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FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Niedersächsisches
Kultusministerium

Orientierungsplan für
Bildung und Erziehung
– Gesamtausgabe –

FRÜHKINDLICHE BILDUNG
Niedersächsisches
Kultusministerium
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Niedersächsisches
Kultusministerium

Die Arbeit mit Kindern


unter drei Jahren
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Orientierungsplan für
Bildung und Erziehung Ni
Niedersächsisches
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Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan

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für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
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niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Kinder unter 3 Jahren

FRÜHKINDLICHE BILDUNG
im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen
für Kinder
Begleitfilm zum Orientierungsplan

em DVD-Film
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Mit beiliegend

Niedersachsen
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Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan
–1–
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich

niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder
n

Niedersachsen
1
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Inhalt der Gesamtausgabe
Vorwort 1

Erklärung zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung 3


und dessen Handlungsempfehlungen

Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich Abschnitt A


niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Handlungsempfehlung »Sprachbildung und Sprachförderung« Abschnitt B

Handlungsempfehlung »Die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren« Abschnitt C

7
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Vorwort

Sehr geehrte Interessierte,

vielen Dank, dass Sie den Orientierungsplan in den


Händen halten. Im Orientierungsplan für Bildung
und Erziehung im Elementarbereich (2005) sowie
in den ergänzenden Handlungsempfehlungen
»Sprachbildung und Sprachförderung« (2011) und
»Die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren« (2012)
wird der gesetzliche Bildungsauftrag niedersächsi-
scher Tageseinrichtungen für Kinder konkretisiert.
Das Kultusministerium, die Arbeitsgemeinschaft
der Kommunalen Spitzenverbände, die Trägerver-
bände der freien Wohlfahrt und der Kirchen sowie
die Landesarbeitsgemeinschaft der Elterninitiativen
sehen den Orientierungsplan und die ihn ergänzen-
den Handlungsempfehlungen als Grundlage für die
Bildungsarbeit im Elementarbereich niedersächsi-
scher Tageseinrichtungen für Kinder.

1
Sie haben im Rahmen einer Selbstverpflichtung Mein Dank gilt allen Expertinnen und Experten
)5h+ .,1'/,&+ (%,/'81 *

erklärt, dass sie die trägerübergreifend verein- in der Landesregierung und bei den Trägerver-
barten Bildungsziele im Rahmen ihrer jeweiligen bänden, die sich für die Entstehung und Weiter-
Möglichkeiten umsetzen und damit die Qualität entwicklung des Orientierungsplans eingesetzt
der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen haben und weiterhin einsetzen. Mein besonderer
weiter entwickeln werden. Dank gilt allen Pädagoginnen und Pädagogen, die
den Orientierungsplan Tag für Tag im Alltag der
Der Orientierungsplan ist damit Ausgangspunkt Kindertageseinrichtungen umsetzen und auf diese
für die Erarbeitung und Weiterentwicklung von Weise dafür Sorge tragen, dass Kinder in Nieder-
pädagogischen Konzepten für die Arbeit in sachsen von einer guten frühkindlichen Bildung
Kindertageseinrichtungen. Er vermittelt, wie eine und Erziehung profitieren können.
fach- und kindgerechte Begleitung von Lern- und
Entwicklungsprozessen generell, und insbesondere
im Bildungsbereich Sprache und Sprechen sowie
auch zur Arbeit mit Kindern unter drei Jahren im
Hinblick auf die besonderen Entwicklungsanforde-
rungen von Kindern in der Praxis vor Ort Julia Willie Hamburg
gestaltet werden soll. Der Orientierungsplan Niedersächsische Kultusministerin
versteht sich somit als Maßstab für die Prozessqua-
lität der pädagogischen Arbeit im Alltagsgesche-
hen und als Grundlage für die Weiterqualifizierung
pädagogischer Kräfte.

Der Orientierungsplan ist eine Erfolgsgeschichte,


die ich ausdrücklich würdigen möchte. Der hohe
Absatz der Broschüre lässt darauf schließen, dass
er sich als Instrument der Praxis für die Gestaltung
frühkindlicher Lern- und Entwicklungsprozesse in
jeder Hinsicht bewährt hat.

2
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Erklärung zum Die Unterzeichner begrüßen, dass mit der Heraus-

Orientierungsplan
gabe des Orientierungsplans für Bildung und
Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer

für Bildung und


Tageseinrichtungen für Kinder sowie den Hand-
lungsempfehlungen der Bildungsauftrag des

Erziehung im
Elementarbereichs konkretisiert und in der Öffent-
lichkeit deutlich gemacht wird.

Elementarbereich Die Unterzeichner betrachten den Orientierungs-

niedersächsischer
plan und die ihn ergänzenden Handlungsempfeh-
lungen als Grundlage für die Bildungsarbeit in

Tageseinrichtungen
den niedersächsischen Einrichtungen des Elemen-
tarbereichs. Sie akzeptieren ihn als Rahmen für die

für Kinder und


Erarbeitung der einrichtungsspezifischen Konzepti-
onen. Der Plan hat empfehlenden Charakter. Die

dessen Handlungs-
Verantwortung der Träger für die konkrete Ausge-
staltung der Bildungsarbeit bleibt davon unberührt.

empfehlungen Die Unterzeichner sind sich dessen bewusst, dass


der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung an-
spruchsvolle Ziele verfolgt, die aus unterschied-
lichen Gründen nicht überall zeitnah und in gleicher
Weise erreicht werden können.

3
Sprachbildung
Sprachbildung und Sprachförderung
und Sprachförderung
Die Unterzeichner unterstützen die Einrichtungen Es lassen sich aus dem Orientierungsplan weder
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder


bei der Umsetzung
Die Unterzeichner des Plans
unterstützen nach
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Einrichtungen
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Land nochdas Land
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der Träger der öffentli-
öffentlichen
Land noch gegen die Träger der öffentlichen Jugend-
Jugend-
Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder
gegebenender
der Umsetzung Möglichkeiten und Strukturen.Sprach-
„Handlungsempfehlungen
er Umsetzung der „Handlungsempfehlungen Sprach-
Grund- chen Jugendhilfe
hilfe und und die kreisangehörigen
die kreisangehörigen Städte
Städte und Gemeinden
hilfe und die kreisangehörigen Städte und Gemeinden
Elementarbereich
ementarbereich niedersächsischer
niedersächsischer
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Tageseinrichtungen
Unterzeichnung fürfür Kinder
Kinder
geltenden
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ldung und Sprachförderung” nach ihren jeweils
und Gemeinden finanzielle Forderungen ableiten.
finanzielle Forderungen ableiten. Aufgrund der schwie-
finanzielle Forderungen ableiten. Aufgrund der schwie-
Regelungen des niedersächsischen Gesetzes
gegebenen Möglichkeiten und Strukturen. Grundlage über Aufgrund der extremaller
rigen Haushaltslage schwierigen Haushaltslage
öffentlichen Haushalte
egebenen Möglichkeiten und Strukturen.
Tageseinrichtungen für Kinder und die dazu rigen
Grundlage ergan-Haushaltslage aller öffentlichen
aller öffentlichen Haushalte Haushalte
müssen die formulier-
sind die bei Unterzeichnung geltenden Regelungen des müssen die formulierten Ziele schrittweise und ohne
nd die bei Unterzeichnung geltenden Regelungen des
genen Durchführungsverordnungen. müssen dietenformulierten Ziele schrittweise
Ziele schrittweise und ohne Mehrbe-
und ohne finanzielle
niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen finanzielle Mehrbelastung gemeinsam umgesetzt und
edersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen finanziellelastung
Mehrbelastung
gemeinsam gemeinsam
umgesetzt umgesetzt undwerden.
und erreicht
für Kinder und die dazu ergangenen Durchführungs- erreicht werden. Die Stärkung des Bildungsauftrages
ür Kinder und die dazu ergangenen Durchführungs- erreicht werden. Die Stärkung
Die Stärkung des Bildungsauftrages
des Bildungsauftrages kann deswegen
verordnungen. kann
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der im Rahmen der finanziellen Mög-
finanziellen
erordnungen. kann deswegen nur im Rahmen der finanziellen Mög-
lichkeiten aller Beteiligten verfolgt werden.
lichkeiten Möglichkeiten
aller Beteiligtenaller Beteiligten
verfolgt werden.verfolgt werden.
Es lassen sich aus den „Handlungsempfehlungen
s lassen sich aus den „Handlungsempfehlungen
Sprachbildung und Sprachförderung“ weder gegen das Hannover, 15. Juni 2011
prachbildung und Sprachförderung“ weder gegen das Hannover, 15. Juni 2011
Dr. Bernd Althusmann
Dr. Bernd Althusmann
Niedersächsischer Kultusminister
Niedersächsischer Kultusminister
Dr. Bernd
Dr. Bernd Althusmann
Althusmann
Niedersächsischer
Niedersächsischer Kultusminister
Kultusminister
Arbeitsgemeinschaft der kommunalen
Arbeitsgemeinschaft
Spitzenverbände der kommunalen
Niedersachsens
Spitzenverbände
vertreten durch Niedersachsens
Arbeitsgemeinschaft
Arbeitsgemeinschaft der kommunalen
vertreten durch der kommunalen
Spitzenverbände
Spitzenverbände
Dr. Bernd Niedersachsens
Niedersachsens
Althusmann Hanna Naber
Dr. Bernd Althusmann
vertreten
vertreten durchdurch Hanna Naber
Niedersächsischer Kultusminister Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Weser-Ems e.V.
Niedersächsischer Kultusminister Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Weser-Ems e.V.

Prälat Prof. Dr. Felix Bernard


Frank Klingebiel Prälat des
Leiter Prof.Katholischen
Dr. Felix Bernard
Büros Niedersachsen
Frank Klingebiel Städtetag
Niedersächsischer Leiter des Katholischen
- Kommissariat Büros Niedersachsen
der katholischen Bischöfe –
Niedersächsischer Städtetag PrälatPrälat
- Prof. Prof.
Dr. Felix
KommissariatDr. Felix
Bernard
der Bernard
katholischen Bischöfe –
FrankFrank Klingebiel
Klingebiel Leiter des Katholischen Büros Niedersachsen
Leiter des Katholischen Büros Niedersachsen
Niedersächsischer
Niedersächsischer Städtetag
Städtetag - Kommissariat
- Kommissariatder katholischen
der katholischen
Bischöfe
Bischöfe
– –
Heiger Scholz Rifat Fersahoglu-Weber
Heiger Scholz Rifat Fersahoglu-Weber
Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Braunschweig e.V.
Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Braunschweig e.V.
Niedersachsens
Niedersachsens
Dr. Hubert Meyer Andrea Radtke
Dr. Hubert Meyer Landkreistag
Niedersächsischer Andrea Radtke evangelischer Kirchen in Niedersachsen
Konföderation
Niedersächsischer Landkreistag Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen
Dr. Hubert
Dr. Hubert MeyerMeyer Andrea
Andrea RadtkeRadtke
Niedersächsischer
Niedersächsischer Landkreistag
Landkreistag Konföderation
Konföderation evangelischer
evangelischer
Kirchen
Kirchen
in Niedersachsen
in Niedersachsen

Burkhard Guntau Thomas Müller


urkhard Guntau Thomas Müller
Präsident Landeskirchenamt der Ev.-luth. Landeskirche Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hannover e.V
räsident Landeskirchenamt
Rainer e.V. der Ev.-luth. Landeskirche
Timmermann Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hannover e.V
Hannovers Dr. Christopf Künkel
Hannovers e.V. Niedersächsischer
Rainer Timmermann Städte- und Gemeindebund Dr. Christopf Werke
Diakonische Künkelin Niedersachsen vertreten durch
Niedersächsischer Städte- und Gemeindebund Diakonische
das Werke
Diakonische in Niedersachsen
Werk vertreten durch
der Ev.-luth. Landeskirche
Rainer
Rainer Timmermann
Timmermann Dr. Christopf
Dr. Christopf
Künkel Künkel
Niedersächsischer
Niedersächsischer Städte-
Städte- und Gemeindebund
und Gemeindebund das Diakonische
Hannovers e. V. Werk der Ev.-luth. Landeskirche
Diakonische
Diakonische
Hannovers e.Werke
Werke in Niedersachsen
V.in Niedersachsen vertreten
vertreten durchdurch
das Diakonische
das Diakonische WerkWerk der Ev.-luth.
der Ev.-luth. Landeskirche
Landeskirche
Hannovers
Hannovers e. V. e. V.

Dr. Christoph
Dr. JürgenKünkel
Marcus Dr. Ralf Selbach
Dr. Christoph Künkel Dr. Ralf Selbach
Diakonische Werke
Dr. Jürgen inNiedersachsen
Marcus
Caritasverbände Niedersachsen vertreten
vertreten durch das Deutsches Rotes Kreuz in Niedersachsen vertreten durch
Diakonische Werke in Niedersachsen vertreten durch das durch Deutsches RotesCornelia
Kreuz inRundt
Niedersachsen vertreten durch
Diakonische
den Werk derNiedersachsen
Caritasverbände Ev.-luth. Landeskirche
Diözesencaritasverband Hannovers
vertreten
Hildesheim durch
e. V. e.V. das Deutsche Rote Kreuz Landesverband Niedersachsen e.V.
Diakonische Werk
Dr. der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V. das Deutsche Cornelia
Rote Kreuz Rundt
Landesverband
Paritätischer Niedersachsen
Wohlfahrtsverband e.V.
Niedersachsen e. V.
denJürgen
Dr. Jürgen MarcusMarcus
Diözesencaritasverband Hildesheim e. V. Paritätischer Wohlfahrtsverband Niedersachsen e. V.
Caritasverbände
Caritasverbände Niedersachsen
Niedersachsen vertreten
vertreten durchdurch Cornelia
Cornelia
RundtRundt
den Diözesencaritasverband
den Diözesencaritasverband Hildesheim
Hildesheim e. V. e. V. Paritätischer
Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohlfahrtsverband Niedersachsen
Niedersachsen e. V. e. V.

Dr. Ralf Selbach Annette Bruchmann


Dr. Ralf Selbach
Deutsches Rotes Kreuz in Niedersachsen vertreten Annette Bruchmann
Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen
Prälat Prof.
Deutsches
durch Dr. Felix Bernard
Rotes Kreuz
das Deutsche in Kreuz
Rote Niedersachsen vertreten
Landesverband Cornelia Rundt
Prälat Prof.
Dr.Dr. Felix
Dr.
Ralf Bernard
Ralf Selbach
Selbach Cornelia Rundt Niedersachsen/Bremen
Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen
e. V. Niedersachsen
(lagE)
Leiter des Katholischen
durch dasBüros
Deutsche
Niedersachsen e. Büros Niedersachsen
V Rote Kreuz LandesverbandParitätischer Paritätischer
Annette Wohlfahrtsverband
Bruchmann
Annette Bruchmann e.V.
Leiter desDeutsches
Katholischen
Deutsches
Rotes RotesNiedersachsen
Kreuz Kreuz
in in Niedersachsen
Niedersachsen vertreten
vertreten Wohlfahrtsverband Niedersachsen
Niedersachsen/Bremen e. V. e.V.
(lagE)
– Kommissariat
Niedersachsen der katholischen
e. VBischöfe – Bischöfe – Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen
Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen
– Kommissariat der
das katholischen
durchdurch das Deutsche
Deutsche Rote Rote
KreuzKreuz Landesverband
Landesverband Niedersachsen/Bremen
Niedersachsen/Bremen
e. V. (lagE)
e. V. (lagE)
4
Niedersachsen
Niedersachsen e. V e. V

–9–
–9–
Abschnitt A

1
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Niedersächsisches
Niedersächsisches
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Kultusministerium
Kultusministerium

Orientierungsplan
Die für
Arbeit mit Kindern
Bildung
unter und
drei Erziehung
Jahren

Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan


im Elementarbereich
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder
für Kinder
Kinder unter 3 Jahren
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Begleitfilm zum Orientierungsplan

dem DVD-Film
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich

Mit beiliegen
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Niedersachsen

5
–1–
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

6
Inhalt

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


I. Grundlagen und allgemeine Ziele 8
1. Einleitung: Funktion und Charakter des Orientierungsplans 8
2. Grundwerte in der demokratischen Gesellschaft 10
3. Zum Bildungsverständnis - wie kleine Kinder lernen 11

II. Bildungsziele in Lernbereichen und Erfahrungsfeldern 13


Einführende Bemerkungen 13
1. Emotionale Entwicklung und soziales Lernen 14
2. Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und der Freude am Lernen 16
3. Körper - Bewegung - Gesundheit 18
4. Sprache und Sprechen 20
5. Lebenspraktische Kompetenzen 22
6. Mathematisches Grundverständnis 24
7. Ästhetische Bildung 26
8. Natur und Lebenswelt 28
9. Ethische und religiöse Fragen, Grunderfahrungen menschlicher Existenz 30

III. Die Arbeit in der Tageseinrichtung für Kinder 32


A. Methodische Aspekte und die Aufgaben der Fachkräfte 32
1. Grundprinzipien für die Förderung von Erziehungs- und Bildungsprozessen 32
2. Leben und Lernen in der Kindergruppe 34
3. Das Spiel - die elementare Lernform von Kindern 36
4. Die Einrichtung einer anregenden Lernumgebung 37
5. Beobachtung und Dokumentation - Grundlagen methodischen Vorgehens 38
6. Zusammenarbeit im Team und Aufgaben der Leitung 39

B. Erziehungspartnerschaft mit den Eltern 41


1. Grundlagen für eine Erziehungspartnerschaft 41
2. Erziehungspartnerschaft in der Praxis 42
3. Die Tageseinrichtung im sozialen Umfeld 43

C. Zusammenarbeit von Tageseinrichtung und Grundschule 45


1. Voraussetzungen und Ziele der Zusammenarbeit 45
2. Konkrete Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs 46

IV. Qualitätsentwicklung und -sicherung 48


1. Zielsetzung - Pluralität der Methoden 48
2. Beobachtung und Dokumentation als Instrumente der Qualitätssicherung 49

Anhang
1. zu Kapitel III A: 4. Die Einrichtung einer anregenden Lernumgebung 52
2. zu Kapitel III C: Zusammenarbeit von Tageseinrichtung und Grundschule 55

7
I. Grundlagen und
In erster Linie richtet sich der Orientierungsplan an
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

die Träger und an die Fachkräfte der Kindertagesstät-

allgemeine Ziele
ten, denn es geht um grundlegende Orientierungen
darüber, wie Kinder am besten im Prozess ihrer
Weltaneignung – so verstehen wir Bildung – unter-
stützt werden können. Es ist das Anliegen des
Orientierungsplans, in konzentrierter Form die
fachlichen Anforderungen an die sozialpädagogische
Praxis zu benennen. Die Träger sind verantwortlich
für die Sicherstellung der Rahmenbedingungen.

Angesichts der Diskussion über die Leistungen


unseres Bildungswesens ganz allgemein soll mit
einem solchen Plan auch gegenüber den Eltern
verdeutlicht werden, wie in den vorschulischen
Tageseinrichtungen, der elementaren Stufe unseres
Bildungswesens, der Bildungsauftrag verstanden
1. Einleitung: Funktion und Charakter wird. Aber nicht nur für Eltern sollen Bildungsziele
des Orientierungsplans und -bereiche transparenter werden, sondern für
alle Einrichtungen und Institutionen, die mit der
Die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverant- Kindertagesstätte zu tun haben, insbesondere für
wortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlich- die Grundschulen. Die gewünschte Zusammenar-
keit ist das übergreifende Ziel frühkindlicher Bildung, beit von Elementar- und Primarbereich kann nur
Erziehung und Betreuung. Dieser Auftrag des auf der Basis von Informationen über Arbeitsweise
SGB VIII aus dem Jahre 1991 an die Kindertages- und Auftrag der jeweils anderen Seite gelingen.
stätten wird im Niedersächsischen Gesetz über Für die Aus- und Fortbildung hat ein solcher Plan
Kindertagesstätten und Kindertagespflege ebenfalls eine orientierende Funktion.
(NKiTaG) in den §§ 2 bis 4 aufgegriffen und der
eigene Bildungs- und Erziehungsauftrag aus- Tageseinrichtungen für Kinder sind der Jugendhilfe
drücklich genannt. zugeordnet und haben einen eigenständigen
Bildungsauftrag, an den die Grundschule bei ihrer
Es kann also keinen Zweifel daran geben, dass Arbeit anknüpft. Seitdem in den 90er Jahren eine
Tageseinrichtungen für Kinder einen Bildungsauf- breite – auch international geführte – Diskussion
trag haben – und immer hatten. Dennoch zeigt über Bildung in der frühen Kindheit wieder auflebte,
die intensive Diskussion, die seit einigen Jahren ist auf der Basis wissenschaftlicher Studien, u. a.
bundesweit über das richtige Verständnis frühkind- der Hirnforschung, eine neue Sichtweise auf die
licher Bildung geführt wird, dass wir uns auch in spezifischen Lernpotentiale von Vorschulkindern
Niedersachsen dieses Auftrags erneut vergewissern entstanden.
müssen. Hierzu bedarf es einer gemeinsamen,
trägerübergreifenden Orientierung für die Wahr-
nehmung dieser Aufgabe. Es geht darum, die
gesetzlichen Vorgaben in den §§ 2 bis 4 NKiTaG zu
konkretisieren und um dort nicht berücksichtigte
Aspekte zu erweitern. Der Orientierungsplan
dokumentiert den Konsens, der hinsichtlich des
Bildungsauftrages existiert und der landesweit den
Rahmen für einrichtungsspezifische Konzeptionen
abgibt. Er wendet sich ebenfalls an die sonder-
pädagogischen Einrichtungen des Elementar-
bereichs, die nicht unter das NKiTaG fallen. Eine
größere Verbindlichkeit und Transparenz der
Bildungsarbeit ist das Ziel.

8
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Daher wird zunächst das Bildungsverständnis für Der Orientierungsplan wurde verfasst mit Blick auf
den Elementarbereich formuliert, so wie es dem die Drei- bis Sechsjährigen. Grundsätzliche Ausfüh-
heutigen Stand der Fachdiskussion entspricht. Des rungen und der Kern der Bildungsziele gelten
Weiteren werden die für alle Bildungseinrichtun- ebenso für die Arbeit mit unter Dreijährigen. Die
gen verpflichtenden Grundwerte in der demokrati- altersspezifischen Entwicklungsschritte im Bildungs-
schen Gesellschaft genannt. Sie sind als Leitmotive prozess der Kinder unter drei Jahren können aber
für die pädagogische Arbeit in den Tageseinrich- nur ansatzweise im Rahmen dieses Plans gewürdigt
tungen zu verstehen. werden, siehe dazu »Die Arbeit mit Kindern unter
drei Jahren« in dieser Gesamtausgabe.
In Teil II werden die Bildungsziele in Lernbereichen
und Erfahrungsfeldern in gestraffter Form vorge- Der Orientierungsplan ist in einem lesbaren Um-
stellt. Darauf folgt der Abschnitt zur Arbeit in der fang gehalten. Nur dann kann er auch viele Betei-
Tageseinrichtung für Kinder (Teil III). Die dort ligte rund um die Kindertagesstätte erreichen.
formulierten Grundsätze sind keine Handlungsan- Er soll und kann keine Fachliteratur ersetzen; auf
weisungen im engeren Sinne. Sie sollen die Dimen- detaillierte Vorschläge wurde bewusst verzichtet.
sionen der Fachlichkeit im Arbeitsfeld Kindertages-
stätte umreißen. Die konkrete Ausgestaltung der
Arbeit liegt in der Verantwortung der Fachkräfte
bzw. der Träger.

Der Aufgabe der Qualitätsentwicklung und -siche-


rung (Teil IV) müssen sich heute alle Bildungs-
einrichtungen stellen. Die Leitung der Tageseinrich-
tung ist in Abstimmung mit dem Träger aufgefor-
dert, das jeweils geeignete Verfahren zu wählen.
Qualitätsentwicklungsverfahren führen über die
kritische Reflexion der Praxis zu selbstbewusster
Vertretung der eigenen Arbeit und mehr professio-
neller Kompetenz. Der Orientierungsplan für
Bildung und Erziehung als Ganzes ist diesem Ziel
verpflichtet.

9
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

2. Grundwerte in der demokratischen Einen besonderen Auftrag hat die Tageseinrichtung


Gesellschaft bei Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen.
Der Besuch einer Tageseinrichtung mit ihrer Fülle
Die pädagogische Arbeit in der Tageseinrichtung von sozialen, kulturellen und praktischen Lerngele-
begleitet und unterstützt die Entwicklung der genheiten bietet ihnen die Chance für ein erfolgrei-
Persönlichkeit der Kinder im Hier und Jetzt und ches Hineinwachsen in unsere Gesellschaft.
bereitet auf künftige Lebens- und Lernabschnitte
vor. Damit werden notwendige Voraussetzungen Die gemeinsame Erziehung von Kindern mit und
für die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe der ohne Behinderung erfüllt das Recht auf Teilhabe
jungen Menschen geschaffen. In den Tageseinrich- am normalen Leben mit Hilfe heilpädagogischer
tungen für Kinder werden die demokratischen Arbeit. Sie bietet neben anderen Vorteilen allen
Grundüberzeugungen erfahrbar. Dazu gehören die Beteiligten die Chance, jeden Menschen ganz
Achtung vor der Menschenwürde, Toleranz, Chan- unabhängig von der geistigen oder körperlichen
cengleichheit und Solidarität, die für unsere Gesell- Leistungsfähigkeit des bzw. der Einzelnen achten
schaft wesentlich sind. Das ist politische Bildung in zu lernen und die Verschiedenheit von Menschen
einem elementaren Sinne. Die Tageseinrichtung legt als Lebenstatsache zu erfahren.
damit ein Fundament für das Hineinwachsen der
Kinder in die demokratische Gesellschaft. Alle Kinder müssen ihre eigene Geschlechtsidentität
entwickeln können, ohne durch stereotype Sicht-
Andere Meinungen zu achten, Fremdem aufge- weisen und Zuschreibungen in ihren Erfahrungs-
schlossen zu begegnen, Rücksichtnahme, gegensei- möglichkeiten eingeschränkt zu werden. Alle Kinder
tige Hilfe und gewaltfreie Konfliktaustragung sind erhalten gleiche Chancen, die Aufmerksamkeit
in der Kindertageseinrichtung täglich gefordert. und Unterstützung der Fachkräfte zu erlangen.
Sie führen dazu, dass Toleranz, Solidarität und
Anerkennung des Verschiedenen bereits von kleinen Durch altersangemessene Beteiligung der Kinder
Kindern erfahren werden können, wenn diese an Entscheidungen können demokratische Ver-
Tugenden vom Team auch vorgelebt werden. Dies fahrensweisen im Alltag gelebt und die zunehmen-
gilt ganz besonders für das Miteinander von de Selbstständigkeit und Verantwortungsbereit-
Kindern unterschiedlicher sozialer oder nationaler schaft der Kinder gefördert werden. Vereinbarun-
Herkunft und für das Zusammenleben von Men- gen treffen, Regeln verabreden, die eigene Meinung
schen mit und ohne Behinderung. Insofern hat die vertreten, Vorschläge machen – all dies kann in der
Kindertagesstätte eine wichtige Funktion für Tageseinrichtung für Kinder praktiziert werden.
die gesellschaftliche Teilhabe und die Integration Die Partizipation der Eltern dient nicht nur der
aller hier aufwachsenden Kinder. kindlichen Entwicklung, sondern ist ebenfalls ein
wichtiges Element bürgerschaftlicher Kultur.

10
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
3. Zum Bildungsverständnis – wie Wir verstehen somit das Kind als aktiven, kompe-
kleine Kinder lernen tenten Akteur seines Lernens, nicht als Objekt der
Bildungsbemühungen anderer. Mit diesem Leitbild
Jedes Kind ist von Geburt an mit allen Kräften betonen wir die Subjektivität des Bildungsprozes-
dabei, sich der Welt zu zuwenden. Es tritt mit ses und die Wissbegierde des kleinen Kindes bei
seiner sozialen, dinglichen und kulturellen Umwelt der neugierigen Erkundung seiner Welt. Das Kind
und der eigenen Körperlichkeit über Sinnesein- lernt rasch und folgt mit einer für Erwachsene
drücke und handelnde Bewegung aktiv und freu- erstaunlichen Ausdauer seinen eigenen Interessen
dig in Beziehung. Dabei baut es mittels der Wahr- und Themen. Kindern Zeit zu lassen, ihren eigenen
nehmung vielschichtige innere Bilder oder Vorstel- Rhythmus dabei zu finden, ist ein wichtiger Aspekt
lungen auf, die sich im Laufe des Bildungsprozesses der Bildungsbegleitung.
zu einem »Weltbild« zusammenfügen. Das Kind
nimmt auf diese Weise Beziehung zu seinen Nächsten Das zeigt sich besonders im Spiel. Die Fähigkeit zu
auf und erfährt, wie Dinge und Ereignisse um spielen ist dem Menschen genauso angeboren wie
es herum nach Regeln funktionieren, sich wieder- das Sprachvermögen. Und ebenso, wie Sprache
holen und veränderbar sind. und Sprechen sich nur in einem sprachlich anregen-
den Milieu gut entwickeln können, bedarf das Spiel
Der Mensch ist ein geborener Lerner und von selbst der Kinder förderlicher Bedingungen, um einen
bestrebt, die Welt zu verstehen und Handlungs- Reichtum an Erfahrungen zu ermöglichen. Für das
kompetenz zu erwerben. Wir sprechen deshalb von Krippen- und Kindergartenkind ist das Spiel die
»Selbstbildung«, weil niemand das Kind dazu wichtigste Form der handelnden Auseinanderset-
motivieren muss. Niemand kann dem lernenden zung mit seiner inneren und äußeren Welt. Es ist
Menschen die geistige und gefühlsmäßige Verar- seine bevorzugte Methode zu lernen. Deshalb gibt
beitung seiner Begegnungen mit der Welt (und mit es im Grunde nichts Ernsthafteres für die Kinder als
sich selbst) abnehmen. Denn es besteht keine das Spiel, in welchem sie sich ihre eigene Welt
Möglichkeit einer direkten Übertragung von Erfah- schaffen.
rung, Wissen oder Kompetenzen von Erwachsenen
auf Kinder. Zwischen der Welt und der kompeten-
ten Persönlichkeit steht grundsätzlich die Konstruk-
tionsleistung des Kindes, die im frühen Kindesalter
vielfach unbewusst abläuft. Das betrifft nicht nur
das Weltbild sondern auch das Bild von sich selbst,
das Selbstbild.

11
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Natürlich bedürfen Kinder auch der Anleitung und Ebenso benötigt das Kind in der Kindertagesstätte
des Vorbilds der Erwachsenen, um in eine bereits Bezugspersonen, die es in seinem Forschungs- und
sozial und kulturell geprägte Umwelt hineinzu- Entdeckungsdrang unterstützen, herausfordern,
wachsen. Für die Anforderungen der Erwachsenen ihm zusätzliche Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen
an das Kind kann auch der Begriff der Erziehung und Zusammenhänge aufzeigen. Diese Form der
eingesetzt werden. Es hat sich aber nicht als pädagogischen Förderung ist sehr anspruchsvoll
sinnvoll erwiesen, Bildung und Erziehung jeweils und verlangt den Erziehern und Erzieherinnen vor
streng zu trennen, wenn wir das selbst-lernende allem Kreativität, Einfühlungsvermögen und eine
Kind in den Mittelpunkt stellen. Im Übrigen kennen geschulte Beobachtungsfähigkeit ab. Anregungs-
andere Länder diese Unterscheidung auch nicht. reiche Räume und andere Gestaltungselemente der
Bildungseinrichtung Kindertagesstätte sind weitere
Bildungsprozesse sind immer soziale und kommuni- wichtige Bausteine einer lernförderlichen Umge-
kative Prozesse zwischen Kindern sowie zwischen bung.
Kindern und Erwachsenen. Insofern sprechen wir in
diesem Zusammenhang von Ko-Konstruktion. Das Bild vom aktiven, selbstlernenden Kind stellt
Kinder sind auf eine positive Resonanz ihrer Bezugs- nicht in Frage, dass die Erfüllung der emotionalen
personen angewiesen. Dadurch können sie Ereig- Grundbedürfnisse – Sicherheit, Geborgenheit und
nisse und Erfahrungen als sinn- und bedeutungs- sichere Bindung an Mutter, Vater und an Bezugs-
voll bewerten. Ohne eine Sinn stiftende Kommuni- personen in der Kindertagesstätte – die Vorausset-
kation würden die Kinder von der Fülle der zung für erfolgreiches Lernen sind. Man denke z. B.
Eindrücke überfordert. an die Eingewöhnungsphase von (kleinen) Kindern:
Nur von einer sicheren Basis aus wenden die Kinder
sich erwartungsvoll Neuem zu.

12
II. Bildungsziele in
Praktisch werden Bildungsziele stets in mehreren

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Bereichen zugleich verfolgt. Beispielsweise wird die

Lernbereichen und
Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und
Grunderfahrungen menschlicher Existenz nicht nur

Erfahrungsfeldern
im Kommunikationsmedium der Sprache, sondern
wo möglich auch im kreativ-bildnerischen Bereich
stattfinden; sie berührt zugleich auch das soziale
und emotionale Lernfeld.

Die im Folgenden beschriebenen Lernbereiche und


Erfahrungsfelder umfassen die Vielfalt und die
unterschiedlichen Dimensionen des kindlichen
Lernens. Jede Einrichtung wird ihre eigenen Schwer-
punkte setzen. In jeder Einrichtung sollte aber
auch darauf geachtet werden, dass im Lauf der Zeit
alle Lernbereiche auf die eine oder andere Weise
Berücksichtigung finden.
Einführende Bemerkungen
Die Ausführungen zu den einzelnen Lernbereichen Die beschriebenen Lernbereiche und Erfahrungs-
beziehen sich auf Grunddimensionen menschlicher felder finden sich in vergleichbarer Weise in
Fähigkeiten, die junge Menschen im Verlauf ihres nahezu allen bereits veröffentlichten Bildungs-
Aufwachsens ausbilden. Sie sollen ihnen helfen, plänen anderer Bundesländer. Die Lernbereiche
handlungsfähig zu sein und sich in der Welt zurecht spiegeln somit den Konsens wider, der über
zu finden. die wichtigsten Dimensionen allgemeiner Bildung
in unserer Gesellschaft existiert.
Die Bildungsziele in den Lernbereichen sind
gedacht als Orientierung für die Erarbeitung der
einrichtungsspezifischen Konzeptionen und sollen
Anhaltspunkte für die Evaluation bieten: welche
Möglichkeiten bietet beispielsweise die Praxis im
Kindergarten, dass Kinder ein mathematisches
Grundverständnis erwerben können? Wie steht es
um die Beteiligung der Kinder oder die Erkundung
der Lebenswelt? Dazu müssen Aussagen bei der
Reflexion der Arbeit möglich sein. Am Schluss jedes
Lernbereichs werden deshalb einige Fragen als
Anregungen formuliert, um das Geschehen in der
Kindertagesstätte reflektieren zu können. Sie
sind keinesfalls als erschöpfend zu betrachten und
sollen differenzierte Beobachtungen einzelner
Kinder nicht ersetzen.

Die Inhalte der einzelnen Lernbereiche können


nicht nach Art von Schulfächern abgearbeitet
werden. Das widerspräche dem Bildungsverständ-
nis für die Phase der frühen Kindheit, das unter
Abschnitt I. entwickelt wurde. Die Lerngelegenhei-
ten werden immer komplex angelegt sein. Es geht
ja darum, den Kindern die selbsttätige, handelnde
Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt zu ermög-
lichen.

13
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

1. Emotionale Entwicklung und Die sozial-emotionale Entwicklung des Kindes ist


soziales Lernen eng verbunden mit seiner psycho-sexuellen
Entwicklung. Kinder sind von Geburt an sexuelle
Die sozial-emotionale Entwicklung eines Kindes Wesen mit eigenen sexuellen Bedürfnissen und
vollzieht sich auf zwei Ebenen, die sich wechselsei- Phantasien. Die Entwicklung eines positiven
tig bedingen: auf der Ebene der Persönlichkeit als Körpergefühls und – mit zunehmender Selbstbe-
personale Kompetenz und auf der Ebene des wusstheit – der eigenen sexuellen Identität bilden
sozialen Lernens als interpersonale Kompetenz. einen engen Zusammenhang. Kinder mit sicherem
Kinder entwickeln im Kontakt untereinander und Selbstwertgefühl als Junge bzw. als Mädchen
mit Bezugspersonen Fähigkeiten, sich als Person zu haben auch gute Voraussetzungen, Übergriffe
erleben, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszu- wahrzunehmen und sich davor zu schützen. Die
drücken. Ebenso erlernen sie im Umgang unterein- Übernahme der Geschlechtsrolle als Junge bzw.
ander soziale Verhaltensweisen und die Fähigkeit, Mädchen ist für jedes Kind von zentraler Bedeu-
ihre Beziehungen zu anderen Menschen kompe- tung. Aufgabe der Tageseinrichtung ist es, sie in
tent zu gestalten. Hierbei spielt die emotionale diesem Prozess zu unterstützen und dabei einen-
Entwicklung eine herausragende Rolle. Sie vollzieht gende Geschlechterstereotype zu vermeiden.
sich im Kontext anderer Entwicklungsbereiche wie
Wahrnehmung, Sprache, Denken oder Bewegung. Die Beziehungen zwischen Kindern sind vom
Grundsatz her Beziehungen unter Gleichen. Hier-
Grundlage für soziales Lernen und für ein gelingen- durch erfahren Kinder Wichtiges über sich selbst
des Zusammenleben sind gemeinsam geteilte und über die anderen. Zum Beispiel über das
Überzeugungen und Werte und die Bejahung emo- Aushandeln sozialer Regeln, die Achtung persön-
tionaler Grundbedürfnisse. licher Bedürfnisse und Grenzen, den Ausdruck
starker Gefühle und den Umgang mit Konflikten.
Soziales Verhalten wird im Lauf des Aufwachsens Sie lernen, anderen das gleiche Recht zuzugeste-
zunächst in der Familie und später in verschiedenen hen wie sich selber, Rücksicht zu nehmen und was
weiteren Beziehungsformen erlernt. In der Tages- es bedeutet, Freundschaften zu schließen oder
einrichtung vermitteln enge Beziehungen zu den sich zu verlieben.
erwachsenen Bezugspersonen und zu anderen
Kindern Sicherheit. Das Kind erfährt hierdurch ver-
lässliche Bindungen: »Ich bin willkommen, ich
bin wichtig, ich wirke und kann etwas bewirken.«

14
Emotionale Kompetenz bedeutet, sich seiner

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Gefühle bewusst zu sein und Gefühle ausdrücken Anregungen zur Reflexion und
und zulassen zu können. Dies heißt auch, gege- Bildungsbegleitung*
benenfalls Gefühle zu regulieren sowie mit negati-
ven Gefühlen und Stresssituationen umgehen zu — Fühlen sich die Kinder sicher und gebor-
können. Die Fähigkeit, Gefühle bei anderen gen?
wahrzunehmen und zu verstehen ist ein weiteres — Kann jedes Kind von einer Bezugsperson
Merkmal emotionaler Kompetenz. Emotional in der Einrichtung getröstet werden?
kompetente Kinder sind in der Lage, mit den — Bei welchen Anlässen zeigen die Kinder
vielschichtigen Gefühlen des Lebens umzugehen. Gefühlsreaktionen wie Freude, Wut,
Sie lernen, sich in andere hineinzuversetzen. Trauer, Angst?
— Haben die Kinder Spaß in der Einrichtung,
Die Perspektive des anderen übernehmen zu wird viel gelacht?
können – Empathie – ist grundlegend für das — Welche Kinder sind in der Kindergruppe
soziale Miteinander. Die Fähigkeit, sich in die Ge- besonders anerkannt (bzw. weniger
danken anderer hineinzuversetzen, kann bei anerkannt)?
Kleinstkindern noch nicht vorausgesetzt werden. — (Was) spielt das Kind mit anderen Kin-
Sie reagieren jedoch aufmerksam und teilnahms- dern? Bevorzugt es Jungen/Mädchen?
voll auf Gefühlsäußerungen ihrer Nächsten. — Zeigen die Kinder Einfühlungsvermögen
Emotionen wie Liebe, Interesse, Überraschung, und Verständnis für die Gefühle anderer
Wut, Angst, Traurigkeit und Freude sind von Kinder?
vornherein angelegt und werden zunehmend — Können sie Frustration und Versagen
differenzierter. Der Erwerb von emotionaler aushalten und mit Enttäuschungen
Kompetenz ist die Basis für die sog. soziale Intelli- umgehen?
genz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, das soziale — Sind Kinder häufig in Konflikte verwickelt
Miteinander selbstbewusst und gleichzeitig und welcher Art sind diese Konflikte?
einfühlsam zu gestalten. — Entwickeln die Kinder selbst Ideen,
Konflikte konstruktiv zu lösen?
Die sozial-emotionale Entwicklung der Jungen — ...
und Mädchen wird positiv beeinflusst, wenn in der
Tagesstätte eine wertschätzende Atmosphäre * Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
herrscht, die den Kindern Verlässlichkeit und emo- nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
tionale Sicherheit im Umgang mit den eigenen
Gefühlen bietet. Dazu gehören auch Respekt,
Akzeptanz und das Ernstnehmen der Gefühle von
Kindern und Erwachsenen. Die Stärkung der Lebens-
freude der Kinder muss obenan stehen. Wichtig ist
auch die Hilfestellung im Umgang mit negativen
Gefühlen und die Vermittlung angemessener
Verhaltensweisen nach dem Motto »jedes Gefühl
ist okay, aber nicht jedes Verhalten«. Die Nutzung
von Alltagssituationen als Anlass, um mit Kindern
über ihre Emotionen zu sprechen oder sie mit
kreativen Mitteln auszudrücken sind ebenso wie
(Rollen-)Spiele und Kinderliteratur weitere Mög-
lichkeiten zur Kultivierung der Gefühle.

15
2. Entwicklung kognitiver Fähigkeiten
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

und der Freude am Lernen

In den ersten Lebensjahren bilden Kinder ihre


kognitiven Fähigkeiten aus, indem sie Erfahrungen
auf der Grundlage sinnlicher Wahrnehmungen
machen und daraus mittels der Sprache oder auf
andere Weise ihr Bild von der Welt ordnen. Das
geschieht beim Spiel und bei allen weiteren
Formen handelnder Auseinandersetzung mit Men-
schen und Dingen. Kognitive Fähigkeiten heraus-
zufordern ist selbstverständliche Aufgabe jeder
Bildungseinrichtung und Grundlage für die eigen-
verantwortliche Lebensgestaltung jedes Menschen.
Ebenso ist es für die Weiterentwicklung unseres
Gemeinwesens unerlässlich, dass alle Heranwach-
senden ihre kognitiven Potenziale so weit wie
möglich entfalten können. Die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten kann durch
den Erwerb von Lernstrategien wirkungsvoll ge-
Die Förderung kognitiver Fähigkeiten im Elemen- fördert werden. Kinder werden durch Gespräche
tarbereich wurde in der Vergangenheit häufig und Beobachtungen zum Nachdenken und zur
verwechselt mit einer Vorverlegung schulischen Begriffsbildung angeregt. Die Kinder äußern Ver-
Wissenserwerbs und schulischen Unterrichts in die mutungen über das Verhalten von Dingen oder
Tageseinrichtung für Kinder und genoss daher Personen (Hypothesenbildung) und überprüfen sie.
keine Priorität. Es gibt aber keinen Gegensatz Dabei sollten kreative und ungewöhnliche Denk-
zwischen dem Konzept des ganzheitlichen Lernens wege in unterschiedliche Richtungen ausdrücklich
und kognitiven Herausforderungen. So nutzen zugelassen und wertgeschätzt, Ergebnisse oder
Kinder zum Beispiel das Angebot, sich mit logisch- Lösungswege nicht vorweg genommen werden.
mathematischen Phänomenen wie Mengen und Schon sehr kleine Kinder arbeiten an Lösungen,
Größen im Kindergarten zu beschäftigen oder wie sie z. B. ein ersehntes Ziel erklettern oder Entfer-
suchen nach Erklärungen für Naturphänomene, nungen im Raum überwinden können. Kindern
ohne dass sie überfordert erscheinen. Wichtig ist werden Problemlösungen nicht abgenommen oder
nur, dass dabei die Eigenaktivität der Kinder vorgegeben, vielmehr werden sie im Prozess der
zugelassen und unterstützt wird und die Gestal- Suche nach Lösungen in einer fehlerfreundlichen
tung des Lernprozesses ergebnisoffen verläuft Atmosphäre begleitet.
– ohne Zeitdruck und in einem vom Kind bestimm-
ten Lernrhythmus. Der Erwerb von Lernstrategien vollzieht sich nicht
im luftleeren Raum, sondern immer an konkreten
Grundlage kognitiven Lernens ist eine differenzier- Gegenständen und in komplexen Situationen und
te Wahrnehmung: Bereits kleinste Kinder sollten führt daher auch zu Wissensaneignung. In der
viele Gelegenheiten vorfinden, sich zu bewegen Kindertagesstätte wird sowohl spielerisch Grund-
und alle ihre Sinne zu nutzen, um sich die Welt zu wissen (z. B. Farben oder Wochentage benennen
erschließen und ihr Sachinteresse herauszubilden. können, Körperteile kennen, Zählen) als auch
Sie lernen dadurch beiläufig Bekanntes wieder »Weltwissen« erworben. Damit ist die Kenntnis von
zu erkennen, Klassifizierungen und Zuordnungen Geschichten, Liedern etc. und von Naturphänome-
vorzunehmen, Gleiches und Unterschiedliches zu nen ebenso wie lebenspraktisches Wissen gemeint.
bemerken oder auch Mengenbegriffe zu bilden.
Es reicht nicht aus, den Kindern Lerngelegenheiten
nur bereit zu stellen. Damit Kinder ein Bewusstsein
über ihr Lernen entwickeln und das gewonnene
Wissen auf andere Situationen übertragen können,
sollten die Erwachsenen die Kinder bei ihren

16
Aktivitäten beobachten und begleiten. Das Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist grundle-

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Gespräch darüber hilft ihnen, das Gelernte zu gend. Kinder müssen erleben können, dass ihre
behalten und altersgemäß zu reflektieren. soziale und dingliche Umwelt beeinflussbar ist, dass
ihre Ideen und Vorstellungen ernst genommen
Die Vorbereitung der Kinder auf lebenslanges werden. Dadurch entwickeln sie Vertrauen zu sich
Lernen ist Erfolg versprechend, wenn Lernangebo- selbst und können erfahren, dass sie Aufgaben
te spannend und attraktiv gestaltet sind – nur dann lösen und Probleme bewältigen können.
bleibt den Mädchen und Jungen die Lust und die
Freude am Lernen erhalten. Die methodisch-didak- In der Tageseinrichtung können Kinder erfolgreich
tische Herausforderung besteht darin, strukturierte und mit Freude lernen, wenn eine fehlerfreund-
Lernangebote am Entwicklungsstand der Kinder zu liche Atmosphäre herrscht und Experimente zum
orientieren und z. B. an ihrer jeweiligen Konzentra- Alltag gehören. Durch Ermutigung und Unter-
tionsspanne oder ihrem Bewegungsbedürfnis und stützung und einen wertschätzenden Umgang mit
inhaltlich an den Fragen und Interessen der Kinder Misserfolgen können Kinder aus Fehlern lernen
auszurichten. Das bedeutet praktisch, Kinder und aus Erfolgen Schlüsse ziehen. Wiederholungen
altersgemäß an der Themenauswahl und bei der gehören dazu, sie festigen Lernerfolge und
Festlegung der Arbeitsschritte zu beteiligen. machen den meisten Kindern Freude. Dies gilt
sowohl für konkrete Angebote und Situationen, als
Kinder erhalten die Möglichkeit, ihr Gedächtnis zu auch für Lösungsstrategien und Lernwege. Der
trainieren durch das Erlernen von Reimen und gleiche Gegenstand kann aus verschiedenen
Liedern, Geschichten erzählen und erfinden. Durch Perspektiven und mit verschiedenen Methoden
Memory und andere Spiele wird die Merkfähigkeit betrachtet werden.
gefördert. Das Angebot von zwei Sprachen bewirkt
ein intensives Gedächtnistraining. Hierfür eignen
sich besonders solche Sprachen, die auch im häusli- Anregungen zur Reflexion und
chen oder heimatlichen Umfeld der Kinder gespro- Bildungsbegleitung*
chen werden. — Zeigt das Kind Lernfreude und Neugier?
— Beschäftigen sich die Kinder (allein und
Wenn Kinder bildnerische, musikalische oder mit anderen) ausdauernd mit der Erkun-
sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Darstel- dung von Dingen/Sachverhalten?
lung eigener Ideen oder der eigenen Persönlichkeit — Versucht das (jüngere) Kind, das Tun
zur Verfügung haben, wird ihre Kreativität ge- älterer Kinder nachzuahmen und zu erfor-
fördert. An dieser Stelle ist Kreativität besonders schen?
zu verstehen als kognitive Fähigkeit zur Hypothe- — Wie nutzt ein Kind seine Sinne, kann es
senbildung und als Kompetenz, Probleme zu lösen. gut (zu-)hören etc.?
— Trauen Kinder sich zu, eigene (ungewöhn-
Kinder lernen im Prozess ihres Heranwachsens, ihr liche) Lösungen zu finden?
Verhalten mehr und mehr selbst zu steuern. Ziel ist — Haben sie Gelegenheit, Begriffe zu
es, Tätigkeiten eine Weile (altersentsprechend) finden, Hypothesen zu bilden und Fragen
durchhalten und sich auf Aufgaben konzentrieren zu stellen?
zu können. Das heißt, Ausdauer und Konzentration — Können Kinder ihr Lernen an konkreten
für wichtig und wünschenswert zu erachten. Beispielen beschreiben?
Kindern lernen schrittweise, ihr eigenes Verhalten — Welche Reime, Lieder können Kinder
zu planen z. B. durch sprachliche Begleitung von auswendig; können sie Geschichten erzäh-
Handlungsabläufen (des Kindes oder der Erziehe- len?
rin/des Erziehers). — Welche Erfahrung können Kinder ma-
chen, etwas selbstständig geplant und
fertig gestellt/erreicht zu haben?
— ...

* Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben


nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

3. Körper – Bewegung – Gesundheit Kinder sind neugierig, ihren eigenen Körper und
den anderer kennen zu lernen, die eigene körperli-
Bewegung ist das Tor zum Lernen und hat im Zu- che Entwicklung wahrzunehmen und zu erfor-
sammenspiel mit der Wahrnehmung eine Schlüssel- schen. Sie wollen auch Zuwendung durch Körper-
funktion für die Entwicklung. Deshalb liegt bei der kontakt spüren. Das Interesse am eigenen Körper
Förderung kindlicher Kompetenzen ein besonderer reicht von einem liebevollen Umgang mit sich
Akzent auf Bewegung. Gesundheit und körperli- selbst und anderen bis hin zur Auseinandersetzung
ches Wohlbefinden sind eng mit regelmäßiger mit Gesundheit und Krankheit.
Bewegung verbunden. Kinder brauchen vielfältige
Bewegungserfahrungen als Anreize für ihre Kinder kommen heute mit unterschiedlichen kör-
körperliche und geistige Entwicklung. Durch ent- perlichen Voraussetzungen und Vorerfahrungen
sprechende Bewegungsmöglichkeiten werden in die Kindertagesstätte. Bewegungsarmut durch
bzw. bleiben Kinder körperlich sicher. Während die fehlende Freiräume, Verhäuslichung, übermäßiger
Hirnforschung heute betont, dass sich über Wahr- Medienkonsum und falsche Ernährung wirken sich
nehmung und Motorik eine differenzierte Plastizi- auf die körperliche Entwicklung und das körper-
tät des Gehirns aufbaut, sehen Bildungsforscher liche Geschick vielfach nachteilig aus. Dem muss die
vor allem, dass sich Kinder als »Bewegungswesen« Kindertagesstätte entgegenwirken im Sinne einer
aktiv die Welt erschließen. Kommen die Freude umfassenden Gesundheitsprävention. Um Kindern
durch spontane Aktivität und der Erfolg im Kompe- eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen, gestal-
tenzerwerb hinzu, fühlen sich Kinder wohl und ten die Fachkräfte ein verlässliches und kindgerech-
erleben sich voller Selbstvertrauen, selbstwirksam, tes Angebot von Bewegung und Entspannung im
kraftvoll und stark. pädagogischen Alltag.

Die Tageseinrichtung bietet zahlreiche Gelegenhei- Kinder fühlen sich gesund, sind weniger unfall-
ten, Erfahrungen mit dem eigenen Körper zu und krankheitsgefährdet, weniger ängstlich und
machen und die Wahrnehmung zu differenzieren. gehemmt, wenn ihr Körper zu seinem Recht
Ziel der – vor allem in der Psychomotorik entwickel- kommt. Bewegungsfreude wird durch Freiräume
ten – Angebote ist es, eine Vielfalt an sensorischen gefördert, in denen Kinder sich draußen und
Erfahrungen zu ermöglichen und das Körperbe- drinnen spontan bewegen können und zum Laufen,
wusstsein im positiven Sinne zu stärken. Rennen, Hüpfen, Kriechen und Toben herausgefor-
dert werden. Durch die Nutzung z. B. einer Turn-
halle, den Besuch eines Frei- oder Hallenbades und
den Aufenthalt in Park, Feld und Wald kommen
die Kinder zu vielfältigen (Bewegungs-) Erfahrungen
auch außerhalb der Tageseinrichtung. Funktions-

18
lust und Bewegungsfreude können Kinder auch Bewegung und Gesundheit sind Bildungsbereiche,

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


erleben, wenn sie durch entsprechend fachlich in denen Mädchen und Jungen häufig ein sehr
fortgebildete Fachkräfte zum Erproben und Üben unterschiedliches Verhalten zeigen. Die Fachkräfte
angeregt und herausgefordert werden: Gezielte müssen hier besonders darauf achten, dass beide
Kleingruppenförderung in spielerischer Form unter Geschlechter ihre Erfahrungsmöglichkeiten erwei-
Berücksichtigung des individuellen Entwicklungs- tern können.
standes und der Bedürfnisse der Kinder sind
ebenso notwendig wie regelmäßige Bewegungs- Zum Beispiel sollen auch Jungen angeregt werden,
stunden, psychomotorische Angebote und in den ihr Körperbewusstsein oder ihre feinmotorischen
Tagesablauf integrierte offene Bewegungsgele- Fähigkeiten zu entwickeln, Mädchen ermutigt
genheiten. werden, sich bei »wilderen« Bewegungsformen
etwas zuzutrauen.
Körperliche Geschicklichkeit wird gefördert durch
eine vielfältige Geräte- und Materialausstattung,
die Kindern das Wippen, Schwingen, Schaukeln, Anregungen zur Reflexion und
Rutschen, Klettern, Balancieren, Springen und Bildungsbegleitung*
Fortbewegen durch Roll- und Fahrgeräte ermög-
licht. Darüber hinaus können die Kinder durch — Befinden sich die Kinder in einem guten
Nutzung von Alltagsmaterialien, Bauelementen Gesundheitszustand?
usw. ihre Koordinationsfähigkeit sowie Grob- und — Haben sie eine ausgewogene Ernährung
Feinmotorik phantasievoll und selbstständig kennen gelernt?
erproben. — Wie ist der grob- und feinmotorische
Entwicklungsstand des Kindes, wie steht
Körperbewusstsein in einem ganzheitlichen Sinne es um seinen Gleichgewichtssinn?
und das Hörvermögen entwickeln sich – unter — Welche Möglichkeiten bestehen, dass
anderem – indem Kinder sich nach Klängen und in Kinder eine Balance zwischen Anspan-
Verbindung mit Liedern bewegen, sich auf Tempo, nung und Entspannung finden können?
Klang und Rhythmus einstellen und selbst Bewe- — Wie reagieren Kinder auf Körperkontakt?
gungs- und Tanzformen erfinden und gestalten. Können sie mit ihrem eigenen Körper und
Die Verbindung zu anderen Bildungsbereichen, wie mit dem anderer achtsam und liebevoll
z. B. der Sprachförderung, ist hier besonders umgehen?
offensichtlich. — Bewegen sich die Kinder gerne?
— Wie ist das Körperbewusstsein der Kinder
Der Einsatz von Körperkraft und die Steuerung der ausgebildet?
Bewegung werden unterstützt durch Angebote — Empfinden sich Mädchen und Jungen als
zum Raufen, Ringen, Boxen, Fechten nach gemein- stark und mutig?
sam erarbeiteten Regeln. Ausdauer kann sich bei — ...
Lauf- und Fangspielen verbessern.
* Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
Förderung von Bewegung und Gesundheit bedeu- nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
tet auch eine Orientierungshilfe in Hygiene und
Ernährungsfragen. Die besorgniserregende Zunah-
me von Übergewicht bereits bei Schulanfängern
macht deutlich, dass auch der Tageseinrichtung
eine hohe Verantwortung bei der Prävention kind-
licher Fehlernährung zukommt. Wenn gesundes
Essen ansprechend angeboten, gelegentlich auch
gemeinsam zubereitet wird, werden Körper und
Sinne zugleich erreicht und können Ernährungs-
gewohnheiten positiv beeinflusst werden.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

4. Sprache und Sprechen Sprachliche Bildung ist ein kontinuierlicher Prozess,


der nie abgeschlossen ist. Er umfasst sowohl das
Die gesprochene Sprache ist das wichtigste zwi- Sprachverständnis als auch die Sprechfähigkeit.
schenmenschliche Kommunikationsmedium. Die Daher ist es das wichtigste Ziel, bei den Kindern die
Rede von den »Hundert Sprachen des Kindes« Freude am Sprechen zu wecken bzw. zu erhalten.
macht deutlich, dass es daneben aber noch viele Das schließt die Motivation zur Erweiterung der
andere Weisen gibt, sich mitzuteilen: Über Mimik sprachlichen Möglichkeiten – den aktiven und
und Gestik, über Töne, Bilder und Zeichen… Ohne passiven Wortschatz zu vergrößern oder die Aus-
sie wäre das menschliche Leben viel ärmer. Sie sprache und den Satzbau zu verbessern – ein.
sind alle jedoch nicht so hervorragend geeignet, Kinder lernen Sprechen im kontinuierlichen sozia-
sich zu verständigen und die materielle, soziale und len Kontakt und hier besonders mit Erwachsenen,
geistige Welt zu erschließen, wie die Sprache. zu denen sie eine gute Beziehung haben. Deshalb
beeinflusst die Erzieherin/der Erzieher mit ihrem
Das Kind verfügt nach der Geburt nicht über eine Sprechen und ihrem Sprachgebrauch die sprach-
ausgebildete Sprache, auch wenn es von Beginn an liche Entwicklung der Kinder stark und ist demzu-
auf Sprache hört. Es erwirbt seine nicht zufällig folge aufgefordert, das eigene sprachliche Ver-
so genannte Muttersprache im Kontakt und durch halten laufend zu reflektieren und bewusst zu ge-
Kommunikation mit seinen ersten Bezugspersonen. stalten.
Sprechenlernen ist eine der wichtigsten Lernleis-
tungen kleiner Kinder. Spracherwerb ist ein eigen- Kinder mit einer anderen als der deutschen Mutter-
aktiver, konstruktiver Prozess, in welchem das sprache müssen die Chance erhalten, die deutsche
Kind auf gelungene Dialoge und aktive sprachliche Sprache so weit zu lernen, dass sie sich im Kinder-
Anregungen angewiesen ist. garten auf Deutsch verständigen und später dem
Unterricht folgen können. Die Zweitsprache wird im
Tageseinrichtungen für Kinder stehen in der Ver- Kindergartenalter nicht wie die Muttersprache
antwortung, Strukturen und Konzepte zu ent- quasi von selbst erworben, deshalb bedürfen
wickeln, um diesen zentralen Bildungsauftrag zu Kinder aus zugewanderten Familien hierbei einer
realisieren. Eine unzureichend gelungene Sprach- besonderen Unterstützung. Gleichzeitig muss
entwicklung sowie die mangelnde Beherrschung die Erstsprache mit ihrer Identität stiftenden Funk-
der deutschen Sprache schränken die Kommu- tion einen Platz in der Kindertagesstätte haben
nikationsfähigkeit von Kindern ein und beeinträch-
tigen ihre Lernmöglichkeiten nachhaltig in der
Grundschule und in allen weiteren Bildungs- und
Sozialisationsprozessen.

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(zweisprachige Bilderbücher, fremdländische Sprachliche Bildung hat durch das Konzept der

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Buchstaben etc.). Wenn es gelingt, die Eltern für »Literacy« eine Erweiterung erfahren. Literacy
die sprachliche Förderung der Kinder – auch in steht für die Begegnung mit dem geschriebenen
der Muttersprache – zu interessieren und wo möglich Wort, mit Buchstaben und Zeichen und für den
ebenfalls zum Deutschlernen zu motivieren, kön- Gebrauch der Sprache im fiktionalen Sinne, d. h.
nen die Kinder leichter Gewinn aus ihrer Zweispra- Sprache zu verwenden für Ausgedachtes, Vor-
chigkeit ziehen. gestelltes: Beim Geschichtenerzählen und Vorlesen,
Reime schmieden und Bilderbuchbetrachten
In den Regionen, in denen eine Regionalsprache werden nicht nur interessante Inhalte vermittelt,
gesprochen wird (z. B. Plattdeutsch) ist Mehrspra- sondern auch kognitive Fähigkeiten wie Abstrak­
chigkeit eine gute Möglichkeit, das Sprachverständ- tionsvermögen und Vorstellungskraft geschult.
nis und die Sprechfähigkeit zu erweitern. Zu lernen, dass Buchstaben und Zeichen etwas
»bedeuten« und spielerisch damit umzugehen ist
Sprachliche Bildung ist grundsätzlich in den Alltag eine gute Vorbereitung auf den Erwerb der
integriert und kann durch die Schaffung geeig- Schriftsprache.
neter Sprechanlässe – z. B. durch entsprechende
Raumgestaltung – noch intensiviert werden.
Anregungen zur Reflexion und
Für die sprachliche Bildung haben sich musikalische Bildungsbegleitung*
und rhythmische Formen wie Lieder, Reime,
Singspiele und Ähnliches, verbunden mit Bewe- — Sprechen die meisten Kinder in etwa
gung, als besonders wirkungsvoll erwiesen. Kinder altersentsprechend, ohne besondere
lernen hierbei ganz beiläufig den besonderen Probleme und Hemmungen?
Sprachrhythmus und den Satzbau der (deutschen) — Ist die vorsprachliche Entwicklung des
Sprache intensiv(er) kennen, erweitern ihren Kleinstkindes altersgemäß (Vokalisieren
Wortschatz und begegnen der Sprache in einer etc.)?
Weise, die Kindern besonders viel Freude macht. — Ist Deutsch die Muttersprache des Kindes,
wächst es zwei- bzw. mehrsprachig auf,
Darüber hinaus ist häufig eine gezielte Sprachför- sprechen die Eltern Deutsch?
derung in besonderen Übungssituationen notwen- — Interessiert sich das einzelne Kind für
dig (regelmäßige Sprachspiele bzw. -übungen für Sprachliches, ohne selber viel zu sprechen;
kleinere Gruppen etc.). Differenzierte Vorgehens- hört es zu?
weisen setzen voraus, dass der jeweilige Sprach- — Haben die Kinder Freude an Reimen,
stand des Kindes berücksichtigt wird und ggf. die Sprachspielen etc. und kennen sie einige
Eltern des Kindes einbezogen werden. auswendig?
— Welche Kinder Interessieren sich für
Erprobte Beobachtungsverfahren stehen hierfür Bücher und können selber daraus »vorle-
zur Verfügung. Zur gezielten und bewussten sen«?
Förderung der Sprachentwicklung in Kindertages- — Haben Kinder die Funktion von Buchsta-
stätten sind Kenntnisse über den Spracherwerb ben, Zahlen und anderen Zeichen ent-
(in der Erst- wie in der Zweitsprache) unerlässlich. deckt?
Aspekte der nicht-sprachlichen Kommunikation — Welches Kind hat selbst einen Text/eine
spielen bei der Förderung der Sprachentwicklung Nachricht verfasst (Brief verschickt, den
eine wichtige Rolle. Das Kind, das sich Sprache Computer genutzt)?
noch nicht vollständig erschlossen hat, orientiert — Haben Kinder selbst eine Geschichte
sich an nonverbalen Hinweisen, wie Mimik und erfunden/etwas Erlebtes in der Gruppe
Gestik sowie an paraverbalen Elementen wie erzählt?
Sprachmelodie, Tonfall, Betonung etc. seiner Ge- — ...
sprächspartner. Bei der Förderung von Kindern
ohne deutsche Sprachkenntnisse ist es besonders * Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
wichtig, nicht-sprachliche Kommunikationsmittel nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
bewusst einzusetzen (z. B. Blickkontakt).

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

5. Lebenspraktische Kompetenzen Es ist eine wichtige Aufgabe der Tageseinrichtung,


dieses starke, den Kindern offenbar mitgegebene
Kinder haben ein großes Bedürfnis, sich an den Nachahmungs- und Autonomiestreben zu fördern.
Tätigkeiten der sie umgebenden Personen zu Der Wunsch, etwas alleine tun zu wollen, ist für
orientieren. Besonders bei kleinen Kindern besteht alle Kinder ein besonderer Entwicklungsanreiz.
ein starker Wille, Dinge selbst tun zu können. Auch »Hilf mir, es selbst zu tun« ist das bekannte Motto
ältere Kinder haben ein starkes Interesse an dem, der Montessori-Pädagogik. Die Erfahrung, dies aus
was etwas ältere Kinder (bzw. in ihrer Entwicklung eigenem Antrieb zu können, hebt das Selbstwert-
weiter fortgeschrittene) schon können. Lebens- gefühl und unterstützt wiederum die Motivation,
praktisches Tun bietet Kindern von klein auf eine sich weitere lebenspraktische Fertigkeiten anzueig-
Fülle von Lerngelegenheiten. Es handelt sich dabei nen. Ganz nebenbei üben die Kinder dabei ver-
um ein Traditionselement der Kindergartenpäda- schiedene entwicklungsrelevante Fähigkeiten:
gogik, welches nach wie vor große Bedeutung hat Feinmotorik, Kognition, um nur einige zu nennen.
und das es unter neuen Vorzeichen wieder zu
entdecken gilt. Wegen seiner Vielseitigkeit ist das Ein wichtiger Erfahrungsbereich auch schon für
Lernfeld Lebenspraxis ein wichtiger Baustein im kleine Kinder ist die selbstständige eigene Versor-
Prozess der frühen Bildung, gerade auch für die gung. Hierzu zählen Tätigkeiten wie das eigene
unter Dreijährigen. Ankleiden, Schuhe anziehen, das Auffüllen und
selber Essen, Zähne putzen, sich Waschen und
Die Tageseinrichtung bietet den Kindern viele vieles mehr.
Möglichkeiten, lebenspraktische Kompetenzen neu
zu erwerben oder auch das zu erproben, was sie Ein weiterer Erfahrungsbereich ist das alltägliche
bereits zu Hause gelernt haben. Das Besondere häusliche Tun: Mit Wasser hantieren, Dinge ab-
dieses Lernfeldes ist, dass der Sinn diesen Tätigkei- waschen und abtrocknen, Blumen gießen etc. ist
ten nicht erklärt werden muss – er ist unmittelbar schon für kleine Kinder attraktiv. Beim Tischdecken
gegeben. z. B. muss gezählt und der zur Verfügung stehende
Platz eingeteilt werden. Bei all diesen Tätigkeiten
Oft verhindern Über-Fürsorglichkeit oder mangeln- erschließen sich nebenbei Eigenschaften der dingli-
de Zeit bzw. Ungeduld von Erwachsenen diese von chen Welt.
Kindern selbst initiierten und damit als besonders
befriedigend empfundenen Kompetenzerfahrun-
gen. Umgekehrt wirken sich Lob und Bestätigung
bei der Bewältigung eines selbst gesetzten Ziels
besonders positiv aus.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Besonders viele Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten Lebenspraktische Fähigkeiten werden auch beim
bietet das Herstellen oder auch Herrichten von Erkunden der Lebenswelt erworben. Kleinere
Mahlzeiten, Esswaren oder Getränken. Hierbei ist Wege selbstständig zurücklegen, einkaufen, den
Zusammenarbeit gefordert; es muss geplant, mit Briefkasten entdecken und Post verschicken
Mengen hantiert und die Handgeschicklichkeit fördern die Selbstständigkeit und stärken das
(z. B. beim Obst- und Gemüseschälen) eingesetzt Selbstbewusstsein der Kinder.
werden. Die Eigenschaften der Zutaten werden
erkundet, das Produkt – z. B. Backwaren – kann Selbstständigkeit und die Sicherheit, alltägliche
phantasievoll gestaltet werden. In diesem Erfah- lebenspraktische Herausforderungen – altersge-
rungsfeld können somit viele Verbindungen zu mäß – gut zu bewältigen, sind gute Voraussetzun-
anderen Lernbereichen hergestellt werden. gen für selbsttätiges Lernen auch in anderen
Erfahrungsfeldern.
Weiter können Kinder in der Tageseinrichtung
den Umgang mit unterschiedlichen Geräten, Materia-
lien, Werkzeugen und Werkstoffen erlernen, um Anregungen zur Reflexion
ihre handwerklichen und technischen Fertigkeiten und Bildungsbegleitung*
zu entwickeln. Der überlegte Einsatz echter Werk- — Welche Tätigkeiten werden von den
zeuge und die Beteiligung bei anfallenden Tätig- Kindern selbstständig ausgeführt?
keiten (ein Bild anbringen, ein Beet herrichten, ein — Wie viel Zeit und Unterstützung wird den
Fahrrad reparieren usw.) vermitteln den Kindern Kindern gegeben, etwas allein zu machen?
wie selbstverständlich lebenspraktische Fertigkei- — Helfen sich die Kinder gegenseitig,
ten. z. B. beim Anziehen?
— Haben die Kinder Gelegenheit, tatsächlich
Der Umgang mit technischen Geräten, die im Alltag anfallende hauswirtschaftliche Aufgaben
präsent sind, kann ebenfalls spielend erlernt zu übernehmen?
werden: selber telefonieren, ein Bild auf dem — Haben die Kinder die Möglichkeit, mit
Computer im Büro erstellen, Fotos machen und echten Werkzeugen zu arbeiten?
ausstellen oder ein Bügeleisen benutzen etc. — Welche Aufgaben werden den Kindern
der unterschiedlichen Alters- bzw.
Entwicklungsstufen zugetraut?
— Wie reagieren die Eltern auf die erlernte
Selbstständigkeit der Kinder?
— ...

* Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben


nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

6. Mathematisches Grundverständnis Im Alltag der Tageseinrichtung ebenso wie bei


besonderen Projekten finden sich viele Gelegenhei-
Bereits in den ersten Lebensjahren machen Kinder ten, elementare Erfahrungen zum Sortieren,
Erfahrungen in Raum und Zeit. Mit zunehmendem Klassifizieren und Quantifizieren zu ermöglichen
Alter nehmen sie neben verschiedenen Formen und bewusst zu machen.
und Größen auch Zahlen wahr und erschließen zu-
nehmend deren Bedeutung im Alltag. Ihre Beob- In der Kindertagesstätte kommt es nicht darauf an,
achtungen und Erfahrungen fordern Kinder zu dass die Kinder möglichst rasch zählen und komple-
weiteren Erkundungen heraus und bieten Anlässe xe geometrische Formen kennen lernen. Vielmehr
zum Ordnen, Vergleichen und Messen. Mengen- ist es für das mathematische Grundverständnis
und Größenvergleiche sowie (voroperationale) wichtig, dass die Mädchen und Jungen in unter-
Tätigkeiten wie das Hinzufügen oder Hinwegneh- schiedlichen Situationen im Alltag und im Spiel
men, das Aufteilen oder Verteilen sind fundamen- angeregt werden, Mengen zu erfassen und zu ver-
tale Handlungserfahrungen, mit denen viele gleichen sowie Raum-Lage-Beziehungen zu
Kinder nicht so vertraut sind. Daher sollten diese erkennen und zu bezeichnen. Begriffe wie mehr –
Aktivitäten in der Kindertagesstätte besonders in weniger, oben – unten, groß – klein, hoch, höchster
den Blick genommen und gezielt angebahnt Punkt, Ecke – Mitte etc. sollten zur Artikulation
werden. Das Kennenlernen mathematischer Zu- der kindlichen Erfahrungen und Beobachtungen
sammenhänge macht Kindern Freude und lässt eingeführt und gefestigt werden. Dabei wird
sie Beständigkeit und Kontinuität erfahren. mit zunehmendem Alter der Kinder auch das Zählen
angebahnt und durch Spiele oder Abzählreime
Entsprechend dem Alter der Kinder gestaltet sich eingeübt. Sprachliche Bildung ist daher eine wichtige
die Begegnung mit mathematischen Phänomenen Voraussetzung für den Erwerb eines mathemati-
konkret und sinnlich erfahrbar, während eigentli- schen Grundverständnisses.
ches mathematisches Verständnis das Abstrahieren
von konkreten Gegenständen und Situationen
erfordert und an das Erlernen und Verwenden von
Symbolen gebunden ist. Die Lernforschung spricht
daher davon, dass Kinder zunächst mathematische
Vorläufer-Kenntnisse und -Fähigkeiten erwerben.
Dafür ist die frühe Kindheit die richtige Zeit. Im
Verlauf des weiteren Bildungsprozesses werden
dann u. a. auch Fähigkeiten zur mathematischen
Modellbildung erworben und entwickelt.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Die kreative Gestaltung des Raumerlebens (z. B. im
Außengelände, bei der Stadterkundung, beim Anregungen zur Reflexion und
Malen, Basteln und Bauen) führt auch zur Ausein- Bildungsbegleitung*
andersetzung mit den Eigenschaften verschiedener
Körper (z. B. Würfel, Quader, Kugel) und Flächen — Haben die (jüngeren) Kinder von sich aus
(Quadrat, Rechteck, Dreieck…). Aktivitäten wie z. B. Freude daran, Gegenstände und Spiel-
der Kartoffeldruck in spielerischer und altersge- zeug zu gruppieren oder zu sortieren?
mäßer Form veranschaulichen den Zusammenhang — Wie orientieren sich die Kinder in Raum
von Körpern und Flächen, wenn z. B. durch den und Zeit? Welche entsprechenden
Abdruck eines Würfels ein Quadrat entsteht. Begriffe verwenden sie dafür (nach dem
Mittagessen, hinter der Tür…)?
In Bezug auf die Erfahrung von Größenbereichen — Welche Möglichkeiten bestehen, dass
eröffnet die Kindertagesstätte als Lernwerkstatt Kinder mathematische Aktivitäten wie
Möglichkeiten zum selbstständigen Experimentie- Ordnen, Vergleichen, Messen ausführen
ren mit Masse/Gewichten und Längen, Flächen, können? Verwenden sie dabei bereits
Rauminhalten. Die Kinder werden ermuntert zu Zahlen?
beobachten, zu untersuchen und zu fragen. Es ist — Interessieren sich einzelne Kinder für
weder notwendig noch sinnvoll, für alles sofort Zahlen im Zusammenhang mit der
Erklärungen parat zu haben, vielmehr werden die Ordnung von Zeit (Uhrzeit, Alter, Jahre…);
Kinder zum eigenen Denken und Erkunden kennen einige bereits die Wochentage,
herausgefordert. Monate …?
— Welche mit Zahlen verbundenen alltags-
Zu der Dimension Zeit hingegen haben Mädchen praktischen Kenntnisse haben die Kinder
und Jungen im Kindergartenalter nur elementare (Haus- und Telefonnummern, Anzahl von
Zugänge, die im Wesentlichen biographisch be- Gliedmaßen, Geld etc.)?
zogen sind (wie alt bin ich, was mache ich heute, — Können sie Zahlsymbole von anderen
was habe ich gestern erlebt). Kenntnisse über Zeichen wie Buchstaben unterscheiden?
Wochentage und Monate werden allmählich in Welche Kinder können bereits die Zahl-
Bezug auf den konkreten Alltag angebahnt wortreihe aufsagen oder sogar schon
und durch Lieder/Reime unterstützt. zählen?
— ...

* Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben


nicht den Anspruch auf Vollständigkeit

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

7. Ästhetische Bildung Ästhetische Bildung bedient sich vieler Kommuni-


kationsformen wie Musik, Tanz, bildnerisches
Ästhetik umfasst alles sinnliche Wahrnehmen und Gestalten. Durch sie werden den Kindern Möglich-
Empfinden. Von Beginn an nimmt ein Kind durch keiten eröffnet, ihr Bild von der Welt durch
Fühlen, Riechen, Schmecken, Hören und Sehen konkretes Tun zu konstruieren und ihre damit ver-
Kontakt mit seiner Umwelt auf, und zwar mit der bundenen Gefühle auszudrücken. Ziel ist es, die
Gesamtheit seiner Sinne. Es nimmt seine Umwelt ästhetische Wahrnehmungsfähigkeit der Mädchen
wahr. Das Wahrgenommene löst Gefühle aus, wird und Jungen zu erweitern und verschiedene Formen
mit Bisherigem verknüpft und betrifft das Individu- der Verarbeitung der sinnlichen Empfindungen
um in seinem unmittelbaren Erleben. zu ermöglichen. Dabei steht das Tun im Mittelpunkt
und nicht das fertig gestaltete Produkt. Neben
Ästhetische Erfahrungen sind authentisch, sie dem ästhetischen Empfinden werden die Feinmo-
können nicht aus zweiter Hand bezogen werden. torik und Körperkoordination, die Nah- und
Sie bilden eine Grundlage für den Aufbau kogniti- Fernsinne sowie Konzentration und Ausdauer
ver Strukturen. Kindliches Wahrnehmen und angeregt und gefördert.
Empfinden ist ungeteilt, ganzheitlich; alle Sinne
sind zugleich angesprochen. Deshalb kann die Die Begegnung mit Werken der Musik, Malerei
ästhetische Bildung in der frühen Kindheit nicht oder z. B. der Bildhauerei aus aller Welt trägt zur
wichtig genug eingeschätzt werden. Im Verlauf der Bildung der Sinne und des ästhetischen Empfindens
Entwicklung findet das Kind Zugang zur Welt mehr bei. Sie ermutigt die Kinder auch zu eigenen Schöp-
und mehr auch über Zeichen und Symbolsysteme fungen und erweitert ihr Weltwissen.
(z. B. Sprache). Ästhetische Erfahrung als unmittel-
bare Bildung der Sinne bleibt aber weiterhin In der Tageseinrichtung können Kinder durch Malen,
wichtig. Zeichnen, Kollagen oder plastisches Gestalten
kreative Ausdrucksformen und verschiedene (hand-
werkliche) Techniken selber ausprobieren und sich
aneignen. Dafür lernen sie verschiedene Darstel-
lungsformen kennen und erwerben Kenntnisse im
Umgang mit unterschiedlichen Instrumenten,
Geräten, Materialien, Werkzeugen und Werkstof-
fen. Dies sind Grundlagen auch des handwerkli-
chen Gestaltens. Darüber hinaus bereichert es den
Bildungsprozess, wenn auch Künstlerinnen und
Künstler mit den Kindern arbeiten können.

26
Einige Tageseinrichtungen eröffnen Kindern auch Musik hat auch eine wichtige Bedeutung für das

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


einen altersgemäßen Zugang zu technischen Zusammenleben in der Gruppe. Hier ist auch Raum
Medien, insbesondere dem Computer, damit sie dafür, Lieder aus anderen Kulturkreisen kennen
dessen Lern- und Gestaltungsmöglichkeiten zu lernen. Durch Musizieren oder Singen kann Ge-
kennen lernen und kreativ nutzen können. meinsamkeit zum Ausdruck gebracht und können
besondere Rituale im Tages- oder Wochenlauf
Die genannten Kulturtechniken und Darstellungs- unterstrichen werden. Kein Tag in der Tageseinrich-
formen helfen den Mädchen und Jungen beim tung sollte vergehen, ohne dass Musik in der
Erkunden, Strukturieren und Abbilden ihrer Welt, einen oder anderen Weise selber gemacht wird.
ermöglichen den Ausdruck eigener Gefühle und
die Weitergabe von Erfahrungen an andere. Hierzu
gehören selbst geschaffene Gegenstände zur Anregungen zur Reflexion und
Nutzung und Dekoration oder einfache Konstrukti- Bildungsbegleitung*
onen als ihr Abbild von Welt. Vorgefertigte
Bausätze oder Malbücher oder rein rezeptive — Haben die Kinder Zugang zu den verschie-
PC-Programme erfüllen diese Zwecke nicht, sie densten Materialien (Knete, Ton, Wasser,
vermögen nur, ein Kind zu »beschäftigen«. Farben)?
— Werden die Kinder zum Malen und
Der Wunsch des Kindes, sich die geheimnisvolle bildnerischen Gestalten ermutigt?
Welt der Erwachsenen zu »erarbeiten« kann sich — Können Kinder eigenständig und verant-
besonders gut durch den angeleiteten Umgang mit wortungsvoll mit Werkzeug umgehen?
Werkzeugen und Materialien aller Art in einem — Wurden Kinder in eine kreative Nutzung
Atelier erfüllen, wie es die Reggio-Pädagogik in moderner Medien eingeführt?
überzeugender Weise gezeigt hat. Aber auch ein — Haben Kinder Freude daran, sich kreativ
Werkraum, eine Ecke in der Gruppe oder im auszudrücken und selbst darzustellen?
Außengelände können diese Funktion erfüllen. — Singen die Kinder, kennen sie Lieder?
— Hat jedes Kind mindestens ein Musikinst-
Den eigenen Körper erprobt und erlebt das Kind rument benutzt, selbst gebaut?
als besonderes Ausdrucksmittel in Musik, Tanz, — Haben mehrere Kinder an einer eigenen
Pantomime und Theater. Hier wird deutlich, dass »Theater«-Aufführung mitgewirkt?
bei ästhetischer Bildung immer mehrere Sinne — Hat das zugewanderte Kind Gelegenheit,
zugleich im Spiel sind und unterschiedliche Erfah- ein Kunstwerk aus seinem Herkunftsland
rungsfelder angesprochen sind. vorzustellen?
— Haben die Kinder Bilder, Plastiken,
Für den Bereich der Musik bringt das Kind seine Theaterstücke, Musik von Künstlerinnen
eigene musikalische Grundausstattung mit: seine und Künstlern kennen gelernt?
Stimme als eigenes Instrument und seinen Herz- — ...
schlag als Grundrhythmus. Über Sprechgesang,
Sing- und rhythmische Spiele und Lieder erschließt * Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
sich das Kind die klassischen Toneigenschaften der nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Musik wie laut-leise, hoch-tief, kurz-lang usw. Es
erfährt sich und seine soziale wie materielle
Umwelt aber auch im Kontext von Sprache, Tempo,
Klang, Körper und Bewegung. Daneben lernt es
Instrumente kennen und selber zu bauen.

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8. Natur und Lebenswelt Kindern vielfältige Spielanreize. Es regt auch den


Forschungsdrang der Kinder an, weil es z. B. auf
Die Begegnung mit Natur in ihren verschiedenen Kälte und Wärme reagiert und seine Eigenschaften
Erscheinungsformen und Erkundungen im Umfeld verändern kann.
der Tageseinrichtung erweitern und bereichern
den Erfahrungsschatz der Kinder. Sie lassen sie Es ist weder notwendig noch sinnvoll, für alles
teilhaben an einer realen Welt, die nicht didaktisch sofort Erklärungen parat zu haben. Die Kinder
aufbereitet ist und bieten die Chance zum Erwerb sollen ermuntert werden zu beobachten, zu
von Weltwissen, Forschergeist und lebensprakti- untersuchen und zu fragen, Mädchen genauso wie
schen Kompetenzen. Jungen. Hierbei werden die Kinder zum Denken
herausgefordert, indem sie Vermutungen anstellen
Kinder experimentieren mit ihrem Spielzeug und und ihre Hypothesen selber überprüfen können.
den Dingen ihrer Umgebung noch bevor sie
sprechen können. Sie erforschen die Eigenschaften Je nachdem, wie und wo Kinder aufwachsen, wird
und Gesetzmäßigkeiten der physikalischen/ das Außengelände der Tageseinrichtung so ausge-
materiellen Welt, z. B. die Schwerkraft. Es reizt sie, staltet sein müssen, dass sie Natur mit allen Sinnen
Ursachen – Wirkungszusammenhänge logisch zu erleben können und z. B. der Umgang mit Feuer,
analysieren und selber zu konstruieren. Auf diese Wasser, Luft und Erde möglich ist. Wo der Standort
Weise nehmen schon kleinste Kinder Einfluss auf der Tageseinrichtung es erlaubt, bieten sich
ein konkretes Geschehen (Bauklotz fallen lassen). Das Exkursionen und Ausflüge in Grünanlagen oder
befriedigt Kinder sehr und verstärkt das Erleben Wald und Feld an.
von Selbstwirksamkeit.
Es ist wichtig, dass Kinder Natur im Zusammen-
Darüber hinaus eröffnet die Kindertagesstätte als hang, als Lebensraum für Pflanzen und Tiere kennen
Lernwerkstatt Möglichkeiten zum selbstständigen lernen. Ein Ökosystem bietet sich zum Betrachten,
Experimentieren mit Gewichten, Mengen, stoff- Sammeln, Beobachten und Staunen an, es gibt der
licher Beschaffenheit und anderen Eigenschaften Phantasie zu tun und ermutigt zum Forschen und
der Dinge. Auf diese Weise wird ein naturwissen- Fragen.
schaftliches Grundverständnis erworben. Naturphä-
nomene wie Licht und Schatten regen nicht nur Beim Bauen, Gestalten und Konstruieren mit natür-
zum Staunen und Beobachten an, sondern können lichen Materialien lernen die Kinder die Eigen-
auch durch kreative Gestaltung angeeignet werden. schaften oder auch den »Eigensinn« elementarer
Das Element Wasser z. B. bietet schon kleinsten Kräfte wie Wasser oder Erde oder die Einzigartig-
keit natürlicher Formen kennen.

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Die Eindrücke, die Kinder aus diesen Begegnungen Zum Beispiel (ältere) Dorf- oder Stadtbewohner, die

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


mitnehmen, sind vielfältiger Art. Sie sprechen die etwas zu erzählen haben oder Menschen, die
Sinne an, aber auch die Emotionen. Tiere werden beruflich oder ehrenamtlich mit Natur und Umwelt
geliebt (und manchmal gefürchtet). Das Kind kann zu tun haben.
ihnen beispielsweise Dinge sagen, die es anderen
Menschen nicht anvertrauen würde. Pflanzen Natur und Lebenswelt regen zum Erforschen von
werden bewundert – und müssen gepflegt werden. Zusammenhängen an und fordern zum Beispiel
So kann Natur auch ein soziales Lernfeld sein, in Fragen wie: Warum tagsüber die Sterne nicht zu
dem Kinder Verantwortung übernehmen. sehen sind, warum Vögel fliegen können oder
weshalb es in einer christlichen Kirche anders aus-
Umweltbildung im Elementarbereich gründet in sieht als in einer Moschee? Diese und tausend
der Liebe zur und Bewunderung der Natur, denn andere Fragen zeugen von der natürlichen Wissbe-
was man liebt, wird man auch schützen. Kinder gierde der Kinder, die sich gleichermaßen auf das
lernen mit der Zeit auch rationale Argumente für natürliche wie auf das gebaute Umfeld richten kann.
den Umweltschutz kennen; Katastrophenszenarios
sind aber nicht am Platze. Ein achtsamer Umgang
mit natürlichen Ressourcen, das Erleben ökologisch Anregungen zur Reflexion und
intakter Lebensräume und praktische Projekte (z. B. Bildungsbegleitung*
Bachpatenschaften) bringen Kindern den Schutz
der Umwelt nahe, ohne zu moralisieren. Das — Haben die Kinder genügend Gelegenheit,
Vorbild der Erwachsenen ist hierbei entscheidend. mit Erde/Sand und mit Wasser zu experi-
mentieren?
Wenn irgend möglich, sollten die Kinder Gelegen- — Haben die Kinder Gelegenheit zum
heit erhalten, ihr (städtisches, dörfliches) Umfeld zu Beobachten von Pflanzen und Tieren?
erkunden oder auch Ausflüge zu interessanten — Kennen sie die Namen der wichtigsten
Einrichtungen und Betrieben (Feuerwehr, Kranken- Pflanzen und Tiere?
haus, …), Bauwerken oder in ein geeignetes — Hat das einzelne Kind ein Lieblingstier?
Museum zu unternehmen. Viele Kinder »kennen« Welche Rolle spielt es in seinen Spielen
zwar die weite Welt aus dem Fernsehen, kommen und kreativen Produkten?
aber selten in direkte Berührung mit ihrer näheren — Übernehmen Kinder Verantwortung bei
oder weiteren Umgebung. Sei es, dass sie überall der Pflege von Pflanzen oder Tieren?
hin mit dem Auto gebracht werden müssen oder — Haben sie Freude am Gestalten mit
aber von Seiten der Eltern keine Möglichkeit natürlichen Materialien?
besteht, das gewohnte Umfeld zu verlassen. Es ist — Haben die Kinder Gelegenheit, physikali-
jedoch elementar wichtig, dass Kinder ihre nähere sche oder chemische Gesetzmäßigkeiten
und weitere Wohnumgebung erkunden. Elternhaus im Experiment zu erproben?
und Tagesstätte können sich hier gut ergänzen. — Kennen Kinder die wichtigsten Einrichtun-
gen ihrer Gemeinde?
Erkundungen werden von den Erzieherinnen und — Welche Kinder können kleinere Wege
Erziehern vorbereitet. Sie erweitern den Wis- bereits selbstständig zurücklegen?
senshorizont, fördern die Selbstständigkeit der — Können die jüngeren Kinder einige
Kinder z. B. im Verkehr und liefern Erlebnisse, die Strecken zu Fuß erledigen?
im Spiel oder in kreativen Gestaltungen vertieft — Ist das Kind schon mit der Geschichte
werden. Was es heißt, in einer bestimmten Stadt, seiner Region in Berührung gekommen?
in einem bestimmten Dorf zu leben und wie es — ...
früher dort aussah – dafür lassen sich auch schon
kleinere Kinder interessieren. Entsprechende * Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
(Bilder-) Bücher oder mündliche Erzählungen mit nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
geschichtlichem oder biographischem Hintergrund
ergänzen die unmittelbare Anschauung. Dieses
Lernfeld ist besonders geeignet, »Dritte« an der
Bildungsarbeit in der Tagesstätte zu beteiligen:

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

9. Ethische und religiöse Fragen, Grund- In der Kindertagesstätte machen die Kinder
erfahrungen menschlicher Existenz positive Grunderfahrungen: Geborgenheit, Ver-
trauen und Angenommensein sind die wichtigsten.
Kinder stellen existentielle Fragen. Sie sind auf ihre Sie sind eine wertvolle Basis, um den Spannungen
Weise Philosophen und Theologen, sie sind von in der Welt gewachsen zu sein, aber auch um mit
sich aus aktiv und bestrebt, ihrer Welt einen Sinn biographischen Brüchen und Krisen umgehen
zu geben, Antworten zu finden auf besondere zu können. Erwachsene nehmen ihre Aufgabe wahr,
Ereignisse, die sie beschäftigen. Woher komme ich? Kindern dabei zu helfen, Wertmaßstäbe zu ent-
Wozu bin ich da? Wo gehe ich hin? Das sind Fragen, wickeln und ihre eigenen Wertvorstellungen als
die etwa beim Tod naher Angehöriger oder der Orientierung zur Verfügung zu stellen. Kinder
Geburt eines Geschwisterkindes entstehen. Jeder lernen, was gut und was böse ist. Sie lernen, dass
Mensch, also auch das Kind, ist auf der Suche es gut ist, solidarisch zu sein und anderen zu
nach der Beantwortung seiner existentiellen Fragen helfen. Sie lernen Toleranz, die Achtung der Umwelt
und auf der Suche nach Orientierung. Jedes Kind und der Mitmenschen vor allem durch das Vorbild
braucht dazu Angebote, Anregungen und die der Erwachsenen und durch gelebte Demokratie in
Ermutigung, selber nachzudenken und selber der Kindertagesstätte (siehe I). So können sie ihren
Antworten zu geben. Kinder müssen sich ange- eigenen Standpunkt gewinnen.
nommen, wertgeschätzt und mit ihren Fragen
ernst genommen fühlen. Jedes Kind trifft in seinem Umfeld in der einen
oder anderen Weise auf religiöse Themen, Rituale,
Schon von klein auf spüren Kinder Glück und Feste, Glaubenszeugnisse und Überlieferungen.
Trauer, Geborgenheit und Verlassenheit, Vertrauen Kinder hören von religiösen Inhalten. Auch wenn
und Angst. Dies sind existentielle Erfahrungen, sie keineswegs immer ihren Sinn verstehen, so
die alle Menschen in ihrem Leben machen und die passen sie diese ihrem Verstehen an. Zur Tradition
von kleinen Kindern intensiv erlebt werden. und Geschichte unseres Landes gehören christliche
Erwachsene müssen die Kinder bei diesen Erfahrun- Inhalte. Inzwischen sind die meisten Kindertages-
gen begleiten. Dabei helfen Geschichten. Sie stätten jedoch Orte, in denen sich Kinder und
können eine wichtige Quelle für das Durchleben Erwachsene unterschiedlicher Herkunft, Kultur und
dieser Erfahrungen sein und den inneren Prozess
der Auseinandersetzung unterstützen. Kinder
brauchen auch Erzählungen, in denen Glau-
benszeugnisse weitergegeben werden, um so
Beispiele gelungenen Umgangs mit Grunderfah-
rungen menschlicher Existenz kennen zu lernen.

30
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Religion begegnen und diese Tradition nicht für In diesem Orientierungsplan, der für alle nieder-
alle selbstverständlich ist. Offenheit für und die sächsischen Kindertagesstätten gelten soll, bleibt
Achtung vor anderen Kulturen und religiösen die konfessionelle Ausrichtung der religiösen
Bekenntnissen können hier von klein auf eingeübt Bildung entsprechend der Trägerautonomie eine
werden. Kinder lernen andere Gewohnheiten, Angelegenheit der einzelnen Träger. Kindertages-
Bräuche und Erklärungen kennen, sie nehmen die stätten ohne konfessionelle Bindung greifen die
Unterschiede wahr und werden sich ihrer jeweili- existentiellen Fragen der Kinder auf, indem sie
gen Herkunft bewusst. Dies ist auch Teil des gesellschaftlich anerkannte Werte und Normen
sozialen Lernens. Die wichtigste Unterstützung bei zugrunde legen.
diesem Lernprozess ist eine Elternschaft, die selbst
diese gegenseitige Offenheit praktiziert.
Anregungen zur Reflexion und
Kinder brauchen, um eine Orientierung im Leben Bildungsbegleitung*
zu finden, die Auseinandersetzung mit religiösen
und weltanschaulichen Fragen und Traditionen. — Haben Kinder schon einmal über existen-
Religiöse und ethische Themen sind somit, auch tielle Fragen gesprochen, die sie bewe-
unter dem Stichwort »Philosophieren mit Kindern«, gen?
Bildungsinhalt. Die Erwachsenen stellen sich dieser — Wie gehen Kinder mit Trennung um? Wie
Herausforderung, finden gemeinsam mit den groß ist ihr Bedürfnis nach Schutz und
Kindern Antworten, erläutern den eigenen Fürsorge?
(religiösen) Standpunkt und geben den Kindern — Hat sich das Kind an Gesprächen über
Deutungsmuster. Wertvorstellungen beteiligt, seine
Meinung auf Nachfrage gesagt?
Konkret im Alltag heißt das: Kinder brauchen — Durch welche Rituale und Feste im
Rituale zur Orientierung und Strukturierung ihres Tages- und Jahresablauf sind die Kinder
Alltags. Kinder brauchen Stille und Gelegenheit besonders angesprochen?
zur Meditation, um zur Ruhe zu kommen und sich — Wie beteiligen sich die Kinder anderer
zu besinnen. Bei der Gestaltung von Festen als religiöser oder kultureller Herkunft als die
Höhepunkte im Jahreslauf können viele Bildungs- Mehrheit an den gemeinsamen Festen?
ziele dieses Lernbereichs verfolgt werden. Feste — Welche Kinder kennen Geschichten, die
ermöglichen Erfahrung von Gemeinschaft, die ethische oder religiöse Fragen behandeln?
Unterbrechung des Alltags und das Bewahren kul- — ...
tureller Traditionen, dürfen aber nicht die Themen
der Kinder und die anderen Bildungsinhalte an * Diese sind beispielhaft zu verstehen und erheben
den Rand drängen. nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

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1. Grundprinzipien für die Förderung
III. Die Arbeit in der
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

von Erziehungs- und Bildungsprozessen

Tageseinrichtung Die pädagogischen Fachkräfte übernehmen für die

für Kinder
Zeit des Tagesstättenbesuchs der Kinder einen
Auftrag der Eltern für die Bildung, Erziehung und
Betreuung ihres Kindes. Dieser Auftrag wird durch
die individuelle Bildungsbegleitung jedes Kindes
und durch seine Aufnahme und Anerkennung als
Mitglied in der Kindergruppe umgesetzt. Allen
Eltern soll klar werden, dass ein mehrjähriger Be-
such von Krippe und Kindergarten vor der Ein-
schulung den Kindern gute Startbedingungen für
ihre gesamte Bildungslaufbahn eröffnet und zu
mehr Chancengleichheit führt. Dies gilt besonders
für viele Kinder aus zugewanderten Familien, die
in der Kindertagesstätte mit der Verkehrssprache –
A. Methodische Aspekte und die Deutsch – in Berührung kommen.
Aufgaben der Fachkräfte
Ausgangspunkt für das sozialpädagogische Han-
In den folgenden Abschnitten werden etliche deln der Fachkräfte in der Kindertagesstätte ist die
Ausführungen aus den voran gegangenen Kapiteln Zusammenführung der Lebensgeschichte jedes
im Kontext methodischer Fragen noch einmal einzelnen Kindes (jedes Kind wird dort »abgeholt«,
aufgegriffen. Es handelt sich dabei um Kernaus- wo es steht) und der Erziehungsinteressen der
sagen zum Bildungsprozess von Kindern, welche Eltern mit dem Auftrag der Tageseinrichtung. Jedes
die »Philosophie« dieses Orientierungsplans Kind erhält Unterstützung für seinen individuellen
ausmachen. Bildungsweg. Die Fachkräfte berücksichtigen
soziale oder geschlechtsspezifische Benachteiligun-
Die Tageseinrichtung als Lernort, in dem sich Kinder gen ebenso wie besondere Bedürfnisse von
ko-konstruktiv die Welt aneignen, bietet ein Kindern (chronisch kranke, verhaltensauffällige und
großes Spektrum von Erfahrungsmöglichkeiten mit entwicklungsverzögerte Kinder, aber auch hoch-
Menschen und Dingen. Die Konzeption jeder begabte Kinder usw.).
Einrichtung muss dies methodisch berücksichtigen
und gleichzeitig nicht nur die in Kapitel II auf- Gerade für Kinder mit Entwicklungsdefiziten oder
geführten Lernbereiche berücksichtigen, sondern solche, die unter mangelnder Versorgung leiden
auch der Unterschiedlichkeit gerecht werden, und mit ihren Familien von sozialer Ausgrenzung
welche die Kinder und ihre Eltern in die Einrichtung bedroht oder bereits betroffen sind, ist der Besuch
mitbringen. einer Tageseinrichtung eine enorme Bildungschan-
ce. Hier treffen sie auf andere Kinder und Erwach-
sene und damit auf neue Möglichkeiten des
sozialen Lernens. Die pädagogische Arbeit vor allem
in sog. Brennpunkt-Kitas, in denen die Mehrheit
der Kinder aus einem ungünstigen familiären
Hintergrund kommt, ist sehr anspruchsvoll. Die Fach-
kräfte müssen sich stärker auf elementare Bedürf-
nisse der Kinder einlassen – Versorgung, Verläss-
lichkeit und Geborgenheit etc. – und die Kinder
Schritt für Schritt an die Lerngelegenheiten heran-
führen. Zusammen mit dem öffentlichen Träger
der Jugendhilfe und in Kooperation mit Einrichtun-
gen des Sozial- und Gesundheitswesens sind große
Anstrengungen erforderlich, gerade diesen

32
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Kindern den Besuch einer Tageseinrichtung Für eine altersgerechte Entwicklung der kindlichen
zu ermöglichen. Professionelle Förderung und die Motorik und seines Selbstgefühls benötigt das Kind
Teilhabe an Bildungsangeboten sind für diese eine Vielfalt an Körper-, Bewegungs- und Sinneser-
Kinder und ihre Familien besonders notwendig. fahrungen durch praktisches Tun.

Bei der methodischen Heranführung der Kinder an Die pädagogische Arbeit in der Einrichtung ermög-
Lerngelegenheiten geht es um zweierlei: Die licht Kindern die frühe Teilhabe an Wissen und
Förderung der individuellen Persönlichkeitsent- bietet allen Kindern ausreichend viele Bildungsge-
wicklung (Ich-Stärke, »Eigen-Sinn«, personale legenheiten. Nicht das Ergebnis, sondern der Weg
Kompetenz) und die Förderung der sozialen ist in erster Linie das Ziel, indem Kindern die
Beziehungsfähigkeit (Sozialkompetenz, Gemein- eigenen Lernprozesse und die Wirksamkeit ihres
sinn, interpersonale Kompetenzen). Es ist die hohe Tuns bewusst werden. Die Ermutigung zu Krea-
Kunst der Elementar-Pädagogik, Lernprozesse tivität, zum Nachdenken und zur Wahl verschiede-
durch eigenaktives Handeln von Kindern allein und ner Lösungsstrategien und die wiederholte Be-
in der Gruppe zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen schäftigung mit einem Thema lässt Kinder zu
auf der Basis der Beobachtung konkreter Situationen selbstbewussten Experten ihres Themas werden.
zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Angebote Unerlässlich ist hierfür die Schaffung von vielen
für einzelne Kinder oder die ganze Kindergruppe Sprechanlässen.
entwickelt werden.
Die gezielte Förderung von Bildungsprozessen setzt
Grundvoraussetzung des Lernens ist die Herstel- gute Kenntnisse über die Entwicklung verschiedener
lung von sicheren Beziehungen der Kinder unterei- Kompetenzen in den frühen Lebensjahren der
nander und zu ihrer Erzieherin/ihrem Erzieher. Kinder voraus. Die geplante und überprüfbare Bil-
dungsbegleitung jedes Kindes erfordert regel-
Das freie Spiel in der Kindergruppe ist für Kinder mäßiges Beobachten und die Reflexion über seinen
eine elementare Form der Weltaneignung. Die erreichten Entwicklungsstand und seine Rolle in
gezielte Beobachtung und eine sensible Wahrneh- der Kindergruppe. Hierzu gehört auch das Erkennen
mungsfähigkeit der Fachkräfte spielen hierfür eine von Entwicklungsrisiken oder von besonderen
große Rolle. Mit einem breiten Methodenrepertoire Begabungen. Beobachtungsverfahren und eine
an passenden Angeboten – von einer Anregung systematische Dokumentation sind wichtige Metho-
zum Rollenspiel bis hin zur Hilfestellung für Konflikt- den der Bildungsbegleitung.
lösungen – setzen sie entwicklungsfördernde
Impulse, die in das Freispiel der Kinder einfließen
können.

33
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen 2. Leben und Lernen in der
Kindergartenplatz und der demographische Kindergruppe
Wandel haben dazu geführt, dass zunehmend
mehr jüngere Kinder in Kindertagesstätten In der Kindertagesstätte erleben sich viele Kinder
aufgenommen werden. Dadurch vergrößert sich zum ersten Mal in einer größeren Gemeinschaft
die Altersspanne in den Gruppen. Dies erfordert unter Gleichen, die im Prinzip dieselben Rechte und
konzeptionell eine verstärkte innere Differenzie- Möglichkeiten haben. Das Leben in der Gruppe
rung und die angemessene Berücksichtigung der ermöglicht den Kindern soziale Erfahrungen, die
Entwicklungsbedürfnisse sehr junger Kinder. sie so in ihrer Familie nicht machen können: Die
Pflegerische Tätigkeiten nehmen einen größeren Kindergemeinschaft ist – wenn die individuelle
Zeitraum ein. Insofern muss die gesamte Arbeit Unterstützung und die Entwicklung sozialer
anders geplant werden, damit weder die jüngeren Kompetenzen ernst genommen werden – ein
noch die älteren Kinder zu kurz kommen. Lernort für Demokratie und für die grundlegenden
Werte und Normen des gesellschaftlichen Zusam-
Fürsorge für die Gesundheit der Kinder und ihr menlebens. Die demokratischen Werte Toleranz,
körperliches Wohlbefinden in Zusammenarbeit mit Solidarität, Rücksichtnahme und Anerkennung des
den Eltern ist eine unbedingte Voraussetzung für jeweils Anderen werden über Aushandeln und
die Förderung der kindlichen Bildungsprozesse. Vereinbaren von sozialen Regeln und das Einüben
Einer besonderen Unterstützung bedürfen, wie von Handlungsmöglichkeiten gelernt. Über eine
bereits gesagt, sozial benachteiligte Kinder. Alle Beteiligungskultur (z. B. die Einführung einer
Kinder sollen sich in der Kindertagesstätte sicher Kinderkonferenz im Kindergarten) werden Kinder
und geborgen fühlen, ohne Zeitdruck ihren von Anfang an mit demokratischen Verfahren
individuellen Lernrhythmus finden und ein positi- vertraut gemacht.
ves Selbstwertgefühl entwickeln. Jedes Kind soll
gerne in die Einrichtung kommen können. In der Praxis haben sich altersgemischte und
alterserweiterte Kindergruppen und die sichere
Zugehörigkeit zu einer Stammgruppe bewährt.
Auch offene Konzepte lassen sich damit vereinba-
ren. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Jungen
und Mädchen aller Altersstufen, die Integration
von Familien unterschiedlicher kultureller Herkunft
und die gemeinsame Erziehung von Kindern mit
und ohne Behinderung ermöglichen Kindern eine
große Auswahl an Kontakten. Kinder suchen das
Vorbild von Kindern, schließen Freundschaften

34
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
und erproben eigene Stärken und Schwächen Im Verlauf ihrer Kindertagesstättenzeit machen
zusammen und in der Auseinandersetzung. Hierfür Kinder die für ihre Entwicklung wichtige Erfahrung
brauchen sie Spielkameraden und -kameradinnen der unterschiedlichen Rollenübernahme. Verschie-
der gleichen Entwicklungsstufe ebenso wie den dene Projektangebote z. B. zum Thema »Neuan-
Kontakt zu jüngeren und älteren Kindern. Das Spie- fang/Übergänge« erleichtern die Auseinanderset-
len mit anderen Kindern und der Vergleich mit zung mit einer neuen Rolle bzw. die Trennung von
den anderen stärken das eigene Selbstwertgefühl einer alten. Die Kinder können das Älterwerden in
sowie die persönliche Widerstandsfähigkeit der Gruppe positiv erleben. Jedes Kind erfährt
(Resilienz). Es ist die Aufgabe der pädagogischen auch in der Kindergruppe, dass Jungen und
Fachkräfte, das Geschehen in der gesamten Mädchen alle Erfahrungsfelder in gleicher Weise
Kindergruppe im Blick zu haben. offen stehen und dass eingrenzende Geschlechts-
rollenmuster überwunden werden können.
Einzelne Kinder benötigen u. U. eine Unterstützung Wünschenswert ist es, männliche Bezugspersonen
durch die Erzieherin/den Erzieher, um in der in den Kita-Alltag einzubinden. Jedes Kind soll
Kindergruppe Akzeptanz zu finden. Ehrliche Rück- selbstbewusst eine anerkannte Position in der
meldungen sowie Lob und persönliche Wert- Kindergruppe einnehmen können – allerdings nicht
schätzung sind für jedes Kind wichtig. auf Kosten anderer.

Durch die Förderung der Gruppenidentität wird Die geistige Auseinandersetzung mit sich selbst
die Entwicklung emotionaler und sozialer Kompe- und der »Welt« vollzieht sich für Kinder auch über
tenzen der Kinder unterstützt. Rituale im Alltags- das Gespräch – untereinander und im Dialog mit
geschehen und im Wochenablauf festgelegte einem erwachsenen Gegenüber. Wichtig ist, dass
Aktivitäten helfen Kindern, sich zu orientieren und die Erzieherin/der Erzieher sich für jedes der Kinder
vermitteln Sicherheit über wiederkehrende Ab- interessiert, ihm ehrliche Antworten und Rück-
läufe. Gemeinschaftsaktionen und Feste sorgen für meldungen gibt und das Kind als Gesprächspartner
die Entwicklung eines »Wir-Gefühls«. ernst nimmt. Die Erzieherin/der Erzieher sucht,
so oft es der Tagesablauf zulässt, Gesprächsanlässe
mit dem einzelnen Kind und mit Kindergruppen.
Der Sprachförderung und der Pflege von Sprachan-
lässen kommt eine besondere Bedeutung zu.
Die Fachkräfte sollten auch ihren eigenen Sprach-
gebrauch reflektieren (z. B. nicht im Telegrammstil
sprechen).

35
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

3. Das Spiel – die elementare Lernform Sie erproben Stärken und Schwächen und sie setzen
von Kindern sich mit Rollen auseinander – freiwillig und mit
Spaß, mit Versuch und Irrtum und ohne Angst, denn
In jeder Kultur ist das Kinderspiel elementar, jedes das Spiel kann von ihnen selbst jederzeit verändert
Kind »muss« spielen. In der Altersgruppe der Null bis oder abgebrochen werden. Wesentlich für das Spiel
Sechsjährigen kommt dem Spiel die Schlüsselrolle ist die Handlung, nicht das Ergebnis.
beim Lernen und bei der emotionalen Verarbeitung
ihrer Erlebnisse zu. Das Spiel vermittelt die kultu- Kinder spielen allein und mit anderen Kindern
rellen Werte und Lebensformen der jeweiligen zusammen: Die Spielart kann sich ständig wandeln
Gesellschaft. Im Spiel erproben Mädchen und Jungen – von einer kleineren zur größeren Gruppe, von der
die Handlungsweisen der sie umgebenden Erwach- Einzeltätigkeit ins Rollenspiel. Spiele sind die tätige
senen. Sie nehmen sich als Vorbild, was sie in ihrer Auseinandersetzung des Kindes mit seiner inneren
Umgebung erleben und machen es nach, ohne den und äußeren Umwelt und ein »Begreifen« von
moralischen Wert der Handlung zu beurteilen. Zusammenhängen mit allen Sinnen: Ein Kind im
frühesten Lebensalter kommt vom Greifen des
Heute haben nur wenige Kinder die Gelegenheit, Spielzeugs über das Ausprobieren zu einem Verste-
z. B. die Arbeitsprozesse der Erwachsenen unmittel- hen der elementaren physikalischen Gesetze
bar mitzuerleben. Kinder verarbeiten im Spiel (z. B. der Schwerkraft) bis hin zum Konstruktions-
immer mehr auch die Eindrücke aus Fernsehen, spiel (z. B. erbauen von Buden, eines Bergwerks etc.).
Video und digitalen Angeboten wie Streaming- Um zum Begriff des Denkens zu kommen, muss ein
diensten. Das Allerwichtigste in der Umgebung des Begreifen im Physisch-Sinnlichen vorausgehen –
Kindes sind Erwachsene, die selbst sinnvolle, zum also vom Greifen zum Begreifen. Eine andere Form
Leben gehörende Tätigkeiten ausüben. des Spiels ist das Verwandlungs- bzw. das Rollen-
spiel, Gefühle, Sprache und Phantasie stehen hier
Kinder spielen aus eigenem Antrieb, sie konstruie- im Vordergrund.
ren und rekonstruieren im Spiel soziale Beziehun-
gen, sie schaffen sich die passenden Bedingungen Es ist nicht der Sinn des Spieles, ein bestimmtes
und verhalten sich so, als wäre das Spiel Wirklich- Ergebnis hervorzubringen. Es erprobt aber gleich-
keit. Das Phänomen des freien Spiels ist seine sam als Nebenprodukt verschiedene Fähigkeiten,
Zwecklosigkeit. Gleichwohl verläuft das Spiel nicht wie die sinnliche Wahrnehmung, die Entwicklung
willkürlich, sondern beim genauen Beobachten der Grob- und Feinmotorik sowie Sorgfalt, Inte-
erkennt man gestaltende Faktoren und einen in sich resse, Konzentration, Problembewältigung, Ausdau-
geordneten Ablauf. Mit ihrer Phantasie und allen er, Rücksicht, Geduld und vieles mehr. Das Kind
ihren körperlichen und geistigen Kräften gestalten benötigt zum Spielen Zeit und eine vertraute Um-
Kinder im Spiel die Welt nach ihren Vorstellungen. gebung, in der es sich sicher fühlt.

36
Die Raumaufteilung in den Gruppenräumen sollte

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


veränderbar sein (z. B. verstellbare Wände, Vorhän-
ge) entsprechend den aktuellen Bedürfnissen in
der Kindergruppe. Besondere Anforderungen
durch das pädagogische Konzept (wie z. B. bei
offener Gruppenarbeit oder integrativer Arbeit)
werden im Raumkonzept mit berücksichtigt. Spiel
und Bewegung sind ebenso möglich wie konzent-
riertes Arbeiten und Rückzug. Generell gilt, Räume
nicht mit einer zu großen Anzahl an Kinderpro-
dukten (lieber Eigentumskästen und -mappen
anlegen) und durch zu viel Spielzeug oder jahres-
zeitliche Ausschmückung zu überladen. Das Auge
soll in allen Räumen Ruhepunkte finden können
und das Thema, mit dem sich Kinder beschäftigen,
auch zum Vorschein kommen lassen können.
Weniger ist oftmals mehr: Qualitativ hochwertige
4. Die Einrichtung einer anregenden und wertgeschätzte Materialien, möglichst wenig
Lernumgebung vorgefertigte Materialien, echte Alltagsgegenstän-
de (wie scharfe Messer, Sägen etc.) oder z. B. ein
Kindertagesstätten sind »Werkstätten des Ler- Gemälde eines Künstlers/einer Künstlerin sind
nens«: Die Ausstattung in der Einrichtung soll so einem Überangebot von gängigem Spielzeug für
gestaltet sein, dass sie zu selbstaktivem Handeln, Kinder oder z. B. Sesamstraßen-Plakaten vorzu-
zum Bewegen, zur Gestaltung von Beziehungen, zu ziehen.
konzentriertem Arbeiten und zur Muße einlädt.
Das Raumkonzept und eine gezielte Auswahl von Ein großzügiges Außengelände ist für jede Einrich-
Mobiliar und Materialien können entscheidend tung von unschätzbarem Wert. Der Aufenthalt im
dazu beitragen, Bildungsziele in der Kindertages- Freien mit vielen Möglichkeiten zum Laufen,
stätte zu erreichen. Klettern, Balancieren, Verstecken usw. und die Mög-
lichkeit, unmittelbar Natur zu erleben, eröffnet
Die Räume in der Kindertagesstätte sind für alle eine fast unbegrenzte Möglichkeit des Lernens. In
übersichtlich gestaltet und ermöglichen gleichzei- der pädagogischen Planung sollte dem »Draußen
tig vielfältige Aktivitäten. Wünschenswert sind sein« eine besondere Priorität eingeräumt werden.
natürliche Baustoffe, warme Farbtöne, ausreichend Traditionelle Spielplatz-Ausstattungen können
Tageslicht, viel Platz für Bewegung und lärmge- durch die Planung von Naturspielräumen ersetzt
schützte Bereiche. Einzelne Funktionsräume oder werden.
-ecken und die Materialien sind den Kindern
vertraut und frei zugänglich. Leben und Lernen ist Für die Kinder ist es wichtig, sich mit den Räumen
in der Tageseinrichtung nicht ausschließlich auf ihrer Tageseinrichtung identifizieren zu können.
einen Gruppenraum, die Möglichkeiten zum Bei der Planung und Gestaltung räumlicher Verän-
Bewegen nicht auf eine begrenzte »Draußen-Spiel- derungen oder Neuanschaffungen können die
Zeit« oder eine Bewegungsstunde beschränkt. Im Kinder mit ihren Ideen beteiligt werden und die
Prinzip sollten alle Räume des Hauses und auf dem Durchführung miterleben (z. B. eine Regalbreite
Gelände so weit wie möglich für Kinder nutzbar mit ausmessen, einen Kunstdruck mit aussuchen
gemacht werden. Auch die allgemeinen Verkehrs- etc.). Nicht nur die Kinder und Mitarbeiterinnen,
flächen wie Flure, Treppen und Räume, in denen sondern auch die Eltern und externe Fachkräfte
interessante Alltagstätigkeiten stattfinden, können sollten sich in der Einrichtung willkommen fühlen
bespielbar oder zumindest erfahrbar sein. und zum Verweilen angesprochen werden (z. B.
durch die Einrichtung eines Elterntreffpunktes).

37
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

5. Beobachtung und Dokumentation Ziel der Beobachtungen ist immer die Erweiterung
– Grundlagen methodischen Vorgehens des Verständnisses der Fachkräfte für die Eigenart,
das Verhalten und Erleben des Kindes. Seine Ent-
Die Begleitung und Förderung kindlicher Bildungs- wicklungsfortschritte und seine eventuellen Schwie-
prozesse in der Kindertagesstätte erfordert pädago- rigkeiten können deutlicher wahrgenommen wer-
gische Neugier: Erzieherinnen und Erzieher sind den. Auf keinen Fall darf das Ergebnis von Beobach-
forschende Pädagoginnen und Pädagogen, die mit tungen dazu führen, dass Kinder abgestempelt
Offenheit, einer sensiblen Wahrnehmungsfähigkeit werden, etwa durch die einseitige Bewertung wie
von Situationen und mit einem teilnehmenden z. B. distanzlos, zurückgeblieben oder brav etc..
Interesse den ganz individuellen Bildungsweg jedes Die Beobachtungen sollen stattdessen dazu führen,
Kindes zu ergründen versuchen. Erzieherinnen und bezogen auf die Besonderheiten des einzelnen
Erzieher müssen wissen, womit sich das Kind Kindes ganz individuelle Förderangebote zu ent-
beschäftigt, was es gerne tut oder eher vermeidet wickeln. Sie dienen auch dazu, Benachteiligungen
und welche Stellung es in der Kindergruppe und Diskriminierungen durch einschränkende
einnimmt. Erzieherinnen und Erzieher berücksichti- Rollenzuweisungen (z. B. »Mädchen verstehen
gen, wenn sich einzelne Kinder in einer besonde- nichts von Elektrik«) aufzuspüren und diesen ent-
ren Situation befinden (z. B. durch die Trennung gegen zu wirken. Zuweilen ist bereits allein die
der Eltern) und sie müssen erkennen können, wenn durch das Beobachtungsverfahren eingeleitete
sich spezifische Entwicklungsrisiken oder Besonder- erhöhte Aufmerksamkeit für das betroffene Kind
heiten (z. B. Hochbegabung) abzeichnen. Die ein Entwicklungsansporn.
Beobachtung ist in jedem Fall eine zentrale Aufga-
be der pädagogischen Fachkräfte und ein unerläss- In regelmäßigen Abständen wird ausnahmslos
liches Instrument der Bildungsbegleitung von jedes Kind beobachtet. Aufzeichnungen können in
Kindern. Bildungs- und Lerndokumentationen jedes Kindes
zusammengetragen werden und halten vor allem
konkrete Lerngeschichten und Eigenproduktionen
des Kindes fest. Fachkräfte setzen Beobachtungen
auch für die individuelle Entwicklungsbegleitung
der Kinder und das Teamgespräch darüber ein.
Sie tragen dann einen anderen Charakter, in dem
sie den Erzieherinnen und Erziehern einen systema-
tischen Überblick über die individuellen Lern(fort)-
schritte des Kindes verschaffen (vgl. auch die Aus-
führungen hierzu in Kapitel IV).

38
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Alle Beobachtungen und die aufgezeichneten 6. Zusammenarbeit im Team und Auf-
Bildungs- und Lerndokumentationen sind sensible gaben der Leitung
Daten, die dem Datenschutz unterliegen und
gesichert aufzubewahren sind. Sie können im Rah- Die pädagogische Arbeit in der Tageseinrichtung
men der internen pädagogischen Arbeit im Team wird maßgeblich beeinflusst durch ein gutes Klima
verwandt werden, dürfen aber nur mit Einwilli- und eine konstruktive Zusammenarbeit der
gung der Eltern an Dritte weitergegeben werden. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Erwachse-
Die Eltern sollten von Anfang an über die Praxis nen als Vorbild und Gegenüber der Kinder prägen
der Bildungsbegleitung und Dokumentation der durch ihr eigenes Handeln das soziale Lernfeld.
Lernentwicklung in der Einrichtung informiert
werden. Das Beratungsgespräch der Fachkräfte Die Einrichtungsleitung hat eine verantwortungs-
mit den Eltern zur Entwicklungsförderung ihres volle Lenkungsfunktion für die Umsetzung des
Kindes lässt sich auf der Grundlage regelmäßiger Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrags der
Beobachtungen fundiert führen. Über die Planung Tageseinrichtung. Um dem Bildungsauftrag gerecht
und Dokumentation der pädagogischen Arbeit zu werden, der diesem Orientierungsplan zugrun-
besteht eine gute Möglichkeit, eine Erziehungs- de liegt, bedarf es einer engagierten und tatkräfti-
partnerschaft zwischen Erzieherinnen/Erziehern gen Unterstützung der angestellten Fachkräfte
und Eltern aufzubauen und das Expertenwissen der durch die Leitung. Sie übernimmt auch die Initiati-
Eltern über ihre Kinder ernst zu nehmen und zu ve für die gemeinsame Erarbeitung der einrich-
nutzen. tungsspezifischen Konzeption, die sich an den Bil-
dungszielen des Plans orientiert und leitet im
Das Team muss in Absprache mit dem Träger Allgemeinen die Teambesprechungen. Sie hat eine
grundsätzlich entscheiden, welche Aufzeichnungen wichtige Funktion bei der Herstellung und Auf-
dem Kind bzw. seinen Eltern gehören und den rechterhaltung von notwendigen Außenkontakten
Eltern persönlich ausgehändigt werden, wenn das zu den anliegenden Grundschulen und zu anderen
Kind vom Besuch der Kindertagesstätte abgemel- Institutionen. Die Leitung ist ebenfalls Ansprech-
det wird. Aufzeichnungen, die für die interne partner/-in für die Elternvertretung und fördert
pädagogische Arbeit verwendet werden, dürfen den Aufbau und die Gestaltung der Erziehungs-
nicht weitergegeben werden und müssen nach partnerschaft zwischen Eltern und pädagogischen
einem angemessenen Zeitraum ordnungsgemäß Fachkräften. Die Leitung steht in engem Kontakt
vernichtet werden. mit dem Träger, der sie bei der Wahrnehmung
dieser anspruchsvollen Aufgaben unterstützt.

39
Die Arbeit in der Einrichtung orientiert sich an
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

einer pädagogischen Konzeption, die vom Team


gemeinsam (weiter-) entwickelt und getragen wird.
Die Selbst- und Fremdevaluation der Qualitätsent-
wicklung und die Qualitätssicherung der eigenen
pädagogischen Arbeit sind Bestandteil der Konzep-
tion, die regelmäßig fortgeschrieben wird (hierzu
auch das Kapitel IV).

Die Erzieherinnen und Erzieher in der Gruppe


müssen in gegenseitiger Abstimmung auf die
Aktivitäten und Interessen einzelner Kinder bzw.
von Gruppen reagieren können. In Teambespre-
chungen findet der Austausch über die alltägliche
pädagogische Arbeit statt sowie die gemeinsame
Planung (Wochen-/Monatspläne, Ausflüge und
Projekte, Materialbeschaffungen, Aufgabenvertei-
lungen, Beobachtungs- und Dokumentations- Die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen in
verfahren, Vorbereitung von Elterngesprächen und integrativen Gruppen ermöglicht einen interdiszip-
vieles mehr). Für bestimmte Themen oder Vorha- linären Austausch verschiedener Professionen und
ben, z. B. die Zusammenarbeit mit einer anderen einen Kompetenztransfer. Die hierbei entstehen-
Institution im Stadtteil, wird die Teambesprechung den verschiedenen Blickwinkel auf das Entwicklungs-
gegebenenfalls erweitert bzw. zu einer ausge- potenzial jedes einzelnen Kindes führen zu einer
wählten Thematik gestaltet. Bei teiloffenen und ganzheitlichen Wahrnehmung des Erziehungs- und
offenen Einrichtungskonzeptionen wird die Bildungsauftrages. Die heilpädagogische Arbeit
Zusammenarbeit der pädagogischen Fachkräfte ist aber nicht als therapeutischer Auftrag im engeren
auch gruppenübergreifend organisiert. Das Sinne zu verstehen, dem die Tageseinrichtung
Experten-Können einzelner Kolleginnen und nachkommen müsste.
Kollegen (auch aus anderen Einrichtungen) wird für
alle Kinder möglichst optimal eingesetzt. Eine professionelle pädagogische Arbeit in den
Einrichtungen bedarf einer angemessenen Unter-
Die Aussprache über das eigene pädagogische stützung durch Fachberatung. Diese dient der
Handeln und über Lösungsstrategien für Konflikte Sicherung der Fachlichkeit in den Einrichtungen
(was tun, wenn eine Erzieherin/ein Erzieher zu und unterstützt in einem kontinuierlichen Prozess
einem Kind ein sehr ambivalentes Verhältnis auf- die pädagogische Arbeit. Durch die Fachberatung
gebaut hat?) sind ebenfalls Bestandteil der päda- werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
gogischen Arbeit. Eine gute Zusammenarbeit im in ihrer Fachkompetenz gefördert und dabei
Team lebt auch davon, dass eigene Stärken und beraten, wie sie ihre Arbeit selbstständig und auf
Schwächen angesprochen werden und eine selbst- einem hohen fachlichen Niveau innovativ gestalten
kritische Auseinandersetzung mit der eigenen können.
geschlechtsspezifisch geprägten Profession der
Erzieherin/des Erziehers möglich ist. Die gegensei- Fort- und Weiterbildung der pädagogischen Fach-
tige kollegiale Beratung ist ein fester Bestandteil kräfte sind unerlässlich. Es gibt sowohl gemeinsame
der Teambesprechungen. In vielen Einrichtungen Team-Fortbildungen (z. B. als Inhouse-Seminar),
wird die gemeinsame Reflexion durch eine Super- als auch die Fortbildung einzelner »Expertinnen und
vision ergänzt. Experten«. Die Auswahl der Fortbildungsinhalte
sollte für die ganze Einrichtung einen Zugewinn er-
bringen und in einen Zusammenhang mit der
prozesshaften Weiterentwicklung der Konzeption
gestellt werden.

40
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
B. Erziehungspartnerschaft Das Kinder- und Jugendhilfegesetz verpflichtet
mit den Eltern die Kindertagesstätten, mit den Eltern der Kinder
zusammen zu arbeiten und sie an allen wesent-
1. Grundlagen für eine Erziehungs- lichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu
partnerschaft beteiligen (§ 22a, Abs. 2 SGB VIII).

Elternhaus und Familie legen als primäre und Es ist den Eltern freigestellt, ob ihr Kind eine
wichtigste Sozialisationsinstanz entscheidende Kindertagesstätte besucht; allerdings existiert für
Grundlagen für die Entwicklung der Kinder. Die jedes Kind ab seinem ersten Geburtstag bis zum
Kindertagesstätte als erste Einrichtung öffentlicher Schuleintritt ein individueller Rechtsanspruch auf
Erziehung und Bildung knüpft an die Erfahrungen einen Kita-Platz. Das Recht auf Betreuung, Bildung
des Kindes in seiner Familie an und erweitert und Erziehung wird – bezogen auf das eigene Kind
diesen Erfahrungshorizont. Oft betritt das Kind in – von den Eltern auf die Einrichtung per (Betreu-
der Tageseinrichtung erstmals einen Lebensraum ungs-) Vertrag übertragen. Schon aufgrund dieser
außerhalb seines familiären Umfelds. Dabei muss Rechtslage sind die Tageseinrichtungen zum Wohle
das Kind die Chance haben, seine bisher in der des Kindes zu einer guten Erziehungspartnerschaft
Familie erworbenen Fähigkeiten in die Kinderta- verpflichtet, über die der Erziehungs- und Bildungs-
gesstätte mit einbringen zu können. Die familiäre prozess des Kindes gemeinsam begleitet und
Welt ist seine Basis, von der aus sich das Kind Neues gestaltet wird.
aneignen kann oder sich diesem eher verschließt.

Es ist für das Kind und seine Familie wichtig, in


der Kindertagesstätte einen sozialen Raum vorzu-
finden, der sich generell durch Akzeptanz und
Interesse auszeichnet. Wenn die Eltern erleben,
dass ihre eigenen Lebenserfahrungen und ihre
Erziehungskompetenz anerkannt und eingebracht
werden können, geben sie auch ihren Kindern
die Chance, ihre familiären Erfahrungen mit den
Entwicklungsangeboten der Einrichtung zu ver-
knüpfen.

41
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

2. Erziehungspartnerschaft in über prägende Einflüsse während kindlicher


der Praxis Entwicklungsprozesse gewachsen und somit auch
das Interesse, bei der pädagogischen Fremdbe-
Ein familienfreundliches Klima und eine gute Zu- treuung ihrer Kinder mitgestaltend tätig zu sein.
sammenarbeit mit den Eltern ermöglichen gemein-
sames Handeln. Die pädagogischen Fachkräfte In der Praxis sind unterschiedlichste Formen der
stellen Transparenz über die pädagogische Arbeit Elternarbeit mittlerweile ein selbstverständlicher
in der Tageseinrichtung her und klären die Eltern Bestandteil in der Arbeit der Kindertagesstätte.
über die Möglichkeiten der Beteiligung auf. Sie Eltern haben einen großen Bedarf an Information,
gehen mit Interesse und Offenheit auf alle Eltern Beratung und Austausch. Dem entspricht die
zu und sprechen auch die Väter gezielt an, um Einrichtung z. B. durch Informationsabende/-nach-
diese für die Mitarbeit zu gewinnen. Wichtig ist, mittage und Befragungen der Eltern, durch
dass keine Eltern oder Elterngruppen von Infor- Elterngespräche, durch Aushändigung der päda-
mationen ausgeschlossen sind und dass alle Eltern gogischen Konzeption usw..
im Alltagsleben der Kindertagestätte mitwirken
und sich beteiligen können. Die Tageseinrichtung Alle Eltern können nach Absprache hospitieren.
bemüht sich, denjenigen Eltern, die nicht ausrei- Zum Schutz und Wohl des Kindes müssen u. U. auch
chend die deutsche Sprache beherrschen, alle Kriseninterventionsgespräche mit Eltern geführt
notwendigen Informationen und das pädagogische werden. Auch hier ist die Ermutigung von Eltern,
Konzept in ihrer Sprache zugänglich zu machen. gegebenenfalls Hilfe anzunehmen, ein Ziel pädago-
Das wird dort, wo sehr viele verschiedene Sprachen gischen Handelns.
gesprochen werden, nicht immer möglich sein.
In manchen Fällen können auch Eltern gelegentlich Eltern müssen in ihrer Erziehungskompetenz ernst
Dolmetscherdienste leisten. genommen werden. Ihre Mitwirkung bezüglich
pädagogischer Fragen (z. B. über Elternabende mit
Das Engagement von Eltern in der Einrichtung und einem pädagogischen Schwerpunkt) und Eltern-
die Erwartungen an die Fachkräfte können sehr beteiligung sind selbstverständlich. Die Eingewöh-
unterschiedlich sein: Mitunter übernimmt die nungsphase in die Einrichtung wird von Eltern
Tageseinrichtung über Beratung und Hilfsangebote und Erzieherinnen und Erziehern gemeinsam gestal-
mehr als nur eine familienergänzende Rolle, z. B. tet. Es finden regelmäßige Gespräche über die
wenn die Lebensbedingungen der Eltern belastend Entwicklung des Kindes statt. Die Anregungen von
sind. Ganz allgemein ist das Bewusstsein bei Eltern Eltern als »Experten« ihres Kindes werden von
den Fachkräften ernst genommen.

42
3. Die Tageseinrichtung im sozialen

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Umfeld

Die Tageseinrichtung erfüllt eine bedeutende Rolle


im Gemeinwesen und ist für Eltern von kleinen
Kindern wichtig als Kommunikationsort. Die
Kindertagesstätte übernimmt eine vernetzende
Funktion und sucht die Kooperation mit anderen
Institutionen in der Region, z. B. mit anderen
Einrichtungen der Bildungs- und Kulturarbeit, mit
sozialen Diensten, Nachbarschaftszentren, mit
Vereinen und Ämtern. Die Kooperation mit der
Grundschule ist selbstverständlich. Eine gute Zusam-
menarbeit der genannten Einrichtungen eröffnet
wichtige Förder- und Erfahrungsmöglichkeiten für
alle Kinder, erleichtert Übergänge, den Zugang
zu Neuem und unterstützt ein Zusammengehörig-
Wenn sich die Erziehungspartnerschaft erfolgreich keitsgefühl im sozialen Umfeld.
gestalten soll, müssen auch die Eltern sich auf
den Dialog mit den Fachkräften einlassen und die Die Zusammenarbeit mit Experten außerhalb der
eigene Verantwortung für die Bildungsbegleitung Einrichtung (Logopäden, Frühförderung, Sozial-
ihres Kindes wahrnehmen. Auf ihre Weise können dienst, Ärzte, Therapeuten, Familienberatung etc.)
sie die Bildungsziele dieses Plans mit verfolgen. ist im Interesse der Kinder und ihrer Familien.
Zu einer guten Zusammenarbeit gehört auch, dass Fördermaßnahmen, Therapien oder das Heranzie-
beide Seiten Absprachen und Verabredungen hen von externen Expertinnen und Experten sollen
einhalten und Termine ernst nehmen. so weit wie möglich in den Einrichtungsalltag
integriert werden. Niedrigschwellige Bildungs- und
Eltern werden selber als Akteure in den Alltag Beratungsangebote sollten in Kooperation mit der
der Kindertagesstätte eingebunden und überneh- Tageseinrichtung Familien zugänglich gemacht
men durch ihre Mitarbeit Verantwortung: Eltern werden. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den
beteiligen sich an der Konzeptionsentwicklung Familienbildungsstätten ist erfahrungsgemäß ein
und an der Gestaltung von Veranstaltungen und großer Gewinn für die Familien. Kindertagesstät-
Familiengottesdiensten (in kirchlichen Einrichtun- ten haben auch eine Familien unterstützende
gen), an interkulturell geprägten Treffen und enga- Funktion. Sie können Eltern helfen, sich aus sozialer
gieren sich im Förderverein. Auch praktische Isolierung zu lösen und Familienfreundschaften
Mitwirkung ist gefragt, z. B. bei einem Elternfrüh- und -kontakte zu knüpfen. Je stärker die Kinder-
stück oder in einem Elterncafe, einem »Oma-Opa- tagesstätte eine Anlaufstelle für Familien mit
Tag« oder einem »Vater-Kind-Tag«, bei Festen kleinen Kindern ist, desto eher können sich private
und Feiern und bei Ausflügen. Eigeninitiativen entwickeln (von der Baby-Gruppe
bis beispielsweise zum gemeinsamen Lauftreff).
Eltern nehmen ihre Mitwirkungsrechte im Elternrat Kindertagesstätten können dazu beitragen, dass
und im Beirat der Kindertagesstätte wahr. Hierzu
werden die Eltern durch Offenheit des Trägers und
der Einrichtung für Kritik und Wünsche ermutigt.
Nur in der deutlich spürbaren Atmosphäre einer
offenen »Beschwerdekultur« gelingt es Eltern und
der Einrichtung, sich in ihrem jeweiligen Anliegen
ernst zu nehmen und zugleich ihren gemeinsamen
Handlungsspielraum sowie die Grenzen der Kinder-
tagesstättenarbeit zu erkennen.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Nachbarschaftshilfe und ein soziales Miteinander Über aktive Elternschaften und -beiräte entwickelt
entstehen. Die Kooperation mit den Familien trägt sich bürgerschaftliches Engagement für die Inte-
auch dazu bei, dass die pädagogische Arbeit der ressen von Kindern und Familien. Eltern sind Koope-
Kindertagesstätten in der breiten Öffentlichkeit rationspartner der pädagogischen Fachkräfte
die Akzeptanz findet, die der Bedeutung ihrer und werden im gemeinsamen Bemühen um gute
Aufgaben gerecht wird. strukturelle Rahmenbedingungen im Gemeinwesen
tätig. Sie setzen sich im Rahmen der dafür vorgese-
henen politischen Gestaltungsspielräume als
Lobbyisten für eine gute Betreuung, Bildung und
Erziehung von Kindern ein. Über die Arbeit in
Elternbeiräten, die Zusammenarbeit mit den Trägern,
mit Ämtern, Schulen und anderen Institutionen
und Vereinen und über die Thematisierung der
Interessen von Kindern und Eltern in den politi-
schen Parteien findet demokratische Mitwirkung
vor Ort statt.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G
C. Zusammenarbeit von Tages- Kindergarten und Grundschule haben gemeinsame
einrichtung und Grundschule pädagogische Grundlagen. Im Mittelpunkt steht
die Förderung der Persönlichkeit des Kindes als
1. Voraussetzungen und Ziele der Akteur seiner Entwicklung im Rahmen tragfähiger
Zusammenarbeit sozialer Beziehungen. Eine gute Kooperation
zwischen Kindergarten und Grundschule erleich-
Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschu- tert den konkreten Übergang und schlägt eine
le stellt für das Kind, ähnlich wie der Eintritt in den Brücke zwischen den unterschiedlichen Lernkultu-
Kindergarten, einen Meilenstein in seiner Entwick- ren: Durch die Bildungsarbeit im Kindergarten
lung dar. Die Einschulung ist in der Regel auch für entwickelt sich die Schulbereitschaft bzw. Schulfä-
seine Eltern ein wichtiger Schritt im Leben ihres higkeit der Kinder. Die Schule legt Wert darauf, das
Kindes. Dieser Übergang muss sorgfältig gestaltet Wissen der Erzieherinnen und Erzieher über die
werden, soll er für die Mädchen und Jungen der Kinder in Erfahrung zu bringen und vorschulische
Beginn einer weiteren positiven Entwicklungsphase Lernprozesse der Kinder unter Berücksichtigung
sein. des schulischen Bildungsauftrags weiterzuführen.

Die Grundschule steht nach dem Niedersächsischen Die Vorbereitung auf den Übergang und die Förde-
Schulgesetz und im Rahmen ihrer pädagogischen rung des Kindes im Hinblick auf den Schuleintritt
Verantwortung in der Pflicht, eng mit dem Kinder- wird in der Kindergartengruppe gezielt verfolgt.
garten zu kooperieren. In dem Grundsatzerlass des Aufgabe des Kindergartens ist es, konkrete Struktu-
Kultusministeriums »Die Arbeit in der Grundschu- ren und Abläufe zu schaffen, die im letzten
le« vom 01.08.2020 ist dies im Einzelnen ausge- Kindergartenjahr zum Tragen kommen und den
führt. Ebenso besteht nach dem NKiTaG für die Übergang vorbereiten und gestalten. Das kann
Tageseinrichtungen der Auftrag zur Zusammenar- zum Beispiel bedeuten, dass die Kindertagesstätte
beit mit der Grundschule (§ 15 NKiTaG). die (Tages-)Abläufe so plant, dass alle Kinder,
die gemeinsam eingeschult werden, immer wieder
Die Kooperation muss von allen Beteiligten ernst zu gemeinsamen Projekten zusammen kommen
genommen und bejaht werden und als konkurrenz- können. Die Vorfreude der Kinder auf den nächsten
freier Prozess auf gleicher Augenhöhe auf Dauer Lebensabschnitt, die Einschulung, ist eine gute
gestaltet, kontinuierlich reflektiert und weiter Voraussetzung für erfolgreiches Lernen in dieser
entwickelt werden. Sie schließt insbesondere die Phase.
gemeinsame Gestaltung des Übergangs ein.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Beide Institutionen müssen daher miteinander in 2. Konkrete Maßnahmen zur


Kontakt treten. Sie entwickeln gemeinsam ein Erleichterung des Übergangs
Verständnis der Kompetenzen, die das Kind wäh-
rend seiner Kindergartenjahre erwerben konnte Die Kooperation zwischen den beiden Institutionen
und treten in ein Gespräch über darauf aufbauende kann durch folgende Formen ausgestaltet werden:
Entwicklungs- und Lernprozesse in der Grundschule — Es findet ein regelmäßiger Austausch zwischen
ein. Grundlage für das Bildungsverständnis im den Fachkräften des Kindergartens und den
vorschulischen Bereich ist vor allem der Orientie- Lehrkräften der Grundschule über die pädago-
rungsplan für Bildung und Erziehung. gischen Konzepte der jeweils anderen Einrich-
tung und über bestehende Schwierigkeiten
Beide Institutionen vereinbaren gemeinsame Struktu- genereller Art bei der Einschulung statt.
ren und Verfahren, die es dem Kind ermöglichen, — Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte
den Eintritt in die Schule angstfrei und freudig zu besuchen gemeinsam Fortbildungsveranstaltun-
erleben, sich in der neuen Umgebung schnell zu gen zu Bildungsinhalten, bei denen die Zusam-
orientieren und seine Leistungsfähigkeit weiter zu menarbeit zwingend ist. Sprachförderung
entfalten. allgemein und die Förderung des Deutschen als
Zweitsprache sind heute und dürften noch
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kinder- längere Zeit eines dieser wichtigen Fortbildungs-
garten und Grundschule setzt gegenseitige Ak- themen sein. Aber auch andere Bildungsberei-
zeptanz und Anerkennung der jeweils anderen che wie z. B. mathematisches Grundverständnis
Ausbildung und der damit erworbenen Kompeten- bzw. Mathematik oder Natur und Lebenswelt
zen voraus. Basis für das gegenseitige Verstehen ist bzw. Sachkunde bieten sich für gemeinsame
die Abklärung der jeweiligen Erwartungen an die Fortbildungen an.
Kooperation, die Abstimmung über pädagogische
Grundlagen, Erziehungsstile und die Ziele der
beiden Institutionen. Es müssen Vereinbarungen
getroffen werden, wie die Beteiligten durch das
Kennenlernen der jeweils anderen Arbeitsweise
und des jeweils anderen Auftrags und durch
konkrete Formen der Zusammenarbeit den Über-
gang der Kinder vom Kindergarten in die Grund-
schule erleichtern können.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G
— Hospitationen von Lehrkräften im Kindergarten Für die konkrete Ausgestaltung der Zusammenar-
bzw. von Fachkräften des Kindergartens in der beit zwischen Kindergarten und Grundschule im
Schule erleichtern das Kennenlernen. Die Lehr- Sinn der o. g. Voraussetzungen und Zielsetzungen
kraft erzählt den Kindern vor Schuleintritt über bietet es sich an, einen Zeitablauf abzustimmen
die Schule; Erzieherinnen und Erzieher besu- und eine Struktur gemeinsam zu erarbeiten, die
chen die Kinder nach Schuleintritt. Die Besuche alle Einzelvorhaben einschließlich der Inhalte und
werden von Lehrkräften, Erzieherinnen und Methoden beispielhaft darstellt. Solch ein Koope-
Erziehern gemeinsam ausgewertet. Diese rationskalender ist – orientiert an den unterschied-
wechselseitigen Besuche werden wo möglich lichen Sachlagen vor Ort – jeweils von den Beteilig-
durch wechselseitige Teilnahme an Gremien ten konkret zu besprechen und zu verändern
und Veranstaltungen ergänzt. (Beispiel als Anregung im Anhang). Dabei werden
— Notwendig ist die Übereinkunft zwischen Kinder- z. B. die Größe der Kindertagesstätte bzw. die
tagesstätte und Grundschule, dass Eltern der Grundschule und die Anzahl der Einrichtungen,
selbstverständlich einbezogen werden müssen. mit denen jeweils kooperiert werden muss, mit
Gegenseitige Wertschätzung sowie grundlegen- darüber entscheiden, wie intensiv die Zusammenar-
de gemeinsame Positionen und Leitvorstellun- beit im Rahmen der verfügbaren Arbeitszeit
gen, die im Kontakt mit den Eltern realisiert stattfinden kann.
werden, sind für die Elternarbeit unerlässlich.
— Erleichtert wird das Zusammenwirken von Kinder-
tagesstätte und Grundschule, wenn Kooperati-
onsbeauftragte aus Kindertagesstätte und
Grundschule benannt werden, die als direkt
Zuständige einerseits die Thematik fachlich
erörtern und anderseits eine gelingende
Umsetzung sicher stellen können. Es hat sich
auch bewährt, eine schriftliche Kooperations-
vereinbarung zu treffen, die für beide Seiten
Verbindlichkeit herstellt und als Basis für die
weitere konstruktive Zusammenarbeit dient.

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IV. Qualitäts-
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

entwicklung und
-sicherung

1. Zielsetzung – Pluralität der Methoden werden Qualitätskriterien entwickelt, die den Pro-
zess der Bildungsarbeit in der Einrichtung transpa-
Das Niedersächsische Gesetz über Kindertagesstät- rent machen und die Konzeption durch Aussagen
ten und Kindertagespflege (NKiTaG) verpflichtet über die Begleitung, Förderung und Herausfor-
jede Einrichtung, eine pädagogisches Konzeption derung frühkindlicher Bildungsprozesse erweitern.
vorzulegen und regelmäßig fortzuschreiben. In der
Einrichtungskonzeption werden unter Berücksichti- Für das Qualitätsmanagement in Tageseinrichtun-
gung der gesetzlichen Vorgaben, der sozialräumli- gen gibt es inzwischen unterschiedliche Qualitäts-
chen Rahmenbedingungen und des Leitbildes des systeme. Einige Träger haben bereits trägerspezifi-
Trägers die in den §§ 2–4 des NKiTaG formulierten sche Handreichungen zum Qualitätsmanagement
Ziele der pädagogischen Arbeit konkretisiert. Die und Güte-Kriterien entwickelt.
Aussagen des hier vorgelegten Orientierungsplans
zur Bildung und Erziehung im Elementarbereich Die Erfassung der Qualität pädagogischer Arbeit in
fließen in die Fortschreibung der pädagogischen Tageseinrichtungen für Kinder wird auch bundes-
Konzeption ein. weit in verschiedenen Modellversuchen, Forschungs-
ansätzen und durch das vom Bundesministerium
Professionelle Erziehungs- und Bildungsarbeit in für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999
Tageseinrichtungen umfasst die regelmäßige gestartete Programm »Nationale Qualitätsinitiative
Überprüfung der eigenen Arbeit (Qualitätsfest- im System der Tageseinrichtungen für Kinder«
stellung und Evaluation), die prozesshafte Weiter- entwickelt und erprobt. Jeder Träger bzw. jede
entwicklung (Qualitätsentwicklung) und ihre Einrichtung entscheidet sich für ein bestehendes
Umsetzung in die Praxis (Qualitätssicherung). Tages- Qualitätsentwicklungs- und -sicherungsverfahren
einrichtungen für Kinder sind vorschulische Bil- bzw. für ein selbst entwickeltes Verfahren. Dies
dungseinrichtungen und müssen sich der Aufgabe sollte auf der Basis der pädagogischen Konzeption,
stellen, für eine Implementierung (Umsetzung) der eines im Team hergestellten Konsenses über die
in diesem Orientierungsplan formulierten Bildungs- gemeinsamen Arbeitsschritte und unter Abwägung
ziele in die pädagogische Praxis zu sorgen. Träger der zur Verfügung stehenden Ressourcen geschehen.
und Tageseinrichtungen sind aufgefordert die eige-
ne Qualitätsentwicklung und -sicherung zu einem
selbstverständlichen Bestandteil ihrer pädagogi-
schen Arbeit zu machen. Einrichtungsbezogen

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Qualitätsentwicklung in der Einrichtung bedeutet, 2. Beobachtung und Dokumentation
dass die Ziele der pädagogischen Arbeit bestimmt als Instrumente der Qualitätssicherung
werden und dass das Handeln, die Strukturen
und alle Prozesse im Alltag der Einrichtung einer Gezielte Beobachtungen sind ein fester Bestandteil
Reflexion im Sinne der gemeinsamen Qualitätsziele der pädagogischen Arbeit in allen Tageseinrichtun-
unterworfen werden. Die Qualitätssicherung gen. Die regelmäßige Beobachtung und ihre Auf-
dient der Herstellung von Transparenz der pädago- zeichnung sind Instrumente der Bildungsbeglei-
gischen Arbeit nach Innen und Außen und ermög- tung, die ausnahmslos jedem Kind gilt (vgl. hierzu
licht es festzustellen, wieweit die Ziele erreicht auch Kapitel III). Entsprechend dem Bildungsver-
wurden. Die Fachkräfte überprüfen die von ihnen ständnis dieses Plans ist es das Ziel von Beobach-
entwickelten Qualitätsziele, indem sie die zuvor tungen, eine qualitativ gute pädagogische Arbeit
festgelegten Merkmale erfassen, werten und in der Tageseinrichtung leisten zu können.
im Rahmen der pädagogischen Arbeit weiterent-
wickeln. Die Interessen des Kindes, sein Entwicklungsstand
und seine besonderen Fähigkeiten sowie seine
Die Qualitätsentwicklung der eigentlichen pädago- Situation in der Kindergruppe sollen systematisch
gischen Arbeit wird als Aufgabe der Fachkräfte aufgespürt werden. Die Dokumentation des Beob-
verstanden. Darüber hinaus können auch Träger achteten bildet eine Grundlage für die Reflexion
mit geeigneten Verfahren die Qualität ihrer Aufga- im Team, für Gespräche mit den Eltern und – in
benwahrnehmung erfassen und weiter entwickeln. ausgewählten Fällen – auch für die gemeinsame
Die Instrumente des Qualitätsmanagements sind Reflexion mit dem Kind (z. B. eine Video-Aufnahme
die Entwicklung von Bewertungsmaßstäben, die gemeinsam ansehen).
Selbst- und Fremdevaluation, z. B. durch Fachbera-
tung und Fortbildung oder durch externe Fachleu- Damit kein Kind aus dem Blickfeld der Erwachse-
te, und die Dokumentation. nen gerät, ist es sinnvoll, feste Beobachtungszeiten
in den Alltag der Einrichtung zu integrieren. Alle
Beobachtungen werden zeitnah dokumentiert und
im Team im gemeinsamen Gespräch reflektiert.
Für die Interpretation des Beobachteten ist es sehr
hilfreich, wenn mindestens zwei Kolleginnen/
Kollegen beobachtet haben und ihre unterschied-
lichen Wahrnehmungen in die pädagogische
Diskussion einbringen.

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FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Die Fachkräfte müssen sich im Rahmen ihrer Kon- Zurzeit gibt es in der pädagogischen Diskussion
zeption über die Ziele und den Einsatz von Beob- verschiedene Ansätze, Dokumentationen in die
achtungsverfahren und -methoden verständigen. praktische pädagogische Arbeit zu integrieren.
Teilnehmende freie Beobachtungen (z. B. festgehal-
ten in laufenden Notizen oder Tagebüchern) und — Eine Möglichkeit der Dokumentation ist die
geplante strukturierte Beobachtungen können sich Herstellung von Bildungsbüchern oder Portfo-
ergänzen. Wichtig ist die Verständigung über die lios für jedes Kind. Hier handelt es sich vor
Fragestellung (Was möchte ich erfahren?) und die allem um eine Sammlung von Produkten kind-
möglichst genaue Unterscheidung zwischen dem, licher Aktivitäten oder von Bildern, Fotos,
was tatsächlich beobachtet werden konnte sowie Geschichten, Video- Aufnahmen etc., die für das
den Schlussfolgerungen und Bewertungen, welche Kind wichtig sind, gegebenenfalls auch »Zerti-
die Erzieherinnen/Erzieher daraus ziehen. Aufzeich- fikate« (Rollerführerschein) oder Geschichten,
nungen über das Verhalten von Kindern und über die die Erzieherin/der Erzieher für das Kind
den sozialen Kontext bedürfen immer einer (auf-)geschrieben hat. Das Bildungsbuch gehört
einfühlsamen Interpretation und können im dem Kind. Es bestimmt über seinen Inhalt mit
Verlauf von Ereignissen auch wieder neu inter- und über seine Verwendung (z. B. wer darin
pretiert werden. lesen darf oder was darin aufgenommen wird).
Es erhält das Bildungsbuch als sein Eigentum,
Beobachtungen und ihre Dokumentation dienen wenn es die Kindertagesstätte verlässt. Dieses
nicht allein der Bildungsbegleitung einzelner unterstützt Identifikationsprozesse, es vermit-
Kinder. Ihr Ziel kann auch sein, Gruppenprozesse telt Wertschätzung, fördert das Selbstbewusst-
bewusster wahrzunehmen oder sich zu einem sein und die Fähigkeit des Kindes zu Selbst-
ausgewählten Thema gezielt die bisherige pädago- Reflexion.
gische Praxis zu vergegenwärtigen. Beobachtung — Die Aufzeichnung von Bildungs- und Lern-
und Dokumentation sind in diesem Sinne auch geschichten dient dazu, die Entwicklung eines
Instrumente der Qualitätsfeststellung (Evaluation) Kindes kontinuierlich zu dokumentieren. In
und Qualitätsentwicklung der pädagogischen regelmäßigen Abständen werden die Kinder im
Arbeit. Alltag beobachtet. Dabei werden der Kontext
der jeweiligen Situation und das, was sich an
Kommunikation in dieser Situation abspielt, mit
aufgezeichnet. Ziel ist die individuelle Bildungs-
begleitung der Kinder in einem ihnen angemes-
senen Entwicklungstempo. Bis zum Schuleintritt
werden die Lernpotenziale und die Entwicklung
des Kindes systematisch als Entwicklungsverlauf

50
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
dokumentiert und für die pädagogischen — Der gezielte Einsatz bestimmter standardisierter
Fachkräfte nachvollziehbar festgehalten. Die Beobachtungsverfahren kann insbesondere
Eltern sind ebenfalls in die Entwicklung der Bil- dann sinnvoll sein, wenn in maßgeblichen Ent-
dungs- und Lerngeschichten einbezogen. Die wicklungsbereichen (Körper- und Handmotorik,
Weitergabe an Dritte kann nur mit Einverständ- Sprachentwicklung, Hör- und Sehvermögen,
nis der Eltern erfolgen. Hochbegabung usw.) eine deutliche Abweichung
— Eine andere Möglichkeit ist die Sammlung von von der großen Mehrheit aller gleichaltrigen
Aufzeichnungen von freien oder strukturiert Kinder erkennbar ist. Aufgrund ihrer Berufser-
durchgeführten Beobachtungen sowie z. B. von fahrung im Umgang mit gleichaltrigen Kindern
Meinungsbildern und Rückmeldungen (z. B. erkennen Erzieherinnen und Erzieher in der
durch Eltern, durch Kinder, durch andere Institu- Regel frühzeitig auffallende Entwicklungen von
tionen), die von den Fachkräften aus unter- Kindern und sollten ihre Beobachtungen zum
schiedlichen Anlässen festgehalten werden. Anlass nehmen, das Gespräch hierzu mit Eltern
Beobachtungsanlässe ergeben sich aus dem ge- und Kolleginnen und Kollegen zu suchen und
samten Spektrum der Förderung – von den gegebenenfalls Expertenwissen hinzuzuziehen.
sozialemotionalen und kognitiven Kompeten-
zen bis zur Gesundheitsförderung bei einzelnen Für die genannten Aufzeichnungen und Doku-
Kindern und in der Kindergruppe. Diese Doku- mentationen gilt der Datenschutz (vgl. dazu auch
mentationen fließen in die Evaluation der Kap. III, 1).
pädagogischen Arbeit im Team ein und werden
nicht weitergegeben. Sie können aber z. B. von Es besteht heute in dem gesamten System Tagesein-
den Fachkräften als Hintergrundmaterial für richtungen für Kinder eine hohe Bereitschaft, die
Elterngespräche genutzt werden. eigene Fachlichkeit professionell weiter zu entwi-
ckeln. Qualitätsmanagement ist ein kommunika-
tiver Prozess und setzt die Zusammenarbeit aller an
der Arbeit von Tageseinrichtungen für Kinder
beteiligten Personen voraus. Die Träger stehen in
der Verantwortung, eine professionelle Bildungs-
und Erziehungsarbeit in der Tageseinrichtung zu
gewährleisten.

51
Anhang
Lernbereich 1:
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Emotionale Entwicklung und soziales Lernen

Für das Spiel einzelner Kinder untereinander:


Einbau von verschiedenen Ebenen, Podesten/
Bühne, abgeteilte und nicht einsehbare Ecken und
Nischen und im Außenbereich, Spielhäuser, Bauwa-
gen, Weidentipis, Sitzgruppen, Terrassen, Innenhö-
fe oder Hütten und Ähnliches.

Für Rollenspiele:
Eine Vielfalt von zweckfreien Materialien wie
Tücher, Stoffe, Kisten, Kissen, Hölzer etc., Puppen,
Verkleidungsmaterial und Alltagsmaterialien für
die Rollenspielthemen Familie, Einkaufen, Schule
usw., Spiegel. Für die individuelle Identitätsent-
wicklung: ein eigenes Foto (eventuell mit der
1. Zu Kapitel III A: 4. Die Einrichtung eigenen Familie), Eigentumskiste oder -fach (Foto
einer anregenden Lernumgebung oder eigener Name, kein Tiername!), Ausstellungs-
vitrine oder Ausstellungswand für ausgesuchte
Anregungen der Praxis für eine gute räumliche und Kinderkunstwerke.
materielle Ausstattung in den Kindertagestätten
werden im Folgenden vorgestellt. Demokratie Lernen:
eine Wandtafel/Pinnwand für die Darstellung der
Generell gilt, Räume nicht zu überladen mit einer Kinderbeschlüsse.
zu großen Anzahl an Kinderprodukten (lieber
Eigentumskästen und -mappen anlegen), durch zu Lernbereich 2:
viel Spielzeug oder beispielsweise durch eine Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und der Freude
kindertümelnde Ausschmückung. Das Auge soll in am Lernen
allen Räumen Ruhepunkte finden und das Thema,
mit dem sich Kinder beschäftigen, auch zum Vor- Ausstattung einer Experimentierwerkstatt. Wecker,
schein kommen lassen. Weniger ist oftmals mehr: Radios, Taschenlampen, Kerzen, Wasserspiele,
Qualitativ hochwertige und wertgeschätzte Magnetfelder, Lupendosen, Vergrößerungsgläser,
Materialien, möglichst wenig vorgefertigte Mate- Fotoapparate, Videokamera, Computer und
rialien, echte Alltagsgegenstände (wie scharfe interaktiv zu nutzende Programme für Kinder vor
Messer, Sägen etc.) oder z. B. ein Gemälde eines der Einschulung. Memory und andere Gedächtnis-
Künstlers/einer Künstlerin sind einem Überangebot spiele, Knobel-Aufgaben, »Tüftler«-Kiste.
von gängigem Spielzeug für Kinder oder z. B. Sesam-
straßen-Plakaten vorzuziehen.

Mit den nun folgenden Vorschlägen wird eine


Zuordnung zu den einzelnen Lernbereichen
hergestellt, auch wenn sie sich mehreren Zielen
zuordnen lassen (eine Bühne eignet sich zum
Vortragen, zum Rollenspiel, zum Tanzen usw.). Vgl.
hierzu auch Kapitel III. Es geht bei dieser Aufzäh-
lung ausdrücklich um Ideen und Anregungen. Es
besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

52
Lernbereich 3: Lernbereich 5:

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Körper – Bewegung – Gesundheit Lebenspraktische Kompetenzen

Orte für Sport, Tanz, Theater, Toben, spontane Selbstständige eigene Versorgung:
Bewegungsspiele (innen und außen): Zugang zu eigener Ersatzwäsche und eigenen
Bewegungsaufforderung zum Laufen, Rutschen, Schuhen, eigene Zahnpflegeausstattung, Möglich-
Schaukeln, Klettern, Fahren, Sportspiele, Kriechen, keit zum selbstständigen Frühstück.
Raufen, Hüpfen, Balancieren etc. Breite Flächen
ohne Möblierung, verschiedene Ebenen, schiefe Alltägliches häusliches Tun:
Ebenen, große und kleine Schrägen, Treppen und Möglichst viele im häuslichen Alltag übliche Geräte
Leitern, Bewegungsmaterialien (Bewegungsbau- und Haushaltsgegenstände wie z. B. Handfeger,
stelle, variable und transportable Gegenstände), Wischeimer etc. (nicht als Spielzeug), die auch in
Seile, Bälle, Pedalos, Fahrzeuge, Rollbretter, der Kita benutzt werden. Alle notwendigen Materi-
Trampolin, Hängematte, Schaukel. Im Außenbe- alien zum Kochen, Backen und gemeinsamen Essen.
reich: Kletter- und Versteckmöglichkeiten, Hügel Der Körpergröße von Kindern angepasste Küchen-
und Tunnel sowie unterschiedlich gestaltete ausstattung, bzw. stabile Hocker/Schemel zum
Untergründe. Hochsitze und Türme zum Erklim- Draufstellen. Ausstattung zum Einkaufen.
men, begehbare Dächer, Brücken zum Überqueren.
Differenzierte Einfriedungen, Hecken- und Wei- Handwerkliches Können und Experimentieren:
denzäune, eingebaute Glaskugeln und Spiegel, Werkzeuge wie Messer, Sägen, Nägel, Hammer
Naturwebrahmen. Hölzer, Reifen, Bretter, Regen- etc., eine Werkbank, Gartengeräte, Nähzeug,
rinnen, Rohre, Natur- und Mauersteine etc. Material für kleine Reparaturen.

Orte für Ruhe und Konzentration, Entspannung Umgang mit technischen Geräten:
und Erleben von Dunkelheit: Fotoapparat und/oder Videokamera, Projektor und
»Traumstundenzimmer«/Raum für Meditation/ Leinwand, Computer, Telefon, technische Haus-
Köpererfahrung, Kuschelecken und Snoozelen, haltsgeräte.
Schlafen und Rückzug. Matten, Kissen, Decken,
gedämpftes Licht, Kassettenrekorder für Musik, Lernbereich 6:
Therapiegeräte etc. Mathematisches Grundverständnis

Lernbereich 4: Materialien wie Geldstücke, Holzwürfel, Perlen,


Sprache und Sprechen Bausteine. Hilfsmittel wie Zahlenbretter, Maßbän-
der, Messbecher, Waagen, Thermometer, Uhren,
Eigenständig zu nutzende Kinderbibliothek, Tabellen, Kalender und Ähnliches.
Gesellschaftsspiele, eine Dokumentensammlung
oder Nachschlagkiste, eine Schreibecke mit unter-
schiedlich nutzbaren Medien (Papiere, Schreibgerä-
te, Schreibmaschine, Computer), bildliche Darstel-
lungen von schriftlichen Symbolen, Namenschilder,
zwei- oder mehrsprachige Infos, Erstellen eines
Kindergruppen-Tagebuchs, erzählauffordernde
Bühne, Fingerpuppen oder »Storyboard« (Papp-
bühne mit einem Erzählanfang).

53
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

Lernbereich 7: Lernbereich 8:
Ästhetische Bildung Natur und Lebenswelt

Musik und Tanz: Naturerfahrungen:


Einfache Musikinstrumente wie Rasseln, Kazus, Umgang mit den vier Grundelementen Erde,
Trommeln etc., einige wenige wertvolle Instrumen- Wasser, Luft und Feuer. Nutzgärten, Blumenbeete,
te. Liederbücher, Platten, Tonkassetten, DVDs. Kräuterspiralen, Kompostanlagen, Obstbäume,
Material zum selber Bauen einzelner Instrumente Beerensträucher, Sandlandschaften, Weidenanla-
(»Regenmacher«). Materialien zum Dämpfen, gen und Naturwiesen, Wasseranlagen, Matschlö-
Verstärken von Tönen. Tanzmusik, klassische Musik, cher und Feuchtbiotope, Feuerstellen und Lehm-
Musik anderer Kulturen. Rhythmus-, Singspiele öfen, Wetterstationen und Wind- und Duftspiele,
und Reime. Umgang mit Tieren.

Bildnerisches Gestalten: Erforschung der physikalischen/ materiellen Welt:


Naturmaterialien aller Art (Muscheln, Steine, Ausstattung der Experimentierwerkstatt (siehe
Korken, Holz etc.), Wasser, Sand, Knete, Ton. auch Lernbereich 2 und 6), Licht- und Schattenspie-
Wachs. Papier und Farben aller Art (Wasser-, Öl-, le, Geräte zum Messen und Wiegen, Erwärmen,
Pigmentfarbe), Farben mit hoher Leuchtkraft, Kühlen. Gläser, Ordner, Kästen, Ausstellungsraum
Staffelei, Werkbänke. »Schätze« wie Perlen, farbige etc. zum Sammeln, Ausstellen, Beobachten,
Scherben, Federn etc. Bücher über Kunstwerke, Pflanzenpressen, Komposter, Öko-Tonne etc.
Künstler, berühmte Bauwerke. Bastelmaterialien,
Matschtische, Schaukästen und Präsentationsflä- Umwelterkundung:
chen. Netzpläne (z. B. der U-Bahn), Stadtpläne/Landkar-
ten. Sachbücher und Material zu/von besuchten
Einrichtungen. Geschichtliches oder biographisches
Anschauungsmaterial aus der eigenen Stadt/ Region.

Lernbereich 9:
Ethische und religiöse Fragen;
Grunderfahrungen menschlicher Existenz

Orte der Ruhe/Meditation. Bildbände/ Bücher über


verschiedene Religionen. Mitgebrachte Symbole
kulturellen/religiösen Inhalts bzw. über Grunder-
fahrungen von Leben und Tod.

54
2. Zu Kapitel III C.: Zusammenarbeit von Tageseinrichtung und Grundschule

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Zeitpunkt Maßnahmen

September Beginn der »Kennenlerntage« und der Absprachen


10 Monate vor Einschulung zwischen Kindergarten und Grundschule
— Auswertung von Beobachtungen; Erstellen
individueller Förderpläne, Elterngespräch,
Förderung

Oktober Anmeldung im Rahmen einer offenen Atmosphäre


9 Monatem vor Einschulung Zeitpunkt: Nachmittag; Ort: Schule
— Schulkinder der Klassen 3 helfen den neuen
Mitschülerinnen und Mitschülern bei der
Erkundung der Schule (übernehmen Patenschaf-
ten) am Tag der Anmeldung; der Förderkreis
bereitet Tee, …

Dezember bis Juni Gemeinsame Veranstaltungen Schule und Kita


(Basar, Theaterstück, etc.) Kindergarten-Kinder
basteln für die Kinder (Klassenräume) der Partner-
klassen, …

Besuch der Schulkinder im Kindergarten


— Kindergarten-Kinder zeigen ihre Arbeiten,
bewirten Grundschul-Kinder, …

Projekt:
Wir helfen unseren neuen MitschülerInnen (als Fort-
setzung der Kennenlerntage) in der Grundschule /
Teilnahme am Unterricht des ersten Schuljahres
— Schüler/innen erstellen für Nichtleserinnen und
-leser verständliche Hinweise zur Orientierung
in der Schule / zur Schulordnung (Piktogramme,
Farbmarkierungen im Gebäude zum Wieder-
finden der wichtigsten Personen und Räume)

Nach der Einschulung Schulkinder zeigen ihre Arbeiten, bewirten Kinder-


garten-Kinder, helfen ihnen im »Unterricht«, …

Kontaktaufnahme aller Schulkinder eines Ortsteiles


/ einer Straße zu den Schulneulingen (gemeinsames
Erkunden von Schulweg und Wohngegend), …

Schulkinder helfen den neuen Mitschülern bei der


Erkundung der Schule am Tag der Einschulung,
sind Ansprechpartner in den ersten Schulwochen
(Busbetreuung, Pausenspiele …), …

55
Abschnitt B

3
FRÜH KINDLICH E BILDUN G
Niedersächsisches
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Kultusministerium

Sprachbildung und
Sprachförderung

Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan


für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Niedersachsen
1
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

2
Sprachen
nehcarpS
I. EINFÜHRUNG 8
1. Spracherwerb 8
2. Spracherwerb bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern 9
3. Sprachbildung und Sprachförderung im Elementarbereich 12

II. ANFORDERUNGEN AN SPRACHBILDUNG UND SPRACHFÖRDERUNG


IM ELEMENTARBEREICH 14
1. Sprachbildungs- und Sprachförderkompetenz der Fachkräfte 14
a) Beziehungen aufbauen und pflegen 14
b) geteilte Aufmerksamkeit etablieren 15
c) Sprachvorbild sein 15
d) Kommunikation anregen und Sprachanreize setzen 16
e) Sprachstand einschätzen können 17
f) Sprachbildung und Sprachförderung am Entwicklungsstand des Kindes ausrichten 19
g) Sprachbildung und Sprachförderung evaluieren 22

2. Sprachbildungs- und Sprachförderkompetenz von Kindertageseinrichtungen 22


a) Sprachbildung und Sprachförderung in der pädagogischen Konzeption verankern 23
b) Sprachbildung und Sprachförderung planen und umsetzen 23
c) Evaluation von Sprachbildungs- und Sprachförderkompetenz 26

3. Teamarbeit 27
a) Fachkräfte einer Einrichtung 27
b) Fachkräfte und Eltern 28
c) Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Grundschullehrkräfte 29

III. ZUSAMMENFASSUNG 30
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

I. Einführung lernen stehen damit jene angeborenen Erwerbsme-


chanismen zur Verfügung, die auch den Erstsprachen-
1. Spracherwerb erwerb ermöglichen. Kinder sind fähig, ihre eigenen
Lernsysteme je nach Anforderungen und Lernumfeld
Der Spracherwerb ist ein komplexer und sehr individu- immer wieder zu überarbeiten. Sie benötigen dafür
eller Prozess, der von biologischen und geistigen Vor- keine explizite Belehrung oder Korrektur, sondern
aussetzungen sowie äußeren Lebensbedingungen gute Sprachvorbilder und vielfältigen Sprachkontakt.
beeinflusst wird. Sprache ist der Ausdruck von Den-
ken, sozialem Miteinander, von Kultur. Spracherwerb Wenn es bei mehrsprachigen Kindern Probleme im
ist eng verknüpft mit der Entwicklung eines Kindes in Spracherwerb gibt, also der Spracherwerb verzögert
allen Bildungsbereichen. Kinder nutzen jede Bildungs- ist oder gestört verläuft, dann liegt das nicht daran,
und Lernsituation, um ihre Kommunikationsfähigkei- dass das Kind mehr als eine Sprache erwirbt. Die
ten und ihre Sprachkompetenzen zu entwickeln. Ursachen sind vielmehr meist in den Lebensumständen
Motorische, kognitive, emotionale und soziale Lern- zu suchen – insbesondere darin, dass ein Kind keine
und Entwicklungsprozesse bedingen sich wechselsei- intensiven sprachlichen Kontakte erfährt oder in
tig. Spracherwerbsprozesse müssen daher als Teil der sozial-emotional ungünstigen Bedingungen lebt. Nur
frühkindlichen Gesamtentwicklung gefördert werden. in einer geringen Zahl der Fälle liegen physiologisch
bedingte Sprachentwicklungsstörungen oder Verzöge-
Die Kompetenz zum Spracherwerb ist jedem Kind rungen vor.
angeboren. Kinder können schon früh sprachliche
Muster entdecken und mit Bedeutungen verbinden. Ob Auffälligkeiten im Sprechen eines Kindes in den
Kinder können den auf sie treffenden Lautstrom in Bereich der ‚normalen' individuellen Differenzen
lautlich zusammenhängende Einheiten unterteilen gehören oder auf weitergehende Sprachentwicklungs-
und einen systematischen Zusammenhang zwischen störungen weisen, muss im Zweifel durch eine speziel-
diesen Lauteinheiten und ihren Bedeutungen erken- le Diagnose ermittelt werden, die nicht vom pädago-
nen; das führt im Verlauf der Entwicklung auch dazu, gischen Personal der Tageseinrichtung, sondern von
dass Wörter und Wendungen differenziert werden dafür ausgebildeten Expertinnen oder Experten durch-
können. Kinder erfassen, wie diese Einheiten mitein- geführt wird. Da sich eine Sprachentwicklungsstörung

Sprach
ander kombiniert werden können und produzieren immer sowohl auf die Erst- als auch auf die Zweitspra-
zusammenhängende Äußerungen. Damit einherge- che auswirkt, sollte die Diagnose möglichst beide
hend werden sprachliche Muster, in denen auch kultu- Sprachen betreffen. Kinder mit diagnostizierten Spra-
relle Konventionen enthalten sind, in den unterschied- chentwicklungsstörungen benötigen eine gezielte
lichsten kommunikativen Kontexten erworben und Therapie durch Logopäden beziehungsweise qualifi-
erprobt. ziertes medizinisches Fachpersonal.

Der Weg der Entwicklung verläuft zunächst über das Schon sehr früh im Spracherwerbsprozess beginnen
Verstehen sprachlicher Äußerungen Anderer. Darauf Kinder, ihr bereits erworbenes sprachliches Wissen zu

nehc
aufbauend beginnen Kinder, Sprache auch selbst aktiv organisieren. Mit zunehmender Sprachaneignung
anzuwenden. Wenn man den Spracherwerb eines Kin- erwerben Kinder auch metasprachliche Kompetenzen
des beobachten und fördern möchte, ist es wichtig, – also ein Wissen über Sprache und ihr Funktionieren.
neben der Produktion (aktives Sprechen) auch die Je weiter der Spracherwerbsprozess voranschreitet,
Rezeption (Sprachverständnis) zu beobachten, denn desto mehr verlagern sich die bevorzugten Sprachan-
nur beide Elemente gemeinsam bilden eine voll ent- eignungsstrategien von den intuitiven auf solche, bei
wickelte ganzheitliche Sprachkompetenz. denen Bewusstheit mit eingesetzt wird – also auf
kognitive Strategien.
In den ersten Lebensjahren erfolgt der Spracherwerb
intuitiv und überwiegend unbewusst. Kinder eignen Einen riesigen Schub der schrittweisen Bewusstma-
sich in dieser Zeit das strukturelle Grundgerüst ihrer chung von Sprache erfahren Kinder in dem Augen-
Umgebungssprache an. Dies gilt auch, wenn Kinder in blick, in dem sie beginnen, sich mit Schrift zu beschäf-
dieser Zeit eine Zweit- oder Drittsprache erwerben. tigen. Mit dem Schriftspracherwerb wird es unerläs-
Die Aneignung der grammatischen Grundstruktur slich, dass Kinder verstehen: Sprache ist nicht nur
erfolgt dann analog dem Erstsprachenerwerb ganz- Kommunikationsmittel, sondern auch Gegenstand von
heitlich und „beiläufig". Dem frühen Zweitsprachen- Betrachtung. Ein Beispiel dafür ist die Herausforde-

8
Sprachbildung und Sprachförderung

rung zu verstehen, dass Laute zwar Entsprechungen in 2. Spracherwerb bei mehrsprachig


Schriftzeichen haben – dass aber diese Entsprechun- aufwachsenden Kindern
gen auf (mühsam zu lernenden) Konventionen
beruhen und nicht auf einer direkten „natürlichen" Weltweit betrachtet ist Mehrsprachigkeit die häufige-
Beziehung zwischen den Zeichen. re „Normalsituation" in Regionen und Staaten. In den
europäischen Staaten herrscht jedoch traditionell die
Sprachlernen ist also ein komplexer Prozess, der von Vorstellung von Einsprachigkeit als „Normalfall". Aber
vielen individuellen und kontextuellen Faktoren auch hier ist jedoch in Folge von globaler Mobilität,
beeinflusst wird. Die unterschiedlichen Bedingungen, Migration und grenzüberschreitenden Kommunikati-
unter denen Kinder den Prozess durchlaufen, führen onsmöglichkeiten die Mehrsprachigkeit mittlerweile
zur Heterogenität des Sprachstands in einer Gruppe eine normale Ausprägung menschlichen Sprachvermö-
von Kindern gleichen Alters. Insbesondere das Auf- gens. Im bundesweiten Durchschnitt hat seit Mitte der
wachsen und Leben mit mehr als einer Sprache gehört 2000er Jahre jedes dritte Kind unter sechs Jahren
zu den einflussreichen Bedingungen für den Verlauf einen Migrationshintergrund. In Großstädten liegt der
und das Ergebnis des Spracherwerbsprozesses. Anteil beträchtlich darüber.

Im überwiegenden Teil der Familien mit einer Migrati-


onsgeschichte spielt – besonders in der Kommunikati-
on mit kleinen Kinder – die mitgebrachte Sprache der
Herkunft eine besondere Rolle; nicht selten haben
Familien mehrere Herkunftssprachen. In der familiären
Kommunikation sind die Herkunftssprachen auch
dann von großer Bedeutung, wenn sie im Alltag nicht
mehr durchweg dominant sind. Die Sprachen der Her-
kunft dienen oft als Sprache der Gefühle oder der
Erziehung, z. B. bei dem Ausdruck von Zuneigung
oder auch der Regulierung nicht erwünschter Verhal-
tensweisen des Kindes.

hen
Kinder kommen mit Ausprägungen der Zwei- oder
Mehrsprachigkeit in die Kindertageseinrichtung.
Deutsch spielt dabei immer eine Rolle, denn die
Begegnung mit der deutschen Umgebungssprache ist
ja unvermeidlich. Die Intensität des Kontakts mit dem
Deutschen ist aber, je nach Lebenslage der Familien,
sehr unterschiedlich.

rpS
Die Wertschätzung der sprachlichen Herkunft und
Geschichte eines Kindes, also auch seiner Erst- oder
Familiensprache(n), ist von enormer Bedeutung für
den erfolgreichen Zweitspracherwerb. Schließlich ist
die Sprachpraxis der Familie wesentliches Element
seiner individuellen Lebenserfahrung, seiner ersten
prägenden Sprachaneignung, seiner Persönlichkeit.
Spracherfahrungen schließen kulturelle Erfahrungen
ein, transportieren auch Normen und Werte, Situati-
onsdeutungen und Weltbilder. Diese Erfahrung
zurückzuweisen oder geringzuschätzen bedeutet, dass
ein Kind in seiner Persönlichkeit missachtet wird.

Die Anerkennung von kultureller und sprachlicher


Vielfalt als dem „Normalfall" der Bildungs- und

9
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Erziehungssituation in der Kindertageseinrichtung von


heute ist eine Voraussetzung für die Entwicklung
eines vertrauensvollen, ermutigenden Klimas, in dem
auch Deutsch als Zweitsprache gut erworben werden
kann. Wichtig ist es, die Eltern und Familien in diese
Vertrauensbildung einzubeziehen.

Eltern sind wichtige Partner der Sprachbildung und


Sprachförderung ihrer Kinder. Generell ist zu raten,
dass Eltern mit ihren Kindern in der Sprache sprechen,
in der sie sich flüssig, kompetent und variationsreich
verständigen können. Es ist nicht zu erwarten, dass
Eltern, die Deutsch nicht gut beherrschen, geeignete
Sprachvorbilder für ihre Kinder in dieser Sprache sind.

Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass der Bildungs-


stand der Familie sowie ihre sozio-ökonomische Lage Wie beim Erstspracherwerb geht auch beim Zweitspra-
sich auf den Bildungserfolg eines Kindes auswirken. chenerwerb das Sprachverständnis (Rezeption) dem
Eine geringe Schriftorientierung des Elternhauses hat aktiven Sprechen (Produktion) voraus. Die Verstehens-
– auch unabhängig von der Familiensprache – bildungs- fähigkeit ist in jedem Falle – im einsprachigen Leben
biographische Nachteile für das Kind. Eltern, die selbst ebenso wie bei Mehrsprachigkeit – höher als die Mög-
wenig Bildungserfahrung mitbringen, können in lichkeit zur Sprachproduktion. Der produktive Einstieg
vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Kindertages- in die neue Sprache findet über bedeutungstragende
einrichtung Wege gezeigt werden, wie sie zur erfolg- Einheiten statt, die im Sprachkontakt besonders prä-
reichen Sprachentwicklung ihrer Kinder beitragen gnant vorkommen. Das können einzelne Wörter sein,
können. aber auch Wendungen wie Grußformeln, Anweisun-
gen, sprachliche Liebkosungen – also Äußerungen, die
Die Erhaltung und weitere Entwicklung der sich aus Erwachsenensicht aus Inhalts- und Funktions-
Familiensprache(n) korrespondiert mit dem Grad an wörtern zusammensetzen.
Unterstützung und Bereicherung, die Kinder und ihre
Familien dafür erhalten. Eine gezielte Unterstützung Schritt für Schritt entwickeln Kinder die Fähigkeit, sol-
und Förderung der Zweisprachigkeit während der Vor- che Einzelwendungen zu größeren Bedeutungseinhei-
schuljahre scheint nicht nur dem Erstspracherwerb ten zu verknüpfen, also umfassendere sprachliche
zuträglich zu sein, sondern auch dem erfolgreichen Äußerungen zu produzieren. Die Spracherwerbsszena-
Zweitspracherwerb zugute zu kommen. rien von Kindern sind dabei vielfältig. Für die Spra-
chentwicklung sind Umfang und Bedeutung des
In der Regel führt der frühe Kontakt mit zwei Spra- Sprachkontakts wichtig, den Kinder zu den beteiligten
chen dazu, dass Kinder sich die grundlegenden syntak- Sprachen erfahren. Für einen großen Teil von mehr-
tischen Strukturen der beteiligten Sprachen auf die sprachigen Kindern im Vorschulalter ist die Sprache
gleiche Weise aneignen wie einsprachige Kinder. Diese der Familie die gewichtigere und häufigere Kontakt-
prinzipielle Ähnlichkeit des Spracherwerbs gilt unge- sprache. Deutsch erfahren sie in nennenswertem
fähr bis zum vierten Lebensjahr. Sie gilt also für Kin- Umfang oft erst, wenn sie bereits die Grundzüge ihrer
der, die von Geburt an zweisprachig aufwachsen, aber Familiensprache erworben haben (z. B. Englisch oder
auch noch für diejenigen, die im frühen Kindesalter Türkisch) und ihre Strukturen relativ gefestigt sind –
erstmals mit der Zweitsprache konfrontiert werden. also nach dem dritten oder vierten Lebensjahr.
Man spricht in den ersten Lebensjahren eines Kindes
vom parallelen Spracherwerb, während ein später ein- Die Qualität der erreichbaren zweitsprachlichen Kom-
setzender Sprachkontakt zu einem sogenanntem suk- petenzen ist abhängig von Beginn, Dauer und Intensi-
zessiven Spracherwerb führt, bei dem andere Aneig- tät des Sprachkontakts, also dem Zugang zu dieser
nungsstrategien wirksam sind. Sprache. Während die Aneignung grammatischer
Grundstrukturen recht robust vonstatten geht, ist der
Wortschatz abhängig vom konkreten sprachlichen Ein-
fluss, den ein Kind erlebt; deshalb unterliegt dieser

10
Sprachbildung und Sprachförderung

Kinder verfolgen beim Erwerb von Sprachen stets das


Ziel einer kommunikativen und sprachlichen Hand-
lungsfähigkeit in ihren Lebenswelten. Wenn ihre Kon-
versationspartner über mehrsprachige Kompetenzen
verfügen und die Situation dafür geeignet ist, schal-
ten Kinder problemlos und mitten im Gespräch zwi-
schen ihren verschiedenen Sprachen hin und her
(Code-Switching) oder mischen Äußerungen (Code-
Mixing).

Kinder setzen Code-Switching oder Code-Mixing dann


ein, wenn dies zu einer Situation oder einem
Gesprächspartner passt. Sie unterstreichen damit
Sprachen Beziehungsaspekte wie Solidarität oder Vertrautheit.

nehcarpS Sprachwechsel erfolgen in der Regel nicht, weil ein


Wort in der gerade verwendeten Sprache nicht
starken individuellen Schwankungen. Bei ausreichen- bekannt ist. Oftmals ist es gerade der Wunsch, sich
dem und reichhaltigem Sprachangebot im Kindergar- präzise auszudrücken – etwa, wenn das Bedeutungs-
ten ist es dennoch sehr wahrscheinlich, dass ein Kind feld einer Äußerung eingegrenzt werden soll. Ein Bei-
die Grundlagen der deutschen Sprache innerhalb von spiel: die türkische Bezeichnung beyaz peynir kann
6 bis 18 Monaten erfolgreich erwirbt. mit weißer Käse übersetzt werden; die Übersetzung
erfasst aber nicht die spezifische Herstellungsart und
Mehrsprachig aufwachsende Kinder schreiten im Spra- Geschmacksrichtung, die sich mit der türkischen
cherwerb nicht oder nur unbedeutend langsamer Bezeichnung verbinden.
voran als einsprachige. Viele bilden als Zwischenstadi-
en auf dem Weg zur deutschen Zielsprache individuel- In mehrsprachigen Gemeinschaften ist das Mischen
le Lernervarianten aus. Diese entwickeln sich nicht der Sprachen fester Bestandteil der normalen Alltags-
zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der kommunikation. Es darf also nicht vorschnell als Zei-
Familiensprache, die das Sprachgefühl und die Sprach- chen für mangelnde Deutschkenntnisse oder als
wahrnehmung der Kinder beeinflusst. Aus diesen oft Abneigung gegenüber dem Deutschen interpretiert
sehr eigenwilligen Sprachproduktionen können sich werden. Vielmehr konstruiert dieser Sprachgebrauch
für Fachkräfte wichtige Hinweise zur Einschätzung der soziale Identität und Gruppenzugehörigkeit. Kinder,
Sprachdominanz und des Sprachstandes eines Kindes die häufig Sprachen mischen, sind deshalb in aller
ergeben. Regel keine schlechten Sprachlerner. Vielmehr zeigen
sie Zeichen dafür, dass sie sich ihre mehrsprachigen
In Abhängigkeit von der konkreten Lebenslage der Kompetenzen in ihren Bemühungen um Kommunika-
Familie, ihren Sprachpraktiken, sozialen Beziehungen, tion und Teilhabe zu Nutze machen.
dem Medienkonsum und individuellen Merkmalen wie
Sprachmut oder Motivation erwerben mehrsprachig Grundsätzlich ist jeder Mensch fähig, mehrere Spra-
aufwachsende Kinder einen Sprachbesitz, der sich aus chen neben- oder nacheinander zu erlernen und zu
unterschiedlichen Formen und Kompositionen von gebrauchen. Je früher Kinder mit Deutsch als Zweit-
Familiensprache und deutscher Umgebungssprache sprache in Kontakt kommen, desto größer ist die
zusammensetzt. Zweisprachigkeit ist nämlich nicht als Wahrscheinlichkeit, dass sie auf die angeborenen
Summe zweier isolierter Sprachen zu verstehen, son- Erwerbsmechanismen zurückgreifen können, die auch
dern als die individuelle Sprachkompetenz eines Men- den Erstsprachenerwerb erfolgreich machen. Wenn
schen, in die Mittel hineingewoben sind, die verschie- die Zweitsprache alltagsrelevant ist, werden kleine
denen Sprachen zugerechnet werden. Diese Mittel Kinder diese auch erlernen.
können situationsspezifisch zum Ausdruck gebracht
werden.

11
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

3. Sprachbildung und Sprachförderung der Sprachaneignung kontinuierlich und in allen


im Elementarbereich Facetten, die im jeweiligen Entwicklungsstadium rele-
vant sind. Sie zielt darauf ab, dass Kinder Sprachanre-
Sprachbildung und Sprachförderung im Elementarbe- gung und Begleitung erleben, die dem Ausbau ihrer
reich setzt auf die angeborene Spracherwerbskompe- sprachlichen Fähigkeiten insgesamt zugute kommen,
tenz von Kindern. Kinder wollen mit Bezugspersonen also auch jenen sprachlichen Fähigkeiten, in denen ein
kommunizieren. Wenn sie genügend Gelegenheit besonderer Förderbedarf im obigen Sinne nicht gege-
erhalten, diese Spracherwerbskompetenz in ihrem ben ist. Sprachliche Bildung richtet sich an alle Kinder;
sozialen Umfeld zu entfalten, so eignen sie sich ihre sie führt zu einer weitreichenden sprachlichen Kompe-
Sprache(n) intuitiv und nahezu „beiläufig" im Kontext tenz, verstanden als die Fähigkeiten, sich in den unter-
aller Lern- und Entwicklungsprozesse in der frühen schiedlichsten Situationen angemessen und nuancen-

ich
Kindheit an. Voraussetzung dafür ist jedoch ein reich- reich ausdrücken zu können und vielfältigen Verste-
haltiges, variationsreiches und zugleich auf ihren hensanforderungen gerecht zu werden.
jeweiligen Sprachstand eingehendes Kommunikations-
angebot. Sprachbildung ist damit die systematische Anregung
und Gestaltung von vielen und vielfältigen Kommuni-
Das Weltwissen von Kindern und ihre sprachlichen kations- und Sprechanlässen im pädagogischen Alltag
Fähigkeiten entwickeln sich parallel zueinander. Sie der Kindertageseinrichtungen. Über die kontinuierli-
machen Erfahrungen, die sprachlich begleitet werden. che Reflexion des eigenen Sprachvorbildes sichern
Sie lösen mit ihrem Handeln sprachliche Reaktionen Fachkräfte die Qualität des sprachlichen Inputs. Ein

ud
aus. Das Weltwissen der Kinder und ihre sprachlichen angemessener Einsatz von Sprache ist damit Teil der
Fähigkeiten entwickeln sich parallel zueinander. Je professionellen Begleitung von frühkindlichen Lern-
mehr Weltwissen Kinder besitzen, desto besser kön- und Entwicklungsprozessen.
nen sie die Bedeutung sprachlicher Äußerungen erfas-
sen. Je mehr Kinder sprachlich verstehen und ausdrük- Kommunikation und Dialog sind Ausgangspunkte für
ken können, desto größer wird ihre Möglichkeit, sich die Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit.
Weltwissen anzueignen. Sprache ist dabei ein zentrales Medium für pädagogi-
sche Interaktion. Die systematische und auch auf die
Ein den Spracherwerb förderndes Kommunikationsan- Unterstützung des Spracherwerbs ausgerichtete Bil-
gebot ist daher ein integraler Bestandteil der profes- dungsarbeit ist für pädagogische Fachkräfte damit
sionellen Gestaltung aller Bildungs- und Lernprozesse keine zusätzliche oder besondere Aufgabe, sondern
in der frühen Kindheit. Es sollte systematisch geplant grundsätzlich Teil aller Bildungs- und Erziehungsarbeit
und durchgängig in den pädagogischen Alltag von im pädagogischen Alltag der Kindertageseinrichtung.
Kindertageseinrichtungen integriert werden. Dabei ist Sie sollte im pädagogischen Konzept jeder Kinderta-
zwischen Sprachförderung und Sprachbildung zu geseinrichtung beschrieben werden.
unterscheiden:
Durchgängige Sprachbildung richtet sich also auf die
Mit Sprachförderung sind die pädagogischen Tätigkei- sprachbewusste und sprachanregende Gestaltung des
ten der gezielten Anregung und Begleitung bei der pädagogischen Alltags in Kindertageseinrichtungen.
Entwicklung einer speziellen sprachlichen Fähigkeit Beim Experimentieren im Sandkasten, bei Rollenspie-
gemeint. Dies kann sich auf den individuellen Fall len im Gruppenraum oder bei der Bewältigung des
beziehen – etwa, wenn bemerkt wird, dass ein einzel- Alltags: Tag für Tag ergeben sich unzählige Möglich-
nes Kind Schwierigkeiten mit der Bildung bestimmter keiten für Sprachbildung, die die Fachkräfte konse-
Laute oder eines einzelnen grammatischen Phäno- quent und kreativ nutzen können.
mens hat. Es kann sich aber auch an Kindergruppen
richten, die eine besondere Unterstützung dabei Sprachförderung hingegen stellt eine intensivierte
benötigen, die nächste Hürde in der sprachlichen Ent- und vertiefende Unterstützung im Falle spezifischer
wicklung zu nehmen. Förderung ist also auf spezifi- Bedarfe dar. Sprachförderung bietet zusätzliche
sche sprachliche Phänomene gerichtet und wird in der Lernangebote und unterstützt die Sprachentwicklung
Regel beendet werden, wenn die angestrebte Ent- für Kinder, die aufgrund ihrer Lebenslage zusätzliche
wicklung erreicht ist. Angebote benötigen. Die Förderung des Erwerbs
deutscher Sprachkenntnisse richtet sich nicht nur an
Sprachliche Bildung hingegen begleitet den Prozess Kinder, die eine besondere Unterstützung für den

12
Sprachbildung und Sprachförderung

Erwerb des Deutschen als Zweitsprache benötigen. Sie


betrifft auch Kinder mit Deutsch als Erstsprache, deren
sprachlicher Entwicklungsstand verzögert ist.

Eine primäre Zielsetzung der Bildung und Erziehung


im Elementarbereich ist es, Kinder stark zu machen
und ihnen ein positives Selbstbild zu vermitteln. Dazu
gehören ein wertschätzendes Erziehungsklima, sichere
und belastbare Beziehungen zwischen Kind und Fach-
kräften sowie Zuwendungsformen, die eine Lernbe-
geisterung entfachen. Dies gilt auch für Sprachbildung

& du
und Sprachförderung.

Das Gefühl von Erfolg und Selbstwirksamkeit ist wich-


tig, damit Kinder ihre Bildungsthemen motiviert ver-
folgen und dabei Schritt für Schritt ihre Kompetenzen
entfalten. Dies gilt auch und insbesondere für die
Begleitung der sprachlichen Entwicklung eines Kindes.
Entscheidend ist ein feinfühliges und wertschätzendes
Kommunikationsverhalten von Bezugspersonen. Kin-

hci
der müssen oft zu Wort kommen, denn auch der
Erwerb sprachlichen Wissens muss vom eigenen Han-
deln des Kindes ausgehen.

Bei Kindern, die in zwei oder mehr Sprachen leben,


sollte berücksichtigt werden, dass sie in ihrer ganzen
sprachlichen Persönlichkeit Ermutigung und Wert-
schätzung erfahren müssen, um erfolgreiche Sprach-
lerner/innen zu werden. Das bedeutet, dass auch den
Sprachen, in denen sie außer dem Deutschen leben,
im Alltag der Kindertageseinrichtung mit Anerken-
nung und Achtung zu begegnen ist. Wo immer das
möglich ist – etwa in Kooperation mit den Eltern –
sollte Mehrsprachigkeit als Ressource für die gemein-
same sprachliche Bildung aller Kinder beachtet und
genutzt werden.

13
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

II. Anforderungen an Sprachbildung und Sprachbildung und Sprachförderung bauen auf einer
Sprachförderung im Elementarbereich offenen, interessierten und wertschätzenden Haltung
gegenüber dem Kind auf. Fachkräfte nehmen kindli-
1. Sprachbildungs- und Sprachförder- che Bedarfe wie zum Beispiel Nähe oder Distanz wahr
kompetenz der Fachkräfte und richten ihr Verhalten daran aus. Sie respektieren,
wenn Kinder auf Gesprächsangebote nicht eingehen
Die Sprachbildungskompetenz der Fachkräfte ist eine und zunächst nur zuhören oder beobachten wollen.
zentrale Voraussetzung für Sprachbildung und Sprach- Sie schaffen eine Atmosphäre, in der sich Kinder sicher
förderung im Elementarbereich. Sie beruht auf und geborgen fühlen und sich damit ohne Angst
äußern und einbringen können. Das Bemühen um
■ einer positiven Haltung gegenüber der Auf- zugewandte Kommunikation stärkt immer auch die
gabe, Sprachbildung und Sprachförderung in Beziehung.
allen Lern- und Bildungssituationen des päd-
agogischen Alltags mitzudenken und zu verfol- Eine von guten Beziehungen getragene Interaktion
gen, motiviert Kinder, die Kommunikationsabsichten der
Fachkraft zu entschlüsseln, sich in die Gesprächssituati-
■ einem Bewusstsein dafür, dass die eigene on einzubringen und sich verbal oder auch non-verbal
Rolle als Kommunikationspartner und Sprach- zu äußern. Mit seinen Äußerungen bringt sich ein
vorbild ein zentrales Element von Sprachbil- Kind in Beziehungen ein und entdeckt Sprache als
dung und Sprachförderung ist und Werkzeug für Kommunikation und Interaktion. Fach-
kraft und Kind sind dabei gleichwertige Kommunikati-
■ der Fähigkeit, im pädagogischen Alltag onspartner.
Sprechanlässe zu schaffen, in denen Kinder
nicht nur reaktiv, sondern auch aktiv ihre Die Gesprächsanliegen der Kinder müssen trotz eines
sprachlichen Kompetenzen erproben und geringeren sprachlichen Ausdrucksvermögens zu
erweitern können. ihrem Recht kommen. Die Wahrnehmung, das Zuhö-
ren und die einfühlsame Reaktion auf alle Ausdrucks-
Ausgangspunkte für Sprachbildung und Sprachförde- möglichkeiten eines Kindes signalisieren ihm, dass
rung sind damit Beziehung, Kommunikation, Sprach- seine Kommunikationsbemühungen Wirkung erzielen
vorbild und eine systematische Einbettung von Sprech- und ermutigen zu weiteren Äußerungen.
anlässen in den pädagogischen Alltag der Kindertage-
seinrichtung. Der Dialog und die Gesprächsführung Schon lange bevor ein Kind zu sprechen beginnt, ist es
mit dem Kind oder einer Gruppe von Kindern ist „ganz Ohr". Insbesondere in den ersten Lebensjahren
damit die zentrale methodisch-didaktische Herausfor- gehen dabei das Sprachverständnis und die Fähigkeit
derung für Sprachbildung und Sprachförderung. zu non-verbaler Kommunikation eines Menschen weit
über seine Kompetenz hinaus, sich verbal auszudrü-
cken. Gestik, Mimik und Verhalten sind daher wichtige
Aspekte von Kommunikation.
a) Beziehungen aufbauen und pflegen
Fachkräfte müssen auf allen Kommunikationsebenen
Beziehung hat eine hohe Bedeutung für eine gute eindeutige, verlässliche und authentische Botschaften
Sprachentwicklung. Beziehungen sind für Kinder senden. Kinder verstehen die Haltungen und Gefühle,
existentiell und eine unverzichtbare Bedingung für die mit Äußerungen von Bezugspersonen verbunden
Lernbereitschaft und Lernvermögen. sind. Verbale Zuwendung in Verbindung mit dem non-
verbalen Ausdruck von Ablehnung verwirrt Kinder
Beziehungen, Vertrauen, Wertschätzung und gegen- und lässt sie an Beziehungen zweifeln.
seitige Anerkennung sind Voraussetzung und Bestand-
teil von Kommunikation und Dialog. Sprachbildungs- Kein Kind ist wie das andere. Fachkräfte können sich
kompetenz ist daher immer auch die Kompetenz, auf individuelle Unterschiede in der sprachlichen, kul-
Beziehungen aufzubauen und vertrauensvoll zu turellen und sozialen Herkunft eines Kindes einstellen,
gestalten. seine Perspektiven einnehmen und ihnen ihre Spra-
chentwicklung, vor allem den Zugang zur deutschen
Sprache erleichtern. Als Experten für Beziehungsge-
staltung und Kommunikation können sie sich in Kin-
14
Sprachbildung und Sprachförderung

der hineinversetzen, einen Sachverhalt aus mehreren Schon Babys können über non-verbale Kommunikati-
Perspektiven betrachten und gegebenenfalls auch on sicherstellen, dass eine geteilte Aufmerksamkeit
einen Perspektivwechsel vollziehen, um mit Kindern zwischen ihnen und der Bezugsperson hergestellt wer-
im Gespräch zu bleiben. den kann. Durch das Zeigen auf einen Ball kann es
zum Beispiel den Partner für ein gemeinsames Spiel
Eine positive Haltung gegenüber dem Kind und seinen gewinnen. Erwachsene können in solchen Situationen
Lebenswelten ist besonders wichtig, wenn Kinder mit den Erwerb von Wörtern und ihren Bedeutungen för-
Migrationshintergrund die deutsche Sprache erst in dern, indem Sie in den Dialog eintreten: „Schau mal,
der Kindertageseinrichtung erlernen. Für den erfolg- das ist ein Ball! Hast du gesehen, wie schnell der Ball
reichen Spracherwerb eines Kindes sind die soziale rollen kann?" Die gemeinsam geteilte Aufmerksam-
Integration, die Befriedigung kommunikativer Bedürf- keit für ein Objekt oder eine Situation erlaubt es dem
nisse und die Einstellung zu der zu erlernenden Spra- Kind, Sachverhalte mit Wörtern und Begriffen zu ver-
che und der Herkunftssprache bedeutsame Faktoren. knüpfen und seine Erfahrungen zunehmend auch in
sprachlichen Kategorien auszudrücken.
Neugier, Akzeptanz und Achtung für die kulturelle
Herkunft einer Familie, ihre Sprache(n) und ihre jewei- In Kindertageseinrichtungen haben Kinder viele Mög-
ligen Lebensumstände sind wichtige Ausgangspunkte lichkeiten, sich auch im Dialog mit anderen Kindern
für den Aufbau und die Pflege von Beziehungen – sprachlich zu entwickeln. Sie erfahren, dass das Spre-
nicht nur zwischen der Fachkraft und dem Kind, son- chen miteinander ein wichtiges Mittel ist, um gemein-
dern auch zwischen der Fachkraft und der Familie des same Handlungen (besonders Rollen- und Regelspiele)
Kindes. Fachkräfte wissen um die Bedeutung der abzustimmen beziehungsweise zu organisieren. Bei
Familiensprache(n) für die Persönlichkeitsentwicklung der Steuerung von gruppendynamischen Prozessen
und Identität eines Kindes. und bei der Gestaltung von Gesprächssituationen
berücksichtigen Fachkräfte, dass Kinder sich immer für
Die Bereitschaft, die eigene soziale und kulturelle andere Kinder interessieren und dabei viel voneinan-
Situation zu reflektieren und sich in das Denken und der lernen können.
Fühlen anderer Menschen hineinzudenken ist wichtig
für eine offene Kommunikation auf Augenhöhe. Unsi-
cherheiten über Gemeinsamkeiten und Unterschiede
sind dabei auszuhalten. c) Sprachvorbild sein

Aus der korrekten und differenzierten Verwendung


von Wörtern in konkreten Alltagssituationen erschlie-
b) geteilte Aufmerksamkeit etablieren ßen sich Kinder Schritt für Schritt ihre genaue und dif-
ferenzierte Bedeutung. Sie lernen gleichzeitig, dass
Eine dialogische Kommunikation beruht auf einem ein präziser Ausdruck für die zwischenmenschliche
gemeinsamen Thema und einer abwechselnden Rede. Kommunikation eine große Bedeutung hat. Ein varia-
Erziehende sollten nicht zu Kindern, sondern mit Kin- tionsreiches Angebot umgangssprachlicher Wort- und
dern reden. Eine Kommunikation, die keine gemeinsa- Satzformen als Reaktion, Erwiderung oder Erweiterun-
me Perspektive auf einen Gesprächsgegenstand eta- gen kindlicher Äußerungen regen Kinder dazu an, sich
bliert und das Kind nicht motiviert, sich einzubringen, Zusammenhänge zu erschließen und dabei gleichzei-
bietet nur geringe Anregungen für Sprachbildung und tig auch sprachliche Regeln abzuleiten.
Sprachförderung.
Kinder sind damit auf gute Sprachvorbilder angewie-
Die geteilte Aufmerksamkeit für eine Sache geht ein- sen.
her mit einer ungeteilten Zuwendung zu dem Kind
und seinem Gesprächsinteresse. Geteilte Aufmerksam- Das Vorbild ihrer Bezugsperson(en) ist Grundlage und
keit lässt sich in ganz unterschiedlichen Situationen Ausgangspunkt ihres Spracherwerbs. Die Qualität des
etablieren: die Schwierigkeit beim Schuhanziehen Sprachgebrauchs einer Fachkraft – also ihr Sprachvor-
oder ein Gespräch über die Frage, weshalb der Feuer- bild – ist damit ein bedeutender Erfolgsfaktor für
schlucker sich nicht den Mund verbrennt oder aber Sprachbildung und Sprachförderung in Kindertages-
das klassische Lernarrangement einer dialogischen Bil- einrichtungen. Sprachliche Vorbilder beeinflussen die
derbuchbetrachtung. Möglichkeiten eines Kindes, sich den Gebrauch von

15
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Sprache(n) intuitiv zu erschließen, seinen Wortschatz


schrittweise zu erweitern und grammatische Regeln
abzuleiten.

Das Bewusstsein über das eigene Sprachvorbild und


die Reflexion von Sprachgebrauch im Alltag der Kin-
dertageseinrichtung sind wichtige Ausgangspunkte
für Sprachbildung im Alltag der Kindertageseinrich-
tung. Pädagoginnen und Pädagogen im Elementarbe-
reich müssen daher ihr eigenes Sprach- und Kommuni-
kationsverhalten ständig reflektieren und überprüfen:
Ist meine Aussprache deutlich? Sind meine Äußerun-
gen sprachlich korrekt? Hat mich das Kind verstanden?
Sie sind in der Lage, das eigene Sprachverhalten so zu
steuern, dass es sich am Verständnishorizont eines Kin-
des oder einer Gruppe von Kindern ausrichtet und den
Anforderungen an eine lernintensive Interaktion
genügt.

d) Kommunikation anregen und


Sprachanreize setzen

Sprachbildung und Sprachförderung finden in Kom-


munikationssituationen statt, in denen Fachkräfte mit
ihrem eigenen Sprachgebrauch auf den sprachlichen
Entwicklungsstand eines Kindes eingehen, ihm neue
Sprachanregungen bieten und das Kind ermutigen,
sich ebenfalls zu äußern. Im Rahmen von Sprachbil-
dung und Sprachförderung müssen Fachkräfte
zunächst sicherstellen, dass Kommunikation gelingt.

Kinder sind in ihren Bildungs- und Kommunikations-


bestrebungen auf die Resonanz von erwachsenen
Bezugspersonen angewiesen. Der Austausch über
Erfahrungen und Gefühle im Rahmen von pädagogi-
scher Interaktion spielt hierfür eine zentrale Rolle. In
dieser Interaktion zwischen kindlicher und erwachse-
ner Weltsicht entfalten Kinder in den ersten Lebens-
jahren ihre Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Gefühls-
welten. Mit der Entwicklung ihrer kognitiven Fähig-
keiten können sie diesen zunehmend auch sprachlich
Ausdruck verleihen.

Kinder lernen Sprache(n) nicht, weil sie diese korrekt


sprechen möchten. Sie wollen mit ihren Äußerungen
etwas bewirken, sich etwas aneignen oder etwas mit-
teilen. Sprachlernen und Sachlernen gehören zusam-
men. Kinder erleben Sprache als ein Werkzeug für
Verständigung und Denken. Wenn sich dieses Werk-
zeug in der Kommunikation ihres Alltags bewährt, so
werden sie es nutzen und anhand von Sprachvorbil-

16
Sprachbildung und Sprachförderung

dern weiterentwickeln. e) Sprachstand einschätzen können

Fachkräfte gehen in ihren Kommunikationsbemühun- Sprachbildung und Sprachförderung orientieren sich


gen auf den jeweiligen Entwicklungsstand eines Kin- am Entwicklungsstand, an den Interessen und den
des ein. Je höher die Sprachkompetenz, desto reich- aktuellen Bedürfnissen und Fragestellungen eines Kin-
haltiger und komplexer sollten Sprachanregungen des. Sie berücksichtigen seinen familiären Hintergrund,
gestaltet werden. Grundsätzlich gilt: nur ein präziser seine kulturelle Herkunft und auch Kenntnisse einer
und damit auch anspruchsvoller Sprachgebrauch nicht-deutschen Erstsprache. Wahrnehmung, Beobach-
ermöglicht es Kindern, sich die differenzierte Bedeu- tung und Reflexion von Sprachentwicklung ist die
tung von Redemitteln zu erschließen. Fachkräfte Grundlage einer individuellen Förderung zur
reflektieren auch, wie Kinder ihre sprachlichen Anre- Anbahnung der nächsten Entwicklungsschritte eines
gungen aufgreifen. Umfassende und komplexe Äuße- Kindes.
rungen von Kindern sind ein gutes Signal, dass eine
gute und sprachbildende Kommunikationssituation Es empfiehlt sich, die sprachliche Entwicklung eines
entstanden ist. Kindes ab seinem Eintritt in Krippe oder Kindergarten
zu beobachten. Es ist davon auszugehen, dass eine
Nicht nur der sprechende sondern auch der zuhörende intuitive Einschätzung von qualifizierten und erfahre-
Kommunikationspartner trägt große Mitverantwor- nen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen bereits
tung für die Gestaltung des Dialogs. Für Sprachbil- wichtige Anhaltspunkte dafür liefert, ob und wie ein
dung ist daher auch die Fähigkeit, genau und gedul- Kind gefördert werden sollte. Subjektive Einschätzun-
dig zuhören zu können, bedeutsam. Um sicherzustel- gen im Hinblick auf einen besonderen Förderbedarf
len, dass sich ein Kind mitteilen kann, geht die Fach- lassen sich aber nur auf der Grundlage strukturierter
kraft auf sein sprachliches Ausdrucksvermögen ein, Verfahren überprüfen. Allein durch subjektive Wahr-
lässt es geduldig zu Wort kommen und nutzt ihr Wis- nehmung ist keine belastbare Einschätzung der Spra-
sen über das Lebensumfeld des Kindes für die Ent- chentwicklung eines Kindes möglich. Es ist daher wich-
schlüsselung seiner Botschaften. tig, Beobachtungen zur Sprachentwicklung von Kin-
dern mit Förderbedarf systematisch auszuwerten.
Insbesondere das dialogische Betrachten von Bilderbü-
chern oder aber das Vorlesen und Sprechen über Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, die erst über
Geschichten ist ein guter Ansatz für Kommunikation, einen sehr kurzen Kontakt mit dem Deutschen verfü-
Sprachbildung und Sprachförderung. Über Bücher gen, benötigen keine Überprüfung ihres Sprachstands,
können Kinder unterschiedliche Perspektiven, Perso- sondern zunächst eine umfassende Förderung. Lern-
nen, Ereignisse und Gefühle kennenlernen und diese fortschritte sollten dann zeitnah und regelmäßig
zu sich und den eigenen Erfahrungen in Beziehung beobachtet und dokumentiert werden. Darauf auf-
setzen. Bücher tragen so zur Auseinandersetzung mit bauend können Entscheidungen über Schwerpunktset-
der Welt und zur Identitätsentwicklung bei. Das zungen in der weiteren Förderung getroffen werden.
Bewusstsein über die Funktion von Buchstaben und
Schrift ebnet den Weg zum systematischen Erlernen Kinder mit Deutsch als Erstsprache, deren Sprachkom-
von Lesen und Schreiben. petenz von allen unmittelbar beteiligten Akteuren
wie Eltern, Erziehern und Gesundheitspersonal als
unauffällig betrachtet wird, brauchen kein umfangrei-
ches Verfahren zu durchlaufen. Bei Ihnen ist nicht von
einem besonderen Förderbedarf auszugehen. Mit
einer guten Sprachbildung im Alltag der Kindertages-
einrichtung werden sie ihre Sprachkompetenz alters-
gemäß entwickeln.

Besteht bei Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweit-


Sprachen
nehcarpS

sprache dagegen Unklarheit, ob ein besonderer För-


derbedarf besteht, dann sollten ihre Sprachfähigkei-
ten systematisch und differenziert erfasst und ein indi-
vidueller Förderplan erstellt werden.

17
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Dabei sollten sich Fachkräfte bewusst sein, dass Insbesondere die strukturierten Beobachtungs- und
Dokumentationsverfahren (zum Beispiel das von Toni
■ Sprachkompetenz auch durch kognitive, Mayr entwickelte SISMIK für Kinder mit Migrations-
emotionale, soziale und motorische Entwick- hintergrund und SELDAK für einsprachig aufwachsen-
lungen bedingt wird und kaum auf einzelne de deutsche Kinder) ermöglichen es den Fachkräften,
linguistische Aspekte des Spracherwerbs redu- das sprachliche Verhalten eines Kindes in verschiede-
ziert werden kann, nen Situationen zu erfassen, seine Sprachfähigkeiten
über Lautbildung, Wortschatz und Grammatik bis hin
■ große Unterschiede zwischen einzelnen Ver- zu Sprachhandlungskompetenz und Vorläuferfähigkei-
fahren bestehen: von standardisierten Verfah- ten für den Schriftsprachenerwerb einzuschätzen, sei-
ren im Sinn einer Test-Diagnostik, wissenschaft- nen Umgang mit der Familiensprache zu erheben und
lich abgesicherten Verfahren für eine objekti- seine Motivation zu ergründen, die deutsche Sprache
vierte Beobachtung und Dokumentation von zu erlernen. Sie erlauben es, die Ansatzpunkte für
Lernverläufen sowie Verfahren der Praxis, die eine wirksame Unterstützung zu identifizieren, mit
eine strukturierte Reflexion von Sprachentwick- der Kinder über ihr momentanes Können hinauskom-
lungsprozessen ermöglichen, men und die nächsten Entwicklungsschritte nehmen
können.
■ die derzeit verfügbaren Sprachstandserhe-
bungsverfahren teilweise sehr unterschiedliche Darüber hinaus gibt es Screening-Verfahren, mit
Zielsetzungen verfolgen: von der Feststellung denen schnell und damit zeitökonomisch festgestellt
zusätzlichen Förderbedarfs im Ausschlussver- werden kann, ob die Sprachentwicklung eines Kindes
fahren bis hin zur Entwicklung individueller insgesamt auffällig ist. Ein Beispiel dafür ist das Ver-
Förderprofile, fahren „Fit in Deutsch", das in Niedersachsen im Rah-
men der Schulanmeldung durchgeführt wird. Scree-
■ bestehende Verfahren zur Erhebung des ning Verfahren sind keine detaillierten Sprachstand-
Sprachstands oftmals nur ausgewählte, zumeist serhebungen sondern gestufte Schwellentests. Sie
linguistische Aspekte des Spracherwerbs fest- können Kinder mit besonderem Förderbedarf flächen-
stellen, deckend identifizieren. Sie geben aber nur sehr
bedingt Aufschluss darüber, wie ein Kind gefördert
■ die Wissenschaft weiterhin an der Entwick- werden muss.
lung neuer Verfahren arbeitet (zum Beispiel
LiSe-DaZ) und

■ die Diskussion über methodische Standards


von bestehenden und zukünftigen Verfahren
weiter andauert.

18
wir
Sprachbildung und Sprachförderung

Wenn sich der Sprechbeginn eines Kindes stark verzö- Bei der Einschätzung der Fähigkeiten eines Kindes in
gert und Auffälligkeiten in der Sprachproduktion der deutschen Sprache sollte nicht das Lebensalter des
nicht nur im Deutschen sondern auch in weiteren Kindes, sondern die Zeit des Kontakts zur Zweitspra-
Sprachen eines Kindes auftreten, so sollte dem Ver- che Deutsch zugrunde gelegt werden. Wichtig ist
dacht auf eine Spracherwerbsstörung nachgegangen nicht, wo ein Kind im Vergleich mit gleichaltrigen Kin-
und Eltern zur weiteren Überprüfung an medizini- dern steht, sondern ob seine sprachliche Entwicklung
sches Fachpersonal verwiesen werden. Die Diagnose im Rahmen der individuellen Möglichkeiten angemes-
und Behandlung von Spracherwerbsstörungen oder sene Fortschritte macht. Diese Fortschritte müssen als
Sprachbehinderungen ist die Aufgabe von medizini- Motivation für weitere Anstrengungen gewürdigt
schem Fachpersonal und kann nicht von Pädagogen werden.
geleistet werden.
Die Gestaltung von Anregungen für die Sprachent-
wicklung ist am jeweiligen Entwicklungsstand eines
Kindes auszurichten. Auch wenn der Spracherwerb
f) Sprachbildung und Sprachförderung am eines Kindes sehr individuell verläuft: es gibt Richtwer-
Entwicklungsstand des Kindes ausrichten te bzw. Meilensteine für eine „normale" Sprachent-
wicklung. Diese bieten Orientierung, welche Heraus-
Bis zum Alter von etwa sechs Jahren sind die Erwerbs- forderungen der Sprachentwicklung ein Kind gerade
mechanismen bei allen Kindern gleich – egal wie viele meistert und erlauben, Sprachbildung und Sprachför-
Sprachen sie simultan oder sukzessiv lernen. Der Pro- derung auf diese Herausforderungen abzustimmen.
zess der Sprachaneignung verläuft aber bei jedem
Kind anders. Insbesondere der Zeitpunkt, zu dem Die Äußerungen von Kindern geben Aufschluss dar-
bestimmte Meilensteine erreicht werden, kann auch über, mit welchen Entwicklungsaufgaben es sich gera-
im Rahmen insgesamt normal verlaufender Entwick- de beschäftigt und welche sprachlichen Codes sie
lungskurven variieren. gerade „knacken". Kreative Wortschöpfungen und
Satzkonstruktionen können aufschlussreich sein, weil
Kinder, die Deutsch von Geburt an lernen, können in sie auf Regeln hinweisen, die ein Kind zugrunde legt.
der Regel im Alter 18 Monaten in Einwortsätzen kom- Spontane Selbstkorrekturen zeigen, dass ein Kind
munizieren. Mit zwei Jahren beginnen sie Wörter zu bekannte Sprachmuster überarbeiten und durch neue
kombinieren. Mit etwa drei Jahren sprechen Kinder Varianten ersetzen kann. Insbesondere das Mischen
grammatikalisch vollständige Sätze und beherrschen von Sprachen bei mehrsprachig aufwachsenden Kin-
unterschiedliche Satztypen wie Negationen und Frage- dern kann viel über Entwicklungsstand und Erwerbs-
sätze. Mit vier Jahren können die meisten Kinder Satz- strategien verraten.
strukturen mit Nebensätzen produzieren. Der Wort-
schatz eines Kindes hängt davon ab, mit welchen The-
men es sich beschäftigt. Er kann in Erst- und Zweit-
sprache ein unterschiedliches Niveau haben.

& ihr 19
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Pädagogische Fachkräfte sollten sich von einem hohen neuem Wortschatz in unterschiedlichen Kombinatio-
Niveau einzelner Äußerungen nicht zu schnell beein- nen.
drucken lassen. Kinder versuchen zunächst komplexe
Formen ganzheitlich zu reproduzieren beziehungswei- Die Fähigkeit, auf die non-verbalen und verbalen
se zu imitieren, ohne dass das dieser Äußerung unter- Äußerungen von Kindern angemessen einzugehen, sie
liegende Regelwerk bereits erschlossen ist. Um zu aufzugreifen und Anregungen für eine Weiterführung
beurteilen, ob ein Kind eine bestimmte Stufe der Spra- von Dialogen zu geben, hat einen entscheidenden
chentwicklung beherrscht, braucht man immer mehre- Einfluss auf die Entwicklung von Sprachkompetenz.
re Nachweise einer grammatischen Struktur oder von Eine Fachkraft, die erkennt, welche Herausforderun-

20
Sprachbildung und Sprachförderung

gen des Spracherwerbs ein Kind bereits gemeistert Die Rolle des Erwachsenen in Sprachbildung und
hat, kann nächste Entwicklungsschritte anbahnen. Sprachförderung im Gespräch mit Kindern verändert
Wenn Kinder beginnen, komplexere Satzstrukturen zu sich mit zunehmendem Alter der Kinder. Während zu
benutzen (beispielsweise Nebensätze oder Hilfsver- Beginn die Erwachsenen Gespräche initiieren, mit Fra-
ben), dann sollten Fachkräfte diese Satzstrukturen gen weiterführen und strukturieren, werden die Bei-
besonders häufig und in unterschiedlichen Kontexten träge der Kinder mit zunehmendem Alter komplexer
und Variationen verwenden. und umfangreicher. Die Rolle des Erwachsenen verliert
an Dominanz, bis das Gespräch schließlich weitgehend
von den Kindern gesteuert wird.

21
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

g) Sprachbildung und Sprachförderung 2. Sprachbildungs- und Sprachförder-


evaluieren kompetenz von Kindertageseinrichtungen

Anhand ihrer Kenntnisse der Voraussetzungen, Merk- Sprachbildung und Sprachförderung sind Aufgabe von
male und Meilensteine des Spracherwerbs können allen pädagogischen Fachkräften in einer Kindertages-
Fachkräfte die individuellen Lernpotenziale von Kin- einrichtung. Sie kann nicht delegiert werden und
dern mit Deutsch als Erstsprache und Deutsch als beruht auf
Zweitsprache identifizieren und daraus Förderansätze
ableiten. Sie sind in der Lage, ihr pädagogisches Han- ■ einer systematischen Integration von Sprach-
deln zu reflektieren und zu überprüfen, ob die Spra- bildung und Sprachförderung als Querschnitts-
chentwicklung von Kindern auf einem guten Weg ist. aufgabe zur Gestaltung aller Bildungs- und
Lernprozesse, für die alle in der Einrichtung
Aufgrund der starken Vernetzung und wechselseitigen tätigen Fachkräfte gemeinsam Sorge tragen,
Abhängigkeit aller Lern- und Bildungsprozesse in der
frühen Kindheit wird es jedoch nicht immer möglich ■ dem Engagement von Einrichtungsleitung
sein, einzelnen Sprachimpulsen und Fördermaßnah- und Träger,
men eine direkte Wirkung auf die Sprachentwicklung
eines Kindes zuzuordnen. Es sind daher immer viele ■ der Zusammenarbeit und Abstimmung im
und vielfältige Impulse, die sprachliche Entwicklung Team aller Fachkräfte,
eines Kindes unterstützen.
■ einer engen Bildungs- und Erziehungspart-
nerschaft mit Eltern und

■ einer kontinuierlichen Evaluation und Quali-


tätsentwicklung.

Ausgangspunkte für die Entwicklung der Sprachbil-


dungskompetenz einer Einrichtung sind die Weiter-
entwicklung ihres pädagogischen Konzeptes, die enge
Verzahnung von Sprachbildung mit Sprachförderung
und die Integration von Sprachbildung und Sprachför-
derung in alle pädagogischen Prozesse der Kinderta-
geseinrichtung.

22
wer &
Sprachbildung und Sprachförderung

a) Sprachbildung und Sprachförderung in der ■ Wie werden Sprachfördermaßnahmen mit


pädagogischen Konzeption verankern der Sprachbildung in der Kindertageseinrich-
tung verzahnt?
Die Konzeption einer Tageseinrichtung für Kinder ist
als schriftliches „Leitprogramm" zu verstehen, das ■ Wie wird die Bedeutung dieser Querschnitts-
wesentliche Grundvorstellungen der pädagogischen aufgabe nach innen wie nach außen kommuni-
Arbeit beschreibt und erläutert. Es macht Aussagen zu ziert?
Zielen, Methoden, Erziehungsvorstellungen, räumli-
chen Angeboten usw. der jeweiligen Einrichtung. ■ Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit Eltern?
Damit wirkt es nach innen, d. h. als Basis für die päd-
agogische Arbeit im Team, sowie nach außen in der ■ Wie gestaltet sich die Kooperation zwischen
Verdeutlichung des Einrichtungsprofils für Eltern und Kindertageseinrichtung und Grundschule im
Gemeinwesen. Die pädagogische Konzeption einer Übergang zwischen Brückenjahr und Schulein-
Einrichtung ist Ausgangspunkt für Qualitätssicherung gangsphase?
und Qualitätsentwicklung. Sie wird kontinuierlich fort-
geschrieben.

In den pädagogischen Konzeptionen von Kindertages- Insbesondere die Leitung der Einrichtung muss dafür
einrichtungen sind die in der Einrichtung praktizierten Sorge tragen, dass alle Fachkräfte die Aufgabe von
Ansätze für Sprachbildung und Sprachförderung zu Sprachbildung und Sprachförderung als ihre Zustän-
beschreiben – auch im Hinblick auf Ziele und Metho- digkeit akzeptieren und für die Umsetzung des Kon-
den. Die pädagogische Konzeption einer Einrichtung zeptes Verantwortung übernehmen.
sollte dabei insbesondere auf folgende Fragen ein-
gehen:

■ Welchen Stellenwert hat die Sprachbildung b) Sprachbildung und Sprachförderung


im pädagogischen Gesamtkonzept? planen und umsetzen

■ Durch welche Maßnahmen wird die Sprach- Sprachbildung


bildungs- und Sprachförderkompetenz der Ein-
richtung und der in ihr tätigen Fachkräfte kon- Sprache wird an und mit der Sache gelernt. Sprachbil-
tinuierlich entwickelt? dung – wie auch Sprachförderung – im Elementarbe-
reich beruht daher auf einer von Neugier und Begeis-
■ Wie wird Sprachbildung bei der Konzeption terung getragenen Welterkundung, auf die sich
von Bildungsangeboten berücksichtigt? Erwachsene und Kinder gemeinsam und im Dialog
miteinander einlassen. Bei Sprachbildung kommt es
■ In welcher Sozialform wird sie angeboten? darauf an, Kindern Weltwissen zu erschließen und sie
dabei gleichzeitig immer auch in authentische und in
■ Wie werden die Herkunftssprachen von Kin- anspruchsvolle aber für das Kind zu bewältigende
dern in der pädagogischen Arbeit berücksich- Sprechsituationen zu bringen. Fachkräfte schaffen

was?
tigt? daher im Rahmen ihrer Bildungsangebote immer auch
sprachliche Anforderungssituationen, in denen Kinder
■ Wie werden Ausgangslage und Entwick- ihre Sprachkompetenzen entwickeln, anwenden und
lungsfortschritte beobachtet und dokumen- erproben können.
tiert?
Wenn Kinder laufen, klettern, kriechen oder sich ver-
■ Wie wird Sprachförderbedarf festgestellt? stecken, sollten pädagogische Fachkräfte diese Hand-
lungen sprachlich begleiten. Im bewegten Spiel erle-
■ Wie wird einem Verdacht auf Entwicklungs- ben Kinder die Bedeutung von „oben" und „unten".
besonderheiten eines Kindes nachgegangen? Sie verinnerlichen, was „Ball haben" bedeutet, wenn
sie ihn auch sehen, fühlen und mit ihm spielen kön-
■ Welcher Sprachbereich sollte im Mittelpunkt nen. So verknüpfen sie Eigenschaften, Beziehungen
von Sprachfördermaßnahmen stehen? und funktionale Merkmale zu Begriffen. Ohne Ver-

23
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

knüpfung mit konkreten Erfahrungen bleiben Wörter über Umschreibungen, eigene Wort- und Regelbildun-
arm an Bedeutung und die Begriffsbildung wird gen oder auch den Transfer aus der Familiensprache
erschwert. zu äußern.

Bildungsbereiche wie Musik oder Bewegung sind Bei der Gestaltung von Lern- und Entwicklungsumge-
Erfahrungsfelder, die Kinder sich aktiv erschließen. bungen planen Fachkräfte, wie sie Spracherwerbspro-
Musische Bildung bietet im Kleinkindalter vielfältige zesse durch ihre Interaktionsstrategien unterstützen
Möglichkeiten zur Entwicklung von Stimme und können. Zu diesen Strategien gehören offene Fragen
Klang, zur Ausdifferenzierung des Rhythmusempfin- (Wo? Wer? Warum? Wie?), das Erklären, Auffordern,
dens, zur Wortschatzerweiterung und Erschließung Rechtfertigen, aber auch das Widersprechen und Pro-
erster grammatischer Regeln. Das wiederholte Ange- vozieren. In ihre Gespräche mit Kindern bringen Fach-
bot von Singspielen und Liedern ermöglicht das spiele- kräfte eigene Perspektiven ein. Sie kommentieren
rische Verbinden von Atmung, Stimme und Rhythmus- oder bewerten kindliche Äußerungen. Sie geben Kin-
gefühl zu sprachlichen Bewegungsabläufen und för- dern Sprachanregungen, indem sie ihre Äußerungen
dert die Sprechfertigkeit. Lautbildungen gehen flie- gezielt und variationsreich erweitern. Dafür fragen sie
ßend in die Nachahmung erster Worte über. nach und ermutigen Kinder zu weiteren Äußerungen.
Über ihr Sprachvorbild bieten sie einen reichhaltigen,
Sprachbildung fördert nicht nur sprachliche sondern differenzierten Wortschatz sowie vielfältige Satzkon-
gleichzeitig immer auch kognitive, soziale und emo- struktionen.
tionale Kompetenzen eines Kindes. Kinder, die immer
komplexere Sachverhalte in Sprache ausdrücken kön- Fachkräfte gehen auf die Kommunikationsabsicht des
nen, bringen Ordnung in ihr Handeln und Denken. Sie Kindes, nicht auf seine sprachlichen Fehler ein. Sie
strukturieren die Vielfalt ihrer Lebenswelten und fin- unterstützen Kinder jedoch darin, den Erzählfaden
den ihren Platz darin. Bei der Planung und Durchfüh- weiterzuspinnen. Sie stellen ihnen sprachliche Ressour-
rung von Sprachbildung reflektieren Fachkräfte, cen zur Verfügung, indem sie kindliche Äußerungen in
korrigierter Form erwidern und erweitern – gezielt
■ wie sie Kinder zu einer intensiven, aktiven, und variationsreich. In diesem Sinne ist die Reaktion
selbstgesteuerten und kooperativen Auseinan- „Das heißt bellen!" auf die Äußerung „Der Hund
dersetzung mit einem Lerngegenstand bringen macht wauwau" weniger sprachfördernd als die Reak-
können, tion: „Ja, der Hund bellt. Und was macht die Katze?"

■ welche Fragen gestellt werden müssen, Wichtig ist, dass pädagogische Fachkräfte immer ein
authentisches Interesse für die Themen zeigen, mit
■ wie diese Fragen gestellt werden müssen, denen sich Kinder gerade auseinandersetzen. Ihre Hal-
tung als Gesprächspartner eines Kindes oder einer
■ welche Begriffe und Kategorien Kinder in Gruppe von Kindern ist dabei wahrnehmend, auf-
ihrem Handeln erfahren können und merksam, respektvoll und einfühlsam. Sätze wie „Ich
freue mich, weil ich bald wieder auf einem Pferd rei-
■ welcher Wortschatz und welche grammatika- ten darf" fördern die Kommunikation ungleich stärker
lischen Strukturen eingeführt und im Rahmen als der Satz „Das ist ein Pferd".
der Alltagskommunikation gezielt wiederholt
und damit gefestigt werden können.

Sprachanregungen liegen idealerweise immer knapp


über dem individuellen Sprachvermögen eines Kindes.
Es erhält dabei so wenige Sprachhilfen (Scaffolding)
wie möglich, aber so viele, wie individuell zum erfolg-
reichen Bewältigen der Sprachsituation nötig ist.
Wichtig ist, dass das Kind sich äußert und die Kommu-
nikation gelingt – auch unter Inkaufnahme von
Sprachfehlern oder der Nutzung non-verbaler Kom-
Sprachen
24
munikation oder von Elementen der Erstsprache des
Kindes. Fachkräfte ermutigen Kinder daher, sich auch nehcarpS
Sprachbildung und Sprachförderung

Sprachförderung Förderbedarf eines Kindes oder eine kleinen Gruppe


von Kindern eingehen.
Wie für alle Bereiche der frühkindlichen Bildung gilt
auch und insbesondere für Sprachbildung und Sprach- Unterschiedliche Sprachförderprogramme verfolgen
förderung: Je stärker ein Kind emotional beteiligt ist unterschiedliche Förderansätze. Sie sind oftmals für
und je mehr es selbst handeln kann, desto intensiver spezielle und zumeist linguistische Förderbedarfe
verlaufen seine Lern- und Bildungsprozesse. Je größer eines Kindes konzipiert. Der Einsatz eines Sprachför-
die Vertrautheit eines Kindes mit Bezugspersonen, derprogramms bietet sich an, wenn es auf die Heraus-
Räumlichkeiten und Abläufen, desto sicherer und akti- forderungen und Meilensteine eingeht, für deren
ver können Kinder lernen. Kinder sollten daher für Bewältigung ein Kind besondere Unterstützung
Sprachfördermaßnahmen nicht aus ihrem vertrauten braucht.
Alltag herausgerissen werden.
Fachkräfte kennen die besonderen Stärken einzelner
Sprachförderbedarf entsteht oftmals erst aus besonde- Förderprogramme und nutzen Anregungen, die diese
ren Sprach- und Lebenssituationen eines Kindes. für die Gestaltung von Sprachbildung und Sprachför-
Sprachförderung muss daher immer auch das soziale derung in der Kindertageseinrichtung bieten. Sie sind
Umfeld eines Kindes berücksichtigen. Fachkräfte sich bewusst, dass Sprachförderung nicht auf die
gehen daher zunächst auf Interessen und Kommunika- Durchführung eines bestimmten Sprachförderpro-
tionsbedürfnisse eines Kindes ein und setzen in die- gramms beschränkt werden kann. Wenn ein Sprach-
sem Kontext Impulse für seine Sprachentwicklung. Bei förderprogramm zum Einsatz kommt, dann sollte
der Planung und Durchführung von Sprachfördermaß- jedoch seine Fördersystematik eingehalten werden.
nahmen machen sich Fachkräfte Gedanken,
Sprachförderung kann sehr unterschiedlich organisiert
■ welche Aktivitäten sich für Sprachförderung werden. Das Spektrum reicht von einer Intensivierung
eignen, sprachbildender Anregungen in der Alltagskommuni-
kation bis hin zu separaten Förderszenarien mit ein-
■ in welcher Sozialform diese Aktivitäten zelnen oder mehreren Kindern. Mischformen und
angebahnt werden sollten, Abstufungen sind möglich. Einzelne Kinder können
auch innerhalb der Gruppe besondere Zuwendung
■ wie eine gute Lernatmosphäre geschaffen und Sprechanregung erhalten, sie müssen hierfür
werden kann, nicht immer aus der Gemeinschaft herausgenommen
werden.
■ welcher Sprachbereich adressiert werden
muss, Einzelförderung oder die Arbeit in Kleingruppen
schaffen für Kinder mit besonderem Förderbedarf
■ an welche Themen aus dem pädagogischen eine ruhige, konzentrierte und intensive Lernatmo-
Alltag der Kindertageseinrichtung angeknüpft sphäre. Sie ermöglichen ein erhöhtes Maß an individu-
werden kann und eller Zuwendung und erhöhen die aktiven Sprechan-
teile einzelner Kinder. Sie bieten Fachkräften Möglich-
■ wie der Erfolg der Förderung festgestellt keiten, das sprachliche und sprachbezogene Verhalten
werden kann. von Kindern zu beobachten und zu erkennen, mit
welchen sprachlichen Herausforderungen sich Kinder
Der Verlauf von Sprachförderung kann nicht immer im gerade beschäftigen.
Detail geplant werden, da die beteiligten Kinder ihn
möglichst selbst steuern sollten. Schließlich sind es die Wichtig ist, dass die Sprachförderung für bestimmte
aktuellen Kommunikationswünsche der Kinder, auf Kinder einer Gruppe mit der allgemeinen Sprachbil-
die die Fachkraft eingeht. Sprachförderung darf nicht dung des pädagogischen Alltags verzahnt ist und
dazu führen, dass eine Fachkraft das Geschehen leitet diese sinnvoll ergänzt. Dies gilt insbesondere, wenn
und Kinder in eine passive, rezeptive Rolle fallen. Eine zusätzliche Maßnahmen in Kleingruppen oder aber
Fachkraft lässt somit zu, dass Kinder auf den Verlauf auch eine Einzelförderung die in die Gruppenpädago-
einer Fördersituation Einfluss haben. Gleichzeitig sorgt gik eingebettete Sprachbildung ergänzen. Im Wechsel
sie im Rahmen ihrer Interaktion jedoch dafür, dass die unterschiedlicher Lernszenarien und Gruppenzusam-
Kinder sprachliche Anregungen erhalten, die auf den mensetzungen empfinden die Kinder idealerweise

25
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

nicht, dass sie in besonderer Weise gefördert werden. c) Evaluation von Sprachbildungs- und
Wenn Themen der Sprachförderung auch im pädago- Sprachförderkompetenz
gischen Alltag eine Rolle spielen, dann können Kinder
Sprachanregungen aufgreifen und auch über die Die Einrichtungsleitung und alle in ihr tätigen Fach-
besonderer Fördersituation hinaus anwenden, wieder- kräfte müssen sich immer wieder bewusst machen,
holen und festigen. wie viel oder wenig „Sprache" in ihren Bildungs- und
Lernangeboten steckt: Welche sprachlichen Mittel und
Kinder lernen nicht nur von Erwachsenen sondern Ressourcen stellt die Einrichtung bereit? Welche
auch von anderen Kindern. Dies sollte im Hinblick auf Unterstützung erhalten Kinder, um sprachliche Anfor-
die Steuerung gruppendynamischer Prozesse oder derungen zu bewältigen?
auch die Zusammensetzung von Kleingruppen berück-
sichtigt werden. Die Kleingruppen können dabei Sprachbildung und Sprachförderung kann und sollte
unterschiedlich zusammengesetzt werden. Leistungs- daher als Qualitätsmerkmal der pädagogischen Arbeit
homogene Gruppen erlauben, ein pädagogisches in einer Einrichtung evaluiert werden. Ansatzpunkte
Angebot auf einen bestimmten Sprachstand zuzu- für eine solche Evaluation sind unter anderem die
schneiden. Eine gute Leistungsmischung hat aber den Konzeption der Einrichtung, die Gestaltung von Bil-
Vorteil, dass Kinder sich auch gegenseitig sprachlich dungssituationen, die Begleitung von Bildungsprozes-
anregen und weiterbringen. In diesem Sinne können sen und die Professionalität der Fachkräfte.
auch Kinder mit guten Sprachkompetenzen in Sprach-
fördermaßnahmen eingebunden werden. Es muss
dann jedoch sichergestellt werden, dass sich alle Kin-
der einbringen und motiviert lernen können.

Insbesondere für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache


bietet sich eine Förderung in leistungsgemischten
Gruppen an. Schließlich hat das Vorbild gleichaltriger
Kinder im Vorschulalter eine hohe Bedeutung für
ihren Zugang zur deutschen Sprache und ihren
Antrieb schnell Deutsch zu lernen. Wenn sich Kinder
mit Deutsch als Zweitsprache im Kindergarten wohl-
fühlen und wie selbstverständlich mit deutschsprachi-
gen Kindern spielen, werden sie die deutsche Sprache
in kurzer Zeit erlernen. Zugang und Antrieb sind
daher zentrale Erfolgsfaktoren, die bei der Förderung
von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache berücksich-
tigt werden müssen.

Der organisatorische Aufwand für die Durchführung


von Sprachförderung sollte möglichst gering sein. Es
ist nicht erforderlich, besondere Sprachförderszenari-
en zu schaffen. Sprachförderung kann in bereits vor-
handene Bildungssituationen eingebettet werden: im
Morgenkreis, im Freispiel oder als Teil der Aktivitäten
in Lernwerkstätten, Projekten und Angeboten.

26
Sprachbildung und Sprachförderung

Im Rahmen von kontinuierlicher Reflexion und Evalua- 3. Teamarbeit


tion sollten sich die Leitung und die Fachkräfte einer
Einrichtung dazu austauschen, ob und wie Sprachbil- Wertschätzende Beziehungen sind ein entscheidender
dungskonzepte als Querschnittsaufgabe zu allen päd- Erfolgsfaktor für Sprachbildung und Sprachförderung.
agogischen Prozessen der Einrichtung geplant und Dies gilt nicht nur für die Beziehung zwischen Kind und
umgesetzt werden. Ziel ist dabei die Beeinflussung erwachsener Bezugsperson sondern auch für die Gestal-
und Begleitung von Kompetenzerweiterung einer Kin- tung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit
dertageseinrichtung für Sprachbildung und Sprachför- Eltern und für die Zusammenarbeit zwischen Fachkräf-
derung. Idealerweise unterstützen Fachberater diesen ten aus Kindertageseinrichtungen und Grundschulen.
Prozess.
Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, Eltern und
Grundschullehrkräfte sind Partner für die Sprachbil-
dung und Sprachförderung von Kindern im Elementar-
bereich und im Übergang zum Primarbereich. Sie
haben die Interessen und Bedarfe der ihnen anver-
trauten Kinder im Blick und tragen gemeinsam dafür
Sorge, dass alle Kinder ihre Chancen auf eine erfolg-
reiche Bildungsbiographie wahren können. Dafür
bringen sie ihre unterschiedlichen persönlichen und
professionellen Perspektiven ein.

Sprachen
nehcarpS a) Fachkräfte einer Einrichtung

Alle Fachkräfte einer Kindertageseinrichtung müssen


sich auch für Aufgaben in Sprachbildung und Sprach-
förderung als Team verstehen, das in seiner Gesamt-
heit für die Sprachbildung aller Kinder zuständig ist.
Sprachbildung ist Teil jeder Bildungs- und Lernsituati-
on in der Kindertageseinrichtung, eine intensivierte
Förderung bei besonderem Bedarf einzelner Kinder
baut auf der Sprachbildung auf und ist damit kein
Parallelangebot zum pädagogischen Alltag der Kin-
dertageseinrichtung.

Werden für Aufgaben in der Sprachförderung zusätz-


liche Personalressourcen bereitgestellt, die zusätzlich
in die Einrichtung kommen, so ist eine enge Einbin-
dung dieser externen Sprachförderkräfte in das Team
der Einrichtung zu sichern und die Planung von
Sprachbildung und Sprachförderung gemeinsam
durchzuführen. Schließlich intensiviert Sprachförde-
rung die Sprachbildung in der Kindertageseinrichtung
und muss damit in den pädagogischen Alltag einge-
bunden sein. Sie findet dort statt, wo Kinder sich in
Lern- und Bildungsprozessen mit sich und ihrer
Umwelt auseinandersetzen. Auch externe Sprachför-
derkräfte müssen sich daher auf die Interessen und
Bildungsthemen eines Kindes einlassen und dafür
Sorge tragen, dass zusätzliche Impulse und Sprachan-
gebote diese aufgreifen und adressieren.

27
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

Alle Fachkräfte benötigen grundlegendes Wissen und Für den Aufbau von Bildungs- und Erziehungspartner-
Handlungskompetenz, um die Sprachentwicklung von schaften mit Eltern kann es nötig sein, Dolmetscher
Kindern zu begleiten. Fachkräfte, Fachberaterinnen hinzuzuziehen, bei den Ansprechpartnern auf hierar-
und Fachberater mit vertieften Kenntnissen zu den chische Familienstrukturen Rücksicht zu nehmen und
Anforderungen an Sprachbildung und Sprachförde- ggf. die Unterstützung des Familienrats einzuholen. In
rung tragen in enger Zusammenarbeit mit der Einrich- der Zusammenarbeit mit der Kindertageseinrichtung
tungsleitung dafür Sorge, dass Konzepte und Förder- sollten Eltern erleben, dass ihre eigenen Lebenserfah-
ansätze auf aktuellem Erkenntnisstand stetig entwick- rungen und ihre Erziehungskompetenz anerkannt
elt, überprüft und in der Einrichtung verankert wer- werden und sie diese in die Förderung ihrer Kinder
den. Sie nehmen Stärken und Schwächen der Umset- einbringen können.
zung wahr und kümmern sich um die Qualitätssiche-
rung und Qualitätsentwicklung. Sie wirken als Multi- Eltern und Fachkräfte einer Kindertageseinrichtung
plikatoren für Qualifizierung und Professionalisierung. verstehen sich als Team. Eltern profitieren bei der För-
derung ihrer Kinder von pädagogischen Anregungen
und Hinweisen, welche Ressourcen im Umfeld des Kin-
des für Sprachbildung und Sprachförderung genutzt
b) Fachkräfte und Eltern werden können. Die Fachkräfte der Tageseinrichtung
bestärken Eltern von mehrsprachig aufwachsenden
Fachkräfte und Eltern müssen sich als ein Team verste- Kindern in ihrer Verantwortung für Erhalt und Stär-
hen, dass die Aufgabe von Sprachbildung und Sprach- kung der Familiensprachen. Sie vermitteln, dass die
förderung gemeinsam verantwortet. Der Bezugserzie- Erst- und Zweitsprache von Kindern nicht in Konkur-
herin eines Kindes kommt im Hinblick auf diese renz miteinander treten.
„Teambildung" zwischen den Fachkräften der Einrich-
tung und der Familie des Kindes eine besondere Rolle Es ist nicht davon auszugehen, dass Eltern, die sich
zu. Die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit zwar im Alltag auf Deutsch mitteilen können, aber die
Eltern ist insbesondere bei Kindern mit besonderem Grammatik oder den Wortschatz des Deutschen nicht
Förderbedarf nicht nur eine wichtige Aufgabe, son- sicher beherrschen, ihrem Kind Deutsch als Zweitspra-
dern oftmals auch eine große Herausforderung. che beibringen können. Sie können aber dafür sorgen,
dass ihre Kinder möglichst früh mit der deutschen
Sprachkompetenz und Sprachgebrauch entwickeln Sprache in Kontakt kommen – zum Beispiel über
sich mit dem Zugang zu und der Dauer des Kontakts Nachbarn, Angebote von Familienbildungsstätten,
mit der Zielsprache. Fachkräfte und Eltern müssen sich Vereine oder kulturelle Angebote der Gemeinde. Die
gemeinsam darum bemühen, insbesondere für Kinder Kindertageseinrichtung kann dabei Unterstützung
mit nicht-deutscher Erstsprache den Zugang zur Zweit- leisten, bzw. entsprechende Anregungen geben.
sprache zu sichern. Je früher Kinder mit Deutsch als
Zweitsprache in Kontakt kommen, desto größer ist die Eltern sollten von Anfang an viel und variationsreich
Wahrscheinlichkeit, dass sie auf die angeborenen mit ihren Kindern sprechen und sie zum Kommunizie-
Erwerbsmechanismen zurückgreifen können, die auch ren motivieren. Sie sollten dafür die Sprache(n) wäh-
den Erwerb der Erstsprache erfolgreich machen. Wenn len, mit denen sie sich vertraut fühlen. Das muss nicht
eine Zweitsprache neben der Familiensprache im sozi- notwendigerweise die deutsche Sprache sein. Auch
alen Umfeld der Kinder alltagsrelevant ist, werden wenn Eltern selbst kein Deutsch sprechen: sie können
Kinder diese auch lernen. ihre Kinder beim Erwerb der neuen Sprache unterstüt-
zen, indem sie ihren Kindern eine positive Einstellung
gegenüber der Zweitsprache vermitteln und Erwerbs-
fortschritte mit Stolz und Anerkennung verfolgen.

28
warum
Sprachbildung und Sprachförderung

c) Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen Die Kooperation zwischen sozialpädagogischen Fach-


und Grundschullehrkräfte kräften und Grundschullehrkräften im letzten Jahr vor
der Einschulung eines Kindes muss von allen Beteilig-
Schon im Kindergartenalter entwickeln sich kognitive ten ernst genommen und bejaht werden. Sie ist ein
Fähigkeiten von Kindern, die in der Schuleingangspha- konkurrenzfreies, multiprofessionelles Miteinander
se benötigt werden, um den Anforderungen an auf Augenhöhe, das kontinuierlich reflektiert und
Schriftsprachlichkeit gerecht werden zu können. entwickelt wird. Sie setzt die Akzeptanz und Anerken-
Neben kommunikativen Sprachkompetenzen erwirbt nung der jeweils anderen Ausbildung und der damit
ein Kind Schritt für Schritt auch die Fähigkeiten, die es erworbenen Kompetenzen voraus. Sie beruht auf
benötigt, um kontextreduzierte oder abstrakte Sach- einem gemeinsamen Bildungsverständnis und dem
verhalte erfassen zu können. Auf diese Entwicklungs- Wissen um die professionelle Verschiedenheit.
prozesse sollte bei der Sprachbildung von Kindern im
Übergang zur Grundschule eingegangen werden. Kooperation zwischen Fachkräften in Kindertagesein-
richtungen und Grundschullehrkräften muss mehr
Der Übergang von der Alltags- zur Unterrichtssprache sein, als eine organisatorische und/oder inhaltliche
ist durch eine steigende Abstraktion von Begrifflich- Abstimmung von Sprachfördermaßnahmen. Die Ent-
keiten geprägt, von einer kontextgebundenen zu wicklung und Umsetzung von gemeinsamen Förderan-
einer eher kontextreduzierten Sprache. In seinem Ver- sätzen ist jedoch nur dann möglich, wenn die verant-
lauf wird die Alltagssprache zunehmend ausdifferen- wortlichen Personen in beiden Einrichtungen sich
ziert und schriftsprachliche Kompetenzen angebahnt. diese Aufgabe zu Eigen machen und ihr über einen
Der Erwerb von Bildungs- oder Unterrichtssprache längeren Zeitraum treu bleiben. Empfohlen wird
baut auf Sprachkompetenz für die Alltagskommunika- daher die Bildung von festen Teams,
tion auf. Über eine „Rückübersetzung" von Unter-
richtssprache in Alltagssprache muss sichergestellt ■ die die Förderbedarfe eines Kindes im Blick
werden, dass nicht bloße Worthülsen und Phrasen haben und Lernfortschritte gemeinsam würdi-
gelernt werden. gen,

Die Gestaltung von geeigneten Bildungssituationen ■ die sich regelmäßig zur Konzeption und
und Lernszenarien in Vorbereitung auf den Schulbe- Durchführung von Sprachfördermaßnahmen
ginn sollte von einem professionellen, fachlichen Dia- austauschen,
log zwischen sozialpädagogischen Fachkräften und
Grundschullehrkräften ausgehen. Idealerweise findet ■ die ihre pädagogische Arbeit gemeinsam
dieser Dialog im Rahmen von konkreten Projekten reflektieren und sich kollegial beraten.
und Vorhaben statt, die im Übergang zur Grundschule
auch gemeinsam durchgeführt werden.

Kindergartenkinder können viel von Grundschulkin-


dern lernen. Wenn Pädagogen das Miteinander von
Kindern im Rahmen gemeinsamer Projekte in Brücken-
jahr und in der Schuleingangsphase ermöglichen,
dann stärkt das gemeinsame Handeln der Kinder ihren
Zugang zur deutschen Sprache und den Antrieb, sie
auch zu erlernen.

& wieso? 29
FRÜH KINDLICHE BILDUNG

III. Zusammenfassung ■ Je früher Kinder mit Deutsch als Zweitspra-


che in Kontakt kommen, desto größer ist die
■ Sprachbildung und Sprachförderung im Ele- Wahrscheinlichkeit, dass sie auf die angebore-
mentarbereich setzen auf die angeborene nen Erwerbsmechanismen zurückgreifen
Spracherwerbskompetenz von Kindern. Kinder können, die auch den Erstspracherwerb erfolg-
wollen mit Bezugspersonen kommunizieren. reich machen. Wenn eine Zweitsprache alltags-
Die für diese Kommunikation benötigte(n) relevant ist, werden kleine Kinder diese auch
Sprache(n) erwerben sie im Kontext ihres sozi- erlernen.
alen Umfelds.
■ Aufgrund der starken Vernetzung und
■ Sprachbildung ist eine systematische wechselseitigen Abhängigkeit aller Lern- und
Anbahnung und Gestaltung von vielen und Bildungsprozesse in der frühen Kindheit ist es
vielfältigen Kommunikations- und Sprechanläs- schwierig, einzelnen Fördermaßnahmen eine
sen im pädagogischen Alltag der Kindertages- direkte Wirkung auf die Sprachentwicklung
einrichtung. Über die kontinuierliche Reflexion eines Kindes zuzuordnen. Es ist aber davon
des eigenen Sprachvorbildes sichern Fachkräfte auszugehen, dass die Sprachförderkompetenz
die Qualität des sprachlichen Inputs. von Fachkräften und Kindertageseinrichtungen
ein zentraler Erfolgsfaktor ist.
■ Sprachfördermaßnahmen setzten auf unter-
schiedliche Organisationsformen. Sie finden
einzeln, in einer Kleingruppe oder auch mit
allen Kindern einer Kindergartengruppe statt.
Im Wechsel dieser Szenarien empfinden sich
Kinder idealerweise nicht als förderbedürftig.

■ Sprachfördermaßnahmen finden in einer den


Kindern vertrauten Umgebung statt. Fachkräf-
te kommen daher zu den Kindern und nicht
umgekehrt.

■ Sprachbildung und Sprachförderung orien-


tieren sich am Entwicklungsstand, an den Inter-
essen und den aktuellen Bedürfnissen und Fra-
gestellungen eines Kindes. Sie berücksichtigen
seinen familiären Hintergrund, seine kulturelle
Herkunft und auch Kenntnisse einer nicht-
deutschen Erstsprache.

■ Die Wahrnehmung, Beobachtung und Refle-


xion von Sprachentwicklung ist die Grundlage
einer individuellen Förderung zur Anbahnung
der nächsten Entwicklungsschritte eines Kindes.

■ Die Qualität der Umsetzung in wertschätzen-


den Beziehungen ist ein entscheidender
Erfolgsfaktor. Dies gilt für die Beziehung zwi-
schen Kind und erwachsenen Bezugspersonen,
für die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft
mit Eltern und für die Zusammenarbeit
zwischen Fachkräften aus Kindertageseinrich-
tungen und Grundschulen.

30
Niedersächsisches
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

FRÜH KINDLICH E BILDUN G


Kultusministerium

Die Arbeit mit Kindern


unter drei Jahren

Abschnitt C

Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan


für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Kinder unter 3 Jahren


FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Begleitfilm zum Orientierungsplan

dem DVD-Film
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich

Mit beiliegen
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Niedersachsen

5
–1–
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Niedersächsisches
Kultusministerium

Die Arbeit mit Kindern


unter drei Jahren

Handlungsempfehlungen zum Orientierungsplan


für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Kinder unter 3 Jahren


FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Begleitfilm zum Orientierungsplan

dem DVD-Film
für Bildung und Erziehung im Elementarbereich
niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder

Mit beiliegen

Niedersachsen

–1–
–2–
I. Pädagogische Grundlagen und allgemeine Ziele 10
1. Pädagogische Grundhaltung und Menschenbild 10
2. Bildungs- und Erziehungsverständnis 11
3. Beziehung und Bindung 12
4. Gestaltung von Lern- und Entwicklungswelten 14

II. Bildungsziele in Lernbereichen und Erfahrungsfeldern 16


0. Wahrnehmung 17
1. Emotionale Entwicklung und Soziales Lernen 18
2. Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und der Freude am Lernen 21
3. Körper, Bewegung und Gesundheit 23
4. Kommunikation, Sprache und Sprechen 26
5. Lebenspraktische Kompetenzen 29
6. Mathematisches Grundverständnis 30
7. Ästhetische Bildung 32
8. Natur und Lebenswelt 35
9. Ethische und religiöse Fragen, Grunderfahrungen
menschlicher Existenz 36

III. Die Arbeit in der Tageseinrichtung für Kinder 38


A. Methodische Aspekte und die Aufgaben der Fachkräfte 38
1. Grundprinzipien für die Förderung von Erziehungs- und
Bildungsprozessen 38
2. Leben und Lernen in der Kindergruppe 41
3. Das Spiel – die elementare Lernform von Kindern 44
4. Einrichtung einer anregenden Lernumgebung 46
5. Beobachtung und Dokumentation 48
6. Zusammenarbeit im Team und Aufgaben der Leitung 52

B. Erziehungspartnerschaft mit Eltern 54

C. Übergänge gestalten 56
1. Die Eingewöhnung als Übergang von der Familie in die Krippe 56
2. Der Übergang von der Krippe in den Kindergarten 58

IV. Qualitätsentwicklung und -sicherung 60


FRÜHKINDLICHE BILDUNG

I. Pädagogische Grundlagen und allgemeine Ziele

Bei der Bildung, Betreuung und


Erziehung von Kindern unter drei
Jahren ist in besonderer Weise zu
beachten, dass ein Kind seinen
Bildungsbestrebungen am besten
nachgehen kann, wenn seine Grund-
bedürfnisse erfüllt sind. Insbesonde-
re bei sehr kleinen Kindern gehören
neben körperlichem Wohlbefinden
auch emotionale Sicherheit und Ge-
borgenheit zu den unabdingbaren
Voraussetzungen für eine gesunde
Entwicklung und ein erfolgrei-
ches Lernen. Gleichzeitig müssen
Fachkräfte aber auch Freiheiten
geben und loslassen können. Wie es
sprichwörtlich heißt: Kinder brau-
chen Wurzeln und Flügel! In diesem
Sinne ergänzen die hier beschriebe-
nen pädagogischen Grundlagen die
Ausführungen des niedersächsischen
Orientierungsplans „Zum Bildungs-
verständnis – wie kleine Kinder
lernen“ (Kapitel I.3). 1. Pädagogische Grundhaltung
und Menschenbild Das Bild vom Kind, der Blick auf
das kindliche Handeln und die
Das Kind steht im Zentrum einer Begleitung frühkindlicher Lern- und
professionellen Gestaltung früh- Entwicklungsprozesse gehen davon
kindlicher Lern- und Entwicklungs- aus, dass kleine Kinder eigenständi-
prozesse. Seine Individualität und ge und kompetente Lerner sind, die
seine vielfältigen Ressourcen sind aber gleichzeitig noch den Schutz
Ausgangspunkt pädagogischen und die Fürsorge ihrer Bezugsperso-
Handelns. Säuglinge und Kleinkinder nen benötigen. Das schließt folgen-
sind sehr kompetent und gleichzei- de Aspekte ein:
tig noch sehr schutzbedürftig. Sie
sind verständige, reaktionsfähige Das aktive, kreative Kind
und aktive Menschen. Vertrauen
in die Persönlichkeit und Entwick- Kinder sind von Natur aus Forscher,
lungsfähigkeit eines Kindes sowie Entdecker und Erfinder, die sich aktiv
Achtsamkeit und Respekt bestimmt und kreativ mit ihrer Umwelt ausein-
daher die pädagogische Haltung der andersetzen. Schon von Geburt an
Fachkräfte. beobachten und analysieren sie sehr
genau. Ihre Schlussfolgerungen und
Autonomie, Individualität und Erkenntnisse sind Grundlage für ihr
Persönlichkeit eines Kindes können Verständnis von ihrer Umwelt und
sich entfalten, wenn das Kind die auch von sich selbst. Neugierig und
Möglichkeit hat, selbst wirksam zu engagiert verfolgen sie ihre Inter-
werden und seinen Impulsen zu essen und entwickeln dabei immer
folgen (Selbstwirksamkeit). Kinder komplexere und wirkungsvollere
unter drei Jahren benötigen für ihre kognitive Strategien und Kompeten-
Handlungen die enge Begleitung ei- zen. Kinder wollen und können Ver-
ner erwachsenen Person, Schutz und antwortung für das eigene Lernen
Geborgenheit in vertrauensvollen übernehmen (Selbstbildung).
Beziehungen, emotionale Sicherheit
und Verlässlichkeit im Tagesablauf.

– 10 –
Das konstruierende Kind und in die Gestaltung der eigenen 2. Bildungs- und
Identität. Erziehungsverständnis
In der Auseinandersetzung mit ihrer
Umwelt und im Dialog mit ihren Das selbstständige, starke Kind Bildung und Lernen
erwachsenen Bezugspersonen sowie
mit anderen Kindern konstruieren Kinder brauchen ein Bildungsum- Bildung und Lernen gehen vom
Kinder ihr Weltwissen (Ko-Konstruk- feld, das ihren Autonomiebestrebun- Kind aus. Sein Wissen und seine
tion). Diesen Interaktionsprozessen gen Raum gibt, ihnen andererseits Fähigkeiten eignet es sich eigen-
liegt das gemeinsame Bemühen aber auch genügend Sicherheit, ständig, erfahrungsabhängig und
zugrunde, einander und die Welt zu Schutz und Unterstützung bietet. selbst organisiert an. Die angebo-
verstehen. Interaktion ermöglicht So können sie Lösungswege für die rene Neugier des Kindes und seine
Kindern, ihr Wissen durch immer Beantwortung von Fragen auspro- ihm eigene Erkundungsbereitschaft
neue Erfahrungen zu erweitern und bieren, die ihnen wichtig sind. Die lassen es spielerisch handeln, wahr-
zu differenzieren. In diesen Prozes- Entwicklung von Selbsttätigkeit nehmen und erleben sowie kreative
sen sind Pädagoginnen und Päda- und Selbständigkeit sind wichtige Lösungswege für aufgeworfene
gogen gefordert, die durch das Kind Grundlagen für die Persönlichkeits- Fragen entwickeln. Die auf diesem
verfolgten Lernwege zu verstehen, bildung und das Bewusstsein der Weg erfahrene Welt wird dabei
zu unterstützen und mit zu gestal- eigenen Kompetenzen. Kinder, die immer wieder aufs Neue gedeutet.
ten. auf sich selbst, ihre Familien und Die Interaktion zwischen Kind und
neue Bezugspersonen in Kinderta- seiner Umwelt ist damit ein wichti-
Das kompetente Kind geseinrichtungen vertrauen können, ger Ausgangspunkt für frühkindliche
bilden wichtige Ressourcen, um auch Bildungsprozesse.
Kinder gestalten ihre Bildungspro- schwierige Lebensbedingungen und
zesse eigenständig und hochmoti- Belastungen erfolgreich zu bewälti- Kinder sind forschende Lerner. Zu
viert. Sie bringen dabei die ihnen gen (Resilienz). allem, was sie wahrnehmen und
eigenen Ressourcen, Kompetenzen erfahren, bilden sie Theorien, die sie
und individuellen Stärken ein. In der Das einzigartige Kind bei neuen Erfahrungen abwandeln
Auseinandersetzung mit der Umwelt bzw. verwerfen, sobald sie andere
suchen sie nach Sinn und Bedeu- Die Würde des Kindes ist unan- Erklärungsmöglichkeiten finden.
tung. Über Wahrnehmen, Empfin- tastbar. Jedes Kind hat ungeachtet Ihre Forschungsinhalte und –themen
den und Handeln machen Kinder seines Geschlechts, seiner Herkunft, verfolgen Kinder im unmittelbaren
Erfahrungen, die die Grundlage für Kultur, Lebenswirklichkeit, seines Alltagsgeschehen. Zu diesen gehö-
ihre sehr individuellen Lernprozesse Alters und Entwicklungsstandes das ren zum Beispiel der eigene Körper,
sind. Auf der Suche nach Zusammen- Recht, in seiner Individualität ernst Räume, verschiedene Materialien
hängen und Erklärungsmustern und genommen und wertgeschätzt zu und Gegenstände, Elemente, Natur-
der Überprüfung von Erwartungen werden. Individuelle Unterschiede erscheinungen und Naturgesetze,
modifiziert sich kontinuierlich das der Kinder stellen eine Chance dar, Beziehungen zu anderen Menschen
kindliche Selbst- und Weltbild. voneinander und miteinander zu und die verschiedenen Möglichkei-
lernen. ten der Annäherung, Auseinander-
Das soziale Kind setzung und Verständigung.

Kinder sind soziale Wesen, die mit Im Selbstbildungsprozess nutzt


anderen Menschen in Kontakt das Kind sowohl angeborene als
treten, Beziehungen suchen und auch im Laufe der Entwicklung
benötigen. Sie haben grundlegende angeeignete Lernstrategien. Durch
Bedürfnisse nach emotionaler Sicher- das Nachahmen erweitert es sein
heit, Zuwendung und Wertschät- Handlungsrepertoire. Es beobach-
zung. Im sozialen Austausch und tet, verinnerlicht und lebt nach, was
durch die Fürsorge ihrer engsten erwachsene Bezugspersonen und
Bezugspersonen entwickeln Kinder andere Kinder in seiner Umgebung
tief gehende Bindungsbeziehungen. vormachen. Durch Experimentieren
Diese sind die Basis für das eigene, und Variieren von Lösungswegen
aktive Welterkunden. In der Wech- erkundet das Kind spezifische Beson-
selseitigkeit mit den Bezugsperso- derheiten und Abweichungen seiner
nen und anderen Kindern erhält Lebenswelt. Es erfährt zum Beispiel,
das Kind Rückmeldung über sich, dass sich ein Stück Stoff manchmal
es integriert diese Erfahrungen in besser zum Einwickeln eignet als ein
die Entwicklung seines Selbstbildes Blatt Papier. Durch Wiederholen von

– 11 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Spielaktionen lernt es, gesetzmäßige erarbeiten und Erfolge als eigene 3. Beziehung und Bindung
Konsequenzen wie Ursache und Wir- Leistung und Kompetenzsteigerung
kung vom zufälligen Zusammentref- zu sehen. Pädagogik besteht in der Gestal-
fen zweier voneinander unabhängi- tung von Beziehungen mit dem Ziel,
ger Reaktionen zu unterscheiden. Es Frühkindliche Erziehung ist ein wich- allen Kindern eine ihren Fähigkei-
erlebt zum Beispiel, dass Wasser nass tiger Impuls für Kinder, ihre vielen ten entsprechende Beteiligung am
macht oder aber auch, dass Öl auf offen stehenden Entwicklungsfens- sozialen und kulturellen Leben einer
Wasser schwimmt. Gleichzeitig übt ter zu nutzen. Die Bildungsbeglei- Gesellschaft zu ermöglichen (Teilha-
es neu gewonnene Kompetenzen tung von Kleinkindern orientiert sich be). Beziehungen sind der Rahmen,
ein. Um einen Turm erneut umzu- an den Fragen, die dem Kind selbst den Kinder für Spielen und Lernen
stoßen, muss er erst einmal wieder zur Herausforderung geworden sind. benötigen. Kinder müssen daher
aufgebaut werden. Damit ist nicht nur das Lernen der durch liebevolle und ihm zugewand-
Kinder, sondern auch seine Beglei- te Menschen begleitet werden. Re-
In der frühen Kindheit lernen Kinder tung durch Fachkräfte eine durch- aktionen von erwachsenen Bezugs-
durch aktives und selbstbestimmtes weg forschende Aufgabe. Es geht personen auf kindliches Handeln
Spiel. In spielerischer Auseinander- nicht darum, Kindern möglichst früh sind zentrale Ausgangspunkte für
setzung er- und begreifen Kinder Sachwissen beizubringen, sondern kindliches Lernen. In ihnen kann sich
ein mit der wachsenden motorischen zu ergründen, was sie beschäftigt. Es ein Kind sehen und Wirkungen sei-
Entwicklung immer größer werden- gilt, sie durch pädagogische Anre- nes Handelns erfahren. Der Aufbau
des Umfeld. Sie „sammeln“ Erfah- gungen so zu unterstützen, dass sie von zuverlässigen und verbindlichen
rungen, Bedeutungsmuster und möglichst vielfältige Erfahrungen Beziehungen ist daher die zentra-
Sachbezüge. Sie verarbeiten Erlebtes machen und verarbeiten können. le Voraussetzung für Entwicklung
und assoziieren Zusammenhänge und Bildung in der frühen Kindheit.
mit bereits Bekanntem, sie ordnen Die Anregung und Förderung von Ohne Geborgenheit in Beziehungen
diese Erlebnisse in ihr Weltverständ- frühkindlichen Lern- und Entwick- fehlen Kindern die Sicherheit und
nis ein und geben ihnen so eine lungsprozessen durch pädagogische das Selbstvertrauen als Vorausset-
Bedeutung. Jedes Kind entfaltet Fachkräfte geschehen im Dialog mit zungen für Experimentierfreude und
auf diese Weise eine eigene „Bil- dem Kind und richten sich an den Lernbereitschaft.
dungslandschaft“ mit wachsender kindlichen Tätigkeiten, Themen und
Infrastruktur. Diese ermöglicht ihm, Interessen aus. Ausgangspunkte
seine innere und äußere Welt immer für diesen Dialog sind eine sensible
besser zu erfassen, zu begreifen und Wahrnehmung, genaue Beobach-
bewusst zu beeinflussen. tung sowie sorgfältige Reflexion, mit
der die pädagogische Fachkraft das
Erziehung Lernen der Kinder in ihren Tätigkei-
ten erkennt. Diese Selbstbildungsbe-
Erziehung ist eine zugewandte und strebungen kann sie dann mit ihren
kompetente Entwicklungsbegleitung eigenen Perspektiven anreichern
durch erwachsene Bezugspersonen, und damit ko-konstruktiv aufgrei-
welche den Rahmen für selbststän- fen, anregen und unterstützen.
dige Handlungs-, Gestaltungs- und
Bildungsmöglichkeiten schafft. Die Gerade für die Bildung und Erzie-
pädagogische Fachkraft sorgt für hung von Kindern in ihren ersten Le-
anregungsreiche Lern- und Ent- bensjahren ist zu beachten: Je jünger
wicklungsumgebungen: Sie reagiert Kinder sind, desto mehr benötigen
aufmerksam auf die vom Kind sie die direkte Zuwendung, Pflege
verfolgten Themen, sie ergänzt und und Versorgung durch ihre Bezugs-
bereichert die frühkindliche Welter- personen. Dieser Aspekt muss daher
kundung durch neue Impulse. Sie ist bei allen Bildungs- und Erziehungs-
präsent, beobachtet, unterstützt und aufgaben immer mit berücksichtigt
schützt – ohne dabei für das Kind werden.
selbst zu handeln. Jedes unreflek-
tierte Eingreifen kann den Bildungs-
prozess des Kindes durchbrechen
und stören. Es ist daher wichtig, die
Interaktion mit dem Kind behutsam
zu gestalten und Kindern dabei zu
ermöglichen, selbst Lösungen zu

– 12 –
Die Eingewöhnung eines Kindes in
eine Krippe oder altersübergreifen-
de Kindergartengruppe ist in erster
Linie eine Beziehungsaufgabe. Es ist
wichtig, ein Kind bei seinem Start
in ein neues räumliches und sozi-
ales Umfeld nicht zu überfordern.
Bei der Gestaltung des Übergangs
haben Eltern und pädagogische
Fachkräfte daher eine gemeinsa-
me Verantwortung dafür, dass das
Kind eine vertrauensvolle Bindung
zur pädagogischen Fachkraft als
Bezugsperson aufbauen kann. Ein
harmonisches Miteinander von El-
tern und Fachkräften, Zeit für einen
behutsamen und individuellen Be-
ziehungsaufbau, Kontinuität in der
neuen Umgebung sowie ein geregel-
ter - aber im Hinblick auf spezifische
Bedürfnisse eines kleinen Kindes
auch flexibler – Tagesablauf bieten
Kindern die von ihnen benötigte
Sicherheit und Orientierung.

Jedem Kind sollte ein Erzieher oder


eine Erzieherin fest zugeordnet
Bindung an eine oder auch meh- Im Kontakt mit seinen Bezugsper- werden, die als stabile Bezugsper-
rere Bezugspersonen ist für das sonen versichert sich das Kleinkind, son insbesondere in der Phase des
Kind existentiell. Die Fähigkeit, dass es unbeschadet seine Abenteu- Beziehungsaufbaus und der Einge-
Bindungen aufzubauen ist ange- er suchen und eigene Erfahrungen wöhnung kontinuierlich präsent und
borenen und Voraussetzung für machen kann. Kinder brauchen für das Kind verlässlich verfügbar ist.
seine Entwicklung. Die wichtigsten die Geborgenheit vertrauensvoller Ihre liebevolle Zuwendung in Ver-
Bezugspersonen sind die Eltern. Es Beziehungen, um Welterkundung bindung mit einem glaubwürdigen,
ist jedoch bereits für das Kleinkind zu wagen und ihre Fähigkeiten zu wertschätzenden, einfühlenden und
eine Bereicherung, wenn es dau- entfalten. Erfahren sie diese Gebor- berechenbaren Verhalten trägt dazu
erhafte Beziehungen zu mehreren genheit und Unterstützung nicht, so bei, dass ein Kind vertrauensvolle Be-
Bezugspersonen aufbauen kann. müssen sie einen großen Teil ihrer ziehungen eingehen kann und sich
Seine Erfahrungshorizonte erweitern Energie verwenden, um zunächst die in der Krippengruppe sicher fühlt.
sich, wenn verschiedene Menschen Verlässlichkeit ihrer Beziehungen zu
in seinem sozialen Umfeld unter- prüfen. Bei der Betreuung, Erzie- Um den Beziehungsaufbau und die
schiedlich auf sein Handeln reagie- hung und Bildung von Säuglingen Beziehungsentwicklung zu fördern,
ren. Seine Handlungskompetenz und Kleinkindern müssen Fachkräfte sollte die Fachkraft jeden Tag für das
und sein Selbstbewusstsein werden über eine hohe Bereitschaft verfü- einzelne Kind einige Zeit voll und
gestärkt, wenn es die vielfältigen gen, Beziehungsverantwortung zu ganz präsent sein. Das Kind muss die
Bewertungen und (Be-)Deutungen übernehmen. respektvolle und ihm zugewandte
unterschiedlicher Bezugspersonen Haltung der Fachkraft spüren und
in seinen Erfahrungsschatz aufneh- Verbundenheit erfahren können.
men kann. Die Bindung an weitere In Situationen von Unsicherheit,
verlässliche Bezugspersonen kann Überforderung und Kummer kann
außerdem eine präventive und kom- die Fachkraft dem Kind in ihrer Rolle
pensatorische Wirkung haben und als (sekundäre) Bezugsperson Trost,
Kinder für die Bewältigung ihrer Schutz und Geborgenheit vermit-
Lebensumstände stärken (Resilienz). teln. Sie tritt dabei nicht in Konkur-
renz, sondern ergänzt die Beziehung
zwischen Kind und Eltern.

– 13 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Insbesondere Pflegesituationen sind Jedes Verhalten des Kindes sig- 4. Gestaltung von Lern- und
für die Entwicklung und Vertiefung nalisiert Bedürfnisse. Wenn eine Entwicklungswelten
der Beziehung zwischen sehr jungen Fachkraft das Verhalten eines Kindes
Kindern und Fachkräften wichtig. als aggressiv, als sehr angepasst oder Man kann darauf vertrauen, dass
Eine beziehungsvolle Pflege bietet in einer anderen Weise als auffällig jedes Kind seine individuellen Bil-
Möglichkeiten für die Gestaltung wahrnimmt, dann muss sie das Kind dungswege sucht und aktiv verfolgt.
von individuellen und intensiven sehr genau beobachten und versu- Dafür braucht es jedoch anregende
Interaktionen im Rahmen vielfältiger chen, die Beweggründe für dieses Lern- und Entwicklungswelten,
Alltagssituationen wie Wickeln, An- Verhalten zu verstehen. Sie trägt die Fachkräfte in Kindertagesein-
ziehen oder Essen der Kinder. Auch dafür Sorge, dass auffällige oder als richtungen aktiv und altersgerecht
das Zu-Bett-Gehen ist eine Situation, aggressiv wahrgenommene Kinder gestalten. Alltagssituationen,
in der die Erzieherin oder der Erzie- positive Erfahrungen, Respekt und Räumlichkeiten und Lernangebote
her dem Kind mit Achtung, Zuwen- Wertschätzung erleben können und bergen vielfältige Gelegenheiten,
dung und Aufmerksamkeit begeg- sich dadurch in ihrer Beziehung zum den natürlichen Erkundungsdrang
nen kann und es so mit individuellen Erzieher oder zur Erzieherin gebor- von Kindern anzuregen. Bei allen
Ritualen in den Schlaf begleitet. Mit gen fühlen. In diesem Sinne können Lernprozessen hilft dem kleinen
zunehmendem Alter eines Kindes Fachkräfte ihre eigenen Reaktions- Kind eine geordnete Welt mit
nimmt die Bedeutung der Pflege tendenzen auf das Verhalten von vertrauten Beziehungen und einem
immer mehr ab. Andere Aktivitäten Kindern reflektieren und steuern. Tagesablauf, der Verlässlichkeit und
im Alltag der Kindertageseinrich- Kontinuität bietet.
tung - wie zum Beispiel das Tischde-
cken, Abwaschen oder Aufräumen – In den ersten drei Lebensjahren
werden zu wichtigen Bildungs- und entwickelt sich ein Mensch vom
Beziehungssituationen. Säugling zum Kindergartenkind.
Damit verbunden ist eine sehr steile
Ein Kind wird sein Beziehungsge- Lern- und Entwicklungskurve, die
flecht in einer Kindertageseinrich- Entwicklungsunterschiede zwischen
tung von sich selbst aus immer mehr Kindern im Alter von sechs Monaten,
erweitern, wenn es eine sichere Basis einem Jahr oder zweieinhalb Jahren
hat und davon ausgehend auch der sind erheblich. Dies erfordert alters-
Dialog mit anderen Fachkräften gerecht Angebote für sehr unter-
gelingt. Denn Kinder, die sich positiv schiedliche Bedarfe und Ansprüche.
wahrgenommen fühlen, lernen Auf diese sollten Kinder freiwillig
sehr schnell, sich selbstbewusst auf eingehen und damit den Verlauf
neue Gegebenheiten einzulassen. und das Ergebnis ihrer Lernprozesse
Kinder, die eine emotionale Überein- selbst bestimmen dürfen.
stimmung mit einer Bezugsperson
vermissen, sind oftmals verunsicherte Um den Lern- und Entwicklungsan-
Kinder, die sich nur schwer auf ihre strengungen von kleinen Kindern
Lern- und Bildungsprozesse konzent- gerecht zu werden, erschließen
rieren können. sich pädagogische Fachkräfte die
Themen, die ein Kind in seinem
Alltagsumfeld verfolgt. So gehen
Fachkräfte feinfühlig auf die Kinder
ein, reagieren auf ihre Signale und
Interessen und vermitteln ihnen,
dass zwischen ihrem Handeln und
der Reaktion von Erwachsenen ein
Wirkungszusammenhang besteht.
Sie helfen Kindern, etwas selbst
zu tun, und unterstützen sie dabei
in ihrem Bestreben, selbstständig
zu werden. Für Kinder ist es von
elementarer Bedeutung, sich als
selbstwirksam zu erleben. Die Er-
fahrung von Selbstwirksamkeit und
Anerkennung ist der erste Schritt zu
einem positiven Selbstbild.

– 14 –
Die Haltung der Fachkraft, ihr au- Es ist wichtig, Kindern nicht nur Bei der Gestaltung von Lern- und
thentisches Verhalten, ihre Art des Bildungswege zu erschließen, Entwicklungswelten sollte berück-
Umgangs mit den Kindern und ihre sondern ihnen auch Orientierung sichtigt werden, dass das Wohlbe-
eigene Sicht der Welt haben einen zu geben. Kleine Kinder brauchen finden der Kinder eine wichtige
großen Einfluss auf die Entwicklung bei der Regulierung ihrer Gefühle Voraussetzung für ihre Aufnah-
von Weltsicht und Selbstbild des Unterstützung. Sie müssen lernen, mefähigkeit ist. Wenn Jungen und
Kindes. Was immer Erwachsene mit ihre Gefühle und Wünsche mit Mädchen müde oder hungrig sind,
Begeisterung und Freude tun oder einem anderen Menschen zu teilen. werden sie auch sehr liebevoll ge-
betrachten: es wird eine positive Wenn Kindern Aufmerksamkeit und setzte Lernanregungen nur einge-
Ausstrahlung auf die ihnen anver- Wertschätzung entgegengebracht schränkt verfolgen können. Lern-
trauten Kinder haben. Erzieherinnen werden, sind sie in der Lage, aus bereite und entdeckungsfreudige
und Erzieher können bei der Gestal- emotionaler Verbundenheit Verhal- Kinder können durch einen hohen
tung von Lern- und Entwicklungs- tensmuster nachzuahmen und die Lärmpegel oder auch ein großes
welten daher durchaus auch ihren damit verbundenen Wertvorstellun- Ausmaß an Unordnung irritiert und
eigenen Themen nachgehen. Wenn gen zu übernehmen. Insbesondere von der Verfolgung ihrer Bildungs-
ein Erwachsener ein Kind daran in Konfliktsituationen sind Kinder prozesse abgehalten werden.
Anteil nehmen lässt, wie er die Welt auf eine zugewandte, liebevolle Fachkräfte beobachten daher genau,
wahrnimmt, dann beginnt auch das Begleitung ihrer Bezugspersonen ob Kinder Ruhe oder Anregung
Kind, die Welt mit den Augen seines angewiesen. benötigen und wann Kinder unter-
Begleiters oder seiner Begleiterin zu oder überfordert sind. Sie vermeiden
betrachten und verinnerlicht neben Wenn es zu Konflikten kommt, sollte eine Reizüberflutung durch zu viele
Sachkenntnissen auch Wertvorstel- die Fachkraft nur dann eingreifen, Angebote und sorgen für verlässli-
lungen (gut, schlecht, helfen, verge- wenn ein Kind in Gefahr gerät. Vor che Strukturen bei der zeitlichen und
ben etc.) sowie Regeln des Zusam- einem Eingreifen sollte sie zunächst räumlichen Gestaltung des Lernum-
menlebens (sich mitteilen, warten, ergründen, warum sie das Kind als felds einer Kindertageseinrichtung.
fragen, bitten, teilen, etc.). aggressiv wahrnimmt. War es ein
Kontaktwunsch? Das Bedürfnis,
Kinder wollen ihre Gefühle und Selbstwirksamkeit zu erfahren? Das
Wünsche mit anderen Menschen Bestreben, physikalische Grunder-
teilen. Sie wollen sich in ihr soziales fahrungen zu machen? Kleine Kin-
Umfeld einbringen und dazugehö- der verstehen erst mit zunehmen-
ren. Kinder sind auf die Interaktion dem Alter, dass ihre Wünsche und
mit Bezugspersonen angewiesen, Empfindungen von denen anderer
damit sie das Verständnis über ihr Menschen abweichen können. In
Handeln, eine Situation oder auch Konfliktsituationen benötigt ein
ihr Selbst erweitern können. Sie Kind positive Vorschläge für alterna-
brauchen daher die Präsenz und tive Handlungsansätze. Diese kann
Aufmerksamkeit der Fachkraft. ein Kind dann aktiv aufgreifen. Um
Kinder, die sich in ein „Wir“ einge- einen Konflikt zu entschärfen, eige-
bunden fühlen, ahmen Erwachsene nen sie sich daher besser als Verbote
und auch Kinder nach, erweitern da- oder Sanktionen.
durch ihr Verhaltensrepertoire und
übernehmen im Spiel soziale Wert- Eine pädagogische Fachkraft sollte
vorstellungen – wie zum Beispiel daher in klaren Sätzen zwischen
einen freundlichen und liebevollen den Konfliktparteien vermitteln
Umgang miteinander. und mit positiven Formulierungen
Handlungsalternativen vorschlagen,
so dass Kinder ihre Bildungswege
konfliktfrei verfolgen können. Sie
kann ein Kind auffordern, einen
eigenen Turm zu bauen, anstatt
den Turm eines anderen Kindes zu
zerstören. Oder sie kann ein neues
Spiel erfinden, bei dem mehrere Kin-
der etwas aufbauen und einstürzen
lassen können.

– 15 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

II. Bildungsziele in Lernbereichen und Erfahrungsfeldern

Ausgehend von dem in Kapitel I immer ganzheitlich und damit in


beschriebenen Bildungs- und Erzie- mehreren Lernbereichen gleichzeitig
hungsverständnis beschreibt Kapitel verfolgen.
II die Entwicklungsaufgaben und
Bildungswege von Kindern unter In keiner späteren Lebensphase
drei Jahren in den Lernbereichen sind die Prozesse von Bildung und
und Erfahrungsfeldern des nieder- Entwicklung so eng miteinander ver-
sächsischen Orientierungsplans. Das flochten wie in der frühen Kindheit.
dem Bildungs- und Erziehungsver- Die Erkenntnisse der Entwicklungs-
ständnis zugrunde liegende Men- psychologie sind für Fachkräfte in
schenbild eines aktiven, kreativen, Kindertageseinrichtungen daher von
konstruierenden, starken, sozialen Belang, um die Bedeutung kindlicher
und einzigartigen Kindes prägt nicht Handlungen auch im Kontext seines
nur die professionelle Haltung einer jeweiligen Entwicklungsstandes
Fachkraft gegenüber dem Kind. Es verstehen zu können. Normwerte zu
gibt gleichzeitig auch die zentralen einzelnen Entwicklungsmerkmalen
Bildungsziele vor, die ihr pädagogi- sind in den ersten drei Lebensjahren
sches Handeln in allen Lernbereichen nur eine ergänzende aber keine be-
und Erfahrungsfeldern verfolgt. lastbare Orientierungshilfe, um ein
einzelnes Kind angemessen beob-
Die neun Lernbereiche des Orientie- achten und fördern zu können.
rungsplans sind ein Rahmen, der die
Vielfalt der Lern- und Bildungswe- Frühkindliches Lernen ist ein aktiver,
ge von Kindern beschreibt. In den ganzheitlicher und komplexer
konkreten Bildungssituationen des Prozess, der immer in seiner Ge-
Alltags in Kindertageseinrichtungen samtheit zu fördern ist. Fachkräfte
sind diese unterschiedlichen Lern- gestalten Lernumgebungen, die der
bereiche hochgradig miteinander Individualität frühkindlicher Lern-
vernetzt und wechselseitig vonei- und Entwicklungsprozesse Rechnung
nander abhängig. Ein einjähriges tragen und an die Ressourcen und
Kind, das sich erstmalig aus eigener Interessen der Kinder anknüpfen. Sie
Kraft in den Stand hochzieht, hat haben dabei immer den gesamten
einen wichtigen Meilenstein seiner Entwicklungskontext eines Kindes
Bewegungsentwicklung bewältigt. im Blick, wenn sie ein Kind bei der
Es hat sich damit zusätzliche Wahr- Bewältigung einzelner Entwick-
nehmungsperspektiven erschlossen, lungsaufgaben unterstützen.
was für seine kognitive Entwick-
lung neue Horizonte eröffnet. Die In ihren ersten drei Lebensjahren ler-
Erreichbarkeit von interessanten nen Kinder zu essen, zu trinken, zu
Objekten ist gewachsen und damit laufen, zu sprechen, zu denken, sich
auch seine Selbstständigkeit. Die sozial auszutauschen und entdecken
Begeisterung über das eigene Kön- die Einzigartigkeit ihrer Identität.
nen und die Freude, mit der seine Aber nicht alle Kinder erwerben
Bezugspersonen die neu erwor- diese Fähigkeiten zur gleichen Zeit,
bene Kompetenz würdigen, baut in der gleichen Reihenfolge und auf
Selbstvertrauen und ein Gefühl der die gleiche Art und Weise. Kinder
Selbstwirksamkeit auf, was wieder- brauchen Raum und Zeit, um ihre
um seine Persönlichkeitsentwicklung Entwicklungsaufgaben zu meistern.
positiv beeinflusst. Fachkräfte be- Sie wagen sich nur dann selbstbe-
rücksichtigen bei der Gestaltung von wusst in neue Bereiche vor, wenn
Lern- und Entwicklungswelten, dass sie in alten Verhaltensformen sicher
Kinder ihre individuellen Entwick- sind. Das Kind ist damit Akteur sei-
lungsaufgaben und Bildungswege ner Entwicklung. Weder Eltern noch

– 16 –
pädagogische Fachkräfte können 0. Wahrnehmung Die Wahrnehmungsförderung im
Entwicklungsschritte herbeiführen, ersten Lebensjahr eines Kindes kann
zu denen das Kind noch nicht bereit Die sinnliche Wahrnehmung ist das nur in direktem Berührungs- und
ist. Individuelle Unterschiede in der Eingangstor für Welterfahrung. Blickkontakt stattfinden, da sich
frühkindlichen Entwicklung sind Nichts ist im Kopf, was vorher nicht die Fernsinne erst Schritt für Schritt
normal und müssen in der pädagogi- in den Sinnen war. Das Ertasten der entwickeln. In Pflege- oder Versor-
schen Arbeit berücksichtigt werden. Beschaffenheit von Oberflächen und gungssituationen oder bei spieleri-
Es ist wichtig, Kindern für ihre Bil- Materialien, das Erleben von Geruch, scher Zuwendung können Fachkräf-
dungswege und Entwicklungsaufga- Geschmack, Geräuschen, Tempera- te für Kinder Anreize setzen, die
ben Zeit zu lassen. turen, Lichtverhältnissen, liebevoller Welt zu ertasten und damit auch zu
oder unangenehmer Berührung begreifen. Sanfte Berührungen oder
Entwicklung vollzieht sich also in sowie einer Vielzahl weiterer als ein liebevoller Tonfall in der Anspra-
der Regel „wie von selbst“, wenn positiv oder negativ empfundene che wecken Freude, bieten Entspan-
von Beginn an die grundlegenden Sinneserlebnisse sind für ein Kind nung und geben Sicherheit für neue
Bedürfnisse des Kindes befriedigt zunächst lediglich Informationen. Erkundungen.
werden und auf das, was das Kind Jedes Kind muss lernen, zwischen
möchte, angemessen eingegan- einer Vielfalt an Reizen auszuwählen Kleine Kinder lernen „handelnd“ –
gen wird. Wann ein Kind zu einem und diese ausgewählten Reize zu zum Beispiel durch aktive Berührung
bestimmten Entwicklungsschritt bewerten. Wahrnehmung ist daher oder die Erkundung mit Mund, Hän-
bereit ist, hängt von seinen individu- eine zentrale Entwicklungsaufgabe. den und Füßen. Zuerst ist der Mund
ellen Fähigkeiten, Erfahrungen und das Tor zur Welt. Die Zunge prüft
Lebensumständen ab. Fachkräfte Mit der Entwicklung seiner Sinnes- jede neue Entdeckung und übersetzt
beobachten Kinder und gestalten organe erhält ein Kind immer neue sie für die anderen Sinne. Im Laufe
Anregungen und Lernimpulse so, Zugänge zu seinem räumlichen des Krippenalters lässt die „Mund-
dass sie auf die Interessen eines und sozialen Umfeld sowie für die wissenschaft“ allmählich nach. Dann
Kindes eingehen und die nächsten Entwicklung seines Körperbewusst- reicht oft schon ein Blick oder eine
Entwicklungsschritte anbahnen. seins und seines Selbstbildes. Auf der Berührung um festzustellen, ob
Grundlage von vielfältigen Sinnes- etwas für eine weitere Erkundung
Das kindliche Wahrnehmen und eindrücken macht ein Kind Erfahrun- interessant ist. Kinder „begreifen“ so
Begreifen der Welt mit allen Sinnen gen, die wiederum für die weitere Schritt für Schritt Größenunterschie-
ist die Basis für Bildungs- und Lern- Entfaltung seiner Wahrnehmungs- de, Formen und die Beschaffenheit
prozesse in der frühen Kindheit. kompetenz Bedeutung haben. von Materialien. Sie lernen zwischen
Um der besonderen Bedeutung der Dabei wird seine Wahrnehmung hell und dunkel, kalt und warm oder
Entwicklungsaufgabe „Wahrneh- immer genauer und differenzierter. hart und weich zu unterschieden.
mung“ Rechnung zu tragen, wird Wahrnehmung ist damit ein Verar- Je häufiger, differenzierter und
sie in der Gliederung dieses Kapitels beitungsprozess von Sinneseindrü- vielfältiger etwas wahrgenommen
als Ausgangspunkt bzw. „Abschnitt cken zu Erfahrungen und Wissen. An wird, desto beständiger werden die
Null“ für die Entwicklungsaufga- diesem Prozess sind Körper, Gefühle, mit bestimmten Reizen verbundenen
ben und Bildungswege von unter Erinnerung und Denken beteiligt. Erfahrungen und damit auch das
dreijährigen Kindern in den Erfah- Wissen über die Welt, den eigenen
rungsfeldern des niedersächsischen In den ersten Lebensmonaten Körper und die eigene Identität.
Orientierungsplans eingefügt. Um beginnt ein Kind, äußere Einflüsse
die Bedeutung des Spiels als ele- so zu ordnen, dass es Personen und Wegen seiner elementaren Bedeu-
mentarer Lernform in der frühen Dinge abzugrenzen beziehungs- tung für frühkindliche Lern- und Ent-
Kindheit zu verdeutlichen, wird der weise zu unterscheiden vermag wicklungsprozesse geben Fachkräfte
Bezug zwischen den Bildungswegen und erste Bilder von den Dingen der Entwicklung von Wahrnehmung
in einzelnen Lernbereichen und den der Welt entstehen können. Die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit,
damit verbundenen Entwicklungen verschiedenen sinnlichen Wahrneh- Zeit und Raum. Wenn ein Kind seine
im Spiel von Kindern kurz erläutert. mungsmöglichkeiten ergänzen sich Sinne nicht ausprobieren, entwickeln
dabei. Visuelle, akustische, körperli- und differenzieren kann, dann kön-
che, atmosphärische und emotionale nen sich Wahrnehmungsfähigkeiten
Informationen werden gleichzeitig nur eingeschränkt entfalten. Kinder
aufgenommen und verarbeitet. Es sollten daher mit dem ganzen
wird ein Gesamtbild erzeugt, das Spektrum ihrer Sinneskanäle Ein-
im Gedächtnis verankert und zu drücke, Erlebnisse und Erfahrungen
Erfahrungen und Wissen verarbeitet sammeln können, gleichzeitig aber
werden kann. keiner Reizüberflutung ausgesetzt
sein.

– 17 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Kinder nehmen nicht nur physische, ANREGUNGEN ZUR REFLEXION 1. Emotionale Entwicklung und
optische oder akustische Reize, son- soziales Lernen
dern auch Stimmungen, Konflikte, s 7ELCHE SINNLICHEN %RFAHRUNGEN
die persönliche Haltung von Bezugs- können Kinder beim Essen, Emotionale Entwicklung
personen und ihre Art des Umgangs Waschen, draußen Spielen oder
wahr und verarbeiten diese sehr in anderen Alltagssituationen in Die Entwicklung von Fähigkeiten,
individuell. Das Erkennen von Emo- unserer Einrichtung sammeln? mit anderen Menschen zurechtzu-
tionen, Beziehungen und sozialer In- kommen und sich mit ihnen auszu-
teraktion ist damit Teil eines immer s 7IE KÚNNEN WIR JEDEM +IND tauschen, ist ein wichtiges Bildungs-
komplexer werdenden Spektrums genügend Freiraum geben, um die ziel. Dazu gehört der Umgang mit
von kindlicher Wahrnehmung und von ihm gewählten Tätigkeiten zu den eigenen Emotionen und den
Selbstwahrnehmung. Spannungen in verfolgen? Emotionen anderer Menschen.
zwischenmenschlichen Beziehungen Emotionen helfen Kindern, ihren
und eine mangelnde Authentizi- s 7ELCHE 'ELEGENHEITEN HABEN Alltag zu strukturieren. Sie geben
tät ihrer Bezugspersonen können Kinder, ihren Körper und ihre Hinweise darauf, wie eine Situation
Kinder aus der Balance bringen und Fähigkeiten wahrzunehmen? einzuschätzen ist. Sie erlauben Rück-
in ihrer eigenen Wahrnehmung schlüsse darauf, was wichtig oder
verunsichern. s 7ELCHE 3INNE WERDEN was unwichtig ist.
angesprochen, wenn Kinder unsere
Die Souveränität im Umgang mit Räume erkunden und an unseren Die Fähigkeit, Emotionen zu erle-
inneren Vorstellungswelten und die pädagogischen Angeboten ben und zu verstehen, ist für den
damit verbundenen kognitiven Fä- teilnehmen? Menschen von zentraler Bedeutung.
higkeiten erweitern sich in den ers- Emotionsverständnis und Emotions-
ten drei Lebensjahren stetig. Kleine s 7IE KÚNNEN WIR SICHERSTELLEN DASS wissen eines Kindes entwickeln sich
Kinder gehen zunächst davon aus, sich alle Kinder wohlfühlen? im Dialog mit Bezugspersonen. Das
dass ihre Wahrnehmung ein Abbild Verhalten von Eltern, pädagogischen
der Realität ist. Erst allmählich be- s 7O SEHEN WIR 'EFAHREN DASS Fachkräften und anderen Kindern
greifen sie, dass die Außenwelt nicht Kinder einer Reizüberflutung gibt dem Kind wichtige Rückmeldun-
aufhört zu existieren, wenn sie die ausgesetzt sind? gen für die Entwicklung seiner Ge-
Augen schließen oder sich die Ohren fühlswelt. Schon ein Säugling nimmt
zuhalten. Gegen Ende des dritten in der Mimik seines Gegenübers sehr
Lebensjahres bewegen sich die unterschiedliche Reaktionen und
meisten Kinder sicher in ihrer Innen- Emotionen wahr und lernt Schritt
und Außenwelt. Ihre Kompetenz im für Schritt zwischen so unterschied-
Umgang mit Fiktion und Realität, lichen Gefühlen wie Freude, Glück,
Vorstellung und Wirklichkeit wächst. Überraschung, Ärger, Angst und Wut
zu unterscheiden. Kleine Kinder sind
Wahrnehmung ist die sinnliche ihren Gefühlen zunächst ausgeliefert
Grundlage, die dem Kind ermög- und können sie kaum regulieren. Sie
licht, sich seine Lebenswelten zu wechseln schnell zwischen herzzer-
erschließen. Wahrnehmungskompe- reißendem Weinen und freudigem
tenz und Erfahrung werden im Spiel Strahlen. Ab dem dritten Lebensjahr
des Kindes erweitert und erprobt. erst nimmt ihre Fähigkeit zur Regu-
Diese Wahrnehmungs-, Erfahrungs- lation von Gefühlen zu, Kuschelbär
und Lernprozesse beginnen mit spie- und Schmusetuch können in ersten
lenden Gegenstandsmanipulationen Regulationsstrategien eine wichtige
und entfalten sich in den ersten drei Rolle spielen.
Lebensjahren über die Exploration
und das Symbolspiel bis hin zum Der Ausdruck von Emotionen muss
Rollenspiel. Altersgerechte Bildungs- ernst genommen und respektiert
angebote berücksichtigen die enge werden. Die einfühlsame und
Verzahnung von Wahrnehmung und respektvolle Resonanz von Bezugs-
Handeln in frühkindlichen Bildungs- personen auf kindliche Gefühlsäu-
prozessen. ßerungen ermöglicht es Kindern,
ihre Gefühle kennenzulernen, sie
zu verstehen und sie zu regulieren.
Je differenzierter die Personen im
Umfeld des Kindes reagieren, desto

– 18 –
besser kann ein Kind auch Abstu- Die sogenannte Trotz- bzw. Autono- Ich-Entwicklung und Soziales Lernen
fungen oder Unterschiede zwischen miephase ist der Entdeckung des Ichs
Gefühlslagen erfahren. Beim Trösten und – damit verbunden – des eige- Die Entfaltung der kindlichen Wahr-
können hier zum Beispiel so unter- nen Willens geschuldet. Trotz entwi- nehmungsfähigkeiten und das wach-
schiedliche Aspekte wie das durch ckelt sich immer aus einem subjektiv sende Selbstempfinden erfolgen im
körperlichen Schmerz zugefügte empfundenen Spannungsverhältnis engen Kontakt zwischen dem Kind
Leid oder auch die Trauer über einen zwischen dem Willen des Kindes und und seinen Bezugspersonen. Die
Verlust thematisiert werden. Die den Möglichkeiten, diesen durchzu- Erfahrungen, die Kind und Bezugs-
Fachkraft zeigt Mitgefühl, das dem setzen. Kinder stellen sich vor dem person gemeinsam machen, und der
Kind wiederum als Anregung und Beginn einer Handlung ein Hand- Austausch über das Erlebte ist die
Modell für eigenes Handeln und lungsziel vor und sehen sich selbst Keimzelle frühkindlicher Bildung.
Denken dient. als Urheber/in des Handlungsablaufs. Am „Du“ der Bezugsperson wird
Mit ihren Emotionen und Motivatio- das Kind zum „Ich“. Je intensiver
Die sprachliche Beschreibung von nen sind sie stark engagiert. Erreicht Bezugsperson und Kind in einen ge-
Gefühlen durch Bezugspersonen das Kind nun mit dem geplanten genseitigen Austausch treten und in
vermittelt dem Kind Begriffe, an- Handlungsablauf sein Ziel nicht oder wechselseitiger Auseinandersetzung
hand derer es die eigene Innenwelt wird es in der Durchführung der miteinander kommunizieren, umso
ordnen, verstehen und später auch Handlung behindert oder gestoppt, stärker macht das Kind die Erfah-
erklären kann. Darauf aufbauend steht ihm zunächst kein alternativer rung, dass sein Verhalten Wirkung
kann das Kind Handlungsmuster für Handlungsplan zur Verfügung. Es erzielt. Von den Interaktionen mit
sein inneres Erleben und für die Lö- kommt zum Wutausbruch, den das Bezugspersonen hängt ab, wie Kin-
sung von Problemen entwickeln. Das Kind nicht regulieren kann. der sich selbst einschätzen. Fachkräf-
bewusste Erleben und Einordnen der te tragen daher Verantwortung, dass
eigenen Emotionen setzt jedoch vo- Pädagogische Fachkräfte sollten sich ein Kind als kompetent, wichtig
raus, dass das Kind ein Bewusstsein die Notwendigkeit der von ihnen und einflussnehmend erleben kann
über sich selbst als eigenständig han- gesetzten Grenzen gut durchdenken und ein positives Selbstbild entwi-
delndes Subjekt entwickelt hat und und überlegen, ob und wann die ckelt.
anerkannte Verhaltensregeln kennt, Pläne der Kinder verhindert werden
zu denen es das eigene Handeln in müssen. Machtkämpfe mit Gewin- Die Reaktionen eines Erwachsenen
Beziehung setzen kann. Die Erfah- nern und Verlierern sind dabei zu auf die Kommunikationsbestrebun-
rung von Mitgefühl und Verständnis vermeiden. Kommt es zum Gefühls- gen eines Kindes sind wie ein Spiegel
ist damit eine wichtige Grundlage ausbruch, so werden sie Ärger, Zorn zu verstehen, der dem Kind sein ei-
für die Entwicklung von Empathie und Hilflosigkeit des Kindes aushal- genes Verhalten reflektiert und ihm
und einem sozial angemessenen ten müssen, bis sich das Kind beru- damit zeigt, was es tut, denkt und
Verhalten. higt hat. Sie dürfen das Kind aber erlebt. Sie erlauben ihm, sein Han-
nicht allein lassen und sollten den deln als etwas Eigenes zu erleben.
Kummer des Kindes verständnisvoll Diese Erfahrung von Selbstwirksam-
verbalisieren und Handlungsalterna- keit ist eine wichtige Voraussetzung
tiven zu der ursprünglich verfolgten für die Entwicklung von Selbstver-
Absicht aufzeigen. Autonomie- trauen und Selbstwertgefühl. Darauf
bestrebungen sind ein normaler und aufbauend entwickeln sich Vorstel-
notwendiger Ausdruck der Ich-Ent- lungen von „Mein“ und „Dein“
wicklung. sowie die Fähigkeit, sich auch in die
Gefühlswelten anderer Menschen
hineinzuversetzen (Empathie).

Die Entfaltung emotionaler Kom-


petenzen, Ich-Entwicklung und
soziales Lernen sind eng mitein-
ander verzahnt und bedingen sich
gegenseitig. Das Verhalten, mit
dem Bezugspersonen dem Kind
begegnen, hat sowohl Einfluss auf
seine Einstellungen und Gefühle
als auch auf seine Fähigkeit, sich
in schwierigen Lebenssituationen
zu behaupten (Resilienz). Ehrliches
Lob, Anerkennung und Hilfe zur

– 19 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Selbsthilfe machen Kinder stark und Schon dem Krippenkind ist das ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
vermitteln ihnen das grundlegende Erkennen und Erleben der eigenen
Gefühl von Achtung, Respekt und Wirksamkeit und Durchsetzungs- s 7IE GEHE ICH SELBST MIT MEINEN
Selbstwirksamkeit. Potenziell hat so- kraft wichtig. Überraschend viele Emotionen um? Welche erlaube ich
mit jede soziale Situation einen An- Interessenskonflikte werden in den mir zu zeigen? Welche Strategien
teil am Aufbau von Selbstvertrauen. ersten Lebensjahren durch lautstarke habe ich selbst entwickelt, um
Der Prozess, in dem die Reaktionen oder körperliche Auseinanderset- meine Emotionen zu regulieren?
und Haltungen der sozialen Umwelt zung geprägt. Für das Erlernen von
zum Wissen über sich selbst und zur Regeln sozialer Interaktion (Geben, s 7IE KÚNNEN WIR MIT +INDERN àBER
Wertschätzung der eigenen Person Nehmen, Tauschen und Teilen) ihre Gefühle reden? Wie können
verarbeitet werden, ist komplex und muss ein Kind viele und vielfältige wir ihnen helfen, ihre Gefühle zu
von lebenslanger Dauer. Erfahrungen machen. Wenn es dabei bewältigen?
Grenzen auslotet, muss es erleben,
Die soziale Entwicklung ist eng mit wie sich der eigene Wille mit dem s 'IBT ES %MOTIONEN DIE MAN BESSER
der emotionalen Entwicklung ver- Willen anderer und den Regeln des nicht zeigen sollte? Warum?
knüpft. Mit ihr lernen Kinder, lang- Miteinanders vereinbaren lassen.
fristige positive Beziehungen zu an- Neben Geduld benötigt die Fach- s 7IE GEBEN WIR +INDERN DAS 'EFàHL
deren aufzubauen. Sie lernen auch, kraft hier Klarheit in ihrem Handeln in ihrem Denken, Handeln und
eigene Ziele unter Berücksichtigung und das Bewusstsein, dass jedes Erleben als wichtig und kompetent
von allgemeingültigen Regeln und Kind nicht nur Autonomie, sondern wahrgenommen zu werden?
Normen zu erreichen. Sozial kompe- auch die Einbindung in sein soziales
tentes Handeln wird von Kindern vor Umfeld anstrebt. s -ACHE ICH EINEN 5NTERSCHIED
allem dann dauerhaft in das eigene zwischen Mädchen und Jungen,
Verhaltensrepertoire übernommen, Emotionale Entwicklung und sozi- wenn ich emotionale Entwicklung
wenn es im Einklang mit nachvoll- ales Lernen sind wichtige Schlüssel- begleite?
ziehbaren Wertorientierungen und kompetenzen, die sich im kindlichen
moralischen Leitvorstellungen steht, Spiel entfalten. Wenn ein Kind beim s 7ELCHE 2ITUALE IM !LLTAG UNSERER
die von Eltern und Erzieherinnen Wiederholen, Explorieren und Vari- Einrichtung vermitteln Kindern
vorgelebt werden. Auch Verhal- ieren seiner Handlungen Bezugsper- Sicherheit, Freude und ein positives
tensweisen von Kindern mit einem sonen einbeziehen kann, so fördert „Wir-Gefühl“?
ähnlichen Entwicklungsstand (Peers), dies den Erwerb sozialer Kompe-
die sich auf Augenhöhe begegnen, tenzen. Es lernt beispielsweise, ein s 7ORAN MERKE ICH OB EIN +IND BEIM
werden sehr oft übernommen, Spielzeug von einem anderen Kind Erleben von Gefühlen wie Glück,
insbesondere wenn Verhalten von zu erhalten, ohne es ihm gewaltsam Überraschung, Angst, Wut oder
Erfolg gekrönt ist. wegzunehmen. Trauer Begleitung benötigt?

Mit zunehmendem Alter suchen Mit wachsenden emotionalen und s 7IE NEHME ICH WAHR OB EIN +IND
Kinder immer mehr den Kontakt zu sozialen Fähigkeiten der Kinder gern oder ungern mit einem
anderen Kindern. Gemeinschaftli- entwickelt sich ihr Spiel zu immer anderen Kind spielt? Welche
che Rituale, die alle Kinder einbe- neuen Formen. Die Jüngsten verfol- Bedeutung hat das für mein
ziehen – zum Beispiel im Rahmen gen ihre Themen überwiegend im pädagogisches Handeln?
des Morgenkreises – fördern das Allein- oder Parallelspiel und suchen
„Wir-Gefühl“ in einer Kindergruppe. den gegenseitigen Blickkontakt. Mit s 7IE GEHT EIN +IND MIT +ONmIKTEN
In der gegenseitigen Nachahmung zunehmendem Alter finden erste um? Was bedeutet dies für meine
erleben sich Kinder als kompetent Kooperationsspiele statt, die sich pädagogische Arbeit?
und drücken Verbundenheit und dann zu Spielformen mit verteilten
Gleichartigkeit aus. Beziehun- Rollen entwickeln. s 7AS KANN ICH DAZU BEITRAGEN
gen zwischen Kindern sind daher damit Kinder ein positives Bild
wichtige Ressourcen für ihre soziale von sich selbst entwickeln? Wie
Entwicklung. gehe ich auf Kinder mit geringem
Selbstvertrauen ein?

s )NWIEFERN WIRKT SICH MEIN EIGENES


Selbstkonzept auf das Bildungs-
und Erziehungsgeschehen in der
Krippengruppe aus?

– 20 –
2. Entwicklung kognitiver Entwicklungsprozess in aktiver Aus-
Fähigkeiten und der Freude einandersetzung mit der natürlichen
am Lernen und sozialen Umwelt. Sie verläuft
eng verknüpft mit und in wechselsei-
Der Begriff der Kognition leitet sich tiger Abhängigkeit von anderen Ent-
aus dem lateinischen Verb „cog- wicklungsbereichen wie zum Beispiel
noscere“ ab, welches mit „erfah- der Entwicklung von Wahrnehmung,
ren, kennenlernen und erkennen“ Bewegung und Sprache. Ausgangs-
übersetzt wird. Er bezeichnet das punkt für die kognitive Entwicklung
menschliche Denken in einem um- ist die Bindung eines Kindes an seine
fassenden Sinn, von der Erfahrung Bezugspersonen. Je vielfältiger seine
über deren Verarbeitung bis hin Beziehungen zu Erwachsenen und
zu Erkenntnis und Wissen. Zu den anderen Kindern sind, desto diffe-
kognitiven Fähigkeiten als Grundla- renzierter können sich seine konkre-
ge für menschliches Denken zählen ten Handlungs- und Vorstellungswel-
unter anderem Aufmerksamkeit, ten und letztlich auch sein abstraktes
Konzentration, Erinnerung aber Denken entwickeln.
auch Kreativität, Planen, Schlussfol-
gern und die Vorstellungskraft. Der Bei nur wenige Monate alten
Erwerb kognitiver Fähigkeiten ist Kindern sind Dinge bzw. Objekte
ein wichtiger Bestandteil frühkind- und die darauf bezogenen Wahr-
licher Entwicklungsaufgaben und nehmungshandlungen noch eine
Bildungswege. Schritt für Schritt untrennbare Einheit. Im Denken des
entwickelt ein Kind das Denken als Kindes geht es noch nicht um den
„innerliches Handeln“ und kann sich Gegenstand als unabhängiges Ob-
auch mit Gegenständen, Personen jekt, sondern um die Erfahrungen,
und Situationen auseinandersetzen, die das Kind mit diesem Gegenstand
die nicht präsent sind. Mit Hilfe macht. Vertraute Handlungsabläufe
dieser Denkstrukturen kann ein Kind stützen dabei die Vorstellungs-
nun planen, bevor es handelt, und kraft. Wie reagiert der Gegenstand,
Vermutungen über das Ergebnis von wenn er berührt wird? Fühlt er sich
Abläufen und Handlungen anderer angenehm oder unangenehm an?
anstellen. Das Objekt als solches hört für den
Säugling auf zu existieren, wenn es
Die kognitive Entwicklung eines aus seinem Blickfeld verschwunden
Kindes verläuft vom konkreten, und damit seiner Wahrnehmung
handlungsnahen, egozentrischen entzogen ist.
hin zum abstrakten, theoretischen,
mehrperspektivischen Denken. Sie Die Einheit von Objekt und Hand-
ist ein vielschichtiger Reifungs- und lung löst sich im Laufe des ersten

– 21 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Lebensjahres auf. Kinder begreifen, der Entwicklung ihrer kognitiven Bewerten und Schlussfolgern. Die
dass Objekte eine von ihnen und Fähigkeiten. Das Anschauen von Entwicklung der Vorstellungskraft
ihren Handlungen unabhängige Bilderbüchern erhält in der frühkind- ermöglicht es Kindern, für Probleme
Existenz haben und sich auch nicht lichen Welterkundung eine wich- und selbstgestellte Herausforderun-
verändern, wenn sie vorübergehend tige Rolle. Zunächst geht es dabei gen kreative und bei Frustrationen
aus dem Wahrnehmungsbereich vor allem um das Wiedererkennen auch alternative Lösungswege zu
geraten. Sie wickeln Gegenstände vertrauter Objekte, die Erwachsene erdenken (Selbstregulation), sich in
in Tücher oder Papier und begreifen mit einem Namen benennen. Später andere Menschen hineinzuversetzen
handelnd: Wenn ich etwas verberge, erkennt das Kind auch einfache (Empathie) und zu erfahren, dass die
ist es immer noch da, obwohl ich es Zusammenhänge und Handlungs- eigenen Vorstellungen von anderen
nicht sehen kann. Sie transportieren abläufe in der Abbildung wieder: Menschen geteilt werden oder von
Dinge an einen anderen Ort und einem Baby werden die Windeln diesen abweichen können (Sozial-
stellen fest, dass der Gegenstand der gewechselt, ein Kind zieht sich kompetenz).
gleiche geblieben ist. Sie entwickeln Schuhe an. Kinder, die mit Bilderbü-
gedankliche „Vorstellungen“ von chern vertraut sind, verstehen schon Im Symbolspiel erschafft sich das
den Personen und Dingen ihrer Welt bald kleine Bildergeschichten und Kind eine eigene Wirklichkeit – ab-
und können auf diese zurückgreifen. können die Inhalte von Geschichten gekoppelt von der Realität und doch
Sie beginnen, gezielt nach einem auch selbst weiterentwickeln. Sie mit ihr in Verbindung bleibend: Der
Menschen oder einem Gegenstand erzeugen Vorstellungen, die sie im Baustein, der im Puppenspiel erst als
zu suchen. Sie merken, dass ein Gedächtnis abspeichern und immer Telefon, dann als Kamm und dann
Objekt von einer anderen Person wieder abrufen können. Kinder als Brot Verwendung findet, wird
gleichzeitig wahrgenommen werden lernen so, sich im Rahmen ihrer wieder zum Baustein, wenn das Spiel
kann und dass sie ihre Aufmerksam- Vorstellungskraft mit bestimmten beendet wird. Das Kind erfindet sei-
keit durch Zeige-Gesten mit anderen Zusammenhängen auseinander- ne inneren Vorstellungswelten nicht
Personen teilen können. Ein wich- zusetzen. Die betroffenen Dinge jedes Mal neu, sondern kann auf im
tiger Schritt zur Konstruktion einer oder Menschen müssen nicht mehr Gedächtnis abgespeicherte Spielse-
persönlichen Weltsicht ist vollbracht, anwesend sein. quenzen zurückgreifen, die in jedem
Grundlagen für die weitere Entwick- neuen Spiel mehr oder weniger stark
lung sprachbezogener Denkleistun- Die Sprachentwicklung gibt der verändert und angereichert werden.
gen sind gelegt. wachsenden Entfaltung kognitiver So erschafft ein Kind sich eine Fan-
Fähigkeiten Ausdruck. Mit dem Er- tasiewelt, die es ein Stück unabhän-
Mit zunehmendem Alter entwickelt lernen sprachlicher Begriffe verfügt giger von der Realität macht. Hier
das Kind immer differenziertere Vor- das Kind über ein abstraktes Symbol- gedeihen Kreativität und Einfalls-
stellungen von Dingen und Vorgän- system, mit dem Gegenstände durch reichtum. Hier kann ein Kind Ängste
gen. Sie sind zunächst bildhaft, kon- Laute beschrieben werden können. verarbeiten, Ohnmachtsgefühle
kret und anschaulich. Zunehmend Nun steht ein Wortsymbol für einen kompensieren und Wunschvorstel-
strukturieren Kinder ihr Wissen und Gegenstand und kann auch verwen- lungen verfolgen. Hier verarbeitet
bilden gedankliche Symbole und det werden, wenn der Gegenstand es Erlebtes und entwickelt seine
Kategorien, die die Gegenstände nicht gegenwärtig ist. Das Kind kognitiven Fähigkeiten.
der Umwelt in ihren wesentlichen lernt, sich mit seiner Vorstellungs-
Merkmalen beschreiben. Einer kraft aus der realen Welt zu lösen Die Handlungen eines Kindes im
Kirsche werden zum Beispiel die Ob- und sich rein gedanklich vorzustel- Symbolspiel bzw. „Als-ob-Spiel“
jekteigenschaften „rot, rund, saftig“ len, was es zum Beispiel mit einem zeigen, in welchem Umfang seine in-
zugeordnet. Eine Tasse, ein Becher nicht vorhandenen Ball tun könnte. neren Bilder wachsen, und spiegeln
und eine Flasche haben die Funkti- seine Vorstellungskraft. In einem
onseigenschaft „Trinkbehälter“. Ein Die individuelle Weltsicht prägt das ersten Schritt vollziehen Kinder zu-
Adler und ein Spatz können beide Handeln eines Kindes. Seine kogni- nächst spielerisch die Handlungen an
der Kategorie „Vogel“ zugeordnet tiven Fähigkeiten ermöglichen Aus- sich selbst, die sie bereits aus ihrem
werden. Auf diesem Weg zum abs- tauschprozesse und Wechselwirkun- Alltag kennen. Sie tun zum Beispiel
trakten Denken lernt ein Kind auch, gen zwischen der äußeren Welt von so, als ob sie sich schlafen legen.
sich als „Mädchen“ oder „Junge“ Sinneseindrücken und Erfahrungen Später übertragen sie diese Hand-
zu unterscheiden und später durch mit der inneren Welt von Vorstel- lungen auf andere Gegenstände
Nachahmung und andere Aneig- lungen und Gefühlen. Sie beeinflus- und Personen. Zunehmend werden
nungsprozesse seine individuelle sen die Verarbeitungsmuster von Spielhandlungen geplant und finden
Geschlechterrolle aufzubauen. Wahrnehmung, die Erweiterung von nicht mehr nur rein zufällig statt.
Wissensbeständen, die Herstellung Im Laufe der weiteren Entwicklung
Das Interesse von Kindern an Abbil- und Interpretation von Zusammen- beginnen Kinder, ganze Szenen ihres
dungen aller Art wächst parallel zu hängen und damit das Erklären, Alltags nachzuspielen.

– 22 –
ANREGUNGEN ZUR REFLEXION 3. Körper, Bewegung und In der Erprobung des eigenen Kör-
Gesundheit pers entwickeln Kinder ihre motori-
s 7ELCHE 3PIELE UND schen Kompetenzen. Sie lernen, sich
Handlungsabläufe verfolgen Körper und Bewegung gegen die Schwerkraft zu behaup-
Kinder mit welchen Interessen? ten, sich fortzubewegen und gezielt
Was bedeutet das für die Planung Bewegung ist die Voraussetzung für auf die Umwelt einzuwirken. Sie
des pädagogischen Alltags in der Bildung, denn Erfahrungen lassen lernen, den Dingen auf den Grund
Krippengruppe? sich nur in einer bewegten Ausein- zu gehen, Grenzen zu erfahren,
andersetzung mit der Umwelt ma- Schwierigkeiten zu überwinden und
s 7AS SIND GàNSTIGE "EDINGUNGEN chen. Das Greifen wird zum Begrei- selbständig zu werden. Sie spüren ih-
damit sich Kinder auf etwas fen und Ergreifen, das Fassen zum ren Körper bei der Veränderung von
Neues einlassen und sich damit Befassen und Erfassen. Die Entwick- Atmung, Herzschlag und Schwitzen.
konzentriert auseinandersetzen? lung von motorischen Fähigkeiten Motorische Entwicklungsfortschritte
eröffnet immer auch neue Horizonte erleben Kinder dabei ganz bewusst:
s 7IE KÚNNEN WIR DIE 4HEMEN UND für Fühlen, Wahrnehmen, Handeln zum ersten Mal allein durch den
Interessen eines Kindes ergründen? und Denken. Kriechen, Rutschen Raum laufen, auf einen Stuhl klet-
und Rennen befähigen nicht nur zur tern können, mit dem Roller fahren.
s 7IE KÚNNEN WIR EIN +IND Beherrschung des eigenen Körpers, Körpererfahrungen sind immer auch
ermutigen, diese auf immer neue sondern ermöglichen auch Erfahrun- Selbsterfahrungen. Sie stärken die
Art und Weise zu verfolgen? gen für die Entwicklung neuer, abs- Selbstständigkeit, das Selbstbewusst-
trakter Denkstrukturen. Die Bedeu- sein und die Unabhängigkeit eines
s 7O lNDEN SICH IN UNSEREM tung von Begriffen wie „hinein“ und Kindes, denn sie sind mit einem
Krippenalltag Fantasie, Magie, „hinaus“, „hoch“ und „herunter“ hohen Maß an erlebter Selbstwirk-
Wissenschaft und Traum? erfahren und lernen kleine Kinder samkeit verbunden.
in Bewegung. In gleicher Weise
s 7ELCHE -ÚGLICHKEITEN FàR SINNLICHE wird das spätere Erlernen komple- Die Gestaltung und Nutzung von
Wahrnehmung, Experimentieren, xer Bewegungsabfolgen (Turnen, Innen- und Außenräumen in Ein-
Bauen und Konstruieren bieten Radfahren) dadurch bedingt, dass richtungen für Kinder unter drei
wir den Kindern in unserer ein Kind seine Bewegungsabfolgen Jahren sind darauf ausgerichtet, die
Einrichtung? planen kann. motorische Entwicklung eines Kindes
anzuregen. Rennstrecken, Kletter-
s 7AS LÊDT ZUM !USPROBIEREN Wie Essen, Trinken und Schlafen ist bereiche und Bodenspielflächen
Zweckentfremden und Umbauen, Bewegung ein Grundbedürfnis und sollten daher immer verfügbar sein.
zum Ein- und Auswickeln, damit Voraussetzung für die körper- Grobmotorische Bewegungsmuster
Verstecken, Stapeln, Sortieren, liche, geistige und seelische Ent- wie Strampeln, Krabbeln, Kriechen,
Rollen oder Sortieren ein? wicklung eines Kindes und für sein Hüpfen und Laufen können durch
gesundes Aufwachsen. Das Bedürfnis interessante Kletterlandschaften und
s 7IE WERDEN WIR MIT UNSEREN von Kindern nach Bewegung ist über Bewegungsspiele gefördert werden.
Angeboten den unterschiedlichen den Tag verteilt sehr unterschiedlich. Erfahrungen von Schaukeln, Klettern
Entwicklungsstufen von Kindern Jedes Kind braucht sein Maß an und Fallenlassen bilden die Grund-
zwischen 0 und 3 Jahren gerecht? Bewegung und muss dieses im Laufe lage für eine gute Körperbeherr-
des Tages gemäß seinem individu- schung. Im bewegten Spiel mit Bäl-
s 7IE NEHMEN WIR BESONDERE ellen Bedarf ausleben können. In len, Papier oder anderen Materialien
Begabungen wahr und gehen auf gleicher Weise braucht es sein indivi- sowie Gebrauchs- und Haushaltsge-
diese ein? duelles Maß an Ruhephasen, um sich genständen können Kinder feinmo-
nach bewegungsintensiven Phasen torische Fähigkeiten von Händen
wieder zu erholen und Erlebtes zu und Fingern wie Greifen, Loslassen,
verarbeiten. Schütteln und Rollen, Einfüllen, Auf-
und Zumachen erproben.

Gut gemeinte Hilfestellungen för-


dern nicht die motorische Entwick-
lung, sondern bergen die Gefahr von
Verunsicherung. Niemand muss Kin-
dern zeigen, wie sie Krabbeln, Sit-
zen, Aufstehen oder Laufen lernen
können. Kinder können sich selbst
die Aufgaben stellen, die sie für das

– 23 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Erreichen ihrer nächsten Entwick-


lungsschritte bewältigen müssen.
Um ihre körperlichen Fähigkeiten in
der ganzen Bandbreite zu entfalten,
brauchen Kinder allerdings einen
abwechslungsreichen Bewegungs-
raum mit vielfältigen Übungs- und
Erfahrungsmöglichkeiten, in dem
Möglichkeiten und Grenzen von
Körperbeherrschung getestet wer-
den können.

Je mehr Gelegenheiten ein Kind zum


Üben und Ausprobieren hat, desto
sicherer und geschickter wird es mit
seinem Körper umgehen. Für ein
Baby heißt das, möglichst oft auf ei-
ner Krabbeldecke kräftig strampeln
zu dürfen. Interessante Gegenstän-
de wie Bälle oder an einer Schnur
aufgehängte Alltagsgegenstände
bieten Anregungen, um die Greifsi-
cherheit der Hände und die Trittsi-
cherheit der Füße zu verbessern. Sie
sollten knapp erreichbar sein, damit
das Kind als Ergebnis seiner Anstren- einschränken, sollten in Kinderta- eigene Art der Fortbewegung bevor
gungen Selbstwirksamkeit erfahren geseinrichtungen mit Bedacht und sie laufen lernen. Sie schlängeln, rut-
kann. Für robbende und krabbelnde nur aus gutem Grund eingesetzt schen oder rollen. Und nicht nur das:
Kinder sollte im Gruppenraum viel werden. Kinder brauchen Freiraum, viele Kinder durchlaufen innerhalb
freie Fläche zur Verfügung stehen. um ihre motorischen Fähigkeiten von zwei Monaten mehrere Ent-
Räume, die mit Mobiliar oder Spiel- zu entwickeln. Dieser sollte nicht wicklungsschritte der Körpermotorik
zeug überfrachtet sind, hemmen unnötig eingeschränkt werden. fast nebeneinander, andere tun dies
den Bewegungsdrang. Sicherheitsvorkehrungen zur Unfall- Schritt für Schritt über einen länge-
verhütung sind so zu konzipieren, ren Zeitraum.
Flache Podeste und schräge Ebenen dass sie diesem Umstand Rechnung
ermöglichen Kindern, Höhenun- tragen. Fachkräfte beobachten, was Der Erwerb motorischer Fähigkeiten
terschiede zu erfahren und Entfer- sich Kinder selbst zutrauen und was ist eine zentrale Bildungsaufgabe
nungen abzuschätzen. Freies Sitzen, sie tatsächlich bewältigen. Wenn und Voraussetzung für die Bewälti-
Kopfhaltung und Gleichgewicht sind ein Kind über seine Möglichkeiten gung weiterer Entwicklungsschrit-
bei Tanz- und Singspielen gefordert. hinausgeht und unsicher wird, so te. Ein immer größer werdender
Für das Erlernen des Aufrichtens sind sie in erreichbarer Nähe, um Bewegungsradius erlaubt es dem
und sicheren Stehens sind gut zu gegebenenfalls helfend eingreifen Kind, neue Herausforderungen und
greifende Aufrichtungsmöglichkei- zu können. Schwierigkeiten zu überwinden. Es
ten geeignet, die keine Gefahren- kann immer mehr erreichen, auspro-
quellen darstellen. Auch nach der In der Entwicklung ihrer Beweglich- bieren und selbstständig tun. Damit
Bewältigung des sicheren Gangs keit zeigen Kinder große Unterschie- verbunden sind Erfolgserlebnisse,
hört die Aneignung von weiteren de. Manche beginnen schon zeitig die Freude, Befriedigung, Stolz und
Bewegungsfertigkeiten nicht auf: mit dem freien Sitzen, andere tun Selbstbestätigung hervorrufen. Dies
Rückwärts Laufen, im Kreis Drehen, dies erst sehr viel später. Viele Kinder wiederum stärkt die Entwicklung
Treppen Steigen, Hüpfen und Sprin- rollen sich schon sehr früh auf die eines positiven Selbstkonzeptes, die
gen, auf einem Bein Stehen und Seite in eine andere Lage, andere Geduld und die Ausdauer. Auf ei-
Balancieren sind nur einige Beispiele tun dies erst gegen Ende des ersten genen Beinen stehen und gehen zu
für Entwicklungsaufgaben bis hinein Lebensjahres. Die meisten Kinder können, eröffnet einem Kind neue,
ins Kindergartenalter. erlernen das freie Gehen über die ungeahnte Erlebniswelten. Seinem
Vorstufen des Robbens und des Wahrnehmen und Denken eröffnen
Schalensitze, Babywippen und Hoch- Kriechens auf allen vieren. Andere sich ganz neue Perspektiven.
stühle und andere Vorrichtungen, lassen diese Zwischenstufen aus.
die die freie Bewegung von Kindern Einige Kinder entwickeln ihre ganz

– 24 –
Gesundheit und Ernährung Das Kind erlebt in seinen ersten ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
zwei Lebensjahren drei Ernährungs-
Voraussetzungen für die körperliche phasen: Die Still- und Trinkphase, in s 7ELCHE "EWEGUNGSIMPULSE GEHEN
Entwicklung und Gesundheit von der es Muttermilch oder adaptierte von unserer Raumgestaltung aus?
Kindern sind nicht nur eine ausrei- Säuglingsmilch zu sich nimmt. Mit
chende Bewegung in Verbindung der Milch-B(r)eikostphase beginnt s 7ELCHE !NGEBOTE
mit Ruhephasen, sondern auch eine der Prozess des Essenlernens. Kinder vergrößern Übungs- und
ausgewogene Ernährung. Regelmä- lernen, zwischen Hungergefühlen Erfahrungsmöglichkeiten für
ßige Pflegehandlungen wie Hände- und anderen Gefühlen zu unter- die motorische Entwicklung von
waschen und Zähneputzen vermit- schieden. Wenn Säuglinge Hunger Kindern?
teln ein erstes Hygieneverständnis. verspüren, bedeutet das existentielle
Kinder begreifen die Zusammenhän- Not. Ablenkung vom Hunger hilft s 7ELCHE #HANCEN BIETEN
ge zwischen Bewegung, Ernährung nur selten und - wenn überhaupt - der Innenbereich und der
und Gesundheit am besten, wenn nur kurz. Gegen Ende des ersten Le- Außenbereich, damit Kinder ihre
diese im Ablauf des pädagogischen bensjahres benötigen Kinder keine motorischen Fähigkeiten erproben
Alltags der Kindertageseinrichtung Säuglingskost mehr, ihr Essensrhyth- und entwickeln können?
verankert sind und in einer ent- mus gleicht sich den Essenszeiten
spannten, kommunikativen Atmo- der Gruppe an. Kinder hören auf zu s 7IE REAGIEREN WIR AUF DEN
sphäre stattfinden. essen, wenn sie satt sind. Dies sollte Wagemut von Kindern? Wann
respektiert werden. Phasen von Nah- greifen wir ein, wann halten wir
Ziel der ernährungspädagogischen rungsspezialisierung, auch farbliche uns zurück, wann leisten wir Hilfe?
Arbeit ist es, Kindern die Signale ih- Ab- und Zuneigung, sind normal
res Körpers zu vermitteln und sie zu und gehen umso schneller vorbei, je s 7IE KANN DEM INDIVIDUELLEN
einem regelmäßigen, verantwortli- gelassener die Erwachsenen bleiben Rhythmus jedes Kindes im
chen und selbstbestimmten Umgang und sich nicht abschrecken lassen, Hinblick auf seine Aktivitäts- und
mit Essen und Trinken zu befähigen. weiterhin zu abwechslungsreichem Ruhephasen Rechnung getragen
Für Säuglinge und sehr kleine Kinder Essen zu ermutigen. werden?
müssen die gesunden Mahlzeiten
gemäß ihrem individuellen Tages- Essen und Trinken sind nicht nur s )N WELCHEM KÚRPERLICHEN :USTAND
rhythmus angeboten werden. Die für das körperliche und emotiona- ist ein Kind? Auf welche Signale ist
Hilfe beim Essen sollte mit etwas le Wohlbefinden wichtig, sondern zu achten?
Ruhe und Zeit als beziehungsför- bieten auch unzählige Bildungssitu-
dernde Pflege gestaltet werden. ationen. Die Zubereitung und der s 7IE STELLEN WIR EINE GESUNDE UND
Ein Kind, das längere Zeit frei sitzen Verzehr von abwechslungsreichen abwechslungsreiche Ernährung in
kann, kann seine Mahlzeiten dann Speisen stillen nicht nur Hunger, unserer Kita sicher?
gemeinsam mit den anderen Kin- sondern bieten Kindern vielfältige
dern am Tisch einnehmen. Nicht nur Anregungen zum Fühlen, Riechen s 7IE ERMÚGLICHEN WIR +INDERN EINE
für ältere Kinder sind feste Mahl- und Schmecken wie auch zum gesunde Haltung zum Essen?
zeiten ohne Essenszwang Teil eines Experimentieren mit unterschied-
verlässlichen Tagesablaufs. lichen Küchenutensilien. Das Essen
mit Besteck fordert die feinmoto-
rischen Fähigkeiten heraus. Kinder
merken, dass sie eigene Vorlieben
für Nahrungsmittel haben, die von
anderen Kindern geteilt oder auch
nicht geteilt werden. Gemeinsam Es-
sen stärkt das Zugehörigkeitsgefühl
zur Gruppe und bietet vielfältige
Bildungs- und Sprechanlässe - zum
Beispiel zu Geschmack, Herkunft
oder Temperatur von Nahrungsmit-
teln.

– 25 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

4. Kommunikation, Sprache ler Kommunikations- und Interakti-


und Sprechen onsprozesse systematisch mitgedacht
werden.
Die Fähigkeit, Sprache(n) zu erwer-
ben, ist Teil der genetischen Veran- Ausgangspunkte für die frühkindli-
lagung eines Menschen. Das Gehirn che Sprachentwicklung sind Zuwen-
eines Kleinkindes ist von Natur dung, Kommunikation und Dialog.
aus darauf vorbereitet, sprachliche Die Fachkraft signalisiert dem Kind:
Muster zu entdecken sowie Regeln Ich nehme dich wahr, ich höre dir
zu bilden und zu verfeinern. Schon zu, ich möchte dir etwas sagen. Sie
die Kleinsten verstehen viel. Bevor spricht Dinge an, die die Kinder
Kinder selbst erste Wörter ausspre- beschäftigen. Ihr Tonfall signalisiert
chen (Sprachfähigkeit), verfügen sie dabei Interesse und Zuwendung. In
bereits über einen passiven Wort- ihrer Rolle als Sprachvorbild wählt
schatz. Sie zeigen durch ihre Blick- sie vollständige, grammatikalisch
richtung oder ihr Verhalten, dass sie richtige und kurze Sätze, deren Ni-
eine Mitteilung oder eine Aufforde- veau sich am Sprachverständnis des
rung verstehen können (Sprachver- Kindes und nicht an seiner sprachli-
ständnis). chen Ausdrucksfähigkeit orientiert.
Ein Kind kann zunächst zentrale
Die Entwicklung der Sprachfähigkeit Wörter und wortwörtliche Aussagen
ist kein linearer Prozess, sondern eines Satzes erfassen. Negierungen
macht Pausen, die manchmal wie („wir gehen nicht zum Spielplatz“)
Rückschritte wirken. In welchem oder Ironie („natürlich gehen wir im-
Alter ein Kind das erste Wort klar mer zur Essenszeit zum Spielplatz“)
und deutlich sprechen kann, ist sind für kleine Kinder daher schwer
von Kind zu Kind verschieden. Die verständlich.
Sprachentwicklung verläuft indivi-
duell so unterschiedlich, dass in den Durch die sprachliche Begleitung von
ersten drei Lebensjahren nur schwer Pflege-, Spiel- und Alltagssituationen
von einer altersgemäßen Entwick- mit Mimik, Gestik, einfachen Sätzen,
lung gesprochen werden kann. Für das Singen von Liedern, das Vorlesen
die ersten Lebensjahre gilt jedoch: von Büchern sowie Gespräche über Schon lange bevor ein Kind zu
Zuerst kommt das Denken, dann das Bilder, Fotos vertrauter Personen sprechen beginnt, ist es „ganz Ohr“.
Verstehen und schließlich das Spre- oder Ereignisse aus dem Alltag der Bevor es die genaue Bedeutung von
chen. Sprachbildung ist daher eng Kindertageseinrichtung schafft eine Worten versteht, erkennt es bereits
verzahnt mit allen anderen Lern- pädagogische Fachkraft Kommu- Haltungen und Gefühle, die mit den
und Bildungsprozessen der frühen nikations- und Sprachanlässe, die Äußerungen seiner Bezugspersonen
Kindheit. Anregungen für sprachliche Entwick- verbunden sind. Hören und Zuhören
lung eines Kindes sind. Auch Reime, ist ein wichtiger Aspekt des Spra-
Auch wenn die Fähigkeit zum Spra- Lieder und Fingerspiele – also eine cherwerbs. Die Wahrnehmungska-
cherwerb angeboren ist, können betonte Sprache in Verbindung mit pazitäten eines Kindes sollten nicht
Sprache und Sprechen nur in der weiteren sinnlichen Reizen, Bewe- überfordert werden. Bei zu viel Lärm
direkten Interaktion mit anderen gung und Handlung - unterstützen und Hintergrundgeräuschen in einer
Menschen erlernt werden. Jedes die Kinder in ihrem Spracherwerb. Kindergruppe können sprachliche
Bemühen um die Förderung von Anreize verloren gehen.
Sprachverständnis und Sprachent-
wicklung setzt voraus, dass Kinder
unter Einbeziehung aller Sinne in
kommunikative Prozesse einbezo-
gen werden. Sprachbildung beruht
daher auf guten Sprachvorbildern,
beziehungsvoller Interaktion und
dem kommunikativen Miteinander
im Alltag der Kindertageseinrich-
tung. Sie ist kein zusätzliches und
periodisch stattfindendes Angebot,
sondern muss bei der Gestaltung al-

– 26 –
Wenn sich Erwachsene in Dia-
logform auf die Ausdrucks- und
Wahrnehmungsfähigkeiten eines
Kindes einlassen, dann wird dieses
mit jeder Unterhaltung etwas mehr
mit Sprache vertraut. Für ein Kind ist
es eine wichtige Erkenntnis, dass es
durch das Zeigen auf einen Ball die
Bezugsperson für ein gemeinsames
Spiel gewinnen kann. Erwachsene
können den Worterwerb fördern,
indem sie Gegenstände, die das Kind
mit seinem Blick fixiert, benennen:
„Schau mal, da ist ein Ball! Wenn ich
den Ball anstoße, rollt der Ball zu dir.
Hast du gesehen, wie schnell der Ball
zu dir gerollt ist?“

Kinder sind emotional und kognitiv


darauf angewiesen, dass Bezugsper-
sonen auf ihre Kommunikationsver-
suche reagieren. Deren Äußerungen
regen wiederum zur Nachahmung
an. Fachkräfte müssen daher fähig
und bereit sein, kindliche Äußerun-
gen zu erfassen und diese in ihrer
Kommunikation aufzugreifen - auch
durch Nachfragen und Vergewissern.
Dabei geht es vor allem darum, Kin-
dern ein echtes Interesse entgegen
zu bringen, sie verstehen zu wollen
und sie ernst zu nehmen. Kinder
Den ersten verbalen Äußerungen Kommunikation, der Aufbau sozi- wollen keine Vokabeln lernen,
muss die Entwicklung feinmotori- aler Beziehungen, der Erwerb von sondern mit ihrer Kommunikation
scher Kompetenzen vorausgehen. Kenntnissen aus allen Lebensberei- etwas bewirken. Nur wenn sich Spra-
Die stetige Wiederholung von chen und der Spracherwerb sind eng che für Kinder als Werkzeug für Ver-
Reimen und Liedern im Krippen- miteinander verflochten. Um das ständigung und Denken bewährt,
alltag ermöglicht das spielerische kommunikative Verhalten von Kin- werden sie dieses auch nutzen und
Verbinden von Atmung, Stimme und dern und Erwachsenen zu verstehen, weiterentwickeln.
Rhythmusgefühl zu sprachlichen genügt es nicht, nur verbale Äuße-
Bewegungsabläufen und damit die rungen zu betrachten. Kinder teilen Wenn Kinder bereit sind, eine
Sprechfertigkeit. Die Kinder begin- sich auf vielfältige Weise mit. In die- Vielzahl neuer Wörter zu lernen,
nen, Mund- und Lippenbewegungen sem Sinne spricht man auch von den dann sollten Bezugspersonen darauf
nachzuahmen und Laute zu bilden. 100 Sprachen der Kinder. Fachkräfte achten, was die Aufmerksamkeit der
Erste Lautverbindungen bzw. „Lall- gehen mit den auch ihnen eigenen Kinder fesselt und die frühkindliche
monologe“ sind daher vor allem ein 100 Sprachen verbal und non-verbal Welterkundung als Gesprächsanlässe
spielerisches Training der kindlichen auf das ein, was Kinder durch ihre nutzen. Wenn Erwachsene Kindern
Sprechwerkzeuge, das auf Erwachse- Körpersprache, Mimik, Gestik oder neue Wörter und Begriffe anbieten,
ne gleichzeitig eine kommunikative auch Schreien mitteilen möchten. Sie dann sollten die bezeichneten Dinge
Signalwirkung ausübt. Sie gehen erschließen sich durch die Beachtung mit möglichst vielen Sinnen spürbar
fließend in Lautbildungen und die von kindlichen Reaktionen oder sein. Begriffe wie „warm“, „kalt“,
Nachahmung erster Worte über. auch durch aufmerksames und ge- „glatt“ oder „rau“ bleiben ohne
duldiges Zuhören, welche Absichten Sinn, wenn sie nicht über die Haut
und Gefühle Kinder mit körperlicher gefühlt oder mit Mund bzw. Händen
Aktivität oder mit ihren Worten ertastet werden. Die Bedeutung von
ausdrücken möchten. „oben“, „unten“, „eng“, „weit“,
„vorne“ und „hinten“ erleben
Kinder erst, wenn sie sich bewegen.

– 27 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Sie verinnerlichen, was „Ball haben“ Für Kinder, in deren Familien kein ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
bedeutet, wenn sie ihn auch sehen, oder nur wenig Deutsch gesprochen
fühlen und mit ihm spielen können. wird, ist die Kindertageseinrichtung s 7ORAUF KOMMT ES BEI DER
So verknüpfen sie Eigenschaften, ein wichtiger Erfahrungsraum, um in Gestaltung von Kommunikation,
Beziehungen und funktionale die deutsche Sprache hineinzuwach- Dialog und Interaktion mit Kindern
Merkmale zu Begriffen. Ohne diese sen. Die verschiedenen Sprachwel- an?
Erfahrungen bleiben Wörter arm an ten sollten dabei nicht miteinander
Bedeutung. konkurrieren oder unterschiedlich s 7ARUM KOMME ICH MIT +INDERN INS
bewertet werden. Eltern mit nicht- Gespräch?
Kinder wollen mit ihrer Kommuni- deutscher Herkunftssprache sind in
kation Wirkung erzielen, Spracher- der Pflicht, Kindern einen positiven s 7IE KOMME ICH MIT +INDERN INS
werb ist ein Mittel für diesen Zweck. Zugang zur deutschen Sprache zu Gespräch?
Erwachsene gehen darauf ein, was ermöglichen. Fachkräfte in Kinder-
ein Kind mitteilen möchte und nicht, tageseinrichtungen wissen, dass die s 7ELCHE (ALTUNG PRÊGT
wie es sich äußert. Sie unterbrechen Familiensprache eng mit dem Selbst- meine Beziehung und meine
kein Gespräch, um eine sprachliche bild und der Identitätsentwicklung Kommunikation mit einem Kind?
Äußerung zu verbessern. Kinder eines Menschen verknüpft ist und
benötigen eine positive und moti- geachtet werden muss. Mehrsprachi- s 7ELCHEN 6ERLAUF NEHMEN MEINE
vierende Reaktion auf ihre Kommu- ges Aufwachsen ist kein Hindernis, Gespräche mit Kindern?
nikationsversuche, um Sprache als um gutes Deutsch zu erwerben.
Medium für Dialog und Verständi- Gerade in der frühesten Kindheit s 7IE MOTIVIERE ICH +INDER SICH ZU
gung zu erfahren. Wenn ein Kind können Kinder mehrere Sprachen äußern? Wie unterstütze ich Hören
sagt „Hund macht wauwau“, so ist gleichzeitig erwerben. Dies fördert und Zuhören?
die Reaktion „Das heißt bellen!“ we- sogar die Flexibilität im sprachlichen
niger sprachbildend als die positive Denken eines Kindes und damit auch s 7IE FàLLE ICH MEINE 2OLLE ALS
Verstärkung seiner Aussage und die seine kognitive Entwicklung. sprachliches Vorbild? Wie reagiere
Fortführung des Dialogs durch die ich auf sprachliche Fehler?
Antwort: „Ja, der Hund bellt.“
s 7IE SYSTEMATISCH WIRD DIE !UFGABE
So wie Kinder mit Gegenständen der Sprachbildung in den Pflege-,
spielen, spielen sie auch mit ihrer Spiel- und Alltagssituationen der
Sprache. Aufgrund dessen, was Kindertageseinrichtung verfolgt?
sie hören, stellen sie Regeln über
den Gebrauch von Sprache auf. Sie s 7IE GEHEN WIR AUF +INDER EIN DIE
experimentieren mit ihrer Stimme, mehrsprachig Aufwachsen?
mit Mimik, Gestik, Worten und
grammatikalischen Strukturen. Sie
freuen sich, wenn sie unbekanntes
Terrain erobern und dabei etwas
für sie Neues ausdrücken können.
Fantasie und Vielfalt prägen dabei
ihre Ausdrucksweisen. Fachkräfte
gehen auf die spielende Erforschung
der sprachlichen Welt ein, bekunden
ihr Interesse an kreativen Äuße-
rungen und Wortschöpfungen und
bieten Kindern als Gesprächsvorbild
immer wieder neue Wörter und
Satzstrukturen an. Ausgehend vom
jeweiligen Sprachverständnis eines
Kindes gehen sie auf seine Interessen
ein. Sprachbildung ist damit immer
Teil der Vermittlung von Weltwis-
sen. Kinder, die immer komplexe-
re Alltagssituationen in Sprache
ausdrücken können, bringen über
Sprache Ordnung in ihr Handeln und
Denken.

– 28 –
5. Lebenspraktische Wenn ein Kind bereit ist, etwas Bei der Gestaltung von Bildungs-
Kompetenzen selbst zu machen, zeigt es dies in situationen geben Fachkräfte den
der Regel recht deutlich. Es beginnt, Kindern Zeit und Freiräume, um
Selbstständig werden ist für Kin- bestimmte Handlungen spielerisch zunächst selbst Erfahrungen für die
der unter drei Jahren eine zentrale nachzuahmen oder bekundet sein eigenständige Bewältigung ihres
Bildungsaufgabe und ein Bildungs- Interesse an bestimmten Tätigkeiten. Alltags zu machen. Sie helfen dort,
ziel, das bereits in ihrem Autono- Wenn ein Kind versucht, einen Brei- wo ein Kind Unterstützung benötigt,
miebestreben verankert ist. Kinder löffel vom Teller zum Mund zu füh- und vermeiden unnötige Hilfestel-
haben den unbedingten Willen, die ren, so ist das ein deutlicher Hinweis, lungen, zum Beispiel beim Essen
Welt zu erobern. Sie erleben in ihren dass es nun lernen möchte, allein zu oder Zähneputzen. Sie sind sich
Aktivitäten, dass sie imstande sind, essen. Diesen Lernprozess begleiten bewusst: Übung macht den Meister!
etwas zu leisten. Sie wollen dabei Fachkräfte mit Geduld und Gelas- Je zufriedener, selbstbewusster und
selbstständig entscheiden und han- senheit. Sie haben Vertrauen in die eigenständiger ein Kind handeln
deln. Sie wollen ihren Alltag selbst- wachsenden Fähigkeiten des Kindes, kann, desto mehr Entlastung bedeu-
bestimmt bewältigen und nicht nur geben ausreichende Gelegenheit tet dies mittelfristig auch für die Ar-
passiv gefüttert, angezogen oder zum Ausprobieren und sehen kleine- beit von pädagogischen Fachkräften.
gewaschen werden. Sie fordern: Hilf re Pannen als normale Übungssitu-
mir, es selbst zu tun! Das Erfahrungs- ation. Sie wissen: Der Entwicklungs- Essen und Trinken sind gerade für
feld Lebenspraxis hat daher für die schritt vom „Versorgt-Werden“ hin kleine Kinder sehr anspruchsvol-
Bildung, Erziehung und Betreuung zum „Sich-selbst-versorgen-Können le Herausforderungen, die volle
von Kindern eine hohe Bedeutung, und -Wollen“ ermöglicht es Kindern, Konzentration erfordern. Sinnes-
eine Fülle von Lernsituationen erge- sich als aktiv und kompetent zu er- eindrücke werden verarbeitet,
ben sich im Alltag der Kindertages- fahren und ist damit Ausgangspunkt feinmotorische Herausforderun-
einrichtung. für die Entwicklung eines positiven gen bewältigt. Zum Zeitpunkt der
Selbstbildes. Mahlzeit sollten Kinder daher weder
Kinder erschließen sich in der Regel zu hungrig noch zu müde sein. Bei
ihre lebenspraktischen Kompeten- Zu spüren, bei welchen Aktivitäten den ersten Essversuchen sehr kleiner
zen im Umgang mit erwachsenen das Kind bereit und kompetent ist Krippenkinder wird sicher nicht alles
Bezugspersonen und anderen und wo es noch auf Fürsorge ange- gelingen und das Kind wird auch
Kindern ganz von selbst. Über wiesen ist, gehört zu den täglichen nicht ausreichend satt. Während es
Nachahmung lernen sie die Ausfüh- Aufgaben von pädagogischen Fach- noch mit dem Löffel spielt, wird der
rung von Alltagshandlungen, den kräften. Sie erkennen, was Kinder in Hunger stärker, das Interesse am Löf-
funktionellen Gebrauch von Gegen- ihrer Entwicklung unterstützt oder fel lässt nach. Nun kann das Kind bei
ständen und die mit ihrer Nutzung wo Gefahren abgewendet werden der Nahrungsaufnahme unterstützt
verbundenen Fertigkeiten. Ein müssen. Verlangen Bezugspersonen werden. Im Zuge seiner kognitiven,
wesentliches Merkmal der Gestal- vom Kind eine Tätigkeit, die es noch motorischen und Ich-Entwicklung
tung von Lern- und Bildungsprozes- nicht ausführen kann, überfordern wird sich ein Kind hier immer stärker
sen im lebenspraktischen Bereich ist sie es. Hindern sie Kinder - zum von der Hilfe der Erwachsenen lösen
daher, dass Erwachsene Kinder an Beispiel aus Zeitdruck oder anderen wollen und neue Kompetenzen mit
ihren Tätigkeiten beteiligen und die Gründen – daran, ihre Alltagshand- Stolz zur Anwendung bringen.
Beiträge der Kinder als kompetente lungen selbst auszuführen, so ent-
Unterstützung werten. mutigen sie ihren Drang nach Selbst- Jede Pflegesituation ist für das Kind
ständigkeit. Wollen Kinder wegen eine Lern- und Übungssituation für
anderer Grundbedürfnisse wie Ruhe lebenspraktische Kompetenzen. Die
oder Zuwendung nicht selbst tätig achtsame Pflegepraxis passt sich an
sein, so müssen Fachkräfte zunächst die zunehmenden Fähigkeiten des
auf diese Bedürfnisse eingehen. Kindes an. Bereits auf dem Wickel-
tisch können Kinder ausprobieren,
wie man Windeln öffnet und sich
aus- und wieder anzieht. Das Erfolgs-
erlebnis, etwas alleine geschafft zu
haben, ist wichtiger als der perfekte
Sitz der Kleidung. Beim Anziehen
werden nicht nur Bewegungsfer-
tigkeiten geübt, auch andere Dinge
sind zu lernen: es gibt rechte und
linke Schuhe, Kleidung hat eine
Vorder- und Rückseite, Kleidungsver-

– 29 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

schlüsse müssen auf- und zugemacht ANREGUNGEN ZUR REFLEXION 6. Mathematisches


werden. Grundverständnis
s 7IE KÚNNEN WIR !LLTAGSSITUATIONEN
In welchem Tempo Kinder einen be- so gestalten, dass kleine Kinder Erstes mathematisches Denken
stimmten Grad an Selbstständigkeit daran teilhaben können, ohne bedeutet, Strukturen und Gesetzmä-
erwerben ist individuell sehr unter- über- oder unterfordert zu ßigkeiten zu erkennen und Dinge
schiedlich. Die Zeiträume, in denen werden? miteinander in Beziehung zu setzen.
sie sich entsprechende Fähigkeiten Eine der ersten und wichtigsten
aneignen, sind weit gesteckt und an s 7ELCHE (ERAUSFORDERUNGEN Denkleistungen des Säuglings be-
innere Reifungsvorgänge gebunden, bieten wir Kindern, damit sie steht darin, die Welt in verstehbaren
die sich von außen nicht beschleu- ihre Selbstwirksamkeit erfahren Mustern wahrzunehmen, sie in ihren
nigen lassen. Kinder können erst und ihre Kompetenzen erweitern unterschiedlichen Formen – zum
dann sauber werden, wenn sie ein können? Beispiel als Stimmen und Gesichter –
Gespür für die Kontrolle von Blase sinnlich zu begreifen und einander
und Darm entwickelt haben. Dies ist s 7ELCHE "ILDUNGSSITUATIONEN zuzuordnen. Schon Babys bilden
irgendwann zwischen dem zweiten ergeben sich aus unseren Kategorien, erkennen die Gesamt-
und vierten Geburtstag der Fall. Erst Anregungen? Wie nutzen wir ausdehnung von Gegenständen und
wenn ein Kind seine Schließmuskeln diese? können Mengenunterschiede grob
kontrollieren kann und Ausschei- abschätzen, wenn sie groß genug
dungen bewusst wahrnimmt, lohnen s 7IE KOMMUNIZIEREN WIR DASS sind. Diese Leistung ist eine wichtige
sich Ermutigungen, den Harndrang Kinder etwas gut bewältigt haben Voraussetzung für das Verständnis
oder Stuhlgang möglichst früh zu und darauf stolz sein dürfen? der Begriffe „mehr“ und „weniger“
melden, oder Erklärungen zur Nut- und eine wichtige Grundlage für das
zung des Sanitärbereichs. Erinnerun- s 7IE SIGNALISIEREN +INDER IHR spätere Rechnen. Das Verständnis für
gen an den Toilettengang unter- Interesse, etwas selbst zu tun? Wie die Kardinalzahlen von 1 bis 4 ent-
stützen Kinder dabei, windelfrei zu gehen wir darauf ein? wickelt sich schon bei Kindern in den
werden. ersten drei Lebensjahren. Mathema-
s "IETE ICH +INDERN AUSREICHEND tisches Denken ist damit schon in der
Gelegenheiten, ihre Leistungen zu frühen Entwicklung eines Kindes fest
reflektieren und darauf stolz zu verankert.
sein?
Das abstrahierende und folgern-
de Denken entwickelt sich auf der
Grundlage kognitiver Fähigkeiten,
Eigenschaften von Objekten zu
unterscheiden. Dieses Denken zeigt
sich in der Begeisterung, mit der Kin-
der Dinge nach ihren verschiedenen
Eigenschaften sammeln, sortieren
und vergleichen. Sie differenzieren
zwischen bestimmte Grundformen
wie Linien, Kreisen, Dreiecken,
Würfeln und Kugeln. Sie nutzen
Ähnlichkeiten, die sich aus Mustern
und Strukturen ableiten lassen. Eine
Vielzahl an natürlichen Materialien
wie Steine, Muscheln oder Blätter,
aber auch Alltagsgegenstände wie
Plastikbecher, Kisten, Kartons und
Papiertüten laden zum Abstrahieren
und Gruppieren ein. Jedes Kind ver-
folgt sein eigenes Ordnungssystem,
das sich an sehr unterschiedlichen
Kriterien orientieren kann: Verwen-
dungszweck (Kochen, Essen, Putzen),
Formen (rund, eckig, gerade), Farben
(von bunt nach grau) oder auch Ge-
fühlen (von lustig nach langweilig).

– 30 –
ANREGUNGEN ZUR REFLEXION

s 7ELCHE !NREGUNGEN BIETEN WIR


Kinder, um Erfahrungen mit
dem Sammeln, Sortieren und
Vergleichen von Gegenständen zu
machen?

s 7IE KÚNNEN WIR +INDER SPIELERISCH


an Zahlen, Zählen und die Eins-zu-
Eins-Zuordnung heranführen?

Die Förderung der mathematischen schied zu anderen Wörtern keinen s 7O GIBT ES IM !LLTAG DER
Bildung in Krippen ist nicht an bestimmten Gegenstand, sondern Kindertageseinrichtung
bestimmte Programme oder Materi- können sich auf jedes beliebige Gelegenheiten, ein erstes
alien gebunden. Vielmehr gilt es, zu- Objekt beziehen und kleine Mengen Verständnis für Mengen (viele-
sammen mit Kindern immer wieder beschreiben. Zahlwörter werden im- wenige, mehr-weniger), für die
neue Muster, Formen und Mengen mer in derselben Abfolge genannt, Raumerfassung (vor-hinter, oben-
im Alltagshandeln der Kindertages- die Kinder zunächst wie ein Gedicht unten, nebeneinander) und für
einrichtung zu entdecken und zu be- auswendig lernen, ohne ihre Bedeu- Zeitabfolgen (jetzt, nachher, nach
nennen. Ein guter Einstieg sind das tung als Zahlenreihe zu verstehen. einem bestimmten Ereignis) zu
Klassifizieren, Sortieren und Zuord- Es folgt zunächst die Entdeckung, vermitteln?
nen. Pädagogische Fachkräfte kön- dass die Reihenfolge von Zahlen
nen aus dem täglichen Aufräumen Bedeutung trägt. Grundlage für das s 7ELCHE -ATERIALIEN HABEN WIR ZUM
ein Kategorisierungsspiel machen, Zählen ist schließlich das Verstehen Befüllen und Umschütten, Stapeln
indem sie fragen, was wohin gehört der „Eins-zu-Eins-Zuordnung“, die oder Aufreihen, Aneinanderfügen
und warum nicht woanders hin. erfolgt, wenn bei der Anwendung und Zählen, Ordnen und Sortieren?
einer Zahlenreihe auf eine kleine
In den Räumen wie auch in der Menge jedes Element genau einmal s 7IE STÊRKEN WIR DAS "EWUSSTSEIN
Umgebung der Kindertageseinrich- erfasst wird. Dieser Schritt braucht um eine „allgegenwärtige
tung lässt sich überall Mathematik jedoch Zeit und erfolgt in der Regel Mathematik“ im Alltagshandeln
finden: Im Spielraum, wo viel oder im Kindergartenalter. der Krippe? (z. B. beim
wenig Spielzeug in der Kiste liegt. Tischdecken, Treppenstufen
In der Cafeteria, wo eine Möhre auf Erwachsene zeigen Kindern, dass Steigen, Material Verteilen oder
dem Teller, aber viele Möhren in der Zahlwörter besondere Wörter sind Aufräumen)?
Schüssel sind. Mathematik ist der und ihre Reihenfolge wichtig ist,
symmetrische Aufbau des mensch- indem sie im Alltag unterschiedliche s 7ELCHE %RFAHRUNGEN MACHEN
lichen Körpers. Mathematik lässt Dinge immer wieder laut zählen. Kinder mit unterschiedlichen
sich über Größen- und Gewichts- Das Verteilen von Alltagsgegenstän- Materialien, Mengen, Größen,
vergleiche erfahren, wenn Kinder den, zum Beispiel beim Tischdecken, Gewichten und stofflichen
Materialien transportieren, stapeln, kann die Fähigkeit des Zählens Konsistenzen im Alltag der
umschütten oder ineinanderstecken. anbahnen: „Eins für mich und eins Kindertageseinrichtung? Welche
Formenwürfel und erste Puzzlespiele für dich!“. Fachkräfte unterstützen Anregungen könnten zusätzlich
sind attraktives Spielzeug, mit denen Kinder bei der Erschließung des gegeben werden?
sich Kinder Begriffe von Raum und Mengenbegriffs, indem sie Zahlwör-
Deckungsgleichheit (Kongruenz) ter (bis zehn), Mengenwörter (viele,
erschließen können. wenige), Vergleichswörter (mehr,
weniger) und Operationswörter (da-
Wer Kindern unter drei Jahren dazu zutun, wegnehmen) bewusst in ihrer
anregen möchte, den Zahlenraum Alltagssprache verwenden und dar-
im einstelligen Bereich zu erfor- auf achten, welche Begriffe ein Kind
schen, muss verstehen, welche Her- bereits versteht. Bei Vergleichen von
ausforderungen hinter dieser schein- Mengen sollten sie darauf achten,
bar einfachen Tätigkeit stecken. dass diese sehr unterschiedlich sind,
Schon in der sehr frühen Sprach- da Kinder im Krippenalter die ein-
entwicklung sind im Vokabular zelnen Elemente einer Menge in der
von Kindern Zahlwörter enthalten. Regel noch nicht erfassen können.
Zahlwörter bezeichnen im Unter-

– 31 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

7. Ästhetische Bildung Ästhetische Bildung bietet Kindern Bei allen hier erwähnten Formen der
Chancen, sich in einer kreativen Aus- ästhetischen Bildung geht es darum,
Der Begriff der Ästhetik leitet sich einandersetzung mit ihrem Lebens- den Schaffensprozess des Kindes und
aus dem altgriechischen „aísthesis“ umfeld zu entwickeln. Sie fördert die mit ihm verbundenen Erfah-
ab, der mit „Wahrnehmung“ über- die Wahrnehmung und Interpreta- rungen zu unterstützen. Es geht
setzt wird. Der Begriff „Ästhetik“ tion von Sinneseindrücken. Sie regt nicht darum, mit einer Gruppe von
beinhaltet damit die Bedeutung der dazu an, Mittel des Gestaltens zu Kindern ein Produkt oder Ergebnis
Wahrnehmung als Grundlage für nutzen, um kindliche Erfahrungen zu erzielen oder aber eine perfekte
Lern- und Entwicklungsprozesse. zu reflektieren, auszudrücken und Vorstellung zu inszenieren. Bei der
Gleichzeitig wird Ästhetik auch als zu verarbeiten. Jeder Sinnesbereich Begleitung und Unterstützung des
die Lehre von Schönheit und Harmo- wird durch spezifische Formen der künstlerischen und kreativen Schaf-
nie in Natur und Kunst beschrieben. ästhetischen Bildung in besonderer fens kleiner Kinder gilt in besonde-
Weise angesprochen: das Auge er- rer Weise die Devise: Der Weg ist das
fasst und verarbeitet die Formen des Ziel!
bildnerischen Gestaltens, das Ohr die
Musik mit ihren Klängen und Melo-
dien, die Körpersensorik den Tanz
und die rhythmische Bewegung.

– 32 –
Musik Die Verknüpfung von Gesang und Bildnerische Kunst
Bewegung macht Kleinstkindern
Singen, Tanzen und Musizieren sind nicht nur Spaß, sondern stärkt auch Wie die Musik, so ist auch das bild-
elementare Ausdrucksformen der Atmung und Körperwahrnehmung. nerische Gestalten ein Erfahrungs-
Menschheit. Auch kleine Kinder Über Singspiele wie „Hoppe, hoppe feld, in dem Kinder ihre angeborene
haben ein großes Bedürfnis, mit Reiter…“ wird ein erstes ganzheit- Freude am Experimentieren und
ihrer Stimme und ihrem Körper liches Takt- und Rhythmusgefühl Gestalten ausleben können. Sobald
musikalisch tätig zu sein. Sie lassen gefördert. Mit zunehmenden sie ihre Finger und Hände gezielt
sich von Liedern beruhigen, bewe- motorischen Fähigkeiten können einsetzen können, wollen Kleinkin-
gen sich im Rhythmus von Musik und Kinder Musik immer besser auch der „matschen“ und Spuren erzeu-
äußern Gefühle und Stimmungen in in Bewegung umsetzen. Gleichzei- gen. Spuren sind ein Ausdruck von
Melodien und Liedern. Rhythmisch- tig erlauben Bewegungs-, Kreis- Selbstwirksamkeit, Autonomie und
musikalische Angebote in Kinderta- und Tanzspiellieder Kindern, ihre Individualität. Es ist gut zu beob-
geseinrichtungen können Kinder bei grobmotorische Bewegungsabläufe achten, welche Freude Kinder beim
der Bewältigung wichtiger Entwick- (Drehen, Laufen, Hüpfen, vorwärts- lustvollen Verschmieren von Brei
lungsaufgaben unterstützen. Mu- und rückwärts Gehen) zu entwickeln auf der Tischplatte oder aber beim
sizieren fördert die Entfaltung von und zu üben. Hinterlassen von Fußabdrücken im
Gehör, Stimme, Atmungsorganen Schnee haben. Fingerfarben eigenen
und Bewegungsapparat und bietet Gegenstände, mit denen man Töne sich daher sehr gut für ein erstes
wichtige Impulse für die kognitive, und Klänge erzeugen kann, haben Erkunden, wie sich der Umgang mit
emotionale und soziale Entwicklung für Kinder unter drei Jahren eine Farbe anfühlt und welche Wirkung
eines Kleinkindes. hohe Anziehungskraft. Die Mög- mit ihr zu erzielen ist.
lichkeit, diese Instrumente laut oder
Für das erste Heranführen von unter leise zu spielen und zwischen Klang, Der Anfang erster Kinderbilder ist je-
Dreijährigen an musikalisches Experi- Klangfarben und Schlag zu unter- ner Augenblick, da das Kind den ur-
mentieren brauchen Fachkräfte kei- scheiden, schafft Raum für diffe- sächlichen Zusammenhang zwischen
ne musikpädagogische Ausbildung. renzierte Hörerfahrungen, Selbst- der Bewegung seiner Hand und der
Es reicht aus, sich neugierig auf die wirksamkeitserfahrungen und die dadurch hinterlassenen Strich- oder
Erlebniswelt der Kinder einzulassen eigene Körperwahrnehmung. Diese Schmierspur erkennt und versucht,
und sich gemeinsam mit ihnen auf können sich wiederum mit anderen den Vorgang bewusst zu wiederho-
die spannende Reise in die Welt Sinneserfahrungen verbinden, zum len. Die Strichspur wird damit zum
der Töne, Klänge und Rhythmen zu Beispiel wenn der ganze Körper beabsichtigten Effekt und ist Beginn
begeben. Musik, Gesang und Tanz Klangschwingungen und Vibratio- des grafischen Elements „Linie“.
sollen immer wieder im Tagesablauf nen spürt. Das sogenannte „Kritzelstadium“ ist
der Kindertageseinrichtung veran- eine frühe Phase der bildnerischen
kert werden, entsprechende Mate- Erwachsene sollten ihre eigene Gestaltung.
rialien und Instrumente für Kinder Musikalität in den pädagogischen
zugänglich sein. Alltag einbringen und Kindern eine Experimente mit Linienführung
positive Haltung zur Musik und zum führen zu Bildern, auf denen
Singen berührt die Seele. Wieder- Musizieren vermitteln. CDs und Kritzelknäuel, Diagonalkritzel,
kehrende Morgen-, Spiel-, und Sing- andere Tonträger sollten gezielt Schwingkritzel und Hiebkritzel zu
kreise sind bei kleinen Kindern daher für musikalische oder kulturelle sehen sind – die Basiselemente des
sehr beliebt. Schon einjährige Kinder Angebote eingesetzt werden. Das Kritzelgeschehens. Hiebkritzel sind
gehen innerlich mit, auch wenn sie Abspielen von Hintergrundmusik im dabei Punkte, die Kinder kraftvoll
noch nicht selbst aktiv mitsingen Krippenalltag ist nicht zu empfeh- in das Papier „meißeln“. Parallel
können. Gemeinsames Musizieren len, da Kinder diese Geräuschkulisse zur feinmotorischen und kognitiven
stärkt das Wir-Gefühl und vermittelt auch als Lärm oder Stress empfinden Entwicklung des Kindes wird das
das Gefühl der Zugehörigkeit zur können. Kritzeln schematischer, erste Formen
Gruppe. Begrüßungs- und Ab- werden erkennbar.
schiedslieder bilden wichtige Rituale,
die Sicherheit im Tagesablauf geben. Auch bei der Bearbeitung von
Das wiederholte Singen von Liedern plastischem Material können Kinder
oder rhythmische Sprechen von Rei- sinnliche Erfahrungen machen,
men fördert den Spracherwerb. motorische Kompetenzen erpro-
ben und dreidimensionale Gestal-
tungsmöglichkeiten erkunden. Ton
und Knetmasse gehören daher zur
Ausstattung einer Kindertagesein-

– 33 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

richtung. Damit kann man rupfen, Da es in den ersten drei Jahren zen- ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
zupfen, reißen, Berge bauen oder tral um sinnliche Erfahrungen und
Löcher reinbohren. Je runder und kreatives Experimentieren mit ver- s $URCH WELCHE -ATERIALEN UND
homogener Formen wie Kugeln oder schiedenen Gestaltungsformen geht, Räumlichkeiten regen wir
Schlangen werden, desto mehr hat hat der Erzieher oder die Erzieherin Kinder zu fantasievollem und
sich die Koordination zwischen Un- in erster Linie die Aufgabe, entspre- schöpferischem Gestalten an?
terarm, Handfläche und Fingern des chendes Material und geeignete
Kindes entwickelt. Weitere Erfah- Räumlichkeiten zur Verfügung zu s 3IND -ATERIAL UND
rungsfelder sind Reißen, Schnipseln, stellen. Fachkräfte müssen Kinder „Handwerkzeug“ wie Stifte
Kleben und Kleistern mit Papier, unterstützen, Spuren zu hinterlassen und Papier in Form und
Wasser und Klebstoff. und damit ihre Kreativität fördern. Größe kleinkindgerecht und
Sie müssen zulassen, dass Kinder unbedenklich?
Bei ästhetischen Aktivitäten geht schmieren und matschen – und die
es Kindern unter drei Jahren um Bedeutung dieses Tuns auch Eltern s 7ELCHEN 3TELLENWERT HABEN -USIK
eigenständiges Handeln, nicht um vermitteln können. Praktisch ist Tanz und Gesang in unserer
künstlerische Produkte. Sie verarbei- es daher, wenn sich der Mal- und Gruppe?
ten, was sie gerade beschäftigt, und Gestaltungsbereich in unmittelba-
verleihen Gefühlen, Vorstellungen rer Nähe zu Waschgelegenheiten s 7ELCHEN 3TELLENWERT HABEN
und Fantasien Ausdruck. Sie legen befindet. die Ergebnisse schöpferischen
keinen großen Wert auf die Konser- Handelns für uns? Welchen
vierung ihrer Werke. Wenn Kinder Wenn Erwachsene mit Kindern unter Stellenwert hat der Prozess von
Bilder übermalen oder Skulpturen drei Jahren zusammen künstlerisch Selbstausdruck, bildnerischem
zusammenkneten, dann spüren tätig sind, dann sollten sie darauf Gestalten und Experimentieren?
sie nicht den Verlust eines Werkes verzichten, Gegenstände vorzuma-
sondern die Macht und Kraft, etwas len, Schablonen zu nutzen oder Kin- s 7AS REGT DIE &ANTASIE UND
zu bewirken. Etwas verschwinden zu der zu bitten, etwas Bestimmtes zu Schaffenskraft unserer Kinder
lassen ist daher ebenso wichtig, wie zeichnen. Die Entfaltung ureigener besonders an?
ein Bild neu zu malen. kindlicher Ausdruckskraft sollte Vor-
rang vor nachahmenden Tätigkeiten s 7IE UNTERSTàTZEN WIR +INDER
Bildnerisches Gestalten hat in der haben. Für die Entfaltung kindlicher ihren Themen und Interessen
frühen Kindheit noch keine gezielte Kreativität ist es wichtig, keiner Ziel- auch künstlerisch Ausdruck zu
Abbildungsabsicht. Die Bezeichnung, vorgabe folgen zu müssen, sondern verleihen?
die kleine Kinder ihren Werken experimentell mit Farben umzuge-
geben, ist damit nicht unbedingt hen und die Muster eigener Fantasie
dauerhaft. Ein Werk kann heute als entstehen zu lassen.
Vogelnest oder Schlange, morgen
als Katze oder Wurst interpretiert Bildnerisches Handeln ermöglicht
werden. Erst allmählich wird aus der eine ganz besondere Art des Dialogs
ursprünglichen Lust an Spur und zwischen Kind und Erwachsenem.
Funktion ein bewusstes Abbilden der Über ihre ästhetischen Werke the-
dinglichen Welt. Abbildungsinten- matisieren Kinder, was sie interes-
tionen haben sich entwickelt, wenn siert und beschäftigt. Sie bringen
ein Kind willentlich einen Kreis malt, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck.
um einen Ball darzustellen und sich Die Frage nach der Bedeutung von
an erste „Kopffüßler“ wagt – jene Linien, Mustern und anderen grafi-
Menschendarstellungen, bei denen schen Symbolen regt sprachbildende
der Kopf detailliert und die Beine Dialoge an, die von der Betrachtung
höchstens durch Striche angedeutet und Beschreibung des Werks über
werden. den Vergleich von Ähnlichkeiten bis
hin zu darstellerischen Absichten
gehen können.

– 34 –
8. Natur und Lebenswelt Das Erleben von Tieren mit ihren oder schleifen. Die Trägheit oder
unterschiedlichen Lauten und Fort- auch Wendigkeit von Objekten ist
In Natur und Umwelt machen Kinder bewegungsarten, Erfahrungen mit dabei ein nahezu unerschöpfliches
Erfahrungen mit Naturphänomenen Wetter oder dem Wandel der Natur Forschungsfeld. Falllinien, Flugbah-
und Naturgesetzen. Sie sind neugie- im Laufe der Jahreszeiten lösen nen und Drehbewegungen erleben
rig und wollen verstehen, wie und Staunen und Interesse aus. Kinder im Zuge ihrer motorischen
warum etwas funktioniert und was Entwicklung am eigenen Körper
dies mit ihrem Handeln zu tun hat. Insbesondere Wasser übt eine große oder wenn sie den Zustand von
Sie probieren etwas aus und über- Faszination auf Kinder aus. Versuchs- Gegenständen beeinflussen und sie
legen dann, warum das Experiment möglichkeiten mit diesem Element schubsen, werfen, aus- und umschüt-
einen bestimmten Verlauf genom- sind nahezu unbegrenzt. Dazu ten, schaukeln oder drehen.
men oder zu einem bestimmten gehören das Plantschen, Schütten,
Ergebnis geführt hat. Mit Beharr- Schöpfen, Gießen und Tropfen. Oder Das Erforschen von Spuren, Linien
lichkeit und Ausdauer wiederholen Zustände vom festen Eis über die und Kreisbewegungen zeigt sich
und variieren sie ihre Experimente, Flüssigkeit bei Raumtemperatur bis nicht nur beim Malen und Gestalten.
bis sie mit den Phänomenen vertraut hin zum Dampf. Oder das Versickern Bei der Erkundung von Natur und
sind und Erklärungen oder Lösungen von Wasser im Erdboden. Oder das Lebenswelt kommt der ganze Kör-
für ihre Fragestellungen gefunden Zusammenspiel von Wasser mit per eines Kindes zum Einsatz: Was
haben: Fallen Dinge immer auf den anderen Materialien, die in ihm kann man mit Gegenständen alles
Boden, wenn sie losgelassen wer- schwimmen, schweben oder unter- machen, wie sind sie beschaffen und
den? Was passiert, wenn ich den gehen, sich mit ihm mischen oder wie sehen sie von innen aus? Warum
Lichtschalter drücke oder die Rassel auch nicht mischen, in ihm auflösen funktioniert etwas so und nicht an-
bewege? Warum kommt die Ente zu oder aber auch das Wasser aufsau- ders? Welche Mittel kann ich gezielt
mir, wenn ich an ihrer Schnur ziehe? gen. einsetzen, um etwas Bestimmtes zu
Wie baue ich einen stabilen Turm erreichen? Lässt sich ein Experiment
aus Bauklötzen? Wie viel Tee passt in Kinder unter drei Jahren beschäfti- mit immer gleichem Ergebnis belie-
meine Tasse? gen sich bevorzugt mit einer Reihe big oft wiederholen?
von elementaren Experimenten,
Die Natur ist ein breites Forschungs- denen sie sich mit großer Aus- Im Rahmen dieser und weiterer
gebiet. Es reicht vom eigenen Körper dauer widmen. Dazu gehört zum Explorationsspiele machen Kinder
bis zum Außengelände und Umfeld Beispiel das Einwickeln, Verbinden erste physikalische Grunderfah-
der Kindertageseinrichtung. Kin- und Trennen von Gegenständen. rungen wie Schwerkraft, Rotation,
der haben ein großes Interesse an Auch der Transport ist ein wichtiges Ursache und Wirkung. Schon sehr
Biologie und Physik zum Anfassen. Thema, sobald Kinder mobil sind. kleine Kinder haben ein Bewusstsein
Bereits Säuglinge können belebte Sie lieben es, Dinge von einem Ort für physikalische Gesetzmäßigkeiten.
und unbelebte Dinge unterscheiden. zum anderen zu schieben, tragen Auf der Grundlage von Erfahrungen

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FRÜHKINDLICHE BILDUNG

stellen sie Vermutungen an, wie sich ANREGUNGEN ZUR REFLEXION 9. Ethische und religiöse
Gegenstände verhalten und wie sie Fragen, Grunderfahrungen
sich voraussichtlich nicht verhalten. s 7IE ERLEBEN DIE +INDER IN UNSERER menschlicher Existenz
Sie reagieren erstaunt, wenn diese Krippe die Natur?
Gesetzmäßigkeiten verletzt werden Die Bedeutung von Beziehung
– zum Beispiel wenn eine rollen- s 7ELCHE 0mANZEN UND 4IERE und Bindung, die Entwicklung von
de Kugel unter einer Abdeckung können Kinder kennenlernen? Persönlichkeit und Individualität und
verschwindet und auf der anderen Wie erleben sie den Naturkreislauf die großen Fragen von Anfang und
Seite nicht in Verlängerung ihrer im Jahreswechsel? Haben sie Ende, Leben und Tod sind Grunder-
ursprünglichen Bewegungsbahn schon Pflanzen gepflegt oder ein fahrungen menschlicher Existenz.
auftaucht. Im Zuge der Konstruktion Gartenbeet angelegt? Wie erleben Schon von klein auf spüren Kinder
des kindlichen Weltbilds werden sie Tiere? Glück und Trauer, Geborgenheit und
Theorien zum Verstehen von Natur Verlassenheit, Vertrauen und Angst.
und Lebenswelt auf der Grundlage s 7ELCHE %RFAHRUNGEN MIT Dies sind existentielle Erfahrungen,
neuer Erfahrungen und Experimente unterschiedlichem Wetter machen die von kleinen Kindern intensiv
immer weiter entwickelt oder auch sie? erlebt werden.
revidiert. Gleichzeitig erforschen
Kinder immer auch die soziale Di- s 7ELCHE :IELE IN DER NÊHEREN Schon kleine Kinder wollen die
mension ihres Handelns: Wird die Er- Umgebung sind auch „mit kleinen vielfältigen und widersprüchlichen
zieherin den Löffel jedes Mal wieder Beinen“ zu erreichen? Was könnte Erfahrungen ihrer Existenz ordnen,
aufheben, wenn ich ihn fallen lasse? für kleine Kinder interessant sein? sie in einen sinnvollen Zusammen-
Welche Möglichkeiten könnten hang bringen und damit Unsicher-
Für die Erkundung von Natur und noch intensiver genutzt werden? heit reduzieren. Kinder, die sich
Lebenswelt brauchen Kinder unter fragen, warum Opa gestorben ist
drei Jahren keine Versuchsaufbauten s 7ORAN ZEIGT SICH DASS oder wieso sich die Eltern getrennt
und Anleitungen. Kinder wollen Kinder intuitive Theorien zu haben, brauchen pädagogische
ihren Interessen folgen, Erfahrungen Naturphänomenen und -gesetzen Fachkräfte in Kindertageseinrichtun-
machen und Gesetzmäßigkeiten entwickeln? Wie regen wir sie zum gen als einfühlsame Dialogpartner,
erkennen. Bei Kindern unter drei Weiterdenken an? die sich mit den philosophischen
Jahren verlangt dies eine Lernumge- und religiösen Fragen der Kinder
bung, in denen Dinge und Personen s 3IND DIE "EDINGUNGEN DES auseinandersetzen können. Authen-
überschaubar, aber gleichzeitig auch Aufwachsens aller Kinder in der tisches Handeln erfordert hier, dass
vielfältig sind. Beispiele dafür sind Krippengruppe bekannt? Wie Fachkräfte ihre persönliche Haltung
eine nasse Rasenfläche, über die gehen wir darauf mit unserer zu ethischen und religiösen Fragen
ein Kind krabbeln kann; ein Wald- pädagogischen Arbeit ein? kennen und auch im Kontext ihres
boden mit Laub, Ästen und Steinen pädagogischen Handelns reflektie-
oder aber der Wechsel des Wetters ren können.
im Laufe des Jahres. Orte, Zeiten,
Bedingungen und zur Verfügung Die philosophische und religiöse
gestellte Materialien sollten Kindern Bildungsarbeit greift die spezifischen
ermöglichen, alle Sinne einzusetzen Fragestellungen kleiner Kinder
und selbst aktiv zu werden. Über auf. Sie fängt nicht erst da an, wo
Erkenntnisziele, die Nutzung der man einem Kind etwas mit Worten
Materialien sowie die dafür benö- erklären kann. Sie beginnt dort, wo
tigte Zeit sollten die Kinder selbst das Kind Interesse, Wertschätzung,
entscheiden können. Zuneigung und Respekt für die ihm
eigene Würde erfährt. Sie vermittelt
Vertrauen und Zuversicht. Worte
und Verstehen kommen erst später.

– 36 –
Sowohl die Ethik als auch die Theo- Krippenkinder brauchen Rituale ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
logie befassen sich mit den Kriterien zur Orientierung und Strukturie-
für gutes und schlechtes Handeln rung ihres Alltags. Kinder brauchen s 7IE KANN ICH +INDERN MEIN
sowie der Bewertung von Motiven Stille und Gelegenheit zur Ruhe Interesse an ihrem religiösen und/
und Folgen dieses Handelns. Sowohl zu kommen, sich zu besinnen und oder kulturellen Hintergrund
Ethik als auch Religion begründen die vielfältigen Erfahrungen inner- vermitteln?
damit Normen und Werte, die das lich zu verarbeiten. Lieder, Gesten,
Zusammenleben von Menschen Geschichten, Gebete oder Sinn- s 7ELCHE !USWIRKUNGEN HABEN
prägen. Kinder brauchen die Ausei- sprüche helfen Kindern, ihr Erleben ethische und religiöse Aspekte
nandersetzung mit diesen Normen auszudrücken. Feste ermöglichen auf das Leben und Lernen in der
und Werten. Schon Kinder unter die Erfahrung von Gemeinschaft, die Gruppe?
drei Jahren handeln die Ziele und Unterbrechung des Alltags und das
Regeln ihres Alltags spielerisch aus: Bewahren kultureller Traditionen. s 7ELCHE RELIGIÚSE 'RUNDHALTUNG
Was wollen wir? Was ist gerecht? Feste sind Höhepunkte im Jahres- welche Normen und Werte sind
Pädagogische Fachkräfte helfen Kin- ablauf und ihre Gestaltung sollte dem Träger, dem Team sowie den
dern nicht zuletzt durch ihr eigenes in der pädagogischen Arbeit der Eltern und ihren Kindern in der
Vorbild dabei, Wertmaßstäbe zu Kindertageseinrichtung verankert Einrichtung wichtig?
entwickeln. Als Orientierung dienen sein. Die konkrete Ausrichtung der
dabei ihre eigenen, reflektierten religionspädagogischen Angebote s 7IE WERDEN 7ERTE UND .ORMEN IM
Wertvorstellungen. Sie ermöglichen liegt dabei in der Autonomie der Alltag erlebbar?
es Kindern, ethische und religiöse einzelnen Träger.
Werte wie Mitgefühl, Gerechtigkeit, s 7ELCHE EXISTENZIELLEN &RAGEN
Helfen, Teilen, Achtung und Verge- der Kinder begegnen uns
bung zu erfahren, zu erproben und in der Gruppe? Wie können
einzuüben. wir uns altersgemäß damit
auseinandersetzen?
Das Umfeld eines jeden Kindes wird
in der einen oder anderen Weise s 7IE ERMÚGLICHEN WIR JEDEM +IND
geprägt von religiösen Themen, Erfahrungen von Geborgenheit,
Ritualen, Festen, Traditionen und Liebe und ein Gefühl der
Glaubenszeugnissen. Diese nehmen Zugehörigkeit? Wie reden wir mit
Kinder mit allen Sinnen auf. Zur Kindern über diese Erfahrungen?
Tradition und Geschichte unseres
Landes gehört das Christentum. Mit s 3CHAFFEN WIR 2ÊUME !TMOSPHÊRE
der Zuwanderung von Menschen Situationen und Zeiten, um uns
aus anderen Ländern wurden auch dem einzelnen Kind mit seinen
Inhalte aus anderen Weltreligionen religiösen und ethischen Fragen
ein Thema unserer Gesellschaft. In zuzuwenden?
Kindertageseinrichtungen begegnen
sich Kinder und Erwachsene unter- s 7ELCHE -ATERIALIEN UND -EDIEN
schiedlicher Herkunft, Kultur und setzen wir ein, um positive soziale
Religion. Offenheit und Achtung Vorbilder oder auch Fragen von
gegenüber anderen Kulturen und Sicherheit, Trost und Zuversicht zu
Religionen werden hier von klein thematisieren?
auf gelebt. Kinder lernen andere
Gewohnheiten, Bräuche und Erklä- s !UF WELCHE 7EISE KÚNNEN WIR IN
rungsmuster kennen. unserer Einrichtung Freude am
Leben und ein Staunen über die
Wunder der Welt vermitteln?

s 7IE WERDEN DIE +INDER UND IHRE


Familien in die Gestaltung von
Festen einbezogen?

– 37 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

III. Die Arbeit in der Tageseinrichtung für Kinder

A. Methodische Aspekte und Sie vertiefen ihr theoretisches und


die Aufgaben der Fachkräfte praktisches Wissen und Können über
Fachliteratur, Fachberatung und
1. Grundprinzipien für die Fortbildung. Neugier, eine offene
Förderung von Erziehungs- und Haltung gegenüber Kindern und
Bildungsprozessen Kollegen und die kontinuierliche
Reflexion des eigenen Tuns führen
Professionelle Handlungskompetenz zu immer neuen Erkenntnissen und
machen die Arbeit spannend und
Professionelle Handlungskompetenz bereichernd.
bedeutet, dass sich Fachkräfte als
Lernende verstehen und einbrin- Professionalität erfordert eine hohe
gen können. Über Beobachtung Bereitschaft, sich mit dieser aufge-
und Reflexion entschlüsseln sie die schlossenen, forschenden Haltung in
Perspektiven von Kindern, um ihre den Gruppenalltag der Krippe ein-
Handlungs-, Denk- und Vorstel- zubringen, spontan auf Bedürfnisse
lungsweisen besser begreifen und und Interessen der Kinder zu reagie-
im pädagogischen Miteinander ren und sie in ihrer Individualität
Verständigung erzielen zu können. und Identität zu fördern. Fragend
Sie tauschen sich mit den Kollegin- und neugierig, mit einem kritisch-
nen und Kollegen im Team aus, reflexiven Verhältnis zu sich und den
um voneinander zu lernen und das eigenen Erziehungsvorstellungen
pädagogische Handeln in der Ein- und geleitet von ihrem theoreti-
richtung gemeinsam zu entwickeln. schen Wissen können Fachkräfte die
Interessen, Fähigkeiten und Bedarfe
von Kindern nachvollziehen und im
Rahmen einer aktiven Begleitung
von Bildungs- und Lernprozessen auf
diese feinfühlig eingehen. Dabei las-
sen sie Kinder auch an ihren eigenen
Themen und Vorlieben teilhaben -
wie zum Beispiel Musik, Bewegung
oder die Auseinandersetzung mit
Naturphänomenen.

Das alltägliche Bildungs- und Erzie-


hungsgeschehen in einer Krippen-
gruppe lässt sich nur sehr bedingt
planen. Fachkräfte müssen mit der
Durchführung von bestimmten An-
geboten warten können, bis Kinder
dafür bereit sind. Professionell han-
delnde Fachkräfte können abwarten
und aushalten, dass Kinder Wege ge-
hen, die nicht den Vorstellungen der
Erzieherinnen entsprechen. Sie kön-
nen mit Kindern im Gespräch blei-
ben und herausfinden, warum ein
Kind etwas in einer bestimmten Art
und Weise tun oder denken möchte.
Sie können Brücken schlagen zwi-
schen dem, was kindliches Handeln

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beabsichtigt und dem, was Erwach- Bildung und Erziehung im Auch sehr kleine Kinder werden
sene als sinnvoll ansehen. Wenn Alltagsgeschehen trotz ihrer Hilfsbedürftigkeit ernst
Kinder auf ihren Bildungswegen genommen, ihre Gedanken und Ge-
stecken bleiben, können Fachkräfte Die Begleitung der Bildungs- und fühle respektiert. Sie werden beim
Vorschläge für die Bewältigung der Lernprozesse von Kindern unter drei Wickeln und Füttern beteiligt, in
nächsten Wegstrecke machen. Jahren findet in ihrem Alltag statt. ihrem Hunger oder Sattsein beachtet
Kinder fühlen sich wohl und lernen und darin unterstützt, sich aus Grup-
Das kontinuierliche Wahrnehmen, besonders engagiert, wenn ihre penaktivitäten zurückzuziehen, um
Analysieren und Eingehen auf Bemühungen um Selbstständigkeit Ruhe und Erholung zu finden.
Gefühle, Bedürfnisse, Signale und und Selbsttätigkeit mit wohlwollen-
Themen der Kinder erfordert ein den und liebevollen Blicken be- Bei sehr kleinen Kindern ist die
hohes Maß an Energie, Einsatzbe- gleitet werden. Fachkräfte können non-verbale Verständigung eine
reitschaft, Empathie und Zuwen- Bildungssituationen im Alltag der zentrale Kommunikationsebene. Um
dung. Fachkräfte wissen, wann sie Kindertageseinrichtung erkennen, sich auf dieser Ebene mit dem Kind
sich mit Anregungen oder Hilfestel- mit Kindern dazu ins Gespräch kom- zu treffen, benötigt die Fachkraft
lungen einbringen und wann sie sich men und ihnen so neue Erfahrungen hohe emotionale Kompetenzen, um
zurückhalten müssen, damit Kinder erschließen. kindliche Stimmungen zu erfassen
ihre Möglichkeiten für autonomes und adäquat darauf reagieren zu
Handeln und eigenaktive Welter- Pädagogische Angebote und Lern- können. Körperkontakt ist eine
kundung nutzen können. anregungen knüpfen so weit wie wichtige Form der Kommunikation.
möglich direkt an das an, was Kinder Sie vermittelt das Gefühl von Schutz
Nicht nur Kinder, sondern auch Er- bewältigen wollen und müssen, um und Fürsorge und unterstützt den
wachsene kostet es Kraft, sich im so- selbstständig zu werden. Pflegesi- Beziehungsaufbau.
zialen Miteinander der Kindertages- tuationen sind daher ein zentrales
einrichtung über ihre eigene innere Lern- und Erfahrungsfeld. Wickeln, Kleinkinder dürfen sich in Pflegesitu-
Welt klar zu werden und Fühlen, Waschen, Essen, An- und Ausziehen ationen nicht inkompetent, abhän-
Handeln und Worte in Übereinstim- sowie andere Pflegehandlungen gig oder gar ausgeliefert fühlen.
mung zu bringen. Doch nur durch verfolgen das pädagogische Ziel, Die Erfahrung, selbst Kontrolle über
authentisches Handeln, Gelassenheit Kinder bei einer immer selbstständi- die jeweilige Situation zu haben,
und Präsenz im Gruppengeschehen geren Bewältigung ihres Alltags zu kompetent zu sein und durch die ei-
können Fachkräfte Kindern das unterstützen. Gleichzeitig sind sie genen Handlungen Einfluss nehmen
Gefühl von Sicherheit und Gebor- ungestörte und kostbare Minuten, zu können, stärkt das Selbstkonzept
genheit vermitteln – die Grundlage die Kinder und Bezugspersonen al- des Kindes. Die Fachkraft geht auf
schlechthin für das frühkindliche lein miteinander verbringen können das ein, was ein Kind mag oder auch
Lernen. – es sei denn, das Kind will möglichst nicht mag. Ihre Unterstützung setzt
schnell wieder in das Spielgeschehen darauf, Erfahrungen der Selbstwirk-
Schlüsselkompetenzen und -hal- der Krippengruppe eintauchen. samkeit zu wecken. Ihre Angebote
tungen für professionelles Handeln orientieren sich an aktuellen Fähig-
sind damit nicht nur Sensibilität, Pflegesituationen bieten unzählige keiten des Kindes und haben nächs-
Empathie und Geduld, sondern auch Gelegenheiten für Kommunikation te Entwicklungsschritte im Blick. Sie
Freundlichkeit, Verlässlichkeit und und Körperkontakt, für die Entwick- leistet damit Hilfe zur Selbsthilfe.
Konsequenz sowie Neugier, Moti- lung und Vertiefung von Beziehung
vation, Risikofreude und die Lust, sowie für die Begleitung der hier Fachkräfte erlauben Kindern, das
sich auf Unbekanntes einzulassen. entstehenden Bildungssituationen. Tempo und den Ablauf von Pflege-
Methoden für die professionelle Eine beziehungsorientierte Pflege handlungen mitzubestimmen. Sie
Begleitung von frühkindlichen Lern- erfüllt nicht nur die körperlichen lassen die Erforschung von Pflege-
und Entwicklungsprozessen sind das (satt, warm, trocken), sondern auch utensilien geduldig oder mindestens
Zuhören, Beobachten, Ermutigen die seelischen Bedürfnisse des Kindes gewährend zu. Auch im eigenen
und Loben sowie das Nachfragen, (beschützt, wertgeschätzt) und Interesse nutzen sie Pflegesituatio-
Vorschlagen, Erläutern, Aufgreifen unterstützt sein Streben nach immer nen als Lern- und Bildungssituatio-
und Vertiefen der Themen, die mehr Selbstständigkeit. nen. Je schneller ein Kind lernt, sich
Kinder bei ihrer Welterkundung zu waschen und anzuziehen, desto
verfolgen. entspannter wird der Alltag auch
für die Fachkraft. Rituale vermitteln
dem Kind Sicherheit und Kontinu-
ität, auch wenn eine andere Fach-
kraft es einmal versorgt.

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FRÜHKINDLICHE BILDUNG

Je selbstständiger Kinder werden, nur wenige Monate alten Säug- ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
desto mehr nimmt die Bedeutung ling und einem Kleinkind kurz vor
von Pflege in ihrem Krippenalltag seinem dritten Geburtstag unter- s 7ELCHES 7ISSEN UND +ÚNNEN IST FàR
ab. Mit wachsenden Kompeten- scheiden sich die Bedürfnisse an die pädagogische Arbeit mit unter
zen, sich in das Alltagsgeschehen einen geregelten Tagesablauf oder Dreijährigen besonders relevant?
einzubringen, entstehen neue und an die Taktung von Aktivitäts- und
wichtige Lern- und Bildungssituati- Ruhephasen erheblich. Je jünger ein s -IT WELCHER (ALTUNG WELCHEN
onen. Entsprechend der aktuellen Kind ist, desto mehr muss seinem Einstellungen und welchen
Fähigkeiten eines Kindes ermögli- individuellen und gegebenenfalls offenen Fragen lasse ich mich auf
chen Fachkräfte ihm eine möglichst auch unregelmäßigen Bedürfnis Kinder ein?
umfassende Teilhabe am Alltagsge- nach Schlaf und Nahrung entspro-
schehen und bemühen sich darum, chen werden. s 7IE MUSS ICH DEN !LLTAG IN DER
das gemeinsame Handeln beim Krippengruppe organisieren,
Tischdecken, Abwaschen oder Auf- Unter dreijährige Kinder sind ständig um Kindern Sicherheit und
räumen beziehungsvoll zu gestalten. in Bewegung, um nach Bildungsan- Orientierung zu vermitteln?
reizen zu suchen und in Kontakt mit
Kindgerechter Tagesablauf anderen Menschen zu kommen. Für s 7IE KANN ICH SICHERSTELLEN DASS AUF
spontane Interaktionen und selbst- elementare Bedürfnisse (Schlaf,
Kleine Kinder haben noch kein bildendes Spiel brauchen Kinder Hunger, Ruhe) von sehr kleinen
Zeitempfinden, wie es Erwachse- räumlichen und zeitlichen Freiraum. Kindern angemessen eingegangen
ne haben. Sie benötigen zu ihrer Ein standardisiertes Angebotssche- wird?
eigenen Orientierung immer wie- ma entspricht nicht dem Erleben
derkehrende Abläufe, in denen sie und der Struktur ihrer Lernprozesse. s 7IE LASSEN SICH IM 4AGESABLAUF
Muster erkennen. Ein berechenbarer Vielmehr geht es bei der Planung Situationen schaffen, in denen ein
Tagesrhythmus in der Kindertages- des Alltags darum, Kindern Impul- Kind ungeteilte Aufmerksamkeit
einrichtung bietet Kindern Orientie- se und Anregungen für kindliche erhalten kann?
rung und Sicherheit. Regelmäßige Aktivitäten zu geben und auf die
und großzügig bemessene Zeiten Befriedigung elementarer Bedürf- s 7IE STELLE ICH SICHER DASS JEDES
für Mahlzeiten, Ruhe, Bewegung nisse zu achten. Für alle Kinder muss Kind genügend Freiraum und Zeit
und Pflegehandlungen bilden ein ein angemessener Rhythmus von Ak- erhält, um zu spielen und dabei
Grundgerüst des Krippenalltags, das tivitäts- und Ruhephasen gefunden seinen Interessen und Lernwegen
durch freie Spielphasen und kleinere werden. Die Konzentrationsspanne zu folgen?
Angebote ergänzt wird. von Kindern nimmt zu, je älter sie
werden. Sie ist dabei abhängig von
Rituale wie ein individuelles Begrü- ihrem individuellen Wohlbefinden
ßungsritual mit der Bezugserziehe- und ihrer Engagiertheit für eine
rin, das Singen eines bestimmten bestimmte Sache.
Liedes im Morgenkreis, ein wieder-
kehrender Reim zu den Mahlzeiten,
ein Sprechspiel beim Anziehen oder
eine kurze Melodie zur Schlafenszeit
helfen dem Kind, sich in der Kinder-
tageseinrichtung zurechtzufinden,
sich willkommen und geborgen zu
fühlen und zeitliche Strukturen und
Handlungsabfolgen kennenzuler-
nen.

Neben klaren, überschaubaren


Strukturen im Tagesablauf erfordert
die Betreuung von kleinen Kindern
jedoch auch ein angemessenes
Ausmaß an Flexibilität und Offen-
heit, um nicht nur einem geregelten
Tagesablauf, sondern auch individu-
ellen Bedürfnissen einzelner Kinder
gerecht zu werden. Zwischen einem

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2. Leben und Lernen in der nommen und beobachtet, aber noch wenn Kinder nach dieser Handlung
Kindergruppe nicht direkt aufeinander bezogen gleich wieder auseinandergehen.
werden. Über das Nachahmen eines anderen
In den ersten drei Lebensjahren ent- Kindes oder das parallele Spielen
wickelt sich ein Mensch vom Säug- Bei unter Dreijährigen steht das mit dem gleichen Spielzeug gelingt
ling zum Kindergartenkind. Damit „Ich“ im Zentrum ihres Weltbildes. es, auch schon über einen längeren
verbunden sind gewaltige Entwick- Kleine Kinder suchen die Nähe an- Zeitraum in Kontakt zu bleiben und
lungssprünge. Säuglinge, Einjährige derer Kinder, weil sie Anregung und Gleichartigkeit oder Verbundenheit
und Zweijährige haben unterschied- Bestätigung bekommen möchten. zu zeigen.
liche Bedürfnisse, die bei der Gestal- Es ist noch nicht das Interesse am
tung von Leben und Lernen in einer anderen Kind, sondern das Interes- Kinder entwickeln soziale Kompe-
Kindergruppe berücksichtigt werden se an bestimmten Aktivitäten oder tenzen, wenn ihre Kontaktversuche
müssen. Im Miteinander der Kinder Dingen, über das Kinder zueinander in der Krippengruppe von den Fach-
einer Krippengruppe oder einer al- finden. Sie signalisieren: Das, was kräften wahrgenommen, ermutigt
tersgemischten Gruppe von Kindern Du machst, ist spannend. Ich will und den anderen Kindern vermit-
unter und über drei Jahren tragen das auch machen! Situation, Ent- telt werden. Kleine Rituale – zum
Fachkräfte dafür Sorge, dass alle wicklungsstand und Persönlichkeit Beispiel ein fester Platz im Morgen-
Kinder zu ihrem Recht kommen. Für bedingen das Verhalten bei der kreis – helfen neuen Kindern, sich
alle Kinder gilt, dass sie ein großes Kontaktaufnahme. Zu diesem Ver- einen Platz in einer Bezugsgruppe
Interesse an anderen Kindern haben halten kann auch Schubsen, Beißen zu erobern. Gemeinschaftliche
und sich an ihnen orientieren. oder das Wegnehmen von Spielzeug Aktivitäten für alle Kinder - wie
gehören. Diese Bekundung von Inte- zum Beispiel ein Tischspruch vor den
Soziales Lernen resse, Neugier und Annäherung wird Mahlzeiten - fördern die soziale Ein-
zu Abwehrreaktionen und Konflik- bindung aller Kinder in die Gruppe.
Das Leben und Lernen in der Kinder- ten führen, die mit Unterstützung Kinder, die sich in ein „Wir“ einge-
gruppe ermöglicht Kindern, vonei- der Fachkräfte bewältigt werden bunden fühlen, ahmen nicht nur
nander zu lernen, soziale Teilhabe müssen. Erwachsene, sondern auch andere
zu erfahren und Kompetenzen zur Kinder nach und übernehmen im
Selbstbehauptung, Kooperation und Schrittweise lernen Kinder, selbstbe- Spiel soziale Wertvorstellungen und
Anpassung zu entwickeln. Mit den stimmt über Annährung, Interaktion Umfangsformen.
Erfahrungen, die Kinder unter ihres- und gemeinsames Handeln zu ent-
gleichen machen, sind eigenständige scheiden und ihre Kontaktversuche Bevor Kleinkinder sich auf andere
Entwicklungsprozesse verbunden. auf das Verhalten anderer Kinder Kinder in der Kindergruppe einlas-
Schließlich erfordert der soziale abzustimmen. Je vertrauter Klein- sen können, müssen sie zunächst zu
Umgang mit Gleichaltrigen andere kinder miteinander sind, desto mehr den betreuenden Erwachsenen eine
Kompetenzen als der Umgang mit Interesse zeigen sie aneinander stabile Beziehung aufgebaut haben.
Erwachsenen. und desto besser gelingt es ihnen, Vertraute Räumlichkeiten, Kontinu-
gemeinsame Themen zu finden und ität der Bezugserzieher/innen und
Beobachten ist eine der wichtigsten in einen längeren sozialen Austausch eine feste Gruppenzusammenset-
Erkundungsaktivitäten, mit denen mit Elementen von gemeinsamem zung geben ihnen Sicherheit, auf
sich Kleinkinder aus sicherer Distanz Handeln und kooperativem Spielen andere Kinder zuzugehen und ihre
in ihrer sozialen Umwelt orientieren einzutreten. Reaktionsweisen und Spielvorlieben
und mit ihr vertraut werden. Kinder kennenzulernen.
verfolgen das Verhalten und die In der vorsprachlichen Phase ver-
Spielverläufe anderer Kinder und suchen Kleinkinder vor allem über Soziale Interaktion kleiner Kinder
übernehmen Anregungen für das Blickkontakte, Nähe und Berühren beschränkt sich zunächst immer nur
eigene Spiel. Wenn Kinder in ihrem die Aufmerksamkeit anderer Kinder auf einen weiteren Partner. Komple-
sozialen Erkundungsstreben mutiger zu erreichen. Ein Kind berühren, xere Situationen, in denen mehrere
werden, gesellen sie sich zu einem weglaufen und sich dann wieder Kinder in einem Gruppenprozess
anderen Kind und knüpfen erste fragend umdrehen, kann eine ein Spiel initiieren und ihre Rollen
direkte Kontakte. Sie imitieren Be- Aufforderung zum Fangen spielen darin finden, übersteigen noch die
wegungen, Aktivitäten und suchen sein. Ungewöhnliche Bewegungen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten
ähnliche Spielgegenstände. Dieses Klatschen oder Krach machen sind von unter Dreijährigen. Mit einem
Parallelspiel ist eine Übergangs- oftmals Versuche, andere Kinder einzelnen Interaktionspartner sind
form zwischen Einzelspiel und dem zum Nachmachen aufzufordern. Das aber auch schon kleine Kinder in
Sozialspiel, bei dem soziale Aktivitä- Überreichen eines Spielobjektes in der Abstimmung ihrer Handlungen
ten von nebeneinander spielenden Verbindung mit seiner Annahme ist erstaunlich kompetent.
Kindern zwar gegenseitig wahrge- eine gelungene Interaktion - auch

– 41 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

zwischen ihren Handlungsabsichten


und unterstützen sie bei der Suche
nach Lösungsmöglichkeiten für den
Konflikt.
Ein kleines Kind nimmt vor allem
den Effekt, nicht aber die Konse-
quenzen seines Handelns für andere
wahr. Es kann sich noch nicht in die
Gefühle eines anderen Kindes hin-
einversetzten, dessen Sandkuchen
oder Turm es zerstört hat. Es versteht
daher nicht, warum es die Grenze
von jemand anderem überschritten
hat. Kinder unter drei Jahren sind
nicht nachtragend. So wie ein ge-
meinsam begonnenes Spiel in einen
Konflikt umschlagen kann, so kann
auch aus konflikthafter Interaktion
schnell wieder eine gemeinsame
Handlung entstehen.

Im Erleben von unter Dreijährigen


gehört ihre persönliche Umwelt und
alles, was sich darin befindet, zu ih-
rem Selbst. Schritt für Schritt sollten
Kinder lernen, zwischen Selbst und
Umwelt zu unterscheiden, ihre Ab-
sichten angemessen zu kommunizie-
ren, dem Rhythmus von Aktion und
Reaktion zu folgen und Störungen
aufzufangen. Erste Formen von sozi-
Konfliktbewältigung Explorationsdrang eines Kindes aler Teilhabe und Kompetenzen zur
akzeptieren, seine Handlungsabsich- Selbstbehauptung, Kooperation und
Konflikte gehören zum Leben, sind ten verstehen und zwischen Kindern Anpassung entwickeln sich bereits
Teil des Krippenalltags und bieten vermitteln können, ohne dabei im Krippenalter. Die Fähigkeiten
Kindern wichtige Lernanlässe. Kinder Spielprozesse und Kommunikations- zum Teilen, Abgeben und Schenken
lernen erst schrittweise, zwischen versuche vorschnell zu unterbrechen. folgen in einem nächsten Schritt – in
„Mein“ und „Dein“ zu unterschei- enger Verbindung mit der Ausdiffe-
den. Sie überschreiten Grenzen und Fachkräfte erkennen Annäherungs- renzierung des kindlichen Selbstkon-
werden „übergriffig“, wenn sie ihre versuche und Abgrenzungsbestre- zeptes.
Vorstellungen ausleben, dabei ihrem bungen von Kindern. Sie haben
natürlichen Explorationsdrang fol- im Blick, wenn schüchterne Kinder
gen und dabei Grenzen überschrei- schnell aufgeben oder sich erst gar
ten. Wenn ein zweijähriges Kind nicht trauen, etwas zu fordern. In
einem anderen Kind die Schaufel Konfliktfällen lassen sie Aushand-
wegreißt, ist dies Ausdruck von Inte- lungsprozesse zu und schlagen
resse an seinem Spiel. Handlungsalternativen vor, zum
Beispiel über das Bereitstellen von
Zum Streit kommt es auch, wenn zusätzlichem Spielzeug. Nur wenn
Kinder auf sich aufmerksam machen sich keine Lösung für einen Kon-
wollen. Die (non-verbale) Kontakt- flikt finden lässt, ein Kind mit einer
aufnahme zu anderen Kindern Konfliktsituation überfordert ist
misslingt, wenn diese bei einer ihnen oder Schaden nehmen kann, greifen
wichtigen Tätigkeit nicht unterbro- Fachkräfte direkt ein. Sie ergreifen
chen oder gestört werden wollen. dabei nicht Partei, sondern wenden
Wenn soziale Annäherungsversuche sich beiden Kindern aufmerksam zu,
mit Abwehrreaktionen beantwor- zeigen Verständnis für ihr Han-
tet werden, müssen Fachkräfte den deln und ihre Gefühle, vermitteln

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Altersübergreifendes Leben und eine Kindergartengruppe erfordert ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
Lernen in der Kindergruppe konzeptionelle, strukturelle und
personelle Rahmenbedingungen, s 7IE STELLE ICH SICHER DASS SICH EIN
Die Aufnahme von unter Dreijähri- die allen Kindern altersangemesse- Kind in seiner Gruppe wohl fühlt?
gen in Kindergartengruppen kann ne Lernimpulse sowie verlässliche
insbesondere zweijährigen Kindern Beziehungen zu ihren Betreuungs- s 7IE UNTERSTàTZE ICH +INDER DAMIT
vielfältige Lernanregungen und personen bieten. sie Strategien und Kompetenzen
Entwicklungsimpulse im Kontakt mit für die Kontaktaufnahme zu
älteren Kindern bieten. Ideal sind Durch geschickte Angebotsauswahl anderen Kindern entwickeln
gleitende, mit Blick auf das Kind können Fachkräfte Interaktionen können?
konzipierte Übergänge in Einrich- zwischen jüngeren und älteren
tungen mit Krippen und Kindergar- Kindern inszenieren, die für beide s 7IE KANN ICH +INDER UNTERSTàTZEN
tengruppen. Für eine Übergangs- Altersstufen förderlich sind. Bezie- ihre Konflikte möglichst
gestaltung eigenen sich auch die hungsangebote und Bildungsimpul- eigenständig zu lösen?
gemischten Gruppen des Früh- und se müssen dabei aber den jeweiligen
Spätdienstes, das Spiel aller Kinder Entwicklungsstand eines einzelnen s 7IE NEHME ICH WAHR DASS EIN
auf dem Außengelände oder auch Kindes berücksichtigen. Weder die Kind mit einer sozialen Situation
Feste und Feiern für eine altersüber- Belange der Kleinsten noch die Be- überfordert ist? Wie reagiere ich
greifende pädagogische Arbeit. dürfnisse der Großen dürfen dabei auf welche Signale?
Auch Kindergartenkinder können zu kurz kommen.
davon profitieren, sich mit un- s 7ELCHE %RFAHRUNGEN KANN EIN +IND
ter Dreijährigen zu befassen. Sie Aufgrund der großen Entwicklungs- in der Krippengruppe machen?
erhalten Rückblick auf ihre eigenen unterschiede von Kindern zwischen
Entwicklungsphasen und erfahren, 0 und 3 Jahren ergeben sich schon s 7IE KANN ICH DAFàR 3ORGE TRAGEN
dass sie mittlerweile fähig sind, in reinen Krippengruppen zahl- dass Säuglinge und sehr kleine
Kleinkindern behilflich zu sein und reiche Möglichkeiten, dass kleine Kinder in der Krippengruppe nicht
ihnen Kenntnisse zu vermitteln. Eine Kinder die Handlungen größerer untergehen?
altersübergreifende Gruppenzusam- Kinder in ihrem Spiel aufgreifen und
mensetzung kann sich daher positiv größere Kinder auf kleinere Kinder s 7IE STELLE ICH SICHER DASS
auf das soziale Leben und Lernen eingehen. Bei der Einrichtung neuer Kinder aller Altersstufen bei
auswirken. Krippengruppen sollte im Sinne altersübergreifendem Lernen zu
einer ausgewogenen Altersmischung ihrem Recht kommen?
Bei der Aufnahme von Kindern un- darauf geachtet werden, dass nicht
ter drei Jahren in eine Kindergarten- nur Kinder eines Jahrgangs aufge-
gruppe ist darauf zu achten, dass die nommen werden.
Mischung von Alter und Geschlecht
so ausgewogen ist, dass sowohl Bei der Gestaltung der Beziehungen
altersübergreifende als auch alters- zwischen Fachkraft und Kind ist zu
gleiche Spielpartnerschaften möglich beachten, dass Kinder bis etwa zum
sind. Gleichzeitig ist zu berücksich- 18. Lebensmonat eher familienähn-
tigen, dass Kinder unter drei Jahren liche Interaktionen brauchen, um
ihren Spiel- und Forschungsinteres- Beziehungssicherheit zu erfahren.
sen aktiver nachkommen, wenn sie Eineinhalb- bis dreijährige Kinder
in kleineren Einheiten (Raum und profitieren zunehmend von grup-
Gruppengröße) selbstsicher agieren penorientierten Interaktionen in
können und in Kommunikation mit einer stabilen Gruppenzusammen-
vertrauten Spielpartnern sind. Auch setzung.
muss für sie ein altersgerechtes Spiel-
und Materialangebot vorhanden
sein.

Die pädagogischen Herausforde-


rungen für Einrichtungen, die unter
Dreijährige gemeinsam mit älteren
Kindern betreuen, sind ungleich
größer als bei reinen Krippen und
Kindergartengruppen. Die Aufnah-
me von Kindern unter drei Jahren in

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FRÜHKINDLICHE BILDUNG

3. Das Spiel – die elementare Schon in seinen ersten Lebensmo- Während das Spiel von Säuglingen
Lernform von Kindern naten beherrscht ein Kind zwei auf Bezugspersonen angewiesen ist,
wesentliche Grundbausteine spiele- die auf dieses Spiel reagieren, erfolgt
Spielen ist Lernen. Im Spiel ver- rischen Handelns: einfache Formen das Als-ob-Spiel eines Kleinkindes
arbeitet ein Kind Eindrücke und der Nachahmung und die handelnde unabhängig von der Präsenz einer
Erfahrungen. Spiel ist jedoch nicht Erforschung von Zusammenhängen. anderen Person. In den Spielsequen-
nur rezeptiv verarbeitend, sondern Schon in den ersten (non-verbalen zen des Als-ob-Spiels reflektiert das
auch produktiv schöpferisch. Im Dialogen) zwischen Kind und Kind nicht die Reaktionen anderer
Spiel schafft ein Kind Bedingungen, erwachsener Bezugsperson sind Ele- sondern seine eigenen Erfahrungen
unter denen sich verschiedenste – mente von spielerischem Verhalten und Gefühle in immer neuen Zusam-
selbst widersprüchlich erscheinende enthalten: die Lust sinnlicher Wahr- menhängen. Im Spiel erweitert sich
– Lebenserfahrungen miteinander nehmung, die Beobachtung von das kindliche Selbst durch das eifrige
verbinden lassen. Es probiert aus, Auswirkungen des eigenen Tuns, die Beobachten und Imitieren seiner
was es in seinem Umfeld wahrge- Wiederholung und Variation von sozialen Umwelt. Über Imitation
nommen hat. Es durchdenkt Erlebtes Handlungen sowie das Suchen nach versetzt es sich in andere hinein und
und testet es in immer neuen Zu- und Testen von Grenzen. macht deren Verhaltensmuster und
sammenhängen und Möglichkeiten. Im Spiel findet die kindliche Vorstel- die daran geknüpften Gefühle in
So gesehen ist Spiel die Arbeit des lungskraft ihren Ausdruck. Im Spiel sich selbst lebendig. Indem es eine
Kindes. eröffnen sich Kinder einen (inneren Zeit lang ein anderer als es selbst
und äußeren) Raum des „als ob“. sein kann, gewinnt es auch Distanz
Spiel beinhaltet Realitätsbewälti- Dieser Raum bietet Möglichkei- zu sich selbst und vermag sich von
gung. Im Spiel erkunden Kinder, wie ten, das bisher Erlebte in kreativen außen wahrzunehmen.
viel Wunschwelt die Wirklichkeit Formen zu verarbeiten und da-
verträgt und wie viel Wirklichkeit bei wieder neue Erfahrungen zu Das bildende Moment des Spiels ist
notwendig ist, damit die Wünsche machen. Mit der Entwicklung von weniger das Üben von Fertigkeiten,
nicht nur Fantasie bleiben. Kinder motorischen und kognitiven Fähig- sondern der Zugang zu Welterfah-
brauchen Spiel, um ihre Vorstellun- keiten erweitert sich dieser Raum. rung, den Spiel ermöglicht. Jedoch
gen und die Realität miteinander zu Zunächst kann ein Kind in seinem werden Verhaltensweisen, die sich
versöhnen. Im Spiel erfahren Kinder Spiel nur das aufgreifen, was es un- das Kind spielerisch aneignet, in der
die Wirklichkeit, ohne ihr gleich re- mittelbar beobachtet. Zunehmend weiteren Entwicklung zu zielgerich-
alistisch gerecht werden zu müssen. gelingt es ihm, auch Erlebnisse aus teten Funktionen – wie zum Beispiel
Sie tragen ihre Wünsche in die Wirk- seiner Vergangenheit in das Spiel das Kriechen und Gehen oder das
lichkeit und verändern sie danach. einzubringen. Füllen eines Gefäßes. Im Spiel ge-
Sie probieren die neu entstehenden brauchen Kinder alle Formen körper-
Wirklichkeiten aus und stellen spie- Die (aufgeschobene) Nachahmung lich-sinnlicher Erfahrung, szenischer
lend fest, welche Konsequenzen sich und ihre fantasievollen Variationen oder bildhafter Vorstellungen, sub-
aus diesen vorgestellten Wirklichkei- bilden die Grundlage des „Als-ob- jektiver Fantasien, sprachlichen oder
ten ergeben könnten. Spiels“, dem ein- und zweijährige nichtsprachlichen Denkens sowie des
Kinder häufig nachgehen. Es bildet sozialen Austauschs und der Ver-
die erlebte Wirklichkeit ab und ständigung. Im Spiel nutzen Kinder
inszeniert sie mit viel Fantasie in im- diese zur Gestaltung individueller
mer neuen Szenen und Spielsequen- Lern- und Bildungsprozesse. Dabei
zen. Es erlaubt dem Kind, über sich liegt der Sinn des kindlichen Spiels
und die Welt nachzudenken. Dabei in der Handlung selbst und ist nicht
werden Gegenstände lebendig und auf ein bestimmtes Ergebnis oder
bekommen eine neue Bedeutung: Ziel hin orientiert. Die Bedeutung,
Ein Faden wird zur Schlange, ein die Kinder ihren Spielhandlungen
Karton zum Auto und eine Zimmer- geben, kann sich von einer Minute
ecke zur Wohnung der Großeltern. auf die andere völlig verändern.

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Spiel ist frei und spontan. Es muss Das Spiel drückt den Entwick- ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
vom Kind ausgehen. Das Kind lungsstand eines Kindes aus. In der
braucht die Kontrolle über seine frühesten Kindheit überwiegen s 7IE TRÊGT MEIN PÊDAGOGISCHES
Aktivität, um Interesse und Sinnhaf- das sensomotorische Spiel mit den Handeln der Bedeutung des Spiels
tigkeit des Spiels nicht zu verlieren. eigenen Körperbewegungen sowie für das frühkindliche Lernen
Erwachsene sollten nicht versuchen, das manuelle, orale und visuelle Rechnung?
Spielprozesse auf bestimmte Lern- Erkunden. Wenn ein Kind Gegen-
ziele hin zu steuern. Im Spiel wendet stände des Alltags voneinander s $URCH WELCHE )MPULSE KÚNNEN
sich das Kind seiner Um- und Mit- unterscheiden kann, wendet sich Kinder ins Spiel gebracht werden?
welt freiwillig zu und verfügt selbst sein Interesse ihren Funktionen zu.
darüber, wie weit und auf welche Erste Funktionsspiele beruhen unter s 7ELCHE -ERKMALE PRÊGEN DEN
Weise es sich auf diese einlässt. Das anderem auf dem Tragen, Werfen, Spielverlauf eines Kindes oder
selbstbestimmte und konzentrierte Sammeln und Sortieren von Gegen- einer Kindergruppe?
Spiel eines Kindes darf nicht gestört ständen oder auch dem Ausgießen
werden. Fachkräfte sind sich be- und Füllen von Gefäßen. Im Rahmen s 7IE BEGRàNDE ICH DIE !USWAHL
wusst, dass selbst Lob und Anerken- von Explorationsspielen geht ein der Materialien, die ich Kindern
nung eine unerwünschte Störung Kind der Ursache und Wirkung nach: anbiete?
sein können. Sie sollten Kinder nicht Was passiert, wenn ich einen Stein
durch vorgegebene Zeitpläne aus in die Pfütze werfe? Im Konstrukti- s 7ELCHE 2AHMENBEDINGUNGEN
dem Rhythmus ihres Spiels reißen. onsspiel erschafft es aus Einzelteilen haben sich bewährt, um ein
Dies sollte bei der Gestaltung und neue Gegenstände. Im Symbolspiel konzentriertes und ungestörtes
Organisation von Tagesabläufen in (Als-Ob-Spiel) werden Alltagsgegen- Spiel von Kindern zu
der Kindertageseinrichtung beachtet stände nach eigenen Vorstellungen gewährleisten?
werden. eingesetzt, im Rollenspiel ganze
Lebenswelten nachempfunden (z. B. s 7ELCHE 2OLLE SPIELEN VORBEREITETE
Die Interaktion mit erwachsenen auf Reisen, im Haushalt, bei der Ärz- Angebote? Welche Kinder gehen
Bezugspersonen ist für das Kind ein tin, beim Friseur, auf dem Bauernhof wie darauf ein?
wichtiger Ausgangspunkt, um ins oder im Zoo) und dabei auch andere
Spiel zu kommen und sein Spiel zu Kinder mit einbezogen.
entwickeln. Erwachsene können
das Spiel von Kindern unterstützen, Auch wenn die zeitliche Abfolge
indem sie im Rahmen einer gegen- dieser Formen des Spiels bei allen
seitigen Verständigung Facetten Kindern gleich ist: Faktoren wie
ihrer eigenen Wahrnehmungs-, Neigungen, Interessen, Neugierver-
Auffassungs-, Handlungs-, und halten, Probierlust oder Ausdauer
Denkmöglichkeiten einbringen. Die sind mitbestimmend für die oft er-
Initiative für die Gestaltung eines heblichen individuellen Unterschie-
wechselseitigen Spiels sollte dabei de im Spielverhalten. Auch kann
immer dem Kind überlassen bleiben. ein bestimmtes Spielverhalten in
Anregungen von Fachkräften sollten sehr unterschiedlichen Altersstufen
an das anknüpfen, was ein Kind be- auftreten und unterschiedlich stark
wegt. So kann eine Fachkraft einem ausgeprägt sein. Während ein Kind
Kind, das einem anderen Kind mit wochenlang Türme bauen kann,
Interesse beim Ballspielen zuschaut, hat ein anderes bereits nach einigen
einen weiteren Ball anbieten. Oder Tagen genug von dieser Aktivität.
sie kann einem Kind, das eine Puppe
wäscht, Creme und Handtücher
anbieten. Gute Spielideen, die sich in
einer positiven Interaktion entwi-
ckeln, werden auch andere Kinder
animieren, sich in ihrem Parallelspiel
darauf einzulassen – zum Beispiel
das Bauen einer Höhle oder das
Hüpfen wie ein Hase.

– 45 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

4. Die Einrichtung einer


anregenden Lernumgebung

Das Ziel der Einrichtung von anre-


genden Lernumgebungen ist es, für
jedes Kind ein Umfeld zu schaffen,
in dem es vielfältige Erfahrungen
sammeln und verarbeiten kann. Im
Rahmen verlässlicher Beziehungen
vermitteln Fachkräfte Kindern ein
Gefühl von Sicherheit und Wohlbe-
finden. Sie tragen dafür Sorge, dass
ein Kind warm, satt, trocken, ausge-
ruht und zufrieden ist. Ansonsten
wird es nur wenig Interesse zeigen,
sich auf seine Lernumgebung einzu-
lassen.

Das Alltagsgeschehen der Kinder-


tageseinrichtung ist immer eine
Lernumgebung, wenn es als Bil-
dungssituation gestaltet beziehungs-
weise erkannt und dann konsequent
genutzt wird. Die Gestaltung von
anregenden Lernumgebungen im
Alltagsgeschehen beruht auf der Be-
achtung kindlicher Bedürfnisse und
Interessen, einer ko-konstruktiven
Interaktion zwischen Fachkräften
und Kindern, einer variationsreiche
Gestaltung von Räumlichkeiten und Über die gezielte Bereitstellung von kombinieren), desto größer wird das
der Bereitstellung von geeigneten Spielmaterial formuliert die Erzie- Interesse und die Aufmerksamkeit
Spielmaterialien herin die Bildungsaufgaben nicht des Kindes für diesen Gegenstand
verbal, sondern lässt die Materialien sein.
Jedes Kind benötigt eine Lernumge- „sprechen“. Sie überlegt, welche
bung, die seinem Entwicklungstand, Materialien Kinder bei der Bewälti- Ein Spielzeug ist jeder Gegenstand,
seinen aktuellen Interessen und gung ihrer nächsten Entwicklungs- der für Kinder interessant und unge-
seinen individuellen Vorlieben ent- schritte unterstützen können. Indem fährlich ist. Das Kind entscheidet, ob
spricht. Fachkräfte sollten daher Tag sie sammelt, auswählt, aussortiert, ein Gegenstand „Zeug zum Spielen“
für Tag eine Vielzahl von Lernumge- herbeischafft und konstruiert. Allei- ist beziehungsweise wie man mit
bungen schaffen. Dazu beobachten ne, mit Hilfe von anderen oder als einem Spielzeug spielt. Ein altes
sie aufmerksam, welche Materialien Ideengeberin – auch in der Zusam- Telefon, ein Wecker oder andere
und Impulse Kinder benötigen, um menarbeit mit Kindern – bahnt sie (ausgemusterte) Gebrauchsgegen-
in ein eigeninitiatives und selbsttä- Kindern einen Weg, auf dem Bil- stände fordern die Neugier und den
tiges Spiel zu kommen. Sie ermutigt dungserfahrungen gemacht werden Forschergeist von Kindern heraus.
mit wohlwollenden Blicken und können. Fachkräfte unterstützen diesen
bringt sich bei Bedarf mit Impulsen Forschergeist durch ihre positive
und Denkanstößen in seine Lern- Lernumgebungen sind besonders Resonanz.
und Bildungsprozesse ein. Sie staunt, anregend, wenn sie Kindern etwas
sie fragt, sie hört zu, sie erinnert, sie für sie noch Unbekanntes bieten, Kinder sind zufrieden, wenn sie
erklärt und sie lobt. Das gemeinsame das sie eigenständig und spielend wenige aber vielseitig bespielba-
Nachdenken über die Phänomene erforschen können. Das Spiel kleiner re Materialien in überschaubaren
der Welt ist eine wichtige Form der Kinder wird am besten angeregt, Mengen haben, die sichtbar und frei
Interaktion, um ein interessiertes, wenn das Material zum Spielen zugänglich sind. Für einen Säugling
aktives und konzentriertes Spielver- keine eindeutigen Vorgaben für bedeutet dies, dass Materialien in
halten zu unterstützen. den Gebrauch macht. Je mehr man Reichweite liegen müssen, um zum
mit einem Gegenstand tun kann Greifen und Heranholen einzula-
(abtasten, bewegen, verändern, neu den. Fachkräfte erkennen, wenn ein

– 46 –
Materialien für kleine Kinder müssen Kleinkinder sind „Bildungsnoma-
zum gefahrlosen, selbständigen den“. Wenn sie einen Ort erforscht
Erkunden geeignet sein. Alle Dinge, haben, ziehen sie auf der Suche nach
die ein Kleinkind gefahrlos in den neuen Erfahrungen weiter. Die Aus-
Mund stecken und nicht verschlu- stattung von Räumen und das An-
cken kann, sind geeignet (Plastik- gebot an Materialien muss diesem
schüsseln, Bauklötze, Rasseln etc.). Umstand Rechnung tragen und sich
Sicherheitsbedenken sollten die gemäß aktueller Spielbedürfnisse
Bildungsmöglichkeiten von Kindern verändern. Räume, die die Bildung
aber nicht unnötig einschränken. fördern, sind daher nie „fertig“. Die
Auch die Kleinsten begreifen schnell Kinder selbst und die Beobachtung
und akzeptieren ein festes Regel- ihres Handelns machen deutlich,
werk im Hinblick auf die Nutzung was an den Räumen stimmt und was
von Materialien oder Orten für spe- verändert werden muss. Raumge-
zielle Aktivitäten. Die Zugänglichkeit staltung im Dienste von Bildungs-
von Kinderscheren braucht nicht prozessen bleibt eine fortlaufende
eingeschränkt zu werden, wenn Aufgabe. Kinder sollten Räume nicht
Kindern die für die Nutzung not- als fertig erleben, sondern Mög-
wendigen Regeln vermittelt werden lichkeiten zur eigenen Gestaltung
können. vorfinden. Dafür bietet sich Mobiliar
an, das immer wieder neu arrangiert
Kinder benötigen Räume, die werden kann.
überschaubar und vielfältig sind.
Wie zwischenmenschliche Bezie- Die Gestaltung der Räumlichkeiten
hungen sollten auch Räume kleinen einer Kindertageseinrichtung be-
Kindern Sicherheit und Anregung rücksichtigt, welche Weltausschnitte
bieten. Kleine Kinder explorieren den Sinneswahrnehmungen der
ihre Welt in konzentrischen Krei- Kinder zugänglich sind. Eine Didak-
sen – vom Sicheren und Bekannten tik des Raumes muss den Perspek-
zum Unsicheren und Neuen. Kinder tiven der Kinder Rechnung tragen.
Spielgegenstand langweilig wird brauchen daher freie Spielfläche, um Unter Dreijährige werden Fußbo-
und wechseln das Angebot. Wenn ihren Explorations- und Bewegungs- denbeläge, Fußleisten oder aber die
sie bestimmte Materialien zeitweise drang selbstbestimmt und selbsttätig Decke über dem Wickeltisch anders
wegräumen, werden Kinder sie nach ausleben zu können, ohne dabei wahrnehmen als ihre erwachsenen
einer Weile mit neuer Begeisterung aneinander zu geraten. Sie benöti- Bezugspersonen. Deckenlampen
(wieder)entdecken. gen aber immer auch Nischen und sollten auf dem Boden liegende
Ecken, wo sie entspannen oder in Kleinkinder nicht blenden. Bodenbe-
Für das Explorationsspiel sind Ruhe spielen können. Es ist eine läge sollten nicht zu kalt sein, unter-
Gefäße und Steine geeignet, für nicht zu unterschätzende pädagogi- schiedliche Sinneswahrnehmungen
die sinnliche Wahrnehmung Na- sche Herausforderung, einen Raum ermöglichen und möglichst einfach
turmaterialien, Musikinstrumente, so zu gestalten, dass er gleichzeitig zu reinigen sein.
Tastpfade, Knete und Farbe. Für das Geborgenheit und Explorationsmög-
Konstruktionsspiel benötigen Kinder lichkeiten bietet. Je klarer die Räume strukturiert sind,
Bauklötze, Kissen, Pappkartons oder desto besser können sich Kinder
Schaumstoffelemente. Das Rollen- darin orientieren. Je übersichtlicher
spiel kann durch Theaterutensilien die Materialien geordnet sind, desto
und traditionelles Spielzeug unter- zielgerichteter könnend Kinder sich
stützt werden, mit dem Kinder die betätigen. Je besser sie Blickkontakt
Welt der Erwachsenen nachspielen. zu einer erwachsenen Bezugsperson
Unbekannte Alltagsgegenstände wie herstellen können, desto sicherer
Salatschleudern, Würstchenzangen fühlen sie sich. Eine sehr kleinteilige
und Teesiebe führen nicht selten zu Raumaufteilung kann die Orientie-
kreativen Spielhandlungen. Tische rung und Bewegungsfreiheit von
mit Decken können zu Höhlen, Kindern erschweren. Zu viele Möbel,
hintereinander gestellte Stühle zu Materialien oder auch andere
Eisenbahnen werden. gestalterische Elemente bergen die
Gefahr einer Reizüberflutung und
erschweren die Orientierung. Je

– 47 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

unübersichtlicher die Umgebung ANREGUNGEN ZUR REFLEXION 5. Beobachtung und


eines Kindes ist, desto weniger aktiv Dokumentation
wird es seine Bildungswege verfol- s 7AS LÊDT +INDER IN MEINER
gen. Kinder brauchen für ihr Spiel Einrichtung zum Wahrnehmen, Beobachtung und Dokumentation
nicht viele, sondern wenige aber gut Entdecken und Erkunden ein? verfolgen das Ziel, die Bedürfnisse,
ausgewählte Dinge. Interessen und Themen der Kin-
s 7ELCHE 3IGNALE DES +INDES SAGEN der zu entschlüsseln und auf der
Bei der Ausstattung von Spielräu- mir, dass es sich wohl und sicher Grundlage der hier gewonnenen
men müssen Sicherheitsaspekte fühlt? Erkenntnisse den pädagogischen
beachtet werden. Es muss gewähr- Gruppenalltag und die Entwick-
leistet sein, dass sich kleine Kinder s .ACH WELCHEN PÊDAGOGISCHEN lungsbegleitung der einzelnen
frei bewegen können, ohne sich zu Prinzipien haben wir die Lern- und Kinder fachlich fundiert zu gestal-
gefährden oder auf Hilfestellungen Entwicklungsumgebungen in ten. Beobachtende Wahrnehmung
angewiesen zu sein. Den Bedürfnis- unserer Einrichtung gestaltet? und wahrnehmendes Beobachten
sen unterschiedlicher Altersgruppen sind damit Grundlagen von elemen-
muss Rechnung getragen werden. s 7ELCHE 2OLLE SPIELEN HIER tarpädagogischem Handeln und der
Säuglinge brauchen geschützte Menschen, Materialien und Gestaltung anregender Lernumge-
Räume, wo sie beobachten können, Räumlichkeiten? bungen. Über Beobachtung und Do-
was andere Kinder machen, aber die kumentation sichern Fachkräfte die
Zweijährigen nicht über sie „hin- s !US WELCHEN 0ERSPEKTIVEN KANN Qualität und Professionalität ihrer
weglaufen“. Zweijährige müssen ein Säugling, ein einjähriges pädagogischen Arbeit, sie machen
Materialien nutzen können, die und ein zweijähriges Kind die Ergebnisse ihres pädagogischen
von Einjährigen noch ferngehalten die Lernumgebungen im Handelns nachvollziehbar.
werden sollten. Innen- und Außenbereich
der Einrichtung wahrnehmen Regelmäßiges und häufiges Beob-
Das Außengelände sollte einen und für seine Bildungs- und achten ist von Vorteil – nicht nur um
geschützten Bereich - zum Beispiel Entwicklungsprozesse nutzen? die Bildungsprozesse von allen Kin-
einen Sandkasten in Gruppenraum- dern einer Gruppe gut begleiten zu
nähe mit Blickkontakt zur Erzieherin s 7ELCHE ,ERNUMGEBUNGEN HABEN können. Je mehr Übung eine Fach-
- und Freiraum für weitergehende sich für ein selbsttätiges und kraft mit Beobachtung und Doku-
Erkundungen haben. Das Außen- selbstständiges Spiel bewährt? mentation hat, desto professioneller
gelände sollte Kontakt zur Natur Welche nicht? kann sie mit dieser Aufgabe umge-
erlauben und Platz zum Spielen und hen. Bei wenigen Beobachtungen
Rennen bieten. Spielgeräte sollten s 7O WIRD DIE 3ELBSTTÊTIGKEIT VON zu besonderen Anlässen (Konflikte,
vielfältige Bewegungsmöglichkeiten Kindern unnötig eingeschränkt? Übergänge) besteht zudem die
und Erkundungsräume bieten - mit Wie kann dies geändert werden? Gefahr, dass nur die Kinder beachtet
unterschiedlichen Schwierigkeits- werden, deren Verhalten von den
graden. Für ältere Krippenkinder s 7O GIBT ES 3ICHERHEITSMÊNGEL 7IE üblichen Erwartungen abweicht.
eigenen sich Gitter- oder Netzschau- können sie behoben werden? Nur die regelmäßige und systemati-
keln, niedrige Kletterbäume und sche Beobachtung aller Kinder einer
Hochebenen. Gruppe sichert, dass auch stille und
unauffällige Kinder angemessen
Auch im Umfeld der Kindertages- beachtet werden.
einrichtung gibt es anregende
Lernumgebungen, die als Lern- und Fachkräfte müssen erfahren, dass
Bildungsorte genutzt und in die sich die Investition von Zeit und
pädagogische Arbeit der Krippe ein- Ressourcen für Beobachtung und
bezogen werden können. Ausflüge Dokumentation für ihre Arbeit aus-
zur nächsten Baustelle, der Besuch zahlt. Das Entschlüsseln kindlicher
eines Spielplatzes oder einer Kirche Motivationen und Kompetenzen soll
in der Nähe der Einrichtung oder Freude machen. Nicht die aufwän-
auch ein Tag im Wald oder Wildpark dige Dokumentation, sondern die
bieten Eindrücke und Erfahrungen regelmäßige und die Auswertung
über das hinaus, was im Innen- und unterschiedlicher Wahrnehmungen
Außenbereich der Krippe ermöglicht und Beobachtungen im Team der
werden kann. Fachkräfte sind wichtig. Entschei-
dend sind die Qualität des Sehens,

– 48 –
Hörens und Nachdenkens und die
Bereitschaft, voneinander zu lernen.

Bei der Entwicklung von Beobach-


tungs- und Dokumentationsver-
fahren in einer Tageseinrichtung
sind die Zielsetzungen im Team
aller Fachkräfte zu entwickeln. Die
Verfahren für Beobachtung und
Dokumentation müssen in die
bestehenden Prozesse von Austausch
und Reflexion in der Einrichtung
eingebettet werden und diese un-
terstützen. Wenn die Aufgabe von
Beobachtung und Dokumentation
zu Stress und Unzufriedenheit führt,
sind die Auswahl und Durchführung
der Verfahren zu reflektieren und
Ursachsenforschung zu betreiben.

Kleine Kinder haben sehr spezielle


Interessen und Bedürfnisse. Sie ver-
folgen eigene Wege des Denkens,
Verstehens und Lernens und sie ent-
wickeln spezifische Deutungs- und
Ausdrucksformen. Sie haben eine
andere Perspektive und nehmen sich
selbst und die Welt anders wahr als Jede Beobachtung wird von der Per- Beobachtungen kann die Fachkraft
Erwachsene. Ihre Perspektive ist sehr son des Beobachters, vom Zeitpunkt eigene Einschätzungen objektivieren
subjektiv geprägt. Sie wird durch der Beobachtung, von der Umge- und Kenntnisse über den familiären
bereits gemachte Erfahrungen und bung des Beobachteten und vielen Hintergrund, die Biographie und
altersspezifischen Möglichkeiten anderen Faktoren geprägt. Mensch- den Entwicklungsstand eines Kindes
bedingt, diese Erfahrungen zu ver- liches Denken und Handeln erfolgt sowie seine soziale und kulturelle
arbeiten. immer im Kontext der eigenen Herkunft erweitern. Dies eröffnet
Erfahrungen und Werte. Um Kinder vielfältige Handlungsmöglichkei-
Über Beobachtung und Dokumen- möglichst objektiv beobachten zu ten und bewahrt vor vorschnellen
tation vollzieht eine Fachkraft die können, müssen sich Fachkräfte Schlussfolgerungen. Es sollte allen
Sichtweise des Kindes, sein Befin- zunächst mit ihrer eigenen Person, Beteiligten bewusst sein, dass sich
den, Erleben und Verhalten nach. mit ihren eigenen Welt- und Erzie- aus Beobachtungen meistens nur
Sie versucht, im Handeln des Kindes hungsvorstellungen und auch mit vorläufige Antworten und vielfach
Bekanntes, Neues oder auch Un- den eigenen (Vor-)Urteilen auseinan- neue Fragen ergeben, die wiederum
erwartetes zu entdecken. Sie lässt dersetzen. Sie dürfen Kindern nicht Ausgangspunkt für pädagogisches
sich dazu auf die kindliche Weltsicht ihre eigene Sichtweise oder ihre Handeln und weitere Beobachtun-
ein. Im Dialog mit dem Kind kann Anliegen zuschreiben. Beobachtung gen sind.
die Fachkraft ihre Beobachtun- beginnt damit immer zunächst mit
gen überprüfen: Stimmt das Kind der Reflektion eigener Erfahrungen Beobachtung und Wahrnehmung
den Einschätzungen der Fachkraft und Ansichten. sind als anerkennende Resonanz auf
zu? Oder sind es ganz andere als das Kind zu verstehen. Sie erfor-
die beobachteten Dinge, die sein Wahrnehmendes Beobachten ist ein dert eine offene und respektvolle
Handeln motivieren? Unter Nutzung einfühlender, kreativer und fort- Haltung gegenüber dem Kind. Es
ihres Fachwissens ergründet sie, laufender Prozess. Da Beobachtung gilt, die Stärken und Potenziale eines
welche Merkmale und Potenziale die immer subjektiv geprägt ist, sollte Kindes in den Blick zu nehmen. Ein
Entwicklung eines Kindes prägen. die Auswertung von Beobachtungen Fokus auf wahrgenommene Schwä-
Auf der Grundlage ihrer Beobach- systematisch erfolgen und auch die chen kann schnell zu Frustration
tungen überprüft sie fortlaufend die Perspektiven von Kindern, Kollegen führen und das Selbstwertgefühl
Stimmigkeit ihres pädagogischen und Eltern einbeziehen. Im Aus- eines Kindes beeinträchtigen. Kinder
Handelns. tausch über ihre dokumentierten spüren sehr genau, ob eine Beobach-

– 49 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

tung wertschätzend, einschätzend Die strukturierte Beobachtung Es bietet sich an, für jedes Kind ein
oder abschätzend ist. Die dem Kind und Dokumentation erfolgt nach Portfolio mit einer fortlaufenden
und seinen Eltern zurückgemeldeten festgelegten Verfahren. Die Nutzung Dokumentation kindlicher Äußerun-
Beobachtungen sollten die Entwick- eines Verfahrens hängt von den Ziel- gen, Tätigkeiten und Spielergebnis-
lung eines realistischen, positiven setzungen ab, die die Einrichtung sen in Form von Protokollen, Fotos
Selbstbildes unterstützen. Schon ein verfolgt: Geht es um die Wahr- oder Sammlungen seiner Werke
zweijähriges Kind kann seine Lern- nehmung der Selbsttätigkeit des zusammenzustellen. Das ausge-
erfahrungen reflektieren und sich Kindes und eine darauf aufbauende wählte Material sollte bedeutsame
seiner Lernerfolge bewusst werden. pädagogische Planung (Bildungs- Ereignisse in der Entwicklung des
und Lerngeschichten) oder um die Kindes aufzeigen und Prozesse,
Für eine systematische Verankerung Kontrolle von Lernfortschritten im Entwicklungen und Veränderungen
von Beobachtung und Dokumen- Rahmen definierter Altersnormen dokumentieren. Die Entscheidungen
tation im pädagogischen Alltag (Entwicklungstabellen) oder um ein für die Auswahl des Materials sollte
der Tageseinrichtung müssen die frühzeitiges Erkennen von Entwick- die Fachkraft in einem kurzen Kom-
entsprechenden Voraussetzungen lungsstörungen (Grenzsteine der mentar erläutern.
geschaffen werden. Dazu gehören Entwicklung)?
feste Zeiten im Tages- oder Wo- Das Portfolio sollte eine Struktur
chenablauf und Absprachen, welche Oftmals kann ein einzelnes Beobach- erhalten, die die Prozesse und
Unterstützung das Team jeder tungsverfahren nicht alle Erkenntnis- Schwerpunkte der Beobachtung
Fachkraft geben kann, um dieser interessen abdecken. Bei der Durch- und Dokumentation in der Einrich-
Aufgabe innerhalb der Betreuungs- führung mehrerer Verfahren sollten tung abbildet. Gliederungspunkte
zeit nachzukommen. Die Art der Be- diese immer aufeinander bezogen wären zum Beispiel Stationen der
obachtung kann je nach Zielsetzung ausgewertet werden. Wichtig ist, Eingewöhnung, Lieblingsbeschäfti-
variieren: Sie kann frei, systematisch dass das ausgewählte Verfahren und gungen im Krippenalltag, Entwick-
oder strukturiert erfolgen. die darauf aufbauende Gestaltung lungsschritte, Spielpartner oder auch
von anregenden Lernumgebungen Bildungs- und Lerngeschichten. In
Während die freie und in den päda- in sich schlüssig sind. Ergeben Beob- Zusammenarbeit mit der Familie
gogischen Alltag integrierte Beob- achtungen der Entwicklungsverlaufs des Kindes können auch Materialien
achtung dazu dient, das Handeln der einen Verdacht auf Entwicklungsver- einfließen, die die Eltern beisteuern.
Fachkräfte an den Bedürfnissen und zögerungen, so sind in Rücksprache Verlässt ein Kind die Einrichtung,
Interessen eines Kindes auszurichten, mit den Eltern weitere Experten sollte es seinen Ordner mitnehmen
verfolgt eine systematische Beob- beziehungsweise medizinisches dürfen.
achtung bestimmte Themen oder Fachpersonal hinzuzuziehen.
Fragestellungen. Diese können sich Grundsätzlich gilt: Beobachtun- Nicht nur die Zielsetzungen von
auf die Bewältigung individueller gen müssen möglichst unvorein- Beobachtung und Dokumentation,
Entwicklungsaufgaben (motorische genommen, präzise und sachlich sondern auch die Verwendung der
Fähigkeiten, Spracherwerb) bezie- genau dokumentiert werden. In erstellten Unterlagen muss im Team
hen oder das Kind in der Gruppe der Darstellung sollte eine sachliche der Fachkräfte abgestimmt wer-
betrachten (Eingewöhnung, Leben Beschreibung des beobachteten Ver- den. Sie können im Krippenalltag
und Lernen in der Gruppe). Die sys- haltens nicht mit Deutungen oder verwendet werden, um das Selbst-
tematische Beobachtung wird durch wertenden Aussagen (z. B. „schüch- bewusstsein des Kindes zu fördern.
eine Arbeitshypothese geleitet: Ver- tern“ oder „aufgeregt“) vermischt Sie können Grundlage für Gesprä-
hält sich ein Kind abwartend oder werden. Die Dokumentation von Be- che mit Eltern sein. Sie können der
schüchtern? Wird es unter- oder obachtungen sollte für unterschied- fachlichen Reflexion im Team dienen
überfordert? Beobachtungssituatio- liche Interpretationsmöglichkeiten oder aber auch der Erstellung von
nen werden so ausgewählt, dass sie offen sein. Kindliches Verhalten Entwicklungsberichten oder einem
Rückschlüsse für die Beantwortung findet immer im Kontext statt. Die individuellen Hilfeplan zugrunde
von Fragen zulassen. Dokumentation sollte daher auch liegen.
auf die Situation der Beobachtung
eingehen (z. B. Tageszeit, Ort, Einzel-
oder Gruppensituation, Präsenz
oder Abwesenheit von Bezugsper-
sonen, vertrautes oder unbekanntes
Umfeld).

– 50 –
Wenn das Portfolio eines Kindes ANREGUNGEN ZUR REFLEXION unterschiedlichen Tageszeiten
für die pädagogische Arbeit im beobachtet werden?
Alltag der Kindestageseinrichtung BLICK AUF DAS KIND
zur Verfügung stehen soll und s 7AS FÊLLT MIR ZUERST AUF WENN s 7IE WIRD SICHERGESTELLT DASS
damit öffentlich ist, bietet es sich ich ein Kind beobachte? Welche Beobachtungen regelmäßig im
aus Datenschutzgründen an, eine Stärken, Talente oder Vorlieben, Team reflektiert werden?
vertrauliche Kinderakte zu führen, welche Persönlichkeit nehme ich
die die Reflexionsprozesse der an wahr? s 7ELCHE -ÚGLICHKEITEN GIBT
der Entwicklungsbegleitung beteilig- es, eine kollegiale Beratung
ten Personen dokumentiert: Welche s 7IE INTENSIV ENGAGIERT UND zu Beobachtungen und
Stärken hat das Kind? Wie sehen wir konzentriert spielt ein Kind unter Auswertungen in Anspruch zu
seine Persönlichkeit? Wie setzt es sei- welchen Bedingungen? Wie setzt nehmen?
ne Selbstbildungspotenziale ein? Wo es seine Selbstbildungspotenziale
benötigt das Kind Anregung und ein? Welche Tätigkeiten vermeidet
Unterstützung? Welche pädagogi- es? In welchen Situationen braucht
schen Handlungsstrategien erge- es Schutz oder Unterstützung?
ben sich? Sie darf externen Stellen
(Träger, Fachdienste, Gesundheits- s 7ELCHE 2OLLE SPIELT DAS +IND IN
amt etc.) nur mit dem schriftlichen der Gruppe? Wie reagiert es bei
Einverständnis der Eltern zugänglich Konflikten?
gemacht werden. Nur der Schutz-
auftrag bei Kindeswohlgefährdung BLICK AUF DIE FACHKRAFT
bildet hier eine Ausnahme. s 7ELCHE 5NTERSTàTZUNG WàNSCHE
ich mir als Fachkraft, um Kinder
angemessen einschätzen zu
können?

s 7IE NEHME ICH WAHR DASS EIGENE


Einstellungen, Sichtweisen und
Meinungen meinen Blick auf das
Kind prägen?

s 7ELCHE 3TÊRKEN 2ESSOURCEN UND


Potenziale sehe ich in einem Kind?
Was macht seine Persönlichkeit für
mich aus?

s 7ELCHE !NHALTSPUNKTE HABE


ich dafür, dass ein Kind
einen altersangemessenen
Entwicklungsstand erreicht hat?

s 7ELCHE (ANDLUNGSSTRATEGIEN
folgen aus meiner Beobachtung
und Dokumentation?

ORGANISATION VON BEOBACHTUNG


UND DOKUMENTATION
s 7IE KÚNNEN SICH &ACHKRÊFTE
gegenseitig so unterstützen, dass
jede einzelne regelmäßig Zeit für
Beobachtung und Dokumentation
hat?

s 7IE KANN GEWÊHRLEISTET WERDEN


dass alle Kinder regelmäßig, an
unterschiedlichen Orten bzw. zu

– 51 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

6. Zusammenarbeit im Team In ihrer Beziehungsgestaltung zu Zeiten für die Vor- und Nachberei-
und Aufgaben der Leitung Kindern, Eltern, Kolleginnen, Lei- tung der pädagogischen Arbeit,
tung und Trägern sollten sich Fach- Beobachtung und Dokumentation,
Wenn sich eine Einrichtung für kräfte immer ihrer Vorbildfunktion die Durchführung von Elternge-
die Aufnahme von Kindern unter im sozialen Miteinander bewusst sprächen und Elternabenden sowie
drei Jahren öffnet, sollten sich die sein. Sie leben vor, dass Meinungs- Eltern-Kind-Aktivitäten lassen sich in
Leitung und ihr Team mit den in verschiedenheiten nicht zu Bezie- der Regel nicht spontan in den All-
diesen Handlungsempfehlungen hungsstörungen führen. Sie pflegen tag integrieren. Sie sollten in einem
beschriebenen Anforderungen an einen offenen und freundlichen Jahreskalender geplant und mit
Bildung, Erziehung und Betreuung Umgang. Sie zeigen sich kritikfähig Zielen und Zuständigkeiten versehen
von Kleinkindern auseinandersetzen und lösen Probleme oder Konflikte werden. In dieser Jahresplanung
und die pädagogische Konzeption konstruktiv. Dazu können sie selbst- muss auch berücksichtigt werden,
weiterentwickeln. Auch das Mit- und verständlich auch die Unterstützung dass zum Beispiel zu Zeiten von Ein-
Nebeneinander von Kindern im Krip- der Leitung oder Hilfe von außen gewöhnung oder häufigen Infekten
pen- und Kindergartenalter sollte suchen. Nicht bearbeitete Konflikte mit besonderen Belastungen zu
bedacht werden – vom Austausch im Team der Fachkräfte wirken sich rechnen ist. Bei der Urlaubsplanung
zu besonderen Anforderungen an negativ auf die Arbeitszufriedenheit sollte hierauf Rücksicht genommen
die Arbeit in Krippen- und Kinder- aus, beeinträchtigen das Wohlbefin- werden. Auch Fortbildungen und
gartengruppen bis hin zur Nutzung den der Kinder und beschädigen das Entwicklungsgespräche sollten nicht
der vorhandenen Räumlichkeiten. Vertrauen der Eltern. in Konflikt mit der Präsenz einer Er-
Eine fachliche Abgrenzung oder zieherin in der Eingewöhnungsphase
sogar Konkurrenz zwischen Krip- Die Umsetzung des pädagogischen eines Kindes treten.
pen- und Kindergartenbereich darf Konzeptes der Einrichtung sowie
es nicht geben. Jede Fachkraft trägt die damit verbundene Organisation Kleine Kinder sind auf die Präsenz
Verantwortung für alle Kinder. Alle und die Durchführung der pädago- von Bezugspersonen angewiesen,
Fachkräfte sollten sich auch mit den gischen Arbeit erfordert eine gute um ihre Lern- und Bildungsprozesse
besonderen Anforderungen an die Planung. Die Zielsetzungen der aktiv verfolgen zu können. Dies stellt
Arbeit mit Kindern unter drei Jahren pädagogischen Arbeit und die in der die Planung von Personaleinsatz im
auseinandersetzen und für ein gutes Einrichtung genutzten Verfahren für Krippenbereich vor besondere Her-
Arbeitsklima Sorge tragen. Beobachtung und Dokumentation ausforderungen. Dienstpläne sollten
von Bildungs- und Lernprozessen so organisiert werden, dass ein klein-
Die Fürsorge für das einzelne Kind sollten gemeinsam vereinbart und kindgerechter Tagesablauf möglich
ist aufs Engste verknüpft mit der umgesetzt werden. Sie sind Aus- ist. Für jedes Kind sollte in den Kern-
Eigenfürsorge der Erwachsenen. gangspunkt für die Reflexion des phasen oder mindestens in einer
Ein Kind spürt immer die tägliche pädagogischen Handelns im ge- erweiterten Eingewöhnungszeit eine
Befindlichkeit der betreuenden Er- samten Team, den engen Austausch ihm vertraute Fachkraft anwesend
wachsenen. Je entspannter, achtsa- aller Kollegen und Kolleginnen zur sein. Insbesondere während der
mer und authentischer sich Erwach- Entwicklung einzelner Kinder und Eingewöhnungszeit sollten Bezugs-
sene verhalten können, desto besser die Zusammenarbeit mit Eltern. erzieher/innen im Team unterstützt
ist dies für die betreuten Kinder. Die und entlastet werden, um ihrer Be-
Leitung der Kindertageseinrichtung ziehungsverantwortung gegenüber
sorgt für ein entspanntes Arbeits- einem neu aufgenommenen Kind
klima. Sie fordert und fördert das und seinen Eltern gerecht werden zu
kollegiale Miteinander nach den können. Die Vertretung während Ur-
Prinzipien von Partizipation und laub und Krankheit muss verlässlich
Offenheit für Verschiedenheit. geregelt sein und durch den Kindern
vertraute und eingearbeitete Kräfte
geleistet werden. Sinnvolle Abspra-
chen, gelungene Tagesabläufe, die
gegenseitige Unterstützung und
Freude an der gemeinsamen Arbeit
können nur in einem gut geleiteten
Team gelebt werden.

– 52 –
Die Qualität der pädagogischen Ar- Die Leitung ist der erste Ansprech- ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
beit und die Weiterentwicklung des partner für die Familien der in
Angebotsprofils der Tageseinrich- der Einrichtung betreuten Kinder. s 7ELCHE %RFAHRUNGEN UND
tung profitiert von einer gezielten Sie repräsentiert die Kultur und Einstellungen habe ich zur
Fortbildungsplanung zur Stärkung Grundhaltung, mit denen Familien Betreuung von Kindern unter drei
der beruflichen Kompetenzen von begegnet wird. Sie stellt sicher, dass Jahren?
Mitarbeiter/innen und der konzep- die Grundsätze einer partnerschaft-
tionellen Einbindung von vorhan- lichen Zusammenarbeit mit Eltern s 7ISSEN ALLE -ITARBEITERINNEN WAS
denem Spezialwissen. Die Leitung in die Praxis umgesetzt werden. In zu ihren Aufgaben gehört und wie
nimmt besondere Stärken und Absprache mit dem Träger ist die diese erledigt werden sollten?
Ressourcen in ihrem Team wahr und Leitungskraft auch verantwortlich
plant den Einsatz ihrer Mitarbeiter für die Gewährleistung von Infor- s 7IE WERDEN DIE FACHLICHEN
und Mitarbeiterinnen entsprechend. mation, Beratung und Beteiligung Schwerpunkte, Interessen und
Leitungskräfte sind permanent von Eltern. In diesem Sinne vertritt Ressourcen im Team der Fachkräfte
aufgefordert, ihre eigenen Orien- sie auch das Profil und die Arbeit der genutzt?
tierungen und Wissensbestände Einrichtung gegenüber der allge-
zu überprüfen und weiterzuentwi- meinen Öffentlichkeit. Sie etabliert s .ACH WELCHEN +RITERIEN WERDEN
ckeln. Die bewusste Gestaltung der und pflegt Kontakte zu anderen Maßnahmen zur Fortbildung
Leitungsrolle gelingt umso besser, je Institutionen im sozialen Umfeld der und Personalentwicklung
eher die eigenen und fremden Er- Kindertageseinrichtung. geplant und umgesetzt? Wie
wartungen reflektiert, aufeinander bereichern die Impulse aus
bezogen und bewertet werden kön- Qualifizierungsmaßnahmen den
nen. Dabei wird die Leitung durch pädagogischen Alltag?
die Fachberatung unterstützt.
s 7IE GEHEN WIR MIT TYPISCHEN
Die Leitung sorgt für regelmäßige Stressfaktoren in der Krippe
Teambesprechungen, einschließlich um – weinende Kinder, hoher
der Dokumentation von Abspra- Geräuschpegel, Anforderungen an
chen und Ergebnissen. Sie etabliert die Pflege der Kleinsten?
transparente Informationswege und
steckt klare Zuständigkeitsberei- s 7AS ZEICHNET UNSER 4EAM AUS 7AS
che und Verantwortlichkeiten ab. tun wir für ein gutes Arbeitsklima
Gruppen für Kinder bis drei Jahren und ein kollegiales Miteinander?
sind immer auch Ausbildungsorte für
zukünftige Fachkräfte der Frühpäda- s 7IE THEMATISIEREN WIR +ONmIKTE
gogik. Damit ist die Einbindung und Wie entschärfen wir sie?
Anleitung von Praktikantinnen und
Praktikanten eine wichtige Aufgabe s 7IE WàRDE DIE :USAMMENARBEIT
der Gruppenkräfte, die sie so erfül- in der Einrichtung und die Rolle
len, dass die Praktikantinnen in ihrer einzelner Teammitglieder aus der
Rolle gegenüber den Kindern, Eltern Perspektive der Kinder beschrieben
und Kolleginnen sicher und professi- werden?
onell handlungsfähig sind.

– 53 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

B. Erziehungspartnerschaft mit schaffen. Dazu sollten Schnupperta- sollte bewusst sein: Je vertrauensvol-
Eltern ge vor der Aufnahme eines Kindes, ler und belastbarer ihre Beziehung
regelmäßige Elternabende, Eltern- ist, desto wohler wird sich das Kind
Eltern und Fachkräfte in der Kinder- briefe und ein regelmäßiger Aus- in der Einrichtung fühlen und desto
tageseinrichtung verstehen sich als tausch im Rahmen von Gesprächen unbeschwerter wird es neue Bezie-
Partner, die in einer engen Allianz zählen. hungen aufbauen und desto mehr
mit unterschiedlichen Rollen und wird es von der pädagogischen Ar-
Aufgaben für das Aufwachsen des Nicht nur Eltern benötigen Informa- beit profitieren. Dabei steht es außer
Kindes und die Wahrung seiner tionen über die Arbeit der Fachkräf- Frage, dass Eltern immer die wich-
Bildungschancen Sorge tragen. te. Je mehr die Fachkräfte über das tigsten Bezugspersonen des Kindes
Grundlage dieser Bildungs- und Kind und seine Familie wissen, desto sind und bleiben.
Erziehungspartnerschaft ist die besser können sie ihre Arbeit mit
Abstimmung von Gemeinsamkeit der Familie des Kindes abstimmen Dem Austausch beim Bringen und
in Zielen und Handeln. Ihre Anbah- und die Ressourcen seines Umfeldes Abholen von Kindern kommt in
nung und Gestaltung stellt beide nutzen. Eltern sind keine homogene Krippen eine besondere Bedeutung
Seiten vor Herausforderungen, die Gruppe. Sie haben unterschiedliche zu. Aufgrund ihrer sprachlichen Ent-
im Rahmen eines wertschätzenden, Lebensumstände, Familienstrukturen wicklung können sich kleine Kinder
konstruktiven Miteinanders zum und Erziehungsvorstellungen. Sie nur eingeschränkt mitteilen, wie es
Wohle des Kindes thematisiert und möchten auf sehr unterschiedliche ihnen geht. Fachkräfte sollten daher
gemeistert werden sollten. Weise einbezogen werden. Mit der von den Eltern erfahren, mit wel-
Geburt des ersten Kindes verändern chen Bedürfnissen, Interessen und
Der Zusammenarbeit mit Eltern sich für viele Eltern die sozialen Kon- Eindrücken ein Kind morgens in die
kommt in der Krippe eine besondere takte. Die Krippe sollte für sie ein Einrichtung kommt. Auch die abho-
Bedeutung zu. Vorteile, die Eltern Ort für Begegnung und Austausch lende Bezugsperson sollte kurz über
für ihre Kinder mit dem Besuch sein. den Tag in der Krippe und das Befin-
einer Krippe verbinden, mischen sich den des Kindes informiert werden.
oftmals mit Gefühlen von Unsicher- Angesichts einer vielfältigen sozialen Insbesondere in den ersten Wochen
heit. Viele Eltern haben in der Regel und kulturellen Herkunft von Eltern nach der Eingewöhnung wollen
keine eigenen Krippenerfahrungen ist es nicht immer einfach, die Ziele Eltern wissen, ob es ihrem Kind gut
gemacht. Die außerhäusliche Erzie- und Maßnahmen einer gemein- ergangen ist. Fachkräfte sollten sich
hung, Bildung und Betreuung von samen Erziehungsverantwortung hier so auskunftsfreudig wie möglich
Kleinkindern hat in Familien und abzustimmen. Es gilt, unterschiedli- zeigen und über die Ereignisse des
Gesellschaft keine Tradition. Eltern che Lebensformen sozial- und kul- Tages berichten, dabei jedoch darauf
sollten die Vereinbarkeit ihrer Pflich- tursensibel zu akzeptieren und eine achten, das Kind nicht im Beisein
ten in Beruf und Familie ausbalan- gleichberechtigte und diskriminie- der Gruppe oder der eigenen oder
cieren, die erste Trennung von ihrem rungsfreie Teilhabe für alle Familien fremden Eltern bloßzustellen.
Kind fällt nicht leicht. Fachkräfte sicherzustellen. Umgang mit eigenen
sollten mit diesen Unsicherheiten Fremdheitsgefühlen, Wissen über Empathie für Kind und Eltern geht
umgehen, ambivalente Gefühle von andere Kulturen und Akzeptanz für immer einher mit professioneller
Eltern wahrnehmen und sensibel an- unterschiedliche Lebensentwürfe Distanz. Fachkräfte sollten in der
sprechen können. Wenn sich Eltern sowie ein gutes Kommunikations- Lage sein, ihr Verständnis zu Theorie
anerkannt und verstanden fühlen, vermögen sind hierfür wichtige und Praxis zu formulieren und auf
verbessert dies die Chancen auf eine Voraussetzungen. Das Miteinander dieser Grundlage in den Dialog
erfolgreiche Zusammenarbeit. Wenn beider Partner sollte von Offenheit, mit Eltern treten. Dabei sollten sie
Eltern erfahren, dass sie mit ihren Toleranz, Dialogbereitschaft und genauso sicher und klar auftre-
Anliegen und Sorgen in der Krippe Respekt geprägt sein. ten können, wie sie es gegenüber
gut aufhoben sind, dann werden sie Kindern tun. Gerade im Krippenbe-
auch ihre Kinder dieser Einrichtung Fachkräfte sollten vorurteilsbewusst reich ist das Interesse der Eltern an
mit der Überzeugung anvertrauen, auf Eltern zugehen, sich um ihr Beratung zu Fragen der Erziehung
dass diese dort gut aufgehoben sind. Vertrauen bemühen und auch zu und Entwicklung ihrer Kinder sehr
Eltern eine verlässliche Beziehung groß. Leitung und Fachkräfte sollten
Der erste Schritt für die Anbahnung aufbauen. Grundlage dafür ist der regelmäßige Gespräche mit Müttern
einer Bildungs- und Erziehungs- offene, enge und positive Austausch und Vätern anbieten.
partnerschaft ist der Austausch von über das Kind. Im Sinne eines all-
Informationen. Je mehr die Eltern mählichen Herantastens empfiehlt Regelmäßige Entwicklungsgespräche
über die Einrichtung wissen, desto sich ein kleinschrittiges Vorgehen und ein täglicher Austausch mit El-
besser. Es ist daher wichtig, über die mit konkreten und praktikablen tern bietet Fachkräften die Chance,
Arbeit in der Krippe Transparenz zu Vereinbarungen. Beiden Partnern neues Handlungswissen zu erwer-

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ben, die eigene Haltung zu reflektie- nehmen. Ausschließliches Ziel ist es ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
ren und das pädagogische Handeln dabei sein, Vernachlässigung und
zu hinterfragen. Sie können über die Gewalterfahrungen von Kindern s 7AS WàNSCHE ICH MIR VON %LTERN
Einrichtung hinausgehende Informa- abzuwenden. Was biete ich ihnen?
tionen über das Kind erhalten, Res-
sourcen von Eltern für ihre Bildungs- Fachkräfte in Kindertageseinrich- s 7IE KANN ICH %LTERN SYSTEMATISCH IN
und Erziehungsarbeit erschließen tungen können die Probleme von meine Arbeit einbinden?
und Anregungen von Eltern für die Familien oft nicht lösen. Sie erken-
Gestaltung des Krippenalltags auf- nen aber, welche Eltern von welchen s 7ORAN MERKE ICH DASS %LTERN
greifen. Entwicklungsgespräche wer- Angeboten im Sozialraum der Ein- Vertrauen in die Einrichtung
den von der Fachkraft initiiert und richtung profitieren können. Sie sind haben?
auf Grundlage ihrer Beobachtung im Stadtteil vernetzt und können
und Dokumentation durchgeführt. Informationen über Aktivitäten und s 7IE KANN ICH EINE GEMEINSAME
Ergebnisse und Verabredungen mit Angebote von Familienbildung, Ver- Gesprächsbasis mit Eltern
Eltern können schriftlich fixiert und einen oder örtlichen Hilfestrukturen unterschiedlicher sozialer und
im Team kommuniziert werden. vermitteln und die dort zuständigen kultureller Herkunft herstellen?
Ansprechpartner/innen benennen.
Austausch und Reflexion im Team s 7ARUM ARBEITE ICH MIT MANCHEN
erlauben es, die Bemühungen zur Werden Auffälligkeiten, Einschrän- Eltern gut und mit anderen Eltern
Anbahnung und Gestaltung von kungen oder Entwicklungsrisiken weniger gut zusammen?
Bildungs- und Erziehungspartner- vermutet, so verweisen Fachkräf-
schaften auch aus der Perspektive te Eltern an die entsprechenden s 7AS SIND SCHWIERIGE 3ITUATIONEN
anderer Kollegen und Kolleginnen Fachdienste (z. B. Sozialpädiatrische in der Zusammenarbeit mit den
zu reflektieren. Ärger und Stress mit Zentren oder Frühförderstellen, Eltern? Was haben diese mit mir
Eltern sollte umgehend analysiert Gesundheitsamt). Verordnete För- zu tun?
werden: Warum können Erwartun- dermaßnahmen oder Therapien für
gen nicht erfüllt werden? Werden einzelne Kinder (Logopädie, Physio- s +ANN DAS )NFORMATIONSANGEBOT
Absprachen nicht eingehalten? Was therapie) sollten in den Einrichtungs- für Eltern über die Arbeit in der
sind die Wünsche und Ansprüche, alltag integriert werden können. Einrichtung verbessert werden?
die beiden Seiten haben? Kann die Krippe den Betreuungsbe- Wo stoßen wir an Grenzen?
darf von Eltern nicht abdecken, so
Betreuungszeiten in der Krippen- können die örtlichen Jugendämter s 7ELCHE +OMPETENZEN HABEN DIE
gruppe sollten immer mit Blick auf weiterhelfen. Eltern eines Kindes? Wie werden
das Wohl des Kindes vereinbart sie für die Arbeit der Einrichtung
werden - trotz allen Verständnisses Das Erleben von Gemeinschaft ist genutzt?
für die Schwierigkeiten, Beruf und nicht nur für Kinder wichtig. Unter
Familie zu vereinbaren. Sie sollten dem Dach der Einrichtung sollte s 7IE WERDEN %LTERN IN DIE 7EITER
den Umfang eines Arbeitstages für für Eltern daher Raum geschaffen entwicklung der pädagogischen
Erwachsene (also acht Stunden) werden, um sich zu treffen, sich Konzeption einbezogen? Werden
nicht überschreiten. Ein regelmäßi- auszutauschen, sich gegenseitig zu pädagogische Schwerpunktsetzun-
ger Besuch ist wichtig, damit Kinder unterstützen oder auch, um sich für gen mit Eltern abgestimmt?
Sicherheit durch verlässliche Routi- die Krippe zu engagieren. Elternen-
nen und Abläufe gewinnen können. gagement kann sowohl mit Blick auf s 7IE GEHE ICH MIT 3CHWIERIGKEITEN
Während einer festen Mittagsruhe das pädagogische Angebot in der in der Zusammenarbeit mit
sollte ein Kind nur in abgespro- Krippe als auch mit Blick auf Betei- Eltern um? Wie adressiere ich
chenen Ausnahmefällen abgeholt ligung, Mitverantwortung und Mit- Verständigungsprobleme und
werden. bestimmung erfolgen. Eltern sollten Sprachbarrieren?
darüber hinaus ermutigt werden, ihr
Trotz aller Akzeptanz des Eltern- Interesse an einem bedarfsgerechten s 7IE SETZE ICH MICH MIT DEM 6ER
willens und der sozio-kulturellen und hochwertigen Betreuungsan- dacht auf Entwicklungsrisiken oder
Herkunft der Eltern: wenn Kindes- gebot auch als Elternvertreter/innen einer vermuteten Kindeswohlge-
wohl gefährdet ist, muss die Fach- und Elternbeiräte in die örtlichen fährdung auseinander?
kraft für das Kind Position beziehen. Strukturen von Politik und Verwal-
Unter Kindesschutzgesichtspunkten tung einzubringen. s 7ELCHE !NGEBOTE IM 3OZIALRAUM
(BKiSchG, SGB VIII) kann es manch- sind für Eltern mit kleinen Kindern
mal auch darum gehen, Einfluss wichtig? Wie ist die Einrichtung
auf das eigenverantwortliche im Sozialraum präsent? Gibt es
Erziehungshandeln von Eltern zu Kooperationen?

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FRÜHKINDLICHE BILDUNG

C. Übergänge gestalten 1. Die Eingewöhnung als Maße für das Kind und seine Eltern
Übergang von der Familie in präsent sein und auf möglichst alle
Kinder, die den Schritt von der Fa- die Krippe Äußerungen aufmerksam reagieren.
milie in die Kindertageseinrichtung Je sicherer sich die Eltern fühlen
und den Wechsel von der Krippe in Die Eingewöhnung ist der Rahmen, und je größer ihr Vertrauen in die
den Kindergarten erfolgreich be- in dem sich Fachkraft, Kind und eingewöhnende Fachkraft ist, desto
wältigen, erwerben dabei vielfältige Eltern kennenlernen, Kinder und sicherer und wohler wird sich auch
Kompetenzen und Selbstvertrauen, Eltern zu der betreuenden Fachkraft das Kind fühlen.
von denen sie auch in späteren (Bezugserzieherin) eine tragfähige
Übergängen ihrer Bildungs- und und verlässliche Beziehung aufbau- Die Einbindung der Eltern ist uner-
Erwerbsbiographie profitieren. en und das aufgenommene Kind lässlich, denn sie sind es, die ihren
langsam an die neue Umgebung und Kindern zunächst Sicherheit in der
Der Übergang von der Familie in die Gruppenabläufe des pädagogi- (noch) fremden Umgebung geben.
die Kindertageseinrichtung stellt schen Alltags herangeführt wird. Sie Immer wenn das Kind Unwohlsein
Kinder und Eltern vor große Her- ist der Ausgangspunkt für die Bil- empfindet oder Trost braucht, wird
ausforderungen und erfordert hohe dungs- und Erziehungspartnerschaft es die Nähe der vertrauten Person
Lern- und Anpassungsleistungen. zwischen Eltern und Kindertagesein- suchen, um zu entspannen und
Kinder müssen Sicherheit darüber richtung. Energie aufzutanken. Eltern müssen
gewinnen, dass Abschied die Bezie- schon vor Beginn der „Eingewöh-
hung zu ihren Eltern nicht verändert Ein Aufnahmegespräch zwischen nungsphase“ wissen, was ihre Rolle
und die Eltern immer wiederkom- Leitung, künftiger Bezugserzieherin und Aufgaben sind. Eine Fachkraft
men. Sie müssen starke Emotionen und Eltern eines Kindes bildet einen bezieht Eltern als gleichberechtig-
wie Trennungsschmerz bewältigen, guten und ungestörten Rahmen, te Partner mit ein, indem sie sie
sich auf eine neue Umgebung und damit Eltern ihre Erwartungen, ihre z. B. ermutigt, in allen Phasen der
einen neuen Tagesablauf einstellen Wünsche und ihren Gesprächsbedarf Eingewöhnung ihre Eindrücke und
und neue, tragfähige Beziehungen zum Übergang ihres Kindes in die Anregungen zu äußern und sich ge-
zu ihren Bezugspersonen in der Einrichtung äußern können. Fach- meinsam darüber zu verständigen,
Krippengruppe aufbauen. Eltern kräfte erhalten erste Informationen wie diese in den Prozess mit aufge-
müssen sich vom Kind lösen, Vertrau- über die Vorlieben, Abneigungen, nommen werden können.
en in die Einrichtung gewinnen, die Interessen und Gewohnheiten eines
Beziehung zu ihrem Kind entwickeln Kindes und seine familiäre Situati- Für den Aufbau einer Beziehung zu
und den eigenen Übergang – auch on. Die Planung und Durchführung dem neuen Kind und seinen Eltern
in Verbindung mit der Wiederauf- der Eingewöhnungsphase kann mit muss ungestörtes Kennenlernen,
nahme einer beruflichen Tätigkeit der dafür benötigten Zeit und Ruhe intensiver Kontakt und emotionale
– bewältigen. abgestimmt werden. Wenn Eltern Zuwendung im Alltag der Tages-
die deutsche Sprache nicht verstehen einrichtung möglich sein. Darüber
Wenn Kindern Übergänge schwer- oder sprechen, sollte sich die Leitung hinaus sind Zeiten für Elternge-
fallen, so können auch familiäre in Vorbereitung des Gesprächs um spräche einzuplanen. Um diese
Probleme ein Grund dafür sein. Es einen Dolmetscher bemühen. Freiräume zu schaffen, müssen sich
empfiehlt sich, sensibel nach Ursa- Kollegen gegenseitig entlasten und
chen zu forschen und im Dialog mit Gerade für Eltern sehr junger Kinder auch gemeinsam dafür Sorge tragen,
den Eltern das individuelle Vorgehen ist die Entscheidung für einen Platz dass auch die älteren Kinder nicht
für die Gestaltung von Übergängen in einer Krippe oftmals mit gegen- zu kurz kommen. Auch sie müssen
zu entwickeln. sätzlichen Gefühlen verbunden. einen Übergang bewältigen: den
Einerseits sind sie froh über den Übergang von den „Kleinen“ zu den
Betreuungsplatz und wünschen sich „Großen“. Es kommt Kindern, Eltern
eine vertrauensvolle Beziehung zu und Fachkräften zugute, wenn
den Fachkräften. Andererseits fühlen Einrichtungen neue Kinder nicht
sie sich angesichts der Trennung von gleichzeitig sondern in zeitlichen
ihrem Kind und der Bedeutung, die Abständen aufzunehmen.
die Bezugserzieherin im Leben ihres
Kindes spielen wird, verunsichert. Während der Eingewöhnung sollte
Fachkräfte müssen in der Eingewöh- sich die Arbeitszeit der Bezugserzie-
nungsphase sowohl den Kindern herin so weit wie möglich an den
als auch ihren Eltern Sicherheit Betreuungszeiten ihres Eingewöh-
und Unterstützung geben, ohne in nungskindes orientieren. Urlaub ist
Konkurrenz zu gehen. Insbesondere zu vermeiden. In großen Einrichtun-
die Bezugserzieherin muss in hohem gen kann alternativ auch mit zwei

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Fachkräften geplant werden, um die Nicht nur der Trennungsschmerz von lisierungsphase finden erste Tren-
Vertretung bei Krankheit oder ande- Kindern sondern auch das „Loslas- nungsversuche statt, die Schritt für
ren unvorhersehbaren Abwesenhei- sen Müssen“ der Eltern spielt im Schritt ausgedehnt werden. In einer
ten zu sichern. Grundsätzlich sollte Rahmen der Eingewöhnung eine Schlussphase müssen die Eltern nicht
eine Bezugserzieherin während der große Rolle und sollte in Gespräche mehr in der Krippe anwesend aber
gesamten Eingewöhnungsphase angemessen angesprochen werden. noch erreichbar sein.
präsent sein. Nicht alle Mütter und Väter wissen,
wie wichtig ein kurzer, freundlicher Wie schnell oder langsam vorge-
Die Bezugserzieherin beobachtet und deutlicher Abschied für das Kind gangen wird, sollte nicht anhand
und begleitet die Entwicklung des ist, um die Trennung von seinen eines starren Eingewöhnungssche-
Kindes während der Eingewöh- Eltern zu bewältigen. Im Vorfeld mas, sondern anhand der indivi-
nungszeit und leitet schrittweise der Eingewöhnung sollten daher duellen Belange des Kindes und
seine Einbindung in den Kita-Alltag Abschiedserfahrungen thematisiert seiner Familie entschieden werden.
ein. Die Eltern bieten ihrem Kind und Abschiedsrituale (ggf. unter Während des gesamten Übergangs
Sicherheit und Unterstützung und Nutzung von Übergangsobjekten sollte das Kind intensiv beobachtet
ziehen sich schrittweise zurück. Die wie Kuscheltier oder Schnuller) erar- werden und die Beobachtungen
kindlichen Selbstregulierungsfä- beitet werden. im Eingewöhnungsprozess sowohl
higkeiten reichen in diesem Alter im Team der Einrichtung als auch
nicht aus, um den Startstress mit Die Planung und Durchführung der mit den Eltern reflektiert werden.
Trennungsschmerz, Verlustangst, Eingewöhnungsphase sollte sich Die Eingewöhnung sollte möglichst
Lärm und Konkurrenz zu bewälti- an anerkannten fachlichen Stan- ohne Druck auf Kinder oder Eltern
gen. Wenn ein Kind weint, sollte die dards orientieren und ein gestuf- erfolgen. Jedes Kind sollte die Zeit
Fachkraft verständnisvoll trösten. tes Vorgehen beinhalten. In einer erhalten, die es braucht, um in der
Gleichzeitig muss die Fachkraft den Kennenlernphase werden Eltern mit Einrichtung anzukommen.
Eltern signalisieren, dass ihr Kind der Arbeit der Einrichtung und den
wichtige Entwicklungsschritte bewäl- Anforderungen an die Eingewöh- In der Regel dauert die Eingewöh-
tigt, ihre Sorgen und Unsicherheiten nungszeit vertraut gemacht. In einer nungszeit zwischen zwei und acht
ernst nehmen und Verständnis dafür Grundphase sind die Eltern für ihr Wochen. Für eine kürzere Eingewöh-
zeigen. Kind präsent, verhalten sich aber nungszeit spricht, wenn ein Kind im
zunehmend passiv. In einer Stabi- Tagesablauf der Krippe schnell Ori-

– 57 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

entierung findet, sich offensichtlich Eingewöhnung sind, wenn sich das 2. Der Übergang von der
wohl fühlt, sich von seinen Eltern Kind von der Fachkraft nach dem Krippe in den Kindergarten
gut trennen kann und auf Bezie- Abschied von seinen Eltern aktiv
hungsangebote weiterer Fachkräfte trösten lässt und danach konzent- Der Übergang von der Krippen-
eingeht. Weniger als sechs Tage soll- riert spielen kann. Spätestens wenn gruppe in den Kindergarten ist ein
ten für eine Eingewöhnung jedoch sich das Kind morgens problemlos Meilenstein in der frühkindlichen
nicht angesetzt werden. Eine länge- von seinen Eltern trennen kann und Entwicklung eines Kindes. Er sollte
re Eingewöhnung ist nötig, wenn ein exploratives Spielverhalten zeigt, gut vorbereitet und durch Fachkräf-
das Kind ängstliche oder wachsame kann von einer gelungenen Einge- te der „abgebenden“ und Fachkräf-
Verhaltensweisen zeigt, gegenüber wöhnung gesprochen werden. te der „aufnehmenden“ Gruppe
der Erzieherin zurückhaltend ist gemeinsam gestaltet werden. Kinder
und die Trennung vom Elternteil zu sollten diesen Übergang positiv
deutlichen Reaktionen führt, die von erleben und sich mit Freude und
den Kräften der Gruppe nicht auf- Zuversicht auf die neuen Lernumge-
gefangen werden können. Je nach bungen in der Kindergartengruppe
Alter und Impfstatus eines Kindes einlassen können.
ist mit Krankheiten zu rechnen, die
die Eingewöhnung unterbrechen Auch wenn viele Krippenkinder stolz
und damit verzögern. Insbesondere sein werden, nun zu den „Großen“
Kinder zwischen dem 6. und 12. zu gehören: Der Abschied von der
Lebensmonat sind für Bakterien und Krippe ist immer auch mit Trennung
Viren in der Krippe sehr anfällig. und Abschied verbunden. Tren-
nungsschmerz muss angesprochen
Entscheidend für die Einschätzung werden, Abschied nehmen sollte
des Eingewöhnungsverlaufs ist in Rituale wie zum Beispiel einem
nicht die Trennungssituation selbst, Abschiedsfest oder einem Abschieds-
sondern das Verhalten des Kindes geschenk eingebettet werden. Zum
vor und nach der Trennung. Verläss- Abschied können Kind und Fachkraft
liche Signale für eine gelingende sich noch einmal gemeinsam das

– 58 –
Portfolio des Kindes anschauen und reflektieren, wie schnell sich ein Kind ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
besprechen, was es in der Krippe einlebt und welche Zumutungen es
alles gelernt hat und welche großen bewältigen kann. s 7IE INFORMIERT DIE
Entwicklungsschritte damit verbun- Einrichtung Eltern über die
den waren. Damit vermittelt die Fachkräfte aus Krippe und Kin- besondere Bedeutung der
Fachkraft dem Kind, dass es auch die dergarten müssen in einem engen Eingewöhnungsphase? Gibt es ein
neuen Herausforderungen bewälti- fachlichen Austausch dafür Sorge schriftliches Konzept?
gen kann. tragen, dass Informationen über
den Entwicklungsstand eines Kindes s 7ELCHE 6ERFAHREN FàR DIE
Kinder müssen im Übergang gut und die besonderen Bedingungen Planung und Durchführung
begleitet werden. Mit dem Besuch seines Aufwachsens weitergegeben der Eingewöhnung haben sich
einer Kindergartengruppe sind für werden. Wenn sich die Kindergar- bewährt?
Krippenkinder neue Anforderun- tengruppe in einer anderen Einrich-
gen verbunden. Im Gegensatz zur tung befindet, müssen Eltern diesen s 7IE GEHE ICH AUF 5NSICHERHEITEN
behüteten Atmosphäre in der Krippe Austausch aus Datenschutzgründen Erziehungsvorstellungen und
werden sie in der Regel auf grö- schriftlich zustimmen und sollten Bedürfnisse der Eltern ein?
ßere Gruppen stoßen, im sozialen idealerweise an einem Übergangsge-
Miteinander müssen sie sich ge- spräch beteiligt werden. s 7IE UNTERSTàTZEN SICH DIE
genüber den vielen neuen und oft Fachkräfte, um Freiräume für
auch älteren Kindern behaupten. Sie Für die Kooperation zwischen Krippe ungeteilte Zuwendung zu Kind
müssen sich an einen Tagesablauf und Kindergarten ist es wichtig, dass und Eltern zu ermöglichen?
gewöhnen, der in der Regel weniger Fachkräfte einer Krippe mit den
Ruhephasen und Pflegezeit bietet. Kindergartengruppen der eigenen s 7ERDEN %RFAHRUNGEN MIT DER
Einrichtung und den umliegenden Eingewöhnung von Kindern im
Ideal ist ein gleitender und über Kindergärten in engem Austausch Team reflektiert?
einen längeren Zeitraum angelegter stehen. So können sie nicht nur
Übergang. Dafür nehmen Kinder Übergänge gemeinsam gestalten, s 7ELCHE 2ISIKEN NEHME
noch während ihrer Krippenzeit sondern auch Eltern bei der Wahl ich für einen gelungenen
schon stundenweise an den Aktivitä- eines für ihr Kind passenden Kin- Beziehungsaufbau wahr?
ten ihrer neuen Kindergartengruppe dergartens beraten. Gemeinsam
teil – im Regelbetrieb oder aber können Fachkräfte dafür Sorge s 7IE GEHE ICH MIT DEM
auch im Rahmen von gemeinsa- tragen, dass wichtige Informationen Abschiedsschmerz von Kindern und
men Projekten. So können sie erste zur Gestaltung des Übergangs früh Eltern um?
Kontakte aufbauen und das neue ausgetauscht, Übergangsprozesse
Umfeld kennenlernen, ohne be- gemeinsam geplant und Kinder wie s 7ANN KANN DIE %INGEWÚHNUNGS
reits den gesamten Tagesablauf im Eltern im Übergang von der Krippe phase abgeschlossen werden?
Kindergarten bewältigen zu müssen. in den Kindergarten gut begleitet Wie sollte dies geschehen?
Sie wissen, dass ihnen nach einigen werden.
Stunden die überschaubarere und
behütetere Atmosphäre der Krippe
zur Verfügung steht.

Es ist damit zu rechnen, dass ein neu-


es Kind in der Kindergartengruppe
insbesondere in den ersten Wochen
schnell ermüdet und daher eine
erhöhte Aufmerksamkeit benötigt.
Es muss neue Beziehungen aufbauen
und eine Vielzahl neuer Eindrücke
verarbeiten. Auch die benötigte
Pflege muss gewährleistet werden.
Nicht alle dreijährigen Kinder sind
tagsüber bereits windelfrei, bei
einigen Kindern dauert dieser nicht
zu beschleunigende Reifeprozess
länger als bei anderen. Fachkräf-
te aus Kindergarten und Krippe
sollten gemeinsam beobachten und

– 59 –
FRÜHKINDLICHE BILDUNG

IV. Qualitätsentwicklung und -sicherung

Die Sicherung und Entwicklung von die Konzeption noch genügend fachlichen Überzeugungen und ihre
Qualität bedeutet, die pädagogische Orientierung und Unterstützung für Erfahrungen ein. Sie werden durch
Arbeit auf dem aktuellen Stand des die pädagogische Arbeit bietet und das gesamte Team verabschiedet
Fachwissens, mit hohen Engage- sich mit ihren Leitzielen positiv auf und sind ein Qualitätsversprechen an
ment und einer positiven Haltung das Alltagshandeln der Fachkräfte diejenigen, die die Leistungen der
zu gestalten. Dazu müssen Leitung auswirkt. Einrichtung in Anspruch nehmen:
und Fachkräfte fortlaufend und „Unter den gegebenen Rahmenbe-
gemeinsam nachdenken, welche Zu einer pädagogischen Konzep- dingungen und mit der Kompetenz,
Ziele erreicht werden sollen, welche tion für den Krippenbereich einer die wir einbringen, können folgende
konkreten Maßnahmen für die Errei- Einrichtung gehören Aussagen zum Dinge regelmäßig und zuverlässig
chung dieser Ziele ergriffen werden Menschenbild eines kleinen Kindes, getan werden. Dafür stehen wir als
müssen und in welchen fachlichen zur Befriedigung elementarer Be- Team und als einzelne Fachkraft
und organisatorischen Rahmenbe- dürfnisse eines kleinen Kindes (zum gerade.“
dingungen man sich bewegt. Beispiel Pflege, Ruhe und Schlaf,
Mahlzeiten, Rücksicht auf individu- Die Entwicklung von Prozessqualität
Die pädagogische Konzeption einer elle Bedürfnisse), zur Bedeutung im Alltag der Kindertageseinrich-
Einrichtung beschreibt ihr Quali- und Durchführung der Eingewöh- tung ist ein komplexes Unterfangen.
tätsverständnis und ist damit ein nungsphase, zur Gestaltung von Es bietet sich daher an, schrittweise
wichtiges Instrument für die Qua- Tagesablauf und Räumlichkeiten, zur vorzugehen und mit Schlüsselsitu-
litätssicherung und -entwicklung. Zusammenarbeit im Team, zur Erzie- ationen zu beginnen, die für die
Hier werden die Zielsetzungen und hungspartnerschaft mit Eltern und Betreuung, Erziehung und Bildung
Leitlinien der pädagogischen Arbeit zu den Grundzügen von Qualitätssi- von unter Dreijährigen besonders
definiert, an denen die Einrichtung cherung und -entwicklung. wichtig sind. Was bedeutet Quali-
gemessen werden möchte. Sie rich- tät in dieser Situation? Was kön-
ten sich aus am Orientierungsplan Es gibt unterschiedliche Dimensio- nen wir Kindern aufgrund unserer
und die ihn ergänzenden Hand- nen, die die Qualität der pädago- Ressourcen anbieten? Wie kann sie
lungsempfehlungen sowie Vorgaben gischen Arbeit mit Kindern unter entwickelt werden? Woran ist sie zu
der einzelnen Träger. drei Jahren positiv beeinflussen messen? Ausgehend von den beson-
können. Leitung und Fachkräfte deren Bedürfnissen eines Kleinkin-
Qualität ist keine objektive, unver- einer Einrichtung können insbeson- des können Qualitätskriterien und
änderliche Größe. Sie wird abhän- dere auf die Prozessqualität Einfluss eine „best practice“ für die Gestal-
gig von den Sichtweisen und den nehmen und die fachlich-inhaltliche tung der Bildungs- und Lernprozesse
Interessen von Trägern, Leitung, Gestaltung ihrer Arbeit entwickeln. entwickelt werden.
Fachkräften, Eltern und Kindern Dazu erarbeiten sie, wie die Lern-
wahrgenommen. Angesichts unter- und Entwicklungsprozesse der ihnen Für eine gute Zusammenarbeit mit
schiedlicher und sich im Laufe der anvertrauten Kinder bestmöglich ge- Familien können Fachkräfte sich
Zeit wandelnder Werte, Normen und fördert, ihr Wohlbefinden während verpflichten, während der täglichen
Erziehungsvorstellungen muss das der Betreuungszeit sichergestellt Bring- und Abholsituationen einen
Qualitätsverständnis einer Kinder- und Familien in ihren Erziehungsauf- bewussten Informationsaustausch
tageseinrichtung immer wieder neu gaben unterstützt werden können. zum Befinden des Kindes und den
überdacht werden. Bedürfnissen der Eltern zu leisten.
Qualitätsziele sind sorgfältig und mit Sie schaffen hierfür eine geeignete
In diesem Sinn muss auch die päda- Fachkenntnis ausgewählte Ansprü- Umgebung (Garderobengestaltung,
gogische Konzeption einem kontinu- che an die pädagogische Arbeit Begrüßungs- und Abholrituale etc.).
ierlichen Prozess von Reflexion und mit Kindern unter drei Jahren, die Auf Grundlage eines Portfolios
Evaluation unterworfen werden. Es eine Fachkraft beziehungsweise das finden halbjährliche Entwicklungs-
gilt in regelmäßigen Abständen zu Team in der Einrichtung gemeinsam gespräche statt, um gemeinsam die
überprüfen, ob die Konzeption im erfüllen möchte. Die diesen Zielen Entwicklungsverläufe des Kindes
Hinblick auf neue Rahmenbedin- zugrunde liegenden Qualitätsstan- besprechen zu können.
gungen verändert oder um neue dards müssen Leitung und Fachkräf-
Aspekte ergänzt werden muss. Im te miteinander erarbeiten. Dabei Für eine qualitativ hochwertige
Team muss reflektiert werden, ob bringen sie ihre persönlichen und Interaktion in der Tageseinrichtung

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sind die Dialogorientierung der Veränderungsbedarf gesehen wird. ANREGUNGEN ZUR REFLEXION
Fachkräfte, die Teilhabe von Kin- Dafür müssen Verfahren und Zustän-
dern am Alltagsgeschehen und eine digkeiten vereinbart werden, wie s 7IE THEMATISIEREN UND REmEKTIEREN
wertschätzende Haltung im Umgang Innovationspotenziale erfasst und wir die Qualität der pädagogischen
miteinander wichtige Qualitätsindi- realisiert werden können. Arbeit in unserer Einrichtung?
katoren. Je intensiver und häufiger
Fachkräfte auf Kinder eingehen, je Es bietet sich an, die Fachverantwor- s !N WELCHEN 1UALITÊTSZIELEN UND
größer die Sprachanteile des Kindes tung für Qualitätsentwicklung inner- Qualitätsstandards wollen wir uns
im Dialog mit der Fachkraft sind, je halb der Einrichtung in die Hände messen lassen?
zugewandter und verlässlicher Fach- einer für diesen Bereich qualifizier-
kräfte auf Bedürfnisse des Kindes ten Fachkraft zu legen. Sie verfolgt s 7IE WERDEN DIESE IM
reagieren, desto besser. die im Team identifizierten Themen pädagogischen Konzept der
und übernimmt in Kooperation mit Einrichtung beschrieben?
Für ein gutes Management ist der Leitung die Steuerungsverant-
insbesondere die Leitung gefordert, wortung. Die Umsetzungsverantwor- s )N WELCHEM 2AHMEN MACHEN WIR
zu den Zielen und Methoden der tung bleibt jedoch immer Aufgabe uns Gedanken über die Sicherung
pädagogischen Arbeit einen Konsens aller Fachkräfte. Grundsätzlich gilt, und Entwicklung der Qualität
herzustellen und die konzeptionelle dass die Verantwortung für Quali- unserer Arbeit?
Einbindung und Umsetzung von tätsentwicklung und -sicherung beim
Qualitätsstandards zu überprüfen. Träger liegt. Eine externe Fachbera- s 7ELCHE 6ERFAHREN FàR 2EmEXION
Je höher die Arbeitszufriedenheit tung des Trägers sollte die interne und Evaluation haben sich
und kollegiale Unterstützung, desto Qualitätsentwicklung begleiten. bewährt?
größer ist die Qualität der pädago-
gischen Arbeit. Je gezielter Fortbil- s 7IE WIRKEN SICH 2EmEXION
dung, Fachberatung und Supervision und Evaluation auf unseren
genutzt werden, desto besser. Je pädagogischen Alltag aus?
besser Fachkräfte von Unwichti-
gem entlastet werden, desto besser
können sie sich auf Kernaufgaben
konzentrieren.

Die Qualitätssicherung und -ent-


wicklung sollte regelmäßig Thema
von Dienstbesprechungen in der
Einrichtung, dem Austausch mit der
Elternvertretung, der Fachberatung
und dem Träger sein. Es empfiehlt
sich, im Rahmen des pädagogischen
Konzeptes der Einrichtung festzule-
gen, mit welchen Fragen in welchen
Abständen die Qualität der Bildungs-
und Erziehungsarbeit in der Einrich-
tung überprüft werden sollte.

Erfolgversprechende Qualitätsent-
wicklung kann nur im Dialog auf
den Weg gebracht und evaluiert
werden. Reflexion und Evaluation
müssen das Selbstwertgefühl und
die Professionalität der Fachkräf-
te stärken, ihre geleistete Arbeit
würdigen und Ansporn für weitere
Verbesserungen sein. Es geht darum,
in einem offenen und konstruktiven
Dialog zu erörtern, was sich aus
welchen Gründen bewährt hat und
bei welchen eingefahrenen Routi-
nen oder institutionellen Zwängen

– 61 –
FRÜH KINDLICH E BILDUN G

IMPRESSUM
Herausgeber:
Niedersächsisches Kultusministerium
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Allee 5
30173 Hannover
pressestelle@mk.niedersachsen.de
www.mk.niedersachsen.de
https://bildungsportal-niedersachsen.de/fruehkindliche-bildung/bildungsauftrag/
orientierungsplan
Hinweis:
Als Online-Fassung zum Herunterladen
finden Sie diese Broschüre unter
www.mk.niedersachsen.de > Service > Publikationen > Kindertagesbetreuung
Diese Broschüre darf, wie alle Broschüren der
Landesregierung, nicht zur Wahlwerbung in
Wahlkämpfen eingesetzt werden.
Druck:
gutenberg beuys feindruckerei GmbH
Stand:
August 2023
Bestellungen: bestellung@feindruckerei.de

Abschnitt:
Orientierungsplan für Bildung und Erziehung
Gestaltung:
Anette Gilke
Fotos:
Franz Fender

Abschnitt:
Sprachbildung und Sprachförderung
Gestaltung:
Hey-Werbeagentur.de
Fotos:
Niedersächsisches Kultusministerium (6), Fotolia (1)

Abschnitt:
Die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren
Fotos:
Städt. Kita Haltenhoffstraße, 30176 Hannover
Ev. Kita Paul-Gerhardt, 21337 Lüneburg
Städt. Kindergarten »Schöne Aussicht«, 31100 Giesen
Integrative Kita »Lummerland«, 49124 Georgsmarienhütte
Gestaltung:
www.hey-werbeagentur.de

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