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Grundlagen der Analysis

Christof Melcher - RWTH Aachen

11. Oktober 2023

1 Mengen und Aussagen


1.1 Der Mengenbegriff
Den Grundbegriff der Menge können wir nicht mathematische definieren, d.h.
auf schon bekannte Begriffe logisch zurückführen. Wir können nur versuchen,
unsere intuitive Vorstellung von der Eigenschaft solcher Zusammenfassungen
von Objekten in formale Regeln (Axiome) zu fassen - dies ist Aufgabe der axio-
matischen Mengenlehre einer Teildisziplin der mathematischen Logik. Uns
genügt es hier festzuhalten, dass ein Menge M dadurch charakterisiert ist,
dass von jedem vorliegenden Objekt x feststeht, ob gilt x ∈ M (x gehört zu
M ) oder x ∈ / M (x gehört nicht zu M ). Die Elemente einer Menge sind oft
durch einen Zahlenindex nummeriert. Eine Menge mit genau den Elementen
x1 , . . . , xn schreiben wir als

M = {x1 , . . . , xn }.

Die Mengen, mit denen wir primär arbeiten, sind Zahlenmengen mit unend-
lich vielen Elementen, wie etwa die natürlichen Zahlen

N = {1, 2, 3, . . . },

oder die ganzen Zahlen

Z = {0, 1, −1, 2, −2, . . . },

und die rationalen Zahlen


 
p
Q= : p ∈ Z, q ∈ N ,
q
ausgestattet mit den wohl bekannten Grundrechenarten. Eine Menge, für die
x ∈ M genau dann wenn A(x) gilt, wobei A(x) eine Aussage über x ist, schrei-
ben wir als M = {x : A(x)}. Im Allgemeinen stellt sich die Frage, aus welchem
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Fundus von Objekten wir schöpfen, um diese Aussage zu überprüfen. Dieses


Problem tritt unweigerlich bei der Diskussion von Zahlenmengen auf. Was
sind eigentlich natürliche Zahlen? Legen wir jedoch eine als bekannt voraus-
gesetzte Menge N zugrunde, so lassen sich mit Hilfe zulässiger Aussagen A(x)
für x ∈ N neue sogenannte Teilmengen bilden
M = {x ∈ N : A(x)}
Dies ist eine typische Situation der Analysis.
Beispiel 1.1. Wenn wir etwa die natürlichen Zahlen als gegeben voraussetzen,
lassen sich die geraden natürlichen Zahlen schreiben als
M = {n ∈ N : n ist gerade}.
Von den reellen Zahlen R haben wir bis jetzt vielleicht nur eine vage Vor-
stellung als Dezimalzahlen mit möglicherweise unendlich vielen Nachkom-
mastellen oder als Punkte auf dem Zahlenstrahl. Ein grundlegender Meilen-
stein der Analysis ist die Konstruktion der reellen Zahlen als abstrakte Menge
R anhand ihrer Eigenschaften formuliert in Form eines Axiomensystems. Wir
wollen sie in der Diskussion zu den Grundlagen der Analysis als gegeben hin-
nehmen, um geeignete Beispiele an der Hand zu haben. Genaueres erfahren
wir später.

1.2 Elemente der Aussagenlogik


Quantoren Dass eine Aussage A für alle Elemente einer Menge gültig ist,
schreiben wir kurz mit Hilfe des sogenannten Allquantors
∀x ∈ M : A(x) Für alle x aus M gilt A(x).
Dass ein Element aus M existiert, für welches die Aussage A gilt, schreiben
wir mit Hilfe des Existenzquantors
∃x ∈ M : A(x) Es gibt (mindestens) ein x aus M , für welches die Aussage A gilt.
Entsprechend bedeutet
∃!x ∈ M : A(x) Es existiert genau ein x aus M , für das A(x) gilt.
und
∄x ∈ M : A(x) Es existiert kein x aus M , für welches A(x) gilt.

Implikationen - notwendig vs. hinreichend Für Aussagen A, B schreiben


wir A ⇒ B bzw. B ⇐ A als Abkürzung für Aus A folgt B. Die mathematische
Bedeutung einer solchen Aussage sei kurz erläutert: A ⇒ B ist genau dann
richtig, wenn entweder (i) A falsch , B falsch oder richtig oder (ii) A richtig
und B richtig. Sprachlich bringen wir das wie folgt zum Ausdruck: A ist hin-
reichend(e Bedingung) für B oder B ist notwendig(e Bedingung) für A.

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Äquivalenz vs. Definition Wir schreiben A ⇐⇒ B für A gilt genau dann,


wenn B gilt oder A ist notwendig und hinreichend für B und umgekehrt. Um
eine Aussage A durch eine oder mehrere Aussagen B zu definieren schreiben
wir A : ⇐⇒ B. Diese Schreibweise ist konsistent mit der Schreibweise a := b
für die Definition eines Objekts a mit Hilfe anderer Objekte b.
Beispiele 1.2. (aus dem Leben)
• Für die Fahrerlaubnis (ohne Begleitperson) in Deutschland ist es notwen-
dig 18 Jahre alt zu sein - aber nicht hinreichend, denn man braucht schon
einen Führerschein.
• Um die Analysis Klausur zu bestehen ist es hinreichend, die volle Punkt-
zahl zu erreichen, aber nicht notwendig.
• Für die Zulassung zur Analysis Klausur ist es notwendig und hinrei-
chend, eine gewisse Mindestpunktzahl bei der Übungsaufgaben zu er-
reichen, d.h. das Zulassungskriterium ist äquivalent zu einer Mindest-
punktzahl bei den Übungsaufgaben.

Verknüpfung, Negation und De Morgansche Gesetze Dass beide Aussagen


A und B gleichzeitig gelten, wird A ∧ B notiert. Dass A oder B gilt wird mit
A ∨ B notiert (oder lateinisch vel). Hier ist zu bemerken, dass oder nichtaus-
schließend gemeint ist, also auch A ∧ B beinhaltet. Das ausschließende oder,
also das entweder oder, wird mit A∨B ˙ notiert. Dass eine Aussage A nicht gilt,
wird mit ¬A notiert. Folgende fundamentale Tatsache überlegt man sich leicht.
Satz 1.3. Für Aussagen A und B gelten die De Morganschen Regeln
¬(A ∧ B) ⇐⇒ ¬A ∨ ¬B und ¬(A ∨ B) ⇐⇒ ¬A ∧ ¬B.
Beispiel 1.4. Vodka Martini gibts es entweder geschüttelt oder gerührt, und
entweder mit oder ohne Eis. Wenn James Bond einen Vodka Martini trinkt,
dann ist er geschüttelt, nicht gerührt und ohne Eis. Äquivalent dazu ist, dass
James Bond einen Vodka Martini, der gerührt oder mit Eis ist, nicht trinkt.
Folgende analoge Umkehrungseigenschaften auf der Ebene des Existenz-
und Allquantors sind Leitmotiv und unabdingbares Werkzeug indirekter Be-
weise:
¬ (∀x ∈ M : A(x)) ⇐⇒ ∃x ∈ M : ¬A(x)

¬ (∃x ∈ M : A(x)) ⇐⇒ ∀x ∈ M : ¬A(x)


Beispiel 1.5. Die bekannte Aussgage Es existiert keine rationale Zahl, die quadriert
zwei ergibt. ist äquivalent zu Das Quadrat jeder rationalen Zahl ist ungleich zwei.
Das wollen wir jetzt zeigen:

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1.3 Beweismethoden für A ⇒ B


Direkter Schluss A ⇒ B
Beispiel 1.6. m ist gerade Zahl ⇒ m2 ist gerade Zahl.

Beweis.

m gerade ⇒ ∃n natürliche Zahl mit m = 2n


⇒ m2 = 4n2 = 2(2n2 )
⇒ m2 = 2n′ mit n′ = 2n2 natürliche Zahl
⇒ m2 gerade,

was zu zeigen war.

Beweis des Transponierten (der Kontraposition)


Zum Beweis von A ⇒ B zeigt man ¬B ⇒ ¬A. Die Äquivalenz sieht man
sofort aus der obigen Aufschlüsselung.

Beispiel 1.7. m2 ist gerade Zahl ⇒ m ist gerade.

Beweis. Wir zeigen stattdessen m ungerade ⇒ m2 ungerade:

m ungerade ⇒ ∃n natürliche Zahl mit m = 2n + 1


⇒ m2 = (2n + 1)2 = 2(2n2 + 2n) + 1
⇒ m2 = 2n′ + 1 mit n′ = 2n2 + 2n natürliche Zahl
⇒ m2 ungerade

Separierter Äquivalenzbeweis
Für A ⇐⇒ B zeigen wir oft A ⇒ B und B ⇒ A separat.

Beispiel 1.8. m ist gerade Zahl ⇐⇒ m2 ist gerade Zahl.

Beweis. Kombination der Beweise aus vorangehenden Beispielen.

Indirekter Schluss
Man nimmt an, dass A ⇒ B nicht gilt (also A und ¬B gelten) und zeigt, dass
dann eine dritte Aussage C sowie deren Negation ¬C gelten müssen, ein Wi-
derspruch.

Beispiel 1.9. Es existiert keine positive rationale Zahl a mit a2 = 2

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Mit de Morgan in der Form A ⇒ B formuliert: a rational ⇒ a2 ̸= 2.

Beweis. Wir nehmen an a ist rational und a2 = 2. Dann folgt einerseits a = b/c
für teilerfremde natürliche Zahlen b, c. Andererseits ist
 2
2 b b2
2=a = = 2.
c c

Also ist b2 = 2c2 gerade ⇒ b ist gerade ⇒ b = 2d für eine natürliche Zahl d ⇒
b2 = 4d2 . Ausserdem ist b2 = 2c2 , also 2c2 = 4d2 ⇒ c2 gerade ⇒ c gerade. Also
sind b, c gerade und insbesondere nicht teilerfremd, ein Widerspruch.

Zum Schluss noch eine Warung vor einem häufigen logischen Fehler, dem
Beweis der falschen Schlussrichtung:

Beispiel 1.10. Für alle reellen Zahlen a, b soll bewiesen werden, dass 2ab ≤
a2 + b2 . Die falsche Schlussrichtung wäre

2ab ≤ a2 + b2 ⇒ 0 ≤ a2 + b2 − 2ab
⇒ 0 ≤ (a − b)2

was als richtig bekannt ist. Dieser Unbeweis sagt aber nichts über die Rich-
tigkeit aus; allerdings sind hier alle Schlüsse auch in umgekehrter Richtung
gültig, d.h. ⇒ kann durch ⇐ oder auch ⇐⇒ ersetzt werden, und der Be-
weis ist korrekt. Im Allgemeinen sind Folgerungen aber nicht umkehrbar, z.B.
a = b ⇒ a2 = b 2 .

1.4 Beziehungen zwischen Mengen


Definition 1.11. Große Buchstaben bezeichnen Mengen.

1. A ⊂ B (A ist Teilmenge von B) : ⇐⇒ ∀x : (x ∈ A ⇒ x ∈ B)

2. A = B : ⇐⇒ ∀x : (x ∈ A ⇐⇒ x ∈ B) ⇐⇒ A ⊂ B und B ⊂ A

3. A ⊊ B (A ist echte Teilmenge von B) : ⇐⇒ A ⊂ B und A ̸= B.

4. ∅ ist die Menge, die kein Element enthält genannt leere Menge.

5. A ∩ B := {x : (x ∈ A) ∧ (x ∈ B)} Durchschnitt von A und B.

6. A ∪ B := {x : (x ∈ A) ∨ (x ∈ B)} Vereinigung von A und B.

7. A \ B := {x : (x ∈ A) ∧ (x ̸∈ B)}

8. P(A) := {B : B ⊂ A} heißt Potenzmenge von A.

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Mengen mit leerem Durchschnitt heißen disjunkt. Die leere Menge ist per
Konvention Teilmenge jeder beliebigen Menge. Insbesondere enthält die Po-
tenzmenge die leere Menge. Eine weitere gebräuchliche Schreibweise für das
Komplement von B in A ist
∁A B := A \ B,
und falls eine Grundmenge A festgelegt ist, für die B ⊂ A schreiben wir
B = ∁B := ∁A B.
Satz 1.12 (Rechenregeln für Mengen). Seien A, B, C, D Mengen. Dann gilt:
1. A ⊂ A (Reflexivität)
2. A ⊂ B und B ⊂ C ⇒ A ⊂ C (Transitivität)
3. A ∩ B = B ∩ A (Kommutativität)
4. (A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C) (Assoziativität)
5. A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C)
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) (Distributivität)
6. A ∩ A = A, A ∪ A = A, A ∩ ∅ = ∅, A ∪ ∅ = A

7. Seien A, B ⊂ D. Dann gilt A = A sowie


A ∩ B = Ā ∪ B̄ und A ∪ B = A ∩ B.

Beweis. Wir zeigen exemplarisch die letzte Gleichung. Sei x ∈ D


x∈A∪B ⇐⇒ x ̸∈ (A ∪ B)
⇐⇒ x ̸∈ A ∧ x ̸∈ B
⇐⇒ (x ∈ A) ∧ (x ∈ B)
⇐⇒ x ∈ A ∩ B,
was zu zeigen war.
Definition 1.13. Sei I eine Indexmenge (etwa I = N aber nicht notwendiger-
weise), (Ai )i∈I eine Familie von Mengen Ai . Dann seien
\ [
Ai := {x : ∀i ∈ I : x ∈ Ai } und Ai := {x : ∃i ∈ Ix ∈ Ai }
i∈I i∈I

der Durchschnitt bzw. die Vereinigung der Mengen Ai .


Die eben bewiesenen De Morganschen Gesetze der Mengenlehre gelten in
sehr allgemeiner Form für allegemeine Indexmengen und Mengen Ai ⊂ C:
\ [ [ \
Ai = Ai und Ai = Ai
i∈I i∈I i∈I i∈I

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1.5 Kartesisches Produkt


Seien x1 , . . . , xn nicht notwendigerweise verschiedene Objekte. Wir wollen ge-
ordnete Tupel (x1 , . . . , xn ) bilden, also neue Objekte, so dass gilt

(x1 , . . . , xn ) = (y1 , . . . , yn ) ⇐⇒ x1 = y1 ∧ · · · ∧ xn = yn .

Man beachte, dass

{x1 , . . . , xn } = {y1 , . . . , yn } =
̸ ⇒ x1 = y1 ∧ · · · ∧ xn = yn .

So ist etwa {1, 1, 2, 3} = {1, 2, 1, 3} = {1, 2, 3}.

Definition 1.14. Seien A1 , . . . , An Mengen. Dann heißt

A1 × A2 × · · · × An := {(x1 , . . . , xn ) : xj ∈ Aj ∀j = 1, . . . , n}

kartesisches Produkt von A1 , . . . , An .

Beispiele 1.15.

1. Für die ganzen Zahlen Z ist Z2 = Z × Z ein Punktgitter in der Ebene.

2. Entsprechend sind für die Menge der reellen Zahlen R die Paare in R2
Koordinaten der Ebene.

Satz 1.16 (Rechenregeln). Seien A, B, C, D Mengen. Dann gilt

1. A × B = ∅ ⇒ A = ∅ oder B = ∅

2. (A × C) ∪ (B × C) = (A ∪ B) × C

3. (A × C) ∩ (B × D) = (A ∩ B) × (C ∩ D)

Beweis. Die erste Behauptung ist klar. Bezüglich der zweiten Behauptung gilt

(x, y) ∈ (A × C) oder (x, y) ∈ (B × C) ⇐⇒ (x ∈ A oder x ∈ B) ∧ y ∈ C


⇐⇒ x ∈ A ∪ B und y ∈ C
⇐⇒ (x, y) ∈ (A ∪ B) × C.

Analog bezüglich der dritten Behauptung

(x, y) ∈ (A × C) und (x, y) ∈ (B × D) ⇐⇒ (x ∈ A und x ∈ B) ∧ (y ∈ C und y ∈ D)


⇐⇒ x ∈ A ∩ B und y ∈ C ∩ D
⇐⇒ (x, y) ∈ (A ∩ B) × (C ∩ D).

was zu zeigen war.

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2 Abbildungen und Relationen


2.1 Abbildungen zwischen Mengen
Definition 2.1. Seien X, Y Mengen. Eine Abbildung f von X nach Y ist eine
Vorschrift, die jedem x ∈ X genau ein Element y = f (x) zuordnet. Wir schrei-
ben

f :X → Y
x 7→ f (x).

In diesem Fall heißt X Definitionsbereich von f und Y Zielbereich von f .

f (X) := {y ∈ Y : ∃x ∈ X : f (x) = y} ⊂ Y

heißt Bild von f : X → Y . Ist A ⊂ Y , so heißt

f −1 (A) := {x ∈ X : f (x) ∈ A} ⊂ X

das Urbild von A unter f . Ferner heißt

graph(f ) := {(x, y) : x ∈ X und y = f (x)} ⊂ X × Y

Graph von f .

Definition 2.2. Eine Abbildung mit Werten in den reellen oder komplexen
Zahlen nennen wir Funktion.

Beispiele 2.3 (Wichtige Abbildungstypen).

1. Ist c ∈ Y , so heißt x 7→ c für alle X konstante Abbildung.

2. Für X = Y heißt die Abbildung x 7→ x Identität und wird mit idX be-
zeichnet.

3. Ist X ⊂ Y , so heißt die Abbildung i : X → Y mit i(x) = x für x ∈ X


Inklusion von X nach Y oder Einbettung von X in Y .

4. Ist f : X → Y und A ⊂ X, so heißt die Abbildung f |A : A → Y mit


(f |A)(x) = f (x) für alle x ∈ A heißt Einschränkung oder Restriktion von
f auf A.

5. Ist g : A → Y , so heißt jede Abbildung f : X → Y mit f |A = g Erweite-


rung von g.

6. Ist B ⊂ Y und f (X) ⊂ B, so heißt eine Abbildung g : X → B mit


f (x) = g(x) für alle x ∈ X eine induzierte Abbildung.

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Lemma 2.4. Für Abbildungen f : X → Y zwischen Mengen X, Y und Teilmengen


A1 , A2 ⊂ X und B1 , B2 ⊂ Y gilt:

1. f (A1 ∪ A2 ) = f (A1 ) ∪ f (A2 )

2. f (A1 ∩ A2 ) ⊂ f (A1 ) ∩ f (A2 )

3. f −1 (B1 ∪ B2 ) = f −1 (B1 ) ∪ f −1 (B2 )

4. f −1 (B1 ∩ B2 ) ⊂ f −1 (B1 ) ∩ f −1 (B2 )

Warum gilt beim zweiten Punkt nicht Gleichheit? Wie sieht ein einfaches
Gegenbeispiel aus, bei dem etwa A1 ∩ A2 = ∅ aber f (A1 ) ∩ f (A2 ) ̸= ∅.

2.2 Abbildungseigenschaften
Definition 2.5. Sei f : X → Y eine Abbildung zwischen Mengen.

1. Gilt f (X) = Y , so heißt f surjektiv.

2. Besitzt f −1 ({y}) für alle y ∈ Y höchstens ein Element, so heißt f injektiv.

3. Besitzt f −1 ({y}) für alle y ∈ Y genau ein Element, so heißt f bijektiv.

Für eine bijektive Abbildung heißt die Abbildung g : Y → X mit g(y) = x,


wobei f (x) = y, inverse Abbildung von f , und wir schreiben g =: f −1 .

Bijektiv bedeutet also injektiv und surjektiv, und f −1 existiert.

Definition 2.6. Sind f : X → Y und g : W → Z Abbildungen mit f (X) ⊂ W ,


dann ist die Komposition

g◦f :X →Z definiert durch (g ◦ f )(x) = g(f (x)) ∀x ∈ X.

Satz 2.7. Sind f : X → Y und g : Y → Z bijektiv. Dann ist auch g ◦ f : X → Z


bijektiv, und es gilt
(g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 .

Beispiele 2.8.

1. Die Identität ist bijektiv und es gilt id−1


X = idX . Ferner gilt für bijektive
Abbildungen f : X → Y

f −1 ◦ f = idX und f ◦ f −1 = idY .

2. Inklusionen sind injektiv aber im Allgemeinen nicht surjektiv, es sein


denn X = Y , und in diesem Fall ist i = idX .

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3. Ein bijektive Abbildung π : {1, . . . , n} → {1, . . . , n} heißt Permutation.

4. Die Funktion f : R → R mit f (x) = x2 ist werder injektiv noch surjektiv.


Ihre Einschränkung f |A auf die positiven Zahlen A ist jedoch injektiv.
Die induzierte Funktion g : A → A ist bijektiv.

5. Die Funktion f : R → R mit f (x) = x3 + λx ist bijektiv ⇐⇒ λ ≥ 0.

2.3 Relationen
Eine Abbildung ist durch ihren Graphen eindeutig bestimmt. Er ist ein wich-
tiges Beispiel einer sogenannten Relation.

Definition 2.9. Für Mengen X, Y ist eine Relation eine Teilmenge R ⊂ X × Y .

Die Attribute wie positiv und negativ oder grösser-gleich und kleiner-gleich
sind uns im Zusammenhang mit Zahlen wohl vertraut. Mathematisch gehen
diese Begriffe

Definition 2.10 (Ordnungsrelation). Sei X eine Menge. Eine Relation R ⊂ X ×


X heißt Totalordnung auf X : ⇐⇒ Für x, y, z ∈ X gilt:

1. (x, x) ∈ R (Reflexivität)

2. (x, y) ∈ R und (y, x) ∈ R ⇒ x = y (Antisymmetrie)

3. (x, y) ∈ R und (y, z) ∈ R ⇒ (x, z) ∈ R (Transitivität)

4. (x, y) ∈ R oder (y, x) ∈ R. (Totalität)

In diesem Fall schreiben wir x ≤ y : ⇐⇒ (x, y) ∈ R. Fehlt die Totalitätseigenschaft,


spricht man von einer partiellen Ordnung oder Teilordnung.

Beispiele 2.11.

1. Die bekannten Zahlensysteme N, Z, Q, R mit der üblichen Ordnung sind


totalgeordnete Mengen.

2. Sei X eine Menge und P(X) die Potenzmenge. Dann ist durch (A, B) ∈
R : ⇐⇒ A ⊂ B eine partielle Ordnung erklärt.

3. Sei F = {f : X → Y } die Menge alle Funktionen von einer Menge X in


eine totalgeordnete Menge Y , dann definiert

f ≤ g : ⇐⇒ f (x) ≤ g(x) ∀x ∈ X

eine partielle Ordnung.

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Definition 2.12 (Strikte Totalordnung). Ersetzt man Reflexivität, Antisymme-


trie und Totalität durch

(x, y) ∈ R oder (y, x) ∈ R oder x=y (Trichotomie)

so heißt R strikte Totalordnung mit der Schreibweis x < y : ⇐⇒ (x, y) ∈ R.


Man beachte, dass eine strikte Totalordnung stets eine (schwache) Totalord-
nung induziert aber selbst keine ist (Reflexivität fehlt). Ersetzt man in der De-
finition der partiellen Ordnung die Antisymmetrie durch Symmetrie kommt
man zu einer anderen wichtigen Form von Relationen:
Beispiel 2.13 (Äquivalenzrelation). Sei X eine Menge. Eine Relation R ⊂ X ×
X heißt Äquivalenzrelation auf X : ⇐⇒ Für x, y, z ∈ X gilt:
1. (x, x) ∈ R (Reflexivität)
2. (x, y) ∈ R ⇒ (y, x) ∈ R (Symmetrie)
3. (x, y) ∈ R und (y, z) ∈ R ⇒ (x, z) ∈ R (Transitivität)
In diesem Fall schreiben wir x ∼ y : ⇐⇒ (x, y) ∈ R. Ferner heißt

[x] = {y ∈ X : x ∼ y} ∈ X

Äquivalenzklasse von x. Elemente von [x] heißen Repräsentanten der Äquivalenzklasse


[x]. Die Menge der Äquivalenzklasse bezeichnen wir mit X/∼ .
Beispiel 2.14. Auf den ganzen Zahlen Z ist eine Äquivalenzrelation durch

x ∼ y : ⇐⇒ x − y ist gerade

erklärt. Die Äquivalenzklassen sind genau die geraden und die ungeraden
Zahlen mit Repräsentanten 0 und 1.
Beispiel 2.15. Auf der Menge der Studierenden X ist die Äquivalenzrelation

x ∼ y ∈ R : ⇐⇒ x und y studieren dasselbe Hauptfach

erklärt. In dieser Sprache ist jede(r) Studierende Repräsentant(in) des eigenen


Hauptfachs, und X/∼ kann mit der Menge dieser Fächer identifiziert werden.
Wir sehen also, dass eine Äquivalenzrelationen durch eine Art Reduktion
auf gewisse Eigenschaften andere und sogar neue Objekte erzeugen kann (im
obigen Beispiel kennen Aussenstehende vielleicht lediglich die Studierenden
aber nicht alle möglichen Hauptfächer). Dieses Prinzip spielt in der Analysis
eine große Rolle, etwa bei der Konstruktion der reellen Zahlen oder später
in der Integrationstheorie. Elementar erhalten wir eine saubere Charakterisie-
rung der rationalen Zahlen, falls wir N und Z hinnehmen.

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Beispiel 2.16. Auf Z × N erklären wir die Äquivalenzrelation

(p1 , q1 ) ∼ (p2 , q2 ) : ⇐⇒ p1 q2 = p2 q1

und erhalten Q = (Z × N)/∼ . Dies motiviert das Synonym Restklasse.


Um die ganzen Zahlen Z aus den natürlichen Zahlen sauber abzuleiten,
inkludieren zuächst die Null mit der Bezeichnung:

N0 := N ∪ {0} = {0, 1, 2, . . . },

Beispiel 2.17 (Tordifferenzen). Aus N0 ×N0 definieren wir die Äquivalenzrelation

(m1 , n1 ) ∼ (m2 , n2 ) : ⇐⇒ m1 + n2 = m2 + n1

und erhalten Z := (N0 × N0 )/∼ . Ordnet man das Schema in einer Tabelle an,
so erhält man kanonische Vertreter entlang der ersten Zeile und ersten Spalte.
Man beachte, dass die Addition auf N0 × N0

(m1 , n1 ) + (m2 , n2 ) := (m1 + m2 , n1 + n2 )

mit der Äquivalenzrelation verträglich ist und sich damit auf die Äquivalenzklassen
in konsistenter Weise vererbt. Ebenso die Multiplikation

(m1 , n1 ) · (m2 , n2 ) := (m1 n1 + m2 n2 , m1 n2 + m2 n1 ).

3 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip


3.1 Peano Axiome
Unsere Vorstellung von natürlichen Zahlen als Elemente kontinuierlichen Zählens
wurde von Giuseppe Peano in folgende Axiome gefasst:
Die natürlichen Zahlen bilden eine Menge N mit einem ausgezeichneten
Element 1 und einer Abbildung ν : N → N \ {1} genannt Nachfolgeabbildung,
sodass folgende Axiome gelten:
(N0) ν ist injektiv
(N1) Ist M ⊂ N mit 1 ∈ M und der Eigenschaft n ∈ M ⇒ ν(n) ∈ M , so gilt

M = N.

Man zeigt leicht: ν ist surjektiv und damit bijektiv. Wir schreiben wie üblich:

ν(1) = 2, ν(2) = ν(ν(1)), . . . .. also ν(n) = n + 1

Axiom (N1) heißt Induktionsprinzip und wird wie folgt formuliert:

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Für jede induktive Teilmenge von M ⊂ N gilt: M = N.


Mit obiger Konvention ergeben sich eine Einbettung von N in die ganzen
Zahlen sowie alle gewohnten Regeln der Addition. Die spannende Frage, die
den Rahmen sprengen würde, ist die Existenz einer solchen Menge N sowie
deren Eindeutigkeit. Man überlege sich, dass uns schon zur Notation beispiels-
weise arabische und römische Ziffern zur Verfügung stehen. Ferner besteht die
alternative Konvention, die Null in die natürlichen Zahlen einzubinden. so be-
steht offensichtlich eine Bijektion ν ′ : N0 → N mit n 7→ n + 1, also ν ′ (0) = 1
und ν ′ (n) = ν(n) für n ∈ N. Offenbar erfüllt dann N0 versehen mit dem ausge-
zeichneten Element 0 und der Nachfolgeabbildung ν ′ die Peano Axiome und
realisiert dementsprechend ein Alternativmodell der natürlichen Zahlen. Wir
sprechen hier von einer Isomorphie, und in der Tat sind die natürlichen Zah-
len bis auf Isomorphieen durch die Peano Axiome eindeutig festgelegt, aber
diese Diskussion würde zu weit führen.
Wie anfangs erwähnt führt der Standpunkt, dass Mengen durch beliebi-
ge Eigenschaften festgelegt werden können im Allgemeinen zu Antinomien
wie etwa die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten oder
wenn wir versuchen den Dorfbarbier als den Mann zu definieren, der alles
Männer des Dorfen rasiert, die sich nicht selbst rasieren, was beides fast un-
mittelbar auf einen Widerspruch führt. Daher ist die Existenzfrage im Grunde
noch subtiler und basiert auf dem sogenannten Unendlichkeitsaxiom, welches
die Existenz induktiver Mengen postuliert.

3.2 Vollständige Induktion


Das Induktionsprinzip hat ein wichtiges Beweisprinzip zur Folge:
Satz 3.1 (Vollständige Induktion). Um eine Aussage A(n) für alle n ∈ N zu bewei-
sen, genügt es zu zeigen
(IA) A(1) ist wahr
(IS) Für alle n ∈ N gilt A(n) impliziert A(n + 1).
Dabei steht (IA) für Induktionsanfang und (IS) für Induktionsschritt.
Beweis. Es sei M = {n ∈ N : A(n) ist wahr}. Wegen (IA) und (IS) ist M induk-
tiv, und wegen M ⊂ N folgt die Behauptung aus dem Induktionsprinzip.
Beispiel 3.2 (Eine Summenformel). Behauptung:

1 + 3 + 5 + . . . + (2n − 1) = n2 gilt für alle n ∈ N.

Bezeichnen wir obige Formel mit A(n), so lautet unsere Behauptung:

A(n) gilt für alle n ∈ N.

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Zum Beweis verifizieren wir zunächst


A(1) : 1 = 12 .
Im zweiten Schritt zeigen wir, dass für festes, aber beliebiges n ∈ N gilt
A(n) ⇒ A(n + 1).
Aber dies ist leicht verifiziert:
1 + 3 + 5 + . . . + (2n − 1) + 2(n + 1) − 1 = n2 + 2(n + 1) − 1 = (n + 1)2
A(n)

nach der binomischen Formel. Damit gilt die Aussage für alle n ∈ N.
Durch vollständige Induktion lässt sich zeigen, dass die natürlichen Zahlen
abgeschlossen bezüglich Addition und Multiplikation sind, d.h.
m, n ∈ N impliziert m + n ∈ N und m · n ∈ N.
Diese Abgeschlossenheit überträgt sich unmittelbar auf die ganzen Zahlen,
und wir erhalten:
Korollar 3.3 (Vollständige Induktion mit allgemeinem Startindex). Um eine
Aussage A(n) für alle n ∈ Z mit n ≥ n0 zu beweisen, genügt es zu zeigen
(IA) A(n0 ) ist wahr
(IS) Für alle n ≥ n0 gilt A(n) impliziert A(n + 1).
Beweis. Wir setzen B(n) = A(n − 1 + n0 ) für n ∈ N und benutzen Satz 3.1.

3.3 Induktive Definitionen, Summen, Produkte, Potenzen


Induktiv lassen sich Summe und Produkt folgendermaßen definieren:
Definition 3.4 (Summe und Produkt). Seien m, n ∈ N0 , und es gelten für die
Zahlen ak die Assoziativ- und Distributivgesetze der Addition und Multipli-
kation. Dann definieren wir:
Xn Xm
ak = 0 für n < m (leere Summe), ak = am
k=m k=m
n+1 n
!
X X
ak = ak + an+1 ∀n ≥ m.
k=m k=m
Yn m
Y
ak = 1 für n < m (leeres Produkt), ak = am
k=m k=m
n+1 n
!
Y Y
ak = ak · an+1 ∀n ≥ m.
k=m k=m

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Grundlagen der Analysis C. Melcher (RWTH Aachen)

Der Definition von Summen und Produkten liegt das Prinzip der indukti-
ven/rekursiven Definition zugrunde, welches sich folgendermaßen formulie-
ren lässt:
Satz 3.5. Sei M eine Menge a0 ∈ M und f : N0 × M → M eine Abbildung. Dann
existiert genau eine Abbildung g : N0 → M mit

g(0) = a0 und g(n + 1) = f (n, g(n)) für alle n ∈ N0 .

Beweis. Übungsaufgabe. Idee ist folgende: Man zeige mit vollständiger Induk-
tion, dass für alle m ∈ N eindeutige Abbildungen gm : {1, . . . , m} → M exis-
tieren, die die vorgeschriebene Eigenschaft haben. Anschließend setzte man
diese zu einer auf ganz N definierten Abbildung zusammen.
In der Definition der Summe mit Startindex m = 0 ist etwa
n
X
g(n) = ak und f (n, x) = x + an+1 .
k=0

Mit vollständiger Induktion lässt sich sehr leicht zeigen:


Satz 3.6 (Allgemeines Kommutativ- und Distributivgesetz). Für Zahlen ai , bj
für i = 0, . . . , n und j = 0, . . . , m wie oben, die zusätzlich die Kommutativgesetze
der Addition und Multiplikation erfüllen, gelten folgende Verallgemeinerungen:

n
X n
X
ai = aπ(i)
i=0 i=0
(i) n n
Y Y
ai = aπ(i)
i=0 i=0

für alle Permutationen π von {0, 1, 2, . . . , n}, und


n
! m ! n Xm
X X X
(ii) ai bj = ai b j .
i=0 j=0 i=0 j=0

Eine weitere Anwendung der induktiven Definition sind Potenzen.


Definition 3.7 (Potenzen). Für Elemente x, auf denen eine assoziative Multi-
plikation mit neutralem Element 1 definiert ist, sei

x0 := 1,
xn+1 := xn · x für alle n ∈ N0

Satz 3.8 (Rechenregeln für Potenzen). Für x, y wie oben und n, m ∈ N0 gilt

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Grundlagen der Analysis C. Melcher (RWTH Aachen)

(i) xn · xm = xn+m ,

(ii) (xn )m = xn·m ,

(iii) xn · y n = (x · y)n

wobei in (iii) die Kommutativität der Multiplikation vorauszusetzen ist.

Beweis. Zunächst für n, m ∈ N per Induktion nach n oder m, zum Beispiel für
(iii). Seien x, y fest, aber beliebig. Induktion nach n ∈ N0 :

(IA) n = 0: x0 y 0 = 1 · 1 = 1 = (x · y)0 (per Definition)

n → n + 1: xn+1 y n+1 = (xn · x)(y · y n ) = xn ((xy)y n ) = xn (y n (xy))


Def.
(IS)
= (xn y n )(xy) = (x · y)n (x · y) = (x · y)n+1
A(n)

was zu zeigen war.

Geometrische Summenformel Die oben benutzten Assoziativ-, Distributiv-


und Kommutativgesetze wollen wir für die reellen Zahlen postulieren. In die-
sem Zusammehang gilt die folgende wichtige Formel:

Satz 3.9. Sei q ̸= 1 und n ∈ N0 . Dann gilt


n
X 1 − q n+1
qk = .
k=0
1−q

Beweis. Induktion nach n. Sei q ∈ R mit q ̸= 1 fest, aber beliebig.

0
X
k 01 − q 0+1
(IA) q =q =1=
k=0
1−q

n+1 n
X X 1 − q n+1 q n+1 (1 − q) + 1 − q n+1
q k = q n+1 + q k = q n+1 + =
k=0 k=0
A(n) 1−q 1−q
q n+1 − qn+2
+ 1 − q n+1 1 − q (n+1)+1
= =
1−q 1−q

also folgt A(n+1).

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Grundlagen der Analysis C. Melcher (RWTH Aachen)

Kombinatorische Größen

Beispiel 3.10 (Fakultät). Für n ∈ N0 definieren wir


n
Y
n! := k so dass insbesondere 0! = 1.
k=1

Für n ≥ 1 entspricht n! kombinatorisch der Anzahl aller möglichen Anord-


nungen einer n-elementigen Menge.

Weitere wichtige kombinatorische Größen sind:

Definition 3.11 (Binomialkoeffizient). Für n, k ∈ N0 mit n ≥ k sei


 
n n!
= .
k k!(n − k)!

Lemma 3.12. Seien n, k ∈ N0 . Dann gilt


   
n n
(i) = , falls n ≥ k und
k n−k
     
n n−1 n−1
(ii) = + , falls n > k ≥ 1.
k k−1 k

Beweis. (i) Folgt unmittelbar aus der Definition.


(n−1)! (n−1)! k(n−1)!+(n−1)!(n−k) n(n−1)! n!
(ii) (n−k)!(k−1)!
+ (n−1−k)!k!
= (n−k)!k!
= (n−k)!k!
= (n−k)!k!

3.4 Abzählbarkeit und Mächtigkeit


Definition 3.13. Sei M eine Menge

1. M heißt endlich mit der Anzahl n = |M | von Elementen : ⇐⇒

(a) M = ∅ und n = 0 oder


(b) ∃f : M → {1, . . . , n} bijektiv.

2. M heißt abzählbar unendlich : ⇐⇒ ∃f : M → N bijektiv.

3. M heißt überabzählbar : ⇐⇒ M ¬ (endlich ∨ abzählbar unendlich).

Beispiel 3.14. Ist M eine endliche Menge mit |M | = n, dann ist P(M ) ebenfalls
endlich mit |P(M )| = 2n . Daher rührt auch die Schreibweise P(M ) = 2M .

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Grundlagen der Analysis C. Melcher (RWTH Aachen)

Im endlichen oder abzählbaren Fall ist es möglich, jedes Element in M in


eindeutiger Weise mit einem Index k ∈ {1, . . . , n} oder k ∈ N zu versehen.
Natürlich kann in obiger Definition N durch N0 ersetzt werden, was zuweilen
einfachere Formeln generiert.
Beispiele 3.15.
1. Die ganzen Zahlen Z sind abzählbar vermöge f : Z → N0 gegeben durch
(
2z für z ≥ 0
z 7→
−2z − 1 für z < 0.

2. Das N20 = N0 ×N0 ist abzählbar mittels eines Diagonalverfahrens, welches


wir an der Tafel illustrieren. Es entspricht folgender bijektiver Abbildung
g : N20 → Z gegeben durch
(m + n)(m + n + 1)
g(m, n) = + n.
2
3. Die rationalen Zahlen Q sind abzählbar. Hierzu konstruieren wir eine
bijektive Abbildung h : Q → N20 und wenden das zuvor gezeigte an.
Genauer spricht man im obigen Beweis vom Cantor’schen ersten Diago-
nalargument. Mit Hilfe einer zweiten Variante, die ebenfalls auf Georg Cantor
zurückgeht zeigen wir später auf der Ebene unendlicher Dezimalbrüche die
überabzählbarkeit der Menge der reellen Zahlen R. Die Idee demonstrieren
wir auf der Ebene von Abbildungen, wo sich leicht überabzählbare Mengen
konstruieren.
Satz 3.16. Sei A ⊂ N und enthalte mindestens 2 Elemente. Dann ist
G := {g : N → A} überabzählbar.
Beweis. Indirekt: Angenommen es existiert h : N → G bijektiv (surjektiv genügt
schon). Sei h(n) =: gn . Wähle a0 , a1 ∈ A mit a0 ̸= a1 , und definiere
(
∗ a0 falls gn (n) ̸= a0
g (n) := .
a1 falls gn (n) = a0
Nach Vorasussetzung existiert aber m ∈ N mit g ∗ = h(m) = gm , aber nach
Definition gilt gleichzeitig g ∗ (m) ̸= gm (m), ein Widerspruch.
Der Begriff der Anzahl von Elementen bei endlichen Mengen wird in der
Mengenlehre durch den Begriff der Mächtigkeit (oder Kardinalität) erweitert.
Zwei Mengen A und B heißen gleich mächtig, wenn eine bijektive Abbildung
f : A → B existiert. Abzählbarkeit tritt hier als Spezialfall auf. Mächtigkeit
definiert eine Äquivalenzrelation auf Mengen in einem erweiterten Konzept
von ∼. Die entsprechenden Äquivalenzklassen heißen Kardinalzahlen. Es gibt
unendlich viele, aber sie bilden keine Mengen - wie ist das möglich?

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