folge falls es zu jeden ε > 0
ein N gibt so dass 
d an , am < ε ∀ m, n > N .
Also in Worten: Bei einer Cauchy-Folge wird der Abstand der Folgenglieder beliebig
klein, wenn die Indizes nur genügend groß werden. Beachte: Es genügt nicht, dass die
Abstände benachbarter Folgenglieder klein werden. Ein Gegenbeispiel ist die Folge

an = n .
Dies ist keine Cauchy-Folge, obwohl benachbarte Folgenglieder immer näher besammen
liegen, da
√ √ (n + 1) − n 1 1 n→∞
an+1 − an = n + 1 − n = √ √ =√ √ ≤ √ −→ 0
n+1+ n n+1+ n 2 n
(wir haben hier die dritte binomische Formel benutzt).
Satz 3.22. Eine reelle Folge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge
ist.
Beweis. =⇒) Sei (an )n∈N eine reelle Folge mit an → a. Dann gibt es zu jedem ε > 0
ein N mit  ε
d an , a < ∀n>N.
2
Nach der Dreiecksungleichung folgt für alle m, n < N
   ε ε
d an , am ≤ d an , a + d a, am < + = ε .
2 2
ANALYSIS I 23

⇐=) Sei (an )n∈N eine Cauchy-Folge. Dann gibt es N mit


d(an , aN ) < 1 ∀n≥N.
Also ist
d(an , aN ) < C ∀n∈N
mit

C := max d(a1 , aN ), d(a2 , aN ), . . . , d(aN −1 , aN ), 1 .
Also ist die Folge (an )n∈N beschränkt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß be-
sitzt sie einen Häufungspunkt a. Nach Definition 3.17 gibt es eine Teilfolge (ank ),
die gegen a konvergiert. Zu gegebenem ε > 0 wählen wir N , so dass
ε
d an , am ) < ∀ n, m > N (nach Def. der Cauchy-Folge)
2
ε
d ank , a) < ∀ nk > N (nach Def. der Konvergenz der TF (ank ))
2

Es folgt mit der Dreiecksungleichung


  
d an , a ≤ d an , ank + d ank , a < ε ,
wobei ank ein beliebiges Folgenglied ist mit nk > N . Also konvergiert die Cauchy-
Folge (an )n∈N tatsächlich gegen a. □

3.5. Die Konvergenzsätze.


Theorem 3.23. Es seien (an )n∈N und (bn )n∈N (reelle oder komplexe) Folgen mit an →
a und bn → b. Dann gilt:
(i) Für jedes λ ∈ R oder C konvergiert die Folge (λan )n∈N gegen λa.
(ii) an + bn → a + b
(iii) an bn → ab
Ist außerdem b ̸= 0, so gilt
an a
(iv) →
bn b
Beweis. Wir beweisen hier nur (iii), da die anderen Teile Übungsaufgaben sind. Als
konvergente Folgen sind (an )n∈N und (bn )n∈N beschränkt, also es gibt C > 0 mit
an , bn < c ∀n∈N.
Es folgt
an bn − ab = an bn − a bn + a bn − ab
≤ an bn − a bn + a bn − ab = an − a bn + |a| bn − b
 
≤ c an − a + bn − b → 0 .


24 F. FINSTER

3.6. Reihen.
Definition 3.24. Eine unendliche Summe
X∞
an = a1 + a2 + · · ·
n=1

mit an ∈ R (oder C) wird Reihe genannt.


Der Konvergenzbegriff für Reihen kann auf denjenigen für Folgen zurückgeführt
werden, indem man die Folge der Partialsummen (sn )n∈N mit
n
X
sn := ak = a1 + a2 + · · · + an
k=1
betrachtet.
Definition 3.25. Die Reihe ∞
P
n=1 an heisst konvergent, falls die Folge der Partial-
summen (sn )n∈N konvergiert. Man schreibt dann

X
an = lim sn .
n→∞
n=1

Die Reihe heisst divergent, falls die Folge (sn )n∈N divergiert.
Wir bemerken, dass man die Reihe auch bei null beginnen lassen kann. Das geht
genauso wie oben, nur dass man bei den Partialsummen auch bei null beginnt.
Definition 3.26. (geometrische Reihe) Wir betrachte für |z| < 1 die geometri-
sche Reihe

X
zn .
n=0
Wir wollen zunächst die Partialsummen berechnen,
n
X
sn = zk .
k=0
Dazu beginnen wir mit der Formel
1 + z + z 2 + · · · z n (1 − z) = 1 − z n+1 ,


die man durch ausmultiplizieren direkt verifiziert (wer ganz sorgfältig sein möchte,
kann diese Formel auch mit vollständiger Induktion in n beweisen; siehe Zentralübung).
Dividiert man beide Seiten durch (1 − z) so folgt
1 − z n+1
sn = .
1−z
Schreibe dies nun als
1 1
sn = − z n+1 .
1−z 1−z
Die Folge z n+1 ist eine Nullfolge (siehe Beispiel 3.8 (iv)). Die Konvergenzsätze (Satz 3.23)
liefern
1
lim sn = .
n→∞ z
ANALYSIS I 25

Folglich ist die geometrische Reihe konvergent und



X 1
zn = .
1−z
n=0


Viele Ergebnisse für Folgen lassen sich unmittelbar auf Reihen übertragen.
Satz 3.27. (Linearkombination konvergenter Reihen) Seien ∞
P P∞
n=1 an und n=1 bn
zwei (reelle oder komplexe) konvergente Reihen und λ, µ ∈ R (oder C). Dann konver-
giert auch die Reihe ∞
P
n=1 λan + µbn ) und es gilt

X ∞
X ∞
X
λan + µbn ) = λ an + µ bn .
n=1 n=1 n=0

Beweis. Wende die Konvergenzsätze (Theorem 3.23) auf die Partialsummen an. □
P∞
Satz 3.28. (Cauchy-Kriterium) Die Reihe n=1 an konvergiert genau dann, wenn
es zu jedem ε > 0 ein N ∈ N gibt, so dass
n
X
an ≤ ε ∀n≥m≥N. (3.2)
k=m+1

Beweis. Wir bezeichnen die Partialsummen mit sn := nk=1 an . Nach dem Satz über
P
Cauchy-Folgen (Satz 3.22) ist die Folge (sn )n∈N genau dann konvergent, wenn (sn )
eine Cauchy-Folge ist, also wenn es zu jedem ε > 0 ein N existiert mit
sn − sm ≤ ε ∀n≥m≥N.
Wegen
n
X
sn − sm = ak
k=m+1
ist diese Bedingung äquivalent zu (3.2). □
bis hier Vorlesung
15.11.2023
Satz 3.29.PEine notwendige (aber nicht hinreichende!) Bedingung für die Konvergenz
der Reihe ∞ n=1 an ist, dass die zugehörige Folge (an )n∈N eine Nullfolge ist.
P∞
Beweis. Sei n=1 an konvergent. Nach dem Cauchy-Kriterium gibt es dann zu je-
dem ε > 0 ein N mit
an < ε ∀n≥N
(wir haben in (3.2) speziell m = n − 1 gesetzt). Also ist (an )n∈N eine Nullfolge. □

Beispiel 3.30. (i) Die Reihe ∞ n+1 ist nicht konvergent, weil die zugehörige
P
n=1 (−1)
Folge (an )n∈N mit an = (−1)n+1 keine Nullfolge ist.
(ii) Betrachte die sogenannte harmonische Reihe

X 1
.
n
n=1
26 F. FINSTER

Die zugehörige Folge (an )n∈N mit an = 1/n ist eine Nullfolge (siehe Beispiel 3.8 (iii)).
Die notwendige Bedingung von Satz 3.29 ist also erfüllt. Trotzdem ist die har-
monische Reihe nicht konvergent, denn
1 1 1 1 1
s2n − sn = + + ··· + ≥n = ,
n+1 n+2 2n 2n 2
so dass das Cauchy-Kriterium (3.2) verletzt ist.

3.7. Alternierende Reihen, das Leibnizsche Konvergenzkriterium. Wir kom-
men nun zu hinreichenden Kriterien für Konvergenz.
Definition 3.31. Eine Reihe der Form
X∞
(−1)n+1 an = a1 − a2 + a3 − a4 + · · ·
n=1

mit an ≥ 0 heisst alternierend.


Theorem 3.32. (Leibnizsches Konvergenzkriterium) Ist P (an )n∈N n+1
eine monoton
fallende Nullfolge, so ist die zugehörige alternierende Reihe ∞
n=1 (−1) an konver-
gent.
Beweis. Beachte, dass an ≥ 0 für all n ∈ N. Wir schreiben die Partialsummen in der
Form
  
s2k = a1 − a2 + a3 − a4 + · · · + a2k−1 − a2k
  
s2k+1 = a1 − a2 − a3 − a4 − a5 + · · · − a2k − a2k+1 .
Da die Folge (an )n∈N monoton fallend ist, sind die Ausdrücke in den Klammern sind
stets positiv. Damit folgt
s2k ≤ s2k+2 , s2k+1 ≥ s2k−1
und
0 ≤ s2k ≤ s2k+1 ≤ a1 .
Die Folgen (s2k )k∈N und (s2k+1 )k∈N sind also monoton und beschränkt. Nach dem
Satz von der monotonen Konvergenz (Satz 3.14) sind diese Folgen also konvergent,
und wegen
s2k+1 − s2k = a2k+1 → 0
haben sie den gleichen Limes s. Es folgt sn → s. □

Beispiel 3.33. Die alternierende harmonische Reihe



X (−1)n+1 1 1 1
=1− + − + ···
n 2 3 4
n=1

ist nach dem Leibniz-Kriterium konvergent. Wir bemerken jedoch, dass das Leibniz-
sche Konvergenzkriterium nicht dazu geeignet ist, um diesen Grenzwert tatsächlich
auszurechnen. Tatsächlich ist der Grenzwert der obigen Reihe log 2, was wir später bei-
spielsweise durch Taylor-Entwicklung der Logarithmus-Funktion werden zeigen können
(wir bezeichen mit log stets den natürlichen Logarithmus). ♢
ANALYSIS I 27

3.8. Absolut konvergente Reihen. Wir betrachten nun Reihen mit nicht-negativen
Gliedern. Dann ist de Folge der Partialsummen monoton wachsend, und wir können
die Konvergenz mit dem Konvergenzsatz für monotone Folgen untersuchen.
Satz 3.34. Die Reihe ∞
P
n=1 an mit an ≥ 0 konvergiert genau dann, wenn die Reihe
(also die Folge der Partialsummen) beschränkt ist, also es gibt c > 0 mit
Xn
ak < c ∀n∈N.
k=1
Pn
Beweis. Die Folge der Partialsummen sn := k=1 ak ist monoton wachsend. Wende
nun Satz 3.14 an. □
P∞
Definition
P∞ 3.35. Eine Reihe n=1 an heisst absolut konvergent, falls die Rei-
he n=1 |an | konvergiert. Eine konvergente Reihe, die nicht absolut konvergiert, heisst
bedingt konvergent.
Beispiel 3.36. Die alternierende harmonische Reihe

X (−1)n+1
n
n=1
ist bedingt konvergent (siehe Beispiele 3.30 (ii) und 3.33). ♢
Satz 3.37. Eine absolut konvergente Reihe ist konvergent, und es gilt
X∞ X∞
an ≤ an .
n=1 n=1

Beweis. Verwende die Dreiecksungleichung


an + an+1 + · · · + am ≤ an + an+1 + · · · + am
und das Cauchy-Kriterium in Satz 3.28. □
P∞ P∞
Definition 3.38. Eine Reihe n=0 cn heisst Majorante der Reihe n=1 an , falls es
einen Index N gibt, so dass
an ≤ cn ∀n≥N.
bis hier Vorlesung
P∞ 17.11.2023
Satz 3.39. (Majorantenkriterium) Besitzt die Reihe n=1 an eine konvergente
Majorante, so ist sie absolut konvergent (und damit nach Satz 3.37 auch konvergent).
P∞
Beweis. Bezeichne die konvergente Majorante mit n=1 cn . Da endlich viele Glie-
der der Reihe keine Auswirkung auf Konvergenz haben (wie man beispielsweise am
Cauchy-Kriterium sieht), können wir annehmen, das |an | ≤ cn für alle n ∈ N gilt
Pn a1 = · · · = aN −1 P
(beispielsweise kann man = 0 setzen). Bezeichne außerdem
n P∞die Parti-
alsummen mit sn := k=1 |ak | und tn := k=1 ck . Dann gilt tn ↗ t := k=0 ck < ∞
und aus 0 ≤ |an | ≤ cn folgt
sn ≤ tn ≤ t ∀n∈N.
Die Folge (sn )n∈N ist also monoton steigend und beschränkt. Nach
P dem monotonen
Konvergenzsatz (Satz 3.14) konvergiert sie. Also ist die Reihe ∞k=1 ak absolut kon-
vergent. □
28 F. FINSTER

Beispiel 3.40. Betrachte die Reihe



X n
.
4n
n=1
Dann ist
n n 1 1
an = n
= n n ≤ n ∀n∈N
4 2 2 2
(da n < 2n für alle n ∈ N; dies kann man beispielsweise mit vollständiger Induktion
beweisen). Also ist die Reihe

X 1
2n
n=1
eine konvergente Majorante. ♢
P∞
Satz 3.41. (Quotientenkriterium) Sei n=1 an eine Reihe mit an ̸= 0, und es gebe
ein q mit 0 < q < 1 sowie ein N ∈ N, so dass
an+1
≤q ∀n≥N. (3.3)
an
P∞
Dann ist die Reihe n=1 an absolut konvergent.
Man beachte, dass hier q < 1 sein muss. Im Fall q = 1 kann dieser Satz nicht ange-
wendet werden; tatsächlich ist im Fall
an+1
lim sup =1
n→∞ an
i.e. keine Konvergenzaussage nötig. Man muss dann feiner abschätzen.
Beweis von Satz 3.41. Aus (3.3) folgt induktiv für n = N + p die Abschätzung
an ≤ q |an−1 | ≤ · · · ≤ q p aN
und damit
an ≤ q n k mit k := q −N aN .
Also besitzt die Reihe ∞
P P∞ k
n=1 an die konvergente Majorante n=1 k q . □

Beispiel 3.42. Betrachte die Reihe



X n2
.
2n
n=1

Mit an := n2 /2n gilt dann für alle n ≥ 3,


an+1 (n + 1)2 2n 1 1 2
= = 1 +
an 2n+1 n2 2 n
1  1  2 8
≤ 1+ = =: q < 1 .
2 3 9
Damit ist das Quotientenkriterium erfüllt, und die gegebene Reihe konvergiert absolut.

Satz 3.43. (Wurzelkriterium)
ANALYSIS I 29

(i) Gibt es ein q ∈ (0, 1) und N , so dass


p
n
|an | ≤ q ∀n≥N,
P∞
so ist die Reihe n=1 an konvergent.
|an | ≥ 1 für unendlich viele n, so ist die Reihe ∞
p
n
P
(ii) Ist n=1 an divergent.

Beweis. Übungsaufgabe □

Man beachte, dass hier, genau wie beim Quotientenkriterium, q strikt kleiner als eins
sein muss. Im Fall q = 1 ist i.a. keine Konvergenzaussage möglich.

3.9. Umordnung von Reihen, das Cauchy-Produkt.


P∞ P∞
P∞3.44. Es seien n=1 an und Pn=1
Definition bn Reihen mit Gliedern an , bn ∈ C. Wir
nennen n=1 bn eine Umordnung von ∞ n=1 an , falls es eine bijektive Abbildung σ :
N → N gibt, so dass bn = aσ(n) für alle n ∈ N .
Die Begriffe “injektiv”, “surjektiv” und “bijektiv” sollten aus der Linearen Algebra
bekannt sein; ansonsten wiederholen wir das an dieser Stelle.
Es stellt sich die Frage, ob die Umordnung einer konvergenten Folge wieder konver-
giert. Im allgemeinen ist dies nicht der Fall, wie folgendes Beispiel zeigt.
P∞ n+1 /n ist konvergent
Beispiel 3.45. Die alternierende harmonische Reihe P∞ n=1 (−1) P∞
(siehe Beispiel 3.33). Es gibt aber eine Umordnung n=1 bn mit n=1 bn = ∞.
Beweis. Betrachte die Glieder ungerader Ordnung der gegebenen Reihe zwischen 2k +1
und 2k+1 − 1 und k > 1. Man erhält für ihre Summe
1 1 1 1 1
k
+ k + · · · + k+1 > 2k−1 k+1 = .
2 +1 2 +3 2 −1 2 4
Ordne die Reihe nun folgendermaßen um:
1 1 1
1− + −
2 3 4
1 1 1
+ + − (k = 2)
5 7 6
1 1 1 1 1
+ + + + − (k = 3)
9 11 13 15 8
+ ···
 1 1  1
+ k + · · · + k+1 −
2 +1 2 −1 2k + 2
+ ···
Diese Reihe divergiert, weil die Partialsummmen nach oben unbeschränkt sind. □

Für konvergente Reihen kann man das “unendliche Kommutativgesetz” also nicht
ohne weiteres anwenden. Für absolut konvergente Reihen hab man aber den folgenden
Umordnungssatz:
Satz 3.46. (Umordnungssatz) Sei ∞
P
n=1 an eine absolut konvergente Reihe. Dann
konvergiert auch jede Umordnung dieser Reihe absolut gegen den gleichen Grenzwert.
bis hier Vorlesung
22.11.2023
30 F. FINSTER
P∞
Beweis. Sei a := n=1 an und τ : N → N eine bijektive Abbildung. Wir müssen zeigen,
dass
n
X
lim aτ (k) = a .
n→∞
k=1
P∞
Sei ε > 0. Dann gibt es wegen der Konvergenz von k=1 |ak | ein k0 so dass

X ε
|ak | < .
2
k=k0 +1

Daraus folgt
k0 ∞ ∞
X X X ε
a− ak = ak ≤ |ak | ≤ .
2
k=1 k=k0 +1 k=k0 +1
Wir wählen nun N so groß, dass

τ (1), . . . , τ (N ) ⊃ {1, . . . , n0 } .
Dann gilt für alle m ≥ N
m
X m
X n0
X n0
X
aτ (k) − a ≤ aτ (k) − ak + ak − a
k=1 k=1 k=1 k=1

X ε
≤ ak + <ε.
2
k=n0 +1

Die umgeordnete Reihe konvergiert also gegen den gleichen Grenzwert wie die Aus-
gangsreihe. Dass die umgeordnete Reihe wieder
Pabsolut konvergiert folgt durch An-
wendung des gerade Bewiesenen auf die Reihe ∞ n=1 |an |. □
P∞ P∞
Satz 3.47. (Cauchy-Produkt von Reihen) Es seien n=0 an und n=0 bn absolut
konvergente Reihen. Setze
n
X
ck := ak bn−k = a0 bn + a1 bn−1 + · · · + an b0 .
k=0
P∞
Dann ist auch die Reihe n=0 cn absolut konvergent und
X∞ X ∞  X ∞ 
cn = an bn .
n=0 n=0 n=0

Beweis. Es gilt X
cn = {ak bl | k + l = n} .
Also gilt für die Partialsummen
N
X X
CN := cn = {ak bl | (k, l) ∈ ∆n } ,
k=0

wobei ∆N alle Indexpaare im “unteren Dreieck” sind (siehe Abbildung 4):


∆N := {(k, l) ∈ N × N mit k + l ≤ N } .
Multipliziert man die Partialsummen
ANALYSIS I 31

L
~
=
-
-
-
Pu
-
-
Iv
-

1-
--
-
! ↓
Abbildung 4. Die Mengen ∆N und QN .

N
X N
X
AN := an , BN := bn ,
n=0 n=0

wo erhält man das Produkt


X
AN BN := {ak bl | (k, l) ∈ QN } ,

wobei QN alle Indexpaare im “unteren Quadrat” sind (siehe wieder Abbildung 4):

∆N := {(k, l) ∈ N × N mit 0 ≤ k, l ≤ N } .
Es folgt
X
AN B N − C N = {ak bl | (k, l) ∈ QN \ ∆N } .
Um dies abzuschätzen, betrachten wir Summen der Absolutbeträge,
N
X N
X
A∗N := |an | , ∗
BN := |bn | .
n=0 n=0

Dann folgt wegen QN \ ∆N ⊂ QN \ Q[N/2] (wobei [.] wieder die Gauß-Klammer be-
zeichnet),
X
AN BN − CN ≤ |ak | |bl | (k, l) ∈ QN \ Q[N/2]
= A∗N BN

− A∗[N/2] B[N/2]

.
Wegen der Grenzwertsätze konvergiert die Folge A∗N BN
∗ . Also ist sie auch eine Cauchy-

Folge. Deswegen strebt die letzte Differenz für N → ∞ gegen null, d.h.
lim CN = lim AN BN = lim AN lim BN
N →∞ N →∞ N →∞ N →∞

(im letzten Schritt haben wir wieder


P die Grenzwertsätze verwendet).
Die absolute KonvergenzPvon n |cn |P
erhält man unmittelbar, indem man das bisher
Bewiesene auf die Reihen n |an | und n |bn | anwendet. □
32 F. FINSTER

3.10. Das Cauchysche Verdichtungskriterium. Wir stellen nun folgende Frage:


Für welche α konvergiert die Reihe

X 1
?

n=1

Die Idee besteht darin, das Problem auf die geometrische Reihe zurückzuführen.
Satz 3.48. (Cauchysches Verdichtungskriterium) Es sei (a Pn )n∈N eine monoton
fallende folge nichtnegativer Zahlen. Dann konvergiert die Reihe ∞n=1 an genau dann,
wenn die sogenannte kondensierte Reihe

X
2n a2n = a1 + 2a2 + 4a4 + 8a8 + · · ·
n=0

konvergiert.
Beweis. Wir bezeichnen die Partialsummen der ursprünglichen und kondensierten Rei-
he mit
X n Xn
sn := ak , tn := 2k a2k .
k=0 k=0

Dann gilt für jedes n ≤ 2k


die Abschätzung
 
sn ≤ a1 + a2 + a3 + · · · + a2k + · · · a2k+1 −1
≤ a1 + 2a2 + · · · + 2k a2k = tk .
Monotone Konvergenz liefert die Rückrichtung.
Umgekehrt ist für n > 2k ,
 
sn ≥ a1 + a2 + a3 + a4 + · · · + a2k−1 + · · · a2k
1 1
≥ a1 + a2 + 2a4 + · · · + 2k−1 a2k = tk .
2 2
Monotone Konvergenz liefert die Hinrichtung. □
bis hier Vorlesung
24.11.2023 Nun zur schon angekündigten Anwendung:
Korollar 3.49. Die Reihe

X 1

n=1

konvergiert für α > 1 und divergiert für α ≤ 1.


Beweis. Die zugehörige kondensierte Reihe ist
∞ ∞ ∞
X
n 1 X
(1−α)n
X
2 = 2 = qk mit q := 21−α .
2nα
n=0 n=0 n=0

Verwende nun das Ergebnis für die geometrische Reihe (siehe Definition 3.26) □
ANALYSIS I 33

3.11. Die Exponentialreihe. In diesem Abschnitt betrachten wir für z ∈ C die


Exponentialreihe

X zn
exp(z) := .
n!
n=0
Als Vorbereitung überzeugen wir uns davon, dass die Aussage über relle Cauchy-Folgen
aus Satz 3.22 auch für komplexe Cauchy-Folgen gilt.
Satz 3.50. Auch eine komplexe Folge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-
Folge ist.
Beweis. Es sei (zn )n∈N eine komplexe Folge. Wir betrachte die zugehörigen reellen
Folgen (xn )n∈N und (yn )n∈N mit zn = xn + iyn . Dann ist
q
 2 2
d zn , zm = zn − zm = xn − xm + yn − ym .
Sei (zn )n∈N eine Cauchy-Folge. Dann sind nach der obigen Formel sowohl (xn )n∈N als
auch (yn )n∈N Cauchy-Folgen. Also konvergieren sie,
xn → x und yn → y .
Nach den Konvergenzsätzen folgt zn → xn + iyn . □

Satz 3.51. Die Exponentialreihe ist für jedes z ∈ C absolut konvergent.


Proof. Wir wenden das Quotientenkriterium an (Satz 3.41) für an = z n /n!. Dann folgt
an+1 z n+1 n! |z| 1
= n
= ≤
an (n + 1)! z n+1 2
falls n > 2 |z|. □
Man definiert die Eulersche Zahl e durch

X 1
e := exp(1) = .
n!
n=1

Bemerkung 3.52. Die Eulersche Zahl lässt sich auch durch die “Zinseszinsformel”
 1 n
e = lim 1 +
n→∞ n
ausdrücken.
Beweis. Setze
n
 1 n X 1
fn := 1 + und sn := .
n k!
k=0
Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt
n  
X n 1
fn =
k nk
k=0
1 n(n − 1) 1 n(n − 1) · · · 1 1
=1+n + 2
+ ··· +
n 2! n n! n!
1  1 1  1  2  n − 1
=1+1+ 1− + ··· + 1− 1− ··· 1 − ≤ sn .
2! n n! n n n
34 F. FINSTER

Hieraus folgt

X
fn ≤ e = sn .
n=0
Andererseits gilt für k ≥ n
1  1 1  1  2  n − 1
fk ≥ 1 + 1 + 1− + ··· + 1− 1− ··· 1 − .
2! k n! k k k
Da die rechte Seite im Limes k → 0 gegen sn strebt, gilt fk ≥ sn für genügend großes k.
Insgesamt gibt es also zu jedem n ein N so dass
fn ≤ sn ≤ fk ≤ sk für alle k > N .
Hieran sieht man, dass die (fk )k∈N auch eine Cauchy-Folge bilden und konvergieren,
fk → f . Außerdem folgt, dass f = e. □

Theorem 3.53. Es gelten die folgenden Rechnregeln:


(i) exp(z) = exp(z)
(ii) exp(z1 ) exp(z2 ) = exp(z1 + z2 )
Beweis. (i) Gilt für alle Partialsummen. Bilde dann den Grenzwert.
(ii) Wir wenden die Cauchysche Produktformel an:

X z1n
exp(z1 ) = an mit an =
n!
n=0

X z2n
exp(z2 ) = bn mit bn =
n!
n=0
n n
X X z1k z2n−k (z1 + z2 )n
ak bn−k = =
k! (n − k)! n!
k=0 k=0
Damit folgt

X (z1 + z2 )n
exp(z1 ) exp(z2 ) = = exp(z1 + z2 ) ,
n!
n=0
was zu zeigen war.

Wir stellen nun einige einfache Foglerungen zusammen:
1
(a) exp(z) ̸= 0 ∀ z und exp(−z) =
exp z
(b) exp(n) = en für alle n ∈ N
(c) | exp(iφ)| = 1 für alle φ ∈ N, da
| exp(iφ)|2 = exp(iφ) exp(iφ) = exp(iφ) exp(−iφ) = exp(0) = 1 .
(d) Eine komplexe Zahl exp(z) mit z ∈ C dargestellt werden in der Form
exp(z) = ρ eiφ mit ρ := exp(Re z) ≥ 0 , φ := Im z .
Es gilt auch | exp(z)| = ρ (hier ist φ der Winkel im Bogenmaß; dies werden wir
später genauer einführen, nachdem wir die Zahl π definiert haben).
ANALYSIS I 35

1 4

+2
I

(4
3

Abbildung 5. Die Polarzerlegung einer komplexen Zahl.

(f) exp(iφ) = cos φ + i sin φ. Verwende diese Gleichung als Definition der trigono-
metrischen Funktionen, also
cos φ := Re exp(iφ) , sin φ := Im exp(iφ) .
(e) Jede komplexe Zahl z kann mit der Polarzerlegung dargestellt werden, also
z = r eiφ mit r = |z| .
Siehe auch Abbildung 5.

4. Funktionen, Stetigkeit
4.1. Abbildungen von Mengen, Funktionen. Wir arbeiten hier mit dem naiven
Mengenbegriff, so wie er zu Beginn der Vorlesung eingeführt wurde oder genauer in der
Linearen Algebra behandelt wurde. Im folgenden seien M und N beliebige Mengen.
Definition 4.1. Unter einer Abbildung f : M → N verstehen wir eine Zuordnung,
die jedem x ∈ M genau ein Element f (x) ∈ N , das sogenannte Bild von x, zuordnet.
Wir verwenden die Bezeichnungen
M Definitionsbereich
N Zielraum
f (M ) := {f (x) | x ∈ M } Wertebereich
Die Abbildung f heisst injektiv falls es zu jedem Bildpunkt höchstens einen Punkt im
Urbild gibt, also
f (x) = f (y) =⇒ x = y .
Für eine injektive Abbildung kann man die Umkehrfunktion f −1 einführen:
f −1 : f (M ) → M , y 7→ x mit f (x) = y .
Die Abbildung f heisst surjektiv falls f (M ) = N ist.
Die Abbildung f heisst bijektiv oder invertierbar falls f injektiv und surjektiv ist.
In diesem Fall ist f −1 : N → M auf ganz N definiert. bis hier Vorlesung
Zwei Abbildungen f, g : M → N heissen gleich, in Symbolen f = g, falls 29.11.2023

f (x) = g(x) ∀x∈M.


36 F. FINSTER

Wir bezeichnen die identische Abbildung mit


idM : M → M , x 7→ x .
Seien M′ ⊂ M und f : M → N . Wir bezeichnen die Einschränkung von f auf M ′
mit
f |M ′ : M ′ → N , x 7→ f (x) .
Für zwei Abbildungen f : M → N und g : N → S bezeichen wir die Verkettung
oder Komposition mit

g◦f :M →N , x 7→ g f (x) .
Schließlich definieren wir den Graphen von f : M → N durch

graphf = (x, f (x)) x ∈ M ⊂ M × N .
Außerdem ist für jedes y ∈ N das Urbild f −1 (y) definiert durch
f −1 (y) = {x ∈ M | f (x) = y} ⊂ M .
Mit diesen Begriffen werden wir uns in den Übungsstunden näher vertraut machen.
Um Verwirrung zu vermeiden, möchte ich betonen, dass das Urbild für jede Funktion
definiert ist (selbst wenn die Funktion nicht invertierbar ist). Das Urbild f −1 (y) ist
eine Menge, die leer sein kann (senn y nicht im Werbereich liegt) oder auch mehrere
Elemente enthalgen kann. Bei einer injektiven Abbildung besteht das Urbild immer
aus höchstens einem Punkt. Schließlich gilt bei einer injektiven Abbildung stets, dass
f −1 ◦ f = idM .
Eine bijektive Abbildung wird oft auch Bijektion genannt. Abbildungen werden auch
Funktionen genannt. Ob man von Abbildungen oder Funktionen spricht, ist eine Frage
des Stils und hängt vom Kontext ab.
Wir führen nun einen Begriff ein, der auf Georg Cantor zurückgeht.
Definition 4.2. Zwei Mengen M und N heissen gleichmächtig (in Symbolen M ∼
N ), falls es eine Bijektion f : M → N gibt.
Für eine endliche Menge M bezeichnen wir die Anzahl der Elemente mit #M .
Zwei endliche Mengen M und N sind gleichmächtig genau dann, wenn #M = #N .
Interesanter ist der Mächtigkeitsbegriff für unendliche Mengen. Wir bezeichnen die
Potenzmenge (also die Menge aller Teilmengen) einer Menge M mit P(M ).
Satz 4.3. (Cantor) Die Potenzmenge einer nicht-leeren Menge M ist mächtiger
als M .
Beweis. Nehme umgekehrt an, es gäbe eine Bijektion σ : M → P(M ). Bilde die Menge
N = {x ∈ M | x ̸∈ σ(x)} ⊂ M .
Dann ist N ∈ P(M ) (da es eine Teilmenge von M ist), und wegen der Surjektivität
von σ gibt es ein x ∈ M mit σ(x) = N . Es gibt nun zwei Fälle:
(i) x ̸∈ N : Dann ist (nach Definition von σ) x ∈ σ(x) = N . Das ist ein Widerspruch.
(ii) x ∈ N : Dann ist (wieder nach Definition von σ) x ̸∈ σ(x) = N . Das ist wieder
ein Widerspruch.
Wir erhalten also in jedem Fall einen Widerspruch. Folglich ist die Annahme, dass es
eine Bijektion σ gibt, falsch. □
ANALYSIS I 37

Es gibt somit eine ganze “Hierarchie” von unendlichen Mengen. Die Mengen
N , P(N) , P P(N) , . . .


sind also alle mächtiger als die jeweils vorangehenden Mengen.


Wir beschränken uns hier auf die Mächtigkeit von N.
Definition 4.4. Eine unendliche Menge heisst abzählbar, wenn sie gleichmächtig
wie N ist. Ansonsten heisst sie überabzählbar.
Beispiel 4.5. (i) Z ist abzählbar. Betrachte dazu die Folge
0, 1, −1, 2, −2, . . . .
(ii) Die Vereingung abzählbar vieler abzählbarer Mengen ist abzählbar: Sei
[
M= Mn mit Mn abzählbar, also Mn = {xnm | m ∈ N} .
n∈N
Wir ordnen M in einem quadratischen Schema an,
M1 x11 → x12 x13 → x14 · · ·
↙ ↗ ↙ ↗
M2 x21 x22 x23 x24 · · ·
↓ ↗ ↙ ↗ ↙
M3 x31 x32 x33 x34 · · ·
.. .. .. . .
. . ↙ . ↗ .. ↘ .. ↗
Zähle nun in diesem Schema ab, also

(y1 , y2 , y3 , . . .) = x11 , x12 , x21 , x31 , . . . .
So sieht man, dass M tatsächlich abzählbar ist.

Satz 4.6. Die rellen Zahlen sind überabzählbar.
Für den Beweis genügt es zu zeigen, dass das Intervall (0, 1) überabzählbar ist. Die
Idee besteht darin, mit der Dualdarstellung zu arbeiten, also z.B.
x = 0, 11001 · · · .
Man sieht so, dass das Intervall [0, 1) gleichmächtig zur Potenzmenge P(N), denn
jedes x kann mit einer Teilmenge A ⊂ N identifiziert werden über die Gleichung
X
x= 2−n .
n∈A
Diese Idee ist gut, aber es gibt dabei ein Problem. Die Abbildung
X
σ : P(N) → [0, 1] , A 7→ 2−n
n∈A
ist nämlich nicht injektiv, weil z.B.
0.01 = 0.1 .
Es gibt also Probleme bei periodischen Dualdarstellungen. Deswegen geben wir hier
einen etwas anderern Beweis, bei dem wir die Idee von Cantor nochmals verwenden.
Wir arbeiten mit der Dezimaldarstellung (für Details siehe Übungsaufgaben).
38 F. FINSTER

Beweis. Sei (xn ) eine Abzählung des Intervalls (0, 1). Die Dezimaldarstellungen seien

x1 = 0, a11 a12 a13 · · ·


x2 = 0, a21 a22 a23 · · ·
x3 = 0, a31 a32 a33 · · ·
.. ..
. .

mit Ziffern aij ∈ {0, . . . , 9}. Damit diese Darstellung eindeutig ist, vermeiden wir die
“Periode 9”. Setze
z = 0, c1 c2 c3 · · ·
mit

ann + 2 falls ann < 5
cn :=
ann − 2 falls ann ≥ 5 .
Also gilt |cn − ann | = 2 und folglich

|z − xn | ≥ 10−n für alle n ∈ N .

Also ist z ̸∈ {xn | n ∈ N}, ein Widerspruch. □


bis hier Vorlesung
1.12.2023
4.2. Stetige Funktionen. Wir betrachten im folgenden alles im Reellen oder Kom-
plexen; stetige Funktionen zwischen allgemeineren Mengen werden wir gegen Ende des
Semesters betrachten.

Definition 4.7. Sei D ⊂ R (oder C) und f : D → R (oder C) eine Funktion. Die


Funktion heisst stetig in x0 ∈ D falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt, so dass

f (x) − f (x0 ) < ε für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ . (4.1)

Die Funktion f heisst stetig, falls sie in jedem Punkt x0 ∈ D stetig ist.

Die Bedingung (4.1) kann man äquivalent schreiben als


 
f Bδ (x0 ) ⊂ Bε f (x0 ) .

Beispiel 4.8. Die Funktion f (x) = x2 ist stetig: Sei ε > 0 und x0 ∈ R. Dann ist
für |x − x0 | ≤ 1
2
f (x) − f (x0 ) = x2 − x20 = x0 + (x − x0 ) − x20

= 2x0 (x − x0 ) + (x − x0 |2 ≤ 2 |x0 | + 1 |x − x0 | .


Gegeben ε > 0 wählen wir


 ε 
δ = min ,1 .
2 |x0 | + 1
Dann gilt für alle x ∈ Bδ (x0 wie gewünscht die Ungleichung f (x) − f (x0 )| < ε. ♢

Beispiel 4.9. Die Exponentialfunktion ist ist stetig:


ANALYSIS I 39

(i) Wir wollen zunächst zeigen, dass die Exponentialfunktion in x = 0 stetig ist.
Nehmen dazu an, dass |x| < 1. Dann folgt

X xn  x x2 x3 
exp(x) − exp(0) = =x 1+ + + + ···
n! 2! 3! 4!
n=1
∞  
 x x2 x3  X x n 1
≤ x 1 + + 2 + 3 ··· = x =x x
2 2 2 2 1− 2
n=0

(im letzten Schritt haben wir die Formel für die geometrische Reihe verwendet).
Damit folgt
exp(x) − exp(0) ≤ 2x .
Hieraus folgt, dass die Exponentialfunktion am Ursprung stetig ist, denn zu
gegebenem ε > 0 kann man δ beispielsweise wählen als
ε 
δ = min , 1 .
2
(ii) Die Stetigkeit an einer allgemeinen Stelle x0 ̸= 0 folgt nun mit Hilfe der Funk-
tionalgleichung,
exp(x) − exp(x0 ) = exp(x0 ) | exp(x − x0 ) − exp(0) .
Verwende nun (i). ♢
Satz 4.10. Eine Funktion f : D → R (oder C, wiederum mit D ⊂ R oder C) ist in x0
stetig genau dann, wenn für jede Folge (xn )n∈N mit xn ∈ D und xn → x auch die
zugehörige Bildfolge (f (xn ))n∈N konvergiert.
Also in Worten: Eine Funktion ist genau dann stetig, wenn das Bild jeder konvergenten
Folge konvergiert.

Beweis von Satz 4.10. =⇒) Folgt direkt aus den Definitionen der Stetigkeit und der
Konvergenz von Folgen.
⇐=) Nehme an, dass das Bild jeder konvergenten Folge konvergiert. Nehme umge-
kehrt an, dass f in x0 nicht stetig ist. Dann gibt es ein ε > 0 und eine Folge (zn )
mit |zn − x0 | < 2−n und |f (zn ) − f (x0 )| ≥ ε. Dann konvergiert zn gegen x0 ,
aber die zugehörige Bildfolge f (zn ) konvergiert nicht gegen f (x0 ). Dies ist ein
Widerspruch. □

Aus diesem Satz folgt auch, dass der Grenzwert der Bildfolge gleich dem Funktionswert
des Grenzwertes ist, also
lim f (xn ) = f (x)
n→∞
(wobei wieder xn → x). Um dies zu sehen, betrachtet man die Folge
(x̃)n = (x1 , x, x2 , x, x3 , x, . . .) .
Diese Folge konvergiert offensichtlich wieder gegen x. Damit konvergiert auch die zu-
gehörige Bildfolge
 
f (x̃n ) n = f (x1 ), f (x), f (x2 ), f (x), f (x3 ), f (x), . . . .
Daraus folgt wiederum, dass f (xn ) → f (x).
40 F. FINSTER

Satz 4.11. Seien f, g : D → R (oder C) in x0 ∈ D stetig und λ, µ ∈ R (oder C). Dann


ist auch die Funktion λf + µg in x0 stetig. Außerdem ist die Funktion f g in x0 stetig.
Gegeben Mengen D, E ⊂ R und Funktionen f : D → R und g : E → R. Nehme
an f (D) ⊂ E. Ist f in x0 ∈ D stetig und ist g in y0 := f (x0 ) stetig, so ist auch die
Verkettung g ◦ f : D → R in x0 stetig.
Proof. Dies folgt unmittelbar aus den Konvergenzsätzen für Folgen (Theorem 3.23).

Die gerade bewiesene Aussage, dass mit f und g auch Linearkombinationen λf + µg
stetig sind, kann man auch so formulieren, dass die stetigen Funktionen auf D ⊂ R
einen Vektorraum bilden. Man kann also auch hier Begriffe verwenden, die Sie aus der
Linearen Algebra kennen.
Definition 4.12. Man schreibt für x0 ∈ D
lim f (x) = c
D∋x→x0

falls für jede Folge (xn ) mit xn ∈ D und xn → x0 gilt


lim f (xn ) = c .
n→∞

Die Stetigkeit in x0 ∈ D lässt sich dann auch so ausdrücken:


lim f (x) = f (x0 ) .
D∋x→x0

4.3. Zwischenwertsatz und Umkehrfunktion.


Satz 4.13. (Zwischenwertsatz) Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit f (a) ̸=
f (b). Dann gibt es zu jedem Wert c zwischen f (a) und f (b) mindestens eine Stelle ξ ∈
(a, b) mit f (ξ) = c.
Beweis. Wir bechränken uns ohne Einschränkung auf den Fall f (a) < c < f (b) (an-
sonsten gehe über zu −f und −c). Wegen f (b) < c ist die Menge

M := x a < x ≤ b und f (x) > c
nicht leer und beschränkt. Wir setzen
ξ := inf M .
Dann gibt es eine Folge (xn ) mit xn ∈ M so dass xn → ξ. Da f stetig ist, folgt c >
f (xn ) → f (ξ) und damit f (ξ) ≥ c.
Nehme an, dass f (ξ) > c. Dann gäbe es wegen der Stetigkeit von f einen Punkt x
mit a < x < ξ und f (x) > c, woraus x ∈ M folgt. Dies ist ein Widerspruch zur
tatsäche, dass ξ per Definition die kleinste untere Schranke von M ist. □

Beispiel 4.14. Jedes ungerade reelle Polynom


f (x) = a0 + a1 x + · · · a2k x2k + x2k+1
besitzt wenigstens eine Nullstelle.
Proof. Das Polynom ist stetig und limx→±∞ = ±∞. Also gibt es a, b ∈ R mit f (a) < 0
und f (b) > 0. Wende nun den Zwischenwertsatz an. □
bis hier Vorlesung
6.12.2023
ANALYSIS I 41

1
5
1
f 1 F

L" L
b -

f(b)
. . . . . . .

-i detig
........

f(a).---
- als
steti
G A ...
ist auch
-

↑angenommen i -

7
a I
I

f(a) flb) y

Abbildung 6. Stetigkeit der Umkehrfunktion.

Satz 4.15. (Stetigkeit der Umkehrfunktion) Sei f : [a, b] → R stetig und injektiv
mit Wertebereich W := f ([a, b]). Dann ist die Umkehrfunktion
f −1 : W → [a, b]
ebenfalls stetig.
Beweis. Sei y ∈ W . Wir müssen zeigen, dass für jede Folge (yn ) mit w ∋ yn → y auch
die “Urbildfolge” (xn ) mit xn = f −1 (yn ) konvergiert.
Nehme dazu umgekehrt an, dass die Folge (xn ) nicht konvergiert. Da (xn ) eine be-
schränkte Folge ist, gibt es (nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß), Theorem 3.19)
eine Teilfolge (xnk ) mit xnk → z ̸= z ̸= x := f −1 (y) (wenn alle Teilfolgen gegen x kon-
vergieren würden, würde auch die Folge selbst gegen x konvergieren, ein Widerspruch).
Da f stetig ist, konvergiert dann auch die Folge f (xnk ) g und
 
lim f (xnk ) = f lim xnk = f (z) .
k→∞ k→∞

Andererseits ist (da ynk Teilfolge von yn )


lim f (xnk ) = lim ynk = y .
k→∞ k→∞

Wegen der Injektivität von f ist aber f (z) ̸= y, ein Widerspruch. □

Die Aussage ist in Abbildung 6 illustriert. Man beachte, dass für unser Argu-
ment entscheidend war, dass [a, b] ein beschränktes Intervall ist (ansonsten hätten
wir Bolzano-Weierstraß nicht anwenden können). Diese Einschränkung wollen wir nun
loswerden.
Definition 4.16. Unter einem uneigentlichen Intervall vesteht man eine der Men-
gen (a, ∞), [a, ∞), (−∞, b) oder (−∞, b] mit a, b ∈ R oder die Menge (−∞, ∞). Wir
nennen I ein verallgemeinertes Intervall, falls es entweder ein Intervall oder ein
uneigentliches Intervall ist.
Wie schon in obigem Bildchen gezeichnet, bedeutet Injektivität bei einer stetigen
reellen Funktion auf einem verallgemeinerten Intervall, dass die Funktion in folgendem
Sinne streng monoton ist:
42 F. FINSTER

Definition 4.17. Eine Funktion f : D ⊂ R → R heisst


   

 monoton wachsend 
 
 f (x) ≤ f (y) 

streng monoton wachsend f (x) < f (y)
   
falls

 monoton fallend 
 
 f (x) ≥ f (y) 

streng monoton fallend f (x) > f (y)
   

für alle x, y ∈ D mit x < y.


Beachte: Jede streng monotone Funktion ist injektiv.
Satz 4.18. Eine stetige, streng monotone Funktion f : I → R auf einem verallgemei-
nerten Intervall I besitzt eine stetige und streng monotone Umkehrfunktion g := f −1 :
I ∗ → R auf dem (möglicherweise verallgemeinerten) Intervall I ∗ := f (I).
Beweis. (i) Betrachte zunächst den Fall, dass I = [a, b] ein abgeschlossenes Intervall
ist. Nach Satz 4.15 besitzt f eine stetige Inverse f −1 : f (I) → R. Nach dem
Zwischenwertsatz ist f (I) das Intervall mit den Endpunkte f (a) und f (b).
Da f streng monoton ist, ist auch f −1 streng monoton. Dies sieht man bei-
spielsweise im Fall f streng monoton steigend folgendermaßen: Seien y1 , y2 ∈ f (I)
mit y1 < y2 . Setze x1 := f −1 (y1 ) und x2 := f −1 (y2 . Wäre x1 ≥ x2 , so folgt
wegen der strengen Monotonie von f dass y1 ≥ y2 , ein Widerspruch. Also ist
tatsächlich x1 < x2 .
(ii) Sei I nun ein verallgemeinertes Intervall. Setze I ∗ = f (I) und
ξ := inf f (I) , η := sup f (I) .
Da f streng monoton ist, ist ξ < η (betrachte nicht den trivialen Fall I = [a, a]
und nehme außerdem ohne Einschränkung an, dass f streng monoton wachsend
ist). Wähle Folgen (αj ) und (βj ) mit ξ < αj < βj < η und αj ↘ ξ, βj ↗ η.
Dann gibt es Punkte aj , bj mit
   
αj = f (aj ), βj = f (bj ) streng monoton wächst
falls f mit aj < bj .
αj = f (bj ), βj = f (aj ) streng monoton fällt
Nach (i) folgt [αj , βj ] ⊂ I ∗ , woraus man folgert, dass I ∗ tatsächlich ein ver-
allgemeinertes Intervall ist. Da f streng monoton und daher injektiv ist, gibt
es f −1 : I ∗ → R; dies bildet I ∗ streng monoton auf I ab.
Wir sehen also, dass jedes Intervall [α, β] ⊂ I ∗ bijektives Bild eines Inter-
valls [a, b] ⊂ I ist. Nach (i) ist f −1 |[α,β] stetig. Da die Stetigkeit eine lokale
Eigenschaft ist, folgt schließlich, dass f −1 stetig ist. □

Satz 4.19. (natürlicher Logarithmus Die Exponentialfunktion exp : R → R besitzt


eine stetige Inverse
log : R+ → R ,
den natürlichen Logarithmus. Es gilt die Funktionalgleichung
log(xy) = log(x) + log(y) für x, y ∈ R+ .
Beweis. Wir gehen in mehreren Schritten vor:
(i) Die Exponentialfunktion ist streng monoton: Für ξ > 0 gilt
ξ2
exp(ξ) = 1 + ξ + + ··· > 1
2
ANALYSIS I 43

(alle Summanden sind positiv). Damit folgt für x < y



exp(y) − exp(x) = exp(x) exp(y − x) − 1 > 0 .
(ii) Für alle n ∈ N gilt
exp(n) ≥ 1 + n (lasse alle folgenden Glieder weg)
1 1
exp(−n) = ≤ .
exp(n) 1+n
Da n beliebig groß gewählt werden kann, folgt exp(R) = I ∗ = R+ . Nach Satz 4.18
(iii) Beginne mit der Funktionalgleichung
exp(x) exp(y) = exp(x + y) .
Bildet man auf beiden Seiten den Logarithmus, so folgt
  
log exp(x) exp(y) = x + y = log exp(x) + log exp(y) .
Setzt man nun u = exp(x) und v = exp(y), so folgt die Behauptung. □
Mit Hilfe des natürlichen Logarithmus kann man die allgemeine Potenz einführen,
nämlich in formaler Rechung

xα = elog x = eα log x .
Die rechte Seite kann nun als exakte Definition verwendet werden.
Definition 4.20. (allgemeine Potenz) Für x > 0 und α ∈ R setze
xα := exp α log x .


Hieraus folgen die “üblichen” Potenzgesetze


x0 = exp 0 log x = exp(0) = 1


x1 = exp 1 log x = exp(log x) = x




xα xβ = exp α log x exp β log x = exp (α + β) log x = xα+β


  
β  
xα = exp β log xα = exp β log exp(α log x) = exp βα log x) = xαβ .
 

Die allgemeine Wurzel ist definiert durch


√n
1
x := x n ,
denn dann gilt wie gewünscht
1 n 1
xn = x n n = x1 = x .
bis hier Vorlesung
8.12.2023
5. Differenzierbare Funktionen einer Reellen Variablen
Im folgenden sei I ein verallgemeinertes Intervall.
Definition 5.1. Eine Funktion f : I → R (oder C) heisst differenzierbar an der
Stelle x0 ∈ I falls der Grenzwert
f (x) − f (x0 )
lim =: f ′ (x0 )
x→x0 , x∈I\{x0 } x − x0
existiert. Die Funktion f heisst differenzierbar, falls sie an jeder Stelle x0 ∈ I diffe-
renzierbar ist.
Der Ausdruck im innern des Limes heisst Differenzenquotient.
44
f(a) L
tis
).

L---
-"
↑angenommen
a
als

?
A ...

F. FINSTER
i
I

f(a)
-i detig
fib)
ist
-

7
auch

+
Tangente

sekante

T
i Xp
>X

Abbildung 7. Sekanten- und Tangentensteigung

Falls x0 ein Randpunkt von I ist, betrachten wir entsprechend den rechts- oder
links-seitigen Grenzwert. In Worten ist eine Funktion also differenzierbar, falls der
Differenzenquotient einen Limes besitzt. Graphisch gibt der Differenzenquotient die
Steigung einer Sekanten an, während die Ableitung die Tangentensteigung angibt (sie-
he Abbildung 7). Wir gehen hierauf nicht genauer ein, weil Sie das hoffentlich aus der
Schule kennen.
Für die Ableitung verwendet man auch andere Bezeichnungen:
• f˙ (insbesondere für Zeitableitungen in der Physik)
• Df (diese Notation werden wir später für Funktionen mehrerer Variablen ver-
wenden)
df df
• oder (x0 )
dx dx
Mit der Notation ist man in der Mathematik immer sehr flexibel. Man kann also immer
das nehmen, was einem einfacher oder besser vorkommt.
Höhere Ableitungen werden induktiv definiert. Wir verwenden die Bezeichungen
dn f
f ′′ , f ′′′ , . . . , f (n) oder auch
(x0 ) .
dxn
Satz 5.2. Eine Funktion f : I → R (oder C) ist in x0 ∈ I genau dann differenzierbar,
wenn es eine Konstante c ∈ R (bzw. C) gibt, so dass
f (x) = f (x0 ) + c (x − x0 ) + φ(x) (x ∈ I) , (5.1)
wobei φ eine Funktion ist mit
φ(x)
lim =0.
x→x0 , x̸=x0 x − x0
Wir verwenden auch die sogenannten Landau-Symbole, die besonders in der Physik
gebräuchlich sind:
f (x) = O(x) falls |f (x)| ≤ c |x| in Bε (x)
f (x)
f (x) = o(x) falls lim =0
x→0, x̸=0 x
Damit kann man (5.1) knapper schreiben als
f (x) = f (x0 ) + +f ′ (x0 ) (x − x0 ) + o x − x0 .

ANALYSIS I 45

Beweis von Satz 5.2. =⇒) Sei f in x0 differenzierbar. Setze c := f ′ (x0 ). Definiere die
Funktion φ durch
φ(x) := f (x) − f (x0 ) − c (x − x0 ) .
Dann ist für alle x ∈ I \ {x}
φ(x) f (x) − f (x0 ) x→x0
= − c −−−→ 0.
x − x0 x − x0
⇐=) Nehme an, dass f die Darstellung
f (x) = f (x0 ) + c (x − x0 ) + o(x − x0 )
habe. Dann folgt, dass
f (x) − f (x0 )  o(x − x0 ) 
lim = lim c+ =c,
x→x0 , x∈I\{x0 } x − x0 x→x0 , x∈I\{x0 } x − x0
also ist f in x0 differenzierbar.

Korollar 5.3. Ist die Funktion f in x0 differenzierbar, so ist sie in x0 auch stetig.
Beweis.

lim f (x) = f (x0 ) + lim c (x − x0 ) + φ(x) = f (x0 ) .
x→x0 x→x0

Beachte: Die Umkehrung dieser Aussage ist im allgemeinen falsch! Es gibt also stetige
Funktionen, die nicht differenzierbar sind. Ein einfaches Beispiel ist die Betragsfunk-
tion f (x) = |x|, die überall stetig, aber bei x = 0 nicht differenzierbar ist. Auch ist die
Ableitung einer Funktion im allgemeinen nicht stetig. Beispiele hierfür werden wir in
der Zentralübungen und/oder der Übungsstunde kennenlernen.
Satz 5.4. (Rechenregeln der Ableitung) Mit f, g : I → R (oder C) sind auch f +g,
f g und (falls g(x0 ) ̸= 0) auch f /g in x0 differenzierbar, und es gilt
(f + g)′ (x0 ) = f ′ (x0 ) + g ′ (x0 ) (5.2)
′
f · g (x0 ) = f ′ (x0 ) g(x0 ) + f (x0 ) g ′ (x0 ) (Produktregel) (5.3)
 f ′ f ′ (x0 ) g(x0 ) − f (x0 ) g ′ (x0 )
(x0 ) = (Quotientenregel) . (5.4)
g g(x0 )2
Beweis. Die Gleichung (5.2) folgt unmittelbar aus den Rechenregeln für Grenzwerte
von Folgen. Die Produktregel folgt aus der Rechnung
f (x) g(x) − f (x0 ) g(x0 )
(f g)′ (x0 ) = lim
x→x0 , x̸=x0 x − x0
 
f (x) − f (x0 ) g(x) − g(x0 )
= lim g(x) + f (x0 )
x→x0 , x̸=x0 x − x0 x − x0
′ ′
= f (x0 ) g(x0 ) + f (x0 ) g (x0 ) ,
wobei wir im letzten Schritt die Grenzwertsätze angewendet und verwendet haben,
dass g (als differenzierbare Funktion) stetig in x0 ist.
46 F. FINSTER

Für den Beweis der Quotientenregel berechnen wir zunächst


 1 ′  
1  1 1 
(x0 ) = lim −
g x→x0 , x̸=x0 x − x0 g(x) g(x0 )
g ′ (x0 )
 
−1 g(x) − g(x0 )
= lim =− .
x→x0 , x̸=x0 g(x) g(x0 ) x − x0 g(x0 )2
Wende nun die Produktregel an. □

Beispiel 5.5. (a) f (x) = x. Dann ist


f (x) − f (x0 )
f ′ (x0 ) = lim =1.
x→x0 ,x̸=x0 x − x0
(b) f (x) = xn . Dann ist nach Produktregel und Induktion
f ′ (x0 ) = n x0n−1 .
(c) f (x) = 1/x. Dann ist nach der Quotientenregel
1
f ′ (x0 ) = − .
x0
(d) f (x) = exp(x). Berechne zunächst die Ableitung am Ursprung: Für jedes x ̸= 0
ist

exp(x) − 1 X xn−1 1 x x2
= = + +
x n! 1! 2! 2!
n=1
X xn ∞
exp(x) − 1
≤ |x| (mache Nenner kleiner)
x n!
n=0
x→0
= |x| exp(x) −−−→ 0 .
Hieraus folgt exp′ (0) = 1. Betrachte nun den allgemeinen Differenzenquotienten,
exp(x) − exp(x0 )
lim
x→x0 ,x̸=x0 x − x0
exp(x − x0 ) − 1
= exp(x0 ) lim = exp(x0 ) .
x→x0 ,x̸=x0 x − x0
Wir sehen also, dass
f ′ (x0 ) = exp(x0 ) . ♢
bis hier Vorlesung
13.12.2023
Satz 5.6. (Ableitung der Umkehrfunktion) Sei f : I → R streng monoton und
in x0 ∈ I differenzierbar mit f ′ (x0 ) ̸= 0. Dann ist die Umkehrfunktion f −1 in y0 :=
f (x0 ) ebenfalls differenzierbar und
′ 1
f −1 (y0 ) = ′ .
f (x0 )
Beweis. Sei (yn )n∈N eine Folge mit yn ∈ f (I) =: I ∗ die konvergiert, yn → y0 . Wegen der
Stetigkeit der Umkehrfunktion (Satz 4.18) ist dann die Folge xn := f −1 (yn ) ebenfalls
konvergent mit xn → x0 . Außerdem ist
f −1 (yn ) − f −1 (y0 ) xn − x0 ) 1
lim = lim = ′ .
n→∞ yn − y0 n→∞ f (xn ) − f (x0 ) f (x0 )
ANALYSIS I 47

Da die Folge (yn )n∈N beliebig gewählt werden kann, folgt auch, dass f −1 in y0 diffe-
renzierbar ist. □

Beispiel 5.7. log : R+ → R ist die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion. Damit


folgt für alle y0 ∈ R+ und x0 := log(y0 )
1 1 1 1
log′ (y0 ) = = = = .
exp′ (x0 ) exp x0 exp log y0 y0

Satz 5.8. (Kettenregel Seien I und I ∗ zwei (verallgemeinerte) Intervalle, und sei-
en f : I → R und g : I ∗ → R zwei relle Funktionen mit f (I) ⊂ I ∗ . Setze außerdem
voraus, dass f in x0 und g in y0 := f (x0 ) ∈ I ∗ differenzierbar sind. Dann ist die
Komposition
h := g ◦ f : I → R
in x0 ebenfalls differenzierbar und
h′ (x0 ) = g ′ f (x0 ) f ′ (x0 ) .


Beweis. Definiere g ∗ : I ∗ → R durch


 g(y) − g(y0 )


falls y ̸= y0
g (y) = y − y0
g ′ (y0 )

falls y = y0 .
Da g differenzierbar ist, gilt dann
lim g ∗ (y) = g ′ (y0 ) .
y→y0

Nun gilt
 
 g f (x) − g f (x0 )
g ◦ f (x0 ) = lim
x→x0 ,x̸=x0 x − x0
 

 f (x) − f (x0 )
= g ′ f (x0 ) f ′ (x0 ) ,

= lim g f (x)
x→x0 ,x̸=x0 x − x0
da f in x0 stetig ist. □
Die Kettenregel lässt sich mit der folgenden Leibnizschen Schreibweise leicht merken,
dg dg df
= .
dx df dx
Dies ist sehr einfach und suggestiv. Man muss aber beachten, dass man in der Ma-
thematik mit Differentialen nicht einfach rechnen kann. Dies ist also nur eine günstige
Schreibweise für die Kettenregeln, wie wir sie bewiesen haben.
Definition 5.9. Die Menge der stetigen reellwertigen Funktionen auf I wird C 0 (I, R)
(oder auch nur C 0 (I)) bezeichnet. Sie bildet einen Vektorraum mit punktweisen Ope-
rationen, also

αf + βg (x) := αf (x) + βg(x) .
Entsprechend werden die k-mal stetig differenzierbaren Funktionen mit C k (I, R)
(oder auch einfach C k (I)) bezeichnet. Schließlich bezeichnet C ∞ (I, R) (oder C ∞ (I))
die glatten (also beliebig oft differenzierbaren) Funktionen.
48 F. FINSTER

Die Vektorraumstruktur der Räume C k (I, R) ist sehr nützlich, weil sich dadurch
Begriffe und Methoden der Linearen Algebra in der Analysis anwenden lassen. Die
Räume C k (I, R) sind allerdings unendlich-dimensional. Damit werden wir uns näher
in der Funktionalanalysis im 5. Semester beschäftigen.

5.1. Lokale Extrema, der Mittelwertsatz.


Definition 5.10. Eine Funktion f : I → R hat in x0 ∈ I ein lokales Maximum
(Minimum), falls ein ε > 0 existiert, so dass
f (x) ≤ f (x0 ) (bzw. f (x) ≥ f (x0 )) für alle x ∈ Bε (x0 ) ∩ I .
Ein Punkt x0 ∈ I heisst innerer Punkt falls Bε ⊂ I (für genügend kleines ε > 0),
ansonsten heisst er Randpunkt.
Satz 5.11. (Fermat, um 1638) Besitzt f in einem inneren Punkt x0 ∈ I ein lokales
Maximum (oder Minimum) und ist f an der Stelle x0 differenzierbar, so ist f ′ (x0 ) = 0.
Beweis. Sei x0 ∈ I z.B. ein lokales Maximum. Dann gibt es ε > 0, so dass Bε (x0 ) ⊂ I
und
f (x) − f (x0 )
≥0 falls x > x0 und x ∈ Bε (x0 )
x − x0
f (x) − f (x0 )
≤0 falls x < x0 und x ∈ Bε (x0 ) .
x − x0
Bilde nun links- und rechtsseitige Limites. Diese existieren und stimmen überein, weil f
differenzierbar ist. Der rechtsseitige Limes ist nicht-negativ, der linksseitige Limes ist
nicht-positiv. Es folgt f ′ (x0 ) = 0. □
Man beachte, dass die Bedingung “innerer Punkt” notwendig ist, weil man ansonsten
ein Rand-Maximum oder Rand-Minimum haben kann, ohne dass die Ableitung ver-
schwindet. Man sollte auch beachten, dass die Gleichung f ′ (x0 ) = 0 eine notwendige,
aber nicht hinreichende Bedingung für ein lokales Extremum ist. Beispielsweise ver-
schwindet die Ableitung der Funktion f (x) = x3 am Ursprung, obwohl dies kein lokales
Extremum ist, sondern ein sogenannter Sattelpunkt. Man nennt die Punkte, an denen
die Ableitung verschwindet, auch die kritischen Punkte.
Satz 5.12. (Satz von Rolle) Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige Funktion, die
im offenen Intervall (a, b) differenzierbar ist und die Bedingung f (a) = f (b) erfüllt.
Dann gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit f ′ (ξ) = 0.
Beweis. Falls f konstant ist, ist nichts zu beweisen. Ansonsten gibt es ein x0 ∈ (a, b)
mit f (x) > f (a) oder f (x0 ) < f (a). Dann wird das absolute Minimum oder Maximum
in einem Punkt ξ ∈ (a, b) angenommen. Nach Satz 5.11 ist f ′ (ξ) = 0. □
Eine direkte Folgerung des Satzes von Rolle ist folgendes wichtige Ergebnis.
Satz 5.13. (Mittelwertsatz) Sei a < b und f : [a, b] → R eine stetige Funktion,
die im offenen Intervall (a, b) differenzierbar ist. Dann existiert ein ξ ∈ (a, b), so dass
(siehe Abbildung 8
f (b) − f (a)
= f ′ (ξ) .
b−a
ANALYSIS I 49

E11
Abbildung 8. Der Mittelwertsatz.
f(b)

-
-
f(a)

Beweis. Wir führen eine Hilfsfunktion F : [a, b] → R ein durch


f (x) − f (a)
F (x) := f (x) − (x − a) .
b−a
Diese Funktion ist wieder stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b). Außerdem
rechnet man direkt nach, dass
F (a) = F (b) = f (a) .
Nach dem Satz von Rolle gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit F ′ (ξ) = 0. Da
f (b) − f (a)
F ′ (ξ) = f ′ (x) + ,
b−a
folgt die Behauptung. □
bis hier Vorlesung
Der Mittelwertsatz hat wichtige Folgerungen und Anwendungen, von denen wir hier 15.12.2023
einige besprechen.
Korollar 5.14. Sei f : [a, b] → R stetig und in (a, b) differenzierbar. Für die Ablei-
tungen gelte
m ≤ f ′ (ξ) ≤ M für alle ξ ∈ (a, b) .
Dann gilt für alle x, y ∈ [a, b] mit x < y die Ungleichung
m (y − x) ≤ f (y) − f (x) ≤ M (y − x) .
Im Spezialfall m = 0 = M folgt, dass f konstant ist.
Korollar 5.15. Sei c ∈ R eine Konstante und f : R → R eine differenzierbare Funk-
tion mit
f ′ (x) = c f (x) für alle x ∈ R .
Dann ist
f (x) = f (0) ecx für alle x ∈ R .
Beweis. Betrachte die Funktion F (x) := f (x) e−cx . Nach der Produktregel ist dann
F ′ (x) = f (x) e−cx − c f (x) e−cx = 0 .
Also ist F konstant, woraus die Behauptung folgt. □
50 F. FINSTER

In diesem Kollorar haben wir unsere erste Differentialgleichung gelöst. Wir werden
(gewöhnliche) Differentialgleichungen genauer in Analysis II behandeln. In dieser Spra-
che ist die Exponentialfunktion also die eindeutig bestimmte Lösung der Differential-
gleichung f ′ = f mit Anfangswerten f (0) = 1.

Korollar 5.16. Sei f ∈ C 1 (I, R) und f ′ (x) ≥ 0 (oder > 0) für alle x ∈ I. Dann ist f
monoton steigend (bzw. streng monoton steigend).

Beweis. Gegeben x, y ∈ I mit x < y gibt es nach dem Mittelwertsatz ein ξ ∈ (x, y)
mit
f (y) − f (x)
0 ≤ f ′ (ξ) = .
y−x

Hieraus folgt f (x) ≤ f (y). Also ist f monoton steigend. Die Aussage für strenge
Monotonie folgt entsprechend. □

5.2. Trigonometrische Funktionen. Wir habe bereits gesehen: Für alle t ∈ R ist
|eit | = 1 Also nimmt die Funktion eit Werte auf dem Einheitskreis an. Wir definieren
die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus durch

cos t := Re eit , sin t := Im eit .

Dann gilt (per Definition) die Eulersche Formel

eit = cos t + i sin t .

Wir wollen nun Eigenschaften der trigometrischen Funktionen untersuchen und die
Polardarstellung herleiten.

Lemma 5.17. Die Funktion ϕ : R → C, t 7→ eit ist von der Klasse C ∞ (R, C) und löst
das Anfangswertproblem

ϕ′ (t) = iϕ(t) und ϕ(0) = 1 .

Beweis. Die Differenzierbarkeit folgt genau wie in Beispiel 5.5. Damit darf man auch
“gliedweise ableiten”,
∞ ∞
d it d X (it)n X 1
e = = n (it)n−1 = ieit .
dx dx n! n!
n=0 n=0

Induktiv kann man nun auch höhere Ableitungen bilden. Daraus folgt auch, dass die
Ableitungen alle stetig sind. □

Hieraus und aus den Rechneregeln für die Exponentialfunktion und komplexe Zah-
len folgen entsprechende Eigenschafte für trigonometrische Funktionen, die wir nun
zusammenstellen.
ANALYSIS I 51

Satz 5.18. Es gelten die folgenden Rechenregeln:


sin(−α) = − sin(α)
cos(−α) = cos(α)
sin(α + β) = sin(α) cos(β) + cos(α) sin(β) (Additionstheorem 1)
cos(α + β) = cos(α) cos(β) − sin(α) sin(β) (Additionstheorem 2)
d
sin α = cos α , sin(0) = 0 (Anfangswertproblem 1)

d
cos α = − sin α , cos(0) = 1 (Anfangswertproblem 2)

cos2 α + sin2 α = 1
Beweis. Beginne mit der Eulerschen Formel und ihrer komplex Konjugierten,
eit = cos t + i sin t , e−it = cos t − i sin t . (5.5)
Für die Herleitung der Additionstheoreme verwendet man, dass
ei(α+β) = eiα eiβ .
Es folgt dann
 
cos(α + β) + i sin(α + β) = cos(α) + i sin(α) cos(β) + i sin(β) .
Multipliziere aus und bilde nun den Real- und Imaginärteil.
Als nächstes folgt aus (5.5), dass
1 iα 1 iα
e + e−iα e − e−iα .
 
cos(α) = und cos(α) =
2 2i
Differenziert man dies durch, so erhält man die Differentialgleichungen. Außerdem sieht
man an diesen Gleichungen direkt, dass cos(−α) = cos(α) und sin(−α) = − sin(α).
Schließlich ist
2
1 = e0 und 1 = eit = cos2 t + sin2 t . □

Lemma 5.19. Es gibt eine Zahl π > 0, so dass


sin(π) = 0 und sin(t) > 0 ∀ t ∈ (0, π) . (5.6)
Außerdem ist sin(π/2) = 1. Die Funktion cost is monoton fallend auf [0, π], erfüllt die
Relationen π 
cos(0) = 1 , cos =0, cos π = −1
2
und bildet das Intervall [0, π] bijektiv auf [−1, 1] ab.
Beweis. Wegen cos(0) = 1 und der Stetigkeit gibt es δ > 0 mit cos t > 0 auf [0, δ].
Aus sin′ (t) = cos(t) folgt, dass sin(t) auf dem Intervall [0, δ] streng monoton wächst,
also
sin(t) > 0 für 0 < t ≤ δ .
• Beh.: Es gibt t0 > δ mit sin(t0 ) = 0:
Andernfalls wäre sin(t) > 0 für alle t < 0. Wegen cos′ (t) = − sin(t) wäre
dann cos(t) streng monoton fallend auf [0, ∞). Also wäre

γ := inf cos(t) t ≥ 0 = lim cos(t) < 1 .
t→∞
52 F. FINSTER

Wegen cos2 t + sin2 t = 1 folgt


−1 ≤ γ < 1 .
Wäre γ = −1, so gäbe es R > 0 mit cos(t) < −1/2 für all t > R. Der
Mittelwertsatz liefert für t > R die Darstellung
sin(t) − sin(R) = cos(ξ) (t − R) mit ξ ∈ (t, R)
und folglich
1
sin(t) < sin(R) −(t − R) .
2
Damit folgt aber limt→∞ sin(t) = −∞, im Widerspruch zur Beschränktheit der
Sinus-Funktion.
Wäre andererseits γ > −11, so folgt wegen γ < 1, der Relation sin2 (t) +
cos2 (t) = 1 und der obigen Annahme sin(t) > 0, dass es ein R > 0 und ein σ > 0
gibt mit
sin(t) > σ für alle t > R .
Hieraus folgt wiederum mit dem Mittelwertsatz
cos(t) − cos(R) = − sin(ξ) (t − R) ≤ −σ (t − R)
und folglich limt→∞ cos(t) = −∞, im Widerspruch zur Beschränktheit der Cosinus-
Funktion. Damit ist die obige Behauptung bewiesen.
Wir wissen nun also, dass es ein t0 > δ gibt mit sin(t0 ) = 0. Wir bezeichnen das
Infimum solcher Zahlen mit π. Dann gilt (5.6) wegen der Stetigkeit der Sinus-Funktion.
bis hier Vorlesung Außerdem wissen wir schon / bzw. es folgt
20.12.2023 • sin(0) = 0 und cos(0) = 1
• cos(t) ist auf [0, π] streng monoton fallend:
Seiein t1 , t2 ∈ [0, π] mit t1 < t2 . Nach dem Mittelwertsatz ist dann
cos(t2 ) − cos(t1 ) = − sin(ξ) (t2 − t2 ) < 0
(da sin(ξ) > 0 ist).
• cos(π) = −1:
Da sin(π) = 0 ist folgt
cos2 (π) = 1 − sin2 (π) = 1, also cos π = ±1 .
Da cos(t) auf [0, π] streng monoton fallend ist, folgt cos(π) = −1.
• cos : [0, π] → [−1, 1] ist bijektiv:
Die Cosinus-Funktion ist injektiv, da streng monoton fallend. Sie ist surjektiv
nach dem Zwischenwertsatz.
• sin(π/2) = 1: Zunächst ist nach den Additionstheoremen
π π  π  π  π 
−1 = cos(π) = cos + = cos2 − sin2 = 1 − 2 sin2 .
2 2 2 2 2
Hieraus folgt π  π 
sin2 = 1 =⇒ sin =1
2 2
(die Sinusfunktion ist positiv wegen (5.6).
Damit ist der Beweis gegeben. □

Lemma 5.20. Die Funktionen cos(t) und sin(t) sind periodisch mit Periode 2π, d.h.
cos(t + 2π) = cos(t) und sin(t + 2π) = sin(t) ∀t∈R.
ANALYSIS I 53

Beweis. Aus den Additionstheoremen folgt zunächst

cos(2π) = cos(π + π) = cos2 (π) − sin2 (π) = 1


sin(2π) = sin(π + π) = 2 sin(π) cos(π) = 0

und daher

cos(t + 2π) = cos(t) cos(2π) − sin(t) sin(2π) = cos(t)


sin(t + 2π) = sin(t) cos(2π) + cos(t) sin(2π) = sin(t) .

6. Das Eindimensionale Riemannsche Integral


6.1. Grundlagen. Wir werden nun das Riemannsche Integral genauer kennelernen,
dass Sie vermutlich schon aus der Schule kennen. Tatsächlich werden wir in Analysis III
einen besseren Integralbegriff kennenlernen, das sogenannte Lebesgue-Integral. Dass
wir trotzdem hier das Riemann-Integral behandeln, hat zwei Gründe: Erstens weiss
man die Vorteile des Lebegue-Integrals erst dann zu schätzen, wenn man mit dem
Riemann-Integral vergleichen kann. Und zweitens brauchen Sie das Integral schon bald,
und nicht erst in einem Jahr. Trotzdem werden wir im Hinblick auf das Lebegue-
Integral das Riemannsche Integral nur recht kurz behandeln.
Im folgenden sei f : I := [a, b] → R eine beschränkte Funktion auf einem beschränk-
ten Intervall. Wir bezeichnen die Menge dieser Funktionen mit B(I).

Definition 6.1. (i) Eine Zerlegung Z von I = [a, b] in Teilintervalle Ij der Längen |Ij |
mit j = 1, . . . , k ist eine Menge von Punkten

a = x0 < x1 < · · · < xk = b

derart, dass Ij = [xj−1 , xj ] ist. Wir setzen

∆xj := xj − xj−1 = |Ij | .

Die Feinheit ∆(Z) der Zerlegung Z ist definiert durch

∆(Z) := max{∆x1 , . . . , ∆xk } .

Die Punkte x0 , . . . , xk heissen Teilpunkte der Zerlegung.


(ii) Aus jedem Intervall Ij wählen wir einen Punkt ξj ∈ Ij aus und setzen

ξ := (ξ1 , . . . ξk ) ∈ Rk .

Für f ∈ B(I) nennt man

k
X
SZ (f, ξ) := f (ξj ) ∆xj
j=1
54 F. FINSTER

eine Riemannsche Zwischensumme. Für f ∈ B(I) setzen wir



mj := inf f = inf f (x) x ∈ Ij
Ij
mj := sup f
Ij
k
X
S Z (f ) := mj ∆xj Obersumme
j=1
k
X
S Z (f ) := mj ∆xj Untersumme .
j=1

(iii)
Offensichtlich gilt stets
S Z (f ) ≤ SZ (f, ξ) ≤ S Z (f ) .
Definition 6.2. (i) Z ∗ ist eine Verfeinerung von Z, falls alle Teilpunkte von Z
auch Teilpunkte von Z ∗ sind.
(ii) Die gemeinsame Verfeinerung von Z1 und Z2 ist eine Verfeinerung, deren
Teilpunkte genau die Vereinigung der Teilpunkte von Z1 und Z2 sind. Wir schrei-
ben dafür Z1 ∨ Z2 .
Lemma 6.3. Ist Z ∗ eine Verfeinerung von Z, so gilt
S Z (f ) ≤ S Z ∗ (f ) ≤ S Z ∗ (f ) ≤ S Z (f ) .
bis hier Vorlesung
22.12.2023
Beweis. Ist Iℓ∗ ⊂ Ij , so folgt inf Ij f ≤ inf Iℓ∗ f und supIj f ≥ supI ∗ f . Damit folgt auch

S Z (f ) ≤ S Z ∗ (f ) und S Z ∗ (f ) ≤ S Z (f ) .
Damit folgt die Behauptung. □

Lemma 6.4. Für zwei beliebige Zerlegungen Z1 und Z2 von I gilt


S Z1 (f ) ≤ S Z2 (f ) .
Beweis. Für Z := Z1 ∨ Z2 gilt nach Lemma 6.3
S Z1 (f ) ≤ S Z (f ) ≤ S Z (f ) ≤ S Z2 (f ) ,
was zu zeigen war. □

Offenbar ist außerdem


|I| inf f ≤ S Z (f ) ≤ S Z (f ) ≤ |I| sup f .
I I

Deswegen ist folgende Definition sinnnvoll.


Definition 6.5. Für f ∈ B(I) definieren wir

I(f ) := sup S Z (f ) : Z Zerlegung von I

I(f ) := inf S Z (f ) : Z Zerlegung von I .
ANALYSIS I 55

Definition 6.6. Eine Funktion f ∈ B(I) heisst integrierbar (oder integrabel oder
Riemann-integrierbar) falls I(f ) = I(f ) ist. Wir setzen in diesem Fall
I(f ) := I(f ) = I(f ) .
Wir nenne I(f ) das bestimmte Integral von f über I = [a, b]. Übliche Schreibweise:
ˆ b ˆ b ˆ
f (x) dx = f = f (x) dx = I(f ) .
a a I
Wir bezeichnen die integrierbaren Funktionen auf I mit R(I).
Es stellt sich die allgemeine Frage, welche Funktionen Riemann-integrierbar sind.
Satz 6.7. (I. Integrabilitätskriterium) Eine beschränkte Funktion f : I → R ist
integrierbar genau dann, wenn es zu jedem ε > 0 eine Zerlegung Z von I gibt, so dass
S Z (f ) − S Z (f ) < ε .
Beweis. Die Rückrichtung folgt unmittelbar, weil
S Z (f ) ≤ I(f ) ≤ I(f ) ≤ S Z (f ) .
Für die Hinrichtung verwenden wir, dass es nach Definition des Supremums und Infi-
mums zu jedem ε > 0 Zerlegungen Z1 und Z2 gibt mit
ε ε
S Z1 (f ) ≥ I(f ) − und S Z1 (f ) ≤ I(f ) + .
2 2
Wähle nun Z = Z1 ∨ Z2 . □

Satz 6.8. (II. Integrabilitätskriterium) Eine beschränkte Funktion f : I → R ist


integrierbar genau dann, wenn es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt, so dass
S Z (f ) − S Z (f ) < ε für alle Z mit ∆(Z) < δ .
Beweis. Die Rückrichtung ist eine Verschärfung von Kriterium I und folgt deshalb
unmittelbar aus Satz 6.7. Für die Hinrichtung sei ε > 0 gegeben. Nach Satz 6.7 gibt
es eine Zerlegung
Z ∗ = x∗0 , x∗1 , . . . x∗ℓ a = x∗0 < x∗1 < · · · < x∗ℓ = b


mit S Z ∗ (f ) − S Z ∗ (f ) < 2ε . Wähle nun eine Zerlegung Z von I mit ∆(Z) < δ (mit
einem Parameter δ, der weiter unten genauer bestimmt wird). Für Z ′ := Z ∨ Z ∗ ist
dann
ε
S Z ′ (f ) − S Z ′ (f ) < .
2
Außerdem unterscheiden sich die Ober- und Untersummen nur um maximal ℓ Sum-
manden. Verwendet man außerdem, dass f beschränkt ist,
sup |f | ≤ c ,
I
so können wir folgendermaßen abschätzen,
ε
S Z (f ) − S Z (f ) ≤ S Z ′ (f ) − S Z ′ (f ) + 2cℓδ ≤
+ 2cℓδ .
2
Jetzt wählen wir δ so klein, dass der letzte Summand kleiner gleich ε/2 ist, also bei-
spielsweise
ε
δ := .
4cℓ
Dann folgt die Behauptung. □
56 F. FINSTER

Korollar 6.9. Sei {Zn } eine Folge von Zerlegungen von I mit ∆(Zn ) → 0. Dann ist
für jede integrierbare Funktion f ∈ R(I)
ˆ b
f (x) dx = lim SZn (f ) .
a n→∞

Beweis. Gegeben ε > 0 gibt es δ > 0 mit


∆(Z) < δ =⇒ S Z (f ) − S Z (f ) < ε .
Nun gibt es N ∈ N mit ∆(Zn ) < δ für alle n ≥ N . Damit folgt
S Zn (f ) − S Zn (f ) < ε ∀n≥N.

Verwende schließlich, dass S Z (f ) ≤ I(f ) ≤ S Z (f ). □

Satz 6.10. R(I) ist ein reeller Vektorraum. Die Abbildung I : f 7→ I(f ) ist ein
lineares Funktional, also

I αf + βg = α I(f ) + β I(g)
bis hier Vorlesung für alle f, g ∈ R(I) und α, β ∈ R.
10.1.2024
Beweis. Wir setzen h := αf + βg. Wir betrachten zunächst ein Teilintervall Ij . Dann
gilt für alle x, y ∈ Ij
 
h(x) − h(y) = α f (x) − f (y) + β g(x) − g(y)
≤ |α| f (x) − f (y) + |β| g(x) − g(y) .
Jetzt bilden wir das Supremum über x und das Infimum über y. Wir erhalten dann
 
sup h − inf h ≤ sup inf |α| f (x) − f (y) + |β| g(x) − g(y)
Ij Ij xinIj y∈Ij
   
≤ |α| sup inf f (x) − f (y) + |β| sup inf g(x) − g(y) .
xinIj y∈Ij xinIj y∈Ij

Damit gilt auf jedem Teilintervall Ij


   
sup αf + βg − inf αf + βg ≤ |α| sup f − inf f + |β| sup g − inf g .
Ij Ij Ij Ij Ij Ij

Summieren wir jetzt über j, so folgt


 
S Z (h) − S Z (h) ≤ |α| S Z (f ) − S Z (f ) + |β| S Z (g) − S Z (g) .
Im Limes ∆(Z) → 0 konvergiert die rechte Seite nach null, also auch die linke. Folglich
ist h tatsächlich integrierbar.
Da die Zwischensummen endliche Summen sind, gilt hier offensichtlich Linearität,
SZ (αf + βg) = α SZ (f ) + β SZ (g) .
Bilde nun auf beiden Seiten den Grenzwert ∆(Z) → 0. □

Satz 6.11. Aus f, g ∈ R(I) folgt f g ∈ R(I) (die integrierbaren Funktionen bilden also
eine Algebra!) und |f | ∈ R(I). Ist |g| ≥ c > 0, so ist auch f /g ∈ R(I).
ANALYSIS I 57

Beweis. Die Beweismethode ist genau wie im vorherigen Satz. Aber man muss nun
das Produkt und den Quotienten folgendermaßen abschätzen. Für h = f g gilt
h(x) − h(x′ ) = f (x) g(x) − g(x′ ) + f (x) − f (x′ ) g(x′ )
 

≤ sup |f | |g(x) − g(x′ )| + sup |g| |f (x) − f (x′ )|


I I
Damit folgt
 
S Z (h) − S Z (h) ≤ sup |f | S Z (g) − S Z (g) + sup |g| S Z (f ) − S Z (f ) .
I I
Entsprechend hat man für h = 1/g die Abschätzung
g(x′ ) − g(x) 1
h(x) − h(x′ ) = ′
≤ 2 g(x′ ) − g(x) .
|g(x)| |g(x )| c
Jetzt kann man genau wie beim Produkt die Riemann-Summen abschätzen. □

Satz 6.12. (Monotonie) Aus f, g ∈ R(I) und f ≤ g folgt


I(f ) ≤ I(g) .
Insbesondere gilt

I(f ) ≤ I |I|
I(f g) ≤ sup |f | I(g) .
I

Beweis. Offensichtlich ist h := f −g integrierbar und nicht-negative. Damit folgt I(h) ≥


0. Verwende nun die Linearität des Integrals,
I(f ) − I(g) = I(h) ≥ 0 ,
was die Behauptung des Satzes liefert. □
Schließlich kann man das Integrationsgebiet in kleinere Gebiete aufteilen; es gilt
dann Additivität:
Satz 6.13. Sei f ∈ R(I) mit I = [a, b] und sei c ∈ (a, b). Dann ist f auch auf den
Intervallen [a, c] und [c, b] integrierbar und
ˆ b ˆ c ˆ b
f (x) dx = f (x) dx + f (x) dx .
a a c
Beweis. Da f Riemann-integrierbar ist, konvergiert die Differenz aus Ober- und Un-
tersummen für jede Folge von Zerlegungen, deren Feinheit nach null geht. Wir be-
(1)
trachten speziell eine Zerlegung Zn mit c ∈ Zn für alle n. Dann sind Zn := Zn ∩ [a, c]
(2)
und Zn := Zn ∩ [c, b] Folgen von Zerlegungen der beiden Teilintervalle. Außerdem gilt
für die Riemannschen Summen
 
S Zn (f ) − S Zn (f ) = S Z (1) (f ) − S Z (1) (f ) + S Z (2) (f ) − S Z (2) (f ) . (6.1)
n n n n

Im Limes n → ∞ strebt die linke Seite gegen null. Da beide Klammerausdrücke auf der
rechte Seite nicht-negativ sind, konvergieren sie auch beide gegen null. Folglich ist f
auf den Teilintervallen auch integrierbar. Die Formel (6.1) folgt unmittelbar, indem
man Riemannsche Zwischensummen betrachten und den Limes n → ∞ bildet. □

Satz 6.14. Jede monotone Funktion ist Riemann-integrierbar.


58 F. FINSTER

Beweis: Siehe Übungsaufgaben.


Satz 6.15. Jede stetige Funktion auf einem Intervall I := [a, b] ist Riemann-integrierbar,
also
C 0 (I) ⊂ R(I) .
Beweis. Unser Beweis ist ganz elementar. Später werden wir diesen Beweis viel einfa-
cher führen können (wenn wir die Begriffe “Kompaktheit” und “gleichmässige Stetig-
keit” kennen).
Sei ε > 0. Wir setzen x0 = a. Konstruiere induktiv die Folge (xn ) durch
n o
xn+1 = sup x ∈ I, x > xn f (x′ ) − f (xn ) < ε ∀ x′ ∈ [xn , x] .
Iteriere so lange bis xn+1 = b.
Wir zeigen, dass die Folge (xn ) tatsächlich endlich ist: Nehme umgekehrt an, dass das
obige Iterationsschema nicht abbricht. Dann erhalten wir eine unendliche Folge (xn )n∈N
Diese Folge ist monoton steigend und nach oben durch b beschränkt. Also ist die Folge
konvergent, wir setzen x := limn→∞ xn ∈ I. Da f stetig ist, gibt es ein δ > 0 so dass
ε
f (y) − f (x) ≤ für alle y ∈ I mit |x − y| < δ .
2
Da xn gegen x konvergiert, gibt es N mit |xN − x| < δ. Damit folgt
ε
f (xN ) − f (x) ≤ .
2
Damit ist aber xN +1 ≥ x, ein Widerspruch.
Sei nun Z die Zerlegung, die zur endlichen Folge (xn ) gehört. Dann ist
S Z (f ) − S Z (f ) ≤ ε (b − a) .
Da ε > 0 beliebig ist, folgt die Behauptung. □
Abschließend zeigen wir, wie man mit Riemannschen Summen einfache Integrale
berechnen kann.
Beispiel 6.16. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann ist f Riemann-integrierbar und
ˆ b
f = lim SZn (f ) ,
a n→∞

wobei Zn eine beliebige Folge von Zerlegungen ist, deren Feinheit nach null strebt
(also ∆Zn → 0). Für Rechnungen wählt man am einfachsten die äquidistante Zerlegung
Zn = {a = x0 < x1 < · · · < xn = b}
mit
b−a
xj = a + j.
n
Die Feinheit dieser Zerlegung ist offensichtlich
1
∆(Zn ) = .
n
Wir wählen jetzt die Zwischenpunkte ζj = xj . Dann erhält man die Riemannschen
Summen
n
X  b−a  b−a
Sn = f a+ j .
n n
j=0
ANALYSIS I 59

Wir wissen, dass diese Riemannschen Summen gegen das Integral konvergieren, also
ˆ b
f = lim Sn .
a n→∞

Wir wollen dies nun in einfachen Beispielen berechnen.


(i) Die konstante Funktion f (x) = λ: Hier ist
ˆ b
Sn = λ (b − a) = f.
a
(ii) Die lineare Funktion f (x) = x. Nun erhält man
n  n
X b−a  b−a (b − a)2 X
Sn = a+ j = a (b − a) + j
n n n2
j=0 j=0

(b − a)2
n(n + 1)
= a (b − a) + 2
.
n 2
Im Limes n → ∞ erhält man
ˆ b
(b − a)2 1 2
b − a2 .

x dx = a (b − a) + =
a 2 2
Natürlich ist diese Methode für kompliziertere Funktionen unpraktikabel. ♢
bis hier Vorlesung
12.1.2024
6.2. Die Hauptsätze der Integral- und Differentialrechung. Kurz gesagt besa-
gen die Hauptsätze, dass die Integration die “Umkehrung” der Differentiation ist. Sie
gehen auf Newton und Leibniz zurück.
Definition 6.17. Sei wieder I = [a, b] und f ∈ C 0 (I). Eine Funktion F ∈ C 1 (I) heisst
Stammfunktion von f falls
F ′ (x) = f (x) ∀x∈I.
Satz 6.18. Für beliebiges c ∈ I ist die Funktion
ˆ x
F (x) := f (t) dt mit x ∈ I
c
eine Stammfunktion von f .
Satz 6.19. Ist Φ ∈ C 1 (I) eine Stammfunktion von f , so gilt
ˆ b
b
f (x) dx = Φ(b) − Φ(a) = Φ a .
a
Beweis von Satz 6.18. Sei x ∈ I und h ̸= 0 mit xh ∈ I. Dann ist der Differenzenquo-
tient
1 
∆h F (x) := F (x + h) − F (x)
h
wohldefniert. Verwendet man die Linearität des Integrals, so folgt
ˆ
1 x+h
∆h F (x) = f (t) dt
h x
Im Fall h < 0 verwenden wir hier die übliche Konvention, dass sich bei Vertauschung
der Grenzen das Vorzeichen des Integrals umkehrt, also
ˆ x+h ˆ x
f (t) dt := − f (t) dt .
x x+h
60 F. FINSTER

Subtrahiere jetzt f (x) und verwende wiederum die Linearität des Integrals,
ˆ
1 x+h 
∆h F (x) − f (x) = f (t) − f (x) dt .
h x
Wir definieren die Oszillation von f durch
n o
σ(h) := sup f (t) − f (x) : t ∈ I mit |x − t| < |h| .
Wegen der Stetigkeit von f inx liefert dann dass
lim σ(h) = 0 .
h→0
Schließlich können wir das obige Integral so abschätzen,
ˆ x+h
1 h→0
∆h F (x) − f (x) ≤ σ(h) 1 dt = σ(h) −−−→ 0 .
h x
Also ist F in x tatsächlich differenzierbar und F ′ (x) = f (x). □

Beweis von Satz 6.19. Sei Φ ∈ C 1 (I) eine beliebige Stammfunktion von f und F (x)
die spezielle Stammfunktion
ˆ x
F (x) := f (t) dt ∈ C 1 (I) .
a
Dann ist nach dem vorigen Satz
d 
F (x) − Φ(x) = f (x) − f (x) = 0 .
dx
Nach dem Mittelwertsatz folgt (siehe Korollar 5.14 im Fall m = 0 = M ), dass F − Φ
eine Konstante ist, also
Φ(x) = F (x) + k mit k ∈ R .
Damit folgt
ˆ b
f (x) dx = F (b) = F (b) − F (a) = Φ(b) − Φ(a) ,
a
was zu zeigen war. □

Beispiel 6.20. (i) f (x) = xp mit p ∈ N. Dann ist


1
Φ(x) = xp+1
p
eine Stammfunktion (wie man direkt durch Differentiation nachrechnet). Also
ist ˆ b
1
bp+1 − ap+1 .

f (x) dx =
a p+1
(ii) Wir betrachten ein Intervall I = [a, b] das die null nicht enthält. Wir wählen f (x) =
xα mit α ∈ R. Im Fall α ̸= −1 wählt man
1 1
Φ(x) = xα+1 = e(α+1) log |x| .
α+1 α+1
Man rechnet wieder direkt nach, dass Φ eine Stammfunktion von f ist. Damit
kann man genau wie unter (i) argumentieren. Im Fall α = −1 wählt man
Φ(x) = log |x| .
ANALYSIS I 61

Dies ist eine Stammfunktion auf [a, b]. Damit folgt


ˆ b
dx
= log |b| − log |a| .
a x
Wir bemerken, dass diese Methode im Fall α ≥ 0 auch dann anwendbar ist, wenn
das Intervall [a, b] die null enthält. ♢
6.3. Partielle Integration.
Satz 6.21. (partielle Integration) Für I = [a, b] und f, g ∈ C 1 (I) gilt
ˆ b ˆ b
b
Df (x) g(x) dx = f (x) g(x) a − f (x) Dg(x) dx .
a a
Beweis. Nach der Produktregel ist

D f g = Df g + f Dg .
Integriere nun auf beiden Seiten und verwende den Hauptsatz. □

Beispiel 6.22. Das folgende Integral kann man mit partieller Integration berechnen,
ˆ π ˆ π
2
2
2 d 
sin (x) dx = sin(x) − cos(x) dx
0 0 dx
π ˆ π
2 2 d 
= − sin(x) cos(x) + sin(x) cos(x) dx
0 0 dx
ˆ π ˆ π
2 π 2
= cos2 (x) dx = − sin2 (x) dx .
0 2 0
Bringt man nun den letzten Summanden auf die linke Seite und dividiert durch zwei,
so folgt
ˆ π
2 π
sin2 (x) dx = .
0 4
Weite Beispiel werden werden wir in den Übungen und der Zentralübung kennenlernen.
6.4. Variablentransformation.
Satz 6.23. (Substitutionsformel) Seien I und I ∗ abgeschlossene Intervalle, f ∈
C 0 (I) und φ ∈ C 1 (I ∗ ) mit φ(I ∗ ) ⊂ I. Dann gilt für beliebige α, β ∈ I ∗ die Formel
ˆ φ(β) ˆ β
f φ(u) φ′ (u) du .

f (x) dx =
φ(α) α

Beweis. Wähle eine Stammfunktion F ∈ C 1 (I) mit F ′ = f und setze g = F ◦ φ. Dann


ist nach der Kettenregel g ∈ C 1 (I ∗ ) und
g ′ (u) = F ′ φ(u) φ′ (u) = f φ(u) φ′ (u) .
 

Integriere jetzt auf beiden Seiten von α bis β,


ˆ β ˆ β
 ′ β
f φ(u) φ (u) du = g ′ (u) du = g(u) α
α α
ˆ φ(β)
 β   φ(β)
= F φ(u) α
= F φ(β) − F φ(α) = F φ(α)
= f (x) dx ,
φ(α)
was zu zeigen war. □
62 F. FINSTER

Diese Formel ist sehr nützlich und kann auf zwei Arten verwendet werden.

1. Anwendung: “von rechts nach links”: Nehme an, dass das Integral
ˆ β
h(u) du
α
berechnet werden soll. Versuche, h in der Form
h(u) = f φ(u) φ′ (u)


zu schreiben. Dann ist


ˆ β ˆ b
h(u) du = f (x) dx mit a := φ(α) und b := φ(β) .
α a
Beispiel 6.24. Es sei zu berechnen
ˆ 1
n
1 + u2 u du .
0
Schreibe den Integranden als
1 n d
1 + u2 1 + u2 .

h(u) =
2 du
Dann folgt
ˆ 1 ˆ 2
1 1
xn dx = 2n+1 − 1 ,

h(u) du =
0 2 1 2(n + 1)
womit das Integral berechnet ist. ♢
bis hier Vorlesung
17.1.2024 2. Anwendung: “von links nach rechts”: Zu berechnen sei
ˆ b
f (x) dx .
a
Wir führen die Variablentransformation durch
x = φ(u) mit α ≤ u ≤ β
so dass
a = φ(α) und b = φ(β) .
Es ist eine sinnvolle Voraussetzung, dass φ streng monoton steigend ist, also
φ′ (u) > 0 ∀ u ∈ [α, β]
(die Methode geht analog, wenn φ strent monoton fallend ist, indem man entsprechend
die Integrationsgrenzen vertauscht, was Minuszeichen liefert; wir gehen darauf hier der
Einfachheit halber nicht genauer ein). Dann liefert Satz 6.23
ˆ b ˆ β
f φ(u) φ′ (u) du .

f (x) dx =
a α
Besonders einfach wird diese Formel im Leibniz-Kalkül, nämlich
ˆ b ˆ β
 dx
f (x) dx = f x(u) du .
a α du
Man “erweitert also einfach den Bruch”. Aber, wie schon früher bemerkt, ist dies nur
als Merkhilfe zu verstehen, weil man mit Differentialen natürlich nicht einfach rechnen
darf.
ANALYSIS I 63

Beispiel 6.25. Es sei zu berechnen


ˆ rp
r2 − x2 dx .
0
Wir substitutieren geschickt. Wir verwenden eine selbsterklärende Notation, die Sie
vielleicht schon in der Schule gesehen haben.
ˆ 1p
x = r sin φ , 0 ≤ φ ≤ π2
 
r2 − x2 dx =
0 dx = r cos φ dφ
ˆ π q ˆ π
2 2 π
= r 1 − sin2 φ r cos φ dφ = r2 cos2 φ dφ = r2 .
0 0 4
Dass man so substituiert, ist natürlich nicht offensichtlich. Es hilft weiter, wenn man
das Integral als über die Kreisfläche interpretiert. So kann man verstehen, warum es
eine gute Idee ist, mit dem Winkel φ zu parametrisieren. Auch das Ergebnis ist dann
klar: man erhält gerade die ein Viertel der Fläche der Kreisscheibe von Radius r. ♢
6.5. Uneigentliche Integrale. Bisher war unser Integrationsgebiet stets ein abge-
schlossenes Intervall I := [a, b]. Außerdem waren die betrachteten Funktionen stets
beschränkt. Diese Annahmen sollen nun abgeschwächt werden. Die Idee besteht darin,
einen geeigneten Limes zu bilden. Wir beginnen mit dem Fall eines unbeschränkten
Integrationsgebietes.
Definition 6.26. Sei f : [a, ∞) → R eine Funktion mit f |[a,R] ∈ R([a, R]) für alle R >
a. Falls der Grenzwert
ˆ R
lim f (x) dx
R→∞ a
´∞
existiert, heisst das Integral a f (x) dx konvergent und
ˆ ∞ ˆ R
f (x) dx := lim f (x) dx .
a R→∞ a
´b
Analog definiert man −∞ f (x) dx und setzt
ˆ ∞ ˆ a ˆ ∞
f (x) dx := f (x) dx + f (x) dx
−∞ −∞ a

(dies beinhaltet die Bedingung, dass beide Limites getrennt existieren müssen). Man
nennt diese Integral auch das uneigentliche Riemann-Integral.
Entsprechend definiert man auch für eine beschränkte Funktion f : (−∞, b] → R
das uneigentliche Integral
ˆ b ˆ b
f (x) dx := lim f (x) dx .
−∞ L→−∞ L

Für eine beschränkte Funktion f : R → R definiert man entsprechend


ˆ ∞ ˆ R
f (x) dx := lim lim f (x) dx .
−∞ L→−∞ R→∞ L

Hier müssen beide Limites unabhängig voneinander existieren.


Ähnlich kann man vorgehen, wenn die Funktion unbeschränkt ist.
64 F. FINSTER

Definition 6.27. Sei f : [a, b] → R eine gegebene Funktion. Gegeben Konstan-


ten c, c′ ∈ R “trunkieren” wir die Funktion, indem wir setzen

  
f c,c (x) := max min f (x), c , c′ .

Diese “trunkierte” Funktion ist dann offensichtlich beschränkt durch


c′ ≤ f ≤ c .
Wir definieren das uneigentliche Integral durch
ˆ b ˆ b

f (x) dx := ′ lim lim f c,c (x) dx ,
a c →−∞ c→∞ a

wobei wieder beide Limiten unabhängig voneinander existieren müssen.


Diesen Integralbegriff kann man noch ein wenig verallgemeinern. Wir betrachten als
Modellbeispiel das Integral
ˆ 1
f (x)
dx
−1 x
mit einer beschränkten Funktion f . Der Integrand ist i.a. unbeschränkt, so dass das
Riemann-Integral nicht definiert ist. Man kann aber trotzdem Sinn aus dem Integral
machen, sofern sich “die positiven und negativen Beiträge in der Nähe des Ursprungs
gegenseitig wegheben”. Dies wird folgendermaßen präzisiert.
Definition 6.28. Das Hauptwertintegral ist definiert durch
ˆ b  ˆ −ε ˆ b 
PP f (x) f (x)
f (x) dx := lim dx + dx .
a x ε↘0 a x ε x
Hier steht “PP” für “principal part”, also den englischen Namen für den Hauptwert.
Manchmal wird auch “PV” für “principal value” verwendet.
Satz 6.29. Für f ∈ C 1 ([a, b]) existiert das Hauptwertintegral
ˆ b
PP
f (x) dx .
a x

Beweis. Nach Definition der Ableitung ist f (x) = f (0) + f ′ (0) x + φ(x) mit
φ(x)
lim =0.
x→0,x̸=0 x

Damit folgt
ˆ ˆ  
f (x) f (0) ′ φ(x)
dx = + f (0) + dx
[a,b]\(−ε,ε)x [a,b]\(−ε,ε) x x
ˆ
b

 φ(x)
= f (0) log |x| + f (0) b − a − 2ε + dx .
a [a,b]\(−ε,ε) x

Dies konvergiert im Limes ε ↘ 0. □


Es stellt sich die Frage, wann das uneigentliche Riemann-Integral existiert. Hierfür
gibt es verschiedene Kriterien, von denen wir jetzt zwei kennenlernen. Das erste Kri-
terien hat Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Kriterium für Reihen.
ANALYSIS I 65

Satz 6.30. (Majorantenkriterium) Seien die beiden Funktionen f, φ : [a, ∞) → R


Riemann-integrierbar auf jedem Intervall [a, b] für alle b > a. Nehme außerdem an,
dass φ ≥ 0 und dass φ auf [a, ∞) uneigentlich Riemann-integrierbar ist. Schließlich
gebe es ein ξ ≥ a mit
|f (x)| ≤ φ(x) für alle x > ξ .
Dann ist die Funktion f auch auf [a, ∞) uneigentlich Riemann-integrierbar.
Beweis. Für b > b′ > ξ gilt
ˆ b′ ˆ b′
|f (x)| dx ≤ φ(x) dx .
b b
Wende nun das Cauchy-Kriterium an. □
Das nächste Kriterium stellt einen interessanten Zusammenhang zwischen uneigent-
lichen Integralen und der Konvergenz von Reihen her.
Satz 6.31. (Integralkriterium für Reihen) Sei f : [1∞) eine monoton fallende,
nichtnegative Funktion. Dann gilt
X∞ ˆ ∞
f (n) konvergiert ⇐⇒ f (x) dx konvergiert .
n=1 1

Beweis. Gegeben N ∈ N betrachten wir das Intervall [1, N + 1] und zerlegen es durch
Z := {1, 2, . . . , n + 1} .
Dann ist
N
X N
X +1
SZ = an , SZ = an .
n=1 n=2
Damit folgt
N
X +1 ˆ N +1 N
X
an ≤ f (x) dx ≤ an .
n=2 1 n=1
Hieran sieht man, dass das Integral genau dann konvergiert, wenn die Reihe konvergiert
(wir lassen hier aus Zeitgründen weitere Details weg). □

Beispiel 6.32. Das Integral


ˆ ∞
dx
konvergiert genau dann wenn α > 1
1 xα
(siehe Beispiel 6.20). Damit folgt aus dem letzten Satz, dass

X 1
konvergiert genau dann, wenn α > 1 .

n=1

Dies ist wesentlich einfacher als der frühere Beweis mit dem Cauchyschen Verdich-
tungskriterium (siehe Korollar 3.49).
Man sieht mit Satz 6.30 auch, dass für jede stetite Funktion f ∈ C 0 ((1, ∞)) mit
1
|f (x)| ≤ mit alpha > 1 für alle x ∈ [1, ∞)

66 F. FINSTER

das uneigentliche Integral


ˆ ∞
f (x) dx existiert .
1


bis hier Vorlesung
19.1.2024

6.6. Die Taylor-Formel. Unser Ziel besteht darin, eine gegebene Funktion f lokal
durch ein Polynom zu approximieren. Zur Motivation beginnen wir mit dem Fall, dass
die Funktion f selbst ein Polynom ist, also

f (x) = a0 + a1 x + · · · + an xn .

Wie verhält sich die Funktion um ein gegebenes x0 ∈ R herum? Um diese Frage zu be-
antworten, setzen wir x = x0 + u und multiplizieren alle Summen mit den binomischen
Formeln aus. Wer erhalten dann ein Polynom in u = x − x0 , also

f (x) = b0 + b1 (x − x0 ) + · · · + bn (x − x0 )n .

Man kann f nun linear, quadratisch, . . . approximieren, indem man dieses Polynom
trunkiert.
Der folgende Satz liefert uns eine entsprechende Approximationsformel für den Fall,
dass f kein Polynom, sondern eine stetig differenzierbare Funktion ist.

Satz 6.33. (Taylorsche Formel) Sei I = [a, b] ein Intervall, f ∈ C n+1 (I) und x0 ∈
I. Dann gilt für alle x ∈ I

1 ′′
f (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 ) (x − x0 ) + f (x0 ) (x − x0 )2 (6.2)
2
1 (n)
+ ··· + f (x0 ) (x − x0 )n + Rn+1 (x) (6.3)
n!
n
X f (k) (x0 )
= (x − x0 )k + Rn+1 (x) (6.4)
k!
k=0

wobei
ˆ x
1
Rn+1 (x) = (x − τ )n f (n+1) (τ ) dτ .
n! x0

Wir nennen das Polynom in (6.4) das Taylorpolynom, und Rn+1 (x) ist das soge-
nannte Restglied.
Wir beweisen zunächst einen Hilfssatz.

Lemma 6.34. Für ϕ ∈ C n+1 ([0, 1]) und n ≥ 0 gilt


n ˆ 1
X 1 (ν) 1
ϕ(1) = ϕ (0) + (1 − t)n ϕ(n+1) (t) dt .
ν! 0 n!
ν=0
ANALYSIS I 67

Beweis. Es genügt, den Fall n > 1 zu betrachten. Mittels partieller Integration folgt
sukzessive
ˆ 1
1
(1 − t)n ϕ(n+1) (t) dt
0 n!
ˆ 1
1 d
= (1 − t)n ϕ(n) (t) dt
0 n! dt
ˆ 1
1 n (n) 1 1 d 
= (1 − t) ϕ (t) 0 − (1 − t)n ϕ(n) (t) dt
n! 0 n! dt
ˆ 1
1 1
= − ϕ(n) (0) + (1 − t)n−1 ϕ(n) (t) dt .
n! 0 (n − 1)!

Dies kann iteriert werden. Man erhält dann


ˆ 1
1
(1 − t)n ϕ(n+1) (t) dt
0 n!
  ˆ 1
1 (n) 1 ′
=− ϕ (0) + · · · + ϕ (0) + ϕ′ (t) dt .
n! 1! 0
´1
Verwende nun dass nach dem Hauptsatz 0 ϕ′ (t) dt = ϕ(1) − ϕ(0) und löse nach ϕ(1)
auf. □

Beweis von Satz 6.33. Wir setzen



ϕ(t) = f x0 + t (x − x0 ) .
Dann gilt nach der Kettenregel
ϕ′ (t) = (x − x0 ) f ′ x0 + t (x − x0 ) , . . . ,


ϕ(ν) (t) = (x − x0 )ν f (ν) x0 + t (x − x0 )




So erhält man das gewünschte Taylorpolynom. Das Restglied erhält man durch die
folgende Variablentransformation,
ˆ 1
1
(1 − t)n ϕ(n+1 )(t) dt
0 n!
ˆ 1
1
(x − x0 )n+1 (1 − t)n f (n+1 ) x0 + t (x − x0 ) dt

=
n!
0 
τ := x0 + t (x − x0 ) , dτ = (x − x0 ) dt
=
x − τ = x − x0 − t (x − x0 ) = (1 − t)(x − x0 )
ˆ x
1
= (x − τ )n f (n+1) (τ ) dτ = Rn+1 (x) .
x0 n!

Korollar 6.35. (Lagrangesche Restgliedformel) Es gibt ξ ∈ [x0 , x] ∪ [x, x0 ] so


dass
1
Rn+1 (x) = f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 .
(n + 1)!
68 F. FINSTER

Beweis. Wir wenden den Mittelwert der Integralrechnung an (siehe unten),


ˆ
1 x
Rn+1 (x) = (x − τ )n f (n+1) (τ ) dτ
n! x0
ˆ x
1 (n+1) 1 (n+1) (x − x0 )n+1
= f (ξ) (x − τ )n dτ = f (ξ) ,
n! x0 n! n+1
was das Ergebnis liefert. □

Satz 6.36. (Mittelwertsatz der Integralrechnung) Seien f, φ ∈ C 0 ([a, b]) und φ ≥


0. Dann gibt es ξ ∈ [a, b] mit
ˆ b ˆ b
f (x) φ(x) dx = f (ξ) φ(x) dx .
a a

Beweis. Wir setzen m := inf f und M := sup f . Dann ist


ˆ b ˆ b ˆ b
m φ(x) dx ≤ f (x) φ(x) dx ≤ M φ(x) dx .
a a a
Also gibt es ein µ ∈ [m, M ] mit
ˆ b ˆ b
f (x) φ(x) dx = µ φ(x) dx .
a a
Schließlich gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein ξ mit f (ξ) = µ. □
Wir erklären nun noch, wie man das Restglied abschätzen kann. Das erklärt auch,
in welchem Sinne es klein ist, also wirklich als “Rest” aufgefasst werden kann. Dazu
kann man das Lagrangesche Restglied abschätzen durch
1
|Rn+1 (x)| ≤ c |x − x0 |n+1 mit c := sup f (n+1) .
(n + 1)! I
Wesentlich ist, das sich das Restglied proportional zu (x − x0 )n+1 verhält. Damit geht
es im Limes x → x0 “schneller nach null” als alle Glieder des Lagrange-Polynoms. Dies
kann man mit den Landau-Symbolen präzisieren (siehe Seite 44), nämlich
Rn+1 (x) = O (x − x0 )n+1 .


In der Physik schreibt man das Taylorpolynom mit Restglied meistens so,
1 (n)
f (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 ) (x − x0 ) + · · · + f (x0 ) (x − x0 )n + O (x − x0 )n+1 .

n!
6.7. Die l’Hospitalschen Regeln. Wir wenden uns nun der Frage zu, wie man für
zwei (stetige und genügend oft differenzierbare Funktionen) den Grenzwert
f (x)
lim
x→x0 ,x̸=x0 g(x)
berechnen kann. Wenn g(x0 ) ̸= 0, kann man die Grenzwertsätze anwenden. Falls g(x0 ) =
0 und f (x0 ) ̸= 0, so existiert der Grenzwert offensichtlich nicht, weil der Quotient
in jedem Intervall um x0 beliebig groß wird. Was kann aber tun, wenn sowohl der
Zähler als auch der Nenner bei x0 verschwinden? Oft kann man diese Frage mit den
bis hier Vorlesung l’Hospitalschen Regeln beantworten.
24.1.2024
ANALYSIS I 69

Satz 6.37. (L’Hospitalsche Regeln) Sind f, g ∈ C k (I) mit k ∈ N und gilt für
ein x0 ∈ I dass
f (ν) (x0 ) = 0 = g (ν) (x0 ) für ν = 0, . . . , k − 1 ,
(k)
g (x0 ) ̸= 0 .
Dann ist
f (x) f (k) (x0 )
lim = (k) .
x→x0 ,x̸=x0 g(x) g (x0 )
Proof. Nach der Taylorformel mit Restglied gilt
1 (k) 1 (k) ′
f (x) = f (ξ) (x − x0 )k und g(x) = g (ξ ) (x − x0 )k .
k! k!
Damit folgt
f (x) f (k) (ξ)
= (k) ′ .
g(x) g (ξ )
Im Limes x → x0 konvergieren ξ und ξ ′ gegen x0 . Damit können wir die Grenzwertsätze
anwenden. □

Beispiel 6.38.
sin x cos x
lim = lim =1
x→0,x̸=0 x x→0,x̸=0 1
ex − 1 ex
lim = lim =1
x→0,x̸=0 log(1 + x) x→0,x̸=0 1
1+x ♢
Es gibt noch allgemeinere Formulierungen der l’Hospitalschen Regeln. Tatsächlich
sind unsere Annahmen zu stark. Beispielsweise genügt es im Fall k = 1, dass die Funk-
tionen differenzierbar sind, sie brauchen aber nicht stetig differenzierbar zu sein. Wir
wollen nun ein allgemeineres Ergebnis ableiten. Grundlage ist eine Verallgemeinerung
des Mittelwertsatzes.
Theorem 6.39. (Verallgemeinerter Mittelwertsatz) Seien f, g : [a, b] → R stetig
und im offenen Intervall (a, b) differenzierbar. Sei außerdem g ′ (x) ̸= 0 für alles x ∈
(a, b). Dann gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a) f ′ (ξ)
= ′ .
g(b) − g(z) g (ξ)
Beweis. Es ist g(b) ̸= g(a), denn sonst gäbe es nach dem Satz von Rolle ein ξ ∈ (a, b)
mit g ′ (ξ) = 0. Wir betrachten (ähnlich wie in unserem Beweis des Mittelwertsatzes)
f (b) − f (a) 
F (x) = f (x) − g(x) − g(a .
g(b) − g(a)
Man rechnet direkt nach, dass F (b) = F (a). Also gibt es nach dem Satz von Rolle
ein ξ ∈ (a, b) mit F ′ (ξ) = 0. Durch direkte Rechnung folgt die Behauptung. □

Theorem 6.40. (Verallgemeinerte l’Hospitalsche Regel) Seien f, g : [a, b] →


R stetig und im offenen Intervall (a, b) differenzierbar. Sei außerdem g ′ (x) ̸= 0 für
alles x ∈ (a, b). Nehme an, dass eine der beiden Bedingungen gilt:
(a) limx↘a f (x) = 0 und limx↘a g(x) = 0
70 F. FINSTER

(b) limx↘a f (x) = ∞ und limx↘a g(x) = ∞


Dann gilt: Existiert der Grenzwert limx→a f ′ (x)/g ′ (x), so existiert auch der Grenz-
wert limx→a,x̸=a f (x)/g(x) und
f (x) f ′ (x)
lim = lim ′ .
x↘a g(x) x↘a g (x)

Beweis. Wir beginnen mit Fall (a). Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz gibt
es zu jedem x ∈ (a, b)] ein ξ ∈ (a, x) so dass
f (x) f (x) − f (a) f ′ (ξ)
= = ′ .
g(x) g(x) − g(a) g (ξ)
Im Limes x ↘ a geht auch ξ ↘ a. Damit konvergieren beide Seiten, und man erhält
die Behauptung.
Im Fall (b) setze A := limx↘a f ′ (x)/g ′ (x). Nach Definition des Grenzwertes gibt es
zu jedem ε > 0 ein δ > 0 so dass
f ′ (x)
−A <ε für alle x ∈ (a, a + δ) .
g ′ (x)
Mit dem verallgemeinerten Mittelwertsatz folgt
f (x) − f (y)
−A <ε für alle x, y ∈ (a, a + δ) .
g(x) − g(y)
Nun ist
f (x) f (x) − f (y) 1 − g(y)/g(x)
= .
g(x) g(x) − g(y) 1 − f (y)/f (x)
Wir halten nun y fest. Wegen der Stetigkeit von f und g konvergiert der letzte Faktor
im Limes x ↘ a gegen eins. Damit gibt es δ ′ ∈ (0, δ) so dass
f (x)
−A <ε für alle x ∈ (a, a + δ ′ ) .
g(x)
Das liefert die Behauptung. □

Wir bemerken abschließend, dass die Hospitalschen Regeln auch dann anwendbar
sind, wenn x → ±∞ geht. In diesem Fall kann man zunächst mit der Funktion 1/x
verketten, also z.B.
f (x) f (1/y)
lim = lim .
x→∞ g(x) y↘0 g(1/y)

Nun kann man Theorem 6.40 anwenden. Der Faktor, den man beim Nachdifferenzieren
erhält, kürzt sich weg.

6.8. Die Taylorreihe, Potenzreihen. Bisher haben wir die Taylorformel mit Rest-
glied kennengelernt,
n
X f (k) (x0 )
f (x) = (x − x0 )k + Rn+1 (x) .
k!
k=0

Die Frage ist, ob man hier den Grenzübergang n → ∞ bekommt, um eine unendliche
Reihe zu bekommen. Wir beginnen mit der Definition der zugehörigen Reihe.
ANALYSIS I 71

Definition 6.41. Für f ∈ C ∞ (I) und x0 ∈ I (mit I einem verallgemeinerten Inter-


vall) heisst die Reihe

X f (k) (x0 )
(x − x0 )k
k!
k=0
die Taylorreihe von f um x0 .
Es stellen sich die folgenden Fragen:
(a) Konvergiert die Taylorreihe?
(b) Stimmt die Taylorreihe mit der Funktion überein, also ist

X f (k) (x0 )
f (x) = (x − x0 )k ?
k!
k=0
Eine Möglichkeit, um diese Fragen zu beantworten, besteht darin, dass man in der
Taylorformel mit Restglied den Limes n → ∞ sauber durchführt. Dies ist aber nicht
so einfach, weil man zeigen muss, dass das Restglied für großes n geeignet klein wird.
Deswegen schauen wir uns als Vorbereitung zunächst ein paar Beispiele an.
Beispiel 6.42. (i) f (x) = ex : Iterativ sieht man, dass
f (n) (x0 ) = ex0 für alle n ∈ N .
Damit erhält man für die Taylorreihe
∞ ∞
X f (n) (x0 ) n x0
X 1
(x − x0 ) = e (x − x0 )n .
n! n!
n=0 n=0
Die erhaltene Reihe ist die Exponentialreihe. Von ihr wissen wir, dass sie kon-
vergiert. Wir erhalten

X f (n) (x0 )
(x − x0 )n = ex0 ex−x0 = ex .
n!
n=0
Damit stimmt die Funktion also mit ihrer Taylorreihe überein.
(ii) Wir betrachten nun die Funktion
1 −i − x
f (x) = = ∈ C ∞ (R) .
i−x 1 + x2
Die Ableitungen berechnen sich iterativ zu
 2  2  n+1
′ 1 1 (n) 1
f (x) = − (−1) = , . . . f (x) = n! .
i−x i−x i−x
Damit erhält man die Taylorreihe um x0 = 0
∞ ∞ ∞
X f (n) (0) n X n! xn X
x = = −i (−ix)n .
n! n! in+1
n=0 n=0 n=0
Wir erhalten also die geometrische Reihe. Sie konvergiert falls |x| < 1 und diver-
giert falls |x| ≥ 1. Im Fall von Konvergenz erhalten wir bis hier Vorlesung
∞ 26.1.2024
X f (n) (0) n 1 i 1
x = −i =− = ,
n! 1 − (−ix) 1 + ix i−x
n=0
so dass die Taylorreihe also wiederum mit der Funktion übereinstimmt.
72
E11 F. FINSTER
-
f(b)
-
f(a)

f(x)

& *
alle Ableitungen
X

>
verschwinden !

Abbildung 9. Das Beispiel von Cauchy.

(iii) Wir betrachten nun das Beispiel von Cauchy. Dazu defininieren wir die Funkti-
on f : R → R abschnittsweise gemäß

 0   falls x = 0
f (x) = 1
 exp − 2 falls x ̸= 0 .
x
Wir berechnen zunächst die Ableitung. Im Fall x ̸= 0 berechnet man die Ablei-
tung mit der Kettenregel zu
 
′ − 12 2
f (x) = e x .
x3
Der rechtsseitige Grenzwert berechnet sich so,
 
1 1 3 3
lim e− x2 3 = lim e−u u 2 = lim exp − u + log u = 0 .
x↘0 x u→∞ u→∞ 2
Die Ableitung an der Stelle x = 0 kann man direkt mit Hilfe des Differenzenquo-
tienten berechnen, da für alle y ̸= 0,
f (y) − 0 1 − 1 y→0,y̸=0
= e y2 −−−−−−→ 0 .
y−0 y
Wir sehen also, dass f überall differenzierbar ist und

 0  falls x = 0


f (x) = 1 1
 3 exp − 2 falls x ̸= 0 .
x x
Die höheren Ableitungen kann man analog berechnen. Man erhält

 0  falls x = 0


f (x) = 1
 pn (x) exp − 2 falls x ̸= 0 ,
x
wobei pn ein Polynom vom Grade 3n ist.
Insgesamt sehen wir, dass die Funktion f glatt ist. Die Taylorreihe um x = 0
ist

X 1 (n)
f (0) xn = 0 ,
n!
n=0
sie verschwindet also identisch! Damit konvergiert die Taylorreihe, aber sie stimmt
nicht mit der Funktion f überein. Grund dafür ist, dass die Funktion f im Li-
mes x → 0 so rasch nach null strebt, dass alle ihre Ableitungen am Ursprung
ANALYSIS I 73

verschwinden (siehe Abbildung 9). ♢


Definition 6.43. Eine Funktion f ∈ C ∞ (I) heisst reell analytisch, falls es zu je-
dem x0 ∈ I ein δ > 0 gibt, so dass die Taylorreihe von f um x0 in Bδ (x0 )∩I konvergiert
und

X f (n) (x0 )
f (x) = (x − x0 )n .
n!
n=0

Diese Definition beantwortet die obigen Fragen natürlich nicht. Wir können die
Fragen jetzt aber immerhin etwas schöner formulieren als: Wann ist eine Funktion
reell analytisch? Am Beispiel von Cauchy sieht man, dass es glatte Funktionen gibt,
die nicht reell analytisch sind. Es ist nicht einfach, die reell analytischen Funktionen
allgemein zu charakterisieren. Wir geben uns hier mit einem hinreichenden Kriterium
zufrieden, das die meisten Funktionen in den Anwendungen abdecken.
Satz 6.44. Sei f ∈ C ∞ (I), und es gebe Konstanten M, r > 0, so dass für alle x ∈ I
und alle n ∈ N0 die Abschätzung
f (n) (x) ≤ n! M r−n
gilt. Dann ist f reell analytisch.
Beweis. Wir wählen 0 < δ < r. Dann ist nach der Taylorformel mit Lagrangeschem
Restglied
n
X f (k) (x0 ) f (n+1) (ξ)
f (x) = (x − x0 )k + (x − x0 )n+1 .
k! (n + 1)!
k=0
Wir können das Restglied abschätzen durch
f (n+1) (ξ) 1
(x − x0 )n+1 ≤ n! M r−n |x − x0 |n ≤ M cn
(n + 1)! n!
mit
δ
c :=<1.
r
Also konvergiert das Restglied gegen null, und die Taylorreihe konvergiert. □
Wir betrachten abschliessend das Konvergenzverhalten von Taylorreihen etwas all-
gemeiner.
Definition 6.45. Eine Reihe der Form
X∞
an z n
n=0

mit Koeffizienten an ∈ C heisst Potenzreihe. Wir bezeichnen


n X∞ o
R := sup |z| z ∈ C mit an z n ist konvergent
n=0

als den Konvergenzradius der Potenzreihe.


Satz 6.46. Die Potenzreihe konvergiert für |z| < R absolut, während sie für |z| > R
divergiert. (Im Fall |z| = R ist i.a. keine Konvergenzaussage möglich.)
74 F. FINSTER

Beweis. Sei |z| < R. Dann gibt es ein ξ ∈ C mit |z| < |ξ|, so dass die Reihe ∞ n
P
n=0 an ξ
n
konvergiert. Folglich bilden die Glieder der Reihe an ξ eine Nullfolge. Insbesondere
sind die Glieder beschränkt, also es gibt ein c > 0 mit
an ξ n | ≤ c für alle n ∈ N .
Damit können wir die Potenzreihe folgendermaßen abschätzen,
X X z n X z n
an z n = an ξ n | ≤c .
ξ ξ
n=0 n=0 n=0
Die letzte Reihe konvergiert als geometrische Reihe. Also hat die Potenzreihe eine
konvergente Majorante und konvergiert damit
P∞ absolut.
Sei nun |z| > R. Würde die Reihe n n
n=0 an z konvergieren, so wäre an z eine
Nullfolge. Folglich wäre nach der obigen Abschätzung die Reihe
X∞
an ζ n konvergent für alle ζ mit |ζ| < |z| .
n=0
Damit gäbe es ein ζ mit |ζ| > R für welches die Potenzreihe konvergiert. Dies ist ein
Widerspruch zur Definition des Konvergenzradius. □
Der Konvergenzradius lässt sich mit dem Wurzel- oder dem Quotientenkriterium
berechnen zu
1 1
R= bzw R= .
|an+1 |
p
n
lim supn→∞ |an | lim supn→∞
|an |
Hier bezeichnet lim sup den Limes superior, der als der grösste Häufungspunkt der
Folge definiert ist.

7. Topologische Grundbegriffe
7.1. Metrische Räume. Für komplexe Zahlen haben wir bereits die Abstandsfunk-
tion d(x, y) = |x − y| kennengelernt. Wir haben auch die Kugel mit Radius r um x
definiert durch
Br (x) = {y ∈ C | d(x, y) < r} .
Wir betrachten diese Begriffe nun allgemeiner, was sich als sehr nützlich und für das
Verständnis vieler mathematischer Zusammenhänge als sehr hilfreich erweist.
Definition 7.1. Sei E ̸= ∅ eine Menge. Wir nennen eine Abbildung
d : E × E → R+
0
eine Abstandsfunktion oder Metrik falls sie für alle x, y, z ∈ E folgende Eigen-
schaften hat:
(i) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie)
(ii) d(x, y) = 0 ⇔ x = y (Definitheit)
(iii) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) (Dreiecksungleichung)
(E, d) heisst metrischer Raum.
bis hier Vorlesung Wir definieren Bälle wiederum durch
31.1.2024
Br (x) := {y ∈ E | d(x, y) < r} .
Beispiel 7.2. Wir betrachten ein paar einfache Beispiele.
ANALYSIS I 75

(a) E = C und d(x, y) := |x − y|. Dieses Beispiel kennen wir schon.


(b) E = Rn = R | × ·{z
· · × R} Die Elemente in E sind also n-Tupel (oder allgemei-
n Faktoren
ner Vektoren in einem n-dimensionalen Vektoraum, wie Sie es aus der Linearen
Algebra kennen). Wir schreiben
x = x1 , . . . , x n , y = y1, . . . , yn .
 

Wir führen die Abstandsfunktion als den Euklidischen Abstand zwischen den
Vektoren ein, also v
u n
uX
2
d(x, y) := t xj − y j .
j=1

Dies ist die sogenannte Euklidische Metrik.


(b) Sei E eine beliebige Menge. Wir setzen

1 falls x ̸= y
d(x, y) =
0 falls x = y .
Dies ist die sogenannte diskrete Metrik. Man verifiziert direkt, dass sie tatsächlich
alle Eigenschaften einer Metrik hat.

Wir betrachten nun noch zwei interessantere Beispiele, die zeigen, dass man mit
metrischen Räumen ganz verschiedene Situationen beschreiben kann.
Beispiel 7.3. (Räume stetiger Funktionen) Wir betrachten den Vektorraum E =
C 0 ([0, 1]) aller stetigen Funktionen auf dem Einheitsintervall versehen mit der soge-
nannten Supremums-Metrik
d(f, g) := sup f (x) − g(x) .
x∈[0,1]

Veriziere die Eigenschaften der Metrik. Die Eigenschaft (i) ist offensichtlich. Für (ii)
können wir so schließen,
d(f, g) = 0 ⇐⇒ f (x) − g(x) = 0 ∀ x ∈ [0, 1]
⇐⇒ f (x) = g(x) = 0 ∀ x ∈ [0, 1] ⇐⇒ f =g.
Die Eigenschaft (iii) verifiziert man für f, g, h ∈ C 0 ([0, 1]) folgendermaßen,
d(f, g) = sup f (x − g(x)
x∈[0,1]
 
= sup f (x − h(x) + h(x) − g(x) (Dreieicksungleichung in R)
x∈[0,1]

≤ sup f (x − h(x) + sup h(x) − g(x) = d(f, g) + d(g, h)


x∈[0,1] x∈[0,1]


Beispiel 7.4. (Geodätischer Abstand auf Fläche im R3 ) Dieses Beispiel be-
schreiben wir der Einfachheit halber nur in Worten. Es ist als Anregung gedacht; es
genügt also, wenn Sie es auch rein anschaulich verstehen (später werden wir das al-
les sauber mathematisch beschreiben können). Wir betrachten eine zweidimensionale
Fläche E im R3 , siehe Abbildung 10. Wir nehmen an, dass wir je zwei Punkte x, y ∈ E
& *
alle Ableitungen
X

> !
verschwinden
76 F. FINSTER

-ECR
( -
-
H

Abbildung 10. Eine Fläche im R3 .

E
10

(
Un He

M
gegeallet
..
zu
Z

* x

-
Abbildung 11. Aneinandersetzen und glätten von Kurven.

durch eine glatte Kurve verbinden können, die auf der Fläche verläuft (wie in Abbil-
dung 10 dargestellt). Eine solche Kurve kann beschrieben werden durch eine Abbil-
dung γ ∈ C ∞ ([0, 1], R3 ) mit den Eigenschaften
γ(0) = x , γ(1) = y und γ(t) ∈ E ∀ t ∈ [0, 1] .
Die Länge ℓ der Kurve kann berechnet werden durch
ˆ 1
ℓ(γ) = γ ′ (t) dt
0
(der Integrand ist der Betrag der “Geschwindigkeit”; diese Gleichung werden wir auch
später noch genauer kennenlernen). Man kann nun eine Metrik einführen durch

d(x, y) := inf ℓ(γ) γ verbindet x mit y . (7.1)
Man kann direkt überprüfen, dass dies tatsächlich alle Eigenschaften der Metrik hat.
Für die Dreieicksungleichung muss man dazu zwei Kurven aneinandersetzen, umpara-
metrisieren und außerdem“glätten”, so wie dies in Abbildung 11 anschaulich dargestellt
ist.
Diese Abstandsfunktion heisst auch geodätischer Abstand. Falls das Infimum in (7.1)
angenommen wird (also falls es eine glatte Kurve gibt, welche den Abstand minimiert),
so heisst die minimierende Kurve auch Geodäte. ♢
-

ANALYSIS I 77

11

D
-I
xX

A
·

diam A

Abbildung 12. Der Durchmesser einer Menge.

Die meisten unserer Ergebnisse über Konvergenz komplexer Folgen übertragen sich
unmittelbar auf Folgen in metrischen Räumen. (Man beache jedoch, dass Reihen in
dieser Allgemeinheit keinen Sinn machen, weil man i.a. nicht addieren kann.) Wir

-
stellen die wesentlichen Begriffe nochmals zusammen. 12


Definition 7.5. Sei (xn )n∈N eine Folge in E (also xn ∈ E für
& alle n). Die Folge
X
konvergiert gegen x ∈ E, xn → x, falls
∀ε > 0 ∃N mit d(xn , x) < ε ∀n≥N.
Eine Folge (xn ) heisst Cauchy-Folge falls
∀ε > 0 ∃N mit d(xn , xm ) < ε ∀ m, n ≥ N .
Ein Punkt x ∈ E ist Häufungspunkt der Folge (xn )n∈N falls für alle ε > 0 unendlich
viele Folgenglieder in Bε (x) liegen.
Genau wie früher sieht man, dass der Grenzwert (sofern er existiert) eindeutig be-
stimmt ist. Cauchy-Folgen sind i.a. konvergent, wie man in unserem früheren Beispiel
der rationalen
√ Zahlen sieht, also E = Q und (xn )n∈N eine Folge rationaler Zahlen, die
gegen 2 ̸∈ Q konvergiert.
Definition 7.6. Ein metrischer Raum (E, d) heisst vollständig falls jede Cauchy-
Folge konvergiet.
Schließlich wollen wir den Begriff der Beschränktheit einführen.
Definition 7.7. Für A ⊂ E definieren wir den Durchmesser diam(A) (was für das
englische Wort “diameter” steht) durch (siehe Abbildung 12)
diam(A) := sup d(x, y) .
x,y∈A
Die Menge A ⊂ E heisst beschränkt falls diamA < ∞, anonsten ist sie unbe-
schränkt.
Alternativ könnte Beschränktheit auch so definieren: Die Menge A ⊂ E ist beschränkt,
falls es x und R gibt mit BR (x) ⊃ A. Dass diese alternative Definition tatsächlich äqui-
valent zu unserer Definition ist, kann man unter Verwendung der Dreiecksungleichung
beweisen.
78 F. FINSTER

-
12


&
X

Abbildung 13. Eine offene Menge.

7.2. Offene Mengen. Es sei wieder (E, d) ein metrischer Raum. Wir definieren die
offenen Bälle wieder durch
Br (x) := {y ∈ E | d(x, y) < r} .
Definition 7.8. (i) Eine Teilmenge A ⊂ E heisst offen falls
∀x∈A ∃ε>0 mit Bε (x) ⊂ A .
Dies ist in Abbildung 13 illustriert. Die Menge aller offenen Mengen bezichnet
wir mit O ⊂ P(A). Wir nennen O auch die Topologie von E.
(ii) Eine Teilmenge A ⊂ E heisst abgeschlossen falls ihr Komplement ∁A := E \ A
offen ist.
(iii) Sei x ∈ E. Eine Menge A ⊂ E heisst Umgebung von x falls eine offene
Menge A existiert mit x ∈ A ⊂ U .
Offensichtlich sind die Menge ∅ und E sowohl offen als auch abgeschlossen. Mit
der Dreiecksungleichung sieht man auch, dass offene Bälle stets offene Mengen sind.
bis hier Vorlesung Bei der diskreten Topologie (siehe Beispiel 7.2 (c)) sind alle Teilmengen von E offen
2.2.2024 und abgeschlossen. Im Euklidischen Raum (siehe Beispiel 7.2 (b)) ist die einpunktige
Menge {x} abgeschlossen, aber nicht offen.
Satz 7.9. Ist (Ωi )i∈I mit Ωi ∈ O (und einer beliebigen Indexmenge I) eine Familie
offener Mengen, so ist auch ihre Vereinigung offen, also
[
Ωi ∈ O .
i∈I
Ist (Ωi )i=1,...,n mit Ωi ∈ O eine endliche Familie offener Mengen, so ist auch ihr Schnitt
offen, also
Ω1 ∩ · · · ∩ Ωn ∈ O .
Beweis. Sei x ∈ ∪i∈I Ωi . Dann gibt es einen Index j ∈ I mit x ∈ Ωj . Da Ωj offen ist,
gibt es ein ε > 0 mit Bε (x) ⊂ Ωj . Dann folgt
[
Bε (x) ⊂ Ωi ,
i∈I
was zu zeigen war.
Sei nun x ∈ Ω1 ∩· · ·∩Ωn . Da jedes Ωi offen ist, existiert jeweils ein εi mit Bεi (xi ) ⊂ Ωi
(für jedes i ∈ {1, . . . , n}). Wir wählen ε = min(ε1 , . . . , εn ). Dann ist Bε (x) ⊂ Ωi für
alle i und folglich auch
Bε (x) ⊂ Ω1 ∩ · · · ∩ Ωn ,
was wiederum zu zeigen war. □
ANALYSIS I 79

Man beachte, dass unendliche Schnitte offener Mengen sind i.a. nicht offen. Das
sieht man am Beispiel in Rn
Ωn := B 1 (0) .
n
Die Mengen Ωn sind alle offen. Aber ihr Schnitt
\
Ωn = {0} ist nicht offen .
n
Durch Komplementbildung erhält man entsprechend folgendes Ergebnis für abge-
schlossene Mengen.
Satz 7.10. Ist (Ai )i∈I eine Familie abgeschlossener Mengen, so folgt
\
Ai ist abgeschlossen .
i∈I
Ist (Ai )i=1,...,n mit Ai ∈ O eine endliche Familie abgeschlossener Mengen, so ist auch
A1 ∪ · · · ∪ An ist abgeschlossen .
Definition 7.11. Sei A ⊂ E. Wir definieren
◦ [
A := B innerer Kern von A
B∈O,B⊂A
\
A := B Abschluss von A
B abgeschlossen,B⊃A

∂A := A \ A Rand von A
In Worten ist der innere Kern die größte offene Menge, die in A enthalten ist. Der
Abschluss ist die kleinste abgeschlossene Menge, die A enthält.
Beispiel 7.12. Wir betrachten wieder einige Beispiele.
(a) E = C mit der Standardmetrik und sei r > 0. Dann ist

Br (0) = z ∈ C |z| ≤ r} =: A
die abgeschlossene Kreisscheibe. Da sieht man folgendermaßen. Die Menge A
ist abgeschlossen (da das Komplement offensichtlich offen ist) und entält Br (0).
Da der Abschluss der Schnitt aller solcher Mengen ist, folgt Br (0) ⊂ A. Um
Gleichheit zu zeigen, nehme umgekehrt an, dass Br (0) ̸= A. Dann gäbe es ein x ∈
A mit x ̸∈ Br (0). Dann wäre x im Komplement von Br (0). Da dieses Komplement
offen ist, gäbe es eine offene Umgebung von x, die Br (0) nicht schneidet. Das ist
ein Widerspruch.
Ausserdem ist

Br (0) = Br (0)
(das ist offensichtlich, weil Br (0) schon offen ist). Damit folgt

∂Br (0) = z ∈ C |z| = r} = Sr (0) .
Der Rand der offenen Kreisscheibe ist also genau die Kreisline.
(b) Bei der diskreten Topologie ist

A=A=A für alle A ⊂ E .

80 F. FINSTER

◦ 
Satz 7.13. (i) A = x ∈ A es gibt ε > 0 mit Bε (x) ⊂ A
◦ ◦
(ii) A ⊂ B =⇒ A ⊂ B

z }| { ◦ ◦
(iii) A ∩ B = A ∩ B
Beweis. (i) Setze C := {x ∈ A | ∃ ε > 0 mit Bε (x) ⊂ A . Dann ist C nach Kon-

struktion offen und ist in A enthalten. Damit folgt C ⊂ A.
Für den Beweis der umgekehrten Inklusion sei Ω ⊂ A offen. Dann ist nach
Definition der Menge C auch Ω ⊂ C. Bildet man die Vereinigung über alle

solche Ω folgt A ⊂ C.
(ii) Das ist offensichtlich.

z }| {
(iii) Sei x ∈ A ∩ B. Dann gibt es ein ε > 0 so dass Bε (x) ⊂ A ∩ B. Nach Definition

der Schnittmenge ist dann Bε (x) ⊂ A und Bε (x) ⊂ B. Es folgt, dass x in A und
◦ ◦ ◦
in B ist, also auch in A ∩ B. □
bis hier Vorlesung
7.2.2024
7.3. Teilräume, Relativtopologie. Es sei nun (E, d) wieder ein metrischer Raum
und A ⊂ E. Dann ist die Einschränkung

A, d|A×A auch ein metrischer Raum .
Die offenen Bälle dieses metrischen Raumes erhält man, indem man die offenen Bälle
in E mit A schneidet, also
BrA (x) = Br (x)E ∩ A
(wobei die Indizes zur Klarheit anzeigen, in welchem metrischen Raum man ist). Damit
folgt die einfache Beziehung
Ω ⊂ A offen ⇐⇒ es gibt V ⊂ E offen mit Ω = A ∩ V .
Diese Topologie wird die Relativtopologie von A ⊂ E genannt. Am besten sieht man
in Beispielen, wie das funktioniert.
Beispiel 7.14. Es sei E = R mit der Standardmetrik und A = (0, 1]. Dann ist die
Menge (0, 21 ] in A abgeschlossen. Außerdem ist A in A abgeschlossen.
7.4. Konvergenz und Stetigkeit. Ziel dieses Abschnittes ist es, die Begriffe Konver-
genz und Stetigkeit topologisch zu fassen. Wir beginnen mit dem Konvergenzbegriff.
Satz 7.15. Sei (E, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (xn )n∈N in E konvergiert
genau dann gegen x ∈ E falls in jeder Umgebung von x fast alle Folgenglieder liegen.
Beweis. Die Konvergenz xn → x bedeutet, dass für jedes ε > 0 ein N existiert
mit d(x, xn ) < ε für alle n > N . Falls in jeder Umgebung von x fast alle Folgen-
glieder lieben, dann insbesondere auch in den Kugeln Bε (x). Also konvergiert dann xn
gegen x.
Gelte umgekehrt xn → x und sei Ω eine Umgebung von x. Nach Definition einer
Umgebung gibt es dann ein ε > 0 so dass Bε (x) ⊂ Ω. Nach Definition der Konvergenz
liegen dann fast alle Folgenglieder in Bε (x), damit aber auch in Ω. □
Nun zuf Stetigkeit. Dazu betrachten wir zwei metrische Räume (E, d) und (F, d′ )
und eine Abbildung f : E → F zwischen diesen Räumen. Die übliche ε/δ-Definition
der Stetigkeit lässt sich dann so formulieren:
ANALYSIS I 81

Definition 7.16. Die Abbildung f : E → F heisst stetig falls es zu jedem x ∈ E


und ε > 0 ein δ > 0 gibt so dass

d f (x), f (y) < ε für alle yinBδ (x) .
Versuche dies nun topologisch auszudrücken. Zunächst einmal kann man die letzte
Ungleichung als Implikation schreiben,

d(x, y) < δ =⇒ d f (x), f (y) < ε .
Wir können das äquivalent auch schreiben als Inklusion
 
f Bδ (x) ⊂ Bε f (x)
oder auch in der Form
Bδ (x) ⊂ f −1 Bε (y)


mit y := f (x). Diese letzte Schreibweise ist tatsächlich am besten geeignet für die rein
topologische Umformulierung.
Satz 7.17. Die Abbildung f : E → F ist stetig genau dann, wenn das Urbild offener
Mengen offen ist.
Beweis. Wir beweisen zunächst die Hinrichtung. Sei also f : E → F stetig und Ω ⊂ F
offen. Sei x ∈ f −1 (Ω) beliebig; wir setzen y = f (x). Da Ω offen ist, gibt es ein ε
mit Bε (y) ⊂ Ω. Da f in x stetig ist, gibt es ein δ > 0 mit Bδ (x) ⊂ f −1 (Bε (y)). Also
ist Bδ (x) ⊂ f −1 (Ω.
Für die Rückrichtung nehmen wir an, dass das Urbild offener Mengen offen ist.
Wir wollen zeigen, dass f stetig ist. Dazu wählen wir x ∈ E und ε > 0; wir setzen
wieder y = f (x). Da der Ball Bε (y) ⊂ F offen ist, ist auch sei Urbild f −1 (Bε (y)) ⊂ E
offen. Ausserdem ist offensichtlich x ∈ f −1 (Bε (y)) Also gibt es ein δ > 0 mit Bδ (x) ⊂
f −1 (Bε (y)).

=⇒ f Bδ (x) ⊂ Bε (y) ,
also ist f stetig. □
Man beachte, dass das Bild offener Mengen unter stetigen Abbildungen i.a. nicht
offen ist. Als Beispiel betrachte man E = F = R und
f :R→R, x 7→ x2 .
Dann ist f (E) = [0, ∞) nicht offen.

7.5. Topologische Räume. Wir haben gesehen, dass man viele wichtige Begriffe
aus der Analysis (wie Konvergenz und Stetigkeit) ohne Bezug auf die Metrik rein
topologisch mit Hilfe des Systems offener Mengen O ausdrücken kann. Dies ist die
Motivation dafür, dass man den bisherigen Rahmen verallgemeinert, indem man die
Topologie an den Anfang stellt.
Definition 7.18. Wir betrachten eine Menge E zusammen mit einer ausgezeichneten
Familie von Teilmengen O ⊂ P(E) mit den folgenden Eigenschaften:
(i) ∅, E ∈ O
(ii) Abgeschlossenheit unter endlichen Vereinigungen: Für alle n ∈ N und Ω1 , . . . , Ωn ⊂
E gilt
Ω1 , . . . , Ωn ∈ O =⇒ Ω1 ∩ · · · ∩ Ωn ∈ O .
82 F. FINSTER

(iii) Abgeschlossenheit unter beliebigen Vereinigungen: Für jede (möglicherweise un-


endliche, auch überabzählbar-unendliche) Familie (Ωλ )λ∈Λ of subsets of E gilt
[
Ωλ ∈ O ∀λ ∈ Λ =⇒ Ωλ ∈ O .
λ∈Λ
Dann heisst O die Topologie von E und (E, O) heisst topologischer Raum.
Als einfaches Beispiel kann man zu einer nicht-leeren Menge E die Topologie wählen
als
O = {∅, E} . (7.2)
Dies ist ein Beispiel einer Topologie, die nicht von einer Metrik herkommt. Es gibt also
keine Metrik, deren Bälle diese Topologie erzeugen. Man sagt auch, der topologische
Raum ist nicht metrisierbar.
Auf topologischen Räumen kann man Begriffe wie Konvergenz und Stetigkeit einführen,
indem man die obigen Ergebnisse als Definitionen verwendet:
Definition 7.19. Zu jedem x ∈ E heisst eine Menge Ω ∈ O mit x ∈ Ω offene
Umgebung von x. Eine Folge (xn )n∈N in E konvergiert gegen x ∈ E, falls in jeder
offenen Umgebung von x fast alle Folgenglieder liegen.
Definition 7.20. Eine Abbildung f : E → F zwischen zwei topologischen Räumen
heisst stetig falls das Urbild jeder offenen Menge offen ist, also
Ω ⊂ E offen =⇒ f −1 (Ω) ⊂ E offen .
Man beachte, dass Begriffe wie Durchmesser oder auch Cauchy-Folge nicht topolo-
gisch sind, weil hierfür der Abstandsbegriff gebraucht wird. Es stellt sich allgemeiner
die Frage, welche mathematischen Begriffe topologisch sind, also auf topologischen
Räumen eingeführt werden können. Mit Kompaktheit und Zusammenhang werden wir
im folgenden zwei solcher Begriffe kennenlernen. Es ist interessant zu bemerken, dass
auch ein Begriffe wie Dimension topologisch ist. Dazu kann man so vorgehen.
Definition 7.21. Zwei topologische Räume E und F heissen homöomorph falls es
bijektive Abbildung ϕ : E → F gibt, so dass ϕ und ϕ−1 stetig sind.
Zwei topologische Räume E und F heissen lokal homöomorph, falls es zu je-
dem x ∈ E und y ∈ F offene Umgebungen U von x und V von y gibt, die (mit
der Relativtopologie versehen) homöomorph sind (es gibt also eine bijektive Abbil-
dung ϕ : U → V mit ϕ und ϕ−1 stetig.
Offensichtlich ist Rn mit der Standardtopologie zu sich selbst lokal homömorph
(man kann ϕ beispielsweise als Verschiebung z 7→ z + y − x wählen). Man kann auch
beweisen, dass Rn und Rm mit n ̸= m nicht lokal homömorph sind. Damit ist in der
Topologie also auch die Dimension codiert. Der Beweis dieses Ergebnisses geht aber
weit über das hinaus, was wir in der Analysis-Vorlesung behandeln können. Mit Fragen
bis hier Vorlesung dieser Art beschäftigt sich die algebraische Topologie.
9.2.2024
Fakultät für Mathematik, Universität Regensburg, D-93040 Regensburg, Germany
Email address: finster@ur.de

Das könnte Ihnen auch gefallen